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Deutsche Heldensagen
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Deutsche
Heldensagen
Fischer Verlag
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Titelillustration von Milada Krautmann
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Deutsche Heldensagen
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Deutsche
Heldensagen
Fischer Verlag
6
Titelillustration von Milada Krautmann
Innenteil illustriert von Armin Kretschmar
© by Fischer Verlag GmbH,
Remseck bei Stuttgart 1992
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 3 439 91017 2
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INHALT
Gudrun Wie Hagen geraubt wird............................................... Vier Königskinder......................................................... Fahrt in die Freiheit...................................................... Um König Hagens liebliche Tochter............................ Die listigen Kaufleute .................................................. König Hettel gewinnt die Braut.................................... Der Helden Kampf und Versöhnung............................ Wie Gudrun entführt wird............................................ König Hettels Tod........................................................ Im Normannenlande..................................................... Glückverheißende Botschaft........................................ Wende der Not............................................................. Gudruns Befreiung....................................................... Die glückliche Heimkehr............................................. Dreifache Königshochzeit............................................
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König Beowulf Grindel, das Moorungeheuer........................................ Der nächtliche Kampf................................................... Beowulfs Heldentat ..................................................... Der Kampf mit dem Drachen.......................................
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Wieland der Schmied Wielands Lehrzeit.............................................................. König Nidungs Undank..................................................... Wie Wieland gelähmt wurde............................................. Wielands Rache................................................................. Wielands Flucht und Heimkehr.........................................
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Dietrich von Bern Jung-Dietrichs erste Heldentat.......................................... Heime fordert König Dietrich........................................... Wittich, Wielands starker Sohn......................................... Dietrich gewinnt das Schwert Eckesachs.......................... Die Fahrt ins Hunnenland................................................. König Laurins Rosengarten............................................... Der Verrat des Zwergenkönigs ........................................ Sibich, der Ränkeschmied ................................................ Dietrichs Kampf mit dem Kaiser...................................... Die große Rabenschlacht................................................... Die Heimkehr des Recken................................................. Der Wilde Jäger.................................................................
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Walther und Hildegund Als Geiseln der Hunnen ................................................... An König Etzels Hofe....................................................... Walther und Hildegund..................................................... Flucht aus Etzels Reich .................................................... Gefahr am Wasgenstein.................................................... Kampf gegen die Übermacht............................................ Zweikampf der Blutsbrüder.............................................. Hildegunds Heimkehr.......................................................
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Die Nibelungen
Siegfried und Kriemhild
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Kriemhilds Traum.............................................................. Der gehörnte Siegfried....................................................... Der Nibelungenschatz........................................................ Brunhild wird von Siegfried erlöst..................................... Siegfrieds Fahrt nach Worms............................................. Die Schlacht im Odenwald................................................. Siegfried begegnet Kriemhild............................................. König Günther wirbt um Brunhild..................................... Brautfahrt nach Isenland ................................................... Die Doppelhochzeit zu Worms..........................................
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Siegfrieds Tod
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Streit der Königinnen......................................................... Der Richtspruch Hagens ................................................... Wie Siegfried erschlagen ward.......................................... Hagen versenkt den Nibelungenhort.................................
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Kriemhilds Rache
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König Etzels Werbung....................................................... Kriemhild sinnt auf Vergeltung......................................... Die Fahrt zu den Hunnen................................................... Der unheilkündende Empfang........................................... Das Fest der Sommersonnenwende................................... Der Nibelungen Ende........................................................
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GUDRUN
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Wie Hagen geraubt wird Über Irland herrschte einst der mächtige König Siegeband. Wieder einmal, als es Frühling geworden war, hatte er die Ritter seines Landes zu einem großen Turnier geladen. Von den Türmen der Burg Baijan wehten die Fahnen, und neun Tage hallte es in Burgdorf wider in fröhlichen Waffenspielen. Am zehnten Turniertag aber ward die Freude jäh beendet. Hagen, der siebenjährige Sohn Königs Siegebands und seiner schönen Gemahlin Ute, hatte mit leuchtenden Augen die ritterlichen Spiele gesehen. Oft genug dachte der Blondschopf daran, daß auch er einmal in funkelnder Rüstung mit blitzendem Schwert streiten werde. Da, am zehnten Tage war es, kam ein wilder Greif daher geflogen, der so riesengroß war, daß sein Schatten wie eine Wolke über den Burghof fiel. Ehe Ritter und Knaben zu Hilfe eilen konnten, hatte der Vogel den Knaben schon in seinen Klauen und flog mit ihm davon. Betrübt ließ König Siegeband das Turnier abbrechen, und die Gäste ritten nach Hause. In sausendem Flug durcheilte der Greif die Luft, bis er eine Insel erreichte, wo er seinen Horst hatte. Dort ließ er sich nieder, warf seine Beute den jungen Greifen vor und flog wieder übers Meer. Mit scharfen Schnäbeln hackten die hungrigen Greife nach dem Knaben und rissen bald sein Gewand in Fetzen. Jung-Hagen wehrte sich mit aller Kraft, aber er wäre verloren gewesen, wenn ihn nicht eines der flüg
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gen Tiere gepackt und zu einem Baum getragen hätte. Da brach der Ast, auf dem sich der Greif niederlassen wollte. Erschrocken flog der Räuber auf und ließ den Knaben fallen. Hagen aber fiel durch dichtes Gesträuch auf weichen Moosboden. Bald hatte er sich von dem Sturz erholt und fand, daß er unversehrt war. Vorsichtig lugte der Gerettete nach allen Seiten, aber der Wald war so dicht, daß kaum ein Sonnenstrahl durch das Blätterdach dringen konnte. Nur Vogelgezwitscher hörte er, sonst war es ganz still. Weiter wanderte der Knabe unter hohen Bäumen, und er dachte: Einmal werde ich doch an eine Hütte kommen oder in ein Dorf oder gar in eine Stadt. Mutig schritt er aus, doch Hunger und Durst quälten ihn immer heftiger und seine Füße wurden müde. Oh, sähe ich doch einen Menschen, den ich fragen könnte! wünschte er sich inbrünstig.
Vier Königskinder Da entdeckte er im Eingang zu einer Felsenhöhle ein Mädchen. Wunderschön sah sie aus in ihrem Kleid aus Moos. War es ein Menschenkind oder eine Fee? Ich will sie ansprechen, dachte der Knabe und näherte sich ihr. Da erblickte ihn das Mädchen. Schrecken und Staunen spiegelte sich in ihrem lieblichen Gesicht, rasch wandte sie sich um und floh in die Tiefe der Höhle.
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Hagen war glücklich, einen Menschen gefunden zu haben, und folgte ihr. Da fand er das Mädchen in der Höhle wieder, doch hinter ihm standen noch zwei Mädchen, und alle drei betrachteten den Gast neugierig. Der Knabe eilte auf das erste Mädchen zu, hob bittend die Hände zu ihm auf und sprach: „Bist du ein gutes Menschenkind, so gib mir zu trinken. Auch hungert mich sehr!" „Wer bist du?" fragte sie ängstlich. „Ich bin Hagen. Hagen von Baijan!" „Baijan? Was ist denn das?" „Baijan ist die Burg meines Vaters. Er ist König!" „Oh, Königskinder sind wir auch!" rief das schöne Mädchen erfreut aus. „Und wie kommst du hierher?" „Der böse Greif hat mich hierhergetragen". „Auch uns ist es so ergangen. Oh, wir Armen!" klagten die beiden anderen Mädchen. „Wie heißt du?" fragte Hagen das erste Mädchen. „Ich heiße Hilde." „So bitt' ich dich, Hilde, gib mir zu essen und zu trinken!" flehte Hagen sie an. Da holten sie Wasser in einer selbstgemachten Schale aus Holz und köstlich duftende Erdbeeren auf breiten Blättern. Und Hagen aß und trank wie ein hungriger Wolf. Als er alles verzehrt hatte, fragte er: „Sagt, gibt es denn hier keine Ritter?" „Noch nie sahen wir hier einen Menschen." „Keinen Mensch? Wie lange seid ihr schon hier?" „Nicht einmal das wissen wir, denn hier sind alle
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Tage gleich." Diese Antwort ließ den Knaben erstaunen, und er dachte nach. „Aber", so meinte er endlich, „die Sonne geht doch auch bei euch auf und unter, da könntet ihr doch die Tage zählen." „Anfangs haben wir es getan, aber als uns keine Rettung ward, haben wir nicht mehr gezählt. Nun finden wir uns nicht mehr zurecht", antworteten sie. Über all dem Erzählen war Hagen sehr müde geworden. Er fragte: „Habt ihr ein Bett für mich, Hilde?" „Komm nur", sagt sie und führte ihn zu einem Mooslager in der Höhle. „Hier magst du ausruhen." Monde und Jahre lebte Hagen bei den Königstöchtern im Walde und nährte sich von Beeren und Wurzeln. Seine Kräfte wuchsen, und die Königstöchter hatten Freude an dem munteren Gefährten. Bald wagte sich Hagen immer tiefer in den Wald hinein, und er jagte Fische und Vögel und Wildbret für sie alle. Dennoch waren die Königskinder unglücklich. Immer mußten sie vor dem Greifen auf der Hut sein, und sie sehnten sich nach der Heimat und nach den Eltern. Eines Tages brauste wieder einmal ein Sturm über die Insel hin. Das gewaltige Heulen und Tosen lockte den Jüngling an den Strand. Da sah er, wie ein Schiff mit der Brandung kämpfte. Er jubelte auf, in der Hoffnung, der Segler werde landen und sie alle retten. Plötzlich war das Schiff verschwunden, die tosenden Wellenberge hatten es verschlungen vor Hagens Augen. Entsetzt blickte der Jüngling noch auf die Stätte des Unglücks, da sah er, wie die Wogen Balken und Bretter
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und tote Männer an den Strand warfen. Er eilte hinzu, um die Unglücklichen aus der Nähe anzusehen. Sie waren in Rüstungen gekleidet und trugen Waffen, also mochten sie wohl Ritter sein. „Nun habe ich endlich Waffen!" jubelte Hagen. Sofort rüstete er sich mit eines Toten Harnisch, gürtete sich mit dessen Schwert, nahm Bogen und Pfeile an sich und den guten Schild, dann stieg er stolz das felsige Gestade hinauf. Noch hatte er nicht den Wald erreicht, da verriet ihm mächtiges Flügelrauschen, daß sich der Feind der Königskinder nahte. Schon schwebte der Greif über des Knaben Haupt, bereit, auf ihn herabzustürzen. Hagen aber fürchtete sich nun nicht mehr. Kampflustig nahm er den Bogen zur Hand, legte sorgfältig den Pfeil auf die Sehne, spannte sie mit aller Kraft, und sausend flog der Pfeil durch die Luft und traf. Doch vergeblich - an dem harten Gefieder des Untiers prallte der scharfe Pfeil ab. Wütend schoß nun der Greif auf den Verwegenen hinab. Da griff Hagen zum Schwert. Schon blitzte die Klinge durch die Luft, und - hui! - mit dem ersten Streich fiel ein Greifenbein zur Erde! Dem zweiten Streich folgte ein großer Flügel, und nach dem dritten Hieb gar fiel des Greifen mächtiger Kopf herab. Tot stürzte der furchtbare Vogelleib in den Sand. Doch Hagen hatte keine Zeit, sich seines Sieges zu erfreuen, schon kam das Weibchen des Greifen herangebraust. Von neuem begann der Kampf. Wuchtig schwang der Jüngling das Schwert und erschlug das
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Tier. Ebenso tötete er auch die Junggreife, die nacheinander angeflogen kamen. Er hängte die scheußlichen Greifenköpfe an seinen Gürtel und begab sich stolz zu seiner Felsenwohnung. Die Mädchen entsetzten sich über seinen Anblick und wollten fliehen. Er aber lachte und rief: „Kennt ihr Hagen nicht mehr?" Nun brachen die Mädchen in hellen Jubel aus. „Wie froh sind wir, endlich ohne Furcht überall hinzugehen! Dank dir, Hagen!"
Fahrt in die Freiheit Eines Tages wurde Hagen bei einer Felsschlucht von einem riesigen Tier angegriffen, das einem Drachen glich. Mutig setzte er sich zur Wehr und erschlug das Ungeheuer. Von seinem Blut trank er und gewann große Kraft daraus. Aus dem Schuppenpanzer aber fertigten ihm die Mädchen ein Streitgewand. Tag für Tag gingen die Königskinder an den Strand, in der Hoff nung, es werde ein Schiff kommen und sie in Heimat bringen. So vergingen einige Jahre. Sie hatten die Hoff nung auf Rettung fast aufgegeben, da rief eines Tages Hagen, der einen hohen Baum erstiegen hatte: „Ein Schiff! Ein Schiff!" Lange erblickten die Mädchen sehnsüchtig aufs Meer hinaus, da rief Schön-Hilde: „Ich sehe etwas Weißes leuchten. Ist es ein Segel?"
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„Ja, ja!" rief Hagen. „Und es nähert sich der Insel. Immer höher taucht der Mast empor, immer deutlicher sehe ich es. Freut euch, jetzt naht Rettung!" Indessen sich die Mädchen vor Freude in den Armen lagen, verließ Hagen den Baum, legte Wehr und Waffen an und trat zu den Mädchen. Immer näher kam das Schiff, ein Boot wurde herabgelassen und holte Hagen und die drei Mädchen an Bord. Jedermann betrachtet die Geretteten mit Staunen, denn zu abenteuerlich sah ihre Kleidung aus. Die Mädchen berichteten, woher sie stammten, die eine aus Indien, die zweite aus Portugal, Schön-Hilde aber aus Island. Als nun Hagen sagte, er sei der Sohn des Königs von Irland, da erlebten die vier eine böse Überraschung. Es zeigte sich, daß der Herr des Schiffes, ein Seegraf, in wilder Fehde lag mit König Siegeband von Irland. Zornig rief er aus: „Da habe ich einen guten Fang getan! Als Geisel werde ich dich, Hagen, auf meine Burg führen. Euch Mädchen werde ich meinem Hofgesinde zugesellen!" Als Hagen widersprach, befahl der Schiffsherr seinen Mannen, sie sollten Hagen fangen und in Ketten legen. Hart drangen die Männer auf Hagen ein, der schnell sein Schwert gezogen hatte. Vor seinen gewaltigen Streichen wichen sie zurück, doch in seinem Zorn warf er einige von ihnen über Bord. Mehr als dreißig Gesellen verloren ihr Leben durch des Jünglings Hand. In seiner Wut hätte er sogar den Schiffsherrn erschlagen, wenn nicht die Mädchen für ihn gebeten hätten. Dann aber
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versprach der Überwundene, die Geretteten nach Irland heimzubringen. Kaum war der Segler vor Anker gegangen, da strömte das Volk von allen Seiten herbei, und die Königskinder waren auf ihrem Weg zur Burg von frohen Zurufen begleitet. König Siegeband und Königin Ute waren glücklich über Hagens Heimkehr. Die Königin hatte ihn an dem goldenen Kreuz erkannt, das Hagen schon von Geburt an auf seiner Brust trug. Der Seegraf mit seinen Mannen, die die Königskinder gerettet hatten, wurde freundlich bewirtet und reich beschenkt. Die beiden anderen Königskinder, die aus Indien und die aus Portugal, verließen bald das gastliche Irland, Schön-Hilde aber blieb auf Burg Baijan. Als der Frühling ins Land zog, wurden Schön-Hilde und Hagen ein Paar, und König Siegeband übergab Hagen der Herrschaft. Dem Königspaar wurde eine Tochter geschenkt, die zu einem so schönen Mädchen heranwuchs, daß Herr Hagen sie nur dem zum Eheweib geben wollte, der ihm überlegen wäre. Viele Helden schon hatten um Hilde geworben und dabei ihr Leben gelassen.
Um König Hagens liebliche Tochter An den Küsten der Nordsee herrschte König Hettel von Hegelingen, ein junger Recke. Viele Länder waren ihm Untertan, und treue Gefolgsmänner trugen seinen
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Ruhm weit über die Grenzen. Der gewaltigste der Rekken war der alte Wate von Sturmland, sein breiter Bart wallte ihm bis auf die Brust herab. Gefürchtet waren auch die Ritter Irold und Morung, und voller List steckte Frute von Dänenland. Fürst Horand von Dänemark aber wußte so schön zu singen und die Laute zu schlagen, daß sich im weiten Nordland kein Sänger mit ihm messen konnte. Eines Tages berief König Hettel die Helden zu sich auf Burg Matelane, und er sagte zu ihnen: „Wunderbare Kunde habe ich vernommen von der Schönheit, die Hilde von Irland vor allen Jungfrauen ziert. Sie und keine andere soll Thron und Reich mit mir teilen, und mit eurer Hilfe will ich sie erringen. König Hagen hütet seine Tochter sehr, ich weiß es, dennoch hoffe ich, daß er meine Werbung billigt, sonst...", er schlug mit der Faust an sein Schwert, „muß ich mir das Recht selbst verschaffen! Bei euch steht nun der Rat." „Hagen ist stark", sagte Frute, „ich rate zur List". Da widersprach Wate, der Alte, mit dröhnender Stimme: „List ist der Pfeil von Ohnmächtigen und kraftlosen Frauen. Ich werfe mein Schwert in die Waage." Auch Irold von Friesland und der junge Morung stimmten Wate zu. Als König Hettel dann den Sänger Horand anblickte, gab dieser zu bedenken: „Dem wilden Hagen zu widerstreiten hat schon den tapfersten Recken den Tod gebracht. Darum erlaubt, daß auch ich zur List rate. Denn wer von uns würde es wagen, König Hagen mit dem Schwert gegenüberzutreten?"
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„Ich wage es!" grollte Wate von Sturmland. „Auch ich!" war Held Irold gleich zur Stelle. Lachend winkte König Hettel ab und wandte sich an Frute. „Ich frage dich, Frute von Dänemark, was du zu raten hast." Frutes flinke Augen huschten von einem zum anderen, dann sprach er bedächtig: „Laßt die Schwerter ruhen und zieht das Gewand von Händlern an, so wollen wir als Kaufleute gen Irland fahren. Am Hafen von Baijan bieten wir seltene Waren für geringen Preis an. Doch an König Hagen und seine holden Frauen schicken wir prächtige Geschenke als Gruß. Darüber wird er staunen, er wird uns zu sich bitten, und dann", er blickte umher im Kreise und zwinkerte listig, „dann locken wir Schön-Hilde in zarte Gefangenschaft." König Hettel nickte, auch Morung und Horand stimmten dem fein erdachten Plan zu, und Irold gar lachte darüber. Nur Wate von Sturmland erhob trotzig sein Haupt und blickte den König fest an. „Mit Verlaub, König Hettel, ich muß Euch sagen: Recken sind keine Krämer! Das Schwert ist unsere Elle!" „Nun, tapferer Wate", beschwichtigte ihn der König, „nicht um eine Schlacht geht es, sondern um die Hand von Schön-Hilde! Fügt Euch dem Rat, und wer weiß, am Ende müssen wir dennoch zum Schwert greifen."
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Die listigen Kaufleute Als wieder Frühling war und die ersten Schwalben um Burg Baijan flogen, liefen die Segler des Königs Hettel in den Hafen ein. Stolze, hochgewachsene Männer kamen an Land, und sie ließen sich vom Hafenvogt zur Burg hinaufführen vor den König. Der erste der Handelsleute, ein gewisser Horand, verneigte sich und sagte: „Wir kommen aus dem Lande Hegelingen und sind König Hettel tributpflichtig. Aber wir haben uns den Zorn des Königs zugezogen, seitdem sind wir verbannt und treiben Handel in aller Welt. Nun liegen unsere Schiffe mit Waren im Hafen, und wir bitten dich, unsere Güter anbieten zu dürfen." Gern gewährte König Hagen den Fremden Schutz und freien Handel. Bald waren die Kaufleute in aller Munde, denn schön waren ihre Güter und des Preises wert. Da wünschten die Königin und Schön-Hilde die Fremden mit ihren Schätzen bei Hofe zu sehen, und die Kaufleute wurden eingeladen. In prächtigen Gewändern erschienen die Helden auf Burg Baijan, und der König ließ es nicht an reicher Bewirtung fehlen. Bald erklang fröhliches Saitenspiel zu kunstvollem Gesang. Nur der alte Wate saß mit grimmigem Gesicht da. „Warum denn so finster, Herr Wate?" fragte ihn einmal Hilde. „Gewiß wäret Ihr lieber auf hoher See oder beim klirrenden Tanz der Schwerter!" „Ja, das Toben des Meeres und scharfer Schwerter Klang, das dünkt mich lieblicher als Frauenlachen und
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Gefiedel!" Er verneigte sich und verließ die Halle. Hinfort gingen die Mannen aus Hegelingen bei Hofe aus und ein, und mit Freuden sah König Hagen, wie die Fremden ihre Waffen im ritterlichen Spiel zu gebrauchen wußten. Es gelüstete Hagen, mit dem riesenhaften Wate von Sturmland einmal die Kräfte zu messen, und bald sprangen die Funken aus dem Stahl, so hieben die Fürsten aufeinander ein. Wates Gefährten jubelten, denn im ersten Gang hatte er den König hart bedrängt. Grimmig lachte der König und sagte: „Wacker gekämpft:, Herr Wate. Doch ich kenne noch vier Schläge, die niemand außer mir beherrscht. Tretet an, Graubart von Sturmland, und wehret Euch!" Wild schüttelt Wate das Haupt. Freude blitzte ihm aus den Augen, und wieder klirrten die Waffen. Mit großer Mühe fing Wate die geschickten Schläge des Gegners ab, doch bald war er ihrer kundig geworden und schlug so kräftig zu, daß des Königs Fechtkunst versagte. Die Recken schüttelten sich die Hände, König Hagen lachte und sagte, er habe nie einen besseren Schüler gehabt. „Fast wünschte ich mir vom Schicksal, daß wir uns einmal im ernsten Kampf gegenüberstehen."
König Hettel gewinnt die Braut Die schöne Hilde liebte Gesang und Lautenspiel. Das beschlossen König Hettels Werber zu nutzen. An einem
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schönen Frühlingsabend ließ Horand im Burggarten sein Saitenspiel hören und sang so schön dazu, daß ringsum die Nachtigallen verstummten. Schön-Hilde war so sehr von Horands Stimme bezaubert, daß sie sich sehnlichst wünschte, der Ritter möge einmal ganz allein für sie singen. Sie vertraute ihren Wunsch einem Höfling an, und dieser führte bei Beginn der Dunkelheit Horand und Morung in Hildes Kemenate. Leise sang Horand seine Lieder, und die Königstochter meinte: „Was gäbe ich darum, wenn Ihr mir immer morgens und abends vorsänget!" „Das liegt allein in Eurer Macht, Prinzessin", antwortete Horand schlau. Dann berichtete er von König Hettels Liebe zu Hilde und bekannte, daß er und Morung für Hettel werben sollten. Überrascht hörte sich Schön-Hilde die Worte an. Lange mußte sie sinnen, dann sagte sie: „Mein Herz ist entschlossen für König Hettel. Gern möchte ich mit euch fahren, doch mein Vater wird es nicht erlauben." „So flieht mit uns!" rief Horand eifrig aus. Da erschrak die Königstochter und klagte: „Wer könnte König Hagen entfliehen!" Dagegen wußte Horand: „Unsere Segler sind schnell wie der Wind. Euer Vater kann uns nicht einholen. Und seid Ihr erst Königin der Hegelingen, dann wird ihm sein Vaterherz raten, Euren Bund zu segnen." Dann legte Horand dar, wie die Hegelingen die Flucht vorbereitet hatten, und bald war Schön-Hilde
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dazu bereit. Frohlockend eilten die Helden wieder auf geheimen Wegen in den Hafen. Schmunzelnd vernahm Frute die Kunde, ließ die Schiffe zur Fahrt rüsten und verbreitete das Gerücht von ihrer Abreise. Dann begaben sie sich zur Burg, um Abschied zu nehmen. Als die Stunde der Abfahrt gekommen war, erschien der König mit seiner Familie und mit viel Hofgesinde zur festgesetzten Zeit am Hafen. Mit freundlichen Worten hieß Wate die Königin und den König willkommen, indessen Morung Hilde und deren Mägde auf ein Schiff geleitete. Da wandte sich Wate rasch vom Königspaar ab und begab sich auf ein Schiff, das sofort ablegte. Dann rief er von Bord über alle hinweg: „Heil, König Hettel von Hegelingen, und Heil, Schön-Hilde, seiner Braut!" In seinem Fürstentum Waleis, das am Meer gelegen war, erwartete König Hettel ungeduldig seine Mannen. Endlich sah er sie von der Brautfahrt heimkehren. Horand und Morung führten ihm Schön-Hilde entgegen. Als der König sie in ihrer strahlenden Schönheit sah, leuchteten seine Augen auf. Er verneigte sich vor ihr und hieß sie willkommen als Königin über alle seine Lande. Die Königstochter freute sich an Hettels hoher Gestalt und an seinem ritterlichen Wesen. Errötend antwortete sie: „Ich kannte dich nicht, nur Horands preisende Worte. Und doch hat es das Schicksal gut mit mir gemeint, denn du gleichst dem Bild meiner Träume. Ich
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komme zu dir als Braut und habe den einen großen Wunsch, daß er dir gelingen möge, meinen Vater in Freundschaft zu versöhnen." „Das wird mir gewiß gelingen!" antwortet Hettel freudig und küßte Schön-Hilde auf den Mund.
Der Helden Kampf und Versöhnung Anderntags, im ersten Morgenschimmer, entdeckte der luchsäugige Frute Schiffe auf dem Meer. Bald erkannte er, daß die Banner König Hagens vom Mast flatterten. Er blies das Heerhorn so kräftig, daß die Hegelingen jäh aus dem Schlaf aufrühren und nach den Waffen griffen. Die Schiffe der Iren hatten noch nicht angelegt, da sprang schon König Hagen ins Wasser und stürmte, allen anderen voran, dem Strande zu. Grimmig biß sich sein Schwert in die Reihen der Feinde. Da warf sich ihm der mutige König Hettel entgegen. Doch Hagen, rasend vor Wut, deckte den Gegner mit einem Wirbel von Schlägen zu. Hettel taumelte, das Blut rann über sein Gesicht, schon schwang Wate von Sturmland dazwischen. „Nun zeige deine Meisterschläge, König Hagen! Jetzt gilt es!" rief er aus, dann klirrten die Schwerter gegeneinander, daß die Funken sprühten. Es gelang Hagen, den zornesmutigen Wate eine Wunde zu schlagen, doch dann erhielt er selber einen solchen Schlag, daß er zu Boden sank.
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Bangen Herzens hatte Schön-Hilde dem Kampf zugesehen. Nun flehte sie Hettel an, der mit verbundenem Haupt neben ihr stand, er möge endlich die Kämpfenden trennen. Hagen und Wate hatten sich wieder erhoben, da sprang Hettel dazwischen. Er wehrte mit den Armen nach beiden Seiten und mahnte mit mächtiger Stimme: „Genug des Streites! Nieder die Waffen!" „Wer bist denn du?" herrschte Hagen ihn an. „König Hettel von Hegelingen!" „Was, du bist Hettel ?" Überrascht musterte Hagen den jungen König von Kopf bis Fuß. „Und da die Stirnwunde, ist sie von meiner Hand?"
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„Ja, das warst du, König Hagen. Gar rauh war dieser erste Gruß an deinen Sohn!" antwortete Hettel. Dröhnend lachte da der grimme Hagen und sprach: „Das ist Reckenart, Herr Hettel! Und es ist die Wahrheit, auch du hast dich wie ein Held geschlagen und wie ein König! Und wo ist Hilde? Sie möge mich begrüßen!" Ringsum standen die Helden bereit, wieder zum Schwert zu greifen. Da kehrte König Hettel mit Hilde zurück, Hand in Hand traten sie vor den König. Grollend fragte er die Tochter: „Liebst du den da, den Hegelingenkönig?" „Ja, Vater, ich liebe ihn!" kam es von bebenden Lippen zurück. „In Ehren hat ihn mein Schwert getroffen, so mag er als Sühne dafür meine Tochter zur Gemahlin empfangen", sagte König Hagen und lachte grimmig. Da schlugen die Helden ringsum mit ihren Schwertern auf die Schilde, daß es klirrte und dröhnte. Ein fröhlicher Zug war es, der sich dann gen Matelane bewegte, und auf der hohen Königsburg wurde die Hochzeit Schön-Hildes mit Hettel prächtig gefeiert.
Wie Gudrun entfuhrt wird Zwei Kinder wurden König Hettel und Schön-Hilde beschert. Der Knabe Ortwin wurde dem alten Wate anvertraut, damit er ihn auf Sturmland zum Ritter
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erzöge. Gudrun, das Mädchen, aber wuchs auf Burg Matelane zu einer wunderschönen Jungfrau heran. Kühne Ritter erschienen als Freier in Matelane. Der Stolzeste von ihnen aber war Siegfried von Morland, der mit prächtigem Gefolge zur Burg hinaufritt. Um so mehr verletzte ihn König Hettels Ablehnung, mit Rachegedanken verließ er Hegelingenland. In der Normandie regierte der tapfere König Ludwig, dessen Gemahlin Gerlind wegen ihrer Bosheit bekannt war. Ihr Sohn Hartmut dagegen war ein Ritter ohne Furcht und Tadel. Obgleich sein Königreich klein war, meinte er, die schönste Königstochter werde ihm als Gemahlin folgen. So kam es, daß König Ludwig einen Ritter ausschickte, damit er um Gudrun werbe. Eines Tages ertönte das Hörn des Burgwartes auf Matelane, und an der Spitze stattlicher Normannenhelden ritt ein stolzer Graf ein. Er wurde in Ehren empfangen, doch bald beschied König Hettel ihm: „Die Tochter des Hegelingenkönigs ist für einen mächtigeren Thron bestimmt als für den der Normannen!" Mit Verdruß nahmen König Ludwig und Hartmut solch stolze Ablehnung hin, die Königin Gerlind jedoch geriet in derartigen Zorn, daß sie ihren Sohn aufforderte, sie alle an König Hettel zu rächen. „Nein", widersprach Hartmut, „ich will hinziehen und Gudrun mit eigenen Augen sehen." Zu dieser Zeit ward auf Burg Matelane große Pracht entfaltet, denn der mächtige König Herwig von Seeland war als Freier gekommen. Trotz aller Ehrungen, auch
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ihm verweigerte Hettel die schöne Tochter. Unmutig verließ König Herwig Matelane und beschloß, die geliebte Königstochter mit Gewalt zu gewinnen. Während Herwig zur Heerfahrt rüstete, erschien zu Matelane ein unbekannter Held. Bald stand er bei jedermann in Gunst, besonders bei den Frauen. Als er die schöne Gudrun einmal im Burggarten allein antraf, bekannte er ihr seine Liebe. Es war kein anderer als Hartmut von der Normandie. Freundlich antwortete Gudrun: „Wie darfst du zu mir von Liebe sprechen, obgleich mein Vater schon deinem Boten die Antwort gegeben hat!" Doch Hartmut gab noch nicht auf. Noch einmal brachte er seine Werbung vor dem Königspaar vor. „Ihr irrt Euch", antwortete König Hettel, „es bleibt bei meiner Meinung: dem Sohn eines Lehnsmannes werde ich niemals meine Tochter geben!" Stolz erhob Hartmut das Haupt. „Ich bin wie Ihr ein freier Fürst!" Da mahnte Frau Hilde: „Hat denn nicht dein Vater von meinem Vater Land und Leute empfangen?" „Das ist längst vorbei!" entgegnete Hartmut stolz. „Heute herrscht König Ludwig frei in seinen Lande!" „Das magst auch du tun", höhnte König Hettel, „doch eine Hegelingentochter wird niemals das Thrönchen der Normandie vergolden." „Und das wird sie doch tun!" stieß Hartmut erzürnt hervor. Dann verließ er ohne Gruß und Dank Matelane. Kaum war Hartmut im Zorn davongeritten, da
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erschienen dreitausend Recken vor Hettels Burg. König Herwig von Seeland wollte mit dem Schwert werben. König Hettel nahm mit seinen Mannen den Kampf auf, doch gelang es Herwigs Übermacht, das Burgtor zu öffnen und einzudringen. Auf dem Burghof kämpfte Mann gegen Mann, und mit gewaltigen Schlägen brachten sich Hettel und Herwig in Not. Voller Angst rief Gudrun vom Söller herab: „Herwig, genug! Bedenke, daß du König Hettels Sohn werden willst!" Da senkten die Könige die Schwerter, und die Frauen baten sie innigst, von weiterem Streiten abzulassen. Die Könige hießen auch ihre Mannen den Kampf einstellen und reichten sich die Hände. Sie entledigten sich der blutbefleckten Rüstung und badeten. Dann begaben sie sich in festlichen Gewändern zu den Frauen. Als König Herwig dann Gudrun fragte, ob sie sein Weib und somit auch das Unterpfand des Friedens zwischen ihm und König Hettel sein wolle, antwortete sie freudig: „Ja, das will ich von Herzen gern!" König Hettel und Frau Hilde waren darüber zufrieden, doch mußte Herwig einräumen, daß die Hochzeit erst ein Jahr später gehalten werde. Froh kehrte er mit den Seinen heim nach Seeland. Dort empfing ihn Trauer, denn in seiner Abwesenheit war Siegfried von Morland eingefallen. So hatte er sich dafür gerächt, daß Gudrun nicht ihn, sondern Herwig erwählt hatte. Mit gewaltiger Übermacht stellte er sich nun Herwig entgegen. Der von Seeland mußte König Hettel um Hilfe bit
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ten. Da entbot der König der Hegelingen seine Fürsten Wate, Frute, Horand, Morung und Irold und zog mit einem ansehnlichen Heer nach Seeland. Die Frauen bleiben in der Obhut eines Ritters auf Matelane zurück. Inzwischen aber brach König Ludwig von der Normandie mit Hartmut und einer großen Streitmacht in das Hegelingenland ein. Sie raubten Gudrun mit ihren Jungfrauen und machten sich eiligst zu Schiffs davon. Groß war Königin Hildes Leid. Eilends entsandte sie mit schnellen Seglern Boten nach Seeland, Hettel und Herwig Kunde von dem Überfall zu geben.
König Hettels Tod Bald hatten die Boten das Feldlager der Hegelingen erreicht und berichteten von dem feigen Überfall der Normannen. Zornig rief Held Wate aus: „Nun gilt es rasche Tat! Darum: sofort muß der Kampf mit Siegfried beendet werden. Wir haben ihn schon hart genug bedrängt, so daß er gern Frieden von uns annehmen und auf unsere Fahne schwören wird." Wate ging also hin und bewegte Siegfried von Morland zum Frieden. Bald verkündeten die Könige ihren Mannen, daß fernerhin Freundschaft und Waffenbrüderschaft beschworen sei. Und nun rief Wate von Sturmland: „Zu Schiff, ihr
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Helden! Ich habe Kunde, daß die normannischen Wölfe auf dem Wülpensande rasten. Dort wollen wir die Frauenräuber besuchen!" Sorglos hatten sich die Normannen auf dem Wülpensand gelagert und taten sich gütlich an geraubten Speisen und Wein. Plötzlich schmetterten die Hörner ihrer Wachen am Strand. Erschrocken blickte Hartmut auf und sah die ganze Flotte von Schiffen. Als er aber Kreuze auf den Mastwimpeln entdeckte, meinte er: „Pilger sind es. Sie suchen wohl Rast auf dem Wülpensand." Doch was war das? Er bemerkte plötzlich ein Blitzen und Funkeln, als ob die Sonne auf stählerne Helme und Waffen schiene. Da rief auch schon König Ludwig: „Feinde nahen! Zu den Waffen!" Vorn im Heerhaufen stellte er die Bogenschützen auf, rückwärts die Speerschleuderer, so gedachte er Hettel und Herwig zu empfangen. Inzwischen waren die Schiffe herangekommen und warfen Anker, die Mannen sprangen von Bord. Wates Heerhorn dröhnte so düster über das Meer, daß manchem Normannen das Herz bebte. Dann sprang auch Wate in die Flut, mit Schild und Speer schritt er wie ein Gott des Meeres dem Feind entgegen. Mit lautem Schlachtruf folgten die Streiter von Hegelingen und Seeland. Durch die schäumende Brandung stürmten sie vorwärts. Da hob der Normannenkönig sein Schwert empor — schwirrend und pfeifend kam es durch die Luft gegen die Stürmenden geflogen. Ein Pfeilhagel deckte sie zu.
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Dann folgte der Regen der Speere, und viele Recken sanken ins Meer, ehe ihr Fuß den Sand erreicht hatte. Unversehrt war Wate geblieben, der Rufer im Streite. Grimmig stapfte er durch den Sand und mähte sich mit seinem Schwert mitten in die Reihen der Feinde hinein. Doch die Hauptmacht der Normannen stand wie ein Fels und behauptete sich gegen alle Angriffe. Bis in die Nacht hinein dauerte das furchtbare Ringen, und in der Morgenfrühe riefen die Hörner schon wieder zum Kampf. Da trafen König Ludwig und Hettel aufeinander. Ringsum verstummte der Waffenlärm, die Recken sahen dem Zweikampf der Könige zu. Das Glück entschied für den normannischen Löwen, unter seinen wuchtigen Streichen hauchte Hettel sein Leben aus. König Hettels Leichnam wurde aus dem Kampfgetümmel getragen. Von den Zelten der gefangenen Jungfrauen ertönte Jammern und Klagen - Gudrun weinte um ihren Vater. Da brüllte Wates Hörn, und wieder hagelte es wütende Schwerthiebe. Die Sonne sank ins Meer. Dunkelheit legte sich über Wogen und Strand, und in der Finsternis erschlug gar Freund den Freund. Da geboten die Fürsten Waffenruhe, und die ermatteten Streiter warfen sich auf ihre Schilde zum Schlaf nieder. Die Könige der Normannen beschlossen, auf ihren Schiffen den Wülpensand zu verlassen, aber den Feind durch Schlachtgesang und Hörnerschall zu täuschen. Sie hielten die hohle Seite des Schildes vor dem Mund
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und brüllten hinein, dazu gellten die Heerhörner, Schwerter schlugen wider die Schilde, kurz, sie machten einen solchen Lärm, daß der Feind nicht denken konnte, nun ergriffen die Normannen die Flucht. Als die Sonne über dem Meeresrand emportauchte, standen die Hegelingen zum Kampf bereit. Sieg oder Niederlage, Tod oder Leben beider Völker und damit das Geschick von Gudrun sollte entschieden werden. Wiederum stieß der unermüdliche Wate in sein Wiesenthorn und rief zum Angriff. Doch was war das? Beim Feind blieb alles still, nur einige verlassene Rosse wieherten hinter den Verhauen. Die Hegelingen sahen sich verwundert an, und einer fragte den anderen: „Schlafen sie — oder sind sie nicht mehr da?" Da kam von den Schiffen her Antwort: „Die Normannensegler sind entkommen. Nur zerbrochene Waf fen liegen am Strand umher. Alle sind sie verschwunden, auch Gudrun mit den Mädchen." „Was macht's?" rief zornig der alte Wate. „Vorwärts, wir wollen sie verfolgen, und dann ersäufen wir die Räuber im Meer!" Die Mannen jubelten ihm zu, doch Frute bewies, daß er nicht nur listig, sondern auch besonnen war. „Gebt Ruhe, ihr Männer", rief er, „und hört meinen Rat: Mit unseren Schiffen können wir die flinken Segler der Normannen nicht einholen. Und sollen wir sie auf dem Land aufsuchen? Wie wäre das wohl möglich! König Hettel ist tot, tausend der besten Mannen liegen erschlagen im Sande, und unsere Kräfte sind auf Jahre hinaus
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erschöpft. Daher rate ich: Laßt uns heimkehren! Wir werden die Jugend im WafFenhandwerk erziehen und Schiffe bauen, bis wir wieder stark genug sind, die Normannen in ihren Schlupfwinkeln aufzustöbern." Sechs Tages währte die Bestattung von Freund und Feind. Dann segelten die Mannen aus Hegelingen und Seeland vom Wülpensand ab. Noch einmal grüßten sie die Banner, die sie auf den Dünen aufgepflanzt hatten. Frau Hilde wunderte sich über die stille Heimkehr der Hegelingen; denn sonst wurde siegreiche Heerfahrt mit Jubel und Hörnerschall angekündigt. Da ritt ein einsamer Mann auf Burg Matelane ein. Wate war es. „Wate, du bringst Unglück?" fragte Hilde bebend. „Sag, wo ist König Hettel?" „Auf dem Wülpensand ruht der König. Hoch ragt sein Banner im Meeressturm." Da seufzte Frau Hilde tief auf. Stumm stand Wate da. Dann hob er die Schwerthand zum Himmel empor und rief aus: „Königin, bei Allvater schwöre ich, schrecklich soll der Tod meines Königs gerächt werden!" Schmerzvoll blickte Frau Hilde auf und sagte: „Und mein Kind? Gudrun?" „Noch ist sie bei König Ludwig und Hartmut. Aber diese Hand wird sie befreien, so wahr ich Wate von Sturmland bin!"
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Im Normannenlande Unter günstigem Wind segelten die Normannen der heimatlichen Küste zu. Da sprach König Ludwig zu Gudrun: „Dort liegt Kassiane, unsere Königsburg. Dort wird dir viel Freude beschieden sein." Unwillig schüttelte Gudrun das Haupt. „Was sagt Ihr da? Mein Vater liegt in Eurer Hand erschlagen - und ich sollte Eure Tochter werden? Nimmer vermähle ich mich einem Manne, der nicht gleicher Abkunft ist. Lieber den Tod als Hartmut zum Gemahl!" Im jähem Wutanfall ergriff der König die Wehrlose und schleuderte sie ins Meer. Entsetzt schrien die Gespielinnen Gudruns auf. Hartmut sah die Untat und sprang rasch der Versinkenden nach. Er konnte sie bei den Flechten fassen und retten. Als die Schiffe anlegten, erschien Königin Gerlind mit ihrer Tochter Ortrun. Die liebreizende Ortrun empfing die Hegelingentochter mit einem herzlichen „Willkommen, schöne Schwester!" So freundlichen Gruß hatte Gudrun nicht erwartet, sie wußte der errötenden Ortrun herzlichen Dank. Doch als Gerlind hinzutrat, wich Gudrun zurück. Unmutig stieß sie hervor: „Auf Euern Rat ist es geschehen, daß sie mich aus der Heimat entführten, und das kalte Glitzern Eurer Augen verheißt mir wenig Freude." Zunächst ging es den Jungfrauen gut, auch Gudrun wurde wie eine Tochter gehalten. Hartmut hörte nicht auf, um Gudruns Liebe zu werben, aber er erhielt nie
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eine andere Antwort als „Nimmermehr!" Da beschloß die falsche Gerlind, Gudrun zu demütigen. Kaum war Hartmut mit seinen Mannen zur Heerfahrt ausgezogen, da sagte Gerlind im Gemach der Mädchen zu Gudrun: „Von heute an wirst du die Gemächer reinigen, die Säle heizen und mit deinen weißen Händen die Brände schüren." Und so geschah es. Ohne Widerspruch arbeitete Gudrun von früh bis spät wie die niedrigste Magd, und ihre Gespielinnen wurden wie Sklavinnen gehalten. Nur Ortrun tröstete Gudrun heimlich. Als Hartmut nach einem Jahr heimkehrte und Gudrun aufsuchte, lehnte sie seine Werbung wieder ab. Mit Mühe bezwang Hartmut seinen Unwillen. Zutiefst traurig, schiffte er sich wieder mit seinen Normannen ein zu weiterer Seefahrt. Kaum hatte er die Burg verlassen, da eilte die zornige Gerlind zu Gudrun. Mit schneidendem Hohn sagte sie: „Fortan wird dein Dienst erleichtert. Du hast nur meine Kemenate zu säubern. Und sieh her, deine schönen langen Haare, sind sie nicht prächtige Staubwedel? Von heute an wirst mit deinen goldenen Haaren den Staub kehren!" Als Hartmut zurückgekehrt war, bot er wiederum der geliebten Gefangenen Krone und Reich. Gudrun aber verharrte wie früher bei ihrer Weigerung. Da vergaß sich Hartmut und wagte es, ihr zu drohen. Die Hegelingentochter fuhr auf. „Jetzt wünschte ich mir, ein Ritter zu sein, dann dürftet Ihr Euch mir nicht ohne Waffen nahen!"
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Von diesem Tage an mied Hartmut die Burg Kassiane. Gudrun aber war dem glühenden Haß der Königin ausgeliefert. „Der Dienst in der Kemenate ist zu gut für dich", herrschte sie Gudrun an, „hinweg mit dir an den Strand des Meeres und wasche Kleider und grobes Leinen, bis dir Elenden die Händen bluten!" Tag für Tag, von den frühesten Morgenstunden bis in den sinkenden Abend, kniete Gudrun am Strande und wusch die Gewänder auf den Steinen. Zum Lohn erhielt sie harte Scheltworte, geringe Brocken und ein Lumpenlager für die kurzen Nachtstunden. Wenn eine ihrer Gespielinnen sie so sah, stürzten ihr die Tränen aus den Augen. Doch selbst ihr Mitleid mußten sie vor der rachgierigen Gerlind verbergen. Dennoch faßte sich eines Tages Hildburg, Gudruns liebste Freundin, ein Herz und erbat von der bösen Gerlind die Erlaubnis, mit Gudrun waschen zu dürfen. Die freiwillige Erniedrigung wurde ihr gewährt, und so waren die beiden Hegelingstöchter glücklich, daß sie beieinander sein durften. In der Frühe trugen sie gemeinsam die Wäsche an den Strand und plagten sich den Tag hindurch. Monde und Jahre vergingen, vergeblich spähte Gudrun am Strande nach Schiffen aus, die ihnen die Freiheit bringen könnten. Und so viel Sand hatte der Strand nicht, wie Gudrun und Hildburg Tränen vergossen.
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Glückverheißende Botschaft Endlich war der ersehnte Tag im Hegelingenland gekommen. König Hilde entbot Herwig, Siegfried, Wate und all die Recken zur Heerfahrt nach der Normandie. Bald konnte Wate von Sturmland, als oberster Führer, an die siebentausend Krieger mustern, die jubelnd an ihre Schilde schlugen und die Schiffe bestiegen. Nach glücklicher Fahrt erblickten sie den weißen Sand der Dünen, dahinter die dunklen Wälder und Türme der Normandie. Unweit der Königsburg Kassiane wußte Frute eine geräumige, waldumstandene Bucht, dorthin lenkten sie ihre Schiffe. Im Rat der Fürsten wurde beschlossen, Kundschafter auszusenden, solche, die nach Gudrun spähen, andere, die sich über das Land und den Gegner unterrichten sollten. Zu Gudrun machten sich Herwig und Ortwin auf, der Verlobte und der Bruder der Gefangenen. Wieder einmal stand Gudrun bei ihrer Wäsche am kalten Meer und träumte, indes die Wellen ihr ruheloses Spiel trieben. Da sah sie einen Schwan auf den Wellen herantreiben. Immer näher kam das schöne Tier, als wolle es mit ihr sprechen. „Stolzer Vogel", sagte Gudrun zu ihm, „kommst du aus der Heimat? Willst du mir von dort erzählen?" Freudig erregt kniete sie vor dem Weißgefiederten. Sie streckte die Hände nach ihm aus und bettelte: „Sprich doch zu mir, und gib mir Kunde von der Mutter!" Da sprach der Schwan: „Frau Hilde lebt und hat dich zu kei
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ner Stunde vergessen. Und nicht weit sind die Schiffe, dich in die Heimat zu holen. Zwei Helden nahen, nach denen du dich so lange gesehnt hast." „Wer kommt, lieber Schwan? Herwig, Wate, Ortwin? Sag's mir doch!" Da schüttelte der Vogel der Freyja das Gefieder und schwang sich empor. Immer höher flog er der Sonne entgegen. Die Antwort aber blieb schuldig. Am nächsten Morgen sah Hildburg zum Fenster hinaus, der Schnee wirbelte in dicken Flocken hernieder. „O Gudrun", klagte sie, „es schneit und schneit, und rauh wehen die Winde. Weh uns, mit bloßen Füßen müssen wir gehen." Gudrun stimmte in Hildburgs Klage ein: „So werden wir uns den Tod holen und nimmermehr die Heimat wiedersehen. Hildburg, bitte Frau Gerlind, sie möge uns ein warmes Kleid und Schuhwerk geben." Schwer fiel es der Gespielin, vor die böse Gerlind zu treten. Mit höhnendem Spott wurde sie abgewiesen. Gudrun und Hildburg mußten daher in ihren dünnen, verschlissenen Kleidern und mit bloßen Füßen durch den Schnee gehen. Eiskalter Wind pfiff am Strand, und die Mädchen erzitterten vor Kälte. Plötzlich, durch einen Schleier flockigen Schnees, entdeckten sie nahe am Strand ein Boot, darin zwei Männer standen. Über Schnee und Stein stürzten die Mädchen davon, da vernahmen sie hinter sich eine Stimme: „Warum flieht ihr, Mädchen? Niemand tut euch etwas zu Leide. Wir sind friedliche Männer, die
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vom Sturm an die Küste verschlagen wurden." Gudrun glaubte ihren Augen nicht zu trauen - vor ihnen standen Herwig und Ortwin! Doch sie unterdrückte ihren Jubel. Ihre Freundin erkannte die Fremden nicht, und diese wiederum glaubten, schöne, doch niedere normannische Mädchen vor sich zu haben. Die Fremden zögerten nicht mit freundlichem Gruß, dann sprach Herwig: „Schön seht ihr aus, liebe Kinder, aber seid ihr auch verschwiegen?" Gudrun antwortete mit ernsten Gesicht: „So schweigsam wie die Tiefe des Meeres." Herwig blickte sie forschend an und sagte: „Wir kommen weither und suchen eines großen Königs Tochter. Wir vermuten, daß sie an dieser Küste gefangengehalten wird." „Und wie ist der Name deines Königskindes?" fragte Gudrun, und das Herz klopfte ihr vor Freude. Herwig beugte sich zu ihr und sprach leise, als ob er ihr ein kostbares Geheimnis anvertraue: „Gudrun heißt sie! Sie ist die Tochter des Hegelingenkönigs." König Hettels Tochter tat, als müsse sie sich besinnen, dann sagte sie: „Gudrun? Ja, jetzt erinnere ich mich, daß — ja, es ist schon lange her — die Jungfrau als Gefangene gestorben ist." Da stöhnten beide Helden laut auf und wandten sich ab, so kamen ihnen die Tränen. Nun richtete sich Gudrun auf, ließ das reiche goldige Haar im Winde wehen und wandte sich dem Geliebten zu. Beide Hände bot sie ihm und sprach:
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„Herwig, Herwig, kennst du mich nun wieder?" „Gudrun!" jubelte der König von Seeland auf und umfing die geliebte Braut. Dann trat Gudrun zu ihrem Bruder Ortwin. Sie betrachtete ihn voller Freude, denn in den Jahren ihrer gewaltsamen Trennung war er zu einem stolzen Recken herangewachsen. Beglückt hörte sie zu, als er ihr die Grüße der Mutter ausrichtete. Dann grüßten die Helden die schöne Hildburg und freuten sich über ihre Treue zu Gudrun. Nun erst fiel Herwig das ärmliche Gewand der Mädchen auf. Als er ihre nackten Füße im Schnee sah, packte ihm flammender Zorn. „Ist dies das Werk König Hartmuts?" grollte er. „Oder war es die falsche Gerlind, die euch zu Mägden erniedrigte?" „Ja, Gerlind ist es!" antwortete Gudrun. „Ihr Hochmut erträgt es nicht, daß ich ihrem Sohn nicht zum Gemahl nehmen will. „Diese Schmach soll sie büßen!" drohte Herwig zähneknirschend. „Doch nun vorwärts, die Mannen warten auf uns, das Heer liegt nicht weit von hier." „Freund Herwig", gab Ortwin zu bedenken, „sollen sich die Jungfrauen etwa gar bei Nacht und Nebel davonschleichen? Nein, mit den Waffen in der Hand wollen wir sie befreien! Und Strafe den Schuldigen!" „Ja, so soll es sein!" bestätigte Herwig. „Beim ersten Morgenstrahl stürmen wir mit siebentausend Mannen die Burg! Und wie viele Feinde liegen in Kassiane?" „Es mögen an die viertausend sein, aber Mauern und
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Tore sind wohlverwahrt. Und die Normannen wissen zu kämpfen!" sagte Gudrun. „Und die beiden Könige, sind sie in der Burg? Und die Teufelin Gerlind, sie auch?" Gudrun und Hildburg nickten. „Dann gibt es ein fröhlichen Empfang!" rief Herwig übermütig aus. Er reichte den Jungfrauen die Hand und vertröstete sie: „Nur eine Nacht noch, dann habt ihr alles überstanden!"
