Sandra Buchholz Die Flexibilisierung des Erwerbsverlaufs
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Sandra Buchholz Die Flexibilisierung des Erwerbsverlaufs
VS RESEARCH Life Course Research Herausgegeben von Prof. Dr. Steffen Hillmert, Universität Tübingen
Sandra Buchholz
Die Flexibilisierung des Erwerbsverlaufs Eine Analyse von Einstiegsund Ausstiegsprozessen in Ost- und Westdeutschland
Mit einem Geleitwort von Steffen Hillmert
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Bamberg, 2008
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16099-3
Geleitwort
Flexibilisierung der Erwerbsarbeit ist in den letzten Jahren sowohl in der öffentlichen Diskussion wie auch innerhalb der Sozialwissenschaften ein prominentes Thema geworden; oft genug im Sinne eines Schlagwortes, das entweder eine positive Utopie oder ein Schreckensbild der Gegenwart und Zukunft der Erwerbsarbeit verkörpert. Die vorliegende Arbeit hebt sich wohltuend von einer pauschalisierenden Debatte ab, indem sie Flexibilisierungsprozesse auf dem (gesamt-)deutschen Arbeitsmarkt detailliert empirisch analysiert. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Ungleichheit: Sind Flexibilisierungsprozesse am Arbeitsmarkt universell oder gruppenspezifisch? Allerdings steht hier weniger die qualifikationsbasierte Segmentierung des Arbeitsmarktes im Zentrum der Analyse, sondern die lebensverlaufsbeziehungsweise altersbezogene Dimension der Arbeitsmarktflexibilisierung. Die Analysen von Sandra Buchholz zeigen, dass es keine durchgängige Deregulierung des Arbeitsmarktes gibt; vielmehr existiert offensichtlich weiterhin ein ausgedehnter Kern von geschützten (überwiegend männlichen) Normalarbeitsverhältnissen. Daneben gibt es allerdings nennenswerte Flexibilisierungstendenzen. Diese werden gerade dann deutlich, wenn man die „Ränder“ des Arbeitsmarktes in einer lebensverlaufsorientierten Perspektive definiert, nämlich bei den Einstiegen in den Beruf und den Ausstiegen aus dem Erwerbsleben. Während Berufseinsteiger zunehmend von Befristungen betroffen sind, geht eine große Zahl älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Vorruhestand über; häufig geschieht dies auch über den Umweg der Arbeitslosigkeit. Es ist das besondere Verdienst dieser Arbeit, Ein- und Ausstiegsprozesse gemeinsam zu betrachten. So wird deutlich, dass von universellen Tendenzen der Individualisierung beziehungsweise De-Standardisierung von Erwerbsverläufen nicht sinnvoll gesprochen werden kann. Dies gilt auch, weil die konkreten Flexibilisierungen für die Lebenssituation der Betroffenen unterschiedliche Risikopotentiale darstellen; Buchholz argumentiert, dass gerade die Situation ungesicherter Berufseinsteiger eine wachsende Ungleichheit zwischen den Generationen repräsentiert, die Folgen für die Gesellschaft (etwa in Gestalt der demografischen Entwicklung) insgesamt hat. In diesem Sinne beschreibt die Studie in erster Linie eine bestimmte historische Konstellation, deren weitere Entwicklung zu beobachten ist.
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Geleitwort
Klar ist indes auch, dass keine einfachen Verschiebungen zwischen diesen Erwerbsgruppen möglich sind und die Frühverrentung angesichts der Probleme der Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung und im Zuge eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels keine einfache Lösung für die Arbeitsmarktprobleme jüngerer Generationen darstellt. Neben der aufschlussreichen Beschreibung der deutschen Situation vermittelt die Arbeit aber auch systematische Einsichten für die Lebensverlaufsforschung. Dies wird an der Frage nach gemeinsamen Ungleichheitsdimensionen für Berufseinsteiger und -aussteiger deutlich. Während sich inter-individuelle Unterschiede in der Situation der Berufseinsteiger vor allem an Individualmerkmalen – und hier insbesondere dem Qualifikationsniveau – festmachen lassen, wird die konkrete Situation beim Erwerbsausstieg vor allem durch strukturelle Merkmale, insbesondere Betriebs- und Branchenmerkmale, bestimmt. Diese Befunde verweisen auf wichtige Fragen der möglichen Lebensverlaufsabhängigkeit von Ungleichheitsmerkmalen. Allerdings handelt es sich bei den analysierten Ein- und Aussteigern um unterschiedliche Geburtskohorten. Zukünftige Forschung muss daher zeigen, inwieweit es sich bei diesen offensichtlichen Unterschieden um einen lebensverlaufs- oder eher um einen kohortenbezogenen Effekt handelt. Dies ist das zweite Buch, welches in der neuen Reihe Life Course Research von VS Research veröffentlicht wird. Es freut mich, als Herausgeber dieser Reihe fungieren zu können. In ihr sollen in regelmäßiger Folge deutsch- und englischsprachige empirische Forschungsarbeiten publiziert werden, welche sich mit dynamischen Analysen des Lebensverlaufs beschäftigen. Gesellschaftsvergleichende Arbeiten sind besonders willkommen. In diesem Sinne setzt die Arbeit von Sandra Buchholz diese Reihe in idealer Weise fort. Ich wünsche diesem Buch viele aufmerksame Leserinnen und Leser.
Steffen Hillmert
Vorwort
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Auswirkungen zunehmender Arbeitsmarktflexibilisierung auf Erwerbsverläufe in der Bundesrepublik Deutschland. Es handelt sich um eine Dissertation, die entstanden ist im Rahmen des durch die Volkswagen Stiftung geförderten Forschungsprojektes GLOBALIFE unter Leitung von Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) sowie im Rahmen des DFG-Projektes flexCAREER unter Leitung von Prof. Dr. Hans-Peter Blossfeld und Prof. Dr. Karin Kurz (Universität Leipzig). Mein Dank gilt verschiedenen Institutionen: der Volkswagen Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, dem Bamberger Staatsinstitut für Familienforschung, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Meine Arbeit wäre in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen ohne die großartige Unterstützung verschiedener Menschen. Zuerst danke ich meinen Betreuern und Mentoren Hans-Peter Blossfeld und Karin Kurz, die meine wissenschaftliche Ausbildung von Anfang an begleitet und mich stets gefördert haben. Zudem danke ich allen Kollegen und Kooperationspartnern der beiden Forschungsprojekte GLOBALIFE und flexCAREER sowie meinen Kollegen am Lehrstuhl für Soziologie I an der Universität Bamberg für bereichernde Diskussionen, wertvolle Anregungen und ihre Unterstützung – insbesondere danke ich Daniela Grunow, Dirk Hofäcker und Thorsten Schneider. Jan und Brigitte Bachmann danke ich für hilfreiches Feedback zu früheren Fassungen meiner Arbeit und intensives Korrekturlesen. Ein großes Dankeschön gebührt Kathrin Kolb, Ilona Relikowski und Dagmar Zanker für ausgezeichnete Recherchen und die zuverlässige Verwaltung und Pflege meiner Literatur. Steffen Hillmert danke ich für seine Unterstützung bei der Veröffentlichung meiner Doktorarbeit in der Reihe Life Course Research von VS Research. Ganz besonderer Dank an Jan und unsere beiden Familien. Trotz der großen Unterstützung von vielen Seiten bin ich allein verantwortlich für das Endergebnis.
Sandra Buchholz
Inhalt
Einleitung
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Teil 1: Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland 1.1 Vorbemerkungen 1.2 Die Verlagerung von Marktrisiken im Globalisierungsprozess 1.3 Regulierungen und Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt 1.4 Das Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland? 1.5 Entwicklung des Forschungsansatzes: Flexibilisierung an den Rändern des Arbeitsmarktes
15 16 21 27 37
Teil 2: Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in der Bundesrepublik Deutschland 2.1 Vorbemerkungen 41 2.2 Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre 47 2.2.1 Der Einstieg ins Erwerbsleben und seine Flexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland 47 2.2.2 Hypothesen 52 2.2.3 Daten und Methoden 57 2.2.4 Ergebnisse der empirischen Analysen 62 2.2.5 Zwischenfazit 90 2.3 Exkurs: Beschäftigungsunsicherheit und Geburtenrückgang 92
Teil 3: Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in der Bundesrepublik Deutschland 3.1 Vorbemerkungen 99 3.2 Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre 104 3.2.1 Das deutsche Rentensystem und die Flexibilisierung des Erwerbsaustritts in der Bundesrepublik Deutschland 104
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3.2.2 Die Auswirkungen wirtschaftlichen und technologischen Wandels auf die Situation älterer Arbeitnehmer 3.2.3 Hypothesen 3.2.4 Daten und Methoden 3.2.5 Ergebnisse der empirischen Analysen 3.2.6 Zwischenfazit 3.3 Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung 3.3.1 Der ostdeutsche Arbeitsmarkt nach der Wiedervereinigung 3.3.2 Alterserwerbstätigkeit und die Flexibilisierung des Erwerbsaustritts in den neuen Bundesländern 3.3.3 Hypothesen 3.3.4 Daten und Methoden 3.3.5 Ergebnisse der empirischen Analysen 3.3.6 Zwischenfazit 3.4 Exkurs: Chancen einer erfolgreichen Umkehr des Frühverrentungstrends
Inhalt
111 114 118 122 132 133 133 134 138 142 144 158 160
Teil 4: Zusammenfassung und Diskussion
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Anhang
183
Literatur
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Einleitung
Die Forderung nach mehr Flexibilität und Deregulierung des Arbeitsmarktes ist in der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten immer lauter geworden. Als Reaktion wurden am deutschen Arbeitsmarkt verschiedene Deregulierungen durchgeführt – beispielsweise mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 und seinen rechtlichen Nachfolgeregelungen. Einerseits ist die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes mit der Hoffnung auf verbesserte Konkurrenzfähigkeit auf globalisierten Märkten verbunden, andererseits aber auch mit der Furcht vor wachsender Unsicherheit und Arbeitslosigkeit. Nicht in allen modernen Industrieländern gibt es eine derartig starke Diskussion über die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Ein wichtiger Hintergrund für die ausgeprägte Diskussion in Deutschland ist die traditionell hohe Arbeitsplatzsicherheit. Im internationalen Vergleich wird die Bundesrepublik Deutschland als ein Land charakterisiert mit einem relativ regulierten und rigiden Arbeitsmarkt. Im Gegensatz zu eher liberalen Wirtschaftssystemen investieren die Akteure am deutschen Arbeitsmarkt wechselseitig in ihre Beziehungen und bauen auf eine langfristige, vertrauensbasierte Kooperation miteinander. Hier hat sich im Zuge der Industrialisierung und in der Nachkriegszeit das sogenannte Normalarbeitsverhältnis als vorherrschendes Erwerbsmuster für abhängig Beschäftigte und als rechtskonstruktiver Bezugsrahmen am Arbeitsmarkt herausgebildet (Mückenberger 1985b: 458). Normalarbeitsverhältnisse sind dabei hoch abgesicherte und regulierte Beschäftigungsverhältnisse unbefristeter Natur, die auf Vollzeiterwerbstätigkeit basieren und sich langfristig auf einen oder wenige Arbeitgeber konzentrieren (vgl. z.B. Mückenberger 1985a: 422f.; Kress: 1998: 490; Hoffmann und Walwei 1998b: 410; Bosch 2001: 220f.). Mit dieser Entwicklung ging auch die Standardisierung von Lebens- beziehungsweise Erwerbsverläufen einher (Kohli 1985). Seit Anfang der 1980er Jahre sowie mit dem Ende des Wirtschaftswachstums und dem Ende der Zeiten der Vollbeschäftigung ist das Konzept des Normalarbeitsverhältnisses jedoch immer mehr in den Mittelpunkt der Diskussion geraten. Ein wichtiger Kritikpunkt war und ist, dass das Normalarbeitsverhältnis nicht mehr zeitgemäß sei und die Anpassungsfähigkeit des deutschen Arbeitsmarktes unter Bedingungen zunehmenden internationalen Wettbewerbs nachhal-
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Einleitung
tig hemme (vgl. z.B. Kress 1998: 493). In der Folge, so wird argumentiert, soll das Normalarbeitsverhältnis sowohl als empirische Realität aber auch als normativer Bezugspunkt des Arbeits- und Sozialrechts immer mehr zurückgedrängt worden sein (Mückenberg 1985b: 457ff.).
Warum Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozesse? Anknüpfend an diese Diskussion um die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland wurde in jüngerer Zeit eine Reihe von empirischen Arbeiten und Ergebnissen veröffentlicht (vgl. z.B. Hoffmann und Walwei 1998a, 1998b, 2000a, 2000b; Holst und Maier 1998; Bonß 1999, 2002; Wagner 2000; Krause, Hanesch und Bäcker 2000; Bosch 2001). Auch die vorliegende Arbeit setzt sich mit diesem Thema auseinander. Anders jedoch als viele der bereits vorliegenden Arbeiten wird hier auf zwei spezifische Übergänge im Erwerbsleben fokussiert – nämlich Erwerbseinstiegsprozesse von Bildungsabsolventen sowie Erwerbsausstiegsprozesse älterer Menschen beziehungsweise Verrentungsprozesse am deutschen Arbeitsmarkt. Warum wurden diese beiden Phasen im Erwerbsverlauf ausgewählt, um Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen? Ausgehend davon, dass der deutsche Arbeitsmarkt auch heute noch als vergleichsweise reguliert beschrieben wird und Deregulierungen bisher nur maßvoll vorgenommen wurden, stellt sich die Frage, wie Deutschland mit den gestiegenen Flexibilitäts- und Anpassungsanforderungen an Unternehmen und Märkte umgeht und diese kanalisiert. In der Tat zeigt sich, dass viele Beschäftigungsverhältnisse, vor allem die von Männern in der mittleren Erwerbsphase, auch heute noch dem Normalarbeitsverhältnis entsprechen und einen stabilen Charakter aufweisen (vgl. z.B. Wagner 2000; Kurz, Hillmert und Grunow 2006; Grunow 2006). Das heißt: Es handelt sich um unbefristete Vollzeitbeschäftigung mit langer Betriebszugehörigkeit. Bei genauerer Betrachtung der bisherigen Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt wird deutlich, dass diese vor allem auf die Flexibilisierung von Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozessen zielten. So wurden seit Mitte der 1970er Jahre umfassende Frühverrentungsprogramme eingeführt, um den Arbeitsmarkt zu entlasten und Unternehmen in Deutschland die Möglichkeit zu geben, sich innerhalb des vergleichsweise regulierten Arbeitsmarktes mit seinem hohen gesetzlichen Kündigungsschutz einfach von Mitarbeitern zu trennen und ihre Belegschaft „sozial verträglich“ zu reduzieren. Gleiches gilt für Erwerbseinstiegsprozesse. Diese haben mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 und seinen Folgeregelungen eine deutliche Flexibilisierung erlebt. Mit diesem
Einleitung
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Gesetz wurden die rechtlichen Bestimmungen für befristete Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland neu geregelt. Diese Neuregelungen betrafen vor allem Arbeitsverträge nach beruflicher Ausbildung sowie Neueinstellungen. Das heißt: Insbesondere junge Menschen nach Bildungsabschluss wurden am regulierten deutschen Arbeitsmarkt durch die Ausweitung befristeter Beschäftigung zu einer flexiblen Manövriermasse für Unternehmen gemacht. Somit scheint eine spezifische Betrachtung der sensiblen Übergänge zu Beginn und zum Ende des Erwerbslebens sehr lohnenswert, wenn das Ausmaß von Beschäftigungsflexibilisierung in der jüngeren Vergangenheit für die Bundesrepublik Deutschland untersucht und beurteilt werden soll. Datengrundlage und zeitlicher Bezugsrahmen der empirischen Analysen 1 Die empirischen Analysen in dieser Arbeit stützen sich vor allem auf die Daten des Sozio-Ökonomischen Panels. Für die Analyse von Erwerbsausstiegsprozessen in der Bundesrepublik Deutschland wurden zusätzlich die Daten der Geburtskohorte 1919 bis 1921 der Lebensverlaufsstudie hinzugezogen. Grund für diese Entscheidung ist, dass das Sozio-Ökonomische Panel erst für den Zeitraum ab 1984 Daten bereitstellt. Da die gesetzliche Flexibilisierung des Rentenalters jedoch bereits in den 1970er Jahren in Deutschland vorangetrieben wurde, wurden die empirischen Analysen zu Erwerbsausstiegsprozessen in Deutschland durch die Daten der Lebensverlaufsstudie ergänzt. Dies ist auch der Grund dafür, warum der zeitliche Bezugsrahmen für die beiden empirischen Teile in dieser Arbeit variiert. Die Analysen für Erwerbseinstiegsprozesse beziehen sich lediglich auf einen Zeitraum von 1984 bis 2002, da die Flexibilisierung der Position junger Menschen am deutschen Arbeitsmarkt erst ab Mitte der 1980er Jahre und mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz maßgeblich vorangetrieben wurde. Dagegen decken die empirischen Analysen für die Flexibilisierung von Erwerbsausstiegsprozessen in der Bundesrepublik Deutschland einen Zeitraum von Mitte der 1970er Jahre bis 2002 ab, um bereits die Entwicklungen nach der Rentenreform von 1972 einbeziehen zu können. Die vorliegende Studie beschreibt die Veränderung der Situation älterer und jüngerer Menschen am Arbeitsmarkt für Westdeutschland seit Mitte der 1970er beziehungsweise Mitte der 1980er Jahre sowie für Ostdeutschland nach der Wende. In die empirischen Untersuchungen von Erwerbseinstiegsprozessen wurden zudem junge Menschen nicht-deutscher Herkunft (d.h. Kinder ehemali1
Für eine genaue Beschreibung der in dieser Arbeit genutzten Daten siehe die nachfolgenden Kapitel 2.2.3, 3.2.4 sowie 3.3.4.
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Einleitung
ger Gastarbeiter) einbezogen. Für die Analyse von Erwerbsausstiegsprozessen konnten Migranten nicht berücksichtigt werden, da in der Lebensverlaufsstudie nur Daten zu Menschen mit westdeutscher Nationalität vorliegen. Zudem beschränken sich die Ergebnisse von Verrentungsprozessen in Westdeutschland – anders als die Analysen für Ostdeutschland – lediglich auf Männer. Der Hintergrund für diese Beschränkung ist, dass die Erwerbsbeteiligung von (älteren) westdeutschen Frauen, besonders in den untersuchten Geburtskohorten, sehr gering war, so dass nur in sehr begrenztem Maße Daten zur Analyse vorlagen.
Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Teil werden der konzeptionelle Rahmen sowie der Forschungsansatz ausgeführt. Hier wird darauf eingegangen, inwiefern Arbeitgeber in Deutschland überhaupt flexible Beschäftigungsverhältnisse durchsetzen können und inwiefern von einem Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland überhaupt gesprochen werden kann. Dieser erste Teil der Arbeit schließt ab mit der These, dass bisher vor allem jüngere und ältere Menschen von Beschäftigungsflexibilisierung in Deutschland betroffen waren. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Flexibilisierung von Erwerbseinstiegsprozessen in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre, der dritte Teil mit der Flexibilisierung von Erwerbsausstiegsprozessen in Deutschland seit Mitte der 1970er Jahre. In diesen beiden Teilen der Arbeit finden sich die Ergebnisse der empirischen Analysen sowie die Darstellung der institutionellen Rahmenbedingungen für Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland. Der spezifische Forschungsbeitrag im jeweiligen Feld sowie die genutzten Daten und Methoden werden jeweils in diesen beiden Teilen ausgeführt. Die Arbeit schließt im vierten Teil mit einer Zusammenfassung und Diskussion.
Teil 1: Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
1.1 Vorbemerkungen Die Zunahme von Beschäftigungsflexibilität ist in der Bundesrepublik Deutschland seit einigen Jahren ein viel diskutiertes Thema. Es scheint für viele kein Zweifel daran zu bestehen, dass der Arbeitnehmer von heute im höchsten Maße flexibel sein muss (vgl. z.B. Beck 1986, 2002; Sennett 1998; Voß und Pongratz 1998; Bonß 1999, 2002; Bonß und Zinn 2003). Die Zeiten einer langfristigen Anstellung bei demselben Arbeitgeber und in demselben Beruf, die sichere Karriereentwicklung sowie stabile Erwerbsmuster seien längst vorüber und Relikte aus vergangenen Zeiten des Wirtschaftswachstums: „[…] mit dem Rückgang des Wirtschaftswachstums in den 1970er und 1980er Jahren, mit der Normalisierung der Massenarbeitslosigkeit, aber noch nachhaltiger: mit dem Übergang von der industriellen Gesellschaft zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft geraten die Kerninstitutionen des Lebenslaufs selbst in den Strudel der Modernisierung. […] So wird das Normalarbeitsverhältnis in Gestalt unbefristeter Vollzeitbeschäftigung zum Auslaufmodell einer vergangenen historischen Epoche. […] Angesichts der radikalen Flexibilisierung der Produktion und sich ständig ändernder Arbeitsmarktbedingungen dürfen Menschen weder mit einer bestimmten Arbeit noch an einen bestimmten Ort allzu fest zusammenwachsen: [sie] sind vielmehr mit prinzipiellen Mobilitätsanforderungen konfrontiert und können nicht mehr mit Beschäftigungsverhältnissen rechnen, die zeitlich und örtlich von Dauer sind.“ (Bonß und Zinn 2003: 34-35)
Im Folgenden soll der konzeptionelle Rahmen für die vorliegende Arbeit entwickelt und ein genauerer Blick auf die Diskussion um Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland geworfen werden. Es wird dabei die These entwickelt, dass – anders als oben propagiert – Erwerbsverläufe in Deutschland noch weit entfernt sind von einer grundlegenden Flexibilisierung: Viele Arbeitnehmer, insbesondere Männer in der mittleren Karrierephase, sollen auch heute noch eine vergleichsweise sichere, kontinuierliche und stabile
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
Erwerbssituation vorfinden – zum einen, da sie durch die relativ umfassenden Arbeitsmarktregulierungen in Deutschland vor einer Flexibilisierung nach wie vor institutionell geschützt sind; zum anderen, weil Arbeitgeber trotz gestiegener Flexibilitätsanforderungen auch heute noch ein großes Interesse daran haben, qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter zu halten. Vielmehr soll Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren vor allem an den Rändern des Arbeitsmarktes stattgefunden haben – insbesondere durch die verzögerte Eingliederung junger Menschen ins Erwerbsleben und durch die beschleunigte Ausgliederung älterer Menschen aus dem Erwerbsleben. Der Aufbau des vorliegenden ersten Teils ist wie folgt: Im ersten Schritt wird kurz auf die Hintergründe zunehmender Flexibilitätsbedarfe von Arbeitgebern eingegangen. Im zweiten Schritt werden die hiesigen Arbeitsmarktregulierungen und -deregulierungen dargestellt, um die Möglichkeiten und Grenzen von Arbeitnehmerflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland zu bewerten. In einem dritten Schritt wird der Frage nachgegangen, inwiefern (empirisch) von einem Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland gesprochen werden kann. Basierend auf diesen Darstellungen wird abschließend die These entwickelt, dass Beschäftigungsflexibilisierung in Deutschland vor allem über die Flexibilisierung bestimmter Gruppen, insbesondere jüngerer und älterer Erwerbspersonen, stattgefunden hat.
1.2 Die Verlagerung von Marktrisiken im Globalisierungsprozess Bis Anfang der 1970er Jahre war die Situation in der Bundesrepublik Deutschland – wie auch in anderen entwickelten Industrieländern – von wirtschaftlicher Stabilität, Wachstum, Vollbeschäftigung und sozialem Frieden geprägt. Seither zeichnet sich mit dem verstärkten wirtschaftlichen Wettbewerb und mit den steigenden Arbeitslosenquoten eine deutliche Veränderung in modernen Ländern ab. Häufig wird diese Veränderung auf zunehmende Globalisierung zurückgeführt (vgl. z.B. Standing 1989, 1997; Robertson 1990, 1992; Beck 1997, 2000; Kaufmann 1998; Alasuutari 2000; Held et al. 2000; Waters 2001; Blossfeld 2003; Castells 2004; Mills und Blossfeld 2005).2
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Sicherlich handelt es sich beim Globalisierungskonzept auch um ein umstrittenes Konzept. Für eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema siehe beispielsweise Trinczek (1999), Goldthorpe (2003) oder Donges, Menzel und Paulus (2003).
Die Verlagerung von Marktrisiken im Globalisierungsprozess
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Merkmale des Globalisierungsprozesses Grundsätzlich wird Globalisierung als ein Bündel von Prozessen verstanden, die zu wachsender internationaler Vernetzung führen, mit dem Ergebnis, dass sich die Welt immer mehr in einen einzigen globalen Marktplatz verwandelt (Robertson 1992: 396; Alasuutari 2000: 259). Damit ist Globalisierung sicherlich kein grundsätzlich neues Phänomen, das sich erst in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten abzeichnet (Robertson 1990: 27; Sutcliffe und Glyn 1999: 112; Alasuutari 2000: 260). Es ist aber wohl unumstritten, dass die Intensität und Reichweite grenzüberschreitender Interaktionsbeziehungen – seien es ökonomische Transaktionen oder informationelle, kulturelle und politische Austauschprozesse – in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten in den meisten Industrieländern schubartig zugenommen haben (Robertson 1990: 27; Sutcliffe und Glyn 1999: 112; Alasuutari 2000: 260; Held et al. 2000: 54; Castells 2004: 108; Blossfeld 2006: 2; Konjunkturforschungsstelle ETH Zürich 2006: 1). Vor allem mit den rasanten technologischen Fortschritten der vergangenen Jahre sowie mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der damit verbundenen schlagartigen Öffnung neuer Märkte wurde der grenzüberschreitende Austausch zwischen Ländern deutlich intensiviert und erreichte eine neue, bisher nicht da gewesene Qualität. Mills und Blossfeld (2005) spezifizieren den Globalisierungsprozess genauer als das Zusammenwirken von vier makrostrukturellen Entwicklungen, die sich seit Ende der 1970er Jahre und vor allem seit Beginn der 1980er Jahre zunehmend durchsetzen (vgl. Abbildung 1): Als ersten Prozess benennen sie die zunehmende Internationalisierung von Finanz-, Produkt- und Arbeitsmärkten. Güter, Dienstleistungen und auch Arbeitskraft können immer einfacher und immer kostengünstiger über Ländergrenzen hinweg ausgetauscht werden. Ehemals isolierte einzelne Nationen wurden damit in einem Weltmarkt integriert. Entsprechend haben Ländergrenzen für Marktprozesse und Austauschbeziehungen an Bedeutung verloren. Dies ermöglichte ganz neue Formen der Arbeitsteilung auf internationaler Ebene. Durch die zunehmende Internationalisierung von Märkten wurde, so Mills und Blossfeld (2005), ein verstärkter Standortwettbewerb zwischen Ländern ausgelöst. Vor allem seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Integration asiatischer Länder in den Weltmarkt konkurrieren Länder mit sehr unterschiedlichen Lohn- und Produktivitätsniveaus sowie verschiedenen Sozialstandards auf einem Weltmarkt. Um sich für diesen Wettbewerb zu wappnen und um das eigene Land wettbewerbsfähig zu halten, setzte sich in vielen Ländern zunehmend eine Politik der Deregulierung, Privatisierung und
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
Abbildung 1:
Globalisierung, wachsende Unsicherheit über künftige (Markt-) Entwicklungen und die Weitergabe von Marktrisiken an Arbeitnehmer durch Unternehmen (Synthese) GLOBALISIERUNG
Zunehmende Internationalisierung von Märkten und abnehmende Bedeutung von Ländergrenzen
Verstärkter Standortwettbewerb zwischen Ländern mit unterschiedlichen Lohn- und Produktivitätsniveaus
Wachsende Geschwindigkeit von Innovationen, beschleunigter sozialer und ökonomischer Wandel
Zunehmende weltweite Vernetzung durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien
Steigende Abhängigkeit nationaler Märkte von externen weltweiten Schocks
Beschleunigung von Marktprozessen auf allen Märkten
Zunehmende Verwundbarkeit von Märkten
Zunehmende Unsicherheit über künftige (Markt-) Entwicklungen
UNTERNEHMEN Wachsender Bedarf an (Beschäftigungs-) Flexibilität
Weitergabe von Marktrisiken an Arbeitnehmer
INDIVIDUALEBENE Zunehmende Erwerbsinstabilitäten und Arbeitsmarktrisiken Quelle: Mills und Blossfeld 2005; eigene Überarbeitung.
Die Verlagerung von Marktrisiken im Globalisierungsprozess
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Liberalisierung und damit eine Stärkung des Marktes als Koordinationsmechanismus in modernen Ländern durch. Die dritte Entwicklung betrifft den sprunghaften Fortschritt neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Erst durch moderne Technologien wurde eine rasche weltweite Vernetzung von Personen, Unternehmen und Staaten befördert. Sie haben den Umfang, die Intensität und die Geschwindigkeit von globalen Austauschprozessen grundlegend verändert. Von vielen wird die rasante und sprunghafte Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien in den vergangenen Jahren als Grundlage des Makrophänomens Globalisierung gesehen (Kaufmann 1998: 6f.; Castells 2004: 42ff.). Diese neuen Technologien haben die Prozesse, die der Globalisierung zugeschrieben werden, erst ermöglicht – sie sind also die „Infrastruktur“ der Globalisierung. Als vierten Prozess der Globalisierung benennen Mills und Blossfeld (2005) den Bedeutungszuwachs von weltweit vernetzten Märkten und die damit verbundene zunehmende Instabilität und Verwundbarkeit lokaler Märkte. Im Zuge des Globalisierungsprozesses werden lokale und nationale Märkte immer stärker von nur schwer prognostizierbaren sozialen, politischen und ökonomischen „externen Schocks“ und Ereignissen irgendwo auf der Welt beeinflusst (z.B. Kriege, ökonomische Krisen oder auch technologische Innovationen).
Zunehmende Unsicherheit über künftige Marktentwicklungen in Unternehmen und die Weitergabe von Marktrisiken an Arbeitnehmer Zusammengenommen haben diese Prozesse zu noch nicht da gewesenem beschleunigten sozialen und ökonomischen Wandel geführt (Mills und Blossfeld 2005: 2ff.). Dies hat unter anderem die Unsicherheit über künftige (Markt-) Entwicklungen für Unternehmen in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten deutlich erhöht (Castells 2004: 174f.). Organisationen sind also immer mehr gezwungen, Umgangsstrategien für die gestiegene Marktunsicherheit zu finden und Möglichkeiten zu entwickeln, sich auf potenzielle Veränderungen in ihrer Umwelt schnell einzustellen. Dies hat umfassende Restrukturierungen in Unternehmen ausgelöst: Flexible Produktions-, Management- und Vertriebssysteme wurden und werden von Unternehmen eingesetzt, um unter diesen neuen Bedingungen zu bestehen (Castells 2004: 175; Piore und Sabel 1984: 189ff., 251ff.). Einige bekannte Beispiele für flexiblere Formen der Arbeitsorganisation in jüngerer Zeit sind Outsourcing (d.h. die Ausgliederung einzelner Organisationsteile aus dem Mutterun-
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
ternehmen und teilweise sogar deren Verlagerung ins Ausland), Lean Management (d.h. der Abbau von Hierarchiestufen im Unternehmen) oder Lean Production (d.h. die Vereinfachung sowie Automatisierung von Arbeitsabläufen und Produktionsprozessen und damit die Einsparung von Arbeitskräften). Wie Breen (1997) ausführt, sollen diese neuen und flexibleren Strategien, die Unternehmen im Zuge des Globalisierungsprozesses eingeführt haben, zu einer grundlegenden Veränderung im Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit geführt haben: Während der sogenannten „goldenen Jahre“ und der Zeit der Arbeitskräfteknappheit sowie des Wirtschaftswachstums haben Arbeitgeber einen Großteil ihrer Arbeitnehmer vor Marktrisiken geschützt. Arbeitnehmer genossen also hohe Erwerbsstabilität und -kontinuität. Dies soll sich geändert haben, seitdem Arbeitgeber sich mit zunehmender Ungewissheit über künftige Marktentwicklungen konfrontiert sehen und seitdem auch genügend potentielle Arbeitskräfte verfügbar sind. Breen (1997: 477f.) argumentiert, dass vor diesem Hintergrund langfristige Bindungen für Arbeitgeber immer unattraktiver geworden sind. Arbeitgeber versuchen zunehmend, asymmetrische Beziehungen zu Arbeitnehmern durchzusetzen, um ihre eigene Ungewissheit zu reduzieren. Als asymmetrische Beziehungen kennzeichnet Breen Beziehungen, in denen sich die eine Partei – in diesem Fall der Arbeitgeber – die Option offen hält, sich aus der Beziehung wieder zurückzuziehen, sollte sie es für erforderlich halten. Der anderen Partei – also den Arbeitnehmern – bleibt nichts anderes übrig, als die Entscheidungen der stärkeren Partei ohne Risikoausgleich hinzunehmen. Beispiele für asymmetrische Arbeitsbeziehungen sind Leiharbeit oder auch befristete Arbeitsverträge. In beiden Fällen gehen Arbeitgeber nur eine kurzfristige Bindung zu den Arbeitnehmern ein und halten sich die Möglichkeit offen, die betroffenen Arbeitnehmer wieder abzubauen, sobald beispielsweise Markteinbrüche oder eine rückläufige Auftragslage zu verzeichnen sind. Marktrisiken werden also an die genannten Arbeitnehmer weitergegeben. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Unternehmen im Zuge des Globalisierungsprozesses mit zunehmenden Unsicherheiten über künftige (Markt-) Entwicklungen konfrontiert sind. Als Reaktion wurden flexiblere Organisationsformen eingeführt. Unter anderem versuchen Arbeitgeber, Marktrisiken an Arbeitnehmer weiterzugeben, indem sie asymmetrische Bindungen durchsetzen und sich aus dem Beschäftigungsverhältnis bei Bedarf zurückziehen, während sie einst als „Schutzwall“ gegen Marktrisiken fungierten und mögliche Marktschwankungen aufgefangen und nicht an ihre Arbeitnehmer weitergereicht haben. Folglich sollen sich auf der Individualebene in den vergangenen Jahren zunehmende Erwerbsinstabilitäten abzeichnen, da Arbeitgeber das Interesse an langfristigen Verbindungen zu Arbeitnehmern verloren haben (siehe Abbildung 1).
Regulierungen und Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt
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1.3 Regulierungen und Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt Die oben dargestellten Thesen zur Verlagerung von Marktrisiken auf Arbeitnehmer im Zuge des Globalisierungsprozesses lassen die institutionellen Rahmenbedingungen und Besonderheiten von einzelnen Ländern weitgehend außer Acht. Jedoch ist anzunehmen, dass diese einen entscheidenden Einfluss darauf haben, inwiefern Unternehmen Marktrisiken an Arbeitnehmer weitergeben können (Alasuutari 2000; Blossfeld 2003; Mills und Blossfeld 2005; Mills, Blossfeld und Bernardi 2006; Hofmeister und Blossfeld 2006; Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006). Verständlicherweise spielen hier insbesondere die nationalen Regelungen und Strukturen am Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle.
Das deutsche Wirtschafts- und Beschäftigungssystem Das deutsche Wirtschaftssystem, insbesondere das in den alten Bundesländern, wird als flexibel koordiniert klassifiziert (Soskice 1991, 1999; Mayer 1997). Im Gegensatz zu liberalen Wirtschaftssystemen wie in Großbritannien oder den USA investieren hier Arbeitgeber und Arbeitnehmer wechselseitig in ihre Beziehungen und bauen auf langfristige, vertrauensbasierte Kooperationsbeziehungen. In flexibel koordinierten Wirtschaftssystemen liegt ein institutionelles Rahmengefüge vor, das ein System von Anreizen und Zwängen schafft und so langfristige Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitsnehmern fördert (Soskice 1999: 106). Zentrale Merkmale des deutschen Wirtschaftssystems sind einflussreiche Gewerkschaften, eine aktive Mitgestaltung der Ausbildung von Arbeitskräften durch Arbeitgeber sowie Arbeitnehmervertretungen, die an betrieblichen Entscheidungsprozessen umfassend beteiligt sind (Soskice 1999: 106f.). Eine wichtige Eigenschaft des deutschen Beschäftigungssystems ist zudem die Tarifautonomie: Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen handeln Löhne und Gehälter für Arbeitnehmer aus und schreiben diese in Flächentarifverträgen für einzelne Wirtschaftszweige fest. Die überwältigende Mehrheit der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich 84 Prozent, profitiert von in Tarifverträgen ausgehandelten Löhnen (Bispinck 1997: 553). Wenn über das deutsche Beschäftigungssystem gesprochen wird, sind insbesondere die umfassenden Kündigungsschutzregelungen zu nennen. Reguläre Verträge (d.h. Verträge, die nicht befristet und keine Ausbildungsverträge sind) gelten in Deutschland automatisch auf unbestimmte Zeit. Kündigungen sind bei solchen Verträgen in der Regel nur schwer möglich: Gemäß dem Kündigungsschutzgesetz von 1969 sind Kündigungen nur dann gerechtfertigt, wenn sich ein
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
Unternehmen in ernstlichen ökonomischen Schwierigkeiten befindet oder wenn ein schwerwiegendes persönliches Fehlverhalten von Seiten des Arbeitnehmers vorliegt.3 In allen anderen Fällen sind Kündigungen unrechtmäßig. Generell sind Arbeitgeber verpflichtet, Alternativen auszuloten (z.B. Einsatzmöglichkeiten des Abbildung 2:
Ausmaß gesetzlicher Kündigungsschutzregelungen in der Bundesrepublik Deutschland und im internationalen Vergleich (2003) Bundesrepublik Deutschland 4 Niederlande
Großbritannien 3
Frankreich
USA 2
1
Italien
Kanada
0
Spanien
Japan
Schweden
Ungarn
Dänemark
Polen Tschechische Republik
Quelle: OECD Labor Force Indicators, OECD Paris/Frankreich; eigene Darstellung; zugrunde liegender Indikator: Overall Employment Protection Legislation II; Skalierung: 0 = kein gesetzlicher Kündigungsschutz, 6 = sehr starker gesetzlicher Kündigungsschutz. 3
Neben betriebsbedingten und verhaltensbedingten Kündigungen sind auch sogenannte personenbedingte Kündigungen möglich. Dies ist ein sehr spezieller Fall, da bei personenbedingten Kündigungen ein Arbeitnehmer die Arbeit aufgrund lang anhaltender Krankheit, die zu Arbeitsunfähigkeit führt, nicht (mehr) ausführen kann.
Regulierungen und Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt
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Arbeitnehmers in anderen Bereichen des Unternehmens), bevor eine Kündigung ausgesprochen werden kann. In Betrieben mit Betriebsräten müssen diese bei Kündigungen hinzugezogen werden und sind beteiligt bei der Aushandlung von Abfindungszahlungen für den gekündigten Mitarbeiter (Fuchs und Schettkat 2000: 231). Insgesamt sind die gesetzlichen Kündigungsschutzregelungen in Deutschland relativ stark ausgebaut. Im internationalen Vergleich gehören die deutschen Kündigungsschutzregelungen zu den striktesten und sind weitaus umfassender als die Regelungen in vielen anderen modernen Industrieländern (vgl. Abbildung 2). Jedoch dürfen diese Darstellungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Beschäftigungssicherheit in Deutschland nicht gleich verteilt ist. Die institutionellen Regelungen des deutschen Wirtschaftssystems, insbesondere der gesetzliche Kündigungsschutz, haben dazu geführt, dass sich in Deutschland ein relativ geschlossenes Beschäftigungssystem herausgebildet hat. In diesem System werden auf der einen Seite die „Arbeitsplatzbesitzer“ bevorzugt und geschützt, auf der anderen Seite werden diejenigen benachteiligt, die nicht erwerbstätig oder noch nicht lange erwerbstätig sind (vgl. z.B. Mückenberger 1985a: 429ff.). Sie fördern also eine Segmentierung des Arbeitsmarktes in sogenannte Insider und Outsider. Ein Beispiel zur Verdeutlichung dieses Dualismus’ ist, dass die Dauer der Firmenzugehörigkeit den Kündigungsschutz ganz allgemein, aber auch bei Massenentlassungen erhöht. Zudem werden das Alter und die Familiensituation bei der Aufstellung von Sozialplänen einbezogen. Dies alles sind Merkmale, die generell eher auf bereits ältere und damit in der Regel am Arbeitsmarkt etablierte Erwerbstätige zutreffen und weniger auf junge Berufsanfänger oder auch wieder ins Erwerbsleben eingestiegene Arbeitnehmer (z.B. Frauen nach einer Familienunterbrechung oder ehemals Arbeitslose) zugeschnitten sind.
Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt seit Mitte der 1980er Jahre Die Antworten moderner Länder auf den gestiegenen Flexibilisierungsbedarf auf Arbeitsmärkten im Globalisierungsprozess waren sehr unterschiedlich (Regini 2000a: 11f., 2000b: 25ff.; Esping-Andersen und Regini 2000: 336). Manche Länder, wie zum Beispiel Großbritannien und Dänemark, haben in den vergangenen Jahren einen Weg umfassender Deregulierung des Arbeitsmarktes eingeschlagen. Andere Länder waren hingegen deutlich zurückhaltender in Bezug auf die Einführung von Beschäftigungsflexibilität. Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist das System der vergleichsweise starken Beschäftigungsregulierung angesichts wirtschaftlicher Probleme und steigender Arbeitslosenquoten zunehmend zu einem heiß diskutierten Thema
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
geworden. Der Vorwurf lautet, dass die Arbeitsmarktregulierungen in Deutschland zu rigide seien und das Land zu einen unattraktiven Wirtschaftsstandort machten, da es für Unternehmen fast unmöglich sei, schnell auf sich ändernde Marktanforderungen zu reagieren. Der Ruf von Arbeitgebern nach mehr Flexibilität, insbesondere durch die Lockerung der strikten Kündigungsschutzregelungen sowie durch die Einführung von mehr Lohnflexibilität, ist in den vergangenen Jahren immer lauter geworden. Als Reaktion wurden auch in Deutschland verschiedene Deregulierungen am Arbeitsmarkt durchgeführt – vor allem seit Mitte der 1980er Jahre. Die wichtigsten Deregulierungen – die sogenannten Öffnungsklauseln und das Beschäftigungsförderungsgesetz – sollen im Folgenden kurz dargestellt werden: 4 Mit den Öffnungsklauseln wurde in den 1990er Jahren in Deutschland mehr Lohnflexibilität eingeführt (Fuchs und Schettkat 2000: 225, 229). Wie oben erläutert werden Löhne und Gehälter für Arbeitnehmer in Deutschland zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen ausgehandelt und in Flächentarifverträgen festgeschrieben. Öffnungsklauseln erlauben heute auf Unternehmensebene Abweichungen von einzelnen Regelungen eines Flächentarifvertrages. Insbesondere lassen sie zu, Löhne in Unternehmen zu reduzieren, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden. Öffnungsklauseln wurden seit 1993 zunächst in den neuen Bundesländern eingeführt. Vorangegangen waren Konflikte zur Angleichung ostdeutscher Gehälter an das westdeutsche Niveau zwischen der IG Metall und ostdeutschen Arbeitgebern. Seit 1997 werden Öffnungsklauseln auch in der westdeutschen Metallindustrie eingesetzt (Fuchs und Schettkat 2000: 225). Auch wenn seither der Anteil tarifungebundener Unternehmen in Deutschland zugenommen hat, so zeigt sich doch, dass der Großteil der ungebundenen Betriebe sich weiterhin an den Branchentarifverträgen orientiert und nur kleinere Abweichungen einführt (Rudolph 2005: 103). Zudem sind Tarifverträge in größeren Betrieben auch heute noch die Regel: Im Jahr 2003 galt in 90 Prozent der westdeutschen Betriebe mit 500 und mehr Mitarbeitern ein Tarifvertrag, in westdeutschen Betrieben mit 250 bis 500 Arbeitnehmern betrug der Anteil der Firmen mit
4
Die als Hartz-Gesetze bekannt gewordenen jüngsten Arbeitsmarktreformen werden hier nicht dargestellt. Zum einen erfassen die in dieser Arbeit durchgeführten Analysen beziehungsweise die im Folgenden genutzten Daten den Zeitraum nicht, in dem die Hartz-Gesetze in Kraft getreten sind. Zum anderen handelt es sich bei den Hartz-Reformen in erster Linie um gesetzliche Änderungen für Arbeitslose (z.B. durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in den Hartz-IV-Gesetzen oder den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit in den Hartz-IIIGesetzen). Die Hartz-Reformen greifen also nicht unmittelbar in das System der Beschäftigungsregulierung ein, da sie vor allem auf die Personen zielen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen.
Regulierungen und Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt
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Tarifvertrag über 80 Prozent und auch unter den Firmen mit 50 bis 250 Mitarbeitern belief sich die Tarifbindung auf rund 70 Prozent (Rudolph 2005: 104). Die umfassenden Kündigungsschutzregelungen wurden in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt eher „durch die Hintertür“ gelockert. Zentral sind in diesem Zusammenhang das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 und nachfolgende Fassungen dieses Gesetzes zu nennen. 5 Mit diesem Gesetz wurden die rechtlichen Regelungen befristeter Arbeitsverträge bedeutend ausgeweitet (für eine genaue Darstellung des Ausbaus befristeter Beschäftigung in Deutschland siehe Kapitel 2.2.1 dieser Arbeit): Vor 1985 konnten Firmen in der Regel nur in wenigen, genau spezifizierten Fällen befristete Arbeitsverträge abschließen – beispielsweise zur Vertretung von vorübergehend abwesenden Arbeitnehmern (z.B. bei längerfristiger Krankheit oder Freistellung wegen Mutterschaft oder Erziehungsurlaub). Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz wurde es Arbeitgebern ermöglicht, befristete Arbeitsverträge auch ohne spezifische Gründe auszustellen. Zudem wurde seit 1985 die Laufzeit befristeter Arbeitsverträge auf zwei Jahre erhöht (Mertens und McGinnity 2004: 161). Des Weiteren wurden mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 und seinen Folgebestimmungen auch die Möglichkeiten für Leiharbeit, die sogenannte Arbeitnehmerüberlassung, ausgebaut. Zwar war der Einsatz von Leiharbeitern schon vor 1985 für Unternehmen in Deutschland möglich, jedoch war die Arbeitnehmerüberlassung auf maximal drei Monate begrenzt. Die maximal zulässige Dauer von Leiharbeit wurde seither deutlich ausgeweitet: 1985 wurde die Ausleihdauer zunächst auf sechs Monate angehoben, in den Folgejahren wurde sie immer weiter erhöht auf inzwischen zwei Jahre (Rudolph 2005: 113, 115; Deutscher Gewerkschaftsbund 2001: 9). Seit 2003 gilt sogar keinerlei zeitliche Begrenzung von Leiharbeit mehr, wenn die verleihende Firma Tarifverträge abgeschlossen hat (Rudolph 2005: 113, 115). Der rechtliche Ausbau von befristeter Beschäftigung und Leiharbeit ist insofern als Lockerung des Kündigungsschutzes zu werten, als Unternehmen durch den Einsatz dieser Beschäftigungsformen personalpolitische Instrumente an die Hand gegeben wurden, sich trotz der vergleichsweise strikten allgemeinen Kündigungsschutzregelungen in Deutschland relativ einfach und kostenneutral von Mitarbeitern zu trennen und so ihre Belegschaft zu reduzieren.6 Wie oben erläu5
6
Ursprünglich sollten die Regelungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes von 1985 nur bis Ende 1989 gelten, wurden dann aber durch Neuauflagen des Gesetzes immer wieder verlängert und ausgeweitet. Bei Leiharbeit kann zudem von einer Flexibilisierung von Löhnen gesprochen werden. Trotz der Einführung eines formalen Anspruchs der Gleichstellung von Leiharbeitern zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen dem Gehalt eines Leiharbeiters und dem Gehalt eines vergleichbar qualifizierten, aber regulär im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmers (Promberger 2005: 197ff.; Rudolph 2005: 116; Deutscher Gewerkschaftsbund 2001: 11).
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
tert, ist in Deutschland die Auflösung eines (unbefristeten) Arbeitsvertrages sehr schwierig und birgt durch mögliche Rechtsstreite die Gefahr, teuer und zeitaufwendig für ein Unternehmen zu werden. Im Fall von befristeten Arbeitsverträgen und Leiharbeit müssen Arbeitgeber hingegen keine dauerhafte Bindung zum Arbeitnehmer eingehen, sondern haben die Möglichkeit, den befristeten Vertrag auslaufen zu lassen beziehungsweise das Leiharbeitsverhältnis kurzfristig wieder zu beendigen.
Beschäftigungsflexibilität am deutschen Arbeitsmarkt Wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, wird angenommen, dass Arbeitgeber im Zuge des Globalisierungsprozesses das Interesse an langfristigen Bindungen zu Arbeitnehmern zunehmend verloren haben. Während sie in Zeiten des Wirtschaftswachstums und der Arbeitskräfteknappheit versuchten, ihre Arbeitnehmer vor Marktrisiken zu schützen und zu halten, sollen Arbeitgeber heute – in Zeiten zunehmender Ungewissheit über künftige Marktentwicklungen – versuchen, durch den Einsatz flexibler, asymmetrischer Beschäftigungsformen Marktrisiken an Arbeitnehmer weiterzugeben (Breen 1997: 477f.). In diesem Kapitel wurden die Regelungen und Strukturen am deutschen Arbeitsmarkt dargestellt, um Schlussfolgerungen ziehen zu können, inwiefern Arbeitgeber überhaupt die Möglichkeit haben, Marktrisiken auf Beschäftigte abzuwälzen und sich bei Bedarf wieder aus Beschäftigungsverhältnissen zurückzuziehen. Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt im Vergleich zu vielen anderen Ländern, vor allem liberalen und osteuropäischen Ländern, durch vergleichsweise starke Regulierungen auszeichnet. Es existiert ein umfassendes institutionelles Rahmengefüge, das dem Einsatz flexibler, asymmetrischer Beschäftigungsformen und der Verlagerung von Marktrisiken auf Arbeitnehmer relativ enge Grenzen setzt. Durch die umfassenden gesetzlichen Kündigungsschutzregelungen in der Bundesrepublik Deutschland waren vor allem die Möglichkeiten zum Einsatz von externer, numerischer Flexibilität7, die nach Breen (1997) von Arbeitgebern im Zuge des Globalisierungsprozesses zunehmend angestrebt wird, lange äußerst eingeschränkt. 7
Mit externer, numerischer Flexibilität ist die die Leichtigkeit gemeint, mit der Unternehmen ihre Belegschaftsstärke bei sich änderndem Bedarf (z.B. bei rückläufiger Auftragslage) reduzieren können (vgl. Regini 2000b: 16). Durch nur schwach ausgebaute gesetzliche Kündigungsschutzregelungen wie beispielsweise in den USA oder auch Großbritannien ist numerische Flexibilität anders als in Deutschland in manchen Ländern sehr einfach umzusetzen für Firmen (Stichwort: „hire and fire“).
Das Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland?
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Jedoch wurden in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre einige Deregulierungen des Arbeitsmarktes vorgenommen. Diese haben auch die Möglichkeiten numerischer Flexibilität erweitert: Durch die rechtlichen Ausweitungen bei befristeter Beschäftigung und Leiharbeit wurden Unternehmen Instrumente an die Hand gegeben, die unattraktiv gewordenen langfristigen Bindungen zu Beschäftigten trotz der vergleichsweise strikten Kündigungsschutzregelungen in Deutschland zu umgehen. Trotz der Deregulierungen am Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren wird der deutsche Kurs als vergleichsweise moderate Deregulierung eingestuft (Regini 2000a: 12; Esping-Andersen 2000: 336). Anders als andere europäische Länder wurde in der Bundesrepublik Deutschland Beschäftigungsflexibilität nicht als Grundprinzip am Arbeitsmarkt eingeführt, sondern stellt ein eher „reguliertes Experiment“ dar (Regini 2000a: 12). Der hiesige Arbeitsmarkt wird im internationalen Vergleich auch heute noch als vergleichsweise stark reguliert beschrieben, an dem Beschäftigungsflexibilität in jüngster Vergangenheit zwar Einzug gehalten hat, das Ausmaß der Flexibilisierung jedoch noch weit von dem Niveau in Ländern mit einer liberalen Arbeitsmarktpolitik entfernt ist. Konkret heißt das, dass Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland nur begrenzte und klar definierte Möglichkeiten haben, auf ökonomische Schwankungen und gestiegene Unsicherheiten über künftige Marktentwicklungen zu reagieren, ihre Belegschaft zu flexibilisieren und kurzfristig orientierte Beschäftigungsverhältnisse zu Arbeitnehmern durchzusetzen.
1.4 Das Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland? Aufgrund des gestiegenen Wettbewerbs-, Flexibilisierungs- und Arbeitsmarktdrucks im Zuge des Globalisierungsprozesses scheint stabile, langfristig orientierte und sichere Beschäftigung für verschiedene (Sozial-) Wissenschaftler ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik Deutschland zu sein, das nicht mehr zur Beschreibung der heutigen Situation am deutschen Arbeitsmarkt dienen kann (vgl. z.B. Beck 1986, 2002; Voß und Pongratz 1998; Bonß 1999, 2002; Bonß und Zinn 2003). Für sie scheint kein Zweifel daran zu bestehen, dass der Arbeitnehmer von heute im höchsten Maße flexibel beziehungsweise flexibilisiert ist: „Heute haben wir es jedoch mit einer ganz anderen Entwicklung zu tun. […] Arbeit wird flexibilisiert. […] Das bisherige Prinzip, nach dem Beschäftigung auf relativer Sicherheit und langfristiger Kalkulierbarkeit beruht, gehört der Vergangenheit an. Im Zentrum der Erwerbsgesellschaft regiert heute das Risikoregime.“ (Beck 2002: 1-2)
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
Diese Prognose ist eng verknüpft mit der Diskussion um die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses in der Bundesrepublik Deutschland. Als Normalarbeitsverhältnisse werden Beschäftigungsverhältnisse verstanden, die unbefristeter Natur sind, auf Vollzeiterwerbstätigkeit basieren und sich langfristig auf einen oder wenige Arbeitgeber konzentrieren (vgl. z.B. Mückenberger 1985a: 422f.; Kress: 1998: 490; Hoffmann und Walwei 1998b: 410; Bosch 2001: 220f.). Es wird davon ausgegangen, dass Normalarbeitsverhältnisse, die einst die vorrangig existierenden Beschäftigungsverhältnisse waren8, in den vergangenen Jahren zunehmend verdrängt wurden von flexiblen, kurzfristig orientierten und unsicheren Arbeitsbeziehungen: „Es wird […] eine neue Spaltung des Arbeitsmarktes zwischen einem industriegesellschaftlich einheitlichen Normalarbeitsmarkt und einem risikogesellschaftlichen flexibel-pluralen Markt für Unterbeschäftigung geschaffen, wobei dieser zweite Arbeitsmarkt sich quantitativ ausweitet und den ersten mehr und mehr dominiert.“ (Beck 1986: 228)
Inwiefern die Voraussage einer zunehmenden Dominanz flexibler, unsicherer Beschäftigungsverhältnisse sowie des Rückzugs von Arbeitgebern aus langfristigen Arbeitsbeziehungen zutrifft, soll im Folgenden anhand einiger empirischen Zahlen überprüft werden.
Zunehmende Dominanz asymmetrischer Beschäftigungsverhältnisse? Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Prognose ist es sehr überraschend, wie wenig Arbeitgeber offensichtlich vom Abbau langfristiger Bindungen zu ihren Arbeitnehmern Gebrauch machen – trotz der rechtlichen Ausweitung von nicht langfristig bindenden Arbeitsverhältnissen, nämlich befristeter Beschäftigung und Leiharbeit (siehe Kapitel 1.3): Wie Abbildung 3 zeigt, ist unbefristete Beschäftigung auch heute noch der Normalfall am deutschen Arbeitsmarkt. Auch wenn unbefristete Arbeitsverträge unter abhängig Erwerbstätigen seit Mitte der 1980er Jahre zugenommen haben, so stellen sie doch – bei Betrachtung der Gesamtheit aller abhängig Erwerbstätigen und vor allem unter älteren Er8
Es ist anzumerken, dass das Normalarbeitsverhältnis ein Konzept ist, das vor allem auf männliche Erwerbstätige zugeschnitten ist. Für Frauen war und ist dauerhafte, unbefristete Vollzeiterwerbstätigkeit bei ein und demselben Arbeitgeber nicht vorherrschende Realität, sondern eher untypisch. Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Normalarbeitsverhältnis und Geschlechterordnung“ sowie Einblicke in weibliche Erwerbsverläufe in Deutschland siehe beispielsweise Wagner (2000), Holst und Maier (1998), Hinrichs (1989), Grunow (2006), Buchholz und Grunow (2006) oder Grunow, Hofmeister und Buchholz (2006).
Das Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland?
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werbstätigen – ein Randphänomen dar. Im alten Bundesgebiet ist die Befristungsquote lediglich von 7,3 Prozent im Jahr 1985 auf höchstens acht Prozent gestiegen. Bei Hinzunehmen der neuen Bundesländer beläuft sich die Befristungsquote auf maximal 9,1 Prozent. Sprich: Mit mehr als 90 Prozent der abhängig Erwerbstätigen gehen Arbeitgeber auch heute noch ein langfristiges Beschäftigungsverhältnis ein. Fokussiert man nur auf bereits ältere Arbeitnehmer über 30 Jahre, so ist die Befristungsquote sogar noch geringer. In dieser Gruppe beläuft sich der Anteil der befristet Beschäftigten nur auf fünf Prozent in den alten Bundesländern und sechs Prozent in der gesamten Bundesrepublik. In Bezug auf Leiharbeit zeigt sich ebenfalls eine Zunahme in der Bundesrepublik Deutschland (Abbildung 4): 1993 gab es knapp 100.000 Leiharbeiter, zehn Jahre später waren es rund 330.000 Leiharbeiter. Jedoch muss auch für den Fall Leiharbeit gesagt werden – wie bereits für befristete Beschäftigung –, dass sie eine Ausnahme am deutschen Arbeitsmarkt darstellt. Auch wenn sich die Zahl der Leiharbeiter im genannten Zeitraum fast verdreifacht hat, so liegt der Anteil von Leiharbeitern an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland auch heute noch lediglich bei knapp 1,3 Prozent (Rudolph 2005: 113). Abbildung 3:
Befristete Arbeitsverträge unter abhängig Erwerbstätigen (ohne Auszubildende), 1985 bis 2002
10%
8%
6%
4%
2%
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
0%
Insgesamt (altes Bundesgebiet)
Ingesamt (gesamtes Bundesgebiet)
30 Jahre und älter (altes Bundesgebiet)
30 Jahre und älter (gesamtes Bundesgebiet)
Quelle: Mikrozensus 1985 bis 2002, Statistisches Bundesamt Wiesbaden (aus den jeweiligen Fachserien 1 „Bevölkerung und Erwerbstätigkeit“ zum Mikrozensus); eigene Berechnungen.
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
Dass die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Deutschland durchaus noch einen langfristigen Charakter haben, wird auch ersichtlich bei der Betrachtung der Entwicklung der durchschnittlichen Betriebszugehörigkeitsdauer in den vergangenen zwei Jahrzehnten (siehe Abbildung 5). Auch hier bleibt ein genereller Trend abnehmender Beschäftigungsstabilität und zunehmender Dominanz von Beschäftigungsflexibilität aus. Zwar zeigen sich leichte zyklische Fluktuationen, jedoch bewegt sich die durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauer sozialversicherungspflichtig beschäftigter Männer mit 10,5 bis 11,5 Jahren stets auf sehr hohem Niveau.9 Für Frauen lässt sich ein vergleichbares Bild finden: Obschon sich ihre Verweildauer bei ein und demselben Arbeitgeber aufgrund der unterbrochenen Erwerbskarrieren von Frauen in Deutschland auf geringerem Niveau bewegt als bei Männern, so ist auch für sie die durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauer in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit rund acht Jahren vergleichsweise stabil geblieben (Erlinghagen 2005: 36). Abbildung 4:
Leiharbeiter in Deutschland, 1993 bis 2003
400.000
300.000
200.000
100.000
0 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Quelle: Rudolph 2005: 114; eigene Darstellung.
9
Dass sich die Betriebszugehörigkeit von männlichen Erwerbstätigen nicht verändert hat, wurde auch anhand einer Längsschnittuntersuchung auf Basis von Geburtskohorten belegt: Kurz, Hillmert und Grunow (2006) fanden keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf zwischenbetriebliche Mobilität für westdeutsche Männer der Geburtskohorten 1940, 1955 und 1964.
