Frank Petermann
Der unsterbliche Mr. Cooper Phantastische Erzählung
Verlag Neues Leben Berlin
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Frank Petermann
Der unsterbliche Mr. Cooper Phantastische Erzählung
Verlag Neues Leben Berlin
© Verlag Neues Leben, Berlin 1976 Lizenz Nr. 303 (305/62/76) LSV 7004 Einband und Illustrationen: Ludwig Winkler Typografie; Christel Ruppin Schrift: 8 p Excelsior Gesamtherstellung: Druckerei Neues Deutschland (140) Bestell-Nr. 642 260 4 EVP 0,25 Mark
Erstes Kapitel in dem sich ein Fremder auf eine nasse Wiese legt und sich nach einer Gefängniszelle sehnt Mit einer Taxe ließ er sich aus der Stadt hinausfahren und stieg dann zwischen zwei Ortschaften aus, zur Verwunderung des Fahrers. Erst als die Lichter des Wagens nicht mehr zu sehen waren, machte er sich auf den Weg durch einen feuchten Wald. Sein Ziel war ein Haus, von dem er wußte, daß es von schwer zu überwindenden elektronischen Sperren umgeben War. An einem Zaun waren Infrarotsensoren montiert, die jedes Lebewesen im Abstand von zwanzig Metern sofort orteten, automatisch eine Fernsehkamera ausrichteten und das Bild in eine Überwachungszentrale übertrugen. Das unsichtbare Licht eines zweiten Zaunes war frequenzmoduliert, und ein Zufallsgenerator veränderte die Frequenz in zufälligen Zeitintervallen. Am übelsten allerdings mochte die Selbstschußanlage mit kybernetischer Zufallssteuerung sein, die lautlos und unberechenbar in die Gegend ballerte. Diese Sicherungsanlagen hatten vor einigen Jahren den Sensationsblättern der Stadt lange Diskussionsstoff geliefert, denn der Besitzer des Hauses hielt sie keineswegs geheim. Durch das dichte Unterholz näherte sich der Fremde immer weiter dem Haus, das auf einem künstlichen Hügel stand. Dann sah er im vagen Licht des aufdämmernden Tages den ersten Strahlungszaun. Aus einer Manteltasche zog er einen kleinen Infrarotstrahler und ein Stativ, wie es Fotografen benutzen. Er visierte die Fotozelle an, gab Strom und konnte ohne weiteres den Strahlengang unterbrechen. Nach weiteren zehn Metern stand er vor dem zweiten Strahlungszaun, dem frequenzmodulierten. Hier wollte er sich ein wenig mehr Mühe geben. Er lächelte, griff in die Hosentasche und brachte einen gewöhnlichen Hammer zum Vorschein. Dann schaute er auf seine Präzisionsuhr, machte drei Schritte nach rechts und legte sich flach auf den Boden. Wenig später zirpte ein Geschoß aus der Selbstschußanlage über seinen Kopf. Der Mann grinste, als er daran dachte, wie er unter einem Decknamen die Zufallssteuerung für die Selbstschüsse konstruiert hatte, die gar nicht so zufällig arbeitete, wie ihr Besitzer glaubte. Langsam stand der Fremde wieder auf. Inzwischen war es heller geworden. Die Silhouette des Hauses hob sich deutlich gegen den rötlichen Himmel im Osten ab. Der Mann sah sich noch einmal um, dann hob er die Hand mit dem Hammer und schlug zu, kurz und kräftig. Ein Strahler, der infrarotes Licht frequenzmodulierte, zersplitterte. 3
„Knapp tausend Dollar im Eimer", murmelte der Mann vor sich hin. Er schaute zu einem hohen Mast, auf dem er eine Kamera wußte, und tat einen Schritt nach vorn. Gehorsam schwenkte das Aufnahmegerät in seine Richtung. Der Fremde lächelte befriedigt und blickte zum Haus, auf dessen Turm ein großer Suchscheinwerfer aufflammte. Gleichzeitig heulte eine ^Sirene. „So", sagte der Mann laut, „da wollen wir mal fliehen", und er rannte gerade auf das Haus zu, so als sei er durch das Licht des Scheinwerfers geblendet und als habe er die Richtung verfehlt. Hundegebell. Der Mann keuchte; er war.nicht mehr der jüngste, und das Laufen strengte an. Als er das „Halt! Stehenbleiben!" hörte, war er froh, daß es so schnell gegangen war. Man riß ihm brutal die Arme auf den Rücken und brachte ihn in einen Kellerraum. Die Tür wurde von außen verriegelt. In dem Verlies war es fast finster, nur weit oben an der Decke leuchtete schwach eine Notbeleuchtung. Zufrieden lächelnd ließ sich der Mann auf eine harte Pritsche nieder, zog die Schuhe aus und legte sich hin. Er mußte nun warten, bis der Hausbesitzer kam. »
Zweites Kapitel in dem der Leser den ehrenwerten Mr. Cooper kennenlernt und den Namen des geheimnisvollen Fremden erfährt Der Tag endete, wie er begonnen hatte, mit grauem Regen, der ganze Nebelschwaden vom Himmel riß, und er räumte der Nacht das Feld, schnell und übergangslos. Die Leuchtreklamen versuchten vergebens Farbe in die Stadt zu bringen. Mr. Cooper saß zurückgelehnt im Fond des Chryslers und ließ sich zu seinem Haus fahren, das man in Europa bestimmt ein Schloß genannt hätte. Für ihn endete dieser Tag durchaus nicht so,, wie er begonnen hatte. Mr. Cooper war wieder bedeutend reicher geworden, denn der Kongreß hatte die Waffenlieferungen bewilligt. Der Wagen hatte die Ausfallstraße erreicht, und Mr. Cooper wurde sanft in die Polster gedrückt. Im immer lockerer werdenden Strom der Fahrzeuge schoß der Chrysler davon und spritzte rücksichtslos Straßendreck nach beiden Seiten. Mr. Coopers Anwesen bot eine gute Sicht über das flache Land. Bei klarem Wetter konnte er sogar einen Zipfel des Meeres sehen, über das er vor über fünfzehn Jahren gekommen war, arm, aber eine gewinnträchtige Erfindung in der Tasche. Der Hügel, auf dem das Haus stand, sah aus wie ein Pyramidenstumpf und war mit sorgfältig gepflegtem englischem Rasen bewachsen. Das Gebäude selbst wirkte durch seine Türmchen und Zinnen mittelalterlich. Jetzt beleuchteten die Scheinwerfer des schweren Wagens das Tor. Mr. 4
Cooper nahm einen kleinen Kasten aus der Tasche, nicht größer als eine Streichholzschachtel, und drückte einige der numerierten Knöpf chen. Lautlos glitten die kräftigen Stahlgitter zur Seite und gaben den Weg frei. Der Chauffeur steuerte den Wagen die schiefe Ebene hinauf, zog ihn scharf in eine fast rechtwinklige Kurve und hielt mit der hinteren Tür genau vor dem Portal. Ein Bediensteter stand bereit, riß den Schlag auf und griff nach der Aktenmappe," die ihm ungeduldig entgegengestreckt wurde. Mr. Cooper schob sich aus den Polstern und ließ ein asthmatisches Schnaufen hören, von dem sein Chauffeur niemals wußte, ob es gequältes Ächzen oder zufriedenes Grunzen war. In der Empfangshalle mit d e m prunkvollen Kamin, mit Geweihen und einem Saukopf an den Wänden gab es eine Ahnengalerie, deren ehrwürdige Grauköpfe beim Kunsthändler erstanden waren. Ein gewaltiger Hund, dessen Stammbaum genauso echt war wie die Ahnenreihe über ihm, lag auf einem teuren Teppich. Als Mr. Cooper eintrat, öffnete er nur ein Auge, das trübe war und tränte. Aus einer Tür, die vorher nicht sichtbar gewesen war, schritt jetzt Mrs. Cooper, eine Endfünfzigerin, der man ihr Alter ansah - und den Alkohol. „Guten Abend, Richard", sagte sie. „Wir haben Besuch." Mr. Cooper verzog keine Miene. „Wer ist es?" fragte er. „Ich weiß es nicht, Richard", antwortete sie. Mr. Cooper sah, daß sie jegliches Interesse an dem Gespräch verloren hatte. Durch die offene Tür ihres Zimmers erblickte er eine leere Ginflasche. 5