Wende der Not Kaum waren die Helden ihren Blicken entschwunden, da raffte Gudrun Linnen und Kleider zusammen und schleuderte sie weit weg ins wogende Meer. Nachdem die Sonne hinter Nebel und Schnee untergegangen war, trafen die Mädchen auf Burg Kassiane ein. Schon von weitem hatte Königin Gerlind die beiden beobachtet. Zornbebend trat sie ihnen entgegen. „Was ist denn das? Wo ist die Wäsche?" „Die Wäsche?" fragte Gudrun spöttisch zurück. „Ja, die schwimmt im Meer, und die Wasserjungfrauen haben ihre Freude daran." „Was sagst du da?" stieß Gerlind hervor. „Das sollst du büßen! Und zwar auf der Stelle! - Packt sie!" rief sie den Mägden zu. „Herunter mit den Bettelgewändern und dann an die Säule gebunden. Vorwärts! Die Ruten
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her, und dann peitscht sie! Los, beeilt euch!" Die Mägde traten heran, um den Befehl auszuführen, und manche hätten es gern getan. Da wurden sie von Gudrun zurückgewiesen. „Hände weg!" rief sie. „Sonst wird es euch noch bitter leid tun. Denn in wenigen Tagen werde ich Königin der Normannen sein!" Königin der Normannen? Da entsetzten sich die Mägde und wichen zurück. Gerlind jedoch, ebenfalls erschrocken, gab vor, sich zu freuen, und sagte: „Endlich! Nun wird sich alles zum Guten wenden. Ich beeile mich, Hartmut die erfreuliche Botschaft zu bringen." Bald danach trat Hartmut ins Gemach und eilte auf Gudrun zu. Freudig bewegt fragte er, ob es wahr sei, was Gerlind ihm berichtet hatte. „Sie hat die Wahrheit gesagt", antwortete Gudrun, anders wußte sie keinen Ausweg aus ihrer Not. Da wollte der junge Hartmut Gudrun in die Arme nehmen. Doch sie entzog sich ihm und hielt ihm vor: „Sieht so die Braut eines Königs aus!" Dabei wies sie auf ihr zerschlissenes Gewand. König Hartmut schämte sich und versprach: „Gudrun, das soll nun ein Ende haben. Wünsche dir, was du willst, man wird es dir bringen." „Zuerst wünsche ich mir, daß meine Gespielinnen aus Hegelingenland wieder um mich seien." Hartmut ging hinaus und bat Frau Gerlind, daß die Hegelingentöchter geholt würden. Und bald kamen die
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Mädchen zu Gudrun. Allen war ein Bad bereitet worden, und man hatte ihnen prächtige Gewänder gereicht. Gudrun durfte sich die schönsten Kleider aussuchen und das Kostbarste aus dem Schmuck des Königshauses. Danach begaben sich alle zum festlichen Mahl, und König Ludwig und Hartmut geleiteten Gudrun. Rasch war beim Wein und zwischen Plaudern und Fragen die Zeit vergangen, dann begaben sich Gudrun und ihre Mädchen zur Nachtruhe. Kaum waren die normannischen Dienerinnen gegangen, da ließ Gudrun die Türen schließen und winkte ihre Gespielinnen zu sich heran. Mit leiser Stimme offenbarte sie ihnen den Plan ihrer Befreiung, und es war der Freude kein Ende. Die Mädchen lachten und weinten durcheinander. Gudrun mahnte: „Nun zur Ruhe, liebe Freundinnen! Und welche von euch mir morgen in der Frühe das Licht des neuen Tages kündet, ihr soll reicher Botenlohn in unserer Heimat zuteil werden. Dies ist die letzte Nacht der Gefangenschaft."
Gudruns Befreiung Die Nacht war vergangen, über dem Meer dämmerte der Morgen, und über den Wellen schimmerte es golden weithin. Das Mädchen, das den jungen Tag zuerst sah, eilte an Gudruns Lager und flüsterte: „Herrin, ich künde dir den Morgen der Freiheit."
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Wie rasch schlug Gudrun die Augen auf! Froh sprang sie vom Lager, nahm die Hand der Getreuen und sagte: „Zum Lohne soll eine Burg im Hegelingenland dein eigen werden." Mit Hildburg, der Gefährtin in bitterster Not, trat Gudrun an eins der hohen Bogenfenster der Halle. Vom Wasser her jagten die grauen Wolkenschatten und verschwanden zur Rechten über dem dunklen Waldstreifen. Höher und höher hob sich der Sonnenwagen auf seiner blauen Himmelsbahn. „Hildburg", jubelte König Hettels Tochter, „so leuchtet heute die Freiheit! Endlich, endlich haben wir die Gefangenschaft hinter uns!" „Still", flüsterte die Freundin, „horch, war das nicht der Klang eines Heerhorns?" Vergeblich lauschten sie beide, noch blieb alles still. Immer heller schien die Sonne auf das Blachfeld unter ihnen. Doch da - jetzt vernahmen sie deutlich den Klang eines Heerhorns, und wieder und wieder. „Das ist Wates Horn! Ich erkenne es, obgleich es Jahre her ist, seitdem ich es hörte. Jetzt nahen die Freunde, gib acht!" Plötzlich schmetterten auch die hellen Hörner der Normannen in den Morgen. Der Burgwart hatte sie alle geweckt, und nun hub in der Burg von oben bis unten ein Rennen und Poltern und Lärmen an. Die falsche Gerlind eilte zu König Ludwig und ihrem Sohn Hartmut, und gellend rief sie: „Da habt ihr's, der Feind ist da! Ein Wald von Lanzen reitet heran!"
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„Wer wird denn gleich das Schlimmste denken", murrte König Ludwig. „Pilger wirst du gesehen haben, liebe Gäste." Inzwischen war Hartmut, zum Kampf gerüstet, wieder eingetreten und rief dem Vater zu: „Die Hegelingen sind es, die Freunde der stolzen Gudrun! Nun wird es einen harten Streit geben!" „Aber sie", rief die wütende Gerlind, „wird dennoch ein Kind des Todes sein! Wie auch der Streit da unten enden mag, lebend kommt sie nimmermehr aus der Burg hinaus!" „Halt, Mutter", widersprach Hartmut, „Gudrun soll nichts geschehen! Du hast sie genug erniedrigt. Um deinetwillen stehen die Rächer vor den Toren." „Kassiane ist wohlverwahrt, unsere Krieger sind aufs beste gerüstet", so beruhigte König Ludwig die Erregte. „Nicht hinter Mauern wollen wir kämpfen", sagte Hartmut, „laßt uns wie Helden auf freiem Feld streiten." Er ließ die zornige Königin stehen, setzte sich den hohen Helm aufs Haupt und begab sich in den Burghof. Dort tummelten sich schon die Recken der Normannen. Angesichts der Kampflustigen schlug sein Herz höher. Er schwang sich in den Sattel und rief den Scharen zu: „Hinaus auf den freien Plan! Vor Jahren haben wir den gleichen Feind auf dem Wülpensand geschlagen, so geschehe es auch heute von unseren Toren. Und nun auf zum Männerstreit!" Mit König Ludwig setzte er sich an die Spitze der
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ungeduldigen Scharen, und dann donnerten die Reiterwogen zum Tor hinaus. Die Hegelingen reckten sich in ihren Sätteln und faßten die Waffen fester. Dröhnend rief der alte Wate: „Ha, ihr Reiter, das ist ein Feind, dessen wir uns nicht zu schämen brauchen. Er wird ein ehrlicher Kampf. Vorwärts!" Dann erhob der Recke von Sturmland das Heerhorn und stieß mit aller Macht hinein. Die Reckenscharen sammelten sich, und als er zum ersten Mal blies, setzten sich die Anführer vor die Geschwader. Zum dritten Mal dröhnte das Schicksalshorn, und so kräftig hallten die Töne gegen die Burgmauern, daß selbst die Tapfersten der Normannen erschauerten. Da — hoch empor erhob Held Horand der Hegelingen Fahne, polternd und klirrend setzten sich die Ge
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schwader in Bewegung, und die Rosse schnaubten. In der Mitte des Heeres ritt der junge Ortwin, Gudruns Bruder, und ein Blick durchforschte die Reihe der Feinde. Endlich hatte er Hartmut erspäht und rief: „Wie ein Held sieht er aus, und auf dem Wülpensand hat er sich tapfer geschlagen. Aber er hat Gudrun geraubt und Gerlinds schändliches Treiben geduldet. Ihm gelte zuerst meine Rache!" Klirrend prallten die Recken aufeinander, und von der Gewalt des Stoßes sanken beide Rosse in die Knie. Sofort sprangen sie aus dem Sattel und hieben mit den Schwertern aufeinander ein. Die Funken sprühten aus Brünnen und Helmen. Da - von einem furchtbaren Schlag getroffen, sank Ortwin zu Boden, und Hartmut holte zum Todesstreich aus. Behend sprang Horand, der Sänger, dazwischen und schirmte Ortwin mit seinem Schild. Wütend rannte nun der riesige Normanne gegen Horand an. Bald blutete der Getreue aus vielen Wunden, er mußte von seinem Gefährten aus dem Kampf gerettet werden. Inzwischen hatten sich die Schlachtreihen der Normannen und Hegelingen ineinander verbissen. Mit gewaltigen Schwertschlägen bahnte sich König Ludwig eine Gasse durch die Reiter. Als König Herwig von Seeland das sah, warf er sich dem alten Löwen entgegen. Nicht lange währte es, da traf ihn Ludwigs Schwert, so daß er betäubt in die Knie sank. Plötzlich sah er Gudruns liebliches Bild vor sich, rasch sprang er wieder auf und packte sein mächtiges
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Schwert mit beiden Händen. Im Nu erspähte er eine Lücke und schlug den Normannenkönig so wuchtig aufs Haupt, daß er zu Tode getroffen zu Boden sank. An einer anderen Stelle des Kampfgetümmels hörte Hartmut plötzlich von der Burg die Klagerufe der Frauen. Zu seiner Überraschung sah er, daß dort Königin Gerlind und Ortrun und andere Frauen weinten, entsetzt zeigten sie auf eine Stelle vor der Mauer. Drangen dort schon die Hegelingen ein? Rasch löste sich Hartmut mit seinem Reitern vom Feinde und ritt zurück zur Burg. Er hatte richtig vermutet, dort kämpfte der alte Wate schon vor den Toren, unaufhaltsam wurden die Normannen zurückgedrängt. Da wandte sich Hartmut gegen den Riesen von Sturm land und griff ihn in wirbelnden Hieben an. „Hoho", rief der Alte, „du kommst mir recht!" Seine Schläge prasselten den jungen König auf Helm und Brünne. Bald wurde Hartmuts Abwehr schwächer und schwächer. Das sah Gerlind, und voller Haß rief sie einem Normannen zu, er solle Gudrun töten. Da zeigte sich Hartmuts ritterlicher Sinn. Er warf sein Roß herum und jagte zur Burgmauer. Mit dem Schwert drohte er hinauf und rief dem Normannenkrieger zu: „Zurück, wenn dir dein Leben lieb ist!" So ward Gudrun das Leben gerettet. Wate hatte von alledem nichts bemerkt und griff Hartmut von neuem an. Gudrun sah, daß Hartmut am Ende seiner Kräfte war, hilfesuchend blickte sie umher. Sie fragte einen Hegelingen, wer der Recke sei, der einen
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Steinwurf entfernt unter geschlossenem Helm dem Kampf zusehe. „König Herwig von Seeland ist es. Die Schlacht ist bald zu Ende." Da flehte Gudrun König Herwig an, er möge um ihretwillen den jungen Hartmut vor Wate retten. Und Herwig gelang es mit Mühe, den grimmigen Wate zurückzuhalten. Hartmut wurde aber als Gefangener auf ein Schiff gebracht. „Nun soll Gerlind, die Teufelin, ihren Lohn erhalten!" So rief der zornige Wate und zerschlug mit seiner Streitaxt die hölzernen Riegel des Burgtores. Wütend stürmte er die Stufen zur Halle empor. Schreiend vor Angst war Gerlind ins Gemach zu Gudrun gelaufen und flehte die Hegelingentochter an, sie vor Wate zu schützen. Da wurde die Tür aufgestoßen, wutschnaubend stand Wate mit blankem Schwert vor den Frauen. Vor Freude leuchteten seine dunklen Augen auf, als er Gudrun sah, und er grüßte sie. Dann blickte er im Saal umher, irgendwo mußte Gerlind verborgen sein! Plötzlich sprang er auf die Schar der Hegelingenmädchen zu und stieß einen wilden Schrei aus: „Gerlind! Da steckt die Teufelin! Nun heraus mit dir, nun hol dir deinen Lohn!" Die Königin jammerte laut auf und versuchte, sich wieder hinter den Mädchen zu verbergen. Doch Wate zerrte sie aus der Schar heraus, das Schwert zum tödlichen Streich erhoben. Entsetzt schrien die Jungfrauen auf, und Gudrun
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sprang dazwischen. „Gnade!" rief sie. „Wate, laßt ihr das Leben!" Zu spät. Der Rasende schüttelte wütend sein Haupt, schwang das Schwert und schlug der Königin mit einem Streich das Haupt ab. So dünkte es ihm recht, ihm, der in einer Zeit lebte, die nur das Gebot der Rache kannte. Haupt und Körper der Entseelten schleuderte er zum Fenster hinaus und rief: „So hast du deinen Lohn, weil du wehrlose Jungfrauen aufs Blut gepeinigt und mit dem Tode bedroht hast!" Schweren Schrittes stapfte er aus der Halle. Schaudernd wandte sich Gudrun ab. Nachdem sie Ortrun der Obhut ihrer Mädchen empfohlen hatte, ging sie mit Hildburg hinüber zur Königshalle. Dort wurde sie von den Hegelingenfürsten umjubelt. Anderntags segelten die Schiffe der Hegelingen wieder der Heimat zu. Vom hohen Bord des Seglers grüßte Gudrun das Land der Normannen zum letzten Mal.
Die glückliche Heimkehr In den linden blauen Tagen des nordischen Sommers glitten die Schiffe der Hegelingen über das Meer und erreichten ohne Gefährdung den Wülpensand. Über König Hettels Grab wehte noch das sturmzerzauste Banner. Gudrun pflückte viele Sommerblumen und legte sie auf ihres Vaters Grab, indes die Helden ein
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neues Banner aufrichteten. Dann ritten Fürsten und Führer um das hohe Grab und sangen ihrem toten König den gewaltigen Schlachtgesang. Kurze Zeit danach liefen die Segler in den Hafen von Matelane ein, und das Volk der Hegelingen jubelte den Heimgekehrten zu. Fröhlich winkend sprang Wate von Sturmland zuerst an Land, dann folgte Gudrun, von Herwig und Ortwin geleitet. Als Königin Hilde ihre Tochter in die Arme schloß, blieb keine unter den Frauen ohne Tränen. Die erste Freude des Wiedersehens hatte sich gelegt, da führte Gudrun Ortrun zu Frau Hilde und empfahl sie deren Hut. Unwillig sah die Königin auf die Tochter Gerlinds, da aber trat Ortwin herzu und sagte: „Sei gut zu ihr, Mutter! Ortrun ist zu Gudrun in der Gefangenschaft wie eine Schwester gewesen. Ich aber habe Ortrun während der Meerfahrt liebgewonnen. So bitten Gudrun und ich, du mögest Ortrun wie eine Tochter aufnehmen." Dann begaben sich Fürsten und Mannen und Frauen auf den Anger vor der Burg. Viele Zelte waren errichtet, und reich gedeckte Tische luden zu fröhlichem Mahl ein. Beim Becherklang, mit preisenden Liedern wurde die Heimkehr gefeiert. Plötzlich entstand Aufruhr. Wate von Sturmland brachte den gefangenen Sohn von Gerlind vor Königin Hilde. Die Königin war von des Recken Aussehen sehr angetan und fragte, warum man ihn gefesselt nach Matelane gebracht habe.
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„Hartmut, der Normanne, ist es!" rief Wate zornig. Unmutig erhob sich die Königin und sagte: „Ist es Hartmut, der so viel Leid über uns gebracht hat? Nur eine Strafe gibt es für ihn: Wate, rufe den Henker!" Schreckensrufe wurden ringsum laut. Ortrun fiel in Ohnmacht, selbst Gudrun wurde blaß. Keine Stimme erhob sich für Hartmut — da warf sich Hildburg der zürnenden Königin zu Füßen und bat um Hartmuts Leben. Ortwin trat auf seine Mutter zu und sprach: „Hartmut ist ein Ritter! Soll ihm der Tod beschieden sein, dann nimmermehr durch Henkershand!" In stolzer Ruhe blickte Hartmut vor sich hin. Da sagte auch Wate: „Ich rate Euch, Königin Hilde, gewähret Hartmut ein ritterliches Gefängnis, denn er hat sich wie ein Held betragen." Noch immer kämpfte die Königin mit sich, sie rang zwischen dem Wunsch nach Rache und dem Gefühl der Güte. Da erhob die kniende Hildburg das Haupt und sagte: „Hartmut hat Gudrun vor dem Schwert eines Mörders beschützt! Soll er trotzdem den Tod erleiden?" Sie berichtete, wie Hartmut mitten im Kampf unter Gefahr für sein eigenes Leben Gudrun gerettet hat. Jedermann blickte auf Hilde. Lange sah sie den Gefangenen an, dann sagte sie: „Niemand soll schmähen können, auf Burg Matelane würden Helden wie Mörder behandelt. Führt ihn in den Kerker, bis ihm ehrliches Gericht geworden ist." Hartmut wurde dann durch die schweigende Menge zum Turm geführt. Die Siegesfeier wurde fortgesetzt.
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Gudrun ließ willige Diener dem Gefangenen Speise und Trank bringen, und Hildburg begleitete sie. Nach guter Frauen Art tröstete sie ihn und sagte ihm auch, daß Gudrun und die Fürsten gewiß Frau Hildes Sinn ändern würden. Traurig antwortete Hartmut: „Was gilt mir das Leben, wenn ich Freiheit und Vaterland entbehren soll!" Hildburg mahnte ihn, er solle Geduld üben, denn gewiß werde der Tag der Freiheit nicht mehr fern sein.
Dreifache Königshochzeit Eines Morgens öffneten sich die schweren Kerkertüren. Hartmut wurde seiner Ketten ledig, und man führte ihn in ein Gemach, wo Gudrun, Ortwin und Herwig auf ihn warteten. Jetzt erfuhr der Normannenkönig, Königin Hilde habe sich entschieden, daß er frei sein solle gegen das Ehrenwort, nicht zu entweichen. So durfte Hartmut tun, was ihm beliebte, und es währte nicht lange, da fanden alle Gefallen an dem auf rechten Recken. Selbst Königin Hilde bereute nicht ihren Entschluß. Oftmals ergingen sich Hartmut und Hildburg im Burggarten, und es fügte sich, daß sie bereit war, ihm als Gemahlin auf den normannischen Königsthron zu folgen. Im Hochsommer, kurz nach der reichen Erntezeit, war der Tag eines dreifachen Glückes gekommen. Von
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den Türmen und Zinnen der Burg und von den Giebeln der Häuser wehten Fahnen über Fahnen. In der hohen Königshalle warteten Fürsten und Ritter, Frauen und Jungfrauen auf Königin Hilde. Da nahte sie, die Fanfaren schmetterten, und mit sich führte sie Gudrun, Ortrun und Hildburg. Herwig und Ortwin folgten in festlichem Gewand. Jedermann fragte sich, wo denn Hildburgs Verlobter sei. Da hielt der prächtige Zug in der Mitte des Saales. Die Gäste bildeten einen Ring um die Königin und die Brautleute, und Frau Hilde sprach: „Glücklich bin ich, daß Matelane solch hohen Tag erlebt. Doch wo ist Hildburgs Verlobter?" Lächelnd blickte sie sich um, dann fuhr sie mit erhobener Stimme fort: „König Hartmut ist es! Frei ist der Normannenkönig, ihm ziemt nicht mehr Bescheidenheit." Vor Freude strahlend, trat Hartmut in den Ring. Frau Hilde nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu der glücklichen Hildburg. Dann beugten Hildburg und Hartmut die Knie vor der Hegelingenkönigin, die sie beide ihre lieben Kinder nannte. Von reiner Freude waren Fürsten und Ritter erfüllt, und manche Träne stahl sich aus den Augen der Frauen und Jungfrauen. Alle rühmten sie, daß nie ein schöneres Fest auf Matelane begangen worden sei. Vier Tage dauerte die fröhliche Feier, und die Kunde davon flog weit über Land und Meer. Am fünften Tage nahmen Gudrun und Herwig, Hildburg und Hartmut Abschied von Königin Hilde und
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begaben sich auf die Schiffe. Auch die anderen Fürsten zogen in ihre Heimat. Lange noch rühmte man die dreifache Königshochzeit im Hegelingenlande. Unvergänglich aber blieb der Ruhm von Gudruns Treue.
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KÖNIG BEOWULF
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Grindel, das Moorungeheuer Im Dänenland herrschte einst über das Volk der Schildinge König Rodger. Waffenruhm und Heerglück war ihm von Allvater verliehen, und er gebot zu Wasser und zu Lande über Krieg und Frieden. Am Abend seines Lebens ließ der König nahe bei seiner Burg, zwischen Heide und Moor, auf hohem Hügel eine hochragende Halle bauen. Hirsch wurde die Volksstatt genannt, weil sich ihre Giebel stolz den Lüften und Winden darboten. Viele Male wechselten Winter und Sommer. Zu Füßen von König Rodgers Hochsitz hörten die Helden, wie bei Harfenklang die Sänger der Vorfahren Taten rühmten. Weithin in den Landen sprach man von König Rodgers Halle, da Eintracht und Frieden herrschte und oftmals die Becher erklangen. Doch eines Tages war Trauer in die Königshalle eingekehrt. Der Beherrscher der Schildinge wußte nicht, wie er dem Schicksal wehren sollte. Nicht weit von der Halle hauste ein Ungeheuer mit Namen Grindel. Einst war Grindel wegen seiner vielen Greuel von Allvater in die Tiefe der Moore verbannt worden. Seitdem lebte der Unhold in grimmigem Zorn dahin, ein Feind der Menschen und der hellen Sonne. Immer wieder mußte Grindel das frohe Treiben in König Rodgers Halle hören, da erfaßte ihn wilde Wut. Durch Nacht und Nebel schlich er in die Halle, wo die Recken schliefen. Gierig raubte er dreißig Mannen und stapfte mit ihnen davon ins düstere Moor.
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Mit Entsetzen entdeckten die Geerdänen in der Morgendämmerung die blutigen Spuren der grausigen Tat! Tagsüber berieten sie, wie sie sich zur Wehr setzen könnten. Doch kaum war es wieder Nacht geworden, da suchte Grindel die hohe Halle wiederum heim. Mochten sich auch Rodgers Recken grimmig wehren, der gefräßige Grindel entkam ungefährdet mit seiner Beute. Nacht für Nacht wütete er in der Königshalle, und niemand konnte dem Unhold widerstehen. Da verließen die Helden die Halle und nahmen Wohnung in ihren Burgen und Höfen, weit entfernt vom Moor. Trauer kehrte ein in die Königsburg. Zwölf Jahre lang, in den Mitternächten, entstieg Grindel meuchelnd und mordend dem Nebelmoor, und König Rodger fand nur in seiner Burg Zuflucht. Durch kein Lösegeld ließ sich der Würger zum Frieden bewegen. Vergeblich hatte der König bei seinen Freunden Rat gesucht und die Himmlischen um Hilfe angefleht. Im Lande der Goten, am Hofe des Königs Hygelak, hatten sie auch von dem Unheil in Rodgers Halle erfahren. Einer der stärksten Recken des Königs war Beowulf, des Königs Schwestersohn, ein Fremder in diesem Lande. Er entschloß sich, seine Kraft an dem Moorungeheuer Grindel zu versuchen. Von fünfzehn mutigen Rekken begleitet, machte er sich auf zur tollkühnen Tat. Auf einem schnellen Segler seines Oheims eilte er der Küste Jütlands entgegen. Als die Helden König Rodgers Küste nahe gekommen waren, machten sie ihr treues Schiff fest, rüsteten
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sich und wateten auf den Strand. Da ritt ihnen ein Reiter entgegen, einer der vielen, die am langgestreckten Gestade zur Wacht bestellt waren. „Wer seid ihr?" rief er den Fremden zu. „Kein Mann darf in Wehr und Waffen König Rodgers Reich betreten! Kommt ihr als Freund oder Feind?" „Sei ohne Sorge", rief Beowulf zurück, „wir sind gekommen, deinem Herrn gegen den Unhold Grindel beizustellen." Da rief der Reiter seine Schwertgenossen. Sie zogen den Segler auf den Strand und machten ihn fest. Dann führte der Wächter die Gäste hinauf zur Burg. Freundlich wurden sie von den Mannen des Königs empfangen, lehnten Schilde und Speere an die Wand und setzten sich an den Tisch. Ein Fürst der Vandalen, namens Wulfgar, fragte: „Ich sehe goldene Eberbilder* auf euren Helmen und meine daher, ihr seid nicht Flüchtige, die Schutz an unserem Hofe suchen. Was führt euch hierher? Welche Kunde kann ich König Rodger bringen?" Hoch reckte sich Beowulf auf. „Wir kommen von Hygelaks, des Gotenkönigs, Hof und wollen König Rodger aufsuchen. Ich heiße Beowulf." Als Wulfgar seinem König die Ankunft der Gotenrekken meldete, rief der König der Schildinge froh aus: „Ist's wohl Beowulf, den ich schon als kühnen Knaben kannte? Er soll ein tapferer Geerträger geworden sein, in * Eberbilder trugen die Germanen oft auf ihren Helmen. Sie glaubten, dadurch in der Schlacht unverwundbar zu sein.
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seiner Faust sitzt die Kraft von dreißig Männern. Hat ihn der Ewigwaltende gesandt, uns gegen Grindels Übermacht zu helfen? Er soll mir willkommen sein!" Beowulf ließ Helm und Rüstung bei seinen Goten und ging mit einigen von ihnen hinüber in die Hirschhalle. Er wurde von König Rodger freundlich empfangen und berichtete, was er von Grindels grausamem Wüten vernommen hatte. Und der König bestätigte, daß er und die Seinen stets gegen Abend die Halle verließen. Rodger wollte nicht erlauben, daß Beowulf den Kampf gegen den Schattengänger, wie sie das Moorungeheuer auch nannten, aufnehme. „Schon einmal, o König", widersprach der junge Beowulf, „habe ich gegen Meerungeheuer gekämpft. Fünf solcher Unholde brachte ich gefesselt ein, sie konnten den Goten nicht mehr schaden. Darum erlaube mir, daß ich jetzt den Grindel bekämpfe. Mit meinen Mannen will ich zur Nacht in der Halle lagern, weder Schwert noch Schild sollen mir helfen gegen den Moorfeind! Doch sollte auch ich dem Grindel unterliegen, so bitte ich dich, schicke meinen Brustpanzer an König Hygelak, meinen Oheim. Ihm gehört diese Brünne, die Wieland der Schmied selbst geschaffen hat." König Rodger dankte dem Helden mit herzlichen Worten. Er erinnerte sich, daß er einstmals Beowulfs Vater Zuflucht gewährt und ihn in sein Land zurückgeführt hatte. „Mich dünkt", so sagte er, „Allvater hat
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dich, den Sohn des Freundes, geschickt, damit du im Kampf gegen Grindel meine Tat von einst vergeltest." Sie gingen in die Halle, dort wurde den gotischen Geerträgern eine Bank eingeräumt, und sie ließen sich den Willkommenstrunk munden. Zu Füßen von Rodger saß Hunferd, ein Verwandter des Königs, und er war neidisch, daß Beowulfs Ruhm unter den Helden mehr galt als der seine. „Bist du nicht Beowulf", reizte er den Gast, „der einst mit meinem Freund Berka im Wettkampf schwamm? Zur Winterszeit habt ihr euch sieben Tage in den Meerfluten gemüht, aber Berka hat vor dir den Strand erreicht. Schlechten Ausgang erwarte ich für dich, wenn du den Kampf mit Grindel bestehen willst." Ruhig erwiderte Beowulf: „Freund Hunferd, du scheinst vom Bier trunken zu sein, da du Berka rühmst! Ich hatte schwerer zu kämpfen als er. Fünf Tage und Nächte schwammen wir zusammen, da trennten uns die Fluten. Von Norden her setzte der Sturm die Wellen in Aufruhr, und Waltiere suchten mich auf den Grund zu ziehen. Doch ich wehrte mich mit dem Schwerte, und am Morgen lagen ihrer viele leblos auf der See. Nie hab' ich gehört, daß andere Männer nachts im Strom des Meeres härter zu kämpfen hatten. Bis Finnland führten mich damals die wogenden Wasser. Sag, könntest du von Berka oder von dir Ähnliches melden? Mich dünkt, nie hätte Grindel so viel Grausiges hier verübt, wärest du mit dem Schwert so grimmig wie mit dem Wort! Keinen der Schildinge fürchtet der Grindel, doch
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soll ihn ein Gote überwinden! Nun, wenn morgen wieder das Licht über die Erdvölker scheint, vielleicht hat Allvater mir Glück beschert." Beowulfs Worte machten den Dänenkönig und die Seinen froh. Lachen und Becherklang war noch lange zu hören, und König Rodgers Gemahlin ging umher und füllte, wie es Brauch war, die Becher mit Met. Sie freute sich über Beowulfs Versprechen, der sagte: „Ich habe gelobt, entweder in Grindels Armen zu bleiben oder morgen froh der Sonne entgegenzusehen." Unterdessen verschwand das Tageslicht, und die Nebel der Nacht sanken hernieder. Die Dänen erhoben sich, um ihr Lager in der Burg aufzusuchen. König Rodger sprach zu Beowulf: „Noch niemals habe ich der Dänen Saal einem Fremden anvertraut. Sei dieser Ehre eingedenk. Vermagst du Grindel zu bestehen, so soll dir kein Wunsch versagt bleiben."
Der nächtliche Kampf Der König ging, und schon wandelten die Schatten in der Nacht unter den Wolken daher. Beowulf legte die eiserne Brünne ab und den Helm, beides gab er mit dem Schwert einem Goten. Dann sagte er: „Ich halte mich nicht für geringer als Grindel, darum will ich ihn nicht mit dem Schwert erschlagen. Auch er hat keine WafFen. Mag Gott in dieser Nacht entscheiden, so wie es ihn
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gerecht dünkt." Beowulf legte sich nieder, um ihn lagerten die Schwertgenossen und waren bald eingeschlafen. Der Held aber wachte, den Schattengänger zu erwarten - und damit den Kampf um Leben und Tod. Vom Moor her wallten die tückischen Nebelschleier der Nacht, geduckt in deren dunkle Hülle schlich Grindel heran. Bald hatte er hingefunden zum Saal Hirsch, den er nicht zum ersten Mal heimsuchte. Hastig kroch er über die steinernen Stufen, und ungestüm erbrach er sogleich die Tür. Böse funkelten seine Augen, als er in der Halle die schlafenden Männer sah. Alle wollte sie der Gierige vertilgen, doch Wurd, die Schicksalsgöttin, ließ es nicht zu. Einer der Schläfer packte er mit hornharten Klauen. Rasch zerriß er ihn in zwei Stücke und verschlang ihn mit Händen und Füßen. Gierig streckte er seine Klauenhand nach dem nächsten Recken aus — nach Beowulf. Blitzschnell faßte der Held die Faust des Ungeheuers und drückte sie mit aller Gewalt so fest zusammen, daß Grindel von heftiger Angst ergriffen ward und zu fliehen versuchte. Ein wütender Kampf entspann sich, so daß die Halle erbebte und Bänke umfielen, doch Eisenklammern hielten den Bau zusammen. Schrecken ergriff die Dänen, die von ferne, vom Burgwall her, das grausige Gebrüll Grindels vernahmen. Inzwischen waren Beowulfs Schwertfreunde aufgesprungen und drangen auf das Ungeheuer mit scharfen Klingen ein. Aber der Grindel war gefeit wider alle Waffen.
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Beowulf ließ das zerrende Scheusal nicht los, fest hielt er Grindels Arm gepackt. Furchtbare Schreie, dumpfes Gebrüll stieß der gepeinigte Schattengänger aus, denn nun rissen die Sehnen seiner Achseln, das Fleisch löste sich, da hielt Beowulf plötzlich des Flüchtenden Arm in den Händen. Todwund taumelte Grindel durch die Nebel hinab zum Moor. Im Morgenlicht kamen die Dänen von nah und fern, nicht genug konnten sie sich freuen über Beowulfs Heldentat. Er hängte Grindels Arm sichtbar an das Dach der Halle. Die Männer folgten Grindels blutiger Fluchtspur und fanden das Moor von Blut gerötet, dort wo der Schattengänger in die Tiefe gesunken war. Nun gingen die Dänen zur hohen Halle. Sie rühmten Beowulf als den kühnsten Helden, den es je zwischen den Meeren gegeben habe. Bald kam auch König Rodger mit seiner Gemahlin und großem Gefolge. Als er Grindels Arm sah, lobte er Gott und dankte Beowulf, der die Dänen von dem gierigen Ungeheuer errettet hatte. „Ich will dich halten wie meinen eigenen Sohn", sagte er. „Wünsche dir, über was immer ich Gewalt habe." Beowulf aber wehrte den Dank ab, denn aus freiem Willen habe er für das Heil der Dänen gekämpft. Dann betrachteten sie Grindels Arm. Und sie staunten über Beowulfs Kraft, denn des Scheusals Fingernägel waren wie aus Eisen gemacht. Die Halle wurde auf das schönste hergerichtet, und mit einem prächtigen Fest wurde Beowulf geehrt. Fürst
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liehe Geschenke empfing er, eines herrlicher als das andere, hoch schlugen die Wogen der Freude bei jung und alt. Nach reichlichem Mahle kreisten noch lange die Becher, und Lieder erklangen. Dann mahnte König Rodger zur Ruhe, und viele Dänen ließen sich Polster bringen, um im Saale zu schlafen. Brünne und Helm legten sie ab, griffbereit lehnten ihre Waffen nahe bei ihnen an den Wänden.
Beowulfs Heldentat Die Helden sanken alle in Schlaf. Da kroch es wieder durch nächtliche Nebel über Stein und Stufen heran. Ein Untier kam geschlichen, den überwundenen Schattengänger zu rächen. Es war Grindels Mutter. Gierig, vor Zorn bebend, betrat sie die Halle. Grün leuchteten ihre Mörderaugen, aber da war sie schon entdeckt. Schlaftrunken sprangen die Recken auf, vom Schrecken gepackt; aber auch die Moorwölfin fürchtete sich. Rasch wandte sie sich zur Flucht, doch einen der Männer riß sie noch an sich. Groß war Rodgers Kummer, als er die Tat erfuhr. Traurig blickte er Beowulf an, der auch gekommen war; denn er hatte nicht in der Halle geschlafen. Der König klagte dem Goten sein Leid und erzählte ihm, was das Volk sagte von den beiden Schattengängern, von Grindel und dessen Mutter: „Wolfsschluchten
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bewohnen sie, windige Klippen und das Moor, in dessen nachtdunkle Klüfte die Flut niederstürzt. Ein Hain wurzelt über dem Moorgrund, und Feuer hat man in der morastigen Flut gesehen. Schauerlich ist es dort, so arg, daß der gejagte Hirsch eher vor den Hunden sein Leben läßt, als daß er im Moor sein Heil sucht. Der Sturm tobt über dem Sumpf, und in Gewittern weinen die Wolken, wenn sie darüberher ziehen. Nun ist Hilfe allein wieder bei dir. Doch niemand kennt genau die Hausung des Ungeheuers. Willst du aber Grindels Mutter suchen und den Kampf mit ihr wagen, so will ich dich abermals reich belohnen. Das Volk der Schildinge wird dich rühmen." Freudig antwortete Beowulf: „Kein Klagen kann helfen, o König. Einmal stirbt jeder von uns; da taugt es dem Helden mehr, zuvor sein Leben an kühne Taten zu wagen. Darum sei getrost, noch heute will ich Grindels Mutter aufstöbern." Da wurde der greise König wieder froh. Die Helden bestiegen die Pferde und verfolgten die blutige Spur der nächtlichen Unholdin. Über Steilhänge und Klippen und enge Pfade ritten sie, nur wenige vermochten noch Beowulf zu folgen. Da sah er plötzlich vor sich, am grauen Gestein, von Bäumen überhangen, ein blutiges, trübes Wasser. An einem Felsen sahen sie das Haupt des in der letzten Nacht Geraubten hängen. Sie standen vor der Behausung der Unholdin. Als sie niederknieten, sahen sie im Wasser wimmelndes Gewürm und Seedrachen und seltsame
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Nixen. Sie bliesen das Heerhorn, da wälzte sich das Gewürm erbost und erbittert durcheinander. Nur ein Getier erlag Beowulfs Pfeil. Mit Sauspießen zogen es die Männer ans Ufer, wo sie es schaudernd betrachteten. Nun legte Beowulf die Brünne an und setzte den mit Eberbildern gezierten Helm auf. Hunfert reichte ihm sein eigenes Schwert, ein altes Kleinod, giftgehärtet, gegen Feuer gefeit. Also machte Hunfert wieder gut, daß er Beowulf bei seiner Ankunft geschmäht hatte. Zu König Rodger sagte noch Beowulf: „Verlier' ich mein Leben im Moor, dann nimm dich meiner Gefährten an. Und sende König Hygelak den Schatz, den du mir geschenkt. Doch Hunferd soll das Schwert erhalten, das du mir gegeben." Dann stürzte sich der Held in die Fluten der moorigen Brandung. In demselben Augenblick warf sich ihm Grindels Mutter entgegen. Ihre Klauen konnten Beowulfs Brünne nicht verletzen, da zog sie den Helden hinab, und mit scharfen Zähnen bissen sich Seetiere in seinem Harnisch fest. Plötzlich befand sich Beowulf in der Halle des Moorweibes, in grünlich schimmerndem Licht sah er die Feindin deudich vor sich. Mutig drang er mit dem guten Schwert in sie ein, doch die blinkende Waffe wollte nicht beißen. Nun besann sich Beowulf auf seine Stärke, er packte Grindels Mutter unter den Achseln und schleuderte sie im Ringkampf so, daß sie zu Boden stürzte. Doch furchtbar wehrte sich die wütende Feindin. Glitschig und glatt umschlang sie den Helden, brachte ihn
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zu Fall und kniete ihm auf der Brust, um ihn mit ihrem kurzen Schwert zu töten. Beowulf aber war durch die Brünne geschützt. Kaum war es ihm gelungen, aus ihren würgenden Armen freizukommen, sprang er auf und ergriff ein Schwert, das er zwischen den Felsen entdeckt hatte. Eine Krone der Waffen war es, das Schwert eines Riesen, das kein Sterblicher hätte schwingen können. Mit beiden Händen erhob es Beowulf, mit der Kraft der Verzweiflung ließ er es auf die Riesin niedersausen. So schwer traf er sie in den Hals, daß sie tot in den Schlamm sank. Ein Leuchten ging von dem Riesenschwert aus, da sah Beowulf auf einem Ruhelager den todwunden Grindel liegen. Mit einem Hieb trennte er dem Schattengänger das Haupt vom Rumpf. Doch von des Erschlagenen Blut, so giftig war es, schmolz sogleich des Schwertes Klinge wie das Eis vor der Frühlingssonne. Oben, am Rande des Moors, sahen Beowulfs Gefährten, wie sich das Moorwasser blutig färbte. Sie glaubten, die Moorwölfin hätte den Helden getötet, traurig saßen sie auf den Klippen. Gleißende Schätze gewahrte Beowulf, doch nichts nahm er davon. Nur mit dem kostbaren Griff des geschmolzenen Schwertes und mit Grindels Haupt schwamm er nach oben. Mit Jubel empfingen ihn die überraschten Freunde, und sie lösten ihm geschwind Helm und Harnisch. Stolz führten sie ihn zum Hirschsaal, indes vier Männer an einer Stange Grindels Haupt
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trugen. Bescheiden trat Beowulf vor König Rodger und berichtete ihm von dem gewaltigen Kampf unter dem Moor. „Hier reiche ich dir, König Rodger, was ich gewann in der See. Von nun an kannst du und dein Volk in Frieden schlafen." Mit diesen Worten gab er dem Herrn der Halle den Schwertgriff, das Werk eines Wunderschmiedes. Der Untergang der Giganten war auf dem Knauf abgebildet, und mit goldenen Runen war er verziert. Dann sprach König Rodger, und die Recken alle schwiegen. „Immer habe ich Recht und Wahrheit geliebt. Ich sage dir von den Dänen und Gotenrecken, daß nunmehr dein Rum über alle Völker strahlt. Ich wünsche dir, daß der allmächtige Gott dir Weisheit und Gut und Herrschaft gewähre. Bedenke stets, daß Unverstand auch den mächtigsten Recken ins Unheil geführt hat. Meide den Übermut, du bester der Kämpfer, denn schnell kommt der Tag, da der Tod dich überwältigt. Hundert Halbjahre habe ich über die Dänen geherrscht und habe sie beschirmt und habe mir keine Widersacher geschaffen. Nun ist auch Grindel, der alte Feind, mir nicht mehr zur Last. Dafür danke ich dem Ewigwaltenden, daß ich dies blutige Haupt sehen durfte. Hab Dank, du Held, und nun geh und genieße das Mahl mit Lust." Da begab sich Beowulf zu den Schwertgenossen, und sie erfreuten sich noch lange beim erfrischenden Trunk an munteren Gesprächen. Als sich die Nacht über Heide und Moor senkte, hatte die Freude ein Ende, und die Recken begaben sich zur Ruhe.
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In der Frühe gingen die Goten an den Strand und rüsteten ihren Segler zur Heimfährt. Als sie zur Reise bereit waren, suchte Beowulf noch einmal König Rodger auf, um Abschied zu nehmen. Der Held dankte für die hochherzige Gastfreundschaft, und er gelobte, dem König mit tausend Goten zu Hilfe zu eilen, wenn er von Feinden bedroht werde. Bewegten Herzens sagte der Herrscher der Schildinge: „Keinen besseren König können sich die Goten küren, wenn einmal deine Stunde gekommen ist. Du wirst Hort und Schild deines Erbes sein, du, der du mir immer mehr ans Herz gewachsen bist. Mögst du darüber wachen, daß fürderhin Frieden sei zwischen Dänen und Goten. Haß und Feindschaft sollen ruhen, und manches Mal, wenn Boote von Land zu Land fahren, soll einer von uns den anderen grüßen lassen." Tränen rannen dem greisen König über die Wangen, er ging traurig davon. Nicht genug wußten die Gotenhelden den König Rodger zu loben, als sie hin zum Strand gingen. Dann bestiegen sie den Seerenner und segelten ins Land der Goten, zum Hof des König Hygelak. Wind und Wogen waren dem Segler günstig, bald erreichten sie die Klippen des Gotenlandes. Der Strandwächter half das Schiff vor Anker legen, dann hieß Beowulf die Recken die Schätze des Königs Rodger an den Hof seines Oheim bringen. In der festlich geschmückten Halle wurde Beowulfs Heimkehr gefeiert. Er berichtete dem Oheim von sei
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nem Kampf mit Grindel und der Moorwölfin und gab ihm, was er von Rodger empfangen hatte. Bislang hatte Beowulf, der Fremde, als ein Ungleicher zwischen den Gotenrecken gesessen, nun ward er von König Hygelak in Ehren erhöht. Siebentausend Morgen Land erhielt er, dazu eine Burg, und keiner stand fortan dem König näher als Beowulf.
Der Kampf mit dem Drachen Wenige Jahre waren vergangen, im Streit der nordischen Völker sank König Hygelak unter dem Schild dahin. Ebenso fiel sein unmündiger Sohn Hardred, für den Beowulf die Herrschaft geführt hatte. Da ward Beowulf nach dem Willen des Volkes zum König der Goten gekürt. Fünfzig Winter und Sommer regierte er als weiser und gerechter Fürst und schützte sein Volk vor den Feinden. Da begann in den Nächten ein Drache sein Unwesen zu treiben, der in einem Berg einen Schatz bewachte. Vor vielen Jahren hatte dort ein Recke den Schatz seiner Sippe der Erde anvertraut. Oft hatte er geklagt, daß er der Letzte seines Geschlechtes sei, bis ihm eines Tages der Tod das Herz rührte. Diesen Schatz hatte der Drache entdeckt, ein Ungeheuer der Nacht, das in feuriger Lohe über Berg und Heide flog. Dreihundert Winter waren es her, seit er
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sich des Hortes bemächtigt hatte, da fand ein friedloser Mann den Weg zur Schlucht. Er wagte es, von der Seite des schlafenden Wurmes hinweg ein goldenes Trinkgefäß an sich zu nehmen. Das brachte er dem König und sagte, wo der Hort verborgen war. Als der Feuerdrache erwachte, merkte er, daß ein Mensch den Hort entdeckt und ihn beraubt hatte. Zornig flog er zu Beginn der Dämmerung über die Heide, um den Räuber zu suchen. Da er aber den Mann nicht fand, beschloß er, sich an allen Goten ohne Unterschied zu rächen. Schrecklich hauste das Scheusal, indem es feuerspeiend die Höfe der Goten verbrannte, die Felder verwüstete und Menschen tötete. Nacht um Nacht wütete es, in weitem Umkreis ward kein Mensch, kein Hof verschont. Wenn der Morgen graute, flog der Feuerwurm in seinen Berg zurück. Auch König Beowulfs Halle loderte auf in der Glut des heerenden Untiers. Nicht länger wollte der greise Herrscher das Unheil dulden, er beschloß, sein Volk an dem Feuerdrachen zu rächen. Einen festen Eisenschild ließ sich Beowulf schmieden, denn er wußte, daß sein hölzerner Schild vor der Lohe des Untiers verbrennen müßte. Nicht mit vielen Streitern wollte er den Drachen bekämpfen, sondern allein gedachte er ihm gegenüberzutreten. Hatte er doch schon viele Stürme in seinem Leben aus eigener Kraft bestanden, seit er Rodgers Halle von dem Schattengänger befreit und die Moorwölfin getötet hatte. Schwer war der Kampf gegen die Friesen gewesen, als
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König Hygelak vom Schlachtbeil tödlich getroffen ward. Allein war Beowulf dem blutigen Kampfgetümmel entronnen und hatte sich schwimmend gerettet. Die Edlen der Goten hatten ihm die Königsherrschaft angetragen, aber er hatte sich beschieden, für den jungen Erben Hardred das Land zu verwalten. Erst als Hardred im Kampf gegen die Schweden gefallen war, nahm Beowulf es an, als er im Thing zum König gekürt ward. So war es in Sturm und Gefahr gewesen, nun, am Abend seines Lebens, wollte Beowulf ebenfalls aus eigener Kraft seine Goten rächen. Von dem Manne geführt, der durch seinen Raub das Wüten des Feuerdrachen heraufbeschworen hatte, begab er sich mit einigen Begleitern an den gefürchteten See. In einer unterirdischen Höhle hauste dort der Wurm. Todbereit war Beowulf, und Wurd, die Norne des Schicksals, nahte schon, die Seele des gotischen Recken von seinem Leib zu lösen. So sagte er noch zu seinen Schwertgenossen: „Schon in meiner Jugend hatte ich viel Unglück zu bestehen. Sieben Winter nur zählte ich, da beschied Allvater, daß ich meinen Vater verlassen und ins Land der Goten wandern mußte. Der Fehde war kein Ende gegen Sachsen und Friesen und Schweden und andere Völker. An der Spitze kämpfte ich, dem Fußvolk voran, und maß mich oft mit stolzen Recken. So will ich nun auch im Alter für mein Volk streiten. Ihr aber bleibt hier und wartet auf mich." Herrlich anzusehen in Helm und Harnisch, erhob sich Beowulf und schritt auf den Fels zu. Darunter
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schoß ein Bach hervor, dessen Wasser kochte, so heiß war es in des Drachen Höhle. Niemand konnte zum Hort vordringen. Beowulf rief zornig Schmähworte in die Tiefe, um das Scheusal heraufzulocken. Da umwallte ihn schon des Untiers glühender, stinkender Atem. Kaum fand er Zeit, Schild und Schwert bereitzuhalten, da stand der Drachen schon vor ihm. Eines Herzschlages Länge zuckte das Untier zurück, dann sprang es, Feuer um sich verbreitend, auf den Menschen zu. Mutig schwang Beowulf sein gutes Schwert, Schlag auf Schlag traf den Wurm. Doch des Drachen Schuppenpanzer war unverwundbar, immer größere Not litt der Gotenkönig unter dem sengenden giftigen Feuer. Voller Entsetzen hatten seine Begleiter dem ungleichen Kampf zugesehen und waren vor der Glut bis in den Wald zurückgewichen. Nur einer sorgte sich, das war Wiklaf, der junge Neffe des Königs. „Nun ist der Tag gekommen, da unser Herr des Beistandes bedarf, es würde schlecht aussehen, ließen wir ihn allein im Streit!" rief er und lief durch Qualm und Feuer, um an Beowulfs Seite zu fechten. Rasch war sein Schild aus Lindenholz verbrannt. Beowulf reichte ihm den seinen, dann holte er mit beiden Händen zum todbringenden Schlag aus. Wohl traf Beowulf den Schädel des Feuerdrachen, aber die Klinge zersprang. Fauchend, tobend vor Wut warf sich der Wurm auf den wehrlosen Mann. Mit scharfen Bissen packte er des Königs Hals, so daß das Blut spritzte. Dann achtete Wiklaf nicht sei
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ner eigenen Not. Obgleich seine Hand dabei verbrannte, drang er auf das Ungeheuer ein und stieß ihm sein Schwert in die Weiche. Noch einmal gewann Beowulf seine alte Kraft zurück, er zog sein Kurzschwert und schnitt mit scharfen Hieben den tobenden Wurm mittendurch. Es sollte Beowulfs letzter Siegkampf sein, denn die Wunde begann von des Drachen Gift zu schwären und zu schwellen. Mühsam schleppte sich der Todwunde an die Felswand, und Wiklaf löste ihm rasch Brünne und Helm. Dann holte er Wasser aus der Nähe und erquickte den König mit kühlem Trunk. Beowulf fühlte den Tod nahen. Er beklagte, daß er keinen Sohn habe, ihm seine Wehr und Waffen zu übergeben. „Fünfzig Jahre habe ich meine Goten vor fremden Heeren beschützt und habe jede Arglist, jeden Mord vermieden. Nichts kann mir der Walter der Völker vorwerfen, wenn sich nun Leib und Seele scheiden. Nun geh du, Wiklaf, und hole den Goldhort, damit ich ihn noch einmal sehe, bevor ich euch verlasse." Wiklaf gehorchte. In der Schatzhöhle sah er in Urnen unermeßlich viele Kleinode liegen, daneben ein altes goldenes Schlachtzeichen, an Runen reich. So viel er konnte, nahm er an sich, dann eilte er, seinen König noch lebend anzutreffen. Er weckte den Greis mit kühlem Wasser. Beowulf sagte: „Dem Himmel sei Dank, daß es mir vor meinem Tode vergönnt war, dem Gotenvolk so reichen Schatz zu erwerben. Nun darf ich nicht mehr länger bei euch
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sein. Baut mir den Grabhügel an der Brandungsklippe, so hoch baut ihn, daß ihn die Seefahrer sehen können. "Wenn sie mit ihren stolzen Seglern durch die Fluten fahren, mögen sie sagen: Da ist Beowulfs Burg." Der sterbende Recke reichte dem jungen Fürsten Helm und Brünne. „Gebrauche sie wohl! Du bist der Letzte unseres Geschlechtes. All meine Freunde hat Wurd schon entführt in der Seligen Saal. Ich folge ihnen jetzt..." So sprach Beowulf, dann löste sich seine Seele vom Leib und suchte das Urteil der Himmlischen. Traurig blickte Wiklaf auf den geliebten Toten, da gewahrte er, daß die Mannen herankamen, die vorher in den Wald geflohen waren. Er wies sie zurück und sagte: „Viel Waffen und Kleinode gab euch der milde König, als er noch lebte, aber wo wart ihr, als er in große Not vor dem Drachen geriet? Drum sollt ihr auch keinen Anteil haben an dem Schatz. Ich sage euch, der Tod ist rühmlicher als ein Leben voller Schmach!" Wiklaf ließ den Goten König Beowulfs Tod verkünden. Er hieß sie den Scheiterhaufen richten für den König und seinen Drachenhort. Denn niemand von den Goten hatte Beowulf in seiner letzten Not beigestanden, so sollte auch niemand, weder Mann noch Frau, am Hort gewinnen. Das Volk der Goten fand sich am Adlerfels ein, dort lag König Beowulf aufgebahrt. Wiklaf hatte mit den Knechten den gleißenden Hort aus der Drachenhöhle herbeigeholt und ihn auf der Brandstätte aufgehäuft.
