Gruselspannung pur!
Die BlutSchamanin
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Juri zitterte vor Angst. »Was hast du...
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Gruselspannung pur!
Die BlutSchamanin
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Juri zitterte vor Angst. »Was hast du?« rief Karin Behrens ungeduldig. Sie war hier im Altai-Gebirge auf der Suche nach Bodenschätzen und hatte den Siebzehnjährigen angeheuert, weil er sich im Grenzgebiet zwischen Rußland, Kasachstan, der Mongolei und China bestens auskannte. Der Junge antwortete nicht. Wie angewurzelt blieb er stehen. Die Geologin folgte seinem Blick. Entgeistert starrte Juri auf einen Kiefernstamm. Jemand hatte einen Bären hineingeritzt und das Holz blutrot gefärbt. »Was ist denn da so interessant dran?« fragte Karin spöttisch. »Da hat jemand sein Messer ausprobiert.« Wild schüttelte der Junge den Kopf, doch er flüchtete nicht. Vielleicht hätte er da noch eine Chance gehabt, mit dem Leben davonzukommen… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! 2
»Umkehren!« sagte der Führer. Sein strähniges, ungewaschenes Haar hing ihm in die Stirn. Er war mit einer wattierten Jacke bekleidet, die tausendmal geflickt war. Seine Füße steckten in alten sowjetischen Armeestiefeln. Die derbe Arbeitshose war an den Knien durchgescheuert. Auf seinem Hinterkopf saß eine Mütze aus imitiertem Pelz. Karin Behrens hingegen hatte sich bei einem Outdoor-Ausrüster in ihrer Heimatstadt Düsseldorf für ihre Tour in den Altai ausstaffiert. Ihre Wanderschuhe hatten ein bequemes Fußbett. Ihre handgefertigte Trekking-Jacke hatte soviel gekostet, wie eine sibirische Familie im Jahr verdiente. Für den Fall der Fälle trug die resolute Geologin sogar eine Pistole in ihrer Tasche, eine österreichische Glock. Doch auch diese Schußwaffe würde ihr nichts gegen das namenlose Grauen helfen… »Ich warte!« Wie ein kleines Kind stampfte die Frau aus Deutschland mit dem Fuß auf. »Wir haben noch mindestens vier Stunden Tageslicht, Juri! Statt hier faul rumzustehen, könnten wir zu diesem Gipfel…« Wieder schüttelte der Junge nur panisch den Kopf. Er war kein Mann des Wortes und konnte in diesen Sekunden nicht erklären, wovor er sich zu Tode ängstigte. Er konnte es eigentlich überhaupt nicht ausdrücken. Karin schaute Richtung Himmel. Schwere Wolkenbänke zogen vorüber. In Richtung China, zur Wüste Gobi hin. Es war in den letzten paar Minuten merklich dunkler geworden. Aber die Geologin schien das nicht mitgekriegt zu haben. Wütend verschränkte sie die Arme vor ihrem Busen. Diese abergläubischen Spinner! sagte sie zu sich. Karin Behrens war eine Frau der Wissenschaft. Für sie zählten nur Tatsachen. Zwar war ihr bekannt, daß sich hier, im tiefsten Sibirien, das Christentum nie wirklich hatte durchsetzen können. Daß die Menschen immer noch an die Naturgötter und an die Magie von Tieren und Orten glaubten. Aber in den Augen der Deutschen war das alles nur Hokuspokus. Und deshalb glaubte sie, die Lösung ihres Problems gefunden zu haben. Ein paar Scheine zwischendurch, und Juri Samjatkin würde sich bestimmt wieder in Bewegung setzen. Grinsend zog sie eine 50-Dollar-Note aus ihrer Tasche. Irrsinnig 3
viel Geld im heutigen Rußland. Längst wurde die US-Währung überall akzeptiert, seit der Rubel fast nichts mehr wert war. »Ich verdoppele dein Honorar, Juri! Wie findest du das?« Die Unterlippe des Jungen, der als Dorftrottel verschrien war, hing schlaff herab. Er glotzte ungerührt an ihr vorbei. Die Geologin drehte sich um. Zehn Schritte hinter ihr stand plötzlich ein Jungfuchs. Er mußte aus dem Unterholz der dichten Bewaldung herausgetreten sein. »Hast du Angst vor einem kleinen Fuchs?« Die Wissenschaftlerin konnte es kaum glauben. »D… das ist kein normaler Fuchs«, stammelte Juri in seinem einfachen Russisch, das der Geologin keine Mühen bereitete. Juri rang nach Worten, um das Unaussprechliche deutlich zu machen. Vergeblich. Und im nächsten Moment war es zu spät. Zähnefletschend sprang das Tier die Geologin an! Fluchend ging sie zu Boden. Der Begriff Tollwut brannte sich in ihr Gehirn. Innerlich leistete sie Juri Abbitte. Der kleine Fuchs war wirklich zu einer rasenden Bestie geworden. Er schlug seine Zähne tief in den Oberschenkel der Frau. Sie riß an seinem räudigen Fell. Aber es half alles nichts. Er hatte sich festgebissen und wollte oder konnte nicht mehr loslassen. Die Schmerzen hatten Karin Behrens in einen Schockzustand versetzt. Sie handelte wie in Trance. Zog die kleine Glock aus ihrer Tasche. Zog den Schlitten der Waffe zurück. Dieses Vieh ist völlig tollwütig! rief eine Stimme in ihrem Inneren. Sie konnte nicht ahnen, daß ihr etwas viel Schlimmeres als die Tierseuche drohte. Die Mündung der Pistole richtete sich aus nächster Nähe auf den Schädel des Fuchses. Er hieb immer noch seine Zähne und Vorderpfoten in ihr Bein. Karin Behrens zog den Stecher durch, Sie schloß die Augen. Wollte nicht mit ansehen, wie das Geschoß den Kopf des Tieres zerplatzten ließ. Der Schuß hallte durch das einsame Gebirgstal am Altai. Die Geologin war sich sicher, gut gezielt zu haben. Um so größer war ihr Entsetzen, als der Fuchs seine Zerstörungsarbeit fortsetzte. Die Kugel war in seinen Schädel eingedrungen. Aber sie hatte überhaupt nichts bewirkt. Nun griff Juri ein. »Das ist kein normales Tier!« rief er, während er den Oberkiefer des Fuchses zwischen seine großen Hände nahm. »Das kann man 4
nicht töten!« Karin Behrens verstand nicht, was er damit sagen wollte. Es war alles zuviel für sie. Der Schmerz durch den plötzlichen Angriff. Die rotglühenden Augen des kleinen Waldbewohners. Juri, der keuchend und mit blutenden Händen den Fuchs von ihr herunterzuzerren versuchte. Und nun schlug auch noch das Wetter um. Der Himmel hatte sich noch weiter verdüstert. Das Licht wurde gelblich. Eine Farbe, die zu höllischem Schwefelgestank gepaßt hätte. Aber so weit reichte die Fantasie der Geologin nicht. Juri Samjatkin brüllte auf. Er hatte es geschafft, den Fuchs von der Deutschen herunterzureißen. Aber der Preis dafür war hoch. Sein Leben. Denn das Tier stürzte sich nun auf den Menschen, der ihm seine Beute streitig gemacht hatte. Die Kreatur ging dem Bergführer an die Kehle! Hilflos zuckte der ungelenke Körper des Dorftrottels, während ihm der Fuchs geifernd die Kehle durchbiß. Das Tier mußte über enorme Kräfte verfügen. Karin Behrens preßte mit der linken Hand ein Taschentuch auf ihren blutenden Schenkel, während die Rechte mit der Pistole hinund herschwenkte. Aber die Geologin traute sich nicht, noch einmal zu schießen. Zu groß war die Gefahr, Juri zu treffen. Außerdem - ihre erste Patrone war dem Fuchs schließlich völlig wirkungslos ins Gehirn gedrungen. Damit wurde der wissenschaftliche Verstand der Geologin nicht fertig. Durch Juri Samjatkins Körper lief noch ein letzter Krampf. Dann waren seine Qualen vorbei. Die Frau aus Deutschland wollte aufstehen. Aber ihr zerfetztes Bein ließ das nicht zu. Eine Dämonenklaue schien nach ihrem Herzen zu greifen. Gleich würde sich der Fuchs wieder ihr zuwenden. Und diesmal gab es keinen treuen Bergführer, der sein eigenes Leben für sie aufs Spiel setzte. Der Fuchs drehte sich um. Sein Fell war rot vom Blut seiner Opfer. Doch er verharrte, ohne anzugreifen. Einen Moment später erkannte Karin Behrens den Grund. In einer Aura roten Lichts erschien eine Frau. Juri Samjatkin lebte nicht mehr. Sonst hätte er der Geologin sagen können, daß dies die Blutschamanin des Altai-Gebirges war! 5
* Doch auch ohne eine Erklärung sah und spürte die Besucherin aus Düsseldorf das pure Grauen, das von dieser Person ausging. Die Blutschamanin hatte einen makellosen Körper. Das war deutlich zu erkennen, denn sie war splitternackt. Und obwohl es hier auf über 2000 Metern Höhe ziemlich kalt war, schien ihr das nichts auszumachen. Lange Beine, knackiger Po, flacher Bauch, große Brüste. Die Unheimliche sah aus, als wäre sie gerade dem Faltblatt eines Herrenmagazins entsprungen. Auch ihr Gesicht mit den sinnlichen Lippen und den fein geschwungenen Augenbrauen hätte wunderschön sein können. Wären da nicht diese abgrundtief bösen Augen gewesen. Für Karin Behrens war die Fremde der Horror pur. Auf ihrem Kopf trug sie ein Elchgeweih. Das Fell des Tieres hing über ihren Rücken. Den Körper der Frau schmückten Zeichnungen in roter Farbe. Primitiv wie die aus Steinzeithöhlen. Oder, dachte die Geologin schaudernd, ist es keine Farbe? Sondern…? »Willkommen in meinem Reich!« Die Frau mit dem Elchgeweih machte eine ironische Verbeugung. Dabei schwang sie ein primitives Musikinstrument in ihrer rechten Hand. Eine Trommel? Die Unheimliche sprach ein sauberes Russisch ohne Dialekt. Karin Behrens antwortete in derselben Sprache. »Was soll das hier? Warum hat dieser Fuchs meinen Begleiter getötet? Wo stammen Sie her?« »Ich bin aus meinem Reich gekommen«, antwortete die Blutschamanin mit der größten Selbstverständlichkeit. »Aus dem See des Bösen. Und Sie? Ich höre; daß Sie keine Russin sind. Obwohl Sie die Sprache gut sprechen…« Sie grinste zynisch. Als ob ihr Kompliment den gräßlichen Tod von Juri Samjatkin hätte ungeschehen machen können. Die Schmerzen tosten durch den Oberschenkel der Geologin. Das ließ sie jede Vorsicht vergessen. »See des Bösen? Was für ein Quatsch! Ich bin Wissenschaftlerin. Geologin aus Deutschland, aus Düsseldorf. Ich falle auf Ihren Hokuspokus nicht herein. Wenn Sie Ihren tollwütigen Fuchs nicht zurückpfeifen, werde ich 6
die Miliz alarmieren. Wer sind Sie überhaupt?« »Der nächste Milizposten ist dreihundert km von hier entfernt«, sagte die dämonische Schönheit ungerührt. »Und die Milizionäre scheißen sich in die Hosen, wenn sie auch nur in die Nähe meines Machtgebietes kommen. Ich bin Vera Igowna. Meinen wahren Namen könnten Sie niemals aussprechen. Man kennt mich hier als die Blutschamanin.« »Blutschamanin!« höhnte die Deutsche. »Helfen Sie mir lieber, oder ich zeige Sie an wegen unterlassener Hilfeleistung aaaaah!« Die unheimliche Schönheit hatte Karin Behrens mit einer Geste zum Schweigen gebracht. Sie hatte einfach nur ihre Trommel gehoben. Das Instrument schien plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln. Der Griff der Handtrommel bestand aus zwei geschnitzten Teilen, die den Körper eines Dämonen darzustellen schienen. Eine scheußliche Kreatur mit einem Horn mitten auf der Stirn und sechs Gliedmaßen. Dieser Leib wuchs plötzlich riesenhaft an. Er ragte weit über die höchsten Wipfel der Kiefern. Seine messerscharfen Krallen rasten auf das Gesicht der Geologin zu. Das Gebrüll des schwarzmagischen Wesens ließ den ganzen Berg erzittern. Einen Wimpernschlag später war der Spuk wieder vorbei. Die Wissenschaftlerin zitterte am ganzen Körper. »Das war mein Trommeldämon«, erklärte die Blutschamanin im Plauderton. »Er mag es gar nicht, wenn man mir respektlos gegenübertritt.« Karin Behrens nickte nur. Sie war kreidebleich, denn sie hatte gerade den Schock ihres Lebens erlitten. »Sie kommen aus Deutschland«, fuhr die nackte Frau mit dem Elchgeweih fort. »Ein schönes Land, wie ich höre. Ich werde es schon bald kennenlernen. Allerdings reise ich nicht in Ihre Heimatstadt, nach Düsseldorf. Sondern nach Weimar. Ich habe von dort eine Einladung erhalten. Am liebsten würde ich ja immer hier im Altai bleiben. Aber hier leben nur sehr wenige Menschen. Und die wenigen sind sehr vorsichtig. Nicht jeder ist so dumm wie dieser Dorftrottel da. Die meisten schützen sich vor mir. Davor, daß ich ihnen nehme, was ich am dringendsten brauche. Ihr Blut!« Das letzte Wort hatte sie geschrien. Und sich gleichzeitig auf die Geologin gestürzt. Obwohl die Deutsche geschockt war, wehrte 7
sie sich automatisch. Sie feuerte ihr ganzes Magazin auf die Blutschamanin ab. Es war sinnlos. Die normalen, nicht weißmagisch geweihten Kugeln prallten an dem schwarzmagischen Schutzschild der Unheimlichen ab. Und im Zweikampf hatte die Wissenschaftlerin sowieso keine Chance gegen die Schamanin. Es dauerte nicht lange, bis ein gnädiger Tod die Deutsche von ihren Qualen erlöste. Schwer atmend erhob sich die Frau, die sich Vera Igowna nannte. Das Blut ihres Opfers tropfte aus ihrem Mund. »Deutschland«, wiederholte die Unheimliche fast träumerisch. Den Blick auf die Leiche geheftet. »Dort gibt es mehr von deiner Sorte. Viel mehr. Ein ganzes Land voll von nichtsahnenden Menschen. Und jeder von ihnen ist bis obenhin voll mit Blut. Ich habe mein Paradies gefunden, liebe Unbekannte aus Düsseldorf.« Und sie senkte wieder ihre Lippen auf die klaffende Halswunde. * »He! Du armer Poet!« Ich schaute auf. Im nächsten Moment traf mich ein nasses Handtuch am Kopf. Meine Freundin Tessa Hayden hatte das Wurfgeschoß auf mich abgefeuert. Nackt stand sie in der offenen Badezimmertür meiner kleinen Dachwohnung in der Florian-Geyer-Straße. Die dreißigjährige Polizistin mit der frechen braunen Kurzhaarfrisur schien wieder einmal sauer zu sein. Doch diesmal war ich mir keiner Schuld bewußt. Ich hatte friedlich in meinem Futon-Bett gelegen und einen dicken Wälzer über Schamanen gelesen. Nachdem wir uns zuvor fast eine Stunde lang wild und leidenschaftlich geliebt hatten. Also schüttelte ich das Handtuch ab und strich mein blondes Haar zurück. »Was soll das, Tessa?« Ich hatte kapiert, daß sie mich mit dem Typen auf dem bekannten Gemälde von Carl Spitzweg verglich. Der »Arme Poet« lag wie ich in seinem Bett und las in einem dicken Buch. Doch da hörten die Parallelen auch schon auf. Denn ich bin kein Männchen mit Nachtmütze, sondern ein 8
28jähriger durchtrainierter Ex-Zehnkämpfer von einsneunzig Größe. Auch verdiene ich mir meine Brötchen nicht als Dichter, sondern - manchmal mehr schlecht als recht - als Gelegenheitsreporter und Sachverständiger im Auftrag von Behörden, denn die wahre Bestimmung meines Lebens ist der Kampf gegen dämonische Mächte und das Böse überhaupt. Das war auch der Grund, warum ich in dem Nachschlagewerk über Schamanen las. Auch ein Dämonenjäger muß sich weiterbilden. »Was das soll, Mark Hellmann?« echote Tessa erbost. »Das frage ich dich. Denn du hast mein Handtuch benutzt! Und zwar nicht zum ersten Mal!« Ich seufzte und schob die Bettdecke zur Seite. Dabei berührte ich zufällig das siebenzackige Mal auf meiner Brust. Es hatte die Größe eines Fünfmarkstücks. Das Mal befindet sich in Herzhöhe auf der linken Seite. Der Fleck, der auch als Hexenmal bezeichnet wird, ist völlig schmerzunempfindlich. (Mehr Informationen hierzu in MH 31!) Ich bin von Geheimnissen umgeben, dachte ich, während ich mich von meinem Futon-Bett erhob und scheinbar drohend auf Tessa zukam. Meine Herkunft, mein silberner Siegelring, die Fähigkeiten, die damit verbunden sind. Außerdem die Initialen M und N auf dem Ring, nach denen mir meine Adoptiveltern Ulrich und Lydia Hellmann die Vornamen Markus Nikolaus gegeben haben. (Weitere Infos zum Ring ebenfalls in Band 31!) Und das größte Geheimnis ist, führte ich meinen Gedanken weiter, warum ich mich ständig von Tessas Launen terrorisieren lasse. Ich bin zwar fast so arm wie der »Arme Poet«, aber ein paar saubere Handtücher habe ich trotzdem in meinem Schrank. Warum hatte Tessa nicht einfach eins davon genommen? Verstehe einer die Frauen. Inzwischen stand ich fast auf Armeslänge entfernt von ihr. »Was glotzt du so grimmig?« schnappte sie. »Faß mich nicht an! Ich kann Karate! Ich war eine der Jahrgangsbesten auf der Polizeischule! Ich - huh - hihihi!« Ihr Wutausbruch ging in einem hemmungslosen Kichern unter. Natürlich würde ich niemals meine Hand gegen meine Freundin erheben. Ich hatte mich jedoch entschlossen, ihr die miese Laune mit einfachen Mitteln auszutreiben. Indem ich sie gepflegt durchkitzelte. 9
Tessa kreischte vor Vergnügen, während ich mir mit flinken Fingerspitzen ihren Bauch vorknöpfte. Ihre Muskeln unter der zarten Haut zuckten. Die Polizistin hatte eine sportliche Figur. Überhaupt war sie eine bildschöne und clevere Frau mit wunderbaren braunen Augen. Ich liebte sie sehr, trotz ihrer gelegentlichen Wutausbrüche. Und trotz meiner, nennen wir es mal Orientierungsphase. Jeder Mann hat ja in jungen Jahren das Gefühl oder die Angst, etwas zu verpassen, will überall mitmischen, auch beim weiblichen Geschlecht, und ich hatte ordentlich mitgemischt, vielleicht sogar manchmal zu viel und somit Tessas Eifersuchtsanfälle regelrecht provoziert. Aber ich bin eben, wie man so sagt, ein Mann, den die Frauen lieben, dem es von ihnen recht schwer gemacht wird, nur einer einzigen treu zu sein. »Maaaaarrrrrk! Hihihihihihihihi-hihih.…! Hör aaaahahahahahauf…!« Jetzt kam ich erst richtig in Fahrt. Sie knickte vor lauter Lachen in den Knien ein. Ich hob sie hoch und trug sie hinüber zum Futon. »Du Lüstling…« Ihre Stimme wurde verlockend. Sie gurrte wie eine Taube. Das war auch kein Wunder. Ich spürte, wie sich ihre Brustwarzen unter meinen Küssen aufrichteten. Sie reckten sich mir entgegen. »Mark, du kriegst wohl nie genug, was?« »Du bist auch nicht besser, Tessa.« Nun wälzte sich meine Freundin auf den Rücken. Sehnsuchtsvoll streckte sie mir ihre Arme entgegen und spreizte die schlanken Schenkel. »Worauf wartest du noch, mein großer Freund?« Wieder brachte sie mich erstklassig in Fahrt. Tessa war eine fantastische Liebhaberin. Wild und unberechenbar, aber auch sanft und zärtlich. Einfach perfekt. Nachdem wir uns gegenseitig auf die höchsten Gipfel der Extase gejagt hatten, kamen wir keuchend wieder in die Realität zurück. Nach Atem ringend lagen wir nebeneinander. Tessa schielte nach ihrer Armbanduhr. Reichlich unromantisch, wie ich fand. »Es ist schon spät, Mark. Wir müssen uns beeilen.« Mit diesen Worten stand sie auf und schlüpfte in ihren spitzenbesetzten, schwarzen. Slip. BH und Strumpfhose folgten. Ich schnitt eine Grimasse. »Müssen wir da wirklich hin, Tessa? Klassische Musik ist nun 10
wirklich nicht mein Ding…« »Aber meins«, blaffte sie. »Jedenfalls ab und zu. Schließlich leben wir in Weimar. In der Kulturstadt Europas des Jahres 1999! Schon vergessen? Ich habe keine Lust, immer nur von Skelettpiraten entführt zu werden (Siehe MH 10) oder mit dem Samuraischwert wildgewordene Vampirqueens zu köpfen. Ich habe mich damit abgefunden, daß du gegen die Mächte der Finsternis kämpfst. Aber laß uns den Rest der Zeit ein halbwegs normales Leben führen, okay?« Dazu hätte ich noch einiges sagen können, aber ich hielt lieber den Mund. Ich wollte jetzt keinen Streit. Also warf ich mich in meinen Smoking, den ich mir in einem Anfall von Größenwahn einmal gekauft hatte. Tessa wollte sich in einem schwarzen MiniCocktailkleid den Klassikliebhabern präsentieren. Im Grunde hatte sie ja sogar recht. Unser gemeinsames Leben wurde durch die Mächte der Hölle überschattet. Sie waren hinter mir her. Allen voran Mephisto, der Fürst der Finsternis. Tessa als meine Freundin geriet natürlich ebenfalls ins Fadenkreuz der schwarzmagischen Wesen. Warum sollten wir also nicht mal wieder ausgehen wie ein normales Paar? Immerhin war unser letzter Kulturgenuß schon sieben Wochen her, und wie der endete, wissen alle, die den MH-Band 25 gelesen habe. C.W. Bach nannte meinen Auftritt damals »Ich, der Drachentöter«. Aber mußte es denn ausgerechnet Beethoven sein…? Ich machte gute Miene zum bösen Spiel. Tessa hatte vier Freikarten bei der Polizeitombola gewonnen. Mein Freund Pit Langenbach und seine Frau Susanne würden uns begleiten. Wir hatten versprochen, sie abzuholen. Als Tessa sich fertig gestylt hatte, verließen wir meine Wohnung. Mein Vermieter lag bereits auf der Lauer. Herr Stubenrauch war ein kleinwüchsiger Sachse, der nur ein einziges Hobby hatte. Seinen Mietern hinterherzuspionieren. »Ah, Herr Hellmann! So elegant heute abend? Sie haben wohl im Lotto gewonnen. Na dann werden Sie die nächste Miete ausnahmsweise mal pünktlich zahlen können!« »Sicher, Herr Stubenrauch«, entgegnete ich schlagfertig. »Wir fahren jetzt zur thüringischen Lottozentrale und holen meine gewonnene Million ab. Bis später!« Mit offenem Mund blieb er wie festgefroren in seiner Wohnungstür stehen. Nur seine Blicke folgten Tessas Hintern 11
