Wir nennen Ihnen einige Titel aus unserem Angebot:
BUCH CLUB
65
Erwin Strittmatter O l e Bienkopp
Boris Balter Auf ...
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Wir nennen Ihnen einige Titel aus unserem Angebot:
BUCH CLUB
65
Erwin Strittmatter O l e Bienkopp
Boris Balter Auf Wiedersehen, Jungs!
Ein Roman, der im Mittelpunkt der Diskus sion steht. 428 Seiten. Preis für Abonnenten 7,- MDN. Ladenpreis 8,10 MDN.
Drei Jungen stehen im Mittelpunkt einer
frohen, ausgelassenen Geschichte — bis das
Leben auch an sie Forderungen stellt.
Illustriert von Hans Mau. 320 Seiten.
Preis für Abonnenten 3,80 MDN.
Ladenpreis 6,20 MDN.
Nobelpreisträger John Steinbeck Früchte des Zorns Ein realistisches Bild vom großen Auswan dererelend im fernen Westen. 584 Seiten. Preis für Abonnenten 7,- MDN. Ladenpreis 14,80 MDN.
Günter de Bruyn Der Hohlweg 1945 - in den chaotischen Wochen des Zu sammenbruchs werden zwei junge Soldaten mit Schicksalen und Erlebnissen konfrontiert, die fast übermenschliche Kräfte erfordern. 552 Seiten. Preis für Abonnenten 7,- MDN. Ladenpreis 10,50 MDN.
Erik Neutsch
Die Spur der Steine Der Weg des Zimmerbrigadiers
Hannes Balla vom Anarchisten
zum Sozialisten.
912 Seiten. Preis für Abonnenten 7 , - M D N .
Ladenpreis 12,80 MDN.
B. Traven Die Baumwollpflücker Die Handlung spielt im Mexiko der zwanzi ger Jahre und berichtet von den wechsel vollen Erlebnissen des Baumwollpflückers Gerard Gale. 256 Seiten. Preis für Abonnenten 7,- MDN. Ladenpreis: 8,50 MDN.
Carlos Rasch Asteroidenjäger Eine utopische Erzählung, die vom Leben
der Asteroidenjäger, einem Beruf der Zu
kunft, berichtet.
Illustriert von Hans Rade. 200 Seiten.
Preis für Abonnenten 3,80 MDN.
Ladenpreis 5,20 MDN.
Dieter Noil Die Abenteuer des Werner Holt Roman einer Heimkehr.
Auch die Fortsetzung der Holtschen Aben
teuer wird seine Leser begeistern.
Etwa 470 Seiten. Preis für Abonnenten
4,80 MDN. Ladenpreis 9,30 MDN.
Jules Verne
Die geheimnisvolle Insel Abenteuerroman - ein echter Jules Verne. Etwa 510 Seiten. Preis für Abonnenten 4,80 MDN. Ladenpreis etwa 7,80 MDN.
Hoff mann/Klemm
Ein offenes W o r t Dieses Buch behandelt ohne Scheu mit An
stand und Sauberkeit sogenannte „heikle
Probleme".
324 Seiten. Preis für Abonnenten 4,80 MDN.
Ladenpreis 6,50 MDN.
UDO GATZ
Der unheimliche Marsnebel
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
T
Alle Rechte beim Verlag Neues Leben, Berlin 1964
Lizenz Nr. 303 (305 108/64)
ES 9A
Umschlag und Illustrationen: Sieghard Dittner
Typografle: Walter Leipold
Schrift: 7 p Primus
Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin
1481
l_/er Start war alles andere als aufregend. Die fahrplanmäßige Rakete Minsk—Außenstation I wurde mit der gleichen sachlichen Nüchternheit ab gefertigt, mit der die riesigen Rake tenflugzeuge für ihre Flüge nach ande ren Erdteilen vorbereitet werden. Bestimmt erwarten Sie von mir eine Beschreibung des Anblicks, der sich dem Reisenden während des Starts bietet. Sie wollen wissen, wie vor un seren Augen die Erdkrümmung am Horizont auftaucht, wie die Erde all mählich Kugelgestalt annimmt und dann als leuchtender, fleckig-blauer Ball in der schwarzen Unendlichkeit des Weltraumes mit den hellen Punk ten der Sterne zu erkennen ist. Damit kann ich leider nicht dienen. Ich kenne diese Augenblicke nicht anders als die Millionen Menschen, die noch nicht im All waren: vom Stereofernsehgerät in meiner Wohnung. In den sechzehn Minuten der Beschleunigung lag ich in meinen Sessel gepreßt und konnte unter Anspannung aller Kräfte müh sam eine Hand heben. Unsere Rakete ist das Passagierschiff i,Samon". Wie es zu diesem Namen kommt, ist selbst dem Kapitän ein Rätsel. In den Listen wird das Schiff als „RS 29" geführt, aber danach rich tet sich niemand. Die „Samon" bietet 64 Reisenden Platz. Der Passagierraum ist kaum von dem einer interkontinentalen Ra kete zu unterscheiden. Weiche ver stellbare Sessel mit dem Haltegurt für Start und Landung, über mir die ge wölbte Decke und in meinem Blick feld das Genick des Passagiers vor mir. Nur die Fenster neben den Ses seln fehlen. Wer in der knappen Stunde, die wir ohne Antrieb fliegen, einen Blick auf den Heimatplaneten werfen will, muß sich in den Raum neben der Passagierkabine begeben. Hier sind in die leicht gerundete Wand vier ovale Bullaugen eingelassen. Einige niedrige Polsterstühle stehen zwanglos neben winzigen Rauch tischen. Eine doppelte Täuschung! Die Stühle sind — wie alles andere — fest geschraubt, und geraucht darf nicht
werden. Auf die wenigen Unbelehr baren, die noch immer das Gift in sich einsaugen, wird mit Recht keine Rück sicht genommen. Meine halbvolle Zi garettenschachtel verschwindet unauf fällig in der Hosentasche. Schluß mit der Raucherei, endgültig. Angenehm wirken die Pastellfarben der Wände, keine Farbkontraste schmerzen in den Augen. Besonders die hellen Töne des Grün beruhigen. Damit ist alles genannt, was der Pas sagier von der Rakete sieht. Nun, ich habe ja noch Ungewöhnliches vor und werde auch größere Raumschiffe sehr genau kennenlernen. Wir sitzen wieder in den Liegeses seln und lassen das unangenehme Ge fühl einiger kurzer Beschleunigungs stöße über uns ergehen. Allmählich hatten wir uns in dieser Stunde — je nach Konstitution etwas früher oder später — an die scheinbare Gewichts losigkeit unserer Körper gewöhnt. In den Sekunden, in denen die Trieb werke arbeiten, wiege ich plötzlich wieder meine 75 Kilo, ein Gewicht, das mir jetzt reichlich viel vorkommt. Mit diesem Manöver wird die „Samon" der Geschwindigkeit der Außensta tion I angeglichen, die nun schon seit neunzehn Jahren die Erde umkreist. Zweiunddreißigtausend Kilometer bin ich jetzt von Berlin weg. So weit könnte ich auf der Erde niemals von meiner Heimatstadt entfernt sein. Ein Besatzungsmitglied der „Samon" tritt aus der Steuerzentrale, hinter ihm schließt sich lautlos die Tür. „Wir sind am Ziel, Sie können die Gurte öffnen. Bleiben Sie aber bitte noch einen Augenblick sitzen, die Gangway ist noch nicht angefahren." „Darf ich zu einem der Fenster?" frage ich. „Natürlich, wir möchten nur nicht, daß sich alle Passagiere um die Aus stiegluke drängen." Die tiefe Schwärze mit den u n natürlich hellen Punkten der Millio nen Sterne hat auf der Erde keine Vergleichsmöglichkeit. Rechts von uns erkenne ich zwei Raumschiffe, deren von der Sonne beleuchtete Seiten hell 3
glänzen, während die Seiten im Schat ten nicht zu sehen sind und ich sie n u r dort erraten kann, wo wie abgeschnit ten das Flimmern der Sterne aufhört. Die Ausmaße der beiden Raketen las sen unschwer erkennen, daß sie auf einer der drei Außenstationen für den interplanetaren Verkehr gebaut wur den. Wie ich einst als Schuljunge meine Nase an den Fenstern der Spielwaren auslagen plattdrückte, so presse ich sie jetzt gegen das Glas, um möglichst viel von der Raumstation zu sehen, unter der die „Samon" verankert wird. Eine riesige rotierende Radscheibe, überragt von einer starken Nabe, die eine zweite, kleinere Scheibe trägt. Die Gangway ist ein Rohr, das jetzt an der „Samon" anlegt und die Aus stiegluke umschließt. Nun schiebt sich die Tür in die Wandung. Wir schlüpfen mitsamt dem Schuh werk in Magnetsandalen, denn die Fliehkraft ist nur im Außenring der rotierenden Scheibe groß genug, um die gewohnte Schwerkraftwirkung zu ersetzen. Unter der Leitung eines Mitarbeiters der Station werden die Passagiere in die für sie vorbereiteten Räume ge bracht. Während sich alle anderen er frischen, sich die Station ansehen oder Vorbereitungen für den Weiterflug zum Mond treffen, lasse ich mich bei Dr. Artjom melden. „Treten Sie ein, Genosse Lange!" Hinter mir gleitet die Tür mit einem leisen Klicken ins Schloß, mit wenigen Blicken sehe ich mir das Arbeitszim mer dieses berühmten Mannes an. Es ist ein fensterloser quadratischer Raum mit modernen Birkenmöbeln, in der Mitte der Schreibtisch, rechts ein Regal, das die Wand verdeckt und mit Büchern und Tonbildbändern vollge stopft ist. An der Stirnwand stehen bequeme Sessel. Die linke Wand wird von einem Fernsehschirm ausgefüllt, auf dem gerade die Landung einer weiteren Rakete zu sehen ist. Der Kosmonaut hat sich hinter sei nem Schreibtisch erhoben und sucht meinen Blick.
Also das ist Dr. Artjom. Ich kenne ihn n u r nach Zeitungsbildern, auch vom Fernsehen. Allerdings erschien er mir da immer größer. Die Lachfält chen um seine Augen sind eine Neu entdeckung für mich. „Zufrieden?" fragt er, und ich bekomme einen roten Kopf. „Rotköpfchen im Weltall", ruft er und lacht, lacht herzlich wie mein Bru der. Ich lache nun auch, erst jetzt drücken wir uns die Hände. „Wie war der Flug? Alles in Ordnung? Wie füh len Sie sich? Nehmen Sie Platz, bitte. Wie war das Wetter in Minsk?" Dr. Artjom spricht schnell, er unterstreicht seine Fragen mit den Händen und lacht wieder. „Ich lasse Sie ja gar nicht zu Wort kommen. Also: Herzlich will kommen erst einmal im Weltall, Ge nosse Lange." Wieder ein Händedruck, diesmal etwas feierlich. „Haben Sie irgendwelche Fragen, Genosse Lange? Bitte sprechen Sie, vermutlich sind Sie schon recht neu gierig." Der Kosmonaut sitzt mir gegen über. Er hat die Beine übereinander geschlagen und wippt mit den Füßen. Aufmerksam blickt er mich an. „Ich möchte schnell in mein Aufga bengebiet eingewiesen werden, das ist meine einzige Bitte." „Richtig. Sagen Sie mir deshalb, wieviel Sie in Moskau schon erfahren haben." Ich lehne mich zurück, ziehe das Knie an und verschränke die Hände darüber. „Zuerst war ich natürlich verwundert, als ich zum Vorsitzenden des Rates für Raumschiffahrt geladen wurde. Ich wüßte nicht, warum ich b e sonders geeignet sein sollte, an einer Weltraumexpedition teilzunehmen, zu mal . . . " „Wissen Sie es jetzt?" unterbricht mich Dr. Artjom. „Auch nicht, aber ich mache mir nicht allzuviel Gedanken deshalb. Wichtig ist, d a ß ich teilnehme." „Richtig. Dennoch sollen Sie den Grund erfahren. Sie sind als ausge zeichneter Funkingenieur bekannt, das
wiegt schon. Hinzu kommt Ihr Mut, Ihr schnelles Reaktionsvermögen, mit dem Sie über fünfzig Passagieren das Leben retteten, als im Sommer der Meteoriteneinschlag in der ,IR 4' ge schah. Deshalb habe ich Sie für unsere Expedition vorgeschlagen. Wir brau chen einen guten, schnell reagierenden Funker, das ist alles." Sicher bin ich wieder etwas rot ge worden, aber Dr. Artjom sieht diesmal darüber hinweg. „Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. In Moskau sagte man mir nur, daß die Expedition in wenigen Wochen starten würde und meine Ausrüstung schon auf der Außenstation sei. Dann kam die Rennerei von Arztzimmer zu Arztzimmer, und jetzt bin ich hier." „Also wissen Sie noch gar nichts, ich meine, was unseren Flug betrifft. Ihnen ist bekannt, daß wir nicht zum erstenmal den Mars anfliegen?" „Zum siebentenmal", entgegnete ich etwas erstaunt, denn das weiß jedes Kind. „Richtig. Und von den beiden Un glücksfällen der letzten Expedition wissen Sie auch?" „Die Meteorologen Dimitri Aronescu und Dr. Wirth verunglückten auf der sechsten Marsexpedition tödlich", schnarre ich die Antwort wie in einem Examen runter. „Auch richtig. Aber Sie kennen die Ursachen nicht. Eine Stunde vor u n serem Start zum Rückflug entdeckte Aronescu ein bleigraues Nebelfeld un weit unseres Landeplatzes. Dieser Nebel, eine völlig ungewöhnliche Er scheinung auf dem Mars, hätte uns sicher sehr wichtige Aufschlüsse über die Entstehung des Planeten geben können. Der Nebel konnte möglicher weise Dampfbildung um eine Warm wasserquelle sein. Verstehen Sie un sere damalige Erregung? Eine Stunde blieb bis zum Start, eine halbe höch stens konnten wir für den Nebel frei machen. Wir flogen hin, Pjotr Dama roff, Dr. Wirth, Dimitri Aronescu und ich. Dr. Aronescu sollte vorsichtig in den Nebel gehen, nicht länger als fünf Minuten. Nachdem er in dem
