Manfred Frank
Der unendliche Mangel an Sein Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik
2., stark e...
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Manfred Frank
Der unendliche Mangel an Sein Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik
2., stark erweiterte und überarbeitete Auflage 1992
Wilhelm Fink Verlag • München
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Frank, Manfred: Der unendliche Mangel an Sein: Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik / Manfred Frank. 2., stark erw. und überarb. Aufl. - München: Fink, 1992 ISBN 3-7705-2746-1
2. Auflage 1992 ISBN 3-7705-2746-1 O 1992 Wilhelm Fink Verlag, München Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn
Inhalt
Statt eines Vorwortes Einleitung
9 93
I Die philosophische Einsicht Hölderlins und ihr Einfluß auf Hegel und Schelling
103
II Die Reduktion des Seins auf Reflexion in Hegels Logik Unmittelbarkeit des Seins, Scheins und Wesens Vorausgesetzte und gesetzte Unmittelbarkeit Reflexion als Selbstbestimmung im Anderen Die Uneinholbarkeit der >Voraussetzung< Eine Denkfigur Schellings - Vorform oder Alternative?
116 121 127 13 j 137 144
III Die wechselseitigen Systemkritiken Hegels und Schellings Hegels Kritik an Schelling in der Vorrede zur Phänomenologie Schellings Erwiderung - der »Cirkel der Reflexion« Voraussetzen und intellektuelles Anschauen Bewährung der Schellingschen Kritik an Beispielen IV Schellings Suche nach positiver Unmittelbarkeit Die Problematik der Identitätsformel Der Schritt über die Grenzlinie des Bewußtseins Der ontologische Beweis der Reflexion Der Seinsgedanke der Identitätsphilosophie und Hegels »bestimmende Reflexion« in Konkurrenz V Schellings Lösung - Die Abhängigkeit der Idee vom Sein Sein, Identität und Erkennen Die Frage nach dem Grund des Wissens - der >ordo inversus< der Reflexion Die Frage nach dem Grund des Seins Die Kritik an der Seinsthese von Hegels Logik Die Unmöglichkeit eines logischen Übergangs zur Wirklichkeit Der immanente »Umsturz der Vernunft*
151 15 3 159 164 169 187 187 193 197 205 206 208 216 110 227 232 5
Die absolute Priorität des Seins vor dem Wesen Die absolute Priorität der Identität und das Scheitern der Selbsterkenntnis des Geistes Dialektische Umkehr oder Umkehrung der Dialektik? VI Ludwig Feuerbach - Vom Primat des Unmittelbaren Zur Kritik der Hegeischen Philosophie (1839) Die Kritik der Schellingschen Naturphilosophie Das Verhältnis zu Schelling in Feuerbachs Selbsteinschätzung Systematische Verwandtschaften zwischen Schellings und Feuerbachs Hegelkritik Zusammenfassung VII Karl Marx - Geschichte als Selbstverhältnis der Natur Kritik der Hegeischen Dialektik und Philosophie überhaupt (1844) Wirklichkeit und Geschichte - Grundlagen des historischen Materialismus VIII Materialismus und Geschichtsdialektik (Schelling - Marx - Hegel) Die ontologische Differenz von Wesen und Wirklichkeit Schellings Theorie der Zeit als Archetyp einer material begründeten Dialektik Geschichtlichkeit als Sündenfall und Entfremdung Die Unaufhebbarkeit der Zeit Schelling oder Hegel? - Eine geschichtsphilosophische Perspektive Anhang Heine und Schelling
6
235 240 246 255 256 264 267 273 289 293 293 303 319
322 331 341 346 361 361
»Unser Ausgangspunkt ist der Satz: Gott ist das Seyende selbst. Bedenken Sie ( . . . ) wohl diesen Begriff, von dem man sagen kann, er sey aller Begriffe Begriff ( . . . ) Erkennen Sie ( . . . ) vor allem ( . . . ) , daß er noch kein wirkliches Seyn in sich schließt ( . . . ) . Jenes Seyn aber, das in ihm damit schon gesetzt ist, daß wir es als das Seyende selbst denken, ist eben das bloße Seyn im Begriff, und Sie sehen ( . . . ) daraus, daß das Seyende selbst, da es kein Seyn außer dem Begriff hat, selbst nur als Begriff existirt; * dass (es) unmittelbar nur Wesen und also gänzlicher Mangel des Seins ist. Der unendliche Mangel an Seyn in dem einen kann nur durch den unendlichen Überfluß von Seyn in dem anderen begnügt und erster es eben dadurch im Können erhalten werden. Sie sehen ( . . . ) , wie dürftig, wie eng dieser Begriff ist. ( . . . ) Das Interesse der Philosophie ist es keineswegs, in dieser Enge zu bleiben, und das wäre eine traurige und höchst beengte Philosophie, welche von Gott nur wüßte, inwiefern in ihm das Seyn mit dem Wesen eines oder selbst das Wesen ist.« Schelling (« WW II, 2, 29-32, 49 und * Pos. Phil. 32/II, 135; vgl. II, 1, 294 und I, 7, 465£f. [466/7])
7
Statt eines Vorworts Die folgenden drei Abschnitte werden dem Leser/der Leserin sehr disparat erscheinen. Im I. sage ich etwas über die Genese des Buchs selbst, das ja keine Premiere feiert, sondern als N e u druck erscheint. Ein solcher ist immer zu begründen. Ich rede davon, wie es aufgenommen wurde, an welchen Stellen meine Ansichten sich von der ursprünglichen Anlage inzwischen fortentwickelt haben, was ich der Kritik zu entgegnen habe. Der II. Abschnitt bietet einen Abriß der ganzen Abhandlung (sozusagen ein Abstract in Vortragsform) - für eilige Leserinnen). Im III. Abschnitt mache ich einige theoretische Voraussetzungen explizit, mit denen meine Schelling-Interpretation durchgängig arbeitet. Sie sind von Sartre beeinflußt. I.
Als ich diese Abhandlung schrieb (1973/74), war ich Assistent für neuere deutsche Literaturwissenschaft in Düsseldorf. Ich erwähne das in der Hoffnung, daß man es dem Text vielleicht nicht anmerkt. Damals freilich wurde in Philosophischen Fakultäten - unzerstückelt und Fachbereichsgrenzen übergreifend, wie sie konstruiert waren - mehr an Interdisziplinarität gewagt als bald danach und noch heute, da die Kompartementalisierung der Fachbereiche auch in die Köpfe eingezogen ist und es für Bewerber(innen) ungünstig macht, mehr als eine Kompetenz nachzuweisen. Der Keimgedanke war mir während der Arbeit an meiner Dis-
sertation gekommen. Sie war dem Problem >Zeit< in der deutschen Romantik gewidmet 1 und hätte ein umfangreiches Kapitel über Schellings Beitrag zur Zeit-Theorie enthalten sollen. Da
1 und
1972
beim
Winkler
Verlag
Schöningh, München-Paderborn-Wien
erschienen.
Erweiterte
Neuauflage
bei
1990.
9
das Buch lange schwankte, ob es eine germanistische oder eine philosophische Doktorarbeit werden wollte, dann aber umständehalber für das erste sich entschied, ließ ich das abgeschlossene Kapitel in einem Ordner liegen, hoffend, es eines Tages in eine Schelling-Studie einfügen zu können. Aber niemand ist ganz Herr über die Bewegung seiner Gedanken. In mir arbeiteten unversehen kräftig die Nach wehen der 68 er Zeit, die aus verschiedenen (auch äußeren) Gründen in meine Dissertation keinen sehr sichtbaren Einzug gefunden hatten. So begann ich mich zu fragen, ob die - in all ihrer Pluralität doch recht eingleisig angelegte - Vorgeschichte, die der offiziöse und der >undogmatische< Marxismus in seltsamer Eintracht den Anfängen des Marxschen Grundgedanken vorausgehen ließ, korrekt rekonstruiert war. Gewiß, man konnte sich auf Marxens eigene Hinweise berufen: Die zeigten, außer auf die Büsten Rousseaus, der französischen Materialisten und natürlich die der britischen politischen Ökonomen, auf das alles überragende Standbild Hegels, dessen Felsenmelodie den jungen Marx verzaubert und zeit seines Lebens in Bann gehalten hat. Noch nach der Niederschrift des Kapital wollte er das viel umrätselte Verhältnis seiner Waren-Analyse zur Hegeischen Logik (vermutlich vor allem zu der der Reflexion) in einer eigenen Schrift aufdecken. Das haben inzwischen andere für ihn versucht. 2 Von Schelling war jedenfalls kaum die Rede, auch wenn ihm Marx seinen »aufrichtigen Jugendgedanken«, die Naturphilosophie, wenn auch nicht unironisch, gutschrieb. In der Dissertation empfiehlt er dem inzwischen (angeblich) reaktionär gewordenen Schelling,3 »seiner ersten Schriften sich wie2 Vgl. a. M.
besonders
Rüdiger
Bubner,
Dialektik
und
Wissenschaft,
Frankfurt
1973.
3 Wie weit dies Urteil berechtigt ist, erfährt man am besten aus Hans-Jörg Sandkühlers Kommentar zu seiner (zusammen mit Alexander v. Pechmann und Martin
Schraven
besorgten)
Edition
des
Tagebuchfs]
1848,
Hamburg:
Philosophische Bibliothek 367, 1990, bes. X X I I I ff. Vgl. auch die Einleitungen zum und den Text des von Walter E. Ehrhardt edierten Briefwechsels zwischen
Maximilian II. von Bayern und Schelling: Schelling Leonbergensis
10
und
Maximi-
der zu besinnen«. Geistig und moralisch unselbständig, wie der offiziöse Marxismus sich zeigte, hatten Marxens Selbstäußerungen erdrückendes Gewicht. Wer hätte genauer hinzuschauen, wer sie zu interpretieren gewagt, wer gar sine ira et studio zu zeigen unternommen, daß es gerade des reaktionären Schellings Spätwerk war, das über Feuerbachs Vermittlung, aber auch in direkter Lektüre Marx zur Ausbildung seines entscheidenden Gedankens verholfen hat: dem einer Real-Dialektik, einer Dialektik nicht als bloßer Gedankenbewegung, sondern fundiert auf ein »unvordenkliches Sein<. An diesem auf Gedanken nicht reduzierbaren Sein gebrach es >unendlich< der Hegeischen Logiky so lautete Marxens Diagnose in den Fußstapfen und unter wörtlichem Bezug auf die Schellingsche. W o verläuft das Band zur Zeit-Problematik? Man kann im zweiten Abschnitt des V I I I . Kapitels des vorliegenden Buchs nachlesen, was aus dem aus meiner Diss. ausgelagerten und nun stark zusammengestrichenen Schelling-Zeit-Teil geworden ist. Dies war der übergangstiftende Gedanke: Schelling hat nach Hölderlins Verstummen als einziger die frühromantische Keimidee gegen den (inzwischen durch Hegel repräsentierten) Stamm des deutschen Idealismus rein bewahrt und auf die Nachwelt gebracht (freilich drangen zu seinen Lebzeiten nur wenige Fragmente an die Öffentlichkeit außerhalb seiner Hörsäle). Er war die, daß Selbstbewußtsein eine Beziehung bildet, die schon darum nicht für ein Un-bedingtes gelten darf (ein Relat ist bedingt/bestimmt durch sein anderes; soll aber eines absolut heißen, so darf es sein Sein nicht einer Bedingung verdanken, die außerhalb seiner läge: Jacobis Grundgedanke, der die Tübinger ebenso wie die Jenaer auf den Weg brachte 4 ). Wählian von Bayern. Lehrstunden der Philosophie, Stuttgart 1989. Vgl. auch L. Trost und Fr. Leist (Hgg.), König Maximilian II. von Bayern und Schelling, Briefwechsel, Stuttgart
1890.
4 Diesen Grundgedanken hat Dieter Henrich in drei eindringlichen Publikationen
freigelegt: Philosophisch-Theologische Problemlagen im Tübinger Stift zur Studienzeit Hegels, Hölderlins und Schellings, in: Hölderlin-Jahrbuch 1986/ 87, 60-92, bes. 85 ff.; Die Anfänge der Theorie des Subjekts (1789), in: 11
rend Schellings Schrift Vom Ich (mit dem Jacobischen Untertitel Über das Unbedingte im menschlichen Wissen), die im März 1795 in Druck ging, noch ganz Fichteanisch die >Ichheit< für das unbedingte Prinzip der Philosophie annimmt, ist sein Stiftskamerad Hölderlin, der indes bei Fichte studiert hat, schon auf anderen Wegen. Früher und klarer als Schelling, nämlich spätestens im Mai 1795, hatte er die Umrisse der prägenden Einsicht skizziert: Das Unbedingte kann nicht reines Handeln sein (da wäre es mit dem Gegensatz zum Denken belastet); es kann auch nicht als Identitäts-Relation gedeutet werden, denn da bliebe es immer noch auf ein >Ur-teil< gegründet. Nur ein prä-reflexives, prä-judikatorisches und aller Relation überlegenes >Seyn< könnte sein Grund sein; und den kann das Bewußtsein gerade noch bezeugen, aber nicht aus sich erzeugen. Ich habe zu zeigen versucht, daß Schellings Spätwerk, nach anfänglichem Schwanken zwischen der Hölderlinschen und der durch Fichte erfahrenen Anregung, den ersten Gedanken seines Tübinger Freundes gegen Hegel verteidigen wird. In diesem Gedanken lag, wie gesagt, daß die Selbstverwiesenheit des Subjekts auf dem Grunde eines Seins ruht, über das es nicht verfügt. Dies >Präveniertsein< durchs Sein (wie der späte Schelling gern sagt) wird vom Bewußtsein schematisiert als Überholtsein der Gegenwart von der Vergangenheit. Und den Wunsch nach Wiedereinholung der verlorenen Einheit trägt die >Sehnsucht< aus, die in die Zukunft strebt. So wird die Zeit, die ein ontisches, und nicht nur ein ideelles Fundament hat, zum »Archetyp einer material begründeten Dialektik«, wie ich 1975 formuliert hatte. (Ich hätte besser sagen sollen: >einer ontologisch fundierten Dialektik<; der Ausdruck >wirklich< hat offenbar eine Zwischenbetrachtungen.
Im Prozeß der Aufklarung,
hg. von Axel Honneth et
aliis, Frankfurt a. M., 1989, 1 0 6 - 1 7 0 , bes. 123 ff. und 159 ff.; schließlich in einer größeren
Monographie
Schelling-Interpretation
Der
Grund
im
Bewußtsein
(im
Druck).
hat die Kenntnis von Jacobis überragendem
zuerst fruchtbar gemacht die Doktorarbeit von Birgit Sandkaulen-Bock,
vom Unbedingten. 1990, bes.
12
Für
die
Einfluß Ausgang
Über den Anfang in der Philosophie Schellings, Göttingen
13 ff., 71 ff., 176 ff.
weitere Ausdehnung als der von >material/physisch<; auch Selbstbewußtsein ist wirklich, aber nicht physisch. 5a Marx sprach davon, daß nicht das Bewußtsein das Sein, daß vielmehr das Sein das Bewußtsein bestimme. Gewiß meinte er damit nicht einfach, wie Schelling,5t> die Existenz, sondern >das gesellschaftliche Sein<. Die anti-idealistische Pointe von Marxens berühmten Satz greift indessen nur, wenn dieses Sein kein bloßes >Gedankending< ist (wie er gern mit Schelling sagt), sondern auf dem Sockel einer Wirklichkeit aufruht, die nicht in Gedanken aufzuheben ist. Mit anderen Worten: Marxens Gedanke setzt die Wahrheit des Schellingschen als ein tragendes Moment voraus. Das gleiche gilt von seiner Konzeption einer Realdialektik, die ihrerseits eine ontisch fundierte Zeit zur Voraussetzung hat, auch wenn sie erst in der konkreten Geschichte der Menschheit, die zunächst in Klassenkämpfe verstrickt ist, und nicht schon in einem Heideggerschen Transzendental (oder >Existential<) namens >Geschichtlichkeit<, ihre volle Konkretion erwirbt. Ich habe mich seither methodisch von der sehr textimmanenten Arbeitsweise meiner ersten Schelling-Studie und sachlich von ihren Grundintuitionen entfernt. Ich glaube insbesondere nicht mehr, daß gerade Schelling ein Held in der Verteidigung der Präreflexivität des Selbstbewußtseins gewesen ist. (Darum habe ich Texte aus seiner Feder nicht aufgenommen in meine neueste Sammlung von Selbstbewußtseins-Theorien von Fichte bis Sartre, Frankfurt a. Main 1991.) Dennoch hat er gegenüber Hegels Verkennung von >Fichtes ursprünglicher Einsicht< (Dieter Henrich) vergleichsweise recht; und das gilt auch für die intersubjektivistischen Konsequenzen, die er - vor Hegel, und 5a In diesem Sinne kann Thomas Nagel sagen, daß einiges Materielle (z. B. Hirne) »nicht-physische Eigenschaften« haben, nämlich subjektive Erlebnisse ( T h e View from
Nowherey
O x f o r d University Press 1986, 30,4). Vgl. 26: »Reality
is not just objective reality, and any objective conception of reality must include an acknowledgment of its own
incompleteness.«
5b oder der frühe Sartre, dessen ontische Fundierung der Dialektik Schelling-Marx-Interpretation
Pate stand (siehe hier den III.
meiner
Abschnitt).
13
auf viel überzeugendere Weise als dieser - daraus gezogen hatte (vgl. das 3. Beispiel im dritten Abschnitt des III. Kapitels). 6 Hegels triumphale Polemik in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes könnte in diesem Punkte völlig unbegründet sein. Wir glauben zwar heute nicht mehr an die Möglichkeit einer >intellektualen Anschauungs mit der meine Schelling-Verteidigung (aber schon nicht mehr Feuerbach und Marx) reichlich textimmanent arbeitet - wie ich mir überhaupt die zu große Idealismus-Immanenz meiner Problem-Behandlung und meiner Terminologie vorwerfen muß. Aber die Einsicht, für die damals dieser Ausdruck stand, ist noch immer kräftig genug, um Hegels Kritik am Einsatz der Philosophie >wie aus der Pistole geschossen< gegenstandslos zu machen.7 Denn am Ende seines 6 Ich habe Schellings Grundgedanken seither gegen die ganze neuere, auf Hegel und Mead sich berufende Tradition des Intersubjektivismus bei Habermas - verteidigt in meinem Essay Subjektivität
in: Selbstbewußtsein der
Subjektivität,
7 Das
hat
Aufhebung
und Selbsterkenntnis. Stuttgart: Reclam,
Michael
Theunissen
des Idealismus
sophisches Jahrbuch
Intersubjektivität,
Essays zur analytischen
1991,
Philosophie
410-477.
eingeräumt
in der
und
insbesondere
in
seinem
Spätphilosophie
Aufsatz
Schellings,
über
in:
Die
Philo-
8j (1976), 1 - 2 9 , bes. 13 ff. Vgl. S. 16: »Manfred Frank hat
jüngst darauf hingewiesen, daß Hegel das Denken, mit dem er das Sein am Anfang gleichsetzt, nicht nur im Kontext als das »reine, leere Anschauen« bezeichnet, das vom intellektuellen noch zu unterscheiden wäre, sondern im Schlußkapitel der Logik darüber hinaus, nun mit deutlicher Bezugnahme auf Schelling, als ein solches begreift, »das man wegen seiner Unmittelbarkeit auch ein übersinnliches, innerliches nahme
eines
Anschauen
innerlichen
nennen kann« (L II 488). Die Inanspruch-
Anschauens
entspricht
der
nachträglichen
interpretation, derzufolge der Anfang »an sich* bereits die »konkrete
SelbstTotalität*
ist, die am Ende gesetzt ist (L II 489). Denn das innerliche Anschauen benötigt Hegel, ganz in Übereinstimmung mit Schellings Rekonstruktion seines Ansatzes, als das Organ der Antizipation, ohne welche die konkrete Totalität des Endes am Anfang nicht an sich schon anwesend sein könnte. Indessen taucht die Rede von ihm im Schlußkapitel der Logik keineswegs, wie Frank annimmt, in der Form eines »verschämt eingeflochtenen Zugeständnisses« auf. Denn schon die Einleitung in die Seinslogik (L I 6 1 ) billigt der intellektuellen Anschauung eine konstitutive Bedeutung für den Anfang zu, und zwar paradoxerweise gerade durch die Art, wie Hegel die in der Vorrede zur Phänomenologie gegen sie gestarteten Angriffe scheinbar bloß wiederholt. Gegen eine Theorie, die wie das »System
14
des
transzendentalen
Idealismus«
[vgl.
SW
I/3,
370]
intellektuelle
Weges könnte der absolute Geist als sich nur erkennen, was ihm zuvor schon bewußt war. Und dieses Bewußtsein - als infallibel - konnte kein >Wissen< sein. Wohl aber mußte Wissen auf Gewißheit gegründet werden, die epistemisch auch zugänglich war (sonst trüge sie den Titel der >Gewißheit< zu Unrecht). Ganze Schulen zeitgenössischen analytischer Geist-Philosophen haben sich dieser Konsequenz - auch ohne Kenntnis ihrer V o r zeichnung durch Fichte und, weniger deutlich: durch Schelling - angeschlossen. Hegel scheint aber wirklich geglaubt zu haben, daß Selbstbewußtsein nur ein Spezialfall des GegenstandsBewußtseins sei, so, daß an die Stelle des Gegenstandes hier eben das Subjekt selbst rückt. Von Objekten ist aber nicht zu lernen, was wir subjektives Erleben nennen. Grundsätzlicher: ich verfehle die Dimension der Subjektivität gleich im Ansatz, wenn ich sie von der Gegenstands-Seite der Vorstellung her aufschließen will. A n dieser Ausgangslage wird auch nichts verAnschauung bloß als »subjektives Postulat« einführt, macht Hegel die Forderung geltend, ihre Herkunft aus einem Prozeß darzustellen, der als die »Fortbewegung des konkreten Ichs vom unmittelbaren Bewußtsein zum reinen Wissen« nichts anderes ist als der G a n g der »Phänomenologie des Geistes«. In diesem Prozeß erblickt er aber die Voraussetzung der Logik, so daß aus seiner Argumentation folgt: Das Resultat, »auch als die
intellektuelle
Anschauung
bestimmt«, geht
in den Anfang der Logik mit ein.« Anerkennt freilich Hegel die Notwendigkeit, daß der Antizipation entsprechen
muß
des Endes auch ein epistemischer Modus zu Anfang
(eben
das,
was
Schelling
in
seiner Jugend
»intellektuale
Anschauung« nannte), dann entfällt der Anlaß seiner Polemik gegen Schelling, welches auch immer die kosmetischen Abweichungen seiner Position gegenüber der Schellingschen gewesen sein mögen. Viel spricht dafür, daß Hegel Fichtes »ursprüngliche Einsicht«, wonach Selbstbewußtsein eben nicht als epistemische Relation eines Subjekts auf sich als Objekt beschrieben werden darf, nie verstanden hat und so gar unter dem völlig abwegigen Titel der »Reflexionsphilosophie« geißeln konnte. Die Selbstbewußtseins-Theorien der Nachwelt haben sich klar zugunsten Fichtes und Schellings und gegen Hegel erklärt. Theunissen spricht klar von einer »Vorzeichnung der Marxschen Dialektik in der Spätphilosophie Schellings« (I.e., 17), die freilich schon Walter Schulz in seinem wegweisenden Werk Die philosophie
Schellingy
Vollendung
des deutschen
Idealismus
in der
Spät-
Stuttgart-Köln 1955 (Neudruck: Pfullingen 1975) betont
hatte.
IS
bessert, wenn man mit Hegel annimmt, Subjektivität werde sich in interaktiven Zusammenhängen zuerst gegenständlich (und das heißt für Hegel zugleich: ursprünglich bekannt). Wie aber sollte mir ein fremdes Subjekt als fremdes Subjekt einleuchten, wenn ich nicht, aller Vergegenständlichung vorweg, mit der Dimension subjektiven Erlebens vertraut war? Ich glaube, meine Arbeit hat die tatsächliche Abhängigkeit Beuerbachs und Marxens von Schelling und die StrukturHomologie zwischen ihrer Hegel-Kritik nachweisen können. Gesehen wurde sie früh; aber man begnügte sich allgemein mit dem Aufweis vager Parallelen. Es fehlte sowohl die philologische Präzision, die Liebe zum Detail als auch die Einbettung dieser Parallelen in die Systematik der Werke dieser drei sehr verschiedenen Denker. 8a Abzusehen war, daß mir die Phalanx der fremdgesteuerter (oder eher in selbstverschuldeter Unmündigkeit verharrender) >Marxisten< dafür nicht danken oder mit den Worten Xavier Tilliettes attestieren würde: «L'essai de Manfred Frank est symptomatique des preoccupations d'une nouvelle generation, qui aborde Schelling sans prejuges et munie de questions fraiches, tandis que les routiniers, surmenes par cette periode jubliaire, sentent flechir leur elan«8b (mein Buch war zum 200. Geburtsjahr Schellings erschienen)*. Während Inge Schiewek meiner (ganz unpolitischen) Dissertation das ungerechtfertigte »Verdienst« zuschreibt, > romantische Poetologie und poetische Praxis [von den] geschichtlichen Erfahrungen der Romantiker und den objektiven sozial-ökonomischen Determinanten her aufgeschlossen zu haben,9 behandelt R.
8a Die Quellen, auf die ich mich dabei stütze, sind ausgebreitet im Anhang meiner Ausgabe der Paulus-Nachschrift von Schellings erstem Berliner Kolleg:
F. W. J. Schelling, Philosophie
der Offenbarung
1841/42,
Frankfurt a. Main
1977. (Eine um die Kierkegaard-Nachschrift erweiterte Neuauflage ist in der Reihe stw 181
in Vorbereitung.)
8b L'annee Schelling, in: Archives de Philosophie, Janvier-mars 1976, tome 39, Cahier
1, 91 ff., hier:
9 In: Deutsche 188 f.
16
109.
Literatur,
Akademie der Wissenschaften der D D R , Heft 2/74,
Biedermann 10 (von der Friedrich-Schiller-Universität Jena) meinen Versuch als arglistige westlich-idealistische >Entstellung< und >Verfälschung< der wahren »theoretischen Quellen der marxistischen Dialektik«. Solcher Betrug sei mir nur möglich geworden durch »Unterstellungen, Verdrehungen und direkte Fälschungen Hegelscher, Feuerbachscher und auch Marxscher Anschauungen«. 11 Leider wird an keinem Detail gezeigt, worin diese bestehen. Und Wilhelm Raimund Beyer 1 2 , wohl wissend, daß »Schellings Philosophie nicht zum wertvollen »Philosophischen Erbe< genommen werden [kann], das der MarxismusLeninismus zu pflegen die geschichtliche Aufgabe übernommen hat«, wehrt sich vehement gegen meine »>Strategie<, die Abhängigkeit des Marxschen Gedankens von Schelling sichtbar zu machen. ( . . . ) Wie alle Frankfurter und Heidelberger der letzten Jahre ist die erarbeitete >Strategie< nur eine einseitige Interpretation der angeblichen Lehre des angezielten Philosophen.« Mein Buch, eine mutwillige Schelling- und Marx-Fälschung, »scheitert« an der gar zu offenkundigen ideologischen Befangenheit seines Verfassers. Seine Inspiration ist >existentialistisch<, zitiert es doch an entscheidenden Stellen zustimmend Sartre. - Ich erinnere mich, bei einem internationalen Schelling-Kolloquium in Zürich unversehener Zeuge einer Unterhaltung zwischen DDR-Philosophen (ihren mächtigen Wortführer inmitten) geworden zu sein, die heftig über mein Schelling-Buch lästerten. Es sei >die bisher schamloseste Marx-Fälschung des Westens seit Habermas< 13 . Als mein Nahen unübersehbar 10 Der Name ist so passend für den Tenor der »Rezension«, daß ich ihn gern für ein Pseudonym halten möchte.
1 1 In: Referatblatt Philosophie. Zentralstelle für die philosophische formation und Dokumentation, (588) Ag 228/76/443.
In-
12 Das Schelling-] ubiläumsjahr 197J, in: Wissenschaftliche Friedrich-Schiller-Universität 5, 1977, 627 ff., bes. 639 f.
der
1 3 Jürgen
Habermas
(Das Absolute Denken,
und
hat Schelling
die Geschichte.
nicht
Zeitschrift
nur seine Doktorarbeit
Von der
Zwiespältigkeit
in
gewidmet
Schellings
Diss. Bonn 1954, bes. 323 ff.), sondern auch einen in der D D R ungern
gesehenen bedeutenden Aufsatz Dialektischer Idealismus im Übergang Materialismus - Geschichtsphilosophische Folgerungen aus Schellings
zum Idee
17
wurde, disponierte der Chefideologe gewandt und gefällig um, mich fragend, warum ich >den unendlichen Mangel an Sein< zum Titel erkoren hätte, und nicht den anderen: >Der unendliche Mangel an Geists an dem hapere es doch mehr. Ich antwortete, hier herrsche eher Mangel an Sein, anderswo sei der Geist teuer. Hans-Martin Lohmann, damals Lektor im Wissenschaftlichen Programm bei Suhrkamp, gefiel eine Wendung aus Schellings (von Marx aufgegriffener) Kritik an Hegels Erklärung des »Entschlusses der Idee zur Natur< so gut, daß er das Buch auf Schellings (und Marxens) Spott taufen wollte: »Die »unendliche Langeweile< des bloß logischen Seins« (ich bewahre noch einen Probe-Druck des Covers). Ich fürchtete mit gutem Grund, die Leser(innen) würden vielleicht nicht so sehr Langeweile am logischen Sein empfinden als am Buch selbst - so rückte ein anderer (wieder von Marx übernommener) Schelling-Spott in den Titel, der seinen Grundgedanken angemessener ausdrückt. Ich sehe gut, wo ich Thesen, die ich in diesem Buch vertreten habe, besser zu stützen, aus der Textimmanenz zu befreien, analytischer auszuführen hätte, nicht aber, wo ich sie grundsätzlich zurücknehmen müßte. 14 Wo ich seither Akzente vereiner
Contraction
philosophische
Gottes
Studien,
verfaßt, in: J . H . ,
Theorie
Frankfurt am Main 1 9 7 1 ,
und
Praxis.
Sozial-
172-227.
14 A m ehesten bestünde dazu Anlaß im Zusammenhang mit der Kritik, die Wilhelm G . Jacobs an meiner These über »Hölderlins Anregung« geäußert hat (Manfred Allgemeine
Frank.
Eine
Zeitschrift
Einführung für
Philosophie,
in
Schellings
Philosophie.
[. . ./,
in:
Heft 1 / 1 9 8 8 , 77-80). Ich hatte diese
These, die Schellings Abhängigkeit von Hölderlin behauptet, ja schon im I. Kapitel des vorliegenden Buches vertreten (als Hartmut Buchners Kommentar zur Ich-Schrift
im Band 1,2 der »Historisch-kritischen Edition«, Stuttgart 1980, noch
nicht erschienen war). Gestützt auf Briefe Schellings an Hegel (vom 6. Januar 1795 und vom 2. Februar 1795) rekonstruiert er »eine Arbeit, aus deren weitergestecktem
Rahmen dann offenbar »Vom Ich [ . . . ] «
als eine Art
Vorstufe
hervorgegangen ist« ( A A 1,2, 19). Spätestens im ersten Quartal 1795 sei diese konzipiert und wohl auch ausgearbeitet gewesen. Der zweite Brief an Hegel enthalte schon
das voll entfaltete Programm
derselben.
Für
einen
Einfluß
Hölderlins komme also nur die Zeitspanne zwischen den beiden Briefen an Hegel in Frage; und von Hölderlin ist aus dieser Zeit kein Brief nach Tübingen erhalten.
18
schoben oder über Schelling anders zu denken gelernt habe, wird am leichtesten sichtbar aus dem Vergleich mit anderen Publikationen, die ich ihm seither gewidmet habe. Über seine politische Haltung und seine Rolle an der neugegründeten Uni-
»Die Übereinstimmung zwischen Hölderlins und Schellings Gedanken, die sie beide zur gleichen Zeit entwickelten, läßt sich durch die Beschäftigung mit denselben Gegenständen,
besonders durch die gemeinsame
Spinoza-Kenntnis
hinreichend erklären. Diese Übereinstimmung gibt keinen Anlaß, Schelling die Originalität abzusprechen« (Jacobs, I.e., 79). Meine These bezieht sich indes gar nicht vorrangig auf Schellings /c/;-Schrift, sondern rekonstruiert ein nur in wenigen Dokumenten überliefertes Gespräch zwischen den Freunden, deren einer (Schelling) noch unmittelbar nach dem Abschluß der Ich-Schrift
dem anderen gegenüber klagt, »wie weit er noch in der
Philosophie zurück sei«. Dieser (Hölderlin) gibt ihm dem zweideutigen Trost: »Sei du nur ruhig, du bist grad' so weit als Fichte, ich habe ihn ja gehört.« In eben dieser Zeit war Hölderlin unterwegs zu einem Gedanken, der deutlich über Fichte hinausschreitet (und dessen Form wir aus Urtheil
und Seyn vom Mai 1795
kennen); wenn er also Schelling, dessen /c^-Schrift er gekannt haben wird, >grad' so weit [gekommen] als Fichte« einstuft, so hält er ihn damit für noch nicht so avanciert wie sich selbst. Im übrigen glaubte sich Hölderlin längst vor Schellings /cA-Schrift - nämlich im Herbst 1794 - im Besitz eines Gedankens, durch den ein
Schritt
ȟber
die
Kantische
Gränzlinie«
möglich
werde
(an
Neuffer,
10. 10. 1794). Und worin der bestanden haben könnte, ist uns inzwischen bestens erschlossen durch die akribischen Recherchen Dieter Henrichs über den Einfluß, den Hölderlin erfuhr durch Jacobi, Reinhold, Niethammer und den Gesprächzusammenhang, der unter den Jenaer Reinhold-Schüler vor Fichtes Berufung sich gebildet hatte. Ein relativ spätes Zeugnis für diese Gesprächslage besetzen wir in Niethammers Einleitungsaufsatz zum Philosophischen
Journal
(»Von den Ansprüchen
des
gemeinen Menschenverstandes an die Philosophie«), den Hölderlin - verwandt und eng vertraut mit Niethammer - vor seiner Veröffentlichung im Mai 95 kennenlernen konnte. Darin wird eine von Reinhold nachweisbar seit 1792 im Freundes- und Schülerkreis verbreitete Überzeugung erstmals an die Öffentlichkeit getragen, nämlich die »Überzeugung der Entbehrlichkeit eines höchsten und Einzigen Grundsatzes aller Philosophie« und die andere, »daß ein Satz was immer für einer es sei - schwerlich jemals ein (. . .) Fundament für das ganze Gebäude <der Philosophie»
abgeben würde« (Bericht eines
Reinhold-
Vertrauten, eines Kärtner Industriellen, dessen Nachricht wegen »jacobinischer Tendenzen« von der Polizei konfisziert wurde und so erhalten blieb).
Die
Begründung: ein Satz ist ein Urteil; ein Urteil könnte falsch sein. Nicht so eine höchste Evidenz, wie es die intellektuale Anschauung ist, die mithin kein Satz
»9
versität München 1827/8 (natürlich vor allem über sein Verhältnis zu Heinrich Heine, der sich, wie so viele, von einem Verehrer in einen Gegner verwandelte) berichtet mein Aufsatz (von 1972) über Heine und Schelling, im Anhang dieses Bandes.
(sei er selbst ein Grundsatz) sein könnte. Sollte die Philosophie (was Jacobi bestritt, was Reinhold ab 1791 und Niethammer seitdem aber annahmen) aus Sätzen (»Urteilen«) bestehen, so ist es widersinnig, einen unter ihnen für ein irrtumsimmunes Prinzip der Philosophie zu halten. (Diese Überzeugung,
die
auch die intellektuale Anschauung als epistemischen Ort der Gewißheit oberster Grundsätze aufgibt, findet sich am ausgeprägtesten bei einem anderen Jacobiund Niethammer-Vertrauten,
bei Friedrich Schlegel, samt der Idee der
Un-
vermeidlichkeit eines unendlichen Progressus der Philosophie, die ihren Gegenstand, das Absolute, aus prinzipiellen Gründen nicht in Satz-Form wird darstellen können: Philosophie als »Sehnsucht nach dem Unendlichen«, nicht als •absolutes Wissen«.) Henrich schreibt (Der Grund
im
Bewußtseiny
. . .):
»In den beiden Jahren zwischen der Krise von Reinholds Elementarphilosophie und dem Eintreffen Fichtes waren in Jena Überlegungen ausgebildet worden, an die Hölderlin durch Niethammer Anschluß gewann. Und von daher können wir erklären, wieso Hölderlin in einer Zeit, die ihrer Kürze wegen erstaunen macht, zu einer Konzeption gelangte, von der eine neue und von Fichtes Grundsatzphilosophie wegführende Verzweigung der klassischen deutschen
Philosophie
nach Kant ihren Ausgang nahm.« So kann auch Schelling im Rückblick des Oktobers
1796 seine »Ich«-Schrift
charakterisieren als Versuch, »die Philosophie von der Erlahmung zu befreien, in welche sie durch die unglücklichen Untersuchungen über einen ersten Grundsatz (. . .) unausbleiblich fallen mußte«. Schon im Sommer 95 hatte Schelling gesagt, die Philosophie sei nicht auf »Sätze«, sondern auf »Forderungen« begründet, und so tauge auch der Grundsatz »Ich bin«, als Ausdruck der Freiheit, nicht als oberste Prämisse für theoretische Ableitungen (wie es Reinholds und Fichtes Elementar-Philosophie vorsahen). Es scheint, als habe Hölderlin diese (durch ihn mit herbeigeführte) Wendung Schellings im Sinn gehabt, als er am 24. 2. 96 an Niethammer schreibt, Schelling sei mit seinen Überzeugungen
inzwischen
»einen besseren Weg gegangen«, bevor er noch auf dem »schlechteren« zum Ziel gekommen sei. (Das kann natürlich, wie ich 1975 und 1985 vermutet hatte, auch ironisch gemeint gewesen sein, da Hölderlin Differenzen zu Schelling signalisiert, der vergleichsweise immer noch der Fichte-freundlichere von beiden Freunden war und lange geblieben ist, ja sein Prinzip bis 1800 »Ich« nannte; demgegenüber könnte Hölderlin meinen: er selbst sei über den Gedanken, die Philosophie aus einem Grundsatz, -
z. B. dem des »Ich • Ich« zu fundieren, weit hinausgeschritten
wobei der dunkle Jacobische Ausdruck »Sein« zunächst mal nur für einen
begründeten Überwindungswillen steht, noch nicht für eine ausweisbare Entität
20
Politische Aspekte dominieren ferner weitgehend die von Gerhard Kurz und mir verfaßte Einleitung in die Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, Frankfurt a. M. (stw 139) und spielen eine erhebliche Rolle auch in der Einleitung zur Neuedition der Paulus-Nachschrift von Schellings erstem Berliner Kolleg: Schelling. Philosophie der Offenbarung 1841/ 42, Frankfurt a. M. 1977 (stw 181, erweiterte Neuauflage im Druck), deren Wortlaut ja sehr stark von der Vorlesungs-Edi-
oder gar Struktur. Der Gedanke ist: der Einheitssinn der Theorie ist aus einem Prinzip zu verstehen, das allem Bewußtsein - und Urteil - vorausliegt, obwohl es sich als Unbedingtes im Bewußtsein, aber doch nur über eine Trennung, zugleich auch manifestiert.) Schelling, der am Jenaer Gespräch keinen Anteil hatte, konnten solche Gedanken nur durch Hölderlin bekannt geworden sein, der seinerseits die
Ich-Schrift
kannte. Sie bildet aber den Gegenstand seiner impliziten Kritik (in Urtheil Seyn)
und
und liefert gerade nicht die philosophische Semantik, mit der er selbst
arbeitet. Denn Schelling, welche Formulierungen seiner Schrift auch immer denen Hölderlins ähneln mögen, hielt darin ja gerade »das Ich« für ein »Prinzip«, wie schon der Titel ankündigt. Und wenn es in der vagen Argumentations-Skizze Hölderlins irgendeine erkennbare Polemik gibt, so gilt sie dieser Auffassung. Was die Rede vom »Seyn in allem Daseyn« betrifft, so folgt Jacobi nicht nur Kants Unterscheidung von absoluter (existentieller) und relativer (kopulativer) Setzung, die bei Hölderlin wiederauftaucht als Idee, der judikative Seins-Sinn gründe
in einem
»absoluten«.
Er
begründet sie mit einem
unkantianischen
Argument, daß wir vom absoluten Sein, als dem Fundament unseres relativen Daseins, »eine noch größere Gewißheit [haben], als wir von unserem eigenen bedingten
Daseyn
haben« (Spinoza-Büchlein,
Zweitauflage, S. 423 f.).
Diese
Gewißheit war nur noch auf den Ausdruck »intellektuale Anschauung« zu taufen (wozu abermals Spinoza Handhaben bot), und man ist mitten in den fragmentarischen Spekulationen von Sinclairs »Raisonnements« und »Urteil und Sein«. Ich brauche im vorliegenden Buch den Hinweis auf Hölderlins philosophische Priorität und auch Superiorität in den Jahren 1794/95 zur Konstruktion der folgenden Hypothese: Schelling wurde zuerst durch Jacobi-Lektüre, dann durch den Einfluß Hölderlins auf den Gedanken eines transreflexiven Seins gebracht (und muß jetzt, im Lichte der neuesten Forschungen Henrichs, meine Emphase eher etwas zurücknehmen: Schelling war 1795 nicht so weit wie Hölderlin). Dann aber »ging er einen besseren Weg«: fort von der Grundsatz- und Ich-Philosophie, der er sich zwischen 1796 und 1800 aber wieder annäherte. Der späte Schritt zurück zur Anerkennung der Priorität des Seins vor der Reflexion wäre dann der Schritt zurück zu »Hölderlins
Anregung«.
21
tion durch Schellings Sohn abweicht (im vorliegenden Buch zitiere ich aus der Paulus-Nachschrift nach der Originalpaginierung; es gibt aber am Schluß meiner Edition - S. 504-6 - eine Seiten-Konkordanz, die diese Angaben leicht übertragbar macht). Meine Einleitung zu dieser Ausgabe resümiert Grundthesen meines Buchs, berichtet über den Aufbau der späten Schellingschen Vorlesungen (von dem keine derzeit publizierte Ausgabe einen auch nur annähernd treffenden Eindruck vermittelt), situiert den Auftritt des alten Schelling im Horizont von Erwartungen und Polemiken der Hegeischen Linken. Der Band bietet schließlich einige weitere Vorlesungsnachschriften oder Auszüge daraus (die von Friedrich Engels, von Arnold Rüge, von Schopenhauers Adlatus Julius Frauenstädt und von Soren Kierkegaard) und versammelt Zeugnisse von Zeitgenossen und Hörern (besonders solchen der Linken: Michail Bakunins Briefwechsel mit der Familie über Schellings Kolleg ist erstmals übersetzt, ebenso Texte von Pierre Leroux, deren einer - sich aufs Berliner Kolleg beziehend - sich schon im Anhang zum Materialienband fand). Ich habe später (1985), von Siegfried Unseld dazu aufgefordert, eine Studienausgabe von Schellings Ausgewählte[n] Schriften besorgt (stw 521-526), die die nach meiner Auffassung wesentlichen Texte versammelt, und diese Edition wird durch eine kleine Einführung in Schellings Philosophie y Frankfurt a. M. 1985 (stw 520), begleitet. Sie bildet gleichsam das Komplement der hier vorliegenden Arbeit, indem sie nicht den späten Schelling behandelt, sondern dessen Anfänge bis hin zur Identitätsphilosophie rekonstruiert (etwa bis zum Würzburger System von 1804, mit dessen Diskussion die vorliegende Arbeit chronologisch einsetzt: siehe den SchlußAbschnitt des II. Kapitels). Der im engeren Sinne logischen Bedeutung der Identitäts-Formel, die ja Schellings System eine Zeitlang den Namen gab, sowie dem Interesse seiner Philosophie für moderne Theorien der Leib-Seele-Identität bin ich nachgegangen in einem größeren Essay über Identität und Subjektivität, in: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität, Stuttgart: 22
Reclam, 1991, Nr. 8689 [6], 79-157). Und die in früheren Arbeiten weitgehend übergangenen ästhetischen Aspekte der frühen und identitätsphilosophischen Schriften Schelling kommen zur Darstellung und werden gewürdigt in meiner Einführung in die frühromantische Ästhetik, Frankfurt a. M. 1989 (es 1563), besonders in der Vorlesung 9 - 1 3 (S. 137-230). Damit hat ein(e) Leser(in), der/die sich für meine übrigen Arbeiten zu Schelling interessiert, eine ziemlich vollständige Bibliographie. 15 Als die Auflage des im Wissenschaftlichen Hauptprogramm des Suhrkamp Verlags 1975 erschienenen Buchs Der unendliche Mangel an Sein erschöpft war, wurde ich gelegentlich nach ihm gefragt. Der Verlag zögerte mit der Neuauflage, und so nahm ich dankbar das freundschaftliche Angebot von Raimar Zons an, das Werk, hie und da korrigiert und mit diesem Vorwort versehen, bei Fink neuaufzulegen. Sollte der Leser/die Leserin eilig sein oder die Lektüre des ganzen nachfolgenden Buchs zu mühsam oder zu schwierig finden, so kann ich ihm/ihr die Lektüre des nachfolgenden Vortrags vorschlagen. Ich wurde nach Erscheinen des Buchs gelegentlich eingeladen, seine Grundthesen bündig zusammenzufassen und in Vortragsform zu bringen. Daraus ist das folgende entstanden. Es ist klar, daß es aus einem von den Zeitereignissen rasant überholten Kontext spricht, der noch stark an den Gedanken und Sorgen der 68er Generation trägt. Das gilt für das Buch selbst ebenso. Aber schließlich entkommt kein Werk seinem Kontext. Würde sein Autor es beständig umschreiben, so fügte er es nur in neue, ebenso unbeständige Zusammen15 Obwohl ich, glaube ich, überhaupt kein Buch geschrieben habe, in dem Schelling nicht mehr oder minder starke Auftritte hätte. Besonders gilt das natürlich für den ersten Teil meiner »Vorlesungen über die Neue Mythologie«: Der kommende
Gott,
Frankfurt a. M. 1982 (es 1 1 4 2 ) , vor allem die 6. und 7.
sowie 9 . - 1 1 . Vorlesung. Dort wird Schelling wichtig im Zusammenhang des »Ältesten Systemprogramms«, aber auch der Dionysos-Idee (und ihrer Identifikation mit Christus) in seinen Münchener und Berliner Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie und der Offenbarung.
23
hänge, in denen sich der ursprüngliche Gedanke am Ende weniger gut entfaltet. Ist doch jede Rede Funktion bestimmender Kontexte, mit deren Wandel sich auch ihre Bedeutung wandelt. Oder mit Schellings Worten: Alles ist nur Werk der Zeit und wir kennen nicht das schlechthin
Wahre,
sondern blos was die Zeit erlaubt in die wir eingeengt sind. Wir fangen an zu begreifen, daß die ewigen Wahrheiten eigentlich nichts anderes sind, als vom gegenwärtigen
Zustand abstrahirte Sätze. Es giebt im Grunde keine ewigen
Wahrheiten in dem Sinne, den wir hiemit bezeichnen wollen.
II. Die Geschichte der abendländischen Philosophie bietet immer wieder Gelegenheit zur Bewährung einer allgemeinen Erfahrung: Theoretische Innovationen sind unmittelbar nur insoweit erfolgreich, wie sie die Integrationsfähigkeit der zeitgenössischen Weltansicht nicht überfordern. Drängen sie voreilig und ohne sichtbare Anknüpfung an die Sinnerwartungen ihrer Epoche ans Licht, so ächten nicht nur die Götter und - ich ergänze - die Zeitgenossen ihr »unzeitiges Wachstum« (das läßt sich begreifen); auch die Nachwelt versieht sie oft noch mit dem Index eines Tabu. Als ein besonders auffälliges Beispiel ist mir immer der verspätete, aber eminente Nachruhm Nietzsches vorgekommen, insofern man ihn als den Entdecker jener vorbewußten Lebenstriebkraft nennt, die den Intellekt in ihren Maja-Netzen ködert und wähnen macht, er selbst entscheide über die Ökonomie der Werte, die der machthungrige Wille entwirft. Diese Auszeichnung Nietzsches geht häufig Hand in Hand mit heftigen Ausfällen gegen Schopenhauer, dem nicht nur abgesprochen wird, die eigentliche paradigmatische Revolution in der Willensmetaphysik der nachidealistischen Epoche eingeleitet (oder doch zum Durchbruch getragen) zu haben, sondern der auch für alle Impräzisionen und Erschleichungen 1 6 Schelling, System
der
Weltalter. Münchener Vorlesung
1827/28 in einer
Nachschrift von Ernst von Lasaulx, hg. von Siegbert Peetz, Frankfurt a. M. 1990,
24
16.
geradestehen muß, die das Werk seines Nachfolgers in so viel höherem Maße auszeichnen als das seine. Es sieht so aus, als müsse die offizielle Ideographie erst einen Namen aus ihrem Kanon streichen, bevor sie sich dazu versteht, einen anderen Namen - der Konsequenzen aus der getilgten Lehre gezogen hat - nicht nur zu dulden, sondern auch zu rühmen: Jaspers' und Heideggers Nietzscheinterpretationen sind klassische Beispiele für jenes Ritual, das den Akt der Rehabilitation an das Schlachtopfer eines Ahnherrn bindet. Etwas Vergleichbares - scheint mir - hat sich mit Schellings Nachruhm abgespielt. In dem Maße, wie der Gedanke seines Werks eine gleichsam subkutane Wirkung tat, verfolgte man seinen Namen. Ich rede nicht davon, daß in den Seminaren eine Zeitlang schon seine Nennung neben Fichte oder gar Hegel entweder für eine Obszönität oder für eine unfreiwillige Selbstentlarvung galt und daß das hastige Übersetzen von Fichte zu Hegel in der Chronik der Geistesgeschichte eine Laküne der Verlegenheit überbrücken mußte. Auch davon nicht, daß der Kniefall von Hegels >Tiefsinn< - einer semantisch höchst fragwürdigen Kategorie - uns viele Aufführungen des Stücks von des Kaisers neuen Kleidern beschert hat, während Schellings logische Erschleichungen (vor allem die des Identitätssystems von 1801) - für Paradebeispiele eines unseriösen und genialischen, von Opium und Romantik umgetriebenen Gedankentaumels geltend - der Selbstprofilierung von philosophischen Kärrnern dienten. Ich meine vielmehr, daß in Schellings Werk ein Gedanke zur Sprache drängte (und sie oft genug nicht erreichte), der - im Blochschen Sinne - übergleichzeitig zu seiner Epoche sich verhielt: er war nicht eigentlich innovativ, sondern weithin antizipativ. In einem Vortrag darf man - um der Zuspitzung willen - dann und wann übertreiben. Indem ich - mit Ihrer Zustimmung von dieser Lizenz Gebrauch mache, behaupte ich, daß Schellings »ursprüngliche Einsicht< ein Gedanke gewesen ist, der sich im diskursiven Korsett der idealistischen Grammatik nur unangemessen artikulieren konnte. Wer darauf - und mit 2
5
gewissen Recht - den Akzent legt, bezieht gegenüber den argumentativen Schwächen des Schelling von 1801 die idealistische Position - z. B. der Hegeischen Phänomenologie. Gewiß, die Wirkungsgeschichte dieses Werks - der Phänomenologie sollte sich als außerordentlich erweisen: zunächst als das Dokument jenes Durchbruchs, mit dem der reife Idealismus sein Publikum gewann - sodann, und zum Teil noch in unseren Tagen, als ein bedeutendes Korrektiv oder Pharmakon gegen die Skläroseanfälligkeit eines immer dogmatischer und subhumaner argumentierenden Materialismus. - Ich füge gleich eine weitere Übertreibung an: am Anfang und am Ende jener Bewegung, die als der dialektische Materialismus registriert ist, stand und steht Hegel. Kein Denken war - neben dem Marxschen vergleichbar erfolgreich für das Selbstverständnis nicht nur des Materialismus, sondern der Moderne überhaupt. Aber in der Zwischenzeit - und sie hat gut ein Jahrhundert gewährt und erhebliche Transformationen im institutionellen Gefüge unserer gedanklichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit hervorgebracht - gab der Weltgeist - über Hegels eigenes Vermächtnis sich hinwegsetzend (wie es seine Art ist) - als Parole die Überwindung des Idealismus aus. Von ihr her war es, daß auch Hegels Werk aufs neue studiert wurde (z. B. vom jungen und vom reifen Marx - und von der Studentenbewegung bis hinein in die Heidelberger Seminare) - aber das war eben eine Lektüre, die den Index einer Dekonstruktion trug und die - wenn überhaupt - nur an solche Traditionen anknüpfen mochte, die wenn schon häretisch sich verhaltend zum Idealismus Hegels den Standards seines Argumentierens nicht unterbieten. Sie merken, worauf ich hinauswill: die einzige in der Stunde Null der materialistischen Idealismuskritik zuhandene Philosophie, in der eine Kritik an Hegels idealistischer Dialektik von wirklich grundstürzender Tragweite formuliert war, lag eben vor in Schellings - weitgehend unpubliziertem - Spätwerk, also in studentischen Nachschriften seiner Erlangener, Münchener und Berliner Kollegs, von denen man weiß, daß sie - unter der Hand und zum Kummer ihres Autors - zu hohen Preisen und 26
bis nach Frankreich und Rußland hinein gehandelt wurden, wo sie lebhaftes Interesse bei jenen adeligen Intellektuellen erregten, die mit solcher Lektüre so etwas wie ihre spekulative Feuerprobe zu bestehen hofften (wie Pavlov, Cadaev, Herzen, Bakunin, Belinskij oder Turgenev), aber auch bei den Schülern St.-Simons (z. B. Prosper Enfantin) und bei Vertretern des sog. religiösen Sozialismus (z. B. Lamennais und Leroux). 1 7 Marx hatte von diesen Zusammenhängen und auch vom Wortlaut wenigstens zweier Schriften des alten Schelling recht gute Kenntnis; und das kann nur den verwundern, der entweder %
keine Vorstellung von der unerhörter Publizität hat, die Schellings Berliner Auftritt im WS 1841/2 umbrandete, oder der sich das Aufblühen eines Gedankens, der die Welt bewegt, sehr unmarxistisch als den Akt einer Urzeugung vorstellt. Friedrich Engels, Schellings Hörer, beginnt seine Polemik gegen diesen Auftritt mit den pathetischen Worten: Wenn
ihr
jetzt
hier
in
Berlin
irgendeinen
Menschen,
der
auch
nur
eine
Ahnung von der Macht des Geistes über die Welt hat, nach dem Kampfplatze fraget, auf dem um die Herrschaft über die öffentliche Meinung Deutschlands in Politik und Religion, also über Deutschland selbst, gestritten wird, so wird er euch antworten, dieser Kampfplatz sei in der Universität, und zwar das Auditorium
Nr.
6,
wo
Schelling
seine Vorlesungen
über
Philosophie
der
Offenbarung hält. Denn für den Augenblick sind alle einzelnen Gegensätze, die der Hegeischen Philosophie jene Herrschaft streitig machen, gegen die
eine
Opposition Schellings verdunkelt ( . . . ) . ^
Tatsächlich spielt Schellings Spätwerk - über das frühere hört man freundlichere Töne, denn es ist ja eine Stufe, die in den Hegeischen Tempel hinaufführt - offiziell keine Rolle für die Genesis der Marxschen Dialektik. Wie könnte das auch anders sein, da dieser Autor - der zwar u. a. wegen Einschränkung seiner Lehrfreiheit in München nach Berlin ging, dort als erste Tat die Aufhebung der Zensur gegen die Halleschen Jahrbücher erwirkte und von Arnold Rüge im August 1841 als 17 Ich haue das belegt im III. Anhang meiner Edition der Philosophie
Offenbarung 18 L . c . , 457
1841/42.
Frankfurt a. M. 1977.
der
»politisch und religiös freisinnig« charakterisiert wurde 1 9 - da also dieser Autor als ein notorischer Reaktionär geführt wird. Nun, der Brief, den Marx am 3. Oktober 1843 an Feuerbach geschrieben hat 2 0 , läßt sich so lesen, als sei dies auch Marxens ureigenste Ansicht gewesen - wenigstens auf den ersten Blick. Die Angelegenheit scheint mir freilich eines zweiten Blicks würdig. Marx glaubte - fälschlich aus einer Andeutung der Vorrede zur 2. Auflage des Wesenfs] des Christentums schließen zu können, daß Feuerbach »mit einer ausführlichen Arbeit über Schelling beschäftigt« sei. Er rät ihm dringend zu - und nennt ein paar Gründe. Erstens sei Schelling »38tes Bundesmitglied«, müsse also, da er gemäß Zensurinstruktion in Jourmalen nicht angegriffen werden könne, in einem größeren Buch attackiert werden. Eine umfangreichere Arbeit sei aber schon darum geboten, um Schelling »vor der franz. Schriftstellerwelt [zu enthüllen] - die sich merkwürdigerweise von ihm habe »ködern« lassen und besonders zu fürchten sei, da ja einige ihrer Vertreter - z. B. »der geniale Leroux«, der Schelling in einer Serie von Artikeln übersetzte, rühmte und verteidigte - die Sache des Sozialismus vertreten. Ein Angriff auf Schelling sei ferner »indirekt ein Angriff auf unsre gesamte und namentlich die preußische Politik«, da Schelling seine Lehre ja in den Dienst der »Diplomatie« gestellt habe. Endlich aber - und nun horcht man auf - sei es notwendig, daß gerade Feuerbach den Angriff führe. Sie sind grade der Mann dazu, weil Sie der umgekehrte wir
dürfen
Jugendgedanke
das
gute
von
unsrem
Gegener
Schelling
glauben,
-
der
sind. Der aufrichtige
Schellings (. . .), der bei ihm ein phantastischer Jugendtraum
gelieben ist, er ist Ihnen zur Wahrheit, zur Wirklichkeit, zu männlichem Ernst geworden.
Schelling
ist
daher
Ihr
antizipiertes
Zerrbild,
und
sobald
die
Wirklichkeit dem Zerrbild gegenübertritt, muß es in Dunst und Nebel zerfließen.
Ich denke, daß man noch heute, da die Angelegenheit alle Aktualität eingebüßt hat, unmittelbar das Zwiespältige in 19 L . c . , S. 421 20 Vgl.
28
zum folgenden I.e., 488 ff.
Marxens Kompliment verspürt: Niemand, der um seine intellektuelle Identität ringt, tut sich leicht mit der Aufforderung, seinem eigenen antizipierten Zerrbild gegenüberzutreten, zumal wenn es sich erstens um ein Stück Weltphilosophie handelt, dessen >Gutes< nicht verleugnet werden darf, und wenn zweitens sein phantastischer Anstrich nur unter der Bedingung in eitlen Nebel sich auflöst, daß man sich seinem Anspruch »männlich« entgegenstellt. Es gibt also etwas bei Schelling, das in Feuerbachs »positiver Philosophie« seine natürliche Erbin und, in der Stunde des Abfalls von seiner ursprünglichen Intention, seine natürliche Gegnerin gefunden hat. - Nun, Feuerbach ist nicht erst von Marx zu einem solchen Schritt aufgefordert worden - obwohl von keinem Zeitgenossen entschiedner als von Marx. Und wenn er über ein Jahrzehnt Scheu empfand, ihn zu tun, so wohl vor allem deshalb, weil er das Heikle einer Konfrontation mit seinem eigenen Zerrbild - und das war ja, unter uns, keine quantite negligeable - scheute. Drei zum Teil umfangreiche Briefentwürfe spiegeln Feuerbachs Verlegenheit: er hat fleißig aus der Paulusnachschrift exzerpiert, sich hin und her gewunden, ein paar Wochen Arbeitszeit geopfert und gestanden, Marx habe ihn da »in keinen geringen Zwiespalt mit mir selbst versetzt«. 21 Marx hatte offenbar ein Trauma berührt: immer schon hatte Feuerbach versucht, Schellings offensichtliche Vorläuferschaft nur in dessen anmaßlicher »Phantasie« stattfinden zu lassen. (Es ist nicht ohne Delikatesse, daß Marx dies zitiert.) Auch fiel ihm zur Kennzeichnung seiner eigenen Position kein besserer Name als derjenige ein, durch den auch Schellings Philosophie sich charakterisierte: »positive Philosophie«, die freilich bei ihm, im Gegensatz zu Schelling, »die wirkliche (nicht imaginäre) absolute Identität aller Gegensätze und Widersprüche« befasse. 22 Diese Konstellation muß sich vor Augen halten, wer Aufschlüsse über sein Verhältnis zu Schelling im Werk Feuerbachs sucht. 21
L.c. 494
22 Ludwig Feuerbach, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, in: Gesammelte Werke, hg. von W. Schuffenhauer, Bd. 9, Berlin 1970, 260.
Mit diesen - ich weiß: viel zu fragmentarischen - Andeutungen breche ich die biographisch-philologische Rechersche nach Berührungspunkten zwischen dem Schellingschen und dem Feuerbach-Marxschen Materialismus vorerst ab und gebe eine weitere These vor: Es gab - nicht nur im Feuerbach-Marxschen Materialismus, sondern auch im franz. Sozialismus, bei Bakunin oder Cieszkowski 23 - eine mächtige Tradition hegelkritischer Argumente, die sich aus Schellings späten Vorlesungen gespeist und die materialistische Pointe ihres Einsatzes mit hervorgetrieben hat. Die Unsichtbarkeit dieser Traditionsspur, die sich bis in Lenins Notizhefte hinein verfolgen läßt, erklärt sich zum einen daraus, daß Schelling kein einziges Kolleg zu Lebzeiten veröffentlicht hat - die kurze Vorrede zu Cousin und der Raubdruck einer Nachschrift des i. Berliner Kollegs waren die einzig zitierbaren Dokumente seiner Wende zur »positiven Philosophie« zum anderen aber aus dem Umstand, daß den meisten Theoretikern der Linken der Gedanke einer Vorläuferschaft Schellings aus Gründen ihrer politischen Identität unerträglich war. (Es wäre reizvoll, die Nahtstelle zw. dem romantischen und dem sozialistischen Antiliberalismus genauer zu analysieren; 24 hier kämen viele eingeschliffene Terme unserer politischen Semantik sehr ins Schwimmen.) Übrigens bestand diese Aversion nicht immer und vor allem nicht zu Anfang; Ruges Interesse am Wortlaut der Schellingschen Kehre war so groß, daß er sich ihm als Editor seiner Vorlesungen anbot; Feuerbach, der sich in dieser Zeit an einer Schellingschen Nachschrift inspiriert zu haben scheint, schickte dem Philosophen mit offenbar ungeheuchelter Ehrfurcht seine Dissertation (was wäre wohl geschehen, wenn Schelling sie goutiert hätte? Zweifellos war ihm der Denkstil zu hegelisch); und Cieszkowski 23 Ich habe diesen wenig bekannten Zusammenhang aufgedeckt in der Einleitung
zu Schellings Philosophie der Offenbarung 1841/42, 25 ff. 24 Ich habe das seither versucht: Anti-bourgeoise Anarchie und RevolutionsKritik. Von der zwiespältigen Haltung der Fruhromantik zur Französischen Revolution, in: Henning Krauß (Hg.), Folgen der Französischen Revolution, Frankfurt a. M.
30
1989 (es 1579),
221-244.
dessen Historiosophie Schelling gekannt zu haben scheint - hat sich stets für Schelling - auch für dessen religiöse Option - lebhaft interessiert und ließ sich vom Berliner Kolleg in die polnische Heimat berichten (außerdem gibt es 2 Briefentwürfe von ihm an Schelling). Bakunin schrieb nach Hause: »Ihr könnt euch nicht vorstellen, mit welcher Ungeduld ich die Vorlesungen Schellings erwarte.« 25 Und Schelling, der sich im Grunde seines Herzens immer für den mißkannten geistigen Vater des Junghegelianismus ansah, hat seinerseits gesehen, daß diese jungen Leute »auch etwas der Art wollten«, wie es die positive Philosophie war. Nur suchten sie es mit immanent hegelianischen Mitteln, und das könne nur scheitern: eine systemverändernde Praxis müsse das Gebäude der »logischen Notwendigkeit« durchbrechen und sich von der immanenten Legitimation eines teleologisch konzipierten Intellektualprozesses emanzipieren.26 Man muß sehr deutlich sehen - der junge Fr. Engels ist dafür ein Paradebeispiel daß ein Teil der Affekte gegen Schelling typische Gruppenreaktionen von jungen Leuten sehen läßt, die ihre Solidaritätsbasis - den Konsensus in Hegel - bedroht fühlen, sobald fundamentale Prämissen seines Idealismus ins Wanken geraten. Das ist denn auch der wiederkehrende Reim ihrer Bittschreiben an Schelling: Er sei willkommen als Hegels Lehrer in Berlin; nur möge er des symbolischen Vaters Grab nicht schänden d. h. nicht etwa den Idealismus bekämpfen. Nun, diese Restriktion gilt ja für Marx offensichtlich nicht mehr: Er rühmt Feuerbach nicht nur als den Überwinder des junghegelianischen Idealismus von »Bruno Bauer und Konsorten« (ebenso kritisch äußerte sich Bakunin gegen die idealistische Linke), sondern deutet deren »Ärger gegen eine Praxis, die anders als die Auflösung einer bestimmten Kategorie in die
25 L . c . ,
461.
26 F. W. J . Schellings sammtliche
Werke,
hg. von K . F. A. Schelling, I. Abtlg.
Bde 1 - 1 0 ; II. Abtlg. Bde 1 - 4 , Stuttgart 1 8 5 6 - 1 8 6 1 (hinfort zit.: SW y römische Ziffer verweist auf Abtlg., arabische Ziffer auf Band), I I / 3 , 90.
31
>schrankenlose Allgemeinheit des Selbstbewußtseins< sein will«, in Schellings eigenen Worten. 27 Ich mache gleich die Probe: »In der Logik«, hatte Schelling gelehrt (und damit außer Marx auch Bakunin und Cieszkowski sehr beeindruckt), - »in der Logik liegt nichts Weltveränderndes. ( . . . ) Die ( . . . ) Umkehrung kann nicht vom Denken ausgehen, ( . . . ) Mit dem (. . .) Letzten der rationalen Philosophie [also: mit dem Gedanken des absoluten Selbstbewußtseins] ist nichts anzufangen. (. . .) Die Vernunftwissenschaft führt ( . . . ) wirklich über sich selbst hinaus und treibt zur Umkehr; diese selbst kann aber doch nicht vom Denken ausgehen. Dazu bedarf es vielmehr eines praktischen Antriebs; im Denken aber ist nichts Praktisches, der Begriff ist nur contemplativ, und hat es nur mit der Nothwendigkeit zu thun, während es sich hier um etwas außer der Nothwendigkeit Liegendes, um etwas Gewolltes handelt« (SW I / i o , 153 und H/% 565). Bevor ich nun - jenseits der Ebene der Polemik, die sich an der Oberfläche abgespielt hat - weitere Dokumente für sachliche Konvergenzen zwischen Schellings Spätphilosophie und dem Ansatz von Marxens praktischem Materialismus herbeischaffe, muß ich zunächst das schier Unmögliche versuchen: nämlich eine Skizze dieser Spätphilosophie und besonders ihrer Stellung zu Hegel zu liefern: Man muß den Duktus und den Stil dieses Denkens nämlich sehr genau vor Augen haben, wenn man bei der Suche nach Intarsien von Schellinganspielungen in Marxens Frühwerk fündig werden will. Daß diese Entzifferung nicht längst geschehen ist, kann ich mir nicht anders als aus dem Desinteresse der machthabenden Verwalter der Marxschen Doktorin an Schelling erklären - und das ist ein Desinteresse, das sich - dem Geiste und dem Buchstaben nach - nicht einmal auf Marx berufen kann und selbst dann, wenn es dies könnte, ein ziemlich anteduluvianisches Verständnis von dem, was einen Text im Gewebe einer Epoche konstituiert, zum Ausdruck bringt. 27 Die heilige 32
Familie,
in: MEW
2, 204.
Nach meiner Ansicht kann man den einen Gedanken, der Schellings Philosophieren von Anfang an bewegt, sehr genau angeben: Es ist die Überzeugung, daß das Sein (das als fugenlose Identität begriffen wird) nicht aus Verhältnissen der Reflexion abgeleitet werden kann. In gewissem Sinne war dies freilich die gemeinsame Überzeugung der drei Tübinger Freunde - etwa gegenüber Fichte. Dieter Henrich hat in liebevoller Restaurationsarbeit die Ruinen eines Gesprächs freizulegen versucht, 28 in dessen Verlauf es Hölderlin gelungen sei, auch Hegel - den Nachzügler in der freien Spekulation - von diesem Gedanken zu überzeugen und ihn über die »Gränzlinie der kantischen Philosophie«, 29 nämlich die Klippe des abstrakt seinem Anderen entgegengesetzten Subjekts - hinauszuführen. Hölderlin argumentierte etwa folgendermaßen: 30 Absolutheit und Selbstbezüglichkeit des Gedankens >Ich< schließen sich aus. Denn wenn die Ichheit unter der Bedingung stünde, sich explizit auf sich zu beziehen, dann könnte dieser Gedanke nicht im strengen Sinne unbedingt genannt werden. Auf der anderen Seite kann auf dies Unbedingte nicht einfach verzichtet werden, da anders das Moment des Sich-Habens in der Entgegensetzung der Relata - also das evidente Identitätsgefühl im Selbstbewußtsein - unerklärt bliebe. Es kann also nicht darum zu tun sein, eines der beiden Momente zu leugnen, sondern lediglich darum: zu betonen, daß nicht schon die aktive Beziehung des Selbst auf sich zu erklären erlaubt, woher ich Kenntnis von der Identität der Beziehungsglieder habe. Ich habe diese Kenntnis jedoch untrüglich, und also - folgert Hölderlin - muß sich in der »unendlichen Einigkeit« des Selbst »ein vorzuglich Einiges und Einigendes [manifestieren], das an sich kein Ich ist«. 31 28 Dieter Henrich, Hegel Hegel
und
Hölderlin,
im Kontext,
Frankfurt a. M. 1 9 7 1 : darin vor allem:
bes. 22 ff.
29 Hölderlin, Brief an N e u f f e r vom 30 Vgl. Friedrich Hölderlin, Sämtliche
10. 10. 1794Werke,
hg. von Fr. Beissner ( • G r o ß e
Stuttgarter Ausgabe), Bd. I V , 253/4 (die große Anmerkung der weise 31
des poetischen
Verfahrungs-
Geistes).
Brief an den Bruder von Mitte 1801 (Große Stuttgarter Ausgabe V I , 419).
33
•
Hölderlin und Schelling - der seinem Freunde weitgehend folgt - nennen es das »Sein« oder die »Identität« - im Gegensatz zur »Indifferenz«, die dadurch ausgezeichnet ist, daß sie die Gleichheit ihrer Momente mit sich nur durch den Akt ihrer Synthesis herstellen kann und zu diesem Zweck auf eine gänzliche irreflexive Identität zurückgreifen muß, die dem Spiel der Beziehung als solchem entgleitet. Während Schelling - wie gesagt - in dieser Überzeugung mit Hölderlin übereinstimmt (es gab Differenzen, die mir terminologischer Natur gewesen zu sein schienen: Schelling versuchte, seinen Gedanken zunächst in der Sprache von Fichtes Wissenschaftslehre zu artikulieren, um - wie er später sagte - mit Fichte »nicht geradezu zu brechen«)32 - während also Schelling mit Hölderlin weitgehend übereinstimmte, hat Hegel die von Hölderlin empfangene Anregung von vornherein in einer reduzierten Perspektive angeeignet. Sie verhalf ihm zwar zu dem entscheidenden Schritt über die kantianische »Gränzlinie«, in dessen Folge er die »Vereinigung« der entgegengesetzten Wesenstendenzen von Liebe und Selbstheit nicht länger mehr von der abstrakten Subjektivität erhoffte. Dagegen war er nicht bereit, diese im Medium der Reflexion selbst geschehende Vereinigung wie Hölderlin aus einem transreflexiven »Seyn« oder, wie Sinclair sagte: aus der reinen »Athesis« 33 - zu erklären, die der Beziehung noch vorausläge. >Liebe<, >Leben<, >Geist< sind eben dies, in sich selbst den Gegensatz des Unendlichen und des Endlichen hervorzutreiben, ihn seiner Unwahrheit zu überführen und auf die in jeder Einseitigkeit ermangelte Ganzheit hin zu überschreiten (pleroma). Sie bewährt sich mitten in der Endlichkeit der Beziehung als die »wahre Unendlichkeit«, die nun nicht mehr ein Bezogenes ist, sondern als der 32 Zum früheren Verhältnis Schellings zu Hölderlin vgl. jetzt Dieter Henrich, Der Grund in Schellings 33 Ein
im Bewußtsein Philosophie,
wiederkehrender
(im Druck) und Manfred Frank, Eine Frankfurt a. M. Term
aus
1985, 61 ff.
Sinclairs
abgedruckt in Hannelore Hegel, Isaac von Sinclair Hegel,
34
Einführung
»Raisonnements«, zw. Fichte,
erstmals
Hölderlin
und
Frankfurt/Main 1 9 7 1 , 243 ff.; Neudruck in der Anthologie s. Anm. 51.
argumentative Fundus einleuchtet, kraft dessen diese Beziehung zugleich als Einheit oder kraft dessen die Substanz zugleich als Subjekt gedacht werden kann. Ein solcher Einheits-Begriff duldet kein über ihn hinausgehendes Sein, das ihn zur Reflexionsnegation zwänge; als solches wäre er immer schon sein Relat, d. h. ein bestimmter und unvollständiger Aspekt der unbegriffenen Totalität. Vielleicht stimmen Sie mir zu, daß dies keine böswillig verzerrende Charakterisierung von Hegels ursprünglicher Einsicht gewesen ist. Er hat sie in der Jenenser Logik und besonders in der Phänomenologie von 1807 vertieft und in großem Stil angewendet. Die eigentliche methodische Reflexion auf den formalontologischen Status seiner philosophischen Grundoperation hat er aber erst in der Wissenschaft der Logik geleistet. Und innerhalb dieses Werk ist für uns von besonderem Interesse der Ort, an welchem das Sein den Nachweis erfährt, daß es in Wahrheit als ein Moment der ganz auf sich gestellten Reflexion besteht. Ich kann die außerordentlich komplizierte Argumentation Hegels - in die Dieter Henrich seit einigen Jahren und, wie ich meine: als erster, einiges Licht gebracht hat - hier nicht einmal in Abkürzung referieren. Statt dessen will ich einen Geisterdialog erfinden, in welchem Hegel mit Hölderlin über die Konsequenzen dieses Schritts sich verständigt (tatsächlich hat er ja mit dem umnachteten Freund nie mehr gesprochen und auch das angebotene Gespräch mit Schelling tunlichst vermieden). Nun, Hegel hätte geltend gemacht, daß in die Kennzeichnung jenes »reinen Seins, ohne weitere Bestimmung« nur negative Prädikate eingehen können; z. B. dasjenige der Unmittelbarkeit und das der Un-bezogenheit. Hölderlin hätte zugestimmt. Nun charakterisiert Hegel - scheinbar arglos diesen Ausdruck der Unbezüglichkeit des Seins auch so, daß er es als ein »Nur«-auf-sich-bezogen-Sein kennzeichnet. Die reine Negation mäßigt sich hier zu einer bloßen Restriktion, die grundsätzlich die Möglichkeit der Beziehung-auf-sich nicht ausschließt. Ist das Sein aber einmal als unartikulierte oder wie Hegel sagt, »einfache« Beziehung angenommen, dann ist es 35
nach Hegels Prämissen - nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern logisch notwendig auch zuzugestehen, daß es einen Gegensatz in sich enthält, ohne den es ja übrigens völlig unbestimmt bliebe (was sich nicht negativ gegen ein Anderes profiliert, könnte auch nicht es selbst sein). Charakteristischerweise spricht Hegel auch stets - zumindest dem Sinne nach - vom Sein als vom »Begriff Sein«: auch dadurch kommt er der Meinung zuvor, hier gehe es geradezu um ein transreflexives Sein einen Gegenstand, der ja in einer Logik, also in einem formalontologischen System, gar keinen Ort haben könnte. Der Schritt, den Hegel im Übergang von der Indifferenz - also der letzten Position der Seinslogik - hin zur Logik des Scheins also der ersten Kategorie der Wesenslogik - vollzieht, läßt sich mithin so charakterisieren: der Begriff einer Beziehung im Zustand der Einstelligkeit wird mit ihr selbst im Zustande der Zweistelligkeit geglichen, oder: es wird in der Reflexionslogik eine verborgene Implikation des Begriffs der »einfachen Beziehung nur auf sich« expliziert; und damit kommt ans Licht, daß diese Selbstbeziehung eine Beziehung auf Anderes einschließt. Diese Konsequenz nun vollzieht sich nach Hegel im Rahmen eines Gedankens und fordert das Zugeständnis heraus, daß die Beziehung-auf-Anderes sich nicht lösen lasse von dem Begriff der Beziehung des Selbst nur auf sich. Hölderlin konnte nicht in persona antworten. An seiner Stelle «hat Schelling das Wort ergriffen und zwar - vermutlich - zuerst in seinen Vorlesungen über Geschichte der neueren Philosophie vom Sommersemester 1822 in Erlangen (Schellings Sohn, der des Vaters Werk aus dem Nachlaß ediert hat, hat der berühmten Münchener Hegelkritik aus den späten 20er und aus den 30er Jahren das Fragment eines älteren Manuskripts aus der Erlangener Zeit angestückt, bei dem es sich eigentlich nur um eine Vorstufe dieser Vorlesung handeln kann). 34 Auch Schel34 Die Geschichte
der Philosophie,
die bei Schelling nie ein eigenes Werk war,
sondern in den Vorlesungs-Zusammenhang
seiner Grundlegung der positiven
Philosophie gehört, hat Schellings Sohn aus diesem Zusammenhang gelöst und fälschlich auf 1827 datiert (sie stammt vermutlich aus einer Münchener Vorlesung
36
lings Replik verbirgt hinter der Anschaulichkeit ihrer Sprache eine ziemlich komplizierte Argumentation, die ich - um der Bündigkeit willen - abermals nur auf ihr Gerippe hin freilegen kann. Dabei erlaube ich mir, gelegentlich Formulierungen aus Schellings Würzburger System von 1804 einfließen zu lassen: sie zeigen unter der Oberfläche eines weitgehenden Konsensus mit Hegels Jenaer Philosophie bereits alle Bruchstellen ihrer späteren Auseinandersetzung. Schelling erkennt in Hegels Vorgehensweise mit einer, wie man sagen muß, ingeniösen Treffsicherheit den circulus in probando: Um als das, was er ist, am Ende seines Weges sich erkennen zu können, mußte der Begriff (oder die Idee) schon eine implizite Kenntnis seiner (bzw. ihrer) selbst besitzen (was Hegel - unter Rehabilierung der »intellektuellen Anschauung* im Methodenkapitel der Logik - verschämt zugesteht). 35 Ist dies jedoch der Fall - Hölderlin hatte es zuerst gezeigt dann kann man nicht länger behaupten, den Gedanken des Selbst in einer Folge von Schritten aus dem Gedanken des selbstlosen Seins »voraussetzungslos« abgeleitet zu haben: Dies vorgeblich selbstlose Sein mußte schon als eine Selbstbeziehung gedacht sein, und zwar als der Begriff einer Selbstbeziehung, die überdies eine - wenn auch unreflektierte - Kenntnis ihrer selbst besitzt (verfügte sie über diese Kenntnis nicht, so könnte das Sein in der Idee nicht als das Sichwissen gesetzt, aufgehoben und zugeeignet werden). Dies ist Schellings erster kritischer Einsatz: der dialektische Fortschritt im Prozeß der Entfaltung der Idee verdankt sich einem spekulären oder narzißtischen Dialog der Reflexion nur mit sich selbst: eine implizite Voraussetzung wird expliziert und dann als ein Moment des Explikats überführt. Feuerbach hat diese Kritik nur wiederholt, wenn er von 1833/34). Die Version von 1827/8 (Schellings erster Münchener Vorlesung) ist seither in einer studentischen Nachschrift (der von E m s t von Lasaulx) ediert
(und eingeleitet) von Siegbert Peetz, F. W. ]. Schelling.
System der
Weltalter,
Frankfurt a. M. 1990, darin besonders S. 22 ff. (etwa 6. bis 16. Vorlesung). 35 G . W. F. Hegel, Werke, Frankfurt a. M.
hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel,
1970 ff. ( - Theorie-Werkausgabe),
Bd. 6,
553.
37
dem Beweisverfahren der Logik vorwarf, »in den Gegensatz der Idee schon eine Prämisse einzubringen, die sie selbst sich vorausgeschickt hat«. 36 Auf diese Weise führe die Dialektik, die doch eigentlich eine dialogische Disziplin sei, »einen Monolog der Spekulation mit sich selbst«; ihre vorgebliche Voraussetzungslosigkeit sei eitle Beteuerung. 37 - So etwas mag er in einer Nachschrift Schellings zuerst gelesen haben; denn ein Blick auf Feuerbachs intellektuelle Entwicklung lehrt, daß seine Hegelkritik nicht aus Prämissen seines eigenen Denkens erwachsen ist, sondern sich durch einen jähen Bruch vollzogen hat, den man durch ein eindeutiges und fast wörtliches Schellingzitat in einer Tagebuchaufzeichnung von 1828 genau datieren kann: dort schreibt er, daß die »unbefleckte Jungfer >Logik<« von sich aus niemals ein Sein, das nicht abermals bloß logischer Natur ist, gebären könne. 38 Schelling hat es bei diesem Zirkel-Einwand nicht belassen, sondern gezeigt, daß der Zirkel einer unhaltbaren Theorie über die Natur des Selbst entspringt. Abermals hören wir den verstummten Hölderlin in Schellings Argumenten sprechen: die Reduktion des identischen Seins auf die Reflexion ist nicht nur zirkelhaft, sie glaubt außerdem auch daran, daß sich das Merkmal des Selbst im Widerspiel zweier Reflexe konstituiere - eine fast allgemein verbreitete Vorstellung, hinsichtlich deren so verschiedene Positionen wie die von William James, Edmund Husserl und Jacques Derrida übereinkommen. Tatsächlich, lehrte Schelling schon 1804, läßt sich die Synthesis der Selbsterkenntnis nicht als Real-Grund für unsere Kenntnis vom Ich begreifen: keinem der beiden Relate und auch nicht dem Begriff der Relation als ganzer steht es auf der Stirn geschrieben, daß sie dasselbe sind wie ihr anderes bzw. wie das von ihr Erfaßte. Dieser Zweifel besteht ganz unabhängig davon, ob man zugibt,
36 Feuerbach, Zur Kritik der Hegeischen Bd. 9 ,
Philosophie,
40.
37 L . c . , 37 f. 38 L . c . Bd.
38
10,
1 5 5 / 6 ; vgl. Schelling SW
I/io,
152.
in: Gesammelte
Werke,
daß sich das Bewußtsein des Selbst nur in der Einheit desselben Gedankens ergibt, in dem auch die Relation ihr Spiel treibt. Das war bekanntlich Hegels Absicht, und Schelling bestreitet sie nicht. Was er geltend macht, ist lediglich: daß zwei aufeinander bezogene Negationen (oder auch: die Selbstbeziehung der Negation) zwar notwendig sind, aber nicht ausreichen, um die existentielle Erfahrung des cogito-sum zu fundieren. Zwei einander negierende Reflexe vermögen einander das selbständige und unabhängige Sein wohl abzuerkennen - aber sie vermögen weder das Bewußtsein der Selbigkeit der Relate noch das ihres unbezweifelbaren Seins zu stiften. Da dieses Bewußtsein einer absoluten Positivität jedoch besteht, folgert Schelling, muß es aus einer Erfahrung stammen, die dem Spiegelspiel der Negationen vorausliegt und sie in ihrem Sein begründet (SW I/4, 358; 1/6, 185). Schon das Bestehen der Negation als Negation ist übrigens eine Sache, die nicht als Effekt der Negation gedacht werden könnte: Existenz ist kein Implikat ihres Begriffs: Wenn man sagt, die Negation sei der Grund des Seins (denn sie besitzt ja in der Möglichkeit ihrer Verdopplung das Vermögen ihrer Selbstaufhebung zugunsten eines Positiven), so muß man zugleich sehen, daß sie durch dieses Vermögen nicht schon als zeugende Kraft des Seins überführt ist, sondern eben nur als sein Ideal-Grund. Man hat tatsächlich nicht mehr gesagt als dies: es gibt keinen Begriff von Sein außerhalb dessen, der am Horizont einer Selbstaufhebung der Reflexion erscheint: darüber gibt es keine Differenz zwischen Hegel und Schelling. Was Schelling geltend macht, ist, daß die Negation vermöge ihrer Selbstanwendung zwar zugunsten des Seins sich zurücknehmen und ihm auf diese Weise zu erscheinen gestatten könne (sie ist Grund der Erscheinung von Sein), daß damit aber weder ihr eigenes noch das Sein des von ihr Negierten affirmiert worden ist. Das ist unmittelbar, weil analytisch, einzusehen: die Negativität kann vernichten (auch sich selbst), aber sie kann nicht erschaffen. Wenn sie in ihrem Widerspiel ein Sein (oder ihr eigenes Sein) bejaht, so ist eben dadurch ausgemacht, daß es sich nicht wirklich um ihr eigenes Sein handeln kann. 39
Man könnte das - mit Sartre - den »ontologischen Beweis der Reflexion« nennen. Aus ihm ergibt sich eine Reihe von Konsequenzen. Zum ersten die (ich formuliere sehr vereinfacht), daß das Sein dem Bewußtsein vorausliegt und daß diese Erkenntnis im Scheitern des immanenten Versuchs autonomer Selbstbegründung besiegelt wird. Sodann die andere (die freilich eng damit zusammenhängt), daß das Wesen zwar Erkenntnisgrund des Seins (und auch seines Seins) ist, aber nicht sein Realgrund. Sobald es ist, ist es »unvordenklicherweise seiend«. Das heißt, daß es - um auch nur die formalontologische Bedingung des Wesen-Seins zu erfüllen - vorab sein muß. Sartre hat diesen Sachverhalt durch den Kunstausdruck des »etre ete« gekennzeichnet. Er will sagen, daß das begrifflich Seiende - das Wesen - vom transreflexiven Sein »gewesen«, also in seinem Sein unterhalten wird, da es an sich unselbständig ist. Ohne auf dem Sockel des Seins, das nicht Reflexion ist, zu stehen, müßte es sich in Nichts auflösen. - Das ist die Bedeutung der Rede von der »negativen Philosophie«: sie kennzeichnet eine seinsvergessene Spekulation, die sich von ihrem eigenen Existieren absolviert, indem sie das »transzendente Sein« auf eine Wesensbestimmung reduziert. Bis hierhin - ich gebe es zu - bleibt Schellings Kritik ziemlich abstrakt. Bevor ich jedoch zu handgreiflicheren Konsequenzen (und vor allem zu solchen, die von Marx übernommen wurden) übergehe, will ich anmerken, daß gerade die Abstraktheit der Schellingschen Hegelkritik ihre mögliche Allgemeingültigkeit und damit ihre tiefe, wenn auch unterschwellige Wirksamkeit begründet hat. Schelling hat Hegel auf dem Niveau von dessen eigener Wesenslogik zu treffen versucht - und er hat seinen Entwurf so formuliert, daß Hegel ihn nicht mit dem Hinweis erledigen konnte, der Gedanke eines Seins vor dem Begriff tangiere die Argumentation der Logik selbst auf keine Weise. Schelling bemerkt nämlich - zu Recht, wie ich meine - daß die Logik ihr eigenes Programm nicht verwirklicht. Dies Programm war, Formen des Konflikts zwischen Gegensatz- und EinheitsBegriffen auf den Begriff einer beiden übergeordneten Einheit 40
zu bringen, die er im /Jee-Kapitel als »Identität des Reellen und Ideellen« bestimmt. Nun, der Ort dieser existierenden Idee - sagt Schelling - bleibt vakant, solange nicht der Term der Realität eine sinnliche Aufladung erfahren hat, die ihn tatsächlich, und nicht nur begrifflich von seinem Korrelatbegriff, dem Ideellen, abgrenzt. Wo kein wirklicher, sondern nur ein wesentlicher oder (was dasselbe sagt) potentieller Gegensatz stattfindet, da, sagt Schelling - und Feuerbach wiederholt es fast wörtlich - findet auch keine Dissonanz statt. »Es geht alles ganz friedlich zu - zwischen Seyn und Nichts (als bloßen Potenzen) ist kein Gegensatz, die thun einander nichts.« 39 Anders gesagt: Wenn die Logik ihre eigene Intention auf Realität nicht erfüllt, erreicht sie nur den Begriff ihrer Wahrheit und muß die Wahrheit selbst - als ein zu Postulierendes - einer anderen Disziplin überlassen. Das tut sie denn ja auch in der Tat. Der »bloß logische« Begriff empfindet sein Ungenügen seinen »Mangel an Sein« - und entschließt sich, wie Hegel sagt, zur Natur: dort sollen die Rippen der Idee Fleisch und Blut ansetzen und, solcherart bereichert, endlich ihre wirkliche Wahrheit, das Selbstbewußtsein des existierenden Geistes, erreichen. Hegel akzeptiert also den Einwurf des Seinsmangels - sobald er die Logik zur Ouvertüre seines enzyklopädischen Systems macht. Doch gerade die Anlage dieses Systems ist belastet mit der Hypothek desselben Zirkels, die schon auf der Logik lastete. Wie sollte denn ein des Seins gar nicht mächtiger Begriff die seiende Natur aus sich herausbringen? Das Zugeständnis, es fehle der Hegeischen Logik an Wahrheit, affiziert mithin Hegels gesamtes System - insofern es aus der Logik entspringt - und qualifiziert es in einem viel drastischeren Sinne als negativ, als Hegel lieb sein konnte. Man fühlt die Erstlingsfrucht der Naturphilosophie in Schellings Leibe hüpfen, sobald er diesen Triumph ausspielt: Der Einwurf war ohne Zweifel sein wirkungsgeschichtlich erfolgreichstes Argument gegen Hegel, 39 SW
I/io,
1 3 7 . Vgl. Feuerbach, Bd. 9,
252/3.
41
und Feuerbach hat es ebenso gern wiederholt wie Marx, bei dem man freilich ein minderes Interesse an naturphilosophischen Konsequenzen spürt. Immerhin erkannte er, daß »Natur« ein Synonym für »Wirklichkeit« ist und daß dem System der Philosophie nur im Durchgang durch die Naturwirklichkeit eine mehr als nur logische (d. h. virtuelle) Realität zuwachsen kann. Ich glaube, ich darf mir - zu dieser Frage - Belege aus Marxens Frühschriften schenken: sie sind anderswo (z. B. in Alfred Schmidts immer noch unübertroffener Arbeit über den Naturbegriff bei Marx) versammelt - freilich ohne die Parallelführung zur Argumentation des alten Schelling. Ich will Ihnen, bevor ich den Vergleich mit Marx beginne, zwei weitere Konsequenzen vorstellen, die sich aus Schellings Einwand gegen Hegel ergeben. Die eine betrifft das Finale des Systems in der Idee eines absoluten Selbstbewußtseins. Diese Idee bezeichnet den Ort, an dem dieses System - nach Hegels Anspruch - seine Wahrheit erreicht. Die Wahrheit besteht darin, daß der Unterschied, der der Reflexion eignet, hier nicht mehr die Qualität des Andersseins hat, sondern »sich vollkommen durchsichtig« wird (wie Hegel gerne sagt). Nun besteht Hegel darauf, daß diese absolute Aufhebung der Differenz von Anderssein und Selbstsein abermals im Spiegelspiel einer Reflexion bezeugt werden muß. Also, wendet Schelling ein, zerstört sich der Gedanke der absoluten Identität durch das Mittel selbst, das ihn ins Werk setzt. Wieder spricht Hölderlin: eine reale Differenz vermöchte niemals Rechenschaft zu geben über eine ideale Einigkeit. Sie bleibt also auch im höchsten Satze des Hegeischen Systems ein Postulat - das an eine andere Wissenschaft (Schelling und Feuerbach würden sagen: an die »positive Philosophie«) appelliert: Marx hat in ähnlicher Weise auf die »Einseitigkeit und ( . . . ) Grenze Hegels«, wie sie im SchlußKapitel der Phänomenologie aufscheint, hingewiesen.40 Die letzte Konsequenz, die ich hier vorstellen möchte, ist vielleicht die überraschendste. Schelling glaubte aus gewissen 40 MEW,
42
i . Ergänzungsband,
574.
Formulierungen im Vorspann zur zweiten Auflage der Logik heraushören zu dürfen, daß Hegel sich des abstrakt negativen Charakters seiner Reflexionsphilosophie selbst zu versichern begonnen habe. Hegels Tod habe dann die Fortsetzung dieser Revisionsarbeit unterbunden. Immerhin läßt seine Formulierung aus dem die Logik einleitenden Essay aufhorchen. Es heißt dort: So wird noch mehr der absolute Geist, der als die konkrete und letzte höchste Wahrheit sich ergibt, erkannt, als am Ende der Entwicklung sich mit Freiheit entäußernd
und
sich
zur
Gestalt
eines
unmittelbaren
Seins
entlassend,
-
zur Schöpfung einer Welt sich entschließend, welche alles das enthält, was in die Entwicklung,
die jenem
Resultat
vorangegangen,
fiel und das durch
diese
umgekehrte Stellung mit seinem Anfang in ein von dem Resultate als dem Prinzip Abhängiges verwandelt
wird.*!
Der Kontext dieses Satzes zeigt, daß Hegel mit der Rede von einer Schöpfung nicht die Entäußerung der Idee zur Natur meint. Er denkt vielmehr in einem radikalen Sinne über die Implikate des Reflexionsbegriffs nach, auf den seine Argumentation sich stützt. Ein unserm Zitat vorangehender Passus lautet: Man muß zugeben, daß es eine wesentliche Betrachtung ist - die sich innerhalb der Logik selbst näher ergeben wird - , daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang
den Grund,
zu dem Ursprünglichen
in
und Wahrhaften ist (I.e.).
Hier ist eindeutig die Rede von einer Umkehrung der logischen Dialektik selbst, und auch davon, daß nur der Grund wahrhaft >sei< und daß von seinem Sein der Schein eines selbständigen Anfangs abhänge. Schelling hat den Sinn dieser Umkehrung in seiner ersten Erlanger Vorlesung eingehend analysiert: Reflexion, sagt er dort, heißt Umkehrung: sie verspiegelt den Richtungssinn jeder Sache, die sich in ihr darstellt, und gibt als das erste aus, was im Grunde nur das zweite ist: und sie stellt als das zweite zurück, was im Grunde - oder in Wirklichkeit das erste ist (SW I/io, 234 [im Kontext]). Bleibt die Reflexion
41 Hegel, Werke,
Bd.
5, 70.
43
unkritisch, so wird sie das, was doch lediglich für sie das erste ist, als das in der Tat erste ausgeben. Aber da sie die Möglichkeit hat, auch sich selbst zu reflektieren, vermag sie die verkehrte Stellung des Gedankens zur Wirklichkeit immanent zu korrigieren: sie begreift dann, daß der dialektische Prozeß, der vom Sein zur Reflexion führt, in Wahrheit von der Reflexion zum Sein führt, mit der Auflage freilich, daß dieses Sein nur als die Grenze der Reflexion sichtbar wird und nicht mehr innerhalb der Vernunftwissenschaft selbst thematisiert werden kann. Diese Konsequenz verfolgen, heißt nicht: den Idealismus vollenden, sondern ihn aufheben. Wenn Sie die berühmte Hegelkritik kennen, die Marx im Schlußkapitel seiner Ökonomisch-philosophische [ n ] Manuskripte (von 1844) gibt, wird ihnen die Konvergenz der Argumente aufgefallen sein. Die »Verkehrtheit« der Hegeischen Spekulation gegenüber der Wirklichkeit ist zweifellos der Favorit unter seinen Einwänden. Schelling hatte ihn bereits in die Formulierung gekleidet, daß bei Hegel die Positionen des Subjekts und des Prädikats gegeneinander invertiert seien. Feuerbach hatte das mit den gleichen Worten wiederholt, und noch Marx schreibt, bei Hegel werden »der wirkliche Mensch und die wirkliche Natur ( . . . ) bloß zu Prädikaten, zu Symbolen dieses verborgenen unwirklichen Menschen und dieser unwirklichen Natur. Subjekt und Prädikat haben daher das Verhältnis einer absoluten Verkehrung zueinander.« 42 Die Argumente, mit denen Marx diese Vorstellung bekämpft, rekrutieren sich, soviel ich sehe, weitgehend aus den Schellingschen Ressourcen: die Negation, sagt er, habe aus sich keine Möglichkeit, das Positive zu generieren; ja sie hebe sich - nicht im Hegeischen Sinne, sondern absolut - auf, sobald ihr das reale Hypokeimenon, die Seinsbasis der Natur, entzogen würde. Den Einwand des Zirkels im Gedanken voraussetzungsloser Reflexion strapaziert Marx nicht so stark wie Schelling und Feuerbach - aber er schließt sich Schelling, mehr als 42 MEWy
44
1. Erg.bd.
584.
Feuerbach, wieder an, wenn er die Unwahrheit des Hegeischen Finalgedankens damit begründet, daß sie als selbstbezügliche Negation gerade diesseits der Schwelle ihres Seins stehen bleiben müsse. Es gibt bei Marx wenigstens drei Formulierungen, die ich mir nur als freie Schellingzitate erklären kann (bei vielen anderen könnte es sich um Feuerbach-Anspielungen handeln). Das eine bezieht sich auf das Krude der Hegeischen Vorstellung, der Geist müsse, nachdem er am Schluß seine verkehrte Stellung zum Sein erkannt habe, nun über dieselben Stufen wieder herabsteigen, auf denen er hinausgestiegen ist, so daß »durch diese Umkehrung ( . . . ) der Mensch als ( . . . ) hervorbringende Ursache der Thierwelt, das Thierreich als hervorbringende Ursache des Pflanzenreichs, der Organismus überhaupt als Ursache der unorganischen Natur erscheine usw.« (SW I/io, 158 f.). Diesen Ulk hat Marx ähnlich wiederholt: »In Hegels Geschichtsphilosophie, wie in seiner Naturphilosophie«, schreibt er, »gebiert der Sohn die Mutter, der Geist die Natur, die christliche Religion das Heidentum, das Resultat den Anfang.« 43 An anderer Stelle schreibt Marx, »die Abstraktion, i. e. der abstrakte Denker« habe die Idee nur darum zur Selbstaufgabe »in ihr Anderssein« sich entschließen lassen, weil er schon vorher »durch Erfahrung gewitzigt und über ihre Wahrheit aufgeklärt« gewesen sei. 44 In der Paulus-Nachschrift hatte Schelling gespottet, daß der abstrakte Denker die Natur nach Vollendung der Idee nur darum noch zu bearbeiten sich getrieben fühlen mochte, weil sie in der Erfahrung nun einmal da sei. 45 Am besten scheint Marx aber der folgende Scherz Schellings aus der Vorrede zu Cousin gefallen zu haben. Schelling schrieb dort: Die logische Selbstbewegung des Begriffs (. . .) hielt, wie vorauszusehen, so lang vor, als das System innerhalb des bloß Logischen fortging; sowie es den schweren
43 MEW,
Bd. 2, 178; vgl.
44 MEWy
1. Erg.bd.
12.
585/6.
45 Schelling, Philosophie
der Offenbarung
1841/2,
I.e., 130. 45
Schritt
in die
Wirklichkeit
zu thun hat, reißt der Faden der
dialektischen
Bewegung
gänzlich ab; eine zweite Hypothese wird nöthig, nämlich daß es
der
man
Idee,
weiß nicht, warum? wenn es nicht ist, um die
Langeweile
ihres bloß logischen Seyns zu unterbrechen, beigeht oder einfällt, sich in ihre M o m e n t e auseinanderfallen zu lassen, womit die Natur entstehen soll (SW I / i o , 2 1 2 f.).
Und nun das Marxsche Pendant: Dieser ganze Übergang der Logik in die Naturphilosophie ist nichts andres als der -
dem abstrakten Denker so schwer zu bewerkstelligende und daher so
abenteuerlich v o n ihm beschriebene Übergang aus dem Abstrahieren Anschauen.
in das
Das mystische Gefühl, was den Philosophen aus dem abstrakten
Denken in das Anschauen treibt, ist die Langeweile,
die Sehnsucht nach einem
Inhalt. (. . .) insofern diese Abstraktion sich selbst erfaßt und über sich selbst eine unendliche Langeweile empfindet, erscheint bei Hegel das Aufgeben des abstrakten, nur im Denken sich bewegenden Denkens (. . .) als Entschließung, die als Wesen anzuerkennen und sich auf die Anschauung zu
Natur
verlegen. 4 6
Ich beschließe den Katalog der Schelling-Exzerpte im Marxschen Frühwerk. Ich habe in der nachfolgenden Abhandlung gezeigt, welche Schätze er sonst noch birgt. Indessen höre ich Sie seit langem fragen: Was nützt der vollständigste Katalog der Schelling-Marx-Affinitäten dem Buchstaben nach, wenn ihre Differenzen im Geist unüberbrückbar sind. Ich bin mir dessen gar nicht so sicher wie Sie. Auf dem Felde der Wissenschaft - und auf dem glaubten sich sowohl Schelling wie Marx zu bewegen - kann die politisch-moralische Position eines Autors immer nur insoweit belangvoll sein, wie sie die Qualität seiner Argumente bestimmt. Marx und Engels haben Hegel für den Seinsmographen, ja für den Ideologen der preußischen Restauration gehalten - und doch nicht die geringsten Bedenken getragen, von ihm zu lernen. Sollte das für Schelling nicht auch gelten dürfen? Es ist eines, Schelling als »38tes Bundesmitglied« zu bekämpfen, dem die gesamte preußische Polizei zur Verfügung stehe, und ein anderes, eine Nachschrift seiner ersten Berliner Vorlesung einigermaßen genau (und mit wiederholter Zustimmung) zu studieren. Es 46 MEWy
46
I. E r g . b d .
586/7.
lohnt nicht recht, darüber abstrakt zu debattieren: denn Marx hat das eine getan, ohne das andere zu unterlassen. - Man beobachtet in der Geschichte der Philosophie immer wieder, daß Systeme von späteren Generationen mit ganz anderem Erkenntnisinteresse zugeeignet werden, als es dasjenige ihres Autors gewesen ist. Das bedeutet nicht, daß dadurch die Struktur dieses Systems aufgehoben worden sei. Ihrer Struktur nach - und ganz entblößt von den politisch-theologischen Interessen ihres Autors - hat Schellings Konzeption der Geschichte unleugbar größere Affinität zu der des historischen Materialismus als die Hegeische. »Wahre Dialektik«, lehrte er in Berlin, »liegt nur im Reich der Freiheit: sie wird alle Rätsel lösen.« Die Freiheit aber erwirbt beim alten Schelling zentrale Bedeutung durch den Umstand, daß er den geschlossenen Stromkreis dessen, was er »logische Nezessitation« nannte, aufzubrechen versucht und der menschlichen Wirklichkeit aufgetragen hat, sich auf der Basis eines Seinszusammenhanges, der nicht ihr Werk ist, ihres praktischen Wesens wieder zu besinnen. Das waren Formulierungen, für die zumindest Pierre Leroux, Michail Bakunin und August Cieszkowski empfänglich waren. 4 7 Auch hat Schelling - selbst wenn seine persönliche Haltung gegenrevolutionär genannt werden kann - den Staat als einen Zwangsverband in Tönen inkriminiert, deren ätzende Schärfe nur in Bakunins oder Proudhons anarchistischen Manifesten wieder erreicht worden ist (vgl. z. B. SW I I / 1 , 534 ff.). Was Marxens Gedanken einer »Resurrektion der Natur« im Kommunismus betrifft, so will ich ihn hier nicht strapazieren. Wirklich gibt es ähnliche Formulierungen bei Schelling; 48 doch selbst wenn sie Marxens Quelle gewesen sein sollten, verweisen sie ja auf Traditionszusammenhänge, die Marx und Schelling 47 Ich habe Belege für diese Behauptung zusammengetragen in der Einleitung und im Dokumenten-Teil meiner Edition von Schellings Vorlesung
1841/42.
Vgl. zum folgenden 24 ff., 460 ff., 468 ff., 476 ff. 48 Z. B. im ersten Entwurf der Weltalter, 1811
und
1. Erg.bd.,
1813
Fragmente, in den Urfassungen von
hg. von Manfred Schröter, München
538, 536, vgl.
1946, 32. Vgl.
MEW,
573 f.
47
gemeinsam dem Neuplatonismus der Renaissance, der jüdischen Mystik und Jakob Böhme verdanken. Viel wichtiger ist die Konvergenz in ihrer Idee der »Entfremdung«. Der Ausdruck, der sich schon bei Franz Baader und Adam Müller im Kontext einer konservativen Kapitalismuskritik findet, bezeichnet bei Schelling ein Verhältnis der Verkehrung zwischen den dialektischen Momenten des Realen und des Idealen, also des Seienden und des Seinsollenden. Die These vom Primat des Seins vor dem Wesen (und im Bereich des erscheinenden Geistes: der Natur vor der Vernunft) kennzeichnet ein ontologisches Verhältnis: nur dem Sein, nicht der Würde nach, sagt Schelling, übertrifft das natürlich Seiende die menschlichen Wesenskräfte. Nun erreicht der Naturprozeß im Laufe der Evolution eine Stufe, in der sein weiteres Schicksal auf dem Spiel steht: Es ist der Moment, da das menschliche Selbstbewußtsein produziert und das zukünftige Geschick der Natur einer indeterminablen Freiheit überantwortet ist. Diese Chance hat der Mensch - so Schelling - vertan und vergeben: Statt die ontische Priorität seiner Naturbasis als Ermöglichungsbedingung seines Freiseins anzuerkennen und zu achten, hat er sie - selbstzerstörerisch zum Objekt seiner Herrschaft und Ausbeutung degradiert und so jenen »Umsturz« verschuldet, von dessen inhumanen Konsequenzen uns jeder Blick auf die eigene wie auf die uns umgebende Natur in trostloser Weise belehrt. Das war die Tat der »Entfremdung« des Menschen von der Natur, die ihn an den »Staat« - diesen Leviathan der Anti-Physis - ausgeliefert hat, unter dessen Zuchtrute er nun seufzt und dessen Mechanismus seine Freiheit versklavt. Dies sind nicht nur Gedanken von unleugbarer Aktualität - sie stimmen, ihrer Struktur nach, auch zu Marxens Begriff der Entfremdung. Durch ihn wird ja ebenfalls eine Verkehrung dessen, was der Menschennatur zur Basis dienen sollte, und seiner eigentlichen Wesenskräfte bezeichnet mit der Folge, daß der Mensch seine Wesenskräfte nun in den Dienst seiner leiblichen Erhaltung stellen muß, statt auf der Basis seiner Natur Freiraum für die Entfaltung seiner im eigentlichen Sinne menschlichen Möglichkeiten zu gewinnen. 48
Immerhin ist die Tat der Entfremdung kein Werk der Natur, sondern des Menschen - mithin abschaffbar. Schellings methodischer Materialismus eröffnet der Freiheit das Feld einer prinzipiell unabgeschlossenen und unabschließbaren Geschichte. Denn aus dem Gedanken der Bewußtseinstranszendenz des Seins folgte für ihn auch, daß keine denkbare Stufe der Evolution der Gattung legitimerweise von sich behaupten könnte, die Wahrheit erreicht zu haben: Schellings religiöse Option - und das haben ihm die hoffenderen unter den Sozialisten nicht vergessen - war immerhin gegen eines resistent: sie war nicht gezwungen, mit der Wirklichkeit in irgendeiner Form Frieden zu schließen, wie dies für Hegel aus systematischen Gründen notwendig war. Schelling hat auch Hegels totalitäre Staatslehre in einer Münchener Vorlesung attackiert: aber hier ist nicht der Raum, die Wirkungsgeschichte dieser Kritik auf die Hegeische Linke zu untersuchen. Das will ich Ihnen ersparen und lieber mit einem Zitat des französischen Frühsozialisten Pierre Leroux schließen. Aus ihm kann man lernen, daß es nicht notwendig und gleichsam aus natürlicher Feindschaft der Sozialismus ist, der sich an Schellings Lehre stößt, sondern lediglich eine orthodox hegelianische Fraktion desselben, die sich in einem technokratischen und dogmatischen Marxismus fortgesetzt hat und von dem man bedauern muß, daß sie so gar rasch von den humanistischen Entwürfen einer sozialistischen Utopie - der immer eine religiöse Komponente anhaftet - zu einer hegemonialen Weltmachtpolitik und zu dem übergegangen ist, was sie mit mißtönigem Eigenapplaus - den wissenschaftlichen Sozialismus nennt. Nun also das Leroux-Zitat: Zutiefst wahr ist alles, w a s Schelling zur gegenwärtigen Lage der P h i l o s o p h i e sagt (. . .).
Wie er so spüren
bedrängen,
und
zwar
auch w i r die G e f a h r e n , die heute die
nicht
nur
von
Seiten
ihrer
natürlichen
Philosophie Feinde,
den
Anhängern aller G ö t z e n d i e n s t e der Vergangenheit, sondern auch v o n Seiten derjenigen, die sich als P h i l o s o p h e n ausgeben, und doch nur E k l e k t i k e r sind. Leider hat die [in marxistischen und linkshegelianischen Auslegung
Hegels
viele
Seelenkräfte erstarren
Kreisen betriebene] u n w a h r e lassen.
Der
Pantheismus
des
Meisters hat den S k e p t i z i s m u s und die Gleichgültigkeit der Schüler nach sich gezogen. Leider gibt es heute viele sich so nennende Progressive, die glauben, daß
49
die Philosophie darin ihr Ziel habe, alles in Zweifel zu ziehen, und nicht darin, sich praktisch glaubend große Mystifikation
für etwas zu engagieren, ja die diesen Glauben für eine
erachten. Warum eigentlich - so muß man fragen - hat
es so weit kommen können, daß mystifizierende
Philosophen und Sophisten nun
gar bereit sind, die Philosophie zu verraten und sie an die Herrschenden zu verschachern.
III. An entscheidenden Stellen dieses Schelling-Buchs wird an aufschlußreiche Parallelen zu Jean-Paul Sartres L'etre et le neant. Essai d'une ontologie phenomenologique (Paris 1943, zit.: EN) appelliert werden, so im 3. Abschnitt des III., im 2. Abschnitt des IV. und 1. Abschnitt des VIII. Kapitels. Schellings These über unser Verständnis der Existenz anderer Subjekte ähnelt der Sartreschen Kritik an Hegels >Herr und Knecht< außerordentlich. Und das gilt noch mehr für das, was ich mit Sartre den >ontologischen Beweis der Reflexion< genannt habe. Auch die beiden Weisen, wie etwas >Grund< heißen darf (Erkenntnisversus Seins-Grund) finden beim späten Schelling den gleichen Einsatz wie bei Sartre. Den Übergang von der >noetischen Folge< im Bewußtsein zur >realen Zeit< denkt Schelling ganz ähnlich wie Sartre. Da mehrere Leser(innen) bemerkt haben, daß ich mir bei Sartre »operative Begriffe< zur Deutung der gedanklichen Grundoperationen Schelling ausborge, ist es wahrscheinlich am redlichsten, wenn ich einige dieser Anleihen explizit mache. So will ich im folgenden die Interaktion zweier Weisen von Grund-Sein, die Theorie des prä-reflexiven Cogito, den ontologischen Beweis und Sartres Unterscheidung zweier Weisen von Nicht-Sein behandeln. Man wird rasch sehen, warum dieser Vergleich für das Verständnis Schellings wirklich aufschließend ist; aber bei der Unterscheidung zweier Weisen von Nichtseiendem (oöx öv und [if\ öv) ist es umgekehrt Schelling, der Sartre zu wichtigen Differenzierungen verhelfen kann. 49 Pierre Leroux, De Dieu (. . .), in: La Revue (Avril),
5°
29/30.
Independante,
tome troisieme
Zunächst ein paar Worte zu den zwei Weisen, wie etwas Grund für ein anderes sein kann. Es kann (in der Sprache der Schulphilosophie) Seins- oder Erkenntnis-Grund sein. Im ersten Fall fundiert es das Begründete ontisch (seinem Existieren nach), im zweiten transzendental (hinsichtlich seiner Erkennbarkeit). Mit der Ankündigung einer Ontologie hofft Sartre, dem Idealismus zu entkommen, der in der Tradition gewöhnlich mit Positionen assoziiert wird, die (wie Sartre) das Selbstbewußtsein für einen philosophischen Ausgangspunkt halten. Wer (wie der mittlere und späte Husserl) den Ausdruck >transzendental< so stark faßt, daß noch >das Sein< selbst zu einem Konstitut der Leistungen der Subjektivität wird, für den stellt sich mit dem Einsatz bei der Evidenz des sich selbst durchsichtigen Subjekts die Alternative zwischen Ontologie (Einsatz beim Sein) und Phänomenologie (Einsatz bei den reinen Gegebenheiten des Bewußtseins) in aller Schärfe. Und genau dieser Alternative möchte Sartre durch die Entfaltung »einer phänomenologischen Ontologie< zu entkommen. Er versucht es durch folgende Konstruktion: Das Sein-an-sich fundiert ontisch das Für-sich-Sein; aber es ist das Für-sich-Sein, das dem En-soi zum Erscheinen (zum cpafvsoOcu) verhilft; insofern kann man sagen, daß das Für-sich nicht einfach unselbständig, sondern nur ontisch unselbständig ist. Epistemisch (oder transzendental) ist es eine ebenso selbständige Größe wie das En-soi. Darum ist Sartres Philosophie als »phänomenologische Ontologie< auf den ersten Anhieb gut und korrekt charakterisiert. Sehen wir jetzt in concreto zu, wie sie arbeitet. Gerhard Seel hat in dem nach wie vor besten Buch, das es über den Philosophen Sartre in deutscher Sprache gibt, 50 vorgeschlagen, Sartres Methode als die der Dialektik zu interpretieren. Dieser notorisch dunkle Ausdruck soll hier nur eine echte 50 Sartres Dialektik. Zur Methode und Begründung besonderer Berücksichtigung der SubjektsZeitBouvier 1971.
seiner Philosophie unter und Wertheorie, Bonn:
51
Interferenz zwischen zwei Seins-Bereichen, im vorliegenden Fall: zwischen dem En-soi und dem Pour-soi bedeuten. Eine Bewegung im einen läßt Spuren im anderen. Aber auch: was jetzt wie eine Bewegung im En-soi aussieht (weil man seinen spekulativen Blick darauf konzentriert hatte), erweist sich allsogleich als eine Struktur-Veränderung im Pour-soi. Und so fliegt der dialektische Ball immer hin und her. (Man muß ein flinker und gelenkiger Spieler sein, um gegenüber dem SchnellDenker Sartre am Ball zu bleiben oder mit seinen raschen Finten mitzuhalten.) Ich skizziere zunächst grob die Schritte, die die »Introduction« von EN durchläuft. Sie heißt (mit einem Augenzwinkern an Marcel Prousts Roman) »A la recherche de Petre« (EN 9, 11). Zunächst ist vom >Phänomen< die Rede und wie es der zeitgenössischen Phänomenologie gelungen sei, alle möglichen Dualismen hinter sich zu bringen: so die von Sein und BloßErscheinen, von Innen und Außen, von Akt und Potentia, von Kraft und Auswirkung usw. Wir machen uns einfach klar, daß >Sein< keinen Sinn für uns hat, wenn es da nichts gibt, das sich zu Erscheinung bringt. Vom Genie (als der Potentia einer Person) merken wir nur das, was ans Licht kommt, also die Werke. Die Kraft kennen wir nur durch die Auswirkungen - so etwa den elektrischen Strom z. B. durch die Elektrolyse oder noch einfacher: durchs Funktionieren des Eisschranks oder das Brennen der Glühbirne. Die angeblich unergründliche Innerlichkeit eines Subjekts kennen wir nur an seinem Stil (am Stil seines Lebens, seines Geschmacks, seiner Rede, seines Betragens usw.). Damit scheint das Seins-Thema - durch die Ankündigung einer Ontologie in Aussicht gestellt - harmonisch im Projekt einer Phänomenologie aufzugehen. Sartre spricht sogar von einem neuen »Monismus des Phänomens« (11). Aber dann taucht unversehens ein neuer Dualismus auf: der von Wesen (als Synthesis der Erscheinungen zu einem konzeptualisierten Ganzen) und Einzelerscheinungen: ähnlich dem kantischen Unterschied zwischen dem Mannigfaltigen der Einzelerscheinungen und der im Objekt vereinigten und begriffe52
nen Synthesis derselben. Das Wesen ist, wie Sartre sagt, >die synthetische Einheit der Manifestationen eines Dinges; und die Instanz, die diese Einheit zuerkennt und feststellt, ist der Begriff. Die Erscheinungs-Mannigfaltigkeit, die über einen Begriff zur Einheit versammelt wird, heißt Objekt. Aber: >wer Objekt sagt, sagt wahrscheinlich^ 51 Denn nie habe ich alle Aspekte (Husserl nannte sie Abschattungen) vor meinem geistigen oder sinnlichen Auge versammelt. Ein Objekt ist immer reicher als die Totalität aller Eindrücke, die ich über es im Laufe einer Wahrnehmung (ja im Laufe eines Lebens) registrieren kann. Sartre spricht von einer wahren >Unerschöpflichkeit (inepuisabilite)< der Erscheinungen eines Dings (EN 14), von der echten >Transzendenz< eines Objekts (I.e. und 24,2). Diese Transzendenz rückt den vermeinten Gegenstand außer der Reichweite des Subjekts: er ist eben mehr als die subjektiven Empfindungen, auf die der Empirismus ä la Berkeley und Hume ihn reduzieren will (I.e. und 27/8). Und so entsteht ein Dualismus des Unendlichen und des Endlichen. Gewiß kann ich, wenn ich einen Briefkasten von mehreren Seiten betrachtet habe, sein >Wesen< mittels eines Begriffs aussprechen. Aber was ich da tue, ist ein >passage ä la limite<, ein antizipierendes Vorlaufen auf die letzte, auf die erschöpfende Information. Sartre nennt sie »la limite transcendante, la raison et le but« der Synthesis der Erscheinungen (24,2). Und die wird nie gegeben. 50 sind alle Begriffsbildungen Hypothesen: sie ergänzen aus freiem Geiste, was ihnen die Erfahrungswirklichkeit schuldig bleibt. In Husserls Sprache: Objekte sind - anders als Bewußtsein - nie >adäquat< gegeben. Ferner: wer >Erscheinung< sagt (sie sei einzeln oder synthetisch über einen Begriff zu einem einheitlichen Wesen vereinigt),
51 Conscience de soi et connaissance de Philosophiey
de soiy in: Bulletin
de la Societe
Fran^aise
tome 42, 1948, 49-91 (zit.: C C ) , hier: 5 1 , 3 ; vgl. 64. Dieser
wichtige Text ist wiederabgedruckt unter den von mir herausgegebenen
kommentierten Selbstbewußtseins-Theorien a. M. (stw) 1 9 9 1 .
von
Fichte
bis Sartre,
und
Frankfurt
53
sagt: Erscheinung-für-ein-S^/e&f. Und damit ist die auf Seiten des Phänomens vermutete Selbständigkeit in unversehener Dialektik auf die Seite des Subjekts übergegangen, von dessen Existenz sie abhängt. Gibt es kein Subjekt - d. h. hat das Subjekt kein selbständiges Sein so gibt es auch kein Phänomen. Es kommt aber noch schlimmer: Unter den vielen Phänomenen (oder Erscheinungen) gibt es ein besonderes: das Phänomen >Sein<. Es ist das >esse apparens< (nach scholastischem Wortgebrauch): also das Sein, insofern es selbst erscheint. Erschiene es nicht, wie könnten wir dann von ihm sprechen? So muß der Seins-Erscheinung ein Bewußtseins-Zustand entsprechen: Während Heidegger das Sein in den sogenannten >Existenzialien< zur Erscheinung gelangen läßt (das sind vor allem das Verstehen und die Sorge), macht es Sartre Spaß, dem lesenden Bildungsbürger den Appetit zu verderben: Das Sein erscheint in den Gefühlen - und Gefühle sind Bewußtseinsmodi - des Ekels und der Langeweile. Ich will hier nicht darüber handeln, wieso Sartre gerade an diese beiden Gefühle denkt (man darf nicht vergessen, daß er das Sein, anders als Heidegger, als die nackte, bare, rechtfertigungs- und sinnlose Existenz denkt: als das, was vom Subjekt nicht verdaut werden kann und also >ausgekotzt< werden muß). 53 Nehmen wir an, es gebe ein Bewußtsein, in dem das Sein-selbst sich zur Erscheinung bringt, denn nur darum geht es hier (nicht darum, ob jemand vielleicht ein anderes Gefühl als Erscheinungsstätte des Seins vorschlagen möchte). Jetzt stehen wir an der ersten Weichenstellung des Sartreschen Hauptwerks. Sartre sagt nämlich, daß das erscheinende Sein das Sein der Erscheinung voraussetzt. Nicht, als könnte uns das allzusehr verwundern. Wir haben ja schon gehört, daß das Sein qua Existenz dem Wesen (als der
52 Dies Gefühl ist beschrieben in der berühmten Szene aus La nausee. Vorbild
ist
die
Jahrbuch
für Phänomenologie
Husserls Ideen,
phänomenologische
eines
und phänomenologische
ungarischen
Autors
im
Forschung, in dem auch
I. Band, und Heideggers Sein und Zeit erschienen waren: also
im Jahrbuch der phänomenologischen
54
Analyse
Sartres
Schule.
