ALBRECHT DIHLE
DIE GOLDENE REGEL Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vulgärethik
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
DIE GOLDENE REGEL Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vu1gärethik
Von Albrecht Dihle
GOTTINGEN . VANDENHOECK" RUPRECHT. 11182
8tudieDhefte zur AltertumswiaaeD8caft Bnmo SneU und HIM'IfraW E.we, Hamburg
Herawgegeben _
Heft 7
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INHALT I. EinleitUDg ..................••....••.••.••.•.•..•••.•....••••
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n.
Die Goldene Regel •.......••.•••..••••••...••....•.•.•••.....
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m.
al Die VergeltllllC im Recht ................................... bl Die VergeltUDg in der VulgIrethik .•..••.•.•..•.•.•••.•.•••••
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IV. Graduelle"OberwindUDg dee VergeltUDglldeDkena •.••.•.••....•....
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V. Prinzipielle 'OberwindllllC des Vergeltungadenkens .. .. . .••. ... .. ... al Philosophie ...........................•.....•.•.•...•...... bl Christentum ...............................................
81 81 7lI
VI. al bl cl dl el Cl
Die Goldene Regel in der Typologie des VergeltUDgadenkens .•.. 80 Die Goldene Regel im Judentum .•.••.........•............• 82 Die Goldene Regel und die Gnomik der Sophisten .. . • . . . . . . . . . 85 Das erste Auftreten der Goldenen Regel .....•................ 95 Die Goldene Regel in der antiken und der chrietlichen Tradition.. 103 Die Goldene Regel und daa Nilehlltenliebegebot ................ 109
Register .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . • .. . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .• 128
Hlußpr zitierte Sammelwerke H. GreDmaan, Altoriantalillohe Teste zum Alten TeatameDt, Leipzig "1828. J. B. Pritohard, Anoient Ne&!' EIIIIterD Texta RelatiDg to the Old TeatameDt, Prinoeton N.J. "1866. Paulya RealeDcyclopaedie der oIaa Altert~, hrag. v. WiaIo_KroIl·Ziegler, Stuttprt 1883ft'. ReaUezikon für Antike und m.n.tentum, hrag. v. Th. K1auaer, Stuttprt 1860ft'. Die Religion in Geaohichte und Gepnwart, 3. Auft., hng. v. K. GaIJing, TübiDgen 1867ft'. H. StnIok - P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Teetament aus Talmud und ~, "Bde., München 1822ft'. Für die apätjüdiache Literatur .,i auf folpnde, nicht ausdrücklich geDalUlte 8amme1.....ke hingewiMen:
E. Kautuch, Apokryphen und Plleudepigraphen des Alten Teetamente, 2 Bde., Leipzig 1800. P. RieBler, Altjüdiachea Schrifttum aullerhalb der Bibel, Augaburg 1828. Soweit nioht andere vennerkt,.md aplitjüdiache Texte nach dieII8n SammeI· werken zitiert, Mischna.Traktate dagegen nach der von G. Beer und O. Holk· mann begonnenen kommentierten Auapbe. Zitate aus dem poetischen Tbomaaevangelium von Nag' Hammadi folgen der 'Oberaetzung bei W. C. van Unnik, Evangelien aus dem Wüstenaand, Franld'urta. M. 1880, für die QUJDI'aD.Literatur wurden außer der letzten Geaamtauapbe (megillot midbar jehudah, Jeraalem 1868) die 'Oberaetzungen von Molin (Wien 18M) und Burrowa (dt. Auapbe, Jlünoben 18117) benutzt.
I. Einleitung
Die Möglichkeit, zwischen vulgärer und Dicht-vuJgärer Ethik begrifFlich zu scheiden, wurde in den platoDiachen Frühdialogen erachlO8llen. Hier findet man zum ersten :Male die Einsicht atugeBProchen, daß die Bewertungakategorien für das menschliche Handeln, die aus dem gewissenhaften Bemühen um allgemeine, an spezielle Erscheinungen anknüpfende rationale Wahrheitlerkeuntni8 entstehen, sich qualitativ von den :Meinungen über ein richtiges Handeln unterscheiden, die dem Menschen von seiner Umwelt vorgegeben sind. Dabei macht es nach Platons Ansicht auch nichts aus, wenn etwa im Hinblick auf eine einzelne Verhaltell8l'eg81 die ~a TciW nollUW (oder wie man die commuDia opinio eines sozialen Lebenskreiaea nennen will) mit der auf dem Wege selbatverantwortlicher UnterBUchung errungenen rationalen Einsicht übereinstimmt. 'Ober die Richtigkeit der ersteren entscheidet primär ihre Brauchbarkeit im vorgegebenen Rahmen des menschlichen Zusammenlebens, während die andere ihre Bestätigung nur durch eine widerapmchafre.ie Einfügung in den Zusammenhang der übrigen, auf demselben Wege gewonnenen ErkenntDiaae erhalten kann. Die 6dEa TciW noAAciW ist bei denen, deren Handeln al8 Glieder eines sozialen Körpers von ihr gelenkt wird, auf sehr verschiedene WeiBe lebendig und gegenwärtig. Sie braucht nicht die Schicht des rationalen Bewußtleins zu erreichen, sondern kann sich als nur der (sekundären) rationalen Analyse zugänglicher Kern religiöser oder sozialer Verhaltenaachemata auswirken, die das menschliche Handeln im Rahmen der betreffenden GeaeD8Chaftaordnung in den sich wiederholenden Lebenaaituationen regulieren. Eine bei den einzelnen Völkern in unterschiedlicher Stärke und unter ebenso unterschiedlichen Vorausaetzungen sich regende moralische Reflexion kann dahin führen, daß derartige Verhaltell8llchemata abstrakt erfaßt, d. h. von den praktischen Begleitumständen gelöst und als allgemeinverbindliche Sentenzen formnliert werden, womit die MEa TciW nollciW dem intellektuellen Veratindnia nähergebracht wird. Diese Reflexion wird aber die ~a TciW xollciW Dicht nur progressiv dem rationalen Bewußtsein
41 erschließen, sondern sie auch fortlaufend modifizieren und wandeln, nicht weniger als es einschneidende Veränderungen in den äußeren Lebensbedingungen zu tun vermögen. Die Geschichte der Gesittung ist zunächst nichte anderes als die durch äußere Einwirkungen und durch Refiexion hervorgerufene Wandlung der MEa TM> nollöW. Diese bleibt indessen MEa TM> nollciW - und damit das von ihr gelenkte Handeln ein Handeln nach vulgärer Sittlichkeit -, solange die Reflexion nicht über die Erfahrungen im gesellschaftlichen Zusammenleben hinausgreift und nicht den gesamten Bereich des sittlichen Lebens von einer aIlgemeinen, spekulativ gewounenen Seinsbestimmung her begreift. Vulgärethik kann alBO, nach der eben gegebenen Beschreibung, sehr wohl die subtile Beobachtung, Registrierung und Analyse der Gegebenheiten des menschlichen Lebens einschließen, sie kann demzufolge über verfeinerte und durchdachte Verhaltensregeln verfügen. Ihr wesentlicher Untersohied zur nicht-vulgären Ethik besteht darin, daß sie sioh an das bindet, was die Mensohen einer bestimmten GeseUsohaftsordnung (bzw., je nach dem historischen und geographischen Horizont der betreffenden Menschen, auch mehrerer, kultureU und ethnisch verschiedener GeseUsohaftBOrdnungen) als Regeln ihres HandeIns anerkeunen, wobei diese Regeln von reinen Tabu-Vorsohriften bis zu rational einsiohtigen Anweisungen reichen köunen, die in bewußtem Gegensatz zu konventioneUen, situationsgebundenen Verhaltenssohemata formuliert sind. Die der VuIgärethik zum ersten Male von Platon bewußt entgegengesetzte philOlOphisohe Ethik beruht demgegenüber auf Wertsetzungen, die nioht unmittelbar den geseUsohaftliohen Gegebenheiten, sondern der spekulativen Annäherung an das reine, intelligible Sein ihren Ursprung verdanken. In ähnlicher Weise kann auch eine OIfenbarungareligion sich über die Gegebenheiten der geseUsohaftlichen Realität hinwegsetzen und die Ziele des HandeIns außerhalb des erfahrbaren Bereichs des menschlichen Zusammenlebens festlegen. Iat einmal auf Grund solch neuartiger Impulse eine zusammenhängende nioht-vulgäre Ethik konzipiert - wie in den heUenistischen PhilOlOphensohulen oder in der frühohristliohen Theologie - und von einem Kreis von Anhängern als verbindlioh angenommen, so kann es nicht ausbleiben, daß sie die herrschenden Vorstellungen der VuIgärethik nachhaltig - und zwar, wie die Geschiohte lehrt, Behr zu deren Vorteil - besinßußt, aber auch ihrerseits aus den vorhandenen 6dEcu TWP nollciW annimmt oder verwirft, was zu ihrer eigenen Lehre in Beziehung tritt. M. a. W. : Eine einmal etablierte nicht-vulgäre Ethik wird notwendigerweise im Verlaufe ihrer Ausbreitung und Wirksamkeit zur formenden Kraft des vulgären sittliohen Bewußtseins, das durch sie stärker verändert zu werden pflegt als durch die
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obengenannten Faktoren. Damit aber verwischt sich elDlge Zeit naeh dem ersten Einsetzen einer nicht-vulgären Ethik der Unterschied zwischen ihr und der Vulgärethik im historischen Erscheinungsbild. Angesichts dieses Sachverhaltee ist es schwer, das Bild der Vulgärethik einer bestimmten Epoche zu zeichnen, zumal wenn diese gerade durch den in ihr nachweisbaren Neuansatz zu einer nicht-vulgären Ethik "Überhaupt nur unser historisches Inte1"ell8e beansprucht. Der Unterschied zwischen vulgärer und nicht-vulgärer (philO8Ophischer oder religiÖ8er) Ethik ist eben in erster Linie ein typologischer und darum aus der Betrachtung eines geschichtlichen Ablaufes nur mittelbar abzuleiten. Dazu kommt, daß die sittlichen Lehren einer Philosophie oder einer gestifteten, dogmatischen Religion zwar mit einigem Anspruch auf Vollständigkeit systematisch dargelegt werden können, daß aber die sittlichen Vorstellungen des Vulgärbewußtseins innerhalb eines sich über Jahrhunderte erstreckenden ZiviliBationszusammenhanges eigentlich nur im Rahmen einer umfassenden Kulturgeschichtsschreibung ihre angemessene und erschöpfende Darstellung finden. So darf es wohl als berechtigt gelten, wenn der vorliegende Versuch, der in die Strukturen des sittlichen Denkens einführen soll, sich der paradigmatischen Methode bedient. An dem Auftreten, den Wandlungen und der variierenden Giiltigkeit einer vulgärethischen Maxime innerhalb eines für uns heute einigermaßen übersehbaren Kulturzusammenhanges sollen das Wesen und die möglichen Entwicklungen der Vulgärethik sowie ihre Auseinandersetzung mit nichtvulgärer Ethik verdeutlicht werden. Das paradigmatische Verfahren birgt mancherlei Gefahren, die dem Verf&BBer nicht verborgen geblieben Bind, die er aber glaubte in Kauf nehmen zu mÜ8llen. Die Auswahl des Materiales sowohl wie der an die Geschichte der Goldenen Regel sich knilpfenden Nebenfragen ist in hohem Grade 8Ubjektiv. Ein Anderer würde dieses fortgel&BBeD, jenes zUllätzlich in den Kreis der Betrachtung einbezogen haben. Wenn die Studie in der vorliegenden Form dem PhilO8Ophiehistoriker einige Aufschl"Ü88e ilber die VoraU88etzungen der Entstehung phil080phischer Ethik vermittelt, dem Kla88ischen Philologen seine Vorstellungen von der Kontinuität zwischen Orient, Antike und Christentum abrundet, dem Theologen die Frage nach der Kommensurabilität zwischen religiöser, philO8Ophischer und vulgärer Ethik zu kliren hilft und vor allem dem Studierenden einen Einblick in die Möglichkeit der philologischen Behandlung nicht-philologischer Probleme verschafft, ist ihr Zweck mehr als erfüllt.
11.
Die Goldene Regel
Ea war einmal ein vorwitziger junger Mann. Der kam in die Tischlerwerkstatt des großen Rabbi Schammai und fragte don berühmten Gesetzee1ehrer, ob er ihm den Inhalt der Tora in so kurzen Worten vorzutragen vermöchte, daß man auf einem Beine stehend seine Lehre anhören könnte (die Frivolität dieses Ansinnell8 wird jedermann deutlich, der sich vergegenwärtigt, daß die lebell8lange Versenkung in die Schriften des Alten Bundes, das liebevolle Erwägen auch des UIl8Cheinbarsten Detaila der göttlichen Willenskundgebung dem gläubigen Juden als die höchste und würdigste Form menschlicher Betätigung gelten muß, vgl. Aboth 2, 2a). Schammai war ein herber Mann. Er machte nicht viel Federlesell8 mit dem übermütigen Frager, sondern griff nach seinem Zo11stock und vertrieb ihn aus dem Hause. Der also Gezüchtigte gab sich indessen nicht zufrieden. Vielmehr stellte er dieselbe Frage dem anderen, ebenso berühmten Gesetzeslehrer jener Generation, dem Rabbi Hillel. Während sich die Umstehenden nur entsetzen konnten, lächelte Hillel - er war ein milder Mann und kein militanter Gelehrter - und sprach: "Tue niemandem etwas an, von dem du nicht willst, daß es dir geschehe. Das ist die Summe des Gesetzes." Die hohe Schätzung dor Goldenen Regel J, die sich in dieser hübschen Anekdote aus dem Talmud aU88pricht, ist im Spätjudentum weitverbreitet l _ Der sog. Targum Jeruschalmi (ps. Jonathan ed. Ginsberger, 1903) umschreibt zu Lev. 19,18 das Gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, in dem Jesus (Lc. 10,28)-und Rabbi Akiba 100 Jahre später (Strack-Billerbeck zu Lc. 10,28) die Summe des Gesetzes sehen lehren, mit eben jener Goldenen Regel. Aber der Geltungsbereich dieser Maxime als Inbegriff aller sittlichen Verhaltensvol'8Ohriften beschränkt sich in den ersten Jahrhunderten vor und nach ehr. Geb. 1 Den Namen dar Goldenen Regel verfolgt Philippidee (8. u. 8.10) bis ins 18. Jahrhundert zurück. Ältere Belege hebe ich ebenfalls nicht 8"funden. Vielleicht stammt ar, wie viele ......088 Bezeichnungen, aus der auf den Pythagoreismus zurilck8"henden Tradition. Vg\. dazu M. C. Ghyka, Le nombre d'or, Paris 19112_ I Schab. 31a. Vgl. 8track-Billarbeck zu Mt. 7,12.
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durchaus nicht auf das orthodoxe Judentum. Neben dem literarischen Nachlaß der jüdischen Sekten (z. B. Test. Sebul. 5,3) bieten orthodoxchristliche, gnostische und nicht zuletzt auch heidnische Texte eine Fülle von Belegen. In Mt. 7,12 (-Lc. 6,31) erscheint die Regel in ihrer positiven Form: "Tut den Menschen das, von dem ihr wiinscht, daß es euch geschehe." Auch hier tritt sie mit dem Anspruch auf, den Inbegriff rechten Handelns nach dem Gesetz zu umschließen. Die positive Fassung begegnet uns ferner in der slavischen Version des Henoch-Buches, das in seinen wesentlichen Bestandteilen aus einer jüdischen Sekte stammen wird (61,1). Die Didache, die älteste auBerkanonische Zusammenstellung christlicher Lebensregeln, verbindet die Goldene Regel mit dem Zweiwegeschema, jenem uralten Topos moralischer Unterweisung (1,2) und dem Liebesgebot aus Lev. 19, 18; ähnliches gilt für die sehr altertümliche, nur äthiopisch erhaltene Epistula apostolorum (18 Duen.) '. Die positive und negative Fassung, vereinigt als Inbegriff der neuen Lehre, finden wir bei dem Syrer Bar Daisan (vgl. !ib. reg. 11 Nau = Patr. Or. 1,2). Im 15. Kapitel der Apostelgeschichte hatte die westliche Rezension des Textes die Goldene Regel zwischen V.20 und V. 29 eingeführt. Eine Handschrift dieser Rezension muß Porphyrios vorgelegen haben, denn er bezichtigt (adv. Christ. fr. 8 Harnack) die Christen offenbar wegen der Inanspruchnahme der Goldenen Regel des Plagiats ". Dieser Vorwurf wird verständlich, wenn man die breite Streuung der Belege aus heidnischen Quellen bedenkt. Seneca rechnet die Goldene Regel (ep. 94, 25 und 43) unter jene Maximen, deren Wahrheitsgehalt ohne Begründung unmittelbar evident ist und die deshalb in ein Stadium sittlicher Unterweisung zu setzen sind, das der philosophischen, d. h. grundsätzlichen, Belehrung vorangehen muß ". Unter den vulgärethischen Sentenzen, die seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. in großen Gnomologien zusammengefaßt oder einem der Sieben Weisen zugeschrieben wurden', taucht die Goldene R.egelimmerwieder auf: Stob. 3 p.120 H. erscheint sie als Dictum des Pittakos, Diog. Laert. 1,36 als eines des Thales. Aber auch Aristoteies (Diog. Laert. 5,21) wird sie zugeschrieben. Wir finden sie mehrfach - positiv und negativ - in dem pythagoreisierenden Sextius-Florilegium (87-90,179/180 • Vgl. dazu G. R.ch, Du Aposteldekret nach seiner auBerkanonischen Textgeatalt (T. U. 13,1906) 89 u. 13211". Neuere Literatur zum Aposteldekret bei E.Haenehen, Die Apostelgeechichte (Meyers krit•.exeget. Kommentar zum N. T.), Göttingen 1969, "Off. • Anders ist diese Porphyrios-Stelle kaum zu verstehen. • Die dem N. und 96. Brier 8eDecaa &ugrunde liepnde ethische Systematik ist die dee POIIIIidonios. • Vgl. B. SneU, Le....n ,md Meinungen der Sieben Weisen, MÜDchen 11962, 98ft".
