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Roy Palmer 1.
Vom Frühlingserwachen war hier, nördlich des 50. Breitengrades, weiß Gott nichts zu spüre...
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Seewölfe 183 1
Roy Palmer 1.
Vom Frühlingserwachen war hier, nördlich des 50. Breitengrades, weiß Gott nichts zu spüren. Bitter kalt war es geworden, seit sie Neufundland. das auch nicht gerade das Paradies auf Erden war, verlassen hatten. Das Sonnenlicht wärmte nicht mehr, es war von stumpfem, fahlem Glanz. Erfreulicherweise hatte aber der Sturmwind nachgelassen, und die nur noch mäßig bewegte See schien unter dem eisenfarbenen Himmel von einem silbrigen Geäder überzogen zu sein. „Wenigstens ein Lichtblick“, sagte Smoky, der Decksälteste, der sich eine dicke Wolljacke übergezogen hatte und neben Al Conroy, Will Thorne und Blacky auf der Back der „Isabella VIII.“ stand und voraus blickte. „Aber wohin führt uns dieser Törn eigentlich?“ „Direkt nach Thule“, erwiderte Al. „In eine Stadt aus Eisblöcken, deren komischen Bewohnern im Lauf der Zeit wegen der Mordskälte ein Fell gewachsen ist ...“ „Ach, hör doch auf.“ „Dorthin, wo man das Gold mit dem Eispickel freilegen muß.“ „Blödsinn“, brummte Smoky. „Glaub doch nicht, daß du mich mit deinen Sprüchen beeindrucken kannst. Hendrik Laas hat selbst gesagt, daß es da oben kein Gold gibt.“ „Ja, Hendrik Laas“, sagte Will Thorne. „Wenn der jetzt mit dabei wäre - er könnte uns genau sagen, wann die ersten Eisberge erscheinen und die Wale und die weißen Bären.“ „Er ist nun aber mal nicht mit von der Partie“, erklärte Blacky. „Er segelt mit seiner „Sparrow“ vor Dänemarks Küsten und fischt Heringe oder weiß der Teufel was. Na, ich gönne es ihm. Und wir kommen auch ohne den guten Hendrik aus, Will, glaub's mir.“ „Klar kommen wir ohne ihn aus“, sagte der Segelmacher der „Isabella“, aber so richtig überzeugt war er davon nicht, vor allen Dingen deshalb nicht, weil er an das verdammte Packeis dachte, mit dem sie vor einiger Zeit schon einmal böse zu tun gehabt hatten.
Die Flaschenpost
Die „Isabella VIII.“ segelte mit raumem Wind nordwestlichen Kurs, und nicht einmal ihr Kapitän wußte so ganz genau, wohin die Reise nun eigentlich ging, denn das Kartenmaterial, über das er verfügte, war höchst unzulänglich. Deshalb hatte Hasard den Kurs eher „nach Gefühl“ festgelegt und verließ sich mehr oder weniger auf seinen seemännischen Instinkt. Gewiß, schon ein Mann wie Kolumbus hatte sich vor nunmehr fast hundert Jahren mit Karten des Florentiners Toscanelli versorgt, und es hatte damals schon den Globus des Martin Behaim gegeben. Nicht ohne Karten war also die Neue Welt entdeckt worden, und seither waren die Zeichnungen viel präziser geworden, besonders, was die Darstellung des neuen, nun nicht mehr rein hypothetischen Kontinents betraf. Contarini und Mercator hatten wunderschöne Weltkarten hergestellt, und seit fünf Jahren gab es auch einen richtigen gedruckten Seeatlas, den „Mariner's Mirror” von Lucius Wagenhaer. Aber alle „Mappae mundi“, „Portolani“ und „Roteiros“ krankten immer noch an der großen Längenungenauigkeit - und an der höchst vagen Wiedergabe des Nordpolargebietes samt der mutmaßlichen Nordwestpassage. Philip Hasard Killigrew hatte soeben an die Innenseite der Rückwand des Ruderhauses eine selbstgefertigte Skizze geheftet, auf der der ungefähre Kurs für Pete Ballie, den Rudergänger, eingezeichnet war. Die Skizze zeigte Bacalaos, die Neufundlandbank, das nördlich davon liegende Seegebiet und einen Küstenstrich, der von Hendrik Laas, dem Dänen, als „Labrador“ bezeichnet worden war. An diesem Land Labrador wollte sich der Seewolf zunächst orientieren - so, wie Laas es ihm geraten hatte. Später würde er sich weiter nach Norden hinauf tasten und überall nach jenen Marken suchen, die der Däne ihm beschrieben hatte, damit die Seewölfe auf dieser Reise wenigstens über eine gewisse Ortung verfügten. Hasard trat am Backbordschanzkleid des Quarterdecks neben Edwin Carberry und
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folgte dessen Blick, der auf die endlos wirkende Wasserfläche gerichtet war. „Ed“, sagte der Seewolf. „Es wird bald Zeit, daß du dir von Will Thorne aus dem Eisbärfell, das Hendrik Laas dir geschenkt hat, ein Paar Hosen schneidern läßt.“ Carberry wandte den Kopf. „Sir“, versetzte er dumpf. „Das tue ich erst, wenn mir vor Kälte der Achtersteven abfällt.“ „Soll das etwa heißen, daß du dich genieren würdest, so schöne weiße Fellhosen zu tragen wie der Däne?” „Ich - ach wo, natürlich nicht. Aber ein Seewolf fängt doch nicht gleich beim ersten Frosthauch zu schnattern an wie, äh - ein alter Ganter, will ich meinen. Da muß es schon dicker kommen.“ „Ed ...“ „Sir?“ „Ich schätze, es kommt noch ziemlich dick für uns. Zumindest, was die Temperaturen betrifft. Ich an deiner Stelle würde da schon Vorsorge treffen.“ Der Profos kratzte sich am Kinn - was mal wieder in etwa so klang, als bewege sich ein Heer Kombüsen-schaben über chinesisches Reispapier. „Wenn es wirklich so kalt wird, wie du sagst, dann stelle ich das Eisbärfell selbstverständlich Siri-Tong und den beiden Lausejungs zur Verfügung. Ist das ein Vorschlag?“ Hasard lächelte. „Das ist sehr ritterlich von dir, Ed.“ „Hölle!“ entfuhr es da dem Profos. „Nein, ich bin in Merry Old England nicht zum Ritter geschlagen worden wie du - und die feinen Manieren sind weiß der Henker nichts für mich! Ich opfere doch nur mein kostbares Fell für die Rote Korsarin und die Bengel, damit sie nicht vor Kälte klappern und damit ihnen nichts abfriert. So war das gemeint ...“ „Profos“, sagte Old O'Flynn hinter ihrem Rücken. „Paß nur auf, daß du deine Haut nicht noch zu Markte tragen mußt - oder daß dir sämtliche Felle wegschwimmen.“ Carberry blickte den Alten so freundlich an wie ein hungriger Hai. „Donegal“, brummte er. „Du hast schon weniger faule Witze gerissen, ehrlich.“
Die Flaschenpost
„Mag schon sein“, sagte O'Flynn. „Aber was diesen Törn hier betrifft, so prophezeie ich euch ...“ „Donegal!“ rief Big Old Shane, der an der Querbalustrade des Achterdecks lehnte und schräg von oben auf sie herabsah. „Wir wollen's gar nicht wissen. Deine dämlichen Spökenkiekereien interessieren uns nicht, kapiert?“ . so prophezeie ich euch, daß wir nicht nur vor Kälte zittern werden“, fuhr der Alte unbeirrt fort. „Einen Vorgeschmack von dem, was uns erwartet, haben wir ja durch das verfluchte Schiff der Toten gekriegt. Aber das war noch gar nichts. Je weiter wir nach Norden segeln, desto größer ist die Gefahr, richtigen Gespenstern und Dämonen zu begegnen. Da oben, hab ich mir sagen lassen, gibt's einen riesengroßen Geist, ganz aus Eis geschaffen, der mit seinem Gifthauch ganze Schiffscrews töten kann. Er bricht sich die Zapfen aus seinem Frostbart und spießt dich damit auf, Profos, ich schwör's dir.“ Carberrys Mund hatte sich vor Staunen geöffnet, und für, eine Weile war er wohl richtig gefesselt gewesen, aber jetzt verzog er verärgert das Gesicht und brummelte: „Donnegal, wage dich bloß nicht in die Reichweite meiner Fäuste. Ich bin heute früh nicht zu Witzen aufgelegt, schon gar nicht zu so faulen, wie du sie erzählst.“ „Ihr werdet noch an meine Worte denken“, sagte O'Flynn. „Ihr alle werdet euch noch mächtig umsehen und dann eingestehen: 0 ja, Hölle und Teufel, Donegal hat mal wieder recht gehabt! Jawohl, genau das werdet ihr stammeln, wenn die Dämonen der Finsternis ihre Klauen nach euch ausstrecken.“ Mit diesen Worten humpelte er davon und hielt Ausschau nach jemandem, bei dem er mehr Erfolg mit seinen haarsträubenden Gruselgeschichten hatte. Er stieg den Backbordniedergang zur Kuhl hinunter und fluchte leise vor sich hin. Carberry wandte sich wieder an den Seewolf. „Was meinst du, ob wir wohl auch diese weißen Biester zu sehen kriegen – die Eisbären?“
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„Zweifelst du immer noch daran, daß es sie gibt?“ „ „Nein, das nicht. Aber ich bin schon neugierig darauf, mal wirklich so ein Ungetüm aus nächster Nähe zu betrachten.“ „Warte, bis wir den Polarkreis erreicht haben, Ed.“ „Ja. Hoffen wir, daß wir es auch schaffen und keinen Ärger mit dem Packeis kriegen.“ „Um diese Jahreszeit wohl nicht.“ „Hat Hendrik Laas dir das gesagt?“ „Er hat mir gesagt, das Frühjahr und der Sommer seien die günstigsten Zeiten, um bis nach Thule hinaufzusegeln, weil dann die Packeisgrenze am weitesten zurückweicht.“ „So ist das“, murmelte Carberry. „Und ` wie hat Hendrik doch noch gleich den Eisbären genannt?“ „Nanoq.“ „Nanoq, richtig. Ein seltsames Wort. Wie sollen wir uns überhaupt mit den Eskimos verständigen, falls wir jemals mit welchen zusammentreffen?“ Der Seewolf hob den Kopf, weil Bill, der Ausguck im Großmars, in diesem Augenblick einen Ruf ausgestoßen hatte. „Wir haben uns in China verständigt, Ed“, entgegnete er noch. „Wir werden das auch in Grönland tun und darüber hinaus notfalls die Hände und die Füße zu Hilfe nehmen, um mit den Leuten zu sprechen, denen wir begegnen.“ „Klar“, bemerkte der junge O'Flynn, der jetzt neben Shane an die Querbalustrade des Achterdecks getreten war. „Und bei dem Genie, das unser Profos in solchen Dingen hat, wird gerade er sehr schnell die fremde Sprache erlernen.“ Big Old Shane grinste und konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. Carberry hatte Dans Worte nicht verstanden und war inzwischen ebenfalls zu sehr auf Bill, den Moses, konzentriert, um noch mitzukriegen, wie Shane und Dan sich anstießen, sonst hätte Dan O'Flynn nämlich jetzt einen Schwall übelster Flüche in der üblichen Profos-Lautstärke über sich ergehen lassen müssen.
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„Sir!“ schrie Bill von seinem Posten hoch oben im Großmars. „Da schwimmt was Backbord voraus in der See!“ Hasard legte beide Hände als Schalltrichter an den Mund. „Was ist es denn, Bill?“ „Augenblick, Sir, ich versuche gerade, Genaueres herauszukriegen ... „Hölle und Blitz!“ brüllte Carberry. „Bill, du verlauster Affenarsch, habe ich dir nicht tausendmal gesagt, du sollst dich gefälligst klar und deutlich ausdrücken?“ „Sir!“ rief Bill. „Es ist eine Flasche, eine treibende Flasche, so wahr ich hier oben stehe!“ „Treiben lassen“, sagte Carberry. „Was sollen wir denn wohl mit so einer idiotischen Buddel anfangen, was, wie?“ Ben Brighton stieg vom Achterdeck aufs Quarterdeck und erwiderte: „Ed, das hängt doch wohl ganz von ihrem Inhalt ab.“ Carberry musterte ihn in einem Anflug von Spott. „Halt die Luft an, Ben. Welcher Blödmann würde denn wohl eine volle Buddel in den Teich schmeißen, he? Doch wohl nur einer, der total übergeschnappt ist, was, wie? Außerdem würde, die ja wohl nicht schwimmen, oder?“ Bills klare Stimme ertönte wieder über ihren Köpfen: „Sir, soweit ich durch den Kieker erkennen kann, scheint was drinzustecken in der Flasche!“ „Na also“, sagte der Seewolf, ohne sich um Carberrys verdutzte Miene zu kümmern. „Fete, Ruder zwei Strich Backbord. Ed, laß anbrassen und höher an den Wind gehen, wir nehmen Kurs auf die Flasche und sehen sie uns genauer an.“ * Es war ein bißchen Unruhe an Oberdeck entstanden, und Siri-Tong und die Zwillinge, die sich gleich nach dem Wecken in einem Raum des Achterkastells zusammengesetzt hatten, verließen nun die Hütte, um nachzuschauen, was vorgefallen war. Die Korsarin hatte Philip junior und Hasard junior - den „Rübenschweinchen“, wie der Profos sie meistens nannte - ein wenig Unterricht gegeben, zum Schluß aber mangels Konzentration ihrer
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„Schüler- auf die Schilderung des Umgangs mit gefährlichen Giftschlangen ausweichen müssen, um ihre Aufmerksamkeit von neuem zu fesseln. Jetzt aber waren die beiden Achtjährigen für die willkommene Abwechslung ausgesprochen dankbar. Kaum auf der Kuhl angelangt, trennten sie sich von „Madam“ und stürmten zur Back, wo sich mittlerweile der Großteil der Crew versammelt hatte, um Ausschau nach der Flasche zu halten. Siri-Tong klomm den Backbordniedergang zur Back hoch und blickte zum Seewolf, der den Kieker sinken ließ und sich zu ihr umdrehte. „Kein feindliches Schiff“, sagte er lächelnd. „Nur eine Flasche.“ „Was soll denn Besonderes daran sein?“ erkundigte sie sich verwundert. „Ja, das frage ich mich auch, Madam“, sagte der Profos, der sich mit ziemlich verdrossener Miene zu den anderen gesellt hatte. Es war wirklich nicht sein bester Tag, und außerdem war ihm wegen der Fahrt ins Ungewisse mulmig zumute, was er aber natürlich nicht offen zugeben mochte. „Sir, es ist eine ziemlich große Flasche“, meldete Bill aus dem Großmars. Dan O'Flynn war in den Vormars aufgeentert und rief nun: „Ein zusammengerolltes Stück Papier befindet sich darin, ich kann es deutlich sehen!“ „Na bitte“, sagte Carberry. „Ein Fetzen Papier. Sonst nichts.“ „Al dachte schon, es wäre eine Höllenflasche“, sagte Smoky. „Das hätte eine böse Überraschung für uns geben können.“ „Ach, Unsinn“, begehrte Al Conroy auf. „Die Höllenflaschen sind unsere Erfindung - und die Eskimos wären meiner Meinung nach die letzten, die so was herstellen würden. Vielleicht kennen sie gar kein Pulver und keine Feuerwaffen.“ „Ganz bestimmt nicht“, pflichtete Matt Davies ihm bei. „Hendrik Laas hat auch mit keiner Silbe erwähnt, daß sie Schießpulver, Lunten und Blei benutzen.“
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„Aber Al schätzt die Eskimos trotzdem als zu dumm ein“, meinte Will Thorne. „Wer Häuser aus Eis baut, muß doch eigentlich ganz schön was auf dem Kasten haben.“ „Ach, hört doch auf“, sagte Al. „Ihr wollt mich ja bloß auf den Arm nehmen wegen meiner Bemerkungen von vorhin.“ „Du merkst aber auch alles“, sagte Smoky mit breitem Grinsen. „He!“ rief Blacky. „Und wenn es nun kein Eskimo war, der die Flasche ins Meer geworfen hat, sondern ein Weißer? Was ist dann? „Wie nun, wenn sie von selbst ins Wasser gefallen ist?“ fragte Siri-Tong, der die Sache allmählich zu bunt wurde. „Von selbst - mit einem Zettel drin?“ brummte Old O'Flynn. „Das ist eine mysteriöse Angelegenheit, sage ich. Wer weiß, ob der elenden Flasche nicht ein Fluch anhaftet, wer weiß ...“ „Wir sind auf weniger als eine halbe Kabellänge an ihr dran“, ließ sich der Seewolf vernehmen, der sich wieder nach vorn gewandt hatte und angestrengt durch sein Spektiv spähte. „Das Stück Papier ist vergilbt und an einigen Stellen leicht eingerissen - und es scheint beschrieben zu sein.“ „Deck!“ schrie Dan O'Flynn. „Das sieht mir ganz nach einer Nachricht aus!“ „Ein vergilbtes, geheimnisvolles Dokument“, murmelte sein Vater. „Heiliger Strohsack, wenn das bloß gutgeht. Wenn uns das bloß kein tödliches Unheil bringt.“ Er verstummte, weil Hasard sich in diesem Augenblick wieder zu ihnen umdrehte und seinen Befehl gab. „Wir drehen bei, stoppen, fieren ein Boot ab und fischen die Flaschenpost auf!“ rief er. „Los, beeilt euch, sonst rauschen wir glatt daran vorbei!“ Jetzt geriet auch der Profos höllisch in Fahrt. „Habt ihr nicht gehört, ihr müden Wanzen?“ brüllte er, obwohl die Männer bereits zur Kuhl hinunterhasteten und nach den Brassen, Schoten und Fallen griffen,, um das Segelmanöver zu vollziehen. „Bewegt euch, ihr Lahmärsche“, schallte Carberrys mächtiges Organ über die weite,
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graue See, in der die „Isabella“ das einzige Schiff weit und breit zu sein schien. „Muß ich euch erst Feuer unterm Achtersteven machen, was, wie? Braucht ihr eine Sondereinladung, ihr triefäugigen Kakerlaken? Mit euch kann man keinen müden Krieg gewinnen, das sag ich euch, und ich frage mich, wer euch gezeugt hat. Davies und Bowie, grinst nicht so dämlich, ihr krummbeinigen Decksaffen, oder es gibt was über die Rippen! Bob Grey, du blinder Barsch, schnapp dir das Großgeitau und gei den verfluchten Lappen auf - oder muß ich es dir erst noch wieder beibiegen, was?“ So ging es in der gewohnten Weise weiter, bis die „Isabella“ beigedreht am Wind lag. Der Seewolf wählte die Männer für das Beiboot aus, die Jolle wurde abgefiert und wenig später von Blacky, Matt Davies, Bob Grey, Luke Morgan, Batuti und Gary Andrews auf die Flasche zugepullt. Hasard stand aufrecht im Bug der Jolle, er wollte es sich nicht nehmen lassen, die Flasche selbst aus dem“ Wasser zu fischen. 2. Die Flasche dümpelte in den graugrünen, recht trostlos wirkenden Fluten, als hätte sie immer dort geschwommen. Ihr Äußeres wies keine besonderen Merkmale auf, kein Korb- oder Bastgeflecht, das sie schützend umhüllte, keine Aufschriften, keine ausgefallenen Formen. Sie war ganz einfach nur eine „Buddel“ aus grünlichem Glas. Wenn es sich überhaupt lohnte, sie aus dem Meer zu Nölen, dann des Textes wegen, der auf dem Dokument festgehalten war. Hasard bedeutete seinen Männern, mit dem Pullen innezuhalten. Er beugte sich vor, streckte die rechte Hand aus und griff nach der Flasche, während die Jolle in langsam werdender Fahrt darauf zuglitt. Einen Moment schien es Hasard so, als wolle sich die Flasche seinem Zugriff entziehen, dann aber packte er ihren Hals und zog sie an Bord. Der Seewolf drehte die Flasche hin und her und versuchte etwas von dem zu entziffern,
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was auf dem angegilbten Dokument geschrieben stand. Er vermochte aber nur die Buchstaben „U-1-y“ zu lesen, und die ergaben keinerlei Sinn. „Warum öffnest du die Flasche nicht, Sir?“ wollte Batuti wissen. Hasard blickte auf und gab ihm und den anderen fünf Rudergasten Zeichen zum Wenden. „Wir pullen zurück zur „Isabella“. Ich will, daß alle dabei sind, wenn ich das Dokument heraushole und auseinanderrolle Spannung wuchs, sowohl im Boot als auch an Bord der „Isabella“. Dort stand der komplette Rest der Crew am Schanzkleid versammelt und blickte der zurückkehrenden Jolle erwartungsvoll entgegen. Arwenack, der Schimpanse, war vom Großmars bis in die Hauptwanten der Leeseite abgestiegen und klatschte in die Vorderpfoten, als die Jolle längsseits ging. Sir John saß auf der linken Schulter des Profos', der dies alles mit gemischten Gefühlen verfolgte, und stieß Worte wie „Armleuchter“, „Hering“ und „Kanalratte“ aus. Das endete damit, daß der Profos den brabbelnden Papagei schließlich von der Schulter nahm und ihn mit einem Grunzlaut im Brustausschnitt seines Wamses versenkte. Die Männer aus dem Boot enterten an der Jakobsleiter auf. Die Jolle wurde wenig später von Luke Morgan, Batuti, Stenmark und Jeff Bowie wieder an Bord der Galeone gehievt. Hasard hatte sich inzwischen mit leicht abgespreizten Beinen vor die Kuhlgräting gestellt und zeigte den näher rückenden Männern, den Zwillingen und der Roten Korsarin die Flasche. Besonders für den kleinen Philip und den kleinen Hasard war die Sache aufregend und von beinah exotischem Reiz. „Was ist drin, Dad?“ rief Hasard junior. „Eine Schatzkarte?“ „Maul halten“, fuhr der Profos ihn an. „Ihr Bengel habt nur zu reden, wenn ihr was gefragt werdet.“ „Aye, Mister Carberry“, sagte Hasard junior. Der Seewolf bewegte den Korken, der ziemlich tief in der Flaschenöffnung
