Atlan Das große SF-Abenteuer Nr. 820
Die Asteroiden der Sonnensteppe Die Expedition der Syphonen
von Hans Kneifel
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Atlan Das große SF-Abenteuer Nr. 820
Die Asteroiden der Sonnensteppe Die Expedition der Syphonen
von Hans Kneifel
Nach der großen Wende in Manam-Turu haben sich Atlan und seine engsten Gefährten, die Vorkämpfer dieser positiven Entwicklung, anderen Zielen zuwenden können, die sie letztlich in die Galaxis Alkordoom führen. Fartuloon, Atlans alter Lehrmeister, findet sich nach seinem plötzlichen Verschwinden noch vor der Wende nicht nur räumlich, sondern auch körperlich versetzt. Er verwandelt sich erneut in Colemayn, den Sternentramp, und gelangt ebenfalls nach Alkordoom, wo er mit Geselle, seinem robotischen Gefährten, bald in Gefangenschaft gerät. Jetzt, im Dezember 3820, sind die Gefangenen längst wieder in Freiheit. Doch Ihr Schicksal bleibt weiterhin wechselhaft, solange sie sich mit ihrem Raumschiff, der HORNISSE, in der Nähe des Zentrums von Alkordoom bewegen. Während Geselle auf eine »Extratour« gegangen ist, läßt Colemayn, der Sternentramp, sich nicht beirren. Mit gebotener Vorsicht will er den Nukleus von Alkordoom erkunden. Dabei empfängt er einen Notruf aus einem Sonnensystem, das im Operationsbereich der HORNISSE liegt. Und dieser Notruf führt Colemayn und Co. in DIE ASTEROIDEN DER SONNENSTEPPE…
Dia Hauptpersonen des Romans: Colemayn – Der Sternentramp auf dem Weg in den Nukleus. Shah Run Tal, Vandresh, Sharfedt, Twardjy Pyong und Qardeyl – Besatzungsmitglieder der HORNISSE. Atelseyx Pharr – Ein Dhomsarter. Mol Rispersh Har und Nas Binsthey – Mitglieder des Volkes der Syphonen. Breckcrown – Ein Unsichtbarer macht sich bemerkbar.
1. Man sollte, sagte Atlan einmal, die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Aber man sollte auch dafür sorgen, daß sie so kommen, wie man sie am liebsten nehmen möchte. Ich bin gerade dabei, diesen unendlich klugen Wahlspruch zu befolgen, indem ich an einer Stelle in den Nukleus einzudringen versuche, an der mich niemand aufhält. Hoffentlich! Leider bin ich wieder einmal ganz auf mich allein gestellt; es mangelt an Geselle, dem unheimlich Tüchtigen, an Kontakten zu Atlan, und Anima, den Verschollenen, und aus Sicherheitsgründen verbietet sich jeder Funkverkehr. Und ich, dank Geselles rücksichtslosem Verschwinden, muß meine Notizen wieder selbst verfertigen. (Aus: Colemayns Sternentagebuch) * Jetzt saß der Thater Vandresh im Pilotensitz der HORNISSE. Vor wenigen Minuten hatte das Raumschiff eine mittellange Linearetappe beendet. Die HORNISSE raste mit weniger als der Lichtgeschwindigkeit durch einen jener Bezirke, die Colemayn als »verlassen« bezeichnet hatte. »Kommandant Colemayn«, wandte der Thater sich an den Sternentramp, »es wäre fabelhaft, wenn wir genaue Anweisungen hätten.« Colemayn drehte seine wenig ansehnliche Mütze um neunzig Grad und führ über sein wohlrasiertes Kinn. »Es wäre fabelhaft, wenn ich dir genau sagen könnte, was wir suchen, und wohin wir die stolze Nase des Schiffes richten müssen. Von meiner Nase ganz zu schweigen.« »Auch die Ortung gibt nicht viel her«, bemerkte Sharfedt, der sich mittlerweile zum besten Spezialisten an Bord des Schiffes ausgebildet hatte. »Keine dahinrasenden Schiffe, außer unserem, keine Sonnen oder Planeten in entsprechend geringer Entfernung.« »Dann vielleicht in größerer Distanz?« meinte Colemayn nachdenklich. »Ihr wißt, was unsere Absicht ist.« Ein mehrstimmiger Chor aus Thater- und Jukterstimmen antwortete ihm. »Vorsichtig den Nukleus zu erkunden!« »Wir sind zumindest auf dem Weg zu diesem schönen Ziel«, brummte der Sternentramp. »Und wir haben mit Angriffen, Fallen, niederträchtigen Tricks und einer Handvoll anderer häßlicher Hemmnisse zu rechnen.« Der Weg in den Kern von Alkordoom war nicht weit, gemessen in Lichtjahren, aber schwierig, wenn Colemayn die einzelnen wichtigen Schritte nicht außer acht ließ. Seine ersten und wichtigsten Erkenntnisse hatte er am äußersten Rand der Sonnensteppe gesammelt. Es waren aber zu wenige; er konnte noch kein klares System erkennen oder daraus ableiten. »Sucht weiter, Freunde!« sagte er. »Das simpelste Funksignal kann uns einen ernsthaften und konkreten Hinweis geben.« »Du scheinst eine übergründliche Erforschung vorzuziehen?« brummelte der Thater. »Nichts anderes«, erwiderte Colemayn. »Und, sage bitte nicht, daß die Zeit uns jagt. Profunde Informationen sind gefragt, nicht irgendwelche Spekulationen.« »Verstanden, Chef!« In einem weiten Bogen jagte die HORNISSE auf einen stechend weißen Zwergstern zu. Es war
nichts anderes als ein vorübergehend ins Auge gefaßtes Ziel; das Vorhaben, die Grenzbezirke der Sonnensteppe und den Nukleus zu erkunden, wurde von jedem Besatzungsmitglied mit der gleichen großen Menge an Vorsicht betrieben. Colemayn war ein Kommandant, der jedem seiner Spezialisten freie Hand ließ und darauf hoffte, daß jeder an Bord begriff, warum sie hier waren, warum sie gerade so und nicht anders vorgingen, und worum sich alles drehte: es ging um das Wohl zweier Galaxien. Und um das eigene Wohl. Die Besatzung in der Navigationszentrale versuchte, ungesehen die ehemalige Sonnensteppe zu durchqueren und dabei festzustellen, wie in diesem Teil der Kugelgalaxis die Sternenvölker auf die neue Freiheit reagierten. Denn ohne Zweifel gab es diese Freiheit: Der Erleuchtete und die Facetten gehörten der Vergangenheit an, über die man sich beharrlich zu reden weigerte. »Immerhin hat der sogenannte Erleuchtete fünf Jahrtausende lang seine Schreckensherrschaft ausgeübt«, faßte Colemayn seine Gedanken zusammen. »Wir können nicht annehmen, daß wir nicht immer wieder auf Spuren dieses Geschehens stoßen.« »Was sich bereits mehrmals erwiesen hat.« In diesem Teil der Galaxis war der Kopfschweif unübersehbar. Er entstand etwa fünf Lichtjahre tief im Innern des Nukleus, dominierte aber hier, im nördlichen Quadranten, das Bild der Milchstraße. Im Mittelpunkt jener Kugelschale, die als Sonnensteppe grausige Berühmtheit erreicht hatte, deutete der Jetstrahl zwischen Sonnen und Gasschleiern, nur zum Teil verhüllt von kosmischer Materie oder Dunkelwolken, ins sonnenleere All hinaus, quer durch die Hälfte der Kugelgalaxis. Etwa zehntausend Lichtjahre betrug die Dicke der Sonnensteppe-Kugelschale; die Grenzen nach innen und außen verwischten sich. »Keinerlei interessante Ortung«, hörte Colemayn, der schräg hinter dem Piloten saß und an die Welt des EWIGEN LEBENS und an Geselle dachte. Der Roboter-Sohn fehlte ihm – erstaunlicherweise. »Dann machen wir doch einfach ein neues, kurzes Linearsprünglein«, schlug der Sternentramp vor. »Schließlich suchen wir Anzeichen von Leben, nicht leeres All.« »Verstanden, Kapitän!« Seit den dramatischen Vorfällen auf dem Planeten der tapferen Gorfer, dem endgültigen Erlöschen des Grünen Leuchtens, hatten die Raumfahrer eine Handvoll wesentlicher Beobachtungen machen können. Sie bewiesen halbwegs, daß die Planetarier Alkordooms in der Lage waren, zu vergessen und risikofreundlich nach vorn zu schauen. Die Sterne und der mächtige Schaft des Jets verschwanden von den Bildschirmen. Die HORNISSE glitt in die nächste Linearetappe. * Das riesenhafte Wurmwesen streckte Colemayn seine Handflächen entgegen und gab ein knarrendes Zischen von sich. »Für einen Pilger des Ewigen Wurms ist es eine schiere Geduldsprobe, mit deiner Mannschaft und dir zu reisen. Ein Zwischenfall jagt den nächsten, Sonnentourist.« Colemayn grinste und setzte zu einer längeren Erklärung an. Daß Shah Run Tai alle zweibeinigen Wesen abstoßend und evolutionär unpraktisch fand, störte ihn nicht sonderlich; nicht sein Problem. »Sonnentourist kannst höchstens du dich nennen, Riesenschlange«, meinte er gutmütig. »Du und ich suchen nach Orten, die es vielleicht gibt, die aber schwer zu finden sind, Karte oder Intuition, Wiedergeburt oder ewiges Leben.«
»Dein Mund sagt wahr, Alkordisch schwere Sprache, Ziel unbekannt. Beim Superwurm!« »Und dein Radebrechen glaubt dir an Bord, lieber Freund, ohnehin niemand mehr. Was willst du wirklich?« »Warum ist die HORNISSE wieder in die Linearetappe gegangen?« Der Translator, den der Vermes hin und wieder tatsächlich noch brauchte, gab seine Worte wieder. Sie kamen aus der Mundöffnung tief zwischen den unteren Gliedmaßen. »Weil wir nach Beweisen dafür suchen, daß die Völker dieser Galaxis anfangen, selbständig zu handeln. Dreimal schon konnten wir unzweifelhaft sehen, daß sie Raumfahrt betreiben, ihre Welten in Ordnung bringen und das tun, was seit jeher das Zeichen für Selbständigkeit und Freiheit ist.« Dem Vermes fiel auf, daß Colemayn mit ungewohntem Ernst und Nachdruck gesprochen hatte. »Und das ist?« »Sie machen dasselbe wie wir in der HORNISSE. Sie suchen, forschen und stoßen mutig, wenn auch manchmal zögernd, ins Unbekannte vor. Sie lassen sich auf die Dauer von Gerüchten ebensowenig aufhalten wie von geheimnisvollen Entführungen.« Stets dann, wußte auch der Vermes-Angehörige, wenn Colemayn seine blumenreiche Rede vergaß, hatte er nicht die Absicht, länger zu diskutieren oder umfangreiche Erklärungen abzugeben. Auf dieser Basis verstanden sich diese so unterschiedlichen Wesen miteinander. Shah Run Tai riskierte einen letzten – vorläufig letzten! – Einwand: »Deine Gedanken: unergründlich. Die Reise von Stern zu Stern: viel zu lange. Wann komme ich zum Ort der Wiedergeburt?« »Höchstwahrscheinlich genau zum richtigen Zeitpunkt, borstenschießender Pilger. Warten zeichnet den wahren Raumfahrer aus. Das All ist nahezu unendlich groß und voller Welten, die alle auf unseren Besuch warten.« »Nicht unbedingt auf meinen Besuch!« »Als Gast der HORNISSE wirst du sie alle kennenlernen.« Colemayn grüßte kurz und ging wieder zurück in die Steuerkanzel des Schiffes. Der Kurs der HORNISSE durch ein Gebiet, das auf allen vorhandenen Sternenkarten als unbekannt beziehungsweise unbewohnt ausgewiesen wurde, war bewußt gewählt worden. »Nun?« fragte er laut. »Habt ihr Raumschiffskonvois angemessen, die zu exotischen Welten aufgebrochen sind? Hyperraum-Funksprüche ohne Zahl mit faszinierenden Neuigkeiten?« »Nur einen Hyperfunkkontakt«, gab Twardjy Pyong am Funkpult zurück. »Wir sind auf dem Flug dorthin.« »Ausgezeichnet. Dann wird wohl selbst Shah Run Tai die Langeweile vergehen. Wann sollte es Sichtkontakt geben?« »In einer Stunde etwa, Herr des Schiffes.« »Ich warte.« Die Thater und Jukter in der Navigationszentrale versuchten, den Kurs jenes fremden Schiffes anzumessen, von dem der Hyperspruch stammte. Die Dekodierung lag vor: ein Expeditionsschiff meldete an seine Relaisbasis, daß die Landung auf einem Planeten kurz bevorstünde. Die Bordpositronik versuchte, aus den wenigen Einzelheiten, die der Funkspruch mitteilte, das Aussehen und die Eigenschaften jener Sonnensteppen-Welt zu extrapolieren. Colemayn setzte sich vor die dreidimensionalen Monitoren, auf denen die ersten Bildversuche erschienen und half dem Rechner, indem er einzelne Wahrscheinlichkeiten eingab. Vandresh drehte sich halb herum und stellte eine Frage.
»Wollen wir mit diesen Alkordoomern gleich Kontakt aufnehmen, oder beobachten wir zuerst?« Nach kurzem Nachdenken antwortete der Sternentramp. »Eigentlich geht es uns ja nichts an, was die Raumfahrerkollegen treiben. Wir sollten aus sicherer Entfernung zuschauen. Vielleicht ergibt sich ein freundschaftliches Zusammentreffen.« »Und vielleicht«, meinte Shah Run Tai grimmig, »ist es auch eine Armada von Kriegschiffen, die augenblicklich das Feuer auf uns eröffnet.« »Das ist ebensogut möglich«, gab Colemayn heiter zu. »Dann laufen wir eben schnell davon.« »Alles klar.« Während der letzten Flüge und in den Gesprächen mit Planetariern hatte sich für Colemayn ein weiterer Gesichtspunkt ergeben. Nicht nur, daß die Sonnensteppe ihre einstige Bedeutung verloren hatte; auch der Name wurde immer seltener verwendet. Die Zone wurde, was er durchaus begrüßte, zu einem Bestandteil der Galaxis, in dem die Vergangenheit vergessen werden sollte. Von Steppe keine Spur mehr! Fliegt hin, seht euch um und kommt mit den Schätzen fremder Welten wieder zurück! das hatten er und seine Crewmitglieder immer wieder auf Raumhäfen gehört. Wie sah die Wirklichkeit aus? Ein Summer und eine Mitteilung rissen ihn aus seinen wenig aufregenden Überlegungen. Er hob den Kopf und sah, wie sich auf den mächtigen Bildschirmen das Panorama der Sterne ausbreitete. »Fünf Lichtstunden voraus befindet sich das Schiff, das wir suchten. Wir haben offensichtlich einen Glückstreffer gelandet.« »Wie schön«, antwortete Colemayn zufrieden. »Keine Armada?« »Nichts dergleichen zu sehen.« Die Zentrale füllte sich langsam mit Besatzungsangehörigen, die miterleben wollten, was die Nahortungssysteme über diesen Ausschnitt der Milchstraße auszusagen hatten. Andere Thater und Jukter aktivierten die Kommunikatoren in ihren Kabinen. Eine mächtige weiße Sonne beherrschte das Zentrum der Holoschirme. Sie stand unbeweglich und unübersehbar vor dem Panorama jener Sterne, hinter denen irgendwo der Nukleus begann. Echos zeichneten sich auf den Ortungsschirmen ab, mehr und mehr. Der Rechner identifizierte die riesigen Monde, die Planeten und eine schier endlose Kette von Asteroiden, die quer durch ein Planetensystem von monströsen Ausmaßen driftete. Nach einer Weile, als die meisten der ermittelten Bahnkurven als feine Linien zu sehen waren, murmelte der Sternentramp beeindruckt: »Jeder weiß, daß ich ziemlich weit herumgekommen bin. Aber ein solch großes Sonnensystem habe ich wirklich nicht oft kennenlernen dürfen.« Das Echo eines einzelnen, großen Raumschiffs blinkte nahe dem fünften Planeten. Immer schneller kamen die ermittelten Einzelheiten: Vierunddreißig Planeten, die von insgesamt einundfünfzig kleinen und großen Monden umschwirrt wurden. Unzählige kleinere kosmische Körper auf besonders bizarren Bahnen. Und dazu, wie ein Teil einer Kometen-Bahnellipse, jene Kette von Asteroidenbrocken, die unmittelbar an der Sonne vorbei führte und fast im rechten Winkel abgelenkt wurde. »Beachtlich. Jene mutigen Pioniere dort werden sich jetzt auch beglückwünschen!« meinte der Thater im Pilotensessel. »Näher heran, Kommandant?« »Stellt zuerst fest, ob es bewohnte Planeten gibt oder solche, auf denen sich jemand mit Technik und all dem Kram beschäftigt«, schränkte Colemayn ein. »Nicht, daß es mich wundern würde – aber vielleicht finden wir früher etwas als unsere Freunde dort am fünften Planeten.«
»Sicher! Mit unseren erstklassigen Geräten.« Colemayn entsann sich einer Figur aus Atlans innerer Bibliothek und erklärte: »Hiermit taufe ich dieses Sonnensystem. Der Name Gargantua paßt hervorragend.« »Er klingt zumindestens bedeutend«, bemerkte der Vermes knapp. Er war absolut sicher, daß auch dieses Planetensystem nichts mit den Angaben auf der Karte zu tun hatte, die er als Vormann der STEPPENWOLF diesem Schiffbrüchigen abgenommen hatte. Die Sonne Gargantua mit vierunddreißig Planeten und einundfünfzig Monden. »Sehen wir nach. Und zwar gründlich!« ordnete Colemayn an. Die HORNISSE glitt in einer eleganten Kurve auf den äußersten Planeten zu.
2. Binnen sechzig Minuten hatte sich die Zentrale in eine Sammelstation für Daten, Informationen, Bilder, Diagramme und farbensprühende Wirbel von Monitordarstellungen verwandelt. Bisher galt für den Bordrechner und die Terminologie der Raumfahrer untereinander die einfache Namensgebung für die vielen Welten: der sonnennächste Planet wurde Eins genannt, seine Monde A oder B. Nummer Vierunddreißig war eine nahezu perfekte, glänzende Eiskugel. Die Aufregung an Bord entsprach der Bedeutung des Fundes. »Ich fange zu ahnen an«, meinte der Jukter Pyong mitten in den Berechnungen, Beobachtungen und neuen Informationen, »daß dieses riesige Sonnensystem für die ehemalige Sonnensteppe von großer Bedeutung sein wird. Weit über das hinausgehend, was wir jetzt und hier erkennen können. Meinst du, daß ich recht habe, Colemayn?« Der Sternentramp lachte laut, schlug sich klatschend auf die Schenkel und rief dröhnend: »Endlich hat es sich herumgesprochen! Natürlich ist es so. Dieses Gargantua-Planetensystem ist ein Symbol! Ein unübersehbares Symbol!« Shah Run Tai stieß einen Pfiff aus, dessen Schalldruck mehrere Glasflächen klirren ließ. »Ist doch ein kluges Bürschlein, unser Sternenreisender! Auch andere haben Hyperfunkempfänger. Und Sender, natürlich. Sie werden von diesem Schatz im Universum erfahren. Gerüchte sind schneller als Licht und Hyperfunk. Sie werden, denke ich, von allen Seiten kommen. Und sich hier treffen.« Er besann sich und fiel wieder in sein Alkordisch-Kauderwelsch zurück. »Sternentrampling höchlichst clever. Eines späten Tages – er will sein Held vom Alkordoom. Klug, und noch jünglichst, wie?« »Verglichen mit dir«, antwortete Colemayn, seit etlichen Tagen wieder einmal in bester Laune, »bin ich noch in den vielstrapazierten Windeln.« Er wandte sich an seine Raumfahrer-Crew und fuhr fort: »Shah Run Tai hat völlig recht. Vielleicht irren wir uns. Aber dieser Fund fordert die AlkordoomRaumfahrer geradezu heraus, hierher zu fliegen. Eine langsame Besiedlung, kolonieartig und von einzelnen Stützpunkten abhängig, sollte die Folge sein.« Sharfedt schloß mit grollender Stimme: »Nach diesem Ausflug in gegenseitige Lobpreisungen kümmern wir uns wieder um die Planeten. Nummer dreiunddreißig wäre fällig.« »Und zweiunddreißig andere warten auf uns!« Die Bildschirme des normaloptischen Systems zeigten nur die Sonne, ein paar größere Lichtpünktchen und, in unmittelbarer Nähe, die Lichtreflexe auf einigen Asteroiden. Eine spiralig gedrechselte, mehrere Lichtstunden lange Wolke aus winzigen Partikeln begann, so schien es, in der kosmischen Finsternis hinter der HORNISSE und schlängelte sich quer durch das Sonnensystem. Auf den riesigen Monitoren der Ortungsgeräte stellten sich sämtliche groben Einzelheiten des Gargantua-Systems gänzlich anders dar. Von der Bordpositronik unterstützt und ständig durch neue, verarbeitete Daten ergänzt, erschienen Punkte, feine Kreise und Ellipsen, Positionsangaben, Raster und Einteilungen. Die Planeten umliefen die Sonne nicht auf einer einzigen Ekliptik der Bahnen; es herrschte ein stellar wohlgeordnetes Durcheinander. Innerhalb der ökologisch wichtigen Zone kreisten sieben Planeten um das Zentralgestirn. Zusammen zählten neunzehn Monde zu diesen
sieben Welten. Sonnennäher gab es Welten, die vermutlich ebenso unbewohnbar waren wie die weit entfernten und eisbedeckten Körper. Colemayn durchdachte das letzte Gespräch, und ihm fiel eine Variante dazu ein, die letzten Endes wohl positive Wirkungen haben würde, wenn sie auch gewisse Probleme schuf. Er verschob eine mögliche Entscheidung auf später. Zuerst würde er gern jene mutigen Pioniere dort kennenlernen. Die HORNISSE befand sich auf einem vergleichsweise langsamen Flug von einem der äußersten Planeten zum anderen. Zwei Drittel der Welten zwölf bis vierunddreißig befanden sich innerhalb eines Ausschnitts von zweihundert Grad ihrer Bahnkreise. »Sind wir eigentlich noch allein?« erkundigte sich Colemayn nach einigen Stunden, in denen ständig neue Eindrücke auf die begeisterte Crew hereinprasselten. »Wir und die Leute dort, die mit ihrem Transitionsschiff im Orbit von Fünf kreisen?« »Sie kreisen nicht mehr, sondern befinden sich auf direktem Kurs auf Planet Sechs. Vermutlich sagte ihnen Fünf nicht zu.« Shah Run Tai, Colemayn und Gardeyl, der Ortungsspezialist, prüften, was an Informationen über Sechs vorhanden war. Es schien schon jetzt als sicher, daß es eine Welt war, wie sie sich Wesen dieser Art wünschten: Schwerkraft, Luftzusammensetzung und Fauna und Flora waren für Thater, Jukter und Colemayn passend, und wie es schien, auch für die Unbekannten in ihrem Raumschiff. »Wann werden sie dort sein?« Der Rechner druckte eine Zahl aus. Dreiundzwanzig Stunden. Die Fremden hatten also keine Eile. »Wir machen so weiter wie bisher«, entschied Colemayn. »Mit den Gerüchten über die Welt des Ewigen Lebens hat unser schönes Riesensystem hoffentlich nicht das geringste zu tun.« Er stand auf und machte einige Lockerungsübungen. Seine Zuversicht, daß die Sonnensteppe von den raumfahrenden Völkern Alkordooms sozusagen neu entdeckt und, wenn auch in langen Zeiträumen, besiedelt wurde, war seit dem überraschenden Doppelfund gewachsen. »Wenn es soweit ist«, meinte er fröhlich, »starten wir eine Beobachtungssonde und sehen uns den Planeten und unsere Konkurrenten genauer an.« Die letzten Fernortungen hatten ergeben, daß sich nur diese beiden Raumschiffe in dem Sektor befanden. Die HORNISSE konnte also auf den Schutz ihrer Schirme verzichten. Der Sternentramp zog sich in seine Kabine zurück. Sollte es einen wichtigen Zwischenfall geben, würde er sehr schnell aufgeweckt werden. * Planet Sechs, von den Besatzungsmitgliedern der HORNISSE »Wolkenwelt« genannt, schien alle Raumfahrer mit seiner Schönheit überzeugen und anlocken zu wollen. »Durchaus überzeugend!« Colemayn lag entspannt in einem der riesigen Thater-Sessel und ließ die Bilder an sich vorübergleiten. Die ersten Eindrücke – unzählige schimmernde Perlmuttwolken – hatten dieser normalgroßen Welt diesen Namen gegeben. Unentwegt wurden neue Informationen gesammelt und verarbeitet. Das Raumschiff der Fremden bewegte sich genau über der gegenüberliegenden Hemisphäre im gleichen Orbit und in derselben Geschwindigkeit. Eine Beobachtungssonde zog ihre Kreise um das Schiff, zwei andere glitten in Bodennähe über die abwechslungsreiche Landschaft Wolkenwelts.