Der Butler, der ihm die Tasche abgenommen hatte, machte eine Verbeugung, die an einen Kratzfuß erinnerte, und räusperte sich. „Mr. Cooper...", begann er. „Was ist?" „Der Besuch", er kicherte, „sitzt im Keller. Das ist ein ganz seltener Vogel. Er hat den ganzen T a g . . . " „Schon gut! Bereiten Sie mir das Bad! Dann führen Sie meinen Besuch in die Bibliothek. Hat er was abbekommen?" „Nein, Mr. Cooper, e r . . . " „Okay, gehen Sie! Dorothy, du begibst dich auf dein Zimmer! Trink nicht so viel!" Nachdem er dergestalt seine Anweisungen gegeben hatte, stapfte er schwerfällig die Treppe hinauf, gefolgt von seinem Hund. Die Bibliothek war der größte und kälteste Raum des Hauses. Der gewaltige Porzellanofen sollte nur schmückendes Beiwerk sein. Der Fußboden war mit feinstem Intarsienparkett ausgelegt, die Decke eichenholzgetäfelt, und über dem eingebauten Tisch schwebte ein achtzehnarmiger Kronleuchter mit stilisierten elektrischen Kerzen. Die bis zur Decke reichenden Bücherschränke nahmen drei Wände ein. In den Fensternischen standen schmale Holzbänke und um den ovalen Tisch hochlehnige Renaissancestühle. Die Regale wären eng mit Büchern gefüllt. Ein Bücherfreund hätte jedoch bemerkt, daß hier die ordnende Hand fehlte und daß die Bände ihre Plätze lange nicht verlassen hatten. An den zwei Pfeilern zwischen den in Blei gefaßten Fenstern hingen irgendwelche Miniaturen in Öl, zweifelsohne echt. In einer der Nischen stand der Mann, der den Tag im Kellerverlies verschlafen hatte, und schaute zum Fenster hinaus. Der Butler hatte ihn in die Bibliothek gebracht. Hinter dem Rücken des Fremden schwang lautlos eine Bücherwand zur Seite und gab eine Öffnung frei, durch die Mr. Cooper trat. Er hielt eine Pistole in der rechten Hand. In seinem Gesicht saß ein hämisches Grinsen, als er leise an den Tisch trat, mit>der Linken ausholte und gewaltig auf die eichene Platte schlug. Dann schrie er, so laut es ging: „Wie konnten Sie es wagen?" Der Überraschungseffekt, die Angst des anderen, blieb diesmal aus. Der Eindringling zuckte nicht zusammen, begann nicht zu zittern, er drehte sich nicht einmal um, sondern schaute weiter zum Fenster hinaus. Das Lächeln auf Mr. Coopers Lippen verschwand. Ein harter, fast brutaler Zug trat in sein Gesicht, und er umfaßte die Pistole fester. Mit dem Fuß angelte er sich einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich, legte, auch wenn es ihm Schwierigkeiten bereitete, ein Bein übers andere und entsicherte die Waffe. Es gab ein klickendes Geräusch. Der Mann am Fenster reagierte nicht. ' „Kommen Sie her", sagte Mr. Cooper beherrscht, aber er mußte sich dazu zwingen. ' „Komm du zu mir, wenn du etwas willst", brummte der Mann in der Fensternische. Das war zuviel! Wütend sprang Mr. Cooper auf und war mit wenigen 6
Schritten bei dem Mann. In seine Augen trat ein gefährliches Leuchten. Da drehte .sich der Fremde um und schaute ihm ruhig ins Gesicht. Mr. Cooper erstarrte. Kraftlos ließ er die Pistole sinken, tastete sich rückwärts, fand einen anderen Stuhl und ließ sich fallen, die linke Hand am Herzen. Das Rasseln in seiner Brust wurde lauter. „Da hat sich ja der Tag im Keller gelohnt", sagte der Mann. „Julien", rief Mr. Cooper und röchelte, „Adolphe Julien. Hast mich gefunden..." „Nimm erst mal einen Kognak auf unser Wiedersehen, sonst tötet dich die Freude noch!" sagte Adolphe Julien, zog aus einer seiner weiten Taschen eine glucksende Buddel und öffnete sie. Mr. Cooper griff nach der flachen Flasche und nahm einen tiefen Schluck. Dabei glitt seine-Hand vom Herzen zur Kehle. Mit einem Schlag bekam er besser Luft. „Was willst d u ? " konnte er jetzt fragen. Adolphe lächelte. „Erst einmal möchte ich mich in deinem Haus ungezwungen bewegen können, möchte ein Zimmer, zu essen, zu trinken. Schnell, wenn's geht! Habe mächtigen Hunger. Dann schickst du sofort einen Wagen nach Newport ins .Imperial'. Meine Sachen sind dort. Laß sie hierher bringen. Wenn ich gegessen und getrunken habe, will ich mit dir reden. Heute noch!" Richard Cooper nickte und tastete nach einer Klingel, die seitlich am Tisch angebracht war. Als er eine schnelle Bewegung Juliens sah, schüttelte er müde den Kopf. „Ich will nur den Butler rufen." 7
Drittes Kapitel in dem einiges über die Wurzeln der Freundschaft zwischen Richard Cooper und Adolphe Julien erklärt und das Wort „Hivernage" gedeutet wird Eine Stunde später saßen die beiden Männer erneut zusammen. In der Bibliothek war es bedeutend enger geworden, denn in der Ecke neben dem Ofen türmten sich drei Koffer, ein paar Taschen und eine große hölzerne Kiste - das Gepäck Adolphe Juliens. Ohne Einleitung fragte Richard Cooper: „Wieviel willst du?" „Aber Richard", rief Julien.„Dein Geld brauche ich doch nicht! So viel, wie ich will, hast du nie gehabt. Warum fragst du nicht, was in meinen Koffern und in der Kiste ist? Oder weshalb willst du nicht wissen, was ich in den letzten fünfzehn Jahren getan habe?" Er nahm einen letzten Schluck aus der Taschenflasche und sprach dann weiter. „Ich will dir sagen, was ich in den J a h r e n getan habe, auch wenn du es nicht hören willst. Es ist notwendig für das Weitere. Du warst eines Morgens fort, mit allem Geld, das wir noch hatten, m i t , Dorothy und mit dem Wichtigsten, meiner Erfindung: dem Wirkungsprinzip der psychologischen Fernstrahler." „Adolphe, hör zu, i c h . . . " „Jetzt bin ich an der Reihe, auch wenn es dir nicht paßt!" Julien machte eine Pause, dann fuhr er fort: „Was sollte ich tun? Ich arbeitete weiter, allein in einem muffigen Keller, ohne Geld und ohne Hoffnung, welches zu bekommen, mit dem einzigen Ziel, mich an dir und Dorothy zu rächen. Nein, du brauchst keine Angst zu haben. Das ist fünfzehn J a h r e her. Ich bin längst darüber hinweg. Heute liegt mir jede Rache fern. Du hast die J a h r e genutzt, bist mit meiner Erfindung reich und fett und krank geworden. Krank vor allem, weil du mit der Angst gelebt hast. Angst vor mir trotz kugelsicheren Autos, trotz Tag und Nacht besetzter Radarstation, mit der du den Luftraum im Umkreis von hundert Meilen hast überwachen lassen, trotz der Selbstschußanlage mit kybernetischer Zufallssteuerung. Du wußtest, Adolphe Julien würde eines Tages kommen, und er würde versuchen, Wege zu finden. Ich müßte mich eigentlich geschmeichelt fühlen. Nur ist es furchtbar traurig für dich; was. nützt dir jetzt dein Name, den man heute in Newport mit Rothschild und Rockefeiler, Ford und sogar Edison in einem Atemzuge nennt? Was nützt dir dein Geld, wenn du es nur ausgibst, um deine Angst zu bannen? Du wirst übrigens nicht mehr lange zu leben haben. Die Angst und das Fett haben dir das Herz kaputt gemacht. Hat dir dein Arzt das denn niemals gesagt?" „Weshalb bist du gekommen, wenn du kein Geld haben willst?" „Sieh dir mein Reisegepäck an", sagte Adolphe Julien. „Koffer und Taschen sind nicht wichtig. Darin befinden sich nur ein paar Bücher,* Unterhosen und Hemden. Aber die Kiste..." „Du bleibst länger?" „Ich bin so frei. Schon wegen deiner .hervorragenden Bibliothek und des 8
Kognaks in deinem Keller. — Komm her und hilf mir, die Kiste zu öffnen. Der Inhalt ist für dich bestimmt." Adolphe Julien nahm Flasche und Glas, stellte beides hart auf das Fensterbrett und war mit ein p a a r Schritten bei seinem Gepäckberg. Aus einem unansehnlichen Rucksack angelte er ein kurzes Stemmeisen. Cooper schaute ihm zu, wie er Nagel für Nagel aus dem Holz zog. Da waren also die Sicherungsanlagen nutzlos gewesen. Schon in den nächsten Stunden würde sich alles entscheiden, und Cooper mußte den Dingen ihren Lauf lassen. Aber die Angst würde so oder anders ein Ende haben. Vielleicht wurde alles gut? Hätte Julien nicht gesagt, Rache läge ihm heute fern...? Mit der Hoffnung kehrte der Mut, mit dem Mut die Neugier zurück. Adolphe Julien riß eben den letzten Nagel aus dem Deckel und öffnete die Kiste. „Sieh dir an, was ich mitgebracht habe! Ein wenig wird der Herr der Festung Electronica, wie' du ja deine Burg nennst, noch von Elektronik, Kybernetik, Regeltechnik und dergleichen verstehen." Coopers Augen wurden groß. In der Kiste lagen, wohlverwahrt in gepolsterten Halterungen, vernickelte Teile, vielfältig geformt, mit rätselhaftem Verwendungszweck. Elektronische Schaltblöcke, eine Anzeigetafel auf der Basis von Flüssigkeitskristallen, ein fertig montiertes Schaltpult mit vielen Bedienelementen. Die Lötösen jedoch waren noch ohne Drähte. Richard Cooper wußte zwar einigermaßen über die Funktion einzelner Teile Bescheid, aber sosehr er sich auch anstrengte, er fand keinen Zusammenhang. Das war ein Puzzle, für das er keine Lösung kannte. Er blickte auf und sah direkt in Juliens Augen, die kalt und triumphierend auf ihm ruhten. „In dieser Kiste liegt nur das Herz meiner ,Hivernage'. Die Umhüllung und die Kraftstation, die das Herz zum Schlagen bringen wird, werde ich hier bei dir bauen. Und dazu brauche ich unter anderem etwas von deinem Geld. Keine Angst! Mir genügt dein heutiger Tagesverdienst." Als er Richard Cooper lächeln sah, fügte er noch hinzu: „Oder meinst du nicht auch, daß m a n mit 400 000 Dollar allerhand anfangen kann? Du siehst, ich weiß auch darüber Bescheid... Übrigens — das Wort ,Hivernage' kommt aus dem Französischen. So nannte man früher bei uns die Häfen, in die die Schiffe zum Überwintern einliefen."