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Chadwick), in den Dicta Catonis (1, 11; 30) und in anderen Sentenzensammlungen (Poet. lat. min. 3, p. 241 Baehrens) usw. usw. Die Beliebtheit bei Heiden, Juden und Christen, bei Gebildeten und Ungebildeten ist gleich groß, und man versteht schon angesichts dieser kleinen Auswahl von Belegen, wenn der Verfasser der Historia Augusta (Alex. Sev. 51) die Vorliebe des Alexander Severus für die Goldene Regel als Indiz eines jüdisch-pythagoreisch-christlichen Synkretismus' betrachtet. Vor der Behandlung der Frage, woher die Goldene Regel stamme ", ist es vielleicht nützlich, sich darüber klarzuwerden, welcher Schicht des sittlichen Bewußtseins diese auch heute noch 80 unmittelbar einleuchtende Maxime zugehört und worin die von ihr geforderte Sittlichkeit denn eigentlich beetehe. Bei der Behandlung dieses Problems hat man gelegentlich sein besonderes Augenmerk der Tatsache zugewandt, daß es die Goldene Regel in negativer und positiver Form gibt, und hat die positive Fassung als die spezifisch ohristliche Ausprägung der Regel bezeiohnet·. Diese Meinung setzt sioh zunächst einfach in Widerspruch zu den Quellen: Es gibt seit frühster Zeit (Act. 15,29 [westl. Rez.]; Did.l, 2) zahllose rein christliche Belege für die negative und daneben eine .Anzahl nichtchristliche Belege für die positive Fassung (Isoor. ad Nic. 49; sI. Hen. 61,1; Cass. Dion 52,34). Außerdem lehrt eine unvoreingenommene Betrachtung, daß ein Unterschied zwischen der negativen und der positiven Version zwar insofern besteht, als die erste eine prohibitive Mahnung, die andere eine Aufforderung zum Initiativhandeln enthält. Indessen betrifft dieser Unterschied, 80 bedeutsam er auch in vieler Hinsicht sein mag, nicht das Prinzip sittlicher Wertsetzung, das beiden Fassungen gleichermaßen zugrunde liegt. In beiden Fällen wird nämlioh übereinstimmend die Richtigkeit bzw. Verkehrtheit menschliohen Handem nach dem Maßstab bestimmt, der sich aus dem reziproke~_~_1ln oder Erleiden der Partner ergibt. Der zur Goldenen Regel-ipezifiscb Zur Geltung der Goldenen Regel in gnostischen Tenen s. u. S. 107. Die indischen und chinesischen Belege können hier außer Betracht bleiben, weil sie nicht in einem erkennbaren Zusammenhang mit den altorientalischen und griechischen Zeugnissen stehen. Die Möglichkeit einer Beziehung zu Indien besteht beim Vorkommen der Goldenen Regel in der ayriechen Veraion der ErzIihlungvoD den Sieben Weisen Mei.otem (od. F. Baetbgen, Leipzig 1878, S. 4). aber dieser Text gehört in eine Zeit, in der sich die Goldene Regel in Vorderasien und Agypten schon längst von Griechenland her eingebürgert hatte. Vgl. im übrigen Rolig. i.Gesch.u.Ggw•• 3. Auft., 8. v. und L. J. Philippidll8, Die Goldene Regel religionsgeschichtlich untersucht. Dias. Leipzig 1828. 1 Vgl. die Polemik gegen eine solcbe Auffassung bei R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 11958. 107f. Andererseits J. J erelniaa, R. G. G. "191198. v. Goldene Regel b). I
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zuzuordnende Komplex sittlicher Vorstellungen ist also für die positive und die negative F&88UDg der gleiche. Die folgende Darstellung wird diesen Umat&nd näher erläutern. Die Formulierung der Goldenen Regel aetzt einen unverächtlichen Grad des Abstraktionsvermögens, eine gewiaae Geläufigkeit in der rationalen Analyse zwischenmenschlicher Vorgänge voraus. Um nämlich gerade mit dieser Maxime menschliches Verhalten bewerten und so eine allgemeingültige Anleitung zum rechten Handeln geben zu können, muß man zwiBchenmenschliche Vorgänge bereits mit den Augen beider jeweile an ihnen beteiligter oder von ihnen betroffener Partner zu aehen gelernt haben. Dae von der Goldenen Regel angeratene Verhalten gründet sich ja geradezu auf die Kalkulation, wie der Partner in der entsprechenden Situation handeln, wie er &leo auch dae ihn betretrende Vorgehen eines Anderen empfinden und beurteilen werde. Um die Goldene Regel erfinden zu können, muß man also von der dem naiven Bewußtaein allein gegebenen subjektiven Erfahrung abaehen und sich in die Rolle des Partners hineindenken können. Dazu kommt, daß sich die Goldene Regel bei der Konat&tierung des sittlichen Wertmaßst&bes von jeder Kaeuiatik fernhält, zur Verdeutlichung ihrer AUBB&ge sich also nicht mehr auf die Konstruktion einer konkreten Begebenheit zu stützen braucht. Dae ist schon bei der Formulierung einer Maxime nicht ganz einfach, die eine lediglich aus dem Blickwinkel einu Partners gewonnene sittliche Einsicht in dae allgemeine Bewußtaein hebt. Um 80 höher ist darum die intellektuelle Leistung einzuschätzen, die zur Konzeption dieaer, die Interesaen und Reaktionen beider Partner gleichmäßig berücksichtigenden Regel nötig erscheint. Man wird darum in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Goldene Regel erst in einer relativ späten Zeit zum ersten Male formuliert wurde, in einer Zeit, die bereits über eine gewiaae Übung darin verfügte, sittliche und anthropologische Einsichten der vulgären VorBtellUDgswelt in abstrakte, allgemeingültige, von der konkreten Begebenheit wie von der subjektiven Erfahrung gleicherweise abstrahierte Maximen zu f&88en. Auf der anderen Seite erweist sich dae Kriterium, nach dem die Goldene Regel den Wert einer Handlung bestimmt, &le Bestandteil der ältesten und urtümlichsten sittlichen Vorstellungewelt, die uns überhaupt literarisch faßbar wird. Wenn nämlich die Goldene Regelund dae gilt für die negative Version ebenso, nur implicite, wie die positive - nur eine lOlche Handlung gutheißt, die ihr Täter im umgekehrten Falle gern erfahren möchte, 80 steht hinter diesem Bewertungemodus unzweifelhaft die uralte Vorstellung vom vergeltenden Ausgleich, der alles menschliche Tun und Erleiden bestimmt.
12 Diese archaische Vorstellungsweiae rechnet mit einem Gleichgewichtszustand in dem für sie allein relevanten Bereich des Faktischen, in dem sich die menschliche Gese11achaft und ihre von welohen Kräften auch immer behel'l'BChte Umwelt befinden miiuen. Jede Handlung, sei sie für den Betroffenen nützlich oder schädlich, stört dieses Gleichgewicht, du darum durch die genau entsprechende (vergeltende) Gegenhandlung wiederherzustellen ist. Dabei hat es gar keine Bedeutung für eine Beurteilung oder Bewertung des TwIS. aus welcher Absicht es vollzogen wurde. Es zählt nur, auf der negativen wie auf der positiven Seite, der Umfang oder du Ausmaß der objektiv feststellbaren GIeichgewichtsverschiebung, die durch eine Handlung hervorgerufen wurde. Daß die Betroffenen eine solche durch ein Tun hervorgerufene Veränderung entweder als Nutzen oder als Schaden registrieren, versteht sich von selbst. So sind alle a1tertümliohen Begriffe von Recht und Unrecht, Dank und Vergeltung, Sohuld und Verantwortung letztlich nur &m Umfang des zur Diskussion stehenden Nutzens oder Schadens orientiertl, der im Vollzuge einer Wiederherstellung des GIeichge\1iichtBZustandea unter den Menschen (oder auch zwischen Menschen und Göttern, sofern die letzteren entweder unmittelbar oder als Hüter der etablierten Ordnung mittelbar betroffen sindjl auf du Genaueste aufgewogen werden muß. Weil nun nach archaischer Auffa&8llJlg (und vielleioht nicht nur nach ihr) Ausgleich und Vergeltung in unverbrüohlioher Ordnung jeder Tat folgen und sich in ihrem Umfang an du Maß der vorangegangenen Tat halten mÜ8Ben, liegt es sehr nahe, eine Handlung von vornherein nach Art und Ausmaß der ihr billigerweise zuzuordnenden Gegenhandlung zu beurteilen. Die Vergeltung, die den Täter treffen wird, liefert nach diesem DenkBChema den gleichsam natürlichen Maßstab auch für die intendierte, noch nicht vollzogene Tat. Wenn er sioh diesen Zusammenhang vorher klarmaoht, brauoht er nicht erst hinterher, wenn ihn die Vergeltung als Schaden trifft, "durch Schaden klug zu werden" (Hes. Op. 218 na{}';" 6i TI! nPr"" lyIrco), wu zu allen Zeiten als Merkmal des Toren gegolten hat'. Der Vergeltungsautomatismus bietet, weil er sich im voraus berechnen läßt, die Richtschnur für du Initiativhande1n. Die Goldene Regel zeigt demnach ein doppeltes Gesicht: Während ihre Formulierung die erat in einer relativ spiten Zeit zu erwartende rationaIe Analyse zwischenmenschlicher Vorgänge vorauaaetzt, wurzelt die in ihr wirksame sittliche Urteilsweise im hochaltertiimlichen Vergeltungsdenken. Du letztere aber giltea zunächst etwu genauer zu untersuchen. Gnmdlepnd hierüber K. Latte, Arch. f. Rel. 20/21, 1920, 264ft". Vgl. Latte •. &.0. • Zu d i _ Toposvgl. H. Dörrie, Leid und Erfahrung, Abh. Akad. Mainz 19116. I
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III. a) Die Vergeltung im. Recht
Seinen achärfaten Ausdruck findet das altertümliche, aber bis heute noch keineswegs obsolet gewordene Vergeltungadenken im Grundsatz der Talion. Dieser Grundsatz hat seine besondere Wirkung im Bereich des Strafrechtes, vor allem des Blutrechtes, ausgeübt, in einem Bereich also, in dem die Beeinträchtigungen eines bestehenden oder erstrebten objektiven Gleichgewichtszustandes duroh menschliches Handeln einmal als besonders gravierend empfunden werden, zum anderen aber auch sehr leicht zu klassifizieren sind, so daß sich Vergeltung und Wiedergutmachung ohne Schwierigkeiten voransberechnen lassen. Zwar besteht in frühen Kulturen, deren diesbezügliche Rechtsvorstellungen ganz oder überwiegend am Talionsgrundsatz orientiert sind, im allgemeinen keine klare begriffliche Trennung zwiachen Recht nnd Moral, da beide noch fest im. Bereich des Sakralen verwurzelt sind. Doch pflegt aus den eben angeführten Gründen der Talionsgrundsatz in seiner strengsten Form meist nur auf die Fälle angewendet zu werden, die späterhin in den Kompetenzbereich einer geregelten Strafrechtspflege gehören und, wie gesagt, die folgenreichsten Eingriffe in das Leben einer menschlichen Gemeinschaft umschließen '. Es braucht hier nicht im. einzelnen dargelegt zu werden, welche Rolle die nach dem Talionsprinzip wirkende Blutrache in Gesellschaftsformen vorgeschichtlicher bzw. vorstaatlicher Art gespielt hat und z. T. heute noch spielt und wie weitgehend gesetzgeberiBChe Maßnahmen auch noch in alten Hochkulturen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege am Talionsprinzip festhalten. Es sei nur auf das Alte Testament (Lev.24,17ff.; Ex.21,23ff.; Num.35pass. u.a.), den Codex Hammurabi (z.B. § 196 S. 175 Pritohard) oder andere altorientalische Gesetzgebungen (z. B. das mittelassyrische Gesetz bei Pritchard, S. 180ff.) sowie auf das älteste Rom (Leg. XII tab.8,2) hingewiesen. Es ist ferner bekannt, wie bedeutungsvoll die an das Talionsprinzip gebundene Blutrache für die mythische, die sozialen , Zur Talion im Rechtsleben vgl. R.llirzel, Phi1ol. Suppl. 11, 11107-1910, 401Iff.
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Verhältnisse etwa bis zum 8. Jahrhundert hin spiegelnde 'überlieferung der Griechen ist. Die Unterl&B8ung der Blutrache zieht, wiederum nach der Talionsregel, den von den Göttern gesendeten Tod d(\8 Verpflich. teten nach sich (Hom. (J) 433f.). Aischylos, dessen 458 v. Chr. auf· geführte Orestie einen theologisch wie sittlich befriedigenden Ausweg aus dem Zwang zur Blutrache zu weisen versucht, weiß in eindrucks· vollen Versen vom T(!I)lE(!WV p.VfJo, zu singen, der dem Menschen die Vergeltung nach dem ius talionis gebietet (Choeph. 313ft'.; vgl. auch Find. Nem. 4,32; Soph. O. R. 100). Eines der meistzitierten Fragmente aus der unter Hesiods Namen überlieferten Literatur, das in die sog. Magna Opera gehörte (fr. 174 Rz.), enthält den Talionsgrundsatz in lapidarer Kürze tl "axa cnre/eat, "axa xEe"ea ,,'ap.lloetEII ei "e naiJot Ta T' leeEe, "lxq ,,'/DEia )lbotTO· und Hesiod selbst betont die unausweichliche Automatik, mit der sich solche Vergeltung zu vollziehen hat (Op. 265f.). Alles das läßt sich durch cin reiches Parallelmaterial als typisch für das archaischgriechische Rechtsdenken erweisen '. Es ist für unser Thema von besonderer Wichtigkeit, daß selbst da, wo die Strafrechtspflege entwickelterer und differenzierterer Gesellschaftsformen längst neben der Vergeltung der Straftat auch andere Faktoren bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen gelernt hat, weiterhin die Talion im Rechtsbewußtsein als letzte, wenn auch meist dem Menschen unerreichbare Stufe der Gerechtigkeit empfunden wurde. Differenzierungen und Milderungen in der Strafrechtspflege ergeben sich vor allem aus zwei Umständen, die übrigens auch, wie unten S. 41 ft'. zu zeigen sein wird, in der Vulgärmoral das Vergeltungsdenken fortschreitend einschränkten.
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1. Das engere und darum differenzierten Verhaltensregeln unterworfene Zusammenleben der Menschen in höheren Gesellschsftsformen erträgt es nicht mehr, wenn bestimmte Gruppen (Familien, Sippenverbände u. ä.) innerhalb des Staates oder der Gemeinde in generationenlanger Blutfehde leben, in welcher die Kette der Vergeltungen niemals abreißt. In demselben Maße, in dem die Wieder1 Vgl. hierzu K.Latte, Ant. u. AbendI., 2, 1946, 63ft". Die Griechen bzw. die mehr oder weniger hellenisierten Angehörigen der römischen Reichskultur sind sich später des altertümlichen oder exotischen Charakters des Talionsrechtee durchaus bewußt gewesen. So heißt die Blutrache nach dem Talionsprinzip in der Kaiserzeit sprichwörtlich NEomo).t'lEIo, da., (PatL.an. 4,17,4). Strabon (15, 710 über Indien) und Josephos (bell. lud. 1,17,2 u. 8) verfehlen nicht, aufdie ftir die eigene Umgebung erstaunliche ungebrochene Gültigkeit des ius talionis in dem von ihnen beschriebenen Bereich ausdrücklich hinzuweisen.
15 gutmachung oder die Bestrafung der Verletzungen an Leib und Leben SohiedsinBtanzen der Gesamtgemeinde zugeleitet werden, die zunächst nur mit überredender Autorität, dann auoh mit Exekutivgewalt ausgestattet Bind, setzen sich Bußen und Strafen durch, die nicht mehr nach dem Talionsprinzip erdacht Bind. Du Wergeld, mit dem der Totachläger sich von der Blutrache freikaufen kann, ist dafür ein gutes Beispiel (vgl. etwa Hom. I 497ft'.). 2. Je mehr du sittliche Bewußtsein den einzelnen Menschen nicht mehr allein als Vertreter seiner Sippe, sondern als Träger von Gesinnung, Absicht und Verantwortung ernst nimmt, um so weniger kann es sich mit der bloßen faktischen Vergeltung einer Tat nach dem Talionsprinzip zufriedengeben. Einmal nämlich geniigt es nicht mehr, wenn Vergeltung nur vollzogen und damit ein objektiver Gleichgewichtazustand unter den Menschen wiederhergesteUt werde. Die Vergeltung soll jetzt den Täter als Person treffen, und man duldet nicht mehr, daß der Einzelne für das Tun seiner Sippengonoaaen oder Vorfahren büßt (vgl. Solon fr. 1,29f. D; Theogn. 731ft'.), wu z. B. noch für Heaiod selbstverständlich war (Opp. 280ft'.). Zum anderen lernt man zunehmend zwischen Schuld und Haftung zu unterscheiden, also neben dem objektiven Geschehen auch die Absicht der handelnden Person bei der geforderten Vergeltung zu berücksichtigen. Es ist bekannt, daß für die Zeit, in der die homerisehen Epen komponiert wurden, zwischen Mord und Totschlag kein Unterschied besteht. Die Verbannung, durch die man sich der Blutrache entzieht, folgt der vorsätzlichen Tötung (J' 259ft'.) ebenso wie der unvorsätzlichen (!P 85ft'.), zwischen denen eben kein qualitativer Unterschied besteht 1. Vielmehr wurde die erste klare Unterscheidung zwischen ~ dxoValo, und op&.o, /Je neoFOta.1 erst in der Gesetzgebung Drakons vollzogen. Die früheste, allerdings erheblich unklarere Definition dieses Unterschiedes in Rom schreibt die Tradition noch den leges regiae zu". Das Problem 1 Vgl. dazu E.llaschke, Die Willenslehre im griechischen Recht, Berlin 1928, 14ff. und J. W. Jonee, The Lawand Legal Theory oC the Greeks, O"Cord 1958, 248ff. mit weiterer Literatur. Ober die Entwicklung, die von der VOrRtellung einer einfachen Vergeltung zur iustitia distributiva führt, vgl. R. Hirzel, Themia, Dike und Verwandtee, Leipzig 1907, 190ft'. I Auch das, was das entwickelte attische Recht als tpdoo, d{XlUO, klassifiziert, aJso z. B. die T6tung des auf Crischer Tat ertappten Ehebrechers (vgl. et_ LY8.or. 11, ist (Ur die ältere Zeit ein Totschlag wie jeder andere ohne spezifische Rechtafolgen (Hes. Cr. a4 Rz.I. I Zur Entwicklung der B1utgerichtabarkeit vgl. den materiaJreichen Artikel "Moni" von K. Latte in der R. E. Zur Differenzierung zwischen Mord und Tot· eohJag in den legee regiae vgl. Latte, Hermee 88, 1931, 139 Anm. 1. Vgl. Cerner die Erläuterungen des Gaiua (Dig. 47, 9, 9) zum Vorsätzlichkeitabegrifl' im Zwölftafelgeeetz sowie für die k1asaiache Zeit Cic. de inv. I, 15 u. 2,95.
16 war aber mit diesen frühen gesetzgeberischen Maßnahmen keileswegs gelöst. Abgesehen davon, daß man eine ähnliche Fortschrittlichkeit der juristischen Begrifrsbildung, wie sie im Athen der Zeit um 600 sich nachweisen läßt, auch für das spätere 6. Jahrhundert durchaus nicht in allen griechischen Gemeinden voraUBBetzen darf!, zeigen noch im späten 5. Jahrhundert rechtetheoretische Debatten, wie wenig sicher man im Einzelfall tatsächlich Schuld und Hafumg gegeneinander abzugrenzen wußte, und in welchem Umfang stete das altererbt-vulgire Bedürfnis nach möglichst objektiver Vergeltung mit der .. modemen" Bindung der Schuld an Einsicht und Absicht kollidierte (vgl. den Bericht über eine Debatte zwischen Protagoras und Perikles anläßlich eines tödlichen Sportunfalles bei Plut. Per. 36 sowie Ps. Antiphon, Tetral. 2)1. Aus der Konzentration auf die Frage nach dem Tatvorsatz ergeben sich eben fortlaufend weitere Probleme. Z.B. ist die Tötung im Affekt von der Tötung aus Versehen erst bei Platon (Leg. 866 D), nicht aber im attischen Blutrecht begrifflich getrennt worden. Das letztere hat stete beides unter dem rpdro. WeoVUIO' subsumiert. Schwierig und erst in längerer Rechtsentwicklung erreichbar war ferner die Erkenntnis des Unterschiedes zwischen Notwehr und Notwehrexzeß (Ps. Antiph. Tetr. 3 ~ 4), denn hier galt es, angesichte einer einzigen Tat den übergang von der erlaubten zur unerlaubten Absicht, von der defensiven zur offensiven "Willens· haltung" zu fixieren. Endlich hat es verständlicherweise seine Zeit genommen, daß die prinzipielle Berücksichtigung des Vorsatzes sicb auch in den Rechtebereichen auBerhalb des Blutrechtes durchsetzte, So gehört die Scheidung zwischen Meineid und Falscheid nach dem von Latte (ARW 20, 285) gesammelten Material erst ins hohe 6. Jahr· hundert (vgl. jedoch Hes. Op. 282). Gewiß darf man den tiefeJI Ein1luB eines zunehmend von gesinnungaethischen Motiven beherrsch· ten sittlichen Bewußtseins auf die Straf- und auch die Zivilrechte· pflege seit spätarchaischer Zeit nicht unterschätzen'. Lysias kann iI einer Prozeßrede es als selbstverständlich hinstellen, daß nur eint mit überlegung und Vorsatz verübte Handlung irgendeine Vel"&nt· wortung des Täters begründe (3,42). Mit derselben Selbstverständlich, keit erklärt Dem08thenes, daß der vorsätzlichen Fehlhandluni Tlilmela, der unvoraätzlichen ctvy""yWb1lf/ zu folgen habe (de cor. 274) 1 Immerhin gibt es die Berückaicbtigung des Vorsatzes auch aullerhalb da Blutrechtea bereite in der aahr altertümlichen IDIIchrift von Olympia bei Schwy zer, Exempla epigraphica Nr.409, ebenso übrigena den ausdrücklichen 8ehut: der Angehörigen des TAtera vor den RechtaColgen der Tat. 1 Vgl. U. v. Wilamowitz, Hermes 22, 1887, 194ft'. • Man deoke etwa an den Aussprucb des Simonides (4 D.), der an dom lllicht auszuaet.zen findet, Ix';" Gn" lf6D ,.f/6h al~ denn gegen die btiyx'l V8l'lll1ög81 auch die Götter nichte zu tun. Vgl. auch achon Hes. Op. 280ft'.