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Helme und blanke Brünnen und Heerschilde hingen um die Scheiterburg. Dann lohte das Brandfeuer gen Himmel, der Wind kam vom Wikingermeer daher und fachte den Brand zu hell auflodernder Flamme an. König Beowulfs Gebeine verbrannten zu Asche, und die Gotenrecken klagten um ihren großen Herrscher. In zehn Tagen errichteten die Goten am Adlerfels den Totenhügel und umgaben ihn mit einer Wallmauer. In der Erde darunter bargen sie Beowulfs Asche und legten Gold und Geschmeide dazu, soviel vom Hort übriggeblieben war. Dann ritten zwölf Fürsten um das hohe Totenmal. Den Schlachtgesang der Goten sangen sie und priesen König Beowulfs Taten. Der kühnste König war er, milde und gut. Noch lange rühmten fahrende Sänger, er sei Schutz und Schirm seiner Goten gewesen. Bis in den Tod habe er ihnen gedient als ein wahrer König.
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WIELAND
DER SCHMIED
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Wielands Lehrzeit Als der König von Seeland einst von ruhmreicher Heerfahrt in das Baltenland heimkehrte, wurden seine Schiffe von Stürmen gezwungen, an der Ostseeküste zu landen. An einem See in den Urwäldern begegnete er einer Wasserfrau. Wachhild hieß die Schöne und war dem König in Liebe zugetan. Doch als sich das Laub der Bäume färbte und die Herbststürme drohten, begaben sich die Helden wieder auf die Schiffe. Später, nachdem der König mit seinen Mannen längst nach Seeland zurückgekehrt war, suchte ihn die Wasserfrau noch einmal auf und brachte dem König ihrer beider Sohn. Dann tauchte sie wieder in den Wogen unter und kehrte nie mehr zurück Wate, der Sohn des König von Seeland und der Wasserfrau Wachhild, wuchs zu einem riesenhaften Recken heran. Sein Weib, eine stolze Häuptlingstochter aus altem seeländischen Geschlecht, gebar ihm drei Söhne, Wieland, Egil und Helferich. Egil wurde ein weithin berühmter Schütze mit Pfeil und Bogen, Helferich liebte Blumen und Krauter und lernte, die Menschen damit zu heilen. Wieland aber zeigte viel Lust zum Handwerk der Schmiede, und Wate schickte ihn, als er neun Jahre alt war, in die Lehre. Bei dem berühmtem Zwerg Mime, im Falenland,
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schwang der junge Wieland den Hammer mit großer Lust. Hier sollte einst Jung-Siegfried Schwerter schmieden lernen. Und als Wieland nach drei Jahren heimkehrte, war er so tüchtig, daß jedermann in Seeland über seine Kunst staunte. Doch tief drunten im Sachsenland gab es zwei Zwerge, die Mimes Kunst noch übertrafen. Sie werkten mit Gold und Silber, prächtig war ihr Schmuck, kostbar waren ihre Schwerter und Helme. Zu diesen Meistern brachte Wate den bärenstarken Sohn. Zwölf Monate sollte er lernen, dann wollte Wate ihn heimholen nach Seeland. Bevor Wate ging, sagte er zu Wieland: „Tükkisch erscheinen mir diese beiden Zwerge. Drum verberge ich hier im Gebüsch mein gutes Schwert. Sollten die Wichte dich in Not bringen, dann wehre dich!" Rechtzeitig nach einem Jahr fand sich Wate am Berg der Zwerge ein. Bis zum Morgen, wenn das Tor geöffnet würde, wollte Wate warten und legte sich im Gras unter einem Felsen zur Ruhe. Doch nimmermehr wachte er auf: in der Nacht stürzte ein Fels herab und erschlug den Riesen von Seeland. Dies war das Werk der Zwerge, denn sie wollten Wieland als Knecht bei sich behalten. In der Morgenfrüh trat Wieland vor das Tor, nach seinem Vater auszuschauen, da fand er den meuchlings Getöteten, und er sah, daß die Alben den Fels losgebrochen hatten. Der Zorn ergriff ihn, aus dem Gestrüpp holte er das Schwert der Ahnen, eilte in die Höhle und erschlug die tückischen Wichte. Dann bereitete er seinem Vater ein Grab, betrübt,
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daß der Recke Wate nicht im Heldenkampf gefallen, sondern den feigen Unterirdischen erlegen war. Noch einmal ging er in die Höhle und nahm das Werkzeug der Alben an sich. Er machte sich auf den Weg nach seiner Heimat Seeland. Über Berge und durch tiefen Urwald wanderte Wieland, da stieß er auf einen Strom. Es war die breite Weser. Von Wates Mutter Wachhild war dem Jüngling die Liebe zum Wasser überkommen, und er wußte den Gefahren der Fluten zu begegnen. Am Ufer fällte er eine der riesigen Eichen, höhlte sie mit geschickten Schlägen aus und barg darin alles, was er hatte. Dann ließ er den Baum zu Wasser und setzte sich hinein. So hoffte er das Meer zu erreichen und hernach einen Segler zu finden, der ihn nach Seeland brächte.
König Nidungs Undank Das Schicksal indes wollte es anders. Eines Tages in der Frühe geriet der treibende Baum in das Netz von Fischern. Erstaunt zogen sie die seltsame Beute an Land und beeilten sich, dem Herrn des Landes, König Nidung, davon Kunde zu bringen. Nicht wenig wunderte sich der König über den Fremden, das Fahrzeug, die Waffen und das kostbare Schmiedewerkzeug. Wieland wußte nicht, in welchem Land er war, ob er Freund oder Feind vor sich hatte. Bescheiden
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antwortete er auf des Königs Fragen, stolz setzte er hinzu: „Ich verstehe mich auf die Schmiedekunst wie wenige Meister und wüßte Euch mit meinem Handwerk von Nutzen zu sein." Das war Nidung recht, er nahm Wieland mit auf die Burg, wo er mit mancherlei Aufgaben betraut wurden. In der ersten Nacht jedoch brachte Wieland sein Boot und das Werkzeug der Alben in Sicherheit. Eines Tages widerfuhr Wieland das Mißgeschick, daß ihm beim Säubern ein Messer, das zum täglichen Speisegerät Nidungs gehörte, ins Meer fiel. Er wußte sich nicht anders zu helfen, als in der Schmiede eiligst ein neues Messer anzufertigen. So gut war Wielands Messer, daß König Nidung am nächsten Tage damit durch das Brot schnitt und gar noch in das Holz des Tisches. Nidung fragte Wieland, wer das Messer geschmiedet habe, und erhielt zur Antwort: „Das muß Amilias gewesen sein." Und eifrig bestätigte Amilias Wielands Worte. „Nein", sagte der König, „bislang hat Amilias kein so gutes Messer geschmiedet. Also, heraus mit der Wahrheit, was ist damit?" Nun bekannte Wieland, wie es gewesen war, und entschuldigte sich. König Nidung lachte und sagte: „Nein, so gutes Werkzeug gelingt Amilias gewiß nicht." Da fuhr der Schmied des Königs auf: „Das müßte sich wohl erst noch erweisen, ob er da besser ist als ich. Bisher hat mich niemand übertroffen!" „Nun gut", meinte König Nidung, „so soll jeder von
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euch ein Meisterwerk schmieden, dann wird es sich entscheiden, wer besser ist. Du, Amilias, fertige Helm und Brünne an, Wieland aber schmiede ein Schwert. Dringt das Schwert durch deine Rüstung, dann bist du des Todes, wenn nicht, dann verliert Wieland den Kopf!" Mit Eifer ging Amilias ans Werk. Zwei Gesellen halfen ihm, und nach elf Monaten waren Helm und Brünne fertig. Wieland hatte noch nicht angefangen. Da wurde er von König Nidung gemahnt. Wie schwang Wieland nun den Hammer! In sieben Tagen und sieben Nächten schmiedete er ein Schwert. Überrascht wollte König Nidung wissen, ob es auch scharf genug sei. Da führte Wieland ihn an den Fluß, warf eine Wollflocke ins Wasser und ließ sie gegen die Schneide des Schwertes treiben — und sie wurde mitten durchgeschnitten. Bescheiden lehnte Wieland das Lob des Königs ab: er wollte über Nacht eine noch viel bessere Waffe schmieden. In der Werkstatt zerfeilte er das Schwert zu Eisenspänen, mischte diese mit Milch, Mehl und anderen Zutaten, die nur er kannte, und schmiedete alles zu härtestem Stahl. Am andern Morgen zeigte er dann dem König, wie diese Klinge einen ganz feinen Wollfaden zerschnitt, der in sanfter Strömung dahinschwamm. Sie gingen beide auf die Burg, wo Amilias zur festgesetzten Zeit auf den Gegner wartete. Aber Wieland schlug nicht mit Gewalt auf den eitlen Schmied ein, sondern er setzte nur die Spitze des Schwertes auf den Helm und drückte leicht. Da drang der Stahl durch des Ami
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lias Schmiedewerk und traf ihn zu Tode. Entsetzt blickte Nidung auf den Sieger, und als er ihn nun genauer ansah, entdeckte er, daß der Fremde kein anderer war als Wieland der Schmied, dessen Ruhm auch zu König Nidung gedrungen war. Wieland bekannte, wer er war. „Kein besseres Schwert gibt es auf der Welt als dieses aus Meister Wielands Händen!" sagte der König. „Willst du es mir schenken?" Wates kunstfertiger Sohn versprach König Nidung das Schwert, doch wolle er vorher noch die Scheide und das Gehänge dazu schmieden. In der Schmiede aber machte er ein zweites, ähnliches Schwert, und das überreichte er dem König. Mimung aber, die prachtvolle Klinge, versteckte er für sich. Nidung hielt Wieland den Schmied fernerhin wie jeden seiner besten Ritter und war ihm wohlgesonnen. Für des Königs Tochter Badhild schmiedete Wieland manch kostbaren Schmuck aus Silber und Gold. Die schöne Jungfrau wurde von vielen Edlen und Fürsten umworben, auch Wieland hatte sie liebgewonnen. Ein Jahr war vergangen, da kam die Kunde, daß die Wikinger heerend ins Land eingefallen waren. Da ließ König Nidung seinen Heerbann sammeln und zog den Feinden entgegen. Mit ihm ritt auch Wieland, Wates Sohn. Drei Tage und Nächte waren sie im Sattel und ritten nach Norden. Als sich der König mit Roß und Reitern den Wikingern näherte, erkannte er, daß die Zahl der Feinde groß
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war. Und er erschrak, als er merkte, daß er seinen Siegstein, einen Zauberring, vergessen hatte. Er bangte um den Sieg. Seine besten Reiter fragte er, ob einer von ihnen den Zauberstein bis zum nächsten Morgen herbeiholen könne, dann würde die Schlacht beginnen. Niemand meldete sich. Da sagte Nidung: „Meine Tochter zum Weibe und die Hälfte meines Landes verheiße ich demjenigen, der mir den Stein bis zum Sonnenaufgang herbeischafft!" Wieland lachte auf und rief: „Seid getrost, König Nidung, ich reite und bringe Euch den Ring zur rechten Zeit!" Obgleich die edlen Herren wie auch der Truchseß ihn verspotteten und höhnten, solch Versprechen könne er nimmermehr halten, schwang Wieland sich auf sein Roß. Schnell wie der Sturmwind flog der feurige Hengst Schimming mit dem mutigen Reiter davon. Noch vor Mitternacht hatten sie Nidungs Burg erreicht, und im Morgengrauen näherten sie sich wieder den Zelten des Heerlagers. Da stieß Wieland auf einen Reitertrupp. Es war der Truchseß mit sieben Mannen; auf Kundschaft gingen sie aus. Spöttisch fragte der hohe Herr, ob Wieland etwa den Siegstein bringe. „Ja, ich trage ihn bei mir", triumphierte Wieland, und um den Spötter zu ärgern, fügte er hinzu, „und nach der Schlacht wird Badhild mein Weib!" Der Truchseß hätte gern die Königstochter für sich gewonnen, darum bot er Wieland viel Gold an, wenn
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dieser ihm den Zauberring überließe. „Warum seid Ihr nicht selber geritten!" höhnte Wieland. „Behaltet nur Euer Gold, ich aber hole mir Badhild!" Da übermannte den Grafen der Zorn, er hieß seine Reiter Wieland gefangennehmen. Und er selbst zog sein Schwert. Nun schwang auch Wieland die Klinge, tot sank der Truchseß vom Pferd, und seine Reiter sprengten über die Heide davon. Im Strahl der Morgensonne trat Wieland in das Zelt des Königs und gab dem Überraschten den Siegstein. Und er vergaß nicht, zu berichten, was ihm Schändliches unterwegs begegnet war. „Den Truchseß erschlagen?" murmelte Nidung und blickte wütend auf. Es schoß ihm in den Sinn, daß er nun einen Grund hatte, dem Seeländer Badhild zu verweigern. „Ein Mörder bist du, Wieland!" fuhr er den Verdutzten an. „Meinen teuersten Freund hast du umgebracht, darum sollst du für immer aus meinen Landen verbannt sein!" Bis ins Herz getroffen stand Wieland da. Nicht nur der Undank des Herrschers verwundete ihn, sondern er dachte auch daran, daß er Badhild nie mehr gewinnen könne. Traurig war ihm zumute, doch wilde Entschlossenheit leuchtete aus seinen Augen, als er entgegnete: „Hält so ein König sein Wort? Wohlan denn, König Nidung: an diesen Tag wirst du noch denken! Bitter wird er dich gereuen!" Wieland ging langsam hinaus und bestieg sein Roß.
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Hell wieherte Schimming seinem Herrn entgegen, dann ritten Roß und Reiter über die Heide davon.
Wie Wieland gelähmt wurde Lange Zeit wanderte Wieland ohne Ziel in den Landen des Nordens umher, er konnte die schöne Badhild nicht vergessen. Die Sehnsucht verführte ihn zu einem Plan, wie er die Königstochter dennoch gewinnen könne. Der Schmied änderte sein Aussehen und verkleidete sich als Koch. In dieser Verwandlung begab er sich an König Nidungs Hof, und es gelang ihm, sich als Koch zu verdingen. So war sein Plan: er wollte einen Liebestrank in die Speisen mischen, die Badhild dargereicht wurden. Endlich konnte er seinen Zaubersaft dem Wildbret zusetzen, das Badhild besonders gern aß. Nun aber besaß die Königstochter ein Zaubermesser, das ihr verriet, wenn es mit ungewöhnlichen Dingen in Berührung kam. Kaum hatte Badhild mit dem Messer den Braten berührt, da klang es hell auf. Sie ließ das Essen stehen und sagte König Nidung, was geschehen war. Jedermann ahnte, daß der Anschlag nur in der Küche ausgeführt sein konnte. Wer aber sollte es anders gewesen sein als der neue Koch, der Fremde! Sogleich wurde nach ihm gesucht, doch nirgends war er zu finden. Wieland wartete unterdessen in seiner alten Schmiede und
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hoffte, daß sein Zaubertrank gewirkt habe. Als er Schritte näher kommen hörte, wünschte er sich, es möge die schöne Badhild sein. Statt ihrer aber drangen Gewappnete ein und nahmen ihn gefangen, ehe er sich's versah. Als König Nidung den wütenden Koch vor sich sah, erkannte er Wieland den Schmied. „Ich habe dich bei Todesstrafe gewarnt, mein Land je wieder zu betreten", grollte Nidung, „ich könnte dich daher dem Henker übergeben. Doch etwas anderes wäre für mich besser. Ich werde dich so halten, daß du mir nicht entwischen kannst und mir mit deiner Schmiedekunst dienen mußt." Besorgt hatte Badhild zugesehen. Sie fragte den Vater, was denn mit Wieland geschehen solle. „Er wird am Leben bleiben, aber auf einer Insel vor der Küste soll er seine Tage zubringen, und in der Schmiede wird er für mich arbeiten!" Die Knechte packten den Gefangenen, um ihn wegzubringen, doch Nidung rief ihnen zu: „Vergessen wir nicht das Wichtigste! Damit der Listige nicht entkommen kann, schneidet ihm an beiden Füßen die Sehnen durch. Hinaus mit ihm!" Das war mehr als grausam, die Umstehenden fuhren zurück, selbst Badhild hatte großes Mitleid mit dem stolzen Recken. Doch umsonst, Wieland wurde nach des Königs Befehl an beiden Füßen gelähmt. Auf einer einsamen Insel wurde er in eine Hütte geworfen. Viele Tage vergingen, bis Wieland vom Wundfieber genesen war. Mühsam schleppte er sich in die nahegele
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gene Schmiede und fertigte sich ein Paar Krücken an. Oftmals hinkte Wates Sohn an den Strand, dort saß er und blickte auf das Meer hinaus, das ihn von Seeland trennte. Die Freiheit werde ich mir einst erringen, so sagte er sich, zuvor aber will ich mich rächen.
Wielands Rache Qualvoll vergingen die Tage für den Gelähmten, noch quälender waren die Nächte. Nicht viele Monde waren vergangen, da wußte Wieland, wie er eines Tages von der Insel fliehen könnte. Dem König aber täuschte er vor, er sei mit seinem Los zufrieden. Er wurde nicht mehr so streng überwacht und fand Gelegenheit, an seinem Plan zu arbeiten. Wielands Bruder Egil, der Meisterschütze, hatte von des Bruders schwerem Los gehört. Er wollte zu erreichen versuchen, daß König Nidung Wieland die Freiheit gebe. Und damit Nidung nichts Böses vermuten sollte, nahm er seinen fünfjährigen Sohn mit. Zwar ward er auf der Burg freundlich aufgenommen, aber sooft er auch den König für Wieland bat, wurde er hart abgewiesen. Egil gab die Hoffnung nicht auf und blieb noch auf der Burg. Da wurde er eines Tages auf eine harte Probe gestellt. Im Burggarten war es, als Nidung sich dort erging und Egil mit dem Knaben begegnete.
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„Egil, sagte Nidung verschmitzt, „die Sage geht, du seist der beste Schütze im Nordland. Willst du mir einen Beweis dafür geben?" Egil lächelte. „Gewiß", antwortete er, „nennt mir ein Ziel; ich werde es treffen, und sei es noch so klein." Da pflückte Nidung einen Apfel vom Baum und legte ihn auf das Haupt des Kindes. „Nun zeige deine Kunst", sagte er hämisch, „aber nur ein Schuß steht dir zu!" Vergeblich bat Egil, ihm diesen Frevel zu erlassen, ja Nidung drohte ihm, er werde dasselbe Schicksal wie Wieland erleiden, falls er sich weigere. Da nahm Egil zwei Pfeile aus dem Köcher, legte den einen auf, zielte sorgsam, und schon schwirrte das Geschoß von der Sehne. Mitten im Apfel saß es, der Knabe nahm ihn in die Hand und lief dem Vater voller Freude entgegen. Alle freuten sich, nur Nidung nicht. „Halt", sagte er zu Egil, „sag mir erst, warum du zwei Pfeile zu dir stecktest!" Freimütig antwortete Egil: „Hätte ich mein Kind mit dem ersten Pfeil getötet, dann hätte ich den zweiten auf dich abgeschossen, und der hätte bestimmt getroffen." Niemand wußte, was Nidung dachte, aber er war freundlich zu Egil und nahm ihn in seine Dienste. Doch er mußte bei seinem Bruder Wieland auf der bewachten Insel wohnen. Egil teilte nun die Hütte mit Wieland und tat alles, was der Bruder wollte. Doch oftmals schüttelte er das
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Haupt, denn Wieland hatte ihn geheißen, große Vögel abzuschießen. Und was Wieland mit den feinen Eisenstangen vorhatte, die er sich schmiedete, das erfuhr Egil auch nicht. Da, unversehens war die Gelegenheit für Wielands Rache gekommen. Nie wäre er ehemals solcher Tat fähig gewesen, doch die Jahre bitterster Demütigungen hatten sein Herz verhärtet. König Nidungs jugendliche Knaben hatten vom Vater die Erlaubnis erhalten, zu Wieland zu gehen und sich Pfeilspitzen schmieden zu lassen. Kaum hörte Wieland, was die Knaben von ihm wollten, da hatte er seinen Plan gefaßt. „Gewiß will ich das tun", sagte er, „und ich will euch auch einen Zauber hineinschmieden, der die Pfeile unfehlbar macht. Aber der Zauber wirkt nur, wenn niemand davon weiß. Kommt also morgen wieder, geht aber rückwärts, damit niemand an euren Spuren im Schnee erkennen kann, daß ihr hergekommen seid." So geschah es. König Nidungs Kinder betraten im Morgengrauen Wielands Schmiede. Der Racheglühende führte sie an eine große Truhe mit Gold und ließ sie hineinblicken. Gierig wühlten sie in Gold und Geschmeide, da schlug Wieland den schweren Deckel zu und tötete beide Knaben mit einem Schlag. Schwer hatte König Nidung in der Nacht geträumt, und Böses ahnte er, als er in der Frühe nach seinen Söhnen suchen ließ. Überall um die Burg herum, auch auf Wielands Insel suchten die Diener, doch sie konnten
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dem König nur berichten, sie hätten an den Spuren gesehen, daß die Kinder Wielands Schmiede verlassen hatten. Wenig später war es, da befahl König Nidung dem gelähmten Schmied, Trinkgefäße anzufertigen, doch von besonderer Art, denn er erwarte verwöhnte Gäste. Da, als er allein war, hinkte der Verbitterte zu der Grube unter dem Schmiedebalg und holte zwei Schädel heraus, bleich und klein. Wie im Fieber arbeitete er und schuf zwei kostbar gefaßte Trinkschalen. Seine Augen funkelten. Er war ein Fremder vor sich selber, wohl hatte das Erbe seiner Ahnin Wachhild von ihm Besitz ergriffen. Die edel gefaßten Schalen schickte er dem König. Doch weiter schritt das Schicksal. Die schöne Badhild spielte im Burggarten mit ihren Freundinnen, da verlor sie einen Armreif. Im fröhlichen Eifer des Ballspiels ward der Reif zertreten. Da wußte Badhild keinen anderen Rat, als Wieland aufzusuchen, damit er mit seiner Kunst helfe. Heimlich tat sie es, damit König Nidung es ihr nicht verbieten konnte. Wie leuchteten Wielands Augen auf, als die Schöne seine rußige Schmiede betrat! Er nickte, als er ihren Wunsch hörte. Ja, er werde sogleich den Reif heil machen, doch erst müsse er dies und das zu Ende schmieden. Derweilen möge Badhild sich an einem Trunk erlaben. Ohne Arg nahm die Schöne den Becher, in dem der Listige seinen betörenden Zaubertrank gemischt hatte, von dem er sich Glück erhoffte.
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Bald hatte Wieland den Reif ausgebessert, er winkte Badhild zu sich heran und legte ihr den Schmuck behutsam um den Arm. „Nun, Badhild, willst du mir deine Liebe schenken?" fragte er. „Du weißt, daß ich dich seit Jahren aufrichtig liebe und daß du nach dem Versprechen deines Vaters längst die Meine hättest sein dürfen." Wie im Traum fuhr sich Badhild mit der Hand über die Stirn. Lange blickte sie Wieland an, dann sagte sie zu ihm: „Ja, Wieland, immer will ich bei dir bleiben. Warum habe ich es nicht längst gewußt, daß ich dir von Herzen zugetan bin? Mein Vater hat mich dir versprochen, als du ihm den Siegstein holtest, nun will ich seine Worte wahrmachen." Badhild blieb bei ihm, der ein Krüppel an Leib und Seele geworden war. Lange saß sie neben ihm vor der Hütte, und es bewegte ihr das Herz, als Wieland ihr sein Leid und seine Hoffnungslosigkeit klagte. Im Morgengrauen stahl sie sich auf die Burg.
Wielands Flucht und Heimkehr In der Heimlichkeit der nächsten Nacht vollendete Wieland sein langbegonnenes Werk. Aus den großen Federn der wilden Schwäne, mit feinen Eisenstäben verbunden, hatte er sich ein Flughemd gemacht. Ein Wunderwerk war es, wie es noch kein Mensch vor ihm erdacht hatte. Bevor er jedoch die Insel verließ, bat er Badhild noch
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einmal zu sich und vertraute ihr an, daß er nun in die Heimat zurückkehren werde. „Ich bitte dich, mir zu folgen, wann es dir möglich ist. Vergiß nicht, daß ich immer an dich denke und daß ich alles Unheil um deinetwillen erlitten habe." Weinend versprach Badhild, ihm nach Seeland zu folgen, dann ging sie traurig zur Burg, nicht ahnend, auf welche Weise Wieland fliehen könne. Noch einmal hatte Wieland seinen Bruder das wunderbare Flughemd erproben lassen. Fast wäre alles mißglückt, denn Egil hatte sich mit dem Wind wieder zur Erde niedergelassen. So war er gefallen und hatte die kunstvoll geformten Flügel fast zerstört. Dann band Wieland sich die gewaltigen Flügel an die Arme, und mit machtvollen Stößen, vom Winde hochgeworfen, schwang er sich in die Luft. Noch flog er nicht davon, sondern er ließ sich auf den Zinnen der Burg nieder. Groß und klein, hoch und nieder, alle liefen sie ob dieses Schauspiels zusammen, auch König Nidung ging auf den Burghof, um zu sehen, was es gebe. Von Wut und Schrecken zugleich wurde Nidung erfaßt. Sofort ließ er den Meisterschützen Egil holen, seine Pfeile sollten Wieland am Fliehen hindern. Unterdessen suchte er den menschlichen Vogel durch höhnende Reden aufzuhalten. Auch fragte er Wieland, ob er wisse, wo seine beiden Söhne seien. „Ich will es dir verraten", rief Wieland, „zuvor aber schwöre, daß du meinen Bruder in Freiheit ziehen läßt!" Nidung beschwor es vor allem Volke, da rief Wieland
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von seinem luftigen Sitz hinunter: „Muß ich dich erinnern, Nidung, wie du immer wieder die Treue gebrochen hast, wie du mich gequält hast! Badhild hattest du mir versprochen, aber du hast dein Wort nicht gehalten. Du hast mich, den freien Sohn Wates, nicht nur zum Krüppel gemacht, du hast mich gefangengehalten wie einen Sklaven. Und vor lauter Bosheit hast du Egil gezwungen, das Leben seines Kindes aufs Spiel zu setzen. So höre, was Wieland dir zu sagen hat: deine Söhne habe ich erschlagen, und aus ihren Schädeln hast du getrunken. Und deine Tochter Badhild ist mein Weib geworden! Ich aber bin frei und fliege heim. Du bist verflucht, König Nidung, denn immer wirst du ein Knecht deiner Bosheit bleiben!" Einen Schrei stieß Wieland aus, daß er die Menschen bis ins Mark erschütterte, dann schwang er sich mit wuchtigen Flügelschlägen in die Luft. Kaum hatte der entsetzte König Egil neben sich erblickt, befahl er ihm sofort, auf den Fliehenden zu schießen. „Schieß oder stirb!" schrie er ihn an und zückte das Schwert. Da zielte Egil unter Wielands Flügel, denn er wußte, daß der Bruder dort mit Blut gefüllte Blasen angebunden hatte. Zwar tröpfelte Blut herab, aber Wieland lachte und schwang sich höher und höher, bis er den Blicken des Königs entschwand. Furchtbar hatte des Schicksals Hand König Nidung berührt, er lebte hinfort nur wie sein eigener Schatten.
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Er kümmerte sich um nichts mehr, was um ihn geschah. Egil durfte mit seinem Sohn und dem Hengst Schim ming unbeschadet nach Seeland ziehen. Nidung nickte stumm zu ihrem Abschied. Klaglos nahm er, was ihm das Schicksal weiter beschied. Wieland aber erreichte ohne Gefährdung die Insel Seeland, bald folgte ihm Egil, und groß war die Freude der drei Brüder, als sie wieder vereint waren. Helferichs Heilkunst befreite Wieland von seinen Schmerzen an den Füßen, und der Schmied fertigte sich so kunstvoll geformte Schienen an, daß er sich fast wie vordem bewegen konnte. Sehnsüchtig blickte Wieland nach jedem Schiff aus, das an Seelands Küste anlegte. Endlich kam der Tag, da eine stolze Frau den Strand betrat. Ohne Hab und Gut kam sie daher und schritt in die Königshalle. Stumm vor Glück schloß Wieland die schöne Badhild in seine Arme. Noch einmal kehrten seine Gedanken zu Nidung zurück, denn Badhild berichtete ihm, wie Nidung im Kampf gegen die Wikinger gefallen war und wie ihn das Glück verlassen hatte. Als die Sommervögel über Seeland kreisten, feierten Wieland der Schmied und Schön-Badhild das Fest ihrer Hochzeit. Strahlend vor Freude reichte die Tochter des glücklosen Königs dem Sohn Wates ein Schwert. Es war das Schwert Mimung, das Badhild als einziges aus der Burg Nidungs mitgebracht hatte. Groß war der Ruhm Wielands, denn in allen Landen sprach man von seiner Schmiedekunst, die von nieman
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dem eh und je übertroffen ward. Der letzte Schatten des Vergangenen aber schwand vom Königshof auf Seeland, als dem Paar ein Sohn geboren wurde. Wittich nannten sie ihn, und sein Name sollte einst mit dem des großen Dietrich von Bern ruhmvoll gepriesen werden. Wieland aber und sein treues Weib Badhild lebten noch viele Jahre auf Seeland in Glück und Frieden.
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DIETRICH VON BERN
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Jung-Dietrichs erste Heldentat König der Ostgoten war Amelung. Er herrschte über ein gewaltig großes Reich in Italien, vom Tiberfluß bis jenseits der Alpengipfel. Nach Amelungs Tode übernahmen seine drei Söhne die Herrschaft. Harlung regierte in den Landen nördlich der Alpen, in Breisach am Rhein. Ermanarich erhielt Romaburg, die heutige Stadt Rom — er nannte sich Kaiser -, und Dietmar wurde König in Lampartenland. Das war die Lombardei, die fruchtbare norditalienische Ebene, und Dietmar machte Bern, das heute Verona heißt, zu seiner Hauptstadt. Die beiden Söhne des Königs Dietmar, Dietrich und Diether, wuchsen in Bern zu kräftigen Knaben heran. Besonders Dietrich tat sich durch hohen Wuchs wie durch ungewöhnliche Kräfte hervor. Die Sage ging um, daß Feuer aus seinem Munde schlüge, wen er in Zorn geriete. Als Jung-Dietrich sieben Jahre alt war, übergab der Vater die Erziehung des unbändigen Knaben dem berühmten Waffenmeister Hildebrand. Am Gardasee lag des alten Recken hohe Burg Garden, und hier, wo Tirols Berge an die norditalienische Ebene stoßen, wurde Jung-Dietrich im Gebrauch der Waffen geübt und auf die Aufgaben vorbereitet, die seiner harrten; denn er sollte König Dietmar auf den Thron folgen. Der alte Hildebrand, einer der treuesten Recken des Fürstenhauses der Amelungen, hatte seine helle Freude an dem gelehrigen Knaben. Kaum näherte sich Dietrich dem Jünglingsalter, konnte er schon die wildesten Rosse
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bändigen, war einer der Eifrigsten bei der Jagd und galt als unüberwindlich im kühnen Waffenspiel. Eines Tages kam die Kunde nach Burg Garden, daß der Riese Grim, der nordwärts vom Gardasee hauste, Wanderer im Gebirge überfalle und umbringe. Da brauste Jung-Dietrich auf, er wollte den Unhold für seine Missetaten strafen. Lange hatte Meister Hildebrand dem Unerfahrenen abgeraten; um ihn jedoch abzuschrecken, fügte er hinzu: „Der Räuber hat eine Frau, und diese Riesin übertrifft Grim an Kraft und Grausamkeit. Gegen Grim und Hilde wirst du den Kampf nicht bestehen können." „Meister Hildebrand", entgegnete Dietrich, „wie sollte aus dem ein Held werden, der sich vor einer Frau fürchtet! Ein Feigling wird er, sonst nichts!" Da lachte Hildebrand und freute sich über Dietrichs tapferen Sinn. Und sie schwangen sich beide in den Sattel und ritten hinauf ins Gebirge, das schon bei Burg Garden beginnt. Vom breiten Weg am lieblichen Gardasee ritten sie steile Pfade hinauf ins Gebirge, bis sie durch lichte Lärchenhaine in den dunklen tiefen Wald gerieten. Eine Weile waren sie dahingeritten, da sprang plötzlich aus dichtem Gestrüpp ein Zwerg über den Pfad. Der Albe versuchte, rasch wieder im Unterholz zu verschwinden, doch da hatte Dietrich ihn gepackt. Als Meister Hildebrand den Kleinen sah, den Dietrich vor sich auf den Sattel gesetzt hatte, rief er aus: „Da hast du einen feinen Fang gemacht! Zwerg Albe
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rieh ist's, der Listigste unter dem Zwergenvolk. Und wenn du Glück hast, kann er dir sagen, wo Grim und Hilde hausen." „O weh, ihr Narren", krächzte Alberich, „da habt ihr euch den Tod gewählt. Kein Sterblicher überwindet die beiden Riesen. Doch wenn ihr mir die Freiheit wiedergebt, will ich euch ein Mittel sagen. Grim kann nur durch sein eigenes Schwert Nagelring besiegt werden! Ich habe es geschmiedet - und ich kann es euch beschaf fen. Doch erst versprecht mir die Freiheit, sonst sag' ich euch kein Wort!" Drohend blickte Hildebrand den Ränkevollen an und sagte: „Nun gut, so laufe. Uns das Schwert — dir die Freiheit. Wir warten hier auf dich. Wehe, wenn du dein Wort nicht hältst!" Dietrich ließ den Kleinen ins Moos springen, und schon war er zwischen Stein und Strauch verschwunden. Lange warteten die Helden, die Schatten der Nacht breiteten sich schon zwischen den Bäumen aus, da erschien Alberich und brachte das gute Schwert Nagelring. Bis an einen hohen Fels führte er die Helden und zeigte ihnen von weitem die Höhle, wo die räuberischen Riesen hausten. Dann verschwand er kichernd im Tann. Kampflustig schlichen Dietrich und Hildebrand heran an die Höhle, da sahen sie Grim, wie er sich ein Wildschwein am Spieße briet. Doch im Schein des Feuers gewahrte der Riese die Fremden. Brüllend fuhr er auf, sprang zur Truhe, sein Schwert zu holen, und fand es nicht. Nun erst recht wütend, packte er einen der bren
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nenden Äste und schlug auf seine Gegner ein, daß im Nu Funken und Rauch die Höhle füllten. Hei, wie wehrte sich da Jung-Dietrich mit Hieb und Stoß! Doch als Hildebrand einem Schlag auswich, da packten ihn von hinten zwei Fäuste um den Hals. Hilde, die kraftstrotzende Frau des Riesen, war es, die dem Alten mit ihren knöchernen Fingern fast den Hals zudrückte. Über das vorgestellte Bein riß sie ihn zu Boden und würgte den Betäubten und schlug auf ihn ein, so daß er kaum noch rufen konnte: „Hilf, Dietrich, hilf!" Als dieser die Not des Meisters sah, schwang er das Schwert Nagelring so wuchtig, daß Grim von dem Schlag zur Seite in die Flammen geworfen wurde und darin umkam. Ein Sprung - dann war Dietrich neben Hildebrand und erschlug die Riesenfrau mit einem einzigen Hieb. Da erhob sich der Alte, stolz blickte er seinem Retter in die Augen und sagte: „Du hast die Meisterprobe bestanden! Ich will in den Landen zeugen von deinem Ruhm." Als sie sich in der Hausung der Waldriesen umsahen, fanden sie einen prächtigen Helm, nicht minder kostbar als das Schwert Nagelring. Dietrich nahm ihn mit und nannte ihn Hildegrim, zur Erinnerung an seinen ersten Kampf. Dietrichs Ruhm drang auch nach Bern zu seinem Vater Dietmar. Der König entbot Dietrich und Hildebrand zu sich und ließ ein Fest richten. Als die Führer
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und Fürsten der Amelungen beisammen waren, mußte Jung-Dietrich vor den Hochsitz des Königs treten, und der Vater setzte ihm die Krone des Lampartenreiches aufs Haupt. Fortan nannte sich der junge Recke „König von Bern".
Heime fordert König Dietrich Der Ruhm des Königs von Bern war auch über die Alpen gedrungen, man pries seinen Heldenmut sogar in den Berghöfen des Schwarzwaldes. Hier lebte der Bauer Studas, dessen Pferdezucht großes Ansehen genoß. Heime hieß sein Sohn. Finster von Angesicht war Heime, klein, aber von gewaltigem Körperbau. Daher nannten ihn die Bauern Heime, nach einem ungeschlachten Lindwurm, der in den Klüften des Schwarzwaldes hauste. Eines Tages sagte Heime zu seinem Vater, er wolle weder Rosse züchten noch den Acker bestellen, vielmehr dränge es ihn, Dietrich von Bern zum Zweikampf herauszufordern. In voller Rüstung stand Heime vor dem Vater, sein geliebtes Schwert Blutgang hielt er in der einen Faust, an der anderen seinen Streithengst Rispe. Erstaunt betrachtete Studas den Ritter, in dem er seinen Sohn fast nicht erkannt hätte. Dann schüttelte er das Haupt und sagte: „Du bist ein Wirrkopf. Nimmer
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mehr wird aus einem Bauern ein Ritter, und wäre seine Rüstung aus purem Gold. Und wer weiß, ob du mit dem Leben davonkommen wirst. Bleib daheim!" „Vater, ich werd' dir's zeigen", antwortete der Schwarzlockige, schwang sich in den Sattel und ritt zum Tor hinaus. Ungestüm drängte Heime vorwärts, über Berg und Tal, durch Moor und Heide und über die hohen schneebedeckten Pässe der Alpen. Als ihn der sonnige Himmel Italiens grüßte, jauchzte er auf vor Freude. Vergessen waren die Unbilden der Reise, die Kämpfe mit Wolf und Bär, mit Wildeber und Auerochs. Heime konnte es kaum erwarten, daß Rispe ihn endlich durch das Tor der Burg von Bern trüge. König Dietrich saß in fröhlicher Runde mit seinen Schwertgenossen beisammen, plötzlich war am Eingang zur Königshalle ein Klirren und Stampfen zu hören: ein Ritter in voller Rüstung kam herein. Ohne höfische Sitte zu wahren, schritt er auf den König zu, herausfordernd stand er da und sagte: „Ich bin Heime, des Bauern Studas Sohn, aus dem Schwabenland. Und wenn Ihr König Dietrich seid, so fordere ich Euch zum Zweikampf heraus!" Den Herren in der Runde stockte das Wort im Munde, dann lachten sie schallend über den närrischen Bauern. Held Dietrich winkte ihnen zu schweigen, dann antwortete er: „Dem Sohn des Bauern soll gleiche Ehre widerfahren wie einem Ritter. An dir, Heime, liegt es zu zeigen, was ein Bauer aus dem Schwabenland kann."
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König Dietrich legte seine Rüstung an, dann begab er sich mit Heime und seinen Rittern hinaus zum Turnierplatz. Meister Hildebrand gab das Zeichen zum Kampf, dann legten die Streiter die Speere ein und stürmten auf einander los. Krachend fuhren die Speere gegen die Schilde, aber die Reiter hielten sich im Sattel. Sie galoppierten aneinander vorbei, wendeten und ritten zum zweiten Mal an. Mit voller Wucht trafen sie gegeneinander, keiner von beiden wankte, doch Dietrichs Roß stolperte und sank zu Boden. Da sprangen die Streiter aus den Sätteln, hoben die Schilde und drangen mit den Schwertern hart aufeinander ein. Bald erwies sich der waffengeübte Dietrich als der bessere Fechter, mit dem guten Nagelring brachte er dem Schwaben gefährliche Hiebe bei. Wütend ließ Heime seine Waffe auf Dietrichs Haupt niedersausen, aber da zerbrach die Klinge an Dietrichs Helm Hildegrim. Mit dem Knauf in der Hand stand Heime da, er glaubte sich verloren, doch wie ein Held erwartete er den Todesstreich. König Dietrich ließ Nagelring sinken und trat zurück. „Heime", sagte er, „du hast tapfer gekämpft. Ich schenke dir das Leben, denn gar ruhmlos handelt, wer einen Wehrlosen tötet. Du hast dich bewährt, drum will ich dich, den Sohn des Bauern, unter meine Schwertgenossen aufnehmen. Fortan sollst auch du heißen 'Dietrichs Gesell'!" Da war Heimes sehnlichster Wunsch erfüllt, und frohen Herzens legte er den Treueid ab. Hernach sagte er
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zu König Dietrich: „Leicht ist Euer Roß von meinem Speerstoß zusammengebrochen. So könnte es Euch noch oft ergehen, darum wolltet mir erlauben, daß ich Euch aus meines Vaters Zucht ein besseres Streitroß schenke." Darüber freute sich Dietrich von Bern. Nach wenigen Tagen ritt Heime in den Schwarzwald, und bald kehrte er zurück mit einem Hengst, der war schwarz wie die Nacht. Dieses edle Roß, das er Falke nannte, schenkte er dem König, und Dietrich und Falke blieben Freunde, bis der König den letzten Ritt auf Erden tat.
Wittich, Wielands starker Sohn Weit von Bern entfernt, im Norden, lag die Insel Seeland, wo Wieland der Schmied mit seiner Gemahlin Badhild und seinem Sohn Wittich lebte. Obwohl Wieland an beiden Füßen gelähmt war - die Schergen König Nidungs hatten ihm einst die Sehnen durchgeschnitten -, fertigte er prächtige Waffen und kostbares Geschmeide an. Der Ruhm des Helden von Bern war bis an des Nordlands Küsten gedrungen, doch auch Wieland war in allen Landen berühmt. Gern hätte Wieland seinen Sohn, den stolzen Wittich, zu einem kunstreichen Schmied erzogen, doch Wittich träumte von Männerstreit und Heldenruhm. So viel hatte er über seinen Großvater Wate und König
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Nidung gehört, daß er ein Ritter werden wollte. Lächelnd fragte Wieland den Hochstrebenden, wo er denn Ruhm gewinnen wolle. „Über das Gebirge will ich reiten, ins Land der Amelungen! Dietrich von Bern will ich zum Kampf fordern! Doch eins ist gewiß, Vater: ich werde nur bestehen können, wenn ich eine gute Rüstung habe!" „Daran soll es dir nicht fehlen", versprach Wieland. „Kommt deine Tapferkeit der guten Wehr gleich, dann magst du ein gefürchteter Streiter werden." Einen prächtigen Helm, den ein goldener Drache krönte, schmiedete Wieland. Wohlgefügt war die Brunne, und wie von Silber blinkte der Schild, in den der Meister drei Steine eingefügt hatte, die gar des Nachts leuchteten. Am kostbarsten aber war das Schwert. Als letztes gab es Wieland dem Sohn und sagte mit warnender Stimme: „Wohl keine Klinge wüßte ich weit und breit, die besser wäre als Mimung. Nur zu ehrlichem Kampf sollst du ihn schwingen, und nichts anderes als der Tod darf dich von ihm trennen!" Wittich versprach dem Vater in die Hand, nur ehrenvoll zu streiten, nahm Abschied von den Eltern und verließ auf dem windschnellen Roß Schimming seine Heimat Seeland. Monde vergingen, bis der Abenteuerlustige die Gaue der Deutschen hinter sich gelassen hatte und zu den Saumpfaden der Alpen gelangt war. Kein Unwetter konnte ihn hindern, die hohen Pässe zu überwinden,
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und bald trabte Schimming bergab nach Süden. Doch am Wildwasser der Eisack fand Wittich weder Brücke noch Steg. Kurz entschlossen sprang der Seeländer vom Pferde, band es an einen Baum, entkleidete sich und suchte im wild tobenden Gebirgsfluß nach einer Furt. Hart mußte er mit den wirbelnden Wassern ringen, und oftmals verschwand er unter dem Gischt, Da kamen am Ufer drei Reiter entlanggeritten. Der eine von ihnen reckte sich im Sattel, er hatte den kühnen Schwimmer entdeckt. „Was bewegt sich denn da zwischen den Strudeln?" rief er. „Gehört der Blondkopf einem Menschen oder einem Unhold?" Wittich hatte die Worte gehört. Rasch schwamm er ans Ufer, kleidete sich an und trat vor die erstaunten Reiter. „Da seht ihr, ich bin ein Mensch!" sagte er und fügte stok hinzu: „Wittich heiße ich und bin Wielands Sohn. Nach Bern reite ich und will König Dietrich zum Zweikampf fordern!" Da lachte der Alte mit dem Barte dröhnend und versprach, den Brausekopf zu König Dietrich zu führen. Denn er war Meister Hildebrand, die beiden Begleiter waren Heime und der Wendenfürst Hornboge. Freudig schlug Wittich in die dargebotene Rechte Hildebrands ein, auch Hornboge begrüßte Wielands Sohn mit Wohlwollen. Dagegen Heime reichte die Hand nur widerstrebend, denn noch immer plagte ihn Neid vor einem Ritterbürtigen. Gemeinsam ritten sie weiter, um noch vor der Stadt Brixen die Eisack zu überqueren. Dort wußten sie eine
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Brücke. Als sie jedoch diese Stelle erreichten, fanden sie die Brücke zerstört. Räuber standen am jenseitigen Ufer und riefen höhnende Worte herüber. Da gab Wittich seinem treuen Schimming die Sporen, und mit gewaltigem Sprung gewann der Hengst das Ufer, wo Wittich sofort auf die verblüfften Wegelagerer einhieb. Hildebrand und Hornboge setzten nach, aber sie stürzten in die Eisack. Mit Mühe nur konnten sie dem eiskalten Bad entkommen. Indes sich ihre Pferde am Ufer emporarbeiteten, folgte Heime, leicht übersprang Rispe den Fluß. Doch er sah zu, daß Hildebrand und Hornboge die anderen Räuber erschlugen, die Wittich noch nicht erreicht hatte. Hildebrand staunte über Wittichs Kraft; schwer würde König Dietrich gegen ihn zu kämpfen haben. Nun setzten die Reiter ihre Reise talabwärts fort, und bald ritten sie auf Burg Garden ein. Freundlich wurden sie von Frau Ute empfangen und reichlich bewirtet, dann legten sie sich nieder zum wohlverdienten Schlaf. Meister Hildebrand wachte bald wieder auf; er bedachte, was Wittich ihm gesagt hatte. Die vortreffliche Rüstung hatte er gepriesen, die sein Vater Wieland ihm geschmiedet hatte. Besonders vertraute er auf seinen festen Helm, und mit seinem Schwert Mimung hoffte er auch König Dietrich zu bestehen. Da erhob sich der getreue Hildebrand, schlich sich zu Wittichs Lager und vertauschte den Mimung mit einem Schwert, das täuschend ähnlich aussah. Beruhigt gab er sich wieder dem Schlaf hin: nun konnte Wittich nicht den Mimung gegen seinen Herrn führen.
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In der Frühe des nächsten Tages verließen die Helden Burg Garden, noch am selben Tage erreichten sie Bern. Der Wächter kündete vom Turm ihre Ankunft, und König Dietrich ging ihnen bis zum Burghof entgegen. Freudig begrüßte er sie, Hildebrand, Hornboge und Heime. Doch wie, hatte er Wittich gar nicht bemerkt? Ihm reichte er nicht die Hand, ihm gönnte er kein Wort, sondern wandte sich der Burg zu. Da ward Wittich von Zorn gepackt. Den Eisenhandschuh riß er sich von der Hand und schleuderte ihn dem Amelungenfürsten vor die Füße. Das war die Aufforderung zum Zweikampf! Doch König Dietrich nahm sie nicht an. Höhnend sagte er: „Wer ist denn der Bursche? Ich gebe doch nicht jedem landfremden Fant die Ehre!" Da fuhr Wittichs Hand zum Schwert, und es hätte Unheil gegeben, wenn nicht Hildebrand dazwischengesprungen wäre. „König Dietrich", erklärte er, „du hast einen tapferen Mann gekränkt! Der da ist Wielands Sohn, des berühmten Schmiedes von Seeland! An der Eisack hat er vor unseren Augen Proben seines Mutes gezeigt. Er ist des Zweikampfes wohl würdig!" Da ward Dietrich anderen Sinnes, und die Recken begaben sich hinaus auf die Turnierbahn. Wild preschten sie aufeinander zu, doch Wittich rührte sich nicht einmal im Sattel, als Dietrichs Speer ihn traf. Im zweiten Gang kämpften sie zu Fuß. Wohlgezielt und wuchtig blitzten König Dietrichs Schläge in der Luft, doch Wittich fand kluge Gegenwehr und stand seinen Mann.
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Da, ein harter Hieb des Seeländers - sein Schwert zerbrach! "Wehrlos stand Wielands Sohn da, und ihm entfuhren die Worte: „Schlecht hast du das Schwert geschmiedet, Vater, nun bringt's mir den Tod." Schon schwang Dietrich die Klinge über dem Haupt des kühnen Herausforderers, da warf sich Hildebrand dazwischen. „Halt, o König", rief er aus, „schlecht war der Kampf, ich hab' Euch getäuscht!" Als der Berner aufbegehrte, nahm Hildebrand das Schwert an seiner Seite aus dem Gehenk und rief: „Das hier ist Mimung, Wittichs Schwert! Dich, Dietrich, zu schützen, hab' ich es vertauscht. Wittich, nimm dein Eigentum, nun mag das Schicksal walten!" So wurde der Kampf von neuem begonnen, und bald war es Dietrich, der sich der wütenden Hiebe des Gegners kaum erwehren konnte. Erbittert hieb der Nordlandrecke auf den Amelungen ein. Stücke schlug er aus dem Panzer, ja Mimung drang sogar durch den Helm Hildegrim und verwundete Dietrich. Als Hildebrand seines Königs Blut fließen sah, gebot er dem Kampfe Einhalt und hieß die Streitenden einander die Hände zum Zeichen des Friedens reichen. Da sanken die Schwerter, und die Helden versöhnten sich miteinander. Dietrich, noch erschöpft vom Kampf, sagte: „Hart hast du mir zugesetzt, Wittich, nun sei mein Schwertgenosse! Wir wollen Treue geloben bis in den Tod. Auch dich heiße ich von heute an Dietrichs Gesell!"
