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Seewölfe 234 1
Kelly Kevin 1.
Der Sturm heulte wie ein Chor verdammter Seelen. Von Osten orgelte er heran, pfiff durch Wanten und Pardunen, knallte in die letzten verkleinerten Segel der „Isabella VIII.“ und verlieh ihr eine Höllenfahrt. Die Galeone rauschte raumschots dahin. Beidrehen konnte sie nicht, da sie dabei dwars vertrieben worden wäre, vor Topp und Takel lenzen konnte sie schon gar nicht. In beiden Fällen lief sie Gefahr, zu nahe an die Küste zu geraten und auf Legerwall geworfen zu werden. Edwin Carberry, der Profos, hielt sich an einem Strecktau fest und spähte mit grimmig vorgeschobenem Kinn über die Kuhl. Die sah gar nicht mehr gut aus. Die Trümmer der Marsrah polterten durcheinander, Schoten und Stage verknäulten sich oder zischten durch die Luft, als schlage der Leibhaftige mit der Peitsche drein. Smoky, der Decksälteste, und der blonde Schwede Stenmark mühten sich ab, die ganze Bescherung über Bord gehen zu lassen, bevor sie jemandem den Kopf lädierte. Matt Davies sprang hinzu und schlug seine Hakenprothese in das verhedderte Tauwerk. Aus einem Schleier sprühender Gischtwolken tauchte auch noch der riesige rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker auf, und im selben Moment holte die „Isabella“ beängstigend nach Backbord über. „Festhalten, ihr Stinte!“ brüllte Edwin Carberry, der Profos, mit Donnerstimme. „Wahrschau! Sturzsee!“ schrie gleichzeitig Sam Roskill, der sich Großmars am Mast festgelascht und zuvor beinahe die Marsrah auf den Kopf gekriegt hatte. Der Profos fuhr herum. Grün und glasig wuchs es an Steuerbord hoch, eine gewaltige Woge, die die Kuhl unter sich begraben würde. Die Männer klammerten sich krampfhaft fest. Nur Stenmark, der gerade der halben Rah über Bord geholfen hatte, schien nicht schnell genug Halt zu finden. Schien! Denn zum
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Glück hatte ihn Matt Davies im wahrsten Sinne des Wortes am Haken, um ihn blitzschnell zurückzuziehen. Das wiederum konnte Edwin Carberry von seinem Platz aus nicht sehen. „Dämlicher Affenarsch!“ fluchte er, ließ das Strecktau fahren und wollte mit einem Satz das Schanzkleid erreichen, um Stenmark abzufangen. Schon stieg die Sturzsee an Deck, knallte wie eine gigantische Raubtierpranke auf die Planken und überflutete die Kuhl. Stenmark verlor den Halt, doch er wurde durchaus nicht hilflos davongewirbelt. Stattdessen wirbelte etwas ganz anderes mit der grünen Woge über die Kuhl: ein klafterlanges Stück Treibholz von der Dicke eines mittleren Baumstamms. Der Zufall wollte es, daß es dem Profos genau in die Hacken knallte. Edwin Carberry schrie auf, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Wie eine unsichtbare Gigantenfaust traf ihn die Gewalt des Brechers. Er schluckte Wasser, schlug um sich und versuchte verzweifelt, das Schanzkleid zu packen — doch selbst für ihn, den eisernen Profos, war das Unglück zu schnell geschehen. Unwiderstehlich wurde er über Bord gewischt. Nur sein wütender Aufschrei übertönte noch sekundenlang das Gurgeln und Brausen der ablaufenden Woge. Smoky und Stenmark, Matt Davies und Ferris Tucker, wie die Klammeraffen an das Strecktau gekrallt, starrten fassungslos auf die Stelle, wo der Profos eben noch gestanden hatte. „Himmel, Arsch und Wolkenbruch!“ Es war die Stimme des Seewolfs, die als erste das Höllenkonzert des Sturms übertönte. Philip Hasard Killigrew hatte sich an der Schmuckbalustrade des Achterkastells festgelascht, jetzt löste er blitzartig den Slipknoten. Sein Herz hämmerte, sein Puls jagte, der Schrecken krallte sich in ihm fest, als habe ihm jemand einen Enterhaken in die Eingeweide geschlagen. Aber er handelte sofort, handelte schneller, als irgendjemand denken konnte.
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Wer im Sturm außenbords ging, der war verloren - so lautete ein ehernes Gesetz. Aber hatten die Seewölfe nicht schon so manches eherne Gesetz um eine Ausnahme bereichert? Hasard scherte sich den Teufel um Vernunft und Vorsicht. Mit einem kurzen Blick überzeugte er sich, daß in den nächsten Sekunden keine weitere Sturzsee die Decks überspülen würde. Dann flankte er kurzerhand über die Schmuckbalustrade, landete auf der Kuhl, vollführte einen Hechtsprung und schlidderte genau dorthin, wo er hinwollte: zu einer sauber belegten, in Buchten aufgeschossenen Taurolle. Mit einem Griff hat er sie sich geschnappt, samt einer daneben hängenden Leine. Das nächste Überholen der Galeone beförderte ihn im Schnellverfahren ans Backbord-Schanzkleid. Dort prellte er sich zwar sämtlich Knochen, doch das spielte keine Rolle. Noch im Aufspringen schlang er sich den Tampen um den Leib. Die Linke brauchte er, um sich festzuhalten. Aber da er sich durchaus nicht als einziger den Teufel um Vernunft und Vorsicht geschert hatte, waren Ferris Tucker, Matt Davies, Stenmark und Smoky schon zur Stelle, um auszuhelfen. „Wahrnehmen und belegen!“ schrie Hasard, womit er das Tau meinte. Dabei schwang er sich bereits aufs Schanzkleid, stieß sich kräftig ab und schnellte mit vorgestreckten Armen wie ein geschmeidiger Pfeil ins Wasser. Ihm war, als tauche er mitten in eine kochende, tobende Hölle. Ganz kurz hatte er geglaubt, auf dem gischtenden Kamm einer Welle etwas zu erkennen, das vielleicht ein menschlicher Kopf sein konnte. Wasser schlug über ihm zusammen, Urgewalten schienen an ihm zu zerren. Die unter dem Kiel der „Isabella“ ablaufenden Wellen trugen ihn vorwärts. Ganz kurz straffte sich das Tau, weil die Männer am Schanzkleid nicht schnell genug Lose geben konnten. Idioten, dachte Hasard erbittert, während sein Magen malträtiert und die Luft aus seinen Lungen gepreßt wurde. Dabei wußte er genau, daß Ferris Tucker und die anderen ihr Bestes
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taten. Mit zwei, drei kräftigen Schwimmstößen arbeitete er sich nach oben, schnappte nach Luft und wurde im nächsten Moment Von einer Wage angehoben. Verzweifelt riß er die Augen auf, um etwas zu sehen. Riesige Wellenberge, schwindelerregende Täler, Gischt, der in langen weißen Schlieren davonwehte. Die See brodelte, als habe der Teufel selbst einen Suppentopf aufs Höllenfeuer gesetzt. Salz biß in Hasards Augen. Sekundenlang verschwamm die Umgebung, dann schluckte er Wasser, weil er einen Freudenschrei ausstoßen wollte. Zwei Wellenberge weiter waren deutlich die kraftvoll wirbelnden Armschläge eines Schwimmers zu sehen. Carberry! Er lebte - und er kämpfte. Noch befand er sich in Lee der Galeone, wo die Elemente etwas weniger heftig tobten. In Luv wäre er gegen die Bordwand geschmettert worden und hätte sich alle Knochen gebrochen. Auch hier standen seine Chancen ausgesprochen miserabel. Denn im Normalfall wurde ein Mann, der im Sturm außenbords ging, unweigerlich und ohne die leiseste Aussicht auf Rettung abgetrieben. Aber wenn ein Edwin Carberry gegen die Gewalt der anrollenden Wellen kämpfte und ein Philip Hasard Killigrew ihm wie vom Teufel gehetzt entgegen schwamm, dann war das eben alles andere als ein Normalfall. Es wurde knapp, sehr knapp. Zum zweitenmal spürte Hasard, wie das Tau steifkam, aber er brauchte Ed Carberry nur eine Armlänge zu überbrücken. Das tat er mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung. Im nächsten Moment klammerte er sich ebenfalls an das Tau, keuchte und prustete, während Hasard die kurze Leine vom Gürtel löste, mit der sie sich aneinander binden konnten. Das war auch nötig. Denn bei dem Einholmanöver ließ sich nicht vermeiden, daß die beiden Männer unterschnitten, und nur zu leicht konnte einer von ihnen das Bewußtsein verlieren.
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„Hölle und Verdammnis!“ fluchte der Profos los. „Wenn ich den Kerl erwische, der mir den Knüppel zwischen die Beine geworfen hat, zieh ich ihm die Haut in Streifen ...“ „Futterluke dicht!“ schrie Hasard über den heulenden Sturm weg. „Himmelarsch, haben die Kerle Datteln auf den Augen, oder wollen sie uns baden?“ „Keine Sicht!“ keuchte Carberry überflüssigerweise. „Schlaukopf!“ Hasard spuckte Salzwasser aus. Als die nächste Woge sie emportrug, riß er winkend beide Arme hoch, und jetzt endlich schienen die Männer an Bord zu begreifen, daß er den Profos längst sicher hatte. Das Tau ruckte an. Wasser schlug über Hasards Kopf zusammen, und er fragte sich, wie viele Männer sie da eigentlich hereinzogen und ob sie vorhatten, sie wie Katzen zu ersäufen. Aber das mörderische Tempo war notwendig. Gegen den Seegang mußten sie unterschneiden, und da von der „Isabella“ aus nicht zu unterscheiden war, ob zwei wache oder bewußtlose Männer am Tau hingen, zählte jede Sekunde. Ed Carberry hatte noch Luft genug für einen Fluch, bei dem es ein Wunder war, daß der wolkenverhangene Himmel nicht errötete. Hasard sparte seinen Atem, bemühte sich, mit dem Kopf oben zu bleiben, und fand nebenbei noch Zeit zu der Festellung, daß das Heulen und Orgeln des Sturms etwas nachgelassen hatte. Oder bildete er sich das nur ein, weil er schon nicht mehr klar denken konnte? Er wußte es nicht, und er kam auch nicht mehr dazu, darüber nachzudenken. Etwas Dunkles flog auf ihn zu. Treibholz. Vielleicht auch ein Trümmerstück von der Marsrah der „Isabella“, das ein Brecher über Bord gespült hatte. Was auch immer — auf jeden Fall war es hart. Das merkte der Seewolf genau in der Sekunde, in der ihn das Ding am Kopf traf. „Wahrschau!“ röhrte Ed Carberry, doch auch er hatte die Gefahr zu spät erkannt.
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Hasard spürte nur noch den Schlag am Schädel, sah einen prächtigen bunten Funkenregen, der dem besten chinesischen Feuerwerk um nichts nachstand — und dann fühlte er überhaupt nichts mehr. * Die portugiesische Karacke „Lisboa“ taumelte in der steilen Dünung wie eine kranke Kuh. Krank war sie auch — sterbenskrank, wenn man es genau nahm. Der Ruderbruch zu Beginn des Unwetters hatte ihr den Todesstoß versetzt. Fast gleichzeitig waren die backschlagenden Sturmsegel in Fetzen gegangen. Zu allem Übel krachte auch noch die Großrah an Deck, fegte zwei Mann über Bord und erwischte das Brooktau einer Culverine. Die Kanone hatte sich dann beim nächsten Überholen losgerissen, das Schanzkleid durchbrochen und einen weiteren Mann mit ins nasse Grab genommen. Die „Lisboa“ wurde zum Spielball der Elemente, und es grenzte an ein Wunder, daß sie nicht längst gekentert war. Jetzt begann der Sturm allmählich abzuflauen. Die steile Dünung konnte der Karacke immer noch zum Verhängnis werden, deshalb schufteten die Männer wie besessen, um irgendwelche Fetzen als Notsegel anzuschlagen. Mit den Segeln zusteuern, war zwar ein mühseliges Unterfangen, aber es reichte immerhin, das Schiff am Querschlagen zu hindern, was hieß, daß sie es mit der Nase schräg an den Seegang bringen mußten. Denn vor dem Wind herlaufen konnten sie nicht - es sei denn, sie hätten Wert darauf gelegt, ein Loch in die südamerikanische Küste zu bohren. Der Capitan auf dem Achterkastell bekreuzigte sich und schickte ein Dankgebet zum Himmel, ein etwas verfrühtes Dankgebet, wie sich wenig später herausstellen sollte. Sturm und Pech zusammengenommen hatten den Portugiesen für ein paar Stunden die Hölle auf Erden beschert. Sie
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waren völlig erschöpft, am Ende ihrer Kräfte, und keiner von ihnen hatte mehr den Nerv, die auf gewühlte See ringsum zu beobachten. Viel zu spät sichteten sie die von achtern aufsegelnde Karavelle. Ein schriller Warnruf ließ den Capitan herumfahren. Aus schmalen Augen starrte er dorthin, wo das fremde Schiff schon erschreckend nah war. Vermutlich ein Spanier, dachte er hoffnungsvoll und zog das Spektiv auseinander. Minuten später wußte er, daß es sich bei der Karavelle auf keinen Fall um ein spanisches Schiff handelte. Das Holzkreuz unter dem Bugspriet fehlte. Außerdem gab es viel zu viele hellhaarige Männer an Bord, deren zerlumptes, verwahrlostes Äußeres auf einem Schiff Seiner Allerkatholischsten Majestät Philipp II. niemals geduldet worden wäre. Der Captain biß die Zähne zusammen. Nicht, daß er dem Allerkatholischsten Philipp grenzenlose Sympathie entgegengebracht hätte - die Vereinigung von Portugal und Spanien war auf portugiesischer Seite durchaus nicht freiwillig erfolgt. Aber ein spanisches Schiff wäre nichtsdestoweniger ein Verbündeter gewesen, und alles andere konnte bei dem desolaten Zustand der „Lisboa“ nicht viel Gutes bedeuten. Die Karavelle segelte beängstigend schnell auf. „Klar Schiff zum Gefecht!“ befahl der Portugiese erbittert. Dabei wußte er verzweifelt genau, daß die manövrierunfähige „Lisboa“ kein Gefecht überstehen würde, und wenig später bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen. Auf der Karavelle rasselten die Geschützpforten hoch. Sie würde angreifen. Die Portugiesen wußten, daß sie keine Chance hatten, aber sie dachten nicht daran, kampflos aufzugeben. 2. Philip Hasard Killigrew hustete, würgte und spuckte einen Schwall Seewasser aus
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— mehr Seewasser, als seiner Meinung nach in einem menschlichen Magen Platz haben konnte. Aber zu dieser Erkenntnis reichte es erst etwas später. Vorerst war er vollauf damit beschäftigt, gegen das Brennen seiner Lungen zu kämpfen, gegen das nur langsam nachlassende Gefühl des Erstickens — und gegen diese verdammte Bande von Piraten, Spaniern oder sonst welchen Gegnern, die über ihn hergefallen waren, ihn gepackt hielten und wie einen Bettsack schüttelten. Der Seewolf war noch halb bewußtlos, und deshalb tat er, was er immer tat, wenn sich jemand erdreistete, mit ihm Ball zu spielen. „Au!“ brüllte Ferris Tucker erbittert. „Uuuhh!“ röhrte Smoky und krümmte sich zusammen, weil er einen Tritt erwischt hatte. „Nun laßt doch schon los, ihr Hammel“, sagte Ben Brighton kopfschüttelnd. Hasard landete auf den Planken, warf sich herum und wollte hochschnellen, um den Piraten, Spaniern odersonstigen Gegnern an die Kehle zu fahren. Mit dem Hochschnellen klappte es allerdings nicht so schnell, weil in seinem Schädel eine von Ferris Tuckers Höllenflaschen zu explodieren schien. Der Seewolf fiel zurück. Bevor er die Nachwirkung der Höllenflasche überwunden hatte und zu einem neuen Angriff ansetzen konnte, klärte sich sein Blick. Keine Spanier, keine Piraten, überhaupt keine Gegner. In dem Nebel vor seinen Augen tanzten vertraute Gesichter. Hasard erkannte seinen Bootsmann und Ersten Offizier Ben Brighton, den Decksältesten Smoky, den hünenhaften rothaarigen Schiffszimmermann. Und wie einen Bettsack geschüttelt hatten sie ihn natürlich, weil er halb ersoff en war und das Wasser aus Lungen und Magen loswerden mußte. „Entschuldigung“, murmelte Hasard schwach. Sie grinsten. Smoky hielt sich den Magen. Ferris Tucker tastete über die Schwellung an seinem Kinn. Der Kutscher, der so hieß, weil er diesen Beruf einmal bei Doc
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Freemont in Plymouth ausgeübt hatte, setzte sein weises Eulengesicht auf wie immer, wenn er nicht als Koch, sondern in seiner Eigenschaft als Feldscher agierte. „Alles halb so schlimm“, sagte er. „Nimm erst mal einen Ordentlichen zur Brust, Sir.“ Dagegen hatte der Seewolf nichts einzuwenden. Eine Muck Rum im Magen war einer Ladung Salzwasser entschieden vorzuziehen. Hasard fühlte es warm und belebend durch seine Kehle rinnen und wandte den Kopf, als er neben sich einen wilden Fluch hörte. Ed Carberry hatte ebenfalls eine Menge Salzwasser geschluckt und mußte demnach ebenfalls wie ein Bettsack geschüttelt werden. Bei ihm besorgten das Big Old Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack mit seinen Bärenkräften, und der schwarze Herkules Batuti. Aber der Profos der „Isabella“ war auch noch nicht wieder ganz klar, und er pflegte auf eine so unsanfte Behandlung nicht anders zu reagieren als der Seewolf. Auf der Kuhl schien ein mittlerer Orkan auszubrechen. Shane und Batuti, überrascht von dem explosiven Ausbruch, flogen zwischen die Zuschauer, die sich immer noch an den Strecktauen festhalten mußten, obwohl der Sturm inzwischen abgeflaut war. Batuti trat Blacky auf die Zehen, woraufhin der rein mechanisch die Faust vorschießen ließ. Mit dieser Faust hatte er schon mal einen soliden Querspant aus Eichenholz durchschlagen. Batuti, immer noch völlig verblüfft, marschierte wieder rückwärts, verlor das Gleichgewicht und fiel dem aufspringenden Profos in die Arme. Er fing ihn auf, schwankte ein bißchen und sah sehr verdutzt aus. Blacky kicherte. Neben ihm prusteten Matt Davies und der blonde Schwede Stenmark los. Als nächster brach Bill, der Moses, in Gelächter aus. Dan O’Flynn fiel ein, sein alter Vater stampfte vor Vergnügen mit seinem Holzbein auf, und Hasard und Philip, die zehnjährigen Zwillingssöhne
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des Seewolfs, tanzten feixend und kichernd herum wie kleine Kobolde. In Anbetracht der Tatsache, daß sie gerade fast ihren Kapitän und ihren Profos verloren hatte, war die „Isabella“ in diesem Augenblick ein ausgesprochen heiteres Schiff. Nur Edwin Carberry, der sich verulkt fühlte, konnte die Heiterkeit nicht teilen. Eine Ader schwoll auf seiner Stirn. Drohend reckte er sein zernarbtes Rammkinn vor und holte so tief Atem, daß das klatschnasse Hemd über seinem mächtigen Brustkasten in allen Nähten krachte. „Ruhe!“ brüllte er. „Ihr Rübenschweine glaubt wohl, das sei lustig, was, wie? Zu dämlich, um sich festzuhalten, wenn eine verdammte Sturzsee überkommt! Zu dämlich, um eine dreimal verdammte halbe Rah außenbords gehen zu lassen, statt sie in die Gegend zu schmeißen! Stenmark, du müder Enkel einer Bilgenratte ...“ „Du hast wohl Kakerlaken im Hirn!“ fauchte der blonde Schwede aufgebracht. „Die dämliche Rah ist sauber über Bord gegangen und ...“ „Genauso sauber wie der Profos“, warf jemand ein. Aber davon ließ sich Carberry nicht beirren. Er war mit seinem Opfer noch nicht fertig. „Du Stint hast dermaßen auf den Planken rumgehampelt, daß ich dich am Schanzkleid abfangen mußte, damit du nicht dem Teufel ins Maul reitest!“ „Daß ich nicht lache! Ich hing mit dem Gürtel an Matts Haken so sicher wie in Abrahams Schoß, du Ochse! Wer hat sich denn außenbords spülen lassen wie ‘ne Landratte? Ich vielleicht?“ „Und wer hat mir die verdammte Rah zwischen die Beine geschmissen, was, wie?“ „Das war keine Rah! Das war ein Stückchen Treibholz, mehr nicht! Ha, die Geschichte wird man sich noch in hundert Jahren in der ,Bloody Mary’ erzählen!“ Der Profos schnaubte. Sein Gesicht lief so rot an wie eine überreife Tomate. Jedermann wartete darauf, daß er hochging wie ein Pulverfäßchen, die Masten aus dem
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Kielschwein rupfte und die See zum Kochen brachte. „Ed“, sagte der Seewolf sanft. „Sir?“ knirschte Carberry. „Ich habe gute Augen, Ed. Es war ein Stück Treibholz, das dich zu Fall gebracht hat. Und Matt hatte Stenmark tatsächlich mit seinem Haken gesichert. Du konntest es nicht sehen, aber das war nicht Stenmarks Schuld.“ Ed Carberry atmete aus. Sein Kiefer mahlte, als kaue er auf etwas herum. Auf einem zähen, schweren, unverdaulichen Brocken -nämlich der schlechterdings unmöglichen Tatsache, daß er, der Profos der „Isabella“, über Bord gegangen war, wegen eines simplen Stücks Treibholzes. Und ohne einen Schuldigen, den er zusammendonnern und unangespitzt durch die Planken rammen konnte, wenn er ihm schon nicht die Haut in Streifen von seinem edelsten Körperteil zog. „Das glaub ich nicht“, knurrte Carberry tief in der Kehle. „Solltest du aber“, sagte Hasard trocken. „Das gibt’s nicht! Mich holt doch kein Zahnstocher von den Beinen, verdammt und ...“ „Es war eher ein mittlerer Baumstamm als ein Zahnstocher. Und jetzt schluck es endlich herunter, Mister Carberry. Vielleicht schaffst du es, wenn du mit einer Muck Rum nachspülst.“ Der Profos biß die Zähne zusammen. Er war finster entschlossen, den Rum genauso zurückzuweisen wie das Ansinnen, die Sache mit dem Treibholz und der Hakenprothese zu schlucken. Aber der Kutscher hielt ihm bereits die Muck unter die Nase. Ed Carberry schnüffelte, fluchte lästerlich, schnüffelte noch einmal und griff zu. Das hätte ja gerade noch gefehlt, daß der Profos der „Isabella“ in den Rum spuckte. „Trotzdem“, brummelte er vor sich hin. „Was - trotzdem?“ fragte Stenmark verbiestert. „Trotzdem hast du verdammter Holzklotz ...“ „Noch ein Wort“, sagte der Seewolf gefährlich leise, „und ihr könnt die Debatte
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in der Vorpiek fortsetzen. Der Sturm ist übrigens vorbei, falls das eurer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte. Vielleicht wäre es möglich, den Saustall hier noch vor Weihnachten aufzuklaren.“ Für Ed Carberrys angeknackstes Gemüt war das genau die richtige Medizin. Er holte tief Luft und wollte schon losfluchen, um die Männer auf Trab zu bringen. Zum zweitenmal an diesem denkwürdigen Tag atmete er wieder aus. Aber diesmal war es nicht die Stimme des Seewolfs, die ihn bremste. Wie Donner rollte es plötzlich über das Wasser. Ein dumpfes, fernes Grollen, das die Männer der „Isabella“ nur zu gut kannten. Irgendwo voraus, jenseits der Kimm, war eine Breitseite abgefeuert worden. * Auf dem Achterkastell der Karavelle „Swallow“ beobachtete der selbsternannte Kapitän Jack Jayhawk mit funkelnden Augen, wie die Kugeln ins Schanzkleid der manövrierunfähigen „Lisboa“ schlugen. Holz splitterte, Schreie gellten herüber. Die Karavelle war von achtern aufgesegelt, jetzt luvte sie scharf an, um aus dem Feuerbereich des Gegners zu entwischen. Nötig gewesen wäre es eigentlich nicht. Die Breitseite hatte erstklassig gelegen und fast alle Geschütze der Karacke erwischt. Eine einzige Kanone erwiderte das Feuer, doch die Kugel schlug wirkungslos in die Hecksee der ablaufenden „Swallow“. „Klar zur Wende!“ schrie Jack Jayhawk, der wegen seines struppigen schwarzen Bartes. Black Jack genannt wurde. „Kanonen mit Kettenkugeln laden! Zerfetzt ihnen die Takelage!“ Als ob es da noch viel zu zerfetzen gäbe, dachte der kleine, drahtige Schotte Joe McNickle, den der schwarze Jack zum Offizier befördert hatte. Nach einer blutigen Meuterei wohlgemerkt, bei der die Schiffsführung niedergemetzelt und der englische Kapitän an die Rahnock gehängt worden war.