milchigen Dunst verschwunden war, haben wir ihn nicht mehr gesehen. Keine Antwort auf Funksignale — nichts." Dr. Artjom hält die Hand vor die Augen und preßt die Stirn. Die frohe Stimmung, die noch vor wenigen Minuten herrschte, ist plötzlich ver flogen. „Wir mußten natürlich nach ihm suchen; das übernahm Dr. Wirth. An seinem Skaphander wurde ein Pertolseil befestigt, sein Funkgerat strahlte ohne Unterbrechung einen Summton aus. Nach zehn Minuten mußte er zurück sein, möglichst frü her. Die Konstellation der Erde zum Mars verlangte pünktlichen Start, an dernfalls hätten wir erst in neun Mo naten starten können, für diese Zeit fehlten aber die Vorräte." Noch immer preßt Dr. Artjom die Stirn, seine Worte kommen jetzt langsam, leise, wie widerwilig von den Lippen. Ich beuge mich weit vor, um alles zu ver stehen. „Schon nach dem ersten Schritt in den Nebel war Dr. Wirth nicht mehr zu sehen, der Summton blieb aus. Drei, vier Schritte wurde das Seil straff abgerollt, dann pendelte es ein Weilchen, zog wieder straffer und wurde zweiundzwanzig Meter abge rollt. Plötzlich wurde es übermäßig straff gespannt und erschlaffte in der gleichen Sekunde. Wir ließen das Seil sofort auftrommeln. Wie abgeschnit ten endete es, ohne Dr. Wirth zurück zubringen. Wir konnten von außen nicht helfen, ohne weiteres Leben in Gefahr zu bringen. Wir konnten über haupt nicht helfen, wir konnten nur bis zur äußersten Zeitspanne warten, auf das Verladen des Helikopters verzichten, um noch einige Minuten länger zu bleiben. Aber dann mußten wir starten." Ich sehe bildlich das Seil mit der glatten Schnittfläche. Welches Grauen mußten die Männer verspürt habsn: Ein Nebel, der Funkwellen bricht, Pertolseile zerschneidet! „Ja", sagt Dr. Artjom und nimmt die Hand vom Gesicht. Er sieht mich an. Von seinen Lachfältchen ist keins ge blieben. „Ja, so war das. Und ich sehe, 5
auch Sie geben sich spekulativen Ge danken hin. Lassen Sie das besser sein! Bei unserer Arbeit entscheidet allein die exakte Wissenschaft." .,Unsere Aufgabe soll es also sein, die zwei Genossen zu retten?" Der Kosmonaut wehrt ab. „Nein. Wir geben uns keinen falschen Hoff nungen hin. Sie können nicht mehr leben, sie hatten nur Energiespeicher zur Heizung und Sauerstoffregenera tion für Stunden und keine Nahrung. Trotzdem - wir müssen sie finden." Jetzt dreht sich Dr. Artjom zur Seite und nimmt vom Schreibtisch einige Relief-Farbfotos, die er mir zureicht. Das Nebelfeld ist kleiner, als ich dachte. Es mag vielleicht 90 bis 100 Meter Durchmesser haben. Ich glaube beim Anblick der Aufnahmen zu spü ren, daß es ein schwerer, zäher Nebel ist. „Diesen Nebel zu erforschen ist unsere Aufgabe", sagt Dr. Artjom. „Pjotr Damaroff konnte damals eine Kapsel mit dem Nebel füllen. Eigent lich ist Nebel falsch — es handelt sich um eine Substanz, deren Eigenschaf ten uns gegenwärtig unerklärlich sind. Die Laborversuche zeigen — und das ist für uns das wichtigste —, daß elek trische Wellen absorbiert werden." Ich nicke, als hätte ich verstanden, und verstehe gar nichts. Oder recht wenig. Dr. Artjom nimmt mir die Bilder aus der Hand. „Genug der düsteren Gedanken. Uns erwartet viel Arbeit, uns erwartet auch viel Freude bei dieser Arbeit." Nun machen sich schon wieder die Lachfältchen um die Augen bemerk bar. „Für heute möchte ich Ihnen nur noch die Mitarbeiter unserer Expedi tion vorstellen, dann begeben Sie sich zur Ruhe. — Mich kennen Sie nun, ich leite die Expedition." Dr. Artjom ver beugt sich lächelnd. Ich freue mich, mit diesem Mann zusammenzuarbei ten. „Wir sind insgesamt sechs. Sich selbst kennen Sie auch - lachen Sie nicht, es soll Menschen geben, die sich in der Gefahr selbst nicht wiederer
kennen. — Lassen wir nun der ein zigen Frau unserer Expedition den Vortritt — Genossin Wirth." Dr. Artjom steht auf, tritt hinter den Schreibtisch und kippt einen wei ßen Schalter. Ich stutze. Sollte das die Frau des verunglückten Meteorologen sein? Ich habe keine Zeit, Dr. Art jom danach zu fragen, denn schon ist das Bild der Frau auf dem Schirm. Einer schönen Frau, ich muß es ge stehen. „Ja, bitte", sagt sie und lächelt in einem Gemisch von Spannung, Neu gier und Ärger über die Unterbre chung ihrer Arbeit. Sie sieht wohl nur Dr. Artjom auf ihrem Bildschirm, denn mich blickt sie nicht an. „Eine Vorstellung, Genossin Wirth. Unser letztes fehlendes Expeditions mitglied ist eingetroffen: Genosse Lange. — Kommen Sie doch bitte etwas näher zu mir, sonst sind Sie bei Sibylle Wirth nicht im Bilde." Ich trete näher zum Schreibtisch. Die junge Frau — wie alt mag sie eigentlich sein? — blickt mich prüfend an und nickt dann, als wäre sie vom Ergebnis der Betrachtung befriedigt. Wir nicken uns zu, sie lächelt und sagt: „Ich würde mich freuen, wenn Sie auch guten Tag sagen. Wie soll ich sonst wissen, ob Sie einen Baß oder eine Fistelstimme haben?" Es ist unwahrscheinlich, aber ich be komme heute zum drittenmal einen roten Kopf. Hastig und artig wie ein Schuljunge sage ich mein „Guten Tag". Die schöne Frau nickt mir noch einmal zu und läßt sich auslöschen. Dr. Artjom ist zu mir getreten und legt seine Rechte auf meine Schulter. „Ich weiß, welche Frage Sie jetzt ha ben. — Es ist die Tochter des verun glückten Dr. Wirth. Für sie ist unser Flug besonders schwer, muß sie doch damit rechnen, der entstellten Leiche ihres Vaters zu begegnen." „Wäre es unter diesen Bedingungen nicht ratsamer gewesen, jemand an ders mitzunehmen?" „Nein, wir können nicht auf sie ver zichten. Genossin Wirth ist eine her vorragende Spezialistin in der Meteo
rologie und nach ihrem Vater wohl die bedeutendste Kapazität auf diesem Gebiet. Und sie wird an dieser Auf gabe sogar noch wachsen, meinen Sie nicht?" Ich nicke mechanisch. „Jetzt Dr. Suworow", sagte Dr. Art jom. Sofort erscheint das lachende Gesicht eines Mannes, als hätte er auf Abruf bereitgestanden. „Guten Tag, Stepan", sagt er, und zwinkert lustig mit dem rechten Auge, „ich weiß schon, Bekanntmachung mit Ge nossen Lange. Mach es kurz, ich bin müde." „Ich auch", sagt ein zweiter Mann und stellt sich näher neben den ersten. Er ist das ganze Gegenteil von ihm. Klein, eckig, hinter dicken Brillen gläsern ernste Augen. „Das ist gut, Freunde", sagt Dr. Artjom lachend, „da ist gleich noch der Genosse Ha can." Meinen Namen kennen die Ex peditionsteilnehmer bereits. Sie blik ken mich nur freundlich an und ver schwinden. „Dr. Suworow ist Physiker, Mirek Hacan Geologe", sagt der Kosmonaut. Auf dem Bildschirm erscheint jetzt ein stupsnäsiger Mann mit grauen Schläfen. „Wir kennen uns schon", ruft er übermäßig laut und läßt sich auslöschen. Es ist der Mann, der uns auf der Außenstation empfangen hat. „Pjotr Damaroff, Arzt, Chemiker und Spezialist für Fahrzeuge aller Art. — So, das waren alle." Wir wechseln noch einige Worte, dann verabschiede ich mich. Dieser Tag brachte viele neue Eindrücke. Ich sehe wieder das Pertolseil und die schöne Meteorologin. Und den Nebel und den Mars und die Meteorologin — und schlafe. Die drei Wochen vergehen schnell. Schon nach den ersten Tagen verbin det mich eine herzliche Freundschaft mit Pjotr Damaroff. Mehrmals klettere ich mit ihm in die „Komsomol", die uns zum Mars tragen wird. Sie liegt über der An liegefläche. Wir schweben durch die Räume, haben die Schutzhelme abge
legt, und Pjotr macht mich mit dem Raumschiff vertraut. „Warum bist du so oft bei Sibylle Wirth?" fragt er mich unvermittelt. „Nur so, ohne bestimmten Grund. Wir unterhalten uns über alles mög liche, und es ist ganz nett, wieder einmal deutsch zu sprechen. Auch für sie. Gestern hat sie mir von München erzählt, und wir haben gestritten, ob München oder Berlin schöner sei." „Und wie habt ihr euch geeinigt?" will Pjotr wissen. „Gar nicht. Als Susann aus dem L a bor ging, bin ich dann auch gegangen." Pjotr richtet sich auf, steckt die Kombizange in der Tasche. „Susann, sagst du? Sibylles Assi stentin Susann Dior? Und als sie ging, gingst auch du?" Er überlegt einen Augenblick und überfällt mich dann mit seinem lauten Lachen. „Susann also! Das ist einfach großartig!" Er haut mir kräftig die Hand auf die Schulter. Ich habe festen Boden unter den Füßen, ihn aber treibt der Schlag heftig nach oben. Ich griene schaden froh, als er sich die schmerzende Stelle am Kopf befühlt. Es ist einer der seltenen Augenblicke, in denen Pjotr kein fröhliches Gesicht zeigt. „Du brauchst gar nicht zu lachen. Letzten Endes meine ich es nur gut mit dir. Wenn du auf Gegenliebe stößt — mich sollte es nur freuen. Aber mach dir nicht allzuviel Hoffnungen. Das Mädel ist so etwas wie unsere gute Fee, flink, hilfsbereit bis zur Aufopferung — aber sie muß etwas von der Raumkälte abbekommen ha ben. Keiner darf ihr näher als auf Armlänge kommen." An diesem Abend — ich bin 10 Tage auf der Station — gehe ich ins Labor. Susann ist allein. Ich wußte es übri gens, denn Sibylle Wirth traf ich eben bei Dr. Artjom. Ich trete zu Susann. „Bitte, Genos sin Dior, bleiben Sie einen Augenblick stehen." Sie steht vor mir — natürlich auf Armlänge — und lächelt mich an. Ihre Augen — nein, Pjotr. das ist nicht die Raumkälte, die hier leuchtet. 7
„Man könnte meinen, Sie haben etwas Wichtiges auf dem Herzen." „Habe ich auch", sage ich und lege meine rechte Hand auf ihre Schulter, den Arm ausgestreckt. „Sagen Sie, Susann, weiter darf ich mich Ihnen nicht nähern?" Sie macht große erstaunte Augen. Dann neigt sie den Kopf zur linken Schulter und — beißt mir kräftig in die Finger. Schnell läuft sie weg, lacht. „Wenn Sie Pjotr sehen, er soll sich bei mir nicht blicken lassen. Wegen der Armlänge!" Ich reibe die schmerzenden Finger. Hinter mir bemerke ich Sibylle Wirth. „Sie sprechen Französisch?" fragt sie und droht mit dem Finger. „Nein, nein", stammle ich, „nur einige Brocken." „Wenn Sie es lernen wollen, kann Ihnen Dr. Repin am besten helfen. Er hat einen Übersetzungsautomaten an sein Rechenzentrum angeschlossen. Das Ding stottert zwar noch etwas, aber für Anfänger reicht es, zumal Sie ja gerade selbst zum Stottern neigen." Es ist früher Morgen, sogar ein sehr echter, denn die Sonne steigt gerade über Asien hoch. Ich überlege, ob es nicht zu früh für einen Anruf bei Su sann sei, aber dann fege ich alle Be denken beiseite und wähle ihre Num mer. Sie lächelt vom Bildschirm, als sei nichts gewesen. Dabei war doch so viel. „Wollen Sie wirklich Französisch lernen, Heinz?" „Nein, ich denke gar nicht daran! Dr. Repin soll mir mit seinem Appa rat vom Halse bleiben." „Da haben Sie recht. Eine Sprache lernt man besser von Mensch zu Mensch. Wollen Sie bei mir lernen?" „Bei Ihnen? Mit Freuden!" rufe ich, und mein Herz macht einen kleinen Luftsprung zum Hals. „Abgemacht. Mit Freuden und mit Fleiß", sagt Susann, und ich erträume mir angenehme Plauderstunden. Nicht aber Susann. Sie paukt wirk lich französische Vokabeln mit mir. 8
Wenn ich mein Pensum nicht schaffe, ist sie ärgerlich wie jede Lehrerin. Oder traurig. Oder tut so als ob. J e denfalls bleibt die Armlänge. Zur offiziellen Feier anläßlich u n seres Starts waren zwei Vertreter des Rates für Raumschiffahrt gekommen. Festreden, Händeschütteln, Gläser klingen, Beifall, Blumen — hoffentlich bleibt noch etwas Zeit! Bald hebt Dr. Artjom die festliche Tafel auf, das Zeremoniell wird durch kleine Ge sprächsgruppen abgelöst. Gleich nach Dr. Artjom verlasse ich den Klubraum. Eilig laufe ich durch die Gänge zum meteorologischen La bor. Susann steht in der Tür, und be glückt fühle ich, daß ich erwartet werde. Sie streckt mir die Hand ent gegen. „Wieviel Zeit haben Sie noch?" „Eine Stunde etwa, Susann." Ich laß ihre Hand nicht los. Sie ist klein und feingliedrig und verschwindet fast in der meinen. Wir stehen dicht beiein ander, sehen uns in die Augen und suchen im Blick des anderen einen Widerschein der eigenen Gedanken, Gefühle. „Abschied, Heinz?" „Abschied, Susann." Wir treten nebeneinander ins La bor. Susann geht vor mir quer durch den Raum, die Tür öffnet sich, hinter der ich ihr Zimmer weiß. Langsam geh ich ihr nach. Klein und behag lich ist Susanns Zimmer. Der niedrige Schreibtisch mit den Büchern, der Wandschrank und die Liege, die modernen Bilder an der Wand, die Sessel mit dem weißgedeckten Tisch — so und nicht anders hatte ich mir ihr Zimmer vorgestellt. Gläser stehen auf dem Tisch, ein goldener Wein und Konfekt. Susann hat ihren weißen La borkittel abgelegt. Mir fiel bisher gar nicht auf, daß ich sie nie anders als in diesem Kittel sah. Jetzt steht sie vor mir in einem Kleid schwarz wie der Himmel, ihr dunkelblondes Haar hat einen rötlichen Schimmer — und ich entdecke ein paar gelbe Sommer sprossen um die Nasenwurzel, die ihr Gesicht noch lieber machen.