Viertes Kapitel in dem Mr. Cooper eine Bitte an Adolphe Julien richtet und in dem der Leser erfährt, was zwei Stunden später geschieht Über Nacht war aus dem Novemberregen zu früher Novemberschnee geworden. Mr. Cooper stand auf der Terrasse seines Hauses, die beheizt und schneefrei war. Unruhige Stunden lagen hinter ihm, und er hatte den Morgen 9
erhofft und gefürchtet. Jetzt schaute er in den Flockenwirbel. Der Morgen war nicht klüger als der Abend. Der Schnee erinnerte ihn an diese „Hivernage", und ihm wurde sein ganzes Elend bewußt. Julien hatte ihm noch in der Bibliothek den Plan eröffnet, in dem er, Richard Cooper, die Hauptrolle übernehmen sollte. Und dieser Plan war teuflisch, trotz -»- oder vielleicht wegen? — der Chance zum Überleben. Teuflisch auch, weil Cooper ihm nicht entrinnen konnte, nicht einmal mit Hilfe der gesamten Macht, die ihm Untertan war. Julien wußte zuviel und hatte Vorkehrungen getroffen, daß sein Wissen nicht mit ihm gemeinsam verschwinden konnte. Hinter Richard Cooper klappte eine Tür. Er drehte sich um und sah sich dem Urheber seiner schlaflosen Nacht gegenüber. „Guten Morgen", sagte Adolphe. „Wann gibt es Frühstück? Habe schon zwei Stunden Arbeit hinter mir. In weiteren zwei Stunden müßten die ersten Lieferungen per Schnelltransporter eintreffen. Dein Name und dein Geld sind ein ,Sesam, öffne dich'." Wenn Richard Cooper eine geringe Hoffnung gehabt hatte, dann war sie jetzt zerronnen wie die Schneeflocken zu seinen Füßen. Niemals würde dieser Mann mit sich handeln lassen. Abgrundtiefer Haß war nicht mit Dollars aus der Welt zu schaffen. „Wo willst du die ,Hivernage' aufstellen?" fragte er beklommen. „In deinem Bunker. Auch die autonome Kraftstation." Cooper sagte langsam und nachdenklich: „Ich habe mir da etwas überlegt in dieser Nacht, und ich habe an dich eine Bitte. Kann ich Cloth mitnehmen?" „Cloth...?" „Ja, Cloth. Clothilde, meinen Hund." Adolphe brach in Gelächter aus. „Wenn du unbedingt möchtest... Der Platz und die Energie reichen aus. Cloth ist sicher das einzige Wesen, das dich vermissen würde. Aber jetzt brauche ich zwei Rühreier mit Speck, ordentlich Weißbrot und eine Flasche Kognak aus deinem Keller!" Schon zwei Stunden später glich das Haus einem Bienenkorb. Das Stahlrohrgitter wurde nicht mehr geschlossen, weil kleine und große Transportwagen ein- und ausfuhren. Sie schlichen um die Basis der Pyramide und ließen im Schnee schwarze Spuren zurück. An der dem Haupteingang gegenüberliegenden Böschung verschwanden die Transporter unter dem Gebäude. Dort befand sich die Einfahrt zu Mr. Coopers Atombunker, der in Fachkreisen als einer der sichersten und komfortabelsten aller Privatbunker galt. Nahrung, Wasser, Sauerstoff und Energie reichten für zehn J a h r e aus. Die verbleiten Betonwände waren so stabil, daß auch ein Schlag von hundert Kilotonnen diesen Bunker nicht zerrissen hätte. Der Architekt des Objektes, Makepeace Tecker, hatte bei der Übergabe scherzhaft gesagt: „... und wenn unsere liebe Mutter Erde eines Tages — was Gott verhüte — auseinanderflöge, dann würde Ihr Bunker, Mr. Cooper, als Planetoid um die Sonne kreisen..." Wer mit dem Krieg Geschäfte machen will, braucht solche Bunker, um sicher spekulieren zu können. 10
Im Hauptraum des Bunkers machte sich Adolphe Julien zu schaffen. Er hatte Hose und Sakko gegen eine dunkle Kombination vertauscht, auf deren Rücken knallig rot geschrieben stand: „I work for Richard Cooper", was in gewissem Sinne sogar zutraf. Zwei weitere Männer in den gleichen Kombinationen standen neben ihm. Mike Jefferson und Conrad Burton waren ausgebildete Elektronikingenieure, die bisher die Aufgabe hatten, Mr. Coopers Radaranlage und den elektronischen Sperrzaun in Ordnung zu halten.Bis auf weiteres waren sie Mr. Julien unterstellt worden. Es gab nichts mehr in Ordnung zu halten, Adolphe Julien war da, hatte auf eine für Mr. Co.oper unerklärliche Art und Weise Einlaß gefunden, und die Sicherungssysteme waren nutzlos geworden. Die drei Männer standen vor einer Anzahl Kisten und Geräte, die noch mit Planen bespannt waren. Ein großer Transporter schob rückwärts hinaus, vom Beifahrer eingewiesen. „Das war der vorletzte", sagte Julien und setzte die Fäuste auf seine Beckenknochen, die der Gürtel deutlich hervortreten ließ. „Ahnen Sie, was wir hier in den nächsten Tagen errichten werden?" Die beiden Ingenieure sahen sich an und brachen in Gelächter aus. „Sie denken wohl, wir kennen uns nur in Selbstschußanlagen aus, Chef", sagte Conny Burton, als sie sich beruhigt hatten. „Eine Miniaturvariante Ihres Kraftpakets steht auf der anderen Seite des Bunkers." „Oder denken Sie", fiel Mike Jefferson ein, „Cooper nimmt die Energie im Bunker aus Dieselaggregaten?" 11
„Mister Cooper, für Sie i m m e r h i n . . . Mister Cooper", wurden sie in die Schranken gewiesen, und das Lachen blieb ihnen vor der Nase hängen. „An die Arbeit, meine Herren! In drei Tagen m u ß der Brocken hier arbeiten, denn die Atomkraftstation ist nur ein Teil meiner Anlage..."
Fünftes Kapitel in dem der Leser in Mr. Coopers Büro die erste Seite der „Newport Morning Post" ansehen darf Am Tag nach diesen Ereignissen ließ sich Mr. Cooper wie gewöhnlich in sein Büro fahren. Dort diktierte er bis elf Uhr seine Geschäftspost, las die wichtigsten Artikel aus den Morgenzeitungen des Landes und gab einem Makler Anweisungen für die Börse. Punkt elf servierte ihm die Sekretärin das zweite Frühstück. Dann wollte er dreißig Minuten lang nicht gestört werden. Richard Cooper saß inmitten seines pomphaft ausgestatteten Büros auf einem Sessel, der wie ein Thron aussah. Der wuchtige Schreibtisch davor stand auf geschnitzten Löwenpranken. Unübersehbar ein Totenschädel, gebleicht, matt glänzend, als Briefbeschwerer dienend. Hinter Cooper an der weißen Wand hing seit Jahren schon ein kolorierter Thomas Alva Edison, der selbstgewählte Schirmherr Richards. Der Tee hatte lange ausgedampft. Mr. Coopers Doppelkinn ruhte in der Handfläche. Auf der polierten Schreibtischplatte lag eine Zeitung, die „Newport Morning Post". Obwohl die Zeitung viel zu weit entfernt war, glitten Coopers Augen über die Zeilen, und seine Lippen sprachen den Text mit, den er schon auswendig wußte. Unter seinem und dem Bild Adolphe Juliens im Vierfarbendruck stand da rot, groß, über die ganze Breite: ERPROBUNG DER UNSTERBLICHKEIT. Und dann kam, was er gestern um diese Zeit selbst noch nicht gewußt hatte: „Wie wir noch nach Redaktionsschluß erfahren, steht unserer Stadt ein einmaliges und sensationelles Ereignis, eine Begebenheit von nicht abzuschätzender Tragweite, bevor. Das Zeitalter der Unsterblichkeit hat begonnen! Dr. rer. nat. Adolphe Julien, einem langjährigen Freund und Vertrauten unseres hochgeschätzten Richard Cooper, ist es gelungen, eine Überlebensmaschine zu bauen, die er liebevoll ,meine Hivernage' nennt. In einer Woche, am 23. November dieses Jahres, wird unser hochgeschätzter Richard Cooper unsere traurige Welt verlassen. Geschützt in seiner Hivernage wird er, zu einem Eisblock erstarrend, in die Zukunft schlummern dürfen. Nach hundert Jahren, 2086, wird er auftauen. Allein dieZinsen seines ungeheuren Vermögens werden dann ausreichen, die halbe Erde aufzukaufen. Unser hochgeschätzter Richard Cooper wird das erleben, wovon wir alle träumen: die Welt von morgen. 12
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Wie wir weiterhin erfahren konnten, will unser hochgeschätzter Richard Cooper öffentlich Abschied nehmen. Wir werden in unserer nächsten Ausgabe den Bericht fortsetzen... Der moderne Mann raucht Camel! Auch unser hochgeschätzter Richard Cooper raucht die Zigarette von Format: Camel." Mr. Cooper hätte es nie für möglich gehalten, daß sein Ende so aussehen sollte. Die Sache mit den Zinsen hatte ja einiges für sich. Aber Sicherheiten, wo blieben Sicherheiten? „Thomas Alva hilf", murmelte Richard. Edison jedoch hing unergründlich lächelnd über ihm.
Sechstes Kapitel in dem Adolphe Julien seine berühmte Erfindung einem Journalisten zeigt und ein Interview gibt Im Bunker ging der Atomreaktor seiner Vollendung entgegen. An ihm arbeiteten jetzt nur noch die beiden Ingenieure. Das starke vieladrige Stromkabel und eine dünnere Leitung, die der Steuerung des Reaktors 13
diente, führten in einen bis zur Decke reichenden dickbäuchigen Zylinder. Er war weiß emailliert. Ein Bullauge in etwa zwei Meter Höhe unterbrach die glatte Außenhaut. Neben dem Zylinder, der „Hivernage", stand ein würfelförmiger Kasten, tischhoch, übersät mit Skalen, Kontrollämpchen und diversen Meßgeräten. Beleuchtet wurde der Raum durch zwei Halogenscheinwerfer, die auf das Bullauge und die mit Steuer- und Kontrolleinheiten bestückte Fläche des Würfels gerichtet waren. Adolphe Julien studierte einen Schaltplan und verfolgte, mit den Augen dicht am Papier, eine blaue Linie. Lächelnd zog sich sein Gesicht in die Breite. Er hatte auch Grund zur Freude. Alles stimmte, jedes verzinnte Drahtende hatte seine Lötstelle gefunden. Beim morgigen Probelauf würden Strom, Kälte und Gas den Weg nehmen, den er als den effektivsten herausgefunden hatte. Wie lange hatte die Welt von der Unsterblichkeit geträumt? Er, Adolphe Julien, konnte die Anabiose herbeiführen und nach seinem Willen zeitlich unendlich ausdehnen. In allen führenden Industriestaaten der Welt arbeiteten seit Jahren Forscherteams an diesem Problem. Über Anfangserfolge war keines hinausgekommen. Nur er, fast mittellos, mit primitiven Geräten, er hatte die Idee gehabt, die alle anderen übertrumpfte. Aber diese Idee, die würde er sich bezahlen lassen, und kein Preis sollte ihm hoch genug sein. Schließlich hatte e r . . . Es klopfte. „Was gibt's?" rief Adolphe mürrisch, jäh aus seinen erfreulichen Gedanken gerissen. Der Butler trat ein. „Mr. Cornish möchte Sie sprechen. Der Herr käme von der ,Newport Morning Post', sagt er." „Soll kommen!" Der „Herr", der sofort eintrat und den Butler einfach zur Seite schob, hatte sich zu deutlich als Reporter herausgeputzt. Man sah ihm seinen Beruf an, als hätte er ein Faschingskostüm übergezogen. Er trug gelbe Schuhe, gelbe Hosen mit weitem Glockenschnitt und ein knallig kariertes Sakko. Den roten langen Schal hatte er bohemehaft um den Hals geschlungen. Auf dem Kopf saß ihm eine lächerlich große Sportmütze, gleichfalls bunt gemustert. Die Aufmachung ließ von der wirklichen Gestalt nichts übrig als einen ineinander verlaufenden Farbklecks. Einziger Ruhepunkt: ein schwarzer Kassettenrecorder. Selbst die Leica steckte in einer leuchtendgrünen Tasche. „Sie sollten erst morgen bei mir vorsprechen", brummte Julien, ohne vom Schaltplan aufzublicken. „Hallo, Doc", sagte der Reporter unbeirrt und angelte sich einen Stuhl. „Tut mir leid um diese vierundzwanzig Stunden. Aber mein Chef schmeißt mich raus, wenn ich für die morgige Ausgabe nichts über Sie bringe. Behauptet sowieso, ich sei einer Ente aufgesessen. Hab ihn aber überzeugt. Wollte wissen, ob Mr. Cooper etwa dementiert habe." „Der wird sich schön hüten." Adolphe Julien lachte. „Also, was wollen Sie wissen?" „Nicht viel. — Läuft alles planmäßig?" „Ja." 14