unter dem engen Minikleid. Dafür hatte ich vollstes Verständnis. Wieder einmal hatte ich es geschafft, einen Parkplatz für meinen stahlblauen BMW direkt vor dem Haus zu ergattern. Wir stiegen ein und brausten los. Wie ich die nächste Tankfüllung bezahlen sollte, wußte ich noch nicht. Ich sagte es Tessa. »Vielleicht solltest du die Automarke wechseln«, flötete sie. Und dann begann sie zu trällern: »Ein himmelblauer Trabant rollte durchs Land, mitten im Regen…« Ich mußte grinsen. Wie ich selbst war auch Tessa im Osten Deutschlands aufgewachsen. Deshalb kannte sie auch diesen alten DDR-Schlager. Ein Stück Vergangenheit, das uns verband. Die Westdeutschen konnten ja oftmals noch nicht einmal mit dem Namen des DDR-Schlagersuperstars Frank Schöbel etwas anfangen. Immerhin nahm Tessa Hayden meine chronische Geldknappheit inzwischen mit Humor. Früher hatte sie mir immer in den Ohren gelegen, was für ein Fehler es gewesen sei, nach meinem Völkerkunde-Studium den sicheren Job als wissenschaftlicher Assistent im Museum hinzuwerfen. Und dann sah es mit meinen Finanzen ja eine Weile ganz gut aus. Honorare von Zeitungen und Fernsehen trudelten ein. Und hier und da ein paar Krümel extra, aber die waren aufgepickt, weg. Tessa war Beamtin und konnte sich nicht vorstellen, wie mich die verkrusteten Strukturen im Öffentlichen Dienst einengten. Ich war ein unruhiger Mensch. Ständig getrieben von den Geheimnissen meiner Herkunft und meiner Bestimmung. Und von den oft visionären Alpträumen, die mich plagten. Dann erreichten wir Pits Haus. Stiegen hinauf in den dritten Stock des Hauses, in dem die Langenbachs wohnten. Pit, der eigentlich Peter hieß, band gerade seine SmokingFliege. Unter seinem imposanten Schnurrbart stahl sich ein breites Grinsen auf seine Lippen. »Hallo Alter!« begrüßte ich ihn. »Heute auch in Kellnerverkleidung?« »Wie du siehst«, meinte er. Pit arbeitete wie Tessa in der Polizeidirektion Weimar. Er war als Hauptkommissar in der Abteilung für Gewaltverbrechen tätig. Pit war genauso groß wie ich, hätte jedoch mit seinem breiten Kreuz auch als Ringer durchgehen können. »Wo ist Susanne?« fragte ich. 12
»Im Wohnzimmer. Gibt unserem neuen Babysitter den letzten Schliff.« Da sah ich sie schon durch die Tür treten. Susanne, drei Jahre jünger als Pit, hatte ihr langes Blondhaar extra für diesen Kulturanlaß hochgesteckt. Die achtjährige Anna, von allen nur Floh genannt, lümmelte bereits im Schlafdreß auf dem Sofa. »… und Fernsehen nicht länger als bis neun!« beendete Susanne ihre Instruktionsrunde. Die Babysitterin nickte diensteifrig. Sie war ungefähr achtzehn alt, trug einen roten Karo-Minirock und ein ärmelloses T-Shirt mit dem Gesicht von Johann Wolfgang von Goethe drauf. Ihre Haare waren grün gefärbt. »Punk?« fragte ich, die Hände in den Taschen meiner Smokinghose. »Punk ist tot, Opa«, meinte das Mädchen augenzwinkernd. »Und ich heiße Struppy. Und der Herr auf meinem Hemd, ist unser deutscher Dichterfürst.« »Dann dichte mal schön, Struppy.« Nach einer kurzen Verabschiedungsszene zwängten wir uns in die Langenbachsche Familienkutsche. Unser Ziel war das Fürstenhaus neben der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek. Dort sollte das Konzert stattfinden. »Struppy sieht schräg aus«, räumte Susanne ein. »Aber die Babysitteragentur schwört auf sie. Ihr richtiger Name ist Mechthild Schaumburg-Klöten.« »Ich kann verstehen, daß sie sich lieber Struppy nennt«, meinte Tessa. Wir kamen noch pünktlich zu dem Konzert. Auf dem Programm standen Werke von Beethoven, Bach, Schostakowitsch und Vivaldi. Es verlief erwartungsgemäß. Beim ersten Ton der Streicher nickte ich ein. Und wurde erst durch den Schlußapplaus des Publikums aus dem Schlaf gerissen. Tessa warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Du bist ein Kulturbanause, Mark Hellmann!« »Wieso? Niemand kann behaupten, daß die Musik keine Wirkung auf mich hat.« Später gingen wir noch auf ein Bier in die Brasserie Central am Rollplatz. Während Pit einen seiner stinkenden Zigarillos qualmte, redeten wir über unsere Abenteuer und Gott und die Welt. 13
Schließlich luden uns die Langenbachs noch zu einem Kaffee in ihre Wohnung ein. Als wir dort ankamen, schwante uns Übles. Die Wohnung war hell erleuchtet, aber leer. Wie ausgestorben. Susanne schlug die Hände vor den Mund. Ihre Tochter Floh war verschwunden. Und die Babysitterin ebenfalls. * Gerhard Karstens hatte feuchte Hände vor Aufregung. Nervös lief er in der Empfangshalle des Ostberliner Flughafens Schönefeld hin und her. Der Mann aus Weimar hatte sich für den heutigen Tag in seinen besten Anzug geworfen. Auch einen Blumenstrauß hatte er noch in letzter Minute besorgt. Obwohl er die Preise hier in der Hauptstadt reichlich unverschämt fand… Egal, dachte der Fünfzigjährige. Er zündete sich eine Zigarette an, um gelassener zu werden. Aber das funktionierte nicht. Zu groß war seine Anspannung. Seine Vorfreude auf die Frau, die er abholen wollte. Für einen Moment sah Karstens sein Spiegelbild in einer der Glastüren des Ausganges. Eine männliche Schönheit war er nicht gerade. Andererseits aber auch nicht herausragend häßlich. Ein Durchschnittstyp eben. Jemand, den man auf der Straße sieht und sofort wieder vergißt. Und so mittelmäßig wie sein Aussehen war auch sein Liebesleben. Es hatte sich in den letzten Jahren auf gelegentliche Besuche bei einem Callgirl beschränkt. Diskret natürlich. Als Beamter in gehobener Position mußte er schließlich auf seinen Ruf achten. Doch ab heute sollte alles anders werden. Angefangen hatte es mit einer großen Reklame in der Weimarer Rundschau. Die Anzeige war von der Siberia Partnervermittlung aufgegeben worden. Der Text war mit Fotos von hübschen Russinnen garniert gewesen. Sofort war Gerhard Karstens Feuer und Flamme gewesen. Er stellte sich vor, wie es wäre, jeden Tag einen dieser atemberaubenden Körper zur Verfügung zu haben. Nur für ihn allein… Frauen taugten in seinen Augen nur für die Küche und fürs Bett. Das war ja auch der Grund, warum es keine bei ihm aushielt. 14
Seine Ansichten paßten nicht mehr in die neunziger Jahre. Aber er war unfähig, sich zu ändern. Und er wollte es auch nicht. »Die Russinnen machen keine Sperenzchen«, hatte der Manager der Partnervermittlung unverblümt gesagt. »Die sind genügsam, Herr Karstens. Die freuen sich schon, wenn sie aus ihrem sibirischen Eisloch rauskommen. Und dafür machen die alles. Glauben Sie mir. Ich bin schließlich selbst mit einer von der Sorte verheiratet…« Und bei diesem Satz hatte er dreckig gelacht. Sie waren schnell ins Geschäft gekommen. Nachdem Karstens eine Vorauszahlung geleistet hatte, durfte er in dem FarbfotoKatalog der Agentur blättern. Andere Institute arbeiteten, heutzutage schon mit Video-Selbstdarstellungen der Kandidaten. Das gab es bei Siberia nicht. Aber dafür war die Partnervermittlung auch billig. Für einen Geizhals wie Gerhard Karstens ein wichtiges Argument. Er hatte nur wenige Seiten umschlagen müssen, bis ihm seine Traumfrau von einem Foto entgegengestrahlt hatte. Die oder keine! »Das nenne ich Geschmack!« hatte der Manager geschleimt, wobei er seinem Kunden vertraulich mit dem Ellenbogen in die Seite geknufft hatte. »Da möchte man doch sofort…« Und er hatte eine obszöne Handbewegung gemacht. Das war vor drei Wochen gewesen. Und heute sollte Gerhard Karstens seine Braut am Flughafen abholen. Zum gegenseitigen Kennenlernen, wie es in der Broschüre des Instituts so schön hieß. Wenn alles klappte, konnten schon in einer Woche die Hochzeitsglocken läuten. Alles im Pauschalpreis inbegriffen. Der Flug Nummer 1078 von Irkutsk über Moskau nach BerlinSchönefeld wurde angesagt. Die Maschine war gelandet. Karstens eilte zu dem genannten Gate. Nun mußten die Einreisenden noch die Zollkontrolle und die Grenzformalitäten über sich ergehen lassen. Eine halbe Ewigkeit später sah Karstens die ersten Passagiere auftauchen. Viele von ihnen waren kräftige Männer mit den langsamen Bewegungen von Schwerarbeitern. Einige neureiche Russen mit Maßanzügen und Pelzmänteln waren auch darunter. Sie trugen an jedem Finger einen Ring. Businessmeni nannte man sie in ihrer Heimat. Eine nicht unbedingt freundlich gemeinte Bezeichnung. 15
Und dann kam sie! Nein, man sah es der dunkelhaarigen Schönheit wirklich nicht an, daß sie aus der menschenleeren Einöde der sibirischen Gebirgskette Altai stammte. Sie war so elegant, als wären die Boulevards von Paris oder die Avenues von New York ihre Heimat. Das lachsfarbene Minikostüm betonte sowohl ihre langen Beine als auch ihren mehr als üppigen Busen. Gerhard Karstens' Puls raste. Er konnte es kaum erwarten, sie in den Armen zu halten… Auch sie hatte ihn nun erkannt. Die Agentur hatte ihr ein Paßfoto von ihrem zukünftigen Bräutigam geschickt. Strahlend und freudig winkend stakste sie auf ihren hohen Absätzen auf ihn zu. Dem Beamten im gehobenen Dienst traten Schweißperlen auf die Stirn. Ihr schweres Parfüm stieg Karstens in die Nase. Dann hatte sie ihre Arme schon um seinen Nacken gelegt. Und bevor er sich versah, schob sie ihm ihre flinke Zunge zu einem leidenschaftlichen Kuß in den Mund. Er spürte, wie sich ihre großen Brüste an ihn drängten. Ihm wurde fast schwindlig… Wenn der Fünfzigjährige nicht so außer sich gewesen wäre, hätte er das böse Funkeln in ihren Augen vielleicht erkannt. So aber grinste er nur wie ein zufriedener Idiot. »Hallo«, sagte er endlich auf Russisch. Wie viele Menschen, die in der DDR aufgewachsen waren, konnte er sich in dieser Sprache gut verständigen. »Ich bin Gerhard. Wie du dir vielleicht schon gedacht hast. Gerhard Karstens. Dein Bräutigam.« Die Schönheit schürzte ihre blutroten Lippen. »Und ich bin Vera Igowna.« Dein sicherer Tod, setzte die Blutschamanin in Gedanken hinzu. * Susanne Langenbach liefen die Tränen über die Wangen. Und auch Pit konnte man ansehen, daß ihm das plötzliche Verschwinden seiner Tochter schwer an die Nieren ging. Ich prüfte automatisch meinen Siegelring. Er reagiert auf dämonische Aktivität, indem er aufglimmt und sich erwärmt. Aber in der ganzen Wohnung unserer Freunde schien es nichts zu geben, das seine Warnfunktion aktivierte. Allerdings waren hohe Dämonen wie Mephisto auch in der Lage, meinen Ring zu 16
»überlisten«. Doch ich wollte nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Obwohl Anna Langenbach als Tochter meiner Freunde natürlich auch zu den gefährdeten Personen zählte. Ist das mein Schicksal? dachte ich, während ich die leeren und hellerleuchteten Räume durchstreifte. Alle Menschen, die ich liebe und mag, in Gefahr zu bringen? Im nächsten Moment rief ich mich selbst zur Ordnung. Wir wußten ja noch nicht mal, ob Floh wirklich entführt worden war. Tessas Polizistinnengehirn lief bereits auf Hochtouren. »Wir müssen diese Struppy durchchecken«, meinte sie zu Pit. »Hatte sie vielleicht vor kurzem eine Fehlgeburt? Manche Frauen verlieren dann die Kontrolle über sich und stehlen fremde Kinder.« »Weiß ich.« Mit zitternden Händen zündete sich mein Freund einen seiner Stinkbalken an. »Aber meistens nehmen sie ein Baby mit. Kein achtjähriges Mädchen.« Er war den Tränen nah. Ich faßte ihn am Oberarm. Wir mußten etwas unternehmen. Jede Aktion war besser, als hier herumzusitzen und in Trauer zu verfallen. »Laß uns das Haus durchchecken, Alter. Vielleicht haben die Nachbarn etwas bemerkt. Mein sächsischer Vermieter hätte schon alles notiert. Habt ihr nicht auch solche Nachbarn?« Pit grinste schmerzhaft. »Die hat wohl fast jeder…« Tessa tröstete inzwischen die völlig aufgelöste Susanne. Wir nahmen uns die Nachbarn systematisch vor. Pit die auf der rechten, ich die auf der linken Seite. Die meisten reagierten völlig ungehalten. Schließlich war es schon fast Mitternacht. Doch gesehen haben wollte keiner etwas. Schließlich blieb uns nur noch der vierte Stock. Direkt über der Langenbachschen Wohnung. Ich ließ meinen Daumen auf dem Klingelknopf, bis eine alte Dame mit geblümtem Schlafrock öffnete. Ungehalten starrte sie mich an. »Verzeihen Sie die späte Störung«, sagte ich. »Aber wir suchen Anna, die kleine Tochter…« »Eine Unverschämtheit!« schnappte die Weißhaarige. »Sagen Sie Frau Langenbach, daß sie ihre Kleine auch tagsüber auf den Speicher schicken kann! Wie soll ich denn schlafen können? Die schweren Schritte, direkt über meinem Bett…« »Speicher?« Ich mußte ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt haben. 17
»Oder nennen Sie es Dachboden, junger Mann! Ich habe die Stimme der Kleinen ganz genau erkannt. Das geht nun schon mindestens eine Stunde so!« Schnaubend warf sie die Tür wieder ins Schloß. Ich rief Pit. Er hatte inzwischen seine Dienstwaffe aus der Nachttischschublade geholt. Wir mußten ja mit allem rechnen. Auf dem Treppenabsatz der in ihrem Nachtschlaf gestörten Rentnerin führte eine schmale und steile Stiege direkt zum Dachboden. Die Klapptür des Speichers stand weit auf. »Ich gehe zuerst«, raunte ich meinem Freund zu. »Gib mir Deckung!« Auf Zehenspitzen kletterten wir die knarrenden Holzstufen hoch. Wir versuchten, so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Vorsichtig steckte ich den Kopf durch die Luke. Wie versteinerte Monstren drohten die Schatten von ausrangierten Möbeln in der Dunkelheit. Meine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an das trübe Licht gewöhnt hatten. Wieder beschäftigte ich mich mit meinem Ring. Fehlanzeige. Eine schwarzdämonische Bedrohung war nicht auszumachen. Aber was hatte diese Babysitterin mit Floh angestellt? Der Speicher war weitläufig und unübersichtlich. Mein durchtrainierter Körper federte hoch. Wie ein Raubtier ging ich in die Hocke. Geduckt und zum Sprung bereit. Innerlich beglückwünschte ich mich dazu, daß ich nur ein Paar schwarze Halbschuhe besaß, die zu meinem Smoking paßten. Sie hatten eine Kautschuk-Profilsohle. Tessa fand sie nicht elegant genug, um sie zu einem Abendanzug zu tragen. Aber diese Schuhe verursachten fast keinen Lärm, wenn man vorsichtig auftrat. Plötzlich hörte ich die Stimme von Anna. Sie klang nicht verängstigt. Oder eingeschüchtert. Sondern einfach nur begeistert. »Und was ist das da drüben, Struppy?« »Das«, erwiderte das grünhaarige Mädchen, »ist der Große Wagen. Er heißt so, weil…« Nun sah ich auch die kleine Tochter meiner Freunde und ihre Babysitterin. Sie standen unter einer halboffenen Dachluke. Anna war auf einen Schemel geklettert und wurde von Struppy festgehalten. In ihren Händen hielt sie ein Teleskop. Es zeigte in den klaren Nachthimmel hinauf. »Was ist das denn hier?« sagte ich laut. Meine Stimme war 18
ganz hell vor Erleichterung. »Eine Hobby-Sternwarte?« Struppy ging in die Luft, als ob sie sich auf eine Reißzwecke gesetzt hätte. »Spinnst du, Mann? Mich so zu erschrecken!« Nun war auch Pit Langenbach herangekommen. Er steckte seine Pistole weg. Es war offensichtlich, daß seine Tochter nicht bedroht wurde. Trotzdem war er sauer. »Sie spinnen wohl!« schnauzte er die Grünhaarige an. »Meine Frau ist fast gestorben vor Schreck, als wir in die leere Wohnung kamen!« Selbst in dem trüben Licht sah ich, wie Struppy erschreckt ihre hellblauen Augen aufriß. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Ach du Scheiße! Ist es schon so spät? Ich habe die Zeit vergessen…« »Hallo Papi!« meldete sich nun Floh zu Wort, ohne den Blick vom Sternenhimmel abzuwenden. »Struppy zeigt mir gerade die Sternbilder. Sie ist Astrologin.« »Um so besser«, brummte mein Freund. »Als Babysitterin hat sie nämlich ihren Job verfehlt!« »Das ist nicht fair!« Wie ein kleines Kind stampfte Struppy mit dem Fuß auf. Sie trug schwere Kampfstiefel zum Minirock. Kein Wunder, daß sich die alte Dame über die schweren Schritte auf dem Dachboden beklagt hatte. »Ich habe Ihrer Tochter gratis und als Zugabe die wichtigsten Sternbilder gezeigt…« Aber Pit hatte offensichtlich keine Lust mehr auf eine Diskussion. Er ging zu Floh hinüber und nahm sie auf den Arm. »Ab mit dir, mein Schatz! Es ist höchste Bettzeit für dich!« »Oooooooooch!« tönte die Kleine. »Es war so spannend, was Struppy mir gezeigt hat. Und dann auf einmal der Wolf mit den roten Augen…« »Was ist denn das für ein Sternbild?« rief ich. Struppy warf mir einen vernichtenden Blick zu. Aber Anna sagte: »Das war kein Sternbild! Das war ein richtiger Wolf! Er hatte ganz rotglühende Augen. Und sein Körper hat geleuchtet. Und er ist über die Dächer geflogen!« * So mittelmäßig wie Gerhard Karstens war auch seine Wohnung. Zwei Zimmer. Wohnzimmer und Schlafzimmer. Einbauküche. 19
Der größere Raum wurde von einer kunstledernen Sofagarnitur mit schweren Sesseln bestimmt. Immerhin hing an der Wand kein Ölgemälde eines röhrenden Hirsches. Sondern eine Ansicht des Weimarer Schlosses. Und - eine Nachbildung der »Betenden Hände« von Albrecht Dürer. Das war das erste, was Vera Igowna bemerkte, als sie das Wohnzimmer betrat. Und es mißfiel ihr. Zwar war die Darstellung christlicher Andacht nicht stark genug, um die Blutschamanin zu vertreiben. Aber der Anblick genügte, um ihr Unwohlsein zu bereiten. Sie hielt ihre Hand vor die Augen und wandte sich ab. »Nimm das da bitte weg, Gerhard!« Sie sprach Russisch mit ihrem »Bräutigam«. Die deutsche Sprache beherrschte sie noch nicht. »Was meinst du?« Der Beamte konnte seinen Blick einfach nicht von ihren vollen Brüsten abwenden, starrte immer nur auf das tiefe Dekollete. »Dieses - Bild da!« Sie deutete auf die Dürer-Nachbildung, ohne in die Richtung zu schauen. »Es ist häßlich!« »Wenn du meinst…« Gerhard Karstens war kein Kunstkenner; jetzt hatte er sowieso andere Interessen. Er wollte möglichst bald mit Vera Igowna ins Bett. Also wollte er sie auch bei Laune halten. Schulterzuckend nahm er die »Betenden Hände« ab. Legte sie mit der Motivseite nach unten auf den Sofatisch. »Ich danke dir…« Ihre Stimme war schlagartig sinnlich geworden. Dieses Teufelsweib wollte sein Blut in Wallung bringen. So war es am besten für sie. Sie liebte es, wenn das Blut ihrer Opfer heiß durch die Adern pulsierte. Bevor es dann zum letzten Mal aus dem Körper floß. So lange, bis kein Tropfen mehr in der Leiche war… Keuchend registrierte der Mann, wie ihre schmale, schlanke Hand an seinem Oberschenkel hochwanderte. Seine heißesten Wunschträume schienen kurz vor der Erfüllung zu stehen… Gurrend ließ die Blutschamanin ihre Zunge in die Ohrmuschel ihres Opfers schnellen. Den tückischen Blick aus ihren schrägen Katzenaugen konnte Karstens nicht erkennen. Immer stärker geriet er in ihren Bann. Besitzergreifend grapschte der Mann nach ihren üppigen Brüsten. Vera fand, daß es nun langsam reichte. Sie hatte ihr Opfer 20