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steckte, ein wenig mit Daumen und Zeigefinger, aber nach den ersten Versuchen hielt er inne und sagte: „Der Korken ist ein bißchen mürbe geworden. Ich bin sicher, daß er abbricht, wenn ich so weitermache. Kutscher, hol doch mal deinen Korkenzieher.“ Der Kutscher drehte sich um, lief zum Kombüsenschott, verschwand für ein paar Sekunden und kehrte mit jenem unansehnlichen Ding aus einem Stück Holz und einem Stück gebogenen Eisendraht, das er selbst konstruiert hatte, zurück. Unterdessen war die Spannung weiter gewachsen. Hasard nahm den Korkenzieher aus der Hand des Kutschers entgegen, drückte das spitze Ende in den weichen Korken und begann zu drehen. Der Draht drang in das Material ein. Hasard drehte, bis die Spitze zum unteren Ende des Korkens herausschaute, hörte dann auf und begann vorsichtig am Holzgriff des einfachen Instruments zu ziehen. „Hasard“, sagte Old O'Flynn warnend. Der Seewolf fixierte den Alten mit einem keineswegs freundlichen Blick. „Donegal, geht das schon wieder los? Keine Angst, ich fliege nicht in die Luft, und es kriecht auch kein Nebeldämon aus der Flasche, der uns alle vertilgt. Du mußt nur ganz ruhig bleiben, immer hübsch ruhig, klar?“ Die Zwillinge hielten sich die Hand vor den Mund und kicherten. Carberry starrte sie an, als ob er sie mit Haut und Haaren verschlingen wolle. Siri-Tong legte den Zeigefinger an die Lippen, und daraufhin verstummten die Jungen sofort wieder. „Hör mal zu, Sir“, sagte Old O'Flynn. „Du sprichst ja gerade so mit mir, als wäre ich ein alter Bock, der nicht mehr ganz richtig im Kopf ist.“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Aber du denkst es.“ „Donegal, leg mir nichts in den Mund, was ich .nie denken oder behaupten würde, verstanden? Du weißt ganz genau, daß ich dich hoch einschätze und für einen ausgezeichneten Seemann und Kämpfer halte. Ich habe nur was gegen übertriebene Schwarzmalereien. Wenn die auch
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tausendmal dein liebstes Steckenpferd sind - halte dich ein wenig damit zurück.“ „Ist das ein Befehl?“ „Genau das ist es.“ „Aye, Sir“. sagte der Alte verbissen. Er wandte den Kopf, sah die Kameraden an und fragte: „He, ihr! Seid ihr auch der Meinung, ich soll die Luke halten?“ „Hm“, antwortete Big Old Shane. „Ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt“, zischelte Old O'Flynn. Hasard zog den Korken aus dem Flaschenhals. und das erzeugte das typische trocken-hohle Geräusch, das die Männer nur allzu gut kannten. Er reichte dem Kutscher den Korkenzieher samt Korken, stülpte dann die Flasche um und schüttelte das zusammengerollte Stück Papier heraus. Geschickt fing er es auf. Die Flasche warf er Ben Brighton zu. Ben fing sie auf, betrachtete sie ausgiebig, schüttelte den Kopf und reichte sie an Ferris Tucker weiter, der sie dann seinerseits Carberry übergab. Hasard rollte das Schriftstück auseinander und sagte: „Uns ist ein Beobachtungsfehler unterlaufen. Dies ist kein Papier, sondern gegerbtes Material. Ganz feines Leder von irgendeinem Tier.“ „U-1-y“, buchstabierte Dan O'Flynn, was auf der ihm zugewandten Seite des Pergaments geschrieben stand. „Darauf kann ich mir keinen Reim bilden.“ Hasard hatte den Text auf der anderen Seite der Pergamentrolle mit einem Blick überflogen und ließ das Dokument ein Stück sinken. „Die Worte hier sind in tadellosem Englisch aufgeschrieben worden“, erklärte er. „Der Verfasser der Nachricht schien weder Federkiel noch Tinte zur Verfügung zu haben, er hat die Buchstaben irgendwie eingeritzt. Es muß ihn einige Mühe gekostet haben...“ „Dad“, sagte Philip junior in geradezu flehendem Tonfall. „Lies doch vor - bitte!“ „Ich steck euch gleich in die Vorpiek, ihr Rübenferkel, und zwar alle beide“, herrschte Carberry sie an - und das war keine leere Drohung, denn die Zwillinge waren wie alle anderen Mitglieder der Crew der Borddisziplin unterworfen und
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hatten wirklich zu schweigen, wenn es ihnen auferlegt wurde. „Einiges ist verwischt, einiges verblaßt“, fuhr der Seewolf fort. „Trotzdem kann ich alles entziffern. Hört zu.“ Er hob das Dokument wieder vor die Augen und begann zu lesen. * „Hilfe“, stand in undeutlichen Lettern auf der gelblichen, leicht transparenten Tierhaut zu lesen. „Rettet unsere Seelen, denn sonst sind wir verloren. Kapitän Cyril Auger von der „Ulysses“ ruft euch aus größter Not heraus an. Der Himmel steh uns bei, denn sie haben uns gefangen und lassen uns nicht mehr frei. Unser Schiff verloren, gestrandet, vielleicht findet ihr es bei N 56 Grad W 60 Grad auf den Klippfelsen, die sie Tunungayualok nennen. Von dort aus sind es rund sechs Meilen in NW-Richtung; dann: eine Kanzel, vielleicht fünfunddreißig, vierzig, Yards hoch, ein Einschnitt. Fünf- hundert Schritte landeinwärts, und ihr stoßt auf einen verkrüppelten Baum. Von dort aus zweihundert Schritte nach W zum Bach, über ihn hinweg und weitere dreihundert Schritte nach W, wo der Platz inmitten einer Senke liegt ...“ * Hasard blickte die Crew über den Rand des Schriftstücks hinweg an. „Weiter“, drängte Siri-Tong. „Weiter geht es nicht“, sagte er. „Sicherlich hätte dieser Kapitän Cyril Auger gern noch mehr geschrieben, aber er ist offensichtlich dabei gestört worden. Wer weiß, unter welch schwierigen Umständen er die Flaschenpost dann in die See befördert hat.“ „Verdammt“, entfuhr es Ferris Tucker. „Da scheint ein Landsmann von uns im dicksten Schlamassel zu stecken, aber weiß der Teufel, wo dieser Platz liegt, an dem er und seine Leute festgehalten. werden: Und diese geheimnisvollen Feinde, von denen er berichtet - was sind das für Kerle?“
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Siri-Tong war zu Hasard getreten und betrachtete eingehend die ihr zugewandte Seite des Schriftstücks. „U-1-y“, buchstabierte nun auch sie. „Und der Rest ist verwischt. Das soll bestimmt „Ulysses“ heißen. „Ulysses“ , das Schiff des Cyril Auger. Hat jemand von euch jemals von einem Segler dieses Namens und seinem Kapitän gehört?“ „Nein“, erwiderte der Seewolf. Er hob den Kopf und erkundigte sich: „Ist euch irgend etwas über dieses Schiff und seine Besatzung zu Ohren gekommen?“ Alle schüttelten sie den Kopf — einschließlich Arwenack, der die Gesten seiner zweibeinigen Freunde gern imitierte. „Ulysses“, sagte der Seewolf. „Ulixes oder auch Odysseus, ein Held der griechischen Sage. Der König von Ithaka, der sich auf eine gefahrvolle Seereise begab — ja, der arme Auger scheint sich auf eine furchtbare Odyssee, eine Irrfahrt mit bitterem Ende, eingelassen zu haben, und insofern trifft der Name seines Schiffes wohl genau zu.“ „Eine Ironie des Schicksals“, murmelte der Kutscher. „Trägt der Hilferuf denn kein Datum?“ fragte Siri-Tong. „Leider nicht“, antwortete Hasard. „Wer weiß, wann Auger die Post der See übergeben hat.“ „Junge, Junge, so ein Mist“, sagte Dan O'Flynn. „Wer weiß, ob die bedauernswerten Männer überhaupt noch am Leben sind. Ich will's ja hoffen, aber bei der Verzweiflung, mit der dieser Notruf geschrieben wurde, muß man wirklich an das Schlimmste denken.“ „Es ist unsere heilige Pflicht, nach Auger und seiner Mannschaft zu forschen“, sagte der Seewolf ernst. „Was immer auch aus ihnen geworden ist — wir müssen es herausfinden. Ben, hol doch mal die Karte.“ Ben Brighton drehte sich zum Quarterdeck um und ließ sich von Pete Baue gleich zwei Karten bringen, die vom Seewolf angefertigte Skizze mit den Kurseintragungen und die einzige gedruckte Karte des Seegebietes oberhalb
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von „Bacalaos“, die nach übereinstimmender Ansicht der Männer jedoch höchst ungenau war. Hasard las noch einmal Kapitän Cyril Augers Hilferuf, dann rollte er das Stück Leder wieder zusammen und versenkte es in seiner Jackentasche. Er ließ die Karten von Ben Brighton auf der Kuhlgräting ausbreiten und suchte nach der Position, die in der Flaschenpost genannt war. „56 Grad nördlicher Breite und 60 Grad westlicher Länge“, wiederholte er. „Nach der gedruckten Karte müßte das ein Punkt mitten im Meer sein ...“ „Aber wo sind da Klippfelsen?“ fragte die Rote Korsarin, die sich neben ihm über die Zeichnungen gebeugt hatte. „Warte.“ Hasard suchte die Position auch auf seiner Skizze, die er aus dem Gedächtnis in erster Linie aufgrund von Hendrik Laas' Angaben angefertigt hatte — und tatsächlich verharrte seine Fingerkuppe auf einem Fleck inmitten der zerklüfteten Küste von Labrador. „Tunungayualok“, sagte er. „Hier muß es liegen — keine fünfzig Meilen von unserer jetzigen Position entfernt. Ben, Ferris, Shane, Ed!“ „Sir?“ „Wir setzen Vollzeug und laufen dieses Tunungayualok an“, befahl der Seewolf. * Noch am selben Abend erreichten sie ihr Ziel. Die Sonne schien nur zögernd zu weichen und der blassen Mondscheibe ihren Platz zu überlassen. Das Licht der ausklingenden Dämmerung war rötlichgrau und immer noch ausreichend, um Einzelheiten in der Küstenlandschaft zu erspähen. Bill, der Moses, und Dan O'Flynn hatten den Großmars besetzt, und als „Verstärkung“ stand Gary Andrews hoch oben im Vormars und nahm seine alte Aufgabe als Fockmastgast wahr. Alle drei hielten sie ihre Kieker auf das Land gerichtet und forschten nach Masten, Rumpfteilen oder den Resten eines Segelschiffes.
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Die „Isabella“ glitt mit nordwestlichem Kurs parallel zum Verlauf des Ufers dahin. Nur noch das Großsegel, die Fock und die Blinde trugen sie voran, das übrige Zeug hatte der Seewolf wegnehmen lassen, damit sie bei verlangsamter Fahrt ausgiebig die Küstenregion erkunden konnten. Siri-Tong stand am Backbordschanzkleid des Achterdecks neben Hasard. Der Abendwind, der handig und eisig kalt immer noch von Süden einfiel, spielte mit ihrem schwarzen Haar. Sie hatte sich eine ärmellose Pelzweste über ihre rote Bluse gezogen, um es besser mit der zunehmenden Kälte aufnehmen zu können. „Es ist die trostloseste Küste, die ich je gesehen habe“, sagte sie. „Graue Felsen, kaum ein Baum oder Strauch, keine Lebewesen. Das ist kein Platz zum Verweilen.“ „Sehr einladend sieht das in der Tat nicht aus“, meinte er. „Aber wenn man Augers Schilderung recht geben darf, wohnen wirklich Menschen in dieser öden Landschaft. Das heißt, es gibt genügend Wasser und Nahrung und auch die übrigen Bedingungen, die man zur einfachsten Form des Lebens braucht.“ „Zum Dahinvegetieren, wolltest du wohl sagen.“ „Nicht unbedingt. Die Eskimos leben in einer ewigen Wüste aus Eis und Schnee und scheinen sich dort ziemlich wohl zu fühlen.“ „Ja“, sagte sie. „Auch das hat dir Hendrik Laas erzählt. Aber ich weiß nicht, ob wir seine Begeisterung für Grönland und die weiße Einöde der Arktis teilen werden.“ Hasard sah sie lange an, bevor er antwortete. „Niemand hat gesagt, daß wir diesem Mann nacheifern wollen. Das, was er empfindet, ist seine ganz persönliche Sache. Mir geht es um etwas anderes, Ich will die Nordwest-Passage finden.“ „Ich weiß. Aber haben das nicht schon viele Männer vor dir versucht?“ „Ich habe die Informationen eines Mannes, der bis nach Thule. vorgedrungen ist — und noch weiter nordwärts. Vielleicht ist er der einzige Europäer, der jemals Kontakt
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zu den Eskimos dort oben gehabt hat. Genau deswegen kennt er sich weitaus besser aus als alle anderen, die auf Entdeckungsfahrt ins Eismeer gegangen sind.“ „Aber Laas hat die Nordwestpassage nicht gefunden“, widersprach sie. „Das nicht, aber er war ziemlich sicher, zu wissen, welchen Kurs man nehmen muß, um sie zu finden.“ „Warum hat er die Passage dann nicht selbst befahren?“ Der Seewolf drehte sich noch ein Stück weiter zu ihr herum und legte eine Hand aufs Schanzkleid. „Erstens hatte er nicht das geeignete Schiff dazu, und zweitens hat er keinerlei Absichten in dieser Richtung. Ich möchte aber nicht, daß du den Eindruck gewinnst, ich habe mich auf törichte Weise für eine Idee begeistern lassen und segle nun einfach drauflos — in unser aller Verderben. Du solltest mich besser kennen. Ich weiß genau, was ich tue.“ „Entschuldige, wenn ich dich verletzt habe“, sagte sie einlenkend. „Du hast mich keineswegs verletzt.“ „Ich frage mich nur, warum wir dies tun. Was bringt es uns denn letztlich ein?“ „Vielleicht mehr als alles Gold und Silber, das wir bislang gehortet und nach England geschafft haben. Diese Passage stellt für jeden Seefahrer einen unschätzbaren Reichtum dar. Wann siehst du endlich ein, daß ein Korsar nicht nur ein Kaperfahrer ist, sondern auch ein Entdecker?“ Sie lächelte jetzt. „Schätze mich bitte nicht falsch ein. Ich habe nur so meine Bedenken, weil es eine niederschmetternde Enttäuschung für uns alle geben könnte. Wenn wir die Passage nicht finden, was dann? Dann wird auch dein Selbstvertrauen ganz erheblich erschüttert.“ „Ich werde es verkraften können.“ „Besser wäre es, wenn uns dieser Hendrik Laas als Lotse begleitet hätte.“ „Sicher, und wir alle hätten ihn gern bei uns an Bord gehabt. Aber er hat nun mal mit der „Sparrow“ nach Dänemark segeln
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wollen, in seine Heimat. Wer wollte ihm das verwehren oder gar verübeln?“ „Keiner“, erwiderte sie seufzend. Ja, dieser Hendrik Laas, dieser geheimnisvolle Fremde, den sie seinerzeit bei Plymouth vom Strand aufgelesen hatten — er hatte Hasard aus Dankbarkeit für die Lebensrettung seine streng gehüteten Geheimnisse offenbart: über Thule, die Eskimos, Nanoq, den Eisbär, die Pelztierjagd und alle Eigenarten des Lebens im arktischen Sommer und Winter. Die Seewölfe hatten nicht nur ihm geholfen, sie hatten auch Bert Anderson und Sheldon Gee, Laas' Kameraden, aus der Gefangenschaft der Piraten befreit und deren Anführer van Dyck die „Sparrow“ entrissen. Hendrik Laas hatte, geschworen, daß er es Hasard und den Männern der „Isabella“ nie vergessen würde, was sie für ihn, Anderson und Gee getan hatten. „Sir!“ rief Dan O'Flynn. „Schiff Backbord voraus! Ja, es ist ein Wrack, das zwischen Felsen eingeklemmt ist. Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht die „Ulysses“ ist!“ „Immer langsam, nicht so voreilig“, brummte Carberry, der von der Kuhl aus zur Küste hinüberäugte. „Noch wissen wir's nicht genau. Erst müssen wir uns vergewissern, daß es wirklich der gesuchte Kahn ist.“ „Der Teufel wird uns alle holen“, sagte Old O'Flynn. „Er haust mit seinen Dämonen zwischen den Felsen und spießt uns auf, sobald wir an Land gehen.“ Hasard junior und Philip junior leisteten ihm auf dem Quarterdeck Gesellschaft und blickten aus geweiteten Augen zu ihm auf. „Grandpa“, sagte Hasard junior und zupfte den Alten am Jackenärmel. „Wie sieht der Teufel aus? He, wie? Hast du ihn schon mal gesehen?“ „Jungs“, murmelte Old Donegal. „Ihr habt doch alle beide schon mal einen Gaul gesehen, stimmt's? Nun stellt euch mal einen Zweibeiner vor, der anstelle seines rechten Beines einen Pferdefuß hat, mit 'nem richtigen Huf daran, meine ich, und ...“
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„Und das andere Bein?” fragte Philip junior. „Was ist mit dem anderen Bein los?“ „Mann“, sagte Pete Ballie, der im Ruderhaus jedes Wort verstehen konnte. „Meiner Meinung nach ist es Unfug, den Jungen solche Schauermärchen zu erzählen, Donegal!“ „Du hast mir nicht reinzureden, Pete Ballie“, zischte der Alte, der seinerseits gehört hatte, was der Rudergänger gesagt hatte. Pete wollte etwas erwidern, aber in diesem Moment ertönte der Ruf des Seewolfs: „Pete, Ruder vier Strich Backbord, wir nehmen Kurs auf das Wrack! Al, du steigst auf die Galionsplattform runter und lotest die Wassertiefe aus!“ „Aye, aye, Sir“, sagten Pete Ballie und Al Conroy. „Wir gehen so dicht wie möglich an die Felsen heran!“ rief Hasard. „Wir ankern, fieren zwei Boote ab und pullen zu dem Schiff, um es genau zu inspizieren.“ „Au fein“, sagte Hasard junior. „Vielleicht kriegen wir dann ja auch den Teufel zu sehen - oder den Wassermann.“ „Wie?“ wunderte sich Old O'Flynn. „Habt ihr Heringe denn gar keine Angst vor diesen Ungeheuern?“ „Ach wo“, entgegnete Philip junior. ..Die Galeone der Toten war ja auch nur ein alberner Mummenschanz. Teufel, Dämonen und Geister - die gibt's überhaupt nicht.“ „Das schlägt dem Faß den Boden aus“, sagte der Alte. Pete Ballie blickte aus dem Ruderhaus zu ihm herüber und grinste sich eins. „Geit auf die Segel!“ brüllte auf der Kuhl der Profos los. „Wollt ihr wohl traben, ihr müden Böcke? Und macht die Jollen klar, und zwar ein bißchen dalli, oder es raucht in der Kombüse, daß euch euer blödes Grinsen vergeht!“ Das Vorschiff der „Isabella“ drehte sich der Küste zu, die Galeone schob sich auf Dan O'Flynns Entdeckung zu. Düsterer waren die Schatten der Nacht jetzt geworden, aber die Umrisse des Wracks
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waren immer noch deutlich genug zu erkennen. Sie wirkten skelettähnlich, zwei Maststummel ragten wie mahnende Finger in den Abend auf. 3. Hasard kletterte als erster auf die schroffen, tückischen Klippfelsen, die anderen Männer vertäuten die beiden Boote und folgten ihm dann. Zwischen dem Wrack und der „Isabella“ lag nur noch eine Distanz von schätzungsweise fünfzig Yards, weiter hatten sich die Seewölfe mit ihrem Schiff nicht heranwagen können - ohne zu riskieren, daß Unterwasserfelsen den Rumpf aufschlitzten. „Gefährliche Riffe“, sagte Ben Brighton, der gleich hinter dem Seewolf über das Schanzkleid des zerstörten Seglers klomm. „Ein wirklich feines Land, dieses Labrador. Sicherlich warten hier noch mehr Überraschungen auf uns.“ „Da“, sagte Carberry hinter ihrem Rücken. „Seht doch mal, dort drüben! Heiliger Strohsack, da bewegt sich was!“ Sie alle verharrten und wandten den Kopf. Ja, drüben am kargen, trostlosen Ufer regte sich etwas, das konnten sie in der mondlichterhellten Nacht gut genug erkennen. Das ruckte hin und her, ballte sich zusammen, schien Hörner oder etwas Ähnliches zu haben und wimmelte auf und ab. „Allmächtiger“, sagte Batuti. „Also doch! Dämonen! Böse Kobolde! Altes O'Flynn hat's ja gesagt ...“ „Quatsch mit Salzlake“, fiel Matt Davies ihm ins Wort. „Ich wette meine Hakenprothese, daß das irgendwelche Viecher sind.“ „Ja, natürlich“, pflichtete die Rote Korsarin ihm bei. „Vielleicht sind es Rehe oder Hirsche - oder sogar Antilopen.“ „Antilopen, hier?“ sagte Carberry. „Das glaube ich nicht.“ „Profos“, brummte Big Old Shane im Dunkel neben der Bordwand des Wracks.