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Den Sturm hatte die „Swallow“ nur mit Mühe und Not überstanden. Black Jack Jayhawk war ein miserabler Seemann und als Kapitän ein schlechter Witz. Aber er verstand sich durchzusetzen: mit eisernen Fäusten und der Schlauheit einer Ratte. McNickle kannte ihn schon seit Ewigkeiten. Der schwarze Jack war gut, solange er sich nicht zu große Stiefel anzog. Bisher war es ihm nur einmal passiert, als er sich mit der „Isabella“ und dem Seewolf anlegte. Und auch das wäre nicht weiter schlimm gewesen, hätte er nicht die fatale Neigung gehabt, den gleichen Fehler immer wieder zu begehen. Die zweite Breitseite der „Swallow“ verwandelte das Rigg der Karacke in einen Trümmerhaufen. Jetzt konnte die „Lisboa“ nicht einmal mehr mit den Segeln steuern, sondern nur noch hilflos treibend darauf warten, daß die Gegner ihr den Todesstoß versetzten. Längst wußte der Capitan, daß er es mit Piraten zu tun hatte, die Beute reißen wollten. Mit wild entschlossenen Gesichtern luden die Portugiesen ihre Musketen, steckten die Pistolen in die Gürtel und bereiteten sich auf den Enterkampf vor. Noch war es nicht soweit. Eine dritte Breitseite fegte die letzte Steuerbord-Kanone und die Drehbassen der „Lisboa“ außenbords. Jayhawk ließ abermals wenden und befahl, die Decks der Karacke mit gehacktem Blei aus der Bugdrehbasse zu bestreichen. Für Joe McNickle war das kein Gefecht mehr, sondern ein sinnloses Massaker. Der kleine Schotte lauschte auf das Rumpeln und Poltern, das dumpf aus dem Laderaum heraufdrang. Da unten hatte sich im Sturm irgendetwas losgerissen und alles kurz und klein geschlagen – einschließlich sämtlicher Vorräte vermutlich. McNickle schnaufte. Der schwarze Jack, fand er, hätte besser daran getan, sich erst einmal um seine eigenen Probleme zu kümmern, statt sich sofort auf diese sturmzerraufte, völlig wehrlose Karacke zu stürzen, die gar nicht so aussah, als sei viel
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bei ihr zu holen. Aber McNickle wußte, daß sein alter Kumpan ein Ventil für seine berstende Wut brauchte. Er hatte Prügel kassiert, gewaltige Prügel. Die Crew der „Isabella“ war nämlich gerade aufgekreuzt, als Black Jack ein paar Eingeborene auspeitschen ließ, um sie zu zwingen, in einem haiverseuchten Gewässer lebensgefährliche Tauchversuche für ihn zu unternehmen. Da war den Seewölfen dann ganz einfach der Kragen geplatzt, und der schwarze Jack kriegte seine eigene Neunschwänzige zu spüren. Der Haß kochte immer noch in ihm. Sah er nicht, daß die Karacke schon Wasser nahm? Daß sie schneller absacken würde, als irgendjemand sie ausplündern konnte, wenn sie jetzt noch mehr Treffer erhielt? An Bord herrschte ohnehin schon Chaos. Nur noch wenige Männer waren überhaupt in der Lage, sich zu wehren. McNickle fluchte wild vor sich hin, dann atmete er auf, als endlich der Befehl ertönte, längsseits zu gehen und zu entern. Mit Gebrüll stürzten sich die Piraten auf ihre dezimierten Opfer. Schüsse peitschten, Waffen klirrten, ein Orkan schien über die Decks der Karacke hinwegzufegen. Der Kampf war kurz. Es dauerte nur Minuten, bis die letzten Portugiesen verzweifelt über Bord sprangen, um sich zu retten. „Black Jack!“ schrie McNickle. „Der Kahn säuft uns unter dem Hintern ab! Wir müssen uns beeilen.“ „In die Laderäume, schnell! Mannt alles hinüber, was von Wert ist.“ Die Männer gehorchten. Viel war es nicht, was sie erbeuteten. Falls die „Lisboa“ Reichtümer an Bord hatte, dann waren sie zu gut versteckt, um sie in der kurzen Zeit zu finden. Ein paar von Jayhawks Leuten sagten sich voller Wut, daß sie auch hätten entern können, bevor die Karacke ein sinkendes Wrack war. Aber das wagten sie nicht laut zu sagen, und ändern ließ es sich jetzt ohnehin nicht mehr.
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Ein paar Minuten später wechselten Jack Jayhawk und seine Halsabschneider wieder auf ihre Karavelle über. Die „Swallow“ segelte sich frei und lief nach Norden ab. Die „Lisboa“ sackte jetzt schnell über das Heck weg. Schon waren nur noch die zersplitterten Maststümpfe zu sehen, dann schlug das Wasser in einem gurgelnden, zischenden Sog über dem Schiff zusammen. Als Joe McNickle zurücksah, blieben nur noch ein paar treibende Trümmer achteraus. * „Wrackteile Backbord voraus!“ Es war Stenmarks Stimme, die sich aus dem Großmars meldete. Der Seewolf hielt es für eine weise Entscheidung, den blonden Schweden für die Dauer dieser Wache aus Edwin Carberrys unmittelbarem Blickfeld zu entfernen. Der war nämlich noch längst nicht bereit, die Schuld an seinem Mißgeschick dem Zufall anzulasten. Verständlicherweise! Dem Zufall konnte man weder die Haut in Streifen schneiden noch die Hammelbeine langziehen noch wirksam Beleidigungen an den Kopf werfen. Und nach derlei Tätigkeiten stand dem Profos nun mal der Sinn, daran ließ sich nichts ändern. Die „Isabella“ sah inzwischen wieder ganz manierlich aus. Ed Carberry hatte sich selbst übertroffen, mit angepackt und seine Mannen angelüftet, daß es nur so rauchte. Jetzt setzte er gerade Matt Davies auseinander, daß es dessen verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen wäre, ordnungsgemäß zu melden, daß er Stenmark „am Haken“ gehabt hatte. Matt erklärte ihm, was er ihn könne, und brachte sich anschließend eilends in Sicherheit. Nur Stenmarks Meldung hinderte den Profos daran, die Verfolgung aufzunehmen. Hasard enterte ein Stück in die Besanwanten und setzte das Spektiv an. Tatsächlich, da trieben Wracktrümmer. Zerfetzte Planken und Spieren, ein Stück
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von einer Gräting, ein abgerissenes Schott und … Der Seewolf zog die Brauen zusammen, als er die blutbesudelte Gestalt erkannte, die halb über dem Schott lag und sich an den Süllrand klammerte. „Deck!“ rief Stenmark prompt. „Verletzter Schiffbrüchiger auf einem treibenden ...“ „Beiboot aussetzen!“ fiel ihm Hasard ins Wort. „Ein bißchen plötzlich! Klar zum Anbrassen! Wir luven etwas an, damit wir ihn in Lee kriegen!“ „Anbrassen, ihr Himmelhunde!“ brüllte der Profos los. „Himmelarsch, wie lange braucht ihr lahmen Säcke, um das verdammte Boot auszuschwenken? Wollt ihr den Haien zu einer Mahlzeit verhelfen, oder hat euch der Sturm das letzte bißchen Verstand aus der Rübe geblasen? Ihr denkt wohl ...“ Er stockte, weil das Boot in diesem Augenblick bereits aufs Wasser klatschte. „Ferris, Batuti, Blacky, Smoky!“ donnerte er, und die Betreffenden schwangen sich über das Schanzkleid, kaum daß er ausgesprochen hatte. Der Profos selbst enterte als letzter ab. Im nächsten Moment dröhnte bereits sein rhythmisches „Hoool weg! Hoool weg!“ über das Wasser. Der Seewolf starrte aus zusammengekniffenen Augen nach vorn. In der steilen Dünung war es alles andere als einfach, das Boot zu manövrieren, aber da es sich in Lee der Galeone befand, ging es einigermaßen. Die „Isabella“ lief immer noch Fahrt, langsamere Fahrt als vorher, da Hasard Groß- und Marssegel hatte aufgeien lassen. Inzwischen war er wieder auf das Achterkastell gesprungen. Neben ihm rieb sich Ben Brighton mit dem Handrücken über das Kinn. „Der Bursche hat eine verdammte Menge Glück gehabt“, sagte er. Der Seewolf nickte nur. Glück im Unglück, verbesserte er in Gedanken. Denn zunächst einmal hatte der Schiffbrüchige verdammtes Pech gehabt, als er in diese schlimme Lage geraten war. Daß er allerdings überhaupt noch lebte und trotz seiner blutenden Verletzung nicht den
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Haien zum Opfer gefallen war, das grenzte in der Tat an ein Wunder. Oder es ließ sich ganz einfach dadurch erklären, daß es irgendwo lohnendere Beute für die Haie gegeben hatte, dachte Hasard nüchtern. Aus schmalen Augen beobachtete er, wie das Boot durch die Dünung schnitt. Die Männer pullten wie besessen, legten ein Tempo vor, als seien sie frisch und munter und hätten nicht etwa einen endlosen Kampf gegen den Sturm hinter sich. Das Schott tanzte, drehte sich, trudelte in der Dünung. Ein verdammt schwieriges Manöver, dieses lächerliche Floß lange genug längsseits in Lee zu kriegen, um den Verletzten überzunehmen. „Backbord-Riemen ein!“ dröhnte Carberrys Stimme. Mit der letzten Fahrt schob sich das Boot neben das treibende Schott. Fäuste packten zu, hievten an, und im nächsten Moment sank der Verletzte zwischen den Duchten zusammen. Ben Brighton atmete auf. „Na also!“ brummte Old O’Flynn, der sich auf seine Krücken stützte. Nur Hasard schwieg. Denn die Haltung der Rudergasten im Boot ließ vermuten, daß es mit dem verletzten Schiffbrüchigen nicht eben zum besten stand. 3. An Bord der „Swallow“ hielt sich der Siegestaumel in Grenzen. Black Jack Jayhawk hatte sich mit seinen sogenannten Offizieren in die Kapitänskammer im Achterkastell zurückgezogen. Mißmutig starrte der schwarze Jack auf die magere Ausbeute an Golddublonen. So gut wie nichts war das. Nicht mehr als die eiserne Reserve, die jeder Schiffsführer an Bord haben mußte, um Heuer auszahlen oder Vorräte ergänzen zu können. Verbissen kratzte Jayhawk in seinem schwarzen Bartgestrüpp und fluchte vor sich hin. Barry Burns, Rogier Claasen und der lange Friese Tjarko Michels schwiegen.
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Keiner von ihnen hatte es für eine gute Idee gehalten, gleich nach dem wüsten Sturm diese mickrige portugiesische Karacke anzugreifen. Joe McNickle teilte ihre Meinung. Aber auch er sprach das, was er dachte, nur ansatzweise aus. „Eh, Jack“, murmelte er. „Hast du eigentlich die Laderäume inspizieren lassen?“ „Hältst du mich für blöd?“ fuhr Jayhawk auf. „Nein. Ich meine nur, wir sollten uns da mal drum kümmern. Wenn mich meine Ohren nicht trügen, hat’s da nämlich jede Menge Kleinholz gegeben.“ „Na und?“ McNickle verzog das Gesicht. „Nichts na und! Daß wir die Scheiß-Küste anlaufen müssen, wenn es uns die Wasserfässer zertöppert hat, weißt du ja wohl selber.“ Unter dem Blick, den ihm Jayhawk zuschoß, kostete es McNickle Mühe, nicht den Kopf einzuziehen. Immerhin registrierte er, daß jetzt auch in den dunklen, tiefliegenden Augen des schwarzen Jack ein Anflug von Besorgnis erschien. Abrupt schwang er herum, riß das Schott der Kammer auf und marschierte mit langen Schritten über den Niedergang. Auf der Kuhl stand eine Gruppe Männer aufgeregt gestikulierend beisammen. McNickle schwante Böses. Aber das schwante ihm schon, seit während des Sturms das erste dumpfe Rumpeln aus dem Schiffsbauch gedrungen war. „Habt ihr die Laderäume inspiziert?“ fauchte der schwarze Jack. „Eh – also ...“ begann einer der Männer unsicher. „Mach’s Maul auf! Ein bißchen plötzlich, bevor du einen drauf - kriegst!“ „Sieht ziemlich schlimm aus, Jack ...“ „Sir heißt das, du dreckige Bilgenratte!“ „Aye, aye, Sir“, sagte der Mann. Es ging ihm schwer über die Lippen. Aber er wußte, daß ihm das Sprechen noch viel schwerer würde, wenn ihm Black Jack Jayhawk die Zähne einschlug. Der schwarze Jack setzte sich in Bewegung.
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McNickle und einpaar der anderen folgten ihm. Minuten später standen sie im offenen Schott des Laderaums, und was sie sahen, verschlug ihnen die Sprache. Kleinholz, hatte McNickle prophezeit. Das war milde ausgedrückt. Was sich ursprünglich während des Sturms losgerissen hatte, ließ sich nicht mehr feststellen. Auf jeden Fäll mußte es ein schwerer Gegenstand gewesen sein. Ein Wasserfaß vielleicht. Oder eine Kiste, die alles kurz und klein geschlagen hatte. Mehlsäcke waren aufgeschlitzt worden, Ölkruken, Essig- und Rumfäßchen ausgelaufen, einzelne, Kokosnüsse kollerten herum, zermatschte Früchte bedeckten die Planken. Auf den ersten Blick schien nichts, buchstäblich nichts heil geblieben zu sein. Ob sich aus den schäbigen Resten noch eine Mahlzeit zubereiten ließ, war mehr als fraglich, und fest stand, daß es nicht einen einzigen Tropfen Süßwasser mehr gab. Jack Jayhawk knirschte mit den Zähnen. Joe McNickle fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das struppige Haar. Er dachte daran, daß sie gezwungen sein würden, die Küste anzulaufen. Eine Küste, deren Eingeborene allen Grund hatten, sie zu hassen und äußerst mißtrauisch, vorsichtig und feindselig zu sein. „Dreck!“ fluchte McNickle. „Ich hab’s ja gleich gesagt! Es war eine blödsinnige Idee, diese miese Karacke anzugreifen. Wir hätten sie sausen lassen sollen. Oder wir hätten die Sauerei wenigstens sofort aufklaren müssen, dann wäre vielleicht jetzt noch ...“ Weiter gelangte er nicht. Jack Jayhawks Wut explodierte. Mit einem fauchenden Laut fuhr er herum, und McNickle sah nur noch die mächtige Faust auf sich zuschießen. Der Schlag traf ihn unter dem Kinn, schleuderte ihn quer durch den ganzen Laderaum und löschte sein Bewußtsein so schnell aus, daß er nicht einmal mehr den Schmerz spürte. *
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Auf der Kuhl der „Isabella“ war der Schiffbrüchige auf eine Persenning gebettet worden. Die Seewölfe bildeteten einen stummen Halbkreis um den Schwerverletzten. Der Kutscher kauerte neben ihm und schnitt vorsichtig das nasse, blutdurchtränkte Hemd auf. Die schwarzgeränderten Einschußlöcher in dem groben Stoff redeten eine deutliche Sprache. Es war ein Wunder, daß der Mann noch lebte —um das zu sehen, brauchte man keine medizinischen Kenntnisse. Nach einer Weile blickte der Kutscher auf und schüttelte hilflos den Kopf. „Da kann ich nichts mehr tun“, sagte er heiser. „Nicht einmal Doc Freemont könnte das. Wir können es ihm höchstens ein wenig erleichtern, ihn in die bequemste Koje bringen und ihn voll Rum schütten.“ Der Seewolf nickte nur. Er wollte schon die entsprechenden Anweisungen geben, doch im selben Moment begann sich der Verletzte zu regen. Seine Lider flatterten. Ein -tiefes Stöhnen brach über seine Lippen, dann schlug er mühsam die Augen auf. „Capitan?“ murmelte er schwach. Hasard hatte sich vorgebeugt. Der Blick des Verletzten klärte sich et- was und flackerte dann in jähem Schrecken auf. Mit einer unsicheren, abwehrenden Gebärde hob er die Hände. „Mörder!“ krächzte er auf portugiesisch. „Piratengesindel! Ihr feigen Ratten, ihr ...“ „Wir sind keine Piraten, Senhor“, unterbrach ihn Hasard in derselben Sprache. „Wir haben Sie aufgefischt, als Sie auf einem abgerissenen Schott in der See trieben. Sie sind in Sicherheit.“ Der Verletzte schluckte mühsam. Der Schmerz verschleierte seine Augen. Er konnte kaum sprechen. „Das hier ist — ist nicht die ,Swallow`, Senhor?“ brachte er heraus. Hasard horchte auf. Die „Swallow“! Black Jack Jayhawks Schiff! Auch die Gesichter der anderen Männer verkanteten sich jäh. „Mein Name ist Philip Hasard Killigrew“, sagte der Seewolf. „Sie sind an Bord der
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‚Isabella’, und hier wird Ihnen nichts geschehen. Kutscher?“ Der Kutscher hatte schon vorher eine Muck mit Rum gefüllt. Jetzt schob er dem Verletzten vorsichtig den Arm unter den Kopf und flößte ihm einen Schluck von dem scharfen, belebenden Getränk ein. Ein schwaches, dankbares Lächeln geisterte um die Lippen des Portugiesen. „Die ‚Isabella’ ...“ flüsterte er. „El Lobo del Mar - ich habe von euch gehört. Als die zerschlagenen Reste der Armada nach Spanien zurückkehrten, da erzählte man sich von Männern, die Hilfe leisteten, statt sich auf die zerschossenen Wracks zu stürzen ...“ „Die Schlacht war entschieden“, sagte Hasard ruhig, „Und Schiffbrüchigen zu helfen, sollte für jeden Seemann eine Selbstverständlichkeit sein. Euer Schiff ist von der ,Swallow` aufgebracht worden?“ „Von Piraten, ja. Wir waren wehrlos, hatten im Sturm einen Ruderschaden erlitten ...“ Langsam und stockend erzählte der Portugiese vom Untergang der „Lisboa“. Die Seewölfe glaubten die schrecklichen Bilder fast vor sich zu sehen. Es paßte zu Jack Jayhawks Halunkenbande, sich auf einen Wehrlosen zu stürzen. Gnadenlos, ohne Pardon, ohne einen Funken Menschlichkeit oder Mitgefühl für den geschlagenen Gegner. Hasard preßte die Zähne so hart zusammen, daß seine Kiefermuskeln hervortraten, Er bereute in diesen Sekunden, daß er die „Swallow“ nach dem letzten Zusammenstoß hatte davonsegeln lassen. Deutlich stand die Szene wieder vor seinen Augen. Ohne das Schiff wären Jayhawks Leute wehrlos der Rache der Eingeborenen ausgeliefert gewesen. Sie hatten nichts Besseres verdient, doch den Seewölfen lag es fern, über geschlagene Gegner ein derart erbarmungsloses Strafgericht zu halten. Jetzt allerdings fragte sich Hasard, ob sie damit nicht einen Fehler begangen hatten. Männern wie Black Jack Jayhawk mußte man das Handwerk legen, sonst würden sie immer von neuem Unheil anrichten, immer
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würden es die Schwachen und Wehrlosen sein, die unter ihnen zu leiden hatten. Mitten in dem Versuch, sich für seine Rettung zu bedanken, verlor der Portugiese das Bewußtsein. Blacky und Smoky transportierten ihn vorsichtig in eine Koje. Bill, der Moses, und der Kutscher würden sich um ihn kümmern. Der Seewolf wollte sich abwenden, um wieder aufs Achterkastell zu entern, dann zögerte er, als sein Blick auf die blassen Gesichter der Zwillinge fiel. „Er wird sterben, nicht wahr?“ fragte der kleine Hasard. Der Seewolf nickte. „Ja, er wird sterben.“ „Dann — dann war es ganz umsonst, daß wir ihn gerettet haben?“ „Nein, Hasard, es war nicht umsonst. Wir haben ihm erspart, elend zu ertrinken oder vielleicht von Haien zerrissen zu werden. Wir können ihm Schmerzen ersparen und dafür sorgen, daß er nicht einsam sterben muß.“ Der Junge nickte. Sein Bruder straffte entschlossen die Schultern. „Wir haben Freiwache“, erklärte er. „Wir melden uns freiwillig zum Kombüsendienst. Dann wird der Kutscher mehr Zeit haben, sich um den Mann zu kümmern.“ Der Seewolf lächelte. „In Ordnung“, sagte er. „Das ist eine ausgezeichnete Idee. Ich danke euch.“ Die beiden waren rot vor Stolz, als sie über die Kuhl dem Kombüsenschott zustrebten. * Die „Swallow“ näherte sich mit raumem Wind über Backbordbug liegend der Mündung des Rio Parnaibo. Das grüne Dickicht einer Mangrovenküste hatte Strände und Palmengürtel abgelöst. Black Jack Jayhawk starrte finster zu der unwegsamen Wildnis hinüber. Inzwischen war es den Piraten immerhin gelungen, die Frischwasser-Fässer wieder aufzufüllen. Aber ein Überfall auf ein winziges Eingeborenendorf hatte sich als Fehlschlag erwiesen. Die Bewohner waren rechtzeitig