„Sie sehen so nachdenklich aus, Heinz." „Finden Sie? Wirklich, ich habe ge rade nachgedacht, ob Sie für mich so nett gedeckt haben." „Für uns, für uns ganz allein", sagt sie. Sie hätte auch sagen können: Ich mag dich, ich hab dich gern, es wäre der gleiche Tonfall gewesen. Wir sitzen uns gegenüber und spre chen von Le Havre und Berlin und nippen von dem Wein, den ich ehrlich loben muß. Manchmal treffen sich wie zufällig unsere Hände — und nun muß ich gehen. Ich stehe auf, ziehe das Jackett glatt. „Bevor ich gehe, möchte ich Ihnen gern etwas sagen . . . " Mit einem Kopfschütteln unterbricht mich Susann. „Sie möchten mir nichts sagen, Heinz. Sie möchten mir etwas sagen, wenn Sie wiederkommen, in acht Monaten. Berührt Sie das nicht wunderbar, dreiunddreißig Wochen nach den passenden Worten suchen zu dürfen?" Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, gibt mir einen flüchtigen Kuß, ein Hauch fast nur, und sagt: „Adieu, Heinz!" Die Stunden haben sich zu Tagen geballt, die Tage vermehren sich zu Wochen. Mehr als die Hälfte unseres Fluges liegt hinter uns. Nach meinem Wachdienst geh ich in den Raum, den wir Observatorium nennen. Hier ist eine Glaswand, vor der weiche Sessel stehen und hinter der die Leere ist, das schwarze All mit den Sternen. In einem der Sessel sitzt Sibylle Wirth. Ich nehme neben ihr Platz. Oft treffen wir uns hier. Anfangs suchte ich die Nähe dieser Frau, unter deren Leitung Susann ge arbeitet hatte, und mehr oder weniger geschickt lenkte ich unsere Gespräche auf Susann. Jetzt suche ich schon lange in das Wesen dieser Frau ein zudringen, die mir rätselhaft ist: still und heiter, munter und müde zu gleich. Seit dem Tode ihres Vaters sind zehn Monate vergangen, eine lange Zeit. Ich weiß, mit welcher In
nigkeit Sibylle Wirth an ihrem Vater hing. Zehn Monate aber überdecken den schlimmsten Schmerz. Mir ist mit unter, als trage sie noch einen anderen Schmerz in sich, der täglich wächst. Die Angst vor dem Nebel? „War die Funkverbindung gut?" fragt sie mich, dabei blickt sie weiter in die Sterne. „Es wird immer schwieriger. Die Antwort auf eine Frage erhalte ich jetzt nach neun Minuten. — Ich soll Sie von Susann grüßen." Sibylle wen det sich endlich zu mir. „Hat sie selbst gesprochen?" „Ja." Sibylle lächelt auf ihre stille Art. Als wir hinter uns Schritte hören, dreht sich auch Sibylle um. „Fehlt auch keiner?" fragt Dr. Artjom und deutet auf die Sterne. Sibylle schüttelt den Kopf. „Keiner. Wir haben sie so eben gezählt. — Setzen Sie sich zu uns?" „Gern, darf ich mich Ihrem Ge spräch anschließen?" „Wir schwiegen", sagt Sibylle und ist dabei ganz ernst. „Oh", macht Dr. Artjom und ist einen Moment betroffen. Mir ist, als spielen beide, sprechen ganz andere Worte, als sie sagen wol len. Wir sitzen wie im Theater neben einander in der ersten Reihe. Die Un endlichkeit hinter der Glasscheibe ist die Bühne. Es wird wohl ein langwei liges Stück gespielt, denn wir verfol gen es nur mit den Blicken und hän gen unseren eigenen Gedanken nach. „Sie sollten diesen Raum nicht zu oft aufsuchen, Sybille", sagt der Kos monaut leise, als könnte ein lauter Ton die Frau aus einem guten Traum wek ken. „Hier finden Sie zu schnell die Stimmung, die zu diesem Licht paßt. — Oder suchen Sie diese Stim mung, Sibylle?" Sie wiegt den Kopf, drückt meinen Unterarm mit der Hand auf die Sessellehne, als ich aufstehen und ge hen will. „Anders, Genosse Artjom. Wenn mich diese dumme Stimmung packt, komme ich hierher." 9
„Um sich ihr ganz hinzugeben", fügt er hinzu. Als Antwort hebt sie die Schultern und läßt sie nur langsam zurück gleiten. Dr. Artjom beugt sich vor, um in ihrem Gesicht zu lesen. Er spricht nun etwas lauter: „Noch ist alles, was uns erwartet, in Dunkel gehüllt. Funk wellen absorbiert, Pertolseil zerschnit ten. Und Genosse Wirth — er war mein Freund." „Er i s t mein Vater", sagt sie leise, fast flüsternd. „Sibylle, du weißt es selbst —" Dr. Artjom schweigt. „Du hast recht, Stepan. Er w a r mein Vater." Der rote Planet — so wird der Mars oft noch heute genannt. Wir haben uns ihm auf neunzigtausend Kilo meter genähert, damit beginnt schon die Phase der Landung. Aus dieser Entfernung ist der Mars schon klar in seiner Kugelgestalt erkennbar, blei grau und ohne Wolkendecke. Deimos und Phobos geben dem Ganzen ein fast spielerisches Aussehen. Phobos, dem Mars rund fünfzehntausend Ki lometer näher als sein Bruder, über holt Deimos scheinbar beim Wettlauf um den Planeten. Ich kann mich die sen Märchengedanken jetzt nicht hin geben. Schon ertönt das zweite Warn signal, ich muß in den Startraum und mich dort im Sessel sichern. Dr. Artjom sitzt im Sessel des Kom mandanten. „Noch zehn Sekunden, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins — null." Mit dem letzten Wort zieht er die Sperrsicherung und drückt den berühmten roten Knopf. Sofort setzen die Triebwerke ein, ich fühle, wie mich die Bremswirkung in den Sessel preßt. Auf dem Bildschirm ist die halbe Kugel des Mars zu sehen, aber schon glaube ich zu erkennen, daß sie sich dreht, das heißt, wir sind zu einem Trabanten des roten Plane ten geworden. Bis auf Höhe der Pho bosbahn arbeiten die Steuerapparatu ren selbsttätig, schalten dann die 10
Triebwerke aus. Aber bis dahin müs sen wir noch fast vier Stunden hier sitzen, neunmal den Mars umkreisen. „Halten Sie sich an meine Anwei sungen und schlafen Sie, Genossen. Nur Dr. Suworow bitte ich wach zu bleiben", verlangt der Expeditions leiter. Eine Landung auf dem Mars erlebt man nicht alle Tage, wie soll ich da nicht erregt sein? Sicher geht es den Freunden nicht anders. Aber es ist wichtig, ich muß jetzt ruhen, nach der Landung ist für die nächsten Stunden keine Zeit dazu. Das gleich mäßig hohe Summen der Triebwerke wirkt beruhigend auf die gespannten Nerven. Ich konzentriere mich auf das Schlafen, nicht an die Landung den ken . . . Plötzlich setzen die Triebwerke aus. Ich will aufspringen, aber die Start sicherung hält mich zurück. Was ist geschehen? Warum plötzlich diese unheimliche Stille? Auch Sibylle sieht erschrocken um sich. Dr. Artjom ar beitet am Kommandorechengerät. Er lächelt uns zu. „Alles in Ordnung, Ge nossen. Wir sind auf der Phobosbahn." Zu Dr. Suworow gewandt, der neben ihm sitzt: „Folglich können wir schon in zehn Minuten die letzte Lande phase einleiten." Offenbar setzen sie ein vorher begonnenes Gespräch fort. Noch einmal, zum letztenmal das schrille Warnsignal. Gewaltsam werde ich in den Sessel gepreßt, für einen Moment treibt es mir die Hände waagerecht nach vorn. Grausam laut heult das Triebwerk. Die Fernsehkamera hat zum Heck geschwenkt, wir sehen die Mars oberfläche. Schon quirlt unter uns Staub in breiten Wolken, aufgewühlt vom Bremsstrahl der „Komsomol". „Gleich bumst es", sagt Pjotr trok ken. In diesem Moment zeigt der Bild schirm nur noch Staub, und wir fallen unsanft auf den Mars, weniger heftig, als befürchtet. Ein Weilchen ist völlige Stille um uns. Dann sagt Dr. Artjom feierlich: „Wir sind auf dem Mars." Wir schweigen.
Schließlich sagt Dr. Artjom: „Bitte, Genossen, die Landeüberprüfung. Wir treffen uns dann im Speiseraum." Jeder hat genau abgegrenzte Funk tionen bei der Überprüfung. Pjotr sieht nach, ob die Regenerationsgeräte für Wasser und Sauerstoff bei der Landung keinen Schaden nahmen, Sibylle untersucht den Zustand des chemisch-physikalischen Labors, Mi rek nimmt sich die Raketenwandung vor, Dr. Suworow und Stepan Artjom überprüfen die Triebwerke und die Steuerautomaten. Nach zehn Minuten kann ich melden, daß alle funktech nischen Geräte einwandfrei arbeiten. Nach mir betritt Sibylle Wirth den Speiseraum und erklärt die Labor geräte für funktionstüchtig. Dr. Suwo row nimmt unsere Meldungen ent gegen, offenbar arbeitet der Expedi tionsleiter noch im Kommandoraum. „Werden wir heute noch die .Kom somol' verlassen können?" fragt Si bylle wissen. „Bei normalem Verlauf ja; das hängt vom Zustand des Raumschiffes
ab", gibt der Vertreter des Expedi tionsleiters zur Antwort, „es wird auch kein großer Ausflug, mehr ein sym bolisches Betreten des Mars, bevor es dunkel wird." Mirek kommt gleichzeitig mit Dr. Artjom. „Alles in Ordnung", teilt ihm Dr. Suworow mit. „Also heil gelandet!" ruft Dr. Art jom, und die Lachfältchen um seine Augen werden tiefe Furchen. „Wir machen sofort einen Ausstieg, damit wir auch vom Gefühl her wissen, auf dem Mars zu sein. — Im Skaphander zur Luftschleuse kommen!" Wir beeilen uns beim Anlegen der Schutzkleidung. Pjotr stülpt mir den Helm über und schließt ihn an. Wir kommen uns täppisch in den roten Raumfahreranzügen vor. „Verstehst du mich?" dröhnt überlaut Pjotrs Stimme im Helm; ich nehme sofort etwas von der Lautstärke weg. „Selbst verständlich. Für Sprechverbindung bin ich selbst verantwortlich, also klappt es." „Richtig." Das war Dr. Artjom aus 11
seinem Zimmer. Es ist ungewohnt, die Stimmen aller Genossen gleich deut lich zu hören, auch wenn sie relativ weit entfernt sind. Wir hatten Konfe renzschaltung eingestellt. Bei der Ar beit in Zweier- oder Dreiergruppen sprechen wir dann auf verschiedenen Frequenzen. An der Luftschleuse geht es recht lebhaft zu. Im Halbkreis stehen wir um Stepan Artjom, der eine kleine Ansprache an uns richtet: „Freunde, die siebente irdische Marsexpedition betritt in diesen Minuten den roten Planeten. Ich bitte die Genossen Da maroff, Dr. Suworow und Hacan mir zu folgen. Anschließend, wenn die Schleuse frei ist, kommen die Genos sen Sibylle VVirth und Heinz Lange nach." Sibylle sieht mich ganz enttäuscht an. „Da kann man nichts machen", sage ich und kann nicht verbergen, daß ich etwas ärgerlich bin. Schon sind die Genossen durch die Luke verschwunden, das rotglühende Lämpchen zeigt: „Schleuse besetzt". Bald leuchtet Grün auf, und die Luke öffnet sich vor uns. Ich lasse Sibylle vor mir eintreten, prüfe den Türver schluß hinter uns. Mit kaum hörbarem Pfeifen wird die Luft in die Regene rationskammer gesaugt. „Wir können gehen, Genosse Lange." „Öffnen Sie, Sibylle!" Fünf Stufen führen auf den Mars. Vor uns, schon dicht am Horizont, geht klein und gelb die Sonne unter, noch kraftvoll genug, mich zu blenden. So sehe ich erst jetzt, daß links und rechts der Trittbretter je zwei Genossen ste hen und für uns, die Marsneulinge, ein kleines Spalier bilden. Ich nicke Sibylle zu. Sie geht vor mir die Stu fen hinab, und Dr. Artjom hält ihr die Hand stützend entgegen. Jetzt, wo sie den Boden des Mars betritt, dröhnen die lauten Hurrarufe der vier Freunde im Helm. Pjotr tritt vor und über reicht der Genossin einen Strauß win ziger blauer Moosblüten dieses Pla neten. „Herzlich willkommen und viel Glück auf dem Mars, Sibylle."
