Das neue Abenteuer 331
Steen Steensen Blicher
Der Wilddieb von Ansbjerg
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme ...
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Das neue Abenteuer 331
Steen Steensen Blicher
Der Wilddieb von Ansbjerg
Verlag Neues Leben, Berlin
V 1.0 by Dumme Pute
© Verlag Neues Leben, Berlin 1974 Lizenz Nr. 303 (305/67/74) LSV 7721 Umschlag und Illustrationen: Werner Ruhner Typografie: Martin Claus Schrift: 9p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 641 888 3 EVP 0,25
I
Jütland ist eine wunderbar grüne Halbinsel mit weiten Ebenen, Hügeln und Tälern mit bewaldeten Hängen. Nur ein kleiner Teil ist urbar gemacht, und die Wege sind schmal und überwuchert. Die Dörfer liegen weit auseinander, und es gibt keine Grenzen zwischen den Äckern und Weiden. Der Platz reicht für alle. An einem schönen Herbsttag ritt ein junger, gutgekleideter Mann auf ein Roggenfeld zu, wo ein Bauer mit seiner Familie gerade die Ernte einbrachte, und fragte nach dem Weg zum Herrenhof Ansbjerg. Der Bauer sagte ihm, daß er sich hier auf dem falschen Weg befände, und rief einen Knecht herbei, der dem Fremden den richtigen Weg weisen sollte. Der Reiter bedankte sich höflich. Aber noch ehe er und sein Begleiter aufgebrochen waren, zog ein Ereignis die Aufmerksamkeit des Reiters und der Bauersleute auf sich. Von einem nahen Heidehügel raste ein Hirsch in schnellem Tempo herab, auf seinem Rücken einen Mann tragend. Es war ein großer und kräftiger Mann, von Kopf bis Fuß braun gekleidet, der zwischen den Geweihenden des Hirsches eingeklemmt war. Da der Hirsch den Kopf nach hinten geworfen hatte, entstand der Eindruck, als ob der Mann auf dem Hirsch ritt. Der seltsame Reiter hatte offensichtlich seinen Hut verloren, denn seine langen schwarzen Haare wehten im Wind. Mit einer Hand versuchte er ständig, dem Hirsch ein Messer ins Genick zu stoßen. Aber dessen gewaltige Sprünge hinderten ihn daran, sicher zu zielen. Als der Hirsch mit seiner ungewohnten Last nahe an den erstaunten Beobachtern vorbeijagte, erkannte der Bauer den Mann.
"He! Mads! Wo willst du hin?" "Das mögen der Hirsch und der Satan wissen!" rief dieser zurück und war in wenigen Minuten den Blicken entschwunden. "Wer war das?" fragte der fremde Reiter. "Potztausend!" erwiderte der Bauer. "Das war Mads Hansen, ein armer Schlucker. Sie nennen ihn auch den Schwarzen Mads. Er hat ein kleines Haus auf der anderen Seite des Flusses. Es geht ihm schlecht. Er hat viele Kinder und muß sich durchschlagen, wie er kann. Er kommt bisweilen hier herüber und holt sich einen Hirsch. Aber heute sieht es so aus, als ob der Hirsch ihn geholt hat", fügte er hinzu. "Der Mads ist wirklich ein verwegener Bursche, aber etwas Schlechtes über ihn ist mir noch nicht zu Ohren gekommen. Er schießt hin und wieder ein Stück Wild. Was soll man dazu sagen? Es gibt genug davon. Das können Sie selber sehen, wie die Ähren von meinem Roggen abgeschlagen sind. Aber da kommt ja Jäger Niels. Heute wird er den Schwarzen Mads nicht fangen, der ist besser beritten als er." Jetzt sah man von dem Heidehügel einen Jäger in langgestrecktem Galopp auf die Gruppe zureiten. "Habt Ihr nicht den Schwarzen Mads gesehen?" rief er schon von weitem. "Wir haben nur einen Reiter auf einem Hirsch gesehen. Aber wir konnten nicht erkennen, wer es war, denn er ritt mit einem Tempo vorüber, daß man ihm kaum mit den Augen folgen konnte", erwiderte der Bauer. "Der Teufel hole ihn", sagte der Jäger, "ich habe ihn oben im Havertal beobachtet, als er auf einen Hirsch pirschte. Als er schoß und der Hirsch fiel, sprang er hinzu, um ihm den Fangstoß zu geben. Der Hirsch konnte aber wieder aufspringen und klemmte dabei Mads zwischen
seine Enden ein. Die Büchse von Mads habe ich bekommen, aber ich möchte ihn lieber selber haben." Mit den letzten Worten gab er seinem Pferd die Zügel frei und ritt dem Wilderer nach, die eine Büchse vor sich am Sattelknopf, die andere über den Rücken gehängt. Der Fremde hatte ungefähr denselben Weg und ritt dem Jäger hinterher. Als beide gut eine Viertelstunde geritten waren und den Rücken eines Hügels erreicht hatten, sahen sie endlich das seltsame Reitpaar. Der Hirsch war erschöpft in einen Fluß gestürzt, der in geringer Entfernung vom Hügel dahinfloß. Mads hing noch im Geweih fest und versuchte, sich aus dieser Lage zu befreien. Als es ihm endlich geglückt war und er an Land sprang, war auch der Jäger heran. "Jetzt mußt du sterben, du Hund", sagte der Jäger und legte das Gewehr an die Wange. "Halt! Halt!" rief Mads. "laß dir Zeit, Niels. Es eilt doch nicht so. Wir könnten uns doch verständigen." "Kein Wort mehr!" rief der aufgebrachte Jäger. "Wie man's treibt, so geht's." "Nein, warte noch einen Augenblick. Laß mich wenigstens ein Vaterunser beten." "Was? Du willst beten?" fragte Niels und ließ die Büchse einige Zentimeter sinken. "Ins Himmelsreich kommst du doch nicht." "Dann ist es deine Schuld, Niels", versetzte Mads, "wenn du mich mitten in einer Sünde umbringen willst." "Das hast du verdient, du Hirschdieb!" rief Niels und legte den Gewehrkolben wieder fest an die Wange. "He, he!" schrie Mads wieder. "Warte noch ein bißchen. Wenn du mich jetzt erschießt, dann - nimm doch die Büchse runter. Ich bin immer unruhig, wenn man mit
einem geladenen Gewehr auf mich zielt. Erschießt du mich, dann wirst du selber aufs Rad kommen." "Zum Teufel mit deinem Gerede", erwiderte der Jäger unsicher und zielte wieder. "Niels! Niels!" rief Mads von neuem. "Hier sind Zeugen. Ich mache dir einen Vorschlag. Du hast mich doch sicher, ich kann dir nicht weglaufen. Kannst du mich aufs Gut bringen? Dann kann der Herr ja mit mir machen, was er will. Dann bleiben wir beide am Leben, und du verdienst dir außerdem ein gutes Trinkgeld." Jetzt kam auch der Fremde näher und wandte sich an den Jäger: "Um Gottes willen, lieber Mann. Begeht keine Untat und macht, was der Mann Ihnen vorschlägt." "Der Mann ist ein gesuchter Wilddieb", antwortete der Jäger. Entspannte aber doch den Hahn und legte die Büchse auf den Sattelknopf. "Aber da Sie für ihn bitten, will ich ihm das Leben schenken. Du bist eigentlich verrückt, Mads", sagte er, zu dem Wilddieb gewandt, "jetzt mußt du dein Leben lang Sträflingsarbeit verrichten. Würde ich dich erschießen, könntest du dir das ersparen. Komm, du Lump. Halte dich neben mir." Da der Jäger mit seiner Beute direkt nach Ansbjerg wollte, kam der Fremde sicher an sein Ziel. Als Niels mit dem Schwarzen Mads aufbrach, schloß er sich ihnen an. Nachdem auf dem Weg einige Zeit alle geschwiegen hatten, wandte sich endlich der Wilddieb an den Jäger. "Findest du es nicht schade", sagte er, "daß ich hier durch das lange Heidekraut waten muß?" "Das bist du ja gewöhnt, du Lump", erwiderte Niels. "Du könntest doch", fuhr Mads mit listigem Lächeln fort, "mich hinter dir aufsitzen lassen." "Haha!" antwortete der Jäger mit einem Lachen, "du bist
heute schon geritten. Jetzt bekommt es dir sicher gut, deine langen Beine zu bewegen." "Na, na, du bist heute so starrköpfig, Niels", antwortete Mads. Der Jäger antwortete nicht mehr, sondern pfiff ein Lied und nahm aus der Jagdtasche Tabaksbeutel und Pfeife. Als er sie gestopft hatte, begann er Feuer zu schlagen. Aber die Lunte wollte nicht brennen. "Ich helfe dir", sagte Mads. Und ohne eine Antwort abzuwarten, schlug er in seiner eigenen Schwammbüchse Feuer, blies kräftig hinein und reichte sie dem Jäger. Doch als dieser danach faßte, griff Mads nach dem Kolben der geladenen Büchse, die über dem Sattelknopf lag, riß sie mit einem kräftigen Ruck herunter und sprang einige Schritte zurück. All dies geschah mit einer Geschwindigkeit, die man dem kräftigen Mads nicht zugetraut hätte. "Nun habe ich das Heft in der Hand", sagte er. "Findest du nicht, Niels, ich könnte dich jetzt umhauen wie einen Pilz. Aber du bist vorhin vernünftig gewesen. Das ist dein Glück." Der Jäger starrte bleich und zitternd vor Wut auf seinen Gegner, außerstande, ein einziges Wort hervorzubringen. "Vor kurzem", fuhr Mads fort, "warst du noch gesprächiger, Niels. Würde ich nicht dein Mundwerk kennen, könnte ich denken, du hättest es auf Ansbjerg vergessen. Du hast eben einen schlechten Tausch gemacht, meine Schwammbüchse gegen dein Gewehr. Aber du sollst es wiederbekommen, wenn du mir mein eigenes gibst." Niels nahm die erbeutete Büchse von der Schulter und reichte sie dem Wilddieb. Mit der anderen Hand forderte er sein Gewehr zurück.