genug aufgeheizt. »Laß das!« Plötzlich war ihre Stimme scharf und schneidend wie eine rostige Rasierklinge. Gerhard. Karstens verstand die Welt nicht mehr. Er kapierte nicht, was hier vorging. Warum war seine Braut plötzlich so abweisend? Statt einer Antwort kriegte er dann den Schock seines Lebens. Plötzlich hielt Vera Igowna einen Totenkopf in den Händen. Dem Beamten blieb fast das Herz stehen. Noch nie hatte er echte Gebeine gesehen. Außer einmal, im Biologieunterricht. Aber das war über fünfunddreißig Jahre her. Doch da hatte der Lehrer ihnen einen ganz normalen Schädel gezeigt. Und damit die Funktionen des menschlichen Kopfes erklärt. Doch dieser Totenkopf hier - er blutete! Der Mann zweifelte an seinem Verstand. In den leeren Augenhöhlen des Schädels schien ein weißgelbes Höllenlicht zu glimmen. Gerhard Karstens war nicht religiös. Sonst hätte er vielleicht in diesem Moment gebetet. Aber auch das hätte nichts geholfen gegen die Magie der Blutschamanin. Vera Igowna grinste siegessicher. Wie sie es erwartet hatte, heftete sich der Blick ihres Opfers auf die glühenden Lichter in den Augenhöhlen. Der Schädel würde Karstens hypnotisieren. Damit bekam sie einen erstklassigen Dämonenknecht. Jemanden, der alle ihre Befehle kritiklos und sofort ausführen mußte. Der Totenkopf war nur eine schwarzmagische Illusion. Die Blutschamanin verwendete ihn als Objekt, um Menschen unter ihre Kontrolle zu kriegen. Denn bevor sie Gerhard Karstens sein Blut nehmen würde, konnte er noch viel für sie tun. Sie heiraten, zum Beispiel. Damit sie ganz offiziell hier in Deutschland bleiben konnte. In dem Land, wo niemand von der Existenz einer Blutschamanin auch nur etwas ahnte. Jedenfalls dachte Vera Igowna das. * Gerhard Karstens war ein leichtes Opfer. Es dauerte keine Minute, dann war sein eigener Willen für immer gebrochen. Aus glasigen Augen glotzte er die Blutschamanin an. Sie 21
verschränkte zufrieden die Arme vor ihrem großen Busen. Karstens Interesse an ihrem Körper war erloschen. Jeder Wunsch war im Inneren des Mannes abgestorben. Außer dem, seiner Herrin treu dienen zu dürfen. Den Totenkopf hatte die Blutschamanin wieder verschwinden lassen. Er hatte seinen Zweck erfüllt. Statt dessen hatte sie nun ihre Schamanentrommel aus ihrer Umhängetasche gezogen. Sie klopfte einen leisen, betörenden Rhythmus auf das Tierfell der Bespannung. Es war Wolfshaut. Karstens zuckte zurück. Plötzlich schien eine wilde, knurrende Meute von Raubtieren durch die Wand seines Schlafzimmers zu brechen! Es waren sehnige, halb verhungerte sibirische Wölfe. Der Geifer flog ihnen aus den weit aufgerissenen Mäulern mit den scharfen Zähnen. Jammernd hielt der Beamte die Arme vor das Gesicht und wartete darauf, daß ihn die Tiere in Stücke rissen. Aber es geschah nichts. Nur das perlende Gelächter der Blutschamanin übertönte die dumpfe Melodie ihrer Trommel. »Leg dich ins Bett«, befahl Vera Igowna dem Willenlosen, mit dem sie gerade ihre dämonischen Späße getrieben hatte. »Du mußt morgen ausgeruht sein. Ich komme später. Heute nacht habe ich noch zu tun!« Mit diesen Worten verwandelte sie sich in einen riesigen Wolf. Ihre Augen glühten wie schwarzmagische Kohle aus der untersten Hölle. Dann schwang sie sich in die Luft und jagte durch das geschlossene Fenster hinaus in die Nacht. Wie ein Roboter zog sich Gerhard Karstens aus und legte sich in sein Junggesellenbett. Noch vor wenigen Stunden hatte er sich diese Nacht ganz anders ausgemalt. Aber in seinem Geist gab es keine geilen Sex-Phantasien mehr, nur noch den bedingungslosen Gehorsam gegenüber der Blutschamanin. * Rene Graum schlug zu. Hart, aber kontrolliert. Seine linke Gerade knallte mit einem dumpfen Geräusch auf das dicke Leder des Sandsacks. Es knarrte metallisch, als sich das schwere Trainingsgerät wieder 22
auspendelte. Mit einer starken Kette war es an der Decke der Trainingshalle befestigt. Beim Polizeisportverein Weimar. »Weiter! Schlaf nicht ein!« Rene Graum grinste. Sein Trainer Horst Wielage war hart, aber herzlich. Der pensionierte Polizist hatte schon zu DDR-Zeiten seine Boxstaffel fest im Griff gehabt. Der achtzehnjährige Boxer wußte, daß ihm von dem Alten nichts geschenkt wurde. Wielage erwartete vollen Einsatz von seinen Jungs. Aber das war dem Maschinenschlosser-Azubi nur recht. Rene Graum wollte hoch hinaus. Mit Hilfe seiner flinken Fäuste. Sein großes Vorbild war sein Namensvetter Rene Weller. Deshalb bearbeitete er auch weiter den Sandsack, obwohl ihm der Schweiß in Strömen über den Rücken lief. An diesem Abend hatte er schon ein hartes Programm hinter sich. Seilspringen. Zirkeltraining, dann ein paar Runden als Sparringspartner für die Halbschwergewichtler und nun noch die Schlagtechnik am Sandsack. Endlich erlöste ihn der alte Wielage mit einem Schulterklopfen. »Deine Linke hat noch nicht den richtigen Zunder, Junge. Wenn du dich nur auf deine Rechte verläßt, bist du im Ring verlassen!« Mit diesem freundschaftlichen Rat entließ er seinen Schützling in die Nacht. Bis zum nächsten Abend. Rene trainierte viermal in der Woche. Erlösend floß das kalte Wasser der Dusche auf seinen verschwitzten Körper. Nachdem er sich angezogen hatte, bestieg Graum pfeifend sein Mountain Bike. Bis zum Haus seiner Eltern in der Siedlung Landfried war es nur zehn Minuten mit dem Fahrrad. Er sollte dort nie ankommen. Der junge Boxer fuhr die Friedrich-Ebert-Straße hinunter. Auf die Bahnunterführung zu. Jenseits der Gleise hieß die Straße dann Buttelstedter Straße. Und dann war es nicht mehr weit bis zum Gretelweg, wo er mit seinen Eltern lebte. Kein Auto und kein Fußgänger war unterwegs. Es mußte nach dreiundzwanzig Uhr sein. Die Bahnunterführung war nur spärlich beleuchtet. Aber der Kampfsportler war kein Feigling. Er behielt sogar die Nerven, als er plötzlich von einem schwarzen Schatten angesprungen wurde! Rene Graums Reflexe funktionierten gut. Trotzdem stellte sich das Vorderrad seines Mountain Bikes quer. Und er schoß über den Lenker hinweg auf den Asphalt der Fahrbahn. Während er schmerzhaft mit dem Schädel aufkam, beglückwünschte er sich 23
gleichzeitig für den spärlichen Autoverkehr. Sonst wäre er vielleicht glatt überfahren worden. Wer hat mich vom Rad geholt? dachte der junge Boxer wütend. Er hob die Fäuste. Irgendwelche Schlägertypen bestimmt, die sonst am nahen Hauptbahnhof herumhingen. Die sich selbst in die Tasche weinten, weil es ihnen ja so schlecht ging. Aber die auch keinen Finger rührten, um ihre Lage zu verbessern. Sondern sich lieber an Schwächeren vergriffen und Stütze kassierten. Aber diesmal habt ihr euch den Falschen ausgesucht, Freunde! sagte sich Rene Graum grimmig. Wild blickte er mit zusammengekniffenen Augen um sich. Bereit, es mit jeder Schlägerbande aufzunehmen. Doch gleich darauf glaubte er zu träumen. Im Schatten der Bahnunterführung standen keine streitsüchtigen Säufer mit »Holzshampoo«, wie die Baseballkeulen zynisch genannt wurden. Sondern ein riesiger Wolf! Dem jungen Maschinenschlosser blieb der Mund vor Staunen offen stehen. Er hatte noch nie einen echten Wolf gesehen. Außer natürlich im Fernsehen, aber das zählte irgendwie nicht. Doch bei diesem Tier konnte es sich nur um einen Wolf handeln. Ein räudiges, starkknochiges Vieh. Die Augen glommen rötlich. Von der ganzen Kreatur schien eine Aura des Schreckens auszugehen. So, als ob sie nicht von dieser Welt wäre… Rene spürte, wie eine Gänsehaut über seinen Rücken lief. Er hatte das dumme Gefühl, daß ihm seine Boxkünste gegen diesen Wolf nichts nützen würden. Gleich darauf war es zu spät, darüber nachzudenken. Denn nun griff das Tier erneut an! Verzweifelt hob Rene die Fäuste. Er hatte keine Waffe, nicht mal ein Taschenmesser. Der Junge haßte Waffen. Das war einer der Gründe, warum er boxte. Er wollte sich nicht hinter einer Gasknarre verstecken, wie es so viele taten. Er wollte sich selbst verteidigen können, ohne die Schein-Sicherheit einer Waffe. Doch gegen dieses schwarzmagische Tier hätte ihm sogar eine Panzerfaust nichts geholfen. Der Boxer spürte den heißen Atem der Bestie, als sie ihn ansprang. Und glatt von den Füßen holte. Das war ihm im Ring nur selten passiert. Schon oft hatte Rene mit Männern gekämpft, die stärker waren als er selbst. Deshalb ahnte er, welche 24
ungeheure Kraft dieser Wolf besitzen mußte. Plötzlich schrie der Junge vor Angst. Er wollte es nicht. Aber dann wurde er von heller Panik erfaßt. In seinem tiefsten Inneren wurden die Instinkte wach, die schon unseren Vorfahren in der Steinzeit das Überleben gesichert haben. Wenn sie auf einen Baum kletterten, um dem Säbelzahntiger zu entrinnen. Aber vor dem Dämonen-Wolf aus dem Altai gab es kein Entkommen. Das Tier schlug seine Zähne tief in den linken Arm seines Opfers. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte sich Rene freizukämpfen. Mit seiner kräftigen rechten Faust drosch er immer wieder auf den Schädel der Bestie ein. Die Hiebe des Boxers waren so hart, daß sie einen Ochsen hätten fällen können. Aber der Wolf schien überhaupt nichts zu spüren. Das Blut lief in seine ekelhafte große Schnauze mit den scharfen Zähnen, die er immer wieder gnadenlos in den Arm versenkte. Stolpernd kam der Boxer noch einmal auf die Beine. Er schrie herzzerreißend um Hilfe. Zuletzt rief er nach seiner Mutter. Doch weit und breit war niemand zu sehen. Es gab keinen Zeugen, als das Dämonentier schließlich seinem Opfer die Kehle zerfetzte. Als Rene Graum tot in seinem eigenen Blut lag, verwandelte sich der Wolf wieder in die Blutschamanin. Nackt kauerte sie sich über den Toten. Zufrieden betrachtete sie seinen starken Körper. Sie hatte ihn mit Bedacht ausgewählt, als sie ihn durch das ruhige nächtliche Weimar hatte radeln sehen. Er war jung und stark. Durchtrainiert. Sein Blut würde ihr viel Kraft geben. Die dunkelhaarige Dämonin aus dem Altai-Gebirge tauchte ihren Finger in seine Wunden. Und begann damit, schwarzmagische Symbole in Blutrot auf ihren Körper zu malen… * Am nächsten Morgen war ich bei meinen Eltern zum Frühstück eingeladen. Ich nenne meine Adoptiveltern Lydia und Ulrich Hellmann immer so. Denn ich liebe sie, als wären sie meine richtigen Eltern. Tessa hatte den Rest der gestrigen Nacht in ihrer eigenen Wohnung verbracht. Sie mußte früh zum Dienst bei der Weimarer 25
Polizei. Während ich nach einer Dusche und einem schnellen Kaffee in meinen BMW stieg, dachte in schmunzelnd an die Ereignisse auf dem Langenbachschen Dachboden zurück. Struppy war wirklich eine ulkige Nudel. Nachdem Pit sie mehr oder weniger hinauskomplimentiert hatte, hatte sie mir im Treppenhaus empört von ihren Astrologie-Kenntnissen erzählt. Und überhaupt hätte sie ja schon als Wahrsagerin und im Showbusiness gearbeitet… Ich glaube, sie konnte zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht so ganz unterscheiden. Zum Glück kratzte die Kleine die Kurve, bevor Tessa eifersüchtig werden konnte. Als Frau war Struppy überhaupt nicht mein Typ. Ich hatte sie einfach nur spaßig gefunden. Während ich meinen BMW Richtung Siedlung Landfried lenkte, ging mir noch etwas anderes durch den Kopf: dieser leuchtende Wolf mit den glühenden Augen, der durch die Luft geflogen war. Wirklich nur die Phantasie eines aufgeweckten Kindes? Oder steckte etwas anderes dahinter? Etwas Schwarzmagisches? Auch mein alter Erzfeind Mephisto war schon durch den Himmel von Weimar geflogen und hatte Angst und Schrecken in meiner Stadt verbreitet. Als ich unter dem Eisenbahndamm an der Friedrich-EbertStraße durchfahren wollte, sah ich einen Streifenwagen mit rotierenden Blaulichtern auf dem Dach. Die Beamten hatten eine Unfallstelle abgesperrt. Jedenfalls glaubte ich zu dem Zeitpunkt an einen Unfall… In der idyllischen Wohnstraße, in der mein Elternhaus steht, war auch an diesem Morgen alles ruhig. Ich nahm das Buch über Schamanen vom Beifahrersitz. Es gehörte Ulrich. Ich wollte es ihm zurückgeben. Mein Vater besitzt nicht nur eine umfangreiche Bibliothek sowie Datenbank über unerklärliche und magische Phänomene. Er hat selbst bereits einmal gegen das Böse gekämpft. Und mit einer doppelten Behinderung dafür bezahlt. Seit damals ist sein linkes Handgelenk steif geblieben, sein rechter Fuß ebenso. Trotzdem ist er immer noch fit und voller Tatendrang. Bei vielen meiner Abenteuer hat er sich schon als unentbehrlicher Helfer und als wertvolle Wissensquelle erwiesen. »Mark!« Sein Händedruck war kräftig wie immer, als er mir die Tür öffnete. Er fuhr sich durch sein weißes, aber immer noch 26
volles Haar. Obwohl er äußerlich beherrscht wirkte, spürte ich seine innere Erschütterung genau. Es mußte etwas passiert sein… Dieser Verdacht erhärtete sich, als ich meine Mutter Lydia erblickte. Sie saß in der Küche. Ihre Augen waren rotgeweint. Sie schien sich erst so langsam wieder zu beruhigen. Ich ging zu ihr hinüber und nahm sie in die Arme. »Was ist los, Mama?« Sie blickte auf. »Mark! Ach - es ist so furchtbar! Die armen Graums…« »Wer?« Ich kannte niemanden, der so hieß. Oder? Irgendwie sagte mir der Name etwas. Ulrich kam nun auch in die Küche und strich seiner Frau zärtlich über das silbergraue Haar. Ihre Brille war vom Weinen beschlagen. »Graums. Du wirst sie nicht kennen, Mark. Es sind Nachbarn. Sie sind erst hier eingezogen, nachdem du an die ausgezogen bist. Ihr Sohn ist in der Nacht - getötet worden. Rene Graum. Ein Amateurboxer. Eine Polizeistreife hat ihn bei der Bahnunterführung gefunden.« Deshalb also die Einsatzfahrzeuge, die ich auf dem Weg hierher gesehen hatte! Aber mir war nicht entgangen, wie mein Vater die Worte getötet worden betont hatte. Ulrich Hellmann machte man so schnell nichts vor. Er war vor seiner Pensionierung selbst Kripomann gewesen. Als Rentner entwickelte er sich immer mehr zu einem Experten für okkulte Phänomene und übersinnliche Bedrohungen. Ein Spinner war er dadurch keinesfalls geworden. Sein analytisches Polizistengehirn filterte immer noch schnell die Fakten aus dem Meer der Halbwahrheiten und Lügen. »Wie wurde er getötet?« fragte ich. »Ein wildes Tier muß ihn angefallen haben«, antwortete mein Vater knapp. Doch sein Blick sagte noch etwas anderes. Den Rest erzähle ich dir unter vier Augen in meinem Arbeitszimmer. Wir wollen diese Dinge nicht vor Lydia besprechen. Es ist zu grausam für deine Mutter. So oder ähnlich verstand ich seine stumme Bitte. Schweigend setzten wir uns zum Frühstück nieder. So rechter Appetit wollte sich bei keinem von uns einstellen. Wenn das Entsetzliche in der unmittelbaren Umgebung geschieht, reagieren die Menschen besonders verschreckt. Obwohl meine Eltern durch meinen Kampf gegen die Mächte der Finsternis schon an einiges 27
gewöhnt waren… Immerhin erfuhr ich, daß Rene Graum im Polizeisportverein geboxt hatte. Plötzlich fiel es mir wieder ein. Daher kannte ich ihn! Die Halle, in der ich, häufig mit Pit, trainiere, steht auch nichtverbeamteten Vereinsmitgliedern offen. Ich glaubte, sogar schon einmal mit einem jungen Burschen namens Rene im Boxring trainiert zu haben. Ob das der Nachbarssohn meiner Eltern gewesen war? »Wie geht es Tessa?« Lydia knabberte tapfer an einem halben Brötchen mit Marmelade. Sie versuchte, das Gespräch auf erfreulichere Themen zu bringen. Insgeheim hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß ich Tessa eines Tages heiraten würde. Mutter versprach sich davon, daß ich ruhiger würde und meinen abenteuerlichen Lebensstil an den Nagel hängte. »Tessa, och, der geht's gut, sie wirft fröhlich mit Handtüchern nach mir. Mutter, du siehst, es könnte nicht besser sein.« Lydia rang sich ein Lächeln ab. Normalerweise wäre jetzt eine ihrer üblichen mütterlichen Ermahnungen gekommen. Aber an diesem Morgen blieb sie stumm. Zu sehr schien sie der plötzliche Tod des Jungen erschüttert zu haben. Ulrich und ich halfen ihr noch beim Abräumen des Tisches. »Ich gehe noch mal zu Graums rüber«, sagte sie und griff nach ihrer Strickjacke. »Vielleicht kann ich ja irgendwie helfen…« Ich war ganz froh, sie für den Moment aus der Schußlinie zu haben. Denn ich brannte auf das, was Ulrich mir noch zu berichten hatte. Mit gefüllten Kaffeebechern verzogen wir uns in Vaters Arbeitszimmer. Dort befand sich auch sein beeindruckendes Archiv über dämonische Aktivitäten und Unerklärliches aus aller Welt. Ulrich pflegte auch Kontakte zu ernsthaften Okkultisten auf allen Kontinenten. »Was ist mit Rene geschehen?« fragte ich, nachdem ich die Tür hinter mir zugeschoben hatte. »Etwas Böses, mein Junge.« Vater ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen und nahm seine schwere Hornbrille ab. Er fuhr sich über die Augen. »Das war kein normales Tier.« »Aber ein Tier hat ihn angefallen?« vergewisserte ich mich. »Das sagten zumindest die Kollegen von der Abteilung Gewaltverbrechen. Die Polizisten, die Renes Eltern verständigt 28
haben. Frag deinen Freund Pit Langenbach. Der kann dir inzwischen vielleicht schon mehr sagen. Aber ich glaube nicht an diese Tier-Version.« »Warum nicht?« Ulrich zählte an seinen kräftigen, sehnigen Fingern die Gründe ab. »Erstens gibt es in Weimar keine Wölfe in freier Wildbahn. Zweitens hinterläßt ein Tier Pfotenabdrücke. Die Straße ist auf der Höhe des Tatorts sehr staubig. Man erkennt die Spuren von Rene und seinem Fahrrad. Aber keine des Angreifers. Warum nicht? Und drittens« - Vater holte Atem - »nach den Verletzungen zu urteilen, muß dieser Wolf ein doppelt so großes Maul gehabt haben wie das größte bekannte Exemplar dieser Tiergattung. Das hat mir jedenfalls der Gerichtsmediziner hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert.« Diese Nachrichten mußte ich erst mal verdauen. Plötzlich kam mir ein Gedankenblitz. Hatte Pits kleine Tochter nicht von einem rotäugigen Wolfsvieh erzählt, das über den Dächern der Stadt geflogen war? »Ich denke an einen Tierdämon, Vater.« »Ich auch, Mark. Was für ein Zufall, daß ich dir gerade letzte Woche dieses Buch geliehen hatte, was?« Er deutete auf das Werk über Schamanismus, das immer noch unter meinem Arm klemmte. Ich war so von Ulrichs Erzählung abgelenkt gewesen, daß ich es glatt vergessen hatte. Nun legte ich es auf den Schreibtisch. Achselzuckend. »Klar, es war interessant, Vater. Die Heilkräfte der alten Germanenpriester. Der Fruchtbarkeitszauber bei den Kelten. Die Dämonenbeschwörungen. Aber Schamanen gibt es doch in Deutschland seit ewigen Zeiten nicht mehr. Die Christianisierung hat damit Schluß gemacht. Das habe ich jedenfalls in meinem Geschichtsstudium so gelernt.« »Ich rede auch nicht von Deutschland…« Fragend hob ich eine Augenbraue. Was meinte Ulrich damit? Gleich darauf sollte ich es erfahren. »Es gibt Gegenden auf der Welt, wo der Schamanismus heute noch lebendig ist und gepflegt wird, Mark. Bei den australischen Aborigines beispielsweise. Oder in Papua-Neuguinea. Oder auch in den Weiten Sibiriens. Die Kommunisten haben sich seit 1917 bemüht, diese Naturreligion auszurotten. Aber es ist ihnen nicht gelungen.« 29
»Naturreligion ist das Stichwort, Vater. Soweit ich weiß, haben sich die meisten Schamanen dem Guten verschrieben. Sie heilen die Menschen von Krankheiten oder schützen sie vor bösen Geistern.« »Die meisten schon…«, dehnte der alte Mann in seinem Sessel. Er blickte aus dem Fenster. Wolkenbänke zogen am Horizont vorbei. Vater schien nach den passenden Worten zu suchen. »Aber es gibt auch andere, Mark. Gerade in der vergangenen Woche habe ich einen Bericht von einem Okkultisten aus Sibirien bekommen. Er schreibt von bösen Schamanen. Sie können die Gestalten von wilden Tieren der Taiga annehmen. Von Füchsen, Ottern, Elchen, Rentieren, Braunbären, Zobeln. Und - Wölfen!« Ich spürte, wie meine Kehle austrocknete. Mit einem großen Schluck Kaffee feuchtete ich sie wieder an. Konnte sich einer von diesen schwarzmagischen Naturzauberern nach Weimar verirrt haben? Ausgeschlossen war das nicht. »Haben diese bösen Schamanen auch einen Namen, Vater?« »Mein sibirischer Freund nannte sie Blutschamanen.« * »Dann fahr doch zur Hölle!« Wutschnaubend sprang Maren Kempe auf. Das geschah so heftig, daß ihr Stuhl mit gewaltigem Gepolter umfiel. Die meisten Gäste des Acc-Cafes drehten sich zu ihrem Tisch um. BeziehungsZoff war immer interessant. Besonders, wenn er einen nicht selbst betraf. Es war nicht das erste Mal, daß die Neunzehnjährige sauer auf ihren Freund Boris Helms war. Ständig hing er mit zwielichtigen Typen herum. Quatschte vom großen Geld, was er demnächst garantiert machen würde. Bis dahin pumpte er Maren ständig an. Hier einen Zwanziger. Dort einen Fünfziger. Und jetzt verlangte er auch noch von ihr, sich nackt fotografieren zu lassen! »Bleib cool, Baby!« Mit einem gewinnenden Grinsen machte Boris eine beruhigende Geste. Er schob seine gepiercte Unterlippe vor. Doch diesmal fiel das Mädchen auf seinen treuherzigen Dackelblick nicht rein. Der breitschultrige Blender mit den schulterlangen Haaren und dem Ziegenbärtchen hatte bei ihr, wie sie es ausdrückte, verschissen. 30