Ich gehe die letzten drei Stufen, lasse keinen Blick von Sibylle Wirth und — gleite auf der letzten Stufe aus. Bevor mich Pjotr stützen kann, falle ich, falle auf den Mars. Alle Feierlich keit ist gestört, die Genossen können natürlich das Lachen nicht verkneifen, erst glucksen sie nur, aber dann lachen sie lauthals über meine heftige Marslandung. Nach kurzer Zeit wird aus der Tag helle Nacht. Am nächsten Morgen weckt uns der Summer. Wir treffen uns im Speiseraum. Hier ist schon aufgetragen. Dr. Artjom hält eine Morgenan sprache: „Ich hoffe, Sie haben gut geruht, Freunde. Wir müssen mit den ersten Sonnenstrahlen zu arbeiten be ginnen. Natürlich kann niemand sagen, ob das Nebelfeld nach elf Mo naten noch existiert. Das Barometer ist von einem Normalstand von 87 auf 81 Millibar gesunken. Sibylle Wirth sagt einen Sturm voraus. Die Wind richtung wird Nordnordwest sein. Das braucht uns aber nicht zu hindern, in einer Stunde zum Nebelfeld zu starten." Nach dem Frühstück macht Pjotr den Helikopter startklar. Wir andern gehen zur Luftschleuse. Während wir warten, schlägt Dr. Suworow vor: „Wir sollten das jetzige Nebelfeld a b stecken, mit Fähnchen vielleicht. Das kann später nützlich sein, gleichgültig, ob der Nebel bleibt, er kann sich ja auch verlagern, und wir brauchen Vergleichsmöglichkeiten der Größen verhältnisse." Stepan Artjom nickt mit dem Kopf. „Auch richtig. Sibylle Wirth hat mit der Registrierung der Besonderheiten des Sturmes genug zu tun. Pjotr wird allein mit der Kapselfüllung fertig. Dr. Suworow, Sie bleiben in der .Kom somol' — der nickt zustimmend —, „ganz gleich, was geschieht, Sie ver lassen das Schiff nicht." Wieder nickt Dr. Suworow. Dr. Artjom weist wei ter an: „Genosse Hacan, Sie bleiben am Hubschrauber, beobachten die ar beitenden Genossen. Bei unvorherge
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sehenen Vorkommnissen warnen, Ver bindung mit Dr. Suworow halten. — Sie, Genosse Lange, stecken mit mir die Nebelgrenze ab." Im Scheinwerferlicht blitzen und flimmern die sechzehn Flügelblätter des Helikopters, taghell ist es um das Raumschiff. Aus der Luke zur Luftschleuse winkt uns Dr. Suworow. In den Raumanzügen sehen wir uns alle ähnlich, nur Sibylle kann ihre schlanken Hüften nicht verheimlichen. Sechzehn Kilometer sind es zum Nebelfeld. Auch in der Druckkabine des Hubschraubers nehmen wir die Helme nicht ab, es lohnt auf der kur zen Strecke nicht. Nur wenige Meter hoch fliegen wir, die Scheinwerferstrahlen tasten das Gelände vor uns ab. Plötzlich huschen die ersten Sonnen strahlen wie Nordlicht über die Wol kenfetzen, tauchen das Land in mär chenhaft blaue Farbe. Pjotr schaltet die Beleuchtung aus, wir fliegen im Licht des Marstages. Dr. Artjom zeigt nach vorn. „Die Senke, gleich m u ß der Nebel zu sehen sein." Etwas links entdecken wir alle gleichzeitig die Riesenlinse des Nebels, machen uns gegenseitig darauf auf merksam. Unweit des Nebels setzen wir auf. Jeder beginnt die ihm zugewiesene Arbeit. Bald stehe ich mit Stepan Art jom an der Nebelgrenze. Nichts quirlt, keine Rauchschwaden, der Nebel prä sentiert sich als stilliegende grau blaue Masse. „Wir trennen uns hier, Sie gehen nach rechts, ich nach links. Stecken Sie die Fähnchen so dicht wie möglich am Nebel, Abstand anderthalb Meter. — Reichen die Fahnen?" Ich klopfe auf die Knietasche. „Acht zig hier und noch mal achtzig in der Rückentasche, mehr brauch ich nicht." „Richtig. — Los." Ich achte nicht auf die anderen Ge nossen, geh nur immer dicht an die sem Nebel entlang, zwei Schritte, bücken, Fähnchen stecken, aufrichten und wieder zwei Schritte, bücken, Fähnchen s t e c k e n . . . So gefährlich
sieht der Nebel nicht aus, eher wie in Großmutters Waschküche. Mal so die Hand reinstecken? Nichts gibt's, keine Spielerei! „Meine Kapseln sind gefüllt, Stepan, kann ich euch helfen?" höre ich Pjotr. Dr. Artjom antwortet: „Nimm dir ein Bündel Fähnchen und steck auf der Gegenseite ab, dicht am Nebel. Vor sicht walten lassen, Pjotr." Es dauert länger, als zuerst ange nommen. Schon zum zweitenmal muß ich durch eine Bodenspalte klettern, deren Abhänge moosbewachsen sind. Einmal gleite ich dabei aus, nur gut, daß die Spalten kaum tiefer als zwei Meter sind. In den Helmen ist Ruhe, die Genossen arbeiten schweigend. „Meldung von Dr. Suworow: Der Sturm hat die Rakete erreicht", ruft Mirek plötzlich. „Weitermachen", sagt Dr. Artjom. Kurze Pause im Lautsprecher, dann ist wieder Mireks Stimme da: „Ich sehe die Staubwolke, nicht mehr weit." Dr. Artjom: „Achtung, Arbeit ein stellen, sofort zum Helikopter." Ausgerechnet jetzt hänge ich wieder in einer Bodenspalte, ich will auf dem alten Weg zurück und rutsche immer wieder nach unten. „Heinz Lange fehlt noch", höre ich Pjotr. „Genosse Lange, wo bleiben Sie!" Dr. Artjom spricht ungeduldig. „Ich komme, ich bin nur in einer Bodensenke hängengeblieben." „Beeilen, Genosse Lange, beeilen!" Vor Erregung fasse ich unsicher und rutsche wieder ab. „Ich geh mal nachsehen", sagt Pjotr. „Sie bleiben." Das war Stepan. Plötzlich hör ich ein leises Fauchen, und es ist dunkel um mich, ich sehe keinen Boden, nichts. Mit Mühe zieh ich mich über die abgerundete Kante. Es bleibt dunkel. Ich bin im Nebel, bin dort, wo Wirth und Aronescu star ben. Vom Sturm ist nichts zu spüren. Wie komme ich hier raus? Hat sich der Nebel erweitert? Kaum. Der Wind treibt ihn vor sich her, bald steh ich wieder im Licht. 13
Ich warte, warte lange. Erst jetzt fällt mir die Funkstille im Helm auf. Richtig, die Verbindung mit Wirth und Aronescu brach auch ab. Hat der W i n d . . . ja, anders ist es nicht mög lich, der Sturm drückt das geschlos sene Nebelfeld aus seiner Kreisform, zieht es lang wie eine Seifenblase am Strohhalm. Die Fähnchenkette führt dann nach außen! Ich bin plötzlich recht aufge regt, bücke mich, taste den Boden ab. Am linken Stiefel fühle ich das zu letzt gesteckte Fähnchen, ich hatte es umgetreten. Ich lege mich, strecke mei nen Körper, dabei achte ich streng darauf, daß meine Füße am Fähnchen bleiben. Dann taste ich mit ausge streckten Händen den Boden ab. Nichts. Vorsichtig hebe ich den Ober körper, drücke mich nach rechts. Da bei berühre ich das nächste Fähnchen. Ich laß meine Hände an dieser Stelle, hocke mich, setze die Füße an das Fähnchen, wieder lege ich mich, wie der taste ich nach dem nächsten, dem dritten Fähnchen; mehrmals muß ich mich ein Stück zur Seite drehen, bis ich es finde. Ich bewege mich zu hastig, bin zu erregt. Nach dem sechsten Fähnchen muß ich eine kleine Pause einlegen. Wieder über lege ich. Hat der Nebel seinen alten Platz eingenommen? Dann müßten die Fähnchen jetzt seine Grenze sein, links von mir wäre Licht und Sonne! Und die Genossen, die Gewähr des Lebens. Zum sechtenmal setze ich die Füße an ein Markierungsfähnchen, dreh mich weit nach links, strecke den Körper. Es bleibt dunkel. Schon zieh ich den Fuß an, vorwärts zu kriechen, greife nach vorn. „Unsinn", sag ich zu mir und zieh mich zum Fähnchen zu rück. Die Kette der roten Wimpel ist die einzige Verbindung zu den Ge nossen. Weiter geht es, Fähnchen um Fähn chen. Beim elften richte ich mich auf, strecke mich, beuge den Rücken nach hinten. Nach der Helmuhr bin ich fast dreißig Minuten unterwegs. Unter wegs, das klingt wie ein freundlicher Spaziergang. 14
Ausstrecken, Fähnchen ertasten, Füße nachsetzen, wieder legen, aus strecken, Fähnchen ertasten — immer weiter, Meter um Meter. Ich habe die Fähnchen, aber was hatte Dr. Wirth? Eine Wimpelkette läßt sich mitunter schlechter trennen als ein Pertolseil. Was ist Aronescu in diesem Nebel begegnet? Vielleicht liegt er irgendwo ganz nah? Jetzt habe ich achtzehn Fähnchen geschafft, das sind sechsunddreißig Schritt, rund dreißig Meter. Plötzlich berühre ich eine Hand, lasse erschrocken los. Aber schon ist die Hand bei mir und noch eine. Es sind die Hände eines Freundes, eben so erregt wie meine. Wir tasten uns ab, ich rufe, schreie: „Bist du es, Pjotr? Hör doch!" Ruhe im Helm, kein Laut. Wir pressen die Helme aneinander. Jetzt höre ich ihn, deut lich sogar: „Ich bin's, Damaroff. Wie fühlst du dich, ist dir etwas gesche hen?" „Nichts, gar nichts." Wir umarmen uns, und ganz schwach erkenne ich dicht vor mir, n u r durch die Schutz gläser getrennt, das von den Helm armaturen beleuchtete Gesicht des Freundes. „Wir können über Direktleitung sprechen", sagt Pjotr. Er reicht mir ein Kabelende, das ich hastig an schließe. Sofort höre ich den Atem Pjotrs. „Verstehst du mich?" fragt er. Nach der langen Ruhe im Helm er schrecke ich vor der lauten Stimme. „Gut, sehr gut", antworte ich und lache befreit, es klingt wie Schluch zen. Pjotr klopft mir mehrmals auf die Schulter. „Noch ein paar Minuten, dann sind wir im Licht, Heinz. — Das Kabel geht aus dem Nebel, schalt Lei tung — Konferenz." Ich fasse an den äußeren Helmschalter, dreh ihn zwei Punkte nach rechts. „ . . . gefunden, es ist also alles in Ordnung, Genosse Su worow", hör ich Dr. Artjom einen Satz beenden. „Hier spricht Heinz Lange", melde ich mich. „Plötzlich war ich in dem Nebel, aber geschehen ist mir nichts." Dr. Artjoms Stimme wirkt beruhi
gend auf meine überreizten Nerven. „Können Sie sofort den Rückweg an treten?" „Ja", sagen Pjotr und ich zugleich, und Pjotr fragt: „Können wir am Kabel zurücklaufen, wenn ihr es strafft?" „Nein, nach Fähnchen. Und nehmt euch Zeit." Jetzt geht es leicht. Wir fassen uns an den Händen, einer bleibt beim Fähnchen stehen, der andere geht vor an und ertastet das nächste, zieht den Freund nach. Dabei können wir uns unterhalten. „Was ist mit dem Nebel?" frage ich. „Der Sturm hat seinen Kreis defor miert." „Und der Helikopter?" Ich zieh Pjotr nach.