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ins Landesinnere geflohen und hatten nicht das kleinste Fetzchen an Vorräten zurückgelassen. Hier in dieser Gegend gab es keine Dörfer in unmittelbarer Nähe der Küste. Black Jacks Wut staute sich zu immer unberechenbarerer Gefährlichkeit an. Die Männer murrten, schimpften über die kargen Fischmahlzeiten und belauerten sich gegenseitig, weil niemand auszusprechen wagte, was er dachte. Sie fürchteten den schwarzen Jack und seine vier Kumpane. Und die hielten immer noch zu ihm, obwohl auch sie längst bezweifelten, daß es eine gute Idee gewesen war, Kapitän Smollet aufzuknüpfen und die „Swallow“ zu übernehmen, um als Piraten reich zu werden. Joe McNickle lief mit blau verfärbtem, unförmig geschwollenem Kinn herum und war sich noch nicht schlüssig, ob er die Sache hinnehmen oder auf Rache sinnen sollte. Rache? Er wußte, daß er Jayhawk nicht gewachsen war und ihn schon hätte niederschießen müssen. Und dann? Er, McNickle, traute sich durchaus zu, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, aber die anderen würden ihn nicht als Anführer akzeptieren, weil er nicht fähig war, sich mit den Fäusten durchzusetzen. Das hätte allenfalls dieser Brocken von Kerl geschafft, den Jayhawk zum Profos ernannt hatte, und der wiederum hatte nicht mehr Verstand als ein Ochse. Dann schon lieber Black Jack als Kapitän, entschied McNickle. Wut hin, Kinnhaken her— er dachte an die Zukunft, und die würde garantiert noch trüber aussehen als jetzt, wenn er versuchte, dem schwarzen Jack den Schlag heimzuzahlen. Die Stimme des Ausgucks riß ihn aus seinen düsteren Gedanken. „Bucht Backbord voraus! Sieht aus wie eine Flußmündung!“ McNickle war von einer Sekunde zur anderen hellwach. Auf dem Achterkastell setzte Jack Jayhawk das Spektiv an. Ein .schiffbarer Fluß war genau das, was sie im Augenblick brauchten. Wenn sie ein Stück
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stromauf ins Landesinnere segelten, würden sie schon auf Ansiedlungen stoßen, in denen sie Vorräte erbeuten konnten. Minuten später erkannten die Piraten, daß es tatsächlich eine .Flußmündung war, die tief in das Mangrovendickicht einschnitt. „Beidrehen!“ befahl Jayhawk rauh. „Geit die Segel auf, aber ein bißchen plötzlich!“ Besonders plötzlich passierte auf der „Swallow“ nie etwas, sofern es sich nicht um ein Mißgeschick handelte. Immerhin lag die Karavelle ein paar Minuten später beigedreht vor der Flußmündung. Black Jack Jayhawk schob grimmig das bärtige Kinn vor und musterte der Reihe nach seine vier „Offiziere“. „Wir brauchen Vorräte. An dieser Mangrovenküste gibt es wahrscheinlich nur im Landesinneren irgendwelche Dörfer ...“ Des langen und breiten setzte er das auseinander, was Joe McNickle von Anfang an klar gewesen war und für jeden vernünftigen Menschen auf der Hand lag. Der kleine, hagere Schotte hütete sich, seine Ungeduld zu zeigen. Er bemühte sich, ein aufmerksames Gesicht zu zeigen, und hörte zu, bis der schwarze Jack zum Kern der Angelegenheit kam: dem Vorschlag, in die Flußmündung zu laufen und stromauf zu segeln, bis man auf ein Eingeborenendorf stieß. Daß er überhaupt einen Vorschlag unterbreitete, statt einen Befehl zu geben, bewies seine eigene Unsicherheit. Barry Bruns, der Holländer Rogier Claasen und der baumlange Friese Tjarko Michels stimmten sofort zu. McNickle dachte flüchtig an den rauchenden Trümmerhaufen, den sie zurückgelassen hatten, als sie sich Frischwasser beschafften, und an die „Isabella“, die irgendwo hinter ihnen ebenfalls Nordkurs segelte. Die Crew dieser verdammten Galeone hatte sich schon einmal als Verteidiger der Eingeborenen aufgeschwungen. Und die „Isabella“ war schnell. Sie konnte die „Swallow“ gut und gern wieder einholen. McNickle hatte ein unbehagliches Gefühl,
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aber er sah schließlich ein, daß ihnen keine Wahl blieb. Der schwarze Jack holte schon Luft, um wieder Segel setzen zu lassen, da unterbrach ihn abermals die Stimme des Ausgucks. „Deck! Boot in der Flußmündung!“ Die Männer fuhren herum. Tatsächlich: ein flaches, schmales Boot glitt durch das dunkle Wasser. Die Warnung allerdings war überflüssig gewesen. Es handelte sich nur um ein einzelnes Fahrzeug, und es zeigte keine Anstalten, sich der „Swallow“ zu nähern. Jack Jayhawk setzte das Spektiv wieder ans Auge. Eine halbe Minute lang spähte er aufmerksam hindurch. McNickle bemerkte, daß er leicht zusammenzuckte. Black Jack verfolgte das Boot mit dem Blick, bis es hinter einer Flußbiegung verschwunden war, dann setzte er das Spektiv ab. Über sein bärtiges Gesicht breitete sich ein schmieriges, triumphierendes Grinsen. „Ich werd verrückt“, murmelte er. „Das waren Weiber! Mit Pfeil und Bogen bewaffnet! Kriegerinnen! Ein halbes Dutzend Weiber - und was für welche!“ 4. Unter der Wirkung des Rums schlief der verletzte Portugiese ein, und er wachte nicht mehr auf, sondern dämmerte friedlich in jene andere Welt hinüber. Ihm ein Seemannsgrab zu geben, war alles, was die Seewölfe noch für ihn tun konnten. Will Thorne nähte den Leichnam in Segeltuch ein, Hasard sprach ein Gebet, als der Tote in den Fluten verschwand. Die Männer sahen schweigend zu, in gedrückter Stimmung, mit von Zorn gezeichneten Gesichtern. Die Portugiesen waren Gegner Englands, aber darum ging es hier nicht. Es ging darum, daß sich eine feige Piratenhorde auf ein wehrloses, klar unterlegenes Opfer gestürzt hatte. Eine Piratenhorde, für die es —das schworen sich die Seewölfe in
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diesem Augenblick — kein zweites Mal Pardon geben würde. Unter Vollzeug segelte die „Isabella“ weiter an der Küste entlang. Etwas wie ein düsterer Schatten schien über dem Schiff zu liegen. Nicht einmal der Profos fluchte so laut und herzerfrischend wie sonst. Immer wieder glitten die Blicke der Männer voraus, wo sie irgendwo jenseits der Kimm die „Swallow“ vermuteten — dieses verdammte Schiff, das den gleichen Kurs segelte wie die „Isabella“, das eine Spur von Terror und Vernichtung hinter sich ließ und dem sie ganz sicher noch einmal begegnen würden. Und dann? Für die Zwillinge war das keine Frage: sie kauerten auf einer Taurolle und malten sich aus, wie man die Piraten samt ihrer Karavelle zu den Fischen schicken würde. Daß der Profos ihnen zuhörte, bemerkten sie erst, als der sie plötzlich im Genick hatte. Mit einem Ruck zog er sie auf die Beine und drehte sie so, daß sie ihn ansehen mußten. Was er von sich gab, klang allerdings ganz anders als sonst — geradezu beunruhigend leise. „Jetzt hört mir mal zu, ihr Rübenschweinchen“, brummte er. „Das ist kein Spiel, klar? Dieser miese Waschzuber kann uns mit seinen lächerlichen Erbsenschleudern nicht mal ankratzen. So einen nachgebauten Nachttopf zu versenken, das ist wie mit Kanonen auf Seemöwen schießen. Eine ganz verdammte Sache ist das. Auch klar?“ „Klar, Sir“, sagte Hasard junior. „Aye, aye, Sir“, bekräftigte Philip junior. „So! Und warum, zum Henker, sitzt ihr hier und tut, als ob das wer weiß was für ein Spaß werden würde, ihr grünen Heringe?“ Schweigen. Philip kratzte sich am Kopf. Hasard benagte seine Unterlippe. So ernst hatten sie den Profos selten erlebt. „Aber der schwärze Jack ist ein gemeiner Halunke“, sagte Hasard junior zögernd.
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„Und — und was er mit den Eingeborenen getan hat, war viel schlimmer als mit Kanonen auf Möwen schießen“, bekräftigte sein Bruder. „Und er wird so was immer wieder tun. Keiner wird vor ihm sicher sein, bevor wir mit unseren Kanonen die Möwe ... Ich meine, bevor wir den Waschzuber auf Tiefe schicken.“ „Jawohl, zum Donner!“ fluchte der Profos, und jetzt steigerte er sich wieder zu seiner normalen Lautstärke. „Ihr habt es erfaßt, ihr Läuseknäcker ! Aber deshalb ist es trotzdem kein Spaß und keine besondere Heldentat. Also klappt jetzt eure Futterluken zu, oder ich schwöre euch, daß euch der alte Carberry persönlich ein bißchen anlüftet.“ „Deck!“ ertönte in diesem Moment Blackys Stimme aus dem Großmars. „Rauchfahne Backbord voraus an der Küste.“ Ed Carberry verschluckte, was er noch hatte sagen wollen. Auch die anderen Männer schwiegen. Sie dachten an die „Swallow“ und ahnten bereits, was die Rauchwolke dort vorn zu bedeuten hatte. * Hitze brütete zwischen den dunklen Wänden des Dickichts. Breit und träge wälzte sich der Fluß dahin. Der Wind reichte aus, um die „Swallow“ langsam, aber unablässig stromaufwärts zu tragen. Die häufigen Segelmanöver infolge der zahllosen Biegungen hielten die Männer in Trab, ließen den Schweiß in Strömen über ihre Körper rinnen und verhinderten, daß sie allzu oft ins grüne, geheimnisvolle Halbdämmer der Wildnis starrten. Insekten surrten und tanzten in Schwärmen über dem Wasser. Immer wieder klatschte jemand mit der flachen Hand auf seine Haut, um die Plagegeister zu erschlagen. Die Meuterer hatten keine Erfahrung mit den Tücken des Urwalds, aber schließlich begriffen auch die Dickfälligsten unter ihnen, daß es trotz der Hitze besser war,
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sich so vollständig wie möglich zu vermummen. Auf dem Achterkastell benutzte Jack Jayhawk ein Stück Segeltuch, um sich immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Seine schwarzen, tiefliegenden Augen folgten düster dem Verlauf des Flusses. Joe McNickle lehnte an der Schmuckbalustrade und kämpfte gegen das Unbehagen, mit dem ihn diese Landschaft erfüllte, über der ein fauliger Hauch wie von Krankheit und Fieber zu liegen schien. Ausgerechnet der wortkarge Tjarko Michels war es, der schließlich das Schweigen brach. „Und was ist, wenn wir kein Eingeborenen-Dorf finden?“ fragte er. „Wir finden eins!“ knurrte Jayhawk. „Und wenn nicht?“ beharrte der Friese. „Wir können nicht bis zur Quelle von diesem verdammten Fluß segeln, Black Jack.“ Der schwarze Jack holte zu einer wütenden Entgegnung Luft, aber da schrie eine Stimme aus dem Großmars: „Boot genau voraus! Es muß aus einem Seitenarm gekommen sein!“ Jayhawk zuckte zusammen. Aus schmalen Augen starrte er zu dem Boot hinüber. Es erschien ihm bekannt. Zweifelnd zog er die Brauen zusammen. „He! Das ist doch „Klar!“ fiel ihm McNickle ins Wort. „Dasselbe Boot, das wir in der Flußmündung gesehen haben. Oder jedenfalls eins, das haargenau so aussieht.“ „Und voll mit Weibern!“ sagte der bullige Barry Burns und leckte sich die Lippen. Er hatte richtig gesehen. Auf den Duchten des langgestreckten Bootes saßen zehn, zwölf schlanke braunhäutige Frauen und trieben das Fahrzeug mit fremdartig anmutenden Stechpaddeln vorwärts. Kriegerinnen, hatte Jayhawk bei der ersten Begegnung gesagt, und dabei war ihm vor Staunen fast der Mund offenstehen geblieben. Jetzt schwand der letzte Zweifel daran, daß er recht hatte. Die Frauen und Mädchen in dem Boot trugen starke, gefährlich
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aussehende Kampfbögen auf den Rücken, führten Köcher mit befiederten Pfeilen mit, und einige waren zusätzlich mit kurzen Lanzen bewaffnet. Ihre Haltung, die Bemalung der braunen Körper, die kraftvollen, wendigen Bewegungen — das alles strahlte eine Art verhaltener Gefährlichkeit aus, die selbst die hartgesottenen Kerle auf der „Swallow“ spürten. „Amazonen“, murmelte Joe McNickle. „Hä?“ fragte Tjarko Michels. „Amazonen“, wiederholte McNickle ungeduldig. „Mann; du hast auch überhaupt keine Ahnung! So werden weibliche Krieger genannt. Weiter im Norden gibt’s sogar einen großen Strom, den die Spanier Amazonas’ getauft haben, weil sie da auf einen Stamm gestoßen sind, wo die Weiber das Sagen haben.“ „Ein Mann ist aber auch dabei“, bemerkte Rogier Claasen, der die Bootsbesatzung inzwischen mit bloßem Auge recht gut erkennen konnte. Tatsächlich kauerte ein junger Eingeborener im Bug: nur mir einem Lendenschurz bekleidet und im übrigen als einziger unbewaffnet. Er pullte nicht mit, er gab auch keine Befehle. Es war deutlich zu erkennen, daß er nur eine Nebenrolle spielte. „Ist doch klar, daß sie nicht ohne Männer leben können“, sagte McNickle. „Schließlich wollen sie ja nicht aussterben, oder?“ „Und das Salz in der Suppe braucht der Mensch schließlich auch“, erklärte Rogier Claasen, für den es nur einen einzigen Aspekt gab, unter dem er Frauen betrachtete. Der schwarze Jack grinste anzüglich. Auf der Kuhl hingen inzwischen die meisten Männer am Schanzkleid und verschlangen die braunhäutigen Gestalten mit den Augen. Jack Jayhawk hatte weder Klarschiff zum Gefecht befohlen noch auch nur Waffen austeilen lassen. Er kam gar nicht auf diese Idee, genauso wenig wie der Rest der Crew. Ein Dutzend weiblicher Wesen als Kriegerinnen zu erkennen, war die eine
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Sache. Die Vorurteile eines ganzen Lebens aufzugeben und in diesen Kriegerinnen tatsächlich eine Gefahr zu sehen, war etwas ganz anderes. Die Männer der „Swallow“ reagierten lediglich mit Neugier, sorgloser Neugier, und sie ahnten nicht einmal, daß sie unverschämtes Glück hatten. Der Stamm, dem sie begegneten, kannte bisher nur eine Sorte von Weißen: jene spanischen Jesuiten, die sich die Aufgabe gestellt hatten, die Eingeborenen der neuen Welt zu schützen, ein lobenswertes Unterfangen, wenn man von ein paar kleinen Schönheitsfehlern absah. Statt die südamerikanischen Indianer als Arbeitskräfte auszubeuten, führten die Jesuiten schwarze Sklaven aus Afrika ein, und auf diese Weise hatte die Medaille eine sehr finstere Kehrseite. Das alles wußten Jayhawks Kerle nicht, und es hätte sie auch nicht interessiert. Ihre Blicke hingen an dem Boot, das sich der „Swallow“ jetzt rasch näherte. Gespannt beobachtete Black Jack die Frauen an Bord und runzelte überrascht die Stirn, als eine von ihnen jetzt die. Arme zu einer zeremoniellen Begrüßungsgeste erhob. Keine Hand griff zu den Waffen. Es waren lächelnde, freundliche Gesichter, die sich den Männern zuwandten. Kein Zweifel: die Amazonen erschienen in friedlicher Absicht. „O Mann“, seufzte Rogier Claasen. „Ein paar von denen müßte man sich krallen und mitnehmen. Das wäre ein Spaß!“ „Bist du verrückt?“ fauchte McNickle. „Denk daran, daß wir Vorräte brauchen.“ „Na und? Das eine schließt das andere doch nicht aus, oder?“ „Idiot! Da sind garantiert mehr an Land als die paar im Boot! Wir geraten in Teufels Küche, wenn wir ...“ „Schnauze!“ fuhr der schwarze Jack dazwischen. „Erst müssen wir mal in Erfahrung bringen, was sie überhaupt wollen. Geit die Segel auf! Fallen Anker!“ Auch diesmal ging das Manöver alles andere als schnell vonstatten, weil sich die Männer der „Swallow“ nebenbei die
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Augen aus dem Kopf starrten. Es dauerte eine Weile, bis die Segel im Gei hingen und die Ankertrosse ausgefahren wurde. Die Karavelle sackte etwas achteraus und lag dann ruhig im dunklen, träge fließenden Wasser, während das Boot an ihre Steuerbordseite glitt. Der junge Mann im Bug stand auf, zeigte in einer uralten Geste des Friedens seine leeren Handflächen und verneigte sich tief. Er sprach Spanisch mit einem weichen, gutturalen Akzent. Er sprach es sogar einigermaßen fließend, jedenfalls was die Begrüßungsfloskeln betraf. „Ich entbiete euch den Gruß Iowakis, unserer Königin“, sagte er gemessen. „Iowaki heißt euch willkommen und bittet euch, ihre Gäste zu sein.“ Jayhawk runzelte die Stirn. „Gäste?“ fragte er auf Spanisch. „Folgt uns, und ihr werdet sehen!“ „Wohin folgen, zum Henker?“ In einer fremden, kehligen Sprache wandte sich der junge Eingeborene an die Anführerin der Frauen im Boot. Jetzt zeigte sich, daß sein Spanisch doch sehr begrenzt war. Das Gespräch ging minutenlang hin und her, bevor sich die Situation klärte. Das Dorf der Amazonen lag an einem schmalen Nebenfluß, der nur mit Booten zu erreichen war. Die Kriegerinnen wünschten offenbar, die Fremden als Gäste zu empfangen und zu bewirten, und Jayhawks Hinweise auf die Vorräte, die sie dringend brauchten, wurden dahingehend beantwortet, daß sie nur zu wünschen brauchten, um jede mögliche Hilfe zu erhalten. Der schwarze Jack schwankte zwischen Zweifeln und Triumph. Nichts war ihm fremder als selbstverständliche Gastfreundschaft ohne Hintergedanken. Andererseits zweifelte er keine Sekunde daran, daß seine Leute mit ihren Feuerwaffen den UrwaldKriegerinnen haushoch überlegen waren. Dann kam noch hinzu, was Rogier Claasen mit einem lüsternen Grinsen angedeutet hatte. Ein paar hübsche junge Eingeborenenmädchen würden das Leben an Bord wesentlich verschönern. Wenn
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man ihrer überdrüssig war, konnte man sie immer noch auf den Sklavenmärkten der Karibik verkaufen. Jack Jayhawk atmete tief durch. „Na schön“, sagte er. „Wir werden diese merkwürdige Einladung annehmen und sehen, was daraus wird. Fünf Mann bleiben als Ankerwachen zurück. Und vergeßt nicht, euch gut zu bewaffnen. Vorsicht hat noch nie geschadet.“ * Das kleine Eingeborenendorf bestand nur noch aus rauchenden Trümmern. Niemand war zu sehen. Das Landkommando der „Isabella“ hatte die unmittelbare Umgebung abgesucht, ohne auf ein menschliches Wesen zu stoßen. Aber zwischen den Trümmern gab es auch keine Toten, also sprach die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich die Bewohner rechtzeitig vor dem heimtückischen Überfall in Sicherheit gebracht hatten. Ein Überfall, für den die „Swallow“ verantwortlich sein mußte. Die in Fetzen geschossenen Boote, das Bild sinnloser Zerstörung — all das redete eine deutliche Sprache. Spuren verrieten, daß die Angreifer an einer Quelle ihre Wasserfässer aufgefüllt hatten. Überall war der Boden zertrampelt, im Innern der zerstörten Hütten teilweise mit Messerklingen aufgegraben — hier schienen die Männer nach versteckten Reichtümern oder Vorräten gesucht zu haben. Hasard fragte sich, ob der Sturm und das anschließende Gefecht die „Swallow“ in eine schwierige Lage gebracht hatten. Wenn bei knüppelhartem Wetter in einem Laderaum auch nur ein einziges Faß nicht seefest gestaut war, konnte es leicht geschehen, daß sämtliche Vorräte zum Teufel gingen. Und dem schwarzen Jack sah es ähnlich, Fehler zu ignorieren und von den Folgen überrascht zu werden. In dem zerstörten Dorf konnten die Seewölfe nichts weiter tun, da sich die Eingeborenen nicht blicken ließen.