»Ich weiß noch immer nicht«, ließ sich Shah Run Tai vernehmen, »was für mich bemerkenswerter ist. Dieses skurrile Schiff oder der Planet? Beides kann sich sehen lassen.« »Beim Hyperwurm«, staunte Colemayn voller Zufriedenheit. »Du sagst es!« Bisher waren an der Planetenoberfläche weder Bauwerke noch andere Zeichen einer technisch hochstehenden Besiedlung zu erkennen gewesen. Das Interesse der Raumfahrer gehörte weitaus mehr der Konstruktion des fremden Schiffes aus Alkordoom. Eine riesige Anlage aus Vierkantröhren bildete mehrere ungleich große Kastenelemente, die ineinander übergingen und erstaunliche Winkel bildeten. Mit Auslegern, metallenen Klauen und Krallen, miteinander verbunden durch Schläuche und Trossen, befanden sich mindestens hundert kleine Raumschiffe. Sie hatten die unterschiedlichsten Formen und Größen. In sich schien dieses Sammel-Schiff stabil zu sein, und an den Enden der gesamten Konstruktion entdeckten die Raumfahrer wuchtige Zellen, die wie Transitionstriebwerke wirkten. »Und was halten wir davon?« erkundigte sich Colemayn. »Eine ganz besondere Art, das All zu bereisen! Augenscheinlich eine Interessengemeinschaft.« »Die Idee hat immerhin etwas für sich«, brummte ein Thater. Das fremde Schiff drehte sich langsam um eine Längsachse. Sonnenlicht und Schatten ließen glänzende Farben und metallische Effekte hervortreten. Hin und wieder bewegten sich, durch lange dünne Taue gesichert, humanoid wirkende Gestalten zwischen den einzelnen Elementen hin und her. Noch hatte man das Ausklinken oder Ausschleusen eines Beiboots nicht sehen können. »Wir halten, über das bizarre Aussehen hinaus«, erklärte der Sternentramp eine Stunde später, »sehr viel von dieser Idee. Sie zeigt uns, daß es höchst verschiedene Arten gibt, durch das Universum zu reisen. Hier fanden sich vermutlich viele einzelne Interessenten zusammen und rüsteten für ihre Expedition dieses Trägergestell. Ich finde sie einfach großartig, ohne sie zu kennen.« »Es sind wohl Zweibeiner!« meinte der Vermes herablassend und machte mit den dreifingrigen Händen verächtlich wirkende Bewegungen. »Tut mit leid!« erwiderte Colemayn, kichernd und voll falschem Bedauern. Meere und Inseln in allen Formen und Größen, Wellen und Brandung, die über weiße Strände spülte, dichte Wälder und Savannen… Bild um Bild wechselte, und jeder Eindruck schien schöner als der vorhergegangene zu sein. Pyong berührte ein Schaltfeld, speicherte einige Bildsequenzen und meinte: »Wir könnten landen und Spazierengehen. Ein Planet, wie er schöner und gesünder nicht sein könnte.« Colemayns Blick irrte ab und heftete sich auf den Monitor. Dann rief er scharf: »Halt! Bringt die Sonde in einen Kreis. Ich habe etwas entdeckt!« Sekunden später murmelte er: »Oder glaube wenigstens, etwas gesehen zu haben.« Der Sternentramp hatte nur aus dem Augenwinkel eine Unregelmäßigkeit erkannt. Was er für einen Sekundenbruchteil – vielleicht! – gesehen hatte, paßte nicht in die Landschaft von Wolkenwelt. Der Jukter, der die Fernsteuerung kontrollierte, änderte den Kurs und ließ die optische Sonde langsamer werden und tiefer sinken. »Höchlichst clever!« bemerkte Gardeyl. Er grinste Colemayn an. »Eine Spezialität meines raschen Blicks aus treuen Augen«, bestätigte Colemayn sachlich.
Die Sonde war über eine riesige Felsnase aus schwarzem Stein mit grauem Geäder hinweggerast, wendete jetzt in einer engen Kurve und kam wieder auf die Klippe zu, die sich über einem riesigen Berghang erhob. Unzählige Bäume, helles Gestein, eine Vielzahl breiter Wasserläufe, die über die Klippen fielen, einige fliegende Tiere, die wie schwebende Saurier aussahen – und darüber, aus dem Fels herausgeschnitten, ein Gesicht. Eine erste Schätzung ergab, daß dieses exotische Antlitz mindestens sechzig Meter hoch sein mußte. »Mein Gesicht ist es jedenfalls nicht«, knurrte Colemayn. »Leider.« »Vielleicht an einer schöneren Stelle von Wolkenwelt. Um die anderen Raumfahrer zu vertreiben!« sagte der Wurm, der sich ebenfalls in einem Thater-Sessel halb zusammengeringelt hatte. Das Riesengesicht trug weder Colemayns Züge noch diejenigen eines anderen Wesens oder einer Rasse, die er kannte. Es war ein zeitloses, fast mystisches Gesicht, traurig und mit leerem Blick, mit einer seltsam geformten Nase. Es hätte das Vorderteil eines Roboterkopfs sein können, mit leicht eingefallenen Wangen, einem sarkastischen, schmalen Mund und dem Ausdruck von Abgeklärtheit. So schien dieser Koloß über den ’Wald und die Wasserfalle hinweg bis zum blau schimmernden, leicht nebligen Gebirgszug zu starren und auf etwas zu warten. Bestimmt nicht gerade auf mich, dachte sich Colemayn und war nach den wenigen Eindrücken sicher, etwas aus der grauen Vorzeit Alkordooms vor sich im holografischen Schirmbild zu haben. »Freunde«, sagte der Kommandant laut, »das scheint die eigentliche Überraschung zu sein. Dieser schöne Kopf ist sicherlich nicht auf das Kunstverständnis einer Facette, der Steppenpiraten oder des Erleuchteten zurückzuführen.« »Ein Geheimnis aus der Vorzeit Alkordooms?« fragte Sharfedt aufgeregt. »Eines von vielen.« Das Ziel der HORNISSE war nicht, den Planeten zu kolonisieren. Diese Welt nicht, und auch keine andere. Es genügte ihnen allen, mitzuerleben, was sie vermutet hatten und zunächst nicht hatten glauben können. Die Sonde raste weiter, denn sämtliche Ansichten des uralten Felskopfes waren gespeichert. Die fremden Raumfahrer beobachteten und sondierten den Planeten noch intensiver und länger als Colemayns Crew. Jede weitere Information, die den Bordrechner erreichte, bestätigte die ersten Analysen: Der Planet Wolkenwelt mit seinen Monden war unbesiedelt, und es gab keine Eingeborenen. »Hervorragend!« schloß Colemayn seine Anstrengungen und Überlegungen ab. »Nun wenden wir uns den Kollegen auf der anderen Hemisphäre zu. Die Zukunft von Wolkenwelt scheint gesichert, und, wie üblich, scheint die Gegenwart auch hier viele Wurzeln in der Vergangenheit zu haben.« »Hurga!« pflichtete ihm Shah Run Tai zu. * Zehn Minuten später gab es die nächste Überraschung. Scheinbar völlig wahllos lösten sich nacheinander aus dem Gerüst einzelne Schiffe. Es schienen die größten und am besten ausgerüsteten zu sein. Paarweise drifteten sie mit vorsichtigen Schüben ihrer Düsen aus dem Verband heraus, entfernten sich aus dem Orbit und schossen dann, in kleineren und größeren Gruppen, in unterschiedliche Richtungen davon. Gardeyl verarbeitete die Analysen, projizierte mehrere blinkende Linien auf den Ortungsmonitor und nickte zufrieden.
»Wie ich es vermutete«, sagte er und riß grinsend sein mächtiges Gebiß auseinander, »sie besuchen die anderen Planeten, die ihnen interessant vorkommen.« »Der größte Teil aber bleibt hier. Wir warten, bis sie landen«, meinte Colemayn und rieb seine Falkennase zwischen den Fingern. »Verstanden.« Die Crew der HORNISSE hatte verantwortungsbewußt und gründlich untersucht, was ihr nachforschenswert erschienen war. Colemayn hatte nie daran gedacht, in der ehemaligen Sonnensteppe allzu systematisch vorzugehen. Ihm genügten die zufälligen Überraschungen, auf die er während des Fluges in den Nukleus stieß. Mit dem aktuellen Geschehen, auf dessen Spuren er sich befand, hatten das Gargantua-System und die fremden Raumfahrer offensichtlich nichts zu tun. Er würde mit ihnen sprechen und herausfinden müssen, ob sie sich bewußt waren, daß sie einen Planeten betraten, der ungewisse Verbindungen mit der fernen Vergangenheit besaß. Noch einmal spielte sich Colemayn die Einzelheiten des Beobachtungsflugs der Planetensonde vor. Die Oberfläche des riesigen Felsens schien für eine kleine Ewigkeit bearbeitet worden zu sein. Der dunkle Stein schimmerte an den meisten Stellen, als wäre er nach dem Meißeln oder Ausbrennen verglast worden. Dennoch gab es Risse und Spalten, in denen kleine Pflanzen Halt gefunden hatten. Das Gesicht war uralt; mehrere Jahrtausende, schätzte der Sonnenreisende. Älter als der Erleuchtete? fragte er sich. Er kramte in seinen Erinnerungen, aber er fand die Ähnlichkeit nicht, die er suchte. Noch’ immer suchten die fremden Raumfahrer nach einem Landeplatz. So schien es dem Sternentramp. Er überließ die Verantwortung über die HORNISSE den Thatern und Shah Run Tai und zog sich zu einem kurzen Schlaf zurück in die Stille seiner Kabine.
3. Spätestens jetzt wünschte sich Colemayn, einen Ikuser-Mechaniker mitgenommen zu haben, wenn schon Geselle nicht mehr an Bord war. Zusammen mit Pyong arbeitete der Sternentramp an der Innenversorgung der Sonde. »Hältst du diese Idee für so hervorragend?« fragte der Jukter. Sie saßen einander an einer halbrobotischen Werkbank gegenüber. »Nicht gerade das«, gab Colemayn bereitwillig zu. »Aber man sollte unbedingt dieses GargantuaPlanetensystem zu einem kosmischen Knotenpunkt machen.« »Die Neuankömmlinge werden sich mit den Erstsiedlern streiten!« warnte er. »Das ist eine Gefahr!« sagte Colemayn und setzte die Kassette ein. Sie enthielt nichts anderes als eine Positionsbestimmung und einige Sätze in Alkordisch. »Und…?« Vor dem Einschlafen hatte Colemayn über sein Vorhaben gründlich nachgedacht. Schließlich stand sein Entschluß fest. Für die Galaxis Alkordoom war es wichtig, daß sich Siedler auf den GargantuaPlaneten niederließen, daß sich Handelsposten oder Raumhäfen gründeten und irgendwann einen kosmischen Knotenpunkt ergaben. »Diese Sonde«, erklärte Colemayn und testete die Energieversorgung des doppelt kopfgroßen Geräts, »wird erst nach einiger Zeit zu senden anfangen. Die Sprüche werden in großen Abständen gesendet. Und nach einigen Jahren hört auch der letzte Hyperfunkspruch auf.« »Hyperfunkspruch? Das setzt voraus, daß nur solche Raumfahrer hier auftauchen, die über große technische Erfahrung verfügen.« Colemayn nickte. »Das waren meine Überlegungen zu diesem Thema. Wer weiß? Möglicherweise irre ich mich. Aber dieses Risiko müssen die Raumfahrer der Galaxis auf sich nehmen. Anders wird es nie gelingen, diese Kugelschale auf die Dauer zu besiedeln.« »Der Sternentramp und Sonnenreisende als Vater des Universums?« fragte der Jukter in gutmütigem Spott. Das pygmäenhafte Wesen legte sorgfältig die Werkzeuge zur Seite. »Eine Rolle, die du genießt!« »Man tut, was man kann«, brummte Colemayn nicht unzufrieden und spannte die Sonde in ein Gerät ein, das sie schloß und sämtliche Nähte versiegelte. Die HORNISSE-Mannschaft wartete voller Spannung, bis auch das letzte der vielen Raumschiffe gelandet war. Einige Wetten waren abgeschlossen worden. Der Vermes wettete, daß jenes riesige Gestell aus Triebwerken, Steuerkanzel und Metallrahmen zurückfliegen und keinesfalls auf dem Planeten landen würde. Die meisten Thater waren sicher, daß die Raumfahrer das Gestell landen und auseinandernehmen würden, um Konstruktionsmaterial zu haben. Colemayn saß wieder im Zentrum aller Pulte, Terminals und Bildschirme und ließ seine Blicke von einem Bild zum anderen gehen. »Ich denke, ich verliere, Superwurm-Pilger«, meinte er nach einer Viertelstunde. »Die Raumfahrer sind wirklich klug und geschickt.« Das leere Gerüst beschleunigte aus dem Orbit hinaus, wurde zusehends schneller, und aus den
Triebwerken Schossen langgezogene graue Rauchwolken, die immer dünner wurden, je tiefer in die Dunkelheit das seltsame Raumschiff vorstieß. Das Echo auf dem Ortungsschirm blinkte, wurde kleiner und entfernte sich von Wolkenwelt. »Sechs Schichten lang die Kanäle der Luftversorgung innen polieren!« rief Sharfedt dröhnend. »Wette verloren! Verdammt!« »Die Zweibeinigen fliegen nach Hause und holen Nachschub!« meinte der Vermes. »Ich gewinne jede Wette!« »Genau so ist es!« Colemayn lachte und sagte sich, daß wohl kein erfahrener Raumfahrer einen besseren Landeplatz hätte finden können. Die Schiffe – inzwischen hatte die HORNISSE-Crew sie zählen können – waren in einem Dreiviertelkreis am Rand einer annähernd runden Savanne gelandet und hatten sich aufgestellt wie ein Zaun aus Metall. Die meisten waren auf Heckflossen oder langen, glänzenden Landestützen aufgesetzt worden; ein Drittel lag auf Kufen und ausgeklappten Auslegern. Es waren siebenundneunzig Schiffe unterschiedlicher Größe. Dreiundzwanzig Einheiten waren zu den anderen Planeten unterwegs: hundertzwanzig Raumschiffe hatten das Gargantua-System erreicht. Andere würden kommen; höchstwahrscheinlich wieder am Gerüst festgeklammert. Die Savanne grenzte an einen breiten Strom. Zum Meer mit seinen Sandstränden hin dehnte sich ein üppiges Delta aus. Stromschnellen waren zu sehen, es gab einige bewaldete Hügel, eine Felsbarriere und ringsherum riesige Wälder, über denen noch immer aufgeregt die Vogelschwärme kreisten. »Was die Kameraden dort unten noch nicht wissen«, erklärte der Thater von seinen Ortungsgeräten her, »daß sie in unmittelbarer Nähe reicher Rohstofflager gelandet sind.« »Glück hat auf die Dauer«, wandte der Sternentramp ein, »nur der Tüchtige. Und tüchtig sind sie, ohne Zweifel.« »Wann besuchen wir sie?« »Eigentlich gibt es keinen Grund, nicht gleich loszufliegen«, sagte der Kommandant. Von Anfang an hatte Colemayns Crew versucht, die Unterhaltungen zwischen den vielen Schiffen abzuhören. Die Raumfahrer sprachen Alkordisch mit einem zischenden Akzent. Bis jetzt hatten Colemayn und seine Leute vieles gehört, das mit dem Vorhaben und der Landung zu tun hatte, aber nichts Wesentliches – Herkunft, Ziel und darüber hinausgehende Überlegungen waren in den letzten zweieinhalb Bordtagen nicht diskutiert worden. So konnten sie auch sicher sein, daß die HORNISSE bislang unsichtbar geblieben war. »Du gibst die Kommandos, Kommandant!« bestimmte Vandresh. »Meinst du, daß sie auch dieses… Riesengesicht gefunden haben?« Colemayn deutete auf die Speicherelemente des Bordrechners. »Wir haben nicht ein Wort darüber gehört. Nein, würde ich sagen. Aber es dauert sicher nicht lange, und sie entdecken den Felsenschädel.« »Also, dann bringen wir den Höflichkeitsbesuch hinter uns«, entschloß sich der Sternentramp. »Schalte auf ihren Kommunikationskanal, Pyong, und bereite sie auf unser Erscheinen vor. Wir landen auf der Savanne, klar?« »Selbstverständlich.« Die HORNISSE verließ ihre Position, die Schutzschirme wurden aktiviert und auf halbe Leistung gefahren. Langsam glitt das Schiff tiefer, tauchte in die dichteren Schichten der Atmosphäre und schob sich durch eine Kette schneeweißer Wolken, kippte in eine weite Kurve und flog weit über den schier endlosen Ozean hinaus. Dann näherte sie sich, während sämtliche eingeschalteten Funkgeräte der alkordischen Raumfahrer die kurze Ansprache des Jukters wiedergaben, langsam
und im Sinkflug dem Flußdelta und der Savanne. Sämtliche Landescheinwerfer blinkten aufgeregt. Sonnenglanz und weiße Wolkenschatten spiegelten sich in der blasigen Außenschicht des Schutzschirmes. Lange akustische Signale hallten über die kleine Ebene und scheuchten aus dem Wald wieder Vogelschwärme auf. Die fremden Raumfahrer, von denen kaum einer mehr den Raumanzug trug, waren mit ersten Entladearbeiten beschäftigt. Zelte und kubische Unterkünfte aus Fertigteilen wurden aufgestellt. Überall stapelten sich Ballen, Kisten und Tonnen. Es waren Tausende mittelgroßer AlkordoomPlanetarier, die plötzlich in den Himmel starrten, das Schiff entdeckten und zu winken anfingen. Einige Gruppen rannten vom Mittelpunkt der Savanne auf deren Ränder zu und auf die Schiffe und die wenigen Fahrzeuge oder Gleiter, die im braunen Gras standen. »Vorsicht!« mahnte Colemayn. »Zerquetscht unsere neuen Freunde nicht.« Er biß eine kleine Menge seines gefürchteten Kautabaks ab und schob den Rest in die Brusttasche zurück. Die HORNISSE landete und wirbelte eine Staubwolke auf. Als eine leichte Erschütterung durch die rund-wulstige Konstruktion ging, die mit ihren hundertzwanzig Metern das längste und größte Schiff auf dem Platz war, schaffte es einer der Kommandanten, den Bildkanal des Schiffes zu aktivieren. Die Lautsprecher knisterten. Ein offensichtlich männliches Wesen mit kantigem Schädel und zwei großen, aus goldenen Kreisen zusammengesetzten Augen und einer Vogelschnabel-Nase hob in einem zweidimensionalen Bild den Arm. Sechs Finger, die nur aus Knochen, Horn, Muskeln und glänzender Haut bestanden, bewegten sich in kompliziert erscheinenden Bewegungen. »Wir begrüßen euch, Fremde. Danke für euren Funkspruch. Wir kommen alle von Dhomsart, aus dem Kharghor-System.« »Mir unbekannt«, antwortete Colemayn und stellte sich vor die Aufnahmelinsen. »Wir statten euch nur einen kleinen Besuch ab. Keine Geschütze. Wir sind allesamt Pilger zum Renatal-Planeten des Hyperwurms. Unser Schifflein, die MÜCKE, wird gleich seine Schleuse öffnen.« »Abermals willkommen. Einen herrlichen Planeten haben wir gefunden, nicht wahr. Ich bin Vorübergehender Koordinator Atelseyx Pharr.« »Colemayn, genannt der Sternenreisende. Ich komme hinaus«, entgegnete der Kommandant. Atelseyx winkte mit beiden Händen. Die Raumfahrer starrten einander unverhohlen an. Schließlich gab Colemayn Befehl, die Schutzschirme zu desaktivieren und die Schleuse zu öffnen. Von allen Seiten kamen die Dhomsarter herbeigerannt und schwebten oder fuhren herbei; in Pilotenkabinen und auf Ladenflächen hockten ganze Trauben von Raumfahrern. »Ihr seht es wieder klar, die Raumfahrt, die ist wunderbar«, erklärte der Sternentramp fröhlich, schob nach kurzer Überlegung trotz aller Freundlichkeit seine Waffe in den Gürtel und nickte seinen Freunden zu. »Tun wir also der Höflichkeit im All Genüge.« Ohne Eile verließen sie die Schleuse. Mittlerweile wurde ein Teil der Tanks entlüftet, Frischluft wurde angesaugt, verdichtet und gespeichert. Nach der künstlichen Beleuchtung innerhalb der HORNISSE blendete die Sonne eines späten Morgens. Die kühle Luft roch ausgezeichnet, ein wenig salzig und nach feuchtem Wald. Atelseyx sprang aus der Kabine eines Gleiters und rannte auf die Rampe zu. Die Dhomsarter waren breitschultrig, gewandt und etwa eineinhalb Meter groß. Ein breiter Pelzkamm reichte von der Mitte der Schädeldecke bis zwischen die Schultergelenke, und jeder schien eine andere Kleidungskombination zu bevorzugen. Colemayn sah keine einzige Waffe und schämte sich sofort seines Mißtrauens.