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„Was verstehst du denn schon von Tieren?“ „Ich kenne mich aus. Ich habe eine, äh enge Beziehung zur Natur“, verteidigte sich der Profos. „Ja, stimmt, das hat man ja auch auf den Galapagos-Inseln gesehen“, meinte Dan O'Flynn: „Da bist du gut mit den Drachen und Seelöwen, und was sonst da herumkroch, zurechtgekommen, nicht wahr? Vielleicht haben sie ja eine eigene Sprache, die du beherrschst - bei deiner Begabung, Ed.“ „Wie soll ich das verstehen?“ „So, wie ich's sage, Mister Carberry“ Diese Stichelei Dan O'Flynns bezüglich Carberrys Sprachveranlagung hing natürlich mit dem grauenvollen Spanisch zusammen, dessen der Profos sich bei Bedarf bediente. Dank Hasards geduldiger Anleitung hatten alle Männer der „Isabella“ Spanisch gelernt, aber das fürchterlichste Kauderwelsch sprach Carberry, dem der Akzent und die Ausdrucksweise der Südländer im Grunde genommen immer noch ein Buch mit sieben Siegeln war. Carberrys Rammkinn rückte bedrohlich vor - in Richtung auf Dan O'Flynns Kopf. „Weißt du, was du bist?“ fragte Carberry mit drohend grollender Stimme. „Vergeßt nicht, daß ich bei euch bin“, ließ sich die Rote Korsarin vernehmen. „Ich bin zwar einiges an Ausdrücken gewohnt, aber ihr solltet daran denken, daß man sich in Anwesenheit einer Frau keine vulgären Ausdrücke an den Kopf wirft.“ „Oh, selbstverständlich nicht, Madam“, sagte der Profos. Dann, zu Dan O'Flynn gewandt: „Mister O'Flynn, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß du der Abkömmling einer Lady von äußerst zweifelhaftem Ruf bist.“ „Mister Carberry“, entgegnete Dan, während die anderen sich das Lachen kaum verkneifen konnten., „Ich möchte deinen Ausführungen entgegenhalten, daß ein gewisses Haustier der Cornwallschen Gefilde wegen seines großen Schädels, seiner Hörner und seines Stumpfsinns
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verblüffende Ähnlichkeit mit einem Profos deines Namens aufweist.“ Carberry holte tief Luft. „Männer“, sagte der Seewolf über ihren Köpfen. „Kümmert euch nicht weiter um die Tierherde drüben am Ufer, sondern entert jetzt gefälligst auf. Wir wollen hier nicht die Nacht verbringen. Shane, reich mal die Fackeln herauf.“ „Aye, Sir“, sagte Shane. „Madam“, wandte sich der Profos an SiriTong. „Dan O'Flynns nette Worte haben mich auf einen Gedanken gebracht. Die Biester da - das könnten vielleicht Kühe sein, nicht wahr?“ „Richtige Rindviecher?“ hakte Matt Davies nach. Um seine Mundwinkel herum zuckte es. „Ich glaube eher, es sind Hornochsen“, sagte Jeff Bowie, der auch seine liebe Mühe hatte, nicht laut loszuprusten. „Das sind Karibus“, klärte der Seewolf sie auf. Carberry blickte verwundert zu ihm auf. „Kari - was? Sir, den Namen höre ich zum erstenmal in meinem Leben.“ Hasard war damit beschäftigt, die Fackeln von Shane entgegenzunehmen und an Ben Brighton weiterzureichen. Er antwortete nicht. Stattdessen sagte der Kutscher zum Profos: „Ed, das ist eine wilde Ren-Art.“ „Aha. Renntiere also.“ „Rens ist richtiger.“ „Aber sie rennen doch, oder?“ „Ich schätze, sie können sehr schnell laufen“, erwiderte der Kutscher. „Na also, Kutscher, du alter Klugscheißer“, sagte Carberry. „Ich habe mich schon richtig ausgedrückt: Renntiere. Was meinst du, kann man die Biester essen?“ „Hendrik Laas hat berichtet, daß sie vorzüglich schmecken.“ „Wir sollten, wenn wir Zeit dazu haben, Jagd auf sie machen“, sagte der Profos. „Dein Küchenzettel hat nämlich etwas Abwechslung dringend nötig, du Kombüsenhengst.“ Ihre Unterhaltung brach hier ab, denn SiriTong hatte eine der gut zwei Dutzend Pechfackeln, die sie von der „Isabella“
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mitgebracht hatten, von Dan O'Flynn durch das Aneinanderschlagen von Feuerstein und Feuerstahl entfachen lassen. Mit der blakenden Lichtquelle in der Hand kletterte sie über das Riff bis zum Heck des Schiffes, blieb hier stehen, hob die Fackel etwas an und sagte: „Hier haben wir 'den Beweis, daß es wirklich Augers Schiff ist.“ Die Männer, die noch nicht auf das Deck des Wracks geentert waren, entzifferten im Schein der Fackel fünf Buchstaben. „U yss - s“, las Big Old Shane. „Na schön, das L und das E fehlen, aber es besteht ja wohl kein Zweifel mehr.“ Carberry kletterte derweil über das Schanzkleid des schräg liegenden, halb zerschmetterten Seglers aufs Oberdeck und konstatierte, daß hier nahezu alles noch recht gut erhalten war, wenn man von den zerborstenen Masten und dem zerfetzten Rigg absah. Ja, die Planken der Kuhl beispielsweise waren noch lückenlos ineinandergefügt und hatten keinen Schaden genommen, als es die „Ulysses“ auf das Riff gehoben und an ihrer Bauchseite aufgerissen hatte. Carberry registrierte aber auch noch etwas anderes, als er jetzt dem Seewolf und Ben Brighton folgte, die sich mit brennenden Fackeln dem Achterkastell des Zweimasters genähert hatten. Plötzlich grinste der Profos geradezu satanisch. Dan O'Flynn enterte gleich hinter ihm auf, hatte aber keine Fackel, mit der er alle Einzelheiten seiner Umgebung erkennen konnte. Carberry, der sich bis zum Großmast vorgearbeitet hatte, rief: „Dan, komm schnell hier herüber, wir brauchen dich, um das Achterdecksschott aufzubrechen!“ Der Seewolf blickte über die Schulter zurück und wollte seinen Profos dahingehend korrigieren, dass es gar nicht erforderlich sei, das Schott aufzubrechen, weil es nämlich bereits offenstand, aber da passierte es auch schon. Dan O'Flynn vollführte einen regelrechten Satz, landete auf seinem Hosenboden und schlidderte auf dem leicht nach vorn geneigten Deck geradewegs auf die Back zu. Er stieß einen Fluch aus, bremste seine
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Fahrt mit den Füßen, rappelte sich wieder auf und rief den anderen zu: „He, aufpassen, hier ist es aalglatt! Das Wasser auf den Planken ist steinhart gefroren.“ „Richtig“, sagte Ben Brighton. „Darauf wollte ich auch gerade hinweisen.“ „Nicht nötig“, meinte Carberry fröhlich. „Die Kerle haben's auch so begriffen.“ „Mister Carberry“, sagte Dan O'Flynn. „Ich danke dir dafür, daß du mich rechtzeitig gewarnt hast.“ „Oh, nicht der Rede wert. Für einen so netten und zurückhaltenden Burschen wie dich tue ich's gern.“ Nach und nach erschienen beide Bootsbesatzungen auf der Kuhl der „Ulysses“. Ferris Tucker, der bislang noch gar nichts geäußert, sondern sich nur aufmerksam umgeschaut hatte, bewegte sich vorsichtig zu Hasard, Ben und dem Profos hinüber. „Das ist ein verdammt kleines Schiff“, sagte er. „Keine hundert Tonnen, schätze ich, wahrscheinlich nur knapp mehr als fünfzig. Aber wenn man bedenkt, daß auch Leute wie Frobisher mit winzigen Schiffen hier herübergesegelt sind - na ja.“ „Eben“, meinte der Seewolf. „Es kommt nicht auf die Größe des Schiffes an. Die bescheidenen Maße der „Ulysses“ können nicht der Grund dafür sein, daß Auger solches Pech gehabt hat.“ „Ein Sturm hat sein Schiff auf Legerwall geworfen“, sagte Ben. „Das Unglück mit dem Riff hätte uns genauso widerfahren können.“ „Trennen wir uns“, schlug der Seewolf vor: „Siri-Tong, willst du Ben, Ed, Shane, Ferris und mich ins Achterkastell begleiten? Ihr anderen durchsucht das Vorschiff.“ „In Ordnung“, erwiderte die Korsarin und schloß sich Hasard und seinem kleinen Trupp an. Dan O'Flynn übernahm die Führung der Restgruppe. Er schritt auf dem tückisch glatten Deck bis zum Vordecksschott, öffnete es und tastete sich die Stufen des Niedergangs hinunter. Die an dem Holz haftende Feuchtigkeit hatte sich hier ebenfalls in dünnes Eis verwandelt, und
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man mußte höllisch aufpassen, nicht auf einer der Stufen auszugleiten und ins Vordeck zu stürzen. Fiel man dabei ungünstig, konnte man sich tatsächlich ein paar Knochen im Leib brechen. Dan geleitete Batuti, den Kutscher, Matt, Jeff und Bob Grey, der als sechster Mann zu der einen Bootsbesatzung gehörte, bis zum Mannschaftslogis des Zweimasters, einem im Vergleich zum Logis der „Isabella“ kleinen, engen Raum. Mehr als ein Dutzend Männer hatten hier geschlafen, wie sich anhand der Zahl der Kojen leicht ermitteln ließ. Einer dieser Seeleute lag noch immer auf seinem Lager - für die Ewigkeit. Der Tote schien sie im zuckenden Licht der Fackeln anzustarren. Batuti, bei dem der Aberglaube besonders tief verwurzelt war, sagt im ersten Entsetzen: „Böser Geist. Wir alle verloren.“ Dann aber hatte er sich sofort wieder gefaßt und schritt mit Dan langsam auf den armen Teufel zu. „Er sieht aus, als ob er erst gestern gestorben sei“, sagte Dan. „Keine sichtbaren Zeichen der Verwesung. Auch die Kleidung ist noch vollständig und überhaupt nicht zerfetzt.“ Er faßte das Hemd des Toten an. Es war bretthart. Der Kutscher war ebenfalls dicht vor die Koje getreten, untersuchte den Leichnam, so gut er konnte, und meinte dann: „Ich glaube, er ist jämmerlich ertrunken. Er muß im Schlaf von dem Unheil überrascht worden sein.“ Matt Davies hatte sich ein wenig im Logis umgesehen. Er hatte ein Leck entdeckt und deutete mit dem Finger darauf. „Hier, seht doch mal! Hier ist das Wasser hereingerauscht, und der Mann schaffte es nicht mehr, rechtzeitig das Logis zu verlassen. Er ist ersoffen wie ein Hund, der arme Christenmensch, und dann, als das Schiff auf dem Riff hängenblieb, lief das Wasser wieder ab.“ „Ja, so muß es gewesen sein“, bestätigte der Kutscher. Er hatte die Seegrasmatratze der Koje befühlt — auch sie war steinhart wegen des Wassers, mit dem sie sich vollgesogen hatte und das dann gefroren war. „Ich halte es für möglich, daß der
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Mann hier bereits den ganzen Winter auf dem Riff verbracht hat.“ „Er tut mir leid“, sagte Bob Grey. „Aber vielleicht ist ihm ein schlimmeres Schicksal erspart geblieben — das nämlich, das die Überlebenden der „Ulysses“ getroffen hat.“ Dan sah in die blicklosen Augen des Toten. „Wenn du uns doch erzählen könntest, was geschehen ist“, sagte er. * Die Kapitänskammer im Achterkastell war klein wie alle Räume dieses Schiffes und spartanisch einfach eingerichtet. Alle Möbel, die Koje und das Pult schienen mit einem grauweißen Schleier überzogen zu sein, auf dem sich unter dem dämmrigroten, zuckenden Licht der Pechfackeln bizarre Kristalle bildeten. „Wenn Donegal das sehen würde“, sagte Big Old Shane. „Ich mag mir gar nicht ausmalen, was er dann alles zusammenfabulieren würde.“ Hasard schritt zum Waffenschrank und öffnete ihn. Gähnend leer war es in dem Schapp. „Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, daß Cyril Auger ganz ohne Waffensammlung die Überfahrt angetreten hat“, sagte er. „So friedlich seine Absichten auch gewesen sein mögen, er konnte nicht darauf verzichten, wenigstens sein Leben zu schützen. Nein, dieser Schrank muß einmal gefüllt gewesen sein, mit Schußwaffen, Degen und Säbeln.“ „Es gibt also nur eine Erklärung“, meinte Siri-Tong. „Jemand hat das Schiff von vorn bis hinten und von oben bis unten durchstöbert und ausgeplündert.“ „Ja“, stimmte Ben Brighton zu. „Das würde auch den Verdacht bestätigen, den ich hinsichtlich der Geschütze habe, die dieser Segler sicherlich geführt hat.“ „Auch sie sind geraubt worden?“ sagte der Profos. „Herrgott, wie viele mögen es wohl gewesen sein?“ „Ich gehe mal kurz zurück auf die Kuhl und sehe mich nach Spuren um“, entgegnete Big Old Shane. „Die
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Lafettenräder müssen ihre Male auf den Planken hinterlassen haben, und auch die Augbolzen für die Brooktaue müssen noch vorhanden sein.“ „Gut, Shane“, sagte der Seewolf. „Danke.“ Shane ging, und Ferris Tucker wandte sich an seinen Kapitän. „Sind es deiner Meinung nach Wilde gewesen, die das Schiff ausgenommen haben wie eine schlachtreife Weihnachtsgans? Wenn es so ist, dann müssen wir auf der Hut sein. Dann lauert möglicherweise irgendwo im Dunkel draußen ein Gegner, den wir nicht unterschätzen dürfen. Wer Kanonen und Musketen klaut, der kann bestimmt auch damit umgehen.“ Hasard hatte sich auf den Stuhl hinter dem Kapitänspult gesetzt. „Damit sollten wir auf jeden Fall rechnen“, sagte er, während er die Schublade zu öffnen versuchte. Aber wir sollten uns andererseits nicht zur Panik verleiten lassen.“ „Wer spricht denn von Panik?“ Ferris trat zu Hasard, zog sein Messer und half mit, die abgeschlossene und festgefrorene Schublade aufzubrechen. „Mir ist nur wieder eingefallen, daß Hendrik Laas die Eskimos als friedliebendes Jägervolk beschrieben hat“, fuhr er fort. „Aber das scheint nicht unbedingt zuzutreffen.“ Wir wissen doch noch gar nicht, ob es Eskimos waren, die die „Ulysses“ überfallen haben“, wandte Siri-Tong ein. „Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.“ „Ganz meine Meinung, Madam“, pflichtete der Profos ihr sofort bei. „Und noch was. Gibt es in dieser Gegend denn überhaupt schon Eskimos? Leben die nicht viel weiter oben im Norden, auf Grönland und so?“ „In Labrador gibt es die Karibu-Jäger“, erwiderte der Seewolf, der mit Ferris' Hilfe inzwischen die Schublade geöffnet hatte. „Das ist ein Eskimo-Stamm, der übrigens auch Kajaks benutzt und Pelztiere und kleine Wale jagt.“ Carberry kratzte sich an seinem Rammkinn. Er war viel zu vertieft in seine Gedanken, um zu bemerken, daß Siri-Tong
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ihm wegen des häßlichen Schabens einen halb amüsierten, halb mißbilligenden Blick zuwarf. „Sir“, sagte der Profos. „Die ganze Angelegenheit ist mir nicht recht geheuer.“ Hasard schien etwas gefunden zu haben. Vorsichtig zog er es aus der Pultschublade hervor. „Ed, da bist du nicht der einzige“, erwiderte er. „Aber sieh mal her - dieses kleine Buch hier gibt uns vielleicht näheren Aufschluß über das, was Cyril Auger und seiner Schiffsmannschaft geschehen ist.“ Carberry und die anderen beiden rückten näher auf das Pult zu. Ferris Tucker blickte über Hasards Schulter und fragte: „Was ist das? Ein Logbuch?“ Der Seewolf hatte seinen Fund auf die Pultplatte gelegt und öffnete den dunkelblauen Einband. Er las, blätterte und erwiderte schließlich: „Nein, es scheint eher ein reines Tagebuch zu sein.“ „Was steht denn drin?“ erkundigte sich der Profos ungeduldig. „Daß sie die Pest an Bord hatten? Daß sie von den Blattern befallen waren?“ Hasard antwortete nicht, er schaute auf. Siri-Tong, Ben Brighton, Ferris Tucker und Ed Carberry folgten seinem Blick zur Tür der Kammer. Dort war nämlich der Kutscher aufgetaucht. „Mann, Mann“, stieß Ferris aus. „Du hast uns aber jetzt einen Schreck eingejagt, Kutscher.“ „Tut mir leid“, sagte der Koch und Feldscher der „Isabella“. „Ich dachte, ihr hättet mich gehört. Sir, wir haben das ganze Vorschiff und den Frachtraum durchsucht und außer einer männlichen Leiche nichts gefunden.“ „Eine Leiche?“ wiederholte der Profos. „Spann uns bloß nicht auf die Folter, du rabenschwarzer Friedhofsvogel. Was für eine grausige Krankheit hat der Mensch gehabt?“ Sir John, der karmesinrote Aracanga, steckte ausgerechnet in diesem Moment seinen Kopf zum Wamsausschnitt des Profos' heraus und verkündete: „Alle Mann
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kielholen, die ganze Bande! Ruder hart Backbord!“ „Himmel, Arsch, halt deinen vorlauten Schnabel“, fuhr Carberry ihn an. Er wollte den Papagei greifen, aber der schlüpfte jetzt ganz aus dem Profoswams und flatterte in der Kammer umher. „Verzeihung, Madam“, sagte Carberry zu Siri-Tong, dann wandte er sich wieder an den Kutscher. „Nun, was ist, du Bücklingsbändiger? Willst du wohl mit der Sprache herausrücken?“ „Also bitte, Kutscher“, sagte der Seewolf. „Keine Anzeichen einer Krankheit, Sir“, sagte der Kutscher. „Der Mann ist ertrunken. Er scheint aber kerngesund gewesen zu sein.“ „Ein Segen“, stieß Carberry aufatmend aus. „Das heißt noch lange nicht, daß auch der Rest der „Ulysses“-Crew kerngesund und wohlauf war“, sagte Ferris Tucker nicht ohne Zynismus. „Aber ich an deiner Stelle würde mir darüber keine allzu großen Sorgen bereiten, Ed.“ „Na, hör mal — ich will mir hier nichts wegholen.“ „Die Kälte tötet die Krankheitskeime ab“, erklärte der Kutscher. „Das ist absolut sicher; Je kälter es ist, desto ...“ „Schon gut, schon gut, wir wissen ja, wie schlau und belesen du bist, Kutscher, du alter Klugsch ... du alter Quacksalber, wollte ich sagen“, unterbrach ihn Carberry. „Verzeihung, Madam.“ Sie lächelte ihn an. „Warum? Quacksalber ist doch kein vulgärer Ausdruck, Edwin.“ Carberry kratzte sich schon wieder, diesmal allerdings am Kopf. „Äh, nun, das stimmt schon. Ich will nur sagen, man sollte nicht alles Latein für bare Münze nehmen, das dieser Mensch herunterbetet.“ „Ihr beide seid wirklich ein Herz und eine Seele“, sagte sie auflachend. Hasard blickte von der Lektüre des Tagebuches auf. „Es steht zwar nichts darüber in diesen Aufzeichnungen, aber ich nehme fest an, daß Cyril Auger und seine Männer von Bord dieses Seglers verschleppt worden sind — denkt doch an die Flaschenpost.“
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„Gut“, sagte Siri-Tong. „Aber über was berichten die Notizen, die Auger in das Buch geschrieben hat?“ „Soll ich von vorn anfangen?“ „Ja, bitte“, sagte sie. * Aus den Aufzeichnungen des Cyril Auger, geboren am 11. Februar 1543 in Galway, Irland: „Es ist soweit. Heute, am 16. September 1588, haben wir Galway und die Galway Bay verlassen, die Aran Islands im Norden passiert und befinden uns nun gut zwanzig Meilen westlich der irischen Küste. Wir haben Nordostwind und laufen gute Fahrt, mehr als neun Knoten. Wenn alles gut geht und es keinen Sturm gibt, der uns vom Kurs abbringt und zurückwirft, werden wir in zwei Monaten die Überfahrt hinter uns haben und uns von Bacalaos, also Neufundland aus an Labrador herantasten. Ich weiß, daß wir die denkbar ungünstigste Zeit gewählt haben, um nach der Passage zu suchen, doch vielleicht bringt uns gerade dieses Wagnis dem Ziel näher, vielleicht läßt uns die Packeisgrenze die entscheidende Möglichkeit offen und drückt uns in die Straße, die weder die Cabots noch Frobisher oder Davis, entdeckt haben ... Ich bin froh darüber, nicht nur Iren an Bord dieses Schiffes zu wissen, sondern vielmehr eine gemischte Mannschaft von fünfundzwanzig Mann zusammengestellt zu haben, die Iren, Engländer, Schotten und sogar zwei Holländer vereint. Wir sind alle Freunde und verstehen uns prächtig... Patrick O'Connors, mein erster Offizier und Berater, ist mit mir einer Meinung, daß sich die Reise gut anläßt, daß wir keine Bedenken haben sollten wegen etwaiger Widrigkeiten wie Piratenüberfällen und Unbilden der Witterung. Zu holen gibt es bei uns nichts. Die „Ulysses“ ist ein zwar kleines, jedoch robust gebautes Schiff, das Stürmen ebenso gut zu trotzen vermag wie die Segler der größeren Klassen.
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Aber vielleicht sind wir auch zu optimistisch, was unsere nahe Zukunft betrifft.. 4. Vier Stücke, dachte Big Old Shane, der sich ausgiebig auf der Kuhl, dem Achterdeck und der Back der „Ulysses“ umgesehen hatte, vier mickrige kleine 4Pfünder, Minions also, die auf der Backbord- und Steuerbordseite der Kuhl festgezurrt waren. Keine Drehbassen auf Vor- und Achterdeck, keine Serpentinen, nichts. Das ist für ein Schiff, das sich so weit in die Fremde hinaustraut, eine verdammt schlechte Armierung, sagte er sich weiter, und der Kapitän Cyril Auger muß entweder ein hirnverbrannter Narr oder ein großer, heldenmütiger Abenteurer vor dem Herrn gewesen sein, daß er einen derartigen Törn mit solchen Mitteln auf sich genommen hat. Gewesen sein! Himmel, wir hoffen doch alle, daß er und seine Männer noch leben, dachte Shane. Er stand jetzt ganz achtern am Heck und blickte über das Riff hinweg zur „Isabella“. Auf der Galeone war die große Achterlaterne angezündet worden. In ihrem Lichtkreis glaubte er, Old O'Flynn auf- und abwandern zu sehen. Alter . Wurzelgreis, dachte Shane,. aber es war im Grunde eher liebenswürdig gemeint, denn bei allem Gewetter über den Alten und dessen Sprücheklopferei waren die beiden doch dicke Freunde. Man stammte nicht umsonst aus demselben, verdammten Nest Falmouth und hatte nicht unzählige Schlachten Seite an Seite durchstanden, ohne sich nun verbunden zu fühlen. Shane löschte die Fackel. Er hatte genug gesehen. Munition war nirgends zu entdecken gewesen. Entweder, so überlegte er sich, lagert die noch unten in der Pulverkammer, oder die Burschen, die das Schiff um seine Kanonen erleichtert haben, haben auch das Pulver, die Lunten und die Kugeln fortgeschafft.
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Er wollte in die Kapitänskammer zurückkehren, warf aber zuvor noch einen prüfenden Blick in die Runde. Plötzlich stutzte er. An Steuerbord der „Ulysses“ war eine schwache Bewegung, wie durch einen Schatten hervorgerufen. Shane schritt vorsichtig auf das Schanzkleid zu. Die harten, eisbedeckten Planken knarrten leise. Shane verharrte, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und spähte in das Dunkel hinaus - ein graubärtiger Koloß im frostig von Labrador herüberblasenden Wind. Nein, diesmal war die Bewegung nicht am Ufer, diesmal waren ihre Urheber keine Karibus oder irgendwelche anderen Tiere diesmal regte sich etwas auf dem Wasser und schob sich lautlos auf das Riff und das Unglücksschiff zu. Shanes Gestalt straffte sich. Warum, zum Teufel, hat Bill noch nichts bemerkt? fragte er sich unwillkürlich. Dann fiel ihm die Erklärung dafür ein: Bill, der Moses, hockte zwar nach wie vor im Großmars der „Isabella“ und hielt die Augen offen, aber das, was sich da der „Ulysses“ näherte, befand sich in Nordwesten und somit genau in jenem toten Winkel, den weder Bill noch sonst jemand an Bord der Galeone überblicken konnte. Das Riff und der ramponierte Rumpf der „Ulysses“ waren davor. Also war er, Big Old Shane, der einzige, der diese Erscheinung in diesem Augenblick sah. „Boote“, murmelte er. Ja - zwei, drei schlanke Bootsleiber glitten heran, aus dem dunkleren Hintergrund schienen sich noch weitere zu lösen. Shane wußte nicht, ob er darüber erfreut oder beunruhigt sein sollte. Die Frage, ob es sich um Freund oder Feind handelte, stand offen. Er beschloß, sofort für eine gründliche Klärung der Angelegenheit zu sorgen. „Wahrschau!“ rief er. „Gebt euch zu erkennen!“ Er erhielt keine Antwort. Die Boote rückten wie stumme Schemen näher.