"Warte ein wenig", sagte Mads, "du mußt mir erst versprechen, mir einen Vorsprung von zehn Minuten zu geben. Aber das machst du ja doch nicht." Er wandte sich an den Fremden. "Ist Ihr Pferd schußsicher?" "Schieß nur", erwiderte dieser. Mads hielt die Büchse des Jägers mit einer Hand in die Luft und drückte ab. Dann nahm er den Stein vom Hahn und gab die Waffe seinem Gegner mit den Worten: "Da hast du deinen Schießprügel. Fürs erste wird der keinen Schaden anrichten. Leb wohl." Mit diesen Worten hängte er seine eigene Büchse über die Schulter und ging den Weg zurück, wo der Hirsch lag. Der Jäger, der seine Sprache wiedergefunden zu haben schien, sparte nun nicht mit Flüchen und Verwünschungen, als sich der Wilddieb langsam in dem hohen Heidekraut verlor. Der Fremde, dessen Mitgefühl sich von dem entschlüpften Wilddieb zu dem verzweifelten Gutsjäger wandte, tröstete diesen, so gut er konnte. "Sie haben doch im Grunde nichts verloren", meinte er, "außer der Freude, einen Mann und seine Familie unglücklich zu machen." "Nichts verloren?" antwortete der Jäger aufgebracht. "Das verstehen Sie nicht. Nichts verloren? Der Lump hat mir mein gutes Gewehr verdorben." "Wie?" sagte der Fremde, "Ihr Gewehr verdorben? Setzen Sie einen neuen Stein ein, laden Sie durch, und es wird wieder schießen." "Pah!" antwortete Niels mit einem ärgerlichen Lachen. "Das hier schießt weder Hirsch noch Hasen. Es ist verdorben, dafür steh ich ein. - Halt! Da liegt etwas auf dem Weg und sonnt sich." Mit diesen Worten hielt er sein Pferd an, setzte einen neuen Stein in den Hahn, lud das Gewehr
und sprang herab. Der Fremde hielt ebenfalls an, um zu sehen, was der Jäger entdeckt hatte. Der zog sein Pferd hinter sich und berührte mit dem Büchsenlauf das Hindernis auf dem Weg. Jetzt erst entdeckte der Fremde, daß es eine Kreuzotter war. "Willst du mal hier rein," sagte der Jäger und stocherte mit der Büchse nach der Schlange. Endlich bekam er sie mit dem Kopf in den Lauf, hielt diesen in die Luft und schüttelte so lange, bis die Schlange ganz darin verschwunden war. Dann schoß er die Büchse mit ihrer sonderbaren Ladung in die Luft ab. "Wenn das nicht hilft, dann kann sie keiner mehr, kurieren, außer Mads oder Michel Fuchsschwanz", sagte er. "Wer ist Michel Fuchsschwanz?" fragte der Fremde. Während der Jäger wieder sein Gewehr lud, erzählte er: "Michel Fuchsschwanz, wie sie ihn nennen, weil er alle Füchse anlocken kann, dieser Michel Fuchsschwanz ist zehnmal schlimmer als der Schwarze Mads. Er kann sich kugelsicher machen, dieser Hundsfott. Da fassen weder Blei noch Silberknöpfe bei ihm. Einmal trafen der Herr und ich ihn da unten im Tal ebenfalls bei einem Hirsch, den er eben geschossen hatte und gerade abziehen wollte. Wir ritten genau auf ihn zu, und er bemerkte uns nicht, bis wir auf zwanzig Schritt an ihn heran waren. Aber denken Sie, der Michel bekam Angst? Er sah sich bloß nach uns um und häutete den Hirsch weiter ab. ,Nun wirst du ein kleines Unglück erleben', sagte der Herr. ,Niels, brenn ihm eins auf den Pelz. Ich stehe für alles ein.' Ich hielt mit einer vollen Ladung auf seinen breiten Rücken. Aber der Kerl machte sich nichts daraus und ließ sich bei seiner Arbeit nicht stören. Da schoß der Herr selbst, aber ohne besseren Erfolg. Als Michel mit dem Abhäuten fertig war,
nahm er sein kleines Gewehr, wandte sich zu uns und sagte: ,Jetzt kommt die Reihe an mich. Wenn Ihr nicht seht, daß ihr fortkommt, will ich doch mal sehen, ob ich nicht einem von euch zu einem kleinen Loch verhelfen kann.' Solch ein Kerl ist Michel Fuchsschwanz." Nach dieser unglaublichen Erzählung setzten die beiden ihren Weg nach Ansbjerg fort. II
Als die beiden Reiter das Hoftor von Ansbjerg erreichten, sattelten sie ihre Pferde ab und stellten sie im Stall unter. Dann gingen sie die breite Lindenallee entlang, die zum Burghof führte. Die alte Burg, die jetzt als Gutsgebäude diente, bestand aus drei Flügeln. Links war der Hauptflügel. Er war zwei Stockwerke hoch und hatte ein Dachgeschoß, das das Prädikat Turm genoß, vielleicht weil man meinte, daß so etwas keinem richtigen Herrensitz fehlen dürfte. Der mittlere Flügel war nur ein Stockwerk hoch und beherbergte die zahlreiche Dienerschaft, vom Verwalter bis zum Hundejungen. Im rechten Flügel, der genau dem gegenüberliegenden entsprach, wohnte der Pächter. Gerade als der Jäger mit dem Fremden den Burghof betrat, wurde im untersten Stockwerk des Herrschaftsflügels ein Fenster geöffnet. Es war der gnädige Herr, dessen schwerer Körper das ganze Fenster ausfüllte. Er trug eine dunkelgrüne Samtjacke mit einer Reihe von Knöpfen, die bis an den Hals gingen, großen Aufschlägen und großen Taschenklappen. Auf seinem Kopf saß eine schwarzhaarige Perücke. "Jäger Niels!" rief der Herr.
Der Angeredete wies dem Fremden eine Tür, wo er anklopfen sollte, und trat dann, den Hut in der Hand haltend, unter das Fenster, wo der wohlgeborene Herr den Domestiken und Bauern des Gutes Audienz gewährte. "Wer war das?" begann der Herr, in dem er mit dem Kopf in die Richtung nickte, wo der Fremde stand. "Der neue Schreiberbursche, gnädiger Herr", lautete die Antwort. "Gut, daß der Bursche gekommen ist. Was hast du da?" fragte der Herr, indem er auf die Jagdtasche zeigte. "Einen alten Hahn und zwei junge Hühner", gnädiger Herr. "Das ist wenig für zwei Tage Jagd. Hast du keinen Hirsch aufgespürt?" "Diesmal nicht, gnädiger Herr", sagte Niels seufzend. "Wenn Wilddiebe auf den Hirschen reiten, fällt für uns nichts mehr ab." Dies mußte der Jäger seinem Herrn genauer erzählen. Während er über seine Begegnung mit dem Schwarzen Mads berichtete, wurde hinter dem Herrn ein junges Paar sichtbar, das eben ins Zimmer getreten war. Es war das junge verlobte Paar, Junker Kai und Fräulein Mette, die Erbin des Gutes. Sie stand mit ihrem Bräutigam hinter dem Vater, und beide waren, wie es schien, mit Zärtlichkeiten beschäftigt. Das Merkwürdige war, daß das Fräulein dabei oft in den Hof hinabblickte, wo im Augenblick nichts anderes zu sehen war als der neue Schreiberbursche, der, sobald er die Schreiberstube betreten hatte, sich an das offene Fenster gesetzt hatte. Daß dieser neue Schreiberbursche ein außerordentlich hübscher junger Mann war, will ja nichts weiter besagen. Trotzdem blickte Fräulein Mette, öfter, als es schicklich gewesen wäre, zu dem Burschen hin.