„Öffentlichkeit ist zugelassen?" „Ja." „Darf ich fotografieren?" Ein kleines Zögern, dann: „Ja." Jetzt kam Leben in den Reporter. Schnell war die Leica schußbereit. Ein Weitwinkelobjektiv wurde aufgesetzt, und aus der Reportertasche kam ein Blitzgerät zum Vorschein. „Stellen Sie sich so wie vorhin auf, Doc. Nehmen Sie das Papier wieder hoch. — Ja. So ist's gut!" Ein Lichtblitz erhellte für eine tausendstel Sekunde den Raqm, dann gleich noch einer. „Öffnen Sie bitte die ,Hivernage', Doc. Ich will das Innere auf den Film bannen. Die Leute wollen sehen, wie ihr hochgeschätzter Mr. Cooper die hundert J a h r e verbringen wird." Wieder war ein winziges Zögern bei Adolphe Julien zu spüren. Dann war er mit drei Schritten beim Schaltwürfel. Er legte ein paar Hebel um, und die Apparaturen begannen zu arbeiten. Lämpchen leuchteten auf, und ein Summen erklang. Zwei, drei Meßgeräte, sprachen an. Die Zeiger zitterten, schwangen zur Mitte. Julien übersah noch einmal alle Armaturen und drückte dann einen in der Mitte plazierten, deutlich sichtbaren gelben Knopf. Der Abschnitt des Zylinders, in dem das Bullauge ausgespart war, klappte zur Seite und gab die Sicht in den Innenraum frei, der erst einen halben Meter über dem 15
Fußboden begann. Die dicken Wände waren innen mit irgendeinem Schaumstoff gepolstert. Vor dieser Verkleidung liefen in Mäanderschleifen zwei dünne Rohre von unten nach oben, von denen das eine zu einem Kühlsystem gehörte und das andere, kenntlich durch die vielen feinen Bohrungen, ein Gas ausströmen lassen würde. Die Grundfläche der Kammer mochte zwei Quadratmeter messen, die Höhe überstieg zwei Meter auf keinen Fall. Das Bullauge in der Tür, das sah der Reporter sofort, w a r so hoch angebracht, daß der Mann, der im Inneren stand, gerade hinausblicken konnte. Bedienelemente konnte der Reporter nirgends entdecken. Sie befanden sich einzig und allein am Steuerpult. Wieder erhellten einige Blitze die „Hivemage" und den ausgepolsterten Innenraum. „Den Würfel mit der Anzeigetafel möchte ich noch aufnehmen", sagte der Reporter und ließ den Aufzug der Kamera zurückschnappen. Diesmal zögerte der „Doc" nicht eine Sekunde. „Nein! Nahaufnahmen erst nach dem 23. November. Ich habe dafür meine Gründe!" „Dann eben nicht, Doc." Der Reporter verpackte seine Gerätschaften und setzte sich wieder auf den Stuhl. „Was gibt's noch?" Julien sah den Reporter unwillig an. „Haben eine Ladung Leserbriefe ins Haus bekommen. In fast allen die Frage: Wer ist dieser Adolphe Julien, Doc?" „Das ist kurz erzählt: J a h r g a n g 34, gebürtig in Toulouse, Eltern Weinpächter, Studium an der Sorbonne, erst Chemie, dann Biochemie. Bis 1955 Assistent, dann Dissertation. Bis Anfang dieses Jahres Arbeit in meinem Privatlabor irgendwo in der Gascogne. Dort entwickelte ich ,Hivernage'." „Weshalb kommen Sie damit in die Vereinigten Staaten, Doc?" „Ich brauche in jeder Richtung unbegrenzte Möglichkeiten, und die finde ich nur hier." „Danke für das Interview. Wo finde ich Mr. Cooper, Doc?" .'.Sicherlich im Herrenzimmer. Seien Sie vorsichtig mit Ihren Fragen! Mr. Cooper ist von der Freude über die unerwartete Lebensverlängerung etwas mitgenommen." „Unerwartet...? Sagten Sie nicht bei unserer ersten Zusammenkunft, Sie hätten mit seinem Wissen fünfzehn J a h r e lang an dem Projekt gearbeitet?" „Denken Sie, der Erfolg stand schon vor fünfzehn J a h r e n fest?" erwiderteAdolphe Julien ausweichend. „Auf Wiedersehen, Doc", sagte der Reporter und war schon zur Tür hinaus.
Siebentes Kapitel in dem Mr. Cooper seine Lage überdenkt und der Hund Clothilde sich vor einem bunten Papagei fürchtet Mr. Cooper ruhte in seinem Zimmer in einem Schaukelstuhl, Cloth zu seinen Füßen. Der Hund schlief wie immer schnarchend, und seine Augen tränten unter den geschlossenen Lidern hervor. Mr. Cooper überdachte seine Lage. Vor einer Woche war er abends, um diese Zeit etwa, nach Hause ge16
kommen, und Adolphe Julien war dagewesen. Dem ersten Entsetzen war die erste Hoffnung gefolgt. Was kann Julien schon von mir wollen als Geld, hatte er sich überlegt. Und Geld konnte er haben. Cooper war nicht gleich zu ruinieren. Darüber hätte er sogar lachen können. Schließlich war ihm bisher immer etwas eingefallen, wenn es um Dollars ging. Diese erste Hoffnung hatte sich als kurzlebig erwiesen. Für Adolphe Julien war Geld zunächst nur von sekundärer Bedeutung, und das stürzte Richard Cooper erneut in Verzweiflung. Der Zeitungsartikel in der „Newport Morning Post", der die fast unermeßlichen Zinsen erwähnte, öffnete ihm dann allerdings die Augen, und der kühle Rechner gewann die Oberhand. Bei sechs Prozent war der Einsatz zu verdreihundertfachen. Seitdem kurbelte sein Finanzapparat auf Hochtouren. Es gab da allerdings noch eine Angelegenheit, Adolphe Julien mußte überlistet werden... Richard Cooper hatte den Butler nicht gehört und fuhr zusammen, als hinter ihm die Stimme ertönte: ^,Ein Reporter der .Newport Morning Post' möchte Sie sprechen, Sir. Er war vorher bei Mr. Julien. Er sagt, es ginge um das Experiment." Der Diener stand und wartete auf Antwort. Als es ihm zu lange dauerte, fragte er noch einmal: „Gestatten Sie, Mr. Cooper, daß ich den Reporter hereinschicke?" Richard Cooper nickte schwach. Wenig später stand der Reporter im Zimmer und sah sich suchend um. „Erlauben Sie, daß ich Licht mache?" fragte er aufs Geratewohl in Richtung des Schattens vor dem Fenster. Der Alte ist eingeschlafen, dachte er, erstaunt auf da? Schnarchen horchend. Der Reporter wollte noch einmal, lauter, dieselbe Frage stellen, da sagte Coope"r: „Schalten Sie das Licht ruhig ein. Gleich neben der Tür..." Der Alte schlief also nicht, denn das Schnarchen dauerte fort, als er sprach. Es mußte noch jemand im Zimmer sein. Der Reporter, der an der Tür stehengeblieben war, fand den Schalter. Unwillkürlich mußte er lächeln, als er den röchelnden Hund liegen sah, der ein Auge öffnete, im selben Moment erstaunlich schnell aufsprang und mit gesträubtem Fell knurrend bis an die Wand zurückwich. Dort blieb er stehen, •ließ den Reporter nicht aus den trüben Augen und begann zu heulen. Mr. Cooper hatte sich dem Besucher zugewandt und versuchte jetzt Cloth zu trösten: „Ruhig, ruhig, Cloth! Er tut dir nichts!" Dann sagte er, dem Hund noch immer mit der fetten Hand den Kopf kraulend: „Er hat Angst vor Ihnen. Vor Jahren hatten wir einen Papagei, ein mächtiges Tier, gelb und rot gezeichnet: Cora. Eines Tages hatte sich Cora aus dem Käfig gezwängt, und Cloth war ihr über den Weg gelaufen. Der Papagei hatte den armen Hund tüchtig zugerichtet. Sie wecken bei Cloth keine guten Erinnerungen." Der Butler trat wieder ein. „Sie haben geläutet, Mr. Cooper?" „Bring Cloth hinaus!" Der Bedienstete nahm Cloth am Halsband, aber der Reporter mußte erst zur Seite treten, dann ließ sich der Hund hinausführen. Das letzte Stück wurde der Butler fast gezogen. „Mr. Cooper, vielleicht bin ich wirklich nur ein Papagei. Von der .Newport Morning Post' komme ich aber auf alle Fälle und möchte Ihnen im Namen 17
unserer fünfzigtausend Leser einige Fragen stellen." „Bitte", sagte Richard Cooper und lächelte müde. Er wußte genau, welche Fragen kommen würden, die Antworten hatte er im Kopf. Zum Teil hatten sie ihm seine Computer geliefert. „Ihr Vermögen wird auf rund zweihundert Millionen geschätzt?" „Ich kenne die Schätzungen." „Was sagen Sie dazu?" „Auf dem Finanzamt arbeiten fähige Leute." „Sie wollen Ihr gesamtes Vermögen im Stich lassen?" „Ich lasse nichts im Stich. Ich verreise auf eine gewisse Zeit." „Sie nehmen Ihre Frau nicht mit?" „Wir haben nichts mehr voneinander zu erwarten." „Glauben Sie daran, daß Sie nach hundert J a h r e n aus der Anabiose erwachen werden?" „Ich vertraue meinem Freund Adolphe Julien." „Weshalb sind Sie der erste?" „Einmal bin ich im Leben immer gern der erste gewesen, dann ist Adolphe Julien seit vielen Jahren mein Freund, und ich habe das Projekt finanziert, zum dritten wird sich mein Vermögen in hundert J a h r e n vervielfachen, und letztens weiß ich von kompetenter Stelle, daß 2086 alle meine Krankheiten geheilt werden können und meine Lebenserwartung mindestens hundertvierzig J a h r e betragen Wird. Ich werde also noch achtzig J a h r e zu leben haben gegenüber den fünf Jahren, die die Ärzte mir heute geben." „Die Kommunisten haben einen Slogan: ,Der Weltsozialismus siegt!' Was tun Sie, wenn Sie beim Erwachen einem roten Kommissar gegenüberstehen?" „Wenn Sie daran glauben, sollten Sie sich Ihr Geld bei diesen Leuten verdienen!" „Werden Sie keinen Ärger mit Ihren Erben bekommen, die 2086 leben?" „Ich habe das notariell regeln lassen. Außerdem wird ein entsprechendes Gesetz im Kongreß erarbeitet." „Unsere Zeitung hat jede Menge Anfragen bekommen. Die Leute fragen, wohin sie sich wenden sollen, wenn sie es Ihnen gleichtun wollen." „Direkt an die Julien-Cooper-AG." „Haben Sie Angst, Mr. Cooper?" Hier spürte der Reporter eine gedankenschnelle Pause, dann kam die Antwort: „Manchmal ja. — Vor dem vielen Geld, das mir in hundert Jahren gehören wird." „Sie werden eine Abschiedsrede halten?" „Ich werde einige Worte des Dankes sprechen." „Also doch ein Abschied für immer?" „Von dieser Welt, ja! Die ,Newport Morning Post' gibt es 2086 gewiß nicht mehr. Ihre Reporter sind zu fix." Diese Parade saß. Mr. Cooper lebte auf. Wortgefechte dieser Art waren nach seinem Geschmack. „Ich danke Ihnen für das Interview, Mr. Cooper. Wenn ich das Geld zusammen habe, kaufe ich mir vielleicht einen Platz in einer ,Hivernage', und dann überlebt die .Newport Morning Post' mit mir." 18
Achtes Kapitel in dem Mr. Cooper mit einer Werkzeugtasche beim Reaktor auftaucht und dann nur noch zu warten braucht Im Bunker war es finster. Über den Türen befanden sich kleine Lämpchen, die die Ausgänge markierten. Sie genügten Richard Cooper zur Orientierung. Nach wenigen tastenden Griffen hatte er den Schalter gefunden, der alle nach draußen gehenden Öffnungen des Bunkers verschloß. Lautlos und hermetisch verriegelten sich Türen und Belüftungsschächte. Jetzt konnte er unbesorgt Licht machen. Niemand würde ihn sehen oder gar stören können. Der Bunker war von außen nicht zu öffnen. Das kleine Atomkraftwerk war erst vor wenigen Stunden fertig geworden. Technisch stand dem Beginn des Experimentes nichts mehr im Wege. Cooper aber war mit seiner Ausgangsposition unzufrieden, und deshalb befand er sich jetzt hier im Bunker neben der Schalt- und Anzeigetafel des Reaktors. Aus einer Werkzeugtasche nahm er einen Schraubenzieher und begann die Verkleidung des Schaltbrettes zu lösen. „Ja, mein Lieber", flüsterte er, „alles habe ich tatsächlich noch nicht vergessen. Mir ist da eine Idee gekommen..." Dann hatte er das Gewirr der farbigen Drähte vor sich liegen. Hier mußte das Steuerkabel für die Moderatoren sein. Daran durfte er nichts verändern. Daneben lag der Kabelstrang für die Detektoren, die aus dem Inneren des Reaktors die Temperatur zum Steuerwürfel meldeten. Jetzt hieß es aufpassen! Schnell hatte er zwei winzige Stellen von ihrer gelben Isolierung befreit. Er setzte eine Brücke ein, die er sich in zweistündiger Arbeit selbst gebastelt hatte. Mit Hilfe von Widerständen und Kondensatoren würde er erreichen, daß der Stromfluß immer geringer wurde. Der Temperaturfühler am Schaltpult würde Alarm geben. Richard Cooper überprüfte noch einmal die Lötstellen. Er schloß die Schalttafel, 'verbarg seine Werkzeugtasche und entriegelte die Ladeluke. Jetzt brauchte er nur noch zu warten.