„Wir lassen ihn gegen den Wind mahlen, er gleicht alle Böen aus." „Geschafft!" rufe ich, und Pjotr tritt nach mir aus der Nebelwand. Sofort ducken wir uns, und ich schließe un willkürlich die Augen vor den pras selnden Staubkörnchen. Sie peitschen gegen das Gesichtsglas, es klingt, als wenn zwei Haarsiebe aneinanderge rieben werden. Hinter uns Hegt der rätselhafte Nebel, buchtet sich stel lenweise unter dem Ansturm des Win des ein, bügelt sich aus — wie eine lebende Riesenzelle. „Komm zum Hubschrauber", mahnt Pjotr. Dort warten wir das Ende des Stur mes ab. Der Nebel beugt sich noch ein paarmal unter den schwächer wer-i denden Böen und nimmt dann seinQ 15
alte Form am alten Platz ein. Lang sam setzt sich der Staub, legt sich gelb auf das Moos, und wie vor zwei Stun den liegt die Riesenlinse des Nebels in der Senke. „Das grenzt an Übernatürliches", sagt Pjotr, als wir zur „Komsomol" starten. Unser erstes Mittagessen auf dem Mars. Bei der gestrigen Landung ist ein Behälter Gewürzgurken aufge gangen; zu jeder Mahlzeit liegen n u n Gurken, säuberlich zerschnitten, in der Gemüseschale. Konnte nicht lie ber eine Kiste Butterbirnen platzen? Während des Essens beraten wir die weitere Arbeit. Pjotr berichtet über die ersten Analysen der Nebelproben: „Genossen, ich bin nicht weitergekom men, diese Substanz ist mir so rätsel haft wie vordem, mit nichts Irdischem vergleichbar." „Sie wurde nirgends sonst auf dem Mars entdeckt?" frage ich. „Nirgends", antwortet Pjotr. Dr. Artjom schiebt den Teller zu rück. „Auf alle Fälle ist der Nebel ungefährlich für uns im Raumanzug, keine radioaktive Strahlung." „Und Dr. Wirth und Aronescu?" Si bylle blickt Stepan Artjom zweifelnd an. Der hebt die Schultern, antwortet nicht. „Rein in den Nebel müssen wir", bemerkt Mirek Hacan. Pjotr lächelt. „Du hast den Stein der Weisen gefunden, Mirek. Kannst du uns sagen, wie wir in den Nebel gehen? Am Pertolseil, das bei Wirth zerschnitten wurde?" Mirek ist keinesfalls verlegen. „Zwei gehen rein, Sprechverbindung wie heute über Kabel und eine Fähn chenkette wie bei Heinz." Dieser Vorschlag erscheint uns an fangs zu einfach, sieht zu sehr nach Handwerkelei aus. Aber die Methode hat sich heute vormittag bewährt, während ein Vorgehen mit einem Fahrzeug unmöglich ist. Durch die Absorbtion aller uns bekannten Strah lungen sind wir im Wagen faktisch blind. 16
Wir legen also fest, daß nach Mi reks Vorschlag am Nachmittag zwei Genossen in den Nebel gehen. Natür lich meldet sich jeder dazu. Dr. Art jom entscheidet: „Genosse Damaroff ist neben Heinz Lange mit den F u n k geräten am vertrautesten, er wird von außen die Sprechverbindung überwachen. Genosse Lange hat die meisten Erfahrungen im Nebel, wenn man das so nennen kann. Er wird mit Mirek Hacan den Nebel durchqueren. Sibylle, Sie bleiben diesmal am Heli kopter. Ich halte mich bei Pjotr auf. Sie, Genosse Suworow, übernehmen wieder Raketenwache." Dr. Suworow macht einen Flunsch wie ein sech zehnjähriger Junge, aber das hilft ihm nichts. Außer dem Expeditions leiter kann nur er die „Komsomol" sicher starten und landen. „Um vierzehn Uhr am Helikopter sein, die zwei Stunden bis dahin ruhen Sie bitte, am besten schlafen", ordnet Dr. Artjom an. Nun ist es soweit. Ein letztes Über prüfen der Sprechverbindung über Kabel, der Helmsicherung und der Luftregeneration. Wir haben uns ent schieden, ohne Fähnchenkette in den Nebel zu gehen. Bei einem Durchmes ser von achtzig Metern ist ein Ver irren ausgeschlossen. Sollte eine äußere Einwirkung das Kabel wie das Pertolseil zerschneiden, werden auch wir nicht unbeschadet bleiben, wäh rend die Genossen an dem liegenden Kabel notfalls zu Hilfe kommen könn ten. Was uns auch begegnet, es wird nichts Übernatürliches sein. Vorerst wollen wir nur wenige Schritte in den Nebel gehen und dann zurückkommen. „Fertig?" fragt Stepan Artjom. „In Ordnung. Wir gehen", antworte ich, fasse Mireks Hand und mache mutig den ersten Schritt in die Ne belwand. Ein kribbelndes Gefühl der Spannung kriecht über meine Haut. Trotz der Sprechverbindung nach außen fühle ich mich mit Mirek allein im Nebel. Wir fassen uns an den Hän den, tasten mit den Füßen den Boden
ab, bevor wir Schritt für Schritt fest auftreten. „Mir fällt etwas auf", sagt Mirek. "ich drücke seine Hand fester. „Was?" will ich wissen. „Die Moosdecke fehlt hier." Ich nicke, obwohl Mirek das nicht sehen kann. „Klar, das Licht fehlt." „Zwanzig Schritte, kehren wir um", meint Mirek. „Glück gehabt, wir hätten auch auf eine dieser Bodenspalten treffen kön nen." „Wenn du vorsichtig abtastest, kann gar nichts passieren." „Stimmt." Eine Weile ist nur der Atem zu hören. „Achtzehn", zählt Mirek laut. „Ja, noch zwei. Neunzehn — noch einen Schritt, dann sind wir draußen. So — hoppla, ist ja noch dunkel." Dr. Artjom teilt uns mit: „Sie sind ein wenig schräg gegangen, gleich sind Sie hier. Die Kabelspule zeigt noch drei Meter." Mit dem nächsten Schritt treten wir ins Licht, das uns für einen Moment blendet. „Wie ging es?" fragt Stepan Artjom. „Gut", antworten wir übereinstim mend. Pjotr hat den Strahlungsmesser in der Hand und wischt mit ihm über unsere Kombinationen. „Normal", sagt er. „Wir gehen jetzt quer durch, Ge nosse Artjom", bittet Mirek und sieht mich um Unterstützung heischend an. „Es ist wirklich ungefährlich", er gänze ich. „Ungefährlich ist es nicht, das wis sen Sie sehr gut", sagt der Expedi tionsleiter streng. „Dennoch — wir wagen es." „Bitte, vorsichtig sein", mahnt Si bylle Wirth, die ein Stück seitlich am Helikopter steht. Jetzt sind wir fünfundzwanzig Me ter im Nebel. Mirek Hacan geht einen Schritt voraus, ich folge ihm, das Ka bel fest in der Hand. Plötzlich bleibt er stehen. „Bemerken Sie etwas, Ge nosse Lange?" „Nichts", sage ich.
„Bei mir ist es heller, ich sehe meine Hand." „Moment, ich komme vor." „Seid vorsichtig", verlangt Stepan Artjom von draußen. Wirklich, hier ist es etwas heller. Neben mir sehe ich schattenhaft den Genossen. „Weiter?" frage ich. „Komm, faß mich an. Ich gehe einen Schritt allein." Nach diesem Schritt seh ich ihn noch immer. Dann steh ich neben ihm, und es ist fast hell um uns, wie im Londoner Nebel. „Sieh dir das an, Heinz", sagt Mi rek. Zwei Schritte vor uns ist eine steile, glänzende Wand. „Was habt ihr gefunden?" fragt Dr. Artjom. „Es ist hier fast hell", antworte ich, „zwei Schritte vor uns eine hellglän zende Wand, die auf dem Boden auf sitzt. Das obere Ende der Wand ver schwindet im Dunst." „Geht noch einen Schritt." Wir befolgen die Anordnung, treten fest auf, ohne Tasten mit den Füßen. Jetzt berichtet Mirek weiter: „Hellig keit ist geblieben, sonst alles wie eben." Ruhig wie immer gibt Dr. Artjom Anweisungen: „Markiert euren Stand punkt und wendet euch nach links. Die Wand nicht berühren. Strahlung ?" „Strahlung normal." Wir gehen die Wand entlang. „Sie beschreibt einen großen Bogen", sagt Mirek. Keine Naht, keine Bruchstel len, immer nur die glatte Wand, seit zwanzig Schritten oder mehr. Plötzlich bleiben wir gleichzeitig er schrocken stehen, blicken entsetzt vor uns auf den Boden. Hier liegt, im roten Skaphander irdischer Raumfah rer, ein Mensch. Wir sprechen kein Wort, fassen uns unwillkürlich an den Händen. Noch zwei Schritte machen wir, dann beugen wir uns über den Helm des Kosmonauten. Ich sehe die Leiche eines mir unbekannten Mannes. Sein Gesicht ist verzerrt, die rechte Hand hat sich um den Helmverschluß ge krallt. • 17
„Dr. Aronescu", flüstert Mirek. „Was ist?" fragt Dr. Artjom laut. Ich nicke Mirek zu, er möchte spre chen. „Wir haben die Leiche Arones cus gefunden." Ein kurzer, schriller Schrei gellt mir in den Ohren. Das ist Sibylle Wirth. ..Sauerstoffmangel", sagt Mirek noch, „das Regenerations gerät ist zerstört. Schrammen am Ska phander." „Könnt ihr ihn tragen?" „Es wird gehen." ..Ihr habt Zeit, bewegt euch vorsich tig." Wir richten uns auf, blicken auf die Wand und sind zum zweitenmal er schrocken. Vor uns steht einladend eine Tür offen, hinter der bläuliches Licht ist. „Eine Tür, Genosse Artjom!" rufe ich. „Nicht betreten! Kommen Sie zu rück, alles Weitere besprechen wir hier." Mirek faßt die Beine des Toten, ich dessen Oberarme. So muß ich rück wärts gehen. „Etwas mehr rechts halten", sagt Mirek. Er keucht vor Anstrengung. Wir setzen die unheimliche Last ab, holen tief Luft. „Noch zwölf Meter", teilt uns Si bylle mit. Ihre Stimme ist gläsern. Glas mit Sprung, registriere ich in Gedanken. Obwohl auf dem Mars alles nur 38 Prozent seines Erdengewichts hat, bringt mich das vorsichtige Auftreten und die Unsicherheit im Dunkeln unter der Last Aronescus doch der Erschöpfung nahe. Jeder Meter muß erkämpft werden, jeder Schritt erfor dert neue Willensanspannung. Dann sind wir plötzlich im Licht. Vor mir stehen Dr. Artjom und Si bylle Wirth. Sibylle zwingt sich zu ruhigem Sprechen. Heute haben wir die Leiche Aronescus gefunden, morgen oder übermorgen werden wir ihren Vater finden. Jetzt, beim Anblick des Toten, muß sie ihre letzten geheimen Hoff nungen aufgeben. „Keine äußeren Verwesungserschei nungen", sagt sie. 18
„Das macht der Skaphander", meint Mirek. Gemeinsam tragen wir den Toten in den Helikopter. In der Ferne glänzt silbern das Raumschiff, dem wir eilig zufliegen. Dr. Suworow erwartet uns in der Rakete. Wir bringen den Toten in einen der Lagerräume und treffen uns dann zur Beratung im Speise zimmer. Pjotr erscheint zuletzt und setzt sich an seinen Platz. Von der Stirnseite des Tisches blickt uns ernst und konzentriert der Expeditions leiter an. „Genossen, die neue Lage ist bekannt. Ich eröffne die Bera tung." Als erster spricht Mirek Hacan: „Nach rund fünfundzwanzig Metern kamen wir zu der glatten Wand. Wir gingen nach links etwa zwanzig Schritt und konnten feststellen, daß die abgeschrittene Wand einen Kreis bogen darstellt. Es ist anzunehmen, daß die Wand weiter diesen Bogen beschreibt, um sich an unserem Aus gangspunkt wieder zu treffen. Damit hätten wir ein rundes — ich möchte sagen: Gebäude von beiläufig dreißig Meter Durchmesser entdeckt, das sich im Kern des Nebels befindet. Die Leiche Aronescus lag neben einer ge öffneten Tür. Das Gebäude ist nicht irdischer Herkunft." Sibylle Wirth hat die Hände vor sich auf dem Tisch und preßt die Fin ger zu kleinen Fäusten. Nicht irdischer Herkunft! Diese Worte hallen in uns nach und wühlen eine Fülle von Gedanken und Gefüh len auf. Nicht irdischer Herkunft, das heißt, daß wir auf Spuren, auf das Werk denkender Wesen ferner Pla neten gestoßen sind. Mir ist plötzlich unser Sonnensystem zu klein, hier, in diesem Nebel, wird uns der Weg zu Welten gewiesen, die Lichtjahre entfernt sind. Nicht irdischer Herkunft — sind Wirth und Aronescu Opfer dieser Ge schöpfe, die ich mir menschenähnlich erträume? Das kann nicht sein! Wer zu fernen Welten fliegt, hat auf sei
nem Heimatplaneten eine Ordnung, die Mord und Grausamkeit aus schließt. „Ich habe die Leiche oberflächlich untersucht", berichtet Pjotr, „Aro nescu hat das Rückgrat gebrochen. Er war nicht sofort tot, sondern ist kurz danach erstickt, weil der Sauer stoffregenerator zerschlagen war." Wir schweigen, jeder überlegt für sich unser weiteres Vorgehen. Nach einer Weile sagt Dr. Artjom: „Wir werden morgen einen weiteren Vor stoß in den Nebel wagen, gleiche Ar beitsaufteilung. Vorerst wird die Sta tion nicht betreten, sondern nur de ren Eingang beobachtet." Wir erheben uns, gehen schweigend in unsere Kabinen. Ich habe mich mit einem Bad er frischt und bin gerade beim Anzie hen, da bittet mich Dr. Artjom zu sich. Schnell streif ich.die Jacke über, zieh die Schuhe an und geh zu ihm. Als ich eintrete, wirft er rasch einige Zeilen auf ein Blatt Papier und reicht es mir. „Versuchen Sie, Verbindung mit der Erde aufzunehmen. Diese Meldung ist durchzugeben." Mecha nisch nicke ich und gehe in den Funk raum. Auf dem Wege dorthin lese ich den Zettel. „Im Kern des Nebels künstliches Gebäude nicht irdischer Herkunft entdeckt. Dr. Aronescu vor geöffneter Tür mit Rückgratverlet zung tot gefunden. Ab morgen Be obachtung der Station. — Artjom." Unter größten Schwierigkeiten, ge hindert durch starke atmosphärische Störungen, bekomme ich Verbindung zur Außenstation. Der Bildschirm bleibt ein Funkenchaos, eine Männer stimme bestätigt den Empfang meiner Meldung. Nicht mal Susann gespro chen, denke ich enttäuscht. Funkelnde Nordlichtstrahlen begin nen den Morgen, die Sonne sieht uns schon am Nebel. Es herrscht eine gespannte Stim mung, die an den Nerven zerrt. Ich hoffe auf ein paar aufheiternde Worte Pjotrs, mit denen er uns oft ins Gleichgewicht rückt, aber auch er