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Die „Isabella“ segelte weiter nach Norden. Nach wie vor ließ Hasard ständig Tiefe loten. Seinen Berechnungen nach hätten sie die „Swallow“ längst sichten müssen. Aber die Kimm blieb leer, der grüne, nur ab und zu von vorspringenden Landzungen unterbrochene Mangrovengürtel der Küste lag still im Sonnenglast. Es war, als habe die See die Karavelle der Meuterer verschlungen. „Vielleicht haben sie sich an einem Riff den Bauch aufgeschlitzt und sind auf Tiefe gegangen“, brummte Old O’Flynn, der sich auf dem Achterkastell auf seine Krücken stützte. „Hoffentlich nicht“, erwiderte Dan. „Das Vergnügen, den Mistkahn auf Tiefe zu schicken, möchte ich mir nämlich gern selbst gönnen.“ „Du wirst dir gleich ein ganz anderes Vergnügen gönnen“, knurrte sein alter Vater. „Ich spür’s in meinem Beinstumpf, daß da etwas in der Luft liegt.“ „Quatsch“, sagte Dan respektlos. Aber dann hielt er prüfend die Nase in den Wind und kniff die Augen zusammen. Er hatte das Gefühl dumpfen Unbehagens auf das Bild der Zerstörung geschoben, auf den Zorn über Black Jack Jayhawk und seine Halunkenbande. Jetzt glaubte er ebenfalls, eine unmerkliche Änderung in der Atmosphäre zu spüren. Über der Küste hing ein eigentümlicher gelblicher Schleier. Der Wind wehte auflandig, doch das hatte nichts zu sagen. Gewitter zogen oft gegen den Wind auf, der dann sehr plötzlich und bösartig umspringen und Schiff und Mannschaft in Teufels Küche bringen konnte. Auch der Seewolf, Ben Brighton und Big Old Shane spähten aufmerksam zum Himmel. Eine halbe Stunde später hatte sich der Dunst über der unregelmäßigen Küstenlinie in gelbe, fedrige Wolkengebilde verwandelt, während sich Himmel und Meer mit einem Schimmer wie von blauem Stahl überzogen. Die Dünung wurde bleiern. Hasard ließ vorsichtshalber Strecktaue spannen und die Luken verschalken. Der Sturm konnte in
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zwei Stunden oder zwei Tagen losbrechen — aber daß er losbrechen würde, stand außer Zweifel. Es geschah am späten Nachmittag. Der Himmel hatte sich bezogen, jetzt wurde er so schwarz wie die See. Jäh und grell riß der erste Blitz die Wolkendecke auf und tauchte die Umgebung in blaues Feuer. Der Wind schlief ein, sprang wieder auf, schien sich erneut zurückzuziehen, als hole ein unsichtbares Riesentier Atem — und dann drehte er so plötzlich auf Ost, daß die krängende Galeone einen Alptraum von Zeit brauchte, um sich wieder aufzurichten Die Hölle tobte, doch die Seewölfe hatten schon oft genug den Teufel in der Hölle am Schwanz gezogen. Zuckende Blitze, krachender Donner und heulender Wind beeindruckten sie nicht besonders. Die „Isabella“ war ein gutes, verläßliches Schiff, das schon Schlimmeres überstanden hatte. Wie eine entfesselte Windsbraut pflügte sie durch das kochende Wasser, und als das blauweiße Geisterlicht der Blitze und die schmetternden Donnerschläge allmählich seltener wurden, konnten die Männer immer noch grinsen, herzerfrischend fluchen und dem Wetter die Zähne zeigen. Das Verhängnis traf sie völlig unvorbereitet. Dunkelheit und gischtende See wirkten zusammen. Blacky hatte sich auf der Galion festgelascht und lotete Tiefe, so gut es in diesem Hexenkessel eben ging. Was geschah, lag nicht an ihm, sondern an Wind und Strömung und der Unmöglichkeit, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen. „Achtung! Zweieinhalb Faden!“ schrie Blacky mit voller Lungenkraft gegen das immer noch recht kräftige Heulen des Windes. „Abfallen!“ ertönte Hasards Stimme. „Herum mit dem Kahn!“ Pete Ballie legte Ruder. Im Blitztempo wurden die Rahen vierkant gebraßt— zu spät. Was Blacky mit sich überschlagender Stimme aussang, war nicht mehr zu verstehen. Denn im selben
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Augenblick erschütterte ein dumpfes Knirschen und Poltern die „Isabella“, der Schiffsrumpf erzitterte, und dann schien es, als werde der Kiel von einem jähen, brutalen Klammergriff gepackt. „Gei auf Großsegel, Marssegel und Blinde! Fier weg Fock und Besan!“ Der Befehl wäre nicht nötig gewesen. Knirschend legte sich die „Isabella“ nach Steuerbord über, die Männer bargen in fiebernder Hast die Segel, bevor der Winddruck die Galeone kippen konnte. Mit einem Ächzen wie von einem Chor verdammter Seelen richtete sie sich wieder etwas auf. Marssegel, Großsegel und Blinde hingen im Gei, und das Besanfall hatten Stenmark und Smoky kurzerhand losgeworfen, so daß die schwere Gaffelrute auf die Planken des Achterkastells krachte. Immer noch heulte der Sturm, fegten Regenschleier über die Decks, rollte ah und zu der Donner. Ein paar letzte Blitze zuckten nieder, und in dem blauen, flackernden Leuchten war die Lage deutlich zu überblicken. Die „Isabella“ hing auf einer Sandbank fest. Sie lag sicher wie in Abrahams Schoß — und da der Ebbstrom eingesetzt hatte, lag sie in einer hoffnungslosen Falle, aus der sie sich mit eigener Kraft nicht mehr befreien konnte. 5. Für Jack Jayhawk und seine Halsabschneider war das Unwetter eine günstige Gelegenheit, um ihre finsteren Pläne in die Tat umzusetzen. Sie hatten Vorräte an Bord der „Swallow“ gemannt und festgestellt, daß die Gastfreundschaft der Amazonen tatsächlich keinerlei Hinterhalt verbarg. Von Iowaki, der Anführerin des kriegerischen Stammes, waren sie empfangen worden, wie eine Königin die Abgesandten eines fremden Volkes empfangen mochte. Jayhawk und seine Leute gingen auf das Spiel ein, weil sie keine Wahl hatten. Für sie war die „Königin“ in ihrem Schmuck aus
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Knochen- und Federketten, den reich verzierten Waffen und den MachtInsignien, die sich aus Amuletten, Talismanen und zweifelhaften Geschenken der Zivilisation zusammensetzten, nichts anderes als ein Kuriosum. Aber sie wollten möglichst ohne Komplikationen die benötigten Vorräte haben, und das, was sie sonst noch planten, konnten sie nur erreichen, indem sie ihre Gastgeber zunächst einmal in Sicherheit wiegten. Die Geschenke, die der schwarze Jack in den Handel eingebracht hatte, bestanden aus Spiegeln, bunten Glasperlen und Dingen ganz ähnlich denjenigen, die noch aus lange zurückliegenden Kontakten mit spanischen Missionaren stammten. Black Jack spielte wenig überzeugend den ehrerbietigen Gast, doch um ihn zu durchschauen, hätte es schon einer Menschenkenntnis bedurft, die nicht von ehrfürchtiger Scheu dem völlig Fremdartigen gegenüber geprägt wurde. Jayhawk seinerseits empfand keine Spur von dieser Scheu. Für ihn waren die braunhäutigen Kriegerinnen in erster Linie Opfer, die man ausbeuten konnte, und in zweiter nie Frauen, die seiner Meinung nach sowieso nur existierten, um dem männlichen Vergnügen zu dienen. Das Unwetter hatte dem anstrengenden, komplizierten Zeremoniell ein vorläufiges Ende gesetzt. Die „Swallow“ war sicher. Jayhawk und seine Begleiter kauerten im Dunkel einer großen, auf Pfählen ruhenden Hütte, die man ihnen angewiesen hatte. Das Dickicht brach die Gewalt des Sturms, die zuckenden Blitze sorgten für ein eigentümliches Zwielicht. Das Krachen des Donners verebbte allmählich. Regen rauschte, rann an den Stämmen der Urwaldriesen hinunter und ließ Rinnsale zu Bächen und Bäche zu Flüssen anschwellen. Aber die verfilzten Baumkronen wirkten als Schutzdach und ließen nur einen Nebel erstickender Feuchtigkeit durchdringen.
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„Jetzt oder nie!“ flüsterte Jack Jayhawk. „Wir schnappen uns die Weiber aus der nächsten Hütte und verschwinden mit den Booten. Joe, Rogier und Barry, ihr deckt uns den Rücken. Ich nehme an, daß wir unbemerkt verschwinden können. Wenn nicht, dürften ein paar Schüsse genügen. Also haltet gefälligst das Pulver trocken.“ Joe McNickle tastete unwillkürlich nach der Steinschloß-Pistole, die in seinem Gürtel steckte. Er hatte sich alle Mühe gegeben, Pulver und Zündkraut trocken zu halten, aber er brannte nicht gerade darauf, in eine Lage zu geraten, in der sein Leben vom Erfolg dieser Maßnahmen abhing. Trotzdem schwieg er. Zu deutlich spürte er, wie versessen alle anderen darauf waren, ein paar von den verführerischen Kriegerinnen an Bord der „Swallow“ zu schleppen. Rogier Claasen leckte sich die Lippen. Barry Bruns richtete sich mit funkelnden Augen auf und glitt zum Ausgang der Hütte. Wenn es überhaupt eine günstige Gelegenheit gab, dann war sie jetzt da, das mußte schließlich auch Joe McNickle einsehen. Geduckt huschten die Männer nach draußen und sahen sich um. Der Urwald dampfte. Nirgends waren Wachen zu sehen. Die Männer wußten, daß sich die Kriegerinnen beim Losbrechen des Unwetters in ihre Hütten zurückgezogen hatten. Sie wußten auch, daß Iowaki mit ihren Leibwächterinnen am anderen Ende des Dorfes residierte. Bis zur nächsten Hütte waren es nur wenige Schritte. Ein kunstvolles Netz aus dünnen, geflochtenen Schlingpflanzen und Blattwerk versperrte den Eingang. Jack Jayhawk zog die Lippen von den Zähnen. Die Steinschloß-Pistole lag schußbereit in seiner Rechten. Nach wie vor sah er in den braunhäutigen Kriegerinnen keine wirkliche Gefahr, aber er hatte immerhin einen gesunden Respekt davor, eine der kurzen Lanzen zwischen die Rippen zu kriegen.
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Mit einem Ruck stieß er den Schlingpflanzenvorhang beiseite und betrat die Hütte. Die anderen folgten ihm, tauchten ins Halbdämmer und stürzten sich mit entschlossener Schnelligkeit auf die überraschten Kriegerinnen - ein halbes Dutzend blutjunger Mädchen, die in ein leises Gespräch vertieft am Boden kauerten. Sie reagierten sofort und versuchten, zu ihren Waffen zu greifen, doch sie schafften es nicht mehr, dem heimtückischen Angriff zu begegnen. Der rohen Kraft der Piraten waren sie nicht gewachsen. Der schwarze Jack dachte nicht daran, sich auf ein Risiko einzulassen, und hatte entsprechende Befehle gegeben. Stumm und verbissen stürzten sich seine Leute auf die Opfer. Das wilde Handgemenge dauerte kaum eine Minute, und nur eine der Kriegerinnen schaffte es noch, einen schrillen. tremolierenden Alarmschrei auszustoßen. Ein brutaler Hieb ließ ihre Stimme ersticken. Jayhawk packte sie und warf sich den schlaffen Körper einfach über die Schulter. Auch die anderen Mädchen waren bewußtlos, als sie aus der Hütte geschleppt wurden. Im Halbdunkel entstand Unruhe. Kehlige Stimmen riefen durcheinander, das Dorf wurde lebendig, doch alles ging viel zu schnell, als daß die Hauptstreitmacht der Amazonen rechtzeitig hätte eingreifen können. Binnen weniger Minuten erreichten die Piraten mit ihrer lebendigen Beute den schmalen Nebenfluß. Die Bewußtlosen wurden in die Boote geworfen, die Männer sprangen nach und rammten die Riemen in die Dollen. Schon legten die Fahrzeuge ab. Als die ersten überraschten, verwirrten Kriegerinnen zwischen den Hütten erschienen, wurden sie vom Krachen feuerspuckender Waffen empfangen. , Kräftige Riemenschläge trieben die Boote in den Schutz der nächsten Flußbiegung. Jack Jayhawk grinste triumphierend. Schrill gellten die Schreie der Wut und
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Empörung in seinen Ohren, aber er wußte, daß nichts und niemand ihn und seine Leute jetzt noch aufhalten konnte. * Einzelne Sterne blinkten zwischen den aufgerissenen Wolken am Himmel. Das Gewitter hatte die Luft gereinigt, für kurze Zeit wirkte der leichte Wind erfrischend und ließ wenig von der drückenden Hitze der letzten Tage spüren. Die See war immer noch bewegt, aber der „Isabella“ konnte das nichts anhaben. Die Galeone saß auf einer. Sandbank fest, die das ablaufende Wasser allmählich freilegte. Auf der Kuhl fluchte Ed Carberry in allen Tonlagen. Sir John, der rote Ara-Papagei, spürte die allgemeine Erregung, krächzte ausdauernd „Klar Schiff zum Gefecht!“ und schaukelte auf einer Webleine des Steuerbord-Hauptwants. Die Zwillinge standen am Schanzkleid, betrachteten die Bescherung und nahmen sie gelassen hin, weil sie bisher die Erfahrung hatten sammeln können, daß die Seewölfe auch im größten Schlamassel immer noch einen Ausweg fanden. „Glaubst du, daß wir bei der nächsten Flut aufschwimmen, Sir?“ fragte Ben Brighton nachdenklich. Hasard zuckte mit den Schultern. „Wenn nicht, müssen wir eben leichtern und versuchen, das Schiff mit den Booten von der Untiefe zu ziehen.“ Er kniff die Augen zusammen und spähte zu der Landzunge hinüber, die querab von der Küste aus ins Wasser ragte. „Auf jeden Fall wird uns die Sache aufhalten. Wir könnten die Gelegenheit nutzen, um nach Wild Ausschau zu halten, unsere Wasservorräte zu ergänzen ...“ Er unterbrach sich. „Deck!“ rief Bill aus dem Großmars. „Mastspitzen Backbord voraus! Ein Schiff läuft aus einer Bucht oder einer Flußmündung!“ „Klar zum Gefecht! Alle Mann auf Stationen!“ Hasards Befehl erfolgte wie aus der Pistole geschossen, ohne das geringste Zögern.
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In der Lage, in der sich die „Isabella“ befand, war sie die Gestalt gewordene Einladung für jeden Gegner, ganz gleich, um wen es sich handelte. Und um welchen Gegner es sich handelte, das ahnte der Seewolf bereits, noch bevor die dreimastige Karavelle den Sichtschutz des Mangrovengürtels verließ und ins freie Wasser segelte. Die „Swallow“! Black Jack Jayhawk und seine MeutererBande! Noch hatten sie die aufgelaufene Galeone nicht entdeckt. Aber das war nur eine Frage von Minuten, und der Seewolf wußte, daß sich ihr alter Feind eine solche Chance ganz sicher nicht entgehen lassen würde. Die Stückpforten der Karavelle waren geschlossen, doch wenn sie flußaufwärts ins Landesinnere gesegelt war, hieß das vermutlich, daß an Bord permanente Gefechtsbereitschaft bestand. Und wenn schon, dachte Hasard grimmig. Die „Isabella“ würde sich in eine feuerspuckende Festung verwandeln, bevor die Piraten richtig aufwachten. Unten auf der Kuhl lüftete Ed Carberry die Männer an, daß es nur so qualmte. Kugeln und Kartuschen wurden gemannt, Luntenstöcke und Wischer bereitgelegt, und Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, kontrollierte persönlich jedes einzelne Geschütz. Big Old Shane war wie der Blitz vom Achterkastell verschwunden, um den Bogen zu holen, mit dem er besser umgehen konnte als jeder andere mit Ausnahme des schwarzen Herkules Batuti. Schon so manchem vorwitzigen Gegner waren die Pulverpfeile um die Ohren geflogen, die diese beiden Männer mit geradezu unheimlicher Präzision abzuschießen vermochten, schon manchem hatten ihre Brandpfeile das Rigg in Flammen gesetzt und manchmal das ganze Schiff angezündet. Letzteres ließ sich mit dem unlöschbaren Feuer der chinesischen Raketen noch einfacher und wirksamer erreichen. Aber auf diese furchtbare Waffe griffen die
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Seewölfe nur im äußersten Notfall zurück. Und als Notfall wollten sie den schwarzen Jack mit seiner lächerlich armierten Karavelle denn doch nicht einstufen. Klar, er hatte alle Vorteile auf seiner Seite. Aber um diese Vorteile auszuspielen, mußte er erst einmal an die festsitzende Galeone heransegeln. Ein hochkarätiger Seemann und kluger Taktiker hätte das zweifellos geschafft, aber der schwarze Jack war nun einmal keins von beidem, sondern nur ein brutaler Schnapphahn, dem Rachsucht und Beutegier den Verstand vernebelten. Jetzt endlich gellte aus dem Großmars der „Swallow“ der Alarmschrei des Ausgucks herüber. Jäh wurde es an Deck lebendig. Hasard war nicht entgangen, daß die Piraten ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Flußmündung richteten, die sie verlassen hatten. Waren. auch dort, irgendwo im Landesinneren, rauchende Trümmer. zurückgeblieben? Möglich. Sogar wahrscheinlich. Aber eine unmittelbare Gefahr konnte der „Swallow“ nicht drohen, sonst hätte sich der schwarze Jack wohl kaum so schnell und vollständig auf das neue, vermeintlich wehrlose Opfer konzentriert. In der Dunkelheit nutzte das Spektiv nicht viel, doch der Seewolf brauchte das Gesicht seines Gegners nicht zu sehen, um sich den Triumph vorzustellen, der in diesen Sekunden die Züge des schwarzen Jack verzerrte. Der Wind hatte wieder gedreht, die Karavelle fiel ab. und ging auf Südkurs. Rasselnd öffneten sich die’ Stückpforten. Diesmal hielt die „Swallow“ respektvollen Abstand von der „Isabella“, und Hasard lächelte schmal, weil er die Taktik der Gegner genau durchschaute. Jayhawk wollte das festliegende Schiff zu einer übereilten Breitseite verleiten, blitzartig halsen und mit den eigenen Steuerbord-Geschützen zum Schuß gelangen, ehe die Seewölfe nachladen konnten.
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Eine einfache Taktik. Zu einfach! Vielleicht hätte sie sich gegen eine schwer armierte spanische Kriegsgaleone bewährt, die die vernichtende Durchschlagskraft ihrer überschweren Kanonen mit geringerer Reichweite bezahlte und deren Capitan zudem unfähig war, die Schachzüge eines Gegners vorauszuberechnen. Gegen die „Isabella“ und die Seewölfe jedoch mußte diese Taktik scheitern. „Ferris?“ rief Hasard halblaut. „Aye, aye, Sir.“ Der hünenhafte rothaarige Schiffszimmermann grinste in der Dunkelheit. „Ist die Abschußvorrichtung klar?“ „Ist klar, Sir.“ „Du weißt, was du zu tun hast?“ „Aye, aye.“ Der Tonfall verriet, daß Ferris Tucker die Frage höchst überflüssig fand. „Batuti? Shane?“ „Brand- und Pulverpfeile klar“, meldete der ehemalige Schmied von Arwenack, dessen grauer Bart im Mondlicht silbern schimmerte. „Was zuerst?“ Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, fletschte sein Prachtgebiß. „Ist ein bißchen weit für Pfeile, kann aber klappen. Schicken wir ihnen schönes Feuer oder schönen Krach, Sir?“ „Zuerst schönes Feuer, dann schönen Krach. Eine Menge schönen Krach, genauer gesagt. Smoky?“ „Smoky, du karierter Decksaffe!“ brüllte der Profos, dem die Antwort zu lange auf sich warten ließ. „Aye, aye“, meldete sich der Decksälteste von der Back. „Ich hab hier einen Brandsatz für den Notfall, weil Vorsicht die Mutter der heilen Rumbuddel ist. Aber ich habe auch ein paar bildschöne Feuerwerkskörper. Die Kerle werden garantiert glauben, Old Donegals Gespenster seien los.“ „Sehr schön! Falls sie das nicht glauben, „wird ihnen nichts anderes übrigbleiben, als uns vor die Rohre zu laufen. In diesem Fall bitte ich mir acht saubere Löcher in der Wasserlinie aus. Die ,Swallow` hat genug Unheil angerichtet.“
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„Aye, aye, Sir“, ertönte Al Conroys Stimme. Wenn Black Jack Jayhawks Piraten den Stückmeister der „Isabella“ gekannt hätten, wären sie spätestens bei diesen Worten schleunigst auf Gegenkurs gegangen, um sich in Sicherheit zu bringen. * Wie gesagt, die „Swallow“ hielt sich in respektvoller Entfernung. Jack Jayhawk krampfte die Fäuste um die Schmuckbalustrade des Achterkastells. Seine dunklen Augen funkelten und sogen sich an der Galeone fest, die wehrlos und unbeweglich auf der Sandbank lag. Wehrlos, ja! Seit der Sekunde, in der er die mißliche Lage der „Isabella“ erkannt hatte, wurde der schwarze Jack von einem wilden Triumphgefühl durchpulst, das ihn blind gegenüber der immer noch vorhandenen Gefahr werden ließ. Er hatte zu oft vergeblich versucht, die Seewölfe im offenen Kampf oder durch hinterhältige Tricks und Winkelzüge zu besiegen. Das Bewußtsein all der Niederlagen brannte in ihm, und jetzt, angesichts der hilflosen Lage seiner Gegner, genoß er bereits den Geschmack eines Sieges, den er noch lange nicht errungen hatte. Seiner Meinung nach war dieser Sieg nur noch eine Frage von wenigen Minuten. Die tödliche Reichweite der „Isabella“ kannte er inzwischen aus bitterer Erfahrung. Die „Swallow“ lief einen Kurs, bei dem sie knapp außerhalb dieser Reichweite bleiben würde. Für Jayhawk stand außer jedem Zweifel, daß sich die Männer auf der gestrandeten Galeone in Panik befanden. Sie würden ihre erste Breitseite überhastet abfeuern — und der Karavelle die Gelegenheit geben, zu halsen und zum Todesstoß auszuholen. Schon befand sich die „Swallow“ auf gleicher Höhe mit der „Isabella“. Jetzt, dachte Jack Jayhawk. Noch ein paar Sekunden, dann ... Die Geschützpforten der Galeone rasselten hoch.