Das Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland? Abbildung 5:
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Durchschnittliche Betriebszugehörigkeitsdauer (in Jahren) von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Männern, Westdeutschland, 1984 bis 2000
14 12 10 8 6 4 2 0 1984
1986
1988
1990
1992
1994
1996
1998
2000
Quelle: Erlinghagen 2005: 36; eigene Darstellung.
Beschäftigungsstabilität für den Kern am Arbeitsmarkt Diese Befunde lösen berechtigte Skepsis an der These aus, dass stabile und langfristige Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland der Vergangenheit angehören. Wie beispielsweise Erlinghagen (2002: 84) in die Diskussion um Beschäftigungsflexibilisierung einwirft, ist es wichtig, der Beurteilung des Einsatzes von Flexibilisierungsstrategien durch Arbeitgeber differenzierter zu begegnen: „Während Flexibilisierungsmöglichkeiten den maximalen Rahmen beschreiben, den Betriebe aufgrund allgemeiner arbeitsrechtlicher, tarifrechtlicher oder arbeitsvertraglicher Regelungen ausschöpfen können, bildet die realisierte Flexibilität ausschließlich das Ausmaß ab, in dem Betriebe ihre mögliche Flexibilität tatsächlich ausgeschöpft haben.“
Wie aufgezeigt, wurden zwar die rechtlichen Möglichkeiten für asymmetrische, kurzfristig angelegte Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Bindungen am deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren ausgeweitet, trotzdem weisen empirische Zahlen darauf hin, dass Arbeitgeber auch heute noch zu vielen Arbeitnehmern
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
langfristige Bindungen pflegen. Denn obschon Unternehmen einen zunehmenden Bedarf an kurzfristig orientierten, flexibleren Beziehungen zu ihren Mitarbeitern haben, müssen sie gleichzeitig Vertrauen und Kontinuität im Unternehmen und zur Belegschaft sicherstellen (Mills, Blossfeld und Bernardi 2006: 24). Sie befinden sich also in einem Zielkonflikt. Eine vollkommen flexibilisierte Belegschaft und das Ausschöpfen aller Flexibilisierungsmöglichkeiten wären entsprechend auch aus betrieblicher Sicht nicht wünschenswert und nicht effizient. Beides würde der „Gesundheit des Unternehmens“ schaden (Mayrhofer 1997), da die verlässliche und dauerhafte Kooperation zwischen Betriebsleitung und Arbeitnehmern gefährdet würde. In der Tat zeigen Studien, dass ausgeprägte Flexibilisierungen im Unternehmen dazu führen, dass Beschäftigte ihre Kooperationsbereitschaft, ihre Arbeitsmotivation und auch ihre Bereitschaft, im Unternehmen zu bleiben, deutlich reduzieren (vgl. z.B. Köhler et al. 2005). Eine gesicherte und langfristige Kooperation mit der Belegschaft ist aber wichtig für Arbeitgeber – vor allem, wenn es darum geht, im zunehmenden internationalen Wettbewerb zu bestehen –, um den Informationsfluss im Unternehmen, die Produktivität oder auch Innovationen zu gewährleisten (Erlinghagen 2002: 82, 2005: 39; Marsden 1995: 68f., 71). Das umfassende Durchsetzen kurzfristiger Bindungen zu Arbeitnehmern birgt zudem die Gefahr, dass dem Unternehmen hohe Suchkosten bei Neueinstellungen und hohe Qualifikationsverluste entstehen (Breen 1997: 478; Mills, Blossfeld und Bernardi 2006: 6). Zusammenfassend heißt dies: Arbeitgebern ist keinesfalls daran gelegen, sich bei allen Arbeitnehmern ihrer Belegschaft aus langfristigen Bindungen zurückzuziehen. Verschiedene Autoren rücken bei der Frage, wie sich die Weitergabe von Marktrisiken auf unterschiedliche Arbeitnehmergruppen verteilt und welche Gruppen am Arbeitsmarkt von den Auswirkungen der Beschäftigungsflexibilisierung besonders stark betroffen sind, vor allem den Charakter der Austauschbeziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ins Zentrum der Betrachtung (vgl. z.B. Breen 1997; Marsden 1995; Goldthorpe 2000). Unterschieden wird beispielsweise zwischen einfachen Arbeitsverträgen und Dienstleistungsbeziehungen (Breen 1997; Goldthorpe 2000). Bei Ersteren geht es um ganz konkrete Aufgaben und Arbeitsleistungen, die gegen Lohn getauscht werden und deren Erbringung leicht gelernt und kontrolliert werden kann. Die sogenannten Dienstleistungsbeziehungen sind hingegen aufgrund des spezifischen Charakters der Arbeitsleistung – des hoch spezialisierten Wissens, der langen Einarbeitungszeit und des großen Maßes an geforderter Eigenständigkeit und Verantwortungsbereitschaft – langfristig und diffus angelegt. In diesen Dienstleistungsbeziehungen ist vor allem über Selbstbindung erzeugtes Vertrauen die Grundlage der Arbeitsbeziehung (sogenannte „high-trust relationships“, vgl. z.B. Heisig und Littek
Das Ende stabiler Beschäftigung in Deutschland?
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1995). Die Strategie von Arbeitgebern in Bezug auf Dienstleistungsbeziehungen ist es deshalb, diese Arbeitnehmer durch hohe Löhne, langfristige Beschäftigungssicherheit, Aufstiegschancen sowie ein System von Anreizen und Gratifikationen langfristig an das Unternehmen zu binden. Auch Marsden (1995) betont, dass die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen mit der Förderung von Kooperation und Informationsaustausch im Arbeitsprozess kollidiert. Da aber Eigeninitiative, Kooperation und Informationsaustausch zwischen qualifizierten, erfahrenen Arbeitskräften zentral für die Steigerung der Produktion sowie die Verbesserung von Qualität und Innovation sind, vermutet er, dass eben diese qualifizierten Arbeitnehmer und die Kernbelegschaft der Produktion auch heute noch stabile Beschäftigungsverhältnisse genießen. Die Argumentation, dass Arbeitgeber zwischen einer „attraktiven“ Stammbelegschaft und weniger attraktiven, leichter ersetzbaren Arbeitskräften unterscheiden, ist keineswegs grundsätzlich neu. Bereits die Segmentationstheorien aus den 1970er Jahren argumentieren, dass der Arbeitmarkt kein einheitliches Gesamtgebilde ist (vgl. z.B. Doeringer und Piore 1971; Sengenberger 1978). Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sich in modernen Gesellschaften relativ stark voneinander abgeschottete Teilarbeitsmärkte herausgebildet haben.10 Als ein Grund für die Segmentierung des Arbeitsmarktes wird gesehen, dass in Unternehmen Strategien existieren, Mitarbeiter zu halten und zu motivieren: Einerseits sind Unternehmen auf loyale und qualifizierte Stammbelegschaften angewiesen, anderseits sind sie aber auch an wenig qualifizierten und daher billigen sowie in Zahl und Zusammensetzung schnell veränderbaren Arbeitskraftpotenzialen interessiert. Dies führt dann zu einem gespaltenen Arbeitsmarkt. Diese Teilarbeitsmärkte bieten für die Arbeitnehmer in den verschiedenen Segmenten recht unterschiedliche Erwerbs- und Karrierechancen, sehr unterschiedlichen Schutz gegen Arbeitslosigkeit und andere Erwerbsrisiken sowie eine sehr unterschiedliche Bereitschaft von Arbeitgebern, in ihre Arbeitnehmer (langfristig) zu investieren. Wie aber Breen (1997: 477f.) ausführt, haben Arbeitgeber in Zeiten des Wirtschaftswachstums und der Arbeitskräfteknappheit die Vorteile der besser gestellten Teilarbeitsmärkte und die Zusage von Beschäftigungssicherheit auch auf die Gruppe der weniger attraktiven Arbeitnehmer ausgeweitet. Im Zuge des Globalisierungsprozesses nehmen sie diese Zusage von Sicherheit allerdings 10
Es haben sich verschiedene Segmentationsansätze entwickelt, die jeweils leicht unterschiedliche Teilarbeitsmärkte und Mechanismen ins Zentrum rücken. Beispielsweise gibt es den Ansatz zum dualen Arbeitsmarkt, die Unterscheidung zwischen internen und externen Arbeitsmärkten oder den betriebszentrierten Segmentationsansatz (für eine genauere Darstellung siehe beispielsweise Sesselmeier und Blauermel 1998).
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wieder zurück. Insgesamt ist also davon auszugehen, dass Arbeitgeber ihre Bereitschaft für eine langfristig angelegte und stabile Arbeitsbeziehung keinesfalls der gesamten Belegschaft entzogen haben, sondern nur speziellen Gruppen von Erwerbstätigen – nämlich denen, auf deren Einsatz, Commitment und Wissen sie weniger angewiesen sind. Was heißt das aber konkret formuliert? Welche Arbeitnehmer sind auch heute noch die „attraktiven“ Mitarbeiter für Arbeitgeber, deren Beschäftigungsverhältnisse weiterhin einen langfristigen Charakter haben, da Unternehmen daran interessiert sind, diese Arbeitnehmer zu halten und dauerhaft an sich zu binden? Nach den oben ausgeführten Argumentationen handelt es sich um qualifizierte, aber auch erfahrene und mit den Unternehmensabläufen sehr gut vertraute Arbeitskräfte. Typischerweise sind dies qualifizierte männliche Erwerbstätige in ihrer mittleren Karrierephase. In der Tat zeigen neuere empirische Studien, dass Beschäftigungsstabilität für qualifizierte Männer in der mittleren Erwerbsphase auch heute noch sehr hoch ist (vgl. z.B. Wagner 2000; Kurz, Hillmert und Grunow 2006; Grunow 2006). Wie Wagner (2000) herausgearbeitet hat, sind Beschäftigungsverhältnisse, die als Normalarbeitsverhältnisse bezeichnet werden können, auch heute noch die vorrangige Erwerbsform bei Männern in der Bundesrepublik Deutschland. Kurz, Hillmert und Grunow (2006) finden in einem mehrere Geburtskohorten umfassenden Vergleich der Erwerbschancen westdeutscher Männer in der mittleren Karrierephase keinen eindeutigen Trend für zunehmende Erwerbsinstabilitäten in den vergangenen Jahrzehnten: Die zwischenbetriebliche Mobilität ist im Kohortenvergleich nahezu konstant geblieben und die Karrierechancen haben sich für Angehörige jüngerer Geburtskohorten nicht verschlechtert. Zwar finden sie einen Zuwachs beim Arbeitslosigkeitsrisiko, dieses konzentriert sich aber wiederum vor allem auf un- sowie gering qualifizierte männliche Erwerbstätige. Weiterführende Analysen von Grunow (2006) zum Arbeitslosigkeitsrisiko männlicher Erwerbstätiger verschiedener Geburtskohorten in Westdeutschland haben gezeigt, dass das zunehmende Arbeitslosigkeitsrisiko in jüngeren Kohorten insbesondere kinderlose Männer getroffen hat, während sie in älteren Kohorten dieselbe Erwerbsstabilität wie männliche Erwerbstätige mit Kindern genossen. Obschon Grunow (2006) es nicht explizit in ihren empirischen Untersuchungen getestet hat, so deutet dieses Ergebnis doch darauf hin, dass sich die Zunahme von Erwerbsinstabilitäten bei Männern auf eine relativ spezifische Phase im Erwerbsverlauf konzentriert, nämlich die frühe Erwerbskarriere (d.h. wenn sie noch kinderlos sind), und dass sie mit zunehmender Berufserfahrung und Präsenz auf dem Arbeitsmarkt deutlich abnimmt. Auch die oben dargestellten Ergebnisse zur Entwicklung befristeter Beschäftigung in Deutschland (siehe Abbildung 3) weisen darauf hin, dass ältere und erfahrene Arbeitnehmer von der
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Durchsetzung asymmetrischer Arbeitsverhältnisse relativ stark verschont blieben: Über 30-Jährige sind unterdurchschnittlich von befristeter Beschäftigung betroffen und genießen damit auch heute noch langfristig angelegte und vergleichsweise stabile Bindungen zu Arbeitgebern. Insgesamt kann somit für Männer in der mittleren Karrierephase nicht von einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses gesprochen werden. Oft wird die Aussage, dass das Normalarbeitsverhältnis ein Auslaufmodell ist, auf Basis der gestiegenen Teilzeitbeschäftigung in Deutschland getroffen (vgl. z.B. Hoffmann und Walwei 1998b). Jedoch ist diese Zunahme von Teilzeitarbeit in großen Teilen darauf zurückzuführen, dass Frauen in der Familienphase in den vergangenen Jahren immer mehr in den deutschen Arbeitsmarkt integriert wurden. Diese Zunahme ging somit nicht zu Lasten des (männlichen) Normalarbeitsverhältnisses (Wagner 2000). So zeigt sich, dass verheiratete Frauen jüngerer Geburtskohorten nicht mehr langfristig mit der Heirat aus dem Erwerbsleben ausscheiden, sondern ihre Erwerbstätigkeit immer häufiger nur für eine vergleichsweise kurze Zeit nach Geburt eines Kindes unterbrechen und anschließend wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Diese zunehmende Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt auch während der Familienphase kann nicht darauf zurückgeführt werden, dass Frauen jüngerer Geburtskohorten dank der Bildungsexpansion höher qualifiziert sind als Frauen vorangegangener Geburtskohorten (Buchholz und Grunow 2003, 2006). Frauen sind also – unabhängig von ihrem höheren Bildungsniveau – immer mehr zu Mitverdienern des Familieneinkommens geworden. Wenn also mit Bezug auf die Zunahme von Teilzeitarbeit überhaupt von einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses gesprochen werden kann, dann nicht, weil in großem Umfang Arbeitsverhältnisse Einzug gehalten haben, die die Existenz nicht sichern können, sondern nur, weil das aus dem Normalarbeitsverhältnis erzielte Einkommen in den vergangenen Jahren immer weniger das alleinige Familieneinkommen ist. Das Einkommen aus dem (männlichen) Normalarbeitsverhältnis wird heute immer häufiger aufgestockt durch ein Einkommen aus einem atypischen (weiblichen) Teilzeitarbeitsverhältnis, während es ursprünglich so konzipiert war, die gesamte Familie gut versorgen zu können (Holst und Maier 1998). Auch wenn somit insgesamt die Erwerbsstabilität für Männer in der mittleren Karrierephase auch heute noch sehr hoch ist, heißt das nicht, dass diese Gruppe gar keine Veränderung ihrer Erwerbssituation erfahren hat. Festhalten lässt sich aber, dass sie offensichtlich vergleichsweise wenig von externen Flexibilisierungen getroffen wurden. Externe Flexibilisierungen sind die Flexibilisierungsstrategien, mit denen sich Arbeitgeber über die Durchsetzung asymmetrischer Beschäftigungsverhältnisse mehr Freiheit in Bezug auf Belegschaftsstärke verschaffen und mit denen sie Marktrisiken direkt auf Arbeitnehmer verlagern. In Bezug auf betriebliche Anpassungsmechanismen gibt es neben externen Fle-
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xibilisierungen aber auch interne Möglichkeiten zur Flexibilisierung (vgl. z.B. Keller und Seifert 2005; Hohendanner und Bellmann 2006). Bei betriebsinterner Flexibilität handelt es sich um eine vergleichsweise „sanfte“ Form der Flexibilisierung, da Marktrisiken nicht eins zu eins an Beschäftigte weitergegeben werden. Arbeitgeber greifen in diesem Fall nicht auf die Kündigung bestehender Beschäftigungsverhältnisse zurück, sondern verschaffen sich mehr Flexibilität beispielsweise durch die Anpassung von Arbeitszeiten (Stichwort: Zeitkonten) oder durch den variablen Einsatz von Mitarbeitern an mehreren Stellen im Unternehmen (die sogenannte funktionale Flexibilität oder Polyvalenz). Diese internen Flexibilisierungsstrategien wenden Unternehmen vor allem bei für sie wichtigen Mitarbeitern an, da sie das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht beziehungsweise vergleichsweise wenig gefährden (Erlinghagen 2005: 39). Das heißt: Es ist davon auszugehen, dass (qualifizierte) deutsche Männer in der mittleren Karrierephase in den vergangenen Jahren eher betriebsinterne und damit vergleichsweise abgesicherte Flexibilisierungen erfahren haben. Dass sich Männer in der mittleren Karriere auch heute noch vergleichsweise hoher Erwerbsstabilität und -kontinuität erfreuen, ist kein rein deutsches Phänomen. Wie Blossfeld, Mills und Bernardi (2006) in einer zwölf Länder umfassenden, international vergleichenden Studie herausfanden, wurden erfahrene und qualifizierte männliche Erwerbstätige nur wenig von der direkten Weitergabe von Marktrisiken durch Arbeitgeber getroffen. Jedoch ist das Ausmaß des Schutzes männlicher Erwerbstätiger in der mittleren Karrierephase gegen eine Flexibilisierung ihrer Position am Arbeitsmarkt in Deutschland besonders stark ausgeprägt (Mills und Blossfeld 2006: 476). Wie ist dies zu erklären? Der Grund ist in der hohen, institutionell garantierten Absicherung etablierter Arbeitnehmer vor externen Flexibilisierungsstrategien am deutschen Arbeitsmarkt zu suchen. Wie oben beschrieben (siehe Kapitel 1.3 dieser Arbeit), ist der deutsche Arbeitsmarkt auch heute noch durch eine vergleichsweise hohe Regulierung ausgezeichnet. In diesem System werden insbesondere langjährig beschäftigte und am Arbeitsmarkt etablierte Arbeitnehmer (d.h. Männer in der mittleren Erwerbsphase) gegen Beschäftigungsflexibilisierungen und gegen die Verlagerung von Marktrisiken geschützt. Zwar wurden in den vergangenen Jahren einige Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt durchgeführt, aber bei einer genaueren Betrachtung dieser Deregulierungen wird deutlich, dass der Kern des Beschäftigungsschutzes unangetastet blieb. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass keinesfalls von einem generellen Ende stabiler Beschäftigung und einer generellen Erosion des Normalarbeitsverhältnisses gesprochen werden kann. Für den Kern der etablierten Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt sind auch heute noch eine relativ hohe Beschäfti-
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gungsstabilität und -sicherheit sowie langfristig angelegte Bindungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu finden. Zum einen zeigt sich diese hohe Stabilität, weil Arbeitgeber es sich zum „Wohl“ des eigenen Unternehmens nicht leisten können, die Stammbelegschaft durch eine Weitergabe von Marktrisiken zu demotivieren. Zum anderen haben aber auch die umfassenden Regulierungen am deutschen Arbeitsmarkt verhindert, dass etablierte (männliche) Beschäftigte flexibilisiert werden konnten.
1.5 Entwicklung des Forschungsansatzes: Flexibilisierung an den Rändern des Arbeitsmarktes Es besteht sicherlich kein Zweifel daran, dass sich in den vergangenen Jahren der Bedarf und auch das Potenzial von Beschäftigungsflexibilität in Unternehmen durch den zunehmenden internationalen Wettbewerbsdruck und die zunehmende Unsicherheit über künftige (Markt-) Entwicklungen im Globalisierungsprozess deutlich erhöht haben. Die Frage ist jedoch, wie Unternehmen – vor allem innerhalb eines vergleichsweise regulierten Arbeitsmarktes wie in Deutschland – diesen Flexibilisierungsbedarf und -druck bewältigen und wo sich die Auswirkungen der Beschäftigungsflexibilisierung durch Arbeitgeber besonders eindrucksvoll abzeichnen. Durch die vorangegangen Darstellungen ist deutlich geworden, dass es wichtig ist, spezifische Gruppen von Arbeitnehmern in den Blick zu nehmen, wenn die Zunahme von Beschäftigungsflexibilisierung untersucht werden soll. Die Prognose einer „allumfassenden“ Beschäftigungsflexibilisierung, wie von manchen (Sozial-) Wissenschaftlern geäußert, scheint unangebracht, weil sie offenbar zu kurz greift. Der deutsche Arbeitsmarkt und auch Erwerbsverläufe in der Bundesrepublik Deutschland sind noch weit entfernt von einer grundlegenden Flexibilisierung. Wie oben ausgeführt genießt in Deutschland der Kern der etablierten und durch die umfassenden rechtlichen Regelungen gut geschützten Beschäftigten auch heute noch vergleichsweise stabile und langfristig angelegte Beschäftigungsverhältnisse.
Die Flexibilisierung von Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozessen als Flexibilisierungsstrategie am regulierten deutschen Arbeitsmarkt Vielmehr ist zu erwarten, dass in einem System wie der Bundesrepublik Deutschland mit einem geringen Maß an Flexibilität am Arbeitsmarkt gestiegene Flexibilisierungsprozesse in Unternehmen zu einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in eine hoch abgesicherte und gut verdienende Gruppe der etablier-
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ten und qualifizierten Arbeitsplatzbesitzer und eine zunehmend größer werdende Gruppe führen, die Schwierigkeiten hat, eine stabile Beschäftigung zu finden. Die Flexibilisierung von Beschäftigung soll also vor allem an den Rändern des Arbeitsmarktes stattgefunden haben, wobei im Kontext dieser Arbeit die Ränder des Lebens- beziehungsweise Erwerbsverlaufs gemeint sind. So dürften sich Arbeitsmarktrisiken und Prozesse der Beschäftigungsflexibilisierung für Berufseinsteiger gravierend verstärkt haben. Junge Erwachsene stellen innerhalb des geschlossenen deutschen Beschäftigungssystems eine besonders verwundbare Gruppe am Arbeitsmarkt dar, auf die Marktrisiken vergleichsweise einfach verlagert werden können. Eine genauere Betrachtung der bisherigen Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt macht zudem deutlich, dass sie die Situation von Bildungsabsolventen und Berufseinsteigern zusätzlich belastet haben. Die rechtliche Ausweitung von befristeter Beschäftigung in den vergangenen Jahren hat vor allem junge Menschen und Bildungsabsolventen für das Durchsetzen sogenannter asymmetrischer Beschäftigungsverhältnisse durch Arbeitgeber verwundbar gemacht, da befristete Verträge vor allem bei Neueinstellungen und bei Übernahme von Auszubildenden erleichtert wurden (für eine genauere Darstellung siehe Kapitel 2.2.1). Somit wurden junge Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren systematisch zu einer flexiblen Manövriermasse für Arbeitgeber innerhalb eines Arbeitsmarktes gemacht, der Unternehmen vergleichsweise wenige Möglichkeiten gibt, Mitarbeiter einfach wieder abzubauen. Aber nicht nur beim Erwerbseinstieg dürfte zu erwarten sein, dass sich der gestiegene Bedarf an Beschäftigungsflexibilität durch Betriebe besonders stark abzeichnet. In der Vergangenheit war zu beobachten, dass in Deutschland durch den umfassenden Ausbau von Frühverrentungsprogrammen versucht wurde, die Risiken für jüngere Arbeitskräfte abzumildern und den Arbeitsmarkt zu entlasten. Letztlich wurden Frühverrentungsprogramme so zu Arbeitsmarktprogrammen umfunktioniert, da die Verrentung älterer Arbeitskräfte eine der wenigen und zusätzlich „sozial verträglichen“ Möglichkeiten ist, wie Unternehmen ihre Belegschaftsstärke trotz des hohen Kündigungsschutzes in Deutschland relativ einfach reduzieren können. Insgesamt ist damit also zu erwarten, dass sich die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen durch Arbeitgeber insbesondere an den Rändern des Arbeitsmarktes gravierend abzeichnen wird. Zum einen bieten sich für Unternehmen hier die wenigen, am regulierten deutschen Arbeitsmarkt überhaupt existierenden Möglichkeiten, externe numerische Flexibilität zu realisieren. Zum anderen gefährden Unternehmen durch die Flexibilisierung von jungen und alten Menschen das Vertrauensverhältnis zu ihren erfahrenen und qualifizierten Mitarbeitern vergleichsweise wenig.
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Konkret formuliert erwarte ich, dass junge Menschen am deutschen Arbeitsmarkt zunehmend verlangsamt ins Erwerbsleben eingegliedert werden. In Zeiten gestiegenen Flexibilitäts- und Wettbewerbsdrucks sollen sie (1) zunehmend länger brauchen, um überhaupt eine erste Erwerbstätigkeit zu finden, (2) ein zunehmendes Risiko befristeter Beschäftigung zu Beginn des Erwerbslebens haben, (3) ein verstärktes Risiko von Arbeitslosigkeit nach erfolgreichen Erwerbseintritt erfahren sowie (4) mehr Zeit benötigen, bis sie sich erfolgreich am Arbeitsmarkt etabliert haben und eine vergleichsweise hohe Erwerbssicherheit genießen. Für ältere Menschen am deutschen Arbeitsmarkt erwarte ich, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend beschleunigt aus dem Erwerbsleben ausgegliedert worden sind. Dies soll sich daran zeigen, dass ältere Menschen (1) immer früher aus dem Erwerbsleben austreten und (2) ihr Erwerbsleben zunehmend häufig in Arbeitslosigkeit beenden und den Zugang zur Rente erst nach einer Phase von Arbeitslosigkeit erfahren (vgl. Abbildung 6). Abbildung 6:
Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik: eine Flexibilisierung an den Rändern des Arbeitsmarktes
Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs
Stabilität für den Kern der Erwerbstätigen
Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs
Verlangsamte Eingliederung junger Arbeitskräfte
Beschleunigte Ausgliederung älterer Arbeitskräfte
Indikatoren: Erhöhte Suchdauer für eine erste Erwerbstätigkeit Zunehmendes Risiko von befristeter Beschäftigung Verstärktes Arbeitslosigkeitsrisiko nach erfolgreichem Erwerbseintritt Erhöhte Dauer bis zur Stabilisierung der Erwerbskarriere
Indikatoren: Zunahme vorzeitiger Erwerbsaustritte und zunehmende Frühverrentung Zunehmende Bedeutung des Rentenzugangs nach Altersarbeitslosigkeit
Quelle: Eigene Darstellung.
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Beschäftigungsflexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland
Im Folgenden wird die Flexibilisierung von Erwerbseinstiegsprozessen und Erwerbsausstiegsprozessen in der Bundesrepublik Deutschland genauer beleuchtet und analysiert. Im anschließenden zweiten Teil stehen dabei veränderte Arbeitsmarktchancen von jungen Menschen nach Bildungsabschluss und ihre Chancen für eine Etablierung im Erwerbsleben im Mittelpunkt. Im dritten Teil wird die Entwicklung der Arbeitsmarktsituation von Menschen im Vorruhestandsalter in den Blick genommen.
Teil 2: Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in der Bundesrepublik Deutschland
2.1 Vorbemerkungen Im vorliegenden Teil dieser Arbeit stehen Arbeitsmarkteinstiegsprozesse sowie die Etablierung junger Erwachsener am deutschen Arbeitsmarkt im Mittelpunkt. Jungen Menschen mangelt es an Seniorität, Berufserfahrung, Interessenvertretung und beruflichen Netzwerken. Deshalb ist anzunehmen, dass sie eine äußerst verwundbare Gruppe am Arbeitsmarkt darstellen, der ökonomische Unsicherheiten und prekäre Beschäftigungsformen aufgebürdet werden können. Sie stehen noch nicht in einem Beschäftigungsverhältnis und genau aus diesem Grund sind sie sehr anfällig für die Auswirkungen von gestiegenem Arbeitsmarkt- und Wettbewerbsdruck. Der deutsche Arbeitsmarkt ist zwar vergleichsweise stark reguliert und das Ausmaß an Deregulierungen war bisher eher moderat (vgl. Kapitel 1.3), jedoch muss bedacht werden, dass junge Menschen nicht beziehungsweise in geringerem Maße die Vorteile dieser Regulierungen genießen. Vielmehr ist es so, dass diese Regulierungen auf diejenigen zugeschnitten sind, die bereits einen Arbeitsplatz besitzen und die sich bereits am Arbeitsmarkt etabliert haben (d.h. die sogenannten Insider des Arbeitsmarktes, insbesondere Männer in der mittleren Karrierephase; vgl. Kapitel 1.3 und 1.4). Außerdem zeigt sich bei einer genaueren Betrachtung der bisherigen Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt, dass diese vor allem auf die bereits schwächeren und verwundbaren Arbeitsmarktgruppen zielten. Die wohl einschneidendste Deregulierung für junge Erwerbspersonen in der Bundesrepublik Deutschland war die Neuregelung befristeter Beschäftigung mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 und seinen gesetzlichen Nachfolgeregelungen, womit Unternehmen innerhalb des relativ regulierten deutschen Arbeitsmarktes ein Instrument an die Hand gegeben wurde, vergleichsweise einfach die Belegschaft abzubauen (vgl. Kapitel 2.2.1). Ziel dieser Studie ist es, empirisch zu überprüfen, ob der Erwerbseinstieg für junge Menschen in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren zunehmend schwieriger und turbulenter geworden ist. Insbesondere steht die Frage im
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Mittelpunkt, ob junge Menschen am Arbeitsmarkt eine immer längere Phase der Unsicherheit beziehungsweise Instabilität durchlaufen müssen, bevor sie sich im Erwerbsleben etablieren können. Werden junge Erwerbspersonen also immer langsamer in den Arbeitsmarkt integriert? Das heißt konkret: Hat die Suchdauer für eine erste Erwerbstätigkeit seit Mitte der 1980er Jahre zugenommen? Werden Arbeitsmarkteinsteiger zu Beginn der Erwerbskarriere immer mehr auf unsichere Beschäftigungsverhältnisse verwiesen (d.h. befristete Verträge)? Müssen junge Erwachsene nach erfolgreichem Einstieg ins Erwerbsleben für eine immer längere Phase um ihren Platz am Arbeitsmarkt bangen und Arbeitslosigkeit fürchten? Um sich diesen Fragen zu nähern und treffende Aussagen über Flexibilisierungstendenzen beim Erwerbseinstieg treffen zu können, werden die Erwerbschancen junger Menschen unterschiedlicher Bildungsabschlusskohorten verglichen. Allerdings nicht nur der Vergleich zwischen Kohorten, sondern auch Unterschiede innerhalb der Kohorten sind von zentralem Interesse in den empirischen Untersuchungen. Die Frage ist, ob bestimmte Gruppen junger Erwachsener besonders von einer abnehmenden Erwerbsstabilität und einer zunehmenden Flexibilisierung ihres Erwerbseinstiegs getroffen wurden. Ist beispielsweise Bildung immer wichtiger geworden, damit junge Menschen einen reibungslosen Einstieg in den Arbeitsmarkt finden? Insgesamt kann durch diesen Fokus in den empirischen Untersuchungen eine Aussage darüber getroffen werden, wie sich soziale Ungleichheitsstrukturen in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt haben.
Studiendesign Um die Entwicklung des Erwerbseinstiegs in Deutschland zu untersuchen, wurden die Erwerbschancen junger Menschen dreier unterschiedlicher Bildungsabschlusskohorten in einem Längsschnittdesign untersucht und verglichen. Es wurde bewusst auf Bildungsabschlusskohorten zurückgegriffen (und nicht auf Geburtskohorten), da davon auszugehen ist, dass das prägende gemeinsame Erlebnis die jeweilige Arbeitsmarktsituation zum Zeitpunkt des Verlassens des Bildungssystems ist (für eine Erläuterung siehe Forschungsbeitrag weiter unten). Die empirische Studie ist in zwei Phasen gegliedert: Im ersten Teil der Analysen wird der Übergang in den Arbeitsmarkt für die unterschiedlichen Bildungsabschlusskohorten in den Blick genommen. Zum einen wurde dabei die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit, zum anderen die Qualität des Arbeitsmarkteinstiegs analysiert. Die Untersuchungen zur Qualität des Arbeitsmarkteinstiegs fokussieren insbesondere auf das Risiko befristeter Beschäftigung in der
Vorbemerkungen
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ersten Erwerbstätigkeit.11 Im zweiten Teil der Studie rückt die Phase der Etablierung junger Menschen am Arbeitsmarkt, also die Zeit nach dem erfolgreichen Erwerbseinstieg, in den Mittelpunkt des Interesses. Dazu wird das Risiko von Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit für die verschiedenen Bildungsabschlusskohorten untersucht. Es wird also empirisch überprüft, ob die Zeit, bis junge Menschen nennenswerten Schutz vor Arbeitslosigkeit genießen (d.h. sie sich etabliert haben), sich über die Kohorten verlängert hat und turbulenter geworden ist. Bei der Frage, wie sich die Etablierungsphase junger Menschen am deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt hat, konzentriere ich mich „nur“ auf das Arbeitslosigkeitsrisiko nach Erwerbseinstieg beziehungsweise die Dauer, bis junge Erwerbstätige einen nennenswerten Schutz gegen Arbeitslosigkeit genießen. Zusätzlichen Aspekte – wie Arbeitsplatzwechsel – werden nicht betrachtet. Deskriptive Auswertungen mit dem Datensatz haben gezeigt, dass die Arbeitsplatzmobilität junger Menschen nach Erwerbseinstieg eher gering ist. Für viele junge Menschen in Deutschland besteht auch heute noch die gesamte frühe Erwerbskarriere aus nur einem Beschäftigungsverhältnis. Die geringe Arbeitsplatzmobilität in Deutschland ist grundsätzlich kein überraschendes Ergebnis, da hinlänglich bekannt ist, dass die Mobilität am deutschen Arbeitsmarkt insgesamt gering ist – besonders verglichen mit Arbeitsmarktprozessen in liberalen Ländern (vgl. z.B. DiPrete et al. 1997). Insgesamt ist bei der Bewertung von veränderten Chancen und Prozessen am Arbeitsmarkt in Deutschland konzeptionell vor allem das Arbeitslosigkeitsrisiko von zentralem Interesse ist. Hier handelt es sich eindeutig um die Anzeichnen zunehmender externer, numerischer Flexibilisierung durch Arbeitgeber, die bei dieser Arbeit im Mittelpunkt des Interesses steht (siehe Kapitel 1.2 und 1.3). Wie im ersten Teil dieser Arbeit bereits ausgeführt, ist die Bundesrepublik Deutschland bekannt für ihre lange Tradition, die sogenannten Insider vor Arbeitsmarktrisiken – insbesondere Arbeitslosigkeit – zu beschützen. Die Frage ist, ob sich diese Tradition – vor allem im Lichte der Reform befristeter Beschäftigung seit 1985 – mit dem Eintritt neuer Generationen in den Arbeitsmarkt schrittweise aufgelöst hat. Die Ausweitung der Analysen auf die frühe Erwerbskarriere und damit über den Einstieg in die erste Erwerbstätigkeit hinaus ist von großer Wichtigkeit für die Beantwortung der Frage, ob junge Menschen in der Bundesrepublik verlangsamt 11
Das in jüngerer Zeit immer häufiger auftretende und diskutierte Phänomen, dass Bildungsabsolventen, vor allem Hochschulabsolventen, den Einstieg in den Arbeitsmarkt nur über ein Praktikum oder sogar eine Reihe von Praktika finden (Stichwort: „Generation Praktikum“), kann mit den in dieser Arbeit genutzten Daten nicht verlässlich analysiert werden. Eine Ergänzung der hier genutzten Daten um Informationen aus anderen Datenquellen ist kaum möglich, da insgesamt die Datenlage zu diesem Thema noch relativ schwach ist und vor allem auf Erfahrungsberichten Betroffener basiert (siehe Böhning, Helbig und Heyser 2006: 4).
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
in den Arbeitsmarkt integriert werden. Durch das duale Ausbildungssystem in Deutschland ist davon auszugehen, dass der Übergang in die erste Erwerbstätigkeit für viele Jugendliche auch heute noch relativ reibungslos verläuft, da ihnen durch die duale Ausbildung eine Brücke zum Arbeitsmarkt gebaut wird (vgl. Kapitel 2.2.1 für eine detaillierte Darstellung). Verschiedene vorliegende empirische Studien haben auch bereits gezeigt, dass Bildungsabsolventen in Deutschland der Übergang in die erste Erwerbstätigkeit recht schnell gelingt (siehe z.B. Scherer 2004 oder Kurz 2005). Dagegen ist anzunehmen, dass es für junge Menschen in Deutschland zunehmend schwerer geworden ist, sich am Arbeitsmarkt sicher zu etablieren. Durch verstärkte Flexibilitätsanforderungen an Unternehmen auf globalisierten Märkten steht zu vermuten, dass Arbeitgeber versuchen, einen Teil der Flexibilitätserfordernisse und Unsicherheiten über künftige Marktentwicklungen an Mitarbeiter weiterzugeben. Junge Erwerbstätige eignen sich dafür besonders, da sie – wie erläutert – generell einen geringeren institutionell garantierten Schutz gegen Beschäftigungsrisiken genießen und ihre Position am Arbeitsmarkt durch den rechtlichen Ausbau befristeter Beschäftigung in den vergangenen Jahren zusätzlich geschwächt wurde (vgl. Kapitel 2.2.1). In die Analysen zu Erwerbseinstiegsprozessen wurden – anders als für Erwerbsausstiegsprozesse (siehe Teil 3 dieser Arbeit) – neben Ostdeutschen und Westdeutschen zusätzlich junge Menschen nicht-deutscher Herkunft (d.h. Kinder ehemaliger Gastarbeiter) einbezogen. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Kinder mit nicht-deutschen Eltern im deutschen Bildungssystem stark benachteiligt und überproportional unter niedrigen Bildungsabschlüssen vertreten sind (vgl. z.B. Alba, Handl und Müller 1994; Baumert und Schümer 2001). Migranten sind damit eine wichtige Gruppe, die es einzubeziehen gilt, wenn Erwerbseinstiegsprozesse junger Menschen in Deutschland beurteilt werden, da anzunehmen ist, dass sie aufgrund ihres geringeren Bildungsniveaus besonders anfällig sind für eine Schwächung ihrer Arbeitsmarktposition.
Forschungsbeitrag Es gibt eine Reihe empirischer Studien, die sich mit Einstiegsprozessen in den deutschen Arbeitsmarkt beschäftigt haben (vgl. z.B. Brauns, Gangl und Scherer 1999; Konietzka 1999; Hillmert 2001; Scherer 2003; Kurz 2005; Kurz, Steinhage und Golsch 2005; McGinnity, Mertens und Gundert 2005). Ein Teil der vorliegenden empirischen Arbeiten hat ein Querschnittsdesign (z.B. Büchtemann, Schupp und Soloff 1994; Dietrich 1999; Müller, Steinmann und Ell 1998). Sie können also keine Aussagen über den Prozess des Arbeitsmarkteinstiegs machen. Für die Beantwortung der hier aufgeworfenen Frage, ob es für junge Men-
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schen in Deutschland immer länger dauert, sich am Arbeitsmarkt zu etablieren, ist die Betrachtung des Prozesses des Einstiegs jedoch von zentraler Bedeutung. Des Weiteren greifen einzelne der bisher existierenden Längsschnittstudien auf Daten der Deutschen Lebensverlaufsstudie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zurück (vgl. z.B. Konietzka 1999; Hillmert 2001; McGinnity, Mertens und Gundert 2005). Die Daten der Lebensverlaufsstudie erlauben zwar die Betrachtung großer historischer Zeiträume, beschränken mögliche Analysen aber auf Geburtskohorten. Um jedoch Aussagen darüber treffen zu können, wie sich eine zunehmend angespannte Arbeitsmarktlage auf die Erwerbschancen junger Menschen auswirkt, ist es sinnvoller, sich auf Bildungsabschluss- beziehungsweise Arbeitsmarkteintrittskohorten zu beziehen (vgl. auch Scherer 2004: 87; Kurz 2005: 16). Angehörige einer Geburtskohorte sind nach Verlassen des Bildungssystems nämlich je nach Bildungsniveau beziehungsweise Dauer im Bildungssystem mit sehr unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen konfrontiert. So können zwischen dem Arbeitsmarkteintritt eines Hochschulabsolvent und eines Bildungsabgängers ohne Lehre derselben Geburtskohorte bis zu zehn Jahre liegen – ihre Situation beim Übergang in das Erwerbsleben wird also von einer sehr unterschiedlichen Arbeitsmarktlage geprägt. Die Situation des Hochschulabsolventen wäre eher vergleichbar mit der Situation eines Geringqualifizierten einer jüngeren Geburtskohorte als mit der eines Geringqualifizierten derselben Geburtskohorte. Deshalb stützen sich die nachfolgenden Analysen auf Bildungsabschlusskohorten. Viele der bereits vorliegenden Studien fokussieren außerdem auf den Übergang von Bildung zur ersten Erwerbstätigkeit (vgl. z.B. Pollmann-Schult und Mayer 2004; Gangl 2000; Schäfer und Sroka 1998). Das heißt: Die Zeit nach dem erfolgreichen Eintritt in das Erwerbsleben wird vernachlässigt. Wie jedoch oben erläutert, ist es wichtig, die frühe Erwerbskarriere in die Untersuchungen einzubeziehen, wenn beurteilt werden soll, wie sich die Chancen junger Menschen am deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Nicht nur der Übergang in den ersten Beruf ist eine Hürde am deutschen Arbeitsmarkt. Auch nach erfolgreichem Eintritt ins Erwerbsleben sind junge Menschen in Deutschland anfällig für Arbeitsmarktrisiken. Deshalb ist es eine zentrale Frage, ob junge Erwerbstätige eine immer längere „Bewährungsprobe“ durchlaufen müssen, bevor sie sich sicher am Arbeitsmarkt etablieren können. Die nachfolgenden empirischen Untersuchungen setzen an diesem Punkt an und vergleichen systematisch den Prozess der Etablierung junger Erwerbstätiger verschiedener Bildungsabschlusskohorten. Dabei wird auch analysiert, inwiefern sich ein schlechter Erwerbseinstieg auf die nachfolgenden Arbeitsmarktchancen auswirkt. Meine empirischen Analysen bauen auf den Vorarbeiten von Kurz (2005) auf. In dieser umfangreichen Studie wurden die veränderten Erwerbschancen
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junger Menschen am deutschen Arbeitsmarkt untersucht. Im Mittelpunkt dieser Arbeit standen dabei die Auswirkungen von zunehmenden Erwerbsrisiken unter jungen Erwachsenen auf langfristige Bindungen wie die Familiengründung und den Übergang zur Ehe. Das zentrale Ergebnis von Kurz war, dass (1) die Beschäftigungsrisiken unter Bildungsabsolventen und jungen Erwachsenen in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre deutlich zugenommen haben und (2) dies nachhaltige Auswirkungen auf langfristig bindende Lebensentscheidungen hatte (siehe hierzu auch Kapitel 2.3 in dieser Arbeit). Die von mir später dargestellten Untersuchungen knüpfen an diese Studie von Karin Kurz an und bauen auf ihre Daten auf. Wie schon bei Kurz werden für die drei Bildungsabschlusskohorten 1984 bis 1989, 1990 bis 1993 und 1994 bis 2001 folgende Prozesse und Ereignisse analysiert: (1) die Dauer bis zum Übergang in die erste Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems, (2) das Risiko eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses in der ersten Erwerbstätigkeit, (3) der Erwerbsstatus unmittelbar nach Verlassen des Bildungssystems, (4) das Arbeitslosigkeitsrisiko nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit und (5) die Dauer bis zum Verlassen der ersten Arbeitslosigkeit und der Aufnahme einer neuen Erwerbstätigkeit. Diese Vorarbeiten von Kurz sollen durch die Analysen in dieser Arbeit wie folgt ergänzt werden: Erstens werden die veränderten Arbeitsmarktchancen und die zunehmenden Erwerbsunsicherheiten für die verschiedenen untersuchten Bildungsabschlusskohorten zusätzlich getrennt analysiert und herausgearbeitet. Dies ermöglicht einen genaueren Einblick in die Entwicklung sozialer Ungleichheiten in der frühen Phase des Erwerbslebens seit Mitte der 1980er Jahre. Welche Muster sozialer Ungleichheiten zeigen sich beim Arbeitsmarkteinstieg und in der frühen Erwerbskarriere für die verschiedenen untersuchten Kohorten? Lässt sich ein Wandel der Ungleichheitsstrukturen im Kohortenvergleich feststellen? Haben die Ungleichheiten eher zu- oder abgenommen? Zweitens wird in den nachfolgenden Analysen ein stärkeres Gewicht auf die Analyse des Etablierungsprozesses junger Menschen im Erwerbsleben gelegt (siehe Studiendesign weiter oben). Wie lange dauert es, bis junge Erwachsene vor Arbeitslosigkeit nennenswerten Schutz genießen? Welche Faktoren verhindern bzw. unterstützen diesen Etablierungsprozess? Weiterhin finden sich kleinere zusätzliche Unterschiede zur Studie von Kurz: Zum einen werden weitere Variablen einbezogen. So wird der Einfluss eines nachteiligen Arbeitsmarkteinstieges (d.h. die Suchdauer nach einer ersten Erwerbstätigkeit) auf die späteren Erwerbschancen analysiert und es werden zusätzliche Merkmale zur Charakterisierung des Arbeitsplatzes hinzugezogen (nämlich Wirtschaftszweig und Firmengröße). Zum anderen wurde für die nachfolgenden Analysen die Prozessdefinition für die Längsschnittanalysen etwas abgeändert (für eine genauere Erklärung der Hintergründe und Auswirkungen dieser Änderung siehe Daten und Methoden weiter unten).
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2.2 Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre 2.2.1 Der Einstieg ins Erwerbsleben und seine Flexibilisierung in der Bundesrepublik Deutschland Die Strukturierung des Arbeitsmarkteinstiegs durch das deutsche Bildungssystem Der Übergang in den Arbeitsmarkt, aber auch Erwerbsprozesse im Allgemeinen werden grundlegend von der Organisation des Bildungs- beziehungsweise Ausbildungssystems eines Landes bestimmt und strukturiert (vgl. z.B. Blossfeld 1993, 2003: 312; OECD 1998; Shavit und Müller 1998; Blossfeld et al. 2005; Breen 2005; Bukodi et al. 2006). Das deutsche Bildungssystem ist durch einen hohen Grad an Standardisierung und Stratifizierung gekennzeichnet (Allmendinger 1989). Die Stratifizierung beginnt bereits in recht jungen Jahren. Im Alter von zehn werden Schüler in Deutschland in drei unterschiedliche Schullaufbahnen eingruppiert (Hauptschule, Realschule und Gymnasium). Der erfolgreiche Abschluss des Gymnasiums (oder der Fachoberschule) ermöglicht jungen Menschen den Besuch einer Universität oder einer Fachhochschule. Der Aufstieg in die jeweils höhere Schulform ist zwar rein theoretisch möglich, jedoch äußerst selten (Mauthe und Rösner 1998; Bellenberg und Klemm 1998; Cortina 2003). In der Regel folgt nach dem Schulabschluss eine berufliche Ausbildung oder ein Studium. Der Großteil der jungen Menschen in Deutschland tritt eine berufliche Lehre im dualen Ausbildungssystem für zwei bis drei Jahre an. Im dualen Ausbildungssystem werden eine theoretische Ausbildung in Berufsschulen und eine praktische Qualifizierung in einem Ausbildungsbetrieb miteinander verbunden. Erfolgreiche Absolventen des dualen Ausbildungssystems erhalten ein standardisiertes und anerkanntes Berufszertifikat, welches ihnen erlaubt, flexibel zwischen Unternehmen wechseln zu können, jedoch gleichzeitig die Mobilität zwischen Berufen stark beschränkt, da die einzelnen Ausbildungen hoch spezialisiert sind und das jeweilige Zertifikat Zugangsvoraussetzung für die einzelnen Berufe ist. Das gänzliche Fehlen eines Berufszertifikats oder das Fehlen des passenden Berufszertifikats stellt eine kaum überwindbare Hürde am deutschen Arbeitsmarkt dar. Im Vergleich zur Organisation beruflicher Ausbildung in anderen Ländern trägt das duale Ausbildungssystem zu verbesserten Chancen von Arbeitsmarkteinsteigern bei (vgl. z.B. Blossfeld und Stockmann 1999: 10; Müller, Steinmann und Ell 1998: 159; Müller, Gangl und Scherer 2002: 56f.). Da durch die Kombination theoretischer und praktischer Ausbildung eine institutionelle Brücke zwi-
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
schen Bildungssystem und Unternehmen zur Verfügung steht, wird jungen Menschen in Deutschland ein vergleichsweise reibungsloser und planmäßiger Übergang vom Ausbildungssystem in das Beschäftigungssystem ermöglicht – auch bei einer angespannten Arbeitsmarktlage. Anders als für andere OutsiderGruppen am deutschen Arbeitsmarkt (z.B. Frauen nach einer Familienunterbrechung oder Arbeitslose) existiert also für junge Menschen mit dem dualen Ausbildungssystem ein „Sprungbrett“, das die Chancen für einen erfolgreichen Einstieg in den Arbeitsmarkt enorm verbessert. Das duale Ausbildungssystem hat aber auch seine Schattenseite: Diese Organisation beruflicher Ausbildung stellt vor allem für Unqualifizierte eine Gefahr dar, da ihnen der Einstieg in qualifizierte Berufe aufgrund eines fehlenden Zertifikats verwehrt bleibt und sie in der Regel auf unqualifizierte Berufspositionen verwiesen werden. Ein wichtiges Kennzeichen des deutschen Bildungssystems ist seine Expansion in den 1960er und 1970er Jahren. Mit Reformen wurden vor allem mittlere und höhere Bildungswege ausgebaut, um die Chancen von Frauen und Mädchen sowie von Kindern aus sozial schwächeren Elternhäusern und Kindern vom Land zu verbessern (Blossfeld 1985: 14ff.; Henz und Maas 1995: 606ff.). Vor der Bildungsexpansion besuchte der Großteil der Kinder in Deutschland die Haupt- beziehungsweise Volksschule (rund 80 Prozent), dieser Anteil ist auf ein Drittel gefallen. Parallel ist der Anteil der Gymnasiasten von lediglich 13 Prozent in den 1950er Jahren auf knapp ein Drittel gestiegen. Entsprechend hat sich auch der Anteil der jungen Menschen, die ein Studium aufnehmen, seit den 1960er Jahren deutlich erhöht (vgl. Geißler 2002: 335ff.). Insgesamt ist die Bildungsexpansion in Deutschland als Teilerfolg zu werten. An Universitäten und an den allgemeinbildenden Schulen konnten Frauen und Mädchen deutlich aufholen. Mädchen sind an Gymnasien inzwischen sogar leicht in der Überzahl (Blossfeld 1985: 19ff.). Jedoch zeigen sich auch heute noch deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Wahl des Studienfaches und des Ausbildungsberufes (vgl. z.B. Geißler 2002: 368ff.). Die „weiblichen Ausbildungen“ sind dabei mit deutlich geringeren Einkommen, geringerer Sicherung und schlechteren Karrierechancen verbunden als die „männlichen“ Berufsfelder (Beck-Gernsheim 1984: 26; Osterloh und Oberholzer 1994: 3f.). In Bezug auf soziale Herkunft zeigen sich auch heute noch starke Unterschiede in den Bildungschancen (Blossfeld und Shavit 1993). Auch wenn Kinder unterer Schichten ihre Chancen verbessern konnten, so zeigen sich noch immer starke schichtspezifische Unterschiede an Gymnasien sowie an Fachhochschulen und Universitäten. Besonders benachteiligt sind heute im Bildungssystem Kinder nicht-deutscher Herkunft (vgl. z.B. Alba, Handl und Müller 1994; Baumert und Schümer 2001). Kinder mit nicht-deutschen Eltern sind unter den am wenigsten qualifizierten Schulabgängern deutlich stärker vertreten
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
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und unter mittleren und höheren Bildungsabschlüssen deutlich unterrepräsentiert. Im Jahr 2000 war der Anteil von Migrantenkindern an Hauptschulen doppelt so hoch und ihr Anteil an Gymnasien nur halb so hoch wie der Anteil von Kindern mit deutschen Eltern. Damit ist Bildungsbeteiligung von Kindern mit nicht-deutschen Eltern mit der Situation deutscher Kinder in den 1970er Jahren zu vergleichen (Baumert und Schümer 2001: 340ff.).
Das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 und die rechtliche Ausweitung befristeter Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland Auch wenn erwartet werden kann, dass der Übergang in den Arbeitsmarkt aufgrund der Organisation des hiesigen (Aus-) Bildungssystems für den Großteil der jungen Menschen in Deutschland auch heute noch vergleichsweise reibungslos verläuft, so haben junge Erwerbstätige in den vergangenen Jahren doch eine deutliche Flexibilisierung ihrer Position am Arbeitsmarkt erlebt. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 wurden befristete Arbeitsverhältnisse bedeutend erleichtert. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Regelungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes nur bis Ende 1989 gelten sollten. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1990 wurden die Regelungen jedoch bis Ende 1995 und 1994 schließlich bis Ende 2000 verlängert (Bielenski, Kohler und Schreiber-Kittl 1994: VII; Mertens und McGinnity 2004: 161). 2001 wurden die Regelungen zu befristeter Beschäftigung in Deutschland für eine unbegrenzte Zeit in Kraft gesetzt (Mertens und McGinnity 2004: 161). Ziel des Beschäftigungsförderungsgesetzes war es, neue Arbeitsplätze zu schaffen (Bielenski und Kohler 1995: 142f.; Rudolph 2000: 1). Durch die Möglichkeit befristeter Beschäftigung sollten Arbeitgeber ermutigt werden, auch unter einer unsicheren Wirtschaftlage zusätzliche Arbeitnehmer einzustellen. Diesem Argument liegt die Annahme zugrunde, dass der vergleichsweise hohe Kündigungsschutz in Deutschland die Einstellung neuen Personals hemmt, da die Auflösung eines (unbefristeten) Arbeitsvertrages insgesamt sehr schwer ist und durch mögliche Rechtsstreite teuer und zeitaufwendig für ein Unternehmen werden kann. Bei befristeten Verträgen müssen Arbeitgeber dagegen keine langfristige Bindung eingehen, sondern haben die Möglichkeit, den Vertrag einfach auslaufen zu lassen und damit flexibler bei der eigenen Belegschaftsstärke zu sein. Vor 1985 konnten Arbeitgeber in der Regel nur unter Angabe von sachlichen Gründen befristet beschäftigen. Rechtlich anerkannt waren in diesem Zusammenhang „Saisonarbeit, Vertretung von vorübergehend abwesenden Arbeitnehmern (z.B. bei längerfristiger Krankheit oder Freistellung wegen Mutterschaft, Erziehungsurlaub oder Wehr-/Zivildienst), Aushilfstätigkeiten bei vorü-
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
bergehend hohem Arbeitsanfall, besondere Arbeitsaufgaben von begrenzter Dauer (u.a. Montageaufträge, Projekte, technische Umstellungen), Beschäftigung im Rahmen eines Praktikums oder zur eigenen Aus- und Weiterbildung des Arbeitnehmers“ (Bielenski und Kohler 1995: 141f.). Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz wurden die Möglichkeiten befristeter Beschäftigung stark erweitert. Seither bedarf es für das Ausstellen eines befristeten Arbeitsvertrages keiner sachlichen Begründung mehr von Seiten des Arbeitgebers (Bielenski und Kohler 1995: 142; Bielenski 1997: 532; Mertens und McGinnity 2004: 161). Zuerst war das Ausstellen eines befristeten Vertrages an einen Arbeitnehmer nur einmalig zulässig sowie auf maximal 18 Monate beschränkt; lediglich in neu gegründeten, kleinen Betrieben war eine Befristung von maximal 24 Monaten möglich (§ 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985). Erst seit 1996 wurde eine generelle Befristung von maximal 24 Monaten eingeführt. Zudem wurde ergänzt, dass befristete Verträge verlängert werden können. Jedoch dürfen die maximal zulässigen, nahtlos aneinander anknüpfenden drei befristeten Verträge zusammengenommen die maximal zulässige Gesamtdauer von befristeten Verträgen nicht überschreiten (Rudolph 2000: 2). Insgesamt wurde mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz also in das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingegriffen (Bielenski und Kohler 1995: 142). Vor 1985 war es Arbeitgebern nicht erlaubt, befristete Arbeitsverhältnisse auszustellen, weil sie sich unsicher über die künftige wirtschaftliche Entwicklung des Betriebes waren. Typische Arbeitgeberrisiken wie die Unsicherheit über die künftige Auftragslage durften also nicht auf Arbeitnehmer abgewälzt werden. Dies änderte sich ab 1985. Dadurch dass befristete Arbeitsverträge nicht mehr begründet werden mussten (wobei die zulässigen Gründe vor 1985 wie oben erläutert klar definiert waren), wurde es Arbeitgebern ermöglicht, verstärkt eigene Marktrisiken an Arbeitnehmer weiterzugeben. Von Anfang an durften befristete Verträge nur bei Neueinstellungen sowie bei der Übernahme von Auszubildenden abgeschlossen werden (§ 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985). Befristete Beschäftigung zielt damit vor allem auf die Gruppe der jungen Erwerbstätigen und der Bildungsabgänger. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz wurden junge Menschen zu einer flexiblen Manövriermasse für Unternehmen gemacht, da sie durch die Möglichkeit befristeter Beschäftigung seither vergleichsweise einfach abgebaut werden können. Dass befristete Beschäftigung systematisch jüngere Arbeitnehmer trifft, zeigt sich bei einer Betrachtung der Verbreitung von befristeter Beschäftigung in Deutschland nach Altersgruppen (siehe Abbildung 7): Insgesamt waren im Jahr 2004 knapp acht Prozent der abhängig Erwerbstätigen in Deutschland befristet beschäftigt – unbefristete Beschäftigung war also eigentlich, wenn die Gesamtheit der abhängig Erwerbstätigen in den Blick genommen wird, der Normalfall. Bei
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre Abbildung 7:
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Befristete Arbeitsverträge unter abhängig Erwerbstätigen (ohne Auszubildende) im März 2004, nach Altersgruppen
45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 30 Jahre und älter
15 bis 29 Jahre
65 Jahre und älter
60 bis 64 Jahre
55 bis 59 Jahre
50 bis 54 Jahre
45 bis 49 Jahre
40 bis 44 Jahre
35 bis 39 Jahre
30 bis 34 Jahre
25 bis 29 Jahre
20 bis 24 Jahre
15 bis 19 Jahre
Insgesamt
0%
Quelle: Mikrozensus 2004, Statistisches Bundesamt Wiesbaden (aus der Fachserie 1 „Bevölkerung und Erwerbstätigkeit“ zum Mikrozensus 2004); eigene Berechnungen.
einer Betrachtung nach Altersgruppen wird jedoch deutlich, dass Befristungen vor allem unter jüngeren Erwerbstätigen sehr weit verbreitet und unbefristete Verträge für untere Altersgruppen durchaus nicht mehr der Normalfall sind. 40 Prozent der unter 20-Jährigen waren im März 2004 befristet beschäftigt. In den folgenden beiden Altersgruppen der 20- bis 24-Jährigen und der 25- bis 29Jährigen sinkt dieser Anteil zwar auf rund 29 Prozent und 16 Prozent, bleibt aber überdurchschnittlich. Insgesamt war mehr als jeder fünfte abhängig Erwerbstätige unter 30 Jahren im März 2004 in einem befristeten Arbeitsverhältnis tätig, dieser Anteil ist viermal so hoch wie bei über 30-Jährigen. Damit ist ein beträchtlicher Teil der jungen Erwerbstätigen der Unsicherheit ausgesetzt, ob sie auch künftig über einen Arbeitsplatz und damit ein Einkommen verfügen, da sich ihr Arbeitgeber die Option offen hält, das Beschäftigungsverhältnis nicht fortzusetzen.
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
2.2.2 Hypothesen Wie eingangs ausgeführt sind zwei Forschungsfragen von zentralem Interesse für meine empirischen Analysen (siehe Kapitel 2.1): 1.
2.
Brauchen junge Menschen in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre immer länger, um den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu finden und sich sicher im Erwerbsleben zu etablieren? Welche Gruppen junger Menschen wurden besonders von einer abnehmenden Erwerbsstabilität und einer zunehmenden Flexibilisierung ihrer Erwerbsposition getroffen? Wie haben sich also soziale Ungleichheitsstrukturen unter jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt?