Synthesis der Erscheinungen) >vorausgeht<. Und dieser Satz, dessen Begründung noch aussteht, muß natürlich auch auf das Verhältnis des Semsphänomens zum Sein des Phänomens Anwendung haben, und zwar so, daß das Sein des Phänomens dem Phänomen des Seins zuvorkommt und das letztere allererst fundiert. Damit ist der dialektische Ball vom Phänomen (das wir zunächst für selbständig halten mußten) an das Sein zurückgegangen, von dem wir jetzt erfahren, daß es das Wesen fundiert. (Das Wesen liegt ja mit dem Phänomen auf einer Ebene, es ist gleicher Art mit ihm [»homogene«, sagt Sartre ( 1 5>l)]> der Unterschied beider liegt nur darin, daß das Phänomen eine einzelne Erscheinung und das Wesen eine [ideale] Synthesis aus allen Erscheinungen eines Objekts ist. Darum betrifft die These vom ontischen Primat des Seins vor dem Wesen die Erscheinung/das Phänomen ipso facto gleich mit.) Aber das Sein-selbst, das Sein an-sich oder vielmehr in-sich: es erscheint selbst nicht. Es ist überhaupt keine Eigenschaft (quidditas) des Objekts, sondern ist der inapparente /?e*/grund alles Erscheinens: »condition de tout devoilement: il est etrepour-devoiler et non etre devoile« (15). Ich kann nämlich die Eigenschaften eines Dings verändern - z. B. indem ich ein beschriebenes Papier durchstreiche, neu beschreibe, ausradiere, zerschnipsele oder verbrenne. Seine Existenz habe ich damit nicht zerschnipselt oder verbrannt. Das Sein ist überhaupt gar nicht etwas, über das ich Macht bekomme, wenn ich mich an seinen Eigenschaften (Wesenszügen, Erscheinungsweisen) vergreife. Es ist, wie Kant in einer berühmten Einsicht es formuliert hat, »kein reales Prädikat«. Es gehört nicht unter die Bestimmungen, die ich von einem Gegenstand aussage. Denn aussagen kann ich von etwas (xi x a t ä tivög) nur, was dieses Etwas ist: also sein Wesen (als - wie wir wissen - synthetische Einheit seiner Erscheinungen, die ihm als ebensoviele Eigenschaften zukommen.) Der Punkt ist besonderer Wichtigkeit. Da, sowohl für Schelling wie für Sartre, eine Weichenstellung ausschlagend war, die Kant 55
durchgesetzt hatte, muß zunächst kurz von ihm die Rede sein. Ich behaupte, daß Sartres Satz >im Selbstbewußtsein gehe die Existenz - das Sein - der Essenz - dem Wassein - voran< genau auch so für Kants Theorie des Selbstbewußtseins galt (und das ist nur eine von zahlreichen Parallelen, die Sartres Werk zu dem kantischen unterhält). Auch Kant gehört ja in die Reihe der Denker, die Subjektivität (er nennt sie mit Leibniz >Apperzeption, also Sich-selbstGewahren) für den Ausgangspunkt der Philosophie gehalten hat. Nun verteidigt Kant eine Zwei-Stämme-Lehre der Erkenntnis. Es gibt einerseits den Verstand, dessen Prinzip eben die Apperzeption ist; und es gibt andererseits die Sinnlichkeit, die uns die vom (unerkannbaren) Ding an sich gelieferten Erscheinungen beschert. >Erkenntnisse< bilden sich nur in Synthesen aus beiden: also dann, wenn sinnliche Informationen außerdem noch vom Verstand begrifflich bearbeitet werden. Nun entsteht natürlich für Kant folgendes Problem: Wenn auf den Titel >Erkenntnis< nur das Anspruch machen kann, was sowohl verständig wie auch sinnlich ist, dann entspricht dem Selbstbewußtsein selbst - das ja eine >reine intellektuelle Vorstellung< ist - keine Erkenntnis. Nun gehört es zu den Besonderheiten des >cogito<, daß in ihm nicht nur evidente >Selbstgewahrung<, sondern insbesondere auch Existenz-Gewährung garantiert sein soll. Kant nimmt aber an, Existenz werde uns allein durch sinnlichen Kontakt mit der Erscheinung (durch »Empfindung«) erschlossen (KrV B 272 f.). Ist das der Fall - d. h. gibt es keinen weiteren Kanal der Existenz-Erfahrung dann fragt man sich jetzt, wie das rein intellektuelle (also unsinnliche) Cogito selbst soll existieren können (oder anders: wie ich von dieser Existenz Kenntnis bekommen soll). Tatsächlich unterscheidet Kant durchgängig streng - und das macht ihn mit Sartre so gut vergleichbar - zwischen dem Sein des Selbstbewußtseins und seinem Sich-Erscheinen in der Zeit. Letzteres sei nur als ein empirisches Faktum (mithin als Gegenstand einer Erkenntnis) denkbar. Dagegen bleibe das erstere, 56
das nackte Sein des Selbst, als Ermöglichungsbedingung seines Sich-Erscheinens bloße Voraussetzung 53 . Das solcherart Vorausgesetzte ist ein Seiendes ohne alle Eigenschaft und Qualität (KrV B 404, A 355); von ihm weiß ich lediglich »daß es ist«, nie: »was es ist« oder »wie es sich erscheint« (B 155-157). Ich gewahre an ihm nur den actus purus seines nackten Daseins (vgl. Anm. B 157 f.). Da jedes Erscheinen des Ich sein Sein zur Voraussetzung hat, könnte man hinsichtlich seiner wirklich sagen (wie ich's vorhin schon vorgeschlagen hatte), in ihm gehe die Existenz der Essenz voraus. Nun ist allein das Erscheinen die Essenz - einer Erkenntnis zugänglich (genau wie bei Sartre: man denke an seine Unterscheidung von >Bewußtsein< und >Erkenntnis<). Kant bemerkt dazu, das Ich habe zu seinem Sein Zugang nur über die Prädikate, durch die es sich zugleich bestimmt und in seinem Sein verstellt (A 366 und B 404). Dies Sein selbst, vorprädikativ und vorkategorial (also nicht-propositional, Kategorien sind ja kondensierte Propositions-Formen), bietet sich keiner Erkenntnis dar. Und dennoch muß von ihm ein Bewußtsein bestehen, soll »der höchste Punkt der Philosophie« nicht seine Einsichtigkeit einbüßen. Man könnte einwenden wollen, die Rede vom Sein des Bewußtseins (im Gegensatz zu seinem Sich-Erscheinen) meine nur seine Seinsu>e*se, also gleichwohl eine Wesensbestimmung desselben, etwa im Sinne der Formulierung »ich existiere als Intelligenz« (B 158), womit ja nicht gesagt sein soll, die Intelligenz habe über die Tatsache hinaus, als Intelligenz zu erscheinen, noch ein subsistentes Seins außer dieser Bestimmtheit. 54 Und doch ist es eben die trans-
53 KrV
A 402: »Nun ist zwar sehr einleuchtend: daß ich dasjenige, was ich
voraussetzen muß, um überhaupt ein Objekt zu erkennen, nicht selbst als Objekt erkennen könne, und daß das bestimmende Selbst, (das Denken) von dem bestimmbaren Selbst (dem denkenden Subjekt) wie Erkenntnis vom Gegenstande unterschieden sei.« 54 Eines
Fehlschlusses
dieser
Art
(vom
veritativen
hat Schelling in seinen Münchener Vorlesungen Zur Philosophie
Descartes
bezichtigt:
aufs existentielle Geschichte
der
Sein)
neueren
»Das in dem cogito begriffene sum heißt
also nur: sum qua cogitans, ich bin als denkend, d. h. in dieser bestimmten 57
phänomenale Existenz - nur sie könnte in einem radikalen Sinne >nackt< oder eigenschaftslos heißen - , an welche Kant denkt. Um das zu zeigen, kann ich mich glücklicherweise auf eine kleine, aber bedeutungsschwere Anmerkung stützen, die Kant der Zweitauflage des Paralogismenkapitels hinzugefügt hat (B 422/3). Dort - wie übrigens im umgreifenden Kontext unterscheidet Kant die im Descartesschen Satz Cogito sum ausgesagte Existenz erstens in aller Deutlichkeit von Begriffen wie >Realität< und >Dasein< (damit sind Konzepte zweier Kategorien-Typen: derjenigen der Qualität und derjenigen der Modalität, aufgerufen, Begriffe mithin, die auf Erfüllung durch Anschauungsinhalt angelegt und insofern ungeeignet sind, im Rückschlag das Wesen des rein bestimmenden Ich zu charakterisieren); und Kant unterscheidet zweitens die bare Existenz des reinen Ich von jedem »gebenden Bezug< auf >Empfindung<, durch welche das Dasein von (sinnlichen) Objekten verbürgt wird. Welcher Bewußtseinsmodus könnte unter diesen Umständen dem reinen Sein des Selbstbewußtseins entsprechen? Sicherlich nicht die Anschauung, denn die Anschauung richtet sich auf die sinnliche Welt, und die Existenz des reinen Ich enthält keine Spur von Sinnlichkeit. 55 Ebensowenig aber ein Gedanke, Art des Seyns, welche denken genannt wird, und die nur eine a n d e r e Art zu seyn ist als z. B. die des Körpers, dessen Art zu seyn darin besteht, daß er den Raum e r f ü l l t , d. h. von diesem Raum, den er einnimmt, jeden andern Körper ausschließt. Das in dem cogito eingeschlossene sum hat also nicht die Bedeutung eines unbedingten Ich bin, sondern nur die Bedeutung eines »Ich bin auf g e w i s s e W e i s e s nämlich eben als denkend, in dieser Art zu seyn, welche man denken nennt« (Schellings sämmtliche Stuttgart
1856-61
[zit.: SW]
I/io,
Werke,
hg. von K. F. A . Schelling,
10).
Kant selbst hat gelegentlich das »Ich existiere« - im Gegensatz zu dem »synthetischen
Urteil«
»ein
Körper
existiert« -
für »ein analytisch Urtheil«
erklärt
(so in den »Selbständige!n] Reflexionen im Handexemplar der Kritik der reinen Vernunft [A]«) (Refl. VI E 14 - A 7 [ A A X X I I I , 2 1 ] ) . Analytisch kann der Satz »cogito sum< freilich nur sein, wenn das >sum< im Sinne von »ich existiere in der Weise des denkenden Wesens«, also nicht in einem vom Denken unabhängigen Seins-Sinn genommen
wird.
55 Vgl. Refl. N r . 5661 ( A A X V I I I , S. 318 f.): daß »das Bewußtseyn (. . .) an sich nichts Empirisches ist«.
58
denn das Denken ist niemals unmittelbar, sondern erreicht seinen Gegenstand vermittelst eines Begriffs, d. h. eines analytisch abgesonderten Merkmals, den dieser Gegenstand mit vielen anderen gemein hat (A 68/9 = B 93/4). Die in der reinen Apperzeption gewahrte Existenz überfordert mithin sowohl die begriffliche als auch die sinnliche Ausstattung unseres Erkenntnisvermögens; sie situiert sich entschieden diesseits der Schwelle, jenseits deren die Unterscheidung von Anschaulichem und Begrifflichem allererst statthat und möglich wird. Kant läßt ihr die merkwürdige Konstruktion »einer unbestimmten empirischen Anschauung, d. i. Wahrnehmung« (B 422) entsprechen, die er früher schon einmal als »innere Erfahrung« oder auch »innere Wahrnehmung« qualifiziert hatte (A 342 f. = B 400 f.). Diese innere (und doch) empirische Wahrnehmung ist durchaus unterschieden von und hat gar nichts zu tun mit dem, was Kant in anderen Kontexten »innere Wahrnehmung< nennt, wobei die Wendung ganz synonym gebraucht ist mit »innerer Sinn<, durch welchen (sinnliche) Erscheinungen des (empirischen) Ich empfunden werden (vgl. etwa B X L / X L I , A 107, B 277, B 430, B 156, B 68). Das läßt sich leicht durch die Tatsache belegen, daß Kant diese unmittelbare innere Selbstwahrnehmung oder -anschauung als »rein intellektuell« bestimmt; sie trägt in sich, fügt er hinzu, den Ursprung einer »lauteren Spontaneität« (etwa B 428, B 430 f.), die offenkundig dem empirischen Ich fehlt, die aber gleichwohl in sich die Existenz einschließt, hinsichtlich deren Kant bemerkt, daß sie der Apperzeption »[als] etwas Reales ( . . . ) gegeben worden, und zwar nur zum Denken überhaupt, also nicht als Erscheinung« (B 430 mit B 423; >real< meint hier offenkundig >existent/wirklich<). In Kants Augen steht also fest, daß die reine Apperzeption das unmittelbare Bewußtsein ihrer Existenz einschließt und daß dies Bewußtsein, obwohl voranschauungshaft, gleichwohl die Wahrnehmung eines Existierenden einschließt; denn Existenz kann vom Denken nicht erreicht, sie muß gegeben werden, sowie Bewußtsein von ihr besteht. Das sind Kants eigene Worte:
59
Das Ich denke ist (. . .) ein empirischer Satz, und enthält den Satz, Ich existiere, in sich. (. . .) Er drückt eine unbestimmte empirische Anschauung, d. i. Wahrnehmung, aus, (mithin beweiset er doch, daß schon Empfindung, die folglich zur Sinnlichkeit gehört, diesem Existenzialsatz zum Grunde liege,) geht aber vor der Erfahrung vorher, die das Objekt der Wahrnehmung durch die Kategorie in Ansehung der Zeit bestimmen soll, und die Existenz ist hier noch keine Kategorie (B 422/3,
Anm.).
Die Erfahrungshaftigkeit hindert mithin nicht, daß die Empfindung, von der hier die Rede ist, derjenigen Erfahrung zuvorkommt, durch welche das Anschauungsvermögen sinnlichen Stoff von außen aufnimmt und ihn dem Verstand zur kategorialen Bearbeitung weiterreicht. Die Existenz des reinen cogito ist weder Anschauung noch Kategorie. Ihr ist epistemisch mithin eine >innere Wahrnehmung* zugeordnet, die man streng zu unterscheiden hat von der Wahrnehmung psychischer Objektivitäten, wie sie im >inneren Sinn< vorliegen. In den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft notiert Kant im gleichen Sinne: Der Gedanke Ich dagegen gar k e i n B e g r i f f , sondern nur innere Wahrnehmung, aus ihm kann also auch gar nichts (außer der gänzliche Unterschied
eines
Gegenstandes des inneres Sinnes von dem, was bloß als Gegenstand äußerer Sinne gedacht wird), folglich auch nicht die Beharrlichkeit der Seele als Substanz gefolgert werden ( A A IV,
S43).56
Um die besondere Aporie dieser Überlegung zu verstehen, ist es angezeigt, sich Kants Überzeugung zu besinnen, daß
56 Vgl.
I.e.,
»Apperzeption«
470.
Kant übersetzt den von
gelegentlich
auch
durch
Leibniz übernommenen »Selbstwahrnehmung«
Begriff
oder
gar
»Selbstempfindung« ( A A X V I I , S. 647, Z. 1 4 / 5 ; S. 658, Z. 2; S. 688, Refl. Nr. 4723.) In Reflexion N r . 4225 ( A A X V I I , S. 465) nennt er »das Ich (. . .) eine Unerklärliche Vorstellung. Sie ist eine Anschauung, die unwandelbar ist.« Vgl. I.e., 346, N r . 3921: »Das Ich, welches gleichwohl kein Begriff, sondern eine [Empfindung] Anschauung ist (. . .).« Schon Leibniz nannte das Sich-selbst-Gewahren (apereeption) eine Tatsachen-, also eine - ihrer cartesianischen Evidenz unerachtet - empirische Wahrheit, ja
eine »erste Erfahrung« (Nouveaux
Essais sur VEntendement
Humain,
Buch IV,
Kap. I X [Paris: Garnier-Flammarion] 1966, 383 f.). Sie sei also »a posteriori«, nicht »a priori« begründet.
60
»Existenz (Sein) kein reales Prädikat< sei (KrV A 598/9 = B 626/7). Die Eigenschaft Realität konstituiert eine der drei Unterabteilungen der Hauptkategorie Qualität; durch sie wird eine der Washeiten (Qualitäten) des betroffenen Gegenstandes beurteilt, seine realitas, seine Sachheit oder Seinsweise (KrV A 143 = B 182 und A 597 f. = B 625 f.). »Existenz ist kein reales Prädikat< heißt dann: Mit Existenzurteilen wird nichts über die Seinsweise (qualitas, realitas, quidditas) geurteilt: Sein ist keine Eigenschaft in diesem Sinne. Sage ich »Ich existiere als Intelligenz«, so ist Intelligenz ein reales (zur Qualität des cogito gehöriges) Prädikat, und das Urteil selbst ist analytisch (»unmittelbar«, »tautologisch«, sagt Kant auch [A 354/5]). Ob ein solches >cogito< auch unabhängig von seiner Eigenschaft als denkend existiert, ist damit nicht ausgemacht. Und doch soll der Satz »cogito< den empirischen Sachverhalt »Ich existiere< nach Kant in sich enthalten. Worin bestünde alsdann jener Uberschuß, den das Existenzurteil gegenüber dem die realitas betreffenden beanspruchen darf? In seiner kleinen Schrift von 1763 Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes hat Kant seine These von den zwei Bedeutungen des indefiniten Verbalausdrucks >sein< zuerst zusammenhängend vorgestellt. Sein, heißt es da, ist Gegenstand einer relativen, Dasein ist Ergebnis einer absoluten Setzung. Eine Setzung von etwas ist relativ, wenn dies Etwas in bezug auf ein anderes (relativ auf dieses) gesetzt wird, etwa im Aussagesatz »a ist B<; hier ist a lediglich in bezug auf sein B-Sein, nicht aber absolut gesetzt. Von dieser Art Setzung ist offensichtlich diejenige des Ich in der Aussage »Ich bin als Intelligenz<. Absolut wäre dagegen die Setzung von a nicht in bezug auf B, sondern auf a selbst; in diesem Falle wird a das »Dasein« (wie Kant sagt) zugesprochen (vgl. auch KrV A 598 f. = B 626 f.). Sage ich »dies a existiert«, so beziehe ich mich nicht auf ein anderes oder auf irgendwelche Bestimmtheiten von a, sondern ich setze beziehungslos a als daseiend. Relative und absolute Setzung vollziehen sich indes in Form von Urteilen. Gewöhnlich verbinden Urteile Vorstellun61
gen verschiedener Klassen. Im einfachen singulären Aussagesatz wird ein Anschauungsinhalt mit einem Begriff verknüpft (>a ist B<), beide sind - in Kants Terminologie - reale Bestimmtheiten. Im Urteil >a existiert* wird dem Anschauungsinhalt dagegen nicht ein Begriff übergestülpt, sondern der von ihm vermeinten Sache wird das Sein zugesprochen: sie wird ohne weiteren charakterisierenden Zusatz als solche >gesetzt<. Diese Zusprechung von Existenz (durch welche die rein begriffliche Bestimmtheit der Sache überschritten wird) erfolgt über die sinnliche Wahrnehmung. Ob ein Begriff einen daseienden Inhalt hat oder ob ich ihn nur denke, davon kann nur die sinnliche Empfindung mich überzeugen oder abbringen. Die Kategorien der Modalität (unter welche die Existenz fällt), sagt Kant, »haben das Besondere an sich: daß sie den Begriff, dem sie als Prädikate beigefüget werden, als Bestimmung des Objekts nicht im mindesten vermehren, sondern nur das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen ausdrücken« (A 219 = B 266). Dasein, Wirklichkeit oder Existenz (Ausdrücke, die Kant gewöhnlich synonym verwendet) berühren also lediglich die »Frage: ob ein solches Ding uns gegeben sei, so, daß die Wahrnehmung desselben vor dem Begriffe allenfalls vorhergehen könne. Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen bloße Möglichkeit; die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit« (A 225 = B 272/3; vgl. A 374 f: »Wahrnehmung [ist] die Vorstellung einer Wirklichkeit«; »was [. . .] durch Wahrnehmung vorgestellt wird, ist [. . .] auch wirklich«; Refl. 5710 [ A A XVIII, 332]: »Ich erkenne die Existenz [nur] durch Erfahrung«). Trifft das zu, so folgt, daß das Merkmal des absoluten Gesetztseins zusammenfällt mit dem des Sinnlich-Empfundenseins (denn nur dadurch nimmt das Erkenntnisvermögen Stoff auf, der einer von ihm selbst unabhängigen Quelle entstammt). Ich untersuche hier nicht die Problematik und Ambiguität dieser These. Mir liegt im gegenwärtigen Kontext lediglich daran, verständlich zu machen, welche Gründe Kant haben bewegen können, dem Existenzurteil >Ich bin< - wobei das 62
Beurteilte hier die reine* nicht die empirische Apperzeption ist - eine »unbestimmte empirische Anschauung, d.i. Wahrnehmung« (und mithin »Empfindung«) zuzuordnen. Die einzige Art und Weise, in der Bewußtsein mit Existenz in Kontakt tritt, ist diejenige Anschauungsspezifikation, die Kant »Empfindung« nennt. Nur sie vermöchte das absolute Gesetztsein des cogito zu bezeugen. Ist das der Fall - und nach Kants Prämissen scheidet eine andere Erklärung aus muß der Autoperzeption (oder: Ad-perzeption) des cogito, ihrer lauteren Spontaneität/Intellektualität ungeachtet, ein Anschauungselement zugeordnet sein - anders gesagt, Kant kommt schließlich nicht umhin, die von ihm so leidenschaftlich abgewiesene Möglichkeit einer intellektuellen Anschauung dennoch ins Spiel zu bringen. 57 Um eine Anschauung handelt sich's beim reinen Ich, denn nur sie - als »Rezeptivität«, im Unterschied zur »Spontaneität« der Intelligenz - könnte Existenz (absolute Setzung) bezeugen; die Anschauung ist gleichwohl intellektuell, da sie auf der reinen Spontaneität des Verstandes beruht und die Idee einer vollkommenen »Bestimmtheit« mit sich führt. Das reine Ich existiert also, und es besteht hinsichtlich seiner eine unmittelbare (d. h. vorbegriffliche und auch vorreflexive) Kenntnis. 58 57 So auch W. Lütterfelds, Zum undialektischen bei Kant und Fichte,
in: Wiener fahrbuch
Begriff
für Philosophie
des
Selbstbewußtseins
8, Wien 1975, 7 - 3 8 ,
hier: 19. Mit den meisten anderen Interpreten deutet Wolfgang Becker bewußtsein
und Erfahrung.
argumentativen
Zu Kants
Rekonstruktion,
transzendentaler
Deduktion
und
(Selbstihrer
Freiburg/München 1984, 239 ff.) die Rede von
der Erfahrungshaftigkeit des Satzes »Ich denke« b z w . von der »unbestimmten inneren Wahrnehmung« im Sinne der Leerheit, d. h. Erfahrungsverwiesenheit des reinen Cogito (ähnlich Sartres »ontologischem Beweis« des für sich nichtigen Bewußtseins aus seiner Seins-Bezogenheit). Aber die Leerheit des Ich besagt nur, daß es nur zusammen mit Sinnlichen auftritt (z. B. mit den reinen Anschauungsformen); nicht ist darin impliziert, daß das Bezogene ein Empfindungshaftes (Empirisches) sein muß. Darum folgt aus der Leerheit des »Ich denke« nicht die notwendige Mit-Gegebenheit von 58 Dieser unbeabsichtigten
Empfindung.
Konsequenz hat schon Schelling, unter Berufung
auf die Fußnote zu B 4 2 2 / 3 , Kant überführt (SW I / i , 401 f.). Er war sich auch vollkommen im klaren darüber, daß diese Art von »intellektualer Anschauung«
63
So auch Sartre: die Existenz-Erfahrung des Subjekts kann nur über eine vorreflexive Kenntnis erfolgen; sie mißlingt auf dem Wege einer Er-kenntnis von Erscheinungen, die mich auf mein Wesen, aber nicht auf mein Sein führen können. Existenz und Wesen sind also nicht geschieden wie zwei Begriffe, sondern wie Wirklichkeit und Begriff: sie haben nichts gemeinsam, obwohl der letztere sich auf die erstere bezieht. Verändere ich, wie immer ich will, die äußere Gestalt (das Wesen) einer Sache (bleiben wir bei dem beschriebenen Papier), so habe ich sein Sein nicht im mindesten berührt. Es löst sich auch in keines der Teile und in keine der Erscheinungen des Objekts auf - noch im Atom steckt es ganz und unzerstückelt. Und doch wäre das Papier (samt allen seinen ErscheinungsWeisen bis hinein ins kleinste Atom) schlicht nicht, wenn ihm die Existenz gebräche. So scheint das Sein-qua-Erscheinung (esse apparens) des nichterscheinenden, des subsistenten Seins als seiner ontischen Voraussetzung zu bedürfen: die Erscheinung (und mit ihr das erscheinende Sein, das Semsphänomen) »bedarf ihrerseits eines Seins, auf Grund dessen (sur le fondement duquel) es sich enthüllen [d. h.: zur Erscheinung bringen] kann« ( £ N , 15). Diese (ontische) Abhängigkeit des Seinsphänomens vom Sein des Phänomens nennt Sartre - in Analogie zum ontologischen Gottesbeweis des Anselm von Canterbury - den >ontologischen Beweis*. In ihm wird von Seiten der Erscheinung nach einem Sein derselben verlangt: »il exige, en tant que phenomene, un fondement qui soit transphenomenal« (16). Damit schnellt der dialektische Ball - scheint's - vom Subjekt jäh auf das Sein zurück. Um zu rekapitulieren: Der erste Schritt war die Tilgung der Ontologie durch den Monismus des Phänomens: Sein ist nur als
mit derjenigen nicht in Widerspruch treten wird, die Kant ausdrücklich ablehnt und in welcher die Spontaneität des Verstandes die Materie der Sinne autark erschüfe (I.e.,
181 f.). Ich habe die entsprechenden Belege ausgewiesen und
interpretiert in meiner Arbeit Eine I.e., 42 ff.
64
Einführung
in Schellings
Philosophie,
erscheinendes. Das war die Position der (Husserlschen) Phänomenologie. Dann stellte sich heraus, daß etwas Phänomen nur sein kann für jemanden, also für ein Subjekt. Nun zeigt sich (drittens), daß die Erscheinung sich in Nichts auflösen würde, würde sie nicht vom Sein ontisch fundiert. Damit konzentrieren sich alle Blicke auf das Subjekt. Entweder kann es dem Phänomen das ihm fehlende Seins-Fundament zurückerstatten (und dann hätte die Seins-Position im Subjekt ihren Ort, und es würde verständlich, warum das Subjekt für einen philosophischen Ausgangspunkt hat gehalten werden können). Oder aber - zweite Möglichkeit - es stellte sich vom Subjekt heraus, daß es - als ein leeres Sich-selbst-Erscheinen, das alle Inhalte außer sich lassen muß - ontisch ebenfalls von einem Sein abhängig ist, das es außerhalb seiner Sphäre aufsuchen müßte. Und dann würde sich der »ontologische Beweis« für das Subjekt so auswirken, daß es die Staffel der Selbständigkeit in letzter Instanz doch ans subsistente Sein abtreten müßte. Vorderhand sieht es aber im Gegenteil so aus, als zeige sich, daß es kein Phänomen (also kein Erscheinen, auch kein SeinsErscheinen) gibt als für ein Subjekt. Und da das Subjekt - als Ort der Einsichtigkeit alles Erscheinens - die Drehscheibe ist, an der sich überhaupt alle Einsichtigkeits-Fragen entscheiden müssen, dürfen wir auch getrost die Seins-Frage an das Subjekt delegieren. Hier oder nirgends muß sich entscheiden, wem die Ehre der Priorität gebührt. Die Eleganz von Sartres >ontologischem Argument« besteht darin, daß es den Beweis der ontischen Priorität des Seins vor dem Erscheinen (und, da alles Erscheinen nur für-ein-Bewußtsein ist, auch vor dem Bewußtsein) aus der cartesianischen Evidenz des Selbstbewußtseins selbst sich erbringen läßt. Der Satz des Descartes heißt ja nicht einfach >cogito«, sondern >cogito, ergo sumc er impliziert eine Seins-Garantie. Was Kant aus diesem Doppelaspekt gemacht hat (und in welche theoretische Bredouille ihn das gebracht hat), haben wir eben gesehen. Jetzt wollen wir nachvollziehen, was Sartre aus der Existenz-Implikation des Selbstbewußtseins macht. 65
Die idealistische Position, in deren Sog wir uns gegenwärtig bewegen, macht die Rede vom Sein abhängig von dessen Erkennbarkeit. Das ist die Position des Bischofs Berkeley, die Sartre zitiert: »esse est percipi« (das meint: Sein ist Erkanntwerden). Ihr zufolge besteht die Berechtigung einer Annahme von Sein nur relativ auf ein Bewußtsein, das von ihm Kenntnis nimmt. Dann aber stellt sich jäh die Frage: die Erkenntnis selbst, ist die (17,1),? Auf diese Frage gibt es nur eine klare >ja<>nein<-Alternative als Antwort. Erste Möglichkeit: Nein, die Erkenntnis selbst ist nicht; dann wäre das Sein in einem Neant, in einem relativ Nicht-Seienden begründet: ein reductio ad absurdum. Zweite Möglichkeit: Ja, die Erkenntnis (auf die wir den Gedanken des Seins begründen wollen) ist. Dann müssen wir jetzt konsequenzhalber die oben benutzte Definition von Sein (daß es nämlich im Erkanntwerden besteht) erneut einsetzen und sagen: daß auch das Sein der Erkenntnis ein weiteres Mal im Erkanntwerden besteht. Wieder kämen wir auf dieselbe Alternative: das Erkennende (das percipiercs), in dem das Sein des vorigen Erkennens fundiert wird, ist es oder ist es nicht ? Und durch erneutes Einsetzen der Formel des George Berkeley >esse est percipi< kämen wir auf die Art in einen unendlichen Regreß, der das Sein auf immer unausgemacht lassen würde, und damit auch dasjenige Sein, ohne das nicht einmal eine idealistische Position konsistent durchgeführt werden könnte: nämlich das Sein des erkennenden Subjekts. Halten wir nun Descartes' Schluß >cogito sum< für eine Gewißheit (und das heißt: für eine unumstößliche Wahrheit), so muß das Sein des Bewußtseins andersworauf begründet sein als darauf, daß es von einem anderen (es fundierenden) Bewußtsein abhängt. Genauer gesagt: es müßte ein Bewußtsein geben, dessen Sein resistent dagegen wäre, daß ein anderes Bewußtsein es reflexiv wiederaufnähme. Noch anders gesagt: es müßte ein Bewußtsein geben, dessen Kenntnis von sich nicht darauf beruhte, daß ein anderes (zweites) Bewußtsein allererst nötig hätte, es reflexiv zu thematisieren. Definieren wir nun die »Erkenntnis (connaissance)< als den expliziten Bezug des 66
Bewußtseins auf ein ihm Anderes (eingeschlossen: auf ein anderes, auf ein von ihm numerisch verschiedenes Bewußtsein), so müssen wir sagen: Selbstbewußtsein darf nicht ein Fall von Selbst-Erkenntnis sein. Denn das Sein des Bewußtseins wäre nur zu retten, wenn im Bewußtsein der Subjekt- und der Objekt-Pol nicht auseinandertreten. Noch anders gesagt: der Satz >esse est percipi< muß, soll es ein Sein des Bewußtseins geben, hinsichtlich der Kenntnis, die das Bewußtsein von sich hat, suspendiert sein. Das Bewußtsein muß sich seines Seins vergewissern können, ohne sich zu vergegenständlichen. Wenn Bewußtsein ist, so nicht in der Weise, daß sein Sein Gegenstand einer Erkenntnis ist. Also muß die Erkenntnis-von-sich (die es durchaus gibt) auf ein unmittelbares Selbstbewußtsein begründet sein, in dem Subjekt und Objekt des Bewußtseins eines und dasselbe sind und sich als dasselbe auch kennen. Und dieses unmittelbare (durch keinerlei Mittelbarkeit gestörte) Selbstbewußtsein, sagt Sartre, ist die wahre »transphänomenale Seinsdimension des Subjekts« (I.e.), nach der wir suchen. Dafür, daß wir dem Bewußtsein-von-sich unbedingt die Ungegenständlichkeit als Seinsart zuschreiben müssen, kennen wir übrigens noch ein zusätzliches Motiv: Sie erinnern sich, daß die Transzendenz des Objekts sich daran kenntlich macht, daß es immer mehr ist als die Reihe der subjektiven Erscheinungen, durch die es sich uns kenntlich macht. Darum gilt ja auch das »Wer Objekt sagt, sagt bloß wahrscheinlich (celui qui dit >objet<, dit probable)« ( C C 51, 6.). Die bloße Wahrscheinlichkeit des Objekt-Gewahrens hängt damit zusammen, daß mir immer auf der Objekt-Seite etwas fehlt, das ich durch jenen passage ä la limite ideal ergänzen muß. Darum ist keine ObjektWahrnehmung adäquat, geschweige apodiktisch. Aber genau diese beiden Charakteristika gelten fürs Subjekt- (oder Selbst-) Bewußtsein: es ist sich apodiktisch und adäquat gegeben, wobei >adäquat< heißt: im Nu in allen seinen Aspekten. Allein darum schon könnte Selbstbewußtsein kein Objekt-Bewußtsein sein; und allein darum schon könnte das Subjekt keinen Inhalt haben (oder vielmehr: jeder Inhalt muß ihm äußerlich: auf der Gegen67
stands-Seite fern von ihm bleiben). Sartre sagt gelegentlich: jedes Objekt sei »un centre d'opacite pour la conscience«: »il faudrait un proces infini pour inventorier le contenu total d'une chose« (EN 18). Nein, das Subjekt ist nicht durch Opazität, sondern durch Durchsichtigkeit ausgezeichnet; es kann keinen seiner Aspekte >ignorieren< (I.e.): es ist mit sich schlechterdings vertraut. Wobei mit >sich< eben meint: nicht mit seinen Inhalten auf der Gegenstands-Seite - und dazu zählt Sartre auch alles >Psychische<, so wie etwa die Psychoanalyse es untersucht. Dieses Bezogensein auf ein Außer-ihm nennt Sartre des Bewußtseins Transzendenz oder auch - mit Husserl Intentionalität.59 Mit (dem von seinem Lehrer Franz Brentano erneuerten scholastischen Kunstausdruck) >Intentionalität< meinte Husserl des Bewußtseins Aus-Sein-auf-etwas, das es normalerweise nicht selbst ich. Ich liebe jemanden, ich begehre, ich sehe, ich meine, ich lese etwas, mir ist um etwas zu tun usw. Solches intentionale Bewußtsein ist zweistellig. Es gibt da ein Bewußtsein und eines, von dem dies Bewußtsein besteht - und beide sind nicht dasselbe (mein Durst ist nicht das Wasser, nach dem ich schmachte; meine Verliebtheit ist nicht die Geliebte; und meine Wahrnehmung des Palazzo Pitti ist nicht der Palazzo Pitti selbst). Das gilt auch für den besonderen (für die Philosophie besonders wichtigen) Fall, daß das Bewußtsein sich selbst intentional vergegenwärtigt. Dann biegt es sich auf sich selbst zurück: es ist - mit einem lateinischen Kunstausdruck reflexiv. Auch hier ist das reflektierende Bewußtsein zumindest numerisch vom reflektierten unterschieden; und das Reflektierte könnte (zur Not) sehr wohl nicht sein, ohne daß darum auch das Reflektierende sich in nichts auflösen müßte (so wie ich mich in der Bestimmung irgendeines Intentional-Objekts vertun oder gar halluzinieren kann, ohne daß ich darum von Zweifeln 59 Vgl. Sartres lebhaft-anschaulichen Kurz-Essay Eine fundamentale Phänomenologie 29-32.
68
Husserls:
die Intentionalität,
in: Situations>
Idee der
I, Paris 1947,
an der Existenz des intendierende« Bewußtsein beschlichen würde). Von genau der Art (eines auch nicht sein könnenden Gegenstandes) kann der von Selbstbewußtsein nicht sein: denn in ihm darf das Sein nicht in die Stellung eines geraten, das von einem anderen abhängig ist. Das Selbst bewußtsein qua Bewußtsein meiner selbst als eines Existierenden verlangt vollkommene Prä-reflexivität (das ist Sartres Kunstausdruck); und nur darin besteht die unumstößliche Seins-Gewißheit, die ihm eignet. Auch wenn das, was ich intentional ins Auge fasse, nicht sein sollte, auch dann habe ich noch Selbstbewußtsein von dem Akt, der sich darauf richtet (»toute conscience positionnelle d'objet est en meme temps conscience non positionelle de soi« [EN 19,2]); weiß, daß dieser Akt existiert: ich weiß das, so wahr ich Bewußtsein von ihm habe: ein Bewußtsein, das mit dem Akt koextensiv ist und mit seinem Sein steht und fällt. Es wäre absurd anzunehmen, daß dieses Bewußtsein sich nicht kennen könnte: dann dann würde ich sagen können, daß ich von etwas Bewußtsein habe, das aber nicht wisse. Ich würde etwas völlig Unfundiertes und Unfundierbares gesagt haben. Natürlich kann ich auf ein Bewußtsein, das mit sich selbst unmittelbar bekannt ist, mittelbarerweise (durch eine reflexive Rückwendung auf mich selbst) in Beziehung treten. Aber das kann ich nur, weil ich, der reflexiven Rückwendung zuvor, mit mir präreflexiv schon vertraut war. Und es versteht sich von selbst, daß ein schon Bekanntes durch die Vermittlung der Reflexion auch explizit mit sich in Kontakt treten kann - aber eben unter der Voraussetzung, daß die Erkenntnis, die ich alsdann von mir gewinne, durch eine unmittelbare Selbstvertrautheit, die Sartre >nicht-setzendes< oder >prä-reflexives Selbstbewußtsein< nennt, bereits fundiert war. So ist die Erkenntnisvon-mir eigentlich ein Wieder-Erkennen; denn der Gegenstand der Reflexion mußte vor der Reflexion sich selbst schon bekannt (vertraut) gewesen sein. Andernfalls würde die Reflexion - und >Reflexion< heißt ja wörtlich: Widerspiegelung - im Spiegel ihrer Erkenntnis zwar etwas vorfinden. Sie hätte aber keinerlei Kriterium, um dieses anonyme Etwas als sich 69
zu identifizieren, wie sie's doch im Selbstbewußtsein mit untrüglicher Sicherheit tut. (Man kann hier denken an Roderick Chisholms Unterscheidung zwischen einem auf ErkenntnisBasis richtig identifizierten Subjekt x einerseits, das von sich selbst - also von x - erstens richtig identifiziert und zweitens für einen Gegenstand gehalten wird, der dieses oder jene Eigenschaft hat, und andererseits einem Subjekt, das ohne alle Erkenntnis-vermittelte Identifikation etwas von sich selbst* glaubt. 60 Das letztere, als zur Sicherheit seines epistemischen Selbstbezugs gelangt ohne alle kriterienvermittelte Erkenntis über sich, ist notwendig prä-reflexiv mit sich bekannt.) 61 60 Roderick Chisholm, The First Person. An Essay on Reference and tionality,
Brighton: The Harvester Press,
gehörigen
Verhältnisse
bewußtsein Subjektivität,
ausführlich
und Selbsterkenntnis. Stuttgart: Reclam,
1981,
analysiert
Inten-
17 ff. Ich habe die hierher
und
interpretiert
Essays zur analytischen
in
Selbst-
Philosophie
der
1991.
61 Jacques Lacan hat in einer berühmten Arbeit übers »Spiegelstadium« glauben machen wollen, die Freude des neugeborenen Menschenwesen über seine integrale Repräsentation im Spiegel sei Freude über sein Sich-als-sich-Erkennen. Das ist natürlich denkbar, setzt aber voraus, daß auch der »homo infans« ein SelbstGefühl als Kriterium seines Selbstbewußtseins schon haue; sonst würde er im Spiegel zwar jemanden, und diesen integral erkennen, nicht aber wissen, daß er mit sich zu tun hat. C . G . Gallup, J r . beschreibt ein Experiment, das Lacans These schlagend widerlegt und zeigt, daß z. B. auch Schimpansen ein »Selbstgefühl< haben. Sieht das Tier den Farbfleck, den man ihm auf die Stirn gemalt hat, im Spiegel, so wischt es ihn sich nicht im Spiegelbild, sondern auf der eigenen Stirn aus. So mußte es wissen, daß das Spiegelbild nur eine Repräsentation seines Körpers war - und diese Information konnte es nicht aus dem Spiegel erworben
haben (Cimpanzees: Self-Recognitiony
in: Science, 6 June 1983, 86 f.). Man hat
dieses Experiment verschiedentlich wiederholt, z. B. mit einer im Wortsinne selbstbewußten Schimpansin im Baseler Zoo. Vgl. auch die bemerkenswerten Äußerungen aus Fichtes Platner-Kolleg: »Ich bin unmittelbar nur meiner selbst und insbesondere meines Handelns mir bewußt. Über das Band zwischen dem Objekt und Subjekt ist oft gefragt worden, und diese
Frage
ist
es
eben,
die
die
bisherigen
Philosophen
[fast] gar
nicht
beantworten konnten. Man hat gesagt, die Seele sei ein Spiegel, in dem die Welt sich spiegelt [vgl. Philosophy
damit die Polemik
and the Mirror
of Nature].
gegen diese Metapher in R.
Rortys
Es fragt sich aber, wer sieht denn die
Bilder in diesem Spiegel? Der Spiegel selbst? Keineswegs. N u n soll aber erklärt werden, woher das Bewußtsein der Objekte entstehe. Man muß also noch ein
70
Nun haben wir folgenden Befund: das gesuchte trans-phänomenale Sein ist gefunden: es ist - so scheint's jedenfalls - das Sein der Subjektivität selbst. 62 Wie kam das Subjekt in die Stellung des Platzhalters des subsistenten Seins? Dadurch, daß in ihm keine Dualität, kein Objekt-Subjekt-Gegensatz (19,1), keine Paarigkeit (»La conscience de soi n'est pas couple«), keine Reflexivität angetroffen wird. So kann von ihm der Satz des Bischofs Berkeley >Sein ist relativ aufs Erkanntwerden< nicht gelten. Denn Selbstbewußtsein, sahen wir, ist kein Sich-selbstErkennen oder Wissen von sich ( 1 8 , 3 ) . Also gibt es hier auch Sein-Sein-nicht-in-sich-, sondern in-einem-Anderen-Haben. Selbstbewußtsein ist irreflexiv; es trägt seine Seinsgewißheit unmittelbar in sich selbst. Wenn es bewußt ist, so ist dieses Bewußtsein auch immer. Wenn ich Bewußtsein davon habe, verliebt zu sein, so bin ich verliebt - unabhängig von einer Reflexion, die ich auf den Inhalt dieses Bewußtseins schicke. (Wäre dem Bewußtsein dagegen ein Objekt präsentiert, so würde die Erkenntnis nie adäquat sein können: denn wir wissen ja, daß, »wer Objekt sagt, wahrscheinlich sagt« [wegen der Abschattungs-Unendlichkeit aller Objekt-Präsentationen]; dagegen ist das Subjekt sich adäquat und apodiktisch präsentiert: also ungegenständlich.) Bedeutet das nun auch - und damit wird die dritte und entdrittes haben. Stellt man da wieder einen Spiegel hin, so werden in ihn ebenso die Bilder hineinfallen; aber der zweite Spiegel sieht auch nicht. Man muß also etwas hinzunehmen, das sieht. Dies ist kürzlich die Geschichte der bisherigen Philosophie; man läßt Bilder in die Seele einströmen wie in einen Spiegel; aber dadurch wird die Frage nicht vergessen, was eigentlich sehe, oder die Frage nach dem Bande der Objekte und des Subjekts. Sie läßt sich nun so beantworten: Das vernünftige Wesen kann kein Spiegel sein, in dem sich eine Gestalt abdrückt, sondern ist ein Handelndes, selbsttätiges, und ist sich dieses Selbsttuns unmittelbar bewußt [etc.]« (Johann Gottlieb Fichte, Nachgelassene
Schriften,
hg. von Hans Jacob, Berlin 1937, Bd. II, 40).
62 Sie werden vielleicht fragen, mit welchem Recht ich die Ausdrücke »Subjektivität« und »Selbstbewußtsein« einfach pele-mele verwende, Ich tue das, weil Sartre selbst es so hält: »Ce qu'on peut nommer proprement subjectivite, c'est la conscience (de) conscience« (EN
29).
71
scheidende dialektische Runde zwischen dem Sein und dem Für-sich eröffnet daß, wenn die Seinsgewißheit nur im Subjekt angetroffen wird, das Subjekt mit dem En-soi-Sein geradehin identifiziert werden kann? Und daß wir dasjenige Sein, das dem Erscheinen ontisch zuvorkommt, nun endgültig im Selbstbewußtsein angetroffen haben? Keineswegs, antwortet Sartre. Und diese Antwort ist nach dem vorangehenden nicht gerade leicht nachzuvollziehen. Was soll das heißen, wenn Sartre sagt: Das Subjekt ist zwar der Ort, in dem die Transphänomenalität des Seins zur Gewißheit wird; nicht aber ist das Subjekt selbst = dem En-soi. Seine innere Leere macht vielmehr, daß es ontisch vom En-soi abhängt (also ontisch unselbständig ist) - was nicht ausschließt, daß es transzendental eine (auf En-soi) irreduzible Größe, ein eigener Seins-Typs, eben der des etre pour-soi, ist. Wie ist das denkbar? Nun, dadurch, daß die vielbeschworene Selbstdurchsichtigkeit des Selbstbewußtseins mit dem Umstand erkauft ist, daß das Selbstbewußtsein an ihm selbst oder durch sich selbst keinen Inhalt hat: es ist völlig substanzlos oder leer (wie übrigens auch das kantische >Ich denke<; es hat nicht einmal eine Husserlsche i)Xr| [vgl. EN 26]). Aller Inhalt muß ihm von außen gegeben werden. 63 Das gilt auch für seine Kenntnis vom Sein. Würde das Sein buchstäblich ins Bewußtsein eindringen, so würde sich, wie Sartre mit einer drastischen Metapher64 sagt, dessen Transparenz trüben, wie wenn eine undurchsichtige (»opaque«) Klinge in es hineinführe und in ihm einen inneren Gegensatz aufrichtete, auf dessen Fehlen gerade seine einstellige Reinheit beruht. Außerdem gilt die Voraussetzung, daß Sein und Wesen heterogen sind: sie haben gar nichts miteinander gemein. Bewußtsein ist aber ein reines Sich-selbst-Erscheinen, 63 In La Transcendance
de l'Ego.
Esquisse d'une description
phenomenologi-
que, hg. von Sylvie Le bon, Paris 1978 (der Text selbst ist von 1936) hatte Sartre geschrieben: »En un sens [sc.: le C h a m p transcendental] c'est un rien
puisque
tous les objets physiques, psycho-physiques et psychiques, toutes les verites, toutes les valeurs sont hors de lui (. . .).« 64 L . c . ,
72
23,2-
eben: ein Für-sich-Sein. Descartes, sagt Sartre, ist nicht sorgsam genug mit der Evidenz-Erfahrung des Cogito umgegangen: er hat aus ihm eine Substanz oder ein Ding (>substantia< oder >res cogitans<) gemacht: er hat es verdinglicht. Das Selbstbewußtsein ist aber ein >Absolutum< dadurch, daß es aus der Beziehung zu nichts verständlich wird (es ist nicht-relativ, das meint ja: absolut). Ich zitiere Sartre: Aussi est-ce un absolu non-substantiel. L'erreur ontologique du rationalisme cartesien, c'est de n'avoir pas vu que, si l'absolu se definit par le primat de l'existence sur Pessence, il ne saurait etre con<;u comme une substance.
La
conscience n'a rien de substantiel, c'est une pure »apparence«, en ce sens qu'elle n'existe que dans la mesure oü eile s'apparait. Mais c'est precisement parce qu'elle est pure apparence, parce qu'elle est un vide total (puisque le monde entier est en dehors d'elle), c'est ä cause de cette identite en eile de l'apparence et de l'existence qu'elle peut etre consideree comme l'absolu (EN
23).
Zum Selbstbewußtsein gehört also neben der Seinsgewißheit auch die Selbstdurchsichtigkeit. Die macht ihm nun auch bewußt, daß es leer, substanzlos, äußerlich auf das Sein bezogen, aber nicht selbst seiend ist. Es ist - gegenüber dem Seienden im emphatischen Sinn - das nicht Seiende, das neant. Das Bewußtsein durchschaut sich als relatives Nichts, und eben damit kann es den ontischen Primat ans Sein abtreten. Es kann aus diesem Verzicht sogar seine Erkenntnis-Struktur verständlich machen: denn was, selbst ohne Inhalt, seinen Inhalt anderswoher beziehen muß, das existiert als Intentionalität. Und so kann des Bewußtseins ontische Abhängigkeit vom Sein bei gleichzeitiger transzendentaler Selbständigkeit jetzt abschließend so erklärt werden: das Bewußtsein entsteht als auf ein Sein intentional bezogen (und von ihm getragen: portee sur), das nicht es selbst ist (28 u.). Sagen, daß das Bewußtsein also ontisch vom Sein dependiert, heißt nicht sagen, daß es aus dem Gedanken des Seins verständlich würde: Transzendental gesprochen »ist nichts Ursache des Bewußtseins«. Und wenn man zugibt, daß es nicht Ursache seins Seins ist (sondern von diesem ontisch abhängt), dann ist es doch allemal »cause de sa propre maniere d'etre« (22, Anm.). Wir können es also vorläufig 73
bestimmen als ein - verglichen mit dem eigentlich Seienden Nicht-Seiendes, das zwar nichts zu seinem Sein kann, aber zurechnungsfähig ist für alles, was es dem Sein in der Folge widerfahren läßt (und als was es das Sein interpretiert: das hermeneutische Monopol liegt beim Bewußtsein). Der »ontologische Beweis< des Bewußtseins hieße besser >me-ontologischer Beweis«. Er schließt ja auf die ontische Abhängigkeit des Bewußtseins vom Sein aufgrund der »absoluten Leerheit und Substanzlosigkeit< des Bewußtseins. Ist das Bewußtsein substanzlos, aber intentional auf subsistentes Sein bezogen, dann kann durch Schlüsse es negativo (oder per contrarium) dessen Seins-Charakteristikum i. mit »Substantialität< oder »Selbständigkeit« angegeben werden (EN 32: »il [Petreen-soi] est son propre support«). 2. eignet dem En-soi Identität oder Einfältigkeit (»Le principe d'identite [. . .] est aussi un principe regional synthetique de Petre« [33]): das Sein ist, was es ist, es fällt mit sich selbst zusammen, es ist vollkommen von sich selbst erfüllt, es gibt in ihm keinerlei Leere oder Binnendifferenzierung. Da alle Bestimmung aus Negation entsteht, gilt 3., daß das An-sich-Sein unbestimmt oder bestimmungs-indifferent ist: »II est lui-meme indefiniment et s'epuise ä Petre« (34). 4. ist das En-soi durch Aktualität ausgezeichnet: »[L'etre en-soi] ne peut etre ni derive du possible, ni ramene au necessaire« (I.e.): es ist wirklich (»en acte«) und kontingent, wobei >kontingent< meint: nicht durch eine Potenz oder einen Grund mit einer Art »Notwendigkeit« geadelt. Kurz: das Ansich-Seiende ist dem Bewußtsein in allen Merkmalen kontradiktorisch entgegengesetzt: es ist von sich erfüllt, reine Position/ Positivität, reines fugenloses Mit-sich-Zusammenfallen, lautere Unbewußtheit und Bestimmungsunabhängigkeit. So bedarf es zu seinem Subsistieren nicht des Bewußtseins; im Gegenteil wäre - das besagt ja der »ontologische Beweis« - das Bewußtsein nicht ohne das En-soi, >auf das es gerichtet und von dem es getragen ist«. Das bedeutet aber nicht, daß das Sein-an-sich ohne die Zutat des Bewußtseins an den Status des >Seinsphänomens< gelangte, daß die (Heideggersche) Erschlossenheit 74
ihm von anderswärtsher zukäme als von seiten des Bewußtseins. Da aber das Bewußtsein - in jeder Hinsicht dem Sein entgegengesetzt - nichtig ist, richtet sich nun alle Aufmerksamkeit auf eine reichere Bestimmung dieses seines >me-ontologischen< Status (und hier fällt Licht auf Sartre durch eine zentrale Unterscheidung der Schellingschen Spätphilosophie). Sartre unterscheidet zunächst zwischen zwei Weisen, in denen von >nichts< geredet werden kann: zwischen dem Nichts als >neant< und als >rien< (EN 51). Jenes sei das - verglichen mit den Sein en-soi - nicht Seiende; dieses das in keinem Betracht, das überhaupt nicht Seiende. »II est frappant«, schreibt Sartre, »que la langue nous fournisse un neant des choses (>Rien<) et un neant d'etres humains (>Personne<)« (I.e.). Das Nicht-Sein von Dingen (ihr Nicht-Existieren) und die Verneinung der Präsenz von Personen (»niemand«) geschehen jedoch auf der Basis eines vorgängigen Seins. Cela signifie que Petre est anterieur au neant et le fonde. Par quoi il faut entendre non seulement que Petre a sur le neant une preseance logique mais encore que c'est de Petre que le neant tire son efficace. C'est ce que nous exprimons en disant que le neant
hante
Vetre.
Cela signifie que Petre n'a nul besoin de
neant pour se concevoir et qu'on peut inspecter sa notion exhaustivement sans y trouver la moindre trace du neant. Mais au contraire le neant qui n'est
pas,
ne saurait avoir qu'une existence empruntee: c'est de Petre qu'il prend son etre; son neant d'etre ne se rencontre que dans les limites le Petre et la disparition totale de Petre ne serait pas l'avenement du regne du non-etre, mais au contraire
l'evanouissement du neant: il n*y de non-etre
qu'ä la surface de Vetre (52).
Ich glaube, Sartres Gedanke ist verständlich: dasjenige neant, als das wir das (sich selbst durchsichtige, leere, substanzlose) Bewußtsein kennengelernt haben, ist Grund der Verneinung und dessen, was Sartre die innerweltlichen negativen Größen (negatites) nennt (j8): 6 5 also Größen wie die Fraglichkeit, die 65 »Ii faut que le Neant soit donne au cocur de l'Etre, pour que nous puissions saisir ce type particulier de realites que nous avons appelees les Negatites. Mais ce Neant intra-mondain, PEtre-en-soi ne saurait le produire: la notion d'Etre comme pleine positivite ne contient pas le Neant comme une de ses struetures« (58). 75
Widerständigkeit, das Verbot, die Verleugnung, die Unbeständigkeit, die Unerreichlichkeit, die Untreue, die Zerbrechlichkeit usw. - Entitäten, die durch ihre Quasi-Gegenständlichkeit ein negatives An-sich vortäuschen, von dem wir doch gut sehen, daß es nur durch ein solches Seiendes in die Welt kommen konnte, dessen Seins-Auszeichnung es ist, ein neant d'etre zu sein: d. h. sein eigenes En-soi zu dementieren und demjenigen Seienden, auf das es intentional bezogen ist, durch Negation die Bestimmtheit widerfahren zu lassen (gemäß Spinozas berühmtem Wort: »Omnis determinatio est negatio« [50]). Nun ist aber die Frage, auf welche Weise dieses Wesen ist, wenn es doch seine Eigentümlichkeit ist, sich das Sein abzusprechen; und an dieser Stelle greift die Unterscheidung von >rien< und >neant<, vom absolutem und relativem Nichts. Es ist ja von vornherein klar, daß es Sinn macht zu sagen: >Es gibt Bewußtsein«. Wie gibt es also Bewußtsein, wenn es doch zu dessen Seins-Auszeichnung gehört, ein >Nichts-an-Sein< (oder genauer: ein Nichts-an-En-soi) zu sein? Darüber wissen wir einiges schon aus dem Kontext des ontologischen (oder besser: des me-ontologischen) Beweises. Das Nichts-an-Sein, als welches wir das Bewußtsein kennen, ist in der Weise, sich auf ein Sein zu stützen (und intentional zu beziehen), das nicht es selbst ist. Das meint Sartre, wenn er schreibt, das Sein des Bewußtseins sei ein geliehenes Sein. Und das meint er auch mit der auf Anhieb nicht leicht verständlichen Formel vom >etre ete<, vom Gewesen-Werden des Bewußtseins: »Le Neant n'est pas, le Neant >est etec le Neant ne se neantise pas, le Neant >est neantise<« (58). Es gibt im Deutschen einfach kein Passiv für das Verbum >sein<. Darum hat schon Schelling auf das mittelalterliche >wesen< (das noch als Stamm im Perfekt >gewesen< überlebt) zurückgegriffen, wenn er sagen wollte, daß das Bewußtsein, selbst des unabhängigen Seins beraubt, soll es sich nicht in ein >gar nichts< (rien) auflösen, vom an-sich Seienden gleichsam gestützt und getragen werden muß. So wird es transitiv vom Sein >gewesen<, also in seinem Quasi-Sein unterhalten. 76
Schon in den Aphorismen Uber die Naturphilosophie (von 1806) hatte Schelling den pantheistischen Gedanken, daß Gott aktiv alle Kreatur mit seinem Sein durchwaltet, mit einer kühnen Transitiv-Formulierung von >sein< mit nachfolgendem Akkusativ wiederzugeben versucht. (Auch das wird Sartre wiederholen, wenn er etwa sagt >Ich habe nicht meinen Leib, ich bin mein Leib<.) Schelling schreibt: In dem Satz: A ist B, wird in der That nicht anderes ausgesagt als: A ist das E s s e (die Wesenheit) von B (welches insofern also für sich selbst n i c h t wäre; nun aber vermöge der Verknüpfung mit A i s t ) . Eben dieß ist der Sinn des Satzes: G o t t ist a l l e D i n g e , welcher lateinisch nicht sowohl durch est res als vielmehr (invita latinitate) durch est res cunctas
(SW I / 7 , 205, A n m .
cunctaey
ausgedrückt werden müßte
1).
Mehr findet sich zu diesem transitiven Seins-Sinn in Schellings Spätwerk, z. B. in der 10. und 1 1 . Vorlesung von seiner Philosophie der Offenbarung (SW II/3, 217 ff. [zum Sinn der Identität als substantieller] und bes. 227 ff.). Schelling vergleicht dort das Sein »im transitiven Sinn« (227; vgl. auch I I / 1 , 293) mit dem Vermögen oder Können von etwas. Im Arabischen werde das copulative >ist< eben so mit dem Akkusativ konstruiert, als sei es das Vermögen, die Potenz des von ihm Gewesenen. So sage der Araber nicht >homo est sapiens<, sondern gewissermaßen >homo est sapientem<. Und in dieser Nuance komme zum Ausdruck, daß der Mensch nicht ganz und gar und geradehin weise ist, sondern nur: daß er die Potenz, das Vermögen, die Möglichkeit dazu habe (während er in Wirklichkeit sehr selten weise angetroffen wird). - Genauso meint es Sartre: Das En-soi durchwaltet transitiv das Bewußtsein (welchem es ja an eigenem Sein gebricht) und verleiht ihm damit - metaphorisch gesprochen - jenes bißchen Sein oder Quasi-Sein, dessen es bedarf, um nicht geradezu das aller Potenz Beraubte, das gar nicht Seiende, also das rien oder otix öv zu sein. Die deutsche Sprache bietet unglücklicherweise keine vergleichbare Unterscheidung, wohl aber die griechische. Die Griechen differenzierten zwischen dem [if] öv und dem otix öv. Jenes ist 77
das verglichen mit einem emphatisch Seienden (komparativ) nicht Seiende, wie wenn ich auf die Frage >Wie war denn deine Klausur?< antworte: >Ach, die war nichts!<, wobei ich nicht meine, daß die Klausur gar und überhaupt nicht gewesen ist (also nicht stattgefunden hat) oder daß ich keine einzige Zeile zu Papier gebracht hätte, sondern dies: daß das Ergebnis verglichen mit dem Standard, an dem ich mich messe, >nichtig<, nämlich nicht der Rede wert war. In diesem Sinne verstehen wir Gottfried Kellers berühmte Verse: »Ein Tag kann eine Perle sein, / Und ein Jahrhundert nichts«, womit er nicht meint, daß hundert Jahre nicht abgelaufen sind, sondern daß sie nicht der Erwähnung wert sind. Oiw öv, gar nicht und in keinem Betracht seiend ist dagegen, was vergleichslos der Nichtigkeit verfällt: das, was ich bewußt bloß halluziniere: das Einhorn, das Matterhorn im Hörsaal, den viereckigen Kreis und den Himmel auf Erden. Schelling unterscheidet (gewiß, im Zusammenhang mit dem Gedanken der Schöpfung aus nichts aber das muß uns hier nicht interessieren), - ich sage: Schelling unterscheidet, besonders in seiner Darstellung des philosophischen Empirismus (aus einem Münchener Kolleg von 1836) sehr hilfreich - und ganz genau in Sartre Sinne, sogar mit der gleichen Worterklärung - zwischen dem Nichtseienden und dem nur nicht Seienden. Ich gebe Ihnen zwei größere Zitate, die fürs Verständnis der Sartreschen Neant-Konzeption von großer Hilfe sind: Ich mag von dem, was nicht in dem hervorragenden Sinne, wie das seiner B e w u ß t e , seyend ist, etwa des Ausdrucks mich bedienen, es sey g e g e n dieses oder verglichen mit ihm das nicht S e y e n d e , womit immer nur ein relatives nicht-Seyn ausgedrückt und gar wohl verträglich ist, daß eben dasselbe in sich selbst oder bloß mit sich selbst verglichen nicht nichts, sondern allerdings etwas - allerdings seyend ist. In d i e s e m S i n n haben griechische Philosophen von dem n?| öv auf eine Weise geredet, die manchen widersprechend schien, indem sie von dem nicht Seyenden doch als von einem irgendwie Seyenden reden. Die Erklärung dieses Widerspruchs ließ sich schon bei Plutarch finden, der in einer Stelle sagt: man müsse unterscheiden zwischen zwischen
e l v a i , nicht Seyn, und
öv e l v a i , nicht das Seyende seyn. Das nicht Seyende bei den
Griechen bezeichnet nur das, was nicht das Seyende ist, nämlich das in jenem hohen und vorzüglichen Sinn Seyende, es bezeichnet aber nicht das ganz und gar
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nicht Seyende. In diesem Sinn ist das Anerkenntniß, daß auch das nicht Seyende sey, einer der ersten Schritte zur wahren Erkenntniß (SW
I/io,
235).
( . . . ) 6 6 D a s otix öv aber ist das ganz und in jedem Sinn n i c h t Seyende, oder es ist das, von welchem nicht bloß die W i r k l i c h k e i t des Seyns, sondern auch das Seyn überhaupt, also auch die Möglichkeit geleugnet wird. Im ersten Sinn oder durch den Ausdruck
öv wird nur die P o s i t i o n , das wirkliche Setzen
des Seyns verneint - aber das, von dem es zu verneinen, muß doch auf gewisse Weise seyn. Im andern Sinn, durch den Ausdruck otix Öv, wird die Negation des
Seyns
bejaht
und selbst
gesetzt.
Daß darauf
wirklich
und
allgemein
der Unterschied jener beiden verneinenden Partikeln zurückkomme, glaube ich daraus schließen zu dürfen, daß bei Imperativen ausdrücklich das nfj gebraucht wird, also da, wo von etwas die Rede ist, das man noch vor sich hat, was nur nicht geschehen und folglich nicht gesetzt ist, aber geschehen kann. Wenn ich sage: thue das nicht, so heißt dieß nur so viel: lasse es nicht zur Position jener Handlung kommen; ich verneine also in der Seele des so Angeredeten nur die Position, die Wirklichkeit der Handlung, setze aber deren Möglichkeit voraus, denn sonst würde ich sie ihm nicht verbieten. Noch ein anderes Beispiel! Wenn jemand den Vorsatz zu einer Handlung, etwa zu einem Verbrechen gefaßt, ihn aber nicht ausgeführt hat, so würde ich gut griechisch bloß sagen können:
&t0(r|0e, denn er hat es nur nicht g e t h a n , nur die Ausführung, das wirkliche Geschehenseyn, die Position wird geleugnet; wenn aber ein Verbrechen begangen worden, und der Thäter zweifelhaft ist, wird man von dem, welcher auch nicht einmal den Vorsatz gefaßt hatte, wo also auch die Möglichkeit geleugnet wird, nothwendig sagen müssen: otix tnoir\ot. (. . .) Man könnte auch noch anführen, daß z. B. in der französischen / Sprache das Nichts im e i g e n t l i c h e n Sinn, das otix Öv, durch ein besonderes Wort (rien) ausgedrückt werde, das bloß nicht S e y e n d e aber durch ein anderes (le Neant). Wollte man aber demgemäß sagen, es sey eben zweifelhaft, in welchem Sinn die Schöpfung aus nichts gemeint sey, so antworte ich, daß dies nicht zweifelhaft sey, denn es kann ja beides richtig seyn, daß Gott die Welt aus nichts (de rien) geschaffen, und daß er sie aus dem nicht Seyenden (dem Neant) gezogen hat; ja nach der allgemein angenommenen Vorstellung ist beides richtig (SW * 8 3 - 5 ; vgl. H / i ,
I/io,
288 f. und 307 [ff.]).
66 Den folgenden Sätzen geht im Original voraus: »Die Grammatiker scheinen über den Unterschied dieser beiden negierenden Parikeln
öv und o(jx ö v ]
nicht völlig im Reinen zu sey; ich mußte, um denselben mir deutlich zu machen, doch zuletzt zu meinen philosophischen
Begriffen Zuflucht nehmen.
Diesen
gemäß will ich mich so erklären. Das nfj öv ist das nicht Seyende, das nur nicht seyend ist, von dem nur das wirklich seyend s e y n geleugnet wird, bei dem aber noch die Möglichkeit ist seyend zu seyn, das also, weil es das Seyn noch als Möglichkeit vor sich hat, das nicht S e y e n d e zwar ist, aber nicht so ist, daß es nicht das Seyende seyn könnte.«
79
Ich glaube, Schellings Erklärung ist wirklich luzide und von großer Hilfe für das Verständnis von Sartres Subjekt-Konzeption. Der Gedanke des Subjekts schließt bei Sartre ein Sein ein (Schelling würde sagen: ein Sein im vorzüglichen oder, wie er auch sagt, im emphatischen Sinn). Aber dieses Sein ist nicht des Subjekts eigenes. Das Subjekt ist eine ontisch unselbständige Größe, die dem Sein allerdings zum Erscheinen verhilft: also da Erscheinungen >Weisen zu sein< oder Quidditäten sind - zu einem Was, zu einem Wesen. Aber das Subjekt ist doch auch irgendwie - es nicht geradezu ein überhaupt nicht Seiendes; es ist nur nicht das Seiende selbst, sondern existiert als ekstatischer (intentionaler) Bezug aufs Seiende. Das Wie seines Seins (mit anderen Worten: seine Seinsweise) ist das vom En-soiSein-gewesen-Werden. Das Subjekt ist verglichen mit dem En-soi nichts; es ist aber nicht so nichts, daß es nicht auf eine gewisse Weise wäre. Und diese Weise - noch einmal - ist die des etre ete par PEn-soi. Wenn Ihre Geduld reicht (aber sie wird belohnt), möchte ich noch einmal Schelling das Wort geben, dessen späte Ontologie unter allen mir bekannten die stupendeste Ähnlichkeit mit der des frühen Sartre aufweist. Wie Sartre unterscheidet Schelling zwischen »verschiedenen Arten zu seyn« (SW I I / i , 288). Er erläutert das ganz anschaulich: denn eine andere Art zu seyn hat das Unorganische, eine andere das Organische, in dessen Umkreis wieder eine andere die Pflanze, eine andere das Thier. Wer fühlt aber nicht, daß diese Arten zu seyn unmöglich ursprüngliche seyn könnten? Anzunehmen ist vielmehr, daß diese durch Erfahrung gegebenen Arten, durch welche Mittelglieder immer, aber doch zuletzt sich ableiten von ursprünglichen, nicht mehr zufälligen, sondern zur Natur des S e y e n d e n selbst gehörigen Unterschieden desselben. Denn die Unterschiede stellen sich ja gleich der einfachen Beobachtung dar. Wer könnte z. B. sagen, daß das bloße reine S u b j e k t des Seyns nicht das Seyende sey, und müßte nicht vielmehr zugeben, daß eben dieses das erste dem Seyenden Mögliche sey, nämlich Subjekt zu seyn. Denn was immer Objekt, setzt das voraus, dem es Objekt ist. Zwar wenn Subjekt, so kann es nicht das in demselben Gedanken, oder, wie man zu sagen pflegt, zugleich, das heißt im aussaglichen Sinne seyende s e y n , es ist mit einer Beraubung gesetzt, aber nur einer bestimmten A r t des Seyns, nicht des Seyns überhaupt, denn wie könnte das ganz und gar Nichtseyende auch nur Subjekt seyn? Eine andere A r t des Seyns ist
80
die des Subjekts, eine andere die des Objekts; wenn wir nicht gern ungewöhnliche Ausdrücke vermieden, könnten wir jenes [mit Novalis] das bloß wesende nennen; auch wird manchen ungewohnt scheinen, wenn wir das eine als gegenständliches, das andere als urständliches Seyn bezeichnen; das aber wird man verstehen, wenn wir sagen, mit der einen Art sey das Seyende das bloße S i c h , mit der anderen das außer S i c h
seyende.
Eine Beraubung also ist mit dem bloßen Subjekt gesetzt; Beraubung aber ist keine unbedingte Verneinung, und schließt im Gegentheil immer eine Bejahung nur anderer Art in sich, wie wir dieß, wenn Zeit dazu ist, umständlicher zeigen werden [vgl. 307 ff.]; nicht S e y n (nf| e l v a i ) ist nicht N i c h t seyn (otix e l v a i ) , denn die griechische Sprache hat den Vortheil, die contradictorische und die bloß conträre Verneinung jede durch eine eigene Partikel ausdrücken zu
können.
Die bloße Beraubung des Seyns schließt seynkönnen nicht aus. Reines k ö n n e n , und als dieses mögen / wir das bloße Subjekt bestimmen, ist das N i c h t s e y n 0SW I I / i ,
288/9).
Und Schelling zitiert das IV. Buch der aristotelischen Metaphysik (IV, 4, 73, 1—3), wo das Övvä^si öv mit dem (J.r| öv identifiziert wird. Ein solches nur dem Können nach Seiendes ist das Sartresche Subjekt. Es ist - Schellingisch gesprochen - zwar des En-soi-Seins beraubt, darum doch aber nicht in existent, also ohne allen Bezug zur Existenz. Es bezieht sich, selbst ledig alles etre en-soi, aufs En-soi als auf das, das ihm - als Potenz (als Idealgrund) des Seins - zu >wesen< gestattet. So ist das Sein der Art nach toto coelo vom Bewußtsein unterschieden, mit ihm in keinem Punkt gleich - sein Seinsgrund. Und indem sich das Bewußtsein aufs Sein bezieht (und so vor dem Untergang in Rien schützt), macht es das Sein erscheinend, also erkennbar. Darum ist es, obwohl ontisch unselbständig, dennoch der Ideal- oder Erkenntnisgrund des En-soi. Oder: es ist durch das Bewußtsein, daß dem Sein, das an ihm selbst bewußtseinsabgewandt existiert, äußerlich die Erkennbarkeit (Heidegger würde sagen: die Erschlossenheit, die Verständlichkeit) widerfährt. - Darin ist übrigens eingeschlossen, daß das Bewußtsein als Subjekt des Seins diesem gegenüber selbständig ist. Dies, daß es leer oder substanzlos oder neant ist, dies geschieht ihm nicht durchs Sein (wie wäre das auch möglich, da das Sein reine Position, reine Positivität und Fülle ist); sondern dies ist sein eigenes Werk (und, wie sich später zeigt, der Seinsgrund seines 81
Freiseins). Darum fährt das Zitat, das ich vorhin durch den terminologischen Exkurs in Schellings Spätwerk unterbrochen habe, so fort (ich nehme den letzten Satz noch einmal auf): Le Neant n'est pas, le Neant »est ete«; »est neantise«.
le Neant ne se neantise pas, le Neant
Reste donc qu'il doit exister un Etre - qui ne saurait etre P E n - s o i
- et qui a pour propriete de neantiser le Neant, de le supporter de son etre, de l'etayer perpetuellement de son existence meme, un etre par quoi le neant aux choses.
vient
Mais comment cet Etre doit-il etre par rapport au Neant pour que,
par lui, le Neant vienne aux choses? Ii faut observer d'abord que l'etre envisage ne peut / etre passif par rapport au Neant: il ne peut le recevoir; le Neant ne pourrait venir
ä cet etre, sinon par un autre Etre - ce qui nous renverrait ä l'infini. Mais,
d'autre part, l'Etre par qui le Neant vient au monde ne peut produire
le Neant en
demeurant indifferent ä cette production, comme la cause stoicienne qui produit son effet sans s'alterer. II serait inconcevable qu'un Etre qui est pleine positivite maintienne et cree hors de soi un Neant d'etre transcendant, car il n ' y aurait rien en l'Etre par quoi l'Etre puisse se depasser vers le N o n - E t r e . L'Etre par qui le Neant arrive dans le monde doit neantiser le Neant dans son Etre et, meme ainsi, il courrait encore le risque d'etablir le Neant c o m m e un transcendant au coeur meme de l'immanence, s'il ne neantisait le Neant dans son etre ä propos etre.
de son
L'Etre par qui le Neant arrive dans le monde est un etre en qui, dans son
Etre, il est question du Neant de son Etre: l'etre
monde
doit etre son propre
neantisant,
qui
requerrait
Neant.
ä son
tour
par
qui le Neant
vient
au
Et par lä il faut entendre non un acte un fondement dans l'Etre,
mais
une
caracteristique ontologique de l'Etre requis. Reste ä savoir dans quelle region delicate et exquise de l'Etre nous rencontrerons l'Etre qui est son propre Neant cEN
58/9).
Lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen durch Sartres zahlreiche äquivoke Verwendungen des Ausdrucks >Etre< (der bald für eine Seinsweise, ein Wesen, ein Seiendes, bald die Wirklichkeit insgesamt, bald für das En-soi einsteht). Was der Passus besagen will, ist trotzdem deutlich. Das Neant kann natürlich nicht das Werk des En-soi sein. Erstens ist das En-soi toto coelo vom Neant unterschieden (sie sind von einander so radikal und verbindungslos geschieden wie bei Kant Sinnlichkeit und Verstand). Andererseits könnte eine reine Seinsfülle nicht den Seinsmangel erschaffen. Trotzdem redet Sartre von einem >Sein< (oder besser: einem Seienden), durch das das Nichts in die Welt kommt. Und dieses Seiende, auf das uns der Schluß-Satz neugierig machen will, ist natürlich das Subjekt (später Pour-soi 82
genannt). Es ist das Subjekt, durch welches das Nichts in der Welt auftaucht. Mithin ist das Nichts ein Struktur-Element des Selbstbewußtseins und hat ihm gegenüber keine selbständige Existenz (wie das vom En-soi der Fall ist). Aber auf noch etwas müssen wir achten: dasjenige Seiende, durch welches das Nichts in die (oder auf die) Welt kommt - also das Subjekt - »muß [sagt Sartre] sein eigenes Nichts sein«. Das klingt auf Anhieb unverständlich. Es ergibt sich aber logisch, mithin als Konsequenz aus der Einsicht, daß - wenn es nur die beiden SeinsTypen des En-soi und des Pour-soi gibt, keinen dritten, und wenn das En-soi nicht sein Grund sein könnte - das Nichts nur durch das Subjekt selbst in die Welt kommen könnte. Und dann wird die relative Nichtigkeit des Subjekts - Schelling würde sagen: die Tatsache, daß er nicht das Seiende selbst ist sein eigenes Werk sein müssen. Anders gesagt: das Subjekt bestimmt sich selbst, nicht zu sein (also ein >neant de son propre etre< zu sein) oder - denn das ist nur ein anderer Ausdruck für dieselbe Sache - als intentionaler Bezug aufs En-soi zu existieren (und ganz wörtlich zu ek-sistieren: also aus sich heraus zu stehen, ekstatisch aufs Sein hin geöffnet zu sein). Und diese Selbstnichtung und Selbstentschlagung, diese selbstgewirkte Seins-Beraubung ist der Keim von des Subjekts Freiheit: übrigens für Sartre nicht minder wie für den anderen großen Freiheits-Theoretiker der Tradition, für Schelling. (Sie erinnern sich an dessen schöne und plastische Formulierung, daß das Subjekt sein Sein darin habe, nicht sich, sondern außer sich zu sein. Schelling sagt anderswo auch genau wie Sartre, es sei das Wesen des urständlichen, also des ungegenständlichen Subjekts, >das Nichts seiner selbst< zu sein [Pos. Ph. 423].) Schon früher, im Kapitel über das präreflexive cogito, hatte Sartre diesen Zug des Sich-selbst-Bestimmens (als ontologischen Vorboten der später als Freiheit sich enthüllenden Struktur) hervorgehoben. Ganz verständlich wird er nur dem, der Sartres Selbstbewußtseins-Philosophie vor Augen hat, so wie sie sich in den Frühschriften seit La Transcendance de l'Ego und besonders in Conscience de soi et connaissance de soi ausspricht. 83
Soviel ist Ihnen aber zweifellos noch in Erinnerung: Bei dem dialektischen Kampf um (den Vorrang an) Selbstständigkeit, der zwischen dem En-soi und dem Subjekt hin- und herging, schien das Subjekt mit der These sich zunächst durchzusetzen, daß nur in ihm ein Sein angetroffen werde, das nicht mehr durch eine Erscheinung-für-anderes vermittelt sei. In der Welt mag gelten, daß >Sein = Erkannt-Werden< (Berkeleys >esse est percipi<) (denn wie sollte vom Sein gehandelt werden, wenn Sein gar kein möglicher Gegenstand einer Erkenntnis wäre)? Im Subjekt sind Sein und Sich-erschlossen-Sein ein und dasselbe. Und vom Subjekt - und nur vom Subjekt - gilt, daß in ihm das Sein sein Maß am Bewußtsein hat. Das meint, daß es genügt, Bewußtsein vom eigenen Verliebtsein zu haben, um wirklich verliebt zu sein; und es genügt, Bewußtsein von Lust zu verspüren, um wirklich Lust zu haben. Sartre schreibt im Kapitel über >das präreflexive Cogito und das Sein des perciperec II n'a pas
(. . .) d'abord
une conscience qui recevrait ensuite
une affection
»plaisir«, comme une eau qu'on colore, qu'il n'y a d'abord un plaisir (inconscient ou psychologique) que recevrait ensuite la qualite de conscient, comme un faisceau de lumiere. Ii y a un etre indivisible, indissoluble - non point une substance soutenant ses qualites comme de moindre etre, mais un etre qui est existence de part en part. Le plaisir est Petre de la conscience (de) soi et la conscience (de) soi est la loi d'etre du plaisir. C'est ce qu'exprime fort bien Heidegger, lorsqu'il ecrit (en parlant du »Dasein«, ä vrai dire, non de la conscience): »Le (essentia)
>comment<
de cet etre doit, pour autant qu'il est possible en general d'en parier,
etre conqu ä partir de son etre (existentia)«
(21).
Natürlich würde Heidegger sich verbitten, daß Sartre hier seine Rede von >Existenz< mit der scholastischen verwechselt, in der >existentia< quodditas (Daß-Sein) meint. Und er würde sich auch ganz entstellend zitiert fühlen, wenn Sartre dies Zitat 1. in einen Selbstbewußtseinskontext versetzt (aus dem Heidegger es gerade heraushalten wollte), und wenn Sartre 2. seine These vom Vorrang der Existenz (des Daß-Seins) vor der Essenz (dem Was-Sein) benützen will, um die Freiheit des Subjekts zu erklären. (Sartres ihm unbewußtes, aber wirkliches Vorbild ist hier wie oft Schelling, der Freiheit als die Unabhängigkeit des 84
Wesens vom Daß verstanden hat und der von des Subjekts »Freiheit gegen das eigene Sein« spricht [Pos. Ph. 443]; auch sagt er: »Der Mensch muß von seinem Seyn sich losreissen, um ein freies Seyn anzufangen. [. . .] Sich von sich selbst befreien, ist die Aufgabe aller Bildung« 67 - aber das ist jetzt nicht unser Thema.) Kehren wir vielmehr in unseren eigenen Zusammenhang zurück: Sartre sagt hier,- daß das Sein und das Seins-Bewußtsein in der >conscience (de) soi< untrennbar verbunden sind. Dennoch unterscheidet er zwei Momente: die Lust als Sewfsmoment] des Bewußtseins und ein formales Element, das er >das Gesetz des Seins der Lust< nennt: offenbar die Bewußtseinskomponente. So wird er später (EN 126) das >neant neantise< im Selbstbewußtsein vom >pouvoir neantisant< unterscheiden; jenes wäre sozusagen das Objekt-Moment, dieses die Subjekt-Seite des Selbstbewußtseins, obwohl (wie wir uns erinnnern) Sartre die Eintragung einer Subjekt-ObjektDifferenz ins präreflexive Selbstbewußtsein zwei Seiten früher (19) streng abgewiesen hatte. Darauf wäre - bei der Freilegung der Mikro-Struktur von Sartres >Selbstbewußtsein< - noch genauer zurückzukommen. Ich muß mich mit dem Nachweis begnügen, daß Sartre in der Abhängigkeit des Seins vom Bewußtsein (innerhalb des präreflexiven Cogito) die Spur seiner künftigen Freiheit (und übrigens auch seiner Zeitlichkeit) erblickt: Im Selbstbewußtsein bestimmt das (nichtende) FormMoment das vergleichsweise materielle (das genichtete) Moment, es gibt so etwas wie Selbstbestimmung im Bewußtsein (»cette determination de soi par soi« [22]). Drastisch ausgedrückt (und so gewißt auf Dauer nicht haltbar): das Bewußtsein wählt frei, als was (unter welchem Inhalt) es existieren möchte: ob als Lust, ob als Schmerz - denn die strenge gläserne Selbstbezüglichkeit des Cogito schließt aus, daß da ein ihm Äußeres ins Spiel käme, von dem es Bestimmungen erführe. So 67 In: Philosophie
der Offenbarung
Manfred Frank, Frankfurt a. M.
1841/42
( - Paulus-Nachschrift), hg. von
1977; vgl. weitere Zitate in der Einleitung,
66:.
85
nichtet das Bewußtsein sein eigenes Sein, aber in der Weise, darauf bewußt als auf seinen immanenten Inhalt bezogen zu sein: als das, was es selbst nicht ist (oder: als das, was es sich bestimmt, selbst nicht zu sein) und wovon es apodiktisches Bewußtsein hat. - Diese (jetzt noch undurchsichtigte) Struktur der inneren Selbst-Negation (an der aber seine Autonomie und Selbständigkeit gegenüber dem Sein hängt) macht dann für Sartre erneut einen Anschluß an Heidegger möglich. Heidegger sagt ja, das Dasein sei dasjenige Seiende, dem es in seinem Sein um sein Sein geht. Das übersetzt Sartre so: »la conscience est un etre lequel il est dans son etre question de son etre« (29). Und das versteht Sartre so: das Subjekt ist das sich selbst radikal fragliche Wesen: denn seine Seinsauszeichnung ist dies, daß es sein eigenes Sein in Frage stellt, d. h. sich nichtet. Und genau darin besteht seine Autonomie gegenüber dem En-soi, von dem es gleichwohl ontisch abhängt. (Käme ihm nämlich selbst substantielles Sein zu, dann würde es unabhängig von seinem Gegenstand existieren können68 - genau das kann es aber nicht: es ist immer nur ein - präreflexiv mit sich selbst bekanntes - Bewußtsein von etwas, das normalerweise nicht es selbst, also nicht sein eigener vergegenständlichter Reflex selbst, ist.) Hier deutet sich eine Spannung an in Sartres Konzeption des Selbstbewußtseins. Wir müssen sie kurz ins Auge fassen, bevor der nächste Schritt einsichtig wird. Dieser nächste Schritt müßte darin bestehen zu zeigen, daß sich das Bewußtsein über sich selbst täuschen kann. Es prätendiert dann, etwas über sich zu glauben, von dem es doch wissen können sollte, daß es diesen Glauben über sich nicht hat. Man könnte ihm dann aufs Gesicht zu sagen: >Das glaubst du doch wohl selber nicht!< Diese >Schlechtgläubigkeit< heißt >mauvaise foi< (EN 85 ff.). Normalerweise wird der Ausdruck durch >Unaufrichtigkeit< übersetzt, obwohl das Phänomen damit einen moralischen Anstrich bekommt, der Sartres streng phänomenbezogene 68 Vgl. Gerhard Seel, I.e., 17 u. 0
86
Analyse eher verstellt. Da Sartre Freuds Unbewußtes als eine >Mythologie< ablehnt, nicht aber die psychischen oder behavioralen Phänomene leugnet, aufgrund deren Freud die Hypothese eines Unbewußten aufgestellt hatte, dient ihm die Analyse der >mauvaise foi< als Alternative zur Erklärung von Phänomenen wie Verdrängung und Verleugnung. Eine durchgeführte »existentielle Psychoanalyse< (die Sartre merkwürdigerweise ganz an den Schluß seines Buches gesetzt hat) knüpft hieran an. Zunächst eine Illustration des Phänomens - dann ein Hinweis auf ein theoretisches Problem, das in Sartres Theorie aus Anlaß ihrer Analyse aufbricht. Sartre erzählt uns die Geschichte eines Paares, eines Manns und einer Frau, die in einem Park Spazierengehen. Beide haben den Kopf voller sublimer Gedanken und entzücken sich an den Blumenrabatten, am Duft der Linden, an einem herrlichen Konzert, das sie gehört haben, an allem Romantischen und Lyrischen, das in der Luft liegt. Nur ein Inhalt wird von ihrem Bewußtsein ausgeschlossen oder einfach nicht realisiert: der der Verliebtheit oder des aufkommenden Begehrens. So geht es eine Weile, aber nun ergreift der Mann die Hand der Frau, nehmen wir an: sanft und kaum merklich. Und sie bestimmt nun ihr Bewußtsein, diese Veränderung einfach nicht zu registrieren, obwohl ihr Herz stärker schlägt und sie größere Mühe hat, den romantischen Diskurs mit scheinbarer Unbefangenheit fortzusetzen. Die Hand löst sich in ihrem Geist von ihrem Körper ab, es ist nicht die ihre, sie ruht wie ein Stück Materie bedeutungslos in einem anderen sie anonym umschließenden Material usw. Kurz: diese Frau glaubt selbst nicht, was sie sich da zu glauben einredet. Sie praktiziert die >Schlechtgläubigkeit< oder »mauvaise foi<. Wie oft bei Sartre ist das Beispiel schlagend. Es erklärt eine Verdrängungs-Leistung (eine in diesem Stadium wahrscheinlich harmlose, wir tun dergleichen dauernd und überall) nicht aus einem magisch wirkenden Unbewußten, sondern eben aus der Autonomie des Bewußtseins, wie wir sie gerade kennengelernt hatten. Die mauvaise foi ist das Werk einer Strategie des Bewußtseins, das eine ihm aktuell schwer verkraftbare Intenten87
tion sich entschließt, aus sich auszugliedern. Aber gerade dieser Ausgliederungs-Versuch ist strategisch. Er käme gar nicht zustande, bestünde nicht ein sich selbst durchsichtiges Bewußtsein der Situation, auf die das Bewußtsein sinnvoll - ich meine: auf eine gewisse Weise zweckmäßig - reagiert. Anders gesagt: damit dieses angeblich unbewußte (oder vorbewußte) Weltding mich ängstigen oder verstören konnte, mußte ich es als eines zuvor schon kennen, mit dem ich ein unliebsames oder meine Selbstdeutung bedrohendes Erlebnis verbinde: denn an sich oder von selbst haben Episoden, Dinge, Ereignisse nicht den Charakter, den ihnen mein Verhalten ihnen gegenüber verleiht. So kann gerade an solcherlei Phänomenen Sartre sehr einleuchtend machen, wie weit die Erklärungs-Kraft seiner These reicht, daß das Bewußtsein immer sich selbst transparent ist. Nun aber trifft Sartre auf ein theoretisches Problem. Um den (ich sage mal sehr unsartreanisch: psychischen) Mechanismus der Unaufrichtigkeit auszulösen, mußte das Bewußtsein irreflexiv mit sich bekannt sein. (Sonst würde es sich selbst bzw. den Reflexionen, durch die es seine unmittelbare Selbstvertrautheit umstellt und verstellt - nicht zurufen können: >Aber das glaubst du
ja selbst nicht.<) Nun wissen wir, daß die Irreflexivität des Bewußtseins - an der theoretisch so überaus starkes Gewicht hängt: Sartres These von Leerheit, Substanzlosigkeit, Transzendenz des Bewußtseins, seine ontische Abhängigkeit vom Intentional-Objekt, damit verbunden die Widerlegung des Idealismus usw. - ich sage: die These der Präreflexivität des Bewußtseins hängt an der anderen, daß es in ihm keinerlei Relation, vor allem kein Subjekt-ObjektGegensatz aufkommen kann. Dagegen scheint die schöne Illustration der mauvaise foi zu fordern, daß das Bewußtsein sich in gewissem Sinne über sich selbst täuschen kann. Und das setzt wiederum voraus, daß hier zwei im Spiel sind: ein Täuschender und ein Getäuschter. Wir konnten diese Konsequenz auch schon aus einem anderen Grunde vermuten: In dem Augenblick, da Sartre seine Beschreibung der Struktur des präreflexiven, ir-relationalen, 88
also schlechterdings un-mittelbaren Bewußtseins ersetzt durch Heideggers Formel vom >Dasein, dem es in seinem Sein um sein Sein zu tun ist<, wählt er eine Formulierung, in der das Dasein sich mittelbar zu sich verhält. Da sind gleichsam zwei: ein Subjekt, dem es zu tun ist, und ein vergegenständlichtes anderes Subjekt, um dessen Sein es dem ersten zu tun ist: die klassische Figur der von Sartre zunächst mal abgewiesenen Reflexion. Ich könnte sie bei Heidegger noch gründlicher belegen; aber das ist im Augenblick nicht mein Belang. Wichtig ist, daß Sartre - und jetzt müssen wir uns seiner meontologischen Deutung des Selbstbewußtseins wieder besinnen - das >Zu-tun-Sein-umsein-eigenes-Sein< im Französischen wiedergibt durch ein >Sichselbst-in-Fragen-Stellen<. Ich gebe ein Zitat für viele. Heidegger ( . . . )
dit de l'homme (. . .) et non pas de la conscience (. . .):
l'homme, dit-il (et nous dirons la conscience non-thetique), est un etre dont la caracteristique d'etre est qu'il est en son etre question de son etre: formule un peu compliquee, mais qu'on peut tres bien comprendre. En realite, il est question de l'etre de la conscience. Dan son etre, l'etre de la conscience n'est pas de recevoir du dehors ce qu'elle est; c'est presicement d'etre toujours question sur son etre. Nous verrons, en effet, que, en meme temps que la conscience est plaisir, la conscience est presque une sorte d'interrogation ontologique sur le plaisir. C'est toujours un plaisir qui pose une question sur lui, un plaisir en question.
La conscience est donc plaisir en question, joie en
question, profondeur, clarte, securite, bonne foi, mauvaise foi en question, avec cette totale responsabilite qui lui incombe du fait qu'elle seule decide du degre de clarte, ou de mauvaise foi, ou de bonne foi, oü eile se trouve ( C C 66/7).
Wir beobachten hier ein signifikantes Abdriften des Ausgangsgedankens. Sartre hatte gesagt, daß das Bewußtsein - eben wegen seiner transzendentalen Unabhängigkeit vom En-soi autonom heißen darf. Das bedeutet dann, daß es sich selbst bestimmt: Lorsqu'il s'agit d'une realite qui decide d'elle-meme de ce qu'elle est, puisque la conscience de plaisir decide du degre, de la nature du plaisir, precisement parce que le plaisir n'est rien d'autre que le conscience qu'on en prend, il se trouve evidemment que la conscience decide ä chaque instant d'elle-meme par sa simple structure d'etre de ce qu'elle est (I.e., 66).
89
Man könnte mildernd einwenden, daß die Rede von der Entscheidung im vorreflexiven Feld des reinen transzendentalen Bewußtseins eine Metapher oder eine Hyperbel ist. Gut: sie hat dennoch die klassische Struktur der Reflexion. Es gibt da eines (das relativ seinsnähere Moment im Bewußtsein, wenn ich so reden darf), das entscheidet über die Art und Weise seines SichErscheinens (also über sein Wesen). Oder noch anders: auf der Basis eines unvordenklichen Seins entscheidet das Subjekt über seine Seinsz^e/se. Und genau das ist Sartres Gedanke, wenn er in diesen Zusammenhang die alte Formel wieder einbringt, wonach das Sein dem Wesen vorausgehe (I.e., 67). Und diese Formel legt er nun so aus: Autrement dit, l'existence-precede-l'essence, est une caracteristique interne de la conscience non-thetique. Mais puisque precisement il y a une question qui fait vraiment partie de Petre de la conscience,
puisque Petre de la conscience, c'est etre perpetuellement en
question, question ontologique si je puis dire, question qui fait que la dependance de ce qu'elle est est en eile, nous voyons que la conscience n'est pas ce qu'on dit trop souvent, n'est pas simplement soi. O n ne peut pas dire que la conscience de soi ait comme caracteristique d'etre simplement soi (I.e.).
Von hier ist es nur ein Schritt zu der - im Kapitel über die mauvaise foi zuerst auftauchenden, Hegels >Zeit<-Definition entnommenen - Rede von des Bewußtseins Sein-was-es-nichtist und Nicht-Sein-was-es ist (EN 1 1 1 ) . Jetzt verstehen wir, daß die gleichzeitige Unmittelbarkeit und Nichtshaftigkeit des Bewußtseins sich schlecht vertragen. Nach der ersteren wäre es einstelliges, unartikuliertes Vertrautsein (nicht einmal mit sich, darum setzt Sartre in der Formel »conscience [de] soi< das >de< in Klammern). Nach der zweiten ist es nicht nur paarig - es gibt ein nichtendes Formmoment und ein genichtetes Materialmoment (120, 126) sondern insbesondere in einem permanenten reflexiven Selbstwiderspruch. Seine Selbstbestimmung, als über das Neant vermittelt, verurteilt es dazu, als ein negatives Selbstverhältnis zu existieren. Und das heißt: nie mit seinem Sein zusammenzufallen. Das Bewußtsein ist vielmehr, was es nicht ist, und ist nicht das, was 90
es ist ( C C 71,2). So nimmt die Formel >die Existenz geht dem Wesen voraus< - angewandt aufs präreflexive Cogito - nun die folgende unerwartete Wendung an: L'examen
de la conscience non-thetique
revele un certain d'etre que
nous
nommerons: existence. L'existence est distance ä soi, decalage. L'existant est ce qu'il n'est pas et n'est pas ce qu'il est. II se »neantise«. II n'est pas coincidence avec soi, mais il est pour-soi
(I.e., 50, 2.).
Hier ist nicht der Ort, diese Struktur der negativen Selbstreflexion genauer zu untersuchen und zu entwickeln, um sie dann prüfend zu halten an die ursprüngliche Bestimmung von des Selbstbewußtseins interner Irreflexivität und Beziehungslosigkeit (die ihm ja allein das Attribut >unmittelbar< und »unbed i n g t selbst >absolut< einbringen konnte). Wohl aber können wir das Motiv für Sartres augenscheinlichen Selbstwiderspruch erraten. (Es ähnelt wieder bis in die Details der Relation von unbedingter Einheit und zeitlicher Differenzierung des absoluten Subjekts bei Schelling.) Sartre möchte mit dem Ausgang vom Subjekt nicht - wie die cartesianische und die idealistische Philosophie - in die Falle des >Instantaneismus< geraten. Damit ist die Zeitlosigkeit des Selbstbewußtseins gemeint. Das Selbstbewußtsein soll vielmehr zeitlich sein oder doch wenigstens die Struktur der Zeitlichkeit aus sich verständlich machen. Nun gilt für die Zeit, daß sie - anders als die erste Bestimmung des präreflexiven Cogito - offensichtlich nach Vor und Nach, womöglich gar nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gegliedert ist. Diese Gliederung nun ist nicht einfach eine Zerstückelung. Sartre sagt sehr treffend: »Si donc le temps est Separation, du moins / est-il une Separation d'un type special: une division qui reunit« (EN 176/7). Dann fragt sich natürlich bei der Anlage von Sartres Selbstbewußtseins-Theorie sogleich: welche Instanz könnte diese Einigung besorgen? Sicher nicht der negative Selbst-Bezug, denn der bringt ja gerade eine Selbst-Anfechtung, ein Identitäts-Dementi mit sich. Außerdem hat Sartre, wie wir sahen, den Titel »Identität« an die Seinsweise des En-soi verschenkt, kann sich also 9i
seiner nicht bedienen, um die innere Zugleich-Einheitlichkeitund-Gegliedertheit des zeitlich strömenden Bewußtseins zu charakterisieren. Dennoch bedarf auch das Bewußtsein einer gewissen Einheit, um dem Zeitfluß Kontinuität (also Einheit im Wechsel) zu verleihen. Und um deretwillen hält Sartre auch wieder an der Bestimmung des Bewußtseins als indistinker Einheit zweier Momente fest, die er später >reflet< und >refletant< nennt. 69
69 Ich
habe das ausgeführt in meinem
Pfullingen
92
1990.
opuscula-Bändchen
Zeitbewußtainy
Einleitung Schellings Name hat unter Marxisten rechten Glaubens keinen guten Klang. Der Ruf des Reaktionärs klebt dem früheren Sympathisanten mit dem Jakobinertum in ihrer maßgeblichen Philosophiegeschichtsschreibung ebenso hartnäckig an wie der Pomadentopf den Versen des Euripides in der aristophanischen Komödie. 1 Nimmt man die Rüge ernst, so fehlt ihr doch viel zu einem Argument. Als Zeitgenossin einer komplexen historischen Wirklichkeit spiegelt Schellings Philosophie die Tendenzen - auch >progressive< - ihrer Epoche wider. Hatte sie darum nicht gleiches Recht mit Hegel auf die Engelssche Unterscheidung ihres »relativen Konservatismus< von dem »absolut revolutionären Charakter< 2 , den sie, wie die Rezeptionsgeschichte beweist, gleichsam wider persönliches Wollen, als ein Allgemeines in sich verbarg? Wir danken dem dialektischen Materialismus die Einsicht, daß historische Prozesse jederzeit das individuelle Bewußtsein des Handelnden übertreffen. Warum sollte gerade Schellings historische Leistung in ihrem privaten Konservatismus sich erschöpfen? - Übrigens scheint es nicht sinnvoll, den Grad der Schellingschen »Justifikation dessen, was da ist«3, an der komparativen Fortschrittlichkeit Hegels zu messen. Der Vergleich mit dem überlegenen politischen Bewußtsein des Freundes 4 sucht eine Auseinandersetzung ins Private abzudrängen, bei 1 Frösche, V . 1 1 9 7 ff. 2 Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie. In: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, hg. vom Institut
für Marxismus-Leninismus
beim
ZK
der S E D ,
Berlin
1956
ff.,
Bd. 2 1 , 2 6 7 / 8 . 3 Heinrich H e i n e , Beiträge
zur deutschen
Ideologie,
hg. von H a n s M a y e r ,
Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1971, 181. 4 Noch immer w ü r d e ein solcher Vergleich der noch zu leistenden gehenden
Aufarbeitung
und
Ausdeutung
der Quellen
vorgreifen,
eindie
-
wenigstens w a s Schelling b e t r i f f t - durchaus noch nicht k o m p l e t t erschlossen sind. 93
deren Beurteilung nur das philosophische Potential den Ausschlag geben darf. Auf dieser Ebene schwindet die Differenz beider voneinander zur Unerheblichkeit gegenüber dem Fortschritt, den Marx über beide glaubte errungen zu haben. Schließlich wissen wir, daß sowohl Feuerbach wie auch Marx wesentliche Argumente ihrer Hegelkritik - und zwar solche, die seither mit ihrem Namen verbunden geblieben sind von Schelling übernommen haben. Im Unterschied zur Mehrzahl ihrer Nachfolger waren sie sich dessen - wenn auch zuweilen ungern - bewußt. Man muß überdies sehen, daß die frühe, besonders die Engelssche Polemik gegen Schelling fast durchweg im Namen und zur Verteidigung Hegels geschah. Sie kann darum nicht schon für eine Artikulation des seiner selbst bewußt gewordenen dialektischen Materialismus angesehen werden. Die westliche Schellingforschung bietet kein vergleichbar einheitliches Bild. Glücklicherweise gehört auch bei uns die Stilisierung Hölderlins zu einer Mimose edler, weil apolitischer Innerlichkeit ebenso der Vergangenheit an wie die Entstellung des Schellingschen Ansatzes zu einem natur- und kunstfrohen Klassizismus. Die Vielfalt von Aspekten, unter denen sich sein Werk betrachten ließ, spiegelt sich in einer Fülle von Interpretationen verschiedenster Ausrichtung. 5 Einige Versuche nehmen ihn als Denker der Geschichtlichkeit in Anspruch, der ein wesentliches Wahrheitsmoment des Marxismus vorweggenommen habe. 6 Wir pflichten dieser These bei, möchten allerdings darauf aufmerksam machen, daß es 5 Einen
guten
Oberblick
über
die
Forschungssituation
graphie von Hans Jörg Sandkühler, Friedrich
Wilhelm
gibt
die
Joseph
Biblio-
Schelling,
Stuttgart 1 9 7 ° -
6 So exemplarisch
Jürgen Habermas, Dialektischer
Idealismus
im
Über-
gang zum Materialismus - Geschichtsphilosophische Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction Gottes. In: Theorie und Praxis, Frankfurt/Main
197*.
Vgl.
neuerdings
die etwas oberflächliche, aber
anregende Arbeit von Friedrich W . Schmidt, Zum bei Schelling
und Hegel,
graphie von S a n d k ü h l e r .
94
Begriff
der
vielfach Negativität
Stuttgart 1 9 7 1 . Weitere Auskünfte gibt die B i b l i o -
gerade Argumente aus Schellings Auseinandersetzung mit Hegels Logik gewesen sind, die der Dialektik der Marxisten zu einer materialistischen Fundierung verholfen haben. 7 Die Bedeutung, die ihnen für die Selbstkonstitution des Feuerbachschen, aber auch des Marxschen Denkens zukommt, ist wenn überhaupt - nur beiläufig gewürdigt worden. Es gibt auch bis zur Stunde keine wirklich befriedigende philosophische Rekonstruktion des Dialogs, der nach Hölderlins Verstummen - wie immer indirekt - zwischen Schelling und Hegel stattgefunden hat. Dergleichen läßt sich freilich nur in Angriff nehmen, wenn Kriterien zur Verfügung stehen, die die Divergenzen der beiden Systemtypen von der Basis eines grundsätzlichen Konsensus sich abheben lassen. Der Rekonstruktion dieses philosophischen Dialogs und dem Aufweis historischer Nahtstellen der Schellingschen mit der Feuerbach-Marxschen Kritik an Hegel ist unsere Arbeit gewidmet. Übrigens glauben wir, daß ein Teil besonders der westlichen Forschung in konsequenter Ausrichtung auf Geschichtlichkeit und Praxis die wesentliche Dimension, in der sich das Marxsche Denken bewegt, wiedergewonnen hat. Eine Gefahr sehen wir allerdings in der Tendenz zur totalen Reduktion der Natur auf die sie aneignende und verwandelnde Arbeit und auf die solcherart vermittelten historischen Prozesse. Die naturhafte Grundlage von Praxis (die, Marx zufolge, eine »sinnliches »gegenständliche Tätigkeit bleibt) wird buchstäblich dadurch zur Verdunstung und Ätherisierung getrieben, daß man zeigt, sie entferne sich im Verlauf der Bearbeitung immer mehr von jener und löse sich endlich in einen leeren Allgemeinbegriff wie Geschichte, Praxis oder Struktur auf. 7 Das
übersehen
selbst
neuere
Arbeiten
zu
Hegel
geschichte seiner D i a l e k t i k wie Werner Becker, Hegels
und das Prinzip sehe Dialektik,
des Idealismus,
und Begriff
zur
Wirkungs-
der
Dialektik
Stuttgart 1969; Andries Sarlemijn,
Hegel-
Berlin 1 9 7 1 , sowie H a n s Friedrich F u l d a und Dieter Henrich
(Hg.), Materialien
zu Hegels
>Phänomenologie
des Geistes,
Frankfurt/
Main 1973, 7 - 4 1 .
95
Dieser Rationalisierungsakt, der nicht nur blind ist gegen seine Komplizenschaft mit den Medianismen der bürgerlichen Gesellschaften, sondern auch eine traditionsreiche Berührungsangst neuzeitlichen Denkens vor der Materie zum Ausdruck bringt, steht in der Nachfolge der Hegeischen Logik: Das Sein, nur scheinbar die Basis des Prozesses, hebt sich ins Wesen auf; aber nicht nur in dem Maße, wie es bestimmbar ist (esse apparens), sondern gleichsam mit Haut und Haar, und wird ein am Wesen selbst bestehender Schein. Solche Destillation des puren Gedankens aus der Trübheit des Seins steht in genauem Zusammenhang mit der frühkapitalistischen Autonomisierung des Mittels gegenüber seinem Ursprung wie seinem Zweck.8 »D'une mani^re ou d'une autre«, sagt Sartre, »le bourgeois fait fonction d'intermediaire entre le producteur et le consommateur, il est le moyen terme eleve a la toutepuissance. ( . . . ) Comme le bourgeois n'a de rapport avec les forces naturelles que par personnes interposees (...)> il a . . . choisi de donner la premiere importance au moyen.« 9 8 Tendenziell beherrscht diese I d e o l o g i e selbst weite R e g i o n e n nannten »klassischen Marxismus«. J ü r g e n H a b e r m a s (Erkenntnis esse, F f m . 1970*, 59 ff.) und neuerdings A l f r e d Schmidt
Sinnlichkeit.
Ludwig
Feuerbachs
anthropologischer
des und
Inter-
(Emanzipatorische
Materialismus,
chen 1 9 7 3 , 30 ff ) haben darauf hingewiesen, daß der von
soge-
Mün-
positivistischem
Fortschrittsglauben unreflektiert genährte Instrumentalismus, der N a t u r auf den Status einer z w a r p r ä h i s t o r i s c h - f u n d a m e n t a l e n , aber v o n P r a x i s zum T ä t i g k e i t s o b j e k t in
gelegentlichen
Marx
degradierten
Aphorismen
und Engels sich
findet.
Entität
eingeschränkte -
Ohne Z w e i f e l
menschlicher
v e r w e i s t , als
Inkonsequenz
eine
nur
bereits
bei
ist es, seitdem
die
»öko-
logische Krise< nicht mehr nur wissenschaftliche Prognose, sondern sinnliche G e w i ß h e i t ist, leicht g e w o r d e n , die G e f a h r in der strikt
undialektischen
Antithese des »Reichs der Freiheit« und des v o n N a t u r z w ä n g e n und deren Besiegung gekennzeichneten Prozesses zu durchschauen. Aus dieser P e r s p e k tive f ä l l t dann freilich ein neues Licht auf die »realidealistische<
Anthro-
pologie des jungen M a r x , der in der T r a d i t i o n Schellingscher und bachscher
Naturphilosophie
keine
Mühe
beim
Gedanken
einer
Feuer-
»Wesens-
einheit« von N a t u r und Freiheit hat.
9 Jean-Paul Sartre, Qu'est-ce 1 9 4 8 , 156 und 1 5 8 .
96
que la litterature}
In: Situations
II,
Paris
Demgegenüber hat zuerst Schelling geltend gemacht (und dabei die Unterstützung von Feuerbach und Marx gefunden), daß >Aufheben< nicht >Tilgen< heißt und daß die Materie, die sich einerseits in ein Moment der Arbeit bzw. des Geistes aufhebt, eine andere Seite hat, die der schlechthinnigen A u f hebung in Erscheinung - mithin der Autonomisierung des Mittels - widersteht. Dieser Einwand mag überraschen, wenn man gewöhnt ist, auf den dreifachen - ausdrücklich auch »bewahrenden« - Sinn zu verweisen, den Hegel dem Begriff >Aufhebung< zugesichert hat. Die im Betrieb der Universitätsphilosophie erfolgte Kanonisierung der berühmten Formel hat freilich übersehen lassen, daß das im Akt der Aufhebung Bewahrte von Anfang an nur als ein Moment des Geistes in Anschlag gebracht war. Bewahrt wurde in Wahrheit nicht das Andere des Geistes, sondern seine eigene unmittelbare Gestalt, die, sobald sie auf Selbständigkeit Anspruch erhob, energisch in die Schranken eines bloßen Scheins zurückgewiesen wurde. Die prätendierte Logik jener Veranstaltung, in der die frühkapitalistische Gesellschaft nicht ohne Stolz ihren vollkommensten spekulativen Ausdruck erkannt hat, enthüllt sich mithin als eine List, der es nicht ernsthaft darum zu tun ist, hinter die Dimension der Vermittlung ihres Seinsgesetzes^a - zurückzufragen. Die Entwicklung der durchs Dogma der Vermittlung sich rechtfertigenden Produktionsweise hat das Versäumnis dieser Frage recht bald mit genau der physischen Gewalt und Unmittelbarkeit zu Bewußtsein gebracht, die von der fortschreitenden Autonomisierung und Entfesselung der Technik als Schein verleugnet worden sind. Inzwischen verbietet die gesellschaftliche Realität jeden Zweifel an der Irrationalität und Inhumanität des 9a Hegel sieht den Z u s a m m e n h a n g deutlich: G e r a d e den »Tausch« rühmt er als »das G e i s t i g e , die M i t t e , das von Gebrauch und Bedürfnissen sowie von den »selbstlose
Arbeiten,
der
Innerlichkeit«
Unmittelbarkeit als
Vorgestalt
( V e r w a l t u n g , Polizei usw.). (Jen.
Realph.,
Befreite« des
und
»Standes
der
behandelt
seine
Allgemeinheit«
hg. von J . H o f f m e i s t e r , H a m -
burg 1969, 256 f . ) . 97
Glaubens, Arbeit könne Natur so in den Griff bekommen, daß sie Natur zu sein aufhört und sich in ein Moment selbstgenügsamer Praxis verwandelt. 1 0 Das in der kapitalistischen Produktion und in all ihren uneingestandenen Variationen fortlebende Dogma totaler Vermittelbarkeit des natürlich Seienden steht seit langem im Widerspruch zur fortschreitenden Selbstermächtigung ihres Gegenstands. Offenbar ist dies der Grund dafür, warum die aus ihm resultierende Praxis sich selbst nurmehr ideologisch zu rechtfertigen vermag. Wir fürchten, daß sogar die unter dem Titel Dialektik der Aufklärung geführte Kritik an diesem Dogma Naturmacht zu sehr noch als ihrer Selbstbestimmung entglittene und insofern verblendete menschliche Praxis interpretiert, während es an der Zeit wäre, die Eigengesetzlichkeit dessen, was niemals in Praxis sich aufheben läßt, vor den Blick zu bringen. Wir entrinnen jener Erfahrung nicht, die Hegels These von der »Ohnmacht der N a t u r « 1 1 ebenso wirksam Lügen straft wie 1 0 In der K r i t i k an einer solchen Anschauung hatte Schelling schon f r ü h die entschiedene Unterstützung des Freundes H ö l d e r l i n , der den Menschen »als ein mächtig T r i e b r a d « in der ihn übergreifenden » O r g a n i s a t i o n «
der
N a t u r gründen läßt. Weit entfernt, ihr »Meister und H e r r « zu sein, muß sich der Mensch
»in aller seiner K u n s t
und T h ä t i g k e i t
bescheiden
und
f r o m m v o r dem Geiste der N a t u r beugen, den er in sich trägt, den er um sich hat, und der ihm Stoff und K r ä f t e giebt; denn die K u n s t
und
T h ä t i g k e i t des Menschen, so viel sie schon gethan hat, k a n n doch L e b e n d i ges nicht hervorbringen, den U r s t o f f , den sie u m w a n d e l t , bearbeitet, nicht selbst erschaffen, sie kann die schaffende K r a f t e n t w i k e l n , aber die K r a f t selbst ist ewig und nicht der Menschenhände W e r k « ( H ö l d e r l i n , Werke,
hg. von F . Beissner, Stuttgart 1 9 4 3 - 1 9 7 2 , B d . V I , 329 f.). V g l . den
Zusammenhang
in der
und Vereinigung. bei Hölderlin, 11
Sämtliche
Zum
Interpretation
Verhältnis
von
Gerhard
von Poesie,
Kurz,
Reflexion
und
Mittelbarkeit
Revolution
Diss. Düsseldorf 1973» 250 ff.
§ 250 der Berliner Enzyklopädie.
Schelling hat dies U r t e i l mit einigem
Recht als N e u a u f l a g e jener, wie Sartre sie nennt, > o b j e k t i v e n
Neurose<
behandelt, die sich zuerst in Fichtes Reduktion der N a t u r auf »ein
voll-
kommenes Non-ens«, »ein bloßes Geschöpf der R e f l e x i o n « , Ausdruck
ver-
schafft hat (Schellings WWt
und
Schelling
281-306). -
98
B d . 7, 10 u. 1 1 ) . V g l . d a z u M . F r a n k ,
(in: Internationaler
Heinekongreß
1972,
Hamburg
Bemerkenswert ist, daß L u d w i g Feuerbach den V o r w u r f
Heine
1973, des
die Behauptung, im Kontext der Geschichte begegne menschliche Tätigkeit in alle Ewigkeit nur sich selbst und ihren Objektivationen. Sicherlich reichen solche Erwägungen weit über die manifeste Intention von Schellings Hegelkritik hinaus. Trotzdem dürfen sie sich als Explikation und Anwendung einer Einsicht verstehen, die über Marx und Feuerbach auf Schelling zurückgeht. Daß ihr Urheber sie auf einem hohen spekulativen Abstraktionsniveau vorträgt, ist weder unangemessen noch von Schaden. Es ist nicht unangemessen, denn Schelling sucht Hegels Denken nicht von außen, sondern auf der von Hegel selbst vorgegebenen, der logisdien Ebene zu treffen; nicht von Schaden, denn ihr spekulativer Charakter hat der Auseinandersetzung einen Grad von Allgemeinheit und Grundsätzlichkeit gesichert, ohne welchen ihre wirkungsgeschichtliche Macht nicht zu erklären wäre. Diese Einsicht hat natürlich Konsequenzen für unsere eigene Darstellung. Wir werden den Dialog zwischen Hegel und Schelling auf der logisdien Ebene zu rekonstruieren versuchen. Dabei hoffen wir zu zeigen, daß Schelling - eine Entdeckung Hölderlins weiterverfolgend - die Grundoperation der Hegeischen Logik mit Argumenten angegriffen hat, die bis heute kaum wesentlich vertieft, selten nur wiedergewonnen sind und zu deren Diskussion diese Arbeit anregen möchte. Wir beginnen unsere Untersuchung damit, die philosophische Grundeinsicht Hölderlins zu skizzieren, um den eigentümlichen Gang des Hegeischen sowohl wie des Schellingschen Philosophierens aus der Art abzuleiten, wie sie auf diesen Denkanstoß reagiert haben. Dabei wird sich andeuten, daß Schelling Hölderlins These, wonach das Sein nicht auf ein Selbstverhältnis - gleich welcher Art - reduziert werden könne, in modifizierter Form übernommen hat und später »spiritualistischen
Autokratismus
und Absolutismus«
der Idee in
Behandlung der N a t u r w i e d e r h o l t hat ( L . F . , Gesammelte
Werke,
Hegels hg. v o n
Werner S d i u f f e n h a u e r , B d . x i , Berlin 1 9 7 2 , 1 4 5 ) .
99
gegen Hegels Wesenslogik kehren sollte. Eine eingehende Interpretation des i. Kapitels der >Lehre vom Wesen< läßt innere Widersprüche in dem von Hegel vorgeführten Gedanken einer Logisierung des Seins zutage treten und legt es nahe, dem Schellingschen Lösungsversuch des Verhältnisses von Sein und Selbstbewußtsein unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das tun wir, indem wir zunächst Hegels Kritik an Schelling der Schellingschen Gegenkritik an Hegel gegenüberstellen. Während Hegel dem Schellingschen Prinzip Vermittlungslosigkeit vorwirft, bringt Schelling Hegels Verabsolutierung der Vermittlung ins Wanken durch den Hinweis auf den Zirkel im Gedanken voraussetzungsloser Selbstreflexion. Er weist nach, daß der absolute Geist am Ende seines Weges als sich nur das erkennen kann, was schon im Stadium der Unmittelbarkeit für sich bestanden hat. Daß dieser Einwand sich nicht nur auf eine zwar richtige, im übrigen aber folgenlose Modifikation des Hegeischen Prinzips beschränkt, sondern zu positiven Konsequenzen führt, suchen wir dadurch zu zeigen, daß Schellings Ansatz eine Reihe von Aporien aufzulösen vermag, an denen Hegels Philosophie scheitert: so an der Rechenschaftsgabe über die Phänomene des Gegenwartsbewußtseins, der Gleichzeitigkeit von Theorie und Praxis und des Interaktionsverhältnisses von einander anerkennenden Freiheiten. In einem zweiten Anlauf werden wir die Problematik der Schellingschen Identitätsformel untersuchen und zeigen, wie Schellings bislang nur erkenntnistheoretische Kritik unversehens auf eine ontologische Ebene überspringt. Aus der Erfahrung mit der Schwierigkeit, Selbstreferenz als Identität zu hypostasieren, kommt Schelling zu einer Art ontologischem Beweis in genau der Form, wie Sartres Ontologie sich später seiner bedient hat. Dieser Beweis erlaubt, die Vorgängigkeit des Seins vor der Reflexion - eigentlicher Kern seiner Auseinandersetzung mit Hegel - zu denken. Auch dies demonstrieren wir in zwei Phasen, indem wir zunächst davon überzeugen möchten, daß schon die Anlage von 100
Schellings identitätsphilosophischem System eine implizite Alternative zu Hegel darstellt. Erst dann führen w i r - in einem umfangreichen Kapitel - die Einwände vor, mit denen sich Schellings sogenannte Spätphilosophie - auf der Basis einer kritischen Revision ihrer früheren Position - auch explizit gegen Hegels Logisierung des Seienden wendet und zugleich über die Möglichkeit einer Rede von außerbewußtem Sein Rechenschaft ablegt. Hier tauchen erstmals Argumente zugunsten einer Einschränkung des Geltungsbereichs dialektischen Denkens bzw. zugunsten von dessen ontologischer Fundierung auf. Mir scheint, daß sich diese reife Position mit Recht als »Schellings Lösung« bezeichnen läßt. Wenn wir nun Feuerbachs und Marxens Hegelkritik vorstellen und mit dem Schellingschen Ansatz vergleichen, wird sich nicht nur zeigen, daß eine Strukturhomologie zwischen diesen so verschieden motivierten Entwürfen besteht; wir versuchen auch, einer Reihe von intellektuellen Entdeckungen, die seither als marxistisches Gedankengut kanonisiert worden sind, ihre Quelle in der authentischen Lektüre von Schellings Schriften und kursierenden Kollegnachschriften nachzuweisen. Mißverstanden wäre die Bedeutung, die Schelling für den Marxismus gewinnen konnte, dächte man seinen Anteil an der Konstitution einer materialistischen Dialektik damit erschöpft, daß er die Priorität des Seins vor dem Bewußtsein mit spekulativen Mitteln >erwiesen< hätte. Schelling kann gerade darin als Vorbild für Marx gelten, daß er der Kritik der Feuerbachthesen - ahistorischer Anthropologisierung der »menschlichen Wirklichkeit< nicht ausgesetzt war. Im Gegenteil wollen wir zeigen, daß Schelling das von ihm nie geleugnete Wahrheitsmoment der Hegeischen Dialektik aufgehoben hat im Konzept einer Geschichtsdialektik, die ihre materiale Bedingtheit ständig auf selbstentworfene Ziele hin überschreitet, ohne ihre Basis je >tilgen< zu können. Die Unaufhebbarkeit des Seins ist gerade die Ermöglichungsbedingung für eine unendliche und prinzipiell offene Bewegung, die nie in die Gefahr geraten kann, in einem vorgeblich abIOI
soluten, d. h. ideologischen Begriff von Selbstbewußtsein zu stagnieren und einem solchen Zustand sich zu >akkomodieren<. Die geschichtliche Realität der >Entfremdung< ist darum für Schelling nicht - wie für Hegel - eine bloße >Fessel der Abstraktion^ Sie ist eine ursprüngliche Tatsache, die nicht dem anonymen Schicksal einer logischen »Bewegung der Sache selbst< gehorcht, sondern deren Negativität durch freie Initiative solidarisch Handelnder, also durch eine abermalige Tat, sich brechen läßt. Denn »wirkliche Dialektik«, so lehrte Schelling im Berliner Wintersemester 1841/42, »ist nur im Reiche der Freiheit; sie allein vermag alle Räthsel zu lösen.«
102
I
Die philosophische Einsicht Hölderlins und ihr Einfluß auf Hegel und Schelling
A m Ursprung des Schellingschen und des Hegeischen Philosophierens steht eine gemeinsame Einsicht. Sie kann gleichwohl keinem von beiden ausschließlich zugeschrieben werden, sondern enthüllt sich als Aufarbeitung einer Entdeckung, mit der Hölderlin beiden zuvorgekommen war. Seit den Forschungen Dieter Henrichs 1 sind wir nicht länger auf Mutmaßungen angewiesen, sondern können das Verhältnis der beiden Systemkonzeptionen ebenso wie ihre spätere Konkurrenz aus der Art ableiten, wie sie Hölderlins Denkanstoß aufgenommen und verwandelt haben. In bezug auf Hegel hat ihn Henrich an einem gedanklichen Bruch innerhalb des Fragments über Moralität, Liebe, Religion2 aufzuspüren versucht. Dessen erste Hälfte zeigt Hegel als orthodoxen Kritizisten, der »Einheit« in der theoretischen Sphäre als eine der Mannigfaltigkeit angetane Initiative der Vernunft und die »praktische Tätigkeit« als »die Einheit selbst« interpretiert, die ihr »Entgegengesetztes« nicht synthetisiert, sondern »ganz (aufhebt)«. Dagegen bringt die zweite Texthälfte ein vollständig anders gefaßtes Vereinigungsprinzip, die »Liebe«, in Anschlag. Sie löst die wechselseitig alternativen Abhängigkeiten von Subjekt und Objekt, Natur und Freiheit in eine Beziehung des Lebendigen zum Lebendigen im Medium des Lebendigen selbst auf: »Liebe kann nur stattfinden gegen das Gleiche, gegen den Spiegel, gegen das Echo 1 Dieter
Henrich,
Hölderlin
über
Hegel
Urteil
im
und
Kontext,
Sein,
Frankfurt/Main,
Hölderlin-Jb.,
Vgl. ferner Hannelore Hegel, Isaac von Sinclair lin und
Hegel,
Vereinigung. Hölderlin, im
theologische
u.
ders.:
14. Bd., 1965/6, 73-96. zwischen Fichte,
Hölder-
F r a n k f u r t / M . 1 9 7 1 , und G e r h a r d K u r z , Mittelbarkeit
Zum
Verhältnis
von
Poesie,
Reflexion
und
und Revolution
bei
l.c.