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ein Grundllatz, dem man Behon bei Herodot (und zwar im ZUBaIIlmenhang mit einer Tötung 1,45), Thukydidea (3,40, 1) und bei Xenophon (Cyrup. 3, 1, 38) begegnen kann. Die Belege häufen lieh bezeichnenderweiBe aeit der zunehmenden Rationalilierung der juriBtiBchen, anthropologischen und ethiBchen Voratellungen im Zeitalter der SophiBtik (8. u. S. 85ff.), durch die jeder ohne EinHieht und Ablieht dea handelnden Subjektea zuatande gekommene Vorgang aua dem Bereich dea juriBtisch oder moraliBch Relevanten eliminiert wird'. Umgekehrt ißt nach 80lchem Denken eS {lovM:tlatu; ebeneo schuldig oder gar achuldiger a1B ci %t(!al ~tu; (Dem. 19,21). Und wenn die BullaniBche Geaetzgebung die Beaehaffung von Mordwerkzeugen mit deraelben Strafe bedroht wie den Mord (Bruna, Fontea iur. rom.· Nr. 13), 80 kann daB natürlich alB bloße VorBichtBmaßnahme zur be8lleren Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit verBtanden werden. IndeBaen läßt lieh ein derartigea Geaetz nur dort rechtfertigen, wo man grundaätzlieh im , F. Zucker (Studiea preaented t.o D. M. Robinson, 1949, 10Mft'., mit Hinwoisen auf die wicbtigen Arbeiten von B. Snell, PhiloJ. Untersuchungen 29,192', und K. v. Fritz, Cl ...... Philol. 38, 19'3, '9ft'•• '0, 19'11, 223ft'.• 'I, 19'8, 12ft'.) bat am Beispiel der WörtAIr dy,od" dyod'll'CI etc. gezeigt, wie nach griechischem Denken die ZurechnUDg einer Tat nur an die Ein'licht beim handelnden Subjekt geknüpft ist und die Konzeption einet als peychiacher Fakt.or eelbet.ändigen Wi11ena ganz femliegt. Danach ist es nur folgericht.ig, wenn normalerweise mit etc. du unvoraitzlich fa\ache oder rechtewidrige Tun bezeichnet werden kann (Demoatb.19,101 fIr 4"....... opp. "Id '"'"IIIlm. dpClfT1lPCITCI I d"""'PCITIl als Termini des pt.olem&iachen Rechtes bei U. Wilcken, Urk. d. Ptolemllerzeit, 1,'99. ferner L.Koenen, Eine ptolem. Königaurkunde, Wiesbaden 19111,1Ift'.). Nun hat aber Zucker beobachtet, daß gelegentlich auch die vo....tz· liehe FehlbandlUDg durch dy,od, o. ä. bezeichnet wird (Diod. l1,'lIu. 22,1'. Dekret des Philomet.or, Arch. f. Pap. 8, 1920, 10ft'. u. 18 f .• Beichtinechrift bei St.einleimer, Die Beichte, Diee. München 1913, Nr.3). Wäre dieser Sprach· gebrauch nur nacbklaMisch, wie Zucker anzunehmen scheint, könnte man ihn aue einer VulgariaierUDg des IOkratisch.at.oiachen, strengen Intellektualiamue (oM.~ 1Ie';" dp"""a... ) erklären, der jede Verfehlung aue mangelndem oder verkehrtem Wiaen herleitet. Ind_ vermag schon Demoatbenes, bei dem man nach EinflÜ8eeD philOlOphiacher Terminologie vergeblich sucht, ein eindeutig vo....tzliches Vergehen mit dem Wortdywllpo,lfo> zu benennen (18,9'. vgJ.18,2'8). Mit der VOI'IItellung, eine moraliach oder juristisch bewertbare FehlhendlUDg eei an die Einsicht des handelnden Subjektes gebunden, sind eben, von aller Sokra· tik abg.ehen, schon zwei Möglichkeiten des sprachlichen Auedrucks angelegt. Entweder man versteht unter 4"...... du Nichtwiseen. Dann ist eine daraue entsprungene HandlUDg unvoraitzlich und jurist.iach.moraliach nicht voll zu bewerten. Oder aber man versteht d",... •• als verkehrtes, eingebild-, 1lIlZIllänglicbes Wiuen, du aber tUr du handelnde Subjekt durchaue ein Wiuen bedeutet, in dem nur der kritische und bester informierte Beobachter eine V..kennUDg des wahren Sachverhaltes erblickt: Dann ilIt die daraue entsprungene lIaDdlUDg voraitzlich. DaP zwiacbeD di_n beiden Möglichkeiten in Wahrheit gar kein Unterschied besteht, ist zum erstenmal in Plat.ons "Prot.agoras" auegesprochen.
dyod",...
1 7811 DUIIo. _
.....
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Vorsa.tz das eigentlich Gravierende einer Tat zu sehen gewohnt ist, und anders als mit dem Hinweis auf den wahrscheinlichen Vonatz zum Mord läßt sich die Stra.fandrohung des sullanischen Gesetzes auch nicht begründen. Es ist nun aber nicht so, daß jemals eine unter den nachhaltii1;en Einfluß ausgeprägter Gesinnungsethik geratene Rechtspfiege den Vergeltungsgedanken völlig hätte &ufgeben können. Bis heute wird bekanntlich auch bei Gleichheit der subjektiven TatvoraU886tzungen fr.hrlässige Körperverletzung im a.IIgemeinen geringer bestraft als fr.hrlässige Tötung. Und wenn gewisse Straftheorien vielleicht auch den Schutz der Gesellschaft durch Abschreckung oder die Erziehung des Delinquenten gegenüber der objektiven Vergeltung &Is Motiv für eine Bestrafung in den Vordergrund rücken, so zeigt doch die r.Uenth&lben geübte Differenzierung der Strafen je nach der Schwere des objektiven Tatbestandes bei gleichen subjektiven Tatvoraussetzungen, d&ß man dem gesteckten Ziel einer Abschreckung oder Erziehung nur glaubt nahekommen zu können, wenn m&n die reine Vergeltung gebührend beriicbichtigt. Man setzt das Bedürfnis nach objektiv gestufter Vergeltung, nach einer möglichst genauen, nachvollziehbr.ren und gleichbleibenden Rel&tion zwischen Tun und Erleiden im Bewußtsein der Allgemeinheit voraus. Schon Platon, der a.1I~ Stra.frechtspflege als Erziehung versteht, verweist auf diesen Sachverh< und begründet mit ihm die Abstufung der Strafen (leg. 934 A, vgl. u. S. 84). Ganz ähnlich lehrt der Sophist, den der Verfasser der ps.demosthenischen ersten Rede gegen Aristogeiton ausgeschrieben hat (25,17), daß durch die vergeltende Bestrafung (nllweei.., xoAQCtlJ'), die im vOPOI; vorgesehen werden müsse, die übrigen Bürger zum Besseren erzogen werden können. Nach Dem08thenes' Leptines-Rede (20,6; 50; 143) muß der ..opal; auch die Vergeltung im Guten, die Belohnung, sicherstellen, um seine positive, zum Wohltun führende Erziehung zu leisten, denn die Versa.gung des Lohnes ist ärgste tMueta (ebd. 59). Hier finden wir &Iso überall den Vergeltungsgrunds&tz &us pädagogischen Gründen berücksichtigt, ohne daß er selbst (wie in den u. S. 36 zitierten Beispielen sophistischer und epikureischer Rechtstheorie) den Sinn der Rechtsordnung konstituiert. Aber selbst in der Straftheorie beobachtet man immer wieder bis in die neueste Zeit hinein gelegentlich eine Abkehr von den ration&1 anspruchsvolleren Erziehungs- oder Abschreckungslehren und eine Rückkehr zu dem primitiveren, in sehr alten religiösen (s. u. S.20ff.) Anschauungen wurzelnden Grunds&tz, daß eben jedes Tun durch entsprechendes Leiden aufgewogen werden müsse. Nun ist in der Tat mit der Vergeltung ein wesentlicher Punkt bezeichnet, in dem das Verhältnis zwischen Mor&l und Recht proble-
19 matisch wird. Die vorzüglich unter dem Einfiuß der römischen Rechtswil!8ellBchaft vollzogene Trennung der beiden Bereiche ist dem kontinentalen Denken Europas bis heute selbstverständlich. Im Hinblick auf den Vergeltungsgrundsatz beruht sie auf folgendem Sachverhalt. Während die höchste Form der Moral, die reine Gesinnungsethik, den MellBchen instand setzt, die Schicht des Faktischen zu durchstoßen und alle sittlichen Urteile auf die Person oder die Seele des handelnden Subjektes zu beziehen, bleibt das Recht an die Schicht des Faktischen gebunden, so sehr es vielleicht auch die Person des handelnden (oder leidenden) Subjektes bei seinen aus dem Bereich des Faktischen und für den Bereich des Faktischen gefundenen Urteilen zu berücksichtigen sucht. Für die reine Gesinnungaethik ist darum die objektiv feststellbare Vergeltung gegellBtandsl08 geworden. Das Recht aber kann ohne sie nicht auskommen, da es jeden Fall auf der Ebene des Faktischen einer objektiv faßbaren Lösung zuführen muß '. Das Recht erweist auf diese Weise gegenüber den höchsten Formen der Ethik seine größere Mfinität zum Vulgärbewußtsein, zu dem Bereich also, in dem die 6O~a, TÜll' nollä"" in dem die für jedermann annehmbaren und anwendbaren Meinungen ihre Gültigkeit besitzen. Zu diesen von Platon nachdrücklich diskreditierten 6O~a, aber gehört auch die Überzeugung, daß alles Tun seine faktische Vergeltung finden müsse. So braucht es niemanden zu verwundern, daß wir in Texten aus der antiken Rechtstheorie und -praxis, wiewohl diese seit klassischer Zeit unter dem nachhaltigen Einfluß gesinnungaethischer Motive stehen, immer wieder auf Partien stoßen, in denen die Vergeltung oft in ihrer schärfsten Form, der Talion - erwogen und für gut befunden wird. Immer, wenn die Frage nach dem Täter und seinen Intentionen in den Hintergrund tritt und man das Faktum als solohes zu verstehen eder juristisch zu bewerten trachtet, schaltet sich wie von selbst das Denken in der Talion ein (vgl. etwa Demosth. 24, 139f. Diod.12,17,3; Cio.deleg.3,20; Digest. 48,19,11 init. u.v.a.). Der Vergeltungsgedanke hat also niemals etwas von seiner Lebendigkeit eingebüßt, wenn sioh auoh die Vorstellungen davon, welohe Umstände man bei einer vergeltenden Bestrafung billigerweise außerdem noch berüoksichtigen müsse, ständig verändert, verfeinert und bereichert haben. Derlei Vorstellungen verhindern zwar in den meisten Fällen, daß die Vergeltung ihre schärfste Form, die Talion, behaupten kann. Jedoch indert das nichts an der Tatsache, daß jeder intendierte oder vollzogene Vergeltungsakt letztlich am Leitbild der Talion orientiert ist. , Ile2eicbnenderweiae kann noch
Dem~8Des
argumeut.ienm, auch ein
&",,%01' mü_, wann man den Täter nicht bestimmen k6nne, die notwetJdisen Tatrolgen tragmt (23,78). Z·
Wie tief die in der Geschichte des Rechtes auf vielfache Weiae wirksame Vorstellung, eine Tat könne nur nach dem ius talionis vollständig vergolten und bereinigt werden, verwurzelt aein muß, läßt sich nun aus einer Reihe von anderen Erscheinungen mit womöglioh noch größerer Deutlichkeit ableaen. Der Talionagrundsatz bewahrt nämlich dort, wo sich die Menschen in Verbindung zu übermenaohlichen und göttlichen Kräften gestellt aehen, aeine absolute Gültigkeit, unbeschadet aller Milderungen, die er bei fortschreitender Gesittung im zwischenmenschlichen Bereich auch erfahren mag. Der Totschläger, der sich sein Verbleiben in der Gemeinde durch die Erlegung eines Wergeldes erkauft, muß die durch aeine Tat verursachte Störung des Verhältniaaea zu den Göttern mit Hilfe einer rituellen Reinigung kompensieren, bei der der Vollzug der Rache nachgeahmt und das Blut durch Blut abgewaschen wird. Auch dann, wenn er außer Landes geht, das Glück ihm hold ist und er in einer anderen Umgebung über die stets nur temporäre Inanspruchnahme des Gastrechtes hinaus Aufnahme in eine neue soziale Gruppe findet, muß er das p.1aDp.a mit einer solchen Reinigung von sich abwaschen (vgl. etwa Herodot 1,41,1; Aeach. Sept. 680)1. Denn obgleich die Götter aeiner neuen Gemeinde im weaentlichen nur für dieae zuständig sind, duldeu sie doch nicht, daß ein Mann, auf dem der Makel einer unvergoltenen Tat ruht, das Gleichgewicht der von ihnen garantierten und geschützten Ordnung in der neuen Gemeinde stört. An diesem Anspruch der Götter auf vollständigen Vollzug der Vergeltung ist nicht zu rütteln, auch wenn in der neuen Umgebung kein an der tatsächlichen Vollatreokung der Blutrache interessierter Verwandter des Erschlagenen lebt. Vor den Göttern darf keine Tat unvergolten bleiben (vgl. auch o. S. 14). In einem instruktiven Aufsatz (Gesammelte Schriften S.3Uff.) hat Albrecht Alt die Zugehörigkeit der Talionaformel zum Sakralbereich erläutert und dabei auch das Lamech-Lied in Genesis 4 verstehen gelehrt. Es handelt sich ursprünglich um den Renommierspruch eines Beduinenatammes, der im Vollgefühl aeiner Macht eine die Talion weit überschreitende Vergeltung bei der Tötung oder Verletzung eines seiner Glieder bramarbasierend androht. Der Verf&88er der Geneaiaperikope deutet ihn theologisch als Exempel frevelhafter überhebung des Menschen, denn die göttliche Ordnung wird durch eine Vergeltung nach der Talion garantiert, und ein Mensch wagt hier den von Gott geaetzten und von Gott selbst eingehaltenen Maßstab zu überschreiten. In ganz ähnlicher Weise verurteilt Herodot (4,205) in der Geschichte der Pheretime Talionailberaohreitung bei der Ver1 DM gil~ aelbatveratllndJich auch für den Fall des ~ Mx~, a1ao der berechtigten Tötung: Vgl. etwa die ErzihlUDgeD bei PaU8&l1. 1,22,2 und 6,2'7 ,8.
21 geltung, während er im allgemeinen die Vergeltung nach der Talion nicht für verwerflich hält (8. u. S. 37). Allenthalben stößt man im S&kralbereich auf das Talionsprinzip. So werden z.B. auf vielen Inschriften den Grabechändem Talions8trafen angedroht (z.B. IG 111 1417; IV 444,2; Desea.u, Inscr.lat. seI. Nr. 8186 u. 8190)1 und in zwischenstaatlichen Verträgen, die wegen des Fehlene einer übergeordneten, die Durchführung garantierenden Exekutivinetanz besondere lange und besondere nachdrücklich durch sakrale Sicherungen geschützt zu werden pßegen, begegnet die für den Fall der Vertrageverletzung vorgesehene Vergeltung nach dem iue talioniB immer wieder (vgl. die Parodie bei Aristoph. Lya. 1039f1'.). DM Denken in der Talion beherrscht auch weithin die magischen Praktiken (z. B. Theokrit 2, 23), und aitiologieche Sagen alter Kulte bedienen eich in vielen Fällen des VergeltunguchemM, 80 z.B. die des Buphonien-Ritue (vgl. K. Meuli, Phyllobolia f. P. Von der Milhll, BaeeI1946,223f1'.). Die Kehrseite der im Verkehr mit den Göttern lebendigen Talionserwartung ist das Prinzip des do-ut-des". Wenn man von den Göttern Gaben erwartet, muß man ihnen zuvor die entsprechenden Gegenleistungen bieten. Ein Weihepigramm des 7. Jahrhunderte (Nr.35 Friedländer) bringt das ganz naiv zum Auderuck: Mdrr",~ p' T~ &Har~'
d.,UJeUIB Fexo.{JoMI de'YveoTO~ol nl 68 ~ifJ8 61&11 XOf!lFl:rra. dpol{Jd•.
Ganz ähnlich kann man aber auch im 5. Jahrhundert zu den Göttern sprechen, wie ein anderes Epigramm (Nr. 40 Friedländer) zeigt'. Ein hübsches Beispiel dafür, daß gerade der kritisch denkende Gebildete eine streng an das Vergeltungaachema gebundene Denkweise in der Vulgärreligion voraueeetzt', findet eich in der Herodot etwa gleich, Die Talionsdrohung fiir den Grabf!evler gibt es auch im alten Agypten: Vgl. die Lehre des Merikare bei A. Volten, Z....i altägyptiache politische Schrif· ten, Kopenhagen 1945, 37. Ich verdaDke Alf!ed Hermum den f!eundlichen Hinweis auf diese 8chriCt, in der auch andere Mazimen am Vergeltungaachema orientiert Bind. Vgl. ferner P. Morauz, Une imprkation funilraire ~ NoIoco!aanIe, Paria 1959, 11; 21(. I Vg!. dazu G. van der x-.w, Arch. f. Rel. 20/21, 1920,24111'. und K. Latte, ROm. Religionsgeech. 39f. Zur sprachlichen Typologie der do-ut-des-Formel im Friihc.,hischen vgl. K. StruDk, Glotte 39, 1981, 114ft'. • . h auch das Zeus-Gebet im Zusammenhang eines Sakralgesetzee auf einer Inschrift des 1. Jh. n. Chr. (Syll. '9811,8111'.). • Diese Auffassung verspottet PIeton im ..Euthyphron" (14 EI, vg!. E. R. Dodds, The Greelm and the Irrational, Berkeley (Calif.) 191H, 222 u.241 ID. Anm • .Ähnlich Luc. de sacriC. 2. Anders aber eie. ad fam. 14,4,1.
22 zeitigen Schrift mei dieaw im hippokratischen Corp118 (22)'. Der Verfauer bestreitet, daß der unter den Skythen häufige Eunuchism118 eine von den Göttern als Strafe gesendete Krankheit sein könne. Es müßten dann doch gerade, anders als in Wirklichkeit, die Armen davon betroffen werden, die den Göttern nur geringe Opfergaben entrichten (vgl. auch Bacchyl17, 6Off.). Und wie nach diesen vulgären Vorstellungen von der strengen Gegenseitigkeit in den Leistungen der Götter und Menschen es nur folgerichtig gedacht ist, wenn bei a118bleibender göttlicher Hilfe die Götter vom Menschen gestraft zu werden verdienen, weil sie seine Vorleistungen nicht honorieren, zeigt der Brief eines ganz ungebildeten Schreibers auf dem Pap. Ox. 1065 (3. Jh. n. ehr.): Er will wegen erlittener Unbill die Götter strafen. Am intensivsten hat sich das Denken naturgemäß immer mit der von den Göttern vollzogenen Vergeltung beschäftigt·. Hier erhebt sich sogleich die Frage, seit wann und in welohem Umfang die Griechen ihre Götter schlechthin als vergeltende Mächte empfunden haben. Ursprünglich vergelten die Götter ebenso wie die Menschen nur die ihnen selbst zugefügten Kränkungen oder Schädigungen, etwa die Unterlassung des Opfers u. ä. Sie vergelten zunächst Kränkungen, die sich die Menschen untereinander antun, nur da, wo dem Geschädigten keine Möglichkeit zum selbständigen Vollzug der Rache gegeben ist wie bei der Verletzung des Gastes. Hier liegen die Ansätze dafür, daß die Götter zu vergeltenden, strafenden Hütern der sittlichen Ordnung innerhalb der menschlichen Gesellschaft werden. 1 Daß sich archaisch... und späterhin vulgäres Denken die Krankheit gar nicht ande.... denn als Strafe der Götter, als Vergeltung u. U. aucb verborgener oder unbewuJlter Fehltritte der Menschen vorzusteIlen vermag, kann man sich etwa an Horn. A 1211. oder Soph. Oed. R. 111. klarmachen (vgl. auch Pbilolltr. vit. ApolI. 8,5). Die Krankheit ist eben ein so starker Eingrilf in das Geflige des menschlicben LebenR, daß man si" nur - in Ennangelung einer oaturwisaen· schaft\icb erkannten Kausalkette - als göttliche Vergeltung einer ebenso gravierenden vorangebenden Tat d ... &trollenen versteben kann. Die hippokratische Schrift über die Epilepsie zeigt, wie hartnäckig sich di868 VorateUungaweiae besonders angesicbts scbwer durchachaubarer KrankheitsvorgäDge gehalten bat. - Die vielbebandelte, seit der k1assi'IChen Philosophie geläufige Para\leIiaierung d ... menschlichen Organismus und der staatlichen Ordnung, von Medizin und Politik bzw. Etbik, ..,tzt nicht erst d .... Vorhandensein einer wissenschaftlieben Medizin voraus, der man Begrille und Denkfonnen entlehnen kann Voll.. ; l~ etc. vgl. neuerdings G. B. Philipp, Gymnas. 88, 1981,811. mit weiterer Literatur),sondemwurzeltinjenervielälterenVorstellung,welcbedieKrankheit in den Bereicb dM SakralBD (und damit d ... Sozialen ,md MoraliacbeD) verweist, sie also primär als Phänomen der durch da. Verhältnis zu den Göttern geord. neten menschlieben G...ellachan versteht. Die Wendung ins Individualetbiacbe zeigt sieb dann in Ausdrücken wie 61x'1" raa" 'Puxlj. (Plut. de sero num. vind. 6110 A; Procl. OpUHC. 1,51 Boese). I Zum folgenden vgl. F. Solmsen, Hesiod and AeoK'hylua, Ithaea (N. J.) 1949, 9011.