Mettes Eltern konnten sich über die Partie ihrer Tochter freuen, da sie für diese Verbindung gearbeitet hatten. Sie hatten unter einem ganzen Rudel Junker den fettesten gewittert und ihrer Mette zugebilligt. Da der junge Herr der einzige Sohn und damit Erbe von Palstrup und mehreren Gütern war, wurde die Heirat zwischen den Eltern beschlossen und für dieses Jahr festgelegt. Der Bräutigam, der gerade aus Paris kam, als Frau Kirsten ihn aufs Korn nahm, war mit allem einverstanden. Fräulein Mette war jung und hübsch, einziges Kind und Erbe von Ansbjerg, dessen Hirsche, Wildschweine und Bauern ebensogut wie die Palstrups waren, das jedoch hinsichtlich der Auerhähne und Enten im Vorteil war. Was die Braut betrifft, so war sie dem Willen der Eltern so unbedingt ergeben, daß es unklar war, wieweit sie selber dem Junker Zuneigung schenkte. Während der Jäger von seinem Unglück erzählte, das er nicht verheimlichen konnte, da der neue Schreiber Zeuge gewesen war, brach sein strenger und in seinem Zorn oft rasender Herr in Verwünschungen und Flüche aus. Unter diesem Hagel von Schimpfwörtern fiel auch einiges auf den armen Niels ab, der aus Furcht vor dem Herrn seine eigenen Flüche hinunterschlucken mußte. Sobald der erste Zornessturm an Gewalt nachgelassen und dem Verstand wieder Platz gemacht hatte, wurde schnell ein Plan entworfen, um schnell und deutlich Rache zu nehmen. Der Schwarze Mads sollte ergriffen und als Wilddieb, als der er nun leicht überführt werden konnte, in die Hände der Justiz übergeben werden. Der Haken war nur, ihn zu fangen. Denn erfuhr er nur das geringste von der Gefahr, würde er ihnen entwischen. Der an seiner empfindlichsten Stelle getroffene Gutsbesitzer wollte am
liebsten sofort aufbrechen. Es war noch genügend Zeit, um die Hütte des Schwarzen Mads vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Aber die gnädige Frau, die stets klaren Kopf behielt, machte ihrem aufgebrachten Ehemann klar, daß sich der Wilddieb in der einbrechenden Dunkelheit besser verteidigen konnte, falls es ihm nicht gelang zu fliehen. Es wäre besser, um Mitternacht loszuziehen, um dann bei Tagesanbruch mit allen Leuten die Hütte zu umzingeln und zu erobern. Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen und der Junker eingeladen, an Gefahr und Ehre der Strafexpedition teilzunehmen. Auch der Verwalter, der die Ankunft des neuen Schreiberburschen melden kam und dessen Empfehlungsschreiben des Verwalters auf Vestervig vorzeigte, wurde aufgefordert, sich mit dem Gärtner, dem Großknecht und den Stallknechten bereit zu halten. Der Rest des Tages wurde dafür genutzt, sich für den nächtlichen Ausflug zu rüsten. III
Auch das Gut Ansbjerg hatte seit undenklichen Zeiten ein kleines Hausgespenst. Offenbar war dieser Herrensitz nicht sein einziger Aufenthalt, denn bisweilen vergingen Jahre, ohne daß man das Geringste von ihm merkte. Aber gerade zu der Zeit, in der unsere Geschichte spielte, begann es wieder sein Wesen oder besser Unwesen zu treiben. Der Gärtner vermißte ab und zu seine schönsten Blumen oder einige reife Pfirsiche. Das Merkwürdige daran war, daß beides bisweilen in der Kammer von Fräulein Mette gefunden wurde, woraus man schließen konnte, daß diese Dame bei dem Kobold gut angeschrieben war. Ferner erzählten die Stallknechte, daß es einige Nächte
nicht richtig mit den Pferden zuginge. Eines Morgens war eines von ihnen so erschöpft, als ob es die ganze Nacht scharf geritten wäre. Sie versicherten, daß sie oft in den Stall gelaufen waren, aber dann sei plötzlich alles still gewesen. Nur einmal glaubten sie eine rote Mütze gesehen zu haben, und seitdem mischten sie sich nicht mehr in die Angelegenheiten des Kobolds, und sie taten gut daran. Was diesen Berichten noch mehr Gewicht gab, war ein Erlebnis von Jäger Niels. Eines Abends kam er aus Viborg und fand, obwohl er nicht betrunken war, den Weg zum Gut nicht, obwohl der so gerade wie eine Schnur war und der Mond hell schien. Ob er wollte oder nicht, trieb es ihn immer wieder in die am Wegesrand stehenden Erlbüsche, wo eine rote Mütze mehrmals zwischen den Stämmen hervorlugte. Da er seinen Mann stand, rief er das Gespenst an. Aber jedesmal wenn er den Mund aufmachte, fiel er hin und hörte ein hämisches Lachen, das bald wie von einem Auerhahn, bald wie von einer Heerschnepfe klang. Als er schließlich beschmutzt und zerrissen aus dem morastigen Dickicht herausgefunden hatte, hörte er hinter sich einen Hirsch röhren und Schnepfen pfeifen, obwohl es weit über die Brunst- und Schnepfenzeit hinaus war. So unumstößliche Zeugnisse machten einen tiefen Eindruck auf das gesamte Personal des Gutes, besonders auf den weiblichen Teil. Ja selbst der Herr nahm solche Nachrichten mit einem bedeutungsvollen Schweigen auf. So standen die Dinge, als die Strafexpedition gegen den Schwarzen Mads unternommen wurde, die in der Geschichte Ansbjergs von sich reden machte, so daß es lange hieß: Das war in demselben Jahr, in dem wir auf den Schwarzen Mads Jagd machten. Mit gespannter Aufmerksamkeit warteten die Zurückge-
bliebenen den ganzen Tag auf die Heimkehr der Strafexpedition. Es wurde Mittag, es wurde Abend und Mitternacht, und noch war immer nichts zu sehen und zu hören. Man beruhigte sich mit der Vermutung, daß der Delinquent gleich nach der Festnahme nach Viborg überführt worden war. In diesem Falle konnte es schon einen ganzen Tag kosten, und nach einem so ermüdenden Marsch war es nur billig, daß man sich über Nacht in der Stadt ausruhte. Mit dieser Vermutung beruhigt, ging man auf Ansbjerg zur Ruhe, nur ein Diener blieb auf. Endlich, eine Stunde nach Mitternacht, kamen Junker Kai und sein Reitknecht. Sofort war Ansbjerg wieder auf den Beinen, und der Angekommene mußte den neugierig Fragenden Bericht über den Ausgang des Unternehmens geben. Die Hütte des Wilddiebes, die Mads selber aus rasengepolsterten Wänden und einem Dach aus Heidekraut erbaut hatte, hatte für eine eventuelle Verteidigung eine günstige Lage. Sie lag mitten in einem Moor, das reichlich zwei Meilen im Umkreis maß, und stand auf einer kleinen Erhöhung, so daß sie jederzeit vor Hochwasser geschützt war. Zur Hütte schlängelte sich ein schmaler Pfad, auf dem zwei Männer nebeneinander keinen Platz fanden. Hier hatte der Schwarze Mads sein Quartier aufgeschlagen, wo er mit seiner Frau und vier Kindern wohnte. Frau und Kinder lebten von der Jagd des Mannes. Ein Teil des Fleisches wurde gegessen oder geräuchert und eingepökelt. Ein wesentlich kleinerer Teil wurde mit Fellen und Fuchsbälgen verkauft und dafür Brot und andere Lebensmittel erstanden. Milch erbettelten Frau und Kinder von den in der Nähe wohnenden Bauern. Gerade als der Tag zu dämmern begann, erreichten der