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Dietrich gewinnt das Schwert Eckesachs Jenseits des Gebirges, hinter tiefen Schluchten im dunklen Tann, lebten zwei kühne Waldgesellen, Ecke und Fasold, von niemand besiegt, denn sie hatten Bärenkräfte. Dietrich von Bern erhielt Kunde davon, daß Ecke ihm den Tod geschworen hatte. Obgleich er noch nicht genesen war von seinen Wunden, die er im Kampf gegen Wittich empfangen hatte, ritt er aus zum Streite. Niemand wußte, wohin der König ausgezogen war. Als dann der Berner den Kamm des Gebirges überwunden hatte, merkte er, wie matt er noch war, und beschloß umzukehren. Zu beschwerlich war der Ritt in dem tiefen Wald. Doch das Unglück wollte, daß er auf Ecke stieß, der einen Bären verfolgte. Da tiefe Dunkelheit über dem Tann lag, verstellte Dietrich sich, als ob er Heime sei. „Nein", rief Ecke zornig, „du bist der Gotenkönig, ich erkenne dich an deiner Stimme. Stell dich zum Kampf." Der König fühlte sich viel zu schwach zum Kämpfen, darum schlug er dem riesenhaften Waldmenschen vor, erst dann die Klingen zu kreuzen, wenn es Tag geworden sei. Aber Ecke höhnte und spottete über die Maßen; so hoffte er den Verhaßten zum Kampf zu reizen. Als Dietrich noch immer den ungleichen Kampf verweigerte, rühmte Ecke sein Schwert Eckesachs. Alberich, der Zauberschmied selbst, habe die Wunderwaffe geschmiedet, daran würde auch Dietrich zuschanden werden. Doch erst als er den Amelungen der Feigheit zieh,
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vergaß Dietrich seinen Vorsatz und zog sein Schwert Nagelring. Doch, o weh, es kam, wie der König gedacht: er war viel zu schwach, um Eckes Streichen begegnen zu können. Und er merkte, daß Eckesachs ein vortreffliches Schwert war. Dietrich wollte nun sein Heil im Nahkampf suchen, warf sein Schwert hin und packte den wilden Jäger an der Brust. Keuchend rangen die Gegner miteinander, doch bald lag Dietrich am Boden, unter dem Knie des Waldriesen, der ihm die Kehle mehr und mehr zudrückte. Schon gab sich König Dietrich verloren, da dröhnte der Boden unter polternden Hufschlägen - mit wildem Schnauben drängte sich ein Roß durch den dichten Tann. Dietrichs treues Pferd Falke war es! Mit kräftigen Hufschlägen schleuderte es den Mordlustigen weg von seinem Herrn. Staunend gewahrte Dietrich, als er sich erhob, wie Falke auf dem Riesen herumtrampelte, der hilflos im Moos lag. Nun kannte der Berner keine Gnade, sondern er erschlug Ecke. Erschöpft lehnte er sein Haupt an den Hals des edlen Hengstes und murmelte: „Treu warst du wie der beste meiner Schwertgenossen. Bis an dein Ende will ich dir gut sein, mein braver Freund Falke," Den Eckesachs aber nahm Dietrich als sein Eigentum an sich. In der stärkenden Luft der Wälder gewann Dietrich nach wenigen Tagen seine Kraft wieder. Als er heimreiten wollte, warf sich ihm Fasold, Eckes Bruder, entgegen. Er wollte den Gefallenen rächen und zwang in sei
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ner Wut Dietrich zur Aufbietung all seiner Kräfte. Erst nach erbittertem Kampf gelang es Dietrich, auch diesen räuberischen Riesen zu erschlagen. Frohgemut und zu neuen Taten bereit, ritt er heimwärts. Im Kreise der Freunde feierte Dietrich seine Heimkehr, da trat ein seltsamer Gast in die Halle. Niemand kannte den großen Mann, der, im Fell eines Bären, hereinkam bis vor Dietrichs Sitz. Tosendes Gelächter empfing den Bärenmann, bösen Spott bekam er zu hören, und die Knappen begannen, an seinem Fell zu zerren und zu zupfen. Da donnerte sie Wittich an, das Gastrecht zu achten. König Dietrich stimmte ihm zu, ja, er sagte: „So wert ist mir der Fremde, daß ich bereit bin, ihn in den Kreis meiner Schwertgenossen aufzunehmen, wenn er ein tapferer Mann ist!" Da ließ der Vermummte das Fell fallen. Ein stolzer Jüngling stand vor der erstaunten Tafelrunde, freudig sagte er: „Dank dir, König Dietrich! Wisse, ich bin edler Herkunft, doch meinen Eltern wurde bei meiner Geburt vorausgesagt, ich müsse eines frühen Todes sterben, wenn mich nicht König Dietrich unter seine Gesellen aufnähme, ohne mich zu kennen. Wildeber heiße ich, will gern Freud und Leid mit euch allen teilen!" Wenig später wurde König Dietrich von seinem Oheim, dem Kaiser Ermanarich zu Rom, eingeladen, mit seinen Gesellen an einem Fest teilzunehmen. Unverzüglich ritt Dietrich mit den Seinen die Straße nach Rom hinab. Unterwegs schloß sich ihnen ein junger Rit
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ter an. Er heiße Dietleib und stamme aus dem Nordland, so erzählte er und fand mit seinem kecken, frischen Wesen rasch Freunde. Viel später erst erfuhr Dietrich, daß der Jüngling der Sohn des Westgotenkönigs Biterolf war, der als Lehnsmann König Etzels im Steierland waltete. In Rom wurde der hohe Gast aus Bern mit seinem Gefolge freudig empfangen, und in prächtigen Quartieren wurden sie untergebracht. Anders Dietleib, ihn wies Dietrich zu den Zelten, wo seine Knechte und Dienstmannen wohnten. Nur einen Augenblick grämte sich Dietleib, dann beschloß er, sich für die Zurücksetzung „königlich" zu rächen. Neun Tage währte das Fest am kaiserlichen Hof, und auch neun Tage dauerte das Fest, das Dietleib den Dienstmannen König Dietrichs gab. Der Schalk ließ schönere Speisen und Getränke auftischen, als es sie an des Kaisers Tafel gab, und die besten Spielleute Roms jubilierten in den Zelten. Als Diedeib kein Geld mehr hatte, verkaufte er Rosse und Waffen der Helden, die an des Kaisers Tafel saßen. Selbst die edlen Pferde Rispe und Falke gab er für bares Geld her. Natürlich wurde der böse Streich offenbar, als König Dietrich am zehnten Tage die Rosse zur Heimkehr satteln hieß. Keck, doch ehrerbietig, trat Dietleib vor Dietrich hin und sagte: „Stets, wenn ich mit Fürsten sprach, ward mir Speise und Trank geboten. Verzeiht, wenn ich mir also das Gastrecht selbst gewährte."
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König Dietrich wollte dem Übermütigen den Streich gern nachsehen, da rief Walther von Wasgenstein, ein Neffe des Kaisers, unmutig aus: „Das sind die Jungen von heute! Können sie auch etwas anderes als den Becher schwingen?!" Dietleib, nicht faul, forderte den Schmähenden zum Zweikampf auf der Stelle heraus. Nun erwies sich der Schelm auch als Held, binnen kurzem hatte er den bejahrten Recken Walther besiegt. Lachend verlangten die Umstehenden, nunmehr müsse Herr Walther ein ritterliches Lösegeld zahlen. Freudestrahlend bat Dietleib, dann möge er sogleich die Rosse und Waffen zurückkaufen. Also geschah es, und die Berner konnten heimreiten. Manch munteres Gespräch gab es unterwegs, und fröhliches Lachen ertönte. König Dietrich aber nahm den jungen Brausewind in den Kreis seiner Schwertgenossen auf.
Die Fahrt ins Hunnenland Wenig später wurde Kaiser Ermanarich zur Heerfahrt ins Hunnenland gebeten. Eine Gesandtschaft von kleinen Reitern mit gelblicher Gesichtsfarbe, mit schwarzen Augen und Haaren, auf struppigen Pferdchen war erschienen. Sie hatten den Kaiser gebeten, ihrem Herrn, dem König Etzel, gegen die übermächtigen Wilzen bei
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zustehen, die unter ihrem König Oserich von Norden her eingefallen waren. Oserich war der Vater von Etzels Gemahlin Helche, die einst von Markgraf Rüdiger von Bechlarn für Etzel geraubt worden war. Da zog König Dietrich mit seinen Gesellen und fünfhundert Kriegern gen Osten, wo sich an der Donau Etzels Burg erhob. Freundlich wurden die Gotenhelden aufgenommen. Beim Gastmahl lernte Dietrich auch des Königs Gemahlin, Frau Helche, kennen und deren Nichte, die schöne Herrat. Als Frau Helche bat, einen Ritter zum Schutz ihrer Söhne Scharf und Ort zurückzulassen, bestimmte Dietrich dazu den jungen Dietleib. Er sollte die Knaben auch im Gebrauch der Waffen üben. Darüber war Dietleib bitterböse. Donauaufwärts zog Dietrich mit seinen Mannen, und mit ihnen ritten viele tausend Hunnen. Unterwegs gesellte sich ihnen noch König Biterolf hinzu mit unerschrockenen Kämpen aus dem Steierland. Bis an die Gebirgspässe zogen sie den Wilzen entgegen, die schon ins Land eingedrungen waren. Hier erwartete der Wilzenkönig Oserich den Feind. Kaum hatten auf beiden Seiten die Hörner zum Angriff geblasen, da sprengte noch ein Ritter mit heruntergelassenem Visier auf den Kampfplatz. Dietleib war es, der es nicht bei Etzels Knaben ausgehalten hatte. Dann prallten die Heere aufeinander, und mit aller Wucht warfen sich Oserichs kriegserprobte Scharen gegen die Mitte des Feindes, wo das Banner der Berner wehte. Fürchterlich wüteten Speere und Schwerter,
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doch bald gelang es Dietrichs Mannen, die Wilzen in die Flucht zu schlagen. Den Verfolgern weit voraus ritt Held Wittich, da traf er auf den gewaltigen Widolt, der mit einem eisenbeschlagenen Stamm wild um sich schlug. Einer der am meisten gefürchteten Wilzen war er, den gewaltigen Eichenstamm konnte er schwingen wie einen leichten Speer. Auf sein Schwert Mimung vertrauend, holte Wittich aus, doch warf ihn Widolts Eichenstamm aus dem Sattel. Hart stürzte er auf die Erde, wo er ohnmächtig liegenblieb, indes die Rosse der Hunnen und Berner feindwärts über ihn hinwegsetzten. Tapfer hatte Heime, der Schwabenrecke, gekämpft; zu Beginn der Verfolgung ließ er seinen Hengst Rispe verschnaufen, dann jagte er den Seinen nach. Plötzlich stockte Rispe und bäumte sich auf. Heime blickte auf den Boden, dort lag ein Mensch. Heime erkannte Wittich und sah auch, daß er noch das Schwert Mimung in der Hand hielt. Eilends sprang er vom Pferd, nahm Mimung an sich und galoppierte dem Kampfplatz zu. Inzwischen war noch Markgraf Rüdiger von Bechlarn mit seinen Scharen dem Heere König Etzels zu Hilfe gekommen. Als die Dunkelheit hereinbrach, hasteten die Wilzen in wilder Flucht davon, die Schlacht war gewonnen. Obgleich die Hörner die Krieger zum Sam meln riefen, kämpften noch zwei Recken in der Dunkelheit gegeneinander. In toller Verbissenheit kreuzten sie die Klingen. Da kam Rüdiger von Bechlarn herangesprengt und hieß sie vom Streite ablassen. Der ältere
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von beiden Recken ließ Schild und Schwert sinken, widerstrebend nur gehorchte der jüngere. Doch wie staunten sie beide, nachdem sie den Helm abgenommen hatten: Dietleib war der eine Recke und der andere König Biterolf, sein Vater! Erfreut sanken sie sich in die Arme, und jedermann wußte von nun an, daß Dietleib der Sohn des Westgotenkönigs war. Noch vor Tagesanbruch ritt der Wilzenkönig Oserich mit geringer Schar über das Schlachtfeld, um zu erkunden, ob der Feind abzöge. Da sah er neben einem gefallenen Berner ein prächtiges Roß stehen und wollte es mit sich nehmen. Sein Blick fiel auf den Schild des Toten: Hammer, Zange und Amboß waren auf weißem Grunde abgebildet. Nun wußte Oserich, daß der Tote Wittich war, Wielands Sohn. Eifrig suchten auf des Königs Geheiß seine Mannen nach dem berühmten Schwert Mimung, der kostbarsten Beute für einen Kämpfer. Als sie die Klinge nirgends fanden, wähnten sie, der Tote liege darauf, und sie hoben Wittich auf. Plötzlich wurden sie gewahr, daß Wittich lebte, denn er flehte um einen Trunk Wasser. Da legten sie den Verwundeten auf eine Decke, die sie zwischen zwei Pferde banden, und nahmen Wittich als Gefangenen mit in ihre Hauptstadt. Oserich bot König Etzel durch Boten an, nie mehr gegen die Hunnen zu kämpfen, wenn ihm nun Frieden gewährt würde. Also geschah es, und Etzels Heere kehrten heim. Doch keiner von den Helden konnte sich recht freuen, als man in der Etzelburg zu Ofen den Sieg fei
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erte. Obgleich sie das Schlachtfeld vergeblich nach Wittichs Leichnam abgesucht hatten, glaubten sie, der Schwertgenosse sei tot. Heime aber, der allein die Wahrheit wußte, schwieg. Dietrich hoffte die Schatten der Traurigkeit zu verjagen, wenn der Sänger Isung ihnen ein Lied sänge. Doch der Held, ein Verwandter von Wittich, schüttelte das Haupt und sagte: „Wie könnte ich in die Saiten greifen, wenn Wittich tot ist! Es geschähe niemand zur Freude. Doch vielleicht wissen die Wilzen von Wittichs Ende. Darum erlaubt mir, König Dietrich, daß ich über die Pässe ziehe und drüben nach Wittich suche." Da sprang Wildeber von seinem Sitz auf und bat den König, ihn mit Isung ziehen zu lassen. Wenn Wittich lebe, so setze er seinen Kopf dagegen, daß sie den Freund zurückbrächten. Dietrich freute sich über die edle Gesinnung der beiden Recken und verhieß ihnen königlichen Lohn. Unverzüglich machten sich Isung und Wildeber auf die gefahrvolle Reise. Nahe vor der Hauptstadt der Wilzen griffen sie zu einer List: Wildeber vermummte sich so geschickt in ein Bärenfell, daß er wie ein Tanzbär aussah, und Isung, als umsichtiger Bärenführer, wußte Wildeber vor Entdeckung zu schützen. Bei einem Schankwirt, nahe bei der Burg, fanden die Getreuen Herberge zur Nacht. Wildeber mußte im Stall, an die Kette gelegt, auf hartem Boden schlafen, während Isung wohlig im weichen Pfuhl träumte. Zuvor hatte Isung von dem Wirt erfahren, daß Wittich im Turm auf der ande
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ren Gassenseite gefangengehalten wurde. Geschwind war er in den Stall geschlichen, wo die Freunde besprachen, wie sie Wittich befreien wollten. Am nächsten Morgen stellte Isung seinen Tanzbären zur Schau, immer in der Nähe des Turmes, um Wittich bei günstiger Gelegenheit ein Zeichen zu geben. Doch es kam anders. Denn angesichts des tanzenden Bären, der sich lustig zu Isungs Flöte im Kreise drehte, fand sich viel Volk ein. Das fiel König Oserich auf, der gerade von der Jagd heimkehrte. Nicht lange sah er dem Spiel zu, da ließ er die Meute von der Koppel lösen und hetzte die Jagdhunde auf den Bären. Häßlich lachte Oserich, als seine Hunde des Bären Fell zerzausten, da aber setzte es plötzlich einen solchen Wirbel von Schlägen, daß keiner der Wilzen recht begriff, was nun geschah. Mit kräftigen Hieben hatte Wildeber die Hunde vertrieben, so daß sie aufheulend davonstoben. Darüber erboste sich König Oserich, zog sein Schwert und wollte dem Bären den Garaus machen. Blitzschnell entriß Wildeber dem vor ihm stehenden Widolt die schwere Eisenkeule, schlug den Riesen nieder, warf mit dem nächsten Schlag einen Angreifer zu Boden und schwang die Waffe gegen den König. Oserich aber machte sich entsetzt aus dem Staube, und alles Volk verschwand in den Gassen. Zu Beginn des Getümmels war Isung zum Turm geeilt, hatte Wittich geschwind befreit, Schimming und zwei schnelle Renner aus dem Stall geholt, und dann sprengen die beiden Recken im Galopp zum Platz.
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Rasch entledigte Wildeber sich des nützlichen Bärenfel les, schwang sich auf das dritte Pferd, und dann jagten sie zum Tor hinaus. Ehe Oserich Wittich vermißte, hatten die Kühnen mit dem Befreiten bereits die Grenze überschritten. Als die drei Reiter nach einigen Tagen Etzels Burg erreichten, wurden sie mit donnernden Jubelrufen begrüßt. Die Berner alle schüttelten Wittich die Hand, nur Heime vermied es. Er schwieg auch, als Wittich hernach in fröhlicher Runde berichtete, daß er den Verlust des Mimung betrauere. „Tröste dich, guter Gesell", sagte da Meister Hildebrand, „kein Wilze besitzt Mimung. Wenn ich richtig sehe, befindet es sich hier in der Halle." Dabei blickte er hinüber zu Heime. „Was sagt Ihr da?" fuhr Wittich erregt auf. „Hier in der Halle Wielands gutes Schwert? Wo ist es?" „Das mag dir Heime verraten", antwortete Hildebrand. „An seiner Seite sah ich eine Klinge, täuschend ähnlich dem blitzenden Mimung." Noch ehe sich ihm aller Augen zuwandten, sprang Heime auf. Blutrot vor Scham rief er aus: „Mein ist Mimung! Neben einem toten Mann nahm ich ihn auf dem Schlachtfeld auf, so glaubte ich. Kein Feind sollte die Beute haben!" Da ward Wittich vom Zorn gepackt, rasch erhob er sich. Besorgt hatte König Dietrich den Streit aufkommen sehen, er kam dem Unheil zuvor, indem er zu Wittich sagte: „Gäste sind wir hier, ich kann nicht Richter
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sein. Belasse um meinetwillen den Mimung vorläufig Heime. Zum Pfand übergebe ich dir mein gutes Schwert Nagelring, das Alberich geschmiedet hat." Grollend fügte sich Wittich in des Königs Gebot, aber er gelobte sich, Heime den Streich heimzuzahlen. Alle kehrten sie nun heim. Markgraf Rüdiger ritt mit den Seinen donauaufwärts gen Bechlarn, König Biterolf und Dietleib strebten dem Steierland zu, und die Berner zogen die Heerstraße nach Tirol. Herzlich hatte Etzel den Gotenkönig verabschiedet. „Du hast mein Reich gerettet", sagte er zu Dietrich, „nimmer will ich vergessen, dir dafür dankbar zu sein. Gerätst du einmal in Not, dann will ich dir in Treue zur Seite stehen!" Als die Berner an der Donau nach Westen ritten, sah sich König Dietrich noch einmal um. Im roten Abendsonnenschein sah er Etzels Burg liegen, und er ahnte nicht, wie ihn dort dereinst das Schicksal treffen würde. Am Fuß der Alpen, wo die große Heerstraße von der Donau her nach Süden abbiegt, trafen Kaiser Ermanarichs Boten auf König Dietrich. „Herzog Rimstein in der Feste Germersheim am Rhein", also lautete ihr Auf trag, „hat die Tributzahlungen an den Kaiser eingestellt und verweigert den Gehorsam. Ziehe gen Germersheim und unterwerfe den Unbotmäßigen!" So zog der Berner gen Germersheim, aber die Tore von Stadt und Burg blieben ihm verschlossen. Obgleich der Herbst für Dietrichs Scharen viel Ungemach brachte, ließ der König des Herzogs Feste belagern. Als gar
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der Winter nahte mit großer Kälte, gedachte Dietrich, die Belagerung aufzuheben. Da brachte Wittich von Seeland die Wendung. Wie er schon oft getan, ritt er in der Früh auf Kundschaft um die festen Mauern. Diesmal gewahrte er, wie aus einem geheimen Pförtchen der Herzog mit Kriegern vorsichtig heraustrat, wohl um zu spähen, was die Berner machten. Hinter einem Busch verborgen, ließ Wittich die Schar herankommen. Da, als er den Herzog erkannte, stürzte er hervor und hieb die Germersheimer bis auf den letzten Mann nieder. Überglücklich waren die Berner, daß sie nun Kälte und Morast verlassen und in die Wärme Italiens zurückkehren konnten. Und König Dietrich geizte nicht mit Lob für Wittich. Nur Heime konnte sich nicht enthalten zu schmähen: „Dazu bedurfte es keines großen Mutes, harmlose Leute hinterrücks zu erschlagen!" Da kannte Wittich in seinem Zorn keine Hemmung mehr. Wütend riß er Heime das Schwert Mimung von der Seite, warf ihm Nagelring hin und forderte ihn auf der Stelle zum Kampf auf Leben und Tod. Rasch trat der König zwischen die Streitenden, er verbot ihnen den Zweikampf. Unwillig rief Wittich, in diesem Fall müsse er dem König den Gehorsam verweigern. In heller Entrüstung warf er Heime vor, wie oft er sich schon gegen Wittich vergangen hatte. Ruhig verlangte Dietrich von Heime, er möge hierzu Antwort stehen. Aber Heime murrte, nichts habe er
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dagegen zu sagen, nun solle das Schwert entscheiden. „So höre meinen Spruch", sagte der König. „Hinfort bist du ausgestoßen aus dem Kreis der Schwertgenossen, weil du gegen die brüderliche Genossenschaft gehandelt hast. Nimm, was dir gehört, und verlaß uns auf immer!" Bleichen Angesichts nahm Heime Nagelring auf und ging davon. Viele ritterliche Abenteuer hat er auf seinem treuen Rispe weiterhin erlebt. Auf Seiten des Kaisers Ermanarich nahm er auch an der furchtbaren Rabenschlacht teil. Nachdem der König Stadt und Burg Germersheim eingenommen hatte, übergab er sie Sibich, dem Kanzler des Kaisers. Über die weißen Pässe zog er mit den Bernern heim. So sehr er sich auf sein Lampartenland freute, der Verlust Heimes ging ihm sehr nahe, denn Dietrich wußte, daß Studas Sohn der Tapfersten einer war.
König Laurins Rosengarten Biterolf, König im Steierland, weilte am Hofe seines Lehnsherrn, des Königs Etzel. Auch als es Frühling wurde, war er noch nicht in die Burg zurückgekehrt. An einem schönen Tag im Mai war nun sein Sohn Dietleib mit seiner Schwester Kühnhilde und vielen Edlen hinausgeritten zu den blumenübersäten Matten, in die grü
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nen Wälder. Im Schatten einer uralten Linde vergnügten sie sich an fröhlichen Spielen, haschten und versteckten sich. Nach einer "Weile wurde Kühnhilde von den Gespielinnen vermißt. Vergeblich suchten und riefen sie zwischen Felsen, Büschen und Bäumen. Kühnhilde war nicht zu finden. Die schöne Maid war indessen von einem Zwerg entführt worden. Gebannt von Kühnhildes Schönheit war er ihr gefolgt, bis sie weit genug von den Ihren entfernt war. Im Schütze seiner Tarnkappe hatte er sie gebunden und auf sein Roß gesetzt, das er im Tann verborgen gehalten hatte. Nach langem Ritt kehrten sie zur Nacht in einer kleinen Hütte ein. Der Zwerg versuchte, die Weinende zu trösten, und versprach ihr unermeßlichen Reichtum, wenn sie seine Gemahlin werden wolle. Als Kühnhilde dennoch ihre Freiheit wünschte, offenbarte ihr der Albe, er sei König Laurin, der Zwergenkönig. Wenn die Jungfrau ihm in sein Reich folge, werde sie es nie zu bereuen haben. König Biterolfs Tochter hatte schon viel von Laurin gehört, von seinem Reichtum und seinen Zauberkünsten. Ein mächtiger Mann war er, nicht häßlich anzusehen, doch eben ein kleiner Zwerg. So bat sich die Jungfrau Bedenkzeit aus, in der Hoffnung, bald von den Ihren befreit zu werden, und folgte Laurin in sein Reich. Tagelang ritten sie von Steierland nach Tirol, wo Laurins Schloß lag. Am letzten Abend, als rotgoldener Sonnenschein die Grate und Zinnen und Kuppen des
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hohen Gebirges in ein loderndes Flammenmeer tauchte, hielt König Laurin an. Stolz wies er hinauf und sagte zu Kühnhilde: „Seht hin, schönes Menschenfräulein, dort liegt mein Reich. Ich wünsche Euch von Herzen, daß Ihr dort glücklich werden möget!" Lange hatte Diedeib nach seiner Schwester gesucht. Umsonst hatte er in Tälern und Bergen Bauern und Hirten gefragt; niemand hatte Laurin gesehen, weil er sich und Kühnhilde stets die Tarnkappe aufgesetzt hatte. In seiner Not wußte sich der junge Recke keinen anderen Rat, als sein Roß zu satteln und zu Meister Hildebrand an den Gardasee zu reiten. Herzlich freuten sich König Dietrichs Waffenmeister und seine Gemahlin Ute, den sonst stets frohgelaunten Gesellen wiederzusehen. Nachdem Diedeib von seinem Kummer um Kühnhild berichtet hatte, sagte der vielerfahrene Hildebrand: „Wenn mich nicht alles täuscht, dann hat hier Zwergenkönig Laurin seine Hand im Spiel. Doch wer weiß es; darum wollen wir nicht grübeln, sondern im Lande suchen und forschen!" Vom Gardasee ritten sie nordwärts, und bald folgten sie dem Lauf der Flüsse nach Osten. In einem dichten Wald war es, da lief ihnen ein kleiner Waldschrat in den Weg. Rasch setzte Hildebrand dem Männlein nach und griff es, um leicht mehr über Laurin, den Herrn über Zwerge und Waldgeister, zu erfahren. In seiner Angst erzählte der Schrat. Ein mächtiger König sei Laurin, sein Zaubergürtel gewähre ihm die
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Stärke von zwölf Männern. „Nach Belieben kann er sich mit einer Tarnkappe unsichtbar machen. Ein prachtvolles Schwert besitzt er und einen Zauberring, und reich ist er wie sonst niemand auf der Erde. Habt Ihr noch nicht von seinem herrlichen Rosengarten gehört? Ihn liebt Laurin über alles; weh dem, der es wagt, den Zwirn zu zerreißen, mit dem das Rosengehege umgeben ist! Nur einen Tagesritt weit ist es bis zum Rosenhag, aber ich warne Euch vor Laurins Zorn. Und gerade jetzt ist er böser Laune." „Wie kann ein so mächtiger und reicher Herr denn in ärgerlicher Stimmung sein?" spottete Meister Hildebrand und hoffte von ihm noch mehr zu erfahren. „Schweigt über das, was ich nun verrate", flüsterte der Schrat. „Die Jungfrau ist die Tochter eines Königs der Irdischen. Laurin möchte sie zur Gemahlin, aber wie weint immer und will weg von ihm. Am meisten aber fürchtet der Herr des Rosengartens, Ritter könnten wagen, die Schöne zu befreien." Nun wußte Hildebrand genug. Mit fröhlichem Gelächter ließ er den furchtsamen Schrat laufen und kehrte zurück zu Dietleib, dem er aber nur sagte, er hoffe nun herauszufinden, wo sich Kühnhilde aufhalte. Denn der Alte wollte nichts verraten, bevor er nicht alles König Dietrich berichtet hatte. Mit dem König zusam men wollte er die gefährliche Fahrt in Laurins Rosengarten wagen. An Dietrichs Tafelrunde in Bern berichtete Hilde
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brand von dem allmächtigen Zwergenkönig und dem zauberhaften Rosengarten. In so glühenden Farben wußte er alles zu schildern, daß König Dietrich darauf brannte, sogleich zu dem Abenteuer aufzubrechen und sich eine Rose aus dem Zaubergarten zu holen. Nur Wittich durfte den kampflustigen König begleiten, denn Dietrich wollte das Abenteuer nicht mit einer Übermacht bestehen. So mußten Hildebrand und auch Dietleib in Bern bleiben. Rüstig schritten am nächsten Morgen die Rosse aus und trugen die Helden auf dem Weg dahin, den Hildebrand dem König bezeichnet hatte. Nachdem sie den großen Wald durchquert hatten und auf schmalen Pfaden bergan geritten waren, gelangten sie zu König Laurins Rosengarten. Die Sage berichtet, hoch oben zwischen ragenden Felsen habe er gelegen und die Helden hätten im Talgrund Eisack und Etsch rauschen hören. Wie betäubt verhielten Dietrich und Wittich vor dem Blütenwunder der tausend und abertausend Rosen. Während noch Dietrich zagte, die Hufe der Rosse solche Pracht zertrampeln zu lassen, hatte sich Wittich schon aus dem Sattel geschwungen, sein Schwert gezogen und den wurzelharten Faden durchgeschlagen. In jähem Übermut begann der Wilde, mit dem Schwert im Rosenhag zu wüten. Doch siehe, da kam ein Zwerg herangeritten. Mißtrauisch hielt Wittich in seinem sinnlosen Werk inne und betrachtete mit Dietrich den kleinen Ritter. Von der Größe eines Rehs war das überreich geschmückte Pferd; der Reiter, in prächtiger Rüstung,
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trug ein goldenes Schwert an der Seite. An seinem Gürtel erkannten sie den Zwergenkönig Laurin; so hatte ihn Hildebrand beschrieben. Da fuhr der kleine Ritter sie auch schon an: „He, ihr Strauchdiebe, wer hat euch erlaubt, in meinen Rosengarten einzudringen! Das soll euch teuer zu stehen kommen! Jedem schlage ich den rechten Fuß und die linke Hand ab. Wehrt euch, ihr Frevler!" Schallend lachte der Seeländer, sprang in den Sattel und ritt an mit eingelegter Lanze. Doch wie hatte er sich verrechnet! Indes er den Kleinen verfehlte, warf Laurins Speer ihn aus dem Sattel, und im Handumdrehen stand Laurin mit gezücktem Schwert über dem Gestürzten, bereit, ihm Hand und Fuß abzuschlagen. Nun gab sich Dietrich zu erkennen und bat den Zwergenkönig, von Wittich abzulassen. „Wenn du Dietrich von Bern bist, grüße ich dich auf das herzlichste in meinem Land. Jenen soll trotzdem die gerechte Strafe treffen!" Ärgerlich schwang sich Dietrich in den Sattel, Laurin zu bezwingen. Da tauchten drei Ritter auf. Hildebrand war es mit Dietleib und Wolfhart, Dietrichs Neffen; besorgt um Dietrichs und Wittichs Heil waren sie gefolgt. „Halt ein!" rief Hildebrand. „So überwindest du ihn nicht! Kämpfe zu Fuß, nimm dem Alben den Zaubergürtel und verschaff dir mit Eckesachs Gehorsam! Der König befolgte den Rat seines treuen Waffenmeisters, entriß Laurin den Gürtel und setzte ihm hart mit
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dem Schwert zu. Da aber machte sich der Herr des Rosengartens mit seiner Tarnkappe unsichtbar und schlug so auf Dietrich ein, daß er blutete. Immer wieder hieb der Berner ins Leere. Schnell riet Hildebrand ihm, die Waffen hinzuwerfen, den Zauberer mit bloßen Händen zu greifen. Das Glück war mit Dietrich, endlich konnte er Laurin fassen und ihm die Tarnkappe vom Kopf reißen. Wie bat da der vorher so Übermütige um Gnade! Indes er sich dem harten Griff Dietrichs zu entwinden versuchte, rief er Dietleib zu: „So hilf du mir wenigstens, Herr Schwager! Oder hast du es noch nicht gewußt, daß Kühnhilde in meiner Gewalt ist und meine Gemahlin werden wird?" Geschwind sagte sich Dietleib, daß er seine Schwester nur mit Laurins Hilfe befreien könne, und er bat Dietrich, noch einmal Gnade vor Recht ergehen zu lassen. So erhielt Laurin die Freiheit, nachdem er beschworen hatte, Frieden zu halten. Er lud nun Dietrich und seine Ritter ein, ihn in seinem Palast zu besuchen. Gern folgten die Recken, doch Dietrich steckte die Fetzen des Zaubergürtels insgeheim zu sich. Neugierig waren sie alle auf Laurins Wunderreich, doch auch voller Mißtrauen.
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Der Verrat des Zwergenkönigs Über Matten voll von herrlichen Blumen wurden die Recken zu dem Tor geleitet, das am Fuße des Berges lag, darin Laurins Palast verborgen war. Durch einen langen Gang schritten sie, dessen Wände über und über mit funkelnden Edelsteinen besetzt waren, und im großen Saal gaben Diamanten und Rubine ein strahlendes Licht. Aus Gold und Silber waren die Tafel und alles Geschirr, aus dem sie nun die herrlichsten Speisen vorgesetzt erhielten. Von vielen geschäftigen Wichtlein wurden sie freundlich bedient, Wein und Musik sorgten für ihre Erheiterung. Noch größer wurde das freudige Erstaunen der Berner, als plötzlich Kühnhilde erschien, in einem mit edlen Steinen besäten Seidengewand, von allerliebsten Jungfräulein geleitet. Tränen des Glückes weinte Kühnhilde, als sie ihren Bruder und den König begrüßte. In dem fröhlichen Getriebe fiel es nicht auf, daß Dietleib seine Schwester fragte, wie es ihr ergangen sei und ob sie wirklich Laurins Gemahlin werden wolle. Nichts wünsche sie sich sehnlicher, als wieder zu den Menschen zurückzukehren, erwiderte Kühnhilde, und er flüsterte ihr zu, bald werde sie befreit werden. Doch Laurin hatte Bruder und Schwester argwöhnisch beobachtet. Er ahnte, daß sie wohl Kühnhildes Flucht besprochen hatten, und beschloß, sie alle zu überlisten. Einen Zauberring, der ihm die Kraft von zwölf Männern verlieh, steckte er sich an den Finger, dann bat
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er Dietleib in ein Gemach, wo er den Vertrauensseligen gefangensetzte. Inzwischen aber waren die übrigen Berner einem Schlaftrunk erlegen, den die Wichte auf Laurins Geheiß in den Wein gemischt hatten. So konnte Laurin sie alle vier binden und von seinen Männern in den dunklen Kerker werfen lassen. Als König Dietrich, Hildebrand, Wittich und Wolfhart am nächsten Morgen aus ihrem Zauberrausch erwachten und entdeckten, daß sie gefesselt waren, gerieten sie in hellen Zorn und suchten sich zu befreien. Erst als Dietrichs Feueratem seine Ketten zerschmolz, konnte er auch seine Gesellen lösen. Mit aller Gewalt machten sie sich daran, nunmehr die schwere Tür aufzubrechen. Inzwischen hatte Kühnhilde sich die Schlüssel zu ihres Bruders Verlies besorgt und ihn befreit. Glückstrahlend führte sie ihn zur Rüstkammer, wo er seine Waffen und die seiner Schwertgenossen fand. Dann eilte er hinunter in die Tiefe des Berges, um die Gefangenen herauszuholen. Diese hatten inzwischen die Tür erbrochen, aber sie standen ratlos da, denn nun merkten sie, daß sie durch Laurins Zaubertrank auch blind geworden waren. Sie fanden keine Zeit zu überlegen, was zu tun sei, denn schon erschien der ergrimmte Zwergenkönig mit einem Gewimmel von kleinen Kriegern. Wohl hieb Diedeib nach Leibeskräften auf sie ein, auch die Erblindeten wehrten sich, so gut es ihnen möglich war, doch bald mußte ihr letztes Stündlein geschlagen haben. Da,
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in höchster Not, rief Hildebrand seinem König zu: „Ihr habt doch den Zaubergürtel bei Euch. Halten wir ihn an die Augen! Versuchen wir es, vielleicht können wir dann wieder sehen!" Schnell holte Dietrich die Fetzen hervor, drückte sie gegen seine Augen und wurde auf der Stelle sehend. Rasch tat er seinen Gesellen ebenso, dann packten sie ihre Schwerter und standen Dietleib, dem Bedrängten, mit kräftigen Schlägen bei. Schon wichen die Zwergenscharen zurück, da erhob sich neue gewaltige Gefahr. Fünf Waldriesen drängten sich heran, die Laurin zu Hilfe gerufen hatte. Mit baumlangen Eisenstangen schlugen sie auf die Berner ein, indessen das Zwergenvolk mit neuem Mut von allen Seiten zu Hunderten auf die fünf Irdischen eindrang. Ein Gekreisch, ein Gebrüll, ein Toben und Rasseln und Klirren erfüllte die Höhlengänge, wie es noch nicht dagewesen war. Mit Löwenmut wehrten sich die Berner. Endlich stoben die Zwerge mit durchdringendem Geschrei davon, nur noch die fünf Waldriesen hielten stand. Aber bald hauchten sie ihr Leben aus unter den wuchtigen Schlägen der erbitterten Berner. Da warf Laurin sich König Dietrich zu Füßen, er flehte um sein Leben und um Frieden für sein Volk. Noch keuchend von den übermenschlichen Anstrengungen, maßlos erbittert, rief Dietrich ihm zu, er und die Seinen hätten wegen ihres Verrates ihr Leben verwirkt. Von Schonung wollte er nichts wissen. Erst Kühnhildes rührende Bitte erweichte des Königs
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Sinn. Doch Dietrich setzte den Zwerg Sintram als seinen Statthalter ein und ließ ihn den Treueid schwören. Dann beluden sich die Berner mit Gold und Silber, soviel sie tragen konnten, und verließen mit Kühnhilde das ungastliche Zwergenreich. Die Jungfrau hatte sich von Laurin freundlich verabschiedet; leid tat ihr der Herr des Rosengartens trotz allem, denn er hatte sie ehrlich in sein Herz geschlossen. Draußen vor dem Rosenhag fanden sie ihre treuen Rosse vor und schwangen sich frohen Herzens in die Sättel. In tiefen Zügen atmeten sie die köstliche Luft der Tiroler Berge ein und ritten der Eisack zu. Noch lange hörten sie Laurins Klagen aus den Klüften seines felsigen Zauberreiches zu sich herüberdringen. Nie in ihrem Leben vergaßen sie das herrliche rote Blütenwunder in König Laurins Rosengarten.
Sibich, der Ränkeschmied Nach vielen Jahren weiser Herrschaft verlor Kaiser Ermanarich in Romaburg seine Frau, die Mutter der Söhne Friedrich, Reginbald und Randwer. Nach geziemender Zeit heiratete Ermanarich zum zweiten Mal, und zwar die junge, wunderschöne Schwanhild, eine Königstochter vom Rhein. Die junge Kaiserin wurde bald beliebt in Romaburg, und ihr frohes Wesen gewann ihr auch die Zuneigung der großen Söhne.
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Glücklich und zufrieden hätte Ermanarich sein können, doch durch eigene Schuld geriet er in schweres Unheil. Als der Kanzler Sibich einmal verreist war, besuchte Ermanarich des Kanzlers Gemahlin, die ob ihrer Schönheit berühmte Odilia. Der Kaiser erzählte von Schwanhilds großen Vorzügen und lobte auch Frau Odilias Schönheit. Voll des süßen Weines, mochte er über das Maß des Schicklichen hinausgegangen sein, kurzum Odilia fühlte sich in ihrer Ehre gekränkt, ja sie wähnte, der Kaiser habe sie schmähen wollen. Kaum war Sibich zurückgekehrt, so klagte sie ihm ihr Leid unter Tränen. Wortlos hörte Sibich seines Weibes Anklagen gegen den Kaiser an. Aber er nahm sich alles so zu Herzen, daß sich in dieser Stunde seine Treue zum Kaiser in finstersten Haß verwandelte. „Ermanarich, du hast mir mein Glück rauben wollen", so murmelte er vor sich hin, „dafür werde ich mich an dir rächen! Was dir auf Erden am liebsten ist, das werde ich dir nehmen, eins nach dem anderen! Je größer dein Leid, um so köstlicher meine Freude. Romaburgs Thron soll einen einsamen Kaiser sehen, müde, verlassen und verdorben." So knüpfte das Schicksal Schuld und Unheil. Verderben sollte über Kaiser Ermanarich kommen und also auch über Dietrich von Bern. Nach wie vor gab Sibich sich den Anschein der Treue zum Kaiser. Das erste Werk seiner Rache vollbrachte er, als König Oserich, der Herrscher der Wilzen, den Tri
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but an Romaburg schuldig blieb. Sibich riet dem Kaiser, seinen Sohn Friedrich zu schicken, den Wilzenkönig zu ermahnen. Doch heimlich gab er den Fremden Kunde, daß Friedrich mit wenigen Begleitern ausgeritten sei. So wurde der Kaisersohn unterwegs überfallen und mit den Seinen niedergemacht. Den zweiten Bubenstreich verübte Sibich an Ermanarichs zweitem Sohn Reginbald. Als dieser für seinen Vater nach Britannien reisen mußte, sorgte Sibich dafür, daß er mit einem schlechten Schiff segelte und in den Stürmen der Biskaya-Bucht unterging. Noch immer nicht waren Sibichs maßlose Rachegelüste befriedigt, teuflisch ging er zu Werk. Nach dem Tode der beiden Söhne hatte sich die junge Kaiserin dem dritten Jüngling, Randwer, besonders zugewandt. Geschickt wußte Sibich diese mütterliche Zuneigung zum Vorwand für seine Rache zu nehmen. Eines Tages redete er dem Kaiser ein, Schwanhild habe an Randwer Gefallen gefunden und beide trieben ihren Spott mit dem alternden Kaiser. Ermanarich glaubte dem Wicht und raste vor Wut. Auf der Stelle befahl er: „Nicht mehr sehen will ich den Buben! Laßt Randwer greifen und überantwortet ihn dem Henker. Schwanhild aber soll zur gleichen Zeit ihr Leben unter den Hufen der Pferde enden. Schweigt und tut sofort, was ich sagte!" So wurde Randwer, der Ahnungslose, wie ein Verbrecher am Galgen gerichtet. Und um dieselbe Stunde wurde die unschuldige Schwanhild auf der Rennbahn
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den Gespannen wilder Rosse vorgeworfen. Gräßlich verstümmelt endete so das vierte Opfer von Sibichs Rache. Doch weiter raste des Kanzlers Haß, man nannte ihn den bösen Sibich, denn man vermutete, er sei der Urhebel allen Unheils. Große Sorgen machte sich Dietrich von Bern um das Schicksal seines Oheims Ermanarich. Daher schickte er Wittich nach Romaburg, damit er sich erkundige. Wieder hatte Sibich seine Netze ausgelegt. Mit doppelter Huld wurde Wittich vom Kaiser bedacht. „Mein getreuer Kanzler Sibich hat mich gemahnt", so sagte Ermanarich zu dem Seeländer, „dir für deine Hilfe bei der Eroberung von Germersheim zu danken. Da du von edler Abstammung bist, will ich dich mit einer Krone belohnen. Ich erhebe dich zum Herzog von Ravenna!" Als Wittich ihm danken wollte, fuhr er fort: „Du bist nicht unbescheiden, darum höre: Wir wissen, daß du die Witwe meines Bruders Harlung, die schöne Bolfriana, liebst. Nun, da du Herzog bist, sorge ich dafür, daß sie dir nach Ravenna als deine Gemahlin folge." Das war mehr, als der ehrgeizige Wittich je erträumt hatte, daher säumte er nicht, dem Kaiser den Lehnseid zu leisten. Also hatte Sibich bewirkt, daß Wittich seinen Treueid gegenüber König Dietrich vergaß. König Harlung hatte seinen beiden Söhnen Friedel und Emerich die Herrschaft hinterlassen. In Ergebenheit verließen sie sich auf ihren Oheim Ermanarich, und ihr Kanzler, der treue Eckart, diente ihnen vortrefflich.
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Diesen Ratgeber ließ Sibich wegen einer nichtigen Sache nach Romaburg kommen, dann berichtete er dem Kaiser, die beiden Harlungensöhne planten Verrat gegen Ermanarich. Sie besäßen einen großen Schatz, ihn wollten sie dazu benutzen, ein großes Heer zu sam meln und den Kaiser zu stürzen. Durch so vieles Unheil mißtrauisch über die Maßen, befahl Ermanarich, sofort ein Heer zu rüsten, bevor die Harlungen ihren Verrat ins Werk setzen könnten. Mit großer Streitmacht zog also König Ermanarich selbst gegen die Feste Breisach am Rhein, ihm zur Seite Heime und Wittich als Anführer. Harlungs Söhne setzten sich in ihrer Not zur Wehr, doch allzusehr vertrauten sie dem Burghauptmann Ribstein. Er war von Sibich bestochen und spielte dem Kaiser die Zugänge zur Burg in die Hände. Schnell erlagen die jungen Fürsten der Übermacht, in der Frühe des nächsten Tages wurden sie hingerichtet wie Räuber. Nun hatte Sibich alle Anverwandten des Kaisers ums Leben gebracht, doch den größten Schlag plante er noch: auch Dietrich von Bern wollte er vernichten! Am nächtlichen Lagerfeuer trafen sich vor Breisach die Recken Heime und Wittich. Lange saßen sie sich schweigend gegenüber, endlich sagte Wittich: „Heime, du Schwertgesell aus frohen Tagen, siehst du, was um uns geschieht? Ich befürchte, das Gespinst von List und Tücke fällt auch über Dietrichs Haupt." Barsch antwortete Heime, dies alles ginge ihn nichts an. Auch sei er nicht Wittichs Schwertgenosse, sondern
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nur auf Befehl des Kaisers stehe er neben Wittich. Ruhig gab Wittich zu bedenken, es sei an der Zeit, alten Hader zu vergessen. „Ich hätte wohl vielfach Ursache, dir noch gram zu sein, doch ich bin bereit zur Versöhnung." Da ergriff Heime Wittichs Hand und sagte ihm Dank. Sie sprachen von ihren Sorgen um der Goten Schicksal, und Wittich meinte, am Ende würden auch sie von dem Unheil aller getroffen.
Dietrichs Kampf mit dem Kaiser Der treue Kanzler der Harlungen, Eckart, war heimgekehrt, doch nur Schutt und Trümmer erwarteten ihn, wo einst die Feste Breisach gestanden. Am Galgen hingen Friedel und Emerich. Voller Trauer darüber, daß der Kaiser also die Treue belohnte, schuf er den Jünglingen ein ehrliches Grab. Allmählich jedoch wurde in Eckart der Wunsch wach, Ermanarich solchen Frevel zu vergelten, und er wanderte nach Bern. Wenn einer, so konnte Dietrich ihm helfen. Längst war der Kaiser mit reicher Beute nach Romaburg zurückgekehrt. Doch neue Wünsche bewegten seinen Sinn. Der böse Sibich argwöhnte, eines Tages könnte Dietrich mit Heeresmacht heranziehen, um den Tod seiner Verwandten, Friedel und Emerich, zu rächen. Zudem hatte er sich vorgenommen, auch Dietrich ums Leben zu bringen, den Letzten von des Kaisers
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Sippe. Mit gleisnerischen Worten wußte Sibich den Kaiser zum Kampf gegen das Lampartenreich zu bereden. Nicht nur die Gier Ermanarichs entfachte er, sondern er weckte auch seine Eifersucht auf Dietrichs Heldenruhm. „Du hast wohlgesprochen", lobte ihn der Kaiser, „schon längst ist ist mir aufgefallen, daß die Sänger nur noch Dietrich zu rühmen wissen. Und kommt es nicht mir zu, dem Kaiser von Romaburg, als einziger der Amelungen eine Krone zu tragen! Dietrich und sein Reich müssen verschwinden, geh und laß den Heerbann zusammenrufen!" Während des Kaisers Heer nach Norden zog, jagte ihm ein Reiter rastlos voraus. Heime war es, den das Gewissen quälte. Kaum war er in Bern angekommen, eilte er zu Dietrich und warnte ihn vor dem treulosen Anschlag des Kaisers auf Dietrichs Leben und Krone. Dietrich fragte ihn, ob er nun auch wieder auf Seiten der Lamparten streiten wolle. Da neigte Heime sein Haupt, sichtlich verzweifelt antwortete er, sein Herz gehöre immer dem einstigen Schwertgenossen, Dietrich von Bern, doch er und Wittich seien durch den Eid an des Kaisers Fahnen gebunden. Nach diesen Worten ritt Studas Sohn wieder zurück. Ermanarich brachte er seine Hand, doch nimmermehr sein Herz. Mit einem starken Heer zog Dietrich von Bern nach Mailand, vor dessen Toren der Feind lagerte. Schon am frühen Morgen ordnete der Berner seine Scharen zum Kampf. Unter den flatternden Fahnen mit dem goldenen lampartischen Löwen stürzten sich die Berner auf
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den Feind. Allen voran schwang Dietrich seinen Eckesachs und zerschmetterte Helme und Brünnen. Neben ihm warfen Hildebrand, Wolfhart, Wildeber und der junge Dietleib nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Neben Dietrichs Gesellen stritt auch der getreue Eckart wider die Kaiserlichen. Weithin war er zu sehen mit seinem langen weißen Bart. Mit wuchtigen Schlägen warf er den verräterischen Burghauptmann Ribstein vom Roß und führte ihn als Gefangenen ins Lager. Bald danach war das Heer des Kaisers geschlagen. König Dietrich sah jedoch ein, daß er auf die Dauer der Übermacht des Kaisers nicht widerstehen könne, denn inzwischen hatte Ermanarich ein neues und größeres Heer gesammelt und rückte heran. Dietrich nahm den Rat seiner Edlen an und hieß seine Recken zum Herzog Bertram von Pola reiten. Dieser Getreue hatte dem Berner seinen Goldschatz angeboten, damit Dietrich die Mannen und Reisigen löhnen könnte. Unbehindert waren die Helden nach Pola geritten. Herzog Bertram ließ ihre Rosse über und über mit Gold beladen, dann ritten die Berner wieder heim. Inzwischen hatte der ränkevolle Sibich von diesem Ritt erfahren. Nun wollte er den letzten Schlag führen und sandte hundert besonders listige und tapfere Männer aus, Dietrichs Getreue mit dem Gold zu fangen. Nur noch eine Tagesreise von ihrem Heer entfernt ließen sich Dietrichs Abgesandte am Rande eines Waldes zur Rast nieder. Kaum schliefen sie, da wurden sie von Sibichs Schar überfallen. Noch ehe sie zu den Waffen
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greifen konnten, waren sie gefesselt. Nur Dietleib konnte im Getümmel entrinnen. Kaiser Ermanarich aber nutzte die Gunst des Zufalls. Durch Boten ließ er Dietrich melden: „Lege die Krone des Lampartenreiches nieder und verlaß Italien! Wenn du dich weigerst, lasse ich deine Gesellen hinrichten. Befolgst du mein Gebot, dann magst du mit ihnen unbehindert außer Landes ziehen. Nun wähle, doch lange Frist ist dir nicht gewährt." Da beugte sich Dietrich der Fügung des Schicksals. Um das Leben seiner Getreuen zu retten, nahm er des Kaisers Bedingungen an. Traurig war das Volk, als Dietrich mit den Seinen das Lampartenland verließ, und der Wunsch begleitete sie, daß sie einst unter einem glücklicheren Stern wiederkehren möchten. Dietrich hatte sich daran erinnert, daß ihm einst König Etzel Hilfe in der Not zugesagt hatte. Daher ritt er mit seiner kleinen Schar über die Alpen nach Norden. Nach kurzer Rast bei Markgraf Rüdiger von Bechlarn, der den alten Waffengefährten herzlich Gastfreundschaft gewährte, wandten sich die Heimatlosen nach Osten, zur Etzelburg. Der mächtige König der Hunnen empfing die Gefährten aus der Wilzenschlacht mit allen Ehren, auch Frau Helche und ihre Nichte Herrat begrüßten Dietrich herzlich. „Kennt Ihr noch das Mädchen von einst?" fragte Helche lächelnd, indes sie den Berner zu der schönen Jungfrau führte. Dietrich verneigte sich vor Herrat. „Aus der Knospe, o Königin, ist eine herrliche Blume geworden.