blickt verbissen vor sich hin. Später, viel später, als ich mit Mirek schon vor der Nebelwand stehe, sagt er: „Solltet ihr jemand begegnen, ver geßt nicht höflich und zuvorkommend zu sein, ihr repräsentiert unser Son nensystem." Und als wir nicht sofort antworten, sagt er wütend: „Ist doch wahr! Aus wer weiß was für einem Sonnensystem haben Brüder eine Brücke zu uns geschlagen, " die wir jetzt, heute betreten, und dabei gehen wir verstimmt ran, als sei es etwas Schreckliches." Plötzlich schreit er: „Das ist ein alter Traum der Mensch heit, den wir verwirklichen helfen, versteht ihr das?" „Brauchst nicht zu schreien", brumme ich, „ich begreif es auch so." Wenn es auch nicht sehr geschickt von Pjotr war, aber dieser Ausbruch hat uns gefehlt, wir sind jetzt irgend wie glücklich, stolz. „Alles klar?" fragt Stepan Artjom, und an seinem Tonfall merke ich, daß er lächelt. „Alles klar", gebe ich zurück. „Dann los — und viel Glück, J u n gens." Uns alle verbindet plötzlich eine Herzlichkeit, die das Verhältnis der gegenseitigen Achtung zu einer festen Freundschaft hebt. Wir gehen ohne Angst in den Nebel. Die fremden Wesen, eine freie und glückliche Gemeinschaft wie wir, kön nen nur als Freunde aus dem Weltall kommen. Aronescu und Wirth — das waren Unglücksfälle. „Hier muß doch die Tür sein, Heinz." Mirek sieht mich ratlos an. , „Versteh ich auch nicht. — Bleib hier stehen, ich geh näher." Ich laufe ein paar Schritte dicht an der Wand lang, bis ich die Tür finde — sie ist zu. „Bleiben Sie in der Nähe der Tür stehen", fordert Dr. Artjom. „Wir stehen — und nun?" „Warten", kommt es von draußen. „Worauf?" „Daß sich die Tür öffnet." Mirek und ich sehen uns an. Nur warten? Das kann ja lustig werden! „Ich warte allein und Mirek umgeht die Station", schlage ich vor. 19
i( Nein, Sie bleiben zusammen." Nach zehn Minuten hat sich noch nichts getan. „Genosse Lange, spielen Sie Schach?" fragt Dr. Artjom plötzlich. „So leidlich", entgegne ich, erstaunt über die Frage, die doch mit unserer Arbeit nichts zu tun hat. „Richtig. Mirek spielt auch. Sie ha ben Weiß, notieren Sie sich Ihren Fi gurenstand." „Warum das?" „Damit Ihnen die Zeit nicht lang wird. Gestern war die Tür offen, jetzt ist sie zu, folglich wird sie sich irgend wann wieder öffnen. Bis dahin spielen Sie Schach." Wie zwei Haremswächter sitzen wir vor der Tür und spielen Schach. Ich skizziere mir die vierundsechzig Fel der, weil es mir zu schwerfällt, nach Notierungen zu spielen. „Turm D drei", sagt Mirek gerade, da öffnet sich die Tür. Wir springen auf, starren in die Öffnung. — Nichts zu sehen, nur das bläuliche Licht in dem kleinen Raum. Im Hintergrund scheint eine zweite Tür zu sein, ver schlossen. „Die Tür ist offen?" will Dr. Artjom wissen. Mirek berichtet von dem leeren Raum und der vermutlichen zweiten Tür. „Nicht betreten, warten." „Worauf diesmal?" „Daß sich die Tür wieder schließt. Wir haben Zeit, viel Zeit. Entweder die Station ist bewohnt, was ich nicht glaube, dann zeigen sich früher oder später die — die Bewohner, oder sie ist nicht bewohnt, und die Tür öffnet und schließt sich in bestimmten Ab ständen. Wenn wir den Rhythmus kennen, ist ein Betreten der Luft schleuse, um eine solche handelt es sich offenbar, weniger gefahrvoll. — Spielen Sie Schach und achten Sie auf die Tür!" Mirek setzt mich schon zum zweiten mal matt. Dr. Artjom gibt eine schwie rige Stellung. Das Schachspiel lenkt nur wenig ab, unsere Nerven sind ge spannt, jeden Moment erwarten wir
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eine Gestalt in der Tür. Da — genau nach sechzig Minuten schließt sich die Tür. Wir melden es sofort Dr. Artjom. „Halten Sie noch eine Stunde aus?" will er wissen. „Natürlich, auch einige mehr, wenn es sein muß." „Gut Mirek, Sie haben Weiß. König B zwei, Turm B e i n s . . . " ** Wir werden jetzt wirklich ruhiger, die Nervosität legt sich. Unsere Spiele währen nicht allzulange, Stepan Art jom nennt uns n u r Endspielstellungen. Diesmal habe ich Mirek matt setzen können, das beruhigt ungemein. Nach genau einer Stunde öffnet sich die Tür. „Genosse Damaroff, ich möchte dich allein sprechen", sagt Dr. Artjom da nach. Das ist ungewöhnlich, aber not wendig, wenn es unser Expeditions leiter tut. Es knackt im Helm, Pjotr hat auf zweiseitige Verbindung ge schaltet. Kurz darauf ruft uns Dr. Art jom aus dem Nebel. Der Weg durch das Dunkel hat alles Schreckliche ver loren, zum viertenmal gehen wir die gleiche Strecke. „Stärken Sie sich, ruhen Sie ein paar Minuten aus, wir kommen am Vormittag nicht mehr zur .Komsomol' zurück", sagt Stepan Artjom. Nacheinander betreten wir den He likopter, Sibylle, die hier wartete, hilft jedem aus dem Helm. Pjotr gibt uns Kaffee, ich trinke das heiße Getränk in kleinen Schlucken und esse ein paar Butterkekse. Dr. Artjom schreibt große Buchsta ben auf einen großen Papierbogen. Ich bemühe mich nicht, es zu lesen. Er faltet den Bogen zusammen und steckt ihn ohne ein Wort zu sagen in die Knietasche. „Fertigmachen!" heißt es jetzt. Und: „Ich begleite Sie diesmal." Sibylle mahnt uns noch einmal zur Vorsicht, nimmt mich beiseite und fragt leise: „Gibt es keine Fußspuren an der Tür?" Ich schüttle den Kopf. „Keine, Sibylle. Das hat aber wenig zu besagen, auch unsere eigenen sind dort nicht zu sehen." Während ich zu meinem Helm greife, bittet sie flü
sternd: „Achten Sie auf Stepan Art jom, Heinz, bitte." „Sie lieben ihn?" frage ich. „Wie sollte ich ihn nicht lieben", sagt sie einfach, stülpt mir den Helm über und sichert ihn — eilig, damit ich nicht weiterfragen kann. Wieder bewundere ich diese Frau, die so zierlich aussieht und so stark ist. Niemand merkt ihr an, wie es sie quält, den geliebten Freund dorthin gehen zu sehen, von wo schon der Va ter nicht zurückkam. „Komm, Heinz", drängt Mirek und steigt in die Schleuse, die nach Pjotr Grün gibt. „Keine Angst, Sibylle", sage ich und drücke ihre Hand. Sie hört mich nur schwach aus meinem Helm. „Es geht alles gut, alles." Dann wende ich mich zur Schleuse. Dr. Artjom bewegt sich nicht weni ger sicher im Nebel als Mirek und ich. Wir haben uns an den Händen gefaßt, bilden so eine Kette, deren erstes Glied ich darstelle. Dr. Artjom haben wir in die Mitte genommen. Wir schreiten schnell aus, sind gleich am Ziel. Die Tür steht offen. „Hier lag Aronescu", Mirek zeigt dem Expeditionsleiter die Stelle. Der sieht sie sich genau an. Nach einem Blick auf die Uhr richtet er sich auf. „Gleich . . . " Aber da schließt sich die Tür schon, wieder nach 60 Minuten. Dr. Artjom gibt ein zufriedenes Brum men von sich. Mirek und ich fühlen uns ein wenig stolz, ihm unsere Tür vorführen zu können. „Setzen wir uns, Freunde." „Schach mit Berater?" fragt Mirek. Dr. Artjom schüttelt den Kopf. „Sie gaben vorhin durch, daß die Tür sich schnell schließt, wie schnell?" Mirek und ich sehen uns an. „Diese Tür", sagt Mirek langsam, „kann einen Menschen einklemmen, der dazwischen gerät, aber kein Rück grat brechen." Damit steht wieder völlig offen, wie Aronescu ums Leben kam. „Er kann abgestürzt sein", denke ich laut.
„Richtig. — Auch das werden wir noch erfahren." Pjotr nimmt an unserem Gespräch teil: „Die Schrammen am Skaphander weisen auch auf einen Absturz. Zu dumm, daß ich eure Tür nicht sehe." Im Gespräch vergeht die nächste Stunde, pünktlich öffnet sich die Tür. Nach einem Blick in die leere Kam mer frage ich: „Einsteigen?" „Nein, noch einen Wechsel, dann laß ich Sie rein." Hofft Dr. Artjom auf eine Begeg nung mit den Fremden? Alles deutet darauf hin, daß die Station unbewohnt ist, er aber — geht an die Tür, faltet den Bogen Papier auseinander, den er vorhin beschrieb, und wirft ihn in den Raum. Langsam flattert das Blatt zu Boden, liegt als auffällig heller Fleck dicht an der hinteren Wand. Weder Mirek noch ich machen eine Bemer kung dazu. „Ihr seid so still, ist etwas gesche hen?" fragt Sibylle vom Helikopter. Ich beruhige sie: „Nichts von Be lang, die Tür hat sich pünktlich ge öffnet. Und Dr. Artjom zwingt uns wieder einmal zur Besonnenheit, auch das ist nichts Besonderes." Die Tür hat sich längst geschlossen, und wir erwarten in dieser Minute ihr erneutes öffnen. Mirek und ich werden endlich einsteigen können. Jetzt schnellt die Tür auf. Ich gehe einen Schritt darauf zu — plötzlich bleibe ich erschrocken stehen. In der Kammer steht eine Gestalt, ein Mensch im roten Raumanzug, in einer Hand Dr. Artjoms Zettel. Er wankt leicht, macht einen Schritt zur Tür — da ist Dr. Artjom mit einem Sprung an der Öffnung, stützt den Mann. Der öffnet den Mund, spricht — wir hören ihn nicht, haben nur Kabelverbindung. Mit Mühe deutet er auf seinen Ener giespeicher. Ich höre das Atmen aller Genossen im Helm grausam deutlich. Endlich bricht Stepan Artjom das entsetzliche Schweigen: „Mirek, einen Energiestab, schnell." Mirek reißt seine Reserve tasche auf, reicht den Stab in die aus gestreckte Hand. 21
„Was ist, Heinz, sprecht", verlangt Sibylle schon zum zweitenmal. „Es ist jemand in der Kammer", antworte ich gepreßt. „Wer? Stepan?" „Nein, keiner von uns, ein Fremder." „Wer, Heinz, wer! Sieh hin, das ist doch Vater, muß doch Vater sein!" Erst jetzt kommt es mir zu Bewußt sein, daß hier Dr. Wirth steht, nie mand anders als Dr. Wirth. „Es ist alles gut, Sibylle, dein Vater ist gesund", sagt Dr. Artjom, und ich merke ihm keinerlei Erregung an. Unterdessen haben die Männer den Energiestab gewechselt, Dr. Wirth läßt sich von Stepan und Mirek aus der Kammer führen. „Zum Helikopter, Heinz, du gehst voran." Ich komme nicht mehr dazu, mir den Mann anzusehen. Von Sibylle ist für ein Weilchen alle Beherrschung abgeglitten. „Sprich doch, Vater, sag doch etwas. Stepan, ist Vater wirklich wohlauf? Warum spricht er nicht?" Plötzlich ist eine fremde Stimme im Helm, erregt und schwach: „Ich hab so lange gewartet, Stepan. Jetzt..." „Vater, hörst du mich?" „Sibylle! Stepan, wo ist sie? Sibylle ist hier." „Draußen vor dem Nebel. Komm, Rolf." Stepan oder Mirek hatte Dr. Wirth mit an das Sprechkabel ge schlossen. Im Helikopter umarmen sich Si bylle und Dr. Wirth immer wieder. Sie sehen beide schrecklich aus, sie bleich wie Phobos und er grau im Gesicht, mit struppigem Bart- und Kopfhaar, das nur notdürftig mit der Schere oder dem Messer gestutzt wurde. Im Raumschiff schickt mich Dr. Art jom sofort in die Funkzentrale; ich soll möglichst die Außenstation errei chen und von den heutigen Ereignis sen Mitteilung machen. Wider Erwarten ist die Verbindung besser als gestern. Zwar bekomme ich kein klares Bild, aber ich spreche mit Susann. 22
„Außenstation empfängt, kommen.' Das hat sie vor zwölf Minuten gesagt, jetzt erst sind die Funkwellen bei mir. „Wir haben Dr. Wirth lebend ge funden. Ausführliche Meldung mor gen. Marsexpedition empfängt, kom men." Im Speiseraum versammeln sich die Freunde, und ich muß hier auf Emp fangsbestätigung warten. Fehlt nur noch, daß Dr. Wirth schon berichtet. Vierundzwanzig Minuten, wie lang die sein können. Endlich, endlich die Stimme Susanns. „Meldung Rettung Dr. Wirth verstanden. Ende." Ich will gerade abschalten, da kommt es aus dem Äther: „Adieu, Heinz." Wir sitzen im Speiseraum, warten. Dr. Artjom ist noch mit Sibylles Vater bei Pjotr im Arztraum. Wir sprechen nicht, blicken nur oft auf die Uhr, besonders Sibylle scheint nervös. Endlich kommen die drei Männer. Dr. Wirth geht in der Mitte, frisch rasiert, mit kurzem Haarschnitt. Noch immer ist er bleich, fast grau von den Monaten ohne Sonnenlicht. Von der langen, geraden Nase fallen wie zwei schwarze Schatten tiefe Falten zu den Mundwinkeln. Pjotr hat sich die Erlaubnis einge holt, eine Flasche Wein zu öffnen. Er stellt Gläser auf den Tisch. Sibylle hat sich neben den Vater ge stellt und reibt ihr Gesicht an seiner Schulter. Irgend jemand hat Gebäck in die Obstschale gelegt. Wir setzen uns. Die Stirnseite unse res Tisches, wo sonst Dr. Artjom sitzt, ist nicht breit. Aber Sibylle findet trotzdem Platz neben ihrem Vater, läßt seine Hand nicht los. Unsere Neugier auf die Erlebnisse des Meteorologen ist im Moment gänz lich verschwunden. Wir fühlen nur das wunderbare Glück dieser Stunde. Seit dem Eintritt der Männer hat keiner gesprochen, niemand will die festliche Atmosphäre stören. Dann steht Dr. Artjom auf, hebt sein Glas, daß es im Licht funkelt. „Laßt uns auf das Leben trinken, auf das Glück." Wir nippen vom Wein. Allmählich kommt unser Wissens
drang wieder durch. Mirek Hacan, der oft von vernunftbegabten Wesen anderer Welten träumt, kann seine Ungeduld am wenigsten zähmen. Nachdem er sich am ungewohnten Wein verschluckt hat und ich ihm mehrmals zwischen die Schulterblät ter geschlagen habe, fragt er: „Ge nosse Wirth, bitte sagen Sie uns gleich etwas im voraus: Ist Ihre Rettung denkenden Wesen zu verdanken?" „Indirekt ja, aber auch mein Ver schwinden." „Wie sehen sie aus?" will Mirek wissen. „Sie sind . . . " haarlos am ganzen Körper", unterbricht Pjotr. Er grient schon wie der. Rolf Wirth nickt erstaunt. „Stimmt, aber woher wissen Sie das?" „Sie hätten sonst einen Rasierappa rat auftreiben können. Ihre Tochter wäre weniger erschrocken."