Herr von Ansbjerg und seine kleine Streitmacht das Moor. Jäger Niels, der die Gegend genau kannte, ritt voraus und führte die anderen zu der Stelle, wo die Hütte stehen sollte. Als sie dort ankamen, war keine Hütte zu entdecken. Es war bereits so hell, daß man sie hätte sehen müssen. Das erste, was Jäger Niels zu sagen hatte, war ein kräftiger und langer Fluch. Der gnädige Herr beschimpfte seinen Jäger und warf ihm vor, er wäre in die Irre geritten und hätte sie auf einen falschen Weg geführt. Aber dieser war seiner Sache sicher und versicherte unter Anrufung eines Dutzends schwarzer Engel, daß die Hütte hier liegen müsse. Der Schwarze Mads müsse die Hütte unsichtbar gemacht haben, mit Hilfe seines Freundes, dem Teufel. Anders war die Situation nicht zu erklären. Der gnädige Herr war schon bereit, dieser Ansicht zuzustimmen, als der Junker, der weitergeritten war, rief: "Hier ist Feuer gelegt worden!" Alle eilten zu der Stelle und sahen jetzt, daß die ganze Hütte in Asche lag. Hier und da flackerte noch die Glut. Jäger Niels meinte, daß der Teufel nun doch Mads und seine ganze Brut geholt habe. Der Junker war anderer Ansicht. Er glaubte, daß der Wilddieb die Hütte selber in Brand gesteckt hatte und dann geflohen sei. Langsam wurde es heller, und man untersuchte die Brandstelle genauer, fand aber nichts anderes als Asche, schwelende Holzstücke und verbrannte Knochen, die Niels als Hirschknochen erkannte. Dieses Ergebnis bestätigte die Meinung des Junkers, daß Mads seine Hütte selber in Brand gesteckt habe. Man beschloß, die umliegende Heide abzusuchen, da der Flüchtling mit Familie und Hausrat nicht sehr weit kommen konnte. Es wurden vier Gruppen aufgestellt, die in allen vier Himmelsrich-
tungen suchen sollten. Der Junker und sein Reitknecht ritten in östliche Richtung, wo er Ansbjerg und seiner Braut näher kam. Doch seine Bemühungen waren vergeblich, und Pferd und Reiter wurden langsam müde. Manchmal glaubte er in der Ferne etwas sich Bewegendes zu sehen. Doch beim Näherreiten stellte es sich heraus, daß man von Schafen oder Torf stapeln getäuscht worden war. Als man am Abend immer noch keine Spur von den Flüchtenden entdeckt hatte, beschloß der Junker, die Jagd aufzugeben und nach Ansbjerg zurückzureiten. Da Pferde wie Reiter erschöpft waren, erreichte man erst nach Mitternacht das Gut. Auch die anderen Gruppen hatten keinen Erfolg. Vergebens durchsuchten sie jedes Torfmoor, vergebens umkreisten sie jedes Tal und jede Senkung, jede Anhöhe und jeden Hügel. Vom Schwarzen Mads wurde nicht die geringste Spur entdeckt. Als der Abend kam, mußte man sich um Quartier bemühen und übernachtete auf Ryghave, so daß man erst am nächsten Tag wieder auf Ansbjerg eintraf. Als der müde Junker seinen Bericht gegeben hatte, wollte er sofort zu Bett gehen. Er befahl seinem Diener, ihm den Weg zu leuchten. Doch als dieser die Tür öffnen wollte, brach ihm der Schlüssel ab. Die Tür aufzubrechen oder das Schloß auszubauen, dazu war es zu spät, außerdem würden die Damen durch den Lärm in ihrem Schlaf gestört werden. Was war zu tun? Der Diener wußte Rat. "Die Turmkammer", sagte er mit leiser Stimme. Bei dem Namen dieses geheimnisvollen Zimmers überlief den Junker ein leichter Schauder. Aber er bemühte sich, seine Furcht vor dem Diener durch ein gezwungenes Lächeln zu verbergen, und fragte in gleichgültigem Ton:
"Ist denn in der Turmkammer ein Bett hergerichtet?" Der Diener bejahte, denn die gnädige Frau hatte hier stets ein Notbett eingerichtet, obgleich es seit längerer Zeit nie in Anspruch genommen worden war. Jetzt halfen keine weiteren Ausflüchte oder Einwände mehr. Der Junker ließ sich von seinem Diener auf das Turmzimmer bringen. Nachdem dieser ihn entkleidet und das Licht aufgestellt hatte, schloß der Junker das Zimmer ab. Es war eine dunkle Herbstnacht. Der Mond stand tief und lugte nur ab und zu hinter dicken Wolken hervor. Nur manchmal spiegelte sich das Mondlicht im Turmfenster und glitt gespenstisch über die Wand. Das Bleifenster klirrte leise unter den schwachen Windstößen. Der Junker war kein Feigling. Aber Mut ist eine Eigenschaft, die von den Umständen abhängt, in denen man sich befindet. Mancher Krieger; der, ohne zu zittern, auf dem Kampffeld seinen Mann steht, wird nicht ohne Herzklopfen allein im Dunkeln über einen Friedhof gehen. Auch der Mut unseres Junkers war nicht vollkommen. Er fürchtete sich vor keinem Gegner, den er sehen und fassen konnte, aber vor Geistern hatte er allen möglichen Respekt. Die späte Nachtzeit und die Umstände, aber besonders der üble Ruf des Zimmers ließen sein Herz schneller schlagen, und alle alten Spukgeschichten gingen ihm durch den Kopf und wurden von seiner Einbildungskraft belebt. Er wagte nicht, die Augen zu schließen, sondern starrte unablässig auf die gegenüberliegende Wand, wo die Schatten allmählich Gestalt und Leben zu bekommen schienen. Der Junker richtete sich erschrocken in seinem Bett auf. Gegenüber seinem Bett lagen der Kamin und dicht daneben die Tür. An der Wand hing ein altes Bild. Es zeigte
einen mannhaften Ritter in Stahl und Harnisch, mit einem Gesicht so groß wie ein Kürbis, umwogt von dichten schwarzen Locken. Je nachdem die Wolken den Mond freigaben oder ihn bedeckten, war das Bild zu sehen. Manchmal schien sich das Gesicht zu einem Lächeln zu verziehen, manchmal in düsterem Ernst zu erstarren. Vielleicht war es ein früherer Besitzer dieses Herrenhofes, der nun in diesem Winkel seinen Platz gefunden hatte und sich durch nächtliche Grimassen wegen der nachlässigen Behandlung durch die jetzigen Besitzer rächte. Wie die Schatten an der Wand jagten sich Wut und Furcht in der Seele des Junkers, bis ihn endlich die Müdigkeit übermannte und er in einen unruhigen Schlaf fiel. Er hatte kaum eine halbe Stunde geschlafen, als er durch ein Geräusch geweckt wurde, das sich anhörte, als ob ein rostiges Türschloß geöffnet wurde. Langsam richtete er sich in seinem Bett auf und sah mit Erschrecken, wie sich in der gegenüberliegenden Tür eine weiße Gestalt zeigte und im nächsten Augenblick wieder verschwand. Die Tür ging mit einem leisen Knarren zu. Ein Angstschauer lief ihm über den Rücken. Es wird der Diener gewesen sein, versuchte er sich zu beruhigen, der nachsehen wollte, ob das Licht gelöscht war. Als er aber zum Fenster sah, konnte er deutlich den Oberkörper einer menschlichen Gestalt erkennen. Die Umrisse von Kopf und Schultern waren deutlich im Mondlicht zu sehen. Die Gestalt seufzte, hob die eine Hand in die Luft und schrieb etwas auf die Scheibe. Jetzt war es mit dem Mut des Junkers endgültig vorbei. Was war hier zu tun? An eine Flucht war nicht zu denken. Denn versuchte er durch die Tür zu entkommen, konnte er in einen Hinterhalt des weißen Wesens fallen. Das Fenster verbot sich von selbst, und weitere Ausgänge
gab es in diesem Zimmer nicht. Die letzte Möglichkeit war die, sich einfach unter der Bettdecke zu verstecken. Aber auch hier war man nicht sicher genug, denn es war bekannt, daß Gespenster mit Vorliebe Decken von den Betten ziehen. In dieser Situation entschloß sich der Junker zu einem letzten Versuch. Er sprach das Gespenst einfach an. "Wer da?" rief er mit zitternder Stimme.