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„Wer seid ihr? Was wollt ihr?“ rief Shane, diesmal schärfer und drohend. Er wiederholte seine Fragen auf Spanisch, weil es ja nicht ausgeschlossen war, daß die Dons auch in dieser gottverlassenen Ecke der Welt urplötzlich aus der Nacht auftauchten, aber auch dieses Mal war der Erfolg gleich Null. Er erhielt keine Antwort. Shane nahm seinen Bogen, den er von Bord der „Isabella“ mit herübergebracht hatte, von der Schulter, zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn an. Er spannte die Sehne, richtete die Pfeilspitze auf die Boote, die jetzt allenfalls noch zehn, zwölf Yards entfernt waren, und schrie: „Halt! Dreht ab und verzieht euch, Leute, oder es gibt Ärger!“ Selbstverständlich räumte er ein, daß die, die da in den Booten saßen, weder Englisch noch Spanisch verstanden. Aber zumindest hätten sie gestikulieren können. Es gab viele Zeichen, durch die man seine Friedfertigkeit bekunden konnte. Aber auf eine „freundliche Begegnung“ schienen die Fremden es nicht angelegt zu haben. „Halt!“ brüllte Shane noch einmal. Sie mußten ihn im Mondschein erkennen und auf diese geringe Distanz auch seine drohende Haltung und die Waffe sehen können, die er hielt. Nur ein ausgesprochener Schwachkopf hätte in diesem Moment immer noch nicht begriffen. Shane sah noch, daß es ziemlich dick vermummte Gestalten waren, die in den schmalen Booten saßen, in den vorderen Gefährten immer jeweils nur eine. Wie hatte Hasard doch gleich die Boote der Eskimos genannt? Richtig, Kajaks! Shane vernahm auch noch, wie es unter ihm, im Achterkastell, zu poltern begann. Hasard, Ben, Ferris, Carberry und die Rote Korsarin hatten das Gebrüll des Schmieds von Arwenack natürlich gehört, und jetzt liefen sie los, um auf dem Achterdeck nach dem Rechten zu sehen. Ebenso mußten auch Dan und die anderen im Vorschiff die Rufe gehört haben -, und ganz bestimmt waren auch die Männer an Bord der „Isabella“ darauf aufmerksam geworden,
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daß am Riff und der „Ulysses“ irgend etwas nicht stimmte. Irgendetwas stimmte nicht - das war noch glatt untertrieben, wie sich gleich herausstellen sollte. Eine der Gestalten im Kajak hob plötzlich etwas hoch und vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Arm. Etwas flog genau auf Shane zu und hätte ihn mit Sicherheit getroffen, wenn er nicht geistesgegenwärtig zur Seite ausgewichen wäre. Es war ein Ding, das wie ein gedrungener Speer aussah, und es surrte bedrohlich dicht an Shane vorbei - flach übers Schanzkleid weg und dann übers Achterdeck. An Backbord in der Innenseite des Schanzkleides blieb es stecken. Es gab einen dumpfen Laut, und der eigenartige Speer pendelte hin und her, aber Shane hatte keine Zeit, sich das genau anzusehen. Er stieß einen Fluch aus, schickte einen Pfeil zu den Kerlen in den Kajaks hinüber und wollte ihnen gleich noch einen zweiten Pfeil zur Begrüßung hinüberjagen, aber da war auch schon der Teufel lös, und er mußte hinter dem Steuerbordschanzkleid in Deckung gehen. Shanes Pfeil blieb zitternd in der Bugpartie des vordersten Kajaks stecken - womit bewiesen war, daß er mindestens genauso gut zielen konnte wie der Speerschütze. Im selben Augenblick aber hatten die Vermummten mit einem gemeinsamen Aufschrei längliche Gegenstände hochgerissen, sie an die Schultern gelegt und auf die „Ulysses“ gerichtet. Es waren Musketen, jawohl, und sie drückten fast alle zur selben Zeit ab, um Big Old Shane die Hölle heiß zu machen. Plötzlich war wirklich der Teufel los. * Hasard hatte sich das Tagebuch des Cyril Auger rasch unter die Jacke geschoben, als oben Shanes Rufe erklungen waren. Er war abrupt aufgestanden und hatte die Kammer des Kapitäns verlassen, gefolgt von Ferris, Ben, dem Profos, Siri-Tong und dem Kutscher.
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Es gab Verdruß, das wußten sie alle sofort, denn ohne gewichtigen Grund fing ein Big Old Shane nicht so mordsmäßig an zu brüllen. Hasard erreichte als erster das Schott, das auf die Kuhl hinausführte, stieß es auf, wär im Freien, griff zur Pistole und hörte auch schon die ersten Schüsse krachen. „In Deckung!“ rief er seinen nachdrängenden Leuten zu, ehe er selbst richtig begriffen hatte, von welcher Seite der Angriff erfolgte und wer der Feind war. Zwei, drei Sekunden später flog auch das Vordecksschott auf, und Dan, der GambiaMann, Matt, Jeff und Bob stürmten auf die Kuhl. Sie warfen sich auf den glatten Planken in Deckung und robbten auf dem leicht nach Steuerbord ansteigenden Deck auf das Schanzkleid zu. Hasard war am Steuerbordschanzkleid in unmittelbarer Nachbarschaft des Niedergangs zum Achterdeck angelangt und schob die doppelläufige Reiterpistole, deren beide Hähne gespannt waren, über die Brüstung. Er konnte den Kopf nicht zu hoch heben, dazu flogen die gegnerischen Kugeln zu tief und zu dicht. Deshalb zielte er aufs Geratewohl, drückte beide Abzüge, zog die Waffe zurück und winkte dann Ferris zu, der sich gerade von schräg hinten auf ihn zuarbeitete. Siri-Tong hatte sich links neben den Seewolf hingekauert und hob ein Tromblon, das sie - vielleicht in weiser Voraussicht - von der „Isabella“ mitgenommen hatte. Sie wollte über den Rand des Schanzkleides spähen, mußte den Kopf aber sofort wieder einziehen, weil unten, am Rand des Riff s, neue Feuerblitze aufzuckten. Heißes Blei raste auf sie und die Männer links und rechts am Schanzkleid zu. Sie hatten es mit einem wilden, offenbar zu allem entschlossenen Angreifer zu tun. „Ferris“, sagte der Seewolf. „Gib die Flasche her, die du mitgenommen hast. Nun mach schon.“ Ferris Tucker hatte seine Hand bereits in der Jackentasche versenkt und förderte die Flasche zutage, die etwas kleiner war als
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der Glasbehälter, in dem sich Cyril Augers Botschaft befunden hatte - die es aber dennoch mächtig in sich hatte. Es war eine der Flaschenbomben, die er, Ferris Tucker, höchstpersönlich erdacht und gebastelt hatte, eine „Höllenflasche“, die alle Bewährungsproben mit Auszeichnung bestanden hatte und auch von Al Conroy, dem unbestrittenen Waffenexperten der „Isabella“, mit Lob bedacht worden war. Die „Höllenflasche“ war mit Pulver, Blei, Eisen und Glasscherben gefüllt und hatte eine Lunte, die durch den Korken hindurch verlief, mit dem sie zugestöpselt war. Somit konnte sie auch unter Wasser noch explodieren, wenn sich die Glut erst einmal durch den Korken ins Flascheninnere gefressen hatte. Ferris händigte seinem Kapitän die Flasche aus. Hasard richtete die Lunte etwas nach oben aus. Der rothaarige Schiffszimmermann kramte unterdessen Feuerstein und Feuerstahl aus seinen Jackentaschen hervor, um die Lunte entfachen zu können. Sie hatten kein Kupferbecken, in dem Holzkohle zum Anzünden der Lunte glomm. kein Geschütz zur Verfügung und auch nicht viel Reservemunition für ihre Handfeuerwaffen. Sie konnten sich auf ein länger andauerndes Gefecht mit den unheimlichen Gegnern nicht einlassen und auch die „Isabella“ konnte nicht in das Geschehen eingreifen, weil sie bei jedem Versuch, sich näher an das Riff heranzutasten, unweigerlich auf Grund laufen mußte. Hasard mußte in diesem Augenblick an die Worte des alten O'Flynn denken. Hatte er nicht doch wieder recht gehabt? Und wenn schon, dachte Hasard grimmig, auf so was muß ein Seewolf immer vorbereitet sein, Himmel noch mal! Shane hatte sich jetzt doch etwas höher aufrichten können. Er schoß von seiner Deckung hinter dem Schanzkleid des Achterdecks den zweiten Pfeil auf die vermummten Männer ab, zerrte dann den nächsten aus dem Köcher und legte ihn mit einem grimmigen, grunzenden Laut an die Sehne.
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Batuti hatte seinen Bogen auch bereit und beteiligte sich an dem Zielschießen auf die Kajaks. Aber er bedauerte wie Shane, keine pulvergefüllten Pfeile mitgebracht zu haben… Die hätten einen viel größeren Effekt verursacht als die einfachen Bogengeschosse. Dan O'Flynn. Matt Davies und Jeff Bowie feuerten ihre Pistolen auf die Angreifer leer, der Kutscher und Bob Grey reichten ihnen ihre geladenen Pistolen und nahmen von Dan, Matt und Jeff die nachzuladenden Waffen entgegen, um sie mit neuem Pulver und Blei zu versehen. Siri-Tong ließ das Tromblon sprechen, ein wahrer Donnerhall zerriß die Nacht, und unten, nicht weit vom Schiff, verkündete ein mehrfacher Aufschrei, daß sie auch wirklich getroffen hatte. Carberry und Ben Brighton schossen ebenfalls mit Pistolen, aber dann wurden sie in ihrer Abwehr durch die zeitraubende Ladetätigkeit gehemmt. Hasard riskierte einen Blick übers Schanzkleid und sah die vielen Kajaks, die sich scheinbar unaufhaltsam auf das Riff zuschoben. Zehn, zwölf, nein, noch mehr es war eine regelrechte Invasion, und die Zahl der unförmigen, dick verhüllten Gestalten, die jetzt über die Felsen krochen und sich anschickten, den Zweimaster zu entern, ließ sich beim besten Willen nicht ermitteln. Es waren zu viele. „Allmächtiger“, sagte Siri-Tong. „Wenn wir doch mehr Waffen hät ten! Wenn es mit dem Laden schneller ginge ...“ Dan, Matt und Jeff feuerten fast gleichzeitig, und unten, ganz in der Nähe der Bordwand der „Ulysses“, war wieder ein Klagelaut zu vernehmen. Der Kutscher und Bob Grey waren derweil mit dem Nachladen und Stopfen der vorher benutzten Pistolen noch nicht fertig, so daß eine Pause entstand. Carberry, Ben Brighton Und Siri-Tong waren mit fliegenden Fingern dabei, wieder Pulver in ihre Waffen zu füllen, aber dies alles dauerte zu lange, viel zu lange. „Hölle und Teufel!“ brüllte Big Old Shane. „Die Hundesöhne entern!“
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Genau in diesem Moment hatte Ferris Tucker es endlich geschafft, die Lunte der Flaschenbombe zum Glimmen zu bringen. Knisternd fraß sich das Feuer durch die trockene Zündschnur. Hasard hielt die Flasche dicht vor sein Gesicht, betrachtete sie und zählte eiskalt: „Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig ...“ Bei sechsundzwanzig beförderte er die Höllenflasche außenbords. Er schleuderte sie nicht bis zu den Kajaks, sondern ließ sie einfach nur mitten in den Pulk Widersacher fallen, der jetzt allen Ernstes Anstalten traf, die Steuerbordseite der „Ulysses“ zu erklimmen. „Deckung!“ schrie der Seewolf. Die Männer zogen die Köpfe ein. Das Scheppern, mit dem die Flasche auf die Felsen fiel, war klar zu hören - und dann hob die Wucht der Explosion auch schon den Rumpf der „Ulysses“ an. So stark hatte Ferris Tucker die Ladung der Bombe bemessen, daß das wracke Schiff durchgerüttelt wurde und gut einen halben Yard weiter nach Backbord krängte. Der Feuerblitz stob himmelan, das Schreien der Angreifer mischte sich mit dem Krachen der Detonation. Fette, blakende schwarze Rauchschwaden zogen über das Steuerbordschanzkleid der „Ulysses“, für eine Weile konnte Hasard weder Siri-Tong noch seine übrigen Begleiter erkennen. Dann aber lichteten sich die Schwaden, und Hasard und die Korsarin standen gleichzeitig auf, um sich ein Bild vom Stand der Dinge zu verschaffen. Sie blickten an der Bordwand hinunter. SiriTong, die das Tromblon jetzt geladen hatte, schob die Waffe mit der trichterförmig erweiterten Mündung ein Stück vor und legte auf etwaige Gegner an, die nicht getroffen worden waren und sich von der Explosion der Höllenflasche nicht hatten beeindrucken lassen. Aber die gab es nicht - keiner erdreistete sich jetzt mehr, die „Ulysses“ zu entern. Reglose Gestalten lagen auf dem Riff. Im Rumpf des Schiffes klaffte ein neues, großes, schwelendes Loch.
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Der Rest -der wilden Meute, vielleicht zwei Dutzend vermummte Kerle oder auch noch mehr, gab Fersengeld. Sie stießen eigenartig gutturale, kehlige Laute aus, kletterten in ihre Kajaks, so schnell sie konnten, und verschwanden wie ein Spuk in der Dunkelheit, aus der sie aufgetaucht waren. „Sieg!“ rief Big Old Shane. „Ho, den Schlag haben sie nicht verdaut, diese Halunken! Hasard, das war ein großartiger Wurf!“ „Was ist, pullen wir mit den Booten hinter ihnen her?“ wollte Matt Davies wissen. „Nein“, entgegnete der Seewolf. „Dazu sind wir zu schlecht bewaffnet. Lassen wir sie. Sie haben ihren Denkzettel weg und werden so schnell nicht wieder auftauchen.“ „Was wollten die Burschen eigentlich?“ erkundigte sich Jeff Bowie, der sich gerade am Schanzkleid aufrichtete und nun ebenfalls nach unten aufs Riff schaute. „Uns ausplündern?“ „Das ist doch wohl anzunehmen“, entgegnete der Kutscher. „Aus reiner Mordlust sind sie bestimmt nicht über uns hergefallen.“ „Na, wer weiß ...“ „Nein, ich glaube es nicht“, meinte der Kutscher. „Ich auch nicht“, pflichtete Hasard ihm bei. „Sie haben den Schein der Fackeln gesehen - und das Licht der Hecklaterne der „Isabella“. Sie müssen sich ausgerechnet haben, daß es ihnen bei ihrer zahlenmäßigen Stärke und ihrer relativ guten Bewaffnung ein leichtes sein müsse, unsere Gruppe, die das Wrack untersuchte, niederzumetzeln und ihr sämtliche Habseligkeiten abzunehmen, vor allen Dingen die Waffen und die Munition.“ „Waren das Eskimos?“ fragte der Profos. Shane hatte das gedrungen wirkende Wurfgeschoß, das die Angreifer als erstes auf ihn geschleudert hatten, aus dem Schanzkleid des Achterdecks gezogen. Er erschien damit auf der Kuhl, zeigte es wortlos seinem Kapitän und wartete auf dessen Äußerungen.
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„Ja“, sagte Hasard. „Das müßte eine Harpune der Eskimos sein.“ „Laut Hendrik Laas' Beschreibungen?“ wollte Siri-Tong wissen. „Ja.“ „Er muß dir sehr viel über die Eskimos und ihr Land erzählt haben, alles sehr detailliert.“ Hasard war nicht sicher, ob in ihren Worten ein Anflug von Spott mitschwang, ging aber nicht weiter darauf ein. „Mit solchen Harpunen erlegen sie Eisbären und Narwale. Und Walrosse“, sagte er. „Und Menschen?“ fügte Ben Brighton hinzu. „Ich möchte gern wissen, wer sie dazu anstiftet“, sagte der Seewolf. „Es steckt was dahinter, das schwöre ich euch. Es ist nur ein Verdacht von mir, aber vielleicht stellt es sich ja noch heraus, daß irgendjemand hinter dieser ganzen Geschichte steckt. Jemand, der nicht nur ein großes Schlitzohr, sondern ein ganz brutaler Hund sein muß.“ „Du meinst, diese Burschen, die uns erledigen wollten, sind mit denen identisch, die die „Ulysses“ ausgeplündert und deren Mannschaft entführt haben?“ fragte Ferris Tucker. „Ja.“ „Woher haben sie denn wohl sonst ihre Schußwaffen?“ sagte Shane. „Ja, eben“, meinte Hasard. „Wahrscheinlich wirklich von diesem Schiff. Möglich, daß sie vom Überfall auf fremde Schiffe leben.“ „Das würde bedeuten, daß sie auch im Besitz von Kanonen sind“, erklärte der ehemalige Schmied von Arwenack. „Zumindest haben sie die vier Minions, die sich hier an Bord befanden. Sie haben sie losgelascht, außenbords gehievt und abgefiert und dann irgendwie zum Land 'rübergeschafft - aber wie?“ „Mit den kleinen Kajaks ist das unmöglich“, meinte Ferris Tucker. „Es gibt auch das Umiak, einen größeren Bootstyp“, sagte Hasard. „Vermutlich haben sie den Transport damit bewältigt. Oder sie haben ein großes Floß gezimmert.“ „Egal“, . versetzte Ben Brighton. „Auf jeden Fall scheint es mit der Friedfertigkeit
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der Eskimos nicht weit her zu sein. Eskimo-Piraten - das ist eigentlich das letzte, womit ich gerechnet habe.“ „Ben“, sagte Carberry todernst. „Müssen wir hier nicht mit allem rechnen? Mit dem Leibhaftigen höchstpersönlich sogar, wenn's ganz knüppeldick kommt?“ „Ja, das müssen wir wohl ...“ Von Bord der „Isabella“ ertönte ein schriller, langgezogener Pfiff. Hasard wandte sich an Dan O'Flynn und sagte: „Sie wollen wissen, ob alles in Ordnung ist. Gib ihnen mit der Fackel ein Zeichen. Danach kehren wir in die Boote zurück und pullen zur „Isabella“ hinüber.“ Dan tat, wie Hasard ihm befohlen hatte. Sir John, der Aracanga, flatterte schnatternd vom Achterkastell aus zu seinem Herrn, dem Profos, und zwängte sich mit erstaunlichem Geschick in dessen Wamsausschnitt. Hier zog er den Kopf fast ganz ein und kuschelte sich schimpfend und brabbelnd zusammen. „Kalt, was?“ sagte Carberry. „Ich hab's dir ja heute nachmittag schon gesagt, dieses Klima ist nichts für dich, du ausgekochtes Rabenaas. Aber du hast ja nicht auf mich hören wollen, mußtest hier 'rumsegeln und deine blöden Sprüche loslassen. Wer nicht hören will, der muß fühlen, Bursche, das ist ein altes Gesetz. Na, sag ehrlich, ist es bei Vatern nicht am besten - und am wärmsten?“ „Bastard“, gurrte Sir John, und das sollte wohl besonders zärtlich klingen. 5. „O Mann, so ein verfluchter Dreck! Euch haben sie fast Löcher in die Schädel geschossen, und wir standen hier tatenlos rum wie die Idioten und konnten nichts unternehmen - gar nichts. So ein Mist aber auch!“ Mit diesen netten Worten empfing Old Donegal Daniel O'Flynn die Korsarin und die elf Männer, als diese von den nun längsseits der „Isabella“ liegenden Jollen an der Jakobsleiter auf enterten. „Kein Boot, mit dem wir übersetzen konnten“, beklagte sich der Alte. „Keine