Neuntes Kapitel in dem wir Adolphe Julien bei seinen Träumen belauschen und in dem es einem Reaktor heiß und einem Erfinder kalt wird „Hivernage" hatte den Probelauf glänzend bestanden, und wenn der Atomreaktor die Garantieversprechen des Herstellers hielt, dann konnte Richard Cooper nichts passieren. Höchstens, daß er ein paar Jahre früher oder später aufwachte, und das würde keinem schaden. Julien saß auf seinem Lieblingsplatz in der Bibliothek und hatte ein Buch 19
aufgeschlagen, in dem er nicht las. Er hatte, parallel zum Schaltwürfel neben der „Hivernage", hier ein kleines Pult mit den wichtigsten Kontrollfunktionen angeschlossen, damit er nicht immer im Bunker zu hocken brauchte. Auf der Anzeigetafel blinkte ein einziges grünes Lämpchen, die Spannung des Atomkraftwerkes lag an. Seit sechs Stunden lieferte es Strom, und es mußte bis zum 23. November des Jahres 2086 arbeiten, gleichmäßig, störungsfrei. Das Interview in der „Newport Morning Post" mit ihm und Richard Cooper war ein voller Erfolg gewesen. Julien sah die Seite der Zeitung vor sich, das Farbfoto, das ihn in der Bibliothek zwischen Schaltwürfeln und „Hivernage" zeigte, den Schaltplan lesend. Darunter die Daten aus seinem Leben, nüchtern, sachlich, ohne den üblichen rührseligen Schmus. Das Interview mit Cooper, Fragen und Antworten kommentarlos. Jeder konnte sich seinen Vers darauf selbst machen. Dieser Reporter von der „Newport Morning Post" verstand sein Handwerk und wußte Wirkung zu erzielen. Aber auch Cooper war ein alter Fuchs, der entweder seine Angst gut verbarg oder sogar etwas im Schilde führte. Selbst Julien hatte nach dem Interview nicht mehr gewußt, was er glauben sollte. Er mußte auf der Hut sein. War es ihm wirklich gelungen, Richard Cooper davon zu überzeugen, daß dieser ihm eigentlich zu Dank verpflichtet war? Oder hatte Cooper das nur vorgetäuscht? Juliens Ziele konnte er jedenfalls nicht mehr gefährden. „Hivernage" würde ein Massenprodukt werden. Bedarf mußte geschaffen werden, mit Coopers Hilfe. Julien besaß die Patente, und er wollte auch das Monopol! Cooper hatte in fünfzehn Jahren zweihundert Millionen gemacht. Julien wollte in kürzerer Zeit mehr, viel mehr — und dazu Macht, unbegrenzte Macht! Cooper war für ihn eine Schachfigur. Ließe er irgendeinen armen Schlucker von der Straße einfrieren, würde niemand überzeugt vom Schauplatz gehen. Für ein paar Dollars konnte man sich solche Leute zu einem Experiment an jeder Ecke kaufen. Und Hunde, Katzen und Affen waren in ähnlichen Geräten bei seinen Kollegen schockweise erfroren. Cooper jedoch würde sanft entschlummern. Die Ärzte würden ein tiefes Koma feststellen mit annäherndem Stillstand aller Lebensfunktionen — ohne Verfallserscheinungen. Nach Ablauf der Zeit würde er erwachen und seinen eigenen und Juliens Namen in den Geschichtsbüchern finden. Dort würde Adolphe Julien als „Bringer der Unsterblichkeit" gepriesen, aber auch als der reichste Mann der Erde bezeichnet werden, dem mancher zu Füßen gelegen hatte. Vielleicht ließ sich sogar eine Religion daraus machen. Mitten in Juliens Machtrausch hinein begann das Lämpchen der Temperaturanzeige auf dem Schaltwürfel zu flackern. Julien warf einige Hebel herum. Kontrolleuchten glommen auf, Zeiger von Volt- und Amperemetern krochen träge vorwärts, blieben pendelnd stehen. Die Temperatur des Reaktors stieg sichtlich. Dort mußte etwas nicht in Ordnung sein! Der Reaktor drohte durchzugehen! Julien schlug den roten Knopf ein: Auf dem Schaltpult erstarb jedes Leben. Er hastete zur Tür, sein Sakko wie eine Fahne hinter sich herziehend. Es kam auf jede Sekunde an. Gleich neben der Bibliothek war der Eingang des Schneilifts in den 20
Bunker, gedacht für den Katastrophenfall. Die Tür blieb geschlossen, reagierte weder auf den wütenden Knopfdruck noch auf das Trommeln von Juliens Fäusten. Der Lift war blockiert Zu Fuß! Julien raste die Treppe hinab. Den am Aufgang stehenden Butler warf er zur Seite. Geschirr klirrte. Die Tür zum Bunker! Rütteln! Zu. Aus. Hier hätte auch Dynamit nicht geholfen. Julien zwang sich zur Ruhe. Was war mit dem Reaktor geschehen? Wie kam er dorthin? Die Ladeluke! Er jagte durch die Empfangshalle zur Eingangstür, prallte fast erneut gegen den Diener, der die Scherben aufsammelte. . Gott sei Dank, die Tür war offen! Die schiefe Ebene hinab konnte er seinen Lauf kaum bremsen. Der Atem blieb ihm weg. Die Ladeluke lag an der Hinterseite des Pyramidenstumpfes, und er ging ein paar Schritte langsam, um Luft zu schöpfen, doch das Stechen in der Herzgegend wurde nicht schwächer. Er setzte sich trotzdem wieder in Trab. Die Angst um sein Werk trieb ihn voran. Als er um die Ecke bog, sah er: Im Bunker brannte Licht Die Ladeluke weit offen! Julien lief schneller. Es hatte sich jemand an der Energiebasis zu schaffen gemacht, und er glaubte auch zu wissen, wer das gewesen war. Richard Cooper saß in einem Schaukelstuhl und las, vor- und zurückwippend, die „Newport Morning Post". Schwer atmend blieb Julien vor ihm stehen und versuchte vergeblich, Luft für ein Wort zu finden. „Ich habe mir gedacht, daß du Atembeschwerden haben wirst, wenn du hier ankommst", sagte Richard Cooper und ließ die Zeitung auf die Knie sinken. „Hinter dir steht ein Stuhl." Julien ließ sich auf den Schemel fallen und sah erst jetzt das hektisch blinkende Alarmsignal am Reaktor. „Hör her", sagte Cooper jetzt „Als du vor einigen Tagen hier ankamst spieltest du auf meine Fachkenntnisse an, die noch nicht völlig verschüttet sein sollten. Du hattest recht. Ich habe ein wenig gekramt in meinen kleinen grauen Zellen. Punktum: Der Reaktor ist dabei, durchzugehen. Ich habe die Moderatoren auf den kritischen Punkt gebracht und blockiert Du dürftest gesehen haben, wie die Temperatur steigt." Julien brachte nur ein Stöhnen hervor. „Ich will", fuhr Cooper fort, „uns beiden nicht die Chancen verderben, denn ich glaube daran, daß deine .Hivernage' genauso funktioniert wie damals deine psychologischen Fernstrahler." Endlich bekam Julien wieder Luft, aber er konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Wir müssen doch etwas tun!" stammelte er. „Ich bin überzeugt, daß ich im Jahr 2086 lebend aus der .Hivemage' heraustreten werde, und ich selbst will es, weil ich — allein die Zinsen! — ein riesiges Vermögen haben werde. Außerdem werden weitere Menschen den Sprung ins andere Jahrtausend wagen, und die Cooper-Julien-AG wird profitieren." Julien konnte nun wieder klarer denken. „Richard, laß den Reaktor nicht zum Teufel gehen! Wir gehen doch mit in die Luft!" Er ächzte. „Ich brauche sofort deine Zusage, daß mir einundfünfzig Prozent der 21
Aktien gehören und die entsprechenden Sessel im Auf sichtsrat dazu. Sobald ich wieder aufwache, werde ich dort den Vorsitz führen!" Cooper sah Julien lauernd an. „Das ist meine Bedingung!" Julien überlegte fieberhaft. Richard wollte ihn reinlegen. Daran also hatte er die ganze Zeit über gedacht. Julien zögerte nicht länger. Wenn Cooper erst in der „Hivernage" war, würde sich schon ein Ausweg finden lassen. „Also gut." Er sah gebannt auf die rote Lampe. „Du sollst deinen Willen haben. Jetzt aber tu etwas!" „Dort liegt das Formular. Unterschreib!" Dann: „Du kannst die Überbrückung aus dem Thermokontrollkabel entfernen. Der Reaktor arbeitet normal." Cooper stand auf und verschwand mit dem Schriftstück im Hintergrund. Erst jetzt sah Julien den Hund, der behäbig seinem Herrn nachschlich, und es war ihm, als sähe er den Köter schadenfroh lachen.