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Wie hätte ich sie vergessen können!" Da König Etzel sah, wie die Jungfrau errötete, sagte er zu Dietrich: „Hört, Herr Dietrich: im Norden drohen die Wilkinen und die Reußen mit Krieg. Reitet mit Euren Recken an meiner Seite in die Schlacht. Kehren wir als Sieger heim, dann will ich Euch und Herrat die Hochzeit rüsten." Bitter lächelte Dietrich und entgegnete „Und wenn es also geschähe, König Etzel, wie sollte ich um Herrat freien, ich, der König ohne Land!" Da lachte Etzel dröhnend auf und sprach dem Berner Mut zu: „Das laßt Eure geringste Sorge sein, denn Ihr sollt das Lampartenreich zurückerhalten! Hier mein Wort, daß wir es zusammen zurückerobern, wenn die Stunde gekommen ist!" So ritt Dietrich mit seinen Getreuen an Etzels Seite in den Feldzug gegen Reußen und Wilkinen, die nördlich von den Wilzen wohnten. Ruhmbedeckt und mit reicher Beute kehrten die Scharen in die Etzelburg zurück. König Etzel hielt Wort, und die Hochzeit Dietrichs mit der schönen Herrat wurde in aller Pracht gefeiert. Viele Tage des Glückes verlebte das Paar am Hofe König Etzels. Gefürchtet war Dietrich von den Nachbarn des Hunnenreiches, ein treuer Waffenfreund Etzels. Genug Verdienste hatte sich der Gotenkönig erworben, so daß er eines Tages Etzel an sein Versprechen erinnern konnte, zum Zug gegen Ermanarich zu rüsten. Da zögerte Etzel nicht, dem allzeit bereiten Bundesgenossen Waffenhilfe zu gewähren gegen Romaburg. In
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der Ebene vor der Etzelburg wurde ein mächtiges Heer versammelt, alle seine Fürsten, Ritter und Krieger hatte der Hunnenkönig aufgeboten. Wohl zwanzigtausend Hunnenkrieger tummelten sich auf rüstigen Pferdchen, ihre Führer waren Markgraf Rüdiger, sein Sohn Nudung, auch König Biterolf der Westgote, Herzog Tibald aus Siebenbürgen und andere berühmte Fürsten. Oftmals wenn die Scharen auf weitem Feld übten, wenn sie in donnernden Reitergeschwadern dahinbrausten, erscholl der Kampfruf: „Romaburg, erzittere!"
Die große Rabenschlacht Zu den Gotenrecken, die Dietrich folgten, gehörte auch der junge Diether, Dietrichs Bruder. Lange Zeit war er der Lehrer von Etzels Söhnen Ort und Scharf gewesen. Nun, da auch er gen Romaburg zog, baten die Jünglinge den König, daß er ihnen erlaube, ins Feld zu ziehen. Doch weder Etzel noch seine Gemahlin willigten ein. König Dietrich hatte seine Freude an den Kampfeslustigen und sagte zum Hunnenkönig: „Gewährt ihnen die Bitte, mit den Helden zu reiten. Ich selbst will die Knaben behüten und sorge mit meinem Kopf für ihre Sicherheit." So durften Etzels Söhne den Kriegszug mitmachen, zu dem am nächsten Morgen die hunnischen Scharen
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hinauszogen. An die dreißigtausend Krieger mochten es sein, die Etzel gen Romaburg führte. Auch Dänen, Reußen, Wilkinen und Walachen folgten seinem Banner mit der grünen Katze im roten Feld. Noch nie hatte man ein so großes Heer an den Ufern der Donau hinaufziehen sehen. Und wie erstaunten die Bewohner der Lampartei, als die Heersäulen nach glücklicher Überquerung der Alpen ihr Land betraten! Alle Herzen schlugen für König Dietrich, der dem Kaiser in Romaburg melden ließ, er habe sein väterliches Erbe wieder in Besitz genommen. Wehe dem, der es ihm entreißen wolle! Mit gewaltiger Heeresmacht zog Kaiser Ermanarich dem Berner entgegen. Mit ihm ritt Wittich, der sechstausend Reiter befehligte. Unweit der Küste des Adriatischen Meers, bei der Stadt Ravenna, begegneten sich die Heerhaufen. Kaiser Ermanarichs Krieger lagerten südlich des Flusses, nördlich davon waren die Berner eingetroffen. Von fern hatte Dietrich die Zelte der Kaiserlichen erkannt, und er hieß die Seinen früh zur Ruhe gehen, denn der neue Tag werde ihnen alle Kräfte abverlangen. Unter den Reitern, die vor dem Lager Wache halten sollten, befand sich auch Alphart, Wolfharts Bruder. Freiwillig hatte sich der junge Streiter gemeldet, doch der König wollte ihn nicht ziehen lassen, auch Hildebrand, der Oheim Alpharts, wollte ihn zurückhalten. Doch der Jüngling ließ nicht locker, bis er die Erlaubnis erhielt, und jagte stolz hinaus in die helle Mondnacht.
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Da gedachte Hildebrand den Schwestersohn mit List zu retten. Er warf sich in eine andere Rüstung und preschte hinter Alphart her, um ihn im Kampf zu überwinden und gefangen ins Lager zu bringen. Doch wie hatte sich der treue Waffenmeister geirrt! Kaum war er den Jüngling angegangen, da erhielt er einen solch wuchtigen Speerstoß, daß er jählings aus dem Sattel gehoben wurde. Nun blieb Meister Hildebrand nichts anderes übrig, als sich zu erkennen zu geben, denn Alphart stand schon über dem Gestürzten, um ihn mit dem Schwert zu erschlagen. Da hielt der Sieger inne, während sich der Recke vom Gardasee erhob und den Helm abnahm, denn Alphart traute ihm nicht. Nun lachten beide, und Hildebrand sagte: „Nun hab' ich keine Sorge mehr um dich. Halt weiter die Wacht für die Goten." Mit leichtem Herzen ritt der Alte ins Lager zurück. Nicht lange war Alphart allein, da sah er im Mondlicht, daß sich von Feindesseite her ein Reitertrupp näherte. Späher waren es, und sie ritten auf ihn zu. War das nicht Wölfing, der Herzog, der König Dietrich die Treue gebrochen hatte? Kaum hatte Alphart den Meineidigen erkannt, da galoppierte er auf ihn zu und hieb ihn mit wütenden Streichen vom Pferde. Wohl an die dreißig Begleiter wollten Wölfings Tod rächen, doch tot oder verwundet blieben sie liegen, nur zwei von ihnen entkamen und berichteten eiligst dem Kaiser. Wittich hörte diese Kunde über den tapferen Goten, ohne Säumen warf er sich auf sein Roß und ritt zu der
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Stelle, die ihm bezeichnet worden war. Und mit ihm ritt Heime, Studas Sohn. Als Alphart zwei Ritter auf sich zureiten sah, lachte er ingrimmig, doch heiß loderte der Zorn in ihm auf, als er Wittich erkannte und Heime. „Steh!" rief er Wittich zu. „Du bist der Meineidige, der Dietrich verriet! Nun komm und hol dir deinen Lohn!" Da geriet Wittich in große Not, denn Alphart ritt wie der Wind heran und warf ihn mit dem Speer aus dem Sattel. Wittich wäre ein Kind des Todes gewesen, wenn
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ihm nicht Heime beigesprungen wäre. Keinen Schritt wich Alphart, mit kräftigem Arm wehrte er sich, doch allmählich empfing er durch Heimes Nagelring so tiefe Wunden, daß aller Mut vergebens war. Zu Tode ermattet, sank Alphart zu Boden. Mit dem letzten Atemzug fluchte er den Treulosen. Grausige Tat war geschehen. Nun, da der Kampf rausch verflogen war, standen Heime und Wittich entsetzt vor dem toten Jüngling. Sie erkannten, wie sehr sie sich von allem entfernt hatten, was edlen Helden geziemt. Tief betrübt über ihre Untat, wandten sie die Rosse und ritten langsam zurück zu den Feinden des Königs von Bern. Trauer und Erbitterung erfüllte König Dietrich, als er von des jungen Alpharts Tod erfuhr. So finster und grimmig hatte man Dietrich noch nie gesehen, wie jetzt, da er in der Frühe durch die Reihen der Krieger ritt und die Scharen zur Schlacht ordnete. Als die ersten Sonnenstrahlen sich tausendfach in Speeren, Schilden, Helmen und Brünnen glitzernd brachen, durchschritten die Goten eine Furt des Padanus, wie damals der Po hieß. Und die Kaiserlichen stürmten ihnen entgegen, geführt von Sibich, Wittich und Heime. Furchtbar war der Zusammenprall der Tausende in der Schlacht, die nun anhub. Nach der Stadt Raben, die heute Ravenna heißt, erhielt sie den Namen „Rabenschlacht", und so entsetzlich war das Morden, daß die Enkel und spätere Geschlechter von der Rabenschlacht nur mit geheimem Grauen sprachen. Hildebrand und
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Wildeber wandten sich auf Dietrichs Geheiß dem falschen Sibich zu. Dietleib und Nudung, Markgraf Rüdigers Sohn, führten die Scharen an, die gegen Wittichs Reiter kämpften. Furchterregend waren Wittichs Gepanzerte in ihren schwarzen Rüstungen und Waffen anzusehen, und an Tapferkeit standen sie den Bernern nicht nach. Lange hielt der Tod grausige Ernte, da konnte Wildeber zu dem Bannerträger des Kaisers, dem Herzog Walther von Wasgenstein, vordringen. Wehe dem Heere, dessen Banner im Kampfe sinkt! Wohl gelang es Walther, Wildeber den Speer durch die Brust zu jagen, doch von Wildebers letztem Schwerthieb getroffen, sank auch er entseelt vom Pferde. Unwiderstehlich schaffte Wittich sich Bahn mit seinem getreuen Mimung, und er erschlug Nudung, Rüdigers Sohn. So mutig auch die Kaiserlichen kämpften, Dietrich von Bern wütete mit dem scharfen Eckesachs, als ob einer der Himmlischen zur Erde niedergestiegen wäre. Schon jetzt wäre es um Ermanarichs Scharen geschehen gewesen, wenn nicht plötzlich vom Meere her der Wind dichten Nebel herangetrieben und die Streitenden getrennt hätte. Als die Nebelschleier allmählich aufrissen, schwang sich Wittich in den Sattel, um den Feind zu überraschen. Da sah er drei Reiter auf sich zukommen, Diether, Dietrichs Bruder, und König Etzels Söhne Ort und Scharf waren es, die im Schutz des Nebels trotz Verbotes ausgeritten waren. Als sie Wittich erkannten, dran
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gen sie sofort auf ihn ein. Vergeblich rief Wittich den Leichtsinnigen zu: „Reitet weiter, zwingt mich nicht zum Kampf. In Knabenhände gehören keine Waffen!" Doch von dem Wunsch beseelt, den Mann zu töten, der Dietrich von Bern verraten hatte, schlugen sie wie wild auf Wielands Sohn ein. Und so geschah es in der Notwehr, daß Wittich die drei kühnen Jünglinge erschlug. Aufrichtig bedauerte er ihr Schicksal und ritt davon. Die Heerhörner mahnten zum Kampf. Von beiden Seiten stürmten die Reiterscharen mit fliegenden Fahnen heran, gewillt, endlich die Entscheidung in diesem blutigen Ringen zu erzwingen. Viele Stunden noch wogte die Schlacht hin und her, und mancher tapfere Recke biß ins Gras. Überall warf sich Wittich in die Schlacht, seine schwarze Helmzier überragte die meisten Kämpfer, doch er vermied es, mit Dietrich von Bern die Klingen zu kreuzen. Mit wilden Zornrufen drang der Harlungenkanzler Eckart auf den ruchlosen Sibich ein. Es glückte ihm, den bösen Ratgeber Ermanarichs gefangenzunehmen, und er ließ ihn nach der Schlacht henken. So ward der Tod der beiden Harlungenfürsten gesühnt. Nach des Kanzlers Gefangennahme verließ Kaiser Ermanarich das Schlachtfeld von Ravenna. Dem schlechten Beispiel folgte allmählich ein Unterführer nach dem anderen, die Krieger wichen langsam zurück, und nicht lange mehr dauerte es, da artete ihre Vorsicht in wilde Flucht aus. Dietrich von Bern war Sieger geblieben in der gewaltigen Schlacht.
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Da traf den Helden von Bern die Kunde vom Tode seines Bruders und von Etzels Söhnen. Von grenzenloser Wut erfüllt, lohenden Feueratem vor dem Mund, so jagte er auf dem edlen Hengst Falke auf der Walstatt umher. Nur von dem einen Wunsch wurde er getrieben, Wittich zu finden und ihn büßen zu lassen. Wielands Sohn sah schon von fern den zornsprühenden Berner auf sich zureiten, und sein Gewissen sagte ihm, daß Dietrich niemand anders als ihn selbst suchte. Verzweifelt war er über die verlorene Schlacht, nun entsank ihm vollends der Mut. Im Nu wandte er den Hengst Schimming und ließ das edle Tier in wilden Sätzen am Ufer des Flusses entlang dem Meer zu galoppieren. Ob er sich noch so sehr schämte: elende, jammervolle Flucht war alles, was er noch denken konnte. Als er Dietrich immer näher kommen hörte, beugte er sich über den Hals des Hengstes und spornte ihn mit den Worten an: „Vorwärts, Schimming, lauf, was du kannst! Lauf! Hafer und Klee sollst du haben, soviel du magst, nur rette mich, rette mich!" Wie der Sturmwind, in rasendem Lauf suchte Schim ming dem Verfolger zu entkommen. Umsonst, Falke trug den Rächer Sprung um Sprung näher heran, gleich mußte der tödliche Hieb niedersausen, da tauchte plötzlich das Meer vor Wittich auf. Dietrich hatte den Fliehenden soeben erreicht, doch er hörte nur noch Wittichs verzweifelten Ruf: „Vorwärts, Schimming!", dann rasten Roß und Reiter in mächtigem Sprung in die Adria.
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Die rauschenden Wogen der Brandung nahmen Wielands Sohn auf. Weißer Gischt sprühte auf, und Dietrich sah, wie aus den grünen Wellen zwei weiße Frauenarme auftauchen und den schwarzen Ritter umfingen. Die Wasserfrau Wachild war es, die Ahnin seines Geschlechtes. Dann brausten die Wogen wieder auf wie vordem, und Dietrich warf voller Zorn seinen Speer in die Fluten. Unmutig wandte er Falke, zum Lager zurückzukehren. Als er über das Schlachtfeld ritt, Schritt für Schritt, bewegten ihn trotz des herrlichen Sieges schwere Gedanken. Stumm schüttelte er das Haupt, wohl wägend, wie das Schicksal die Menschen in Schuld und Unheil verstrickt.
Die Heimkehr des Recken Groß war der Sieg Dietrichs von Bern in der Völkerschlacht von Ravenna, groß waren die Verluste seines Heeres, und der König trauerte um viele seiner besten Schwertgenossen. Auch Heime, den der Tod verschont hatte, blieb verschollen. Ein Gerücht besagte, er sei nicht nach Romaburg zurückgekehrt. Der Berner nahm mit schwerem Herzen Abschied vom Leichnam seines Bruders Diether und von Ort und Scharf, Etzels stolzen Knaben. Wer sollte König Etzel die Kunde bringen? Wie würde er sie aufnehmen? Da
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sagte Hildebrand: „Keinen besseren Boten wüßte ich als Euch, König Dietrich. Ihr habt Euch verbürgt für Ort und Scharf, so müßt Ihr auch einstehen für Euer Wort!" „Recht hast du gesprochen, Hildebrand. Wir reiten ins Hunnenland, und müßte ich darüber verderben." Eine traurige Schar, so ritten am nächsten Morgen die Goten davon. Über die uralte Heerstraße der Völker in den Alpen zogen sie zur Donau und dann nach Ofen. Klein geworden war das vormals gewaltige Heer der Hunnen, das Markgraf Rüdiger Herrn Etzel zurückführte. Als das siegreiche Heer die Etzelburg erreicht hatte, begab sich zuerst Rüdiger zu König Etzel und zu Frau Helche. Vom Ausgang des Heerzuges berichtete er und kündete den Tod der Knaben. Gemessenen Schrittes hatte Dietrich inzwischen das Gemach betreten, ehrerbietig grüßte er das Herrscherpaar und sprach: „Ich kann Euch nur Leid bringen. Das Schicksal war stärker als mein Wille. Hier stehe ich, bereit zu sühnen, auch mit dem Tod." Etzel und Frau Helche sahen, wie schwer dem Berner diese Kunde fiel. Lange schwiegen die drei, dann fragte Frau Helche mit weher Stimme: „Rüdiger hat es berichtet - sagt auch Ihr mir: meine lieben Kinder - sind sie wie Helden gefallen?" Da leuchteten die Augen des Berners auf, er antwortete: „Ja, Frau Helche! Mit den Wunden in den Brust!" Das Königspaar trat auf Dietrich zu und drückte ihm die Hände. Hocherhobenen Hauptes schritten sie zum
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Königssaal, wo die Fürsten auf sie warteten. So blieb Dietrich auch künftig in der Huld des hohen Paares, und keinen besseren Freund hatte Etzel als Dietrich von Bern. Frau Helche aber folgte bald ihren Söhnen in den Tod. Monde vergingen und Jahre, und noch immer weilte Dietrich mit den Seinen am Hofe des Hunnenkönigs. Nie gab es völlig Frieden in dessen Riesenreich, so daß König Dietrich viele Kriegszüge anzuführen hatte. Glücklich lebte er mit Herrat; dann aber traf ihn das Unglück schwer. König Etzel hatte Siegfrieds Witwe, die schöne Kriemhild, geheiratet. Eines Tages hielt die Burgundentochter die Zeit für gekommen, Rache zu nehmen für Siegfrieds Tod. Freundlich lud sie ihre Brüder und deren Gefolge ein zum Sonnenwendfest in der Etzelburg. Und alle Nibelungen fanden den Tod, wie uns die Mär von der Nibelungen Not berichtet. Erschlagen waren auch Dietrichs Schwertgesellen, Dietrich allein und der alte Hildebrand verließen schaudernd die Stätte, da Hagen und Günther und alle Nibelungen gefallen waren. „Bitterschwer für uns fand die dritte Fahrt ins Hunnenland ihr Ende", sagte Dietrich von Bern zu Hildebrand, „nun ist es genug. Laß uns ins Lampartenreich heimkehren, noch sind wir stark genug, um die Krone zu streiten." So nahmen denn Dietrich, seine Gemahlin Herrat und Hildebrand Abschied von König Etzel und ritten heim ins Lampartenreich.
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Glücklich überschritten die drei Reisenden die Gebirgspässe, und an der rauschenden Etsch wurden sie herzlich von Herzog Ludwig und dessen Sohn Konrad in seinem Schloß aufgenommen. Während der wohltuenden Rasttage überlegten die Helden, was alles zu tun sei, damit Dietrich den Kampf um sein Land bestehen könne. Zwar war Kaiser Ermanarich jüngst gestorben, aber niemand wußte, wie sich die Fürsten und Herzöge des Lampartenreichs zu Dietrichs Heimkehr stellen würden. Von einem bärenstarken Mönch, der sich Pater Ludwig nenne, erzählte Herzog Ludwig. In einem nahe gelegenen Kloster wohne er, vielleicht könne Dietrich auch ihn zum Kriegszug gewinnen. Als Dietrich von diesem starken Pater Ludwig hörte, bewegten ihn seltsame Gedanken, und er ritt hinüber zum Kloster. Dort aber hatte sich vor kurzem folgendes zugetragen: Seit langem machte ein gewalttätiger Waldriese die ganze Umgegend unsicher. Immer schlimmer hauste der Unhold, und er nahm dreist von einem Hof des Klosters Besitz. Weit und breit war niemand, der dem Räuber entgegentreten konnte. In dieser Not wandte sich der Abt des Klosters an den Pater Ludwig. Da reckte sich der Mönch hoch auf, dröhnend lachte er und streckte seine gewaltigen Arme gen Himmel. „Nun denn", so rief er aus, „wenn's nicht anders sein kann, dann will ich dem Kloster einmal mit der Waffe dienen. Holt meinen Hengst aus dem Stall, lang genug hat der arme Kerl auf Feld und Acker gedient. Seht zu,
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ob ihr mein Schwert findet und meine Brünne. Dann will ich dem Räuber eine Messe lesen, daß ihm Hören und Sehen vergeht!" Stolz wie ein Ritter zog Pater Ludwig hinauf in den Wald, bald begegnete ihm der Waldriese, und ein wilder Kampf erhob sich. Doch nur kurz stritten sie, dann ritt Pater Ludwig wieder in den Klosterhof ein und meldete seinem Abt, daß sie sich nicht mehr zu sorgen brauchten. Bald würden sich Wölfe und Füchse des Räubers Überreste teilen. Der Pater lachte über das Lob der Mönche, zog wieder seine Kutte an und lebte friedfertig wie bisher. Wenig Tage später begab sich Seltsames. Ein hünenhafter Reiter in hohem goldenen Helm suchte das Kloster auf und begehrte den Abt zu sprechen. Dann fragte Dietrich von Bern, denn er war der Ritter, den geweihten Mann, ob sich unter den Mönchen einer mit Namen Heime befinde. „Nein", antwortete der Abt, „ein Bruder solchen Namens war noch nie her. Man muß Euch falsch berichtet haben." Erstaunt vernahm Dietrich diese Auskunft, sinnend blickte er um sich. Da sah er unter dem Säulengang einen Mönch stehen. Klein war der Bruder, und er trug einen langen grauen Bart, doch breit wölbten sich seine Schultern unter der Kutte. Dietrich trat vor ihn hin und sagte: „Mönchlein, ich erkenne dich wohl. Du bist Heime, der Schwertgenoß aus fröhlichen Tagen."
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„Ich kenne keinen Heime und weiß auch nicht, wer du bist", war die mürrische Antwort. „Weißt du auch nichts von dem Hengst Falke? Weißt du nicht, wie du übermütig von deines Vaters Hof im Schwarzwald kamst und von mir den Zweikampf gefordert hast?" „Ich weiß von gar nichts, denn ich kenne Euch nicht", erwiderte Pater Ludwig. Zum dritten Mal fragte der König: „Heime, ich beschwöre dich bei deinem Vater Studas, sage die Wahrheit! Oder ist es so, daß du deinen Freund nicht mehr kennen willst? Sieh, wie ich hier vor dir stehe, sind mir von all den fröhlichen, tapferen Genossen nur Hildebrand geblieben und du, Heime! Auf der Walstatt in Italien und im Hunnenland sind sie gefallen in Treue, und niemand habe ich mehr zum Kampf. Wenn du..." Da unterbrach der Mönch den König und rief aus: „Schweige, König Dietrich, ja, ich bin Heime! Vergessen seien die Schatten der Vergangenheit, du hast mein Herz gerührt, und ich folge dir, selbst wenn mir der Schlachtentod winkt!" Die Helden reichten einander die Hand, wieder war ihr Bund besiegelt. Heime tauschte die Kutte mit seiner Rüstung, schwang sich auf Rispe und ritt, so froh wie nie in den letzten Jahren, mit Dietrich zum Tor hinaus.
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Der Wilde Jäger Die Gotenrecken ritten dann weiter durch das schöne Land Tirol dem Lampartenreich entgegen. Sobald der Gardasee in Sicht kam, ritt Hildebrand voraus. Nicht weit vor seiner Burg Garden begegnete er einem Ritter. Da leuchteten des Alten Augen auf, und er rief: „Ich grüße dich, Hadubrand, mein Sohn!" Am Wappen im Schild hatte er den Jüngling erkannt. Trotzig blickte der andere auf und erwiderte: „Gewiß, ich heiße Hadubrand und bin Hildebrands Sohn, aber er ist weit weg von hier. Mit Dietrich von Bern kämpft er im Hunnenland." Umsonst hielt Meister Hildebrand an der Speerspitze dem Zweifler einen Ring hin, daran er Hildebrands Wappen sehen konnte. Hadubrand spornte sein Roß und ritt mit eingelegter Lanze an. „Nun zeig, ob du Hildebrand bist!" rief er, und schon hatte er den überraschten Alten aus dem Sattel gestoßen. Da machte Hildebrand ernst, ein Hagel von Schwerthieben prasselte dem Jungen auf den Helm, so daß er sich ergab. Stolz war der Vater auf den mutigen Jüngling und zog ihn an seine Brust. Dann ritten sie nach Burg Garden. Nach so langer Fahrt in die Fremde fanden Dietrich und mit ihm Herrat und Heime glückliche Ruhetage auf Burg Garden. Bald hatte sich die Kunde von seiner Rückkehr im Lampartenreich verbreitet, und die Fürsten und Edlen suchten den König auf und huldigten ihm erneut als dem rechtmäßigen Herrn des Landes.
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Dann aber zog Dietrich von Bern mit stattlicher Schar gen Romaburg. Überall fiel ihm das Volk zu, und bald darauf wurde er zum Kaiser gekrönt. Lange Zeit regierte Dietrich von Bern glücklich und voller Macht über das große Reich der Goten. Die fahrenden Sänger priesen seine Klugheit und Milde, in den Büchern der Geschichte nannte man ihn „Theoderich der Große". Treulich stand Meister Hildebrand seinem Herrn zur Seite, dann aber war der Tag gekommen, der auch ihn, den Unverwüstlichen, aufs Krankenlager warf. Dietrich konnte es kaum fassen, daß auch einmal der Mann die Erde verlassen müsse, der ihm von Kindesbeinen an vertraut war. Traurig saß er neben dem Schlummernden. Plötzlich erwachte Hildebrand, nahm des Freundes Hand und sprach: „Nie hätte ich gedacht, daß ich einmal den Strohtod erleiden sollte. Doch wenn du bei mir bist, du König der Goten, dann ist's so gut, als ob ich auf dem Schlachtfeld stürbe..." Ein letzter Blick, dann sank Hildebrand, der Waffenmeister und treueste Freund Dietrichs von Bern, aufs Lager zurück, seine Seele trennte sich vom Leibe. Die Sage will wissen, daß Hildebrand zweihundert Jahre alt geworden sei. Leid und Glück hatte Frau Herrat viele Jahre mit Dietrich geteilt, plötzlich, nicht lange nach Hildebrands Tod, starb auch sie. Nur Heime war geblieben von den vielen Freunden aus schweren wie frohen Tagen. Heime war es, der zuerst davonging nach Walhall. Er
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hatte vernommen, daß in dem Gebirge bei Innsbruck ein Riese lebte, der plötzlich den schuldigen Tribut nicht mehr nach Romaburg zahlte. Abenteuerlustig, wie er stets gewesen, ritt Heime durch Tirol und suchte den Widerspenstigen in seiner Höhle auf. Mit blankem Schwert wollte Studas Sohn den Riesen zwingen, doch ehe sich's Heime versah, hatte sein Gegner eine Eisenstange ergriffen, so lang, daß Heime nicht an ihn herankonnte, und mit dieser Riesenwaffe schlug der Unhold den letzten Freund Dietrichs nieder. Als der König in Romaburg Kunde erhielt von diesem Mord, ließ er Falke satteln und galoppierte ohne Gefolge hinauf ins Gebirge, den Freund zu rächen. Höhnend und frech trat ihm der Waldriese entgegen, aber Dietrich herrschte ihn an, er solle seine Eisenstange nehmen und sich wehren. Mit einem gewaltigen Streich, so wie er bei Heime getan, wollte das Ungeheuer Dietrich niederschlagen, doch der Berner duckte sich, sprang zur Seite, so daß die Stange auf den Felsboden krachte, dann aber fuhr Dietrichs Eckesachs dem Übermütigen in den Hals, so daß er blutüberströmt tot zusammenbrach. Von keinem weiteren Waffengang Dietrichs von Bern kündet die Sage. Ungebeugt, blitzenden Auges ritt er durch Wald und Heide mit Falke, dem treuen Hengst. Und die, die ihm begegneten, sagten, sein Blick sei in die Ferne gerichtet gewesen, als ob er Zwiesprache hielte mit den Geistern der gestorbenen Freunde. Immer mehr seltsame Geschichten gingen im Volke um
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über den großen Gotenkönig, den Gottvater noch immer nicht zu sich nahm in sein himmlisches Reich. Eines Tages, so erzählte man sich in den Höfen und Dörfern der Goten, und so drang die Kunde auch nach Romaburg, — eines Tages sei Dietrich von Bern aus dem Bade gerufen worden, draußen habe man einen Hirsch gesehen, ein Tier wie aus einer anderen Welt, so groß und schön. Nur den Mantel habe sich Dietrich übergeworfen und sei hinausgeeilt. Da habe ein prächtiger rabenschwarzer Hengst gestanden, und Dietrich sei in den Sattel gesprungen, wähnend, es sei Falke. Dann aber sei der schwarze Hengst davongestoben wie kein irdisches Roß. Blitzschnell sei er den Augen der Knappen und Diener entschwunden und habe sich in die Wolken geschwungen. Den stolzen Dietrich von Bern aber hat seitdem niemand wieder gesehen. Geschlechter kamen und gingen, doch nie schwand aus dem Volke das Gedächtnis an den großen Gotenkönig, an Dietrich von Bern. Bis auf den heutigen Tag raunt man in den Landen, wenn in den zwölf Nächten zwischen den Jähren die Wilde Jagd durch die Lüfte braust, daß ihr voran Dietrich von Bern als der Wilde Jäger reite.
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WALTHER
UND HILDEGUND
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Als Geiseln der Hunnen Wilde Hunnenscharen ritten in unübersehbaren Tausendschaften durch das Land. Mit Schwertern, Bogen und Pfeilen, Lanzen und Schlingen gerüstet, so trabten sie auf flinken struppigen Pferden von Ungarn heran. Vor fünfzehnhundert Jahren war es, da das Hunnenvolk unter dem Banner König Etzels die Völker Europas also überflutete. Wieder einmal hatte König Etzel, der mächtige Herrscher des Hunnenreiches, seine Völker zum Kampf aufgeboten, östlich der Donau, im heutigen Ungarn wohnten die kriegslustigen, kampfgewohnten Reiterstämme der Hunnen, und viele Völkerschaf ten im Umkreis waren dem Hunnenkönig Untertan. „Ins Land der Franken, weit nach Westen werden wir reiten!" so hatte König Etzel seinen beutelüsternen Reitergeschwadern versprochen. Und die wilden Krieger hatten ihrem großen König zugejubelt, sie wußten: es gab reiche Beute an Gold und Waffen. Von Dorf zu Dorf, von Gau zu Gau, von Burg zu Burg lief ihnen der Schreckensruf voraus: „Die Hunnen kommen!" Kein Heer konnte ihnen widerstehen, und Mann und Frau flüchteten mit Kind und Kegel, ihrem Vieh und ihrer Habe in die Wälder oder in feste Burgen. In allen Gauen erhob sich die bange Frage: „Wie können wir uns retten vor dieser Geißel Gottes?" Auch König Dankwart zu Worms am Rhein, der König der Burgunden, hielt Rat mit seinen Fürsten. Er hatte Kunde davon erhalten, daß sich die Hunnenscharen der
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Rheinebene näherten. Die Älteren und Erfahrenen sahen nur Rettung in einem friedlichen Angebot an die Übermächtigen. Einer der Tapfersten unter ihnen, der Fürst Tronje, sprach: „Der Hunnen Zahl ist wie Sand am Meere, wie könnten wir ihnen je widerstehen? Drum rat' ich zum Frieden." Unwillig entgegnete König Dankwart: „Der Hunnenkönig wird nicht nur Lösegeld von uns fordern, sondern auch Geiseln! Ich biete ihnen meinen Goldschatz, und du, was gibst du, der mächtigste Fürst in meinem Reich?" Schweren Herzens antwortete der von Tronje: „Ich gebe meinen Sohn Hagen als Geisel." So geriet der junge Hagen von Tronje in die Gewalt des Hunnenkönigs. Und weiter gen Westen wälzten sich die Wogen der Hunnenreiter, plündernd und raubend fielen sie ins Land der Franken ein. Die gequälte Bevölkerung flüchtete in die befestigte Stadt Chalons, wo sich König Herrich zum Kampf gegen Etzel gerüstet hielt. Als jedoch die Ratgeber des Königs von den Türmen herab die Übermacht der Reiterhorden gewahrten, entfiel ihnen der Mut. Sie rieten dem König, eine Botschaft an König Etzel zu senden. Bald kehrten die Abgesandten zurück nach Chalons. „Frieden will König Etzel dir gewähren", so berichteten sie, „doch will er ein Unterpfand dafür, daß du den Frieden hältst! Viel Lösegeld verlangt er und deine Tochter Hildegund als Geisel!" Das Volk flehte den König an, daß er sich um jeden
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Preis den Hunnen unterwerfe. Da entschloß sich König Herrich blutenden Herzens, seine geliebte Tochter als Geisel herzugeben. Umsonst klagte die Königin, daß Hildegund schon in ihrer Jugend dem jungen Walther von Aquitanien anverlobt sei und dereinst mit den Kronen von Aquitanien und Franken geschmückt werden sollte. Herrich selbst mußte dem Hunnenkönig sein Töchterchen bringen. Bittere Tränen weinte die kleine Hildegund, als sie, mit einem Blumenstrauß in der Hand, die Stadt verließ und in die Gefangenschaft der Hunnen gingUnersättlich nach Beute und Ruhm, trieb der Hunnenkönig seine Reiter weiter nach Westen. Auch der König von Aquitanien, dem Lande der Westgoten, mußte sich Etzels harten Geboten fügen, wollte er seinem Lande den Frieden erhalten. Wie in Worms und Chalons begnügte sich Etzel nicht mit hohem Lösegeld, sondern er verlangte eine Geisel. Wohl oder übel mußte sich König Alpher den Frieden erkaufen, indem er seinen Sohn Walther hergab, einen hübschen und ritterlich erzogenen Knaben. Noch lange Zeit zogen die Hunnenheere raubend und brandschatzend durch die Gaue in Europa, so daß noch in fernsten Zeiten die Menschen erschraken, wenn sie nur den Namen der Hunnen hörten. Als sie sich endlich nach Ungarn, jenseits der Donau, zurückzogen, führten sie als Geiseln auch die drei Fürstenkinder Hildegund, Walther und Hagen mit sich.
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An König Etzels Hofe Jahre vergingen, und am Hunnenhofe zu Ofen wuchsen die drei Königskinder zu blühenden kräftigen Menschen heran. Als König Etzel merkte, daß Walther und Hagen an Klugheit und den ritterlichen Künsten den hunnischen Knaben überlegen waren, nahm er sich selbst ihrer Ausbildung an. Am Ende gar, als Walther und Hagen zu streitbaren Rittern herangewachsen waren, setzte Etzel sie als Führer über hunnische Tausendschaften. Hildegund hatte die Zuneigung von Etzels Gemahlin, der Königin Helche, gewonnen. Diese hielt das frische blauäugige Mädchen wie ihre eigene Tochter. Sie vertraute ihr die Schlüssel zu den Kammern an. Doch Hildegund wurde trotz aller Gunst nicht froh. Manch heimliche Träne vergoß sie in bitterem Heimweh. Die beiden Fürstensöhne hatten einander Blutsbruderschaft geschworen und halfen sich, so sie nur konnten. Oft besprachen sie, wie sie die Gefangenschaft abschütteln und bei Nacht und Nebel entfliehen könnten. Hagen hatte schon lange alles zur Flucht vorbereitet, doch Walther sagte immer wieder: „Mag die Gelegenheit noch so günstig sein, niemals verlasse ich dies Land ohne Hildegund. Sie ist mir mehr als selbst die Heimat, und stets will ich sie schützen." Da begab es sich, daß König Dankwart in Worms starb. Sein Erbe aber, der junge König Günther, lehnte es ab, fernerhin den Hunnen jährlich Tribut für den Frie
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den zu zahlen. Hiervon hatte Hagen Kunde erhalten, und er fühlte sich nicht mehr als Geisel gebunden. Nunmehr würde ihn gewiß niemand in Worms zu Etzel zurückschicken, falls es ihm gelänge, glücklich zu entkommen. So zur Flucht begeistert, suchte er von neuem, Walther zu bewegen, mit ihm zu reiten. Er forderte ihn auf zum kühnen Ritt. Walther lächelte traurig zu des Freundes Plan und antwortete: „Nun denn, Hagen, Blutsbruder, reite davon! Allvater möge dich behüten. Ich aber will hier ausharren, denn nimmermehr vermöchte ich, ohne Hildegund über den Rhein zu reiten." Den wilden Hagen hielt es nicht länger, in stürmischer Nacht ritt er davon. Sein tollkühnes Abenteuer gelang, wohlbehalten erreichte er das Burgundenland. Ehrlich betrübt vernahm König Etzel die Kunde von Hagens Flucht, denn des jungen Helden Mut und Trotz war leuchtendes Beispiel im hunnischen Heer. Viel größer jedoch war Etzels Besorgnis um Walther. Würde nicht eines Tages auch er, das schärfste Schwert der Hunnen, entfliehen? Als er einmal der Königin seine Sorgen mitteilte, sagte Frau Helche: „Dem ist leicht zu begegnen. Walther zu halten, bedarf es nur leichter Fesseln, die der stolze Gote gar nicht merkt. Gib ihm einer der schönsten Fürstentöchter deines Landes zur Gemahlin, und fortan wird er die Heimat vergessen!" Schon am nächsten Tag sprach Etzel mit Walther. Er erinnerte den Königssohn aus Aquitanien an all die
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Huld, die ihm am Hunnenhof zuteil geworden war. Schlau sagte er: „Was nützt dir Gold und Silber und alles Geschmeide, Walther, wenn du niemand hast, den du damit schmücken kannst? Und ist es nicht so, daß ein Held nach glücklicher Heerfahrt Glück und Frieden am eigenen Herdfeuer wünscht? Gewiß hast auch du schon daran gedacht, und so habe ich mich entschlossen, dich mit einer meiner Fürstentöchter zu vermählen." Da erschrak Walther, plötzlich stand Hildegunds liebliches Bild vor seinen Augen. In geziemender Ehrfurcht antwortete er dem Hunnenkönig: „Trauliches Herdfeuer wird mir so bald nicht beschieden sein. Unruhig sind die Völker im Umkreis, und noch manche Heerfahrt harrt unser, bis sie endgültig unterworfen sind. Wenn es soweit ist, will ich an Heim und Hof denken. Königsdienst geht dem Helden vor eigenes Glück." Überrascht nickte König Etzel. Solch stolzen Sinn hatte er von seinen Hunnen noch nie vernommen, und es betörte ihn, daß der Gote sich so gänzlich in seine, des Königs, Dienste stellte.
Walther und Hildegund Bald konnte der junge Walther beweisen, daß er König Etzels mächtigster Schwertarm war. Wiederum zogen die Hunnenheere in den Krieg, denn im Osten des riesi
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gen Reiches waren Feinde eingefallen. Der Gote wußte nicht nur die Hunnen klug zu führen, er war auch einer der Mutigsten im Kampf. Obgleich sich die Feinde hef tig wehrten, wurden sie geworfen, so daß sie ihr Heil in wilder Flucht suchten. Mit Beute beladen kehrte das siegreiche Heer der Hunnen nach Ungarn zurück. Walther eilte zur Königsburg, Etzel zu berichten, da traf er in einem der vielen Säle Hildegund allein. Erfreut trat er auf sie zu und sagte: „Hildegund, willst du den Sieger belohnen, dann reiche ihm einen kühlen Trunk. Von niemand nehme ich ihn lieber als von dir!" Gern füllte die Jungfrau den goldenen Pokal mit feurigem Ungarwein und reichte ihn dem Kühnen dar. Ermuntert durch ihr herzliches Lächeln, ergriff er dann Hildegunds Hand und sagte: „Das ist das größte Glück für mich, Hildegund, daß du mich als erste empfängst! Du bist mir die Liebste an diesem fremden Hofe. Und sag, hast du es vergessen, daß wir beide seit unserer Kindheit verlobt sind?" Schon lange hatte Hildegund gemeint, sie als Dienende am Königshof sei des hochgestellten Walther nicht wert. Errötend antwortete sie: „Mir ist es wohl bekannt, daß du dich eines Tages mit einer hunnischen Fürstentochter vermählen wirst. Was wolltest du daher von mir? Und doch, wenn ich an unsere Jugendzeit denke, kann ich nicht glauben, daß du mich kränken wolltest." Unwillig sah Walther die Betrübte an und sagte: „Hildegund, ich meine es gut mit dir! Und wenn ich nur
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wüßte, daß du mir noch immer zugetan bist, dann möchte ich dir jetzt ein Geheimnis anvertrauen." Da erkannte die schöne Hildegund die Wahrheit aus seinen Worten und antwortete leise: „Wenn es so ist, Walther, dann bin ich zu allem bereit." Da jubelte er auf und küßte sie. Er nahm ihre Hände in seine mächtigen Fäuste und sagte freudigen Herzens: „Wir wollen zurück in die Heimat, du, meine kleine Braut! Und nun schnell, merk es dir: In wenigen Tagen feiern die Hunnen am Hofe das Siegesfest, und sie werden, wie immer, den Wein im Übermaß genießen und lange mit ihrem Rausch zu tun haben. Das wollen wir nützen! Du hast die Schlüssel zu den Kammern, du besorgst mir König Etzels besonders gewirktes Panzerhemd, und vom Goldschatz unserer Väter packe ein, soviel du kannst, so daß wir es an einem Sattel befestigen können. Von den Schmieden laß dir Angelhaken machen, denn auch von Fischen wollen wir uns unterwegs ernähren. In der Morgenfrühe nach dem Fest reiten wir dann in die Heimat. Ist es dir so recht?" Die Freude leuchtete aus Hildegunds Augen, und sie versprach, alles genau zu besorgen. Eine prächtige Siegesfeier wurde es in der Königshalle. Und da Walther die übermütigen Hunnenrecken immer wieder zum Trunk gefordert hatte, geschah alles so, wie Walther und Hildegund erhofften. Als Mitternacht herangekommen war, schliefen der König und sein Gefolge berauscht auf ihren Sitzen, und seine Hunnenführer lagen schnarchend unter Tischen und Bän
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ken. Vorsichtig schritt Walther über die Schlafenden hinweg und eilte vor die Burg. Hoch reckte er sich auf, als ihn draußen der kühle Nachtwind umfing.
Flucht ans Etzels Reich Unter den Bäumen vor der Burg, im Flüstern und Raunen der Nacht, wartete Hildegund geduldig auf Walther. Endlich sah sie die hohe Gestalt des Helden aus dem Dunkel auftauchen. „Ist dir alles gelungen?" fragte er leise. „Du wirst zufrieden sein. Alles ist so, wie wir es besprochen haben." Eilends legte Walther das Panzerhemd an, belud das Handpferd mit Mundvorrat und mit dem Schatz und sattelte einen feurigen Hengst. Hildegund hob er auf das Reitpferd, dann schwang er sich in den Sattel, und frohen Mutes ritten sie hinaus in die Nacht. Gerüstet mit einem zweischneidigen Schwert, dazu einem hunnischen kurzen Krummschwert, mit Speer und Schild, wollte er jedem Verfolger Trotz bieten. Walther hatte die besten Pferde aus König Etzels Marstall gewählt, daher waren sie schon viele Meilen von der Königsburg in Ofen entfernt, als im Osten das Morgenrot den neuen Tag ankündigte. Ohne Rast und Ruh ritten die Flüchtigen gen Westen und gewannen solchen Vorsprung, daß sie von den Hunnen nicht mehr eingeholt werden konnten.
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Diese aber waren erst gegen Mittag von ihrem schweren Rausch erwacht. Lange dauerte es, bis König Etzel Walthers Abwesenheit entdeckte. Überall ließ er den Vermißten suchen, da endlich wurde es ihm zur Gewißheit, daß Walther und Hildegund geflohen waren. Von Wut und Enttäuschung geschüttelt, tobte er und versprach, jeden, der Walther tot oder lebend vor ihn bringe, mit Gold zu überschütten. Wohl manchen der Hunnenritter lockte so königlicher Lohn, aber keiner fand sich, der mit Walther einen Gang auf Tod und Leben gewagt hätte. So konnten Walther und Hildegund ungestört ihrer Wege ziehen. Erst am Morgen des zweiten Tages gönnten sie sich im Dickicht eines verborgenen Waldtales Ruhe. Nach kurzem Imbiß sanken Walther und Hildegund auf dem weichen Moosteppich in tiefen Schlaf. Auch die Rosse streckten wohlig ihre Glieder. Im schützenden Dunkel der dritten Nacht setzten sie ihre Reise fort. Oftmals rasteten sie im wilden Tann, und abwechselnd wachte einer über den Schlaf des anderen. Wohl vierzigmal war die Sonne auf- und untergegangen, da erreichten sie die Höhe eines sanften Gebirgszuges. Vor ihren Augen schlängelte sich das silberne Band eines mächtigen Stromes nach Norden, dahinter sahen sie die Türme einer Stadt, und ganz in der Ferne gewahrten sie ein Gebirge, darüber die untergehende Sonne golden loderte. „Der Rhein!" jubelte Walther auf. „Nun sind wir gerettet!"
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Voller Glück faßte Hildegund nach seiner Hand und fragte nach dem Namen des Gebirges. „Das ist der Wasgenwald", antwortete Walther, auch ihm stockte vor Freude fast die Stimme. „Und jenseits des Rheins, dort, da liegt die Stadt Worms im Lande der Burgunden." Früh am nächsten Morgen erreichten die Flüchtigen das Ufer des Rheinstromes. Aus niederer Hütte kam der Fährmann und setzte sie über. Eine goldene Spange gab Walther ihm zum Lohn. Lange nachdem die beiden Glücklichen weitergeritten waren, tauchten dem Fährmann Bedenken auf wegen der kostbaren Fracht, die er über den Rhein gefahren hatte. Vielleicht könne er sich Lohn verdienen, so dachte er, wenn er König Günther in Worms davon Kunde gäbe. So berichtete er dem König: „Den Recken begleitete eine wunderschöne Jungfrau. Es war ihnen anzusehen, daß sie eine lange Reise hinter sich gehabt haben mußten. Doch ein anderes ist mir aufgefallen. Zu beiden Seiten des Handpferdes klirrte und klang es in zwei Schreinen, als das Roß ans Ufer sprang. Ein gewaltiger Schatz muß darin verwahrt sein. Und ich denke", dabei zwinkerte er mit den Augen, „solch hohe Gäste sollten nicht unangemeldet am Königshof vorüberziehen. Den üblichen Wegzoll sollten sie zahlen." „Wie sah der Ritter aus?" forschte König Günther. „Ein Mann wie ein Baum war es, o König! Zwei Schwerter, ein Speer und ein Schild waren seine Wehr,
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besonders stark geschmiedet war sein Panzerhemd. Einen solchen Recken habe ich noch nie gesehen." Da sprang einer von des Königs Rittern auf und jubelte: „Das ist kein anderer als Walther von Aquitanien, mein Blutsbruder! Und die schöne Jungfrau ist Hildegund aus dem Frankenland!" Hagen von Tronje war es, der sich freute, daß seine Schicksalsgefährten endlich der hunnischen Gefangenschaft entkommen waren. Anders dachte König Günther. Grollend rief er aus: „Das ist eine seltene Beute! Auf, meine Freunde, den goldenen Schatz und das edle Fräulein wollen wir uns rangen!" „"Warum das?" brauste Hagen auf. „Seit wann ist es Sitte im Land der Burgunden, friedliche Reisende zu überfallen und zu berauben?" „Wer spricht denn von Raub!" herrschte Günther ihn an. „Nur einen kleinen Wegzoll wollen wir einziehen, dann mag der Gote weiterreiten." „Das wollen wir erst einmal sehen, was daraus wird", murmelte Hagen trotzig vor sich hin. Aber er mußte sich des Königs Befehl fugen, rüstete sich und bestieg sein Roß. In klirrender Rüstung, wohlbewaffnet, ritten zwölf burgundische Ritter den Burgweg hinunter, ungern dem Gebote des Königs folgend.
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Gefahr am Wasgenstein Walther und Hildegund hatten indessen den Wasgenwald erreicht. Nunmehr wollten sie längere Rast machen, und Walther spähte sorgsam aus nach einem günstigen Platz. Bald fand er eine Schlucht, an deren Eingang die Felsen nahe beieinander standen, dann zurückwichen und also eine freundliche Lichtung bildeten. Von Gebüsch umsäumt, war der Eingang nicht leicht zu finden. „Endlich, nach vierzig Tagen", sagte Walther, „kann ich die schwere Rüstung ablegen! Wie froh bin ich, daß wir einmal sorglos ruhen können, denn auch dir, Hildegund, wird der unbekümmerte Schlaf gut tun." Bald tummelten sich die treuen Pferde im freien Gehege der Schlucht. Walther verbarg den Schatz, entledigte sich des eisernen Gewandes und legte sich nieder auf das weiche Moos. Er bettete sein Haupt in Hildegunds Schoß und sagte: „Wo wüßte ich mich in besserer Hut als bei dir. Ein langer Schlaf soll es werden, doch wenn du nur ein geringes Anzeichen von Gefahr merkst, wecke mich! Es darf kein Feind in die Schlucht kommen; dann wären wir beide verloren." Hildegund streichelte ihm über das Haar, und bald war Walther eingeschlafen. Auch Hildegund war eingeschlummert, doch immer wieder öffnete sie in heimlicher Angst die Augen. Sie sehnte das Ende der Nacht herbei. Endlich schimmerte das Morgenlicht durch das
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Blattgewirr, und frohen Herzens sah Hildegund, wie die Vögel ihre Nester verließen und die Tiere des Waldes sich überall regten. Plötzlich horchte sie auf- wieherten da nicht Pferde, tief unten vor dem Eingang der Schlucht? Klopfenden Herzens lauschte Hildegund. Ja, schon konnte sie Hufgetrappel auf dem Waldboden vernehmen, und da - war das nicht lautes Männerlachen? Die Hunnen! Die Hunnen! Da sah sie Waffen funkeln hinter grünem Gezweig. Nun sehen wir die Heimat nicht wieder! so fuhr es der zu Tode Erschrockenen durch den Sinn. Sie werden uns ins Hunnenland zurückführen. Sie brachte nur ein klagendes „Walther" über die Lippen. Lächelnd öffnete der Schläfer die Augen, aber sofort sah er an Hildegunds bangem Blick, daß Gefahr drohte. „Die Hunnen!" flüsterte sie. „Da unten, eine ganze Schar muß es sein!" Im Nu war Walther auf den Beinen und warf sich in die Rüstung. „Noch kann ich nichts erkennen", sagte er, „aber wie viele es auch sein mögen, sie sollen würdig empfangen werden!" Ängstlich blickte Hildegund zu dem Kampfesfrohen auf. Sie flehte ihn an: „Walther, laß mich nicht in die Hände der Hunnen fallen. Eher töte mich! Versprich es mir!" Walthers Augen blitzten vor Kampflust, er schüttelte das Haupt und sprach: „Nimmermehr geschieht das,
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solange ich bei dir bin. Doch sieh — es sind gar keine Hunnen! Nein, Burgunden sind es vom Rhein! Und der schwarzhaarige Riese da? Das ist doch Hagen von Tronje, unser Freund in der Gefangenschaft! Ich denke, sie werden uns den Gruß ihres Königs entbieten." Sorglich führte Walther Hildegund tiefer in die Schlucht, dann trat er vor den Eingang. Auf seinen Speer gestützt, die Linke auf dem Schildrand, so erwartete er die Nahenden, und die Morgensonne strahlte auf seine blanke Rüstung. Drunten am Hang erkannte Hagen sogleich den Freund. Zu König Günther sagte er: „Ja, der dort oben steht, ist Walther von Aquitanien. Sieh ihn dir an, das ist der Held, den König Etzel zum Führer seiner Scharen gemacht hat. Walthers Schwert mäht die Recken wie reifes Korn. Drum rate ich dir, gib dich mit einem Teil seines Schatzes zufrieden! Schicke ihm einen Herold entgegen, ihn zu fragen, ob er dir also den Weg durch dein Land zollen will." König Günther sandte den Ritter Ortwin von Metz. Der ritt bergan und rief aus Speerwurfweite: „Walther von Aquitanien, wir haben dich und Hildegund aus dem Frankenland erkannt. Der König der Burgunden hätte das Recht, dich für das unerlaubte Betreten seines Landes zu bestrafen, doch darfst du in Frieden weiterziehen, wenn du Hildegund und deine Schätze auslieferst." Solch schlechter Gruß brachte Walthers Blut in Wallung. Doch um Hildegunds Willen bezwang er sich und
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antwortete: „Das war närrisch gesprochen, doch sage deinem König: Ich entbiete ihm meinen Gruß und lege ihm als Ehrengabe hundert goldene Spangen zu Füßen. Hildegund aber und meinen Schatz, die führe ich heim, bei meinem Schwert!" Walthers versöhnliche Antwort fand bei König Günther kein Gehör. Dennoch riet ihm Hagen von Tronje: „Begnüge dich mit geringem Zoll und sichere dir einen guten Nachbarn. Du weißt, daß Walther einst nicht nur über Aquitanien, sondern auch über Frankenland herrschen wird. Hildegund ist ihm schon als Kind anverlobt. Ich rate dir gut, denn keiner von uns kann Walther überwinden, wenn wir ihm den Kampf aufzwingen. Biete dem Helden deine Hand zum Frieden." Wütend widersprach Günther: „Mir ist, als ob ich deinen Vater hörte. Auch er suchte sich stets dem Männerkampf zu entziehen. Nichts geb' ich auf deinen Rat, sondern wir werden kämpfen!" Jäh schoß Hagen das Blut in die Schläfen, als er so seinen Vater geschmäht hörte. Jeden ändern als seinen König hätte er sofort zum Kampf auf Leben und Tod gefordert. Er unterdrückte seinen Zorn, gab seinem Roß die Sporen und ritt auf einen Hügel vor dem Wasgenstein. Grollend ließ er sich dort nieder.