»Du kannst mich!« raunzte sie ergänzte. Dann drehte sie ruckartig ihre Hüften in den ausgestellten beigen Stretchhosen. Und rauschte Richtung Ausgang. Die Punker, die Studenten, die Yuppies und die Lebenskünstler wandten sich wieder ihrem Kaffee oder Bier zu. Die Show war für den Moment vorbei. Das bekannteste Szenecafe von Weimar hatte eine kleine Tratschgeschichte mehr. Das war allerdings noch nichts im Vergleich zu dem, was in wenigen Minuten passieren würde… Wutschnaubend stolzierte Maren Kempe auf ihren hohen Absätzen hinaus auf den Grünen Markt. Es war kurz nach Fünf am Nachmittag. Es würde noch mindestens drei Stunden dauern, bis es dunkel wurde. Maren lief weiter. Sie hatte keine Angst, bei Tageslicht den Goethepark zu betreten. Weimar war schließlich nicht Chicago, sagte sie sich. Und wenn ihr ein Finsterling an die Wäsche wollte sie hatte schließlich ihr Tränengasspray dabei… Sie lief am Schloß vorbei. Ließ die Herzogin-Anna-AmaliaBibliothek auf der rechten Seite liegen. Für sie als geborene Weimaranerin waren die vielen Kunstschätze ihrer Heimatstadt nichts Besonderes. Maren interessierte sich sowieso mehr für die große weite Welt. Sie träumte von einer Karriere als Model. Aber nicht mit Pornofotos! dachte sie zornig. Wieder hatte sie das schmierige Grinsen von Boris vor ihrem geistigen Auge, als er ihr das Angebot gemacht hatte. Im nachhinein wunderte sie sich über seine Dreistigkeit. Erst lieh er sich Geld von ihr. Und dann sollte sie auch noch strippen, um seine anderen Schulden abzustottern! Dieser Macho mußte wirklich restlos von sich überzeugt sein! Die Neunzehnjährige lief über die Sternbrücke. Unter ihr floß die Ilm ruhig dahin. Von Süden her drang das Kreischen von spielenden Kindern an ihr Ohr. Eine friedliche Atmosphäre. Und doch war da plötzlich etwas anderes. Etwas, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Auf ihrer Haut rund um den gepiercten Bauchnabel bildete sich eine Gänsehaut. Sie konnte es nicht nur spüren, sondern auch deutlich sehen. Ihr Top endete eine Handbreit über dem Hosenbund. Was war da nur? Ruckartig drehte sie sich um. Schlich ihr vielleicht dieser verdammte Boris Helms hinterher? Wenn er eine Ladung 31
Tränengas abkriegen wollte - das konnte er haben! Ihre rechte Hand umklammerte die Spraydose in ihrer Umhängetasche. Doch weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Oh, dieser Kerl! dachte sie erbost, während sie ihren Weg in die Richtung von Goethes Gartenhaus fortsetzte. Dabei wußte Maren insgeheim ganz genau, daß sie wieder auf ihn hereinfallen würde. Er war eben unwiderstehlich. Wenn er das nächste Mal mit einem Strauß roter Rosen antanzte, würde sie sich fragen, von wem er sich das Geld wohl diesmal gepumpt hatte. Unwillkürlich mußte das Mädchen kichern. Doch plötzlich verstummte sie. Ihr Mund blieb vor Erstaunen offen. Vor ihr, mitten auf dem Gehweg des Goetheparks in Weimar, stand ein Elch! * Maren Kempe war von Natur aus tierlieb. Das wurde ihr in diesem Moment zum Verhängnis. Denn sie sah nicht das böse Glitzern in den roten Augen des mächtigen Elches. Bemerkte nicht, wie seine Haut vor schwarzmagischer Energie zu beben schien. Maren wollte über seine Schnauze streicheln, sein zottiges Fell kraulen. »Wo kommst du denn her?« fragte sie laut und sah sich um, ob vielleicht irgendwo Tierwärter herumliefen. Doch sie war in diesem Teil des Parks allein mit dem unheimlichen Wesen aus der Taiga. Die Hufe des Tieres berührten den ordentlich geharkten Kies des Weges nicht. Sein Körper war nur eine Illusion. Nicht aber die unheilvollen Kräfte, aus denen dieses Trugbild bestand. Lächelnd und mit ausgestreckter rechter Hand ging Maren Kempe langsam auf den Elch zu. Er war riesenhaft. Noch viel größer, als es diese Geschöpfe normalerweise werden können. Aber das wußte das Mädchen nicht. Sie hatte noch nie einen richtigen Elch gesehen. Und sie würde dazu auch keine Gelegenheit mehr haben. Denn als sie nur noch drei Meter von dem Tier entfernt war, griff es an! 32
Maren Kempe hatte keine Chance. Mit einem schauerlichen Röhren senkte die Kreatur ihren mächtigen Schädel. Das schaufelartige Geweih schien für einen Moment die untergehende Sonne zu verdunkeln. Das Opfer kreischte entsetzt auf. Riß instinktiv die Arme vor das Gesicht. Der Kopf des Elches traf Maren, als ob sie von einer Lok gerammt worden wäre. Weit flog das Mädchen über die Wiese am Rand der Um. Ihre Rippen knackten, als sie landete. Blut floß aus ihrer Nase. Verzweifelt versuchte sie aufzustehen, um dem Grauen zu entkommen. Sie verstand nicht, warum der Elch sie attackiert hatte. Aber jetzt spürte sie instinktiv, daß es um Leben und Tod ging. Drei weite Sätze konnte sie noch machen. Dann hatte das dämonische Tier sie wieder eingeholt. Und diesmal kam sie nicht davon. Sein Geweih riß tiefe Wunden in ihren Oberkörper. Das Röhren des Elches ließ die Luft um sie erzittern. Maren versuchte, sich mit ihrem Tränengasspray den Killer in Tiergestalt vom Leib zu halten. Aber das brachte überhaupt nichts. »Bitte, nein!« flehte das Mädchen. »Ich habe dir doch nichts getan! Bitte, bitte…!« Aber die Blutschamanin ließ sich nicht erweichen. Sie hatte ein Herz aus Stein. Ob in der Gestalt eines Elches oder eines Wolfs. Für sie zählte nur das Blut von jungen und kräftigen Menschen. Sie brauchte es für ihre höllischen Rituale. Marens Knochen brachen, als der Dämonen-Elch sie immer und immer wieder mit seinen Schaufeln und seiner widerwärtig verzogenen Schnauze angriff. Maren blutete aus unzähligen Wunden. Endlich erlöste sie ein gnädiger Tod von ihren Qualen. * Vincent van Euyen lehnte sich gähnend zurück. Sein Schreibtisch in dem hektischen Großraumbüro der Tageszeitung wirkte wie eine Insel der Ruhe. Der Bildreporter sollte für die Weimarer Rundschau eine heiße Story schreiben. Er war sich selbst bloß noch nicht sicher, ob sie 33
wirklich heiß werden würde. Doch Chefredakteur Unruh hatte darauf bestanden. »Frischfleisch für den Heiratsmarkt. Das nehmen wir als Überschrift, van Euyen! Ich sehe es schon vor mir. Gehen Sie zu Eheinstituten, wo sich deutsche Männer knackige Weiber aus Osteuropa importieren lassen. Und dann machen Sie ein paar scharfe Fotos von den Frauen! Und wenn ich sage scharf, dann meine ich scharf! Da muß einem der Kamm schwellen. - Sie kriegen das schon hin.« Der Journalist mit den holländischen Vorfahren ahnte, daß sein Chef mal wieder vom Herausgeber in den Hintern getreten worden war. Die Verkaufszahlen waren gesunken, also mußte eine heiße Sexgeschichte her. Der Reporter hatte nichts gegen gutaussehende Frauen. Aber das Thema fand er doch ziemlich schmierig. Und außerdem würden sich die frisch aus Rußland kommenden Bräute überhaupt vor die Kamera locken lassen? Lieber hätte er mit seinem Freund Mark Hellmann wieder ein Abenteuer im Kampf gegen die Mächte der Finsternis erlebt. So wie damals in Holland… Seufzend schob sich Vincent van Euyen eine Handvoll Katzenpfötchen in den Mund. Er war fast süchtig nach dem Lakritzkonfekt. Was man auch an seinem beachtlichen Bauchumfang ablesen konnte… Lustlos schlug er das Branchen-Telefonbuch auf. Sein dicker Zeigefinger fuhr über die Eintragungen unter der Rubrik »Eheinstitute«. Hier war schon eins, das in Frage kam. »Siberia Partnervermittlung. Spezialisten für Osteuropa.« Genau das, was er brauchte. Mit der linken Hand fuhr sich Vincent van Euyen durch sein widerspenstiges Blondhaar. Mit Rechts tippte er die Nummer in die Telefon-Tastatur. Den Hörer hatte er nach Journalistenart zwischen Kopf und Schulter geklemmt. Auf seinen Notizblock malte er das Wort SIBERIA und darum herum große Brüste. »Hallo? Hier spricht Vincent van Euyen von der Weimarer Rundschau! Ich arbeite an einer Story über…« Und er sagte sein Sprüchlein auf. Der Manager war schnell bereit, tief in seine Kundenkartei zu greifen. Das wunderte den Reporter mit den holländischen Vorfahren nicht. Schließlich war sein Artikel kostenlose Reklame für das Partnerinstitut. Vor allem, wenn die Frauen wirklich gut aussahen… 34
»Ich habe gerade eine wirkliche sibirische Schönheit nach Weimar vermittelt«, sagte der Boß von »Siberia«. Vincent van Euyen konnte förmlich hören, wie ihm der Speichel auf die Tischplatte tropfte. »Ich werde das junge Glück gleich mal anrufen. Ob sie bereit sind, mit Ihnen zu sprechen, Herr van Euyen. Aber ich sehe da kein Problem. Partnervermittlung ist heutzutage schließlich etwas ganz Normales, nicht wahr? Das wird ja sicher auch in Ihrem Artikel zum Ausdruck kommen…« Der Reporter war es gewohnt, daß ihm seine Interviewpartner erzählten, was er zu schreiben hatte. Darüber regte er sich schon lange nicht mehr auf. Zumal er es am Ende doch nie tat. Aber das band er ihnen natürlich nicht vorab auf die Nase. Der Manager versprach einen Rückruf. Vincent legte auf, nachdem er dem Mann von der Partnervermittlung seine Durchwahl bei der Weimarer Rundschau gegeben hatte. Dann stopfte er sich erst einmal gemütlich eine Pfeife. Mißvergnügt stellte er fest, daß seine Katzenpfötchen zu Ende gingen. Er würde wohl den Volontär zum Kiosk schicken müssen… Vincent hielt ein Streichholz über seinen Pfeifenkopf und sog am Mundstück. Das Telefon klingelte. Es war der Manager von der Partnervermittlung. »Die Sache geht klar, Herr van Euyen. Braut und Bräutigam lassen sich gerne von Ihnen interviewen und fotografieren. Die Namen sind Gerhard Karstens und Vera Igowna. Ich nenne Ihnen nun die Adresse…« * Die Blutschamanin war zuerst mißtrauisch. Es war ihr gar nicht recht, daß in der Zeitung über sie berichtet werden sollte. Aber als sie darüber nachdachte, erschien ihr die Idee immer genialer. Besser hätte es nicht kommen können. Wenn sie sich auf dem Foto als attraktives, anschmiegsames Frauchen aus Sibirien präsentierte - wer würde dann in ihr eine Dienerin der Dunklen Mächte vermuten? Eine Dienerin, die bald mächtiger sein würde als ihre Herren. Mit jedem unschuldigen Opfer wurde die dämonische Macht der 35
Blutschamanin stärken. Wie jeder andere Blutschamane, so hatte auch Vera Igowna einen Ort in ihrer inneren Welt. Einen Platz, dessen Größe von ihren bösen Taten abhing. Das war der See des Bösen. In diesem See waren die Seelen der Menschen gefangen, die sie abgeschlachtet hatte. In der inneren Welt waren sie ihre willenlosen Sklaven. So wie in der äußeren Welt dieser lächerliche Spießer Gerhard Karstens, der sie nach Weimar geholt hatte! Die Blutschamanen waren eine uralte Sippe. Ihr Anführer nannte sich Knochen-Kam. Ein Wesen, das schon zur Zeit des Hunnensturms seine dämonischen Krallen nach der Welt der Menschen ausgestreckt hatte. Damals hatte er soviel Entsetzen verbreitet, daß sein eigener See des Bösen zu einem kleinen Meer angeschwollen war. Vera Igowna wollte so werden wie Knochen-Kam. Und sie war auf dem besten Weg dorthin. Sie schickte ihre schwarzmagische Energie in ganz Weimar umher. Auf der Suche nach neuen Opfern. Denn die Blutschamanin konnte nicht nur selbst als Tier der Taiga erscheinen, sondern auch ihre Magie in Form von Lebewesen vervielfachen. Füchse, Zobel, Ottern und Bären mit rotglühenden Augen machten sich auf den Weg durch die thüringische Stadt. Auf der Suche nach Blut… Und die teuflische Vera Igowna saß mit ihrem willenlosen Diener Gerhard Karstens unschuldig dreinblickend auf dem Sofa. Wartete auf den Besuch des Reporters Vincent van Euyen… * Ich war beunruhigt. Der Tod des jungen Boxers Rene Graum ging mir nicht aus dem Kopf. Oh wirklich einer dieser Blutschamanen dahintersteckte? Ulrich hatte mir versprochen, noch mehr Informationen über diese bösen Zauberer zu beschaffen. Ich lenkte meinen BMW wieder Richtung Weimarer Innenstadt. Mein Ziel war die Polizeidirektion. Bei meinem Freund Pit Langenbach wollte ich mich nach Details über den Tod des Sportlers erkundigen. Da geschah es! Ich wollte von der Kromsdorfer Straße auf die Buttelstedter 36
Straße einbiegen. Da erblickte ich drei Kinder. ABC-Schützen mit orangefarbenen Schulranzen. Sie kamen wohl gerade aus der Grundschule. Lachend liefen sie nebeneinander auf dem Gehsteig. Warfen sich gegenseitig eine Pudelmütze zu. Ich ging mit dem Tempo herunter. Man mußte immer damit rechnen, daß ein Kind plötzlich auf die Fahrbahn sprang. Doch dann sah ich noch etwas anderes. Einen Braunbären! Augenblicklich schrillten in meinem Kopf alle Alarmsirenen. Und das nicht nur, weil Bären Raubtiere sind. Mein Siegelring glühte auf. Aber auch ohne diese Warnung hätte ich sofort bemerkt, daß ich ein schwarzmagisches Geschöpf vor mir hatte. Aus den Augen der Bestie schien das Höllenfeuer zu lodern. Er bewegte sich mit einer vibrierenden Aura um ihn herum. Und er war riesig. Mich schauderte. Dieses Biest mußte eine geballte Ladung dämonischer Energie haben! Nun hatten die Kinder ihn auch entdeckt. Aufgeregt zeigten sie auf den vermeintlich kuscheligen Meister Petz, der sich von der anderen Gehwegseite der Fahrbahn näherte. Er wollte die Kleinen angreifen! Ich reagierte instinktiv. Für lange Taktik-Überlegungen blieb mir keine Zeit. Es waren vielleicht noch fünfzig Meter von mir bis zu den ABC-Schützen. Der Bär war schnell. Er würde sie in wenigen Sekunden erreicht haben. Verzweifelt trat ich das Gaspedal durch. Der stahlblaue BMW schoß mit einem gewaltigen Satz nach vorne. Ich riß das Lenkrad herum. Dabei achtete ich darauf, die Kleinen nicht zu gefährden. Um auf mich aufmerksam zu machen, hupte ich mehrmals kurz hintereinander. Es roch nach verbranntem Gummi, als sich mein Wagen querstellte. Nun trat ich die Bremse. Und der BMW blieb als Barriere aus Stahlblech zwischen dem Tierdämon und den Kindern. Immer noch besser als gar keine Sperre. Ich ließ die Hupe los und steckte den Kopf aus dem heruntergekurbelten Fenster. Die Drei hatten sich über mein plötzliches Manöver gründlich erschrocken. Mit weißen Gesichtern starrten sie mich an. »Lauft, Kinder!« brüllte ich. »Der Bär hat Tollwut!« Ich mußte sie warnen. Aber ich konnte ihnen ja schlecht erzählen, daß das Tier ein Höllengeschöpf war. Also mußte ich 37
ihnen etwas auftischen, von dem sie schon mal gehört hatten. Zum Glück klappte es. Die ABC-Schützen rannten schreiend davon. Ich sah ihnen nach. Doch im nächsten Moment bemerkte ich die Todesgefahr aus dem Augenwinkel. Der Braunbär rammte mein Auto! * Ich hatte meine Rallye-Sicherheitsgurte noch nicht gelöst. Das war meine Rettung. Die Stoßdämpfer des BMW ächzten empört, als der Wagen nach oben gerammt wurde. Gleich darauf landete er klirrend und scheppernd wieder auf den Reifen. Das Innere des Autos war eine Todesfalle. Wenn ich dem Bär an den Pelz wollte, mußte ich raus. Aber nicht mit leeren Händen. Ich klopfte mir selbst innerlich auf die Schulter. Und zwar dafür, daß ich meinen Einsatzkoffer auf dem Rücksitz deponiert hatte. Ich griff hinter mich. Dann versuchte ich, die Beifahrertür aufzustoßen. Auf meiner Seite hatte es keinen Sinn. Hier war das Satansvieh dabei, die ganze linke Seite einzudrücken. Sein tiefes Knurren dröhnte in meinen Ohren. Mein Ring leuchtete stärker. Die Magie des Tierdämons mußte sehr mächtig sein. Mit der rechten Hand schnappte ich den Einsatzkoffer, doch um die Waffen einsetzen zu können, mußte ich erst einmal raus aus dem BMW. Ich konnte ja nicht wild durch die Gegend schießen wie ein Cowboy. Schließlich befand ich mich in einem Wohngebiet. Zu groß war die Gefahr, Unbeteiligte zu treffen. Ich wäre meines Lebens nicht mehr froh geworden. Der Monster-Bär wütete weiter. Seine Tatze brach durch die Seitenscheibe und schlug nach mir! Ich warf mich gegen die Beifahrertür. Sie gab nicht nach. Zähneknirschend zog ich beide Beine an und trat dagegen. Dann wurde ich durch meinen eigenen Schwung mitgerissen. Lag plötzlich auf der Fahrbahn. Reaktionsschnell öffnete ich meinen Einsatzkoffer. Zeit blieb mir nicht, um die richtige Waffe auszuwählen. Denn das schwarzmagische Wesen jagte um den BMW herum, um mich zu zerreißen. Ich schloß meine Finger um den Kolben der SIG Sauer. Wie ein Berg ragte der dämonische Braunbär vor mir auf. Er 38
mußte größer sein als ein Grizzly vom nordamerikanischen Kontinent. Ich zielte auf seinen Kopf und zog den Stecher meiner Pistole durch. Das Geschoß schlug in seinen mächtigen Schädel, doch die Bestie zeigte keine Reaktion. Jetzt war ich geliefert. Ich konnte nicht mehr nach einer anderen Waffe greifen. Seine riesigen Pranken kamen auf mich zu. Gleich würden sie mir die Haut und das Fleisch vom Gesicht reißen. Da schoß mir ein Gedankenblitz durch das Gehirn. Die geweihte Silberkugel hatte versagt, weil die schamanischen Bräuche schon viel älter waren als das Christentum. Ich mußte also versuchen, dem Bösen mit einem mindestens genauso alten weißmagischen Bann beizukommen. »Artio!!!« brüllte ich. Und feuerte noch einmal auf den Tierdämon mit den satanisch glühenden Augen. »Artio! Artio!« Artio ist der Narrie der gallischen Bärengöttin. Unsere Vorfahren hatten sie schon in grauer Vorzeit angerufen, um sich vor wilden Tieren zu schützen. Und es funktionierte. Meine Patrone wurde offenbar zusätzlich weißmagisch aktiviert. Was genau passierte, verstand ich nicht. Aber die Wirkung meines Schusses war furchtbar für die Kreatur! Es schien so, als ob ein Kugelblitz den mächtigen Schädel getroffen hätte. Die Energie des Guten schien sich auszubreiten. Es zischte und blitzte, wie wenn sich kalte und warme Luftmassen übereinander schieben. Die ganze Gestalt des Braunbären geriet ins Vibrieren. Er röhrte, als ob ihm das Fell abgezogen würde. In diesem Augenblick zeigte sich, daß er kein echtes Tier war. Sondern nur böse Energie. Denn als die Kraft der Bärengöttin Artio ihr Werk getan hatte, blieb buchstäblich nichts von dem Dämon übrig. Nur die Luft um mich herum zitterte erhitzt. So, als ob ich die Tür zu einer Sauna geöffnet hätte. Wieder einmal war ich dem Tod in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen. * Vincent van Euyen keuchte die Treppe hoch. Das Mietshaus in der Max-Reger-Straße hatte keinen Aufzug. Gerhard Karstens 39
wohnte im dritten Stock. Und der Reporter mit den holländischen Vorfahren ging gebückt unter der Last seiner Fotoausrüstung und seiner überflüssigen Pfunde. Für gute Schüsse auf die sexy Braut aus Sibirien hatte er ein Stativ und einen tragbaren Scheinwerfer mitgenommen. Er schwitzte und schwor sich zum tausendsten Mal, den »Katzenpfötchen«-Konsum drastisch zu reduzieren… Endlich war er auf dem Treppenabsatz angekommen. Nachdem sich sein Atem wieder etwas normalisiert hatte, drückte er auf den Klingelknopf. Gerhard Karstens öffnete wenig später. Vincent van Euyens Mißtrauen flammte auf wie ein Streichholz in einem dunklen Keller. Durch seinen Job kam er täglich mit den unterschiedlichsten Leuten zusammen. Daher hatte er sich mit den Jahren zu einem Menschenkenner entwickelt. Und er bemerkte sofort, daß bei diesem scheinbar so glücklichen Bräutigam etwas faul war. Der Reporter stellte sich vor. Gerhard Karstens bat ihn höflich herein, schüttelte ihm die Hand. Das seltsame Gefühl in van Euyens Magengegend verstärkte sich noch. Sein Gastgeber benahm sich nicht auffällig. Das nicht. Aber es schien, als würde er neben sich stehen. Innerlich mußte der Journalist grinsen. Wenn es nicht so abwegig wäre, würde ich ihn für einen Zombie halten, dachte er. Gleichzeitig nannte er sich selbst einen Idioten wegen dieser Idee. Ich hocke zu viel mit dem Dämonenjäger Mark Hellmann zusammen, entschied Vincent. Das färbt ab… Die Wohnzimmertür ging auf. Nun erschien Vera Igowna auf der Bildfläche, um den Gast von der Weimarer Rundschau zu empfangen. Sie trug ein hauchdünnes, hoch geschlitztes Kleidchen aus anthrazitfarbener Rohseide. Vincent van Euyen hob die Augenbrauen. Er hatte in seinem zweiundvierzigjährigen Leben schon einige Schönheiten gesehen. Aber diese dunkelhaarige Rassefrau aus Sibirien übertraf sie alle. Plötzlich verstand der Reporter, warum Gerhard Karstens ihr mit Haut und Haaren verfallen zu sein schien. Doch dem Freund des Dämonenjägers entging auch nicht die unterschwellige böse Ausstrahlung, die sich hinter ihrem scheinbar herzlichen Lächeln verbarg. Vincent van Euyen tat, als hätte er nichts bemerkt. Während sich die Frau aus dem Altai-Gebirge mit dem Kaffeegeschirr zu schaffen machte, baute er seinen tragbaren Kassettenrecorder 40