Zehntes Kapitel in dem sich ein Hubschrauberpulk nähert und in dem Adolphe Julien ein paar Stunden Schlaf findet Aus Sicherheitsgründen hatte Julien die Radarstation wieder besetzen lassen. Pünktlich sieben Uhr, es war noch dunkel, meldete der Diensthabende vom Radarturm, daß sich ein Hubschrauberpulk dem Anwesen nähere. Das waren die Fernsehleute. Kaum hatten die Helikopter vor dem Bunker aufgesetzt, entquoll ihnen eine wilde Meute durcheinanderschwatzender Menschen. In Windeseile hatten sie sich über das Gelände verstreut. Man sah sie auf dem Dach, wie sie einen Richtstrahler montierten, im Bunker stellten sie Kameras auf, man hörte sie mit dem Personal des Hauses schimpfen und Scherzworte tauschen, sie fluchten und lachten, manche schwitzten schon. Kabelstränge wurden verlegt, Scheinwerfer gerichtet, und in einem der Hubschrauber lief fast geräuschlos ein kleines Dieselaggregat an. Der Bunker hatte sich verändert. Gleich neben dem Reaktor, dessen Kontrollicht seit sechs Uhr wieder gleichmäßig leuchtete, stand zierlich der Steuerwürfel. Davor hatte man einen drehbaren Sessel installiert. Etwas im Hintergrund erhob sich die „Hivernage". Das Bullauge wurde von Scheinwerfern angestrahlt und warf das Licht matt zurück. Drei Kameras waren fest montiert worden. Sie richteten ihre Objektive auf den Steuerwürfel, auf den Reaktor und auf das Bullauge. Vor das Objektiv der dritten Kamera hatten die Fernsehleute ein Polarisationsfilter gesetzt und damit alle störenden Reflexe ausgeschaltet. Mr. Coopers Gesicht würde auf den Monitoren deutlich zu sehen sein, Julien schlief noch. Er hatte nach der Aufregung um den Reaktor bis weit 22
ach Mitternacht noch einmal alle Aggregate überprüft. Auch die beiden ngenieure waren noch nicht da. Einzig Mr. Cooper, von seinem Hund gefolgt, durchschritt das Terrain, den Fernsehleuten hier und da unverlangte Ratschläge gebend. Trotz seiner klugen Empfehlungen konnte sich der Aufnahmestab Punkt neun Uhr zum Frühstück zurückziehen. Eine halbe Stunde später schnurrte Coopers UKW-Sprechgerät. Der Radarturm meldete sich und kündigte eine Kette von Autos an, die vom Highway New York—Boston abgebogen waren und Mr. Coopers Villa ansteuerten. „Danke für die Warnung", rief Cooper leutselig in das Taschengerät. Den Empfang überlasse ich Mrs. Cooper, dachte er und stampfte so eilig davon, daß der Hund Mühe hatte, ihm zu folgen.
Elftes Kapitel in dem der Leser zusehen darf, wie sich Mr. Cooper auf den großen Augenblick vorbereitet, und das seine Abschiedsrede und die letzten Minuten in seinem gegenwärtigen Leben wiedergibt Der große Augenblick war gekommen. Cooper stand fertig angekleidet in seinem Zimmer und sah ein letztes Mal in den Spiegel. Er trug schwarze Lackschuhe, die ein wenig drückten, denn er hatte sie lange nicht getragen. Der tief ausgeschnittene Smoking mit den breiten Revers saß tadellos und ließ viel von dem blütenweißen Hemd sehen, dessen steifer Kragen unangenehm an Coopers frisch rasiertem Hals rieb. Die weiße Schleife mit dezentem schwarzem Streifen hatte er groß wählen müssen, damit sie unter seinem Doppelkinn nicht verschwand. Die Krone aber, die ihn zum König machte, war der glänzende weiße Zylinder. Richard Coopers Sorge war nur, daß Juliens „Hivernage" nicht hoch genug sein würde und er ohne Zylinder in sein neues Leben treten müßte. Mr. Cooper schaute auf die Taschenuhr. Es war Zeit, in den Bunker zu fahren. Rings um die „Hivernage" drängten sich mehr als hundert Leute. Für die prominentesten war eine Tribüne aufgestellt worden. Davor machten sich Reporter mit Fotoapparaten, Kameraleute von Wochenschauen und die Windhunde der Sensationsblätter gegenseitig die besten Plätze streitig. Julien stand auf der Tribüne neben einem beleibten, aber gutaussehenden Herrn, den er mit „Mister Ward" ansprach. Das war der Vertreter der 23
„Electronic Association", der Mann, der Julien die letzten verschlossenen Türen öffnen sollte. Alles hing vom Verlauf des Experimentes ab und davon, was die Ärzte aus dem Elektrokardiogramm und aus dem Elektroenzephalogramm herauslesen würden. Julien hörte das Schnurren des Schneilifts. Als dann Cooper in den Lichtkreis der Scheinwerfer trat, erstarb das Geraune. Der beleibte Herr der „Electronic Association" schickte ein freundliches Nicken zu ihm hin, wie es unter Geschäftsleuten üblich ist. Blitzlichter flammten auf, Verschlüsse klickten, Handkameras begannen zu surren, und die Sendelämpchen der Fernsehkameras leuchteten auf. Adolphe Julien stieg zu Cooper hinunter, umarmte ihn und flüsterte ihm Worte ins Ohr, die auch die feinen Mikrofone, glücklicherweise, nicht auffingen. Dann setzte er sich in seinen Drehsessel vor den Steuerwürfel. Vor der „Hivemage" war ein kleines Podest aufgebaut worden, mit weißem Stoff überzogen, von Blumengirlanden umrankt. Auf diesen hölzernen Klotz stellte sich Richard Cooper und hob beide Hände empor. Wer jetzt noch geflüstert hatte, verstummte, wer die Augen auf die Schuhspitzen gerichtet hatte, schaute auf. Richard Cooper hob an zu sprechen: „Meine Herren!" Er ließ die Hände sinken, blickte über die Versammelten hinweg und fuhr fort: „Immer hat es in der Wissenschaft Menschen gegeben, die bereit waren, ihr Leben für den Fortschritt hinzugeben, und ich will Ihnen das Aufzählen der endlosen Reihe von Namen ersparen. Wenn Sie nun glauben, ich wollte auch den meinen auf diesem Ruhmesblatt der Menschheit verewigt wissen, so darf ich Sie enttäuschen. Ich opfere mein Leben nicht der Wissenschaft, sondern die Wissenschaft — und in ihrem Auftrag einer ihrer besten Vertreter, Dr. Adolphe Julien — schenkt mir ein zweites Leben. Niemand braucht meinen Mut zu bewundern, denn mit jeder Faser meines Fleisches, jeder Zelle meiner Nerven, mit meiner ganzen Persönlichkeit glaube ich an Monsieur Julien. Sie, meine Herren, werden das Gelingen des Experiments in spätestens einer Stunde feststellen, ich in hundert Jahren. Aber Sie können davon überzeugt sein, daß mir die über sechsunddreißigtausend Tage schneller vergangen sein werden als Ihnen die sechzig Minuten..." Der überschwengliche Optimismus rief an dieser Stelle brausenden Beifall hervor, und Mr. Cooper verneigte sich lächelnd. Dann sprach er weiter: „An Ihren Ovationen, meine Herren, erkenne ich, d a ß Sie meine Überzeugung teilen, und gewiß werde ich einigen von Ihnen irgendwann in der Zukunft begegnen, und wir werden gemeinsam lachen über die Sensation, die das erste Experiment mit der Unsterblichkeit bewirkt hat. Ich m u ß Ihnen allen nicht erzählen, wie groß die Bedeutung dieses Versuchs für die Wissenschaft und für unsere Wirtschaft ist. Denken Sie nur daran, daß wir bald keine Sorgen mehr mit Arbeitslosen nahen werden. Die Cooper-Julien-AG friert diese einfach ein, bis sie wieder gebraucht werden! Oder denken Sie an die Weltraumfahrt. Bis jetzt waren wir nur auf dem Mond. Mit Hilfe der Cooper-Julien-AG aber werden die-fernsten Planeten genauso leicht für unsere in Anabiose liegenden Astronauten erreichbar sein. Denken Sie an die Kosten für unsere Gefängnisse! Durch die Erzeugnisse der Cooper-Julien-AG werden diese Kosten auf fast Null sinken. — Aber all diese Dinge sind Ihnen bekannt. 24
Liebe Freunde! Glauben Sie mir, ich bin ungeduldig wie vor einer Transaktion, und im übertragenen Sinne findet hier auch eine statt. Adolphe Julien, liebster Freund, wir wollen beginnen!" Eine Bewegung ging durch die wartenden Menschen. Die Spannung erreichte den Höhepunkt. Adolphe Julien w a r blaß geworden. Er wußte: Das war der entscheidende Moment in seinem Dasein! Er dachte das nicht, weil er Cooper ins J a h r 2086 verschaukeln wollte, sondern weil sich an dieser Stelle, in diesem Augenblick sein Leben als Wissenschaftler vollendete und sein Leben in der Creme der Gesellschaft beginnen sollte. Er drehte seinen Sessel zum Steuerwürfel und stieß den gelben Knopf nach unten. Hinter Mr. Cooper klappte das Teil mit dem Bullauge nach vorn und gab den Innenraum frei. Die Menge war erstarrt. Richard Cooper stieg vom blumenumkränzten Podest herunter und zog sich mühselig in den gepolsterten Hohlraum. An eine Treppe hatte niemand gedacht Mit eingezogenem Schwanz kam aus dem unbeleuchteten Teil des Bunkers der Hund geschlichen, sah zu seinem Herrn hinauf, dann zu der Menschenansammlung und begann laut und jämmerlich zu heulen. Schließlich stemmte er die Vorderpfoten auf den Innenboden der „Hivernage" und versuchte hineinzukommen. Bei den Umstehenden löste sich die Spannung, und Schadenfreude machte sich auf den Gesichtern breit. Julien stand auf und schob den Hund hinein, der sich sofort um die Füße seines Herrn ringelte, den Kopf auf dessen Lackschuhe legte und kurz darauf eingeschlafen war. Sein Schnarchen würden aus Rundfunkempfängern und Fernsehgeräten Millionen vernehmen. Erneut setzte sich Julien an den Steuerwürfel, sah zu Mr. Ward, und auf dessen Nicken drückte er den grünen Knopf des Steuerpultes. Jetzt ließ sich " nichts mehr aufhalten. Langsam schloß sich die Luke. Julien saß auf seinem Drehsessel und beobachtete die Meßgeräte. Das Einfrieren lief programmgesteuert. An der Seite des Würfels befand sich ein Schlitz, aus dem zwei Papierstreifen krochen, die Kurven des EKG und des EEG. Julien verfolgte in Gedanken, was nun im einzelnen ablief. Jetzt eben mußte das Gas einströmen, aromatisch duftend, einschläfernd. Nach dem Gas kam die Kälte, ganz langsam, aber unaufhaltsam. Nach einer Stunde würden genau zehn Grad Fahrenheit herrschen, und alles Mikroleben würde erloschen sein. Dank des Gases aber, dessen Zusammensetzung Juliens große Leistung war, würden die Lebensvorgänge in Coopers Körper nicht enden, sondern unendlich verlangsamt weiterlaufen. Julien schaute auf die Kurven des EKG und des EEG, die blau und violett aus dem Würfel wanderten. Die Herztätigkeit war fast am Nullpunkt angelangt; die Gehirnströme wurden noch in voller Stärke aufgezeichnet mit den charakteristischen Kurven für tief Schlafende. Jetzt trat der leitende Arzt hinzu, Prof. Dr. med. Stirling, eine Kapazität der inneren Medizin. Julien hatte ihn eigens aus New York kommen lassen. „Ganz eigentümlich", murmelte der Internist." „Herztätigkeit ausgesetzt— Bioströme normal." „Sie werden sich gleich dem Nullpunkt nähern. Ich betone: nähern! In 25
minimaler Intensität werden die Ströme hundert J a h r e lang zu registrieren sein", sagte Julien. Professor Stirling beugte sich wieder über das Papier. Dann richtete er sich auf, wandte sich den wartenden Menschen und Kameras zu und setzte die Brille ab. „Ich bin außerstande..., dieser Zustand... Ich habe keine Erklärung! Mr. Cooper ist tot, aber einwandfreie Biosignale..." Jubel klang auf, und Adolphe Julien mußte Dutzende Hände drücken und durfte Komplimente entgegennehmen. Endlich war er der berühmte Mann, von dem schon die Kinder in der Schule achtungsvoll sprechen würden. Inmitten dieses Tumults stand der Professor aus New York, schaute die Papierstreifen an und schüttelte immer wieder seinen grauhaarigen Kopf.