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Kampf gegen die Übermacht Als Walther das sah, rief er über die Schulter Hildegund zu: „Hagen reitet nicht gegen mich. Nun kann mir keiner den Sieg nehmen!" Da ritt Ortwin von Metz heran und schwang den Speer. „Auf zum Tanz, du gotischer Freier!" rief er. „Gib Hildegund und den Brautschatz dazu, sonst werden dich hernach die Wölfe des Wasgenwaldes zerhacken!" Walther vertraute auf seine Waffen, doch er bot den Habgierigen zweihundert Goldspangen, wenn sie ihn und Hildegund davonreiten ließen. Da rief Held Ortwin zornig: „Alles - oder Kampf!" Und schon sauste sein Speer blitzend durch die Luft. Doch gewandt wich Walther aus, so daß das Eisen gegen den Fels prallte. Nun war der Friede gebrochen. Ergrimmt packte Walther den gewaltigen Eschenspeer und schleuderte ihn mit solcher Wucht, daß er durch Ortwins Schildrand fuhr und die Hand durchbohrte, die zum Schwert greifen wollte. Schon war Walther heran und hieb den Überraschten vom Pferde, so daß er auf der Stelle starb. Da stürmte Otwins Neffe Skaramund heran, um den Tod seines Oheims zu rächen. Zwei Speere schleuderte er zugleich, aber sie blieben in Walthers Schild stecken. Dann sprengte er heran, rasch wollte er Walthers Haupt von oben mit einem Streich spalten. Jäh fuhr ihm Walthers Speer unter das Kinn, und er wurde um Sieg und Leben gebracht.
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Ingrimmig ließ König Günther den dritten Ritter, Werinhard, angreifen. Schon von fern schickte dieser Pfeil um Pfeil gegen Walther, doch alle prallten sie an dessen gutem Schild ab. Angriffslustig gab der Schütze seinem Pferd die Sporen und drang mit geschwungenem Schwert auf Walther ein. Vergeblich suchte er sein Roß zu wenden; von des Goten Speer getroffen, sank es nieder, halb den Reiter bedeckend. Da war Walther schon heran und schlug ihm das Haupt ab. Ein Recke aus dem Sachsenland, Eckefried, suchte nun Walther zu überwinden. Doch sein Speer blieb in Walthers Schild stecken, und ehe er das Schwert ziehen konnte, drang ihm Walthers Speer tief in die Brust. Im Moos des Wasgenwaldes fand er so den Tod. Anders als die vier Streiter, die vor ihm gefallen waren, gedachte Hadawart, ein eisenharter Mann, den Goten zu besiegen. Er sprang vom Roß, ergriff mit beiden Händen sein schweres Schwert und traf Walthers Panzerhemd, daß die Funken stoben. Blitzschnell kreuzten sie die Klingen, plötzlich erhob sich Hadabrand zum tödlichen Schlag, aber Walther fing ihn mit dem Schild auf, schlug dem Gegner das Schwert aus der Hand und schlug ihn nieder. Voll Eifer ritt da ein junger Ritter heran. Helmfried, Hagens Schwestersohn, war es, der sich nicht von seines Oheims warnenden Worten zurückhalten ließ. Walther hörte Hagens Worte, auch tat es ihm leid um den Jüngling. „Kehr um", rief er ihm zu, „denn was willst du errei
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chen, wenn schon alte Kämpen ins Gras gebissen haben!" „Spar deine Rede und wehr dich deiner Haut!" entgegnete trotzig der Junge und schleuderte seinen Speer gegen Walther. Geschickt wich Walther aus und warnte den Kühnen noch einmal. Umsonst, mit geschwungenem Schwert stürzte sich Helmfried auf den Goten. Nach wenigen Schlägen erlitt er den Tod. Den Freund zu rächen ritt Gerwit, der siebte Gefolgsmann von König Günther, heran, doch nach wenigen Schlägen stieß Walther ihm den Schild zur Seite und schickte ihn mit einem Stoß ins Herz in den Tod. Als die letzten von König Günthers Recken diesen Ausgang des Kampfes sahen, rieten sie dem König, den Kampf abzubrechen. Davon wollte der Ergrimmte nichts wissen, erregte Worte wurden getauscht, und nochmals, so beschlossen sie, wollten sie Walther angreifen. Einmal müßten doch die Kräfte des Goten erlahmen. Unterdessen hatte Walther seinen Helm abgenommen und ihn an einen Ast gehängt. Tief atmete er die frische Waldluft ein. Das hatte der Ritter Randolf gesehen. Sofort gab er seinem Roß die Sporen, in jagendem Lauf wollte er dem Helmlosen seinen Speer in die Brust stoßen. Da bewährte sich das hunnische Panzerhemd, an dem die Speerspitze zerbrach. Wild packte der Burgunde nun das Schwert und hieb es so gewaltig in Walthers Schild, daß es sich darin festklemmte. Indes er versuchte, es herauszuziehen, drückte Walther den Schild
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mit aller Wucht vorwärts, so daß sein Feind strauchelte und hinfiel. Noch im Sturz traf ihn Walthers Schwert zu Tode. Nun rief König Günther die drei letzten Burgundenritter zum Kampf. Sie sollten Walther gemeinsam überwältigen. Der Gefürchtetste von ihnen war Helmnot, denn seine Waffe war ein eiserner Dreizack mit spitzen Widerhaken. Da Helmnot diese Waffe an dreifach geknüpftem Seil in den Händen hielt, wartete er den Augenblick ab, da der Dreizack fest in des Gegners Schild oder in dessen Rüstung saß, dann zog er ihn heran und erschlug ihn. Auf diese Art, mit dem Dreizack, wollten die drei letzten Kämpfer Walther aus dem Schutz des Felseingangs ziehen und mit vereinten Kräften umbringen. Wild aufjubelnd schleuderte Helmnot die gefährliche Waffe gegen Walther. Sogleich saß sie unlösbar im Schild fest. Da warfen die drei ihre Waffen und Schilde beiseite und zerrten am Seil. Auch König Günther sprang herzu, aber Walther lachte über ihre Mühen, fest hatte er sich in den felsigen Boden gestemmt. Da, als die viere alle Kraft aufboten, ließ Walther den Schild los, und sie alle fielen zu Boden. Sofort nahm Walther seinen Vorteil wahr, sprang hinzu und mähte drei Gegner trotz heftigster Gegenwehr nieder. König Günther entkam mit Mühe und Not. Da trieb Walther die ledigen Rosse in die Felsschlucht und rief Hildegund zu: „Freue dich, nun hat aller Kampf ein Ende. Ich denke, König Günther hat jetzt Wegzoll genug."
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Bebenden Herzens hatte Hildegund dem ungleichen Kampf zugesehen. Nun bot sie Walther Speise und Trank und pflegte den müden Helden.
Zweikampf der Blutsbrüder Aufs tiefste betrübt, doch voller Zorn schritt König Günther zu Hagen und beschwor ihn, die Waffen gegen Walther aufzunehmen. Grollend gab der Tronjer zur Antwort: „Ich entziehe mich gern dem Männerstreit, so wie es einst mein Vater getan. Sagtest du nicht so, König Günther?" „Vergiß, was ich im Zorn gesagt habe! Bedenke, nicht nur den König, sondern auch dessen Gefolgsmänner, trifft die Schande, wenn alle Welt schmäht: Ein Gote zog durch das Land der Burgunden und erschlug ungestraft die besten Recken vor den Augen des Königs! Der Spott würde dich wie mich zeitlebens verfolgen. Überwinde deinen Groll und hilf deinem König!" Finster blickte Hagen den Bittenden an und sagte: „Ich habe Walther von Aquitanien Blutsbruderschaft geschworen! Wie könnt' ich ihm die Treue brechen!" Hart fuhr ihn der König an: „Und deinem König — darfst du ihm die Treue aufkündigen?" Mit diesem Vorwurf hatte Günther den Tronjer ins Herz getroffen, denn dem Fürsten von Tronje war von jeher die Treue zum König über alles andere gegangen.
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Dennoch sagte ihm sein Gewissen, daß er dem Freund nicht untreu werden könne. Was sollte er tun? Von ehrlichem Widerstreit war sein Herz bewegt, er sann hin und her. Da warf sich König Günther vor ihm nieder und flehte ihn an: „Hagen von Tronje, ich will dich reich belohnen, und du sollst meinem Herzen am nächsten stehen, wenn du mir in dieser Stunde beistehst!" Da erschrak Hagen. Denn noch niemals hatte er gehört, daß ein König vor seinem Gefolgsmann gekniet hätte. Verwirrt sprang er auf, zog Günther empor und sagte voller Unmut: „König, sprich nicht von Lohn! Nur für deine Königsehre will ich kämpfen! Doch klüger ist es, wenn wir warten, bis Walther seine Felsenburg verläßt." Da umarmte Günther den Folgsamen und küßte ihn. Erstaunt hatte Walther beobachtet, was sich drunten am Hang begab. Er sagte zu Hildegund: „Verdächtig ist mir der Bruderkuß zwischen ihnen, die vorher noch uneins waren. Bedeutet er unser Verderben?" Hildegund ahnte Schlimmes, sie riet dem Helden, noch im Dunkel der Nacht davonzureiten. Doch Walther schüttelte das Haupt und widersprach: „Nie soll Günther sagen können, ich hätte mich vor ihm bei Nacht und Nebel davongeschlichen. Und haben sie meineidige Tat beschlossen, die beiden, nun gut, dann soll der helle Tag es sehen!" Er ging hinaus und bereitete den Gefallenen ein Grab, dann errichtete er vor dem Eingang zur Höhle
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eine Schutzwehr aus dornigem Gestrüpp und warf das schwere Eisenkleid von sich. Müde streckte er sich nieder und bat Hildegund, seinen Schlaf zu hüten. Schon nach wenigen Stunden erhob sich Walther und wachte über den Schlaf der Königstochter. Als aber die Morgenröte den ersten Schimmer über die Höhen des Wasgenwaldes warf, verließen die Verfolgten das Felsennest. Sie waren wohlberitten, denn vier der erbeuteten Rosse dienten ihnen als Packpferde. Ungestört ritten sie durch den tiefen Tann, doch als sie auf freies Feld kamen, da hörten sie Rossegeschnaube und Waffengeklirr. „Laß uns eilen", rief Hildegund aufs tiefste erschrocken, „vielleicht finden wir wieder Schutz in den Felsen." „Wann hätten wir uns denn je gefürchtet!" sagte Walther und blickte Hildegund an. Zuversicht und Tapferkeit lag in seiner Miene. „Reite du nur voran und verbirg dich im dichten Wald. Ich will die beiden erwarten." Ohne sich umzusehen ritt Walther weiter des Weges. Da erscholl König Günthers Stimme. „Halt ein, du Held von der Felsenwand! Nun steh auf freiem Felde und büße für das Blut meiner erschlagenen Ritter!" Gemächlich wandte Walther sein Roß. Die beiden Burgunden waren herangekommen, indessen Walther würdigte den König keines Blickes. Zu Hagen sagte er: „Hagen von Tronje, einst ritten wir unter Etzels Fahnen in die heiße Schlacht, und einer hütete des ändern Leben. Erinnerst du dich nicht mehr? Wir haben unser Blut gemischt und Treue geschworen, solange wir wan
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dern auf Männererde. Erinnerst du dich, Hagen?" Finsteren Gesichtes sah Hagen an Walther vorbei, er befand sich in großer Gewissensnot. „Nun denn", fuhr Walther fort, „willst du, daß man in deutschen Landen, wenn man von Treuebruch spricht, den Namen Hagen von Tronje nenne?" In Hagen wühlten Schmerz und Verzweiflung. Lieb und wert war ihm der Blutsbruder Walther, aber er fand nicht den Ausweg aus dieser Not, in die ihn das Schicksal verstrickt hatte. Fest richtete er plötzlich den Blick auf Walther und sagte: „Du hast meinen Schwestersohn, den jungen Helmfried, erschlagen, und also hast du unsern Bund gebrochen. Drum laß ab vom Streit der Worte und greif zum Schwert. Ich fordere Helmfrieds Blut von dir!" Damit sprang Hagen vom Pferde, auch Günther schwang sich aus dem Sattel, doch es war keine Ehre für sie, daß sie zu zweien gegen einen kämpften. Ohne Säumen sprang auch Walther aus den Steigbügeln und stellte sich zum Kampf. Zischend fuhr Hagens Speer durch die Luft, doch Walther hielt seinen Schild schräg, so daß die Waffe seitwärts in die Erde fuhr. König Günthers Geschoß konnte er ohne Mühe aus dem Schild schütteln. Da zogen die Burgunden ihre Schwerter und bedrängten den Gotenhelden so, daß er sich ihrer nur mit Mühe erwehren konnte. Hin und her wogte der Kampf, die Funken stoben aus Helmen und Brünnen und Schilden, und schwer ging den Streitern der Atem.
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Heiß brannte die Sonne hernieder, und Walther spürte, daß bald seine Kräfte erlahmen würden. Da beschloß er, den ungleichen Kampf zu beenden. „Ihr habt den Tod gesucht, nun nehmt, was euch gebührt!" rief er zornig aus, dann schleuderte er mit gewaltigem Schwung den Speer auf Hagen. Der von Tronje taumelte, denn durch Schild und Panzer war Walthers Eisen gedrungen und hatte das Fleisch geritzt. Ehe sich's Günther versah, blitzte Walthers gutes Schwert auf, schlug ihm den Schild zur Seite und hieb ihm das linke Bein über dem Knie ab. Schon zuckte Walthers zweiter Streich über des Königs Haupt, der am Boden lag, da warf sich Hagen dazwischen und fing den Schlag mit seinem Helm auf. Doch mit schrillem Klang brach Walthers Schwert in Stücke. Unmutig schleuderte der Gote den Schwertknauf von sich, da blitzte Hagens Schwert auf, und Walthers rechte Hand fiel abgehauen in den Staub. Nun gedachte Hagen den letzten Streich zu vollbringen, doch Walther unterdrückte den furchbaren Schmerz, zog mit der Linken das hunnische Krumm schwert von seiner rechten Hüfte, und bevor Hagen sich decken konnte, traf ihn das Eisen mitten ins Gesicht. Das Blut schoß hervor aus einer breiten Wunde von der Stirn bis zum Kinn — Hagens rechtes Auge war verloren. Kampfunfähig waren die Burgunden, zu Tode erschöpft stützte sich Walther auf seinen Schild. So endete der Helden Kampf am Wasgenstein, und so
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erfüllte sich der Norne Spruch: Schimpflich endet, der nach rotem Golde giert.
Hildegunds Heimkehr Hildegund eilte sogleich herbei und verband mit sanfter Hand die Wunden. Dann holte sie aus dem Reisevorrat Wein herbei und einen Becher. Den ersten Trunk reichte sie Walther. Der aber wies auf Hagen und sagte: „Ihm gebührt der erste Becher, ein besserer Held ist mir noch nicht begegnet. Den zweiten Trunk reiche mir, denn ich hatte wohl den schwersten Kampf zu bestehen. Zuletzt versehe Günther, denn seinem Begehren haben wir alle drei unsere Wunden zu verdanken." Froh, daß der grausige Kampf vorüber war, hielt die Königstochter den Becher Hagen hin. Doch der Tronjer, obwohl er vor Durst kaum sprechen konnte, sagte: „Nicht so, du Schöne, denn Walther gebührt der Ehrentrunk. Er ist uns allen an Tugend und Kraft überlegen. Walther, vergiß, was geschehen ist, laß uns die Freundschaft erneuern!" So geschah es, und in langen Zügen trank einer nach dem ändern. Bald plauderten die Recken miteinander wie in alten Tagen, und trotz der Wunden folgen Scherzworte hin und her. Mit Freuden hörte Hildegund zu, als Hagen von König Herrich aus Chalons berichtete. War es doch das erste, was sie seit vielen, vielen Jahren von
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ihren Eltern und der Heimat erfuhr. Sie aber erzählte vom Leben der Hunnen und den Sitten an König Etzels Hof. Als Hildegund getreulich wiedergab, wie König Etzel und seine Ritter von Walther beim Trunk überlistet worden und von den Bänken gefallen waren, da lachte Hagen trotz seiner Wunde und klopfte Walther lobend auf die Schulter. Und Walther mußte noch viel berichten aus hunnischen Landen. So fanden die Helden wieder zueinander. Und glücklich war Hildegund, als sie sah, daß die drei den Männerbund aufs neue bekräftigten. Als Burgund und das Frankenland später schweren Stürmen trotzen mußten, hat sich ihr Bund bewährt. Walther und Hagen halfen dem Burgundenkönig in den Sattel, dann nahmen sie Abschied voneinander. Die einen ritten schweigend gen Worms, Walther und Hildegund aber strebten frohen Herzens der Heimat im Westen entgegen. Mit Windeseile lief ihnen die Kunde von ihrer Rückkehr aus dem Hunnenland voraus. Wo sie vorüberkamen, in Dörfern und Städten, drängte das Volk an die Heerstraße und jubelte ihnen zu. In Chalons wehten die Fahnen von der Burg, und alle Häuser waren festlich geschmückt. Weit vor dem Stadttor wurden sie von König Herrich und seinen Rittern feierlich eingeholt, die Spielleute ließen fröhliche Weisen erklingen, und unter den freudigen Rufen des Volkes wurden die glücklichen Königskinder in die Halle zur Königin geleitet. Tage froher Feste folgten, dann ritt Walther, begleitet
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von vielen Edlen aus Aquitanien, der Heimat entgegen. Mit herzlicher Freude wurde er empfangen. Hildegund blühte schöner auf denn je; wohin sie kam, fand sie offene Herzen und freundliche Augen. Und doch wünschte sie nichts sehnlicher, als daß der Recke komme, der sie aus dem Hunnenland heimgeführt und ihr Herz gewonnen hatte. Nach einem Jahr holte Walther seine Hildegund als Königin ein, nachdem auf der Königsburg zu Chalons die prächtige Hochzeit vollzogen worden war. Walther bewährte sich hinfort als kluger und wehrhafter König, seine Gemahlin Hildegund gewann die Herzen des Volkes in Aquitanien wie im Frankenland. Dreißig Jahre regierten Walther und Hildegund mit Umsicht und Milde. Lange noch sann man in allen Landen von den Heldentaten des Gotenkönigs mit der einen Hand. Und an schönen Sommerabenden wie auch zur Winterzeit in den Spinnstuben erzählten sich die Mädchen, bis in die jüngste Zeit, die Mär von Walther und Hildegund, die Mär von Tapferkeit und Treue.
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DIE NIBELUNGEN
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Siegfried und Kriemhild Kriemhilds Traum Im Lande der Burgunden, zu Worms am Rhein, lebte einst die Königstochter Kriemhild. Die Maid war so schön, daß schon viele tapfere Recken um ihretwillen das Leben gelassen hatten. Drei Brüder behüteten Kriemhild und schützten der Burgunden Reich. Es waren die Könige Günther, Gernot und der junge Giselher. Viele Ritter und Edle gehörten zu deren Gefolge, allen voran der grimmige Hagen von Tronje, der einst am Hofe des Hunnenkönigs Etzel als Geisel gelebt hatte. Dankwart, Hagens Bruder, diente den Königen als Marschall, und Herr Ortwin von Metz als Truchseß. Der Schenk hieß Sindolt, der Kämmerer Hunold und der Küchenmeister Rumold. Das Recht wahrten die Markgrafen Ger und Eckewart, und weithin galt der Ruf des Sängers Volker von Alzey, der das Schwert wie auch die Fiedel vortrefflich zu handhaben wußte. Noch viele andere kühne Ritter gehörten zum Gefolge König Günthers, der in Klugheit und Milde Burgund, das Erbe seines Vaters Dankwart, regierte. Einst träumte Kriemhild, sie habe einen stolzen Falken aufgezogen, aber zwei Adler hätten ihn vor ihren
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Augen zerrissen. „Kein größeres Leid werde ich je erleben können als das, was mir im Traum geschehen", so klagte Kriemhild eines Morgens ihrer Mutter, der alten Königin Ute. „Mein liebes Kind", erklärte die Mutter den Traum, „der Falke, den du aufgezogen, ist ein edler Ritter, der dein Gemahl werden wird. Gott wolle ihn behüten, damit du ihn nie verlieren mußt." „Was sprecht Ihr da von einem Ehegemahl, liebe Mutter? Nein, ich will die Liebe meiden bis an meine Ende. Nie soll mir durch Liebe Leid geschehen." Frau Ute belehrte die Maid, auch sie werde einst das Glück in einem geliebten Manne finden. Doch Kriem hild verharrte dabei, sie wolle der Minne entsagen. Weder Frau Ute noch Kriemhild ahnten das Los, das die Himmlischen Kriemhild beschieden hatten. Es kam die Zeit, da Kriemhild den Tod ihres Edelfalken blutig rächte, und viele kühne Recken mußten darüber ihr Leben lassen.
Der gehörnte Siegfried Auf einer hohen Burg zu Xanten am Niederrhein herrschte König Siegmund über die Niederlande. Seine Gemahlin Sieglind hatte ihm einen Sohn geschenkt mit Namen Siegfried. Der Knabe wuchs zu einem großen und starken Jüngling heran, schön von Wuchs und
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Angesicht, doch stürmischen Sinnes und voller Übermut. Die Recken am Hofe zu Xanten rieten König Siegmund, er möge seinen Sohn in die Fremde ziehen lassen, damit er in Not und Gefahr das rechte Maß in allen Dingen kennenlerne. Jung-Siegfried indessen war froh, daß ihm Urlaub aus der Zucht der Eltern gewählt wurde. Auf Taten und Abenteuer bedacht, nahm er Abschied von den geliebten Eltern und zog hinaus in die Welt, ohne Wehr und Waffen, nur auf seine Kraft und seinen Mut gestellt. Einen derben Stab in der Hand, so wanderte er durch die dichten Wälder, unterirdisch verborgen, hüteten Zwerge den großen Hort der Nibelungen, kostbare Geschmeide und Waffen, wie sie noch nie eines Menschen Auge erblickt hatte. Doch davon ahnte Jung-Siegfried nichts. Er wanderte unbeschwerten Sinnes dahin, nährte sich von den Früchten des Waldes und labte sich am kühlen Quell. Oft schon hatte sich die Silberscheibe des Mondes über seinem Haupt erneuert, da hörte er eines Tages in der Stille des Waldes das hellklingende Schlegeln eines Schmiedehammers. „Eine Schmiede!" jubelte Siegfried. „Da will ich einkehren und mir ein scharfes Schwert schmieden! Ein Stecken steht dem Sohn des Königs der Niederlande gar zu schlecht an." Bald hatte er zu einer düsteren Hütte gefunden, die an einem Fels angelehnt war. Dort stand der Schmied
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über den Amboß gebeugt und hielt mit der Zange einen langen rotglühenden Eisenstab. Zwei kräftige Gesellen härteten ihn mit mächtigen Schlägen zum Schwert, so daß die Funken nach allen Seiten stoben. Es dröhnte und wuchtete, daß die Erde zitterte. Der zwergenhafte Schmied, mit breiter Brust und starken Armen, wurde des Fremden ansichtig und gebot seinen Gesellen aufzuhören. Den glühenden Stahl warf er in einen Wasserbottich, so daß der Dampf in weißen Wölkchen aufzischte. „Nun, junger Wandersmann, was führt denn dich zum alten Mime?" fragte er mit rauher Stimme. „Mime seid Ihr, der berühmte Waffenschmied?" rief Jung-Siegfried erfreut aus. „Vieles haben mir meine Lehrer von Eurer Kunst erzählt. Lehret auch mich, wie ein gutes Schwert geschmiedet wird!" „Hm, hm", brummte der bärenstarke Schmied und warf unter buschigen Augenbrauen hervor prüfende Blicke auf den Knaben, „ein tüchtiger Lehrbursche wäre mir schon recht. Doch bist du kräftig genug, den schweren Hammer zu schwingen?" „Das sollt Ihr sogleich sehen!" Jung-Siegfried lachte, packte den wuchtigen Hammer und schmetterte ihn mit solcher Wucht auf den Amboß, daß dieser sich tief in den felsigen Boden bohrte und der Hammer zersplitterte. Zutiefst entsetzt war Mime über solche Kraft, aber er wagte es nicht, den ungestümen Jüngling abzuweisen. So wurde Siegfried wohl oder übel aufgenommen und in die hohe Kunst des Waffenschmiedens gründlich
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eingeführt. Als er aber einmal den Altgesellen Eckehard so verprügelt hatte, daß der davon tagelang krank war, sann Mime auf eine Gelegenheit, wie er sich des gefährlichen Lehrlings entledigen könne. Eines Morgens gebot Mime dem nichtsahnenden Siegfried, er solle in einem Sack Holzkohlen holen von einem Meiler, der einige Stunden entfernt im Wald lag. Der Weg dorthin führte an der Hausung eines scheußlichen Dachens vorbei, der bisher noch jeden Wanderer getötet hatte. Es war Mimes Bruder Fafhir, der verwunschen war als Drache und im tiefen Walde hauste. Mime aber hatte seinem Bruder Fafnir angekündigt, er werde Siegfried schicken und Fafnir solle ihn umbringen. Siegfried gürtete sich mit seinem selbstgeschmiedeten Schwert und machte sich auf zu dem kohlespendenden Meiler. Hämisch blickten Mime und seine Gesellen ihm nach, sie waren gewiß, daß der Knabe dem sicheren Tod entgegenginge. Eine dünne Rauchsäule, die sich über den Gipfeln der Bäume kräuselte, wies Siegfried den Weg. Fast war er am Ziel, da kroch plötzlich unter einem großen Baum ein grauenerregender Lindwurm hervor. Mit feurigem Atem schoß er auf den Ahnungslosen zu. Sieh da, dachte Siegfried ohne Furcht und Zagen, du Wurm kommst mir gerade recht, damit ich mein gutes Schwert erprobe! Mit wilden Streichen drang er auf das Untier ein, doch an der Hornhaut Fafnirs prallten seine Schläge ab. Schnell riß Siegfried den ersten besten Baum mitsamt den Wurzeln aus und warf ihn dem Lind
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wurm entgegen, der wild mit dem mächtigen Schweif um sich schlug. Und bald hatte sich der Drache in Geäst und Wurzeln des Baumes so verwickelt, daß er nicht sogleich freikam. Fafnir tobte vor Wut, blaue und rote Flammen schossen aus seinem Schlund hervor, und Siegfried mußte in einer Höhle Zuflucht suchen. Während sich nun Fafnir nach allen Seiten wandte, Siegfried zu suchen, gelang es diesem, unter den Bauch des Untiers zu kriechen und ihm sein Schwert tief ins Herz zu stoßen. Doch aus dem Sumpfe erhoben sich noch viele Brüder des Erschlagenen und schnappten mit gierigen Rachen nach Siegfried. Da schlug der Held aus Xanten mit dem Schwert um sich, und bald färbte sich der Morast von Blut. Schnell ergriff Siegfried noch mehr Bäume und warf sie auf das Gewürm, totes wie lebendes. Aus dem nahen Meiler holte er ein brennendes Holzscheit und setzte die Bäume in Brand, so daß die Drachenbrut in prasselnder Flammenglut umkam. In der siedenden Hitze schmolzen die hornigen Panzer der Untiere, und die Brühe floß zwischen Busch und Baum hervor. Neugierig tauchte Siegfried die Finger in den heißen Sud und sah zu seiner Verwundertung, daß er auf der Haut hart und hörnern wurde. Da warf Siegfried sein Gewand von sich und badete im fließenden Horn, bis sein ganzer Leib davon bedeckt war. Doch ein Lindenblatt war gerade zwischen seine Schulter gesunken, und dies war die einzige Stelle, wo Siegfried verwundbar blieb.
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Der Nibelungenschatz Zu neuen und größeren Abenteuern fühlte sich der Held gerüstet, aber in die Schmiede gedachte er nicht mehr zurückzukehren. Da gab ihm der Köhler, zu dem ihn der tückische Mime geschickt hatte, Kunde von einem unermeßlichen Schatz. Der Zwergenkönig Nibelung verwahre ihn in einem nahe gelegenen Berge, hohe Himmlische hätten ihn vor Zeiten als Sühne zahlen müssen. Nach Nibelungs Tod sei der ganze Reichtum an seine beiden Söhne gefallen, doch stritten sie immer wieder wegen der Teilung. Noch immer sei der Streit nicht geschlichtet, denn oft höre man am Grollen und Poltern im Gebirge, daß die Königssöhne miteinander kämpften. Viele Tage war Siegfried durch den Wald gewandert, bis ihn plötzlich ein Stöhnen und Ächzen aufhorchen ließ. Bald hatte er herausgefunden, daß es aus einer Höhle kam, und er ging nahe heran. „Hollaho! Hollaho! Gebt endlich Frieden!" rief der gehörnte Siegfried ins Dunkel hinunter. Da antwortete ihm schauerliches Gebrüll aus der Tiefe, und ein scheußlicher Drache ringelte sich zornig aus der Höhle herauf. Habe ich den furchtbaren Fafnir besiegt, dann werde ich auch diesen Kampf nicht scheuen, dachte Siegfried und griff furchtlos zum Schwert. Es gelang ihm, den Drachen von der Seite her zu verwunden, so daß er sich rasend vor Schmerz aufbäumte, dann stieß er ihm sein
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Schwert ins Herz. Vom Getöse des Kampfes angelockt, war das Zwergenvolk mit seinen Königen aus dem Berge hervorgekommen. Nun waren sie glücklich, daß der böse Lindwurm erschlagen war, und näherten sich voller Verwunderung dem Sieger. Die Nibelungensöhne hatten in dem Drachentöter den Königssohn aus Xanten erkannt, und sie baten ihn, den Hort gerecht unter beide zu teilen. Zum Lohn dafür versprachen sie ihm Balmung, das beste Schwert weit und breit. Um solchen Schwertes willen übernahm Siegfried die Teilung. Auf einen Wink ihrer Herrscher schleppten die Zwerge unerschöpfliche Mengen kostbarer Kleinodien und herrlicher Waffen heran und türmten diesen Hort vor Siegfried auf. Der Held schied alles Gut in zwei gleiche Teile, sorgsam Wert und Gewicht messend, und wies diese Schätze den Brüdern zu. Doch jeder von ihnen glaubte sich übervorteilt, und sich schalten und schimpften sich in hellen Zorn gegen Siegfried. Als dieser sich weigerte, nochmals zu teilen, riefen die Nibelungen das Zwergenvolk zu Hilfe und drangen wütend auf ihn ein. Vor solcher Übermacht geriet der Drachentöter in schwere Not. Ingrimmig schwang er Gram, sein blitzendes Schwert, nach allen Seiten, bis er die wortbrüchigen Brüder erschlagen hatte und das Volk endlich von ihm abließ. Aufatmend ließ Siegfried sein Schwert Gram sinken, da erhielt er Schlag auf Schlag von einem unsichtbaren Gegner. Zwar war er durch das Bad im Drachenblut umverwundbar, aber er wollte den heimlichen Gegner
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bezwingen. Doch seine Schwertstreiche trafen stets ins Leere. Alle Sinne angespannt, suchte er zu spüren, wo der listige Angreifer stünde. Da, als er einen Schlag auf den Arm erhielt, warf er den Schild gegen den Unsichtbaren, griff zu und hielt die Tarnkappe eines Zwerges in der Hand. Alberich, der Schatzmeister der Nibelungen, war es, der sich durch seine Tarnkappe unsichtbar gemacht hatte. Der Besiegte fiel Siegfried zu Füßen und bat um Gnade. Den gesamten Nibelungenschatz versprach er ihm und treue Dienste, wenn er ihm das Leben gewähre. Siegfried war dessen zufrieden und machte Alberich zu seinem Statthalter über Volk und Hort der Nibelungen. Nun huldigten die Zwerge ihrem neuen Herrscher, der reich geworden war wie kein anderer Sterblicher. Siegfried nahm nur das Schwert Balmung, die Tarnkappe und einen Ring an sich. Alberich sah das mit Zagen. Er sagte: „Herr, ein Fluch haftet an diesem Ring. Ins Verderben schreitet, wer ihn trägt. Du seist gewarnt!" Siegfried tat die Warnung mit einem Lachen ab und nahm Abschied. Die Nibelungen aber haben ihr Wort gehalten und den Hort gehütet bis über Siegfrieds Tod hinaus. Der Ruhm eilte dem jungen Drachentöter gleich reitenden Boten voraus. Wohin er kam, öffneten sich ihm die Burgen, von Königen und Fürsten wurde er willkommen geheißen. Seine Taten wurden in den Liedern der fahrenden Sänger gepriesen.
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Brunhild wird von Siegfried erlöst Auf seinem Weg nach Norden war Siegfried Gast des Dänenkönigs Helferich. Dort hörte er von Nornegast, dem uralten Sänger, das Lied von der schönen Brunhild im Isenland. Auch pries Nornegast den mächtigen Hengst Grane. Der König der Dänen ließ für Siegfried einen seetüchtigen Segler rüsten und gab ihm eine bewährte Mannschaft mit, gen Isenland zu fahren. Nach glücklicher Reise näherten sich die Helden dem brennenden Isenstein. Flammende Lohe stieg dort zum Himmel, kein Sterblicher durfte es wagen, den Feuerring zu durchbrechen. Einst war die schöne Brunhild zur Walküre erhoben worden, und manch tapferen Kämpen hatte sie von der Walstatt nach Walhall geleitet. Als sie aber einmal den Himmlischen getrotzt hatte, legte der Richter wabernde Lohe um Brunhilds Burg und berührte sie selbst mit dem Dorn. So mußte sie schlafen, bis ein Held käme, die Waberlohe zu durchbrechen. Von weitem grüßte der Isenstein, als die Helden landeten. Doch bevor Siegfried die stolze Brunhild auf suchte, wandte er sich den Rosseweiden zu. Ohne Zaudern zeigten ihm die Pferdehüter den Hengst Grane, aber sie vermochten ihn nicht einzufangen. Da ergriff Siegfried Halfter und Zaumzeug und rief das Pferd mit Namen an. Verwundert sahen die Knechte, wie das Tier dem Fremden entgegenlief und sich von Siegfried zäumen ließ. Dann schwang sich der Held auf den Rücken
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von Grane und ritt dem Isenstein entgegen, die Königin auf ihrer Burg zu begrüßen. Doch der Hengst scheute vor der wabernden Lohe um die Felsenburg. Siegfried spornte den edlen Renner an, dann sprang er mit mächtigem Sprung mitten in die Flammen. Unter Roß und Reiter wich die feurige Lohe und erlosch. Siegfried blickte verwundert umher, als ihn im Burghof niemand willkommen hieß. Wohin er sich auch wandte, war alles totenstill. Überall in den Gemächern, darinnen er sich umsah, erblickte er schlafende Ritter, auch Knechte und Mägde waren in tiefen Schlaf versunken, als habe sie alle ein Zauber angerührt. In einem prächtig ausgestatteten Saal fand Siegfried auf dem Ruhebett eine herrliche Gestalt in golden schimmernder Rüstung. Voller Erstaunen trat der Held aus Xanten hinzu, beugte sich über den Schläfer und löste das Helmband. Da erkannte er, daß der vermeindiche Held eine wunderschöne Maid war. Lange stand er versunken in den lieblichen Anblick, da schlug die Ruhende die Augen auf und blickte den Erwecker wie im Traum an. Langsam richtete sie sich auf und sprach: „Lange schlummerte ich. Wer brach den Bann, wer endete meinen Schlaf? Wer bist du, starker Held?" „Ich bin Siegfried, König Siegmunds Sohn, und Nornegasts Lied führte mich zum Isenstein." „Dank dir, daß du mich erweckt hast, und gern sei dir Grane zum Lohn gewährt. Ich bin Brunhild, eines
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mächtigen Königs Tochter. Von den Himmlischen, denen ich zu trotzen gewagt, wurde ich auf den Isenstein verbannt und in tiefen Schlaf versenkt. Nun ist der Schlafbann gebrochen. Ich biete dir Gastfreundschaft, solange es dir gefällt." Nun erklang Rufen und Lachen im ganzen Schloß, die Schlummernden erwachten, der Frühling kam über das Land, und die Sonne leuchtete. Die stolze Brunhild hatte Gefallen gefunden an dem jungen Helden und bewirtete ihn königlich. Gern hätte sie ihn als Herrscher über Isenland gesehen. Siegfried aber trieb es wieder in die Heimat am Niederrhein. Erst wollte er König sein, bevor er um die Jungfrau auf dem Isenstein würbe. Mit Wehmut blickte Brunhild dem Segler nach, denn sie hatte den Helden liebgewonnen. Insgeheim hoffte sie, der Ritter werde zurückkehren und um sie werben, wenn er sein Erbe angetreten habe.
Siegfrieds Fahrt nach Worms Als Held kehrte Siegfried in die Heimat zurück, die er einst als Knabe, mit dem Stecken in der Hand, verlassen hatte. König Siegmund und Frau Sieglind, die glücklichen Eltern, gaben zu Ehren ihres Sohnes ein großes Fest, dazu viele edle Ritter entboten waren. Auch fahrende Sänger waren an den Hof von Xanten gekom
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men, sie erfreuten jedermann, wie sie Siegfrieds Taten rühmten. Sie sangen aber auch von einer schönen Königstochter, um deren Gunst sich bisher viele Helden vergeblich beworben hätten. Es sei die sittsame Kriemhild am Hofe der Burgunden zu Worms. Das preisende Lied von Kriemhild ertönte immer wieder, und endlich erwachte in Siegfried der Wunsch, die Maid von Angesicht zu sehen. Er sagte zu seinen Eltern, er wolle gen Worms ziehen und die Jungfrau heimführen, wenn sie ihm gefiele. „Ich warne dich", erwiderte König Siegmund, „denn über die Maßen stolz ist das Geschlecht der Burgunden. Und gefürchtet weit und breit ist Kriemhilds Oheim, der fürchterliche Hagen von Tronje." Übermütig lachte Siegfried. „Und wenn man mich nicht ehrlich um Kriemhild werben läßt, so gewinne ich sie mir mit dem Schwert!" „Zu kühn ist der Flug deines Willens", mahnte der König, „bedenke, daß Kriemhilds Brüder, Günther und Gernot, bewährte Recken sind. Laß ein Heer mit dir ziehen, so du auf deinem Willen beharrst." „Ein Heer? Nein, nur zwölf meiner Mannen sollen mich begleiten. Auf der Erde, in der Luft und im Wasser gibt es nichts, was mich gefährden kann! Und nun, liebe Mutter, laß aus deinen Truhen die vornehmsten Gewänder heraussuchen für mich, damit sie in Worms erkennen, von wannen ich komme." Also geschah es nach des Helden Wunsch. Viele Wochen arbeiteten geschickte Frauen und Mädchen an
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kostbaren Kleidern und Mänteln, bis der Tag herangekommen war, da die Helden das Schiff bestiegen. Zwischen grünenden Felshängen glitten sie auf dem Rheinstrom dahin, und nach sieben Tagen herrlicher Reise erblickten sie die ragenden Türme der Burgundenburg. In dem Palast zu Worms hatte sich schon die Kunde verbreitet, dreizehn Ritter näherten sich dem Burgundenland. So beobachteten die Könige Günther, Gernot und Giselher, wie Siegfried und seine Begleiter in den Burghof einritten. „Ich kenne die Ritter nicht", sagte König Günther, „auch fuhren sie weder Wimpel noch Wappen." Ebenfalls Herr Ortwin von Metz wußte keine Auskunft zu geben. „Aber", so riet er, „erlaubt mir, meinen Oheim Hagen zu rufen. Er ist weit herumgekommen, vielleicht weiß er, aus welchem Nest diese Aare geflogen sind." Hagen von Tronje wurde entboten, und bald betrat er den Saal. Als er zum Fenster schritt, wichen die Knappen vor seinem düsteren Blick zurück. Mit blitzenden Augen musterte er die reisige Schar und sah, wie Siegfried gerade aus dem Sattel sprang. „Die Begleitung kenne ich nicht", bekundete er, „aber der, der so stolz dasteht und herrisch die goldenen Locken schüttelt, dünkt mich, ist Siegfried, der Drachentöter. Viel Gold nennt er sein eigen." „Der den Hort der Nibelungen erbeutet hat?" fragte Günther. „Ja, derselbe ist es! Und das berühmte Schwert Bai
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mung hat er gewonnen, und unüberwindlich ist er geworden im Blut des Drachen." „Wenn es so ist", entschied König Günther, „laßt uns ihnen entgegengehen und sie freundlich empfangen." Mit großem Gefolge empfingen sie am Tor die Recken aus Niederland. Freundlich fragte Günther nach Siegfrieds Begehr. „Kühne Recken wohnen zu Worms", antwortete Siegfried, „so kündet die Mär. Mit ihnen möchte ich im Kampfe streiten. Und setzt König Günther sein Reich zum Preis, so möcht' ich gern darum kämpfen!" Trotzig, ja hochfahrend hatten Siegfrieds Worte geklungen. Die Burgunden waren starr vor Zorn. In die Stille klirrte Hagens Wehrgehenk, denn seine Hand war jäh zum Schwertgriff gefahren. König Gernot suchte Siegfried wie auch die Burgunden zu beschwichtigen. „Ihr seid zu gut!" fuhr Ortwin von Metz dazwischen. „Der Bursche da prahlt mir zu sehr, ihm darf man nur mit dem Schwert antworten." Schneidend kalt unterbrach Siegfried den Truchseß: „Wer bist du? Wenn ich mit dem Könige spreche, haben die Knechte zu schweigen!" Hagens Worte wurden fast im Zorn erstickt. „Recht hat Herr Ortwin gesprochen! Er hat sich nicht angemeldet, dieser Bursche, und dazu will er uns noch beleidigen! Aber ich habe Euch erkannt - Siegfried seid Ihr! Wir bieten Euch Trotz mit dem Schwert!" Siegfrieds Hand glitt zum Griff des Balmung, seine Augen blitzten, und ein Ungewitter drohte. Da sprach
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zu ihm Jung-Giselher, den sie „das Kind" nannten. „Mein Oheim Hagen und Herr Ortwin sind tapfere Rekken, doch wo sie Funken sehen, entfachen sie ein Feuer. Vergiß ihre Worte, denn König Günther und seine Geschwister entbieten dir herzlichen Willkomm! Hier, meine Hand, du ruhmreicher Held vom Niederrhein, und ich bitte um deine!" Mit Freuden ergriff Siegfried die Rechte des jungen Königs und sprach: „Dank dir, Giselher! Wisse: wonach mir der Sinn steht, das möcht' ich gewinnen. Deine versöhnlichen Worte aber haben mich belehrt, und ich nehme mit Freuden eure Gastfreundschaft an." König Günther nickte freundlich zu solchen Worten, und der Groll auf beiden Seiten war rasch verflogen. Siegfried und seine Mannen wurden in die Burg geleitet und festlich bewirtet. König Günther ließ um des Gastes willen in den folgenden Wochen prächtige Turniere und fröhliche Feste veranstalten. Siegfried wurde von allen gern gesehen. Nur Hagen von Tronje stand trotzig abseits, er allein verschloß sich dem Drachentöter, der die Gunst der Burgunden bald erwarb. Von Woche zu Woche verschob Siegfried die Heimkehr nach Xanten — vergeblich, Kriemhild, um deretwillen er gekommen war, sah er nicht. Sie verließ ihre Kemenate nur, wenn sie sich im Burggarten erging. Nie war sie unter den Männern, doch insgeheim blickte sie aus dem Fenster. Und mit großem Wohlgefallen ruhte ihr Blick auf Siegfrieds starker
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Gestalt. Sie erinnerte sich ihres bösen Traumes und fragte die Mutter: „Ist Held Siegfried der Falke, den die beiden Adler zerrissen haben?"
Die Schlacht im Odenwald Viele Monde waren ins Land gegangen, und Siegfried hatte die schöne Kriemhild noch immer nicht gesehen. Insgeheim wurde der Held vom Niederrhein schon von dem Gedanken bewegt, Burgund zu verlassen, da hielt ihn das Schicksal in Worms fest. Krieg wurde dem König der Burgunden angesagt. Lüdeger und Lüdegast, die Könige der Sachsen und der Dänen, hatten durch Boten in Worms die Fehde angekündigt. Ihre Heere näherten sich bereits dem Odenwald. König Günther war in großer Not, denn er mußte erst die Männer des burgundischen Heerbanns sam meln, die im weiten Reich verstreut waren. Nicht mehr als tausend Krieger waren es, denen er zur Zeit gebot. Mit so geringer Heerschar der feindlichen Übermacht entgegenzuziehen bedeutete, sie dem gewissen Tode zu weihen. In dieser Not berief König Günther seine Brüder und andere Helden zum Kriegsrat. Selbst Hagen von Tronje wußte keinen Ausweg. „Ich und meine Sippe", so sagte der Held, „haben von jeher dem Herrscher der Burgunden die Treue gehalten. Ich scheue es nicht, mich mit
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meinen Mannen in diese Schlacht zu stürzen, und wenn es die Hölle wäre. Dennoch bin ich ungewiß, ob wir gegen eine solche Übermacht siegen können. Nur einen wüßt' ich, dessen wunderbare Kraft das Schicksal zu wenden vermöchte. Siegfried von Xanten ist es. Ihn fragt, ob er zur Waffenbrüderschaft bereit ist." Verwundert blickten sich die Helden an, daß gerade Hagen diesen Rat gab, und sie wähnten, nun hege Hagen keinen Groll mehr gegen Siegfried. Nach der Beratung begegnete Siegfried den Recken, und er fragte sie nach der Ursache ihrer Niedergeschlagenheit. Alle schwiegen, nur Volker, der Sänger, berichtete Siegfried, welches Unheil den Burgunden drohe. „Hei!" rief da der Drachentöter aus. „Laß sie kommen, König Günther! Und wenn es noch so viele sind, wir werden sie zerschmettern! Mit meinen zwölf Mannen und deinen tausend Kriegern will ich sie jagen! Gib mir auch deine tapfersten Recken mit: Gernot, Hagen, Ortwin, Dankwart und Sindolt. Und Volker, der mit dem Schwert so gewaltig ist wie mit der Fiedel, er soll mein Fahnenträger sein." Bewegt dankte König Günther dem Helden und sandte sogleich Nachricht den feindlichen Königen, daß er die Fehde annehme. Doch heißer Schrecken durchfuhr Lüdegast und Lüdeger, als sie erfuhren, daß Siegfried, der Drachentöter, den burgundischen Heerbann anführte. Sie überschritten die Grenze, zogen durch den dunklen Forst des Odenwaldes und schlugen ihr Lager am Rande des Gebirges auf, der Rheinebene zugewandt.
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Im Morgengrauen ritt Siegfried auf Kundschaft aus. Als sich die ersten Strahlen der Sonne über dem Odenwald erhoben, sah er das gewaltige Heer der Feinde, Zelt ragte neben Zelt, an die vierzigtausend Krieger mochten es sein, die sich nun zum Streite rüsteten. Da löste sich aus den Reihen der Feinde ein Reiter, nach dem Heer der Burgunden Ausschau zu halten. Langsam kam er dem Platz näher, da Siegfried, durch den Stamm einer mächtigen Buche verdeckt, ihn erwartete. Nun sah Siegfried das goldene Zaumzeug, und an silberglänzendem Harnisch und Helm wurde er gewahr, daß er einen der Könige vor sich hatte. Und wirklich, der Dänenkönig Lüdegast war es, den das Schicksal dem Unüberwindlichen entgegengeführt hatte. Kaum sahen sich die Helden, da spornten sie ihre Rosse und ritten mit eingelegten Speeren aufeinander los. Jäh war der Anprall und wuchtig, König Lüdegast wurde aus dem Sattel geworfen. Indes sein Roß zum Lager galoppierte, sprang der König auf und wehrte sich mit wilden Schlägen gegen Siegfried. Dreißig Dänenrecken kamen zu Hilfe herangeprescht, denn das reiterlose Roß hatte sie Schlimmes ahnen lassen. Zu spät - König Lüdegast hatte schon sein Leben ausgehaucht, Siegfried aber warf sich den Dänen entgegen und schwang sein Schwert Balmung, bis der letzte Kämpfer tot ins Gras gesunken war. Da kündete Hörnerklang, daß Hagen mit dem Heerbann der Burgunden heranrückte. Doch Siegfried wartete nicht auf sie, sondern jagte mit verhängten Zügeln
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der feindlichen Vorhut entgegen. Wie der Sturmwind drang er in ihre Reihen ein und warf nieder, was ihm in den Weg kam. Der Feind geriet in Verwirrung. Da stürmten auch Hagen und die Seinen heran. Von vorne und von der Seite hieben sie mit tosendem Schlachtgeschrei auf Sachsen und Dänen ein, die sich wacker wehrten. Der Helm war von Siegfrieds Haupt geglitten, hell leuchtete sein blondes Haar über der Walstatt, mit dem blitzenden Balmung hieb er sich eine Gasse. Bald traf der Unverwundbare auf König Lüdeger und warf ihn mit dem ersten Schlag aus dem Sattel. Den Gestürzten übergab er den Knechten, und sie führten ihn als Gefangenen nach Worms. Da war die Schlacht geschlagen, die Feinde baten um Frieden, und Boten verkündeten in Worms den Sieg der Burgunden. Frau Ute und Kriemhild vernahmen die Kunde von der Schlacht im Odenwald mit Freuden. Insgeheim ließ Kriemhild einen der Knappen, die die Botschaft gebracht hatten, zu sich kommen. Er mußte ihr genau von den Einzelheiten der Schlacht berichten. Nachdem die Königstochter geziemend nach dem Geschick ihrer Brüder und deren Gefolgsleuten gefragt hatte, lenkte sie unmerklich die Schilderung des blonden Reiters auf Siegfried von Niederland. Und da erfuhr sie, was ihr Herz hatte wissen wollen. Der Drachentöter habe nicht nur den Kampf heil überstanden, sondern er habe allen voran gekämpft, König Lüdegast besiegt und den König Lüdeger gefangengenommen.
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Groß war die Freude am Königshofe, und Kriem hilds Herz war von Glück erfüllt, als sie erfuhr, daß der Ruhm des Sieges dem Helden Siegfried gebührte.