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Chance, an das gottverdammte Riff heranzumanövrieren, weil die Wassertiefe nicht ausreicht. Und auf diese Entfernung einfach mit den Geschützen zu feuern, das hätte bedeutet ...“ „Daß du höchstwahrscheinlich uns und nicht den Eskimos den Hintern abgeschossen hättest, Donegal“, vollendete der Profos grimmig den Satz. „Verzeihung, Madam, aber ich nehme ja an, Sie wissen, daß man mit diesem Wort zuweilen des Menschen edelsten Körperteil zu umschreiben pflegt.“ „Sicher, Edwin“, gab sie lachend zurück. „Und mit der Wahl der Worte nehmen Sie's ja doch nicht so genau - das wäre wohl ganz gegen Ihre Natur.“ Old O'Flynn grinste den Profos, der jetzt über die Kuhl auf ihn zuschritt, säuerlich an. „Ja, Edwin - brich dir bloß keinen ab. Red nur frei von der Leber weg ...“ „Du hättest einfach ins Wasser springen und zum Riff schwimmen können“, brummte der Profos. „Aber dazu war's dir wohl zu kalt, wie?“ „Schon mal mit 'ner nassen Pistole oder Muskete geschossen, was, wie?“ fragte der Alte zurück. „Auch ohne Schußwaffen wäre es gegangen - ihr hättet die Kerle mit Messern und Säbeln von der Seite her angreifen können.“ „Mister Carberry, ich will dir mal was sagen ...“ „Sir!“ rief Smoky, der gerade mit einem Trupp Männer von der Back stieg. Sie alle hatten die Oberkörper entblößt und sich die Stiefel ausgezogen. „Sir“, wiederholte Smoky zu seinem Kapitän gewandt. „Wir waren drauf und dran, zum Riff zu schwimmen, um euch beizustehen, und auch Old O'Flynn wollte uns begleiten. Aber ich in meiner Funktion als Decksältester habe ihm das untersagt, denn in dem eiskalten Wasser hätte er sich garantiert den Tod geholt.“ „Mann, Smoky“, giftete der Alte. „Ich krepiere auch dann nicht, wenn ich zum Klumpen gefriere. Für was für einen Weichling hältst du mich eigentlich?“ „Ach, du verstehst das mal wieder falsch.“
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„Donegal“, sagte Carberry. „Laß mich erklären, für was ich dich halte - dich und deinen neunmalklugen Sohn.“ „Leg los“, zischte O'Flynn. „Aufhören“, sagte jetzt der Seewolf. „Es hat keinen Sinn, wenn wir herumstreiten. Wenn jemand einen Fehler begangen hat, dann war ich es. Ich hätte nicht ganz so unbekümmert zum Riff übersetzen und an Bord der ‚Ulyssess’ gehen dürfen. Wir hätten mehr Waffen mitnehmen müssen.“ „Aber wir hatten doch die Höllenflasche“, wandte Ferris ein. „Ja, aber nur die eine.“ Ferris zog grinsend zwei weitere Flaschenbomben, fertig zum Gebrauch, aus seiner Jacke hervor. Dan O'Flynn begann ebenfalls zu grinsen, sein Vater kicherte mit einemmal heiser - und Smoky und die anderen stießen sich mit den Ellbogen an. „Sir“, sagte Carberry. „Ich habe natürlich nur Spaß gemacht. Ich würde es mir niemals einfallen lassen, Donegal als Schißhasen zu bezeichnen. Äh Verzeihung, Madam.“ „Schon gut“, sagte die :Korsarin seufzend. „Deine Art von Humor kennen wir ja“, meinte der Seewolf. „Aber beeilen wir uns jetzt. Ich will dieses gastliche Tunungayualok so schnell wie möglich wieder verlassen.“ „Um rund sechs Meilen in nordwestlicher Richtung zu segeln?“ erkundigte sich Ben Brighton. „Du hast es erraten.“ „Viel Scharfsinn gehört nicht dazu.“ „Smoky und ihr anderen!“ rief der Seewolf. „Zieht euch rasch wieder an. Wir gehen ankerauf und segeln weiter.“ „Aye, Sir!“ „Hasard“, sagte Siri-Tong, als sie dicht nebeneinanderstanden. „Glaubst du, daß die Eskimos zurückkehren, um uns ein zweites Mal anzugreifen - mit einem stärkeren Aufgebot vielleicht?“ „Nein. Weißt du, wie viele Tote wir auf dem Riff gezählt haben?“ „Sicher - acht.“ „Und ein paar Verletzte haben die Fliehenden mit sich fortgeschleppt. Nein, vorerst sind sie so gründlich geschockt, daß sie keinen neuen Ausfall wagen. Das
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ist auch nicht der Grund dafür, warum ich noch heute nacht weitersegeln will. Ich fürchte mich vor diesen seltsamen Burschen nicht. Sie würden eine böse Überraschung erleben, wenn sie sich mit ihren Kajaks und Umiaks an unsere gefechtsklare „Isabella“ heranpirschen würden.“ „Es ist wegen Cyril Auger und dessen Crew, nicht wahr?“ „Ja. Ich will ihn finden. So schnell wie möglich. Ich muß.“ „Ich bin auch der Ansicht, daß es unsere Pflicht ist.“ „Dann sind wir ja ausnahmsweise mal einer Ansicht, Siri-Tong.“ „Ausnahmsweise?“ „Na ja“, entgegnete er lächelnd. „Man merkt schon, daß du dich dem Kommando eines anderen schlecht unterordnen kannst.“ „Ich kann es nur bei dir“, sagte sie leise. „Denn sonst wäre ich nie auf der ,Isabella` mitgesegelt. Du weißt doch, woran das liegt, nicht wahr?“ „Immer noch daran?“ „Immer noch.“ „Es ist schön, sich darauf verlassen zu können“, sagte er. Damit ging er zum Niedergang, der die Kuhl mit' dem Quarterdeck verband, und stieg nach oben, um die Vorbereitungen an Bord von dort aus zu überwachen. Die beiden Jollen der „Isabella“ wurden unter Carberrys Gebrüll an Bord gehievt. Dann purrte der Profos die Crew mit den allerübelsten Flüchen ans Gangspill, und der schwere Stockanker wurde gelichtet. Wenig später waren die Segel gesetzt, und die Dreimast-Galeone lief mit raumem Wind nach Nordwesten ab. „Ed“, sagte Old O'Flynn zum Profos. „Das eben - das fand ich wirklich anständig von dir.“ Carberry drehte sich mit einem unwilligen Knurren zu ihm um. „Was denn? Wie?“ „Daß du dich so quasi entschuldigt hast.“ Carberry stellte sich dumm. „Ich? Mich entschuldigt? Für was denn?“ „Für das, was du mir an den Kopf geworfen hast.“ „Dafür habe ich mich nicht entschuldigt.“
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„Du hast ...“ „Ich habe nur gesagt, daß das Spaß war.“ Der alte O'Flynn zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. „Na gut, dann hast du eben nur gesagt, daß das ein Witz von dir war, meinetwegen. Aber man hatte doch den Eindruck, du wolltest zurücknehmen, was du ...“ Der Profos unterbrach ihn wieder. „Sicher doch. Und ich hätte dem auch noch was hinzuzufügen.“ „Und zwar?“ „Nie würde ich es mir einfallen lassen, dich als alten, quengeligen Halunken zu bezeichnen, Donegal. Und auch einen sturen Querkopf würde ich dich nicht nennen - also, das käme mir gar nicht in den Sinn. Weißt du, ich könnte es nicht übers Herz bringen, dich einen krummbeinigen Bordteufel zu nennen, wirklich nicht.“ „Eines Tages“, zischte der Alte. „Eines Tages ersäufst du ganz jämmerlich im Teich, Carberry. Mit einem Gewicht an den Füßen.“ „Und du wirst eines Tages an der Rah baumeln.“ „Freut mich wirklich, daß du mir so was wünschst.“ „Und du bist auch ein feiner Kamerad, Donegal“, versetzte der Profos grinsend. * Weder Philip Hasard Killigrew und seine Mannschaft noch die pelzverhüllten Männer mit den Kajaks und Umiaks, die die „Ulysses“ überfallen hatten, wußten, daß sie einen Beobachter gehabt hatten. Über dem Ufer und dem Riff des Todes hatte sich auf den kahlen, unwirtlichen Höhen von Tunungayualok ein Mann im Dunkeln niedergekauert. Er hatte die Knie dicht an den Leib gezogen und sie mit den Armen umschlungen. Schweigend hatte er so dagesessen und den Kampf auf dem Riff mit unbewegter Miene verfolgt. Zottig wie ein Bär wirkte er in seiner abgerissenen, schmutzigen Fellkleidung, sein Gesicht war eine bräunliche Maske,
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vom Wind und der Kälte gegerbt, von den Bitternissen des Lebens für alle Zeiten gezeichnet. Seine dunklen Augen waren von stumpfem Glanz und schienen es seit langem verlernt zu haben, Freude, Begeisterung, Glück oder ganz einfach nur ein wenig Zufriedenheit auszudrücken. Als die Flaschenbombe explodiert war und die Kajak-Männer in höchster Todesnot aufgeschrien hatten, hatte der stille Beobachter einen Laut ausgestoßen, der wie eine Bestätigung klang. Als sich der Großteil der Eskimos doch zurückgezogen hatte, hatten sich seine Züge zu einer finsteren Maske des Hasses verzerrt. Schließlich, als von den Kajak-Jägern nichts mehr zu sehen gewesen war, hatte der Mann sich erhoben. Ein leiser, unartikulierter Laut drang über seine Lippen. Er blickte wie in einer Art Sehnsucht zu dem großen, stolzen Schiff hinunter, dessen Segel jetzt gesetzt waren. Es glitt davon, und seine Konturen verbanden sich mit den Schatten der Nacht. Der Mann hob die Hand wie zum Gruß an die „Isabella“. Es lag etwas unendlich Wehmütiges in dieser Geste. Er drehte sich um und schritt davon, tiefer in das kalte, unheimliche Felsenland hinein. Er ballte seine Hände, bis die Knöchel aus seinen Fäusten hervorzutreten schienen, und über seine ledrigen Wangen liefen Tränen - Tränen des Hasses. Er dachte an die Kajak-Männer und an den Mann, den er mit bloßen Händen getötet hätte, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Der bloße Gedanke daran brachte ihn in solchen Aufruhr, daß er zu keuchen und zu stammeln begann. 6. Aus den Tagebuchaufzeichnungen des Cyril Auger, Kapitän an Bord der Zweimast-Karavelle „Ulysses“: 30. September 1588. Heute haben wir zum erstenmal Sturm gehabt, ein schlimmes Unwetter aus Nordosten. Simson, der arme Teufel, ist über Bord gespült worden, als er das
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Kombüsenschott verschalken wollte. Alle unsere Versuche, ihn zu retten, sind fehlgeschlagen. Der Herr sei seiner Seele gnädig. Wir haben nach Abklingen des Sturmes einen Gottesdienst für den armen Simson abgehalten, es war das einzige, was wir noch für ihn tun konnten. Ohne Simson, unseren Koch, sind wir nur noch vierundzwanzig Mann. Van Dooren übernimmt den Kombüsendienst. Seine bisherige Arbeit auf Deck wird ab sofort von den anderen Decksleuten mit versehen. Mann über Bord - ein grauenvolles Schicksal, ein Erlebnis, das uns zutiefst erschüttert und noch lange beschäftigt. Wird es noch mehr Unheil geben? Wir hoffen, daß es nicht der Fall sein wird, und wir beten jeden Tag um die Hilfe und den Beistand unseres Herrgotts. Trotz aller Zuversicht, die immer noch in unseren Herzen ist, können wir nicht mehr lachen und fröhlich sein, zumindest nicht in diesen Tagen. Wir trauern um Simson. * 5. Oktober 1588. Auf den Sturm folgt Sonnenschein. Seit fünf Tagen haben wir schon wunderbares Wetter, der Wind weht handig bis frisch aus östlichen Richtungen. Nur eine schwache Dünung kräuselt die See. Wir kommen gut voran, besser könnte es nicht sein. Unser Optimismus wächst wieder. Van Dooren hat eins der Schweine geschlachtet, die wir wie die Hühner, und Kaninchen im Frachtraum untergebracht haben. Heute abend gibt es ein richtiges Festmahl, auf das sich bereits alle mächtig freuen. * 8. Oktober 1588. Seit gestern ist der Wind eingeschlafen. Nie hätte ich damit gerechnet, ausgerechnet hier in eine Kalmenzone zu geraten. Wenn die Flaute anhält, müssen wir das Boot abfieren und bemannen und
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die ,Ulysses' ins Schlepp nehmen. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Patrick O'Connors, mein Erster, ist nun sicher, daß wir mit jeder Art von Überraschungen rechnen müssen, mit guten wie mit schlechten. Es ist etwas anderes, den Atlantik zu überqueren, als nur Küstenschiffahrt zwischen Irland und Schottland zu betreiben, wie ich es bisher getan ha- be. Man lernt eben nicht aus, sagt Dalton Mulkenny, unser Profos, und damit hat er völlig recht. Aber der Drang in uns allen, mit unserem bislang recht eintönigen Leben zu brechen und das Abenteuer zu suchen, ist übergroß und überwiegt alle Zweifel. Wir fühlen uns als Glücksritter und Entdecker. * 15. Oktober 1588. Endlich, endlich ist die Flaute vorbei, und wir können wieder segeln! Wir haben fast eine Woche Zeit verloren, und es ist fraglich, ob wir diesen Verlust wieder aufholen. Meine Planung ist ins Wanken geraten, aber nur etwas. An Bord herrscht gute Laune. Heute wird der 44. Geburtstag von Joel Hemmings, unserem Segelmacher, gefeiert. * 29. Oktober 1588. Stürme, Stürme und abermals Stürme! Während ich in meiner Kammer sitze und versuche, diese Zeilen zu Papier zu bringen, dauert das furchtbare Wetter fort. Wir haben orkanartigen Wind aus Norden und werden immer weiter nach Süden gedrückt und somit von unserem Kurs abgebracht. Unsere jetzige Position ist mir nicht bekannt. Der Wind zerrt an der ,Ulysses', als wolle er sie zerbrechen. Wir bangen um unseren Fockmast, der schon ein paarmal bedenklich geknackt hat. Eben betreten O'Connors und Marvin Bascomb, unser Steuermann, die Kammer. Sie melden, daß ein Defekt am Ruder
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aufgetreten sei, irgendeine Querverstrebung könne gebrochen sein. Die ,Ulysses` droht aus dem Ruder zu laufen und quer zu treiben .. . Die Pflicht-ruft mich, wir werden versuchen, das Ruder so schnell wie möglich zu reparieren. * Im November 1588. Ich weiß nicht mehr, welches Datum wir haben. Aber das ist für mich kaum von Bedeutung, da es Wichtigeres gibt, das mir meine ganze Aufmerksamkeit abverlangt. Das Sturmtoben hat etwas nachgelassen, aber das Ruder ist immer noch kaputt, wir haben es nicht instand setzen können nicht bei diesem Tosen und Schlingern. Unsere Sturmsegel hat es zerfetzt, der Fockmast ist angebrochen. Wir treiben vor Topp und Takel. Der Schweinekoben im Frachtraum ist zerstört. Die Tiere haben ihn durch ihr Körpergewicht zerbrochen und sind in panischem Entsetzen ins Vordeck gerannt, von dort aus auf Oberdeck. Weder van Dobren noch ein anderer konnte es aufhalten: die Schweine; und die meisten Hühner, die hinterherflatterten, sind außenbords gegangen und jämmerlich ertrunken. Wir haben noch drei Hühner, einen Hahn und sechs Kaninchen. Der Trinkwasservorrat geht zur Neige. Ein Faß ist leckgeschlagen und ganz ausgelaufen. Wir müßten eine Insel anlaufen, um vor dem Wetter in eine schützende Bucht zu verholen, die Schäden auszubessern und Wasser und Proviant zu fassen. Ich bete am Tag dreimal darum, daß der Schöpfer uns auf eine solche Insel zutreiben läßt. * Gegen Mitte November 1588. Keine Insel. Keine Hilfe. Kaum noch Proviant, kaum noch Trinkwasser. Zwei Monate sind wir jetzt unterwegs. Das ist der Zeitraum, den ich für die Überfahrt
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nach Bacalaos veranschlagt hatte. Ich weiß immer noch nicht, wo wir sind und welcher Tag heute ist, aber ich habe den todsicheren Eindruck, daß ich mich entsetzlich verkalkuliert habe. Wir sind weit von der Küste entfernt, die wir suchen - und auch die Rückreise nach Galway könnten wir weder in einem noch in anderthalb Monaten bewältigen. Wir würden wohl wieder zwei volle Monate dazu brauchen - wir können es nicht schaffen. So treiben wir, versuchen, die Schäden am Schiff notdürftig auszubessern, und beten zum Himmel, daß ein Wunder geschieht. Wenigstens das Wetter hat sich beruhigt. Der Wind dreht auf Osten. Dürfen wir wirklich hoffen? * Ende November (?) 1588. Hunger und Durst. Letzte Nacht sind sechs Mann mit dem Beiboot auf und davon: van Dooren, Runne, der zweite Holländer, Goodrich, James, Hillar und Parker. Sie haben unsere letzten Vorräte mitgenommen. Wir werden sie nie wiedersehen, aber auch sie werden vor dem Untergang nicht bewahrt bleiben, sich in der endlosen Weite der See verlieren und ihre verdammungswürdige Tat zutiefst bereuen, bevor sie sterben. Wir haben das Ruder repariert und das Rigg ausgebessert. Der Wind bläst aus Südosten. Er treibt die ,Ulysses` voran. Wir starren in sehnsüchtiger Erwartung voraus. Land — wann sichten wir endlich Land? Vance Jerrold, unser Feldscher und Bader, hat Reads untersucht. Mit Reads stimmt etwas nicht, er ist von erschreckender Gleichgültigkeit und körperlicher Schwäche befallen, seine Augen sind von fiebrigem Glanz. Er klagt über Blutungen in der Mundhöhle und darüber, daß seine Zähne wacklig geworden seien. Jerrold hat es mir gesagt. Ich bin zutiefst betroffen. Reads ist vom Skorbut befallen. Wenn wir keine frische Nahrung, kein Wasser an Bord bekommen,
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Roy Palmer greift die Krankheit bald tückisches Gespenst um sich ...
wie
ein
* Jemand klopfte an die Tür von Hasards Kammer. Hasard, Siri-Tong, Ben Brighton, Shane, Ferris Tucker, Smoky, Carberry und die beiden O'Flynns, die sich im Schein einer Öllampe um das Pult versammelt hatten, blickten auf. „Sir“, ertönte Blackys Stimme vom Gang des Achterkastells. „Was ist, haben wir die Position erreicht?“ „Nach unseren Berechnungen ja.“ „Komm herein, Blacky“, sagte der Seewolf. Blacky trat ein, schloß die Tür hinter sich und sah zunächst zu seinem Kapitän, dann zu dem aufgeklappten Tagebuch, das auf dem Pult lag. „Cyril Augers Aufzeichnungen, nicht wahr?“ sagte er. „Es würde mich auch interessieren, was er und seine Crew alles durchgemacht haben.“ „Du und die anderen von der Deckswache, ihr könnt gleich Einblick in das Buch nehmen“, sagte Hasard. „Es ist das Zeugnis einer wirklichen Odyssee, spannend und zugleich erschreckend. Auger und seine Kameraden sind von einer Pechsträhne verfolgt worden. Der Mangel an Erfahrung, den er an einigen Stellen offen zugibt, muß ihnen dann den Rest gegeben haben. Gewiß, Auger ist nicht einfach aufs Geratewohl aufgebrochen, er schien recht gut ausgerüstet zu sein, aber er hat sich die schlechteste Jahreszeit für sein Unternehmen ausgesucht.“ „Vielleicht dachte er insgeheim, in Neufundland oder Labrador überwintern zu können“, sagte Siri-Tong. „Schon möglich. Aber diese wirre Idee, durch das Treib- und Packeis hindurch ausgerechnet im Winter den Verlauf der Passage zu entdecken — das war schon mehr als abenteuerlich.“ „Uns könnte es genauso ergehen wie Auger.“ „Siri-Tong, so skeptisch habe ich dich noch nie gesehen“, sagte der Seewolf.