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Der schwarze Jack biß die Zähne zusammen, als die Culverinen mit den überlangen Rohren ausgerannt wurden. Seine Leute hielten den Atem an. Zwei Sekunden vertickten. Sekunden, in denen sich die Frage, ob er sich nicht doch in der Entfernung verrechnet hatte, wie ein glühender Dolch in Black Jacks Gehirn fraß. Jetzt, wiederholten seine Gedanken verbissen. Er wartete auf das Krachen der Kanonen, das gespenstische Aufblühen der Feuerblumen an der Bordwand, das Heulen der Kugeln und das Wabern des Pulverdampfs. Nichts dergleichen passierte. Was stattdessen geschah, sah auf den ersten Blick ganz harmlos aus und veranlaßte den Mann im Mars nur zu einer halbherzigen und überdies verspäteten Warnung. Etwas krachte dumpf. Trudelnd löste sich ein Gegenstand von der Kuhl der „Isabella“ und flog im Bogen auf die vorbeisegelnde Karavelle zu. Jayhawk konnte nicht erkennen, daß es sich um eine Flasche handelte. Er konnte schon gar nicht wissen, daß diese Flasche mit einer kurzen Lunte versehen und mit Nägeln, gehacktem Blei und Schwarzpulver gefüllt war. Jayhawk sah nur, daß das kleine Ding eine sprühende Funkenspur hinter sich herzog, und genau wie seine Leute erfaßte er mehr instinktiv als bewußt die Gefahr. „Wahrschau!“ brüllte jemand. Im selben Moment gab es eine krachende Explosion. Die kurze Lunte ließ die Höllenflasche ein paar Klafter über der Kuhl der „Swallow“ detonieren, und die nächststehenden Männer verdankten ihr Leben allein der Tatsache, daß sie sich rechtzeitig in Deckung geworfen hatten. Auch der schwarze Jack und seine „Offiziere“ lagen platt auf den Planken des Achterkastells, doch sie konnten das Prasseln des tödlichen Hagelschauers deutlich hören. Als es Jayhawk wieder wagte, die Nase zu heben, waren die Feuerspuren zweiter Brandpfeile das erste, was er sah. Die Entfernung war zu groß, als daß die Segel hätten gefährdet werden können. Beide
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Pfeile blieben außen in der Bordwand stecken, was schlimm genug war. Der schwarze Jack brauchte erst gar nicht den Befehl zum Löschen zu brüllen. Ein paar von seinen geschockten Männern ermannten sich. Segeltuchpützen flogen außenbords, Wassergüsse erstickten die Brandnester. Doch da flogen von der „Isabella“ schon die nächsten Pfeile herüber. Pulver-Pfeile! Und sie würden treffen, erkannte der schwarze Jack entsetzt. Er begriff einfach nicht, wie das auf diese Entfernung möglich war. Seiner Meinung nach konnte kein Mensch derartig starke Bögen spannen. Aus geweiteten Augen beobachtete er die Flugbahn der Pfeile, und auch die meisten Männer auf der Kuhl waren sekundenlang wie gelähmt vor Schrecken. „Deckung!“ brüllte Joe McNickle, der meistens eine Kleinigkeit schneller reagierte als die anderen. Wieder warfen sich die Piraten auf die Planken und preßten sich in den Schutz von Nagelbänken und Balustraden. Beide Pulverpfeile trafen gleichzeitig und so präzise, daß eine einzige schmetternde Detonation die Trommelfelle vibrieren ließ. Splitter des Schanzkleides flogen herum, mit einem peitschenden Knall zerriß ein Brooktau. Ein dumpfes, metallisches Rumpeln ertönte, und nur die Blitzaktion von drei, vier Männern verhinderte, daß die Kanone losrollte und alles kurz und klein schlug. Jetzt lag die „Isabella“ schon ein Stück achteraus, ohne daß die Seewölfe ihre Culverinen abgefeuert hatten. Jack Jayhawk rappelte sich auf und knirschte mit den Zähnen. Seine Rechnung ging nicht auf, begriff er. Die Geschützmannschaften der Galeone dachten nicht im Traum daran, eine Breitseite abzufeuern, die zu kurz liegen würde. Und solange sie das nicht taten, hatte die „Swallow“ nicht die leiseste Chance, auf Schußweite an die „Isabella“ heranzusegeln, ohne selbst in Treibholz verwandelt zu werden.
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Daß er denselben Trick kein zweites Mal versuchen konnte, hätte eigentlich auch dem schwarzen Jack klar sein müssen. Er wollte es nicht einsehen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, seine Stimme überschlug sich. „Klar zur Wende!” brüllte er. „Wir gehen über Stag und ...“ Schon wieder löste sich ein Geschoß von der „Isabella“. Ein rot glühendes, funkensprühendes Ding, das eine feurige Spur durch die Dunkelheit zog, hoch in die Luft stieg und einen Bogen beschrieb. Einen Bogen, der unweigerlich auf der Kuhl der „Swallow“ enden mußte. Keiner der Männer wußte, was da über sie herfallen würde. Aber sie alle hatten Gerüchte über eine geheimnisvolle Waffe der „Isabella“ gehört, und von einer Sekunde zur anderen erhob sich ein schriller, vielstimmiger Entsetzensschrei. 6. Hoch aufgerichtet stand die schlanke braunhäutige Frau auf der knorrigen Plattform, die von den Luftwurzeln der Mangroven gebildet wurde. Iowaki, die Königin der Amazonen, trug den geschmückten Kriegsbogen auf dem Rücken. Dutzende von befiederten Pfeilen ragten aus dem Köcher, ihre Hand umspannte die kurze Lanze. Ruhig glitten ihre Augen über die Kriegerinnen, die sich an dem schmalen Flußlauf gesammelt hatten, während die Männer die Boote vorbereiteten und jene niedrigen Arbeiten verrichteten, die ihnen nach dem Gesetz des Stammes zustanden. Die Kriegstrommeln waren verstummt, die Schamanin hatte ihre endlosen Beschwörungen beendet. Weitere Boote tauchten aus schmalen, im Dickicht kaum sichtbaren Wasserarmen auf. Ein Stück flußaufwärts erschien ein ganzer Schwarm der leichten, langgestreckten Fahrzeuge, von den Trommeln herbeigerufen. Iowaki
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betrachtete ihre Streitmacht und lächelte triumphierend. Ein paar Stunden noch. Schon waren ein halbes Dutzend kleiner Spähtrupps unterwegs, um die Küste abzusuchen. Iowakis Augen verdüsterten sich, als sie an das große, schnelle Schiff dachte. Würde es entwischen? Vielleicht — oder vielleicht nicht. Es lag in der Hand der Götter, und die Götter waren dem Unternehmen günstig gesinnt, wie die Schamanin gesagt hatte. Fast hundert Kriegerinnen standen bereit, um ihre entführten Schwestern zu retten und Rache zu nehmen. Im Morgengrauen würden sie aufbrechen. * Feuer regnete auf die „Swallow“ nieder. Glühende Kugeln in allen Regenbogenfarben, die über den Decks der Karavelle zerplatzten, vielfarbige Funken nach allen Seiten verspritzten und die gelohten Segel in gespenstisches Licht tauchten. Die Männer ahnten nicht, daß es sich um einen harmlosen Feuerwerkskörper handelte, begriffen es auch nicht, als Sekunden später die letzten Funken verglühten, ohne daß irgendwo Flammen emporzüngelten oder eine Explosion krachte. Nicht einmal Spuren von dem unheimlichen Feuerregen blieben zurück, doch die moralische Wirkung war verheerend. Die Karavelle lief aus dem Kurs, weil der Rudergänger den Kolderstock hatte fahren lassen. Auf der Kuhl schrien die Männer durcheinander, auf dem Achterkastell waren die selbsternannten Offiziere bleich wie Laken. Auch das Gesicht des schwarzen Jack hatte sich vor Entsetzen verzerrt. Aber in ihm kochte eine Wut, die ihn blind und taub werden ließ, ein rasender Fanatismus, der ihn antrieb und jede Vernunft erstickte. „Klar zum Wenden!“ brüllte er. „Bringt das Schiff wieder auf Kurs, oder ich hänge jeden an die Rahnock, der nicht zupackt!
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Wir werden diesen verdammten Kahn in Fetzen schießen, wir ...“ Joe McNickle schnellte wie ein Kastenteufel von den Planken hoch, wo er sich in Deckung geworfen hatte. Sein schmales, Zerknittertes Gesicht verzerrte sich. Er holte tief Luft und vergaß alles, was ihn bisher stets daran gehindert hatte, Jayhawk zu widersprechen. „Nein, niemals!“ schrie er. „Du hast den Verstand verloren! Wenn hier jemand in Fetzen geschossen wird, sind wir es, also müssen wir so schnell wie möglich …“ „Willst du mir vorschreiben, was ich zu tun habe?“ brüllte ihn Black Jack an. „Jawohl, das will ich! Wir laufen nach Norden ab und bringen uns in Sicherheit. An die ‚Isabella’ gelangen wir nicht heran, das sieht ein Blinder. Und wenn du uns alle in den Tod treiben willst, werden wir dich schon daran zu hindern wissen!“ Der schwarze Jack hielt den Atem an. Von einer Sekunde zur anderen war es totenstill geworden. Jeder Mann an Bord hatte die Auseinandersetzung gehört. Jetzt breitete sich jäh eine Spannung aus, als vibriere die Luft unter unsichtbaren Kräften. Black Jacks dunkle Augen glitten über die Gesichter. Gesichter, in denen deutlich zu lesen stand, was die Männer dachten: daß Joe McNickle recht hatte. Niemand interessierte sich für Jayhawks Privatfehde mit dem Seewolf. Niemand außer dem schwarzen Jack glaubte nach den Ereignissen der letzten Minuten ernsthaft daran, daß es eine Chance gab, die „Isabella“ zu besiegen. Wieder einmal lag auf der „Swallow“ Meuterei in der Luft. Jack Jayhawk wußte, daß er nur noch zwei Möglichkeiten hatte. Entweder nachgeben und das Gesicht verlieren - oder eine Lunte an ein Pulverfaß legen, das dann in der nächsten Sekunde explodieren konnte. „Joe hat recht, Black Jack“, sagte Rogier Claasen langsam. Barry Burns und Tjarko Michels nickten dazu. Auf der Kuhl standen die Männer in einer Haltung fiebriger Erwartung. Black
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Jack Jayhawk sog scharf die Luft durch die Nasenflügel und atmete langsam wieder aus. „Ich weiß, daß Joe recht hat“, fauchte er. „Ich wäre so oder so nach Norden abgelaufen. Aber die Befehle gebe immer noch ich, ist das klar?“ „Aye, aye, Sir“, beeilte sich Joe McNickle zu versichern. „Ich meinte ja bloß. Bei so einem verdammten Feuerzauber kann ein Mann schon mal die Nerven verlieren, nicht wahr?“ „Darüber sprechen wir noch“, knirschte der schwarze Jack. Aber Joe McNickle wußte, daß er gewonnen hatte und der andere jetzt nicht mehr wagen würde, etwas gegen ihn zu unternehmen. * Tatenlos mußten die Seewölfe zusehen, wie die „Swallow“ wendete und in gehörigem Sicherheitsabstand nach Norden verschwand. Smokys chinesisches Feuerwerk war den Kerlen offenbar mächtig unter die Haut gegangen. Ferris Tucker grinste zufrieden, weil er nur eine einzige von seinen Höllenflaschen verbraucht hatte. Nach Meinung der anderen hätten es ruhig ein paar mehr sein dürfen. Der Vorrat dieser einfachen, aber wirkungsvollen Bomben wurde nämlich ständig ergänzt, was den großen Vorteil hatte, daß die Flaschen, die man mit Nägeln, gehacktem Blei und Schwarzpulver füllte, vorher erst einmal gelenzt werden mußten. Diesmal war das nicht. erforderlich. Eine größere Aktion zwecks Rumvernichtung wäre auch ohnehin nicht in Frage gekommen, denn die Seewölfe wußten, welche Plackerei ihnen bevorstand, wenn sie die „Isabella“ von der Sandbank ziehen wollten. Vieler Vorbereitungen bedurfte es nicht. Die Wahrscheinlichkeit, daß die „Swallow“ noch einmal zurückkehren würde, war ebenfalls gering. Der Seewolf verdoppelte vorsichtshalber, die Wachen und schickte den Rest der Crew ins Logis,
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damit die Männer wenigstens noch ein paar Stunden schlafen konnten. Im Großmars kauerte Luke Morgan, beobachtete die Kimm und suchte immer wieder die undurchdringlichen schwarzen Schatten der Küste mit den Augen ab. Alles schien friedlich. Das Mangrovendickicht gab seine Geheimnisse nicht preis. Nicht einmal Dan O’Flynn mit seinen Raubvogelaugen hätte in der tiefen, geheimnisvollen Finsternis etwas entdecken können. Dicht an der sandigen Landzunge, die den Saum der Wildnis durchbrach und weit ins Meer ragte, richtete sich eine schlanke braunhäutige Gestalt auf. Lautlos und geschmeidig wie eine Schlange bewegte sich die Kriegerin durch das Gewirr der Liftwurzeln. Ab und zu verharrte sie und lauschte auf die Geräusche der nächtlichen Natur, die ihr von Kind an vertraut waren. Der Wind brachte den Geruch nach Tang und Salz mit, das gedämpfte Rauschen der Brandung -und jene fremden Laute, die nicht dazugehörten. Gedämpftes Knarren von Holz. Manchmal ein leises Ächzen, ein trockenes Klatschen und Reiben. Vorsichtig glitt die Späherin weiter, mit funkelnden dunklen Augen, bis sie den Rand des Mangrovensumpfes erreichte. Dichtes Blattwerk und leicht im Wind schwingende Rankenvorhänge schützten sie. Die herabhängenden Lianen schienen das Bild des nächtlichen Meeres in schmale Streifen zu zerteilen. Die Kriegerin kniff die Augen zusammen. Das Wasser glänzte im Mondlicht, von den verschwimmenden Spiegelbildern der Sterne wie von Tropfen flüssigen Silbers gesprenkelt. Die Sandbank vor der Landzunge bildete einen dunklen Buckel und darüber erhoben sich deutlich die Umrisse des Schiffes und ragten mit Masten, Rahen und Stagen wie ein feines schwarzes Filigran in den Himmel. Minutenlang starrte die Späherin hinüber, dann wußte sie, daß es nicht das Schiff war, mit dem jene Fremden ihre Schwestern entführt hatten. Und trotzdem!
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Das Schiff gehörte weißen Eroberern. Verbündeten der Fremden, die das Gastrecht verletzt und einen freundlichen Empfang mit einem heimtückischen Überfall vergolten hatten. Die schlanke Gestalt der Kriegerin straffte sich, Triumph begann in ihren Augen zu blitzen. Das Schiff war auf die Sandbank gelaufen. Es konnte nicht fliehen — bestimmt nicht vor der nächsten Flut. Die Späherin dachte an die Streitmacht, die sich im Dorf gesammelt hatte, an das Strafgericht, das sich auch von den Donnerrohren der Weißen nicht mehr aufhalten lassen würde. Lautlos zog sich die braunhäutige Kriegerin wieder tiefer ins Dickicht zurück. Minuten später erreichte sie den schmalen, schwarz schimmernden Wasserarm, wo ihre Begleiterin mit dem Boot wartete. Das Fahrzeug schaukelte leicht unter dem Gewicht der schlanken Gestalt, die hineinglitt. Ein paar geflüsterte, gutturale Worte wurden gewechselt, und auch in den Augen der zweiten Amazone erschien das triumphierende Funkeln. Eilig griffen die beiden Späherinnen zu den Stechpaddeln, tauchten sie ins Wasser und trieben das Boot durch die Dunkelheit auf den Flußlauf des Rio Parnaibo zu. * Bei Sonnenaufgang begannen an Bord der „Isabella“ die Vorbereitungen. Der Seewolf, Ben Brighton und Old O’Flynn beobachteten prüfend die auflaufende Flut. Die See lag nur leicht bewegt in der roten Glut der Morgensonne, die Möglichkeit, daß die Galeone von selbst aufschwimmen würde, konnte man getrost vergessen. Dan O’Flynn fluchte saftig, woraufhin sein Vater, der die ganze Zeit über vor sich hin brummelte, von finsteren Höllenmächten zu mißratenen Söhnen überging. Die Zwillinge hatten in Taurollen an Deck geschlafen und reckten sich gähnend. Aus dem Vorschiff dröhnte Ed Carberrys Stimme.
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„Auf, auf, ihr müden Leiber, die ganze Pier steht voller nackter Weiber!“ donnerte er. Das reimte sich zwar, aber es stimmte nicht, und die Zwillinge begannen eine Debatte darüber, ob jemand, der gerade aus dem schönsten Schlaf gerissen wurde, wohl auf solche leeren Versprechungen hereinfiel oder nicht. Sir John, der Ara-Papagei, flatterte über die Kuhl und nahm den Weckruf des Profos zum Anlaß, um ein paar Sprüche von sich zu geben, die sich die Männer sonst in Gegenwart der Zwillinge, aber nicht unbedingt in Gegenwart des Vogels verkniffen. Philip und Hasard lauschten interessiert. Ed Carberry, der soeben im Schott erschien, lief rot an und stieß ein paar Drohungen gegen die „vermaledeite Nebelkrähe“ aus, die Sir John zum Anlaß nahm, schleunigst in die Toppen zu flüchten. Nach dem Backen und Banken begannen Blacky, Smoky und Ferris Tucker bereits damit, die Pinasse abzufieren. Geleichtert werden brauchte nicht — Hasard war sich da ziemlich sicher, und die anderen stimmten ihm zu. Stattdessen wollten sie die unfreiwillige Pause nutzen, um nach Möglichkeit etwas für die Ergänzung der Vorräte zu tun. Ein wenig Abwechslung auf dem Speisezettel war immer willkommen, außerdem konnte es nicht schaden, die Gegend zu erkunden. Der Kutscher brauchte überdies Nachschub von einer ganz bestimmten BaumrindenArt, die — zu Sud ausgekocht — ein probates Mittel gegen Magenbeschwerden darstellte. Diesen Punkt erwähnte er ganz arglos - und lief rot an, als sich daraufhin allgemeines Gelächter erhob. „Ist ja klar, daß du das brauchst, du Kochlöffel-Akrobat“, tönte Ed Carberry. „Nimm am besten gleich einen ganzen Sack voll, damit wir deine nächste Suppe lebendig überstehen.“ „Ha!“ fauchte der Kutscher. „Sag das noch einmal, du Riesenaffe! An meiner Suppe gibt es nichts auszusetzen, zum Donner. Wenn was nicht in Ordnung ist, muß es dein Magen sein. Ist ja auch kein Wunder!
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Was gehst du über Bord und schluckst Salzwasser!“ „Stimmt“, sagte Matt Davies todernst. „Dieses Magen-Zeugs brauchen wir wirklich, wenn der Profos so weitermacht.“ Ed Carberry holte tief Luft, doch bevor er explodieren konnte, hatten sich alle Beteiligten in Sicherheit gebracht. Der Profos behalf sich damit, die Männer zusammenzudonnern, die die Pinasse abfierten. Das hätte er sich zwar sparen können, aber es war nun einmal guter alter Brauch, und Blacky, Smoky und Ferris Tucker lauschten hingerissen. Unterdessen überschütteten die Zwillinge ihren Vater mit einer Flut von Argumenten, die alle die zwingenden Notwendigkeit bewiesen, sie an dem geplanten Landunternehmen teilnehmen zu lassen. Warum auch nicht, sagte sich Hasard. Begegnungen mit einer menschenfeindlichen Natur gehörten zwar nicht gerade zum täglichen Brot der Seewölfe, aber sie passierten. Eine relativ ungefährliche Expedition bot die beste Möglichkeit, sich daran zu gewöhnen - und war der beste Schutz davor, es eines Tages auf die harte Art lernen zu müssen. Bei den Zwillingen löste die Zustimmung einen Freudentanz aus, an dem sich auch der Schimpanse Arwenack beteiligte vielleicht in der Hoffnung, daß gleich Rosinen ausgeteilt würden. Philip, und Hasard waren aufregende Erlebnisse lieber als Rosinen, was allerhand heißen wollte. Gewissenhaft rüsteten sie sich für das Unternehmen aus. An Bord konnten sie barfuß und mit nackten, dunkelbraun verbrannten Oberkörpern herumlaufen. Im Urwald verbot sich das, da galt es, Schlangen, Mückenschwärmen und sonstigem Unbill zu trotzen. Langärmelige Hemden mußten her und Kopftücher, die zugleich den Nacken schützten. Und natürlich die Seestiefel, deren Herstellung dermaleinst Sam Roskill einen kräftigen Piekser mit der Lieknadel eingetragen hatte.
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Sam war nämlich so unvorsichtig gewesen, den mit der Herstellung der Stiefel beschäftigten Segelmacher Will Thorne als begabten Flickschuster zu verdächtigen. „Ziemlich eng geworden“, stellte Hasard junior fest. „Meine auch“, sagte Philip junior. „Ist egal. Lassen wir eben die Fußlappen weg.“ Die Fußlappen wurden wieder entfernt und die Stiefel über die nackte Haut gezogen. Die Zwillinge waren zufrieden. Vorerst. Sie hatten ja auch noch nie einen längeren Marsch bei feuchter Hitze in Stiefeln unternommen, deren Leder an ungeschützten Füßen scheuerte. Welche Verwicklungen dieser Umstand heraufbeschwören würde, konnten sie erst recht nicht ahnen. In bester Stimmung enterten sie wenig später an der Jakobsleiter ab und bemannten zusammen mit dem Kutscher, Luke Morgan, Sam Roskill, Gary Andrews und Matt Davies das Boot. Auch die Pinasse war inzwischen besetzt worden, ebenso das zweite, etwas kleinere Beiboot. Warpanker an stabilen Tauen verbanden beide Fahrzeuge mit der „Isabella“. Der Wind in den Segeln, die im entscheidenden Moment gesetzt werden würden, die Muskelkraft der Männer und der Druck der Wellen mußten gemeinsam eigentlich ausreichen, um die Galeone von der Sandbank freizukriegen. Jetzt brauchten sie nur noch darauf zu warten, daß die Flut ihren höchsten Stand erreichte. 7. Die Landzunge führte als breiter, trockener Damm tiefer in die Wildnis. Dort, wo der Saum des Dickichts eine undurchdringliche grüne Wand bildete, mußten die Männer die Entermesser benutzen, um sich einen Weg zu bahnen. Schon nach wenigen Schritten jedoch ging es einfacher. Die Zwillinge enterten in das Gewirr der Mangroven hinauf, balancierten über die dicken Luftwurzeln oder sprangen von
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einer zur anderen und schwangen sich manchmal an armdicken Schlingpflanzen über weite Strecken. Die Turnerei sah schwindelerregend aus, aber das war sie schließlich auch, wenn sie sich in den Wanten der „Isabella“ abspielte. Die Männer wußten, daß die beiden zehnjährigen Knirpse noch ganz andere Kunststücke beherrschten. Sie waren im Orient unter Gauklern aufgewachsen, und mit ihren akrobatischen Fähigkeiten konnten sie fast mit dem Schimpansen Arwenack konkurrieren. Erst als mächtige Urwaldriesen und dichtes Unterholz den Mangrovengürtel ablösten, sprangen die beiden auf den schmalen Wildpfad hinunter, dem die anderen inzwischen folgten. Matt Davies -ging voran und zerhackte mit seiner Hakenprothese die SchlingpflanzenNetze, die bisweilen im Weg hingen. Der Kutscher marschierte hinter ihm und ließ die Augenbeständig hin und her gleiten in der Hoffnung, die eine oder andere Heilpflanze zu entdecken, deren Wirkung er bei Eingeborenen kennengelernt hatte. Sam Roskill, Luke Morgan und Gary Andrews hatten Musketen bei sich und hielten nachjagdbaren Tieren Ausschau, obwohl ihnen klar war, daß die so oder so vom Marschtritt der kleinen Kolonne vertrieben werden würden. Später, wenn der Kutscher seinen Baum gefunden hatte, von dem er die Rinde abschälen wollte, konnten sie vielleicht einen Abstecher in Richtung Fluß unternehmen, um den Schlupfwinkel eines Wasserschweins zu beschleichen. Auch Philip und Hasard unterhielten sich gedämpft über die Möglichkeiten, ihrerseits etwas zur Belebung des Speisezettels beizutragen, aber ihnen fiel so recht nichts ein. Sie wurden überhaupt von Minute zu Minute schweigsamer. Und nicht nur das: sie hatten es plötzlich gar nicht mehr so eilig, schlurften am Ende der Kolonne und gaben sich eifrig den Anschein, mit wahrhaft wissenschaftlicher Neugier die Vegetation zu beiden Seiten des Pfades zu studieren.