Bei diesem Ruf schien das Gespenst vor dem Fenster eine schnelle Wendung zu machen, antwortete jedoch nicht. Nach einigen Augenblicken verschwand es langsam vor dem Fenster und war nicht mehr zu sehen und zu hören. Kein verirrter Wanderer kann sich so sehnsüchtig nach dem Tagesanbruch sehnen wie der arme Junker. Er hatte die ganze Nacht nicht die Augen geschlossen, aus Furcht, das Gespenst könne wiederkehren, wenn er die Augen
schließen würde. Unablässig starrte er mit ängstlicher Erwartung auf die Tür, den Kamin und das Fenster. Er lauschte gespannt auf die Laute des Windes, auf das Klirren der Scheiben und auf seinen eigenen Atemzug. Schließlich brach der Tag an, und sobald es hell genug geworden war, jeden Gegenstand im Zimmer zu unterscheiden, stand er auf und untersuchte es mit der größten Genauigkeit. Vergebens, er fand keine Spur eines nächtlichen Besuches. Die Kamintüren waren geschlossen, die Tür zur Kammer ebenso. Das Fenster war fest eingehakt, und weitere Ausgänge gab es nicht. Er beeilte sich, diese unruhige Nachtherberge zu verlassen, mit dem festen Vorsatz, sie nie wieder zu betreten. Sobald sich die Herrschaft zum Frühstück versammelt und der Junker nochmals Rapport über die mißlungene Strafexpedition gegeben hatte, stellte ihm die gnädige Frau die Frage, wie er denn nach diesen Strapazen geschlafen habe. "Sehr gut", lautete die Antwort. Das Fräulein lächelte. "Haben Sie nicht im Turmzimmer geschlafen. Ich glaube, mein Mädchen hat mir davon erzählt." Der Junker, der vor seiner Braut nicht die Furcht eingestehen wollte, hielt es für besser, seine nächtlichen Begegnungen zu verschweigen. Das Fräulein gab sich aber mit dieser Erklärung nicht zufrieden und meinte, daß man es seinen Augen ansehen könne, daß er nicht geschlafen habe und daß er außerordentlich bleich aussehe. Um dieses peinliche Verhör zu beenden, erklärte der Junker, das berüchtigte Turmzimmer sei wie jedes andere auf dem Gut. Fräulein Mette könne selbst darin schlafen, wenn sie nur Mut dazu habe.
"Das glaube ich auch", sagte sie lachend, "daß ich es einmal versuchen werde." Hiermit schien das Thema erschöpft, und man kam wieder auf den Schwarzen Mads zu sprechen. Aber nach ein paar Tagen, der gnädige Herr war schon längst zurückgekehrt, kam man wieder auf das Turmzimmer zu sprechen. Das Fräulein Mette berichtete ihrem Vater von dem Nachtlager ihres Bräutigams in dem gefürchteten Turmzimmer und meinte, daß er einen sehr unausgeschlafenen Eindruck am Morgen gemacht habe. Der Junker wurde nochmals zur Rede gestellt und besonders von der jungen Dame in die Enge getrieben. Schließlich hielt er es für besser, sein früheres Leugnen zurückzunehmen und einzugestehen, daß er für keinen Preis der Welt noch einmal hier schlafen würde. "Gehört sich das für einen Kavalier", sagte das Fräulein, "vor einem Schatten Angst zu haben? Ich bin zwar nur ein Frauenzimmer, aber ich würde mir zutrauen, ein solches Abenteuer ehrenhafter zu bestehen." "Das kostet meinen Fuchs", erwiderte der Junker, "Sie wagen es nicht." "Ich setze meine Belle dagegen", rief Fräulein Mette. Man glaubte, es sei ein Scherz von ihr, aber da sie hartnäckig an der Wette festhielt, bemühten sich sowohl der Bräutigam wie der Vater, sie von einem so gewagten Unternehmen abzubringen. Fräulein Mette war nicht umzustimmen. Jetzt hielt es der Junker für nötig, ihr seine nächtlichen Begegnungen genau zu erzählen und auch von dem Gespenst zu beichten. Fräulein Mette lachte nur und behauptete, er habe geträumt, und um ihn davon zu überzeugen, war sie umsomehr verpflichtet, das Versprechen zu erfüllen.
Der alte Herr, dessen Vaterstolz durch den Mut der Tochter geschmeichelt wurde, gab nun seine Zustimmung. Alles, was Junker Kai erreichen konnte, war, daß eine Klingelschnur am Bett angebracht wurde und daß ein Kammermädchen auf einem Feldbett in demselben Zimmer liegen sollte. Das Fräulein forderte, daß alle in ihren Betten schlafen mußten, damit es nachher nicht hieß, man habe das Gespenst verscheucht. Vater und Bräutigam nahmen ihr Nachtquartier in der sogenannten Gästekammer, die am nächsten zum Turmzimmer lag. Hier hing auch die Glocke, mit der die junge Dame im Notfall Sturm läuten konnte. Die Mutter, nicht weniger heroisch als die Tochter, war ebenfalls mit allem einverstanden, und die nächste Nacht wurde für das Abenteuer angesetzt. IV.
In der besagten Nacht fanden die Herrschaft und das Gesinde nur wenig Ruhe. Alle warteten gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten. Katzenmiauen, Eulenrufe und Hundegekläff wurden besonders registriert, und keiner konnte einschlafen. Die Stallknechte hörten die Pferde besonders oft schnaufen und ausschlagen. Dem Großknecht war so, als ob man Säcke über den Boden schleppte. Die Meierin meinte, daß das Schaukelbutterfaß in Gang gesetzt wäre, und die Haushälterin vernahm deutlich, daß in der Speisekammer rumort wurde. Der Herr und der Junker lagen schweigend in der Gästekammer und sahen gespannt auf die kleine Glocke, die über ihren Betten hing. Doch sie blieb stumm. Als die Turmuhr Mitternacht schlug, begann der Junker seine Wette für halb verloren zu betrachten, tröstete sich aber damit, daß das
Pferd ja in der Familie bleibe. Um es kurz zu machen, die Nacht verging so ruhig, als ob es in der Turmkammer nie einen Spuk gegeben habe. Mit dem ersten Morgengrauen standen beide Männer auf und eilten zu der kühnen Geisterbezwingerin. Sie pochten an die Tür, aber aus der Kammer kam keine Antwort. Fräulein Mette und die Zofe lagen wohl noch in tiefem Schlaf. Der Junker öffnete leise die Tür und blieb erschrocken stehen. Das Bett des Fräuleins war leer und die Bettdecke zur Seite geworfen.
"Bravo", rief der Junker. "Sie ist geflüchtet, ich habe Belle gewonnen." Der alte Herr sagte kein Wort und ging zum Bett der Zofe. Sie schien auch nicht mehr hier zu sein. "Aber als er die Bettdecke hob, lag sie darunter versteckt, hochrot im Gesicht und schweißgebadet. Auf die ersten Fragen des
Herrn antwortete sie nicht, sondern stierte ihn nur mit verstörten Blicken an. Nach einiger Zeit fand sie ihre Sprache wieder und berichtete in unzusammenhängender Rede, daß sie kurz nach Mitternacht ein fürchterliches Gespenst habe durch die Wand kommen sehen. Entsetzt habe sie sich unter die Bettdecke verkrochen, wo sie sich nicht mehr hervorgewagt habe. Was weiter geschehen war, wußte sie nicht. Doch das ließ sich bald erraten, denn das Fenster war geöffnet, und darunter stand eine Leiter. Fräulein Mette war entführt worden. Doch von wem? Das ganze Gut geriet in Aufregung. Die gnädige Frau, die besonnenste von allen, schlug zunächst vor, alle Leute zusammenzurufen. Vielleicht vermißte man jemanden. Als sich alle auf dem Gutshof versammelt hatten, vermißte man niemanden, bis Frau Kirsten fragte: "Wo ist der Schreiberbursche?" Den hatte man in der Aufregung ganz vergessen. Man sah sich um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Der Schreiberbursche war nicht da. Der Verwalter und ein paar Knechte eilten sofort zur Schreiberstube, aber ohne Erfolg. Der Vermißte mußte das Gut verlassen haben, denn auch sein Bett war in der letzten Nacht nicht benutzt worden. Jetzt kam der Stallknecht angerannt und berichtete, daß Isabell nicht im Stall war. Alle standen wie versteinert da, bis Frau Kirsten die Stille unterbrach. "Unsere Tochter", sagte sie, "kann nicht von einem Schreiberburschen entführt worden sein, aber er kann sich als Spion eingeschlichen haben. Ich glaube, daß der Räuber in westlicher Richtung geflohen ist, in Richtung Vium. Wir werden sofort die Verfolgung aufnehmen. Isabell kann mit zwei Reitern nicht sehr schnell laufen."