Die Untersuchungen stützen sich auf den Vergleich junger Westdeutscher und Ostdeutscher sowie junger Menschen nicht-deutscher Herkunft dreier Bildungsabschlusskohorten (für eine detaillierte Darstellung der Daten siehe Kapitel 2.2.3). Im ersten Schritt der empirischen Untersuchungen wird der Übergang ins Erwerbsleben in den Blick genommen. Zum einen wird dazu die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems betrachtet. Zum anderen wird die Qualität des Arbeitsmarkteinstiegs analysiert. Im zweiten Schritt der Analysen wird die Phase nach dem Einstieg in das Erwerbsleben in den Blick genommen. Die Frage ist hier: Können sich junge Menschen, sobald sie eine erste Berufstätigkeit gefunden haben, sicher am Arbeitsmarkt etablieren oder laufen sie Gefahr, den frisch gewonnenen Boden wieder zu verlieren? Hierzu wird das Risiko von Arbeitslosigkeit für die verschiedenen Bildungsabschlusskohorten untersucht, nachdem sie eine erste Erwerbstätigkeit gefunden haben. In einem letzten Schritt der empirischen Untersuchung wird schließlich ein kurzer Ausblick auf die Rückkehrchancen der jungen Menschen geworfen, die nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit arbeitslos wurden. Folgende Forschungshypothesen werden für die empirischen Untersuchungen aufgestellt:
Die Entwicklung des Erwerbseinstiegs in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre: Wachsende Erwerbsrisiken für junge Menschen Beim Einstieg in den Arbeitsmarkt handelt es sich um eine der sensibelsten Übergangsphase im Erwerbsleben. Diese Phase ist besonders anfällig für die Auswirkungen von gestiegenem Arbeitsmarkt- und Wettbewerbsdruck. Durch das Fehlen
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
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von Seniorität, Berufserfahrung, Interessenvertretung und Netzwerken stellen junge Menschen eine äußerst verwundbare Gruppe am Arbeitsmarkt dar, der ökonomische Unsicherheiten aufgeschultert werden kann. In Deutschland wird die Situation von Arbeitsmarkteinsteigern zusätzlich belastet, da die Beschäftigungssicherheit sowie die Regulierung des Arbeitsmarktes vergleichsweise hoch sind, so dass Unternehmen nur begrenzt auf ökonomische Schwankungen reagieren können (siehe Kapitel 1.3 und 1.5 dieser Arbeit). Arbeitsmarkteinsteiger genießen jedoch nicht beziehungsweise nur in geringerem Maße die Vorteile der Regulierungen am deutschen Arbeitsmarkt – es werden vor allem diejenigen geschützt, die sich bereits in Beschäftigung befinden (d.h. die sogenannten Insider des Arbeitsmarktes). Zudem haben junge Erwerbstätige und Arbeitsmarkteinsteiger mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 eine starke Flexibilisierung ihrer Erwerbsposition erlebt (siehe Kapitel 2.2.1). Durch die rechtliche Ausweitung befristeter Beschäftigung wurde Unternehmen trotz des vergleichsweise hohen Kündigungsschutzes in Deutschland ein Instrument an die Hand gegeben, sich relativ einfach und kostenneutral wieder von Mitarbeitern zu trennen, um so auf zyklische Fluktuationen und veränderte Marktbedingungen reagieren zu können. Da die rechtliche Ausweitung befristeter Beschäftigung vor allem auf junge Menschen zielte, wurden junge Erwerbstätige innerhalb des regulierten deutschen Beschäftigungssystems systematisch zu einer flexiblen Manövriermasse für Arbeitgeber gemacht. Entsprechend soll der Erwerbseinstieg und die Etablierung im Erwerbsleben für junge Menschen in Deutschland zunehmend schwerer und turbulenter geworden sein. Ich nehme an, dass junge Menschen am deutschen Arbeitsmarkt seit Mitte der 1980er Jahre eine immer längere Phase der Unsicherheit beziehungsweise Instabilität durchlaufen müssen, bevor sie sich im Erwerbsleben etablieren können. Als Ergebnis der Analysen wird also erwartet, dass sich (1) die Suchdauer für eine erste Erwerbstätigkeit in der Kohortenfolge verlängert hat, dass sich (2) das Risiko, in der ersten Berufstätigkeit befristet statt unbefristet beschäftigt zu sein, erhöht hat und dass es (3) für junge Erwerbstätige immer länger dauert, bis sie gegen Arbeitslosigkeit abgesichert sind.
Der Einfluss individueller und betrieblicher Merkmale auf die Chancen junger Menschen am Arbeitsmarkt Nicht alle Absolventen des Bildungssystems und junge Erwerbstätige sollen in gleichem Ausmaß von zunehmenden Arbeitsmarktunsicherheiten betroffen sein. Im Gegenteil: Die Gefahr, sich Erwerbsrisiken stellen zu müssen, soll von ver-
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
schiedenen Faktoren – beispielsweise dem Qualifikationsniveau junger Menschen oder der Bevölkerungsgruppe – abhängen:
Bildungsniveau und Berufsposition: Qualifikation ein Schutz gegen Erwerbsrisiken – Geringqualifizierte als Verlierer des Flexibilisierungsprozesses Für diejenigen Bildungsabsolventen, die eine berufliche Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, soll der Einstieg in den Arbeitsmarkt vergleichsweise einfach sein. Durch das duale Ausbildungssystem wird jungen Menschen eine institutionelle Brücke zum Erwerbsleben gebaut. Arbeitgeber haben in das Humankapital der Lehrlinge investiert und kennen die Fähigkeiten ihrer Lehrlinge, so dass sie versuchen, diese jungen Menschen im Betrieb zu halten. Aber selbst, wenn sie nicht vom Ausbildungsbetrieb übernommen werden, kann erwartet werden, dass die Arbeitsmarkteinstiegschancen junger Menschen mit Lehre sehr gut sind. Ihre gute und zertifizierte Ausbildung stattet sie mit klaren Signalen am Arbeitsmarkt aus und soll ihnen einen vergleichsweise reibungslosen und zügigen Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit sichern. Dagegen sollen vor allem diejenigen Abgänger des Bildungssystems Probleme haben, eine erste Erwerbstätigkeit zu finden, die keine berufliche Ausbildung absolviert haben und nur über einen Schulabschluss verfügen. Sie besitzen nur ein geringes Qualifikationsniveau, vor allem aber fehlt ihnen eine Berufsqualifikation. Dies macht für sie einen Einstieg in einen Arbeitsmarkt, auf dem stark geschlossene Berufsstrukturen zu finden sind, äußerst schwer. Menschen ohne berufliche Ausbildung werden in Deutschland in der Regel auf unqualifizierte Berufspositionen verwiesen. Dies sind aber genau die Berufspositionen, die in den vergangenen Jahren und mit der zunehmenden Automatisierung von Produktionsabläufen äußerst stark unter Druck geraten oder sogar verschwunden sind. Auch nach dem Erwerbseinstieg sollen sich deutliche Unterschiede zwischen jungen Menschen verschiedenen Qualifikationsniveaus zeigen: Wie Breen (1997) ausführt, gibt es auf dem Arbeitsmarkt auf der einen Seite Arbeitnehmer mit klar definierten und überprüfbaren Aufgaben und auf der anderen Seite Beschäftigte mit Aufgaben, die weniger einfach durch den Arbeitgeber zu kontrollieren sind. Demzufolge muss unterschieden werden zwischen Beschäftigungsverhältnissen in hoch qualifizierten Dienstleistungsberufen und in weniger qualifizierten beziehungsweise unqualifizierten Berufen (Erikson und Goldthorpe 1992; vgl. auch Kapitel 1.4). Im erstgenannten Fall ist die Austauschbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber diffus angelegt, so dass die Bereitschaft des Arbeitgebers größer ist, diesen Beschäftigten Erwerbsstabilität und -sicherheit anzubieten, um sich ihre Loyalität und ihr Engagement
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zu sichern. Folglich ist davon auszugehen, dass (hoch) qualifizierte junge Erwerbstätige vergleichsweise geschützt sind vor einer Verlagerung von Marktrisiken und Arbeitslosigkeit in der frühen Erwerbskarriere. Dagegen sollen weniger und gering qualifizierte junge Erwerbstätige unter der sich verschlechternden Wirtschaftslage in Deutschland eine deutliche Abnahme ihrer Erwerbsstabilität erfahren haben und mit zunehmenden Problemen konfrontiert sein, sich sicher am Arbeitsmarkt zu etablieren.
Firmengröße: Interne Arbeitsmärkte weiterhin Garanten für eine zügige Etablierung im Erwerbsleben Zwar ist der deutsche Arbeitsmarkt insgesamt auch heute noch durch eine vergleichsweise hohe Regulierung gekennzeichnet, jedoch variiert der Grad an Beschäftigungsstabilität in den verschiedenen Arbeitsmarktsegmenten. In diesem Zusammenhang spielen interne Arbeitsmärkte großer Firmen eine besondere Rolle. Es ist bekannt, dass interne Arbeitsmärkte generell bessere Karrierechancen sowie höhere Beschäftigungsstabilität bieten und die Arbeitskräfte auf internen Arbeitsmärkten stärker vor Konkurrenz von außen geschützt sind (Doeringer und Piore 1971). In Deutschland wird die Bedeutung interner Arbeitsmärkte noch verstärkt, da die Existenz und der Einfluss von Betriebsräten von der Größe eines Betriebes abhängen. Insgesamt erwarte ich deshalb eine stärkere Sicherung gegen Erwerbsrisiken und eine schnellere Etablierung am Arbeitsmarkt für junge Menschen in größeren Betrieben.
Wirtschaftszweig: Erwerbschancen junger Menschen abhängig von der ökonomischen Entwicklung in den verschiedenen Sektoren Empirische Studien haben gezeigt, dass der öffentliche Dienst in Deutschland bisher eine besonders hohe Absicherung vor Erwerbsrisiken für Beschäftigte geboten hat (vgl. z.B. Kurz, Hillmert und Grunow 2006, Buchholz und Grunow 2006; Buchholz 2003). Jedoch ist die Frage, ob dies auch heute noch für Arbeitsmarkteinsteiger gilt. Mitte der 1980er Jahre fand die Expansion des öffentlichen Sektors ein Ende und es setzte sich eine restriktive Personalpolitik durch (Blossfeld 1984: 159f.; Blossfeld und Becker 1989: 235; Mayer und Hillmert 2004: 81, 89). Lediglich unmittelbar nach der Wiedervereinigung erlebte der öffentliche Dienst eine kurze Phase der erneuten Expansion (Abelshauser 2004: 312). Da der öffentliche Dienst vor allem die „Arbeitsplatzbesitzer“, also diejenigen mit längerer Dienstzeit, schützt, ist zu erwarten, dass dieser Sektor für
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
jüngere Generationen nicht mehr generell, sondern nur noch in Zeiten des Wachstums bessere Etablierungschancen bietet. Im deutschen Industriesektor sind Gewerkschaften und Betriebsräte traditionell sehr stark. Dies legt die These nahe, dass junge Erwerbstätige in diesem Sektor hohe Beschäftigungssicherheit genießen. Jedoch ist der Industriesektor gleichzeitig der Wirtschaftszweig, der seit Beginn der 1990er Jahre stark unter Druck geraten und geschrumpft ist. Somit erwarte ich als Ergebnis der Analysen, dass die Beschäftigungssicherheit im sekundären Sektor in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich abgenommen hat. Zusammenfassend sollen die Chancen junger Erwachsener, sich sicher am Arbeitsmarkt zu etablieren, also stark von der jeweiligen ökonomischen Lage in einem Wirtschaftszweig zum Zeitpunkt ihres Erwerbseinstiegs abhängen.
Bevölkerungsgruppe: Ostdeutsche und Migranten im Vergleich zu Westdeutschen benachteiligt Die allgemeine wirtschaftliche Lage ist in Ostdeutschland deutlich schlechter als in Westdeutschland. Noch mehr als ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung ist die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern, sowohl für Frauen als auch für Männer, mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland (Statistisches Bundesamt 2002: 99). Entsprechend erwarte ich, dass junge Menschen aus Ostdeutschland besonders große Probleme haben, eine erste Erwerbstätigkeit zu finden und auf dem Arbeitsmarkt sicher Fuß zu fassen. Auch für junge Menschen nicht-deutscher Herkunft werden erhöhte Erwerbsrisiken erwartet, jedoch aus anderen Gründen: Kinder mit Migrationshintergrund sind im deutschen Bildungssystem stark benachteiligt und weisen deshalb ein deutlich niedrigeres Bildungsniveau auf als Kinder mit deutschen Eltern (siehe Kapitel 2.2.1). Aus diesem Grund sollen sie sich schwerer tun, eine erste Erwerbstätigkeit zu finden und erwerbstätig zu bleiben.12
Geschlecht: Höhere Erwerbsrisiken für junge Frauen? Auch wenn Frauen beim Arbeitsmarkteinstieg sowie in der frühen Erwerbskarriere in der Regel noch kinderlos sind, ist eine Diskriminierung gegenüber jungen Frauen seitens der Arbeitgeber nicht auszuschließen. Da Arbeitgeber un12
Signifikante Unterschiede zwischen Westdeutschen und Migranten sollen also in den empirischen Analysen verschwinden beziehungsweise sich abschwächen, sobald für das Bildungsniveau kontrolliert wird.
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terstellen könnten, dass eine Frau künftig aus familiären Gründen ausscheiden wird, wäre es möglich, dass auch schon junge Frauen mehr Problemen am Arbeitsmarkt begegnen als Männer. Zusätzlich konzentrieren sich Frauen auf bestimmte Teile des Arbeitsmarktes, die generell weniger Beschäftigungssicherheit bieten. So sind Frauen unterrepräsentiert in größeren Betrieben und arbeiten verstärkt in Berufen mit geringeren Karrierechancen und geringerer Beschäftigungssicherheit (Beck-Gernsheim 1984; Osterloh und Oberholzer 1994). Vor diesem Hintergrund sind schlechtere Chancen für junge Frauen beim Arbeitsmarkteinsteig und in der frühen Erwerbskarriere trotzt ihrer Gewinne durch die Bildungsexpansion auch heute noch möglich.
2.2.3 Daten und Methoden Um die Entwicklung von Erwerbseinstiegsprozessen und den Prozess der Etablierung junger Erwachsener im Erwerbsleben für die Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen, werden Daten aus dem Sozio-Ökonomischen Panel genutzt. Das Sozio-Ökonomische Panel ist eine jährliche, repräsentative Haushaltsbefragung, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 in Ostdeutschland durchgeführt wird. An der Erstbefragung nahmen rund 6.000 Haushalte mit ungefähr 12.000 Personen teil (Hanefeld 1987). In den jährlichen Befragungen des SozioÖkonomischen Panels werden alle Haushaltsmitglieder ab Alter 16 unter anderem zur Bildungsgeschichte, zum Erwerbsleben und zur Familiensituation befragt. Die Studie besteht aus mehreren Stichproben für verschiedene Bevölkerungsteile und umfasst heute westdeutsche Haushalte, Haushalte mit ausländischem Haushaltsvorstand aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland, Spanien und Italien, Immigrantenhaushalte sowie ostdeutsche Haushalte (Haisken-DeNew und Frick 2002). Für die nachfolgenden Untersuchungen werden Informationen für junge Westdeutsche, Ostdeutsche und Ausländer aus den Befragungswellen 1984 bis 2002 genutzt. Um Erwerbseinstiegsprozesse zu analysieren, wurde – wie weiter oben im Forschungsbeitrag erläutert – auf die umfangreichen Vorarbeiten von Kurz (2005) zurückgegriffen. Zuerst wurden im Sozio-Ökonomischen Panel Bildungsabgänger identifiziert. Personen, die zwischen 1984 beziehungsweise 1990 (für Ostdeutschland) und 2001 das allgemeine Schulsystem, eine berufliche Ausbildung, eine Fachhochschule oder Universität verlassen haben, wurden in die Analysen einbezogen. Um diese Personen zu bestimmen, wurde im ersten Schritt auf die sogenannten Jahresinformationen des Sozio-Ökonomischen Panels zurückgegriffen: Wenn eine Person im Interview des Jahres x, aber nicht beim Interview des nachfolgenden Jahres angab, an einer Hochschule, in schuli-
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
scher oder beruflicher Ausbildung zu sein, wurde die Person als Abgänger des Bildungssystems klassifiziert. Im nächsten Schritt wurden die monatsgenauen Informationen aus dem Erwerbskalender des Sozio-Ökonomischen Panels herangezogen, um so den Erwerbsverlauf dieser Personen seit Verlassen des Bildungssystems bis zum letzten Interview zu rekonstruieren. In Einzelfällen wurden Korrekturen an der Definition des Bildungsabschlusses vorgenommen. Erstens stellte sich durch die Nutzung der Monatsinformationen heraus, dass einige Personen, die auf Basis des Jahresinterviews als „nicht mehr in Bildung befindlich“ klassifiziert wurden, nur für kurze Zeit ihre (Aus-) Bildung unterbrochen hatten. Zwei Bildungsepisoden, die maximal sechs Monate auseinander lagen, wurden miteinander verbunden, da davon auszugehen war, dass diese Personen sich zwischen den beiden Episoden lediglich in einer „Warteschleife“ befanden und damit nicht wirklich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen. Anders als bei Kurz (2005) wurden zweitens kleine Lücken (ebenfalls von maximal sechs Monaten) zwischen (Aus-) Bildungsabschluss und Beginn des Wehr- oder Zivildienstes geschlossen, da auch in diesem Fall davon ausgegangen werden konnte, dass die jeweiligen Personen nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen und damit nicht auf der Suche nach der ersten bedeutenden Erwerbstätigkeit waren. In diesen genannten Fällen wurde der Bildungsabschluss definiert als der Zeitpunkt, an dem die jeweiligen Personen den Wehr- beziehungsweise Zivildienst oder die weiterführende Bildung abgeschlossen hatten. Es wurde überprüft, wie sich die Ergebnisse der empirischen Analysen verändern, wenn nur kleinere Lücken von maximal drei Monaten geschlossen werden. Es zeigte sich folgende Veränderung in den Ergebnissen: Wenn lediglich dreimonatige Unterbrechungen geschlossen wurden, waren Unterschiede zwischen jungen Männern und Frauen deutscher Nationalität auf der Suche nach der ersten Erwerbstätigkeit nach Bildungsabschluss auf nur noch schwachem Niveau oder gar nicht mehr signifikant. Diese Veränderung lässt sich damit erklären, dass in Deutschland der Wehr- oder Zivildienst für deutsche Männer verpflichtend ist und vom Großteil der jungen Männer auch absolviert wird (vgl. z.B. Trabold, Schneider und Vogel 2006: 139). Schließt man nur kleinere Lücken von maximal drei Monaten zwischen Bildungsabschluss und Beginn von Wehr- oder Zivildienst, so fließen junge Männer in die Analysen ein, die sich in Warteposition befinden und damit wahrscheinlich nicht auf der Suche nach einer ersten Erwerbstätigkeit sind. Somit werden tatsächliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf der Suche nach einer ersten Erwerbstätigkeit möglicherweise verzerrt, da in den männlichen Anteil der Risikopopulation Männer einfließen, die aufgrund des baldigen Beginns einer Wehr- oder Zivildiensttätigkeit nicht zur Risikopopulation gehören.
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
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Insgesamt führt dieses Vorgehen dazu, dass sich in den später dargestellten Analysen einige Unterschiede zu den Ergebnissen von Kurz (2005) finden lassen. So zeigt sich beispielsweise, dass der Anteil der Bildungsabsolventen, die sehr schnell den Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit realisieren können, höher ist als bei Kurz. Diese Differenz ist eben darauf zurückzuführen, dass in den hier genutzten Basisdaten diejenigen Bildungsabsolventen zu einem größeren Umfang ausgeschlossen werden, die sich in einer Art „Warteschleife“ befinden und somit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Auch finden sich die von Kurz dargestellten Unterschiede zwischen jungen Männern und Frauen auf der Suche nach einer ersten Erwerbstätigkeit und der Zusammenhang mit dem Migrationsstatus nach dem Schließen der Lücken zwischen Bildungsabschluss und Aufnahme des Wehr- oder Zivildienstes nicht mehr (zur Begründung siehe oben). Leider liegen im Sozio-Ökonomischen Panel keine Informationen zur gesamten Bildungsgeschichte einer Person vor. Damit lässt sich nicht eindeutig sagen, wann eine Person erstmalig das Bildungssystem verlassen und eine vollwertige Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen hat. Um dieser Problematik zu begegnen, wurde die Untersuchungspopulation auf Personen beschränkt, die in dem Jahr, in dem sie das Bildungssystem verließen, nicht älter als 32 Jahre waren. So konnte mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich die Personen der Ausgangspopulation zumindest in einer frühen Phase ihres Erwerbslebens befanden. Basierend auf diesen oben genannten Definitionen besteht die Ausgangspopulation der im Folgenden dargestellten Analysen aus 3.207 jungen Männern und Frauen. Davon sind 1.798 Westdeutsche, 639 Ostdeutsche und 770 Personen nicht-deutscher Herkunft. Für diese Gruppe wurden die folgenden drei Bildungsabschlusskohorten gebildet: 1984 bis 1989, 1990 bis 1993 und 1994 bis 2001. Diese Kohorten wurden definiert auf Basis der Arbeitsmarktsituation in dem Jahr, in dem die Personen das Bildungssystem verließen (Kurz 2005: 11f.): In den 1980er Jahren stieg die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik Deutschland an und erreichte 1985 ein Hoch von 9,3 Prozent, bevor sie Ende der 1980er Jahre wieder leicht zurückging – jedoch nicht auf ein Niveau, das vergleichbar gewesen wäre mit der Situation zu Beginn des Jahrzehnts. Zu Beginn der 1990er Jahre und mit der deutschen Wiedervereinigung erlebte die Bundesrepublik eine kurze Phase eines wirtschaftlichen Aufschwungs und einer Entspannung am Arbeitsmarkt, die vor allem auf die Öffnung neuer Märkte zurückzuführen waren. In dieser Phase überstieg das Angebot an Ausbildungsplätzen die Nachfrage. Jedoch spannte sich die allgemeine Arbeitsmarktlage bereits ab 1993 wieder an. Die Arbeitslosenquote stieg beträchtlich und erreichte 1997 in Westdeutschland mit 11 Prozent und in Ostdeutschland mit 19,5 Prozent einen Höhepunkt.
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Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Im ersten Schritt der empirischen Untersuchungen wurde der Einstieg ins Erwerbsleben in den Blick genommen. Zum einen wurde dazu die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems betrachtet. Befragte, die in Wehr- beziehungsweise Zivildienst übergingen oder ins Bildungssystem zurückkehrten, wurden in diesen Analysen rechtszensiert. Zum anderen wurde die Qualität des Erwerbseinstiegs analysiert. Hierzu wurde erstens das Risiko untersucht, das Erwerbsleben in einer flexiblen Erwerbsform, nämlich befristeter Beschäftigung, zu beginnen, und zweitens der Erwerbsstatus unmittelbar nach Verlassen des Bildungssystems betrachtet. Im zweiten Schritt der Analysen wurde die Phase der Etablierung junger Menschen im Erwerbsleben betrachtet. Hierzu wurde das Risiko von Arbeitslosigkeit für die verschiedenen Bildungsabschlusskohorten untersucht, nachdem sie den Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit erfolgreich realisiert hatten.13 Von besonderem Interesse ist hier, wie lange junge Menschen im Kohortenvergleich brauchten, bevor sie „Insiderrechte“ – in diesem Fall einen erhöhten Schutz vor Arbeitslosigkeit – genießen konnten. Für Personen, die in den Erwerbseinstiegsanalysen rechtszensiert waren, da sie wieder ins Bildungssystem zurückgekehrt waren oder Wehr- beziehungsweise Zivildienst aufgenommen hatten, bezieht sich die Untersuchung des Arbeitslosigkeitsrisikos auf die erste Erwerbsepisode nach Verlassen der weiterführenden Bildung beziehungsweise des Zivil- oder Wehrdienstes. Aus diesem Grund ist die Startpopulation für die Analysen für den Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit größer als die Zahl der Personen, die eine erste Erwerbstätigkeit finden (3.008 Personen im Vergleich zu 2.799 Personen). Im letzten Schritt der empirischen Untersuchung wird ein kurzer Blick auf die Rückkehrchancen von den jungen Erwerbspersonen geworfen, die nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit arbeitslos wurden. Grundlage für diese Untersuchungen sind 612 junge Ostdeutsche, Westdeutsche und Migranten. Für die empirischen Analysen wurden verschiedene statistische Verfahren genutzt: Um das Risiko zu untersuchen, die Erwerbstätigkeit in einem befristeten statt in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis zu beginnen, wurden logistische Regressionsmodell angewandt (Agresti 1990). Für die Verweildaueranalysen zum Erwerbseinstieg, zum Arbeitslosigkeitsrisiko nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit und zum Wiedereinstieg von jungen Arbeitslosen wurden zum einen Kaplan-Meier-Schätzungen und zum anderen periodenspezifische Exponentialmodelle genutzt, mit denen der Einfluss verschiedener erklärender Varia-
13
Die Analysen wurden auf die Personen begrenzt, die ihre erste Erwerbstätigkeit innerhalb von fünf Jahren nach Verlassen des Bildungssystems begonnen haben. Dies gilt für 99,5 Prozent der Population.
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
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Tabelle 1: Kovariablen für die Untersuchung von Erwerbseinstiegsprozessen in der Bundesrepublik Deutschland Bildungsabschlusskohorte
Basierend auf der Arbeitsmarktsituation im Jahr des Verlassens des Bildungssystems: 1984 bis 1989 1990 bis 1993 1994 bis 2001
Bevölkerungsgruppe
Westdeutsche, Ostdeutsche und Migranten
Durchschnittliche Arbeitslosenquote
Basierend auf der amtlichen, jährlichen Arbeitslosenquote (getrennt für Ost- und Westdeutschland)
Geschlecht
Frauen versus Männer
Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit
Monate bis zur ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems
Beschäftigungsverhältnis
Befristet abhängig beschäftigt; unbefristet abhängig beschäftigt; selbstständig
Bildungsniveau
Zusammengefasste Version der CASMIN-Klassifikation (vgl. Shavit und Müller 1998; Brauns und Steinmann 1999): Hauptschulabschluss oder kein Schulabschluss ohne berufliche Ausbildung Hauptschulabschluss oder kein Schulabschluss mit beruflicher Ausbildung Mittlere Reife oder Abitur ohne berufliche Ausbildung Mittlere Reife oder Abitur mit beruflicher Ausbildung Fachhochschul- oder Universitätsabschluss
Berufsposition
Basierend auf der Klassifikation von Erikson und Goldthorpe (1992): Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter, leitende Arbeiter und Techniker Unqualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten Qualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse Obere Dienstklasse
Wirtschaftszweig
Modifikation der Klassifikation von Singelmann (1978): Extraktiver Sektor (Landwirtschaft, Bergbau) Transformativer Sektor (Fertigungsindustrie, Bau) Privater Dienstleistungssektor (z.B. Transport, Handel, Banken, personenbezogene Dienstleistungen) Sozialer Dienstleistungssektor (staatliche Verwaltung, Bildung etc.)
Firmengröße
Basierend auf der Anzahl der Mitarbeiter: Weniger als 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter
62
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
blen auf die Dauer bis zum Übergang in den jeweiligen Zustand überprüft wurde (Blossfeld und Rohwer 2002). Als erklärende Variablen fließen in die Analysen ein: (1) die Bildungsabschlusskohorte, (2) die Bevölkerungsgruppe, (3) die durchschnittliche Arbeitslosenquote, (4) das Geschlecht, (5) die Suchdauer bis zur Aufnahme der ersten Erwerbstätigkeit, (6) die Art des Beschäftigungsverhältnisses, (7) das Bildungsniveau, (8) die berufliche Position, (9) der Wirtschaftszweig14 und (10) die Firmengröße. Eine Übersicht der erklärenden Variablen und ihrer Messung15 findet sich in der Tabelle 1.
2.2.4 Ergebnisse der empirischen Analysen Der Übergang in die erste Erwerbstätigkeit In den Abbildungen 8 bis 10 sind die Überlebensfunktionen für die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems für die verschiedenen untersuchten Bildungsabschlusskohorten dargestellt. Zuerst ist festzuhalten, dass der Übergang in den Arbeitsmarkt für den Großteil der jungen Menschen in Deutschland wie erwartet relativ glatt und reibungslos verläuft. Bereits innerhalb eines Monats nach Verlassen des Bildungssystems begannen zwischen 65 bis 74 Prozent der Westdeutschen, zwischen 53 bis 70 Prozent der Bildungsabgänger nicht-deutscher Herkunft und zwischen 55 und 68 Prozent der Ostdeutschen eine erste Erwerbstätigkeit. Dass der Übergang in die Erwerbstätigkeit in Deutschland generell recht zügig erfolgt, wird auch deutlich bei der Betrachtung des Median für die Dauer bis zum Beginn einer ersten Erwerbstätigkeit: Schon nach 0,67 bis 0,94 Monaten trat die Hälfte der Bildungsabgänger in der Bundesrepublik Deutschland eine erste Berufstätigkeit an. Auch für die jungen Menschen, die nicht direkt nach Verlassen des Bildungssystems eine erste Erwerbstätigkeit begonnen haben, ist die Chance, in den Folgemonaten eine erste Berufstätigkeit zu finden, noch vergleichsweise hoch. Ein Drittel bis die Hälfte derer, die nicht schon innerhalb des ersten Monats nach Verlassen des Bildungssystems erwerbstätig waren, meisterte innerhalb der nächsten fünf Monate den Schritt ins Erwerbsleben erfolgreich. 14
15
Dazu wurde die Klassifikation von Singelmann (1978) modifiziert, indem distributive Dienstleistungen, Produzentendienstleistungen und personenbezogene Dienstleistungen in eine Kategorie, nämliche private Dienstleistungen, zusammengefasst wurden. Es wird demnach in den empirischen Untersuchungen unterschieden zwischen dem sozialen Dienstleistungssektor, der in Deutschland größtenteils dem öffentlichen Dienst entspricht, und dem privaten Dienstleistungssektor. Für fehlende Informationen wird in den Modellen kontrolliert.
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre Abbildung 8:
63
Dauer bis zum Übergang in die erste Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems, Westdeutsche, verschiedene Bildungsabschlusskohorte (Überlebensfunktionen)
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
Monate Kohorte 1984 bis 1989
Kohorte 1990 bis 1993
Kohorte 1994 bis 2001
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
Abbildung 9:
Dauer bis zum Übergang in die erste Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems, Migranten, verschiedene Bildungsabschlusskohorte (Überlebensfunktionen)
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
Monate Kohorte 1984 bis 1989
Kohorte 1990 bis 1993
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
Kohorte 1994 bis 2001
64
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Abbildung 10: Dauer bis zum Übergang in die erste Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems, Ostdeutsche, verschiedene Bildungsabschlusskohorte (Überlebensfunktionen) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
22
24
Monate Kohorte 1990 bis 1993
Kohorte 1994 bis 2001
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
Obschon die Einstiegschancen junger Menschen in Deutschland damit insgesamt sehr gut sind, so zeigt sich doch eine Verschlechterung ihrer Situation seit Mitte der 1980er Jahre. Im Vergleich zu den älteren untersuchten Kohorten hatten Angehörige der jüngsten Bildungsabschlusskohorte 1994 bis 2001 mehr Probleme, eine erste Erwerbstätigkeit zu finden: Während rund drei Viertel der Westdeutschen der Kohorte 1984 bis 1989 innerhalb eines Monats erwerbstätig waren, waren es lediglich zwei Drittel der Kohorte 1994 bis 2001; bis zu zwei Drittel der Bildungsabgänger nicht-deutscher Herkunft der Kohorten 1984 bis 1989 und 1990 bis 1993 begannen innerhalb eines Monats eine erste Berufstätigkeit, dagegen war es nur knapp die Hälfte der Kohorte 1994 bis 2001; zwei von drei jungen Ostdeutschen der Kohorte 1990 bis 1993 brauchten nur bis zu einem Monat bis zum Beginn einer ersten Erwerbstätigkeit, in der Kohorte 1994 bis 2001 waren es nur noch 55 Prozent. Auch der Anteil der Bildungsabgänger, der vergleichsweise lange (mehr als 9 Monate) braucht, um den Erwerbseinstieg zu finden, ist für alle Bevölkerungsgruppen gestiegen, am deutlichsten jedoch für junge Ostdeutsche. Zudem zeigt sich über die Kohorten ein Trend, dass ein immer größerer Anteil von Bildungsabgängern äußerst lange braucht, um den Übergang ins Erwerbsleben zu realisieren. Für Westdeutsche und Ostdeutsche hat sich der Anteil derer, die
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
65
nach zwei Jahren noch nach einer ersten Erwerbstätigkeit suchen, verdoppelt auf zehn beziehungsweise 14 Prozent in der Kohorte 1994 bis 2001. Lediglich Bildungsabsolventen nicht-deutscher Herkunft zeigen in diesem Punkt keine deutliche Verschlechterung über die Kohorten. Der Anteil derer, die nach zwei Jahren noch immer erwerbslos ist, ist zwar im Vergleich zu Ost- und Westdeutschen in allen Kohorten hoch, bleibt aber mit 11 bis 14 Prozent relativ stabil für alle Kohorten.16 Der Befund, dass sich die Situation junger Menschen beim Erwerbseinstieg verschlechtert hat, zeigt sich auch in den Ergebnissen der Tabelle 2. Wie schon in den Überlebensfunktionen ersichtlich, hatten Bildungsabgänger der Kohorte 1994 bis 2001 größere Probleme, eine erste Erwerbstätigkeit zu finden als frühere Bildungsabschlusskohorten (Modell 1). Außerdem wird in den dargestellten Ergebnissen deutlich, dass die Erwerbseinstiegschancen junger Menschen stark von der aktuellen Arbeitsmarktsituation abhängen. Je höher die Arbeitslosenquote in einem gegebenen Jahr, desto schwerer war es für Bildungsabsolventen, den Einstieg ins Erwerbsleben zu finden (Modell 2). Damit haben junge Menschen in Deutschland mit den rapide gestiegenen Arbeitslosenquoten in den vergangenen zwanzig Jahren eine Verstärkung ihrer Außenseiterposition am Arbeitsmarkt erfahren. Jedoch muss gleichzeitig hinzugefügt werden, dass der Übergang ins Erwerbsleben für junge Menschen in Deutschland sehr reibungslos ist, vergleicht man die obigen Ergebnisse mit Befunden aus anderen Ländern, denen ebenfalls ein Arbeitsmarkt zugeschrieben wird, der Beschäftigungsrisiken eher Arbeitsmarkt-Outsidern aufbürdet (z.B. südeuropäische Länder und Teile der ehemals sozialistischen Länder). So beträgt die Jugendarbeitslosenquote in südeuropäischen Ländern zwischen 22 und 26,5 Prozent und ist damit zwei- bis dreimal so hoch wie die Arbeitslosenquote unter älteren Menschen in diesen Ländern. In Deutschland ist die Jugendarbeitslosenquote mit nur rund 12 Prozent deutlich geringer und nicht viel stärker ausgeprägt als unter älteren Personen am Arbeitsmarkt (Hellmann und Thode 2006: 21, 25). Vergleichbare Längsschnittanalysen zum Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit für Italien haben gezeigt, dass ein Jahr nach Bildungsabschluss lediglich rund 40 Prozent und nach zwei Jahren nur um die 50 Prozent der jungen Menschen erwerbstätig sind (Scherer 16
Die Berechnung von Teststatistiken bestätigte, dass für junge Migranten die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bildungsabschlusskohorten nach längerer Suche nach einer ersten Erwerbstätigkeit nicht (mehr) signifikant waren. Die Ergebnisse des Log-Rank-Tests ergaben keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kohorten für diese Bevölkerungsgruppe. Für westdeutsche und ostdeutsche Bildungsabgänger zeigten sich hingegen signifikante Unterschiede zwischen den Kohorten nach dem Log-Rank-Test. Für alle Gruppen zeigten sich hoch signifikante Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Bildungsabschlusskohorten mit dem Wilcoxon-Test (d.h. in den ersten Monaten nach Bildungsabschluss).
66
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Tabelle 2: Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems Bildungskohorten 1984 bis 2001 1
2
Perioden Bis zu 3 Monate 3 bis 6 Monate 6 bis 9 Monate 9 bis 12 Monate 12 bis 24 Monate 24 und mehr Monate
-0,60** -2,00** -2,31** -2,67** -2,90** -3,98**
-0,30** -1,71** -2,02** -2,38** -2,60** -3,64**
Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche
-0,31** -0,21**
-0,31** 0,02
Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 1990 bis 1993 (Ref.) 1994 bis 2001
-0,01 -0,23**
Durchschnittliche Arbeitslosenquote (in Ost- und Westdeutschland)
-0,04**
Ereignisse
2.799
2.799
Personen gesamt Personen zensiert
3.207 408
3.207 408
-2*diff (logL)a
95,13
81,13
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1. a = Referenz für die im zweiten Teil dieser Arbeit dargestellten Likelihood-Ratio-Tests in den ereignisanalytischen Modellen ist das jeweilige periodenspezifische Exponentialmodell ohne Kovariaten.
2005). In Ungarn sind sogar unter den hoch qualifizierten Bildungsabgängern noch bis zu 40 Prozent nach einem Jahr ohne Erwerbstätigkeit (Bukodi 2005). In der Tat zeigt sich im internationalen Vergleich, dass der Übergang ins Erwerbsleben für junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ähnlich zügig verläuft wie in liberalen Ländern mit offenen Arbeitsmärkten, die keine Einstiegshürden für Outsider haben (Scherer 2005; Schmelzer 2005; Relikowski und Zielonka 2006). Der Grund für die guten Einstiegschancen junger Menschen in Deutschland (trotz eines Arbeitsmarktes, der vor allem die Insider schützt) liegt im Bildungssystem, das für die Outsider-Gruppe der Arbeitsmarkteinsteiger eine starke insti-
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
67
tutionelle Brücke zum Arbeitsmarkt baut. Das duale Ausbildungssystem, das die meisten jungen Menschen in Deutschland durchlaufen, stellt eine direkte Verbindung zum Arbeitsmarkt dar; die hohe Standardisierung von Bildungs- und Berufszertifikaten sichert die klare Zuweisung auf bestimmte Positionen und vermindert ein intensives Durchleuchten möglicher Kandidaten für einen Arbeitsplatz von Seiten des Arbeitgebers. Zuletzt wird anhand der Überlebensfunktionen in den Abbildungen 8 bis 10 deutlich, dass vor allem in der jüngsten Bildungsabschlusskohorte beträchtliche Unterschiede zwischen jungen Ostdeutschen, Westdeutschen und jungen Menschen nicht-deutscher Herkunft bestehen. Westdeutsche Bildungsabgänger befinden sich in der besten Situation. Sie finden am schnellsten eine erste Erwerbstätigkeit und am häufigsten einen direkten Einstieg ins Erwerbsleben. Selbst in der Kohorte 1994 bis 2001 gelingt es noch rund 65 Prozent der westdeutschen Bildungsabsolventen, innerhalb eines Monats eine erste Erwerbstätigkeit anzutreten, während dies lediglich für ungefähr 55 Prozent der jungen Menschen aus Ostdeutschland und nicht-deutscher Herkunft gilt. Besonders junge Ostdeutsche benötigen lange, bis sie am Arbeitsmarkt Fuß fassen. Nach 18 Monaten waren in der Kohorte 1994 bis 2001 noch um die 20 Prozent und damit knapp doppelt so viele junge Menschen wie in Westdeutschland auf der Suche nach einer ersten Erwerbstätigkeit. Junge Menschen nicht-deutscher Herkunft der Kohorte 1994 bis 2001 konnten ihren Abstand zu westdeutschen Bildungsabgängern bis zu diesem Zeitpunkt dagegen beträchtlich verringern auf einen Unterschied von nur noch knapp 3,5 Prozentpunkten und konnten damit deutlich aufschließen. Im nächsten Schritt der Analysen soll geklärt werden, welche Gruppen von Bildungsabgängern insbesondere mit Problemen konfrontiert sind, eine erste Berufstätigkeit zu finden, und wie sich soziale Ungleichheiten beim Erwerbseinstieg in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt haben. Im Folgenden steht also weniger die Frage im Mittelpunkt, wie sich Arbeitsmarktunsicherheiten über die Kohorten entwickelt haben sondern vielmehr, welche Gruppen von Bildungsabgängern in den einzelnen Kohorten von Problemen beim Erwerbseinstieg betroffen sind. Die Ergebnisse dieser Analysen sind in der Tabelle 3 abgebildet. Wie schon in den vorangegangenen Analysen ersichtlich, zeigt sich auch hier wieder, dass die Wahrscheinlichkeit, eine erste Erwerbstätigkeit einzugehen, unmittelbar nach Verlassen des Bildungssystems (innerhalb der ersten drei Monate) mit Abstand am höchsten ist. Danach vermindern sich die Chancen für den Einstieg ins Erwerbsleben deutlich und sind nach zwei Jahren äußerst gering. Bildungsabsolventen nicht-deutscher Herkunft brauchten in allen drei Kohorten länger als Westdeutsche, um eine erste Erwerbstätigkeit zu finden. Im Großen und Ganzen sind die schlechteren Chancen junger Migranten beim Ar-
755 835 80 15,01
1.006 1.094 88 40,61
-0,54** -0,60** 0,16* -0,01 1.006 1.094 88 93,54
1.006 1.094 88 31,12
-0,20**
-0,20**
755 835 80 7,93
-0,24* -0,09
-0,20**
-0,26** -0,10
-0,25**
-0,39**
-0,53** -2,13** -2,21** -2,43** -3,28** -3,90**
2
-0,38**
-0,60** -2,22** -2,31** -2,54** -3,40** -4,08**
1
-0,49** -1,89** -1,97** -2,37** -2,84** -4,07**
-0,51** -1,85** -1,93** -2,34** -2,81** -4,02**
3
-0,58** -1,99** -2,07** -2,48** -2,95** -4,21**
2
-0,47** -0,39+ 0,26** 0,20+ 755 835 80 42,26
-0,22**
-0,14 -0,16+
-0,64** -2,20** -2,27** -2,49** -3,35** -3,96**
3
Bildungsabschlusskohorte 1990 bis 1993
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
Perioden Bis zu 3 Monate 3 bis 6 Monate 6 bis 9 Monate 9 bis 12 Monate 12 bis 24 Monate 24 und mehr Monate Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche Geschlecht Mann (Ref.) Frau Bildungsniveau Hauptschule ohne berufl. Ausbildung Hauptschule mit berufl. Ausbildung (Ref.) Mittlere Reife/Abitur ohne berufl. Ausbildung Mittlere Reife/Abitur mit berufl. Ausbildung Fachhochschul-/Universitätsabschluss Ereignisse Personen gesamt Personen zensiert -2*diff (logL)
1
Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 1
1.038 1.278 240 14,68
-0,24** -0,24**
1.038 1.278 240 20,86
-0,16**
-0,24** -0,24**
-0,78** -2,05** -2,68** -3,07** -2,77** -3,69**
2
-0,93** -0,44** 0,15+ 0,44** 1.038 1.278 240 101,86
-0,17**
-0,11 -0,22**
-0,88** -2,09** -2,70** -3,09** -2,79** -3,81**
3
Bildungsabschlusskohorte 1994 bis 2001
-0,85** -2,13** -2,76** -3,16** -2,87** -3,81**
Tabelle 3: Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems, nach Bildungsabschlusskohorten 68 Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
69
beitsmarkteinstieg auf ihre Benachteiligungen im deutschen Bildungssystem zurückzuführen. Bei Kontrolle des Bildungsniveaus (Modell 3) zeigt sich, dass der signifikante Effekt für Migranten verschwindet beziehungsweise sich abschwächt. Die Situation ostdeutscher Bildungsabsolventen hat sich seit der Wiedervereinigung deutlich verschlechtert. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung waren die Erwerbseinstiegschancen von jungen Ostdeutschen vergleichbar mit den Chancen von Westdeutschen – es findet sich kein signifikanter Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen in der Kohorte 1990 bis 1993. Die Situation junger Ostdeutscher hat sich aber in der Folgezeit drastisch verschlechtert. In der Kohorte 1994 bis 2001 zeigen sich hoch signifikante Unterschiede zwischen Ostund Westdeutschen – Ostdeutsche haben es deutlich schwerer, einen Fuß auf den Arbeitsmarkt zu bekommen. Wie lässt sich diese starke Verschlechterung in so kurzer Zeit für ostdeutsche Arbeitsmarkteinsteiger erklären? In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung wurde die Entlastung des ostdeutschen Arbeitsmarktes vor allem darüber geregelt, dass Ältere, Frauen und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen das Erwerbsleben verließen (vgl. z.B. Ernst 1996: 201). So wurde beispielsweise unmittelbar nach dem Zusammenbruch der DDR ein spezielles Verrentungsprogramm eingeführt, dass es älteren Menschen ermöglichte, das Erwerbsleben sehr früh, nämlich ab Alter 55 zu verlassen (für eine ausführliche Darstellung siehe Kapitel 3.3.2 dieser Arbeit). Diese sogenannte Altersübergangsregelung existierte bis Ende 1992 in den neuen Bundesländern und wurde insgesamt von fast 900.000 älteren Ostdeutschen in Anspruch genommen (Ernst 1996: 205). Ein Großteil der Arbeitsmarktprobleme wurde somit sozial verträglich abgewickelt und jüngere Arbeitnehmer blieben von Beschäftigungsrisiken weitgehend verschont. Nach Auslaufen spezieller Programme wie dem Altersübergangsgeld spannte sich die Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland jedoch auch für jüngere Erwerbspersonen merklich an. Die Arbeitslosenquote stieg beständig und war weit höher als im Westen der Bundesrepublik. Bis heute hat sich die Arbeitsmarktlage in den neuen Bundesländern nicht entspannt. Frauen aller untersuchten Bildungsabschlusskohorten haben mehr Probleme beim Erwerbseinstieg als Männer. Sie brauchen bedeutend länger, bis sie nach Verlassen des Bildungssystems eine erste Erwerbstätigkeit gefunden haben. Es gibt zwei mögliche Erklärungen für diesen Befund. Zum einen kann sich hier eine generelle Benachteiligung von Frauen am deutschen Arbeitsmarkt ausdrücken (Stichwort: statistische Diskriminierung). Zum anderen können die schlechteren Einstiegschancen von Frauen auch damit erklärt werden, dass auch nach der Bildungsexpansion noch starke Unterschiede zwischen Männern und Frauen in puncto Bildung existieren. Auch wenn Frauen heute bei den formalen Bil-
70
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
dungsabschlüssen mit Männern gleichgezogen haben, zeichnen sich weiterhin deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Wahl von Hochschulfächern und Ausbildungsgängen ab (vgl. z.B. Geißler 2002: 368ff.). Diese „weiblichen“ Ausbildungsfelder – beispielsweise im Sozial- und Pflegebereich – führen typischerweise zu Berufen mit schlechteren Beschäftigungschancen als Berufe, in denen Männer überrepräsentiert sind (Beck-Gernsheim 1984: 26; Osterloh und Oberholzer 1994: 3f.). In allen untersuchten Kohorten erhöhen Hochschulabschlüsse und das Absolvieren einer beruflichen Ausbildung im dualen Ausbildungssystem die Erwerbseinstiegschancen von jungen Menschen in Deutschland. Diejenigen, die keine berufliche Ausbildung absolviert haben, haben die größten Schwierigkeiten, einen Einstieg ins Erwerbsleben zu finden, und benötigen am längsten für die Suche nach einer ersten Erwerbstätigkeit. Dieses Ergebnis bestätigt die Wichtigkeit des dualen Ausbildungssystems als Brücke zum Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland. Jedoch zeigt sich im Kohortenvergleich, dass Berufsabschlüsse des dualen Ausbildungssystems seit Mitte der 1980er Jahre eine Abwertung erfahren haben.17 In der Kohorte 1984 bis 1989 bildeten Absolventen des dualen Ausbildungssystems – unabhängig von der Höhe ihres Schulabschlusses – eine homogene Gruppe mit jungen Menschen mit Universitätsoder Fachhochschulabschluss. In der Kohorte 1990 bis 1993 zeigen sich bereits erste Unterschiede zwischen Hochschulabsolventen und jungen Menschen, die die Hauptschule besucht haben und über eine berufliche Ausbildung verfügen. Dagegen hatten junge Menschen mit mittlerer Reife oder Abitur sowie beruflicher Ausbildung noch immer vergleichbar gute Chancen beim Arbeitsmarkteinstieg wie Hochschulabsolventen. In der jüngsten Kohorte 1994 bis 2001 bietet die erfolgreiche Teilnahme im dualen Bildungssystem insgesamt – unabhängig von der Höhe des Schulabschlusses – nicht mehr die gleichen Chancen beim Erwerbseinstieg wie ein Hochschulabschluss. Sowohl Hauptschüler mit Lehre als auch Realschüler oder Abiturienten mit beruflichem Ausbildungszertifikat benötigten bedeutend länger bis zum Beginn der ersten Berufstätigkeit als Höchstqualifizierte. Somit zeigen sich in der Bundesrepublik Deutschland mit einer sich verschlechternden Wirtschaftslage eine zunehmende Bedeutung von (höchster) Bildung und eine zunehmende Stratifizierung von Arbeitsmarkteinstiegschancen.18 17
18
Dies war das Ergebnis zusätzlicher, hier nicht abgebildeter Analysen, in denen als Referenzkategorie für das Bildungsniveau die Kategorie „Fachhochschul- oder Universitätsabschluss“ gewählt wurde. Weiterführende Analysen, in denen Interaktionseffekte für Bildungsabschlusskohorte und Qualifikationsniveau eingeführt wurden, bestätigten die Annahme, dass tertiäre Bildungsabschlüsse in den vergangenen zwanzig Jahren für die Erwerbseinstiegschancen junger Menschen in der Bundesrepublik Deutschland signifikant an Bedeutung gewonnen haben. Dass sich junge
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
71
Die Qualität des Arbeitsmarkteinstiegs Im folgenden Schritt der empirischen Untersuchung wird nicht mehr die Dauer, sondern die Qualität des Arbeitsmarkteinstiegs für die verschiedenen Bildungsabschlusskohorten in den Blick genommen. Insgesamt bestätigen auch diese Analysen, dass sich die Situation junger Arbeitsmarkteinsteiger in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren verschlechtert hat. Die zunehmenden Schwierigkeiten beim Arbeitsmarkteinstieg zeigen sich zunächst bei einer Betrachtung des Erwerbsstatus unmittelbar nach Verlassen des Bildungssystems für die verschiedenen Bildungsabschlusskohorten (Tabelle 4). So hat Arbeitslosigkeit seit Mitte der 1980er Jahre stark an Bedeutung gewonnen. Die Arbeitslosenquote stieg unter westdeutschen Bildungsabgängern von 13,9 auf 16,4 Prozent, unter jungen Menschen nicht-deutscher Herkunft von 16,7 auf 23,4 Prozent und unter jungen Ostdeutschen ist in der jüngsten Kohorte fast jeder dritte Bildungsabsolvent von Arbeitslosigkeit betroffen, während es Anfang der 1990er Jahre nur jeder Fünfte von ihnen war. Des Weiteren wird deutlich, dass sich auch für die jungen Menschen, die einen direkten Einstieg ins Erwerbsleben realisieren konnten, die Situation in den vergangenen zwanzig Jahren verschlechtert hat. Obschon auch heute noch der Tabelle 4: Erwerbsstatus unmittelbar nach Verlassen des Bildungssystems, nach Bildungsabschlusskohorte und Bevölkerungsgruppe Westdeutsche
Vollzeit Teilzeit
Migranten
Ostdeutsche
19841989
19901993
19942001
19841989
19901993
19942001
19901993
19942001
72,0%
71,1%
59,8%
59,1%
69,0%
52,8%
68,7%
54,2%
3,9%
4,2%
10,8%
3,1%
2,1%
5,3%
2,5%
6,1%
13,9%
11,1%
16,4%
16,7%
9,6%
23,4%
20,2%
30,6%
Nicht erwerbstätig
6,7%
9,3%
8,2%
16,7%
16,0%
15,1%
3,5%
6,4%
Sonstiges
3,8%
4,2%
4,7%
4,4%
3,2%
3,4%
5,0%
2,7%
100,3%
99,9%
99,9%
100,0%
99,9%
100,0%
99,9%
100,0%
450
572
Arbeitslos
Gesamt Personen
776
318
187
265
198
441
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Menschen mit Ausbildungszertifikat des dualen Systems signifikant von Hochschulabsolventen unterscheiden, kann darauf zurückgeführt werden, dass Hochschulabsolventen der Kohorte 1994 bis 2001 bessere Erwerbseinstiegschancen haben (siehe Tabelle 21 im Anhang dieser Arbeit).
72
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Großteil dieser Bildungsabsolventen eine Vollzeitbeschäftigung beginnt (nämlich 85 Prozent und mehr), so hat sich doch der Anteil der Teilzeitverträge unter den direkt Einsteigenden in der Kohortenfolge mehr als verdoppelt. Von besonderem Interesse bei der Beurteilung der Qualität von Erwerbseinstiegen ist die Frage, ob junge Menschen ihre Erwerbskarriere zunehmend in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis beginnen (müssen). Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 wurden – wie oben erläutert (siehe Kapitel 2.2.1 dieser Arbeit) – die rechtlichen Möglichkeiten für befristete Beschäftigung deutlich ausgeweitet. Dadurch wurde Unternehmen in Deutschland ein Instrument an die Hand gegeben, sich innerhalb des regulierten deutschen Beschäftigungssystems mit seinem vergleichsweise hohen Kündigungsschutz relativ einfach mehr Beschäftigungsflexibilität zu verschaffen. Die gesetzliche Neuregelung von befristeter Beschäftigung zielte insbesondere auf junge Menschen und Menschen in der frühen Erwerbskarriere. Bevor die Ergebnisse zum Risiko befristeter Beschäftigung in der ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems auf Basis des SozioÖkonomischen Panels dargestellt werden, soll ein kurzer Blick auf die generelle Verbreitung befristeter Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1985 geworfen werden (vgl. Abbildung 11). Insgesamt zeigt sich, dass befristete Beschäftigung in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren kaum zugenommen hat und eher eine Ausnahme darstellt (siehe auch Kapitel 1.4 oben). Betrachtet man alle abhängig Erwerbstätigen, so ist der Anteil derjenigen mit befristetem Arbeitsvertrag zwischen 1985 und 2004 um nur einen Prozentpunkt von 7,31 auf 8,31 Prozent gestiegen. Zudem wird deutlich – wie auch schon zuvor in Kapitel 2.2.1 dieser Arbeit diskutiert –, dass das Risiko befristeter Beschäftigung insbesondere unter jüngeren Erwerbstätigen hoch ist. Im Vergleich zu Über-30-Jährigen sind unter-30-jährige Arbeitnehmer überproportional von befristeter Beschäftigung betroffen. Der Anteil befristeter Arbeitsverträge ist heute unter jungen Erwerbstätigen viermal so hoch wie unter älteren Erwerbstätigen (2004: 22,31 Prozent im Vergleich zu 5,28 Prozent). Zusätzlich wird an Abbildung 11 deutlich, dass die relative Zunahme seit Mitte der 1980er Jahre bei den beiden Altersgruppen unterschiedlich stark war. Im Jahr 1985 waren rund 15 Prozent der Unter-30-Jährigen befristet beschäftigt, im Jahr 2004 waren es über 22 Prozent. Damit ist für diese Altersgruppe zwischen 1985 und 2004 eine Zunahme von knapp 50 Prozent zu verzeichnen. Auch für Über-30-Jährige zeigt sich zwar ein Zuwachs befristeter Arbeitsverträge zwischen 1985 und 2004, jedoch beträgt diese Zunahme nur rund 38 Prozent (von 3,82 Prozent im Jahr 1985 auf 5,28 Prozent im Jahr 2004). Bei der Beurteilung dieses Zuwachses unter älteren Arbeitnehmern muss jedoch beachtet werden, dass befristete Arbeitsverträge unter Über-30-Jährigen auch heute noch eine eher seltene Beschäf-
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
73
74
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
tigungsform sind. Rund 95 Prozent – also die überwältigende Mehrheit der über 30-jährigen abhängig Erwerbstätigen – sind in einem unbefristeten Arbeitsvertrag tätig. Unter jüngeren Arbeitnehmern ist die Gruppe derer mit befristetem Arbeitsvertrag dagegen beachtlich groß. Über ein Fünftel der Unter-30-Jährigen war im Jahr 2004 nur befristet beschäftigt. Auch in den empirischen Analysen zum Risiko befristeter Beschäftigung in der ersten Erwerbstätigkeit (vgl. Tabelle 5 weiter unten) zeigt sich, dass es für Bildungsabgänger seit Mitte der 1980er Jahre und mit den seither steigenden Arbeitslosenquoten schwerer geworden ist, ihre Erwerbstätigkeit in einem stabilen, unbefristeten Arbeitsverhältnis zu beginnen. Seit 1994 haben Bildungsabsolventen ein signifikant höheres Risiko, in der ersten Anstellung nur befristet beschäftigt zu sein. Interessanterweise zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen jungen Ostdeutschen, Westdeutschen und Migranten19, obschon sich zwischen den Bevölkerungsgruppen für die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit deutliche Unterschiede fanden (siehe oben). Trotz des geringeren Bildungsniveaus junger Migranten, trotz der schlechteren Arbeitsmarktlage und der höheren Arbeitslosenquoten in Ostdeutschland und trotz der größeren Schwierigkeiten sowohl für Ostdeutsche als auch für Migranten, eine erste Anstellung zu finden, haben Bildungsabsolventen aus Ostdeutschland und nicht-deutscher Herkunft kein höheres 19
Besonders für Ostdeutschland erscheint dieses Ergebnis auf den ersten Blick widersprüchlich, da in allgemeinen Querschnittsstatistiken für die neuen Bundesländer deutlich höhere Quoten für befristete Beschäftigung ausgewiesen werden als für die alten Bundesländer (vgl. Tabelle 22 im Anhang). Vor allem ab Mitte der 1990er Jahre zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. So liegt bei den unter-30-jährigen abhängig Erwerbstätigen der Anteil befristeter Beschäftigung im Westen der Republik bei maximal 20 Prozent – im Osten Deutschlands beträgt der Anteil von Befristungen in dieser Altersgruppe bis zu 27 Prozent und mehr. Wie lässt sich erklären, dass sich keine Unterschiede zwischen Ost und West in meinen Analysen zeigen? Ein wichtiger Unterschied zwischen meinen Analysen und den genannten Querschnittsstatistiken mit altersspezifischen Quoten für Befristungen ist, dass in meinen Analysen nur die erste Anstellung nach Bildungsabschluss betrachtet wird. In altersspezifischen Quoten für befristete Beschäftigung fließen hingegen nicht nur erste sondern auch nachfolgende Anstellungen ein. Da die Erwerbsstabilität – vor allem in der frühen Erwerbskarriere – in Ostdeutschland deutlich geringer ist als in Westdeutschland und junge Erwachsene nach Eintritt ins Erwerbsleben schneller und häufiger wieder arbeitslos werden (siehe auch Abbildungen 12 und 14 weiter unten), finden auch häufiger Wiedereintritte ins Erwerbsleben statt. Wie erläutert, sehen die rechtlichen Regelungen in Deutschland vor, dass befristete Arbeitsverträge unter anderem auf Neueinstellungen beschränkt sind. Weil junge Menschen in den neuen Bundesländern häufiger arbeitslos werden und entsprechend häufiger neu eingestellt werden, sind sie häufiger dem Risiko befristeter Beschäftigung ausgesetzt. In Westdeutschland ist die Erwerbsstabilität dagegen vergleichsweise hoch. In deskriptiven Auswertungen mit meinem Datensatz zeigte sich, dass für viele junge westdeutsche Erwerbstätige die gesamte frühe Erwerbskarriere sogar aus nur einem Beschäftigungsverhältnis besteht. Entsprechend sind sie seltener dem Risiko ausgesetzt, nur befristet beschäftigt zu werden.