auf. Überlegte, in welcher Ecke des bürgerlich einfallslosen Wohnzimmers er Vera Igowna auf den Film bannen sollte. Gerhard Karstens stand mitten im Raum wie ein Möbelstück. »Setz dich doch!« sagte die Braut auf Russisch zu ihrem Bräutigam, als sie mit einem Tablett beladen aus der Küche kam. Es klang mehr wie ein Befehl als wie ein Wunsch. Gehorsam ließ sich der Mann wie ein nasser Sack in einen der Sessel fallen. Vincent van Euyen dachte sich wieder seinen Teil, sagte aber nichts. Er hatte ihre Worte genau verstanden. Auch der Mann mit den holländischen Vorfahren sprach leidlich Russisch. Das war hier in den neuen Bundesländern oftmals sehr nützlich. »Wie lange sind Sie schon in Deutschland?« Mit dieser Frage an Vera Igowna begann er sein Interview. »Erst seit gestern«, erwiderte die Sibirierin mit einem charmanten Lächeln und beugte sich weit vor. Sie goß dem Reporter einen Kaffee ein. Doch Vincent starrte nicht auf die Kaffeetasse, sondern auf die Spaghettiträger, die bei Veras Oberweite ganz schön gefordert würden. Wenn die jetzt reißen, Mensch, das wird ein Foto! dachte Vincent. Darunter schreibe ich: Die schönsten Pralinen der Welt… Dann wurde Vincent aus seinen Gedanken gerissen… Plötzlich quollen Veras Augen vor. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer widerwärtigen, haßerfüllten Fratze. Die Knöchel der Hand, die sich um die Kaffeekanne krallte, wurden weiß. Trotzdem schaffte sie es, das Porzellan nicht zu zerschlagen. Sondern sogar wieder auf dem Tisch abzustellen. Obwohl ein wildes Zittern ihren Körper befallen hatte. So schlagartig, wie die Verwandlung begonnen hatte, hörte sie auch wieder auf. Gerhard Karstens hatte keine Miene verzogen. Er schien den Anfall seiner Braut nicht mal bemerkt zu haben. »Fehlt Ihnen etwas?« fragte Vincent van Euyen die Frau besorgt. »Es geht schon«, erwiderte sie mit einem gequälten Lächeln. »Ein Schwächeanfall, nichts weiter. Die lange Reise von Irkutsk hierher hat meinen Kreislauf angegriffen…« Doch das war nicht der wahre Grund. In Wirklichkeit war sie in dem Moment ausgerastet, in dem Mark Hellmanns Kugel die dämonische Existenz des Monster-Bären zerstört hatte. Sie hatte es fast so stark gespürt, als ob das Geschoß aus der SIG Sauer ihren eigenen Körper getroffen hätte, denn die Kreatur war ein 41
Teil ihres bösen Energiefeldes gewesen. * Die Streifenwagenbesatzung staunte nicht schlecht, als sie meinen BMW erblickte. Die stahlblaue Karosse war wirklich in einem bedauernswerten Zustand. Ich nahm es halbwegs gelassen. Nach dem Kampf mit dem Tierdämon war ich froh, ohne nennenswerte Verletzungen davongekommen zu sein. Davon erzählte ich den Polizisten natürlich nichts. Ich mußte sowieso ins Röhrchen pusten. Denn es gab keinen sichtbaren Unfallgegner. Und daß ich auf trockener Straße bei normalem Tempo und am hellichten Tag die Gewalt über den Wagen verloren hatte, wollte den Beamten nicht einleuchten. Mir übrigens auch nicht. Die drei Kinder, die ich gerettet hatte, waren wahrscheinlich längst bei ihren Eltern. Sie kamen als Zeugen nicht in Frage. Das war mir auch ganz recht so. Jedenfalls gab es keinen Geschädigten. Außer mir natürlich. Der Abschleppdienst kreuzte auf. Nahm meinen BMW auf den Haken. Es war mir egal. Ich hatte sowieso kein Geld, um die Reparaturen zu bezahlen. Die ganze linke Seite war eingedrückt. Die Stoßdämpfer mußten wahrscheinlich auch alle neu eingestellt werden. Aber ich hatte jetzt andere Sorgen. »Nehmen Sie mich mit zur Polizeidirektion?« bat ich die uniformierten Beamten. »Wieso? Wollen Sie 'ne Selbstanzeige aufgeben?« spottete der Streifenführer. Er konnte immer noch nicht glauben, daß es bei meinem Unfall mit rechten Dingen zugegangen war. Ich konnte es ihm nicht verübeln. »Das nicht. Aber ich habe eine Verabredung mit Hauptkommissar Peter Langenbach. Er erwartet mich.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber es verfehlte seine Wirkung nicht. Ich stieg hinten in den Streifenwagen der Marke Opel Omega ein. In meiner Jeans, dem bunten Freizeithemd und der Wildlederjacke sah ich zwar nicht aus wie ein Strauchdieb. Aber eben auch nicht wie ein braver Bürger. Doch immerhin hatten sich die Polizisten schon per Funk vergewissert, daß ich nicht wegen Autodiebstahls gesucht wurde. Ich hatte Glück. Als ich in der Abteilung für Gewaltverbrechen 42
erschien, war Pit Längenbach wirklich an seinem Platz. Er schien allerdings nicht besonders begeistert, mich zu sehen. Kein Wunder. Auf seinem Schreibtisch türmten sich Akten, Faxe und maschinengeschriebene Berichte. Eines der beiden Telefone klingelte immer abwechselnd. »Ich bin im Streß!« verkündete er und paffte an seinem Zigarillo. »Zwei knallharte Fälle gleichzeitig!« Wie zur Bestätigung schlug erneut ein Telefon an. Diesmal das linke. Er nahm ab und bellte einige Bemerkungen hinein. »Bis wann ich den Bericht vom Leichenbeschauer brauche? Bis vorgestern natürlich!« Wütend warf er den Hörer auf die Gabel. »Mach mal Pause«, riet ich ihm. »Sonst kriegst du noch einen Herzinfarkt!« »Du freiberuflicher Schreiberling hast gut reden«, brummte er. Aber dann lehnte er sich doch in seinem Drehsessel zurück und streckte seinen durchtrainierten Körper. Ich setzte mich auf die Schreibtischkante. »Zwei Gewaltverbrechen mit tödlichem Ausgang in Weimar, innerhalb von achtundvierzig Stunden!« berichtete der Hauptkommissar. »Das erste Opfer, ein junger Boxer, wurde zwischen Mitternacht und zwei Uhr nachts förmlich zerfleischt. Er…« »Du meinst Rene Graum, nicht wahr?« Pit stockte der Atem. »Du bist auch an dem Fall dran?« »Wundert dich das, Pit?« »Eigentlich nicht«, räumte mein Freund ein. »Denn die tödlichen Verletzungen Rene Graums sollen zwar von einem Tier stammen, aber von keinem, das der Pathologe jemals gesehen hat. Er meinte, es müßte ein riesenhafter Wolf gewesen sein.« Ein weiteres Puzzleteilchen, das in mein Bild paßte. Und dieses Bild gefiel mir überhaupt nicht. Aber mir brannte noch eine weitere Frage auf den Nägeln. »Du hast von zwei Todesfällen gesprochen, Pit…« »Richtig.« Sorgenvoll zogen sich die Brauen des Polizisten zusammen. »Das zweite Todesopfer war eine gewisse Maren Kempe. Erst neunzehn Jahre alt. Auch sie wurde entsetzlich zugerichtet. Offenbar am hellichten Tag im Goethepark. Trotzdem gibt es keine Zeugen. Aber es gibt eine Übereinstimmung mit dem ersten Fall.« Er senkte die Stimme. »Das meiste Blut aus 43
ihrem Körper fehlt. Meinst du, daß vielleicht ein durchgedrehter Vampir…?« »Ein Vampir nicht. Aber eine andere schwarzmagische Gestalt.« Und ich berichtete von dem Angriff des Horrorbären auf die Schulkinder. Und davon, was mir mein Vater über die Blutschamanen mitgeteilt hatte. Pit Langenbach war blaß geworden. Vielleicht dachte er in diesem Moment an seine eigene Tochter Anna, die es genauso hätte treffen können. Und es ließ ihn sicher auch nicht kalt, daß ich nur knapp dem Tod entronnen war. »Gut, daß dir noch der Name dieser Bärengöttin eingefallen ist, Mark.« »Ja, ich habe auch schon drei Kreuze dafür gemacht, daß ich mal Geschichte studiert habe. Aber immerhin wissen wir jetzt, daß man diese Kreaturen auch vernichten kann. Und das werden wir schnellstens tun müssen, Pit. Wer weiß, wie viele von diesen blutgierigen Monstern in diesem Moment durch Weimar schleichen.« »Wir müssen diesen Blutschamanen finden!« Pit Langenbach ballte seine mächtige rechte Faust. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, gehen diese Tierdämonen alle von ihm aus.« Ich nickte. Das hatte ich in dem Buch über Schamanismus gelesen. Der Blutschamane schickte seine böse Energie in Form von Tieren hinaus in die Welt, um Grausamkeiten zu begehen. Dadurch wuchs wiederum seine dämonische Macht. Ein teuflischer Kreislauf. »Ulrich wollte seinen Okkultisten-Freund in Sibirien noch einmal kontakten«, erzählte ich dem Hauptkommissar. »Vielleicht bekommen wir dadurch eine Information, die…« Mein Handy unterbrach mich mit schrillem Klingeln. * Die Blutschamanin reckte und streckte sich, um ihre mächtigen Brüste noch mehr zur Geltung zu bringen. Verführerisch lächelnd drückte sie die Oberarme zusammen und macht noch andere Verrenkungen. Vincent van Euyen hatte das bürgerliche Wohnzimmer von Gerhard Karstens in ein Fotostudio verwandelt. Der mitgebrachte 44
Scheinwerfer leuchtete das Sofa perfekt aus. Mitten im Raum hatte der Bildreporter sein Stativ aufgebaut. Normalerweise gab er sich mit Schnappschüssen zufrieden. Doch für diese Fotoreportage würde er knechten müssen wie ein Starfotograf. Unruh wollte Superfotos von Superbienen, wie der Chefredakteur selbst es ausgedrückt hätte. Schwitzend arbeitete der korpulente Mann hinter der Kamera. Mit wilden Gesten dirigierte er die beiden Menschen, die auf dem Sofa saßen. »Ja, gut so!« sagte Vincent van Euyen auf Russisch. »Ziehen Sie das linke Bein noch mehr zum Körper, Vera. Und Sie, Herr Karstens, legen den Arm etwas lockerer um Ihre Braut!« Locker war der Wohnungsinhaber nun wirklich nicht. Er saß wie eine Puppe neben dieser Sexbombe. Es war beinahe so, als ob er kein Mensch wäre, als ob er zwar noch den Frauen hinterherrannte, aber nicht mehr wußte, warum er das tat. Immerhin kam er der Aufforderung des Journalisten nach. Er griff um die Frau herum. Dabei stellte er sich etwas ungeschickt an. Veras Umhängetasche fiel vom Sofa auf den Teppich. Ihr Inhalt verteilte sich auf dem Boden. Vincent van Euyen mußte sich zusammenreißen, um seine Überraschung zu verbergen. Er kannte dieses merkwürdig aussehende Ding, das dort aus der Tasche gefallen war. Es war eine Schamanentrommel! Vincent van Euyen wußte nicht soviel über magische Dinge wie sein Freund Mark Hellmann oder dessen Vater. Aber ihm war bekannt, daß jeder Schamane eine Zaubertrommel besitzt, die nur für ihn gemacht ist und die nur er selbst bedienen darf. Das ließ nur eine Schlußfolgerung zu: Vera Igowna war eine Schamanin! Ob sie ihren zukünftigen Ehemann mit einem Fluch belegt hatte? Das würde sein seltsames Verhalten erklären. Der Reporter tat jedenfalls ganz unschuldig und trat vor, um ihr beim Aufsammeln der Gegenstände zu helfen. »Ich mache das schon!« zischte die Sibirierin plötzlich mit einem gefährlichen Unterton. Für einen Moment bekam er wieder einen Einblick in ihr wahres Ich. Besitzergreifend raffte sie die Schamanentrommel an sich und verbarg sie sorgsam in der Tasche. Dann setzte sie wieder ein strahlendes Lächeln auf, als wäre nichts gewesen. 45
Eine halbe Stunde später waren die Filme voll. Vincent van Euyen bedankte sich höflich bei seinen Gastgebern. Er versprach, Ihnen ein Belegexemplar der Weimarer Rundschau mit dem Artikel zukommen zu lassen. Schwerbepackt mit seiner Ausrüstung ächzte er die Treppe hinunter. Durch eine Unachtsamkeit glitt ihm das Stativ aus der Hand und polterte mit ohrenbetäubendem Lärm die Steinstufen hinab. Eine zornige alte Dame kam eine Etage tiefer aus der Wohnung geschossen. Sie blinzelte den Reporter aus kurzsichtigen Augen an. »Was machen Sie hier für ein Spektakel, junger Mann? Waren Sie bei Herrn Karstens?« »Ja… Entschuldigen Sie, gnädige Frau, daß ich Sie geweckt habe, war nicht meine Absicht.« Schnaufend bückte sich der beleibte Mann nach dem Stativ. Aber es war, als ob die Nachbarin ihn nicht gehört hätte. »Eine Unverschämtheit!« keifte sie weiter. »Herr Karstens war sonst immer so ein ruhiger Mieter. Aber seit kurzem könnte man glauben, er hat einen Zoo da oben.« »Zoo?« echote Vincent van Euyen. »Ganz recht. Mitten in der Nacht höre ich Bären brummen, Wölfe heulen und was weiß ich noch alles. Können Sie ihm nicht sagen, daß er den Fernseher leiser stellt, wenn er Tierfilme anschaut?« »Das werde ich tun, gnädige Frau«, erwiderte der Journalist geistesabwesend. Ihm kam das alles höchst verdächtig vor. Nachdem er das Haus verlassen und die Ausrüstung in seinem Auto verstaut hatte; griff er sofort zu seinem Handy. Er mußte seine Beobachtungen unbedingt loswerden. Und er kannte einen Menschen, der sich garantiert für diese geheimnisvolle Tierschamanin interessieren würde. Mark Hellmann. Vincent van Euyen aktivierte die Nummer des Dämonenjägers im Adress-Speicher. * Die Blutschamanin war sauer. Ob es nicht doch ein gewaltiger Fehler gewesen war, sich von 46
diesem Reporter interviewen und fotografieren zu lassen? Sie hatte ihm zwar nur Belanglosigkeiten erzählt. Natürlich nichts über ihr wahres Ich als Dienerin des Bösen. Aber trotzdem. Wenn er nun bemerkt hatte, daß sie, Vera Igowna, eine Blutschamanin war…? Woher soll ein deutscher Journalist wissen, was eine Blutschamanin aus dem Altai-Gebirge ist? beruhigte sie sich selbst. Doch ein Zweifel blieb. Je länger ihre Tarnung aufrechterhalten blieb, desto mehr Opfer konnte sie für ihren See des Bösen finden… Ihr Bräutigam räumte den Tisch ab. Seine Bewegungen waren wie die eines Roboters. Und plötzlich kam Vera Igowna auf die Lösung. Sie war so teuflisch einfach, daß sie sich wunderte, warum sie nicht schon früher darauf gekommen war. Die verführerische Frau wartete eine Minute, bis ihr Bräutigam aus der Küche zurückgekehrt war. Er trug nun eine geblümte Schürze. Gleich würde er das Geschirr abwaschen. Wie sie es befohlen hatte. »Gerhard…?« Er blieb stehen und richtete seine leeren Augen auf ihr Gesicht. »Ja, Herrin?« »Du hast doch diesen Reporter gesehen, der eben bei uns war. Vincent van Euyen heißt er, nicht wahr? Und er arbeitet bei der Weimarer Rundschau.« »Das ist richtig, Herrin.« »Du wirst jetzt deine Jacke anziehen und ein scharfes Messer aus der Küche einstecken. Du suchst ihn. In seiner Redaktion. In seiner Wohnung. Egal wo, kapiert?« »Ja, Herrin. Und wenn ich ihn gefunden habe?« »Dann nimmst du das Messer und tötest ihn!« * Mein Adrenalinspiegel schnellte in die Höhe. Pit sah mich gespannt an, als ich mein Handy wieder einsteckte. »Das war Vincent«, erklärte ich. Natürlich kannte der Hauptkommissar meinen beleibten Reporterfreund auch. Wir hatten schließlich schon einige Abenteuer zusammen erlebt. »Ich will nicht zuviel versprechen, Pit. Aber es sieht so aus, als ob er 47
eine heiße Spur in unseren Fall hat.« Dann gab ich das wieder, was ich gerade erfahren hatte. Von der geheimnisvollen Frau aus Sibirien. Von den Tierstimmen, die aus der sonst so ruhigen Wohnung von diesem Gerhard Karstens tönten. Und von der Schamanentrommel. »Was ist das?« wollte Pit Langenbach wissen. »Jeder Schamane besitzt seine eigene, persönliche Trommel. Sie enthält sozusagen seine magische Macht. Wenn der Zauberer stirbt, muß auch seine Trommel zerstört werden. Sonst geschieht etwas Entsetzliches.« »Dieser sibirischen Braut würde ich gerne mal auf den Zahn fühlen«, sagte der Hauptkommissar grimmig. Sein mächtiger Schnurrbart zuckte. »Wenn Sie wirklich für diese Bluttaten verantwortlich ist…« »… dann sollten wir keine Zeit verlieren«, ergänzte ich. Und stand auf. »Wohin willst du, Mark?« »In die Redaktion der Weimarer Rundschau. Dort wollte mir Vincent alles in Ruhe erzählen, was er erlebt hat. Ich wette, du willst auch mit…« »Schon gewonnen!« Pit Langenbach meldete sich noch kurz ab. Ansonsten konnten ihn seine Leute auch über das Handy erreichen. Wir nahmen einen neutralen BMW der Kripo. Sofort mußte ich wieder an meinen schrottreifen eigenen Wagen denken. Ich verdrängte meine aufkommende schlechte Laune. Wenn diese Frau aus Sibirien wirklich eine Blutschamanin war, mußten wir sie schleunigst kaltstellen. Mir lief immer noch ein Schauer über den Rücken, als mir der Dämonen-Bär wieder einfiel. Der die Kinder angegriffen hatte… Der Verkehr in der Innenstadt von Weimar hielt sich in Grenzen. Pit parkte gegenüber der Redaktion in der zweiten Reihe. Wir wollten uns nicht allzu lange aufhalten. Mit schnellen Schritten stürmten wir die Treppe hoch. Max Unruh stand gerade auf dem Flur und stauchte einen Volontär zusammen. »Ah, Hellmann! Das trifft sich gut. Ich hätte vielleicht einen Auftrag für Sie…« »Keine Zeit, Herr Unruh!« Er starrte mich entgeistert an. Mit meiner Einstellung würde ich niemals Karriere in der Presse machen. Das war mir klar. Aber mein Dasein als freier Journalist war ohnehin nur ein Job. Meine 48
wahre Berufung bestand darin, als Kämpfer des Rings gegen das Böse anzutreten. Aber das konnte ich dem Chefredakteur natürlich nicht unter die Nase reiben. Wir fanden Vincent van Euyen an seinem Schreibtisch. Er hatte einen dampfenden Becher Kaffee vor sich und stopfte sich gerade die Pfeife. »Hallo!« begrüßte er uns. »Pit ist auch mit von der Partie?« Mit einigen knappen Bemerkungen informierte der Hauptkommissar den Reporter über den Ernst der Lage. Mein rundlicher Freund erbleichte und fuhr sich durch sein widerspenstiges Haupthaar. »Verflucht! Dann war ich ja in ziemlicher Gefahr, oder?« Ich machte eine unbestimmte Handbewegung. »Wir wissen noch nicht, nach welchen Kriterien die Blutschamanin ihre Opfer auswählt.« »Jedenfalls muß diese Vera Igowna ihren Bräutigam behext haben«, zischte Vincent van Euyen und hielt ein Streichholz über den Kopf seiner Pfeife. Er stieß dicke Qualmwolken aus. Als überzeugter Nichtraucher wedelte ich den Tabakrauch weg. Plötzlich richtete sich der Reporter in seinem Drehsessel auf. »Wenn man vom Teufel spricht. Da kommt ja Gerhard Karstens!« flüsterte er uns zu. Pit Langenbach und ich drehten die Köpfe. Ein unscheinbarer Mann stand auf dem Flur. Er mußte eine Sekretärin nach dem Weg gefragt haben. Sie deutete auf das verglaste Büro von Vincent. Der Besucher näherte sich uns. Er mochte um die Fünfzig sein. Ein Nobody. Jemand, der auf der Straße an einem vorbeiläuft. Den man übersieht. »Herr Karstens!« sagte der beleibte Journalist und erhob sich. »Das ist ja ein schnelles Wiedersehen. Haben Sie noch eine Frage?« Inzwischen war der Mann in das kleine Büro meines Freundes getreten. Die Tür stand immer noch offen. Mit Vincent, Pit und mir selbst darin war der Raum fast schon ein wenig eng. Gerhard Karstens erwiderte nichts. Statt dessen griff er in die Tasche seiner Jacke. Mein Siegelring glomm schwach auf. Aber da hatte er seine Hand schon wieder hervorgezogen. Die Hand, die ein scharfes Messer hielt. Mit einem heiseren Aufschrei stürzte er sich auf Vincent van 49