2 Dieter Henrich, Historische Hegel
1971,
Kontext,
Voraussetzungen
von
Hegels
I.e., 63 ff. D e r T e x t H e g e l s : H . N o h l
Jugendschriflen,
System, (ed.),
in:
Hegels
Tübingen 1907, 374-377IO3
unseres Wesens.« »Diese Liebe von der Einbildungskraft zum Wesen gemacht, ist die Gottheit.« Wir kennen kein Dokument aus Hegels eigener geistiger Entwicklung, aus dem diese unvermittelte Grundlagenrevision, deren Tragweite jede später vorgenommene Modifikation seines Denkens übertrifft, als eine 'Konsequenz sich erkennen ließe. Unter seinen Zeitgenossen und insbesondere unter den Freunden, mit denen er sich damals im Gespräch befand, verfügte aber nur Hölderlin über den Ansatz zu einer spekulativen Theorie der Vereinigung widerstreitender Strebensrichtungen, mit welcher ein derartiger Überschritt »über die Kantische Gränzlinie«3, innerhalb deren ähnliche Ansätze Schillers stecken geblieben waren, gerechtfertigt werden konnte. Henrich hat den Verlauf eines Gesprächs rekonstruiert, das zwischen Hölderlin, Sinclair und Hegel über diese Frage stattgefunden hat. 4 Man mag die Evidenz der zugrunde liegenden Quellen bezweifeln. Sicher ist, daß Hegel nach mündlichen Auseinandersetzungen mit Hölderlin das Prinzip seines bisherigen Philosophierens aufgegeben hat. Des Menschen Selbst, so dachte er nun, verfügt über keine selbsteigene Aktivität. Es weiß sich als Moment eines es übergreifenden Prozesses - »Vorsehung« oder »Schicksal« genannt in dem es sich durch stoische Indifferenz (>Tapferkeit<) bewährt. Diese Zusammenhänge sind bekannt. Wir beschränken uns darauf, eine noch offene Frage anzugreifen: Wie verhält sich Schellings philosophischer Ansatz zu jener Anregung, die Hölderlin an Hegel weitergegeben hat? Um sie beantworten zu können, bedarf es einer Vorstellung von Motiv und Argument des Hölderlinschen Schrittes über die »Gränzlinie« der Reflexionsphilosophie. Er hat ihn an einer grundsätzlichen Schwierigkeit der Fichte3 H ö l d e r l i n , Brief an N e u f f e r , Waltershausen bei Meiningen, d. 1 0 . Oct.
94. (Hölderlin, Sämtliche Stuttgarter
Ausgabe])
Werke,
Große
6. B a n d , Stuttgart 1 9 5 4 , N r . 88, 1 3 7 (hinfort zitiert:
StA V I ) . 4 Henrich, Hegel und Hölderlin,
104
hg. von Friedrich Beissner [ =
in: Hegel im Kontext,
I.e., 24 ff.
sehen Theorie entwickelt. Ihr war vorzuwerfen, daß sie den Gedanken der Ichheit als unmittelbar-aktiver Selbstbeziehung einer ursprünglichen, d. h. nicht weiter ableitbaren Einheit inkonsequent in Anschlag bringt. Sie erreicht nämlich die Evidenz der Unbedingtheit absoluten Selbstbewußtseins nur auf dem Umweg über eine Bedingung: die Beziehung auf sich. Das Ich kann das Setzen seiner selbst nur als ein Entgegensetzen realisieren. Die unendliche Tätigkeit selbst, in der sich das gründende Subjekt nicht >setzt<, nicht als unmittelbares Objekt seiner verhält und darum auch »kein Bewußtseyn« hat, ließ sich darum als deren absolute Voraussetzung von der Selbstreflexion, die nur als ihr Abbild begreifbar ist, noch abheben 5 : als die Einheit, in der keine Setzung statthat, als »Seyn«, »Vereinigung«, »"-iflecrig«.6 Sinclair hat Hölderlins Skizze über Urtheil und Seyn7, die diesen Gedanken erstmals formulierte, weiter ausgeführt und einen möglichen Einwurf Fichtes abzuweisen versucht. Das transreflexive Sein wird zwar nicht gewußt; doch sei der höchste Satz im Kontext des Wissens - die »intellectuale Anschauung« 8 - eine Forderung und schließe die implizite Inanspruchnahme jener gründenden und in der Reflexion nicht thematisierbaren Einheit ein. Die in der aktuellen Beziehung des Ichs auf sich selbst manifeste »Urtheilung« 9 sei nämlich außerstande, das Faktum des S/c/?-Habens-in-der-Entgegensetzung aus eigenen Mitteln verständlich zu machen. Man kann nicht einmal sagen, die athetische Einheit werde durch die Selbstaufhebung der Reflexion in ihrem Ansichsein gesetzt (so würde sie ein ddeiov zu sein aufhören); ebenso wenig Sinn hat es aber zu behaupten, diese Voraussetzung werde prinzipiell nichtgesetzt und sei also - im Wortsinne - kein Thema der 5 H ö l d e r l i n an H e g e l , J e n a , d. 26. J a n u a r 95, StA
6 Zum folgenden vgl. D. Henrich, Hölderlin und H a n n e l o r e bezieht
sich
auf
[Programmzettel 7 StA
Hegel, die
V I , 1 5 5 ( N r . 94).
über Urteil
und Sein,
l.c. (Die S k i z z e des Sinclairschen
dort
mitgeteilten
Textauszüge,
I.e.,
I.e.,
Raisonnements
243 ff., bes.
245
(b) und 267 ff. Manuskript (B)]).
I V , 1 . H ä l f t e (hg. von F. Beissner), 2 1 6 / 7 .
8 L.c., 216.
9 L.c.
105
Reflexion: denn sie ist transzendenter Ermöglichungsgrund der Selbstbeziehung als solcher. In der »unendlichen Einigkeit« des Wissenden und des Gewußten manifestiere sich mithin, so schreibt Hölderlin später an den Bruder, »ein vorzüglich Einiges und Einigendes, das, an sich kein Ich ist«. 10 Audi ohne Sinclairs Vermittlung könnten wir uns ein ziemlich genaues Bild von Hölderlins Entdeckung machen. Schon Urtheil und Seyn erklärt, die Einheit im Akte des »Selbstbewußtseyns«, in welchem ich Getrenntes »als dasselbe erkenne«, komme nur »ungeachtet dieser Trennung« zustande und sei keinesfalls aus der Selbstbeziehung als solcher herzuleiten.! l Die große Anmerkung der Verfahrungsweise des poetischen Geistes12 radikalisiert dieses Argument. Selbstbewußtsein - so lautet der Kontext des Gedankens - ist »dreifacher Natur«.13 Es ist i., was es ist, 2. für und durch sich selbst, und es ist drittens die Einheit seines Inhalts und seines Für-sich-Seins. Bewußtsein stellt sich aber vor seinen eigenen Augen als eine nur zweistellige Relation dar, die ihr drittes Moment in jedem Akt der Selbstvergegenwärtigung mit struktureller Notwendigkeit verfehlt: »in keiner dieser drei abgesondert gedachten Qualitäten, wird es als reines poetisches [meint: schöpferisches] Ich in seiner dreifachen Natur (. . .) erfunden, im Gegentheile bleibt es mit und für sich selbst im realen Widerspruche«. 13 Dieser Widerspruch entspringt der Unmöglichkeit für die Reflexion, im Augenblick der »Urtheilung« auch noch jene Einheit, in der die Relata zueinanderverhalten sind, mitzuthematisieren. Darum besteht die absolute Einheit jeweils nur »für ein drittes aber nicht für sich selbst«. 1 3 Hölderlin zeigt nun das Scheitern jedes Versuchs, diesen Widerspruch immanent und auf der Basis der Selbstbeziehung aufzulösen: 10 Hölderlin
an
seinen
Bruder
(Hauptwil,
J a h r e s 1 8 0 1 ) , StA V I , 4 1 9 ( N r . 2 3 1 ) . 1 1 StA I V , 2 1 7 . 1 2 StA
I V , 253/4.
1 3 L.e., 2 5 3 .
106
undadiert,
wohl
Mitte
des
1. Seine Identität durch den materiellen Wechsel darstellend, müßte das Ich die Identität »läugnen« 1 4 , um den Wechsel zu realisieren, und umgekehrt die Realität des Wechsels leugnen, um die Identität setzen zu können. Nun manifestiert sich die Identität eben nur durch die reale Differenz. Ist diese Differenz als »Täuschung« überführt, so verwandelt sich auch die durch sie mitdargestellte Identität in einen Schein. 2. Nimmt das Ich, durch diese Erfahrung belehrt, »die Unterscheidung von sich selber für (dogmatisch) real a n « l 5 und setzt die Momente Identität und Differenz als faktische Folgen einer transzendenten Realität, die ihm entgleitet, so geht das Moment des S/c/?-Habens im Selbstbewußtsein verloren, d. h. das Ich würde in dem erklärten Phänomen nicht mehr »sich seihst, seinen Akt«, erkennen, mithin ein HeteronomieErlebnis, und nicht Selbstbewußtsein erklärt haben. 3. Das Ich kann sich schließlich auch nicht kurzerhand (um »diesen ewigen Knoten . . . zu zerhauen«) »als identisch mit dem harmonischentgegengesezten seiner Natur« setzen, da dieses Als . . .-Setzen »reelle« Entgegensetzung einschließt und also die Einheit durch den Akt selbst, der sie zum Bewußtsein brächte, zerstören müßte. - Wäre, mit anderen Worten, die Entgegensetzung »nicht reell«, so wäre die dissonante Einheit »nicht . . . erkennbar«. Ist sie reell, so gibt es keine Erkenntnis des Sich, da die Einheit als erlittene (»getriebne«), und nicht »als Einheit durch sich« selbst erfahren würde. Man erkennt leicht, daß diese Bedenken nur Fichtes ursprüngliche Einsicht 16 radikalisieren. Hatte Fichte zu zeigen vermocht, daß Selbstbewußtsein jeder reflexiven Thematisierung H
L.c.
1 5 L.c., 254. Hölderlins Lösung, die freie und ausdrückliche (nicht mehr nur »harmonische«) entworfenen »Allcinseyns«
Objekt,
Entgegensetzung dessen
des Geistes
in einem
Realität
beendet
den
und
von der
Zustand
so den
Einbildungskraft
präreflexiv-ideellen
gnoseologischen
ästhetisch zerschlägt, ist hier nicht zu diskutieren. Sie wird
Knoten
eindrucksvoll
vorgestellt in der Diss. von G . K u r z (I.e.).
16 Dieter (=
Hcnrich,
Fichtes
ursprüngliche
Wissenschaft und Gegenwart
Einsicht,
Frankfurt/M.
1967
34).
107
des Selbst als unmittelbare Gegebenheit zuvorbesteht und Reflexion überhaupt erst möglich macht, so bemängeln nun H ö l derlin und Sinclair, daß auch in Fichtes »ersten« und »schlechthin unbedingten G r u n d s a t z « ! 7 e in Keim von Reflexivität sich einschleicht und dennoch aus sich heraus für den Gedanken absoluter und unhintergehbarer Einheit glaubt einstehen zu können. Hegels Anfrage aus dem Jahre 1810, ob Sinclair »noch der hartnäckige Fichteaner« 18 sei, ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Von hier fällt zugleich ein Licht auf das unklare Verhältnis Hölderlins zu dem fünf Jahre jüngeren Freunde Schelling. Im Gegensatz zu seinem unglücklicheren Stiftskameraden hatte ihn eine Blitzkarriere auf einen ruhmvollen Jenaer Lehrstuhl befördert und neben der Hauslehrermisere auch aus dem Kontext solidarischer Gedankenentwicklung entrückt. Die Nähe Fichtes, die Integration in den Romantikerkreis, die stürmische Inangriffnahme eigener und verhältnismäßig selbständiger Projekte taten ein übriges, um Schelling recht bald den Blicken Hölderlins zu entziehen. Das ist nicht immer so gewesen. Der Briefwechsel beider gibt zwar nur spärliche Hinweise. Sie reichen nicht aus, einen echten Dialog zu rekonstruieren. Wohl aber lassen sich Etappen größerer und geringerer geistiger Affinität zwischen beiden erkennen. Ein später Brief Hölderlins erinnert den Freund bescheiden an das »Zutrauen, das Du ehemals in meine philosophischen und poetischen Kräfte zu setzen schienst«.! 9 Von ihm zeugt der Zuspruch, den Hölderlin dem verzagten Freunde kurz nach Ostern 1795 auf dem Heimweg nach Nürtingen spendete. Schelling »klagte damals, wie weit 17 § 1 der Grundlage Werke,
hg.
von
der gesammten
Immanuel
91 (ff.). ( H i n f o r t z i t . : Fichte 18 B r i e f e von
und an
Hermann
( N r . 186).
108
an
Hegel. H g .
Schelling
Fichte,
Berlin
(1794), 1845/6,
Fichtes Bd.
1,
WW.) von
1952» 1953» 1954» i 9 6 0 . B d . I , 332 [zit.: 1 9 Hölderlin
Wissenschaflslehre
(Homburg
J . Hoffmeister. I - I V .
Hamburg
Hegel-Briefe], im
Juli
1799),
StA
VI,
347
er noch in der Philosophie zurück s e i « 2 0 , und konnte von Hölderlin authentisch getröstet werden: »Sei du nur ruhig, du bist grad* so weit als Fichte, ich habe ihn ja gehört« (ebd.). Man muß die These von einem philosophischen Vorsprung Hölderlins nicht für ein Urteil der Bescheidenheit halten (vgl. Plitt I, S. 52 ff.). Schelling war nicht bescheiden. Es ist bekannt, daß er die Lektüre des 3. Teils der Wissenschaflslehre erst im Frühjahr 1796 in Angriff nahm (Brief an Niethammer, Stuttgart, 22. 1. 1796); ebenso, daß er seine überwiegend theologischen Studien mit exklusiv philosophischen erst im Spätjahr 1794 vertauscht hat. Wir wissen zudem, daß Hölderlin um die gleiche Zeit im Besitz eines Arguments zu sein behauptete, das ihn in ästhetischen Fragen »einen Schritt weiter über die Kantische Gränzlinie« hinausgebracht habe, als er Schiller gelungen sei (Brief an Neuffer vom 10.10. 1794). Die Skizze über Urtheil und Seyn ist wahrscheinlich im Frühjahr 1795 entstanden. Erst sie - obgleich ohne manifeste ästhetische Intention - rechtfertigt aber eine solche Behauptung; vieles spricht dafür, daß Hölderlin sich schon Ende 1794 zum Standpunkt eines transreflexiven Seins erhoben hatte. Das sogenannte Älteste Systemprogramm - wen immer man für seinen Autor halten m a g 2 1 - ist ein Dokument, in dem sich - so oder so vermittelt - ein enger wechselseitiger Gedankenaustausch Hölderlins mit Schelling niedergeschlagen hat. Im Frühjahr 1796 berichtet Hölderlin (an Niethammer, Frankfurt 24. 2.96), daß dieser geistige >Akkord< der Freunde gestört sei. 2 2 Es ist die Zeit des wie20 Aus Schellings
Leben. In Briefen.
B d . 1 , 7 1 . ( Z i t . : Plitt;
Hg. von G . L. Plitt, 3 Bde. 1869/70.
Nachweise aus Plitt künftig in K l a m m e r n im l a u -
fenden T e x t . )
21 Vgl. dazu Friedrich Strack: Das Systemprogramm
und kein
Ende.
Zu
Hölderlins philosophischer Entwicklung in den Jahren 1795/96 und zu seiner Schellingkontroverse. In: Das älteste Systemprogramm. Studien zur Fruhgeschicfjte des deutschen Idealismus (Hegel-Tage Villigst 1969). H g . von R . Bubner, Bonn 1 9 7 3 , 1 0 7 - 1 4 0 . 22 Brief
N r . 1 1 7 , StA
miteinander.« V g l . H .
VI,
2 0 3 : »Wir sprachen nicht immer
Fuhrmans
(Hg).:
F.
W ? J . Schelling,
aecordirend Briefe
und
• 109
derholt festgestellten wachsenden Einflusses Fichtescher Ideen auf Schelling, und Hölderlin kommentiert: »Er ist mit seinen neuen Überzeugungen . . . einen besseren Weg gegangen, ehe er auf dem schlechteren ans Ziel gekommen war« (ebd.). 2 3 Auf der Basis dieser Vorbehalte hat man versucht, bereits aus Schellings Schrift Vom Ich . . . eine latente Opposition gegen Hölderlins Entdeckung herauszulesen. Dagegen ist geltend zu machen, daß Schelling seit der Schrift Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt aus dem Jahre 1794 das Unbedingte - ganz wie Hölderlin - von der es thematisierenden Reflexion (der gesamten Subjekt-ObjektRelation) unterschieden 24 , ja daß er die irreflexive Einheit als »Seyn« bezeichnet hat. 2 5 Als Beispiel für viele kann eine Formulierung aus der Ich-Schrift dienen: »Ich bin\ Mein Ich enthält ein Seyn, das allem Denken und Vorstellen vorhergeht« (I, 1, 167,0). Ein später getilgter Zusatz der ersten Auflage ging so weit, des Ichs »unbedingte Selbstmacht« nicht in die Praxis, sondern in dieses Sein zu setzen. Daß dieser von Fichte noch 1797 als eine »Absurdität« abgewiesene GedanDokumente
II (Zusatzband 1 7 7 5 - 1 8 0 3 ) , 523 ff. (dort auch neue und starke
Argumente f ü r Schellings Verfasserschaft des
Systemprogramms).
2 3 Eine etwas frühere Formulierung (an N i e t h a m m e r , Löchgau, d. 22. D e z . 1 7 9 5 , StA von
VI,
seinen
vor der
121):
ersten
»Schelling
Überzeugungen«,
fichteanisierenden
Schellings
ist ( . . . )
vertraut
setzt
ein wenig gerade
abtrünnig
voraus,
geworden
daß
Hölderlin
Periode seines Freundes andere »Überzeugungen«
waren.
(Vgl.
auch
Hölderlins
späteren
Brief
an
die
Mutter vom 1 . Sept. 1 7 9 8 , StA V I , 280).
24 Friedrich
Wilhelm
K . F. A . Schelling. 1861.
Vgl.
Joseph
1. A b t .
1. Abt.,
von Schellings
Bde. 1 - 1 0 ;
Bd. 1,
loo.
Zit.:
sämmtliche
2. A b t .
Bde. 1 - 4 .
Abteilung
durch
Werke,
Hg. von
Stuttgart
1856-
römische,
Band-
nummer durch arabische Z i f f e r (künftig in K l a m m e r n hinter der zitierten Passage im laufenden T e x t ; also z. B . (I, 1 , 100)). 25 Diese These
verteidigt
auch
D. Henrich:
kaum den Widerstreit der Tätigkeiten
»Doch
hätte
er
fSchelling]
so viel deutlicher als Fichte dem
subjektiven Selbstbewußtsein vorausliegen lassen, wenn er nicht schon von Beginn
das
wäre (»Vom
Ich
Ich als
der Sujektivität, 110
in
einem
absoluten
Prinzip
Philosophische
der
Sinne
zu
Philosophie<)«
Rundschau,
nehmen D. H.,
geneigt Über
gewesen
die
3. Heft 1955, 1/2, 58).
Einheit
k e 2 6 (Fichte WW I, J29) durch das terminologische Korsett der Wissenschaftslehre um seine eigentliche Pointe gebracht wird, ist ein Schicksal, das er mit den frühesten philosophischen Verlautbarungen Hardenbergs und Hölderlins teilt. Von Schellings Nähe zu Hölderlin zeugt entschieden der ganz und gar unfichtische Gedanke, die unendliche Tätigkeit von der Selbstbeziehung abzuschneiden, in welcher sie als Reflexion auf sich zurückgebogen, freilich auch in ihrem »Seyn« aufgehoben wird (vgl. I, 1, 324/5; Plitt I, 1 5 0 , 2 ; Brief an Hegel vom 4. 2.95 [Plitt I, 77] - und Hölderlins Brief an Hegel vom 26. 1. 95). 27 Bekanntlich war Schelling überzeugt, mit Fichte zu einem Ausgleich ihrer Differenzen zu kommen. 28 Die enge Verbundenheit in Jena steht ganz im Zeichen eines Verständigungsversuchs. Um Fichtes willen hat er jahrelang darauf verzichtet, seine Terminologie in der Weise zu revolutionieren, wie es Hölderlin schon 1795 getan hat. Erst die Erfahrung der prinzipiellen Unvermittelbarkeit seiner und der Fichteschen Position räumte in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts solche Rücksichten aus dem Weg. 2 9 Die Angriffe, die Schelling 26 E r
hat
ihn
frcilich
in seiner
Spätphilosophie,
und z w a r
nicht
ohne
Schellings E i n f l u ß , sich angeeignet und gelten lassen. V g l . Schellings Z i t a t I, 7, 16 und 26. 27 StA V I , 1 5 4 ff. ( N r . 94), bes. 1 5 5 . 28 Die hiermit zusammenhängenden nis, den
Verhältnisse und Hölderlins
Besorg-
Freund an das L a g e r der Fichteaner zu verlieren, sind in den
entsprechenden
Anmerkungen
(Hg.), F. W. J. Schelling.
Briefe
und
Einleitungen
und Dokumente,
von
Horst
Fuhrmans
Bd. 1. 1775-1809, Bonn
1962, sehr gründlich beleuchtet (vgl. 56 f f . und 457 ff.). 29 Noch
in der V o r r e d e
zu seinem System
von
1801
äußert
Schelling,
es sei nach seiner Ü b e r z e u g u n g »unmöglich, daß wir (er und ich) in der Folge nicht üßereinstimmen« und »daß seine Suche noch weit von
ihrem
Ende sey« (I, 4, 1 1 0 ; v g l . das Z i t a t I, 7, 1 2 2 / 2 3 ) . »Es w a r eine Z e i t « ,
meint er rückblickend
im J a h r e
1806, »in
welcher
ich . . . H e r r n Fichte nicht ganz zu verstehen glaubte, obgleich er dieß selbst meinte und in a l l e w e g e r ü h m t e ; es w a r die Z e i t , w o ich etwas
Höheres
und T i e f e r e s in seiner Lehre suchte, als ich dort in der T h a t finden konnte. Wirklich gehörte nicht weniger dazu, als die ganze Reihe seiner Schriften
(. . .),
um
die
Überzeugung
in
mir
hervorzubringen,
letzten daß
ich
111
nun ganz unvermittelt gegen Fichte mobilisierte, sprechen aber genau die Sprache seines Freundes. Sie sind in einem solchen Ausmaß - auch stilistisch - konform mit Hölderlins Uberlegungen, daß man allein über die große und ständig vergrößerte Nähe von Gedanken aus Schellings späterer Zeit zu den von Sinclair skizzierten Räsonnements, die Schelling ja nicht gekannt haben wird, auf die Gemeinsamkeit ihrer Quelle zu schließen berechtigt wäre. Wir werden darauf zurückzukommen haben. Führte die Entwicklung Schellings immer deutlicher auf den zündenden Gedanken Hölderlins zurück 3 0 , von dessen »Meiihn v o l l k o m m e n verstanden, und daß diese G e n ü g s a m k e i t nicht mehr v e r berge, als sie darstelle. N u n ich die Leerheit mir deutlich gemacht hatte, fing
das Nichtverstehen
auf
Herrn
Fichtes Seite an und dauert bis z u r
Stunde f o r t « (I, 7, 2 3 ) . U n d w e i t e r :
»Der
Idealismus,
betrachtet er
nur
wirklich das absolute Erkennen, nämlich die Selbstbejahung, dringt sicher bis zur Indifferenz derselben mit dem Seyn durch, und löst sich auf sein Entgegengesetztes.
Als einen Idealismus solcher A r t
hatten w i r
in die
Fichtesche Lehre / gedeutet, indem wir das absolute Ich als die absolute Selbstbejahung und demnach als die ewige Form
in dem ewigen
Wesen
betrachteten. Die ausführlichen psychologischen Erklärungen dieses Idealismus durch
den U r h e b e r
selbst,
sein
v i e l f ä l t i g bewiesenes
Unvermögen,
in dem Seyn die Selbstbejahung zu sehen, und die hieraus folgende Einschränkung des wahren
Lebens und Seyns auf das Ich des
Bewußtseyns
oder das Subjekt, haben uns überzeugt, d a ß w i r ihm diesen
Standpunkt
nur geliehen
sie ihm
hatten,
und daß er die
Idee desselben,
wenn
je
vorgeschwebt, wenigstens völlig wieder verloren und also nie deutlich ergriffen hatte« (I, 7, 53/4)30 Es könnte verwunderlich scheinen, daß w i r ein wesentliches Indiz f ü r die N ä h e Schellings zu H ö l d e r l i n unbenutzt lassen: die R o l l e , die beide der
Kunst
als dem O r t
der Darstellung
und der Reflexion Undarstellbaren
eines mit Mitteln
des Begriffs
zudenken. Ohne Z w e i f e l birgt
dieser
Schritt das Potential zu einer vom Denken der Moderne (z. B . Adornos) aufgegriffenen H e g e l k r i t i k und läßt sich überdies - z. B . durch lins
Brief
an
Schelling,
Homburg,
N r . 186) - als ein Hauptgegenstand
im
Juli
1799
(StA
VI,
Hölder345-349,
ihres Symphilosophicrens oder rich-
tiger: als eine der mächtigsten Anregungen, die Schelling durch Hölderlin empfangen hat, nachweisen. Freilich sind wir der Meinung, daß die v o r züglichen und gründlichen Arbeiten in der
Philosophie,
von D . J ä h n i g (Schelling. Die
Kunst
2 Bde. P f u l l i n g e n 1966 und 1969) einerseits und von
G . K u r z (I.e.) andererseits das T h e m a von beiden Richtungen her erschöp-
112
nungen« er seit 1795/6 vorübergehend abgewichen war, so erwies sich das genaue Gegenteil an Hegel, mit dem Hölderlin so gut »akkordierte«. Im Gegensatz zu Schelling hat er sich die von Hölderlin und Sinclair empfangene Anregung von vornherein in einer reduzierten Perspektive angeeignet. Sie verhalf ihm zwar zu dem entscheidenden Schritt über die »Gränzlinie«, in dessen Folge er die »Vereinigung« entgegengesetzter Wesenstendenzen nicht länger von der abstrakten Subjektivität erhoffte. Dagegen war er nicht bereit, diese im Medium der Reflexion selbst geschehende Vereinigung wie Hölderlin aus einem transreflexiven »Seyn« zu erklären, das der Beziehung selbst sich entzieht. >Liebe<, >Leben<, >Geist< sind eben dies, in sich selbst den Gegensatz des Unendlichen und des Endlichen hervorzutreiben, ihn seiner Unwahrheit zu überführen und auf die in jeder Einseitigkeit ermangelte Ganzheit hin zu überschreiten (ji^Tigco^a). Sie bewährt sich mitten in der Endlichkeit der Beziehung selbst als die »wahre Unendlichkeit«, die nun nicht mehr ein Bezogenes ist, sondern als der Begriff der Beziehung selber einleuchtet. Dieser Begriff aber duldet kein über ihn hinausgehendes Sein, das ihn zur Reflexionsnegation zwänge; als solches wäre- es immer schon sein Relat, d. h. ein bestimmter und unvollständiger Aspekt der unbegriffenen Totalität. Dies Programm schließt eine entschiedene Absage an jede Form von Ursprungsphilosophie ein, deren Prinzip eingefend
diskutiert
furt/M.
1970)
an Hegels
haben.
-
T h . W. A d o r n o s
hat überdies
Ästhetik
(darin
eine auf
Ästhetische
solcher
Basis
mit Schelling einig,
vgl.
Theorie
(Frank-
anzusetzende I.e.,
Kritik
1 2 0 und
197)
sehr genau bezeichnet: »Hegels Philosophie versagt v o r dem Schönen: weil er die Vernunft und das lungen
Wirkliche
durch
den
Inbegriff
ihrer
[d. h. selbst nur mittelbar über den B e g r i f f ] einander
Vermittgleichsetzt,
hypostasiert er die Zurüstung alles Seienden durch S u b j e k t i v i t ä t als das Absolute, und das Nichtidentische taugt ihm einzig als Fessel der Subjektivität, anstatt d a ß er dessen E r f a h r u n g als Telos des ästhetischen jekts,
als
dessen
Emanzipation
bestimmte.
Fortschreitende
Sub-
dialektische
Ästhetik wird notwendig zur K r i t i k auch an der Hegeischen« (I.e.,
119,
vgl. im K o n t e x t ! ) .
3
wickelterweise die Gesamtheit aller ihm entspringenden Folgen enthält: Der Übergang aus der Einheit zur Differenz geschieht Hegel zufolge nicht durch »Urtheilung« eines der Reflexion entzogenen »unverfügbaren Gründest Im Gegenteil vermag die Reflexion selbst alle Momente ihres vollen Begriffs, als wclchen sie sich am Ende ihres Weges vom Allerleersten zum Konkretesten erweist, aus sich verständlich zu machen. Dazu bedarf es keiner transzendenten Voraussetzung, deren sie sich im resultierenden A k t der Selbsterkenntnis erinnernd zu versichern hätte als des uranfänglich sie durchwaltenden Seins. »Das Ganze« dieser schlechterdings bodenlosen und nichts voraussetzenden Entwicklung ruht vielmehr, um eine Hardenbergsche Wendung aufzugreifen, »ohngefähr - wie die spielenden Personen, die sich ohne Stuhl, blos Eine auf der andern Knie kreisförmig hinsetzen«. 31 Es geht mithin in Hegels Philosophieren um den Versuch, jenes »Seyn«, das Hölderlin und Sinclair als ein transreflexiv die Reflexion ermöglichendes Faktum in Anschlag gebracht hatten, aus dem Funktionieren der Reflexion (der Subjektivität) selbst verständlich zu machen: Hegel glaubte diese Gleichung dadurch leisten zu können, daß er die Merkmale des Seins (Unbezogenheit und Aus-sich-selbst-Sein) in der aktiven und suisuffizienten Selbstbeziehung des Subjekts wiederaufsuchte. Im vorhinein ließ sich absehen, daß diese vollkommen immanente Identifizierung nur über die These zu erweisen war, daß auch die irreflexive Unbezüglichkeit und In-sich-Verschlossenheit des Seins sich auf der zweiten Stufe als eine Form von Selbstbeziehung, von Ichheit herausstellte. Das würde freilich nichts anderes bedeuten, als daß Sein als ein am Subjekt selbst bestehender Schein überführt werden 31
N o v a l i s , Schriften,
hg. von Paul Kluckhohn und Richard S a m u e l . Stutt-
gart 1960 fr., Bd. 2 ( =
Das philosophische
Werk
I, 1965), 242, N r . 445,
Z. 27/8. V g l . Hegel selbst: »Der K r e i s , der in sich geschlossen ruht und als Substanz
seine
wundersame
Momente
hält,
Verhältnis«
ist das
(Vorrede
J . H o f f m e i s t e r , H a m b u r g 1 9 5 2 , 29).
114
unmittelbare zur
und
Phänomenologie
darum des
nicht
ver-
Geistes,
ed.
kann. Gelingt dies, so ist zugleich das Urteil über jenen philosophischen Ansatz gesprochen, der nach Hölderlins Verstummen in Schellings Philosophie wiederauferstand. Der systematische Ort für einen solchen Nachweis ist der logische Übergang vom Sein zum Wesen. Ihm müssen wir uns im folgenden zuwenden.
%
«
i
II
Die Reduktion des Seins auf Reflexion
Bevor wir in die Interpretation einsteigen, tun wir gut daran, einer Frage nicht auszuweichen, die zu den meistdiskutierten der Hegelforschung gehört. Es ist die, ob der Phänomenologie des Geistes oder der Wissenschaft der Logik der Vorrang gebühre, wenn es darum geht, die gedankliche Grundoperation zu exponieren, mit der Hegels Philosophie von seinen Vorgängern sich absetzte. Für die Phänomenologie scheint zu sprechen, daß sie allein auf die >realen Gestalten< (die »Erscheinungen«) des Geistes sich einläßt; und nur auf dem Feld der Realität können wir hoffen, eine befriedigende Auskunft über das Verhältnis des Seienden zum Begriff zu erhalten. Ihm gegenüber nimmt sich die Logik als eine Abstraktion aus, die die Methode der Phänomenologie von der Materie abstreift und als Bewegung des reinen Gedankens unabhängig von seiner Erscheinung aufzeichnet und festhält. Aber abgesehen davon, daß >Sein< als Ermöglichungsgrund von Realität (von Seiendem) nicht selbst erscheinen kann, widerspricht diese Vermutung dem Selbstverständnis des Hegeischen >Systems<. In ihm wird die Logik nicht nur als methodische Ouvertüre behandelt; sie tritt vielmehr als Realgrund eines Gedankengebäudes auf, das eben seiner Insichgeschlossenheit wegen durch und durch von logischer Seinsart ist. Darum ist es mehr als nur methodische Erinnerung, wenn Hegel im Applikationsbereich ständig auf die Wissenschaft der Logik verweist, aus der der einzelne Gedanke seine Evidenz bezieht. Dennoch müssen wir, wenn wir Hegels Abwandlung der Seinsthese Hölderlins gerade an der Logik demonstrieren, mit einem Einwurf rechnen: Die Logik, so wird man sagen, bezieht sich, wenn immer sie von >Sein< spricht, auf den >Begriff des Seins<; und nur von ihm behauptet sie, er bestimme sich von selbst weiter zur Reflexion. Ist dies der Fall, so scheint 116
unsere These, Hegel reduziere die Bedeutung von Sein auf die negativer Selbstbeziehung und logifiziere so ein prinzipiell Außerlogisches, in einer Fehleinschätzung des Geltungsbereichs logischer Aussagen zu gründen. Offensichtlich verweist uns dieser Einwurf an die Natur- und die Geistesphilosophie als diejenigen Teile des >Systems<, die >außer der Logik< zu gelten beanspruchen. Er befindet sich dann freilich in einem gründlichen Mißverständnis gegenüber der Funktion der Logik im Gesamt der Enzyklopädie. Das, was jenseits ihrer Konstitution über die Idee des Logischen hinausgeht, erweist sich als deren eigene Entäußerung: Natur und Geist sind 'selbst nur Weisen des Sich-Anderswerdens und Insichzurückkehrens der Idee, fallen also selbst in deren >Sphäre<. Mit Recht hat darum Schelling auf den zu Beginn der Logik erhobenen Anspruch hingewiesen, mit dem Postulat der »Zurückziehung auf das bloße Denken« dies zu meinen, »daß der Begriff alles sey und nichts außer sich zurücklasse« (I, 10, 126/7). 1 Wäre etwas anderes intendiert, Hegels System hätte wenig Grund zu der Gewißheit, gerade mit einer logischen Begründung des Seienden etwas gegenüber seinen Vorgängern durch und durch Neues begonnen zu haben. 2 Es besteht wesentlich in dem Nachweis, daß, was wir meinen, wenn wir von >Sein< sprechen, einen noch undurchschauten Modus der Reflexion betreffe, die insofern gleichsam auf eigenen Füßen steht und eine transzendente Voraussetzung nicht nötig hat. Wir müssen zunächst dahingestellt sein lassen, ob Hegel in der Tat gelingen wird, dies nachzuweisen. Um in die Interpretation des Satzes auch nur einsteigen zu können, ist es allem voran notwendig, sich über seinen Inhalt zu verständigen. Diese Vorverständigung soll, wo möglich, zugleich ein 1 Schelling zitiert den W o r t l a u t der ersten A u f l a g e der 2 »Hegel
schien
im A n f a n g
die rein
logische
Natur
Logik. jener
Wissenschaft
einzusehen. War es aber mit der rein logischen Bedeutung ernst, so mußte ihm die L o g i k nicht ein Theil seyn« ( I I , 3, 88).
7
Licht auf die verborgene Motivation für jenen Schritt werfen, den Hegel stets nur aus dem Erfolg seiner Anwendbarkeit rechtfertigt, ohne die intellektuelle Operation, die sein Verfahren lenkt, an irgend einer Stelle der Logik eigens preiszugeben. Hegel behauptet also, das Sein stelle - entgegen seinem impliziten Anspruch - nur einen Aspekt innerhalb einer es umgreifenden Struktur, die er Reflexion nennt, dar. Freilich nicht in dem Sinne, als bestünde die Möglichkeit, auf dem Aspekt des Seins zu beharren und die Integration in die seinen Ort bestimmende Totalität als etwas Äußerliches abzublenden. Hegel meint vielmehr, daß das Sein sich an ihm selbst als Reflexion, als eine Beziehung auf sich, enthülle, derart, daß es nur scheinbar als in sich selbst gründend besteht. Um diese Enthüllung darzustellen, muß die Logik das Sein mit zwei verschiedenen und doch ineinander auflösbaren Bedeutungen ausstatten: Sie muß erklären, warum das Sein unter dem ersten Aspekt als ein in die Reflexionsstruktur nicht Integriertes und von ihr Unabhängiges sich behauptet; und sie muß erklären, daß es erst als Moment einer negativen Selbstbeziehung in seine Wahrheit gelangt. Diesen zwei Epochen seiner Selbstdarstellung räumt die Logik je eigene Kapitel ein. Dasjenige Sein, mit welchem sie den Anfang macht, kann eben darum, weil es nur den Anfang macht, »nicht ein solches sein, das eine Beziehung innerhalb seiner selbst enthält«. 3 Insofern 3 G . W . F. H e g e l , Werke,
hg. von E v a Moldenhauer und K a r l Markus M i -
chel, F r a n k f u r t / M . 1 9 7 0 ff. ( =
Theorie-Werkausgabe),
B d . 5 (Logik
I),
75.
Hegelzitate werden im f o l g e n d e n , sofern nichts anderes v e r m e r k t ist, nach dieser A u s g a b e und unter folgenden Siglen: L (=
klopädie); N.H.S. 18/7) und Rcchtsph. benenfalls mit zwar
(= (=
Bandnummer
im l a u f e n d e n T e x t
Seitenangabe bezeichnen Vorzug auf
Nürnberger Grundlinien
Leser
in
Enz
(=
(röm. Z i f f e r ) und Seitenangabe
gegenüber der Werkausgabe seltensten
Fällen
wird
Berlin
1808gege-
belegt,
und
Komma
der
Abschnitte). - Die Theorie-Werkausgabe
den
Enzy-
und Heidelberger Schriften der Philosophie des Rechts),
(tiefergesetzte Z i f f e r n hinter dem
der H a n d l i c h k e i t
die der
Logik);
hat den 1832-1845,
zurückgreifen
können.
Natürlich ist jene nicht immer zuverlässig. Z w e i f e l h a f t e Textwiedergaben wurden mit der Glocknerschen Ausgabe verglichen.
11S
verdient es die Charakterisierung als »einfache Unmittelbarkeit<, d. h. als ein solches, dessen purer Bestand nicht abhängig ist von der Bestimmung durch ein anderes: sie bleibt ihm jedenfalls, wenn sie erfolgt, äußerlich. Aber das gilt nur für den Anfang, für den ersten Blick. Sobald das Sein einmal gesetzt und das heißt: überschritten ist, läßt sich ein zweiter Blick auf es richten, und nun stellt sich heraus, daß »die einfache Unmittelbarkeit . . . selbst ein Reflexionsausdruck (ist) und sich auf den Unterschied von dem Vermittelten (bezieht)« (L I, 68,.,). Die Notwendigkeit dieses unvorhergesehenen Bedeutungswechsels zu erklären, ist das Programm des ersten Kapitels der »Lehre vom Wesen«, welches der Logik der Reflexion gewidmet ist. Es gibt demnach zwei Bedeutungen von Sein: einfache Unmittelbarkeit und Reflexion; die Reflexion aber soll das Sein erst in seine Wahrheit bringen, es begründen. Insofern ist sie offensichtlich fundamentaler als das vermittlungslose Sein. Dies sucht die Reflexionslogik, die darum das Herz der Logik genannt werden kann, nachzuweisen. Vermutlich erleichtern wir uns die Analyse dieses außerordentlich schwierigen Textes erheblich, wenn wir für einen Augenblick vom Wortlaut der Hegeischen Bestimmungen absehen und uns grundsätzlich fragen, welches gedankliche Motiv Hegel veranlassen konnte, das unmittelbare Sein als Modus der fundamentaler genannten Reflexion zu überführen. Reflexion - als die Grundstruktur dessen, was Hegel das >Wesen< nennt - ist eine negative Beziehung auf sich selbst. Daß es sich um eine Beziehung handelt, wird niemand für erklärungsbedürftig halten. Negativ muß diese Beziehung darum genannt werden, da anders die Relate gegeneinander sich nicht abgrenzen ließen: eines wäre, was das andere ist, d. h. es läge gar keine echte Relation vor. Die Selbstigkeli dieser Beziehung - und das ist die dritte Auszeichnung hat ihre Voraussetzung darin, daß das Negat dennoch nicht etwas anderes sein kann als das Negierende - andernfalls läge keine Selbstbeziehung, sondern die äußerliche Verknüp119
fung eines Sachverhalts mit einem ganz anderen vor. >Für sich selbst« darf also jedes der Relate nur >zum Schein« bestehen: nur zum Schein besteht das von der Negation Überschrittene unter dem Titel des unbezogenen Seins - des Unmittelbaren - fort. Der >Schein< ist an die Stelle des Seins getreten; und da der Schein das Negat einer selbstbezüglichen Negation ist, erweist sich diese als des Seins Wahrheit. Welche Notwendigkeit besteht aber denn für die Spekulation, von der Negation auszugehen, sie zum Prinzip zu erklären (bisher ist allenfalls bezeigt, daß es möglich ist, das Sein in eine Beziehung zur Negation zu bringen)? Hegels Antwort müßte lauten: Die Negation hat darum Prinzipcharakter, weil in der - von einem über sie selbst hinausgehenden Gegenstand befreiten - Selbstbeziehung die Negation sich selbst zurücknehmen kann. Vermittlung, die sich selbst negiert, ist aber reine Unmittelbarkeit, d. h. ist genau das, als was wir früher das Sein definiert haben. Die Reflexion verfügt also über eine ihr immanente Möglichkeit, den vollen Begriff des Seins zu produzieren. Damit ist ihre Selbstgenügsamkeit immer noch nicht bewiesen. Um das zu tun, muß das Umgekehrte auch gezeigt sein, daß nämlich das Sein aus sich heraus nicht über die zweite Bedeutung, in der es existiert, Rechenschaft ablegen kann; daß mit anderen Worten - der Ausgang von der reinen Positi• vität des Seins die im Wesen vorliegende negative Selbstbeziehung nicht zu denken erlauben würde. Das ist aber offensichtlich der Fall: die ganz abstrakt genommene Unmittelbarkeit erklärt per definitionem nicht das Vorliegen von SelbstVermittlung. Dies mag als Auskunft über das mögliche Motiv für Hegels These von der logischen Priorität der Negation vor dem Sein zunächst genügen. Wie Hegel seine nur implizite These in der Reflexionslogik entfaltet, wird die Aufgabe unserer folgenden Interpretation sein. Wir sind darüber vorverständigt, in welchem Kontext die 120
Begriffspaare einfache Unmittelbarkeit - Vermittlung, Irreflexivität - negative Selbstbeziehung, Sein - Schein usw. fungieren. Wir wissen darüber hinaus, daß Hegels Reflexionslogik ihr Programm nur einlösen kann, wenn die in der Reflexion vorliegende interne Beziehung das Seins-Merkmal absoluter Unabhängigkeit von Beziehung aus eigenen Mitteln, und zwar restlos, ablösen und ersetzen kann. Wir sagten auch schon, daß Hegel die Logik nicht mit einer Grundsatzerörterung über die Fundamentalität und die Ausdehnung des Begriffs Negation beginnt. Die Verfahrensweise der Logik muß vielmehr aus jener Folge von dialektischen Schritten, durch die Hegel eine reine Selbstbewegung des Begriffs simuliert, erst rekonstruiert werden. Sie selbst gewinnt die Gleichung von Sein und Reflexion, indem sie das als Vermittlungslosigkeit definierte Sein einfach die verborgenen Implikationen dieser Definition auswickeln läßt und zusieht, aus welchen in ihr unterdrückten Elementen sie aufgebaut ist. Dabei zeigt sich, daß die Terme »reine Unmittelbarkeit und >Reflexionslosigkeit< Spuren von Negation aufweisen, und zwar Spuren einer Zurücknahme der Negation durch sich selbst: das Sein ist die Negation im Zustande ihrer scheinbaren Nicht-selbst-Bezogenheit. Mit diesem Zugeständnis gelangt die Logik des Seins an ihre Grenze.
Unmittelbarkeit des Seins, Scheins und Wesens Den Ubergang vom Sein zum Wesen macht die »Indifferenz«. Sie ist die exponierteste Position, mit welcher eine bloß äußerliche Relation - Grundkriterium der Seinskategorien - von einer innerlichen Beziehung, wie sie im Wesen vorliegt, sich noch abgrenzen kann. Im Begriff der Indifferenz sind nämlich alle ihre Prädikationen - wie in Spinozas Substanz - als »gleichgültige« bestimmt; sie bleiben einander »äußerlich«, differieren nur »quantitativ« und gehen das »Absolute« selbst nichts an ( L I , 456, j). Obwohl diese Gleichgültigkeit 121
gegen äußeres Bestimmtsein selbst noch in die Sphäre des bloßen »Ansichseins« fällt (I.e., 456,0), wird deren »Grundeinseitigkeit« doch deutlich korrigiert: die Indifferenz tritt aus jenem »Widerspruch ihrer selbst und ihres [äußerlichen] Bestimmtseins« heraus und verwandelt sich in »ihr eigenes Beziehen auf sich, das die Negativität ihrer selbst, ihres Ansichseins ist« (L I, 457, t ). Damit sind die vordem zu äußerlichem Dasein zerfallenden Unterschiede als deren eigene »Momente« (ebd.) in ihr und von ihr gesetzt und ist diejenige Position vorbereitet, in welcher das Wesen das Sein als den an ihm selbst bestehenden Schein von Unmittelbarkeit durchschaut. Diese Position ist allerdings auch nur vorbereitet. Erreicht wird sie erst dann sein, wenn die Charaktere des Seins (>Beziehung nur auf sich< und >Unmittelbarkeit<) aus dem immanenten Funktionieren derjenigen »Beziehung auf sich< abgeleitet und zugleich von ihr unterschieden werden können, die im >Wesen< vorliegt. Da als Nachfolger-Begriff des Seins der »Schein« sich zu qualifizieren scheint, bedarf es zunächst einer Analyse der im Schein angetroffenen Weise von Unmittelbarkeit und Bestimmtheit. Der Schein ist »zunächst« einmal das, was das Wesen nicht ist (ein »Unwesen« [ L II, 19]). Aber gerade die Bestimmung, nicht »das Wesentliche« zu sein, teilt er mit dem Sein. Das im Wesen »aufgehobene Sein« (L II, 18) besteht allerdings als ein dem Wesen äußerlich gegenüberstehendes »Unwesentliches« weiter, das seine Qualifikation als Negativität nur aus der »Beziehung auf das Wesen« gewinnt, also nicht (wie das Nichts) schon »an und für sich selbst« besitzt. Das Wesen ist »damit nur als Anderes bestimmt (. . .) gegen das Sein« oder es ist nur relativ (in Beziehung auf Anderes) das »Anundfürsichsein«. Eine solche Bestimmung hätte das Wesen aber nur als »aufgehobenes Sein« - als daseiende Indifferenz mithin selbst nur auf der Basis von seinslogischen Kategorien gefaßt. Ihr gegenüber erweist sich das Wesen nicht als eine äußere und relative Negation des Seins, sondern als dessen 122
»absolute Negativität ( . . .); e s x s l das Sein selbst, aber nicht als ein Anderes bestimmt«, sondern als in beiden unmittelbaren Relaten der äußerlichen Beziehung - also »sowohl als unmittelbares Sein wie als unmittelbare Negation« sich aufhebend (L II, 19). Als solches ist es »Schein«, d . h . ein Nicht-Wesen, dessen Unmittelbarkeit - im Unterschied zum Sein - nur insofern am Wesen besteht, als es absolut nicht ist, d . h . als es »das an sich Nichtige« (L II, 21), das »reine« und »unmittelbare Nichtdasein« (L II, 19), der nichtige Reflex des Wesens ist. Damit ist jene Alteritätsstruktur, die die äußere Beziehung des Seins zum Wesen charakterisierte, im Verhältnis des Scheins zum Wesen in der Weise transponiert, daß jener zwar auch als das Andere des Wesens bestimmt werden muß, aber der Auflösung dieser Beziehung - die insofern eben als innerlich sich bewährt - kein unabhängiges und eigenständiges Dasein entgegensetzen könnte: »Der Schein ist dies unmittelbare Nichtdasein so in der Bestimmtheit des Seins, daß es nur in der Beziehung/auf Anderes, in seinem Nichtdasein Dasein hat, das Unselbständige, das nur in seiner Negation ist. Es bleibt ihm also [da es auf autonomes Sein keinen Anspruch geltend machen kann] nur die reine Bestimmtheit der Unmittelbarkeit« (L II, 19/20). Nun wird jene »Beziehung auf Anderes«, in welcher sich der Schein als Erbe jener von ihm überschrittenen äußerlichen Daseinsrelation enthüllt, von den Kategorien der Seinslogik so lange beherrscht bleiben, als sich nicht einwandfrei zeigen läßt, daß er dem Wesen nicht als ein extern Anderes gegenübertritt, sondern »sein eigener Schein« ist (L II, 17 u.). Zu diesem Zwecke müßten aber sowohl die »Beziehung auf Anderes« wie jene »Unmittelbarkeit des Nichtdaseins< als interne Strukturelemente des Wesens selbst überführt werden. Anders gesagt: beide Merkmale, Nichtigkeit und Unmittelbarkeit gegen Anderes, müßten ohne Bedeutungsverlust in die Definition des Wesens sich integrieren lassen. Hegel zeigt in drei Schritten, wie dies zu denken sei:
i. war das Wesen bestimmt als »negative Beziehung auf sich« ( L I I , 15). Ein negativ sich auf sich Beziehendes hebt die Bewegung seiner Selbstvermittlung aber auf und setzt zugleich, indem es »nur« auf sich selbst und nicht auf Anderes sich bezieht, seine Unmittelbarkeit, freilich als eine »Unmittelbarkeit des Nichtseins«. Als eben diese hatte sich der Schein vermöge seiner Mitgift von der Vermittlungslosigkeit des Seins* erwiesen. (»Die Negativität ist Negativität an sich; sie ist ihre Beziehung auf sich, so ist sie Unmittelbarkeit; aber sie ist negative Beziehung auf sich« [L II, 22; vgl. I.e., 21,3 und L I, 82].) - Indem 2. das Wesen zugleich jene unbestimmte »Gleichheit mit sich selbst« (L I I , 2 1 , 3 und L I, 82/3) von der Seinslogik erbt, ist es andererseits ebenso sehr Unmittelbarkeit, die sich gegen die Vermittlung profiliert, also bestimmte Unmittelbarkeit. (Bestimmtund Negativsein ist aber Eines: »Sie ist negative Beziehung auf sich, abstoßendes Negieren ihrer selbst, so ist die an sich seiende Unmittelbarkeit das Negative oder Bestimmte gegen sie« [L II, 22,3].) Die negierte Unmittelbarkeit des Scheins soll aber ja 3. nicht nur den Unterschied zum Wesen ausmachen, indem sie eine »unabhängige Seite gegen das Wesen« kehrt (L II, 21, o); sie soll eine interne Verfassung des Wesens selber sein. Auch das stimmt aber zur Definition des Wesens als negativer Selbstbeziehung. Indem nämlich das Negat der Negation selbst nichtig ist, wird gerade die Negativqualifikation der Relata Grund zur Wiederherstellung von Unmittelbarkeit. (»Aber diese Bestimmtheit ist selbst die absolute Negativität und dies Bestimmen, das unmittelbar als Bestimmen das Aufheben seiner selbst, Rückkehr in sich ist« [L II, 2 2 , 3 ] . ) Wir glauben, diesen dritten Schritt noch von einer anderen 4 Ausdrücklich
spricht
Hegel
von
der
»reflexionslosen«
oder
»einfachen
Gleichheit [des Seins] mit sich« und erklärt die F o r m e l - um jeden Schein von expliziter Bezogenheit glcich«-Sein
(L
I, 82 f.).
auszuschalten Diese
Restriktion
auch als ein »nur sich und
die
in
ihr
selbst
wiederauf-
erstehende R e f l e x i v i t ä t ist f ü r den F o r t g a n g des G e d a n k e n s , w i e w i r sehen w e r d e n , von großer Wichtigkeit.
124
Seite her beleuchten zu sollen. Die unbestimmte und die bestimmte Unmittelbarkeit des Nichtseins erschöpfen offenbar die in der Formel von der »negativen Beziehung auf sich< enthaltenen Forderungen nicht. Solange nicht beide Terme in ein Verhältnis zueinander gesetzt sind, ist nur gezeigt, »daß das Wesen (. . .) den Schein in sich selbst enthält« (L II, 23/4) und daß es gegen ihn bestimmt ist: wäre nämlich der Schein als eine von der negativen Selbstbeziehung des Wesens zumai differente Unmittelbarkeit nicht auch »aufbewahrt und erhalten« (L II, 18,1), er fiele mit ihm so nahtlos zusammen, daß er von ihm gar nicht sich abheben ließe. Einesteils ist der Schein also negiertes Sein (Nichtsein), andererseits Negation des Wesens oder Bestimmtheit gegen das Wesen; also ein vom Wesen Negiertes, das aber überdies an ihm selbst ein Negatives ist. Indem er als ein selbst Negatives auf die Negativität des Wesens trifft, hebt sich seine Bestimmtheit zugleich auf (L II, 23, ,), und diese Relation enthüllt sich als des natura suä sich selbst negierenden Wesens eigene Bestimmung durch sich selbst. Erst diese im »Gegensatz zwischen der negierenden und der negierten Negation« 5 sich wiederherstellende »identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit« ( I I I , 22,3) ist aber die volle Bestimmtheit des Wesens als »negativer Selbstbeziehung« oder als negativer Einheit von Vermittlung und Unmittelbarkeit »in seiner [eigenen] Sphäre« (L II, 15, t ). Halten wir fest, daß sich die von der Negativität des Wesens permanent dementierte Unmittelbarkeit in folgenden drei Schritten wiederherstellt: 1. Unmittelbar ist der Schein als einfache Selbstidentität; d. h. als nicht auf Anderes, sondern auf sich bezogene Nichtigkeit. 2. Unmittelbar ist das Wesen (als synthetische Organisation 5 Dieter Henrich, Hegels text,
Logik
I.e., 1 1 4 . Das vorliegende
der Reflexion, Kapitel
in: D . H . , Hegel
im
Kon-
unserer Arbeit stützt sich
weit-
gehend auf die minutiösen und f ü r eine Erforschung der von Hegels Logik
Grundoperation
bahnbrechenden Analysen dieses A u f s a t z e s , mit dessen
Resultat es sich freilich kritisch auseinanderzusetzen sucht.
aller in ihm befaßten Beziehungen), weil sich in der Selbstbeziehung des Negativen (wodurch es sich zu jenem reflexiven »Scheinen seiner in sich selbst« [L II, 23,0] verdoppelt) die Negativität nicht nur aufhebt, sondern an ihrer Stelle die Unmittelbarkeit setzt (die allerdings im Gegensatz zur Unmittelbarkeit des Seins keine gegen Beziehung indifferente mehr ist). Da aber diese gesetzte Unmittelbarkeit von 2. nicht anders zustandekam als durch die Beziehung eines Negativen auf sich selbst und insofern von diesem Negativen gerade darin, Selbstidentität zu sein, dependiert, handelt es sich nicht um eine suisuffiziente Unmittelbarkeit wie beim Sein, sondern um eine von Vermittlung (Negation) abhängige - also um die Unmittelbarkeit eines selbst Negativen. 3. Unter einem anderen Gesichtspunkt zeigt sich (für uns - noch nicht für sich - ) diese Unmittelbarkeit zugleich als die Se/£sfbeziehung eines Negativen, das sich damit in die gegeneinander sich bestimmenden und insofern auch unterschiedenen Momente der negierten (Schein) und der negierenden (Wesen) Negation auseinanderlegt. In dieser expliziten Relation erweist sich das Wesen nunmehr als Beziehung der Unmittelbarkeit auf die ihr entgegenstehende Negation (Vermittlung), und zwar - qua Se//?5rbeziehung - auf ihre eigene Negation (im Gegensatz zur äußeren Beziehung auf Anderes). In diesem Augenblick stellt sich aber die Bedeutung von Unmittelbarkeit noch ein drittes Mal wieder her - allerdings in einer bedeutenden Variation gegenüber der Unmittelbarkeit des Seins: Die der Vermittlung entgegengesetzte Unmittelbarkeit ist selbst aufgehoben im Wesen, weil sie, im Gegensatz zu der des Seins, ein »Negatives« ist, »das [zwar auch] ein Sein hat, aber in einem Anderen, in seiner Negation« (L II, 2 2 , 4 ) . Unmittelbar ist das Wesen also als irreflexive Sichselbstglcichheit des Scheins, als Selbstaufhebung eines sich auf sich beziehenden Negativen und schließlich als die Beziehung eines unmittelbar Negativen auf die Negativität seiner Vermittlung. 126
Vorausgesetzte und gesetzte Unmittelbarkeit Mit der Behauptung einer Rückkehr in den Zustand »unbestimmter Unmittelbarkeit« (vgl. L I, 82) könnte aber die Gefahr verbunden sein, daß die Wesenslogik nach ihren ersten Schritten ins Gravitationsfeld der Seinskategorien zurückgezogen wird, aus dem die Negativität sie stets nur transitorisch und letzten Endes erfolglos herausheben würde. Dem ließe sich zunächst durch den Nachweis begegnen, daß sich - wie Henrich geltend gemacht hat - die Bedeutung des Ausdrucks »Unmittelbarkeit« »in zwei wichtigen Hinsichten« gegenüber der aus der Seinslogik vertrauten 6 verändert hat: Die für die Selbstbeziehung des Wesens konstitutive Unmittelbarkeit hat nämlich 1. »eine Differenz in sich«7 (stellt also eine echte Relation dar 8 , nämlich die ausdrückliche Beziehung der Negation auf sich selbst) und ist 2. »nicht Unmittelbarkeit gegen die Vermittlung« 7 (denn sie ist Unmittelbarkeit nur vermöge der Vermittlung - als negierte Negation; sie ist also nur vermittelterweise das Unvermittelte oder, wie Henrich sagt, ihre »Unmittelbarkeit ist ein Charakter suisuffizienter Vermittlung, ein Charakter der Selbstbeziehung« 7 geworden; d. h. sie kommt kraft eigener Bestimmung aus der Differenz auf sich selbst zurück). Durch den gelungenen Nachweis dieser »Bedeutungsverschiebung« 9 könnte nun aber die umgekehrte Gefahr beschworen sein, daß die Seinssphäre von der des Wesens verschlungen und auf diese Weise abermals nicht wirklich mit ihr vereinigt würde. Darum wird zusätzlich gefordert, daß die ursprüngliche Bedeutung von Unmittelbarkeit (Sein) »in diesem Aufheben [auch wieder] aufbewahrt und erhalten« bleibt (Z.,11, 6 Dort
bezeichnete
sie bekanntlich
jene
»reflexionslose«
Gleichheit
nur
mit sich (L I, 82 und 83).
7 Henrich, Hegels Logik der Reflexion,
I.e., i n .
8 »Es ist«, sagt Hegel, »eine Bewegung durch / unterschiedene Momente, absolute Vermittlung mit sich« ( L II, 35/6).
9 Henrich, Hegels Logik der Reflexion,
I.e., 116. 2
7
18). Das kann aber nur geschehen, wenn beide Bedeutungen von Unmittelbarkeit in dem vollen Begriff des Wesens in der Weise wiederauftauchen, daß erst aus ihm die zwischen ihnen stattfindende Verschiebung erklärt werden kann. 1 0 Dies sei, schreibt Henrich 1 1 , erreicht, wenn i. die Legitimität der Verschiebung selbst anerkannt werden müsse und wenn 2. der Begriff nach seiner Verschiebung in seiner früheren Bedeutung wiederhergestellt sei (die Unmittelbarkeit als Irreflexivität wäre und wäre auch nicht gleich der Unmittelbarkeit des >Scheinens seiner in sich selbst< oder der >Reflexion« [L I I , 24]). Um nicht als spekulative Spitzfindigkeit zu verkennen, was in der Tat für die logische Validität des Hegeischen Systems einsteht, muß man sich klarmachen, daß Hegel seine Grundthese, >die Substanz sei als Subjekt zu denken
müsse
gemacht werden, »was z u v o r nur als Mittel gedient hatte, ihn e i n z u f ü h r e n : Die Bedeutungsverschiebung im Begriff der Unmittelbarkeit« (I.e., 1 1 6 ) . 11
Ebd.
H a Hegel, Phänomenologie 128
des Geistes, I.e., 19/20.
xionsstruktur heraus verständlich zu machen. Offensichtlich gibt sie Anhaltspunkte für eine Erklärung dieser zweiseitigen Beziehung. Denn >Reflexion< ist weder nur die auf dem U m weg über ihre Relate hervorgebrachte Selbstidentität noch deren negativen Auflösung. (»Sie besteht also darin, sie selbst und nicht sie selbst, und zwar in einer Einheit zu sein« [L I I , 25].) Da sie ihre »Gleichheit mit sich, die Unmittelbarkeit« (ebd.) nur vermittels der Selbstbeziehung (d. h. Selbstnegation) herstellt (I.e., 25/6), kann gesagt werden, daß dies »Zusammenfallen (. . .) nicht Ubergehen der Negation in die Gleichheit mit sich als in ihr Anderssein« (L II, 24 u.) bedeute, sondern daß »die Reflexion ( . . .)/(ihr) Übergehen als A u f heben des Ubergehens« realisiere, d. h. als »unmittelbares Zusammenfallen des Negativen mit sich selbst« (L II, 26 o.). Sieht man von der Bedingtheit dieser Unmittelbarkeit durch die Negation ab - hierin bestand die Bedeutungsverschiebung - und beachtet nur den formalen Charakter von Selbstidentität, so übersieht man damit die materiale Nichtigkeit dieser Form, d. h. ihren Charakter als »sich selbst negierende Gleichheit« (ebd.). Es handelt sich eben bei der Unmittelbarkeit des Wesens um eine sich zugleich aufhebende Selbstidentität oder um eine solche »Gleichheit nur mit sich<, die sich durch den sie konstituierenden Akt auch wieder zerstört. Da die Negativität die Bedingung dieser Art von Sichselbstgleichsein ist, wird der Behauptang einer positiven Koinzidenz mit sich gerade durch eine Reflexion auf deren Genese der Grund entzogen, und »die Unmittelbarkeit« enthüllt sich als das »Negative ihrer selbst (. ..), dies zu sein, was sie nicht ist« (L I I , 26, t ) . 1 2 Man kann darum sagen, daß sich die Reflexion durch die Handlung selbst entgehe, die sie zustandebringt. Ihre Einheit dissoziiert sich damit in die separierten Prozesse, des »Setzens« und des »Voraussetzens«. 1 2 A u s diesem G r u n d e
w i r d sie sich später als der logische G r u n d
der
Zeit enthüllen, die es auch in der Wirklichkeit ist.
129
Unter diesen Titeln hat Hegel die gegenwendige »Hin und her Direction« 1 3 von Schein und Widerschein im Wesen entwickelt. Im »Setzen« ( L I I , 26,0/3) begreift sich die Reflexion als Grund ihrer eigenen Unmittelbarkeit, insofern sie dies »Andere« ihrer selbst als durch den Akt der »Rückkehr des Negativen in sidh< (der Selbstnegation also) generiert anschaut. Als abhängig von der Negation erweist sich die Unmittelbarkeit auch darin, daß sie von ihr durch den Akt, der sie erzeugt, zumal überschritten und als Unmittelbarkeit negiert wird (»Die Rückkehr des Wesens ist somit sein Sich-Abstoßen von sich selbst« [L II, 27, J ) . Indem die Negation sich als den Urheber jener Absetzung von Unmittelbarkeit (als des Produktes) durchschaut, korrigiert sie - in ihrer Eigenschaft als »Rückkehr in sich< (L II, 26 u.) - den »Schein«, ihren »Anfang« von der unmittelbaren »Bestimmtheit des Scheins« genommen zu haben (L II, 27, t und 26, 2 ). Als »Voraussetzen« eben derselben gibt sie sich umgekehrt Rechenschaft über die (relative) Abhängigkeit ihrer Negativität von der Unmittelbarkeit, die sie überschreitet. Sie ist insofern das »Aufheben des Setzens« (L II, 27, t ). Die im Akt der Position konstituierte Unmittelbarkeit des Scheins beruhte ja auf der Selbstaufhebung ihrer qua negativ qualifizierter. Mit der Selbstdurchstreichung der Negation fällt dann aber auch die Ermöglichungsbedingung weg, auf Grund derer sich die Unmittelbarkeit (die sich ja aus der Selbstaufhebung zweier sich Negierender wiederherstellte) allererst ergeben konnte. 1 4 Nun wird aber gerade, um überhaupt negativ sich 1 3 N o v a l i s , Schriften,
I.e., B d . 2, 1 1 7 , Z . 32.
1 4 Die »Rückkehr in sich« oder das » N e g a t i v e seiner selbst« aus der Selbstreferenz des N e g a t i v e n
resultierende
Henrich
»aufgehoben«,
>U2<) -
sei
»ferner«
selbst
26,., u. 2 7 , j ) in einer m e r k w ü r d i g
verkürzten
Unmittelbarkeit
Skizze
sagt
Hegel
seines
(bei II,
(Henrich,
I.e., 120).
Ich deute diese Passage so: I n d e m die selbstbezogene N e g a t i o n
130
(L
die
Arguments,
das Henrich um einige M i t t e l g l i e d e r zu bereichern versucht hat
Hegels Logik der Reflexion,
also
einfaches
auf sich beziehen zu können, die negative Unmittelbarkeit 1 5 als negandum »vorausgesetzt; und unter diesem Gesichtspunkt erweist sich »die Reflexion-in-sich (. . .), wesentlich das Voraussetzen dessen zu sein, aus dem sie Rückkehr ist« (L I I , 27, } ). Die aus der Selbstbeziehung der Negation resultierende Unmittelbarkeit (>UL,<) enthüllt sich damit in ihrer AbhänNichtsein
in einfache Position
Negativen Denn
als eines
indem sie -
verwandelt,
Negativen. nach
ihrer
So
»ist sie ebenso N e g a t i o n
ist sie
Voraussetzen«
Selbstaufhebung -
(L
des
II,
26,^).
die M i t w i r k u n g
ihrer
N e g a t i v i t ä t aus der Konstitution von U n m i t t e l b a r k e i t ( U 0 )
zurücknimmt,
kann sie diese Unmittelbarkeit auch nicht länger als allein von ihr e r w i r k t begreifen. N u n
ist »die
Unmittelbarkeit
(. . .) als
Rückkehren
nur
das
N e g a t i v e ihrer selbst, nur dies, nicht U n m i t t e l b a r k e i t zu sein«. Die
zur
Vollendung einer Position ( N - N ) ermangelte N e g a t i o n e r f ä h r t sich folglich als von der ihr entgegenstehenden
Unmittelbarkeit
( U - ) präveniert
und
abhängig bzw. erfährt die ohne ihre M i t w i r k u n g daseiende (negativ q u a l i fizierte)
Unmittelbarkeit (qua irreflexives »Zusammengehen mit sich«) als
ihre faktische Voraussetzung, deren sie b e d a r f , um den A k t der »Setzung« und sein Resultat ( U 0 ) überhaupt
vollbringen
zu können
Unter diesem Gesichtspunkt kann
gesagt w e r d e n ,
»in dem
( L II,
26/7).
Voraussetzen
bestimme die Reflexion die R ü c k k e h r in sich als das N e g a t i v e ihrer selbst, als dasjenige, dessen Aufheben das Wesen ist«. Denn nur unter der V o r aussetzung
eines
unabhängigen
Unmittelbaren
-
welches
Hegel
auch
»Gleichheit mit sich in seinem Negiertsein« oder » N e g a t i o n , die sich selbst gleich« ist, nennt (L II, 35 und 33,^) -
t r i f f t der Setzungsakt auf
Gegenstand, den er nun seinerseits negieren und in Positivität den«
kann
(L
II, 28, Z . 2/3).
(»Es
ist
[nämlich]
das
einen
»umwen-
Aufheben
seiner
Gleichheit mit sich, wodurch das Wesen erst die Gleichheit mit sich [L
II,
27,0],
nicht selbst
was offenbar nicht sein
negativ
wäre:
könnte,
»es ist zugleich
wenn
das
bestimmt
als
ist«
Aufzuhebende Negatives,
als
unmittelbar gegen eines, als gegen ein Anderes« [L II, 28,^].) Es ist klar, daß die U n a b h ä n g i g k e i t der Voraussetzung mit der wieder verschwindet, die jene als ihr P r o d u k t begreift, also negativ fiziert
(nämlich als sich selbst, also auch als N e g a t i v e s ) . Siehe
Setzung qualiHenrich,
I.e., 122 u./123 o. 1 5 Das heißt: der Selbstbezug eines N e g a t i v e n nicht im Hinblick auf seine materielle N e g a t i v i t ä t , sondern auf seine f o r m e l l e und abstrakte
Gleich-
heit nur mit sich nach A r t der »unbestimmten Unmittelbarkeit« des Seins ( U j ) . (»Das Wesen ist zuerst
einfache Beziehung auf sich, reine
Identität.
Dies ist seine Bestimmung, nach der es vielmehr Bestimmungslosigkeit ist«
[L II,
i6,J.) 131
gigkeit von der Unmittelbarkeit der Negation qua irreflexiver Gleichheit nur mit sich (>Ut<).16 Es ist offensichtlich, daß beide Momente, Setzen und Voraussetzen, einander wechselseitig implizieren und sich notwendig aus der Organisation der Reflexion als Widerspiel zweier Reflexe ergeben. Durch den Selbstbezug heben sich die negativ qualifizierten Relate auf (U 2 ), damit aber auch die konstituierende Negativität selbst. Die einfache (irreflexiv gewordene) Unmittelbarkeit (Uj) stellt sich der hinter ihr zurücktretenden Negation (Beziehung) nunmehr als ein »ihr Anderes« (L II, 26, :j) vor; und zwar als ein solches, ohne welches die Negation gar nicht selbstbezüglich werden und UL> ausbilden könnte. Insofern kann sie sich gerade nicht als dessen Grund begreifen. Die selbstreferentielle Unmittelbarkeit (UL>)17 zerfällt also vor den Augen der auf sie gerichteten Negation zur formalen Unmittelbarkeit der »Gleichheit nur mit sich< (U t ). Die aus der Selbstbeziehung geflohene (materiale) Negativqualifikation steht ihr nun gegenüber, um die solcherart »voraus^esetzte< unmittelbare Selbstidentität ihrerseits in die Sphäre der Negation einzuholen (sie zu >setzen<, d. h. in UL> rückzuverwandeln). So soll nachträglich auch die Voraussetzung aus einer >Setzung< begriffen und als eine auf Vermittlung bezogene Unmittelbarkeit erklärt werden. Die Setzung soll gleichsam das letzte Wort behalten. Gelingt ihr das, so wäre sogar die »Reflexionslosigkeit«, die der Schein auf der ersten Stufe seiner 1 6 »Die Reflexion also
findet
ein Unmittelbares
vor
[als dessen
Grund
sie sich eben darum nicht begreift], über das sie hinausgeht und aus dem sie R ü c k k c h r ist. Aber diese Rückkehr ist erst [ d . h . w o h l :
»zunächst«]
das Voraussetzen des Vorgefundenen« (Z. I I , 27,.,): Der C h a r a k t e r , aussetzung als
Resultat
f ü r die Negation
zu sein, taucht ja erst am
der Selbstzerstörung
dieser N e g a t i o n
in
der
Vor-
Horizont »Rückkehr
und in
sich« a u f . 1 7 »Das
Wesen
als unendliche Rückkehr
in sich ist nicht
unmittelbare,
sondern negative Einfachheit; es ist eine Bewegung durch / unterschiedene Momente, absolute Vermittlung mit sich« (L I I , 35/6).
32
Entwicklung vom Sein erbt und die als das Faktische, Nichtableitbare absolute und uneinholbare Voraussetzung der Vernunft zu sein schien, aus dem Funktionieren der Reflexion einsichtig gemacht: Das Wesen fände seine Voraussetzung als sich. Das Setzen käme, mit anderen Worten, dem Voraussetzen >in Wahrheit< zuvor. Denn die Selbständigkeit der Unmittelbarkeit gegenüber der Negation enthüllte sich als ihrerseits abhängig von der (logisch früheren) Selbstbeziehung der Negation (ohne die sie nicht Unmittelbarkeit wäre). 1 8 Andererseits kommt aber das Setzen immer schon zu spät; denn nicht im Namen dieses Typs von Unmittelbarkeit (UL>) erwies sich die Voraussetzung als von der Reflexion unabhängig (unbedingt). Ihre Dependenz nur von sich bekundet sich - nach Hegels eigener Voraussetzung - vielmehr gerade darin, daß sie die Auflösung der negativ auf sich bezogenen Relata - damit der Negation als solcher - als eine von Negation unabhängige Unmittelbarkeit übersteht. 19 Hebt sich nämlich die selbstbezügliche Negativität in ihrer Negativität auf, so hebt sich in demselben Akt eben auch jene Negativität auf, die als Relat ihrer Selbstbegegnung Grund für jene >Umwendung< in Unmittelbarkeit war. Dadurch sieht Hegel aber nicht den Bestand von Unmittelbarkeit selbst gefährdet - wie man vermuten müßte, wenn man Unmittelbarkeit überhaupt nur als Produkt einer >Setzung< in Anschlag bringt sondern er stellt fest, daß sich die Negation in dieser ihrer Selbstdurchstreichung nicht als Grund der (gesetzten) Unmittelbarkeit (U,) erfährt, von der sie und das ist nur eine andere Formulierung desselben Sachverhalts - insofern durchaus abhängig ist. Offenbar berührt diese Konsequenz den Nerv der Hegeischen Konstruktion, und wir sollten das deutlich machen. Absicht
13 »Denn Vesen
die
herkommt
Voraussetzung
der Rückkehr
und erst als
dieses
in sich -
Zurückkommen
das, ist
woraus ist
nur
das in
der Rückkehr selbst« (L I I , 27,^).
19 Vgl. Henrich, Hegels Logik der Reflexion,
I.e., 119,«. 133
des Kapitels über >die setzende Reflexion< war, die letzte Spur eines von Negation unabhängigen und insofern positiven Seins, wie sie in Gestalt des Scheins einer Voraussetzung noch zu sehen war, auszulösdien. »Reflexionslose« Unmittelbarkeit sollte sich als Produkt der Selbstbeziehung von Negation enthüllen, die insofern nichts voraussetzt und ganz auf sich selbst steht. N u n zeigt sich, daß, indem dies zu gelingen scheint, Negation selbst entfällt: denn die Unmittelbarkeit, die am Horizont der Selbstzerstörung der Negation auftaucht, hat mit ihr gar nichts mehr zu tun. Im Unterschied zu einer Negation der Negation in der Aussagenlogik bleibt der selbstbezüglichen Negation der Hegeischen Reflexionslogik ja kein Gegenstand als sie selbst: Während die Selbstnegation der ersteren das intendierte Aussageobjekt affirmiert, hat die Selbstreferenz der letzteren gar kein positives Resultat: ihr Ergebnis ist einfach dies, daß Negation nicht besteht: > - N < . Das bedeutet aber, daß sie in der Beziehung auf U, an die Grenze ihrer Autonomie stößt: Ohne auf ein rein Unmittelbares sich zu beziehen, für dessen Bestand sie sich nicht als Urheber weiß, höbe die doppelte Negation absolut sich auf. Ein anderer Ausdrude für diesen Sachverhalt ist, daß die selbstbezügliche Negation nur unter Voraussetzung eines von selbstreferentieller Negation Unabhängigen stattfinden kann. Ohne dies könnte sie nicht einmal ihr Fehlen konstatieren. Wenn dies für ausgemacht gelten darf, muß die Funktion des Setzens eingeschränkt werden: Es ist dann nicht Urheber des Bestands von U , , sondern Grund nur von dessen Qualifikation als eines »Negativen . . .gegen . . . ein Anderes« (L II, 28, :i ): »Daß dies Vorausgesetzte ein Negatives oder Gesetztes ist, geht dasselbe nichts an; diese Bestimmtheit gehört nur [ ! ] der setzenden Reflexion an, aber in dem Vorausgesetzten ist das Gesetztsein nur als aufgehobenes« (also negiertes [ L I I , 29, j]). - Die doppelte Negation (ohne andere Referenz als auf sich selbst) wäre mithin Grund nicht eines Seins, sondern allein ihres Nichtseins. 134
Reflexion als Selbstbestimmung im Anderen
Sicher ist, daß Hegel den obsessiven Charakter der »Voraussetzung< in den folgenden Kapiteln über die >äußere< und über die »bestimmende Reflexion< zu überwinden trachtet. Die Abhängigkeit der doppelt-selbstbezüglichen Negation von einem »Anderen« widerstreitet nämlich entschieden dem Gedanken einer Se/&5fbeziehung des Negativen, die ja die Seinsweise der Reflexion ausmacht. Solange das Wesen sein SichVerhalten-gegen-das-ihm-»Fremde« noch nicht als seine eigene Reflexion-in-sich sich verständlich gemacht und seine Voraussetzung als sich selbst begriffen hat, ist dessen Definition noch nicht erfüllt. Dazu würde erfordert, daß das soeben bestimmte und >für uns< in seinen Aspekten durchsichtige Wechselimplikationsverhältnis seinerseits gesetzt und aus der internen Organisation der Reflexion für sie selbst intelligibel gemacht werde. Hegel beginnt mit einer Rekapitulation, deren Absicht nicht ganz deutlich wird. Die negative Selbstbeziehung der Reflexion sei zugleich »Negieren ihres Negierens< (L I I , 29,3) - also Negation des Setzens - oder unmittelbare Voraussetzung - und »Setzen« der Unmittelbarkeit, also umgekehrt »Aufheben des ihr negativen Unmittelbaren« (ebd.). Daraus folgert er: »Das Unmittelbare ist auf diese Weise nicht nur an sichy das hieße für uns oder in der äußeren Reflexion, dasselbe, was die Reflexion ist, sondern es ist gesetzt, daß es dasselbe ist. Es ist nämlich durch die Reflexion als ihr Negatives oder als ihr Anderes bestimmt, aber sie ist es selbst, welche dieses Bestimmen/negiert« (L II, 29/30). Diese Konsequenz folgt aber keineswegs aus den Prämissen, die den im vorausgegangenen Kapitel erreichten Nachweis, daß auch Voraussetzen im Setzen gründe, in keinem Aspekt überschreiten. Indem nämlich gezeigt wird, daß die Reflexion sich weiß als das Unmittelbare bestimmend (>setzend<), ist noch nicht gezeigt, daß sie sich weiß als die Identifikation ihrer als Sein135
im-Anderen mit sich selbst als In-sich-Scheinen setzend. 20 Diese Identifikation ist vielmehr schon vorausgesetzt; und es besteht Grund zu der Annahme, daß sie nur vorausgesetzt werden kann. Das folgende Kapitel über >die bestimmende Reflexion< versucht freilich, die Prämisse argumentierend einzuholen. Die Reflexion-in-sich soll ihr negatives Verhältnis zur Unmittelbarkeit als ihr Verhältnis zu sich anschauen. Das kann nur geschehen, wenn das ihr Vorausgesetzte ihr getreues Spiegelbild ist und sich obendrein als ihr Spiegelbild zu erkennen gibt (sonst würde - wie in der »äußeren Reflexion< - das Wesen sich zwar unverstellt, gleichsam von Angesicht zu Angesicht, schauen, aber nicht als sich). Die Reflexion müßte sich in allen bisher abgeleiteten Aspekten »verdoppeln«, und zwar »das eine Mal als das Vorausgesetzte oder die Reflexionin-sich, die das Unmittelbare ist. Das andere Mal ist sie die als negativ sich auf sich beziehende Reflexion; sie bezieht sich auf sich als auf jenes ihr Nichtsein« (L II, 28). Die erste Synthesis wäre dann ihr reflektiertes Doppel in der Gestalt des An-sich (Unmittelbarkeit, »bestimmter Schein«), während die zweite dieselbe Relation in der Gestalt des Für-sich (Vermittlung, Negation) widerspiegeln und negieren würde. In dieser Reduplikation herrscht ein echt dialektisches Verhältnis insofern, als jedes der Relate die ganze Relation (Hegel nennt sie »unendliche Beziehung auf sich« [ L H , 35]) in eben dem Maße in sich selbst enthält 2 1 , wie sie andererseits nur als Relate dieser sie überschreitenden >ganzen Relation« sind, was sie sind. 2 2 Das läßt sich an der Interferenz der beiden konkret bestimmten Relate recht gut demonstrieren. Man könnte befürchten, 20 Henrich weist auf die Inkonsistenz der Argumentation
hin und
mutet, das K a p i t e l
aus
über die »äußere Reflexion« sei mehr
ver-
formalen
G r ü n d e n eingefügt, der Symmetrie des Dreischritts zuliebe (I.e., 126,.,). 21 » D i e Reflexion« als »das Scheinen
des Wesens
in sich selbst«• / »scheint
in diese seine Momente; sie sind daher selbst in sich reflektierte Bestimmungen« (L I I , 35/6).
22 Vgl. Henrich, Hegels Logik der Reflexion, 136
I.e., 129/30.
daß sie als äußerlich aufeinander bezogene und verglichene eine Differenz ins Wesen einführen, die das fugenlose Ensemble der unendlichen Selbstbeziehung paralysierte (L I I , 33>:i> 35 Z. 9 ff.). Das scheint aber nicht der Fall zu sein: denn das als unabhängig von der Reflexion (von seinem Gesetztsein) gesetzte Unmittelbare ist selbst Reflexion. Damit untergräbt es seine Unabhängigkeit von der (äußeren) Reflexion aber durch seine eigene Tat und geht von selbst ins andere Relat über (wird gesetzt); und für dieses läßt sich das entsprechende zeigen. Durch solchen Rollentausch bewährt sich das Wesen in der Tat als Se/£5rbestimmung: in seiner zweiten Gestalt setzt, negiert und bestimmt es sich selbst als die Voraussetzung, die es in seiner ersten Gestalt ist. Damit scheint Hegels Programm erfüllt: alles spielt sich ab, als sei das Fürsichsein der ganzen Relation gesetzt. Die Reflexion ist durchaus autonom: in ihrer Verdopplung hat sie bewußt nur mit sich zu tun, sie durchschaut sich in ihrer Bestimmung. In der >Zurücknahme< ihres Bezugs auf Anderes in die Selbstbeziehung bewährt sich die »Reflexionsbestimmtheit« als »die Beziehung auf ihr Anderssein an ihr selbst* (L II, 35).
Die Uneinholbarkeit der >Voraussetzung< Damit glaubt Hegel den vollen Begriff der »unendlichen Beziehung auf sich« (L II, 35) abgeleitet zu haben. Kann man sagen, daß er sein Ziel, die Bedeutungsverschiebung in der Verwendung des Ausdrucks >Unmittelbarkeit< beim Ubergang von der Logik des Seins zur Logik des Wesens allein aus dem immanenten Funktionieren der Reflexion zu erklären, erreicht hat? Und insbesondere: ist es gelungen, jene Differenz, die sich zwischen >Voraussetzen< und >Setzen< einzudrängen drohte, in eine Setzung der Identität beider aufzulösen? Da wir die Seinsthese Hölderlins und Sinclairs vor Augen hatten, als wir in eine Interpretation der >Reflexionslogik< 137
eintraten, ergab sich ganz natürlich, daß wir diese Fragen an Hegel stellen würden. Hölderlin hatte bestritten, daß eine Selbstbeziehung ihre Momente als sich wissen kann, wenn sie wirklich in der Beziehung stehenbleibt. Da sieht eines der Relate nämlich immer nur sein Korrelat, also entweder die Einheit oder den Gegensatz. Es sieht wohl auch, daß beide ihre Rollen tauschen und nicht an ihren Ort fixierbar sind. Die Einheit aber dieser relativen Einheit und relativen Differenz läßt sich in der Beziehung nie mitthematisieren: sie entgleitet der Reflexion als der Grund der dialektischen Selbstbegegnung, und so bleibt sie bei dessen Resultat stehen. Das Resultat ist aber sie selbst, und da sie sich durchsichtig ist, weiß sie sich als solches. Das heißt aber zugleich, daß sie sich nicht als Grund der in ihr sich manifestierenden Identität weiß. Daraus folgert Hölderlin auf die Transzendenz dieses Grundes und begründet diesen Schluß aus dem Faktum, daß Selbstbewußtsein ist und daß es - als solches - über seine Einheit nur >cum alia ratione interveniente< sich Rechenschaft geben kann. Hegel bestreitet das. Er leugnet die Notwendigkeit irgend einer Voraussetzung und verspricht, jene »reine Identität [ . . . der] Bestimmungslosigkeit« (L II, 36) - also die indifferente Gestalt des Seins - ganz allein aus der Selbstbeziehung eines Negativen (der Reflexion) herzuleiten. Er beansprucht überdies, auch das Fürsichsein der Reflexion aus der Negation verständlich gemacht zu haben. Zunächst muß man zugeben, daß sich für diesen Anspruch gute Gründe ins Feld führen lassen. Zum einen würde eine der Logik transzendente Voraussetzung »in gar keiner Weise die Folge verständlich machen, die aus ihr hervorgeht«. 2 3 Zum anderen kann - und dieser Punkt hängt eng mit dem 23 Vgl. Henrich, Hegels Logik der Reflexion, Dies A r g u m e n t
I.e., i s $ , 0 .
gibt übrigens auch Schelling zu, der die H e r l e i t u n g
der
F o l g e aus einem ihr äußeren P r i n z i p , wodurch jene »aus sich herausträte, in ihrer E x i s t e n z außer sich selbst (. . .) und sich selbst e n t f r e m d e t « w ä r e , f ü r »die U n g e r e i m t h e i t aller Ungereimtheiten« hält ( I , 7, 57).
138
vorigen zusammen - das Wesen nur dann für ein das Sein ohne Bedeutungsverlust in sich Aufhebendes gelten, wenn sich dessen opake Gleichheit nur mit sich als ein internes Merkmal der Reflexion-in-sich überführen läßt. Gibt man das zu, so muß man gleichwohl folgende Frage stellen: Ist in der Aufhebung der Charakter des Seins als »reflexionslose« (L I, 82) Identität bewahrt geblieben oder nicht? Hegel wird antworten, irreflexiv sei das Sein eben nur zum Schein, es enthülle sich der Reflexion als eine vordem nur unartikulierte Beziehung. In diesem Augenblick ist aber dem Sein ein außerlogischer Bestand abgesprochen: die Reflexivität der listigen Formulierung, es sei »Gleichheit nur mit sich<, wird beim Namen genommen, und nun zeigt sie sich als einerlei mit der >Reflexion-in-sich<. Mit einem Wort: nicht Sein und Wesen, sondern die Reflexionen in den Potenzen des Seins und des Wesens sind geglichen worden. »Nur wenn Unmittelbarkeit«, schreibt Henrich, »grundsätzlich schon als Selbstbeziehung gefaßt ist, kann der Nachweis, daß zwischen Voraussetzung und Reflexion kein äußeres Verhältnis besteht, dazu veranlassen, in Voraussetzung und Reflexion dieselbe Selbstbeziehung anzunehmen.« 2 4 Mit anderen Worten: die Schlichtung des Widerstreits von Setzen und Voraussetzen dependiert ihrerseits von einer Prämisse, die derjenigen der >Voraussetzung< noch vorgelagert ist. Gewiß glaubt Hegel, die Vorgabe der Prämisse im nachgelieferten Argument eingeholt zu haben (und dann nicht mehr supponieren zu müssen). Das Verfahren ist durchaus legitim. Aber es taucht ein Problem auf: Nimmt man nämlich an, der unmittelbare Selbstbezug des Seins erweise sich in Wahrheit als Wesen, und die Argumentation, die dafür einsteht, 24 Henrich, Hegels
Logik
der
Reflexion,
I.e., 128. »Ohne diese Prämisse«,
fährt Henrich f o r t , »kann Hegel nicht durch einen Fortschritt im G e d a n k e n von
der
setzenden
zur
äußeren
Reflexion
kommen.
Sein
Text
benutzt
sie auch gleich zu A n f a n g , wie gezeigt w o r d e n ist« ( e b d . ; Henrich v e r w e i s t auf
die
126,., f . gegebene
Interpretation
Kapitel über »die äußere Reflexion« [ =
des zweiten
Satzes
aus
Hegels
L I I , 28, 4 Z . 4 / 5 ] ) .
39
sei stringent, dann sieht man das Kriterium dahinschwinden, das Sein und Wesen als wirklich unterschiedene auseinanderzuhalten hilft. Mit dem Ausfall dieses Kriteriums gibt es dann aber in der Folge der >Logik des Begriffs« auch kein echtes Motiv mehr für eine Wiedervereinigung der getrennten in der restituierten Unmittelbarkeit der Idee. Wahrscheinlich reicht dieser Einwand nicht sehr weit: Hegel wird erklären, daß die Logik die Verwendungsweisen der Ausdrücke Sein und Reflexion trotz ihrer wesentlichen Identität hinreichend deutlich bestimme, um sie sinnvoll gebrauchen zu können - und wirkliche Differenzen kommen in einer Logik gar nicht vor. Kritik an der Hypostasierung der Relation zum Prinzip der Philosophie hat also tiefer anzusetzen. Wir müssen auf die eingangs gestellten Fragen zurückkommen. Sie verlangen Auskunft über das Verhältnis der selbstreferentiellen Negation (UL>) zu ihrer »Voraussetzung«. Erinnern wir uns an das, was wir über die Eigenart der doppelten Negation bei Hegel im Unterschied zu der der Aussagenlogik gesagt haben. Nimmt die Negation einer Aussage sich zurück, so läßt sie den Gegenstand der Aussage stehen oder vielmehr: sie bejaht ihn indirekt. Die in den Rang eines Prinzips erhobene Negation hat hingegen mit gar nichts Äußerem zu tun, auf das sie sich beziehen könnte: jede ihrer Beziehungen muß - das ist gerade die Prämisse der Logik - auf sie selbst gehen. Darum wird sie keine Voraussetzung als solche anerkennen; und die einfache Unmittelbarkeit muß ihr, wenn sie ins Spiel kommt, als ihr Resultat erscheinen. Aber läßt sich wirklich sagen, daß die Unmittelbarkeit, auf die die negierte Negation durch ein Ausschließungsverhältnis bezogen ist, mit derjenigen Unmittelbarkeit gleich ist, die als ihr Resultat - wenn auch in einem problematischen Sinne - wenigstens gedacht werden kann? Mit der erfolgreichen Selbstnegation hat die doppelte Negation ja nicht nur der Unmittelbarkeit Platz gemacht; sie scheint deren Bestand - als einen von ihr produzierten - grundsätzlich dadurch wieder 140
in Frage zu stellen, daß sie Negation überhaupt aufhebt und mit ihr auch den Grund für die aus Selbstreferenz resultierende reine Unmittelbarkeit. Das Produkt dieser ihrer Selbstvernichtung könnte darum auch nur ein Nichtseiendes s e i n 2 5 : seine Seinsweise wäre der abstrakte Ausdruck reinen Nichtseins. Sagt man also, daß die Selbstaufhebung der Negation gar nicht anders als in Beziehung auf diesen von ihr unabhängigen Zustand gedacht werden könne, so hat man ihn noch nicht als die Unmittelbarkeit des Seins ausgewiesen. Gleichwohl behauptet Hegel als Resultat der Selbstbeziehung die unbezogene und von Negation unabhängige (!) Unmittelbarkeit (Uj), die doch - als bestimmungsunabhängig schon im Namen trägt, daß sie nicht Resultat der Reflexionsnegation sein kann. Im Gegenteil: wenn Unmittelbarkeit als das Andere der Reflexion auftaucht (Uj), muß sie schon darum etwas anderes sein als der Schatten jener Selbstdurchstreichung der Negation (U 2 ), weil sie ist, d. h. das Nichtsein ihres >Grundes< überlebt. Auf ihn läßt sie sich also nicht reduzieren. Sie dennoch unter dem Titel »Gleichheit des Negativen nur mit sich< der Reflexion gleichsetzen hieße, sich eines fehlerhaften Zirkels zu bedienen, der seine Prämisse nicht offenlegt und auch nicht ableitet. Denn diese Sichselbstgleichheit ist das Andere der Reflexion gerade darum, weil sie auch dann ist, wenn Negation als ihre Seinsbasis entfällt. Selbst wenn man daran festhält, das Andere der eliminierten Negation sei selbst Negation, gilt, daß sie jedenfalls nicht 25 Gegen
die
Konfundierung
der
Position
mit
der
negierten
Negation
wendet sich - aus einer anderen Perspektive - auch T h . W. Adornos
Nega-
tive Dialektik
( F r a n k f u r t / M . 1966, 159 fr.). Sie leitet aus diesem Einspruch
den
ab, die unbezweifelte
weiteren
Verwiesenheit
der Vermittlung
auf
das Vermittelte (Unmittelbare) sei nicht ebenso umkehrbar: Es gibt einen Vorrang
der
Unmittelbarkeit
vor
der
Vermittlung
(I.e.,
1 7 1 / 2 f f . ) : ein
in ihr »nicht Aufgehendes« (I.e., 172). A d o r n o baut auf diesen Satz seine These vom »Vorrang des Objekts« vor dem Subjekt auf (I.e., 182 ff. im K o n t e x t ) . Unsere Arbeit will die Schellingsche Tradition sichtbar machen, in der sie - nicht bewußtlos (vgl. I.e., 182 o. und 200), aber unangemessen sie interpretierend - steht.
141
Resultat von Negation sein kann, die in solcher Urzeugung ja als causa sui sich bewähren müßte. Die >Voraussetzung< ist der faktische und insofern positive Bestand von Negation überhaupt. Wäre sie das nicht, die Negation hätte nichts, worauf sie reflektierend sich beziehen könnte, um den Zustand - N - Nicht-Negation - überhaupt hervorbringen zu können. Audi darin erweist sich U* mithin als bedingt durch den positiven Bestand von U t . Übrigens besteht gar keine Notwendigkeit, mit der Negation den Anfang zu machen: den Charakter des Negativen erhielte das Sein unmittelbar, sobald es als Relat in einer Beziehung aufträte, die es bestimmt. Die Negativqualifikation eines Bestimmbaren erlaubt jedoch keineswegs den Schluß, daß auch das bestimmungsunabhängige Sein in Wahrheit ein Modus der Negation sei. Ganz sicher besteht Hegels Erinnerung zu Recht, daß von der >Irreflexität< dieses reinen Seins immer nur negativ sich reden lasse: indem man eine Negation negiert (U.>) und deren Resultat dann als Voraussetzung dieser Selbstnegation ausgibt. So zeige sich indirekt, daß dem Bann der Reflexion nicht zu entrinnen sei. Zwei Gründe lassen sich vorerst für die Gegenthese anführen: i. muß, um den Satz, das Wesen sei das »gewesene Sein< (L II, 13), auch nur möglich zu machen, das Sein schon vor seiner Vermittlung als solches bekannt gewesen sein. Anders ließe es sich als das, was es ist, auf Reflexion gar nicht beziehen, mit ihr vergleichen und vor allem von ihr unterscheiden. Die Analyse der Reflexionsstruktur kann in alle Ewigkeit nur wieder Reflexionsmomente zutage fördern (sie vollendet sich geradezu in dem Nachweis, daß die Reflexion in jeder ihrer Beziehungen nur mit sich zu tun hat). Sollte sich unter ihnen Unmittelbarkeit befinden, so ist schon im voraus klar, daß es sich um das eigene Anderssein der Reflexion selbst und keineswegs um etwas, v aus dem die Reflexion zu sich selbst gekommen wäre, handelt. Diese Unmittelbarkeit wäre es nur unter der zirkelhaft verwendeten Prämisse, daß 142
Unmittelbarkeit Selbstbeziehung, also Reflexion ist. 2 6 Dann muß aber jener Satz, den Hegel nur aufschrieb, um im Fortgang der Argumentation seine Vorläufigkeit zu erweisen, das letzte Wort behalten: »es [das Unmittelbare] ist nur in der Reflexion-in-sich, es ist nicht diese Reflexion selbst« (L I I , 2. Ein schwerer wiegender Einwurf muß den ersten ergänzen: Nimmt man die Suisuffizienz der Beziehung als ein ursprüngliches Faktum der Vernunft einmal an, so fragt sich, ob das Phänomen von Vereinigung durch sie überhaupt erklärt worden ist. Denn daß die Relate sich aufeinander beziehen, und zwar für sich selbst aufeinander sich beziehen, kann offensichtlich aus keinem der Relate und ebenso wenig aus dem Begriff der »ganzen Relation< abgeleitet werden. Eine Relation bleibt Differenz. Gewiß läßt sich Einheit im Gegensatz darstellen: sie hat dann allerdings nicht in ihm ihren Grund, sondern allenfalls die Stätte ihrer Manifestation. Anders gesagt: Man kann sich zwar vorstellen, daß die Reflexion, indem sie sich bestimmt, mit sich in ihrem Anderssein identisch ist. Nicht ableiten läßt sich aber das Bewußtsein, daß die Reflexion sich in dieser Beziehung wirklich als mit sich identisch weiß. Ohne Zweifel würde Hölderlin dies 26 Die phänomenale E v i d e n z f ü r Hegels Schritt w i r d zunächst gar nicht bestritten: D a s Allgemeine als das allem Gemeinsame kann nur auf selbst bezogen
sein
(außer
ihm
ist nichts); dagegen
ist das
Besondere,
was es ist, nur durch N e g a t i o n der Allgemeinheit und A b g r e n z u n g ein
Anderes
(es profiliert sich v o r
dem
Hintergrund
der
stimmtheit und dadurch, daß es anders ist als anderes).
leeren Der
sich
gegen Unbe-
Nachweis
der Identität des Allgemeinen und des Besonderen hat dann nurmehr die Implikation a u f z u z e i g e n , daß bei der »Beziehung nur auf sich« in W a h r h e i t zugleich ein »Bezug auf Anderes< und umgekehrt vorliegt, als solcher nur nicht in der Position der U n m i t t e l b a r k e i t schon einleuchtet. Freilich gelingt dieser Nachweis nur unter der Voraussetzung, daß die so definierte gemeinheit die einzig mögliche Definition von -
mit anderen
Worten -
>Sein< darstelle,
Sein (esse subsistens) auf
stimmte Bestimmbarkeit; esse apparens). -
reduziert
Allgemeinheit
D a ß der Ausdruck
All-
(unbe-
>Sein< bei
Hegel »als reine Bestimmungsmöglichkeit (. . .) a u f t r i t t « , unterstreicht auch
A. Sarlemijn, Hegeische Dialektik,
I.e., 27. 143
seinem Freunde zu bedenken gegeben haben. Er würde hinzufügen können, daß Hegel die Tatsache, daß Selbstheit in Reflexion erscheint mit der Autonomie der Reflexion konfundiert habe. Und er hätte zu zeigen gewußt, daß, weil die Reflexion eine nur zweistellige Relation ist, in ihrer eigenen Struktur begründet ist, daß sie Selbstidentität als ein außerreflexives Faktum voraussetzen muß und tatsächlich immer schon voraussetzt. Diese Voraussetzung ist aber weit unterschieden von der Voraussetzung, die Hegels Logik selbst zugibt und die darin besteht, daß sie die unbezogene Identität des Seins als einen Modus von Relation behandelt. Diese Voraussetzung erklärt zwar befriedigend die Verfahrensweise der Logik, läßt aber die Gründe für einen möglichen Umschlag der Relation in das Bewußtsein der Selbstheit im Anderssein (der Reflexion) im Dunklen, indem sie sich darauf beschränkt zu zeigen, daß Reflexion selbst eine Weise von Relation ist und deren Sphäre also nicht überschreitet. In diesem Fall gibt es keine Möglichkeit, dem zu entkommen, was Hegel unter dem Titel der >äußeren Reflexion< beschrieben hat.
Eine Denkfigur Schellings - Vorform oder Alternative? Hegels Theorem einer Selbstbestimmung der Reflexion ist nicht ganz unabhängig von Vorbildern der frühidealistischen Tradition entstanden. »Die absolute Identität des Unendlichen mit dem Endlichen« (I, 2, 361), so hatte bereits Schellings Identitätsphilosophie gelehrt, wird durch das »absolute Band oder die Copula« (»die reine Wesentlichkeit«) ausgedrückt. Absolut kann diese Einheit nur genannt werden, wenn sie sich - wie die bestimmende Reflexion bei Hegel - als »unendliche Selbstbeziehung< 27 erweist, d . h . wenn sie sich nicht 27 Schelling
sagt:
als
»unendliches
Bejahen« (I, 2, 362). Übrigens freilich als »ungenügend«
144
sich-selber-Wollen«
hat Hegel
bezeichnet
Schellings
(Hegel,
oder
»sidi-selbst-
Vorbild
anerkannt,
Vorlesungen
über
die
Ge-
gegen das durch sie Verbundene, sondern als die Identität ihrer als des Bandes mit den verbundenen Relaten definiert (I, 2, 361/2 ff.)- Die Verbundenen als für sich bestehende sind in der Einheit ebenso »negirt« wie umgekehrt »die Einheit (identitas)« » in der (ihr entgegengesetzten) Vielheit« (I, 2, 263/4). Die Identität des Bejahenden und des Bejahten (des Vorausgesetzten und des Gesetzten) kann - und das ist nur eine andere Wendung desselben Verhältnisses - absolut nur dann sein, wenn durch eine »Doublirung des Wesens, also eine Steigerung der Einheit« ( 1 , 7 , 4 2 5 ) »jedes [,] das Bejahende und das Bejahte [,] ( . . . ) das g a n z e Absolute« ist (I, 6, 164 u.; vgl. I.e., 165, Z. 4/5). Der Satz: »>Das A f f i r mirende und das Affirmirte, beides ist Gott<, heißt also ebenso viel als: beides, das Affirmirende und das Affirmirte, jedes für sich, ist Identität des Affirmirenden und des Affirmirten« ( 1 , 6 , 1 6 4 , 3 ) . Hier handelt es sich also um eine Relation, in der nicht äußerlich »Ungleiches Ungleichem, sondern dasselbe (. . .) sich selbst gleich gesetzt« wird (I, 6, 165,0). Jedes Relat weiß sich durch den Akt selbst, durch den es sich als »ein Theil des Ganzen« präsent ist, zumal als »das ganze untheilbare [Absolute] ( . . .) selbst« (ebd.), also auch als das ihm relativ Entgegengesetzte (I, 6, 165, 2 , Z. 9). »Aller Regressus ins Unendliche ist hier abgeschnitten« ( 1 , 6 , 1 6 5 , , ) . Denn es wird nicht nur die Wechselimplikation an sich oder eine »einfädle Identität« Ungleicher, »sondern es wird die Identität einer Identität gesetzt« ( 1 , 6 , 165,0). Anders: Das »Wesen« »als ein reines Eins« (I, 7, 54) »wäre nothwendig ohne Offenbarung in ihm selbst« (ebd.). Als das »dem Begriff nach ewige ineinander-Scheinen des Wesens und der Form« (I, 7, 59, 2 ) bezieht die gründende Einheit den »Gegenwurf ihrer selbst« (I> 7, 58, o), die Differenz ihrer Relata, auf »sich« zurück und enthüllt sich mithin in beiden Momenten als »Allheit oder absolute Totalität« (ebd.). Dieser Gedanke entspricht offensichtlich recht genau dem, was Hegel als das >Setzen< der schidue
der Philosophie,
Theorie-Werkausgabe,
I.e., Bd. 20, 440. Schon
I.e., B d . 2, 1 0 0 f f . schließt er sich Schelling an).
145
»Einheit der setzenden und äußeren Reflexion« (L II, 32) beschrieben hat. Zugleich macht sich ein wesentlicher methodischer Unterschied im Verfahren geltend, das für seine Wahrheit einsteht. Hegel glaubt, d ie in der bestimmenden Reflexion für sich gewordene Einheit der Relate nicht länger mehr voraussetzen zu müssen. Denn die Voraussetzung ist ja ihrerseits - und zwar in Einheit mit dem Setzen - gesetzt, damit von der und in die Reflexion zurückgenommen. Dagegen operiert Schellings These, daß in jedem Relat die Einheit mit seinem Korrelat und der ganzen Relation wiederaufersteht, gerade umgekehrt mit der im ersten Satz seines Würzburger Systems einbekannten »Voraussetzung« einer die Relation prävenierenden »absoluten Einheit« der Bezogenen (I, 6, 138 f.). Bekanntlich hat Hegel die Schwäche dieses Ansatzes, bei grundsätzlicher Ubereinstimmung mit seinen Resultaten, durch den Einwurf aufzudecken versucht, die bloße Hypostasierung einer niemals manifesten Einheit erspare jene begriffliche Arbeit, die Identität als Produkt der Reflexion - also im Verlauf des zu ihr führenden Weges selbst - hervorzubringen. Schellings Philosophieren glaubt sich dagegen durch folgende Evidenz legitimiert: Unser Wissen findet die Realität und sich selbst als »Totalität« strukturiert vor. Jedem Seienden läßt sich nachweisen, daß es Einheit in der Vielheit ist Relation, die für Einheit; Einheit, die für Relation transparent ist (I, 2, 362/3). Das bedeutet natürlich nicht, daß die >Identität< beider rein und als solche ein Charakter des Seienden wäre. Im Gegenteil verhält sie zu ihm sich so, daß die ganzheitliche Organisation des Seienden »die Einheit (identitas)« nur »fordert« »und ohne diese auf keine Weise gedacht werden (kann)« (I, 2, 362 u.). Die Voraussetzung dieser jeder Relation vorgängigen Einheit wird uns, mit anderen Worten, »durch die Reflexion auf das Wissen selbst abgenöthigt« (I, 6, 137). Sie hat mithin den Status einer notwendigen Ermöglichungsbedingung für die synthetische Organisation des Seienden und 146
seiner Wahrheit, des Wissens. 28 Sagt man, daß in ihm diese präreflexive Einheit »als solche« - nämlich als Manifestation - sei, so denkt man das Wissen als eine relative Einheit von Einheit und Gegensatz: »es besteht gerade aus Zusammenhalten im Auseinandergehen und aus Auseinandergehen im Z u s a m m e n h a l t e n « . 2 9 Wäre es opake Einheit, es könnte nicht auf sich zurückkommen und würde kein Bewußtsein seiner selbst erwerben; wäre es ein reines Auseinanderfallen der Momente, es würde nicht »sich seihst«29 als das in beiden Einige erfahren können. Beide Bedingungen müssen also zugleich erfüllt sein, wenn Wissen möglich sein soll. Dennoch haben sie nicht den gleichen Rang. Während es leicht denkbar ist, die Einheit in eine Beziehung zu sich zu bringen - sie w a r Einheit und wird es bleiben kann es die Relation nicht ohne weiteres dahin bringen, sich als ein Einiges zu sich zu verhalten (diese Einheit - qua Bezogenes - würde ihr äußerlich bleiben). Im Wissen liegt aber eine solche Beziehung von Einheit und Gegensatz vor, daß über das Bezogensein beider hinaus die Momente ihrer Selbigkeit bewußt sind. Und der Grund dieser bewußten Selbigkeit fällt nicht in den Prozeß der Vermittlung als solcher. Wird Einheit also nur hypothetisch in Anspruch genommen? Keineswegs. Die Anlage der Schellingschen Philosophie beweist es hinlänglich: »unsere fernere Betrachtung ( . . . w i r d ) Entwicklung und Ergründung der Voraussetzung seyn, daß es Ein und dasselbe ist, das da weiß, und das da gewußt wird« (I, 6, 140, 3 ; vgl. I, 4, 361/2 ff.). Ohne die Voraussetzung käme der Reflexionsprozeß nicht in Gang, und er könnte insbesondere nur auf deren Basis die reflexive Erkenntnis der 28 D a ß »dieß die erste Voraussetzung alles
Wissens, d. h. diejenige V o r -
aussetzung ist«, e r k l ä r t Schelling, »ohne welche sich überall kein Wissen denken läßt, dieser S a t z kann hier nur indirekt, nämlich dadurch bewiesen werden, daß gezeigt w i r d , es sey bei keiner andern möglichen
Voraus-
setzungen ein Wissen denkbar« (I, 6, 138.^; v g l . I» 2» Mm)29 F . W. J . Schelling,
Initia
philosophiae
universae,
Erlanger
Vorlesung
WS 1 8 2 0 / 2 1 , hg. von H o r s t Fuhrmans, Bonn 1969, 8 4 / 5 .
147
Einheit als Resultat erbringen. 30 Andererseits hat sich die Voraussetzung im Prozeß zu reflektieren, man kann bei ihr nicht stehen bleiben. (»Wir wollen nicht mit dem Allgemeinen uns begnügen, daß ein schlechthin erstes Wesen, wenn auch an sich überschwengliche Fülle, doch sofern es nichts hat, dem es sich mittheilen kann, als äußerste Armuth, als höchste Bedürftigkeit sich selber erscheinen muß. Nicht damit, daß im Begriff jedes Anfangs der Begriff eines Mangels liegt« [I, 8, 352].) »Dieser Voraussetzung Realität zu geben, sie (. . .) als wahr darzustellen, dieß ist eigentlich der subjektive, verborgene Impuls zu aller Philosophie« (I, 6, 137). Auch diese Formulierungen erinnern an Hegel. Nur das Begründungsverfahren weicht von dem seinen ab. Daß die »philosophische Reflexion«, indem sie selbstbezüglich wird und sich aufhebt, die entgegengesetzten Momente »zu Einem« verbinden kann (I, 6, 163) - Hegels U 2 gibt Schelling zu. Aber er fügt an, daß sie das nur deshalb könne, weil dem Aktus der Verbindung eine prä-synthetische, nämlich »absolute Einfachheit« (ebd.) zugrunde liegt, »kraft« deren das Absolute »sich selbst unmittelbar« (ebd.) affirmiert. Anders gesagt: Unmittelbarkeit als Selbstvermittlung eines Negativen beruht, soll sie möglich sein, auf dem Vorgegebensein von U|, d. h. einer unmittelbaren und irreflexiven Selbstidentit ä t 3 1 , als deren » n u r . . . ideale Wiederholung« ( 1 , 9 , 2 2 3 / 4 ) Hegels >Setzen< sich begreiflich machen läßt. Gäbe es nicht zwingende Evidenzen für die These von der »gänzlichen und absoluten Unabhängigkeit der Identität oder der Gleichheit an sich selbst von dem Subjektiven und Objek30 »Es ist mit dieser Schlußfolge noch keineswegs e t w a s f ü r die R e a l i t ä t dieser Idee bewiesen ( . . . ) ; unser Schluß ist nur hypothetisch: wenn P h i l o sophie ist, so ist jenes ihre nothwendige V o r a u s s e t z u n g « (I, 2, 59). Recht durfte Schellings spätere H e g e l k r i t i k
auf diesen S a t z sich
wenn es darum ging, Existenzansprüche der >Voraussetzung<
der
Mit
berufen, Identi-
tätsphilosophie abzuwehren. 3 1 D a s Problem, daß diese Selbstidentität (ihrer U n m i t t e l b a r k e i t tet) auch selbstbewußt zunächst aus.
148
ungeach-
sein muß, klammern w i r aus heuristischen G r ü n d e n
tiven« ( 1 , 6 , 147,3), s o m üßte man umgekehrt annehmen, daß »•das Absolute nur das Produkt (wäre), das hinterdrein erst durch die Vernichtung des Gegensatzes gesetzt wird« (I, 6, 163,0). Aber »so wäre ja das Absolute alsdann bloß eine Negation, nämlich die Negation einer Verschiedenheit [U2], von der man nicht weiß, woher sie kommt, und warum sie gerade dienen soll [,] an ihrer Negation das Absolute zu demonstriren. Das Absolute wäre dann keine Position, sondern eine bloß negative Idee, ein Produkt des synthesirenden Denkens, (. . .) kein unmittelbarer Gegenstand der Erkenntniß, sondern ein durchaus mittelbarer, mit Einem Wort ein bloßes Gedankending« (I, 6, 163/4). Man muß sich klar machen, daß diese Sätze aus dem J a h r 1804 stammen, aus einer Zeit also, in der sich Schelling mit Hegel weitgehend einig wußte und Hegels System noch nicht ausgebildet war. Daß sie gleichwohl zu einem Einwand gegen die Grundoperation der Logik sich eignen 3 2 , kann deutlich machen, wie präzise Schelling das Eigene seiner Position schon damals zu bestimmen wußte und wie konsequent der Gang seiner Spätphilosophie war. Schellings Überlegung schließt drei korrespondierende Thesen ein, die wir, unbekümmert um mögliche Schwierigkeiten in deren Durchführung, an dieser Stelle zunächst einmal skizzieren wollen. Die eine lautet, das Absolute sei ein von Bestimmung unabhängiges Positivum; die zweite liefert ein Negativargument für die Richtigkeit der ersten, indem sie geltend macht, daß die Selbstbeziehung der Negation jene Positivität gar nicht zum Resultat haben könnte (sie würde die 32 D a r a u f Begriff
der
weist in anderem Zusammenhang auch Werner Becker, Dialektik,
I.e., 66 ff., bes. 74 ff., hin. Hegels K r i t i k
Hegels an
der
Transzendenz von Fichtes und Schellings Begriff der Identität, so ist sein Gedanke,
nimmt sich selbst zurück, indem er die innere
Notwendigkeit
anerkennt, die Dimension des Gegensatzes auf die Einheit der R e l a t a überschreiten zu müssen. D a m i t breche die Polemik gegen die
»vorausgesetzte
Indifferenz« in sich z u s a m m e n ; und das Problem, wie eine gründende E i n heit d a z u komme, sich zu dirimieren, verschiebe sich bei ihm zu der F r a g e , wie Gegensatz sich in Einheit auflösen lasse.
149
Bestimmung des Absoluten wieder zurücknehmen und damit nur angeben, was das Absolute, wenn es ist, nicht ist: nämlich Reflexion). Damit würde aber drittens jedes Kriterium für die getane Behauptung fehlen, dasjenige, das am Horizont der negativen Selbstbeziehung auftaucht, sei das Absolute; denn diese Aussage geht über den von der Reflexion erbrachten Befund weit hi naus — es ließe sich nicht angeben, was die allein auf sich gestellte Negation zu diesem Urteil legitimierte.
150
III
Die wechselseitigen Systemkritiken Hegels und Schellings
Keimhaft ist in diesen Überlegungen aus dem Jahre 1804 bereits das Potential von Schellings später Gegenkritik an den Vorwürfen versammelt, die Hegel erstmals in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes1 öffentlich gegen ihn erhob. Wir sind uns im klaren darüber, daß eine Konfrontation von Kritik und Gegenkritik, wie wir sie im folgenden überwiegend auf der Basis der Vorrede und Schellings Replik in den Vorlesungen über die Geschichte der neueren Philosophie versuchen wollen, nur unter systematischen Gesichtspunkten interessieren kann. Wir sehen von einer Freilegung persönlicher Motive, die allenthalben und auf beiden Seiten den Stil der Auseinandersetzung färben, ebenso wie von der unangemessenen Polarisierung der beiden Ansätze 2 ab. Sie ist im wesentlichen Schuld unserer Philosophiegeschichtsschreibung und hat ihr Fundament nur zum Teil in der von ihr dramatisierten Sache. Der Briefwechsel zwischen Hegel und Schelling aus dem Jahre 1807, von der Forschung meist anachronistisch im Licht der späteren Entzweiung der Freunde gelesen, bietet keinerlei Winke für die Konstruktion eines unversöhnbaren Gegensatzes 3 - ebensowenig Pläne für ein neues Journal und gemeinsame Berufung nach München. Im Gegenteil wendet sich Hegels Schreiben vom 1. 5. 1807 an Schelling* als an den kompetentesten Zeitgenossen mit der Bitte um Be1 H e g e l , Phänomenologie 1952G [zit.:
des
Geistes,
hg. von
J . Hoffmeiiter, Hamburg
Phän.].
2 Die bislang plausibelste und am reichsten aus Quellen belegte dung
f ü r die E n t f r e m d u n g
Schellings
geliefert ( H . F . , F. W. J. Schelling,
und
Briefe
Hegels
und
hat Horst
Dokumente
BegrünFuhrmans
I, Bonn
1962,
451-558). . . 3 »Ihre Zwietracht«, schreibt H e i d e g g e r mit Recht, »ist das Zeugnis ihrer Einheit«
(M. Heidegger,
menschlichen
Freiheit
4 H e g e l Briefe
(1809),
I , 159-
Schellings
Abhandlung
Tübingen 1 9 7 » , 2 2 3 ) .
über
das
Wesen
der
urteilung seines Werks, ja womöglich um dessen Einführung ins Publikum, die er jeder anderen vorziehe. Die in der Vorrede geäußerte Polemik möchte - in Schellings eigenstem Interesse - als gegen »den Mißbrauch und die Nachschwätzer« der Naturphilosophie gerichtet verstanden werden.5 Schellings Antwort, ein wenig heikel im Abwehrgestus gegen die von Hegel ausdrücklich abgewiesene Anmutung, die Polemik gegen Kompromittenten seiner Naturphilosophie - »bei dem gerechten Maß der eignen Meinung von mir selbst« - etwa auf sich zu beziehen, glaubt an die Möglichkeit, mit Hegel über die eventuelle Differenz in ihrer »Überzeugung oder Ansicht« ohne Mühe »kurz und klar« ins Reine zu kommen (München, den 2. Nov. 1807; Plitt II, 1 2 1 ) . Damit ist der Verdacht gelindert, einige der ohne Zögern so interpretierten polemischen Wendungen, wie etwa die von der Nacht, in der alle Kühe schwarz sind (Phän., 19), oder von jenen Phantasten, die, »durch die Einhüllung des Selbstbewußtseins und Aufgeben des Verstands, die Seinen zu sein [glauben], denen Gott die Weisheit im Schlafe gibt« (Phän., 15), seien auf Schelling gemünzt. Im Gegenteil läßt sich zeigen, daß ein gut Teil dieser sprichwörtlich gewordenen Attacken frühe Polemiken Schellings gegen den gleichen Gegner frei zitiert.* Unter diesen Umständen fällt um so mehr Ge5 »In
der
Vorrede
wirst
besonders mit Deinen
Du
Formen
nicht
finden,
daß
soviel U n f u g und
ich
der
Plattheit,
die
Deine Wissenschaft zu
einem kahlen Formalismus herabtreibt, zu viel getan habe.« (ebd.) V g l . H . Fuhrmans* (I.e., 5 1 9 ff.) ausführliche und gründliche
Interpreta-
tion. 6 Darauf hat schon K a r l Jaspers (Schelling. Größe
und
Verhängnis.
Mün-
chen 1955) hingewiesen. - So bezieht sich beispielsweise der V o r w u r f gegen die nachtschwarze
Identität
eindeutig
auf
Schellings
ähnlich
motivierten
Angriff auf jene »meisten«, die »in dem Wesen des Absoluten nichts als eitel Nacht« zu sehen, d. h. »nichts darin zu erkennen« vermögen (I, 4, 403,.,). Andere Bilder wie das vom »bacchantischen T a u m e l , an dem kein Glied nicht trunken ist« und der eben dadurch, daß alle sich unmittelbar auflösen, f ü r die »einfache Ruhe« durchsichtig ist ( P h ä n . , 39), haben Schellingschc
Vorbilder
Darstellungen,
152
( I , 4, 402,.,) -
daß man
vermuten
übrigens
so
häufig
könnte, Hegel
aus
den
Ferneren
habe diese Schrift bei
wicht auf den Differenzpunkt, den Schellings Schreiben selbst anerkennt: »Versöhnen«, schrieb er, werde sich zwischen ihnen »Alles« lassen, »Eines ausgenommen. So bekenne ich, bis jetzt [d. h. nach der Lektüre der >Vorrede<] Deinen Sinn nicht zu begreifen, in dem Du den Begriff der Anschauung opponirst. Du kannst unter jenem doch nichts andres meinen, als was Du und ich Idee genannt haben, deren Natur es ist, eine Seite zu haben, von der sie Begriff, und eine von der sie Anschauung ist« (Plitt I.e., 12). Bekanntlich hat Hegel auf diesen recht freundschaftlichen Brief Schellings nie geantwortet. Er hat die vorgeschlagene 'Diskussion über »Begriff und Anschauung« bewußt gemieden. Erst seine Schüler haben sie aufgegriffen, und zwar unter dem Einfluß Schellingscher Argumentation und in einem gegen Hegel gerichteten Sinne.
Hegels Kritik an Schelling in der Vorrede zur Phänomenologie Welches Motiv hat diese Opposition des Begriffs gegen die Anschauung in Hegels Vorrede, und in welcher Weise artikuliert sie sich als ein echter Widerspruch gegen Schellings Version einer Identitätsphilosophie? Hegel hat in dem bekannten Satz der Vorrede »das Wahre [als] . . . das Ganze« bestimmt (Phän., 2 1 , 2 ) und hinzugefügt: »Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin besteht seine Natur, wirkliches Subjekt, oder Sichselbstwerden zu sein. . . . Der Anfang, das Prinzip oder das Absolute, •
der Niederschrift der V o r r e d e benutzt (vgl. noch das Beispiel des tomen [Phän.,
i o , , und I, 4» j 6 a , J
schaft als dem
-Allen
zu ihr« [Phän.,
17t|
dargebotenen
Ana-
die Metapher von der Wissenund
für Alle
gleichgemachten
Weg
und I , 4, 3 * 2 , , ] - ). - Die Identifikation von Sub-
stanz und Subjekt konnte sich außer auf Sdiellings Brief vom 4. 2. 1795 (Plitt
I, 76) ebenfalls auf diese Schrift b e r u f e n : I, 4, 57<>/i.