Siegfried begegnet Kriemhild Wochen später, nachdem sich die Recken erholt hatten und die Wunden geheilt worden waren, erlebten Stadt und Land die große Siegesfeier. Zu Roß und mit Wagen eilte das Volk nach Worms, denn König Günther hatte arm und reich geladen. Burg und Stadt prangten im pfingstlichen Maiengrün, und Truchseß Ortwin von Metz hatte Arbeit in Fülle, die vielen Gäste mit Herberge, Speise und Trank zu versorgen. Hoch her ging es in der Burg an festlich gedeckten Tischen, bei köstlichem Trunk und im fröhlichen Tanze zum Klang der Fiedeln. Doch der Held vom Niederrhein war in Gedanken versunken, Mißmut stand auf seiner Stirn geschrieben. Da meinte Herr Ortwin erraten zu haben, was Siegfried verstimmte. So sagte er leise zu König Günther: „Mir schein, es fehle dem Fest die rechte Weihe. Es sollten auch die Frauen dabeisein, insbesondere Eure holde Schwester Kriemhild. Ich sehe einen Helden, der sie vermißt." „Ihr habt recht, Herr Ortwin", meinte der König in froher Laune, „ein solches Fest ohne den Schmuck der
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Frauen ist wie ein Frühling ohne Sonnenschein. Ich will sie holen, damit sie uns erfreuen." Günther selbst eilte zu den Gemächern der Frauen und bat Frau Ute und Kriemhild, mit ihrem Gefolge am Siegesfest teilzunehmen. Die Frauen ließen sich nun in prächtige Gewänder kleiden und schmückten sich mit kostbarem Geschmeide. Dann folgten sie den jungen Knappen, die in seidenen Mänteln den Zug zur Halle anführten. Weißgekleidete Jungfrauen mit Rosen im Haar gingen ihnen voraus. Geleitet von König Günther, betraten Frau Ute und Kriemhild den hohen Saal, von den Gästen bewundert und mit Freuden erwartet. Wie der helle Mond die Sterne überstrahlt, so glänzte ihre anmutige Schönheit vor allen anderen Frauen. Siegfried, der Drachentöter, sprach zu sich: „Eine Welt zu erobern, hat es mir nicht an Mut gefehlt, doch ihr Anblick läßt mich zum schüchternen Knaben werden. Wie könnte ich es wagen, um sie zu werben?" Freundlich grüßte Kriemhild nach beiden Seiten, bis sie in der Mitte des Saales angelangt waren. Dort blieben sie stehen, und König Günther bat Siegfried zu sich. „Liebe Schwester", sagte der König, „ehre mit dem ersten Gruß den Helden aus Niederland. Ihm gebührt heute unser aller Dank für seine treue Waffenbrüderschaft." „Seid uns willkommen, Herr Siegfried!" sagte die
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Schöne. „Mein Bruder hat Euch während des Festes zu meinem Ritter erkoren. Keinen größeren Helden konnte er mir auswählen." Zarte Röte schoß in Kriemhilds Wangen, und rasch bot sie dem Helden ihren Arm, damit er sie zum Münster führe. Dort wurde die Siegesfeier in einem Dankgottesdienst für die Errettung des Reiches begonnen. Nie sah man ein schöneres Paar als Kriemhild und Siegfried. Und auf Siegfrieds Rat war Günther damit einverstanden, dem Überwundenen gegen Gold und einige hundert Pferde Freiheit und Frieden zu gewähren. Da wandten sich die Dänen und Sachsen nach Norden, betrübt durch ihre Niederlage, trauernd um ihre vielen Toten. Als die Gäste alle zur Heimkehr rüsteten, wollte auch Siegfried mit seinen Recken nach Xanten zurückkehren. Er hatte gewünscht, die glücklichen Stunden an Kriemhilds Seite möchten nie zu Ende gehen und König Günther werde ihm die Schwester zum Eheweib geben. Doch eines Tages reichte ihm die Jungfrau zum letzten Mal die Hand. Sie kehrte in die Abgeschiedenheit ihrer Gemächer zurück, wie es die Sitte der Zeit verlangte. Da hielt es Siegfried nicht länger am Burgundenhof, und er ließ die Rosse satteln. Darüber kam der junge König Giselher hinzu. Er fragte in seiner freundlichen Art: „Was treibt dich von uns weg? Weißt du, daß Kriem hild heimlich seufzen wird, wenn du uns verläßt? Auch König Günther, so glaube ich, bedarf noch einmal dei
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ner Hilfe." Als Siegfried diese Nachricht hörte, fiel ihm das Bleiben nicht schwer. Er dachte nur noch an Kriem hild.
König Günther wirbt um Brunhild Im fernen Isenland, so Jung-Siegfried einst sein edles Roß Grane gewonnen, lebe die stolze Königin Brunhild, so sang ein berühmter Spielmann auf dem Fest zu Worms. In seinem Land rühmte er die hehre Schönheit der Walküre, und er wußte von ihren wundersamen Kräften zu berichten, die schon manchem Brautwerber das Leben gekostet hätten. Wer sie zum Weibe begehre, so sang er, müsse sich zuvor mit ihr im Steinwerfen und im Schleudern des Speeres messen. Und wenn er unterliege, so sei sein Leben verwirkt. König Günther war von diesem Lied so berückt, daß er immer heftiger von dem Gedanken beherrscht wurde, die Stolze zu erringen und als Königin nach Worms heimzuführen. Bestürzt waren die Freunde, als er ihnen seinen Entschluß mitteilte. Und in großer Sorge warnte ihn Siegfried: „Steht ab davon, um Brunhild zu werben. Ihr fändet gewiß den Tod!" Auch Hagen, der unerschrockene Recke, versuchte, den König umzustimmen. Zuletzt mahnte er: „Dann bittet Siegfried, uns zu begleiten. Mich
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deucht, die Zauberwelt am Isenstein ist ihm nicht unbekannt." Siegfried zauderte, doch dann fuhr ihm in den Sinn, warum er an den Hof der Burgunden gezogen war und wie lange er deshalb nun schon fremden Herren diente. „Ich will Euch helfen, König Günther", sagte er, „wenn Ihr mir Eure Schwester Kriemhild anvermählen wollt!" Frohen Herzens antwortete Günther: „Wenn ich mit Brunhild in Worms einziehe, sollt Ihr Hochzeit halten mit Kriemhild! Nur eine Bedingung stelle ich: Vor Brunhild tut, als ob Ihr mein Lehnsmann wäret." Das sagte Siegfried zu, und beide Könige banden ihr Versprechen durch Eid.
Brautfahrt nach Isenland Mit fröhlichem Eifer statteten Frau Ute und Kriemhild die Helden würdig aus zur Brautfahrt. Wohl ahnte die liebliche Maid, daß Siegfried um sie geworben hatte, darum betete sie im stillen um das Gelingen der Brautwerbung, die sie für immer mit dem geliebten Helden zusammenführen sollte. Im Hafen zu Worms am Rhein wurde ein neues Schiff gezimmert, tüchtig genug, damit die weite Meerfahrt zu wagen. Nach herzlichem Abschied gingen die
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Recken mit ihren Rossen an Bord und fuhren rheinabwärts. Sie hatten beschlossen, daß neben Siegfried und König Günther nur Hagen und sein Bruder Dankwart an der Fahrt teilnehmen sollten. Nach schneller Reise erreichten sie schon am zwölf ten Morgen den Isenstein. Die Nebel verzogen sich, und sie konnten die Türme und Zinnen der Burg erkennen. Indes sie die Küste ansteuerten, sahen sie an den Fenstern viele schöne Jungfrauen, die neugierig die Landung der Fremdlinge beobachteten. Auf den Söller aber trat eine hochgewachsene Frau, in ein purpurrotes Gewand gehüllt, im schwarzen Haar ein funkelndes Diadem. Brunhild war es, die stolze Königin des Isenlandes. Mit beklommenem Herzen sah sie die Ankunft der Recken. Die vier Recken verließen das Schiff. Siegfried führte Günthers Pferd über die schwankenden Bohlen und hielt dem König die Steigbügel. Dann erst bestiegen er und die beiden anderen Helden ihre Pferde. Das sah Brunhild, doch wie verwunderte sie sich, denn sie hatte Siegfried sofort erkannt. Wollte er sie nicht heimholen auf den Königsthron zu Niederland? Eilends ließ sie sich in prächtige Gewänder kleiden, den so lang Ersehnten freudig zu begrüßen. Mit großem Gefolge schritt sie den Gästen entgegen. Geradewegs ging sie auf Siegfried zu und bot ihm ihre Hand. „Seid willkommen in meinem Land, Herr Siegfried! Was führt Euch und die Helden zur Königin von Isenland?"
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„Habt Dank, edle Herrin für Eure Gastfreundschaft", antwortete Siegfried bescheiden. „Dort steht König Günther, der mächtige König der Burgunden, er wirbt um Eure Liebe. Ihn auf der Brautfahrt zu begleiten, fuhr ich mit, denn ich bin sein Lehnsmann." Da wurde Brunhilds Antlitz wohl weiß wie Schnee, und mit bebender Stimme sprach sie: „Ist er der Herr, und du bist ihm dienstbar, so bringe er hier selbst seine Werbung vor! Doch möge er bedenken: er muß mit mir um Tod und Leben kämpfen! Verliert er auch nur eines der Spiele, so sind mir sein Haupt wie auch die Häupter seiner Recken verfallen!" „Ich habe gewählt, schöne Königin, Glück oder Tod!" rief Günther entschlossen aus. „Was ist es, das Ihr von mir verlangt?" Finster gab Brunhild Bescheid: „Den Speer müßt Ihr mit mir werfen, den Stein stoßen und ihm weit nachspringen können." „Und fordert Ihr noch mehr, ich wollt' es bestehen, um Euch zu gewinnen, Schönste der Frauen!" rief Günther stürmisch aus. „So laß uns beginnen. Ihr habt den Tod gewählt!" Brunhild befahl ihren Mannen, Speer und Stein herbeizuholen, und ließ sich ihre schimmernde Rüstung reichen. König Günthers Begleitern gebot sie, die Waffen abzulegen. Murrend fugte sich der grimmige Hagen, denn Zweifel am glücklichen Ausgang der abenteuerlichen Werbung plagten ihn. Noch mehr wunderte er sich, daß sich Siegfried gebot, die Waffen sogar aufs
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Schiff zu tragen. Er konnte nicht wissen, daß der Held nur den Kampfplatz für wenige Augenblicke verließ, um sich seine Tarnkappe aufzusetzen. Weder Günther noch Hagen und Dankwart kannten Siegfrieds Geheimnis der Tarnkappe. Unsichtbar geworden, eilte Siegfried zurück, um Günther im schweren Kampf beizustehen. Schon war ein Ring für die Streitenden abgesteckt. Drei kräftige Männer trugen den gewaltigen Speer herbei, drei andere einen noch schwereren Schild. Zwölf Mannen aber schleppten an einem riesigen Feldstein, so daß Günther verzagen wollte. Der Tod schien ihm gewiß zu sein, auch Hagen und Dankwart bangten um das Leben ihres Königs. Mit solchen Waffen zu streiten, das wäre keinem Sterblichen möglich. Plötzlich fühlte Günther seine Hand leise berührt. Erschrocken fuhr er auf, da vernahm er Siegfrieds Stimme neben sich: „Fürchte dich nicht, laß mich Stein und Speer werfen, und tu du, als ob du kämpfst!" Inzwischen war Brunhild in den Ring getreten und hob leicht, wie spielend, den Speer in die Hand. Dann schleuderte sie ihn mit solcher Wucht gegen Günthers Schild, daß die Funken stoben. Der König wäre zu Boden gestürzt, wenn der unsichtbare Held ihn nicht gestützt hätte. Schnell riß Siegfried das Wurfgeschoß aus dem zersplitterten Schild und schickte es mit solcher Kraft zurück gegen Brunhilds Brünne, daß sie nicht widerstehen konnte und in die Knie sank. „Das sollst du mir büßen, König Günther!" rief Brun
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hild. Zornglühend richtete sie sich auf und packte den unförmigen Feldstein mit beiden Händen. Einen Augenblick wog sie ihn prüfend wie einen leichten Ball, dann reckte sie sich hoch auf, warf ihn bis zur Mitte der Kampfbahn und sprang ihm in mächtigem Satz nach, so daß sie weit über den Stein hinwegflog. Mit Jubelgeschrei gab ihr Gefolge Beifall kund, selbst der finster dreinblickende Hagen sparte nicht an Lob. „Welch prächtiger Wurf!" rief er begeistert aus. Aller Augen waren nun auf König Günther gerichtet, voller Mitleid sahen viele ihn an, dessen Schicksal besiegelt schien. Doch im Vertrauen auf den Helden in der Tarnkappe ergriff Günther den steinernen Koloß. Siegfried schleuderte ihn weit über Brunhilds Marke hinaus, dann sprang Günther, von Siegfried emporgerissen, wie im Fluge über den Stein hinweg. Das Unfaßliche war geschehen: Brunhild war besiegt! Starr wie ein Bild aus Stein stand die Stolze lange Zeit da. Dann, wie aus einem Traum erwachend, raffte sie sich auf und trat auf ihren vermeintlichen Bezwinger zu. „Du hast mich geschlagen, König der Burgunden", sprach sie mit ernster Stimme, „und ich bin bereit, dir in deine Heimat zu folgen. Sei mit deinen Recken mein Gast, bis ich alles zur Fahrt gerüstet habe." Keine Miene ihres stolzen Gesichtes verriet die Gefühle, von denen sie bei diesen Worten bewegt wurde. Kühl, unnahbar stand sie Günther gegenüber. Und als Siegfried hinzutrat, der sich heimlich seiner Tarnkappe entledigt hatte, wandte sie sich von ihm ab.
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Lange Zeit blickte sie aufs Meer hinaus, als suche sie sich an etwas zu erinnern. Dann sagte sie zu ihrem Gefolge und zu ihren Rittern: „Nun seid ihr König Günther Untertan. Huldigt ihm als eurem Herrn!" Die burgundischen Gäste auf dem Isenstein warteten auf den Tag, da sie das Schiff mit der stolzen Braut nach Worms bringen sollte, doch immer wieder fand Brunhild eine Ausrede, die Abfahrt hinauszuzögern. Erst als Günther seinen Unwillen aussprach, erklärte sie sich bereit. An Günthers Seite bestieg sie das prächtig geschmückte Schiff, begleitet von einer großen Anzahl ihrer Jungfrauen und Mannen. Nachdem sie in glücklicher Fahrt das Meer hinter sich gelassen hatten und in die Rheinmündung fuhren, verließ Siegfried das Schiff. Auf dem Landweg ritt er voraus, um in Worms das Nahen des hohen Brautpaares zu künden.
Die Doppelhochzeit zu Worms Groß war die Freude, als Siegfried die Kunde von der glückhaften Brautfahrt meldete. Die Könige Gernot und Giselher rüsteten zum festlichen Empfang. Rumold, der Küchenmeister, und Sindolt, der Mundschenk, schafften emsig für das Wohl der zu erwartenden Gäste. Oftmals berichtete Siegfried Frau Ute und Kriemhild von dem Abenteuer auf dem Isenstein, aber er verschwieg seine Hilfe.
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Endlich war es soweit, der Turmwächter verkündete das Nahen des Schiffes. Frau Ute und Kriemhild, geleitet von Gernot und Giselher, schritten auf Teppichen an das Ufer des Rheins. Alle Edlen folgten ihnen, und eine Menge Menschen säumte den Strand. Bald legte das Schiff an, die Burgunden brachen in Jubelrufe aus, und die Recken schlugen mit dem Schwert auf die Schilde. Am Bug stand König Günther und winkte den Harrenden entgegen, indes Brunhild stumm und ungerührt die Huldigungen hinnahm. Da befiel Kriemhild ein Bangen. Würde sie jemals mit dieser Stolzen eines Sinnes sein können? An der Hand von König Günther schritt Brunhild über die schwankenden Bohlen, dann begrüßte sie Frau Ute und Kriemhild, stolz hielt sie das Haupt erhoben. Unter den Heilrufen der Recken und Freudenjubel auf allen Seiten bewegte sich der Zug der Fürsten und Edlen auf die Burg. In hoher Halle war eine festliche Tafel gedeckt, von Truchseß und Mundschenk reich beschickt. Doch zuvor erschien der Bischof und vermählte Günther mit Brunhild in einem Ring, den die Anverwandten und Gäste bildeten. Kaum war Volkers süßes Lied der Fiedel verklungen, da entbot König Günther Siegfried und Kriemhild in den Kreis. „Liebe Schwester", sagte Günther zu Kriemhild und führte sie Siegfried zu, „seit Monaten schon ist dir der Held aus den Niederlanden und Herrscher der Nibelungen in herzlicher Minne zugetan. Endlich erfülle ich
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jetzt seinen Wunsch, dich zu fragen, ob du seine Gemahlin werden willst. Wenn es so ist, mag dir der Königssohn aus Xanten den Vermählungskuß geben." Mit niedergeschlagenem Blick trat Kriemhild auf Siegfried zu und gab damit das Zeichen ihrer Einwilligung. Stille herrschte rings im Saale, als nun der Bischof den Segen erteilte. Unter dem Jubel der Gäste führte Siegfried Kriemhild zum Hochsitz an der langen Tafel. Aus allen Augen leuchtete Freude über dieses Glück am Königshofe. Während schlanke Pagen herrliche Speisen und Getränke auftrugen, ergriff Volker von Alzey die Fiedel und besang in seinen Minneliedern das Glück der beiden jungen Paare. Nur Brunhild, König Günther zur Seite, berührte kaum Speise und Trank. Sie saß Kriemhild und Siegfried gegenüber, und ernst, fast finster blickte sie drein. König Günther fragte sie, wovon ihr Herz wohl bedrängt sei. „Ich denke an Kriemhild", sagte sie listig. „Warum muß sie, eines Königs Schwester, einen Unwürdigen freien? Auf dem Isenstein hat Siegfried selbst gesagt er sei dein Lehnsmann, und also hat er dir gedient." Günther antwortete: „Siegfried ist ein Königssohn wie ich, er hat Land und Burgen und Schätze genug. Um das Haus der Burgunden ist es also wohlbestellt, du Stolze. Held Siegfried ist es wert, unser nächster Anverwandter zu sein." Unbekümmert hatte Günther gesprochen, doch zutiefst saß in ihm die Furcht, Brunhild werde das
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Geheimnis ergründen, das ihn mit Siegfried verband. Hatte sie gar schon Verdacht geschöpft, daß Günther sie nicht in ehrlichem Streite gewonnen hatte? Sollte es schon am Hochzeitstage schlecht um den Frieden seines Hauses bestellt sein? Wie konnte er wissen, wie es wirklich im Herzen Brunhilds aussah! Von Siegfried, dem Herrlichsten und Kühnsten von allen, dem einst ihre ganze Liebe gehört hatte, fühlte sie sich verschmäht. In ihrem Stolz gebrochen, war sie innerlich einsam inmitten der fröhlichen Gäste. Jeder Blick auf Siegfried und Kriemhild verwundete ihr Herz aufs neue. Trotz Günthers aufmunternder Reden, trotz Fiedel und Becherklang blieb sie verschlossen. Abends aber, als sie mit Günther allein in der Kammer war, erwachte in ihr der Trotz der Walküre. Mit wilder Kraft packte sie den König und band ihn mit ihrem Gürtel. Erst am Morgen erlöste sie ihn von der schmählichen Fessel. Da klagte Günther dem Helden Siegfried seine Not, und der Freund versprach ihm, die Gewalt der nordischen Jungfrau zu brechen. Als Brunhild am nächsten Abend ihren Übermut wieder beweisen wollte, schlich Siegfried im Schutz der Tarnkappe in die Kammer. Plötzlich wurde die Überlegene mit solcher Kraft gepackt und bezwungen, daß sie umsank und den vermeintlichen Günther um Versöhnung bat. Bei dem Ringen waren Brunhild der Ring und der Gürtel entfallen, von denen die ungeheure Kraft auf sie
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überging. Siegfried nahm beides an sich und verließ behutsam das Gemach. Und von nun an war Brunhild nicht stärker als andere Frauen. Zu Kriemhild zurückgekehrt, erzählte Siegfried sein Erlebnis und schenkte seiner jungen Frau Brunhilds Ring und Gürtel. Das sollte er später bitter bereuen! Mit Waffenspiel, bei Becherklang und Reigentanz gin
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gen die festlichen Tage der Doppelhochzeit in Worms zu Ende. Die Gäste zogen heim, auch Siegfried ließ seine Recken zur Fahrt nach den Niederlanden rüsten. Kriemhilds Brautschatz, viele Kisten mit Gold und Edelsteinen, wurde dem Schiffe anvertraut, und zweiunddreißig Jungfrauen und viele Ritter gaben dem edlen Paar das Geleit. Noch galt es, den Ehrenritter für die Königin zu erwählen, wie König Günther seiner Schwester angeboten hatte. Mit kundigen Blicken streifte Kriemhild die Schar der tapferen Recken. Froh rief sie aus: „Ich wähle mir meinen Oheim Hagen. Unter seinem Schutz fühle ich mich wohlgeborgen." Herr Hagen von Tronje reckte sich stolz auf, eiskalt klang seine Ablehnung: „Die Tronjer dienen nur einem Herrn, dem König der Burgunden - sonst niemandem auf der Welt!" Aufs tiefste gekränkt, wandte sich Kriemhild ab. König Günther bestimmte den Markgrafen Eckart für das Amt des Ehrenritters, dann verließ der glanzvolle Zug Worms. Ein Bote eilte nach Xanten voraus, er sagte Siegfrieds Eltern die Ankunft des jungen Paares an. Als bald danach Siegfried an der Seite der schönen Kriemhild in das prächtig geschmückte Xanten einzog, wurden sie alle mit stürmischem Jubel begrüßt. König Siegmund und König Sieglind waren überglücklich und nahmen die Burgundentochter auf wie ihr eigenes Kind. Und als sie die Heimkehr feierten, gab König Siegmund kund,
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fortan solle Siegfried Herrscher in den Niederlanden sein. Zehn Jahre lang regierte der ruhmvolle Held auf Xantens hoher Burg, und Kriemhild war eine gerechte und beliebte Königin. Als ihnen ein Sohn geboren wurde, nannten sie ihn Günther zu Ehren des Burgundenkönigs. Auch dem königlichen Paar zu Worms wurde ein Sohn beschert, und es taufte ihn Siegfried.
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Siegfrieds Tod
Streit der Königinnen Niemals hatte Brunhild aufgehört, darüber zu grübeln, wie es um das Geheimnis ihrer Niederlage auf dem Isenstein bestellt gewesen sei. Auch wollte es ihr nicht in den Sinn, daß Siegfried weder Dienste leistete noch Zinsgeld zahlte, obgleich er Lehnsmann von König Günther war. Verwundert fragte sie oft Ihren Gemahl: „Ist Siegfried nicht dein Gefolgsmann? Warum hast du ihn noch nie gerufen, dir zu dienen? Und von Frau Kriemhild ist es nicht recht, nicht ein einziges Mal an unseren Hof zu kommen!" Immer wieder war es Günther gelungen, solchen Fragen geschickt auszuweichen. Indessen empfand er selbst nach den langen Jahren der Trennung den Wunsch, seine Schwester und auch den treuen Waffengefährten endlich einmal wiederzusehen. So gab er dem Drängen Brunhilds gern nach und lud Kriemhild und Siegfried nach Worms ein. Die Boten König Günthers wurden in Xanten mit Freuden aufgenommen, und sie baten den König der Niederlande und die Königin zur Feier des Sonnenwendfestes nach Worms. Reich beschenkt ritten sie zurück
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ins Burgundenland, wo sie die Reise des Paares aus Xanten meldeten. Kriemhild freute sich auf ein Wiedersehen mit ihrer Mutter und den Brüdern. Siegfried dagegen wurde von einer inneren Stimme gewarnt vor dieser Reise. Doch endlich hatte auch er zugesagt, weil König Siegmund ihm dazu riet und Kriemhild ihn herzlich bat. König Siegmund begleitete den Zug mit vielen Rittern, so daß mehr als tausend Recken gen Worms reisten. Nur der kleine Günther blieb zu Hause bei Königin Sieglind — er sollte seine Eltern nie mehr wiedersehen. Herzlich war der Empfang in Worms. Kriemhild und Brunhild umarmten sich bei der Begrüßung, doch vor Siegfried neigte Brunhild nur das Haupt. Frohe Stunden des Wiedersehens verlebten die Geschwister, aber es blieb den Brüdern nicht verborgen, daß aus der stillen, bescheidenen Kriemhild eine selbstbewußte Königin geworden war. Bei jeder Gelegenheit zeigte sie, wie stolz sie auf Siegfried war. Viele Feste wurden gefeiert und prunkvolle Turniere ausgetragen, und Siegfried tat sich hervor unter den Helden. Eines Tages saßen die beiden Königinnen nebeneinander bei einem Kampfspiel. Siegfried hatte einen besonders machtvollen Gegner besiegt, da sprang Kriemhild von ihrem Sitz auf und jubelte laut: „Er ist der Herrlichste von allen! Ihm käme es zu, über die ganze Welt zu herrschen!" Voller Zorn, doch beherrscht entgegnete Brunhild: „So meinst du, auch Günther müsse ihm Untertan sein,
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wie?" Und es kam Kriemhild aus dem Herzen, als sie sogleich erwiderte: „Gewiß, Siegfried müßte über alle gebieten!" Brunhild hatte an diesem Platz einen offenen Streit vermeiden wollen, doch Kriemhilds Worte trafen sie wie ätzender Hohn. Sie gab den Spott schneidend zurück, indem sie hinwarf: „Nun, Siegfried ist Günthers Lehnsmann, und du — du führst als Frau eines Lehnsmannes eine sehr kühne Sprache mit deiner Königin!" „Was sagst du? Ich die Frau eines Lehnsmannes?" fuhr Kriemhild auf. „Das ist nie und nimmer wahr!" In höchstem Zorn schleuderte Brunhild ihr entgegen: „Ich spreche die Wahrheit! Ich selbst bin Zeuge dafür! Auf dem Isenstein sagte Siegfried zu mir, er sei Günthers Lehnsmann, und er hielt dem König die Steigbügel!" Zutiefst verwundet sprach Kriemhild: „Du lügst! Nie hätte mich Günther einem Lehnspflichtigen vermählt, und nie werde ich mich vor dir Hochmütigen beugen!" Drohend reckte sich Brunhild empor, und als ob sie Kriemhild hätte schlagen wollen, so rief sie: „Nur um des lieben Friedens willen habe ich mich bis heute zu dir herabgelassen, nun ist es damit vorbei! Von nun an sollst du mich als Herrin achten, und ich werde dich behandeln, wie eine Königin es mit einer Magd tut! Lange genug hab' ich geschwiegen!" Glühendrot vor Scham wehrte sich Kriemhild: „Das werden wir sehen! Morgen werde ich's dir zeigen, wenn
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wir zum Münster gehen! So wahr ich die Gemahlin des herrlichsten Königs bin, werde ich vor dir das Gotteshaus betreten!" In hellem Zorn gingen die Königinnen auseinander. Am nächsten Morgen begab sich Kriemhild mit glänzendem Gefolge zum Dom, und sie sah schon von weitem die verhaßte Brunhild mit den Ihrigen. Ohne
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Gruß, mit deutlich gezeigter Verachtung wollte Kriem hild vorübergehen, da aber streckte ihr Brunhild die Hand entgegen und rief gebieterisch: „Halt! Hier gebührt der Königin der Vorrang vor dem Weib eines Lehnsmannes!" Da flammte in Kriemhild unbändiger Zorn auf, und schicksalsschwer enthüllte sie ihr Geheimnis: „Du Hochmütige hast es herausgefordert — nun höre! Nicht Günther hat dich überwunden, sondern Siegfried, mein Gatte! Zweimal ist das geschehen: auf dem Isenstein und zu Worms in deiner Kammer. Siegfried in Alberichs Tarnkappe hat dich besiegt!" Wie vom Speer eines Überirdischen getroffen, so taumelte Brunhild zurück. Kaum eines Wortes mächtig klagte sie: „Das soll Günther erfahren..." „Das scheue ich nicht", rief Kriemhild voller Hohn über die Schulter, „er wird es nicht leugnen können!" Dann ging sie hocherhobenen Hauptes mit ihrem Gefolge in das Münster. Auch Brunhild nahm ihren Platz in der Kirche ein. Doch beide Königinnen hörten weder die Worte des Priesters noch die Choräle. Brunhild aber nahm sich vor, sogleich nach dem Gottesdienst von Kriemhild Gewißheit zu verlangen. Kriemhild hatte das Münster verlassen und wollte an Brunhild vorübergehen, da vertrat diese ihr den Weg. „Was du vorhin zu mir gesagt hast, war ungeheuerlich! Beweise, was du gesagt hast, oder ich werde dich vor allem Volke eine Lügnerin schimpfen!"
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„Beweise?" fragte Kriemhild ruhig. „Du sollst sie haben, und zwar auf der Stelle! Hier, siehst du das?" Mit diesen Worten holte sie Ring und Gürtel hervor, die Siegfried einst Brunhild abgenommen hatte. Mit höhnenden Blicken maß sie die Feindin und ging frohlockend davon. Zu Tode getroffen stand Brunhild da. Endlich erwachte sie wie aus einem Traum und sagte zu ihrem Gefolge: „Ruft mir König Günther. Er soll mir bezeugen, ob seine Schwester die Wahrheit sprach."
Der Richtspruch Hagens König Günther erschien vor der immer noch weinenden Brunhild. Und mit ihm kamen seine Brüder Gernot und Giselher wie auch Hagen von Tronje und Ortwin von Metz. Unter lautem Schluchzen klagte Brunhild, was ihr widerfahren war. „So Ungeheuerliches hat Kriemhild behauptet. Nun bezeuge, daß sie gelogen hat, oder ich will deine Gemahlin nicht mehr sein!" Schwer atmete König Günther; sein Gewissen klagte ihn an, daß er an allem Unheil die Schuld trage. In seiner Not ließ er Siegfried rufen, und alle verharrten in Schweigen, bis Herr Ortwin mit dem Helden erschien. Erstaunt sah Siegfried die verschlossenen Mienen rings
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um, da fragte Günther ihn: „Kriemhild hat sich gegenüber meiner Gemahlin gerühmt, du hättest Brunhild bezwungen und zur Magd erniedrigt. Ist das wahr?" „Nein", antwortete Siegfried, „nie habe ich gewagt, die Königin zu erniedrigen. Das schwöre ich bei meinem Eid!" Dabei erhob er die Schwurfinger. König Günther atmete erleichtert auf und sagte: „Ich wußte es, daß du unschuldig bist." Indessen ging Siegfried wieder davon. „Meineid!" schrie Brunhild in wilder Anklage. Düster blickend hatte Hagen zugesehen. Nun kam es wie Urteilsspruch aus seinem Munde: „Nicht, was Siegfried gewollt, sondern was er getan hat, gilt. Auf die Tat aber steht der Tod!" Begütigend widersprach der junge Giselher: „Hagen, bedenke, es ist ein Frauenstreit! Wie könntest du deswegen Siegfried richten wollen!" „Hagen hat Recht gesprochen - Siegfried muß sterben!" Das war Brunhilds Stimme, ihr Haß kannte keine Grenzen mehr. Schweigend, verzweifelt ging König Günther davon, er ahnte, Brunhild und Hagen würden nicht ruhen, bis die Beleidigung gesühnt wäre. In den nächsten Tagen schien sich das Wetter verzogen zu haben, das den Frieden am Hof zu Worms bedrohte. Von Brunhild empfing König Günther indes weder Wort noch Gruß, und Hagen trug seinen Groll sichtbar zur Schau. Einmal sagte er zu König Günther: „Nur durch den Tod Siegfrieds wirst du Brunhilds
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Gunst wiedergewinnen!" Ein andermal suchte er ihn zu gewinnen mit den Worten: „Wenn Siegfried nicht mehr ist, wirst du Herr der Nibelungen und auch ihres Schatzes sein. Das Reich von Worms bis zum Meer wird dir Untertan sein." Immer mehr erlag Günther der Versuchung, und eines Tages fragte er Hagen: „Wer hätte den Mut, Hand an den Drachentöter zu legen? Hast du vergessen, wie stark Siegfried ist? Erinnerst du dich nicht daran, wie er mir einst auf dem Isenstein im Wettkampf gegen Brunhild geholfen hat. Er hat nicht nur mehr Kraft als wir alle zusammen, sondern er ist auch unverwundbar! Hart wie der Panzer eines Drachens ist seine Haut, hat er doch damals im Blut des Fafnir gebadet! Nein, solange Siegfried lebt, wird keiner Herr des Hortes, und er wird länger leben als wir. Niemand kann Siegfried bezwingen!" „Ich weiß dazu Rat", antwortete der vom Haß Beherrschte. „Nicht offene Gewalt, sondern List soll ihn überwinden. Und sein Weib wird mir dabei helfen!" Zögernd stimmte Günther dem Recken zu, wenngleich er selbst nicht wußte, welche List fein genug gesponnen sei gegen Siegfrieds Kraft. Hagen aber hatte schon alles bedacht. Er erinnerte sich, daß irgendwann einmal davon gesprochen worden war, Siegfried habe eine Stelle am Leibe, wo er tödlich zu treffen sei. Und mochte dieses Mal auch noch so winzig sein, er, Hagen, würde es treffen. Nicht umsonst durfte er sich rühmen, wohl der sicherste Speerwerfer
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der Burgunder zu sein. Vorerst aber müsse er Siegfrieds Geheimnis erfahren, und wer könne das besser wissen als Kriemhild, seine Frau! Die Arglose würde er überlisten, er brauchte nur ihre Sorge um Siegfried wachzurufen. Hierzu hatte Hagen sich eine List ersonnen. Daher besprach er sich mit seinen Vertrauten, und es geschah folgendes. Wenig später trafen Boten in Worms ein mit der Nachricht, daß König Lüdeger, der einst von Günther freigelassen worden war, wiederum mit starkem Heer das Burgundenreich bedrohe. Da bot sich Siegfried mit Freuden an, Günther im Kampf zur Seite zu stehen. Der Burgundenhof hallte wider vom Lärm der Waf fen. Kriemhild sah vom Fenster ihres Gemaches die Vorbereitungen zum Kriegszug. Seit dem Streit mit Brunhild war sie ihrer Tage nicht wieder froh gewesen, und sie bangte um das Leben ihres geliebten Falken. Denn oftmals erinnerte sie sich des Traumes, da ihr Falke von zwei Adlern zerrissen wurde. Da blickte sie freudig auf, als sich ein seltener Gast bei ihr melden ließ: Hagen von Tronje. Der Listige, dem die Ursache ihres Kummers nicht entgangen war, fragte Kriemhild, warum sie geweint habe. „Ich bange um Siegfried, Oheim Hagen", antwortete sie bekümmert. „Er ist so verwegen und vertraut jedermann. Ich bitte Euch, achtet auf ihn und laßt ihn nicht entgelten, was ich Brunhild getan." „Gern will ich ihn schützen im Kampf tröstete Hagen. „Doch sagt mir, wenn Siegfried unverwundbar
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ist, warum furchtet Ihr um sein Leben?" Nach kurzem Besinnen sagte Kriemhild: „Weil Ihr zu meiner Sippe gehört, Oheim Hagen, will ich Euch das Geheimnis anvertrauen. Es gibt eine Stelle, da auch Siegfried verwundet werden kann. Denn als er einst im Drachenblut badete, fiel ein Lindenblatt zwischen seine Schultern. Dort vermag ihn jeder Wicht zu treffen. Wollt Ihr mir versprechen, Oheim Hagen, ihn so zu schützen, daß ihn kein Speerwurf treffen kann?" Innerlich frohlockend versprach Hagen: „Gewiß will ich das tun! Doch besser könnte ich ihn schirmen, wüßte ich die Stelle genau!" „Da kann ich Euch helfen!" rief Kriemhild erfreut. „An dieser Stelle will ich ein Kreuz aus gelber Seide auf das Gewand nähen!" Der Tronjer verabschiedete sich und ging von dannen. Nunmehr schickte er zwei Boten zu König Günther, die meldeten, der Feind sei abgezogen. Denn die Kunde von dem anrückenden König Lüdeger war nur eine List von Hagen gewesen. Günther ließ daraufhin den Kriegszug absagen. Verwundert sah Siegfried, was vorging, und begab sich zu Günther. Der König erklärte ihm, der Feind habe sich eines Besseren besonnen. „Ich freue mich darüber und möchte, daß wir nunmehr zu friedlicher Jagd in den Odenwald ziehen." Damit war auch Siegfried zufrieden. Schon in der Frühe des nächsten Morgens begann ein fröhliches Leben und Treiben auf dem Burghofe. Viele
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Jäger stellten sich ein, und Jagdhunde bellten und zerrten an den Leinen. Troßknechte führten die Rosse aus den Ställen, und ein großer Planwagen wurde mit Speisen beladen. Doch auf Hagens Geheiß wurde weder für Met noch für Wein gesorgt, denn darauf hatte der Tronjer seinen Plan gebaut, den er nach der Jagd auszuführen gedachte. König Günther hatte dem zugestimmt, doch Gernot und Giselher, nachdem sie davon erfahren hatten, weigerten sich, an dieser Jagd teilzunehmen. Und doch versuchten sie nicht, ihren Schwager Siegfried zu warnen.
Wie Siegfried erschlagen ward Schwerer als sonst wurde heute Siegfried der Abschied von seiner Gemahlin. Kriemhild wollte ihn nicht von sich lassen; böse Träume hatten sie gequält, bange Ahnungen erfüllten ihr Gemüt. „Laß ab von der Jagd", flehte sie den Helden an. „Ich träumte, daß dich zwei wilde Eber über die Heide hetzten, bis du todwund zu Boden sankest." In jähem Erschrecken fiel ihr ein, daß sie Hagen das Geheimnis von Siegfrieds Verwundbarkeit preisgegeben hatte. Ihr Gewissen riet ihr, nun Siegfried alles zu sagen. Doch sie scheute des Helden Spott und verschwieg ihre törichte Tat. Vom Burghof drunten mahnte das Hifthorn zum dritten Male. Da nahm Sieg
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firied in herzlicher Umarmung Abschied und eilte hinunter. Seltsam waren die Blicke der Eingeweihten auf ihn gerichtet, doch er merkte es nicht und trat grüßend in ihren Kreis. Beruhigt sah Hagen das kleine gelbe Kreuz auf dem grünen Gewand. Ehe die Sonne sinkt, so sprach der Tronjer zu sich, wird dich die Spitze meines Speers durchbohrt haben. O wäre es nur schon getan... Freudig wieherte der Hengst Grane dem Helden entgegen, Siegfried schwang sich frohgemut in den Sattel und ritt an König Günthers Seite. Dann ritt der prächtige Jagdzug dem Rheinstrom entgegen und setzte auf einer Fähre über auf die Seite, wo der Odenwald lag. An einer Waldlichtung im hohen Odenwald gab Hagen den Rat, sich nun zu trennen. So wurden Treiber und Hunde aufgeteilt, und jeder der Jagdgenossen gab sich Mühe, in lustvollem Jagen eine große Strecke einzubringen. Ein Wisent, zwei starke Auerochsen, ein Hirsch und ein gewaltiger Eber fielen Siegfried bald zur Beute. Da rief das Halali der Jagdhörner zum Jagdplatz. Und als Siegfried sich dorthin begab, stieß er unversehens auf einen großen Bären. „Hast Glück gehabt, Meister Petz", rief Siegfried, „die Jagd ist aus. So werde ich dich lebend fangen!" Sprach's, sprang vom Roß und setzte dem Braunbären nach, der sich in eine Schlucht zu retten suchte. Doch der Held stellte das Tier zum Kampf, preßte es mit starken Armen zusammen und band es. Die Fesseln aber
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waren so geschnürt, daß sie dem Bären erlaubten, selbst zum Lager zu laufen. Manch einer der Jagdgesellen war nicht sonderlich erfreut über diese lebende Beute, und es gab ein Hin und Her. Um den Spaß auf die Spitze zu treiben, zerschnitt Siegfried die Fesseln des Bären und trieb ihn zum Feuer, wo das Jagdmahl bereitet wurde. Ein tolles Rennen und Springen begann, und des übermütigen Treibens wurde erst ein Ende, als Siegfried den Bären in den Wald entkommen ließ. Inzwischen hatten die Troßknechte die Jagdbeute ins Lager geschafft. Siegfrieds Beute war die größte, und er erhielt den Preis. König Günther heftete ihm den frischen Zweig an das Gewand. Dann setzte man sich zum wohlverdienten Mahl zusammen, und alle labten sich an dem, was Küchenmeister Rumold aufzutragen wußte. Der stark gewürzte Wildbraten machte Siegfried Durst, und er fragte nach Wein. Zum Schein klagte auch Günther über Durst, und Hagen entschuldigte sich, er habe versehentlich den Auf trag gegeben, die Fässer in den Spessart zu schicken. „Doch dem Durst kann abgeholfen werden. Ich weiß eine kühle Quelle, dorthin will ich die Könige führen." Der Ratschlag war Siegfried willkommen, und er sprang auf, mit ihm König Günther und Hagen. Als sie gehen wollten, sprach Hagen: „Ich hörte, König Siegfried sei wie auf der Jagd auch Meister im Wettlauf. In voller Rüstung noch könne er schneller laufen als andere ohne Brünne und Waffen.
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Wie wäre es, wenn Herr Siegfried jetzt seine Kunst bewiese? Laßt sehen, wer von uns zuerst am Quell ist!" „Es soll gelten!" rief Siegfried. „Nur Schild und Speer nehme ich mit. Und nun vorwärts, Ihr Gesellen!" Inzwischen hatten Günther und Hagen ihre schwere Kleidung abgeworfen, und dann setzte die wilde Jagd über Moos und Stein. Siegfried war schon am Ziel angelangt, als Hagen und Günther sich erst von weitem näherten. Der Held lehnte den Speer an eine Linde und wartete, bis König Günther heran war, dem er als dem Alteren den ersten Trunk einräumte. Solch ritterliche Art wurde ihm böse belohnt. Denn als Held Siegfried sich nach Günther zum Quell herniederbückte, nahm Hagen schnell den Speer beiseite. Und dann, während Siegfried sich mit beiden Händen auf den Boden stützte und in vollen Zügen trank, geschah die ruchlose Tat. Siegfrieds Speer in der Hand, zielte Hagen genau auf Kriemhilds gelbes Kreuzchen, und dann stieß er mit aller Macht zu. Jäh schoß Siegfrieds Blut zwischen seinen Schultern hervor. Doch der zu Tode Getroffene, den Speer im Rükken, griff taumelnd nach seinem Schild und schlug Hagen so aufs Haupt, daß er strauchelte. Dann verließen den Helden die Kräfte, und er sank ins Gras. Noch einmal raffte er sich mühsam auf, als er Hagen und Günther mitleidlos dastehen sah: Seine Augen blitzten noch einmal auf, und noch einmal ertönte seine machtvolle Stimme: „Fluch euch, Hagen und Günther! Fluch euch und
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dem Haus der Burgunden! Treue habt ihr mit feiger Hinterlist belohnt." Er sank zurück ins Gras, seine Stimme wurde zum Flüstern, doch seine Augen weiteten sich, als sähen sie in die Ferne der Zeit. Sterbend sprach der Held: „Flammen sehe ich - nur Feuer und Glut und Asche - ihr, Günther und Hagen, darinnen — so richtet euch Gott..." Sein Haupt fiel zurück. Siegfried war tot. Und die Sage kündet, kaum habe sich Siegfrieds Seele vom Leib geschieden, sogleich hätten die Vögel des Waldes zu singen aufgehört, ein fernes Donnergrollen sei zu hören gewesen und dicke Nebelwolken hätten sich vor die strahlende Sommersonne gelegt. Da klagte Günther, aufs tiefste erschüttert: „Ein solcher Held wird niemals mehr über die Erde schreiten." Finsteren Angesichts stieß Hagen hervor: „Ja, zu groß und hehr war er für unsere Welt — deshalb mußte er sterben!" Inzwischen waren die Jagdgenossen herangekommen, und als sie sahen, was geschehen war, erhoben sie bitter Klage. Herrisch fuhr sie der Tronjer an und bettete mit eigenen Händen Siegfrieds Leichnam auf den Schild. Bedächtig nahm er Balmung, Siegfrieds gefürchtetes Schwert, aus dem Grase und gürtete ihn sich um. Dereinst, in der Burgunden Not, sollte er ihn noch gut gebrauchen können. Einige Recken schlugen vor, man solle in Worms berichten, Siegfried sei von Räubern erschlagen worden, als er allein durch den Forst ging.
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Zornig trag Hagen ihnen entgegen. „Es war mein Wille, ihn zu töten, der Schimpf über das Burgundenhaus gebracht hat. Es bleibe bei der Wahrheit, ich stehe zur Tat!" Starke Männer trugen den Toten, und sie kamen in der Nacht in Worms an. Auf Hagens Befehl legten sie den Leichnam vor Kriemhilds Kammer nieder. Die Glocken läuteten zur Frühmesse, und bald war die Königin mit ihrem Gefolge bereit, zum Münster zu gehen. Kaum war der Kämmerer mit der Fackel über die Schwelle getreten, da rief er aus: „Halt, o Königin, ein Erschlagener liegt vor der Tür!" „Siegfried!" schrie Kriemhild, noch ehe sie das Antlitz des Toten gesehen hatte. Sie wußte, nun hatte das Schicksal gesprochen. Zu groß war ihr Schmerz, die Linderung der Tränen blieb ihr versagt. Sie kniete neben der Leiche des geliebten Mannes nieder und bettete sein Haupt in ihre Hände. „Das hat Brunhild geraten, und Hagen hat es getan", so sagte sie und klagte bitterlich. Dann rief sie die Mägde und ließ sie Wasser und Linnen holen. Sie zog dem geliebten Toten das verschmutzte Jagdgewand aus und wusch ihn. Mit starrem Antlitz stand sie dabei, als die Männer Siegfried aufbahrten und hinaustrugen. Die Totenklage der Dienerinnen hatte man inzwischen in der Burg gehört. König Siegmund kam herbei, er sank vor der Leiche seines Sohnes nieder. Die Mannen aus den Niederlanden aber schlugen die Schwerter
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gegen ihre Schilde, und ihr Rachegeschrei hallte in den Gängen wider. Auch Gernot und Giselher eilten herbei. Von Entsetzen und Reue erfaßt, wandten sie sich ab. Vergeblich suchten sie ihre Schwester zu trösten. Als die Burgundenrecken die blanken Schwerter der niederländischen Ritter sahen, griffen auch sie zum Schwert. Mit Mühe beschwichtigten König Siegmund und König Günther die Streitbaren, grollend traten die vom Niederland zur Seite. Im Schimmer der Morgenröte ließ Kriemhild den teuren Toten ins Münster tragen und dort aufbahren. Sie selbst hielt zu seinen Häupten die Totenwacht. Laut klagten die Glocken, Trauer über Stadt und Land verkündend, und Bürger wie Bauern kamen, von König Siegfried Abschied zu nehmen. Drei Tage und drei Nächte wachte Kriemhild bei dem geliebten Toten, und schreckliche Rache gelobte sie den Mördern. „Wir wollen dir suchen helfen", sagte Günther zu der verzweifelten Schwester. „Es waren Räuber, die ihn erschlugen." Da traf ihn ein Blick aus Kriemhilds Augen, so weh, doch so hart, daß er erschauderte. „Günther", sagte sie, „die Räuber kenne ich! Du und Hagen, ihr seid die Mörder!" Hagen von Tronje wagte es, neben Günther an die Bahre zu treten, da färbte sich das Leinen auf des Toten Lager blutig rot. Siegfrieds Wunden brachen auf und klagten den Mörder an.
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Da sprach Kriemhild mit leiser Stimme, aber mit solch grausamer Entschlossenheit, daß es die Umstehenden mit banger Ahnung erfüllte. „Günther und Hagen, ihr seid der ruchlosen Freveltat schuldig! Grimmige Vergeltung sage ich euch an!" Unbewegt vernahm Hagen den Fluch, wortlos schritt er aus dem Münster hinaus. Als die Zeit um war, wurde Siegfried, der König der Niederlande und Herrscher der Nibelungen, zu Grabe getragen. Nur Brunhild und Hagen fehlten im Geleit.
Hagen versenkt den Nibelungenhort Am Tage nach dem Begräbnis rüstete König Siegmund zur Heimfahrt nach den Niederlanden. Er bat Kriem hild, mit ihnen zu fahren. „An Siegfrieds Statt sollst du als Königin über die Niederlande herrschen." Düsteren Angesichts schüttelte die Burgundentochter das Haupt. „Wo Siegfried ruht, sei meine Heimat! Hier werde ich ihn beklagen und ihn dereinst rächen. Meinen Knaben Günther aber erzieht zu einem Helden. So mag er einst die Krone seines herrlichen Vaters tragen!" Da nahm König Siegmund voller Trauer Abschied und verließ Worms. „Weh dieser Fahrt", klagten seine Ritter, „nun haben wir König und Königin verloren." Jahr um Jahr verging. Die trauernde Kriemhüd ver
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ließ ihre abseits gelegenen Gemächer nur, um im Münster Siegfrieds Grab aufzusuchen. Vier Jahre lebte sie zurückgezogen, nur wenige Worte wechselte sie mit ihrer Mutter Ute und ihrem jüngsten Bruder Giselher, kein Wort sprach sie mit Günther. Solche Verachtung verletzte Günthers Stolz, und er klagte dem getreuen Hagen seinen Kummer. Der Recke sagte: „Ich rate zur Versöhnung mit Kriemhild, denn sie besitzt den Schatz der Nibelungen. Läßt sie ihn nach Worms holen, dann wirst auch du großen Gewinn davon haben. Mich haßt sie, ich kann nicht zwischen euch vermitteln. Doch Giselher mag ihr raten, ihm ist sie freundlich zugetan." Auch auf Giselher hätte die Erbitterte nicht gehört, wenn ihr nicht der Rachegedanke geraten hätte, die Einsamkeit aufzugeben. So versöhnte sie sich mit Günther, doch, wie sie sich gelobte, nur mit dem Munde, nicht mit dem Herzen. Bald stimmte sie dem Rat zu, den Nibelungenhort nach Worms holen zu lassen. Mit vielen tausend Recken zogen Gernot und Giselher ins Land der Nibelungen, und König Alberich weigerte sich nicht, den unermeßlichen Schatz auszuliefern. Zwölf schwere Wagen fuhren vier Tage und Nächte und brachten all das Gold und Geschmeide auf das Schiff im Rhein. Glücklich trafen die Brüder mit der kostbaren Last in Worms ein, und Kriemhild war die reichste Königin weit und breit. Sie geizte nicht mit ihrem Besitz, sondern gab mit vollen Händen, nur nicht
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an König Günther. Hagen von Tronje merkte die Absicht der Rachedurstigen. Er sagte zu König Günther: „Kriemhild schärft die Waffen, indem sie mit ihrem Reichtum Freunde wirbt. Wir müssen den Schatz an uns bringen!" Der König entgegnete unwillig: „Ich habe geschworen, Kriemhild nie mehr ein Leid zuzufügen. Dem Schwur bleibe ich treu, denn ich bin König der Burgunden und kein Räuber." Doch Hagen wußte seinen Willen durchzusetzen. Als die Burgundenkönige einen befreundeten Fürsten besuchten, bemächtigte sich Hagen des Schlüssels zur Schatzkammer. Mit einigen Getreuen drang er in die Gewölbe ein und ließ den Schatz auf ein Schiff bringen. Mit der kostbaren Fracht fuhr er den Rhein aufwärts bis dorthin, wo das Flußbett am tiefsten ist. Kein Auge sah, wie Hagen den Hort der Nibelungen im grünen Rheinstrom versenkte. Doch der Tronjer merkte sich den Ort genau. Nur König Günther vertraute er das Geheimnis an. Die Helden beschworen, die Stelle niemand zu verraten, solange einer von ihnen lebe. Und dort im Rheinstrom ruht der Nibelungenhort noch heute. Kriemhild aber, die sich nunmehr am Königshofe recht- und schutzlos fühlte, suchte Zuflucht in Lorsch bei ihrer betagten Mutter, Frau Ute. Und die Sage berichtet, Kriemhild habe die Totenlade mit Siegfried nach Lorsch bringen lassen. Niemand sollte mehr den Helden sehen, niemand ihre unausgesetzte Klage um ihn. In diesen Jahren der Verlassenheit war es, da sich
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aus der arglosen, lieblichen Königstochter von Burgund ein racheglühendes Weib entwickelte, die nichts anderes mehr kannte als den einen brennenden Wunsch, Siegfrieds Tod zu rächen. Bittere Klage erhob Kriemhild gegen Hagen. Gernot und Giselher mißbilligten die Tat, doch König Günther hielt zu dem treuen Gefolgsmann der Burgunden. Als freier Mann und trutzigen Blicks wie zuvor ging er am Burgundenhofe ein und aus.