»Wir haben euch gesehen«, erklärte der Sternentramp und fiel, ohne daran zu denken, wieder in die Rolle des genügsamen und unendlich ausgeglichenen Fachmanns für zwischenplanetarische Beziehungen. Er verströmte Herzlichkeit und vermied so den letzten Hauch von möglicher Bedrohung durch das riesige Schiff. Die Dhomsarter begrüßten die Fremden, indem sie die Handflächen gegeneinander preßten; bei den Thatern und vor allem bei Shah Run Tai gab es artbedingte Schwierigkeiten. Trotzdem blieb der Evroner wachsam, strich über sein borstiges Haupthaar und zwinkerte mit blauen Augen. Bald hatten sich zahllose Gruppen gebildet. Neben Atelseyx Pharr setzte er sich auf einen modernden Baumstamm. »Ihr wollt hier siedeln?« fragte er. »Unter anderem auch wegen des Bevölkerungsdrucks. Das Hauptproblem ist Rohstoffbedarf.« »Ihr werdet hier handeln und Besucher empfangen?« »Nichts lieber als das. Uns gehört der Planet.« »Wir nannten ihm ›Wolkenwelt‹, und wir befinden uns auf dem Flug in den Nukleus.« »Wir nicht. Wir holen neue Schiffe, Ausrüstung und viele Leute. Fachleute für unsere Kolonie. Eine herrliche Welt!« »Aber ihr hättet nichts dagegen, wenn eine andere Rasse käme und den einen oder anderen Planeten besiedeln würde?« »Das entscheiden wir, wenn die Kommandos von den anderen Planeten der ökologischen Zone zurück sind und wir die Forschungsergebnisse ausgewertet haben.« »Sehr klug. In den Bergen dort drüben«, meinte Colemayn wie nebenbei, »befinden sich alle möglichen Metalle, Steine und so fort. Grabt ein wenig, und bald seid ihr reich.« Colemayn spuckte zielsicher einen langen Strahl Kautabak nach einem Insekt, das an seiner Stiefelspitze zu knabbern begann. »Das wißt ihr schon?« »Ja. Vielleicht kommen wir auf dem Rückweg wieder vorbei und legen uns für ein paar Tage an den Strand.« »Die Einladung gilt!« Thater und Jukter führten die Raumfahrer aus dem Karghor-Sonnensystem durch die HORNISSE. Vandresh ließ sich die Koordinaten geben und komplettierte seine Sternkarten von Alkordoom mit weiteren, interessanten Einzelheiten. Twardjy Pyong revanchierte sich mit Bildern und planetaren Koordinaten des steinernen Riesenkopfs. Unzählige Fachgespräche wurden geführt. Beschränkt wurde der Versuch, irgendwelche Andenken oder Gegenstände zu tauschen, durch deren Unentbehrlichkeit. Nach einigen Stunden, in denen Colemayn mit dem Koordinator auf Zeit in der Navigationszentrale ein langes, wichtiges Gespräch führte, rief der Kommandant seine Leute mit der Schiffssirene zusammen – sie waren ebenso interessiert an den Raumschiffen der Dhomsarter wie diese an der HORNISSE. »Wir ziehen weiter«, sagte der Kommandant und hoffte, daß er sämtliche Armbandkommunikatoren mit dem Schiffsgerät erreichte. »Sammeln, Freunde, und an eure Plätze! Das süße Leben ist vorbei…« »Keine Sorge. Wir kommen schon!« Es dauerte lange, bis sämtliche Besatzungsmitglieder an Bord waren und ihre Plätze eingenommen hatten. Alle Kolonisten von Wolkenwelt sahen zu, wie die HORNISSE fast lautlos startete, in die Richtung des offenen Meeres schwebte und dann, stark beschleunigend, als aufblitzender Punkt
zwischen den weißen Wolken verschwand. So schnell wie möglich wurde das Ziel programmiert. Es lag nahe der durch die Sternkarten definierten Grenze zwischen Sonnensteppe und Nukleus; aus einem Grund, den er selbst sich nicht erklären konnte, bestimmte der Kommandant den Eintrittspunkt nach Verlassen der Linearetappe neu. Er lag eine Handvoll Lichtjahre vor jener schemenhaften und, wie sie alle dachten, bedeutungslosen Grenze. Die HORNISSE glitt in die nächste Etappe des langen Fluges.
4. Am letzten Tag des elften Monats, Bordrechnung der HORNISSE, im Jahr 3820 (private Chronologie von Atlan und Colemayn/Fartuloon) erreichte das Raumschiff den programmierten Punkt nahe dem Zentrum von Alkordoom. Der Sternentramp saß schweigend da, stützte sein Kinn in beide Handflächen und vertiefte sich in die farbig schillernde Darstellung der Sternkarte-Projektion. Die HORNISSE sicherte sich durch die Schutzschirme. Fieberhaft arbeiteten sämtliche Ortungssysteme. Aufmerksam studierten der Pilot und der Kommandant sämtliche Informationen und verglichen sie mit der Wirklichkeit; jede Minute mehr lieferte zusätzliche Bilder und Daten von Sonnen und Konstellationen. Gierig sogen sich die Speicher des Kursrechners voll. »Das alles ist für einen alten Mann außerordentlich verwirrend und viel zu bunt«, brummte er und zog die runden Schultern hoch. Er wirkte in diesem Moment stark bucklig. Er drehte unkonzentriert an der roten Quaste der Mütze und vergaß, auf seinem Tabak zu kauen. Der absolute Mittelpunkt der Kugelgalaxis war nach allen Berechnungen vierzehntausend und eine Handvoll Lichtjahre entfernt. Er lag versteckt und unsichtbar hinter unendlich vielen Sonnen und Filamente hinter Nestern strahlender Sterne und Schleiern aus interstellarer Materie. Am Rand der Darstellung glühte der galaktische Jet des Kopfstrahls, und der Ursprungsort war für die Ortung der HORNISSE kaum sichtbar. Gardeyl meldete sich kurz und sagte ungewohnt leise und konzentriert: »Notruf und Echo, Kommandant.« »Ein reichlich unruhige Gegend«, bemerkte der Sternentramp. »Eigentlich erwarten wir in diesem Gebiet praktisch keinerlei bewohnte Welten.« »Aber wir sind noch nicht jenseits der Grenze«, antwortete bedächtig ein Thater. »Kurs auf dieses Signal. Mit aller Vorsicht«, wies Colemayn den Piloten an und nahm seine Blicke nicht von dem vielfarbigen Gewirr der Projektion. Mehr und mehr Bereiche, die bisher leer gewesen waren, füllten sich mit Lichtpünktchen. Jedes davon bedeutete einen Stern; in den meisten Fällen fehlten noch sämtliche Charakteristika der betreffenden Sonne. Colemayn sagte sich: Wenn es trotz aller Gerüchte, halben Wahrheiten, der Erfahrung und der wenigen geschichtlich korrekten Informationen innerhalb dieser Kugel von achtundzwanzigtausend Lichtjahren Durchmesser dennoch besiedelte Welten geben sollte, dann waren sie vor langer Zeit durch das Juwel oder den Erleuchteten verschleppt und angesiedelt worden – oder es handelte sich um wenige besonders Wagemutige wie Atelseyx und seine Leute, die sich hierher gewagt hatten. Der Sternentramp hob den Kopf und fragte mürrisch: »Wie weit sind wir von diesem angeblichen Havaristen entfernt?« »Zweieinhalb Lichtjahre.« »Und sonst?« »Eine auffallende weiße Sonne, zwei Lichtjahre entfernt. Beides in direkter Linie, Chef.« »Linearetappe!« »Dachte ich mir.« Die Konzentriertheit aller Raumfahrer in der Navigationszentrale erforderte knappe Kommandos. Während des zurückliegenden Fluges hatte Colemayn sich im System der Trainings- und
Erholungslandschaft im Zentrum des Schiffes mit seinem Körper und dessen Leistungsfähigkeit beschäftigt. Er schwamm, ließ sich bräunen, rannte wie ein Besessener über die schmalen Wege und gab blumenreiche Reden von sich, wenn ihn jemand auf dieses ungewohnte Treiben ansprach. Was immer die buntgemischte Crew erwartete (der Sternentramp sprach von den sturmumtosten und sonnenflirrenden Geheimnissen des Kerns aller Kerne!), er war körperlich dafür gerüstet, sagte er. Und geistig ebenso, dachte er. Die HORNISSE führte eine Linearetappe durch, erschien wieder im dreidimensionalen Raum und schwebte in eine Umgebung hinein, die sich kaum sichtbar verändert zu haben schien. Nur die angesprochene Sonne war größer und strahlender. »Wir haben ein klares Echo im Sektor…«, erklärte Sharfedt halblaut und nannte die Koordinaten. »Ein Raumschiff. Alkordisch. Der Spruch lautet…« Wer uns hört: helft uns. Hier Schiff AUFSPÜRER. Wir treiben hilflos im Raum. Sämtliche Transitionsanlagen ausgebrannt. Wir driften. »Es dürfte wohl, überaus geschätzte Freunde«, Colemayn war bemüht, durch entsprechende Wortwahl die potentielle Gefährlichkeit herunterzuspielen, »für uns ein leichtes sein, diese Schiffbrüchigen zu bergen. Ich meine allerdings, daß wir bis zuletzt so tun sollten, als wäre dies eine Falle, speziell für uns aufgeklappt. Muß ich noch mehr über die Risiken unseres Fluges sagen?« »Wir sind natürlich alle deiner Meinung, Kommandant«, gab der Pilot zur Antwort und grinste kühl. »Oder hast du etwas anderes gedacht?« »Lichtjahreweit bin ich davon entfernt. Ohne Scherz – wir segeln tatsächlich durch gefährliche Zonen.« Die HORNISSE jagte mit fünfundsiebzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf die Sonne zu. Dieser Kurs führte nur scheinbar zum gelbweißen Stern, denn davor befand sich das Echo des Havaristen. »Gibt es neue Erkenntnisse?« erkundigte sich Colemayn nach mehr als dreißig Minuten. »Sie senden noch immer den gleichen Notruf. Ich kann keinerlei einschlägige Energieemission anmessen. Vermutlich sind ihre Triebwerke tatsächlich durchgeschmort.« »Man wird sehen.« Die Ortung präzisierte ihre Messungen einige Minuten später. Das havarierte Raumschiff befand sich hundertzehn Lichttage von der Sonne entfernt und driftete vergleichsweise langsam vom Zentrum dieses Systems weg, in Richtung auf den Nukleus. Auf Umwegen näherte sich die HORNISSE dem fremden Raumschiff. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug zu orten, auch keinerlei andere Aktivitäten, die für Colemayns Crew gefährlich werden konnten. Colemayns Mißtrauen schwand, aber er war noch lange nicht überzeugt. Die HORNISSE flog eine Reihe ablenkender Manöver, näherte sich dem winzigen Schiff, lauschte und ortete, aber je mehr Zeit verging, desto sicherer war es, daß die AUFSPÜRER tatsächlich in Raumnot geraten war. »Ich meine, wir sollten die Qual der Kollegen beenden. Oder hat einer von euch einen ernsthaften Einwand dagegen?« erkundigte sich der Sternentramp, nachdem er selbst alle Ortungsergebnisse überprüft und immer wieder der aufgeregt-monotonen Stimme des Funkers gelauscht hatte. »Kein ernsthafter Einwand, Kommandant«, kam es vom Pilotenpult. »Dann, o dunkelhäutiger Thater mit dem schimmernden Gebiß, gut um Nüsse zu knacken und Zahnstocher zu zerkauen, bewege dieses schöne Schiff zum Havaristen und erscheine ihm als blinkende Fügung des schwer ergründlichen Schicksals.« »Colemayn, der Schrecken der Asteroiden und der Retter der Schiffbrüchigen!«
»Und in Bälde, dünkt mir«, antwortete er gutgelaunt, »der Held des Nukleus.« Die HORNISSE war während des Anflugs immer langsamer geworden. Jetzt flog sie direkt auf den Havaristen zu; ausgerechnet jetzt fiel dem Sternentramp seine Sonde ein, die er auf Planet dreißig deponiert und aktiviert hatte. Sie würde in drei Jahren zum erstenmal senden und, möglicherweise, den Siedlern auf Wolkenwelt einige interessante Begegnungen anderer raumfahrender Konkurrenten bescheren. Er unterdrückte ein nervöses Gelächter und studierte die ersten, nicht sehr deutlichen Vergrößerungen der Nahortungsschirme. Das antriebslose Schiff bestand im wesentlichen aus einem etwa siebzig Meter langen Zylinder, der in eine elegante Spitze auslief, mehr als ein Dutzend verschieden großer Dreiecksflossen trug, und sowohl im Heck als auch an den Enden von vier Flossen torpedoförmige Transitionstriebwerke aufwies. Ein archaisches Modell, sozusagen. Dutzende von hell leuchtenden Bullaugen, blinkende Landescheinwerfer und vier kreisende, farbig markierte Lichter, die einige Lichtminuten weit zu sehen waren, zeigten mehr von der Hilflosigkeit der Raumfahrer als alles andere. »In Ordnung«, bequemte sich Colemayn zu sagen. »Retten wir sie! Sagt ihnen, daß sie in besten Händen sind.« »Möchtest du selbst deine zwei Hände anlegen?« fragte der Vermes anzüglich. »Nein. Ich trage schwer genug an der Verantwortung«, gab Colemayn zur Antwort. Der Funker der HORNISSE meldete sich und strahlte einen beruhigenden Funkspruch ab. Scheinwerfer schalteten sich ein, aber noch immer standen die Schirmfelder. Im schattenreichen Licht erkannten die Frauen und Männer der HORNISSE-Crew die Brandspuren und das ausgeglühte Metall der Antriebselemente. Bildschirme wurden aktiviert und zeigten den Blick in die Zentrale des Schiffes AUFSPÜRER. Auf den ersten Blick schien es, als würden die Raumfahrer in ein Gewächshaus hineinsehen. Erst langsam erfaßten sie, daß sie Lebewesen sahen, die zwischen zwei und eineinhalb Metern groß waren, einen langen Schlangenhals besaßen und an deren Ende eine im rechten Winkel abstehende Kopfscheibe von etwa Wappenschild-Aussehen, mit sechzehn senkrechten und unterschiedlich breiten Schlitzen darin, gekrönt von einem geschwungenen, halb gerollten Ding, das wie ein wippender dünner Kaktustrieb aussah. Dort, wo der lange Hals in einen flaschen- oder beutelförmigen Körper überging, kamen zwei biegsame Arme mit Händen hervor. Die Farbe der Haut, ein unterschiedlich dunkles Grün, erinnerte ebenso wie die Oberfläche an große, prall gefüllte Blätter. »Immerhin«, flüsterte der Thater im Pilotensessel, »ein apartes Aussehen.« »Leider mit einem Nachteil behaftet«, entgegnete Colemayn. »Niemand sieht, ob die Freunde die Wahrheit sagen. Sie schämen sich vermutlich, denn die Kopfscheiben sind rot…« Grellrot waren die dicken Scheiben, und als aus den Lautsprechern der HORNISSE die ersten Antworten kamen, stellte sich heraus, daß die Sprache der Raumfahrer nahe der Ultraschallgrenze arbeitete; ein zischendes Wispern, schrill und schwer verständlich, erfüllte die Navigationszentrale. »Ich schalte einen Filter. Immerhin sprechen sie alkordisch«, bemerkte ein Jukter. »Sollen wir euch abschleppen?« »Wir sind syphonische Raumfahrer. Alle unsere Triebwerke sind nach der ersten Überschreitung durchgebrannt. Seht ihr die Sonne? Das ist Jeetz. Dorther’ kommen wir. Unsere Planeten werden euch mit Ehrungen und nährstoffreichem Humus überschütten, wenn ihr uns helft.« Gardeyl übernahm die Probleme der Unterhaltung. »Wir packen euer Schiff mit einem Traktorstrahl. Wir schleppen euch zu eurer Basis zurück. Macht euch bereit und erschreckt nicht.«
»Dank! Was können wir tun?« »Arbeitet eure Innenversorgung zuverlässig?« »Einwandfrei.« »Dann wartet und erschreckt nicht.« Das weitere Vorgehen war mehr oder weniger Routine. Die Schutzschirme wurden ausgeschaltet, zwei Projektoren klappten aus und zogen mit den Traktorstrahlen das einfache Schiffchen dicht an die HORNISSE heran. Zwischen den beiden Zentralen wurden Positions- und Entfernungsangaben ausgetauscht und Fragen beantwortet. Schiff und Antrieb der Syphonen – die Mannschaft bestand aus annähernd gleichen Teilen aus weiblichen und männlichen Raumfahrern – waren simpel und unrationell: so ähnlich sah ein Schiff aus, das das nächste Glied nach dem Antrieb aus chemischen Treibstoffen bildete. Shah Run Tai prägte den Ausdruck »handgeschmiedet« und lag damit wahrscheinlich gar nicht so falsch. Die HORNISSE drehte vorsichtig in einer weiten Kurve, programmierte das Ziel und entschloß sich, auf einem der beiden bewohnten Planeten der weißgelben Sonne zu landen, auf Neosyphon. »Prallvolle Nahrungstaschen!« jubelte der Kommandant. Er wurde Moi Rispersh Har genannt. »Ihr habt uns gerettet! Wir werden euch mit Chlorophyll tränken. Euer Schiff ist, wenn ich richtig sehe und denke, ein wahres Wunderwerk.« Beide Schiffe, unsichtbar aneinander gefesselt, führten eine Linearetappe durch. Die HORNISSE wurde schwer erschüttert, aber das war die einzige Folge dieses Unternehmens. Wenige Lichtminuten vor Neosyphon raste sie in den Weltraum hinaus und bremste vorsichtig ab. Tatsächlich! dachte Colemayn voller Erleichterung. Keine Falle! Während seine Crew mustergültig arbeitete, versuchte er, vom Aussehen der Syphonen auf ihren Metabolismus und ihre Wesensart zu schließen. Die Weibchen waren offensichtlich zwei Handbreit größer als die Männchen. Flaschengrün, moosgrün und grellrot waren, abgesehen vom lachsroten »Einhorn« über der Kopfscheibe, die vorherrschenden Farben. Muskulöse Arme endeten in achtfingrigen Greifpfoten mit scharf aussehenden Nägeln. Zwei Beine besorgten in Verbindung mit einem Steuerschwanz die hüpfende Fortbewegung; der Vergleich von überfetteten grünen Känguruhs drängte sich für Colemayn auf. Nicht dicker als einen Zentimeter war die Kopfscheibe, und im fünf Zentimeter dünnen Hals schien die Sprechmembran zu sein. Das Sehvermögen schien ausgezeichnet zu sein, und alles in allem, dachte der Sternentramp, waren die Syphonen Lebewesen zwischen Tier und Pflanze. »Könnt ihr mit eigener Kraft landen?« erkundigte sich der Pilot, als das Gespann langsam tiefer sank und sich den dichteren Luftschichten näherte. »Wir haben alle Systeme überprüft. Es müßte zu schaffen sein.« Vandresh entschloß sich in dem Augenblick, als die Bremstriebwerke des kleinen Schiffes gezündet wurden und lange Flammen ausstießen. »Wir fliegen dicht über euch und fangen die AUFSPÜRER ab, wenn’s sein muß.« »Danke, Raumfahrer! Unser zweiter Flug war es, und unsere erste Rettung!« Colemayn versuchte sich vorzustellen, wie diese Wesen zwischen Pflanzen und ortsunabhängigem Lebewesen aßen, wie sie wohnten, und auf welche Weise sie mit der Natur ihrer Welt verbunden waren. Er seufzte tief. »Erfahrungen, meine lieben unerfahrenen Freunde, Erfahrungen also sind die Summe der Dummheiten, die man machen durfte, ohne sich den Hals zu brechen.« »Und davon scheinst ausgerechnet du, beim Galaktischen Rätselwurm, die meisten zu haben?« erkundigte sich Shah Run Tai in deutlichem Spott.
»Nicht wenige«, versicherte der Sternentramp. »Und bald kommt eine weitere hinzu.« Die AUFSPÜRER setzte ihre Triebwerke in langen Schüben ein. Flammen und riesige schwarze Rauchwolken schlugen und brodelten nach schräg unten und verdunkelten das Bild. Wachsam schwebte die HORNISSE über dem taumelnden Raumschiff. Mittlerweile wußten die Mannschaften auf dem Raumhafen Neosyphons, daß die AUFSPÜRER gerettet worden war und eine Notlandung einleitete. Die Daten über den Planeten, der unter Wolkenwirbeln im Licht der Sonne Jeetz deutlicher wurde, stimmten mit jenen überein, die von den grünhäutigen Raumfahrern stammten. Der Anteil des Kohlendioxyd in der Lufthülle war um einen unbedeutenden Betrag größer; jeder aus der HORNISSE-Crew würde das Luftgemisch einwandfrei vertragen. »Stärker bewaldet als Wolkenwelt«, stellte Pyong nach einigen Minuten fest. »Das war eigentlich zu erwarten, nach allem, was wir über die Syphonen wissen.« »Viel ist es indessen noch nicht.« »Mehr erfahren wir nach der Landung.« Das Schiff der Syphonen schaffte die Landung zwar aus eigener Kraft, aber wenig elegant. Es setzte in einer gewaltigen Rauchwolke hart auf und kippte beinahe um. Als die HORNISSE in einer engen Kurve über dem langgestreckten Raumhafen zu kreisen begann, rasten Hilfsmannschaften aus den vielen Gebäuden heraus und auf den Havaristen zu. Schon der erste Rundblick dicht über dem Boden zeigte Colemayn und seiner Crew, daß zumindest der Planet Neosyphon eine Welt der Pflanzen war, der Feuchtigkeit und des Chlorophylls. »Es dürfte für uns alle von gewaltigem Interesse sein«, stellte der Kommandant unwidersprochen fest, »von einem Volk am Hand des Nukleus alles zu erfahren, was wir wissen müssen, bevor wir uns ins Zentrum hineinwagen.« Er hob die Schultern und murmelte: »Oder zumindest vieles.« Noch ein halbes Dutzend ähnlich aussehender Raumschiffe stand am Rand des Raumhafens. Nur zwei davon schienen fertig zu sein. Die anderen befanden sich inmitten eines Gewirrs aus Gerüsten und Montagekränen. Unweit einer Halle, neben der sich ein schlanker Turm aus Rohrelementen hochreckte, landete die HORNISSE. »Hört zu«, erklärte der Kommandant über sämtliche Bordsysteme. »Wir sind Gäste auf Neosyphon, wenn auch mit dem Vorteil dessen, der ununterbrochen Raumfahrer rettet. Unser Ziel ist, mit den Leuten gut auszukommen und viele Antworten auf viele Fragen zu bekommen. Natürlich müssen wir deswegen nicht gerade Moos oder goldgelbe Blütenblätter essen. Bitte, verhaltet euch entsprechend.« »Dieser Zweibeiner«, führte der Vermes in großer Herzlichkeit aus, »tut so, als hätten wir eben erst auf dieser Lustbarke angemustert.« »Sicher ist sicher«, gab Colemayn zurück. Nochmals waren sämtliche Tests wiederholt worden. Nach aller denkbaren Erfahrung würde der Aufenthalt problemlos sein. Die Schleusenportale öffneten sich, und die Crew ging hinaus zu den vielen hundert Neosyphonen, die voller Neugierde mit hüpfenden Schritten herangekommen waren und das Raumschiff in einem dichten Kreis umstanden. Als letzter kam Colemayn aus dem Schiff, lächelte ein wenig einfältig, zwinkerte nach links und rechts und war sich bewußt, daß die Syphonen seine guten Absichten nicht zu würdigen wußten: sie kannten ihn noch nicht.