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In Wahrheit interessierten sie sich nicht für die Vegetation, sondern durchlitten eine Erfahrung, die jeder einmal machen muß: daß es sich nicht empfiehlt, in Stiefeln ohne Fußlappen zu marschieren. Nun hatten sie zwar eine abgehärtete, hinreichend rauhe Haut, aber das Stiefelleder war rauher. Hasard junior hätte geschworen, daß er mittlerweile auf dem rohen Fleisch marschierte. Philip junior versuchte vergeblich, Zahl und genaue Lage der Blasen zu schätzen, die er sich inzwischen gelaufen hatte. Es mußten sehr viele sein. Oder eine einzige große. Philip tippte auf das letztere. Er fand, daß es scheußlich weh tat. Er fand- auch, daß es nicht die schlechteste Idee gewesen wäre, umzukehren oder zumindest auf halber Strecke zu warten, bis die anderen zurück waren. Aber dies vorzuschlagen, verbot ihm selbstverständlich seine Ehre als zukünftiger Seewolf. Neben ihm hing sein Bruder fast haargenau den gleichen Gedanken nach. Auch Hasard junior widerstand mannhaft der Versuchung, irgendwelche unheroischen Vorschläge in Richtung Ausruhen anzubringen. Allerdings ließ sich nicht leugnen, daß der Abstand zwischen ihnen und den anderen merklich größer wurde. Einmal sah Sam Roskill sich um und winkte auffordernd. Die Zwillinge beschleunigten ihre Schritte, doch das war nicht von langer Dauer. Sie atmeten auf, als der Kutscher schließlich mit einem gedämpften Triumphschrei anhielt. „Kannst du nicht noch lauter brüllen?“ erkundigte sich Matt Davies. „Klar, wenn ich mich anstrenge. Wartet mal einen Moment! Ich glaube, hier sind wir richtig.“ Das fanden Hasard und Philip auch. Nicht, weil der Kutscher endlich seine Baumrinde oder was auch immer gefunden hatte, sondern weil sie ganz in der Nähe das verführerische Rieseln und Plätschern einer Quelle hörten. Das- Gelände stieg an dieser Stelle leicht an. Hasard und Philip sahen einzelne
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Felsen durch das Dickicht schimmern, zögerten kurz und schlugen sich dann seitwärts in die Büsche — im Geiste schon ihre malträtierten Füße in klarem, kühlem Wasser badend. Die Quelle, die im tiefen Schatten entsprang, in Kaskaden über Steine plätscherte und ein kleines Becken bildete, wirkte in der Tat sehr verführerisch. Hasard und Philip beugte sich zu ihren Stiefeln — unisono und ohne sich erst groß über ihre Absichten verständigen zu müssen. Hasard junior stieß einen langen, lästerlichen Fluch aus, den er auswendig gelernt hatte, ohne gewisse Feinheiten zu verstehen. Auch Philip junior fluchte, weil er den Eindruck hatte, daß die Stiefel inzwischen noch ein ganzes Stück geschrumpft waren. Zähneknirschend zerrte er, während er auf einem Bein balancierte. Zwei Schritte neben ihm tat sein Bruder das gleiche — und in dieser unglückseligen Haltung brach das Verhängnis über sie herein. Alles ging schnell. So schnell, daß es die Zwillinge nicht einmal mehr schafften, den jeweiligen halb ausgezogenen Stiefel loszulassen. Weder das Rascheln von Laub noch das Knacken von Zweigen noch ein sonstiges Geräusch warnte sie. Die braunhäutigen Gestalten, die aus dem Dickicht auftauchten, bewegten sich lautlos und geschmeidig wie Schlangen, und die beiden Jungen wurden erst aufmerksam, als sich bereits schlanke, aber äußerst kräftige Hände auf ihre Münder preßten. Nicht einmal einen erstickten Laut brachten sie mehr heraus. Verzweifelt versuchten sie, zu zappeln, sich aufzubäumen, so viel Lärm wie möglich zu veranstalten - es nutzte nichts. Geschickt wurden ihre Arme und Beine abgefangen, so daß sie nicht mehr schlagen und treten konnten. Mindestens ein Dutzend bemalter Eingeborener drängte sich um sie. Erst als sich bereits dünne, zähe Lianenschnüre um ihre Gelenke schlangen, sahen Hasard und Philip, daß sie es mit Frauen und Mädchen zu tun hatten.
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Diese Erkenntnis verblüffte sie sekundenlang dermaßen, daß es den Kriegerinnen leicht fiel, ihnen Knebel aus irgendwelchen bitteren, zusammengerollten Blättern zwischen die Zähne zu schieben. Bänder aus einem geflochtenen, bastartigen Material verhinderten, daß sie das Zeug wieder ausspuckten. Immer noch wanden sich die Zwillinge erbittert in ihren Fesseln, bearbeiteten verbissen die BlätterKnebel mit den Zähnen - und merkten zu spät, daß sie das besser nicht getan hätten. Als ihnen klar wurde, daß die zusammengerollten Blätter nicht nur eine recht wirksame Art von Knebel darstellten, sondern zugleich irgendeinen betäubenden Saft enthielten, hüllte die Müdigkeit sie bereits ein wie leichter Nebel. Ihre Bewegungen wurden schwächer. Hasard bäumte sich noch einmal auf. Philip unternahm einen matten Versuch, mit dem Kopf um sich zu stoßen. Aber sie hatten keine Chance. Wenig später sanken sie fast gleichzeitig in tiefe Bewußtlosigkeit. Daß sie hastig in den tiefen Schatten des Buschwerks geschleppt wurden, spürten sie schon nicht mehr. * „Verdammt“, sagte Sam Roskill mit gefurchter Stirn. „Wo, zum Teufel, stecken diese Satansbengel denn jetzt schon wieder?“ Luke Morgan grinste. „Hier muß es irgendwo eine Quelle in der Nähe geben. Vielleicht wollen sie sich die Köpfe abkühlen.“ „Oder die Füße“, bestätigte Matt Davies trocken. „Ich fand, sie erweckten ein bißchen den Eindruck, auf rohen Eiern zu laufen.“ Der Kutscher ließ das Messer sinken, mit dem er vorsichtig die äußerste Rindenschicht von einem Baumstamm schälte. „Hier gibt es alles mögliche Viehzeug von Kaimanen bis zu Piranhas“, sagte er scharf.
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„Verdammt, seid ihr Hornochsen zu dämlich, um auf zwei Knirpse ...“ „Und du?“ fauchte der hitzköpfige Luke Morgan. „Mußtest du unbedingt wegen deiner saudämlichen Baumrinde durch die Gegend rennen, als hätte dir jemand den Hintern versengt? Außerdem waren die beiden eben noch hier, also können sie nicht weit sein.“ Der Kutscher verzichtete darauf, sich gegen den Ausdruck „dämliche Baumrinde“ zu verwahren. Matt Davies hatte sich bereits abgewandt und strebte in die Richtung, aus der das Rauschen und Plätschern von Wasser erklang. Der Hinweis auf die Piranhas war ihm unter die Haut gegangen. Zwar verdankte er die Hakenprothese an seinem rechten Arm ganz anderen Umständen, aber trotzdem standen gerade ihm noch besonders deutlich die Ereignisse von damals vor Augen, als Jeff Bowie durch diese gefräßigen Raubfische seine linke Hand verloren hatte. Rücksichtslos brach Matt Davies durch die Büsche. Und die anderen folgten ihm jetzt ebenso eilig, als habe eine plötzliche Vorahnung sie ergriffen. „Philip!“ rief Matt. „Hasard! Verdammt, wo ...“ Bei den letzten Worten erreichte er die kleine Lichtung mit der Quelle. Er hatte fest damit gerechnet, die Zwillinge hier zu finden, doch sie waren nirgends zu sehen. Matt zog die Unterlippe zwischen die Zähne, blickte sich aus schmalen Augen um — und zuckte im nächsten Moment zusammen. Jäh wurde es im Dickicht lebendig. Aus allen Richtungen tauchten die braunhäutigen, bemalten Gestalten auf, und von einer Sekunde zur anderen schien die Luft von ihrem tremolierenden Kriegsschrei zu zittern. * „Hoool weg! Hoool weg!“ Edwin Carberrys Donnerstimme dröhnte über das Wasser und gab den Takt zu den gleichmäßigen, langen Riemenschlägen,
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unter deren Wirkung die straffgespannten Trossen ächzten. Der Tidenhub hatte fast seinen höchsten Stand erreicht, in wenigen Minuten mußte der Gezeitenstrom kippen. Der Seewolf hatte selbst einen der Riemen übernommen. Vor sich sah er schweißglänzende, muskulöse Rücken, die sich im Rhythmus des Durchholens weit nach vorn beugten und kraftvoll wieder zurückneigten. Die Besatzungen der beiden Boote bestanden aus den kräftigsten Männern der „Isabella“, den zähesten, härtesten Brocken unter einer Crew ungewöhnlich zäher, harter Kerle. Big Old Shane, der urwelthafte Riese mit dem grauen Vollbart, pullte neben dem schwarzen Herkules Batuti, in dessen Bewegungen die stählerne Geschmeidigkeit einer Raubkatze lag. Ferris Tucker mit seinem rahsegelbreiten Kreuz erweckte ganz den Eindruck, als könne er im Notfall noch eine Menge zulegen. Smoky, der bullige Decksälteste, pullte genauso besessen wie der schwarzhaarige, muskulöse Blacky. Pete Ballie, stämmig und untersetzt, umspannte den Riemen mit seinen ankerklüsengroß en Fäusten. Und mochte der schlanke, hellhaarige Schwede Stenmark auch äußerlich nicht gerade wie ein Gebirge von Kerl aussehen — mithalten konnte er genau wie die anderen. Mithalten können hätten auch die Männer, die an Bord geblieben waren, aber schließlich mußten ja auch noch Ruder und Segel bedient werden. Ben Brighton stand auf dem Achterkastell, beobachtete, lauschte auf das Plätschern der Wellen und das leichte Reiben unter dem Kiel und wartete auf den Moment, in dem sie Fock und Besan setzen konnten, ohne zu riskieren, daß sich die festsitzende Galeone wie eine müde alte Tante auf die Seite legte. Der richtige Moment erfolgte wenige Minuten später. Auch die Männer in den Booten hörten das Knirschen unter dem Kiel der „Isabella“. Die nächste anrollende Woge hob die Galeone um eine Winzigkeit an. Der Schiffsrumpf erzitterte leicht. Hasard
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wollte die Hand zu einem Zeichen hochreißen, doch da handelte Ben Brighton schon von selber. „Heiß auf Fock und Besan!“ erklang seine ruhige Stimme. Knatternd entfaltete sich das gelohte Tuch. Ed Carberrys „Hoool weg!“ wurde lauter, schneller. Noch einmal setzten die Männer in den Booten alle Kräfte ein, steigerten sich zu einer letzten, wilden- Anstrengung. Ein paar Rucke erschütterten den Schiffsrumpf. Die Galeone krängte unter dem Winddruck nach Backbord, schob sich mahlend durch den Sand - und dann spürte Hasard bis in die Knochen den Ruck, mit dem sich der Kiel löste. Die „Isabella“ schwamm auf. Die Trossen hingen plötzlich durch, an Bord erklang bereits Ben Brightons Befehl, die „verdammten Dinger“ doch in drei Teufels Namen endlich einzuholen. Der Seewolf grinste erleichtert. Jubel erhob sich, die Männer schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und traktierten sich mit freundschaftlichen Rippenstößen, die noch lange nicht jede menschliche Rippe heil überstanden hätte. Der ferne, dünne Knall des Schusses wäre fast im allgemeinen Triumph untergegangen. Der Seewolf hörte ihn - glaubte ihn jedenfalls zu hören, obwohl er seiner Sache nicht ganz sicher war. Seine Brauen zogen sich zusammen. Mit einer Handbewegung brachte er die anderen zum Schweigen, und die runzelten verständnislos die Stirn. Zwei Sekunden später knallte es abermals. Ein Musketenschuß, kein Zweifel. Er ertönte aus dem Urwald, aus der Richtung, in der das Landkommando marschiert war. Von einem Augenblick zum anderen erlosch der Triumph, und die Gesichter der Seewölfe verwandelten sich in harte Masken. 8. Auf. der kleinen Lichtung um die Quelle war die Hölle los. Den Männern blieb gar nichts anderes übrig, als zu kämpfen, zumal sie an die
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spurlos verschwundenen Zwillinge dachten. Der Angriff war so überraschend erfolgt, daß die beiden Schüsse mehr reflexhaft als gezielt fielen. Sam Roskill und Luke Morgan, Gary Andrews, Matt Davies und der Kutscher mußten den tief verwurzelten Widerwillen überwinden, der sie normalerweise daran hinderte, auch nur auf den Gedanken zu verfallen, gegen weibliche Wesen zu kämpfen. Hier und jetzt allerdings lag der Fall völlig anders. Aber noch bevor die Männer das ganz begriffen, waren die Kriegerinnen schon so nah, daß die Schußwaffen nutzlos wurden. Ein wildes Handgemenge entstand - ein Handgemenge, bei dem sich die Seewölfe nicht nur ihrer Haut wehren, sondern auch noch gegen das Gefühl ankämpfen mußten, daß dies alles ja wohl nur ein verrückter Alptraum sein konnte. Der Pfeilhagel, der aus dem Dickicht auf die kleine Gruppe niederprasselte, hatte nicht viel Schaden angerichtet, weil die Amazonen in ihren Deckungen nicht richtig zielen konnten. Jetzt benutzten sie die kurzen Lanzen als Stoß- oder Schlagwaffen, warfen sich zu viert oder fünft auf ihre Widersacher, und die Seewölfe sahen sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, einen Ansturm leicht bekleideter, wohlgewachsener Weiblichkeit ganz gegen jede Gewohnheit mit allen Mitteln zurückwerfen zu müssen. Der Kutscher wurde von der puren Überzahl der Kriegerinnen zu Boden gezwungen. Luke Morgan langte kräftig hin, kriegte pralle Hüften zu fassen und schleuderte die Besitzerin zähne- knirschend in die nachstürmende Hauptstreitmacht. Sam Roskill und Gary Andrews zweifelten an ihrem Weltbild, während sie sich verbissen wehrten. Nackte braune Haut, wohin man schaute, liebliche Rundungen, lockende Lippen – das mußte ja eine verkehrte Welt sein, in der sich solche Herrlichkeiten mit schwirrenden Pfeilen und tödlichen Lanzen paarten.
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Matt Davies fuchtelte mit seinem Haken herum, aber er hätte es niemals über sich gebracht, ihn auch zu benutzen. Zum Glück genügte der bloße Anblick des unheimlichen Instruments, um die Angreiferinnen auf Distanz zu halten. Undeutlich hatte Matt erkannt, daß sich tiefer im Dickicht eine weitere Gruppe Amazonen aufhielt. Diejenigen, die Philip und Hasard entführt hatten? Matt blieb nichts übrig, als drei, vier von den braunhäutigen Mädchen zur Seite zu stoßen. Er wollte durchbrechen und ins Gebüsch eindringen, doch er schaffte es nicht mehr. Zwei braunhäutige Gestalten schnellten unmittelbar in seinen Weg. Um ihnen auszuweichen, brauchte er eine halbe Sekunde zu lange. Er hörte ein Geräusch hinter sich und spürte im nächsten Moment einen harten Schlag am Schädel. Lanzenschaft, dachte er. Nun reichte zwar ein von zarter Hand geführter Schlag mit einem Lanzenschaft nicht aus, um einen hartköpfigen Burschen wie Matt Davies das Bewußtsein zu kosten, aber ein leichtes Brummen in seinem Schädel entstand dennoch. Vielleicht wirbelte er deshalb nicht schnell genug herum, um die nächsten Angreiferinnen abzuwehren. Wie viele Treffer er sich einfing, konnte er nicht so genau entscheiden. Sie reichten jedenfalls. Matt sah Sterne, schlug nur noch blindlings um sich und kriegte nicht mehr mit, daß die Kriegerinnen auch diesmal entsetzt vor seinem Haken zurückwichen. Schon nicht mehr ganz klar im Kopf, erinnerte er sich seines ursprünglichen Vorhabens. Die Amazonen üb Dickicht! Die Zwillinge! Mit schwindendem Bewußtsein kreiselte Matt wieder herum, torkelte vorwärts und brach ein paar Schritte durch die Büsche, bis es endgültig dunkel um ihn wurde. Ein glücklicher Umstand sorgte dafür, daß im Eifer des Gefechtes niemand mehr auf ihn achtete. Als er wieder zu sich kam, hatte sich der Kampflärm ein beträchtliches Stück von ihm entfernt und zur Küste hin verlagert. Matt taumelte hoch, blinzelte, erlebte einen
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Moment der Panik, weil er glaubte, blind zu sein, und merkte endlich, daß nur etwas getrocknetes Blut seine Lider verklebte. Mühsam riß er die Augen auf. Die Lichtung lag leer vor ihm. Weiter im Osten erklang der tremolierende Kriegsschrei der Amazonen, vom auflandigen Wind deutlich herübergetrieben. Matt schluckte krampfhaft, warf einen wilden Blick in die Runde und mußte sich endgültig davon überzeugen, daß man ihn schlicht und einfach vergessen hatte. Der Fluch, den er ausstieß, als er vorwärts stürmte, war von der ganz besonders saftigen Sorte. * „Loswerfen die Trossen!“ ertönte Hasards Stimme. „Ben! Zum Henker, wir brauchen Waffen!“ Auf dem Achterkastell der „Isabella“ zeigte Ben Brighton klar. Im nächsten Moment schallten seine Befehle über die Decks, während in den beiden Booten die Trossen losgeworfen wurden und die Männer sich in die Riemen legten, als gelte es, die Galeone ein zweites Mal von einer noch tückischeren Sandbank freizuziehen. An Land fielen jetzt keine Schüsse mehr, aber niemand zweifelte daran, daß sich dort irgendwo ein Kampf abspielte. Ein überfall auf die fünf Mann starke Gruppe, die überdies zwei Kinder bei sich hatte! Hasard knirschte mit den Zähnen, während sein Blick die Vorgänge auf der „Isabella“ verfolgte. Die Bootsbesatzungen waren unbewaffnet. Daß sie keine Zeit damit verlieren wollten, erst auf zuentern, verstand sich von selbst. Ben Brighton lüftete seine Mannen an, Stimmen riefen durcheinander, Holz krachte, als eine Luke aufgerammt wurde. Noch bevor die Pinasse längsseits schor, war Dan O’Flynn ein Stück an der Jakobsleiter abgeentert. Er nahm Musketen und Pistolen, Pulverhörner und Kugelbeutel, Enterbeile, Säbel und sonstiges wahr, was ihm Will Thorne über das Schanzkleid reichte.