153
wie es zuerst und unmittelbar ausgesprochen wird, ist nur das Allgemeine . . . die Worte des Göttlichen, Absoluten, Ewigen usw. . . . drücken in der Tat nur die Anschauung als das Unmittelbare aus. Was mehr ist als ein solches Wort, der Übergang auch nur zu einem Satze, enthält ein Anderswerden, das zurückgenommen werden muß, ist eine Vermittlung. Diese aber ist das, was perhorresziert wird, als ob dadurch, daß mehr aus ihr gemacht wird denn nur dies, daß sie nichts absolutes und im Absoluten gar nichts sei, die absolute Erkenntnis aufgegeben wäre. . . . Es ist daher ein Verkennen der Vernunft, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird.« (Phän., 21). Nicht »ein esoterisches Besitztum einiger Einzelner« (Phän., 16) kann die Wissenschaft sein, sie ist »der Allen dargebotene und für Alle gleichgemachte Weg zu ihr« (Phän., 17). »Die wahre Gestalt der Wissenschaftlichkeit« ist ferner darein gesetzt, »an dem Begriffe allein das Element ihrer Existenz zu haben« (Phän., 12,3). Wir können an dieser Stelle die Frage unerörtert lassen, ob nicht gerade »die Tendenz zum Geschichtlichen« (I, 10, 94) es war, durch die Schellings Philosophie sich ausgezeichnet und dabei Hegels Zustimmung und Nachfolge gefunden hatte. Diese Tatsache ist bekannt, und Hegel hat sie nie geleugnet. 7 Nicht hierhin zielte die Kritik. Sie richtete sich auf die Kon7 V g l . Hegels Vorlesungen Werkausgabe, Schon
über
die
Geschichte
der
Philosophie,
Theorie-
Bd. 20, 4 2 0 / 1 und passim.
Schelling
(I, 10, 94) » e i n
hatte
das
Selbstbewußtsein,
außer-sich-Seyn«
(ebd.) zu
dessen seiner
mußte, in einem letzten Schritt mit der v o n schichte« seines Weges zu sich versöhnt, auf
»zu-sich-Kommen«
Voraussetzung
haben
ihm undurchschauten dem es »durch eine
»Gekonti-
nuierliche S t u f e n f o l g e « (I, 3, 634) von erst überwiegend o b j e k t i v e n , sukzessiv
in S u b j e k t i v i t ä t sich potenzierenden
deren letzte »jenes Ich des Bewußtseyns mit
Gestalten
dann
geschritten
Bewußtseyn
zu sich
d. h. ins Bewußtsein, kommen« ließ (I, 10, 95). Mit Hegel w a r
war, selbst,
Schelling
auch darin einig, »daß seine [des Idealismus] Sätze nur w a h r sind, solange man sie denkt und daß es f ü r den
Idealismus
keine eigentlichen
gibt, d. h. Behauptungen, die an und f ü r sich, oder abgesehen Bewegung,
durch
die
sie erzeugt
werden,
einen
Wert
oder
von
eine
schränkte und allgemeine G ü l t i g k e i t hätten« (zit. nach A . G e h l e n , mus und Existentialphilosophie.
154
I n : Theorie
der Willensfreiheit,
Sätze
23).
der
unbeIdealis-
struktion des Weges als eines solchen, der, noch bevor er einen Schritt getan hat, seines Endes schon gewiß ist oder der nur zum Schein vollbringt, was in der ewigen Idee immer schon geschehen und bewußt ist. Die von Schelling in Anspruch genommene intellektuelle Anschauung schien zwar gegen die notwendige Forderung, das Absolute als Konkretum - d. h. als positive Einheit von Substanz und Reflexion zu bestimmen, nicht zu verstoßen; indessen blieb »die für sich wohl wahre Idee . . . in der Tat immer nur in ihrem Anfange stehen« ( P h ä n . , I8,j), da sie durch ihre Indifferenz gegen die »Darstellung« (Phän., n , t u. 22,3) in ihrer Absolutheit dadurch sich aufzuheben schien, daß sie als Relat (Unendlichkeit) gegen ein Anderes (Form) bestimmt blieb. So verharrte das in der intellektualen Anschauung supponierte »unmittelbare Wissen des Absoluten« als ein vom Begriff nicht Artikuliertes, das ihn zwar in sich trug, aber nur an sich oder im Modus der Anschauung ( P h ä n . , 12 U./13 o.). Der implizierte Begriff muß sich »aus der Unmittelbarkeit des substantiellen Lebens« (Phän., 1 1 , 2 ) , so gewiß die »Substanz« in ihrer Wahrheit als »Subjekt ( . . . ) aufzufassen und auszudrücken« ist (Phän., 19, 2 ), herausarbeiten; andernfalls ist die Philosophie über den Substantialismus des Spinoza, in welchem »das Selbstbewußtsein nur untergegangen, nicht erhalten ist« (ebd.), zwar ebenso hinaus wie über den Intellektualismus eines Fichte, der »die [negative] Allgemeinheit als solche«, »das Denken als Denken festhält« und das Besondere der Substanz untergehen läßt (ebd.), fällt aber als »intellektuelles Anschauen« »wieder in die träge Einfachheit zurück . . d i e die Wirklichkeit selbst auf eine unwirkliche Weise darstellt« (Phän.,
20, t).
Allen drei Positionen haftet der Mangel an, daß sie das Absolute zu einem gegen seinen Gegensatz Bestimmten und insofern Jenseitigen (Phän., 14, ,) machen: Spinozas Substanz ist das objektive Subjekt-Objekt (aus dem die Subjektivität entflohen ist), Fichtes Ich das subjektive Subjekt-Objekt (dem als solchem die Objektsphäre transzendent bleibt), und Schel5
lings absolute Indifferenz scheint den Prozeß seiner Selbsterkenntnis als ein von ihm unbetroffenes Jenseits zu überstehen. Der wahre Begriff des Absoluten wird daher seine Unmittelbarkeit oder Substantialität in seine eigene Sphäre, d. h. die Vermittlung oder Reflexion, so setzen, daß sein »Sichanderswerden« nicht als ein Nicht-Ich, als ein >Non-existens< des Absoluten erscheint, sondern als integrales Moment seines wirklichen Selbstvermittlungsprozesses zugleich affirmiert und negiert wird. Und »nur diese [im Resultat] sich wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion im Anderssein in sich selbst - nicht eine ursprüngliche Einheit als solche, oder unmittelbare als solche - ist das Wahre« (Phän., 20, 2 ). Denn nur so kann mit Recht gesagt werden, daß das Absolute nichts außer sich zurücklasse und die Indifferenz des Prinzips gegenüber der wirklichen Bewegung seiner Darstellung in deren letzte und endgültige (vgl. Phän., 23, 2 ), nämlich in die Einheit seiner mit sich selbst, auflöse. Die in diesen Sätzen formulierte Kritik an philosophischen Systemen, die das Unmittelbare einfach voraussetzen, ist einleuchtend. Dennoch trifft Hegels Gegenposition auf gewisse Schwierigkeiten. Von einem »sogenannten Grundsatz oder Prinzip der Philosophie«, sagt Hegel, er sei, »wenn er wahr ist, schon darum auch falsch (. . .), insofern er nur Grundsatz oder Prinzip ist« (Phän., 23, o). Hat diese Einsicht Hegels eigene »Darstellung« vor dem »Mangel« einer bloß äußerlichen »Antizipation« der Subjektivität des Absoluten bewahrt? Anders gefragt: Hat Hegel die Subjektivität des Absoluten voraussetzungslos dargestellt, ohne sie »nur geradezu« (ebd.) und äußerlich gegen »die Selbstbewegung« zu setzen^ (I.e., 23,^? Stellen wir den Text auf die Probe. Zur Vorverständigung 8 Genau
dies getan
zu haben, ist sein
Vorwurf
gegen
Schelling:
»Das
Mangelhafte in der Schellingschen Philosophie ist, daß der P u n k t der
In-
differenz des Subjektiven und Objektiven vorn hingestellt, diese Identität absolut aufgestellt w i r d , ohne daß es bewiesen w i r d , daß dies das Wahre ist« ( = Geschichte
156
der Philosophie,
I.e., 4 3 5 , . ) .
über den Gegenstand seines Werks bringt Hegel einen Vergleich der philosophischen »Wissenschaft« mit dem Verfahren der Anatomie. Diese hat zu ihrem Gegenstand ein »Aggregat von Kenntnissen«, d. h. von empirisch gefundenen und additiv nebeneinander gestellten Daten, die ohne begriffliche N o t wendigkeit, also bloß »historisch«, verknüpft werden (Phän., 9/10). Ihr Allgemeines und Besonderes haben den gleichen Status: sie sind abstrakt. Würde die Philosophie, fährt Hegel fort, ebenso verfahren, so träte eine »Ungleichheit« ihres Wesens zu der verwendeten Methode auf (Phän., 10, t ). Dergleichen läßt sich freilich nur aussprechen, wenn das Wesen der Wissenschaft als solches schon bekannt ist, bevor es darstellend sich zu bewähren hat. Denn nur gegen das schon bekannte Wesen kann sich die historische Methode als unangemessen zeigen. Der gleich zu Beginn ausgesprochene Satz, »die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein« (Phän., 12, o), ist also zweifellos eine Antizipation vom T y p der Schellingschen »1 ntellektualen Anschauung« und hat zunächst keine argumentative Evidenz.? Man wird diesen Einwand nicht strapazieren und vielmehr aus dem Charakter der Vorrede - die in einem nichts voraussetzenden Werk ohnehin in eine paradoxe Stellung gegen die folgende Darstellung geraten muß - erklären wollen: Es ist klar, daß die Vorrede einen Dialog mit demjenigen aufnimmt, der die auf Treu und Glauben anheimgegebene Lösung aller Probleme durch die Lektüre der Phänomenologie einholen wird und zu dem sich der Autor der Vorrede verhält wie der »Meister« »in den Somatischen Gesprächen« (I, 10, 98). Diese Paradoxie läßt sich freilich nur dann entschuldigen, wenn es der Darstellung der Phänomenologie gelingt, den 9 Sdiellings System Antizipation wird
des
transcendentalen
bescheidener
als H y p o t h e s e
ein. Es sagt
angenommen,
Idealismus
setzt auch mit dieser
am A n f a n g nicht mehr
in unserem
Wissen
sey
ein
als:
»Es
System*
(I. h 4).
7
wahren Begriff der Wissenschaft voraussetzungslos herzustellen. Dies geschehe, sagt Hegel, nicht durch »Widerlegung« der Unmittelbarkeit des Anfangs, sondern durch darstellendes »Aufzeigen«, »daß der Grund oder das Prinzip des Systems in der Tat nur sein Anfang ist« (Phän., 24, 1 ). Der antizipierte Begriff vom Geist als der konkreten Aufhebung der Substanz ins Subjekt und dessen Wiedervereinigung mit der Unmittelbarkeit kann also nur für eine »Vorstellung« (I.e., 24,.,) gelten. »Dies Anundfürsichsein . . . ist es erst für uns oder an sich, es ist die geistige Substanz. Es muß dies auch für sich selbst, muß das Wissen von dem Geistigen und das Wissen von sich als dem Geiste sein.« Anders gesagt: nur »für uns« stellt sich bislang der Gegenstand, als welcher der Geist in seiner Selbstvermittlung sich gegenübersteht, als dessen selbsterzeugter Inhalt dar, der eben dadurch auch in die Unmittelbarkeit, gegen die er sich profiliert, zurückgekehrt ist. Doch auch für sich selbst hat der Geist für sich zu werden. Die Selbstentäußerung als Bewegung seiner in sich selbst begreifend, erreicht er seine volle Bestimmtheit oder die wahre Wissenschaft als dreifältige Einheit, nämlich als »in seinem Dasein [Unmittelbarkeit] für sich selbst [Reflexion] in sich reflektierter Gegenstand [Unmittelbarkeit = Reflexion]« (Phän.y 24, Man sieht, daß Hegel, wie in der >Logik der Reflexion*, so auch hier keineswegs zu leugnen beabsichtigt, daß »der Anfang der Philosophie . . . die Voraussetzung oder Forderung macht, daß das Bewußtsein sich in diesem Elemente [sc.: »dem reinen Selbsterkennen im absoluten Anderssein, diesem Äther als solchen« je schon] befinde« (Phän., 24, 3 ) . 1 0 1 0 Diese Formulierung verrät freilich eine Kenntnis des >Resultats< schon auf der Stufe der U n m i t t e l b a r k e i t . H i e r i n , hat Schelling eingewendet, liegt eine »Täuschung (. . .), indem man sich vorspiegelt, der G e d a n k e nur durch eine in ihm
selbst liegende
Notwendigkeit
weiter
werde
getrieben,
während er doch o f f e n b a r ein Z i e l hat, nach welchem er hinstrebt,
und
das, wenn der Philosophirende auch noch so sehr dessen B e w u ß t s e y n sich
158
Das Schlußkapitel der Logik spricht es geradezu aus, daß der Anfang oder das Allgemeine »nicht als bloß Abstraktes« genommen werden dürfe. Er sei sehr wohl »an sich die konkrete Totalität«, allerdings »noch nicht gesetzt, noch nicht für sich* (L II, 554, 2 bis 556, j). Dies werde er erst am Ende der Bewegung seines Werdens (Phän., 2 4 , 3 ) - in welcher er »seine Vollendung und Durchsichtigkeit selbst« gewinne (ebd.). Aber gerade in dieser methodischen Weichenstellung, die die Darstellung des Systems auf ein Gleis drängt, dessen Verlauf im vorhinein abzusehen ist, gerät Hegels Philosophieren in eine grundsätzliche Schwierigkeit, in welcher sie der Schellingschen Gegenkritik offensteht.
Schellings Erwiderung - der »Cirkel der Reflexion« 1 1 Die Parallele zur Situation in der Reflexionslogik liegt auf der Hand. Hier wie dort soll eine unumgehbare >Voraussetzung< in der wirklich gelungenen Darstellung ihres Resultats eingeholt werden. Der letzte Akt des Systems hat die bislang hypothetisch in Anschlag gebrachte Identität von Sein-im-Andern und Selbstsein seinerseits zu setzen als »das Sein, das die Reflexion in sich selbst ist« (Phän., 25 o.). Das Problem, das sich dadurch aufwirft, ist leicht aufzuzeigen: Ein An-sichSeiendes kann wohl für uns als für-sich seiend sich herausstellen, es kann dies für sich selbst in zirkelfreier Bewegung aber nur dann, wenn ihm auch auf der Stufe des An-sich-Seins irgendein Für-sich-Sein schon zukam, das die Ermöglichungsbedingung bereitstellt für die auf letzter Stufe erreichte zu verbergen
sucht, darum
nur um so entschiedener bewußtlos auf
den
G a n g des Philosophirens e i n w i r k t « ( I , 1 0 , 1 3 2 , Noch in der Geschichte
der
Philosophie
setzen« dessen, »was bewiesen
werden
freilich hat Hegel das
»Voraus-
soll«, als den Hauptmangel
Schellings Philosophie kritisiert (vgl. I.e., 4 ) 6 ^
im
von
Kontext).
1 1 I , 5, 274 ( v g l . den dortigen K o n t e x t ) .
159
Selbsterkenntnis seiner als des im An-sich-Sein bei sich seienden Geistes. Diesen Zirkel für ein irreduzibles Faktum ausgeben (Phän., 20, 2 ) hieße, die Voraussetzung nicht einholen, sondern ihre Inanspruchnahme unmerklich m a c h e n . ! 2 I n diese 1 2 Es ist Henrichs Verdienst, dies Argument zuerst und in großer K l a r h e i t an
Fichtes K r i t i k
an K a n t s zirkelhafter E i n f ü h r u n g des
Apperzeptions-
T h e o r e m s aufgedeckt und dargestellt zu haben ( D . H . , Fichtes
ursprüng-
liche Einsicht, I.e.). E r hat es aus einer Fichteschen Perspektive auch gegen Hegel geltend gemacht: »Hegel denkt die Einheit der Gegensätze nur dialektisch, also aus ihrem Resultat. Das Phänomen des Ich verlangt aber, sie als ursprüngliche Einheit zu fassen. Des weiteren denkt er die Einheit von W i r k lichkeit und Freiheit nur als Verwirklichung der Freiheit, somit wiederum nicht als ursprüngliche Einheit der beiden. J e d e Entwicklung von Gegensätzen geschieht im R a u m ihrer vorgängigen Einheit [leur unite prealable], der ihre Bewegung erst möglich macht. U n d Freiheit ist schon an sich als wirkliche Freiheit zu denken« (I.e., 50, und ders.: La Dicouverte de Fichte. In: Revue de metaphysique et de morale, Ann£e 72, 1 9 6 7 , N O . 2, 1 5 4 - 1 6 9 , 168, Noch
deutlicher hat Henrich
seine K r i t i k
werden lassen ( S e l b s t b e w u ß t s e i n . Kritische Festschrift
für
H.
G.
Gadamert
1970,
in einer neueren Einleitung
257-284):
Publikation
in eine »Im
Theorie.
In:
Unterschied
zu
Fichte ging Hegel immer davon aus, daß Selbstbewußtsein nicht aus sich selbst verständlich
gemacht werden
kann. Wie w i r heute wissen,
ist
er
auch der erste gewesen, der die Analyse von Relationen des T y p s gegeben hat, in dem die R e l a t a voneinander unabhängig
und doch
notwendiger-
weise aufeinander bezogen sind: Anders als Fichte hat er sich aber niemals v o n der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins
gelöst und damit
dafür
gesorgt, daß der gesamte Hegelianismus in der Bewußtseinstheorie d o g m a tisch und unproduktiv geblieben ist. Beharrlich beschreibt er das Selbstbewußtsein als Zusichkommen eines solchen, das an sich schon Selbstbeziehung ist, - somit ganz nach dem Reflexionsmodell, das bereits alles voraussetzt. U n d er tut das, obwohl ihm im Zusammenhang seiner A n a l y s e von R e l a tionen ganz andere Mittel zur V e r f ü g u n g standen. Die Behauptung,
daß
er v o m Reflexionsmodell nicht loskam, ist übrigens auch keineswegs
des-
halb einzuschränken, weil er meinte, die Reflexion könne nur im sozialen Interaktionszusammenhang
zustande kommen. Die Rechenschaft über
die
Struktur dessen, was auf diese Weise entsteht, wird d a v o n in keiner Weise beeinflußt« (I.e., 281,.,). Wir werden darauf zurückkommen.
Merkwürdig
erscheint, daß Henrich diesen E i n w a n d in Gestalt einer imaginären frontation
Hegels
mit
Fichte
v o r f ü h r t , ohne
zu erwähnen,
daß
Konsie
in
der Gestalt von Schellings Hegelkritik historisch wirksam geworden ist. A u s einer ganz
160
anderen
Perspektive
hat Louis Althusser
(Das
Kapital
Richtung zielt Schellings Verteidigung gegen den V o r w u r f , seine Philosophie nehme in unmittelbarer Anschauung vorweg, was nur Resultat sein könne. Er argumentiert so: Indem Hegels Philosophie ihren Anfang beim Allerunbestimmtesten, beim unmittelbaren Sein oder »bloßen Objektiven« 1 3 (I, 10, 129) zu nehmen vorgibt, verwickelt sie sich in einen Zirkel, da aus Objekt Subjekt nur werden kann, wenn es Subjekt schon war, freilich ein »nicht als solches schon gesetztes Subjekt« (ebd.), sondern ein Subjekt als indifferente >Gleichmöglichkeit< von Wesen (Subjekt) und Sein (Objekt): »Subjekt-Objekt«. Sagt nun Hegel, der Anfang sei »reines Seyn« (I.e., 131), d. h. das »Objektivste als Negation alles Subjektiven«, ein »Seyn, in dem gar nichts von einem Subjekt ist«, so kann auch keine Notwendigkeit für dieses Sein an ihm selbst eingesehen werden, sich fortzubewegen. Das Sein wäre, was es ist; das ist alles. 1 4 lesen,
Reinbek
1972, 68 ff.) schon 1965 darauf aufmerksam gemacht, d a ß
die traditionellen »Erkenntnistheorien« von Hegel bis Heidegger ihre F r a g e vom Resultat her formulieren: in »zirkelhafter« Bewegung setzen V e r n u n f t und Dasein .sich selbst je schon voraus und unterstellen damit die jektivität
des
ihnen
»Äußeren«.
Hegels »Kreissystem«,
An
anderem Ort
dessen Grundlage
spricht
( L . A . , Lenin 13 D a ß
und die Philosophie,
Hegel
Althusser
darin bestehe, »daß die
chung von S u b j e k t / O b j e k t der teleologische Ursprung
Subvon
Anglei-
jeder Wahrheit ist«
Reinbek 1974, 55).
Sein als lautere O b j e k t i v i t ä t
denkt, läßt sich an
vielen
synonymen Verwendungen beider Ausdrücke belegen. 14 Man könnte einwenden, Hegel rede nicht vom Sein, sondern von dem Begriff
des Seins. Der
Schelling dem
Begriff
indiziere
»bloßen Seyn« durch den
aber gerade jene »Gedanken«
Idealität,
glaubt
die
hinzufügen
zu müssen, um eine Bewegung zustandezubringen. - Dieser E i n w a n d
gibt
allerdings Hegels Ansicht nicht richtig wieder. 1.
ist der Begriff das Sein (indem nirgends ein über den Begriff
hinaus-
gehendes Sein in Hegels System v o r k o m m t ) . Das Sein wird ja innerhalb der Logik gerade
eine
»Sein« von
nicht etwa Pointe
in den
des
vornherein
Begriff
Hegelschcn
nur als ein
erst aufgehoben. Es
Philosophierens, Begriff
in seinem
daß
ist
vielmehr
der
Ausdruck
System
zugelassen
ist. Die Schwierigkeiten, die sich daraus f ü r den Übergang in die Sphäre der N a t u r w i r k l i c h k e i t ergeben, werden Gegenstand einer später zu diskutierenden K r i t i k sein.
161
Wir sahen, daß Hegel dies in gewissen Grenzen zuzugeben bereit ist, indem er den Anfang als an sich seiende »konkrete Totalität« bestimmt, d. h. als eine Indifferenz von Subjekt und Objekt, die es lediglich noch nicht für sich ist. Allein diese Reduktion verschärft die Zirkelhaftigkeit, und Schelling sucht sie in einem zweiten Schritt aufzudecken. Wenn nicht gesagt werden kann, das Sein gehe aus sich selbst ins Subjekt über (ganz einfach deshalb, weil ein für sich selbst gar nicht Bestehendes den >Mangel< auch nicht empfinden kann, der es über sich hinaus zu konkreteren Bestimmungen drängt [I, 10, 13]), so muß es »der Gedanke« sein, der beim Sein nicht stehen bleiben kann, weil er - auf der Basis einer präreflexiven Vertrautheit mit der konkreten >Idee< seine Abstraktheit durchschaut, d. h. der synthetischen Verfaßtheit seiner Subjekt-Objektivität sich schon bewußt ist, diese Synthetizität mit der Abstraktheit des reinen Seins vergleichend dessen Mangel enthüllt und ihn in der Dialektik des Fortschreitens - die nun vom Geruch einer Realdialektik der >Sache selbst« 15 befreit ist - sukzessiv aufhebt. Ohne diesen Gedanken bestünde 1. gar keine Notwendigkeit, vom Unmittelbaren wegzugehen; 2. auch nicht einmal die Möglichkeit, von »Unmittelbarkeit« überhaupt zu sprechen. Hegels Unmittelbarkeit ist nichts als ein in der Vermittlung verschwindendes Moment. Aber um 2.
wäre nichts dadurch gewonnen, daß vom Begriff des Seins die
Rede
ist - denn der Begriff verhält sich genau wie das, was man soeben
als
Sein zu fassen meinte: er ist irreflexiv (ohne Selbstbewußtsein) und w ü r d e » f ü r sich selbst ganz unbeweglich liegen (. . .), wenn er nicht der Begriff eines
denkenden
10, 132, 1 ) .
Auch
Subjekts, in dieser
d. h.
wenn
Formulierung
er
nicht
verbirgt
Schellings K r i t i k , die die Priorität des wirklichen
Gedanke sidi
wäre«
eine P o i n t e
(I, von
Subjekts v o r dem
Be-
griff erweisen will (vgl. I, 10, 1 3 8 - 1 4 1 ) . 1 5 Als solche verdächtigt bekanntlich M e r l e a u - P o n t y
das Hegeische
losophieren. Konsequent macht er nicht erst Engels, sondern schon
PhiHegel
f ü r eine latente Reifikation der geschichtlichen
Dialektik
(M. M e r l e a u - P o n t y , Die Abenteuer
F r a n k f u r t / M . 1968).
162
der Dialektik,
verantwortlich
als verschwindend auch nur gewahrt werden zu können, bedarf es einer über die Vermittlung selbst hinausreichenden Kenntnis dieses Moments. Unmittelbarkeit läßt sich nicht »post festum« dekretieren. Die Analyse des in der Vermittlung Implizierten bringt immer nur Vermitteltes zutage. Anders gesagt: Der Begriff der Vermittlung erklärt sich nur in Abhebung gegen eine für ihn konstitutive Erfahrung von Unmittelbarkeit, die jener schlechthin zuvorgekommen sein und schon vor dem Faktum der »einfachen Reflexion< fürsich (mithin präreflexiv) bestanden haben muß. (Hätte sie, wie Hegel annimmt, zwar bestanden, aber nicht für sich, so würde i. die Rede von »Vermittlung« unerlaubt, 2. wäre dasjenige Bewußtsein unerklärt, das, diesen und jenen Zustand vergleichend, mit vollkommener Sicherheit den einen als unmittelbar, den andern als Vermittlung ausspricht.) Hegel hat diesen Zirkel als ein elementares Faktum der Vernunft ausgegeben (Phän., 20,2). Ohne Zweifel kann das nicht bedeuten, daß er auch in der Argumentation wiederauftauchen darf, die für ihn einsteht. Dieser Vorwurf ist freilich einer philosophischen Position nicht zu ersparen, die das Ausder-Pistole-Schießen des Unmittelbaren glaubt verhöhnen zu dürfen, während sie gerade in der Art, wie sie ihr eigenes Prinzip einführt, hinter die philosophische Leistung ihres Zeitgenossen Fichte zurückfällt. 1 6
16 D a ß Hegel schon in seinen frühen J e n a e r Publikationen, deren g r ü n d liche Reflektiertheit diejenige Schellings nicht selten übertrifft und diesen vielfach angeregt hat, Fichtes »intellektuelle Anschauung« als die einfache Selbstre/?ex/on des formalen eindrucksvoll gäbe,
eine Passage
»reinen Wissens« verkennt, zeigt aus Glauben
und
Wissen
besonders
(Theorie-Werkaus-
I.e., B d . 2, 398/9). Auf diese Verwechslung gründen sich - wie die
gleiche Stelle lehrt - Hegels stereotype Charakterisierungen dieses Ansatzes durch die Attribute sind nach ihrer
der
Abstraktheit,
wirklichen
Intention
Deutlichkeit den eigentümlichen
Leere, Unvermitteltheit
usw.
zu beurteilen, die bereits in
und abweichenden
Gang
des
Sie aller
Hegelschcn
Idealismus und den Scheincharakter seines Bündnisses mit Schelling
ent-
hüllt.
163
Voraussetzen und intellektuelles Anschauen Übrigens konnte sich Hegels Forderung, das Absolute »nicht als eine bloße Voraussetzung«, sondern »wesentlich . . . als begründetes Resultat«, als ein »Erzeugtes« zu denken, abermals auf Schellings Vorbild berufen ( 1 , 1 0 , 1 4 4 , 0 u. 1 4 5 , 2 ) . Er war es, der gegen Fichte folgendes zu bedenken gab: Wenn Bewußtsein aus der Selbstbeschränkung einer ins Unendliche gehenden Tätigkeit entsteht, so hört es eben durch sein Fürsich-Sein auf, an-sich zu sein (vgl. I, 10, 97). Das »schon fertige Bewußtseyn« ( 1 , 4 , 8 5 / 6 ) findet sich mithin vor als Resultat einer sich ihm entziehenden Handlung, als deren Urheber es sich insofern nicht ansehen kann und die ihm folglich als von seiner bewußten Produktion unabhängige Objektivität vorkommt (I, 1 0 , 9 3 ) . » K d n Ich ohne Nicht-Ich, und insofern ist das Nicht-Ich vor dem Ich« (I, 8, 227). Dies vorbewußte Ansich konnte nur durch »die Arbeit des zu-sichselbst-Kommens, des Bewußtwerdens selbst« (I, 10, 93) im Ich als seinem »Resultat« für sich werden (ebd.). Fichtes Wissenschaftslehre, so lautet Schellings Kritik aus dem Jahre 1801, »obgleich sie das Bewußtseyn erst ableiten will, bedient sich doch nach einem unvermeidlichen Cirkel aller Mittel, die ihr das (im philosophischen Subjekt) schon fertige/Bewußtseyn darbietet, um alles gleich in der Potenz darzustellen, in die es doch erst mit dem Bewußtseyn gehoben wird« ( 1 , 4 , 8 5 / 6). 1 7 Nichts hinderte also, im Akt der intellektuellen An17 In der Streitschrift gegen Fichte aus dem J a h r e 1806 bedient sich Schelling eines (fast) Hegelschen Arguments gegen die A b s t r a k t h e i t des P r i n z i p s . Fichte, sagt er, »setzt irgend eine Einheit, die aber bloß f o r m a l
ist, da
sie nicht zugleich ihre M a n n i g f a l t i g k e i t begreift; ein U n v o l l s t ä n d i g e s , eines anderen b e d a r f , sonach ein durch A b s t r a k t i o n Erzeugtes,
welches
andere
dann
wiederum
nicht
von diesem
vollständig
das
anderen
seyn
darf;
wie weit die Mangelhaftigkeit reiche, (. . .) hängt von der gemachten straction
ab, und
auch
einem selbst Vollendeten
es selbst erhält auf
nicht seine
einmal, sondern
volle
Ab-
Ergänzung
in
nur die unzureichende
in
einem andern Unzureichenden, bis dann zuletzt der progressus
in infini-
tum (die letzte Zuflucht aller Philosophie, welche nicht die T o t a l i t ä t schon
164
schauung von dem Anschauenden (dem abstrakten Für-sich) seinerseits zu abstrahieren (I.e., 87/8): »eine Abstraktion, welche mir das rein Objektive dieses Aktes zurückläßt, welches an sich bloß Subjekt-Objekt, keineswegs aber = Ich ist« (l.c. 88, j). Das Ansich war also zu dem Resultate erst hinaufzuführen, mit welchem Fichtes Wissenschaftslehre wie aus der Pistole schießend anfängt. Und dazu war gefordert, daß kraft der absoluten, in der intellektuellen Anschauung erfahrenen Identität vom Subjekt und Objekt auch das Objekt an sich Subjekt-Objekt sei, welches erst beim Uberschritt über die Grenzlinie der theoretischen Philosophie »sich selbst als solches erkennt« (I.e., 88, 2 ). Nur unter dieser Voraussetzung war der Prozeß des Zu-sich-Kommens zirkelfrei, d. h. als Fürsichwerden eines solchen zu denken, das an sich schon (potentia) Indifferenz von Objekt und Subjekt war. Für einen Fichteaner - und da macht sich der Unterschied zu Hegel geltend - hätte freilich das soeben vorgeführte Argument nicht den geringsten Sinn, träte es mit dem Anspruch auf, das Bewußtsein aus einem ihm Fremden und Äußerlichen zu sich selbst zu führen. Eine solche Konstruktion hätte nur gezeigt, daß ihr Autor den Gedanken der intellektuellen Anschauung nicht richtig gefaßt hat. Diese enthält nämlich in sich die Forderung, die Potenz des Für-sichSeins nicht zu verlassen. Es war nicht genug zu zeigen, daß die Aufhebung der Substanz in Subjekt eine wenigstens potentielle Subjektivität auch der Substanz zur Voraussetzung hat - was Hegel nicht bestreitet - , es galt überdies den Nachweis, daß diese gründende Indifferenz auch aktuell für sich selbst bestanden hat, bevor sie resultierende Selbsterkenntnis werden konnte. im ersten P r i n c i p erkennt) der N o t h ein Ende macht. Der Z u s a m m e n h a n g , der dadurch entsteht, liegt nicht in d e n / D i n g e n
oder im P r i n c i p
selbst,
sondern lediglich im D e n k e n d e n ; dieses verhält sich als das einzige, auch nur scheinbar Thätige es nur durch
seinen
in der E n t w i c k l u n g , Mangel
wirksam
das
Princip
ist, als das
selbst
aber,
völlig T o d t e «
da
(I,
7,
4 7 / 8 ; v g l . l.c. 7 4 , t : Verhältnis des abstrakten Seins des Princips zum »organischen Einheitspunkt« als »Ende«).
165
Wenn es in diesem Punkte je eine Zweideutigkeit gegeben haben sollte - Schellings späte Philosophie hat die Intelligibilität seiner Konstruktion auf eine eindeutige Weise demonstriert. Sie weiß sich ausdrücklich der Fichteschen Entdeckung verpflichtet, daß schon das Erste als ein immediat in sich selbst Vermitteltes zu denken ist, das sich überdies als ein solches präsent ist. »Gerade so«, schreibt Schelling, »wie Hegel sagt, die wahrhaft erste Definition des Absoluten sey: das Absolute ist das reine Seyn, so konnte ich sagen: die wahrhaft erste Definition des Absoluten ist, Subjekt zu seyn« (I, 10, 145,2). Der Prozeß der Selbsterkenntnis kann also nur darin bestehen, ein nicht-thetisches und prä-objektiv für sich bestehendes Wesen (I, 10, 1 0 2 / 3 , I.e., 1 1 7 ; I, 3, 367) »als Sich« zu setzen und zu vergegenständlichen (I, 10, 117); »denn was am Ende wahr ist, das muß auch gleich zu Anfang wahr gewesen seyn« (I, 7, 73). Einer Philosophie, die sämtliche Verhältnisse im Medium der Reflexion betrachtet, muß der immediate Zugang zum uranfänglichen Wesen notwendig als »etwas Mysteriöses - ein besonderer nur einigen vorgegebener Sinn« (I, 3, 370) erscheinen. Im Gegenteil ist darauf zu insistieren, daß als Subjekt »am Ende nur das sich zeigt, was es am Anfang schon war« (I, 10, 117). So gewiß Selbsterkenntnis das Resultat der Philosophie ist, so notwendig ist es, auf die Einschränkung zu dringen, daß »das Ich, als Prineip der Philosophie, selbst nur etwas ist, das postulirt wird« ( h 3» 3 7 o ) .
Der Grund für die Notwendigkeit, das Prinzip zu postulieren, liegt darum keineswegs, wie Hegel vermutet hat, in der Scheu vor der »Anstrengung des Begriffs<, sondern darin, daß »die Transcendentalphilosophie . . . von keinem Daseyn, sondern von einem freien Handeln aus(geht)«, zu dem sich auffordern, das sich aber nicht demonstrieren läßt (I, 3, 3 7 0 / 7 1 ) . Als unmittelbarer Einheit von Anschauung und Angeschautem geht der intellektuellen Anschauung - als einer Form des Denkens - die reflexive Distanz zu sich ab, die vonnöten wäre, um das Dasein seiner selbst zu setzen. Dies ihr Dasein wird also 166
für sie - und in diesem Gedanken steckt das Potential für eine weitere Kritik an Hegel (I, 10, 148/9) - ausdrücklich nur als eine »Idee«, als das »von Anfang vielmehr bloß (. . .) Gewollte* > »das nie verwirklichte, nur erst zu Verwirklichende« (I, 10, 149, ,) in Anspruch genommen, d. h. aber nicht als »das existirende Absolute« (I.e., 149,0) vor die Darstellung der Philosophie gesetzt, sondern durchaus nur als eine unabweisliche Voraussetzung dieser Darstellung in Anschlag gebracht. Diese Voraussetzung kann als intellektuelles Anschauen bezeichnet werden. Als Anschauen deshalb, weil das Produzieren des Objekts als des Angeschauten absolut nicht von dem Anschauenden verschieden ist (I, 3, 369) und also jeder Selbständigkeit entbehrt. Als ein intellektueller Akt deshalb, weil diese Anschauung auch für sich selbst besteht und als das, was sie ist, im Denken bestimmt ist. Die »intellektuelle Anschauung« ist mithin ein Denken, aber ein nicht-reflexives oder »nicht denkendes Denken« (I, 10, 1 5 1 ) . Ein solches »wird aber wohl«, fügt Schelling an, »von einem anschauenden Denken nicht weit entfernt seyn, und insofern geht ein Denken, dem eine intellektuelle Anschauung zu Grunde liegt, durch diese ganze Philosophie« - gleichsam als das »Substrat, was das Denken trägt und unterstützt« (I, 3, 370) - »hindurch. (.. .) Dieß . . . sey einer allerdings anschauungslosen Philosophie gegenüber gesagt« (I, 10, 1 5 1 , , ) . Man hat Grund, der Einführung jener intellektuellen Anschauung gegenüber - solange ihre Struktur phänomenologisch nicht differenzierter aufgeklärt ist - Hegels Skepsis zu bewahren. Dagegen hat es wenig Sinn, die Schlagkraft von Schellings Einwurf in Frage zu stellen. Seine »Entdekkung(. . .), daß Hegel schon mit dem ersten Schritt seiner Logik Anschauung voraussetzte und, ohne sie unterzuschieben, keinen Schritt thun könnte« (I, 10,138,0), durfte sich zudem iuf Hegels eigene Worte berufen. Denn Hegel kommt nicht umhin, den Begriff des Seins mit dem in einer Logik offenbar anangebrachten Hinweis zu illustrieren, das Sein sei (wie das 167
Nichts) das »reine, leere A n s c h a u e n « ! 8 (L I, 82 u. 83). Ist diese Leere der Anschauung, wie man einwerfen wird, auch weit entfernt von dem, was Fichte und Schelling intellektuelle Anschauung nennen, so wird schwerlich eine Interpretation die Eindeutigkeit des im Schlußkapitel der Logik verschämt eingeflochtenen Zugeständnisses erschüttern: »Weil er [sc.: der Anfang der Logik]«, heißt es dort, »der Anfang ist, ist sein Inhalt ein Unmittelbares, aber ein solches, das den Sinn und die Form abstrakter Allgemeinheit hat. Er sei sonst ein Inhalt des Seins oder des Wesens oder des Begriffes, so ist er insofern ein Aufgenommenes, Vorgefundenes, Assertorisches, als er ein Unmittelbares ist. Fürs erste aber ist er nicht ein Unmittelbares der sinnlichen Anschauung oder der Vorstellung, sondern des Denkens, das man wegen seiner Unmittelbarkeit auch ein übersinnliches, innerliches Anschauen nennen kann. Das Unmittelbare der sinnlichen Anschauung ist ein Mannigfaltiges und Einzelnes. Das Erkennen ist aber begreifendes Denken, sein Anfang daher auch nur im Elemente des Denkens - ein Einfaches und Allgemeines« (usw. L II, 553, 2 ). - Dies Bekenntnis trägt wider Willen der Einsicht Rechnung, daß keine Reflexion die Macht jener unbedingten »Voraussetzung« schmälern kann. Modifikationen am Konzept der Logik, wie Hegel sie in seinen letzten Lebensjahren in Angriff nahm, hätten möglicherweise Konsequenzen gehabt zugunsten eines eindeutigeren Ausdrucks. Wir werden darauf zurückkommen.
18 Diese Bestimmung taucht charakteristischerweise audi in der Einleitung von Homeyers Nachschrift der Rechtsphilosophie
auf (§ 4, § 10 u. passim)
und w i r d dort unter dem Titel »inhaltsloses Anschauen« dem »reinen Denken« oder dem reinen Begriff
geglichen. Diese Gleichung,
die
Anschau-
ung als Modus der Unmittelbarkeit des B e g r i f f s unterstellt, mußte, sobald sie in Fichte- und Schellingkritik W i r kommen darauf zurück.
168
umschlug, auf Ä q u i v o k a t i o n e n
führen.
Bewährung der Schellingschen Kritik an Beispielen S t e l l i n g s Nachweis eines erkenntnistheoretischen Zirkels in Hegels Gedanken reflexiver Selbstvermittlung - so könnte man einwerfen - mag legitim sein. Indessen bleibt er unbefriedigend, solange nicht zwei Bedenken ausgeräumt sind: 1. Zum einen kann man bezweifeln, ob Schellings Kritik am »Resultat« des Hegeischen Systems selbst etwas verändert, da sie nur die Einführung des Prinzips zu modifizieren scheint. 2. Zum andern ist sicherzustellen, daß sie nicht nur als eine verbesserte Version von Hegels Identifikation beider Bedeutungen von Unmittelbarkeit auftritt. Das ist nach dem bisherigen zu befürchten, da die reflexive Selbstbeziehung wieder nichts anderes zu sein scheint als das Zusichkommen eines solchen, das - wie implizit auch immer - schon im Stadium der Unmittelbarkeit vermittelt gewesen ist. Es wäre also die Irreflexivität des Seins in seiner ersten Position auf ihre Identität mit der Selbstbeziehung überhaupt erst zu erproben. Wir müssen beide Einwände gesondert diskutieren und beginnen mit dem ersten, da er die Forderung einschließt, die Theorie präreflexiven Selbstbewußtseins innerhalb der bisher abgesteckten Sphäre selbst phänomenal sich bewähren zu lassen. Was die Logik betrifft, so scheint er nicht leicht von der Hand zu weisen zu sein. Natürlich ist er kurzsichtig, indem er die Stellung der Logik im »System der Philosophie< nicht bedenkt. Die Logik entfaltet Gottes Gedanken vor der Schöpfung der Welt (L I, 44, j). Was in ihr Prozeß (I, 10, 137, 2 ) heißt, bezeichnet die rein logische - und d.h. eben: keine wirkliche - Folge. Hegel spricht vom »zeitlosen Begreifen, auch der Zeit und aller Dinge überhaupt, nach ihrer ewigen Bestimmung« (Enz. II, 26, 2 ). Zeit, Raum, Seiendes haben darum in der Logik gar keinen Ort. »Die Idee ist ewig . . . N u r das Natürliche i s t . . . der Zeit U n t e r t a n « (I.e., 4 9 / j o ) . N u r potentia geht das Sein dem Wesen und das Wesen dem Be169
griff voraus - an sich oder in der Idee sind sie zugleich und eines (vgl. I, 10, 137). Erst wenn das Sein sich realisiert, selbst etwas wird und das Nichtsein von sich ausschließt also im Übergang zur Verwirklichung der Idee in Natur und Geist - entsteht »wirklicher Gegensatz« (ebd.)!9, und die bloß >noetische Sukzession< (II, 1, 311 f.) wird zu einer daseienden Abfolge. Und hier, im Felde des Wirklichen, wird sich, wenn überhaupt, Schellings Kritik und ihre Fruchtbarkeit unter Beweis zu stellen haben. Drei Beispiele - eins aus der Natur zwei weitere aus der Geistphilosophie - mögen die Aporien des Hegeischen Reflexionszirkels illustrieren. 1.
Beispiel:
Die Zeit und ihre
Dimensionen
Eine bekannte Bestimmung der Phänomenologie lautet, die Zeit sei »der Begriff selbst, der da ist, und als leere Anschauung sich dem Bewußtsein vorstellt« (Phän., 558). Die Begründung wird wie folgt gegeben: Zeitlich ist, was - wie der Begriff - gerade in der negierenden Absonderung seine Momente auch wieder in ihrer Einheit - als Kontinuität einer stetigen und einheitlichen Folge - befaßt. Doch ist die Zeit - als die Entäußerung des Begriffs ins Dasein - ebenso sehr als die Unangemessenheit ihres Sein an ihren Begriff zu bestimmen, indem sie die »ewige Einheit« desselben nicht zusammenhält, sondern in Phasen zerschlägt, die einander verschlingen, um die verfehlte Totalität des Begriffs in vergeblichem und daher unendlichem Streben wiedereinzuholen. Diese Äußerlichkeit in der Beziehung zwischen den Phasen (Enz. II, 49) steht ihrer inneren Durchdringung und Wiedervereinigung mit dem Begriff im Wege und läßt die »Unangemessenheit ihrer selbst mit sich« (Enz. II, 27/8) manifest werden. Mit dem Terminus >Äußerlichkeit< bezeichnet Hegel das indifferente Außereinander (Enz. II, 53 u.), kraft dessen die 19 » N u r
in der Hegel'schen
Logik«,
spottet
Feuerbach,
»aber nicht
in
der Wirklichkeit, ist der Schein das Wesen« (Brief an A . R ü g e , Bruckberg, 10. M ä r z 1843 [Bolin/Sass, X I I I ,
170
120]).
Zeitphasen als eigene, für sich bestehende Existenzen auftreten und gegen die Auflösung in der Innerlichkeit des ihre Beziehung regelnden Begriffs sich sperren (Enz. II, 30 ff.). Die Zeit kann insofern paradox als die Verwirklichung eines Selbstwiderspruchs der Substanz (Phän., 32,0) oder als »das Sein, das, indem es ist, nicht ist, und indem es nicht ist, ist« (Enz. 1 1 , 4 8 ) , bestimmt werden: als ein negatives Selbstverhältnis (Enz. II, 49, o). Eine andere Definition der Zeit lautet, sie sei die angeschaute logische Kategorie des Werdens. Wie diese hebt sie ihre Unterschiede unmittelbar auf, läßt sie aber als einander äußerliche stehen, ohne sie intern zu vereinigen (Enz. II, 48; vgl. J.R. 182, o; 10 ff.; /. L. 27, t ; 202 ff.). Im Zustand des Angeschautseins hat sich der logische und bloß potentielle Widerstreit nämlich in eine reale Spannung verwandelt: Jedes der Momente tritt als ein eigenes Seiendes auf, das es auch unabhängig von dem es Setzenden, und doch nur im synthetischen Verband mit dem anderen, sein kann. Im einzelnen gibt Hegel folgende Bestimmungen der Zeitdimensionen: Als vom Nichtsein überholtes Sein wird die Vergangenheit, als vom Sein eingeholtes Nichtsein die Zukunft, die Gegenwart als deren indifferente Einheit, als Umschlagpunkt von Sein in Nichtsein und umgekehrt, angeschaut. Im Unterschied zur konkreten Einheit des Begriffs ist die Einheit der Gegenwart freilich nur negativ. Sie bleibt dem von ihr Negierten bzw. Affirmierten ebenso äußerlich, wie Sein (Vergangenheit) und Nichtsein (Zukunft) einander äußerlich bleiben. Sie ist nicht deren wahre »Mitte«, sondern existiert als Gegenwart nur insofern, als sie die Vergangenheit nicht ist; umgekehrt »hat das Sein des Jetzt die Bestimmung, nicht zu sein, und das Nichtsein seines Seins ist die Zukunft« (Enz. Diese Darstellung ist problematisch. Kann Hegel eine Relation solchen Typs mit den Mitteln denken, die seine Reflexionsphilosophie bereitstellt? Bezeichnen wir die Zeitphasen der Vergangenheit und der 171
Gegenwart als A und B und stellen sie in Parallele zu den korrespondierenden Begriffsmomenten Substanz und Subjekt (als deren Anschauung sie sind), so müssen wir mit Hegel sagen, daß B nur ist, um in A überzugehen - so wie das Sein im Ubergang zum Wesen als Schein sich herausstellt. Andererseits hängt für Hegel, wie das Zitat zeigte, der Sinn von Gegenwart vom Nichtsein der Vergangenheit und umgekehrt ab. Nimmt man an, Gegenwart bestünde nur als »das unmittelbare Verschwinden« (Enz. II, 52, j), so wäre zu fordern, daß das »abstrakte in Nichts verschwindende« (ebd. 5 2 , 2 ) Sein wenigstens so lange verweilt, daß es als ein vom Vergangensein Differentes sich festhalten, auf jenes als auf dieser bestimmten Gegenwart eigenes Gewesensein sich beziehen und von ihm unterscheiden lasse. Dies ist freilich Hegels Meinung: Zeit ist als angeschaute Reflexion zu denken, und das Sein der Gegenwart enthüllt sich als Gewesensein. Wäre A jedoch nur als aufgehobenes B, ohne es auch für sich selbst zu sein, so wäre die Vergangenheit nur an sich verflossene Gegenwart. Kein Zeuge wäre zugegen, der beide Zustände aufeinander bezöge und unterschiede. Wie weiß denn B selbst, daß A sein eigenes Anderssein ist, und wie weiß A sein Vergangen-, d. h. sein Nicht-mehr-B-Sein, wenn B sich nicht vor seinem Ubergang zu A schon als sich gehabt hat? Daß B indessen ein eigenes Dasein zukommt, ist innerhalb der Sphäre der Anschauung, in welcher wir berechtigt sind, unsere eigene Erfahrung zu Rate zu ziehen, nicht länger nur zu postulieren; es ist mit der Äußerlichkeit der Relation (von selbst) gesichert. 20 Mit einem Wort: unsere Erfahrung lehrt, daß die Urteile: »A ist meine Vergangenheit« und »A ist nicht B«, auf die 20 Man wird einwenden, Hegel spreche nicht vom Z e i t b e w u ß t s e i n , sondern von der objektiven eine vom
Objektiven
oder zum
Natur-Zeit. Subjektiven
Natürlich
läßt
schreitende
scheinenden Geistes auch hier mit den Mängeln
sich absehen,
Philosophie
daß
des
er-
behaftet sein w i r d ,
die
sie dort nicht überwunden h a t : Sie werden in einer Theorie des Z e i t b e wußtseins nur a u f f ä l l i g e r manifest.
172
reflexive Abspaltung A's von B nicht zu warten brauchen, sondern ihre Evidenz immediat in sich tragen. Eben dieses Problem hat ein knappes Jahrhundert später Husserl, der Selbstbewußtsein - unbeeindruckt von Brentanos Wiederentdeckung des »sekundären Bewußtseins« 2 l - stets als Reflexion dachte, zu einem eindrucksvollen Zugeständnis gezwungen. Wollte man, so ist sein Gedanke 2 2 , das Zeitbewußtsein durch die Längsintentionalität von einander thematisierenden Bewußtseinen erklären, gleichsam als eine Kontaktinfektion der Retentionen, deren jeweils gegenwartsnächste der vorletzten ihr Zeitlichsein verriete, so müßte man entweder Zeitbewußtsein nur als in der unmittelbaren Vergangenheit stattfindend unterstellen, was der Erfahrung widerspricht, oder man müßte erklären, wie die jeweils letzte, die Gegenwartsphase, ihr Zeitlichsein weiß, ohne auf die Ablösung einer Retention warten zu müssen. »Es ist eben ein Unding«, schloß Husserl, »von einem »unbewußtem Inhalt zu sprechen, der erst nachträglich bewußt würde. Bewußtsein ist notwendig Bewußtsein in jeder seiner Phasen« (I.e., 1 1 9 , 2 ). Da das Faktum des immediaten Zeit- und Gegenwartsbewußtseins unabweislich ist (I.e., 1 1 3 , 4 , Z. 5/6), hat er ein »nicht setzendes« (I.e., 126 u.), »präphänomenales« und >präreflektives< (I.e., 129, L,) »Urbewußtsein« postuliert (119,0), das, indem es sich selbst durchsichtig ist, seine Zeitlichkeit und seinen jeweiligen Ort in der Zeit unmittelbar bestimmen und von seinen Re- und Protentionen unterscheiden kann. Erst auf seiner Basis läßt sich der Sinn von Vergangensein als Negation der Gegenwart erklären, und erst dann ist das Hinschwinden der Gegenwart in die Vergangenheit nicht mehr von der abstrakten Auslöschung einer der Phasen, d. h. von der Gefahr bedroht, zu einer »nur . . . subjektiven Vor21 Franz Brentano, Psychologie
vom
empirischen
Standpunkte,
hg. von
Oskar Kraus, 3 Bde., Hamburg 1968-73, 2. Buch, 2. Kapitel, §§ 1, 2, 8 - 1 0 und 3. K a p i t e l . 22 Vorlesungen
zur Phänomenologie
liana X , H a a g 1966, m - 1 2 0 ,
des inneren
Zeitbewußtseins,
Husser-
126-130.
173
(Enz. II, j2, 2 ) zu verkümmern. Erst Jean-Paul Sartres Bewußtseinstheorie hat diese Aporie befriedigend gelöst. Wir werden darauf zurückkommen.
Stellung«
2.
Beispiel: Die Verspätung der Theorie gegenüber der Praxis
Das zweite Paradigma hängt eng mit dem eben entwickelten zusammen. Wenn die Logik die Abfolge ihrer Momente ausdrücklich durch den Hinweis auf deren »ewige Simultaneität< im Gedanken »tilgen« zu können glaubt, so kann sie nicht verhindern, daß sie in der zeitlichen Wirklichkeit auseinandertreten. Nehmen wir den Fall einer konkreten Handlung. Für einen Fichteaner ist es kein Problem, das Tun mit dessen Reflektiertsein vereinigt zu denken: »Vermöge jener Identität des Seyns und Erscheinens, welche schon im Selbstbewußtseyn ausgedrückt ist«, »ist also auch mein Wissen u m 2 3 das freie Handeln identisch mit dem freien Handeln selbst« (I, 3, 570). Das Ansich der Handlung erhellt sich im Prozeß und wird unmittelbar zum Für-sich seiner, und zwar nicht als Objekt einer Reflexion. Im Gegenteil, das Fürsichsein des Bewußtseins ist die Ermöglichungsbedingung für das Gegebensein von Objekten, die erst unter der Voraussetzung präreflexiver Vertrautheit mit sich als Nicht-Ich entdeckt werden können. Hegel sieht gerade in der Trennung des Nichtichs vom Ich des unmittelbaren Selbstbewußtseins Unwahrheit. Die unmittelbare Handlung erreicht ihre Wahrheit keineswegs in ihr selbst - als solche ist sie eben bloße und unbestimmte Unmittelbarkeit sondern wird sich erst in der nachfolgenden Theorie objektiv. Da sich Handeln im Feld wirklicher Geschichte vollzieht, ist hier die Fichtesche Gleichzeitigkeit von Praxis und Theorie tatsächlich gesprengt und in eine Sukzession aufgelöst: »Als der Gedanke der Welt erscheint sie [die Philosophie] erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungs2 3 Im O r i g i n a l »und« (ein Druckfehler, wie der K o n t e x t lehrt).
174
prozeß vollendet und sich fertig gemacht h a t . . . die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug« (Rechtsph., 28). Ohne Frage folgt diese Konsequenz aus der Abwehr einer Voraussetzung, in welcher auch das Ansichseiende schon mit Selbstbewußtsein ausgestattet ist. Umgekehrt wird nun die entmündigte Freiheit auf das Resultat des Systems der Philosophie verwiesen als an das Ziel, das ihre nur hypothetische - d. h. sich (als sich selbst negierendes Moment) aufhebende - Wahrheit erst verbürgt. Daraus folgt, daß der Handelnde im Hegeischen System die absolute Verifikation der Summe seiner Einsichten und Aktionen (so wahr die unmittelbare Gewißheit selbst nur Moment im System des Denkens ist) >ad calendas graecas< 24 vertragen m u ß 2 5 2 6. Die Gewißheit des geschichtlich handelnden Menschen sinkt zur bloßen Wahrscheinlichkeit herab, deren Legitimation nicht von ihr, sondern von der am Ende sich herabstellenden Totalität erteilt wird. Aber diese Hypothetisierung unserer Selbstgewißheit »liefert keine Erklärung für die tatsächlichen Ergebnisse, die wir e r h a l t e n « . 2 4 Ihr Zu-Recht-Bestehen hinge freilich davon ab, daß die Totalität sich allaugenblicklich 24 J e a n - P a u l Sartre, Conscience de
la
Juin und
Socicte
Fran^aise
de
de soi et connaissance
Philosophie,
Tome
42,
de soi, in: 1948
Bulletin
(Seance
1947), 57. Die Übersetzung vom V f . (hinfort zit.:
du
2.
Selbstbewußtsein
Selbsterkenntnis).
25 G e w i ß hat Hegel die abstrakte D i f f e r e n z eines gegen ein sich definierenden Willens in deren an sich seiender Aber gerade weil
diese Identität
Allgemeines
Identität
aufgelöst.
nur an sich besteht, ist sie nicht
für
den Handelnden selbst - oder fällt vielmehr in den Augenblick, der die Handlung als H a n d l u n g aufhebt. 26 »Es d a r f « , so kritisierte schon Fr. J . Stahl im J a h r e
1830,
»niemand
darum besorgt seyn, daß das Rechte geschehe; das Wissen hat bloß den Zwcck, einzusehen, was ohne dies geschieht, es f o l g t dem H a n d e l n , das eben, damit ein unfreyes w i r d , nach, statt ihm vorauszugehen. D a s , was seyn soll
(das Vernünftige, N o t h w e n d i g e ) ,
ist, es als ein
Nothwendiges
zu begreifen, ist die einzige A u f g a b e « (zit. nach K a r l - H e i n z Ilting G . W. F. Hegel, Stuttgart-Bad große
Vorlesungen
Cannstatt
Wirkung
von
über
1973,
Stahls
Rechtsphilosophie,
568). Mit
Kritik
gerade
Recht auf
1818-1831, verweist
die
Ilting
[Hg.], 1. B a n d , auf
Junghcgelianer
die (I.e.,
562). 175
manifestierte und, statt nachträglich ihr Urteil zu verkünden, der Tat kopräsent wäre. So wäre der Forderung Hegels, daß die Wahrheit nur im Werden sich enthüllt, im gleichen Augenblick ihr Recht geschehen, in welchem das Jetzt zum jeweiligen Erfüllungsort der totalen und aufgrund neuer selbstbewußter Praxis total wieder aufgehobenen Selbstgewißheit würde. Schelling hat diese Herabsetzung selbstbewußter Freiheit zum Schein aus der Perspektive der am Ende sich herstellenden absoluten Selbsterkenntnis des Geistes scharf kritisiert. »Freihandelnde Persönlichkeit«, so lehrte er im Berliner Wintersemester 1841/2, »das konnte freilich der Geist nicht seyn, der erst am Ende, post festum, kommt, nachdem alles gethan ist, und der nichts zu thun hat, als alle vor und unabhängig von ihm vorhandenen Momente des Processes unter sich aufzunehmen« ( 1 1 , 3 , 9 1 ) . Unter den Hörern seiner Vorlesung befanden sich Sören Kierkegaard und Friedrich Engels. Kierkegaards Vorlesungsnachschrift bezeugt, daß Schelling diese Äußerung in einer der zitierten Fassung ähnlichen Weise getan hat. 2 7 Ohne diesen Beleg könnten wir nicht sicher nachweisen, aus welcher Quelle jene Hegelkritik geschöpft ist, die Marx und Engels in der Heiligen Familie28 formuliert haben und die so zündend auf den Lukäcs von Geschichte und Klassenbewußtsein gewirkt hat, daß man seinen Gedanken aus der Art entwickeln kann, mit der er diese Kritik an Hegels »Begriffsmythologie« zu seiner eigenen Sache gemacht 2 7 Siehe A. M . K o k t a n e k , Schellings
Seinslehre
und
Kierkegaard,
München
1962 (vgl. den dort gegebenen T e x t der K i e r k e g a a r d - N a c h s c h r i f t S. x 1 5 ) . 28 K a r l M a r x / F r i e d r i c h Engels, Werke, hg. vom Institut f ü r M a r x i s m u s Leninismus beim Z K der S E D , Berlin
1956 f f . , B d . 2, S . 90 ( h i n f o r t im
laufenden T e x t zitiert unter der Sigle MEW). Kapitel
über
Kapital:
»Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, also
auch lichen
ihre
den
Fetischcharakter
wissenschaftliche
Entwicklung
Analyse
Ware
schlägt
sein
überhaupt ein.
Geheimnis<
einen
Es beginnt
der
im
wirkfestum
und daher mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprozesses«
(MEW
176
Weg
und
post
*3» 89, 2 ) .
entgegengesetzten
der
V g l . eine Passage aus dem
h a t . 2 9 Die wesentlichen Wendungen dieser vermutlich auf Engels zurückzuführenden Kritik lauten: »Schon bei Hegel hat der absolute Geist der Geschichte an der Masse sein Material und seinen entsprechenden Ausdruck erst in der Philosophie. Der Philosoph erscheint indessen nur als Organ, in dem sich der absolute Geist, der die Geschichte macht, nach Ablauf der Bewegung nachträglich zum Bewußtsein kömmt. Auf dieses nachträgliche Bewußtsein des Philosophen reduziert sich sein Anteil an der Geschichte, denn die wirkliche Bewegung vollbringt der absolute Geist unbewußt. Der Philosoph kommt also post festum. Hegel macht sich einer doppelten Halbheit schuldig, einmal indem er die Philosophie für das Dasein des absoluten Geistes erklärt und sich zugleich dagegen verwehrt, das wirkliche philosophische Individuum für den absoluten Geist zu erklären; dann aber, indem er den absoluten Geist als absoluten Geist nur zum Schein die Geschichte machen läßt. Da der absolute Geist nämlich erst post festum im Philosophen als schöpferischer Weltgeist zum Bewußtsein kommt, so existiert die Fabrikation der Geschichte nur im Bewußtsein, in der Meinung und Vorstellung des Philosophen, nur in der spekulativen Einbildung.« 3 0 Sartre hat in einem Diskussionsbeitrag in populärer Form die Konsequenzen aufgedeckt, welche die Ungleichzeitigkeit von Praxis und Theorie für den geschichtlich Handelnden haben würde: »Wenn (die Wahrheit ausschließlich) im Werden ist«, sagt er, »und es einer gewordenen Totalität bedarf, um sie zu denken, 29 G e o r g L u k a c s , Geschichte
und Klassenbewußtsein,
N e u w i e d und Berlin
1 9 7 1 - , 80 f f . 30 Von »einer selbst bloß illusorischen« Bewegung, in der »eigentlich nichts geschehen, alles
(. . .) nur in Gedanken
vorgegangen« ist (I,
10,
pflegte schon Schelling zu reden (vgl. neben zahlreichen weiteren
124/5), Belegen
I, 7, 6 1 : »Imaginiren«). Die Unterstellung, die nur mit sich befaßte V e r nunft sei bloße Einbildung (der R e a l i t ä t beraubtes Imaginieren), ist seit den frühesten zeitgenössischen Rezensionen von Hegels Werken zum Topos der H e g e l k r i t i k geworden. A m nachhaltigsten hat ihn Feuerbach befördert.
177
verfallen wir geradewegs in einen Zustand der Kriterienlosigkeit. Ich will damit folgendes sagen: die Geschichte ist im Werden. Aber wenn wir - wie gewisse Historiker glauben - wissen müssen, was die Totalität der Geschichte ist, um zu wissen, ob Hitler Recht oder Unrecht hatte, als er dies oder jenes tat, wenn wir verpflichtet sind, uns die Frage nach dem Sinn der Geschichte zu stellen, danach» welches dieser Sinn sei, wenn wir die Unendlichkeit der Zeit in Betracht ziehen müssen, werden wir nie zu etwas kommen. Es ist für uns unbedingt notwendig, eine Ausgangsgrundlage zu haben - wir brauchen unbedingt Kriterien, und zwar sowohl für die Handlung wie für das Leben im allgemeinen, um mit Grund sagen zu können, dies ist wahr, und das ist falsch; wir brauchen Gewißheiten. Es ist unmöglich, sich auf die Ebene einer einfachen moralischen Wahrscheinlichkeit zu stellen . . w e n n man von Menschen fordert, ihr Leben zu opfern . . . Man gibt sein Leben nicht für eine Wahrscheinlichkeit hin, sondern nur für eine Gewißheit.«31 Die Möglichkeit einer solchen Gewißheit hängt aber offensichtlich davon ab, daß das Bewußtsein jederzeit für sich durchsichtig ist: >für sich<, d . h . zugleich für das, was ihm mangelt, das Seinsollende, die absolute und realisierte Totalität. 3. Beispiel: Das Bewußtsein vom Subjekt-Anderen (Herr und Knecht) Hegel hat das Selbstbewußtsein die Wahrheit des Bewußtseins genannt. Als dessen Aufhebung bleibt es aber mit einem äußerlichen Objekt behaftet, dessen Selbständigkeit es durch Negation zu brechen und in sich zu überführen trachtet (Enz. 1 1 1 , 2 1 3 / 4 ) . Indem es sich als unmittelbare Gewißheit seiner Koinzidenz mit sich selbst (als Ich = Ich) von seinem Objekt zunächst noch unterscheidet, zollt es seinen Tribut an die Ab31 Selbstbewußtsein
178
und Selbsterkenntnis,
I.e., 80.
straktion oder Endlichkeit. Und es wird sich von ihr nicht anders befreien, als indem es den Unterschied, der seine Verwiesenheit auf Anderes konstituiert, als seine eigene Reflexion-in-sich überführt, seine Einzelheit auflöst und schließlich als sich selbst oder als »das allgemeine Selbstbewußtsein« (I.e., 215) erkennt. An keiner Stelle seines Systems lassen sich Vorteil und G e f a h r von Hegels Abweisung jeder Voraussetzung gerechter abwägen als an seiner Theorie des Selbstbewußtseins. Der Vorzug liegt auf der Hand: Die Reduktion der Wahrheit auf Reflexion hat Hegel von vornherein vor den Schwierigkeiten bewahrt, die der subjektive Idealismus mit der RealitätsSetzung einer transzendentalen Fremdexistenz gehabt hat: Wer mit der fertig daseienden Subjektivität einsetzt, läuft Gefahr, nicht mehr von ihr loszukommen. Dagegen bot der Einsatz bei der quasi transreflexiven Unmittelbarkeit der Anschauung bzw. des Seins den Vorteil, das Bewußtsein seiner selbst aus einer Konstellation von Entgegensetzungen und Identifikationen erst hervorgehen zu lassen als deren Resultat, das nun zwar rückwirkend die Wahrheit des bisherigen Bewußtseins als Selbstbewußtsein enthüllt, dabei aber über die Abstraktionen des Nicht-Ich und der Individualität schon hinaus ist. Als solches ist es »das allgemeine Selbstbewußtsein [ . . . oder] das affirmative Wissen seiner selbst im anderen Selbst« (Enz. III, 226). Hegel erreicht es - und das spricht entschieden für seine Konstruktion - gerade aufgrund seiner Opposition zu der These immediater und präreflexiver Selbstgegebenheit, wie sie von Fichte und in modifizierter Form auch von Schelling vertreten worden war. Indem »Se/^sfbewußtsein« stets nur »für ein Selbstbewußtsein« (Phän.9 140,0), also nur auf dem Wege über eine reflexive »Verdopplung« (I.e., 141, ,) erreicht wird oder, wie Hegel sagt, nur »durch ein anderes Bewußtsein mit sich vermittelt ist« (Phän., 146,0), ist von vornherein gesichert, daß das Sein des Anderen der Erkenntnis des eigenen Selbst vorangehen müsse. Mehr noch: Selbsterkenntnis als eine 179
reale Erkenntnis dependiert von der Erkenntnis eines solchen Objektes, das sich infolge einer Negation in ein Subjekt überführen läßt, ohne damit aufzuhören, als selbständiges Objekt fortzudauern. Dies Objekt durchläuft seinerseits den umgekehrten Prozeß; ohne ihn würde es sich nicht als Subjekt für sich selbst konstituieren und es also in Objektgestalt auch für ein anderes Subjekt nicht sein können. Um diesen »doppelsinnigen« (Phän., 142) Prozeß wechselseitiger »Anerkennung« auszulösen, muß freilich in der »unmittelbaren Gewißheit seiner selbst« ein Mangel sich aufdrängen, der die folgenden Handlungen auslöst. Hegel beschreibt ihn als Gefühl eigener Abstraktheit, aus dem sich die »Begierde« durch Assimilation des in seiner undurchdringlichen Objektivität ihm trotzenden Gegenstandes zu befreien wünscht. Eine phänomenologische Analyse dessen, was Hegel unter dieser unmittelbaren Selbstgewißheit versteht, möchte indessen auf große Schwierigkeiten stoßen, besonders darum, weil sie sich keinesfalls als intellektuelle Anschauung mißkannt wissen möchte. Einerseits geht ihr die Wahrheit ab, die sie vielmehr außerhalb ihrer, in der Reflexion, hat; andererseits stellt sie die einzige Mitgift dar, mit welcher die Anschauung die reflexive Vereinigung zweier Subjekte ausstattet. Betrachten wir den Satz: »Das Selbstbewußtsein ist sich nach [dieser] seiner wesentlichen Allgemeinheit nur real, insofern es seinen Widerschein in anderen weiß (ich weiß, daß andere mich als sich selbst wissen)« et vice versa (N.H.S., 122, § 39). Der Andere ist mithin Bedingung meiner Selbsterkenntnis, und dies aus keinem anderen Grunde, als weil nach Hegels Ansicht das Selbstbewußtsein keine unmittelbare - d. h. präobjektive - Kenntnis von sich besitzt. Der destruierten Ansicht Fichtes setzt er also das von jenem überwundene Reflexionsmodell entgegen: kein Wunder, daß er sich in dessen Aporien verstrickt. Gewiß hat Hegel die Evidenz auf seiner Seite - und Fichtc wie Schelling würden beistimmen daß die intellektuelle 180
Anschauung als solche keine Realität impliziert: die Realisierung der intellektuellen Anschauung (Fichtes »Ich als Idee«) ist vielmehr das Postulat des transzendentalen Idealismus. Aber umgekehrt ist geltend zu machen, daß die Reflexion nicht nur die Wahrheit der unmittelbaren Selbstgewißheit ist, sondern umgekehrt toto genere von deren Wahrheit dependiert. Denn nur auf der Basis und unter der Voraussetzung einer vollkommenen Bekanntschaft mit sich vor aller Reflexion kann die reflexive Erkenntnis den Objekt-Anderen als sich selbst erkennen. 3 2 Daran ändert auch der Einwand nichts, daß Hegel nicht von abstrakter Selbstreflexion redet, sondern von einer Erkenntnis, die ein anderes, im Gewand der Äußerlichkeit gegebenes Subjekt als reale Subjektivität und nur insofern als sich - als die allgemeine und impersonale Wahrheit des »Ich = Ich« - anschaut. Denn gerade diese Erkenntnis hängt von einer ihr zuvorkommenden Bekanntschaft mit der Seinsweise von Subjektivität ab: ohne sie wäre es nicht möglich, die Objektivität einer menschlichen Geste, eines Winks, einer Verhaltensweise auf deren Grund, auf Freiheit hin zu überschreiten, wie das die Moralphilosophien Fichtes und des jungen Schelling so pathetisch gefordert, freilich auch plausibel gemacht haben. Übrigens hat Sartre - dessen Kritik man in gewisser Weise als die postume Hegelkritik eines Fichte redivivus lesen kann - gezeigt, daß Hegels Theorie wechselseitiger Anerkennung nicht nur in den Zirkel sich verstrickt, sondern ihr selbstgesetztes Ziel mit den eigenen Mitteln nicht einmal erreicht. Indem sie die sinnliche Einzelheit der konkurrierenden Subjekte unter die phänomenologisch ungeeignete Kategorie des »Lebens« stellt und damit »Objektivität« und »Leben« gleichsetzt (Phän., 142/4 f.), glaubt sie die Selbständigkeit der Freiheit dadurch sich manifestieren lassen zu können, daß diese den Tod nicht scheue (»sich für ein anderes als frei vom natürlichen Dasein« darstelle [N.H.S.y 119 u.]). Freilich schei32 J c a n - P a u l Sartre, Vetre gique,
et le neant.
Paris 1943, 295 (hinfort z i t . : EN
Essai
d'ontologie
phenomenolo-
im l a u f e n d e n T e x t ) .
181
tert der »Kampf auf Leben und Tod< und erweist dadurch seine Untauglichkeit, Selbsterkenntnis wirklich herzustellen (vgl. Enz. I I I , 221). Damit reduziert sich die Kategorie »Leben« auf die angemessenere der »Objektivität«, die aus der Relation der »Sichselbstgleichheit im Anderssein« ( N . H S . , 120/1) keinesfalls abstrahiert werden darf, ohne daß das Modell der >Selbstanschauung im Anderem selbst zusammenbräche. Aber ist nicht die Anschauung eines Objekts prinzipiell ungeeignet, die Erfahrung des Bei-sich-Seins zu beschreiben? Kann Selbstbewußtsein, sofern es sich unmittelbar präsent und in sich für sich lucide ist, von einem Objekt, und sei es von einem Ich, bewohnt und verdunkelt werden? »£tre objet c'est n'-etre-pas-moi« ( E N , 298).3 3 Dieser Satz wartet vergeblich auf seine dialektische Modifikation. Gewiß hat Selbstbewußtsein die Möglichkeit, sich zu reflektieren. Es fällt dann aber mit seinem Reflektierten nicht zusammen und hat das auch gar nicht nötig, da es der Reflexion nicht nur nicht bedarf, um für-sich zu sein, sondern deren Objektivität selbst nur auf der Basis vorgängig nicht-objektiver Bekanntschaft mit sich - also eines »gemeinsamen Maßes zwischen Objekt und Subjekt« - als sich interpretieren kann ( E N , 299, 1). Dagegen ist das Objektsein des Anderen ein grundsätzliches Hindernis, ihn als Subjekt zu realisieren. Und wenn Subjektivität ein Modus präreflexiver Innerlichkeit ist, so verfehle ich mit Sicherheit die Innerlichkeit des Anderen, wenn ich ihn zunächst als Objekt antreffe. Es hilft nichts, daß Hegel diese Objektivität als ein >negandum< bezeichnet, dessen ich mir als des Anderen-meiner-selbst bewußt werde, indem ich mir seiner Unabhängigkeit von mir als meiner eigenen Selbständigkeit innewerde; denn gerade für diesen Akt der Assimilation fehlt in dem Augenblick jede Motivation, da ich 33 V g l .
»Objektseyn
heißt: nicht Ich-Seyn«.
nicht objektiv ist« (I, 3, 368).
182
»Das
Ich
ist, was
an
sich
der Erfahrung meines präreflexiven Selbstbewußtseins midi zu entschlagen aufgefordert werde. Es tritt aufs neue der Fall ein, den wir am Scheitern der »bestimmenden Reflexion< auffällig zu machen suchten: jene selbstbewußte Identität, die mir das Anderssein als mein Anderssein zurückspiegelt, läßt sich unter keinen Umständen aus dem Funktionieren der Reflexion deduzieren. Sie ist und bleibt deren Voraussetzung. Einen weiteren Mangel von Hegels Theorie der Selbsterkenntnis im Erkennen des Anderen enthüllt ihr Resultat (vgl. EN, 299/300). Das »allgemeine Selbstbewußtsein«, in dessen Identität die ihrer Abstraktheit überführte Konkurrenz verschiedener Subjekte sich auflöst, ist über die Einzelsubjektivität immer schon hinaus. Wie soll sie sich in ihr als sich erkennen? Der Augenblick, der die Einsicht in die Selbstheit des Anderen stiftet, hebt sie auch schon auf in eine neue >inhaltslose< Allgemeinheit ( N . H S . , 1 1 7 , § 2 2 / 3 ; Enz. III, 2 1 3 , § 424; 228, § 438). Ein überfliegendes Bewußtsein bezieht den Standpunkt der Totalität, in welchem »das einzelne Bewußtsein« als in sein »An sich«, d. h. in »sein absolutes Wesen . . . [als] in sich zurück« (Phän., 175) geht. Das »wesentliche Selbst« (N.H.S., 122, § 39) ist über den Schein einer Alternative von Leben und Tod hinaus und enthüllt die verkappte Theologie hinter Hegels Theorem von »Herrschaft und Knechtschaft«: Der Herr, der den Tod nicht scheut, kann wissen, daß er nichts zu verlieren hat; denn er vollzieht im Tode nur den vermittelnden Ubergang in die konkrete Ewigkeit der »Vernunft« als in seine Wahrheit oder eigentliche Heimat. Auf dieser Stufe von Selbstreflexion hat er den einzelnen Objekt-Anderen, der ihm sein Einzelselbst zurückspiegeln soll, nicht mehr nötig. Er hat »die Mitte erreicht«, »welche es dem unwandelbaren Bewußtsein ausspricht, daß das Einzelne auf sich Verzicht getan, und dem Einzelnen, daß das Unwandelbare kein Extrem mehr für es, sondern mit ihm versöhnt ist« (Phän., 175). Wir werden sehen, daß diese Konsequenz - ganz unabhängig von der Verdrängung ihrer Ermöglichungsbedingung - in 183
neue Unwegsamkeiten führt. Es stimmt nicht zu der phänomenologisch verifizierbaren Seinsweise von Bewußtsein, daß dessen Identität mit seinem Gegenstand - unterstellt man für einen Augenblick, daß dergleichen denkbar wäre - von einer Blickwarte aus bezeugt werden kann, die nicht ihrerseits »m'etablit dans mon etre et pose le probleme d'autrui a partir de mon etre. En un mot, le seul point de depart sür est Finteriorite du cogito« (EN, 300). Merken wir abschließend an, daß Hegel die Theorie wechselseitiger Anerkennung freier Individuen von F i c h t e 3 4 und Schelling übernehmen konnte. 3 5 Beide sind unmittelbar sein Vorbild durch den Gedanken, daß jedem Individuum sein objektives Selbstbewußtsein durch »Spiegelung in einer andern Intelligenz« (I, 3, 542) vermittelt werde, daß >der Andere insofern allerdings Bedingung meines eigenen Selbstbewußtseins« (I.e., 545/6) sei. Schelling - um den Gedanken wenigstens zu skizzieren - argumentiert folgendermaßen: Durch die Forderung, sich selbst als sich selbst frei bestimmend anzuschauen, entsteht für das Ich der Widerspruch, daß es sich diese Handlung einerseits erklären - d. h. als etwas Bedingtes und insofern Necessitiertes vorstellen - soll, ohne sie doch auf der anderen Seite aus einem vorangegangenen Handeln der Intelligenz ableiten zu dürfen (denn es soll ja als frei sich objektivieren - und insofern etwas Unerklärliches vollbringen). Das erste muß es sich selbst zuschreiben: nur das Ich als ein theoretisches Vermögen kann das Bewußtsein der Handlung produzieren; dem anderen kann es aber nur indirekt den Grund bereiten, indem es durch ein Nichthandeln fremder Freiheit Raum läßt für ein Geschehen, als dessen Urheber es in keinem Falle sich selbst anschauen kann (diese Handlung ist gleichsam nur fakultativ). Aufgelöst wird dieser
34 J . G . Fichte, W W I I I , 3 5 - 5 2 . 35 Schelling unserer
I, 3, 5 3 8 - 5 5 7 . -
Konfrontation
Untersuchung.
184
sehr
Dieser Z u s a m m e n h a n g ,
leicht
zu entwickeln
der auf
ist, lohnte
der
eine
Basis eigene
Widerspruch so: Um ein von mir unabhängiges Handeln als indirekten (als Erklärungs-)Grund meiner eigenen freien Selbstbestimmung ansehen zu können, muß ich mir folgende Voraussetzung klar machen: Frei ist diese meine Handlung nur, wenn ich sie von Anfang an mit Bewußtsein (oder, was gleich gilt, mit Willen) vollbringe: Ich muß das Wollen (der freien Selbstbestimmung) selbst wollen (I, 3, 541), gerate also, indem ich, was aus der Handlung erst resultieren soll, gerade in Anspruch nehme: den »Begriff des Wollens« (ebd.), in einen »offenbaren Cirkel«. Ihm läßt nur dadurch sich entgehen, daß dieser Begriff freier Selbstbestimmung in Gestalt einer mir von anderer Freiheit angemuteten Forderung als ein »Sollen« - objektiv wird (ich kann sie erfüllen, ohne dazu genötigt zu sein). Insofern erblickt sich die Intelligenz - wie Hegel wiederholt hat indem sie »sich selbst reflektiert, [ . . . in der T a t ] im Spiegel einer andern Intelligenz« (I.e., 542 u.) und betrifft midi der Andere in meinem innersten Für-mich-Sein (auf der präreflexiven Ebene). Er tut es, indem er meine Welt allererst zu einer objektiven (von meiner Individualanschauung unabhängigen) Welt macht und meine materiale (wiewohl nicht meine formale) Freiheit einschränkt, d. h. indem er mich individualisiert, die allen Freiheiten insgesamt sich eröffnenden Möglichkeiten auf einen mir sich darbietenden Anteil reduziert und so erst konkret motivierte und konkret intendierte Handlungen auf bestimmte Gegenstände für midi ermöglicht usw. Das ist eine unmittelbare Konsequenz aus dem Zusammenfallen des Bewußtseins meines Nichthandeins mit der Anschauung fremder Freiheit außer mir: Würde ich diese Verbindung nicht herstellen, ich müßte glauben, die Totalität des Seienden mit Bewußtsein produziert zu haben und die Unendlichkeit des Möglichkeitsfeldes durch meine Handlungen zu erschöpfen. Indem ich mich nicht als Urheber dieses Universums anschaue, realisiere ich mich als Individualfreiheit und mache »eine Thätigkeit von 1 Intelligenzen außer mir« zur »Bedingung des Selbstbewußtseyns« (1. c., 545/6): »Kein Vernunftwesen [kann sich darum] i8j
als solches bewähren ( . . .), als durch die Anerkennung anderer« als unabhängig von ihm Existierender (I.e., 550). All das erinnert sehr an Hegel und war historisch in der Tat sein Vorbild. Während Hegel aber das Selbstbewußtsein auf eine reflexive Erkenntnis reduziert, die ich von einem Objekt - und sei dieses Objekt eine Freiheit - habe, damit dem vitiösen Zirkel der Reflexionstheorie verfällt, haben Fichte und Schelling ihr Theorem relativer Abhängigkeit des Selbstbewußtseins vom Fremdbewußtsein auf der Basis präreflexiver Bekanntschaft der Subjektivität mit sich selbst entwickelt (I, 3, 361 ff.; bes. 365 ff.). Der »Begriff des Wollens< wird mir demzufolge zwar nur durch das Sollen zum Objekt, aber ein Bewußtsein besaß ich von Anfang an von ihm durch »intellektuelle Anschauung«, d. h. durch ein nicht-setzendes (das Spiegelbild nicht zum Gegenstand machendes) Bewußtsein von mir als einer unmittelbar ihr Bewußtsein hervorbringenden Handlung. »Die gesetzte Ursache der A u f forderung außer dem Subjecte«, sagt Fichte, d. h. ein an meine Freiheit ergehender Appell einer anderen Freiheit, »muß demnach wenigstens die Möglichkeit voraussetzen, daß das letztere [sie] verstehen und begreifen könne, außerdem hat sein e 3 6 Aufforderung gar keinen Zweck. Die Zweckmäßigkeit derselben ist durch den Verstand und das Freiseyn des Wesens, an welches sie ergeht, bedingt.« 3 7
36 =
gen. obj.
37 Fichte WW I I I , 36,
186
3
I V Schellings Suche nach positiver Unmittelbarkeit — Die Problematik der Identitätsformel Noch ist nicht der zweite Einwand gegen Schellings Kritik am Reflexionszirkel entkräftet. Er ist von grundsätzlich anderer Natur als der erste; denn er bezweifelt nicht den Nutzen einer Korrektur an Hegels Versuch, Selbstbewußtsein auf Reflexion zu reduzieren, sondern macht geltend, daß sie nur ein verbessertes Instrument für die Identifikation zweier Bedeutungen an die Hand gibt. Soll die Möglichkeit einer solchen Identifikation, wie Hegels >Logik der Reflexion« sie vorführt, grundsätzlich bestritten werden, so ist »Sein« in der Bedeutung von bewußtseinsunabhängiger Realität erst zu gewinnen. Natürlich stellt die bewährte Position des unmittelbaren Bei-sich-Seins den Ausgangspunkt für die Suche nach einem transreflexiven Sein dar.
Der Schritt über die Grenzlinie des Bewußtseins! Schelling hat den Schritt über >die Grenzlinie des Bewußtseins« mit Argumenten vorbereitet, die wir von Hölderlin und Sinclair her kennen. Wie jene hat er sie an einer Fichtekritik erarbeitet, und manches spricht dafür, sie für eine nachträgliche Einlösung der von Hölderlin empfangenen und durch den Einfluß Fichtes niedergehaltenen Anregung zu interpretieren. Fichtes gültige Leistung sieht Schelling darin, daß dieser zuerst gefordert habe, »die Wissenschaft alles Wissens habe von dem Unbedingten auszugehen« ( 1 , 4 , 353). Ohne die Inanspruchnahme einer unbedingten Evidenz würde jeder ihrer I Zum folgenden vgl. Manfred Frank, Das Problem >Zeit< in der deutschen Romantik. Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der frühromantisd?en Philosophie und in Tiecks Dichtung, München 1 9 7 2 , I I ff.
187
Sätze den Status einer an jedem ihm vorgehaltenen Maße zerschellenden Wahrscheinlichkeit annehmen und auf einen Skeptizismus zutreiben, der an sich selbst zuschanden werden müßte. Un-bedingt kann nur heißen, »was schlechterdings nicht zum Ding, zur Sache werden kann« (I, 3, 368), was aller »Beschränkungen der besonderen Reflexion und der Darstellung, welche dem Princip selbst fremd sind« (1, 4, 3 5 3), ledig, was - mit einem Wort - lautere Suisuffizienz ist und keines anderen zu seinem Existieren bedarf. Diesem Anspruch, so lautet Schellings Kritik, habe aber Fichtes Satz vom Selbstbewußtsein nicht standgehalten: Als präreflexives Bei-sich-Sein bestimmt, würde das Unbedingte eben doch an eine subsidiäre Form der Reflexion gebunden (zu einem »Noumen« [I, 4, 3 5 6 , 0 ] degradiert). Seine Unbedingtheit höbe sich also durch den Akt selbst, der sie bezeugt, auch wieder auf. Fichte fordert indes dieses Zeugnis durch die »Beschränkung der Auffassung des absoluten Bewußtseyns auf/das im empirischen gegebene reine Bewußtseyn« (I, 4, 353/4). Diese A u f fassung läßt, was durch die Forderung einer jeder Reflexion zuvorkommenden Selbstgegenwärtigkeit des Ichbewußtseins erreicht war, in ein erneutes »Differenzverhältniß des Ichs und des Absoluten« ( 1 , 4 , 3 5 4 ) sich auflösen und den durch Fichtes ingeniöse Kantkritik abgewehrten Reflexions-»Cirkel« ( 1 , 4 , 3 5 6 , 0 ) in versteckter Form urständen. Jedes Differenzverhältnis beruht auf Relation, und Relativität ist das Gegenteil jener Absolutheit, auf die Fichte seine Philosophie zu gründen versprach. Nun ist Fichtes Absicht keineswegs, das Ich von einem außer ihm Gelegenheit dependieren zu lassen. Im Gegenteil zieht es das »unabhängig von ihm, außer ihm Vorhandene« (I, 4, 357, also dasjenige, das sein Grund zu sein schien - in 2) seine eigene Sphäre hinab und verwandelt es in sein Produkt (I, 4, 356, o): Das »An-sich« ist selbst ein vom Ich Produziertes, so wahr es nur ist, indem es »für-sich« gesetzt wird ( 1 , 4 , 3 5 6 / 7 ) . Dadurch entsteht aber die paradoxe Situation, daß der Akt, als dessen Resultat das Selbstbewußtsein seiner 188
innewird, umgekehrt als ein von diesem Ich Hervorgebrachtes sich enthüllen soll. 2 Die Paradoxie besteht freilich weniger darin, daß das An-sich-Seiende als »Schein« entlarvt wird, dem seine Wahrheit in der Position des Für-sich-Seins zugewiesen wird, als darin, daß das Für-sich von vornherein ungeeignet ist, ein Absolutum zu begründen: denn es impliziert ja eine Relation, deren eines Relat das An-sich ist: »Das außer-sich-Setzen schließt das /«r-sich-Setzen schon in sich und umgekehrt (außer mir ist das Absolute allerdings und in alle Ewigkeit nur für mich [nicht an sich, ein bloßes Noumen]« (I, 4, 356). Die Bindung des Absoluten an dessen Fürsichsein hebt mithin Absolutheit prinzipiell auf, und umgekehrt enthüllt sich »jenes außer-sich-Haben des Absoluten« ( 1 , 4 , 356, als ein der Einschränkung des Unbedingten auf ein relationales Fürsichsein »unmittelbar vergesellschafteter . . . Schein« (ebd.). 3 »Ganz innerhalb dieses Scheins« (I, 4, 3 57, 2 ) verharrt die Wissenschaftslehre, die in folgenden Punkten in Widerspruch zu ihrem eigenen Anspruch gerät: 1. suspendiert sie die Realität des An-sich-Seins, ohne sie wirklich tilgen zu können (da sie in der Realisierung des Fürsich wiederaufersteht), 2. begreift sie ihr eigenes Funktionieren keineswegs aus der abstrakten Relation von Ich und Nichtich als solcher, sondern aus der geheimen Anziehungskraft, die das als absolute Identität in Anspruch genommene Ansich oder Absolute auf diese Relation ausübt. Sie kann aber 3. diese geheime Ausrichtung des unendlichen Prozesses, in welchem das Fürsich dem Ansich 2 »In
A n s e h u n g des Absoluten
spruch, denn
es soll etwas
oder
f ü r das
An-sich
besteht ein ewiger
Ich, und folglich in
Wider-
ihm, und
doch
zugleich nicht im Ich, sondern außer ihm s e y n ; sonst w ä r e es kein An-sich. D i e ß ist der nie zu durchbrechende C i r k e l , dessen Entdeckung
das
Ver-
dienst der Wissenschaftslehre ist« (I, 7, 25, v g l . I.e., 4 1 , . , unten). 3 An
diesem
Stadium
der
Argumentation
läßt
sich
vorzüglich
der
meinsame U r s p r u n g von Hölderlins wie von Hegels Schritt über die
geKan-
tische G r e n z l i n i e demonstrieren, da hier die äußerste Position erreicht ist, auf welcher die unterschiedlichen Konsequenzen, die beide gezogen
haben,
noch nicht miteinander im K a m p f liegen.
189
>nachläuft< und sich doch nicht assimilieren kann, mit den von ihr verwendeten Mitteln nicht erklären; mehr noch, »durch ein Hinausschieben des Erklärungsgrundes ins Unendliche« (I, 4, 3 j8, j) gibt sie weder Rechenschaft über den Ursprung jener unterwegs konstituierten und zwar »bloß relativen Einheit«en (I, 4, 359,5), die aber doch nur auf der Basis einer absoluten Einheit denkbar sind, noch macht sie denkbar, daß dieser Erklärungsgrund je eingeholt wird: »Auf diese Weise wird der Handel zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich, der geschlichtet werden sollte, auf die lange Bank eines unendlichen Progessus hinausgeschoben; die Philosophie muß in der Zeit die Ewigkeit anticipiren« ( 1 , 4 , 3 5 8 , 0 ) - denn der letzte Akt des Progesses, der um die Differenz von An- und Für-sich die einigende Klammer schlüge, fiele selbst in die Sphäre des Fürsich und überließe das Geschick des Prozesses aufs neue dem bekannten »Cirkel« (ebd.). Schellings Alternative scheint ebenso einfach wie überschwenglich: Wenn das Ansich sich verflüchtigt, sobald die Reflexion »danach greifen will« (I, 4, 357, L>), so muß die Reflexion eben aus jener Stelle, von der aus sie das Ansich vergegenständlicht, herausgesetzt werden: »Suche das An-sich nicht außer dir oder dich außer ihm, so wird es auch/unmittelbar aufhören bloß für dich zu seyn« (I, 4, 356/7). Anders: Abstrahiere im Selbstbewußtsein von dem es Denkenden, so wird das Absolute, nicht länger gehindert von einem es thematisierenden Intentionsstrahl, sich offenbaren können. Diese Konsequenzen, wird man sagen, machen allem Philosophieren im Keim den Garaus. Natürlich stellt sich dieser übliche Vorwurf gegen Schelling wie gegen Hölderlin blind gegen die Motivation für das, was Schelling selbst den »ersten entscheidenden Schritt gegen allen Dogmatismus« nennt (I, 4, 356, i): die Aufhebung des »Scheins« einer Differenz im höchsten Sein (ebd.). Schellings Gedanke ist besser fundiert, als die oben gegebene Formulierung vermuten läßt. Wir haben, so ist sein Argument, im Wissen den Fall einer Synthesis von Vielheit oder 190
des Zusammengehens von Einheit und Differenz. Aber weder eine Analyse der Relate noch der ganzen Relation vermag den Grund für deren >Indifferentiirung< aus einem der Momente oder aus ihrem synthetischen Zusammenspiel zu erklären. Und genau diesen Anspruch erheben - auf je verschiedene Weise und in gemeinsamer Opposition gegen Hölderlin und Schelling - die frühe Wissenschaftslehre Fichtes und Hegels philosophisches System. Das »JIQCOTOV \|»evj6o;« dieser Versuche liegt nicht in der Inanspruchnahme einer Einheit, die sich in der Reflexion bewährt, sondern in der Unterstellung, daß es einem ichhaft Struktuierten (I, 6, 140, .j) - und d. h. einem solchen, das »in ihm selbst ein Anderes, und in diesem Anderen sich selbst das Eine« ist (I, 7, 54,5) - gelingen könne, »das Subjekt und das Objekt [suisuffizient] auszugleichen« ( 1 , 6 , 1 3 8 0 . ) . Daß das Absolute nichts sein kann, »was aus/Zusammensetzung hervorgeht« (I, 6, 2 2 / 3), daß es niemals »vermittelte, sondern ganz unvermittelbare . . . Identität« sein muß (I, 6, 25, :<)4, dies zeigt Schelling negativ am Scheitern jedes anderen Erklärungsversuchs auf der Basis der Annahme von Relation als einem nicht hintergehbaren Faktum der Vernunft: Die interne Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, Einheit und Differenz, kann nur gedacht werden 1) als entweder 4 Dies A r g u m e n t wäre auch gegen die von Adornos Negativer
Dialektik
beschworene (unbewußt Hegelianische) Gleichung von »Identifizieren« mit dem (zugleich als »Vermittlung« machen ( v g l . I.e., 150, 1 5 2 , miteinander diese
auf
vermittelt,
gedachten)
f . , 171 f . ) : G e r a d e weil der Begriff
nimmt er
seine Rechnung
»Begriffsdenken« geltend
ginge.
Identität Das
Relate
nur in Anspruch, ohne
Denken
ist bloßes
zu daß
Verhältnis
sich, das, manifestierte sich in ihm nicht unverfüglich transzendente
zu Iden-
tität, als Se/&$fverhältnis aus eigenen Mitteln sich nun und nimmer realisieren könnte. unbewußt
Im G r u n d e v e r f ä l l t A d o r n o s Kontestation
Kantischer
Tradition,
deren
Gleichung
von
der
Begriff
Identität (Selbstbe-
wußtsein) und Identität, wenn schon nicht nachhaltig genug vom Fichte und
Schelling, von
J . P. Sartre
mit dem gleichen
späten
Argument
de-
struiert w u r d e : Selbstbewußtsein ist ein negativer Bezug auf sich, Identit ä t s v e r w e i g e r u n g , die es doch ohne Inanspruchnahme dieser Identität
als
eines »etre transreflexif« nicht sein könnte.
191
einseitig oder wechselseitig erfolgend, 2) entweder vom Objekt aufs Subjekt oder vom Subjekt aufs Objekt zielend ( 1 , 6 , 1 3 8 / 9 ) . Zunächst sei die erste Möglichkeit der ersten Alternative auf beide Fälle der zweiten angewendet. Also sei 1) das Objekt gedacht als einseitig bestimmend das Subjekt. Da das Objekt nicht als es selbst, sondern nur vermittels seiner Wirkung ins Subjekt weitergehen kann, kann das reine Objekt als solches im Subjekt gar nicht ankommen. Das Objekt dringt also selbst gar nicht ins Wissen ein, weil alsdann - Hegelisch gesprochen - das Objekt zur Wahrheit des Subjekts gemacht und das Bewußtsein verdinglicht und verdunkelt würde. Eine solche externe Relation zwischen zwei Objekten bestünde aber nur für ein Subjekt, das mithin wieder vorausgesetzt werden müßte (I, 6, 139, t ). 2) Umgekehrt sei das Subjekt gedacht als bestimmend das Objekt. Diese Bestimmung könnte entweder absolut sein, so würde dem Objekt jede Selbständigkeit und mit ihr jedes Kriterium einer Unterscheidung vom Subjekt, dem Subjekt selbst aber zugleich die Möglichkeit, sich gegen das Objekt als Subjekt zu profilieren, genommen; oder relativ: dann wäre das Objekt erkennbar nur in dem Maße, wie es vom Subjekt bestimmt, und entzöge sich ihm, insofern es von ihm nicht bestimmt wäre (I, 6, 139, 2 ). »Es bliebe also nur die Wechselwirkung übrig.« Beide, Subjekt und Objekt, seien je in sich durcheinander bestimmt (Subjekt wäre selbst Objekt und umgekehrt). Schelling pflichtet dieser Lösung übrigens als einer »Grundwahrheit« bei (I, 6, 30, .j), weist aber zugleich darauf hin, daß genau dieser »Grund-Reflex« 5 nicht aus der Relation zu erklären ist. Die Wechselwirkung läßt nämlich die Schwierigkeiten von 1) und 2) nur in potenzierter Form wiederauferstehen, in5 Ein
Ausdruck
Fichtes
in
seinem
Brief
aus Berlin (Fichte-Schelling Briefwechsel, 1968, 152). Die WL
Schelling
vom
15. 1. 1802
hg. von W . Schulz, F r a n k f u r t / M .
von 1801 v e r w e n d e t dies Theorem systematisch
W W II, 32 im K o n t e x t ) .
192
an
(vgl.
dem sie die beiden einseitigen Beziehungen chiastisch einander verschlingen, also bald Subjekt durch Objekt, bald Objekt durch Subjekt bestimmt sein läßt. Aber gerade die Möglichkeit solcher vorgängig einseitigen Bestimmungen hat sich aus dem Begriff der Relation selbst auf keine Weise gewinnen lassen, und ihre Hypostasierung ist nicht gerechtfertigt, mithin »gleichfalls völlig nichtig« (I, 6, 139/40). Selbstbeziehung ist nicht aus Reflexion, nicht aus Vermittlung, zu erklären, und zwar genau deshalb, weil das Moment der Identifizierung der Relata (oder, wie Schelling sagt, »dieses Band eines Wesens als Eines mit ihm selbst, als einem Vielen« [I, 7, 55, H]) der Relation selbst jederzeit sich entzieht. Überantwortet eine derartige Feststellung nicht automatisch die Philosophie einer ihr transzendenten Voraussetzung? Keineswegs. Sie klärt, ohne die Dimension der Vernunft zu überschreiten, in immanenter Evidenz, »daß beide [das Subjektive und das Objektive] als Entgegengesetzte oder Verbundene eben nur aus jener Identität begriffen werden« können (I, 2, 62). Diese Identität zu einem »außer dem Wissen« seienden Absolutum zu machen, hieße gerade, ihre Absolutheit zu zerstören, sie nämlich der reflexiven Relativierung zu überantworten und im Fürsich zu begründen. »Die erste Voraussetzung« alles Wissens wird vielmehr »offenbar . . . in jedem Wissen selbst gemacht« (I, 6, 140, 2 ) - als dessen immanente und präreflexive Bedingung. Und so wahr Wissen ist, so wahr ist jene reine Identität »gänzlich und absolut unabhängig . . . von dem Subjektiven und dem Objektiven« ( 1 , 6 , 1 4 7 , 3 ) als ihren Relaten. Der ontologische Beweis der Reflexion Schelling hat diesem letzten Gedanken eine ebenso überraschende wie weittragende Konsequenz abgewonnen. Wenn Wissen ist (und der Zweifel daran potenziert die Gewißheit nur), so ist zu fragen, worin seine Realität eigentlich gründet. In ihm selbst, möchte man sogleich antworten, denn Selbstbe93
wußtsein ist Gegenwart nur bei sich. Die Relata der Reflexion fordern einander wechselseitig: Das »außer-s\d\-Setzen« impliziert seine Differenz vom »/«r-sich-Setzen« (I, 4, 356,0) - darum sind aber beide in dem Maße ungeeignet, für Absoluta zu gelten, wie sie ihr Sein nicht in sich, sondern in ihrem anderen haben: das außer dem Ich oder an sich Seiende ist nur in seiner Äußerlichkeit zum Ich, und Ich ist nur, für welches ein Äußeres ist. Als reflektierte erscheinen die in der absoluten Selbstaffirmation identischen Momente, »Unendliches und Endliches [,1 getrennt« (I, 4, 369 Anm.), und ihre »Einheit. . . [kann] nur entweder im Unendlichen oder im Endlichen reflektirt werden« (ebd.). Dem Blick des Wissens dissoziiert sich mithin das absolut Eine in zwei »Reflexe«, deren einer die »Einbildung des Wesens in die Form« als reelle Tätigkeit oder erste Potenz spiegelt, während der zweite die »Einbildung der Form in das Wesen« als ideelle Tätigkeit oder zweite Potenz reflektiert (I, 4, 420,4/5). Beide haben als Reflektierte ihr Sein nur im Nichtsein des sie Reflektierenden und umgekehrt (sie sind, wie Schelling sich ausdrückt, relative Negationen ihres Anderen, das insofern ohne Realität ist [ 1 , 6 , 1 8 5 , 0 ] ) . Der Satz, daß diese beiden Reflexe ihr Sein nicht in sich, sondern in ihrem Anderen haben, beraubt aber beide des Seins und verewigt jenen »Cirkel . . . , innerhalb dessen ein Nichts durch eine Relation zu einem andern Nichts Realität bekommt« (I, 4, 358, L>). Wir haben es mit einem Widerspiel von aufeinander bezogenen Reflexen zu tun, die sich wechselseitig ihr Sein aberkennen, ohne es aus eigenem Vermögen wiederherstellen zu können, deren Realität mithin nur dadurch gewahrt werden kann, daß man sie »gar nicht in dieser Relation betrachtet« (ebd. vgl. I, 7> 196/7). Anders gesagt: Hält man die unabweisliche Evidenz des cogito-sum an die Einsicht, daß die im Selbstbewußtsein einander reflektierenden Momente »Nichts« sind und »nur Bilder ihrer eignen Nichtigkeit« anschauen, so drängt sich der Schluß auf, daß das Sein der Reflexion prinzipiell nicht ihr eigenes 194
Sein sein könne oder daß endliches Wissen eine sich selbst negierende und überschreitende Gegenwart-beim-Sein sei. Man könnte dies mit Sartre den ontologischen Beweis der Reflexion in dem Sinne nennen, »que la conscience nait portee sur un etre qui n'est pas eile« (EN 28, vgl. 16 o.). 6 Dieser Gedanke erlaubt Schelling zugleich eine plausible Erklärung für den Übergang aus jener gründenden und absoluten Identität von Subjekt und Objekt in den Zustand ihrer relativen Getrenntheit. Denkt man sich das Absolute als fugenloses Zusammenfallen von Wesen und Form, von Setzendem und Gesetztem - derart, daß es Affirmierendes und Affirmiertes »von sich selbst« ist (I, 6, 148) so ist in ihm jede Spur von Beziehung-auf-Anderes, von >Negation<, getilgt (I, 6, 124 o.). Das Absolute nimmt den »Gegenwurf« seiner selbst ( 1 , 7 , 5 8 , 0 ) - das Bild seiner »Selbstoffenbarung« (I.e., 57) - immediat und ewigerweise in sich zurück, und zwar derart, daß die Auszeichnung dieser ewigen Selbstbezogenheit durch ein Reflexivpronomen jeden Sinn verliert und nur die Unzulänglichkeit der Sprache spiegelt. Es ist Identität seiner und des Gegensatzes nicht nur de facto, sondern zufolge seines bloßen Begriffs (I, 6, 149). Auf solche Weise an die absolute Identität mit dem Wesen gebunden, ist die Form das Wesen nur, sofern sie jeder Selbständigkeit entsagt. Als ein sich selbst negierender Reflex des Absoluten kommt ihr Sein nur in dem Maße zu, wie sie vom Absoluten Zeugnis ablegt. Eben darum ist sie »Nichts .. . für sich selbst* (I, 6, 42) 6a , ein Nichts jedoch, das als Gegen6 Schelling selbst hat sich wiederholt auf das ontologische Argument
be-
r u f e n , um die Identität von Wesen und Sein in der absoluten
Erkennt-
nis sicherzustellen,
und
so z . B .
I,
7,
150
(Nr. 53);
157
( N r . 77)
159
( N r . 83). 6a »Das
Erste
[Seynkönnende]
muß
Nichts
seyn
(nämlich
nichts
selbst
seyn), damit das überschwenglich Seyende ihm Etwas werde, und umgekehrt, das Zweite muß das unendlich Seyende seyn, damit es das Erste in seinem nicht-selbst-seyn erhalte« (I, 2, 51/2). Das Seinkönnende ist ein neant d'etre seinem eigenen Sein nach: Es ist Grund nicht seinem eigenen, sondern dem Sein des anderen (vgl. II, 3, 228).
195
wurf des Absoluten notwendig auch dessen Freiheit erbt und kraft dieser Mitgift auch gegen das Absolute sich entscheiden kann. Ergreift sich das Nichts als Realität (I, 6, $ 5 2, .>), so trennt es sich für alle Zeiten von jenem Zustand, in dem es integrierendes Moment des Absoluten selbst war, und realisiert sich als »das wahre Nichts« (I, 6, 40, 2 ), als die bodenlose und allein auf sich selbst gestellte Freiheit (I.e., 43, ,). So bringt das Ich jenes Nichts, das in der ewigen Identität von Sein und Fürsichsein latitierte, an ihm selber zur Erscheinung. Es verwirklicht das vormals nur potentielle Nichtsein in der Gleichung des Absoluten (I, 4, 397, .,) und bringt unmittelbar die Bestimmung-durch-Anderes, »sonach das nicht-an-sich-selbst-Seyn mit sich« (ebd.). Ein Nichtabsolutes ist die »Ichheit« also gerade dadurch, daß sie sich durch »ihre eigene That« (I, 6, 42 f.; 124; 149) in Differenz zum Sein bringt. Fichtes Irrtum - so läßt sich nun präzise angeben - bestand mithin darin, dieses Nichts der Freiheit als die höchste Realität selbst definiert zu haben (I, 6, 1 2 5 , 0 u. 126 M.). Als das unter Verlust des Seins Gesetzte, als »das höchste Princip aller Endlichkeit« (I, 6, 124) und Absonderung vom All, zerfällt ihm, was ursprünglich das Affirmierende und das Affirmierte von sich seihst war, in eine äußerliche Relation beider, deren Inneres als Grund derselben sich entzieht. Das Sein - vordem »lebendiges Band« (I, 7, 54>r>) zwischen An- und Für-sich - erstarrt zu »etwas von meinem Denken . . . Unabhängigem« (I, 6, 149).6*5 Eben dadurch erweist es sich als nur in dem Maße seiend, wie es durch ein anderes bestimmt, wie nicht es selbst, sondern »ein anderes . . . sein Affirmierendes« ist (I, 6, 149). Es hört, mit einem Wort, auf zu sein und wird Reflex einer sich auf sich 6b »In einer fortschreitenden
Bewegung
ist alles relativ. Jeder
Punkt
Moment derselben ist an sich oder absolut, also noch nicht im
oder
Verhältnis
zu einem folgenden betrachtet, der Fortschreitung zugethan, angehörig, insofern positiv; aber gegen den folgenden Punkt der Fortschreitung nimmt er eine andere Natur an und wird negativ, sich ihm entgegensetzend und das retardirende Princip« (II, 2, 342).
196
selbst beziehenden und negierenden Reflexion, die ihre Alterität nicht mehr aus sich selbst zu tilgen vermag, sondern nur ist, insofern sie nicht Reflexion ist. Gerade dadurch wird ihr das Sein zu einer nicht länger reflexiven (relativen), sondern absoluten Voraussetzung, als deren Grund sie auf keine Weise sich selbst anschauen kann.
Der Seinsgedanke der Identitätsphilosophie und Hegels »bestimmende Reflexion< in Konkurrenz Die Frage, die unser Kapitel eingangs aufgeworfen hatte, scheint mit dem Hinweis auf Schellings ontologisches Argument weitgehend beantwortet. Wir wollten wissen, ob Schellings Identitätsphilosophie - also diejenige Position, auf die Hegels Kritik sich bezog - den Gedanken einer außerreflexiven Identität plausibel machen kann. Da die Position, die Schellings Philosophieren zwischen 1801 und 1806 ausgebildet hat, noch nicht explizit auf einer ontologischon Ebene argumentiert und auch nicht aus der Absicht motiviert ist, gegen Hegels logische Grundoperation sich abzugrenzen, sollten wir die Differenz, die sich schon hier sehr deutlich ausprägt, eigens rekonstruieren. Das ist um so leichter möglich, als Hegels und Schellings Systeme in grundsätzlichen Bestimmungen einig sind. So hat Hegel Schellings Unterscheidung von >reiner Sclbstbeziehung< (»Allgemeinheit«) und »Beziehung auf anderes< (»Besonderheit«) (vgl. I, 6, 184 f.) mit der gleichen Selbstverständlichkeit aufgegriffen 7 wie die These, »die absolute Position der Idee
7 V g l . L I I , 274 ff. Auch Schcllings Illustration dieses Verhältnisses durch eine sich
je und
je begrenzte,
identische
Linie
(vgl.
ins Unendliche I, 7,
f o r t l a u f e n d e und
184 ff.) hat
Hegel
überall
gelegentlich
mit
benutzt
(z. B. L I, 1 3 7 f.). Natürlich sind beide Spinoza verpflichtet.
197
Gottes sei in der That nichts anderes als die absolute Negation des Nichts« (I, 6, 155, ,). Es ist auch keineswegs so gewesen, daß Hegel den Gedanken des Seins terminologisch abweichend von Schelling bestimmt hätte. Beide nennen Sein die Beziehung der Substanz >nur auf sich< oder »unbestimmte Unmittelbarkeit«. Diese Feststellung ist insofern bedeutsam, als wir keineswegs unterstellen dürfen, daß Schellings Identitätskonzeption den Ausdruck »absolutes Sein« anders verwendet als den der absoluten Identität. Trotzdem gibt es eine entscheidende Abweichung gegenüber Hegels Verwendung des Ausdrucks. Bei Hegel enthüllt sich nämlich die ausschließende Beziehung der Substanz nur auf sich in zweiter Instanz als einfache Negation, d. h. als Glied einer echten Relation, die nur auf den ersten Blick unbestimmt und unbezogen erschien, dem zweiten aber ebensowohl als Bestimmung - nämlich als das >als unbestimmt Bestimmte< - und damit unmittelbar auch als ein Negatives, und zwar als das Negative seiner selbst, einleuchtet. Als die Wahrheit des Seins bleibt sein Inneres, die Vermittlung, stehen. Daß die Reflexion Negation des Seins ist und Sein in Schein verwandelt, in der Beziehung auf den Schein aber auf das Andere ihrer selbst und somit mittelbar auf ihre eigene Negativität trifft - das ist offenbar Schellings eigener Gedanke. Allerdings würde er hinzufügen, daß die vorgebliche Dialektik dieser Bewegung - wenigstens in der Art, in der Hegel sie vorführt - einer Tautologie nahekommt, in welcher Reflexion einfach mit Reflexion gleichgesetzt wird. Der Ausdruck >Selbstbeziehung< muß, um sie zu vermeiden, in zwei radikal verschiedenen Bedeutungen vorkommen, deren zweite die erste nur »privativ« wiederholen darf. Schelling läßt darum keinen Zweifel, daß jene unmittelbare Selbstbeziehung, sofern sie in der Bedeutung als »Negation der wahren Realität« ( 1 , 6 , 1 2 7 u«) auftritt, das Sein qua Sein nicht nur nicht in sich aufhebt und assimiliert, sondern überhaupt nicht berührt. Die Reflexion (als Auflösung der Einheit 198
in Differenz), so lautet sein Bescheid, »thut nichts zu dem Positiven hinzu, und läßt das Reelle gänzlich unberührt. Das Seyn ist wesentlich gleich dem Seyn; denn die reine Position kann von der reinen Position nicht verschieden seyn« (I, 7, 61, 2 ). Noch deutlicher: Die »ihrer Natur nach unreellen Reflexions-Bestimmungen . . . gehen das Positive gar nicht an« (I) 7> 6 1 , D i e absolute Identität ist nämlich »das schlechthin Beziehungslose« (I, 6, 150), »es ist in ihr kein Abstand und keine Leere« (I, 7, 215); ihre »wahre Vollkommenheit.. . besteht also gerade darin, das zu seyn, was sie ist« (I, 7, 188). Anders gesagt: Das Sein ist, was es ist, weil es seine reflexive Differenz »in einem und demselben Akt schafft und vernichtet« ( 1 , 6 , 187,0). Schelling erläutert diesen Gedanken, indem er hinzufügt, geschaffen sei das endliche Seiende, insofern es ist, was es ist; vernichtet sei es als ein besonderes, vom absoluten Sein abgespaltenes Abstraktum. Die abstrakte Existenz unterhält mit anderen Worten überhaupt kein internes Verhältnis zum Sein (denn zu Nichts kann sich das Unendliche auch nicht einmal im Verhältnis des Gegensatzes befinden: 1 , 6 , 126); sie ist einfach nichts in Beziehung auf das Unendliche und ein relativ Seiendes nur in Bezug auf jenen Reflex, der das abstrahierte An-sich-Sein der Identität jenem Relat gewordenen Für-sich entgegenspiegelt (I, 6, 188 f.). Gewiß hat Hegels »Idealismus« darin recht, die Ichheit als ein »Negiren des an-sich-selbst-Seyns des Realen« zu behandeln (I, 6, 152, o). Schelling selbst war ihm mit diesem Gedanken vorangegangen. Aber die Identitätsphilosophie zeigte zugleich, daß diese Negation des Ansich sich als ein eitler und zum Scheitern verurteilter Versuch erweist, die Realität des Seins in der Reflexion aufzulösen. Denn Negation des All ist die Reflexion stets in der Weise absoluter Negation ihrer eigenen Nichtigkeit ( 1 , 6 , 1 5 5 , , ) . Das bedeutet, daß die Selbstbezüglichkeit diese Negation nicht zum Anspruch auf Autonomie verführt, sondern zum Verzicht auf jeden Anspruch an das Sein zwingt: Die Reflexion ist ein Seiendes, das auch sein eigenes Sein nichtet und zur bloßen Erscheinung 199
degradiert ( 1 , 6 , 1 8 8 , , ) . Darum kann man allenfalls sagen, die Reflexion sei der Grund ihres eigenen Nichtseins und insofern autonom. Um ihr diese relative Autonomie zuerkennen zu können, muß freilich sichergestellt sein, daß die Reflexion nur in Beziehung auf das absolut positive Sein, also als ein Absolutum, nicht aber als ein relativ Seiendes negiert ist ( 1 , 6 , 1 8 9 , , ) . (Die Probe: Wäre das letztere, so gäbe es ein von Relation unabhängiges Nichtsein, das mithin selbst ein Absolutum wäre: I, 6, 190, ,). Da es jedoch nur relativ aufs Sein absolut nicht-ist, ist es in gewisser Weise auch als dasjenige, dessen Seinsweise die negative Beziehung aufs Sein ist. Ein solches aus Sein und Nichtsein gleichsam gemisdites Verhältnis, das sein Allgemeines (den Bezug nur auf sich) und sein Besonderes (den Bezug auf Anderes), insofern es Verhältnis beider ist, nicht absolut koinzidieren läßt, ist die »Bestimmung«. Die Bestimmung löst vom positiven Sein eine Sphäre - gleichsam eine der »Limitation« fähige Totalität - ab, innerhalb deren das Allgemeine einen Teil seiner Realität dem Besonderen einräumen muß. Die bestimmte Realität drückt infolgedessen »nur zum Theil« aus, »was sie ihrem Begriff nach seyn könnte« ( 1 , 6 , 1 8 4 ) , einfach deshalb, weil sie Negation ihres Allgemeinbegriffs ist und diesen nur in wechselnden Abschattungen anschaut. Dieser Mittelzustand zwischen Sein und Nichtsein konstituiert jenes »Scheinleben« ( 1 , 6 , 1 8 7 , 0 ) der Wirklichkeit, innerhalb deren jedes relativ Seiende sein positives Sein bei einem anderen seinesgleichen zu borgen sucht, dieses sich ebenso auf ein drittes überschreitet und so eine prinzipiell unabschließbare Bewegung auslöst, die gerade eine Folge der absoluten Unangemessenheit des Seins zu seiner relativen Wirklichkeit ist (I, 6, 195 u. und I, 4, 397, Auf dieser Ebene trifft sich Schellings Identitätsphilosophie sachlich mit Hegels Logik von Schein und Wesen. Es ist ja keineswegs Schellings Meinung, daß der »Schein« etwas anderes sei als ein internes Moment der Reflexion. Er ist nicht 200
nur das Nichts des All, sondern gerade als Nichtsein Ausdruck des All, und zwar, im Gegensatz zur fugenlosen Identität von Sein und Selbsterkenntnis in der absoluten Position, »nicht unmittelbar, . . . sondern mittelbar, d. h. durdi Reflex, durch Widerschein« ( 1 , 6 , 197). Um aber mehr zu sein als bloßer Widerschein seiner selbst, nämlich Widerschein des All, muß dieser Reflex im Augenblick der Offenbarung sich selbst zugleich wieder zurücknehmen. Die Offenbarung des Seins im Widerschein kann mit anderen Worten nur erfolgen, insofern das Sein seinen »Spiegel« gerade nicht setzt (I, 6, 198: »wie es gleichsam Ein Akt des Auges ist, wodurch es sich selbst setzt, sich selbst sieht, und das Reflektirende nicht sieht, es nicht setzt: so setzt oder schaut das All sich selbst, indem es das Besondere nicht-setzt, nicht-schaut«). Dem Blick der Reflexion verschwindet das Reflektierende freilich nur relativ. Aber als ein auf sein Reflektierendes bezogener Reflex untergräbt die Bestimmung zumal ihr eigenes Sein und läßt als »unmittelbaren Gegenstand unserer Erkenntniß . . . immer nur das Positive« (I.e.), ohne welches sie zum o i x öv, zum absoluten Nichts zerfallen würde. Diese radikale Unselbständigkeit der »absoluten Verneinung des ansich-Seyns« (I, 6, 1 9 5 , 3 ) ~ das i s t die Pointe von Schellings Argument - zwingt die Ichheit, ihre Realität - diesen unabweislichen Gedanken - in jenem Sein aufzusuchen, das von der Relation im Modus der Bestimmung nur tangential berührt, keineswegs aber aufgehoben wird. Die Selbstbeziehung der Negation entrinnt der Sphäre der Relation also auf keine Weise. Die Versöhnung der einfachen Negation als des Bestimmenden mit dem bestimmten Allgemeinen kann nicht für eine Aufhebung des Seins in dem Sinne gelten, daß das Sein als Moment des Wesens begriffen und in jenem erhalten wäre. Was die Bestimmung erreicht, ist selbst nur jene Sphäre von Allgemeinheit, der die Negation ihre Spezifizierung einbeschreibt; und genau diese Sphäre ist, als Folge einer nichtenden Abhebung vom Positiven, selbst sdion ein Nicht-Seiendes. Die Relation von Allgemeinem und 201
Besonderem, selbst als >Synthesis< oder »Concretion« gedacht (I, 6, 190; I, 6, 192 »Zusatz 2.<), »enthält [wie Schelling ausdrücklich anmerkt] nichts Positives, sondern drückt gleichfalls eine bloße Negation aus« (I, 6, 192 I.e.). Ein »AllgemeinbegrifT« kann das Sein aber prinzipiell nicht sein, denn das Positive ist nicht allgemein oder wesentlich (im Gegensatz der Realität als der Besonderheit [vgl. I, 6, 185, 2])> sondern »das Seyn ist hier das Wesen selbst« (ebd.). Wohl leuchtet diese positive Identität am Horizont der sich selbst negierenden Negation, als deren Verfehltes und Intendiertes, auf - esse subsistens aber sie bleibt absolute Voraussetzung des esse apparens (des durch Bestimmung qualifizierten Allgemeinen), auf das Hegel sie zu reduzieren trachtet und mit dem sie keineswegs zusammenfällt. Das Wesen kann - mit einem Wort - nicht als suisuffiziente Selbstbeziehung beschrieben werden: denn als Beziehung auf sich selbst als auf ein Nichts hebt es wohl sein Sein auf (vgl. 1 , 6 , 194, 4 ) und ist insofern Grund seines »Nichtseyns« (dies ist der Aktus des Selbstbewußtseins) es wird sich aber niemals auch als »Grund seines Seyns« (I, 6, 193 und 194, 3) anschauen können. Als Resultat der Negation des positiven Seins bleibt allein die Bestimmung. Sie hebt das subsistente Sein nicht etwa auf, sondern >qualifiziert< es in dem Maße, wie es als »Erscheinung« der Erkenntnis eine ihr zugängliche Seite entgegenhält und eben dadurch als »das Positive« sich entzieht (I, 6, 194). Spricht nicht ein letzter Argwohn noch zugunsten der Hegelschen These, daß doch in ihrer negativen Selbstbeziehung die Reflexion eine ausschließlich in ihrer eigenen Struktur gegründete Möglichkeit besitze, Identität nicht nur voraussetzen zu müssen, sondern selbst realisieren zu können? Zugegeben, würde Schelling antworten: aber in der Selbstnegation steht Negation gegen Negation - beide sind reflexiv (und d. h. in ihrem Nichtsein) bezogen. Das Resultat dieser Beziehung erlaubt darum die Identifikation mit jener unmittelbaren Selbstbeziehung des Allgemeinen (U auch 202
nur unter der Voraussetzung, daß diese als latente Reflexivität im Zustande des bloßen An-sich von vornherein in Anschlag gebracht war. Dies ist aber offensichtlich der Fall: Hegels »Methode« bekennt sich als »der reine Begriff, der sich nur zu sich selbst verhält, sie ist daher zunächst die einfache Beziehung auf sich, welche Sein ist« (L II, 572). Aber eine solche Argumentation bewegt sich im Kreise. Sie gibt für logische Weiterbestimmung aus, was für sie immer schon feststand: daß Reflexion unmittelbar ihr selbst als vermittelter gleich ist, so wahr beide Reflexion sind. Nicht gezeigt ist aber die Möglichkeit dieser Identifikation selbst. Wenn die Selbstbeziehung der Negation das Sein von Negation überhaupt tilgt (und das ist auch Schellings Gedanke), so ist Negation selbst für nichtig erklärt (außer Kraft gesetzt, suspendiert). Unmöglich aber läßt sich durch immanente Weiterbestimmung aus dem Nichtsein das Sein gewinnen. Jeder der Reflexe ist negierende Gegenwart bei seinem Anderen, beide erkennen einander wechselseitig die Realität ab, aber keiner ist sein Anderes in der Weise einer Identifikation. Die »Reflexion«, erklärt Schelling, muß die Anmutung, »das Endliche, Besondere dem All wieder zu geben, von dem es genommen ist«, mit intrastruktureller Notwendigkeit als Aufforderung verkennen, die beiden Abstrakta zusammenfügen (U o) und aufeinander zu beziehen. »Sie begreift nicht, daß das Wiedergegebene eben durch diese Wiederauflösung das verliert, was sie nur durch die Trennung und in der Trennung erhalten hatte. Jene Identität des Endlichen mit dem Unendlichen bleibt daher eine bloße Synthese, keine wirkliche Auflösung des einen in das andere« (I, 6, 182). Das unter dem Titel >Voraussetzen< beschriebene Phänomen in Hegels >Logik der Reflexion< behält mithin recht gegen den nachträglich unternommenen Versuch der Reflexion, sich post festum auch ihrer Voraussetzung noch zu bemächtigen: Die Zurücknahme der Negation durch sich ist gerade das Gegenteil der Position ihrer selbst als einer transreflexiven (»an-sich seienden«) Realität. 203
Sic ist es, die Schelling unter dem Titel >Seyn< der Reflexion nicht nur relativ, sondern absolut voranstellt. Sobald Schelling diesen Schritt nicht mehr nur implizit vollzieht, sondern über die Mittel verfügt, seine Kritik an Hegels Logik in reflexiver Explikation zu führen, ist das Terrain seiner »positiven Philosophie< betreten. Zu ihm hin führen und von ihm aus argumentieren die im folgenden Kapitel angestellten Erörterungen.