»Ich beabsichtige das bald zu ändern«, flüsterte er und kaute zufrieden an seinem Tabak. * Neosyphon war der dritte, Pseudosyphon der vierte Planet der Jeetz-Sonne. Die Syphonen sagten, sie wären eines der Völker, die es zurück in den Nukleus drängte. Aber über die anderen Völker wußten sie wenig oder nichts. Sie kannten nur die Nachrichten, die sie mit den wenigen veralteten Hyperfunkanlagen empfangen konnten. Das erste Bündel Informationen, das den Sternentramp wirklich überraschte, bestand im Kern aus folgenden erstaunlichen Feststellungen: Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, ob es nun der Terror durch die Facetten oder durch den Erleuchteten gewesen war oder damit zusammenhängende Vorfälle, waren an beiden Syphon-Welten und deren Bewohnern spurlos vorübergegangen. Sie waren von diesen Ereignissen niemals direkt betroffen gewesen. Was sie wußten, kam aus den anonymen interstellaren Quellen des Hyperfunks und einigen zufälligen Schiffsbegegnungen in den ersten Tagen ihres Raumflugs. »Kennt ihr das Innere des Nukleus?« fragte Colemayn halblaut. »Natürlich aus unseren langen Beobachtungen. Zuerst durch die Teleskope, dann aus dem freien Raum, aus unseren Schiffen.« »Wie weit seid ihr dort eingedrungen?« Moi Rispersh Har hatte sich jede Einzelheit der HORNISSE-Einrichtung zeigen lassen. Er war begeistert, denn für jeden syphonischen Raumfahrer galt diese Höhe der Technik als ein Sprung von zwei Potenzen – von ihrem Status aus gesehen. »Die Stelle, an der ihr uns gerettet habt«, bekannte er, »war der weiteste Vorstoß.« »Auch nicht gerade sehr weit«, meinte Colemayn ein wenig enttäuscht. Er trug seinen Bordoverall, sein Gegenüber, der den schweren Unterkörper mit dem langen, muskulösen Schwanz ausbalancierte und stützte, hing über einem Jukter-Sitz. Die Sehlinsen des Syphonen – sie arbeiteten auch im ultravioletten Bereich und vermochten polarisiertes Licht wahrzunehmen – waren wie breite Schlitze, die sich mit der Vorderseite der Kopfplatte immer wieder auf die »modernen« Geräte richteten, die nichts anderes waren als eine technische Fortentwicklung jener, die auch in Schiffen wie der AUFSPÜRER installiert waren. »Auch über die WELT DES EWIGEN LEBENS wissen wir nichts. Wir haben nie etwas von dieser Legende gehört«, beantwortete der Syphone bereitwillig. »Und, soviel ich weiß, ist auch noch nie ein Syphone entführt worden. Auch nicht von Pseudosyphon.« Augen, die beispielsweise die Sonne auch bei wolkenbedecktem Himmel zu sehen vermochten, überlegte der Sternentramp, waren mit Sicherheit ein kennzeichnendes Relikt der syphonischen Evolution. »Die Antworten, die ich bekomme«, sagte er und schaltete den Speicher ab, »gefallen mir nicht recht.« »Fruchtbarer Humus! Warum nicht? Alles ist wahr!« »Gerade deshalb«, meinte Colemayn und blickte auf den geschlossenen Schlitz der Nahrungstasche. Sie war hinter dem großen transparenten Fenster der Kleidung deutlich sichtbar. Die Nahrungstasche enthielt eine Art künstlichen Dünger, eben jenen Humus, der dort vom Körper des Syphonen ausgelaugt wurde. »Wir waren sicher, daß die Syphonen alles wissen. Und daß sie sozusagen an der vordersten Front stehen.«
Die geringelte Kopfschnecke des Syphonen pendelte hin und her. Aus der Sprechmembran wisperte Moi Rispersh. »Ich wünschte, ich könnte euch helfen. Warum wollt ihr dorthin?« Er deutete in irgendeine Richtung. »Wir sind einem furchtbaren Verbrechen auf der Spur. Es betrifft das gesamte Leben in der Galaxis. Galaxis Alkordoom… ein bekannter Begriff?« Mit wenigen Sätzen umriß Moi Rispersh das Weltbild der Syphonen, und Colemayn sah ein, daß er hier keinerlei Aufklärungsarbeit zu leisten hatte. Er murmelte unschlüssig und stellte schließlich eine Frage ganz anderer Natur. »Die Gegenwart ist nebelverhangen, wie immer. Wie steht es mit Sagen und Legenden? Habt ihr viele Märchen?« »Unzählige. Eines, das jedes heranwuchernde Kind liebt, ist das vom Baum und der hurtigen Echse.« »Ich fürchte, daß wir daran nicht gerade brennend interessiert sind«, bemerkte Colemayn bitter. »Meinst du, daß wir auf Pseudosyphon mehr erfahren?« »Das ist ausgeschlossen. Zwar sind sich beide Planeten, was Raumfahrt und Ziele betrifft, nicht gerade sehr einig. Technische Eifersucht, weißt du? Könnt ihr uns helfen?« »Wobei? Bei der Eroberung des Nukleus?« »Bei den Voraussetzungen dazu!« »Man wird sehen.« »Unser Ehrgeiz«, erklärte der Kommandant der unglücklichen AUFSPÜRER plötzlich, »ist weitaus größer als die technischen Möglichkeiten. Wir sind eigentlich nicht zur Raumfahrt geschaffen. Zu allen Lebensprozessen brauchen wir das Sonnenlicht. Der Energievorrat in den Schiffen geht für Solarlampen drauf.« »Assimilation«, sagte Colemayn. »Euer Volk ist aus ortsfesten Pflanzen entstanden, nicht wahr?« »Wir atmen nachts Sauerstoff und wandeln tagsüber Kohlendioxyd um. Wir ernähren uns von Humus, den es in zahllosen Varianten gibt. Notfalls aber leben wir von jeder Sorte Erdreich, und dort, wohin wir fliegen, gibt es zumindest exotische Erden.« »Darauf könntest du wetten«, gab Colemayn zu. »Wieviel Planeten hat das System eurer schönen Sonne?« »Acht.« »Es ist unwahrscheinlich«, bohrte Colemayn weiter, »daß ihr Planetarier gleichzeitig auf zwei Planeten herangewachsen seid. Möglich ist zwar alles im Universum, aber ich vermag es mir nicht vorzustellen. Alle kosmische Wahrscheinlichkeit spricht dagegen.« »Du hast an Sagen gedacht? Eine ganz alte Sage erzahlt, daß wir vor undenklichen Zeiten ein einziges Volk auf einer einzigen Welt waren.« »Aha.« »Und, aber das vermögen nicht einmal unsere Forscher und Wissenschaftler mehr nachzukontrollieren – die Legende spricht davon, daß wir aus dem Kern des Nukleus stammen.« »Soso.« Zum erstenmal seit langer Zeit fühlte der Sternentramp, daß er auf einer wirklich heißen Fährte war. Er stand auf, spuckte den Tabaksaft in den Abfallkonverter, holte sich einen Becher Saft aus dem Halbautomaten und ließ sich in den riesigen Sessel fallen. Er wartete geduldig, bis eine Gruppe
Syphonen unter der Führung eines Thaters die Navigationszentrale wieder verlassen hatte, dann deutete er auf die Kopfscheibe des Grünhäutigen und bat: »Erzähle. Ich werde hin und wieder Fragen stellen; lasse dich nicht verwirren.« »Was soll ich erzählen?« Der Raumfahrer merkte, daß sich Colemayns lakonische Art in tiefen Ernst verwandelt hatte. Einerseits bewunderte er ohnehin seine Retter mindestens ebenso wie deren hochtechnische Ausrüstung und dieses gigantische Schiff voller wunderbarer Geräte. Andererseits schätzte er, daß dieser welk aussehende Alte eine Erfahrung besaß, die weit über seine eigene hinausging. »Frühtau netze deine Haut«, schweifte Colemayn aus. »Du sollst die alten Sagen berichten, und wenn du dann auch noch sagen kannst, was an der einen oder anderen Sage geschichtlich möglicherweise richtig und belegbar ist, werde ich deinen Humus würzen.« »Also… wo soll ich am besten anfangen…?« begann der Syphone, dann entsann er sich und erzählte. Colemayn drückte die Taste des Aufnahmegeräts. * Beiden Teilvölkern waren bestimmte Legenden gemeinsam: einst zählte die Sonne Jeetz zum Bereich der Sonnensteppe. Etwa ein Lichtjahr betrug der Abstand zur Grenze, wie sie früher einmal definiert gewesen war. Als ein Volk wuchsen die Syphonen auf einer wunderschönen, Pflanzenreichen Welt heran, deren Sonne ebenso wie bestimmte kosmische Strahlung für eine Kette von Mutationen sorgte. Die Loslösung einer besonders »intelligenten« Urpflanze aus dem Boden war der Beginn der Evolution. Noch fernere Geschlechter sollten angeblich an den Zehen ihrer muskulösen Wurzelbeine feines Wurzelgeflecht gehabt haben, das immer rudimentärer wurde und irgendwann verkümmerte. Natürlich hatte die Herkunft aus der Flora den Wortschatz geprägt: vom heilenden Regen bis zum Dünger, vom Morgentau bis zum Herbst oder den Frühlingskindern der zweigeschlechtlichen Wesen wiesen unzählige Ausrufe und Wortspiele auf diesen Evolutionsbeginn hin. Rund fünfundvierzig Jahrhunderte sollte schon der Aufenthalt des gespaltenen Volkes auf Neosyphon und Pseudosyphon dauern. Die Legenden schilderten Kämpfe und eine Umsiedlung gewaltigen Ausmaßes, während der auch unzählige Erinnerungen dieser Rasse verlorengegangen waren. »Du mußt wissen, daß jedes Syphonengeschlecht eine andere Variante kennt. Es ranken sich zahllose Sagen um diesen Exodus.« »Wer hat diese Umsiedlung in die Wege geleitet? Weiß man etwas darüber?« fragte Colemayn, der im Augenblick winzige Mosaiksteinchen zusammenzusetzen versuchte. »Die Strahlend Gloriose Blüte«, lautete die Antwort. »Eine Göttin von dämonischer Macht, unter deren sengenden Blicken alle Vegetation verdorrte!« »Ich verstehe«, entgegnete Colemayn. Er verstand indessen noch lange nicht genug. »Es gibt ein langes Gedicht, Ode der Waldblätter, genannt, das vielleicht für dich von Wichtigkeit ist. Einst sollten wir – also unsere fernen Sporen, Keime und Zellen – in Versuchung geführt werden. Die Weltraumfahrt mit solchen Schiffen wie deinem sollte uns geschenkt werden. Wir waren zu gierig und verloren die Kenntnisse. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, aus diesem epochalen Werk die Wahrheit herauszufinden. Es umfaßt elftausend Strophen, jede länger als ein reifer
Binsenhalm.« Colemayn nickte und dachte an die zahlreichen Akte der Versuchung, die er in seinem langen Leben schon hatte über sich ergehen lassen müssen. »Wenn wir der Versuchung widerstehen«, führte er melancholisch aus, »dann gewöhnlich deswegen, weil die Versuchung schwach ist. Nicht, weil wir stark sind.« Ehrfürchtig und schrill wisperte der Raumschiffer: »Du bist wahrlich ein Baum an Gelehrsamkeit, Colemayn.« »In der letzten Zeit kribbelt es in meinen Wurzeln.« Der Sternentramp grinste. »Und meine Blätter werden in demselben Maß gelb und golden, wie die wenigen Früchte dorren und verhornen.« »Der Weg aller Gewächse«, bestätigte Moi Rispersh sachlich.
5. Vandresh drehte sich halb herum, stieß ein dröhnendes Gelächter aus und schob den Fahrthebel weiter vor. »Das ist die wahre, erlebnisdichte Raumfahrt, Freunde!« sagte er. In der Steuerkanzel der SCHLUPFWESPE hallte das mächtige Organ wider. »Unmittelbar im Weltraum! Keine sinnverwirrende Technik. Und der Zielplanet liegt voraus.« »Das hoffe ich stark, Steuermann«, entgegnete Colemayn. Er räkelte sich im Sessel hinter dem Thater. Canhoy Marrt, ein Jukter, saß zwischen den Syphonen und warf immer wieder ängstliche Blicke nach seiner Ausrüstung. »Einst sollen auch wir solche Schiffe gehabt haben!« wisperte Moi Rispersh. »Und solche Beiboote.« Eines der diskusförmigen Beiboote der HORNISSE war von Neosyphon gestartet und befand sich auf dem Flug zum Nachbarplaneten. Für Colemayns Team war es geradezu eine Vergnügungsreise. Sie befanden sich auf den Spuren der Legende: Nas Binsthey, ein uralter Syphone, schien der einzige Planetarier zu sein, der die Ode der Waldblätter vollständig kannte. Er hatte schon lange einen Regierungsauftrag, sämtliche Zeilen und Reime niederzuschreiben, damit dieses geschichtliche Gut nicht verlorenging. Überdies wartete eine vielwipflige Regierungsdelegation auf die Fremden – Neid und fieberhafte Überlegungen beherrschten die Pseudosyphonen, seit sie über Raumfunk erfahren hatten, daß Colemayns Mannschaft begonnen hatte, zwei Schiffe umzubauen oder besser: mit Hilfe von tausenden Arbeitern und Zulieferern zu richtigen Raumschiffen durchzukonstruieren. Genau dasselbe wollten die Verantwortlichen des Nachbarplaneten auch! »Nun habt ihr auch ganz schöne Schiffe«, tröstete ihn der Sternentramp. »Nicht zu vergleichen mit der SCHLUPFWESPE und der HORNISSE.« »Das ist richtig.« Seit vier Jahren etwa bestand wieder ein enger Kontakt zwischen den zwei bewohnten Jeetz-Welten. Abgesehen von auseinandergedrifteten Ansichten und Gesellschaftsmodellen, was völlig verständlich war, gab es unter allen Syphonen eine gemeinsame Idee, förmlich einen Zwang: Sie wollten die wahre, wirkliche Urheimat finden und dorthin zurückkehren. Diesem Vorhaben ordneten beide Planeten nicht alle Überlegungen, aber die meisten davon, unter. »Bisher vergaß ich zu fragen«, unterbrach der Sternentramp eine halbe Stunde später die Syphonen, die tief versunken in den Anblick der Sterne, der Steuerung und des näherkommenden Planeten waren, »ob in den Sagen, Legenden und poetischen Werken etwas darauf hinweist, daß die Syphonen früher Kontakt mit anderen Sternenvölkern, Raumfahrern oder dergleichen hatten?« »Nichts ist erwähnt. Aber all diese Dämonen, Halbgötter, Wesen der Flora und Fauna, die so ganz anders aussahen wie wir – es muß sich um andere Völker gehandelt haben«, erwiderte der Kapitän. »Also eine deutliche Wahrscheinlichkeit für planetare und stellare Kontakte!« stellte der Thater ruhig fest. »So scheint es. Aber wir fanden auf zwei Planeten keinen einzigen Beweis dafür!« beharrte der Grünhäutige, der seinen Körper unter einem meist transparenten Raumanzug nur wenig verbarg. »Beweise!« Colemayn kratzte an seinem stacheligen Kinn. »Wenn das Universum aus Beweisen bestünde, wäre es schon längst in einem Schwarzen Loch verschwunden oder auseinandergefallen.«
Bei aller Mitteilungswilligkeit der Syphonen ( er hatte es vom Raumhafenmechaniker aufwärts bis zur Planetaren Regierung mit vielen Syphonen zu tun gehabt! ) blieb der Sternentramp mißtrauisch. Er fühlte und ahnte – ohne Beweise dafür zu haben –, daß man den Fremden wesentliche Dinge verschwieg. Es gab keine Zensur; äußerten sie den Wunsch, ein Erzbergwerk, eine Werft oder die Großküche einer positronischen Fertigungsanlage zu besichtigen, zeigte man ihnen rückhaltslos alles. Aber hin und wieder, wenn die Vergangenheit hinterfragt wurde, stießen Colemayns Fragesteller auf Schweigen oder Ausweichen. Kommt Zeit, sagte der Sternenreisende, kommt Aufklärung, und Gevatter Zufall ist einer meiner emsigsten Verbündeten! Er blickte durch die große, transparente Frontscheibe des Diskus und sah, wieder einmal, wie der Planet vor ihnen größer wurde. Aus einem Lichtreflex war ein zweidimensionales, später kugelförmiges Objekt geworden, das jetzt zur Hälfte im Sonnenlicht glänzte. Der andere SyphonenPlanet sah aus dieser Entfernung genauso aus wie der eine – und bis zur Landung, mutmaßte der Sternentramp, würde sich daran nichts ändern. Mittlerweile begann er Geselle, seinen robotischen Sohn, ernsthaft zu vermissen. Sie ergänzten einander trefflich, und da sie lange Zeit und viele Gelegenheiten gehabt hatten, sich aneinander zu gewöhnen, bedeutete der Robot für ihn so etwas wie eine Familie, die er niemals besessen hatte. Konnte man Familien »besitzen«? Colemayn wußte es bestenfalls aus theoretischer Sicht und rief sich zur Ordnung: er hatte in Wirklichkeit keine Ahnung. Er schwieg eine Weile, hörte den Gesprächen der anderen zu und versuchte sich auf neue Eindrücke vorzubereiten. »Dieser halb abgestorbene, verwelkte Rezitator Binsthey – was bedeutet er euch?« erkundigte er sich schließlich. »Viel.« »Wieviel?« beharrte er. »Sehr viel«, entgegnete der Syphonen-Kapitän. »Er ist so etwas wie der letzte Zeuge. In ihm münden unzählige Wurzeln. Er ist Stamm und Rinde der Vergangenheit. Er ist über jeden Herbst erhaben. Sein Humus ist gewürzt von unendlich vielen Spurenelementen. In den Ästen seiner Gedanken nisten die Vögel der Weisheit. Was du von uns nicht erfahren hast, wirst du nirgendwo erfahren – außer bei Nas Binsthey. Und bald modert sein Stamm. Noch kurze Zeit, und das letzte Chlorophyll ist aus ihm entgast!« Colemayn blickte seinem besten Gesprächspartner in die Augen, was einigermaßen schwierig war, weil er eine Vielzahl senkrechter Sehzellen-Schlitze anstarren mußte und außer einem leichten Kräuseln der roten Kopfplatte keine Reaktion bemerken konnte. »Eure Sprache ist bilderreich«, sagte er. »Mir wirft man immer vor, ich würde eine blumenreiche Rede führen. Weit gefehlt! Blüten, Blätter und Jahreszeiten sind eure verbale Spezialität.« Moi Rispersh bog seinen langen, dünnen Hals bis fast auf die Instrumente vor dem Piloten hinunter, richtete dann den Blick seiner vielen Sehzellen auf die riesige Halbkugel und wisperte: »Zwar verwenden wir Treibstoff-Triebwerke, um uns gegenseitig besuchen zu können, aber sonst sind wir durchaus in der Lage, uns im Wettstreit anderer Raumfahrer zu behaupten. Wo ein Wille ist, findet sich irgendwann auch ein Weg – hinein ins Zentrum des Nukleus.« Colemayn dachte lange über diese Ausführungen nach, dann antwortete er durchaus ernsthaft: »Liebster Freund und Humusvertilger! Die Lage ist viel ernster, als deine Blätter, Astknollen und Feinwurzeln ahnen. Es geht nicht um einzelne Planeten, sondern um das Schicksal einer Galaxis. Wir alle sind dabei nur Staubkörchen.
Unser Einfluß ist, machtpolitisch gesehen, geringer als ein Fliegendreck auf einem Blatt. Deswegen müssen wir listenreich vorgehen, gut getarnt und mit äußerster Vorsicht. Das gilt für eure handgeschmiedeten Raumschiffe ebenso wie für die HORNISSE. Wir sitzen in einem Boot, oder wir saugen an einem Halm, wie auch immer. Die Zukunft kann ebenso grauenhaft und verfluchenswert sein wie die Vergangenheit. Über die Zukunft wissen wir alle nichts. Über die Vergangenheit, indessen, weiß ich mehr als ihr. Und wenn ich den Gedicht-Syphonen richtig interpretiere, dann wird er uns allen eine gefährliche, mitunter tödliche, auf jeden Fall höchst spannende Zukunft offenbaren. Säge an deine Wurzeln, Moi!« Moi hörte zu, dachte nach, verstand und antwortete: »Schädlinge an deine Äste, Freund und Fremder. Ich fürchte, du hast wieder einmal recht.« Colemayn zog seine verschwitzte Mütze über die Ohren und brummte: »Leider!« Die Insassen des Beiboots schwiegen und schauten auf die Monitoren und durch die gekrümmten Bullaugen. Sie ließen sich von den Leitstrahlen und den Begrüßungen leiten, fanden nahe des Terminators den Raumhafen und landeten schließlich auf Pseudosyphon. Allein die Namen der zwei Planeten bewiesen, daß die Syphonen aus einem anderen Teil von Alkordoom stammten. Auch diese Lebewesen schienen nichts anderes als Figuren in einem Spiel zu sein, das von weitaus Mächtigeren auf einem Brett gespielt wurde, dessen Ausmaße nicht einmal er erfahrene Colemayn ahnen konnte. * Nas Binsthey war tatsächlich der älteste Syphone auf zwei Planeten, den Colemayn und seine Freunde kannten. Sein Assimilationshöcker war nicht mehr lindgrün wie bei jedem anderen Syphonen, sondern faltig, graugrün und klein. Auch die Haut zeigte das hohe Alter; sie war nicht ledrig und elastisch, sondern rissig und an zahlreichen Stellen spätherbstlich verfärbt. Aus schmalen Sehschlitzen musterte Nas die Fremden. Sein besonderes Interesse galt Shah Run Tai. »Wie weit bist du, Nas, mit der Niederschrift?« erkundigte sich der Regierungsvertreter, der die Besucher hierhergebracht und voller Begeisterung den Flug mit der SCHLUPFWESPE unternommen hatte. »Der ganze Planet wartet auf das Epos!« »Es wird fertig, seid unbesorgt.« Die Stimme des Uralten war kaum zu hören, aber weitaus tiefer als die seiner Artgenossen. Er hauste in einem alleinstehenden Haus am Rand eines Sumpfgebiets. Er saß vor einem riesigen Tisch, auf dem sich Folien türmten. Schreibzeug und ein Schreibgerät mit großen, eckigen Tasten fielen inmitten des Durcheinanders auf. Der Regierungsvertreter versuchte, Nas Binsthey von der Notwendigkeit zu überzeugen, den fremden Raumfahrern alle Legenden aus der Ode der Waldblätter zu schildern – im Gegenzug halfen die neuen Freunde, die Raumschiffe zu verbessern. »Fällt mir nicht schwer, Leute«, wisperte Nas. »Ich tue ja nicht anderes.« Er griff mit zitternden Fingern nach einem Folianten, schlug ihn scheinbar an einer zufälligen Stelle auf und begann zu deklamieren. Es war höllisch schwer für Colemayn, etwas zu verstehen. Er schaltete sicherheitshalber den Translator ein und suchte nach einer Sitzgelegenheit.
Er fand ein Plätzchen auf einem Stapel wuchtiger, in Holz eingebundener Bücher, und lehnte sich an die Wand. Eine halbe Stunde lang hörte er konzentriert zu und versuchte, in dem textgewaltigen Opus bestimmte Stellen, Begriffe und Deutungen herauszuhören. Einige Teile alter Legenden schienen tatsächlich reale geschichtliche Hintergründe zu haben. Zuerst waren in der Welt der Syphonen fremde Wesen aufgetaucht. Die Hinweise auf feurige Himmelswagen, Stahlgeschosse und ähnliche mythologische Erscheinungen bewiesen dies, wenigstens für Colemayn. Zahllos schienen die Rätselwesen zu sein, denen in jedem Fall wunderbare Eigenschaften angedichtet wurden. Der Heimatplanet war nicht ganz im Zentrum des Nukleus gewesen. Im Lauf der Zeit lernten die Syphonen von den fremden Besuchern. Aus kämpferischen Zusammenstößen wurden Freundschaften. Noch eine Bestätigung: die riesige weiße Sonne mit dreizehn herrlichen Welten beherrschte den Himmel der Heimat. Cappafiersehn wurde sie in der alten Dichtung genannt. Erschöpft hörte der alte Syphone auf und schloß und öffnete zwinkernd seine Sehzellenschlitze. »Dort sind Bänder«, sagte er und hob den Arm. »Ich habe sie besprochen, beim milden Abendregen. Hört sie ab. Es ist der Anfang der Ode.« »Und das Ende?« erkundigte sich der Vermes. »Ist in meinen Erinnerungen«, beschied ihn der alte Syphone und krümmte müde seinen Schlangenhals. Colemayn sah eine Weile lang zu, wie seine Begleiter versuchten, möglichst viel des gesprochenen und geschriebenen Textes aus dem Arbeitszimmer Nas Binstheys hinaus und in die Verantwortung der offiziellen Stellen zu schaffen. Nachdem sich die Aufregung gelegt und mehr Zeit vergangen war, wandte sich der Sternentramp wieder an den alten Historiker. »Und wer hat das stolze Volk der raumfahrenden Syphonen von ihrer Heimat nahe dem Mittelpunkt weggebracht?« Nas brauchte nicht lange zu überlegen. »Es gibt vier Legenden. Sie schildern zu verschiedenen Zeiten dasselbe. Ich denke, es handelt sich um ein und dieselbe Sache.« »Wenn du es sagst…« »Ich beschäftige mich schon so lange mit der Ode und tausend anderen Legenden, daß ich jedes Wort kenne. So vieles fügt sich zusammen und ergibt ein neues Bild.« Er machte eine Pause und fuhr dann fort, streng betonte Wörter zu zitieren, in einem seltsamen Versmaß. Aufmerksam hörte Colemayn zu. Vor viertausendfünfhundert Jahren, einige Dutzend mehr oder weniger, hatte eine unbekannte Macht, die vielfältig umschrieben wurde, die Syphonen hierher umgesiedelt. Daraufhin gingen unzählige Kenntnisse verloren. Man vergaß die Raumfahrt, und es gab auch keine fremden Besucher in feurigen Schiffen mehr. Für die Syphonen brach ein schwarzes Zeitalter an. Mitten im nächsten Satz schlief der Alte an seinem Tisch ein. Colemayn seufzte, stand auf und verließ auf Zehenspitzen das Haus. Er ging auf dem Holzsteg über einen Teil des feuchten Untergrunds und lehnte sich neben Shah Run Tai an einen Baumstamm.