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
75
Risiko befristeter Arbeitsverträge in der ersten Erwerbstätigkeit als junge Westdeutsche. Auch zwischen jungen Männern und Frauen findet sich kein Unterschied beim Risiko befristeter Beschäftigung zu Beginn des Erwerbslebens. Insgesamt zeigt sich aber für alle untersuchten Bevölkerungsgruppen, dass Probleme beim Erwerbseinstieg dazu führen, dass junge Menschen (nur) ein flexibles Beschäftigungsverhältnis finden. Je länger Bildungsabgänger benötigen, um eine erste Stelle zu finden, desto höher ist das Risiko von befristeter Beschäftigung. Die Chancen auf einen stabilen Einstieg ins Erwerbsleben sinken also mit zunehmender Suchzeit. Sowohl für Gering- als auch für Hochqualifizierte zeigt sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen flexiblen Arbeitsmarkteinstieg.20 Junge Menschen ohne berufliches Bildungszertifikat und Hochschulabsolventen haben ein höheres Risiko von befristeter Beschäftigung in der ersten Anstellung als Personen mit beruflicher Ausbildung (Tabelle 5, Modelle 3 und 6).21 Dass flexible Beschäftigung an beiden Enden der Bildungshierarchie verbreitet ist, wurde auch in bereits vorliegenden empirischen Studien herausgearbeitet (vgl. Bielenski, Kohler und Schreiber-Kittl 1994; Kim und Kurz 2001; Mertens und McGinnity 2004; Kurz 2005; Boockmann und Hagen 2005; Giesecke und Groß 2002, 2003, 2006; Boockmann 2006). Dieser Befund mag auf den ersten Blick widersprüchlich wirken, da eine Hypothese war, dass hoch qualifizierte Bildungsabgänger weniger stark von einer Flexibilisierung ihrer Erwerbsposition betroffen sein würden (siehe Kapitel 2.2.2 dieser Arbeit). Es muss jedoch für die Beurteilung befristeter Beschäftigung hinzugefügt werden, dass diese flexible Beschäftigungsform für Hochqualifizierte in der Regel nicht als unsicher charakterisiert werden kann. Für die Gruppe der Hochqualifizierten stellen befristete Verträge vielmehr ein gängiges Instrument zur Aushandlung und Erhöhung von Löhnen dar (Schömann, Rogowski und Kruppe 1998; Booth, Francesconi und Frank 2002). Dagegen sind für Gering- und Unqualifizierte Befristungen nicht als freiwillig eingegangenes Arbeitsverhältnis sondern als unsichere Beschäftigungsform zu bewerten. Dass befristete Arbeitsverträge nicht per se benachteiligte Beschäftigungsverhältnis darstellen, haben auch Mertens und McGinnity (2005) gezeigt. Zwar fanden sie, dass befristet Beschäftigte generell stärker in niedrigen Einkommensgruppen vertreten sind. Gleichzeitig zeigten ihre Analysen aber auch, dass in der 20
21
In weiterführenden Analysen wurde untersucht, ob sich der Einfluss des Bildungsniveaus für das Risiko von befristeter Beschäftigung im Kohortenvergleich signifikant verstärkt hat. Dies konnte nicht bestätigt werden. Weiterführende Analysen, in denen Realschüler beziehungsweise Abiturienten mit beruflicher Ausbildung die Referenzkategorie bildeten, zeigten, dass sich diese Bildungsabschlussgruppe ebenso wie Hauptschüler mit Lehre signifikant von Bildungsabgängern ohne Lehre und Hochschulabsolventen unterscheidet.
76
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Tabelle 5: Befristete Beschäftigung in der ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems Bildungsabschlusskohorten 1984 bis 2001 1
2
3
4
5
6
Konstante
-0,90**
-1,00**
-1,25**
-1,94**
-1,90**
-2,19**
Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 1990 bis 1993 (Ref.) 1994 bis 2001
-0,16 0,50**
-0,15 0,52**
-0,05 0,57** 0,13**
0,12**
0,13**
Durchschnittliche Arbeitslosenquote Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche
-0,16 -0,11
-0,23+ -0,18
-0,21 -0,09
-0,13 -0,89**
-0,20 -0,84**
-0,17 -0,84**
Geschlecht Mann (Ref.) Frau
-0,08
-0,11
-0,07
-0,07
-0,10
-0,09
Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit
0,05**
Bildungsniveau Hauptschule ohne berufliche Ausbildung Hauptschule mit beruflicher Ausbildung (Ref.) Mittlere Reife/Abitur ohne berufliche Ausbildung Mittlere Reife/Abitur mit beruflicher Ausbildung Fachhochschul-/Universitätsabschluss
Fallzahl -2*diff (logL)
0,04**
0,04**
0,04**
0,63*
0,55+
-
-
1,58**
1,66*
-0,16
-0,13
0,74**
0,81**
1.792
1.792
1.792
1.792
1.792
1.792
307,43
331,96
400,60
295,67
314,94
388,79
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
höchsten Einkommensgruppe befristet Beschäftigte sogar ein höheres Einkommen beziehen als Erwerbstätige mit unbefristeten Arbeitsverträgen. Dieses Ergebnis unterstreicht, dass befristete Verträge für einige, vor allem hoch qualifizierte Erwerbstätige durchaus eine attraktive Beschäftigungsform sein können.
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
77
Wie Kurz (2005) in ihrer detaillierten empirischen Studie zur Qualität der ersten Anstellung von Bildungsabgängern in Deutschland zeigte, gehen befristete Verträge häufig Hand in Hand mit Teilzeiterwerbstätigkeit. Somit kumulieren sich unsichere Beschäftigungsformen beim Berufseinstieg: Geringe temporale Sicherheit in Form von befristeter Beschäftigung, in der sich der Arbeitgeber offen hält, das Beschäftigungsverhältnis nach Auslaufen des Vertrages nicht zu verlängern, geht gehäuft einher mit geringer Einkommenssicherheit (in Form von Teilzeitbeschäftigung).
Die Etablierung junger Erwerbstätiger am Arbeitsmarkt In den vorangegangenen Teilen der empirischen Analysen wurde untersucht, wie junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland den Übergang in die erste Erwerbstätigkeit in Zeiten zunehmender Arbeitsmarktprobleme erleben. Die Ergebnisse haben deutlich gezeigt, dass es für Bildungsabgänger seit Mitte der 1980er Jahre schwerer geworden ist, eine erste Stelle zu finden und den Schritt ins Erwerbsleben zu machen. Auch wenn der Großteil der jungen Menschen in Deutschland einen direkten Übergang in die erste Erwerbstätigkeit realisieren kann, so zeigt sich in der Kohortenfolge, dass junge Mensche zunehmend länger brauchen, eine erste Stelle zu finden, und ein immer größerer Teil von ihnen nach Bildungsabschluss eine Phase von Arbeitslosigkeit vor Beginn der ersten Erwerbstätigkeit durchläuft. Auch die Qualität des Berufseinstiegs hat sich in der Kohortenfolge verändert: Befristete Beschäftigungsverhältnisse sowie TeilzeitErwerbstätigkeit haben seit 1984 deutlich an Bedeutung gewonnen. Im nächsten Schritt der empirischen Untersuchung steht die Frage im Mittelpunkt, ob sich junge Menschen – sobald sie den Erwerbseinstieg erfolgreich gemeistert haben – sicher im Erwerbsleben etablieren können. Dazu wird das Risiko von Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit für die verschiedenen Bildungsabschlusskohorten untersucht. Ein wichtiger Punkt, der durch diese Analysen geklärt werden soll, ist, ob junge Erwerbstätige in der Kohortenfolge immer mehr Zeit benötigen, um sich im Erwerbsleben zu etablieren und in den „Genuss“ von Beschäftigungssicherheit zu kommen. In den Abbildungen 12 bis 14 sind die Ergebnisse von Kaplan-MeierSchätzungen für die Dauer bis zum Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nach Bildungsabschlusskohorte abgebildet. Zuerst wird an diesen Darstellungen deutlich, dass das Arbeitslosigkeitsrisiko unter jungen Erwerbstätigen in Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren zugenommen hat. Vier Jahre nach Erwerbseinstieg ist fast ein Viertel der Westdeutschen der Bildungsabschlussko-
78
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Abbildung 12: Dauer bis zum Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit, Westdeutsche, verschiedene Bildungsabschlusskohorte (Überlebensfunktionen) 1,0
0,9
0,8
0,7
0,6 0
12
24
36
48
60
Monate Kohorte 1984 bis 1989
Kohorte 1990 bis 1993
Kohorte 1994 bis 2001
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
Abbildung 13: Dauer bis zum Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit, Migranten, verschiedene Bildungsabschlusskohorte (Überlebensfunktionen) 1,0
0,9
0,8
0,7
0,6 0
12 Kohorte 1984 bis 1989
24
Monate
36
Kohorte 1990 bis 1993
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
48
60
Kohorte 1994 bis 2001
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
79
Abbildung 14: Dauer bis zum Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit, Ostdeutsche, verschiedene Bildungsabschlusskohorte (Überlebensfunktionen) 1,0
0,9
0,8
0,7
0,6 0
12
24
36
48
60
Monate Kohorte 1990 bis 1993
Kohorte 1994 bis 2001
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
horte 1994 bis 2001 arbeitslos geworden – in der Kohorte 1984 bis 1989 waren es noch fast zehn Prozentpunkte weniger. Auch unter jungen Erwerbstätigen nicht-deutscher Herkunft ist die Zunahme von Arbeitslosigkeit zu beobachten, wenngleich der Unterschied zwischen den Kohorten mit maximal fünf Prozentpunkten nicht so stark ausgeprägt ist wie bei Westdeutschen. Interessanterweise zeigen sich keine größeren Unterschiede zwischen jungen Ostdeutschen der beiden Bildungsabschlusskohorten, obschon sich sehr deutliche Unterschiede zwischen den beiden Kohorten für den Einstieg ins Erwerbsleben zeigten (siehe Abbildung 10). Damit konnten Ostdeutsche der Kohorte 1990 bis 1993 ihre weitaus besseren Erwerbseinstiegschancen nicht in eine stabile Erwerbskarriere umsetzen. Die dramatische Verschlechterung der Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland ab Mitte der 1990er Jahre hat damit auch die jungen Menschen getroffen, die den Einstieg ins Erwerbsleben bereits gemeistert hatten. Wie schon beim Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit zeigen sich auch beim Arbeitslosigkeitsrisiko in der frühen Erwerbskarriere deutliche Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen. Junge Westdeutsche sind wiederum diejenigen, die die besten Erwerbschancen genießen, auch wenn sie gleichzeitig die Gruppe sind, die über die Kohorten die stärksten Verluste in ihrer Erwerbssicherheit zu verzeichnen haben. Junge Erwerbstätige nicht-deutscher Herkunft
80
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
haben ein deutlich höheres Arbeitslosigkeitsrisiko als Westdeutsche – sowohl unmittelbar nach dem Erwerbseinstieg als auch zu späteren Zeitpunkten. In den neuen Bundesländern haben junge Erwerbstätige vor allem zu Beginn ihres Erwerbslebens – nämlich in den ersten zwei Jahren nach Erwerbseinstieg – ein hohes Risiko, arbeitslos zu werden. Mit zunehmender Berufserfahrung können sie allerdings mit einer Stabilisierung ihrer Erwerbssituation rechnen – eine Tatsache, die nicht für junge Migranten gilt. An den Abbildungen 12 bis 14 wird aber nicht nur deutlich, dass Arbeitslosigkeit im Kohortenvergleich generell zugenommen hat. Es wird auch ersichtlich, dass junge Erwerbstätige in der Kohortenfolge immer länger brauchen, um sich im Erwerbsleben sicher zu etablieren und vor Arbeitslosigkeit geschützt zu sein. Zwar nimmt in allen Kohorten das Arbeitslosigkeitsrisiko mit zunehmender Berufserfahrung ab, jedoch dauert es seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend länger, bis eine Stabilisierung eintritt. Dies gilt vor allem für junge westdeutsche Erwerbstätige. Angehörige der Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 haben sich vergleichsweise zügig im Erwerbsleben etabliert. Bereits eineinhalb Jahre nach Erwerbseintritt nahm das Arbeitslosigkeitsrisiko unter Westdeutschen dieser Kohorte deutlich ab, während es für Westdeutsche der Bildungsabschlusskohorte 1994 bis 2001 bis zu drei Jahren dauert, um ihr Arbeitslosigkeitsrisiko zu reduzieren. Auch unter jungen Erwerbstätigen nicht-deutscher Herkunft zeigt sich dieses Bild. Hatte sich die Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 nach ungefähr drei Jahren Erwerbstätigkeit etabliert, so stellte Arbeitslosigkeit für jüngere Kohorten auch noch zu einem späteren Zeitpunkt in der frühen Erwerbskarriere ein Risiko dar. Dass es für jüngere Kohorten immer länger dauert, bis sie sich im Erwerbsleben etablieren können, zeigen detaillierte Analysen, in denen periodenspezifische Effekte für die einzelnen Bildungsabschlusskohorten der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen berechnet wurden (Tabelle 6). Dieses statistische Modell erlaubt es, Aussagen darüber zu treffen, ob signifikante Unterschiede zwischen dem Verlauf eines beobachteten Prozesses – in diesem Fall der Dauer bis zum Schutz vor Arbeitslosigkeit in der frühen Erwerbskarriere – für verschiedene Gruppen bestehen. In der Tat zeigen diese Analysen, dass junge Westdeutsche der Kohorte 1994 bis 2001 in den ersten drei Jahren nach Erwerbseintritt ein signifikant höheres Risiko haben, arbeitslos zu werden, als Angehörige der Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989. Erst nach mehr als drei Jahren genießt diese jüngste Kohorte einen vergleichbar hohen Schutz gegen Arbeitslosigkeit wie die älteste Bildungsabschlusskohorte. Für junge Migranten zeigt sich, dass sie die späte Stabilisierung ihrer frühen Erwerbskarriere im Kohortenverlauf verloren haben. Erwerbstätige nicht-deutscher Herkunft hatten zwar immer ein sehr hohes Arbeitslosigkeitsrisiko und Schwierigkeiten, sich am Arbeitsmarkt zu
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
81
Tabelle 6: Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit, nach Bevölkerungsgruppen Westdeutsche Perioden Bis zu 6 Monate 6 bis 24 Monate 24 bis 36 Monate 36 und mehr Monate
-5,09** -5,40** -6,34** -6,52**
Migranten
-4,87** -4,86** -5,49** -6,32**
Ostdeutsche
-4,42** -3,36** -5,32** -5,53**
Periodenspezifische Effekte für Bildungsabschlusskohorte Kohorte 1984 bis 1989 (Ref. Westdeutsche/Migranten) Bis zu 6 Monate 6 bis 24 Monate 24 bis 36 Monate 36 und mehr Monate
-
-
Kohorte 1990 bis 1993 (Ref. Ostdeutsche) Bis zu 6 Monate 6 bis 24 Monate 24 bis 36 Monate 36 und mehr Monate
-0,26 0,19 0,85+ 0,26
-0,25 0,26 -0,38 0,81+
Kohorte 1994 bis 2001 Bis zu 6 Monate 6 bis 24 Monate 24 bis 36 Monate 36 und mehr Monate
0,62* 0,40* 1,05* -0,27
0,46 -0,03 0,26 0,58+
Ereignisse
0,11 0,05 0,15 -0,73
291
160
161
Personen gesamt Personen zensiert
1.725 1.434
706 546
577 416
-2*diff (logL)
21,31
9,91
2,39
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle mit periodenspezifischen Effekten. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
etablieren (Abbildung 13), jedoch verlieren sie in den beiden jungen Kohorten sogar die relativ späte Stabilisierung ihrer Erwerbstätigkeit (Tabelle 6). Auch anhand der Ergebnisse in Tabelle 7, in der der Einfluss befristeter Beschäftigung auf das Arbeitslosigkeitsrisiko dargestellt ist, wird deutlich, dass die Beschäftigungsstabilität für junge Erwerbstätige seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend erodiert ist und dass die Etablierungsphase junger Menschen am
82
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
deutschen Arbeitsmarkt zunehmend prekär geworden ist. Wie oben dargestellt, treten junge Menschen immer häufiger über den Weg befristeter Beschäftigung in den Arbeitsmarkt ein (vgl. Tabelle 5). An den Analysen zum Arbeitslosigkeitsrisiko in der frühen Erwerbskarriere wird darüber hinaus deutlich, dass befristete Beschäftigung in der Kohortenfolge nicht nur häufiger auftritt, sondern seit Mitte der 1980er Jahre auch riskanter geworden ist (Tabelle 7). In der Bildungsabschlusskohorte 1994 bis 2001 ist das Arbeitslosigkeitsrisiko für befristet Beschäftigte signifikant höher als für junge Erwerbstätige mit unbefristetem Arbeitsvertrag. Dies galt nicht für Angehörige der Kohorten 1984 bis 1989 und 1990 bis 1993. Hier hatten befristet Beschäftigte kein generell höheres Arbeitslosigkeitsrisiko als unbefristet Beschäftigte – jungen Erwerbstätigen mit befristetem Arbeitsverhältnis gelang es in diesen beiden Kohorten nach Auslaufen ihres Vertrages somit, eine Anschlussanstellung zu finden. Befristete Beschäftigung war also in der ältesten Kohorte noch als „Sprungbrett“ in den Arbeitsmarkt zu sehen, während eine Befristung für die jüngste Kohorte eine „Falle“ ist, da sie das Arbeitslosigkeitsrisiko bedeutend erhöht. Dass befristete Arbeitsverhältnisse mit einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko einhergehen, war bereits bei der Bildungsabschlusskohorte 1990 bis 1993 festzustellen. Zwar fand sich – wie oben erläutert – kein generell erhöhtes Arbeitslosigkeitsrisiko für befristet Beschäftigte in dieser Kohorte (siehe Tabelle 7), jedoch zeigten weiterführende, hier nicht abgebildete Analysen, dass schon in Kohorte 1990 bis 1993 befristete Verträge außerhalb des öffentlichen Dienstes prekäre Arbeitsverhältnisse waren.22 In der Privatwirtschaft war befristete Beschäftigung für Angehörige dieser Kohorte bereits mit einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko verbunden. Im nächsten Schritt soll untersucht werden, welche Gruppen von jungen Erwerbstätigen Probleme haben, sich sicher im Erwerbsleben zu etablieren (Tabelle 8): Die Zeit, die eine Person brauchte, um eine erste Berufstätigkeit zu finden, hat in allen untersuchten Kohorten einen hoch signifikanten Einfluss auf das Arbeitslosigkeitsrisiko. Je länger eine Person für die Suche nach einer ersten Erwerbstätigkeit benötigte, desto höher ist ihr Risiko, nach erfolgreichem Eintritt ins Erwerbsleben wieder arbeitslos zu werden. Somit haben Probleme beim Erwerbseinstieg einschneidende Auswirkungen auf die späteren Chancen im Erwerbsleben. Arbeitsmarkteinsteiger sind in Deutschland damit nicht automatisch Insider, sobald sie eine erste Stelle gefunden haben – ihre Beschäftigungsstabilität 22
In diesen weiterführenden Analysen wurden neben Beschäftigungssektor und Beschäftigungsverhältnis auch Interaktionseffekte für Sektor und befristete Beschäftigung berechnet. Es zeigte sich ein stark positiver und signifikanter Effekt von befristeten Verträgen in der Privatwirtschaft für den Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit.
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
83
Tabelle 7: Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit – der Einfluss befristeter Beschäftigung, nach Bildungsabschlusskohorten
Perioden Bis zu 6 Monate 6 bis 24 Monate 24 bis 36 Monate 36 bis 48 Monate 48 und mehr Monate Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche Geschlecht Mann (Ref.) Frau
Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit Beschäftigungsverhältnis Befristet Unbefristet (Ref.) Selbstständig Fehlende Information
Ereignisse
Kohorte 1984 bis 1989
Kohorte 1990 bis 1993
Kohorte 1994 bis 2001
-5,58** -5,71** -6,59** -6,53** -7,03**
-5,90** -5,64** -6,33** -6,76** -6,32**
-5,54** -5,36** -5,62** -6,33** -6,95**
0,26+
0,47* 0,69**
0,08 0,40**
-0,19
0,03
-0,13
0,05**
0,04**
0,03**
0,45 -0,16 0,68**
0,40 0,01 0,70**
0,71** -0,60 1,81**
188
184
240
Personen gesamt Personen zensiert
1.056 868
802 618
1.150 910
-2*diff (logL)
41,81
56,36
148,50
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
hängt in hohem Maße davon ab, wie reibungslos ihr Arbeitsmarkteinstieg stattfand. Wie schon für den Einstieg in die erste Erwerbstätigkeit zeigt sich auch für das Arbeitslosigkeitsrisiko in der frühen Erwerbskarriere eine zunehmende Stratifizierung von Arbeitsmarktrisiken in der Kohortenfolge.23 Die berufliche Posi23
Anders als in den vorangegangenen Analysen wird für die Untersuchung des Risikos von Arbeitslosigkeit nach Erwerbseintritt die berufliche Klasse und nicht das Bildungsniveau genutzt. Grund für diese Entscheidung ist, dass in einem so stark (berufs-) segmentierten Arbeitsmarkt wie in Deutschland, in dem mit dem selben formalen Bildungsabschluss sehr unter-
84
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
tion beeinflusst immer stärker, ob junge Erwerbstätige arbeitslos werden oder nicht. Waren in der ältesten Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 vor allem Un- und Angelernte von Arbeitslosigkeit betroffen, so sind es in den beiden jüngeren Bildungsabschlusskohorten auch mittlere Berufspositionen. Dass die berufliche Position in der Kohortenfolge an Bedeutung gewonnen hat, wurde durch zusätzliche Analysen bestätigt, in denen Interaktionseffekte für Berufsposition und Kohorte eingeführt wurden (siehe Tabelle 23 im Anhang dieser Arbeit). Die Ergebnisse zeigen, dass die Gruppe der qualifizierten manuellen Arbeiter in den beiden jüngeren Bildungsabschlusskohorten stärker mit Arbeitslosigkeit konfrontiert ist und sich signifikant von höheren Berufspositionen unterscheidet. Auch interne Arbeitsmärkte haben seit Mitte der 1980er Jahre für den Schutz gegen Arbeitslosigkeit an Bedeutung gewonnen (Tabelle 8, Modell 3). In den beiden älteren Bildungsabschlusskohorten 1984 bis 1989 sowie 1990 bis 1993 beeinflusste die Firmengröße nur in geringem Maße, ob junge Erwerbstätige arbeitslos wurden oder nicht. Seit Mitte der 1990er Jahre hat die Firmengröße jedoch einen deutlichen Einfluss auf das Arbeitslosigkeitsrisiko junger Menschen in Deutschland. Je größer die Firma, in der junge Erwerbstätige der Bildungsabschlusskohorte 1994 bis 2001 beschäftigt sind, desto stärker sind sie vor Arbeitslosigkeit geschützt und desto sicherer können sie sich im Erwerbsleben etablieren. Der öffentliche Dienst (d.h. der soziale Dienstleistungssektor) stellt für junge Erwerbstätige nicht wie für Erwerbstätige in der mittleren Karrierephase (vgl. z.B. Kurz, Hillmert und Grunow 2006; Buchholz und Grunow 2006) per se ein sicheres Territorium gegen Arbeitslosigkeit dar. Lediglich Angehörige der Kohorte 1990 bis 1993 genossen bei Beschäftigung im öffentlichen Dienst einen erhöhten Schutz gegen Arbeitslosigkeit in der frühen Erwerbskarriere. Als diese Kohorte in das Erwerbsleben eintrat, erlebte der öffentliche Sektor in Deutschland eine kurze Phase der Expansion, nachdem hier seit Mitte der 1980er Jahre vor allem finanzielle Kürzungen und eine restriktive Personalpolitik an der Tagesordnung gewesen waren und bevor das Wachstum in diesem Sektor wieder stagnierte (Abelshauser 2004: 312). In den 1980er und in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre schützte der öffentliche Dienst aufgrund mangelnder Vakanzen junge Erwerbstätige nicht vor Arbeitslosigkeit, sondern offensichtlich nur Mitarbeiter mit bereits längerer Dienstzeit. schiedliche Berufe angetreten werden können, die berufliche Klasse ein besserer Indikator ist. Zwar zeigte sich in weiterführenden, hier nicht abgebildeten Analysen, dass selbstverständlich auch das Bildungsniveau die Chancen auf eine erfolgreiche Etablierung am deutschen Arbeitsmarkt beeinflusst, die signifikante Verstärkung sozialer Ungleichheiten lässt sich jedoch nur über eine differenziertere Messung mit Hilfe der Berufsposition erfassen.
-0,32+
-0,26 0,03** 0,50+ -0,00 0,16
Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit
Beschäftigungsverhältnis Befristet Unbefristet (Ref.) Selbstständig Fehlende Information
Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter, leitende Arbeiter, Techniker (Ref.) Unqualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten Qualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten
0,06
0,06
0,50
0,47 -0,30
0,76* 0,03
-0,25
-
0,67**
0,72**
0,51+ -0,51 0,07
0,03**
-0,39*
0,07
-5,99** -5,55** -5,90** -5,74** -6,25**
3
0,70**
0,44 -0,16 0,09
0,03**
-5,81** -5,39** -5,77** -5,62** -6,17**
-6,30** -5,88** -6,33** -6,20** -6,79**
2
Perioden Bis zu 6 Monate 6 bis 24 Monate 24 bis 36 Monate 36 bis 48 Monate 48 und mehr Monate Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche Geschlecht Mann (Ref.) Frau
1
Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989
-0,60*
-0,22
-
0,42+
0,39 -0,14 0,19
0,03**
0,22
0,28 0,68**
-6,09** -5,39** -5,72** -6,14** -5,83**
1
-0,46
-0,18
-
0,40+
0,69* -0,11 0,17
0,03**
0,33+
0,21 0,69**
-6,84** -6,02** -6,41** -6,79** -6,46**
2
-0,43
-0,18
-
0,37
0,85** -0,36 0,13
0,03**
0,29+
0,27 0,66**
-6,81** -6,02** -6,29** -6,68** -6,33**
3
Bildungsabschlusskohorte 1990 bis 1993
-0,79**
-0,86*
-
0,43*
0,66** -0,75 1,04**
0,02**
0,04
-0,13 0,31*
-5,35** -5,01** -5,11** -5,79** -6,36**
1
-0,71*
-0,85*
-
0,41*
0,75** -0,71 0,92**
0,02**
0,13
-0,15 0,31*
-5,78** -5,41** -5,45** -6,13** -6,68**
2
-0,58+
-0,78+
-
0,32
0,98** -0,96 0,88**
0,02**
0,06
-0,10 0,31*
-5,93** -5,54** -5,48** -6,17** -6,75**
3
Bildungsabschlusskohorte 1994 bis 2001
Tabelle 8: Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit, nach Bildungsabschlusskohorten
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre 85
139,60
-2*diff (logL)
155,43
1.056 868
188
-0,79 -0,79** -0,09 0,12
-0,48+ -0,71 1,81**
2
162,98
1.056 868
188
0,52* -0,01 -0,10 0,24
-0,84 -0,77** -0,14 0,03
-0,38 -0,65 1,87**
3
149,51
802 618
184
-0,99** -1,27** 1,52**
1
163,56
802 618
184
1,21* 0,71* 0,60* 1,26**
-0,82** -1,17** 1,07**
2
178,06
802 618
184
0,23 -0,17 -0,50* 1,22*
1,19* 0,67* 0,52+ -0,31
-0,73** -1,11** 0,88*
3
Bildungsabschlusskohorte 1990 bis 1993
221,94
1.150 910
240
-0,92** -1,63** 0,76**
1
229,64
1.150 910
240
0,48 0,48* 0,28 0,89*
-0,81** -1,55** 0,41
2
264,30
1.150 910
240
0,57** -0,50+ -0,63* 0,86*
0,39 0,48* 0,21 0,52
-0,68** -1,38** 0,14
3
Bildungsabschlusskohorte 1994 bis 2001
Anmerkung: Da männliche Migranten unter den un- und angelernten Arbeitern überrepräsentiert sind, konnten Männer der Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 nicht von der guten Situation im transformativen Sektor profitieren. Sobald ein Interaktionseffekt für männliche Migranten ins Modell eingeführt wird, verschwindet der signifikante Unterschied zwischen Männern und Frauen der Kohorte 1984 bis 1989 in den Modellen 2 und 3.
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
1.056 868
188
-0,14 -0,49 2,30**
1
Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989
Personen gesamt Personen zensiert
Ereignisse
Firmengröße Bis 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter (Ref.) 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter Fehlende Information
Wirtschaftszweig Extraktiver Sektor Transformativer Sektor Privater Dienstleistungssektor Sozialer Dienstleistungssektor (Ref.) Fehlende Information
Untere Dienstklasse Obere Dienstklasse Fehlende Information
Tabelle 8: Fortsetzung 86 Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
87
Heute haben junge Erwerbstätige im Industriesektor (d.h. im transformativen Sektor) die größten Arbeitslosigkeitsrisiken. In der Kohorte 1984 bis 1989 war der transformative Sektor dagegen noch der Wirtschaftszweig, der jungen Menschen die höchste Beschäftigungssicherheit bot. Der starke Rückgang von Erwerbsstabilität im Industriesektor lässt sich damit erklären, dass der transformative Sektor seit Beginn der 1990er Jahre und mit Zusammenbruch des Ostblocks mit starken wirtschaftlichen Einbrüchen und verschärfter Konkurrenz zu kämpfen hat. Beispielsweise verringerte sich der Anteil der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe von knapp 40 Prozent im Jahr 1990 auf rund 33 Prozent im Jahr 1995 und 29 Prozent im Jahr 2000 (Abelshauser 2004: 307). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das Ausmaß an Beschäftigungsstabilität für junge Erwerbstätige von der relativen ökonomischen Situation in den jeweiligen Wirtschaftszweigen zum Zeitpunkt ihres Arbeitsmarkteinstiegs abhängt. Arbeitgeber scheinen junge Erwachsene als flexible Manövriermasse zu nutzen, um mit zyklischen Schwankungen in einzelnen Wirtschaftszweigen umzugehen. Insgesamt unterscheiden sich junge Männer und Frauen nicht im Arbeitslosigkeitsrisiko, obschon Frauen mehr Probleme haben, eine erste Erwerbstätigkeit zu finden.24 Jedoch zeigt sich, dass junge Frauen nicht in dem Maße von der kurzen Phase des Wachstums im öffentlichen Dienst profitieren konnten, wie es ihnen zugestanden hätte, da sie in diesem Sektor überrepräsentiert sind. Obschon der öffentliche Dienst in der Kohorte 1990 bis 1993 seine Beschäftigten vor Arbeitslosigkeit in höherem Maße schützte als die anderen Sektoren, genießen Frauen dieser Kohorte keinen besonderen Schutz gegen Arbeitslosigkeit in ihrer frühen Erwerbsphase (Modell 1 im Vergleich zu Modell 2 in Tabelle 8).
Ausblick: Das Verbleiberisiko in Arbeitslosigkeit Im letzten Schritt der empirischen Analysen soll ein kurzer Blick auf die Wiederbeschäftigungschancen junger Arbeitsloser geworfen werden. Für die Dauer bis zum Beginn der ersten Erwerbstätigkeit, die Qualität der ersten Erwerbstätigkeit sowie das Arbeitslosigkeitsrisiko in der frühen Erwerbskarriere fanden sich deutliche Unterschiede zwischen den drei Bildungsabschlusskohorten. Die vorangegangenen Analysen zeigten, dass sich die Chancen junger Menschen seit Mitte der 1980er Jahre bedeutend verschlechtert haben. Dieses Bild findet sich nicht für die Wiederbeschäftigungschancen junger Ar24
Es zeigen sich ebenfalls keine Unterschiede im Arbeitslosigkeitsrisiko zwischen jungen Männern und Frauen, wenn nicht für die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit kontrolliert wird.
88
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Tabelle 9: Wiedereintritt in die Erwerbstätigkeit nach der ersten Arbeitslosigkeit, verschiedene Bildungsabschlusskohorten Bildungsabschlusskohorten 1984 bis 2001 1
2
3
4
Perioden Bis zu 3 Monate 3 bis 6 Monate 6 bis 9 Monate 9 bis 12 Monate 12 bis 18 Monate 18 und mehr Monate
-2,77** -1,84** -1,93** -2,25** -2,43** -3,23**
-2,76** -1,83** -1,92** -2,24** -2,42** -3,22**
-2,66** -1,72** -1,79** -2,08** -2,22** -2,77**
-2,60** -1,66** -1,72** -2,02** -2,15** -2,70**
Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 1990 bis 1993 1994 bis 2001 (Ref.)
-0,04 -0,04 -
-0,04 -0,04 -
-0,02 -0,08 -
-0,04 -0,09 -
Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche
-0,22+ -0,03
-0,22+ -0,03
-0,17 0,06
-0,19 0,07
-0,02
-0,03
-0,01
-0,03**
-0,03**
Geschlecht Mann (Ref.) Frau
Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit Bildungsniveau Hauptschule ohne berufliche Ausbildung Hauptschule mit beruflicher Ausbildung (Ref.) Mittlere Reife/Abitur ohne berufliche Ausbildung Mittlere Reife/Abitur mit beruflicher Ausbildung Fachhochschul-/Universitätsabschluss
-0,05 -0,48 -0,07 -0,14
Ereignisse
406
406
406
406
Personen gesamt Personen zensiert
612 206
612 206
612 206
612 206
-2*diff (logL)
3,68
3,73
30,63
33,54
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
beitsloser. Arbeitslose jüngerer Kohorten haben keine schlechteren Chancen als Angehörige älterer Kohorten, wieder eine Erwerbstätigkeit zu finden (siehe Tabelle 9). Somit gehen die höheren Risiken, arbeitslos zu werden, nicht mit höheren Risiken einher, auch arbeitslos zu bleiben.
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
89
Abbildung 15: Dauer bis zum Wiedereintritt in die Erwerbstätigkeit nach der ersten Arbeitslosigkeit, Bildungsabschlusskohorten 1984 bis 2001 (Überlebensfunktionen) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Monate Westdeutsche
Migranten
Ostdeutsche
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
Wie aber anhand der Abbildung 15 deutlich wird, gestaltet sich die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit für Arbeitslose schwerer als der Einstieg ins Erwerbsleben für junge Menschen, die gerade das Bildungssystem verlassen haben. Im Vergleich zum Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit (siehe Abbildungen 8 bis 10 oben) brauchen junge Arbeitslose länger, bis sie wieder eine Erwerbstätigkeit gefunden haben. Der Median für die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit lag für Ostdeutsche, Westdeutsche und Migranten in allen Kohorten bei unter einem Monat; der Median für die Dauer der ersten Arbeitslosigkeit liegt dagegen bei sechs Monaten und mehr. Die Chancen auf eine Rückkehr in die Erwerbstätigkeit verringern sich zudem, wenn die Arbeitslosigkeit länger andauert. Diese Ergebnisse bestätigen den passiven Charakter des deutschen Wohlfahrtsstaates, der weniger auf aktivierende Arbeitsmarktmaßnahmen für Erwerbslose, sondern vielmehr auf ihre finanzielle Unterstützung setzt (z.B. durch hohe und lang andauernde Leistungen bei Arbeitslosigkeit oder auch Frühverrentungsprogramme). Interessanterweise zeigen sich kaum Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen und den verschiedenen Bildungsniveaus bei den Chancen für einen Wiedereintritt in die Erwerbstätigkeit. Zwar haben junge Arbeitslose nichtdeutscher Herkunft etwas mehr Probleme, wieder eine Erwerbstätigkeit zu finden als Westdeutsche, der Unterschied ist allerdings sehr schwach (siehe Abbildung
90
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
15 sowie Tabelle 9, Modell 1 und 2). Höherqualifizierte haben keine besseren Chancen, wieder ins Erwerbsleben zurückzukehren, als Geringqualifizierte, obschon sich deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Bildungsgruppen zeigten für das Risiko, arbeitslos zu werden. Wenn Höhergebildete aber arbeitslos werden, haben sie so schlechte Chancen wie Geringerqualifizierte, die Arbeitslosigkeit wieder zu verlassen. Wieder zeigt sich ein signifikanter Effekt für die Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit. Je schwerer sich ein Bildungsabgänger tat, eine erste Erwerbstätigkeit aufzunehmen, desto schwerer ist es für diese Person im Fall von Arbeitslosigkeit, auch wieder in das Erwerbsleben zurückzukehren. Damit konzentrieren sich Erwerbsrisiken stark auf eine bestimmte Gruppe von jungen Menschen. Diejenigen, die Probleme beim Erwerbseinstieg hatten, haben ein erhöhtes Risiko, ihr Erwerbsleben in befristeter Beschäftigung zu beginnen, nach erfolgreichem Eintritt ins Erwerbsleben wieder arbeitslos zu werden und länger arbeitslos zu bleiben. Schwierigkeiten beim Berufseinstieg prägen in Deutschland die Erwerbschancen junger Menschen somit langfristig.
2.2.5 Zwischenfazit Ziel dieses Teils der Arbeit war es, zu untersuchen, ob junge Menschen in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre eine Flexibilisierung ihrer Position am Arbeitsmarkt erlebt haben. In der Tat haben die empirischen Analysen gezeigt, dass junge Menschen im Kohortenvergleich länger brauchen, um am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen – sie müssen eine zunehmend längere Zeit der Bewährung durchlaufen, bevor ihnen Erwerbstabilität zugesichert wird. Schon der Übergang in den Arbeitsmarkt gestaltet sich für Bildungsabgänger im Kohortenvergleich immer schwerer. Seit Mitte der 1980er Jahre und mit der seither zunehmend angespannten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage in Deutschland sind junge Menschen unmittelbar nach Verlassen des Bildungssystems immer häufiger mit Arbeitslosigkeit konfrontiert, brauchen immer länger, bis sie eine erste Erwerbstätigkeit gefunden haben, und müssen sich zunehmend damit abfinden, nur befristetet beschäftigt zu sein und damit im Unklaren darüber gelassen zu werden, ob der Arbeitgeber sie auch künftig weiterbeschäftigen wird. Die Analysen haben des Weiteren gezeigt, dass junge Menschen nach erfolgreichen Erwerbseintritt seit Mitte der 1980er Jahre eine zunehmend längere Phase der Unsicherheit durchlaufen müssen, bevor sie sich sicher am Arbeitsmarkt etablieren können. Während befristet Beschäftigte in den 1980er und frühen 1990er Jahren noch eine Anschlussstelle fanden, sind befristete Verträge in jüngerer Zeit mit einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko verbunden und deshalb zu
Erwerbseinstiege und Etablierungsprozesse seit Mitte der 1980er Jahre
91
einer Art „Falle“ für junge Erwerbstätige geworden. Zudem müssen junge Menschen in Deutschland immer länger darauf warten, bis sich ihre Arbeitsmarktposition stabilisiert, bis sie vor Arbeitslosigkeit geschützt sind und bis ihnen die für den deutschen Arbeitsmarkt so typischen „Insiderrechte“ zugesichert werden. Genossen beispielsweise Westdeutsche in den späten 1980er Jahren bereits eineinhalb Jahren nach Einstieg ins Erwerbsleben nennenswerten Schutz vor Arbeitslosigkeit, so müssen sie seit Mitte der 1990er Jahre mehr als drei Jahre erwerbstätig gewesen sein, bis sie sich am Arbeitsmarkt sicher etabliert haben. Die aufgezeigten Entwicklungen haben unter jungen Menschen in Deutschland zu einer relativen Verstärkung bereits existierender sozialer Ungleichheitsstrukturen am Arbeitsmarkt geführt. Das Bildungsniveau sowie die berufliche Position sind im Kohortenvergleich zunehmend wichtige Garanten für einen zügigen Einstieg ins Erwerbsleben und eine zügige Etablierung am Arbeitsmarkt. In den 1980er Jahren konzentrierten sich Erwerbsrisiken vor allem auf die Gruppe der Un- und Geringqualifizierten, in den 1990er Jahren haben sich diese Risiken auch auf qualifizierte Gruppen junger Menschen ausgeweitet. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den Annahmen von Breen (1997), der argumentierte, dass Arbeitgeber versuchen werden, Hochqualifizierte vor Flexibilisierungen zu schützen und zunehmende Flexibilitätserfordernisse vor allem über die Verlagerung von Marktrisiken auf bereits benachteiligt soziale Gruppen zu bewältigen. Auch Unternehmenscharakteristika beeinflussen, ob und wie schnell sich junge Erwerbstätige im Erwerbsleben etablieren können. In großen beziehungsweise größeren Betrieben sind für junge Erwerbstätige die Beschäftigungsstabilität und die Chance für eine Etablierung im Erwerbsleben größer als in kleineren Betrieben – seit Mitte der 1980er Jahre sind interne Arbeitsmärkte sogar wichtiger geworden. Junge Erwerbstätige sind anfällig für zyklische Fluktuationen in den einzelnen Wirtschaftszweigen. Sektorale Probleme führen dazu, dass junge Erwerbstätige arbeitslos werden. Junge Menschen sind in Deutschland somit eine flexible Manövriermasse für Unternehmen. Aufgrund ihrer vergleichsweise kurzen Betriebszugehörigkeit können sie bei ökonomischen Schwankungen in einzelnen Wirtschaftsbereichen leicht wieder entlassen werden. Insgesamt zeigt sich in den Ergebnissen damit, dass die Erosion von Erwerbschancen junger Menschen in spezifischen Teilen des Arbeitsmarktes stattgefunden hat und sich eine zunehmende Ausdifferenzierung am Arbeitsmarkt zeigt. Erstens sind Arbeitgeber „wählerischer“ geworden bei der Frage, welchen Beschäftigten sie eine Absicherung gegen Arbeitsmarktrisiken zugestehen. Sie konzentrieren ihr Commitment zunehmend auf hoch qualifizierte Dienstleistungsberufe und haben es seit Mitte der 1980er Jahre vor allem jungen Menschen in qualifizierten manuellen Berufen entzogen. Zweitens haben interne Arbeitsmärkte in den vergangenen zwanzig Jahren an Bedeutung gewonnen. Während
92
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
interne Arbeitsmärkte für die Bildungsabschlusskohorte in den 1980er Jahren eine vergleichsweise geringe Rolle für die Etablierung im Erwerbsleben spielten und mittlere Betriebe jungen Erwerbstätigen dieselbe Sicherheit wie große Betriebe boten, hängen die Etablierungschancen junger Menschen in jüngerer Zeit deutlich von der Betriebsgröße ab. Eine zügige Etablierung am Arbeitsmarkt begrenzt sich heute auf größere Betriebe, kleinere und mittlere Betriebe bieten jungen Erwerbstätigen nicht mehr dieselben Sicherheiten. Vor allem in Ostdeutschland ist es für junge Menschen schwer, sich im Erwerbsleben zu etablieren. Sie haben mit Abstand das höchste Arbeitslosigkeitsrisiko. Die schlechteren Chancen von jungen Migranten sind vor allem auf ihr geringeres Bildungsniveau zurückzuführen. Auch wenn junge Westdeutsche damit bis heute noch die besten Chancen am Arbeitsmarkt genießen, haben die Analysen dennoch gezeigt, dass sie gleichzeitig diejenigen sind, die die größten Verluste in puncto Erwerbsstabilität hinnehmen mussten.
2.3 Exkurs: Beschäftigungsunsicherheit und Geburtenrückgang Bisher stand in diesem Teil meiner Arbeit die Frage im Mittelpunkt, wie junge Menschen in der Bundesrepublik Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre den Einstieg in den Arbeitsmarkt und die Etablierung im Erwerbsleben erfahren haben. Die empirischen Analysen haben gezeigt, dass sich Arbeitsmarkteinsteiger zunehmend mit Erwerbsunsicherheiten konfrontiert sehen. In einem kurzen Exkurs möchte ich nun, insbesondere durch den Rückgriff auf die Studie von Kurz (2005), eine zentrale gesamtgesellschaftliche Auswirkung zunehmender Arbeitmarktrisiken unter jungen Menschen aufzeigen: den Geburtenrückgang. Geburtenentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland In den vergangenen Jahrzehnten war in Deutschland ein deutlicher Geburtenrückgang zu beobachten (vgl. z.B. Geißler 2002: 53ff.; Statistisches Bundesamt 2003: 10ff.; Huinink 1987, 1989a, 1989b – vgl. auch Abbildung 16). Brachte eine Frau bis 1970 im statistischen Durchschnitt noch knapp zwei Kinder (und mehr) zur Welt, so ist dieser Durchschnitt seither stark gesunken. Schon 1975 gebar in der Bundesrepublik Deutschland eine Frau durchschnittlich nur noch 1,45 Kinder – seither ist die Geburtenrate im Westen Deutschlands auf einem niedrigen Niveau verblieben. In der ehemaligen DDR konnten die Einbrüche bei den Geburten zu Beginn der 1970er Jahre durch familien- und bevölkerungspolitische Maßnahmen aufge-
Exkurs: Beschäftigungsunsicherheit und Geburtenrückgang
93
fangen werden (Geißler 2002: 55). Die rückläufige Entwicklung Anfang der 1970er Jahre konnte kurzfristig aufgehalten werden und im Osten Deutschlands gab es in den späten 1970er Jahren sogar einen zweiten, wenngleich im Vergleich zu den 1960er Jahren weniger stark ausgeprägten Babyboom. Der politische Zusammenbruch der DDR löste jedoch eine tiefe demografische Krise in Ostdeutschland aus. Lag die Geburtenrate kurz vor der Wiedervereinigung im Osten noch knapp über dem westdeutschen Niveau, so brach sie innerhalb weniger Jahre in Ostdeutschland massiv ein und sank mit 0,77 Kindern pro Frau im Jahr 1993 deutlich unter die westdeutsche Geburtenrate (vgl. Geißler 2002: 53). Ab Mitte der 1990er Jahre zeigt sich im Osten Deutschlands zwar wieder ein Aufwärtstrend, jedoch wurde das frühere Niveau nicht annährend erreicht. Auch heute liegt die Geburtenrate im Osten unter dem westdeutschen Niveau. Insgesamt beläuft sich die Geburtenrate im wiedervereinigten Deutschland derzeit auf knapp 1,4 Kindern pro Frau (Statistisches Bundesamt 2003: 13). Niedrige Geburtenraten sind kein rein deutsches Phänomen. In vielen modernen Industrienationen zeigt sich in den vergangenen Jahrzehnten eine rückläufige Geburtenentwicklung (vgl. z.B. van de Kaa 1987: 18ff.). Deutschland gehört jedoch zusammen mit südeuropäischen und osteuropäischen Ländern weltweit zu den Ländern mit der niedrigsten Geburtenhäufigkeit (Statistisches Bundesamt 2003: 12f. – vgl. auch Abbildung 19 weiter unten). Abbildung 16: Geburten je 100 Frauen, West- und Ostdeutschland, 1950 bis 1999 300 250
250
236 237
231
248
200 209
219 201
154
194
145
144
173 156
150 128
144
140 134 115
100 84
50 0 1950
1960
1965
1970
1975
Westdeutschland Quelle: Geißler 2002: 53.
1980
1985
Ostdeutschland
1989
1995
1999
94
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
Abbildung 17: Durchschnittsalter von Frauen bei der Geburt des ersten Kindes, West- und Ostdeutschland, 1975 bis 2000 30 28,2 28
29,0 28,4
27,1 26,2
26 24,8
26,9
25,2 24,9
24 22 21,8
21,6
21,8
20 1975
1980
1985 Westdeutschland
1991
1995
2000
Ostdeutschland
Quelle: Sozialpolitik aktuell: Universität Duisburg/Essen, www.sozialpolitik-aktuell.de.
Bei einer genaueren Betrachtung des Fertilitätsverhaltens wird deutlich, dass der starke Geburtenrückgang in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten mitbedingt ist durch die Rückverlagerung der Geburt von Kindern, insbesondere des ersten Kindes, im Lebenslauf jüngerer Kohorten (vgl. z.B. Huinink 1987, 1989a, 1989b). So zeigt sich in Deutschland ein deutlicher Anstieg des Alters der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes (siehe Abbildung 17). In Westdeutschland ist das Durchschnittsalter von Frauen bei der Erstgeburt zwischen 1980 und 2000 um knapp vier Jahre – von 25 auf 29 Jahre – gestiegen. In Ostdeutschland zeigt sich ein rasanter Anstieg des Alters bei der Geburt des ersten Kindes vor allem nach der Wiedervereinigung. Lag das Alter von Frauen bei der Erstgeburt 1991 mehr als zwei Jahre unter dem Alter von westdeutschen Frauen, so betrug dieser Unterschied im Jahr 2000 nur noch knapp ein halbes Jahr. Innerhalb nur eines Jahrzehnts ist in Ostdeutschland damit das Alter von Frauen bei der Geburt des ersten Kindes um fast vier Jahre von unter 25 auf über 28 Jahre gestiegen.
Beschäftigungsunsicherheit und das Aufschieben der Familienphase Verschiedene, häufig miteinander verbundene Ursachen werden als Erklärung für den starken Geburtenrückgang und das Hinauszögern der Elternschaft in der
Exkurs: Beschäftigungsunsicherheit und Geburtenrückgang
95
Bundesrepublik Deutschland genannt. Beispielsweise werden die Bildungsexpansion und ihre Folgen häufig als Begründung für die rückläufige Geburtenrate in Deutschland herangezogen (vgl. z.B. Klein 1989; Beck 1986: 161ff., 189ff.; Hettlage 1998: 129). Durch die verlängerte Bildungsphase (und den damit verbundenen späteren Eintritt ins Erwerbsleben) werden junge Menschen finanziell später unabhängig und fühlen sich damit auch erst später in der Lage, zu heiraten und eine Familie zu gründen (vgl. z.B. Blossfeld und Timm 1997: 450f.; Hettlage 1998: 129). Zudem wird argumentiert, dass die verstärkte Bildungsbeteiligung von Frauen in Folge der Bildungsexpansion zu einem veränderten Fertilitätsverhalten geführt hat. Höhere Bildung und die damit neuen Möglichkeiten von Frauen am Arbeitsmarkt ermögliche es ihnen, ökonomisch unabhängiger von der Familie zu werden – dies verringere die Wahrscheinlichkeit von Heirat und Familiengründung (vgl. z.B. Beck 1986: 189ff.; Beck-Gernsheim 1994: 7ff.; Burkhart und Kohli 1989: 406f.). Auch wird mit einem generellen gesellschaftlichen Wertewandel argumentiert, um den Geburtenrückgang zu erklären. Demnach soll der Anspruch auf individuelle Autonomie und Selbstverwirklichung in modernen Gesellschaften zugenommen haben, was sich negativ auf Partnerschaften und Familienbildung auswirkt (vgl. van de Kaa 1987: 5ff.; Klein 1991; BeckGernsheim 1994: 7ff.). Andere Ansätze suchen die Erklärung für den Geburtenrückgang auch in verschlechterten Bedingungen am Arbeitsmarkt (Oppenheimer 1988; Mills und Blossfeld 2003). Das Aufschieben der Heirat und der Familienbildung wird im Wesentlichen darauf zurückgeführt, dass es junge Menschen in modernen Gesellschaften seit einigen Jahren immer schwerer haben, sich am Arbeitsmarkt zu etablieren. Gestiegene Beschäftigungsunsicherheit soll dazu geführt haben, dass sie langfristige Bindungen – wie Partnerschaft oder Elternschaft – aufschieben oder sogar komplett aussetzen. Kurz (2005) zeigte in einer umfangreichen empirischen Studie zum Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktrisiken und dem Eingehen langfristiger Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland, dass sich Phasen von Beschäftigungsunsicherheit in der Tat negativ auf das Eingehen von Partnerschaften und auf die Geburt von Kindern auswirken. Beispielsweise führen Teilzeitarbeit und Arbeitslosigkeit bei Männern dazu, dass die Familiengründung bedeutend nach hinten verschoben wird. Wie Kurz (2005) herausfand, hat der Erwerbsstatus sogar einen stärkeren Einfluss auf das Aufschieben von Elternschaft als das Bildungsniveau. Für wie wichtig ein sicherer Arbeitsplatz für Elternschaft erachtet wird, zeigt sich auch anhand einer aktuellen, von der Robert Bosch Stiftung durchgeführten Befragung von in Partnerschaft lebenden 20- bis 49-jährigen Männern und Frauen in Deutschland (siehe Abbildung 18; vgl. auch Höhn, Ette und Ruckdeschel 2006: 30ff.). Demnach sind die eigene Arbeitsplatzsicherheit sowie die
96
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
des Partners die beiden wichtigsten und meistgenannten Gründe, die angeführt werden, wenn es um die Frage „Kinder – ja oder nein?“ geht. In beiden Fällen wird von über 50 Prozent der befragten Männer und Frauen vorgebracht, dass sie sich (weitere) Kinder nur dann vorstellen können, wenn sie eine sichere Position am Arbeitsmarkt innehaben. Der Zusammenhang zwischen Beschäftigungsunsicherheit und Aufschub der Familienbildung findet sich auch in anderen modernen Gesellschaften. In einer 14 Länder umfassenden Studie zeigten Blossfeld et al. (2005), dass sich das Herauszögern von Eheschließung und Familiengründung in der Tat auf die Beschäftigungssituation junger Menschen25 zurückführen lässt. Wie Blossfeld et al. (2005) jedoch herausarbeiteten, ist bei der Strukturierung der Entscheidung zur Familiengründung nicht das absolute Unsicherheitsniveau, sondern das in einem Land von den Arbeitskräften jeweils subjektiv erlebte, relative Unsicherheitsniveau relevant. Wenn junge Erwachsene ihre eigene Arbeitsmarktlage beurteilen, vergleichen sie sich mit „signifikanten Anderen“ (wie Freunden, beruflichen Vorbildern, aber auch der Elterngeneration) und deren Erlebnissen. Die Folge ist, dass in den USA, wo das absolute Unsicherheitsniveau durch den Abbildung 18: Die beiden meistgenannten Gründe gegen (weitere) Kinder von in Partnerschaft lebenden 20- bis 49-Jährigen, 2005
Benötige selbst einen sicheren Arbeitsplatz
Partner/in benötigt einen sicheren Arbeitsplatz
0%
10%
20% Kinderlose
30%
40%
50%
60%
70%
Eltern
Quelle: Höhn, Ette und Ruckdeschel (2006). 25
Beschäftigungsunsicherheit wirkt sich insbesondere bei jungen Männern negativ auf den Übergang zur Elternschaft aus – vor allem dann, wenn sie in einem Land, wie auch in Deutschland, die sogenannten Familienernährer sind.
Exkurs: Beschäftigungsunsicherheit und Geburtenrückgang
97
Abbildung 19: Geburtenziffer in ausgewählten Industriestaaten, 2000 USA Frankreich Norwegen Dänemark Finnland Niederlande Großbritannien Schweden Deutschland Griechenland Italien Spanien 0
0,5
1
1,5
2
2,5
Quelle: Statistisches Bundesamt (2003).
flexiblen „hire and fire“-Arbeitsmarkt zwar insgesamt höher ist als in Deutschland, prekäre Beschäftigungsverhältnisse als nicht so bedrohlich erlebt werden. Unsichere Beschäftigungsformen sind hier insgesamt verbreiteter und der flexible Arbeitsmarkt ermöglicht bei Arbeitsplatzverlust durch geringe Mobilitätsbarrieren eine rasche Reintegration ins Erwerbsleben. Dagegen werden in Ländern mit rigiden Arbeitsmärkten wie in Deutschland Arbeitsmarktrisiken und flexible Beschäftigungsverhältnisse als unüblich und riskanter wahrgenommen. Junge Erwachsene in flexibilisierten Beschäftigungsformen erfahren deswegen in Ländern wie Deutschland ihr Schicksal als gravierend negativer als in Ländern mit flexiblen Arbeitsmärkten, obschon das absolute Unsicherheitsniveau eher geringer ist. Entsprechend ist es nicht überraschend, dass gerade in den mittel- und südeuropäischen Ländern mit unflexiblen Insider-Outsider-Arbeitsmärkten die Geburtenrate heute so niedrig ist (siehe auch Abbildung 19).
98
Die Flexibilisierung des Erwerbseinstiegs in Deutschland
In den vorangegangenen empirischen Analysen konnte nachgewiesen werden, dass sich junge Menschen in Deutschland zunehmend mit Erwerbsunsicherheiten konfrontiert sehen (siehe Kapitel 2.2). Die Ergebnisse haben deutlich gezeigt, dass es für Bildungsabgänger seit Mitte der 1980er Jahren schwerer geworden ist, den Schritt ins Erwerbsleben zu machen und am Arbeitsmarkt sicher Fuß zu fassen. Junge Menschen in Deutschland brauchen zunehmend länger, eine erste Stelle zu finden, ein immer größerer Teil von ihnen durchläuft nach Bildungsabschluss eine Phase von Arbeitslosigkeit, sie müssen sich zu Beginn ihres Erwerbslebens zunehmend mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen sowie Teilzeit-Erwerbstätigkeit abfinden und müssen immer länger darauf warten, bis sie sich im Erwerbsleben etabliert haben und in den „Genuss“ von Beschäftigungssicherheit kommen. Die Ergebnisse der empirischen Analysen dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Gestiegene Erwerbsunsicherheiten unter jungen Erwachsenen in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht nur ein Problem der Betroffenen – also der Arbeitsmarkteinsteiger und der jungen Erwerbstätigen. Die zunehmende Flexibilisierung von Erwerbseinstiegsprozessen und die verlängerte Etablierungsphase von Arbeitsmarkteinsteigern haben tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte deutsche Gesellschaft. Erwerbsunsicherheiten unter jungen Menschen tragen maßgeblich dazu bei, dass Partnerschaft und Elternschaft aufgeschoben werden und die Geburtenrate in Deutschland niedrig ist. Zusammen mit der Zunahme der Lebenserwartungen durch medizinischen Fortschritt und verbesserte Lebensbedingungen führt diese niedrige Geburtenrate zu einer beträchtlichen „Alterung“ der deutschen Gesellschaft. Aktuellen Bevölkerungsvorausberechnungen zu Folge werden 2010 weniger als 20 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland unter 20 Jahre alt sein – im Jahr 1970 stellten die unter 20-Jährigen in Deutschland noch ein Drittel der Bevölkerung (Statistisches Bundesamt 2003: 31). Diese Entwicklung stellt unter anderem die Finanzierbarkeit der deutschen Sozialversicherung infrage, insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung gerät unter Druck (vgl. Kapitel 3.4 dieser Arbeit). Insgesamt steht damit die Strategie des deutschen Gesetzgebers, Beschäftigungsflexibilisierungen am rigiden deutschen Arbeitsmarkt unter anderem besonders über die Flexibilisierung junger Menschen zu ermöglichen, im starken Widerspruch zu dem Versuch, die niedrigen Geburtenraten zu steigern und die Alterung der deutschen Gesellschaft aufzuhalten. Solange die Auswirkungen von Arbeitsmarktflexibilisierung in Deutschland vor allem Erwerbseinsteigern aufgebürdet werden, scheint es fraglich, ob es dem Gesetzgeber gelingen wird, die Geburtenrate in Deutschland erfolgreich zu erhöhen und junge Menschen zu ermutigen, wieder (mehr) Kinder zu bekommen.