Lachen, das erste Lachen, in das Dr. Wirth fröhlich einstimmt. „Was war eigentlich mit dem Zet tel?" frage ich. Dr. Wirth zieht den Bogen aus der Brusttasche, legt ihn für alle sichtbar auf den Tisch. Ich lese: „Siebente Marsexpedition er wartet Sie — Stepan Artjom." Bevor wir Fragen stellen können, erklärt der Expeditionsleiter: „Das erste öffnen nach genau sechzig Minuten konnte Zufall sein, beim Schließen der Tür nach genau sechzig Minuten aber stand für mich fest: Hier hat ein Mensch die Hand im Spiel. Aronescu ist tot, bleibt nur Dr. Wirth. Die Zeit einteilung in vierundzwanzig Stunden, die Stunde mit je sechzig Minuten, entspricht der Rotationsdauer unseres Planeten, trifft also nur für uns zu. Ein solcher Zufall, daß Bewohner an derer Planeten die gleiche Zeiteintei lung haben, war unwahrscheinlich." Pjotr ergänzt: „Deshalb sprach Ste 23
pan auch mit mir darüber allein. Wir wollten nicht unnötig Hoffnung ma chen" — ein Seitenblick zu Sibylle —, „Dr. Wirth hat den Mechanismus zwar so eingestellt, konnte aber längst auch tot sein." Stepan trinkt sein Glas aus, schiebt es zurück. „Das Wesentlichste bei der Nebel untersuchung wird uns nun erspart bleiben, du hast in den elf Monaten sicher gründlich gearbeitet. Wie ist es, Rolf, fühlst du dich in der Lage, schon jetzt einiges zu berichten, oder warten wir besser bis morgen?" Der Meteorologe streicht sich über das frischrasierte Kinn. Dann faßt er die Hand seiner Tochter, mit der ande ren dreht er sein Glas zwischen den Fingern, schaut dem Lichtspiel im Wein zu. Erst langsam, dann fließend beginnt er zu erzählen. Hier ist er, der B e r i c h t d e s Dr. W i r t h Sie wissen, Aronescu kam aus dem unheimlichen Nebel nicht zurück. Ich ging ihn suchen, Stepan mahnte mich zur größten Vorsicht, ich sollte be sonders auf den Boden achten, durfte nicht länger als zehn Minuten bleiben. In fünfzehn Minuten mußten wir zur Rakete zurück, unwiderruflich. Nach dem ersten Schritt im Nebel brach die Sprechverbindung mit den Genossen ab. Das war nach dem Er eignis mit Aronescu zu erwarten. Jetzt war ich an der gleichen Stelle, an der vor wenigen Minuten Dimitri stand. Ich war etwas erregt, mehr vielleicht, als ich mir gestehen wollte. Ich blickte auf die winzige Helmuhr, im dunklen Nebel hatte sich die Armaturenbeleuchtung eingeschaltet. Neun Minuten hatte ich noch Zeit, das war wenig, sehr wenig. Mit dem Fuß tastete ich den Boden ab, bevor ich auftrat, bei jedem Schritt fühlte ich den geringen Widerstand der Seiltrommel. Jetzt ertastete mein Fuß einen Rand, steinig und glatt. Erst dabei fiel mir auf, daß im Nebel die verfilzte Moos decke fehlte, die in diesem Landstrich 24
selbst die felsigen Stellen überzieht. Ich kniete nieder, fühlte den Rand eines Bodenspalts, von dem ich nicht wußte, wie tief er ist. Einige Steine rollten unter meinen Händen weg, fielen dann scheinbar lautlos in den Spalt. Wir umgehen Hindernisse jeglicher Art prinzipiell links, Aronescu mußte also wie ich bis hierher gekommen und dann nach links gegangen sein. Noch sieben Minuten durfte ich im Nebel bleiben. Beim nächsten Schritt fühlte ich wieder das straffe Seil, ich entfernte mich also weiter von den Genossen. Der Spalt war nach weni gen Schritten zu Ende. Von hier aus konnte ich wieder in jede Richtung gehen, zumindest den nächsten Schritt. Noch fünf Minuten Zeit. Ich war etwa zwanzig Meter im Nebel, bei äußerster Vorsicht ein Rückweg von höchstens vier Minuten. Eine Mi nute mußte ich noch suchen, unbe dingt. Möglich, daß Dimitri Aronescu schon bei Stepan war, aber damit durfte ich jetzt nicht rechnen. Eilig und dennoch vorsichtig be wegte ich mich weiter in dem milchi gen Dunst, am Rücken wieder das leichte Ziehen des Seils, an dessen Trommel Stepan und Pjotr warteten. Unwillkürlich faßte ich nach hinten an die Pertolschnur und fühlte mich so mit den Genossen verbunden. Mit dem nächsten Schritt wurde der Nebel etwas heller, dann sah ich w e nige Meter vor mir eine Wand, hell glänzend und glatt. Sofort dachte ich: Das ist kein natürliches Gebilde. Und: Hier hat Aronescu die Zeit vergessen. Jetzt stand ich an der Wand, vier Minuten, bevor ich bei Stepan sein mußte. Das letzte Wegstück war rela tiv ungefährlich, deshalb zog ich noch dreißig Sekunden vom Rückweg ab. Noch ein Schritt — ich blieb erschrok ken stehen. Vor mir war eine manns hohe Öffnung. Hinter der offenen Tür war es dun kel. Sollte ich den Raum betreten? Dimitri Aronescu war vielleicht dort drinnen, brauchte Hilfe. Sicher war: Kehrte ich jetzt ohne ihn zurück.
blieb keine Zeit, ihn zu holen, mußten wir ohne ihn starten. Folglich m u ß t e ich durch die Tür. Mit die sem Schritt in den unbekannten Raum begann meine Robinsonade. Plötzlich war helles, blaues Licht um mich, das von Leuchtstreifen an der Wand ge spendet wurde. Ich fühlte einen har ten Ruck am Pertolseil, der mich fast umriß. In rascher Abwehrbewegung drehte ich mich um, blieb entsetzt stehen. Die Tür war geschlossen! Eine Falle? Aber wer sollte den Men schen eine Falle stellen, und warum? Da lag das Seil, das mich mit den Ge nossen verband, verbunden hatte. Die Tür hatte es glatt durchschnitten! Wo war Dimitri? Als ich über die Schulter blickte, sah ich hinter mir eine zweite Tür, die gerade in die Wand glitt. Ähnlich funktionieren die Luftschleusen unserer Raumschiffe, dachte ich, hier, in diesem Raum muß Dimitri sein. Mit schnellen Schritten eilte ich durch den Gang, suchte nach Abzweigungen. Noch war es zu schaf fen, zweieinhalb Minuten blieben noch. Rechts ein Seitengang — nein, es war eine Innentür, dahinter ein klei ner Raum mit unbekannten Geräten. Von Aronescu keine Spur. Noch ein Raum, etwas größer als der vorige, mit Möbeln, die anheime lig trotz ihrer Fremdheit wirkten. Aber auch hier war Genosse Aronescu nicht. Jetzt war es Zeit, ich mußte ohne Dimitri aus dem Nebel. Ich rannte mit riesigen Dreimeter sprüngen zur Schleuse, blieb an der Außentür stehen, wartete. Beide Tü ren blieben in ihren Stellungen: die innere offen, die äußere geschlossen. Noch einen Augenblick wartete ich, bewegungslos wie die Türen. Ruhig bleiben, sagte ich mir, ruhig. Ich drückte mit der Schulter gegen die Außentür. Vergeblich. Und meine Zeit war abgelaufen, um drei Minuten schon überschritten. Stepan wartete, ich war dessen sicher. In dieser Mi nute würde ich den erstbesten sicht baren Knopf gedrückt haben, den ersten sichtbaren Hebel hätte ich um
gelegt. Aber die Wände waren glatt, keine Vertiefung, kein Schalter. Le diglich links der Tür schien sich ein tellergroßer Kreis abzuzeichnen. Ich überlegte: Der Mechanismus einer Schleuse, auch wenn ihn Intel ligenzwesen ferner Planeten konstru iert haben, ist nicht komplizierter als notwendig. Wenn dieser Kreis der Schalter war, wie mußte ich auf ihn einwirken, wie h a t t e ich vorhin auf ihn eingewirkt? Der Scheinwerfer! Als ich die Schleuse betrat, hatte ich ihn aufleuchten lassen. Nach kurzem Überlegen richtete ich den Lichtstrahl auf den Kreis und trat zurück. Wirklich, blitzschnell schloß sich die Tür hinter mir, und gleich darauf öffnete sich die Außen tür. Ich konnte hinaus. Ein Blick auf die Uhr: Elf Uhr dreißig Erdzeit — vor sieben Minuten war die „Komsomol" gestartet. Ich war allein, allein, wie noch nie zuvor ein Mensch war. Für die Ge nossen stand fest, daß ich in dem rätselhaften Nebel umkam. Und Aro nescu? War Aronescu in der Station? Nach meinen Erfahrungen mit der Schleuse konnte ich das nicht glauben. Wenn Aronescu — Schluß mit diesen Gedanken, befahl ich mir, ich bin allein, also muß ich allein l e b e n . Was brauchte ich zum Leben? Sauerstoff, vor allem Sauerstoff. Ich hatte noch für r u n d zwanzig Stunden Energie zur Regeneration der Atem luft und zur Skaphanderheizung. In diesen zwanzig Stunden mußte ich eine Lösung finden. Hierfür gab es nur zwei Möglichkeiten, entweder die Erbauer dieser Station atmeten Sauerstoff und ich lernte ihre Rege nerationsgeräte bedienen, oder ich fand genügend Energiespeicher und Nahrungsmittel im Helikopter. So lief ich zum Helikopter, der sieben Kilometer vom Nebel entfernt stand. Wieder tauchte ich in den Ne bel, zaghaft und vorsichtiger als eine halbe Stunde zuvor. Ich will mich hier etwas kürzer fas sen. Der Helikopter lag auf die Seite geworfen mit gebrochenen Luftschrau 25
ben im Sand. In einem Funkgerät war ein Energiespeicher erhalten ge blieben, allerdings gebraucht. Er konnte eine Skaphanderbeschaltung für fünf Stunden geben. Nun stand fest: Die Station der Fremden mußte mich retten, mir die Lebensmöglichkeit bis zur Ankunft der nächsten Forschungsexpedition geben. Zum drittenmal durchquerte ich den Nebel. Als hätte ich es nie anders ge kannt, leuchtete ich beim Betreten der Schleuse die Innentür an. Das blaue Licht erhellte wieder den Raum, die Außentür schloß sich, und bald darauf gab die Schleuse den Weg zum Gang frei. Das Wie der Luftregeneration konnte ich spater untersuchen, jetzt inter essierte mich nur deren Resultat, ich wünschte sehnlichst eine Bestätigung der These einiger Wissenschaftler, wo nach höherentwickeltes Leben überall im Weltall auf der Grundlage der Sauerstoffatmung existiert. Hoffentlich funktionierte der Luft prüfer des Helikopters noch, ich hatte ihn ausgebaut und mitgenom men. Er funktionierte. 62 Prozent Sauer stoff — wunderbar. 26 Prozent Stick stoff. Somit schien das Gemisch atem bar. Also den Helm ab. In tiefen Zügen atmete ich die Luft, deren Zusammensetzung fremde We sen bestimmt hatten. Bei jedem Atemzug lauschte ich in mich hinein, wartete auf eine Reaktion meines Körpers. Zehn Minuten wohl stand ich so und atmete. Dann erwachte in mir die wissenschaftliche Neugier. Welchem Zweck mochte die Station dienen, w a r u m war sie verlassen? Unüberhörbar knurrte mein Magen. Ich mußte für Nahrung sorgen. Sehr bald sah ich in einem Raum eine Anzahl tellergroßer, durchsich tiger Behälter, die unterschiedlich ge füllt waren. Die meisten enthielten eine gepreßte gelbliche Frucht, wäh rend die anderen braunen oder blauen Staub enthielten, möglicherweise eine 26
Art Mehl. Die gelbliche Frucht konnte durchaus giftig sein. Aber auch hier blieb keine Wahl. Ich schnitt einen der Behälter auf, augenblicklich stieg mir ein würziger Geruch in die Nase, wie ein Gemisch von Apfelsine und Sauerkraut. Leicht ließ sich ein Stück dieser Masse abbrechen, klebriger Saft tropfte zwischen meinen Fingern auf den Boden. Vorsichtig stippte ich die Zunge an den Zeigefinger. Es schmeckte wirklich wie Eintopf von Apfelsine und Sauerkraut. Mir lief der Speichel im Mund zusammen, der Magen verlangte gebieterisch Arbeit, also biß ich herzhaft in die gelbe Frucht. Diese Nahrung ist mir gut bekom men, sie stillte Durst und Hunger, elf Monate lang. An den anderen Beuteln wollte ich mich nicht vergreifen, d i e s e Sorte bekam mir, alles andere war ungewiß. Aus der einseitigen Er nährung ist auch meine derzeitige Schwäche zu erklären. Ich hob den Helm auf und blickte auf das kleine Chronometer. Vierund zwanzig Uhr. Seit mehr als zwölf Stunden war ich allein auf dem Mars. In dieser Zeit hatte ich ein bedeu tungsvolles Tagewerk vollbracht: Ich hatte meine Existenz gesichert. Von der Fruchtmasse war ausreichend vor handen — die Luftregeneration hing vorerst noch nicht von mir ab. Jetzt war ich rechtschaffen müde. Ich ließ mich gleich hier am Boden nieder, konnte lange nicht einschlafen. Ich dachte an die Genossen im Raum schiff, bald aber grübelte ich darüber nach, wie ich die nächsten Monate überleben könnte; denn ich war sicher: In neun Monaten würde man eine neue Expedition starten, so ge ring die Aussichten, Aronescu und mich lebend zu finden, auch sein mochten. Vom nächsten Tag an untersuchte ich systematisch die Station. Ich konzentrierte meine Aufmerk samkeit auf den großen Mittelraum, der mir die Zentrale zu sein schien. Darauf deutete allerdings nur die ge wölbte Seitenwand hin, die, matt