Ruhl
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Die Ausnahmesituation des sozial Ungeschützten, zu eigener Vergeltung nicht Befähigten, bietet der moralisch-theologischen Reflexion den Anlaß, in der Vergeltung über eine einfache Wiederherstellung des alten Zustandes hinaus ein sittliches Postulat zu erblicken, das die Götter erheben und dessen Befolgung sie mit dem Einsatz ihrer Macht auch durchsetzen. Aus der faktischen Wiedergutmachung kann die sittlich gerechtfertigte Strafe werden, ein Wandel, der sich in der Bedeutungsgeschichte des Wortes Tlf.lWf1Ei. spiegelt'. In wenigen Partien der Dias (z. B. 387fF.) und in mehreren der Odyssee (z. B. % 413fF.) • läßt sich erkennen, daß der Dichter Kränkung oder Schädigung im menschlichen Bereich als Verfehlung gegenüber den Göttem auffaßt. Ihre umfassende Begründung findet diese Anschauungsweise,
n
I Dazu K. Latte, Arch. f. Rel. 20/21, 1920, 254ft". Auch dT'I'~W und dduciw werden em spät gegeneinander abgegrenzt (zu d"'xd. vgl. Archil. fr. 79 D), bezeichnet doch bei Homer dT,l'dw bzw. dTll'dCw (A 11: 3116) durchaus dio band· ~iruche Kränkung, was der ebenso ..handgreifliohen" Bedeutung des Wortes
entspricht. rq/J( und T'I'~ sind noch bei Solon synonym (11 D). I Eine Anzahl von Problemen, die sich aus der friihgriecbiachen Vo....teUung "on einer unI6s1ichen Verkettung zwischen Tun und (vergeltendem) Leiden er· geben, soll im vorliegenden Zusammenlumg nicht DILber diskutiert werden, weil Mie gerade in jüngster Zeit eine ausfi1brliche Behandlung erfahren hat. - De i.t einmal die Frage, ob oe sich bei der aus Tat und Vergeltung gebildeten Kette des GeecheheDs um einen automati&ch ablaufenden Vorgaag haDdele, in den die Götter aIe Träger eigener Intentionen gar nicht bestimmend oder iLndernd "ingreifen können (M. P. Nilsson, Geech.d.griech. Religion, 1", München 19115, 622). Eng damit verbunden ist die andere Frage, in welchem Umfang Lohn und Strafe, Glück und Unglück, welche den Menschen treffen, überhaupt mit mora· Ji..,hen Kategorien zu f _ .ind. Wo sich das Bedürfnis nach einer solchen Bewertung regt, sehen wir - wie im e ....ten Bueh der Odyssee - .ich die Vor· .tellung vom Handeln und Leiden ;;""11 pOflUP bilden (Nilsson a. O. 698ft". 11. 738ft".: A. W.H.Adkins, Merit and Responsibility, Oxford 1960, 19f.), womit tier Verantwortung der Menschen und dem belohnenden oder bestrafenden Initiativhandeln der Götter ein Spielraum eröffnet wird. Rationalisiert findet .ich dieee Anschauung bei Herodot (8,60 y: Wer sein Handeln im Bereich des olxO; hält, kann des Beistand... der Götter gewiß sein) und Thukydidoe (1,140,1: ~lan darf der Tii%'l nicht zur Last legen, wa :raed ADyoo evl'flfi). Daraus wiederum "rgibt .ich die Frage, ob der Mensch, der seine Verantwortung zu erkennen und Glück oder Unglück als Lohn oder Strafe aufzufassen gelernt hat, auch zu .,iner nachträglichen Wiedergutmachung bel"ihigt ist, die über die rein faktiliChe Wiederbe1"8tellung doe GleicbgewichtlOJ hinaus den Vorfall Buch moraliliCh be· reinigt. Das letztgenannte Problem taucht erMtmal1 in der Pheinix.Rede der Presbeia (Hom. I 496ft".) auf und ist von D. Page (History and the Homerie lIiad, Berkeley 1969, 300ft"., mit reichen Literaturnachweisen) eingehend er· örtert worden. Die hier bei Homer zuerst auftretentlen Reftexionen setzen .ich dann in der PhilOIIOphie in der ganz unter individualetbiacben Geeichtspunkten geführten DisI.."U88ion über die I'traplü,a fort (vgl. etwa Demokrit B 43). Für IUlS8Ten Zusammenlumg ist oe wichtig festzubelten, daP die fortschreitende Ethisierung der Vergeltungsvorstellungen diese nicht notwendigerweise zu mildem brauchen.
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deren a11mählichee Erstarken das homerische Epos bezeugt, in der Dike-Theologie Hesioda. Dike, die von Hesiod "erl'undene" und für die strafende Vergeltung zuständige Göttin, ist die Tochter des Zeus, also dee obersten Herrschers ilber Götter und Menschen. Das Prinzip seiner Weltherrschaft, der vergeltende Ausgleich, ist in der Person seiner Tochter verkörpert'. Diese von Zeus getragene und in immer neuen Akten gerechter und genauer Vergeltung sich manifestierende Ordnung erläutern etliche Fabeln aus früh- und hoch&reh&iacher Zeit. Immer wieder geht es darum zu zeigen, daß auch da, wo der Geschädigte aller Wahrscheinlichkeit nach niemals in der Lage sein wird, seinen Anspruch auf Vergeltung durchzusetzen, weil sein Kontrahent ihm an Kraft überlegen oder unerreichba.r ist, eine von Zeus, als dem Herrn und Wächter über die Ordnung der Welt, unmittelbar gesendete Strafe den Täter gegen alle Erwartung zu trefFen pftegt. Solche Strafen aber genügen dem strengsten Vergeltungaprinzip, derT&lion, die stets als der Inbegrilf vollkommener Gerechtigkeit empfunden wird. Hierher gehören die Fabeln vom Fuchs und Adler bei Archiloch08 (fr. 89ft'. D), von Adler und Mistkäfer bei Semonides (fr. 11 D; vgl. fab. Aeaop. 3 Hauer.). I
Wobl erat auf dem Umweg über die heeiodeische Dike·Theologie und nicht
a\e unmittelbare Analogie (so Latte, Ant. u. AbendI., 2. 1946. 69) bietet die Vergeltung im Rechtsgange die Voraueeetzungen flir die kosmologischen und
ontologischen Konzeptionen der frühen Philoeophie, nach denen die Ordnung der Welt oder dee Seins durch du Prinzip etrenger Vergeltung konstituiert ist. (Anaximand.Bl; Parmen. BI."; Heracl.B63, 66. 94u.a.; Empedocl.ß 116; vgl. dazu M. Unterateiner. Parmenide. Firenze 1968. Introduzione p. LXXIVft'.; Heraclitue. The CoRmic Fragmente ed. G. S. Kirk. Cambridge 1964, 238ft'.; H. FränkeI. Wege und Formen friihgriech. Denkens, München 1966, 162ft'.1. Ohne die heeiodeieche Dike ist ferner Solone Entwurf einer Staats. ordnung, die sich in fortgesetzten Akten dee Auegleiche realisiert. kaum zu verstehen. Der Fortechritt. der eich aue einem Vergleich der heeiodeischen mit der 8OIonischen Dike·Vorstellung ableeen läßt. liegt wohl vorzüglich darin, daß bei Solon die Vergeltung a\e immanentee Prinzip monscblichen Zusammen· lebene erkannt ist. Solon weist, wiewohl ihm durchaue persönliche Götter Ga· ranten der Ordnung unter den Menschen Bind. immer wieder darauf hin, daß die gerechte Vergeltung sich mit der Notwendigkeit und Berechenbarkeit von Na· turereigniaoen erfülle (1. 17ft'. ; 10; 11 I. Aue SoIORS Worten spricht die Erfahrung einee Mannee. der soziale Umbrüche erlebt hat. Heeiod rechnet demgegenüber mit dem zwar mit Sicherheit erwarteten. aber doch ad hoc erfolgenden Ein· greifen der vergeltenden Gottheit zur individuellen Bestrafung des Frevlers (z. B. Opp. 219ft.; 2Mft.l. Bei Solon ergibt sich daraus auch ein klarerer Begriff der Ihl'j. die ee zu vermeiden gilt (vgl. G. Müller. Navicula ChiJonienoi., Leiden 19116,lft.; H. Frinkel. Dichtung und Philoeophie, 31111'.1. Das 1IfaB· halten. die alte Forderung griechiacher Ethik. ist ein Vermeiden der sich a\e Ihl'j realiaierenden Vergeltung durch Verzicht auf unrechtmäßigen Vorteil (z. B. SoI.1, 7ft. I und ihnIiche Verhalteneweieen. durch die du rechte Zueammenleben der M_ben gesichert wird. Zur Vertiefung des VergeltungRgedankena bei SoIOD vgl. auch C. M. Bowra. Early Greek Elegioto. Cambridge 111189. 1938, 94ft".
25 Solon (1.7ff.; 10; 3. 13ff.) 80 gut wie Herodot (z.B.l.9ff.) und die bei den Gerichtarednem zum Auadruck kommende Vulgärmeinung der späteren. klaBllischen Zeit (z. B. Ps. Lys. 6.20) sehen die Gerechtigkeit im Ablauf eines Geschehens als den - oft verspäteten. darum unerwarteten. aber nichtedestoweniger unausweichlichen - Ausgleich zwischen Tat und Vergeltung. Je genauer. talionsartiger die Vergeltung. auafällt. um 80 mehr genilgt sie den Anforderungen. die man an die göttliche Gerechtigkeit zu stellen gewohnt ist. Natürlich reicht das Bedilrfnis nach Ausgleich in allem Geschehen. Ausgleich insbesondere zwischen Glilck und Unglück. weit ilber den engeren Bereich des Juristischen und Moralischen hinaus. Es macht sich gerade im archaischen Denken der Griechen 80 stark bemerkbar. daß der Amasis der (auf archaischer Überlieferung beruhenden) Polykrates-Geschichte (Herodot 3.39ff.) seinem mit Glilcksgiitem überschiltteten Gastfreund raten kann. den Ausgleich zum Negativen gegen das Augenblicksinteresee des Betroffenen künstlich herbeizuführen. um so eine 80nst notwendigerweise von den Göttern geeendete. dem Ausgleich dienende Katastrophe abzuwenden. IPtUe. ydt1 0 {}~ Ta ti1reeixona xoÄo6e." (Herodot 7.10). denn jedes Vmp8XOl' stört den Gleichgewichtszustand. der von den Göttern als gut und gerecht gehiltet wird (vgl. !luch Pind. 01. 13.24; Isthm.7.39ff.). Gerade die Polykratee-Geschichte kann zeigen. wie umfaseend der Geltungsanspruch verstanden werden muß. denn von konkreten Verfehlungen oder Beeinträchtigungen der Intereseen anderer Menschen weiß sie gar nichts zu berichten 1. An den anderen sehr zahlreichen Stellen. llD denen Herodot von Vergeltung und Ausgleich spricht. die gegen alle Wahrscheinlichkeit von den Göttern zur Aufrechterhaltung einer gerechten Ordnung herbeigeführt werden (z. B. 5.56; 7.190). geht es um die Bestrafung bestimmter Taten·. Die Kette aus Tat und Vergeltung kann Herodot. wie etwa in der Geschichte der Lyderkönige im 1. Buch. geradezu den Sinn eines weit zurilckliegenden und unzulänglich dokumentierten historischen Handlungsablaufes erschließen. Dabei lassen 1 AI. Gegenstück zur Polykrates·Geochichte Herodota kann man die folgenden Theognis-Verse (3.1f.) auff8ll8eD:
.clcI,Au.!.IJi
Zrii. TiumS. /JOI. dnl ......öW ..al
1'0"
·0,.,,...... ..oIeI'" nl%,p.TI
",",li. dyaftlr.
Wean 88 einem eine Zeitlang schlecht gegaugen ist. kann man den Anspruch auf eine Portion Wohlergehen bei dem obersten Lenker der Geschicke amnelden. I AnliLBlich dBB Berichtes über den Ausgang d08 KleomBnBB (8. IU. 3) erklärt Herodot das schreckliche Ende dB8 grollen Königs entgegen der spart.anischen Oberlieferung als gerechte Vergeltung f""Ur den an Demarat verübten Frevel. und in 3. 109 gibt er seiner Uberzeuguug Ausdruck. daß auch im Tierreich gerechte Vergeltung geübt werde.
26 sich für Herodot beide Vorstellungen, die ältere von einer das Leben und damit die Verantwortung des Einzelnen überschreitenden objektiven Vergeltung und die jUngere von der stets eintreffenden Bestrafung der Person des Täters, nebeneinander nachweisen. Erstere findet man in der Frühgeschichte der asiatisch-europäischen Beziehungen (I, 2ff.), letztere an den o. S.26 gesammelten Stellen. Wenn Platon (leg. 870 E) die genaue Vergeltung der Taten, die nach einer immer wieder neuen Erfahrung im einzelnen Menschenleben nur zu oft ausbleibt, auf die verschiedenen Inkarnationen im Verlaufe der Seelenwanderung verteilt, so handelt es sich dabei wohl um einen an orphische Vorstellungen anknüpfenden Versuch, das Vorhandensein einer absoluten, das Prinzip der Vergeltung wahrenden Gerechtigkeit auch im Leben der einzelnen Seele mit Hilfe der Einbeziehung nicht erfahrbarer Bereiche nachzuweisen 1• Das Bedürfnis, für alle Geschehni88e den gerechten Ausgleich zu finden, ist hier ebenso stark wie der Ernst, mit welchem dem Individuum die Verantwortung für all sein Ton auferlegt wird. Es ist sicherlich kein Zufall, daß die Vorstellung, die gerechte und endgiiltige Vergeltung alles Tuns erfolge erst im Jenseits nach dem Tode des Menschen, gerade in der Zeit das erste Mal innerhalb der griechischen Welt auftaucht, in der die Stra.frechtspflege das starre Schema der Talion, der genauen Entsprechung von Ton und Erleiden zu modifizieren beginnt, weil man das Individuum als Träger von Einsicht und Absicht zu berücksichtigen und einen an das Vorhandensein des Vorsatzes geknüpften SchuldbegrifF zu konzipieren gelernt hat. Die mannigfachen Lehren vom Totengericht, von der Belohnung und Bestrafung aller Taten im Jenseits finden sich zuerst im Zusammenhang einer weitreichenden Bewegung, die sich auf vielen Gebieten des religiösen Lebens abzeichnet, im Zusammenhang mit sozialen Umwälzungen am Ende des 7. Jahrhunderts einsetzt und in verschiedensten Erscheinungsformen das ganze 6. Jahrhundert über anhält'. Die sog. Orphik ist sicherlich nur ein Teil dieser viel umfassenderen religiösen Bewegung, die z. B. in der delphischen Apollon~e....,lben We;"" motiviert der pythagoreisierende Verfasser des oog. Timnioa Lokroa (3, 12f. = 95 Bft".) die Seelenwandonmg. Beaonders kODll8Cluent ist .päter du TaJi01l8prinzip in der Seelenwanderungalehre der Manichäer ver· wirklieht: Tötet ein MeJl8Ch ein Lobeweaen, wird seine Seele während der nächsten El
setzen" (904 cr.) daa Verhältnis von d/,tJf!· /,er., und menschlicher Ent.scheidungafreiheit dahin, daß du Tun selbst in die Vorantwortung des Menoehen falle. die VorgI!ltung aber \"on der dptJf!/,er., deter· miniert sei, also erfelgen miiMe. • Dazu M. P. Nilsson, Gesch.d.griech. Re\., I', Miinchl!n 1955,611ft".u.678ft". mit weiteren Literaturhinwe;""n.
Recht
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Religion tiefe Spuren hinterla.ssen hat. Auch orientalische, insbesondere ägyptische EinftÜ88e wurden damals gerade in der Ausgestaltung der Jenseitsvorstellungen offenbar in großem Umfang aufgenommen. Es ist nun bezeichnend, daß die Jenseitsstrafen, und zwar sowohl in den frühen "orphischen" Testimonien als auch in den spätantikchristlichen Apokalypsen, ganz überwiegend am TaJionsprinzip orientiert Bind (Aristoph. Ran. 146fF. ; Plat. Phaed. 114 Af. ; Luc. Catapl. 24f. ; Apoc. Petr. 25fF.)1. Das religiöse Denken versucht also in einer Zeit, deren differenziertere soziale Verhältnisse eine Verwirklichung der absoluten Gerechtigkeit nach dem iua taJiorua nur selten gestatten, diese für das allein dem Willen und dem EinftuB der Götter unterworfene Jenseits zu retten. Daß aber die genaue Vergeltung alles Tuns unabdingbare Vorauaaetzung für eine gerechte Ordnung der Welt sei, wird offenbar als selbstverständlich angesehen. Wo man in hellenistischer Zeit dem willkürlichen Walten der TV%7/, der sich der Einzelne stä.rker als zuvor wehrlos ausgeliefert fühlt, einen verborgenen Sinn abzuringen trachtet, entdeckt man immer wieder Beispiele einer zwar späten und unerwarteten, aber dafür um so strenger dem Talionsprinzip genügenden Vergeltung scheinbar vergessener Freveltaten (polyb.23,10, 2). Voll von solchen Berichten über die von der TV%7/ bewirkte Vergeltung ist die AgathoklesGeschichte des Duris, des Archegeten der sogenannten tragischen Geschichtsschreibung, die der Darstellung Diodors in den Büchem XIX-XXI zugrunde liegt". Es hat eigene Abhandlungen über diesen 1 E. ist in un"""",, Zl18&IIID1enhang ohne weitere Bedeutung, daß in den Lehren vom Jenseits je nach der Phantuie ihrer Verkünder der Talionsgrundsatz verochiedene A~tungen en'Mt. So kann die Strafe im alten Sinn Talionscharakter tl1lfl8ll, als der Täter seine eigene Tat erleiden muß. Andererseits aber kann die Strafe auch den Wesensteil seiner Person affizieren, mit dem er gefrevelt hat. Dall auch diese Art der Talion dem vulgären Bedürfnis nach genauer Vergeltung genügt, drückt Martial scherzhaft in 3,85 aus. Auch die häufig von religiösen Motiven bestimmte barbarische Strafjustiz der späten Antike und des späten Mittelalters hat nicht selten auf die letztere Talionsart zurückgegriffen. In jedem Fall geht es darum, daß man sich voUkommene Gerechtigkeit nur als vollkommene Vergeltung vorstellen kann. I Vgl. hierzu N. Zegers. Wesen und Ursprung der tragischen Geschichtsschreibung, Dias. Köln 1969, 27ft'. Eine besondere Rolle spielte offenbar das Vergeltungsproblem im Geschichtswerk des PoseidOni08, vor allem im Zusammenhang seiner ausf"lihrlichen B.chreibung der Sklaven-AufstiI.nde. So bezeichnet er das Schicksal der chiotischen Gutabesitzer als gerecht, denn von Chi08 habe die Sklaverei ihren Ausgang genommen (F 38 J.). Er berichtet von der Schonung einer Landbesitzerstochter durch die Aufständischen, weil sie früher das Les der Sklaven nach Kräften erleichtert habe (F 108 i J .), und ist überzeugt, daß Menschen nicht von ihrer Natur getrieben Grauel begehen, sondem .teta nur in der Vergeltung zuvor erlittenen Unrechtes (F 108 a[13] J.). Allerdings, so meint Poseidoni08 im gleichen Zusammenhang, versnJ_ meist auch nur dio Furcht vor Vergeltung die Menschen zum rechten Handeln (F 108 u J.).