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Zügig gab Dan das ganze Arsenal nach unten weiter, wo es von Hand zu Hand und von Boot zu Boot wanderte, und zum Schluß schwang er sich selbst mit funkelnden Augen in die Pinasse. Von der Kuhl aus warfen ihm Bob Grey und Jeff Bowie Beleidigungen an den Kopf, weil sie ebenfalls viel lieber mitgekommen wären. Hasard sparte sich den Kommentar. Dan feixte, doch sein Grinsen erlosch sofort wieder, als er sich einen Riemen schnappte und zu pullen begann. Die Boote lösten sich aus dem Schatten der Bordwand. Diesmal hatte Ed Carberrys „Hoool weg! Hoool weg!“ den Unterton von grollendem Donner. Es dauerte nur Minuten, bis Sand unter dem Kiel der Pinasse knirschte und die Männer auf die Landzunge sprangen. Im selben Augenblick wurde es jäh im Dickicht lebendig. „Wahrschau! Bogenschützen!“ warnte Dan O’Flynn. Schattenhaft tauchten braunhäutige Gestalten auf, und in der nächsten Sekunde zischten die ersten Pfeile durch die Luft und flogen den Männern um die Ohren. „Au!“ schrie Dan erbittert und wollte nach dem Pfeilschaft greifen, der aus seinem linken Oberarm ragte. „Pfoten weg!“ brüllte Batuti und verfiel vor lauter Schrecken in längst versunkene Gewohnheiten zurück. „Kleines O’Flynn dummy im Kopf! Nix reißen an Pfeil mit verdammtes Widerhaken!“ Die Worte gingen fast unter, weil ein halbes Dutzend Schüsse krachten. Die Seewölfe hielten absichtlich hoch. Der kurze, blitzhafte Eindruck hatte genügt, um ihnen zu zeigen, daß sie es mit weiblichen Kriegern zu tun hatten. Sie beschränkten sich wie auf eine geheime Verabredung darauf, ihre Gegnerinnen wieder ins Dickicht zu treiben, wo sie nicht mehr zielen konnten. Die Angreiferinnen zogen sich tatsächlich zurück. Hasard wandte sich um und widmete der Situation in seinem Rücken einen knappen Blick. „Dan, du bleibst hier und läßt dich von Batuti verarzten“, ordnete er an. „Verdammt, ich ...“
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„Der Pfeil kann vergiftet sein. Du tust, was ich dir sage!“ Dan knirschte etwas, das der Seewolf tunlichst nicht zu verstehen vorgab. Noch einmal entluden sich krachend die Musketen und Pistolen. Geräusche verrieten, daß sich die ersten Kriegerinnen zur Flucht wandten. Aber die Seewölfe setzten ihnen entschlossen nach, weil sie an ihre Kameraden und die Zwillinge dachten. „Himmel, Arsch und Kabelgarn“, fluchte Dan O’Flynn erbittert. „Ich könnte mich selber wohin beißen! Ich könnte ...“ „Kleines O’Flynn jetzt halten großes Schnauze.“ Batuti rollte mit den Augen, dann faßte er sich und besann sich auch wieder auf sein normales Englisch. „Halt still!“ forderte er. „Es ist nur eine Fleischwunde, aber das Ding hat einen Widerhaken.“ „Nun mach schon, du schwarzer Affe! Ich will hier nicht Wurzeln schlagen, ich — du!“ Batuti hatte mit der flachen Hand auf den Pfeilschaft geschlagen und die Spitze ganz durchs Fleisch getrieben. Jetzt brach er sie mit einer kurzen, erstaunlich geschickten Bewegung seiner mächtigen Pranke ab und ließ sie in den Sand fallen. Mit einem kräftigen Ruck zog er den Rest des Pfeils aus der Wunde. Dan O’Flynn biß knirschend die Zähne aufeinander und wurde ziemlich blaß um die Nase. Im Dickicht erhob sich ein vielstimmiger, gutturaler Kriegsschrei, dem eindeutiger Kampflärm folgte. Kampflärm, der sich rasch entfernte, begleitet von heftigem Rascheln und Knacken im Gebüsch. Dan fluchte und riß ungeduldig an seinem ohnehin zerfetzten linken Ärmel. Er wollte den Stoff um die Wunde wickeln und sich so schnell wie möglich ebenfalls in den Kampf stürzen, aber Batuti tippte sich vielsagend mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Das muß richtig ausbluten“, sagte er. „Du darfst dich nicht bewegen und ...“ „Nicht bewegen? Du spinnst wohl! Ich werde mich schneller bewegen, als du ...“
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„Wirst du nicht! Wenn der Pfeil vergiftet war und du bewegst dich, breitet sich das Gift blitzschnell im Körper aus. Du mußt warten, bis das Blut das Zeug aus der Wunde gewaschen hat, klar?“ „Den Teufel! Ich werde ...“ „Du wirst auf deinem Hintern sitzenbleiben, oder ich dir hauen auf Rübe!“ grollte Batuti. Dabei fletschte er entschlossen sein Prachtgebiß, ballte die Rechte, und Donegal Daniel O’Flynn junior mußte einsehen, daß er im Augenblick wohl kaum in der Lage sein würde, den schwarzen Herkules wirksam daran zu hindern, ihm „auf Rübe“ zu hauen. „Na ja ...“ brummte er unzufrieden. „Nix na ja! Wie geht’s dir? Bist du schwindlig? Ist dir übel? Spürst du irgendetwas von Gift?“ Dan schluckte. Hauptsächlich horchte er immer noch auf den Kampflärm, doch mit halbem Ohr horchte er jetzt in sich hinein. Verdammt, ja, er spürte tatsächlich ein leichtes Schwindelgefühl. Und Übelkeit? Nein, eigentlich nicht. Oder doch? Dan furchte die Stirn und stellte fest: wenn er sich scharf genug auf seinen Magen konzentrierte, war ihm wirklich übel. Ihm wurde heiß, „Na?“ fragte Batuti besorgt. „M-mir wird heiß“, sagte Dan mit leicht belegter Stimme. „Hm, hm“, sagte Batuti bedenklich und rollte mit den Augen. „Mann! Hast du überhaupt ‘ne Ahnung, wie so was wirkt?“ wollte Dan wissen. „Glaubst du vielleicht, die Leute in Gambia sind zu dämlich, um Pfeile zu vergiften? Was ist nun? Wird dir mehr heiß? Mehr übel? Mehr schwindlig?“ Dan O’Flynn hatte den Eindruck, daß ihm tatsächlich von Sekunde zu Sekunde heißer, schwindliger und übler wurde. Die altbekannte Tatsache, daß es jeden Menschen unweigerlich juckt, sobald er daran denkt, daß er sich aus irgendwelchen Gründen gerade nicht kratzen kann, fiel ihm nicht ein. Er glaubte regelrecht zu spüren, wie das unbekannte Gift durch
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seine Adern kroch und sich in seinem Körper ausbreitete. Irgendwo gellte ein Schrei. Dan riß den Kopf hoch und konzentrierte sich wieder voll auf den Kampflärm. Von einer Sekunde zur anderen war ihm weder heiß noch übel, noch schwindlig. Das einzige, was er noch spürte, war ein ganz normaler, ziemlich scheußlicher Schmerz und ein gewisses Schwächegefühl, das jedem Wundschock folgte und ebenfalls ganz normal war. „Mann!“ knirschte er, als ihm das ein paar Sekunden später bewußt wurde. „Du hast wohl Kakerlaken im Hirn! Heiß, übel, schwindlig- daß ich nicht lache! Du willst mir wohl einreden, daß ich kurz vor dem Abkratzen bin, was?“ Auch Batuti hatte auf den Kampflärm gelauscht, der jetzt merklich schwächer wurde. Der hünenhafte Gambia-Neger runzelte die Stirn und sah Dan prüfend an. Dessen Gesicht war zwar blaß und zeigte ein paar feine Schweißperlen, doch es gab nichts, das auf ein schleichendes Gift hingewiesen hätte. Im Gegenteil: Dans blauen Augen funkelten höchst wütend, und von einer schweren Zunge konnte auch nicht die Rede sein. „Nix Gift“, sagte Batuti zufrieden. „Weiß ich, du Affe! Jetzt bind mir endlich einen verdammten Lappen um den Arm, damit wir starten können.“ „Sonnenstich“, mutmaßte Batuti. „Ich werde dir einen verdammten Lappen um den Arm binden, damit wir in Ruhe auf den Kutscher warten können.“ Aber daraus wurde nichts. Dan sah schließlich ein, daß es keinen Sinn hatte, sich jetzt noch in den Kampf zu stürzen - schon weil er ohnehin zu spät gekommen wäre. Daß er sich zudem etwas schlapp fühlte, gab er nicht zu. Mit verbiestertem Gesicht wartete er und sprang schließlich leicht schwankend auf, als er Schritte im Gebüsch hörte. Die Seewölfe kehrten zurück. Ohne den Kutscher. Ohne Gary Andrews, Sam Roskill und Luke Morgan - und ohne die Zwillinge. Als einziger von dem
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Landkommando war Matt Davies da: sichtlich lädiert, mit blutverklebtem Haar und verhärteten Zügen. Das Gesicht des Seewolfs glich einer Maske. Dan und Batuti ahnten, was geschehen war, noch ehe jemand ein Wort sagte. Die Amazonen hatten die Flucht ergriffen. Aber die Zwillinge und die drei Männer waren offenbar schon vorher gefangengenommen und weggeschleppt worden, und es hatte keine Chance mehr gegeben, sie herauszuhauen. * n Bord der „Isabella“ war es so still, wie es auf einer ankernden Galeone überhaupt werden konnte. Der Seewolf stand mit verschränkten Armen am Schanzkleid. Seine Stimme klirrte. Die Gesichter der Männer wirkten besorgt, spiegelten Zweifel an dem, was er ihnen auseinandergesetzt hatte. „Ich bin überzeugt davon, daß wir diesen Angriff irgendeiner Teufelei Black Jack Jayhawks zu verdanken haben“, wiederholte Hasard. „Es muß möglich sein, die Eingeborenen davon zu überzeugen, daß wir mit den Machenschaften dieses Gesindels nichts zu tun haben. Und das können wir nur, wenn wir mit ihnen verhandeln, und zwar auf eine Art, die sie nicht als Bedrohung empfinden.“ „Verdammt riskant“, sagte Ben Brighton langsam. „Hast u eine bessere Idee? Mit Gewalt können wir die Gefangenen nicht heraushauen, weil wir keine blasse Ahnung haben, wo sie stecken. Um mit den Eingeborenen Kontakt aufzunehmen, müssen wir sie irgendwie dazu bringen, sich zu zeigen. Und das werden sie nicht, wenn wir mit einer schwer armierten Galeone den Fluß hinaufsegeln - nicht nach dem, was sie vermutlich mit der ,Swallow` erlebt haben.“ Schweigen. Ein sehr langes Schweigen. Big Old Shane zerrte an seinem grauen Bart.
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„Du hast recht“, brummte er. „Es schmeckt mir nicht, aber ich glaube, das ist tatsächlich die einzige Möglichkeit.“ „Ich komme mit“, sagte Ben Brighton sofort. Hasard schüttelte den Kopf. „Jemand muß das Kommando ...“ „Das können Shane, Dan oder Old O’Flynn genauso gut.“ „Und warum, zum Henker, denkst du, daß ich nicht in der verdammten Pinasse mitsegeln kann?“ grollte der alte O’Flynn. „Weil diese Amazonen vor deinem Holzbein wahrscheinlich genauso- viel Angst haben würden wie vor Matts Hakenprothese“, erklärte der Bootsmann in seiner ruhigen Art „Dan ist verletzt und Big Old Shane - na ja.“ „Was willst du damit sagen?“ fragte der graubärtige Riese drohend. „Damit will er andeuten, daß du eine ziemlich bedrohliche Figur abgeben würdest“, sagte Hasard trocken. „Du hast recht, Ben. Wir beiden, Stenmark und Al Conroy, das reicht.“ Ed Carberry holte tief Luft, aber er protestierte nicht. Daß er, der Profos der „Isabella“, zum Fürchten aussah, verstand sich von selber. Stenmark kratzte sich am Kopf und fragte sich, ob er, in drei Teufels Namen, vielleicht nicht zum Fürchten aussah oder ob gar der Seewolf den Eindruck erweckte, als lasse er sich so leicht von ein paar kriegsmäßig armierten Ladys einkassieren. Nun ja, vielleicht konnte man es mit freundlichem Lächeln versuchen. Und davon abgesehen waren die Amazonen schließlich zahlreich genug, um nicht gleich davonzulaufen, wenn vier Mann in einem Boot auftauchten. „Gehen wir unbewaffnet?“ fragte Ben Brighton sachlich. Der Seewolf zögerte sekundenlang, bevor er die Entscheidung traf. „Wehren könnten wir uns gegen eine solche Übermacht ohnehin nicht“, sagte er ruhig. „Also beschränken wir uns auf Entermesser und eine Pistole für den Fall, daß irgendwelche Raubtiere Appetit auf uns verspüren.“
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Fast lautlos glitt die Pinasse über das dunkle Wasser. Stenmark hatte die Ruderpinne übernommen, Ben Brighton und der schlanke, drahtige Bob Grey bedienten das Segel. Philip Hasard Killigrew stand aufrecht im Bug, die Arme über der Brust verschränkt, und konzentrierte sich mit allen Sinnen auf die grüne, undurchdringliche Wildnis, in die der Wasserlauf eine gewundene Schneise schnitt. Die „Isabella“ ankerte immer noch vor der Flußmündung, und Hasard war sich klar darüber, daß die zurückgebliebenen Männer das Warten garantiert als schlimmer empfanden als jeden noch so mörderischen Kampf. Minuten verstrichen, dehnten sich und reihten sich zu einer Stunde aneinander. Das träge fließende Wasser und die Waldsäume blieben sich gleich. Lediglich die Lichtverhältnisse wandelten sich mit dem Wandern der Sonne. Die kleine Gruppe an Bord der Pinasse blieb schweigsam und angespannt. Ab und zu fuhr einer der Männer zusammen, wenn sich im Dickicht etwas regte. Hasard preßte die Lippen zusammen und kämpfte gegen den nagenden Zweifel, der sich nicht verdrängen ließ. Er setzte darauf, daß die Amazonen in der winzigen, so gut wie unbewaffneten Gruppe keine Gefahr sehen, sondern vielleicht sogar die friedliche Absicht erkennen würden. Und wenn er sich irrte? Wenn die Reaktion auf ihr Unternehmen ein paar wohlgezielte Pfeile aus dem Schatten sein würden? Er zog es vor, nicht darüber nachzugrübeln, aber seine Lippen preßten sich noch härter aufeinander als vorher. Eine weitere Stunde verging, bevor endlich etwas geschah. Blitzartig. Und völlig überraschend, obwohl die vier Männer in der Pinasse sorgfältig aufgepaßt hatten. Ein Vogelschrei bildete das Signal - Hasard nahm es jedenfalls an, obwohl er die Fauna
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hier nicht gut genug kannte, um echte von imitierten Tierstimmen unterscheiden zu können. Der Vogelruf klang etwas lauter als das vielstimmige Konzert, das sie seit ihrem Aufbruch begleitete - und unmittelbar danach wurde der schwarze Schatten zwischen wucherndem Buschwerk und Schlingpflanzen an zwei Dutzend Stellen gleichzeitig lebendig. Boote lösten sich aus dem Schutz von Seitenarmen und überhängenden Zweigen. Von allen Seiten schossen sie heran: flache, langgestreckte Fahrzeuge mit fremdartigen Stechpaddeln. Je vier schlanke braunhäutige Kriegerinnen trieben die Boote vorwärts - und je zwei kauerten mit schußbereiten Kampfbögen im Bug, die befiederten Pfeile auf den bereits gespannten Sehnen. Bei mehr als zwei Dutzend Booten waren das so an die fünfzig Pfeile. Ein bißchen zuviel, dachte der Seewolf lakonisch. Ein leichtes Prickeln kroch über seinen Rücken. Seine Haarwurzeln kribbelten ebenfalls. Die nächste Sekunde schien sich ins Endlose zu dehnen, aber keiner der Pfeile löste sich von der Sehne und schwirrte herüber. „Segel bergen, Ben“, sagte Hasard durch die Zähne. „Fier weg, aber langsam!“ „Aye, aye, Sir.“ Ben Brightons Stimme klang sehr ruhig, doch es war jene Ruhe, die sie sich in Augenblicken äußerster Konzentration einstellt. Der Bootsmann fierte die Rah so behutsam, als bestehe sie aus Glas. Stenmark und Bob Grey rührten sich nicht. Sekundenlang schien es, als hätten sich die vier Männer in steinerne Standbilder verwandelt. Dann löste Hasard, ebenfalls: sehr langsam, die verschränkten Arme von der Brust, hob sie leicht an und zeigte seine leeren Handflächen. Stille. Nur das Wasser plätscherte leicht. Die Kriegerinnen in den Booten bewegten sacht die Stechpaddel, um die Fahrzeuge gegen die träge Strömung zu halten. Die Pinasse drehte sich schwerfällig und drohte abzutreiben. Nicht lange.
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Ein paar Worte in einer fremden, gutturalen Sprache — schon lösten sich ein paar Boote aus der Formation und schoren längsseits. Eins davon tupfte sacht gegen den Bug der Pinasse. Zwei nadelscharfe Pfeilspitzen zielten aus einer Armlänge Abstand auf Hasards Brust. Er rührte sich immer noch nicht, während unter ihm die Planken vibrierten, als eine Gruppe Kriegerinnen in die Pinasse sprang. Hasard warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter und stellte fest, daß keiner seiner Männer angegriffen wurde. Stattdessen bedeutete man ihnen mittels Zeichensprache, in die EingeborenenBoote überzuwechseln. Jeder in ein anderes, wie den Gesten zu entnehmen war. Ben Brighton hob fragend die Brauen, und der Seewolf nickte knapp. Sekunden später saß er auf einer primitiven Ducht und fragte sich, ob er die Lanzenspitze einen Fingerbreit von der Haut seines Genicks entfernt wirklich spürte oder ob er sich das nur einbildete. Ben Brighton, Bob Grey und Stenmark wurden in gleicher Weise bedroht, waren jedoch genauso wenig gefesselt wie der Seewolf. Nicht einmal die Entermesser und die einzelne Pistole hatte man ihnen abgenommen. Zwar war das in dieser Lage auch gar nicht nötig, aber mit etwas gutem Willen konnte man es durchaus, als wenn schon nicht freundliche, so doch mindestens abwartende Geste deuten. Hasard entspannte sich etwas und sagte sich, daß es wesentlich schlimmer hätte kommen können. * Rogier Claasen, der Holländer, grinste breit, als er vor der Tür der Kammer stehenblieb. Er hatte Freiwache und schon eine Menge Rum im Bauch. Jetzt stand ihm der Sinn nach jenen Vergnügungen, die er sich seinerzeit von dem Vorschlag versprochen hatte, ein paar Frauen zu rauben und an Bord der Karavelle zu schleppen. Claasen schwankte leicht und rülpste, als er die Hand ausstreckte, um die Tür zu
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entriegeln. Die sieben Amazonen waren sorgfältig gefesselt worden, also brauchte er sich keine Sorgen zu bereiten. Unsicher trat er über die Schwelle, blieb breitbeinig stehen und ließ den Blick über die braunhäutigen Gestalten wandern, die ihn mit schwarzen, funkelnden Augen anstarrten. „Du da!“ knurrte der Holländer und zeigte auf ein blutjunges Mädchen, das sich dicht an eine ihrer Gefährtinnen drängte. Das Mädchen verstand seine Sprache nicht, begriff jedoch instinktiv, was er wollte. Ihre Augen weiteten sich. Heftig schüttelte sie den Kopf. Der Holländer lachte mißtönend, trat auf sie zu und zerrte sie am Arm hoch. Keine der gefesselten Frauen konnte es verhindern, und was sie in ihrer Sprache hervorstießen, störte logier Claasen nicht. Grob zerrte er sein Opfer auf den Niedergang und riegelte die Tür wieder zu. Nebenan gab es eine kleine Kammer, die unter dem Kommando von Kapitän Smollet für eventuelle Gäste reserviert gewesen war. Dorthin ein stieß Rogier Claasen das widerstrebende Mädchen, zerrte sie an der Schulter herum und begann, ihre Fesseln aufzuknüpfen. Er wußte nicht, daß er einen tödlichen Fehler beging. Angetrunken, wie er war, vermochte er noch weniger als sonst, in einem weiblichen Wesen eine Gefahr zu sehen. Das Mädchen war kurz zusammengezuckt und verhielt sich jetzt still. Als der Holländer sie auf die Koje zustieß, senkte sie in scheinbarer Resignation die Lider. Claasen stutzte, dann lachte er rauh. „Schon gezähmt, du Wildkatze? Und ich dachte, du wolltest mir die Krallen zeigen. Na, auch gut! Schnurrende Katzen sind mir sowieso lieber. Na los, zeig mir mal, was du kannst.“ Mit den schwerfälligen Bewegun- des Betrunkenen grabschte er nach den Schultern des Mädchens und zog sie an sich. Nachgiebig sank sie gegen seine breite Brust. Er schwankte leicht — und in derselben Sekunde zuckte die Linke der
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jungen Kriegerin vor wie eine zustoßende Schlange. Ihre Finger schlossen sich um den Griff des Messers, das Rogier Claasen am Gürtel trug. Blitzschnell riß sie die Waffe aus der Scheide. Der Holländer stieß einen mehr überraschten als erschrockenen Laut aus, und eine Sekunde später spürte er den grellen, schneidenden Schmerz, der jäh in seiner Brust tobte und sich wie flüssiges Feuer in seinen Adern ausbreitete. Er taumelte mit einem gellenden Schrei zurück. Aus vorquellenden Augen stierte er an sich hinunter, sah das Messer und krampfte mit einer instinktiven Bewegung beide Hände um den Griff. Schwärze überflutete sein Hirn. Seine Hände hatten nicht mehr die Kraft, die Waffe zu bewegen. Langsam sank er in die Knie, schwankte sekundenlang und kippte dann wie ein gefällter Baum zur Seite. Die junge Kriegerin wollte über ihn wegspringen und zur Tür huschen, doch sie gelangte nicht weit. Rogier Claasens Schrei war gehört worden. Schritte polterten auf dem Niedergang. Das Mädchen bückte sich, zerrte hastig das Messer aus der Brust des Toten und duckte sich kampfbereit zusammen, als die Tür aufsprang. Aber gegen die Männer, die in die Kammer stürmten und sich auf sie stürzten, hatte sie nicht einmal den Schimmer einer Chance. * Die Sonne neigte sich bereits im Westen, als die Boote das Dorf der Amazonen erreichten. Das Kribbeln in Hasards Genick hatte sich gelegt - der Mensch, stellte er fest, konnte sich auch an eine drohende Lanzenspitze im Nacken gewöhnen. Jetzt erhob er sich, immer noch mit betont langsamen, ruhigen Bewegungen, und setzte mit einem Schritt auf das flache Flußufer über. Ben Brighton, Bob Grey und Stenmark taten es ihm nach. Hinter der Flußbiegung tauchte
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jetzt auch die Pinasse auf. Mit dem Segel hatten die Kriegerinnen nichts anzufangen gewußt, und da sie die Riemen nicht in den Dollen durchholten. sondern wie Stechpaddel handhabten, fiel es ihnen ziemlich schwer, das große Boot zu bewegen. Auf ein Zeichen hin setzten sich die vier Seewölfe in Bewegung. Hasard sah sich aufmerksam um, doch seine Söhne und die anderen Gefangenen konnte er nirgends entdecken - falls die Männer gefangengenommen worden waren, verbesserte er sich in Gedanken. Mit der anderen Möglichkeit hatte er sich bisher noch nicht befaßt, und er hörte auch jetzt rasch wieder damit auf, als ihre Bewacherinnen stehenblieben, weil sie offenbar das Ziel erreicht hatten - eine große, auf Pfählen ruhende Hütte. Daß die schlanke, hochaufgerichtete Frau, die auf dem überdachten Vorbau stand, die Anführerin der Amazonen war, ließ sich auf den ersten Blick erkennen. Kampfbogen und Lanze, die sie trug, waren besonders reich geschmückt. Ketten aus Federn, Knochen und polierten Tierzähnen hingen um ihren Hals, in den phantastischen Kopfputz war ein kleiner runder Spiegel eingearbeitet, den sie einem früheren Kontakt mit weißen Eroberern verdanken mußte. Immerhin : die Tatsache, daß Geschenke ausgetauscht worden waren, legte die Vermutung nahe, daß es sich um einen einigermaßen friedlichen Kontakt gehandelt hatte. Von der „Swallow“ konnte der Spiegel jedenfalls nicht stammen, denn dann wäre er sicher nicht so schnell dem zeremoniellen Schmuck einverleibt worden. Hasard straffte sich, als ein braunhäutiger junger Mann einen Schritt vortrat und ihn anfunkelte. Der Junge war das einzige männliche Wesen weit und breit. Männer hatten bei diesem Stamm außer ihren natürlichen Aufgaben zwecks Arterhaltung offenbar nur dienende Funktionen, und dieser hier erfüllte im besonderen die Funktion eines Dolmetschers.