glänzend, einem großen Bildschirm glich. Irgendwie mußte der Bild schirm, mußte die gesamte Station zu bedienen sein. Ich dachte schon an Auftraggebung mittels Bioströmen über den einsamen Sessel vor der Bildwand, probierte alle möglichen Sitzstellungen, aber die Scheibe leuch tete nicht auf. Nach meinem primitiven Kalender, für dessen Exaktheit ich bürge, war ich schon acht Wochen allein. Noch immer zeigte sich kein Fortschritt in meiner Arbeit, der kahle Zentralraum schien höhnisch auf mich herabzu blicken. In den sieben Zimmern sah es nicht viel anders aus, nur die Beu tel in meinem „Speisezimmer" und die Möbel im letzten Raum vor der Schleuse erinnerten an die Erbauer dieser Station. Mich beschlich grausam das Ge fühl der Verlassenheit, ich begann zu zweifeln, an einem Sinn meines Le bens, an der Rückkehr der Genossen, die glatten Wände und das blaue Licht wollten mich erdrücken. Ich kämpfte gegen dieses Gefühl an, sprach in meinem Speisezimmer mit mir selbst, um eine menschliche Stimme zu hö ren, aber ich kam nicht an gegen die Verzweiflung, die sich immer tiefer in mich hineinfraß. Ich wollte endlich wieder Licht sehen, das Licht unserer Sonne, und Sterne am Himmel, die Erde. Eines Tages überprüfte ich meinen Kalender und rechnete aus, daß drau ßen der Morgen anbrechen mußte. Ich überlegte nicht lange, kontrollierte meinen Skaphander und ging den fast vergessenen Weg zur Luftschleuse. Nun schien mir die Station wirklich eine Falle. Sie gab keines ihrer Ge heimnisse preis, nur die Luftschleuse ließ sie mich bedienen. Ließ sie es noch? Sie ließ es noch. Ich ging nach links, um möglichst den alten Weg durch den Nebel zu nehmen. Nach wenigen Minuten sah ich die Sterne über mir, ich hatte den Nebel hinter mir gelas sen. Eine plötzliche Schwäche ließ mich in die Knie fallen, taumelnd er
hob ich mich, suchte die Erde am dunklen Himmel. Wolkendunst ver deckte die südliche Sphäre, verdeckte mir den Blick zu m e i n e m Heimatpla neten. Dennoch wich das Gefühl der Einsamkeit, ich tastete mit bloßen Händen die Moosdecke ab. Es gab noch Leben außer mir. Aus dem Osten zuckten die Nord lichtstrahlen, schnell wurde es hell. Ich grüßte die aufgehende Sonne, die sich klein und gelb über den Hori zont schob. Diese eine Stunde hatte vorerst ge nügt, mich an meine Aufgabe zu er innern, an die Aufgabe, mein Leben zu erhalten und die Station zu unter suchen. Ich mußte zurück, konnte meinen Energiestab nicht aufbrauchen, der jetzt nur noch eine Speicherung von fünf Stunden anzeigte. Nach wenigen Schritten war ich wieder an dem Bodenspalt. Ich kniete noch einmal nieder, wie vor Wochen, befühlte in der Dunkelheit den stei nigen Rand. Was, wenn Aronescu hier abgestürzt war? Sofort nahm mich dieser Gedanke gefangen. Ich mußte hinunter, mich überzeugen. Nach einem Knick glich sich links der Spalt aus, vielleicht konnte ich dort in ihm wie in einem Graben gehen? Es ging. Hin und wieder ertastete ich kantige Brocken, über die ich klettern mußte, bei meinem geringen Mars gewicht keine allzu schwierige Auf gabe. Ich möchte mir die Beschreibung meines Entsetzens ersparen, als ich Aronescu fand. Er war abgestürzt, nicht tief, vier Meter vielleicht, aber nach ihm war noch ein Felsstück von der Kante abgebrochen, das ich von Dimitri herunterwälzen mußte. Ich schleifte den toten Freund hinter mir her, bis in die Luftschleuse. Bevor ich meinen Helm öffnete, las ich er schrocken einen Energievorrat für nur noch zwei Stunden ab. Jetzt hatte ich einen Freund in der Station. In meinem Zimmer hielt ich stundenlange Zwiesprache mit ihm, blickte ihm in die toten Augen. Ich 27
sprach meine Fragen und seine Ant worten, ich sprach tagelang, zwei Wo chen fast, bis ich merkte, entsetzt merkte, daß ich dem Wahnsinn nahe war. Der tote Genosse wurde mir ge fährlich, seine Nähe brachte auch mich an die Grenze des Todes. Noch einmal nahm ich meine ganze Willenskraft in Anspruch, zwang mich zu klarem Denken. Dimitri mußte wieder aus der Station, ich mußte meiner wissenschaftlichen Arbeit nachgehen, anders gab es für mich kein Leben. Wieder prüfte ich die Raumklei dung, trug Aronescu zur Schleuse. Ich legte ihn links neben der Tür ab, außerhalb der Station. Dann ging ich noch einmal durch den Nebel und hielt mich eine Stunde im Sonnenlicht auf. Mit dem festen Willen zu arbeiten und zu leben, ging ich zurück. Bevor 28
ich die Station betrat, verbeugte ich mich vor dem Genossen, entschuldigte mich gleichsam für die Trennung von ihm. Geradewegs lief ich in die Zen trale. „So, und nun weiter", sagte ich laut. „So, und nun weiter", hörte ich meine Stimme deutlich. Überrascht, keinesfalls erschrocken drehte ich mich um. Ich war allein. Ich hatte in diesem Raum nie ge sprochen, aber ein solches Echo war unmöglich. „Wer spricht da?" fragte ich. „Wer spricht da?" kam es nach einer Weile, wieder mit meiner Stimme. „Wer ist dort?" rief ich. „Ist dort?" echote es. Warum blieb das „wer" weg? „Wer spricht mit mir?" „Mit mir?" hörte ich nur. „Wer" und „spricht" hatte ich schon einmal ge sagt — kamen nur die Worte zurück*
die ich zum erstenmal sprach? Weitere Versuche bestätigten das — der Appa rat speicherte meinen Wortschatz. Jetzt hatte ich viel Arbeit. Tage hindurch sprach ich, ersann immer neue Sätze, von denen der Apparat Bruchstücke wiederholte. Nach einer Woche kam nur selten ein Wort als Antwort. Wie nun weiter? Auch der modern ste Übersetzungsautomat kann einen fremden Wortschatz nur begreifen, wenn ihm die Bedeutung zumindest jedes zehnten Wortes klar ist. Die Bildwand mußte in Aktion t r e ten, anders ging es nicht. Bei meinen Grübeleien kam ich auf eine letzte Möglichkeit: Ich konnte die Tür zur Zentrale schließen. Bisher hatte ich davon Abstand genommen, da keine Notwendigkeit zum Schließen der Tür vorhanden war, andererseits die ver lassene Station vielleicht nicht mehr in jedem Teil funktionstüchtig war und ich mich leicht selbst einschlie ßen konnte. Ich holte meine Lampe, leuchtete einen hellen Kreis neben der Öffnung an. Die Tür schob sich sofort aus der Wand und klickte ein. Plötzlich war noch ein anderes Licht im Raum, überdeckte die blaue Beleuchtung. Der Bildschirm leuchtete auf und zeigte ein einstöckiges Haus mit ab gerundetem Dach. Ich war keinesfalls erschrocken, sondern atmete erleich tert und erfreut auf. „Haus", sagte ich, da erlosch das Bild, um nach dem Bruchteil einer Sekunde einen hohen, schlanken Baum mit dunkelgrünen Blättern zu zeigen, deren Ränder rot und verdickt waren. Nach meinem Wort „Baum" sah ich Wasser über steinerne Hinder nisse fließen, rechts und links Gras am Ufer, langstielig, rot. „Wasser, ein Bach." Das Bild erlosch nicht, sondern zeigte den rechten Ausschnitt. „Ufer mit Gras •— rechts." Auf diese Art gab der Leuchtschirm Bild auf Bild. Probeweise richtete ich den Strahl der Lampe auf den Kreis neben der Tür, sofort verlosch das Bild, und der Gang wurde frei.
Noch hatte der Apparat die fremden Wesen nicht gezeigt. Einmal mußte er auch sie zeigen, ich kannte schon einen Großteil ihrer technischen An lagen, hatte Städte und Länder und unbekannte Pflanzen gesehen, die ich nicht näher bezeichnen konnte. Der automatische Übersetzer hatte sicher ein Programm zu erfüllen, irgend wann mußte er die Begriffe in meine Sprache übersetzt haben und dann in der Lage sein, Fragen zu beantworten. Am zweiten Nachmittag sah ich die Fremden, die schon keine Fremden mehr waren. Ich sprang überrascht aus dem Sessel, ging einige Schritte auf das Bild zu. Der erste flüchtige Blick zeigte mir ein Menschenpaar, das sich wie zur Begrüßung verneigte. Beide trugen rote, weite Blusen, die nach unten enger wurden und die Hüften umschlossen, von denen grüne Hosen, auch weit, herabhingen. Zuerst glaubte ich, zwei Männer vor mir zu haben, ein für uns natürlicher Ge danke, wenn wir Menschen ohne Kopfhaar sehen. Dann aber, als beide eine Reihe verdeckter Knöpfe an Schulter und Hüfte geöffnet hatten und sich ihrer Kleidung entledigten, mußte ich mich revidieren: Eine Frau und ein Mann hatten sich auf dem Bildschirm an den Händen gefaßt. Zu erst fiel die proportionale Gleichheit mit uns Menschen in die Augen, spä ter erst entdeckte ich geringfügige Unterschiede. Sie sind haarlos am ganzen Körper mit einer rötlichen Hautfarbe. Ihre Ohren liegen ganz dicht an und laufen nach oben etwas spitz aus, die Füße enden in drei nagellosen Zehen. Das waren aber auch die einzigen äußerlichen Unter schiede, die ich feststellen konnte. Plötzlich wurde es dunkel. In den letzten Wochen hatte ich mir angewöhnt, laut in diesem Raum zu sprechen, deshalb sagte ich auch jetzt: „Hoffentlich dauert die Über setzung nicht so lange." Mit meiner eigenen Stimme kam es zurück: „Es ist übersetzt." Ich war überrascht. „Da kann ich jetzt Fragen stellen?" 29
„Du kannst Fragen stellen." Endlich, nach sieben Monaten, war ich nicht mehr allein. Die Apparatur war für mich ein lebendes Etwas ge worden. So lernte ich die Bedienung der Sta tion kennen. Hier gab ich vor acht Tagen den Auftrag, die Schleuse im Stundenrhythmus zu öffnen und zu schließen. In der Mitte des vergangenen J a h r hunderts kam ein Raumschiff in unser Sonnensystem. Den Heimatpla neten der Astronauten konnte ich bis heute nicht bestimmen. Ihr Ziel war die Erkundung unseres Sonnen systems. Eine große Freude für sie war, rhythmische Funksignale aus dem Bereich unserer Erde zu empfan gen, setzte das doch die Existenz hochentwickelter Lebewesen voraus. Es sollte eine Landung erfolgen, zu deren Zweck diese Menschen — ich nenne sie in Gedanken immer so — in großer Entfernung die Erde um kreisten. Ihre Geräte registrierten einen riesigen Atompilz, unter dem eine Stadt versank. Sie gingen nicht tiefer, kreisten weiter und sahen bald eine Wiederholung dieses grausigen Vorgangs: Hiroshima und Nagasaki. Sie erkannten: Hier leben hochent wickelte Wesen, die aber noch nicht frei sind, noch nicht zum Beherrscher ihres Planeten wurden. Eine Landung
war sinnlos, in die Entwicklung der Menschen konnten sie nicht eingrei fen, ihnen helfen konnte zu leicht be deuten, ihnen noch größere Vernich tungsmittel in die Hand zu geben. Die Astronauten beschlossen: Auf einem der zunächst erreichbaren Pla neten dieses Sonnensystems wird eine Station hinterlassen. Finden die Men schen sie, sind sie frei und würdig, in den Kreis der denkenden Wesen des Weltalls aufgenommen zu werden, denn nur jene haben die technischen Mittel zum interplanetaren Flug, die auf ihrem Heimatplaneten eine freie Gesellschaft haben, frei von Unter drückung, Raub und Krieg. Die Station wurde in eine elastisch zähe Substanz gehüllt, damit sie nicht in den Sandstürmen des Mars ver schüttet wird. Dieser Nebel speichert gleichzeitig die Wärme der Sonnen strahlen, wird zur Energiequelle. Hier, in der Station, wird die Wärme in Energie umgewandelt, die jahrhun dertelang alle Apparaturen und Ge r ä t e in Betrieb hält. Die Menschen aus dem All haben noch eine Botschaft: Fünfzig- bis hun dertmal muß die Erde nach Hiro shima noch um die Sonne kreisen, dann kommen sie wieder. So endete der Bericht des Dr. Wirth, und ich bin optimistisch genug zu hoffen, am Tage des Empfangs dieser Gäste aus dem All noch zu leben.
Gerhard Beutel
Stadthauptmann Karst Es war kurz nach Mitternacht. Die Schritte der Quedlinburger Stadtwachen hallten in den engen Gassen wider, sonst war kein Geräusch zu vernehmen. Wenig später aber eilten zwei Wachen zum Haus des Stadthauptmanns Karst. Aufgeregt klopften sie gegen die Tür. „Komm, Stadthauptmann! Mord — ein Unbekannter . . . neben dem Rathausportal..." Schon von weitem hörte Karst das Gesumm aufgeregter Stimmen. Ein röt licher flackernder Schein stand über dem Marktplatz, die Stadtwache hatte Fackeln entzündet. Die Männer verstummten und traten zur Seite, als sie den Hauptmann erblickten. Hans Karst nahm eine Fackel und leuchtete in die Nische neben dem Sandsteinportal. Gegen die Wand gelehnt, saß ein Mann, die Arme hingen schlaff herunter, die gebrochenen Augen waren weit geöffnet. Gut gekleidet war der Unbekannte. An seinem Gürtel hing eine lederne Tasche, wie sie zumeist von reisenden Kaufleuten getragen wurde. Er mochte wenig älter als zwanzig Jahre sein. Es hatte den Anschein, als ob der Tote hierher geschleift worden war. Im Halbkreis umstanden die Rottenmeister und Stadtwächter ihren Haupt mann. Sie warteten auf seine Befehle . . .
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