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Gegenstand mit den entsprechenden Geechichten-Sammlungen gegeben, in deren Reihe Plutarch (De sera num. vind.) als ein später Repräsentant gehört. Für das hier zu erschließende, ungebrochen fortdauernde Gerechtigkeitagefühl, das nach einer Vergeltung im Sinne des ius ta1ionis verlangt, macht es keinen Unterschied, ob die Macht, die solche Gerechtigkeit trotz aller Umwege und Verzögerungen endlich durchsetzt, als nSX'I, als unpersönliches und unentrinnbares Schickaal oder als persönliche Gottheit (wie bei Plutarch) empfunden wird. Es verdient nur schon jetzt angemerkt zu werden, daß es hinlänglich Zeugnisse für das Bedürfnis nach einer solchen absoluten und objektiven Gerechtigkeit im Faktischen auch aus einer Zeit gibt, deren philosophische Ethik den Menschen gerade gegenüber der offenbaren Ungerechtigkeit im äußeren Geschehen, gegenüber der vielfach nicht erfolgenden Vergeltung des Frevels, mit Gleichmut zu wappnen suoht (s. u. S. 69)'. Natürlich ist die Vorstellung, daß zu einer vollkommen gerechten Ordnung die Vergeltung jeder Tat nach dem Grundsatz der Talion gehöre, nicht auf die griechisch-römische Antike beschränkt. Für die vorliegende Betrachtung genüge der Hinweis auf entsprechende Anschauungen im Alten Orient und im späten Judentum. Auch dann. wenn die Strafrechtspßege längst Modifizierungen erfahren hat, die das TalioDBBchema auf mannigfache Weise einschränken, gilt die Talion weiterhin als Inbegriff vollkommener, göttlicher Gerechtigkeit. So erläutert z.B. das Jubiläenbuch (4,31/32) diesen Grundsatz an de .. Legende vom Schicksal des Brudermörders Kain: Er wurde durch einen herabfallenden Stein erschlagen, so wie er einst Abel mit einem Feldstein erschlug. Jahwe ist für die Vorstellungswelt des Alten Testaments vor allem der Gott, der die gerechte Ordnung in seinem Volk und dann auch in der Welt durch ständige, als Belohnung (Prov. 19,17 u.a.) oder Bestrafung (z.B. Ps. 91,8) wirkende Vergeltung aufrechterhält (vgl. auch Test. Sebul. 5,3). Bisweilen ",ergilt Jahwe ganz I Die hollenistische Tyche·Lehre beschränkt die vergeltende Funktion d ... Schicksals bzw. der natürlichen Ordnung nicht auf solche Fille, in denen voll· wgene Taten ihren Ausgleich finden müssen. Agatharchides (b. Phot. Bibi. 468 b 1611".) berichtet in der Schrift über das Rote Meer von den gefahrlichen Gift· schlangen. die sich in den wertvollen Gewürz·Plantagen der Sabäer aufhalten. und erklArt diesen Unurt.and folgendermaßen: oloo.l ~ TOio rLIeoi. imT.,;yprut. Tij. xal ~, TcIyaB.ji TÖ flAa/ke60. &m». pf)6rk EI, TlAD, lEuflel~"" T'TCII'a.n._ flla. ~ TI, tj ./prau; ~ "fG)lpa."", cl.a)lxala
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spät und unerwartet, wie in der sehr alten Abilemech-Geachichte des Richterbuches (9,56f.), nie aber bleibt die Vergeltung einfach aus. Im allgemeinen wird deshalb auch der Mensch da, wo es an ihm liegt, einen gerechten Zustand herbeizuführen, sich an das Vergeltungaprinzip in seiner klarsten Form halten mÜllBen. So sind eben die o. S. 13 besprochenen Talionaatrafen der israelitischen Rechtspflege zu verstehen. Aber in dem Nachdruck, mit dem Jahwe die Vergeltung achlechthin a1a seine Aufgabe in Anspruch nimmt (z.B. Deut. 32,35), liegt die Möglichkeit beachloaaen, daß sich der Mensch für das zwiachenmenschliche Handeln vom Vergeltungagrundaatz dispensiert; denn er kann damit rechnen, daß Jahwe in jedem Falle den Vergeltungaanspruch wahrnehmen wird. 'Ober dieaea Phänomen wird u. S. 44 noch Näheres mitzuteilen &ein. Es nimmt unter diesen Umständen nicht wunder, daß seit der Zeit Konstantins, a1a die kaiserliche Gesetzgebung unter den EinHuB religiö8-vulgären Denkens geriet und nicht mehr allein vom Sachverstand und der rationalen Schulung ausgebildeter Juristen bestimmt war l , wieder in verstärktem Maße Strafbeatimmungen nach dem Talionaprinzip im römiachen Recht auftauchten, insbesondere in Fällen, die ganz oder teilweise dem sakralen Bereich angehören (vgl. das bei Mommaen, Römisches Strafrecht 496ff. zusammengestellte Material). Der Kaiser, deaaen Stellung im 4. Jahrhundert so überhöht ist, daß alles, was mit ihm zu tun hat oder von ihm ausgeht, das Prädikat 8acer trägt, trachtet mit diesen Bestimmungen offenbar eine Gerechtigkeit zu verwirklichen, wie sie nach der Vulgärmeinung sonst nur durch göttliches Eingreifen herbeigeführt werden kann '. Damit entspricht der Kaiser zweifellos den Erwartungen, die die Vulgärmeinung gegenüber kaiserlich-sakraler Rechtspflege hegt. Daß aber diesea Eingehen auf vulgäre Rechtavorstellungen eine eracbreckende Barbarisierung der Rechtapraxis mit sich bringt, versteht sich von selbst". I
F. Wieacker, VulgariBmua UDd K1aaaiziomus im Rechtder Spätantike,Sitz.-
Bar. Ak. Heidelberg 1966. Für das Privatrecht M. Kaser, Das röm. Privatrecht,2, München 19119, 3ft". • Vg!. Draccnt. laud. Dei 2, 11M Vollm.: In Be vera dei confirmana verba proharit: hoc patietur homo, quod quiaquam fecerit ulli. Dae Verae, welche die feste Vorstellung von der gOttlichen .... einer vergeltenden Gerechtigkeit für die christliche Spätantike vorzüglich formulieren, wurden mir freundlicherweisa von Herrn Dr. Speyer nachgewiMan. • Die BOg. Kalumnien.Talion, d. h. die Bedrohung desaen, der eine falsche Allldap erhebt, mit deraelban Strafe, die der Anpklagte zu erleiden Gefahr l&uft, ist auch für die Gesetzgebung des Augustus bezeugt (8uet. Aug. 32). Sie ll/JIt sich aber wegen ihres Charakters .... Sondermallnahme und wegen des
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Unsere Erwägungen und die vorgelegten Stellen haben gezeigt, wie tief das Bedürfnis nach Vergeltung im Sinne der Talion das archaische und das vulgäre Rechtsbewußteein der Menschen bestimmt, 80 daß dann, wenn allgemeine, den Respekt vor der Integrität des Individuums vermittelnde Gesittung und intensives, rationales Nachdenken über das Wesen des Menschen und das menschliche Zusammenleben die Geltung des Talionsgrundsatzes in Recht und Sitte gedämpft haben, sich die religiöse Spekulation nach anderen, übersinnlichen Bereichen umsieht, in denen sie das filr vulgäre Gerechtigkeitsvoratellungen unumgängliche Talionsprinzip verwirklicht findet und dem Menschen ein neues Vertrauen auf die schließlich doch erfolgende genaue Vergeltung alles Tuns vermitteln kann. Unter den griechischen Philosophien hat nur eine es gewagt, die Gerechtigkeit als dnr:wro.tM. zu definieren, die pythagoreische (Ariatot. E. N. 1132; M.M.1182a 14). Das ist sicher kein Zufall, denn wie kein anderes der philosophischen Systeme Griechenlands zeichnet sich dielltls dadurch ans, daß es subtile rational-mathematische Spekulationen mit ganz urtümlich-irrationalen Anschauungen und Tabuvoratellungen verbindet. Aber abgesehen davon. daß ein T(!."if!M' piJlJot; das avnm:r071'JOt; gutheißt, liegt diese Definition der Gerechtigkeit auch deshalb durchaus auf der Linie pythagoreischen Denkens, weil dort der ganze Aufbau der Welt, das aeeliach-aittliche Leben eingerechnet, aus der äeprww. erklärt zu werden pHegt. in welcher sich die gegensätzlichen Kräfte und Impulse zusammenfinden (vgl. etwa Alexander Polyhistor b. Diog. La.ert. R,25ff. bzw. 8,33). Der vergeltende Ausgleich muß also filr dieses Denken eine ganz zentrale Bedeutung besitzen'.
b) Die Vergeltung in der Vulgärethik Die unter den Menachen offenbar immer und überall lebendige Auffassung, der rechte G1eichgewichtszuatand in der Welt könne nur U11l8tandes, daß sie wohl nur für betrügerisch eiDgeklagte Geldfordenmgen gedacht war (vgl. Mommsen. Strafrecht 496,3), in ihren Auswirkungen achwer· lieh mit den massiven Taliolllllltrafen der spätantiken Gesetzgebung (seit Konstantin, vgl. Cod.Theod.9,10,3) vergleichen. , Die Bedeutung des Vergeltungagedankena rür die pythagoreische Lehre zeigt sich fenter im Referat des AriBtoteles Met. 986a 23ft'., bei Archytaa B 4, aowio bei Alkmaion B 4, wo pythagoreischer Einftuß mindestens nicht auage· achl_ erscheint. Warum Ariatoteles der pythagoreischen Definition der Gerechtigkeitwidenprochen hat (E. N. 1132b 25ft'. sowie M. M. 1182a 14), wird u. S. 66ft'. zu zeigen 18in.- Zu den medizinischen Parallelen der pythagoreiachen dfl'O"/a·Lehre vg!. W.H.S. Jonea, Phil0s0phy and Medicine in Ancient Greece, Baltimore 1946, 3ft'.; O.S. Kirk, Heraclitua, The Coamic Fragmente, Cambridge 1964, 219.
l"ulgilretAik
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durch eine ständige Vergeltung alles TWlII im Guten wld Bösen verwirklicht werden, ist im Vorstehenden an der teils Wlbedingten teils modifizierten Geltung der Talionsformel im Straf- Wld insbesondere im Blutrecht erläutert worden. Angesiohts der Frage nach der Verwurzelung dieses Grundsatzes in den tieferen Sohiohten des menschliohen Bewußtseins, wie sie in Kult und Religion zutage treten', ergab sich aber bereits die Einsicht, daß das Vergeltungsdenken, dessen schärfster Ausdruok eben die Talionsformel ist, fast alle Bereiche dee menschlichen Lebens beherrscht'. Es liegt also nahe, in dem durch die Themastellung dieser Studie gesteckten Rahmen auch die vulgärethischen Maximen zu registrieren, in denen menschliches Handeln in den für die jeweils bestehende soziale Wirklichkeit relevanten Situationen nach dem Grundsatz der Vergeltung bewertet, gutgeheißen oder abgelehnt wird. Solche Maximen können entweder als Sentenzen aUBdrücklich formuliert und mit dem Ziel moralischer Belehrung in eine einprägsame sprachliche Form gebracht sein, sie können sich aber auch, ohne eine abschließende Formulierung erhalten zu haben, als Quintessenz aus der ErzählWlg eines bemerkenswerten Herganges ergeben. Unter den formulierten Sentenzen kann man zwei Arten unterscheiden: Auf der einen Seite handelt es sich um die möglichst lapidare FeststellWlg eines Wlter Menschen häufig zu beobachtenden und darum für alle wissenswerten Phänomens, a1so um die einfache Mitteilung einer wichtigen Erfahrung. Im Deutschen kennen wir etwa das Sprichwort "Wie du in den Wald hineinrufst, so schallt es heraus", in dem die Erfahrung, daß sich ein Hergang zwischen menschlichen Partnern im allgemeinen nach dem Vergeltungsprinzip abspielt, eine kurze und einprägsame Formulierung gefunden hat. Vergleichbare Sentenzen g~bt es in großer Zahl auch in der altorientalischen Wld griechischen Uberlieferung. Es sei etwa an Homer Y 250 erinnert OmmUw x' sbqJaDa. ~ TOio. x' rnaJCaVaav; (vgl. Hes. Op. 721). Das sittliohe Bewußtsein, das solchen Erfahrungssätzen entspricht, rechnet damit, daß man im zwischenmenschlichen Verkehr stete billigerweise mit Reaktionen rechnen mtisse, die an Umfang und Gewioht dem eigenen Vorgeben die Waage halten. D_lbe Bewußteein liegt auch einer TbeognisSentenz zugrunde (573), die hier als Beispiel für den anderen Typ 1 Daß die Wurzeln der VorsteUUDg vom notwendigen AWl8leich a1Jee Tuns tief im Sakralen liegen, hat G. VAIl der Leeuw All einem reichen Material gezeigt (Phänomenologie der Religion, Tübingen "19118, 231 u. 4011 mit Literaturangaben). 1 In diesem Binne definiert Isidor v.Sevilla die Talion (Etym.Ii,27): Talio DOn est aoJum ad iniuriam reCerenda, sed etiam pro beneficio reddendo ponitur; eet enim commUDia aermo et iniuriae et beneflcentiae.
32 vulgärethischer Sentenzen stehen mag: eJ leOOw eJ ndoxe. Aus der Erfahrung, die in dem vorhin zitierten Homer-Vers einfach festgehalten und übermittelt wird, zieht dieser Theognia-Vera die Konsequenz im Sinne einer paränetischen Verhaltensvorachrift. Weil man stets daa zu erfahren oder zu erleiden pßegt, was man selbst den anderen zufügt, ist ein zufriedenes, glückliches Leben daa Ergebnis rechten Handelna gegenüber den anderen Menschen. Und es liegt auf derselben Linie, wenn man auf Grabinschriften häufig den Wunsch al1llg8llprochen findet, es möge dem Vorübergehenden Gutes zuteil werden nach Maßgabe der Wünsche oder der freundlichen Gesinnung, die er dem Verstorbenen durch seinen Gruß beim Verweilen am Grabe entgegenbringt (Carm. epigr. lat. 131 u. 132). Nun zeigt sich natürlich bei näherem Zusehen, daß sich aus dem VergeltungBgrundsatz für daa menschliche Handeln sehr verschiedeDe, je nach der Situation der Betrolf'enen dilf'erenzierte Konsequenzen ziehen laeaen. Ferner bemächtigt sich die moralisohe Refte:rion dieses Grundsatze& in der Weise, daß sie prospektiv die Folgen einer bestimmten Handlungsweise zu erkennen und dem Handelnden entsprechende, der gegebenen Situation vorauseilende Vorschriften zu geben sucht. Zur Veranschaulichung der Vielfalt moraliacher Erwägungen, die an den Vergeltungsgrundsatz anknüpfen, BOllen hier wenigstens einige Beispiele gegeben werden. Da ist zunächst die von Platon alB ~II TciW nollciW leidenschaftlich bekämpfte Maxime, man BOlle seinen Freunden ein Freund, seinen Feinden aber ein ebenso entaohloaaener Feind sein und Schaden wie Wohltat mit gleicher Münze heimzahlen. Diese Regel schätzt vor allem die griechische Adelagesellachaft archaischer Zeit:
in ]laTl1plll TOI Tm. 9'1Ä[60]I'TII Ile,. 9'[1 ]Uelll TO]ll W]
ixfJea. ixfJa/eEl., TB ["11]1 "(Jl(0 [ •.•
(Archilochoe Pap. Ox. 22,2310; ähnlich Hom C184; Sapph. fr. 5,6 LP; Alkaioe fr. 341 LP; Solon fr. 1,5 D; Theogn. 59f.). Die TIIl", d.h. daa Maß an Reichtum, EinfinD und Ansehen, ohne daa ein Verbleiben im Kreise der Standeagenoaaen unmöglich wäre, muß ungeschmälert bleiben, und daa ist nur möglich, wenn alles seine Vergeltung findet. Tll101{!BürfhJI, daa später BOhlechthin "vergelten" und dann ..bestrafen" heißt (s. o. S. 23), bezeichnet eben ursprünglich die Sorge um die Wahrung der TIII", die immer auf die Vergeltung des Empfangenen oder Genommenen hinausläuft. Man denke nur an den Konflikt zwiachen Achill und Agamemnon um daa y6~. Kein Mann aus der homerischen Adelagesellachaft kann es ertragen, wenn ihm ein Beaitz, auf den er seiner Stellung nach einen Anspruch erheben darf, von einem anderen streitig gemacht wird. Er würde ..sein Gesicht verlieren", denn er
33 duldete, sofern er sich nicht vergeltend zur Wehr aetzte, eine Verschiebung des Gleichgewichtazustandes, der ihm aeine Position sichert. Darum ist es auch eine Sohande, wenn man als clxoÄo. (Alk. fr. 348 LP), als Mann ohne Galle, auf den Vergeltungsanspruch verzichtet, weil auf diese Weiae die Ttl'rl gemindert wird (vgl. H. Fränkel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, NewYork 1951,258). Noch Demokrit ist übrigens dieser Auffassung (B 193). Aber die Regel, daß man aeinen Freunden nützen und aeinen Feinden schaden, also stets Gleiches mit Gleichem vergelten solle, gilt nicht nur in der frühgriechischen Adelsgesellsch&ft.. Wir begegnen ihr bei Hesiod (Op. 353ff.) ebenso wie bei Euripides (Hero. 585f.; 732f.; Med.809; Ion 1046; Hec.1250 1 ), dem xenophontisohen Somtes (Mem. 2,2,14 u. 2,6,24) und in den virtus-Definitionen bei Luoilins (1326ff. Man). In der Umg&ngII8Prache der K&iaerzeit kann man mit dem Hinweis amicus amico den Ruf eines Mannes retten, dem sonst Nachteiliges nachgesagt wird (Petron. 43,4 u. 44,7), während die Umkehrung, jemand aei aeinen Freunden schädlioh und aeinen }'einden nützlich, als schlimmste Invektive in das Araenal attischer Prozeßredner gehört (PB. Lysiu 6,7). In der dem Gorgiu zugeBchriebenen VerteidigungBrede des Palamedes (18) sucht der Angeklagte die Haltlosigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwilrfe durch den Nachweis zu entkräften, daß sie nur dann wahr aein könnten, wenn er aeinen Freunden Schaden, aeinen Feinden aber Nutzen hätte zufügen wollen. Die hier in der absurden Umkehrung zitierte Maxime wird also mit Recht als allgemeine Richtsohnur alles menschlichen Handelns voraUBgell6tzt. Für Platon ist dieae Regel, die jedes arradlNei. rechtfertigt, der Inbegriff der ethischen Vulgärmeinung, der MEa TcUP ;rooUMo (Reep. 332 E; 334 C; Men. 71 E; Gorg. 507 B), die er bei aeinen sophiBtischen Gegnern nachdrüoklich bekämpft (s. u. S. 61 ff.)I. Der Vergeltungsgrundaatz liefert immer wieder den Bewertungsmaßstab für zwischenmenschliche Vorgänge. In den "Thesmophorie.zUllen" des Aristophanes (518ff.) verteidigt Mnesiloohos den Euripides vor den veraammelten Weibern mit dem Hinweis, daß aeine weiberfeindlichen Äußerungen doch weit hinter den wirklichen Verfehlungen der Frauen zurückblieben, sie also weniger erlitten als getan I Wir finden Creilich bei Euripid"" auch die darüber hiDawUührende AnBChauung, daß die Schädigung d"" Feind"" oder des Böoen nicht wn der persönlichen Vergeltung willen, oondern im Intereeoe eiDer übergeordneten Rechteordnung zu vollziehen Mi (Hec. ,,"C.; vgl. W. Nestle, Euripides, der Dichter der griechischen AufIdirwtg, Stuttgart 1901, 191). I Die Sophiaten haben diese Vulgärmeinung wie viele andere aUBdrück\ich gutgeheißen. Für Gorgias ist sie durch den EpitaphiOll und durch Plat. Men. 71E bezeugt, dazu kommen die .1.aaol AaIyo< (2,7).