»Das wichtigste, das ich aus den letzten zweihundert Strophen herausgehört habe«, meinte er versonnen, »ist die Sage vom untergegangenen Volk der Alkorder.« »Stabile Informationen?« fragte der Vermes skeptisch. »Widersprüchlich und vielfältig. Ein Volk, das aus dem Nukleus stammt, beziehungsweise dort lebte, wie unsere Syphonen. Ein bedeutendes Volk, das so ähnlich geschildert wird, wie ich aussehe.« Der Vermes stieß einen Laut aus, den Colemayn nur als Gelächter deuten konnte. »So wie du? Zweibeinig? Bedeutend? Das muß ein nuklidischer Irrtum sein, eben eine Sage.« Der Sternentramp musterte seinen seltsamen Freund, grinste breit und erwiderte: »Colemayns humorvolle Sternenfahrten! Es ist gut, wenn man seine Freunde kennt.« Shah Run Tai lachte noch immer und freute sich, daß Colemayn auf seine Marotte hereingefallen war. Dann zischelte er: »Alkorder, wie? Wäre eine Erklärung für den Begriff Alkordoom?« »Die Legenden sagen aus, daß es ein wichtiges Volk war. Vielleicht hatten sie ein Team von Vermes-Würmern zu Beratern.« »So wird’s wohl gewesen sein. Hurga!« Nebeneinander gingen sie zum Beiboot, wo sich Colemayn einen Imbiß zubereitete und dann im Kopilotensessel ausstreckte. Er beabsichtigte, einige Stunden zu schlafen. * Die folgenden zwei Tage ließen dem Sternentramp wenig Zeit zu ruhigen Überlegungen. Die Pseudosyphonen, seine gegenwärtigen Gastgeber also, hatten einen kleinen Vorsprung der Technik herausgearbeitet: von ihnen stammten die Transitionstriebwerke der Raumschiffe. Die Schiffe selbst waren zuerst auf Neosyphon »wiedererfunden« worden; mit chemischen Treibstoffen hatten die Neosyphonen die ersten Schiffe durch das All geschickt, als die ersten Kontakte zwischen beiden Welten ein bestimmtes Stadium erreicht hatten. Immer wieder suchte Colemayn den Alten auf und stellte seine Fragen. Über die Alkorder erfuhr er nichts anderes mehr, als er schon kannte. Auch, früher hatte es wohl fremde Raumfahrer gegeben, die mit Kenntnissen, Bauplänen und tätiger Mithilfe den Syphonen geholfen hatten – wohl vor viereinhalb Jahrtausenden. Jetzt arbeiteten beide Planeten zusammen, was den beabsichtigten Vorstoß in den Nukleus, also in ihre alte Heimat, betraf. Auch die Pseudosyphonen baten Colemayns Freunde, ihnen zu helfen. Ihre Schiffe standen bereits auf dem Raumhafen Neosyphons. Aber stets, wenn Colemayn bei offiziellen Anlässen nach wirklichen Informationen über die Vergangenheit fragte, erhielt er ausweichende Antworten oder stieß auf Schweigen. In den neueren Teilen der Legenden, die Nas Binsthey zitierte, glaubte er die Erklärung zu finden: Die zwangsweise Umsiedlung war der größte Schock der Syphonen gewesen. Eine leicht erklärliche Reaktion. Fremde waren dafür verantwortlich. Auch Colemayns Crew waren Fremde; Mißtrauen herrschte auch hier, Tradition tat ein Übriges – also blieb die alte Heimat ein tabuisiertes Thema den Fremden gegenüber, allen Fremden, auch solchen, die beim Aufbau einer Expedition zu den Wurzeln mithalf.
Der Sternentramp arrangierte seinen Aufenthalt so, daß ihn Sharfedt wegen eines dringenden Problems anfunkte und seine Rückkehr erbat. Einen halben Tag später startete die SCHLUPFWESPE in Richtung Neosyphon.
6. Die beiden »modernsten« Schiffe waren ausgesucht worden. Noch bevor sie fertig waren, taufte man sie feierlich: SUCHER hieß das Schiff der Pseudosyphonen, FINDER nannten die Neosyphonen ihr Fluggerät. »Ich halte eure Versuche für reichlich kühn und gewagt«, äußerte sich der Sternentramp. »Eine wurzellose Idee.« »Wir müssen die alte Heimat wiederfinden«, beharrte Moi Rispersh. »Und in diesem Punkt sind alle Syphonen hundertprozentig einer Auffassung.« »Trotzdem!« antwortete Colemayn. »Wir tun, was wir können.« »Ihr seid Humus und Regen, Sonnenlicht und Blattgrün gleichzeitig«, lobte der Kommandant der FINDER. »Und arbeitsam wie die Waldameisen.« Das traf zu. Die HORNISSE-Mannschaft war überall dort zu treffen, wo es Probleme gab. Sie berechneten die Vorräte für die jeweils fünfzehnköpfige Mannschaft, Wasservorrat und die Aufbereitungsanlagen, und zahllose Änderungen waren ihnen zu verdanken. Die Jukter verbesserten, zum Teil in den Werkstätten der HORNISSE und mit deren Werkzeugen und Bauteilen, die Geräte der beiden Raumschiffe. Leitungssysteme wurden optimiert, Gewichtsersparnisse errechnet und durchgesetzt, die Wirkung der Transitionstriebwerke um den Faktor zehn heraufgefahren. »Bald werden wir starten – und diesmal brauchst du uns, denke ich, nicht mehr zu retten, Colemayn. Efeu auf deine Rinde.« »Ich fliege in dieselbe Richtung wie ihr!« gab er zu bedenken. »Aber das All ist so riesengroß!« »Und voller Überraschungen, meist böser«, bekräftige Colemayn. Sein Plan, mit Shah Run Tai und Vandresh abgesprochen, sah eine mehr oder weniger heimliche Verfolgung beider Schiffe vor, zugleich eine Beschützerfunktion für diese zwei Prototypen. »Wenn wir in guter Absicht dorthin fliegen, wird uns niemand das Recht auf eine Expedition nach den Wurzeln unserer Herkunft streitig machen können!« wisperte der Raumfahrer erregt. »Hier! Der Kontrollraum sieht fast wie die Halle der Instrumente auf der HORNISSE aus.« »Fast!« Colemayn beendete den Rundgang durch beide Expeditionsschiffe. Es war nicht gerade eine völlig neue Technik eingebaut worden, aber fast jeder wichtige Gegenstand war verändert und verbessert. Auch die Ortungssysteme und die Wiedergabe der weitaus größeren Bildschirme erreichten eine Höhe der Zuverlässigkeit und Güte, von denen selbst die Colemayn-Mannen verblüfft waren; schließlich trugen meist sie die Verantwortung für veränderte technische Ausführungen. Alles roch nach frischem Lack und nach dem Moos, mit dem die Syphonen ihre schwungvoll geformten Sitze verkleideten und polsterten. Allerdings herrschte in den meisten Räumen das grelle Licht künstlicher kleiner Sonnen; ein Teil des Lebenserhaltungssystems. Die Energieerzeuger, halb aus der HORNISSE-Werkstatt, waren handgefertigt, und zwar von einem Teil der zukünftigen Mannschaft. Die Crew um Colemayn arbeitete begeistert, aber das Heer der syphonischen Spezialisten und, wenn nötig, die Hälfte aller planetaren Fabriken, schufteten wie die Rasenden. Bei den zahllosen langen Kontakten erfuhren die Fremden natürlich viele zusätzliche Einzelheiten
über die Vergangenheit im inneren Bezirk des Nukleus. »Wenn du gestattest, Sproß des Waldbodens«, sagte Colemayn und verabschiedete sich von seinem Kollegen, »gehe ich jetzt in mein Schiff und atme viel Sauerstoff.« »Du meinst, du schläfst lange?« »So kann man es auch ausdrücken«, scherzte der Sternentramp. »Ihr kommt inzwischen ohne meinen Rat aus.« »Ich begleite dich.« Teile der Montagegerüste und Versorgungsplattformen wurden bereits abgebaut. Viele Gruppen von schwarzgekleideten Monteuren schliffen und polierten die Schiffshülle, die im Sonnenlicht unerträglich hell blitzte und funkelte. Einige Zentner Metall würde die Konstruktion nach dieser Behandlung weniger wiegen; ein günstigeres Leistungsgewicht war die Folge. Colemayn verschloß das Schott seiner Kabine, ließ sich Musik einspielen und versuchte, den wirbelnden Reigen von Gedanken zu gliedern und daraus ein Bild zusammenzusetzen, das der Wirklichkeit so gut wie möglich entsprach. Denn nach diesem Bild, dieser Gedanken-Landkarte, würde er navigieren müssen. * Die Bildschirme zeigten den Raumhafen, die zusammengeströmten Massen der Neosyphonen und die hügelige, dicht bewaldete Umgebung, durch die schmale Straßen und eine Röhrenbahn führten. Nach einem warmen Regen hing Dunst über den Baumwipfeln und den endlos vielen Gräsern. Die Luft roch feucht und fruchtbar. Colemayn ließ seine Blicke über das kleine Team gleiten, das sich in der Navigationszentrale zusammengefunden hatte. Das Schott war, was selten vorkam, geschlossen. »Wie wir gehört haben«, erklärte der Kommandant und deutete auf einen Empfänger des Funkpults, »arbeitet unser kleines Gerät zuverlässig. Es wird uns auch über den weiteren Weg der Syphonenschiffe alles Notwendige zuflüstern.« »Hurga! Zweibeiner alle Äonen ein gutes Einfall, ja?« radebrechte Shah Run Tai und gab wieder sein nervtötendes Lachen von sich. »Wir starten kurz vor SUCHER und FINDER«, sprach Colemayn weiter. »Dadurch entgehen wir weihevollen Ansprachen und langen Abschiedsküssen aus fleischfarbenen Kopfscheiben. Ich bin sicher – und von euch weiß ich es auch –, daß die Syphonen sehr wohl ein Ziel haben, wenn sie in den Nukleus eindringen.« »Ihre alte Heimat. Die Sonne mit dem unaussprechlichen Namen«, ergänzte Twardjy Pyong. »So wird’s sein. Wir folgen ihnen, was eine große Menge kleiner Sprünge beziehungsweise Linearetappen erfordern wird. Unbewußt helfen uns die Syphonen, Fakten über den Nukleus aufzuspüren.« »Aber sie zielen nicht auf das absolute Zentrum«, wandte Vandresh ein. »Ist auch gar nicht wichtig. Wir sind absolut frei, sie irgendwann zu verlassen und weiter vorzustoßen.« »Auch richtig. Hurga!« Canhoy Marrt drosselte die Lautstärke, als die Außenmikrophone den Lärm und Beifall nach einer der ersten Abschiedsreden auffingen. Die Syphonen bejubelten jedes Wort, das von dem unbändigen Drang sprach, die alte Heimat wiederfinden zu wollen. Cappafiersehn, die Strahlende. Man würde sie suchen und finden. Nicht enden wollender Beifall!
»Ich habe versucht, so viel von den Legenden und dieser vertrackten Ode zu analysieren. Alles, worüber wir gesprochen haben, Colemayn, wird von unzähligen Stellen belegt.« »Das habe ich nach den ersten Gesängen der Waldblätter geahnt«, bestätigte er. »Wir jedenfalls haben alles getan, um ihnen zu helfen«, meinte Sharfedt. »Fast alle unsere Roboter waren in pausenlosem Einsatz.« »Sie werden es schaffen«, versicherte Gardeyl. »Die Schiffe sind in Ordnung. Solide Handwerkskunst, für grobe Weltraumarbeit, sozusagen.« »Und mit versteckten Nachrichtengeräten der neugierigen Fremden. Einfach schamlos«, keuchte der Vermes. »Der kosmische Zweck heiligt Colemayns Mittel«, schloß der Sternentramp. Die Feiern erreichten einen ersten Höhepunkt. Colemayn wandte sich an Vandresh und nickte entschlossen. »Wir starten!« ordnete er an. »In zehn Minuten abheben und am voraussichtlichen ersten Transitionspunkt in Warteposition gehen.« »Tau auf unsere Blüten«, sagte jemand. Der Kommandant zog ein Mikrophon zu sich heran, schaltete die Außenlautsprecher ein und wartete ab, bis sich zwei Redner gegenseitig abzulösen versuchten. In die Pause hinein sagte er: »Wir ziehen unserer Wege, Freunde von Syphons Doppelwelten!« Die Lautsprecher übertönten das Murmeln zahlreicher Gespräche, und vorübergehend gerieten die Mannschaften der eigenen Schiffe in Vergessenheit. Jedermann blickte auf die HORNISSE. »Danke für die Gastfreundschaft! Meine Mannschaft verabschiedet sich von ihren RaumfahrerKollegen und Freunden. Ich selbst, der Sternentramp Colemayn, verabschiede mich niemals von Freunden, denn irgendwann treffe ich jeden meiner Freunde wieder. Lebt wohl, und mögen alle eure Träume in Erfüllung gehen! Sonnenschein, Superhumus und reichlich Regen!« Er kippte den Schalter, nahm seine gelbe Mütze ab und betrachtete sie traurig. Die HORNISSE schloß die Luken und die Schleuse, schwebte langsam in die Höhe und glitt dann langsam durch den dichten Nebel, dem riesigen weißen Lichtfleck entgegen, der durch den Dunst strahlte. Weit draußen im All, in Richtung auf den Kern des Nukleus, warteten sie auf die Schiffe der Syphonen. * Der Sternentramp lag regungslos in dem Faltsessel, dessen Beine sich tief in den feinen, fast weißen Sand eingegraben hatten. Winzige Lautsprecher in den Rückenteilen gaben leise Musik von sich. Die Füße des Evroners mit der dunkelroten Hautfarbe steckten in der Brandung, die schäumend heranzischte. In den Ästen naher Bäume schaukelten krächzende Vögel mit farbenreichem Gefieder. Colemayn hielt die Augen geschlossen und ließ Sonnenstrahlen und Wärme auf sich einwirken, sog sie förmlich ein. Er ahnte jetzt, wie sich ein Syphone im Sonnenschein nach einem erdreichdurchtränkenden Regenguß fühlte. Es war ein gutes Gefühl. Zwei Meter von ihm entfernt schwebte auf den Antigravpolstern der holografische Bildschirm. Er war mit einer Fernschaltung ausgestattet und zeigte im Augenblick das Bild der Nukleus-Sterne. Auf der anderen Seite des Sessels stand eine Schale. Colemayn öffnete ein Auge, zielte und spuckte den Rest Kautabak genau in die Schale. Dann schloß er das Auge wieder und versuchte, sich völlig zu entspannen. Wenn der Transitionsschock der beiden Schiffe angemessen wurde, weckte ihn der
Alarmruf der Zentrale. »Eigentlich bin ich viel zu selten in dieser famosen Erholungslandschaft unseres braven Schiffleins«, brummelte Colemayn. »Höchst bedauerliche Unterlassung.« Überdies grämte ihn, daß weder Jukter noch Thater das rechte Publikum für seine exzellenten Kochkünste waren, vom Vermes-Wesen, das Eisen auflöste, ganz zu schweigen. Und wie humanoide Frauen aussahen, davon konnte er seit einigen Monaten ohnehin nur träumen. »Versuchungen, Versuchungen – und keine Lösung«, murmelte er und schlief ein. Seine Mütze war in der Robotreinigung. Seine Haut glänzte vom Sonnenöl. Sein Haar war länger gewachsen und zeigte starke Neigung, frisiert werden zu müssen. Eine vorsichtige kosmetische Behandlung im Medozentrum hatte Gesicht und Hals gereinigt, gestrafft und geglättet: statt wie ein Achtzigjähriger sah Colemayn nach eigener Einschätzung wie ein Sechsundsiebzigjähriger aus. Er fühlte sich wie fünfzig. In seinem kurzen, aber heftigen Traum erschienen verzerrte Szenen aus den ersten Etappen im Nukleus: Sterne, Planeten, die SUCHER und die FINDER, wilde Kurven und jähe Kursänderungen, das allmähliche Verschwinden des Jetstrahls hinter Sonnen und interstellarer Materie, die sich entlang unsichtbarer Kraftlinien formte und wand. Nicht eine bewohnte Welt war bisher entdeckt worden. Die Raumfahrer vermuteten, daß einst das Juwel fremde Völker hierher verschleppt hatte. Wenn es sie gab, wenn sie überlebt hatten, dann befanden sich sich nicht auf Planeten entlang der ZickzackTransitionsbahn, die von drei Schiffen abgesucht worden war. Colemayn träumte von dem riesigen Steinkopf auf Wolkenwelt, und für ihn verschoben sich Bedeutungen. Eine Hinterlassenschaft der Alkorder, und als er aus dem Traum erwachte, merkte er sich diese Einzelheit. »Warum eigentlich nicht?« fragte er gähnend. »Immerhin sagen die Legenden, daß dieses Volk humanoid gewesen sein soll. Dazu würde dieser Kopf passen.« Er blickte auf den Bildschirm. Noch waren nicht die Darstellungen der Ortungsmonitoren aufgeschaltet worden. Die Syphonen waren also noch nicht da. Er stand auf, watete langsam in die künstliche Brandung hinein und umschwamm dreimal die künstliche Insel. Insekten, Schmetterlinge und Vögel, keineswegs künstlich, flatterten und summten über ihm. Als er zu den letzten Schwimmstößen ansetzte, schüttelte der programmierte Wind die Zweige eines Baumes und überschüttete Colemayn mit kleinen, gelbschwarzen Blüten. Der Sternentramp liebte solche Gesten über alles. Er watete zu seiner Ausrüstung, nahm das Handtuch und ging durch den knirschenden Sand, dann über den weichen Rasen, in die Duschkabinen. Eine halbe Stunde danach hatte er sich massieren lassen und erschien ausgeruht und in bester Laune in der Navigationszentrale. »Nun?« fragte er in die Runde, die ihn überrascht anstarrte. Das Pflegepräparat der Massageroboter war stark parfümiert gewesen und roch nach exotischen Hölzern. »Laßt euch von meiner Schönheit nicht erschrecken. Bleibt tüchtig. Wo sind unsere chlorophyllhaltigen Freunde?« »Wahrscheinlich haben sie irgendwo Wurzeln geschlagen«, knurrte der Pilot. »Sie kommen irgendwo hier heraus!« tröstete ihn der Thater an der Ortung. Die winzigen Hyperfunkgeräte in den Zentralen der SUCHER und FINDER speicherten Gespräche und Flugkoordinaten, verdichteten sie alle drei Stunden zu einem Kurzimpuls und leerten so die kleinen Speicher. An Bord der HORNISSE wurden die Informationen entzerrt und aufbereitet. Daher wußten Colemayn und seine Crew, was die Syphonen planten, und welches Ziel sie
ansteuerten. »Sie haben die Sonne angepeilt, die gelbe Sonne vor der purpurnen Dunkelwolke.« In vier Lichtstunden Entfernung loderte dieser Stern. Fünf Planeten umkreisten ihn. Die HORNISSE jagte unterlichtschnell auf das Gestirn zu, und diesmal breitete sich in der Zentrale eine gewisse Unruhe aus. Ohne den geringsten Grund vermuteten sie, ein geschichtlich interessantes Gebiet betreten zu haben. »Oder sollten sie vielleicht doch havariert sein?« mutmaßte der Pilot und blickte wieder auf die Ortungsschirme. »Undenkbar!« fuhr Sharfedt auf. »Alle Leitungen und Schaltungen sind mit robotischer Perfektion getestet und überholt worden.« »Das ist auch kein Beweis für absolute Sicherheit«, seufzte Colemayn und dachte an Geselle. Für ihn war er verschollen; dabei zweifelte er nicht eine Sekunde lang, daß sich Geselle hervorragend selbst beschützen konnte. Zwei scharfe, positronisch erzeugte Töne hallten durch den Baum. Auf dem Monitor blinkten kurz nacheinander die klaren Echos der Transitionsschocks auf. Mit beträchtlicher Zuverlässigkeit hatten die Syphonenschiffe das Zielgebiet erreicht. »Sie sind da.« Die Crew der HORNISSE wartete ab. Es gab die Möglichkeit, daß die Syphonen, um die Zielplaneten zu erreichen, erneut eine kurze Transition durchführen wollten. Während die HORNISSE den Kurs beibehielt, zündeten die Triebwerke der beiden Schiffe und zwangen sie mit erhöhter Geschwindigkeit in eine andere Richtung. Das Ziel war zweifellos die Sonne. »Einverstanden«, kommentierte der Sternentramp. »Wir sind ein wenig eher dort und werden vermeiden, uns von ihnen erwischen zu lassen. Klar?« »Genauso machen wir’s.« Von den fünf Welten wiesen zwei in den Systemen der Nahortung jene Werte auf, die vermuten ließen, sie könnten besiedelt sein. Aber es gab keine Anzeichen für Funkverkehr, startende und landende Raumschiffe, keinerlei meßbare Energien auf den Planetenoberflächen oder den wenigen Monden. Die HORNISSE kürzte die Zeit ab, eine winzige Linearetappe wurde ausgeführt, und das Schiff näherte sich dem dritten Planeten des Systems. »Unbewohnt? Aufgegeben? Überreste der Alkorder-Zivilisation?« Colemayn überlegte laut. »Wir werden herausfinden, was es dort ’gibt!« versprach der Ortungsspezialist. Die HORNISSE glitt in einen Orbit. Die Schutzschirme schalteten sich ein, und Colemayn setzte sich neben Sharfedt vor die Monitoren. Was immer sie fanden, würde nicht ausreichen, einen ernsthaften Beweis zu erbringen. Das Raumschiff sank schnell durch die dünne Lufthülle. Nacheinander versuchten die Ortungsanlagen Einzelheiten aufzuspüren: Metallkonzentrationen, farbliche Abweichungen, geometrische Formen. Eine Analyse der Lufthülle ergab, daß sie alt, verzehrt und daher tödlich für jeden an Bord der HORNISSE sein würde. »Aha! Soso!«bemerkte Colemayn vieldeutig und begann, die Abbildungen auf den Monitoren zu studieren. »Gesprächig wie immer«, erwiderte daraufhin der Vermes. »Und was dürfen wir deinen zweisilbigen Kommentaren entnehmen?« »Etliches«, entgegnete der Sternentramp unwirsch und versuchte, die Zeichen auf den Schirmen richtig zu deuten.