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„Ihr Gefangene von Königin Iowaki“, sagte er in holprigem Spanisch. „Königin Iowaki euch töten, aber erst erfahren, warum Feinde von Iowaki es wagen, zu segeln allein und ohne Waffen in ihr Reich.“ „Wir sind keine Feinde“, erwiderte Hasard ruhig. „Wir erschienen in friedlicher Absicht, um Königin Iowaki zu fragen, warum sie gegen uns Krieg führt.“ Der Junge übersetzte. Die Amazonenkönigin hörte unbewegten Gesichts zu und maß den Seewolf mit einem langen, forschenden Blick. Einem Blick, in dem Hasard mehr Klugheit und Menschenkenntnis zu liegen schien, als die so zivilisierten Weißen den „primitiven“ Wilden gemeinhin zutrauten. „Weiße Männer haben sieben Kriegerinnen geraubt“, erläuterte der junge Eingeborene. „Vielhaariger Mann hat uns getäuscht und betrogen. Ihr sterben!“ Mit dem „vielhaarigen Mann“, mußte der schwarze Jack gemeint sein. Das also war es, was die Amazonen auf den Kriegspfad getrieben hatte. Jayhawks Halunkenbande hatte ein paar Mädchen entführt. Dreckskerle, dachte Hasard erbittert. „Wir sind keine Freunde des vielhaarigen Mannes“, sagte er ruhig. „Wir liegen mit ihm in Fehde und haben oft gegen ihn gekämpft. Als sein Schiff aus der Flußmündung lief, griff er unser Schiff an. Wir konnten ihn vertreiben.“ Die Übersetzung dieser Worte löste beträchtliche Aufregung aus. Wie sich herausstellte, war zumindest die Explosion von Ferris Tuckers Höllenflasche an die Ohren der Amazonen gedrungen. Eingehend erkundigte sich Iowaki, die Königin, nach Einzelheiten, und Hasard beantwortete jede Frage ruhig und sachlich. Die Entscheidung fiel nach einer kurzen Beratung. Der junge Eingeborene übersetzte sie in holpriges Spanisch. „Iowaki nicht sicher, ob dir glauben. Iowaki sagt, wenn du Wahrheit sprichst, dann du wirst segeln mit deinem Schiff zu Schiff von vielhaarigem Mann und
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Kriegerinnen befreien. Wenn du Kriegerinnen hierherbringst, dann wir dir geben zurück Gefangene.“ „Sie leben alle noch?“ fragte Hasard, wobei er unwillkürlich den Atem anhielt. „Vier Männer und zwei Kinder leben. Du einverstanden?“ Der Seewolf hatte keine Wahl. „Einverstanden“, sagte er ruhig. „Wir werden es versuchen.“ Der Eingeborene gab Hasards Entscheidung weiter. Über das braune, unbewegte Gesicht der Amazonen-Königin glitt zum erstenmal der Anflug eines Lächelns. Sie sagte etwas in ihrer Sprache, und der Junge übersetzte. „Iowaki glauben, du sprichst Wahrheit“, sagte er. „Und damit du siehst, Iowaki halten Versprechen, sie wird freilassen Kinder sofort. Du sie kannst mitnehmen.“ Der Seewolf hatte das Gefühl, als falle ihm ein ganz besonders schwerer Brocken von der Seele. 10. In dieser Nacht segelte die „Isabella“ dem Höllenfürsten samt allen seinen Unterteufeln die Ohren ab. Hasard junior und Philip junior, erleichtert und mit nur mittelschlechtem Gewissen, wagten trotzdem nicht zu fragen, was überhaupt anlag. Die Art, wie ihr Vater, Ben Brighton, Bob Grey und Stenmark die Pinasse den Fluß hinunterknüppelten, wirkte äußerst respekteinflößend. An Bord der „Isabella“ erläuterte der Seewolf mit wenigen Worten, um was es ging. Dann, wie gesagt, segelten sie dem Teufel die Ohren ab, als sie weit nach Osten auswichen, um die „Swallow“ außer Sichtweite zu überholen. Außer Sichtweite von Black Jacks Halunkenbande, wohlgemerkt. Nicht etwa außer Sichtweite von Dan O’Flynn, der im Großmars kauerte, seine Raubvogelaugen mit dem Spektiv kombinierte und beständig Rundumsicht hielt. Als er die Mastspitzen der „Swallow“ entdeckte, war er sicher, daß die Schlafmützen dort drüben von der
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„Isabella“, nicht einmal einen Schimmer sahen. Die Seewölfe besprachen unterdessen die letzten Einzelheiten ihres Plans. Die „Swallow“ blieb achteraus. Ed Carberry fluchte auf der Kuhl herum und drohte dem weißhaarigen Segelmacher an, ihm die Haut in Streifen von einem gewissen Körperteil zu ziehen. Will Thorne revanchierte sich mit der Ankündigung, in diesem Falle dem Profos den gleichen Körperteil mit der Lieknadel zu tätowieren. Während dieses Wortwechsels wurde ein dunkles Bündel aus der Segellast geholt, und die Männer gingen daran, das gelohte Tuch der Pinasse mit dem schwarz eingefärbten Segel zu vertauschen, das sie schon öfter bei nächtlichen Kommandounternehmen benutzt hatten. Zwei Stunden später fiel die „Isabella“ ab, lief schräg auf die Küste zu und blieb beigedreht im Kurs der „Swallow“ liegen. Die Pinasse wurde abgefiert. Sechs Männer enterten ab und gingen an Bord: der Seewolf und Ed Carberry, Batuti, der in der Dunkelheit eine natürliche Tarnfarbe hatte, Stenmark, Blacky und der drahtige Bob Grey, der sich bei solchen Unternehmungen mit seinen schnellen, lautlosen Wurfmessern schon oft besonders bewährt hatte. Der Mast wurde aufgerichtet, das schwarze Segel entfaltete sich, und schon nach wenigen Minuten war die Pinasse mit der Dunkelheit verschmolzen. Die „Isabella“ würde lose Fühlung halten, außer Sichtweite der „Swallow“ bleiben, aber im entscheidenden Moment nahe genug sein, um eingreifen zu können. Es ging darum, die sieben Kriegerinnen gesund und unverletzt zu befreien. Das ließ sich nur erreichen, wenn man sie von Bord holte, bevor die Fetzen flogen. Und die Fetzen würden fliegen, das hatte sich der Seewolf geschworen. Diesmal war die Schonfrist für den schwarzen Jack endgültig abgelaufen. Die Männer an Bord der Pinasse hatten das Gefühl, eine Ewigkeit sei vergangen, als sie die „Swallow“ endlich sichteten.
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Die Karavelle rauschte rasch näher. Hasard ließ das Segel der Pinasse bergen — für das letzte Stück genügten die Riemen. Der Seewolf bezweifelte, daß einer von Jayhawks Meuterern und Piraten das Boot in der Finsternis entdecken würde, und wenig später wurden diese Zweifel fast zur Gewißheit. „Die saufen, die Rübenschweine“, knurrte Ed Carberry gedämpft. „Und wie!“ sagte Stenmark, nachdem er eine Weile auf die grölenden Stimmen und das rauhe Gelächter gelauscht hatte. Der Seewolf zog die Lippen von den Zähnen. Umso besser, dachte er. Dem schwarzen Jack sah es ähnlich, ein Besäufnis zu veranstalten und sich nicht darum zu kümmern, ob sein Ausguck träumte oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß er tatsächlich schlief. Kein Alarmruf ertönte. Auch nicht, als vier Gestalten vorsichtig ins schwarze Wasser glitten, während die Pinasse etwas von der „Swallow“ abhielt. Wahrscheinlich hätte das Boot genauso gut längsseits scheren können, doch dieses Risiko wollten die Männer denn doch nicht eingehen. Unbehelligt erreichten Hasard, Batuti, Ed Carberry und Bob Grey die außenbords hängende Jakobsleiter der Karavelle. Der Seewolf schwang sich als erster über das Schanzkleid — nachdem er, wohlgemerkt, eine volle Minute außenbords ausgeharrt hatte, damit die Nässe von seinem Körper tropfte. Geschmeidig ließ er sich auf die Planken gleiten und peilte die Lage. Die Nagelbank des Großmastes schützte ihn. Aus dem Vorschiff drang dröhnendes Gelächter. Soweit er sehen konnte, hielten sich fünf Mann an Deck auf, drüben an der Backbordseite. Falls das eine Wache darstellen sollte, war es jedenfalls eine ziemlich besoffene Wache. Hasard wartete, bis die anderen neben ihn glitten, und wies mit dem Kopf auf das Achterschiff. Dort war ebenfalls etwas im Gange, aber das ging weniger mit Gesang und Gegröle als mit wütenden Flüchen einher. Daß
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Rogier Claasens Tod den schwarzen Jack und seine sogenannten Offiziere in beträchtliche Wut versetzt hatte, konnten die Seewölfe nicht wissen und nicht einmal ahnen - denn das, was sich im Vorschiff abspielte, klang ja wirklich nicht nach Trauerfeier. Vorsichtig öffnete Hasard das Schott des Niedergangs. Fast wäre er zurückgeprallt. In vier, fünf Schritten Entfernung stand die Tür einer Kammer offen, und aus dem Innern des Raums erklangen rauhe Stimmen. „Verdammte Wildkatze! Schmeiß sie über Bord, Jack! Sie hat Rogier auf dem Gewissen.“ „Idiot“, knurrte der schwarze Jack. „Wenn Rogier nicht so dämlich gewesen wäre, ihr die Fesseln zu lösen, hätte sie ihm auch nicht sein eigenes Messer in den Wanst rammen können. Ich werde der Katze schon die Krallen schneiden. Die wird noch schnurren und ...“ Mit wenigen Sätzen erreichte Hasard das offene Schott. Seine Männer waren dicht hinter hm. Mit einem einzigen Blick erfaßte er die Situation, erkannte den schwarzen Jack, Joe McNickle, Barry Burns und Tjarko Michels - und dann handelte er auch schon. Für Jayhawk und seine Spießgesellen kam es wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Keiner von ihnen konnte noch einen Alarmschrei ausstoßen. Vier Seewölfe schlugen je einmal kurz und trocken zu, vier angesäuselte Piraten legten sich klaglos schlafen. Und eine blutjunge, braunhäutige Amazone, deren Hände auf den Rücken gefesselt waren, starrte die Seewölfe sprachlos an, während die Furcht in ihren Augen von jäh aufflackernder Hoffnung abgelöst wurde. Sekunden später fielen ihre Fesseln. Um was es ging, begriff sie auch ohne Worte. Rasch führte sie die vier so unvermutet aufgetauchten Helfer zur Nachbarkammer, und dort fanden die Seewölfe auch die sechs anderen geraubten Frauen vor. Sie wurden ebenfalls befreit.
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Eifrig nickten sie, als Hasard die Bewegung des Schwimmens vollführte und dabei fragend die Brauen hob. Damit stand die Taktik des Rückzugs fest, und es ging nur noch darum, möglichst ungesehen von Bord zu verschwinden. Da die Piraten ihre Wachsamkeit auf den Pegelstand der Rumflaschen konzentrierten, klappte es vorzüglich. Alles in allem war nicht mehr als eine Viertelstunde vergangen, als kräftige Fäuste die sieben braunhäutigen, pitschnassen Amazonen in die Pinasse zogen. Die Seewölfe enterten ebenfalls an Bord, das Segel wurde gesetzt, und das Boot glitt mit halbem Wind nordwärts. Sie hatten die „Isabella“ schon fast erreicht, als auf der „Swallow“ das Wutgebrüll des schwarzen Jack die Planken zittern ließ. * „Deck!“, rief Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Karavelle auf Rammkurs! Ich glaub, die haben den Rappel, die Stinte.“ „Besoffen sind sie“, sagte Hasard durch die Zähne. „Und mutig“, fügte Ben Brighton hinzu. „Sehr mutig.“ „Hasard verzog das Gesicht. „Sie werden im entscheidenden Moment entweder anluven oder abfallen, wahrscheinlich anluven. Wir tun das genaue Gegenteil und scheren knapp außerhalb ihrer Schußweite vorbei. Acht saubere Löcher in die Wasserlinie — und die Sache ist ausgestanden.“ Der Bootsmann nickte nur. Die beiden Schiffe segelten in Kiellinie aufeinander zu, die „Swallow“ über Backbordbug, die „Isabella“ über Steuerbordbug, so daß ihre Bugspriete sozusagen aufeinander zielten. Der schwarze Jack mußte vor Wut tatsächlich den kümmerlichen Rest seines Verstandes verloren haben. Ein Fetzchen Vernunft hätte ihm sagen müssen, daß sein Angriff aussichtslos war. Aber dieses Fetzchen Vernunft schien er im Rum ersäuft zu haben. Auf jeden Fall bewiesen die hochgezogenen Stückpforten der Karavelle
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deutlich und unübersehbar, daß die „Swallow“ den Gegner angreifen wollte. Auch die „Isabella“ war gefechtsklar. Der Seewolf hatte immer noch das verdammte Gefühl, mit Kanonen auf Möwen zu schießen. Aber nach allem, was sich die Piraten an Untaten geleistet hatten, störte ihn das bei weitem nicht mehr so sehr wie vorher. Außerdem blieb ihm gar keine Wahl. Black Jack Jayhawk ging aufs Ganze und wollte es diesmal wissen. Eins der beiden Schiffe mußte in dieser Nacht in die Tiefe fahren. Die „Isabella“ würde es nicht sein — und Black Jack Jayhawks Halunkenbande hatte sich ihr Schicksal selbst zuzuschreiben. „Al?“ rief der Seewolf laut genug, um am Bug gehört zu werden. „Aye, aye?“ tönte es zurück. „Setz ihnen noch einen Warnschuß vor den Bug. Nur, damit sie hinterher nicht jammern.“ „Aye, aye!“ Hasard konnte sich vorstellen, daß der schwarzhaarige Stückmeister jetzt zufrieden grinste. Noch war die Entfernung zu groß für einen Treffer, aber die angetrunkenen Kerle auf der „Swallow“ würden sicher irgendeine Reaktion zeigen. Zwei Sekunden verstrichen, dann entlud sich krachend die Bugdrehbasse der Galeone. Der Seewolf konnte nicht erkennen; wo genau die Kugel ins Wasser klatschte, aber er sah, daß die „Swallow“ fast aus dem Kurs lief, weil sich der Rudergänger erschrocken hatte. „Karavelle luvt an!“ meldete Dan O’Flynn eine halbe Minute später. Na also, dachte Hasard. So viel Verstand, daß er bei diesem Gefecht die Luvposition zu ergattern versuchte, hatte der schwarze Jack offenbar doch noch. Nur nutzen würde es ihm nicht viel. Der Seewolf lächelte grimmig, warf einen Blick zum funkelnden Sternenhimmel und spürte ein flüchtiges Bedauern darüber, daß die Stille der herrlichen Tropennacht gleich so unsanft gestört werden würde. „Abfallen!“ befahl er knapp.
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Schon schwang die „Isabella“ nach Steuerbord herum. Auch die „Swallow“ fiel wieder etwas ab. Jack Jayhawk schien wild entschlossen, dem gegnerischen Schiff eine volle Breitseite zu verpassen. Was hieß, daß die Karavelle der Galeone genau vor die Rohre —und damit geradewegs dem Teufel ins Maul fahren würde. „Anluven!“ erklang Hasards gelassene Stimme. „Klar bei Backbord-Geschützen!“ Knirschend wurden die Rahen wieder dichter geholt. Die „Isabella“ drehte parallel zu der Karavelle und schob sich auf ihre Höhe. Jetzt endlich schienen die Kerle da drüben zu kapieren, was sie sich eingebrockt hatten. Aber jetzt war es zu spät für ein schnelles Ausweichmanöver. Verzweifelt brüllte der schwarze Jack seinen Feuerbefehl. An der Bordwand der „Swallow“ blühten gespenstische Flammenblumen auf. Fauchend und heulend flogen die schweren Kugeln durch die Nacht, doch der ganze eiserne Segen klatschte wirkungslos ins Wasser. „Backbord-Kanonen Feuer!“ befahl Hasard. Acht Siebzehnpfünder-Culverinen entluden sich mit ohrenbetäubendem Krachen. Nicht minder ohrenbetäubend wirkte. das Bersten und Splittern, mit dem die Breitseite voll in die Bordwand der „Swallow“ schlug. Selbst in der Dunkelheit waren die klaffenden, ausgezackten Löcher zu sehen, die haargenau die Wasserlinie markierten. Schreie gellten, Flüche mischten sich hinein, auf dem Achterkastell der Karavelle fuchtelte der schwarze Jack mit den Armen und brüllte Befehle. Verzweifelt versuchten die Piraten. ihre Geschütze nachzuladen. doch das war ein vergebliches Unterfangen, da die „Isabella“ längst nach Süden ablief. Die paar Schüsse aus der achteren Drehbasse der „Swallow“ richteten ebenfalls keinen Schaden mehr an.
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Die Karavelle nahm Wasser. Eine verdammte Menge Wasser, wie selbst für die Seewölfe deutlich zu erkennen war. Beängstigend schnell sackte die „Swallow“ ab, und Jack Jayhawks Meutererbande blieb gerade noch Zeit, mehr schlecht als recht die Beiboote abzufieren. Binnen weniger Minuten ging die „Swallow“ auf Tiefe. Das letzte, was die Seewölfe von Black Jack Jayhawk und seinen mißratenen Kumpanen sahen, waren zwei Boote, deren Besatzungen in Richtung Küste pullten und dabei einen schlappen und ganz und gar nicht mehr angriffslustigen Eindruck erweckten. Sie hatten alles getan, um sich an diesen Küsten so unbeliebt wie nur möglich zu machen. Wahrscheinlich standen ihnen lausige Zeiten bevor. Aber die Seewölfe sahen nicht den geringsten Grund, an diese brutalen, heimtückischen Kerle übertriebenes Mitgefühl zu verschwenden, * Diesmal ankerte die „Isabella“ nicht vor der Flußmündung, sondern segelte ein Stück den Rio Parnaibo hinauf. Nicht bis zu der Ansiedlung der Amazonen, beileibe nicht - das hätte zu leicht als Bedrohung ausgelegt werden können. Eine gute Bootsstunde von dem Dorf entfernt ließ der Seewolf Anker werfen. Ben Brighton übernahm das Kommando an Bord. Hasard, Ed Carberry, Big Old Shane und Jeff Bowie gingen in die Pinasse. Außerdem Dan O’Flynn, der das als Ausgleich für die — bei dieser Gelegenheit in schaurigsten Farben ausgemalten — Schmerzen der Pfeilwunde betrachtete. Und natürlich die sieben Amazonen, die sich inzwischen von dem Schrecken erholt hatten und ihre Retter höchst neugierig musterten. Neugierig — und mit Blicken, die durchaus nicht verbargen, daß sie daran gewohnt waren, unter männlichen Wesen nach Laune zu wählen, ohne auch nur im
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Traum mit etwaigem Widerspruch zu rechnen. Als sie das Dorf erreichten, schwante dem Seewolf, daß die streitbaren Ladys die anwesenden Männer bereits unter sich aufgeteilt hatten. Der Eifer, mit dem die befreiten Kriegerinnen wenig später auf ihre Königin einredeten, verstärkte diesen Verdacht. Aber Iowaki war offenbar eine weise Herrscherin, die über Menschenkenntnis und einen anpassungsfähigen Verstand verfügte. Die Enttäuschung auf den Gesichtern der befreiten Amazonen sprach Bände. Der Tonfall, in dem Iowaki sie zurechtwies, ließ sich ebenfalls ohne Übersetzung deuten. Hasard hätte geschworen, daß den sieben Kriegerinnen empfohlen wurde, lieber mal über die doppelte Schmach nachzudenken, von Männern gefangengenommen worden und dann auch noch von anderen Männern wieder herausgehauen worden zu sein. Der junge Eingeborene, der .den Dolmetscher spielte, hatte jedenfalls eindeutig verborgene Schadenfreude im sonst neidvollen Blick. Für eine Weile gingen Dankesbeteuerungen und Höflichkeitsfloskeln hin und her. Schließlich wurden die Seewölfe von zwei Kriegerinnen zu einer Hütte geführt, und dort erlebten sie eine Überraschung. Gary Andrews, Sam Roskill, Luke Morgan und der Kutscher — .die bedauernswerten Gefangenen, um deren Schicksal man sich so reichlich gesorgt hatte — saßen ungefesselt, gesund und munter um eine Bastmatte herum und ließen sich in aller Seelenruhe eine undefinierbare, aber köstlich duftende Mahlzeit schmecken. Nicht einmal die Anwesenheit von Ladys konnte Ed Carberry daran hindern, lauthals zu verkünden, was er von „verdammten Rübenschweinen“ hielt, die faul auf ihren Affenärschen säßen und sich vollfräßen, während anständige Leute Piratenschiffe in Fetzen schössen. Die Gefangenen — oder besser gewesenen Gefangenen — grinsten sich eins.
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Daß Jack Jayhawks Schiff in Fetzen war, nahmen sie wohlgefällig zur Kenntnis. Durchaus freundschaftlich verabschiedeten sie sich von ihren Gastgeberinnen — und in Hasard keimte der leise Verdacht, daß die ihre unfreiwilligen Gäste in mehr als nur einer Hinsicht ziemlich verwöhnt hatten. Er zog es vor, nicht danach zu fragen. Wenig später gingen die Seewölfe wieder in ihre Pinasse, und nach einer knappen Stunde wurden sie an Bord der „Isabella“ mit ohrenbetäubendem Jubel begrüßt. Dan O’Flynn ergatterte bei dieser Gelegenheit eine Extra-Ration Rum, weil ihm Ferris Tucker versehentlich herzhaft auf die verletzte Schulter geschlagen hatte.
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Der Kutscher sah sich diese Verletzung natürlich sofort an, denn Batutis Heilkünsten traute er nun ganz und gar nicht. Die Wunde wirkte nicht sonderlich bedrohlich und hätte getrost still vor sich hin heilen können. Doch für den Kutscher war auf medizinischem Gebiet nur wohl getan, was er eigenhändig getan hatte. So geschah es, daß Dan O’Flynn noch einmal behandelt wurde, mit Rum innerlich und äußerlich, beides in reichem Maße, und sich danach etwas benebelt und recht zufrieden fühlte. Um diese Zeit lief die „Isabella“ längst wieder unter vollen Segeln den Rio Parnaibo hinunter, dem offenen Meer entgegen ...
ENDE