Euyen! * Ich hatte meinen Einsatzkoffer bei mir, doch die Zeit, ihn zu öffnen, hatte ich nicht. Also mußte ich mich für den Moment auf meine Fäuste verlassen, um von meinem Freund die Messerattacke abzuwehren. Zum Glück war der Reporter trotz seiner Leibesfülle reaktionsschnell. Er steppte zur Seite und packte den Waffenarm des Rasenden. Die Signale meines Ringes wurden stärker. Dieser Karstens mußte von einer schwarzmagischen Kraft besessen sein. Dazu paßte auch die Power, die er entwickelte. Er riß sich wieder aus Vincents Griff los. Versuchte erneut, die Klinge in den Bauch des Reporters zu jagen. In diesem Moment sprang ich auf seinen Rücken. Der Fünfzigjährige war einen Kopf kleiner als ich. Normalerweise wäre ich ihm an Kraft weit überlegen gewesen. Seine Statur ließ nicht auf regelmäßige sportliche Betätigung schließen. Doch die Blutschamanin mußte ihn mit dämonischer Energie versorgt haben. Er schüttelte mich ab wie ein lästiges Insekt. Aber Pit Langenbach war auch noch da. Er hatte seine Dienstwaffe gezogen. Ich wußte, daß er nur im äußersten Notfall schießen würde. Er war kein Revolverheld. Daher hatte er die SIG Sauer umgedreht und hieb nun mit dem Kolben auf den Schädel des Messerstechers ein. Vincent saß in der Falle. Er konnte nicht hinter seinem Schreibtisch hervorkommen. Auf der einen Seite war das Fenster, auf der anderen der sich wie irre aufführende Gerhard Karstens. Es war offensichtlich, daß der Killer es nur auf den Reporter abgesehen hatte. Wie ein ferngesteuerter Automat ging er erneut auf meinen rundlichen Freund los. Die Schläge mit Pits Pistolenkolben schienen keine Wirkung gehabt zu haben. Ich zog den Kopf ein, spannte die Beinmuskeln an. Wie von einem Katapult geschnellt, rammte ich meinen Oberkörper gegen Karstens, als er gerade wieder nach Vincent stechen wollte. Trotz seiner dämonischen Kraft wurde er durch meinen überraschenden Stoß von den Beinen gerissen. Er stieß einen heiseren Laut aus. 50
Meine Gedanken rasten. Wir konnten den Mann nicht einfach mit weißer Energie vernichten. Er war kein Höllenwesen, sondern ein Mensch und selbst ein Opfer. Verhext von dieser verfluchten Blutschamanin! Pit und ich stürzten uns gleichzeitig auf ihn. Obwohl wir beide keine Schwächlinge sind, konnten wir ihn nicht bändigen. Die schwarzmagische Energie hatte seinen untrainierten Körper geladen wie einen Akku. Mit einem Tritt vor die Brust schüttelte Karstens den Hauptkommissar ab. Pit krachte rückwärts gegen den Schreibtisch. Plötzlich schien der Verhexte seine Pläne geändert zu haben. Die Spitze seines Messers zeigte nun auf mich! Ich reagierte instinktiv. Die Bewegungen aus unzähligen KampfsportTrainingsstunden kamen automatisch. Als Gerhard Karstens nach meinem Herzen stieß, drehte ich den Oberkörper zur Seite. Gleichzeitig schlug ich mit der flachen Hand seinen Messerarm hoch. In ihm steckte eine unglaubliche Kraft. Aber es gelang mir doch, die Stoßrichtung zu verändern. Die Klinge glitt an mir vorbei. Ich konzentrierte mich ganz auf meine linke Hand, die jetzt in der richtigen Position war. Denn ich würde nur eine einzige Chance haben. Meine Handkante sauste hinab. Auf sein Gelenk! Was ich nicht zu hoffen gewagt hatte, geschah. Gerhard Karstens ließ das Messer fallen. Lange konnte ich meinen Triumph nicht genießen. Denn nun krallten sich die Hände des so zombiehaft auftretenden Mannes nach meiner Kehle. Er wollte mich erwürgen. »Pit!« brüllte ich, während ich den Angreifer zurückstieß. »Mein Einsatzkoffer! Ein Kreuz!« Es war nur ein Versuch. Mächtige Dämonen wie Mephisto ließen sich vom Anblick eines schlichten Holzkreuzes nicht verjagen. Aber Gerhard Karstens war nur ein Mensch, der unter schwarzmagischem Einfluß stand. Obwohl er mir in diesem Moment das Leben verdammt schwer machte… Der Hauptkommissar hielt nun ein Kreuz in beiden Händen. Er schob es vor Karstens Gesicht. Der Mann schreckte angeekelt zurück, als hätte er eine tote Katze gesehen. Meine Vermutung bestätigte sich. Die weißmagische Kraft des christlichen Symbols war nicht stark genug, um diese uralte böse Macht zu zerstören. Aber es verschaffte mir für einen Moment Luft. Und das war 51
schon was wert. Denn ich hatte eine hoffentlich rettende Idee. »Halt ihn damit in Schach!« rief ich meinem Freund zu. Das ließ sich der Hauptkommissar nicht zweimal sagen. Er drängte den wimmernden, unter bösem Einfluß stehenden Karstens in eine Ecke. Ich griff von hinten an Pits Gürtel und lieh mir seine Handschellen aus. Dann aktivierte ich meinen Siegelring, indem ich ihn gegen das Muttermal auf meiner Brust drückte. Ein feiner leuchtender Strahl, einem Laser ähnlich, schoß aus dem Kleinod mit dem stilisierten Drachen und den Buchstaben M und N. Mein magischer Ring ist zwar selbst keine Waffe. Aber ich kann damit normale Gegenstände zu weißmagischen Kampfgeräten gegen das Böse machen. Auch ist die geheimnisvolle Kraft des Rings in der Lage, selbst schwerste Wunden zu heilen. Ich legte Pits Handschellen auf den Schreibtisch. Dann schrieb ich mit dem Lichtstrahl aus meinem Ring das alte keltische Wort für »Waffe« aus dem Futhark-Runenalphabet auf die stählerne Acht. Der Hauptkommissar konnte Gerhard Karstens nur mit größter Mühe in Schach halten. Der so unauffällig wirkende Karstens brüllte nun wie ein wildes Tier. Ich griff nach dem zweiten Holzkreuz aus meinem Einsatzkoffer. Der Anblick der beiden Kruzifixe schwächte ihn so sehr, daß ich tatsächlich die Handschellen um seine Gelenke zuschnappen lassen konnte. Ich war mir sicher gewesen, daß er »normale« Handfesseln aus Stahl zerreißen würde. Aber die weißmagische Energie verhinderte dies nun. Außerdem ließ seine Kraft allmählich nach. Er sackte in sich zusammen. Ich blickte mich um. In sicherem Abstand hatten sich auf dem Flur die Reporter, Sekretärinnen und andere Bedienstete der Weimarer Rundschau versammelt. Der Kampflärm war wohl nicht zu überhören gewesen. Ich hoffte, daß sich keiner von ihnen einen Reim auf meine weißmagische Beschwörung machen konnte. Aber wir hatten jetzt andere Sorgen. Pit griff zu seinem Handy. Eine Streifenwagenbesatzung sollte Gerhard Karstens abholen. Nun drängte sich auch noch Max Unruh durch die Menge seiner Untergebenen. »Van Euyen! Hellmann! Was ist hier passiert?« »Nur ein kleiner Amoklauf, Herr Unruh«, entgegnete Vincent 52
dreist. »Dieser Herr ist der Bräutigam einer der Russinnen aus der Heirats-Story. Er war wohl der Meinung, ich hätte seine Braut zu freizügig fotografiert.« »Und? Haben Sie…?« fragte der Chef hoffnungsvoll. »Das ist Geschmackssache«, erwiderte der dicke Reporter. »Warten Sie, bis die Kontaktabzüge vorliegen.« Nun konnte man von Unruhs Gesicht lüsterne Vorfreude ablesen. »Ich werde denen im Fotolabor mal Dampf machen! Nachschauen, wie weit sie schon sind…« Wieder kämpfte er sich durch die Umstehenden. Den waren wir erst mal los. Zum Glück kamen die uniformierten Polizisten innerhalb weniger Minuten. Wir konnten uns kaum noch wehren gegen die neugierigen Fragen der Journalistenkollegen. Gerhard Karstens hatte den Mund zusammengekniffen und glotzte mit leerem Blick vor sich hin. Pit Langenbach wies die Streifenwagenbesatzung an, den Gefangenen zur Polizeidirektion zu bringen. Ihn dort in einen Verhörraum zu sperren und nicht aus den Augen zu lassen. Dann brachen wir ebenfalls auf. Vincent van Euyen, Pit Langenbach und ich hatten natürlich ein anderes Ziel. Karstens' Wohnung. Dort wollten wir die Blutschamanin zum Kampf stellen! * Vera Igowna spürte die Hitze. Sie kam aus ihrem Inneren. Da nützte es auch nichts, daß sie die Fenster von Karstens' Wohnung aufgerissen hatte. Auch die milde Luft konnte ihre Glut nicht kühlen. Und es verschaffte ihr auch keine Linderung, daß sie nur einen BH und einen Tangaslip trug, denn das verzehrende Feuer brannte in ihrem Inneren. Der See des Bösen brauchte neue Nahrung. Mehr unschuldiges Blut mußte fließen, um ihre Macht zu erhöhen. Die Blutschamanin wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ob dieser Trottel Gerhard Karstens inzwischen verhaftet worden war? Wenn er diesen Vincent van Euyen erstochen hatte, würde jeder Richter an ein Eifersuchtsdrama glauben. Sie, Vera, konnte sich in aller Ruhe einen anderen Ehemann suchen. Oder hier untertauchen. Weimar gefiel ihr. Sie hatte selten in so kurzer Zeit 53
so viele junge und gesunde Menschen als Sklaven in ihren See des Bösen führen können… Es klingelte an der Tür. Die Blutschamanin ging hin und öffnete. Angst kannte sie nicht. Schließlich gehörte sie einem jahrtausendealten Magiekult an. Deshalb war sie den normalen Menschen haushoch überlegen. Ein junger Mann im Arbeitskittel stand vor der Tür. Er schluckte beim Anblick ihrer sehenswerten Oberweite. Aber dann hob er doch den Blick zu ihrem teuflisch schönen Gesicht. »Guten Tag. Ich komme von der Hausverwaltung. Ich soll hier die Stromzähler ablesen.« Vera Igowna verstand kein Wort. Sie sprach kein Deutsch. Aber das war auch nicht wichtig. Sie wußte nur eins. Hier kam ihre nächste Ration Blut. Auf die sie gerade so sehr gewartet hatte. Sie lächelte und bat ihn mit einer einladenden Geste in die kleine Wohnung. Sofort schloß sie die Tür hinter ihm. Das schien den Besucher zu verwirren. Oder war es ihr schweres Parfüm und ihr fast nackter Körper so dicht neben ihm? Wahrscheinlich eine Kombination aus allem. Jedenfalls murmelte er etwas vor sich hin und machte sich an dem Stromzählerkasten zu schaffen. Der Blutschamanin riß der Geduldsfaden. Sie konnte nicht länger warten. Plötzlich und unerwartet packte sie ihn an der Schulter. Ihre Fingernägel waren wie die Krallen eines Raubtieres. Sie riß den Mund weit auf. Der junge Mann ahnte noch nicht, in welch tödlicher Gefahr er sich befand. »Was haben Sie? Bin ich Ihnen zu nahe getreten? Es tut mir leid…« Die Fingernägel fetzten den Kittel von seiner Brust. Hinterließen lange, blutige Striemen. Der Anblick des Lebenssaftes brachte die Blutschamanin zur Raserei. Mit einem schrillen Schrei packte sie den Mann und hob ihn hoch in die Luft. Sie verfügte über titanische Kräfte. Schleuderte ihn gegen die Wand. Halb betäubt blieb er dort liegen. Sie näherte sich ihm mit ausgebreiteten Armen. Die Lippen weit von den Zähnen zurückgezogen. Der Angestellte der Hausverwaltung verstand nicht, was hier vor sich ging. Aber er kapierte, daß er sich in Todesgefahr befand. Er war zu geschockt, um fortzulaufen. Oder zu kämpfen. 54
Aber wenigstens eine Abwehr blieb ihm noch. Er brüllte aus Leibeskräften. »Hiiiiillllffeeeeee…!« * »Silberne Kugeln oder silberne Dolche allein bringen nichts gegen diese Blutschamanin«, erklärte ich meinen Freunden, während wir in Pits Dienstwagen in Richtung Max-Reger-Straße rasten. »Auch nicht, wenn sie geweiht sind. Und zwar deshalb, weil es Schamanen schon viel länger gibt als die christlichen Symbole. Aber man kann die Blutschamanen besiegen, indem man den Namen einer alten heidnischen Gottheit ruft und gleichzeitig die Waffe einsetzt.« Ich machte eine Pause. »Jedenfalls theoretisch.« »Wir wissen nicht, ob das bei der Blutschamanin klappt«, erinnerte mich der Hauptkommissar, der unseren Wagen lenkte. »Du konntest damit den Tierdämon besiegen, Mark. Aber wenn ich es richtig kapiert habe, ist dieser Tierdämon ja nur ein kleiner Teil ihrer schwarzmagischen Macht gewesen.« »Stimmt schon, Pit. Doch wir müssen sie jetzt festnageln, bevor sie entkommen kann. Es sind schon zu viele unschuldige Menschen gestorben.« Bevor wir zur Wohnung von Gerhard Karstens hochgingen, verteilte ich die Waffen aus meinem Einsatzkoffer. Pit Langenbach besaß selbst eine SIG Sauer mit silberner Munition. Auch ich steckte meine Pistole ein. Vincent van Euyen bekam meinen armenischen Silberdolch anvertraut. »Wie willst du die Blutschamanin beschwören?« fragte der rundliche Journalist. »Weiß ich noch nicht«, erwiderte ich. »Das muß der Moment ergeben. Wir wissen ja noch nicht, in welcher Gestalt sich dieses Biest uns zeigen wird.« Ich hatte jedenfalls viele christliche und druidische Bannsprüche im Kopf. Ansonsten mußte ich einfach auf mein Glück vertrauen. Und darauf, daß eine höhere Macht ihre schützende Hand über uns hielt. Wir stiegen die Treppe zu Karstens' Wohnung hoch. Bemühten uns, möglichst wenig Geräusche zu machen. Doch das änderte 55
sich schlagartig. Denn plötzlich erklang durch die geschlossene Tür auf dem Treppenabsatz vor uns ein gellender jämmerlicher Schrei. »Hiiiiillllfeeeee!!!« * Wir fackelten nicht lange. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Pit Langenbach durfte als Polizeibeamter auch ohne Durchsuchungsbefehl in eine Wohnung eindringen. Allerdings nur, wenn »Gefahr im Verzug« war, wie es im Beamtendeutsch so schön hieß. Und es klang wirklich, als ob jemand in unmittelbarer Lebensgefahr schwebte. Daher warf sich der Hauptkommissar mit aller Kraft gegen die Tür. Mit einem lauten Krachen splitterte das Türschloß aus der Verankerung. Die Tür schwang nach innen. »Hände hoch! Polizei!« brüllte Pit, die SIG Sauer im Beidhandanschlag. Er machte einen großen Satz in den Flur. Ich folgte unmittelbar hinter ihm. Vincent van Euyen bildete die Nachhut. Was wir sahen, ließ uns das Blut in den Adern stocken. Auf dem Boden lag ein junger Mann. Totenbleich. Seine Brust und sein Gesicht waren mit tiefen Schnittwunden übersät. Aber er schien noch zu leben. Über ihn gebeugt eine fast nackte Frau. Unter normalen Umständen eine Schönheit, nach der man sich auf der Straße umdreht. Aber ihr Gesicht war zu einer Teufelsfratze verzerrt. Sie wandte uns ihren Kopf zu. Aus ihren Zügen sprang uns das absolut Böse entgegen. Selbst wenn mein Siegelring nicht wild aufgeglüht hätte - diese Frau konnte nichts anderes als eine Dämonin sein. Eine Blutschamanin, genauer gesagt. Pit und ich hatten unsere Pistolen im Beidhandanschlag. Wenn wir das Leben des Mannes retten wollten, mußten wir sie schnell ausschalten. »Lassen Sie den Mann los! Hände hinter den Kopf!« kommandierte der Hauptkommissar. Er konnte nicht einfach schießen wie ein wildgewordener Pistolero. Ich überlegte, mit welchem Bann ich sie wohl besiegen könnte. Doch dann ging alles viel zu schnell. 56
Die Blutschamanin ließ ihr Opfer fallen wie einen leeren Sack. Bis auf einen BH und einen Tangaslip war ihr Körper nackt. In der linken Hand hielt sie ihre Schamanentrommel. Die Frau wirkte wie ein fleischgewordener erotischer Traum, aber sie war durch und durch böse. Nur für Sekundenbruchteile musterte ich sie. Vielleicht vergab ich dadurch den Überraschungsvorteil, den wir hatten. Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Nun öffnete ich den Mund, um einen Bannspruch abzulassen und gleichzeitig auf sie zu feuern. Aber dazu kam es nicht mehr, denn die Blutschamanin schien sich plötzlich in einen Kugelblitz zu verwandeln, der auf mich zuraste. Und mich verschlang. Danach wußte ich nichts mehr. * Vera Igowna wollte gerade ihre Finger in das Blut des jungen Mannes tauchen, als die Tür eingetreten wurde. Sofort wandte sich die Blutschamanin ihren neuen Gegnern zu. Sie verstand nicht die Worte, die der Mann mit dem imposanten Schnurrbart rief. Er wollte natürlich, daß sie von ihrem Opfer abließ. Sie mußte die Sprache nicht verstehen, um das zu begreifen. Natürlich dachte die böse Magierin überhaupt nicht daran. Sie freute sich über das viele Blut, das diese Menschen ihr freiwillig brachten. Als den dritten Eindringling erkannte sie den Reporter. Vincent van Euyen. Natürlich! Er mußte Lunte gerochen haben, als sie ihre Schamanentrommel verloren hatte. Wie unvorsichtig. Aber es spielte nun keine Rolle mehr. Die Blutschamanin konzentrierte sich voll auf den Mann zwischen dem Schnurrbärtigen und dem Reporter. Ihr dämonischer Instinkt sagte ihr, daß er der gefährlichste von den dreien war. Ein weißer Magier, der ihr wirklich Schwierigkeiten machen konnte. Angriff ist die beste Verteidigung. Vera Igowna kannte dieses alte Sprichwort wahrscheinlich nicht. Aber sie handelte danach. Dieser Typ im Arbeitskittel interessierte sie nicht mehr. Auch der dicke Reporter oder der Schnurrbartträger konnte ihre Gier nicht 57
erwecken. Dafür aber dieser Weißmagier. Er war groß und stark. Sah gut aus. Gebräunte Haut, mittellanges Blondhaar. Der Tod dieses Mannes würde ihre dämonische Macht auf einen Schlag verzehnfachen! Also sprang sie ihn an. Und riß ihn mit sich. Weg aus dieser Welt. Hinein in das Reich, in dem sie die uneingeschränkte Herrscherin war. Zu ihrem See des Bösen. * Pit Langenbach und Vincent von Euyen starrten sich gegenseitig an. Der enge Flur von Karstens' Wohnung war leer. Das heißt, bis auf sie beide natürlich. Und bis auf den verletzten Mann im Arbeitskittel, der wie ein Häufchen Unglück in der Ecke lag. Aber Mark Hellmann war verschwunden! Und die Blutschamanin ebenfalls! »Was ist passiert?« Vincent van Euyen hatte diese Frage gestellt. Pit ließ die Arme mit der Pistole sinken. Für den Moment war keine Gegnerin zu sehen. »Ich weiß nur, was nicht passiert ist«, murmelte er. »Mark hat nicht seinen Ring benutzt, um eine Zeitreise zu machen. Dafür benötigt er nämlich einige Vorbereitungen, wie du weißt. Diese verdammte Bluthexe hat ihn mitgerissen.« »Wohin?« »Wenn ich das wüßte, Vincent. Vielleicht in eine andere Dimension. So wie damals in Holland, als die Vampire in unsere Welt eindringen wollten.« (Siehe MH 12) Ein Stöhnen unterbrach ihn. Der Verletzte röchelte. Er mußte einen Schock erlitten haben. Die beiden Männer wußten nicht, was er von ihrem Gespräch mitbekommen hatte. Wahrscheinlich nicht sehr viel. Und wenn, würde er es wohl sowieso nicht glauben. Er mußte dringend ins Krankenhaus, in die HufelandKliniken. »Ich rufe einen Notarzt«, sagte Pit mit ruhiger Stimme zu dem Mann und zückte sein Handy. »Bewegen Sie sich nicht. Wir haben alles im Griff. Ich bin von der Polizei.« 58
Man konnte zwar nicht behaupten, daß er Herr der Lage war. Aber was sollte man dem Opfer der Blutschamanin sonst erzählen?. Vincent van Euyen kniete nieder und versuchte mit einem sauberen Taschentuch die größten Blutungen zu stillen. Pit Langenbach checkte inzwischen die anderen Räume der Wohnung. Aber wie er es sich gedacht hatte, sie waren sie leer. Die Blutschamanin hatte sich mit schwarzmagischen Mitteln abgesetzt. Da würde auch keine Ringfahndung der thüringischen Polizei helfen. Der Verletzte beruhigte sich langsam. Nach sechs Minuten trafen die Sanitäter und der Arzt ein. Pit zeigte seinen Ausweis und erzählte ihnen etwas von einer bewaffneten Amokläuferin. Das würde für den Moment reichen. Das Notfallteam nahm den jungen Mann mit. Die Nachbarn in der Max-Reger-Straße hingen aus den Fenstern, als sie die Ambulanz sahen. Schweigend und deprimiert blieben der Hauptkommissar und der Bildreporter am Tatort zurück. »Ich bin ratlos«, gestand Vincent van Euyen nach einigen Minuten unangenehmen Schweigens. »Ich auch«, stimmte Pit Langenbach zu. »Wir müssen jemanden fragen, der sich besser in schwarzmagischen Dingen auskennt.« »Ja, Pit. Fahren wir am besten sofort zu Ulrich Hellmann.« * Ich fiel in einen blutroten Tunnel. Es war ganz anders als bei meinen Zeitreisen. Wenn ich mit Hilfe meines Siegelrings in eine andere Epoche der Geschichte zurückkehrte, dann hörte ich Sphärenklänge. Spürte die Existenz einer unerklärlichen höheren Macht, die manchmal mit ruhiger Stimme zu mir sprach. Helles Licht explodierte in meinem Kopf. All das geschah diesmal nicht. Das absolut Böse war in meiner unmittelbaren Nähe. Ich wußte, daß der Körper der Blutschamanin zugegen war. Aber ich konnte ihn nicht sehen. Meine sämtlichen Sinnesorgane schienen zu versagen. Mein Körper? War mein Körper überhaupt noch vorhanden? Ich wollte eine Hand bewegen, um mich selbst abzutasten. Aber es ging nicht. 59