Das Raumschiff schwebte auf eine riesige Stadt zu. Je näher sie kamen, desto schärfer erkannten sie, daß es sich um eine gigantische Ansammlung von Ruinen handelte. »Immerhin«, flüsterte Colemayn im Selbstgespräch, »haben hier unzählige Wesen gewohnt.« »Soll ich die Richtung beibehalten?« erkundigte sich der Pilot. »Selbstverständlich!« Das Ruinenfeld war annähernd kreisförmig und breitete sich auf den Resten von einstmals hügeligen Waldzonen aus. Die Baumstümpfe sahen aus, als wären sie versteinert und uralt. Viereinhalb Jahrtausende? mutmaßte der Sternentramp und sah die dunkelgrauen Schleier von Staubwolken, die von einem mittelstarken Wind umhergetrieben wurden. »Wie hoch sind wir, Freunde?« wollte Colemayn wissen. »Viereinhalbtausend Meter – und fallend!« »Bleibe auf diesem Kurs und fliege etliche Kurven über diesem Schutthaufen.« »Verstanden, Kommandant.« Einst war dies eine riesige Stadt gewesen, eingebettet in der abwechslungsreichen Landschaft eines großen, prächtigen Planeten. Die Straßen waren deutlich zu erkennen, obwohl ihre Ränder von Schutt gesäumt und die Spalten im Belag von dürren, häßlichen Pflanzen durchwuchert waren. Einige Türme oder Hochbauten erhoben sich als Skelette aus Metall, deren Zwischenräume von bröckligem Mauerwerk ausgefüllt waren. »Eindeutig sind dies Spuren von einer früheren Zivilisation!« sagte einer der Thater. »Waren es Alkorder?« »Woher, bei allen Rätseln zwischen den zahllosen Sternen«, gab der Evroner zu bedenken, »soll ich das wissen oder auch nur ahnen?« In geringstmöglicher Höhe kreiste die HORNISSE über den Ruinen einer Metropole. Fenster und Türen gab es kaum mehr, aber die Höhe der Öffnungen in den Mauern sagte aus, daß die ehemaligen Bewohner ungefähr zwei Meter groß gewesen sein mußten. Zerstörung und Verfall beherrschten das Bild völlig und erstreckten sich nach allen Seiten. Schweigend starrte der Sternentramp auf diese Bilder des Verfalls. Die Zeit, in der das Ruinenfeld hier eine blühende Stadt inmitten einer fruchtbaren Gegend gewesen war, lag unvorstellbar weit zurück. Die Zahl der Jahre, über die er laut nachgedacht hatte, mochte durchaus richtig sein. »Hier lebt nichts und niemand mehr!« murmelte düster der Pilot. Vandresh steuerte die HORNISSE auf einen riesigen Komplex zu, der einem versunkenen Hafen ähnelte. Die Anlagen waren ebenso zerfallen, und nicht mehr ein Tropfen Wasser befand sich in dem riesigen Becken des ehemaligen Sees oder Meeresteiles. »Sind das die Leute gewesen, von denen der steinerne Kopf stammte?« fragte Shah Run Tai laut, aber er erwartete keine Antwort. »Viel interessanter ist die Frage«, bemerkte der Sternentramp, nachdem das Raumschiff diese Stätte des Zerfalls verlassen und einen Kurs eingeschlagen hatte, der zum Gebirge führte, »ob die Syphonen mit diesen Funden etwas anfangen können. Vielleicht verraten sie es uns!« brummte Colemayn. Auch das Gebirge war von jahrtausendelanger Erosion gezeichnet. Die wenigen -Pflanzen, die noch wuchsen, wirkten struppig und wie erfroren. Die Lufthülle enthielt kaum Spuren von Wasserdampf. »Du meinst, sie wissen, wonach sie suchen?« Colemayn nickte mit Nachdruck. »Und ob. Du brauchst dir nur den Kurs der SUCHER und FINDER anzusehen. Äußerst zielstrebig.
Ich denke, sie bringen uns zu einem interessanten Platz.« Noch bevor die Syphonen ihre Schiffe in die Nähe des Planeten gebracht hatten, befand sich die HORNISSE auf dem Flug zum zweiten Planeten. Auch dieser ausgestorbene Planet, den sie verließen, war ein deutliches Zeichen dafür, daß im Nukleus eine Zivilisation geherrscht hatte, die bisher durchaus einheitliche Charakteristika hatte erkennen lassen. Colemayn rechnete damit, noch mehr solcher Beweise zu finden. Die Technik dieser Wesen hatte einen hohen Standard gehabt. Das Volk aber war, so sah es heute aus, versehwunden. Ausgestorben? Umgesiedelt? Umgebracht? »Wir wissen noch zu wenig, um etwas Genaues sagen zu können«, bemerkte der Sternentramp, als sie durch die dichte Lufthülle auf die Oberfläche des vierten Planeten hinunterschwebten. Die Atmosphäre war intakt. Die Werte ließen erkennen, daß es eine sauerstoffreiche, kühle Welt war, von dunkelgrünen Wäldern überwuchert. Wieder begann die HORNISSE mit der konzentrierten Suche nach Lebewesen oder deren Hinterlassenschaften. Dieser namenlose Planet war von dem Unheil, das seinen Nachbarn im All getroffen hatte, verschont geblieben. Eine breite Schneise erschien auf den Bildschirmen; die Vergrößerungen zeigten, daß es die Überreste einer Straße oder Landebahn war, von Ruinen umgeben und in eine Brücke übergehend. Sie lag in Trümmern in dem Wasser eines reißenden Flusses. »Bis jetzt, Colemayn, konnten wir kein Zeichen von Leben feststellen. Wenn hier Intelligenzen leben, dann befinden sie sich im nachtechnischen Stadium – oder wieder vor Erfindung der Funkwellen.« »Ich habe auch keinen Rauch gesehen«, meinte der Sternentramp. »Kein Hinweis, daß es noch ein paar Überlebende gibt. Ein Rätsel.« Der Erleuchtete oder Vergalo, die Facetten und die Steppenpiraten – sie waren gründlich gewesen. Falls sie diese Entwicklung verschuldet hatten, schwächte Colemayn seine Überlegungen ab. »Sucht weiter!« ordnete er an. Auf dieser Welt konnten die Raumfahrer keine derart riesigen Städte entdecken. Es gab entlang der überwucherten Straßen und an den Küsten sehr viele kleine Siedlungen, ebenso verlassen und zerfallen wie die Stadt; die Wesen, die hier einmal gelebt hatten, schienen Brüder derjenigen des dritten Planeten gewesen zu sein. Am Schluß ihrer Suche, in einer Landschaft, die im Bereich der Abenddämmerung lag, entdeckten die Raumfahrer einen Raumhafen. Ein riesiger Platz, exakt kreisrund, kaum überwuchert und von Ruinen umgeben, in denen die Flora längst ihr Reich wieder zurückerobert hatte. Aus dem Blätterdach ragte der Schaft eines Turmes heraus wie ein zersplitterter Biesenzahn. »Abermals keinerlei Hinweis«, brummte Colemayn. »Was bleibt uns weiter übrig, als den Syphonen zu folgen und dort zu suchen, wo sie sich etwas von ihrer Suche versprechen.« Die HORNISSE zog sich von der Planetenoberfläche zurück, raste in den Weltraum hinaus und auf die Sonne zu. In einem Abstand, der groß genug war, und sie vor den wenig empfindlichen Spürgeräten der Syphonen versteckte, warteten die Insassen der HORNISSE auf die nächsten Informationen aus den Schiffen der mutigen Explorer. * Colemayn verließ seinen Platz vor den Monitoren der Nahortung nicht. Er wartete auf die zweifelsfreie Übersetzung der übermittelten Informationen aus der SUCHER und
der FINDER. »Sie gehen kein Risiko ein. Kluge Burschen!« sagte der Sternentramp. »Sie probieren ihre Beiboote zum erstenmal im Ernstfall aus.« Die Schiffe des Syphonen-Expeditionskorps hatten ihren gemeinsamen Kurs verlassen. Sie flogen auf die beiden namenlosen Planeten zu, schwebten auseinander und teilten sich die Aufgaben, die Planeten zu untersuchen. Es dauerte seine Zeit, bis jeweils ein Schiff sich im Orbit des ausgestorbenen und des unbelebten Planeten befand. »Das bedeutet eine recht lange Wartezeit«, bemerkte der Pilot, ließ sich ablösen und übergab die Steuerung an Vandresh. »Viel Spaß, Kollege.« Die FINDER schleuste ihr Beiboot aus, das sich rasch von dem größeren Echo entfernte und mit der Masse des Planeten verschmolz. Jetzt konnten Colemayn und seine Crew die Gespräche direkt abhören, aber Neues war nicht zu erfahren. »Aber immerhin fragen sie sich, ob die Reste zum Volk der sagenhaften Alkorder zuzurechnen sind!« brummte der Sternentramp. »Beweise haben die Syphonen auch nicht.« Während die Mannschaften der Beiboote zu den Schiffen zurückfunkten und sendeten, was ihre Aufnahmegeräte fanden, bestimmten die Kapitäne der Schiffe das nächste gemeinsame Transitionsziel. Der Bordrechner der HORNISSE errechnete die Koordinaten in seinem eigenen Bezugssystem, übertrug sie in den Kursrechner, und der Endpunkt einer neuen Linearetappe war gefunden. Colemayn gähnte und breitete die Arme aus. »Um das Warten zu beenden, keine Langeweile aufkommen zu lassen und etwas Nützliches zu unternehmen – fliegen wir rasch einmal dorthin? Ich habe mittlerweile die feste Überzeugung, daß die Syphonen sehr genau wissen, wo sie einst gelebt haben.« »Jedenfalls verhalten sie sich so, als hätten sie uns vergessen!« pflichtete Shah Run Tai ihm bei. »Auch das kann sich ändern.« Die HORNISSE verließ ihre Position in Sonnennähe, beschleunigte und ging wieder in die Linearetappe. »Und wieder war eine gelbweiße Sonne ihr Zielpunkt!« Gardeyl wunderte sich nicht darüber. »Nur ein Planet, dafür aber riesenhaft. Fünf Monde habe ich bisher feststellen können.« »Und sonst?« Colemayn lag auf der Liege in seiner Kabine, war geweckt worden und hatte den großen Monitor eingeschaltet. Gardeyl übermittelte ihm kurz das Bild aus dem Nahortungs-Monitor. »Sonst… nun, wir sind nach wie vor allein. Weit und breit kein anderes Raumschiff zu sehen.« »Dann sehen wir uns im System der vielen Monde etwas genauer um. Ich bin in einer Stunde in der Zentrale.« »Geht klar, Kommandant.« Colemayn lehnte sich zurück, verschränkte die Arme im Nacken und zuckte, am Ende seiner Überlegungen angekommen, seine breiten Schultern. Auch ihm blies der schwarze Wind der Vergangenheit ins Gesicht; es konnte durchaus sein, daß diese drei Schiffe monatelang durch den Nukleus sprangen, ohne etwas zu finden – und ohne aufgehalten oder gar angegriffen zu werden. Aber ebenso wahrscheinlich war auch das Gegenteil. Colemayn seufzte, zog sich an und widmete sich dem nächsten Versuch, die Geheimnisse des Nukleus zu entschleiern.
7. Es würde noch viele Stunden dauern, bis Transitionsschocks auf dem Ortungsmonitor aufzuckten. »Erwartest du ernsthaft, hier einen Beweis zu finden, zweibeiniger Kommandant?« Shah Run Tai war enttäuscht, weil auch er keinerlei Hinweis auf sein Ziel gefunden hatte. Was immer sie hier finden mochten – der Planet der Reinkarnation des Großen Wurmes war nicht dabei. Damit hatte er sich notgedrungen abgefunden. »Ich weiß nicht, was wir erwarten können. Aber wir finden etwas. Wir wagen uns Schritt um Schritt ins Unbekannt vor. Das ist es. Hurga?« »Kleine Schritte. Hurga.« Unbemerkt schwebte die HORNISSE auf den Planeten zu, die Umlaufbahnen der atmosphärelosen Monde wurden errechnet, und das Schiff kurvte auf den Terminator zu, um für genügend lange Zeit Tageslicht zu haben. In kurzen Abständen kamen Meldungen und Informationen an. »Auf dem Planeten keinerlei Hochenergie-Emissionen.« »Auf drei Monden dasselbe.« »Funkverkehr: Fehlanzeige.« »Keine Raumschiffe anzumessen.« Also das gleiche wie bisher, sagte sich Colemayn. Sollte er sich über die Ergebnisse freuen oder ärgern? Er entschloß sich, weder das eine noch das andere zu tun, sondern gelassen zu bleiben. Die HORNISSE flog in geringer Höhe die erste Suchschleife über der Planetenoberfläche. Eine feuchtwarme Welt voller Nebel, Regen und schwerer Wolken, mit Luftbestandteilen, die der Crew den Aufenthalt ohne Raumanzug nur für Stunden erlaubt hätten. Wieder suchte die Mannschaft zwischen Sümpfen, wolkenverhüllten Tälern und steinigen Hochflächen nach Zeichen des Lebens oder nach deren Überbleibseln. »Bisher keinerlei Zeichen dafür, daß hier jemand lebt, der in unser Suchraster paßt«, kommentierten Sharfedt und Gardeyl nach dem ersten Drittel der Suche. »Große Tiere aller vorstellbaren Arten, aber kein Raumhafen, kein großes Bauwerk…« »Irgendwie hab ich’s erwartet«, meinte Colemayn leise. »Was ist das geradeaus in dem Felshang?« Das Schiff bewegte sich über eine Sumpffläche und passierte ein riesiges Loch in den Wolken. Sonnenlicht verwandelte einen Kreis der Landschaft in Stücke aus funkelnden Reflexen auf dem Wasser und in Zonen aus allen Grünschattierungen. Jenseits des Sumpfes erhoben sich dicht bewaldete Hügel, zwischen denen sich aus dem gewaltigen grünen Wirrwarr schlanke Pfeiler erhoben. »Türme? Pfeiler? Säulen? Wozu?« knarrte zischend der Vermes. Wieder begann die HORNISSE ZU kreisen. Auf den Kuppen der Hügel war die Vegetation weniger dicht. Dort konnten verschwindend kleine Reste von Trümmern gefunden werden. Nach einigen weiteren Beobachtungen waren die Raumfahrer ziemlich sicher, daß es die Ruinen von Brückenbauwerken waren, die über die letzten Hügel hinweg zu einem riesigen, terrassenübersäten Berghang geführt hatten. Inmitten von Kiesmoränen, wildem Gestrüpp und farbigen Moosen, von riesigen Trümmern und herausgebrochenen Felskanten entdeckten die Raumfahrer lange Galerien von Eingängen; Säulen, Torbögen, Fenster und Terrassen, ein kilometerlanges System kleinerer und größerer Treppen, Rampen, Vorsprüngen und Schächten. Außer nacktem und bearbeitetem Stein war auch auf der schärfsten Vergrößerungen kein anderes Material zu erkennen; auch die Metalldetektoren fingen
keine Echos ein. »Ausgestorben!« sagte Colemayn. »Aber eindrucksvoll. Vielleicht auch mehr als vier Jahrtausende alt? Die Sumpfbewohner haben den direkten Weg gewählt und nicht erst versucht, auf weichem Untergrund zu bauen.« Der Schatten des Schiffes glitt über die zerklüftete Oberfläche eines Höhlensystems. Es gab nur Vogelnester in vielen Größen, die auf Vorsprüngen oder in Nischen gebaut worden waren. Die Lebewesen, die hin und wieder gesichtet wurden, flüchteten vor dem Schatten und wirkten allesamt wie kleine Saurier, Reptilien, Schlangen oder Skorpione. »Weiter!« Stundenlang schwebte die HORNISSE über die Berghänge, Sümpfe und Bäche hinweg, über Urwälder, aus denen kochender Dampf aufzusteigen schien. In weiten Abständen entdeckten die Raumfahrer ähnliche Siedlungen, die sich tief ins Innere der Berge erstreckten. Auch Reste von Rampen wurden gefunden, die einst Wasserleitungen gewesen sein konnten oder Brücken, Stege, ein Ersatz für Straßen, die quer durch den Morast und über die Hügel hinweg führten. Colemayn tippte dem Thater auf die Schulter und deutete mit spitzem Zeigefinger zur Decke. »Die Monde, Herr Pilot!« sagt er. »Wir haben ein weiteres Glied derselben Kette kennengelernt.« »Sofort, Herr Kommandant.« Das Raumschiff wurde schneller, stieg und durchbrach die letzten Wolkenfelder. Blendende Helligkeit überschüttete von den Bildschirmen her die Navigationszentrale und nahm ab, als die HORNISSE die Atmosphäre hinter sich gelassen und die Nähe von Mond I erreicht hatte. Dreihundert Meter über dem Boden eines typischen Mondes wurde die Suche mit gewohnter Intensität fortgesetzt. Auch dieser Himmelskörper entsprach dem Klischee der Erfahrung: luftleer, aber voller Sprünge, Krater und dick mit Staub bedeckt. Schon nach wenigen Minuten änderte der Pilot die Richtung des Schiffes und steuerte auf eine Ansammlung auf Reflexen zu, die von einem kleineren Krater auszugehen schien. »Metall?« »Nur undeutliche Echos, bisher.« »Nichts wie hin«, ordnete Colemayn an. »Das sieht recht interessant aus.« Der Sternentramp und mindestens die Hälfte der Mannschaft waren begreiflicherweise ungeduldig, denn dies war Routinearbeit für die Mannschaften einer Expeditionsflotte. Der gedankliche Ballast der weiter zurückliegenden und nahen Vergangenheit war zweifellos für die Zukunft wichtig auch für die Zukunft dieser Kugelgalaxis. Aber im Augenblick zählte nichts anderes als ein weiteres Steinchen der Erkenntnis, und ein solches lag vor ihnen, hier im Ringkrater eines namenlosen Mondes. Es waren die Überreste einer riesigen Kuppel. Ihr Durchmesser betrug mindestens fünfhundert Meter, aber zwei Drittel davon fehlten. Statt der kalottenförmigen Kuppel gab es riesige Zacken und gekrümmte Splitter mit kleineren und großen Löchern; zweifellos Meteoriteneinschläge. Überall lag Staub. In wenigen Metern Abstand, kurzzeitig schaltete Vandresh die Schutzschirme ganz ab, schwebte die HORNISSE am Kraterrand entlang, bog scharf ab und richtete sämtliche Scheinwerfer und Detektoren nach unten. Nach einer Weile bemerkte der Thater: »Hier haben wir den Beweis, daß sie die Raumfahrt kannten.« Im Innern der Kuppel gab es Gerüste, ein unfertiges Schiff, Materialstapel und
Montageplattformen. Alle waren von Trümmern, Splittern und Asche bedeckt und teilweise unkenntlich. Das Licht der Scheinwerfer durchschnitt die Schwärze. Grelle Kreise wanderten über die Formen und den Staub. Schweigend musterten die Raumfahrer jene Zeugen einer Zeit, in der diese Planetarier mit den Schiffen, die sie selbst bauten, zwischen den Sonnen des Nukleus geflogen waren. »Jetzt wissen wir ein wenig mehr«, stellte der Sternentramp fest, nachdem die Mannschaft noch ein Dutzend weiterer, aber in jedem Fall zerstörter Anlagen gefunden hatte. »Entweder kam die Raumschifftechnik durch Fremde auf die Monde, oder sie entstand tatsächlich auf der Welt der Sümpfe und Moraste.« »Waren es nun jene rätselhaften Alkorder?« fragte der Vermes. »Das erfahren wir vielleicht am Ende dieses Abenteuers«, antwortete Colemayn, tief in Gedanken versunken. Die HORNISSE flog weiter, von einem Mond bis zum letzten, Mond V. Bevor das Schiff in den Orbit einschwenkte, ertönte zweimal ein klirrendes »Ping!«, und in drei Sekunden Abstand beendeten die SUCHER und FINDER ihre Transitionen. »Unsere Freunde sind wieder da«, bemerkte Twardjy Pyong überflüssigerweise. Colemayn ordnete an, die HORNISSE so weit wie möglich in Sonnennähe zu bringen – und so schnell wie möglich. »Zweibeiner hat Vorahnung, wie? Nukleus-Furcht. Hurga!« stellte der Vermes fest und lachte. Das Raumschiff jagte aus der Umlaufbahn von Mond V hinaus und ins Zentrum des Sonnensystems. Die Syphonen flogen auf Mond I beziehungsweise auf den Planeten zu und fünfzehn Minuten später befand sich die HORNISSE nahe der Sonnenkorona in Sicherheit. »Wir warten, beobachten und greifen notfalls ein«, bestimmte Colemayn. Er hatte ausrechnen lassen, daß sie dreitausendsechshundert Lichtjahre vom absoluten Zentrum der Galaxis entfernt waren. Sie warteten, lauschten auf die Gespräche der Syphonen, warteten weiter, und schließlich schien die Geduld der Raumfahrer belohnt zu werden. Plötzlich zeichneten sich die Energieechos zweier Raumschiffe ab. Sie glitten aus dem Lineargefüge in den dreidimensionalen Weltraum hinein. Schlagartig hatte sich die Situation geändert. Raumschiffe mit einer solchen Technik… ein Vorfall von großer Bedeutung. Shah Run Tai bemerkte hoffnungsfroh: »Jetzt wird es interessant.« Schon zeichneten die Monitoren die Flugbahnen aus den wenigen ersten Informationen nach. Ein Schiff fegte auf den Planeten, das andere auf Mond I zu. Es waren kugelförmige Schiffe, von rund sechzig Metern Durchmesser, schnell und mit starken Schutzfeldern ausgerüstet. Der Sternentramp knurrte, wütend über sich selbst: »Jetzt sollten wir jedes Wort mithören können. Canhoy! Versuche, etwas zu zaubern. Hoffentlich verkehren sie auf derselben Frequenz, die wir kennen.« »Wir schaffen es, Chef.« Die Raumfahrer der HORNISSE nützten sämtliche Möglichkeiten der Geräte und Empfänger, der Bordpositronik und der Verstärker aus. Die rasante Art, zu beschleunigen und die Flugrichtung zu ändern, ließ vermuten, daß es Roboterschiffe waren; aber auch die HORNISSE führte solche Manöver aus, ohne daß die Anlagen versagten und die Insassen verletzt wurden. Sämtliche
Antennen konzentrierten sich auf die fremden Schiffe. Ganz unerwartet baute sich auf einem Monitor ein zweidimensionales Farbbild auf. »Nun wird es tatsächlich spannend, beim Superwurm!« murmelte der Sternentramp. Das Bild – und kurz darauf das zweite, in das sich der Spezialist einzuschalten vermochte – zeigte deutlich das Innere einer kleinen, mit Technik vollgestopften Zentrale. Zwei Roboter, von denen nur die halben Oberkörper zu sehen waren, befanden sich im Bereich der Bilderfassung; drei waren es im anderen Schiff. Das erste namenlose Schiff tauchte in die Lufthülle ein, das andere fegte um die Krümmung des Mondes herum und schob sich in die Flugbahn der FINDER. Aus den Lautsprechern kamen gleichzeitig zwei Funksprüche. Auch jetzt war deutlich, daß sie aus den künstlichen Kehlen, den Vocodern der Roboter kamen. Die Maschinen redeten in einer unverkennbaren Sprechweise und Tonart. Sie verwendeten ein reines Alkordisch. Es dauerte einige Minuten, bis die HORNISSE-Crew klar sah, hörte und verstand: beide Syphonenschiffe wurden angehalten. »Wir sind die Kontrollorgane der Schwarzen Sternenbrüder. Unsere Schiffe sind schwer bewaffnet und unverwundbar geschützt.« Fast gleichzeitig feuerten die Robotschiffe ihre Projektoren ab. Nahe der Schiffe zuckten weiße, gleißende Waffenstrahlen auf. Einer traf die Oberfläche des Mondes und schmolz einen neuen Krater, der andere verdampfte die Hälfte eines Sumpfsees. »Wir sind unbewaffnet! Harmlose Entdecker!« wisperten die Syphonen zurück. »Dies ist verbotenes Gebiet!« »Wie sollten wir das ahnen? Der Nukleus ist frei für alle!« So ging es eine Weile weiter. Die Syphonen-Kommandanten blieben hart in der Sache, aber sie hatten den bewaffneten Robotschiffen nichts entgegenzusetzen. Die Grünhäutigen machten es sehr geschickt. Sie verwickelten die Roboter in eine lange, aber wenig sinnvolle Diskussion. Sie schienen es zu schaffen, daß sie von den Maschinen als »harmlos« eingestuft wurden. Colemayn hörte genau zu, jedes Wort und jede Sekunde der Bildübermittlung wurden gespeichert. Schwarze Sternenbrüder? Leise sagte der Sternentramp zu Shah Run Tai: »Endlich zeigt sich so etwas wie ein neuer Machtfaktor im Nukleus. Ein Volk, das so gute Schiffe und derart wortreich argumentierende Roboter befehligt, kann nicht ohne Bedeutung sein. Die Schwarzen Sternenbrüder also. Immerhin lassen sie mit sich reden.« Die Syphonen versicherten in diesen Sekunden, daß sie sich binnen kürzester Zeit aus dem Sonnensystem entfernen und nicht weiter in den Nukleus eindringen würden. Unter Protest, wie sie versicherten. Die Roboter ließen sich auf dieses Argument nicht ein. »Wir kontrollieren den Abflug beider Schiffe.« »Wir weichen der Gewalt!« Leise unterhielten sich die Besatzungen der Syphonen-Pfadfinderschiffe. Die SUCHER und die FINDER verließen ihre Bahnen, richteten ihre schlanken Nasen auf ein neues Ziel und beschleunigten. Die Roboter fragten, wie lange sie bis zum Verschwinden aus dem gesperrten Gebiet brauchten. Die Kommandanten spielten auf Zeitgewinn und behaupteten, daß ihre Schiffe bis zum Aufbau der Transitionsenergie drei Stunden brauchten. Etwa zwanzig Minuten lang flogen die Roboter in der unmittelbaren Nähe der Raumschiffe wachsam denselben Kurs, und ihre
Instrumente schienen zu bestätigen, daß die Eindringlinge über unverdächtiges, weil allzu simples Material verfügten. Die Einstufung: neugierig, aber harmlos] schien zu wirken. Die Robotschiffe verschwanden plötzlich. Colemayn nickte Vandresh kurz zu. Die HORNISSE startete aus dem Ortungsschutz und beschleunigte mit Höchstwerten. Kommandant Moi Rispersh im neosyphonischen Schiff FINDER war vor Verblüffung sprachlos, als sich Colemayn meldete, als die HORNISSE an der FINDER vorbeifegte und als der Sternentramp rief: »Anhalten, meine Schützlinge. Wir schalten auf dem Weg zum Ruhm eine kurze Unterhaltungspause ein! Eure Angreifer sind verschwunden.« Moi Rispersh konnte nur noch antworten: »Sägen an deinen Stamm! Kommandant Colemayn!« »Der nämliche. Und jetzt reden wir – ernsthaft und ohne Versteckspielen. Zündet endlich eure Bremsraketen, Freunde!« Die SUCHER und die FINDER verlangsamten ihre Fahrt, aber sie änderten auch die Richtung. Colemayns Verdacht, daß die tapferen Syphonen niemals die Absicht gehabt hatten, den Befehlen der Sternenbrüder-Roboter zu gehorchen, wuchs von Minute zu Minute. * Auf den Bildschirmen waren nur Moi Rispersh und Colemayn zu hören und zu sehen. Sämtliche Kommunikatoren in den Schiffen waren eingeschaltet. Die Mannschaften hörten atemlos zu. Colemayn eröffnete das Gespräch, von dem er hoffte, daß es kurz sein würde: »In Wirklichkeit fliegt ihr vorsichtig und trotzdem zielbewußt zur Sonne Cappafiersehn, eurer alten Heimatwelt. Die Koordinaten haben die späten Erben der zwangsumgesiedelten Syphonen niemals vergessen. Und mir, dem Fremden, habt ihr sie verschwiegen. Richtig oder falsch, Kommandant?« Nach langem Zögern entschied sich Moi Rispersh. »Richtig!« antwortete er. »Gib mir die Koordinaten. Jetzt sofort!« forderte ihn der Sternentramp auf. »Wenn ihr mit euren Schifflein dort auftaucht, feuern die Roboter auf euch, und das ist das Ende von tapferen Raumfahrern und ihren Schiffen.« Der Syphone krümmte seinen Schlangenhals im halbtransparenten Raumanzug. »Du hast recht, Baum der Weisheit.« Er winkte, und ein im Bild nicht sichtbarer Funker las die Koordinaten langsam ab und wiederholte sie. »Solltest du mir nicht die Wahrheit gesagt haben, Blüte dichten Hecke, können wir dich nicht schützen. Wie viele Transitionen braucht ihr?« »Wir haben zwei weite Transitionen errechnet.« Neben Colemayns Ohr murmelte Vandresh: »Zielpunkt ist zweitausendvierhundert Lichtjahre vom eigentlichen Kern entfernt.« Der Sternentramp pfiff schrill durch die Zähne.