Zwölftes Kapitel in dem Mr. Cooper aus hundertjährigem Schlaf erwacht und eine denkwürdige Begegnung hat Während Richard Cooper in Begriff war, munter zu werden, mußte er dreimal hintereinander kräftig niesen. Im gleichen Moment wurde ihm seine Lage bewußt, und er bekam Angst vor der neuen Welt, von der er gar nichts wußte. Wie würde man ihn, den Fremdling, aufnehmen? Und vor allem, würde man ihm wirklich sein Geld geben? Was war mit dem Vorsitz im Aufsichtsrat der Cooper-Julien-AG? Richard Cooper erschrak, als sich zu seinen Füßen etwas bewegte. Doch er erinnerte sich. Seine Hündin Cloth hatte im letzten Moment den Weg zu ihm gefunden, dann war die Tür der „Hivernage" zugeklappt, und es war empfindlich kalt geworden. Er hatte Angst gehabt, jämmerliche Angst, daß Julien ihn betrogen hatte und er erfrieren müßte. Fast im gleichen Augenblick hatte er das leise Rauschen des ausströmenden Gases gehört, und eine glückselige Müdigkeit war über ihn gekommen, hatte die Angst genommen und die Kälte. Das grelle Scheinwerferlicht, das ihn durchs Bullauge getroffen hatte, war erst gelb, dann orange und schließlich dunkelkarminrot geworden, und Cooper hatte gelächelt, ehe er in einen traumlosen Schlaf gesunken war. Jetzt, da er erwacht war, zweifelte er keine Sekunde, daß er im J a h r e 2086 angelangt war. Ihm war entsetzlich kalt, und er spürte, wie der Hund zu seinen Füßen zitterte. — Julien hatte das einst erklärt: Energiemangel des Körpers, zu beseitigen mit kalorienreicher Nahrung. Endlich entschloß sich Mr. Cooper, die Augen zu öffnen. Was ihn umgab, ließ ihn noch mehr frieren. Stockdunkle Finsternis ringsum. Er tastete im engen Raum der „Hivernage" nach dem Bullauge. Da war es! Aber nicht der kleinste Lichtschimmer drang hindurch. Vermutungen nutzten nichts. Er mußte warten. Julien hatte gesagt, daß sich die Tür öffne, sobald sich die Innen- der Außentemperatur angepaßt habe. 26
In der „Hivernage" wurde es wärmer. Die Mäanderschleifen, die der Kabine hundert J a h r e lang Wärme entzogen hatten, brachten sie jetzt zurück. Die Hündin winselte kläglich. Cooper versuchte sich nach unten zu beugen und stieß mit dem Zylinder gegen das Bullauge. Dann stützte er sich an der Wand ab und probierte, sich zu kauern. Er wollte Cloth streicheln und beruhigen, vielleicht auch wollte er sich im Fell die Finger wärmen. Cooper hatte jedoch die Knie noch nicht richtig gebeugt, als die Tür der „Hivernage" aufsprang und mit einem lauten Krach gegen die Außenwand schlug. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte kopfüber auf den rauhen Betonboden. Wie betäubt blieb er liegen. Die rechte Hand und ein Knie schmerzten fürchterlich. Seinen schönen weißen Zylinder hatte er beim Sturz verloren, und er konnte ihn nicht ertasten. Er hörte den Hund j ammern, sah ihn aber nicht. Im Bunker herrschte eine ägyptische Finsternis. Richard Cooper war enttäuscht. Er hatte erwartet, mit dem gleichen Pomp empfangen zu werden, mit dem man ihn verabschiedet hatte. Nun lag er auf dem kalten Betonfußboden, mit zerschundenen Gliedern, fror und hatte einen grabenden Hunger. Er versuchte, sich die Räumlichkeiten in Erinnerung zurückzurufen, denn wohl oder übel mußte er sich selbst helfen. Dann stand er mühsam auf und ging ein paar Schritte, wie er meinte, zurück zur „Hivernage". Aber bei seinem Sturz hatte er die Orientierung verloren. Seine vorgestreckten Hände ertasteten nichts. Zu allem Unglück gab der Hund keinen Laut mehr. Cooper blieb stehen, ließ die Arme sinken und drehte sich langsam. Da durchzuckte ihn freudiges Erschrecken. Er sah eine winzige Kontrollampe glimmen und hörte nun das leise Summen. Er wußte sofort: Dort steht der Reaktor. Rasch lief er hin, das Stechen im Knie nicht beachtend. Er tastete sich um den Block herum und sah jetzt ein mattes Leuchtfeld in zwei Meter Höhe. Darunter mußte sich der Eingang zum Energieraum des Bunkers befinden. Nun konnte nichts mehr schiefgehen. Dort war Licht für den ganzen Bunker. Richard Cooper ging langsam, denn er spürte sein verletztes Knie stärker. Er fühlte etwas Warmes, Weiches an seiner Seite und wußte, daß es Cloth war, die neben ihm lief. Der Mann und der Hund waren angelangt unter dem Lämpchen, das die Tür markierte. Cooper tastete nach dem Drehgriff, fand ihn, und langsam, ganz langsam, drehte sich die Tür in den Angeln. Auch hier war es stockdunkel, aber er wußte, wo sich die Schalter befanden, die Licht und Wärme geben würden. Nach drei Schritten, blind in die Finsternis hinein, tasteten seine Finger über das an der Wand befestigte Schaltbrett. Sein Herz schlug bis zum Halse. Pochend durchrauschte das Blut seinen Schädel, gaukelte ihm bunte Reflexe auf die Netzhaut. Er begann nach Luft zu schnappen. Die Atemnot bedrängte ihn immer stärker. Er riß einen Ölschalter nach unten, und eine Leuchtschrift tauchte auf: „Spannung!" So grell war für ihn dieses Licht, daß er geblendet die Augen schloß. Die Batterie gibt Strom, konnte er noch denken, dann riß ihn ein Schwächeanfall von den Füßen. Als er erwachte, spürte er sofort die Wärme, die den Bunker durchdrang. Er rappelte sich auf und drehte zwei Schalter. Das helle Licht traf ihn wie ein Peitschenhieb. Erst nach einer ganzen Weile versuchte er ein Blinzeln, und 27
langsam gewöhnten sich die Pupillen an die Helligkeit. Unmittelbar zu seinen Füßen stand Cloth, und das machte ihn stutzig. Cloth stand doch nie! Entweder schlich sie neben ihm her, den Schwanz zwischen den Beinen, die Zunge am Boden, öder sie lag zusammengekrümmt in einer Ecke. Jetzt aber stand sie fest auf ihren vier Beinen, und das Fell sträubte sich ihr. Cooper folgte dem Blick des Hundes, und der eisige Hauch des Entsetzens traf ihn. Er sah durch die noch geöffnete Tür in den nun auch hell erleuchteten Hauptraum des Bunkers hinüber, in dessen Mitte die „Hivernage" stand. Unwillkürlich tat er einen Schritt zurück. An der Wand, die der Tür gegenüberlag, standen in Reih und Glied Menschen nebeneinander, die Augen geschlossen, die Hände gleichsam an der Hosennaht. Noch immer war kein Laut zu hören, und Cooper faßte sich. Er ging langsam und vorsichtig auf die Reihe festlich gekleideter Menschen zu. Als er in zwei Meter Entfernung von ihnen verharrte, sah er die dünne Glaswand, die ihn von den Leuten trennte, und bemerkte auch die Glasscheiben zwischen ihnen. Wie in einem Panoptikum stand vor jeder der Gestalten ein kleines Schild. „Henry Sheleen", las Cooper laut, „geboren am 11. Februar 1992. Beginn des Tiefschlafes: 14. Juli 2040, Erwachen aus Tief schlaf: 14. Juli 2200." Mit einem Schlag wurde für Cooper vieles klar. Er hatte eine verbesserte Massenhivernage vor sich. Die Sheleens waren irgendwie mit seiner Frau verwandt gewesen, deswegen standen sie in seinem Bunker. Mal sehen, wer noch alles hier stand und auf die Zukunft wartete. Beim Lesen der Daten sah er, daß sie alle am gleichen Tag erwachen würden: Allan Priskett, Nicholas King, Laurence Lowndes und noch drei andere. Etwas abseits in einer Vitrine, die noch viel Ähnlichkeit mit seiner Hivernage hatte, stand eine Frau. Cooper ging hin, um nach dem Namen zu sehen, denn sie kam ihm bekannt vor. Aber das war doch... Vor ihm stand Dorothy Cooper, die ihm vor hundertdreißig Jahren angetraute. Ein Blick auf das Schild gab ihm die Ruhe wieder: „Tiefschlaf Ende: 16. September 2100", konnte er lesen. Bis dahin waren noch Jahre Zeit. Vielleicht konnte er sogar etwas am Programm ändern? Heimtückisch war es trotzdem von ihr!