Hatte diese verdammte Hexe meinen Leib vernichtet? Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem düsteren Schacht zu schweben schien. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Doch plötzlich änderte sich die Umgebung. Wenn sie auch nicht erfreulicher wurde. Ich erblickte einen See. Trüb und glatt wie Öl lag sein fast schwarzes Wasser zwischen den Ufern. Das Gelände um ihn herum bestand aus gezackten, messerscharfen Felsnasen. Es hätte die Hölle sein können. War ich dort gelandet? Bei meinem Erzfeind Mephisto? Der Himmel über mir drückte in tiefem Rot auf meine Seele. Eine Sonne schien es nicht zu geben. Immerhin bemerkte ich, daß mein Körper noch vorhanden war. Er schien intakt zu sein. Noch nicht mal Schmerzen empfand ich. Sogar meine SIG Sauer P 6 hatte ich noch in der rechten Hand. Ich steckte sie ein. Was immer diese Welt auch war. Ich glaubte nicht, daß mir eine irdische Pistolenkugel hier etwas nützen könnte. Auch der Siegelring mit dem stilisierten Drachen steckte noch an meiner Hand. Er glühte wild auf. Das wunderte mich nicht weiter. Ein perlendes, höhnisches Lachen ertönte hinter mir. Ich drehte mich um. Die Blutschamanin saß auf einem der Felsblöcke. Sie hatte ihre langen Beine übereinandergeschlagen und grinste mich frech an. Lockte mit ihren verführerischen weiblichen Reizen. »Willkommen in meinem Reich, Weißmagier.« »Was soll das? Wo bin ich hier?« »Du bist in meiner inneren Welt. Was du dort siehst, ist ein Bild meiner Macht.« Sie deutete stolz auf den See. »Mein See des Bösen. Ich nähre ihn durch die Seelen der Menschen, die mir im Kampf unterliegen.« »Die du feige ermordest!« »Nenn es, wie du willst«, erwiderte die Blutschamanin kalt. »Du hast großes Glück, Fremder. Noch nie konnte ein lebender Mensch den See des Bösen eines Blutschamanen entdecken. Eine große Ehre für dich.« »Und wie komme ich zu dieser großen Ehre?« schnaubte ich höhnisch. »Weil du mir gefällst.« Diese Vera Igowna nahm kein Blatt vor den Mund. Ihr Blick bohrte sich in meine Augen. Dämonische Urkraft lag in ihnen. »Wie heißt du überhaupt, Fremder?« 60
»Mark Hellmann.« Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich. Warum nur? Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ein lüsternes Lächeln umspielte ihre sinnlichen Lippen. »Dann komm jetzt zu mir, Mark Hellmann. Ziehe deine Kleider aus. Du brauchst sie nicht für das, was wir jetzt tun werden.« Ohne einen Schatten des Zweifels tat ich, was sie verlangte. Kurze Zeit später stand ich nackt vor ihr. Die Blutschamanin taxierte mich mit einem zufriedenen Grinsen. Wie ein Raubtier, das sich auf seine Beute freut. Sie zog den Slip über ihre wohlgeformten Oberschenkel. Öffnete den BH, der ihren prallen Busen freigab. Vera Igowna legte sich zwischen den Felsen auf den Rücken. Streckte mir verlangend ihre Arme entgegen. »Nun komm schon, mein treuer Diener Mark Hellmann!« Da waren wieder ihre Augen. Ihre verfluchten hypnotischen Augen. Ich bewegte mich in ihre Richtung. Und gab ihr die einzig mögliche Antwort. »Ja, Herrin.« * Pit Langenbach und Vincent van Euyen waren ziemlich durcheinander, als sie bei Mark Hellmanns Elternhaus in der Siedlung Landfried ankamen. Sie hatten sich schon telefonisch bei Ulrich Hellmann angekündigt. Der alte Herr erwartete sie bereits an der Tür. »Lydia ist zum Glück einkaufen gegangen«, begrüßte er seine Besucher. »Wenn sie erfährt, daß ihr Sohn spurlos verschwunden ist, bricht sie zusammen.« Vincent van Euyen zuckte hilflos mit seinen runden Schultern. »Wir standen direkt daneben. Aber wir konnten nichts tun.« »Ich mache euch keinen Vorwurf. Mark hat seine Bestimmung für den Kampf gegen das Böse. Wer wüßte das besser als ich…« Seine letzte Bemerkung erklärte er nicht. Pit Langenbach bezog sie allerdings auf die Behinderung des pensionierten Kollegen. Es war bekannt, daß sie Ulrich Hellmann von einem übersinnlichen Gegner zugefügt worden war. Bisher hatte der Alte aber immer zu diesem Thema geschwiegen. 61
Die beiden jüngeren Männer folgten ihm in sein Arbeitszimmer. Als alle Platz genommen hatten, begann Marks Vater langsam zu sprechen. »Vor einer Stunde habe ich noch ein Fax von meinem Okkultistenfreund aus Sibirien bekommen. Diese Blutschamanen müssen eine ganz verflucht gefährliche Bande sein.« »Wieso?« Sorgenvoll beugte Pit Langenbach sich vor. »Sie verfügen über ein sehr altes Wissen. Sie kennen das Geheimnis von Leben und Tod. Daran ist erst einmal nichts Schlechtes. Aber sie nützen es aus, um Menschen zu knechten. Was sage ich, knechten. Es ist viel schlimmer. Sie töten diese Menschen. Und dann müssen ihnen ihre Seelen bis in alle Ewigkeit dienen. Wenn dein Körper versklavt ist, findest du eines Tage wenigstens durch den Tod Erlösung. Aber nicht, wenn deine Seele im See des Bösen schwimmt.« Der Hauptkommissar und der Reporter sahen sich an. Beide waren erbleicht angesichts dieser abgrundtiefen Boshaftigkeit. »Und wo liegt dieser See des Bösen?« fragte Vincent van Euyen. Er vergaß vor Aufregung sogar, Katzenpfötchen zu kauen. »In der Innenwelt des jeweiligen Schamanen. Darum verstehe ich auch nicht, warum diese Frau und Mark plötzlich verschwunden sind. Ich meine körperlich.« Pit Langenbach hatte am Telefon bereits berichtet, was geschehen war. »Fehler! Hyperlink-Referenz ungültig. war so!« beharrte der Hauptkommissar. »Sie sprang Mark an wie eine Wildkatze. Und im nächsten Moment waren beide verschwunden.« Ulrich wiegte den Kopf. »Das glaube ich dir, Pit. Aber es kann auch nur eine Illusion sein.« »Eine Illusion?« »Ja. Möglicherweise sind sowohl die Blutschamanin als auch mein Sohn immer noch in dieser Wohnung. Sie hat bloß eine Magie eingesetzt, um euch zu täuschen. Um beide in euren Augen unsichtbar erscheinen zu lassen.« Pit Langenbach sprang auf. »Ist es möglich, sie wieder sichtbar zu machen?« Ulrich Hellmann griff nach einer alten Zigarrenkiste, die auf seinem Schreibtisch stand. »Ich kann es versuchen. Einmal ist ja bekanntlich immer das erste Mal. Aber ich will es tun. Wenn ich meinem Sohn damit helfen kann…« Die drei Männer erhoben sich. Sie wollten zur Max-Reger-Straße 62
zurückfahren. * Vera Igowna stöhnte lustvoll auf. Die Vorfreude raubte ihr den Atem. Sie öffnete ihre Schenkel, um Mark Hellmann in sich eindringen zu lassen. Auf ihrer Bauchdecke bildete sich eine leichte Gänsehaut. Dieser Weißmagier war wirklich ein Prachtexemplar von Mann. Sehnige Beine, Waschbrettbauch, harte Muskeln, kantiges Gesicht. Wirklich schade, daß sie es nur dieses eine Mal mit ihm treiben konnte. Aber die Macht war ihr noch wichtiger als die Lust. Wenn Mark Hellmann seinen Zweck erfüllt hatte, würde sie ihn ausbluten lassen. Und mit seiner Seele ihren See des Bösen gewaltig anschwellen lassen… Die Brustwarzen der Blutschamanin richteten sich auf. Der große Deutsche kniete nun direkt neben ihr nieder. Gleich darauf spürte sie seine sanften Hände auf ihrem bebenden Körper. Seine Lippen berührten ihren Hals… Vera Igowna gurrte wie eine Taube. Komm nur, mein kleiner Weißmagier, dachte sie. Bevor ich dich zerquetsche… Sie schloß die Augen, um sich ganz dem elektrisierenden Gefühl in ihrem Körper hinzugeben. Das war ein Fehler. Das merkte sie im nächsten Moment. Denn da war Mark Hellmann schon wieder aufgesprungen. Und hatte ihre Schamanentrommel mitgenommen! * Ein. Streifenpolizist sicherte die Wohnungstür von Gerhard Karstens, die Pit Langenbach eingeschlagen hatte. Der Hauptkommissar bedankte sich und schickte ihn weg. Später würde er die Tür reparieren lassen. Aber momentan konnte er keine Zeugen gebrauchen. Wenn der uniformierte Kollege mitbekam, daß Hauptkommissar Langenbach an einem Tatort ein Anti-Unsichtbarkeitsritual 63
abhalten ließ, konnte das Pits Karriere ziemlich schaden… Vincent van Euyen drückte die Wohnungstür von innen zu. Ulrich Hellmann nahm die Zigarrenkiste, die er unterm Arm mitgenommen hatte. »Unsichtbarkeit ist meist nur Einbildung«, erklärte Marks Vater. »Und zwar bei denjenigen, die eine Person verschwinden sehen. Manchmal braucht man dafür noch nicht mal Magie. Zum Beispiel die Ninjas im alten Japan. Von ihnen hieß es, sie könnten sich unsichtbar machen. In Wirklichkeit hatten sie nur gelernt, ohne Anlauf sehr hoch zu springen. Also konnten sie schnell in einem Baum oder auf einem der flachen japanischen Hausdächer verschwinden.« »Willst du damit sagen, Mark baumelt im Kronleuchter?« Vincent van Euyen war eigentlich nicht zum Lachen zumute. Aber trotzdem machte er seinen faulen Witz. »Natürlich nicht. Diese Blutschamanin hat wirklich Magie angewandt. Sie hat die Wahrnehmung in dieser Wohnung verzerrt. Darum sehen wir sie und Mark nicht. Obwohl sie vielleicht direkt neben uns stehen. Ich werde nun versuchen, das Kraftfeld dieses Raumes wieder zu harmonisieren. Damit die beiden Personen wieder aus der vierten Dimension auftauchen.« »Und das funktioniert?« Pits Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen. Ulrich zuckte mit den Schultern. »Ich habe es noch nie probiert. Mein Freund Dr. Paul Abaringo aus Südafrika hat mir das Material geschickt.« Er öffnete die Zigarrenkiste und nahm etwas heraus. Der Hauptkommissar und der Reporter beugten sich gespannt vor. Aber es war nur ein Blatt von einem Abreißkalender. Auf die Rückseite waren einige Worte gekritzelt. Die beiden Männer versuchten, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Ulrich Hellmann machte ungerührt weiter. »Ich brauche eure Hilfe. Ihr müßt euch einander gegenüber aufstellen und euch die Hände geben. Nein, nicht so. Über Kreuz. Dadurch bildet ihr eine symbolische Acht. Die Acht ist eine magische Zahl, wie ihr vielleicht wißt. Sie steht für die Einheit des Universums. Für die Verschmelzung von Gegensätzen.« Die beiden Männer taten, was er sagte. Nun begann Ulrich Hellmann, die Worte von dem Kalenderblatt zu zitieren. In einer Sprache, die weder Pit Langenbach noch Vincent van Euyen 64
jemals gehört hatten. »Das ist Aramäisch«, erklärte der Alte. »Eine Sprache, die schon zu Zeiten der Bibel ziemlich angestaubt war.« Er zog eine Streichholzschachtel aus der Tasche, verbrannte das Kalenderblatt und warf die Asche in die Luft. »Jedenfalls scheint es nicht zu funktionieren«, murrte der rundliche Journalist. »Ich sehe weder Mark noch diese verdammte…« Dann gab es einen lauten Knall. In einem der Zimmer schien sich etwas zu rühren. Vincent van Euyen drückte die Klinke herunter und zog die Tür auf. Ein riesiger Wolf kam herausgeschossen. Und wollte sich auf Ulrich Hellmann stürzen. * Ich hatte richtig getippt. Die Blutschamanin schlug ihre Opfer in ihren Bann. Sie hatte auch diesen armen Gerhard Karstens hypnotisiert, damit er Vincent van Euyen umbringen sollte. Aber bei mir klappte das nicht. Die Kraft des Siegelringes baute eine unsichtbare Schutzmauer gegen ihre schwarzmagische Beeinflussung auf. Trotzdem hatte ich so getan, als ob ich ihr eindeutiges Angebot annehmen würde. Um sie in Sicherheit zu wiegen. Es würde einen harten Kampf geben. Denn ich wollte die Seelen im See des Bösen natürlich nicht den Dämonen überlassen. Ich hatte vor, sie zu befreien. Außerdem wollte ich die Macht der Blutschamanin brechen. Und in meine eigene Welt zurückkehren. Ob mir das gelingen würde? Ich hatte mich mit einem riesigen Satz von der nackten Frau entfernt. Mit beiden Händen hielt ich ihre verfluchte Schamanentrommel umklammert. Ich beglückwünschte mich selbst dazu, daß ich erst vor kurzem soviel über Schamanen gelesen hatte. Darum wußte ich, daß die dämonische Kraft der Blutschamanin in der Trommel »gespeichert« war. Wenn es mir gelang, sie zu zerstören… Die Frau mußte meinen Gedanken gelesen haben. Und auch das Musikinstrument schien plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln. Es 65
war, als ob es sich aus meinem Griff losreißen wollte. Aber ich hielt es gut fest. »Gib das her, verdammter Sklave!« keifte die Blutschamanin. Mit ausgefahrenen Krallen kam sie auf mich zugestürzt. Alle Schönheit war von ihr abgefallen. Ihr Gesicht war nur noch eine Maske des Hasses und der Gemeinheit. Ich steppte zurück. Mit bloßen Händen würde ich die Trommel nicht zerstören können. Da stieß ich mit der rechten Ferse gegen einen losen Stein. Er hatte die Form von einem Faustkeil. Ich grinste. Nackt und waffenlos war ich, wie unsere Vorfahren im Dunkel der Erdfrühgeschichte. Sie hatten sich damals mit Faustkeilen gegen die Säbelzahntiger verteidigt. Ob mir der Stein helfen würde, diese bestialische Schamanin zu besiegen? Im Moment sah es nicht so aus. Denn bevor ich mich nach dem Felsstück bücken konnte, ging mir Vera Igowna an die Gurgel. Sie war so stark, wie man es von einer Frau mit schwarzmagischer Energie erwarten konnte. Ich wehrte sie mit einem Tritt gegen den Bauch ab. Das verschaffte mir nur für einen Sekundenbruchteil Luft. Gleich darauf griff sie wieder an. Ich fuchtelte mit der Trommel. Sie enthielt die Essenz eines Dämons. Soviel wußte ich immerhin. Er gab Vera Igowna ihre übersinnliche Macht. Die Faust der Schamanin schoß vor. Sie hatte so schnell zugeschlagen, daß ich den Hieb nicht hatte kommen sehen. Ich floh mehrere Meter rückwärts. Landete auf dem Felsen. Die Spitzen des schwarzen Gesteins rissen meinen Rücken auf. Ich spürte, wie mir das Blut über die Haut lief. Die Blutschamanin schien das gerochen zu haben. Sie setzte mir nach. Wenigstens hatte ich die Trommel nicht verloren. Ich konnte den magischen Gegenstand jetzt nicht zerstören. Im Zweikampf war ich der bösen Magierin wohl unterlegen. Ich mußte mir also etwas einfallen lassen. »Fahr zur Hölle!« brüllte ich. Holte aus und warf die Schamanentrommel in hohem Bogen in den See des Bösen. * Pit Langenbach reagierte vorbildlich. 66
Er warf sich in die Sprungbahn des Wolfes, als das Höllenwesen angriff, und schützte Ulrich Hellmann mit seinem Körper. Gleichzeitig hatte er seine SIG Sauer mit den Silberkugeln gezogen. In dem engen Flur war es ein Kampf auf kürzeste Distanz. Es war kaum möglich, den Schädel der Bestie zu verfehlen. Der Hauptkommissar erinnerte sich an das, was sein Freund Mark gesagt hatte. Wie er den Bären besiegt hatte, indem er die Bärengöttin Artio angerufen hatte. »Fenris!« Pit Langenbach brüllte den Namen des germanischen Götterwolfes, während er dreimal kurz hintereinander den Stecher der Pistole durchzog. »Fenris! Fenris!« Die drei Silberkugeln jagten donnernd in den unheimlich glimmenden Riesenkopf des Wolfes. Er war viel größer als jeder seiner nichtdämonischen Artgenossen. Für einen bangen Moment schien die Zeit stillzustehen. Wenn der Zauber versagte, würde der Hauptkommissar nun in Stücke gerissen werden. Der Tierdämon war schon viel zu nahe heran. Eine Flucht nicht mehr möglich. Doch es funktionierte. Die Gestalt des Wolfes begann zu wabern. Wie der Horizont an einem heißen Sommertag vor lauter Hitze zu verschwimmen scheint. Die Bestie wurde undeutlicher. Man konnte ihn noch als feinstoffliches Wesen erkennen. Bis er sich dann endgültig in Nichts aufgelöst hatte. Die drei Männer entspannten sich. »Ob das die Blutschamanin war?« schnaufte Vincent van Euyen. »In Tiergestalt?« Ulrich Hellmann schüttelte zweifelnd den Kopf. »So leicht ist sie sicherlich nicht zu besiegen. Trotzdem vielen Dank für die Lebensrettung, Pit.« »Gern geschehen!« entgegnete der Hauptkommissar. Mit einer nervösen Bewegung zwirbelte er seinen imposanten Schnurrbart. Dann ersetzte er die fehlenden Patronen in seiner SIG Sauer. Wer weiß, was ihnen als nächstes bevorstand… »Wirkungslos ist also der aramäische Zauberspruch nicht geblieben«, stellte der Reporter fest. »Ich frage mich aber, wo Mark und die Blutschamanin sind. Was, wenn sie nun doch an einem anderen Ort…« Ein Schrei unterbrach ihn. Er kam aus dem Wohnzimmer. Die drei Männer stürzten dorthin. 67
Mark Hellmann lag mitten auf dem Teppich. Nackt und blutüberströmt. Er wirkte wie tot. »Mark!!!« Der Ruf aus Ulrich Hellmanns Kehle schnitt Pit Langenbach und Vincent van Euyen mitten ins Herz. * Ich hatte nur eine Chance. Und ich nutzte sie. Wie ich gehofft hatte, stürzte die Blutschamanin ihrer verfluchten Trommel hinterher. Ich federte hoch und griff mir den Faustkeil. Wenn mein Siegelring in dieser fürchterlichen Innenwelt von Vera Igowna versagte, dann war ich jetzt geliefert. Aber er funktionierte! Kaum hatte ich mit dem Kleinod mein Muttermal auf der Brust berührt, als auch schon der kraftvoll schimmernde Strahl das trübe rötliche Licht in dieser satanischen Dimension durchschnitt. Ich schrieb in Runenbuchstaben das keltische Wort für »Waffe« auf den Faustkeil. Der spitz zulaufende Stein glomm kurz auf. Nun hatte ich ein Kampfgerät. Kein sehr modernes zwar, aber immer noch besser als gar keins. Plötzlich hatte ich noch eine Idee. Der Strahl hatte kaum an Kraft verloren. Vielleicht konnte ich so die gefangenen Seelen in dem See retten. Ich richtete sein Licht auf die bleierne Oberfläche des dämonischen Gewässers. Dachte kurz nach und schrieb dann das altgermanische Wort für »Freiheit« auf die Oberfläche. Es war nur ein Versuch. Einmal war es mir gelungen, den Geist eines armen Mädchens in Hamburg auf ähnliche Art und Weise zu erlösen. Bange Sekunden verstrichen. Wenn man in dieser Innenwelt überhaupt von Zeit sprechen konnte. Aber dann tat sich etwas. Ich sah die Blutschamanin, die durch den knietiefen See watete. Sie schien genau zu wissen, wo die Trommel lag. Gleich würde sie ihr verfluchtes Zauberinstrument wieder in Händen halten. Und dann konnte ich mein Testament machen. Ich bezweifelte, ob ich mich mit dem Faustkeil allzu lange meiner Haut würde wehren können. Doch nun begann die Oberfläche des Gewässers zu blubbern. 68
Eine Dünung entstand. Wellen schlugen gegen die Ufer. Eigentlich unglaublich. Denn es wehte überhaupt kein Wind. Aber hier in dieser dämonischen Innenwelt schienen die Gesetze der Physik sowieso nicht zu gelten. Ich bemerkte, wie die Schamanin erschrak. Sie tauchte mit beiden Händen in die Flüssigkeit und hob ihre Trommel hoch. Nackt stand sie da, begann in einer unverständlichen Sprache zu singen und schlug ihr Hölleninstrument. Doch der Aufruhr des Sees nahm noch zu. Etwas stieg hoch. Man hätte es für ein feinstoffliches Wesen halten können. Ich jubelte. Dort fand einer ihrer Sklaven seinen Weg in die Freiheit! Die Blutschamanin schäumte vor Wut. Ihre große Brüste schwangen aufgeregt, als sie einen wilden Tanz in dem knietiefen Naß veranstaltete. Häßliche Klänge dröhnten aus der Schamanentrommel. Aber es nützte nichts. Mein Siegelring schien den Bann des Bösen über den Toten gebrochen zu haben. Weitere Wesen lösten sich aus dem See. Einst waren sie Männer und Frauen gewesen. Nun waren sie tot und würden ihre Ruhe finden. Es waren viele. Diese Blutschamanin mußte für den Tod von unzähligen Menschen verantwortlich sein. Damit war es nun vorbei. Ohnmächtig schlug sie ihre Trommel. Vergeblich. Die Seelen entwichen dem Unheil. Und ich bemerkte noch etwas anderes. Der See wurde kleiner. Mit jedem Geistwesen, das entkam, schien mehr Flüssigkeit zu verdampfen. Das Gewässer schrumpfte zusehends. Die Blutschamanin raste. Bebend vor Wut richtete sie, nun ihren Arm auf mich. Schrie ein Wort, das ich nicht kannte. In der Luft über ihr entstand plötzlich aus dem Nichts ein riesiger Wolf. Er sprang mit weit aufgerissener Schnauze direkt auf mich zu. Ich hatte nur den Faustkeil, um mich zu schützen. Mit beiden Händen umklammerte ich die scheinbar jämmerliche Waffe. Wenn ich sie ihm in die Kehle stieß, hatte ich vielleicht eine Chance. Vielleicht. Das Gegeifer des Tierdämons zerriß mir fast die Trommelfelle. Er war fast an mich herangekommen. Ich riß den Faustkeil hoch. Da löste er sich plötzlich wieder auf, als wäre nichts gewesen. 69
Vera Igowna schien es nicht glauben zu können. Vielleicht war sie es nicht gewohnt, daß sich jemand gegen ihre schwarzmagischen Praktiken zur Wehr setzte. Nun breitete sie die Arme aus. Warf den Kopf in den Nacken. Und stieß einige Sätze hervor. Der Fels unter mir schien zu erbeben. Gleich darauf erschien über dem See des Bösen schwebend eine entsetzliche Gestalt. Ein Schamane, vielleicht so alt wie die Menschheit. Die Haut saß straff über seinem Skelett. Er schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Auf seinem Kopf thronte das Geweih eines Hirsches, wie er seit Jahrtausenden nicht mehr auf der Erde zu finden ist. Die Trommel des Schamanen war pechschwarz. Und mindestens doppelt so groß wie die von Vera Igowna. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie mit dem Fell eines Säbelzahntigers oder eines Mammuts bespannt war. Vielleicht war sie das auch. »Das«, rief die Blutschamanin triumphierend zu mir herüber, »ist Knochen-Kam. Er wird dich vernichten!« * Vera Igowna konnte es nicht glauben. Ihre Träume von Macht und Einfluß schienen zu zerplatzen. Sie hatte diesen Weißmagier Mark Hellmann wohl zu sehr unterschätzt. Weil sie scharf auf ihn gewesen war? Wahrscheinlich. Ein unverzeihlicher Fehler. Sie mußte ihn wieder ausbügeln. Als sie endlich ihre Trommel wiedergefunden hatte, schickte sie dem blonden Deutschen einen Wolfsdämon auf den Hals. Aber das Tier verschwand. Sie verstand nicht, warum das geschah. Viel schlimmer war aber, daß dieser Hellmann einen Weg gefunden haben mußte, um die Seelen aus ihrem Bann zu lösen. Der See des Bösen trocknete aus! Die Blutschamanin wußte sich keinen Rat mehr. Darum rief sie den obersten Anführer ihrer Sippe an. Knochen-Kam. Er hatte schon zu Zeiten des Hunnensturms gewütet. Und noch viel früher. Er war das mächtigste Wesen, das sie kannte. KnochenKam würde diesen Mark Hellmann zerschmettern! Vera Igowna spürte, wie sich seine unglaublich starke Energie 70