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hätten. Umgekehrt heißt es im Hinblick auf die euripideischen Frauendichtungen in den "Fröschen" (1048): a rde el~ T~ d.UoTe~ hrOE", aVro. TmlTOU7I. mÄ1/y7]•. H. Bolkestein (Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristl. Altertum, Utrecht 1939, 160ff.) hat zahlreiche Zeugnisse ZU8&IIllD.engetragen', aus denen hervorgeht, wie man in Orient und Antike zum Wohltun gern mit dem Hinweis auffordert, daß man nur 80 den entsprechenden Nutzen als Vergeltung erwarten könne. Die Proverbien (28,27; 11,21; ferner Ps. 41, 2ff.) stimmen darin mit der Weisheitslehre des Ptahotep (vgl. A. Erman, Die Literatur der Ägypter, Leipzig 1923, 94, und Diod. 1,90,2) und mit den unter Menanders Namen überlieferten Mon08ticha (317) überein. Der zuletzt zitierte Vers hat sich auch in einem antiken Schulheft erhalten (D. Page, Literary Papyri, London 1950, Nr.116): M.fJu" mUtJ' &>., r..a MfJn" lfra. {)i).n. l . Theognis warnt davor, den Schlechten wohlzutun, weil man von ihnen keine Vergeltung erwarten könne (105ff.) In der neu gefundenen Menander-Komödie (Dysc. 797f.) wird das zu wohltätigen Zwecken ausgegebene Geld als das am besten angelegte Kapital bezeichnet, weil es Hilfe in Notzeiten verbürgt. Bei Stobai08 (3 p. 119 Hense) erscheint ein dem Thales zugeschriebenes Dictum, das die Aufzucht von Kindern desh&lb empfiehlt, weil man nur 80 Unterstützung im Alter finde. Diese Auffassung setzt auch der Redner Isa.i08 (2,10) als die allgemein verbreitete voraus. Bei Hesiod gilt darum (Op. 187ff.) als schlimmster unter den vielen Freveln des Eisernen Zeitalters, daß die Kinder nicht mehr für ihre alten Eltern sorgen. Nach Plutarch (Sol. 22,1) waren in Athen Kinder, denen die Eltern keine Ausbildung hatten angedeihen lassen, von dieser auf dem Grundsatz der Vergeltung beruhenden Unterh<spflicht befreit (vgl. auch Eur. fr. 4 N; Suppl. 336). Scherzhaft kann dann Aristophanes das Motiv dahin verändern, daß der Sohn dem Vater auch die empfangenen Schläge späterhin zurllckerstatten müsse (Nub. 1399ff.)I. Die Spitze dieses Spottes richtet sich gegen die sophistische Erziehung, die der junge Pheidippides genoesen hat: Sie zieht aus den Prinzipien der Vulgärmeinung jede ration&l einleuchtende Konsequenz, ohne sich um die Notwendigkeiten des wirklichen Lebeus zu kümmern (s. u. S. 85ff.). Auch die Freundschaft wird gern als System , Zu dieoen Stellen ist jetzt Menand. Dysc. 809ft". nachzutragen. Die Zugehörigkeit di_ 8chemae zur vulgären Denkweise zeigt z. B. Petron (U,3): 8erva me ...rvabo te. I Indem Aristopba.nea übertreibend das Vergeltungsschema ad absurdum fUhrt, macht er sieb über die 8Opbisti.oche Methode lustig, nach der Anschauungen des VulgirbewuBteeins als untrügliche Regeln der Natur interpretiert, systematisiert und denWertmaBst.lben der Konvention entsegeDgeatellt werden. Vgl. auch Aristoph. Nub. lOUft". I
ausgewogener Leistungen und Gegenleistungen verstanden (z. B. Cio. Lael. 49; Xen. Cyrup. 1.6.45). Der Vergeltungsgedanke behauptet seine Gültigkeit im Guten (Herodot 1.41) wie vor allem auoh im Böllen: Iure in te peooat in quem peooaria prior. lehrt Publiliua Syrus (273). ein Grundsatz. den BOhon Hesiod auf die Kron08-Geaohiohte anwendet (Theog.170ff.). Immer wieder finden wir in der VuJgärethik die Anwendung von Trug und Gewalttat gerechtfertigt. wenn man es mit einem Partner zu tun hat. der die gleichen Waffen entweder schon angewendet hat oder wahnoheinlich anwenden wird (Epioharm. B 32; Zenobi08 1.71 [paroem. graeo. 1])1. In den Prooemien der Geriohtsreden findet man immer wieder den Hinweis. daß der Sprecher wegen einer vorausgegangenen eigenen Kränkung durch den Angek1agten diesen verfolge und sohädige. sein Mexeip also ein dncWlXeinei (Lys. 13.1; Dem. 22.3f.; 54.6; Ps. Dem. 59.1ff.). Diese uns wenig aympathiBOh berührende Inanspruohnahmo des ungesohriebenen Reohtes auf persönliche Rache oder Vergeltung im öffentlichen Rechtsgang unterdrüokt Dem08thenes ge1lisaentlich da. wo ein besonders kultivierter und vornehmer Mann die Rede zu halten hat wie im Prozeß gegen Ariatokrates (23.1). Hier betont der Sprecher gerade seinen Verzioht auf persönliohe Genugtuung. da es ihm um das Staatswohl gehe (vgl. W. Jaeger. Dem08thenes. Bin. 1939. 61). Man sieht also besonders deutlioh die Zugehörigkeit des Vergeltungagrundsatzoa zum Bereioh vulgären Denkena. Daß es endlich ein Gebot der Klugheit sein kann. auf den bereohtigten Vergeltungsanspruoh zu verzichten. sagt Demosthenea in der Rhodier-Rede (15.6 u.a.). weil er das Hilfsgeauch der noch vor wenigen JaJmm abgefallenen Rhodier befürworten zu mtlaen glaubt. Jedooh ist die Vergeltung auch hier als eine gleiohsam natürliche I Aufschlußreich in d i _ Zusa.mm8DhaDg ist. Herodot 7.11.3: Beim Be· stehen einer Feindschaft muß maa ~ gefallt aem, aII. zu tun und aII. (unprovoziert) EU ....leiden (d. h. doch wohl über das durch eine gerechte Ver· geltUDg geaebte Maß hinaus) ...cl ,..141 ,.Imw ...w.. ..." I~, Itrrl•. Di_ ver· mut.lich mit sophiatiachen Begrifl"ahestimmUDg811 zusammeahliDgend Satz (s. u.S.98f.) wird durch die ÄuJIenmgen des GlaukOD (Plat. Rep. 338Dft".) er· läutert. die sophistiache AoaichteD wiedergeben sollen: Das ahuutw ist ein ,.MI"" Z1riachen dem "'""'''''. dem UDgeBtoraften "",,"r.. und dem dem "",,"icr· Ba. oboe nachfo1gende VergeltUDg. Da atarke Naturen imst.aDde sind. gegenüber ihren achwiieheren MitmeDachen die PositiOD des "'""''''' zu behaupten, haben die letzteren gleichsam ala KompromiJl das auf dem Prinzip ausgleichender Ge· rechtigkeit beruhende ahuutw erfunden und so wenigstens das ,.Imw für eich geeichert. das für die Starken eine Schlechter·. für die Schwachen dagegen eine ~UDg gegenüber den oaturgegeheoen Verbiluu- bedeutet. (Vgl. auch Anoo. Iambl. 7.10 und Kritias B 23.) Die Zugehlirigkeit beider A~ zur gleichen DeoInreiee leuchtet ein. Epikur steht mit den u. g. SteUen in derselben Traditicm.
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36 Handlungsweise vorausgesetzt. Die Kränkung ohne Anlaß ist demgegenüber unzulässig, wie es der Palamedes der gorgianischen Verteidigungsrede ausführlich darlegt (31). Deshalb haßt der Mensch aber auoh immer den, den er unprovoziert verletzt hat, muß er doch mit seiner nunmehr berechtigten Vergeltung rechnen (Tao. Agric. 42). AristoteIes hat die Einsicht in die übliche, am Vergeltungsschema haftende Denk- und Verhaltensweise der Menschen genau und knapp beschrieben, wenn er festetellt, daß unter den beiden einander zuzuordnenden Extremfehlern der OeyIMnj, und der dotrmalo. die erstere weit häufiger vorkomme: dlll}f!CIJ1(IXWTE(!01' "de TO TlpCJJ(!EjaiJcu (E. N. 1126a 30). In Testamenten, Verträgen und Briefformularen (vgl. etwa die Beispiele bei Hunt-Edgar. Select Papyri I. I..ondon 1952. Nr. 82, 93 u. 96) pflegt man immer wieder auf die strenge Gegenseitigkeit der Dienstleistungen. Wünsche und Verpfliohtungen hinzuweisen. die es billigerweise einzuhalten gilt. Wenn Epikur (rat. sent. 31 u.33) den .0"01; als einen Vertrag definiert. durch den sich die Menschen vor gegenseitiger Schädigung sichern, beruht das ganz auf der vulgären Anschauung, daß Sohaden und Wohltat stets in gleicher Weise vergolten werden. Dieselbe Lehre vom Ursprung und Sinn der Gesetze kennt schon die Sophistik: Durch riPopla soll das dnm4JovÄEtlEI. dll~Äo" unter den Menschen unterbunden werden (Anon. Jambl. 7, 10 vergleichbar auch Kritias B25, aus dem ..Sisyphos")1. Daß es die Aufgabe des Stastes sei, die rechte Ordnung unter den Menschen vornehmlich mit Hilfe der Vergeltung. d.h. durch Ehrung und Belohnung der Guten bzw. durch Bestrafung der Schlechten aufrechtzuerhalten. wird in der verschiedensten Form immer wieder ausgesprochen (Demosth. 20 pass.; Phil. A1ex. Legat. ad Caium 7; Ehreninschrift des 1. Jh. v. ehr. b. Dittenberger, Syll. '783.2911".). Die Vergeltung im Guten und Bösen ist dem Perikles der thukydideischen Leichenrede (2.40,4) ebenso selbstverständlich wie dem Verfasser der Simson-Episode des Richterbuches (15. 111".). Das Vergeltungsprinzip erschließt Herodot den Sinn einer ungewiß bezeugten und darum schwer zu rekonstruierenden Ereigniskette der Vorzeit: Die Züge der Griechen nach Osten und der Asiaten nach Westen folgen einander naoh dem Gesetz von Tat und Vergeltung (1.211".)1. 1 Hierzu vgl. W. Spoerri, Späthellenistische Berichte über Welt. Kultur und Götter. BaMI 191i9. lUff. 1 Die att.iachen RedDar bedienen sich mit Vorliebe derartiger historischer KollBtruktionen. denn es leuchtet der Vulgiirmeinung ein. weun man zeitlich weit ..naeioend ....liegendo. in keinem unmittelbaren Zusammtmbang stehende polit.iacbe Ma8Dabmen durch das Band einer Vergeltung im Gute oder B6een verlmüpft und sie damit morali8ch rechtfertigt. Wohl alle in sozialen Gruppen lebencJisen Vorstellungen VQD ErbCreundacbaft oder Erhfeindacbaft erweisen
Vulgdretlaik
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Wir kommen damit wieder zu den o. S. 25 erörterten Vorstellungen von der Rolle der ausgleichenden und vergeltenden Gerechtigkeit im Leben der Menschen, der Völker und des Kosmos. Gerade Herodot ist von der Unverbrüchlichkeit einer auf ständiger Vergeltung beruhenden Ordnung fest ilberzeugt (5,56), und darum gerät ein Mensch nach seiner Meinung nicht deshalb in Schuld, wenn er einen Vergeltungsanspruch nach dem von Herodot im allgemeinen nicht gebilligten Talionaprinzip wahrnimmt (8, 106), sondern nur durch f.8(!1I;, d.h. durch die "überschreitung eines gesetzten Maßes (.,205)1. Einem konsequent rationalisierten Vergeltungadenken begegnet man im Werk des Thukydides. Die Vergeltung ist hier nicht mehr Ausdruck einer über- oder außermenachlichen Gesamtordnung sondern Kriterium für die Zweckdienlichkeit und damit die rational zu begründende Berechtigung politischer HandlungBweiaen. Daß man eine Hilfaexpedition im Kriegsrat mit den Worten 8TI Mucovl'bo~ xal oVX hif!OVr; (l)'d=oval ~ brUCOV(!lall :rEO,~a6a{}6 (1,33) empfiehlt, bedeutet zwar nichts Neues gegenüber dem bisher Betrachteten. Aber aus dem allgemein anerkannten &cht zum dnoouceiJl läßt Thukydides ratende oder beschließende Staatsmänner mehrfach auch die Berechtigung zum :rEf!Oe3n(lovÄeV61", zur PräventivmaBnahme ableiten (1,33; 3,12; 6,87), immer dann nämlich, wenn auf der anderen Seite die Absicht und die Möglichkeit zum brl(lOVÄeV6111 vorausge&etzt werden mÜB8en. Eine emanzipierte Rationalität löst die ursprünglich gegebene Bindung jeder Vergeltung an ein tatsächliches Geschehen und macht sie auf diese Weise zum Prinzip des politischen Initiativhandelna. Das kann um so leichter geschehen, als man bei der Be.ich dem, der ein aolches ihm vorgegebenes und darum selbstverständliches Gef"tihJ moralisch zu begründen unternimmt, als ein Ergebnis einer ununterbrochenen Kette von Tat und Vergeltung. Zur Bestätigung dieser ge("ühJsmäßigen Haltung wird er dann auch jede neue, tatsächlich vielleicht aus ganz anderen, etwa ut.ilitaristischen Motiven erwachsene Maßnahme im Sinne dieses Vergeltunpachemas zu interpretieren suchen. Die Bildung des historischen SelbstbewußtseiDs einer sozialen Gruppe ist desha.Jb, was das Verhältnis zu den Nachbarn, Partnern oder Gegnern betrifl't, meistens viel otärker vom Vergel. tungadenken .... von einer Rechensohaftsablage über die vergangene oder gegenwärtige Intereesenlage beetimmt. Ein gutes Beispiel ("Ur die SelbetverstIndlichkeit einer aoJchen Denk- und Argum8l1tationsweise innerhaJb jeder Publizistik gibt die ganz beiläufige - a.IBO sicherlich unreftektierte - Erwähnung der athenisch·troizenischen Beziehungen in der Athenogenes-Rede des Hypereides (31 J81188I1; vgI. dazu C. Habicht, Rennes 89, 1981, ur.). I Auch die biographische Legandenbildung bedient sich immer wieder des Vergeltunpachemaa: Man besaß die gegen den Bildhauer BupaJoa gerichteten SchmlLhgedichte des Hipponax. Zur ErklAnmg dieser Gedichte erfand man die Geschichte von einer wenig achmeichelhal\en Statue, die der berühmte Bildhauer von dem Dichter gefertigt haben aoJlte und ("Ur die sich Hipponax mit eben jenen Veraen rächte.
38 urteilung menschlichen Handelns BChon lange vorzüglich auf Einsicht und Absicht des handelnden Subjektes zu achten gelernt hat. Die angeführten Stellen aUB Thukydides bieten aufschlußreiche Beispiele für die in der Sophistenzeit verbreitete Form der mora1isch-politischen Reflexion, welche die 6O~a TÜW nollüw nicht widerlegt und annulliert, sondern im Zuge eines Abstraktioll8vorganges die äußersten rational noch einleuchtenden Konsequenzen aUB ihr zieht (s. u. S. 85fr.). Auoh die Goldene Regel verdankt einem vergleiohbaren Abstraktioll8vorgang ihre Existenz. Thukydides zieht die geschilderten Konsequenzen aUB dem Vergeltungsgrundsatz für die Mögliohkeiten des machtpolitischen HandeIns. Spätere VuIgärethik hat denselben Schritt im Bereich der persönlichen Lebensentscheidungen getan. LiviUB rechtfertigt die Ermordung Ciceros damit, daß man ihm in einer entsprechenden Situation ein ähnlich gewalttätiges Vorgehen gegen seine Gegner habe zutrauen müssen, ihm also darum kein Unrecht widerfahren sei (b. Sen. 8U&8. 6,22; vgl. R. Syme, Harv. Stud. Cl&88. Philol. 64, 1959, 61). Mit diesem Rechtfertigungsversuch, der sich durchaUB individualethischer Kategorien bedient, steht LiviUB in der Tradition der nach-thukydideiBChen Geschichtssohreibung, die sich weithin an der moralischen Wertung der handelnden Personen interessiert zeigt. Dabei stammen die Wertungsmaßstäbe natürlich seltener aUB der philosophiBChen als aUB der formalisierten, in der rhetorischen Tradition fortentwickelten Vulgärethik, über die u. S. 90 noch mehr zu sagen sein wird. Mit der übertragung griechisoher Literaturformen fand auch dieses moralische Element der rhetorisch-literarisohen Tradition seinen Eingang in die römische Vorstellungs welt, nicht ohne allerdings durch altrömische Residuen modifiziert zu werden. Die Vielzahl scheinbar zusammenhangloser Belege, die im Vorangegangenen gesammelt und besprochen wurden, mag hinreichen, um die weite Verbreitung des Vergeltungsgrundsatzes zu illUBtrieren. Wichtiger aber ist wohl, daß die moralische Reflexion auf sehr ververschiedenartige Weise an den Vergeltungsgrundsatz anknüpfen und auf diese Weise auf vielen Gebieten des mell8chlichen Lebell8 differenzierte Verhaltell8vorschriften gewinnen kann, durch die der Grundsatz selbst wiederum eine vielfältige Modifizierung erfährt. ZweifeUos lassen sich in der Masse der UIl8 angehenden Texte noch andere AbBChattierungen des Vergeltungsdenkell8 aufspüren, doch ist das für UIl8ere Untersuchung nicht nötig, denn die gegebene AUBwahl genügt, um eine FeststeUung des Aristoteies gebührend zu verstehen, die auch für die Bedeutung der Goldenen Regel von Wichtigkeit ist. Die "Rhetorik" des Aristoteies, eine einzigartige Fundgrube psychologischen Beobachtungsmaterials, beschreibt so eingehend wie wohl
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kein anderes aus der Antike erhaltenes Werk die FunktionsweiBe des meDBChlichen common BeIlIIe und die lich aus ihm ergebenden &fE1U TWIo nolltinr. Dort (1384 b 4) erwähnt Aristoteies auch die den Menschen eingewurzelte Neigung. alles Handeln vom Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit her zu beurteilen: ci"eie T" aVr~ nou:i. TaVra UyeTat TO~ niMc aV .epeaä7. maTe ci p~ nou:i. 6ijAo. än .epeaij.'. Es geht im Zusammenhang dieser Stelle keineswegs um das Vergeltungsproblem. vielmehr darum. unter welchen Voraull8etzungen lieh der MeDBCh normalerweiBe achämt oder geniert. Dabei ergibt lich die EinHicht. daß man bei einem Anderen Handlungen nicht mißbilligt. die man aelbst ebenfalls vollziehen würde. Scham oder Mißbilligung also immer nur bei einer Ungleichheit der HandlungsweiBen zustande kommen. Dieaer Sachverhalt beruht. wie wir nach der bisher durchgeführten Betrachtung sagen diirf"en. letztlich auf der vom allgemeinen meDBChlichen Bewußtsein. von der Vulgärmeinung gutgeheißenen und stets erwarteten Vergeltung jeder Tat. die notwendigerweiBe zu gleichen oder doch entsprechenden Handlungen der Partner im meDBChlichen Leben 1 Aristotelea verwendet bier innerhalb einer ethisch wertfreien psycholo. gischen Beschreibung das Wort ••,..ain zur K1aaaiftzierung einer Verhaltensweise. Urapriinglich, z_B. bei Homer, ....aren und ~. d. h. der Un· wille der Umgebung über eine Handlung und die Scheu des Handelnden. di-.. Unwillen zu erregen. die ....esentlichen Kategorien einer Ethik. in der du Verhalten doa Einzelnen völlig aur Grund der Reaktion seiner Umwelt bewertet wurde (vgl. dazu Adkina. Merit and Reaponsibility. Ozford 1960. 46IF. und C. E. v. ErfFa, Philol. Suppl. 30. 2 [1937]). WAhrend nun die philosophische Ethik mehr und mehr die auf den innersee1iachen Bereich gegründete Autonomie des Individuums in den Vordergrund riickt - 80 aagt 2o.B. Demokrit. man m~ ~ vor Rich selbst hegen (B 2M; ähnlich PR. Pytbag. c&nn. aur. 12) - . bleibt die Auff.....ung. den sittlichen Wert einer Tat bestimme die Reaktion der Umwelt. in der Vulg&rethik ungleich at&rker lebendig. In einem PU8U8 der Leptinee·Rede (20, 181), den man mit Recht unter die großen ZeugniMe griecbiacher Humanität eingeordnet hat, fordert Demoathenee: cLUd zet! ,,' drie
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führen muß. Weil alles im Guten oder Bösen seine Vergeltung finden soll, wird es als richtig und natürlich empfunden, wenn die Partner in einem sich zwischen Menschen abspielenden Vorgang in gleicher oder doch ähnlicher Weise handeln. Unwille und Mißbilligung entstehen nur da, wo diese Gleichheit des HandeIns nicht eingehalten wird, denn dann ist auch die genaue Vergeltung des Tuns geiährdet. Die offenkundige Richtigkeit der Feststellung, die AristoteIes an der zitierten Stelle trifft, beruht a.Iso auf der GliItigkeit des Vergeltungsgrundsatzes im menschlichen Leben. Es ist nun bemerkenswert, daß die von AristoteIes gewählte Formulierung der Goldenen Regel sehr nahe kommt. Zwar ist nicht geradezu vom "Zufügen" die Rede. Es geht nur um die Beurteilung einer Tat dnrch einen Außenstehenden, nicht um die zu erwartende und der intendierten Tat als Maßstab dienende Reaktion des Betroffenen. Indessen drückt das Verbum pefleaiiP durchaus eine, wenn auch vielleicht indirekte, Mfizierung des Beobachters durch die zur DiskU88ion stehende Tat aus, denn es bezeichnet als ein seit alter Zeit für den Vorgang mora.Iischen Urteilens reserviertes Wort eine starke innere Beteiligung des Subjektes am Gegenstand des Unwillens (s. u. S. 96). Dazu kommt, daß der ,.Außenstehende" die Tat ja im Hinblick auf sein eigenes Handeln beurteilt. Darum ist die Affinität der zitierten Worte des AristoteIes zur Goldenen Regel (vgl. vor allem die u. S. 96f. zu besprechende F&88ung bei Herodot) nicht zufällig. ~ie kommt dadurch zustande, daß beide Formulierungen, die Goldene Regel sowohl wie AristoteIes' Meinung über die Vorau88etzungen von Scham und Mißbilligung, nur auf dem Hintergrund eines Denkens im Vergeltungsschema möglich siItd. Dieses Denken aber ist seit Platon als du spezifisch vulgäre und bei allen Menschen vorauszusetzende k1a.ssifiziert I. 1 AristoteIes erkennt, du sei aWldriicklich hervorgehoben, den Vergeltung•• grundsatz gerade nicht als Basis ethischer Panmese an. Hier und an den o. :So 36 zitierten Stellen aus der Nikomachiachen Ethik charakterisiert er lediglich du "nonnale" menachliche Verhalten. - Wi1amowitz (Griech. Verskunst 420, 1) hat du merkwürdige, angeblich theopbraetische Dictum bei Stobei.... (2 p. 23 H_) TI tI1nIiZ" Td. TW. dril!ol"",. {llm .. ~""I.ala "al Tl,.;, ..01 n,.wela wohl zu Recht als BeatandteiJ einao Traktates n.flaau~ erklärt, insofern der Text fraglos die drei Verhaltenswe;-' bezeichnet, die der König anwen· den muß, um die von ihm regierten Menschen in Ordnung zu halten. Dagegen gehört Demokrit A 76 (aus PliD. N. H. 2,14), der Bericht nämlich, Demokrit habe nur Poena und Beneficium als Götter anerkannt, eher in den o. S. 24 Amn. 1 behandelten Zu.ilUDmenhang.