Teil 3: Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in der Bundesrepublik Deutschland
3.1 Vorbemerkungen Im dritten Teil dieser Arbeit steht der Prozess des Erwerbsaustiegs älterer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland im Mittelpunkt des Interesses. Aus verschiedenen Gründen ist anzunehmen, dass sich die Situation älterer Erwerbstätiger am Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren grundlegend verändert hat. Ältere verfügen über eine anerkannte und in Deutschland in hohem Maße sozial abgesicherte Alternativrolle außerhalb des Arbeitsmarktes, nämlich die Rolle des Rentners. Die Alternativrolle des Rentners wurde in den vergangenen Jahrzehnten und mit den steigenden Arbeitslosenquoten in Deutschland zunehmend gestärkt, indem der Gesetzgeber umfassende Frühverrentungsprogramme eingeführt hat (vgl. Kapitel 3.2.1). Die (Früh-) Verrentung älterer und vergleichsweise teurer Arbeitnehmer kann damit als sozial verträgliches Instrument gesehen werden, um Rationalisierungen in Unternehmen zu realisieren, den zunehmend angespannten Arbeitsmarkt zu entlasten und Erwerbsrisiken für die anderen, jüngeren Arbeitskräfte zu reduzieren. Hinzu kommt, dass zu erwarten ist, dass ältere Arbeitnehmer besonders stark von wirtschaftlichem Strukturwandel getroffen wurden und werden. Ihr Anteil in rückläufigen und besonders stark unter Druck geratenen Industrien sowie in „veralteten“ Berufen ist sehr hoch (vgl. Kapitel 3.2.2). Die fehlende Infrastruktur für lebenslanges Lernen in Deutschland macht es für ältere Menschen quasi unmöglich, sich an neue Qualifikationsanforderungen anzupassen (Blossfeld und Stockmann 1999; DiPrete et al. 1997). Ihre Frühverrentung ist deshalb in Deutschland als Instrument zu bewerten, mit dem eine Anpassung an beschleunigten wirtschaftlichen und technologischen Wandel bewerkstelligt wird. Ziel ist es, empirisch zu überprüfen, ob und inwiefern der Erwerbsaustritt von älteren Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und ihr Übergang in die Rente in jüngerer Vergangenheit zunehmend durch personalpolitische und arbeitsmarktpolitische Interessen beeinflusst wurde. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt:
100
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Im ersten Schritt soll untersucht werden, ob in Deutschland ein zunehmender Trend zu Frühverrentung und zur beschleunigten Ausgliederung Älterer aus dem Erwerbsleben zu finden ist. Zwar ist bereits durch Ergebnisse aus Querschnittsstudien ersichtlich, dass die Erwerbsbeteiligung Älterer in Deutschland stark zurückgegangen ist (siehe Kapitel 3.2.1, Abbildung 20), jedoch wird durch die Betrachtung von Bestandsgrößen nicht deutlich, ob es zu einem immer früheren Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben gekommen ist. Um diese Frage zu klären, wurde hier eine Längsschnittperspektive gewählt (für nähere Erläuterungen siehe Forschungsbeitrag unten). So soll geklärt werden, ob mit zunehmenden Arbeitsmarktproblemen und verstärktem wirtschaftlichen Wettbewerbsdruck der Erwerbsaustritt älterer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland immer mehr flexibilisiert, das heißt nach vorne verlagert wurde. Im zweiten Schritt steht folgende Frage im Vordergrund: Sind bestimmte Gruppen von älteren Erwerbstätigen stärker von Frühverrentung betroffen? Hängt der Zeitpunkt des Erwerbsaustritts davon ab, in welchem Beruf, in welchem Betrieb oder in welcher Branche eine Person beschäftigt ist? Zeigen sich also deutliche Unterschiede zwischen Beschäftigten in Arbeitsmarktsegmenten, die starker Restrukturierung und Rationalisierung unterliegen, und Beschäftigten in Segmenten, die vergleichsweise wenig unter wirtschaftlichem Druck stehen. Durch die Beantwortung dieser Fragen soll geklärt werden, ob Unternehmen in Deutschland das Frühverrentungsgeschehen immer mehr mitbestimmen und Frühverrentungssysteme zunehmend zu Arbeitsmarktprogrammen umfunktioniert wurden. In der derzeitigen wissenschaftlichen Diskussion gibt es zwei nebeneinander existierende Erklärungsansätze für zunehmende Frühverrentung, von denen der eine Unternehmen eine zentrale Rolle zuschreibt, während der andere Ansatz betrieblichen Interessen keinerlei Einfluss einräumt (zur genaueren Erläuterung siehe Forschungsbeitrag unten).26
Studiendesign Um Erwerbsausstiegsprozesse in Deutschland zu analysieren, werden ältere Erwerbstätige verschiedener ostdeutscher und westdeutscher Geburtskohorten ab Erreichen des Alters 55 bis zu dem Zeitpunkt beobachtet, zu dem sie das Erwerbsleben verlassen. Das Alter 55 wurde als Beginn der Beobachtung ge26
Ich erwarte, dass Unternehmen sehr wohl eine Rolle für das Frühverrentungsgeschehen in Deutschland spielen. Wie im ersten Teil ausgeführt ist die Verrentung älterer Menschen für Arbeitgeber in Deutschland eines der wenigen und zudem sozial verträglichen Instrumente innerhalb des vergleichsweise regulierten Beschäftigungssystems, um Belegschaft abzubauen und sich so an veränderte Marktanforderungen und zunehmenden Wettbewerbsdruck anzupassen.
Vorbemerkungen
101
wählt, weil ab diesem Zeitpunkt reguläre Ausstiege aus dem Erwerbsleben frühestens möglich sind. Es wurde nicht früher mit der Beobachtung älterer Erwerbstätiger begonnen, um Ausstiege auszuschließen, die keinen Arbeitsmarkthintergrund haben (z.B. Invalidität) und die die Ergebnisse der Analysen für die hier gestellten Forschungsfragen verzerren würden. Es wurde für die empirischen Analysen bewusst der Ausstieg aus dem Erwerbsleben und nicht der Übergang zur Rente modelliert, da Altersarbeitslosigkeit in Deutschland heute ein wichtiger Zugangspfad zur Rente ist (siehe Kapitel 3.2.1). Der Übergang in die Rente findet in diesem Fall nicht direkt, sondern indirekt nach einer Phase von Arbeitslosigkeit statt. Im ersten Schritt werden alle Erwerbsaustritte betrachtet (d.h. sowohl Übergänge in die Rente27 als auch Übergänge in die Altersarbeitslosigkeit); in einem zweiten Schritt werden dann nur noch Übergänge in die Altersarbeitslosigkeit in den Blick genommen. Besonders durch die Analyse von Altersarbeitslosigkeit werden für die hier gestellten Forschungsfragen wichtige Erkenntnisse erwartet, da ein Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit im Fall von Altersarbeitslosigkeit relativ deutlich den Flexibilisierungsbedürfnissen des Arbeitgebers zugerechnet werden kann. Im Fall von Frühverrentung ist hingegen nicht klar zu unterscheiden, ob das Ausscheiden (1) auf Rationalisierungs- und Flexibilisierungsbedarfe des Arbeitgebers oder (2) auf eine Präferenz des Versicherten (z.B. zugunsten von mehr Freizeit) zurückgeführt werden kann. In der vorliegenden Studie werden Ost- und Westdeutschland getrennt voneinander untersucht. Die getrennte Analyse erlaubt jedoch Vergleiche zwischen Ost und West. Die empirischen Untersuchungen wurden aus zwei Gründen getrennt. Erstens gab es in Ostdeutschland unmittelbar nach der Wiedervereinigung eine zusätzliche Regelung, die einen besonders frühzeitigen Rückzug Älterer aus dem Arbeitsmarkt ermöglichte (die sogenannte Altersübergangsregelung, siehe Kapitel 3.3.2). Zweitens beziehen sich die ostdeutschen Analysen auf ältere Männer und Frauen. Dagegen ist die Untersuchung für Westdeutschland nur auf Männer beschränkt. Der Hintergrund für diese Entscheidung ist, dass die Erwerbsbeteiligung von westdeutschen Frauen, besonders in den untersuchten Kohorten, sehr gering war, so dass nur in sehr begrenztem Maße Daten zur Analyse vorliegen. In Ostdeutschland war die Erwerbsbeteiligung von Frauen kurz vor der Wiedervereinigung dagegen in allen Altersgruppen hoch und vergleichbar mit der Erwerbsbeteiligung von Männern (Kohli 1994: 88, 97). 27
Bei Rentenübergängen wird in den Analysen nicht die Art der bezogenen Rente unterschieden (ob beispielsweise eine vorgezogene Altersrente für langjährig Versicherte oder eine Rente nach Altersteilzeit in Anspruch genommen wurde). Der Grund hierfür ist, dass im Fall der verschiedenen Frühverrentungswege in Deutschland nicht klar festzustellen ist, ob das Ausscheiden auf eine individuelle Präferenz oder auf einen arbeitsmarktbedingten Grund zurückzuführen ist (siehe oben). Altersteilzeit kann zudem aufgrund von Datenbeschränkungen nicht für den gesamten Untersuchungszeitraum analysiert werden.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Forschungsbeitrag Es existieren einige empirische Studien, die sich mit der Entwicklung des Rentenzugangsalters und mit Frühverrentung in Deutschland seit den 1970er Jahren beschäftigen. Die Mehrheit dieser Studien überprüft jedoch nicht, ob der Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs durch die Beschäftigung in spezifischen Arbeitsmarktsegmenten (und somit durch betriebliche Interessen) beeinflusst wird (vgl. z.B. Börsch-Supan 1998; Kohli 1996; Riphahn und Schmidt 1997). Damit lassen die meisten existierenden Studien empirisch ungeklärt, welcher der beiden vorliegenden, sich aber widersprechenden wissenschaftlichen Erklärungsansätze für Frühverrentung zutrifft: Die in erster Linie mikroökonomisch argumentierenden Ansätze (vgl. z.B. Börsch-Supan 1998; Riphahn und Schmidt 1997; Siddiqui 1997) erklären den Trend zum immer früheren Ausscheiden aus dem Erwerbsleben durch die Rahmensetzungen des Rentensystems und deren Anreizwirkung auf versicherte Erwerbspersonen. Die Zunahme von Frühverrentung ergibt sich demnach daraus, dass der Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten das Rentenalter flexibilisiert und neue Zugangswege zur Rente geöffnet hat (siehe Kapitel 3.2.1), ohne jedoch gleichzeitig den vorgezogenen Ruhestand mit Abschlägen zu versehen, die versicherungsmathematisch neutral sind. Der Übergang in den vorgezogenen Ruhestand ist nach diesen Ansätzen das Ergebnis des Kalküls eines Versicherten, für den die Kosten für eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit in Form von Beitragszahlungen sowie den Verzicht auf Rente und Freizeit über dem Gewinn einer höheren Rente liegen (Wübbeke 1999: 104). Diese sogenannten „Pull“-Ansätze sehen als maßgebliche Akteure für den Rentenübergang lediglich den Staat auf der einen Seite, der das Rentensystem und die Sozialgesetzgebung gestaltet, sowie ältere Erwerbstätige respektive Versicherte auf der anderen Seite. Unbeachtet bleiben betriebliche Interessen – ihnen wird in diesem Modell keine bedeutende Rolle zugeschrieben. Dass Arbeitgeber jedoch in jüngerer Vergangenheit Verrentungsprozesse zunehmend mitsteuern, nehmen die sogenannten „Push“-Ansätze an (vgl. z.B. Kohli 1996; Wübbeke 1999; Bangel 1993; Rosenow 1992). Diese Ansätze erklären den Trend zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit vor allem dadurch, dass Unternehmen sich immer mehr und früher von ihren älteren Mitarbeitern trennen. Ausgelöst durch den raschen technologisch-organisatorischen Wandel in der Arbeitswelt sowie den zunehmenden internationalen Wettbewerbsdruck in den vergangenen Jahrzehnten stellt die frühzeitige Freisetzung und Verrentung von älteren Mitarbeitern eine sozial verträgliche und sanfte Form des Beschäftigungsabbaus und der Krisenbewältigung in Unternehmen dar (Wübbeke 1999: 105).
Vorbemerkungen
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Wenn die Argumente der „Pull“-Ansätze zutreffen, sollte der Erwerbsaustritt also unabhängig von der Branche oder Firmenmerkmalen sein, da sie betriebliche Interessen im Modell nicht berücksichtigen. Das Kalkül eines Versicherten in einem Industriebetrieb unterscheidet sich nach diesen Ansätze nicht von dem Kalkül eines Versicherten im Dienstleistungssektor. Push-Ansätze betonen dagegen gerade die Wichtigkeit des Arbeitgebers und schreiben ihm eine entscheidende Rolle für das Frühverrentungsgeschehen zu. Indem in meiner Studie – anders als im Großteil der vorliegenden empirischen Studien – explizit der Einfluss von Betrieb und Branche auf den Erwerbsaustritt untersucht wird, wird die existierende Forschungslücke aufgegriffen, um zu klären, ob der Erwerbsaustritt in Deutschland eher durch „Pull“- oder „Push“-Faktoren beeinflusst wird. Des Weiteren arbeitet der Großteil der existierenden Studien mit einem Querschnittsdesign (vgl. z.B. Arnds und Bonin 2002; Ebbinghaus 2002; Kohli 1996, Riphahn und Schmidt 1997) und kann deshalb nicht den Prozess des Erwerbsausstiegs, sondern lediglich Bestandsgrößen abbilden (z.B. die Erwerbsbeteiligung in einer bestimmten Altersgruppe). Dabei ist es besonders für Deutschland mit seinem sehr differenzierten Rentensystem wichtig zu wissen, wann genau der Erwerbsausstieg stattfand – ob beispielsweise im Alter von 58 über Arbeitslosigkeit oder im Alter von 63 über die reguläre Frühverrentung. Erwerbsquoten für bestimmte Altersgruppen erlauben nicht, den Zeitpunkt und die Form des Erwerbsaustritts zu rekonstruieren. Ein Längsschnittdesign – wie in dieser Studie genutzt – ermöglicht es dagegen, die Dauer bis zum Verlassen des Erwerbslebens und damit den Zeitpunkt des Erwerbsaustritts zu erfassen und zu untersuchen. Zudem ist es mit der Methodik der Ereignisanalyse möglich, den Einfluss unabhängiger Variablen (z.B. des Beschäftigungssektors) auf die Dauer einer Episode zu quantifizieren (Blossfeld und Rohwer 2002: 86). Existierende Längsschnittstudien zum Thema fokussieren vor allem auf die Frage, inwiefern Partner beziehungsweise Eheleute den Übergang in die Rente aufeinander abstimmen (z.B. Allmendinger 1990; Drobniþ und Schneider 2000; Drobniþ 2002). Sie beschäftigen sich also nicht explizit mit der Frage, inwiefern ein Trend zunehmender Frühverrentung durch eine Verschlechterung der allgemeinen Arbeitsmarktlage und der wirtschaftlichen Situation von Unternehmen erklärt werden kann. Wübbeke (2005a, 2005b) setzte sich in ihren Längsschnittstudien mit der hier aufgeworfenen Frage zwar auseinander, ihre Studie beschränkt sich jedoch lediglich auf einen Zeitraum bis Mitte der 1990er Jahre und lässt Ostdeutschland außen vor. Meine Analysen beziehen sich dagegen auf einen Zeitraum von Mitte der 1970er Jahren bis 2002 und schließen die Entwicklung in Ostdeutschland nach der Wende ein.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
3.2 Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre 3.2.1 Das deutsche Rentensystem und die Flexibilisierung des Erwerbsaustritts in der Bundesrepublik Deutschland Wann eine Person den Arbeitsmarkt verlässt beziehungsweise verlassen kann, wird maßgeblich durch die Regelungen des Rentensystems strukturiert. Seit Beginn der 1970er Jahre wurde der Erwerbsaustritt in Deutschland immer mehr flexibilisiert. Verschiedene Programme wurden eingeführt und vorangetrieben, die auf einen vorzeitigen Rückzug Älterer aus dem Erwerbsleben zielten. Letztlich wurde damit in Deutschland eine Politik der Verknappung von Arbeitskräften in Zeiten steigender Arbeitsmarktprobleme betrieben. Bevor jedoch auf die einzelnen Programme zur Flexibilisierung der Altersgrenze in Deutschland genauer eingegangen wird, soll eine kurze Einführung in das deutsche Rentensystem gegeben werden. Insgesamt sind die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen für Ältere in Deutschland sehr umfassend. Die gesetzliche Rentenversicherung ist für die große Mehrheit der Erwerbstätigen verpflichtend; lediglich Selbstständige und Einkommen unter der Geringfügigkeitsgrenze werden durch die gesetzliche Rentenversicherung nicht beziehungsweise nicht per se abgedeckt (Antolin und Scarpetta 1998: 5; Börsch-Supan 1999: 135). Zudem haben einige Professionen, vor allem Beamte, ihr eigenes Rentensystem. Diese Systeme sind der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch sehr ähnlich (Drobniþ 2002: 77). Die Höhe der ausgezahlten gesetzlichen Rente hängt von den Beitragsjahren sowie der Höhe des während des Erwerbslebens durchschnittlich erzielten Einkommens ab. Zudem ist die Rentenhöhe an die Entwicklung der Arbeitseinkommen gekoppelt und wird somit an die allgemeine Einkommensentwicklung angepasst (Rürup 1998: 543). Insgesamt ist das deutsche Rentensystem damit darauf ausgerichtet, den während des Erwerbslebens erreichten Lebensstandard auch im Ruhestand zu sichern. Die Deckung der gesetzlichen Rentenversicherung ist in Deutschland sehr hoch. Die gesetzlichen Renten bilden bislang die Haupteinkommensquelle für ältere Menschen (Börsch-Supan und Schnabel 1997: 10); die Rolle privater Rentenleistungen ist gering – sowohl in Bezug auf den Anteil Älterer, die private Renten erhalten, als auch in Bezug auf den Anteil privater Renten an der Gesamtrente einer Person (Börsch-Supan und Schnabel 1997: 10; Antolin und Scarpetta 1998: 5). Im Vergleich zu vielen anderen Ländern sind die Leistungen der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung sehr großzügig. Die Lohnersatzrate der gesetzlichen Rente ist sehr hoch und beträgt beispielsweise für langjährig Versicherte ungefähr 70 Prozent des Vorrentennettoeinkommens (Börsch-Supan 1998: 4). Entsprechend machen die Ausgaben für
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
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die gesetzliche Rentenversicherung einen Großteil der öffentlichen Ausgaben in Deutschland aus (im Jahr 2001: 200 Milliarden Euro – dieser Betrag entspricht 21 Prozent der öffentlichen Ausgaben und fast 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts28; Börsch-Supan und Wilke 2004: 3). Der Rentenetat der Bundesrepublik Deutschland ist einer der Höchsten unter OECD-Ländern und wird nur vom italienischen Budget übertroffen, das im Jahr 2001 14,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachte (Börsch-Supan und Wilke 2004: 3).
Die Rentenreform von 1972 und die Einführung der flexiblen Altersgrenze Die gesetzliche Regelaltersgrenze für den Bezug von Rente liegt in der Bundesrepublik Deutschland bei 65 Jahren. Erwerbsarbeit nach Erreichen dieses Alters ist sehr ungewöhnlich – schätzungsweise weniger als drei Prozent der über 65Jährigen gehen einer Erwerbstätigkeit nach (siehe z.B. Ebbinghaus 2002: 103). Aber auch das Arbeiten bis zum Alter 65 ist in der Bundesrepublik Deutschland zunehmend ungewöhnlich geworden. Seit 1970 ist die Erwerbsbeteiligung von Männern im Alter zwischen 60 und 64 Jahren um mehr als 40 Prozentpunkte Abbildung 20: Erwerbsbeteiligung 60- bis 64-jähriger Männer in Westdeutschland, 1970 bis 2000 80%
60%
40%
20%
0% 1970
1976
1982
1988
1994
2000
Quelle: OECD Labor Force Statistics, OECD Paris/Frankreich; eigene Berechnungen.
28
Damit ist der deutsche Rentenetat mehr als 2,5 Mal so hoch wie das amerikanische Budget, das lediglich 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht (Börsch-Supan und Wilke 2004: 3).
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
gesunken (siehe Abbildung 20): Waren 1970 noch fast 75 Prozent der Männer in dieser Altersgruppe am Arbeitsmarkt vertreten, so steht seit Beginn der 1990er Jahre nur noch ungefähr jeder dritte Mann zwischen 60 und 64 Jahren im Erwerbsleben. Besonders stark ist die Erwerbsbeteiligung in dieser Altersgruppe zwischen 1972 und 1978 zurückgegangen. Innerhalb dieser sechs Jahre verringerte sich die Erwerbsbeteiligung drastisch von 70 auf 44 Prozent. Hintergrund für diesen starken Rückgang der Erwerbsbeteiligung von älteren Männern ist die Rentenreform von 1972. Mit ihr wurde eine flexible Altersgrenze eingeführt, die ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bereits vor Erreichen des Alters 65 ermöglichte. Zwar gab es bereits vor der Reform Möglichkeiten für einen Übergang in den Ruhestand vor Erreichen der Regelaltersgrenze, aber erst durch die Reform von 1972 wurde die Altersgrenze für eine deutlich größere Zahl älterer Erwerbstätiger flexibilisiert (Arnds und Bonin 2002: 12). Langjährig Versicherte mit mehr als 35 Beitragsjahren konnten von nun an mit 63 Jahren Rente beziehen.29 Im Vordergrund der Rentenreform von 1972 standen humanisierungs- und gesundheitspolitische Gründe, die von Seiten der Gewerkschaften vorgebracht wurden. Außerdem war die Reform ein Wahlgeschenk in Zeiten gefüllter Rentenkassen (Naegele 1992: 230). Mit der Verschlechterung der deutschen Arbeitsmarktlage in den nachfolgenden Jahren wurde das vorgezogene Altersruhegeld jedoch zunehmend zu einem Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Um den Problemen steigender Arbeitslosigkeit und zunehmenden wirtschaftlichen Drucks in Unternehmen zu begegnen, wurde die Externalisierung älterer Arbeitnehmer nachdrücklich befördert (Esping-Andersen 1990: 227; Gatter und Hartmann 1995: 413). Der Gebrauch von Frühverrentung wurde in Unternehmen zu einem häufig genutzten personalpolitischen Instrument, um Restrukturierungen zu realisieren und zunehmender ökonomischer Unsicherheit zu begegnen (Wübbeke 1999: 105). Die Berechnung der Rentenhöhe hängt unter anderem von den Beitragsjahren einer Person ab. Der vorzeitige Renteneintritt ist also mit einer niedrigeren Rente verbunden. Ein langjährig Versicherter, der im Alter von 63 zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze in Rente geht, muss eine Einbuße von fünf Prozent hinnehmen (2,5 Prozent pro fehlendem Beitragsjahr).30 Die Einbußen sind aber relativ moderat und bei weitem nicht versicherungsmathematisch neutral. Ein 29
30
Zusätzlich wurde das vorgezogene Altersruhegeld für Schwerbehinderte, Berufs- und Erwerbunfähige mit einer Altersgrenze von zunächst 62 Jahren, später 60 Jahren eingeführt (Naegele 1992: 230). Mit der Rentenreform 1992 wurden die Abschläge für einen vorzeitigen Übergang in den Ruhestand jedoch erhöht. Für eine nähere Darstellung der Reform siehe Kapitel 3.4 in dieser Arbeit.
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
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versicherungsmathematisch neutraler Abschlag für einen Übergang in die Rente im Alter von 63 wäre mit 15,7 Prozent deutlich höher (Börsch-Supan 2001: 21; Arnds und Bonin 2002: 13). Das frühzeitige Verlassen des Arbeitsmarktes über das vorgezogene Altersruhegeld ist somit für Arbeitnehmer nicht mit großen Einbußen verbunden und damit auch für sie eine günstige Option. Nach der Rentenreform von 1972 wurde der Austritt aus dem Erwerbsleben immer weiter flexibilisiert. So galt zwischen 1984 und 1988 die Vorruhestandsregelung, die explizit als Instrument zur Entlastung des Arbeitsmarktes eingesetzt wurde (Gatter und Hartmann 1995: 414). Die Vorruhestandsregelung ermöglichte es älteren Erwerbstätigen, bereits mit 58 Jahren das Erwerbsleben zu verlassen. Die Zeit bis zum erstmals möglichen Rentenbezug finanzierte der ehemalige Arbeitgeber. Das Vorruhestandgeld betrug mindestens 65 Prozent des ehemaligen Bruttogehaltes – die Tarifpartner konnten sich in den Verhandlungen jedoch auch auf einen höheren Betrag einigen. Wenn die Unternehmen den frei gewordenen Arbeitsplatz neu besetzten, übernahm die Bundesanstalt für Arbeit bis zu 35 Prozent des Vorruhestandsgeldes. Die Vorruhestandsregelung war für Unternehmen mit relativ hohen Kosten verbunden, so dass die Regelung 1988 nicht verlängert wurde (Rosenow und Naschhold 1994: 67; Gatter und Hartmann 1995: 414). Stattdessen wurde 1988 die Altersrente nach Altersteilzeit eingeführt, mit der ältere Arbeitnehmer stärker an den Kosten eines frühzeitigen Ausscheidens beteiligt wurden. Mit dieser Regelung wurde es älteren Beschäftigten mit mindestens drei Jahren Vollzeitbeschäftigung in den zurückliegenden fünf Jahren erlaubt, den bisherigen Beschäftigungsumfang nach Vollendung des 55. Lebensjahrs bei reduziertem Lohn um die Hälfte zu verringern. Wie diese Arbeitszeit auf den vereinbarten Zeitraum verteilt wird, wurde von Seiten des Gesetzgebers den Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern überlassen (Arnds und Bonin 2002: 20f.).31
Die Arbeitslosenversicherung als institutionalisierter Frühverrentungspfad in der Bundesrepublik Deutschland Neben den Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung stellt die deutsche Arbeitslosenversicherung ein wichtiges wohlfahrtsstaatliches Subsystem für Ältere dar (Guillemard 1991: 629f., 632ff.; Knuth und Kalina 2003). Das deutsche Rentensystem bietet einen sehr frühen Rentenzugang für ältere Menschen, die eine längere Phase von Arbeitslosigkeit erleben. Für ältere Arbeitslose gibt es einen speziellen Rentenzugangspfad (die sogenannte Altersrente nach Arbeitslo31
Aufgrund von Datenbeschränkungen wird Altersteilzeit in dieser Arbeit nicht genauer analysiert.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
sigkeit), der den vorgezogenen Ruhestand schon ab dem Alter 60 möglich macht. Dieser Rentenzugangspfad existiert bereits seit der Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1957, genoss jedoch vorerst nur eine geringe Bedeutung (Arnds und Bonin 2002: 19, 2003: 83; Gatter und Hartmann 1995: 414). Größere Bedeutung erlangte dieser Zugangspfad erst ab Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre – also in Zeiten, in denen die allgemeine Arbeitslosigkeit stieg. So erfolgten im Jahr 1975 nur 5,8 Prozent aller Rentenzugänge von Männern nach Arbeitslosigkeit, im Jahr 1980 waren es 16,5 Prozent (Deml 2006: 11). Mit einer Reform im Jahr 1987 wurden die Regelungen zur Altersrente nach Arbeitslosigkeit zusätzlich ausgebaut, indem die Höchstbezugsdauer von Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die älter als 54 Jahre waren, auf 32 Monate erhöht wurde. Vor dieser Reform lag die Höchstbezugsdauer von Arbeitslosengeld auch für ältere Arbeitslose bei 12 Monaten. In der Praxis haben diese Regelungen zur sogenannten 57,4-Regelung32 geführt (Arnds und Bonin 2002: 20): Unternehmen entlassen – in der Regel in Abstimmung mit dem Betriebsrat – ihre Arbeitnehmer im Alter von 57 Jahren und 4 Monaten. Für die folgenden 32 Monate – also bis zum Erreichen des Alters 60 – haben diese einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von rund 60 beziehungsweise 67 Prozent des vorangegangenen Nettogehaltes (Gatter und Hartmann 1995: 414; Schmid 2002: 252). Nachdem die Ansprüche der Arbeitslosenversicherung ausgelaufen sind, kann zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also im Alter von 60, über den Zugangspfad „Altersrente nach Arbeitslosigkeit“ der Übergang zur Rente realisiert werden. Häufig erhalten diese älteren Arbeitslosen zusätzliche Zahlungen vom ehemaligen Arbeitgeber, sodass sie zusammen mit dem Arbeitslosengeld monatlich auch weiterhin über so viel Geld verfügen wie zuvor. Es ist also wichtig zu betonen, dass Arbeitslosigkeit, wenn sie ab dem Alter 57 auftritt, letztlich eine „vorgezogene Frühverrentung“ ist, die mit einer hohen und oft lückenlosen finanziellen Absicherung für die Betroffenen verbunden ist.33 Für Arbeitgeber ist diese „Verrentungspraktik“ sehr attraktiv. Erstens ermöglicht ihnen die Arbeitslosenversicherung, ältere Arbeitnehmer nicht nur deutlich vor der Regelaltersgrenze von 65 Jahren sondern auch mehrere Jahre vor der flexiblen Altersgrenze von 63 Jahren zu „verrenten“. Zweitens können sie ihre Lohnkosten deutlich verringern: Ältere Arbeitnehmer beziehen aufgrund des Senioritätsprinzips vergleichsweise hohe Löhne. Durch die Überführung in die Arbeitslosenversicherung können Unternehmen den Großteil dieser hohen 32
33
Vor der Reform im Jahr 1987 auch die 59er-Regelung genannt, da die maximale Bezugsdauer von Arbeitslosengeld auch für Ältere bei 12 Monaten lag. Mit den jüngsten, auch als Hartz-Gesetzen bekannt gewordenen Arbeitsmarktreformen wurde die Höchstbezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Menschen wieder verringert (siehe hierzu Kapitel 3.4 dieser Arbeit).
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
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Personalkosten auf die Sozialversicherung abwälzen. Sie zahlen keinen vollen Bruttolohn für einen älteren Arbeitnehmern mehr, sondern stocken das Arbeitslosengeld des ehemaligen Mitarbeiters nur noch durch Ausgleichzahlungen auf, deren Höhe vergleichbar mit einem kleineren Teil des einstigen Nettolohns ist. Die Arbeitslosenversicherung wurde seit Ende der 1970er Jahre von Unternehmen zunehmend als Frühverrentungsmöglichkeit genutzt. Deshalb wurde 1982 eine Erstattungspflicht für Arbeitgeber eingeführt, um den Leistungsmissbrauch einzuschränken (Gatter und Hartmann 1995: 414). Demnach mussten Unternehmen der Bundesanstalt für Arbeit unter bestimmten Umständen das gezahlte Arbeitslosengeld zurückzahlen. Später sollten Arbeitgeber auch den Rentenversicherungsträgern Leistungen erstatten, die durch die sehr frühzeitige Inanspruchnahme von Renten nach Altersarbeitslosigkeit entstanden waren. Jedoch wurde diese Erstattungspflicht auf zweierlei Weise konterkariert (Gatter und Hartmann 1995: 414): Zum einen klagten viele Unternehmen gegen die Erstattungspflicht, was dazu führte, dass die Erstattungspflicht mit erheblichen Einschränkungen belegt wurde. Dies hatte zur Folge, dass die große Zahl der noch ausstehenden Verfahren auf Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums über einen Pauschalvergleich abgewickelt wurde. Der von den Unternehmen gezahlte Betrag von 500 Millionen DM lag weit unter den Forderungen der Sozialversicherungsträger, die sich auf 1,2 Milliarden DM beliefen (Gatter und Hartmann 1995: 414; Rosenow und Naschhold 1994: 64ff.; Maydell 1994: 103). Im Jahr 1991 wurde die Erstattungspflicht dann ausgesetzt. Zum anderen unterlief der Gesetzgeber selbst die Einschränkung des Missbrauchs der Arbeitslosenversicherung als Frühverrentungspfad, indem er die Arbeitslosenversicherung als Rentenzugangspfad weiter ausbaute. Wie oben ausgeführt, erhöhte der Gesetzgeber im Jahr 1987 die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld bei über 54-Jährigen auf 32 Monate, was letztlich zu einer noch stärkeren (Aus-) Nutzung der Arbeitslosenversicherung aufgrund einer noch früheren Ausgliederung älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben führte. Wie bedeutend Altersarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten geworden ist, zeigt die Abbildung 21, in der die Arbeitslosenquote für Männer getrennt für die Altergruppen 55 bis 59 und 25 bis 54 dargestellt ist. Zuerst ist zu sehen, dass Arbeitslosigkeit in Deutschland seit Anfang der 1980er Jahre insgesamt zugenommen hat. Jedoch ist der Anstieg unter Älteren deutlich stärker. Bis Mitte der 1980er Jahre entwickelte sich die Arbeitslosenquote für Männer, die am Ende des Erwerbslebens standen, ähnlich wie für Männer im Alter zwischen 25 und 54 Jahren – auch wenn die Arbeitslosenquote unter den Älteren immer leicht höher war. Seit den späten 1980er und besonders in den 1990er Jahren entwickelte die Arbeitslosigkeit unter Männern zwischen 55 und 59 jedoch eine Eigendynamik. Der Anstieg war deutlich stärker als unter
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Abbildung 21: Arbeitslosigkeit von Männern in Westdeutschland, Altersgruppen 25 bis 54 und 55 bis 59, 1978 bis 2000 18% 15% 12% 9% 6% 3% 0% 1978
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Altersgruppe 25 bis 54
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2000
Altersgruppe 55 bis 59
Quelle: OECD Labor Force Statistics, OECD Paris/Frankreich; eigene Berechnungen.
jüngeren Erwerbstätigen. Zwischen Mitte der 1980er und Mitte der 1990er Jahre hat sich die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe 54 bis 59 mehr als verdoppelt (von rund sieben auf bis zu 16 Prozent), während sie im selben Zeitraum bei den 25- bis 54-Jährigen nur um ungefähr zwei Prozentpunkte stieg. Auch wenn der Verlauf der beiden Kurven noch immer vergleichbar ist, entwickelte sich die Arbeitslosenquote unter Älteren auf einem weit höheren Niveau und liegt heute mit 13 bis 16 Prozent deutlich über der Arbeitslosenquote jüngerer Männer. Das Risiko Älterer, in Arbeitslosigkeit zu verbleiben, ist sehr hoch (Koller und Plath 2000: 115) – ihre Chancen für eine Rückkehr in eine Erwerbstätigkeit sind deutlich geringer als unter jüngeren Arbeitslosen. Gleichzeitig ist der Anteil älterer Arbeitsloser bei Wiedereingliederungsmaßnahmen unterdurchschnittlich (Koller und Plath 2000: 116). Diese Befunde dürfen aber nicht per se als Benachteiligung älterer Arbeitsloser gedeutet werden. Vielmehr sind die Ergebnisse vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass die Arbeitslosenversicherung zunehmend zu einem Frühverrentungsprogramm geworden ist. Ein beachtlicher Teil Älterer verbleibt in Arbeitslosigkeit und ist in qualifizierenden Maßnahmen unterrepräsentiert, da er dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht, sondern sich quasi schon „im Ruhestand“ befindet und der Arbeitslosigkeitsstatus letztlich nur eine Vorphase des eigentlichen Rentenzugangs ist.
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
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3.2.2 Die Auswirkungen wirtschaftlichen und technologischen Wandels auf die Situation älterer Arbeitnehmer Die vorangegangenen Darstellungen beschäftigten sich vor allem mit der Frage, wie Gesellschaften mit einer sich verschlechternden Arbeitsmarktsituation umgehen. Es wurde argumentiert, dass in Deutschland in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten eine Politik der Verknappung von Arbeitskräften durch die Frühausgliederung älterer Arbeitnehmer betrieben wurde. Diese Argumentation lässt außer Acht, dass sich für ältere Arbeitnehmer darüber hinaus ein gruppenspezifisches Problem stellt – nämlich das Problem der Anpassung an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und sich ändernde Anforderungsprofile an Arbeitnehmer durch verstärkten technologischen und strukturellen Wandel (Blossfeld und Stockmann 1999). Wie in den meisten westlichen Industrienationen hat sich auch in Deutschland die Wirtschaftsstruktur in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten deutlich verändert. Diese Entwicklung zeichnet sich aus durch (1) das starke Schrumpfen des Agrarsektors, (2) zyklische Fluktuationen und Reduktionen im klassischen Produktionssektor seit dem Ende des „goldenen Zeitalters“ in den frühen 1070er Jahren (Carlin 1996), (3) massive Restrukturierungen in Unternehmen (z.B. durch Rationalisierungen, Outsourcing oder Einführung von Programmen wie Lean Management und Lean Production), insbesondere im Industriesektor verursacht durch den zunehmenden globalen Wettbewerbsdruck (Bieber und Sauer 1991, Döhl und Sauer 1992, Kilper 2000), (4) die Expansion des öffentlichen Sektors bis Mitte der 1980er Jahre und sein daran anschließendes Schrumpfen (Mayer und Hillmert 2004: 81, 89) und (5) eine zunehmende Nachfrage nach privaten Dienstleistungen (Schmid 1998: 30f.). Insgesamt ist der klassische Produktionssektor aber auch heute noch relativ stark in Deutschland (Kaelble 1997: 10, Castells 2004: 239), während das Wachstum im Dienstleistungsbereich im Vergleich zur Entwicklung in anderen Ländern aufgrund der relativ hohen Lohnkosten in Deutschland geringer ausfiel (Schmid 1998: 31). Entsprechend hat sich auch die Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen in Deutschland geändert. Bis in die 1970er Jahre stellte die Gruppe der Arbeiter die Hälfte aller Erwerbspersonen – der Großteil von ihnen war wiederum nur unund angelernt. Der Anteil der Arbeiter an der deutschen erwerbstätigen Bevölkerung, vor allem der un- und angelernten Arbeiter, ist seither stark zurückgegangen. Heute ist nur noch jeder dritte Erwerbstätige Arbeiter und unter den Arbeitern ist nur noch der kleinere Teil un- und angelernt34 (Geißler 2002: 236). Paral34
Der Rückgang des Anteils der Un- und Angelernten an allen Arbeitern hat vor allem bei Männern stattgefunden. An Arbeiterinnen ist diese Entwicklung vorbeigegangen – unter ihnen sind die meisten auch heute noch un- und angelernt (Geißler 2002: 236).
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lel zu dieser Entwicklung hat der Anteil von Angestellten und Beamten an allen Erwerbstätigen stark zugenommen (von unter 30 Prozent in den 1960er Jahren auf fast 60 Prozent im Jahr 2000; Geißler 2002: 202). Der Anteil der Selbstständigen ist leicht zurückgegangen, während der Anteil von mithelfenden Familienmitgliedern durch das starke Schrumpfen des primären Sektors heute fast verschwunden ist (Geißler 2002: 202). Der Anteil Älterer in den rückläufigen Industrien und Berufen ist überdurchschnittlich. Viele von ihnen sind in Industriebetrieben und im primären Sektor tätig, während ihr Anteil in den expandierenden Sektoren gering ist (Blöndal und Scarpetta 1998: 11f.). Viele ältere Erwerbstätige sind zudem Arbeiter, vor allem un- und angelernt, während sie unterdurchschnittlich unter den Angestellten und Beamten vertreten sind (Mayer und Huinink 1990: 449ff.). Damit sind ältere Arbeitnehmer stärker den Kräften technologischen und strukturellen Wandels ausgesetzt, da sie besonders stark in Arbeitsmarktsegmenten vertreten sind, die durch die Internationalisierung von Märkten unter ökonomischen Druck geraten sind (wie z.B. der Industriesektor) und die stärker mit Rationalisierungsmaßnahmen und dem Einsatz moderner Technologien im Produktionsprozess konfrontiert sind (wie beispielsweise gering qualifizierte manuelle Tätigkeiten). Aufgrund der stark geschlossenen Berufsstruktur in Deutschland, bedingt durch eine relativ hohe Standardisierung, Stratifizierung und Zertifizierung des (Aus-) Bildungssystems, sind berufliche Wechsel allerdings nur schwer möglich. Vor allem seit der Bildungsexpansion kann das deutsche System als besonders stark standardisiert und stratifiziert typisiert werden (Allmendinger 1989). Die Bildungsexpansion hat unter anderem dazu geführt, dass die meisten Schulabgänger heute eine Berufsausbildung absolvieren. Erfolgreiche Absolventen des dualen Ausbildungssystems erhalten ein standardisiertes Zertifikat, das ihnen erlaubt, flexibel zwischen Unternehmen wechseln zu können, dies jedoch gleichzeitig die Mobilität zwischen Berufen massiv einschränkt, da die einzelnen beruflichen Ausbildungen hoch spezialisiert sind und die verschiedenen Zertifikate Zugangsvoraussetzung für die einzelnen Berufe sind. Dieses starke Zertifikatsystem produziert somit in Deutschland Arbeitsmarktgrenzen entlang verschiedener Berufe. Ein Wechsel der beruflichen Laufbahn, selbst wenn die benötigten Kenntnisse in verschiedenen Berufen vergleichbar sind, ist für den Einzelnen fast unmöglich, da er nicht über das entsprechende Zertifikat und damit die Zugangsvoraussetzung verfügt (Allmendinger 1989; Müller und Shavit 1998). In diesem Punkt unterscheidet sich das deutsche Berufssystem stark von dem in anderen Ländern. Ein extremes Gegenbeispiel sind hier die USA, wo Berufe wenig standardisiert sind, berufliche Wechsel einfacher möglich sind und die berufliche Qualifikation über „training on the job“ stattfindet.
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Wie oben ausgeführt finden sich ältere Erwerbstätige auf ganz spezifische Branchen und Berufe konzentriert, die in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten besonders stark von Restrukturierung, Rationalisierung und Technologisierung betroffen waren. Durch die starke berufliche Standardisierung in Deutschland ist es für sie aber fast unmöglich, in aussichtsreichere Branchen und Berufe zu wechseln. Hinzu kommt, dass das deutsche Bildungssystem fast keine Möglichkeit zur Qualifizierung über den gesamten Lebensverlauf bietet (Blossfeld und Stockmann 1999: 13). In Deutschland ist die Vermittlung von (beruflicher) Qualifikation mehr oder weniger begrenzt auf eine kurze Phase im Lebenslauf unmittelbar vor Eintritt in den Arbeitsmarkt. Wie Blossfeld und Stockmann (1999) sowie DiPrete et al. (1997) herausarbeiten, werden Anpassungen an strukturellen und technologischen Wandel in Deutschland deshalb besonders über den generationalen Austausch (d.h. über das Eintreten jüngerer Kohorten mit aktuellen Qualifikationsprofilen in den Arbeitsmarkt) realisiert und weniger über eine Anpassung und Re-Qualifizierung der vorhandenen Erwerbspersonen. Es gibt zwar die Option der Weiterbildung, empirische Studien zeigen jedoch, dass die Teilnahme an Weiterbildungen ab dem Alter 40 stark abnimmt und vor allem in jüngeren Altersgruppen stattfindet (Sackmann und Weymann 1994: 129ff.). Zwar hat die Teilnahme an Weiterbildungen in den vergangenen Jahren zugenommen – jedoch ist auch trotz dieser allgemeinen Zunahme die Beteiligung älterer Menschen unterdurchschnittlich (Sackmann und Weymann 1994: 133f.). Die einmal in der Jugend erworbene Ausbildung hat damit einen langfristigen und prägenden Effekt auf den gesamten Erwerbsverlauf einer Person. In Zeiten sich immer schneller wandelnder Arbeitskontexte und Wirtschaftsstrukturen führt dies zu einem zunehmenden Dequalifizierungsrisiko mit zunehmendem Alter (Naegele 1992: 35). Zum einen besteht das Risiko, dass der einmal erlernte Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann, weil er obsolet geworden ist. Beispiele hierfür sind Berufe der Bergbauindustrie, die in den 1960er Jahren größere Bedeutung hatten und florierten, während dieser Industriezweig heute stark subventioniert ist und in den vergangenen Jahren massiv abgebaut wurde. Zum anderen besteht das Risiko, dass sich Anforderungsprofile grundlegend ändern – beispielsweise durch den Einsatz neuer Produktionsverfahren im Zuge technischer Innovation. Besonders die rasante technologische Entwicklung seit Beginn der 1980er Jahre sowie die damit einhergehende Automation von Produktion und tiefgreifende Änderung in Organisationen haben zu einer Diskrepanz zwischen Qualifikationsanforderungen von Seiten der Arbeitgeber und den Qualifikationsprofilen älterer Arbeitnehmer geführt (Naegele 1992: 40). Somit ist davon auszugehen, dass der Erwerbsausstieg in Deutschland nicht nur durch den allgemeinen Ausbau der Frühverrentungsmöglichkeiten flexibilisiert wurde, sondern auch
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
durch die Kräfte beschleunigten technologischen und strukturellen Wandels in der Arbeitswelt.
3.2.3 Hypothesen Wie eingangs ausgeführt sind zwei Forschungsfragen von zentralem Interesse für meine empirischen Analysen (siehe Kapitel 3.1): 1. 2.
Gibt es in Deutschland einen Trend zum immer früheren Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben und zunehmender Altersarbeitslosigkeit? Hängt der Zeitpunkt des Erwerbsaustritts davon ab, in welchem Sektor, Betrieb oder Beruf eine Person beschäftigt ist? Wurden Frühverrentungssysteme also immer mehr zu Arbeitsmarktprogrammen und Instrumenten zur Bewältigung gestiegenen wirtschaftlichen Drucks in Unternehmen umfunktioniert?
Die Untersuchungen für Westdeutschland stützen sich auf den Vergleich männlicher Erwerbstätiger zweier Geburtskohorten (für eine detaillierte Darstellung der Daten siehe Kapitel 3.2.4). Es werden zwei Übergangsprozesse analysiert: Zunächst werden Ausstiege aus dem Erwerbsleben nach Erreichen des Alters 55 untersucht. Dies können Übergänge in die Rente, aber auch Übergänge in die Arbeitslosigkeit sein. Anschließend werden dann nur noch die Erwerbsausstiege untersucht, die einen Übergang in Altersarbeitslosigkeit darstellen. Diese Analysen beziehen sich lediglich auf jüngere Geburtsjahrgänge und auf einen Zeitraum seit Mitte der 1980er Jahre, da unter älteren Kohorten der Zugang zur Rente über Arbeitslosigkeit noch relativ selten war (siehe Kapitel 3.2.1) und damit nicht genügend Fälle für eine dynamische Analyse von Altersarbeitslosigkeit in der älteren Geburtskohorte vorliegen. Basierend auf den vorangegangen Darstellungen der institutionellen Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit älterer Menschen in der Bundesrepublik Deutschland werden folgende Forschungshypothesen aufgestellt:
Die Entwicklung des Erwerbsausstiegs in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre: Zunahme frühzeitiger Erwerbsaustritte und zunehmende Altersarbeitslosigkeit Insgesamt ist davon auszugehen, dass die späte Erwerbskarriere in Deutschland besonders anfällig für die Anzeichen zunehmender Beschäftigungsflexibilisie-
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rung ist. Der deutsche Arbeitsmarkt ist, wie ausgeführt, vergleichsweise stark reguliert. So haben Firmen nur sehr begrenzte Möglichkeiten, auf ökonomische Schwankungen zu reagieren und ihre Belegschaft zu flexibilisieren. Die Frühverrentung älterer Mitarbeiter, die in den vergangenen Jahren durch den Ausbau des Rentensystems zudem immer umfassender ermöglicht wurde, stellt in diesem relativ stark regulierten System eine der wenigen Möglichkeiten für Unternehmen dar, Anpassungen an ökonomische Schwankungen in Zeiten gestiegenen internationalen Wettbewerbs vorzunehmen. Die Frühverrentung älterer Arbeitnehmer kann damit auch als (staatliches) Instrument gesehen werden, den deutschen Arbeitsmarkt zu entlasten und die Arbeitsmarktrisiken für die anderen, jüngeren Arbeitnehmer zu reduzieren. Zudem ist auch deshalb anzunehmen, dass die späte Erwerbskarriere in Deutschland verstärkt den Prozessen der Beschäftigungsflexibilisierung unterworfen wurde, da besonders die Arbeitsplätze älterer Menschen in den vergangenen Jahren zunehmend vom wirtschaftlichen Strukturwandel getroffen wurden. Der Anteil Älterer in rückläufigen und besonders stark unter wirtschaftlichen Druck geratenen Industrien sowie in „veralteten“ Berufen ist sehr hoch. Das Fehlen einer institutionellen Infrastruktur zum lebenslangen Lernen macht es für ältere Arbeitnehmer fast unmöglich, sich an den beschleunigten strukturellen Wandel und die damit verbundene Veränderung von Qualifikationsanforderungen anzupassen (Blossfeld und Stockmann 1999; DiPrete et al. 1997). Entsprechend soll sich in den empirischen Analysen eine deutliche Flexibilisierung von Erwerbsausstiegsprozessen zeigen. Als Ergebnis der Analyse wird also erwartet, dass ältere Arbeitnehmer jüngerer Kohorten im Vergleich zu älteren Kohorten immer früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden und den Arbeitsmarkt seit den späten 1980er Jahren verstärkt über Arbeitslosigkeit (als vorgezogenem Frühverrentungspfad) verlassen.
Der Einfluss betrieblicher und individueller Merkmale auf den Zeitpunkt des Erwerbsaustritts und den Übergang in Altersarbeitslosigkeit Mehrere Studien haben sich bisher mit der Entwicklung von Alterserwerbstätigkeit und der Zunahme von Frühverrentung beschäftigt (vgl. z.B. Börsch-Supan 1998, Riphahn und Schmidt 1997; Kohli 1996). Kaum eine Studie hat sich bislang aber empirisch damit beschäftigt, ob die Frühverrentung ein arbeitsmarktund personalpolitisches Instrument ist und systematisch in bestimmten, unter wirtschaftlichen Druck geratenen Arbeitsmarktsegmenten auftritt (siehe Kapitel 3.1 unter Forschungsbeitrag). Dies zu untersuchen, ist ein wichtiges Ziel der vorliegenden Studie. Folgende Hypothesen werden dazu aufgestellt:
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Wirtschaftszweig: Hohes Risiko für frühzeitige Erwerbsausstiege und Altersarbeitslosigkeit in rückläufigen Industrien Ältere Erwerbstätige in rückläufigen Wirtschaftszweigen sollen deutlich früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden als Beschäftigte im Dienstleistungssektor. Besonders Beschäftigte im klassischen Industriesektor (d.h. im transformativen Sektor) sollen ein sehr hohes Risiko für ein frühes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und Altersarbeitslosigkeit haben. Seit Beginn der 1980er, vor allem aber in den 1990er Jahren, ist dieser Wirtschaftszweig in Deutschland stark geschrumpft. Der Bedarf an Rationalisierung war und ist hier durch die zunehmende Konkurrenz mit sogenannten Niedriglohnländern besonders hoch (Castells 2004: 271ff.). Außerdem ist und war das Potenzial für Rationalisierung durch den Einsatz neuer Technologien (wie beispielsweise durch die Automatisierung der Produktion) in diesem Sektor besonders hoch, während das Rationalisierungspotenzial im Dienstleistungssektor deutlich geringer ist, da hier das „Produkt“ (nämlich die Dienstleistung) stärker an Personen gebunden ist. Aber auch innerhalb des Dienstleistungssektor soll es Unterschiede geben: Im Vergleich zu Beschäftigten im privaten Dienstleistungssektor sollen ältere Erwerbstätige im sozialen Dienstleistungssektor beziehungsweise im öffentlichen Dienst später aus dem Erwerbsleben ausscheiden, vor allem deshalb, weil der Staat als Arbeitgeber eher nicht von der sehr früheren „Frühverrentungsmöglichkeit“ durch Arbeitslosigkeit Gebrauch macht.
Firmengröße: Früheres Ausscheiden älterer Beschäftigter in großen Betrieben Die vergangenen zwei Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch eine Krise der klassischen Massenproduktion – die Anforderungen an Unternehmen und ihre Produkte haben sich stark flexibilisiert (Castells 2004: 173ff.). Deshalb wird erwartet, dass ältere Arbeitnehmer in sehr großen Betrieben früher das Erwerbsleben verlassen und ein höheres Risiko von Arbeitslosigkeit haben als Beschäftigte in kleinen beziehungsweise mittleren Unternehmen. In qualitativen Studien (Bieber und Sauer 1991, Döhl und Sauer 1992, Kilper 2000) wurde herausgearbeitet, dass große Unternehmen, die in Deutschland besonders in der stark entwickelten Automobil- und Maschinenbauindustrie zu finden sind, den gestiegenen Wettbewerbsdruck bewältigt haben, indem sie ihre Organisationsstrukturen durch den Aufbau von Zuliefernetzwerken flexibilisiert haben. Die Möglichkeiten, die eigene Belegschaft zu flexibilisieren (z.B. durch rasches Auf- und Abbauen der Belegschaft bei schwankender Nachfrage), sind im relativ regulierten ökonomischen Wirtschaftssystem Deutschlands, wie aus-
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geführt, sehr begrenzt. Deshalb wurde Flexibilität durch die Etablierung von Zulieferernetzwerken eingeführt. Aufgaben, die einst in den klassischen großen Massenproduktionsunternehmen selbst abgewickelt wurden (z.B. Produktentwicklung oder Teile der Produktion), werden an externe, aber sehr eng an den Auftraggeber angebundene Zuliefererbetriebe abgegeben. Auf diesem Wege konnten große Betriebe Marktrisiken – wie Schwankungen in der Ordermenge – externalisieren und auf ihre Zulieferbetriebe abwälzen. Dieser Umbau von Organisationsstrukturen war vor allem mit massivem Beschäftigungsabbau im Stammunternehmen verbunden. Es ist anzunehmen, dass dieses Downsizing vor allem über das „Entlassen“ älterer Arbeitnehmer – also ihre Frühverrentung – realisiert wurde, da so Restrukturierungen und Rationalisierungen „sozial friedlich“ und vergleichsweise „sanft“ abgewickelt werden konnten. Zudem ist auch deshalb zu erwarten, dass ältere Arbeitnehmer in großen Betrieben früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden als in kleinen Betrieben, da durch die Logik interner Arbeitsmärkte und dem damit verbundenen Senioritätssystem ältere Arbeitnehmer in großen Betrieben vergleichsweise teure Beschäftigte sind. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass ältere Arbeitnehmer wegen ihrer langjährigen Berufserfahrung und dem damit verbundenen Erfahrungswissen in kleineren Betrieben weniger verzichtbar sind (Naegele 1992: 163). In großen Betrieben hingegen ist Erfahrung eher institutionalisiert in festgeschriebenen Produktionsabläufen oder Abteilungen wie der Qualitätssicherung.
Berufsposition und Qualifikation: Geringqualifizierte Positionen durch Frühverrentung wegrationalisiert Vom Einsatz moderner Technologien und von Rationalisierungen waren und sind besonders gering qualifizierte Arbeitnehmer betroffen wie beispielsweise die Gruppe der Ungelernten. Ihre Arbeitsplätze fallen in modernen Unternehmen weg, da ihre Arbeit von Maschinen erledigt wird. Deshalb ist zu erwarten, dass gering qualifizierte Arbeitnehmer im Alter häufiger arbeitslos werden und früher den Arbeitsmarkt verlassen (müssen) als höher qualifizierte ältere Beschäftigte. Eine offene Frage ist, ob und wie Altersarbeitslosigkeit und frühzeitige Erwerbsausstiege die mittleren Beschäftigungsgruppen getroffen haben. Auf der einen Seite sind Beschäftigte in manuellen und industriellen Berufen (wie Facharbeiter, Meister) gut qualifiziert, jedoch sind diese qualifizierten manuellen Berufe auch stärker von betrieblichen Restrukturierungen und Rationalisierungen (wie z.B. von der Einführung von Lean Production) betroffen als beispielsweise nicht-manuelle Büroberufe.
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Ein klarer Trend ist für die Gruppe der Selbstständigen zu erwarten. Sie sollen vergleichsweise länger erwerbstätig sein als die anderen Gruppen am Arbeitsmarkt, da sie nicht per se im gesetzlichen Rentensystem erfasst sind und deshalb versuchen werden, möglichst lange aktiv auf dem Arbeitsmarkt zu verbleiben.
3.2.4 Daten und Methoden Um den Erwerbsausstieg in Westdeutschland und dessen Entwicklung zu untersuchen, werden Daten aus der Deutschen Lebensverlaufsstudie und aus dem Sozio-Ökonomischen Panel genutzt. Dies sind die beiden Hauptdatenquellen, die Längsschnittinformationen auf individueller Ebene für die BRD bieten. Meine Analysen für Westdeutschland stützen sich lediglich auf männliche Befragte aus der Lebensverlaufsstudie und aus dem Sozio-Ökonomischen Panel, da die Erwerbsbeteiligung älterer, westdeutscher Frauen in den untersuchten Kohorten sehr gering war (siehe Kapitel 3.1). Die Deutsche Lebensverlaufsstudie bietet detaillierte Informationen zu Bildungs- und Erwerbsverläufen sowie Informationen zu Haushalts- und familienbezogenen Themen auf monatlicher Basis. In der Deutschen Lebensverlaufsstudie wurden verschiedene Geburtskohorten retrospektiv zu den genannten Themen befragt, jedoch ist nur die Geburtskohorte 1919 bis 1921 geeignet, Erwerbsausstiege und Verrentungsprozesse zu untersuchen. Sie ist die einzige Kohorte der Deutschen Lebensverlaufstudie, für die die gesamte Erwerbsbiografie bis zur Verrentung erhoben wurde. Die Befragung dieser Kohorte fand in den Jahren 1987 und 1988 statt (Brückner 1993). Erwerbsausstiegsprozesse jüngerer Kohorten werden mit dem SozioÖkonomischen Panel rekonstruiert. Das Sozio-Ökonomische Panel gibt es seit 1984 in Westdeutschland und ist ein jährliches Panel (Haisken-DeNew und Frick 2002; für nähere allgemeine Informationen zum Sozio-Ökonomischen Panel vgl. Kapitel 2.2.3 dieser Arbeit). Für die nachfolgenden empirischen Analysen werden Informationen bis inklusive 2002 genutzt. Meine Analysen mit dem SozioÖkonomischen Panel beziehen sich auf männliche Befragte, die zwischen 1929 und 1936 beziehungsweise 1940 geboren wurden. Um eine Vergleichbarkeit mit den Daten aus der Deutschen Lebensverlaufsstudie zu sichern, wurden nur Befragte westdeutscher Nationalität ausgewählt.35 35
Anders als für Erwerbseinstiegsprozesse werden für die Analyse von Erwerbsausstiegsprozessen nur Jahresinformationen genutzt. Es wurde also nicht auf Informationen aus dem Erwerbskalender des Sozio-Ökonomischen Panels zurückgegriffen, um den Erwerbsverlauf älterer Menschen auf monatlicher Basis im Detail zu rekonstruieren. Hintergrund für diese Entschei-
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Leider muss auf die Daten aus zwei unterschiedlichen Studien – nämlich der Deutschen Lebensverlaufsstudie auf der einen Seite und dem SozioÖkonomischen Panel auf der anderen Seite – zurückgegriffen werden, um Erwerbsausstiegsprozesse in Westdeutschland zu untersuchen. Weder die Deutsche Lebensverlaufsstudie noch das Sozio-Ökonomische Panel liefern allein genommen die Daten, um den Zeitraum seit den 1970er Jahren abzubilden. Da die Flexibilisierung des Rentenalters allerdings bereits seit den 1970er Jahren systematisch vorangetrieben und immer weiter ausgebaut wurde, ist eine Betrachtung dieser gesamten Zeitspanne nötig, um ein vollständiges Bild über die Entwicklung von Erwerbsausstiegsprozessen in Deutschland zu gewinnen. Es wurde darauf geachtet, die genutzten Daten aus beiden Studien zu harmonisieren. Zur Konstruktion der Übergangsprozesse wurden verlässliche und „harte“ Kriterien gewählt – nämlich der Ausstieg aus dem Erwerbsleben beziehungsweise der Übergang in die Arbeitslosigkeit. Diese Übergänge und Ereignisse werden auch im Retrospektivdesign gut rekonstruiert und sind wenig anfällig für Erinnerungsfehler – vor allem, wenn sie noch nicht lange zurück liegen36 (Brückner 1990). Des Weiteren wurden die in die Modelle einfließenden Kovariablen aufeinander abgestimmt und basieren auf der gleichen Operationalisierung. Die Größe der Geburtskohorten konnte aufgrund des unterschiedlichen Designs der beiden Studien nicht weiter harmonisiert werden. Während die Deutsche Lebensverlaufsstudie ein Geburtskohortendesign verwendet, können Geburtskohorten auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels nur nachträglich gebildet werden. Um in meinen Analysen eine verlässliche und vergleichbare Basispopulation auch für die jüngere Kohorte zu erhalten, umfasst die aus dem SozioÖkonomsichen Panel gewonnene Geburtskohorte mehr Jahrgänge als die Geburtskohorte der Deutschen Lebensverlaufsstudie. Im ersten Schritt wird mit den Geburtskohorten 1919 bis 1921 und 1929 bis 1936 die Dauer bis zum Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Alters 55 analysiert. Die Erwerbsausstiegsprozesse der älteren Kohorte bilden damit die Situation in den späten 1970er und frühen 1980er Jahre ab, während mit der jüngeren Kohorte der Zeitraum in den späten 1980er und in den 1990er Jahren abgedeckt wird. Bezüglich der historischen Lage der beiden Kohorten ist anzumerken, dass nicht der Zeitraum erfasst werden kann, in dem die Alterser-
36
dung ist, dass die späte Erwerbskarriere in Deutschland sehr stabil ist (vgl. Buchholz 2006): Nur ein geringer Teil der über 55-jährigen Männer wechselt den Arbeitsplatz – wenn ein Arbeitsplatzwechsel stattfindet, dann in der Regel nur einmalig nach Erreichen des Alters 55. Die Verwendung von Jahresinformationen ist also ausreichend, da der Großteil älterer Erwerbstätiger keine Veränderung zwischen den beiden Jahresinformationen erlebt. Die Befragten der Lebensverlaufsstudie waren zum Interviewzeitpunkt zwischen 65 und 69 Jahre alt – ihr Erwerbsausstieg lag damit also noch nicht lange zurück und wurde zeitnah erfasst.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Tabelle 10: Kovariablen für die Untersuchung von Erwerbsausstiegsprozessen und Übergängen in Altersarbeitslosigkeit in Westdeutschland Alter
Für Ausstiege aus dem Erwerbsleben: 55 bis 57 Jahre 58 bis 59 Jahre 60 bis 61 Jahre 62 bis 63 Jahre 64 Jahre und älter Für Übergänge in Altersarbeitslosigkeit: 55 bis 57 Jahre 58 bis 59 Jahre 60 bis 61 Jahre 62 Jahre und älter
Periode
Für Übergänge in Altersarbeitslosigkeit: 1984 bis 1989 1990 bis 1993 1994 bis 2002
Berufsposition
Basierend auf der Klassifikation von Erikson und Goldthorpe (1992): Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse Obere Dienstklasse Selbstständige
Wirtschaftszweig
Modifikation der Klassifikation von Singelmann (1978): Extraktiver Sektor (Landwirtschaft, Bergbau) Transformativer Sektor (Fertigungsindustrie, Bau) Privater Dienstleistungssektor (z.B. Transport, Handel, Banken, Versicherungen, personenbezogene Dienstleistungen) Sozialer Dienstleistungssektor (staatliche Verwaltung, Bildung etc.)