204
V
Schellings Lösung — Die Abhängigkeit der Idee vom Sein
Der Begriff >Identitätsphilosophie< bezeichnet ein Programm, zu welchem sich Schelling und Hegel eine Zeitlang gemeinsam bekannt haben. Die rasche Universitätskarriere des jüngeren Freundes hat die Philosophiegeschichtsschreibung verleitet, ihn, der »seine philosophische Ausbildung vor dem Publikum gemacht«! hat, als den Lehrmeister Hegels darzustellen, dessen intellektuelle Biographie nicht ebenso offen einzusehen war. Erst jüngeren Forschungen ist es gelungen, Licht auf den Ursprung und die Entwicklung von Hegels Grundeinsicht zu werfen. Ihnen zufolge hat er das Eigentümliche seines philosophischen Ansatzes zwar nicht unmittelbar in Auseinandersetzungen mit Schelling erarbeitet, traf sich mit ihm jedoch in gemeinsamen Intentionen, die Entgegensetzungen der >Reflexionsphilosophie< auf eine höchste Einheit hin zu überschreiten. Solange die Opposition der Angegriffenen mächtig und fühlbar war, hatten Hegel und Schelling Grund, ihr Bündnis nicht zu gefährden. Aber der Augenblick, der die Naturphilosophie zur Philosophie ihrer Zeit machte, lockerte den Zusammenhalt ihrer Partei und lenkte die Aufmerksamkeit auf grundlegende Differenzen, die nur die Not der Stunde versöhnt zu haben schien. Wir hoffen gezeigt zu haben, daß schon die sogenannte >Identitätsphilosophie< den Keim der späteren Polemik Schellings gegen die Geistphilosophie Hegels in sich enthielt. Im Gegensatz zu ihm hat er Identität schon damals nicht als Resultat von Selbstbeziehung und -differenzierung der autonom gesetzten Reflexion gedacht - was ihn nicht hinderte, das Überlegene von Hegels Bestimmung des Absoluten als »Identität von Einheit und Differenz< sich zu eigen zu machen. Umgekehrt hat Hegel nie übersehen, daß Schellings Identitäts1 Hegel, Vorlesungen Werkausgabe
über
die
Geschichte
der
Philosophie
(=
Theorie-
Bd. 20), 4 2 1 .
205
formel, der Integrität ihrer Selbstdarstellung ungeachtet, eine geheime Feindschaft gegen die Differenz in sich schloß: »Es ist nur wesentliche Beziehung, relative Identität; der Unterschied bleibt immer d a h i n . « l a Man kann bezweifeln, ob sich Schelling unabhängig von Hegels Kritik zum Eigentümlichen seines Ansatzes so engagiert bekannt hätte. Sie zwang ihn, Implikationen im Konzept seiner Philosophie reflektierend zu entfalten; der Differenz seines positiven Begriffs von Identität gegenüber Hegels negativer Begründung desselben sich bewußt zu werden und Strategien zu entwickeln, mit denen seine Einsicht in die Unvermittelbarkeit des Seins ins Recht sich setzen ließ. Auch darin ist freilich ein Teil der Philosophiegeschichtsschreibung zu korrigieren: Was Schellings Spätphilosophie in ständiger Auseinandersetzung mit Hegel gewann, kann nicht nur als Abkehr von der >Identitätsphilosophie< beschrieben werden. Die Einsicht in die Abhängigkeit der Reflexion vom Sein, das nicht Reflexion ist, bringt jene zuerst auf den allein ihr angemessenen Begriff. Sein, Identität und Erkennen Läßt sich - bevor wir Schellings Spätphilosophie um eine Erklärung dieser These angehen - eine Verbindung herstellen zu seinen philosophischen Anfängen? Gewiß ist der Nachweis, daß Selbstbewußtsein sich nicht aus sich selbst begründen kann, kein Novum der Identitätsphilosophie. Schon die Schrift Vom Ich aus dem Jahre 1795 operiert mit den vorgeführten Argumenten: Selbstbewußtsein ist gerade das unter Verlust des Seins oder der Identität Gesetzte (I, 1, 1 8 0 / 1 ) . Als solches kann es sich aber nur bestimmen, wenn die Idee, nach deren Realisierung es in der unendlichen Folge der Zeit strebt und die ihm imperativisch Identität vorschreibt (I, 1, 199), in ihm selbst als das Verfehlte mitgesetzt ist. Schon hier würde, wer Schellings Einsicht, daß »der Mensch die Bedingung [seines la L.c., 431. 206
Existierens] nie in seine Gewalt bekommt« (I, 7, 399), für eitel Resignation hielte, zu kurz greifen. Denn dieser Satz will durchaus als eine positive Bestimmung des Verhältnisses von Ich und Sein verstanden werden, die sich vor Hegels Systementwurf sogar durch einen grundsätzlichen Vorzug auszeichnet: Sie erklärt, ohne die Endlichkeit des Ich zu überfliegen, vielmehr »die immanenteste aller Behauptungen« (I, 1, 20j), daß Ich als das, was es ist, nämlich: relative Einheit von Einheit und Gegensatz, nur verständlich gemacht werden kann auf der Basis und unter Voraussetzung dessen, was ihm selbst fehlt: der absoluten und fugenlosen Koinzidenz der beiden Relata. »Eine Philosophie, die vom Bewußtsein ausgeht«, heißt es im System des transcendentalen Idealismus, »wird daher jene Übereinstimmung nie erklären können, noch ist sie überhaupt zu erklären ohne ursprüngliche Identität, deren Princip nothwendig jenseits des Bewußtseyns liegt« (I, 3, 506). - Nach dem Scheitern von Hegels Versuch, die Identität gleichsam mit Hilfe der Reflexion zu synthetisieren, verdient Schellings Alternative ernst genommen zu werden. Allerdings hat die Terminologie der Identitätsphilosophie das ihre dazu beigetragen, Schellings Gedanken zu verdunkeln. Vor allem zwei Zusammenhänge bedürfen der Aufklärung. Zum einen scheint Schelling seine Einsicht, daß Wissen immer nur das unter Verlust seines identischen Seins Gesetzte sei, dadurch wieder aufgehoben zu haben, daß er gerade das Sein mit dem Wissen in der »absoluten Erkenntniß« identifizierte. Zum anderen fungiert der Ausdruck »Seyn« in mehreren, zum Teil miteinander unverträglichen Bedeutungen - ein Umstand, der Hegels Argwohn gegen Äquivokationen im Titel der absoluten Identität verständlich macht. Schelling hat diese Zweideutigkeiten und Widersprüche erkannt. Die Differenzierungen, die er der Identitätsformel zuteil werden ließ, bezeichnen den Gang seiner späteren Philosophie, die gleichsam in der sukzessiven Auflösung komplexer »
Implikationen fortschritt. Für geleistet kann sie nur gelten, 207
wenn es gelingt, beide Problemstränge bis an den Punkt hin zu verfolgen, an dem sie ineinander umschlagen und sich zu einem Gedanken vereinigen.
Die Frage nach dem Grund des Wissens - der >ordo inversus< der Reflexion Untersuchen wir also zunächst, ob Wissen und absolute Erkenntnis nicht kollidieren und ob es Schelling gelingt, das Verhältnis beider befriedigend aufzuklären. Das Wissen, die Reflexion, so hatte Schelling gezeigt, ist, sofern ihr Realität zugesprochen werden kann, »die Selbstoflfenbarung« ( 1 , 7 , $4,4) der »schlechthin untheilbaren und identischen Position« ( 1 , 7 , 55,4). Indessen schleppt Reflexion, als »Widerhall dieser Einheit«, einen wenigstens latenten »Gegensatz« (eine potentielle Alterität) in die Identität ein (ebd., 55/6), die ohne dies nur »als reines Eins« wäre ( 1 , 7 , 54,,). »Soll es [jedoch] als Eins seyn, so muß es sich offenbaren in ihm selbst; es offenbart sich aber nicht, wenn es bloß es selbst, wenn es nicht in ihm selbst ein Anderes, und in diesem Anderen sich selbst das Eine, also wenn es nicht überhaupt das lebendige Band von sich selbst und einem Anderen ist« ( 1 , 7 , 5 4 , , ) . Dieser Satz aus dem Jahre 1806 - vermutlich bereits Reflex des wachsenden Einflusses durch Hegel 2 räumt der Identität selbst eine Differenz ein. Im Gegensatz schaut sich das Eine als sich selbst an: Vielheit und Einheit interpretieren einander. Um jedoch jenem In-einander-Schcinen von Wesen und Form Selbstbewußtsein zusprechen zu können, genügt es nicht, das Verhältnis von außen zu statuieren. Vielmehr muß die Identität beider, eben weil sie weder 2 In den U/e//<*/fer-Fragmenten ist die Formel von der »Einheit der E i n heit
und
des Gegensatzes«
bereits
terminologisch
konstitutiv
geworden.
Schelling legt Wert d a r a u f , sich schon früher »oft dieses
Ausdrucks
be-
dient
Weltalter.
Ur-
[zu]
haben«
fassungen, hg.
von
(Schellings Werke, Manfred
Schröter,
Nachlaßband. München
Die
1946,
63
[Zit.
WA
63, röm. Z i f f e r : Fassungen I und I I , E n t w ü r f e und Fragmente I I I , I V ] ) .
208
I,
aus dem Subjekt- noch aus dem Objektrelat noch aus dem Begriff der ganzen Relation erhellt, als etwas Innerliches vorausgesetzt werden (andernfalls würde die Behauptung der absoluten und irreversiblen Unabhängigkeit der Identität von ihren Momenten aufgehoben und damit der Begriff des im Wortsinne Ab-soluten zerstört sein). Sollte es je zu einer Trennung der Potenzen im Felde des Wirklichen kommen, so war diese Differenzierung im Begriff des Absoluten nötig. Schwierigkeiten stellen sich jedoch prompt ein, wenn Schelling die Selbstoffenbarung des Wesens in ihm selber zugleich als das »Positive«, die »Existenz«, »das Seyn« und als die »unmittelbare Selbsterkenntniß jener ewigen Gleichheit« oder »intellektuelle Anschauung« ( 1 , 6 , i j o f f . ) bestimmt. Denn entweder findet Erkenntnis nur dort statt, wo der Gegensatz gesetzt ist, wo der Reflex über das Reflektierende auf sich zurückkommt - dann ist aber die Identität dieser Erkenntnis Voraussetzung - oder die absolute Einheit des Wesens negiert das Fürsichbestehen der Vielheit in einer Weise, daß Erkenntnis sich nicht mehr realisieren kann ( 1 , 7 , 60/1): eine bloß potentielle Selbsterkenntnis könnte die Folge nicht erklären, die sie im aktuellen Selbstbewußtsein hat. Eine Reihe von in Nebensätzen versteckten Zugeständnissen zeigt, daß Schelling sich des Problems bewußt war. Ihnen ist gemeinsam, daß sie die in Wesen und Form gedoppelte Reflexion-des-Absoluten-in-sich wirklich als Reflexion anerkennen und vom Positiven selbst noch unterscheiden. Damit wird unausgesprochenermaßen die Autonomie der intellektuellen Anschauung aufgehoben, die selbst in den Status einer »bloßen Manifestation« (I, 10, 117) der Idee zurückfällt. Ansätze dazu gibt bereits das System des transcendentalen Idealismus, und zwar an jenem Punkt der Deduktion, an welchem sich herausstellt, daß »der Grund der Identität zwischen dem absolut Subjektiven und dem absolut Objektiven« auf keine andere Weise mit dem an die Bedingung der Duplizität gebundenem Bewußtsein vermittelt werden kann als im 209
Modus »des ewigen Voraussetzens« (I.e., 600/1). Selbstbewußtsein - also der Ort präreflexiver Lucidität für sich selbst3 - kann den Grund seines eigenen Funktionierens nicht aus sich selbst aufklären und nimmt sich als eine »nie ganz geschehene Offenbarung des Absoluten« (I.e., 603). Diese Einsicht hat auch der Höhenflug des Würzburger Systems nicht ganz zu verdrängen vermocht. Gleichsam sub lineis gibt es zu verstehen, daß die intellektuelle Anschauung, die die fugenlose Identität des Affirmierenden und des Affirmierten in einem »Satz« ausspricht, selbst nur »als reeller Ausdruck« der »Idee« (I, 6, 146) zu betrachten sei und daß »in der Vernunft . . . die erste Selbstaffirmation G o t t e s . . . sich nur . . . wiederhole« (I, 6, 1 j 1, 2)Damit ist freilich nichts geringeres zugestanden, als daß die Vernunft die Stelle des Prinzips verläßt und als seine bloß ideale Reproduktion 4 hinter das Absolute zurückfällt. In diesem Augenblick ist nicht nur die Gleichung von Wissen und absoluter Erkenntnis, die wir in diesem Kapitel problematisieren, in Frage gestellt. Der Systemgedanke selbst scheint zusammenzustürzen. Wenn nämlich die Möglichkeit einer Selbsterkenntnis des Wesens nicht gleich im Anfang gesichert ist, wird es auch im Ende, nämlich nach dem Ubergang in sein Anderes, sich nicht als sich erkennen können (Initia, 31). Einerseits ist Selbsterkenntnis Resultat des Prozesses, der zu ihm führt; andererseits kann auch der Ausgangspunkt nicht bestimmt werden, ohne daß je schon Wissen über ihn bestünde. »Hier ist also ein offenbarer Cirkel. Wir müßten das Resultat der Wissenschaft schon haben, um die Wissenschaft nur anfangen zu können« (I.e., 36). Das Problem ist bekannt. Die Schwierigkeit besteht jetzt darin, daß der Zirkel, in den Hegels System durch die Gleichsetzung von Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis sich verstrickt, auch auf der 3 Das absolute Wissen, heißt es im Würzburger wieder ein Wissen dieses Wissens« 4 F. W. J . Schelling, Initia
System,
sei »unmittelbar
(I, 6, 143).
philosophiae
universae,
Erlanger Vorlesung
1820/21, hg. von Horst Fuhrmans, Bonn 1969, 27, vgl. 28 (zit.:
210
WS
Initia).
Ebene des unmittelbaren Selbstbewußtseins sich schließt. Und genau dort muß Schelling, ohne Inanspruchnahme von Glauben oder Divination, ihn auflösen (I.e.). Tatsächlich kann keine Beteuerung über die Reflexivität der Formulierung hinwegtäuschen, die das Wesen erst in der Position seiner Form Erkenntnis von sich gewinnen läßt. Immer bleibt doch der Grund von seinem Resultat geschieden und die reine Identität des Subjekts wird nur über ihr Anderes sich selbst vermittelt. »Als das, was es Ist, kann sich das Subjekt nie habhaft werden, denn eben im sich-Anziehen wird es ein anderes . . . und sich selbst Ungleiches. (. . .) Läßt es sich [hingegen], so ist es als nichts« (I, 10, 101). Wenig ist gewonnen, wenn »das Indefinible jenes absoluten Subjekts. . . selbst zur Definition gemacht« wird (Initia, 20). Denn zu dieser Negativqualifikation des Wesens wird immerhin eine Kenntnis vorausgesetzt, die dem in die Position der Form gesetzten Wissen ein criterium dijudicationis seiner von seinem Grunde an die Hand gibt. Es bedarf einer positiven Bestimmung dessen, dem jede Bestimmung, eben weil sie Bestimmung ist, unangemessen bleibt (I.e., 21). Die »ewige Freiheit« von allem äußeren Sein und von jeder Bestimmung soll selbst »ins unmittelbare Bewußtseyn geführt werden« (I.e., 59), weil nur so der Anfang der Wissenschaft legitimiert werden kann. Die bloße Anmutung einer präreflexiven »Mitwissenschaft, conscientia« (I.e., 23) mit dem »Unfaßlichen« (I.e., 20) unterstellt eine ursprüngliche und substantielle Gleichheit der urständlichen Freiheit (des »Könnens«) mit dem Wissen (I.e., 23 f.), und zwar in »unmittelbarer Erkenntniß« (I.e., 32). Sie wäre durchaus nicht anders denn als Wissen der ewigen Freiheit um sich selbst (Initia, 36) zu verstehen. Läßt ein derartiges Wissen sich nachweisen, so kann die Selbstoffenbarung des Absoluten in seinem Anderen mit eben der Legitimität als Verlust jener ewigen Freiheit, »die es war« (I.e., 40, 66), beschrieben werden, die wir früher der Hegeischen Vergangenheitsmetaphorik absprechen mußten. Die Lösung, die Schellings berühmte Vorlesungen (aus dem 211
Erlangener Winter 1821) anbieten, sind nicht Korrektur, sondern Nachweis der Denkbarkeit jener 1802 in den Ferneren Darstellungen abstrakt erhobenen Forderung, das Ich möge aufhören, sich gegen seinen eigenen Grund als Subjekt zu verhalten ( 1 , 4 , 3 5 6 / 7 und Anm. 2) und ihn so zum Objekt zu entfremden (Initia, 42). Schelling hat sich an keiner anderen Stelle seines nachgelassenen Werks mit ähnlicher Klarheit über diesen Gegenstand geäußert. Darum sei der Lauf seiner Argumentation hier kurz entwickelt. Den ersten Schritt zur Korrektur jener falschen Stellung des Wissens gegen sein inneres Wesen sieht Schelling in einem Akt der »"Exaiaoic«. Durch ihn befreit sich das absolute Subjekt von dem Blick der Reflexion, die es in ein Objekt verzaubern will. Jenseits der Thesis des Bewußtseins gewinnt es sein urständliches Wesen zurück. Zugleich verwandelt sich das reflektierende Wissen in absolutes Nichtwissen: es läßt das Wesen sein, was es an ihm selbst - irreflexiverweise - ist (I.e., 40-43). Durch diese Entscheidung ist nun die Spannung, in welcher Reflexion und absolutes Subjekt als in einer unverträglichen Einheit befangen waren, aufgesprengt und deren wahres Verhältnis hergestellt, innerhalb dessen die beiden »als gleichsam sympathisirende Organe« miteinander korrespondieren: Das Wissen reflektiert jede Selbstoffenbarungsphase des Wesens. Von dem es vergegenständlichenden Blick des Wissens befreit, kann das unbedingte Subjekt seine »absolute Innerlichkeit« geltend machen. Auf diesen Zustand rein wesenden An-undvor-sich-Seins reagiert das Wissen als reine »Selbstaufgegebenheit« (I.e., 47), als »absolute Äußerlichkeit« oder »Nichtwissen« (I.e., 44). Aber das Subjekt muß sich in einem zweiten Schritt offenbaren, d. h. in Wissen übergehen. In diesem Augenblick, da das Wesen seine Innerlichkeit veräußert, verwandelt sich das äußerlich gewordene (nichtwissende) Bewußtsein in Wissen (kehrt in die Innerlichkeit zurück). Zufolge dieser Umkehrung verhält es sich aber wieder als Subjekt gegen die absolute Innerlichkeit, die jenem gegenüber 212
zum Äußeren wird und auf solche Unangemessenheit ihres Wesens zu ihrer Objektivierung in einem dritten Schritt so reagiert, daß sie sich aus ihrer Veräußerlichung in ihr Inneres zurückzieht. Das Bewußtsein reflektiert diesen Entzug notwendig als erneute Veräußerung (Umwandlung von Wissen in Nichtwissen). Der Unterschied zum früheren Nichtwissen liegt jedoch auf der Hand: Es ist jetzt nicht mehr lautere Selbstaufgegebenheit, sondern »wissendes Nichtwissen«, da es ja ein »aus Wissen zurückgebrachtes« Nichtwissen ist. Damit ist aber die im zweiten Schritt vollzogene Thesis des Grundes zurückgenommen und die docta ignorantia als ein wahrhaft »unmittelbares« (I.e., 45) und nicht-setzendes Bewußtsein seiner selbst ausgewiesen. Selbstverständlich wäre Schellings Aufklärung über die Funktion unmittelbarer Selbstgewißheit mißverstanden, beschriebe man sie als Rechenschaftsgabe über die Wißbarkeit der absoluten Identität. Sie bleibt auch hier Voraussetzung, als deren bloßes Urschema das Wissen gelten kann und die gerade durch die These in Anspruch genommen wird, absolutes Subjekt und Bewußtsein stünden im Verhältnis des »Rapports« (I.e., 45, 47), der »Correlation« (I.e., 46), der »Reflexion« (I.e., 43) - also unter dem Gesetz »ursprünglicher Einheit« (I.e., 43, 47,0). Korrigiert wird freilich die Opazität der früheren Identitätsformel, die zwar auf Selbstoffenbarung lautete, das Erkenntnismoment aber in der irreflexiven und fugenlosen Einheit mit dem Wesen untergehen ließ. »Für-sich« (I.e., j i ) kann nur ein solches Wesen bestehen, das es in aktuellem Bewußtsein ist. Damit ist aber das Eingeständnis verbunden, daß die Selbstoffenbarung nur durch eine - wenn schon nicht realzeitliche, so doch »noetische« - Folge ( 1 1 , 1 , 3 1 1 / 2 ) begreiflich wird. In ihr erfaßt sich das Für-sich als das nachträgliche und von dem, was ihm als das Wesen erscheint, prävenierte Moment. Eine Pointe von Schellings Erlangener Vorlesungen ist gerade diese Freisetzung des ursprünglichen Sinnes von »Reflexion«.
Der Ausdrude bezeichnet nämlich nicht nur die Umwendung des Wissens auf sich selbst, sondern auch die spiegelbildliche Verkehrung ursprünglicher Verhältnisse (Initia, 44). Darum registriert ja das Wissen die Veräußerlichung seines Inneren als Verinnerlichung seines Äußeren - »seine jedesmalige Gestalt ist nur der Reflex (das Um/gekehrte, daher Reflexion!) von der in der ewigen Freiheit« (I.e., 47/8). Erst durch eine weitere Reflexion, d. h. durch eine Wiederumwendung (I.e., 64) der Verkehrung erreicht es den ursprünglichen Zustand selbstlosen Außer-sich-Seins wieder. Auf diesen Urzustand des Bewußtseins wird reflektiert keineswegs auf das transzendente Offenbarende, wie der hartnäckige Dogmatismusverdacht immer wieder gegen Schelling hat geltend machen wollen. Ausdrücklich erklärt er, daß die ewige Freiheit ja »unmittelbar [nur] durch den Reflex in mir, d. h. durch die Veränderung in meinem Wissen« (I.e., 48) existiere. Andererseits erfährt das Wissen in dieser Umwandlung den Einfluß einer ihm sich entziehenden Aktivität, die es nicht sich selbst qua Wissen zuschreiben kann: »nicht mein Wissen gestaltet sich um, sondern es wird gestaltet« (I.e., 47). In dem Maße aber, wie sich das Wissen in der Ekstasis zugunsten des in ihm sich Manifestierenden zurücknimmt und irrealisiert (als »nicht-Realität« setzt [ebd.], also »nicht-setzt« [Pos. Ph.f 32/II 155] 5 ), gewinnt das absolute Subjekt an Realität (Initia, 47). Die Folge dieses Realitätsaustauschs ist leicht abzusehen: Was eine Entäußerung des nur potentiellen Wesens in den Aktus der Objektsphäre zu sein schien, nimmt sich vor den Augen des Bewußtseins nach dem Gesetz der Spiegelung als Potentialisierung eines ur5 Unter dieser Sigle geben wir Z i t a t e aus Schellings zweisemestriger M ü n chener Vorlesung 1 8 3 2 / 3 Grundlegung
der
positiven
Philosophie
(Torino
1972). Horst Fuhrmans, der sie f ü r den Druck bearbeitet hat, ermöglichte mir liebenswürdigerweise
schon früh die K o p i e
des bedeutenden
Manu-
skripts in einer K o r r e k t u r f a h n e n f a s s u n g . Seitenangaben beziehen sich auf die am R a n d mitangegebene der beiden Hefte der Originalhandschrift.
214
Numerierung
sprünglichen Akts aus. Dazu ist aber zu sagen, daß das Wesen erst im zweiten Schritt sich offenbart und dort auf das Wissen trifft, welches sich in der nichtenden Beziehung auf sich selber sogleich jn Nichtwissen zurücknimmt. Erst in diesem Zustand wird sich das Wissen vollkommen durchsichtig, und zwar ah bloßer Reflex, als Bild des Seins. Es bedarf nur der einfachen Überlegung, daß selbst die Ekstasis (also die vollkommene Äußerlichkeit) ein Bewußtseinsmodus war und daß überdies im ganzen Selbstvermittlungsprozeß nur auf ihn reflektiert werden konnte, daß mithin schon diese indifferenteste aller Bestimmungen gegen die wesenhafte Bestimmungslosigkeit des Absoluten verstößt, um die Reflexion insgesamt zur Selbstaufhebung zu treiben. Damit enthüllt sich ihr die für sie bestehende Priorität des Wesens vor dem Sein gerade als eine in ihrem spiegelnden Fürsich begründete Täuschung. Die logische Folge ist als Inversion der realen Folge überführt, und das Selbstbewußtsein schaut die Verdunkelung des ihm Innerlichsten, des Wesens, als Scheitern jedes Versuchs an, sich aus sich selbst zu begründen. 6 Unsere zu Anfang dieses Kapitels gestellte Frage ist damit zum Teil beantwortet: Durch seine Aufklärung über die Inversionsstruktur der Reflexion hat Schelling sowohl gezeigt, daß das Wissen den absoluten Erkenntnisakt nur reproduziert, als auch eine Begründung dafür geliefert, warum das Wissen sich selbst als unhintergehbaren Anfang behaupten muß. Er hat dies letzte freilich als eine notwendige Täuschung dargestellt, die sich selbst im gleichen Augenblick korrigiert, in welchem die absolute, nicht mehr nur logische Priorität des Seins vor dem Wesen als Wahrheit einleuchtet. Mit dieser Einsicht ist das Gebiet der positiven Philosophie beschritten.
6 Für die Nachträglichkeit des Wissens gegenüber dem Sein gibt die Vorlesung der Erlangener Vorlesung F o r m u l i e r u n g : Initia,
76,
m»
1820/1
14.
eine besonders eindrucksvolle
Die Frage nach dem Grund des Seins Gleichzeitig mit der transzendentalen Rechtfertigung einer Inanspruchnahme des »Unfaßlichen« hat sich - und darauf kam es uns weiterhin an - der von Äquivokationen verstellte Sinn von Sein aufgeklärt. In den identitätsphilosophischen Schriften ließ sich eine eindeutige Präferenz für die Zuordnung des Seinsbegriffs zu dem des Wesens nachweiset (es hieß »positives Seyn«, »absolute Realität« usw.), während der Erkenntnis oder Form Realität nur zugestanden wurde in der Indifferenz mit jenem. Zugleich jedoch war Existenz gefaßt als die Copula zwischen Wesen und Erkennen, als das von seinen Relaten - und Wesen ist bloßes Relat - unabhängige Positive. 8 Schellings Gedanke war, daß dem Wesen Realität schließlich nicht an ihm selber, sondern nur, insofern es auch Ist, zukommen kann: »Aktuelle wirkliche Einheit ist es nur in und mit der Form« ( 1 , 7 , 5 7 0 . ; vgl. 1 1 , 3 , 2 2 0 ) . Der Unterschied zur ersten Bedeutung von Sein ist erheblich und bereitet eine dritte vor: denn mit dem Begriff »Wirklichkeit« tritt ein weiterer Prätendent auf den Seinstitel auf, der überdies das Bedrohliche hat, daß er zwar nur innerhalb des identischen Einen-von-sich-selbst-Unterschiedenen fungiert und insofern inaktuell (bloße Potenz) bleibt, aber in der Möglichkeit des >Abfalls< als einziges Moment der Idee die Gelegenheit zu eigenständiger und empirischer Realität ergreifen kann. Die7 Vgl.:
»dem
Seyn
oder
Wesen«
(I,
7, 6 5 , 5 ) .
-
Kunst
unterscheidet noch zwischen dem Absoluten
stenz«
und demselben
»als
Wesen, als
Die
Philosophie
»als Grund
Absolutem«
(I,
der
von
5, 630).
Später
crschcint umgekehrt das nichtsciendc Wesen, wclches das Sein wesen und ihm R a u m gibt, als Seins- oder Existenzgrund. Verschiebung
gibt es zwischen
den
Weltaltern
Eine
und der
der
Mythologie
läßt
entsprechende
Spätphilosophie.
Hieß dort der negative Wille noch »Hunger nach Wesen« (WA so heißt er in der Philosophie
Exi-
II,
» H u n g e r nach S e y n «
138), (II,
1» 294). 8 »Das
Seyn
ist hier,
was
uns
die
reine
Copula
des
oder Selbstbcjahens, als copula a u f g e f a ß t , ist« (I, 7, 6 6 , t ) .
216
Selbsterkennens
sen Seinstyp, dem »Realität [nur zukommt] im abstrahlenden, d. h. vom Realen absehenden Denken« (I, 7, 239; vgl. 1,6,185,0 Z. 22 ff.)9, hat Schelling eine Zeitlang als »abstrakte Existenz« (I, 7, 241) terminologisch fixiert. Doch fällt auf, daß dieser Ausdruck eine systematische Verlegenheit angesichts der zugleich wunderbaren und schrecklichen »Grundlosigkeit des bloßen Daseins< (I, 7, 198) verschleiern soll. Nur so läßt sich die Antwort deuten, die Schelling schon 1804 jener »Frage des am Abgrund der Unendlichkeit schwindelnden Verstandes: warum ist nicht nichts, warum ist etwas überhaupt?« (I, 6, 155) entgegenhält: Etwas ist, weil Wesen und Wirklichsein in ewiger Einheit zusammenbestehen. Uberwältigt von der Evidenz, auf die der Gedanke absoluter Identität von Wesen und Wirklichkeit sich stützte, glaubte Schelling »die Stätte der E i n z e l h e i t . . . als des an und für sich Unoffenbaren« (ebd.) als ein relatives Non-ens in dem Maße behandeln zu können, wie sie »nur an und mit dem Unendlichen^, d. h. an ihr selbst nichts wahrhaft Reelles, d. h. ein solches ist, »welches ohne das, so sich in ihr faßt, niemals erscheinen könnte« (ebd.). Daß sich freilich mit gleichem Recht auch das Umgekehrte sagen ließe und das Wesen ewig als nichts bleiben müßte ohne die Singularisierung in der »Existenz«, ist eine neue Einsicht, die Schelling selbst mit »einer Art von heiligem Schrecken« überfallen haben mag (ebd.). Sie war es, die seit der Weltalter-Phase nach einer genetischen Aufklärung des Sinns von Sein drängte. Das Wesen, so erklärt Schelling nun, kann Sein genannt werden, wenn dieser Ausdruck eine dem verlorengegangenen Verbum »wesen« gleiche »transitive« Bedeutung annimmt9a (vgl. 9 Die Philosophie -
der
Kunst
nennt die
»Identität« oder
[das] Nichtwirkliche« und ordnet »das Wirkliche« »der
»das
Absolute
Nicht/identität
des Allgemeinen und Besonderen« zu (I, 5, 3 7 0 / 1 ) . 9a Vgl. Heidegger, Identität
und
Differenz,
Pfullingen
4
1957,
56,2:
»Sein
des Seienden heißt: Sein, welches das Seiende ist. Das »ist« spricht hier transitiv, übergehend. Das Sein west hier in der Weise eines Überganges zum Seienden.« Ahnliche Formulierungen im Radiovortrag Zeit
und
Sein.
1*7
II, i, 288; II, 3, 2 1 2 , ! und 2 2 7 , 2 ff-)» die es als Grund des Seienden (dessen, was ist) qualifiziert. Das transitiv gedachte Sein wäre dann als das allgemeine Subjectum - nun nicht mehr im Sinne von Reflektierendem, sondern von tijioxef^ievov (II, 2, 28 ff.; vgl. II, 3, 2 3 3 , 2 ) ~ des »Besonderen« zumal aktives Vermögen (»Können«, »Macht«) des Seienden und ein im Vergleich zu diesem Negatives. D. h. es kann das Prinzip zwar begründen, ist aber nicht sein Urheber (II, 1, 562,j). Schon 1806 hat Schelling diesen sein System revolutionierenden Gedanken folgendermaßen vorbereitet: »In dem Satz: A ist B [Das Unendliche = A ist als dieses unmittelbar auch das Endliche = B], ist in der That nichts anderes gesagt als: A ist das Esse (die Wesenheit) von B (welches insofern also für sich selbst nicht wäre, nun aber vermöge die Verknüpfung mit A ist). Eben dieß ist der Sinn des Satzes: Gott ist alle Dinge, welcher lateinisch nicht sowohl durch est res cunctae, als vielmehr (invita latinitate) durch est res cunctas ausgedrückt werden müßte« (I, 7, 205, Anm. 1). Z w a r hat Schelling sich damals noch bemüht, den positiven Sinn der Rede vom Sein des Wesens durch die Überlegung zu retten, daß »offenbar . . . dem, welches nur ist, inwiefern ein anderes es ist, keine gleiche Realität mit dem zukommen [könne], welches ihm das Seyn ist« (I, 7, 208); indessen ließe sich ebenso gut das Umgekehrte sagen, daß, was darin aufgeht, einem andern Ermöglichungsbedingung für dessen Sein zu sein (vgl. II, 3, 229/30), selbst ein im »aussaglichen Sinne . . . Nichtseyendes« sein müsse (II, 1, 288/9). Denn »Grund ist gegen das, dem es Grund ist, nicht seiend« (Pos. Ph., 32/II 136). 9 a Gewiß bedeutet das nicht, daß, was sich darin erschöpft, einem anderen den Grund zu bereiten, selbst schlechterdings gar nicht sei. Das Wesen, welches das Sein wesen läßt, hat zwar die Seinsweise des »nicht Seyns elvcu)«, ist darum aber doch kein absolutes »Nicht-seyn (oüx elvai)« (II, 1, 289). Noch exakter wäre die folgende Beschreibung: das bloß 9a II, 2, 42: »was nur G r u n d ist, ist immer selbst nicht seyend«.
218
Wesende ist, insofern es sich das nicht Sein selbst zum Sein gemacht hat (II, 3, 231), und es müßte als Nichts zu existieren aufhören, sobald es das im emphatischen Sinne Seiende würde. Für diese ekstatische Existenz (II, 2, 38 und 56), die Sein nur außerhalb ihrer selbst gewinnt, hat die deutsche Sprache keinen eigenen Terminus. Schelling bedient sich darum neben der zitierten griechischen gelegentlich auch der französischen Unterscheidung von >rien< und >neant< ( 1 , 1 0 , 2 8 5 ) . Das Wesen ist dann ein »Nichts«, ein »gänzlicher Mangel«, ein »Hunger nach Seyn« nicht im Sinne eines >rien<: es ist ein Neant d'etre. 1 0 Eine vollständigere Umkehrung der Bedeutung von Wesen gegenüber der der Identitätsphilosophie ist nicht denkbar. Mit einem Schlag enthüllt sich, was dort emphatisch als das Positive in Anschlag gebracht worden war, als genau jenes Neant, welches unter wechselnden Titeln (als Reflexion, Form oder abstrakte Existenz) scharf von ihm unterschieden worden war. Das Wesen kann zwar weiterhin als Grund des Seins bezeichnet werden. Da es jedoch als »selbstlos Seyendes« nicht Grund seines eigenen Seins ist, verzichtet es gerade zufolge dieser Bestimmung auf Suisuffizienz und setzt das opak Seiende außer sich ins Objekt (Pos. Ph., 3 2 / I I 135/6). Und dies Objekt verbürgt sein und der identisch Verbundenen Existenz, wenn es ist. Von selbst kommt der bloß wesenden Idee - der Potenz, wie Schelling sagt - überhaupt kein Sein zu. Damit ist auch unsere zweite Frage nach dem Grund des Seins partiell beantwortet. Die Vernunft ist - Schellings reifer Erklärung zufolge - zwar der Erkenntnisgrund des Seins, enthüllt sich aber darum auch als das secundo loco Gesetzte: sein Quasi-Sein hängt ab vom Sein, welches ihm insofern schlechthin zuvorkommt als sein Realgrund. Sein und 10 I, 7, 466; I I , 3, 231 und 206 f . ; I I , i , 294; Pos. Ph.,
3 2 / I I 135 u. pas-
sim. »Hunger nach Seyn« - ein Bild aus Jakob-Böhmescher T r a d i t i o n , der noch die Metaphorik von K a r l M a r x (vgl. MEW Sartre (vgl. EN,
2, 1 3 5 , - ) und J e a n - P a u l
1 6 , . ; 28; 127 f f . ; 651 ff.) verpflichtet ist.
219
Idee begründen einander also in der Tat wechselseitig. Aber sie tun es nicht im gleichen Sinne. Das Wesen ist Grund des Seins in genau dem Maße, wie es zugleich Grund seines Nicht-das-Seiende-Seins ist; und das Sein ist Basis des Wesens in dem Maße, wie es zugleich nicht Grund seiner Qualifikation durch das Wesen ist. Genau darum sind beide abstrakt und kommen nur mit und durch einander zur konkreten Existenz. Gerade das freilich kann die Vernunft verleiten, Ansprüche auf das Sein geltend zu machen, wie es die Hegeische Logik tut. Sie reflektiert in diesem Fall ihre innerliche Bezogenheit aufs Sein und sucht es durch Negation ihrer eigenen Nichtigkeit einzuverleiben. Sie reflektiert jedoch nicht sich selbst und ihr Seinsgesetz, den >ordo inversus< (Novalis). Diese zweite Reflexion würde an den Tag bringen, daß die Vernunft sich selbst als das Erste nur darum voraussetzt, weil sie den Blick von ihrem wahren Prius abwendet und auf sich reflektiert. Diese Reflexion aber kehrt, wie wir sahen, die ursprünglichen Verhältnisse um und spiegelt der Vernunft als Schein des Seins vor, was in Wahrheit nur ihre eigene Nicht-Wesentlichkeit ist. Indessen gehört zu der absoluten Durchsichtigkeit der Vernunft für sich selbst auch die Einsicht in ihre Reflexivität. Und an ihrer eigenen Grenze korrigiert sie ihren Anspruch auf positives Sein und durchschaut sich als ein bloßes Vermögen, als Wesen, als Potenz.
Die Kritik an der Seinsthese von Hegels Logik Damit ist der Ort angegeben, an welchem die Frage nach dem Grund des Wesens umschlägt in die nach dem Grund des 1 1 Zitiert nach der von H . E . G . Paulus in polemischer Absicht in trag
gegebenen,
reich kommentierten
und
widerrechtlich
in U m l a u f
brachten Nachschrift von Schellings Vorlesung aus dem Berliner W S
(= Die endlich offenbar gewordene Philosophie stehungsgeschichte, wörtlicher Text, Beurteilung
220
Aufge-
1841/2
der Offenbarung oder und Berichtigung der
Entvon
Seins: das transitive Sein (»dies Reinseyende . . . im verbalen Sinne, als das Existirende in actu puro existentiae« 1 1 ) verhält sich zu dem, was ist, nicht anders als das Wesen zu dem ihm Äußeren. Freilich ist diese Formulierung mißverständlich. Sie gibt für einen Parallelismus aus, was nach dem Gesetz der Reflexion besser als eine chiastische Verkehrung zu beschreiben wäre. Was * f ü r uns* als Bewegung des urständlichen, sein eigenes Sein »nicht setzenden« Wesens zum »gesetzten« Sein sich ausnimmt ( 1 1 , 2 , 6 7 / 8 Anm. 1; Pos. Ph.y 3 2 / I I 1 J 4 / 5 ) , kehrt sich »objektiv betrachtet« um und erweist sich vielmehr als Folge, als Posterius von diesem (II, 3, 248). Hier stellt sich unversehens die frühere Bedeutung von Sein als absolute, von ihren Momenten unabhängige Identität wieder her (II, 1, 565). Um den Sinn dieser Umkehrung zwischen dem opaken Sein und seinen Bestimmungen verständlich zu machen, müssen wir uns an jenes Phänomen erinnern, das Schelling als >Doublierung des Wesens< in der ewigen Affirmation seiner selbst beschrieben hatte. Kraft »substantieller Identität« bleibt das Urwesen in jedem der Geschiedenen das Ganze (II, 3, 218), jedenfalls solange die Momente nicht wirklich als solche auftreten und einander ihre Existenz streitig machen. Ihre Bestimmtheit gegeneinander kann im Zustand ihrer >Oberwirklichkeit< nur metaphorisch als ein Uberwiegen (»Obwalten«) Schellingschen Offenbarung 1841/42.
Entdeckungen
über
des dogmatischen
Philosophie
Christentums
überhaupt, im Berliner
Mythologie
und
Wintercursus
von
D e r allgemeinen P r ü f u n g vorgelegt von D r . H . E . G .
Darmstadt
1843,
451
[zit.:
Paulus
im
laufenden
Text]).
Paulus.
Dieser
Text,
o b w o h l stellenweise f r a g w ü r d i g und zum Nachteil seines Urhebers k o n z i piert, weicht von der durdi Schellings Sohn in K o m p i l a t i o n ner Handschriften (besonders
wohl
des Vorlesungsmanuskripts
verschiedevom
WS
1 8 4 2 / 3 ) herausgebrachten Fassung gelegentlich so entscheidend ab, d a ß er vorderhand gewissen
-
vor allem, seit w i r an der Kierkegaard-Nachschrift
(auch an Friedrich
Engels zu legenden) Maßstab haben -
einen eine
durch nichts zu ersetzende Quelle f ü r den wirklichen V o r t r a g von Schellings letzter Philosophie darstellt.
221
der einen über die andere indiziert werden: Die absolute Identität affirmiert sich in der unterm Exponenten des Seins gesetzten Gestalt selbst als Position dieses Seins oder Wesen, bleibt indessen in allen drei Formen bloße Manifestation der Identität, gegen welche die Bestimmungen (Schelling sagt: Potenzen) im Verhältnis einer nicht umkehrbaren Abhängigkeit sich befinden (I, 7, 425 ff.). Innerhalb dieser Potenzenkette tritt der Ausdruck Sein nun selbst als Potenz a u f : l l a d. h. er befindet sich selbst unter dem Exponenten des Wesens und ist als ein an sich Seiendes negiert. l l b Er ist Relat der Wesensbeziehung, also ein immanenter Vernunftgegenstand geworden. Und einem Verhältnis, das Sein nur als Selbstbegegnung der Vernunft zuläßt, ist ohne Mühe, ja durch tautologische Formulierung, nachzuweisen, daß es in der Reflexion gründet. So hat es Hegel gefaßt. Wenn zutrifft, was Schellings Spätphilosophie für sich in Anspruch nimmt: nämlich nichts anderes zu sein als methodische Entfaltung komplexer Implikationen in der Identitätsformel, so ist hier der Ort, seine These von der Unzurückführbarkeit des Seins in einer Reihe von Argumentationsschritten an Hegels Logik sich bewähren zu lassen. Ihr wird vorgeworfen, sie kenne das Sein nicht anders als in der Potenz des Ideellen (des Wesens), da sie es ja von vornherein nur als Begriff, nämlich als das »nur nicht nicht zu Denkende« (I, 10, 212) - als natura necessaria - in Anschlag bringe. In diesem Fall wird aber der Ausdruck Sein unstatthaft. Denn vom Begriff aus gesehen ist das Wesen oder »das Seyende« das Erste und »das Seyn nur das Zweite, für sich gar nicht denkbare« (I, 10, 21$, Anm. 1). Mehr noch, I I a Es ist zwar »actus purus, aber nicht actu, sondern seiner Natur nach« (II, 2, 84 Anm.). llb
Vgl.
II, 2, 83 u./4 o.: überhaupt die ganze 5. Vorlesung,
80ff.
Der
reine Actus innerhalb der Drei-Einheit des »als solches seienden Wesens« ist vorerst auch nur das nicht actu, sondern nur seiner Natur nach Seyende; und das Dritte ist »nur das seiner N a t u r zugleich Seyende«.
222
nach
(potentia)
Potenz und Actus
das als Relat des Wesens eingeführte Sein ist selbst nur Moment des Wesens, welches als »natura anceps« (II, 3, 210) oder als das »rein Seynkönnende« in ihm seine andere Möglichkeit ergreift: die, auch nicht sein zu können (ebd.). (Was nur sein kanny unterscheidet sich ja auf der Basis substantieller Identität nicht wirksam von dem reinen und selbstlosen Aktus, in dem keine Spur von Können angetroffen wird: 1 1 , 3 , 2 1 8 ff.). Diese Korrektur an Hegels Anfang der Logik scheint freilich deren Einsieht, daß Sein nur als Konsequenz aus dem Wesen verstanden werden könne, nur von hintenher (vom Standpunkt des Wesens aus) aufzurollen, um ihr übrigens Recht zu geben. In Wahrheit, wirft Schelling ein, hat das Wesen durch das Theorem der selbstbestimmenden Reflexion nur den Beweis seiner selbst angetreten. Gewiß hat es sämtliche in ihm befaßten Momente aus seiner Struktur einsichtig gemacht. Indessen ist ihm in keiner Weise gelungen, worum es eigentlich zu tun war, nämlich Rechenschaft abzulegen über den vollen Begriff des Geistes als des »Wesens, das es Ist«. Es hat, mit anderen Worten, den Grund seiner eigenen Seinsweise als Voraussetzung außer sich lassen müssen, und zwar genau deshalb, weil in der rein logischen (und d. h. potentiellen) Beziehung des Seins auf das Wesen diese ganze Beziehung erneut in Opposition gerät zu dem Sein (Uj), das sie sich gerade zu assimilieren und in ihre eigene Sphäre einzuholen anmaßte: Das Wesen ( = Begriff = Potenz; vgl. II, 3, 227/8) ist nicht in ihm selbst schon das Sein. Diese Differenz aufheben hieße, wieder in jene Nacht der Identität unterzutauchen, aus der Schelling - alarmiert von Hegels Kritik - die Identitätsformel herauszuführen suchte. Das Sein fällt nicht in des Wesens eigene Potenz; und insofern es Moment der unterm Exponenten des Wesens gesetzten logischen Indifferenz ist, sind »nicht zwei Subjekte gesetzt, sondern nur Ein Subjekt, das mich von zwei Seiten ansieht« (Pos. Ph.y 3 2 / I I 110) als die in Wesen und Sein >gedoppelte< potentia anceps der absoluten Indifferenz. 22
3
Die abstrakte Selbstthematisierung des Wesens im Zustande seines »Alleinseyns« 12 wird darum an den reinen »Actus«, an die Tatsächlichkeit der »Tatsache des Selbstbewußtseins gar nicht rühren können; denn »was nur Actus ist, entzieht sich dem Begriff« (II, i, 315). Das Wissen, welches das Wesen a priori von sich gewinnen kann, indem es auf sich reflektiert, kommt darum nur unter der Bedingung wirklich zustande, daß es sich zumal a posteriori - gestützt auf Erfahrung - erkennt. Denn nur durch Erfahrung wird ja Existenz verbürgt (ebd. u. Pos. Ph.y 3 2 / I 159 fr.). Dieser Satz - in welchem Schelling deutlich an Kant sich anschließt - gilt ohne Einschränkung auch für jene Erfahrung, die das Denken mit sich selbst macht (II, 1, 326). Schelling nennt sie - in frühromantischer Tradition - auch Gefühl ( 1 1 , 1 , 3 0 3 / 4 ; 315,21 f . ; 326; II, 3, 1 2 7 ; I, 10, 219 f.). Als Grund von Intelligibilität kann es über seinen eigenen Bestand, die Zufälligkeit dessen, was ihm als Denkgesetz sich aufzwingt usw., keine Aufklärung sich verschaffen (ebd.); es erfährt deren Notwendigkeit jedesmal de facto. Insofern, kann man sagen, ist die Apriorität des Logisdien - ein Gedanke, dem Wittgensteins Tractatus Resonanz verschaffen sollte (vgl. j.4731) - selbst im Positiven, d. h. nicht logisch, begründet. So muß es in der Tat sein: Wollte man nämlich das Sein des Logisdien selbst aus der transzendentalen Logik herleiten, so geriete man unweigerlich in einen infiniten Regreß, der das Sein für immer in der Schwebe lassen müßte. 13 Kant, dessen Vernunftkritik Existenz einerseits vom Gegebensein durch Empfindung abhängig machte (vgl. KRV A 143, 2 ; B 69 Anm.; A 1 7 5 / 6 ; A 373/4; B 122, B 209 f. u. passim), andererseits Realität oder Dasein unter die nicht-sinnlichen, also kategorialen Bestimmungen rechnet (z. B. B 72 oben, vgl. dazu II, 3, 47), scheint der Schwierigkeit, über das von ihm nie angezweifelte 1 2 Ein Ausdruck, den Hölderlin gelegentlich in der Verfahrungsweise poetischen Geistes verwendet. Vgl. STA I V , 257. 1 3 V g l . J . - P . Sartre, Selbstbewußtsein
224
und Selbsterkenntnis,
1. c.
des
Sein des cogito 1 4 Rechenschaft abzulegen, in einer Anmerkung zur 2. Bearbeitung des Paralogismenkapitels bis zu einem gewissen Grade sich bewußt geworden zu sein: Da von jedem »gebenden« Bezug auf Empfindung ebenso wie von Bestimmung durch Kategorien (die der Modalität eingeschlossen) abgesehen werden muß, kann es sich bei der Seinsweise der reinen Apperzeption nur um eine präkategoriale (KRV, B 422/3, Anm.; B 418/9) Existenz handeln. In dieser radikalen Diesseitigkeit von Anschauung und Begriff fungiert Kants merkwürdig aporetische Konstruktion einer »unbestimmten (. . . ) inneren Wahrnehmung« bzw. »inneren -Erfahrung« (B 400/1 und B 4 2 2 / 3 ) 1 5 , die, unbeschadet ihres latenten Verweises aufs Empirische, an sich rein intellektuell sein soll, gleichwohl aber eine Spontaneität begreift, deren Existenz der Apperzeption als »etwas Reales . . . gegeben worden, und zwar nur zum Denken überhaupt, also nicht als Erscheinung« (B 423; B 430). 1 6 Ohne diese ebenso präreflexive wie transkategoriale Selbsterfahrung ] ? würde über Existenz in keiner möglichen Erkenntnis geurteilt werden können. Als einziger unter den Idealisten scheint Schelling diese, aus Kants eigener Perspektive vermutlich unversehene, Konsequenz entdeckt (vgl. I, 10, 87) und zu der These erweitert
14 Genau genommen unterscheidet K a n t ein erscheinendes Zeit)«
und ein
zeption). -
reines Sein-an-sich
(z. B. den
Z u m Sein des cogito v g l . KRVt
reinen
»Sein (in der
Actus
der
Apper-
B 277, A 3 6 7 ; B 4 1 8 - 2 0
u.
passim. 1 5 Deutlich unterschieden vom
»inneren Sinn«, der gelegentlich mit dem
gleichen Ausdruck bezeichnet wird (vgl. z . B .
A 107; B 2 7 7 ; B 1 5 6 ;
B X L / V L I ) - aber vergleichbar mit jener »anderen [nämlich len, d . h .
intellektuellen]
Anschauung«,
B68;
prätempora-
die K a n t dem menschlichen
Be-
wußtsein an dieser Stelle abspricht (B 1 5 7 / 8 Anm.). 16 V g l . die ausführliche, den K o n t e x t des Gedankens einbeziehende Interpretation in: M a n f r e d F r a n k , Das
Problem
>Zeit*t
I.e., 132 f f . und
442;
vgl. 87 im K o n t e x t und 434. 17 Schelling nennt sie »ein m'cfcrwissendes Wissen« (Pos.
Ph.t
32/I
160,^)
im Gegensatz zu einem wissenden Thematisieren, das sein Objekt kategorial bestimmt.
5
zu haben, daß die Unmöglichkeit, Einheit auf Reflexion zu begründen, in der Unmöglichkeit sich spiegelt, die Erfahrung des Seins auf eine Kategorie - allgemein: das Sein auf das Bewußtsein, das man von ihm hat - zu reduzieren. 18 Dasjenige Sein, das nur ist für das Wesen - Kantisch gesprochen: die Apperzeption, wie sie sich im inneren Sinn erscheint verbirgt gerade, indem sie zu einer Selbst-Erkenntnis gerinnt (vgl. KRV B 157-9), ihr Sein (wie sie ist [KRV B 69]) und setzt es auf diese Weise voraus. Damit entzieht es sich als ein solches der Sphäre des Begriffs; und die Selbstreflexion kann es bei Hegel auch nur unter der Bedingung einzuholen meinen, daß Sein oder Anschauung als Modus des noch abstrakten Begriffs von Anfang an unterstellt, die Sphäre des Begriffs also gar nicht wirklich verlassen wurde. 1 9 Vor dem Hintergrund dieser Überlegung ist Schellings Kritik zu verstehen, in Hegels Logik treffe der Begriff nicht wirklich auf das Sein, um es zu überwinden, sondern habe »wieder nur den Begriff [also sich selbst] zum Inhalt« (I, 10, 141 f.; II, 2, 29-32). Eine vergleichbare Formulierung Hegels lautet: »Das Denken . . . hat nur Gedanken zu seinem Resultat, es verflüchtigt die Form der Realität zur Form des reinen Begriffs. (. . .) Das Denken ist nur eine Versöhnung des Wahren und der Realität im Denken«.20 Notwendig findet in dem »allgemeinen ideellen Element, in welchem das Denken bei sich selber ist«2 0? auch kein »wirklicher Gegensatz, keine wirkliche Dissonanz« statt (I, 10, 1 3 7 : »es geht . . . alles ganz
18 Dies hat - nach Schelling - vor allem Feuerbach gegen Hegel
geltend
gemacht, wie w i r sehen werden. 19 Weil das >esse< sich auf kein »percipi« reduzieren läßt, das
transzen-
dentale
Ich aber gar
kann,
ist sein
Wesen
(und
(siehe Schelling I I ,
erkannt)
werden
so
1, 3 1 6 , » [ . . . ]
daß hier das
Wesen selbst bloß im Actus bestehe«. Das Sein der reinen
Apperzeption
ist der reine,
das Sein
nicht angeschaut
nicht selbst
nung »bestimmt« [vgl. KRV, 20 Ästhetik,
226
wieder
erscheinende
»Aktus«,
B 158 A n m . ] ) .
ed. Bassenge, 8 8 1 / 2 ; vgl. L I I , 560 u. 572.
der die
Erschei-
friedlich zu - zwischen Seyn und Nichts [als bloßen Potenzen] ist kein Gegensatz, die thun einander nichts«).2 l
Die Unmöglichkeit eines logischen Übergangs zur Wirklichkeit Vermutlich hätte Hegel derlei Einwendungen als schieres Mißverständnis des Programms seiner Logik abgetan. Schellings Kritik richtet sich jedoch gar nicht gegen die Logik als solche, sondern gegen den Gebrauch, den Hegel innerhalb des S y stems der Philosophie< von ihr als den »Gedanken Gottes vor der Schöpfung einer Welt< macht. Und an diesem Punkt sieht er den erkenntnistheoretischen Zirkel von Hegels Theorie auch auf ontologischer Basis wiederauferstehen: »Hegel will nicht das Absolute, sondern das existirende Absolute . . . [Er will] durch seine Logik . . . die Existenz des Absoluten . . . beweisen« (I, 10, 1 4 9 , 0 ) . Wieder ist es möglich, sich auf einen programmatischen Satz Hegels zu berufen, »in dem die Wahrheit behauptet wird, in dem Begriffe allein das Element ihrer Existenz zu haben« (Phän., i2, :J ). Diese Wahrheit wird jedoch gleich im ersten Satz der Logik wie aus der Pistole geschossen: Hegel kennt als Sein (das er übrigens, wie Schelling mit Recht anmerkt, 21
Feuerbach
hat diese spöttische
Kritik
sich zu eigen gemacht.
Hegels
Rede von einer Entwicklung, die noch kein reales Außereinander
(keine
Zeit) annehme, hält er f ü r »ein wahres Meisterstück spekulativer »Der S a t z : das absolute Wesen entwickelt sich aus sich -
Willkür
ist (. . .) nur
umgekehrt ein wahrer. Es muß (. . .) heißen: N u r ein sich entwickelndes, sich zeitlich entfaltendes Wesen ist ein wahres, lutes
Wesen«
(L.
Feuerbach, Gesammelte
ein wirkliches,
Werke,
hg. von
Philosophie
der
ein
abso-
W. Schuffen-
hauer, Bd. 9, Berlin 1970, 2 5 2 / 3 ) . Vgl.
I.e., B d .
9 ( G r u n d s ä t z e zu
einer
Zukunft),
326-
329: »Betrachte ich z. B. das Sein nur in abstracto, abstrahiere ich von aller Bestimmtheit, die ist, so habe ich natürlich Sein gleich Nidits.
Der
Unterschied, die Grenze zwischen Sein und Nichts ist ja allein die
Be-
stimmtheit. Wenn
ich das,
was
ist,
weglasse, was ist noch dieses
bloße
»ist«?« (ebd., 329).
227
mit Objektivität verwendet) ohnehin nur den Begriff des Seins (esse apparens), nicht das sich entziehende und bestimmungsunabhängige Sein des Wesens selbst (esse subsistens): Beide werden auf der ersten Stufe der Logik konfundiert, obwohl in der Identifikation von U j und U 2 beide Bedeutungen wiederauferstehen.
synonym
Durch diese a priori vorgenommene Reduktion des Seins auf den Begriff Sein ist aber für das Hegeische System eine folgenschwere Vorentscheidung getroffen. Wenn nämlich die nach Durchgang durch sein Anderes erreichte »Vollendung und Durchsichtigkeit« des Geistes für sich selbst als »das Sein, das [überdies] die Reflexion in sich selbst ist« (Phän., 25), oder als »dies Einfache, wie es als solches Existenz hat« (Phän., 24), bestimmt wird, so ist diese Bestimmung in dem Maße zirkelhaft, wie ein begrifflich gefaßtes Sein schon auf der ersten Stufe der Logik vorausgesetzt war und die Selbstreflexion des Geistes, jeder Realität bar, tatsächlich nur als die im reinen Äther sich vollziehende abstrakte Begegnung des Gedankens mit sich selbst in der Potenz des Seins zustandekommt. Von einer dialektischen Weiterbestimmung des leersten aller Gedanken zur Selbsterkenntnis könnte nur in einem problematischen Sinne die Rede sein. Natürlich ist dies nicht Hegels Meinung - und Schellings Kritik unterstellt, daß sie es nicht ist. Die Idee der Logik, in welcher die »absolute Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität« (L II, 573) selbst nur in der Potenz des B e g r i f f s 2 2 gesetzt ist, korrigiert vielmehr ihre Abstraktheit in dem »freien Entschluß« (ebd.) zur äußeren Wirklichkeit der N a t u r 2 3 , mit welcher sie sich bereichert, um als Geist zu 22 In
der
»Sphäre«
des
sich zum Gegenstande
»sich begreifenden
hat«
und so zur
B e g r i f f s « (L
»Realität«
II,
573),
»der
f ü r sich w i r d
(I.e.,
57*). 23 Wirklichkeit und N a t u r sind hier noch S y n o n y m a . D i e
Naturwerdung
der Idee ist die Voraussetzung f ü r ihr wirkliches Dasein, aus dessen Ä u ß e r lichkeit sie sich in einer S t u f e n f o l g e sukzessiver
Idealisierung
f r e i t , um Geist zu w e r d e n ; doch ist sie als durch die N a t u r
228
zwar
be-
geschrittene
ihrer vollen und nunmehr konkreten Bestimmtheit zurückzukehren. Im vorhinein läßt sich freilich absehen, daß, wenn die Entäußerung zur Natur als eine echte Bereicherung der Idee verstanden wird, entweder die Immanenz des Hegeischen Systems (d. h. die These, daß der Begriff alles sei und nichts außer sich zurücklasse) gesprengt wird, indem alsdann ja die Idee der Logik ihre Realität noch außer sich hätte, oder aber die Natur als bloße Entfaltung der in der Idee vereinigten Potenzen realisiert wird. Hegels Erklärungen suchen die Mitte zwischen der Skylla einer transreflexiven Realität und der Charybdis einer abstrakten Idealität anzusteuern. Einerseits wird zugestanden, daß die Idee der Logik, ihrer Einheit mit der Realität unerachtet (L II, 572), doch erst nur »logisch,... in dem reinen Gedanken . . . [oder] in die Subjektivität eingeschlossen« sei 2 4 und diese Abstraktheit in dem »Trieb* empfinde, »diese aufzuheben« und sich in *einer anderen Sphäre und Wissenschaft« zu komplettieren (L II, 572/3) andererseits wird die freie Entschließung der Idee in »die absolut für sich selbst ohne Subjektivität seiende Äußerlichkeit des Raums und der Zeit« (L II, 573) als eine Herauswendung des »Moment(es) ihrer [eigenen] Besonderheit« (Enz. I, 393)
Idee selbst »erscheinender Geist«, Idee in Fleisch und Bein, hat also selbst ihre naturhafte Seite in sich bewahrend aufgehoben (das gleiche gilt f ü r die Geschichte, die, um wirkliche
Geschichte zu sein, auf der N a t u r
siert). »Insofern wir also wirklich sind«, sagt N o v a l i s , »sind w i r Alles
Wirkliche
in uns gehört
der N a t u r «
(Novalis,
I.e.,
Bd.
ba-
Natur. 2,
144,
N r . 73). Schelling hat eine vergleichbare Unterscheidung des »bloß Logischen« der Wissenschaftslehre
von ihrem noch ausstehenden »materiellen Beweis« durch
die Naturphilosophie schon in seinem Brief an Fichte, J e n a , [in: H . Fuhrmans ( H g . ) :
F. W. J . Schelling, Briefe
und
19. 1 1 . 1800
Dokumente
II
(I.e.), 296,j] vorgenommen. Sichtbar antizipiert diese Passage die spätere Hegelkritik
und die Unterscheidung einer positiven
von einer
negativen
Philosophie. 24 »Die systematische der L o g i k ]
Ausführung
[der
ist selbst eine Realisation,
Idee aber
innerhalb der
Wissenschaft
innerhalb derselben
Sphäre
gehalten« (L I I , 572).
229
interpretiert 2 5 , also als explicatio »des göttlichen Begriffs« (L II, 572). Der Zirkel besteht darin, daß der Begriff, welcher Existenz im »Außersichkommen« (Enz. II, 36 u.) erst hinzuerwirbt, diese »auf allgemeine Weise zumal« in die Natur entäußern soll (Enz. II, 32 o.): Einerseits soll Existenz als Manifestation der Idee (Enz. II, 31 o.), andererseits Geist als die um die Existenz erst zu bereichernde und insofern selbst noch irreale Idee (Enz. II, 23) verstanden werden. Anders gesagt: der »Idee«, welche »Subjekt und Objekt, ihrer selbst bewußt, als das Ideale auch das Reale« ist, ein Bedürfnis ansinnen, »weiter und auf andere Weise, als sie schon ist, reell zu werden« ( 1 , 1 0 , 1 5 2 ) , hieße, ihr die Wirklichkeit, die sie am Ende der Logik erreicht hat, im gleichen Akt abzuerkennen, da man sie ihr zuspricht. Nimmt man dagegen an, es sei in der Tat Hegels Absicht gewesen, in der Logik die Einheit von Wesen und Sein vorerst noch abstrakt (im Begriff) darzustellen, so wird keiner Dialektik gelingen, den mit der Entschließung zur Natur beschrittenen Gang vom reinen Können zum Sein zu rechtfertigen (I, 10, 212 u. und 153/4). Bekanntlich bedient sich Hegel in den zur Naturphilosophie überleitenden §§ der Enzyklopädie ausgiebig des geschmähten Schellingschen Instrumentariums: Er bestimmt die Äußerlichkeit der Natur als den »Abfall der Idee von sich selbst« (Enz. II, 28), als »Unangemessenheit ihrer selbst mit sich« (I.e.), als abstraktes Für-sidi-Bestehen (I.e., 30 u.) der Momente, die ihre Unterschiede äußerlich gegeneinander kehren (I.e., 31 u.) und die substantielle Einheit der »Potenzen« (I.e., 39 u.) in Gestalt von gegeneinander »gleichgültigen Existenzen« (I.e., 31 u.) aufsprengen usw. - Aber diese Adaptation ist zum Scheitern verurteilt, da eine solche Herleitung selbst nur wieder die Form (den Begriff) explizieren kann, unter denen Realität - wenn sie ist - existiert. D. h. sie fällt selbst in den Bereich der Logik zurück, den zu verlassen 25 Der § 191
der ersten Ausgabe las: »Die Idee . . . entschließt
sich,
sidi
als N a t u r oder in der Form des Andersscyns aus sich zu entlassen«
(zit.
Schelling I, io, 1 5 3 ) .
230
sie sich aus freien Stücken angeschickt hat. Soll der Ubergang zur Natur die Herauswendung zur Realität erklären, so mußte die Idee als das Wesen, das Ist, in ihrer Existenz zuvor erwiesen sein. »Was sich frei entschließen soll, muß ein wirklich Existirendes seyn, ein bloßer Begriff kann sich nicht entschließen« (I, 1 0 , 1 5 4 , v g l . I.e., 2 1 3 ) . 2 6 Nur ein solcher Begriff, der vor seiner Entäußerung zur Wirklichkeit von dem reinen Aktus des Seins >präveniert< wird und dessen relative Nichtigkeit vor der absoluten Auflösung dadurch geschützt ist, daß seine Potenz auf einem Sein basiert, kann sich realisieren und damit gefahrlos die Sphäre seines bislang »bloß wesenden Seyns« aufheben. Ein solches von seinem Wesen (seinen Momenten oder Potenzen) relativ unabhängiges Sein hatte Schelling - er mag es nachträglich von der neugewonnen Perspektive her in Abrede stellen (I, 10, 147-9) - bereits im identitätsphilosophischen Ansatz postuliert. Nur auf solcher Basis ist Realität ins Spiel zu bringen. Hegel dagegen läßt, indem er das subsistente Sein unverzüglich auf den Begriff Sein verkürzt, die erste und einzige Möglichkeit seines philosophischen Systems
26 V g l . I , 1 o t
1 5 5 : »der G o t t , sofern er nur Ende
ist ( . . . ) ,
der keine Z u k u n f t hat, der nichts anfangen kann, der bloß ursache, auf
der als
keine Weise Princip, anfangende, hervorbringende
Gott, Final-
Ursache
seyn kann, ein solcher G o t t ist doch o f f e n b a r nur (. . .) dem Wesen nach Geist, (. . .) nur substantieller Geist.« L u d w i g Feuerbach hat diesem Argument gegen Hegel und den abstrakten Idealismus
überhaupt
lebhaft
zugestimmt:
»Die
Philosophie«,
sagt
er,
»kommt nicht am Ende erst auf die R e a l i t ä t , sie beginnt vielmehr
mit
der Realität. (. . .) der Geist ist das Ende, nicht der A n f a n g der Dinge. •
Der Ubergang von der Empirie zur Philosophie
ist Notwendigkeit,
Ubergang von der Philosophie zur Empirie luxuriöse Philosophie, die mit dem Gedanken ohne sequent mit einer gedankenlosen den >Anfang
der Philosophie<
Realität
Willkür.
Dr. ]. F. Reiff,
(. . .) Die
beginnt, schließt kon-
Realität« ( L . F . , Einige von
der
Bemerkungen
in: Gesammelte
über Werke,
B d . 9, 145/6). »Gäbe es keine N a t u r , nimmermehr brächte die unbefleckte J u n g f e r »Logik« eine aus sich hervor« (L. F., Fragmente stik
meines
philosophischen
curriculum
vitae,
zur
I.e., B d . 10, 156).
Charakteri-
verstreichen, sich der Existenz aller nachfolgenden Bestimmungen zu versichern. Nach solcher Weichenstellung vermag keine Dialektik sie mehr zu erzeugen.
Der immanente »Umsturz der
Vernunft<2 7
Übrigens wäre wenig gewonnen, wenn die Unterscheidung einer negativen (alle Verhältnisse in der Potenz des Wesens darstellenden) und einer positiven (d. h. ihre Existenz erweisenden) Philosophie sich mit der neutralen Feststellung eines gleichgültigen Parallelismus beider begnügen würde. Gäbe es eine vom Eingedenken des Seins (esse subsistens) unabhängige Möglichkeit zu philosophieren, so wäre allein damit der positiven Philosophie schon das Urteil und Hegels System Recht gesprochen. Es ist die Stärke von Schellings Ansatz, daß er diese Möglichkeit bestreitet. Mit folgendem Argument: Eine negative Philosophie (alsc eine solche, die alle Verhältnisse unter dem Exponenten de* Wesens oder des Nicht-Sems darstellt) kann für abgeschlossen nur gelten, wenn sie sich sukzessiv bis zur Intellektion ihres eigenen >Inhalts< (der »Idee«) emporarbeitet. Ihr letzter Gedanke, das »Finale« des Systems im Hegeischen Sinne (Paulus, 386), bestünde also in ihrer Selbsterkenntnis. Nun wissen wir, daß Schelling die Idee auch definiert hat als das Wesen, das Ist, d. h. als zumal »existirende Idee« (Paulus, 374). Allein diese Bestimmung beschreibt ihren Inhalt erschöpfend. Bevor das System des Geistes diese letzte Stufe erreicht hat, besitzen die in ihm versammelten Sätze eine nur hypothetische Wahrheit. 2 8 Hat es diese Stufe jedoch erreicht, so hat es zugleich die Sphäre des abstrakten Wesens überschritten und mit dem Sein Kontakt genommen. Denn das Sein wird, 27 I I , 3, 15 28 V g l . dazu
II,
3,
150,
0
und
Pos.
Ph.t
32/II
Unterstellung ausdrücklich abgelehnt, z. B. L I, 71
232
156.
Hegel
hat
diese
wie wir zeigten, nur dadurch erkannt, daß das reine Denken über sich hinausgeht: als nicht-setzendes Bewußtsein von sich versteht sich das Denken gleichsam von selbst; das Sein ist ein Zusatz, der sich nicht von selbst versteht (Pos. Ph.y 3 2 / I I , 152 fr.). 2 9 Will darum das bloß potentiell existierende Denken die Erfahrung seiner eigenen Realität machen, so muß es seine Potentialität transzendieren und die Grenze des bloß Logischen hinter sich lassen (I, 10, 151 f.). Schelling drückt diesen Schritt reichlich scholastisch so aus, daß dasjenige, welches nur »essentia oder natura . . . Actus« sei, sich selbst überschreiten müsse auf »das actu Actus Seyende« (II, 1, 563). Unexakt formuliert, könnte der Eindruck entstehen, als belebe Schelling das ontologische Argument des Anselm: in der Vollkommenheit der Idee als der Einheit von Wesen und Sein sei Existenz notwendig mitgedacht. In Wahrheit macht er vielmehr Hegel den Vorwurf, den Begriff Sein nur durch die Erschleichung dieser Denkfigur zu erreichen, die den notwendigen Gedanken des Seins als einerlei mit dem Sein dieses Gedankens unterstelle. Die existierende Idee, zu deren Intellektion die Vernunft sich erhebt, existiert eben selbst nur in der Seinsweise des Neant. Ihr ist mit intrastruktureller Notwendigkeit versagt, sich über den Grund ihres Seins Rechenschaft abzulegen. Die Aufforderung an die Vernunft, den vollen Inhalt der Idee denkend zu erschöpfen, führt daher zur »letzten Krisis der Vernunftwissenschaft«, in welcher die Idee angesichts des ihr Unzugänglichen sich selbst zerstört und dieses als das reine »Daß«, als »Unerkanntes und für sie Unerkennbares stehen bleibt« (II, 1, 562 ff.). Schellings Meinung ist also keineswegs, daß der Ausgang vom Wesen eine selbstgenügsame Möglichkeit des Philosophierens neben der Erkenntnis des Positiven eröffne (so entfiele jede 29 Feuerbach hat diesen Gedanken in den Grundsätzen phie
der Zukunft
(Ges.
Werke,
zu einer
Philoso-
I.e., Bd. 9, 304) wiederholt, m e r k w ü r d i g e r -
weise fast in Schellings eigenen Worten.
233
ernsthafte Kritik an Hegels Logik), sondern daß die Idee der Logik selbst, indem sie sich unfaßlich wird, sich umkehrt in die des unvordenklichen Seins. Eine erschöpfende Erkenntnis ist, mit anderen Worten, auch nicht einmal von der Idee selbst möglich, und dies drückt sich an ihr dadurch aus, daß sie nur zum Teil dem Denken zugänglich ist und hinsichtlich ihres Seins sich ihm entzieht. Schelling behauptet also nichts Geringeres, als daß der erkenntnistheoretische Zirkel zwischen Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis im Zirkel von Begriff und Erkenntnis wiederaufersteht. Begriffe, sagt er, sind ohne Erkennen möglich; in ihnen ist kein Anspruch auf Realität gedacht. Dagegen bedarf jedes Erkennen des Begriffs und ist wesentlich ein Wiedererkennen desselben, aber nunmehr als seiend, als zugleich über das Begreifen hinausgehend (Paulus, 218). Indem Hegel Selbstbewußtsein auf Selbstreflexion zu reduzieren sucht, ohne diese wirksam aus dem Medium des Begriffs herauszuführen, wird ihm die Idee, auf die hin der Begriff als auf seine Wahrheit sich bewegt, zur »bloßen Idee« (I.e., 25 8,2 u. 447), d. h. zu einer abstrakten Gedankenbestimmung, die innerhalb dieser Wissenschaft wenigstens nicht zur Existenz gebracht werden kann (I.e., 255). Darum bleibt Hegels Versprechen, den existierenden Begriff am Ende dieser Wissenschaft denkend einzuholen, uneingelöst. Und da die Wissenschaft vom Kredit dieser Versicherung lebt, bleibt ihre Gültigkeit selbst in der Schwebe: die logische Philosophie vermag ihre eigene Rechtfertigung nicht zu leisten. 30 Sie wird darum gerade nicht innerhalb ihrer eigenen Sphäre, sondern erst durch die positive Philosophie begriffen (Paulus, 422); und nun enthüllt die Idee als das Sich-sichtbar-Sein des blindlings Seienden »dem vom Seyn gleichsam prävenirten das Zufällige seines Existirens« (Paulus, 462). Sie offenbart ihm, daß die Vernunft nicht Grund ihrer selbst, nicht Erzeugnis von Vernunft, daß 30 V g l . dazu Paulus,
255 ff., 258, 3 5 1 , 3 5 3 ,
347~9» 3 9 ^ 2 ; 3 9 * ^ 5
459»2» 4 " u-; 440 u-; 447,4; 46*13; 4^8,4; 543»22
34
4*9^;
ihr Sein grundlos und faktisch ist. Der Idealismus der Vernunft erklärt darum wohl die »Art«, die Seinsweise des Wirklichen, aber »nicht die Wirklichkeit selbst« (II, i, 563, Anm. 3). Damit hat Schelling - ohne daß wir ihm, wie an früherer Stelle, ein fehlendes ontologisches Argument leihen mußten - in expliziter und stringenter Gedankenführung gezeigt, daß und wie die erkenntnistheoretische Kritik an der logischen Philosophie von selbst auf eine ontologische Ebene überspringt: die Unmöglichkeit, das Faktum von Selbstbewußtsein voraussetzungslos herzuleiten, wiederholt sich fundamentaler in der Unmöglichkeit, die existierende Idee vom reinen Begriff her zu erreichen. Schellings Spätphilosophie richtet sich mithin, dem Doppelaspekt des Zirkels entsprechend, auf zwei verschiedenen Ebenen gegen den Hegeischen Systemgedanken. Sie bestreitet mit teils vertieften, teils ganz neugewonnenen Kriterien 1. die Zurückführbarkeit des bestimmungsunabhängigen Seins aufs Wesen (also abermals Hegels Theorem der bestimmenden Reflexion), und sie zeigt 2. daß der Schlußgedanke des Hegeischen Systems, der aus seiner Entäußerung in eine neue Unmittelbarkeit zurückkehrende Begriff, an seiner eigenen Reflexivität zuschanden wird. Wie Schelling diese Aufgaben löst, wollen wir in den folgenden Kapiteln demonstrieren.
Die absolute Priorität des Seins vor dem Wesen Wir haben bislang die Gründe referiert, die Schelling bewogen haben, seine Formel von der wesenhaften Identität des Seins und des Denkens zu differenzieren. Dabei stellte sich heraus, daß die Identitätsphilosophie und das Hegeische System das so definierte Absolute nur in der Potenz des Wesens darge2
35
stellt haben; denn sie behandelten das Sein als bloßes Moment der Identität und d . h . zugleich: als bloßes Relat innerhalb der Selbstbegegnung des Ideellen. Die Bestimmung des Absoluten, es sei Einheit seiner und seines Gegensatzes, antwortet darum nur auf die Frage, was das Absolute sei. Sie läßt seine Existenz unausgemacht. Gerade darum aber verstößt sie zugleich gegen ihren eigenen Inhalt. Faßt man die Formel der absoluten Identität nämlich ein wenig anders und sagt, diese sei Einheit des Bestimmungsunabhängigen und des auf Bestimmung Relativen (also des Daß und des Wesens, des Was), so zeigt sich, daß die Bestimmung zwar über sich selbst, aber nicht über das Bestimmungsunabhängige verfügen kann und dieses in der Schwebe lassen muß. Das heißt aber, daß das Denken (als Vermögen des Bestimmens) seine Einheit mit dem reinen Sein - also die Idee der absoluten Identität - von sich aus nicht rechtfertigen kann. Sie wird darum nicht von selbst, sondern durch eine andere Instanz gerechtfertigt werden müssen. Das Problem ist als solches nicht neu. Schon die Identitätsphilosophie bestritt, daß Identität gleichsam mit Mitteln der Reflexion synthetisiert werden könne. Aber sie operierte doch in einer ontologisch unaufgeklärten und an Äquivokationen reichen Terminologie, die keine scharfe Grenze zwischen Sein und Wesen zu denken erlaubte. Erst die positive Philosophie gibt ein geeignetes Begriffswerkzeug an die Hand, um die Wechselbeziehung beider angemessen zu erörtern. Wir wollen nun sehen, wie aus der neugewonnenen Perspektive Schellings Kritik am Totalitätsanspruch des Wesens sich ausnimmt. Die späten Berliner Vorlesungen erreichen jenes »allem Denken vorausgehende« oder »unvordenkliche Seyn« ( 1 1 , 4 , 337) stets aus einer Analyse des im Satz der Identität Implizierten. Den Erlangener Einleitungsvorlesungen ist dies Verfahren insofern analog, als auch sie den Gedanken des Unfaßlichen nicht durch transzendente Spekulation erschlichen, sondern aus der Struktur der Subjektivität selbst als unvermeidbar sich aufdrängen ließen. Aber die Fragestellung des Berliner 236
Wintersemesters 1841/2 ist weniger an der Denkmöglichkeit des Seins als daran interessiert, unter welchen Bedingungen dem Denken Sein zugesprochen werden könne. Dabei geht sie von dem Faktum des Wesens aus und verlangt, die Konsequenzen aus der genauen Bestimmung seiner Seinsweise zu ziehen. Das Wesen (die Potenz) ist ein nicht Seiendes (neant); aber von ihm kann nicht gesagt werden, daß es überhaupt nicht sei (rien). Analysiert man diesen Satz, so wird man finden, daß die bloße Erscheinung der Potenz ausgeschlossen wäre, setzte man ihr nicht implizit das Sein voraus (II, 4, 339,,). Wir haben mit einem Phänomen zu tun, das, weil mehr in ihm sich manifestiert, als durch das Gesetz der Erscheinung als solches zu fassen ist, über seine eigene Grenze hinausdrängt. Nicht, als ob das Phänomen der Potenz logisch in sich ruhte und nur überdies als ein Ruf nach Sein sich vernehmen ließe. Das Phänomen des Wesenseins selbst ist nur als eine implizite Forderung nach Sein verständlich zu machen: es existiert in der Weise, das Posterius des ihm zuvorkommenden Seins zu sein. Schelling drückt das so aus: »Die Natur des nothwendig Existirenden (der Begriff, von dem wir ausgingen) bringt es mit sich, daß er existirt, ehe er sich selbst kennt. . . . es ist seyend, ehe es sich denkt, ist also unvordenklicher Weise seyend« (Paulus, 459,^)Die Temporalitätsmetaphorik dieser und ähnlicher Formulierungen könnte Argwohn erregen. Sie könnte Ausdruck des Versuchs sein, in die Selbstreflexion des Wesens einen Keil zu treiben, der es von sich selbst abspaltet: es gäbe dann ein Wesen, das seiner selbst nicht - >noch nicht< - bewußt wäre. Aber das ist Schellings Meinung durchaus nicht: das Wesen verzichtet in keinem Augenblick seines Seins auf vollkommenes Selbstbewußtsein. Aber das, was von seinem Ausgangspunkt weg- und auf sich zuschreitet, ist nicht schon vor seiner Selbstreflexion ein in sich Reflektiertes. Eine solche Darstellung würde sich in den bekannten Zirkel verwickeln, seinen Ausgangspunkt als sich selbst einholen zu wollen. Genau das will das Wesen nicht: es setzt sich als dasjenige 237
Seiende, das, indem es vollkommen bei sich ist, sich nicht auch als Urheber seines Bei-sich-Seins setzen kann oder das, anders gesagt, zwar Potenz, aber nicht Potenz seines eigenen Potenzseins (»potentia potentiae«) ist. Ist es einmal über sein Anderes hinausgeschritten, so hindert nichts, daß es dasselbe »mit zu einem Moment des Denkens« macht (Paulus, 521). Aber das als Moment seiner selbst qualifizierte Andere, das relative An-sich-Sein (II, 2, 57), muß von dem absolut Anderen, dem Sein-selbst, noch unterschieden werden.31 Das Denken hat das unqualifizierte und unqualifizierbare Sein nicht zum relativen, sondern »zum absoluten Prius« (Pos. Ph.y 3 2 / I I 1 2 9 0 . ) und begreift sich selbst progressive als dessen »Folgeals aposteriorischer Erweis seines Seins aus dem offenbaren Faktum seiner Seinsweise als potentia existendi (vgl. Paulus, 440, 457/8)Gewiß zeigt sich die Uberwindung des blinden Seins in den Augen des Wesens als »ein dialektischer« (II, 4, 337), d. h. als ein solcher Schritt, für dessen Urheber sich die Reflexion post festum anschauen kann. Hegels Argument beruht auf diesem Gedanken. Um jedoch als causa sui qua eines Seienden sich ansehen zu können, müßte dem Wesen nicht nur gelingen, sich in der Reflexion aufs Sein als dessen dialektische Alterierung gewahr zu werden (Paulus, 459; II, 4, 337). Da begriffe es sich zwar als Negation des verschlossenen Urseins, als Verwandlung des Actus purus in ein Wesensrelat, in Schein, wie Hegel es beschrieben hat. Aber es würde nie ganz aufhören, reiner Akt zu sein. Vielmehr bewährt sich das Sein
3 1 Schelling pflegte dieses Verhältnis auch so zu charakterisieren, daß er sagte, »das Logische« (die Potenz, das Wesen) stelle »das bloß
Negative
der E x i s t e n z d a r , (. . .) das, ohne
welches nichts existiren könnte
[denn
Existenz
Wesen
587,^;
ist
ein
Konkretum
aus
und
Sein,
vgl.
II,
1,
II, 3, 219/20], woraus aber noch lange nicht folgt, daß alles auch nur dieses
existiert*
(I,
10,
143,3;
e
^enso
1»
I0
>
213/14).
-
Die
durch Un-
terscheidung zwischen »erzeugen« und »realisiren« (II, 1, 562,j) bezeichnet den gleichen Sachverhalt.
238
gerade erst durch die Negation als das nicht A u f z u h e b e n d e 3 2 (Paulus, 470). Das Sein ist zu einem n^ant geworden; es hat sich nicht annihiliert, sondern nunmehr als das auch seinem Wesen nach Unaufhebliche, als wesenhafte Faktizität, erwiesen (II, 4, 3 3 7 ; Paulus, 456 u. 474). Mit einem Wort: Gerade im Akt reflexiver Selbstbestimmung, in dem das Wesen das Sein als Schein qualifiziert, tritt die Gewißheit zutage, daß die Reflexion sich selbst nur als ein Nicht-Seiendes bestimmt, nicht aber als Ursache ihrer Existenz (Paulus, 468 u.) herausstellt. Im Gegenteil ist das Wesen vor seiner absoluten Auflösung ins Nichtsein (etre rien) nur dadurch geschützt, daß es von dem rein Seienden in transitivem Sinne gewesen wird (est ete, wie Sartre sagt). Der Schein ist die Projektion seiner eigenen Nichtigkeit aufs Sein, freilich in der Art, daß durch ihn das Sein zugleich verstellt wird. Das Seiende, das Ist, ist nur in der Form des Seins, als in sich gegangenes (»sich selbst gewordenes») 323 Sein uns zugänglich: als Wesen (Paulus 457,1 u. 516,2): »aus Seyn in Wesen überwunden« (II, 2, 438). Aber es ist ohne sein Wollen, also unvordenklicherweise, in dieser Form: »Es ist in ihr, sowie es ist« (Pos. Ph.> 32/II 133 u.). Um als causa auch des Seins, auf dessen Basis es Wesen sein darf, gelten zu können, müßte das Wesen seine eigne Faktizität setzen. Da müßte es freilich zunächst Potenz, dann Aktus sein (Paulus 460).3 3 Aber das würde auf einen infi32 Schon in der Schrift Vom solute
Negation
Ich (1795) hat Schelling gezeigt, daß
(. . .) sich nicht selbst
hervorbringen
könne),
»ab-
sondern
(. . .) nur im Gegensatz gegen absolute R e a l i t ä t b e s t i m m b a r sei ( I , 1 , 1 9 1 , A n m . 2). 32a Vgl. II, 2, 52: Das rein Seiende ist »das nicht S i c h Seyende, sondern das nur dem Ersten Seyende«. »Nicht Subjekt v o n s i c h s e l b s t , d. h. so (. . .), daß es z u g l e i c h
Objekt ist« (I.e.). Ebenso 85.
33 Im Selbstbewußtsein
geht die Existenz der Essenz v o r a n : das Wesen,
das selbst nur ist als das »Überseyende« (Paulus, 4 6 4 ^ ) , als das gewesene und »überholte Seyn« es dem Sein
(I.e., 4 6 3 , k a n n
wohl
die Modifikationen,
die
widerfahren läßt, sich selbst zuschreiben, aber als faktische
Existenz entbehrt es jeder Rechtfertigung. Durch den zeitstiftenden Schritt
39
niten Regreß führen, da das Können selbst sein müßte, um ein seiendes Wesen zu seiner Folge haben zu können. Ein seines Seins beraubtes Können würde sich unverzüglich in ein Nichtkönnen verwandeln; und nur ein solches würde im Ausgang vom abstrakten Wesen zur Verfügung stehen. Das blindlings Existierende könnte schon seiner Definition nach nicht Folge eines Vermögens sein. Diese Einsicht treibt das Wesen zur Ekstasis. Es ist nur, wenn es »gar nicht als Wesen gesezt, sondern ganz ekstatisch, ausser sich gesezty geradezu das Seyende ist. Das Wesen hat sich nicht entäussert, sondern ist entäussert, ehe es sich denkt. Es ist in ihm das Antipodische aller Idee, aber* in diesem Gegensaze ist es selbst Idee, wegen dieser vollkommenen Umkehrung« (ebd.). Die absolute Priorität der Identität und das Scheitern der Selbsterkenntnis des Geistes Wie dem reinen Aktus des Existierens, der, um aus eigener Macht zu sein, eines ihm vorausgehenden Könnens bedürfte und dadurch sich zerstören müßte, ergeht es der absoluten Einheit von Sein und Wesen auf der letzten Stufe des Hegelschen Systems: im Selbsterkennen ihrer als des Geistes zerbricht sie wieder in die nur scheinbar überwundene Reflexion, die aus sich die Einheit nicht begründen kann. •
läßt es das Sein, das zu »Vergangenheit« v e r f ä l l t , als »ein
Überwundenes«
»hinter sich« (Paulus, 447/8). Dadurch macht es das »unvordenkliche S e y n « »zu einem Moment
von
sich«, von
dem es nun
»sein Wesen
befreien«
kann (Paulus, 5 2 1 , j ) . J e d e H a n d l u n g der neugewonnenen »Freiheit« kann als ein Versuch angesehen werden, der » Z u f ä l l i g k e i t seines Existirens« (I.e., 462,^), durch
der den
»unverbrüchlichen Entwurf
einer
(...)
avdyxT]
selbstgeschaffenen
entgehen: »Der Mensch muss von seinem Seyn
anzufangen
. . . Sich
von
Seyn
sich selbst
des und
Seyns«
-gewollten
sich losreissen,
zu
(I.e.,
befreien,
ist
Welt
um ein die
aller Bildung« (I.e., 464/5). Aber auch dieser in die Z u k u n f t
455,.,) zu freies
Aufgabe zielenden
Freiheit ist vorherbestimmt, daß sie z w a r »die Form des Seins zerbrechen, aber nicht dieses Sein selbst aufheben kann« (Pos.
240
Ph.t
32/II 137).
Es ist erstaunlich zu beobachten, wieviel Überzeugungskraft der Grundgedanke der Hegeischen Methode, daß »das Wahre wesentlich Resultat« sei, durch Rhetorik zu ersetzen hat, wenn der Punkt der Einlösung endlich gekommen ist (vgl. den Schluß der Phänomenologie).* 4 Man kann füglich bezweifeln, ob die >Logik des Begriffs< (und das »Finale« des ganzen Systems) ein gegenüber der Wesenslogik grundsätzlich neues Argument ins Spiel b r i n g t . 3 5 Dieser Zweifel ist an einem Vergleich der reflexiven zur begrifflichen Selbstbeziehung zu erhärten. In der bloß wesentlichen Beziehung des Allgemeinen und des Einzelnen liegt folgender T y p von Relation vor: Die Relate stehen als Glieder einer Se//>5rbeziehung in einem Innerlichkeitsverhältnis zueinander: Das Allgemeine qua reiner Selbstbezug (»Unmittelbarkeit«, »Sein«) unter Absehung von seinem negativen Inhalt, der es secundo loco auch ist, wird durch sich selbst in der Gestalt des Einzelnen (der »Reflexion«, »Grenze«, »Negativität«) als dessen Anderes bestimmt. »Nach innen in Beziehung auf sich« ist das Einzelne selbst allgemein, sowie das Allgemeine in der Beziehung »nach Außen« auf
34 Schon M a r x
wies auf den Schlüsselcharakter des letzten Kapitels
der
zur Darlegung der »Einseitigkeit und (. . .) Grenze
He-
Phänomenologie
gels« hin ( M E W , i . N a d i l a ß b a n d , 574, 3 ). 35 Das müßte sie aber, wenn anders der Satz Recht behalten soll, daß der » G e d a n k e vom sich selber spezifizierenden Subjekt [. . . in der] L o g i k der Reflexion nur vorbereitet, nicht schon erreicht« ist (Dieter Hegel
im Kontext,
Henrich,
I.e., 135). Henrich f ü g t selbst die Frage an, »ob dieses
Buch [die Logik des B e g r i f f s ] einen originären G a n g hat, der ebenso elementar beginnt wie die Logik des Wesens in der E n t f a l t u n g des Begriffs der negierten Negation zur bestimmenden R e f l e x i o n . Die A l t e r n a t i v e dazu wäre, daß alle folgenden Analysen, samt ihren Erweiterungen und schiebungen
der
Bedeutungen
ihrer Terme
vom
Begriff
des Wesens
Verals
einer Voraussetzung dependieren, die ausgezeichnet und basal ist und auf die stets -
implizit oder explizit -
zurückgegangen
werden
muß«
(I.e.,
13$/«).
241
sein Anderes selbst negativ (singulär) wird 3 6: »beide beziehen sich [je] auf sich oder sind Allgemeine, aber ebenso ist nur eins das Allgemeine« und das Andere sodann das Einzelne und umgekehrt (/. R.y 190). D. h. beide sind zumal Allgemeines und Einzelnes; aber in der aktuellen Relation kann nur jeweils eines gerade dieses, und dann muß das andere jenes sein und umgekehrt: »Jedes hat hiermit das, was er innerlich ist, außer ihm zugleich als das Andere« (1. c., 191). Das innerliche Sein eines jeden verstellt sich mit anderen Worten dadurch, daß es »für es ist«, zur Erscheinung eines Anderen, das jenes zwar ist, nicht aber zumal auch als sich weiß. Die Unmöglichkeit, im Sein zumal Zeuge des Seins zu sein - eine Grundeinsicht Hegels etwa gegen Fichte - , dissoziiert Sein und Fürsichsein ohne Möglichkeit einer Koinzidenz beider. 3 7 Die bestimmende Reflexion« korrigiert freilich den Schein. Sie durchdringt die Erscheinung des Anderen auf ihren Grund, löst sie aber nicht actualiter in sich auf (so verfiele sie zu opaker Identität des Seins und würde aufhören, für sich sie selbst zu sein). Die Überführung einer blinden Anschauung in die Innerlichkeit des Gedankens hat aber schon Fichte als ihren unmittelbaren Begriff, d. h. als den Aktus bezeichnet, der einer Erscheinung den Charakter der Ichheit aufprägt. 3 8 Indessen kann die bestimmende Reflexion diesen identifizierenden Aktus weder separat darstellen, noch aus sich selbst erklären. Sie setzt ihn in dem Maße, wie sie Reflexion bleibt, 36 G . W. F. Hegel,
Jenaer
Realphilosophie,
Vorlesungsmanuskripte
zur
Philosophie der N a t u r und des Geistes von 1 8 0 5 - 1 8 0 6 , hg. von J . H o f f meister, H a m b u r g
1969 ( =
P h i l . Bibl. B a n d 67),
190/1.
(Zit.: /.
R.).
V g l . L I I , 296, 3. 37 »Im letzten Abschluß«, sagt Schelling, »zeigte sich, dass jene objektive Bewegung [des Geistes] sich nicht behaupten liess« (Pos. 38 V g l .
neben
B d . I I , Berlin WW I X , bes. 45
242
J . G . Fichte,
Nachgel.
Schriften,
hg.
Ph., von
1937, 355 ff. (bes. 364/5), besonders WW
32/I
157, t > ).
Hans
Jacob,
I I , 31 ff. und
voraus; das Ungenügen an einer solchen Bestimmung treibt das Wesen über sich hinaus in das Feld des Begriffs. Dort soll die Reflexionsbeziehung unmittelbar als solche mit der sie ermöglichenden Einheit zusammenfallen. Der resultierende Begriff wäre demnach zu bestimmen als die für sich selbst bestehende Identität der unmittelbaren Selbstbeziehung< mit sich selbst als »Reflexion-in-sich«, und zwar nun nicht mehr im Modus der Reflexion, sondern als wiedergewonnene »unmittelbare Einheit« (L II, 240). Aber in der Unmittelbarkeit ist kein Zeuge, möchte man einwerfen. Und den sich selbst »vollkommen durchsichtigen Unterschied« als die »eine und dieselbe Reflexion« in ihren beiden Aspekten bestimmen (1. c.), hieße: sie doch wieder der Reflexion zu überantworten und nicht in ihrer Unmittelbarkeit zu denken. Wie löst Hegel dieses Dilemma? Im absoluten Begreifen, erklärt er, durchschaut der Geist das ihm entgegenstehende »Unendliche« als seine eigene »Sichselbstgleichheit«. 3 9 Er durchdringt also den für die Ebene der Reflexion konstitutiven >ordo inversus<, sieht die Endlichkeit seines Sichungleichseins ihrer »wahrhaften Natur« entsprechend (/.£., 30/1) als Unendlichkeit sich enthüllen und begreift sich überdies als in der Beziehung auf Anderes »unendlich« auf sich selbst bezogen »und so sich selbst gleich« (I.e., 181,j). Läßt sich ein solcher Begriff denken? Wir lassen den Zirkel, für den die Formulierung, der absolute Geist finde das Andere seiner (das »Sichselbstgleichsein«) »als sich selbst« (I.e., 182/3), ein besonders gutes Beispiel liefert, auf sich beruhen und sehen zu, wie Hegel seine Formel selbst erläutert. Im Sichselbstgleichsein, sagt er, ist nur die >passive< Beziehung auf sich, diese ist noch nicht als >für sich selbst< seiende Selbstbeziehung gesetzt. - Denn »dadurch . . ., daß das Gesetzte an sich sich selbst das absolut andere dessen ist, als was es gesetzt ist« (I.e., 183, ,), enthüllt sich die Entäu39 G . W. F. Hegel, Jenenser
Logik,
Metaphysik
von Georg Lasson, Hamburg 1967, 181,
1
und Naturphilosophie,
u. 182,
3
hg.
(zit.: / . £ . ) .
43
ßerung des Geistes als eines weiteren Aktes bedürftig, um als »Beziehung auf sich selbst. . . [auch] für ihn« (1. c., 184 u.) und schließlich als er selbst zu sein. Nun ist das »Erkennen« diese abschließende Reflexion, die als »das Ansich der Unendlichkeit das absolut Gleiche in der absoluten Ungleichheit, die Einheit der einfachen Beziehung [Unmittelbarkeit] und der Unendlichkeit [(Reflexion) setzt], die in dieser [der Reflexion] auseinanderfielen und selbst ihre beiden Arme oder Momente sind« (1. c., 183, 2 ). Eine andere Formulierung lautet: »Die Idee ist . . . in dem reinen Gedanken, worin der Unterschied noch kein Anderssein, sondern sich vollkommen durchsichtig ist und bleibt« (L II, 550). Beiden ist gemein, daß sie auf die totale Identifikation des Unterschieds mit der Identität abheben. Der Geist schafft nämlich nicht nur den Brückenschlag zwischen dem Sichgleich- und dem Für-sich-selbst-sich-gleich-Sein (dem Als-sich), indem er jeweils die Anderheit des Anderen dadurch negiert, daß er den Bezug auf Anderes als Selbstbezogenheit und den Selbstbezug als Beziehung auf sein Anderes durchschaut (/. L., 183 u.) - er vollbringt noch mehr: er sieht die absolute Identität der Separata, so daß ihm deren Differenz selbst zum Schein herabsinkt und nur die Endlichkeit unserer Sprache schuld ist, wenn dieses fugenlos dichte Zusammenschließen des Geistes mit sich selbst noch durch reflexive Wendungen wie die von der »reinen [Beziehung] nur auf sich selbst, nicht auf ein Anderes« (I.e., 184), wiedergegeben werden muß. Bis in sein spätes System hat Hegel daran festgehalten, daß die Reflexionsnegation den Geist »wieder [in] seinem ersten Moment, [als] die einfache Beziehung überhaupt, oder dieselbe in ihrer Realität, [als] . . . Unendlichkeit«, herstelle (1. c.). Eine entsprechende Formulierung der Logik modifiziert, daß bei dieser neuen Unmittelbarkeit »nicht [so sehr an] die Wiederherstellung« - so L II, 569, , - als vielmehr an »deren Aufgehobensein« gedacht sei (L II, 548). Diese D i f ferenzierung bleibt aber dann wirkungslos, wenn die erste 244
Form von Unmittelbarkeit bereits implizit als die unendliche Reflexion in Anschlag gebracht war und nun von ihrer expliziten Form unterschieden werden soll. Ein Problem taucht ja bei Hegels Ansatz nicht auf, wenn eine implizit Reflexives zur Reflexion weiterbestimmt und in jenes zurückgenommen werden soll. Das Problem besteht in der Identifikation als solcher. Reflexion kann sich zurücknehmen. Damit ist sie suspendiert, aber keineswegs schon ein Positives gesetzt. Wird jedoch umgekehrt das Irreflexive selbst als Reflexion behandelt, so hebt sich die Reflexion gar nicht erst auf und verhindert also schon dadurch den Gedanken der Identität. Anders gesagt: Einheit von Unmittelbarkeit und Reflexion könnte als solche nur für die Reflexion bestehen und höbe sich dadurch in ihrer Identität auf. Wir zeigten es. Hegel hat diese Schwierigkeit genau gesehen: um die Fugenlosigkeit im Gedanken der Identifikation des Denkens mit sich zu gewährleisten, hat er sich gelegentlich der Formulierung bedient, daß der Geist »so lange in der Zeit« - als der anschaubar daseienden Reflexion - erscheinen müsse, »als er nicht seinen reinen Begriff erfaßt, d. h. nicht die Zeit tilgt« (Phän., 5 5 8).4 0 Dies Tilgen der Zeit*l bzw. - auf
40 Es
gibt eine Reihe
1 7 2 f f . ; Enz.
ähnlicher
I I , 2 5 / 6 ; J. R.t
Formulierungen
(etwa
Enz.
Eigenständigkeit
ihrer
168 f f . ;
2 7 2 / 2 und passim).
F ü r Hegel ist das Denken der D i f f e r e n z schon zugleich ein der
I,
Realität.
sprechend: beweisen, daß es nicht
(Das
ist.
Vgl.
Sein
denken,
Novalis:
Dementieren
heißt »Denken
ihm
ent-
[ist]
der
Ausdruck . . . des Nichtseyns« [I.e., B d . 2, 146, N r . 8 3 ] ) . 41 Die Formel verrät u n f r e i w i l l i g , daß Identität und D i f f e r e n z in
ihrer
Hcgclschen Gleichung doch nicht gleiches Gewicht besitzen: Z w a r
ist die
Wahrheit nur im Werden, aber das Werden ist nicht w a h r . N u r
darum
kann Hegel sagen, die vermeintliche »Wahrheit« der gestrigen N a c h t heute mittag »schal geworden« (Phän.,
sei
8 1 ) . Wenn zutrifft, d a ß die » W a h r -
heit durch Aufschreiben nicht verlieren [ k a n n ] , ebensowenig dadurch, d a ß w i r sie a u f b e w a h r e n « (ebd.), hat die Geschichtlichkeit a u f g e h ö r t , der eigene O r t des Wahren zu sein - mit ihr die nicht-identische R e f l e x i o n .
MS
der Ebene der Idee - der Reflexion beraubt indessen die »Ewigkeit« eines Zeugen, für den sie als Ewigkeit da ist. Und läßt man diesen Zeugen zu, so befindet man sich unversehens wieder auf der Ebene der Reflexion. Der bestimmenden Reflexion, gewiß. Aber gerade sie hat den Begriff noch außer sich: sie schaut ihr Anderssein als sich, ohne es doch geradezu zu tilgen. Damit erhärtet sich die anfängliche Vermutung, diese Dimension der Logik sei in einem ganz anderen Sinne unüberholbar, als Hegel will. Es wäre die Unüberholbarkeit der Reflexion und letztlich - in der Welt des erscheinenden Bewußtseins - der Zeit erwiesen, die in dieser >Krisis<, wie Schelling sagt, A° (die irreflexive Identität) aus ihrer Sphäre herauswerfen müßte und sich als >Einig-von-sich-Unterschiedenes< stets nur in dem Maße präsent wäre, wie sie das »transcendente Seyn« (II, 3, 127, [im Original gesperrt. M. F.]) als ihre uneinholbare Voraussetzung anerkennt. Der Verzicht auf die ewige Einheit von Denken und Sein eröffnet der Vernunft das unendliche Feld einer prinzipiell unabschließbaren Geschichte, in der ihre freie Initiative nicht vom Begriff als Schein entlarvt wird, sondern in welcher sie selbst den Begriff entwirft, unter dem sie antritt.
Dialektische Umkehr oder Umkehrung der Dialektik? Einzelne Reflexionen auf die >Methode< zeigen, daß Hegel sich um eine Lösung des spannungsvollen und heiklen Verhältnisses bemüht hat, in welches sein System die Pole der Unmittelbarkeit und der Wahrheit gegeneinander versetzt. E r hat die Zirkelhaftigkeit seiner Philosophie auch nie geleugnet, sondern einfach als ein Faktum ausgegeben (vgl. z . B . L I I , 570 ff.), das dem Gang der »Sache selbst< entspreche. Die Methode der dialektischen Philosophie müsse gleichermaßen prowie regressiv (L II, 570), ebenso analytisch wie synthetisch sein. Damit sind die schlechten Alternativen, in die eine Kritik 246
vom Typ der Schellingschen sie verstricken will, als Abstraktionen abgewiesen: Analytisch kann die Methode genannt werden, weil sie von Anfang an im Element des Begriffs sich bewegt; sie ist synthetisch, weil der Begriff sich anders wird, sich bereichert und sich als existent »erweist« - allerdings nur innerhalb der von der Analyse beschriebenen Sphäre, in welcher jede Modifikation vorherbestimmt war (L II, 566/7). Rückblickend erweist sich darum auch der Anfang als »abgeleitet« (L II, 567 und 570,0). Denn einesteils ist die Bestimmtheit des Resultats die »Wahrheit« des unmittelbaren Anfangs, der nun (retrospektiv) als »vermittelter«, als der im wörtlichen Sinne >wahre Anfang« sich enthüllt (L II, 568/9). Andererseits ist die Bestimmtheit des Resultats Selbstnegation ihrer eigenen Bestimmtheit, »somit auch Wiederherstellung der ersten Unmittelbarkeit«. In dem Augenblick, da das Resultat aufs neue zu einer fugenlosen Identität gerinnt, muß sich jedoch der nach Bestimmung rufende Mangel des ersten Anfangs wiederauftun - ein neuer und letztlich infiniter Regreß, ein »Kreis von Kreisen« (L II, 571 u.), entstünde, der sein eigenes Identitätsmoment nicht setzen könnte und von der »schlechten Unendlichkeit« gar nicht weit entfernt wäre. Soll man sagen, Hegel habe die Dialektik auf eine solche Bewegung reduzieren wollen? Dem widerspricht energisch seine These, die Wissenschaft sei wesentlich »System«. Ihr gegenüber ließe sich das problematische Wechselbegründungsverhältnis von Unmittelbarkeit und Wahrheit keinen Augenblick lang rechtfertigen, hätte es nicht einen über die Relation hinausgreifenden Bestand in einem Prinzip, welches das Gesetz ihrer Beziehung aus dem Grund ihrer Einheit begreift und regelt. Es ist, mit anderen Worten, unmöglich, die resultierende »Wahrheit« des Systems wieder dadurch hypothetisch zu machen, daß man sie (als sein »Jenseits«) in erneute Abhängigkeit von dem bringt, das sie als Schein gerade hinter sich gelassen hat. Sie würde dann nämlich selbst dialektisch gedacht, nach Art jener »ersten verkehrten Welt« ( P h ä n 1 2 1 f. 2
47
und 25 u.), als welche sich das unbewegte übersinnliche Gesetz gegenüber dem Wandel der Erscheinungen erwies. D. h. aber: sie würde selbst als Moment einer sich noch nicht vollkommen durchsichtigen dialektischen Bewegung gefaßt, dahingegen das Gesetz dieser Dialektik so wenig selbst dialektisch sein darf, wie jene »Tilgung der Zeit< von einem ihrer eigenen Momente (in der Mythologie ist dies gewöhnlich die Zukunft) erwartet werden darf (Enz. II, 50 o.). Anders gesagt: das Phänomen der Dialektik, das Anfang und Ende aufeinander bezieht, bedarf zu seiner eigenen Begründung eines Prinzips, dessen Wahrheit über die Dialektik hinausgeht. »Die Dialektik dagegen ist [nur] dies immanente Hinausgehen, worin die Einseitigkeit und Beschränktheit der Verstandesbestimmungen sich als das, was sie ist, nämlich als Negation darstellt. Alles Endliche ist dies, sich selbst auf/zuheben« in die wahre Unendlichkeit, die nicht mehr nur Beziehungspunkt ist {Enz. I, § 81, S. 172/3 und J. L. 31; vgl. Enz. II, 23 o.). In seinen letzten Lebensjahren hat Hegel die Tragweite jener Dialektik, in der seine Schüler die Seele seines Philosophierens verkörpert fanden, auf überraschende Weise eingeschränkt: Eben weil die Dialektik (im Gegensatz der »Spekulation«) nur die »immanente« Negation des Endlichen ist, fällt sie selbst in dessen Sphäre. Gewiß kann man die »Wahrheit«, »daß in das Letzte alles als in seinen Grund/eingehe« ( 1 , 1 0 , 1 5 7 / 8 ) , auch so wenden, daß das Endliche nur wahr sei »durch sein zu-Grunde-Gehen« (I.e., 158) oder, wie Hegel sagt, sein »zu Gericht gehen« vor dem »Ewigen« (Enz. I, 175). Aber mit dieser Bestimmung, fügt er hinzu, ist »die Tiefe des göttlichen Wesens, der Begriff Gottes noch nicht erschöpft« (ebd.). Darum »bleibt die Philosophie . . . bei dem bloß negativen Resultat der Dialektik [auch] nicht stehen«, sondern durchschaut es als eine >Abstraktion< (Enz. I, 176, »), die noch nicht zur »positiven« Einheit gefunden hat. 4 2 - In diesem 42 Diese »positive Identität« ist also nicht länger eine F u n k t i o n des d i a l e k tischen »Widerspruchs«, k r a f t dessen das Selbständige (das eigentliche Sub-
248
Augenblick verkehrt sich jene erste »verkehrte Welt<, die aus der Perspektive des Individuums die völlig grundlose Anmutung einschließt, »auf dem Kopf zu gehen« (Phän., 25 u.), und wird zur Verkehrung der Verkehrung, in der das Wahre sich manifestieren kann. Und nun zeigt sich definitiv »die an und für sich seiende Welt [als] die verkehrte der erscheinenden« (L II, 161, o). Freilich gehört zur aufgehobenen Erscheinung diesmal auch die (phänomenologische) Dialektik mit hinzu; denn der immanente Ostrazismus des Endlichen 43 wird ja nun selbst aufgehoben. Hätte Hegel diese Einsicht in allen Konsequenzen verfolgt, sie hätte sein System von Grund auf revolutioniert. Indem sich die gesamte Bewegung des Zusichkommens als ein bloßer »Schein« enthüllt (vgl. den § 472 der ersten Aufl. der Enz. [I, 10, 156, J ) , kann der Ausgang bei der scheinbar »unbestimmten Unmittelbarkeit« als bloße Augentäuschung des empirischen Bewußtseins erklärt werden, welches »in einer zeitlichen Bewegung es [bloß] nicht antizipieren [kann], daß der Anfang schon als solcher ein Abgeleitetes sei« (L II, 570). Damit gewinnt aber unversehens auch Hegels Rede von der resultierenden »Existenz« einen neuen Sinn: die Bewegung des Bewußtseins zu seiner Selbsterkenntnis kann dann nämlich als Prozeß sukzessiver Des-illusionierung beschrieben werden, der endlich »einen Punkt erreicht (. . .), auf welchem er seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem, das nur für es und als ein anderes ist, behaftet zu sein, oder wo die Erscheinung seinem
jekt), was es ist, nur ist in der Beziehung auf das Unselbständige.
»Die-
ses »Insofern««, bemerkt A . Sarlemijn genau in diesem Sinne, »läßt sich also nicht auf das G a n z e anwenden« ( A . S., Hegeische
Dialektik,
I.e., 103).
Wenn aber erst diese widerspruchslose »völlige »Sichselbstgleid}heit<« (ebd.) den Kreis des Dialektischen schließt, erweist sich die
auf
züglidye
Schlußstein
Identität
stems
(vgl.
aber
es ist
Enz.
als der II,
nicht T e i l
positive
51: des
»Das
Grund
sowohl
Allgemeine
Prozesses,
nicht
wie
(...) im
lebt
Differenz nur
Prozesse,
als
unbedes
Sy-
Prozeß;
sondern
(. . .)
selbst prozeßlos«). 43 N o v a l i s , I.e., Bd. 2, 395, N r . 55.
249
Wesen gleich wird« und mit ihm »zusammenfällt« (Phän., 75). Die Reflexion, die ihre Gegenstände insgesamt als nichtseiend durchschaut, eröffnet eben dadurch eine (zwar nur negative) Beziehung zur »wahren Existenz« (ebd.). »Im ersten Entstehen«, äußert sich Schelling zu dieser Konsequenz des Hegeischen Systems, »mußte dieses Bewußtseyn vorhanden seyn, denn sonst hätte diese Philosophie nicht entstehen können« (I, 10, 156). Damit ist Hegels Rede von der >Tilgung< der Zeit im letzten Gedanken des Systems noch nicht legitimiert; aber Schelling erkennt ihr Motiv als berechtigt an: denn Hegel unterscheidet implizit das erscheinende Bewußtsein, »für« welches der unmittelbare Inhalt der Vernunft, von der abschließenden »Begriffsgestalt desselben« (Phän., 557), in welcher die selbstbewußte Totalität als der eigentliche Anfang sich ausnimmt. Unglücklicherweise kleidet die Phänomenologie diese Beobachtung in eine Formulierung, die das »in der Wirklichkeit« von dem »in dem Begriffe« Stattfindenden unterscheidet (I.e., 557/8), und verstrickt sich dadurch in den >ordo inversus< der Reflexion, der auch die Terminologie Schellings während der identitätsphilosophischen Phase zweideutig werden ließ. 44 Hegel hat seine Einsicht auch nicht derart radikalisiert, daß er Konsequenzen für eine Neubestimmung dessen, was er die »positive Identi-
44 N o v a l i s hat schon im J a h r e 1795 das »im Bewußtseyn« v o n dem »im
Grunde
sich darstellende
stattfindenden Verhältnis des Seins und der
Re-
flexion unterschieden und jenes als dessen genaues » G e g e n t h e i U durchschaut (Schriften,
I.e., B d . 2, 1 1 5 , N r . 1 8 , Z . 27 fr.). A n d e r s als bei Hegel behält
bei ihm aber - »ordinc inverso« - die Wirklichkeit gegenüber dem Begriff recht, dessen Selbsterkenntnis nicht in der Dementierung jener als des f ü r sich wesenlosen Scheins, sondern in der Durchleuchtung der eigenen kehrtheit« und Nachträglichkeit
gegenüber dem
vollendet. V g l . d a z u : M . F r a n k / G . K u r z , >Ordo flexionsfigur
hei Novalis,
Hölderlin,
»im G r u n d e « inversus<.
Kleist und Kafka.
Zu
»Ver-
ersten sich einer
In: Geist und
Re-
Zeichen,
Festschrift für Arthur Henkel, hg. von H . Anton, B. Gajek, D. Pfaff, Heidelberg »977» 75-97-
250
tät< genannt hat, gezogen hätte (vgl. Enz. I, 176 f. und passim). Für die Bestimmung des Prinzips hat seine Befürchtung, daß die selbstbezügliche Negativität die ursprüngliche und positive Bedeutung des Seins nicht »wiederherstellen« könne, keine Folgen gehabt. Wohl aber hat er sich, dicht vor seinem Tode, während der Überarbeitung des ersten Teils der Logik, einem Grundgedanken des späten Schelling geöffnet, und Schelling hat ihn zustimmend zitiert. 4 5 Wenn der Anfang beim Unmittelbaren nur scheinbar der wahre Anfang ist, gewinnt Hegels Formulierung, der Begriff gehe beim Ubergang vom Sein zur Reflexion eigentlich »in sich zurück«* 6 oder als »Erinnerung« in sein »Inneres« ein4 7, einen unerwartet neuen Sinn. Der Krebsgang der Vernunft in ihr Inneres - in ihren »Grund« - zurück enthüllt sich dann - ordine inverso oder >in Wirklichkeit< - als freie Initiative des Inneren zur Welt. Der die Logik einleitende Essay »Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden« deutet in diese Richtung. Es heißt dort: »So wird noch mehr der absolute Geist, der als die konkrete und letzte höchste Wahrheit alles Seins sich ergibt, erkannt, als am Ende der Entwicklung sich mit Freiheit entäußernd und sich zur Gestalt eines unmittelbaren Seins entlassend, - zur Schöpfung einer
45 V g l . I , 1 0 , 1 5 6 ff. Schelling verweist auch auf Formulierungen der ligions philosophie,
die in vielen Rücksichtcn
an Schelling
sich
Re-
annähert.
46 Von mir kursiv (M. F.). 47 Z . B. ].
R.t
(»Widerspruch«
1 7 9 , 3 ; 1 8 1 u . ; 1 2 8 , . ; L I I , 14 u. im K o n t e x t , I.e., 64 f f . und
>Grund<). -
Bewegung des Dialektischen »Rückkehr«
zum
Übrigens
knüpft
als »Kreisbewegung« -
»Ausgangspunkt« -
beschreibt,
Hegel,
indem
d. h. als
durchaus
an
er
die
vermittelte Hölderlins
oder F r . Schlegels Begriff der »Erinnerung« a n : Sätze wie dieser: »Es ist die Wahrheit der Zeit, d a ß nicht die Z u k u n f t , sondern die Vergangenheit das Ziel ist« (Enz. sie -
I I , 59), sind schwerlich anders zu verstehen, als
wie Friedrich Sdilegcls Zeittheorie das getan hatte - das Sein
Wahrheit der Reflexion machen (vgl. M . F r a n k , Das
Problem
>Zeit<,
daß zur I.e.,
7 0 / 1 und 4 2 9 - 4 3 1 ) . Implicite ist damit aber der romantische A n s a t z , den Hegel kritisiert, ins Recht gesetzt.
Welt sich entschließend, welche alles das enthält, was in die Entwicklung, die jenem Resultate vorangegangen, fiel und das durch diese umgekehrte Stellung mit seinem A n f a n g in ein von dem R e sultate als dem Prinzip Abhängiges verwandelt w i r d « (L I, 70,.,).
Ohne Zweifel hat diese Wendung aus Schellings Perspektive etwas Zaghaftes und Ungefähres ( 1 , 1 0 , 1 5 9 / 6 0 ) , indem sie die Verkehrung der Ohnmacht des Resultats in die freie Tat des Prinzips nicht der Logik selbst, sondern der nachfolgenden Naturphilosophie zuzudenken scheint. Diesen Übergang hat Hegel, wie wir zu sehen Gelegenheit hatten, an seinem Ort in der Tat mit ähnlichen Worten dargestellt. Dennoch macht der Kontext deutlich, daß an ihn nicht oder nicht in erster Linie gedacht ist. Ein unserm Zitat vorangehender Passus lautet: »Man muß zugeben, daß es eine wesentliche Betrachtung ist - die sich innerhalb der Logik selbst näher ergeben wird daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften ist, von dem das, womit der Anfang gemacht wurde, abhängt und in der Tat hervorgebracht wird« (L I, 70, 2 ). Hier ist eindeutig die Rede von einer Umkehrung der logisdien Dialektik selbst, und auch davon, daß nur der >Grund< wahrhaft >sei< und von seinem Sein der Schein des Anfangs abhänge. »Prinzip« und »Grund« bezeichnen ein der Realität nach erstes. Wie dem auch sei: Schelling sah in dieser Wendung, die ihm erst nach Hegels Tod bekannt wurde, den Keim einer Revision, die in Richtung auf eine »positive Philosophie« zielte (1,10,157) aus einer gewissen Skepsis gegen die Möglichkeit motiviert schien, die »Negativität« zu verabsolutieren. 4 8 Gewiß ist ihm nicht entgangen, daß Hegel diese »Umkehrung« doch nur für ein strikt logisches Problem hielt; und er hat seinen Spott über die krude Vorstellung, zu einer 48 »Auch H e g e l « , schreibt er, » w a r im A n f a n g nicht verlassen von Bewußtseyn
der N e g a t i v i t ä t dieses Endes, wie es überhaupt der
dem
andrin-
genden Macht des Positiven, die B e f r i e d i g u n g in dieser Philosophie
ver-
langte, nur allmählich gelang, dem Identitätssystem das Bewußtseyn seiner N e g a t i v i t ä t zu entziehen« (I, 10, 156).