»Ihr könnt einen solchen Doppelsprung schaffen?« »Wir sind sicher, diese Entfernung bis Cappafiersehn zu schaffen.« »Ich warne euch, Freunde!« Der andere Kommandant führte eine Geste aus, die nur als Ablehnung zu deuten war. »So, wie wir dir das größte Geheimnis unserer beiden Völker verraten haben, so entschlossen sind wir auch, dorthin zu gelangen. Nichts und niemand wird uns aufhalten.« »Ihr seid also entschlossen. Gut! Ich werde euch nicht aufhalten können. Die HORNISSE wird an Ort und Stelle sein, um Cappafiersehn kreisen und versuchen, eure Konstruktionen zu schützen. Viel Glück, Brüder der schlanken Stämme!« »Tau auf deine Blätter, Freund Colemayn.« Der Sternentramp grüßte kurz sein Gegenüber. Dann senkte er den Arm, deutete auf die vielen farbigen und blinkenden Anzeichen des Kursrechners und der Selbststeuerung und sagte: »Auf zur Heimatsonne. Und ab jetzt mit sämtlichen vorhandenen Vorsichtsmaßnahmen. Und bemannt die Feuerleitzentralen!« Sie starrten ihn halb verständnislos an; die beiden kleinen Projektionsgeschütze und einige Auswurfrohre für unterschiedliche Signalkörper waren, abgesehen von den Geräten, mit denen Felsen zu irgendwelchen Untersuchungen abgesprengt werden konnten, eine nicht ernstzunehmende Bewaffnung. Mit ihnen ein fremdes Raumschiff vernichten zu wollen, würde aberwitzig viel Glück erfordern. Beschwichtigend schloß der Sternentramp: »Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß im Umkreis dieser Zielsonne unter Garantie nicht nur zwei bewaffnete Roboterschiffe warten. Wir müssen uns vorsehen.« Die HORNISSE setzte zur Linearetappe an. Kurze Zeit danach führten die SUCHER und die FINDER ihre erste Transition durch.
8. Die HORNISSE erschien im Zielgebiet. Mit weniger als Lichtgeschwindigkeit raste sie durch die schwarze Leere. Waren die Koordinaten falsch gewesen? Weit und breit innerhalb vernünftiger Entfernung befand sich keine einzig Sonne. Schon gar nicht jene große weiße Sonne; ein Gestirn, das dreizehn Planeten besaß. »Bevor ich zu fluchen anfange«, sagte Sharfedt resignierend und hantierte am Terminal, speiste die Informationen der Stellarortung ein und wartete, »suche ich ein wenig.« Colemayn meinte, eine plausible Erklärung zu haben. »Es ist denkbar, daß die Koordinaten vor viereinhalb Jahrtausenden zutrafen. Wir können heute nicht feststellen, welche Eigenrotation die Galaxis oder ihre inneren Teile haben.« Langsamer geworden, eingehüllt in die Schutzschirme, mit bemannten Geschützen, drang die HORNISSE in irgendeine Richtung vor. Jede konnte richtig sein. Jeder Stern wurde angemessen, seine Strahlung analysiert und mit der Charakteristik von Cappafiersehn verglichen. Die Bordpositronik war bei dieser Arbeit das schnellste System. Einige Minuten später erschienen auf der Rundum-Projektion der Stellarortung drei Lichtkreise. Die Erläuterungen sagten aus, daß jene Sonne, die der Charakterisierung am nächsten kam, durch, Rot gekennzeichnet wurde, die nächstwahrscheinliche mit Grün, die dritte innerhalb von zwanzig Lichtjahren Radius durch Gelb. »Mein Vertrauen in Positroniken ist nahezu grenzenlos«, sagte Colemayn und dachte an Geselle, »Nehmen wir an, Cappafiersehn wird durch Rot gekennzeichnet. Daten?« Eine weiße Sonne, zwei Lichtjahre kernwärts, wahrscheinlich ohne Planeten, aber mit undeutlichen Massekonzentrationen in unmittelbarer Nähe… wo waren jene dreizehn blühenden Welten, von denen die Ode der Waldblätter sang? »Trotzdem. Auch ein falscher Versuch bleibt ein ehrenwertes Unterfangen«, bestimmte der Sternenbummler und nahm wieder Platz in seinem bevorzugten Sessel. Die Entfernung bedeutete einen winzigen Katzensprung. Während der verbleibenden Zeit konnte die Ortung immerhin feststellen, daß die HORNISSE nicht von Raumschiffen angeflogen wurde, somit also wohl unbemerkt hier angekommen war. Der Kommandant sagte im buchstäblich letzten Augenblick: »Halt! Keine Linearetappe.« »Warum nicht? Was ist los?« Colemayn senkte den Kopf und bekannte: »Ich war zu voreilig. Die Syphonen haben exakt dieselben Koordinaten. Ich glaube nämlich wirklich, daß sie uns nicht beschwindelt haben. Für die Schiffchen bedeuten zwei Lichtjahre ein viel größeres Problem als für uns. Wir warten. Fahrt die Schirme in der Leistung herunter.« »Das hat etwas für sich«, stimmte Pyong zu. Denkbar war auch, daß die Roboterschiffe und, wahrscheinlich, ihre Planeten- oder mondgebundenen Stützpunkte keine Möglichkeit besaßen, Linearmanöver zu orten und anzumessen. Sie waren ein Flüstern gegenüber einem Donnerschlag, den ein Transitionsschock auslöste. Die HORNISSE nahm eine Kurskorrektur vor, definierte die ermittelte Sonne als Endpunkt der Kursgeraden und raste mit zwei Dritteln Lichtgeschwindigkeit weiter. Unentwegt wurde geortet, und die Informationen aus dem Weltraum nahe der Zielsonne wurden weniger
spärlich. Es dauerte drei Stunden und einige Minuten, bis in Drei-Minuten-Abständen die Transitionsechos auf den Schirmen blinkten. Zwei Lichtstunden war die HORNISSE der weißen Sonne näher gekommen. »Jetzt werden auch die Robotschiffe – oder andere desselben Herstellers – auftauchen!« prophezeite Shah Run Tai. »Und diesmal werden sie schießen!« versicherte der Sternentramp. Kein Besatzungsmitglied widersprach ihm. Die Transitionsschiffe rasten der HORNISSE hinterher, und vielleicht hatten sie ihren beschützenden, neugierigen Freund sogar orten können. In lichtminutenweitem Abstand, seitlich der Bahnen aller drei Fremdlinge, erschienen die Wächter. Fast gleichzeitig verließen zwei große Kugelschiffe die Linearetappe und jagten heran. »Es geht los! Schirmenergie fünfundneunzig Prozent der Maximalkapazität. Energiewerfer klar Ziele erfaßt!« In sachlichem Ton kamen die Fertig-Meldungen, aber eine gewisse Erregung schwang mit. Dieses Mal bereitete es keine Schwierigkeiten, die Frequenzen einzustellen und mitzuhören. Colemayn hatte absolutes Funkverbot ausgesprochen. Je weniger die HORNISSE sich bemerkbar machte, desto größer würde ihr strategischer Vorteil sein. In der Zuverlässigkeit und Schärfe einer aus dem Nichts erschienenen Zeichnung bildete sich scheinbar dreidimensional angelegte Darstellung der Vorgänge. Die Robotschiffe jagten auf jenen Punkt zu, an dem sie bei, gleichbleibenden Geschwindigkeiten mit den Schiffen der Syphonen zusammentreffen würden. Auch diese Verteidiger- oder Wächter-Raumschiffe besaßen Kugelform, aber ihre Größe war beachtlicher als die der Schiffe des letzten Zusammentreffens. Gleichzeitig feuerten beide Wächter Warnschüsse ab. Sie kreuzten sich einmal vor der FINDER, der zweite Dopppelschuß zitterte vor dem Bug der SUCHER und sollte sie erschrecken. Ununterbrochen strahlten die Roboter Warnungen, Verbote und Aufforderungen ab. Colemayn sah ein, daß in wenigen Minuten die beiden Transitionsschiffe angegriffen werden würden. Das bedeutete die Zerstörung der nahezu wehrlosen Objekte. »Wir lenken die Kugelschiffe ab. Du weißt, was zu tun ist, Vandresh!« »Mit dem größten Vergnügen, Kommandant.« Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, flog die HORNISSE die engstmögliche Kurve und raste auf einen der Angreifer zu. Colemayn ließ eine Bildverbindung zu Moi Rispersh schalten und wurde sofort erkannt. Mit seiner Stimme erklärte er, fieberhaft nach einschlägigen Worten aus der Ode suchend, welche Sonne in welcher Entfernung die Syphonen anzufliegen hatten, und daß er dasselbe Ziel hätte. Er würde die Wächter abzulenken versuchen. Verstanden! signalisierte der Kommandant, und wenige Sekunden später blinkten die Transitionsschocks auf Colemayns Monitoren. »Zielt knapp an ihm vorbei! Dann flüchten wir über die Flugbahn des anderen hinweg und führen die Etappe durch«, ordnete er an. »Diesmal ging’s noch glatt!« bemerkte der Pilot und jagte die HORNISSE im Zickzack auf das metallschimmernde Robotschiff zu. Zwei Strahlschüsse zuckten auf und schlugen in die Schutzschirme des Schiffes. In den Schirmen öffneten sich winzige Strukturöffnungen. Die
Geschütze der HORNISSE feuerten gezielt in die Wandung des Robotschiffs hinein, und diesmal wurde die Energie nicht von Schutzschirmen zurückgeworfen. Die Zerstörungen der Treffer waren gering, und als die Roboter versuchten, durch einen wahren Hagel von Schüssen die HORNISSE außer Gefecht zu setzen, entkam sie in einer Anzahl wilder Flugmanöver und in erhöhter Geschwindigkeit. Die Schirme glühten; Flammen schlugen nach allen Seiten, und ein Blitzgewitter zuckte. »Im Gegensatz zu den Syphonen haben uns die Wächter als gefährlich eingestuft!« bemerkte der Sternentramp. »Trotzdem wird es langsam ungemütlich.« »Bei Cappafiersehn wird es dann gefährlich werden!« zuckte der Vermes und krümmte sich zusammen, als die Helligkeit des nächsten Treffers von allen Bildschirmen flutete. Noch bevor die HORNISSE das zweite Wächterschiff erreichte, reagierten die Roboter. Auch das zweite Schiff feuerte aus der Hälfte seiner Strahlgeschütze. In der Dunkelheit blitzte und strahlte ein Netz aus blendender Helligkeit. Die HORNISSE schoß zurück, flog kurzfristig einen Rammkurs und entkam dann in einem blitzschnellen Manöver. Es war Colemayn alles andere als recht, daß er in diesen Kampf verwickelt worden war. Immerhin hatte seine Crew erreicht, daß die Syphonen entkommen und das lang ersehnte Ziel erreichen konnten. Was sie dort vorfanden, war eine andere Sache. Als die letzten Weitschüsse der Robotschiffe unschädlich an der Hornisse vorbeizuckten, gab er ruhig die nächste Anordnung. »Die Roboter, wen wundert’s, lassen nicht mit sich reden. Das bedeutet, daß sie etwas bewachen, das niemand wissen soll, wir schon gar nicht. Also sehen wir nach. Ziel klar?« »Klar, Colemayn.« »Wir verschwinden.« Das echte Heimweh der Syphonen trieb sie zu diesem lebensgefährlichen Handeln. Neugierde und Sorge um das Wohl der Galaxis hingegen brachte die Besatzung der HORNISSE zu diesem Schritt. Die HORNISSE entzog sich dem Kampf und leitete die kurze Linearetappe ein. * Eine Lichtstunde von der Sonne Cappafiersehn entfernt verringerte der Pilot die Geschwindigkeit des Raumschiffs. In erschreckender Deutlichkeit ließ die rechnergestützte Darstellung auf den Ortungsmonitoren erkennen, daß es zwar eine Sonne gab – unübersehbar groß und weiß strahlend –, aber keinen Planeten. »Verdammt!« sagte Sharfedt. »Seht euch das an! Ein Ring aus Trümmern von gigantischer Größe.« Ein Asteroidengürtel umgab die Sonne. Ein elliptisches Band unterschiedlicher Dicke zeigte sich überaus deutlich. Die große Achse wies eine Ausdehnung von zweiundvierzig Lichtsekunden auf, die kleine maß einundzwanzig Sekunden. An der dicksten Stelle betrug der Durchmesser sechzehn Lichtsekunden. Die Staubschleier, der Steinschrot, winzige, mittlere und riesige Brocken, oft kugelförmig, meist aber irregulär, kleine Bruchstücke – alles war vorhanden und zeigte sich plastisch in jener auffallenden Mischung zwischen grellem Sonnenlicht und abgrundtiefen Schatten. Diffuses Licht existierte nur in den Zonen, die mit Staub oder nebelartigen Schleiern gefüllt waren. »Ich habe in drei Fällen einen Maximaldurchmesser von fünfhundert Kilometern festgestellt. Alle anderen Brocken scheinen kleine zu sein«, meldete der Ortungsspezialist.