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„Das ist keine Skepsis, sondern eher die Gewißheit, daß wir uns auf etwas zu Vages, zu — zu Utopisches einlassen.“ „Hast du Angst?“ „Nein, ich habe keine Angst.“ „Was ist dann mit dir los?“ „Mein gesundes Mißtrauen bremst mich irgendwie.“ „Siri-Tong“, sagte er in eindringlichem Tonfall. „Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie wir um Kap Hoorn gesegelt sind? Wie wir den Weg nach China gesucht haben?“ „Das war etwas anderes.“ „Nein, das war im Prinzip das gleiche.“ „Wir wissen nicht, ob es von hier aus tatsächlich eine Passage gibt, die in den Stillen Ozean führt -. das ist der Unterschied.” Hasard klappte das Buch zu, reichte es Blacky und sagte: „Blacky, wir gehen in ausreichendem Abstand zur Küste vor Anker - und es wird jetzt kein Licht angezündet, verstanden?“ „Aye, Sir.“ „Wir müssen damit rechnen, daß sich der Schlupfwinkel der Kajak-Männer ganz in der Nähe befindet. Wenn sie mit denen identisch sind, die die ,Ulysses` nach ihrem Schiffbruch überfallen und ausgeraubt haben, und Augers Flaschenpost wirklich einen Sinn ergibt, dann liegt hier irgendwo die Basis, von der aus sie ihre Streifzüge unternehmen. Wir müssen außerordentlich vorsichtig sein.“ „Sir“, entgegnete Blacky. „Ich sorge dafür, daß die Wache sich mucksmäuschenstill verhält.“ „In Ordnung. Wartet meine weiteren Befehle ab.“ Blacky zeigte klar, drehte sich um und verließ mit dem Tagebuch unter dem Arm die Kapitänskammer. Hasard lehnte sich etwas zurück, legte die Fingerspitzen auf die Kante des Pults und blickte zuerst die Rote Korsarin und dann seine Männer an. „Also, um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Sturm hat uns nach Norden getrieben, viel weiter hinauf, als wir es vorher beabsichtigten. Jetzt aber, da wir schon mal hier sind, will
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ich die Gelegenheit beim Schopf packen und nach der Nordwest-Passage forschen. Davon bringt mich keiner ab. Wem die Sache nicht paßt, der kann meinetwegen von Bord gehen.“ „Wie bitte?“ Siri-Tong musterte ihn überrascht. „Das ist doch nicht ...“ „Doch, es ist mein voller Ernst.“ „Du würdest mich aussetzen, wenn ich nicht ...“ „Von Aussetzen war nicht die Rede. Ich habe vom Von-Bord-Gehen gesprochen.“ „Das ist doch ein Paar Stiefel“, sagte sie wütend. „Leg es aus, wie du willst“, sagte er. „Ich habe euch allen meine Entscheidung mitgeteilt, und ich will nicht, daß noch weiter darüber herumdiskutiert wird. Klar?“ „Klar“, erwiderte sie gepreßt. Ihre Augen funkelten richtig bösartig, und ihre Stimme wurde kalt und schneidend. „Mit anderen Worten, wenn ich wirklich gegen deinen Plan wäre, dann könnte ich mich jetzt zu dieser verdammten Küste hin übersetzen lassen.“ „Um den Eskimos Gesellschaft zu leisten, richtig“, sagte er. „Das ist gemein“, zischte sie. Carberry grinste sich eins, und auch die anderen konnten sich einen Ausdruck der Heiterkeit kaum verkneifen, doch als der Seewolf sie ansah, wurden sie schlagartig wieder stockernst. „Alle Mann an Deck“, sagte Hasard. „Ich komme gleich nach und teile euch mit, was ich tun will.“ „Aye, aye, Sir.“ Sie standen von ihren Sitzgelegenheiten auf, verließen die Kammer und waren eigentlich recht froh darüber, jetzt auf die Kuhl marschieren zu können, denn zwischen Hasard und der Roten Korsarin schienen die Funken zu sprühen, und man hatte den Eindruck, jeden Augenblick könne etwas explodieren, das schlimmer als eine Flaschenbombe war. „Hasard“, sagte sie leise, als sie allein waren. „Ist das dein voller Ernst?“ „Himmel noch mal - ja.“
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„Weißt du, daß du mich zutiefst verletzt hast?“ „Ich kann es nicht ändern.“ Er stand fast ruckartig auf. „Im übrigen will ich jetzt kein weiteres Wort darüber verlieren:“ Sie hatte sich ebenfalls erhoben und verstellte ihm den Weg zur Tür. „Weißt du, was du bist, Philip Hasard Killigrew?“ „Vorsichtig, ganz vorsichtig, Siri-Tong ...“ „Du bist ein verfluchter Dickschädel“, sagte sie. „Und ich begreife nicht, warum ich dich trotzdem über alles liebe, aber es ist nun mal so.“ Er lächelte, zog • sie in seine Arme und küßte sie. Er hatte ihr wieder einmal klar zu verstehen gegeben, wer der Kapitän der „Isabella“ war - und sie akzeptierte diese ziemlich drastische Art, es ihr begreiflich zu machen. Sie hatte ihren eigenen Willen; war aber weder kapriziös noch nachtragend. Ihre Meinung tat sie vorbehaltlos kund, auch wenn die anders ausfiel als Hasards Betrachtungsweise der Dinge. Aber sie war keine Quertreiberin. Heute verwarf sie vielleicht einen Plan, aber morgen riskierte sie für genau diesen Plan ihr Leben und schlug sich für die Männer der „Isabella“. Hasard verstand diese einmalige Frau wie kein anderer, und er wußte sie auch zu nehmen. Ebenso verhielt es sich bei ihr. Nur so konnten sie gemeinsam auf der „Isabella“ fahren. 7. Hasard hatte die Öllampe der Kapitänskammer gelöscht, war mit SiriTong auf die Kuhl hinausgegangen und stand in der Dunkelheit vor seiner vollzählig versammelten Mannschaft. „Die Felsenkanzel, die Auger in seinem Hilferuf beschrieben hat, ist von hier aus nicht zu erkennen“, sagte er. „Aber wir werden nach ihr suchen, und zwar noch heute nacht. Ich rechne damit, daß die Eskimos Späher aufgestellt haben, aber deren Scharfblick können wir jetzt natürlich eher entgehen als im Morgengrauen. Hoffen wir, daß wir unbehelligt bis zum Ufer gelangen. Wir
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nehmen diesmal nur ein Boot, bewaffnen uns bis an die Zähne und bedienen uns aller erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen. Ben!“ „Sir?“ „Du übernimmst während meiner Abwesenheit das Kommando auf der ,Isabella`. Du gehst mit dem Schiff gefechtsklar.“ „So leise wie möglich, nehme ich an.“ „Ja, natürlich. Ferris!“ „Sir? Wie viele Flaschenbomben soll ich mitnehmen?“ „Sag mir lieber erst, wie viele wir noch haben.“ „Zwanzig Stück“, sagte Ferris nicht ohne Stolz. „Gut. Sechs Mann außer Siri-Tong und mir bilden den Landtrupp: Shane, Ferris, Ed, Al, Dan und Batuti. Jeder steckt sich zwei Flaschenbomben in die Taschen, das sind zusammen zwölf Stück. Die restlichen acht bleiben an Bord der ,Isabella` - für den Fall, daß Ben und die anderen sich gegen einen neuen Angriff zur Wehr setzen müssen. Je nachdem, wie massiv und mit welchem Aufgebot an Männern dieser mögliche Angriff geführt wird, wird Ben bestimmt froh sein, nicht nur die Geschütze, sondern auch die Höllenflaschen einsetzen zu können.“ „Das ist sicher“, entgegnete Ben Brighton. „Aber jetzt erlaube mal eine Frage.“ „Bitte.“ „Augers Flaschenpost gibt uns klar genug Auskunft: Der Platz, an dem er und seine Leute sich befinden oder befunden haben, liegt im Landesinneren, stimmt's?“ „Ja.“ „Ist es nicht sehr riskant, bis dort vorzudringen?“ „Ich habe gesagt, daß wir die Felsenkanzel suchen wollen, Ben, und die liegt, falls Augers Beschreibung richtig ist, direkt hier irgendwo am Ufer.“ Ben schnitt eine Grimasse. „Ich seh's dir doch an, daß du bei dieser Kanzel nicht halten wirst. Du hast vor, mit deinem Stoßtrupp weiterzumarschieren — durch den Einschnitt im Felsland fünfhundert Schritte landeinwärts bis zum
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verkrüppelten Baum, dann zum Bach und von dort aus noch einmal dreihundert Schritte nach Westen.“ Hasard mußte ein wenig lächeln, weil es so schien, als habe der wackere Ben den Inhalt der Flaschenpost auswendig gelernt. Als Ben geendet hatte, wurde er aber sofort wieder ernst und sagte: „Natürlich habe ich genau das vor. Die Nacht ist unser Verbündeter, vergiß das nicht. Bei Tag könnte man uns an Land mit Leichtigkeit entdecken und umzingeln.“ „Aber im Dunkeln habt ihr die schlechtere Sicht“, gab Ben zu bedenken. „Wir haben Dan dabei.“ „Dan mit den scharfen Augen“, murmelte Batuti, der seit eh und je dick mit Dan O'Flynn befreundet war. „Ja“, sagte Ben und nickte. Mehr äußerte er nicht, denn er wollte den Seewolf durch zu viele Einwände nicht unnötig reizen. Hasard wußte sowieso, wie sein Erster und Bootsmann über das geplante Landunternehmen dachte. „Fiert jetzt das Boot ab“, ordnete Hasard an. „Wir wollen keine Zeit mehr verlieren. Beeilt euch.“ Die Männer begannen schweigend und so geräuschlos wie möglich zu arbeiten. Hasard und Siri-Tong wandten sich dem Achterdeck zu, um aus Hasards Kammer zusätzliche Waffen zu holen. Al Conroy stieg an der Spitze der für die Landung ausgewählten Männer ins Vordeck und zur Waffenkammer hinunter, um sie aufzuschließen und alle mit dem Nötigen zu versorgen. Old O'Flynn blickte zum Ufer und versuchte, die von Auger erwähnte Felsenkanzel zu erkennen, mußte es aber aufgeben. Zu dicht war die Finsternis, die zwischen ihrem Schiff und der schroffen, vegetationslosen Küste lag. „Hoffen wir, daß Hasard dich findet, Auger“, sagte der alte Mann. „Ja, ich wünsche es dir von ganzem Herzen, denn du scheinst ein aufrichtiger, ehrlicher Mann zu sein, der es verdient, daß man für ihn Kopf und Kragen riskiert.“ Vergessen waren die Unkereien und düsteren Weissagungen. Man kann es auch
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übertreiben, sagte sich Old Donegal, und außerdem sind wir kein Bund von Schlappschwänzen, oder? Wer zuviel schwafelt und zu viele Bedenken hat, der soll lieber gleich hinterm Deich liegenbleiben. Jesus, der hat auf See nichts verloren und schon gar nicht hier oben in Labrador, wo's keine Bäume und Strände, dafür aber Eskimos mit Musketen gibt. Ja, er war irgendwie geläutert, der bärbeißige alte O'Flynn, und das lag nicht zuletzt an der Art, in der Ed Carberry mit ihm umgesprungen war, als sie von dem Wrack der „Ulysses“ an Bord der „Isabella“ zurückgekehrt waren. Old Donegal hätte den Landtrupp gern begleitet, aber er sah selbst ein, daß er mit seinem Holzbein in einem so unwegsamen und trügerischen Gelände wie jener Felsenregion dort drüben viel zu leicht ausgleiten und straucheln konnte. Damit wäre er für die anderen eher eine Behinderung gewesen. „Grandpa“, sagte eine helle Stimme zu seiner Rechten. „Sir!“ Old O'Flynn wandte den Kopf und sah zuerst Hasard junior und dann Philip junior, die sich dicht neben ihm aufgebaut hatten, ohne daß er es bemerkt hatte. „Was wollt ihr?“ brummelte er. „Mit an Land pullen“, sagte Hasard junior, der seinen Großvater angesprochen hatte. „Mit an ... Ihr habt wohl nicht alle Becher im Schapp, ihr Sprotten, was?“ „Grandpa“, sagte Philip junior. „Du sprichst schon genauso wie der Profos. Aber leg doch ein gutes Wort für uns ein, bitte! Du bist schließlich unser Großvater und ...“ „Schnickschnack“, schnitt der Alte ihm das Wort ab. „Mich kriegt ihr nicht weich. Das, was euer Vater vorhat, ist nichts für zwei Achtjährige wie euch. Werdet erst mal trocken hinter den Ohren, dann sprechen wir uns wieder. Nein, keine Widerworte! Haltet den Rand, ihr Lausebengel, oder ihr rückt ab ins Logis!“ „Aye, aye“, murmelten sie kleinlaut. Carberry verließ in diesem Augenblick das Vordeck durch das Steuerbordschott. Er hatte sich gleich drei Pistolen in den Gürtel
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geschoben, eine Blunderbüchse umgehängt und zwei Cutlasses mitgenommen, die ihn noch furchterregender erscheinen ließen, als er ohnehin schon aussah. Er blieb plötzlich stehen und blickte zu den Zwillingen. Hinter ihm schoben sich Al Conroy, Dan, Batuti und die anderen des Landtrupps aus der Öffnung des Schotts. Al trat dem Profos, fast auf die Hacken, weil dieser so abrupt verhalten hatte. „Himmel, Arm und Zwirn“, sagte Al. „Mister Conroy, halt die Luft an“, brummelte der Profos. „Mir ist gerade was eingefallen.“ Er stapfte schnurgerade über die Kuhl auf die Zwillinge los, und denen war plötzlich mehr als mulmig zumute. „Heiliger Strohsack“, flüsterte Hasard junior. „Was haben wir denn jetzt ausgefressen?“ „Schlechtes Gewissen, wie?“ Old O'Flynn entblößte in sichtlichem Vergnügen seine zwei Zahnreihen, die alles andere als untadelig gewachsen waren. Er sah jetzt wirklich dem „Bordmonstrum“ ähnlich, als das ihn Shane bezeichnete, wenn ermal wütend auf den Alten war. „Na“, sagte er. „Gleich hören wir ja, mit was ihr Carberry mal wieder in Rage gebracht habt.“ Carberry blieb dicht vor den Zwillingen stehen. Er griff sich mit einer Hand ans Wams, die andere legte er auf das Heft des einen Cutlasses. „Herhören“, sagte er barsch. Hasard und Philip rutschte das Herz in die Hosentasche, äber sie rissen sich gewaltig zusammen. „Sir?“ sagten sie gleichzeitig. „Der verdammte Vogel ...“ „Der Vogel?“ wiederholte .Hasard junior verdattert. Philip junior brachte gar nichts hervor, er blickte nur aus geweiteten Augen auf Carberrys Wams, unter dem es jetzt zappelte und strampelte. Der Profos förderte mit sicherem Griff den karmesinroten Aracanga zutage und hielt ihn den Zwillingen vor die Nase. In Carberrys gewaltiger Pranke wirkte Sir Sohn wie ein lächerlicher kleiner Fink oder
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Zeisig, und es hatte den Anschein, als würde sein Herr ihn vor lauter Kraft jeden Augenblick zerquetschen. Trotzdem öffnete Sir Sohn keck den Schnabel und würgte ein undeutliches „Kanalratten“ hervor. „Ich lasse das Biest hier“, sagte der Profos. „Erstens muß ich an Land Angst haben, daß er mir wieder abhaut und sich eine Erkältung wegholt, und zweitens verrät er uns durch sein dämliches, unangebrachtes Geschwafel, dieser eingebildete Gockel ...“ „Sir?“ Hasard junior hatte die Augen weit aufgerissen. „Mister Carberry?“ Philip junior tat auch so, als habe er überhaupt nicht verstanden. „Paßt ihr auf ihn auf“, sagte der Profos. Damit drückte er Hasard junior, der ihm am nächsten stand, den „eingebildeten Gockel“ in die Hände. „Und daß er euch ja nicht entwischt“, fügte er noch drohend hinzu. Dann entschwand er schweren Schrittes in Richtung Backbordschanzkleid, um mit seinem Kapitän, mit Siri-Tong und den anderen in die unten bereitliegende Jolle abzuentern. „Fier weg das Ding“, krächzte Sir Sohn. Hasard junior betrachtete ihn ohne jedes Anzeichen der Begeisterung. Als der bunte Vogel Anstalten traf, sich den Händen des Sungen zu entwinden, griff Hasard fester zu, und auch Philip packte mit zu, damit das „Biest“ ihnen nicht entwischen konnte. „Recht so“, sagte Old O'Flynn. „Das ist genau der richtige Job für euch Burschen. Tröstet euch, es hätte schlimmer kommen können. Stellt euch vor, der Profos hätte euch zum Aufklaren verdonnert.“ „Das ist wahr“, meinte Philip junior. „Wir können noch froh sein, was, Hasard?“ „Ach, halt bloß die Luke“, fuhr sein Bruder ihn an. „Nein, ich halte meine Luke nicht ...“ „Auf sie!“ krächzte Sir Sohn. „Feuer frei!“ Er versuchte, Philip in die Nase zu beißen. Der wich im letzten Augenblick zurück, ließ den Vogel los - und wieder trachtete Sir Sohn, Hasard zu entfleuchen. Sie schimpften alle drei um die Wette. „Ruhe“, zischte Old O'Flynn. „Seid ihr denn wahnsinnig geworden? Wenn ihr
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nicht sofort still seid, sperr ich euch in die Vorpiek.“ Hasard junior verfiel auf die glorreiche Idee, dem Papagei den Schnabel zuzuhalten. Philip junior überlegte sich indes, ob es Sinn hatte, das Tier in einen umgestülpten leeren Kübel zu sperren oder war das Tierquälerei? Sie hatten genug zu tun mit dem aufsässigen Aracanga und merkten nicht, wie die Jolle von der Bordwand der „Isabella“ ablegte und mit fast lautlosem Schlag der Riemen in der Nacht verschwand. * Der Seewolf hatte in seiner Funktion als Bootsführer den Platz auf der achteren Ducht der Solle eingenommen. Er bediente die Ruderpinne und achtete auf die Zeichen von Dan O'Flynn, der sich im Bug auf den Bauch gelegt hatte. Dan lotete die Wassertiefe aus und achtete auf tückische Untiefen. Es gab keine Felsen, die über die Wasseroberfläche hinausragten wie bei Tunungayualok, aber es war nicht ausgeschlossen, daß Unterwasserbarrieren ihnen die Zufahrt zum Ufer verwehrten. Siri-Tong stand aufrecht hinter Dan O'Flynn und spähte zum Land. Dan gab ein Handzeichen - Hasard drückte die Ruderpinne weiter nach rechts. Sie glitten mit dem Boot nah an einem gefährlichen Gesteinsbuckel vorbei, dessen Kuppe Dan höchstens drei Handspannen unter der Wasseroberfläche schimmern sah. Dann hatten sie eine Art Fahrrinne gefunden, in der sie bis ans Ufer gelangen konnten. „Dan“, raunte die Rote Korsarin dem jungen Mann zu. „Ich übernehme jetzt das Ausloten. Paß du lieber auf, ob du die Felsenkanzel irgendwo auftauchen siehst. Du hast die besseren Augen.“ „Gut, Madam. Danke“, erwiderte er genauso leise.. Er richtete sich auf, kletterte eine Ducht weiter nach achtern, wandte sich der Küste zu und ließ seinen Blick über die steil aufragenden, drohenden Konturen
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wandern, die sich aus dem Dunkeln vor ihnen schälten. Eisig kalt war es. Der Wind blies sein verhaltenes Lied zwischen den zerklüfteten Felsformationen, fiel dann zu den Männern in dem Boot ab und strich um ihre Gesichter und Gestalten wie der Frosthauch eines aus Eis und Schnee bestehenden Giganten. Davon fiel einem zwar weder der Achtersteven - wie Carberry zu sagen pflegte - noch der Kopf ab, aber die Ohren wurden rot und begannen recht schmerzhaft zu brennen. Batuti, der sich an diese Temperaturen am allerwenigsten gewöhnen konnte, hatte sich eine Mütze aufgesetzt. Diese Mütze zog er sich jetzt mit einer Hand tiefer über die Ohren, während er mit der anderen Hand weiterpullte. Dan hob plötzlich seine rechte Hand. Er hatte die Kanzel entdeckt und gab es seinem Kapitän durch diese Geste zu verstehen. Ja, es sah wirklich wie eine grob gehauene Kanzel in einer Kirche aus, dieses Gebilde aus schroffem Gestein. Nach Dans Schätzung betrug seine Höhe auch die gut vierzig Yards, von denen Cyril Auger in der Flaschenpost berichtet hatte. Hieraus ließ sich gleich zweierlei folgern: Auger hatte präzise Angaben hinterlassen und damit bewiesen, daß er zumindest zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Botschaft noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen war. Darüber hinaus war anzunehmen, daß auch die restlichen Daten der Flaschenpost genauso exakt wie die bisherigen waren. Der Seewolf bewegte die Ruderpinne so, daß die Jolle in einem weitgezogenen Bogen auf die Felsenkanzel zuglitt. Kurze Zeit später konnten .die Frau und die sieben Männer auch den Einschnitt erkennen, der sich rechts der wuchtig emporsteigenden. schwarzen Formationen öffnete. Hasard steuerte auf das Ufer zu. Dan gab wieder Zeichen. Er hatte einen schmalen Streifen flachen Ufers entdeckt, der mit grobem Gestein bedeckt war. Hier konnten sie landen.
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Der Wachtposten stand hoch oben auf der Felsenkanzel - unsichtbar für den Seewolf und seine Begleiter. Der Posten hatte die geladene Muskete, mit der man ihn ausgestattet hatte, an ihrem Lederriemen geschultert und wartete in stoischer Haltung das weitere Verhalten der Bootsbesatzung ab. Durch den V-förmigen Einschnitt, der sich links von ihm wie eine Schlucht auftat, konnte der Mann genau verfolgen, wie die Jolle jetzt auf das winzige Stückchen Kiesufer zulief, sich mit dem Bug auf die Steine schob, die sieben Männer und die Frau mit den langen schwarzen Haaren herauskletterten und das Boot weiter auf Land zogen. Der Eskimo hatte genug gesehen. Er drehte sich um und schritt davon, um Meldung zu erstatten. Sie sind erschienen, um herumzuspionieren, dachte er. Sie werden alles entdecken und zu vernichten versuchen, wenn wir sie nicht töten. Der Eskimokrieger gelangte dreißig oder einunddreißig Schritte weit. Dann wurde sein Marsch jäh unterbrochen. Eine zweite Gestalt wuchs links neben ihm hinter einem Felsquader hoch, packte ihn an der Kehle. Der Wächter wollte nach seinem Knochenmesser greifen oder die Muskete von seiner Schulter reißen oder irgendetwas anderes zu seiner Verteidigung unternehmen, aber es war zu spät. Der mörderische Griff um seinen Hals raubte ihm die Luft, der Posten verlor das Bewußtsein. Er brach zusammen und rührte sich nicht mehr. Schweigend nahm der Fremde die Waffen des Toten an sich, dann verbarg er ihn hinter dem Felsquader, so gut es ging. Schnell, und fast ohne ein Geräusch zu verursachen, lief er anschließend bis zu dem kleinen Plateau, das die Felskanzel krönte. Er blickte in die Tiefe und konnte die Gestalten erkennen, die das Boot
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verlassen hatten und eben damit begannen, im Felseinschnitt aufzusteigen. Ein paar Minuten beobachtete der Fremde die Männer und die Frau, dann wandte er sich nach Westen. 8. Aus den Tagebuch-Aufzeichnungen des Cyril Auger, Kapitän der ZweimastKaravelle „Ulysses“: Dezember 1588. Steht das Weihnachtsfest bevor - oder ist es schon vorbei und nähern wir uns dem Jahresende? Ich weiß es nicht. Ich habe keine Berechnungen mehr angestellt, weder über die Zeit noch über unsere Position und unseren jetzigen Kurs. Ja, wir segeln nach Nordwesten hinauf, aber ob wir Bacalaos noch erreichen, ist fraglich geworden. So vegetieren wir dahin und erleben das traurigste Weihnachtsfest unseres Lebens. Nicht nur Reads ist dem Skorbut erlegen, auch sechs andere Decksleute hat die grauenvolle Krankheit dahingerafft sechs! Zwei weitere, Middleton und Elvin, liegen seit drei Tagen völlig entkräftet und vom Fieber geschüttelt in ihren Kojen. Jerrold hat mir gesagt, daß auch für sie keine Hoffnung mehr bestehe. Unser Schicksal scheint besiegelt zu sein. * Anfang Januar 1589 (?). Das Ende scheint nah zu sein. Wir hungern und dürsten entsetzlich und schleppen uns nur noch über Deck. Zu allem Unheil scheint auch wieder Sturm aufzuziehen. Middleton und Elvin haben wir nun auch in der See bestatten müssen. Somit ist unsere einst so, stolze und starke Crew auf neun Mann dezimiert. Simson ist ertrunken, van Dooren und die fünf anderen Verräter unserer Sache haben sich mit dem Beiboot davongestohlen und werden wohl auch von der See verschlungen worden sein. Reads, Middleton, Elvin und sechs andere Decksleute sind am Skorbut gestorben -
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das macht insgesamt einen Verlust von sechzehn Mann. 25 weniger 16 sind neun. Zumindest dies vermag ich noch auszurechnen. Mein Geist ist ungetrübt und funktioniert einwandfrei, aber ich weiß, daß auch ich von meinem Schicksal ereilt werde, wenn dieser grausige Zustand noch länger andauert. Entweder werde ich wahnsinnig oder erkranke am Skorbut. Mit mir weilen jetzt noch an Bord der „Ulysses“: Patrick O'Connors, mein erster Offizier und bester Freund, Dalton Mulkenny, der Profos, Joel Hemmings, der Segelmacher, Marvin Bascomb, unser eiserner Steuermann, Vance Jerrold, der Feldscher, der den Kombüsendienst mit übernommen hat, sowie die Decksleute Floyd Macaulay, Harold McClyde und Ray Falk. Wir beten zum Himmel, flehen um Gnade, aber wir haben nicht mehr die Hoffnung, daß wir erhört werden. Was haben wir verbrochen, daß wir so elend sterben müssen? * Im Januar 1589, irgendwann. Der Sturm hat etwas nachgelassen, der Wind aus Südosten treibt unsere Karavelle immer weiter nach Nordwesten hinauf. Wo liegt Bacalaos? Ich weiß es nicht mehr. Existiert dieses Land überhaupt? Fragt mich nicht danach, denn auch darauf wüßte ich keine Antwort zu geben. Ich fühle die Schuld an all unserem Unglück wie eine Last auf mir, denn ich trage die Verantwortung für diese armen Teufel. Meine unverzeihlichen Fehler haben ihnen das ganze Unheil eingebracht. Auch Ray Falk ist nun nicht mehr unter uns. Letzte Nacht ist er von der Galionsplattform in die Fluten gestürzt, aber es war kein Unglück. Es war Absicht. Durch den Hunger, den Durst und die hundert Entbehrnisse bereits geistig umnachtet, hat er den Freitod gesucht. Der Herr sei seiner Seele gnädig. Der Wind dreht auf Osten und wird wieder stürmisch.
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Wie lange kann das noch dauern? Wie lange können wir die „Ulysses“ mit dem nur notdürftig reparierten Ruder und dem lädierten Fockmast noch steuern? Keiner weiß es. Wenn die Küste nah ist, dann wird der Wind, der nun aus Nordosten pfeift und orgelt, das Schiff mit aller Macht auf Legerwall drücken, und wir sind machtlos dagegen. * Am Tor zur Hölle, 1589. Dies ist nun unweigerlich das Ende, ich weiß es. Vom Fockmast ist nur noch ein Stummel übrig, auch der Großmast wird in dem Orkan, der uns um die Ohren brüllt, bald brechen. Jerrold, Macaulay und Bascomb, die in dieser Nacht keine Wache haben, sind soeben mit entsetzten Gesichtern an Oberdeck erschienen, Auch ich werde, nachdem ich diese letzten Zeilen zu Papier gebracht habe, auf die Kuhl gehen und mithelfen, den Großmast abzustützen. McClyde scheint noch in seiner Koje im Logis zu liegen, er war so erschöpft, daß ich ihm eine Doppelwache freigegeben und Ruhe verordnet habe. Jerrold hat mir versichert, daß McClyde keinen Skorbut hat, daß c nur Schlaf braucht, viel Schlaf. Ich glaube wirklich, McClyde schläft so tief, daß er das Toben des Sturms überhaupt nicht bemerkt. Ich werde ihn ruhen lassen, denn in seinem total ausgelaugten Zustand würde er mir womöglich noch über Bord gehen. Die Männer rufen nach mir. Sie brauchen meine Hilfe. Ich beende meinen Bericht an dieser Stelle. Ich schließe das Buch in die Schublade meines Pultes ein, aber ich komme mir dabei eher lächerlich vor, denn meine Aufzeichnungen werden der Nachwelt doch nicht erhalten bleiben. Die See öffnet sich, um uns zu vertilgen und in die Tiefe zu ziehen, in die eisige Kälte und die Finsternis des Jenseits...