25
praktischen *Schöpfung« bedürfe es nicht mehr, »als dieselben Stufen wieder herabzusteigen, die man hinaufgestiegen ist« (I, 10, 158), so daß »durch diese Umkehrung ( . . . ) der Mensch als (. . .) hervorbringende Ursache der Thierwelt, das Thierreich als hervorbringende Ursache des Pflanzenreichs, der Organismus überhaupt als/Ursache der unorganischen Natur erscheinen u.s.w.« (I.e., 158/9), über Feuerbadv*9 an K a r l Marx weitergegeben. 50 Aber >Umkehr< ist kein rein logisches* Problem. Immer noch schimmert hinter ihrer philosophisch zugerichteten Bedeutung der ursprüngliche Sinn von >Revolution< hindurch und erklärt das Pathos in Schellings Polemik. »In der Logik«, schreibt er, »liegt nichts Weltveränderndes« (I, 10, 153). »Die . . . Umkehrung kann nicht vom Denken ausgehen. ( . . .) Mit dem (. . .) Letzten der rationalen Philosophie ist nichts anzufangen. (. . .) Die Vernunftwissenschaft führt (. . . ) wirklich über sich selbst hinaus und treibt zur Umkehr; diese selbst kann aber doch nicht vom Denken ausgehen. Dazu bedarf es vielmehr eines praktischen Antriebs; im Denken aber ist nichts Praktisches, der Begriff ist nur contemplativ, und hat es nur mit dem Nothwendigen zu thun, während es sich hier um etwas außer der Nothwendigkeit Liegendes, um etwas Gewolltes handelt« (II, 1, 565). 5 1 Natürlich bemüht sich dieser Passus, 49 Ludwig Feuerbach, Das Wesen der Religion,
Ges. Werke, I.e., Bd. 9, 23
( N r . 19). Möglicherweise hat Feuerbach von Schellings Vorlesung
Kenntnis
gehabt. Wir werden darauf zurückkommen. 50 M a r x hat den Ulk wiederholt: in seiner Naturphilosophie,
»In Hegels Geschichtsphilosophie,
wie
gebiert der Sohn die Mutter, der Geist
die
N a t u r , die christliche Religion das Heidentum, das Resultat den (MEW
Anfang«
2, 178,2; vgl. ebd. 12,3). - Als Vermittler kommt auch Engels in Frage,
der 1841 Vergleichbares aus Schellings Mund gehört hat. 51 V g l . zu dem Verhältnis von H a n d e l n - Sein und Denken -
Nichtsein
N o v a l i s : » H a n d e l n ist der Ausdruck/die Äußerung/des Seyns, der R e a l i tät, des Ichs, Denken der Ausdruck/die Äußerung/des Nichtseyns« ( S c h r i f -
ten, I.e., B d . 2, 146, Z . 24 ff.). Eine andere Stelle bei Schelling: »Von einem Entschluß, einer
Handlung
oder gar einer T h a t weiß das reine Denken nichts, in welchem alles mit N o t h w e n d i g k e i t sich entwickelt« ( I I , 3, 173).
*53
die junghegelianischen »Philosophen der Tat< anzusprechen, für deren geistigen Vater Schelling im Grunde seines Herzens sich immer gehalten hat (vgl. z. B. Plitt III, 165/6; 184/5; 3, 90 ff.). Ihnen, die »selbst auch etwas der Art [wie die positive Philosophie] wollten« (II, 3, 90, L>), gibt er zu bedenken, daß es unmöglich sei, eine Philosophie der wirklichen Praxis auf den Fundamenten eines durch und durch logischen Systems zu errichten; ja daß sie, die »in einem steten Fortgange, ohne Unterbrechung und ohne alle Umkehrung« (ebd.) von der Negation zur Position durchzustoßen hofften, in einem schweren Mißverständnis gegenüber der methodischen Grundeinsicht eines nur auf Gedanken gegründeten Systems sich befänden. Erst wenn die außerlogische Wirklichkeit des Prinzips gesichert ist, kann in der Folge eine dialektische Bewegung Realität erwerben. Anders gesagt: erst eine material, d. h. >positiv< fundierte Dialektik könnte gewiß sein, den Reduktionen der Hegeischen Logik zu entrinnen. Offensichtlich will Schelling mit solchen Überlegungen gerade bei der Hegeischen Linken Interesse für seine »positive Philosophie< erregen. Aber sein Programm erschöpft sich nicht in einer rhetorischen Geste zugunsten eines kritischen Aktionismus. Indem es den logischen Charakter des Hegeischen Systems dem Außerlogischen der Praxis überhaupt entgegenstellt, sucht es die Junghegelianer selbst einer Inkonsequenz zu überführen, die darin besteht, daß sie am Hegeischen System festhalten. Darum muß ihr Insistieren auf der kritischen Veränderung letztlich zur bloßen Bewußtseinskritik verkümmern, die Marx unter dem Titel der »kritischen Kritik< ganz ähnlich wie Schelling verspottet hat: »Die spekulative mystische Identität von Sein und Denken«, schreibt er, »wiederholt sich daher in der Kritik [der Junghegelianer] als die gleich mystische Identität von Praxis und Theorie. Daher ihr Ärger gegen eine Praxis, die noch etwas anders als Theorie, und gegen eine Theorie, die noch etwas anders als die Auflösung einer bestimmten Kategorie in die >schrankenlose Allgemeinheit des Selbstbewußtseins< sein will« (MEW 2, 204, 3 ). 2
54
VI
Ludwig Feuerbach — Vom Primat des Unmittelbaren
Unter jenen Kritikern Hegels, die grundsätzliche methodische Einsichten seines Philosophierens für unaufgebbar hielten, hatte Ludwig Feuerbach den nachhaltigsten Einfluß auf das Denken von Marx und Engels. Er war der erste unter den Vertretern der sogenannten Hegeischen Linken, dessen Kritik nicht mehr nur auf immanente Korrektur des grundsätzlich anerkannten >Systems< abzielte; radikaler im Ansatz, suchte sie den Hegeischen Idealismus selbst zu treffen, ihn aufzuheben im Akt seiner totalen Verwirklichung. Die Argumente, mit denen Feuerbach den Idealismus bekämpfte, haben dem Materialismus der Marxisten zu einem Niveau der Reflexion verholfen, das weder von Marx noch von Engels, die zunächst vollkommen an Feuerbach sich anschlössen, übertroffen worden ist. Deren Kritik an seiner Position betrifft denn auch keineswegs seinen erkenntnistheoretischen Ansatz, sondern Konsequenzen, die er aus ihm zu ziehen unterläßt. Beide Argumentationsgänge, sowohl der, durch welchen sich Feuerbach vom Hegeischen Idealismus absetzt, wie derjenige, durch welchen Marx diesen Ansatz seinerseits überschreitet, lassen sich als Kapitel der ungeschriebenen Wirkungsgeschichte Schellingschen Denkens im 19. Jahrhundert darstellen. Natürlich kommt innerhalb einer solchen Darstellung, die wir im folgenden versuchen wollen, Feuerbachs Grundlegung des Materialismus ein vordringliches Interesse zu: nicht nur, weil sie allein die Fessel des idealistischen Denkens sprengt und der Marxsche Ansatz, indem er darüber hinausgeht, sie zugleich voraussetzt; sondern auch deshalb, weil Marx seinen Einwand gegen die Ungeschicklichkeit einer bloß naturalistisch fundierten Anthropologie zum Teil wieder mit Argumenten bestreitet, die auf Einsichten der idealistischen Dialektik zurückgreifen. Uns muß daher zuerst an dem Nachweis gelegen sein, daß 2
55
Argumente von Schellings Auseinandersetzung mit Hegel in dem von Marx und Engels übernommenen Feuerbadischen Ansatz wiederzufinden sind. Eine Diskussion der frühesten systematischen Abrechnung Feuerbachs mit der Hegeischen Philosophie ist für unsere Absicht heuristisch besonders geeignet, da sie zugleich mit Schelling auf einen Dialog sich einläßt und unserer Suche nach Belegen für Feuerbachs Schellingrezeption einen Leitfaden an die Hand gibt. Zur Kritik
der Hegeischen Philosophie
(1839)
Hegels Philosophie, so argumentiert Feuerbach, sieht eine »Inkarnation« der Idee in der raum-zeitlich beschränkten Wirklichkeit vor. 1 Wird sie als vollständig gedacht, so denkt man »ein absolutes Wunder«, den >Untergang der Welt«2: denn man denkt die Aufhebung desjenigen Prinzips, das die Wirklichkeit zur Wirklichkeit macht: ihre Geschichtlichkeit, ihr Sein außer der Idee, ihre Unangemessenheit ans Wesen (21). Wird unterstellt, daß im resultierenden Akt der absoluten Selbsterkenntnis Wesen und Wirklichkeit fugenlos koinzidieren und die Vernunft die Sphäre ihrer zeitlichen Erstreckurig restlos in sich zurückholt (vgl. 25 u.), so ist mit der erfolgreichen Arretierung der Zeit und der damit verbundenen Aufhebung der bestimmten zeitlichen Verwurzelung (*Voraussetzung*) die 1 Ludwig Feuerbach, Zur Kritik der Hegeischen Werke, I.e., Bd. 9, 20 f. (zit.: Kritik). 2 Kritik,
Philosophie,
Gesammelte
I.e., 20 (Zitate aus dieser Schrift werden bis auf weiteres durch
eingeklammerte Z a h l e n im laufenden T e x t belegt). Wie sehr dieser Ansatz zu einer K r i t i k des Hegeischen
Inkarnationsgedan-
kens zumal Selbstkritik des früheren Hegelianers ist, zeigt ein Brief
aus
dem
der
Jahre
1824,
in
welchem
Feuerbach
begeistert
»den
Untergang
Welt« als »den ersten A n f a n g aller Philosophie« begrüßt ( L . F. an D a u b , Berlin Ende 1 8 2 4 ; hg. von C a r l o Ascheri. I n : Natur Karl 450)-
2S6
Löwith
zum
70. Geburtstag.
Stuttgart, Berlin,
und
Karl
Geschichte.
Köln, Mainz
1967,
Realität und Individualität 3 einer so sieh verstehenden Philosophie in Zweifel gestellt (22/3). Tatsächlich nimmt Hegels Negation jeder außerlogischen Voraussetzung der als Unterwerfung alles Partikulären unter die Einheit des Systems gedachten Wissenschaft (25) mit dem ersten Schritt, den sie tut, Abschied von »dem Sein selbst, d. h. dem wirklichen Sein« (23), und beginnt statt dessen mit »dem Begriffe des Seins« (23), d. h. mit dem unmittelbaren, gar nicht nicht-zudenkenden Inhalt der Vernunft (23/4). Nun ist die Notwendigkeit eines Gedankens offensichtlich nicht ohne weiteres abhängig von dem zufälligen raum-zeitlichen Kontext, in dem er sich aufdrängt: An seiner Voraussetzungslosigkeit zweifeln hieße mithin: an der Vernunft zu zweifeln, die als sein Inhalt sich affirmiert. Aber gerade dieses Argument, das die Voraussetzungslosigkeit des »Gangs der Wissenschaft« (24) in der Unabweisbarkeit der Wahrheit zu garantieren sucht, daß die Vernunft als notwendiger »Kreislauf« in sich selbst zurückführt und darum »schon vorher des Ausgangs (ihrer) Sache gewiß« (24) ist, zollt in Gestalt einer ebenso absichtslosen wie folgenreichen Voraussetzung ihren Tribut an die mißachtete Geschichte: Hegels Phänomenologie widerspricht ihrem eigenen Programm und hört auf, ein Lernprozeß der Vernunft zu sein, die beim Allerleersten fühlt nicht stehenbleiben zu können und so bis zur Einlösung ihrer konkreten Totalität sich weitertreibt, eben weil sie - jeder >Erfahrung< zuvor - ihrer Wahrheit schon gewiß war, weil sie sicher sein konnte, im Zugeständnis einer Voraussetzung nicht wirklich aus ihrer Sphäre herauszutreten, ja weil sie die Voraussetzung als solche nur statuieren konnte auf der Basis ursprünglicher Bekanntschaft mit ihrem vollen Begriff. Mit dieser Supposition erweist sie sich aber als Nachfolgerin der Fichteschen Wissenschaflslehre, und zwar keineswegs nur in einem logisdien Sinn (den sie selbst anerkennt), sondern als empirischer Reflex einer 3 »Entwicklung ohne Zeit
ist soviel als Entwicklung ohne
(Feuerbach, Vorläufige Thesen Bd. 9, 253. [ Z i t . : Thesen]).
zur
Reformation
der
Entwicklung«
Philosophie,
I.e.,
257
ganz bestimmten zeitgeschichtlichen Konstellation, die über ihr Selbstverständnis hinausragt. Gewiß steht Feuerbach zu wesentlichen Einsichten der Hegelschen Fichtekritik: Der reine Gedanke hat sich wirklich und zeitlich vor seinen eigenen Augen darzustellen (25), um die abstrakte Unbestimmtheit seines Anfangs in die für ihn selbst und für andere sichtbare Fülle seines Wesens zu entwickeln; nur wenn er mit seiner Darstellung gleichen Schritt hält, ist er vor jenem Rückfall hinter sich selbst geschützt, der wie bei Fichte - das Sein vom Sollen (24/5) trennt. Indessen ist jede Darstellung intern auf ihr Darzustellendes bezogen. Über dem Prozeß der Repräsentation muß dieser Inhalt dem Darstellenden (der Reflexion) infolge einer notwendigen Abstraktion als das, was er an sich selbst ist (Undargestelltes), aus dem Blick geraten (»Ich setze das Darzustellende als nicht seiend« [25]). Diese Inversion muß dann aber am Schluß - wenn die Darstellung ihren Inhalt erschöpft hat - durch eine weitere Umkehrung korrigiert werden: »Die absolute Idee« - nur scheinbar voran-, in Wahrheit in sich zurückschreitend (25) - »nimmt ja selbst ihren Vermittlungsprozeß zurück, faßt den Prozeß in sich zusammen, hebt die Realität der Darstellung auf, indem sie sich als das erste und letzte, als das eine und alle zeigt« (26). Mit anderen Worten: Die wieder unmittelbar gewordene Idee erweist sich am Schluß auf eine nicht umkehrbare Weise als gegenüber ihrer Darstellung wesentlich (33 ff.); denn die Darstellung (Vermittlung) hat ihr Material sowohl wie ihren Kompaß an der Unmittelbarkeit der Idee, während die Idee ihre reale Vermittlung, ihre »extensive Existenz« (26) wieder aufheben muß. Gewiß enthüllt sie sich in letzter Instanz als die mit ihrer Reflexion identifizierte (von ihr also keineswegs losgelöste) Unmittelbarkeit: doch ist von der Reflexion zu sagen, daß sie nur aufgrund ihrer vorreflexiven Bekanntschaft mit der Unmittelbarkeit der Idee überhaupt in Gang kam. Diese Bekanntschaft schließt aber eine relative Indifferenz der Idee gegenüber der Reflexion ein, die im nachhinein gleichsam laut ausspricht, 258
was ihr schon anfangs bewußt war: Die Idee tritt ihren Selbstbeweis in der und durch die Reflexion nur unter der Voraussetzung eines ihrem Beweis zuvorgekommenen Selbstbewußtseins an. Ein echter Fortschritt der Erfahrung findet nicht statt; die als Unmittelbarkeit in Anschlag gebrachte Vermittlung bestätigt im Resultat die Vernünftigkeit dieser Voraussetzung. 4 Aber nun zeigt sich wider Willen, daß nicht die Unmittelbarkeit an der Vermittlung ihre Wahrheit haben wird, sondern diese an jener ihre Wahrheit schon hatte. Und für den Beweis des genauen Gegenteils, nämlich der relativen Unselbständigkeit des unmittelbaren Anfangs gegenüber der Vermittlung (Bestimmung), war die Hegeische Philosophie, ihren Vorgängerinnen zur Lehre, auf den Plan getreten. Die Voraussetzung, auf die sie sich unbewußt stützt, besteht also in der Supposition eines transreflexiv Unmittelbaren und der gleichzeitigen Reduktion dieses Unmittelbaren auf die Vermittlung. Statt aber die Einheit der Unmittelbarkeit in ihrer ersten mit der in ihrer letzten Bedeutung bewiesen zu haben, hat sie nur die Einheit der Darstellung und der Selbstaufhebung eben dieser Darstellung (im eigenen Medium) hergeleitet. Anders gesagt: sie hat die vorausgesetzte Einheit der Vernunft mit sich selbst, nicht aber deren Einheit mit einem Sein, welches nicht Vernunft, welches echter Gegensatz der Vernunft ist, erwiesen. Sie ist »daher (. . .) (nur) eine Vermittlung des Gedankens in und für den Gedanken selbst« (28).5 Von einer reellen Vermittlung erwartet man aber, daß sie die Brücke zwischen dem »in sich selbst eingeschlossenen 4 Eine neue philosophische Methode, sagt A d o r n o ,
»kann sich nicht
wie
Hegel auf das »reine Zusehen« verlassen, das die Wahrheit einzig
darum
verspricht, weil die Konzeption
Objekt
der
Identität
von Subjekt
das G a n z e trägt, so daß das betrachtende Bewußtsein
und
seiner selbst
um
so sicherer ist, je vollkommener es im Gegenstand untergeht« ( P h i l o s o p h i e
der neuen Musik, Frankfurt/M. 1958-, 33). 5 »Die Hegelschc Philosophie«, heißt es in den Thesen, des Widerspruchs
von
Denken
innerhalb des Widerspruchs des Denkens« (I.e., 257).
und Sein
»ist die A u f h e b u n g
(. . .), aber, wohlgemerkt,
- innerhalb des einen Elementes -
nur
innerhalb
2
S9
Denken« und seinem »Anderen« (29)6 schlage. Sobald ihr Ziel erreicht ist, hätte sie als eine wenn auch unabdingbare Form, als bloßes Medium der Darstellung, sich zu durchschauen und zurückzunehmen. Statt dessen aber »macht (Hegel) (. . .) die Form zum Wesen« (33). 7 Seine Absicht ist, die Unmittelbarkeit des Seins vollständig aus dem immanenten 6 Dieser
Ausdruck
meint
ebensowohl
ein
Anschauungsobjekt
S u b j e k t - A n d e r e n , ein » D u « (I.e., 29). »Alle Darstellung, alle tion«, erläutert Feuerbach, »hat ihrer ursprünglichen
wie
einen
Demonstra-
Bestimmung
zufolge
(. . .) zu ihrem Endzweck den Erkenntnisakt des andern« (I.e., 32). G a n z ähnlich
hatte Schelling gegen Hegel
argumentiert:
» (...)
f ü r wen
soll
sich die Idee fdurch ihre Darstellung in der Wirklichkeit] bewähren? Für sich selbst? A b e r
sie ist die ihrer selbst sichere und gewisse
v o r a u s , daß sie im Andersseyn sie sich zu bewähren
nicht untergehen
f ü r einen
Dritten, einen
wird
und
weiß
(. . .). Also
hätte
Zuschauer?
Aber
dieser? A m Ende soll sie sich doch nur f ü r den Philosophen
wo
ist
bewähren«
(I, 10, 1 5 3 ; v g l . den K o n t e x t , weiterhin Pos. Ph., 34 I I / 1 9 6 [ = 3 2 / 1 1 5 0 ] ! ) . 7 » J e d e Darstellung der Philosophie«, sagt Feuerbach, »hat nur und kann nur haben die Bedeutung eines Mittels. Jedes System ist nur nur Bild
der Vernunft, daher nur Objekt
Ausdruck,
f ü r die Vernunft, welches sie
(. . .) v o n sich unterscheidet und sich gegenübersetzt. Jedes System, welches nicht als bloßes Mittel derbt
erkannt und angeeignet w i r d , beschränkt
den Geist, denn es setzt das mittelbare,
und v e r -
f o r m a l e Denken
an
die
Stelle des unmittelbaren, ursprünglichen, materialen Denkens« (I.e., 32). In diesem Punkt trifft sich Feuerbachs methodische K r i t i k an Hegels Philosophieren mit dem Selbstverständnis des Schellingschen. G e h t man d a v o n aus,
daß
der S a t z :
»Das
Absolute
(A)
vermittelt
sich
(A*)
mit
seiner
F o r m ( B , seinem Anderssein), negiert die Form und wird konkretes A b s o lutum (A =
B)< f ü r beide Systemtypen gilt, so läßt sich Schellings Posi-
tion so differenzieren: »Das Absolute (A) vermittelt sich ( A ' ) in der Form (B).
Die
Form
ist bloß Medium
seiner R e f l e x i o n , seiner
Darstellung
-
sie ist nicht es selbst. Diese Unterscheidung t r i f f t Schelling - hierin Fich-
teaner -
explizit z. B. in den Stuttgarter
Privatvorlesungen
von
1810
( 1 , 7 , 421 ff., bes. 426 f.) durch die Abhebung des »Wesens an sich« ( A ) von dem
»Wesen in der Form*«: Beide treten
diese ist die Position
von
nur zusammen
jenem, d. h. sie artikuliert
auf;
aber
die vordem
ver-
schlossene Identität als Sichselbstgleichsein; freilich in der Weise, daß die r e f l e x i v e Beziehung eine absolut identische Selbstbez'iehung
nur sein k a n n ,
wenn diese ins absolute Wesen sich aufhebt, d h. selbst »absolute ist (eine wirkliche
Form«
Differenz der R e l a t a träte erst a u f , w o von der E i n -
gebundenheit beider ins absolute Wesen abgesehen würde). N u r so kann aber Rechenschaft abgelegt werden über den Gebrauch der R e f l e x i v p r o n o -
260
Funktionieren der Vermittlung zu erklären (33, Z. 9-12). Aber was wäre durch den förmlichen Nachweis der Unmittelbarkeit gewonnen? Nicht mehr, als daß in dem Maße, wie er glückt, zumal die Unselbständigkeit der sie beweisenden Form ans Licht kommt (40). Die Hegeische Reflexion »verstellt« sich mithin: »Sie tut nur so, aber es ist nicht ihr Ernst; sie spielt« (ebd.). Denn was sie für eine Leistung der vermittelnden Reflexion (also für die relative Abhängigkeit der 1. von der 2. - vermittelten - Unmittelbarkeit) 8 ausgibt, mina in dem S a t z : >Das Absolute vermittelt sich in der Form mit -
sich*.
A n d e r s : Um sagen zu können, es sei das Absolute selbst ( A ) , das sich
(A*) mit der Form (B) vermittelt, muß es sich schon als Absolutum
an-
setzen, das sich in seiner Form (seinem Spiegelbild) darstellend e n t f r e m d e t und
durch
>Reflexionsnegation<
Macht man hingegen -
aus
der
wie Hegel -
Entfremdung
zurückgewinnt.
die Vermittlung
selbst zum
des Absoluten (»das Absolute selbst ist die Vermittlung zu
durchdringen,
setzung
haben
eine
prä-formale
Kenntnis
von
und die f ü r sich gesetzte Form
A
auf
Inhalt
von A und
so entsteht die Schwierigkeit, daß B, um als die Wahrheit zu
von
seiner
-
B<),
A
sich
Voraus-
diese Weise sich
als
jenem gegenüber unwesentlich erfahren müßte. Feuerbach steht in dieser S t r e i t f r a g e sachlich auf
Schellings Seite.
Beide
denken nicht d a r a n , die R e a l i t ä t der V e r m i t t l u n g zu leugnen (ihr P h i l o s o phieren besteht nicht zuletzt darin, ihre N o t w e n d i g k e i t zu e r k l ä r e n ) ; sie bestehen jedoch auf dem Zugeständnis, daß, damit Vermittlung sein könne, das Unmittelbare schon vorausgesetzt
werden
müsse, und z w a r
als
eine
nicht selbst vermittelte (reflexive oder negative) G r ö ß e .
Wolfgang Wieland (Die Anfänge der Philosophie Schellings und die Frage nad) der Natur. In: Natur und Geschichte, I.e., 406-440) hat in einer luciden
Analyse
konnte, die
den
Sinn
Reflexion als
verteidigt,
den
»bloßes Mittel«
Schelling zur
damit
Darstellung
verbinden
eines
seinem
eigenen Begriff nach Undarstellbarcn (nicht als »Selbstzweck«) zu
behan-
deln (I.e., 424). hin solches Argument
t r i f f t übrigens noch den geheimen
Idealismus
der
modernen Hermeneutik und Sprachphilosophic, die das Sein ihrer G e g e n stände auf das fetischisiertc historische Bewußtsein b z w . auf den
Fetisch
Sprache reduzieren (vgl. Feuerbach, Kritik,
I.e., 42 ff.).
8 Zur
Begriffs der Unmittelbarkeit
einer
Kritik bloß
sten, des
an
Hegels
anstrakten abstrakten
Materialismus,
Verwendung
»Eigenschaft«, Begriffs« v g l .
besonders in Beziehung
des eines
»Moments
Feuerbach,
Uber
des
Allervermittelt-
Spiritualismus
auf die Willensfreiheit,
als und
I.e., Bd. 1 1 ,
1 5 1 >.,. Wirkliche Unmittelbarkeit kenne Hegels Philosophie gar nicht.
261
war ihr »schon vorher. . . eine unmittelbare Wahrheit (. ..). Der Beweis ist so nur ein formeller* (40). Die Darstellung »abstrahiert [ja] von der Präexistenz des Verstandes«, d. h. »von dem vor der Darstellung Gewußten« (33). Damit unterliegt sie aber der Zirkelbewegung eben jener Reflexion, welche »in dem Gegensatz der Idee schon eine Prämisse erkennt, die sie selbst sich vorausgeschickt hat« (40). »Hegel hat sich nicht entäußert, nicht die absolute Idee vergessen, sondern er denkt schon den Gegensatz, aus dem sie sich erzeugen soll, unter ihrer Voraussetzung« (39; vgl. 46). Anders gesagt: Die Idee, scheinbares Resultat der selbstbezüglich gewordenen Negation, ist in Wahrheit deren ursprüngliche, aber uneingestandene Ermöglichungsbedingung. Nun gibt sich Feuerbach keineswegs damit zufrieden, Hegels Philosophieren eines fehlerhaften Zirkels zu überführen (das wäre von einem Fichteschen point de vue 9 - also inneridealistisch - ebenso gut möglich gewesen). Er zeigt vielmehr, daß bei solcher Anlage seines Systems Hegel außerstande sein mußte, die Realität des Unmittelbaren in den Blick zu bringen. Die Entscheidung, sämtliche Gegenstände in der Potenz der Reflexion darzustellen, das angeschaute Sein oder das Unmittelbare (35) nur als »ein Gesetztes, Abhängiges, Vermitteltes« (34) gelten zu lassen, legt von vornherein fest, daß »nun und nimmermehr ein Unmittelbares« (ebd.) in den Maschen des Reflexionsnetzes hängen bleiben wird. 1 0 Was unter diesem Titel abgehandelt wird, ist kein wirklich Anderes der Idee - als ein solches kann Hegel es nicht denken, weil 9 dem Sätze wie diese: »Das Denken Denkens«
(I.e., 34), u n d :
i n w i e f e r n es Selbsttätigkeit
ist früher
»Das Denken
als das Darstellen
ist eine unmittelbare
darum
das Nichtwissen
ironisches Nichtwissen. »Sein«, sie sagt
Die
Tätigkeit,
ist« (1. c., 27), nahe genug stehen.
1 0 »Das Sein [ist f ü r H e g e l ] nichts anderes als die Idee barkeitt
des
der
Idee von sich am
Idee spricht
»Wesen«, aber sie denkt
in ihrer Anfang
anders, als sie d e n k t ; dabei
nur
sich. N u r
Unmittelnur sie am
ein sagt Ende
spricht sie, wie sie d e n k t ; hier widerruft sie aber auch, was sie am A n f a n g ausgesagt, und sagt:
Das, was ihr bisher, am
A n f a n g und
im
Verlauf,
f ü r ein anderes Wesen gehalten habt, seht, das bin ich selbst« (I.e., 4 1 ) .
262
er die Erkenntnis mit der Vermittlung erst beginnen läßt sondern nur der als immediat aufgegriffene (und als solcher verschwindende) eigene Inhalt der Reflexion. Darum ist sein Formalismus auch zur Selbstaufhebung gezwungen: Er kann seinen Satz, das Sein sei das erste, nicht als eine Wahrheit aufrechterhalten: Es »wird am Ende revoziert; es erweist sich als der nicht wahre Anfang« (35). Als wahrer Anfang enthüllt sich statt dessen, als was die sich selbst gleiche Vernunft ihre erste Gestalt immer schon unterstellt hatte (ebd.): die Reflexion, die eben darum, weil sie das Sein nur über den Begriff (mediat) erreicht, sich selbst als das wirklich Unmittelbare begreift (ebd.). Hegels These, das Wahre könne, weil es sich »als solches beweisen, d. h. darstellen« müsse (35/6), »nur das Resultat sein« (35), führt sich mithin selbst ad absurdum. Denn zu fragen bleibt: »Wie erweist es sich denn, wenn das Sein selbst schon die Idee voraussetzt, also die Idee schon an sich als das erste vorausgesetzt ist?« (36) Nur unter der Voraussetzung nämlich, daß, wer das Sein zugibt, es als Implikat der Idee betrachtet, ist die Idee die Wahrheit des Seins. Diese Voraussetzung bewährt sich dann freilich am Schluß auch nur als Gewißheit einer zuvor schon garantierten (prästabilierten) Gleichung der Reflexion mit sich selber. Einem solchen System kann es mit der Entzweiung nicht ernst gewesen sein: statt das schlechthin »Andere« der Vernunft, ihren »Gegensatz« (37/8), in sich »aufzulösen« (37), hat diese »Dialektik« nur als ein »Monolog der Spekulation mit sich selbst« bestanden (37): »Die einzig voraussetzungslos beginnende Philosophie ist die, welche die Freiheit und den Mut hat, sich selbst zu bezweifeln, welche sich aus ihrem Gegensatz erzeugt« (38). 1 1 Der Gegensatz zu einem in sich selbst eingell von
Sehr ähnlich schon Schölling: vorn
anfangende
Die
Philosophie«
»natUrlid) fortschreitende,
erreicht
die
Ebene
des
wirklich
Begriffs erst
nach dem Durchgang durch ihr Anderes, die durch Anschauung vermittelte N a t u r r e a l i t ä t ( I , 10, 140 und 138,.,). Sie kennt darum auch keine » B e g r i f f e , die das R e a l e noch außer sich haben« (I, 10, 1 3 9 / 4 0 ) . »Wirkliches Denken
263
schlossencn Denken kann nur ein dem Begriff des Seins der natura necessaria - opponiertes irreflexives Sein bzw. dessen Advokat, die »sinnliche Anschauung« (36), sein. Um zu ihr zu gelangen, muß das Denken ganz mit sich abbrechen, über seine Immanenz hinausschreiten und sich auf »einen Dialog der Spekulation und Empirie« einlassen (37). Erst wenn es aus ihm zur Einheit zurückfindet, wenn »der Gedanke diese Sich-selbst-Entgegensetzung bestanden und überwunden hat, ist er ein bewiesener« (37) - die Dialektik kein Schein mehr. Vor dem schwebt sie im »widerstandslosen Äther< der Reflexionsbestimmungen, als ein des Seins Beraubtes 1 2 , das eben darum, weil es nur »für sich (. . .) das erste«, »an sich« (35) das zweite ist. Ihm ist aber zu »Recht« die Anschauung «zu opponieren«, und sie wird die Logik »mit den Worten: Du bist judex in propria causa« (36), zur Rechenschaft ziehen.
Die Kritik der Schellingschen Naturphilosophie In diesem Punkt besinnt sich Feuerbachs Kritik an Hegel der Vorläuferschaft Schellings, dessen »positives Verdienst« (51) er ausdrücklich würdigt. Z w a r bestreitet er, daß die »Naturphilosophie« von dem Fichte- und Hegeischen System sich darin unterscheide, daß es ihr etwa ernst damit gewesen sei, aus einem wirklichen Gegensatz zur Idee sich zu erzeugen. 13 Vor der Philosophie der Ichheit (39) zeichne ist, wodurch ein dem
Denken
Entgegenstehendes
überwunden
wird.
Wo
man nur wieder das Denken und z w a r das abstrakte Denken zum I n h a l t hat, da hat das Denken nichts zu überwinden« (I, 1 0 , 1 4 1 ) . 1 2 »Wem du das Sein nimmst, dem nimmst du alles« (Feuerbach,
Kritik,
I.e., 37). 1 3 Z w a r erklärt Feuerbach es f ü r Hegels Verdienst, »den Schoß der absoluten Identität mit dem Samen des Begriffes (des Fichteschen Ichs)« (I.e., 39) befruchtet zu haben. Indem er aber so weit gegangen sei, Schellings »Anschauung« f ü r ein unwesentliches Moment der allein wahren erklären, habe er das » p u r e Verstandeswesen«
264
der
Idee zu
Transzendentalphiloso-
sie sich indessen dadurch aus, daß sie das rein »negative Verhältnis zur Natur« (50) als dem Inbegriff aller Realität aufgegeben; und vor der Hegeischen, die mit einer nicht eingestandenen »unmittelbaren Voraussetzung ihrer selbst« (45) beginnt und ihre sinnliche Entäußerung nur simuliert, daß sie ihre Voraussetzung unter dem Titel der »intellektuellen Anschauung« (40) ehrlich einbekannt habe (vgl. 46). Erübrigt sich unter diesen Umständen Hegels unfruchtbare Polemik gegen den Anfang der Naturphilosophie, so erweist sich nach Feuerbachs Anschauung diese Voraussetzung selbst als steril und bringt Schelling um den Erfolg seiner übrigens wahren Intuition: Diese »war (. . .) in der Tat (. . .) der umgekehrte Idealismus« (46), nämlich der Weg von der Anschauung eines Seins, das nicht schon Begriff ist, zu dessen Selbsterkenntnis. Insofern verkörpert Schelling Hegel gegenüber »das materialistische Prinzip«. 1 4 Freilich konnte diese Umkehrung nicht radikal werden, wenn sie inkonsequent unter der Prämisse einer prästabilierten »Identität von Subjekt und Objekt, von Geist und Natur« antrat, und zwar »so, daß die Natur in dieser Einheit nur die Bedeutung des (. . . ) vom Geiste Gesetzten hatte« (46). Audi hier wird nämlich kein echter Gegensatz überwunden: die Natur als die unterm Exponenten der Realität befaßte Identität ihrer und des Geistes enthüllt sich als eine sich selbst undurchsichtige Entäußerung eben derselben Identität unterm Exponenten des Geistes (vgl. 48/9). Trotzdem ist die bloße Anerkennung ihrer relativen Eigenständigkeit transparent für eine dem abstrakten Idealismus diametral »entgegengesetzte Anschauung« (47) der Natur; und es läßt sich absehen, daß sie mit dem von Schelling eingeschlagenen »Weg« (ebd.) in Widerstreit geraten, daß dieser »Zwiespalt zwischen dem die Natur negierenden Idealismus und der den
phic erneuert, die Schelling gerade überwunden hatte (Feuerbach,
sätze der Philosophie
der Zukunft
[zit. Grundsätze],
Grund-
I.e., Bd. 9, 282 und
298).
14 Thesen, I.e., 256. 265
Idealismus negierenden Naturphilosophie« (48) die Schellingsche Einheitsthese gefährden mußte. Gewiß durfte der Geniestreich, »das Prädikat, worin beide übereinstimmen [die Absolutheit], zum Subjekt« zu machen (ebd.), für sich in Anspruch nehmen, die ganze Alternative von Idealismus und Naturalismus unter sich zu lassen. Aber die von ihren Relaten entblößte und zum Absolutum hypostasierte Identität (48/9) konnte nicht verhindern, daß Natur und Geist dort, wo allein ihr Wesen sich zu bewähren vermag: in der erscheinenden Wirklichkeit, auseinanderklaffen. 15 Nicht sie aber hatte Schellings Philosophie zum Objekt, sondern stets nur das eine Absolute, nämlich »das Absolute als Natur« oder »das Absolute als Geist« (49). Erscheinend verwandelt sich dies Absolute in ein non-ens, und als Absolutes erscheint es nicht. »Die Naturphilosophie brachte es daher auch nur zu verschwindenden Bestimmungen und Differenzen, d. h. zu D i f ferenzen und Bestimmungen, die in Wahrheit nur imaginäre, nur Vorstellungen von Unterschiedenen, aber keine realen Erkenntnisbestimmungen sind« (50). Aus diesem Grund liegt aber nach Feuerbachs Anschauung »die positive Bedeutung der Schellingschen Philosophie« nicht in der Identitätsthese, sondern »nur in der N<*tarphilosophie«, und in ihr auch 1 5 »Wird«, erklärt
Feuerbach
( K r i t i k , I.e., 49),
»das
Absolute
gewußt,
d. h. wird es aus dem Dunkel der absoluten Bestimmungslosigkeit, w o es nur ein Objekt der Vorstellung und Phantasie ist, an das Licht des griffes gezogen, so w i r d es nur gewußt entweder Eine Wissenschaft des Absoluten
als solchen
als Geist oder
Be-
Natur.
gibt es nicht.« Bekomme ich
es sowieso nur in N a t u r - oder Geistesgestalt zu fassen, so »kann (ich . . .) geradezu das Absolute aus der N a t u r p h i l o s o p h i e Feuerbachs
Radikalisierung
darin, daß
er den
Subjekt-Objekt«
als
»Wiederherstellung
am
Ende sich
die der
des Schellingschen von
Natur
der
Ansatzes
herstellenden Superstition
überhaupt«
wegstreichen« (I.e.,
(I.e.,
besteht
»Begriff eines 50)
der
also
w a h r h a f t , nicht bloß
pro
f o r m a beginnst,
[mußt
Absoluten
wieder auf die Anschauung zurückkommen« (L. F . , Fragmente
teristik
meines
Bd. 10, 179).
266
philosophischen
curriculum
vitae
als
befreite
interpretiert. du]
nur
Natur
»das erste muß auch das letzte sein«, und »wenn du mit der ung
50).
Denn
Anschau-
zuletzt zur
[zit. Fragmente],
auch Charak-
I.e.,
nur so weit, als sie dem Gedanken die Realität opponiert (50). Nicht daß sie Realität auf die Idee reduziere, wie Hegel es tat, war ihr vorzuwerfen, sondern dies: daß sie mit der Aufhebung des »diszernierenden und determinierenden Denkens« (51) die These von der Irrealität jeglicher Bestimmtheit verband und so zur erscheinenden Wirklichkeit, ihrer geheimen Vorliebe zum Trotz, absolut negativ sich verhielt (50). Eben darin kommt ihr aber Hegels Reduktion des Seins auf die Form wenigstens gleich: denn wenn Schellings Absolutum, seiner inhaltlichen Wahrheit ungeachtet, die Form mangelt, so verfällt als Form des Absoluten bei Hegel der Begriff zur >bloßen Form<, d. h. zu einem als Wesen sich verkennenden Nichtwesentlichen (52), das an der Unmittelbarkeit der Naturwahrheit ebenso zuschanden wird wie das »nihil negativum« Schellings (50).
Das Verhältnis zu Schelling in Feuerbachs Selbsteinschätzung Ohne Zweifel zeugt Feuerbachs Kritik der Hegeischen Philosophie, die er in einer Note zu den Vorläufigen Thesen weiter, nämlich als eine Schrift »über die Schellingsche und Hegeische Philosophie« 16 gefaßt wissen will, noch in der Polemik von einer Präferenz für das System des Berliner Lehrers. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Kritik das sachliche Gewicht ihrer Einwendungen nicht ganz gleich zwischen beiden verteilt. Während Schelling nur in dem einen Punkte durch Hegel korrigiert wird, daß er das Moment der Reflexion unterbewertet habe, bedienen sich Feuerbachs Einwürfe gegen Hegels Idealismus einer Reihe von Schellingschen Argumenten 1 7 und folgen insgesamt ziemlich genau der 16 Feuerbach, Thesen, I.e., Bd. 9, 254. 17 Er wirft Hegel den fehlerhaften Z i r k e l vor, das Sein von A n f a n g an als Reflexion vorausgesetzt zu haben; radikalisiert Schellings »Opposition der Anschauung gegen den Begriff«; gibt seiner These recht, daß ein idealistisches System - es möge sich wenden, wie es wolle - nur durch die Voraussetzung einer intellektuellen Anschauung in G a n g komme und Hegel
267
Richtung von dessen Kritik seiner früheren und der Hegelschen als einer bloß »negativen Philosophie^ Dies Mißverhältnis ließe sich sehr leicht als ein sachliches Bekenntnis zur N a turphilosophie deuten; eine solche Deutung hätte dann freilich zu erklären, warum Feuerbach in seinem philosophischen Werk nirgends diese Beziehung selbst herstellt. Zieht man auf der Suche nach Bekenntnissen direkter Übernahmen aus Schellings Werk Feuerbachs Korrespondenz zu Rate, so zeigt sich zwar, daß er mit jenem intensiv sich auseinandergesetzt hat, ihn aber - wenigstens seit den 30er Jahren - ungleich schärfer als in seinen Publikationen attackiert, ja nachgerade kein gutes Haar an ihm läßt. 1 8
sie der Sache nach eben so in Anschlag bringe wie jener; und er zeigt schließlich, d a ß Hegels V o r w u r f , Schelling habe die Anschauung des A b s o luten nicht mit der Form vermittelt, durch einen wesenlosen e r k a u f t ist, der in genauer U m k e h r u n g Mittelbarkeit
zur Wahrheit
Formalismus
des wirklichen Verhältnisses
des Unmittelbaren
macht. -
Übrigens
die fand
Feuerbach in der Naturphilosophie sein »materialistisches P r i n z i p « ( T h e s e n , I.e., B d . 9, 256) vorgebildet, das noch A d o r n o
anerkannt hat (Negative Dialektik, 1 8 V g l . L . Feuerbach, Sämtliche
ausdrücklich
gegen
Hegel
I.e., 182).
Werke.
A u f g r u n d der von Wilhelm Bolin
[und Friedrich J o d l ] besorgten Ausgabe neu hg. und erweitert von H a n s M a r t i n Sass, Bd. X I I - X I I I statt 1964 [ z i t . : Briefe]. mäulig«
(=
Ausgewählte
Briefe),
Stuttgart-Bad
Cann-
B a l d nennt Feuerbadi ihn »falsch, treulos, läster-
(an Bertha L o w ,
3. 2. 1 8 3 5 ; Briefe,
Bd. X I I ,
286), bald einen
»hochmütigen Fasler« (an A . R ü g e , Bruckberg. 1 5 . 1 1 . 1 8 4 1 ; Briefe 3 8 3 ) ; er bezeichnet ihn als einen »Schurken« (an C h r . K a p p ,
XIII,
Bruckberg,
1 8 . 2. 1 8 4 2 , I.e., 92), ja als »den Judas-Ischariot der Philosophie« (an denselben, Bruckberg, 9. 10. 1 8 4 1 , I.e., 78 [ f f . ] ) . Die Freiheitsschrift aus dem Jahre
1809 hält er - wie Schopenhauer mit ihm -
fiziertes
Böhmeplagiat
(ebd.) »unter
aller
Kritik,
f ü r ein dreist
mysti-
pure T r ä u m e r e i ,
ohne
G r u n d , ohne Z u s a m m e n h a n g « (an A . R ü g e , I.e., 3 8 3 / 4 ) , »die von Paulus ans Licht gezogene Offenbarungsphilosophie* 131)
f ü r einen
»schamlosen
Unsinn«,
(an K a p p ,
f ü r ein
»Scheusal«
5. 2. 1844, I.e., (an
denselben,
14. 1 1 . 1 8 4 3 , I.e., 1 2 9 / 3 0 ) , das gerade darum »die O f f e n b a r u n g des ganzen, schon des frühesten Schelling's« darstelle (an denselben, 5. 2. 1 8 4 4 ; 132.
Feuerbachs
Bonmots,
etwa
Ausfälle dem
Heine und Schelling.
268
zehren
Gedicht
I.e.).
nicht selten
»Kirchenrat
von
kurrenten
Prometheus«;
vgl.
I.e.,
Heineschen M.
Frank,
Aufs Sachliche reduziert, enthalten Feuerbachs Briefe zweierlei Urteil über Schelling: 1. Einerseits sieht er in dessen Weg von der Natur- zur positiven Philosophie - besonders seit der Freiheitsschrift, mit der er sich gründlich auseinandergesetzt h a t 1 9 - nichts anderes als eine fortschreitende Theologisierung, d. h. eine Tendenz am Werk, die ihren Autor nur graduell von Hegel unterscheidet 20 und ihn der Reaktion in die Arme treibt. 2. Andererseits hat er »das Realprincip, das der Schurke in Berlin sucht, aber nicht findet, weil er kein Herz h a t « 2 0 a , durchaus als den eigentümlichen Gegenstand der Schellingschen Spätphilosophie zur Kenntnis genommen, ohne freilich - wie die Formulierung zeigt - überzeugt zu sein, daß
1 9 Der heftige A f f e k t gerade gegen diese Schrift besagt nichts gegen
den
mächtigen Einfluß ihrer Gedanken auf
man
nämlich
nach
Feuerbachs
Anweisung
Feuerbach. Anthropologisiert die
idealistische
Theologie,
so
er-
schließt sich als Wahrheit der Schellingschen Schrift der Feuerbachsche G e danke, als
»daß z. B. das Geheimnis der N a t u r
das Geheimnis
Gott
der menschlichen
Natur,
in G o t t nichts anderes daß
die Nacht,
setzt, um aus ihr das Licht des Bewußtseins
ist als ihr eignes dunkles,
instinktartiges
Gefühl
ist
die sie
zu erzeugen,
in
nichts
von der R e a l i t ä t
und
Unentbchrlichkeit der Materie« ( T h e s e n , I.e., 251,.,). 20 Feuerbach
hat beider Systeme schon in den
Grundsätzen
unter
dem
gemeinsamen Titel >Identitätsphilosophie< vereinigt und mit charakteristischen
Modifikationen
gleich
behandelt
(Grundsätze,
I.e., B d . 9, 299
und
302 im Kontext). Nicht selten sind Hegeische Theoreme in der T e r m i n o l o gie Schellings vorgetragen (vgl. I.e., 300). Die Attacken der V o r r e d e 2. A u f l a g e des Wesens
des
Christentums
sowie die Passage der
(I.e., 256/7) treffen Schelling und Hegel gleichmäßig. »Hegel
zur
Thesen
und
Schel-
ling«,
schreibt Feuerbach noch im J a h r e 1858, »sind zuletzt doch nur m y s t i -
ficirte,
durch den Absolutismus der Idee des einseitigen Idealismus schein-
bar entkleidete Kantianer« (an W. Bolin, 26. 3. 1858, Briefe Er
hält die
»Urtheile
der
Hegelianer«
gegen
Schelling
XIII,
darum
für
226). »so
machtlos«, weil »ein vollständiges, siegreiches Urtheil über ihn nur möglich (wäre) durch ein Urtheil über die ganze Richtung der speculativen
Phi-
losophie, die ihn ja allein gehoben und gehalten«, also letzten Endes über den Hegelianismus selbst (an C h r . K a p p , 5. 2. 1844, I.e., 132). 20a A n C h r . K a p p , 18. 2. 1842 (I.e.)- D e r »Schurke« geht natürlich
auf
die reaktionäre Rolle, die Schelling in Berlin spielte.
269
hier eine gangbare Weiterentwicklung des naturphilosophischen Ansatzes 21 geleistet sei. Gibt man zu, daß diese Äußerungen eindeutig sind, so bleibt zu prüfen, ob die Schärfe von Feuerbachs Polemik ein unausgesprochenes Motiv verschleiert. Schon Marx, sonst nicht eben voreingenommen für Schelling, hat dies vermutet. Als er vom Plan einer Streitschrift gegen ihn erfährt, die er übrigens begrüßt, ja »indirekt« für einerlei mit »einem Angriff auf unsrc gesamte und namentlich auf die preußische Politik« 2 2 hält, mahnt er Feuerbach brieflich dazu, auch »das Gute von unserem Gegner (zu) glauben« und »den aufrichtigen jugendgedanken Schellings« nicht zu vergessen. Er fügt bezeichnend hinzu, die »Verwirklichung« dieser Intuition, die »bei ihm ein phantastischer Jugendtraum geblieben ist« 2 3 , sei niemand anderm als Feuerbach gelungen. »Schelling ist daher Ihr antizipiertes Zerrbild«; sein »aufrichtiger Jugendgedanke, zu dessen Verwirklichung er indessen kein Zeug hatte als die Imagination, keine Energie als die Eitelkeit, keinen Treiber als das Opium 2 4 , kein Organ als die Irritabilität eines weiblichen Rezeptionsvermögens, dieser aufrichtige Jugendgedanke Schellings, (. . .) er ist Ihnen zur Wahrheit, zur Wirklichkeit, zu männlichem Ernst geworden.« 2 3 Der Kontext, in dem dieser Brief steht, lohnt die Rekonstruk21
Ihn
fand
Feuerbach
immer
noch
aller
Ehren
wert
(vgl.
Feuerbachs
Besprechung von K. Bayers Die Idee der Freiheit und der Begriff des Gedankens, in: L. F., Ges. Werke, I.e., Bd. 8, 139). Hier und in den Briefen
zeigt
sich, daß
das
»Hauptinteresse«
seiner
Polemik
auf
»eine
gehörige Beleuchtung seiner späteren Lehren« gerichtet ist (Brief an R ü g e ,
Briefe X I I , 316, und X I I I , 129). 22 K a r l M a r x an L u d w i g Fcuerbach, Kreuznach, 3. O k t o b e r
1843,
MEW
Bd. 27, 420. 23 L.c., 4 2 1 . 24 M a r x
spielt
an
auf
den
Skandal
um
die
mißglückte
Behandlung
der Auguste Böhmer durch Schelling. Geschmacklose Legendenbildung
hat
ihn als Klatsch (Schelling inspiriere sich durch O p i u m ) bis in die gehässigen A u s f ä l l e einiger Hegelianer tradiert, die Hegels schen und bilden.
270
Irrationalen
der
Naturphilosophie
in
Vorwurf gröberem
des
Phantasti-
Raster
nach-
tion. Marx glaubte, aus dem >Postskript< zur »Vorrede der 2. Auflage des >Wesens des Christentums< 25 schließen zu können, daß (Feuerbach) mit einer ausführlichen Arbeit über Schelling beschäftigt [sei]«. 2 6 Wenngleich nie zustandegekommen, hat sich Feuerbach eine solche Schrift immer wieder vorgenommen. Erstmals taucht das Projekt in den Briefen vom 3. und 12. 2. 1835 an Bertha L o w 2 7 auf. Feuerbach unterließ zu dieser Zeit - offenbar aus Opportunitätserwägungen wegen seiner Bewerbung um außerordentliche Professur in München (Frühjahr 1835) - Ausarbeitung und Publikation einer vermutlich eingehenden und engagierten Polemik, zu der ihn Schellings Vorrede zu Cousin sowie die dort ausgesprochene und »Partei« machende Hegelkritik veranlaßt haben wird. Es werden aber nicht nur solcherlei »Rücksichten« gewesen sein, die ihn an der Wahrnehmung seines »Scharfrichteramtes« »im Namen der Wahrheit und ihrer Tochter, der Philosophie« verhinderten: »Würde ich«, so fügt er ein wenig orakelhaft an, »auf dem Wege des Schweigens zu meinem Ziele kommen, so wäre es thöricht, zu reden.« 28 Merkwürdig bleibt nämlich, daß Feuerbach sich auch später nie bereitgefunden hat, den wiederholt - so auch von A. Rüge - an ihn ergangenen Aufforderungen zu einer polemischen »Charakteristik Schellings« 29 stattzugeben. Er über-
25 D o r t
macht
Feuerbach
seinem
Ärger
Luft, daß
»die
neuschellingsche
Philosophie - diese Philosophie des schlechten Gewissens, welche seit J a h ren lichtscheu im dunkeln schleicht ( . . . ) - durch die Zeitungen als »Staatsmacht tums,
Werke,
proklamiert«
worden«
(L. F., Das
Wesen
förmlich
des
Christen-
I.e., Bd. 5, 26). Eine Fußnote fügt dem Hohn gegen
thcosophischc Posse des philosophischen Cagliostro des neunzehnten
»diese Jahr-
hunderts« (ebd.) den Verweis hinzu: »Die urkundlichen Beweise von der Wahrheit dieses Bildes sind in einer demnächst erscheinenden kategorischen Schrift über Schelling in Hülle und Fülle zu finden« (I.e., 27). 26 Brief von Marx an Fcuerbach, I.e., 419. 27 B r i e f e X I I , 286 und 287/8. 28 L . c . , 286. 29 Brief Feuerbachs an A . Rüge, 15. 12. 1837, Briefe
X I I , 3 1 6 u. passim.
271
ließ dergleichen seinem Freunde Christian Kapp, an dessen umfänglicher Arbeit 3 0 er freilich lebhaft Anteil nahm. 3 1 Den wirklichen Grund für diese öffentliche Zurückhaltung scheint allein Marx (der übrigens eigene Äußerungen Feuerbachs über Schelling wiederholt) sehr gut getroffen zu haben: Feuerbach würde in der Schellingstreitschrift den heiklen Kampf mit seinem »antizipierten Zerrbild«, also mit sich selbst in einer anderen, nicht eben ungewichtigen Gestalt aufzunehmen haben. - Daß hier ein Trauma berührt wird, darauf deuten Feuerbachs eigene, ziemlich gewaltsame Bemühungen, Schellings Vorläuferschaft zu seiner eigenen Philosophie nur in dessen anmaßlicher »Phantasie« stattfinden zu lassen. »Schelling«, heißt es paradigmatisch in den Vorläufigen Thesen, »ist die alte Philosophie mit der Einbildung [,] der Illusion, die neue Realphilosophie zu sein« 3 2 - »kommt also nicht in Betracht«. 3 3 Die Wahrheit der großen Geste ist, daß Feuerbach Schelling die Erfindung dieser »neuen« oder »Philosophie der Zukunft« nur durch den Vorwurf abzusprechen weiß, daß sie bei jenem ein »Traum« geblieben sei. Kein Wunder also, daß er ihr durchaus keinen anderen Namen als den der Schellingschen Spätphilosophie weiß: Sie heißt »die neue, die allein wahre positive Philosophie« 3 4 und befaßt - ganz wie jene - »die wirkliche (nicht imaginäre) absolute Identität aller Gegensätze und Widersprüche«. 35 - Dies muß sich bewußt machen, wer Auskünfte über das Verhältnis zu Schelling im Selbstzeugnis des Feuerbachschen Werks sucht. 30 M a r x f a n d sie »anerkennenswert . . ., aber zu umständlich« und »ungeschickt« wegen der Trennung »des Urteils von den Tatsachen« ( M E W B d . 27, 420). 31 E r bedachte sie mit häufigem Zuspruch, mit R a t , mit Hinweisen (etwa zur
Aufdeckung
wörtlicher
Übernahmen
schrift). 32 Thesen, I.e., Bd. 9, 257. 33 Grundsätze, I.e., 294. 34 Thesen,
I.e., 2$9, 4 u. passim.
35 L . c . , 260,y
aus
Böhme
in
der
Freiheits-
Systematische Verwandtschaften zwischen Schellings und Feuerbachs Hegelkritik Feuerbach hat Schellings Umwerben der transreflexiven Existenz nicht als Konsequenz seines »aufrichtigen Jugendgedankens< gelten lassen. Im Gegenteil war er fast eigensinnig entschlossen, sie für den Gipfel theologistischer Wirklichkeitsverweigerung zu halten. Das ist umso bedauerlicher, als unter den Vertretern der Hegeischen Linken keiner so sehr wie Feuerbach der Naturphilosophie sich nahe wußte - nur darum drängten ja gerade ihn die Freunde zu einer »Charakteristik Schellings«; und es hindert auch nicht den Nachweis, daß zumal jene Schriften, die so nachhaltig auf die Konstitution des Marxschen Denkens gewirkt haben wie sonst nur diejenigen Hegels, in ihrer argumentativen Substanz auf Schellings Vorbild zurückverweisen, das sich in einigen Fällen fast sicher auch als Quelle erschließen läßt. Affinitäten dieser Art auf bloße, in der Sache gegründete Wahlverwandtschaft naturalistischer Ansätze zurückführen, hieße nicht nur, rekonstruierbare Abhängigkeiten auf sich beruhen zu lassen, sondern schlösse das Versäumnis einer Diagnose des objektiven Geistes ein, der solche Konstellationen vermittelt. Die erste Kritik des seither als ein eigenes philosophisches Gebäude konstituierten und aus der bloß negativen Bewegung gegen die Tradition in sich selbst zurückgekehrten Feuerbachschen Gedankens betrifft die
a. Unmöglichkeit
einer Reduktion
des Seins auf den Begriff
Hegels Philosophie hat zu ihrem Resultat die »Identität von Denken und SeinOffenbar hat der Nachweis solcher Koinzidenz nur Sinn, wenn die vereinigten Relata vor ihrer Identifikation für sich unterschieden, wenn das Denken als 36 L . F., Grundsätze, Grundsätzen
werden
I.e., Bd. 9, 302 (Zitate aus den Thesen und den unter diesen Siglen bis auf
weiteres im
laufenden
T e x t nachgewiesen.)
73
solches Negation des Seins ist und umgekehrt. Die Vereinigung beider muß, mit anderen Worten, in einer den Gegensatz übergreifenden Sphäre erfolgen, sie muß Negation einer ihrer Vorläufigkeit überführten Alternative sein. Statt dessen tritt Hegels >absolut voraussetzungslose< Philosophie unter der stillschweigenden Voraussetzung an, daß nicht die ganze Alternative als solche, sondern nur die Realität eines dem Denken Entgegengesetzten Schein sei. Dementsprechend sucht sie, die schon im Lichte der Reflexion gesichteten Seinscharaktere verlustlos durch die Menge der Reflexionscharaktere zu ersetzen. D. h. sie macht sich durch eine rigorose >Ahstraktion< von allen das Denken überschreitenden Objekten frei »und macht diesen Akt der Abstraktion von aller Gegenständlichkeit zum Anfang von sich« (I.e., 281). Damit verleugnet sie in letzter Instanz den phänomenalen Bestand von Realität selbst: denn real ist nur der Gedanke, der auf »sein andres - das andere des Denkens« >übergreifl< (I.e., 308), der seiner abstrakten Innerlichkeit durch Transzendenz auf sinnlich Gegenständliches entgeht. Statt also vom Denken »unterschiedne Zeugen [zu] vernehmen« (I.e., 304), interpretiert das Denken seinen Schritt über die >Naturgrenze« (I.e., 308) hinaus als Herstellung von deren Wahrheit in der Identität des Begriffs. Der Zirkel ist offensichtlich: Die Identität des Denkens mit dem Sein, um deren Herstellung es zu tun war, wird »reduziert« 3 7 auf die allgemeine und bloß dem Wortgebrauch nach »konkrete« Identität des Denkens nur mit sich (I.e., 304~308) 3 8: »Das Denken vindiziert sich, was nicht dem Denken, sondern dem Sein zu37 »Das Sein reduziert sich auf das Bewußtsein (. . .), das die Reflexion, der Begriff auf den logisdien Denkakt. Das Sein für sich, abgetrennt vom Bewußtsein, ist [für Hegel] nichts, physisches Gespenst« (L. F., Zur Beurteilung der Schrift >Das Christentums<,
Wesen auf heißt: Das ein metaWesen des
I.e., B d . 9, 239 A n m . ) .
38 G e w i ß muß auch die Einheit des Denkens und Seins, die nicht ist, gedacht
werden:
aber das,
Denken, sondern die Einheit
was
74
wird,
muß eben
nicht
das
sein. D a ß dies die R e f l e x i o n aus sich selbst
nicht v e r m a g , hatte Schelling gezeigt. 2
gedacht
Begriff
kommt« (I.e., 308). 3 9 Um diese Sichselbstgleichheit des Gedankens dennoch als den »>konkreten< Begriff, den Begriff, welcher die Natur des Wirklichen an sich trägt« (I.e., 313), ausweisen zu können, muß Hegel freilich auch den Gedanken selbst negieren. Allein »er negiert das Denken, nämlich das abstrakte Denken, (. . .) selbst wieder [nur] im abstrakten Denken« (I.e., vgl. 277, 302 f.) und raubt der Synthese so wieder den Charakter echter Konkretheit. In solcher Kritik wiederholt Feuerbach Schellings Bedenken gegen Hegels Unterstellung, eine logische Darstellung des Seins zu liefern. Das Sein, von welchem in seiner Philosophie, der Logik sowohl als der Phänomenologie, die Rede ist, ist »unmittelbar« nur als der von allem ihm Entgegengesetzten absehende Gedanke (I.e., 305 f.). Von Anfang an nur als der Gedanke-in-seiner-unmittelbaren-Gestalt in Anschlag gebracht, war nichts leichter, als dem Sein seine Selbigkeit mit der Reflexion nachzuweisen: diese identifiziert, als was sie sich heimlich voraussetzte, mit dem, als was sie sich explizit weiß. So aber verfällt das Konkrete zur Selbstidentität des jeden Seins beraubten Denkens, zu einem »puren Gespenst, das absolut im Widerspruch steht mit dem wirklichen Sein« (I.e., 305). Dieses ist die wahre Äußerlichkeit des eitel in sich verschlossenen Denkens, insofern allerdings ein »Jenseits« (I.e., 302/3) für den unmittelbaren Begriff. Es ist gerade nicht sein »unbestimmt Unmittelbares*, sondern »nur mittelbar denkbar - nur denkbar durch die Prädikate, welche das Wesen eines Dinges begründen« (I.e., 306). Diese haben ihre Wahrheit im transreflexiven Sein, welches - eben seiner Transreflexivität halber - gar kein Gegenstand der negativen, der »abstrakten, absoluten, Philosophie«• sein kann 39 » N u r aber
>was
dieses
ist< hat die
»ist< ist selbst
Philosophie nur ein
nach
ihm
abstraktes,
[Hegel]
gedacfjtes.
sich im Denken überbietender D e n k e r - er will das Ding aber im im
Gedanken
Denken
selbst
des D i n g s , -
[er
will]
außer
dem
daher die Schwierigkeit, den
zum
Objekt,
Hegel selbst
Denken
ist
ein
ergreifen, sein,
aber
»konkreten« Begriff
zu
fassen« ( G r u n d s ä t z e , 3 1 3 / 4 ) . 2
75
(I.e., 3°5)- Als das Jenseits der Reflexion ist Sein allerdings »etwas Unsagbares«, an dessen Grenze das Denken zwar sich aufhebt, »das Leben« aber, indem die Wahrheit »Fleisch und Blut« wird, erst »anfangen« kann (I.e., 308). b. Das inverse Verhältnis von Subjekt und Prädikat3 9a Man erinnert sich, daß Hegel jener Abstraktheit der »Idee (. . .) als absoluter Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität« (L II, 573) - einer Einheit, die es selbst nur »logisch«, selbst »noch« im Medium des »Begriffs« ist (L II, 572) Rechnung getragen hat, indem er ihre »Realisation« von ihrer Entäußerung in die Natur abhängig machte. Zweierlei hat - mit Schelling - Feuerbach dieser Lösung entgegengehalten: Zum einen könne die Entäußerung eines reinen Begriffs nur selbst wieder Begriff sein; zum anderen verstricke die in der Notwendigkeit dieses Ubergangs signalisierte systematische Verlegenheit Hegels Philosophieren in einen Widerspruch: Bedarf der als Idee schon konkrete Begriff noch einer Bereicherung durch die Naturwirklichkeit, so enthüllt sich die Natur als die Wahrheit der Idee, da doch diese zum Gradmesser der Wahrheit von jener sich aufgeworfen hatte. Beginnen wir mit einer Explikation dieses zweiten Einwurfs. Die Notwendigkeit einer »Realisation der Idee« im Reiche des Realismus macht »die Existenz zum Kriterium (ihrer) Wahrheit« (Grundsätze, 3 1 4 ; vgl. Thesen, 249 ff.). Wenn Hegel den Überschritt des Gedankens in sein Anderes (die Sphäre des »N/c/?rdenkens« [I.e., 315 ] 4 0 ) als Verwirklichung der Idee 39a »Was sonst das P r ä d i c a t ist, ist hier das Subjekt« (Schelling; I I ,
3,
162,2). 40 Welche
Feucrbach
in seinem gesamten
Werk
der »Anschauung«
oder
dem »Sinnlichen« gleichsetzt
identisch«, Grundsätze,
(vgl. »Wahrheit, Wirklichkeit, Sinnlichkeit sind 316, § 32; I.e., 254, 269, 291, 304, 314/5 u. pas-
sim). A l f r e d Schmidt (Emanzipatorische Sinnlichkeit,
München 1973»
K o n t e x t ) - weitgehend orientiert an Analogien zu Adornos Negativer lektik
276
I2
5 im Dia-
- scheint dem Versuch Feuerbachs, seinen Materialismus >erkcnntnis-
bezeichnet, so ist seine Absicht aber nicht, Wahrheit auf Wirklichkeit zu reduzieren; vielmehr macht er die »Sinnlichkeit (. . .) zu einem Prädikat, die Idee oder den Gedanken zum Subjekt« (ebd.). Dadurch gerät aber die Sphäre der Wirklichkeit in eine »verkehrte« Stellung zu der des Denkens, als theoretisch«, und z w a r durch den H i n w e i s auf die sinnliche, d. h. »somatische und
gesellschaftliche« Vermitteltheit des Bewußtseins zu begründen,
B e i f a l l zu spenden. In Wahrheit bedarf
der A p p e l l
an die »Sinne«
als
» Z e u g e n « einer transkognitiven R e a l i t ä t ( G r u n d s ä t z e , I.e., 304) der B e r e i cherung durch eine R e i h e von Mittelgliedern. D a ß R e a l i t ä t durch Anschauung v e r m i t t e l t werde oder vielmehr mit ihr identisch sei, darüber besteht gar
kein
Streit
zwischen den
Idealisten
und Feuerbach. Eine
Differenz,
wenigstens zu Fichte und Schelling, taucht erst a u f , wenn Feuerbach auch dem S a t z : »Erst das Bewußtsein des Sehens ist die Wirklichkeit des Sehens oder wirkliches Sehen« ( G r u n d s ä t z e , 2 9 1 ) , mit der bekannten
Erwiderung
entgegentritt, hier w e r d e einmal mehr der Versuch unternommen, die sinnenhaft p a l p a b l e (und d. h. die allein wahre) R e a l i t ä t in A b h ä n g i g k e i t v o n jenem
»einzigen
bringen, an
Fädchen«,
welchem sie -
nämlich
dem
Schopenhauer
»jedesmaligen zufolge -
Bewußtsein«
hängt (zit.
zu
Schmidt,
I.e., 1 2 3 ) . O f f e n tritt hier die dogmatische Seite von Feuerbachs ans
Licht.
Er
Hegelianer -
denkt
Sinnlichkeit
-
als den Opponenten
und
erweist
Bewußtseinstheorie
sich
gerade
darin
des Denkens oder Bewußtseins,
als ohne
zu sehen, d a ß er auf diese Weise genötigt ist, Sinnlichkeit f ü r den G e g e n stand
selbst zu erklären
-
er bringt sie ja nicht als einen
bestimmten
M o d u s der Intentionalität des Bewußtseins in Anschlag, die mit einer a n deren Weise selbstbewußter Selbsttranszendenz, dem Denken, z u s a m m e n b e stehen k a n n , sondern hält sie f ü r den Inhalt
des Denkens. Wir
kommen
d a r a u f zurück. Übrigens
läßt sich Entsprechendes auch gegen
A d o r n o , auf
den
Schmidt
sich beruft, geltend machen. Indem er Geist z w a r nicht auf Materie ziert, sondern beider »Ineinander« betont ( N e g a t i v e Dialektik,
redu-
I.e.,
200
oben, 203 u. passim), unterläßt er doch, den Bezirk anzugeben, in
dem
diese Wcchselvcrmittlung gründet und intelligibel w i r d - später Rückschlag gegen die Fehlleistung seiner k u r z angebundenen und unverständigen urteilung
des
französischen
Existentialismus,
dessen
reifer
Ab-
Dialektik
er
doch g a r nicht fern steht. Ähnliches gilt f ü r Louis Althussers Versuch, zwischen dem Realen
(dem
>Rcal-Konkrcten<)
danken-Konkretum«) den G r u n d
einen
und
dem
unüberbrückbaren
Erkenntnisobjekt Graben
Geschichtlich(dem
>Ge-
aufzureißen,
ohne
ihrer D i f f e r e n z gegen einen Einheitsgrund sich profilieren
zu
lassen [in der These einer »Identität von Begriff und realem (historischem) 2
77
dessen Wahrheit sie sich ja erwies. Was hindert also, dies Verhältnis abermals umzukehren und offen auszusprechen, was in Gestalt einer >unbewußten Voraussetzung< auf die Konsequenz von Hegels Gedanken eingewirkt hatte: daß »dem Gedanken die Realität (. . . ) unabhängig von dem Gedanken, als Wahrheit vorausgesetzt ist. (. . .) Weil aber gleichwohl bewußt von der Wahrheit des Gedankens ausgegangen wird, so wird die Wahrheit der Sinnlichkeit erst hintendrein ausgesprochen und die Sinnlichkeit nur zu einem Attribut der Idee gemacht, was aber ein Widerspruch ist (. . .). Von diesem Widerspruch erlösen wir uns nur, wenn wir das Reale, das Sinnliche, zum Subjekt41 seiner selbst machen, wenn wir demselben absolut selbständige, göttliche, primative, nicht erst von der Idee abgeleitete Bedeutung geben« (I.e., 3 1 5 ) . Dieser Gedanke - und darin liegt seine Bedeutung - läßt die vordem nur erkenntnistheoretische Kritik an Hegels Reflexionsphilosophie auf eine ontologische Ebene überspringen. Konnte jene nachweisen, daß »das Reale oder Wirkliche« nur deswegen in die Stellung eines »notwendigen adjectivum des Begriffs« geraten konnte, weil die Reflexionsphilosophie »von vornherein den Begriff (. . .) als das absoGegenstand«
sieht er nichts als die »unglaubliche Macht« des -
sich ausdrückt -
Das Kapital Ohne
die
»empiristisch-spekulativen
wie
Vorurteils< am Werk
(L.
er A.,
lesen, 139 u. 173 u.)]. Substitution
einer
Existenz
und
Selbstbewußtsein
mit
einem
Schlage vermittelnden Theorie bleibt auch Feuerbachs Existenzanleihe der Anschauung ebenso ohnmächtig wie sein E i f e r n gegen »die
bei
Anschau-
ung, die Schelling, im Gegensatz zu Fichte, mit dem Verstände v e r b a n d « und die bei jenem
»nur Phantasie, keine Wahrheit«
sei, »also nicht in
Betracht« komme ( G r u n d s ä t z e , 2 9 4 ^ ) , weil sie keine wirklich bewußtseinsunabhängige Anschauung sei. 41 M i t
Recht
hat
Alfred
Schmidt
(Emanzipatorische
Sinnlichkeit,
I.e.,
44 f f . ) Feuerbachs Übertragung des Begriffs »Subjekt« auf die außermenschliche
(Natur-)Wirklichkeit
besondere
Aufmerksamkeit
gewidmet.
Dieser
G e d a n k e , dessen Wirkungsgeschichte über M a r x bis hin zu Marcuse
und
Bloch sich v e r f o l g e n läßt, geht unmittelbar auf Schelling zurück, der dem Begriff
des Subjekts seine alte Bedeutung als v j i o x e t f i e v o v , Basis
A n d e r e n , wieder zugewiesen hatte. (Als ein Gegenbegriff Sein f u n g i e r t »Subjektivität« bei Schelling gar nicht.)
278
zum
eines
absoluten
lute, allein wahre Wesen voraussetzte* (I.e., 313), so liegt nun die ontologische Konsequenz auf der Hand, die als solche durchschaute Voraussetzung ihrerseits auf deren wahre Voraussetzung im »Sein als Sein« - im »Sein (als) Subjekt« (Thesen, 258) - zu überschreiten. Dann zeigt sich aber, daß das Denken sich selbst im Weg steht: nur zufolge der Supposition seiner selbst - anders gesagt: nur infolge seines Ausgangs von sich - konnte es den Schritt zur Natur als etwas dem Gedanken nach Späteres interpretieren 42 ; »obwohl es in der Wirklichkeit gerade umgekehrt (. ..), das Konkrete früher als das Abstrakte« 4 3 , »das Denken aus dem Sein, aber das Sein nicht aus dem Denken« ist (I.e.). Die Wirklichkeit ist eben darum, weil der Gedanke sie als das für ihn zweite reflektiert, das an sich oder unabhängig von dem Gedanken erste. Mehr noch: Als die *natürliche Basis« (I.e., 262) des Begriffs ist sie zumal dessen Wahrheit, auf die der Gedanke mit immanenter Notwendigkeit zutreibt, ohne sie aus sich ableiten zu können. Auf die Entdeckung dieser Inversionsstruktur hat Feuerbach - in der doppelten Nachfolge Schellings - seine eigene »positivey d.i. wahre Philosophie« (I.e., 241 u. 259/60) gegründet, welche als »umgekehrte . . . religiöse Spekulation« oder als deren Negation die >negative Philosophie* »geradezu auf den Kopf oder vielmehr auf ihre wahre Basis [stellt]«A4 Nicht nur mit dieser Metapher 4 5 hat er Eindruck auf Marx und Engels gemacht. Beide haben seine Kritik an der verkehrten Stellung von Subjekt und Prädikat in Hegels Philo42 L. F., Das Wesen der Religion,
I.e., Bd. 10, 28.
43 E b d .
44 L. F., Zur Beurteilung
der Schrift >Das Wesen des Christentums<,
I.e.,
B d . 9, 240. 45 Die natürlich, wenn auch gegen ihn gewendet, auf Hegel
zurückgeht,
bei
Auflehnung
ihm
freilich
den
fortgeschrittensten
Stand
bürgerlicher
gegen die Fessel der Feudalherrschaft signalisierte, die sich selbst als a n m a ß liche Empirie, als naturgegebene Abhängigkeit des Geistes von der
Wirk-
lichkeit darzustellen wußte.
279
sophie 4 6 vollkommen sich zu eigen gemacht und Feuerbach auch darin zugestimmt, daß die Negation der negativen Philosophie zugleich die Aufhebung der Philosophie als einer »besonderen Fakultät«4 7 i n sich schließe und so praktisch sie verwirkliche. In beiden Schritten erweisen sich Feuerbach und seine Nachfolger als Denker in der Tradition Schellings« 8. c. Der Übergang von der Logik zur
Naturphilosophie
Der andere Einwurf Feuerbachs, den wir hierdurch aufgreifen, lautet, durch ihren »nebulosen >Entschluß<« (Thesen, 258) zur Natur komme die Idee nicht wirklich aus der Sphäre des Ideellen heraus: 4 9 beide sind aus demselben Stoff. Der Schluß der Enzyklopädie beweist es hinlänglich: der Geist wendet seine Entäußerung wieder um in seine anfängliche Identität nur mit sich. Das Argument ist aus verschiedenen Vorlesungszyklen Schellings (vielleicht 1822 in Erlangen, mehrmals in München und in Berlin vorgetragen) sowie aus seiner Vorrede zu Cousin (vgl. I, 10, 209-217) bekannt. Daß Feuerbach und Marx wenigstens die letztere gekannt haben, ist teils verbürgt, teils sicher zu erschließen. Darüber hinaus gibt der Zeitpunkt, zu
46 Vgl. L. F., Kritik 244/5;
2
$lI
2
49/50 u. 54 oben; Thesen
und Grundsätze,
I.e.,
5 7 / 8 ; 2 8 4 / 5 ; 3 0 1 ; 3 1 1 ; 3 1 2 / 3 und passim.
47 L. F., Zur Beurteilung der Schrift >Das Wesen des Christentums<•, I.e., Bd. 9, 239 f . ; vgl. ebd. 241; Thesen 251, 259 und 263. 48 Auch der G e d a n k e
der Selbstaufhebung der Philosophie
durfte sich,
wie W o l f g a n g Wieland gezeigt hat, auf Schelling berufen (vgl. ders., I.e., 421 und Schelling I , 2, 14 und 15, A n m . 1 ) : In der Rückkehr der R e f l e x i o n in den Naturzustand derselben,
überwindet die Philosophie
als einer besonderen
Weise eine radikale
Selbstkritik
»das letzte
Wissenschaft«, und der von
jenem
vollbringt
Bedürfniß auf
sich absondernden
diese Re-
flexion.
49 Vgl. auch L. F., Zur
Beurteilung
der Schrift,
I.e., 238. »So wenig«,
sagt Schelling, »hat Hegel den bloß logischen C h a r a k t e r des Ganzen
dieser
Philosophie erkannt, daß er mit der Naturphilosophie aus ihr herauszutreten erklärte« (I, 10, 1 2 8 , J .
280
dem Feuerbach seine frühesten »Zweifel« 5 0 am Hegeischen Systemgedanken artikulierte, in Verbindung mit ein paar weiteren Umständen einen Wink für die Rekonstruktion einer direkten Abhängigkeit von Schellings Münchener Vorlesung 1827/8. Feuerbach hat diese »Zweifel« nämlich nach eigener Angabe zwischen den Jahren 1827 und 1828 in Form einer Tagebuchnotiz festgehalten. 51 Erstmals in seiner intellektuellen Biographie problematisieren sie Hegels logische Gleichung von Denken und Sein, und zwar in der Form, daß sie nach dem »Prinzip (des) Ubergangs« der Idee zur Natur fragen. »Die Notwendigkeit des logischen Fortgangs«, heißt es dort u. a., »ist die eigne Negativität
der logisdien Bestimmungen. Was ist
denn nun aber das N e g a t i v e in der absoluten, vollkommenen Idee? D a ß sie nur noch im Elemente des Denkens ist? Woher weißt du nun/aber, daß es noch ein andres Element gibt? Aus der >Logik Nimmermehr; denn eben die >Logik< weiß aus sich selbst nur von sich, nur vom Denken. Also wird das Andre der >Logik< nicht aus der >Logik<, nicht logisch, sondern unlogisch deduziert, d. h. die >Logik< geht nur deswegen in die N a t u r über, weil das denkende Subjekt außer der >Logik< ein unmittelbares Dasein, eine N a t u r vorfindet und vermöge seines unmittelbaren, d.i. natürlichen, Standpunkts dieselbe anzuerkennen gezwungen ist. Gäbe es keine N a t u r , nimmermehr brächte die unbefleckte J u n g f e r >Logik< eine aus sich hervor.«51
Diese Notiz erinnert nicht nur sehr stark (bis in den Wortlaut) an den (in Fußnote gegebenen) Passus von Schellings Münchener Vorlesung 1 8 2 7 / 8 . 5 2 Sie steht auch auffällig quer 50 So lautet der Titel einer N o t i z in den Fragmenten,
I.e., B d . 10, 1 5 5 .
51 L . c . , 1 5 5 / 6 . 52 Zum zug
aus
Vergleich den
(wir
WW,
zitieren den von Schellings
von
deren
Fassung
Schellings
Sohn gegebenen Münchener
Aus-
Vortrag
abgewichen zu sein scheint, wie einzelne Zitate aus der von A . M .
Kok-
tanck skizzierten Vorlesungsnachschrift vermuten lassen [ A . M . K o k t a n e k ,
Schellings
erste Münchener
Vorlesung,
»(. . .) in der Idee liegt überhaupt
Diss. München 1959]):
keine N o t h w e n d i g k e i t zu irgend einer
Bewegung, mit der sie ja nicht etwa noch in sidi selbst fortschreiten könnte (denn das ist unmöglich, weil sie ihre Vollendung
schon hat),
sondern
281
zu dem von Feuerbachs Dissertation markierten Reflexionsstand. Diese fast gleichzeitig vollendete Arbeit deutet nämlich im Gestus unerschütterter Gewißheit das »Verhältnis des Daseins (zur Vernunft)« als deren »Verhältnis zu sich selbst« 5 3 , und liefert damit ein extremes Beispiel für die nachmals so scharf an Hegel kritisierte Reduktion des Seins auf die Reflexion. Bedenkt man, daß Feuerbach keinesfalls vor 1832 zu einer eindeutig von Hegel sich abgrenzenden Position gelangt ist 5 4 und daß er seine Dissertation am 18. 12. 1828 mit dem Ausdrude »ungeheuchelter Hochachtung und Vervielmehr ganz von sich abbrechen müßte. Die Idee am Ende der
Logik
ist Subjekt und Objekt, ihrer selbst bewußt, als das Ideale auch das R e a l e , das also kein B e d ü r f n i ß mehr hat, weiter und auf andere Weise, als sie es schon ist, reell zu werden. Wird
also doch angenommen, daß
etwas
der Art geschehen, so wird es nicht angenommen wegen einer N o t h w e n d i g keit in der Idee selbst, sondern lediglich, weil die N a t u r eben
existirt«
(I, 10, 152). Schelling hat seine K r i t i k sowie in Berlin
(z. B .
mehrmals in München (z. B .
1841/2
u. 1 8 4 2 / 3 ) wiederholt
1832/3;
1836/7)
und zum
Teil
in
einer Feuerbachs » Z w e i f e l n « eng verwandten Weise präzisiert (vgl. z. B . I I , 3, 172). Audi der Wortlaut einzelner Formulierungen
taucht
wieder
auf (vgl. Paulus, 377/8 und 379/80). Will man eine E i n w i r k u n g der Münchener Vorlesung auf Feuerbach nicht annehmen ( es gibt Z w e i f e l an der Richtigkeit der Datierung durch Schellings S o h n \
ohne
seine
Anlehnung
an Schelling
zu
leugnen,
so
bieten
sich vergleichbare Wendungen aus Schellings Streitschrift gegen Fichte aus dem J a h r e 1806 (I, 7, 1 - 1 2 6 ) an, - einer Schrift, die auch anderer allelen
halber
als Quelle
f ü r die Ausbildung
von
Feuerbachs
Par-
Naturge-
danken sich a u f d r ä n g t . Übrigens hat A l f r e d Schmidt (Emanzipatorische Sinnlichkeit,
I.e., 105) auf
die ihm »unerwartete Bundesgenossenschaft« Schellings beiläufig hingewiesen, ohne ihr nachzugehen.
53 L . F., Fragmente,
I.e., Bd. 10, 158.
54 Feuerbachs Selbstcharakterisierung in den Fragmenten
1830 ausgearbeiteten Gedanken
gibt an, in den
über Tod und Unsterblichkeit
sei »der alte
Zwiespalt zwischen Diesseits und Jenseits« noch immer nur in der V e r n u n f t , nicht in der N a t u r aufgehoben (I.e.,
1832
gehaltenen
Erlangener
159); und die zwischen
Vorlesungen
über
Logik
und
1829
Metaphysik
seien, wo nicht dem Buchstaben, doch dem »Geiste« nach, hegelisdi 158).
282
und (I.e.,
ehrung« 5 5 an Schelling geschickt hat, so fällt es schwer, daran zu zweifeln, daß seine Abwendung von Hegel mit einem von Schelling empfangenen Denkanstoß zusammengegangen ist. 5 6 d. Das ontologische Apriori der Natur Feuerbachs Kritik an Hegel läßt sich in die eine, grundsätzlich an die Methode des Idealismus zu richtende, Frage zusammendrängen: Hat der Gedanke, der in der Identität seiner Entäußerung mit sich seiner Logizität innewird, die Möglichkeit, über das Gefühl von Abstraktheit, das ihn in die Sphäre der Natur hinaustreibt, Rechenschaft abzulegen, wenn er den Grund für dies Abstraktheitsgefühl ausschließlich sich selbst zuschreibt? Anders gesagt: Läßt das in der Sichselbstgleichheit der Subjektivität sich aufdrängende Gefühl von Unselbständigkeit anders sich verstehen, als daß sie in ihrer »Wahrheit« von der Einheit ihrer und des Seins übertroffen wird und insofern von ihr >abhängt< (Grundsätze, 3 3 3 ) ? 5 7 55 Das Briefzitat aus: H . - J . Sandkühler, Freiheit und Wirklichkeit. Zur Dialektik von Politik und Philosophie hei Schelling. (Mit einem Anhang u n v e r ö f f e n t l i c h t e r B r i e f e von
L.
Feuerbach,
A. Rüge
und J . F.
Molitor
[an Schelling].) F r a n k f u r t / M . 1968, 245. 56 Das ist auch Sandkühlers M e i n u n g : I.e. 5 7 D a ß Feuerbach sich geradewegs auf Schleiermachers gion als »Gefühl schlechthinniger
Abhängigkeit
Definition der R e l i -
v o m All< beruft und
als
»Abhängigkeitsgefühl des Menschen oder des Bewußtseins von der Natur<
uminterpretiert (L. F., Das Wesen der Religion,
I.e., Bd. 10, 3-5), markiert
eine bedeutsame Wende in der Geschichte des G e d a n k e n s : dasselbe P a r a d i g ma
unverfüglichen
Selbstseins
wird
nicht
länger
mehr
religiös,
sondern
materialistisch ausgelegt (wogegen Schleiermacher freilich den E i n w a n d bereithält, d a ß eine solche Deutung nicht wirklich die »schlechthinnige«, sondern
nur
die
relative
»Abhängigkeit
des
endlichen
Einzelnen
von
der
G a n z h e i t und Gesamtheit alles Endlichen« aussage [ v g l . F r . Schleiermacher,
Der christliche Glaube,
Berlin i86i5, Bd. 1, 168 f. = § 32, 2]). Erstaunlicher
f a s t als diese Wende ist aber die strukturelle I n v a r i a n z des
Paradigmas:
Schon bei den R o m a n t i k e r n als das im Selbstbewußtsein »mitgesetzte B e wußtsein«
von
dessen sich entziehender
Basis
in Anschlag
gebracht,
die
die r e l a t i v e Einheit der Selbstbeziehung erst erklärt und als V e r w e i g e r u n g
283
Ohne Zweifel höbe der Gedanke in seiner Selbstbeziehung sich auf, stünde er nicht auf einem von seiner Negativität unabhängigen Fundament. Und ebenso sicher ist, daß keines der ihm begegnenden Objekte Anspruch auf Realität machen dürfte, wenn er nicht selbst real (selbst aus dem Stoff seiner Gegenstände gemacht) wäre. Wer dieses »unfreiwillige Gesetztsein des Ich von Seiten des Objekts« 5 7 1 1 selbst wieder in Abhängigkeit vom Begriff bringen möchte, würde versuchen, das Sein aus der Selbstbeziehung eines für sich Nichtseienden (und seines Nichtseins qua Selbstbewußtsein Gewissen) abzuleiten; und zwar aus der Selbstbeziehung eines solchen, das nicht etwa nur in Beziehung auf das Sein das Nichtseiende (\ir\ öv) wäre, sondern das - weil ein seine Immanenz überschreitendes subsistentes Sein gar nicht ins Spiel käme - den Charakter des Seins aus der Selbstreferenz eines »nihil negativum< (oux öv) zu gewinnen hätte - eine offensichtliche Absurdität. Um dem Gedanken auch nur die logisch-abstrakte Seins-Weise eines ^ öv zu sichern, bedarf es der Voraussetzung eines Substrats, das ihn an seiner absoluten Irrealisierung hindert, und dies kann in der raumzeitlichen Wirklichkeit nur die ihm zum >Subjekt< (I, 10, 134) sich machende Natur sein (vgl. Kritik, I.e., 61). Nur wenn sichergestellt ist, daß das vom Bewußtsein überschrittene Sein keine bloße Reflexionsstufe ist, läßt sich übrigens eine ontisch fundierte Dialektik etablieren. D. h. nur wenn die Reflexion auf ein Sein zurückgeht, dessen Bestand nicht seinerseits relativ auf Reflexion ist, läßt sich das menschliche Bewußtsein als eine selbst seiende Offenheit zum Sein verstehen. In diesem der Utopie einer causa sui sich reflektieren macht, interpretiert noch F e u e r bach es als Bewußtsein der Unmöglichkeit, die im abstrakten Selbstbewußtsein sich a u f d r ä n g e n d e G e w i ß h e i t von dessen A b s t r a k t h e i t ihm selbst zuzuschreiben. Konsequent destruiert er das religiöse Bewußtsein durch eine >kritisch-genetisdie< A n a l y s e , die dessen G l a u b e n an ein suisuffizientes A b solutum als trügerische Projektion aus der E r f a h r u n g seiner eigenen
Un-
rechtfertigbarkeit (als eines ens non causa sui) e n t l a r v t ( v g l . L . F . ,
Zur
Theogonie, I.e., Bd. n , 244 ff.). 57 a L. F., Uber den Anfang der Philosophie,
284
I.e., Bd. 9, 147.
Sinne kann Feuerbach sagen, der Mensch sei nicht Natur, sondern »das von der Natur sich unterscheidende Wesen« ('Grundsätze, I.e., 259). Aber gerade durch solche definitorische Rückbeziehung auf seinen Ursprung erweist er sich als im Aktus der Aufhebung von ihm abhängig: »Das nicht unterscheidende Wesen ist der Grund des Unterscheidenden - die Natur also der Grund des Menschen« (ebd.). Weil sie als »der Inbegriff der Wirklichkeit in ihrer Wahrheit und Totalität« (Kritik, I.e., 61) zumal die »Basis des G e i s t e s « 5 8 ist, ist die menschliche Selbsttranszendenz vor dem Verlust des Seins gesichert. Logisch freilich geht dem Niederen das Höhere voraus; »seiner realen Genesis nach« 5 9 ist es aber - ordine inverso - gerade umgekehrt, und zwar »aus dem einfachen Grunde, weil das Höhere etwas unter sich haben muß, um höher zu stehen.« 60 Gibt man Hegels Satz Recht, daß »das erste (. . .) auch das letzte sein (muß)«, so wird man im Ausgang von der Anschauung eben deshalb »zuletzt auch wieder auf die Anschauung zurückkommen«. 61 D. h. ein Prozeß, der auf Realität gründet (mit der »Materie« als dem »primum existens« anhebt) und beim realen Selbstbewußtsein endigt, kann mit Recht »als eine wirkliche Bewegung (nicht [nur] als ein Fortschreiten im bloßen Denken)« (I, 10, 123/4) oder als eine auf »wirklichem Gegensatz, wirklicher Dissonanz« beruhende »Steigerung« (I, 10, 137) angesehen werden und darf darum - wie Schelling von der Naturphilosophie sagt - von sich in Anspruch nehmen, gleich »mit den ersten Schritten in der Natur, also in der Sphäre des Empirischen 58 L. F., Uber
den Anfang
der Philosophie,
I.e., Bd. 9, 146 (u. passim).
Noch Adornos These vom »Vorrang des Objekts« vor dem Subjekt Negative
Dialektik,
(vgl.
I.e., 1 7 1 f. und 182 ff.) stützt sich, worauf schon A l -
fred Schmidt aufmerksam gemacht hat, auf diesen G e d a n k e n .
Natürlich
ist die R e d e von einer »Basis des Geistes« Anleihe bei der N a t u r p h i l o s o phie.
59 L. F., Das Wesen der Religion,
I.e., Bd. 10, 17.
60 E b d . - v g l . fast wörtlich Schelling WA I , 25 f .
61 L. F., Fragmente,
I.e., Bd. 9, 179 - vgl. Uber den Anfang
der
Ph.t
I.e., 1 4 6 .
285
und somit auch der Anschauung« zu stehen (I, 10, 138). Die Naturphilosophie, als die »wirklich von vorn anfangende Philosophie« (I, 10, 140) weist den Begriffen der Hegeischen Logik*>2 erst ihren realen Ort an und entzaubert durch eine real-genetische Konstruktion die logische Illusion, die Existenz aus dem Denken hervorbringen zu können. Die Begriffe sind nämlich nichts als ideelle und für sich selbst bestehende Reproduktionen derjenigen Handlungen, die in den vorausgegangenen Naturprozeß als dessen bewußtlose Konstituenten eingegangen waren, und konnten daher für eine »natürlich fortschreitende (Philosophie) nicht eher da seyn, als wo sie zuerst in die Wirklichkeit eintreten (mit dem Bewußtseyn), am Ende der Naturphilosophie und im Anfang der Geistesphilosophie. 6 3 An dieser Stelle sind die Begriffe selbst auch wieder etwas wirklich Objektives, während sie da, wo sie Hegel abhandelt, nur etwas Subjektives, künstlich objektiv Gemachtes sind. Die Begriffe als solche existiren in der That nirgends als im Bewußtseyn, sie sind also objektiv genommen nach der Natur, nicht vor derselben; Hegel nahm sie von ihrer natürlichen Stelle hinweg, indem er sie an den Anfang der Philosophie setzte. Da stellt er denn die abstraktesten Begriffe voran, Werden, Daseyn u. s. w.; Abstrakta aber können doch natürlicherweise/nicht eher daseyn, für Wirklichkeiten gehalten werden, als das ist, wovon sie abstrahirt sind; ein Werden kann nicht eher seyn als ein Werdendes, ein Daseyn nicht eher als ein Daseyendes« (I, 10, 140/41). 6 4 62 Deren
Fehler
war
also,
»die
Methode
S p h ä r e einer ihr angeblich v o r g e o r d n e t e n
der
Naturphilosophie«
»abstrakten
Logik
in
die
(. . .) m i t g e -
n o m m e n « zu haben (I, 10, 138). 6 3 V g l . I , 3, 467 ff. u n d 505 ff. s o w i e I , 6, 509 ff. 64 V g l . d a z u I I , 2, 9 3 / 4 , A n m . 1 : » H i e r sieht m a n , wie g r i f f e zugleich
reale,
lebendige
B e g r i f f e sind,
was
die logischen
sie durch
ihre
Be-
eigne,
d . h. selbst w i e d e r / b l o ß logische B e w e g u n g niemals w e r d e n k ö n n e n . (. . .)«. Dieser T y p von K r i t i k taucht an exponierten Stellen der Marxschen
Phi-
losophie w i e d e r a u f , z. B. in der berühmten
Ver-
hältnisses
des Realen
zur
Bewegung
zum Rohentwurf (Grundrisse 286
D i a g n o s e des inversen
des G e d a n k e n s
der Kritik
der politischen
in d e r
>Einleitung<
Ökonomie,
Berlin
Solchen Einsichten der Schellingschen Naturphilosophie schließt Feuerbach bis in die Terminologie hinein sich an. »Wohl setzt«, schreibt er, »das Individuum ein anderes, es hervorbringendes Wesen voraus; aber das hervorbringende steht deswegen nicht über, sondern unter dem hervorgebrachten. Das hervorbringende Wesen ist zwar die Ursache der Existenz und insofern erstes Wesen, aber es ist auch zugleich bloßes Mittel und Stoff, Grundlage/der Existenz eines andern Wesens und insofern ein untergeordnetes Wesen.« 65 »Ein Wesen, das die Ehre hat, nichts vorauszusetzen, das hat auch die Ehre, nichts zu sein.« 66 »Der Geist folgt auf den Sinn, nicht der Sinn auf den Geist; der Geist ist das Ende, nicht der Anfang der Dinge.« 6 7 Auch Schelling hatte die »Priorität des Physischen« (WA 44, 150) grundsätzlich anerkannt und die Natur als eine Geschichte von realen, d. h. sukzedierenden 68 Steigerungen be1953,
22
):
»Hegel g e r i e t . . .
auf die Illusion das R e a l e als Resultat
des
sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden, und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode vom A b s t r a k t e n zum Konkreten
aufzusteigen, nur die Art f ü r das Denken ist, sich
K o n k r e t e anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren. neswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst.« Diese
das Kei-
Illusion
habe Hegel z. B. dazu verleitet, den realen A n f a n g der Rechtsverhältnisse in den abstrakten
Begriff
des Besitzes zu setzen. Aber
in der
Realität
»existiert . . . kein Besitz v o r der Familie oder Herrschafts- und Kncchtsverhältnissen,
die
viel
Substrat ( . . . ) ist . . .
konkretre/Verhältnisse
sind.
(. . .) Das
immer vorausgesetzt« (ebd., 22/3). Dies
konkrete Dokument
ist ein glänzender Beleg zugunsten der Kontinuität des Marxschcn Denkens und gegen den Gebrauch, den Louis Althusser
(Das Kapital
lesen,
I.e.,
5 1 / 2 , 59 fr.) von ihm macht, um einen radikalen »Bruch« in der
Entwick-
lung
tritt
des
frühen
zum
späten
Marx
aufzuzeigen:
gerade
hier
die
Schellingsche Tradition ins Licht.
65 L. F., Das Wesen der Religion,
I.e., Bd. 10, 22/3.
66 L.c., 17.
67 L. F., Uber den Anfang der Philosophie,
I.e., Bd. 9, 145.
68 Wäre das Geschehen »zeitlos-ewig«, wie das der Hegeischen Logik
(vgl.
I , 10, 136, #> ), so geschähe gar nichts: »Ein ewiges Geschehen ist kein
Ge-
schehen. Mithin
ist die ganze Vorstellung jenes Processes und jener
Be-
wegung/eine selbst illusorische, es ist eigentlich nichts geschehen, alles
ist
287
griffen, durch welche jede nachfolgende Stufe (>Potenz<) ihre »etwas seyende« Voraussetzung sich unterwirft und als »das Höhere zugleich (zum) Begreifenden und Erkennenden des Niedereren« (sie) sich macht (I, 10, 103). Dies Höhere aber stand jedesmal auf einer seienden Basis und begriff sich als Moment eines mehr als nur logisdien Prozesses (WA I, 25 f.). Eine solche Methode vermeidet zugleich jene »Verdoppelung der Wahrheit< in die unbekümmert um den Menschen »für sich selbst« und die »für den Menschen« daseiende (Grundsätze, 340), d. h. in eine negativ-logische und eine positivanschauliche Wahrheit. 6 9 Schelling hat diese Dichotomie, die in Hegels Unterscheidung von Logik und Psychologie aufersteht, schon während seiner identitätsphilosophischen Phase gemieden. Die Naturphilosophie, schrieb er 1806, hat nicht zu tun mit »einem Wesen, das bloß in Gedanken ist, oder allein durch diesen [sie!] kann ergriffen werden, sondern sie ist eine Wissenschaft (. . .) des allein-Wirklichen, eben daher auch allein Anschaulichen und in allem Anschaubaren allein Angeschauten: (denn eine Anschauung, die nicht Anschauung des Wirklichen wäre, wäre auch nicht Anschauung)« (I, 7, 29,ß). Hier ist nicht nur Feuerbachs emphatische Gleichung von sinnlich Angeschautem und Wirklichem vollzogen; die »wahre Philosophie« - diejenige, die von »dem, das da ist, d. h. von der wirklichen, von der seyenden Natur« (I, 7, 30,4) handelt - trägt auch schon den Namen der » p o s i t i v e n « 7 0 (l.c. u. passim). Ihr eignet der Name »Naturphilosophie« nicht nur in Gedanken vorgegangen, und diese ganze Bewegung eigentlich
nur
eine Bewegung des Denkens« (I, 10, 1 2 4 / 5 ) . 69 »Das frühere System kennt nicht ein doppeltes
Werden, ein
logisches
und ein reales, sondern von dem abstrakten Subjekt, dem Subjekt in seiner Abstraktion ausgehend, ist es mit dem ersten Schritt in der N a t u r ,
und
es bedarf nachher keiner weiteren E r k l ä r u n g des Übergangs von dem L o g i schen in das Reale« (I, 10, 146). 70 Wie bei Feuerbach
geht sie auf
»das eigentlich
Unmittelbare
(. . .),
so wie dagegen [eine anschauungslose Philosophie] (. . .) das bloß M i t t e l bare, lediglich zu Erkennende« abstraktiv verallgemeinert ( 1 , 7 , 9 6 ^ ; 34» 93/4).
288
vgl.
deshalb, weil sie die Realität des Gedankens und der Geschichte leugnet, sondern weil Realität nur dem geschichtlichen Gedanken zugesprochen werden kann, der »das Positive der wirklichen oder Naturwelt« in sich aufbewahrt (I, 7, 3 0 , 3 ) . 7 1 Statt der Geschichte ihr Recht streitig zu machen, befreit sie sie vielmehr aus der Abstraktion des rein Geistigen und läßt als ein Selbstverhältnis der lebendigen Natur sichtbar werden, was als die negative Beziehung des >Weltgeistes< auf sich verkannt war. Nur indem Feuerbach gegen die Anmaßung eines geschichtlichen Idealismus diese Wahrheit der Naturphilosophie wieder zur Geltung brachte, konnte er indirekt zum Begründer des historischen Materialismus werden.
Zusammenfassung Wir haben sechs Einwände diskutiert, mit welchen Feuerbachs Hegelkritik an Schelling sich anschließt: 1. Hegels Philosophie beginnt nicht, wie sie behauptet, voraussetzungslos; denn sie setzt sich selbst (in der Potenz des Begriffs) voraus. 2. Ihre Negation der Wahrheit des Unmittelbaren nimmt dessen Wahrheit gerade in Anspruch; denn Vermittlung ist nur als formelle >Darstellung< eines für sich selbst nicht offenbaren Inhalts. Vollendete Darstellung der Unmittelbarkeit muß darum in der Negation ihrer selbst zur Unmittelbarkeit zurückkehren und bewahrheitet sie so. Als Selbstreflexion der >Sache< des Geistes hat sie notwendig an ihr ihr >Selbst<: die bloß sich überlassene Darstellung hätte keinerlei Kriterium 71 Will man eine Abhängigkeit Feuerbachs von der Münchener Vorlesung 1 8 2 7 / 8 nidit annehmen, ohne die frappanten Übereinstimmungen auf sich beruhen zu lassen, läßt auf diese Schrift sich verweisen. Darüber stammt Feuerbachs kleine Abhandlung Uber
das
Wesen
der
hinaus
Religion
aus
dem J a h r e 1845 und stützt sich auf die Bekanntschaft mit der Paulusschen Nachschrift von Schellings Berliner Vorlesung
1841/2
(erschienen
1843!).
- Daß Feuerbach sie kannte, wissen w i r aus dem Briefwechsel (s. o.).
289
für die Erkenntnis der Identität ihrer und ihres Inhaltes. - Hegels Versuch, die Vermittlung als die Wahrheit des Unmittelbaren zu überführen, erweist sich mithin als petitio principii. 3. Hegels Philosophie zeigt nicht, wie der Begriff seinen wirklichen Gegensatz, seine reale Entäußerung (Anschauung) in sich einholt und überwindet (sich gleich macht), sondern spiegelt nur die abstrakte Selbstbegegnung des Ideellen. 4. Sie reduziert im ersten Schritt das Sein auf den Begriff Sein und kann infolge dieser Weichenstellung nicht die Einheit des Seins mit dem Gedanken, sondern nur die Einheit des Begriffs in der Seins- mit demselben Begriff in der Potenz der Idee rechtfertigen. Sie verhält sich darum gegen die eigentliche Realität nur negativ (hat nicht sie zur Basis). 5. D a Hegel nur scheinbar vom transreflexiven Sein ausgeht, es in Wahrheit aber nur als unentfaltete Implikation der Reflexion voraussetzt, nimmt sich ihm als das Erste aus, was wirklich nur das Erste der Reflexion ist. Was für die Reflexion als ihr unmittelbarer Inhalt sich darstellt, ist gerade darum das an ihm selbst - oder der Realität nach - Zweite. Die Aufforderung, auf dem Kopf zu gehen, ist gegen Hegels Idealismus zu wenden: Er ist wahr nur, wenn man ihn auf den Kopf oder (um im Bild zu bleiben) wenn man ihn vom Kopf auf die Füße stellt. 6. Er scheitert an der Erklärung der Natur, die in keinem Falle als Entäußerung eines abstrakt Ideellen begriffen und doch in Hegels System auf andere Weise nicht zugelassen werden kann. Die Vielfalt dieser Gesichtspunkte läßt sich auf zwei miteinander eng verwandte Einsichten zurückverfolgen: die eine ist Fichteschen Ursprungs und besagt: Selbstreflexion ist denkbar nur unter der Voraussetzung einer unmittelbar mit ihrem Begriff einigen Anschauung (Schelling bedient sich dieses A r g u m e n t s 7 2 ausdrücklich, Feuerbach verkürzt es auf die 72 Dessen
Evidenz
Hegel
nie gesehen zu
haben
scheint:
beharrlich
be-
schreibt er intellektuelle Anschauung als eine Selbstreflexion des Denkens.
290
Thesis einer der Vermittlung schlechthin vorgängigen Unmittelbarkeit). Die andere wendet sich gegen einen Grundsatz idealistischen Philosophierens: die Ableitung der Realität aus dem Geist. Während Fichtes frühe Wissenschaftslehre Realität für einen Charakter des Vom-Ich-Gesetztseins erklärt (die Sphäre der Ichheit erschöpft die Sphäre möglicher Realität; das Nicht-Ich ist zugleich das Nichtseiende, seine Quasi-Realität vom Ich nur geborgt 7 3 ), hat Schelling auf dem Höhepunkt seines idealistischen Systems der Erkenntnis sich geöffnet, daß das Ideelle umgekehrt erst durch seine Äußerlichkeit Realität gewinnt, mithin nur sein kann auf der Basis der Natur. Die Identitätsthese ist damit nicht grundsätzlich außer K r a f t gesetzt: konkret (d. h. empirisch) Seiendes ist stets eine Synthesis des Ideellen und des Reellen - für sich allein ist keines der raum-zeitlichen Existenz mächtig; aber die Gewichte der synthesierten Relata sind anders verteilt. Das Ideelle oder »Seyende« ist zwar nach wie vor das, was sein soll; aber es ist nur, wenn ihm das »Seyn« zuvorkommt, ihm den Grund bereitet, im Wortsinn ihm >sub-jectum< wird. Dadurch wird das Selbstbewußtsein - statt das Sein zu seinem Attribut zu haben - zu einem Prädikat des subjectum gewordenen Seins (II, 3, 162, .>). In diesem Augenblick sind Voraussetzungen für eine material begründete Dialektik der Freiheit (vgl. Paulus, 4 6 3 , g e schaffen: diese überschreitet und negiert, erkennt und modifiziert das Sein, ohne es einerseits in sich aufzulösen (gelänge dies, sie würde damit selbst zu sein aufhören) und ohne andererseits durch prästabilierte Harmonie mit rein logischer Notwendigkeit auf eine transnaturale Synthesis des Begriffs mit seinem Anderssein zugetrieben zu werden. Feuerbach übernimmt diesen Gedanken von Schelling und wendet ihn gegen Hegel. Was ihn gegen dessen Idealismus ins Recht setzte: die Insistenz auf der Selbständigkeit des Seins gegenüber der Vermittlung, reicht allerdings gefährlich weit an die Grenze einer 73 V g l . Fichtes WL von 1794, § 1, 10. Abschnitt.
291
neuen Abstraktion: der Reduktion des Erkennens aufs Sein. Ihr ist mit Schelling entgegenzuhalten, daß zwar nur das Sein die Realität der Reflexion sichert, daß sie aber mit jenem nicht zusammenfällt, sondern sich als ein freies Verhältnis mit ihm vermittelt, d . h . aber zugleich: von einer die Abstraktheit beider Relata übergreifenden Identität in Regie genommen weiß. Sie erst ist der Grund des Konkreten, nämlich des »Seyenden, das es Ist«, der substantiellen Einheit des Seins und dessen, als was sich das Sein erkennend und handelnd bestimmt. Zweifellos signalisiert die Umgewichtung des Verhältnisses von Denken und Sein eine Wende in der Geschichte der Moderne. >Konkret< heißt fortan nur der Gedanke noch, der jenseits seiner selbst mit dem Sein sich einläßt und mit ihm zu einer wirklichen, bestimmten und zeitlichen Synthesis zusammen wächst. 7 4
74 Vgl. L. F., Der Wille innerhalb 292
der Zeit, I.e., Bd. i i , 6i ff
VII
K a r l M a r x — Geschichte als Selbstverhältnis der Natur
Es ist nicht schwierig, den Begründer des historischen Materialismus in die Tradition der >positiven Philosophie< einzuordnen. Seine Kritik an Hegels Philosophie bekennt sich ausdrücklich zu Feuerbachs Vorbild. Im Unterschied zu den Junghegelianern, deren Kritik »vollständig« 1 im Magnetfeld Hegelscher Abstraktion verharrt, sei er der erste und »einzige, der ein ernsthaftes, ein kritisches Verhältnis zur Hegeischen Dialektik hat und wahrhafte Entdeckungen auf diesem Gebiete gemacht hat, überhaupt der wahre Uberwinder der alten Philosophie ist« ( M E W , /. Erg. bd., 569). Und zwar in drei Rücksichten: 1. als Entdecker der geheimen Verschwisterung des Hegelianismus mit der Theologie - beide »entfremden« des Menschen Wesen zu einem übermenschlichen Subjekt-Objekt - (I.e., 569), 2. als Begründer »des wahren Materialismus« auf der Basis eines gesellschaftlichen Interaktionsverhältnisses der Menschen, 3. durch seinen Ausgang von einem solchen Positiven, das nicht Resultat selbstbezüglicher Negation, sondern durchaus »positiv auf sich selbst begründet« ist (I.e., 570).
Kritik
der Hegeischen
Dialektik und Philosophie (1844)
überhaupt
Gemeinhin werden zwei Phasen in Marxens Verhältnis zu Feuerbach unterschieden: die Zeit der Arbeit an den sogenannten ökonomisch-philosophischen Manuskripten, in denen Marx Feuerbachs Hegelkritik fast ganz sich zu eigen macht, 1 MEW,
/. Ergänzungsband
( = Marx* Schriften bis 1844), 1 . T e i l . Berlin
1968, 568 (hinfort zit. >/. Erg.bd.<
im laufenden T e x t ) .
Im Schlußkapitel der Philosophisch-ökonomischen M a r x ausdrücklich auf Feuerbachs Thesen,
tis<« und die Philosophie
der Zukunft
Manuskripte
bezieht sich
die Beiträge »in den >Anecdo-
(ebd.). 293
und die Zeit der Arbeit an der Deutschen Ideologie, in welcher er von Feuerbach abrückt. Diese Darstellung bedarf der Korrektur insofern, als die Aneignung Feuerbachs schon in der früheren Schrift unter einer ganz bestimmten Perspektive erfolgt ist. Das wird manifest z. B. an Marxens Behandlung der Negativität, der er ein anderes Gewicht einräumt als Feuerbach. Schon darin äußert sich ein Vorbehalt gegen die ahistorische Anthropologisierung des >Positiven<. Freilich läßt Marx den heuristischen Vorzug des Feuerbachschen Gedankens nicht unbenutzt: Um die »menschliche Wirklichkeit* (/. Erg. bd.y 540) unter Bedingungen ihrer Entfremdung verstehen zu können, bedarf es nämlich eines Kriteriums, das die Reduktion ihrer geschichtlichen Realität auf eine bloß logische Kategorie verhindert. Dazu eignete sich der über Feuerbach tradierte Schellingsche Nachweis, daß das Reelle nicht abhängt von der >Selbstbeziehung der Negation< (I.e., 583 u.). Daran war grundsätzlich festzuhalten, wenn es darum ging, das inverse Verhältnis von Realität und Idealität in Hegels Philosophie selbst historisch, nämlich als ideellen Reflex realer Entfremdung des Menschen und der »bürgerlichen Gesellschaft zu deuten (I.e., 571, 585^, u. passim); das Mißverständnis aufzuklären, in welchem Hegels Philosophie als Zeitgenossin ihrer »Welt« notwendig auch sich selbst gegenüber sich befand. Eine >Verkehrtheit< dieses Typs besteht nach Marx in der ganzen Anlage des Hegclschen Systems: Es beginnt als Logik »mit dem reinen spekulativen Gedanken« (I.e., 571), kennt Natur und Wirklichkeit nur als das Zwischenspiel seiner »Selbstvergegenständlichung«, also nur als ein Ideelles, und kehrt in den selbstbewußten Geist als in seine wesentliche Wahrheit und Heimat zurück.2 Ein von der Natur, die nicht Idee, nicht Gedanke ist, abstrahierendes Denken hat aber nur mit sich selbst zu tun und bleibt auch da noch »abstrakt*, wo es ganz mit sich abzubrechen, ganz außer sich zu sein vorgibt (I.e., 572, 2 V g l . MEW
294
2, 203 und passim.
Nun besteht die »Illusion der Spekulation« gerade darin, daß ihr, indem sie jedes Bewußtsein von etwas als undurehschauten Modus des Selbstbewußtseins unterstellt, auch der >Gegenstand< den Charakter der Selbstheit annimmt (I.e., 575/6). Dies vorausgesetzt, ist das Bewußtsein »in seinem Anderssein als solchem bei sich« (I.e., 580), und zwar »nicht nur für uns oder an sich, sondern für es selbst« (I.e., 576). In diesem Fall ist es gar nicht mehr nötig, die vermeintliche Positivität eines transreflexiven Seins durch Reflexion zu brechen (die Gegenständlichkeit als solche zu »überwinden« [I.e., 575/6]). Es genügt zu zeigen, daß unter den Blicken der Reflexion der Gegenstand von selbst als eine *Abstraktion« sich enthüllt, die den Keim ihrer eigenen Aufhebung in sich trägt. In diesem Augenblick scheint sich der Schelling-Feuerbachsche Vorwurf bloßer Negativität ad absurdum zu führen: denn die (zugestandene) »Nichtigkeit des Gegenstandes« ist gerade in einem die »Selbstbestätigung« (I.e., 580) seiner ursprünglichen Einheit mit der unhintergehbar selbstbezogenen Negativität der Reflexion und deren Umwendung ins Positive. Anders gesagt: die Selbstnegation des Gegenstandes als eines negativen enthüllt gerade seine positive Einheit mit der Negation, als welche das vollendete Selbstbewußtsein sich durchsichtig ist (ebd.). Die Konsequenz dieses Gedankens ist unumstößlich, läßt man sich auf seine Voraussetzung ein. Diese lautet auf die Autonomie der - als negative Selbstbeziehung gedachten - Reflexion (bzw. ihrer »einzigen Daseinsweise«, des »Wissens« [I.e., 58oM u. MEW 2, 203]). Von ihr als dem selbstgewissen Wesen ausgehend, kann der Gegenstand nicht anders bestimmt werden denn als ein relativ aufs Wissen Nichtseiendes: er ist nur als dessen unmittelbare »Selbstentäußerung« (/. Erg. bd.y 580), als des Wissens eigener Reflex. Das Wesen schaut also im »Schein eines Gegenstandes« (ebd.) seine eigene »Nichtigkeit« an. In diesem Augenblick enthüllt, was dem Reflex als Substrat zu dienen versprach, selbst sich als des Seins beraubt, und die Beziehung des negierenden auf den negierten 295
Reflex läßt die ganze Relation im Abgrund des Nichtseins verschwinden (»die sich als Abstraktion erfassende Abstraktion weiß sich als nichts« [I.e., 585]). Der Versuch, das Sein des Objekts von der Seinsweise der Reflexion abhängig zu machen, bringt also die bodenlose Irrealität und Abstraktheit einer Philosophie ans Licht, welche Marx in auffälliger Radikalisierung von Schellings Kritik »absoluter Negativität* und »abstrakter Logizität« bezichtigt (I.e., 585). Solcher Gefahr ist nur zu begegnen, wenn die Autonomie der Reflexion als solche bestritten werden kann: Sie muß es sogar; denn wenn die auf sich gestellte Negation ihr eigenes Sein aus sich nicht zu begründen vermag, kann sie es nur bei einem toto coelo von ihr Unabhängigen borgen. Ihm muß der Charakter vonSelbstbeziehung-unabhängiger Positivität zukommen; andernfalls fiele es augenblicklich wieder mit dem Resultat der Selbstnegation zusammen und enthüllte sich als ein Seinsmerkmal des Wissens. Übrigens übernimmt Marx das Argument, die als »Negation der Negation« gefaßte »Position« könne »nicht durch ihr Das e i n 3 sich selbst«, nämlich ihre Wirklichkeit, unter Beweis stellen (I.e., 570), ausdrücklich von Feuerbach, indem er hinzufügt, nur mithilfe seiner lasse sich die Abstraktheit des Hegelschen Systems als solche entlarven. Sie kann nun in ihren verschiedenen Aspekten aufgedeckt werden: Wenn die Selbstentäußerung des Gedankens und die Aufhebung der Entäußerung nur verschiedene Ausdrücke für die Seinsweise des Gedankens sind, gibt es Äußerlichkeit und Aufhebung je nur im Denken selbst, ohne daß Realität auch nur ins Spiel käme (I.e., 582/3): beide Akte sind »nur formell* und folglich »abstrakt* (I.e., 584); denn Realität 3 Der
Ausdruck
>Seinswcise<
zu
das Bewußtsein
»Dasein« ersetzen.
ist
Marx
irreführend gibt
und
wäre
sinngemäß
selbst an, er meine
»die
ist, und wie etwas f ü r es ist« (/. Erg.bd.,
Art,
wie
580,^).
Daß
er >Dasein< nicht als ontologische K a t e g o r i e verwendet, zeigen rungen wie diese, des Geistes »wirkliches Dasein (sei) die (I.e., 572).
296
durch
FormulieAbstraktion«
ist nicht als wirklicher Gegensatz, als Basis der Reflexion zugelassen, sondern als internes Moment in ihr untergangen. Es gibt Wirklichkeit nur in der Potenz des Ideellen (als logische Kategorie). Dem entspricht einerseits Hegels Reduktion sämtlicher Akte des Selbstbewußtseins auf ihre letztlich rein theoretische Funktion als »Wissen« (I.e., 580,0), andererseits seine Indulgenz gegen das dem Begriff Äußere: ist es substantiell eines mit dem Selbst, welches in ihm ja nur bei sich ist, so wird der Rückzug in seine eigentliche und wahre (weil angemessene) Gestalt zu einem sowohl vermeidbaren wie jederzeit möglichen Luxus. Die eine Möglichkeit signalisiert, was Marx den »falschen Positivismus Hegels oder seinen nur scheinbaren Kritizismus« nennt (I.e., 581) - seine »Akkomodation (. . .) gegen Religion, Staat etc.« (ebd.) 4 - , sein implizites Einverständnis mit dem Genügen der »Vernunft« an der »Unvernunft« als dem undurchschauten Anderen ihrer selbst (ebd.); die zweite exkulpiert die Toleranz gegenüber dem »Scheinwesen oder dem sich entfremdeten Wesen in seiner Verneinung« (ebd.) damit, daß es durch kontemplative Rück»Verwandlung [des Scheins] in das Subjekt« (ebd.) jederzeit »eigentlichen bei sich zu sein vermöge. Durch solche Reflexion lasse ich aber die bestimmte und individuelle Existenz der uneigentlichen Gestalten des Geistes als das, was sie ist, »stehn« und erreiche ihre Wahrheit im »Denken«, das die Realität als eigenständige Kategorie schon hinter sich gebracht hat (I.e., 582). Ich hebe sie mithin nur im Denken auf (I.e., 582,4), lasse hingegen ihre sinnenfällige Wirklichkeit als >aufgehobene< - aber nicht zerstörte - auf sich beruhen. Hegel 4 Davon
»kann
(. . .) keine
Rede
seines Prinzips ist« (/. Erg.bd.,
mehr
sein,
da
diese
Lüge
die
Lüge
ebd.).
Der allgemein M a r x zugeschriebene V o r w u r f , Hegel »accomodirc« sich der jeweils
herrschenden
politischen
»Tageordnung«,
brillante Besprechung der Rechtsphilosophie
teaner im Hermes
zurück. Vgl. Hermes
J a n . 1822, I, 3 0 9 - 3 5 1 , dort 3 1 0 / 1 1 ;
geht
wörtlich
auf
durch einen anonymen
oder
Leipz.
Krit.
Jahrb.
die Fich-
d.
wieder abgedruckt bei K . - H .
Lit.t Ilting
(ed.), I.e., 403. V o r M a r x hatte sich auch Schelling schon ähnlich geäußert;
vgl. Frank, Heine und Schelling,
I.e., 301. 2
97
nimmt auch weniger an dem »bestimmten Charakter des Gegenstandes« als an seiner kategorialen >Gegenständlichkeit< als solcher Anstoß (I.e., 580,1). Darum bringt er kein ursprüngliches Interesse auf für die empirischen Modifikationen der Entfremdung, sondern faßt sie grundsätzlich als Weisen von Selbstvergegenständlichung des Gedankens (I.e., 572/3). Ebenso wenig redet er von einer sinnlich-gegenständlichen, durch Bearbeitung sich vollziehenden Vermenschlichung der an sich seienden Natur als von einer fundamentalen Realität: wenigstens behandelt er sie nicht aus der Motivation eines autochthon philosophischen Erkenntnisinteresses, da er die Wahrheit der »Menschlichkeit der Natur und der von der Geschichte erzeugten Natur« erst in den »Geist«, in die »logische« Form derselben, setzt (I.e., 573 f.). Der Prozeß jedoch, der Substanz sukzessiv in Subjekt umwendet, Subjektivität indes nicht als irreduzibel positiv-sinnliche, d. h. menschliche Tätigkeit anerkennt (vgl. I.e., 577), sondern über die Alternative von realem Äußeren und realer Verinnerung immer schon ideell hinaus zu sein wähnt dieser Prozeß erweist sich in der substanzlosen Negativität seines »Resultats« unversehens als abhängig von der Realität, deren Eigenständigkeit er gerade aufgehoben hatte: er ist nur, wenn er mehr ist als Selbstbewegung des Begriffs. Sein Sein hat er in der unaufhebbaren Positivität seines wahren Subjekts, der »menschlichen Wirklichkeit«. Bei Hegel aber werden »der wirkliche Mensch und die wirkliche Natur (. . .) bloß zu Prädikaten, zu Symbolen dieses verborgenen unwirklichen Menschen und dieser unwirklichen Natur. Subjekt und Prädikat haben daher das Verhältnis einer absoluten Verkehrung zueinander ( . . . ) « (I.e., 584). 5 5 Vgl. MEW
1, 209, 224 f. Die Entdeckung dieses »ordo inversus< steht im
Hintergrund jener berühmten Metapher des >Vom-Kopf-auf-die-Füße-Stellens< (vgl. MEW
23, 27 und MEW
3, 26): Ihr alleiniger Sinn ist die Insistenz auf
dem nicht hintergehbaren Primat der »menschlichen Wirklichkeit« ( M E W 2, 203) vor ihrer »Verhimmelung« in Gestalt einer verselbständigten (I.e., 83) H y p o stase des
298
»nur von sich selbst wissenden
und von keiner
gegenständlichen
Solche Inversion - Marx bezieht sich direkt auf den durch Feuerbach vermittelten Gedanken des alten Schelling - hat ihren Grund in einer nicht seinerseits in Frage sich stellenden Reflexion: Von sich als einem nur »sich selbst abspiegelnden Spiegel« 6 aufbrechend, führt die Negation der eigenen >Wesentlichkeit< lediglich auf die »Abstraktion (eines) wirklichen Welt mehr genierten« ( M E W 2, 204) Selbstbewußtseins. M a r x hat dies A r -
gument in der Kritik u. passim),
in der
des Hegeischen Staatsrechts (MEW 1 , 206-208, 240/1 Heiligen
Familie
passim) und in der Deutschen
(MEW
Ideologie
(MEW
2,63,.,;
145 f f . ; 2 0 3 - 2 0 5
3, 82-84 u. passim) ebenso
anschaulich w i e ausführlich w i e d e r h o l t : Hegels Philosophie ist die
kehrte
Welt«
(MEW
1 , 378), indem sie »den Menschen
des Selbstbewußtseins, Menschen,
des
zum
Menschen
gegenständlichen,
daher
auch
in
2, 204). Ihre ek-statischc
f ü r sich des Seins gebührenden
nicht Mächtiges
Entsetzung
O r t zu entfernen, indem der G e d a n k e
1 , 384) und sein »verkehrtes
Weltbewußtsein«
von
wirk-
Menschen«
aller R e a l i t ä t
(ebd.) ist daher
des
einer
lichen, gegenständlichen Welt lebenden und von ihr bedingten macht (MEW
»ver-
statt das Selbstbewußtsein zum Selbstbewußtsein
wirklichen,
u.
dem
in
ihr
verwirklicht
ein nicht
(MEW
selbst verkehrt, d. h. a u f g e -
hoben w i r d . Noch die berühmte methodologische Reflexion aus der Einleitung
tik der politischen
Ökonomie
zur
Kri-
von 1857 (MEW 13, 631 ff.) muß als Anwen-
dung der Einsicht in das inverse Verhältnis von R e a l i t ä t und Begriff gelesen w e r d e n . Sie ist darum weder geeignet, Althussers These v o n
einem
>Bruch< zwischen dem frühen und dem späten M a r x zu verifizieren, noch erschöpft sie sich darin, M a r x e n s A n v e r w a n d l u n g
von Hegels
»regressiv-
progressiver Methode« zu dokumentieren (vgl. A l f r e d Schmidt,
und Struktur.