IV.
Graduelle Überwindung des Vergeltungsdenkens
So alt, eingewurzelt und verbreitet auch die Vorstellung ist, allein auf der immer wieder in rechter WeiBe vollzogenen Vergeltung beruhe der erstrebenswerte Gleichgewichwust&nd unter den Menschen, 80 alt ist andererseite auch das Streben, Grundlagen eines richtigen Handelns zu finden, die den Menschen mindestens vom Zwang zur Vergeltung im Bösen befreien 1• Wie im Strafrecht die Reftexion an immer komplizierter werdende 80Ziale Verhältni88C anknüpfen muß und darum von der strengsten Form der Vergeltung, der Talion, weggeführt wird, 80 findet auch die moralische Reftexion angesichte der sich ständig diiferenzierenden Verhältni88C unter den Menschen am reinen Vergeltungagrundaatz nicht mehr ihr Genügen. Man kann, ohne der Fülle der ZeugniBae, die von einer immer wieder versuchten Emanzipation aus dem Vergeltungaachema sprechen, Gewalt anzutun, wohl zwei Arten der Überwindung des Vergeltungadenkens unterscheiden. Die eine sei, ohne daß damit alle ihre Erscheinungsformen erschöpfend charakterisiert wären, alB graduelle 'überwindung bezeichnet, die andere als grundsätzliche oder radikale. 0.)
Die erste, die graduelle 'überwindung des Vergeltungadenkens kann sich aU8 sehr verschiedenen Impulsen oder Erwägungen herleiten. Früh schon bricht sich die Erkenntnis Bahn, daß es angesichte der häufig bestehenden Unmöglichkeit, eine genaue Vergeltung durchzusetzen, und vor allem angesichte der Kette unabsehbarer Folgen, die mit der Wahrnehmung des Vergeltungsanspruches beginnen kann, vorteilhafter, weiser und darum auch moraliach besser sei, die Verzeihung an die Stelle der Vergeltung zu setzen oder gar Schaden mit Wohltat zu erwidern. Mahnungen dieses Inhalte bedeuten mehr ala 1 In 8IÜnem f'tüheat.en datierbaren Gedicht '-'hreibt Pindar das aeIige Leben d... Hyperboreer.Volkea (Pyth. 10, 43ff.). Weü sie Krieg und Streit nicht ken· 11811, stehen sie auch nicht IDlter dem o-tz der VIII'8"ltung, der tlnIe&"", Nil'ft1.,. Vgl. dazu U. v. Wilamowitz, Pindaros, Berlin 1921, 469.
einfache Ratachläge zum Vergleich : Der Vergleich, mit dem man einen Rechtsstreit auf eine für beide Parteien sowohl als auch für die Geaamtgemeinde zuträglichere WeiBe beilegt, BUcht dem Vergeltungabedürfnis nach Möglichkeit Genüge zu tun (z.B. Zahlung des Wergeldes statt der Blutrache). Er mildert die Modalitäten der Vergeltung, verzichtet aber nicht auf sie. Fi1r Epochen der menschlichen Geschichte, auf die feste begrift1iche Kategorien einer Trennung zwischen Recht und Moral noch nicht ohne weiteres anwendbar sind, ergeben sich hier wichtige Kriterien für die beginnende Selbständigkeit beider Bereiche. Eine alte Mahnung zum gerichtlichen Vergleich finden wir in dem unter Cheilons Namen überlieferten Dictum bei Stobaioa (3,118 H.): M&XOOpeI'ot; eJ/GlldaO'ov, tJ{J(!d;opnot; TI~. Bei einer bloßen Muda, die man erlitten hat, soll man den Vergleich mit dem anderen suchen, bei einer iJ{J(!" dagegen, mit der offenbar bestimmte Maßstäbe in unerträglicher WeiBe überschritten sind, bleibt nur die Vergeltung übrig. Man vergleiche diese Mahnung mit dem, was Latte' zum Gebrauch der Termini iJ{J(!" und Mutla im attischen Recht festgestellt hat: iJ{J(!" ist die Verletzung an Leib und Leben, Mucla jede anderweitige Intereaaenbeeinträchtigung. Es ist nicht sicher, ob wir die Chei1onGnome im Sinne der attischen Rechtsspracbe verstehen dürfen. Sicher ist nur, daß mit iJ{J(!" in ihr eine Kränkung oder Schädigung bezeichnet wird, die durch Versöhnung oder Vergleich nicht mehr bereinigt werden kann. Dazu paßt, daß nach frühgriechischem Denken iJ{J(!" stets aus dem Zustand der Sättigung (~) entsteht, aus einer Situation also, in welcher der Mensch von den Göttern oder seinen Mitmenschen gerade nichts zu fordern hat (vgl. Herodot. 3,80,4 und die im Kommentar von How-Wella, Orlord 1 1928, z. St. notierten Parallelen; dazu Philo, de opif. 169 u. Poaeidonioa F 108 J.). ·Y{J(!It; ist demnach der Inbegriff unprovozierter, ungerechtfertigter Kränkung, die vor Menschen und Göttern ihre Vergeltung finden muß, während sich die Mucla -auch auf dem Wege des Vergleiches aus der Welt schaffen läßt. Aber, wie gesagt, auch der Vergleich trägt dem Bedürfnis nach Vergeltung in bestimmten Grenzen Rechnung und verträgt sich mit dem Vergeltungaachema, wie Isokratea (Antid. 27) ausführt. Schon die altorientalische Spruchliteratur ist voll von Mahnungen, auf den Vergeltungaanapruch zu verzichten und "feurige Kohlen auf das Haupt des Anderen zu aammeln"l (Lehren des Amenemhotep I Rermes 88, 1931, 146fr. Dazu pasaeo die Ausftihnmgen bei DemOBtlumea 22,66 bzw. 67: "EMD> und avyyo';'p'I sollen die strenge Verfolgung des Rechtsanspruches gegenüber einem freien Bürger soweit mildern, daß die körperliche Integrität des Betroffenen gewahrt bleibt. Nur der Sklave darf unei.ngeechränkt auch mit oeinem Körper haftbar gemacht werden. • Zur Herkunft dieser aus Provo 25, 22 bekannten ROOowendung vgl. S. Morenz, TheoJ. Lit. Z. 78, 1953, 187fr.
b. Pritchard S. 421 f.; Assyrischer Kei1schrifttext des 8. Jahrhunderta ebd. S. 426; Babylonischer Text b. Greßma.nn, Altorientalische Texte zum AT S. 292). Der Kontext der angeführten ägyptischen Spruchsammlung lehrt auch etwas über die Begründung dieser Mahnung. Dadurch, daß man auf die Vergeltung verzichtet, dem Übeltäter verzeiht und ihm Gutes tut, stellt man sich auf eine höhere Stufe als er: Man handelt nicht "wie der Schlechte". Diese Abgrenzung gegenüber dem "Schlechten" könnte nicht erfolgen, wenn man in der Wahrnehmung des gestatteten und im Rechtsleben ausdrücklich vorgesehenen Vergeltungsanspruches Schaden durch Schaden beantwortete. Es beginnt hier also eine sittliche Bewertung der einzelnen Tat, die aus der Kette von Handlungen und Gegenhandlungen herausgelöst und lU1abhängig von dem durch sie gestörten oder wiederhergestellten Gleichgewichtszustand im Faktischen sittlich beurteilt wird. Zu dieser Interpretation paßt, wenn 1. Sam. 24,18 David als gerechter denn Saul bezeichnet wird, weil er nicht Böses mit Bösem vergalt. Man muß dieses Urteil auf dem Hintergrund der zahllosen Stellen des AT würdigen, die den Grundsatz Schaden mit Schaden und Wohltat mit Wohltat zu vergelten, nachdrücklich einschärfen (Ex. 21,23ff,; Lev. 24, 19f.; Dt. 19, 19f.), und zwar, soweit diese Unterscheidung überhaupt angemessen ist, im rechtlichen wie im moralischen Bereich'. Ähnliches gilt für Prov. 24,29 (Sprich nicht: Wie man mir tut, so will ich wieder tun und jedem seine Tat vergelten), wo "dem einzelnen Menschen verboten wird, was für die Rechtsprechung a.nerkanntes Prinzip war" (B. Gemser, Handbuch z. AT 1, 16, S. 70, Tübingen 1937). Das Gebot, zu verzeihen und wohlzutun statt zu vergelten (vgl. etwa Ex. 23, 4f.; Prov. 25,22) erfährt im AT dadurch eine entscheidende Vertiefung, daß Jahwe selbst der Lehrmeister für solches Tun ist (Ps. 103, 10; vgl. dann später Mt. 6,12 aus dem Gebet des Herrn, das diese Konsequenz anders als das Achtzehngebet der Synagoge - Abschn.6 - ausdrücklich zieht). Wie er einerseits als unbestechlicher Richter über die Einhaltung der von ihm gesetzten Ordnung wacht und keine Tat ohne Strafe oder Belohnung läßt, so vermag er andererseits auch souverän auf den Vergeltungsanspruch zu verzichten, die Strafe gnädig zu erlassen und seinem Zorn zu entsagen. Am deutlichsten ist dieser doppelte Aspekt des göttlichen Wirkens wohl in Ex. 34, 6f. beschrieben, weil hier neben der noch ganz altertümlichen Überzeugung von einer objektiven, durch die GeschlechterfoIge sich fortsetzenden Vergeltung (s. o. S. 15) das feste , In welchem Umfang man schlechthin von einer Vergeltungsothik des AT sprechen kann, ist bei G. v. Rad, Theologie des AT I, 1967, 382ff., und H. Geee, Lehre lind Wirklichkeit in der Alten Weisheit, Tübingen 1958, 42ff., "rörtert. Dort auch woitere Literaturhinweise.
Vertrauen in die Langmut und Gnade Jahwes ausgesprochen wird. "Er bewahrt die Gnade über tausend Generationen und vergibt Sünde, Schuld und Übertretung ... er vergilt die Untat der Väter an den Kindern und Enkeln bis in das dritte und vierte Glied." (Vgl. auch Ex. 20,5; Num. 14,18.) Du Nebeneinander von Vergebung, die dem gnädigen, und Vergeltung, die dem gerechten Gott zukommt, ist dann vor allem der prophetischen und poetischen Literatur des AT geläufig (z. B. Ps. 116,4; 103,8ff.; Joe12,13; Jon", 2; Mich. 7,18; Sir. 16,7ff.). In den hellenistisch-jiidischen Texten überwiegen dann die AWIIIAg6n über den vergebenden Gott. Philon etwa kann sagen, daß es zu Gottes Natur gehöre, die Verzeihung der Vergeltung vorzuziehen (6ui n)tr rAew (j'Iia11l Toii ~fJ'" neO HoUaew. deLCovro. de sp6C. leg. 2,196; vgl. de execrat. 166; ähnlich Judith 8,13). Dazu kommt noch ein anderer, in der Vorstellungswelt des Alten Testamentes lebendiger Gedanke, von dem bereits o. S. 28f. die Rede war. Jahwe kann als Hüter der gerechten Ordnung den Anspruoh erheben, allein für die Vergeltung zuständig zu sein (Deut. 32,35). Damit ist für den Menschen ein Verhalten nahegelegt, das nicht mehr von Rache oder Vergeltung bestimmt ist, die er Gott über1&88OD soll. Du nachexilische Judentum, dem ein Teil der oben genannten Belege zugehört, hat dann die Mahnung an den Menschen, zu verzeihen und Böses mit Gutem zu vergelten, zum selbstverständlichen Bestandteil seiner Paränese gemacht. In der Aufzählung der Einzelheiten seines tadelfreien Lebens (Job 31,29f.) kann Hiob sogar bekennen, sich über den Schaden, den sein Gegner erlitt, niemals gefreut zu haben. Du apokryphe Testament des Gad (5,13) schärft ein, auch dem hartnäckigen, uneinsichtigen übeltäter mit Vergebung und Freundlichkeit zu begegnen (vgl. Test. Sim. 4,4) und dehnt damit das Gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben (Lev. 19,18), implicite auch auf den Feind aUB. Der Fromme und Gute wird sich des schi,digenden Eingriffs in die Sphäre des Anderen auch dann enthalten, wenn ihm der Vergeltungsanspruch äußerlich gesehen ein Recht dazu gibt (Mischna, Aboth 6,2a). Auch die Sekte von Qumran mißt dem Vergeben und Verzeihen besondere Bedeutung bei. Im Schlußpsalm der Sektenregel verspricht der Gläubige, niemals Böses mit Bösem zu vergelten, vielmehr dem Nächsten nur Gutes zu tun und Gott die Rache zu überl&880n. Allerdings erfahren wir a.us den nächsten Versen, daß der Ungläubige a.us dem Kreis dieses allgemeinen Wohlwollens a.usgeschlossen bleibt. Ihm gegenüber besteht, solange er sich nicht bekehrt und zum Freund wird, du Gebot, den Feind zu h&880n. Von der humanen Ausdehnung des allgemeinen und grundsätzlichen Wohlwollens auf alle Menschen,
Graduell
auch auf Ungläubige, Feinde und Verfolger, wie sie die Pirqe Aboth und andere rabbinische Texte lehren, weiß die Qumran-Sekte nichts '. Mannigfache Gedanken zur überwindung des Vergeltungsgrundsatzes, in denen ähnliche Motive wirksam sind, finden wir auch in Griechenland vor und außerhalb der philosophischen Ethik. Schon Hesiod rät, bei der Vergeltung im Guten - angenommen ist wohl der konkrete Fall der Rückgabe eines Darlehens an Kom oder Oel - über die Talion hinauszugehen (Op. 349f.), und Theognis (547!.) empfiehlt, überhaupt nur Gutes zu tun. Der Gedanke, man mü88e den anderen in der Erweisung der Wohltaten möglichst übertreffen, kehrt dann in der vulgärethischen Paränese immer wieder. Wichtig ist dabei, daß ein solches Verhs.lten als Kennzeichen des beBBeren, überlegenen oder wohl gar königlichen Mannes gilt (z. B. Xenoph. Hier. 11,15). Unter den vielen Apophthegmata der sog. Sieben Weisen befindet sich auch die Maxime, daß Verzeihung besser als Rache sei (CheiIon b. Diodor. 9,9, 3f.; Pittakos b. Diog. Laert. 1,76). Daß ein entsprechendes Verhalten wiederum den beBBeren, überlegenen und weiseren Mann kenntlich mache, drückt ein oft wiederholtes Dictum aus, das zwar überwiegend in philosophischen Texten auftaucht bzw. anekdotisch an Personen der philosophischen überlieferung angeknüpft wird, das aber ohne Zweifel älteren, vorphilosophischen Ursprungs ist und seinen Platz auch in vulgärethischen Sentenzensammlungen gl'flUiden hat. Diogenes La.ertios (6,3) erzählt, auf die Mitteilung, Platon rede schlecht von ihm, habe Antisthenes geantwortet: {Jaall.'ItOv 1taM., nowihn:a ItQXW, dltmle,p (vgl. auch Plut. A1ex. 41 u. M. Ant. 7,36). Daß der König sich durch Undankbarkeit und Kränkung nicht in der Ausübung seiner Pßicht zum Wohltun beirren lassen darf, gehört denn auch seit jeher in die Topik der Fürstenspiegels. Seine in den Fürstenspiegeln immer wieder geforderte clementia besteht in erster Linie darin, daß er die genaue Vergeltung ständig abmildert (Sen. de clem.2,3). Allgemeiner formuliert, aber auch mit dem Unterton, daß der Verzil'ht auf Vergeltung gerade ein Zeichen der Stärke und Überlegenheit sei, findet sich die Regel in den sog. Demokrates-Sprüchen (Demokrit B 46): l'eyaloyroX'T/ TO tptee,,, :7r(!Qiw, n).T/ppiÄ.EtaP. Wir erkennen hier eine andere, in hocharchaischer Zeit noch nicht sehr deutliche Seite einer 1 S. u. S. 114f. zu Mt. 6,43f. Femer Damaakus·Schrift 10,3f1'. • Es weist in dieselbe Richtung, wenn Demosthe..... (18 [de cor.] 269) äußert, daß der Empfänger einer Wohltat an diese denken, ihr Geber Bie aber möglichst schnell vergeesen solle, wenn er nicht als Prxe6tl'vzo, handeln wolle. Man soll a\so jede Dankesschuld abtragen, als Gebender jedoch nicht nach dem Lohn schielen (vgl. Mt. 6,3 odor Plin. ep. 9,30).