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Blacky klappte das Buch zu. Eine Weile herrschte auf der Kuhl, wo die Männer ihn umringt hatten, um ihm beim Vorlesen zuzuhören, betretenes Schweigen. Ben Brighton brach es schließlich. „Der Tote im Logis der „Ulysses“ muß also dieser Harold McClyde gewesen sein“, sagte er. „Kurz nachdem Auger seine letzten Sätze zu Papier' gebracht hatte, geschah , es — der Sturm schmetterte die Karavelle auf das Riff.“ „Und was passierte mit Auger und den sechs anderen Männern?“ fragte Old O'Flynn. „Man kann es in etwa rekonstruieren: Entweder wurden sie außenbords gespült und zum Ufer getrieben, wo die Kajak-Piraten sie fanden — oder sie klammerten sich am Wrack fest und blieben auf dem Riff hängen, unfähig, das Ufer zu erreichen. Später erschienen die Eskimos, und Auger dachte vielleicht, sie würden ihnen helfen. Aber sie nahmen sie gefangen und entführten sie.“ Er wandte sein Gesicht der Küste zu und versuchte, etwas von den Formationen des Gebirges zu erkennen. Aber nach wie vor war es zu dunkel dazu. „Nur diese zwei Möglichkeiten gibt es“, sagte Smoky. „Denn anderenfalls hätten wir ja auch die Leichen von Auger und dessen sechs Kameraden finden müssen. Und Auger hätte seine Flaschenpost nie der See übergeben.“ „Auger, O'Connors, Mulkenny, Hemmings, Bascomb, Jerrold und Macaulay“, wiederholte Blacky die Namen. „Ich frage mich die ganze Zeit über nur eins. Was wollten die Eskimos mit diesen Gefangenen? Was, zum Teufel, haben sie mit ihnen angestellt?“ „Vielleicht fressen sie sie der Reihe nach auf“, sagte Stenmark. „Unsinn, das sind doch keine Kannibalen“, wandte Bob Grey ein. „Weißt du das?“ wollte Luke Morgan von ihm wissen. „Hendrik Laas hat's gesagt.“ „Laas hat auch behauptet, die Eskimos wären alle friedliebend und gastfreundlich“, sagte Luke verdrossen.
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„Und? Wie sieht die Wirklichkeit aus? Sie fallen mit ihren Schießprügeln über uns her.“ „Von den Karibu-Jägern in Labrador hat er nicht gesprochen“, ließ sich Matt Davies vernehmen. „Leute“, sagte Smoky. „Es hat keinen Sinn, über diese Dinge zu debattieren. Im Moment ist nur eins wichtig — ob Hasard und seine Gruppe die Felsenkanzel gefunden haben oder nicht.“ „Wenn nicht, dann hätte er uns ein Zeichen gegeben oder wäre zurückgekehrt“, meinte Ben Brighton. „Diese Warterei ist scheußlich“, sagte Stenmark. „Verdammt, können wir denn nichts weiter unternehmen als uns hier hinter unseren gefechtsbereiten Culverinen die Beine in den Bauch zu stehen? Ben grinste. „Doch. Wir können unsere weite Jolle mit Handfeuerwaffen und Flaschenbomben bestücken und vorsichtshalber schon mal abfieren. Ich habe nämlich das Gefühl, daß wir das Boot heute nacht noch gut gebrauchen können.“ Die Männer blickten ihn fragend an. Bob Grey kratzte sich am Hinterkopf. „Aha“, sagte Old O'Flynn dann. „Ich weiß schon, was du meinst, Ben Brighton. Ho, ich melde mich freiwillig - als Bootsführer.“ „Einverstanden“, sagte Ben Brighton. * Nach allen Seiten sichernd, bewegten sie sich voran. Hasard hatte die Spitze des Trupps inne, gleich hinter ihm kletterte Siri-Tong in dem V-förmigen Felseinschnitt, dann folgten Carberry und die anderen fünf Männer. Der Wind schien drohend und verhängnisvoll zu wispern, der Untergrund war teilweise eisbedeckt und deshalb bedenklich glatt. Mehr als einmal gerieten sie in bedrohliche Situationen. Al Conroy wäre um ein Haar ausgerutscht und abgestürzt, wenn Dan O'Flynn, der hinter ihm schritt, nicht gedankenschnell zugepackt und ihn festgehalten hätte.
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Hasard überlegte sich, ob es sinnvoll war, wenn sie sich mit Tauen aneinander festbanden. Aber eine solche Sicherung konnte im Fall, daß sie sich gegen Angreifer zur Wehr setzen mußten, auch zur Behinderung werden, Lieber verzichtete er darauf. Dann endlich hatten sie die kleine Plattform auf der Felsenkanzel erreicht. Hier oben war es schneidend kalt, kälter noch als unten auf dem Wasser. Batuti zupfte wieder an seiner Mütze herum und zog die Aufschläge seiner Jacke fester zu. Carberry dachte darüber nach, ob er Will Thorne nicht doch lieber darum hätte bitten sollen, ihm aus dem Eisbärfell ein Paar Hosen zu nähen. Was war denn wohl wichtiger - das Aussehen oder die Zweckmäßigkeit. einer Kleidung? Der Seewolf war stehen geblieben und hatte sich zu ihnen umgedreht. „Keine Wachtposten“, raunte er. „Wir scheinen Glück zu haben, aber wir müssen weiterhin höllisch auf der Hut sein.“ Er blickte zum Mond auf, orientierte sich an der blassen Scheibe und wies in westliche Richtung. „Also - landeinwärts. Den Einschnitt hat Auger meiner Ansicht nach nur erwähnt, um einen Hinweis darauf zu geben, wie man in den Felsen aufsteigen kann. Die fünfhundert Schritte bis zum verkrüppelten Baum müßten von hier oben aus gerechnet werden, wenn mich nicht alles täuscht. Verlieren wir also keine Zeit.“ Er schritt voran und gab die Richtung an. Wenig später wurde Dan O'Flynn auf etwas Seltsames, Beunruhigendes aufmerksam, das hinter einem klobigen Felsquader hervorragte. „Halt!“ zischte er. Der Seewolf verharrte, duckte sich und brachte den Radschloß-Drehling, den er aus der Kapitänskammer mitgenommen hatte, in Anschlag. Im nächsten Moment entdeckte er das gleiche wie Dan. „Himmel“, flüsterte Siri-Tong hinter seinem Rücken. „Das sind ja — menschliche Beine.“ Hasard antwortete nicht. Er glitt vor, langte bei dem Quader an und schob sich ganz
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langsam und ohne ein Geräusch zu verursachen darum herum. Die Gestalt, der die Beine gehörten, geriet in sein Blickfeld. Er beugte sich über sie, untersuchte sie kurz und winkte dann den anderen zu, die nun auch anrückten. „Erwürgt“, murmelte er. „Sein Körper ist noch ganz warm. Er kann erst seit ein paar Minuten tot sein.“ „Mich laust der Affe“, raunte Carberry. „Das muß der Posten der Kajak-Piraten gewesen sein.“ „Aber wer hat ihn umgebracht?“ erkundigte sich Shane leise. „Das kann dir nur ein Hellseher verraten“, flüsterte Dan. „Eins steht fest“, sagte die Rote Korsarin gedämpft. „Es gibt hier eine andere, dritte Partei, die mit in die Auseinandersetzung eingegriffen hat.“ „Oder wir haben einen heimlichen Helfer“, erwiderte der Seewolf. * Nach fünfhundert Schritten hatten sie tieferliegendes Gelände erreicht und blickten sich nach dem Baum um, den Cyril Auger in seiner Flaschenbotschaft erwähnt hatte. Nirgendwo war er zu entdecken. „Verfluchter Mist“, brummte Carberry. „Ich hab's ja geahnt, es haut nicht hin mit der verdammten Beschreibung.“ Hasard zog das Stück Pergament aus der Innentasche seiner Jacke, rollte es auseinander und las im fahlen Licht des Mondes noch einmal die Nachricht. „Fünfhundert Schritte landeinwärts“, sagte er leise. „Aber vielleicht hätten wir uns nicht nach Westen wenden sollen. Landeinwärts - das könnte auch West-SüdWest oder Südwest bedeuten, denn die Labrador-Küste verläuft ja nicht von Norden nach Süden, sondern von Nordwesten nach Südosten.“ „Was hältst du davon, wenn wir ein Stück nach Süden wandern?“ fragte Dan. „In Ordnung, versuchen wir's.“ Sie verloren gut eine halbe Stunde Zeit, denn es war viel leichter gesagt als getan:
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An einem Baum konnte man in diesem zerklüfteten Gebiet bei dieser Dunkelheit auf zehn Yards Distanz vorbeimarschieren, ohne ihn zu sehen. Siri-Tong war es, die dann die entscheidende Entdeckung, machte. Sie winkte den Männern zu, und Sekunden später hatten sich die sieben Männer um sie versammelt. Sie standen da und blickten auf den gedrungenen, verwachsenen Baum, der wie die erbärmliche Kopie einer Krüppelkiefer wirkte. Er schien völlig abgestorben zu sein. Und wirklich — als Carberry ihn vorsichtig berührte, brach gleich ein ganzer Ast ab. „Sir“, sagte der Profos dumpf. „Diese gehörnten Viecher, die wir gesehen haben, diese Renntiere ...” „Sie heißen Karibus, sind wilde Rens und haben keine Hörner, sondern ein Geweih“, korrigierte Dan O'Flynn. .. diese Renntiere“, wiederholte der Profos hartnäckig. „Wovon leben die eigentlich?“ „Weiter im Landesinneren muß es Vegetation geben“, erwiderte Hasard. „Laßt euch nicht dadurch irritieren, daß wir an einem besonders öden Küstenstrich gelandet sind. Immerhin befinden wir uns noch in der Subarktis, nicht in der Arktis.“ „Ja, aber merkwürdig ist das alles trotzdem“, brummte Carberry. Er schaute sich um und rechnete fest damit, daß jeden Augenblick Zweibeiner mit Hirschgeweihen und Bärenpelzen zwischen den Felsen hervorstürmten, um sie mit Eispickeln zu erdolchen. Der Seewolf blickte wieder zum Mond auf, stellte von neuem fest, in welcher Richtung Westen lag, und nahm die Wanderung wieder auf. „... von dort aus zweihundert Schritt nach W zum Bach“, hieß es in der Flaschenpost. Diesmal gab es keine Verzögerungen. Nach genau einhundertneunundneunzig langen Schritten verharrte der Seewolf am Ufer des leise rauschenden Gewässers, bückte sich und schöpfte prüfend eine Handvoll Naß. Eiskaltes, kristallklares Wasser, und der Bach war mindestens drei Yards breit.
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Er wandte sich zu den nachrückenden Männern um. Als sie nah heran waren, sagte er: „Al, ich möchte, daß du dem Verlauf dieses Baches folgst und feststellst, an welcher Stelle er ins Meer mündet. Von der Mündung aus versuchst du, zu unsrer Jolle zu gelangen, pullst dann zur ,Isabella` und holst Verstärkung.“ „Und wir kehren hierher zurück?“ „Ja. Von der Felsenkanzel bis hierher ist das Bergland stark abgefallen, wie du siehst. Ich nehme fast an, daß wir uns hier am Bach auf der Höhe des Meeresspiegels befinden, aber das wirst du bei deinem Marsch zurück zur Küste noch genau erkunden.“ „Ja, Sir.“ „Wenn es weder Wasserfälle noch Stromschnellen gibt, könntet ihr versuchen, mit den Booten bis hier herauf zu pullen.“ Al Conroy blickte seinen Kapitän an und grinste plötzlich. „Sir, das wäre ja fast zu schön, um wahr zu sein. Du meinst ...“ „Ich meine, daß die Eskimos mit ihren Kajaks und Umiaks eine geheime Wasserstraße benutzen, um überraschend auf dem Meer zu erscheinen und genauso schnell wieder zu verschwinden“, sagte der Seewolf. 9. Al tat alles, um auf schnellstem Weg zur Mündung des Baches zu gelangen. Er folgte im Laufschritt dem rechten Ufer des Gewässers und hielt das Tromblon, das er sich aus der Waffenkammer der „Isabella“ geholt hatte, ständig mit der Mündung nach vorn gerichtet, bereit, sofort auf jeden etwaigen Angreifer zu feuern, um ihm einen Schreck einzujagen. Hasard hatte ihm, ehe sie sich getrennt hatten, ausdrücklich versichert, daß er ruhig schießen könne, denn das Krachen des Tromblons würde ihn und seinen Trupp keineswegs verraten, sondern die Eskimos, die irgendwo im Dunkeln lauerten, eher von ihm, Shane, Ed, Ferris, Dan, Batuti und der Korsarin ablenken.
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Al rannte, als ginge es darum, einen Rekord aufzustellen. Er riskierte, auf den glatten Uferfelsen auszurutschen und in das eisige Wasser zu fallen, aber das kalkulierte er von vornherein mit ein. Einmal glitt er denn auch aus und landete mit beiden Beinen fast bis zu den Hüften in dem kristallklaren Naß. Er hielt das Tromblon mit beiden Fäusten über dem Kopf, damit es ja nicht naß wurde, kämpfte um die Balance, gewann sie wieder und stieg aus dem Bach. Leise vor sich hin fluchend hetzte er weiter. Links und rechts des Bachlaufes wuchsen die nackten Felsen jetzt höher hinauf, aber es blieb an Als Seite immer noch ein schmaler, kiesbedeckter Streifen, auf dem er laufen konnte. Das leise sprudelnde Gewässer bahnte sich seinen Weg durch eine Schlucht mit senkrecht aufstrebenden Wänden. Es wurde stockfinster, kein Mondlicht drang bis nach unten. Al mußte langsamer werden und konnte nur noch schreiten, ja, er müßte eine Hand ausstrecken und rechts von sich die Felswand ertasten, weil er sie nur noch ahnen, aber nicht mehr sehen konnte. Der Bach floß dort, wo sie auf ihn gestoßen waren, zunächst in fast nördlicher Richtung, bog dann aber nach rechts, also nach Osten ab, um der Küste zuzustreben. Al hatte sich in seinem Geist ein kartenhaftes Bild von seinem Verlauf eingeprägt und rechnete sich aus, daß er an seinem jetzigen Aufenthaltsort nicht mehr weit von der Felsenkanzel entfernt sein konnte. Plötzlich stutzte er. Täuschte er sich — oder klang das Rauschen des Wassers jetzt wirklich heller, als bewege es sich durch einen hohlen Raum? Al wurde noch vorsichtiger. Er blickte nach oben und sah hoch über sich etwas verschwommen Linienförmiges, das mit den Rändern der Schlucht identisch sein mußte. Dazwischen glitzerten ein paar Sterne. Er schritt weiter voran, blickte wieder auf — und die Sterne waren verschwunden.
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Auch die Begrenzung der Schlucht war nicht mehr zu erkennen. Eine Höhle, dachte er, ich bin in einer Höhle. Er schob sich auf gefrorenem Untergrund voran, immer darauf vorbereitet, wieder abzugleiten und im Bach zu landen. Aber mit einemmal erschien ihm das Risiko gefährlicher als vorher, denn er hatte das untrügliche Gefühl, daß die Wassertiefe hier viel größer war als an jener Stelle, an der er sein unfreiwilliges Bad genommen hatte. Jeder Schritt wurde jetzt zum echten Wagnis, und das Ziel schien in unerreichbare Ferne zu rücken. Aber dann sah Al Conroy vor sich etwas wie ein großes Tor, eine Wölbung, die mit einem silberdurchwirkten Tiefblau ausgefüllt war. Der Ausgang der Grotte, und gleich dahinter lag die See! Al erreichte den Ausgang, wandte sich nach rechts und fand einen natürlichen Pfad, auf dem er bis zur Landestelle der Jolle laufen konnte. Er hatte seine Aufgabe gelöst - und es gab keine Wasserfälle und Stromschnellen im Bachlauf, die die weitere Aktion beeinträchtigen konnten. * Sie hatten den Bachlauf durchquert. Es gab keine richtige Furt, das Wasser hatte ihnen beinah bis zur Brust gereicht, und deshalb hatten sie jetzt das Gefühl, „zu Klumpen gefroren zu sein“, wie Carberry es ausdrückte. Hasard sah Siri-Tong und die Männer an. Die Kälte des Wassers hatte ihnen ganz schön zugesetzt, aber sie preßten nur die Lippen zusammen und beklagten sich nicht. Esssss wäre gut gewesen, jetzt ein Feuer entfachen zu können, um die Kleidung zu trocknen und sich zu wärmen, aber ebenso gut hätten sie sich auf einen Präsentierteller begeben können, von dem die Feinde sie der Reihe nach heruntergeschossen hätten. „Bewegen wir uns“, raunte er ihnen zu. „Gar nicht erst stehenbleiben - es ist die
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einzige Möglichkeit zu verhindern, daß uns die Kleider am Leib festfrieren.“ „Mann“, brummelte der Profos. „Hätte ich doch bloß mein Eisbärfell mitgebracht.“ „Ed“, flüsterte Dan O'Flynn. „Ich habe so den Eindruck, wir werden noch viele dicke Felle brauchen, wenn wir uns weiter nach Norden rauf wagen.“ „Da hast du ausnahmsweise mal recht...“ Hasard setzte sich wieder an die Spitze des kleinen Trupps. Er ging strikt in westlicher Richtung und zählte seine Schritte. Drei, vier, fünf - über den Bach hinweg und weitere dreihundert Schritt nach W, hätte es in der Flaschenpost geheißen. Sieben, acht, neun, zehn - der Platz, an dem sich die schiffbrüchigen Seeleute angeblich befanden, sollte in einer Senke liegen, aber noch war davon nichts zu sehen. War dies alles am Ende nur eine Farce - oder vielleicht sogar eine Falle? Zwanzig, einundzwanzig. Hasard blickte über die Schulter zu seinen Männern zurück. Im Gänsemarsch schritten sie hinter ihm und hielten ihre Schußwaffen bereit. Vermutlich stapften sie geradewegs auf die Konfrontation mit dem Gegner zu, auf einen Kampf, der ihr Verderben sein konnte. Wie viele pelzverhüllte Gestalten lauerten wohl dort in der Nacht? Hundert? Zweihundert? Die Krieger, denen sie auf dem Riff begegnet waren, konnten nur ein Teil des Eskimostammes gewesen sein, nur eine Patrouille, die einen Streifzug an der Küste entlang unternommen hatte und dabei auf die Männer der „Isabella“ gestoßen war. Vierzig, fünfzig, sechzig - und es war immer noch nichts zu sehen. Das Gelände war nicht mehr angestiegen, seit sie dem Bach den Rücken zugewandt hatten, also befanden sie sich bereits in einer Senke. Aber wo war der Schlupfwinkel, die Siedlung, das Versteck, in dem „sie“, die Unheimlichen, von denen Auger nur andeutungsweise berichtet hatte, hausten? Er mußte die Botschaft in großer Hast auf das Stück Tierhaut gekritzelt haben, unter der ständigen Angst, entdeckt zu werden. Vielleicht hätte er gern präziser geschildert, was die Finder der
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Flaschenpost eigentlich erwartete, aber dazu hatte ihm offenbar die Zeit gefehlt. Hundert Schritte. Dort, im Westen - war dort eine Mauer aus Stein? Versperrte eine Barriere ihnen den Weg, oder erlag Hasard einer Sinnestäuschung? Hundertzwanzig. „Hasard“, wisperte Dan O'Flynn. „Da ist was vor uns. Felsen, glaube ich. Kannst du sie erkennen?“ „Ja, ich sehe sie jetzt auch ziemlich deutlich“, raunte Hasard. „Wir klettern darüber weg“, sagte die Rote Korsarin leise. „Und dann“, war Carberrys dunkles Organ zu vernehmen, „dann sind wir wohl am Ziel, was? Hölle, meine Hose ist so hart wie ein Brett. Hört ihr nicht, wie sie bei jedem Schritt knarrt?“ „Zieh sie doch aus, wenn sie dich behindert“, flüsterte Shane. „Madam“, sagte der Profos. „Madam, haben Sie ...“ „Leiser, Ed“, tuschelte Ferris Tucker warnend. „Haben Sie gehört, was der Kerl da Unanständiges von sich gegeben hat, Madam?“ flüsterte Carberry. Es klang gepreßt und unnatürlich. Das Flüstern lag ihm nicht so sehr, das Brüllen schon eher. „Wer? Shane?“ raunte sie. „Ja. Glauben Sie, ich wäre jemals imstande, meine Hosen in Ihrer Gegenwart ...“ „Nein, das glaube ich nicht. Ein Mann mit so guten Manieren wie Sie würde so was nicht mal andeuten, Edwin.“ Trotz der Spannung, die jetzt in der Luft hing, mußte sie lächeln. Carberry drehte sich zu Shane, der hinter ihm ging, um und zischelte: „Hast du's gehört, du grobschlächtiger Eisenbieger? Ich hab's ja schon immer gewußt, daß du ein Ferkel bist.“ „Ed“, erwiderte Shane so sanft wie möglich. „Was wäre, wenn jetzt ein Karibu dahergaloppierte und dir sein Geweih in den Hintern rammen würde?“ „Das wäre genauso ein Gefühl, als wenn Shane unserem Profos ins Heck treten würde“, meinte Dan O'Flynn leise. Er
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grinste dabei so höllisch wie sein Alter und auch Shane, Ferris und Batuti grinsten. „Das versuch mal“, knurrte der Profos. „An meiner harten Hose verbiegst du dir die Zehen, du Roßschuster.“ „Still“, raunte der Seewolf. Zweihundert Schritte waren sie jetzt von dem Bachlauf entfernt, und die Felsen waren sehr nahe gerückt. Ihre Zacken bildeten ein bizarres Muster. Auf den ersten Blick sah es so aus, als führe kein Weg hindurch. Hasard und seine Männer gewahrten auch den schwachen rötlichen Schimmer, der sich über den Felsen abzeichnete. Sie schwiegen, strebten nur noch auf die Gesteinsbarriere zu und forschten dann nach einer Möglichkeit, in die Felsen aufzusteigen, die keine zehn Yards aufragten und doch unbezwingbar erschienen. Hasard fand eine Art Nische, durch die man sich zwängen konnte, gleich daran schloß sich ein Hohlweg an, der in stetiger Steigung weiter nach Westen verlief und sie der Lösung des Rätsels näher brachte. Auch diese Wegstrecke bewältigten sie, ohne ein Wort zu sprechen. Ihre Spannung war gestiegen, alles drängte dem Höhepunkt der Ereignisse zu. Es war jetzt nicht mehr die Zeit, zu unken und Kommentare abzugeben. Sie erreichten einen Platz inmitten der Felsen, von dem aus sie über tieferliegende Kuppen und Zacken weg frei nach Westen blicken konnten. Da sahen sie die Fackeln, die im Untergrund festgerammt waren und den rötlich-dämmrigen Schein verbreiteten, die Hütten aus Stein, vor denen sich Gestalten auf und ab bewegten, erspähten die weite, dunkle Fläche eines Sees, an dessen Ufer die merkwürdige Siedlung errichtet worden war. Es bestand kein Zweifel daran, daß der Bachlauf diesen See mit dem Meer verband. An kleinen hölzernen Anlegern dümpelten die Kajaks und die größeren Umiaks. Hasard schätzte die Entfernung zum Lager der Eskimos in Gedanken. Es waren höchstens noch achtzig Schritte von hier aus, zwanzig hatten sie seit dem Betreten der Felsen bereits wieder zurückgelegt.