Fragen
einer marxistischen
Historik,
Geschichte
München 1 9 7 1 , 62 ff.
im K o n t e x t ) . - M a r x rekonstruiert nämlich nicht nur die D i a l e k t i k schen dem, w a s logisch 632) (MEW
also
die
23, 27)
»Resultat« und wirklich
Dialektik
von
zwi-
» A u s g a n g s p u n k t « ist (I.e.,
»Darstcllungs-«
und
»Forschungsweise«
er schließt sich gerade darin an Schellings
Hegelkritik
an, daß er das inverse Verhältnis von R e a l - und logischem P r o z e ß allein dem » D e n k e n « anlastet und Hegels »Illusion« in den Umstand setzt, daß dieser f ü r ein Gesetz der kehrung der Methodologie »das R e a l e «
Realität
Reflexion gründet
hält, was ausschließlich
(MEW
13,632).
an die materialistische R e v i s o n sei als »Resultat
Damit
in der
knüpft
der Hegelschen
(. . .) des sich aus sich selbst
Ver-
Marxens
These
an,
bewegenden
Denkens zu fassen« (ebd.) - an Einsichten seines F r ü h w e r k s also. 6 J . G . Fichte, Wissenschaflslehre Schriften,
1798
(nova methodo), in:
Nachgelassene
hg. von H a n s J a c o b , Berlin 1 9 3 7 , Bd. 2, 3 7 7 .
299
Dings«, d. h. auf einen ideellen Reflex seiner eigenen Geistigkeit (auf den »Schein« [I.e., 577]). Die Negation der N e g a tion kann diese Idealität daher auch nicht wirklich in Position umwenden: sie bleibt potenziertes >Bild< ihrer eigenen Nichtigkeit. Ohne ein reales Substrat, welches dem neant der Reflexion zur tragenden Basis würde, müßte sie wie der Fliegende Holländer am Jüngsten Tage in Nichts zergehen. Das wahre Subjekt kann darum nicht das logische * S e t z e n d i e s spekulative Gespenst eines des Seins beraubten Bewußtseins, sondern allenfalls »der wirkliche, leibliche (. . .) Mensch«, sein (I.e., 5 7 7 , 0 ) : N u r f ü r ein Selbst-Objekt kann es Objekte geben (ebd.) 7 : mit deren erfolgreicher Negation hätte die Reflexion sich selbst genichtet. Damit verkehrt sich aber das Hegeische Verhältnis von Wesen und Äußerung; das Äußere macht seinen Primat als basales Subjekt, als vjtoxet^evov eines Prozesses von Verinnerung und Rückentäußerung seiner und der N a t u r geltend - einfach darum, »weil es [das Subk e k t ] von Haus aus Natur ist« (ebd.). Dagegen schreitet Hegels Philosophie von dem, was in Wirklichkeit Entäußerung, zu dem, was wirklich Wesen ist. Die abschließende, resultierende »Negation der Negation« stellt daher die anfängliche »Entfremdung« der >mensdilidien Wirklichkeit< wieder her (I.e., 586,.,): in den Augen der Reflexion von Position über Negation zu Position sich bewegend, schreitet seine Philosophie - ordine inverso - von der Selbstentfremdung des Menschen zu seiner totalen Negation. D a ß M a r x den Gedanken vom Primat des Positiven vor 7 Bekanntlich hat M e r l e a u - P o n t y seine phänomenologische Ontologie des Leibes auf
auf
diesen
Sachverhalt
Schelling (vgl. z . B .
gegründet.
1,3,570/1),
Das
Argument
unmittelbar
auf
geht
mittelbar
Feuerbach
zurück.
M a r x ist sich dessen bewußt, wie freie Zitate beweisen:
»Gegenständlich,
natürlich, sinnlich sein
Sinn außer sich
und sowohl Gegenstand, N a t u r ,
haben oder selbst Gegenstand, N a t u r , Sinn f ü r ein drittes sein ist identisch«, u n d : »Ein Wesen, welches nicht selbst Gegenstand f ü r ein drittes Wesen ist, hat kein Wesen zu seinem Gegenstand, gegenständlich, 578).
300
sein Sein
ist kein
d. h. verhält sich nicht
gegenständliches«
(MEW,
/.
Erg.bd
der Reflexion - und darum ist uns vordergründig zu tun - nicht unabhängig von Schelling entwickelt hat, dafür gibt es glücklicherweise einen Beleg, der nicht auf Feuerbach als Vermittler, sondern geradewegs auf Schelling selbst zurückverweist 8 : Die Schlußpassage der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte lehnt sich in ihrer Polemik gegen Hegels Konstrukt einer Entäußerung der als abstrakt sich durchschauenden Idee in die Natur durchweg paraphrastisch an Schelling an: Während Anklänge solcherart, »die Abstraktion, i. e. der abstrakte Denker«, habe die Idee nur darum zur Selbstaufgabe »in ihr Anderssein« sich entschließen lassen, weil er schon vorher »durch Erfahrung/gewitzigt und über ihre Wahrheit aufgeklärt« gewesen sei (I.e., 585/6), auf die Bekanntschaft mit der Paulusschen Nachschrift schließen lassen?, bezeugt ein direktes Zitat die Kenntnis von Schellings 1834 erschienener »Vorrede zu einer philosophischen Schrift des Herrn Victor Cousin«A 0 Schelling schreibt dort: 8 Wir begnügen uns mit dem H i n w e i s auf diese Übernahme. D a ß der Schellingschen
Naturphilosophie
-
zu der weder er noch
Marx
Engels
je
anders als anerkennend sich geäußert haben - einiges verdankt, ist m a n i fest in einer Reihe von terminologischen Anleihen. A l f r e d Schmidt
(Der
Begriff der Natur in der Lehre von Marx, Frankfurt/M. 1962) hat darauf sowie auf die »nicht unbedeutende Rolle« der Schellingschen
Hegelkritik
f ü r Marx (und Engels) hingewiesen (z. B. I.e., 13 f., 43, 73 f. 1 5 1 ) . 9 Marx hat sich zu dieser Publikation gelegentlich geäußert, so e t w a dem schon zitierten man ohne G e w a l t
Brief auf
an Feuerbach
eine
Kenntnis
(MEW des
27, 420). Aus ihm
Inhalts
schließen:
in
kann
wenigstens
spricht er von den Zusätzen ihres Editors verächtlich als von der »Suppe des alten Paulus« (ebd.). Über den
Inhalt
von
Schellings
Berliner
Vorlesung
1841/2
war
Marx
dieser Schrift wie
über-
ja ohnehin durch Friedrich Engels informiert. 10 Auch über Begleitumstände der Publikation haupt über Einzelheiten Cousin
werden
von Schellings Rezeption
Pierre L e r o u x ,
Romantiker,
in Frankreich -
Mystiker
und
neben
Materialisten
als Adepten genannt - zeigt sich M a r x in dem besagten Brief an Feuerbach erstaunlich gut informiert. Der dritte Abschnitt bringt manifeste lungen an Schellings Selbstdarstellung in der Cousin-Vorrede 420), auf
deren
Kenntnisnahme
Marx
die
französische
Anspie-
(MEW
27,
Schellinglektüre
ja nicht zuletzt zurückführt.
301
»(...) die logische Selbstbewegung des Begriffs ( . . . ) hielt, wie vorauszusehen, so lang vor, als das System innerhalb des bloß Logischen fortging; sowie es den schweren Schritt in die Wirklichkeit zu thun hat, reißt der Faden der dialektischen Bewegung gänzlich ab; eine zweite Hypothese wird nöthig, nämlich daß es der Idee, man weiß nicht, warum? wenn es nicht ist, um die Langeweile ihres bloß logischen/Seyns zu unterbrechen, beigeht oder einfällt, sich in ihre Momente auseinanderfallen zu lassen, womit die Natur entstehen soll« (I, 10, 212/3). M a r x beschreibt den gleichen Sachverhalt mit folgenden Worten:
»Dieser ganze Ubergang der Logik in die Naturphilosophie ist nichts andres als der - dem abstrakten Denker so schwer zu bewerkstelligende und daher so abenteuerlich von ihm beschriebne Übergang aus dem Abstrahieren in das Anschauen. Das mystische Gefühl, was den Philosophen aus dem abstrakten Denken in das Übrigens sind die ökonomisch-philosophischen
Manuskripte
von des Menschen »realer Basis«, dem »Band
(der N a t u r ) mit dem Men-
schen« (MEW,
/. Erg.bd537),
dem P l ä d o y e r
f ü r die »Anschauung«
Unterschiedenheit des Denkens
mit ihrer Rede
der »Resurrektion der N a t u r « (I.e., 538), (I.e., 587/8), ihrer These von
und Seins in ihrer gleichzeitigen
der
Einheit
(I.e., 5 39» 4 ) usw. reich an offensichtlichen A n k l ä n g e n an Schelling, dessen Schriften M a r x , wie nicht bloß der Brief an den V a t e r v o m (I.e., 9, 0 ) beweist,
»einigermaßen«
gekannt
hat:
Die
10. n . 1 8 3 7
Anmerkungen
zur
Dissertation beziehen sich ein paarmal sehr zustimmend auf Schelling (I.e., 3 6 8 - 3 7 3 ) , dem geraten w i r d , »seiner ersten Schriften sich wieder zu besinnen« (I.e., 369). M a r x nimmt ihn interessanterweise als G e w ä h r s m a n n zur E n t l a r v u n g des entweder tautologischen oder
schlecht-metaphysischen
C h a r a k t e r s der Hegeischen Gottesbeweise in Anspruch. In diesem Z u s a m menhang zitiert er Schellings W o r t : »Es ist Verbrechen an der Menschheit, Grundsätze zu verbergen, die allgemein mitteilbar sind« (I.e., 573 - I, 1, 341) und bezieht sich so indirekt auf das Älteste Systemprogramm, sinnlichung
der
Ideen
verlangt,
um
für
immer
die
welches die Ver-
Kluft
zwischen
dem
V o l k und »seinen Weisen und Priestern« zu überwinden. Dieser Forderung entspricht ein anderer Satz Schellings aus dem J a h r e pien«
der
Philosophie
anderen Gestalt Wieland
»sollen
und
müssen
1 7 9 5 : Die »Princi-
(. . .) auch -
in einer
v o r das V o l k gebracht werden« (I, 1 , 280). W o l f g a n g
(I.e., 426 ff., 430) hat mit Recht darauf
aufmerksam
daß hier ein erster Ansatz zu der von M a r x geforderten
gemacht,
»Verwirklichung
der Philosophie« geleistet sei (vgl. I, 10, 194,.,; I I , 1, 5 6 5 / 6 0 ; 589/90).
302
ganz
Anschauen
treibt, ist die Langweilet
die Sehnsucht
nach
einem
Inhalt. ( . . . ) insofern diese Abstraktion sich selbst erfaßt und über sich selbst eine unendliche Langweile empfindet, erscheint bei Hegel das Aufgeben des/ abstrakten, nur im Denken sich bewegenden Denkens ( . . . ) als Entschließung, die Natur
als Wesen anzuerken-
nen und sich auf die Anschauung zu verlegen« (MEW,
i. Erg.
bd.,
586/7). Marx hat auch darin an Schelling sich angeschlossen, daß er die Natur, die nur als Evolut der reinen Idee zustandekommt, *abstrakt* nennt: Nur ein vom Sein präveniertes Denken - Marx würde sagen: ein selbst gegenständliches Wesen - könnte in die Sphäre der Wirklichkeit sich entäußern (I.e., 587); nur ein selbst Existierendes könnte handeln und objektive Spuren seiner Tätigkeit an den Dingen der Welt hinterlassen.
Wirklichkeit und Geschichte - Grundlagen des historischen Materialismus Gibt der Rückgriff auf Schelling Mittel an die Hand, um die »menschliche Wirklichkeit< unter Bedingungen ihrer Entfremdung zu begreifen? Zweifellos gewinnt Feuerbachs Negation der Hegeischen Veräußerung des wirklichen Menschen an die Theologie des absoluten Geistes den ursprünglichen Sinn der Schellingschen Identitätsformel wieder: Indem sie das negative Denken in ein Verhältnis zum Positiven und nicht abermals zu dem bloßen Gedanken dieses Positiven setzte, erreichte sie schon Jahrzehnte vor Feuerbach und Marx den Begriff jener »vollendeten Wesenseinheit des Menschen mit der Natur« (MEW, /. Erg. bd., 538), welche Marx als die »beide vereinigende Wahrheit« »sowohl von dem Idealismus, als dem Materialismus unterscheidet« (I.e., 577). Verführt aber der Satz, das Wesen müsse zumal außerwesentlich existieren, nicht zu einer ungeschichtlichen Ontologisierung jener »Identität von Natur und Mensch« (MEW 3, 303
3 1 ) 1 1 ? Nicht unter der Bedingung, daß sie konsequent als ein Verhältnis gefaßt wird. Dies versäumt zu haben ist der Kern des Vorwurfs, den Marx Feuerbach macht, darin entschieden zur Hegeischen »Dialektik der Negativität als dem bewegenden und erzeugenden Prinzip« sich bekennend (MEW, /. Erg. bd.y 574). Zugestanden wird Feuerbach, die Independenz des Positiven von der Selbstbeziehung der Negation nachgewiesen zu haben. Indem er sie jedoch - in unpräziser Verquickung mit der Praxis - unter dem Titel der Anschauung abhandelte und von der Selbsttranszendenz und Durchsichtigkeit des Bewußtseins abtrennte, fiel er hinter eine fundamentale Einsicht des Idealismus (insbesondere Fichtes und Schellings) zurück. Die dem Gegenstand gleichgesetzte Anschauung dem Bewußtsein opponieren, heißt nämlich: sie zur totalen Blindheit eines an sich seienden und opaken Dings verurteilen und Hegels Abspaltung der sinnlichen Gewißheit von deren erst nachträglicher Bewahrheitung durch die Reflexion applaudieren. In diesem Augenblick treffen Schellings Einwände gegen Hegels transzendente Behandlung des Seins als der »unbestimmten Unmittelbarkeit* auch Feuerbach. Die einzige Möglichkeit, ihnen zu entkommen, wäre die Anerkennung des Bewußtseins als eines nicht-thetischen Verhältnisses zum eigenen Sein, d. h. seine Anerkennung als einer unmittelbar ihr eigenes Sein »bestätigendem (I.e., 579,->) Anschauung, die es ohne einen Schritt vermittelnder Distanzierung auch für sich selbst (als Begriff) ist. (Nur im >setzenden< Abstandnehmen der Reflexion vom Sein kann ja der Schein entstehen, als höbe sich dessen Bestand in das Neant des
11
Zitate
über
aus
Feuerbach
dem
3. B a n d
(5-7)
und
der
das
MEW
von
beziehen
Marx
und
sich Engels
v e r f a ß t e grundlegende Feucrbachkapitel der Deutschen
auf
die
Thesen
gemeinschaftlich
Ideologie
von
1845/
6. Aus heuristischen Gründen blenden w i r den Engelsschen Anteil an diesem
Manuskript
vorläufig aus, indem
wir
uns auf
Gedanken
deren Genese eindeutig auf die ökonomisch-philosophischen und die Feuerbachthesen sich zurückverfolgen läßt.
304
beziehen, Manuskripte
Wesens auf. In Wahrheit kann, wie Schelling 12 gezeigt hatte, ein Neant, d. h. ein Sein-und-nicht-sein-Könnendes, nur existieren auf der Basis eines >esse subsistens<, dessen nur relative Negation - in ein >esse apparens< dessen Erkennen es ist: andernfalls wäre das Bewußtsein nicht nur eine idealistische Abstraktion, sondern ein absolutes Nichts - rien.) Dieser Einsicht weiß sich auch Marx verpflichtet, wenn er das »Selbstbewußtsein (. . . als) eine Qualität der menschlichen Natur, des menschlichen Auges etc.« bestimmt (I.e., 575). Indem er es als deren unmittelbaren Reflex zu einem notwendigen Prädikat der menschlichen Seinsweise macht, widerspricht er der Hegeischen Verkehrung des Verhältnisses beider und steht zu der Feuerbachschen Entdeckung der Priorität des Seins vor dem Bewußtsein. Er überschreitet sie zugleich, indem er jeder der menschlichen >Wesenskräfte< - also auch der Anschauung und der Praxis - »die Eigenschaft der Selbstigkeit« zuspricht (ebd.). Dieser Rückgriff auf ein durch Feuerbachs Realismus gleichsam korrigiertes Fichtesches >Selbstbewußtsein< verschafft Marx die Möglichkeit, Hegels Dialektik der autonomen Negation widerspruchslos auf den Gedanken transreflexiver Positivität aufzustocken: Unmittelbar ist der Mensch ein Naturwesen (I.e., 578). Er ist es, insofern >er sich nicht von der Natur, deren Teil er ist, unterscheidet<, insofern >er sie ist< (I.e., 5i6, 4 ). Aber er geht in der Bewußtlosigkeit reinen Innestehens in der >Lebenstätigkeit< nicht auf, er macht sie - und zwar >unmittelbar< »zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtseins. Er hat [selbst-Jbewußte 1 3 Lebenstätigkeit. Es ist nicht eine Bestimmtheit, mit der er unmittelbar zusammenfließt« (ebd.). Das wäre schon deswegen unmöglich, weil sein rein-natürliches 1 2 U n d nach ihm natürlich J . - P . Sartre, an dessen Terminologie w i r uns mit Absicht anlehnen. 13 »Bewußtsein«
hat offensichtlich die Bedeutung
von
»Selbstbewußtseins
An anderer Stelle macht M a r x das deutlich: »(. . .) der Mensch ist nicht nur N a t u r w e s e n ,
sondern er ist menschliches
selbst seiendes Wesen« (MEW,
/.
Naturwesen;
d. h. f ü r sich
Erg.bd579).
305
Sein als unmenschliche Abstraktion seiner »vollendeten Wesenseinheit< mit dem Begriff widerspricht (vgl. I.e., 5 1 4 / j ) . Marx drückt das so aus: »Weder die Natur - objektiv noch die Natur subjektiv ist unmittelbar dem menschlichen Wesen adäquat vorhanden« (I.e., 579). Insofern beide Abstraktionen - Schelling unterschied sie als >rein Seiendes* und >rein Wesendes< - ihrer konkreten Bestimmung (dem »Wesen, das es Ist<) notwendig unangemessen (»inadäquat«) sind, kann man in der Tat davon sprechen, daß die Selbsttranszendenz die ontisch-ontologische Grundverfassung des Menschen sei: Menschliche Wirklichkeit ist Negation ihres naturhaften Seins nur, insofern sie als Negation ihrer eigenen Negativität zugleich für dessen unaufhebbare Positivität einsteht; und sie ist »Selbstbestätigung« ihrer Positivität nur, insofern sie die dem Sein widerfahrene Nichtung als Reflex ihres eigenen Nichtseins durchschaut. Beide Momente sind in der Konkretheit der »menschlichen Wirklichkeit« - d. h. eines selbst seienden Bewußtseins - zusammengehalten. Sie ist Negation ihres Seins nur auf der »Basis« eines von ihrer Selbstbeziehung nicht tangierten (ihr zuvorkommenden) Seins, in welchem sich die untilgbar faktische »Priorität der äußeren Natur« (MEW 3,44) behauptet und welches die Reflexion als Totalität dessen, was sie selbst nicht ist, bestimmt, bezeugt und zugleich von sich als Bestimmendem unterscheidet. In den Augen des Bewußtseins zerfällt das natürlich Seiende mithin in die Abstrakta einer Widerspiegelnden und eines Widergespiegelten. 14 Das Bewußtsein ist der Spiegel (Fichte würde sagen: das >Bild<) des Seins, das als bezeugtes Sein in ein Gespiegeltes (in einen Reflex) sich verwandelt. 14 Fichte
spricht
»Grund-Reflexe* furt/M.
seinem
Brief
vom
15. 1. 1802
(Fichte-Schelling, Briefwechsel,
1968,
152;
wußtseinstheorie refletant« (EN
in
vgl.
Fichtes
WW
II,
hat die Bestimmung
des
passim und S. bew.
32
(an
Schelling)
vom
hg. v o n W . Schulz, F r a n k im K o n t e x t ) .
Sartres
»cogito prereflexif< als
Be-
»reflet
u. S. erle.) - vermutlich ohne K e n n t n i s
Fichtes - w i e d e r a u f g e g r i f f e n , Hegels Wesenslogik gleichsam unbewußt aus einer Fichteschen Perspektive revidierend.
306
Der Unterschied zu jenem >sich selbst spiegelnden Spiegels als welchen Fichte das Selbstbewußtsein beschrieb, liegt auf der H a n d : Statt Ausstrahlung eigener Realität auf das dem Bewußtsein Äußere und insofern Nichtseiende ist es vielmehr die nichtende Aufspaltung und Aufhebung des allein realen »Naturstandes« in zwei für sich des Seins nicht mächtige Reflexe (vgl. I, 2, 12 [ff.]). Schelling war es, der bereits im J a h r 1797 die >Negativität< der Reflexion für »jene Trennung zwischen dem Menschen und der Welt« (I.e., 14) verantwortlich machte und ihre Rolle Fichte gegenüber auf ein bloßes »Mittel« (I.e., 1 3 ) drastisch einschränkte. Die >a-thetische< Natur durch Thesis aufbrechend und mit sich selbst vermittelnd, bleibt die Reflexion freilich an ihren Ursprung gebunden: die vordem opake und positive Identität des Naturstandes zerfällt durch ihre Intervention zu einem Selbstverhältnis. Marx greift diesen Gedanken auf: »Daß das physische und geistige Leben des Menschen«, schreibt er, »mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der N a t u r « (MEW,
/. Erg. bd., 5 I6 m ).i 5
Dieser Gedanke eröffnet eine Fülle weitreichender Konsequenzen: Er verhindert zunächst die zeitlos-kontemplative Fixation und Apotheosierung eines abstrakt-»menschlichen Wesens« (vgl. MEW 3, 38 u. 42); denn als aktive Beziehung auf seine eigene Natürlichkeit koinzidiert der Mensch nun und nimmer mit seiner Natur (essentia). Zum anderen verbietet er die Reduktion der Geschichtlichkeit auf eine vom Zufall diktierte und ihrer Norm wieder zustrebende Abweichung von der Eintracht >des Seins eines (. . .) Menschen (mit) seinem Wesen< 1 5 M a x H o r k h e i m e r und T h . W. A d o r n o haben aus dem G e d a n k e n »Eingedenkcns
der
Natur
im Subjekt,
in dessen
Vollzug
Wahrheit aller K u l t u r beschlossen liegt«, in ihrer Dialektik (Amsterdam
1947, 55)
weitreichende
Konsequenzen
die der
gezogen.
eines
verkannte Aufklärung
Vgl.
54
im
K o n t e x t : »In der Selbsterkenntnis des Geistes als mit sich entzweiter N a t u r ruft wie in der V o r z e i t N a t u r sich selber an.«
307
(MEW 3, 42), wie Feuerbach sie in den Grundsätzen faßt. Zugleich bestimmt er den Menschen als ein Seiendes, dessen Seinsweise die Tätigkeit ist - denn er ist gar nidits anderes als ein sich selbst und seinen Gegenstand bestimmendes (d. h. negierendes) Verhältnis (vgl. MEW, /. Erg. bd., 5 1 3 ff.), das aber - im Gegensatz zur Hegeischen >Reflexion< - nicht in logischer Selbstreferenz sich erschöpft, sondern, da es auf einer »wirklichen Basis«, einem »realen Grund« (MEW 3, 38; 28 u. passim) steht, ein selbst reales Verhältnis darstellt. Marx nennt es in den Feuerbach-Thesen die »praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit« (MEW 3, 6), die eines ist mit der >Arbeit<. In der Arbeit geschieht ja abwechselnd eine Entäußerung menschlicher Wesenskräfte an die äußere Natur und deren Rückverinnerung in die menschliche Natur - eine Synthesis also, die sich nicht im Austausch von ideellen Qualitäten erschöpft, sondern allaugenblicklich Zeugnis ablegt für die seiende Wesenseinheit des Menschen und der Natur (vgl. MEW 3, 38). Weiterhin ist Marx über den Zwiespalt von wirklichem Handeln und dessen ideeller Widerspiegelung im Medium des Begriffs - eine Crux schon des Hegeischen, erst recht des Feuerbachschen Denkens - durch seinen viel zu wenig beachteten und vielleicht unbewußten 1 6 Rückgriff auf Fichte immer schon hinaus, indem er Arbeit als einen Akt faßt, der im Vollzug seiner unmittelbar sich selbst erhellt: denn jede menschliche Lebensäußerung ist ja - Marx zufolge - unmittelbar »selbstisch« (MEW, 1. Erg. bd., 575). Fichte hatte von der im »Fürsichseyn« gelegenen »absoluten Möglichkeit« gesprochen, »in jedem Seyn zugleich Reflex desselben zu 1 6 J ü r g e n H a b e r m a s hat aus einer etwas anderen Perspektive sowohl auf den S y n t h e s i s - C h a r a k t e r der A r b e i t w i e die A n a l o g i e zu Fichte als erster
im Zusammenhang 1 9 7 ° 2 » 3<> ff-
unc
hingewiesen
^ S 2 ff-)- ~
( J . H . , Erkenntnis
und
Interesse,
Ffm.
M a r x Fichtes Schriften einigermaßen
ge-
k a n n t hat, d a f ü r gibt es Belege. Übrigens scheint die Formulierung,
als
Selbst kehre der G e g e n s t a n d in sich zurück {MEW,
1. Erg.bd.,
575)» ge-
radewegs auf Fichte sich zu beziehen, der Ichheit stets als >in sich zurückkehrendes H a n d e l n ( b z w . Denken)< beschrieben hatte (vgl. WW
308
I,
523).
s e y n « 1 7 : »Es ist das innere Wesen des Sehens und unabtrennbar von ihm und seinem Sein, daß es sich sieht, daß es seinen Reflex, oder sein unmittelbares Fürsichsein bei sich führt.« 1 8 Marx übernimmt diesen Gedanken, indem er freilich die »Selbstigkeit* zu einer Eigenschaft nicht nur des Denkens, sondern der menschlichen Wirklichkeit - ihres Seins - macht: »Der Mensch ist selbstisch«, d. h. Selbstsein ist keine das Sein des Menschen ersetzende oder absorbierende »Abstraktion«, sondern dessen unmittelbare Weise zu sein (sa maniere d'etre): »Das Selbstbewußtsein ist (. . .) eine Qualität der menschlichen Natur« (MEW, /. Erg. bd., 575). Diese prinzipielle Identität seines Seins und Sicherscheinens - in dem besonderen Sinne, daß jede Aktivität des »wirklich tätigen Menschen« (MEW 3, 26) sich ohne Umwege über die Reflexion als das präsent ist, was sie ist - erkennt Marx durchaus an: »Die Produktion der Ideen, Vorstellungen des Bewußtseins«, sagt er, »ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit«. Der »wirkliche Lebensprozeß [entwickelt unmittelbar auch die] ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses«. 19 »Das Bewußtsein ist nie etwas Anderes als das [selbst-]bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß« (MEW 3, 26). Es ist - und zwar »unmittelbar«! - nichts »Anderes als das Bewußtsein der bestehenden Praxis« (I.e., 31). Schließlich bietet es, als ausdrückliches Selbstverhältnis (I.e., 30 u.), eine dem Tier verweigerte (rein menschliche) Möglichkeit: es ist aufgehobener, in eine explizite Beziehung zu sich getretener oder >bewußter Instinkt< (I.e., 3 1 ) . 2 0 17 Fichte, WL /8ort
WW I I , 33.
18 Fichte, WW I X , 7 7 , : r 1 9 Die materialistische Geschichtsforschung
»erklärt
nicht die P r a x i s
aus
der Idee, erklärt die Ideenforschung aus der materiellen
P r a x i s « und be-
kämpft darum
das
auch nicht -
wie
die
Junghegelianer
-
Bewußtsein,
sondern dessen wirklich-praktisches Substrat ( M E W 3, 38). 20 D a ß in Wahrheit auch der aporetisch alle Bedingungen
so genannte
zu e r f ü l l e n scheint, die gegeben
»tierische
sein
müssen,
Instinkt« um
ihn
als ein nicht-reflexives S e l b s t v e r h ä l t n i s anzusprechen, ist eine andere F r a g e ,
309
Ein letztes Implikat 2 1 jenes >Selbstverhältnisses der Natur< ist der Gedanke der »Produktion von Lebcnsweisen< (vgl. MEW 3, 25 f., 37 f.): Auf der 3asis eines Seins, für dessen Urheber sie sich nicht anschauen können und das nur in einer die hier allerdings insofern von Interesse ist, als die hartnäckige Leugnung dieses Sachverhalts legitimierende
Funktion
zu leisten hat f ü r die
jahr-
hundertelange skandalöse Behandlung und Knechtung des T i e r s , das - wie Horkheimer
und
Adorno
wieder
zu
Bewußtsein
gebracht
haben
exponierterer Stufe das Schicksal der Frau in der abendländischen
-
auf
Gesell-
schaft antizipiert. Den ideologischen C h a r a k t e r jener Reservation des Selbstbewußtseins f ü r den Menschen und des Vollbesitzes reflektierter Geistesk r ä f t e f ü r den
Mann
wenigstens
in Ansätzen
aufgedeckt zu
haben,
ist
eine der bleibenden Leistungen der R o m a n t i k . A n Schelling sei erinnert, der die angemessene Erklärung nicht etwa der R e f l e x i o n , sondern der »Erscheinungen des thierischen Instinkts« als den »wahren Probirstein ächter Philosophie« bezeichnet hat u n d ' i n ihnen, nicht erst im menschlichen Geist, den endgültigen
Durchbruch
des Ideellen
in
der N a t u r - wenn auch erst »implicit oder potentiell« - Ereignis werden läßt (vgl. I , 7, 455 f . und I , 6, 4 5 6 / 7 ff.). Wer f ü r die spezifische Auszeichnung
des Menschen
hält,
daß
nur
er reflexiv
f ü r sich
sein
kann,
muß, will er dem vitiösen Z i r k e l der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins nicht v e r f a l l e n , die im »Instinkt« vorliegende nicht-reflexive Selbstbeziehung zur eigenen N a t u r gerade voraussetzen. 21 B e v o r w i r es entwickeln, scheint angebracht, unsere Interpretation
mit
der sogenannten »Widerspiegelungstheorie< zu konfrontieren. Dieser
orthodox
marxistische
Fürsichsein
der
realen T ä t i g k e i t als ein Reflexionsverhältnis zu fassen, das der T a t
wo-
möglich -
der
wenigstens logisch -
E v i d e n z e n , die
Versuch, das
unmittelbare
nachfolgt, muß nicht nur angesichts
Fichtes Theorie hat, zusammenbrechen:
er hat auch
die
Möglichkeit verspielt, M a r x ' eigenen Hinweis auf die - wie er ausdrücklich sagt - »unmittelbare Selbstigkeit« der Praxis f ü r eine sinnvolle Auslegung zu nutzen (womit nicht bestritten w i r d , daß spätere Äußerungen von M a r x und besonders von Engels nicht ohne weiteres an den Gedanken der
nomisch-philosophischen
Manuskripte
Erst
hat
Jean-Paul
Sartre
Öko-
anschließen).
in einem -
vermutlich
ebenso unbewußt
an
Fichte orientierten - hochdifferenzierten Begründungsgang den realistischen V o r r a n g des »etre transreflexif« vor dem Bewußtsein mit dessen unmittelbar negativer Selbstbezogenheit zur Einheit eines Gedankens verbunden
(EN).
Er w a r es auch, der M a r x ' H i n w e i s auf die »Selbstbeziehung der Natur<
aufgriff, um aus ihr in der Critique
de la raison dialectique
von selbstbewußter materieller Praxis allererst abzuleiten:
die Seinsweise »Die
Praxis«,
schreibt er, »ist (. . .) ein Übergang des Objektiven zum O b j e k t i v e n durch
310
idealisierenden Abstraktion die Natur selbst ist, entwerfen und produzieren die Menschen ihre Weise zu sein. Strukturell ist dieser Gedanke dem Schellingschen gleich, daß das >Wesen< im Sog seines vollendeten Begriffs seine bloß faktische Existenz »überschreitet« und das >Was< seines Seins entwirft. Hinsichtlich dieses ihres Seins ist die »menschliche Wirklichkeit« nicht frei: Im Rücken jedes Entwurfs lauern je »bestimmte materielle und von ihrer [sc.: der Menschen] Willkür unabhängige Schranken, Voraussetzungen und Bedingungen« (MEW 3, 25 u.). Gewiß bleibt »die Priorität der äußeren N a tur bestehen« (I.e., 44); aber sie ist faktisch je und je geschichtliche Synthesen mit menschlicher Tätigkeit eingegangen (ebd.). Als »Konsolidation« geronnener gesellschaftlicher Praxis ist es die synthetische Totalität überkommener >Produktivkräfte<, die als »reale Basis« 2 2 jedes zeitliche Bewußtsein a tergo beherrscht (MEW 3 , 3 8 ) , seinerseits überschritten wird, die Spuren gesellschaftlicher Modifikation in sich aufbewahrt und als sachliche, d. h. scheinbar natürlich wirkende Gewalt einer nächsten Generation von Produzierenden zum Schicksal wird. Solcher ständige Wechsel zwischen Bearbeitung von Materie auf ein bestimmtes Ziel hin und Veräußerlichung dieser sinngerichteten Tätigkeit; zwischen erneuter Verinnerlichung einer gegebenen »Entwicklungsstufe« von Welt konstituierenden gesellschaftlichen Aktivitäten (MEW 3, 37 ff.) und deren RückVerinnerlichung; der E n t w u r f , der sich als subjektive Überschreitung O b j e k t i v i t ä t auf Objektivität hin zwischen den objektiven des Milieus und den objektiven
Strukturen
der
Verhältnissen
des Möglidikeitsbereichs
er-
streckt, stellt an sich die bewegende Einheit der Subjektivität und O b j e k t i vität, dieser Grundmomente der A k t i v i t ä t , dar. Das Subjektive mithin als notwendiges
Sartre, Marxismus 19686,
Moment
des objektiven
und Existentialismus.
Geschehens«
Versuch einer Methodik,
erscheint
(Jean-Paul
Reinbek
79).
22 Auch in dem berühmten Vorwort zur Kritik
der politischen
Ökonomie
wird »die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse« als »reale Basis« be-
zeichnet (K. Marx, Zur
Kritik
der politischen
Ökonomie,
Berlin
1971,
15).
3 "
310
entäußerung in diese oder jene Gestalt objektiver Verhältnisse, läßt sich nur unter der Bedingung denken, daß die menschliche Wirklichkeit ein existierendes Verhältnis zu ihrer empirisch-sozialen Basis darstellt: auf reinen Geist könnte ein reales Nicht-Ich keine Wirkungen haben. Begreift man >Geist< jedoch als die Vermittlung, durch welche die Natur in ein Verhältnis zu ihrer eigenen Objektivität tritt, so macht es keine Schwierigkeit zu sehen, daß der Mensch seine Negativit ä t 2 3 selbst zu realisieren gezwungen und hinsichtlich seiner Wirklichkeit den Gesetzen dieser Wirklichkeit mitunterworfen ist. Dann zeigt sich, daß der auszeichnende Charakter der »realite humaine<: die negative Selbstbeziehung, weit davon entfernt, in der idealistischen Abstraktion eines »Selbstbewußtseins< von der Realität ihn abzuspalten, für immer an »das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« (MEW 3, 6) ihn ausliefert: die Beziehung zu sich erweist sich als Beziehung zur Totalität der von menschlichen Aktivitäten geprägten Wirklichkeit. - Damit enthüllt sich zugleich die Abstraktheit einer bloß naturalistisch fundierten Anthropologie (I.e., 44/5), der über dem Begriff >des Menschen« als harmonisch mit ihrer Natur ausgesöhnter »Gattung« die konkrete geschichtliche Basis von deren Selbstverhältnis aus dem Blick gerät. Der heuristische Vorzug einer Priorisierung der Natur schlägt um in Blindheit gegen die menschlichen Variationen des »Naturverhältnisses«: Konsequenzen und Tendenzen eines bestimmten Stands der Produktionskräfte und Kapitalien, aus ihnen hervorgetriebene soziale Verkehrsformen (Produktionsverhältnisse), bestimmte Praktiken der Arbeitsteilung, die klassenspezifische Distribution der geistigen und der Handarbeit (vgl. MEW 3 , 3 1 / 2 ) - kurz all die zu Sachgewalten geronnenen 23 Marx
hat
kausal auf
tatsächlich
daß die N e g a t i v i t ä t
der
deren »reale Basis« reduziert b z w . aus ihr abgeleitet
könne. Schon die Deutsche Stellen
nie behauptet, Ideologie
späterer Schriften von
Marx
bekennt sich zu der an und
Engels
Praxis werden
exponierten
wiederholten
Dialektik
von T u n und Leiden (. . . »daß also die Umstände ebenso sehr die M e n schen, w i e die Menschen die Umstände machen« [MEW
3, 3 8 ] ) .
historischen Aktionen, durch die der Mensch sein Verhältnis zur Natur vermittelt. Mit einem Wort: es ist unmöglich, den Menschen als Selbstverhältnis der Natur zu fassen, ohne ihn dadurch als ein geschichtliches Wesen zu fassen (MEW, /. Erg.hd., J 7 9 2 4 , vgl. I.e., 543 u.), welches den von Feuerbach als invariante anthropologische Konstante angesetzten »Stoffwechsel mit der Natur< unter je und je anderen Voraussetzungen, nämlich als ein von der »Summe der Produktionskräfte (. . .) historisch geschaffenes Verhältnis zur Natur«, realisiert (MEW 3, 38; vgl. 39). Aus dieser Kritik sind Konsequenzen zu ziehen: Hat etwa die einer existierenden Gesellschaft zur Basis ihrer Lebensproduktion gewordene Teilung der Arbeit die »ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte« (I.e., 32) im Gefolge, so enthüllt sich die »vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur ( . . .), der durchgeführte Naturalismus des Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur« (MEW, /. Erg.hd., 538) - Bestimmungen, von denen Feuerbach wie von unveränderlichen Wesensmerkmalen der >realit£ humaine< ausging - als ein allererst Herzustellendes: als »regulative Idee< der Weltgeschichte. Anders gesagt: die vermeintliche Wesensbestimmung bezeichnet ein Nichtseiendes, das erst sein soll; die gegenwärtige Realität erweist sich nicht als das Wesen des Menschen, und das »wahre Wesen< des Menschen wird zum Maßstab der Negativität seiner historischen Realität. Seinem »wahren Wesen< nach ist der Mensch ein »universell« (»frei«) zu seinem Allgemeinen (zur »Gattung«) sich verhaltendes Besonderes (I.e., 515, r> ; vgl. MEW 3, 32-34). Dem entspricht nicht seine Wirklichkeit unter Bedingungen der Arbeitsteilung. Bekanntlich unterscheidet Marx zwei Seiten des Arbeitsprozesses: der Arbeitende produziert aus dem Stoff der »sinnlichen Außenwelt« ein Objekt, welches die Verwirklichung seiner Tätigkeit darstellt, und er reproduziert zweitens seine 24 »Die Geschichte ist die w a h r e Naturgeschichte des Menschen.«
3*3
zur Produktion notwendige Lebenskraft. Die Natur ist ihm mithin einerseits Zweck der Selbstentäußerung seiner Wesenskräfte, und andererseits das *Lebensmittel<- zur Aufrechterhaltung seiner »physischen Subsistenz« ( M E W , /. Erg. bd., 512/3). - Im Idealzustand >naturgewordener Humanität« hätte die Arbeit, die zur physischen Selbsterhaltung des Arbeitenden aufgebracht werden muß, als ein bloßes Mittel dem Zweck einer möglichst weitreichenden Freisetzung des wahrhaft produktiven oder Gattungslebens sich unterzuordnen, in welchem der Produzierende sein Produkt als Resultat der Selbstentäußerung seiner Wesenskräfte vor sich stellt (I.e., 512/3 u. 516 f.). Unter Bedingungen klassenspezifischer Arbeitsteilung kann er sich indessen hinsichtlich seiner Produktion weder als wesentlich erfahren noch zu seinem Gegenstand als zu sich selbst verhalten. Dieser tritt ihm »als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzierenden unabhängige Macht gegenüber« (I.e., 5 1 1 u.). Damit ist aber die als sein »wahres Wesen< unterstellte ideale Beziehung des Menschen zu seiner und zu der äußeren Natur auf den Kopf gestellt: »Die entfremdete Arbeit kehrt das Verhältnis dahin um, daß der Mensch eben, weil er ein bewußtes Wesen ist, seine Lebenstätigkeit, sein Wesen nur zu einem Mittel für seine Existenz macht« (I.e., 516 u.). Eine weitere Konsequenz ist der Rollentausch aller Charaktere des unter Bedingungen der Entfremdung bearbeiteten Produkts 2 5 mit Merkmalen des Produzierenden und umgekehrt: Die Verwirklichung seiner selbst schlägt um in seine Entwirklichung, die Vergegenständlichung seiner Wesenskräfte in »Verlust und Knechtschaft des Gegenstandes, die Aneignung (. . . in) Entfremdung (. . .), Entäußerung« usw. (I.e., 512 [ff.]). 2 5 N a t ü r l i c h ist diese Beschreibung unvollständig in dem M a ß e , w i e ohne eine ökonomische Herleitung der Ursprünge jener Behandlung der Arbeitsk r a f t als einer W a r e auf der Basis der Tauschabstraktion, der K l a s s e n h e r r schaft und der ungleichen Aneignung der Arbeitsprodukts (usw.), das P h ä nomen
der E n t f r e m d u n g
sich nicht verstehen
läßt. -
heraustreten zu lassen, durften w i r d a v o n abstrahieren.
314
Um
die
Struktur
Feuerbach hatte sich damit begnügt zu zeigen, daß Hegels Philosophie von der Negation der sinnlichen Realität des Menschen ausging und zu ihr zurückführte, also ein durchaus negatives Verhältnis zur Existenz hatte. Dieses »Faktum der religiösen Selbstentfremdung, der Verdoppelung der Welt in eine religiöse und eine weltliche« (MEW 3, 6), galt ihm als bloß reflexive Verkehrung eines zeitlos >Bestehenden< (MEW 3, 42). Es seinerseits »aus der Selbstzerrissenheit und [dem] Sichselbstwidersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären« (MEW 3, 6), das »religiöse Gemüt« mithin als Reflex »einer bestimmten Gesellschaftsform« (I.e., 7) zuzuordnen, war ihm nicht in den Sinn gekommen. Die Realität kapitalistischer Produktion widerspricht darum auch Feuerbachs Deutung, die Hegeische Philosophie habe die Realität, die sie dem Positiv-Sinnlichen entzogen, dem eigentlich Nichtseienden als der Entäußerung des Positiven zugesprochen. Soweit der Prozeß der Entfremdung »in fact als Prozeß der Entäußerung vom Standpunkt der Arbeit aus oder der Aneignung fremder Arbeit vom Standpunkt des Kapitals aus erscheint«, gibt Marx zu bedenken, »ist diese Verdrehung und Verkehrung eine wirkliche, keine bloß gemeinte, bloß in der Vorstellung der Arbeiter und Kapitalisten existierende«^ 6 Indem Hegels Philosophie »die Entfremdung des Menschen - wenn auch der Mensch nur in der Gestalt des Geistes erscheint - festhält« (MEW, /. Erg. bd., 573), behält sie gleichsam wider die individuelle Intention ihres Urhebers gegen Feuerbach recht: Hegels Negation des sinnlich-natürlichen Menschen ist der »abstrakt sich erfassende entfremdete Geist der Welt« (I.e., 571); und die alles in sich absorbierende Vermittlungskraft der Logik im Hegeischen System reflektiert genau die Verabsolutierung des Geldes als des abstrakt-allgemeinen Tauschäquivalents der warenproduzierenden Gesellschaft 2 7 , deren Zeitgenosse Hegel ist. Indem er trotz seiner 26 Karl Marx, Grundrisse
der Kritik
der politischen
Ökonomie,
27 In diesem Sinne hat die oft zitierte Wendung von der Logik »Geld
des Geistes« eine mehr als nur metaphorische Bedeutung
I.e., 716. als dem (MEW,
3*5
tiefen Einsicht in die konkrete Gewordenheit des als faktisch sich Aufspreizenden die Geschichte im Gedanken ihrer sich vollenden (zum Kreis in sich zurückbiegen und aufheben) läßt und gerade darum dem gesellschaftlichen Status quo gegenüber einen »falschen Positivismus« an den Tag legt (I.e., 581), teilt er im Grunde die Invarianzhypothese des Anthropologen Feuerbach. Beiden ist entgegenzuhalten, daß der »Verkehrungsprozeß« 2 8 von »Existenz und Wesen« (I.e., 536) bloß eine >necessite de fait< 2 9 , keineswegs eine Wesensnotwendigkeit darstellt - Marx sagt: daß ihm »bloß historische Notwendigkeit, bloß Notwendigkeit für die Entwicklung der Produktivkräfte von einem bestimmten historischen Ausgangspunkt aus, oder Basis aus, aber keineswegs eine absolute Notwendigkeit der Produktion [zukomme]; vielmehr eine verschwindende, und das Resultat und der Zweck (immanente) dieses Prozesses ist diese Basis selbst aufzuheben, wie diese Form des Prozesses.«! Mit anderen Worten: das positive Faktum der Entfremdung trägt den Keim seiner Aufhebung in sich, weil die Materialisierung des Menschen seinem »wahren Wesen< widerspricht. Diese Unangemessenheit seines Daseins an sein Wesen enthüllt sich als (konstitutiver) Grund einer historischen Bewegung, die so lange in jener Spannung auszuharren hat, wie »die wahrhafte Auflösung des Widerstreits zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen, die wahre Auflösung des Streits zwischen Existenz und /.
Erg.bd571):
Marx
begreift die Autonomisierung
unmittelbaren Reflex der Autonomisierung des
der
Reflexion
Mittels in der
als
warentau-
schenden Gesellschaft. Si$ ist darum die existierende »verkehrte Welt, die Verwechselung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen
Qua-
litäten« (I.e., 566), die nur im M o d u s der N e g a t i o n ihrer U n m i t t e l b a r k e i t »Wert« besitzen.
28 Grundrisse,
I.e., 716.
29 »Notwendigkeit des Faktums< (oder »Notwendigkeit de facto«) in der doppelten
Bedeutung
des
Ausdrucks:
als Seiendes
und
als
Niederschlag
einer T ä t i g k e i t . Die Enthüllung menschlicher Freiheit im F a k t u m läßt sich auf Fichte und N o v a l i s z u r ü c k v e r f o l g e n , die als erste die D o p p c l b e d e u t u n g sich zunutze gemacht haben.
316
Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung« (I.e., 536,3) den Status einer regulativen Idee noch nicht verloren hat. Erst deren Verwirklichung löst »das Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung« (ebd.).3 0 30 A m Ende dieses der Marxschcn Schcllingrezeption und Hegelkritik
ge-
widmeten K a p i t e l s wird man vielleicht fragen, warum w i r die u m f a n g reiche und eingehende Auseinandersetzung des jungen Friedrich Engels mit Schelling nicht mit herangezogen haben. G a n z sicher hat sie den V o r z u g , auf
Schellings
Berliner
Vorlesung
1841/2
authentisch
sich
beziehen
zu
können, während wir f ü r die Marxsche Schellinglektüre nur schwierig an Nachweise gelangen konnten. Engels*
Paraphrase
der Schellingschen
Vorlesung
ist ein
wertvolles
Do-
kument f ü r die Schelling- und Engelsphilologie. Dagegen läßt sich bezweifeln, ob seine Polemik unserer Fragestellung nach der der Schellingsdien
Hegelkritik
auf
die Ausbildung
Wirkungsgeschichte
der
materialistischen
D i a l e k t i k überhaupt Hinweise liefert. Engels hat nämlich keineswegs darum zur von Schelling gegen Hegel vorgebrachten auch kritisch -
Feder gegriffen, um mit Argumenten ernsthaft -
sich auseinanderzusetzen.
Vielmehr tritt er
den
sei es
ausschließlich
darum als getreuester aller Paladine Hegels vor die Schranken »der ö f fentlichen
Meinung
Deutschlands«
(MEW,
2.
Erg.
Bd.
163),
um
»des
großen Meisters G r a b vor Beschimpfungen zu schützen« (I.e., 169), »und sei der Gegner noch so furchtbar« ([I.e., 1 6 7 ] . Immerhin erstirbt
Engels
in rhetorischem Respekt vor dem »Greis«, der »immer der Entdecker des Absoluten
bleibt und, sobald er als Hegels Vorgänger a u f t r i t t , nur mit
der tiefsten Ehrfurcht von uns allen genannt wird« [ebd.]). Die
bedingungslose
Identifikation
mit
dem
Junghegelianismus
hindert
Engels denn vollständig daran, den Wert von Einsichten abzuwägen, wenigstens seit Feuerbachs Hegelkritik in den K ö p f e n der linken
die
Intelli-
genz - etwa dem von K a r l M a r x - eine unbestrittene Autorität besaßen. Tatsächlich attackiert er gerade solche Sätze Schellings, die an den Idealismus Hegels zu rühren wagen. Wir geben einige Proben (sie wären
ver-
mehrbar): »Es ist hier nicht der O r t , gegen ihn [Schclling] zu beweisen, daß
die
Existenz allerdings in den Gedanken f ä l l t , das Sein dem Geiste immanent ist und der Grundsatz aller modernen Philosophie, das cogito, ergo
sum,
nicht so im Sturm umgerannt werden kann« (I.e., 169,2). »Es ist ein trauriges Schauspiel, wie Schclling den Gedanken aus seinem erhabenen, reinen Äther in das Gebiet der sinnlichen Vorstellung
herab-
reißt, ihm die echte G o l d k r o n e vom H a u p t schlägt und ihn zum der Straßenjungen mit einer goldpapiernen
K r o n e , von dem Nebel
Spott und
317
D u n s t der u n g e w o h n t e n ,
romantischen
Atmosphäre berauscht,
umhertau-
meln läßt« (I.e., 1 8 6 . D a ß Engels den G r u n d g e d a n k e n Feuerbachs d a m a l s nicht b e g r i f f e n hat, hätte man A n l a ß , schon aus diesem Z i t a t zu schließen. Es gibt aber einen deutlicheren Beleg - l.c. 1 9 0 0 .
w o Engels Feuerbach
mit dem jungen Schelling vergleicht und seine Leistung darin sieht, e r k a n n t zu haben, »daß die Vernunft schlechterdings nur als Geist und dieser nur in und mit der N a t u r existieren könne«). » D a s unvordenkliche Sein (. . .) ist nichts als eine kahle A b s t r a k t i o n
von
der M a t e r i e (. . .). Es ist durch keine Entwicklung möglich, in diese starre Kategorie
Selbstbewußtsein
zu bringen, es sei denn, d a ß sie als
Materie
g e f a ß t w e r d e und durch die N a t u r zum Geist sich entwickle (. . .). Diese Unvordenklichkeit
kann nur zum Materialismus und höchstens zum
Pan-
theismus f ü h r e n « (I.e., 202,.,). M a n sollte meinen, daß diese letzte Bestimmung ziemlich genau die R i c h tung bezeichne, in die Engels' eigenes Denken sich entwickelt hat. gerade w e i l das der Fall ist und Engels sein Verhältnis zum wie
es in
hat,
sind
seiner seine
Schellingpolcmik
Schriften gegen Schelling
Konzeption einer materialistischen Übrigens
wäre
es
reizvoll
zu
Engels' E n t w u r f einer Dialektik
318
zutage
tritt, später
Aber
Idealismus,
genau
nur Negativdokumente
umgekehrt für
seine
Dialektik. zeigen,
wieviel
der Natur
Schellingianismus
sich b e w a h r t hat.
gerade
VIII
Materialismus und Geschichtsdialektik (Schelling — M a r x — Hegel)
Überschauen wir kurz den Stand unserer Argumentation. Mit dem Nachweis, daß die Ausbildung von Feuerbachs Naturgedanken ebenso wie seiner Hegelkritik deutlich in Schellings Tradition steht, verfolgten wir die Strategie, die Abhängigkeit auch des Marxschen Gedankens von Schelling sichtbar zu machen. Nun zeigt sich, daß Marx die von Feuerbach gegen Hegel bezogene Position grundsätzlich zwar übernimmt, ihren Ahistorizismus aber nicht aufrechterhält, sondern durch eine Rückbesinnung auf Einsichten der Geschichtsdialektik korrigiert. Nimmt man an, Marx argumentiere als Hegelianer gegen Feuerbach, so muß der Schein entstehen, als reproduziere seine Kritik auf einer anderen Ebene die Kritik Hegels an Schellings Abstraktheit. In diesem Falle müßten wir befürchten, nicht stützen zu können, was wir früher behauptet haben: daß auch die Argumentation, mit der sich Marx über den Naturalismus Feuerbachs hinwegsetzt, in der Entwicklung von Schellings »positiver Philosophie< vorgezeichnet gewesen sei. Natürlich ist die These, daß Marx als Hegelianer gegen Feuerbach argumentiere, erst zu prüfen. Es zeigt sich nämlich, daß Hegels berühmtes Diktum, die Philosophie sei »ihre Zeit in Gedanken erfaßt* (Rechtsph., 26), mit der Analyse von Marx, wonach Hegels Logik auf eine ihr selbst unbewußte Weise die Entfremdung der frühkapitalistischen Arbeitswelt reflektiere, nur scheinbar sich vereinigen läßt. Aus systematischen Gründen muß nämlich Hegel die Zeitgenossenschaft seines Systems zur historischen Realität seiner Tage anders interpretieren als das Verhältnis aller früher in Erscheinung getretenen Gedanken zu ihrer Zeit: Sein Urteil glaubt die Wahrheit über die Geschichte in dem Sinne auszusprechen, daß diese Wahrheit nicht selbst geschichtlich-relativ mehr ist. Ihr gegenüber erweist sich ihre zeitgeschichtliche Verwurzelung 3i9
als unwesentlich, denn die zeitkonstituierende Differenz von Wesen und Wirklichkeit ist >getilgt< in der >ewigen< Selbsterkenntnis des Geistes. In diesem Augenblick verhält sich das Resultat des Hegeischen Systems nicht anders zur empirischen Geschichte als Feuerbachs Wesensbestimmung der »menschlichen Wirklichkeit: mögliche Differenzen des Daseienden un die Idee haben den Status zufälliger Abweichungen, die die wesentliche Identität beider nicht tangieren. Natürlich hängt diese Konsequenz mit Hegels Idealismus zusammen. Wenn Wirklichkeit von vornherein als Seinsweise der Idee unterstellt wird, gibt es keinen Grund, der Vernunft die Anschauung der Koinzidenz beider abzusprechen. Das wäre nur möglich unter der Voraussetzung, daß jene von Marx als Auszeichnung der Geschichte betrachtete »Unangemessenheit von Wesen und Wirklichkeit prinzipieller Natur wäre; ja wenn es gelänge zu zeigen, daß man die verkehrte Stellung des idealistischen Gedankens zur Wirklichkeit nur dadurch korrigiert, daß man auch die in der historischen Realität zutage tretende Differenz beider für konstitutiv und unauflöslich erklärt. Anders gesagt: Die Einsicht, daß die Wirklichkeit in Hegels Verabsolutierung des Logischen (der Vermittlung) auf dem Kopf steht, ist eins mit dem Bekenntnis zur Unüberwindbarkeit der für die Wirklichkeit grundlegenden Entzweiung. Gewiß ist die »Unangemessenheit von Wirklichkeit und Beg r i f f e ein wesentliches Element gerade von Hegels Dialektik und ihrer Gleichung von Substanz und Subjekt. Die Bewegung, die durch das Gefälle zwischen beiden Bestimmungen ausgelöst wird, ist in seinem System die immanente Korrektur, die das Konkrete an seiner abstrakten Erscheinung vornimmt, um sie aus ihrer Äußerlichkeit durch Negation herauszuführen und in ihrer Wahrheit wiederaufzurichten. Marx bekennt sich, indem er seine Geschichtskonzeption durch die Kategorie der 1 V g l . z. B . Enz.
tik
320
I , 5 24, 2. Z u s a t z ; Enz.
I I , § 248; L I I , 465 f . ;
(ed. B a s s e n g e ) , 1 3 0 u., 1 3 3 f . , 1 3 7 o., 144,.., 1 5 3 , , 1 7 3 ,
Ästhe-
176-180.
Unangemessenheit von Wirklichkeit und Begriff erläutert, unzweideutig zur Hegeischen Dialektik. Indessen sahen wir, daß diese Kategorie in einem viel radikaleren Sinne konstitutiv ist für die »positive Philosophie< Schellings. Da sie die absolute Vermittelbarkeit von Idee und Wirklichkeit mit dem Argument bestreitet, daß zwischen beiden keine logische, sondern eine ontologische Differenz bestehe, bildet sie unmittelbar die Kritik von Marx an Hegels Dialektik vor: Er macht ihr nämlich den Vorwurf, sie »mystifiziere« in ihrer bloß logisdien Gestalt die Realität der geschichtlichen Bewegung. Darum gilt, was der gesamten Anlage des Hegelsdhen Systems vorzuwerfen war, von der Dialektik insbesondere: »Sie steht bei ihm auf dem K o p f . Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken« (MEW 23, 27). Was gefordert wird, ist offenbar mehr als nur eine von Hegel abweichende Begründung der Dialektik. Wer von ihrem Kern die mystische Hülle entfernt, tut auf ihren Idealismus und damit auf die Möglichkeit Verzicht, den realen Widerspruch, den die Geschichte austrägt, in der Selbstbegegnung des Gedankens als in seiner einigen Wahrheit aufzulösen. In diesem Augenblick hören logische Strukturen auf, a priori Bewegungsgesetze des Seienden zu sein. 2 Die Frage lautet dann nicht mehr, ob es dem Begriff eigentümlich ist, aus der ihm unangemessenen Entäußerung in sich zurückzukehren. Sie muß nach Schellings Vorbild so gestellt werden: Gibt es ein seinem Begriff zuvorkommendes Seiendes, dessen Seinsweise das im2 Was dies b e t r i f f t , ist Louis Althussers
Interpretation
durchaus
beizu-
pflichten. Sicher t r i f f t auch zu, daß die E n t w i c k l u n g von M a r x e n s eigener »Untersuchungsmethode« »nur um den Preis eines Bruchs mit H e g e l möglich war« (I.e., 66), die Ausbildung der Marxschen »Dialektik« also wesentlich durch die Diskontinuität
( v g l . I.e., 57) in Bezug auf
Hegel
beschrieben
werden muß. - Wir möchten im folgenden Althussers F r a g e nach
»mög-
lichen positiven Modellen«, die das Marxsche D e n k e n zu dem ihm eigentümlichen
Begriff
von
»Dialektik«
geführt
selbst f ü r »unbewältigt« erklärt (I.e., 66)
haben
-
eine
Frage,
die
er
durch den H i n w e i s auf Schel-
ling wenigstens partiell beantworten.
321
manente Sich-Transzendieren auf sein Wesen ist? - Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt aber Schellings Ableitung von Zeit und Geschichte ein ganz eigenes Interesse für die Grundlegung einer materialistischen Geschichtsdialektik. Ihr werden wir uns im folgenden zuwenden.
Die ontologische Differenz von Wesen und Wirklichkeit Schellings Theorie der Zeit als Archetyp einer material begründeten Dialektik In der Tat ist Schelling, der die Voranstellung der Logik in Hegels Enzyklopädie als Folge einer Inversion der sich selbst nicht durchdringenden Reflexion kritisiert hatte, der erste gewesen, der sein Ausgehen vom Subjekt-Objekt durch eine »Wirklichkeit, der keine Möglichkeit vorangeht« (11,3, abzusichern versuchte und die folgende Bewegung insofern ontologisch begründete. Indem gleich die erste konkrete Bestimmung seiner Philosophie (»primum existens« oder »erstes Wirkliches« nennt Schelling den Geist) ein selbst Seiendes ist, konnte er mit Recht als Auszeichnung seiner Philosophie geltend machen, daß eine Entäußerung vom T y p des Ubergangs der Hegeischen Idee in die Wirklichkeit in ihr funktionslos werde. In dem Augenblick, da das Selbstbewußtsein eines Seienden seiner reellen Selbstentfremdung zuvorbesteht, fällt auch die Notwendigkeit hinweg, es als Abstraktum zu bestimmen, das sich um das Moment der Realität in der Naturwerdung erst zu bereichern hat. Das bedeutet aber nicht, daß dem »primum existens«, so wie es auf sich reflektiert, die Möglichkeit eines in ihm begründeten außergeistig Seienden genommen sei. Im Gegenteil wird die Selbst-Thematisierung - ein Schritt, durch den das In-sichSeiende gleichsam von seiner eigenen Vergangenheit Abstand nimmt (vgl. 1,8, 262 u. 183/4) - die faktische Dreieinigkeit des Seins, des Wesens und des »Wesens, das Ist«, als 322
eine potentielle Differenz bzw. als Differenz eines potentiell außer dem Geist Seienden erschließen. Im Unterschied zur Hegeischen Logik ist, was Schelling Geist nennt, nicht wesentliche Möglichkeit eines außerwesentlichen Seins, sondern Sein einer Möglichkeit zu außergeistig Seiendem. Nichts anderes ist der Sinn der Formel, das Absolute sei das Wesen (oder die Potenz), das Ist: Sie soll zum Ausdruck bringen, daß die Negativität des »rein-sein-Könnenden« vor der absoluten Auflösung nur dadurch geschützt ist, daß das »rein Seiende« zum »Träger des Nichts« (WA II, 172) sich macht. Stünde jene Potenz nur auf sich selbst, ihre Bewegung gliche dem bodenlosen Insichkreisen eines Begriffs, der, nur auf sich selbst gestützt, seine eigene Rechtfertigung zu vollbringen hätte. Aber weil die Potenz des Schellingschen Geistes in ihrer abstrakten Logizität nicht aufgeht, sondern selbst ist, hat sie ein gegenüber Hegels Logik radikal verändertes Verhältnis zum »Widerspruche Läßt sich, so ist Schellings Frage, mit der Differenzierung des potenzlos Seienden (vgl. I, 4, 87) in das Außereinander der Potenzen Hegels Anspruch auf Außerzeitlichkeit aller im absoluten Begriff sich entwickelnden Beziehungen vereinbaren? Anders gesagt: Ist der »Widerstreit zweyer Principien« ohne jeden Rekurs auf Zeitverhältnisse überhaupt denkbar (WA II, 122)? Wenn es Gründe gibt, sich von der Gleichursprünglichkeit des Widerspruchs mit der Zeit zu überzeugen (vgl. WA II, 124), so stürzt die Schranke, mit der die Logik von einer realgeschichtlichen Bewegung sich abzugrenzen suchte, im gleichen Augenblick zusammen, da die Potenz des Widerspruchs selbst aufs Sein Anspruch erhebt. Solange das Sein selbst wesentlich bleibt, gibt es keinen wirklichen Widerspruch (vgl. II, 3, 217): Was sich darin erschöpft, nur sein zu können, steht nicht in wirklichem Gegensatz zu dem, was - aller Potenz beraubt - nicht sein kann: »Das ist auch der Sinn von: >In der Idee sey alles zugleich<« (II, 1, 312). Macht das Wesen selbst Anspruch aufs Sein, so verdrängt es das vormals rein Seiende von seiner Stelle: Des 323
Seins beraubt, wird es zur Potenz, die sich ins Sein wiederaufzurichten strebt; das kann aber nur sukzessiv geschehen, denn Sein und Wesen sind unmittelbar voneinander gesdiieden. Zwischen dem Zustand reiner Möglichkeit des Widerspruchs und dessen Wirklichkeit muß etwas »in der Mitte« liegen (11,3, 306). Schelling nennt dies >Interstitium< »zwischen der absoluten Ewigkeit und der Zeit« (ebd.), das beide zugleich trennt und verbindet, die Zeit des Gedankens oder die noetische Folge (II,i, 311 f.). Sie gliedert die wesentliche Einheit des Seinkönnenden und des Seins in deren »Vor und Nach«; sie unterscheidet »Anfang und Ende« und sichert auf diese Weise dem »reinen Denken« eine wirkliche Erkenntnis des ihm Innerlichen. Z w a r hebt sie deren unvordenklichen Zusammenhalt noch nicht auf - der Anfang ist da, w o das Ende ist (Pos. Ph.y 3 2 / I I , 1 1 5 / 6 ; II, 3, 273) - ; »da unsere Gedanken [jedoch] successiv sind«, kann, »was Subjekt und Objekt in Einem ist, [doch] . . . nicht mit einem Moment, es kann nur mit verschiedenen Momenten, ( . . .) [und] auch nicht mit einer und derselben Zeit gesetzt werden, wenn nämlich, was hier bloß noetisch gemeint ist, zum realen Proceß wird« (II,i, 312). 3 Die Unauffälligkeit, mit der Schelling sein Theorem einer virtuellen Zeitlichkeit des Absoluten selbst einführt, kann über die eminente wirkungsgeschichtliche Bedeutung dieses Gedankens nicht hinwegtäuschen. Erstmals in der Geschichte der neueren Philosophie - sieht man von Friedrich Schlegel ab 4 3 A u f die N o t w e n d i g k e i t , die bloß noetische und virtuelle Folge des V o r und
Nach
durch
Intervention
eines
Reellen
in eine wirkliche
Folge
zu
befreien, hat mit gleicher Intensität Sartre hingewiesen. Begnügt man sich bei der bloßen Intelligibilitat einer D i f f e r e n z , so stürzt die G r e n z e die Wunsch und E r f ü l l u n g , H a n d l u n g und T r a u m einer H a n d l u n g
ein,
trennt.
O h n e die materielle R e a l i t ä t meines Leibes z. B . (vgl. I, 3, 5 7 0 / 1 ) wäre kein a k t i v e r
Entwurf
meiner
selbst möglich,
da
»mein
Für-sich-Sein
in
der Nichtuntcrschicdcnhcit von Vergangenheit und Zukunft sich vernichten w ü r d e « (£/V, 392, v g l .
175). V g l . zu diesem Problem die ausgezeichnete
A r b e i t von G . Seel, Sartres
Dialektik,
4 Vgl. Frank, Das Problem
>Zeit
3*4
Bonn 1 9 7 1 ,
165-176.
- wird die dialektisch einige Subjekt-Objektivität, die mit einem anderen Ausdruck als die »Einheit der Einheit und des Gegensatzes« (WA I, 63) bestimmt wurde - aus Zeitstrukturen abgeleitet. »Im Ewigen [selbst schon ist] eine innere Zeit gesetzt«, erklärt Schelling, »denn Zeit entsteht unmittelbar durch Differenziirung der in ihm nicht bloß als Eins, sondern als äquipollent gesetzten K r ä f U « (WA I, 77). Das bedeutet nichts Geringeres, als daß Zeit und Denken als ausdehnungsgleich unterstellt werden. Natürlich richtet sich die Warnung vor der Vorstellung, »als gäbe es einen von aller Beimischung der Zeitbegriffe völlig reinen Begriff der Ewigkeit« (I, 8, 259/60), gegen die Prätention der Logik, in einer Sphäre außer der Zeit sich zu bewegen. 5 Welche Charaktere sind es denn, die eine Rückführung der logischen auf Zeitbestimmungen ermöglichen? Die Idee der Logik ist Einheit ihrer und des Gegensatzes. Das teilt sie aber mit der Zeit; denn die Zeit ist, wie Sartre sagt, »une S e p a r a t i o n d'un type special: une division qui reunit« ( E N , 177; vgl. II, 2, 106). Die Zeit ist ein existierendes Innerlichkeitsverhältnis, das von der mystischen Verkleidung, die Marx der Hegeischen Dialektik vorhält, frei ist und doch den Kriterien dialektischer Einheit des Äußeren mit dem Inneren standhält. Der Versuch, eine Folge von in-sich-seienden, einander äußerlichen Momenten (wie Hume es tut) durch den Rekurs auf die Gewöhnung als Zeitfolge zu erklären, ohne in A eine auf B sich überschreitende Negation und also eine interne Verbindung anzuerkennen, muß - wie Sartre gezeigt hat 5 Einer der Weltalter-Entwürfe von
geht so weit zu sagen, »daß die E w i g k e i t
sich selbst nicht ist, daß sie nur durch
die Z e i t
ist; daß
also
Zeit der Wirklichkeit nach v o r der E w i g k e i t ; daß in diesem S i n n , wie insgemein gedacht w i r d , die Zeit von der E w i g k e i t umgekehrt
die E w i g k e i t
ein K i n d
der Zeit ist« (WA
gesetzt, III,
nicht
sondern
229/30).
G r u n d e ist dies eine Konsequenz des Schellingschen Ansatzes beim ven, Wirklichen, dessen Inbegriff gerade die Zeit ist. So kann
die
Im
Positi-
Schelling
gelegentlich von einer V o r r a n g i g k e i t des »Grundes« v o r dem »existirenden Subjekt«, z w a r »nicht dem B e g r i f f e , wohl aber der Z e i t nach«, sprechen (I» 8, 1 7 3 ) . 323
- ebenso scheitern wie Kants umgekehrter Versuch, ein außerzeitliches einiges >Ich denke< den zeitlich Unverbundenen ihre zeitlidie Einheit aufprägen zu lassen, ohne daß sich die Zeit selbst verewigte oder das Denken verzeitlichte ( E N , 177 ff.). 6 Angesichts dieses Dilemmas erklärt Schelling den Ubergang aus dem Unzeitlichen in die Zeit analog zum Ubergang des Seins in die Reflexion (ins »Wissen«): nämlich als einiges Fortbestehen der transzendenten Einheit in der realisierten Differenz ihrer Momente. 7 Jene dreieinige »Simultaneität« (vgl. WA II, 174) des Seins, des Wesens und des Geistes läßt sich nur als eine äußerst instabile Verbindung denken: denn in ihr wird die Nichtunterscheidung ohne weiteres als eines mit dem Unterschied, d. h. es ist ein potentieller Widerspruch gesetzt. »Dualisirung« aber ist der »Anfang der Zeit« {WA I, 80). Um eine solche handelt es sich hier: der Widerstreit im >ersten Wirklichem spielt sich zwischen »äquipotenten« Wesen ab (1,8, 245). Indem beide gleichen Anspruch darauf geltend machen, die Totalität des Geistes in sich zu befassen, muß eine »rotatorische Bewegung« entstehen (vgl. WA I, 37 ff.; I, 8, 245, 323 ff; I.e., 2 3 0 / 2 3 2 ; I, 9, 2 3 1 ; Initia, 141 ff.; 11,3, 273/4 u. passim) - vergleichbar jener Kreisbewegung der Logik, deren Resultat sich auf ihren Anfang zurückbiegt. Deren Streben kann nur sein, Anfang und Ende zu trennen und in eine »geradlinigte Bewegung« zu befreien 6 Unzweideutig schließlich
der
nennt K a n t »reinen
das Zusammengehen
Apperzeption«)
faktisch ständig in Anspruch nimmt -
mit
dem
des Intelligiblen Zeitlichen
»unerklärlich« (KdU,
-
wie B,
(einer es
LIV/LV
Anm.). 7 Diese Beschreibung e r f ü l l t die von Hegel gegebene Definition des Geistes als Identität der Einheit und der D i f f e r e n z ( I n i t i a , 8 6 , j ) . Schelling sagt,
die als solche seiende, damit »auch die sich selbst wissende sei diejenige, »welche die Potenzen zusammenhält im
ewige
Freiheit«
Auseinandergehen.
Sie ist die die Potenzen auseinander haltende und eben dadurch zusammenhaltende ewige Freiheit«, damit Ursprung des »Wissens« und der die gerade nichts anderes sind als das »Zusammenhalten im gehen und (. . .) Auseinandergehen im Zusammenhalten« passim).
326
»Zeit«,
Auseinander-
( I n i t i a , 84 f . u.
7 4 / s ) - I m Augenblick einer »Entscheidung« (WA I I , 174) zwischen den konkurrierenden Ansprüchen des Einen und seiner Momente auf den Titel des Existierenden zugunsten der Existenz der Relate wird das vormals opake, auf Differenz unbezügliche Sein nach einem Ausdruck Sartres eine >Kompressionsverminderung< erleiden. Indem jedes der in die Wirklichkeit herausgewendeten Momente seinem Wesen gegenüber als eine inadäquate und abstrakte Inkarnation auftritt, insofern es für sich nicht das Ganze ist, sondern sich in seinem Korrelat zu ergänzen trachtet, löst die »Aufhebung der Simultaneität ( . . . ) in eine Folge« (WA II, 174) einen unendlichen Sog aus (vgl. 1,8, 297, Z. 19 ff.), »eine beständige Sucht nach der Ewigkeit« (WA II, 124 und 1,8, 235). Im Zustand bloß virtueller Geschiedenheit der Momente A und B bleibt der Widerspruch inaktiv. Sobald aber eines der Principien (A) a potentia ad actum entlassen wird, schließt es notwendig das andere Princip (B) in der Weise von sich aus, daß es dasselbe zugleich als seinen Nachfolger fordert. Die Zeit hebt erst mit dieser reellen Scheidung des Einigen an: die vormals erste Gestalt wird durch die andere zu deren eigener Vergangenheit verdrängt und hat darum sich selbst als »die wiederhergestellte Einheit zur Zukunft« (11,3, 3°7)In dieser Restitution der Einheit als Zukunft bewährt sich aber das andere dialektische Moment der Zeit: ihre Einheit. Die Zeit ist »organisch« verfaßt (WA I, 14); d. h. sie ist »ein solches Verhältniß des Einzelnen zu einem Ganzen, bey welchem jenes zu seiner Wirklichkeit dieses schon als vorhanden in der Idee voraussetzt« (WA I, 81). Jede einzelne Zeitdimension und Zeitphase erhält ihren Sinn aus der je bestimmten Negation ihrer Totalität (ebd.), die negativ in ihr waltet - freilich nur »als Idee«. Wäre die »ganze Zeit« nämlich realer Bezugspunkt, so verfiele sie zu einer schlechten (relativen) Unendlichkeit, d. h. zu einer negierten Dimension der Zeit selbst; wäre umgekehrt die Zeitphase in der Totalität »wirklich gesetzt, so wäre sie nicht die einzelne, die bestimmte, die sie ist« (ebd.) - d. h. die Zeitlichkeit wäre (11,3,
2
327
aufgehoben in der fugenlosen Identität des Seins. 8 So aber realisiert sich der Ablösungsprozeß der Potenzen, der stets Vergangenheit aas sich absetzt und auf Zukunft sich zu ergänzen trachtet, als ein kontinuierliches Fließen (vgl. I, 3, 496,3 im Zusammenhang), d. h. eben als eine >Trennung, die wiedervereinigt, was sie trennt«. Jeder Punkt des Zeitflusses ist, insofern er unmittelbar ist (d. h. nicht auf Anderes bezogen, also bestimmt wird), die ganze ungeteilte Identität. 9 Dagegen sind die Phasen des Seienden durch Beziehung aufeinander, d. h. durch partielle Negation ihres Seins und partielles Sein ihrer Negativität, in Vor und Nach vermittelt: Sukzession ist unmittelbares Implikat der Relation (der Vermittlung), die sich an die Stelle des Absoluten (des unbestimmt Unmittelbaren) gesetzt hat (11,3, 2 74 u - I>7> Der Relation ist mithin »genommen (. . .), was zu ihrem Begriff gehört« (1,7, 188). Ihm gegenüber ist sie mit einer »Beraubung* gesetzt (ebd.), die es jedoch nur sein kann, solange sie sich im Sog jener unauflösbaren Identität (A°) fühlt. Unter deren Bann stellt sich »die Zeit im Ganzen« (WA I, 81) auch nicht als reine Identitätsverweigerung dar. Vielmehr bewährt sich das Wesen als ständige »Zurückrufung des unendlichen Begriffs aus der unendlichen Flucht« (1,4, 119). Indem der einige Widerspruch, der sich im Wesen der Zeit auftut, als die wirkliche Existenz des internen Widerspruchs im Gedanken des Absoluten selbst sich enthüllt, ist aber die Frage beantwortet, ob es ein ursprünglich Seiendes gebe, dessen Seinsweise die Dialektik ist. In der Bestimmung, Identität seiner und des Gegensatzes zu sein, ist der mit sich zusammenschließende Geist vor der >Furie des Verschwindens< ja nur dadurch geschützt, daß jene Fuge inmitten seiner Selbstbeziehung ihn zugleich differenziert, »ausspricht* (WA II, 125 ff.): als sich offenbar 8 » D a s S e y n , d. h. das E w i g e « (1,7, 62); beide Ausdrücke gelten in diesem Z u s a m m e n h a n g als s y n o n y m . 9 »Die zeitliche N a t u r (. . .) ist nicht die reine Einheit in der Unendlichkeit, sondern die Einheit, inwiefern sie z w a r der Unendlichkeit eingeboren, nur durch Relationen hindurchleuchtet« (1,7, 175).
328
macht. Die Einheit hat ihre Wahrheit mithin an ihrem »Gegentheil« (1,7, 424). In diesem Sinne kann Schelling gelegentlich zu der paradoxen Formulierung greifen, »das reine, unmittelbare Wissen der Vernunft (. . . sei) ein Erkennen des Widerspruchs, oder [!] der absoluten Identität des Unendlichen und des Endlichen, als des Höchsten« (1,8, 81). Bleibt der Widerspruch indessen nur virtuell, so vergeht die Idee im rotatorischen Umtrieb eines von seinem Ursprung nicht wegkommenden Resultats. Erst mit der Verzeitlichung wird jene Fuge zwischen Einheit und Differenz als die existierende »Nichtigkeit des Unterschiedes« (1,7, 184, Anm. 2) zum einen selbst Wirklichen: denn »die Zeit ist die Erscheinung der Einheit im Gegensatz der Unendlichkeit, die insofern in bloßer Relation zerfallen ist« (1,7, 168). 1 0 Aber Geist und Zeit sind nicht das Differenzieren insbesondere (vgl. II, 2, 106): sie sind Einheit ihrer und der Abgrenzung von dieser Einheit (Initia 84/5), insofern für sich »das schlechthin Beziehungslose« (I, 7, 150) oder die »Identität schon von selbst und bevor (sie) sich erkennt oder setzt als irgend etwas seyend« (WA II, 125). Dem, was, jeder Reflexion zuvor, absolut es selbst ist, muß aber diejenige Einheit von Einheit und Gegensatz unangemessen sein, die es nur beziehungsweise ist; und doch bewährt sich der Sinn dieser Beziehung in der negativen Präsenz der Einheit in ihr. Zeitlich ist ja nur ein solches Seiendes, das sein Sein außer sich in seinem Korrelat hat, auf das es sich überschreitet als auf seine verlorene Einheit hin. Wir können also sagen, daß als Zeit die absolute Unangemessenheit dessen, das »seiner Natur nach alle Potenzen ist« (1,7, 428), an die existierende und außerwesentliche Beziehung dieser Potenzen selbst ausgetragen wird. »Contrahirt« sich nämlich der Geist auf seine abstrakte Einzelheit 11 - d.h. auf die Potenz des Seinkönnens um 10 Vgl. Wolfgang Wicland, Schellings
Lehre
von
der
Zeit,
Heidelberg
' 9 5 ^ , 4 5 : »Die Struktur ursprünglicher Zeitlichkeit ist demnach: Scheidung der Scheidung und des Ungeschiedencn.« 1 1 Wir
haben
diese
Bestimmung
oben
unter dem Titel
der
»abstrakten
329
den anderen Gestalten Raum zu geben, ohne zugleich von seinem substantiellen Inhalt zu lassen, so gerät er in einen notwendigen Widerspruch zu seinem Wesen, das ei nicht mehr vollständig ausdrückt. Seine erste Verwirklichung wird daher über die Grenze, die sie von ihrem Korrelat ausschließt, hinausgetrieben und auf es bezogen. Da sie jedoch mit dem, was ihr mangelt, stets nur im Modus der Beziehung Kontakt nimmt, ohne je mit ihm zusammenzufallen, entsteht ein ständiges Fortschreiten »und damit eine Zeit« (1,7, 428; vgl. 1,7, 216). Jede Zeit erweist sich darin als nicht-wesentlich (d.h. ihres Seins nicht mächtig), daß sie zwar das Setzende der von ihr negierten Zeit ist, aber von der folgenden Zeit seinerseits in ihrem Sein gesetzt und also negiert wird. 1 2 In einem Wort: »Jedes Ding ist zeitlich, welches die vollkommene Möglichkeit seines Seyns nicht in sich selbst, sondern in einem andern hat« (I, 6, 45; vgl. fast wörtlich L II, 4 6 5 , 2 ) . 1 3 Ein Verhältnis dieses T y p s läßt sich in der Tat in jeder einzelnen Zeitdimension und in deren wechselseitiger Beziehung nachweisen: Zeitlich ist das mit Differenz seiner Realität von seinem Wesen Gesetzte (I, 6, 275). In der ersten Zeitdimension, der Zukunft, w i r d dieses Mißverhältnis als des Seins beraubte Möglichkeit Schelling sagt auch: als Unangemessenheit des Bejahten ans Bejahende oder als Differenz der Identität zur Totalität - angeschaut ( = Zeit im emphatischen Sinne). In der zweiten, der Vergangenheit, als der Möglichkeit beraubtes Sein - Schelling sagt auch: als Mißverhältnis des Bejahenden zum Bejahten oder als Unangemessenheit der Totalität an die Identität (als Raum). (I, 6, 275 ff.; I, 7, 238 f.). Waren Zukunft und Vergangenheit »nur [als] einseitige Synthesen des Bejahenden mit dem Bejahten« bestimmt (I, 7, 238), so ist Existenz
behandelt.
Erst
jetzt
enthüllt
sich ihre Zcitlichkcit
(vgl.
1,7,
2 4 1 , N r . C C X X X I ; I.e., 239 und I, 6, 272). 1 2 »Ein Nicht-Wesen sucht in dem andern seine R e a l i t ä t , die es an sich nicht
hat, es sucht sie in einem
andern,
welches selbst
keine
hat,
und
sie gleichfalls w i e d e r in einem andern sucht« (1,6, 1 9 5 ; v g l . 1,4, 397,^). 1 3 »Zeitlich ist nämlich alles, dessen Wirklichkeit von dem Wesen übertroffen wird, oder in dessen Wesen mehr enthalten ist, als es der Wirklichkeit nach fassen kann« (I, 2, 364).
330
die G e g e n w a r t der »bloß relative Indifferenzpunkt« (I, 6, 276) der Abstraktionen eines unter Verlust des (Gewesen-)Seins gesetzten Werdens mit einem unter Verlust des (Sein-)Werdens gesetzten (Gewesen-)SeinsJ3a »Weil sie für die Seele nie ist«, enthüllt sie sich als Realisation jener Fuge zwischen dem Sein und der Potenz - gleichsam als der Umschlag- oder »Durchkreuzungs«-Punkt von »Seyn und Werden« (I, 6, 229 u. I, 7, 239). Rein äußerlich bildet sie so die singulare Realität des Ewigen ab: durchdringen sich in ihr doch Vergangenheit und Zukunft zur Einheit (I, 6, 276, § 1 1 6 u. I, 7, 239, C C X X ) . Was die Ewigkeit jedoch durch unmittelbare Thesis in sich zusammenhält, zerfällt ihrem zeitlichen »Abbild« zur bloßen »Synthesis« (I, 6, 2 2 9 , ^ vgl. I, 6, 46).
Geschichtlichkeit als Sündenfall und Entfremdung Schellings Theorie der Zeit gehört zu den großen und bleibenden Leistungen der idealistischen Philosophie. Daß man erst 1 3 a Diese Konstruktion erlaubt zugleich klaren Bescheid über den ontologischen Status der »verschiedenen Zeiten«. Sie können durchaus »zumal seyn» (1,8, 3 0 2 ) :
Was im M o d u s des »es war«
existiert, ist d a m i t
keineswegs
ein Nichtsciendcs, es ist nicht »aufgehoben«.
Im Gegenteil
der wahre
Insofern ist die abwesende
Sinn von Sein als Vergangensein.
enthüllt
sich
Anwesenheit des Gewesenen bei seiner G e g e n w a r t kein Z u m a l s e i n des V e r gangenen je und
»als eines Vergangenen
je sich zeitigende
mit dem G e g e n w ä r t i g e n « ,
Berührung
des Seins mit dem
sondern
Nichtsein.
die Das
Entsprechende gilt f ü r die Z u k u n f t : Auch sie ist zumal mit der G e g e n w a r t als deren
bestimmtes
Nichtsein, aber sie ist darum
doch
nicht
»als
ein
zukünftig Seycndes« mit ihr zugleich. Das Seiende einer bestimmten Zeit kann natürlich nicht als das, w a s es nur in anderen
ihr
ist, und sein -
derselben
Beziehung
Widersprüche dieser A r t
zugleich
Seiende
einer aus
der R o t a t i o n in die G e r a d l i n i g k e i t . Aber auch nur in der Beziehung
auf
einer bestimmten
anderen
Zeit
löst
das
ja die B e f r e i u n g
das Sein
Zeit
in
ist das Seiende der
bezogenen
Zeit ein relativ Nichtscicndcs. (Schelling drückt diesen Sachverhalt reichlich irreführend
so aus, d a ß das Sein
von
Vergangenheit
und
Zukunft
nur
in G e d a n k e n bestehe; 1 , 7 , 239, C C X X . Bezogen auf sie enthüllt sich n ä m lich gerade die anmaßliche
»Realität«
Nichtscicndc. [ V g l . dazu Sartre, EN, Auch H ö l d e r l i n
(Das Werden
Z u k u n f t zur Vergangenheit
im
der G e g e n w a r t
als das
eigentlich
150 f f . ] ) Vergehen)
als von einem
spricht vom Prozeß der
Übergang
der
»Realisierung
des
[ v o r d e m ] Möglichen und Idealisierung des [ v o r d e m ] Wirklichen« ( S t A I V , 283).
331
seit den 50er Jahren - meist auf Heideggers Spuren auf sie aufmerksam wurde - die späte Edition der WeltalterUrfassungcn trägt nur zum Teil die Schald daran ist erstaunlich: denn in vielen Einzelheiten hat Schelling Einsichten der Heideggerschen und Sartreschen Zeitontologie vorweggenommen. Indem er - anders als Hegel, der sich ihm ansonsten weitgehend anschloß - Zeit als Schema einer im Sein gründenden und in all ihren Erscheinungsformen realen Bewegung denkt (vgl. 11,3, 89), durch die sich in »jedem Augenblick« das Wesen über seine Vergangenheit hinwegsetzt (WA I, 78), ohne dem Bann der in ihm waltenden Einheit zu entgehen, gelingt ihm eine ontologische Begründung desjenigen Phänomens, das Hegel unter dem Namen der Dialektik logifizierte und nur durch einen coup de force mit der Wirklichkeit vermitteln konnte. In dieser Hinsicht ist er ein Wegbereiter der materialistischen Dialektik geworden. Mit einer Ableitung des Schemas existierender Selbsttranszendenz ist dazu freilich nur ein Anfang gemacht. Gewiß sagt Schelling, »alles (sei) nur Werk der Zeit« (WA I, 12), und die in ihr tätige »Realität« sei »die eigentliche Schöpfungskraft« (I.e., 86). Er fügt hinzu, jedem Seienden sei die demiurgisdie Zeit innerlich (I.e., 78); denn was immer ist, habe seinen Ursprung in den »Principien, die wir in der Zeit wahrnehmen« (WA II, 123). Diese Bestimmungen betreffen indessen nur den allgemeinen Naturprozeß, also den Menschen bloß insoweit, als er in seiner Natürlichkeit aufgeht. Die >Unangemessenheit des Wesens an seine Wirklichkeit* (vgl. 1,4, 395; 447/8; 1,6, 158/9 u.a.) als Konstituens auch der menschlichen Geschichte zu überführen, bedarf es offenbar einer Reihe von weiteren Schritten. Sie müssen getan werden, soll sich die Dialektik der Zeit als Schema auch der historisch sich produzierenden menschlichen Gattung bewähren. Man könnte sich nämlich leicht denken, daß der Naturprozeß, wie Schelling ihn denkt, beim Ubergang in die Freiheit des Geschichtlichen auf eine ähnliche Weise »stockt« (II, 3, 88), wie er es für den Ubergang von Hegels Logik in die 332
Naturphilosophie nachgewiesen hatte. Durch die göttliche u »Universio« (I,io, 311; 11,2, 90 ff.; 11,3, - passim) - »dieses Wunder der Umstellung oder Umkehrung der Potenzen« (11,2, 91) - wendet sich das Eine hinaus in die existierende Dreifalt der Gestalten. Das selbst ins Sein getretene vormals reine Wesen schließt als »Materie« das vormals wesenlose Sein als ein zur Potenz >verdrungenes< ideell Seiendes von sich aus, dieses sucht sich in seiner Aktualität wiederaufzurichten (Pos. Ph.y 3 2 / I I , 136 ff.; I, 10, 310 f. im Kontext). Der Widerstreit löst einen Prozeß aus, der nur transitorisch in relativen Synthesen beider zur Ruhe kommt. Die Materie als die >Basis< der Bewegung wird so lange der Vergangenheit anheimfallen, und das sie in Richtung auf relativ ideellere Synthesen überschreitende Wesen wird so lange »den Stachel des Fortschreitens« (WA I, 14) in sich tragen, bis im Wechsel beider ein natürlich Seiendes produziert ist, in welchem das Wesen seinem Sein sich vollständig gleich gemacht hat (I, 6, 456 ff.; I, 7, 454 ff.; Initia, 169/70; 1 1 , 2 , 116 ff.; bes. 118,3). Solange diese vollkommene Versöhnung der Identität und der Totalität »selbst noch unter der Potenz der Objektivität steht« (1,6, 461), geschieht dies in den Erscheinungen des »thierischen Instinkts«. Erst in dem Augenblick, da »das in der Natur erweckte A2« - nämlich das selbstbewußte Wesen, das sein natürliches Sein insgesamt in Vernunft aufhebt und doch Natur zur Basis behält - »sich zu der Natur verhält« ( 1 , 7 , 457), ist die Voraussetzung zu einer menschlichen »Geschichte« gegeben. 14 In diesem explizit gewordenen oder für sich selbst bestehenden Selbstverhältnis tritt die Natur nicht länger mehr als ein relativ ideell Seiendes in Beziehung zu sich als einem Seienden verhältnismäßig realer Ordnung; sie verhält sich vielmehr als »das absolute Subjekt« zu dem von ihm überschrittenen »absolut Objektiven«, dem »Objektiven in (. . .) seiner Totalität* (1,7, 457,3). 14 » Ü b e r der N a t u r erhebt sich eine neue Welt, die Welt der Geschichte, ein noch immer fortgehender, höchst lebensvoller Process, dessen teils leidende, teils tätige Glieder wir selbst sind« {Pos.
Ph.t
32/II,
161). 333
Gleicht die Natur im Menschen ihr Sein nicht mehr nur »partiell«, sondern »absolut« ihrem Wesen an, so kehrt sie aus >ekstatischer< oder »peripherischer' Existenz (vgl. Initia, 93 u. Pos. Ph., 3 2 / I I , 169) zurück in das realisierte In-sich-Stehen (»evoiaoig« [Initia, 93]) des göttlichen Geistes (II, 2, 119 f.); d. h. sie hebt die zeitkonstituierende >Unangemessenheit ihrer Wirklichkeit an ihren Begriff< auf. Um begreiflich zu machen, warum »statt dessen alles in der Zeit stehengeblieben« ist (Pos. Ph., 3 2 / I I , 170), bedarf es der Inanspruchnahme einer »That«, die, indem sie durch einen »neuen, dazwischengetretenen Umsturz« (Pos. Ph., 3 2 / I I , 161 f.) zum zweitenmal in die Wirklichkeit sich hinauswendet, in Gestalt eines geschichtlichen Prozesses >den Widerspruch verewigt< (WA II, 132). Da das menschliche Selbstbewußtsein Differenz zu seiner Bedingung hat, kann es diesen Sturz in die Zeit nicht sich zuschreiben: Der »Anfang der Geschichte« muß ihm darum als ein ebenso sehr »übergeschichtliches« wie »unvordenkliches Verhängniß« 1 5 erscheinen (11,2, 153). Unvordenklich, »weil er der Vorgang ist, vor dem sich das Bewußtseyn nichts denken, nämlich nichts sich erinnern kann« (ebd.). »Ein Verhängniß aber ist er (. . .), weil sich der Wille durch den Erfolg, den nicht beabsichteten, auf eine ihm selbst in der Folge nicht mehr begreifliche Weise überrascht sieht« (ebd.). Das bedeutet nicht, daß es seinen Ursprung sich nicht erklären könne: Zurückgekehrt in die Innerlichkeit der Nichtunterscheidung seiner Prinzipien, ist der Grund des menschlichen Geistes seiner Natur nach eben das »Gott Setzende« (11,2, 120). Aber er ist dies auch nur wesentlich, d . h . er ist nur »das im Nicht-Actus, im Nicht-Wollen, Nicht-Wissen Gott setzende Princip« (I.e., 119). »Bewegt« sich der menschliche Geist aus seiner wesentlichen Einheit zum Sein, so erfährt er die Macht des »allem Denken und Wissen vorausgehenden 1 5 A l s soldics hat auch Hölderlin den Ursprung der Geschichte Belege gibt G . K u r z , Mittelbarkeit Kontext. 334
und
Vereinigung
gedacht;
(. . .), I.e., 354
im
Grund(es)« (I.e., 1 2 1 ) als eine unvorhergesehene Realität, deren Gewalt er umso sicherer anheimfällt, als sein Wesen im Gegensatz zu Gottes Wesen - durch kein ihm zuvorkommendes Sein vor dem Verlust seiner Einheit geschützt ist. Durch unvordenkliche Tat hat das menschliche Selbstbewußtsein, was nur »nichtsetzend (zu) setzen« war (I.e., 68), durch eine Thesis sich entfremdet und dadurch für alle Zeiten von sich ausgeschlossen. »Nicht bloß praeter, sondern [auch] extra Deum« hat die menschliche Wirklichkeit zu existieren, nachdem einmal jene mit dem Verhängnis der transreflexiven >Urhandlung< erfolgte »Katastrophe« ihr »Bewußtsein zerrissen<, ihre dem Wesen nach Gott gleiche Natur der »Äußerlichkeit« überantwortet und unter die Peitsche der Zeitlichkeit gebracht hat (11,3, 3 J 2 ) Zweifellos ist dies mythische Rekonstruktion, durch welche das »erste wirkliche Bewußtseyn« die Grundlosigkeit seines Geschichtlichseins zu deuten sucht (II, 2, 154). Ihre Berechtigung besteht darin, daß das Bewußtsein die in seiner zeitlichen Ekstasis dennoch waltende Einheit sich selbst schlechterdings nicht zuschreiben kann (vgl. schon 1,3, 479-488); andererseits die Wirklichkeit dieser Einheit ebenso wenig leugnen kann, ohne seine eigene Wirklichkeit aufzuheben. 16 Die Voraussetzung jenes mythischen »Vorgangs« enthüllt sich darum auch nicht als der Schein, als den Hegels >Logik der Reflexion< ihn entlarven will: Ihr entspricht der Bewußtseinsmodus der »Erinnerung« (11,2, 154). Und Erinnerung ist ein thetisches, das Sein ihres Gegenstandes affirmierendes Bewußtsein 1 7 , das seine Wahrheit nicht im nachfolgenden >Setzen< erwirbt, sondern in sich selbst hat. Aus diesem Faktum gewinnt Schellings 16 V g l . Hölderlin, oben 2 2 / 3 . 17 G o t t ist die zugleich transzendente und immanente Voraussetzung
des
Bewußtseins selbst: »Das Bewußtseyn hat G o t t an sich, nicht als G e g e n stand vor gleich
sich«, sagt Schclling ( 1 1 , 2 , 120). Es müßte ihn im An-sich
f ü r sich
haben, um sich als G o t t
zu
realisieren. G e r a d e
das
zuist
ihm aber versagt, und so entzieht sich ihm sein G r u n d als transzendente Bedingung des in sich zurückkehrenden Verhältnisses, als das er ist. 335
Forderung nach einem von der Geschichte nicht betroffenen Sein ihre vorläufige ontologische Rechtfertigung. Die Einheit ist aber nicht nur Seinsgrund der Geschichte sie ist zugleich Grund für die Erkenntnis ihres Entfremdetseins. Das ist ein echt dialektischer Gedanke, dem Hegel zustimmen würde: Die Negativität der Äußerlichkeit hat ihren Maßstab in der Versöhnung ihrer und des Innerlichen. Schelling fügt freilich hinzu, die Realität des Zustandes erneuter Veräußerlichung des Wesens sei nicht dadurch schon von vornherein gebrochen, daß die >Wesenseinheit des Menschen mit der Natur< sie überstünde. Diese Einheit zerbricht vielmehr, eben weil sie nur wesentlich ist. Des Menschen Freiheit ist relativ, »bedingt« ( 1 1 , 3 , 357)- Sie ist nicht Herr mehr über den »materiellen« Bestand ihres Naturseins - ihr Können erschöpft sich in der »formellen Macht [über die] Dinge« ( 1 1 , 3 , 297/8), im Bestimmen und Formieren (d.h. im verständigen Bearbeiten) eines unabhängig von menschlichem Willen Bestehenden. Vom Zustand reinen »Innestehens« (11,2, 120) sich fortbewegend zur Äußerung, verliert das Selbstbewußtsein auf immer seine »Substanz« ( 1 1 , 3 , 357). Seine eigene Macht verschmilzt mit der Naturmacht, der es seine wesentlichen Zwecke einbeschreibt: Wäre es, wie Gott, nicht bloß de facto, sondern auch »seiner Natur nach das Prius der Potenzen*, so überstünde die Entäußerung seines Wesens an die Materie - wie Gottes >Universio< - dessen Auflösung. Statt dessen ist der Mensch nur, zu dem er sich macht. (»Das Wesen des Menschen ist wesentlich seine eigene That* [1,7, 385]. Es ist der vorgängigen Entfremdung durch Arbeit abgerungen - und muß es sein.) So fällt, was die ganze Natur aus der Fessel des blinden Seins erheben sollte (1,9, 32), was zum »Verklärungspunkt der Natur« bestimmt war (1,7, 454), aufs neue der »Uebermacht des Seyns« (I.e., 459) anheim. Sie macht sich »vorzüglich in der Gewalt« empfindlich, »die das / Aeußere in diesem Leben über das Innere hat« (I.e., 459/60). Offenbar kommt diese Verkehrung mit derjenigen, welche 336
die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte des jungen Marx unter dem Titel >Entfremdung< beschreiben 17a , strukturell überein 1 8 : Die wesentliche Bestimmung des Menschen, Einheit mit der Natur zu sein, ist zerstört durch eine >verkehrte< Realisation des Wesens, die seinen Anspruch auf Unterordnung seiner >Basis< umwendet in die Selbstermächtigung des »Physischen« über das Vernünftige. Was bestimmt war, in dem »Subjekt des letzten Bewußtseins sich als allgemeines Subjekt« wissend zu verwirklichen (Pos. Ph.y 3 2 / I I , 168), »ist nicht so geworden. Denn das Subjekt des menschlichen Bewußtseins erkennt sich nicht [mehr] als das allgemeine, sondern nur als das besondere und individuelle. Ebenso erkennt es das Moment der Natur [heute] als das Moment eines anderen und fremden Lebens« (ebd., vgl. I.e., 165). »Ganz zum Physischen . . . herabgesunken« (1,7, 462; vgl. I.e., 459 u.), ist die vordem >universelle< menschliche Gattungstätigkeit »nur [noch] auf die Erhaltung dieser äußeren Grundlage des Lebens gerichtet« (I.e., 460); d . h . jenes wahre Verhältnis, in welchem die Existenzerhaltung das Mittel zum Zweck der Verwirklichung des Wesens darstellt, ist verkehrt in den »Kampf [der Menschheit] um ihre Existenz« (1,7, 462). Eine selbst physisch gewordene Tätigkeit muß freilich, um in einer physischen Welt etwas vor sich bringen zu können, »gleichsam mit dieser äußeren Gewalt in Bund treten« (I.e., 460). Mit dem Zwang zur Arbeit an der Materie (d. h. aber zugleich: mit dem Zwang zur Materialisierung seines Wesens) sühnt der Mensch die »Schuld« seiner Zerstörung der mit sich und mit ihm einigen Natur, deren Zusammenhalt das ek-sta-
17a Schelling
selbst
hat
in
seinem
ersten
Berliner
Kolleg
(1841/42)
von
der »durch die Tat des Menschen außer Gott gesetzten Welt« als von einem Werk der »Entfremdung« gesprochen (P. 547); ebenso II, 1, 2 1 2 : » E n t f r e m d u n g
von dem göttlichen 18 Zur
Seihst
idealistischen Tradition
des Marxschen Entfremdungsbegriffs v g l .
H. Popitz, Der entfremdete Mensch. Zeitkritik des jungen Marx, Frankfurt/M. 1967-.
und
Geschichtsphilosophie
337
tisch gewordene und >zerrissene Bewußtsein« (vgl. Pos. Ph.y 3 2 / I I , 169 f. und II, 3, 352,) von der Höhe harmonischer Organisation aufs neue »in ihre Moniente« hat auseinanderfalten lassen (ebd.). Inbegriff jener »zweiten Natur« (1,3, 583), die die entfremdete Menschheit an die Stelle jener ersten gesetzt hat, und zumal »das Bild der ganz zum Physischen herabgesunkenen Menschheit« (1,7, 462) ist der »Staat«, der das zur Freiheit bestimmte Interaktionsverhältnis der Individuen durch physischen Zwang regelt. Er hat auch über »das Reich der Natur« den »Fluch« verbreitet, aus dessen Bann er es »zu erlösen« bestimmt war (Pos. Ph.y 3 2 / I I , 167 ff.); er hat den nur wesenden Widerspruch in der verheerenden Gewalt der die verlorene Einheit suchenden und nie findenden Kriege realisiert (1,7, 462,-1); das freie Verhältnis der Menschen »ganz in das Verhältniß von Naturwesen gegeneinander« (ebd.) entfremdet; zahlreiche »Laster« - wie die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die »Armuth - das Böse in großen Massen« - »erst entwickelt« (I.e., 462,4); kurz die Wesensbeziehung in verkehrter Gestalt unter die Vormacht des abstrakt Materiellen gebracht, von welcher der Mensch die Natur gerade »erlösen« sollte. Marx hat diesen - über Schelling hinaus mystisdier Tradition verpflichteten - Gedanken bekanntlich aufgegriffen. »Die Gesellschaft«, schreibt er in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten und meint die kommunistische Gesellschaft, »ist die vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion der Natur« (MEW, /. Erg.bd., 538).19 19 Vgl.
Schelling:
»(...)
früh finden sich Geistiges und Leibliches
als die
zwey Seiten derselben Existenz ein. (. . .) Gäbe es nicht einen solchen Punkt w o Geistiges und Physisches ganz in einander sind, so würde die Materie nicht, wie es unläugbar der Fall ist, der Wiedererhöhung in dasselbe fähig seyn« (WA I, 32). »In der griechischen Mythologie ist ein Rückgang zum Materiellen, aber so, wie das christliche Dogma von dem seligen oder unseligen Zustand der immateriellen Existenz nach dem Tode ins Materielle zurückgeht,
338
indem
Aber auch darin stimmt Marx mit Schelling überein, daß das Bewußtsein der Entfremdung der unverlorenen »Erinnerung< an »das ursprüngliche Verhältnis des Menschen zu der Natur« (Pos. Ph., 3 2 / I I , 168) verpflichtet ist. Nur weil der Mensch ein unmittelbares Verhältnis zu seiner Wahrheit hat, kann er das »Unechte und Falsche« (ebd.) seines gegenwärtigen Zustands empfinden, nämlich auf den Begriff »naturgewordener Humanität< (MEW, /. Erg.bd., 538) hin überschreiten, dem die Malaise seiner jetzigen Existenz nicht angemessen ist. Während Hegel die Wirklichkeit der Entfremdung auf die Kategorie der Entäußerung reduziert und ihre Überwindung für die Uberwindung einer logisdien Abstraktion ausgibt (vgl. Rechtsph., 26 u.), sagt die positive Philosophie ein für allemal sich »los (. . .) von jener blos logischen Bewegung« (Pos. Ph., 32/II, 169), die das Seiende im Lichte seiner Vernunftwahrheit verklärt und die, weil sie einen der Reflexion zuvorkommenden wirklichen Anfang nicht zugibt, auch den »Ring« ewig in sich selbst zurückkehrender Notwendigkeiten durch freie Tat nicht brechen, nicht zu einem wirklichen Ende erlösen kann (ebd.). Nur wenn »Schuld« - etwas, das jenseits logischer Konsequenz menschlicher Freiheit anzulasten ist für die Zerstörung der Wesenseinheit des Menschen mit der Natur verantwortlich gemacht werden kann, läßt mit der Forderung an die »gegenständliche Tätigkeit< des Menschen, die Natur zu humanisieren, ein Sinn sich verbinden (vgl. Pos. Ph., 32/II, 169). Die Sphäre jener rotatorischen Bewegung, in deren verzweifelter »Wiederholung« (I.e., 171) die Vernunft ihre logische Selbstrechtfertigung zu vollbringen sucht, diese ewige Wiedergeburt aus ewigem Untergang 2 0 , der keine wirkliche Erlösung in Aussicht steht - sie selbst ist als transitorisch anzusetzen, über sie und ihre kreisende Zeitlichkeit selbst ist »hinauszugehen« (I.e., 171 ff.). sie eine geistige Palingenesie oder Wiederauferstehung des Materiellen behauptet«
(II, 2, 578). 20 A n d r i e s Sarlemijn, I.e., hat dieser »Kreisbewegungslehre« eine
gründ-
liche Interpretation geliefert. 339
Freilich nicht in der Weise, als sei über die Zeit selbst hinauszugehen. Der Positivität jenes Sündenfalls, der als unvordenkliches Verhängnis die geschichtliche Tai a teigo determiniert, ist nicht zu entrinnen. Der Marxsche Gedanke, daß die Menschen »in der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens (. . .) bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein(gehen)« 2 ^ damit zugleich bestimmte »Vorstellungen« ihres Zustandes produzieren, ist Schelling in charakteristischer Abwandlung durchaus vertraut als ein »an sich (. . .) realer, d. h. ein von der Freiheit und dem Denken der Menschen unabhängiger - insofern objektiver [Prozeß], - [der] doch nur im Bewußtseyn, nicht außer demselben, also nur durch Erzeugung von Vorstellungen verläuft« (II, 2, 1 2 3 ) . 2 2 Abweichend ist Schellings von Marxens Formulierung keineswegs darin, daß diese etwa einen wirklichen, jene dagegen einen mythologischen Prozeß meinen würde. In dieser Differenz drückt sich zwar energisch ein radikal verschiedenes Erkenntnisinteresse aus; doch denken beide den ideologiegeschichtlichen Prozeß als unmittelbaren Reflex des wirklichen. Die wahre Differenz besteht darin, daß Marx der Schellingschen These, der zufolge »ein ewiger Wechsel von Entstehen und Vergehen [so lange währen müsse], bis die ganze, alles befassende, der Ewigkeit gleiche, Zeit in einem Wesen entwickelt worden«, ihre Folgerung bestreitet, welche lautet, daß dies »auf der höchsten Stufe der Entwicklung nothwendig geschieht« (WA I, 87,3). Sie ziehen hieße nicht nur, die »Freyheit«, welche - wie Schelling sagt - nur mit dem »Widerspruch« zusammenbesteht (WA II, 1 7 4 , 0 ) , im allgemeinen Ozean rein logischer >Necessitation< zu ertränken; es hieße auch, die in der Abgrenzung von Hegel 21 Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie,
I.e., 15.
22 »Die Mythologie erzeugende Bewegung ist eine subjektive, sie im Bewußtseyn
vorgeht, aber das Bewußtseyn
über sie; es sind vom Bewußtseyn
selbst
inwiefern
vermag
selbst (wenigstens jetzt)
nichts
unabhängige
Mächte, welche die Bewegung erzeugen und unterhalten; also die B e w e gung ist im Bewußtseyn selbst doch eine objektive « (11,2, 123 A n m . 1 ) .
340
erarbeitete Entdeckung prinzipieller Unzurückführbarkeit des Positiven auf die Selbstbeziehung der Negation zu verleugnen. Die Unaufhebbarkeit der Zeit Mit Recht hat Jürgen Habermas Schellings Unentschiedenheit zwischen einer Emanzipation der endlichen Wirklichkeit und einer durch die Hintertür wiederhereingelassenen Unendlichkeitstheologie 2 3 für die »Spaltung des Systems« 2 4 in eine >positive< und eine »negative Philosophie« verantwortlich gemacht. Ganz sicher läuft ein solches Programm auf einen ebenso flauen wie unhaltbaren Kompromiß hinaus, der an der Kraft der Argumente zuschanden wird, mit denen Schelling selbst die Notwendigkeit eines »wirklichen Anfangs« (WA I I I , 2 1 1 / 2 ) gegenüber der von Hegel angebotenen Lösung eines ohne transzendente Rechtfertigung nur in sich kreisenden logisdien Prozesses verteidigt hatte. Wer die Welt für die Schädelstätte einer auf ihre eigene Vernichtung hinstrebenden, weil korrumpierten und umgewendeten Vernunft hält, dem wird alles darauf ankommen, ihre »Korruption« auf einen wirklichen Anfang zurückzuführen; denn nur ein wirklicher Anfang kann die Tat geschichtlich existierender Wesen ermutigen, auf die Verwirklichung ihres Endes hinzuarbeiten. Jede Arbeit bedient sich endlicher Mittel zur Erreichung eines endlichen Zwecks: logische Unendlichkeit könnte nie ihr konkreter Gegenstand sein. Wenn sich zeigen ließ, daß Zeit die existierende, die konkrete Dialektik, und zwar gerade in dem Sinne 23 Jürgen Habermas, Dialektischer Idealismus im Übergang zum Materialismus - Geschiehtsphilosophische Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction
Gottes,
I.e. H a b e r m a s sagt, unter bloßer Beschneidung
ihres
Existenzanspruchs werde die Vernunft in die verlorenen Rechte v o l l e n d e ter »Erkenntnis des Wesenszusammenhangs alles Existierenden« (I.e., 207) wiedereingesetzt. 24 I.e., 206 ( f f . ) .
341
ist, daß die logische Dialektik nicht ihr Prinzip, sondern ihre bloß ideelle Abstraktion darstellt, - dann steht nur diejenige Dialektik wirklich auf den Füßen, die der Sphäre der Geschichtlichkeit nicht zu entrinnen versucht. Darum befindet sich Schellings kühner Satz: »Wirkliche Dialektik ist nur im Reiche der Freiheit; sie allein vermag alle Räthsel zu lösen« (Paulus, 463), in einem offenbaren Widerspruch zu deren im Konzept einer negativen Philosophie erwogenen - Abdankung an die logisch prästabilierte Gewißheit einer Rüdeführung der Zeit in die Ewigkeit - ein Konzept, das mit unterlegenen Mitteln Hegels >Tilgung< der Zeit im Begriff ihrer kopiert. Allerdings bleibt zu fragen, ob schon die bloße Hypostasierung eines von der Zeit nicht betroffenen Seins - wie Habermas annimmt - auf eine Revokation jener vollkommenen »Selbstpreisgabe Gottes an die Geschichte« 2 4a hinausläuft, die Schellings erster Weltalter-Entwurf ansatzweise vorführt. Anders gefragt: Muß man befürchten, daß die ursprünglich berechtigte Polemik gegen die Logizität einer Konstruktion, die, weil sie die Geistigkeit des Weltprozesses von Anfang an unterstellt, der endlichen Versöhnung der Wirklichkeit mit dem Begriff absolut sicher sein kann, ohne auf jene sich eingelassen zu haben - muß man befürchten, daß Schellings eigener Entwurf einer Geschichte das »Wesen, das es Ist«, als eine transhistorische Realität intakt läßt und so gegen das Risiko, der Allmacht des Wirklichen und ihrer Form: der Zeitlichkeit anheimzufallen, heimlich sich feit? Diese Befürchtung ist durchaus angebracht. Das Mindeste, was Schellings Antwort auf diese Frage sich vorhalten läßt, ist, daß sie zweideutig bleibt. Aber diese Feststellung verpflichtet die Interpretation nicht, Schellings Inkonsequenz zu reproduzieren. Sie erspart zudem weder die Prüfung der Qualität jenes Arguments, das Schelling bewog, seinen ersten Weltalter-Entwurf so nicht stehen zu lassen, noch erlaubt sie, die wesentliche Einsicht der 2 4 a I.e., 201.
340
Weltalterspekulation dogmatisch auf den Buchstaben ihrer wirksam gewordenen Verlautbarung einzuschwören. Blickt man hinter sie zurück, so enthüllt sich ein Motiv, das nicht nur Hegel fremd geblieben ist, sondern dessen Bedeutung auch Habermas unterschätzt. 25 Im Unterschied zu Hegel denkt Schelling jene als Zeit ausgetragene Unangemessenheit des Wesens an seine Wirklichkeit ja nicht nur als eine logische, sondern als eine existierende (ontologische) Differenz, die mithin auf die dissonante Einheit des dialektischen Begriffs nicht zu reduzieren ist. Man kann dessen Autonomie-Anspruch nicht brechen, ohne auf der prinzipiellen Abhängigkeit der im Geschehen der Verzeitlichung sich manifestierenden Kontinuität von der außerdialektischen Einheit des Seins zu bestehen. Anders gesagt: Die Zeit, in deren Unendlichkeit die Urhandlung den Menschen wirft, gewinnt den Charakter ihrer Unendlichkeit gerade erst aus ihrer prinzipiellen Unwesentlichkeit (»Zufälligkeit« [II, 3, 308]) in Beziehung auf das »Ewige« (ebd.), so wie sie umgekehrt den in ihr waltenden Zusammenhalt nicht sich selbst zuschreiben kann. Wenn also der Seinsgrund der Geschichte von radikal anderer Natur ist als sie selbst, so läßt sich im vorhinein absehen, daß sie ihn nicht in sich einholen, ihr Geschichtlichsein mithin, wie Gadamer sagt, nie im Sich-Wissen wird auflösen können. 2 6 Denn nie und zu keiner Zeit »vorhanden«, sondern immer nur im Werden, »sich stets erzeugend und, mit einem Wort, vom gegenwärtigen Standpunkt zukünftig, kann jene Einheit seyn« (WA I, 66). Ihre Realisation müßte die ewige Einheit nämlich als eine Zeitdimension, mithin als ein NichtEwiges wirklich machen und also zerstören. Jeder Augenblick 25 Übrigens steht seine These, jeder auf Wahrheit abzwcckcnde
Diskurs
geschehe im V o r g r i f f auf die ideale Gesprächssituation, gerade im
Argu-
mentationsverfahren Schclling recht nahe. 26 H a n s G e o r g G a d a m e r , Wahrheit
und
Methode,
Tübingen
19652,
285.
»Die Rückkehr in diese Identität«, sagt Schelling, »ist an die ursprüngliche Duplicität, als an eine nie völlig aufgehobene Bedingung gefesselt«, also unmöglich ( 1 , 3 , 479).
343
der Zeit wie jede Periode der Geschichte wiederholt jene nur »bildlich oder mythisch« (WA I, 76)17 als Sündenfall ins Außerzeitliche projizierte Überschreitung des gewesenen Seins, und ebenso >allaugenblicklich< wird jene Einheit verfehlt (WA I, 78 ff.). »Ganz«, d. h. »ewig« wäre nur diejenige Zeit, die »nicht mehr zukünftig wäre« (I.e., 8 i ) 2 8 ; in welcher die »bloß äußere, unwesentliche« Einheit der Kontinuität (I.e., 65) durch eine »neue K o n t r a k t i o n « 2 9 »nach innen« zusammengezwungen würde (WA I, 80). Aber eine solche Totalität überträfe alle Zeit (1,7, 243) und müßte sich den zeitlich Existierenden gegenüber zu einer »regulativen Idee< verflüchtigen, die als ewig verfehltes Ziel die Geschichte in Atem hält und an keiner historischen Wirklichkeit ihr Genügen finden läßt. Die Konsequenz hätte gefordert, daß Schelling diese Lösung, deren Notwendigkeit er so klar darzustellen vermag, entschieden bejaht und gegen die theologischen Erschleichungen der sogenannten »negativen Philosophie< abgrenzt. Daß er es nicht eindeutig getan hat, ist ein Problem seiner Generation und der in ihrer Spekulation sich manifestierenden objektiv-historischen Möglichkeiten. Das verkleinert natürlich nicht sein Verdienst, als einziger unter den Denkern des sogenannten deutschen Idealismus Ansätze zu einer materialistischen Theorie der Geschichte geliefert zu haben. Auf ihren eigentlichen und angemessenen Ausdruck gebracht, läßt sich Schellings Ge27 I m G e g e n s a t z zu der allein angemessenen
»wissenschaftlichen
Betrach-
tung« (ebd.).
28 Jürgen Habermas (Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Diss. Bonn 1954, § 29, 330 ff.) deutet Schellings
Rede
von
der
Gänze
in jedem
ihrer Augenblicke,
der
also die
Zeit
als
deren
aktuelle
innerliche Unteilbarkeit
Totalität aller
Zei-
ten hinsichtlich ihres Wesens. D a r a n , sagt Schelling, denke er hier »nicht bloß« (WA
I , 81). Seine Absicht geht vielmehr auf eine »wissenschaftliche«
A u f k l ä r u n g des »mythischen« Sinns unserer R e d e von der » Z u k u n f t oder der letzten Z e i t [ a l s ] der ganzen Z e i t « , die es doch - eben weil sie Z u kunft ist - nicht sein k a n n .
29 H . Fuhrmans, Schellings 344
Philosophie
der Weltalter,
1954, 386.
danke in eine Reihe von untereinander streng kohärenten Konsequenzen entfalten, die je als verschiedene Aspekte eines und desselben Sachverhalts sich enthüllen und deren Marx sich in wechselnden Kontexten bedient: Die Fundierung der Dialektik in einem transdialektischen Sein ist nämlich einesteils unlösbar verbunden mit der Anerkennung der Geschichte als eines positiv Seienden und andererseits als einer prinzipiell unabschließbaren Bewegung, die über ihren Sinn je und je selbst entscheidet und durch keine prästabilierte Teleologie sich gegängelt weiß. Die Geschichte erkennt sich als Resultat einer übergeschichtlichen Katastrophe, von der die Mythen erzählen: sie kann ihre nie endende Endlichkeit nur begreifen als Unangemessenheit ihrer Wirklichkeit an ihr Wesen, das sich ihr im gleichen Maße entzieht, wie es ihr als eine wenngleich nur a posteriori, von der Folge her, erschlossene - existierende Voraussetzung zuvorkommt. (Eine inexistente - d. h. rein potentielle oder rein logische - Voraussetzung könnte keine reale Folge haben - sie schwände zu jenem »relativen Nichts<, das vor der Konkretheit des Seienden nicht bestehen könnte. Umgekehrt könnte eine ideale Einheit von Wesen und Wirklichkeit deren reale Differenz nicht aufheben, käme also für eine aufrichtig positive Philosophie als Schlußstein des Systems nicht in Betracht.) Dieser Gedanke impliziert aber weiterhin die »wesentliche Unauflöslichkeit« (Pos. Ph., 3 2 / I I , 1 3 6 ; vgl. bes. I.e., 138/9 und 174 u.) des Grundes, hinsichtlich dessen die unendliche Bewegung der Geschichte sich als unangemessen erfährt: Wäre er, wie die synthetische Einheit der »menschlichen Wirklichkeit<, nicht nur faktisch, sondern auch wesentlich aufgehoben, so verlöre die Geschichte der Menschheit mit jenem »Compass der Freyheit« 3 0 , der die zeitliche Realität im Lichte des
30 N o v a l i s , Schriften,
I.e., B d .
Prozeß diene »das eigentlich
2, 289/90, N r .
seyn Sollende
649. Schelling sagt,
(. . .) gleichsam
als
dem
Muster,
als die Idee (. . .), nach der (er) sich richtet, die (er) in sich auszudrücken sudit« ( 1 1 , 2 , 1 1 7 ) .
345
»Seynsollenden« zugleich als ein Negatives enthüllt und sie auf einen transzendenten Sinn hin überschreitet, auch ihre Unendlichkeit: die faktische Gegen^arc und der sie reflektierende Begriff würden sich aufspreizen und vorschnell das Endziel der Weltgeschichte ausrufen. Erst Marx und Engels haben freilich Schellings Einsicht in den Bestand von Negation unabhängiger Positivität - Leitmotiv seines ganzen Philosophierens wie seiner Hegelkritik - unzweideutig zu dem Argument erweitert, »daß die Geschichte nicht damit endigt, sich ins »Selbstbewußtsein als »Geist vom Geist< aufzulösen« ( M E W 3, 38; vgl. 48-50); daß sie, ständig bedingt von der Faktizität vergangener Ereignisse und Handlungen, über ihr Gewordensein in eigener Initiative sich hinwegsetzt, um jeder nachfolgenden Generation geschichtlich Handelnder auf gleiche Weise und für alle Zeiten zum Verhängnis zu werden; und daß die »Unauflöslichkeit« jenes Grundes die notwendige Voraussetzung darstellt für die andauernde Unaufgelöstheit jenes Rätsels, das, wie Marx sagt, der Geschichte aufgegeben ist (MEW, 1. Erg.bd., 536).