Voller böser Ahnungen entschied der Sternentramp: »Wir verstecken uns im nächstgelegenen Staubschleier, bis wir wissen, was das alles wirklich zu bedeuten hat.« »Einverstanden.« Der Anblick dieses Gemengel aus Milliarden von einzelnen Bruchstücken war faszinierend. Wilde Spekulationen wurden laut; die Crew diskutierte die Möglichkeit, ob sich dreizehn zerstörte Planeten innerhalb einer kosmogonisch so kurzen Zeit zu einem solchen Gürtel um die Sonne zusammengefunden haben konnten. Handelte es sich wirklich um die gesuchte Sonne? Warum wollte die »neue« Macht, Schwarze Sternenbrüder genannt, verhindern, daß fremde Raumfahrer hier auftauchten? »Du kannst nichts Gefährliches orten? Keine Schiffe, Raumforts, andere Anlagen?« erkundigte sich Colemayn mißtrauisch. Er rechnete damit, daß Kampf und Verfolgung sofort wieder anfingen, wenn die beiden Syphonenschiffe in der Nähe der Asteroiden-Ellipse auftauchten. Würden die Syphonen umkehren, wenn sie erkannten, daß ihre ehemalige Heimat nicht mehr existierte? »Wie üblich«, meinte Colemayn voller Skepsis zu sich selbst, »tausend Fragen, und niemand antwortet mir armen, unwissendem Sternentramp.« »Bisher«, knarrte Shah Run Tai, »hast du deine Antworten selbst gesucht und meist immer gefunden.« Colemayns Lächeln war ausgesprochen säuerlich. »Dabei wird’s leider auch bleiben.« Die HORNISSE war hoch über der Ekliptik der Asteroiden-Ellipse aus dem Lineargefüge geglitten. Die Ellipse lag in voller Ausdehnung »unter« dem Raumschiff. Über die Monitoren zogen langsam Vergrößerungen der einzelnen Teilansichten. Die Asteroiden und die Zwischenräume schienen absolut leblos zu sein; nichts anderes als eine Ansammlung von planetarer Materie in nahezu jeder Größe. Noch bevor der Pilot den Kurs geändert hatte, wandte der Sternentramp ein: »Wir sollten doch das bessere Versteck aufsuchen. Wir bleiben in der Sonnenkorona. Von dort können wir jede Einzelheit so genau beobachten, als würde sie dicht vor der Schleuse ablaufen.« »Verstanden. Kursänderung.« Einige Minuten später schwebte die HORNISSE im Schutz der Energieschirme in der äußersten Grenzschicht zwischen Weltraum und energetischer Atmosphäre. Die Besatzung richtete sich auf eine lange Wartezeit ein, und an den Terminals arbeiteten die Spezialisten an den Informationen der Sternkarten und Kartografierung des Asteroidengürtels. »Meine Neugierde hat mittlerweile einen Höhepunkt erreicht«, schloß Colemayn und verließ die Zentrale. Er wäre wirklich froh gewesen, wenn »Söhnchen« Geselle an Bord wäre. Die Zuverlässigkeit des Roboters war sprichwörtlich. Seine Analysen und Entscheidungen stimmten meist perfekt. Überdies nahm er ihm, Colemayn die Fortführung des Sternentagebuchs ab. Nicht heute. In der Ruhe seiner Kabine begann er zu schreiben. * In Wirklichkeit kannte Colemayn, wenn er sämtliches Wissen über die Galaxis Alkordoom
zusammenrechnete, nur drei vergleichsweise winzige Abschnitte einer langen Entwicklung! Aus der Vorgeschichte gab es bestenfalls mehr oder weniger Undeutliche Legenden wie jene Ode der Waldblätter. Andere Völker würden ähnliche Märchen haben. Irgendwo lagerten sicher auch geschichtlich exakte Informationen, die aber niemand kannte. Der zweite bekannte Abschnitt waren jene Jahre, in denen der Planetenwanderer als vorgeblicher Beobachter der Kosmokraten weit herumgekommen war, niemals aber den Nukleus in solcher Konsequenz betreten hatte. Aber diese Zusammenhänge gab es längst nicht mehr; aus Zusammenbruch und Chaos begann sich eine neue Ordnung zu bilden. Während des Fluges hierher hatten Colemayns Freunde und er die meisten Informationen gesammelt – und die klarsten Vorstellungen der Situation erreicht. Sie reichten noch lange nicht aus. Alkordoom stand unter dem Diktat einer neuen Macht. Ihre Kontrolle war noch lange nicht lückenlos. Aber hier, das ahnte Colemayn, gingen seltsame Dinge vor. Hier? Im Zentrum von Alkordoom. Ein kurzer Summerton unterbrach Colemayns Gedanken. Er schaltete den Monitor ein und ahnte, was er erfahren würde. »Sind unsere tollkühnen Syphonen eingetroffen?« »So ist es, Chef. Und sie sind entsetzt, verwundert – und trotzdem nicht enttäuscht.« »Jaja«, seufzte der Sternentramp. »Ein fest verwurzelter Baum läßt sich nicht leicht erschüttern.« »Es mag sein, daß diese Bäume diesmal gefällt werden.« »Ich komme.« Als Colemayn wieder die Zentrale betrat, herrschte noch immer hektische Aktivität. Die HORNISSE war sicher versteckt. Die Syphonen-Raumschiffe flogen auf zwei verschiedene Stellen der Asteroiden-Ellipse zu, und in Minutenabständen bewiesen kurze aufflackernde Energieechos, daß Bremstriebwerke gezündet wurden. Twardjy Pyong spielte einen Mitschnitt der Funkgespräche ein. Schweigend hörten sie alle zu und versuchten, das schwer verständliche Alkordisch genau zu verstehen. Die ersten Sätze, die zwischen den Cockpits der SUCHER und der FINDER gewechselt wurden, drückten Erschrecken aus. Dann folgten der Austausch von astronomischen Daten und Charakterisierungen: es handelte sich ohne den geringsten Rest an Zweifeln um die Heimatsonne Cappafiersehn. Nach der Vertreibung der Syphonen hatte etwas oder jemand dieses Sonnensystem zerstört. Dreizehn Planeten! Vom innersten, einer ausgeglühten Welt voller Metallseen bis zum äußersten, der unter Eis, Methan und Ammoniak verborgen gewesen war – sollten diese Trümmer Teilstücke von den Welten der Heimat sein? Das mußte untersucht werden. Leben war hier nicht mehr möglich. Die Mission war gescheitert. Aber die Raumfahrer wollten ihrem Volk mitteilen, was geschehen war. Aus diesem Grund fingen sie augenblicklich mit der Untersuchung einiger größerer Planetenbruchstücke an. Colemayn schüttelte den Kopf. »Ich weiß immer noch nicht, ob sie stur, tapfer oder naiv sind. Wahrscheinlich eine Mischung aus mehr Komponenten!«
»Typische Raumfahrer also.« Wieder verständigten sich die beiden fremden Kommandanten. Die SUCHER änderte ihren Kurs. Einige Minuten lang flogen beide Schiffe parallel nebeneinander entlang des Gürtels. Dann steuerten sie einen 250-Kilometer-Brocken an und riskierten in aller Vorsicht eine Landung oder mehr ein Andockmanöver. Es geschah auf der Innenseite des Asteroiden. Die Schiffe nutzten das grelle Sonnenlicht aus, um ihre Manöver mit größerer Sicherheit fliegen zu können. Einige Raumfahrer schwebten aus den Schleusen und zogen Taue hinter sich her. Vandresh lachte rauh und warf ein: »Sie haben wirklich den Mut der Ahnungslosen. Gleich kommen wieder unsere robotischen Verteidiger. Abwarten!« Alle Bewegungen, von den Vergrößerungen auf den Monitoren deutlich gezeigt, liefen in der Langsamkeit der Schwerelosigkeit ab. Wieder wurde kurze Gespräche zwischen Schiffen und Raumfahrern aufgefangen. Sie schilderten die Schwierigkeiten der ausgeführten Manöver. »Nein!« stöhnte der Thater vor den Terminals auf. Lautlos öffneten sich riesige Stücke der Asteroidenoberfläche. Große Flächenteile, die wie nackter Fels aussahen, klappten nach innen oder schoben sich zurück, lautlos, langsam, aber unaufhaltsam. Scheinwerfer flammten im Innern großer Hangars oder Hohlräume auf. Aus den Lautsprechern kamen die entsetzten Schreie, Flüche und Befehle der überraschten Syphonen. Traktorstrahlen zuckten aus dem Innern des Asteroiden auf, griffen nach beiden Schiffen und zogen sie in voller Länge in die Hohlräume hinein. Aus dem Blickwinkel der Beobachtungsgeräte wirkte der Vorgang, als hätten sich zwei riesige Mäuler geöffnet und die beiden Schiffe verschlungen. Die Tore schlossen sich wieder in derselben Langsamkeit. Die aufgeregten Gespräche aus den Lautsprechern wurden dünner, leiser und rissen in dem Moment ab, als sich der letzte Spalt geschlossen hatte. Betroffen schauten sich Colemayn und der Thater an der Nahortung in die Augen. »Aus. Weg. Jetzt wissen wir ein wenig mehr, wie?« »Besonders über die Chancen des Rückflugs der Syphonen.« Es herrschten wieder Ruhe und Bewegungslosigkeit. Unendlich langsam drehten sich die Steinbrocken und drifteten in meist gleicher Geschwindigkeit um die Sonne. Die Ortung konzentrierte sich auf einen schmalen Abschnitt des sphärischen Ringes, und in langsamen Schritten zeigte es sich für die Mannschaft der HORNISSE, daß Ruhe und scheinbare Bewegungslosigkeit nur Teil einer ausgezeichneten Tarnung waren. An einer Stelle wurde ein starker Sender lokalisiert. Aus dem Schatten eines mittelgroßen Asteroiden tauchte ein Raumboot auf, daß irgendwelche Lasten schleppte und zehn Minuten später in einen anderen kleinen Mond einschleuste. Ein Kugelschiff tauchte plötzlich zwischen Sonne und Asteroiden-Ellipse auf, bremste die Eintauchgeschwindigkeit ab und raste auf einen der vielen Riesenbrocken zu. Es war größer als die letzten Wächterschiffe. Ein Leitstrahl baute sich auf, dem das Raumschiff folgte. »Ein Kugelschiff«, meinte Colemayn, ohne die Blicke von den Monitoren zu nehmen. »Es gehört zu den Machthabern, die sich im Asteroidenring versteckt haben. Ein Schiff der Schwarzen Sternenbrüder?« »Schon möglich.«
Nach diesen Beobachtungen begriffen alle an Bord, daß sich die bisherigen Beobachtungen als falsch erwiesen hatten. Wahrscheinlich waren in vielen, wenn nicht sämtlichen Asteroiden riesige Systeme von Hohlräumen entstanden. Genug Platz für eine komplette Zivilisation, sagten sich die Verantwortlichen, und daher auch die feste Absicht, sich nicht zu zeigen und jeden potentiellen Entdecker unschädlich zu machen. »Freunde!« rief Colemayn und schaltete sich in das Kommunikationsnetz aller Innenräume ein. »Es wird brenzlig. Unterste Alarmstufe. Wer die technischen Möglichkeiten hat, Asteroiden auszuhöhlen, hat sie auch, um uns irgendwann zu finden.« »Richtig!« unterstützte ihn der Vermes und bewegte sich aus der Zentrale hinaus. Unruhig lief Colemayn in der Zentrale hin und her, und spätestens jetzt übertrug sich seine Nervosität auf die anderen. »Folgendes ist mir klar«, überlegte er laut. »Die Kugelschiff-Roboter haben, wie wir wissen, die Syphonen vertreiben wollen. Diese Aktionen meldeten sie hierher. Und dann tauchte ein anderes Schiff auf, viel besser ausgerüstet und auch weitaus schneller. Wir. Die HORNISSE. Auch das haben sie gemeldet. Wir müssen also damit rechnen, daß schon jetzt die Suche nach uns angefangen hat. Was denkt ihr?« Die Crew in der Zentrale stimmte zu. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Aktion war sehr groß. »Was bleibt uns, wenn wir entdeckt sind?« »Verteidigung und Flucht. Sonst nichts.« »Flucht – wohin?« fragte er. »Kein festes Ziel. Am liebsten wäre ich am Strand von Wolkenwelt«, versuchte Gardeyl einen matten Scherz. Zu seiner Überraschung ging Colemayn darauf ein. »Das würde ich sozusagen als erste Adresse bezeichnen. Vorteile: wir kennen den Weg dorthin und von dort hierher. Es ist mit der HORNISSE leicht zu erreichen. Die neuen Planetarier würden sich freuen, wenn wir kämen und für eine Zeit blieben.« »Fassen wir diesen Punkt immerhin ins Auge«, knurrte der Pilot und führte einige Schaltungen aus. Die Energie für den Antrieb wurde bereitgestellt, die Leistung der Schirme um zehn Prozent hochgefahren. »Als letzte Möglichkeit!« bestimmte der Sternentramp. Die Raumfahrer fühlten sich in der HORNISSE nicht nur wohl, sondern auch sehr sicher. Der Beschuß durch die Roboter, der an den Schirmen abgeprallt wurde, trug zu dieser Überzeugung bei. »Achtung!« Die Durchsage erreichte Colemayn auf dem Weg zu seiner Kabine. Der Alarm galt auch für ihn. »Aus zwei weit auseinanderliegenden Asteroiden starteten soeben mittelgroße Raumschiffe des bekannten Typs. Sie haben noch kein bestimmtes Ziel.« »Wie schön«, brummte er, schloß das Schott und wechselte den Bordoverall gegen einen leichten Kampfanzug mit vielen Taschen, in denen Ausrüstungsgegenstände steckten. Er zog die Stiefel an und bemühte sich in den Raumanzug. Einen langen, fast traurigen Blick warf er auf seine Kleidurig aus braunem Fell und auf seinen Rucksack – beides Symbole für die Art von Leben, die er gern führte; Symbole für Freiheit, unbeschränkte Verfügung über Zeit und Umstände. »Vorbei, Sternenwanderer. Denke an die Verantwortung«, sagte er sich und wählte aus dem Arsenal der Vorratsschränke eine Reihe von nützlichen Gegenständen aus, die er hoffentlich nicht brauchte. »Drei weitere Schiffe haben ausgeschleust und befinden sich auf dem Weg zur Sonne. Noch scheint man uns nicht bemerkt zu haben.«
Die Stimme des Thaters hallte laut durch sämtliche Räume und Korridore. Summend und knackend schlossen sich schwere Sicherheitsschotte. Colemayn zuckte die Schultern und nahm aus seinem Rucksack noch ein paar Gegenstände heraus. »Sicher ist sicher«, murmelte er und schaute sich noch einmal um. »Sehen wir also den neuen Überraschungen tief ins Auge.« Er ging, zusammen mit einigen Gruppen der dienstfreien Besatzung, in die Richtung der Zentrale. Bisher suchten fünf Schiffe nach ihnen, dem unbekannten Eindringling in ein Geheimnis der Schwarzen Sternenbrüder. Colemayn sah, daß auch innerhalb der Zentrale die Sicherheitsvorkehrungen befolgt worden waren, und nickte zufrieden. Wieder hatte die Ortung nur schlechte Nachrichten: »Kommandant… ich habe vier weitere Echos auf dem Schirm. Es wird verdammt knapp. Nichts gegen eine Kontroverse mit einem kleinen Robotschiff, aber mit diesem Rudel von schwerbewaffneten Einheiten möchte sich wohl keiner ernsthaft anlegen.« »Ich am allerwenigsten«, antwortete Colemayn mit wachsendem Unbehagen. »Warten wir noch etwas.« »Worauf?« »Keine Ahnung. Vielleicht geben sie auf, wenn sie uns nicht finden. Gibt es Hinweise auf arbeitende Ortungsanlagen?« »Nein.« Eine klare Antwort. Schweigend starrten sie die Schirme an. Der Pilot meldete Startbereitschaft. Die Suche nach Informationen wurde auf allen Kanälen weitergeführt. Mehr als eine Stunde war schon vergangen, seit jenes erste Kugelschiff aufgetaucht war; vermutlich ein Bote, der die letzten Informationen über die HORNISSE mitgebracht hatte. Oder etwas ganz anders – es war müßig, darüber zu spekulieren. Und ganz plötzlich begannen sich die Vorfälle zu überstürzen. Als die deutliche Stimme aus den Lautsprechern der Normalfunkanlage dröhnte, mußte auch Colemayn überlegen, um welche Sprache es sich handelte… obwohl er sie verstehen konnte. Aus Manam-Turu; die Hochsprache der Daila! »Vielleicht hört mich jemand, den es interessiert. Ich bin hierhergeschafft worden. Der Ort heißt wahrscheinlich Jarkadaan. Die Zeit drängt. Sehr gesellig ist es nicht, und ein scherzender Bold ist nichts ohne seinen trampenden Sternentouristen. Findet mich! Holt mich heraus…« Die Sendung riß ab. »Geselle!« ächzte Colemayn auf, dann überzog ein breites Grinsen sein Gesicht. »Er hat sich gemeldet. Er ist hier! Irgendwie hat er eine Möglichkeit gefunden, uns zu benachrichtigen. Das muß belohnt werden. Wir brauchen ihn… los! Starten! Zuerst schlagen wir uns zum Asteroidenring durch.« Gleichzeitig schienen die Suchschiffe von Jarkadaan oder den Schwarzen Sternenbrüdern einen eindeutigen Befehl bekommen zu haben oder ein klares Ortungsbild. Aus allen Positionen kamen sie, sammelten sich und rasten mit zunehmender Geschwindigkeit auf die HORNISSE zu. »Sie haben uns aufgestöbert«, sagte der Sternenstramp, setzte sich neben den Piloten und erklärte, was er vorhatte. Zuerst wollte Vandresh es nicht glauben, dann stimmte er zu und knurrte versöhnlich: »Würde ich auch machen. Geht in Ordnung, Chef. Und wir warten dann auf eine entsprechende Nachricht.«
»Versteht sich von selbst.« Die HORNISSE startete, wurde schneller, beschleunigte mit den Maximalwerten, erfaßte das Ziel – es war die Richtung, aus der Geselles Funkspruch gekommen war – und flüchtete zuerst in den Raum hinaus, dann in einer sich öffnenden Spirale um die riesige Sonne herum. Die Verfolger entdeckten sie innerhalb von Sekunden. Als das Raumschiff einen Punkt erreicht hatte, der etwa der Hälfte der Entfernung zwischen Asteroiden und Sonne an dieser Stelle entsprach, waren es zweiundzwanzig verschieden große Schiffe, von denen sie verfolgt wurden. Etwa auf halber Strecke, während Colemayn in seiner Kabine seine Ausrüstung vervollständigte, bremste die HORNISSE ab und vollführte eine Reihe von Manövern, die von keinem der Verfolger nachvollzogen werden konnten. Ganz zum Schluß, nach einem wilden dreidimensionalen spiraligen Zickzack zwischen Gaswolken oder Staubschleiern, Gesteinschutt und gigantischen Boliden, erreichte die HORNISSE jene Zone, in der Colemayns Sohn vermutet werden mußte. Die HORNISSE lag fast still, nähert sich seitlich einem mittelgroßen Asteroiden mit besonders zerklüfteter Oberfläche, und die Schleuse öffnete sich. Colemayn löste den Sicherheitshaken, wartete eine Sekunde auf die Öffnung der Schutzschirmstruktur und sprang los. Er hoffte, daß seine Ausrüstung ausreichend und komplett war. Einen Hypersender hatte er in letzter Sekunde eingesteckt. Er drehte sich in der Schwerelosigkeit herum und sah halb traurig, halb zuversichtlich, wie die HORNISSE beschleunigte, davonraste und aus seinem Blickfeld verschwand. »In ein paar Minuten sind sie in Sicherheit«, flüsterte er, sah die schwarze Oberfläche des Asteroiden näherkommen und streckte die Arme aus, um sich abzufangen. Er hoffte stark, nicht entdeckt zu werden. Davon hing sein Leben ab, ahnte er, und er wollte es noch einige Jahre behalten.
9. Das Sicherungstau, etwa drei Meter lang, war um einen kantigen Felsvorsprung geschlungen. Colemayns Plan, wenigstens der erste Schritt, bestand darin, erst einmal unsichtbar zu bleiben. Als er den Kopf bewegte und durch die Helmscheibe blickte, sah er drei Kugelschiffe über den riesigen Asteroiden hinwegrasen. Er stellte sorgfältig drei verschiedene Frequenzen der Helmempfänger ein, ruckte zur Kontrolle an seinem Seil und stieß sich sacht ab. Er schwebte aus der Felsspalte hinaus, drehte sich halb und versuchte, seine Umgebung zu beobachten. »Ich bin bei dir. Ich werde dich führen!« flüsterte eine Stimme in seinen Ohren. Ein Lämpchen blinkte; der Funkkontakt fand auf der normalen Anzug-zu-Anzug-Frequenz statt. »Ich sehe dich nicht«, antwortete er mißtrauisch und verringerte die Sendeenergie bis zum absoluten Minimum. Trotzdem blieb der Empfang klar und laut genug. »Kein Wunder. Ich bin unsichtbar. Geselle, dein Sohn, taufte mich provisorisch auf den Namen Breckcrown.« »Unsichtbar? Geselles Freund? Welch ein Unfug«, antwortete der Sternentramp und zog sich wieder in den Schutz der Dunkelheit zurück. »Der Name ist falsch, Colemayn. Aber auch mein wahrer Name ist unwichtig. Du kennst mich nicht.« »Begreiflich, wenn du dich nicht zeigen willst.« »Ein Unsichtbarer kann sich nicht zeigen. Bist du einverstanden? Ich bringe dich sicher zu Geselle.« »Wo ist er?« »Gefangen auf einem anderen Planetoiden von Jarkadaan. Wir gehen gemeinsam hin.« »Mein Mißtrauen ist gewaltig. Wenn ich die Falle betrete, die ich deutlich vor mir sehe, dann wegen Geselle.« »Ich wäre an deiner Stelle nicht weniger mißtrauisch. Ich führe dich verbal. Aus der Spalte hinaus, und wenn du über den Krater und die silberne Felsnase visierst, siehst du einen Asteroiden. Dahinter, ein fast mondrunder Planetoid, das ist unser Ziel. Ich bin, wenn auch unsichtbar, in deiner unmittelbaren Nähe.« »Wenn’s schiefgeht«, wisperte der Sternentramp und löste das Tau vom Felsen, »dann habe ich es meiner eigenen Vertrauensseligkeit zu verdanken. Es geht los.« Außerhalb der tarnenden Felsen gab es keinerlei Schwerkraftwirkung. Der Sternentramp drehte sich, bestimmte im diffusen Licht eines Staubschleiers die Richtung und schaltete das winzige Aggregat ein. Er schwebte dicht über die Schroffen und Spalten, über einen regelmäßigen Krater hinweg, immer noch im tiefsten Schatten, vorbei an Felstrümmern, die sich lautlos und drohend über und unter ihm drehten, auf den zuerst erwähnten Asteroiden zu. »Richtig?« fragte er. Er wußte nicht, was er von dem unsichtbaren Breckcrown halten sollte, und keine Sekunde lang unterschätzte er das Risiko, sich ausgeliefert zu haben. Daran, daß es Geselle gewesen war, der die kodierte Meldung abgesetzt hatte, zweifelte er nicht eine Sekunde lang. Er schwebte weiter und hörte die Antwort: »Ausgezeichnet. Du bist in der richtigen Flugbahn.« Colemayn drehte sich langsam um seine Flugachse und beobachtete seine Umgebung. Nichts Gefährliches war zu sehen, keinerlei Strahlensperren oder Roboter. Unbehelligt bewegte sich der
Sternentramp durch ein Gewirr von Trümmern, das sich langsam bewegte und Licht wie Schatten gegeneinander verschob. Schließlich, halb im gnadenlosen Licht, halb in der tiefen Schwärze, versperrte der riesige Planetoid den Weg. »Ist das der Brocken, in dem sich Geselle befindet?« »Dort werden wir ihn finden. Lande dort, dann schwebe neunzig Grad nach rechts. Ein Andockmast kennzeichnet die Schleuse.« »Verstanden. Bist du eigentlich körperlich?« »Ich bin unsichtbar und bringe dich zu Geselle.« »Ebenso lieb wäre mir, wenn du meine Fragen richtig beantworten würdest.« »Das ist, was Geselle betrifft, nicht relevant.« Colemayn reagierte wie stets, wenn das Maß der Unvernünftigkeiten seinen guten Willen überforderte. Er schwieg und kümmerte sich um seine Aufgabe. Ohne größere Schwierigkeiten fand er seinen Weg dicht über der Oberfläche des Planetoiden und hielt sich an einem wuchtigen, säulengroßen Kunststoffpfahl fest. Zuerst schaute er sich um, dann zog er den Handscheinwerfer aus der Halterung und leuchtete den Boden ab. Er entdeckte mehrere Spalten, deren Muster zwei Kreise ergab: einen kleinen, in dem er bereits stand, und davon entfernt einen großen, von dem er nur einen Ausschnitt sehen konnte. Mit sorgfältig kontrollierten Bewegungen, von Breckcrown geleitet, tastete er sich über den zerklüfteten Boden, fand einen hervorragend getarnten Schalter und öffnete eine Schleuse, die zylindrisch einige Meter ins Innere des Planetoiden führte und schwach beleuchtet war. »Wir werden zusammen eindringen.« »Geht in Ordnung, Unsichtbarer.« Wenn diese Flüsterstimme ein Trick der Schwarzen Sternenbrüder war, hatte die Falle sich in dem Augenblick geschlossen, als die Schleusentür herunterklappte. Aber nach Verlassen der Schleuse, dem Betreten einer Rampe, einem kurzen Antigravschacht und zwei weiteren Querstollen sprach der Unsichtbare noch immer mit Colemayn. Colemayn hob die Hand, blieb stehen und versteckte sich in einer winzigen Kammer, die mit fremdartigen Leitungen, Ventilen und Isolationen nahezu ausgefüllt war. Er testete dreimal die Zusammensetzung der zirkulierenden Luft, dann öffnete er den Helm, desaktivierte einige Versorgungssysteme und fragte: »Sind die Roboter verschwunden?« »Warte noch einige Minuten, Colemayn.« Gemeinsam mit Breckcrown drang Colemayn tiefer in den Planetoiden ein. Der Unsichtbare schien jeden Winkel zu kennen und brachte Colemayn an robotischen Sperren vorbei, durch eine Transmitterverbindung, durch schwach beleuchtete Gänge und Korridore, vorbei an Energiestationen und quer über den Boden eines unbeleuchteten Hangars, in dem ein kleines Kugelschiff auf den wuchtigen Landestützen stand. Immer wieder flüsterte die seltsam uncharakteristische Stimme genau das Richtige. Mittlerweile war Colemayns Mißtrauen abgebaut. Aber er wußte nicht, wie weit der Weg war, wo sie sich wirklich befanden, und wie lange sie noch unentdeckt bleiben würden. Bisher hatte er noch nicht ein einziges Lebewesen gesehen, auch kein Bild eines der Bewohner. Sie kamen jetzt in eine große Halle, die hell ausgeleuchtet war. Der rechteckige Saal war keine vier Meter hoch, und unter einer strahlenden Rasterdecke standen Pulte, große Tische, seltsam geformte Sitze, große Bildschirme und Gruppen aus milchigen Säulen verschiedener Höhe und unterschiedlichen Durchmessers.
»Ein anderer Unsichtbarer belauert mich. Er ist in der Lage, mich zu erkennen. Bringe dich in Sicherheit, Colemayn! Flieh! Sie kommen… weg von hier!« Das Flüstern riß jäh ab. An allen vier Seiten des Saales öffneten sich Wandelemente. Schlanke Roboter schwebten heraus, näherten sich zwischen den Funktionsgruppen dem Sternentramp und richteten Waffenarme und Projektoren auf ihn. Es waren nicht weniger als fünfzig Maschinen, und während es wohl dem Unsichtbaren geglückt war, zu entkommen, hatte sich für Colemayn die Falle geschlossen. »Gebt euch keine Mühe«, sagte er mit entgegenkommendem Lächeln zu den Roboter. »Ich gehe freiwillig in eure Gefangenschaft.« ENDE
Schauplatz des nächsten Atlan-Bandes ist der Asteroid Jassal, in dessen Innerem sich Arien Richardson und Sarah Briggs aufhalten. Die beiden Celester sind nach ihrem Duell in bemitleidenswerter Verfassung und bedürfen dringend der medizinischen Hilfe. Diese Hilfe wird den Gefangenen von Jassal zuteil durch »die sanften Retter«… DIE SANFTEN RETTER – das ist auch der Titel des nächsten Atlan-Bandes. Der Roman wurde von Falk-Ingo Klee geschrieben.