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Dreihundert also insgesamt, Cyril Auger hatte recht behalten, seine Angaben waren alle exakt - doch wo steckte er? Wo waren seine Kameraden, in welchem der primitiven Steinhäuser hielt man sie gefangen? Die Steinbauten waren kreisrund und wirkten geduckt. Hasard erinnerte sich daran, daß Hendrik Laas ihm auch hierüber erzählt hatte: Egal, ob die Behausungen der Eskimos nun aus Steinen, Grassoden, Knochen oder Schnee gefertigt waren, sie hießen immer Iglus. Iglus also - und einer davon war ein Gefängnis für sieben Männer. Oder? War dieser Gedanke nur noch eine Illusion? Lebten Auger und seine Kameraden vielleicht nicht mehr? Dan O'Flynn war neben seinen Kapitän getreten und stieß ihn mit dem Arm an. Er wies über den See weg auf etwas Rundes, rötlichgelb Schimmerndes, das weder Hasard noch die anderen auf Anhieb als das zu erkennen vermochten, was es war. Dann begriff der Seewolf. Drüben, auf der anderen Seite des Sees, erhob sich wieder eine Gesteinsbarriere, die allerdings höher zu sein schien als diese. Ja, dort begann ein neues Massiv, das sich möglicherweise bis weit ins Landesinnere erstreckte. Dieses leicht erhellte Rund, das schätzungsweise fünf, sechs Yards über dem Ufer des Sees lag, konnte nur eine Höhle sein. Hasard wandte den Kopf und blickte nach links. Er glaubte, eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Mit einer Geste wies er seine Begleiter darauf hin. Er hatte sich nicht getäuscht. Etwas oberhalb ihres Aussichtsplatzes war die Gestalt eines pelzgekleideten Mannes aufgetaucht. Er trug eine Muskete in den Fäusten, benahm sich unruhig und schien zu ihnen herüberzuspähen. Hasard, Siri-Tong und die anderen hatten sich rasch geduckt. Sie waren in Deckung gegangen, aber sie waren nicht sicher, ob der Posten nicht doch nachschauen würde. Er rückte näher. Hasard kauerte dem Burschen am nächsten hinter einem abgeflachten Stein und bereitete sich darauf vor, aufzuspringen
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und ihn mit einem Jagdhieb zu Boden zu schicken. Er mußte sehr schnell sein, denn der Mann durfte nicht dazu kommen, den Abzug seiner Waffe zu betätigen. Aber mit einemmal war eine zweite Gestalt da. Sie huschte auf den Posten zu, umklammerte ihn von hinten und hieb oder stach mit irgendetwas zu. Hasard und seine Männer hielten unwillkürlich den Atem an. Der Wachtposten brach zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Der zweite Mann richtete sich von ihm auf, hatte ihm die Muskete entwunden und brachte mit einem Ruck auch die Waffe, die er für den Überfall benutzt hatte, wieder' an sich. Er schritt auf Siri-Tong und die Männer der „Isabella“ zu. Er hat uns die ganze Zeit über beobachtet, erkannte der Seewolf, er weiß genau, daß wir uns hier versteckt haben. Nichts ist seinem wachen Auge verborgen geblieben. Der zottig und wild wirkende Fremde blieb stehen und hob die Hand mit der kleinen Waffe. Es war ein Messer aus Holz oder Knochen, wie Hasard und seine Männer jetzt erkannten. Der Fremde ließ das Messer fallen. Es landete klappernd auf den Felsen. Der Fremde bückte sich und legte auch die Muskete fort, und dann erhob er sich wieder zu seiner vollen Größe und überbrückte die letzte Distanz, die ihn von Hasard trennte. Eine Geste der Friedfertigkeit, dachte der Seewolf, auch ohne Worte kann man sich verständigen. Erstand ebenfalls auf. Der Fremde trat dicht vor ihn hin. Er war ein Eskimo mit faltenreichem, fast verkniffenem Gesicht. Seine Züge schienen unendliches Leid auszudrücken. Als aber der Seewolf die Hand zum Gruß hob, glitt ein Lächeln über sein Gesicht und er sagte: „Ajataq.“ „Was heißt das?“ flüsterte Siri-Tong, die sich ihnen beiden langsam näherte. Hasard wies mit dem Zeigefinger auf die Brust des Mannes und wiederholte: „Du Ajataq?“ Der Eskimo antwortete--m Meiner bejahenden Geste. Hasard deutete mit
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demselben Finger auf sich selbst und sagte: „Hasard.“ „Hasard“, radebrechte der Eskimo, dann blickte er zu der Siedlung der KajakMänner und begann heftig zu gestikulieren. „Ich glaube, er will uns führen“, sagte Hasard zu seinen Männern. „Bestimmt weiß er, wie wir ungesehen in das Lager gelangen.“ „Und du bist sicher, daß das kein fauler Trick ist?“ fragte Dan O'Flynn. „Ganz sicher. Er hat den Posten mit seinem Messer getötet, das war keine Finte. Ich habe auch in seinen Augen gelesen, daß er uns mit absoluter Ehrlichkeit begegnet.“ Siri-Tong musterte den heruntergekommenen, nur in Lumpen gehüllten Mann und meinte: „Er muß die, die dort unten in den Iglus leben, hassen wie nichts anderes auf der Welt. Er will sich für irgendetwas rächen.“ „Weißt du, was ich denke?“ sagte Hasard. „Nein. Ich ahne es nicht einmal.“ „Er hat einmal zu ihnen gehört. Er ist einer von ihrem Stamm.“ 10. Ben Brighton war mit einem Teil der Crew auf der „Isabella“ geblieben. Acht Mann hatten sich indes mit den beiden Jollen auf den Weg zur Bachmündung begeben - je vier in einem Boot. Al Conroy hockte mit dem Kutscher, Smoky und Blacky in dem ersten Boot und gab die Richtung an. Old O'Flynn war der Führer der zweiten Jolle, und in seiner Begleitung befanden sich als Rudergasten Pete Ballie, Gary Andrews und Matt Davies. Somit waren außer Ben Brighton als Besatzung der „Isabella“ nur Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey, Luke Morgan, Will Thorne, Bill, der Moses, und Stenmark, der Schwede, zurückgeblieben. Hasard junior und Philip junior standen, nachdem sie Sir John ins Mannschaftslogis hatten sperren können, mit den Männern am Schanzkleid und blickten den Davonpullenden mit gemischten Gefühlen
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nach. Arwenack saß mit zerknirschter Miene in den Hauptwanten, obwohl er natürlich nicht begriff, um was es ging. Ben Brighton bedauerte es zwar, nicht aktiv an dem teilhaben zu können, was nun kommen mußte, aber Befehl war Befehl. Er hatte während Hasards Abwesenheit das Kommando auf der „Isabella“, und damit basta. Denen, die bei ihm geblieben waren, war, zwar auch anzusehen, daß sie das Verweilen an Bord der Galeone als eine Art Strafe betrachteten, aber ganz ohne Crew konnte die „Isabella“ schließlich nicht bleiben. Acht Mann, das war die Mindestzahl für den Fall, daß sie manövrieren und vielleicht auch noch die Kanonen einsetzen mußten. Die Boote glitten auf den torbogenähnlichen Einlaß der Grotte zu, dann mußten sich die Rudergasten gegen die Strömung des Baches stemmen. Sie arbeiteten verbissen und gelangten jetzt nur noch langsam voran. Trotz der schneidenden Kälte begannen sie in ihrer Kleidung zu schwitzen. Al Conroys Jolle verschwand in der finsteren Höhle. Wenig später hatte der gähnende Felsenrachen auch das zweite Boot mit Old O'Flynn, Pete, Gary und Matt verschlungen. Das Eintauchen der Riemen ins Wasser klang in der Grotte überlaut. Die Boote schienen nicht mehr voranzukommen und bewegten sich offenbar auf der Stelle Donegal Daniel O'Flynn stieß einen saftigen Fluch aus. Dann aber stellte sich heraus, daß sie alle einer Täuschung aufgesessen waren. Immer noch schoben sich die Boote langsam gegen die Strömung voran, aber das war erst wieder zu sehen, als sie die Grotte verließen. Etwas weiter aufwärts wurde es leichter, gegen die Strömung anzupullen. Bald war die Stelle erreicht, an der sich Al Conroy von Hasard, Siri-Tong, dem Profos, Shane, Ferris, Dan und dem Gambia-Mann getrennt hatte. Al, der vorn im Bug seiner Jolle kniete, hielt nach den sechs Männern und der Korsarin Ausschau, konnte sie aber nirgends entdecken. Da er wußte, daß
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sie sich weiter landeinwärts gewandt hatten, ließ er weiter bachaufwärts pullen, in der Hoffnung, bald eine Biegung zu entdecken, die weiter westlich und damit in die Nähe der Kameraden führte. Diese Biegung tauchte bald auf. Nicht sehr viel später pullten die acht Männer der „Isabella“ auf bizarre, nicht sonderlich hohe Felsen zu, die wie Spukerscheinungen aus der Nacht wuchsen — und sie staunten nicht schlecht, als der Bach sich plötzlich zu einem See von offenbar beachtlichen Ausmaßen erweiterte. Drüben, am Nordufer, flackerte Fackellicht, und Al Conroy konnte durchs Spektiv die Behausungen und die Kajaks und Umiaks an den hölzernen Anlegern erkennen. Er drehte sich zu seinen Kameraden um und sagte gedämpft: „Pullt, was das Zeug hält. Wir haben den Schlupfwinkel dieser Küstenpiraten gefunden — und Hasard und die anderen sind bestimmt auch schon nah dran.“ Ajataq, der Eskimo, trug die beiden Musketen, die er den von ihm getöteten Wachtposten abgenommen hatte — in jeder Hand eine. Hasard pirschte dicht hinter ihm hart am Rand des Iglu-Lagers entlang und fragte sich in diesem Moment, ob der Mann wohl auch wirklich mit den Feuerwaffen umzugehen vermochte. Gleichzeitig sagte er sich aber auch, daß dies nicht der Zeitpunkt war, irgendwelche Zweifel zu hegen. Der Abstieg aus den Felsen hatte ihnen keinerlei Schwierigkeiten bereitet, auch das Anschleichen bis zum Lager war erstaunlicherweise ohne Komplikationen abgelaufen. Das lag einzig und allein an der Führung Ajataqs. Er wußte, wo Wächter postiert waren und wo nicht. Jetzt aber verharrte der Eskimo. Hasard glitt neben ihn. Ajataq deutete auf die Gestalten, die sich jenseits der am weitesten westlich stehenden Steiniglus bewegten. Vier, fünf — nein, noch mehr Eskimos. Es waren fast zehn, und sie waren alle mit Musketen oder Pistolen
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bewaffnet. Es schien so, als befürchteten sie einen Überfall auf ihr Versteck. Bei den Anlegern, das entdeckte Hasard in diesem Augenblick, standen auch die vier Minions der „Ulysses“. Ein überzeugenderes Indiz als dieses gab es nicht. Die Eskimos waren tatsächlich diejenigen, die die „Ulysses“ auch das erste Mal überfallen und völlig ausgeplündert hatten. Wenn jemand für den Tod von Auger, O'Connors, Mulkenny, Hemmings, Bascomb, Jerrold und Macaulay verantwortlich war, dann mußten sie es sein. Hasard glaubte jetzt kaum noch daran, die sieben Männer der Karavelle lebend anzutreffen. Ajataq traf Anstalten, auf die Eskimos loszugehen, aber Hasard stoppte ihn durch eine Geste. Er wies auf Ferris Tucker und Dan O'Flynn. Die traten jetzt nämlich mit einer Flaschenbombe in Aktion. Sie krochen zur Rückseite eines Steiniglus, deponierten die mit Pulver, Eisen, Blei und Glas gefüllte Flasche am Fundament, entfachten die Lunte — und kehrten zu ihren gespannt wartenden Kameraden zurück. Die Lunte brannte ab, die Flasche ging mit einem krachenden Kanonendonner hoch, der Iglu flog auseinander, und sie mußten aufpassen, nicht von den umherwirbelnden Steintrümmern getroffen zu werden. Die Eskimos schrien durcheinander und rannten auf die Stätte des Geschehens zu, fassungslos, und in hellem Aufruhr. Ajataq wies auf die Höhle am Westufer, immer wieder auf die Höhle. Er schien begriffen zu haben, was der Seewolf wollte. Hasard vertraute darauf und setzte alle seine Hoffnungen in diese Vermutung. Er stürmte lös, um zuallererst die Gefangenen zu befreien, die sich wenn überhaupt - in der erhellten Höhle zu befinden schienen. Er jagte dem Seeufer entlang und ließ das Lager hinter sich. Hinter ihm liefen SiriTong und die Männer, und keiner der Eskimos hatte sie bemerkt, weil ihre Aufmerksamkeit völlig durch die Explosion gefesselt war.
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Ajataq hatte abgestoppt und war hinter ihnen zurückgeblieben, aber das bemerkte der Seewolf erst etwas später. Er konzentrierte sich ganz auf die Höhle. Ein schmaler Pfad schien zu ihrem Eingang hinaufzuführen. Aber als er sein Ziel fast erreicht hatte, lösten sich zwei Gestalten aus dem Dunkel vor der steil aufragenden Felswand. Sie hoben Musketen, legten damit an und feuerten. Hasard sprang zur Seite und entging den tödlichen Ladungen. Ihm blieb nichts anderes mehr übrig, er mußte zurückschießen. Der Radschloß-Drehling spuckte dreimal Feuer und Blei, und im Blitzen der Mündungsflammen brachen die Wächter der Höhle zusammen. Siri-Tong, Carberry und Shane waren dicht hinter Hasard und sicherten nach links und rechts. Ferris Tucker, Dan O'Flynn und Batuti hielten ihnen den Rücken frei, denn auf das Krachen der Schüsse hin hetzten jetzt doch einzelne Gestalten aus Richtung des Lagers herüber. Sie schossen mit Musketen, Arkebusen und Pistolen. Ferris, Dan und der schwarze Herkules aus Gambia erwiderten das Feuer und schleuderten den Gegnern schließlich eine weitere Höllenflasche zwischen die Beine - bevor sie ihnen zu dicht auf den Pelz rücken konnten. Hasard hatte den Pfad, der zur Höhle hinaufführte, erreicht. Er hastete ihn hinauf, verharrte und sicherte am Eingang zum Inneren der Grotte hin. Dann sprang er mit einem Satz ins Innere und blieb mit abgespreizten Beinen, den RadschloßDrehling im Anschlag, vor einer Schar ausgemergelter, erbarmungswürdiger Gestalten stehen, die sich umgedreht hatten und ihn aus angstgeweiteten Augen anstarrten. Mehr als zwei Dutzend Männer waren das - Weiße und Eskimos, abgemagert bis auf die Knochen, mit tiefen Schatten unter den Augen. Fast alle hatten sie buschige Bärte. Es erschien grotesk und widersinnig, daß ausgerechnet sie Pickel, Äxte und andere Werkzeuge in den Fäusten hielten, mit denen sie offenbar das Ende des kurzen
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Stollens bearbeitet hatten. Granithartes Gestein! Wie konnten sie überhaupt noch die Kraft aufbringen, das Werkzeug anzuheben und damit zuzuschlagen? Hasard beschloß, auf gut englische Art Licht in die Angelegenheit zu bringen. Während draußen die Schüsse krachten, die Flaschenbomben detonierten und der Kampf hin und her tobte, wandte er sich auf Englisch an die jammervollen Gestalten. „Gentlemen“, sagte er. „Wir sind hier, um Sie zu befreien. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir verraten würden, wer von Ihnen Kapitän Cyril Auger von der ,Ulysses` ist.“ Wankenden Schritts näherte sich ihm ein etwa fünfeinhalb Fuß großer, in zerfetzte Lumpen gehüllter Mann, den man für einen Greis gehalten hätte, wenn seine langen Haare schlohweiß, statt dunkelbraun gewesen wären. Diesem Mann standen die Tränen in den Augen, als er antwortete: „Das bin ich, Sir. Aber wie kann es angehen, daß Sie ...“ „Die Flaschenpost. Wir haben sie aus der See gefischt.“ „Das darf nicht wahr sein ...“ „Das ist eine Fügung des Himmels“, murmelte ein anderer Gefangener. „Mein Name ist Patrick O'Connors, Sir, und ich will Ihnen ehrlich sagen: Mit unserer Rettung hatten wir nicht mehr gerechnet.“ „Die anderen“, sagte Hasard. „Dalton Mulkenny, Joel Hemmings ...“ „Hier“, antworteten ihm zwei andere gleichzeitig. „Marvin Bascomb, Vance Herrold und Floyd Macaulay?“ Auch diese drei meldeten sich. Sie alle schämten sich der Tränen, die ihnen über die Wangen rannen, nicht, und auch der Seewolf hatte volles Verständnis für die Reaktion, die das überraschende Auftauchen der Retter in ihnen hervorgerufen hatte. „Welche Bedeutung hat dieser Stollen?“ fragte der Cyril Auger. „Gold - er war von der Idee besessen, hier Gold zu finden.“ „Er?“
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„Der Mann, der die Eskimos aufgewiegelt hat. Der Mann, der Ajataq, den Häuptling dieses Stammes, verjagt und das Kommando im Lager übernommen hat.“ „Ajataq - mein Gott, jetzt verstehe ich, warum er uns geholfen hat“, sagte Hasard. „Aber wer ist dieser Verbrecher?“ „Haben Sie ihn nicht gesehen? Ein hochaufgeschossener Franzose - er heißt Fagaralle. Er muß irgendwo dort draußen sein und gegen Ihre Leute kämpfen. Es sind doch Ihre Leute, die schießen, Sir ...?“ „Ja. Mein Name ist Killigrew. Philip Hasard Killigrew“, sagte Hasard. Er deutete auf die Eskimos, die ratlos und apathisch dastanden. „Diese Leute, sind das Ajataqs letzte Getreue?“ „Ja. Fagaralle hat sie zur Zwangsarbeit gepreßt, ehe sie weglaufen konnten. Das war vor fünf oder sechs Monaten. Im Januar hat er auch uns gefangen genommen und uns seitdem umschichtig schuften lassen - um diesen Wahnwitz hier zu vollbringen.“ „Es gibt kein Gold in Labrador.“ „Auch ich bin davon überzeugt.“ „Sir“, sagte Hasard zu Auger. „Sie haben doch die Sprache der Eskimos sicher ein wenig gelernt, nicht wahr?“ „Ja.“ „Dann erklären Sie diesen armen Teufeln, daß sie jetzt frei sind.“ Hasard wandte sich mit diesen Worten ab und kehrte ins Freie zurück, um seinen Kameraden bei dem Kampf gegen Fagaralle und die Eskimos beizustehen. * Aber die Entscheidung war bereits gefallen. Fagaralle, eine hohe, schlanke Gestalt zwischen den pelzvermummten, gedrungeneren Gestalten der KajakMänner, war zu den Minions gelaufen, um sie gegen die Eindringlinge einzusetzen. Doch da waren die beiden Jollen der „Isabella“ heran, und Al Conroy, Old O'Flynn und die sechs anderen griffen handfest in das Geschehen ein, indem sie Flaschenbomben warfen. Die Explosionen erfolgten Schlag auf Schlag, das Grollen
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hallte von den Bergwänden wider, die Kajaks und Umiaks an den Anlegern zerbrachen, die hölzernen Piers zerknickten, Feuer und Rauch hüllten die 4-Pfünder-Geschütze ein und schlugen den Franzosen und seine Mitstreiter in die Flucht. Siri-Tong wollte Ajataq noch zurückhalten; aber der Häuptling des Stammes hetzte den Flüchtenden nach und war kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden. Hasard blieb stehen und drehte sich zur Höhle um. Die befreiten Eskimos erschienen im Freien und stimmten ein Jubelgeschrei an. Sie liefen den Pfad hinunter, rannten zum Lager und klaubten hier und da Waffen auf, die die abtrünnigen Stammesbrüder in ihrer Panik von sich geschleudert hatten. Sie hasteten Ajataq nach, so schnell sie konnten. Hasard wollte ihnen nacheilen, aber Cyril Auger war heran und sagte: „Mister Killigrew, lassen Sie es. Sie werden dafür sorgen, daß die Bande nie wieder hierher zurückkehrt. Fagaralles Meute ist zersprengt, und Ajataq will jetzt dafür sorgen, daß die Flüchtigen dermaßen verunsichert werden, daß sie sich zu keinem Angriff auf das Iglu-Dorf erdreisten. „Das heißt, die Eskimos werden das Lager wieder neu aufbauen?“ „Ja. Ajataq ist zu seinem Stamm zurückgekehrt. Sein Platz ist hier, nirgendwo anders.“ „Und Sie, Mister Auger? Ist Ihr Platz inzwischen auch hier?“ „Vorläufig ja“, erwiderte der abgemagerte, zerlumpte Mann lächelnd. Ja, er konnte schon wieder lächeln. „Vielleicht können wir das Wrack der ,Ulysses` eines Tages reparieren.“ „Ich glaube, Sie schaffen es. Ich lasse Ihnen Werkzeug und Material hier, damit Sie an die Arbeit gehen können, sobald Sie und Ihre Männer wieder zu Kräften gelangt sind“ Er blickte Auger fest an. „Es sei denn, Sie wollen mich und meine Crew an Bord der ,Isabella VIII.` begleiten, Sir.“ „Segeln Sie zurück nach England? Sie sind doch Engländer, nicht wahr?“
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„Ja. Aber unser Kurs führt uns nach Norden.“ „Sagen Sie nicht, daß Sie die Passage finden wollen.“ „Zumindest suchen will ich sie.“ „Ich habe daran kein Interesse mehr ...“ „Das verstehe ich.“ „Haben Sie mein Schiff gesehen, Mister Killigrew?“ „Ja. Und ich habe auch Ihr Tagebuch gefunden.“ „Ich schrieb die Flaschenpost mit einem Karibu-Knochen, den ich in angefeuchtete Asche geschoben hatte“, erklärte ihm Auger. „In einem günstigen Augenblick warf ich sie in den See, aber ich hätte nie ernsthaft damit gerechnet, daß sie auf dem Weg durch den Bach ins Meer hinaustreiben würde.“ „Sir“, entgegnete der Seewolf. „Nach all dem Pech, das Sie gehabthaben, mußte Ihnen das Glück eines Tages doch noch einmal hold sein, finden Sie nicht auch?“ „Keiner von uns hoffte darauf.“
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„Wissen Sie was?“ sagte Hasard. „Meine Männer und ich werden die Wrackteile der ,Ulysses` von dem Riff bergen und hierher schaffen.“ „Auch das wollen Sie für uns tun?“ „Das ist doch Ehrensache“, sagte die Rote Korsarin im Nähertreten. „Und ich helfe auch dabei mit, soviel ist sicher. Darf ich mich auch bekannt machen, Sir? Mein Name ist Siri-Tong.“ Cyril Auger deutete verwirrt eine Verbeugung an. Erst die Rettung, und jetzt auch noch eine betörend schöne exotische Frau — das war fast zuviel für ihn. „Mister Auger“, sagte Siri-Tong lächelnd. „Sie können sich sogar für diese Hilfeleistung revanchieren. Ich wette, Sie wissen nicht einmal, wie ...“ „Nein, weiß der Himmel nicht!“ „Sie werden uns ein bißchen von der Eskimo-Sprache beibringen“, sagte sie. „Damit wäre uns wirklich gedient, denn wie ich diesen schwarzhaarigen Riesenkerl hier kenne, führt uns unser Kurs doch noch bis nach Thule und zu den Eisbären ...“
ENDE