Ihre Vermutung war richtig. Auf dem Weg nach Vium fand man die Spur eines scharftrabenden Pferdes und nicht weit vom Gut eine Schleife und einen Handschuh, die Fräulein Mette gehörten. Bewaffnet mit Büchsen und Säbeln, ritten der gnädige Herr, der Junker, der Verwalter, der Jäger und vier Knechte aus dem Hof, um die Flüchtigen schnell einzuholen und, wenn nötig, mit Gewalt zurückzuführen. Bis Vium war die Spur deutlich zu verfolgen, aber hier hätte man sie verloren, wenn ihnen nicht ein Bauer berichtet hätte, kurz vor Morgengrauen westlich der Stadt einen Reiter gehört zu haben. Man folgte diesem Wink und fand auch die Spur wieder. Sie führte am Hvamer Krug vorbei. Hier erfuhr man, daß die Hunde vor ungefähr zwei Stunden einen Höllenlärm gemacht hatten. Die Schnelligkeit der Flüchtenden schien nachzulassen. Die Verfolgungsjagd ging weiter bis nach Sjörup. Hier hatte ein Knecht ein Pferd vorbeireiten sehen und behauptete, darauf zwei Reiter gesehen zu haben. Aber plötzlich verlor sich die Spur. Hinter Sjörup teilte sich der Weg, und es war nicht zu erkennen, welchen die Flüchtlinge genommen hatten. Vielleicht waren sie auch durch das Heidekraut weitergeritten, um ihre Spur zu verwischen. Man machte halt, um sich zu beraten. Der Hauptweg teilte sich in drei kleinere Wege, von denen einer nach Nordwesten, einer nach Südwesten und einer direkt nach Westen führte. Während man unschlüssig war, welchen Weg man nehmen sollte, kam das Gespräch wieder auf die gestrige Nacht und besonders auf den Schreiberburschen. Einer der Knechte erzählte, ihm käme es so vor, als habe er den Schreiber schon, einmal gesehen, als er bei der Kavallerie gestanden hatte. Ein anderer berichtete, er habe
vor einigen Tagen einen Unbekannten gesehen, der heimlich mit dem Schreiber im Walde gesprochen hatte. Dabei glaubte er deutlich gehört zu haben, wie dieser ein paarmal Kornett gesagt habe. Jetzt schien dem gnädigen Herrn ein Licht aufzugehen. "Ha!" rief er. "Dann nehmen wir den westlichen Weg. Der geht nach Vestervig. Ich möchte schwören, daß der Schreiberbursche niemand anders ist als der dritte Sohn des Majors, der bei den Kürassieren gestanden hat. Ich entsinne mich, daß meine Frau mich einmal vor ihm gewarnt hat, da er hinter unserer Tochter her war. - Und Sie haben nichts gemerkt?" wandte er sich an den Verwalter. "Gnädiger Herr", antwortete dieser, "Sie haben ja selbst das Schreiben des Verwalters von Vestervig gelesen, er hat uns alle zum Narren gehalten, oder der Brief ist falsch gewesen. Dabei war er so still und ordentlich, daß es mir niemals eingefallen wäre, er sei ein adliger Herr." "Dieser Lump", sagte der Alte wütend und setzte sein Pferd in Trab. "Wer zuerst den Deserteur entdeckt, bekommt von mir drei Kronen. Auf, Leute, bis zur Furt am Karuper Bach ist es nicht mehr weit. Am anderen Ufer müßten wir ihre Spur wiederfinden." Inzwischen werden wir den Verfolgern vorauseilen und uns den Flüchtenden nähern, die wie vermutet den Karuper Bach durchquerten und gerade das andere Ufer erreicht hatten. Die arme Isabell war durch den schnellen Ritt und die doppelte Last, die sie zu tragen hatte, völlig ermattet und ritt langsam die Uferböschung hinauf. Der Kornett, denn er war es wirklich, sah sich oft mit besorgter Miene um und holte sich dabei jedesmal einen Kuß von seiner süßen Mette, die hinter ihm saß und ihn eng umschlungen hielt.
"Siehst du noch nichts?" fragte sie alle Augenblicke ängstlich. "Noch nichts zu sehen", beruhigte sie ihr Entführer jedesmal, "aber ich fürchte, sie sind uns schon dicht auf den Fersen. Wenn der Gaul nur aushalten wird." "Wo ist denn der Wagen deines Bruders?" fragte sie nach einer Pause.
"Der sollte uns am Bach bei Tagesanbruch erwarten", erwiderte er. "Ich kann nicht verstehen, weshalb er nicht pünktlich ist. Wir haben noch zwei Meilen, bis wir aus der Heide heraus sind. Hoffentlich finden sie nicht so schnell unsere Spur. Vielleicht haben wir ihnen ein Schnippchen geschlagen." Jetzt hatten sie eine Anhöhe erreicht, und die weite Heide breitete sich wie ein Meer vor ihnen aus. Doch noch war kein Wagen, kein lebendiges Wesen zu entdecken. Der Kornett hielt an, um das erschöpfte Pferd
verschnaufen zu lassen, und machte eine halbe Wendung, um die zurückliegende östliche Heide übersehen zu können. Auch sie war kahl und öde. Nichts war zu sehen außer einzelnen Torf mieten, und nichts war zu hören außer dem Schnaufen von Isabell und ihren eigenen Seufzern. Eine Weile verharrten sie so, bis Fräulein Mette das Schweigen unterbrach. "Bewegt sich nicht dort in der Ferne etwas?" Sie sagte es mit gedämpfter Stimme, als ob sie sich fürchtete, man könne sie auf der anderen Seite der Heide verstehen. "Es ist keine Zeit zu verlieren", erwiderte ihr Entführer, "ich fürchte, das wird dein Vater sein, der uns einfangen will." Bei diesen Worten trieb er Isabell wieder an und ritt in Richtung Westen weiter. "In Ungarn", sagte er, "das ist nun fünf Jahre her, lagen wir in einem Dorf im Nachtquartier. Am frühen Morgen wurden wir von den Türken überrumpelt. Als ich mich auf ein Pferd retten konnte, standen bereits mehrere Häuser in Flammen. Wir mußten flüchten, und ich war einer der letzten. Ungefähr eine Viertelmeile vor der Stadt kam ein kleiner Ungar, ein Junge von zehn, zwölf Jahren, mir nachgelaufen, verfolgt von einem Trupp Türken. Er war halbnackt. Lange konnte er nicht mehr aushalten. Ich ritt zurück und nahm ihn aufs Pferd. In diesem Augenblick hatte der erste Türke uns erreicht. Ehe er fiel, gab er mir diese Erinnerung hier über das Gesicht. Aber ich rettete meinen kleinen Ungarn. Er wohnt bei mir und sollte uns heute abholen. Meine Liebste, mir war damals besser zumute als jetzt." Er sah sich wieder um. "Es sieht so aus, als ob sie näher kommen. Ich kann den Gaul nicht schneller antreiben, sonst stürzt er
noch mit uns." Mit klopfenden Herzen ritten sie weiter. Der Kornett erkannte, daß sie bei dem Tempo keine Chance hatten. "Ich werde nebenherlaufen", sagte er und stieg ab. "Das wird Isabells Kräfte etwas schonen. Sieh dich nicht immer um, Mette, das hilft uns auch nicht." "Mein Gott!" rief sie. "Sie sind es." "Es sind sieben oder acht Mann", erwiderte er. "Soweit ich sehen kann, sind sie alle beritten." "Wie weit können sie noch entfernt sein?" fragte Mette ängstlich. Etwas über eine dreiviertel Meile." "Jetzt sehe ich niemanden mehr." "Ich auch nicht. Aber sie sind wohl nur in einer Bodensenke verschwunden. Da kommen sie schon wieder hervor. Lauf, Belle, lauf", rief er und zog sie hinter sich her. "Du machst doch sonst einen krummen Hals und hebst deine Beine hoch. Jetzt schleifst du sie über den Boden und streckst deinen Kopf aus wie ein Fisch, den man mit Gewalt aus dem Wasser ziehen will." "Ob sie uns schon entdeckt haben?" fragte Mette nach einer Pause. "Sie reiten direkt in unserer Spur", sagte der Kornett, "sie kommen immer näher." "Bei Gott!" rief Mette. "Wenn sie uns einfangen. Ich fürchte, mein Vater wird dich in seiner Wut töten. Aber ich werde dich mit meinem schwachen Leib schützen." Sie waren jetzt ungefähr eine halbe Meile weit vom Bach in die Westerheide geritten. Die Verfolger hatten bereits das westliche Ufer erreicht. Sie waren schon deutlich zu unterscheiden. Die Angst der beiden ging fast in Verzweiflung über. Keine Sicht auf Rettung bestand.