Sektor
Öffentlicher Dienst versus Privatwirtschaft
Firmengröße
Basierend auf der Anzahl der Mitarbeiter: Weniger als 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter
Bildungsniveau
Zusammengefasste Version der CASMIN-Klassifikation (vgl. Shavit und Müller 1998; Brauns und Steinmann 1999): Hauptschulabschluss oder kein Schulabschluss ohne berufliche Ausbildung Hauptschulabschluss oder kein Schulabschluss mit beruflicher Ausbildung Mittlere Reife oder Abitur ohne berufliche Ausbildung Mittlere Reife oder Abitur mit beruflicher Ausbildung Fachhochschul- oder Universitätsabschluss
Berufsprestige
Basierend auf der Treiman Prestigeskala (1977)
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
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werbstätigkeit noch sehr hoch war (siehe Abbildung 20). Beide Kohorten waren bereits von der Einführung der flexiblen Altersgrenze in den frühern 1970er Jahren betroffen. Jedoch ist das Ausmaß an institutionellen Frühverrentungsregelungen für die beiden Kohorten sehr unterschiedlich. Für die jüngere Geburtskohorte 1929 bis 1936 galten vor allem mit dem Ausbau der Arbeitslosenversicherung für Ältere weitaus umfassendere Frühverrentungsmöglichkeiten als für die Geburtskohorte 1919 bis 1921 (siehe Kapitel 3.2.1). Im zweiten Schritt werden Übergänge in Altersarbeitslosigkeit betrachtet. Die Untersuchungen für diesen Übergang beziehen sich auf einen Zeitraum seit Mitte der 1980er Jahre bis 2002. Für diese Analysen wurde die Stichprobe des Sozio-Ökonomischen Panels bis einschließlich Geburtsjahrgang 1940 ausgeweitet – sie beziehen sich also auf ältere Männer, die zwischen 1929 und 1940 geboren wurden. Übergänge in die Arbeitslosigkeit können für die Kohorte 1919 bis 1921 der Deutschen Lebensverlaufsstudie nicht in einem Ereignisanalysedesign untersucht werden, da Altersarbeitslosigkeit hier noch sehr niedrig war (siehe Abbildung 21). Entsprechend gering sind auch die zu verzeichnenden Übergänge in Altersarbeitslosigkeit im Datensatz. Für die Geburtskohorte 1919 bis 1921 lassen sich lediglich 34 Fälle von Arbeitsarbeitslosigkeit identifizieren; eine zu geringe Fallzahl für komplexe, dynamische Analysen. Ich beginne mit der Beobachtung der Personen, wenn sie das Alter 55 erreichen und erwerbstätig sind (siehe Kapitel 3.1 zur genaueren Erläuterung). Diese Personen werden beobachtet, bis sie aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden beziehungsweise arbeitslos werden.37 Für das Beobachtungsfenster (d.h. die Erwerbstätigkeit ab Erreichen des Alters 55) wurden zeitveränderliche Kovariablen modelliert. Erlebte eine Person eine Veränderung in ihrer Erwerbstätigkeit wie beispielsweise den Wechsel von einem großen in ein kleines Unternehmen, wurden ab dem Wechsel die Informationen zur Firmengröße entsprechend aktualisiert. Die Geburtskohorte 1919 bis 1921 besteht aus einer Ausgangspopulation von 351 Männern. Die Geburtskohorte 1929 bis 1936 umfasst 347 Männer. Die Geburtskohorte 1929 bis 1940, mit der Übergänge in die Altersarbeitslosigkeit untersucht werden, besteht aus einer Ausgangspopulation von 566 Männern. Für meine Analysen nutze ich logistische Regressionsmodelle und Überlebensfunktionen (Rohwer und Pötter 2002; Yamaguchi 1991). 37
Es wird in den Analysen also lediglich der erste Ausstieg aus dem Erwerbsleben nach Erreichen des Alters 55 untersucht. Die Zahl derer, die nach einem Ausscheiden wieder in das Erwerbsleben zurückkehren, ist in den untersuchten Kohorten sehr gering. Lediglich 1,1 Prozent in der Geburtskohorte 1919 bis 1921 und 2,9 Prozent in der Geburtskohorte 1929 bis 1936 kehren nach einem Ausscheiden wieder ins Erwerbsleben zurück. Damit ist für fast alle der untersuchten Personen der erste Ausstieg aus dem Erwerbsleben auch der letzte Ausstieg aus dem Erwerbsleben und mündet somit in den Ruhestand. Aus diesem Grund können die dargestellten Ergebnisse als Abbildung von Verrentungsprozessen interpretiert werden.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Als erklärende Variablen38 werden in den Analysen (1) das Alter, (2) die historische Periode39, (3) die berufliche Position40, (4) der Wirtschaftszweig41, (5) der Sektor, (6) die Firmengröße, (7) das Bildungsniveau und (8) das Berufsprestige genutzt. Eine Übersicht der in die Analysen einfließenden erklärenden Variablen und ihre Messung42 findet sich in der Tabelle 10. 3.2.5 Ergebnisse der empirischen Analysen Die Entwicklung von Alterserwerbstätigkeit und Altersarbeitslosigkeit in Westdeutschland In Abbildung 22 ist der Prozess des Erwerbsausstiegs für westdeutsche Männer der beiden untersuchten Geburtskohorten dargestellt. Bemerkenswert an dieser Darstellung ist, dass das vom Gesetzgeber konzipierte Alter für den Übergang in den Ruhestand, also die Regelaltersgrenze von 65 Jahren, in beiden Kohorten nahezu bedeutungslos ist. Des Weiteren zeigt sich, dass Männer der jüngeren Kohorte wie erwartet früher aus der Erwerbstätigkeit ausschieden als männliche 38
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42
Für Berufserfahrung wird nicht kontrolliert, obschon sie eine Annäherung der geleisteten Beitragsjahre darstellt. Eigene Auswertungen (Buchholz 2006) haben gezeigt, dass sich die Ergebnisse der Analysen nicht ändern, wenn Berufserfahrung in die Modelle einfließt. Die Definition der historischen Perioden beruht wie bereits die Kohortendefinition für die Analyse von Erwerbseinstiegen auf der allgemeinen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftslage: In den 1980er Jahren verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation und die Arbeitslosenquote stieg an. Ende der 1980er Jahre sank die Arbeitslosenquote wieder leicht, jedoch nicht auf ein Niveau, das vergleichbar gewesen wäre mit der Situation zu Beginn des 1980er Jahre. Zu Beginn der 1990er Jahre und mit der deutschen Wiedervereinigung erlebte die Bundesrepublik eine kurze Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Arbeitsmarkt entspannte sich leicht. Fraglich ist jedoch, ob dieser kurze Aufschwung zu einem längeren Verbleib Älterer im Erwerbsleben führte, da Ende der 1980er Jahre die Arbeitslosenversicherung als Frühverrentungspfad ausgeweitet wurde (vgl. Kapitel 3.2.1). Ab 1993 spannte sich die allgemeine Wirtschaftslage wieder an. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich beträchtlich und erreichte 1997 in Westdeutschland mit 11 Prozent und in Ostdeutschland mit 19,5 Prozent einen Höhepunkt. Der Gesundheitszustand wird in den Modellen nicht kontrolliert. Entsprechend ist bei den Ergebnissen für die berufliche Position nicht eindeutig zu unterschieden, ob ein frühes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verursacht wurde durch Gesundheitsprobleme aufgrund starker körperlicher Beanspruchung in bestimmten Berufen (z.B. gering- und unqualifizierter Berufe) oder durch das Wegfallen dieser Berufe aufgrund des Einsatzes neuer Technologien und zunehmender Automatisierung der Produktion. Dazu wurde die Klassifikation von Singelmann (1978) modifiziert, indem distributive Dienstleistungen, Produzentendienstleistungen und personenbezogene Dienstleistungen in eine Kategorie, nämliche private Dienstleistungen, zusammengefasst wurden. Es wird demnach in den Analysen zwischen dem sozialen Dienstleistungssektor, der in Deutschland größtenteils dem öffentlichen Dienst entspricht, und dem privaten Dienstleistungssektor unterschieden. Für fehlende Informationen wird in den Modellen kontrolliert.
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
123
Erwerbstätige der älteren Kohorte. Bereits im Alter von 58 Jahren ist ein Unterschied von zehn Prozentpunkten zu verzeichnen. In diesem Alter waren noch 91 Prozent der Männer der älteren Geburtskohorte und nur noch 81 Prozent der jüngeren Geburtskohorte erwerbstätig. Der Unterschied vergrößert sich bis zum Alter 59 um weitere fünf Prozentpunkte. Während mit 59 Jahren noch 83 Prozent der zwischen 1919 und 1921 geborenen Männer erwerbstätig waren, waren es nur noch 68 Prozent der Männer der Kohorte 1929 bis 1936. Dieser Unterschied bleibt relativ stabil, bis sich die männlichen Erwerbstätigen beider Kohorten der flexiblen Altersgrenze von 63 Jahren annähern. Insgesamt sind die signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Kohorten sehr bemerkenswert, da bereits beide Kohorten durch die Rentenreform von 1972 und die damit verbundenen Flexibilisierung der Altersgrenze betroffen waren.43 Abbildung 22: Dauer bis zum Erwerbsausstieg, westdeutsche Männer, Geburtskohorten 1919 bis 1921 und 1929 bis 1936 (Überlebensfunktionen) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
Alter Geburtskohorte 1919 bis 1921
Geburtskohorte 1929 bis 1936
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Deutschen Lebensverlaufsstudie und des SozioÖkonomischen Panels. 43
Die Anreize des deutschen Rentensystems für eine „reguläre“ Frühverrentung im Alter von 63 Jahren waren also für Versicherte beider Kohorten gleich stark. Schon dieses Ergebnis deutet daraufhin, dass niedrige Alterserwerbsquoten in Deutschland nicht (nur) das Ergebnis rational kalkulierender Versicherter ist, die die Einführung der flexiblen Altersgrenze verstärkt nutzen, sondern durch betriebliche Interessen mitgesteuert wird und Unternehmen die frühe Ausgliederung älterer Mitarbeiter offenbar nutzen, um gestiegenen wirtschaftlichen Druck zu kanalisieren.
124
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
In Tabelle 11 finden sich die Ergebnisse für den Übergang in Altersarbeitslosigkeit für westdeutsche Männer, die zwischen 1929 und 1940 geboren wurden. Es soll hier die Frage geklärt werden, ob ältere Erwerbstätige den Zugang zur Rente zunehmend nach einer Phase von Arbeitslosigkeit realisieren. In der Tat zeigen die Ergebnisse deutlich, dass das Risiko von Altersarbeitslosigkeit in Deutschland seit Mitte der 1980er Jahre zugenommen hat. In den 1990er Jahren war das Arbeitslosigkeitsrisiko nach Erreichen des Alters 55 signifikant höher als in den 1980er Jahren. In weiterführenden Analysen wurde kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Perioden 1990 bis 1993 und 1994 bis 2002 gefunden. Des Weiteren zeigt sich in der Tabelle 11 ein weiteres, sehr aufschlussreiches Ergebnis, das zu der Schlussfolgerung führt, dass Altersarbeitslosigkeit in Deutschland tatsächlich weniger ein Arbeitsmarktrisiko sondern eher eine Form von Frühverrentung ist. Der Übergang in Altersarbeitslosigkeit fand insbesondere zwischen 58 und 59 Jahren statt. Werden ältere Arbeitnehmer in diesem Alter arbeitslos, können sie, wie ausgeführt, bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld empfangen. Nach dieser Übergangszeit in der Arbeitslosenversicherung können sie ab dem Alter 60 über einen speziellen Zugangspfad in die Rente gehen (AltersTabelle 11: Übergang in Altersarbeitslosigkeit seit Mitte der 1980er Jahre, westdeutsche Männer Geburtskohorte 1929 bis 1940 Konstante
-3,83**
Alter 55 bis 57 (Ref.) 58 bis 59 60 bis 61 62 und älter
0,46* 0,04 -0,67
Perioden 1984 bis 1989 (Ref.) 1990 bis 1993 1994 bis 2002
0,88** 0,77**
Ereignisse
128
Personen gesamt Personen zensiert
566 438
-2*diff (logL)a
22,95
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1. a = Die Referenz für die in diesem dritten Teil der Arbeit dargestellten Likelihood-Ratio-Tests ist das jeweilige logistische Regressionsmodell mit den altersspezifischen Kovariaten.
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
125
rente nach Altersarbeitslosigkeit). Insgesamt ist für Ältere, die nach Erreichen des Alters 57 (und 4 Monaten) arbeitslos werden, somit eine lückenlose und gute Finanzierung gesichert – zuerst durch Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung, die der ehemalige Arbeitgeber in der Regel durch zusätzliche Ausgleichszahlungen aufstockt, und dann über das gesetzliche Rentensystem. An den Ergebnissen in Tabelle 11 spiegelt sich also deutlich wider, dass diese spezielle Regelung des deutschen Rentensystems in der Praxis dazu geführt hat, dass Unternehmen die Arbeitslosenversicherung systematisch als vorgezogene Frühverrentungsmöglichkeit benutzen und den Großteil der Kosten dieser Beschäftigungsflexibilisierung auf die deutsche Arbeitslosenversicherung verlagern.
Der Einfluss betrieblicher und individueller Merkmale auf ein frühzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und auf das Risiko von Altersarbeitslosigkeit Im nächsten Schritt soll untersucht werden, welche Gruppen älterer Erwerbstätiger von diesem zunehmenden Trend von Frühverrentung getroffen wurden und inwiefern betriebliche und individuelle Merkmale einen Einfluss auf den Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs haben. Es zeigt sich in diesen weiterführenden Analysen, dass der Zeitpunkt des Ausscheidens einer Person aus dem Erwerbsleben stark davon abhängt, in welchem Beruf, in welchem Betrieb und in welchem Wirtschaftszweig sie arbeitet. Erwerbstätige im transformativen und extraktiven Sektor scheiden deutlich früher aus dem Erwerbsleben aus als Beschäftigte im sozialen Dienstleistungssektor (Modell 2, Tabelle 12). Diese Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass im Vergleich zu Erwerbstätigen in anderen Sektoren besonders Erwerbstätige im rückläufigen primären Sektor sowie im klassischen Industriesektor – also Sektoren, die in den vergangenen Jahren besonders stark wachsender Konkurrenz sowie Marktturbulenzen ausgesetzt waren – eine Verkürzung ihrer Lebensarbeitszeit erfahren. Da im selben Modell für Berufsposition kontrolliert wird, kann dieses Ergebnis nicht darauf zurückgeführt werden, dass der Anteil von Arbeitern – von denen ja ebenfalls angenommen wird, dass sie sehr früh das Erwerbsleben verlassen – in diesen Sektoren höher ist. Das heißt: Unabhängig von der beruflichen Stellung scheiden ältere Erwerbstätige im primären und sekundären Sektor früher aus dem Erwerbsleben aus als Beschäftigte des Dienstleistungssektors. Weitere Analysen (Tabelle 12, Modell 3) zeigen, dass in der älteren Kohorte der Effekt für den transformativen Sektor eng mit der Firmengröße zusammenhängt. Der signifikante Effekt für den transformativen Sektor verschwindet, sobald für Firmengröße kontrolliert wird. Es ist dann nur noch ein richtungsglei-
126
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Tabelle 12: Erwerbsausstieg westdeutscher Männer, Geburtskohorten 1919 bis 1921 und 1929 bis 1936 Geburtskohorte 1919 bis 1921
Konstante Alter 55 bis 57 (Ref.) 58 bis 59 60 bis 61 62 bis 63 64 und älter Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse Obere Dienstklasse (Ref.) Selbstständig Fehlende Information
Geburtskohorte 1929 bis 1936
1
2
3
1
2
3
-6,28**
-6,53**
-6,64**
-3,23**
-3,66**
-4,20**
1,41** 1,86** 2,84** 3,56**
1,42** 1,89** 2,89** 3,67**
1,43** 1,92** 2,93** 3,70**
0,95** 1,39** 2,18** 2,68**
0,98** 1,47** 2,30** 2,79**
1,02** 1,51** 2,37** 2,94**
0,56** 0,60** 0,34+ 0,49* 0,36+ -0,27 -0,72
0,48* 0,53** 0,33+ 0,59** 0,48* -0,39 -0,53
0,54* 0,58** 0,33+ 0,57** 0,46* -0,39 -0,59
0,81** 1,04** 1,22** 0,37 0,62* -0,57+ 1,10**
0,67* 0,87* 1,01** 0,32 0,73** -0,94* 1,04**
0,81** 1,02** 1,20** 0,39 0,84** -0,83+ 0,72
1,00** 0,36* 0,01 0,61+
0,83* 0,24 -0,03 0,45
1,18** 0,61** 0,40+ 0,94*
1,22** 0,69** 0,39 0,53
Wirtschaftszweig Extraktiver Sektor Transformativer Sektor Privater Dienstleistungssektor Sozialer Dienstleistungssektor (Ref.) Fehlende Information Firmengröße Bis 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter (Ref.) 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter Fehlende Information
0,17 0,13 0,47** 0,12
0,33 0,40* 0,61** 2,11**
Ereignisse
349
349
349
265
265
265
Personen gesamt Personen zensiert
351 2
351 2
351 2
347 82
347 82
347 82
381,53
397,06
403,98
175,47
190,09
206,85
-2*diff (logL)
Eigene Berechnungen auf Basis der Deutschen Lebensverlaufsstudie und des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
127
cher signifikanter Effekt für sehr große Betriebe zu verzeichnen. Anscheinend haben in der älteren Kohorte also vor allem große Firmen im Industriesektor Frühverrentungsprogramme genutzt, um ökonomischen Druck zu kanalisieren. Anders sieht das Bild in der jüngeren Kohorte aus. Der Effekt für Branche bleibt auch bei Hinzunehmen der Firmengröße hoch signifikant. Aus diesem Ergebnis lässt sich folgern, dass sich der Flexibilisierungsdruck, der in den frühern 1980er Jahren nur in großen Industriebetrieben zu finden war, in der jüngeren Kohorte auf den gesamten Sektor ausgeweitet hat. Noch weitere Unterschiede lassen sich zwischen den beiden Kohorten finden: Wurden Frühverrentungsprogramme in der älteren Kohorte nur von einem kleinen Teil der Unternehmen (nämlich sehr großen Firmen im Industriesektor) genutzt, ist der Gebrauch von Frühverrentungsprogrammen in der jüngeren Kohorten weitaus verbreiteter. Wie gesagt sind Erwerbstätige im transformativen Sektor nun generell stärker von einem frühen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben betroffen. Zusätzlich zeigt sich nun aber auch ein positiver Effekt für den privaten Dienstleistungssektor – wenngleich der Effekt nur auf niedrigem Niveau signifikant ist. Damit hat sich in den späten 1980er sowie den 1990er Jahren eine hierarchische Ordnung von Sektoren in Bezug auf das Tempo des Erwerbsaustritts herausgebildet. Beschäftigte im primären und sekundären Sektor verlassen den Arbeitsmarkt vergleichsweise früh, während im sozialen Dienstleistungssektor Beschäftigte am längsten erwerbstätig bleiben. Der private Dienstleistungssektor ist zwischen diesen beiden Extremen einzuordnen. Wie erwartet findet der Erwerbsausstieg in sehr großen Betrieben früher statt (Tabelle 12, Modell 3). In Zeiten sich rasch verändernder Umwelt und Märkte mussten große Firmen ihre Organisationsstruktur von der tayloristischen Massenproduktion auf flexiblere Produktionsweisen umstellen. Häufig waren diese Restrukturierungen mit Downsizing verbunden. Relativ einfach und ohne die (Stamm-) Belegschaft zu verunsichern, konnten Arbeitgeber dies über die Frühverrentung älterer Mitarbeiter realisieren. Der Effekt von Firmengröße hat sich über die Kohorten verstärkt. In beiden Kohorten verließen ältere Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 2.000 Beschäftigten den Arbeitsmarkt früher als Arbeitnehmer in Firmen mit 20 bis 200 Beschäftigten. In der jüngeren Kohorte zeigt sich darüber hinaus ein signifikanter Effekt für Firmen mit 200 bis 2.000 Mitarbeiter. Die Ergebnisse deuten deshalb darauf hin, dass Flexibilisierungsanforderungen, die in den späten 1970er und frühern 1980er Jahren lediglich an sehr große Unternehmen gestellt wurden, in den späten 1980er und 1990er Jahren auch an Firmen mittlerer Größe herangetragen wurden. Ältere Arbeitnehmer frühzeitig aus dem Erwerbsleben auszuschließen, ist somit in der jüngeren Kohorte nicht mehr ein Phänomen, das nur in einigen, nämlich sehr großen Unternehmen zu finden ist.
128
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Selbstständige bleiben im Vergleich zu den meisten abhängig Beschäftigten länger erwerbstätig. Dies gilt für beide Kohorten. Die gesetzliche Rentenversicherung deckt Selbstständige nicht per se ab. Auch Angehörige der oberen Dienstklasse, deren Positionen ebenfalls weniger von Restrukturierungen und Rationalisierungen betroffen sind, verlassen den Arbeitsmarkt in beiden Kohorten vergleichsweise spät. Des Weiteren zeigen die Ergebnisse, dass sich der Einfluss der Berufsposition über die Geburtskohorten hinweg leicht verändert hat. In der Geburtskohorte 1919 bis 1921 lassen sich zwei Gruppen von Erwerbstätigen unterscheiden: auf der einen Seite Selbstständige und die obere Dienstklasse, die sehr lange erwerbstätig waren; auf der anderen Seite Beschäftigte in den übrigen Berufsklassen, die sich in Bezug auf den Zeitpunkt des Erwerbsaustritts kaum voneinander unterschieden.44 In der jüngeren Kohorte zeigen sich drei unterschiedliche Gruppen sowie eine Aufspaltung der beruflichen Mittelklasse. Selbstständige blieben am Längsten erwerbstätig. Die Gruppe der Selbstständigen wird gefolgt von Angehörigen der oberen Dienstklasse sowie Personen mit nicht-manuellen Routinetätigkeiten. Am frühesten schieden Angehörige der unteren Dienstklasse, leitende Arbeiter und Techniker, Facharbeiter sowie un- und angelernte Arbeiter aus dem Erwerbsleben aus. Die Art der Aufspaltung in der beruflichen Mittelklasse ist relativ überraschend. Angehörige der unteren Dienstklasse sowie leitende Arbeiter und Techniker bilden eine relativ homogene Gruppe mit Facharbeitern sowie un- und angelernten Arbeitern45 und verlassen den Arbeitsmarkt eher als Beschäftigte in nicht-manuellen Berufen, obschon ihre formale Qualifikation höher ist. Eine Erklärung für dieses Ergebnis könnte sein, dass auch die Positionen von Angehörigen der unteren Dienstklasse sowie Personen in hoch qualifizierten manuellen Berufen in der Vergangenheit von betrieblichen Restrukturierungen und Rationalisierungen betroffen waren. So hat beispielsweise der Einsatz von Lean Production oder Lean Management nicht nur zum Verschwinden gering qualifizierter Berufe beigetragen, sondern auch zu einer Abschaffung einer großen Zahl mittlerer Managementpositionen und qualifizierter manueller Positionen geführt. Im Gegensatz dazu sind nicht-manuelle Positionen aufgrund ihres Servicecharakters weniger von Rationalisierung betroffen. Im letzten Schritt werden Übergänge in die Altersarbeitslosigkeit für die Geburtskohorte 1929 bis 1940 untersucht (siehe Tabelle 13). Diese Analysen sind besonders aufschlussreich für die hier behandelte Fragestellung, ob unter Rationalisierungs- und Restrukturierungsdruck stehende Unternehmen die Frei44 45
Dies wurde in Modellen überprüft, in denen die Referenzkategorie gewechselt wurde. Dies war das Ergebnis ergänzender, hier nicht abgebildeter Analysen, in denen die Referenzkategorie gewechselt wurde.
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
129
setzung älterer Arbeitnehmer zur eigenen Entlastung nutzen, da im Fall von Altersarbeitslosigkeit ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben eindeutig auf Flexibilisierungsanforderungen des Arbeitgebers zurückgeführt werden kann. Im Gegensatz dazu ist im Fall von Frühverrentung nicht klar zu trennen, ob das Ausscheiden (1) auf den Bedarf von Rationalisierungen und Flexibilisierungen von Seiten des Arbeitgebers oder (2) auf persönliche Erwägungen des Versicherten zurückgeführt werden kann. Insgesamt bestätigen die Ergebnisse für den Übergang in Altersarbeitslosigkeit die Ergebnisse der vorangegangenen empirischen Analysen zum Erwerbsausstieg. Erwerbstätige in Berufsgruppen, die Rationalisierungs- und Reorganisationsmaßnahmen ausgesetzt sind (d.h. untere Dienstklasse, leitende Arbeiter und Techniker, Facharbeiter, un- und angelernte Arbeiter), haben ein höheres Risiko von Altersarbeitslosigkeit. Demgegenüber endet das Erwerbsleben von Selbstständigen, Angehörigen der oberen Dienstklasse sowie Beschäftigten mit nicht-manuellen Routinetätigkeiten seltener in Arbeitslosigkeit (Modell 1 bis 3, Tabelle 13). Dass eine höhere Qualifikation vor Arbeitslosigkeit im Alter schützt, spiegelt sich auch in den Ergebnissen für Bildung wider (Modell 4, Tabelle 13). Ein Universitäts- beziehungsweise Fachhochschulabschluss, aber auch das Absolvieren einer Berufsausbildung nach Erwerb des Abiturs oder der mittleren Reife verringern das Risiko von Arbeitslosigkeit von älteren Erwerbstätigen deutlich im Vergleich zu älteren Menschen mit Hauptschulabschluss und Lehre. Auch der Sektor hat einen starken Einfluss darauf, ob ältere Erwerbstätige arbeitslos werden. Generell sind Erwerbstätige in der Privatwirtschaft stärker von Altersarbeitslosigkeit betroffen als Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Aber auch innerhalb der Privatwirtschaft ist das Arbeitslosigkeitsrisiko im Alter unterschiedlich hoch. Im Vergleich zum privaten Dienstleistungssektor sind Beschäftigte im transformativen Sektor, wo der wirtschaftliche Rationalisierungsdruck erwartungsgemäß besonders hoch ist, stärker von Altersarbeitslosigkeit betroffen. In Bezug auf den Sektor zeigt sich in den Analysen für Altersarbeitslosigkeit ein interessanter Unterschied zu den vorangegangen Analysen zum Erwerbsausstieg. Beschäftigte im privaten Dienstleistungssektor haben ein signifikant höheres Risiko von Altersarbeitslosigkeit im Vergleich zu Beschäftigten im sozialen Dienstleistungssektor. Ein Unterschied innerhalb des Dienstleistungssektors zeigte sich in den vorangegangenen Analysen nicht. Damit wird die Arbeitslosenversicherung vor allem von Unternehmen der Privatwirtschaft (aus-) genutzt, um ältere Mitarbeiter freizusetzen. Wie erwartet hängt das Risiko von Altersarbeitslosigkeit auch von der Firmengröße ab. Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen beschäftigt, desto eher werden ältere Erwerbstätige arbeitslos. Dies unterstützt wieder die Hypothese, dass
130
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Tabelle 13: Übergang in Alterarbeitslosigkeit von westdeutschen Männern Geburtskohorte 1929 bis 1940 1
2
3
4
Konstante
-4,87**
-5,10**
-5,72**
-3,83**
Alter 55 bis 57 (Ref.) 58 bis 59 60 bis 61 62 plus
0,50* 0,12 -0,45
0,56* 0,25 -0,32
0,61** 0,32 0,14
0,57** 0,27 -0,30
1,17** 1,11**
1,11** 1,07**
Perioden 1984 bis 1989 (Ref.) 1990 bis 1993 1994 bis 2002
1,01** 0,93**
1,13** 1,07**
Aktuelles Berufsprestige Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse Obere Dienstklasse (Ref.) Selbstständig Fehlende Information
-0,01 1,18** 1,30** 1,64** 0,31 1,00* -1,29+ 1,89**
0,89* 0,93* 1,22** 0,20 1,29** -1,65* 2,08**
1,05* 1,07** 1,44** 0,21 1,35** -1,29 1,87**
Bildungsniveau Hauptschule ohne berufliche Ausbildung Hauptschule mit beruflicher Ausbildung (Ref.) Mittlere Reife/Abitur ohne berufliche Ausbildung Mittlere Reife oder Abitur mit beruflicher Ausbildung Fachhochschul-/Universitätsabschluss Wirtschaftszweig Extraktiver Sektor Transformativer Sektor Privater Dienstleistungssektor (Ref.) Sozialer Dienstleistungssektor Fehlende Information
-0,01 -0,09 -0,48+ -1,86** 0,79 0,58* -1,55** 0,90
0,88 0,62* -1,61** 0,48
Sektor Privatwirtschaft (Ref.) Öffentlicher Dienst Firmengröße Bis 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter (Ref.)
-1,76** 0,13 -
-0,63+ -
Erwerbsausstiege in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre
131
Tabelle 13: Fortsetzung Geburtskohorte 1929 bis 1940 1
2
200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter Fehlende Information
3
4
0,44+ 0,85** 1,70*
0,47+ 0,94** 2,09**
Ereignisse
128
128
128
128
Personen gesamt Personen zensiert
566 438
566 438
566 438
566 438
75,13
120,03
134,60
121,34
-2*diff (logL)
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
insbesondere große, tayloristisch organisierte Unternehmen in den vergangenen Jahren unter wirtschaftlichen Druck geraten sind und diesen über die (frühestmögliche) Ausgliederung älterer Arbeitnehmer zu bewältigen versuchten. Auch in diesen weiterführenden Analysen wird bestätigt, dass Altersarbeitslosigkeit weniger ein Arbeitsmarktrisiko als vielmehr eine Form der Frühverrentung durch Nutzung der Arbeitslosenversicherung ist. Lediglich ältere Arbeitnehmer zwischen 58 und 59 Jahren haben ein erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden. Weiterhin zeigt sich auch in diesen weiterführenden Modellen wieder, dass das Risiko von Altersarbeitslosigkeit seit Ende der 1980er Jahre zugenommen hat. Zusammenfassend heißt dies, dass die deutsche Arbeitslosenversicherung heute ein institutionalisierter Frühverrentungspfad ist, der es Unternehmen ermöglicht, sich bereits deutlich vor der gesetzlichen und der flexiblen Altersgrenze von älteren Mitarbeitern zu trennen. Dieser Zugangspfad zur Rente hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung gewonnen. Wie erläutert können für die Kohorte 1919 bis 1921 aufgrund der geringen Fallzahl von nur 34 Ereignissen keine dynamischen Analysen für Altersarbeitslosigkeit berechnet werden (siehe Kapitel 3.2.4). Eine einfache deskriptive Auswertung zeigte jedoch, dass fast alle älteren Erwerbstätigen, die in der Kohorte 1919 bis 1921 arbeitslos wurden, im klassischen Industriesektor beschäftigt waren (85 Prozent derer, die in der späten Erwerbskarriere arbeitslos wurden). Dieses Ergebnis unterstützt noch einmal, dass vor allem in Sektoren und Unternehmen, die in der Vergangenheit dem verstärkten wirtschaftlichen Wettbewerb ausgesetzt waren, ältere Arbeitnehmer unter (Aus-) Nutzung der deutschen Arbeitslosenversicherung frühzeitig aus dem Arbeitsmarkt ausgegliedert wurden.
132
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
3.2.6 Zwischenfazit Ziel war es, zu untersuchen, wie sich die Situation älterer westdeutscher Männer am Arbeitsmarkt in den vergangenen drei Jahrzehnten entwickelt hat. Es hat sich gezeigt, dass Erwerbsausstiegsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland bedeutend flexibilisiert wurden. Ältere Erwerbstätige jüngerer Kohorten scheiden deutlich früher aus dem Erwerbsleben aus als Angehörige älterer Kohorten, Altersarbeitslosigkeit ist immer mehr zu einem Frühverrentungspfad geworden. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Nutzung von Frühverrentung ein Instrument ist, wie Unternehmen im relativ stark regulierten deutschen Wirtschaftssystem den gestiegenen wirtschaftlichen Wettbewerbsdruck kanalisieren. Frühverrentungsprogramme und die Arbeitslosenversicherung sind damit zu institutionalisierten Mitteln geworden, um Restrukturierung und Rationalisierungen zu realisieren sowie gestiegenem Arbeitsmarktdruck zu begegnen. Ob eine Person frühzeitig aus dem Arbeitsmarkt ausscheidet oder arbeitslos wird, hängt von verschiedenen Merkmalen ab. Besonders in großen Firmen, im Industriesektor und in Berufsgruppen, die stärker von Reorganisationen und Rationalisierungen betroffen sind, verlassen männliche Westdeutsche das Erwerbsleben sehr früh und haben ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko. Die Effekte für Wirtschaftssektor sowie Firmengröße sind stärker ausgeprägt in der jüngeren Geburtskohorte. Wurde in der älteren Kohorte lediglich in einem sehr speziellen Arbeitsmarktsegmenten (nämlich in sehr großen Industriebetrieben) von Frühverrentung Gebrauch gemacht, so sind es in der jüngeren Kohorte auch Firmen mittlerer Größe und die gesamte Privatwirtschaft, die sich frühzeitig von ihren älteren Mitarbeitern trennen. Damit hat sich der Trend zur vorzeitigen Ausgliederung Älterer aus dem Erwerbsleben auf größere Teile des Arbeitsmarktes ausgeweitet. Insgesamt zeigen sich Unterschiede zwischen älteren Erwerbstätigen stärker auf horizontaler Ebene (d.h. in Bezug auf Wirtschaftszweig und Firmengröße) als auf vertikaler Ebene (d.h. in Bezug auf ihre Qualifikation). Der Großteil der Berufs- und Qualifikationsgruppen unterscheidet sich nicht im Tempo für einen Erwerbsausstieg und im Arbeitslosigkeitsrisiko. Ein geringes Bildungsniveau und die Beschäftigung in unqualifizierten Positionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für ein frühes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und das Arbeitslosigkeitsrisiko im Vergleich zu den meisten anderen Qualifikations- und Berufsgruppen nicht signifikant. Lediglich sehr hoch qualifizierte Männer – eine Gruppe, die in den untersuchten Kohorten nicht besonders groß war – sind länger erwerbstätig und haben ein deutlich geringeres Risiko von Altersarbeitslosigkeit.
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
133
3.3 Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung 3.3.1 Der ostdeutsche Arbeitsmarkt nach der Wiedervereinigung Im nächsten Schritt stehen Erwerbsausstiegsprozesse in Ostdeutschland im Mittelpunkt. Zu Beginn sollen kurz einige Merkmale des ostdeutschen Arbeitsmarktes dargestellt werden. Durch den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft war der ostdeutsche Arbeitsmarkt nach der Wiedervereinigung mit einer tiefen Anpassungskrise konfrontiert. Die Wirtschaftsstruktur glich im Jahr 1989 der Situation in Westdeutschland während der 1960er Jahren (Geißler 2002: 198ff.). Der strukturelle Wandel stagnierte in der DDR nach 1960 fast völlig, während die Bundesrepublik bereits in den 1970er Jahren den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft realisierte. Damit war die ostdeutsche Wirtschaftsstruktur bis 1989 gekennzeichnet durch (1) einen noch immer sehr ausgeprägten primären Sektor, (2) eine Überindustrialisierung und (3) einen starken Tertiärisierungsrückstand. Nach der Wiedervereinigung wurde die ostdeutsche Wirtschaftsstruktur innerhalb von nur zwei Jahren massiv modernisiert. Bis 1992 hatte sich die sektorale Verteilung in Ostdeutschland an Westdeutschland angeglichen (Geißler 2002: 199), indem veraltete Branchen wie beispielsweise der Bergbau drastisch zurückgefahren wurden (Brinkmann und Wiedemann 1995: 325). Neben veralteten Wirtschafts- und Produktionsstrukturen zeichnete sich die DDR durch die für sozialistische Länder typischen Personalüberhänge aus. Innerhalb von nur zwei Jahren nach der Wiedervereinigung wurde der Großteil des Beschäftigtenüberschusses jedoch abgebaut. Die Zahl der Erwerbstätigen schrumpfte in den neuen Bundesländern bis November 1992 auf 70 Prozent des Ausgangsniveaus (Brinkmann und Wiedemann 1995: 325). Dieser massive Beschäftigungsabbau in sehr kurzer Zeit ging vor allem zu Lasten von älteren Menschen, Frauen und gesundheitlich beeinträchtigten Personen (Ernst 1996: 201). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch den Übergang von der Planzur Marktwirtschaft vor allem die ersten Jahre am ostdeutschen Arbeitsmarkt turbulent waren. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre fanden die Modernisierung der ostdeutschen Wirtschaftsstruktur, ihre Anpassung an Westdeutschland sowie der Abbau der Überbeschäftigung statt. Dennoch ist die Situation am ostdeutschen Arbeitsmarkt auch heute noch problematisch und alles andere als vergleichbar mit der Situation in Westdeutschland. Die Arbeitslosenquote ist mehr als ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern sowohl für Frauen als auch für Männer mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland (Statistisches Bundesamt 2002: 99).
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
3.3.2 Alterserwerbstätigkeit und die Flexibilisierung des Erwerbsaustritts in den neuen Bundesländern Alterserwerbstätigkeit in der DDR Wie für sozialistische Länder bis zum gesellschaftlichen Umbruch bezeichnend war auch in der DDR die Erwerbsquote insgesamt sehr hoch (Ernst 1996: 203). Durch das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Arbeit gab es in der DDR bis kurz vor der Wende nahezu Vollbeschäftigung – offene Arbeitslosigkeit existierte nicht. In der DDR lag im Jahr 1989 der Erwerbstätigenanteil, also der Anteil der Erwerbstätigen an allen Personen im erwerbsfähigen Alter, bei rund 80 Prozent (Rudolph 1990: 476; Ernst 1996: 203). Dass damit die Erwerbsbeteiligung in der DDR höher war als in der BRD, hatte vor allem zwei Gründe. Erstens war die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt in der DDR deutlich höher als in der BRD. 1989, kurz vor der Wende, erreichte die Erwerbsbeteiligung von ostdeutschen Frauen ungefähr das Niveau von Männern. Die weibliche Erwerbsquote in der BRD lag zu diesem Zeitpunkt und liegt noch immer deutlich unter der von Männern (Kohli 1994: 96). Zweitens war auch die Erwerbstätigkeit im Alter in der DDR deutlich höher als in der BRD. Übergänge in die Rente fanden in der DDR später statt als in der BRD. Im Jahr 1989 lag die Erwerbsquote von 60- bis 65-jährigen westdeutschen Männern bei ungefähr 35 Prozent – in Ostdeutschland waren demgegenüber noch mehr als drei Viertel der 60- bis 65-jährigen Männer erwerbstätig (Kohli 1994: 97). Das Rentensystem der DDR war im Gegensatz zum Rentensystem der BRD wenig differenziert. Möglichkeiten für Frühverrentung existierten kaum. Lediglich für bestimmte Berufsgruppen, wie beispielsweise Mitglieder der Nationalen Volksarmee, gab es Programme für vorzeitige Übergänge in die Rente. Auch bei Invalidität war ein frühzeitiger Rückzug aus dem Arbeitsmarkt möglich – jedoch waren die Zugangsvoraussetzungen relativ restriktiv (Ernst 1996: 204). Damit war für den Großteil der Erwerbstätigen in der DDR die Altersgrenze nicht flexibilisiert. Entsprechend fand der Erwerbsaustritt von Ostdeutschen sehr nah zum gesetzlichen Rentenalter statt, das für Männer bei 65 Jahren und für Frauen bei 60 Jahren lag (Ernst 1996: 204). Im Gegensatz zur BRD war in der DDR auch der Anteil der Personen vergleichsweise hoch, die nach Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze weiter erwerbstätig waren. Zehn Prozent der Männer über 65 und 30 Prozent der Frauen über 60 waren unmittelbar vor der Wende noch erwerbstätig (Ernst 1996: 206). Verschiedene Gründe können für das Fortsetzen der Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Rentenalters verantwortlich gemacht werden. Erstens gab es in der DDR ein durch die Verfassung garantiertes Recht auf Arbeit unabhängig vom
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Alter (Ernst 1996: 204). Zweitens war die persönliche Bindung zum Betrieb in der DDR groß, da der Betrieb nicht nur Arbeitsplatz, sondern durch gemeinsame Aktivitäten wie Theater oder Konzerte auch eine soziale und kulturelle Einheit war (Kohli 1994: 98). Drittens war aber auch die Altersversorgung der DDR weitaus schlechter als in der BRD und damit waren ostdeutsche Rentner und Rentnerinnen finanziell relativ schlecht gestellt (Geißler 2002: 100, 103, 275). Das Fortsetzen der Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Rentenalters kann also auch dadurch begründet werden, dass bei älteren Ostdeutschen ein finanzieller Bedarf für ein Erwerbseinkommen bestand.
Die Flexibilisierung des Erwerbsaustritts in Ostdeutschland Das Rentensystem der DDR war weitaus weniger differenziert als das der BRD. Mit der Wiedervereinigung und der Übernahme des westdeutschen Rentenversicherungssystems wurden in Ostdeutschland die Altersgrenzen stark flexibilisiert und Übergänge in die Rente vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters auf breiter Front ermöglicht (siehe Kapitel 3.2.1). Dies hat unmittelbar nach der Wiedervereinigung zu einem drastischen Rückgang der Erwerbsbeteiligung unter älteren Frauen und Männer in Ostdeutschland geführt (Ernst 1995: 21ff., Ernst 1996: 205ff., Kohli 1994: 100). Die gesetzlich festgelegten Altersgrenzen, die in Ostdeutschland bis zur Wiedervereinigung für den Großteil der Erwerbstätigen den Rentenübergang markierten, spielte nach der Wende nur noch eine geringfügige Rolle für den Zeitpunkt eines Erwerbsaustritts (Ernst 1996: 207). So fiel der Anteil der männlichen Erwerbstätigen in der Altersgruppe 60 bis 64 innerhalb von nur drei Jahren um mehr als 60 Prozentpunkte. 1989 arbeiteten rund 80 Prozent der 60- bis 64-jährigen Männer, im Jahr 1992 waren es weniger als 20 Prozent (Kohli 1994: 100). Der starke Rückgang der Erwerbsbeteiligung von Männern in Ostdeutschland fand aber nicht nur in der Altersgruppe statt, die unmittelbar vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze stand und die das vorgezogene Altersruhegeld beziehen konnte. Bereits in der Altersgruppe 55 bis 59, für die kein direkter Zugang zur Rente offen stand, sank die Erwerbsbeteiligung massiv. 1989 waren noch über 90 Prozent der 55- bis 59-jährigen Männer in Ostdeutschland erwerbstätig, 1992 waren es weniger als 50 Prozent (Kohli 1994: 100). Auch das Fortsetzen einer Erwerbstätigkeit über die gesetzliche Regelaltersgrenze hinaus ist unter ostdeutschen Männern stark zurückgegangen. Während vor der Wiedervereinigung noch mehr als jeder zehnte Mann nach Erreichen des Alters 65 weiter erwerbstätig war, waren es 1992 weniger als drei Prozent (Kohli 1994: 100).
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Für ostdeutsche Frauen lässt sich ein ähnliches Bild zeichnen. Unter den 55bis 59-jährigen Frauen sank die Erwerbsbeteiligung von fast 80 Prozent im Jahr 1989 auf unter 25 Prozent im Jahr 1992 (Kohli 1994: 100). Des Weiteren war vor der Wiedervereinigung die Erwerbsbeteiligung von ostdeutschen Frauen über das 60. Lebensjahr hinaus sehr hoch. Jede dritte ostdeutsche Frau war im Jahr 1989 auch nach Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze weiter erwerbstätig. Dieser Anteil sank auf vier Prozent im Jahr 1992 (Kohli 1994: 100). Dieser starke und schnelle Rückgang der Alterserwerbstätigkeit in unteren Altersgruppen – nämlich in der Gruppe der zwischen 55- und 59-Jährigen – wurde ermöglicht durch einen ostspezifischen Rentenzugangspfad in der unmittelbaren Übergangszeit: die Altersübergangsregelung. Die Regelungen des Altersübergangsgeldes waren Teil des Wiedervereinigungsvertrages vom 3. Oktober 1990. Nach einigen Modifikationen in den ersten Wochen nach der Wiedervereinigung46 sah das Altersübergangsgesetz folgende Regelungen vor: Ostdeutsche Männer und Frauen konnten das Altersübergangsgeld beantragen, wenn sie nach Vollenden des 55. Lebensjahres arbeitslos wurden und Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten. Das Altersübergangsgeld betrug – unabhängig von den zu erziehenden Kindern – 65 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Die maximale Bezugsdauer von Altersübergangsgeld lag bei fünf Jahren.47 Nach dem Auslaufen der Leistungen des Altersübergangsgeldes konnten Personen ab dem Alter 60 über den Zugangspfad nach Arbeitslosigkeit in die Rente wechseln. Um das Altersübergangsgesetz im deutschen Kontext zu sehen, muss noch einmal die Rolle der Arbeitslosenversicherung für den Übergang in die Rente wiederholt werden (für eine ausführliche Darstellung siehe Kapitel 3.2.1): Ältere Arbeitnehmer haben in Deutschland ein Anrecht auf 32 Monate Arbeitslosengeld.48 Nach einer längeren Phase in Arbeitslosigkeit steht ihnen ab dem Alter 60 ein extra für ältere Arbeitslose eingerichteter Zugang zur Rente offen. In der Praxis haben diese Regelungen dazu geführt, dass Unternehmen ältere Mitarbeiter im Alter von 57 Jahren und 4 Monaten entlassen. Diese können dann für die folgenden 32 Monate bis zum Erreichen des Alters 60 Arbeitslosengeld beziehen und dann über den Zugangspfad nach Altersarbeitslosigkeit in Rente gehen. Das Altersübergangsgeld stellt somit eine Ausweitung der Regelungen der Ar46
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Altersübergangsgeld konnten unmittelbar nach der Wiedervereinigung Männer ab 57 Jahren und Frauen ab 55 Jahren beantragen. Ab dem 1. Januar 1991 galt die einheitliche Altersgrenze von 57 Jahren. Ab dem 1. Juli 1991 wurde die Altersgrenze dann für Männer und Frauen auf 55 Jahre herabgesetzt. Diese Altersgrenze galt bis zum Auslaufen des Altersübergangsgeldes am 31. Dezember 1992 (Ernst 1995: 39). Der Anspruch auf Altersübergangsgeld erlosch spätestens mit dem Alter 65. Mit den jüngsten, auch als Hartz-Gesetzen bekannt gewordenen Arbeitsmarktreformen wurde die Höchstbezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Menschen gekürzt (siehe hierzu Kapitel 3.4 dieser Arbeit).
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Abbildung 23: Finanzielle Absicherung bei Altersarbeitslosigkeit: Empfangsdauer von Arbeitslosengeld und Altersübergangsgeld im Vergleich 55
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Finanzielle Absicherung über das Arbeitslosengeld (57,4-Regelung)
Erwerbstätigkeit
Arbeitslosengeld (bis zu 32 Monate)
Altersrente nach Altersarbeitslosigkeit
Finanzielle Absicherung über das Altersübergangsgeld
Erwerbstätigkeit
Altersübergangsgeld (bis zu 5 Jahre)
Altersrente nach Altersarbeitslosigkeit
Quelle: Eigene Darstellung.
beitslosenversicherung dar (siehe Abbildung 23): Empfänger des Altersübergangsgeldes sind nicht nur für 32 Monate vor Erreichen des Alters 60 finanziell abgesichert sondern für fünf Jahre. Das Altersübergangsgeld wurde von der Bundesanstalt für Arbeit gezahlt. Offiziell flossen Empfänger von Altersübergangsgeld aber nicht in die Arbeitslosenstatistik ein. Dementsprechend waren Über-55-Jährige in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung offiziell kaum von Arbeitslosigkeit betroffen – ihr Anteil an den Arbeitslosen lag im Herbst 1992 bei unter fünf Prozent (Ernst 1995: 20). Dennoch ist das Altersübergangsgeld de facto als Arbeitslosigkeit zu verstehen und zu interpretieren. Erstens war die Vorbedingung für den Bezug von Altersübergangsgeld Arbeitslosigkeit. Zweitens wurde das Altersübergangsgeld von der Bundesanstalt für Arbeit und nicht von Rentenversicherungsträgern gezahlt. Drittens verließen Empfänger des Altersübergangsgeldes den Arbeitsmarkt über den Rentenzugangspfad nach Altersarbeitslosigkeit. Der Altersübergangsregelung kann primär ein arbeitsmarktpolitischer Hintergrund zugeschrieben werden. Mit dieser Regelung sollte der ostdeutsche Arbeitsmarkt entlastet werden, indem das verfügbare Arbeitskräftevolumen durch eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit vermindert wurde (Kretzschmar et al. 1992: 46; Ernst 1995: 39). Zudem wurde erwartet, dass vor allem ältere Arbeitnehmer durch den Zusammenbruch der Planwirtschaft von Arbeitsplatzverlusten betroffen sein würden (Ernst 1995: 36f.). Da gleichzeitig für Ältere in Deutschland die Chancen für eine Wiedereingliederung sehr gering sind, sollte die Altersübergangsregelung älteren Ostdeutschen die finanziellen Folgen von längerer Arbeitslosigkeit ersparen.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Die Regelungen des Altersübergangsgeldes galten bis Ende 1992 – bis zum 31. Dezember 1992 konnte Altersübergangsgeld beantragt werden. Ab dem 1. Januar 1993 war ein finanziell lückenlos gut abgesicherter Zugang in die Rente bei Arbeitslosigkeit auch für Ostdeutsche erst ab dem Alter 57 (und 4 Monaten) möglich (siehe Abbildung 23).
3.3.3 Hypothesen Wie schon für Westdeutschland sind auch für die ostdeutschen Analysen zwei Forschungsfragen zentral. Erstens soll untersucht werden, wie sich der Erwerbsausstieg in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung entwickelt hat und wie die Frühverrentung älterer Erwerbstätiger dazu genutzt wurde, um den Zusammenbruch des ostdeutschen Wirtschaftssystems und den Umbau von der Plan- zur Marktwirtschaft zu bewältigen. Zweitens soll die Frage beantwortet werden, ob und wie der Zeitpunkt des Erwerbsaustritts in Ostdeutschland davon abhängt, in welchem Wirtschaftszweig, Betrieb oder Beruf eine Person beschäftigt ist. Die Untersuchungen für Ostdeutschland stützen sich auf die Geburtskohorten 1935 bis 1940. In den meisten meiner Analysen werden die Geburtskohorten 1935 bis 1937 und 1938 bis 1940 getrennt voneinander betrachtet, da ihr Erwerbsaustritt von sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und institutionellen Bedingungen geprägt war. Für die Geburtskohorte 1935 bis 1937 war ein Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt über die Altersübergangsregelung möglich, für die Geburtskohorte 1938 bis 1940 hingegen nicht mehr. Zudem bekam die ältere Kohorte in ihrer späten Erwerbskarriere unmittelbar die Auswirkungen des (wirtschaftlichen) Zusammenbruchs der DDR und den damit verbundenen Umbau von der Plan- zur Marktwirtschaft in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung zu spüren. Es werden dieselben beiden Übergangsprozesse wie für Westdeutschland untersucht. Im ersten Schritt werden Ausstiege aus dem Erwerbsleben nach Erreichen des Alters 55 analysiert. Dies können Übergänge in die Rente, aber auch Übergänge in die Arbeitslosigkeit sein. Im zweiten Schritt werden dann nur noch die Erwerbsausstiege untersucht, die einen Übergang in Altersarbeitslosigkeit darstellen. Im Gegensatz zu Westdeutschland fließen in die ostdeutsche Studie sowohl männliche als auch weibliche Erwerbstätige ein (zur Begründung siehe Kapitel 3.1 und 3.3.4). Basierend auf den vorangegangenen Darstellungen zur wirtschaftlichen und rentenrechtlichen Entwicklung in Ostdeutschland nach der Wende werden folgende Forschungshypothesen aufgestellt:
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
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Die Entwicklung des Erwerbsaustiegs in Ostdeutschland seit 1990: Massive Ausgliederung Älterer unmittelbar nach der Wiedervereinigung Vor der Wiedervereinigung war der Erwerbsausstieg in Ostdeutschland wenig flexibilisiert – die Möglichkeiten für einen verfrühten Erwerbsausstieg waren somit sehr begrenzt (siehe Kapitel 3.3.2). Die große Mehrheit älterer Männer und Frauen schied mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus dem Arbeitsmarkt aus. Mit der Wiedervereinigung wurde durch die Übernahme des westdeutschen Rentensystems, das weitaus differenzierter war als das der DDR, die Altersgrenze stark flexibilisiert. Zudem wurden in der unmittelbaren Übergangszeit zusätzliche Regelungen für ältere Ostdeutsche eingesetzt. Bis Ende 1992 ermöglichte die Altersübergangsregelung, dass ältere Ostdeutsche im Fall von Arbeitslosigkeit ab dem Alter 55 den Arbeitsmarkt finanziell lückenlos und gut abgesichert verlassen konnten. Das Altersübergangsgeld war ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, um den ostdeutschen Arbeitsmarkt während der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft zu entlasten, indem es für Ältere eine sozial gut abgesicherte Rückzugsmöglichkeit aus dem Arbeitsmarkt bot. Als Ergebnis der empirischen Analysen erwarte ich, dass Angehörige der Geburtskohorte 1935 bis 1937 im Vergleich zu Männern und Frauen der Geburtskohorte 1938 bis 1940 früher aus dem Erwerbsleben ausschieden und den Zugang zur Rente stärker über Arbeitslosigkeit erlebten. Ihre späte Erwerbskarriere war unmittelbar vom Zusammenbruch der DDR betroffen und fiel damit in eine Zeit, in der in den neuen Bundesländern der Abbau der Überbeschäftigung zu bewältigen war (Brinkmann und Wiedemann 1995; siehe Kapitel 3.3.1). Mit dem Altersübergangsgeld war es möglich, dem Problem der Überbeschäftigung durch den sehr frühzeitigen Rückzug Älterer aus dem Erwerbsleben zu begegnen. Die Geburtskohorte 1938 bis 1940 erlebte ihre späte Erwerbskarriere hingegen in Zeiten, als zumindest das Problem der Überbeschäftigung größtenteils bewältigt war. Zudem war für diese Kohorte ein sehr frühes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach Auslaufen der Altersübergangsregelungen nicht mehr möglich.
Der Einfluss betrieblicher und individueller Merkmale: Keine Differenzen in Zeiten der Altersübergangsregelung – anschließend: Angleichung an Westdeutschland Die Untersuchungen für westdeutsche Männer haben gezeigt, dass der Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs stark von individuellen Merkmalen sowie Merkmalen des Arbeitsplatzes beeinflusst wird (siehe Kapitel 3.2.5). Westdeutsche Männer in
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Sektoren, Firmen und Berufen, die stärker unter Rationalisierungs- und Flexibilisierungsdruck stehen, verlassen das Erwerbsleben sehr früh und sind besonders stark von Altersarbeitslosigkeit betroffen. Es wurden damit deutliche Anzeichen dafür gefunden, dass die deutsche Renten- und Arbeitslosenversicherung in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten zunehmend dazu genutzt wurde, gestiegenen Arbeitsmarktproblemen und verstärktem wirtschaftlichen Druck zu begegnen. In der DDR verließen die meisten älteren Erwerbstätigen im selben Alter den Arbeitsmarkt (Ernst 1996: 205ff., siehe Kapitel 3.3.2) – der Erwerbsaustritt war demnach nicht besonders stratifiziert. Wie aber hat sich dies nach der Wiedervereinigung entwickelt? Ich nehme an, dass sich in der älteren ostdeutschen Kohorte 1935 bis 1937 Erwerbstätige in unterschiedlichen Berufen, Betrieben und Sektoren kaum voneinander unterschieden in Bezug darauf, wann sie das Erwerbsleben verließen. Ihre späte Erwerbkarriere war direkt von der Wiedervereinigung und dem Umbau von der Plan- zur Marktwirtschaft betroffen. In dieser Zeit wurde die für sozialistische Länder typische Überbeschäftigung reduziert (siehe Kapitel 3.3.1). Zwar war der Beschäftigtenrückgang vor allem in den „veralteten“ Branchen zu finden (Brinkmann und Wiedemann 1995: 326), jedoch nehme ich an, dass ältere Ostdeutsche von einem schwächeren Rückbau in manchen Branchen oder gar der Expansion des tertiären Sektors nicht profitierten. Im Gegenteil: Ich erwarte, dass das Zurückfahren des generellen Erwerbspotenzials in Ostdeutschland systematisch über die Ausgliederung Älterer realisiert wurde – relativ unabhängig davon, in welchem Sektor, in welcher Firma oder in welchem Beruf sie tätig waren. Mit der Altersübergangsregelung stand ein arbeitsmarktpolitisches Instrument für eine sozial friedliche Verringerung der Erwerbspersonen in Ostdeutschland zur Verfügung. Das Alterübergangsgeld war sehr populär. Insgesamt haben fast 900.000 ältere Ostdeutsche den Arbeitsmarkt über das Altersübergangsgeld verlassen (Ernst 1996: 205). Diese starke Nutzung des Altersübergangsgeldes und damit einhergehend die geringe Nutzung anderer Ausgliederungsprogramme (z.B. reguläre Frühverrentung) stärkt die Annahme, dass sich ältere Ostdeutsche in der unmittelbaren Übergangszeit kaum voneinander unterschieden im Zeitpunkt des Erwerbsaustritts, da der Großteil den Arbeitsmarkt über diesen einen Verrentungspfad verließ. Anders soll sich die Situation für jüngere Kohorten darstellen. Ich erwarte, dass sich zwischen Angehörigen der ostdeutschen Geburtskohorte 1938 bis 1940 deutliche Unterschiede beim Zeitpunkt des Erwerbsaustritts zeigen. Das Problem der Überbeschäftigung war größtenteils bewältigt, bevor die Geburtskohorte 1938 bis 1940 in die späte Erwerbsphase eintrat (Brinkmann und Wiedemann 1995: 325, siehe Kapitel 3.3.1). Bei der Externalisierung älterer Arbeitnehmer in dieser Kohorte ging es deshalb nicht mehr um die Lösung eines generellen Ar-
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beitsmarktproblems, sondern um die Bewältigung wirtschaftlicher Probleme in bestimmten Segmenten des Arbeitsmarktes, die unter Flexibilisierungs- und Rationalisierungsdruck standen (z.B. große Industriebetriebe). Dementsprechend sollen sich die Erwerbsausstiegsmuster in Ostdeutschland denen in Westdeutschland angeglichen haben. Eine detaillierte Darstellung der diesbezüglichen Hypothesen findet sich im Kapitel 3.2.3 dieser Arbeit.
Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen beim Übergang in Altersarbeitslosigkeit: Ostdeutsche Frauen als Verliererinnen Ein weiterer Aspekt der Analysen für Ostdeutschland ist der Vergleich von Erwerbschancen älterer Männer und Frauen. Die Aussagen zum Vergleich zwischen Männern und Frauen beziehen sich lediglich auf den Übergang in Altersarbeitslosigkeit, da je nach Geschlecht unterschiedliche gesetzliche Regelaltersgrenzen für den Rentenbezug gelten. Frauen können ab dem Alter 60 eine Rente beziehen, während die gesetzliche Altersgrenze für Männer bei 65 liegt. Aufgrund dieser unterschiedlichen Altersdefinitionen des Rentensystems ist der Erwerbsausstieg von Männern und Frauen, der auch Übergänge in die Rente einbezieht, nicht vergleichbar. Es ist hinlänglich bekannt, dass Frauen eine der leidtragenden Arbeitsmarktgruppen des Zusammenbruchs der DDR waren und sind. Ihre Erwerbsbeteiligung ist stark zurückgegangen und sie waren in besonderem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen (vgl. z.B. Rosenfeld, Trappe und Gornick 2004; Beckmann und Bender 1993: 224; Berger 1995; Hahn und Schön 1996). Bisher größtenteils unbeachtet ist, wie ostdeutsche Frauen in der späten Erwerbskarriere von der Wiedervereinigung getroffen wurden. Als Ergebnis meiner Auswertungen erwarte ich, dass ostdeutsche Frauen nach der Wiedervereinigung ein höheres Risiko von Altersarbeitslosigkeit haben als Männer. Nichtsdestotrotz wird der Vergleich zwischen Männern und Frauen interessant sein. Denn auf der anderen Seite könnten ostdeutsche Frauen – besonders jüngerer Geburtskohorten – davon profitiert haben, dass aufgrund von Arbeitsmarktsegregation ihr Anteil in Berufen, die unter Rationalisierungsdruck stehen, geringer ist als der von Männern. Beispielsweise war und ist der Anteil (älterer) ostdeutscher Männer in einfachen manuellen Industrieberufen höher als der von Frauen (vgl. z.B. Geißler 2002: 124). Diese Berufe sollen aber nach der Wiedervereinigung und der damit einhergehenden Modernisierung der veralteten DDR-Produktionen verschwunden sein.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
3.3.4 Daten und Methoden Um den Erwerbsausstieg von Männern und Frauen in Ostdeutschland und dessen Entwicklung zu untersuchen, werden Daten aus dem Sozio-Ökonomischen Panel genutzt. Ostdeutsche Haushalte fließen bereits seit Juni 1990 in das SozioÖkonomischen Panel ein (Haisken-DeNew und Frick 2002). Auch wenn die erste ostdeutsche Erhebung des Sozio-Ökonomischen Panels damit kurz vor der Wiedervereinigung im Oktober stattfand, nutze ich bereits die Informationen aus dieser ersten Erhebungswelle. Hintergrund für diese Entscheidung ist, dass der Vorläufer des Altersübergangsgesetzes, die Vorruhestandsgeldverordnung, bereits im Frühjahr 1990 in Kraft trat. Wie für Westdeutschland stützen sich auch die ostdeutschen Untersuchungen auf Daten bis inklusive 2002 aus dem SozioÖkonomischen Panel. Anders als für die westdeutschen Analysen beschränkt sich die Untersuchung von Erwerbsausstiegsprozessen in Ostdeutschland nicht nur auf ältere männliche Erwerbstätige. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Ostdeutschland war insgesamt hoch und kurz vor der Wende auch im höheren Alter vergleichbar mit der Erwerbsbeteiligung von Männern. In Westdeutschland lag und liegt die Erwerbsbeteiligung von älteren Frauen dagegen deutlich unter der von Männern (Kohli 1994: 97). Frauen werden aufgrund ihrer hohen Präsenz am Arbeitsmarkt auch im vorangeschrittenen Alter deshalb für Ostdeutschland in die Analysen einbezogen. Um Erwerbsausstiegsprozesse in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung zu untersuchen, wurde der späte Erwerbsverlauf für ostdeutsche Männer und Frauen rekonstruiert, die zwischen 1935 und 1940 geboren wurden. Wie für die westdeutsche Untersuchung von Erwerbsausstiegsprozessen beginnt die Beobachtung von älteren Erwerbstätigen im Alter von 55 Jahren.49 Damit besteht die Ausgangspopulation für meine Analysen aus 334 Personen. Davon sind 178 Männer und 156 Frauen. Die einzelnen Personen werden beobachtet, bis sie die Erwerbstätigkeit (erstmals) verlassen, also im nächsten Schritt nicht mehr erwerbstätig sind. Für das Beobachtungsfenster (d.h. die Erwerbstätigkeit ab Erreichen des Alters 55) wurden zeitveränderliche Kovariablen modelliert. Erlebt eine Person also eine berufliche Veränderung wie beispielsweise einen Wechsel in eine größere Firma, wird die Information für Firmengröße aktualisiert. 49
Das Studiendesign entspricht also dem Studiendesign für die westdeutschen Analysen. Es wurde trotz der Reglungen der Altersübergangsregelungen nicht früher mit der Beobachtung der ostdeutschen Personen begonnen (z.B. im Alter von 54 Jahren), um eine möglichst hohe Vergleichbarkeit der west- und ostdeutschen Studie zu gewährleisten. Vertretbar erscheint dies auch dadurch, dass Tests mit dem Datensatz ergeben haben, dass nur wenige (Personen-) Ausfälle zu verzeichnen sind, wenn auch für Ostdeutschland die Beobachtung erst im Alter von 55 Jahren begonnen wird.
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
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Tabelle 14: Kovariablen für die Untersuchung von Erwerbsausstiegsprozessen und Übergängen in Altersarbeitslosigkeit in Ostdeutschland Alter
Für Geburtskohorte 1935 bis 1937: 55 bis 56 Jahre 57 bis 59 Jahre 60 Jahre und älter Für Geburtskohorte 1938 bis 1940: 55 bis 57 Jahre 58 bis 59 Jahre 60 bis 62 Jahre 63 Jahre und älter (für Erwerbsausstiegsprozesse) bzw. 60 Jahre und älter (für Übergänge in Altersarbeitslosigkeit)
Periode
1990 bis 1993 versus 1994 bis 2002
Geschlecht
Ostdeutsche Frauen versus ostdeutsche Männer
Berufsposition
Basierend auf der Klassifikation von Erikson und Goldthorpe (1992): Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse Obere Dienstklasse Selbstständige
Wirtschaftszweig
Modifikation der Klassifikation von Singelmann (1978): Extraktiver Sektor (Landwirtschaft, Bergbau) Transformativer Sektor (Fertigungsindustrie, Bau) Privater Dienstleistungssektor (z.B. Transport, Handel, Banken, Versicherungen, personenbezogene Dienstleistungen) Sozialer Dienstleistungssektor (staatliche Verwaltung, Bildung etc.)
Firmengröße
Basierend auf der Anzahl der Mitarbeiter: Weniger als 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter
Es wird nur der erste Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Alters 55 untersucht. Für den Großteil der Ostdeutschen ist der erste Erwerbsausstieg auch der letzte Erwerbsausstieg. Jedoch kehren rund sechs Prozent der älteren Ostdeutschen nach einem Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit wieder in die Erwerbstätigkeit zurück. Dieser Anteil ist damit doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Dies kann vor allem darauf zurückgeführt werden, dass in Ostdeutschland der Übergang in die Rente deutlich seltener direkt stattfindet,
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
sondern ältere Ostdeutsche zuvor eine Phase von Arbeitslosigkeit erleben, bevor sie dann indirekt den Zugang zur Rente finden (siehe Kapitel 3.3.5 dieser Arbeit). Viele ältere Ostdeutsche sind also noch im Arbeitsmarkt, auch wenn sie nicht mehr erwerbstätig sind. Zwar sind die Chancen für eine Wiedereingliederung für ältere Arbeitslose generell gering (Koller und Plath 2000: 115) – ein gewisser Anteil kann die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit aber realisieren. Für sechs Prozent der in den Analysen dargestellten ostdeutschen Personen ist der erste Ausstieg also kein permanenter Ausstieg. Dementsprechend sind die vorgestellten Analysen zwar keine vollständige Untersuchung, aber doch eine für die große Mehrheit geltende Darstellung von direkten und indirekten Verrentungsprozessen in Ostdeutschland. Die sehr geringe Fall- und Ereigniszahl erlaubt keine weitergehende, dynamische Analyse der Wiedereinstiege älterer Ostdeutscher. Einfache deskriptive Untersuchungen zeigten, dass die Zahl der Wiedereinsteiger in jüngeren Geburtsjahrgängen etwas höher ist als in den älteren Geburtsjahrgängen. Unterschiede zwischen Männern und Frauen zeigten sich nicht. Es werden – wie schon für Westdeutschland – zwei Übergänge analysiert: Im ersten Schritt wird die Dauer bis zum Ausstieg aus dem Erwerbsleben nach Erreichen des Alters 55 untersucht. Dies können Übergänge in die Rente, aber auch Übergänge in Arbeitslosigkeit sein. Im zweiten Schritt werden dann nur noch die Erwerbsausstiege betrachtet, die einen Übergang in Altersarbeitslosigkeit darstellen. Für meine Analysen nutze ich logistische Regressionsmodelle und Überlebensfunktionen (Rohwer und Pötter 2002; Yamaguchi 1991). Als erklärende Variablen50 fließen folgende Kovariablen in die Modelle ein: (1) das Alter51, (2) die historische Periode, (3) die berufliche Position, (4) der Wirtschaftszweig, (5) die Firmengröße und (6) das Geschlecht. Eine Übersicht der erklärenden Variablen und ihrer Messung findet sich in der Tabelle 14. 3.3.5 Ergebnisse der empirischen Analysen Die Entwicklung von Alterserwerbstätigkeit und Altersarbeitslosigkeit in Ostdeutschland nach der Wende Wie die Ergebnisse in Tabelle 15 zeigen, schieden ältere Ostdeutsche unmittelbar nach der Wende – zwischen 1990 und 1993 – besonders früh aus dem Er50 51
Für eine nähere Ausführung siehe auch Kapitel 3.2.4. Es wurden für die Kohorten 1935 bis 1937 und die Geburtskohorte 1938 bis 1940 unterschiedliche Alterskategorien genutzt, da durch die Altersübergangsregelungen Altergrenzen für die ältere Kohorte institutionell anders definiert waren. Damit ist der Verlauf des Erwerbsausstiegs der Kohorte 1935 bis 1937 (siehe Abbildung 24) deutlich anders als der Verlauf in Westdeutschland und der Verlauf nachfolgender ostdeutscher Kohorten.
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werbsleben aus und waren besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen. In der nachfolgenden Zeit stabilisierte sich die Arbeitsmarktsituation für Ältere in Ostdeutschland – wenngleich, wie spätere Analysen zeigen werden, auf sehr geringem Niveau. Die Erklärung für dieses Ergebnis liegt auf der Hand: Unmittelbar nach der Wende, bis Ende 1992, wurden in Ostdeutschland mit dem Altersübergangsgeld die Regelungen der deutschen Arbeitslosenversicherung als Rentenzugangspfad ausgeweitet. Diese Regelungen ermöglichten älteren Menschen einen sehr frühen Rückzug aus dem Erwerbsleben, nämlich bereits ab Alter 55. Ostdeutsche Frauen schieden früher aus dem Erwerbsleben aus als Männer. Dies ist nur zum Teil mit dem niedrigeren gesetzlichen Rentenalter von Frauen zu erklären. Ein weiterer wichtiger Grund, warum ostdeutsche Frauen das Erwerbsleben eher verlassen als Männer, ist ihr höheres Arbeitslosigkeitsrisiko. Die Analysen zeigen, dass ostdeutsche Frauen bedeutend stärker von Altersarbeitslosigkeit betroffen sind als ostdeutsche Männer. Eine detaillierte Untersuchung zur Entwicklung von Ungleichheiten zwischen älteren ostdeutschen Männern und Frauen erfolgt in den nachfolgenden Analysen, in denen das Risiko von Altersarbeitslosigkeit getrennt für die beiden untersuchten Geburtskohorten dargestellt ist. Tabelle 15: Erwerbsausstieg und Übergang in Altersarbeitslosigkeit von ostdeutschen Männern und Frauen seit der Wiedervereinigung Geburtskohorten 1935 bis 1940 Erwerbsausstiege Konstante
-1,45**
Altersarbeitslosigkeit -2,03*
Periode 1990 bis 1993 1994 bis 2002 (Ref.)
0,96** -
1,55** -
Geschlecht Mann (Ref.) Frau
0,51**
0,50**
Ereignisse
295
240
Personen gesamt Personen zensiert
334 39
334 94
81,29
123,42
-2*diff (logL)
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
146
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Zuletzt ist festzuhalten, dass die meisten Ausstiege aus dem Erwerbsleben in Ostdeutschland Übergänge in Altersarbeitslosigkeit sind: 240 von 295 Erwerbsausstiegsereignissen sind Arbeitslosigkeitsereignisse. Im Folgenden werden die Analysen für Ostdeutschland aufgrund der sehr unterschiedlichen rentenrechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach Geburtskohorten getrennt. Im ersten Schritt werden Angehörige der Geburtskohorte 1935 bis 1937 betrachtet. Für Männer und Frauen dieser Kohorte griffen die Regelungen des Altersübergangsgeldes und ihre späte Erwerbskarriere war unmittelbar vom Zusammenbruch der DDR gezeichnet. Im zweiten Schritt wird die Geburtskohorte 1938 bis 1940 untersucht. Frauen und Männer dieser Kohorte erlebten ihren späten Erwerbsverlauf nach Auslaufen der Altersübergangsregelung Ende 1992.
Erwerbsausstiege und Altersarbeitslosigkeit im Osten Deutschlands unmittelbar nach der Wende Der Erwerbsausstieg ostdeutscher Männer und Frauen der Geburtskohorte 1935 bis 1937 wurde massiv durch die Regelungen des Altersübergangsgeldes struktuAbbildung 24: Dauer bis zum Erwerbsausstieg von ostdeutschen Männern und Frauen unmittelbar nach der Wiedervereinigung, Geburtskohorte 1935 bis 1937 (Überlebensfunktionen) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 55
56
57
58
59
60
Alter M änner
Frauen
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
61
62
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
147
riert. Wie die Abbildung 24 zeigt, schied der Großteil der ostdeutschen Erwerbstätigen dieser Kohorte vor beziehungsweise bis zum Alter 57 aus dem Erwerbsleben aus. Im Alter von 57 waren nur noch rund 33 Prozent der Männer und 17 Prozent der Frauen dieser Geburtskohorte erwerbstätig. Damit verließ der Großteil der ostdeutschen Erwerbstätigen der Geburtskohorte 1935 bis 1937 den Arbeitsmarkt über das Altersübergangsgeld und deutlich vor Erreichen eines Alters, ab dem Übergänge in die Rente oder Ausstiege aus dem Erwerbsleben in Westdeutschland üblich waren. Es zeigt sich darüber hinaus ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen. Im Alter von 56 beträgt die Differenz zwischen Männern und Frauen ungefähr 25 Prozentpunkte. Während in diesem Alter noch rund 60 Prozent der ostdeutschen Männer der Kohorte 1935 bis 1937 erwerbstätig waren, waren es lediglich 35 Prozent der Frauen derselben Kohorte. Bis zum Alter 57 nimmt der Unterschied zwischen Männern und Frauen zwar ab, liegt aber weiterhin bei ungefähr 16 Prozentpunkten. Insgesamt waren somit ältere ostdeutsche Frauen unmittelbar nach der Wende stärker von Arbeitslosigkeit betroffen – sie verließen in deutlich stärkerem Maße das Erwerbsleben über die Altersübergangsregelung. Im nächsten Schritt wird zusätzlich der Einfluss von Berufsposition, Branche und Firmengröße auf den Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs und den Übergang in Altersarbeitslosigkeit für ostdeutsche Frauen und Männern der Kohorte 1935 bis 1937 getestet (siehe Tabellen 16 und 17). Zuerst zeigt sich auch in diesen Analysen wieder, dass das Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit und der Übergang in Altersarbeitslosigkeit für ostdeutsche Frauen und Männer der Geburtskohorte 1935 bis 1937 besonders im Alter zwischen 55 und 56 Jahren und damit über die Altersübergangsregelung stattfand. In den nachfolgenden Altersgruppen ist die Wahrscheinlichkeit für einen Übergang signifikant niedriger. Zudem bestätigen auch diese weiterführenden Analysen, dass Frauen signifikant früher aus dem Erwerbsleben ausschieden und ein höheres Risiko für Arbeitslosigkeit im Alter hatten als Männer. Wie zu erkennen ist, hatten andere Merkmale in dieser Kohorte keinen oder nur einen sehr schwachen Einfluss auf den Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs und auf das Risiko von Altersarbeitslosigkeit. Die Größe des Betriebes beschleunigte das Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit und erhöhte das Risiko für Übergänge in die Arbeitslosigkeit überhaupt nicht. Erwerbstätige in Unternehmen mit 20 bis 200 Mitarbeitern unterscheiden sich nicht von Erwerbstätigen in Betrieben anderer Größe. Auch der Sektor hatte kaum einen Einfluss darauf, wann eine Person aus dem Erwerbsleben ausschied oder ob sie arbeitslos wurde. Für Erwerbsausstiege zeigen sich gar keine signifikanten Unterschiede zwischen den Sektoren. Für Übergänge in Altersarbeitslosigkeit findet sich zwar eine leichte Tendenz, dass Erwerbstätige im extraktiven Sektor eher arbeitslos wurden als Erwerbstäti-
148
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
ge im sozialen Dienstleistungssektor. Der Effekt für den extraktiven Sektor bewegt sich jedoch nur auf schwachem Signifikanzniveau. Im Vergleich zu Beschäftigten der unteren Dienstklasse schieden Facharbeiter sowie un- und angelernte Arbeiter der ostdeutschen Geburtskohorte 1935 bis Tabelle 16: Erwerbstausstieg von ostdeutschen Männern und Frauen unmittelbar nach der Wiedervereinigung Geburtskohorte 1935 bis 1937 1
2
3
4
Konstante
-0,28+
-0,67*
-0,68*
-0,65*
Alter 55 bis 56 (Ref.) 57 bis 59 60 und älter
-1,31** -1,00**
-1,14** -0,70*
-1,11** -0,69*
-1,07** -0,64+
0,72**
0,72**
0,76**
0,77**
Geschlecht Mann (Ref.) Frau Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse (Ref.) Obere Dienstklasse Selbstständig Fehlende Information
0,65* 0,69+ 0,27 0,40 0,30 -0,73 -0,61
Wirtschaftszweig Extraktiver Sektor Transformativer Sektor Privater Dienstleistungssektor Sozialer Dienstleistungssektor (Ref.) Fehlende Information
0,63+ 0,77+ 0,48 0,45 0,35 -0,56 0,21
0,61+ 0,76+ 0,44 0,45 0,30 -0,52 0,81
0,58 -0,09 -0,16 -1,62+
0,56 -0,08 -0,12 -1,32
Firmengröße Bis 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter (Ref.) 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter
Ereignisse Personen gesamt Personen zensiert -2*diff (logL)
-0,14 0,05 -0,18 167
167
167
167
182 15 70,69
182 15 82,42
182 15 90,76
182 15 92,31
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
149
1937 früher aus dem Erwerbsleben aus und hatten ein höheres Altersarbeitslosigkeitsrisiko. Ältere Selbstständige wurden dagegen seltener arbeitslos als Angehörige der unteren Dienstklasse – der Effekt zeigt sich jedoch nur auf geringem Signifikanzniveau im Modell 2 der Tabelle 17 und verschwindet in den Tabelle 17: Übergang in Altersarbeitslosigkeit von ostdeutschen Männern und Frauen unmittelbar nach der Wiedervereinigung Geburtskohorte 1935 bis 1937 1
2
3
4
Konstante
-0,26+
-0,77*
-0,86*
-0,80*
Alter 55 bis 56 (Ref.) 57 bis 59 60 und älter
-1,38** -4,12**
-1,18** -3,83**
-1,13** -3,83**
-1,08** -3,78**
0,67**
0,67*
0,76**
0,77**
Geschlecht Mann (Ref.) Frau Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse (Ref.) Obere Dienstklasse Selbstständig Fehlende Information
0,82* 0,81+ 0,44 0,58 0,54 -1,97+ -0,32
Wirtschaftszweig Extraktiver Sektor Transformativer Sektor Privater Dienstleistungssektor Sozialer Dienstleistungssektor (Ref.) Fehlende Information
0,73+ 0,86+ 0,66 0,60 0,57 -1,75 0,42
0,70+ 0,85+ 0,62 0,61 0,52 -1,70 0,96
0,83+ 0,04 -0,14 -1,50+
0,81+ 0,05 -0,09 -1,21
Firmengröße Bis 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter (Ref.) 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter
-0,16 0,03 -0,27
Ereignisse
150
150
150
150
Personen gesamt Personen zensiert
182 32
182 32
182 32
182 32
114,44
133,37
143,14
144,92
-2*diff (logL)
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
150
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
nachfolgenden Modellen ganz. Weitere Analysen, in denen die Referenzkategorie gewechselt wurde, zeigten, dass sich die anderen Berufsklassen nicht signifikant von der Gruppe der Facharbeiter und der Gruppe der un- und angelernten unterscheiden. Damit finden sich auch für die berufliche Position in dieser Geburtskohorte kaum Effekte – der Großteil der einzelnen Klassen unterschied sich nicht im Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs und im Arbeitslosigkeitsrisiko. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Großteil der zwischen 1935 und 1937 geborenen Ostdeutschen schied spätestens bis zum Alter 57 aus der Erwerbstätigkeit aus und wurde unmittelbar nach der Wende arbeitslos. Der Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt wurde deshalb von einer überwältigenden Mehrheit der Angehörigen dieser Geburtskohorte über die Altersübergangsregelung realisiert. Über diese Regelung begegnete man bis Ende 1992 dem hohen Arbeitslosigkeitsrisiko unter älteren Ostdeutschen nach dem Zusammenbruch der DDR, indem ihnen ein reibungsloser und sozial gut abgesicherter Übergang in die Rente ab 55 Jahren ermöglicht wurde. Für Frauen war das Risiko, nach der Wende arbeitslos zu werden, signifikant höher als für Männer. Andere Faktoren wie Branche, Berufsklasse oder Firmengröße hatten in der Kohorte 1935 bis 1937 keinen oder nur einen sehr schwachen Einfluss auf den Erwerbsaustritt und den Übergang in Altersarbeitslosigkeit. Dass Arbeitsplatzmerkmale fast keine Rolle für das Tempo des Erwerbsausstiegs in der Kohorte 1935 bis 1937 spielten, ist darauf zurückzuführen, dass sich der Großteil der Erwerbstätigen dieser Kohorte nicht unterschied im Zeitpunkt des Ausscheidens. Denn fast alle älteren Männer und Frauen verließen unmittelbar nach der Wende den Arbeitsmarkt über den Bezug des Altersübergangsgeldes.
Erwerbsausstiege und Altersarbeitslosigkeit in Ostdeutschland nach 1992 Im nächsten Schritt werden Erwerbsausstiegsprozesse und Übergänge in die Altersarbeitslosigkeit nach Auslaufen der Altersübergangsregelung Ende 1992 untersucht. Diese Analysen beziehen sich auf die späte Erwerbskarriere von Männern und Frauen der Geburtskohorte 1938 bis 1940. Im Vergleich zur Geburtskohorte 1935 bis 1937 schieden zwischen 1938 und 1940 geborene Frauen und Männer wie erwartet später aus dem Erwerbsleben aus (siehe Abbildung 25 im Vergleich zur Abbildung 24). Dennoch kann kaum von einer Angleichung ostdeutscher Erwerbsausstiegsprozesse an Westdeutschland gesprochen werden. Die Analysen für männliche Erwerbstätige im Westen der Republik haben gezeigt, dass Ausstiege aus dem Erwerbsleben größtenteils erst ab Erreichen des Alters 57 stattfanden (vgl. Kapitel 3.2.5, Abbildung 22 sowie Tabellen 11 und 13) – dem Alter, ab dem eine finanziell gut und lü-
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
151
ckenlos gesicherter Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt über die Arbeitslosenversicherung möglich war. Diese älteren Arbeitslosen konnten wie ausgeführt erst für 32 Monate Arbeitslosengeld beziehen und dann zum frühestmöglichen Zeitpunkt – im Alter von 60 Jahren – über einen speziell für ältere Langzeitarbeitslose geschaffenen Pfad in Rente gehen. Unmittelbar nach der Wende war in Ostdeutschland für ältere Arbeitslose durch die Alterübergangsregelung bereits ab Alter 55 ein Ausstieg aus dem Erwerbsleben möglich. Das Altersübergangsgeld konnte im Gegensatz zum Arbeitslosengeld für maximal fünf Jahre statt für nur 32 Monate bezogen werden. Die Sonderregelungen des Altersübergangsgeldes liefen jedoch Ende 1992 aus und griffen damit nicht mehr für die hier untersuchte Geburtskohorte 1938 bis 1940. Für Angehörige dieser Kohorte war der institutionalisierte und finanziell lückenlose Rentenzugang über die Arbeitslosenversicherung wie in Westdeutschland erst nach Erreichen des Alters 57 möglich. An den Ergebnissen in Abbildung 25 zeigt sich jedoch, dass bis zum Alter 57 bereits über ein Drittel der älteren Ostdeutschen der Geburtskohorte 1938 bis 1940 nicht mehr erwerbstätig war. Es liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesen sehr frühen Übergängen in Erwerbslosigkeit um Übergänge in Arbeitslosigkeit handelt. Damit hätte Altersarbeitslosigkeit in Ostdeutschland eine andere Bedeutung als in WestAbbildung 25: Dauer bis zum Erwerbsausstieg von ostdeutschen Männern und Frauen nach Auslaufen der Altersübergangsregelung Ende 1992, Geburtskohorte 1938 bis 1940 (Überlebensfunktionen) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 55
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60
Alter Männer
Frauen
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels.
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
Abbildung 26: Finanzielle Absicherung bei Altersarbeitslosigkeit und Altersvoraussetzung für den Übergang in die Rente nach Arbeitslosigkeit 55
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Einritt in die Altersarbeitslosigkeit nach Erreichen des Alters 57 (57,4-Regelung)
Erwerbstätigkeit
Arbeitslosengeld (bis zu 32 Monate)
Altersrente nach Altersarbeitslosigkeit
Einritt in die Altersarbeitslosigkeit vor Erreichen des Alters 57
Erwerbstätigkeit
Arbeitslosengeld (bis zu 32 Monate)
Arbeitslosenhilfe
Altersrente nach Altersarbeitslosigkeit
Quelle: Eigene Darstellung.
deutschland. Altersarbeitslosigkeit ist in diesem Fall nicht nur als eine finanziell gut gesicherte Brücke zur Rente und erweiterte Frühverrentung zu bewerten, sondern darüber hinaus auch als Arbeitsmarktrisiko, da ein nennenswerter Teil der Ausstiege vor Erreichen des Alters 57 stattfindet. Eine lückenlose und finanziell gute Absicherung ist in diesem Fall nämlich nicht gegeben. Nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes nach 32 Monaten fallen diese älteren Arbeitslosen in die Arbeitslosenhilfe, bis sie im Alter von 60 Jahren den Übergang in die Rente nach einer längeren Periode von Altersarbeitslosigkeit vollziehen können (siehe Abbildung 26). In Westdeutschland war dagegen dieser unsichere Ausstieg aus dem Erwerbsleben nur ein vergleichsweise marginales Phänomen (siehe Abbildung 22 sowie Tabellen 11 und 13). Darüber hinaus zeigt sich anhand der in Abbildung 25 dargstellten Ergebnisse, dass der Erwerbsausstiegsprozess von Frauen und Männern der Geburtskohorte 1938 bis 1940 insgesamt sehr ähnlich ist und keine größeren Unterschiede aufweist. Erst ab dem Alter 60 gehen die Kurvenverläufe für Männer und Frauen auseinander und Frauen zeigen eine stärkere Tendenz für einen Erwerbsausstieg. Dies kann auf die niedrigere Regelaltersgrenze für den Rentenbezug von 60 Jahren bei Frauen zurückgeführt werden. Erwerbsausstiegsprozesse von Männern und Frauen in Ostdeutschland haben sich damit aneinander angeglichen. In der ostdeutschen Geburtskohorte 1935 bis 1937 zeigten sich dagegen starke Geschlechterunterschiede. Frauen hatten unmittelbar nach der Wende ein deutlich höheres Risiko von Arbeitslosigkeit und einen verfrühten Erwerbsausstieg bereits vor Erreichen ihrer Regelaltersgrenze (siehe oben). Die Tabellen 18 und 19 (weiter unten) zeigen die Ergebnisse detaillierter Analysen des Erwerbsausstiegs und des Übergangs in Altersarbeitslosigkeit für
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
153
die Kohorte 1938 bis 1940. Zuerst ist auch hier wieder auffällig, dass für die meisten ostdeutschen Erwerbstätigen der Arbeitsmarktausstieg über Arbeitslosigkeit stattfindet (von 128 Erwerbsausstiegsereignissen sind 90 Arbeitslosigkeitsereignisse). Jedoch muss gleichzeitig gesagt werden, dass der Anteil der Rentenzugänge über die Arbeitslosenversicherung rückläufig zu sein scheint: Für die Kohorte 1935 bis 1937 waren rund 90 Prozent der Erwerbsaustrittsereignisse Übergänge in die Altersarbeitslosigkeit, während der Anteil in der Kohorte 1938 bis 1940 bei 70 Prozent liegt. Nichtsdestotrotz ist der Anteil auch in dieser jüngeren Kohorte noch immer sehr hoch. Grundsätzlich lässt sich anhand der weiterführenden Analysen festhalten, dass in dieser jüngeren Kohorte das Tempo des Erwerbsausstiegs und das Risiko für Altersarbeitslosigkeit dadurch bestimmt wurde, in welchem Beruf, Betrieb oder Sektor eine Person arbeitete. Diese Faktoren hatten dagegen keinen oder nur einen sehr geringen Einfluss auf den Erwerbsaustritt und den Übergang in Altersarbeitslosigkeit in der älteren Kohorte 1935 bis 1937 (siehe oben). Die Wahrscheinlichkeit für einen frühen Erwerbsausstieg und für Übergänge in Altersarbeitslosigkeit ist in größeren Betrieben höher. Im Vergleich zu Beschäftigten in Unternehmen mit 20 bis 200 Mitarbeitern wurden Beschäftigte in Firmen ab 200 Mitarbeitern früher erwerbslos und eher arbeitslos. Damit haben sich die Ergebnisse für Betriebsgröße in der ostdeutschen Kohorte 1938 bis 1940 den Ergebnissen für Westdeutschland angeglichen. Auch für westdeutsche Männer zeigte sich, dass sich ab einer Firmengröße von 200 Mitarbeitern die Wahrscheinlichkeit für einen frühen Erwerbsausstieg und Altersarbeitslosigkeit erhöhte. Erklärt wurde dieses Ergebnis damit, dass besonders größere deutsche Betriebe in den vergangenen Jahren wachsende Flexibilitätsanforderungen sowie ökonomischen Druck bewältigen und deshalb ihre Organisation von der Massenproduktion auf flexiblere Produktionsweisen umstellen mussten (siehe Kapitel 3.2.3). Auch der Sektor hat in der ostdeutschen Geburtskohorte 1938 bis 1940 einen Einfluss darauf, wann ältere Erwerbstätige aus dem Erwerbsleben ausschieden und ob sie arbeitslos wurden. Im Vergleich zu Erwerbstätigen im sozialen Dienstleistungssektor verließen Erwerbstätige im extraktiven, transformativen und privaten Dienstleistungssektor das Erwerbsleben früher und wurden eher arbeitslos. Damit wurde vor allem in der ostdeutschen Privatwirtschaft, die auch nach dem unmittelbaren Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft noch unter ökonomischen (Anpassungs-) Druck stand, von Frühverrentung Gebrauch gemacht. Der Einfluss des Sektors auf den Erwerbsausstieg von Ostdeutschen hat sich somit dem westdeutschen Muster angeglichen. Auch hier zeigte sich, dass männliche Erwerbstätige im sozialen Dienstleistungssektor, der in Deutschland relativ identisch mit dem öffentlichen Dienst ist, am längsten im Arbeitsmarkt
154
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
blieben und ein deutlich geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko hatten als Erwerbstätige in der Privatwirtschaft (siehe Kapitel 3.2.5). Das Muster, das sich in den Analysen für die ostdeutsche Geburtskohorte 1938 bis 1940 zeigt, weicht jedoch leicht von den empirischen Befunden für westdeutsche Männer ab. In Westdeutschland zeigte sich eine signifikante Differenzierung innerhalb der Privatwirtschaft. Westdeutsche Erwerbstätige im transformativen Sektor waren stärker von Altersarbeitslosigkeit und von einem frühen Erwerbsausstieg betroffen als Erwerbstätige im privaten Dienstleistungssektor (siehe Kapitel 3.2.5). Eine solche Differenzierung innerhalb der Privatwirtschaft zeigt sich nicht für die ostdeutsche Geburtskohorte 1938 bis 1940. Der private Dienstleistungssektor, der transformative Sektor und der extraktive Sektor unterscheiden sich hier nicht signifikant voneinander.52 Ostdeutsche Arbeiterinnen und Arbeiter der Geburtskohorte 1938 bis 1940 schieden im Vergleich zur unteren Dienstklasse früher aus dem Erwerbsleben aus und hatten ein höheres Risiko, im Alter arbeitslos zu werden. Es zeigen sich signifikante Effekte für Angehörige der Berufsgruppen leitende Arbeiter und Techniker, Facharbeiter sowie vor allem für un- und angelernte Arbeiter. Die anderen Berufsgruppen unterscheiden sich nicht signifikant voneinander und bilden eine relativ homogene Gruppe. Die Produktionsweise in Ostdeutschland war relativ veraltet – der Anteil manueller und ungelernter Positionen war damit noch zu Beginn der 1990er Jahre vergleichsweise hoch. Nach der Wiedervereinigung gab es damit einen starken Bedarf an Modernisierung sowie Rationalisierung von Produktion und Betrieben. Die Ergebnisse deuten daraufhin, dass die Modernisierung der Produktionsstrukturen in Ostdeutschland zumindest teilweise über den Ausschluss älterer un- und gering qualifizierter Menschen vom Erwerbsleben realisiert wurde. Die Ergebnisse für die berufliche Position in der ostdeutschen Geburtskohorte 1938 bis 1940 unterscheiden sich damit von den Ergebnissen für Westdeutschland. Für westdeutsche Männer zeigte sich, dass vor allem sehr hoch qualifizierte Erwerbstätige eine Sonderstellung einnahmen. Im Vergleich zu Personen in anderen Berufsgruppen verblieben sie relativ lange im Arbeitsmarkt und wurden selten arbeitslos. Mittlere Berufsgruppen unterschieden sich kaum von gering qualifizierten älteren Erwerbstätigen in Bezug auf die Geschwindigkeit eines Ausscheidens aus dem Erwerbsleben und in Bezug auf das Risiko von Altersarbeitslosigkeit (siehe Kapitel 3.2.5). In Ostdeutschland zeigt sich ein anderes Muster. Hier nehmen insbesondere sehr gering qualifizierte Erwerbstätige (un- und angelernte Arbeiter) eine exponierte Stellung ein – wie oben erläutert wurden sie eher arbeitslos und schieden 52
Dies wurde in zusätzlichen Analysen bestätigt, in denen die Referenzkategorie gewechselt wurde.
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
155
früher aus dem Erwerbsleben aus. In Westdeutschland unterschieden sich Geringqualifizierte nicht signifikant von den meisten anderen Berufsgruppen. Dieser Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland lässt sich damit erklären, Tabelle 18: Erwerbsausstieg von ostdeutschen Männern und Frauen nach Auslaufen der Altersübergangsregelung Ende 1992 Geburtskohorte 1938 bis 1940 1
2
3
4
Konstante
-1,43**
-2,32**
-2,80**
-3,23**
Alter 55 bis 57 (Ref.) 58 bis 59 60 bis 62 63 und älter
-0,29 0,48+ -0,27
-0,09 0,72* 0,18
-0,03 0,83** 0,12
0,05 0,89** 0,32
0,88**
0,93**
0,91**
1,19** 1,62** 1,54+ 0,32 0,39 -0,79 0,45
0,97* 1,13** 1,09 0,24 0,21 -1,17 0,32
1,08** 1,07* 1,55 0,22 0,12 -1,09 0,43
1,01* 1,01** 0,73* -
0,93+ 1,15** 0,77* -
Geschlecht Mann (Ref.) Frau
0,41*
Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse (Ref.) Obere Dienstklasse Selbstständig Fehlende Information Wirtschaftszweig Extraktiver Sektor Transformativer Sektor Privater Dienstleistungssektor Sozialer Dienstleistungssektor (Ref.) Firmengröße Bis 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter (Ref.) 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter Fehlende Information
0,40 0,55+ 1,25** 1,26
Ereignisse
128
128
128
128
Personen gesamt Personen zensiert
152 24
152 24
152 24
152 24
15,05
43,21
64,35
75,26
-2*diff (logL)
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
156
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
dass die Produktionsweise in der DDR recht veraltet war. Rationalisierungsbedarf und -potenzial bei gering qualifizierten Positionen waren damit deutlich höher als in Westdeutschland zur selben Zeit. Tabelle 19: Übergang in Altersarbeitslosigkeit von ostdeutschen Männern und Frauen nach Auslaufen der Altersübergangsregelung Ende 1992 Geburtskohorte 1938 bis 1940 1
2
3
4
Konstante
-1,56**
-2,41**
-2,94**
-3,43**
Alter 55 bis 57 (Ref.) 58 bis 59 60 und älter
-0,25 -1,19**
-0,09 -0,98*
0,01 -0,92*
0,12 -0,85+
0,71*
0,73*
0,67*
1,30** 1,32** 1,91* 0,19 0,30 -0,27 -0,36
1,02* 0,89+ 1,22 0,10 0,13 -0,78 -0,45
1,16** 0,85+ 1,71+ 0,09 0,01 -0,63 -0,30
Geschlecht Mann (Ref.) Frau
0,19
Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter Leitende Arbeiter und Techniker Nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse (Ref.) Obere Dienstklasse Selbstständig Fehlende Information Wirtschaftszweig Extraktiver Sektor Transformativer Sektor Privater Dienstleistungssektor Sozialer Dienstleistungssektor (Ref.)
1,34** 0,94* 0,91** -
Firmengröße Bis 20 Mitarbeiter 20 bis 200 Mitarbeiter (Ref.) 200 bis 2.000 Mitarbeiter 2.000 und mehr Mitarbeiter Fehlende Information
Ereignisse Personen gesamt Personen zensiert -2*diff (logL)
1,27* 1,08** 0,96** 0,38 0,65* 1,49** 1,73
90
90
90
90
152 62
152 62
152 62
152 62
12,94
33,80
50,21
62,88
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Logistische Regressionsmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
157
Ein erster Vergleich zwischen ostdeutschen Männern und Frauen der Geburtskohorte 1938 bis 1940 ergab keinen signifikanten Unterschied (Abbildung 25). Erst mit Erreichen des Rentenalters von Frauen – also im Alter 60 – gingen die beiden Kurvenverläufe auseinander und Frauen zeigten eine stärkere Tendenz, die Erwerbstätigkeit zu verlassen. Dieses Ergebnis legte die Vermutung nahe, dass Frauen dieser Kohorte kein höheres Risiko für Altersarbeitslosigkeit hatten als Männer, während sich noch in der älteren ostdeutschen Kohorte deutliche Geschlechterunterschiede zeigten (siehe oben). Die weiterführenden Analysen für den Übergang in Altersarbeitslosigkeit (Tabelle 19) sind jedoch aufschlussreich für den Vergleich zwischen Männern und Frauen: Wird neben dem Alter nur das Geschlecht in das Modell einbezogen (Modell 1, Tabelle 19), zeigt sich zwischen Männern und Frauen kein signifikanter Unterschied für den Übergang in Altersarbeitslosigkeit. Damit wird das Ergebnis aus den Überlebensfunktionen – dargestellt in Abbildung 25 – bestätigt. Wird jedoch zusätzlich für Berufsgruppen im Modell kontrolliert, zeigt sich, dass Frauen der ostdeutschen Kohorte 1938 bis 1940 ein höheres Risiko als Männer haben, im Alter arbeitslos zu werden. Wie kann dieses Ergebnis erklärt werden? Der Anteil von Männern und Frauen in den einzelnen Berufsgruppen ist sehr unterschiedlich. Frauen arbeiten vor allem in nicht-manuellen Berufen (fast 40 Prozent der ostdeutschen Frauen der Geburtskohorte 1938 bis 1940), während Männer deutlich stärker in den manuellen Berufen (un- und angelernte Arbeiter, Facharbeiter sowie leitende Arbeiter und Techniker) vertreten sind. Wie die Ergebnisse für die Berufsklassifikation zeigen, ist in den Berufen, in denen Männer stark vertreten sind, das Risiko für Altersarbeitslosigkeit sehr hoch, während es in nicht-manuellen Berufen (also Berufen, in den Frauen stärker vertreten sind) geringer ist. Dass sich also kein Unterschied zwischen der Gesamtheit der Männer und Frauen in dieser Kohorte zeigt, ist darauf zurückzuführen, dass mehr Frauen als Männer in Berufen arbeiten, die ein geringeres Risiko für Altersarbeitslosigkeit haben. Vergleicht man allerdings Männer und Frauen einer Berufsgruppe miteinander, so haben Frauen ein höheres Risiko für Altersarbeitslosigkeit. Das heißt: Frauen wurden, wenn sie in derselben beruflichen Position wie Männer arbeiteten, eher entlassen und arbeitslos. Somit sind auch in der Geburtskohorte 1938 bis 1940 ostdeutsche Frauen gegenüber Männern benachteiligt. Sie hatten ein höheres Risiko, im Alter arbeitslos zu werden. Jedoch hat sich das Muster der Benachteiligung im Vergleich zur Kohorte 1935 bis 1937 verändert. In der Geburtskohorte 1935 bis 1937 hatten Frauen generell ein höheres Risiko für Altersarbeitslosigkeit. Dieser generelle Unterschied zwischen Männern und Frauen zeigt sich in der Geburtskohorte 1938 bis 1940 nicht mehr. Frauen dieser Kohorte waren in ihrer Gesamtheit nicht mehr gegenüber Männern benachteiligt, weil sie häufiger in Berufen arbeiteten,
158
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
die ein geringeres Risiko für Altersarbeitslosigkeit aufweisen. Vergleicht man jedoch eine Frau und einen Mann derselben Berufsgruppe miteinander, waren Frauen auch in dieser Kohorte weiter benachteiligt. Sie hatten ein höheres Risiko als Männer, ihr Erwerbsleben in Arbeitslosigkeit zu beenden. Auch an den in Tabelle 19 dargestellten Ergebnissen wird noch einmal die bereits aus der Abbildung 25 gezogene Schlussfolgerung unterstützt. Anders als in Westdeutschland unterscheiden sich Ostdeutsche in den Altersgruppen 55 bis 57 und 58 bis 59 nicht signifikant im Risiko für Altersarbeitslosigkeit. Deshalb ist Altersarbeitslosigkeit in Ostdeutschland keine lückenlose und gut finanzierte Zugangsmöglichkeit zur Altersrente (Stichwort: 57,4-Regelung). Übergänge in Altersarbeitslosigkeit finden in Ostdeutschland auch nach Auslaufen der Altersübergangsregelung weiterhin in jüngeren Altern statt. Problematisch ist diese Situation insofern, als dass diese Älteren nach Beendigung der 32-monatigen Zahlung des Arbeitslosengeldes nicht die altersmäßige Voraussetzung von 60 Jahren für den Übergang in die Altersrente nach Altersarbeitslosigkeit erfüllen (siehe Abbildung 26). Sie müssen damit den Abstieg in die Arbeitslosenhilfe in Kauf nehmen, bevor sie den Übergang zur Rente realisieren können.
3.3.6 Zwischenfazit Ziel war es, zu untersuchen, wie sich die Situation älterer Ostdeutscher am Arbeitsmarkt seit der Wiedervereinigung entwickelt hat. Es hat sich gezeigt, dass ältere Menschen in Ostdeutschland eine starke Flexibilisierung ihrer Erwerbssituation erlebt haben – und zwar innerhalb nur weniger Monate. Bis zur Wende lagen Alterserwerbsquoten und das durchschnittliche Rentenalter in Ostdeutschland deutlich über dem westdeutschen Niveau; unmittelbar nach der Wende fielen Alterserwerbsquoten sowie das Rentenalter im Osten der Republik deutlich unter das westdeutsche Niveau. In den ersten beiden Jahren nach der Wiedervereinigung wurde die massive und sehr frühe Ausgliederung Älterer aus dem Arbeitsmarkt über die Altersübergangsregelung realisiert. Seit dem Auslaufen der Altersübergangsregelung bleiben ältere Ostdeutsche zwar wieder länger im Erwerbsleben, jedoch verlassen auch sie weiterhin deutlich früher als Westdeutsche das Erwerbsleben.53 53
Siehe Abbildung 25 im Vergleich zu Abbildung 22. Es wurden zudem zusätzliche Analysen, die hier nicht abgebildet sind, für den Übergang in Altersarbeitslosigkeit und den Austritt aus dem Erwerbsleben berechnet, in denen Ostdeutsche und Westdeutsche der Geburtskohorte 1938 bis 1940 direkt miteinander verglichen wurden. Alle Analysen ergaben hoch signifikante und starke, positive Effekte für ostdeutsche Erwerbstätige im Vergleich zu westdeutschen Erwerbstätigen.
Erwerbsausstiege in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung
159
Die überwältigende Mehrheit der untersuchten Ostdeutschen beendet auch nach Auslaufen der Altersübergangsregelung das Erwerbsleben in Arbeitslosigkeit und erlebt damit den Übergang in die Rente indirekt nach einer Phase von Altersarbeitslosigkeit. Zwar hat in Westdeutschland Altersarbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren auch deutlich an Bedeutung gewonnen (siehe Kapitel 3.2.5), jedoch ist sie in Westdeutschland kein Massenphänomen wie in Ostdeutschland. Ein weiterer wichtiger Unterschied lässt sich in Bezug auf Altersarbeitslosigkeit zwischen Ost und West feststellen: Während Altersarbeitslosigkeit in Westdeutschland eine Form der vorgezogenen Frühverrentung ist, die finanziell lückenlos und gut gesichert ist, stellt sie für einen beachtlichen Teil älterer Ostdeutscher jüngerer Geburtsjahrgänge auch ein Arbeitsmarktrisiko dar. Für sie findet der Übergang in Arbeitslosigkeit vor Erreichen des Alters 57 statt und ist damit finanziell nicht lückenlos und gut abgesichert, bis sie ab Alter 60 Rente beziehen können. Es lassen sich nach der Wiedervereinigung zwei Phasen in puncto Frühverrentung voneinander unterscheiden: Unmittelbar nach der Wiedervereinigung traf der Ausschluss vom Erwerbsleben alle älteren Ostdeutschen – Wirtschaftszweig, Betriebsgröße und Berufsklasse hatten fast keinen Einfluss auf den Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs und auf das Risiko von Altersarbeitslosigkeit. Der Großteil der älteren Ostdeutschen verließ den Arbeitsmarkt zeitgleich – und zwar über die Altersübergangsregelung. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass in der ersten Phase nach der Wiedervereinigung Ältere generell ausgeschlossen wurden, um der für sozialistische Länder typischen Überbeschäftigung zu begegnen. In der zweiten Phase unterschieden sich ältere Erwerbstätige in verschiedenen Branchen, Firmen und Berufen hingegen voneinander im Zeitpunkt des Erwerbsaustritts und im Arbeitslosigkeitsrisiko. Besonders in großen Firmen, im Industriesektor und in Berufsgruppen, die stärker von Reorganisationen und Rationalisierungen betroffen sind, verließen ältere Ostdeutsche frühzeitig den Arbeitsmarkt und hatten ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko. Damit haben sich die Erwerbsausstiegsmuster in Ostdeutschland denen in Westdeutschland angeglichen. Nachdem in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung über die Externalisierung Älterer einem generellen Arbeitsmarktproblem begegnet wurde, zeigt sich später, dass die Ausgliederung Älterer selektiv in unter Druck stehenden Arbeitsmarktsegmenten betrieben wird. Ostdeutsche Frauen wurden auch in der späten Erwerbskarriere stärker vom Zusammenbruch der DDR getroffen als Männer. Sie haben ein höheres Risiko, ihr Erwerbsleben in Arbeitslosigkeit zu beenden. Jedoch hat sich das Muster der Benachteiligung verändert. Waren Frauen in der älteren Kohorte noch generell benachteiligt, so konnten sie in der jüngeren Kohorte aufholen und davon profitieren, dass sie stärker in Arbeitsmarktsegmenten vertreten sind, die weniger
160
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
unter wirtschaftlichem Druck stehen. Trotzdem sind sie noch immer gegenüber älteren Männern benachteiligt.
3.4 Exkurs: Chancen einer erfolgreichen Umkehr des Frühverrentungstrends Der Rückgang der Alterserwerbstätigkeit ist kein rein deutsches Phänomen. In allen westlichen Gesellschaften hat in den vergangenen Jahrzehnten die Erwerbsbeteiligung Älterer abgenommen (siehe Tabelle 20; vgl. z.B. Jacobs und Kohli 1990; Kohli 1994; Gruber und Wise 1998; Ebbinghaus 2002; Hofäcker und Pollnerová 2006). Eine rückläufige Erwerbsbeteiligung Älterer zeichnete sich in vielen westlichen Industrienationen bereits in den 1960er Jahren ab, jedoch kann für diesen Zeitraum kaum von einem starken Frühverrentungstrend gesprochen werden. Die Abnahme bei den Erwerbstätigenquoten war nur sehr moderat (Hofäcker und Pollnerová 2006: 28). Eine drastische Beschleunigung und Zunahme von Frühverrentung zeigte sich erst nach der ersten Ölkrise und der darauf folgenden angespannten Lage von Wirtschaft und Arbeitsmärkten in westlichen Gesellschaften (Hofäcker, Buchholz und Blossfeld 2006: 357). Jedoch ist das Ausmaß des Rückgangs in der Alterserwerbstätigkeit sehr unterschiedlich in den verschiedenen Industrienationen. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen ein besonders ausgeprägter Rückgang zu verzeichnen ist und in denen heutige Alterserwerbstätigenquoten unterdurchschnittlich sind (siehe unten). Dies hatte nachhaltige Auswirkungen auf das deutsche Rentensystem, das sich heute mit grundlegenden Finanzierungsproblemen konfrontiert sieht. Der Gesetzgeber versucht deshalb seit einigen Jahren, den Trend zu Frühverrentung in Deutschland umzukehren. Im Folgenden soll in einem kurzen Exkurs beurteilt werden, wie erfolgreich diese Versuche des deutschen Gesetzgebers sein können. Dazu wird zuerst erläutert, warum Frühverrentung in Deutschland im Vergleich zu anderen modernen Industrieländern so ausgeprägt war und ist. Anschließend werden derzeitige Reformbemühungen des Gesetzgebers sowie eine Beurteilung ihres möglichen Erfolges in näherer Zukunft dargestellt. Die Entwicklung von Alterserwerbstätigkeit im internationalen Vergleich In Deutschland sowie in anderen Staaten Mittel- und Südeuropas54 ist die Erwerbsbeteiligung55 Älterer zwischen 1970 und 2000 besonders stark und rasant 54
Italien stellt hier eine Ausnahme dar. Hier ist die Erwerbstätigenquote 60- bis 64-jähriger Männer zwischen 1970 und 2000 nur um rund 18 Prozentpunkte gefallen. Der Hintergrund dafür ist, dass
Exkurs: Chancen einer erfolgreichen Umkehr des Frühverrentungstrends
161
Tabelle 20: Die Entwicklung der Erwerbsquote und Erwerbstätigenquote von 60- bis 64-jährigen Männern im internationalen Vergleich, 1970 bis 2000 Erwerbsquote
Erwerbstätigenquote
1970
2000
2000-1970
1970
2000
2000-1970
USA Großbritannien Durchschnittlicher Rückgang
75,0% 81,2%
55,0% 50,3%
-26,7% -38,1% -32,4%
73,1% 75,6%
53,5% 47,3%
-26,8% -37,4% -32,1%
Dänemark Norwegen Schweden Durchschnittlicher Rückgang
83,3% 91,5% 79,5%
39,3% 60,6% 56,8%
-52,8% -33,8% -28,6% -38,4%
78,4% 78,0%
37,8% 59,6% 51,8%
-24,0% -33,6% -28,8%
Deutschland Niederlande Durchschnittlicher Rückgang
71,9% 66,9%
30,2% 27,9%
-58,0% -58,3% -58,2%
70,1% 72,3%
27,7% 27,1%
-60,5% -62,5% -61,5%
Spanien Italien Durchschnittlicher Rückgang
75,2% 48,2%
43,3% 31,4%
-42,4% -34,9% -38,7%
76,4% 47,8%
40,0% 30,0%
-47,6% -37,2% -42,4%
Tschechische Republik Estland Ungarn Durchschnittlicher Rückgang
46,3% 59,9% 75,0%
24,5% 48,7% 11,9%
-47,1% -18,7% -84,1% -50,0%
46,3% 59,9% 75,0%
23,5% 43,4% 11,6%
-49,2% -27,7% -84,5% -53,8%
Quelle: Hofäcker und Pollnerová (2006): 30, eigene Überarbeitung und Ergänzung eigener Berechnungen. Anmerkungen: Der durchschnittliche Rückgang in der Erwerbstätigenquote bezieht sich für die skandinavischen Länder lediglich auf Schweden und Norwegen. Dänemark wird wegen der fehlenden Erwerbstätigenquote für 1970 aus der Berechnung ausgeschlossen. Die Erwerbstätigenquote kann in Einzelfällen über der Erwerbsquote liegen (z.B. Niederlande und Spanien im Jahr 1970), da die beiden Quoten teilweise aus verschiedenen Datenquellen stammen.
55
die Erwerbsbeteiligung von 60- bis 64-jährigen italienischen Männern aufgrund des relativ niedrigen gesetzlichen Rentenalters von 60 Jahren für männliche Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft bereits 1970 mit weniger als 50 Prozent vergleichsweise gering war (Beckstette, Lucchini und Schizzerotto 2006: 106). Betrachtet man jüngere Altersgruppen männlicher Erwerbstätiger (d.h. die 55- bis 59-Jährigen), so zeigt sich auch in Italien ein starker Rückgang in der Alterserwerbstätigkeit seit den 1970er Jahren (Hofäcker und Pollnerová 2006: 29, 31; Ebbinghaus 2002: 122). Im Folgenden wird nur noch auf die Erwerbstätigenquote Bezug genommen, um Arbeitslose aus der Betrachtung auszuschließen.
162
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
gesunken (siehe Tabelle 20). Gingen im Jahr 1970 noch 70 Prozent und mehr der 60- bis 64-jährigen Männer einer Erwerbstätigkeit nach, so waren es im Jahr 2000 nur noch 40 bis 27 Prozent. Damit hat sich die Erwerbstätigenquote älterer Männer um rund 45 bis 36 Prozentpunkte verringert, was einem Rückgang von bis zu 60 Prozent entspricht. Anders sieht die Entwicklung in liberalen Ländern wie den USA und Großbritannien sowie in skandinavischen Ländern aus. Hier ist die Erwerbsbeteiligung älterer Männer zwar seit den 1970er Jahren auch gesunken, jedoch ist das Ausmaß des Rückgangs deutlich geringer verglichen mit der Entwicklung in Mittel- und Südeuropa. Die Ausgangssituation in den USA, Großbritannien und Skandinavien glich zwar der Situation in Mittel- und Südeuropa (rund drei Viertel der 60- bis 64-jährigen Männer gingen im Jahr 1970 einer Erwerbstätigkeit nach), jedoch ist in diesen Ländern die Erwerbstätigenquote in den vergangenen dreißig Jahren nur um 19 bis 28 Prozentpunkte gesunken und die Hälfte der Männer ist in dieser Altersgruppe auch heute noch erwerbstätig. Der Rückgang beläuft sich damit lediglich auf ungefähr ein Drittel.56 Die Entwicklung in postsozialistischen Ländern ist nicht einheitlich. Ihnen ist lediglich gemeinsam, dass vor der politischen Wende die Erwerbstätigenquoten relativ stabil waren (Hofäcker und Pollnerová 2006: 31). Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ist in osteuropäischen Ländern die Alterserwerbstätigkeit unterschiedlich stark zurückgegangen. Estland bildet hier das eine Extrem mit einem Rückgang von lediglich 28 Prozent in der Erwerbstätigenquote bei 60bis 64-jährigen Männern; Ungarn ist das andere Extrem mit einem Rückgang von über 80 Prozent.57 Es muss jedoch ergänzt werden, dass dieser äußerst ausgeprägte Rückgang in der Alterserwerbstätigkeit in Ungarn die tatsächliche Lage überzeichnet. Es wird davon ausgegangen, dass viele ältere Ungaren auch heute noch erwerbstätig sind. Der sehr starke Rückgang der Erwerbstätigenquote bei 60- bis 64-jährigen Männern muss zumindest teilweise darauf zurückgeführt werden, dass sie zwar aus dem regulären Erwerbsleben ausschieden, aber weiter56
57
Eine Ausnahme stellt unter den skandinavischen Ländern Dänemark dar, wo die Erwerbtätigenquote bei 60- bis 64-jährigen Männern im Jahr 2000 mit unter 40 Prozent vergleichsweise gering war. Diese relativ geringe Erwerbstätigenquote in Dänemark hat den Hintergrund, dass dort in den vergangenen Jahrzehnten sehr generöse Verrentungsprogramme eingeführt wurden, die starke Anreize für ein Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt gaben (Hofäcker und LethSørensen 2006: 262ff.; Hofäcker, Buchholz und Blossfeld 2006: 360). Die dargestellten Erwerbsquoten und Erwerbstätigenquoten für 60- bis 64-jährige Männer sind in Estland und in der Tschechischen Republik vergleichsweise gering, da in beiden Ländern die Regelaltersgrenze für den Rentenbezug mit 60 Jahren sehr niedrig war. Aber auch bei der Betrachtung jüngerer Altersgruppen zeigt sich, dass in Tschechien und vor allem in Estland der Rückgang bei der Erwerbsbeteiligung weniger stark war als in Ungarn (Hamplová und Pollnerová 2006; Täht und Saar 2006; Bukodi und Róbert 2006).
Exkurs: Chancen einer erfolgreichen Umkehr des Frühverrentungstrends
163
hin – nämlich in der Schattenwirtschaft – erwerbstätig waren (Kohli 1994: 90; Hofäcker und Pollnerová 2006: 31). Die vorangegangenen Darstellungen bezogen sich auf Männer. Für Frauen lässt sich in OECD-Ländern eine vergleichbare Entwicklung feststellen. Frauen jüngerer Kohorten verlassen das Erwerbsleben früher als Frauen älterer Kohorten (Kohli 1994: 83; Ebbinghaus 2002: 123f.)58, gleichzeitig zeigen sich aber auch hier starke Länderunterschiede.
Erklärung für die ausgeprägte Frühverrentung Älterer in Deutschland in Zeiten technologisch-organisatorischen Wandels und zunehmenden Wettbewerbsdrucks Wie oben dargestellt, war die Erwerbsbeteiligung Älterer in westlichen Gesellschaften bis in die 1970er Jahre ähnlich hoch. Wie lässt sich aber erklären, dass sich die Erwerbsbeteiligung Älterer in den verschiedenen Ländern seither so unterschiedlich entwickelt hat? Warum wurden ältere Menschen in manchen Ländern, unter anderem in der Bundesrepublik Deutschland, in jüngerer Vergangenheit und in Zeiten grundlegenden wirtschaftlichen Strukturwandels stärker aus dem Arbeitsmarkt gedrängt als in anderen Ländern? Um diese starken Variationen zwischen Ländern und die besonders ausgeprägte Frühverrentung Älterer in Deutschland zu erklären, bedarf es einer umfassenden Betrachtung länderspezifischer, institutioneller Rahmenbedingungen, die über eine reine Darstellung unterschiedlicher Rentensysteme hinausgeht (vgl. Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006; Ebbinghaus 2002: 61). Nationale Institutionenpakete fungieren als Filter. Sie strukturieren, wie ältere Erwerbstätige an technologisch-organisatorischen Wandel in der Arbeitswelt sowie zunehmenden internationalen Wettbewerbsdruck angepasst werden (können), und fördern – je nach Konstellation – die Ausgliederung Älterer in manchen Länder stärker als in anderen (Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006). Historisch gewachsene, nationale Rahmenbedingungen beeinflussen und bedingen deshalb individuelle Mobilitätschancen, -beschränkungen und -zwänge (vgl. z.B. Mayer 2004; Mills und Blossfeld 2005). Zum einen haben selbstverständlich die nationalen Pensionssysteme, die den Ausstieg aus dem Erwerbsleben fördern oder hindern, einen starken Einfluss auf die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen. Es existieren sehr unterschiedliche 58
Für die Beurteilung der Entwicklung von Frühverrentung bei Frauen wird auf Kohortenvergleiche verwiesen. Die Betrachtung von Erwerbstätigenquoten kann aufgrund der Zunahme der Erwerbsbeteiligung von (älteren) Frauen in manchen Ländern keinen Aufschluss darüber geben, ob Frauen seit den 1970er Jahren immer früher, also in immer jüngeren Altern, aus dem Erwerbsleben ausscheiden (z.B. Kohli 1994: 83).