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Kriemhilds Rache
König Etzels Werbung Wohl an die dreizehn Jahre waren vergangen, und noch immer trauerte Kriemhild um Siegfried. Sie lebte nicht mehr in Abgeschiedenheit, aber sie vergaß nicht, daß sie den Mördern Siegfrieds Vergeltung geschworen hatte. In dieser Zeit war es, da starb im fernen Hunnenland Frau Reiche, König Etzels Gemahlin. Als die Monde der Trauer vorüber waren, beschloß der König, sich nochmals zu vermählen, und die Freunde rieten ihm, um Kriemhild zu freien. Der König wandte ein: „Bedenket, daß sie eine Christin ist, ich aber Heide!" Doch seine Berater meinten, Frau Kriemhild werde ihn gewiß nicht abweisen, weil Etzels Name und seines Reiches Macht auch im Burgundenland einen guten Klang hätten. So kam es, daß eines Tages eine stattliche Reiterschar in den Burghof zu Worms einzog. Zweihundert Recken in fremder Tracht ritten ein. Von gelblicher Farbe war ihre Haut, kohlschwarze Augen funkelten unter den Helmen hervor, von denen Roßschweife wehten. Geschickt tummelten sie sich auf ihren kleinen flinken
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Pferden, die bunte Teppiche statt der Sättel trugen. Doch ihr Anführer, stolz und hochgewachsen, unterschied sich in Aussehen und Rüstung kaum von den Burgundenrecken. Noch rieten König Günther und seine Freunde, woher die Unbekannten kämen und wer ihr Anführer sei, da rief Hagen von Tronje: „Niemand anders kann es sein als Markgraf Rüdiger von Bechlarn mit einer hunnischen Reiterschar!" Und er, der einst als Geisel an König Etzels Hof gelebt hatte, fügte hinzu: „Rüdiger ist einer der vornehmsten christlichen Helden, die Etzel als Lehnsmänner dienen. Laßt uns hören, was er uns zu melden hat!" Giselher und Gernot eilten mit Hagen in den Hof hinunter, empfingen Rüdiger und geleiteten ihn hinauf in die Halle des Königs. Markgraf Rüdiger trat vor König Günther und brachte nach freundlichem Willkommensgruß seine Brautwerbung vor: „Ich entbiete euch, ihr Könige von Burgund, Freundschaft und Gruß meines hohen Gebieters, des Königs Etzel. Hört seine Botschaft. Lange hat König Etzel getrauert um seine Gemahlin Helche. Doch das Volk verlangt nach einer Königin, und der König kann nicht immer um eine Tote klagen. Als mein Herr vernahm, daß die schöne Kriemhild als Witwe lebt, beschloß er, um sie zu werben. Auch Dietrich von Bern und ich haben dazu geraten. So stehe ich hier, Frau Kriemhild die Krone des Hunnenreiches anzutragen und bitte um
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euren günstigen Bescheid." Überrascht und verwundert blickten die Burgunden auf. Nach kurzem Bedenken nahm König Günther das Wort: „Eures großen Königs Botschaft ehrt uns sehr, Markgraf Rüdiger. Ich will Kriemhild befragen, denn manches gibt es zu überlegen. So lange aber seid mit Euren Recken unsere willkommenen Gäste." Drei Tage Frist hatte sich Günther erbeten. Sogleich beratschlagte er mit seinen Brüdern und Freunden, und allen dünkte es gut, wenn Kriemhild die Werbung annähme. Allein Hagen widersprach: „Kriemhild als Königin auf dem mächtigen Thron des großen Hunnenreiches wird einst den Untergang der Burgunden bedeuten. Ich kenne die Tiefe ihres Hasses, und ich sehe die Stunde voraus, da ihr alle deswegen klagen werdet. Am besten ist, sie erfährt gar nichts von Etzels Werbung!" „Nein", entgegnete König Giselher, „das wollen wir nicht tun. Dein Rat ist schlecht, weil du neidisch bist! Mag Kriemhild sich freuen am Glück eines neuen Thrones!" Und König Günther sogar sagte: „Kriemhild soll über die Werbung entscheiden!" Der junge Giselher überbrachte seiner Schwester die Botschaft König Etzels, aber unwillig erwiderte Kriem hild: „Weißt du nicht, lieber Bruder, daß ich um Siegfried trauere! Noch dem Toten gehört mein ganzes Herz. Doch bin ich bereit, Herrn Rüdiger, den Boten des Königs zu empfangen, wie es an Fürstenhöfen Sitte ist."
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Am anderen Morgen trat Markgraf von Bechlarn vor die Königin und brachte seine Werbung in geschickten Worten vor. Kriemhild aber, im schwarzen Trauergewand, schüttelte das Haupt und sprach: „Bemüht Euch nicht weiter, edler Markgraf. Ich verlor den Besten, den je ein Weib geliebt. Mein Leid ist zu groß, als daß ich mich nochmals vermählen könnte." Herr Rüdiger wußte dagegen zu sagen: „Mein König, der seine Gemahlin Helche verloren hat, wirbt nicht um Liebe, vielmehr bittet er darum, daß Ihr in Achtung sein Weib werdet. Folgt Ihr der Werbung meines Herrn, so sollt Ihr zwölf Kronen tragen und an seiner Seite über dreißig Reiche herrschen. Große Macht würdet Ihr in der Burg am Donaustrom genießen und alles Leid vergessen." Diese Worte bedachte Kriemhild wohl. Ihre Gedanken wanderten neue, hoffnungsvolle Wege. Bot sich ihr nicht nun endlich die Macht, dereinst Siegfrieds Mörder zu strafen? Lange sann sie vor sich hin, endlich erhob sie den Blick und antwortete Rüdiger: „Mich gelüstet nicht nach Macht und hohen Ehren. Dennoch will alles bedacht sein, daher gönnt mir Frist bis morgen früh. In der Stille der Nacht will ich mit mir zu Rate gehen." Am nächsten Morgen, als Kriemhild aus dem Münster zurückkehrte, ließ sie Rüdiger zu sich rufen. In den einsam durchwachten Stunden der Nacht hatte sie ihr künftiges Tun wohl erwogen. Nun konnte sie dem
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Boten des Hunnenkönigs ihren Bescheid geben. „Ich habe mich entschlossen, König Etzels Werbung anzunehmen, doch halt, Markgraf Rüdiger, - eines zuvor! Manche Gefahr könnte mir auf der langen Reise wie auch im fremden Lande drohen, darum müßt Ihr mir eines schwören..." „Gern bin ich zu jedem Dienst bereit, hohe Frau", erwiderte eifrig Rüdiger. „So schwört mir, Markgraf Rüdiger von Bechlarn, daß Ihr bereit seid, jede Kränkung und jedes Leid zu rächen, das man mir antun könnte im fremden Land!" Markgraf Rüdiger bekräftigte sein Gelöbnis mit feierlichem Eid. Wie hätte er voraussehen können, zu welch schwerer Tat er sich damit verpflichtet hatte und daß ihn seine Treue in den Tod führte! Nun rüstete Kriemhild unverzüglich ihre Reise, und sie forderte von Hagen den Nibelungenhort. Aber der Listige verweigerte ihn, er wolle nicht, daß sie sich damit bei den Hunnen beliebt mache. Obgleich Kriem hild heftige Klage bei König Günther führte, gab Hagen nicht das Geheimnis um den Hort preis. Nie sollten die Schätze gegen die Burgunden gebraucht werden können, die sich nunmehr stolz „Nibelungen" nannten. Doch Herr Rüdiger tröstete Kriemhild: „Wozu braucht Ihr Gold, edle Herrin? König Etzel wird Euch so viel davon geben, daß davor der Burgunden Gut gering ist." Mit allem ausgestattet, was Kammern und Truhen hergaben, begleitet von vielen schönen Jungfrauen, ver
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ließ Kriemhild am anderen Morgen das Land ihrer Väter. Während Günther schon am Stadttor von Worms von ihr Abschied nahm, gaben Gernot und Giselher ihr mit vielen Recken das Geleit bis zur Donau. Schwer fiel ihnen der Abschied von der geliebten Schwester. Unter Markgraf Rüdigers Führung ritten sie durchs Land der Bayern. In Passau, wo Frau Utes Bruder als Bischof residierte, wurde erstmals große Rast gehalten. Dann ging es auf flinken Rossen weiter nach Bechlarn, der Heimatburg des Markgrafen. Frau Gotelind, Rüdigers Gemahlin, und sein Töchterchen Dietlind freuten sich sehr über die Einkehr der neuen Königin. Doch nicht lang war der Aufenthalt bemessen, dann ritten die Nibelungen weiter am Strom entlang und fanden gastlichen Empfang auch auf Burg Melk und in der Stadt Mautern an der Donau. Schon hatte König Etzel von der Ankunft der Braut im Hunnenland erfahren und machte sich mit glänzendem Gefolge auf, sie feierlich einzuholen. Mit König Etzel kamen geritten: Herzog Ramung aus dem Lande der Walachen, der gefürchtete Herzog der Wenden, Horneboge, die Edlen Haward und Iring vom Dänenland, Irmfried von Thüringen und viele andere Fürsten in funkelnden Harnischen und wehender Helmzier. Ein Aufgebot, wie es der Schwester des mächtigen Burgundenkönigs wohl anstand. In Tulln an der Donau trafen sich die Burgundentochter und der Hunnenkönig. König Etzel schwang sich
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frohgemut vom Pferd und ging Kriemhild mit Freuden entgegen, sie mit aller Ehrerbietung zu empfangen. Und freundlich begrüßte ihn die schöne Braut. Am nächsten Morgen ritten sie gemeinsam nach Wien, wo die Hochzeit mit fürstlichem Prunk gefeiert wurde. Siebzehn Tage währte das Fest, und in der großen Donaustadt war des Jubelns schier kein Ende. Am Morgen des achtzehnten Tages endlich fuhr das Königsschiff inmitten eines Geleites von prächtig geschmückten Schiffen die Donau hinab, bis sich hoch über dem Strom die mächtige Etzelburg erhob. Dort, in Ofen, hielt Kriemhild als neue Herrin ihren Einzug. Viel edle Frauen empfingen Etzels zweite Gemahlin, auch Herrat war dabei, die Nichte König Etzels und die Braut des Gotenrecken Dietrich von Bern.
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Kriemhild sinnt auf Vergeltung Sieben Jahre schon lebte Kriemhild im Hunnenland und wurde von König Etzel in hohen Ehren gehalten. Groß war des Königs Freude, als Kriemhild ihm einen Sohn schenkte, den sie Ortlieb nannten und nach Kriemhilds Wunsch christlich taufen ließen. Er wuchs zu einem schönen Knaben heran und wurde sehr von Vater und Mutter verwöhnt. Doch oftmals träumte Kriemhild von dem anderen Knaben, der fern am Niederrhein aufwuchs und nun wohl schon das Ebenbild seines herrlichen Vaters sein mochte. In solchen Stunden brachen in Kriemhild alte Wunden wieder auf. Das alte Leid wurde wach und entfachte aufs neue die Flamme in ihrer Brust - sie sann auf Rache. Viele Pläne erdachte sie und verwarf sie immer wieder. Erst als sie wußte, daß König Etzel ihr zu Gefallen alles tat, beschloß sie, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Eines Tages, als ihr der König besonders gewogen war, sprach sie zu ihm: „Lange Jahre schon bin ich hier, und noch hat mich keiner meiner Verwandten besucht. Daher kommt es, daß deine Fürsten und Edlen sagen, ich stamme gewiß nicht von hohem Geschlechte ab." „Verzeih mir, Kriemhild", antwortete betroffen der König, „daß ich dies alles noch nicht bemerkt habe. Gern erfülle ich dir deinen Wunsch. Meine Spielleute Werbel und Schwemmel sind der Lande kundig, sie sol
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len sogleich nach Worms aufbrechen und unsere Einladung überbringen." König Etzel befahl den beiden Fiedlern, deren süßes Spiel ringsum in den Landen gepriesen war, König Günther mit seinen Recken zur Feier des Sonnenwendfestes einzuladen. Kriemhild aber ermahnte sie besonders: „Vor allem achtet mir darauf, daß Hagen von Tronje nicht fehle. Sagt den Königen, sie sollten ja Hagen nicht vergessen, denn er allein kenne den Weg ins Hunnenland!" Von vierundzwanzig Rittern begleitet machten sich die Boten des mächtigen Hunnenkönigs auf die weite Reise und kamen bald nach Worms. Freundlich empfing Günther die Königsboten und dankte ihnen von Herzen für die ehrenvolle Einladung. Sieben Tage sollten sie es sich am Hofe Wohlergehen lassen, dann wolle er ihnen Antwort geben. König Etzels Abgesandte waren zu vielen Malen gern gesehen bei Frau Ute und bei Gernot und Giselher, denen sie gar nicht genug von Kriemhild berichten konnten. Indessen besprach sich König Günther mit seinen Edlen, und alle waren angetan von der hohen Ehre der Einladung und rieten zur Fahrt. Nur Hagen von Tronje war anderer Meinung. Voller Zorn rief er: „Seid ihr denn alle von Sinnen? Habt ihr vergessen, daß Kriemhild stets auf unser Verderben bedacht sein wird! Laßt ab von dieser Fahrt ins Unheil!" „Nun, der einzige, der Kriemhilds Rache zu fürchten
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hätte, bist du, Hagen!" warf Gernot ein. „Wir können König Etzels Einladung nicht ablehnen." Und der junge Giselher fugte rasch hinzu: „Mag Herr Hagen hierbleiben, ich aber möchte endlich meine Schwester wiedersehen. Wir wollen reisen!" Und in den Augen der anderen Recken wurde ihm Zustimmung zuteil. Da sprang Hagen auf und stieß das Schwert Balmung auf den Estrich, daß es dröhnte. Düster und drohend klang seine Stimme: „Ist also die Fahrt in den Tod beschlossen? Nun wohl, das Schicksal der Burgunden ist auch das Schicksal der Tronjer. Ich fahre mit ins Hunnenland. Doch wißt: Keiner von uns kehrt je zurück!" Als die Helden ihn entsetzt anblickten, erhob er seine Stimme noch einmal, doch so dumpf, daß sie von den Wänden widerhallte: „Die Sonnenwendfeuer in Etzels Burg werden zur leuchtenden Fackel eures Unterganges werden!" Keuchend vor Erregung, grollend fugte er hinzu: „Ich will euch führen, denn mir ist der Weg ins Hunnenland bekannt. Und nehmt tausend der besten Ritter mit! Das sei mein letzter Rat!" „So soll es sein!" entschied König Günther. Dann wurde unter Hagens wachsamer Obhut die Reise gerüstet. Inmitten der Fröhlichen ging er mit ernster Miene einher, und nichts konnte ihm an Wehr und Waffen gut genug sein. Unter dreitausend Recken wählte er die Tapfersten aus.
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Die Fahrt zu den Hunnen Der Tag der Abreise war gekommen. Als König Günther und seine Brüder von Frau Ute Abschied nahmen, brach sie in Klagen aus. „Laßt ab von der unseligen Fahrt", warnte sie, „denn ein Traumgesicht hat mich Schreckliches sehen lassen. Alle Vögel im Burgundenreich fielen tot von den Bäumen und bedeckten die Erde." Hagen brach das Schweigen der Recken, er beschwichtigte die Königin: „Wer sich an Träume kehrt, Frau Ute, der Mann ist schlecht beraten. Die Rosse sind gesattelt, die Banner wehen, wir werden zum Donaustrom reiten, und sei es in den Tod!" Vergeblich versuchte Brunhild, den König zurückzuhalten. Und als die Schar der Helden zum Tor hinausritt, blickte sie ihnen in tränenloser Trauer nach. „Lebt wohl", sprach sie vor sich hin, „ihr, die ich euch geliebt wie gehaßt habe. Ihr reitet dem Untergang entgegen. Zum Isenstein kehre ich zurück." Hagen führte die Mannen über den Rhein, am Main entlang zum Donaustrom. Am Morgen des zwölften Tages - sie hatten das Land der Franken hinter sich — kamen sie an den Strom, doch umsonst suchten sie nach einer Brücke oder einer Furt zum Übergang. Indessen sie alle Rast hielten, durchstreifte Hagen Strauch und Schilf am Ufer nach einem Fährmann. Statt dessen überraschte er drei Wasserfrauen, die in
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der Donau badeten. Behutsam schlich er heran und raubte ihnen die auf einem Gebüsch ausgebreiteten Kleider. Hagen wußte, daß sie in die Zukunft schauen konnten. Den Klagenden rief er lachend zu: „Jammert nicht! Gern gebe ich euch euer Gewand wieder, zuvor aber sollt ihr mir weissagen, was wir auf der Reise ins Hunnenland erleben!" Nixenlachen klang silberhell auf, die drei nickten sich zu, dann rief die erste: „In der Hunnenburg zu Ofen werdet ihr freundlich empfangen, dann aber werdet ihr allesamt verraten!" Singend weissagte die zweite: „Das Schicksal hat gesprochen, keiner von euch wird die Heimat wiedersehen!" „Keiner von euch", wiederholte die dritte. „Es wartet der Tod!" „Nichts glaub' ich euch, ihr törichten Nixen", rief Hagen ein wenig grimmig aus. „Sagt mir lieber, wo das Haus des Fährmanns steht!" Da zeigten sie ihm den Weg, und Hagen wandte sich dorthin. Doch mehrmals noch klang es silberhell in seinem Rücken: „Kehr um, es wartet der Tod." Endlich erblickte Hagen die Hütte des Fährmanns am anderen Ufer und rief hinüber: „Hol über, Ferge! Hier halte ich guten Lohn!" Auf der Schwertspitze hielt er einen goldenen Armreif empor. Im schweren Nachen kam der Schiffer, ein ungeschlachter Geselle, herüber, aber als er hörte, er solle das
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ganze Heer der Burgunder! übersetzen, weigerte er sich. „Nein, das tue ich nicht! Mein Herzog hat mir verboten, fremdes Kriegsvolk überzusetzen. Und nun schert Euch hinaus aus dem Kahn!" Und damit schlug er Hagen die Ruderstange über den Helm, so daß sie zersplitterte. Da ward Hagen vom Zorn gepackt, schwang den Balmung und schlug ihm den Kopf ab. Dann brachte er mit eigener Hand den Nachen dorthin, wo die Burgunden warteten, und setzte in vielen Fahrten das Heer ans bayerische Ufer. Als er sah, daß nichts und niemand zurückgeblieben war, zerschlug er den Nachen und ließ die Stücke stromabwärts treiben. Als Dankwart ihn nach dem Grunde für dies seltsame Tun fragte, antwortete der Ergrimmte: „Kein Feigling soll sich hier hinüberretten können. Burgundenrecken wissen tapfer zu sterben!" Sie zogen weiter durchs Bayernland, und die Nachhut unter Hagen und seinem Bruder Dankwart wehrte den Bayernherzog blutig ab, der seinen Fährmann rächen wollte. Bald hatten sie die Grenze des Donaugaues erreicht und schickten einen von Rüdigers Grenzwächtern nach Bechlarn voraus, die Ankunft der Burgunden zu melden. Freudiges Schaffen begann in der Stammburg des Markgrafen. In Küche und Kammer und Keller arbeiteten Knechte und Mägde, damit das Heer der Burgunden geziemend empfangen werde. Mit seiner Gemahlin Gotelind und seiner Tochter Dietlind zog Markgraf Rüdiger den Königen entgegen, und herzlich begrüßte
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er Hagen, mit dem er einst als Geisel an König Etzels Hof gelebt hatte. Zum letzten Mal waren den Burgundenhelden fröhliche Stunden ohne Harm beschieden. Fiedelspiel, Lachen und Becherklang erfüllte die Hallen von Bechlarn. Und die Helden gewahrten mit Freude, daß sich die Herzen des jungen Giselher und der lieblichen Dietlind fanden. Im Kreis der Recken wurden sie beide vermählt, und Volkers Fiedel sang das Jubellied dazu. Für die Burgunden war die Stunde des Abschieds gekommen. Günther und seine Brüder erhielten kostbare Geschenke, auch Hagen sollte bedacht werden. Der Grimmige deutete auf einen Schild, der neben anderer Wehr an der Wand hing. Nur schweren Herzens reichte Frau Gotelind ihm den blinkenden Schild. „Ungern entbehre ich diese Wehr, Hagen von Tronje", sagte sie. „Sie gehörte meinem Sohn Nudung, der den Heldentod fand in der Rabenschlacht in Italien. Wittich, Wielands Sohn, hat Nudung besiegt, aber er ist in Ehren gefallen. So nehmt den Schild mit Euch ins Hunnenland. Tragt ihn in Ehren, und möge er Euch besser schirmen als den, um den ich immer trauern muß." Nur wenige Tage waren ihrem Glück beschieden, dann ritt das Burgundenheer weiter gen Osten. Mit vielen Recken begleitete Markgraf Rüdiger sie zur Etzelburg.
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Der unheilkündende Empfang Am Hofe des Hunnenkönigs weilte in jenen Tagen der König der Goten, Dietrich von Bern, und mit ihm sein alter Waffenschmied Hildebrand und viele Recken. Herr Dietrich hatte beobachtet, wie Kriemhild die Kunde vom Herannahen der Burgungen aufnahm. Denn allzusehr verriet sich die Königin. „Unheil droht über Hof und Halle", sagte König Dietrich zu seinem getreuen Hildebrand, „darum wollen wir den Burgunden entgegenreiten. Vielleicht können wir sie zur Umkehr bewegen!" Sie gönnten ihren Rossen wenig Rast, bis sie den burgundischen Heerbann erreicht hatten. Auf beiden Seiten schwangen sich die Helden aus den Sätteln und begrüßten einander herzlich, denn manche Schwertbrüder fanden sich hier nach langer Zeit wieder. „Ihr seid willkommen", sagte Dietrich, „doch mir scheint, ihr seid anders willkommen als zu frohem Reigen, denn Kriemhild beweint noch immer Siegfried." Günther hielt dawider, er habe das Gastwort König Etzels, und Giselher sagte: „Ich kenne das Herz meiner Schwester besser. Sie ist uns in Liebe zugeneigt." „Herr Giselher, im Überschwang Eurer Jugend lebt Ihr ohne Harm und Arg, ich aber kenne die Leidenschaf ten der Menschen besser. Darum laßt euch warnen!" Und Meister Hildebrand, offen und ehrlich riet ihnen zur Umkehr. „Meint ihr", entgegnete König Günther, „Burgundenstreiter würden verzagen und umkehren?"
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„Nein und nein!" rief Volker von Alzey. „Unsere Schwerter sind scharf, und wir fürchten sie nicht, die kleinen Reiterlein!" Und Hagen von Tronje fügte grimmig hinzu: „Je mehr ihrer sind, um so besser! Der Bogen ist gespannt, nun fliege der Pfeil!" So setzten die Burgunden, die sich nun Nibelungen nannten, weil sie Siegfrieds Erbe besaßen, ihren Weg fort. Hoch aufgerichtet, mit wehendem Banner ritten sie in König Etzels Burg ein. Und das Volk drängte sich, Hagen von Tronje zu sehen, der Siegfried erschlagen hatte. Weiße Fäden glitzerten in seinem schwarzen Haar, grimmig blickte er aus nachtdunklem Auge, und die Neugierigen wichen scheu vor ihm zurück. Bald war den burgundischen Gästen Herberge angewiesen, und auf Geheiß Kriemhilds wurden die Knechte fern von den Rittern untergebracht. Frau Kriemhild empfing die Burgunden, stolz und unnahbar schritt sie ihnen entgegen. Hochmütig nickte sie König Günther und Gernot zu, nur den jungen Giselher umarmte sie voller Herzlichkeit. Hagen sagte mit höhnender Stimme: „Solch freundlichen Empfang hatte ich vorausgesehen." Da wandte sich Kriemhild jäh dem Tronjer zu: „Höre ich recht, Herr Hagen von Tronje? Wie hätten wir Euren Besuch erwartet! Seid Ihr gekommen, mir den geraubten Nibelungenhort zu bringen? Dann will ich Euch freundlich willkommen heißen."
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Mit düsterer Miene, grimmig lächelnd, warf Hagen von Tronje ihr entgegen: „Der Hort, o Königin, ist gut verwahrt. Doch schwer genug hatten wir an unseren Waffen zu tragen!" „Die braucht ihr nicht", sagte Kriemhild mit freundlicher Miene, „denn in der Halle des Königs trägt man keine Wehr. Drum bitte ich euch alle, edle Herren, legt eure Waffen in der Rüstkammer ab, bevor ihr in die festliche Halle eintretet." Hagen schüttelte unwillig sein dunkles Haupt und weigerte sich. Da fragte ihn Kriemhild, ob die Burgunden gewarnt worden seien. Dietrich von Bern trat vor, hart klang seine Stimme: „Verzeiht, Königin, ich war's, der die Gäste warnte. Tat ich unrecht, so straft mich dafür." Verwundert wandte Kriemhild ihren Blick dem Gotenrecken zu. Drohend blickte sie dann Hagen an und ging in ihre Gemächer. Während die Burgunden warteten, daß sie der Hof marschall zu König Etzel führte, ging Hagen mit dem treuen Volker von Alzey abseits. Auf der anderen Seite des weiten Burghofes, auf einer Steinbank, gegenüber Kriemhilds Gemach, ließen sie sich nieder. Hagen legte den Balmung, Siegfrieds gewaltiges Schwert, auf seine Knie, so daß die Sonne in dem edlen Stein des Schwertknaufs funkelte. Unter Tausenden von Schwertern hätte Kriemhild Siegfrieds Balmung erkannt. Nun, da sie ihn in Hagens Händen wiedersah, brach sie in Tränen und Klagen aus.
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Hunnische Krieger in der Nähe vernahmen das Schluchzen ihrer Königin und traten besorgt an sie heran. In jäh aufloderndem Zorn rief Kriemhild ihnen zu: „Seht hin, dort sitzt er, der Siegfried von den Niederlanden erschlug. Wer mein Leid an dem Mörder rächt, soll reichen Lohn empfangen!" Da wappneten sich an die sechzig Krieger, sie wollten Hagen und Volker erschlagen. Kriemhild riet ihnen, noch mehr Streiter herbeizuholen, und so folgte ihr bald eine Schar von vierhundert Kriegern in den Burghof. Sie trat auf Hagen zu. „Stehen wir auf?" fragte Volker seinen Waffenbruder, als Kriemhild sich ihnen näherte. „Wir sollten der Königin die Ehre erweisen." „Bleib sitzen!" flüsterte Hagen ihm zu. „Die schlitzäugigen Krieger könnten sonst meinen, wir hätten Furcht vor ihnen." Mit zornbebender Stimme fuhr Kriemhild Hagen an. „Wie könnt Ihr wagen, mir unter die Augen zu treten! Habt Ihr Eure Untat vergessen?" „Wo meine Herren geladen sind, da bin auch ich! Das ist Nibelungentreue!" So antwortete Hagen voller Spott. Kriemhild achtete gar nicht seiner Worte. Wütend schleuderte sie ihm ins Gesicht: „Ihr wißt, warum ich Euch hasse! Jetzt sagt mir, warum erschlugt Ihr meinen Gemahl?" Da erhob sich Hagen in seiner riesigen Größe, mit Lachen erwiderte er: „Siegfried von Niederlanden verletzte die Ehre meiner Königin, er durfte nicht länger
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leben. Und wenn Ihr es hören wollt, so vernehmt es deutlich: Ja, ich war's, der Siegfried erschlug! Ich war's, der den Nibelungenhort an sich nahm! Räche es, wenn du's vermagst!" Bei diesen Worten schwang er den blitzenden Balmung über seinem Haupt. Auch Volker zog sein Schwert, und trotzig blickten die Recken um sich. Da gab Frau Kriemhild ihren Mannen den Weg zum Kampf frei und ging in ihre Gemächer, von dort zu sehen, wie die Recken von den Hunnen erschlagen würden. Aber keiner der vierhundert Krieger wagte es, die beiden Burgunden anzugreifen. Ein Hunne nach dem anderen schlich an ihnen vorüber und machte sich davon. Da ließen die beiden ein höhnisches Gelächter hören und stießen ihr Schwert in die Scheide. Sie folgten ihren Herren in den Saal. Dort hatte schon König Etzel die hohen Gäste willkommen geheißen und bewirtete sie köstlich mit Speise und Trank. Bei fröhlichen Gesprächen saßen Hunnen und Burgunden beisammen, bis die Mitternacht den Tag der Sonnenwende ankündigte. Dann schickten sich die Burgunden an, schlafen zu gehen. Sie wurden in eine große Halle geleitet, wo prächtige Ruhebetten auf sie warteten. Trotz ihrer Müdigkeit meinten die Burgunden, es sei ratsamer, sich nicht zu entkleiden. Kriemhilds Unwille schien ihnen nichts Gutes zu verheißen. Sogar der junge Giselher, stets heiter und harmlos, sagte betrübt:
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„Kriemhild hegt keine Liebe mehr für uns. Leicht könnte dies die letzte Nacht sein, da wir gesund beisammen sind. Unheil droht, es kriecht aus allen Winkeln auf uns zu - laßt uns wach bleiben!" Da reckte sich Hagen hoch auf, seine Hand ruhte auf Balmungs Griff, und er sagte: „Gebt euch dem verdienten Schlaf hin, ich werde Schildwache halten. Diese Halle hat nur einen Eingang, mit Volker zusammen will ich ihn hüten, bis der Morgen graut." Mit ihren Waffen traten die Getreuen unter die Tür der Halle und ließen sich auf den Steinstufen nieder. Volker lehnte den Schild an die Saalwand, ergriff seine Fiedel und spielte ein Nachtlied, wie sie es aus der Heimat kannten. Und die Burgunden im Saal entschlummerten einer nach dem anderen. Über Burg und Hof lag tiefe Stille, da sahen die Wachsamen im Sternenlicht Helme aufschimmern. Überall wisperte es und schlurfte heran. Gemächlich erhoben sich die beiden Getreuen und traten vor die Tür des Saales, auf daß sie weithin zu sehen wären. Und die Schattengestalten verschwanden lautlos. Mehrmals wiederholte sich solch böses Spiel, doch Kriemhilds Mannen wagten sich nicht hervor gegen die beiden Recken. Langsam nur verblaßten die Sterne am Himmel und wichen der Morgenröte. Dann erhob sich Volker und sang ein Lied, das die Burgunden am Rhein zur Sommersonnenwende sangen. So weckte er Fürsten und Ritter, und bald waren sie alle rege im Strahl der Morgensonne.
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Das Fest der Sommersonnenwende Als die Glocke mahnte, zur Messe zu gehen, wünschte König Günther, daß die Seinigen prächtige Gewänder trügen. Als Hagen davon hörte, sagte er: „Habt ihr denn alles um euch her vergessen? Heut ist Eisen das beste Kleid, das ihr tragen könnt! Gott wird euch die Wehr zur Messe verzeihen, und ich meine, ihr werdet nach dieser keine mehr auf Erden hören." Sodann begaben sich die Helden in Helm und Harnisch zu der Kapelle, die König Etzel für Frau Kriem hild hatte erbauen lassen. Doch der König wunderte sich, daß die Burgunden gerüstet waren, und er fragte besorgt: „Habt ihr irgendeinen Grund, euch zu fürchten? Oder hat euch jemand gekränkt?" Hagen beruhigte Etzel, es sei bei den Burgunden Sitte, im Harnisch zur Kirche zu gehen. Kriemhild aber lächelte höhnisch, dennoch war sie froh, daß Hagen nichts berichtete von dem, was in der Nacht geschehen war. Denn König Etzel wußte nichts von ihren Racheplänen. Nach dem Gottesdienst begannen die ritterlichen Kampfspiele zwischen Gästen und Wirten. König Dietrich und Markgraf Rüdiger fürchteten, aus Spiel könne gar zu leicht Ernst werden, sie ließen ihre Mannen nicht gegen die Burgunden kämpfen. Doch Thüringer und Dänen ritten in den Ring, und mancher Schild wurde durchbohrt, manche Lanze zersplittert, indessen König
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Etzel und Kriemhild vom Fenster aus zusahen. Die Königin wünschte bei sich, es möge blutiger Kampf entstehen. Da sprengte Blödel, Etzels Bruder, mit dreitausend Reitern heran, und ein mächtiges Getöse erfüllte den Burghof. Hin und her wogte der Kampf, immer hitziger drangen die Streiter aufeinander, da hatte Volker das Mißgeschick, einem Gegner den Speer durch die Brust zu rennen, so daß er tot vom Roß sank. Ein wildes Rachegeschrei erfüllte das Rund, die hunnischen Reiter sammelten sich, um Volker vom Pferd zu stechen. Doch ehe sie auf die Burgunden prallten, war schon König Etzel herbeigeeilt und befahl, Frieden zu halten. So wurden die Spiele beendet, Fürsten und Edle begaben sich zum fesdichen Mahl in die Halle. Rasch wandte sich Kriemhild an Dietrich von Bern, er möge ihr zur Seite stehen und Siegfrieds Tod an Hagen rächen. Da drohte der alte Hildebrand: „Nie werden wir gegen die Nibelungen kämpfen. Kein Lohn kann uns locken!" Der Gotenkönig sagte: „Königin, wie könnt Ihr Eure eigene Verwandtschaft bedrohen! Kamen sie nicht im Vertrauen auf Gastfreundschaft! Nimmermehr findet Ihr uns zum Verrat an Eurer Seite!" Da wandte sich die Rachedürstende an Blödel, dessen Gefolgsmann von Volker getötet worden war. Nicht lange brauchte sie den Eitlen zu umschmeicheln. Er nickte und sagte: „Zuerst werde ich Dankwart mit seinen Mannen
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überfallen, speisen sie doch in der großen Herberge, von den anderen getrennt. Hernach soll unsere Rache die Ritter und Könige im großen Saal treffen!" Da frohlockte Kriemhild, sie raffte ihr Gewand und schritt hocherhobenen Hauptes zum Festmahl. Die düstere Freude an der Rache blitzte aus ihren Augen. An reichgedeckten Tischen kreisten die Becher. Friedlich saßen die Hunnen, ihre christlichen Verbündeten aus Thüringen und Dänenland wie auch die Burgunden beisammen und tauschten freundliche Worte. Sogar Hagen lachte dröhnend, als Meister Hildebrand ihm erzählte von König Dietrichs Kämpfen in Zwergenkönig Laurins Rosengarten. Da ließ Kriemhild ihren Sohn Ortlieb in den Saal bringen, und König Etzel zeigte ihn voller Stolz den Burgundenkönigen. „Bald wird er kräftig genug sein, dann schicke ich ihn nach Worms. Gewiß wird Herr Hagen ihn zu einem Recken erziehen." Der Tronjer meinte, der Knabe sei schwach und kaum geeignet zum Waffenhandwerk. Verächtlich sagte er das. Wenig lieb war Etzel solche Antwort, und Kriemhild zog den Knaben an sich, als wollte sie ihn schützen. Inzwischen war Grausiges geschehen. Mit tausend schwerbewaffneten Kriegern war Blödel in den Saal eingedrungen, da Dankwart und die Knappen sorglos speisten. Hart fuhr Blödel den freundlich grüßenden Dankwart an: „Was soll mir dein Gruß? Wappne dich, denn jetzt räche ich an dir Siegfrieds Tod!"
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Kaum hatte der Hunne sein Krummschwert gezogen, da war Dankwart ihm zuvorgekommen und hieb ihm mit einem Streich das Haupt vom Rumpf. Ein furchtbarer Kampf entbrannte, die nichtgerüsteten Burgunden wehrten sich verzweifelt, doch bald erlagen sie der Übermacht. Nicht einer von ihnen entkam. Nur Dankwart, mit dem Rücken der Mauer zugewandt, hielt sich mit raschen Schlägen den Feind vom Leibe. Plötzlich griff er an und schlug sich zwischen den Überraschten eine Gasse. Dann eilte er hinüber zum großen Saal. Gerade hatte Kriemhild den Knaben Ortlieb an sich gezogen, da kam Dankwart in den Saal gestürzt, mit Blut bedeckt, das blanke Schwert in der Hand. Aller Augen richteten sich auf ihn, und da vernahmen sie alle seine Klage: „Hagen, mein Bruder, hast du nicht meine Hilferufe gehört? Unsere Mannen alle sind in der Herberge erschlagen!" Wie der Blitz erhob sich der Tronjer, seine Stimme donnerte durch den Saal: „Wer hat das getan?" „Blödel vollbrachte die ruchlose Tat. Ich allein bin übriggeblieben!" Wiederum dröhnte Hagens Stimme an das Ohr der entsetzten Tafelrunde: „Rasch, Dankwart, halt Wacht an der Tür. Ich will euch rächen, Mann für Mann!" Mit jähem Griff packte er den Knaben Ortlieb und schlug ihm den Kopf ab. Als der Spielmann Werbel auf
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schrie, trennte der Rasende ihm den rechten Arm vom Rumpf, wild rief er: „Nimm's zum Lohn für deine Botschaft in Worms!" Das Unheil nahm seinen Lauf. Auch König Günther zog sein Schwert, nach ihm Gernot und Giselher, und bald mähten die Nibelungen mit sausenden Schlägen die Wirte nieder. Als die Hunnenkrieger draußen vor der Tür Dankwart bedrängten, eilte ihm Volker zu Hilfe. Nun konnte keiner der Hunnen im Saal mehr entkommen. Da warf der tobende Hagen seinen Schild weg, packte Balmung mit beiden Händen und drang wie ein Ungeheuer auf die Hunnen ein. Der Untergang aller war besiegelt. Da flüchtete Kriemhild zu Dietrich von Bern. Bebend vor Angst bat sie ihn, er möge sie und König Etzel schützen und aus dem Saal führen. Machtvoll dröhnte des Gotenkönigs Stimme durch die Halle, und auf König Günthers Geheiß ließen die Burgunden vom Kampf ab. „Was wollt ihr, König Dietrich?" rief Günther. „Haben die Burgunden Euch behelligt?" „Nein, noch ist es nicht so weit gekommen. Ich will nur freien Abzug mit meinen Mannen und Freunden." „Wie heißen Eure Freunde, wer sind sie?" „Meine gotischen Recken, Markgraf Rüdiger mit den Seinen, die Dänen und Thüringer und zwei, die ich führe." „Es sei gewährt!" rief Günther. Dann gingen die Rekken hinaus. Dietrich von Bern aber hatte seine Arme
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um die Schultern Kriemhilds und König Etzels gelegt. Was danach im Saal verblieb an hunnischen Streitern, wurde Mann für Mann von den rasenden Nibelungen vernichtet.
Der Nibelungen Ende Müde vom Kampf warfen die Burgunden die toten Hunnen die Stufen der Treppe hinunter. Unten standen die Hunnenkrieger, aber sie hüteten sich, so weit vorzugehen, daß die Speere der Nibelungen sie erreichen konnten. Volker und Hagen lehnten sich über die Schilde und höhnten den greisen Hunnenkönig, der den Tod des Knaben Ortlieb beklagte. Wütend griff König Etzel Schild und Schwert eines seiner Krieger, er wollte sich Hagen entgegenwerfen. Kriemhild riß den Empörten zurück und rief voller Zorn: „Wer erschlägt mir Hagen? Ich will dem Etzels Schild mit Gold füllen, der mir Hagens Kopf bringt!" Da sprang Markgraf Iring aus dem Dänenlande hervor und warf seinen Speer gegen Hagen. Nur den Schild zersplitterte er, dann griffen die Recken zum Schwert, und ein wilder Zweikampf begann. Als der Däne merkte, er könne Hagen nicht überwinden, wandte er sich gegen Volker, dann gegen Günther und Gernot. Die Könige wehrten sich tapfer, so daß Iring ihre Gefolgsleute angriff und vier von ihnen erschlug. Da wurde er von Giselher gestellt und so heftig getroffen,
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daß er betäubt zu Boden sank. Plötzlich sprang Iring auf und warf sich wie rasend auf Hagen. Nun ward Hagen von ingrimmigem Zorn gepackt, ein Hagel von Hieben prasselte auf des Dänen Haupt. Nur mühsam durch seinen Schild gedeckt, entwich er die Treppen hinunter. Kriemhild lobte den Tapferen, der sich aufs neue rüstete, Hagen im Saal anzugreifen. Aber der Tronjer warf sich ihm schon auf der Treppe entgegen. Wiederum tauschten sie wilde Schläge, doch Hagen war schneller, sein Speer fuhr plötzlich dem Dänen ins Haupt, so daß er rückwärts die Treppe hinunterpolterte. Sterbend fiel er Kriemhild vor die Füße. Zornig klang das Rachegeschrei der Dänen auf, als sie ihren Herrn sterben sahen. Unter tosendem Rachegeschrei stürmten sie und die Thüringer, wohl an die tausend Streiter, die Treppe hinauf. Dumpf prallten Speere und Schilde, und die Schwerter tanzten in grimmigem Reigen. Hin und her tobte der Kampf zwischen den Todesmutigen, alle Dänen und Thüringer sanken vor den Streichen der Burgundenhelden auf die Steine. Die Nacht brach herein und machte dem blutigen Kampf vorläufig ein Ende. Bevor es dunkelte, befahl König Etzel wieder viele tausend Hunnenkrieger zum Sturm. Zum Sterben bereit erhoben sich die Burgunden und schlugen mit dem Mut der Verzweiflung auch diesen wilden Ansturm ab. Müde ließen sie sich am Eingang des Saales nieder. Gering war der Schutz der Dunkelheit, Mittsommernacht breitete ihren Dämmerschein aus.
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Auf dem Burghof, bis an die Treppe geschart, warteten wutentbrannte Hunnenheere auf den Befehl zu neuem Angriff. Da traten die Burgundenkönige vor die Tür und riefen nach König Etzel. „Wenn ihr um freien Abzug bitten wollt", rief der ihnen entgegen, „so schweigt lieber! Euch, die ihr meinen Sohn erschlugt, gewähre ich nie Frieden!" Vergeblich bat der junge Giselher die Schwester Kriemhild, an ihre und der Könige Mutter Ute zu denken, nun sei es genug des Mordens. „Euch sei Frieden gegönnt", erwiderte Kriemhild, „wenn ihr mir Hagen ausliefert. Dann mögt ihr eurer Wege ziehen!" „Hagen ist unser Freund", rief der stolze Gernot. „Lieber wollen wir mit ihm sterben! Der Nibelungen Treue gilt bis in den Tod!" „Nun denn, so seid verflucht bis in den Tod, ihr Nibelungen!" rief Kriemhild, die sich wie eine Rasende gebärdete. Sie führte die Hunnenscharen heran an das Haus und befahl ihnen, nicht einen der Burgunden herauszulassen. Zugleich ließ sie ringsum Feuer an die hohe Halle legen. Bald züngelten die Flammen hoch auf und fraßen sich, vom Winde angefacht, durch das Gebälk. Würgend legten sich Qualm und Hitze auf die Burgunden. Brennende Balken stürzten herab, und die Helden konnten sich nur retten, indem sie die Schilde über das Haupt hielten und an die stehengebliebenen Mauerreste herandrückten. Immer wieder ermunterte Hagen
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seine Kampfgenossen. „Der Nibelungen letztes Sonnenwendfeuer ist es. Dennoch soll es uns als Helden sehen." Als der Morgenwind kühl durch die Trümmer der rauchgeschwärzten Halle fuhr, sammelten sich die Burgunden zum letzten Kampf. Sechshundert Ritter waren es noch, die die Flammennacht lebend überstanden hatten. Ein schwerer Kampf stand den Todgeweihten bevor, denn König Etzel und Kriemhild hatten Markgraf Rüdiger von Bechlarn bei seinem Lehnseid beschworen, sie an den Nibelungen zu rächen. Vergebens bat Rüdiger ihm diesen schwersten aller Dienste zu erlassen: verpflichtet war er König Etzel durch Eid, und Kriemhild hatte er einst in Worms ein heiliges Versprechen gegeben. Nun mußte er gegen die Freunde streiten. Auf den Stufen der Treppe trat ihm Hagen entgegen und sagte: „Halt, Markgraf Rüdiger, denn dieser Kampf wird ungleich sein. Sieh hier, mein Schild ist zersplittert." Wehmütig, ja traurig blickte ihn Rüdiger an und antwortete: „Hier, nehmt meinen Schild. Und ich wünsche Euch, daß Ihr ihn noch zum Rhein tragen könnt." Hagen nahm den Schild, und aus seinen Augen strahlte die Freude über solche Heldentreue. Stolz auf den Freund sagte er: „Ich schwöre Euch, Rüdiger von Bechlarn, daß ich in diesem Kampf nicht gegen Euch mein Schwert erhebe!" Manches Streiters Auge wurde feucht, als er das Leid sah, das beide Helden bewegte.
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Dann rannten Rüdigers Recken an, und der Markgraf, in bitterer Not zwischen Freundestreue und Lehnseid, schwang sein Schwert wider die Burgunden. Grell klangen die Klingen auf, und die Schilde krachten. Da prallten im Gewühl des Kampfes König Gernot und Rüdiger aufeinander, und so grimmig wüteten ihre Waf fen, daß sie sich zu gleicher Zeit zu Tode trafen. Nachdem die Burgunden auch den letzten von Rüdigers Mannen niedergemacht hatten, standen sie klagend vor den Leichen von Freund und Feind. Doch Hagen sagte: „Wäre euch noch Zeit gewährt zur Klage, dann beklagt unseren eigenen Tod. Er wartet auf uns. Tretet lieber vor die Tür, labt euch an der frischen Luft." Verzweifelt wartete Kriemhild am Fuß der Treppe darauf, daß Rüdiger aus den Trümmern des Saales trete und ihr den Sieg über die Verhaßten verkünde. „Markgraf Rüdiger", schrie sie zum Saal hinauf, „was verhandelt Ihr mit den Burgunden?" Da trat Volker, der Spielmann, vor die Tür und rief: „Rüdiger von Bechlarn hat seinen Eid gehalten bis in den Tod! Von seinen Mannen lebt keiner mehr! Wen wollt Ihr nun gegen uns in den Tod schicken?" Da rief Kriemhild voller Wut: „Sind denn die Nibelungen unsterblich!" Die schreckliche Kunde vom Tode des getreuen Rüdiger war auch zu Dietrich von Bern gedrungen. Er konnte es nicht glauben, daß die Burgunden sogar den Freund erschlagen hätten, und sandte daher den alten
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Hildebrand, ihm genaue Nachricht zu holen. Mit mehreren Recken der Goten näherte sich Meister Hildebrand der blutigen Treppe, um Antwort von den Burgunden zu verlangen und den Leichnam Rüdigers zu fordern. König Günther, in zerhauener Rüstung, mit versengtem Haupt- und Barthaar, schwarz von Rauch, sah die Recken kommen. Er sagte zu den Seinen: „Nun, Freunde, hebt der letzte Kampf an." „Holt euch Rüdigers Leiche selbst, wenn ihr Mut habt!" so verhöhnte Volker die Goten, aber es war der Hohn eines Helden, der müde geworden ist und den Tod sucht. Da griffen die Herankommenden zum Schwert und warfen die Schilde von sich. Abermals erhob sich furchtbarer Kampf. Volker, der todesmutige Spielmann, büßte seinen Übermut mit dem Tode, auch der junge Giselher hauchte in heißem Kampf sein Leben aus. Als einer der Grimmigsten schwang Hagen von Tronje den Balmung, und er zerschlug Hildebrands Harnisch, so daß dieser seinen Schild auf den Rücken warf und die Treppe hinuntereilte, um König Dietrich zu berichten. Goten und Nibelungen lagen im Tode vereint, bald lebte im rauchgeschwärzten Gemäuer niemand mehr als Günther und Hagen. Einsam standen sie da, die Letzten der Nibelungen. In Gram vernahm Dietrich von Bern das Ende seiner gotischen Edlen. Da gürtete er sein Schwert und legte die Rüstung an, selbst wollte er den Kampf beenden und Sühne fordern. Als er vor Günther und Hagen
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stand, den zu Tode Ermatteten, forderte er sie auf, sich zu ergeben. Würden sie sich unter seinen Schutz stellen, dann wollte er sie nach Burgund geleiten. Grollend antwortete Hagen: „Wenig Ehre bringt es dem Helden, in voller Rüstung und Wehr den Kampf aufzugeben." Da griff König Dietrich zum Schwerte. Hart fuhren die Schläge des blitzenden Balmung auf Dietrichs Helm und Schild hernieder, dann aber gelang es ihm, dem ermüdeten Hagen eine tiefe Wunde zu schlagen. Rasch packte er ihn mit kräftigen Armen und führte ihn gebunden zu Kriemhild. Auch Günther, den letzten König der Nibelungen, überwand der gewaltige Gote, band auch ihn und vertraute ihn Kriemhilds Gnade an. Sie aber ließ beide Helden in den Kerker werfen. Am anderen Tage, als König Etzel mit den Seinen beim Mahl saß, ließ Kriemhild den gefesselten Hagen vor sich führen. Todwund, doch aufrecht und trotzig stand der Recke vor der Tür des Saales. Er ahnte wohl, was ihm Kriemhilds blitzende Augen verhießen. „Gebt mir den Nibelungenhort heraus", herrschte sie Hagen an, „dann gebe ich Euch das Leben zurück, das Ihr verwirkt habt." Grausiger Hohn huschte über des Tronjers rauchgeschwärztes Gesicht. Hocherhobenen Hauptes, verächtlich erwiderte er: „Solange noch mein König, der Herrscher der Nibelungen, lebt, darf ich den Hort nicht verraten, und ich werde es nicht tun!"
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Da ließ die grausame Königin ihrem Bruder Günther das Haupt abschlagen. Sie selbst hielt es Hagen entgegen, damit er nun endlich das Geheimnis verrate. Hagens furchtbares Lachen dröhnte ihr entgegen. „So ist's geendet, wie ich gedacht!" rief er aus. „Niemand weiß vom Nibelungenhort denn Gott und ich allein! Du aber, du wirst es nimmermehr erfahren!" „So stirb durch den Balmung, meines teuren Siegfrieds Schwert!" Mit diesen Worten riß die Rasende das Schwert Hagen von der Seite, schwang es mit beiden Händen und schlug dem Tronjer das Haupt ab. Entsetzt sprangen König Etzel und seine Gäste auf, als sie die gellenden Schreie vor der Tür hörten. Als erster stand Meister Hildebrand vor Kriemhild und den ermordeten Freunden. „Hagen von Tronje, der Tapferste der Burgunden, von Weibeshand erschlagen!" schrie er. „Das darf nicht ungesühnt bleiben!" Blind vor Zorn erschlug er Kriem hild. Tot sank sie neben Hagen nieder. Hunnenkönig Etzel und Dietrich von Bern, der Gotenheld, standen voller Gram vor den großen Toten. Sie weinten um die Freunde. Schweres Leid hatte das Fest der Sommersonnenwende über alle gebracht. Was weiter geschah an Weinen und Klagen bei Rittern und Frauen, davon schweigt die Mär. Doch wo in späteren Zeiten tapfere Männer beisammensaßen und der Helden Taten rühmten, da erklang immer wieder die Mär von Siegfrieds Tod und von der Nibelungen Not.
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