Dreizehntes und letztes Kapitel in dem montags Ruhetag ist und in dem Mr. Cooper einem Menschen aus seiner Zukunft begegnet Sein großes Problem wurde der Hunger. Den Bunker wollte er nicht verlassen, bevor er die Strahlung an dessen Außenseite gemessen hatte, also mußte er sich mit dem Bunkervorrat begnügen. Die Tür zum-Vorratsraum ließ sich leicht öffnen. Coopers Schweinsäugleih begannen zu glänzen, als 28
er die wohlgefüllten Regale sah, die dick mit Reif überzogen waren. Er griff sich eine Dose Hühnerfleisch vom Stapel und dazu eine Büchse Coca Cola. Auch Cloth vergaß er nicht. In einer Ecke türmten sich Hundekuchen. Ein beschriftetes Pappschild schob er achtlos zur Seite. „Konserven 20. Jahrhundert" stand darauf. Zum Essen suchte er nicht die Wohnabteilung des Bunkers auf, sondern er stopfte das Hühnerfleisch im Stehen in sich hinein, kalt, wie es war. Nachdem er die Colabüehse mit einem energischen Ruck aufgezogen und in einem Zug geleert hatte, fühlte er seine Energien zurückkehren. Gleichzeitig meldeten sich Bedenken. Weshalb hatte kein Licht im Bunker gebrannt, und warum war die Außenluke geschlossen? Sollte es wirklich... Aber sein Bunker stand, und er selbst lebte, hatte Sauerstoff, Wärme, Nahrung. — Gleich würde er es wissen. Cooper ging zurück zum Schaltraum, zu den Meßgeräten. In der Mitte stand ein halbkreisförmig angeordnetes Schaltpult. Im senkrechten Teil glänzten die Bildschirme zweier Monitoren. Es war alles nach dem letzten Schrei der Technik des Jahres 1986 ausgestattet. Cooper schaltete Energie zu und wartete, bis die Spannungsanzeige ausgependelt hatte. Dann drückte er mit schweißigen Fingern den Knopf für den Meßbefehl und starrte auf die Skala, wo gleich die rote Säule emporschießen mußte. Aber sie k a m nicht über den Nullwert hinaus. Es besteht noch eine Möglichkeit, dachte er. Die Meßsonde könnte beschädigt sein. Er schaltete Monitor I ein, dessen Kamera über der großen Eingangstür hinter verbleitem Glas angebracht war. Das Bild kam, und Richard Cooper 29
atmete auf. Alles war in Ordnung. Die Erde stand, lebte. Kein Atomfeuer hatte sie in diesen hundert Jahren zerstört. Das Bild zeigte den Weg vor der Luke zum Bunker, die Masten des elektronischen Sperrzaunes und dahinter den schier undurchdringlich gewordenen hohen Wald. Richard Cooper fühlte sich wie in einem eben gelandeten Raumschiff, als er die Außenmikrofone einschaltete. Aber die Lautsprecher, stereophon angeordnet, schwiegen. Nur leises Rauschen war zu vernehmen. Jetzt hielt ihn nichts mehr! Cloth konnte kaum Schritt halten, so stürmte Cooper zum Lift. Er öffnete die Tür und ließ sich nach oben bringen. Es funktionierte einwandfrei, und er war stolz auf sein Haus. Im Empfangsraum war alles wie vor hundert Jahren. Die Geweihe, der Saukopf, der Kamin, in dem noch nie ein Feuer gelodert hatte, und die Ahnengalerie entlang der T r e p p e . . . Halt! Da war etwas verändert! Ein Bild war hinzugekommen! Cooper eilte die Treppe hinauf und warf sich in die Brust. Als oberstes Bild hing sein eigenes Konterfei in Öl und Goldrahmen. Hinab schritt er die Treppe, und es zog ihn ganz von selbst vor den Kristallspiegel neben dem Treppenaufgang. Da mußte er sich an der Wand festhalten. Wie sah er denn aus? In seinem Gesicht wucherte ein mächtiger Bart. Die Ellenbogen waren durchgescheuert, und durch das linke Hosenbein spießte sein blutiges Knie. Ich muß gründlich Toilette machen und mich neu einkleiden, dachte er. Ihm wurde das Fehlen eines Dieners bewußt. „Butler!" rief er laut und erschrak vor seiner Stimme, die seltsam hohl in dem leeren Haus klang. Nach seinem Ruf schlug ihm die Stille über dem Kopf zusammen, und er eilte zum Entree, riß die Tür auf. Der Tag sah durch die Scheiben freundlicher aus, als er war, und Cooper wurde fröstelnd daran erinnert, daß es Ende November sein mußte. Er stand an der Brüstung der Auffahrt und schaute dorthin, wo die Straße zu seinem Haus vom Highway abzweigte. Sosehr er seine Augen anstrengte, er konnte keine Bewegung entdecken. Richard Cooper begriff nichts, und langsam begann ihm das unheimlich zu werden. Er erinnerte sich des Telefons, das im Empfangsraum stand, und er lief hinein, wählte eine Nummer. Irgendeine. Nur eine menschliche Stimme hören! Der Apparat schwieg, war anscheinend nicht angeschlossen. Ich muß jemanden sehen oder mindestens hören, dachte er, warf den Hörer auf die Gabel und stürmte die Treppe hinauf in sein Zimmer, wo er ein Fernsehgerät-und einen Rundfunkempfänger wußte. Doch beide waren verschwunden. Er ärgerte sich, als er daran dachte, wer sie wohl mitgenommen haben mochte. Dann jedoch ließ er sich mutlos in einen Sessel fallen. Was war geschehen? Die Finsternis beim Erwachen, die lebenden Mumien in den Glasvitrinen, die Ruhe im Telefon — das alles hatte in ihm die Erkenntnis reifen lassen, daß etwas Furchtbares passiert war. Seine Welt, sein Amerika existierte nicht mehr! An Atombomben hatte er gedacht, aber seine psychologischen Fernstrahler, die hatte er vergessen. Als sich in seinem Hirn dieser Gedanke gebildet hatte, brach er in 30
hemmungsloses Schluchzen aus. Wie stolz und erhaben hatte er noch vor seinem Bild in der Ahnengalerie gestanden... Sein tränengetrübter Blick fiel auf die „New York Times", die auf dem Tisch lag. Die Bilder waren herrlich bunt und wirkten dreidimensional. Cooper zog die Zeitung zu sich heran und schaute auf das Datum. 14. J a n u a r 2046, las er. Also vierzig J a h r e alt. Aber dieses Bild! Das war doch sein Haus! Mit zitternden Händen überflog er den Artikel. Nein! Das konnte nicht sein! Seine Festung Electronica ein Museum? Geöffnet Dienstag bis Sonntag? Zu besichtigen: letzte Vertreter der „High Society". Cooper schüttelte den Kopf und fing noch einmal an zu lesen. Die Zeilen verschwammen ihm vor den Augen. Was nützten ihm die hundert gewonnenen Jahre, wenn keiner mehr da war, den er mit seinem Geld und seiner Macht für sich anstellen konnte? Kein Diener, kein Chauffeur, keine Köchin! Er war ja schlimmer dran als ein Landstreicher. Wer sollte ihm die Schuhe putzen? Wer die Kleider ausbürsten? Wer das Essen bereiten und auftragen? Cooper watschelte aus dem Zimmer, und das Knie schmerzte erneut. Beim Öffnen der großen Glastür zur Auffahrt spürte er wieder, daß seine Hand zerschunden war, denn es fiel ihm schwer, den Knauf zu drehen. Er schaute die Straße hinab, und erst jetzt bemerkte er die weit offenstehenden Tore. Resignierend drehte er sich um und sah an der Tür das Schild hängen: Montags geschlossen. Plötzlich hörte er hinter sich in der Diele ein Geräusch. Sie kommen, dachte er und drehte sich um, so schnell er konnte. In sein Gesicht trat Furcht, und er dachte an den Abend in der Bibliothek. Vor ihm stand, in voller Lebensgröße und quicklebendig, Adolphe Julien. „Guten Tag, Mr. Cooper", sagte er. „Entschuldigen Sie, daß ich nicht eher zur Stelle war. Sie sind vierzehn Tage zu zeitig aufgewacht. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Renaldo Julien. Sie haben wohl noch meinen Großvater gekannt. Ich bin der Direktor dieses Museums. Man sagte mir, das Haus hätte einmal Ihnen gehört? Aber Sie werden sich erst einmal umkleiden wollen. Zum Glück ist heute kein Betrieb, denn es ist Montag. Und morgen kommt sicher auch niemand, weil überall der Weltjugendtag gefeiert wird; da ist jedes J a h r viel los. Wer geht da schon ins Museum! Obwohl wir die Anabiose unterdessen fast vollkommen beherrschen, werden sich die Ärzte selbstverständlich freuen, wenn sie erfahren, daß Sie aufgewacht sind. Dem einzigen tödlichen Unfall beim Kälteschlaf ist übrigens Adolphe Julien zum Opfer gefallen, doch er war indirekt selbst schuld daran. Aus Mißtrauen ließ er sich mit einem Aktienpaket einfrieren. Gangster, die auch Bargeld bei ihm vermuteten, knackten seine .Hivernage' und verschwanden mit den Wertpapieren auf Nimmerwiedersehen. Na, die Dinger hätten unterdessen sowieso nur noch Sammlerwert, aber meinen Großvater kostete damals der Einbruch das Leben. Sie jedoch, Mister Cooper, waren am längsten in so einer Blechbüchse. Die Wissenschaftler werden Sie anstaunen wie einen Dinosaurier und Ihren Hund auch nicht vergessen... Was ist denn, fühlen Sie sich nicht wohl, Mister Cooper?" 31
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Joseph Conrad
Der Partner
Als das stolze Segelschiff „Sagamore" die Themsemündung mit Ladung für den Kontinent verläßt, hat es einen neuen Matrosen an Bord. Kapitän Harry Dunbar ahnt nicht, daß dieser Mann mit einem bestimmten Auftrag gekommen ist. Als bei einem Sturm in der Westport-Bucht die Ankerkette reißt, glaubt der Kapitän an eine Havarie und hofft, das Schiff noch retten zu können. 32
BUCH CLUB
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