näherte. Und dann war er plötzlich da. Schwebte über ihrem See des Bösen, der immer noch schrumpfte. »Du hast mich gerufen?« Die Stimme von Knochen-Kam klang wie ein rostiges Reibeisen. Er verwendete eine Geheimsprache, die seine eigenen Vorfahren von den Wesen der Hölle verliehen bekommen hatten. Damals, als die Mammutjäger noch ehrfürchtig ihre Jagdbeute den Blutschamanen geopfert hatten. Und dann trotzdem selber getötet worden waren… »Ja, weiser Knochen-Kam!« Die Blutschamanin verneigte sich vor ihm und zeigte auf Mark Hellmann. »Dieser Weißmagier…« »Schweig!!!« donnerte der gräßlich aussehende Anführer der Blutschamanen-Sippe. Seine Augen schienen fast aus dem bösen alten Schädel zu quellen. »Du dummes Luder!« »Aber… Ich wollte doch nur erklären, was passiert ist…« »Glaubst du, das weiß ich nicht?« grollte Knochen-Kam. »Ich bin auch ein Seher, hast du das vergessen? Ich wußte ja immer schon, daß du wie eine läufige Hündin bist. Aber daß du einen Weißmagier in deine Innenwelt mitnimmst, um dich von ihm besteigen zu lassen, das hätte ich noch nicht mal dir zugetraut!« »Ich - ich wollte ihn zerstören! Ganz bestimmt!« »Ganz bestimmt!« wiederholte Knochen-Kam mit getragener Stimme. Er schob seine krallenartige rechte Hand unter seinem Tierfellumhang hervor. »Glaubst du, ich kenne nicht den Grund? Weil du so mächtig werden willst wie ich! Damit dein See des Bösen bald meinem gleicht! Aber wo ist dein See des Bösen?« Höhnisch glotzte er auf das austrocknende Gewässer. »Ich kann ihn bald nicht mehr erkennen…« »Hilf mir!« flehte Vera Igowna. »Vernichte den Weißmagier! Er hat den Bann von meinen Seelen genommen!« »O nein!« Knochen-Kam grinste. Damit glich sein Gesicht endgültig dem eines Totenschädels. »Du wirst ihn selber in Stücke reißen. Aber nicht hier, wo er die Geheimnisse der Blutschamanen entzaubern kann, du dumme Kuh! Drüben - in der Welt der Menschen!« Nach diesen Worten klappte sein Mund zu. Er begann, seine Schamanentrommel zu schlagen. Die ganze Dimension schien unter dem bösen Klang zu erbeben. Knochen-Kam blickte auf diesen Menschen Mark Hellmann herab, der sich seiner dämonischen Macht in den Weg stellen wollte. Mut hatte er ja, das mußte man ihm lassen. Knochen-Kam 71
erinnerte sich an die Zeiten, als er selbst ein Mensch gewesen war. Das war so lange her, daß er es nicht mehr glauben konnte. Hatte er doch ohnehin jedes menschliche Gefühl wie Mitleid, Liebe oder Freundschaft verloren. Und er vermißte es auch nicht. Seit er sich damals dem Bösen verschrieben hatte. Mit eiskalter Zufriedenheit sah er zu, wie Mark Hellmann und Vera Igowna zurück in die Welt der Menschen geschleudert wurden. * Ich fühlte mich, als wäre ich gegen eine Straßenbahn gelaufen. Tonnenschwere Gewichte schienen auf meinen Augenlidern zu ruhen. Unmöglich, sie zu heben. »Mark…« Eine Stimme drang an mein Ohr. Ich hätte sie unter Millionen sofort erkannt. Es war die Stimme von Ulrich Hellmann. Meinem Vater. Ich wollte gerade antworten. »Er lebt«, sagte eine andere Person. Dieser dunkle Baß gehörte zweifellos meinem Freund Pit Langenbach. »Und er atmet. Wenn auch sehr schwach.« Eben noch hatte ich in die gräßliche Fratze von Knochen-Kam gestarrt. Und mich fast damit abgefunden, nie mehr lebend in meine Welt zurückzukehren. Aber eben nur fast. Denn ich bin der Kämpfer des Rings. Und ich trete gegen das Böse an, solange ich auch nur noch einen kleinen Finger rühren kann. Ich fühlte mich wie beim Gewichtheben, als ich die Augen öffnete. Aber es klappte. Nach einigen vergeblichen Versuchen. Zunächst verschwommen, dann immer klarer sah ich die Gesichter meines Vaters und meiner Freunde über mir. Langsam versuchte ich, die rechte Faust zu öffnen und zu schließen. Es schien zu klappen. »Beweg dich nicht, Mark«, mahnte Ulrich. »Der Arzt wird gleich hier sein.« »Mir fehlt nichts«, krächzte ich. Das stimmte sogar. Mehr oder weniger. Okay, ich hatte ein paar blutende Risse am Rücken und an den Beinen. Dort, wo ich auf die Felsnasen geschleudert worden war. Aber das waren nur harmlose Fleischwunden. Langsam richtete ich mich in eine sitzende Stellung auf. Mein 72
Vater stützte meinen Oberkörper. »Wasser…«, bat ich. Vincent stürzte in die Küche und kam mit einer Flasche Mineralwasser und einem Glas zurück. Er schenkte mir ein. Ich leerte das Glas in einem Zug. Und gleich noch eins. Dann sah ich mich blinzelnd um. Ich lag in einem gutbürgerlichen Wohnzimmer auf dem Teppich. Die Wohnung kannte ich nicht. Ich vermutete, daß sie Gerhard Karstens gehörte. Der Mann, der Vera Igowna hatte heiraten wollen. Armer Teufel. Plötzlich mußte ich grinsen. Ich hatte wieder einmal großes Glück gehabt. »Ist das hier Karstens Wohnung?« fragte ich. Pit nickte. »Du hast ja bisher nur den Flur gesehen. Was ist passiert, Mark?« Und ich berichtete mit wenigen Sätzen von meinen Abenteuern in der Innenwelt der Blutschamanin. Von dem See des Bösen. Und von der Begegnung mit Knochen-Kam. »Es klingt zwar seltsam«, meinte ich, »aber ich scheine es diesem Oberschamanen zu verdanken, daß ich wieder hier bin. Ich habe nicht verstanden, was er mit Vera Igowna abgekaspert hat. Aber nachdem er mit seiner Rede fertig war, hat er einen Zauber ausgesprochen. Und unmittelbar danach bin ich euch hier vor die Füße gefallen.« Ulrich kniff die Lippen zusammen. »Und die Blutschamanin? Ist sie auch wieder hier?« »Wir können es zumindest nicht ausschließen«, schaltete sich Pit Langenbach ein. »Ich werde gleich mal eine Fahndung ausschreiben.« »Sie dürfte nicht schwer zu finden sein«, spottete ich. »Es gibt nicht so viele junge, dunkelhaarige Frauen, die abends nackt durch Weimar laufen!« Den letzten Satz bekam auch der Notarzt mit, der mit seinen Sanitätern nun den Raum betrat. »Ziehen Sie eine Beruhigungsspritze auf«, wies er einen seiner Männer an. »Der Verletzte hat nicht nur Fleischwunden, sondern redet auch wirres Zeug!« *
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Vera Igowna tauchte aus dem Nichts auf. Die Magie von Knochen-Kam hatte sie zwar wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückgeschleudert, aber nicht direkt in die Wohnung von Gerhard Karstens. Statt dessen landete sie zwischen einigen leeren Güterwaggons auf einem Abstellgleis. In der Nähe des Hauptbahnhofs. Warum das so war, wußte sie nicht. In Luftlinie befand sie sich nur ungefähr hundertzwanzig Meter von der Wohnung in der Max-Reger-Straße entfernt. Aber da sich die Blutschamanin in Weimar noch nicht auskannte, wußte sie das nicht. Ihre rechte Hand klammerte sich um ihre Schamanentrommel. Wie ein Höllenfeuer loderte der Gedanke an Rache in ihr auf. Dieser Mark Hellmann würde teuer bezahlen für das, was er ihr angetan hatte! Vera Igowna überquerte die Gleise und hüpfte leichtfüßig den Bahnkörper hinunter, Ihr nackter Körper war nicht gerade unauffällig. Sie mußte sich Kleidung besorgen für das, was sie vorhatte… Die Mächte der Hölle schienen ein Einsehen zuhaben. Sie schickten ihr eine polnische Prostituierte über den Weg. Die Zweiundzwanzigjährige stand sich in einer Sackgasse in Bahnhofsnähe die Beine in den Bauch. Seit einer Stunde hatte sie keinen Freier gehabt. Sie dachte schaudernd an die Prügel, die sie von ihrem Luden beziehen würde, wenn sie nicht genug anschaffte… Das Mädchen sollte nie mehr Schmerzen spüren. Nur noch einmal. Nämlich, als die Blutschamanin sie von hinten ansprang und ihr das Genick brach! Trotz ihres Hasses auf die ganze Menschheit ging Vera Igowna planvoll vor. Sie tötete die Prostituierte, ohne Spuren zu hinterlassen. Vor allem nicht auf der Kleidung. Die brauchte sie nämlich selbst. Die Frau hatte fast ihre eigene Größe. Die Blutschamanin zerrte die Leiche in einen dunklen Gewerbehof. Die Straße war wie ausgestorben. Außerdem benötigte die Schwarzmagierin nur Minuten. Dann kehrte sie wieder ins trübe Licht der Laternen zurück. In einem Supermini, mit kniehohen, schwarzen Stiefeln und einem Top, das ihr zwei Nummern zu eng war. Über der Schulter trug sie die Umhängetasche der Nutte. Mit einigen Geldscheinen darin. 74
Hüftenschwingend machte sich die Blutschamanin auf den Weg. Ihre Trommel hatte sie vorübergehend in der Tasche verschwinden lassen. Sie wollte Mark Hellmann herausfordern. Das dürfte ihr nicht schwerfallen. Dieser Weißmagier war gefährlich. Wenn sie ihn zerfetzte, würde das ein Triumph für sie selbst und für alle Blutschamanen sein… Sie lief vielleicht eine halbe Stunde durch die Straßen der ihr unbekannten deutschen Stadt. Dann fand sie etwas, was sich für ihre Zwecke hervorragend eignete. Eine Diskothek. Trotz der noch recht frühen Stunde war der Parkplatz davor schon halb gefüllt. Jugendliche standen biertrinkend um die Autos herum. Einige pfiffen und grölten, als sie die Blutschamanin sahen. Die dunkelhaarige Frau schenkte ihnen ihr verführerischstes Lächeln. Und steuerte zielsicher auf den Eingang der Disko zu… * Nach Anbruch der Dunkelheit war ich immer noch in der Wohnung von Karstens. Immerhin konnte ich den Arzt davon überzeugen, daß ich nichtverwirrt war. Schließlich war ja auch noch Pit Langenbach da. Und weiter als Hauptkommissar sich für mich einsetzte, wog das bei diesem beamtengläubigen Mediziner schwer. Jedenfalls entfernte er sich wieder, nachdem er mir meine Wunden versorgt hatte. Wie sich herausstellte, waren auch meine Kleider und meine SIG Sauer wieder aufgetaucht. Sie hatten sich an verschiedenen Stellen in der Wohnung und im Treppenhaus aus dem Nichts materialisiert. »Alles komplett?« fragte Vincent van Euyen mit einem Grinsen. »Nicht auszudenken, wenn deine Unterhose bei der alten Dame im Stockwerk unter uns wieder aufgetaucht wäre!« »Ja, dann hätte der Medizinmann doch noch eine Abnehmerin für seine Beruhigungsspritze gefunden«, meinte ich trocken. Es war gut, wieder hier zu sein und Witze reißen zu können. Allerdings machte ich mir keine Illusionen über die Blutschamanin. Sie würde auf Rache brennen. Und mich zum Kampf stellen wollen. Die Frage war nur, wann und wo. Die Antwort kam, als ich mich gerade angezogen hatte und die 75
SIG Sauer in meinem Gürtelhalfter verstaute. Pits Handy klingelte. Er aktivierte sein Mobiltelefon. »Langenbach!« Ich hörte, wie jemand am anderen Ende der Verbindung aufgeregt sprach. Der Hauptkommissar erbleichte. Gleich darauf steckte er das Handy wieder ein. »Das war die Polizeidirektion. Es gibt einen Großeinsatz. Eine Person, auf die die Beschreibung von Vera Igowna paßt, ist ins Spotlight eingedrungen, um ein Blutbad anzurichten. Dort läuft heute abend eine Mißwahl…« * Das Spotlight ist eine der größeren Weimarer Diskotheken. Verkehrsgünstig an einer Ausfallstraße gelegen. In einem Gewerbegebiet. Ohne Nachbarn, die sich wegen der Lautstärke beschweren könnten. Pit, Ulrich, Vincent und ich rasten in dem Dienstwagen des Hauptkommissars hin. Pits Kollegen hatten schnell gehandelt. Draußen standen drei Streifenwagen mit rotierenden Blaulichtern auf den Dächern. Doch die Polizisten waren zu wenige. Die jugendlichen Diskogänger drängten panisch zu den Ausgängen. Es mußten mehrere Hundert sein. Vielleicht tausend. Die Mißwahl hatte bestimmt viele aus der Umgegend angezogen. Jetzt waren sie kopflos wie eine durchgehende Bisonherde. Sie drohten sich gegenseitig totzutrampeln. Wenn jemand inmitten der rasenden Menge stürzte, war er verloren. In diesem Moment trafen zwei Mannschaftswagen mit Bereitschaftspolizei ein. Der Einsatzleiter hatte sie offenbar vom Polizeipräsidium in Erfurt angefordert. Die Verstärkung kam keine Sekunde zu früh. Mit vereinten Kräften gelang es den Beamten, die Ordnung halbwegs wiederherzustellen. Wie ein Keil schob sich ein Mobiles Einsatzkommando in die Disko hinein, aus der immer noch ängstlich kreischende Teenager gelaufen kamen. Wir folgten im Kielwasser der Polizisten. Ich hatte meinen Einsatzkoffer dabei. Weil wir gegen den Strom schwimmen mußten, ging es quälend langsam. Aber dann bot sich uns ein Bild des Grauens! Auf der improvisierten Bühne und auf der Tanzfläche lagen 76
mehrere Mädchen in ihrem Blut. Auch ein muskulöser Mann befand sich zwischen ihnen, die starren Glieder seltsam verrenkt. Ich kannte ihn. Er war hier im Spotlight Rausschmeißer. Vielleicht hatte er versucht, die Mädchen zu beschützen. Und sein Einschreiten mit dem Leben bezahlt. Die Polizisten hoben ihre Waffen. Suchend blickten sie sich um. Ich konnte mir vorstellen, was sie dachten. Wer hat so etwas Entsetzliches getan? Plötzlich ertönte ein höhnisches Lachen über uns. Die Blutschamanin hockte in der Kanzel des DJs. Ihre Hände waren rot vom Blut ihrer Opfer. »Hier bin ich, Mark Hellmann!« rief sie. »Hol mich doch!« »Hier spricht die Polizei!« mischte sich der Anführer des Einsatzkommandos ein. »Kommen Sie mit erhobenen Händen herunter!« »Halten Sie sich da heraus«, riet ihm Pit Langenbach, während er seinen Dienstausweis präsentierte. »Wieso? Die Frau ist doch - aaaaah!« Sein Satz endete in einem Entsetzensschrei. Denn nun setzte die Blutschamanin ihre Trommel ein. Diesmal zog sie alle Register. Sie ließ ihren Trommeldämon auf uns herunterschweben! Die Kreatur war riesig und widerlich. Hatte sechs verkrümmte Gliedmaßen und ein langes Horn auf der Stirn. Aus gelben Augen funkelte es uns an. Die Polizisten begannen in Todesangst zu feuern. Aber natürlich konnten ihre normalen Kugeln der Bestie überhaupt nichts anhaben. Ich mußte eingreifen, bevor es noch mehr Opfer gab. Aus meinem Einsatzkoffer zog ich eine alte christliche Beschwörungsformel, die ich um meinen armenischen Silberdolch wickelte. Sie sollte auch gegen älteren schwarzmagischen Zauber helfen. Jedenfalls hoffte ich das. Der Trommeldämon wurde immer größer. Es war unmöglich, ihn zu verfehlen. Während die Geschosse der Beamten wirkungslos in seinen Körper schlugen, sprang ich vor. Mit meiner ganzen Kraft schleuderte ich den Dolch. Mit einem lauten Knall bohrte er sich in die Brust des Untiers. Funken schienen zu sprühen, als die weiße und die schwarze Energie aufeinanderprallten. Minutenlang schien der Trommeldämon in der Luft zu verharren. Dann begann er sich 77
langsam aufzulösen. Die Blutschamanin kreischte, als hätte sie den Verstand verloren. Ich sah nur noch das Messer auf ihrer Hand. Dann stieß sie sich von der DJ-Kanzel ab. Mit einem gewaltigen Sprung war sie bei mir auf der Tanzfläche. Sie riß mich von den Beinen. Ich sah die Klinge vor meinen Augen blitzen. Mit beiden Händen packte ich ihr Gelenk. Nun hielten nur noch meine Armmuskeln sie davon ab, das Messer in mein Herz zu stoßen. Aber einen Vorteil hatte ich doch. Weil sie das Messer mit der rechten Hand hielt, konnte sie sich die Ohren nur mit einer Hand zuhalten. Und das würde ihr hoffentlich nicht helfen gegen das, was ich nun tat. Laut und deutlich begann ich damit, die zweiundsiebzig geheimen Namen Gottes auszusprechen. Diese Beschwörung von starken Dämonen hatte ich aus einem weißmagischen Buch, das auf Papst Honorius zurückgehen sollte. Und es wirkte. Es war kaum noch etwas Menschliches an Vera Igowna. Sie hatte sich durch ihre bösen Taten immer mehr und mehr zu einem Dämon entwickelt. Sie war die Blutschamanin. Und deshalb verging sie durch das bloße Anhören der Namen des Ewigen. Sie wehrte sich und prügelte mich mit ihrem freien Arm grün und blau. Doch ich hörte nicht auf, die Namen zu zitieren. Als die letzte Silbe des zweiundsiebzigsten Namens verklungen war, gab es die Blutschamanin nicht mehr. Mir blieb nur noch eine Sache zu tun. Ich ging hinauf in die DJKanzel. Dort fand ich ihre Schamanentrommel. Meinen armenischen Silberdolch hatte ich schon zuvor wiedergefunden. Mit einem langen Schnitt zerstörte ich das Trommelfell und zerbrach die Trommel in ihre Einzelteile. Nun konnte ich sicher sein, daß die Blutschamanin niemals zurückkehren würde. * Eine Woche später waren die Wunden auf meinem Rücken schon fast verheilt. Weimar trauerte noch um die Opfer von Vera Igowna. Die Polizisten, die den Trommeldämon und das Vergehen der Blutschamanin mit angesehen hatten, waren zum Schweigen 78
verdonnert worden. Die Regierung legte keinen Wert auf kursierende Spukgeschichten, wie man sagte. Die Öffentlichkeit sollte die Wahrheit niemals erfahren. Mir konnte das nur recht sein. In der offiziellen Version war eine verrückte Massenmörderin für die Taten verantwortlich. Sie hatte Selbstmord begangen, als sie von Polizeibeamten in die Enge getrieben worden war. Mit dieser Geschichte konnte ich leben. Ich wollte jetzt nur noch meine Ruhe haben. Tessa Hayden hatte gerade meine Verbände gewechselt, als es an der Tür klingelte. »Ich gehe schon!« flötete sie. Wenn ich verletzt oder krank war, kümmerte sie sich wirklich rührend um mich. Außerdem sah sie an diesem Tag in ihrem Falten-Minirock und der grünen, ärmellosen Bluse mal wieder zum Anbeißen aus. Wie praktisch, daß ich nach dem Verbinden selbst schon halbnackt bin, dachte ich. Wir mußten nur noch schnell den unerwarteten Besucher abwimmeln. »Wenn ich störe, komme ich später wieder«, hörte ich eine männliche Stimme sagen. Ich warf mir einen Bademantel über und ging zur Eingangstür. Gerhard Karstens stand vor mir. Der Fünfzigjährige war seit dem Tod der Blutschamanin wieder völlig normal. Von dem hypnotischen Bann war nichts zurückgeblieben. Vincent van Euyen hatte auf eine Anzeige gegen ihn verzichtet. Schließlich hatte der Mann ja sozusagen nur ferngesteuert gehandelt. Ohne eigenen Willen. Karstens trug einen unauffälligen grauen Anzug. Er räusperte sich verlegen. »Herr Hellmann«, begann er. »Ich habe gehört, was Sie für mich getan haben. Ich verdanke Ihnen praktisch mein Leben und meine Freiheit. Nein, das ist nicht übertrieben«, fügte er hinzu, als ich abwehren wollte. »Deshalb möchte ich Sie fragen, ob ich mich vielleicht irgendwie erkenntlich zeigen…?« Ich kratzte mich am Hinterkopf. Ich hatte gute Eltern, eine Freundin, die mich liebte und ein paar sehr gute Freunde. Außerdem eine Aufgabe im Leben, die mich voll und ganz ausfüllte. Was hätte ich mir also wünschen sollen? Aber dann fiel mir doch etwas ein. In der Post war an dem Tag ein Kostenvoranschlag von der Werkstatt gewesen. Für die Reparatur meines BMWs. Die Summe 79
hatte mich erbleichen lassen. »Es gibt da schon etwas, Herr Karstens«, sagte ich mit einem entwaffnenden Lächeln. »Wenn Sie diese Rechnung für mich bezahlen würden…« Ich reichte ihm den Kostenvoranschlag. Sah, wie seine Blicke über die Kostenaufstellung huschten. Dann erbleichte auch er…
ENDE Mitten in einer mondlosen, stürmischen Winternacht wurde ich brutal von Tessa geweckt. »Wach endlich auf, Mark!« Sie rüttelte mich wie einen Apfelbaum. »Los, stell keine Fragen und komm mit ins Bad. Dann siehst du die Bescherung. Jemand hat mit Blut ein Runenorakel auf den Spiegel geschrieben. Eine böse Prophezeiung…« Wie Mark auf diese Verbalattacke reagiert, erfahrt Ihr in dem 33. Hellmann-Abenteuer. Sein Tittel:
Die letzten Stunden von Vineta
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