Fräulein Mette fing an zu weinen. Da erhob sich plötzlich vor ihnen ein großer, braungekleideter Mann aus dem hohen Heidekraut, eine Büchse in der einen, den Hut in der anderen Hand. "Wer da? Woher kommst du?" rief der Kornett militärisch. "Daher", erwiderte der Mann, "wo die Häuser draußen stehn und die Gänse barfuß gehn. Woher sind Sie, und wo wollen Sie hin? Aber halt! Haben wir uns nicht kürzlich gesehen, sind Sie nicht der Mann, der für mich eintrat, als Jäger Niels mich erledigen wollte?" "Der Schwarze Mads!" rief der Kornett. "So nennt man mich", erwiderte der Wildschütz. "Aber wie kommt es, daß ich Sie so früh am Morgen hier treffe mit einer so kleinen Jungfer? Sie sind wohl auf Wilddieberei gewesen? Kann ich Ihnen helfen?" "In der Not", sagte der Kornett, "ist der nächste Freund der beste. Ich bin der Sohn des Majors auf Vestervig und habe mir meine Liebste von Ansbjerg geholt. Ihr Vater ist mit einem Trupp Reiter hinter uns her. Kannst du uns verbergen und uns retten, will ich dir ewig danken und dich belohnen, so gut ich kann. Aber die Hilfe muß schnell kommen", fügte er rasch hinzu, "denn die Verfolger sind uns dicht auf den Fersen." Mads hielt seinen Hut vor die Stirn, um sich gegen die Sonne zu schützen. "Wahrhaftig", sagte er, "da haben wir den Herrn von Ansbjerg und alle seine Kerle. Verwandte sind die schlimmsten Feinde, sagte der Fuchs, als rote Hunde hinter ihm her waren. Wollen Sie mir versprechen, daß Sie keinem verraten, wohin ich Sie führe, dann könnte ich etwas für Sie tun." Das Fräulein versicherte es mehrmals, und der Kornett
schwor alle Eide, die ihm einfielen. "Die Dame reitet jetzt die nächste Anhöhe hinauf und wartet dort auf uns", sagte Mads, "wir werden inzwischen ein kleines Feuerchen machen, über das so leicht niemand springen kann."
Bei diesen Worten legte er die Büchse ins Gras, nahm seinen Feuerstein heraus und schlug Feuer. Dann raffte er eine Handvoll Moos zusammen, hielt das Feuerzeug daran, pustete, bis es Feuer fing, und warf dann das Moos ins Heidekraut, wo die Flamme sofort knisternd und prasselnd um sich griff. "Der Wind hält zu uns", meinte er, "und das Kraut ist trocken. Nun kann Jäger Niels bald seine Pfeife anstecken. Er wird schön wegen seiner Auerhähne fluchen, weil ich sie ohne Soße brate. Aber Not kennt kein Gebot, und ein braver Kerl hilft sich selbst. - Helft mir",
sagte er zu dem Kornett. "Machen Sie es so wie ich. Reißen Sie Krautbüschel heraus, stecken Sie sie an und werfen Sie sie, so weit Sie können, in Richtung Ihrer Verfolger. Das Fräulein Braut soll solange bei dem Pferd bleiben. Jetzt fangen wir richtig an und machen den Morgen hell." In wenigen Minuten hatten die beiden Männer eine Heidestrecke von einer viertel Meile Breite und Länge in Brand gesteckt. "Jetzt haben wir uns ein Frühstück verdient", rief Mads. "Kommt mit mir und nehmt mit einer armen Behausung vorlieb. Aber Tod und Teufel, was machen wir mit dem Pferd?" Er gab Isabell einen Klaps mit der flachen Hand. "Kannst du allein nach Hause finden?" "Sie folgt mir, wohin ich gehe", erwiderte das Fräulein. "Das darf sie bei Gott nicht, denn dann verrät sie uns. Die Tür zu meinem Haus ist zu eng, und draußen dürfen wir sie nicht stehenlassen. Du bist eigentlich noch zu gut, um aufgegeben zu werden", sagte er zu dem armen Tier, indem er ihm Sattel und Gepäck abnahm, "aber jeder ist sich selbst der nächste." Der Kornett, der wußte, was der Schwarze Mads tun mußte, nahm seine Braut an der Hand und zog sie ein paar Schritte beiseite, als wolle er sie vor dem Rauch schützen. Der Wildschütz nahm seine Büchse, spannte den Hahn und hielt sie hinter das Ohr von Isabell. Ohne zu zögern, drückte er ab. Fräulein Mette wandte sich mit einem Angstschrei um und sah die arme Isabell in das Heidekraut sinken. Ein paar Tränen rannen ihr über die Wangen. "Das Pferd war sofort tot", sagte Mads tröstend. "Es hat nicht einmal den Knall gehört." Jetzt nahm er dem Pferd das Zaumzeug ab, legte sich
dieses mit Sattel und Gepäck auf die eine Schulter und die Büchse über die andere und forderte die Flüchtenden auf, ihm zu folgen. Dabei versicherte er, daß es nicht weit bis zu seinem Schlosse sei. Obwohl Mette Reitertracht angezogen hatte, konnte sie es zu Fuß nicht lange aushalten. Sie strauchelte und verwickelte sich oft in dem hohen Heidekraut, daß der Kornett sie schließlich, ohne sich erst die Erlaubnis zu holen, auf seine Arme nahm. Obwohl das Gewicht eines hübschen Mädchens dem eines Häßlichen gleicht, habe ich mir sagen lassen, daß ersteres doch viel leichter zu tragen sein soll, namentlich für einen jungen und verliebten Kavalier. Obwohl der Schwarze Mads dem Kornett mehrmals anbot, die Bürde mit ihm zu tauschen, lehnte dieser ab und trug seine Braut die ganze Strecke, ohne einmal abzusetzen. Daß das Fräulein ununterbrochen den einen Arm um seinen Hals gelegt hatte und mit dem anderen seinen Hut hielt und ihm damit frische Luft zufächelte, mußte sie ja leichter und ihn stärker machen. "Jetzt sind wir zu Hause", rief endlich Mads und warf sein Gepäck und die Büchse am Fuß eines kleinen heidekrautbewachsenen Hügels ins Gras. "Wo?" fragte der Kornett und trennte sich gleichfalls von seiner Last. Er sah sich um, ohne etwas Wohnungsähnliches zu entdecken. Ein plötzlicher Verdacht stieg in ihm auf, verschwand aber im selben Augenblick wieder. Wäre der Mann ein Räuber gewesen, hätte er sie längst überwältigen können. "Hier ist es", erwiderte Mads, indem er ein großes Torfstück aufhob und zur Seite legte. "Vor ein paar Tagen wohnte ich noch über der Erde. Aber wer gejagt wird, der muß sich auch mit einem Erdloch begnügen."
Unter dem Torfstück wurden mehrere große Steine sichtbar, die Mads beiseite schob. Jetzt zeigte sich eine Öffnung, die geräumig genug war, um hineinzukriechen. "Das sieht ja aus wie ein Fuchsbau", sagte der Kornett. "So soll es auch aussehen", erwiderte Mads, "aber bevor wir unter der Erde verschwinden, wollen wir uns noch einmal umsehen, damit uns niemand beobachtet." Als sie sich überzeugt hatten, daß weit und breit kein lebendes Wesen zu sehen war, begannen sie nacheinander in das Loch hineinzukriechen. "Bitte, bücken Sie sich", sagte Mads, indem er auf allen vieren vorankroch. "Der Gang ist ziemlich niedrig, aber die Stube hat Platz für uns alle. Das Gepäck werde ich später nachholen." Mit einiger Mühe folgten der Kornett und Mette ihrem Retter und befanden sich bald in der unterirdischen Woh-
nung. Zuerst kamen sie in eine Stube, deren Wände aus schweren Felssteinen errichtet waren und deren Decke aus dicht aneinandergelegten Balken bestand. Dort hing auch die Lampe, die mit ihrem matten Licht nur schwach die Höhle beleuchtete. Die beiden erkannten auf der einen Seite zwei Betten, ein größeres und ein kleineres, auf der anderen Seite eine Bank, einen Tisch, ein paar Stühle und einen Hängeschrank. In dem kleineren Bett lagen drei Kinder, die bei der Ankunft der Fremden ängstlich unter die Bettdecke verschwanden. Auf dem Rand des anderen Bettes saß Lisbeth, die Frau von Mads, und blickte ihren Mann erstaunt an, welche Gäste er da mitgebracht hatte. Am Tisch saß ein kleiner, rothaariger Mann, vom Hals bis zu den Knien in Leder gekleidet, den der Hausherr seinen Gästen als seinen guten Freund Michel Fuchsschwanz vorstellte. "Wir gruben hier einmal zusammen", erklärte er seinen Gästen, "nach einem Fuchs, und da fanden wir dieses Versteck. Michel meint, es sei früher eine Räuberhöhle gewesen. Aber vielleicht war es auch ein Riesengrab, denn hier standen ein paar schwarze Töpfe mit Asche und Knochen herum." Bei dem Wort Räuberhöhle erschauerte die junge Dame. Alte Geschichten über ein Räubernest in der Höhle fielen ihr wieder ein. Aber das sichere Auftreten ihres Bräutigams und der freundliche Eindruck, den ihre Gastgeber machten, beruhigten sie wieder. "Ich will Ihnen die ganze Höhle zeigen", erbot sich Mads und öffnete eine Tür im Hintergrund, die wegen des schlechten Lichtes nicht zu sehen war. "Hier ist die Küche, wo wir nur nachts Feuer machen dürfen, und daneben die Speisekammer."