Schelling oder Hegel? - Eine geschichtsphilosophische Perspektive Wir erinnern uns, daß Schelling den Ansatz der junghegelianischen Hegelkritik grundsätzlich anerkannte. Das fortwährende Interesse eines Arnold Rüge, aber auch anderer Linkshegelianer an der »positiven Philosophie< mußte ihm die Augen dafür öffnen, daß »sie selbst (. . .) auch etwas der Art (wollten)« (II, 3, 90). »Nur«, fügt er hinzu, »waren sie der Meinung, diese positive Philosophie müsse auf dem Grunde des Hegeischen Systems aufgebaut werden, und lasse sich auf keinem andern aufbauen, dem Hegeischen Systeme fehle weiter nichts, als daß sie es ins Positive fortsetzten, dieß, meinten sie, könne in einem steten Fortgange, ohne Un346
terbrechung und ohne alle Umkehrung geschehen« (ebd.). Diese Meinung reproduziere aber das Mißverständnis des Hegelschen Systems sich selbst gegenüber, das in seinem Resultat die Existenz des Absoluten bewiesen zu haben glaube. Wir konnten zeigen, daß Marx diese Kritik an der Hegeischen Schule sich zu eigen gemacht hat. Seine Dialektik geht in der Tat aus einer totalen »Umkehrung« des logischen Charakters der Enzyklopädie hervor, indem sie das Verhältnis von Realität und Selbstbewußtsein »umstülpt«. Offensichtlich befindet sich dieser Schritt in Schellingscher Tradition. Dennoch sieht es so aus, als habe deren Urheber die Grundeinsicht seiner »positiven Philosophie« in eben dem Sinne verraten, wie er es den Junghegelianern vorwarf: indem er erwog, die ontologische Kluft zwischen Sein und Reflexion (für welche die »Ungemessenheit der Ewigkeit an die Zeit< nur ein anderer Ausdruck ist) auf logischem Wege zu schließen. Ohne Zweifel steht ein Beschwichtigungsversuch dieser Art im Widerspruch zu der These, mit der »Zerreißung des Bewußtseyns« habe die Natur auf immer ihre »Mitte« verloren; kein weltlich Seiendes sei des »Einheitspunktes« mehr mächtig (II, 3, 3 $2) - schon gar nicht das Selbstbewußtsein, dessen dialektische Vereinigung Widerstreitender den Identitätsgrund stets sich voraussetzen muß. E r steht in Widerspruch schon zu Schellings mythologischer Konstruktion eines Sündenfalls; denn diese Konstruktion setzt immerhin voraus, daß ein natürlich Seiendes die Unangemessenheit seines Seins an sein Wesen in sich hätte überwinden können 3 1 , statt dessen aber zur Fortsetzung des Prozesses sich entschlossen habe. Denkt man nämlich, wie Schelling, das menschliche Selbstbewußtsein als ein explizites Selbstverhältnis der Natur,
31 Übrigens hat Werner H a r t k o p f (Studien zur Entwicklung
Dialektik.
Die Dialektik
Meisenheim
am
Glan
in Schellings 1972,
80 f . )
Ansätzen gezeigt,
zu einer
daß
bei
der
modernen
Naturphilosophie,
Schelling
schon
die
organische N a t u r nicht zur I n d i f f e r e n z gelange und nur dadurch die f o l gende H ö h e r p o t e n z i e r u n g des Prozesses begründet sei.
347
so gilt nicht erst von seiner erneuten Veräußerlichung, sondern bereits von ihm selbst, was Schelling in einer seiner frühesten Publikationen Vom Ich sagt: »Selbstbewußtseyn setzt die Gefahr voraus, das Ich zu verlieren. Es ist kein freier Akt des Unwandelbaren, sondern ein abgedrungenes Streben des wandelbaren Ichs, das, durch Nicht-Ich bedingt, seine Identität zu retten und im fortreißenden Strom des Wechsels sich selbst wieder zu ergreifen strebt« (I, i , 104). Weit entfernt, jene >Unruhe<, welche den Naturprozeß über jedes seiner Produkte in einer unendlichen Kette von Steigerungen hinausdrängt, in sich zur Ruhe zu bringen, ist das menschliche Bewußtsein vielmehr die Verinnerlichung des vorher nur »objektiven Selbstbewußtseyns« der Natur, wie es sich etwa in der dissonanten Einheit der magnetischen Reihe manifestiert hatte ( 1 , 6 , 4 5 5 ; v gl- 1-c-, 3 2 4 Schelling hat dies in seinem Würzburger System (1804) so ausgedrückt 3 2 : das menschliche Selbstbewußtsein sei, indem es sich als sich erkennt (I, 6, 512 o.), ein seiner objektiven Existenz unmittelbar verhafteter Begriff derselben (I.e., 509/10) oder es sei ein seiner Endlichkeit unmittelbar zugeselltes Unendliches. 33
32 U n d z w a r in einer deutlich an H e g e l s V o r b i l d (Differenzschrift, ben und
Wissen)
Glau-
orientierten Sprache, die er d a m a l s noch f ü r die gemein-
same T e r m i n o l o g i e
der >Identitätsphilosophie<
halten mochte.
Umgekehrt
ist H e g e l s P r ä f e r e n z f ü r realphilosophische Probleme in den J e n a e r J a h r e n ein
Dokument
seiner
Beeindruckung
Sicherheit hatte die Logik 3 3 »Auch
das Einzelne,
durch
die
noch nicht den späteren was
ich w e i ß ,
weiß
Naturphilosophie
(mit
Totalitätsanspruch).
ich unendlich,
insofern
ich
es mit B e w u ß t s e y n w e i ß , denn ich w e i ß auch, d a ß ich w e i ß u.s.w.« ( I , 6, 510). » N u n ist aber in dem unendlichen Erkennen v o n allem, w a s
über-
haupt gesetzt ist, unmittelbar auch der B e g r i f f , und mit dem Begriff w i e d e r der Begriff des B e g r i f f s gesetzt, eben d e ß w e g e n , weil Erkennen
gesetzt
Identität
im
ist. S o
unendlichen
ist also jene Erkennen
Identität
ebenso
eins,
auch
uncndlid?es
und
der
Begriff
wie
das
Existiren
unendlichen Erkennens und der Begriff dieses E x i s t i r e n s eins sind.
dieser des Aller
Regressus ins Unendliche ist hier abgeschnitten. (. . .) Die Idiheit ist die Identität des o b j e k t i v
gesetzten
unendlichen
des unendlichen Erkennens« (1,6, 5 1 1 ) .
348
Erkennens
mit dem
Begriff
Die Pointe dieser B e s t i m m u n g e n 3a i s t 9 daß »die Ichheit« durch die Restriktion ans Objektive (I.e., 510, §§ 283/4) in sich selbst den Widerspruch austrägt, der sie der Zeit unterwirft. Erwächst nämlich, wodurch Schellings System schon damals fundamental vom Hegeischen (wenigstens seit der Logik) sich unterscheidet, das Selbstbewußtsein auf der Basis des Seins (konkret auf der Basis einer bestimmten Organisationsstufe der Natur, als deren Urheber es nicht sich ansieht), so läßt sich zwar sagen, daß es vor den Synthesen der Natur dadurch ausgezeichnet ist, daß es in seinem Sein unmittelbarer Zeuge seines Seins ist, nicht aber, daß es mit seinem Sein zusammenfällt. Darum kann Schelling »das ganze System des reflektirten Wissens« als eine ausdrückliche Beziehung des Idealen auf sein Reales bezeichnen (I, 6, 515), d. h. aber als ein Auseinanderklaffen des seinem Begriff nach Möglichen von seiner jedesmaligen Realität (ebd. f.). Anders gesagt: So wahr das Selbstbewußtsein selbst »existirt« (als »aktiv« gesetzt ist), ist es auch zeitlich - denn »die Zeit [ist] eben [das Schema], (d)as zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit zwischeneingcschoben wird« (I, 6, 5 1 7 , 4 ) . 3
Setzt man dies Argument in Schellings Theorem des Sündenfalls ein, so läßt sich die mythische Verklärung (und d. h. zugleich: die Logifizierung) des Selbstbewußtseins leicht korrigieren. Sofern es selbst ist, d. h. als Subjekt zu sich selbst als seiendem Objekt sich verhält, ist es seinem Grund in genau derselben Weise unangemessen, wie dies für alle anderen Naturwesen auch galt. Selbst die »Erkenntniß a priori«, also das »unendliche Erkennen«, sagt Schelling unmißverständlich, ist »nicht unabhängig von der Zeit (denn Bezug auf das Zeitliche)« (I, 6, 512). In diesem Fall bedarf es keiner >Bewegung< in die Äußerlichkeit, um die Zeitlichkeit und den Widerspruch zu verewigen: Er ist die wesentliche Bestimmung eines reflexiv Seienden, das seiner Einheit nie anders als im 3 3 a Die freilich noch mit einem u n a u f g e k l ä r t e n Begriff von Identität operieren.
349
Modus des Voraussetzens und des Strebens sich vergewissern kann (vgl. I, 3, 479 ff.) und darum natura suä zum Ungenügen an seiner Wirklichkeit verurteilt ist, die seinem Bewußtsein immer schon zuvorgekommen ist (es war, bevor es sich wußte). Hätte Schelling diese Konsequenz radikalisiert, wie er es nur in widersprüchlichen Ansätzen erwägt, er hätte in folgerichtiger Weiterentwicklung seiner Einsicht in die Irreduzibilität der Identität und des Seins auf die Reflexion zu einer Theorie der Geschichte kommen müssen, die, weil sie auf dem Grunde der Natur steht, statt vom »Selbstbewußtsein vom wirklichen Menschen ausgeht und zugleich, weil sie Wirklichkeit und Begriff nie zusammenfallen läßt, jeder Akkomodation des Absoluten an das, was da ist, widerspricht. Diese erst von Marx und Engels beschrittene wirkliche Alternative zum Hegelianismus (auch der Junghegelianer) hätte für Schelling nur dann offen gestanden, wenn seine Theorie ihre rein affirmative Haltung dem Absoluten gegenüber aufgegeben hätte. Es hätte genügt zu zeigen, daß die dialektische Einheit des Selbstbewußtseins nicht in der Lage ist, durch eine Reihe logischer Operationen sich selbst als den Urheber der in ihr sich manifestierenden unbezüglichen Einheit zu überführen; daß sie wohl als Grund ihrer Negativität (und also der Bestimmungen, die sie dem Sein zufügt), nicht aber ihres Seins sich erfährt; und daß sie den Grund, in welchem Sein und Nichts, Akt und Potenz, Einheit und Differenz absolut zusammenbestehen, als eine notwendige Voraussetzung ihrer Weise zu sein fordert. Diese Voraussetzung hätte dann freilich nur den Status eines Seinsollenden, einer regulativen Idee, eines absoluten Wertes, auf den hin die menschliche Geschichte sich überschreitet und mit dem sie nicht koinzidieren kann, weil ihre Seinsweise den Abstand vom Sein impliziert. Statt dessen sucht Schelling das, was sein soll, vor dem Charakter eines bloßen Imperativs dadurch zu bewahren, daß er ihm unter dem Titel Gottes Existenz zuspricht. Diese Zusprechung konfundiert freilich Identität und Existenz in der348
selben Weise, die Schelling während der We/f
Paulus
in seiner Rezension
aufge-
der
Rechtsphilosophie
richtig
gesehen
g r i f f e n e Organismuskonzept des Staates aus der Z e i t der phie eir\e deutliche Ausnahme. ( V g l . M . F r a n k , Heine
hat -
Identitätsphiloso-
und
Schelling,
I.e.,
298 f f . )
351
sangen [I, 7, 461 f.]), führt ein gerader Weg3 4 z u der Anschauung vom Staat als einer Geißel Gottes, die mit physischer Gewalt den Sündenfall der Freiheit an die Materie bestraft (II, 1, J34 f f . ) . 3 5 Mit einer Deutlichkeit, die selbst von zeitgenössisch sozialistischen Manifesten nicht immer erreicht wurde und an Bakunin gemahnt 3 6 , inkriminiert Schelling den Staat jeder beliebigen Form als Zuchtrute, knechtendes Gesetz, unerträglichen Drude, als Entfremdung eines bloßen Mittels zum Selbstzweck, als etwas dem menschlichen »Willen gleichsam Eingewebtes und Eingestochenes« 3 ? (I.e., 554): er prophezeit ihm eine »immer nur preeäre und temporäre« Existenz (I, 7 ; 461), erklärt sich noch in den Jahren der deutschen 48er Revolution engagiert gegen »das bloße (im Grunde negative) Erhalten«^* des Staates, dessen Revolutionierung er schon immer für »unvermeidlich« hielt (I, 3, 585); lehnt es ab, selbst in »vollkommenster« Gestalt eine Staatsform als »Ziel der Geschichte« anzuerkennen (II, 1, 551) und gesteht dem Menschen entschieden »ein Streben [zu, ihn] zu überwinden« (I.e., 548; vgl. 553). Noch immer, so hatte Hölderlin gewarnt, »hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.« 3 9 Ein größerer Gegensatz zu Hegels Bestimmung des Staates als der »Wirklichkeit der sittlichen Idee< 35 V g l . ebd. T r o t z H a n s - J ö r g Sandkühlers jüngerer Publikation über
heit und
Wirklichkeit.
Zur
Schelling
(Frankfurt/M.
Dialektik
von
Politik
und
Frei-
Philosophie
1968) ist die gründliche und besonnene
hei
Arbeit
von Alexander Hollerbach (Der Rechtsgedanke hei Schelling. Quellenstudien zu seiner Rechts- und Staatsphilosophief Frankfurt/M. 1957) unüberholt. 36 Bakunin
hat ja -
wie K i e r k e g a a r d
und Engels -
Schellings
Vorlesung mit angehört. Die Publikation seiner Frühschriflen
Berliner
(1973) e r ö f f -
net die Möglichkeit, kritische Äußerungen gegen Schelling mit offensichtlichen Anregungen zu vergleichen. 37 Die makabre Metapher erinnert nachgerade an K a f k a s
Strafkolonie.
38 Brief Schellings an M a x i m i l i a n , Berlin 20. J u l i 1848 (in: K ö n i g M a x i milian I I . von Bayern und Schelling, Briefwechsel. F. Leist. 1890. 157). 39 StA I I I , 31 f . 350
H g . von L . T r o s t
und
(Rechtsph.y § 257) läßt sich nicht denken. Die These sei wenigstens eingeflochten, daß in dieser Auseinandersetzung zwischen Hölderlin/Schelling und Hegel die abstrakte Vorform jenes erbitterten Streits sich andeutet, der bis zur Stunde zwischen Marxisten und Anarchisten (die eingeschlossen, die von jenen so genannt werden) ausgekämpft wird und der sich in der realen Geschichte zuerst an der Opposition Bakunins gegen den Staatsgedanken des Hegelianers Marx manifestiert hat. Natürlich steht Schellings Anarchismus dem allen sehr fern. Wohin, glaubt er, wird den Menschen sein staatsüberwindendes Streben führen, wenn kein Daseiendes als Alternative sich ausweist? Zur Verinnerlichung (II, 1, 548) - zur Abwendung von der Geschichte, zum Eingedenken der Ewigkeit, kurz: zur »Seligkeit der C o n t e m p l a t i o n « . 4 0 Die äußerste Schärfe der Negation schlägt um in die Affirmation des Nichtbestehenden, die, weil ihr alles Seiende für gleich (nämlich für gleich wenig) gilt, das Schlechte pessimistisch toleriert und das Gute für nicht besser hält. Vor dieser Haltung hat die Spannung, in welche Hegels Rechtsphilosophie-Vorlesung von 1 8 1 8 / 9 die Idee ihrer Wirklichkeit gegenüber versetzt, unübersehbare Vorzüge.* l Nicht der geringste ist, was ihr zumeist vorgeworfen wurde, daß sie der Wirklichkeit sich akkomodiert. Eine Idee, die ihrem Wesen nach aus gleichem Stoff gemacht ist wie das Wirkliche, läßt die Uberwindung der Unangemessenheit der bestehenden Verhältnisse an das, was sein soll, als eine sinnvolle Verbesserung erscheinen. Da eine Geschichtskonzeption dieses Typs nur aufrechtzuerhalten ist, wenn das, was ist, seinem Begriff in prästabilierter Harmonie - nämlich logisch - zubestimmt ist, gerät eine Philosophie, für die Versöhnung zum ontologischen Jenseits wird, ins Zwielicht. Mehr noch: der unprätentiöse Realismus der Hegeischen Konzeption 40 Schelling an M a x i m i l i a n , I.e., 255. «
41 Hegel, Rcdnsphilosophie,
ed. Ilting, I.e., 231 ff. ( =
Homeyers
schrift der Vorlesung über N a t u r - und Staatsrecht aus dem W S
Nach-
1818/9).
353
empfiehlt sieh vor der oft weltlosen Positivität von Schellings Aufmerken auf den unüberwindlichen Schmerz der Entzweiung und auf das vorbegrifflich Seiende durch den lebhaft zupackenden Blick auf die vielfarbigen und mannigfaltigen Einzelheiten der historischen Wirklichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen - Aspekte des Seienden, die 'Schelling grau in grau malt. »Hegels P r o g r e s s i v s t ist unbestreitbar«* 2, meint Hans Jörg Sandkühler. Audi wer der Leerformel mißtraut, wird aus den durch Karl-Heinz Ilting mitgeteilten Dokumenten sich überzeugen lassen, daß Hegels Gleichung von Vernunft und Wirklichkeit nicht ohne weiteres ein J a zur Restauration der Zwanzigerjahre einschließt. Geht es freilich um eine Freilegung der Motive, die Marx dazu veranlaßten, »sich Hegels Dialektik in einem zuerst durch Schelling explizierten Vorverständnis anzueignen« 4 3 , so sind Dokumente über die wirkliche historische Gestalt von Hegels oder Schellings politischem Credo von zweitrangigem Wert. Marx* Auseinandersetzung mit Hegel spielt sich zunächst auf dem Feld philosophischer Argumentation ab, und auf ihm will sie erörtert werden. Akzeptiert man dies, so verwandelt sich die Frage, wie Hegel persönlich sich über das Verhältnis der Idee zur empirischen Wirklichkeit geäußert hat, in das grundsätzliche Problem, ob eine Spannung zwischen beiden mit der Anlage seines gesamten philosophischen Systems sich verträgt. Philosophie, heißt es in der Vorrede zur gedruckten Fassung der Rechtsphilosophie, soll keine Belehrungen austeilen, »wie die Welt sein soll« (Rechtsph.y 27). Sie delegiert ihr subjektives Rechten an das unverbrüchliche Recht des >Weltlaufs<, als dessen »ohnehin (. . .) immer zu spät« kommenden »Gedanken« sie sich erfaßt (I.e., 26). 42 Hans-Jörg Sandkühlcr, Hegel - Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft!, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 34/70, 22. August 1970, 17. 43 Jürgen Habermas, Theorie 354
und Praxis,
I.e.,
21$.
Man muß die Voraussetzung, daß, »was der Begriff lehrt«, die Geschichte immer schon früher zeigte (ebd.), mit dem Selbstverständnis des Hegeischen Systems konfrontieren: Ihm zufolge ist die Wahrheit der bisherigen und der Geschichte überhaupt erkannt; d. h. das Ungleichgewicht zwischen Wirklichkeit und Begriff, welches Geschichte konstituiert, ist mit der in Hegels System hervorgetretenen Selbstdurchdringung des >Weltgeistes< >getilgt<. Bleibt auch ihm gegenüber der Satz, »Philosophie [sei] ihre Zeit in Gedanken erfaßt« (ebd.), in K r a f t , so wird zur logischen Unmöglichkeit die Konsequenz, mit diesem Gedanken könne eine Zeit zusammenbestehen, die nicht auf der gleichen Höhe steht. Übrigens hilft es wenig, darauf aufmerksam zu machen, daß Hegel nachweislich nicht daran gedacht habe zu behaupten, daß die erkannte Idee Geschichte wirklich aufhebe. Man kann sogar darauf hinweisen, daß der philosophische Gedanke sich nur in der transhistorischen Sphäre der Logik vollendet habe. - Diese Einwände verkennen nicht nur den Totalitätsanspruch der Logik im System Hegels; sie nehmen auch das Resultat desselben nicht ernst, welches die Auflösung von Realität und Begriff in der wiederhergestellten »reflexionslosen Unmittelbarkeit« des selbstbewußten Geistes verheißt: Ohne die Bewahrheitung dieser Verheißung schlösse Hegels Philosophieren sich überhaupt nicht zu einem >System<; d. h. sein Prinzip verflüchtigte sich zu einer bloß regulativen Idee, deren Verwirklichung grundsätzlich ausgeschlossen wäre. Aber gerade einer solchen Konzeption gilt Hegels Polemik. Mit einem Wort: Der logische Charakter seines Systems zwingt Hegels Theorie - sie mag den Zusammenfall der historischen Realität mit der Selbsterkenntnis des Geistes noch ein paar Jahre hinauszögern oder nicht - dazu, »Frieden [zu machen] mit der Wirklichkeit« (I.e., 2 7 ) 4 4 , die ja von 44 Es
hilft w e n i g ,
Wirklichkeit
darauf
hinzuweisen,
daß
Hegels
»Wirklichkeit«
meine, wie sie in der Idee sei, also die wesentliche
lichkeit - das ist seit H . E. G . P a u l u s ' Kritik
der Rechtsphilosophie
die
Wirkschon
355
vornherein nur als das eigene Andere der Idee in Anschlag gebracht war, und einen wirklich existierenden Staat »als ein in sich Vernünftiges« anzuerkennen (I.e., 26). Ihren Prämissen zufolge wird dies ein bürgerlicher Nationalstaat sein, der mit imperialer Geste das Allgemeine gegenüber den Eigentümlichkeiten der besonderen Verhältnisse geltend machen, die abstrakte und formale Gleichheit des Naturrechts verwirklichen und mit der Vernunft die Mittelbarkeit - das >Geld des Geistes<, wie Marx sagt - inthronisieren wird. Es wird ein Staat sein, der - weil er angemessene Realisation der die Geschichte lenkenden Idee zu sein behauptet - sich blind macht gegen die Historie, die ihn trägt: sie liegt ja als aufgeschlagenes Buch vor den Augen des Geistes, der in ihr nicht mehr seine Odyssee liest, sondern die geheime Logik seiner vermeintlichen Irrfahrten begreift. Dies ist freilich die wirkliche (von Marx durchschaute) Dialektik seiner Selbsterkennung, daß jenes »zeitlose Wesen«, dessen Vergegenwärtigung er applaudiert, sich als das Wesen eines unentrinnbar in der Geschichte Situierten enthüllt. 45 Gewiß schaut es sich in seiner Verwirklichung als sich an; aber um als Niederschlag des Ewigen sich auszurufen, muß es seinen nicht-ewigen Grund verdrängen. Mit solcher Verblendung zollt es wider Willen seinen Tribut an das >Unwesen< seiner eigenen Epoche. Der Zwang zur endgültigen »Versöhnung mit der Wirklichkeit« (I.e., 27) bezeichnet scharf die Grenze einer logisch begründeten Dialektik. Hegels Aufforderung, »das Ewige« in zum T o p o s der Hegelforschung geworden. Bei der Gleichung der V e r n u n f t nur mit sich selbst sich zu begnügen, hieße eine Position repressiver T o l e ranz zu beziehen, die sich von der des alten Schelling k a u m und überdies den Idcalismusverdacht
unterschiede
Feuerbachs und M a r x e n s ganz
und
gar ins Recht setzte. 45 Feuerbach
sieht
in
nungen der Hegeischen
dem
Zusammentreffen
jener
»Krankheitserschei-
Psychologie und Hegeischen Zeit und
Wohnstätte
(. . . den) schlagenden B e w e i s , daß gerade d a , w o der Geist seine U n a b hängigkeit
von R a u m
und Zeit im allgemeinen
mit Bewußtsein
demon-
striert, er unbewußt seine A b h ä n g i g k e i t von den allerspeziellsten
örtlich-
keiten und Zeitlichkeiten beweist« (Ges.
356
Werke,
I.e., B d . 1 1 ,
150).
der »Gegenwart« zu erkennen (ebd.), schlägt wie bei Schelling um in spekulative Clairvoyance, die es, weil sie »in dem Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden [immer nur] die Substanz«, das Außerzeitliche, gewahrt, zur großzügigen Toleranz gegen »die äußere Existenz« bringt (ebd.); ja die sich in der Formulierung selbst entlarvt, das, »was zwischen der Vernunft als selbstbewußtem Geiste und der Vernunft als vorhandener Wirklichkeit liegt, was jene Vernunft von dieser scheidet und in ihr nicht die Befriedigung finden läßt, [sei nur] die Fessel irgendeines Abstraktums, das nicht zum Begriffe befreit ist« (I.e., 26). Eine solche Reduktion realer Differenz auf eine logische Abstraktion verdient den Feuerbach-Marxschen Vorwurf eines >falschen Positivismus<, dem es mit der Entfremdung nicht ernst ist. N u r unter der Bedingung, daß prinzipiell keine äußere, d. h. zeitliche Existenz der Idee gleich sein kann, ist dem Stillstand der Geschichte zu entgehen. Und nur eine solche Theorie, die die Selbstdurchsichtigkeit des Bewußtseins an die Bedingung seiner totalen Verzeitlichung knüpft, kann vor der Erfahrung der Geschichte bestehen. J e und je auf den verfehlten Wert absoluter Koinzidenz des Seins und des Bewußtseins sich überschreitend, ist die menschliche Gattung ständig ein Resultat der Tätigkeit, durch welche sie in einem ihre materielle Existenz und deren Bewußtsein produziert. Dann freilich hört »Selbstbewußtsein auf, die zeitlose Schlichtung des Widerspruchs von Wirklichkeit und Idee für sich beanspruchen zu können, und verwandelt sich in die Funktion eines realen Prozesses, dessen jeweilig-unmittelbarer Reflex es ist. Dialektisch darf dieser Prozeß gerade darum genannt werden, weil er nicht logisch ist; d. h. weil keine der unendlich vielen möglichen Synthesen der Natur und des Geistes die Totalität der Idee in sich darstellt und so eine jede ihr gegenüber in realem Widerspruch verharrt. Gewiß kann man sagen, nur die >Fessel eines Abstraktums< trenne die selbstbewußte gesellschaftliche Wirklichkeit von dem absoluten Wert der Identität beider. Diese Abstraktion besitzt 357
aber Realität von einer Widerständigkeit, die sich niemals auf ein logisches Verhältnis zurückbringen läßt; und zwar deswegen, weil sie nicht von einem nur unentfalteten Begriff, sondern von der Natur ihren Ausgang nimmt: von einer selbst seienden Natur, die den Grund ihres Seins nicht in der Idee hat, sondern auf unverfügbare Weise als deren Korrelat sich findet. Insofern läßt sich allerdings sagen, daß ein Unmittelbares vom Lauf der Geschichte schlechthin nicht betroffen wird, wie Feuerbach und Schelling in der Tat behaupten. Gewiß wechselt es unter der Zurichtung menschlicher Tätigkeit unentwegt seine Gestalt; auf das Sein hat die Praxis aber keinen Einfluß, und die Beharrung, mit der die Natur der Auflösung durch die vermittelnden Aktivitäten der Geschichte trotzt, ist ihnen proportional. Diese durch Schelling in die idealistische Diskussion eingebrachte Erkenntnis formuliert keineswegs eine Rückzugsposition gegenüber der Geschichte. Die Kritik an der logisdien Verabsolutierung des Mittels macht vielmehr seine außerlogische Realität erst sichtbar. Das Mittel ist selbst unmittelbar, und nur darum vermag es die natürliche Realität in einer Weise zu modifizieren, daß es zahlreiche ihrer Erscheinungsformen mit der Vernichtung bedroht. Das Reich des Logisdien scheint davon nicht betroffen zu sein; und wer die »menschliche Wirklichkeit in das Selbstverhältnis eines Geistes verflüchtigt, mag Gelassenheit dem gegenüber für angemessen halten. Existenz gewinnt dies Selbstverhältnis freilich nicht aus der Logik, sondern aus der Natur. Nicht Dialektik von Begriffen allein, sondern Stoffwechsel primär ist das in der Geschichte verzeitlichte Selbstverhältnis der Natur, als dessen Erscheinungsform auch der Mensch - das »tierische, aber doch vernünftige Wesen«* 6 - ist. Eine Praxis, die, autonom sich wähnend, den technischen Zugriff und das Mittel in den Rang eines letztbegründenden Faktums erhebt, arbeitet unbe46 Kant, Kritik
der Urteilskraft,
B 15. Vgl. I.e., 282, 0 u. 294 (»da wir
selbst zur N a t u r im weitesten V e r s t ä n d e gehören«), 352 u. passim.
358
wüßt an der Zerstörung ihrer eigenen materiellen Basis. Die Spekulation, die gegen die Selbstermächtigung des Mittels auftritt, kommt freilich auch hier »zu spät«; denn die sinnliche Erfahrung der Selbstnegation - einzig authentisches Maß ihrer Wirklichkeit - hat längst begonnen.
359
Anhang Heine und Schelling Dem Gegenstande der Schellingschen Philosophie ist es, nach Heines Worten, »wie allen großen Werken der Deutschen«, wie z. B. dem Kölner Dome und der preußischen Konstitution, ergangen: »er ward nie fertig«* (Elster-Ausgabe, II, 351). Dies Urteil ist in dreierlei Hinsicht typisch für Heines Auseinandersetzung mit Schelling: Es anerkennt im Stil ironischer Skepsis die Bedeutung dieser Philosophie; es lehnt sich - bei nur geringer authentischer Kenntnis 1 - fast durchweg stark an Hegels Konzept einer »Geschichte der Philosophie< an; 2 und es urteilt dort in der Vergangenheitsform, wo Heines Berliner Lehrer zu der Vorsicht greift, Schellings »Arbeit ihrer Evolution« noch zu überlassen. 3 Darum war Heines vorschnelles Urteil auch der List der geschichtlichen Idee ausgeliefert, die mit der Fertigstellung des Doms und dem Octroi der preußischen Verfassung seine Wahrheit ins Gegenteil verkehrt hat. Aber dieser Vorsprung Hegels und diese Voreiligkeit Heines sind nur Schein. Denn während Hegel sein eigenes System für einen dialektischen Fortschritt über die »für sich wohl wahre«, »nur
* Heinrich Heines »Sämtliche Werke« werden mit Band und Seitenzahl zitiert nach der »Historischen kritischen Ausgabe«, hrsg. von E. Elster, H a m b u r g 1887-90. 1 Ein einziger Briefbeleg gibt uns die Auskunft, Heine habe im Januar 1823 in Schellings »philosophischen Schriften« - gemeint ist die Ausgabe von 1809
-
»etwas gelesen« (an Immanuel Wohlwill, Berlin, 7. April 1823 H S A X X , 74). Umgekehrt wird auch Schelling Heines Werk nur unter beschränkten Aspekten zur Kenntnis genommen haben - so etwa über C h . H . Weißes Rezension der • Romantischen Schule« (abgedruckt in: Heinrich Heines Beiträge zur deutschen Ideologie, hg. von Hans Mayer, Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1971; 4 1 1 ff.)2 Vgl. G . W. F. Hegels Werke, Frankfurt a. M. 1971 ( - Theorie-Werkausgabe), Bd. 20, 422 f. 3 Hegel, Werke, X X ,
423. 361
immer in ihrem Anfange stehen«4 gebliebene Idee Schellings hielt, wird Heines Urteil über Schelling, in seiner zustimmenden, verurteilenden, und wieder affirmativen Haltung, 5 unbewußt jener durch keine Vermittlung einholbaren, weil ontologischen Spannung gerecht, in welcher der lebende Schelling sein System zu dem Hegeischen sah. Der Ernst, mit welchem Heine dem Schellingschen Argument sich geöffnet hat, erweist sich darin, daß seine große populäre Bestandaufnahme der neueren deutschen Philosophie das Hegeische Schema und seine Abbildung auf die Phasen der französischen Geschichte seit der Revolution gerade bei der Einordnung Schellings in einige Schwierigkeiten bringt: Die streng fortschreitende dialektische Notwendigkeit ist durchlöchert; der lebendige Schelling scheint gegen die »Todeserklärung« 6 aufzustehen, die gegen ihn - wie schon gegen Fichte - der Fortschritt des Hegeischen Geistes in Umlauf gebracht hatte. Damit tritt bereits ein Motiv für die spätere Abwendung Heines von Hegel ans Licht. An den Anfang des Schellingschen Philosophierens setzt Heine in seiner > Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland< den Fortschritt über den Kant/Fichteschen Kritizismus. Mit Fichte war Schelling darin einig, daß die Philosophie von einem unbedingten Grundsatz ihren Ausgang zu nehmen habe. Un-bedingt kann aber nur heißen, was keines Weiteren zu seiner Existenz bedarf, was, mit anderen Worten, auf nichts relativ, was lautere Autonomie ist. Ein solches Prinzip finden wir im reinen Bewußtsein unserer selbst, insofern wir uns schlechthin und jeder Reflexion zuvor gewahren zufolge eines Aktes, dessen Resultat »mit einem Schlage« das Bewußtsein seiner selbst, das Bei-sich-Sein, ist. 4 Hegel, Phänomenologie des Geistes, ed. J. Hoffmeister, Hamburg 5 Wir werden diese Entwicklung
6
1 9 5 2 , 18.
im Folgenden nachzeichnen. Nehmen
wir
vorweg, daß es bis ins Jahr 1929 sehr anerkennende Urteile Heines über Schelling gibt, so etwa in der Menzel-Rezension von 1828 ( V I I , 250, 251) und im zweiten Kap. der >Stadt Lucca< (III, 381 ff.). 6 F. Engels, M E W ,
362
1. Ergänzungsband,
163.
Nun impliziert die Formel »Bei-sich-Sein« eine Trias von Momenten: Das Unbedingte bedarf eines Reflexes, »bei« dem es Gegenwart ist - denn sonst wäre es nicht Bewußtsein von sich selbst. Auf der anderen Seite ist damit gerade seine Unbedingtheit aufgehoben, denn das Absolute bedarf des »Fürsich-Seins«. »Durch diese Beschränkung« des Absoluten auf das reflexive Bewußtsein, sagt Schelling, »ist für die ganze Folge das Differenzverhältnis des Ichs und des Absoluten . . . und jener der besonderen Form des Idealismus der Wissenschaftslehre eigenthümliche und unüberwindliche Gegensatz des Ich und Nicht-Ich entschieden und nothwendig gemacht.« 7 Mithin wird Fichtes frühe Philosophie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, indem ihr Einsatzpunkt, das menschliche Ich, das Absolute noch außer sich hat oder, anders ausgedrückt, indem diese Philosophie das Bewußtsein im gleichen Akte zur Bedingung seines Absolutseins macht, in welchem sie umgekehrt das Bewußtsein als vom Absoluten erst gesetzt hinnehmen muß. Fichtes Ich ist also nur unter der Bedingung der Differenz Einheit mit sich selbst. Und doch wird diese Einheit, die freilich dem Zugriff der Reflexion verlorengeht, ständig in Anspruch genommen. Also, folgert Schelling, ist Fichtes Bei-sich-Sein nur ein abgeleiteter Modus einer (logisch wie ontisch) vorgeordneten Struktur von »substantieller Identität« 8 , innerhalb welcher ein verhältnismäßig »bewußtloses« einem verhältnismäßig »bewußten« Wesen so vorauszugehen scheint, daß es ihm gleichsam die transzendentale Basis liefert. 9 Schelling hat dies grundlegende Wesen die »Potenz der Natur« genannt, um so-
7 F. W. J . von Schellings sämmtliche Werke. Hg. von K . F. A . Schelling, Stuttgart 1856-861, I, 4, 353/4 ( - A b t . , Bd., Seitenzahl). Vgl. V f . , Das Problem »Zeit« in der deutschen Romantik, Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der frühromantischen Philosophie und in Tiecks Dichtung, München 1972 (Neudruck Paderborn
1830), 22 ff.
8 Schelling, II, 3, 2 1 8 ; vgl. I, 7, 340 ff.; 421 f. und Die Weltalter; in den Urfassungen von 1 8 1 1 und 1 8 1 3 hg. von Manfred Schröter, München 1946; zit. als W A
124 ff.
9 Schelling, I, 4, 84 ff. und I, 10, 93 unten f.
363
gleich hinzuzufügen, daß seine Differenz von dem geistigen Moment nur relativ und beide nur innerhalb einer identischen Sphäre separabel seien. Jedes Moment drückt schon in sich die Identität aus, und »jede Pflanze ist, so zu sagen, der verschlungene Zug der Seele« 10 . Heine kommentiert diesen Gedanken ganz richtig, wenn er - unter Berufung auf Schellings »Vorerinnerung« zu seinem »System« von 1 8 0 1 1 1 - den Unterschied zu Fichte damit erklärt, daß zwar beide Philosophen »die Identität des Idealen und des Realen« lehren, daß aber »Herr Schelling . . . das Reale zum Idealen« (IV, 282) führe, daß seine Natur ichbeseelt sei, während Fichtes fertig daseiendes Ich die Natur nur als den Gegensatz sowie das Absolute nur in der Differenz vom Für-sich-Sein kennt. - Das hat aber eine fatale Konsequenz, die Schelling so darlegt: »Es gibt für ihn (Fichte) keine Realität des Absoluten als in dem Verhältniß der Sklaverei und Unterwerfung des Ich unter jenes; das Absolute muß in der Gestalt des absoluten Gebietens, das Ich in der Gestalt des unbedingten An- und Aufnehmens dieses Gebietens erscheinen«. 1 2 Hinter dieser Struktur sieht Schelling, sehr ähnlich wie Heine, 1 3 den naturfeindlichen Spiritualismus der jüdisch-christlichen Tradition, jenen »Mosaismus der Moral« 1 4 , hervorblicken. Fichte scheint die politische Praxis der Franzosen nur auf den Begriff gebracht zu haben; ist ihm doch der »heitere und selige Gott« der Natur bloß eine »Schranke ohne alles Reale« 1 5 , die dem »finsteren Götzenbild der Subjektivität« und dem lebensfeindlich-»aushöhlenden Moralisiren« 16 ganz ebenso zum Opfer gefallen ist wie seinerzeit die schöne Kunst dem abstrakten und fiebernden Eifer der »Bilderstürmer« 17 - ein 10 Schelling, I, 1, 386. 11
Schelling, I, 4, 109 (f.).
1 2 Schelling, I, 5, 113. 1 3 V g l . I V , 219 ff. 14 Schelling, I, 6, 556. 1 5 Schelling, I, 7, 10. 16 Schelling, a . a . O . 27 u. 19. 1 7 Schelling, a . a . O . 45.
364
Vergleich übrigens, mit welchem sich Heine später, mit gleicher Pointe, gegen die kunstfeindlich-neobabouvistischen Kommunisten richten wird. 1 8 Für dieses und andere Symptome einer »socialen . . . Krankheit« ist »alle Heilkraft . . . nur von der Natur« zu erwarten, fährt Schelling fort, die »lang verkannte« wird endlich »durchbrechen« und der ewigen Einheit »im Seyn und im Leben der Natur« auch »in der Wissenschaft und Erkenntniß« zum Sieg verhelfen. 19 Schellings Philosophie, so lautet Heines Kommentar, ist der Spinozismus jener Tage (vgl. IV, 219, 284) - mit jener von Schelling formulierten »wesentlichen« Differenz: »Spinoza«, sagt er, »war die Welt (das Objekt schlechthin im Gegensatz gegen das Subjekt) - Alles, mir ist es das Ich.«2C Als Hegelianer weiß auch Heine sehr gut, daß sich die großen »Kreisläufe« der Historie nur scheinbar wiederholen, daß das Ereignis der Kantischen Erkenntniskritik nicht rückgängig zu machen war und daß jeder Philosophie ihre Sphäre von der Geschichte zugewiesen wird (vgl. IV, 285). Dieser moderne Pantheismus korrespondiert nun nach Heines Vorstellung aufs genaueste der »restaurierenden Reaktion« in Frankreich, mit der er sich zunächst als mit »einer Restauration im besseren Sinne« (IV, 18 Vgl. H . Heine, Sämtliche Werke, hg. von H. Kaufmann, München 1964, X I , 337 f.; ähnlich 243 und V I I , 419. Heine scheint geradezu Schellings ästhetische Vorbehalte gegen Fichte zu wiederholen: »Sie [die Babouvisten] hacken mir meine Lorbeerwälder um und pflanzen darauf Kartoffeln.« Ebenso hatte Schelling gegen Fichtes Forderung gesellschaftlicher Nützlichkeit der Kunst gespottet, »welches«, wie er sagt, »von der Kunst zu fordern nur einem Zeitalter möglich ist, das die höchsten Efforts des menschlichen Geistes in ökonomische Erfindungen [ A n m . : Runkelrüben] setzt« (I, 3, 622). Möglicherweise hat Schellings Fichtestreitschrift (I, 7, 1 7 - 1 9 u. passim) die oben zitierte Heinesche Passage inspiriert. Diese Parallele wird eine zusätzliche Bewährung für Moses Heß' Vergleich der Fichteschen Philosophie mit dem Babouvismus liefern. - Daß Heine wirklich an den Babouvismus, und nicht etwa an den Marxismus denkt, hat Leo Kreutzer bewiesen
(L. K . ,
Heine
und
der
Kommunismus,
Göttingen
1970,
19
im
Kontext). 19 Schelling, I, 7, 19 u. 20 Aus Schellings
126.
Leben. In Briefen. Hg. v. G . L. Plitt, 3 Bde.
1869/70;
zit.: Plitt I, 76.
365
290) identifiziert. 20a Hat sie doch - und diese Erwägung ist, wie wir erinnern, durchaus in Schellings eigenem Sinne - dem Napoleonischen »Despotismus«, diesem Wirklichkeit gewordenen Anspruch auf »Alleinherrschaft« des »Gedankens« (VII, 281, 282), ebenso ein Ende bereit wie in Deutschland Schelling dem »kolossalen Irrtum« (IV, 276) des Fichteschen Idealismus damit aber dem Dualismus überhaupt, der in diesen beiden Erscheinungsformen zum letztenmal, gleichsam als Nachflackern der feudalen Ständetrennung, dessen Struktur er beerbte, vors Bewußtsein trat. Mit der Naturphilosophie im Reich des Gedankens und der Restauration in der politischen Wirklichkeit ist jene »große Weltzerrissenheit« überwunden, die »Materie rehabilitiert, in ihre Würde wiedereingesetzt« (IV, 222). In Wahrheit denkt Heine für jene große »Versöhnung von Geist und Natur«, jene »Wiedereinsetzung des Menschen in seine Gottesrechte« (IV, 288, 289) eine andere Analogie im Hintergrunde mit: die zum Saint-Simonismus. Sie bildet gleichsam die Achse, um die sich die Gedanken der Schrift über »Religion und Philosophie in Deutschland< bewegen; und es ist zufolge dieser Komposition, daß Schelling, auch wo er aus Gründen, die wir zu interpretieren haben werden, gar nicht genannt ist, zu einer Schlüsselfigur in Heines Abhandlung wird. Während ihrer Niederschrift hatte sich Heine dieser pantheistischen Religion begeistert geöffnet. Sie gewährte ihm die Vision einer sozialen Umwälzung von Grund auf, die ohne die »revolutionären Gifte« der Jakobiner, ohne die »Usurpation« einer »spiritualistischen Welteinrichtung« (IV, 222) hie und der absoluten Erhebung der Materie da eine natürliche Gleichheit aller Menschen begründet, die in ihrer naturgewordenen Humanität die Gottheit anbeten. In wesentlichen Passagen liest sich Heines Eloge auf den Pantheismus wie ein Cento aus Schellings Streitschrift gegen Fichte oder aus dem >Heinz Widerporst<, und die poetischsten Wendungen über den Stufengang der im Men20 a Z u m
Vergleich
der
Schellingschen
Philosophie
mit
einer
antwortenden »Reaktion« vgl. Schelling selbst: I, 7, 3 7 , 3 Z.
3 66
auf
1 1 ff.
Fichte
schengeist sich selbst erkennenden Natur sind weit entfernt von einem Reflex des trockenen »mos geometricus« bei Spinoza, sind dicht am wörtlichen Zitat Schellings. 21 Fügen wir hinzu, daß er auch die Schellingschen Argumente gegen die Behauptung, »der Pantheismus führe die Menschen zum Indifferentismus« (IV, 223) 22 , wiederholt und daß hinter der tiefsinnigen Erklärung vom Ursprung des Bösen überall die Lektüre von Schellings »Philosophie und Religion< sowie der Freiheitsschrift hervorblickt. Da sind »Bekenntnisse«, die »ganz nackt und bestimmt«, wie Heine versichert, »meine Meinung aussprechen«: »Ich gehöre«, sagt er nämlich, »nicht zu den Materialisten, die den Geist verkörpern; ich gebe vielmehr den Körpern ihren Geist zurück, ich durchgeistige sie wieder, ich heilige sie« (V, 528) - Sätze, die wir nicht lesen können, ohne uns an Heines Paraphrase der Schellingschen Fichtekritik zu erinnern. Nicht weniger offensichtlich ist die Verwandtschaft zu jener gleichfalls durch Schelling und St. Simon vermittelten Vision des jungen Karl Marx: »die Gesellschaft ist die vollendete Wesenseinheit des Menschen mit der Natur, die wahre Resurrektion der Natur, der durchgeführte Naturalismus des Menschen und der durchgeführte Humanismus der Natur.« 2 3 Am deutlichsten aber wird unsere Vermutung bestätigt durch einen Hinweis auf die »soziale Wichtigkeit der erwähnten Philosophie«, der Heine in den Schelling gewidmeten Passagen »ausschließliche Aufmerksamkeit zu leihen« verspricht. Moses Heß hat später die verborgene Analogie ans Licht gezogen: Die »französische Sozialphilosophie« der St.-Simonisten sei wahrhaft analog, »ja wesentlich identisch« mit Schellings Naturphilosophie, die, wie er sagt, »der neuen Religion St. Simons, wie der Restaurazion des alten Glaubens, [allererst] eine speku-
21 Eine solche Abhängigkeit wäre zu vermuten zwischen I V , 222, 223 und Schelling I, 1, 383, 387; vgl. auch Heines Aphorismus V I I ,
402.
22 Vgl. Schelling, I, 6, 546. 23 Marx-Engels-Studienausgabe,
Bd.
2 (Frankfurt a. M.
61971),
101;
vgl.
auch 99.
367
lative Basis« geliefert habe. 24 Übrigens gab es St.-Simonisten, die sich geradezu auf Schelling beriefen, 25 und selbst »dem genialen Pierre Leroux und seinesgleichen gilt Schelling«, wie Marx an Feuerbach schreibt, »noch immer für den Mann, der an die Stelle des abstrakten Gedankens den Gedanken mit Fleisch und Blut, der an die Stelle der Fachphilosophie die Weltphilosophie gesetzt hat!« 26 Heine selbst hat »eine gewisse Ähnlichkeit« (VI, 415) Leroux' mit Schelling später zugestanden. 27 Fügen wir hinzu, daß noch Prosper Enfantin, der Adressat der Heineschen Widmung, in seinem langen Antwortschreiben mit Schelling stark sympathisiert und ihn gegen Heines Vorwurf, den wir im folgenden zu beleuchten haben werden, engagiert in Schutz nimmt. 28 Übrigens relativieren diese Belege ein wenig Heines Bemerkung, »Schelling und die Naturphilosophie« seien in Frankreich »fast ganz unbekannt«, so daß er, um »beider Bedeutung zu erklären«, »ein späteres Buch« (IV, 282), das nie erschienen ist, ankündigt.
24 M . Heß,
Philosophische und sozialistische Schriften 1837-1850, hg. von
A . C o r n u und W. Mönke, Berlin 1961, 200 f. und 288. - Der Heß'sche Vergleich wirft - durch die gleichzeitige Parallelisierung des »Baboeuf'schen Communismus und des Fichteschen Idealismus« - zugleich ein Licht auf die Motive für Heines Ablehnung beider Richtungen im Namen St. Simons bzw. Goethes und Schellings. Sah Heine doch im Neobabouvismus ebenso wie in Fichtes Morallehre den kunstfeindlichen Werk (vgl. A n m .
»Calvinismus«
rousseauistisch-jakobinischer
Provenienz
am
18).
25 Im weiteren Sinne gehört zu ihnen der Lamennais-Schüler Cluxis, der sich über Schelling authentisch in München unterrichten wollte (vgl. Plitt III, 87/8; 97/8 und Hans-Jörg Sandkühler, Freiheit und Wirklichkeit. Zur Dialektik von Politik und Philosophie bei Schelling, Frankfurt a. M. 26 Brief vom 3. Okt.
1843 ( M E W , X X V I I ,
1968, 259).
420).
27 Diese (strukturelle) Ähnlichkeit wird nicht berührt von dem Streit, ob Leroux »Deutsch gekonnt«, wie er selbst will, oder nicht, wie D. O . Evans glaubt (Evans, Le socialisme romantique. Pierre Leroux et ses contemporains. Paris vgl. 72 u. 240) - ob er also Schelling im Original habe lesen können. An eine historische Abhängigkeit ist hier nicht gedacht. 28 Vide A . Strodtmann, Heinrich Heines Leben und Werke, 2 Bde., Berlin 1869. Bd. 2, 313 f.
368
Merkwürdig mutet auch die Beobachtung an, daß Heine eine weitere Wahlverwandtschaft, zugleich die eigentliche Leistung des jungen Schelling, nämlich die Begründung der Kunst als des »einzigen wahren und ewigen Organon zugleich und Dokuments der Philosophie« 29 , mit Stillschweigen übergeht und Schellings »Neigung zur Poesie« nur als dessen stilistische Eigentümlichkeit, als ein »Überschnappen in die Blumentäler der Symbolik« (IV, 283) verspottet. 30 Wenige Jahre früher (1829) hatte er freilich Schellings »Darstellungsart« sehr bewundert; sie sei »viel anmutiger, heiterer, pulsierend wärmer, alles darin lebt, statt daß die abstrakt Hegeischen Chiffren uns so grau, so kalt und tot anstarren« (III, 381, 382]. Aber selbst in der affirmativ gefaßten Wendung entgingen ihm Bedeutung und Ort der Kunst in Schellings Spekulation, in welcher sie eine Zeitlang als geniale Verlegenheitslösung den Abschluß und Höhepunkt des Systems bildete: Die Kunst vermittelt die empirische Undarstellbarkeit der Idee in der symbolischen Darstellung und gibt so einen bedeutenden Wink auf die Struktur des Absoluten, das sich unserem Wissen prinzipiell versagt. Das gibt uns Anlaß zu einer grundsätzlichen Überlegung. So sehr nämlich Heine in seiner ersten Pariser Zeit mit dem »früheren Schelling« (V, 293) übereinzustimmen scheint, so notwendig ist es, auf eine scheinbar unbedeutende Differenz hinzuweisen. Liest man nämlich Schellings erstes Identitätssystem aufmerksamer, so wird man finden, daß Schellings Gott doch nicht ganz als »Dieu-progres« in die Natur sich auflöst, sondern den Prozeß unvordenklich überdauert. Hegel hat in dieser anscheinenden Nuance den Mangel der Naturphilosophie erblickt, und Schelling konnte ihm später, unter Benutzung dieses Arguments, die Gegenkritik vorhalten: Denkt man Selbstbewußtsein, wie Hegel, nur dialektisch, d. h. vom Resultat
29 Schelling, I, 3, 627. 30 Das ist um so merkwürdiger, als ein Teil der Forschung Heines Frühwerk in einiger Abhängigkeit von Schellings Ästhetik
sieht.
369
her, 3 1 so macht man sich eines Zirkels schuldig: Hätte Gott sich nicht, jeder Entäußerung zuvor, schon in nicht-setzendem Selbstbewußtsein gewahrt, wie sollte er sich - thetisch - im Menschengeist als sich wiedererkennen? So mußte also das reine Wesen Gottes von dem Wesen, insofern es Urform eines werdenden Gottes ist, deutlicher abgehoben werden als durch die Identitätsformel geschehen war, und Schelling hat sich dieser Aufgabe zuerst in der von Heine etwas ausführlicher kommentierten und zitierten kleinen Schrift über »Philosophie und Religion< (1804) (IV, 285, 286) unterzogen. Der Gedanke ist kurz folgender: In Gott selbst muß eine, allerdings rein potentielle, Differenz angenommen werden, die seine Identität nicht zerstört. Das Ideale muß zumal auch Reales und das Reale zumal auch Ideales sein, 32 sozusagen nur unter verschiedenen Übergewichten gesetzt. Damit ist das idealisierte Reale das genaue Spiegelbild des realisierten Idealen, erbt also dessen Autonomie 3 3 und kann vom Absoluten »abfallen« 34 . - »Herr Schelling«, so lautet Heines Kommentar, »verläßt jetzt den philosophischen Weg und sucht durch eine Art mystischer Intuition zur Anschauung des Absoluten zu gelangen, er sucht es anzuschauen in seinem Mittelpunkt, in seiner Wesenheit, wo es weder etwas Ideales ist noch etwas Reales, weder Gedanke noch Ausdehnung, weder Subjekt noch Objekt, weder Geist noch Materie, sondern . . . was weiß ich!« (IV, 286) Hiermit beginne die »Narrheit« »bei Herrn Schelling«, er habe sich der »Mystik« geöffnet, und mit »einer Menge« ihm nachschwätzender »Faselhänse« (IV, 287p 5 versuche er nun »zu sehen, was
31 Vgl. D . Henrich, Selbstbewußtsein, Kritische Einleitung in eine Theorie, in: Festschrift für H . - G . Gadamer 1970, 281; und ders., La Dicouverte de Fichte, in: Revue de metaphysique et de morale. Annee 72.
1967. N o .
2,
168.
32 Schelling, I, 6, 161 £f. 33 Schelling, I, 6, 39/40. 34 Schelling, I, 6, 38. 35 Heines
ziemlich
undifferenzierte Aburteilung
jener
naturphilosophischen
»Schüler des Herrn Schelling« (IV, 284) ist natürlich zum Teil ein Reflex des Hegeischen Vorbildes in der Vorrede zur »Phänomenologie« - eine Kritik, die
370
nicht sichtbar, zu hören, was nicht hörbar« (IV, 287). Es ist wahr: Schelling hat versucht, »das Absolute intellektuell anzuschauen« (IV, 286) 36 . Nur ist dem Schüler Hegels entgangen, daß Schellings Philosophie, genau wie diejenige Spinozas und Fichtes, die intellektuelle Anschauung nicht erst jetzt voraussetzte und daß es vielmehr Hegels Fehler war, mit dieser Anschauung schon auf der ersten Stufe seiner angeblich voraussetzungslos beginnenden >Logik< operieren zu müssen, ohne sie
Schelling
selbst
als
nützliche
»Polemik«
gegen
»den
Misbrauch
und
die
Nachschwätzer« seiner Lehre ausdrücklich gelten ließ (Plitt II, 1 2 1 ; an Hegel, München, den 2. 11. 1807), insofern mit Heine darüber einig, daß diese Leute seine Philosophie »kompromittiert« haben (IV, 284). Zum anderen neigt sie dazu, Schelling selbst für die Meinungen seiner Schüler zur Rechenschaft zu ziehen. Die von Heine angeführte Vorstellung Schellings von einer »Dichterschule« im Sinne der Alten (I, 7, 145/6; IV, 284), die »gemeinschaftlich Begeisterte« keinem andern Untertan machen soll als »dem Gott, der aus allen redet« (Schelling, I, 7, 146), öffnet womöglich der »Narretei« und dem »Ridikül« (IV, 284) Tor und Tür, ist aber eben darum ungeeignet, die reaktionären unter seinen sogenannten Schülern, Görres und Adam Müller, in größere Abhängigkeit von Schellings Lehre bringen zu wollen als den mit Schelling nach München berufenen und von Heine gepriesenen »Oken, den genialsten Denker und einen der größten Bürger Deutschlands« (IV, 291), sowie Steffens, der trotz seiner pietistischen Wendung immer ein Demokrat geblieben ist (vgl. Tiecks Entrüstung über die Parteinahme der Steffens bei der 48er-Revolution; Brief an Hanna Steffens vom 21. 12. 48). Übrigens ist gegen die üblich gewordene Verzeichnung festzustellen, daß Schelling selbst Görres und Müller sowie die reaktionären
Katholiken kaum weniger scharf
abgelehnt hat als Heine und nur mit den liberalen unter seinen Anhängern (Pfaff, Puchta, Oken u. a.) freundschaftlich verbunden geblieben ist. Selbst dem Pietismus von Steffens denkt Schelling eine mit Heine vollständig konforme Kritik zu (V, 296; Plitt III, 141, 149), wie er sich auch oft genug »gegen die Falschmünzerei«
sogenannter,
selbst
nominierter
Schüler
zu
wehren
hatte.
Kommt hinzu, daß Schelling wie Heine und Platen die Nazarener-»Narrheit« ablehnt (Rudolf Schlösser, August Graf von Platen. Ein Bild seines geistigen Entwicklungsganges und seines dichterischen Schaffens. 2 Bde., München 1 9 1 0 / 1 3 ; Bd. 1 ,
583).
36 - und zwar in der von Heine zitierten Schrift letztmalig (Schelling I, 6, 23 ff.); vgl. J . Habermas, Dialektischer Idealismus im Übergang zum Materialismus Geschichtsphilosophische
Folgerungen
aus Schellings
Idee einer
Contraction
Gottes; in: Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Frankfurt a. M. 1971,
177 f-
371
faktisch anzuerkennen. 37 In der Differenzierung dieses Gedankens liegt der Keim der Schellingschen Spätphilosophie, auf die Heine dann nur mehr vage Ausblicke gibt. 38 Freilich, was wußte der Zeitgenosse auch schon von dieser Spätphilosophie? Hat Schelling doch immer aufs neue in Umlauf gekommene Nachschriften seiner Vorlesungen und andere Informationsquellen als nicht-authentisch dementiert, 39 ohne sein fortgesetztes Schweigen früher zu brechen als im Jahre 1834 durch die Vorrede zu Cousin. Darin hieß es: Hegel habe das Logische an die Stelle des Wirklichen gesetzt. 40 In Schellings Philosophie gehe die Welt aus Freiheit hervor, nicht aus jener dialektisch fortschreitenden Notwendigkeit, die Gottes und der Menschen Freiheit als unwesentliches Moment überschreite und ihre Selbstmacht enteigne. Und da ist schon jene von Moses Heß und Karl Marx wiederholte Kritik, 41 daß Hegels Idealismus das Natürliche immer nur abstrakt, d. h. »in der Potenz des Ideellen«, darstellen könne, 42 so daß er sich in einem salto mortale
37 Schelling, I, 10, 138. Vgl. Hegels gleichlautendes verschämtes Zugeständnis am Schluß der »Logik« (Theorie-Werkausgabe Bd. 6 [ F f m . 1969], 553). 38 Schelling sei inzwischen,
wie so mancher
»Freidenker«,
»bekehrt«
und
»predige einen außerweltlichen, persönlichen Gott, »der die Torheit begangen habe, die Welt zu erschaffen«« (IV, 288). Das ist eine Formulierung aus der »Weltalter«-Phase, die Heine vermutlich vom Hörensagen aufgeschnappt hat. 39 Winke lieferten der konservative Staatsrechtler Friedrich J . Stahl (1802-1861), der in seiner »Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht« auf Schellings neueste Lehre zurückgriff, freilich auf eine Weise, die nach Schelling »einen ganz falschen Begriff von meiner Tendenz« gibt (an Cotta, 8. 1 1 . 1833; zit. nach Schelling und Cotta, Briefwechsel 1803-1849, hg. von H. Fuhrmans und L. Lohrer, Stuttgart 1965; vgl. weiter Plitt III, 99, 157), sowie E. C o l l o w , der in der Revue du
Nord
eine französische
Übersetzung
Philosophie der Mythologie in Umlauf
von
Schellings
Vorlesungen
gebracht hatte (Schelling an
27. 10. 1835; vgl. Briefwechsel 196, 201/2; 204/5; 3 3 8
über Cotta.
Pütt HI» 1 0 9 - 1 1 2 ) .
Interessanterweise glaubt Schelling, dem inzwischen auch Heines und anderer Hegelianer »Beschimpfungen« zu Ohren gekommen waren, an eine Verschwörung »von dieser unter sich arg zusammenhängenden Partei« (an Cotta, 197). 40 Schelling, I, 10,
211/3.
41 M. Heß, 80 f.; M E W , 2. Erg. Bd., 585/6 - vieles deutet auf eine Bekanntschaft mit Schellings Schrift.
372
zur Wirklichkeit aus Fleisch und Bein erst zu »entschließen« habe - ein wahrhaft neuralgischer Punkt in einem dialektischen System. Indem die Hegeische Logik ihr Selbstbewußtsein schon erreicht, bevor sie noch Kontakt mit der »positiven« Wirklichkeit genommen, enthüllt sie sich als eine bloß »negative« oder »rein-rationale Philosophie«, die »das Seyende, das [da] /5t«, 43 in den bloßen Begriff des Seienden aufgelöst, das »Empirische und Besondere« an das leere »Allgemeine« verraten habe. Das war nach Schellings Diagnose nur möglich, indem Hegels »werdende Wahrheit« ihre absolute Voraussetzung im Sein und in der Anschauung verdrängt hat. Denn wenn alle Realität sich auf den Begriff reduziert, was Schelling zugibt, so blieb doch das Sein dieses Begriffs als unvermittelbare Faktizität. Erst damit, daß die Selbstvermittlung an ihre Grenze geführt wird, ist der in der Naturphilosophie beschrittene Weg an sein Ende verfolgt: Die Reflexion hebt sich selbst auf vor dem transzendenten Sein, dessen Negation, dessen bloßer Reflex sie ist. Mit solchen Gedanken trat Schelling 1827 in München als Lehrer der Philosophie wieder an die Öffentlichkeit, und Heine will ihn »daselbst zufällig mal gesehen« (V, 294) haben, vermutlich in seiner Vorlesung, da Heines Briefe den Wunsch, Schelling zu sehen, zweimal als unerfüllt bekennen. 44 »Wie ein armseliges Mönchlein« sei der ehedem große Mann »geisterhaft herumgeschwankt« und habe »unter den andern mediatisierten Herren zu München« einen »jammervollen Anblick geboten«. Und was das Ärgste gewesen, er habe immerfort und immer aufs neue neidisch auf den größeren Hegel, seinen früheren
42 »Wäre«,
schrieb
Schelling
schon
1806,
alle
Philosophie
»nicht
Natur-
philosophie, so würde sie behaupten, daß Gott allein in der Gedankenwelt, also nicht das Positive der wirklichen oder Naturwelt sey, d. h. sie würde die Idee selbst aufheben« (I, 7, 30). Vgl. I, 10, 138 (ff.). 43 Schelling, I, 10, 215 (ff.). 44 An Varnhagen von Ense, München, 12. 2. 28 ( H S A X X , 322 ff.); an Menzel, München, 2. May 1828 (HSA X X , 330 f.). Hirths Kommentar (1. Kommentarband, S. 1 8 1 ) lehnt sich, statt sich durch Quellen zu korrigieren, paraphrastisch an Heines
Darstellung. 373
»Schüler«, »geschmäht«, »der ihn supplantiert« (V, 294, IV, 287). 45 Schellings traumatische Schwäche, Hegels Siegeszug nie verwunden zu haben, ist damit scharf getroffen - freilich in Gestalt einer Karikatur, die kein Augenzeuge mit Schellings selbstbewußtem und wirkungsmächtigem Gelehrtentum in Verbindung gebracht hätte. In Wahrheit verdeckt Heines Vorwurf auch nur leicht den schwerer wiegenden, daß Schelling in München in »die Schlingen der katholischen Propaganda« geraten sei, daß er seine ehedem »große Idee«, »die unvergeßlich blüht in den Annalen des deutschen Denkens«, »an die katholische Religion . . . verraten« (V, 295) habe. Nun winde sich dieser gewesene »Lichtmensch« (IV, 288) in den Klammern eines geistfesselnd-reaktionären Absolutismus, dieweil die Münchener »Jesuiten« (IV, 288) den »gefeierten Namen« als Köder für den Empfang ihrer »vergifteten Hostie« (V, 295) mißbrauchen. Mit einem Schlag ist Heines fast schwärmerische Affirmation der Naturphilosophie in jene zornige Unduldsamkeit verwandelt, die die bekannten, immer ähnlich zugespitzten Verse seiner späteren Gedichte inspiriert hat. 46 Keine Frage, Schellings Denken hatte sich seit langer Zeit der christlichen Offenbarung zugewandt, und ausgerechnet Prosper Enfantin war es, der diese Wendung als einen zwar unzeitgemäßen, aber divinatorischen Versuch würdigte, »seine Lehren praktisch anzuwenden«. 47 Hat aber diese Modifikation seiner Lehre, die sich 45 Schellings eigensinnige Reklamation seines geistigen Eigentums hat Heine wiederholt kritisiert - so im »Kirchenrath Prometheus« (I, 314). Die hiermit zusammenhängenden Verhältnisse sind sehr gründlich diskutiert und analysiert in A. Hollerbachs ausgezeichneter Arbeit über den Rechtsgedanken bei Schelling. Quellenstudien zu seiner Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt a. M. 1957, 46 ff.; vgl. auch Schellings Äußerungen zu Bruno Bauers »frechem« Ideenraub, 64. Daß Schelling übrigens Äußerungen über Hegels Abhängigkeit von seiner Lehre getan hat, darüber belehrt uns A. M. Koktaneks Kommentierung von Schellings erster Münchener Vorlesung 1827/28 »System der Weltalter«, Diss. München
1959.
46 Vgl. I, 314, 316; II, 351, 453, 454; I, 405; II, 169 ff. Vgl. Heine, Werke, hg. von Oskar Walzel, Leipzig 1 9 1 0 / 1 5 , II, 265; IV, 435 ff. 47 Vide A . Strodtmann, a . a . O . 374
313.
freilich auf spekulative Ableitung der Denknotwendigkeit eines persönlichen, geschichtlich sich offenbarenden Gottes beschränkte, - hat diese Wendung Schelling wirklich den Münchener Kongregationisten in die Arme getrieben? Nun, selbst ein so unverdächtiger Gewährsmann wie der Heine-Biograph A. Strodtmann berichtet uns, daß die Berufung Schellings an die Münchener Universität im Jahre 1827 jener »ultramontanen Klicke«, von der Heine redet, nachgerade ein Dorn im Auge gewesen ist. 48 Das hatte natürlich seine Vorgeschichte. Gleich nach Schellings Wechsel auf bayrisches Staatsgebiet im Jahre 1804 war bischöflich die Strafe der Exkommunikation auf den Besuch seiner Vorlesungen gesetzt worden, und katholische Kreise um die »Oberdeutsche Literaturzeitung< erwirkten bald auch das Verbot der Lehre seiner Philosophie in Lyceen und Gymnasien. 49 Als äußere Umstände ihn zur Übersiedlung nach München zwangen, empfand er diese »Perspektive« als trostlos. 50 Vergeblich bemühte er sich um eine Versetzung aus dem Lande, bis ihm der König 1821 eine unbefristete Beurlaubung als Honorarprofessor in das protestantische Erlangen gestattete.51 Gewiß hatte sich seither die von dem Landshuter Theologieprofessor und späteren Bischof Joh. Michael Sailer ins Leben gerufene sogenannte katholische Erneuerungsbewegung für die jüngste Wendung der Schellingschen Philosophie zu interessieren begonnen, gewißt gab es Gespräche mit ihren
48 Strodtmann, a . a . O .
112,
113.
49 Über diese Verhältnisse informiert erschöpfend H. Fuhrmans (in: ders.: F. W. J. Schelling. Briefe und Dokumente. Bd. 1: 1775-1809. Bonn 1962; 291 ff.; vgl. Plitt II, 9). 50 Plitt II, 78; vgl. Fuhrmans,
291
und 351 ff. Über die anfänglich »fast
gänzliche Einsamkeit« in München berichtet ein Brief an Goethe vom 2. 1 1 . 1814; in: Goethe und die Romantik, Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 13, 1898, 258. 51 Vgl. H. Fuhrmans' »Einleitung« zu den von ihm erstedierten »Initia philosophiae universae«, Erlanger Vorlesung WS 1820/21, Bonn
1969, S.
XIII. 375
Mitgliedern, mit Ringseis und Baader. 52 Doch überwogen, besonders in Fragen der Schul- und Studienreform, die Schelling als einen engagierten Verfechter des Autonomieprinzips zeigen, 53 die Differenzen so entschieden, daß Schelling nach der Verlegung der Landesuniversität Landshut nach München 1827 die dezidiertesten Bedenken trug, mit den »falschen Grundsätzen jener Personen neuerdings in Berührung zu kommen« 54 , wie er an den König schreibt. Wirklich ist Schelling denn mit diesen »Leuten«, die sich nach eigenem Bekenntnis »mit Geist und Gemüth zur Rechten, nicht zur Linken hielten« 55 , sehr hart aufeinandergetroffen und hat sich schon bald wieder um eine Loslösung aus dem bayrischen Staatsdienst bemüht, in welchem Land ihn neben wenigen Anhängern nur der anerkanntermaßen56 liberale König - der »die Berufung dieser Kraft so hoch wie einen Schlachtensieg« eingeschätzt haben soll 57 sowie sein Schüler, der Kronprinz Maximilian, zu halten vermochten.
52 Vgl. dazu die Arbeiten von Hans Kaptinger, Der Eoskreis 1828 bis 1832. Ein Beitrag
zur
Vorgeschichte
des
politischen
Katholizismus
in
Deutschland
( • Zeitung und Leben, Band II), München 1928, sowie Taras von Borodajkewycz, Deutscher Geister und Katholizismus im 19. Jahrhundert. Dargestellt am Entwicklungsgang Constantins von Höfler. Salzburg-Leipzig
1935.
53 Vgl. A . Hollerbach, 41 ff. und Schellings Rede vom 27. 3. 1829 ( - I, 9, 404). 54 Schelling-Briefe aus Anlaß seiner Berufung nach München im Jahre 1827, hg. von H. Fuhrmans, in: Philosophisches Jahrbuch 64 (1959), S. 282/3 (fortan zit.: Fuhrmans, Berufung); Brief an den König vom August 1826; vgl. Plitt III, 27/8. Über Schellings Auseinandersetzung mit dem Studienreformgegnern berichten außer den obigen Texten auch H. Kapfinger und Schellings Briefe Plitt II, 432 und III, 3. Schellings Aversion gegen die bayrischen Bildungsanstalten, die er unzweideutig »wahre geistige und moralische Mördergruben- nennt, spiegelt sich in seiner fortwährenden Sorge um die Ausbildung seiner nach Württemberg geschickten Söhne. 55 Görres, Werke V I I I , 493; zitiert nach Kapfinger, 16. 56 Vgl. den Brief des alten Feuerbach an Thiersch vom 6. 11. 1825, der den Beweis liefert für die ungeteilte Befriedigung der liberalen Kräfte über den Regierungsantritt
Ludwigs.
57 Fuhrmans, Berufung, 278.
376
Die Gruppe der Landshuter »Erneuerer« hatte sich seither vor allem um den Dichter und späteren Minister Ed. von Schenk, den Theologiehistoriker J. I. Döllinger sowie um Görres vermehrt und einen schon früh als >Kongregation< verdächtigten Zirkel gegründet, der über die gescheiterte58 Einflußnahme auf den König für eine Restaurierung des katholischen Glaubens und der Politik kämpfte. Entgegen allen in Umlauf gebrachten und von der Heine-Forschung kritiklos ausgebeuteten Gerüchten ist eindeutig zu belegen, daß Schelling mit Baader, der in intriganten Schriften Schellings »geist- und ruchlose Neologie« in Regierungskreisen verdächtig zu machen suchte, 59 längst wegen religiöser Differenzen »zerfallen« 60 war, daß er weder mit ihm noch mit Görres noch mit Döllinger in München gesellschaftlich verkehrte, 61 ja daß sich seine Spannungen gegen die von ihm mit scharfen Worten gegeißelte »ultramontane 58 H .
Kapfinger, 85: »Das Mühen des Eoskreises um den König war ver-
geblich.« - R. Schlösser (II, 216) spricht von der »ausgesprochenen Abneigung des Königs gegen alles, was nach >Jesuitismus< und »Kongregation« roch« - dieses Aversion äußerte sich auch darin, daß Ludwig Baader und andere Mitglieder von der Universität fernzuhalten wußte - ein von der Heine-Forschung gern übersehenes
Faktum.
Die neuere katholische Literatur hat Schellings Position im Streit der Münchener Gruppen als die eines »antichristlichen«, ja »heidnischen« (!) »Neuhumanismus« bezeichnet und damit eindeutig zur Gegnerschaft der »Erneuerer« gezählt (Borodajkewycz, 20 ff., 50, 126 f.). Borodajkewyczs Bemühung, Schelling, um der These seines Buches willen, mit der Gruppe um Görres in Verbindung zu bringen, scheitert unfreiwillig an den von ihm selbst mitgeteilten Tatsachen. 59 Baaders Schrift nannte sich »Bemerkungen über einige antireligiöse Philosopheme unserer Zeit« (1824; vgl. Plitt III, 100) und wurde in beschwörenden Eingaben an Fr. Wilhelm III. und die Münchener Akademie geschickt (Fuhrmans, Berufung, S. 276/7, Anm.
10).
Auch Bischof Sailer, dessen Urteil damals sehr einflußreich war, fand Schellings Berufung »nach reiflicher Überlegung« unverantwortbar (277). 60 Von »völligem Bruch mit Baader« spricht auch Borodajkewycz,
35.
61 Herrn H. Fuhrmans, der den gesamten Briefwechsel Schellings überschaut, danke ich für die Bestätigung dieser Vermutung. Als Platen, der im Hause Schellings familiär verkehrte, von der Existenz einer katholischen Kongregation hörte, war für ihn ausgemacht, »que Schelling ne va pas ä Puniversite de Munich« (zit. Kapfinger,
14).
377
Fraktion« 62 bis zum Unerträglichen steigerten - eine Aversion, die die Gegenseite nicht minder scharf erwiderte, zuletzt mit Döllingers Streitschrift gegen Schellings Philosophie, die er als mit dem »christlichen Glauben« schlechthin unvereinbar verurteilte.63 Schelling selbst hat das in Paris ausgestreute und von der Heine-Forschung bis heute wiederholte Gerücht 64 , er habe mit jener, wie er sie nennt, »bis zum Wahnsinn fanatischen Partei«65 irgend etwas zu schaffen, als »entweder schwachsinnig oder im höchstmöglichen Grade unaufrichtig« 66 zurückgewiesen. Daß die »Clique« 67 religiöse Vorstellungen seinen Vorlesungen entlehnt habe, nennt er eine Lüge und lehnt Heines Unterstellungen als »Verläumdungen«68 ab. 69 62 Plitt III,
199. Schelling an Brandis, Berlin, 31. Juli
1846.
63 »Die Schellingsche Philosophie und die christliche Theologie«, in den »Historisch-politischen Blättern« 1843 veröffentlicht. Vgl. Borodajkewycz,
127.
64 Die einflußreiche Heine-Biographie von G . Karpeles (Heines Autobiographie nach seinen Werken, Briefen und Gesprächen, Leipzig 1899), schon zufrieden, die Rolle Döllingers in Heines Münchener Zeit erschlossen zu haben, macht Schelling kurzerhand zu einem Mitglied der Kongregation - nur weil Heines Gedicht »Der Ex-Nachtwächter« seinen Namen dieser Assoziation preisgibt. Dabei ist eindeutig zu belegen, daß Schelling nicht zur Kongregation gehört hat. Möglicherweise hat Heine den Bericht des preußischen Gesandten von Küster aus dem Jahre 1830 gekannt, der irrigerweise auch Schelling unter den Mitgliedern des »Büchervereins« aufzählte (vide Kapfinger, 100). Weiterhin hatte Küster das unbestätigte Gerücht verbreitet, »daß das österreichische Kabinett im Land selbst sich dieser Kongregationspartei anschließen und sich ihrer als eines Alliierten zu bedienen suche« (100/1). Jedenfalls spielt diese Vorstellung in Enfantins Parteinahme für Schelling im Brief an Heine eine Rolle. 65 Zit. nach Borodajkewycz,
124.
66 Schelling an Victor Cousin (undatierter Brief, nicht vor Anfang Oktober 1834 geschrieben), Plitt III, 97 (von mir übersetzt). 67 So nennt Schelling den Kreis in bisher unveröffentlichten Briefen. Wie mir H. Fuhrmans liebenswürdigerweise mitteilte, spricht Schelling auch von den »Professoren aus derselben Fabrik«. Er habe sich lebhaft bemüht, deren Einflußnahme auf die Würzburger Universität zu vereiteln. 68 »alle Verläumdungen Heine's gegen mich«, Schelling an Beckers, München, 20. 3. 1836 (Plitt I I I ,
122).
Ich halte für möglich, daß unter jenen »Hegelianischen Seiden«, gegen deren unwürdigen Angriff auf Victor Cousin Schelling in jenem undatierten, wohl im Oktober 1834 geschriebenen Brief an denselben Stellung bezieht (Plitt III, 95 ff.),
378
Was erklärt nun aber Heines Behauptungen und die durchgängige Aggressivität seiner Schellingbehandlung? Ein biographiauch Heine wenigstens »subintelligiert« ist - denn auf welchen Hegelianer mochte aus
Schellings
Perspektive
sonst
der Zusatz
stimmen,
es handle sich
»un homme, que le parti lui-meme ne regarde que comme YEnfant
um
perdu
de
l'£eole, repute fou d'ailleurs et traite comme tel par exemple par le poete Comte de Platen« (96). Der Kontext und weitere Briefe Schellings deuten freilich auf den Althegelianer H. F. W. Hinrichs, der in der Tat in den »Berliner Jahrbüchern« gegen Cousins von Schelling eingeleitete und von Beckers übersetzte Schrift das Wort ergriffen hatte (August 1834, N r . 35 und 36) - eine Besprechung, die Heine dann den »citations« der 1. Auflage seiner franzöischen Fassung des Buchs >D PAllemagne« in freier Übertragung beigefügt hat. Spricht dies für Hinrichs, so fällt es doch schwer zu glauben, der seinerzeit »berühmte Mann« (V, 363) werde von seiner eigenen Partei nicht für voll genommen - Kollisionen mit den Junghegelianern, mit Marx und Engels gab es ja erst später - ; auch bezieht sich Schelling im Plural (»leurs insultes«) auf die »Seides« und spricht generell von den »journaux de Paris«, in welchen »on a imprime sur moi des faits, controuves, mais auxquels, sans les contredire, je ne peux empecher personne d'ajouter foi« ( a . a . O . , 96/7) das könnte sich ohne weiteres auf Heine beziehen, der, wie Schelling mit Sicherheit aus Weißes Rezension wußte, in »L'Europe litteraire« sowie später in der »Revue des deux mondes« sich sowohl gegen Cousin wie gegen Schelling geäußert hatte. Auf Heine deutet natürlich entschieden der Hinweis auf das Urteil Platens, der sich zwar in einer Tagebuchnotiz vom 22. Juni 1822 in Heidelberg über Hinrichs' reichlich »abstrakte« und im »Geist der Hegeischen Systemerei« konzipierte
Faustauslegung
amüsiert
hat,
aber,
soviel
ich
sehe,
Hinrichs
nirgendwo auch »traite comme fou«; während Platens »Romantischer ö d i p u s « und seine »insultes« gegen Heine von Schelling gutgeheißen wurden (obwohl gewiß nicht wegen
der Angriffe auf Heine).
69 Zum Abschluß der Diskussion um Schellings Einstellung zum Eoskreis noch zwei indirekte Zeugnisse: I. Als die Reaktion auf die Julirevolution auch in Bayern zu einer temporären Sistierung liberaler Tendenzen führte, waren es die bei Cotta verlegten Blätter »In-<
und
»Auslands
welche
die
Kongregation
mit
großer
Schärfe
des
»Mißbrauchs der Religion zu politischen Zwecken« sowie der gesetzeswidrigen Agitation
ziehen (Kapfinger,
106/7).
Damals war der
Rechtswissenschaftler
Puchta, ein mit Schelling und Platen eng verbundener Mann, Redakteur des »Inland« (Borodajkewycz, 110). Schellings gerade damals erhöhte Empfindlichkeit gegen »Dissidenten« unter seinen Freunden hätte schwerlich dazu geschwiegen, wenn die Sache des »Inland« nicht einigermaßen auch die seine gewesen wäre. 2. Auf
Schelling (und Fichte) berief sich eine Gruppe von Studenten, die
am 26. Juni
1829 die »Allgemeine Akademische Gesellschaftsaula«
gründete
379
sches Moment 70 , die Absicht, mit den Münchenern »abzurechnen« (Brief an Immermann, 19. Dez. 1832, HSA X X I , 43), trat hinzu. Heine war fast gleichzeitig mit Schelling nach München gekommen, in der durch Schenks Fürsprache begünstigten Hoffnung auf eine Literaturprofessur im liberalisierten München. Er war kaum nach Italien aufgebrochen, als die »ultramontane aristokratische Propaganda« (VII, 40) 71 aus Döllingers Feder in dem
(Borodajkewycz, 50 ff.). Dieser Kreis, teilweise Schüler aus Schellings engstem Zirkel (z. B. Beckers), vertrat ein engagiert liberales Programm (z. T . im Sinne der Burschenschaften), apotheosierte die Ideale der Freiheit, der Vernunft und der Emanzipation - und geriet damit in erklärte Opposition zu den Kongregationisten. Daß Borodajkewycz »trotz Schellings überragendem Einfluß an der Universität . . . keine Spur von christlich-religiöser Tendenz« unter diesen seinen Jüngern entdecken kann (54), wird gewiß daran liegen, daß Schellings Christentum keine Ähnlichkeit mit dem Görresschen hatte, dessen Beweistheorie, wie das »Inland« geißelte, der Scheiterhaufen und dessen Rechtsideal die Anmaßung des Femeamtes sei. - Um zu einer gerechten Einschätzung der objektiven Nähe bzw. Distanz Schellings zum Eoskreis zu gelangen, wird man zugestehen können, daß das christliche Engagement ein tertium comparationis bereitstellte, nicht aber die politische Richtung. Hollerbach findet als Ergebnis eingehender Untersuchungen für Schellings Staatsauffassung die Formel »eines religiösen Liberalismus« angebracht (261) - da, und nicht im Religiösen, liegt offensichtlich der Unterschied. Selbst Arnold Rüge, der Schelling 1841 in Karlsbad kennenlernte, fand ihn im Gespräch »religiös und politisch freisinnig« (A. Ruges Briefwechsel und Tagebuchblätter, hg. von Nerrlich, Bd.
1, Berlin 1886, 236).
70 Ohne Zweifel drängen die durchgängig ironische Anrede Schellings
mit
»Herr«, die Heine keinem andern Philosophen, selbst Jacobi und Baader nicht, zukommen läßt, die Benennung bei dem von bajuvarischen Assoziationen belasteten Namen »Josef«, der nicht Schellings Rufname war (vgl. Plitt I, 2), ferner ein paar dunkle Passagen, die andeuten zu wollen scheinen, daß Heine in einem trüben Kapitel seiner Biographie schon einmal mit Schelling zusammengetroffen sei und nun privat ein Hühnchen mit ihm zu rupfen habe (IV, 289) - all das drängt auf die Vermutung, daß Heines Rechenschaftsgabe über ein
Kapitel
•Deutscher Ideologie« und ein für ihn selbst bedeutsames Vorbild in den Hintergrund gerät und einem offenbar tiefsitzenden Enttäuschungsaffekt Raum gibt. Sein »Vorbericht« zur »Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland« (1833) spricht zudem unzweideutig seine Adressaten an (vgl. Walzel I, S. X L V I I I und S. L I I I sowie V I I , S. 432). 71 Börne hatte ihn schon in Frankfurt darauf
380
vorbereitet.
Parteiorgan >Eos<72 einsetzte. Die allgemeine Tendenz dieser Artikel, die in Heines Judentum Feindschaft gegen den Katholizismus und in seinem Liberalismus eine gefährliche Opposition bekämpfen, 73 verbindet sich möglicherweise mit der anderen, Heine in Regierungskreisen verdächtig zu machen. 74 Jedenfalls datiert von hier an das anhaltende Schweigen des Kongregationisten und Innen- sowie Kultusministers Schenk. 75 Während Heine nach Motiven für diese unerwartete Fügung suchte, brachte Platens »Romantischer Ödipus< - durch Gerüchte und Zwischenträgereien vorbereitet - ein paar Geschmacklosigkeiten gegen sein Judentum an die Öffentlichkeit. Obendrein waren Platens Gedichte in einem jener Eos-Hefte, das Döllingers Antijudaismen brachte, rühmend rezensiert, wenn die Rezension auch von Platens »weder klerikal noch auch nur katholisch gesinnten Freunde« Hermann stammte und nur durch den kürzlich erfolgten Redaktionswechsel in Döllingers Blatt sich
72 Von der »Eos« war übrigens keine große Publizität zu erwarten, da sie in sehr geringer Auflage vertrieben wurde und nie ein größeres Publikum erworben hat. 73 Vide Kapfinger, 56 ff., Schlösser Bd. 2, 214 ff., Karpeles 116 ff. und D . Friedrich, J . I. von Döllinger, 2 Bde., München 1899, S. 207 ff. Heine hat bekanntlich später im Gedicht »Der Ex-Nachtwächter«
von
dem
»erzinfamen Pfaffen Dollingerius« gesprochen. Möglicherweise ist ein Zwischensatz in der deutschen Ausgabe der »Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland«: »wie jüngst ein magnifiker Schurke in der Aula zu München« (Walzel VII, 451) auf Döllingers Agitation zu beziehen. Heines Gedicht verspottet im gleichen Atemzug auch Schelling (I, 405) und hat damit wohl den Grund gelegt für die Assoziationen der Forschung - (neuerdings M. Windfuhr, Heinrich Heine. Revolution und Reflexion, Stuttgart 1969, 155, und W. Kuttenkeuler, Heinrich Heine. Theorie und Kritik der Literatur, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1972, 65-70;
132-134).
74 Auch das bleibt ein bloßer Verdacht. Eberhard Galleys Behauptung, Döllinger habe im Verein mit jungen Adeligen »aus dem Kreise des August . . . von Platen« »bei König Ludwig I. eine Berufung« verhindert (E. G . , Heinrich Heine, Lebensbericht mit Bildern und Dokumenten, Kassel 1973, 68), läßt sich nicht verifizieren. 75 Heine hatte ihn in reichlich wohlwollenden Urteilen, Widmungsversprechungen und Briefen flattiert und gar, etwas voreilig, »meinen lieben Schenk« genannt (zit. R. Schlösser, Bd. 2, 216).
381
verirrt hatte. 76 Fehlt nur die Nachricht, daß Platen mit Schelling schülerhaft-freundschaftlich verbunden war, sein Procedere mit ihm beriet und dieser Platens neues Opus sehr rühmte, 77 sich ferner für eine königliche Pension, verbunden mit einer freien Anstellung bei der Akademie, einsetzte78 - und zwar gerade um die Zeit, als Heines Gesuch abgewiesen wurde daß schließlich Platen und Döllinger alte Studienkollegen 79 seien, um den Stoff für das Gerücht beisammen zu haben, das der übersensibilisierte Heine, mit ihm die Forschung, formte. Er hat reichlich eigene Erfindungen hinzugesetzt, so Schellings und Platens katholisches Konversion 80 ; auch macht er Platen zum »Freudenjungen« 81 , der zwischen »Junkern« und »Pfaffen« den Vermittler spielt. Aus dem Hin und Her erwuchs ein peinlicher Klatsch - weit übers Jahr 1829 hinaus zu dem endlich auch die Schellingschule nicht schweigen konnte. Zur Richtigstellung möge genügen, daß Platen und Döllinger seit langem wegen religiös-politischer Differenzen gebrochen hatten. 82 Noch das schwache Machwerk des »Romantischen
76 Schlösser Bd. 2, 217/8. 77 Schlösser Bd. 2, 120 und 208; vgl. Die Tagebücher des Grafen August von Platen, Aus der Handschrift des Dichters hg. von Georg von Laubmann und Ludwig von Scheffler, 2 Bde., Stuttgart 1900; Bd. 2, 854, 896. - Daß Platen sich zu Schelling bekannte, zeigt seine huldigende Widmung zum »Gläsernen Pantoffel«. 78 Vgl. Neue Platenbriefe, hg. von Otto Braun, in: Deutsche Revue, 37 ( 1 9 1 2 ) ,
98 ff. 79 Schlösser berichtet ausführlich darüber. 80 IV,
288 sowie Anhang der »Bäder von Lucca«.
81 An
Immermann im Dez.
1829:
»Die Päderasten sind dienende
Brüder,
Mittelglieder in dem großen Bunde der Ultramontanen und Aristokraten« ( H S A XX,
373).
82 Schlösser, Bd. 1, 180 f. und passim; II, 216 ff. O b w o h l die Unterlagen über Döllingers Verhältnis zu Platen in großer Ausführlichkeit durch R . Schlösser offengelegt waren, behauptet C . F. Reinhold (Heinrich Heines Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten,
1947) noch 1947: »Platen stand in naher
Beziehung zu dem Kreis um Döllinger, und den Umtrieben beider [ ! ] war es zuzuschreiben, daß Heines Bemühungen um die Münchener Professur seinerzeit scheiterten« (207).
382
Ödipus< konnte als Beleg gelten für Platens politische Einstellung, die zeitlebens die eines liberal-oppositionellen Schriftstellers gewesen ist. 83 Und wenn Heine Platen gelegentlich einen »Auswürfling der Adelskaste« (HSA X X , 373) 84 nennt, so signalisiert dies zweifellos ein Heinesches Trauma, ähnelt aber Platens Spott gegen Heines Judentum darin, daß sich der Vorwurf an der Geburt vergreift. Heine hat, wie er in Briefen um die Jahreswende 1829/30 wiederholt versichert hat, Platen nur als »Repräsentanten seiner Partei« treffen wollen. Der Angriff ziele durch ihn hindurch auf »seine Kommittenten, die ihn mir angehetzt« (HSA X X , 373) 84 , also auch auf Schelling. Aber diese repräsentative Behandlung ging in die Irre: Gerade Platens »Freunde« waren weder Kommittenten nach Pakteure, sondern entschiedene Gegner der Eosclique - und zum Überfluß scheiterte Platens Anstellung bei der Akademie. 85 86 Wie Platen zu den andern »Chefs« der Kongregation stand, dazu vide Schlösser, Bd. 1, 63, 263 ff., 338; II, 371 f.; 61/2. 83 Franz Mehring nennt ihn als politischen Schriftsteller in einen Atemzug mit Heine (F. M . , Etwas über Naturalismus, in: F. J . Raddatz [Hrsg.], Marxismus und Literatur I, Reinbek 1969, 196). - Über Platens (teilweise auch Schellings) Einstellung
zu
Fragen
der Politik
und der Offenbarungsreligion informiert
einschlägig R. Schlösser: Bd. 1, 161 ff., 187 ff., 192 ff., 336 ff., 344 ff., 450 ff., 583 ff. (Nazarenertum), 622 ff., 651 ff., 714 ff.; Bd. 2, 60 ff., 358-363, 369 ff., 384 ff., 393 ff., 496. 84 Brief an Immermann vom Dezember 1829. Die kühnen Phantasmen dieses merkwürdig erregten Briefes hat schon Schlösser auf das Maß des Wahrscheinlichen bzw. Nachweisbaren herabgestimmt (Bd. 2, 219/20). 85 Vgl. Tagebücher, 953. Daß Platen mit Schelling sein Procedere beraten hat, wissen wir aus seinen Briefen (vgl. Brief an Schelling vom 13. Dezember 1828). Ihn, Puchta, Fugger und Thiersch mag Platen vornehmlich gemeint haben, wenn er sich auf seine Münchener »Freunde«
beruft, die, wie er hofft, Heine »gelegentlich mystifizieren«
möchten (Brief vom
18. März 1828 an Fugger).
86 Herrn Windfuhr danke ich für den Hinweis, daß die beiden ersten Kapitel der •Stadt Lucca« sehr wahrscheinlich erst 1829 in Potsdam niedergeschrieben und am 6. 11. 1829 im »Morgenblatt« erstveröffentlicht worden sind. Da sie eines der anmutigsten Komplimente Heines an Schelling darstellen und womöglich nach der Absage aus München (Okt. 28) konzipiert sind, folge daraus, daß der Bruch mit
383
Gut, wird man sagen, dieser Rückgriff auf die von Heine ebenso pathetisch wie vergeblich beschworenen »Zeugnisse« (V, 295) hat die Spitze seiner Kritik gegen ihn selbst umgebogen. Aber vielleicht hat Heines Hellsichtigkeit ganz einfach eine gefährliche reaktionäre Disposition der neuesten Schellingschen Philosophie aufgespürt, die in ihres Autors Munde »unschuldig (war) wie die Blume« und hinter welcher »die Schlange lauerte« (V, 295). Trug nicht, mit anderen Worten, diese Philosophie, mochte ihr Autor auch persönlich verhältnismäßig liberalen Gesinnungen huldigen und »einen uneigennützigen Zweck haben« 87 , objektiv zur »Rechtfertigung des Katholizismus« (V, 295) bei? Und war dies nicht »längst vorauszusehen«? Gewiß, Schelling hatte, wie Heine sagt, als »ein kühner Protestant« (V, 293) begonnen - und zwar als Protestant sowohl gegen die Fesseln der Religion wie gegen den Feudalismus. Er gehörte bekanntlich zu den rebellischsten Geistern des Tübinger Stifts, und seine Schriften sind erfüllt vom Pathos der Emanzipation, ja der Vergöttlichung des Gedankens der Freiheit, der, wie er schrieb, »Eins und Alles«, »A und O« 88 seiner Philosophie immer gelieben ist. Schelling nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Scheitern von Heines Berufungsverhandlungen zu sehen sei. Aber teils hätte diese Annahme die für Heine nicht eben schmeichelhafte Implikation, daß der Autor der »Stadt Lucca« von seinen persönlichen Belangen grundsätzlich so wenig zu abstrahieren imstande wäre, daß er seine bisherige naturphilosophische Überzeugung mit Sicherheit unterdrückt haben würde, wenn er von Schellings privater
Haltung
in der Berufungsaffäre vorher
Ungünstiges
gemutmaßt hätte, teils urteilt das Eidechsgespräch nur über den Naturphilosophen Schelling, dem Heine ja auch 1834 noch alle Ehre widerfahren läßt. Wir müssen uns vorstellen, daß Platens »ödipus« erst im April 29 im Druck erschien, daß Heine sicher nicht vor Mai 29 auf den Gedanken verfallen ist, »mit allen Feinden Abrechnung zu halten« (Brief an Varnhagen), daß das Jahr 29 Döllingers Attacken in der »Eos« fortsetzte (Schlösser, Bd. 2, 2 1 5 ; 234), daß die Schellingschule erst im November 29 durch Puchta in die Affaire eingriff (Schlösser II, 208/9
u. passim) -
kurz,
daß Indizien
für eine Mitschuld
Schellings
erst
allmählich - dann freilich rückwirkend - in Heines Phantasie auftauchten. 87 Wie Heine selbst erwägt: V , 88 Plitt I, 76; Schelling I, 7,
384
299.
351.
Nehmen wir also Heines Wink auf die »soziale Bedeutung« dieser Philosophie ernst, verfolgen wir den Wandel in Schellings Einstellung zu Fragen der Gesellschaft und des Staates. Schelling hat in seiner frühesten dezidierten Äußerung zu diesem Thema, der »Neuen Deduktion des Naturrechts< (1795/6) 8 9 , die Ebene des Sozialen, Gesellschaftlichen, also den »allgemeinen Willen«, von der »individuellen Freiheit« her angezielt - und nicht umgekehrt. Indem diese unbedenklich den Vorrang (die »Priorität«) vor jenem hat, enthüllt sich eine grundsätzliche Schwierigkeit jeder bürgerlichen Gesellschaftsethik. Dem Individuum, welches seiner Freiheit nur als von andern Freiheiten anerkannter und als andere Freiheiten anerkennender innewird, wird die Ermöglichungsbedingung seiner Einzelfreiheit im »allgemeinen Willen« zugleich zu deren Grenze. Denn über die »Ethik des allgemeinen Willens« wird es materiell eingeengt, was der reinen Form seiner Freiheit, der »Freiheit überhaupt«, widerspricht. In dem Maße, wie das mir korrelative freie Individuum, über das schwer bestimmbare Maß eines vernünftigen Gleichgewichtes hinaus, meine Freiheit beeinträchtigt, d. h. aber sie verdinglicht (wodurch es zugleich seine eigene Freiheit - die es ja nur hat als von mir anerkannte naturalisiert und verrät), spielt sich der »Kampf« zwischen den rivalisierenden Freiheiten »nach bloßen Naturgesetzen« ab (§ 166). Ist nun die physische Macht nicht zufällig auch auf Seiten der ins Unrecht gestürzten, verdinglichten Freiheit, so wird sie unweigerlich unter die Fessel der Knechtschaft geraten - womit die Forderung eines »Naturrechts«, d. h. des Glaubens an eine in naturwüchsig-freier Wechselbeziehung sich herstellende Chancengleichheit der Individuen, ihrer Leerheit überführt ist. Darum - dies ist der nächste Schritt in Schellings Theorie - bedarf es einer »zweiten Natur gleichsam« (I, 3, 583) der staatlich garantierten Rechtsverfassung, die die physische Macht organisiertermaßen zugunsten der materialen Rechte der individuellen Freiheit einsetzt, in welcher, mit anderen Worten, 89 Die folgenden Zitate Schelling I, 1,
247-280. 383
das Allgemeine »in der Art eines Naturmechanismus« 90 über das Individuelle wacht. Damit sind im Grunde - in undialektischer Umkehrung - die Gewichte nur anders verteilt. Statt der Abhängigkeit des Allgemeinen vom Besonderen ist nun die Knechtschaft des Besonderen vom Allgemeinen gesetzt. Schelling stimmt, wie wir sahen, in dieser Analyse mit Heines Kritik am Jakobinismus überein wie die Erfahrung der »terreur« wohl überhaupt als das Motiv für seine Polemik gegen die Willkürfreiheit des Individuums angesehen werden muß. In einem dritten Anlauf sucht Schelling nun die Lösung des Konflikts im Gedanken des Staates als eines »Organismus« 91 , in welchem die »Organisation als Ganzes ihren Theilen präexistirt, nicht das Ganze aus den Theilen, sondern die Theile aus dem Ganzen entspringen« 92 . »Moralität« besteht sonach in der Preisgabe »der Freiheit als Selbstheit« an den »allgemeinen Willen«, denn die Freiheit jedes einzelnen kann nicht anders hervorgebracht werden, als »insofern sie [schon] ist« und sich in der konkreten Handlung bloß »affirmirt« als mit ihrer Notwendigkeit, »nach dem Gesetz der Identität«, dialektisch synthesierte Freiheit. 93 (Diese Wendung in Schellings Sozialphilosophie rühmt Moses Heß als »geniale« Antizipation des St.-Simonismus, da in ihr zuerst über die »egoistische Handels- und Konkurrenzfreiheit« der »kantfichte'schen« Positionen zum »höheren Standpunkte« einer sozialen »Einheit« fortgeschritten werde. 94 ) Wir haben damit in 90 Jürgen Habermas, 173; vgl. Schelling I, 3, 582/3. Zum folgenden A. Hollerbach, a . a . O . , zweiter Hauptteil. Vgl. zur Problematik Jean-Paul Sartre, Presentation des Temps Modernes, in: Situations II, Paris 1948, 16 ff. (19/20). 91 Vgl. Karl Marx, Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie, Frankfurt a. M. - Wien o . J . ,
189, Z.
12-20.
92 Schelling I, 3, 279. Vgl. Karl Marx: »Es ist vor allem zu vermeiden, die •Gesellschaft« wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen. Seine Lebensäußerung . . . daher eine Äußerung und Betätigung des gesellschaftlichen Lebens1. Ergänzungsband, Berlin
1968,
538/9).
93 Schelling, I, 5, 306 ff.; I, 6, 553, 538 ff. 94 Moses Heß, 288.
386
ist
(MEW,
der Tat die Situation, daß Schelling, der eben noch in anarchischer Geste die Realisierung der Freiheit für einerlei hielt mit der Aufhebung und Zerstörung jenes »ganzen elenden Menschenwerks von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung«, die, wie er sagt, »freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln«95 - daß derselbe Schelling nun den Staat nicht länger als Mittel zu Höherem, 96 sondern als »Selbstzweck« betrachtet.97 - Es ist genau diese Phase seines Philosophierens, in welcher der Einfluß des Freundes Hegel mit dem umgekehrten wetteifert und in welcher Schelling das Absolute in die Identität mit der Wirklichkeit, die Freiheit in die Einheit mit der Notwendigkeit zu setzen scheint und diese Verwirklichung generisch nicht länger als von der Kunst, sondern als vom »Staate« repräsentiert sieht - in jener von Marx erwarteten »Philosophie«, die, wie Schelling sagt, »nicht mehr Wissenschaft ist, sondern zum Leben wird«, zum »Leben mit und in einer sittlichen Totalität«. 98 War dies die von Heine gepriesene »Restauration im besseren Sinne«, der die schlimme erst folgte? Oder haben wir nicht vielmehr hier schon jene metaphysisch sanktionierte »Akkomodation« 99 der Idee an, »das, was da ist« (V, 299)? Und trifft nicht Ruges Kritik, das Hegeische Diktum von der Einheit des
95 Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, in: Hölderlin, Werke und Briefe, hg. von F. Beißner und J . Schmidt, 2. Bd., Frankfurt a. M. 1969, 647. 96 »Wir müssen also auch über den Staat hinaus«, hatte es in dem ersten Systemprogramm ( a . a . O . ) geheißen. 97 »Der Staat«, sagt Schelling nun, ist »der äußere Organismus einer in der Freiheit selbst erreichten Harmonie der Nothwendigkeit und der Freiheit« (I, 5, 307). Das frühere Pathos der individuellen Freiheit weicht entschieden jener Forderung - die sich in Schellings Ablehnung des Privatrechts spiegelt (Hollerbach, 168/9) »sich der Freiheit als Selbstheit zu begeben« (I, 6, 553). Freiheit ist nur Relatum in der Relation Freiheit-Notwendigkeit, kann also, »nichtig«, wie »sie an sich selbst ist« (551), nicht das Absolute, das im Wortsinne von jeder Relation Losgelöste,
verkörpern.
98 Schelling, I, 6, 576. 99 M E G A , I. Abt., Bd. I / i , S. 64.
387
Wirklichen und Vernünftigen wende sich »lediglich an die Einsicht«, statt als Soll an den Willen, 1 0 0 auch den mittleren Schelling, der kurzerhand das Wesen der Handlung in die Identität mit dem Erkennen setzt? 1 0 1 Nun, Schelling hat sich von dieser fatalen Konsequenz schon bald gelöst. Für Heine bedeutete das freilich damals nur eine »Narretei«, denn er überblickte die Implikationen dieser Rückbesinnung nicht, die Schelling die Mittel zu seiner traditionsmächtigen Kritik an »Hegels Ausspruch: >Alles Wirkliche ist vernünftig< und umgekehrt« an die Hand geben sollte. 102 Hegels Philosophie, die den »speculativen Gedanken« adäquat in der Realität »als . . . Staat« »wiedergeboren« sein läßt, führe über die »absolute Vergötterung des Staates« auf »einen wesentlichen Illiberalismus«. Statt das »Negative« der Staatswirklichkeit an der »positiven« Idee zu messen und jene in die dialektisch-revolutionierende Spannung gegen diese zu versetzen, wird das Bestehende als »Selbstzweck« justifiziert und nicht zur »conditio sine qua non eines höheren Lebens« gemacht. In Wahrheit läßt sich die transzendente Einheit - eben ihrer Transzendenz halber - in der Staatswirklichkeit »immer nur precär und temporär« darstellen, 103 so daß »der Umsturz der Verfassung unvermeidlich wird«. 1 0 4 Diese Struktur einer prinzipiellen Unangemessenheit der Idee an ihre wirkliche Erscheinung erlaubt mühelos den Gedanken einer »permanenten Revolution«, wie sie auf ähnlicher Basis Friedrich Schlegel antizipiert hat, 1 0 5 - aber sie muß alle jene Sozialutopien, die an einen »Himmel auf Erden« glauben - und Schelling kannte als »Communismus« nur jene auch von Marx kritisierten 100 Karl Löwith, Die Hegclschc Linke, 101
1962, 29.
Schelling, I, 6, 540 f.
1 0 2 Die folgenden Zitate aus einem von A . Hollerbach erstveröffentlichten Text aus einer Schelling-Vorlesung vom WS 1 0 3 Schelling, I, 7,
1833/4,
209-211.
461.
104 Schelling, I, 3, 585; vgl. I, 7, 462. 1 0 5 Ansätze zu einer solchen Interpretation liefert die Arbeit des V f s . über »Das Problem »Zeit« in der deutschen Romantik«, München
388
1972.
Konzepte 1 0 6
-
als
Schwärmerey« 107
»(apokalyptische)
be-
Wollen wir mit diesen wenigen Zitaten den tiefgegründeten Verdacht zerstreuen, Schellings »Spekulation« habe - wie Jaspers, mit heimlich gegen Heidegger eingelegter Lanze, sagt »zur Rechtfertigung einer bodenlosen Faktizität der Gewalt dienen« können? 108 Keineswegs; wir wollen vielmehr auf eine eigentümliche Inkonsequenz in Heines Argumentation aufmerksam machen. Er rühmt nämlich Schelling, solange dieser wie Hegel sich auf »Bestrebungen nach einem hier zu erreichenden Ideal der menschlichen Gesellschaft« 109 einläßt, ja er ist weitgehend bereit, Hegels »allzu bedenkliche Rechtfertigungen« der »Protestantischen Dogmatik« und des »preußischen (Polizei-)Staates« 110 als wenigstens in der Theorie fortschritt106
König Maximilian II. von Bayern und Schelling. Briefwechsel. Hg. von
L. Trost und F. Leist.
1890, 278.
107 Schelling, II, 1, 552. Schelling hat die Vorstellung einer Koinzidenz »der Idee mit der Gegenwart« (Brief an Maximilian, a . a . O . , 278) ebenso wie den St.-Simonistischen genannt (I, W.
»Himmel auf Erden« unzweideutig ein »plumpes Skandal«
10, 223; vgl. II,
Maier (Leben, Tat und
1, 541; I, 7, 462). Reflexion. Untersuchungen
zu Heinrich
Heines
Ästhetik, Bonn 1969) hat von einem »Dekompositionsprozeß« gesprochen, dem Hegels Philosophie bei Heine unterzogen werde, indem Heine die »Idee, welche eine Wirklichkeit
im
»emphatischen
Sinne
zu
sein
beansprucht,
zum
Ideal
(umdeutete), das sich gegen die schlechte Wirklichkeit richtet« (18). Damit gerät gerade die Selbstrechtfertigung von Heines Existenz als eines Dichters »im Dienst der Idee« (17) in enge Nähe zur Schellingschen Kritik an Hegels »Rechtfertigung der Realität« (41; vgl. 77): N u r die Entdeckung einer Distanz der Idee zur Wirklichkeit
macht
Heines
kritische
Praxis,
ja
macht
Praxis
überhaupt
möglich. 108 Karl Jaspers, Schelling. G r ö ß e und Verhängnis. München 1955, 255. Lukäcs hat die dämonischen Perspektiven der Naturphilosophie, die Heine beschwor (IV, 293), später bestätigt. 109 Brief
an Maximilian,
a.a.O.,
278 (Schellings scheinrevolutionäre
Über-
windung des Staats ähnelt sehr einer Reflexion des christlichen Tolstoi; vgl. F. J . 110
Raddatz, a . a . O . ,
26).
Friedrich Engels' Versuch, den »absolut revolutionären . . . Charakter« der
Hegeischen
»Anschauungsweise«
gegenüberzustellen
(Kap.
I
von
ihrem »Ludwig
»relativen Feuerbach
. . . und
Konservativismus« der
Ausgang
der
389
liehe Tendenzen gefährlich herunterzuspielen, während er Schellings radikaler Absage an den Pakt des Staates mit der Idee von vornherein die katastrophalsten Zeugnisse ausstellt. Dabei war die wirkliche Gefahr dieser Konzeption, die nur ins andere Extrem fällt und sich an der trostlosen politischen Realität durch die »Seligkeit der Contemplation« 111 schadlos zu halten versucht, damit aber allen reaktionären Kräften in »repressiver Toleranz« offensteht, so leicht zu zeigen. Doch so wenig Heines affektiv verzerrte Einschätzung des bayerischen Staates das von allen liberalen Kräften damals bestätigte Gegenteil zu widerlegen imstande ist, 1 1 2 so wenig war Schellings privater Konservatismus, wie Heine behauptet, »längst vorauszusehen«. Seine positive Philosophie verstand sich ausdrücklich als Wende von der Dialektik zur Praxis. »Die Vernunftwissenschaft«, sagt er, »führt . . . über sich hinaus und treibt zur Umkehr; diese selbst aber kann doch nicht vom Denken ausgehen. Dazu bedarf es vielmehr eines praktischen Antriebs; im Denken aber ist nichts Praktisches, der Begriff ist nur contemplativ, und hat es nur mit dem Nothwendigen zu thun, während es sich hier um etwas außer der Nothwendigkeit Liegendes, um etwas klassischen
deutschen
Philosophie«),
muß
als
eine
gutwillige
Mystifikation
angesehen werden. Die allen Junghegelianern gemeinsame Betonung des negativrevolutionierenden Charakters der Hegeischen Dialektik abstrahiert mutwillig von deren synthetischer Struktur, die jede reale Veränderung zum bloßen »Schein« herabdrückt. Die an sich richtige Deutung, Hegel habe mit der »Wirklichkeit« nicht das Empirische und Zufällige gemeint, sondern ein »wahres und notwendiges Sein«, scheitert daran, daß dieser wesentlichen Wirklichkeit das allerdings empirische Prädikat des preußischen Staates hinzugefügt wird - wie schon Rüge richtiggestellt hat (vide Karl Löwith, 18). Ähnlich auch Marx: »Hegel ist nicht zu tadeln, weil er das Wesen des modernen Staates schildert, . . . sondern weil er das, was ist, für das Wesen des Staates ausgibt« (21). - Hegel ist der eigentliche »Restaurationsphilosoph«, wie schon M. Heß richtiggestellt hatte (Heß, 200 f., 223), seine Philosophie die »Konservativste«, wie Marx und Engels hinzugefügt haben ( M E W 2, 203 f.) - übrigens durchaus im Sinne von Schellings Hegelkritik. 111
Brief an Maximilian,
255.
112
Vgl. Schelling an Cotta, 3. Januar 1812, Briefwechsel S. 62. Hatten doch
gerade Bayerns Liberale die Kongregation zu Fall gebracht!
390
Gewolltes handelt.« 113 Noch hinter der schärfsten Kritik der Junghegelianer, noch hinter den Pamphleten des jungen Friedrich Engels steht das in die Sprache einer erst hochgespannten und dann desto schlimmer enttäuschten Hoffnung versteckte Bekenntnis zur Schellingschen Hegelkritik. 114 War es bei Heinrich Heine nicht ebenso? Blickt doch noch hinter der Entscheidung für Hegel die alte Wahl hindurch. Und bot doch gerade Schellings Münchener Vorlesung, deren Zeuge Heine gewesen sein will, für den Parallelismus von politischer Praxis in Frankreich und bloßer Spekulation in Deutschland eine Erklärung, die weiter reicht und Heines Analyse viel näher steht als alles, was Hegel zu diesem Thema gesagt hat. Schelling deutet dort »das fortdauernde und immer wieder erregte Interesse der Deutschen an Philosophie«, ja den »wirklich religiösen Ernst«, mit dem »in Deutschland Philosophie betrieben worden«, »geschichtlich« als eine Kompensation der durch äußeren Druck verhinderten und frustrierten emanzipatorischen Praxis, wodurch die mit der religiösen Reformation begonnene »That der Emancipation« und ihre Folgen: der Verlust der »äußerlichen Einheit« der Deutschen, »innerlich und auf dem
113
Schelling, II, i , 565.
1 1 4 Vgl. neben Ernst Bloch, Subjekt - Objekt (. . .), Ffm. 1971, S. 390/1, Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, S. 130 ff. und J . Habermas (215): »Marx eignet sich Hegels Dialektik in einem zuerst durch Schelling explizierten Vorverständnis an. Ohne die Frage einer geistesgeschichtlichen Kontinuität zu prüfen, sei hier nur der Nachweis versucht: daß Schelling an jenem materialistischen Wendepunkt seines historischen Idealismus gewisse Intentionen des historischen Materialismus vorwegnimmt.« Im Grunde seines Herzens hält sich Schelling auch für den geistigen Vater der Junghegelianer (Plitt III, 165/6; II, 3, 90 ff.) - besonders verräterisch in seiner unfreiwilligen Parteinahme für ein neues Journal »ä la Rüge und Bauer« (Plitt III, 84/5). Ein wie aufmerksamer Zuhörer Schellings der junge Engels gewesen ist, ergibt ein Vergleich seines Kommentars zu der 184i/2er-Vorlesung mit dem Kierkegaardschen; aber auch freie Zitate aus dieser Vorlesung in späteren Werken erinnern daran (so MEW 2, S. 90; vgl. mit Kierkegaards Nachschrift in A. M. Koktanek, Schellings Seinslehre und Kierkegaard [. . .], München 1962, 1 1 5 ; 22 und Schelling, II, 3, 91).
391
Felde der Wissenschaft wiederhergestellt« werden solle. 1 1 5 »Und so sehen wir uns doch«, folgert Schelling unter Vorwegnahme jener Marxschen Einsicht, »am Ende genöthigt, wenigstens für möglich zu halten, daß jener Entfernung von der Philosophie im deutschen Sinn, die wir bei den andern Völkern wahrnehmen, etwas Wahres und Richtiges zu Grunde liegen könnte.« 116 Ein weiteres: Im Mittelpunkt ihres Werks lebt sowohl bei Schelling wie bei Heine der Gedanke der Freiheit. Beide stehen durchaus auf dem Boden der Rousseauschen Moraltheologie. 117 Eben weil die Freiheit das »Wesen des Menschen«, das reine Subjekt und als solches »indemonstrabel« 118 ist, entgeht sie sich im gleichen Akt, der sie zum Bewußtsein ihrer bringt. Kündigt auch der Gedanke der Emanzipation allem Dogmatismus und der konventionellen Religion auf, indem »die Freiheit alles Absolute außer uns aufhebt« 1 1 9 , so bleibt doch das >Absolutein-uns< Gegenstand eines Glaubens und nicht eines Wissens. Denn Freiheit - das ist die Erfahrung einer Reflexion, die im Überstieg noch ihre eigene Transzendenz mit in die Klammer einholt. So war es gerade die säkulare Wendung des Kritizismus, die den neuen Glauben an die Kraft der menschlichen Subjektivität entbunden hat, wie er sich von den frühen religionskritischen Arbeiten Schellings über Feuerbach und Strauß bis zu Heines pathetischer Verkündigung einer »Religion der neuen Zeit«, die eine »Religion der Freiheit« sein wird, 1 2 0 erhalten hat - eine Verkündigung übrigens, die nicht von ungefähr in der Sprache des Schlußwortes von Novalis' Europa-
1 1 5 Schelling, I, 10,
19) ff. (bes.
1 1 6 Schelling, I, 10,
195.
117
194).
Man könnte diese mittelbare Abhängigkeit Heines von Rousseau für eine
List halten, mit welcher sich die Idee Heines etwas vordergründiger Parteinahme für Voltaire empfiehlt. 1 1 8 Schelling, I, 1, 179; vgl. Franz Mehring, a . a . O . ,
194/5.
1 1 9 Schelling, I, 1, 473. 120 Zit. nach A. Strodtmann, Bd. 2, 2 1 2 - 2 1 5
392
und
153/4.
aufsatz 1 2 1 sich vernehmen läßt. Es bedurfte schließlich nur mehr einer Reflexion auf die Implikate dieser Freiheitsreligion, um Heine aus der Umklammerung der »spinnwebigen Berliner Dialektik« 122 (IV, 156) zu lösen. Man hat diese Reflexion, die das Gefühl des modernen Menschen, sich nur aus sich selbst erklären und rechtfertigen zu können, an das andere knüpft, nicht Grund seiner selbst zu sein, das »Paradigma der Moderne« genannt. Verschiedene Generationen haben diese Entdeckung auf eine Weise verschieden akzentuiert, die es ermöglicht, Epochen auseinanderzukennen. Danach zeichnete sich Heines Antwort durch eine Unentschiedenheit aus, die zwischen der junghegelianisch-marxschen Lösung, wonach der Grund des Bewußtseins die dunkle Wirkungsmacht der Produktivkräfte, und jener romantisch-religiösen schwankte, wonach der Grund die göttliche Transzendenz sei. Sein letztes Bekenntnis weist jedenfalls auf die religiöse Tradition zurück. Denn Heine reklamiert, mit den gleichen Argumenten wie Schelling, »die Einheit und Unteilbarkeit unserer Existenz, . . . die unveräußerlichen Individualitätsrechte des Menschen«, den »persönlichen Gott« 1 2 3 und verteidigt sie gegen die Usurpationen des bloßen Begriffs. Auch Schelling hatte seine jugendliche Gleichung von Gottheit und Unpersönlichkeit 124 ihrer abstrakten Logik überführt: War doch Gott selbst die Einheit des Leiblich-Realen und des Geistigen, d. h. ein lebendiges Individuum, das nicht den Winkelgängen der dialektischen Notwendigkeit sich fügt, sondern in freier Initiative zu einer Welt
121
Novalis, Schriften, hg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel, Bd. 3,
Stuttgart 1968,
524.
1 2 2 Vgl. Nachwort zum »Romanzero«, I, 485 ff. 1 2 3 Eine Nachwirkung von Heines früher Schelling-Lektüre ist nicht einmal auszuschließen; hatte Schelling doch schon in der Freiheitsschrift von 1809, die Heine offenbar gekannt hat, diese Konsequenz gezogen (vide z. B. I, 7, 343 ff.). Auf mögliche Gemeinsamkeiten durch Einflüsse jüdisch-kabbalistischer Traditionen sei wenigstens hingewiesen (vgl. Habermas, 184 ff., 198 ff. und Sandkühler, 249 ff. und 200 ff.). 124
Plitt I, 77.
393
sich entschließt. Wie der späte Heine erträgt auch der späte Schelling nicht »den Gedanken des Aufhörens unserer Persönlichkeit, der ewigen Vernichtung« 125 . Karpeles hat uns ein Gespräch des Schelling und seiner letzten Philosophie eng verbundenen »Spätidealisten« I. H. Fichte mit dem todkranken Heine überliefert, 126 das uns Heines außerordentliche Annäherung an diese Gedanken des »Jungschellingianismus« 127 lebhaft vor Augen führt, ja nach eigenem Geständnis die Basis zu seinem >Romanzero<-Nachwort gelegt hat. Was bleibt am Schluß außer der Erkenntnis, daß uns die Beziehung Heines zu Schelling kaum über mehr belehrt als über die Geschichte einer deformierten Kommunikation? Gleichwohl hat es Sinn, diese historische Realität ins Unrecht zu setzen. Denn Heine ist, wie wir sahen, während zweier für seine geistige Biographie entscheidender Phasen dem Schellingschen Denken objektiv sehr nahegestanden: während seiner Zuwendung zum St.-Simonismus und in seiner letzten, >deistischen<, Phase. Beide Male gab es äußere Faktoren, die Heine die Analogie verkennen, ja die ihn Schelling zum Gegner stilisieren ließen. Befreien wir dieses >Geistergespräch< von der Ungleichzeitigkeit seiner jeweils kommunizierenden Standpunkte, so enthüllt sich eine gemeinsame Tradition dieser Männer, die sich beide einer Generation der Wegbereiter 128 zurechneten und die beide wie sich besonders an der wechselnden Optik gegen die revolutionären Ereignisse 129 leicht zeigen ließe - dem bürgerlichen
1 2 5 Plitt II, 218 ff.; Plitt III, 252 f. 126 Karpeles, 256 ff. 1 2 7 Ein Ausdruck von Moses Heß, 297 f. 128 Vgl. Walzel IV, S. 484 unten. Schelling hat seine Zeit sehr ähnlich als Krise interpretiert, die ins Positive führen werde. 129 Vgl. A. Strodtmann, Bd. 2, 520 ff. - Schellings Einstellung zur 48er-Revolution war zwiespältig, aber keinesfalls blind ablehnend. Er denkt nicht daran, das durch sie Erreichte gegen die bisherigen Zustände einzutauschen, und erklärt sich engagiert gegen »das bloße (im Grunde negative) Erhalten « (Brief an Maximilian, 157 - Berlin, 20. Juli 1848 - und ebd. 158/9; vgl. weiterhin I, 8, 4; W A 1 1 ; Plitt III, 2 1 1 , 213, 214 ff., 219/20, 245; und Hollerbach, 263 ff.). 394
Denken verhaftet blieben. 130 Indem Heines Schellinginterpretation symptomatisch ist für die Fehleinschätzung einer Generation, die sich, wenigstens eine Zeitlang, für die Erben des Hegeischen Rationalismus hielt, ist zugleich der von Heine zeitweise übernommenen Geschichtskonzeption widersprochen, wonach Schellings Werk nicht mehr darstelle als die vorletzte Epoche auf dem in Hegels Philosophie beschlossenen Weg zur absoluten Selbsterkenntnis des Geistes.
1 3 0 Im Falle Schellings
wird dies nicht bestritten werden.
Zu Heine vgl.
W. Harich, Heinrich Heine und das Schulgeheimnis der deutschen Philosophie (in: H . Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Hg. und eingeleitet von W. Harich, Frankfurt a. M. 1966, 47). Einig waren sich Schelling und Heine besonders in der Unterschätzung der ökonomischen Motive der Revolution (vgl. L. Kreuzter, 22), obwohl sie beide die Verelendung der Massen reflektieren (vgl. Schellings Brief an Maximilian vom 15. Februar 1 8 5 1 , 200 f.). 395