164
Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
staatliche Pensionssysteme in westlichen Gesellschaften. Ihr Ausbau – das heißt, inwiefern sie Frühverrentungsmöglichkeiten59 anbieten und wie großzügig und hoch die Renten sind – unterstützt entweder den Rückzug Älterer aus dem Erwerbsleben oder wirkt dem entgegen. Die zentrale Frage ist also: Bietet der Staat Arbeitgebern in Form von generösen Frühverrentungsprogrammen die Möglichkeit, sich vorzeitig von ihren älteren Mitarbeitern zu trennen? Und ist das Rentenniveau hoch genug, um älteren Menschen den dauerhaften Ausschluss aus dem Erwerbsleben zu ermöglichen – können sie also auf ein aus Erwerbstätigkeit erzieltes Einkommen verzichten? Die gesetzlichen Rentensysteme in mittel- und südeuropäische Ländern bieten beispielsweise sehr hohe Lohnersatzraten und Frühverrentungsprogramme, die nur in geringem Maße mit Abschlägen in der Rentenhöhe verbunden sind (vgl. Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006: 9; Buchholz 2006: 59; Henkens und Kalmijn 2006: 81; Bernardi und Garrido 2006: 123ff.; Beckstette, Lucchini und Schizzerotto 2006: 106f.). Somit ermutigen die Regelungen der Rentensysteme in diesen Ländern zu Frühverrentung. Dagegen bieten liberale Länder (z.B. die USA, Großbritannien und Kanada) sowohl niedrige gesetzliche Renten als auch nur geringe Anreize für Frühverrentung (vgl. z.B. Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006: 9f.; Blöndal und Scarpetta 1998: 15ff.; Gruber und Wise 1998: 15ff., 2004: 7ff.). Hier werden also stärkere Anreize für einen Verbleib auf dem Arbeitsmarkt durch den Bedarf eines aus Erwerbstätigkeit erzielten Einkommens gesetzt. Eine reine Betrachtung der nationalen Pensionssysteme würde aber zu kurz greifen, um zu erklären, warum Ältere in manchen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten stärker aus dem Arbeitsmarkt gedrängt wurden als in anderen (Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006). Neben Pensionssystemen, die je nach Ausgestaltung den Erwerbsausstieg Älterer unterstützen oder nicht unterstützen, existieren Institutionen, die einen starken Einfluss darauf haben, ob Ältere ihre Erwerbstätigkeit in Zeiten grundlegenden Strukturwandels überhaupt fortsetzen können. Hierunter fallen die Offenheit beziehungsweise Geschlossenheit von Berufsstrukturen, die Art der Regelung der industriellen Beziehungen sowie die Existenz von Beschäftigungsförderungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen. Ein Problem, das seit den späten 1970er beziehungsweise frühen 1980er Jahren spezifisch ist für ältere Arbeitnehmer, ist die Diskrepanz zwischen ihren Qualifikationen und den Qualifikationen, die auf dem Arbeitsmarkt in Zeiten 59
Hierunter fallen nicht nur reguläre Frühverrentungsprogramme sondern auch andere Wohlfahrtsstaatsprogramme, die zur Frühverrentung genutzt werden. Beispielsweise stellt in Deutschland die Arbeitslosenversicherung eine wichtige Form der Frühverrentung dar (vgl. Kapitel 3.2.1) – in den Niederlanden wurden wohlfahrtsstaatliche Programme für Invalide in den vergangenen drei Jahrzehnten immer mehr zur Frühverrentung älterer Menschen genutzt (Henkens und Kalmijn 2006: 82).
Exkurs: Chancen einer erfolgreichen Umkehr des Frühverrentungstrends
165
zunehmender Technologisierung und Automatisierung in der Arbeitswelt nachgefragt werden (Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006: 4ff.; vgl. auch Kapitel 3.2.2). Inwiefern ältere Arbeitnehmer aber die Möglichkeit haben, ihr eigenes Qualifikationsprofil an neue Marktanforderungen anzupassen, hängt maßgeblich von nationalen Berufsstrukturen ab. In Ländern mit ausgeprägter Standardisierung und Stratifizierung des Bildungssystems sowie einer schwachen Infrastruktur zum „lebenslangen Lernen“ (wie z.B. in der Bundesrepublik Deutschland) werden systematisch Arbeitsmarktgrenzen entlang von Berufen produziert. Diese verhindern, dass Erwerbstätige aus ihren angestammten Berufslaufbahnen ausbrechen und sich an veränderte Qualifikationsanforderungen anpassen können (Shavit und Müller 1998: 6f.; Blossfeld und Stockmann 1999: 13). Anpassungen an technologischen und strukturellen Wandel werden in diesen Ländern entsprechend stärker über die „Ausmusterung“ älterer Arbeitnehmer und das Nachwachsen junger Arbeitskräfte mit aktuellen Qualifikationen betrieben als über die Re-Qualifizierung der vorhandenen, auch älteren Erwerbspersonen (vgl. Blossfeld und Stockmann 1999; DiPrete et al. 1997; Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006: 5ff., 10f.). Weiterhin beeinflusst die Art, wie industrielle Beziehungen in einem Land geregelt sind, inwiefern Marktrisiken von Arbeitgebern auf Arbeitnehmer verlagert beziehungsweise an sie weitergegeben werden (Soskice 1999). Ein hoher Kündigungsschutz schützt (ältere) Erwerbstätige vor den Auswirkungen zunehmenden wirtschaftlichen Wettbewerbs – sie werden vor der Verlagerung von Marktrisiken geschützt. In manchen Ländern – beispielsweise auch in Deutschland – erhöht sich der Kündigungsschutz sogar mit dem Alter. Ältere sind damit also in besonderem Maße vor einer Flexibilisierung geschützt. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass in den Ländern, in denen der Arbeitsmarkt vergleichsweise stark reguliert ist, besonders ausgeprägte Frühverrentungsprogramme existieren. Frühverrentung stellt in diesen Ländern somit eine der wenigen Möglichkeiten für Unternehmen dar, überhaupt Arbeitskräfte abzubauen (Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006: 11f.). Zuletzt spielen staatliche Bemühungen zur Wiedereingliederung der aus dem Erwerbsleben herausgefallenen Personen eine zentrale Rolle für das Ausmaß an Alterserwerbstätigkeit. In manchen Ländern fokussiert der Wohlfahrtsstaat weniger auf aktivierende Arbeitsmarktmaßnahmen für Erwerbslose sondern vielmehr auf ihre finanzielle Unterstützung (z.B. durch hohe und lang andauernde Leistungen bei Arbeitslosigkeit oder auch Frühverrentungsprogramme). In Deutschland ist beispielsweise ein stark transferorientierter Wohlfahrtsstaat zu finden, der Erwerbsunsicherheiten abfedert, indem aus dem Erwerbsleben herausgefallene Personen finanziell unterstützt werden, statt ihre Wiedereingliederung zu forcieren (Esping-Andersen 1999).
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
In welchem Ausmaß der rapide technologisch-organisatorische Wandel in der Arbeitswelt sowie der zunehmende internationale Wettbewerbsdruck seit den 1970er Jahren zu einem Rückgang in der Alterserwerbstätigkeit und zu zunehmender Frühverrentung geführt haben, ist also ein Ergebnis des Zusammenspiels verschiedener nationaler Institutionen. Buchholz, Hofäcker und Blossfeld (2006) arbeiten heraus, dass sich in westlichen Gesellschaften in den vergangenen Jahren zwei idealtypische Strategien herausgebildet haben, um sich an beschleunigten wirtschaftlichen Strukturwandel anzupassen: Zum einen können Gesellschaften den Rückzug älterer Menschen vom Arbeitsmarkt vorantreiben, um den nationalen Arbeitmarkt zu entlasten und technologischen Wandel zu realisieren. Vor allem mittel- und südeuropäische Länder haben mit umfassenden Frühverrentungsprogrammen diesen Weg eingeschlagen, um ihre relativ rigiden Arbeitsmärkte zu entlasten und technologischen Fortschritt zu ermöglichen (vgl. Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006: 13ff.; Buchholz 2006; Henkens und Kalmijn 2006; Bernardi und Garrido 2006; Beckstette, Lucchini und Schizzerotto 2006). Zum anderen kann die Anpassung an neue Rahmenbedingungen statt über den Ausschluss Älterer vom Arbeitsmarkt über eine Mobilisierung älterer Erwerbstätiger innerhalb des Arbeitsmarktes betrieben werden. Dabei kann der Verbleib Älterer entweder wie in liberalen Ländern (d.h. den USA und Großbritannien) über die Re-Allokationsmechanismen eines flexiblen Arbeitsmarktes oder wie in skandinavischen Staaten über eine aktive Arbeitsmarktpolitik realisiert werden (vgl. Buchholz, Hofäcker und Blossfeld 2006: 13ff.) In einer international vergleichenden Längsschnittstudie zur Entwicklung der späten Erwerbskarriere seit den 1970er Jahren (Blossfeld, Buchholz und Hofäcker 2006) wurde herausgearbeitet, dass sich in westlichen Industrieländern in der jüngeren Vergangenheit unterschiedliche Mobilitätsmuster älterer Erwerbstätiger herausgebildet haben. In Mittel- und Südeuropa wurde der Erwerbsaustritt, also die Lebensarbeitszeit, äußerst stark flexibilisiert, de-standardisiert und verkürzt, während sich keine Flexibilisierung älterer Menschen innerhalb des Arbeitsmarktes in Form erhöhter Arbeitsplatz- und Erwerbsmobilität zeigt.60 Dagegen unter60
Für (West-) Deutschland zeigte sich beispielsweise, dass sich verschiedene männliche Geburtskohorten nicht beziehungsweise kaum voneinander unterscheiden in puncto Arbeitsplatzmobilität und Erwerbsunterbrechungen in der späten Erwerbskarriere (Buchholz 2006: 65f.). Der überwältigende Teil älterer Erwerbstätiger bleibt nach Erreichen des Alters 55 im selben Beschäftigungsverhältnis. Wenn ein Arbeitsplatzwechsel erfolgt, dann handelt es sich meist um Senioritätsmobilität (d.h. firmeninterne Aufstiege). Ein Erwerbsausstieg (sei es in Arbeitslosigkeit oder Rente) ist in der Regel dauerhaft. Das heißt: Wenn Ältere in Deutschland aus dem Erwerbsleben ausscheiden, dann kehren sie in der Regel nicht mehr zurück. Der Anteil derer, die nach einem Erwerbsausstieg im vorangeschrittenen Alter wieder in das Erwerbsleben eintritt, beläuft sich in Deutschland auf weniger als drei Prozent. Dagegen hat das Ausmaß an Frühverrentung, insbesondere in Form von Altersarbeitslosigkeit, im Kohortenvergleich stark zugenommen (siehe oben).
Exkurs: Chancen einer erfolgreichen Umkehr des Frühverrentungstrends
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scheiden sich in liberalen und skandinavischen Ländern ältere Erwerbstätige weniger stark im Zeitpunkt des Erwerbsaustritts – Erwerbsausstiegsprozesse wurden hier weniger stark de-standardisiert. In liberalen Ländern kommt hinzu, dass ältere Erwerbstätige jüngerer Kohorten eine Destabilisierung ihrer späten Erwerbskarriere erlebt haben. Sie zeigen erhöhte Arbeitsplatz- und Erwerbsmobilität. In post-sozialistischen Ländern zeigte sich keine einheitliche Entwicklung. Während sich in Estland aufgrund der liberalen Politik nach Zusammenbruch des Ostblocks späte Erwerbsmuster eher den Mustern in den USA und Großbritannien annäherten (Täht und Saar 2006), beschritten Tschechien und Ungarn mit durchgreifender Frühverrentung eher den Weg mittel- und südeuropäischer Länder (Hofäcker, Buchholz und Blossfeld 2006: 4ff.). Der besonders ausgeprägte Rückgang der Alterserwerbstätigkeit in Deutschland ist also vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass ältere Arbeitnehmer hierzulande eine arbeitsmarkt- und personalpolitische Manövriermasse in einem relativ regulierten Marktsystem darstellen und dass Anpassungen an strukturelle Veränderungen aufgrund einer vergleichsweise rigiden Berufsstruktur nur sehr begrenzt innerhalb des Arbeitsmarktes zu realisieren sind (DiPrete et al. 1997; Blossfeld und Stockmann 1999). Deutschland zeichnet sich auch heute noch durch eine vergleichsweise hohe Regulierung des Arbeitsmarktes aus. Bisher gab es nur wenige Deregulierungen am deutschen Arbeitsmarkt, so dass Unternehmen bis heute nur begrenzte Möglichkeiten haben, sich in Zeiten zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit Flexibilität zu verschaffen (wie z.B. durch den Abbau der Belegschaft bei Auftragsschwankungen). Die systematische Verkürzung des Erwerbslebens Älterer durch den Ausbau generöser Frühverrentungsprogramme und der starke Rückgang der Alterserwerbstätigkeit in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten stellt vor diesem Hintergrund eine Strategie von Arbeitsmarktakteuren dar, Flexibilität in einem regulierten Marktsystem wie Deutschland einzuführen und steigende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ohne gleichzeitig den grundsätzlichen Charakter des Systems anzugreifen. Darüber hinaus hemmt eine relativ geschlossene Berufsstruktur sowie eine geringe Förderung lebenslangen Lernens in Deutschland eine Anpassung (älterer) Arbeitnehmer an beschleunigten strukturellen Wandel (DiPrete et al. 1997; siehe auch Kapitel 3.2.2 dieser Arbeit).
Die Zukunft der Alterssicherung und der Versuch der Umkehrung des Frühverrentungstrends in der Bundesrepublik Deutschland Seit Jahren ist das deutsche Alterssicherungssystem mit Finanzierungsproblemen konfrontiert. Der Rentenversicherungsbeitrag ist seit den 1970er Jahren stetig
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
angestiegen und Prognosen sehen noch kein Ende der Steigerung (Bäcker et al. 2000: 308). Es gibt verschiedene Ursachen, warum das Gleichgewicht des umlagefinanzierten Alterssicherungssystems gestört wurde. Gemeinsam ist allen Ursachen, dass sie zu einer Veränderung des Verhältnisses von Rentnern zu Beitragszahlern führen: Zum einen wird die gesetzliche Rentenversicherung durch den demografischen Wandel unter Druck gesetzt. Niedrige Geburtenraten und die Zunahme der Lebenserwartungen durch medizinischen Fortschritt und verbesserte Lebensbedingungen führen zu einer „Alterung“ der Gesellschaft. Die Zahl älterer Menschen nimmt zu, während auf der anderen Seite die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter und damit der Beitragszahler für das Rentensystem abnimmt (Bäcker et al 2000: 311; Naegele 1992: 412). Es wird erwartet, dass sich diese Verschiebung der Bevölkerungszusammensetzung vor allem ab 2015 in einer deutlichen Steigerung der Beitragsätze niederschlagen wird (Bäcker et al. 2000: 311). Basierend auf Vorausberechnungen wird davon ausgegangen, dass sich der Altenquotient in Deutschland von 36,6 im Jahr 1995 auf 70,9 im Jahr 2030 erhöhen und damit fast verdoppeln wird (Statistisches Bundesamt 2003: 31).61 Hinzu kommen in Deutschland die anhaltende und zunehmende Arbeitslosigkeit, die die Zahl der Einzahlenden zusätzlich reduziert, sowie die mit der Wiedervereinigung zusätzlich zu versorgenden Rentner in Ostdeutschland (Bäcker et al. 2000: 307ff.). Mit der Verschiebung der Alterszusammensetzung sind die Alterssicherungssysteme vieler Länder konfrontiert. In Deutschland wird diese Problematik jedoch zusätzlich dadurch verschärft, dass der Trend zur Frühverrentung – verglichen mit dem Rückgang bei der Alterserwerbstätigkeit in anderen Ländern – seit den 1970er Jahren besonders ausgeprägt war (siehe oben). Die Zahl der potenziellen Beitragszahler wurde also noch weiter reduziert, während gleichzeitig die Rentenausgaben stiegen. Die (Aus-) Nutzung der deutschen Rentenversicherung mit seinen versicherungsmathematisch nicht neutralen Abschlägen bei Frühverrentung als Arbeitsmarkt- und Restrukturierungsprogramm hat die Finanzierung der gesetzlichen Altersversicherung Deutschlands nachhaltig belastet (Bäcker et al. 2000: 313f.). Die seit den 1980er Jahren anhaltenden Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung haben in jüngerer Zeit zu einer Veränderung in der Rentenpoli61
Der dargestellte Altenquotient ist definiert als das Verhältnis der über 60-jährigen Personen im Vergleich zu den 20- bis 59-jährigen Personen. Auch wenn sich der Altenquotient auf höhere Altersgruppen bezieht, zeigen die Vorausberechnungen einen deutlichen und vergleichbaren Anstieg. Demnach steigt der Altenquotient der über 65-Jährigen im Vergleich zu den 20- bis 64Jährigen von 24,7 im Jahr 1995 auf 47,3 im Jahr 2030 und der Altenquotient der über 67Jährigen im Vergleich zu den 20- bis 66-Jährigen von 20,8 im Jahr 1995 auf 39,3 im Jahr 2030 an (Statistisches Bundesamt 2003: 31).
Exkurs: Chancen einer erfolgreichen Umkehr des Frühverrentungstrends
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tik und einem Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik geführt (Arnds und Bonin 2002: 28, 2003: 86; Schroeder 2006: 43f.). Mit der Rentenreform 1992 wurden erstmals wieder eine Anhebung des Rentenalters und eine Umkehrung von Frühverrentung in großem Stil durch den Gesetzgeber vorangetrieben. Auf lange Sicht sollen mit der Reform die Zugangsmöglichkeiten zum vorgezogenen Ruhestand zunehmend eingeschränkt werden, während gleichzeitig die Abschläge für einen frühzeitigen Erwerbsausstieg erhöht werden (Arnds und Bonin 2002: 27ff.; Nullmeier und Rüb 1993: 261ff.). Durch die Reform soll das deutsche Rentensystem deutlich vereinfacht werden, indem langfristig verschiedene Rentenpfade (beispielsweise für Frauen und Arbeitslose) abgeschafft werden (Berkel und Börsch-Supan 2003: 3). Seit 1997 beziehungsweise 2001 wird das Alter, ab dem frühestens eine Rente ohne Abschläge bezogen werden kann, schrittweise auf 65 Jahre angehoben (Wübbeke 1999: 103; Berkel und Börsch-Supan 2003: 4; Schroeder 2006: 43f.). Es wird nach der Umstellung frühestens ab dem 62. Lebensjahr möglich sein, überhaupt eine Altersrente zu beziehen (Gatter und Hartmann 1995: 415, Lamping und Rüb 2001: 12). Frühzeitige Übergänge in die Rente werden dann auch mit höheren Abschlägen als bisher bedacht (nämlich 0,3 Prozent pro Monat des vorzeitigen Rentenbezugs), während ein Weiterarbeiten über das Alter 65 hinaus stärker belohnt wird (Berkel und Börsch-Supan 2003: 4f.). Die Umsetzung der neuen Rentenzugangspfade ist erst ab 2012 voll wirksam (Arnds und Bonin 2002: 27; Schmähl, George und Oswald 1996: 80). Bis zur vollen Umsetzung des neuen Systems im Jahr 2012 können alle existierenden Altersrenten weiterhin ab Erreichen der bisher geltenden Altersgrenzen bezogen werden – jedoch werden diese Übergänge nunmehr mit höheren Abschlägen bedacht als vor der Reform (Wübbeke 1999: 103). Mit der Rentenreform 2001, auch als Riester-Reform bekannt, wurde das System der deutschen Rentenversicherung weiter umgebaut. Der wohl wichtigste Inhalt dieser Reform ist es, die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung auf lange Sicht teilweise durch private Renten zu ersetzen. Die gesetzlichen Renten werden bis 2030 schrittweise reduziert – von rund 70 Prozent auf unter 64 Prozent des Vorrentennettoeinkommens (Börsch-Supan und Wilke 2003: 25). Die Ausfälle bei der gesetzlichen Rente sollen künftig über Einkünfte aus privaten Renten ausgeglichen werden – die Investition in private Altersvorsorge wird vom Gesetzgeber finanziell unterstützt (Börsch-Supan und Wilke 2003: 25; Schnabel 2002: 9). Bislang erfreut sich die staatlich geförderte Riester-Rente jedoch noch keiner großen Popularität bei Versicherten (Hinrichs 2003: 13). Auch die jüngsten Arbeitsmarktreformen in Deutschland, bekannt als HartzGesetze, betreffen ältere Arbeitnehmer. So sieht dass Hartz-IV-Gesetz vor, dass
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Die Flexibilisierung des Erwerbsausstiegs in Deutschland
ältere Erwerbspersonen seit Februar 2006 nur noch für einen kürzeren Zeitraum Anspruch auf Arbeitslosengeld haben (Bundesregierung 2005). Vor Inkrafttreten der neuen Regelungen hatten ältere Menschen, die arbeitslos wurden, einen Anspruch auf 32 Monate Arbeitslosengeld (siehe Kapitel 3.2.1) – mit der Umsetzung des Hartz-IV-Gesetzes haben Ältere nur noch einen 18-monatigen Anspruch, bevor sie auf das wesentlich niedrigere Arbeitslosengeld II heruntergestuft werden (Bundesgesetzblatt 2003: 3004). Ebenfalls treibt die derzeitig regierende große Koalition in Berlin mit Reformen die Entlastung der deutschen Rentenkassen voran. Das Renteneintrittsalter soll auf 67 Jahre angehoben werden. Eine schrittweise Anhebung der Altersschwelle ist ab 2012 geplant, bis 2029 soll das neue Renteneintrittsalter voll umgesetzt sein. Somit durchläuft das deutsche Rentensystem derzeit grundsätzliche Veränderungen. Insgesamt zielen alle genannten Reformen auf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit – sei es durch die Anhebung des Rentenalters und erhöhte Abschläge bei vorzeitigem Übergang in die Rente (Rentenreform 1992, derzeitige Vorstöße der großen Koalition), durch den Abbau gesetzlicher Rentenleistungen und die Einführung privater Renten (Rentenreform 2001) oder durch den Rückbau der Arbeitslosenversicherung als Frühverrentungspfad (Hartz-IVGesetze). Ob und wann sich eine Umkehr der starken Frühverrentung zeigen wird, ist somit ein hoch interessantes Thema für künftige Forschung. Die Reformen werden erst in einigen Jahren voll umgesetzt sein, so dass diese Frage mit den nun nachfolgenden Geburtskohorten untersucht werden muss. Die wohl einschneidendste und umfassendste Reform der vergangenen Jahre stellt die Rentenreform 1992 dar, mit der die vielfältigen Zugangswege zur Rente abgeschafft werden und ein vorzeitiger Ruhestand mit erhöhten Renteneinbußen bedacht wird. Obschon die Rentenreform 1992 bereits vor ihrer vollen Umsetzung im Jahr 2012 ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt mit höheren Abschlägen bedenkt, ist es fraglich, ob schon vor diesem Zeitpunkt eine Umkehrung des Frühverrentungstrends sichtbar sein wird. Bislang lässt sich, auch wenn es von manchen Seiten bereits deklariert wird, noch keine Trendwende feststellen. Die Beteiligung 60- bis 64-jähriger Männer im Erwerbsleben bewegt sich seit Anfang der 1990er Jahre unter 40 Prozent. Bisherige Erfolgsmeldungen hinsichtlich einer verstärkten Alterserwerbstätigkeit in jüngerer Zeit (vgl. z.B. Deutsche Presse Agentur am 8. Juli 2005; Die Welt vom 9. Juli 2005) stützten sich auf Variationen von nur wenigen Prozentpunkten. Meine Untersuchungen haben deutlich gezeigt, dass die zunehmende Frühverrentung in Deutschland maßgeblich durch betriebliche Interessen gesteuert wurde und wird und somit nicht (nur) als Resultat rational kalkulierender und maximierender Versicherter erklärt werden kann. Solange für Unternehmen genügend jüngere, günstigere
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und besser qualifizierte potenzielle Arbeitskräfte in Deutschland zur Verfügung stehen62, ist wohl keine durchschlagende Kehrtwende in der Alterserwerbstätigkeit zu erwarten. Damit ist berechtigte Skepsis angebracht, ob die Reformen der 1990er Jahre mittelfristig zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit führen oder durch die erhöhten Abschläge bei vorzeitigem Rentenbezug eher verschleierte Rentenkürzungen darstellen. Obige Darstellungen haben deutlich gemacht, dass die mangelnden Möglichkeiten für ältere Menschen, mit voranschreitendem Alter „beschäftigungsfähig“ zu sein, eine grundlegende Ursache für die geringen Alterserwerbsquoten und den ausgeprägten Frühverrentungstrend in Deutschland sind. Ein rigider Arbeitsmarkt, starre Berufsstrukturen sowie die relative Randständigkeit lebenslangen Lernens behindern ältere Menschen an der Fortführung und auch Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Bei einer einseitigen Konzentration auf rentenpolitische Maßnahmen bleibt damit die Frage, ob „eine zunehmende Schließung der Frühverrentungspfade ohne aktive Arbeitsmarktpolitik nicht zu einer Privatisierung des Beschäftigungsrisikos führt“ (Ebbinghaus 2005: 42).
62
Siehe beispielsweise die Studie von Koller und Gruber (2001), die einen Überblick über die Einstellung beziehungsweise die Vorurteile von Arbeitgebern und Personalverantwortlichen gegenüber älteren Arbeitnehmern gibt.
Teil 4: Zusammenfassung und Diskussion
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen am deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten zu untersuchen. Dazu wurden zwei spezifische Übergänge im Erwerbsleben von Menschen in den Blick genommen – nämlich Erwerbseinstiegsprozesse von Bildungsabsolventen sowie Erwerbsausstiegsprozesse älterer Menschen beziehungsweise Verrentungsprozesse am deutschen Arbeitsmarkt. Um die Flexibilisierung von Erwerbseinstiegsprozessen zu beurteilen, wurden folgende Aspekte analysiert: (1) die Dauer bis zum Beginn der ersten Erwerbstätigkeit nach Bildungsabschluss, (2) der Erwerbsstatus nach Verlassen des Bildungssystems, insbesondere das Risiko befristeter Beschäftigung zu Beginn des Erwerbslebens, (3) das Risiko von Arbeitslosigkeit nach erfolgreichen Erwerbseintritt sowie (4) die Dauer, bis junge Menschen sich erfolgreich am Arbeitsmarkt etabliert haben und eine vergleichsweise hohe Erwerbssicherheit genießen. Um Flexibilisierungsprozesse beim Erwerbsausstieg zu erfassen, wurden (1) der Zeitpunkt des Erwerbsausstiegs nach Erreichen des Alters 55 und (2) das Risiko, das Erwerbsleben in Arbeitslosigkeit zu beenden, untersucht.
Verlangsamte Eingliederung junger Menschen und beschleunigte Ausgliederung älterer Menschen als Flexibilisierungsstrategie am regulierten deutschen Arbeitsmarkt Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozesse wurden als Untersuchungsgegenstand ausgewählt, um Beschäftigungsflexibilisierung in Deutschland zu untersuchen, da argumentiert wurde, dass die (bisher) vorrangige Flexibilisierungsstrategie in Deutschland die Flexibilisierung an den Rändern des Arbeitsmarktes ist. Unternehmen haben innerhalb des vergleichsweise regulierten deutschen Arbeitsmarktes mit seinen ausgeprägten gesetzlichen Kündigungsschutzregelungen insgesamt nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, gestiegenen Flexibilisierungsbedarf in Zeiten zunehmenden internationalen Wettbewerbs zu bewältigen. Sie können deshalb nur in relativ begrenztem Maße flexible Be-
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Zusammenfassung und Diskussion
schäftigungsverhältnisse zu Arbeitnehmern durchsetzen. In der Tat zeigt sich, dass in Deutschland der Kern der etablierten und durch die umfassenden rechtlichen Regelungen gut geschützten Beschäftigten, nämlich Männer in der mittleren Karrierephase, auch heute noch vergleichsweise stabile und langfristig angelegte Beschäftigungsverhältnisse genießt. Erwerbsverhältnisse, die als Normalarbeitsverhältnisse charakterisiert werden können, sind für sie also weiterhin vorherrschend (vgl. Wagner 2000; Kurz, Hillmert und Grunow 2006; Grunow 2006 – siehe auch Kapitel 1.4 dieser Arbeit). Die Situation von Bildungsabsolventen und älteren Menschen im Vorruhestandsalter sieht dagegen deutlich anders aus. Hier wurden vom Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten umfassende Deregulierungen vorgenommen, um Arbeitgebern innerhalb des stark regulierten Arbeitsmarktes Instrumente an die Hand zu geben, sich vergleichsweise einfach von Mitarbeitern zu trennen. Die Auswirkungen von zunehmender Beschäftigungsflexibilisierung zeigen sich deshalb an den beiden Enden des Erwerbslebens besonders deutlich. So hat der deutsche Gesetzgeber seit Anfang der 1970er Jahre den Erwerbsaustritt immer mehr und weiter dereguliert – 1972 beginnend mit der Einführung der flexiblen Altersgrenze, 1984 bis 1988 in Form der Vorruhestandsregelung, 1987 durch die Ausweitung des Zugangspfads zur Rente nach Altersarbeitslosigkeit, 1988 mit den Regelungen zur Altersteilzeit und 1990 bis 1992 durch die Altersübergangsregelung in Ostdeutschland (für eine genaure Ausführung der genannten Reformen siehe Kapitel 3.2.1 und 3.3.2). Nur zu Beginn, nämlich bei der Rentenreform von 1972, standen bei der Flexibilisierung des Rentenalters humanisierungs- und gesundheitspolitische Gründe im Vordergrund. Sehr schnell wurde die Frühverrentung älterer Menschen jedoch zu einem Arbeitsmarktprogramm umfunktioniert und die Frühverrentungsmöglichkeiten wurden immer weiter ausgebaut. In der Tat haben die empirischen Analysen gezeigt, dass seit den 1970er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eine stark rückläufige Erwerbsbeteiligung älterer Menschen und ein Trend zu einem immer früheren Erwerbsausstieg zu beobachten sind. Insbesondere der sehr frühzeitige Weg in die Rente über Altersarbeitslosigkeit hat stark an Bedeutung gewonnen. Die empirischen Untersuchungen haben gezeigt, dass die Lebensarbeitszeit in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten massiv de-standardisiert, flexibilisiert und verkürzt wurde. Die Regelaltersgrenze von 65 Jahren für Männer beziehungsweise von 60 Jahren für langjährig versicherte Frauen ist für den Großteil älterer Erwerbstätiger bereits seit Ende der 1970er Jahren nahezu bedeutungslos. So ist heute nur knapp jeder dritte Mann zwischen 60 und 64 Jahren noch erwerbstätig. Vor allem in Ostdeutschland wurde nach der Wende das Erwerbsausstiegsalter massiv flexibilisiert. Ältere Menschen in den neuen Bundes-
Zusammenfassung und Diskussion
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ländern scheiden deutlich früher aus der Erwerbstätigkeit aus und haben ein deutlich höheres Risiko als in Westdeutschland, ihr Erwerbsleben in Arbeitslosigkeit zu beenden und den Zugang zur Rente nur indirekt nach einer Phase in Arbeitslosigkeit zu realisieren. Altersarbeitslosigkeit hat zwar auch in Westdeutschland seit Mitte der 1980er Jahre an Bedeutung gewonnen, jedoch ist sie in den alten Bundesländern kein Massenphänomen wie in Ostdeutschland, wo der Großteil der untersuchten Älteren vor Rentenbezug arbeitslos ist. Dass die verfrühte Ausgliederung Älterer aus dem Erwerbsleben zur Entlastung des Arbeitsmarktes genutzt wird, zeigte sich in den empirischen Analysen besonders eindrucksvoll in Ostdeutschland unmittelbar nach der Wende. In den ersten beiden Jahren nach Zusammenbruch der DDR verließ der Großteil der älteren Ostdeutschen das Erwerbsleben sehr früh, nämlich acht bis zehn Jahre vor der Regelaltersgrenze. Dies war möglich durch die großzügigen Regelungen des Altersübergangsgeldes, die ein Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit bereits ab dem Alter 55 ermöglichten. Mit der drastischen Ausgliederung älterer Ostdeutscher begegnete der deutsche Gesetzgeber dem Problem der für ehemals sozialistische Länder typischen Überbeschäftigung und „sanierte“ so den ostdeutschen Arbeitsmarkt nicht zuletzt über das bundesdeutsche Rentensystem. Zusammenfassend ist die deutsche Rentenversicherung mit seinen verschiedenen Möglichkeiten für einen vorzeitigen Übergang in die Rente zunehmend zu einem arbeitsmarkt- und personalpolitischen Instrument geworden. Die maßgeblichen Akteure sind auf der einen Seite Unternehmen und auf der anderen Seite der Gesetzgeber selbst. Gleichzeitig muss aber gesagt werden, dass Frühverrentung den Interessen deutscher Arbeitnehmer nicht widerspricht. Das großzügige deutsche Rentensystem hat für lange Zeit auch bei vorzeitigem Abzug aus dem Arbeitsmarkt einen vergleichsweise hohen Lebensstandard garantiert (siehe auch weiter unten). Auch beim Erwerbseinstieg hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren umfassende Flexibilisierungen vorgenommen und diese zunehmend vorangetrieben. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 wurden die Möglichkeiten für befristete Beschäftigung in Deutschland deutlich ausgeweitet. Diese Deregulierung zielte vor allem auf Bildungsabsolventen und Arbeitsmarkteinsteiger. Mit den gesetzlichen Folgeregelungen von 1990, 1995 und 2001 wurden die Möglichkeiten befristeter Beschäftigung immer mehr erweitert (für genauere Darstellungen der Reformen siehe Kapitel 2.2.1). So wurden junge Menschen am regulierten deutschen Arbeitsmarkt seit 1985 systematisch zu einer flexiblen Manövriermasse für Arbeitgeber gemacht. Durch die befristete Beschäftigung von Arbeitsmarkteinsteigern und jungen Erwerbstätigen bekamen Arbeitgeber ein personalpolitisches Instrument an die Hand, sich trotz des vergleichsweise
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hohen gesetzlichen Kündigungsschutzes in Deutschland relativ einfach wieder von Mitarbeiten zu trennen und sich so Flexibilität bei der Belegschaftsstärke und bei Auftragsschwankungen zu verschaffen. Deutlich sichtbar wurde die Flexibilisierung von jungen Menschen am deutschen Arbeitsmarkt in den empirischen Analysen. Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass es Bildungsabsolventen in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer schwerer haben, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ein zunehmend größerer Anteil von jungen Menschen findet den Einstieg ins Erwerbsleben nur indirekt nach einer Phase von Arbeitslosigkeit direkt nach Bildungsabschluss. Sie müssen sich immer häufiger damit zufrieden geben, den Einstieg ins Erwerbsleben nur über ein befristetes Beschäftigungsverhältnis zu finden und damit vom Arbeitgeber darüber im Unklaren gelassen zu werden, ob sie auch künftig weiterbeschäftigt werden. Heute hat mehr als jeder fünfte abhängig Beschäftigte unter 30 Jahren (nur) einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag. Aber auch wenn junge Menschen den Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit erfolgreich gemeistert haben, sind sie heute mit weitaus größeren beruflichen Unsicherheiten konfrontiert als noch in den 1980er Jahren. Befristete Arbeitsverträge, die einst noch ein „Sprungbrett“ in ein dauerhaftes Erwerbsleben waren, haben sich seit den 1990er Jahren immer mehr zu einer „Falle“ entwickelt, da sie heute mit einem deutlich erhöhten Risiko von Arbeitslosigkeit verbunden sind. Auch müssen neu in den Arbeitsmarkt eintretende Generationen eine immer länger andauernde Bewährungszeit durchlaufen, bevor sie sich sicher am Arbeitsmarkt etablieren können. Genoss in den 1980er Jahren ein Bildungsabsolvent bereits ungefähr eineinhalb Jahre nach Beginn der Erwerbstätigkeit einen bedeutenden Schutz vor Arbeitslosigkeit, so beläuft sich diese Etablierungsphase heute auf rund drei Jahre. Somit zeigt sich in der Bundesrepublik Deutschland an beiden Enden des Erwerbsverlaufs eine Flexibilisierung in Zeiten gestiegener Arbeitsmarktprobleme und gestiegenen Flexibilitätsbedarfs in Unternehmen. Auf der einen Seite werden junge Menschen am deutschen Arbeitsmarkt zunehmend verlangsamt ins Erwerbsleben eingegliedert; auf der anderen Seite werden ältere Menschen am deutschen Arbeitsmarkt zunehmend beschleunigt aus dem Erwerbsleben ausgegliedert. Der von Kohli (1985, 2003) skizzierte, für das Nachkriegsdeutschland so typische standardisierte und institutionalisierte Erwerbsverlauf ist im Flexibilisierungsprozess an seinen beiden Rändern – nämlich zu Beginn und zu Ende des Erwerbslebens – stark ins Wanken geraten und wurde in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten an diesen beiden Übergängen nachhaltig destandardisiert.
Zusammenfassung und Diskussion
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Zunehmende Stratifizierung von Arbeitsmarktrisiken beim Erwerbseinstieg und beim Erwerbsausstieg im Flexibilisierungsprozess Die oben ausgeführten Entwicklungen haben zu einer zunehmenden Stratifizierung von Arbeitsmarktrisiken unter jüngeren und älteren Menschen in der Bundesrepublik Deutschland geführt. Jedoch sind die Muster dieser Entwicklung unterschiedlich für Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozesse. Bei jungen Menschen spielen vor allem vertikale Merkmale, also das Bildungsniveau und die berufliche Position, eine große Rolle für die Chancen, sich am Arbeitsmarkt erfolgreich zu behaupten. Die empirischen Analysen haben gezeigt, dass höhere Bildung sowie höhere berufliche Positionen seit Mitte der 1980er Jahre an Bedeutung gewonnen haben.63 Eine gute Ausbildung schützte junge Erwachsene zwar schon immer vor Erwerbsrisiken, sie ist in den vergangenen Jahren aber immer bedeutender und zunehmend zum Schlüssel für gute Erfolgschancen am Arbeitsmarkt geworden. In Zeiten erhöhten Flexibilitätsbedarfs in Unternehmen und eines Überschusses an potentiellen Arbeitskräften scheinen Arbeitgeber deshalb „wählerischer“ geworden zu sein, welchen (jungen) Beschäftigten sie eine Absicherung gegen Arbeitsmarktrisiken zugestehen. Sie konzentrieren sich dabei vor allem auf gut ausgebildete Beschäftigte; weniger gut ausgebildete Menschen bleiben dagegen heute häufig chancenlos und haben das Nachsehen. Für ältere Menschen hat sich in den empirischen Analysen dagegen gezeigt, dass das Ausmaß ihrer Flexibilisierung vor allem von horizontalen Merkmalen abhängt – das heißt: vom Wirtschaftszweig und von der Betriebsgröße.64 In großen Betrieben und im Industriesektor – also in Arbeitsmarktsegmenten, die stärker von Reorganisationen und Rationalisierungen betroffen sind – verlassen ältere Deutsche besonders frühzeitig den Arbeitsmarkt. Dagegen haben das Qualifikationsniveau und die Berufsposition einen eher geringen Einfluss auf den Zeitpunkt des Erwerbsaustritts. Lediglich sehr hoch qualifizierte ältere Menschen – also eine in den untersuchten Geburtskohorten relativ kleine Gruppe – verbleiben deutlich länger im Erwerbsleben und haben ein deutlich geringeres Arbeits63 64
Das Risiko befristeter Beschäftigung beim Arbeitsmarkteinstieg stellt eine Ausnahme dar. Eine Ausnahme stellt die ostdeutsche Geburtskohorte dar, die unmittelbar nach der Wende aus dem Erwerbsleben ausschied. Hier unterschieden sich ältere Menschen in unterschiedlichen Branchen, Firmen und auch Berufen nur geringfügig im Zeitpunkt des Erwerbsaustritts. Hintergrund für diesen Befund ist, dass für diese Geburtskohorte die Regelungen des Altersübergangsgeldes griffen, die ein sehr frühzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt ermöglichten. Fast alle älteren Ostdeutschen dieser Kohorte verließen den Arbeitsmarkt über das Altersübergangsgeld und damit gleichzeitig, da mit diesem Programm dem Problem der für ehemals sozialistische Staaten typischen Überbeschäftigung begegnet wurde. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung verließen also alle Älteren sehr früh und zeitgleich den Arbeitsmarkt, um die hohe Zahl der Erwerbspersonen zu reduzieren. In der nachfolgenden Zeit haben sich Erwerbsausstiegsmuster in Ostdeutschland an Westdeutschland angeglichen (siehe Kapitel 3.3).
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losigkeitsrisiko als andere Qualifikationsniveaus. Die Analysen haben zudem gezeigt, dass sich der Einfluss von Sektor und Firmengröße im Zeitverlauf bedeutend verstärkt haben. Wurde in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren von Frühverrentung lediglich in einem sehr speziellen Arbeitsmarktsegment Gebrauch gemacht (nämlich in sehr großen Industriebetrieben), so sind es seit den späten 1980er Jahren auch Firmen mittlerer Größe und die gesamte Privatwirtschaft, die sich frühzeitig von ihren älteren Mitarbeitern trennen. Damit hat sich der Trend zur frühzeitigen Ausgliederung Älterer aus dem Erwerbsleben auf größere Teile des Arbeitsmarktes ausgebreitet. Für die Flexibilisierung von älteren Menschen am deutschen Arbeitsmarkt spielt also das Qualifikationsniveau eine eher untergeordnete Rolle, vielmehr scheinen dafür Kräfte des wirtschaftsstrukturellen Wandels verantwortlich zu sein.
Entwicklung sozialer Ungleichheit im Flexibilisierungsprozess Bei den bisherigen Darstellungen blieb die Frage außen vor, wie sich die aufgezeigte Flexibilisierung von Erwerbseinstiegs- und Erwerbsausstiegsprozessen auf die Lebenssituation älterer und jüngerer Menschen ausgewirkt hat. Dabei ist davon auszugehen, dass die Beschäftigungsflexibilisierung für die beiden genannten Gruppen mit sehr unterschiedlichen Risiken verbunden ist. Anders als in vielen anderen Ländern wurde durch das großzügige und umfassende gesetzliche Rentensystem die Flexibilisierung älterer Arbeitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland bisher finanziell gut abgefedert. Die gesetzlichen Renten bilden die Haupteinkommensquelle für ältere Menschen (BörschSupan und Schnabel 1997: 10). Die Lohnersatzrate der gesetzlichen Rente ist sehr hoch und beträgt beispielsweise für langjährig Versicherte ungefähr 70 Prozent des Vorrentennettoeinkommens (Börsch-Supan 1998: 4). In der Tat ist es so, dass sich die finanzielle Situation alter Menschen in Deutschland durch den Ausbau der gesetzlichen Rentenversicherung im Vergleich zu den 1960er Jahren stark verbessert hat. Die Armutsquote liegt im Alter heute deutlich unter der allgemeinen Armutsquote und Bestände an Geld-, Grund- und Produktivvermögen konzentrieren sich in den alten Bundesländern auf ältere Menschen (Bäcker et al. 2000: 308). Insgesamt wird somit für den Durchschnitt der Bevölkerung im Ruhestand eine gute Einkommenssituation attestiert (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005a). Zwar hängt die Rentenhöhe unter anderem von den Beitragsjahren einer Person ab – ein vorzeitige Renteneintritt ist also mit einer niedrigeren Rente verbunden –, die Einbußen waren aber für lange Zeit relativ moderat und bei weitem nicht versicherungsmathematisch neutral (Börsch-Supan 2001: 21; Arnds und Bonin 2002: 13). Ein
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frühzeitiges Verlassen des Erwerbslebens war also nicht mit einer einschneidenden Verschlechterung der finanziellen Situation Älterer verbunden. Auch im Fall der zunehmenden Arbeitslosigkeit vor Rentenzugang unter älteren Menschen in Deutschland muss gesagt werden, dass es sich hier eher selten um ein Arbeitsmarktrisiko handelt. Durch die vorliegende empirische Studie wurde deutlich, dass Altersarbeitslosigkeit vielmehr ein institutionalisierter und finanziell lückenlos gut abgesicherter (vorgezogener) Frühverrentungspfad ist. Die Analysen haben gezeigt, dass der Übergang in Altersarbeitslosigkeit in der Regel erst nach dem Alter 57 stattfindet. Wurden ältere Arbeitnehmer in diesem Alter arbeitslos, konnten sie bis vor kurzem bis zu 32 Monate Arbeitslosengeld empfangen. Nach dieser Übergangszeit in der Arbeitslosenversicherung war ein Übergang in die Rente über einen speziellen Zugangspfad für ältere Arbeitslose ab Alter 60 möglich. Insgesamt ist eine lückenlose und gute finanzielle Absicherung für sie garantiert – zuerst durch die Arbeitslosenversicherung, dann über das Rentensystem. Häufig wird ihr Arbeitslosengeld durch zusätzliche Zahlungen beziehungsweise Abfindungen durch den ehemaligen Arbeitgeber aufgestockt, so dass die älteren Arbeitslosen letztlich finanziell nicht absteigen. Für Ostdeutschland muss nach Auslaufen der Altersübergangsregelung Ende 1992 ein anderes Bild gezeichnet werden. Hier findet ein beachtlicher Teil der Übergänge in Altersarbeitslosigkeit bereits vor Erreichen des Alters 57 statt. Das heißt: Diese älteren ostdeutschen Arbeitslosen erfüllten nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes nach 32 Monaten nicht die Altersvoraussetzung von 60 Jahren für den Übergang in die Rente nach Altersarbeitslosigkeit. Sie mussten also einen Abstieg in die Arbeitslosenhilfe in Kauf nehmen, bevor sie Rente beziehen können. Damit konnte mit den Analysen zwar gezeigt werden, dass Altersarbeitslosigkeit in Ostdeutschland eine andere Bedeutung hat als in Westdeutschland, da sie nach Auslaufen der Altersübergangsregelung nicht nur eine Form der Frühverrentung darstellt, sondern für einen Teil der älteren Menschen in den neuen Bundesländern auch ein Arbeitsmarktrisiko. Es muss jedoch bedacht werden, dass der Großteil der ostdeutschen Haushalte Doppelverdiener-Haushalte waren. Anders als in Westdeutschland, wo in der Regel nur eine Rente – nämlich die des Mannes – pro Haushalt zu Verfügung steht, verfügen die untersuchten ostdeutschen Kohorten in der Regel über zwei Renten pro Haushalt. Aus diesem Grund dürfte es älteren Ostdeutschen bisher gelungen sein, Arbeitsmarkt- und Einkommensrisiken im Alter abzufedern und zu kompensieren. Trotzdem finden sich heute deutliche Unterschiede in der objektiven und subjektiven Lebenssituation von älteren Menschen in Ost und West. Im jüngsten Alterssurvey des Deutschen Zentrums für Altersfragen zeigte sich, dass ältere Ostdeutsche, vor allem in jüngeren Altersgruppen, ihre Lebenszufriedenheit schlechter bewerten als Westdeutsche, dass Einkommensarmut Ruheständler im
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Osten der Republik doppelt so häufig betrifft wie im Westen und dass Einkommensreichtum unter Älteren in den neuen Bundesländern deutlich seltener ist als in den alten Bundesländern (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005b). Insgesamt werden Rentner aber als eine der Gruppen bewertet, die von der Wiedervereinigung profitiert haben. Die Alterssicherung der DDR war vergleichsweise schlecht, so dass Rentner eine benachteiligte Gruppe waren und sich häufig in einer prekären sozialen und finanziellen Randlage befanden (Geißler 2002: 100, 103, 275). Durch die Übernahme der westdeutschen Alterssicherungssystems, die 1:1-Umstellung der DDR-Renten und die Einrichtung spezieller zusätzlicher Regelungen im Osten bis Ende 1992 gehören zumindest die Rentner zu den „Gewinnern“ der politischen Wende, weil sie entweder bereits Rente bezogen und damit von der 1:1-Umstellung ihrer Renten profitierten oder unmittelbar nach der Wiedervereinigung den Übergang zur Rente erlebten und somit die recht großzügigen Leistungen der Altersübergangsregelung in Anspruch nehmen konnten. Zusammenfassend heißt das: Die Flexibilisierung von älteren Menschen in Deutschland in Form ihrer beschleunigten Ausgliederung aus dem Erwerbsleben war eher nicht mit einer Verschlechterung ihrer finanziellen Lebenssituation verbunden. Eine berechtigte Frage ist jedoch, inwiefern dies auch künftig gelten wird. Denn mit jüngeren Rentenreformen wurden die Abschläge erhöht, die bei einem frühzeitigen Verlassen des Arbeitsmarktes angesetzt werden. Zwar sind diese Abschläge auch nach der Reform nicht versicherungsmathematisch neutral, jedoch weitaus höher zuvor (Börsch-Supan und Schnabel 1997: 15). Damit ist der vorgezogene Übergang in die Rente für heutige und künftige Geburtskohorten kostspieliger als für die in dieser Arbeit untersuchten Geburtskohorten. Anders sieht die Situation allerdings schon für die in dieser Arbeit untersuchten jungen Menschen aus. Ihre Flexibilisierung wurde nicht in dem Maße wie für ältere Menschen durch sozialstaatliche Leistungen kompensiert. Sie mussten ihre Flexibilisierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren bei vergleichsweise geringer sozialer Absicherung und relativ geringem Risikoausgleich hinnehmen. Diese zunehmende finanzielle Unsicherheit und Zukunftsunsicherheit unter Arbeitsmarkteinsteigern in Deutschland schlägt sich beispielsweise deutlich nieder in sinkenden Geburtenraten (siehe Kapitel 2.3 dieser Arbeit). Jungen Menschen fällt es zunehmend schwer, langfristige Verpflichtungen – wie beispielsweise in Form von Elternschaft, aber auch in Form der Ehe – einzugehen aufgrund der gestiegenen Arbeitsmarktrisiken, denen sie seit Mitte der 1980er Jahre zunehmend begegnen müssen, und aufgrund der gleichzeitig vielseitigen an sie gestellten Anforderungen, denen sie gerecht werden müssen (wie z.B. die private Vorsorge fürs Alter).
Zusammenfassung und Diskussion
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Insgesamt heißt das, dass im Prozess der Beschäftigungsflexibilisierung in Deutschland eine verstärkte Ungleichheit zwischen den Generationen entstanden ist, die wieder den im deutschen Modell existierenden Insider-OutsiderMechanismus aufgreift. Auf der einen Seite finden sich ältere Menschen (d.h. die ehemaligen Insider), deren Beschäftigungsflexibilisierung durch hohe Renten vergleichsweise stark sozial abgesichert ist, auf der anderen Seite sind junge Menschen, die ihre Flexibilisierung ohne Risikoausgleich hinnehmen sowie zusätzlich die Finanzierung und hohe soziale Absicherung der verrenteten Generationen tragen müssen. Die offene Frage ist, inwieweit das gesetzliche Rentensystem künftig erfolgreich finanziert werden kann und wie lange nachwachsende Generationen die Lasten dieser Strategie noch tragen können.
Ausblick: Umkehrung des Trends der Beschäftigungsflexibilisierung an den Rändern durch die demografische Alterung am Arbeitsmarkt? Die in dieser Arbeit dargestellten Entwicklungen zur Beschäftigungsflexibilisierung in Deutschland sind eine Beschreibung für die vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte und damit für eine spezifische historische Periode. Für künftige Forschung wird es interessant sein zu untersuchen, ob sich die zunehmend frühere Ausgliederung älterer Menschen aus dem Erwerbsleben und die zunehmend spätere Eingliederung jüngerer Menschen in den Arbeitsmarkt auf längere Sicht umkehren wird. Denn Vorausberechnungen des Arbeitsangebots in Deutschland kommen eindeutig zu dem Schluss, dass der demografische Effekt am Arbeitsmarkt nicht mehr zu bremsen ist (vgl. z.B. Fuchs und Dörfler 2005). Demnach stehen Betrieben künftig immer weniger und immer ältere Arbeitskräfte zur Verfügung, während die Zahl jüngerer Arbeitskräfte dramatisch sinkt. Auch bei Berücksichtigung verschiedener Zuwanderungsszenarien lässt sich dieser Trend nicht mehr aufhalten. Damit stellt sich die berechtigte Frage, ob das Interesse von Arbeitgebern an kurzfristig orientierten und flexiblen Arbeitverhältnissen auf lange Sicht wieder sinkt und sie wieder verstärkt vertrauensbildende Haltemechanismen einsetzen müssen, um Arbeitskräfte an ihr Unternehmen zu binden. Somit würden jüngere und ältere Arbeitnehmer wieder eine interessante Zielgruppe für Arbeitgeber werden. Dementsprechend kann erwartetet werden, dass in Zukunft Bildungsabsolventen wieder bessere Chancen haben, am Arbeitsmarkt sicher Fuß zu fassen, und ältere Menschen wieder länger erwerbstätig bleiben und nicht mehr so früh wie möglich vom Arbeitgeber abgestoßen und in die Rente geschickt werden. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit ist es wohl wahrscheinlich, dass diese Entwicklung jüngere Arbeitskräfte
182
Zusammenfassung und Diskussion
eher erfassen wird als ältere Menschen. Denn wie die Ergebnisse gezeigt haben, hat die Flexibilisierung von Erwerbsausstiegsprozessen bis zu zehn Jahre früher angefangen als die Flexibilisierung junger Menschen am deutschen Arbeitsmarkt. Arbeitgeber werden wohl zuerst auf die jüngeren, günstigeren und besser qualifizierten potenzielle Arbeitskräfte zurückgreifen, bevor sie anfangen, ältere Mitarbeiter wieder länger im Erwerbsleben zu halten und gegebenenfalls in ihre Re-Qualifizierung zu investieren. Auf längere Sicht dürfte sich die Situation älterer Menschen am deutschen Arbeitsmarkt jedoch dadurch verbessern, dass sie – anders als die in dieser Arbeit untersuchten Geburtskohorten – über ein höheres Bildungsniveau verfügen, so dass sie im Vergleich zu jüngeren Arbeitskräften nicht mehr deutlich niedriger qualifiziert sind und damit den Kräften technologischen Wandels wahrscheinlich nicht mehr so überdurchschnittlich ausgesetzt sind, wie die in meinen empirischen Analysen berücksichtigten älteren Erwerbspersonen.
Anhang
Tabelle 21: Übergang zur ersten Erwerbstätigkeit nach Verlassen des Bildungssystems Bildungskohorten 1984 bis 2001
Perioden Bis zu 3 Monate 3 bis 6 Monate 6 bis 9 Monate 9 bis 12 Monate 12 bis 24 Monate 24 und mehr Monate Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche Geschlecht Mann (Ref.) Frau Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 (Ref.) 1990 bis 1993 1994 bis 2001 Bildungsniveau Hauptschule ohne berufliche Ausbildung Hauptschule mit beruflicher Ausbildung (Ref.) Mittlere Reife/Abitur ohne berufliche Ausbildung Mittlere Reife/Abitur mit beruflicher Ausbildung Fachhochschul-/Universitätsabschluss Interaktionseffekte (Kohorte*Bildungsniveau) 1990-1993*Hauptschule ohne berufliche Ausbildung 1994-2001*Hauptschule ohne berufliche Ausbildung 1990-1993*Mittlere Reife/Abitur ohne berufliche Ausbildung 1994-2001*Mittlere Reife/Abitur ohne berufliche Ausbildung 1990-1993*Mittlere Reife/Abitur mit beruflicher Ausbildung 1994-2001*Mittlere Reife/Abitur mit beruflicher Ausbildung 1990-1993*Fachhochschul-/Universitätsabschluss 1994-2001*Fachhochschul-/Universitätsabschluss
1
2
-0,57** -1,92** -2,21** -2,57** -2,79** -3,86**
-0,55** -1,88** -2,18** -2,54** -2,75** -3,82**
-0,18** -0,22**
-0,18** -0,22**
-0,20**
-0,19**
-0,03 -0,25**
-0,12 -0,28**
-0,62** -0,47** 0,19** 0,23**
-0,57** -0,58** 0,18* 0,01 0,08 -0,33 0,20 0,13 0,10 -0,04 0,20 0,41**
184
Anhang
Tabelle 21: Fortsetzung Bildungskohorten 1984 bis 2001 1
2
Ereignisse
2.799
2.799
Personen gesamt Personen zensiert
3.207 408
3.207 408
256,70
281,11
-2*diff (logL)
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
Tabelle 22: Befristete Arbeitsverträge unter abhängig Erwerbstätigen (ohne Auszubildende) in der Bundesrepublik Deutschland; nach Altersgruppen und Bundesgebiet Früheres Bundesgebiet
Neues Bundesgebiet
Jahr
15 bis 29 Jahre
30 Jahre und älter
Insgesamt
1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002
15,19% 16,75% 15,07% 15,53% 15,09% 15,00% 12,91% 13,50% 12,68% 13,96% 14,14% 14,87% 17,26% 18,45% 19,95% 19,54% 20,09% 19,60%
3,82% 3,85% 3,81% 3,71% 3,93% 4,12% 3,86% 3,77% 3,58% 3,75% 3,94% 3,95% 4,08% 4,40% 4,92% 4,98% 4,85% 4,62%
7,31% 7,89% 7,24% 7,36% 7,32% 7,39% 6,46% 6,52% 6,00% 6,40% 6,43% 6,49% 7,02% 7,41% 8,00% 7,84% 7,78% 7,39%
15 bis 29 Jahre
30 Jahre und älter
Insgesamt
14,50% 16,27% 15,92% 17,40% 19,73% 19,62% 22,33% 24,46% 27,06% 26,14% 27,51% 27,28%
9,87% 12,23% 10,67% 10,61% 11,32% 10,83% 10,04% 9,61% 11,28% 10,35% 10,12% 8,76%
11,25% 13,31% 12,04% 12,21% 13,24% 12,70% 12,61% 12,58% 14,45% 13,40% 13,47% 12,17%
Quelle: Mikrozensus 1985 bis 2002, Statistisches Bundesamt Wiesbaden (aus den Fachserien 1 „Bevölkerung und Erwerbstätigkeit“ zum Mikrozensus); eigene Überarbeitung/Berechnungen.
Anhang
185
Tabelle 23: Übergang in Arbeitslosigkeit nach Beginn der ersten Erwerbstätigkeit Bildungskohorten 1984 bis 2001 1
2
Perioden Bis zu 6 Monate 6 bis 24 Monate 24 bis 36 Monate 36 und mehr Monate
-6,08** -5,68** -5,98** -6,42**
-6,43** -6,02** -6,31** -6,73**
Bevölkerungsgruppe Westdeutsche (Ref.) Migranten Ostdeutsche
0,05 0,44**
0,06 0,46**
Geschlecht Mann (Ref.) Frau
0,01
0,01
Dauer bis zur ersten Erwerbstätigkeit
0,03**
0,03**
Beschäftigungsverhältnis Befristet Unbefristet (Ref.) Selbstständig Fehlende Information
0,52** -0,31 0,29**
0,52** -0,31 0,32**
Bildungsabschlusskohorte 1984 bis 1989 (Ref.) 1990 bis 1993 1994 bis 2001
0,37** 0,47**
0,77** 0,97**
0,50** -0,13 -0,48** -0,69** -1,13** 1,59**
0,66** 0,62 -0,15 -0,25 -0,47 2,19**
Berufsposition Un- und angelernte Arbeiter Facharbeiter, leitende Arbeiter und Techniker (Ref.) Unqualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten Qualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten Untere Dienstklasse Obere Dienstklasse Fehlende Information Interaktionseffekte (Kohorte*Berufsposition) 1990-1993*Un- und angelernte Arbeiter 1994-2001*Un- und angelernte Arbeiter 1990-1993*Unqualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten 1994-2001*Unqualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten 1990-1993*Qualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten 1994-2001*Qualifizierte, nicht-manuelle Routinetätigkeiten 1990-1993*Untere Dienstklasse
-0,20 -0,22 -0,63 -1,45** -0,31 -0,63 -0,65+
186
Anhang
Tabelle 23: Fortsetzung Bildungskohorten 1984 bis 2001 1 1994-2001*Untere Dienstklasse 1990-1993*Obere Dienstklasse 1994-2001*Obere Dienstklasse 1990-1993*Fehlende Information 1994-2001*Fehlende Information Ereignisse Personen gesamt Personen zensiert -2*diff (logL)
2 -0,63+ -0,73 -1,17+ -0,83** -0,85**
612
612
3.008 2.396
3.008 2.396
504,52
524,25
Eigene Berechnungen auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels. Periodenspezifische Exponentialmodelle. ** signifikant bei Į d 0,01, * signifikant bei Į d 0,05, + signifikant bei Į d 0,1.
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