Hier gab es gepökeltes Hirschfleisch und geräucherte Fleischstücke, die im Kamin hingen Auch Brot und Bier warer vorrätig, das Mads von dem letzten Hirschfell in Vestervig gekauft hatte. "Kommt, essen und trinken Sie. soviel Sie wollen von dem, was unsere Speisekammer zu bieten hat", sagte Mads und stellte Bierkrug und Fleischschüssel auf den Tisch. Der Kornett drückte die Hand des hilfsbereiten Mannes und sagte: "In diesem Augenblick habe ich nichts anderes zu bieten als meinen herzlichsten Dank. Aber ich hoffe, mich einmal auf bessere Weise revanchieren zu können." Hungrig machten sich die beiden über das Essen her, das nach der Freude über die unerwartete Rettung besonders gut schmeckte. Auf den Vorschlag von Mads faßten sie den Entschluß, den Abend abzuwarten, ehe sie sich wieder auf die Heide wagten. Michel erbot sich, während dieser Zeit auf Erkundung zu gehen. Er wollte versuchen, die Verfolger zu beobachten und auch Nachricht über den aus Vestervig erwarteten Wagen einzuholen. Bei seinem ersten Versuch kam er nicht weiter als bis zur Öffnung der Höhle und berichtete, daß die Verfolger den Heidebrand umritten hatten und in zwei Gruppen Richtung Westen ritten. Einige Stunden später konnte er sich in die Heide hinauswagen und die Umgebung durchstreifen. Als Michel zurückkehrte, berichtete er, daß die Verfolger jetzt nach Nordwesten ritten und daß die Heide wahrscheinlich vor ihnen sicher war. Denn sie ahnten bestimmt nicht, daß die Ausreißer sich noch in ihrem Rücken befanden. Außerdem erzählte er, daß er draußen einen jungen Burschen getroffen habe, der ihm verdächtig vorgekommen war. Nach seiner Sprache zu urteilen war er nicht aus Skandinavien. Er
hatte ihn nach dem Hvamer Krug gefragt und ob diesen Tag nicht Reisende vorbeigekommen seien. Der Kornett fragte nach dem Aussehen und der Kleidung dieses Burschen. Nach der Beschreibung Michels war er sicher, daß dieser Bursche niemand anders als sein ungarischer Junge sein konnte. Zusammen mit Michel Fuchsschwanz wagte er sich in die Heide hinaus, um den Ungarn zu suchen. Ungefähr eine Viertelmeile von der Höhle entfernt, holten sie ihn schließlich ein. Der Kornett schloß ihn in seine Arme und erfuhr, daß man den Karuper Bach verwechselt hatte und deswegen mit dem Wagen nicht, wie versprochen, rechtzeitig zur Stelle war. Außerdem erzählte der Bursche, daß er kurz vor Mittag von den Verfolgern angehalten worden sei, die ihn ausfragten. Schlau hatte er sich aus dem Verhör gezogen und ihnen einen Weg gewiesen, der nach seiner Vermutung sie nie auf die Spur der Flüchtlinge führen würde. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Der Kornett und seine Braut kamen glücklich den folgenden Morgen in Vestervig an, wurden Mann und Frau und erhielten von dem alten Major fürs erste einen kleinen Erbhof in Thy als Wohnsitz. Junker Kai mußte zunächst mit einer langen Nase abziehen, bekam aber dafür ein Jahr später ein noch reicheres Fräulein von Fünen. Der Ansbjerger und seine Frau waren nicht zu einer Versöhnung mit ihrer Tochter bereit und zogen ihre Hand vollständig von dem jungen Paar ab. Obwohl diese einige reuevolle Briefe schrieben und um Vergebung für ihre Tat baten, die man ihrer Liebe zugute halten sollte, blieben die Alten hart.
V.
Das, was ich jetzt zu erzählen habe, passierte zehn Jahre später und wurde mir zufällig von einem Freund berichtet, der auf seiner Reise durch Jütland auch einige Tage auf dem Gut Ansbjerg Quartier machte. Es war Sommerfest in Ansbjerg, und der Hof war voller bunter Girlanden und Blumen. Es war ein Lärmen, Rufen und Singen, daß man kaum die Musik verstehen konnte, die drei Männer auf ihren Geigen und Flöten spielten. Die Leute hatten den besten Sonntagsstaat angelegt und tanzten ausgelassen oder umlagerten die kalte Küche und den Bierhahn. Mein Bekannter hatte sich einen ruhigen Winkel ausgesucht und beobachtete von hier aus das lustige Treiben um ihn her. Ihm fielen besonders zwei vornehm gekleidete Herren auf, ein jüngerer und ein alter, eine Dame und zwei kleine Jungen, die zwischen den Erwachsenen umhertollten. Als er einen Ansbjerger fragte, wer diese Leute seien, bekam er die Geschichte zu hören, die wir schon zum Teil kennen. Der Ansbjerger sagte ihm, daß dies die Herrschaft sei. Der große Mann, das ist der alte Herr, der vor fünf Jahren Witwer geworden ist. Der junge neben ihm, der mit der Narbe auf der Wange, ist sein Schwiegersohn, das Frauenzimmer seine Tochter und die beiden Buben seine Enkel. Vor zehn Jahren stahl der junge Herr die Dame bei Nacht vom Gutshof. Solange die Frau Kirsten lebte, war an keine Versöhnung zu denken. Erst als sie bereits zwei Jahre unter der Erde lag, ließ sich der alte Herr bewegen, sich mit seinen Kindern zu versöhnen, und nahm sie zu sich nach Ansbjerg. Wenn er stirbt, erben sie Haus und Hof. Nach dieser Geschichte neugierig geworden, beobach-
tete mein Freund die Gruppe weiter. Sie betrachteten einige Zeit das lustige Treiben der Knechte und Bauern und gingen dann zu Tisch, an dem zwei ältere Männer saßen. Sie hatten zwei Bierkrüge zwischen sich stehen und sogen jeder an einer großen Pfeife. Da er sah, daß die zwei Männer am Tisch besonders freundlich begrüßt wurden und man eine Runde Bier bestellte, um gemeinsam anzustoßen, wandte er sich fragend an den Ansbjerger, der ihm auch diesmal bereitwillig Auskunft gab. Der eine, erzählte er, der im grünen Anzug, ist der Jäger. Der andere in den braunen Kleidern ist der Förster Mads, den der junge Herr mit nach Ansbjerg gebracht hat. Dann erzählte er meinem Freund die Geschichte der Entführung, die heute jeder auf dem Hof kennt und gern erzählt, sooft er danach gefragt wird. Auch vom Schwarzen Mads weiß man noch Geschichten zu erzählen, besonders die, als er einen Hirsch aufzäumte und mit diesem durch die Heide ritt. Aber diese Zeiten waren jetzt vorbei. Der Kornett holte ihn kurz nach der gelungenen Entführung auf seinen Hof nach Thy und gab ihm die Stellung eines Försters. Als man nach Ansbjerg übersiedelte, kam auch Mads mit seiner Familie mit. Jäger Niels fand sich lange nicht damit ab, einen ehemaligen Wilddieb als Kollegen zu haben, aber er mußte sich fügen. Von Junker Kai wußte in Ansbjerg niemand etwas zu berichten. Man hatte ihn vergessen. Von der Räuberhöhle in der Heide hält sich noch heute eine verworrene Sage. Man erzählt sich, daß sie westlich des Karuper Baches liegen soll. Keiner weiß es sicher zu behaupten, denn unsere Freunde schweigen und betrachten dieses Geheimnis als Pfand ihrer Freundschaft.
Heft 332
Hans Siebe Funktaxi 1734 Kriminalmeister Schmidt erzählt
Als man uns meldete, in Nordend sei ein Taxifahrer niedergeschlagen und ausgeraubt worden, wollten wir es zunächst nicht glauben. Taxiraub ist selten hierzulande. Und er erfordert besondere Maßnahmen. Die Meldung erreichte uns nachts um zwei Uhr. Am Abend des gleichen Tages hatten wir bereits das Geständnis des Täters. Dazwischen lag ein Tag angespannter Arbeit, nicht nur für Herbert und mich.