aristokratischen Ethik. Während das Augenmerk in der älteren Zeit gerade darauf liegt. daß die den Adligen auszeichnende Tlptj keine Minderung erf'a.bre und jede versuchte oder vollzogene Beeinträchtigung mit schneller und vollständiger Vergeltung bereinigt werde. liegt hier der Akzent aur der tl1ierlegenheit des "hochgemuten" Mannes. die durch irgendeine Kränkung nicht gefährdet werden kann (vgl. o. S. 32f.)1. Von dieser Position aus führt der Weg zum dn)e muunj•• anov6aio•• UOfI'O' der spätkla.aaiachen und helleniatiachen Zeit, der die Norm seines Handelna in sich trägt und aur die Belohnung durch seine Umwelt nicht mehr angewiesen ist. Du Bild des muUtrj, zeichnet sich schon in der urbanen Gesittung des 5. Jahrhunderts vor dem Einsetzen der großen philosophischen Ethik ab. In welchem Umfang bei seinem Entwurf auch der Gedanke des Vergeltungaverzichtea eine Rolle spielt. kann eine Episode aus dem Geschichtswerk Herodota illustrieren. die wie viele andere auch Herodota Affinität zur Sophistik beweist (vgI. Gorgiaa. Epita.phioa B 6. wo das n~ hruud, über das 00IJd6e, 6bcauw gesteUt wird): Im Zuaammenhang einer Erzählung aus dem Hause des Tyrannen Periander läßt Herodot (3. 53. 4) eine Tochter des großen Korinthers die Mahnung auaaprechen. ihr Bruder mÜBae aur die ihm ZUBtehende Vergeltung im Bösen verzichten. Sie begründet diesen Zuspruch mit dem Hinweis. daß. in der allgemeinen Anschauung (nollol) das rnulxe, den Vorzug vor dem 6bcauw besitze. Es handelt sich hier um einen der innerha.lb griechischer Literatur frühesten Belege für die späterhin (z. B. Ariatot. E. N. 1137) ausführlich erörterte und begründete Vorstellung. die mit der starren Vergeltung im Guten und Bösen identifizierte Gerechtigkeit mÜBae durch die muUaca. die Na.chaicht. die billige Berücksichtigung besonderer Umstände. du grundsätzliche Wohlwollen gegenüber dem Partner. die Einschränkung der eigenen Ansprüche. ergänzt und berichtigt werden. In diesem Sinn ist seit der Mitte des 5. Jahrhunderts die muUaw. ein zentra.ler Begriff urbaner Ethik. Wir finden ihn an I Die bekannte Maxime arcbaiacher Ade\sethik, ..d lawoii ..,.n-..... die Platon im "Charmides" (181 D ff.; ferner Reep. 434 C) interpretiert. darf man nicht etwa als Forderung verstehen. auf die Vergeltung zu verzichten. Gyges hAlt sie Kandaules entgegen, als di_ ihm den Plan unterbreitet, die Königin zu belauern. Er warnt ihn damit vor einer Tat, mit der der König die ihm gesetzten Grenzen überecbreitet und die cJarum AnIaJJ zu seinem Sturz werden wird (lIdt. 1.8). Aber nichts deutet in der weiteren Erziihlung Berodota darauf hin. daß er die Vergeltungatat der Königin odar die erzwungene Mitwirkung des Gyges am Sturz eeines Herrn aJa im Gegensatz zu der vorher eo nachdrücklich auageeprocbenen Maxime etehand empfindet. Der Ablauf der Ereigniaee DaCh dem Fehltritt des Kandaules hinterläßt in Herodote Augen oft'ea.bar keinen Makel auf dea. beteiligtan P _ , weil sie eine gerechte und notwendige - UDd in ihrem Effekt auch vom delphischen Orakel gutgeheiJlene (1.13,1) - Vergeltung vollziehen.
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zahllosen Stellen bei Dichtem (beeonders schön Soph. fr. 703 N.), Historikern I, Rednern und Philosophen verwendet, um sowohl einen Vorgang als auch das Wesen einer Person positiv zu kennzeichnen. Die - im einzelnen noch zu schreibende - Bedeutungsgeschichte kann lehren, wie die durch den späteren Terminus bruunl~ bezeichnete Erweichung und Modifizierung des starren Vergeltungsprinzips sich gerade daraus ergibt, daß man gerechte, angemessene und d. h. die besonderen Umstände berücksichtigende Vergeltung im Einzelfall üben will. Das Wort brlEunl~, dessen Grundbedeutung etwa mit ..p_nd, geeignet, angemessen" anzusetzen ist und für Dinge, Handlungen und Personen verwendet werden kann (vgl. etwa noch Herodot 1,85,1), erscheint in der frühesten uns zugänglichen Spracbstuf'e des Griechischen, im Epos, bezeichnenderweise als Beiwort zu dflOlP~ ..Vergeltung" (bruud' GpOlP,p, fl 382). Ein schönes Beispiel dafür, daß sich nach den Auff&BBungen nachkl&8Bischer Gesittung ein guter Mann, ein dn}e brlEunl~, in seinem Verhalten gerade nicht vom Vergeltungsprinzip leiten läßt, sondern mit Wohltat auf' erfahrene Kränkung antwortet, bietet die neue Menander-Komödie (Dysc. 727ft'.). Gorgias dachte, als der ihn ständig kränkende und verletzende Knemon in Not geriet, bei sich nicht
..... 00" l~ p.8 neoa&bcu, 00 ~eoa~e%Ofl" ~ ~fli" "tyOll~ aVrd~ %e'lalflo~, oM i"OJ aOl l'\.1li . . . . . . . . . , vielmehr ist er dem alten Misanthropen zu Hilfe geeilt und hat sich an seiner Rettung beteiligt. In den zitierten Versen spricht der Misanthrop selbst und legt sich also über seine eigene, verfehlte Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen Rechenschaft ab. Daß er dann im weiteren Verlauf' des Stückes sein Wesen nicht ablegt, ändert nichts an seiner und der Zuschauer Einsicht in die Verfehltheit aller Misanthropie. Diese nährt sich insofern aus dem Vergeltungsprinzip, als der Menschenfeind um jeden Preis vermeiden möchte, irgendeinem etwas schuldig zu sein, denn er vermag sich nicht vorzustellen, daß Wohltat auch einmal ohne die Erwartung einer Vergeltung geübt, Kränkung auch einmal ohne das Bedürfnis nach Rache empfangen 1 Eine Definition dessen. ..... unter hrubcaa zu v8l'IItehen aei, gibt Thukydides im Melier.Dialog (6,111,'). ohne allerdings das Wort aelbat zu gebrauchen: OrT"'~ Toi~ pb lao" pij .rx-., TOr. xetlal1OO' xcüwc ~"" ~ .u T,*, ~II11"'" p/:TfllOl .111.0. Als einAbgehan vom starren Vergeltungaprinzip erkllLrt Thukydidea die hr..,,"", in 3,'0,1. - Wie sich dann gerade IID das Wort hru...~~ die Vorstellung vom schlechthin rechtschaffenen Manne knüpft, mag mIlD daraus eraehen. daß es als bevorzugtes Ziel rhetorischer Ethopoüe (Chanakterdaratellung) gilt, ala RedJIIIr bei aeinen Hören!. den Eindruck der ........ zu erwecken (Iaocr. Antid •• 78; Hermog. de id. p. lU7 R.).
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werden kann. Die Komödie Menanders gibt zu verstehen, daß eine von 80Ichem Denken bestimmte Verhaltensweise in letzter Konsequenz das menschliche Zusammenleben unmöglich machen würde, weil sie jeden zwischenmenschlichen Kontakt, jede Möglichkeit zu positivem Handeln verhindert'. Die ~Ienschen sind in ihrem Leben untereinander auf das Vorhandensein der Philanthropie, des gegenseitigen, nicht nach Lohn und Vergeltung fragenden Wohlwollens, angewiesen. Die urbane Gesittung der nachklassiBchen Zeit verbietet jedes m.fJvm!!'19'«l'sill, wie es Augustus in einem Brief an Horaz eben80 aU88pricht (38 Maloovati l ) wie der Schreiber des Privatbriefes Pap. Flor. 367 (vgl. E. Fraenkel, Horace, Oxford 1957, 19). b)
Andere Impulse, das Vergeltungsdenken graduell zu überwinden, kommen aus dem vertieften Nachdenken über das Wesen des Menschen, aus dem alle seine Handlungen und Gegenhandlungen entspringen. Wie im Strafrecht 80 mindert auch in der Vulgirmoral diese &flexion die Zuversicht, aus dem bloßen Geschehen Maßstäbe für die Bewertung und Einordnung einer Tat zu gewinnen s. Aber im Gegensatz zur Entwicklung im Rechtsleben führt dies in der Moral zu einer viel weitergehenden Abkehr von der überzeugung, jede Tat mÜ8Be im Faktischen ihre genaue Vergeltung finden, damit alles seine Richtigkeit habe. Die "Entdeckung" der menschlichen Absicht und Gesinnung ist für die Ethik sicherlich noch folgenreicher gewesen als für die Rechtsprechung. Außerdem wird man der moralischen Reßexion bei der "Entdeckung" der menschlichen Gesinnung den Primat zusprechen mÜ8lJen (s. o. S. 15ff.). Den Primat der Gesinnung vor der faktisohen Leistung und die damit verbundene Zurückweisung des Vergeltungsgedankens bringen besonders nachdrüoklich viele Fragmente Demokrits zum Ausdruok, die deshalb an dieser Stelle ihren Platz finden können, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß man sie in eine geschIossene anthropologisch-ethiBohe Theorie einordnen könnte, ihnen also eine gleichsam freie moralische &flexion zugrunde liegt. 'EZ(}~ ooZ cl Mudaw dllci o Pt1IJMpno, (89), Zde'T~ ldzealJal Zl!erlw neoo-EVOpeIf1P xeEaa~ OOI-OW dpoifJd.t; cbro6oiiPcu (92), ZaelaT'~ OOZ cl PAhraw ~ n}1I dpo,Prr. 1 Wie der alte Knemon die a-t.ze wahrer IDBIlSChlicber PartDerBchaft ver· kennt, erläutert P. Steinmetz, Rhein. Mus. 103, 1960, lSIIft". I DiMer Gedanke tritt Bplter in der philOllOphischen Ethik in den Vorder· grund. MarcAurel (7,88) sast, niemand wiMe, ob Sokratee ~ ~ sei al8 TelalJ888, denn beider HandlUJl88l1Iaaae11 keinen Schluß darauf zu, W8I' von heiden in höherem Grade 6<710\; ..al MxOUl(; ge-.. sei.
d.U' 0 eJ ~ neoTIf!1IJlbo, (96)1. Diese Konzentration des Bittlichen
Urteils' auf die Gesinnung führt dann zu der Erkenntnis, daß Unrecht tun für den Menschen schlimmer sei ala Unrecht leiden: 0 ddudaw ToV d6ucEoJlbau xGJCOOalJleweaTe(!O, (45)1, eine Einsicht, die Platon dann umfasaend begründen wird (s. S. 61fF.)·. Es ist ohne weiteres deutlich, I Vgl. auch die Gnomen B 82, B 88 und B 79. An der Echtheit der Demokrate&·Sentenzen glaube ich festhalten zu m~; vgl. die folgende Anmerkung. • Die Verlagerung des ID~ von der Tat auf die GesilU1I1II8 hat zwei AD>. Euripides kann (Suppl. 88011".) im Nekrolog auf die gefallenen Feldherren aein Lob geradezu auf solche Eigenschaften konzentrieren, zu deren Erwerb 811 eines eigenen Voraatzee bedurfte, da ein ~tsprechendes Verhalten di_ Männer nach HerkuDft, VeranlagUDg und Stellung in der Umwelt alles andere als aelbatveratändlich war. Die klaasische, mit einer umfaaeenden Psychologie begründete Ausprägung dieser Lehre vom Zustandekommen der dpnal findet man dann bei AristotelOlI (vor allem E. N. 1103a 1611.), doch gibt es entsprechende Ansichten durchaus auch auJlerhalb der PhllOllOphie (z. B. Iaocr. Antid. 291 f.). I Der Nachdruck, den Demokrit auf die notorisch schwere Durchachaubarkeit menschlicher Gesimlungen legt, muJI doch wohl mit seinem ..Skeptizismus" in VerbindUDg gebracht werden_ Diese Seite aeiner PhllOllOphie, auf die Hirzel (Untersuchungen zu Ciceroe phl1080phiachen Schriften 3,111.) zuerst auCmer........ gemacht hat, steht im Zusammenhang mit dem offenkundigen Fehlen eiDee g
dnHa...
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daß auf diesem Boden der Vergeltungsgedanke nicht gedeihen kann . .Für ein Denken, daß auf die Gesinnung beim Tun gerichtet ist, ver-
liert auch der äußere Umfang der Handlung an Gewicht, weil sich die rechte Gesinnung ebenso in einer geringfügigen wie in einer großen Leistung zugunaten eines anderen Menschen oder auch der Götter auaaprechen kann (Hor. c&rm. 3,23)1. Es weist in dieselbe Richtung, wenn Demoathenea feststellt, einem atfxpeWJI setze die mit dem Vorgang verbundene alaxWri ebenso zu wie eine handgreifliche t:'1J1la (1,27). Die Konzentration des sittlichen Urteils auf die Gesinnung (statt auf das Tun), für die hier Beispiele aus der Zeit um und nach 400 v. ehr. vorgelegt sind l , ist schon älteren Datums. Schon Simonides (4,19f. D = 5,19f. Bgk') erklärt :rdn~ huJ"lJlI xai tp,uw, ixOw &rc" 1(!6n JI'I6b alaxeO"· xq. a' OOlJe 1)601 l,axCWTOl.
cba,,-
Der kluge ionische Dichter erkennt, daß die Taten der Menschen nicht immer auf ihre .o\bsicht oder Gesinnung schließen lassen, weil sie alle, wie auch die Götter, der d..a"xa unterworfen sind. Ein moralisches Urteil (hraL"lJlI) und eine Verbindung der Neigungen und Interessen (tp,utlJ) sollte man darum nur auf solches Tun deli Anderen gründen, das man auf dessen eigene Intention zurückführen kann. Die Gesinnung ist wichtiger als das Tun. Ähnliches ergibt sich aus Xenophanes' großer Elegie (1,15f. D). Herodot (6,86) erzählt die Anekdote, nach der ein gewisser Glaukos ein Depositum unterschlagen wollte und zu diesem Zweck den delphischen Apollon fragte, ob er das anvertraute Gut zurückgeben mÜIl8e. Apollon wies ihm die Tür mit der Begründung, die schlechte Absicht verunreinige ihn ebenaoaehr, &la wenn er die Unterschlagung schon vollzogen hätte. Dieses ist ein sehr frühes Beispiel für einen gesinnungsethischen Rigorismus, dessen Entstehen man wohl mit Recht auf den großen Einßuß der delphischen Prieaterachaft im ausgehenden 6. Jahrhundert zurückgeführt hat (M. P. Nilaaon, Geschichte der griechischen Religion 111955, 647fr.)I. Eine ganz ähnliche Auffa88ung 1 Reiches Material zu diesem Topos in der immer noch wertvollen Abband· luug von J. Bemaya, Tbeophrastoa über die Fr6mmigkeit, Berlin 1888. I Es ist sich.. kein Zufall, daß im ausgehenden 6. Jahrhundert die ersten Zeugniae fUr eine eigene sprachliche Bezeichnuug des Gewiaaeasphänomena auftauchen, vor allem bei Euripides und bei AriItopbanes; vgl. O. Seel, Fest· achrift Dornaeift", Leipzig 1963, 2911J. I na.eJbe Ethoe verrät ein angeblichea Tbales.Dictum bei Diog. Laert. I, 38, IIIICh dem bi!ae Abaicht den GOtten> ebenacwenig verborgen bleibt wie bciaea
Tun.
Graduell
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spricht aus Eur. Or. 1602f.: Menelaoa pocht mit den Worten a~ yde dp' %€ie~ auf seine den Anforderungen des Kultes genügende Reinheit, worauf ihm Oreat erwidert: cW.' 00 T~ ~. Auch die frühe Tragödie zeigt den Übergang zu einer reinen Gesinnungaethik in der sittlichen Bewertung ihrer Personen. Darauf deuten etwa die berühmten Aiachyloe-Verae Sept.592tf., welche die Zuschauer auf Ariateidea bezogen haben sollen mi "de ooxei. ßeunor;, cW.' llwu OlM" {JaOeüw äAoxa IM ~r; J«Jf!1roVpBPOr;, i~ jJr; ra xem {JAatrrhe, {JooN:Vpara.
Die Tragödie hat zwischen dem äußeren Schein, der sich BUS Macht, Ruhm und Reichtum, aber auch aus Taten und Leistungen nährt, und dem wahren, allein in der Gesiunung beachlOllBenen Wesen ihrer Helden mit zunehmender Schärfe unterschieden, und dies ganz unbeschadet des Umstandes, daß die Tragiker das menschliche Handeln, vor allem im Hinblick auf seine unausweichlichen Folgen, eher ernster genommen haben als ihre ZeitgenOllBen (s. u. S. 55tf.). Für die Zeit um 400 v. Chr. ist die Konzentration des moralischen und juristiachen Urteils auf Gesiunung und Vorsatz bereits selbstverständlich. Das ergibt sich z.B. BUS den meistens mehr an das allgemeine moralische Empfinden als an den juristischen Sachverstand appellierenden Ausführungen der attischen Gerichtsredner. F..a wurde schon o. S. 16 erwähnt, wie Lysiaa es ala aelbatveratändlich hinstellt, daß nur die geplante und beabsichtigte Tat eine Verantwortung des Täters begründet (3,42). Andokides (de myat.95) versucht einen Gegner vor Gericht dadurch ganz eindeutig als Schurken zu erweisen, daß er ihn cl ndnaw ntm}/lfharor; xal {JoolDfIE'Or; elPal rowiiror; nennt. Daß dann Wörter wie "thota, ""wPf/, ~a", die normalerweise die Einsicht und den Entachluß in der Einzelsituation bezeichnen, auch außerhalb der philosophischen Fachsprache die Bedeutung "sittliche Lebenshaltung" , "allgemeine Einstellung" , ja bclinahe "Charakter" des Menschen annehmen können, ist deshalb nicht verwunderlich (z.B. Isocr. Antid. 7; 69; 71; 118u.a.). Daß man aus den Taten, Leistungen oder der äußeren Erscheinung eines Mensohen 1 nicht ohne weiteres auf sein "Herz" sohließen könne l , 1 Der Gedanke, daß die Geeinnumg UDd damit das eigentliche W-. cl. Keoachen achwer zu durchachauen eei, ist auch der ftiihgriechiachen Lyrik Dicht fremd. Man denke et.... an das 7. Skolion der attischen SkolieDaMunlUDg (Bergk, Poet. Lyr. 3'1, d _ Dichter den WWlIICb BUlllpricht, er m6chte die Brutt des Anderen awachlieJJen können, bevor er ihn alt Freund amaimm~. I EiDe 'Obertragwag d ... VergeltuDgBpriDzipa auf die zwilchen den lrfeaocbM. obwaitellClen GeaiDnUDgen, die wir o. 8. 37 bei Thukydid. Iremu!aplem~ haben, 1iegt dem Denken d... AT fern.
52 daß es aber, insbesondere für Gott als den Richter über den Menschen, nur auf das letztere ankomme, wird im Alten Testament, und zwar
in Büchern sehr verschiedener Zeitatufe, immer wieder au.egesprochen. Gott lieht das Herz an und nicht die äußere Erscheinung des Menschen (1. Sam. 16,7; vgl. 1. Reg. 8,39), er prüft "Herz und Nieren" (Ps. 7,10 u.a.). Deshalb sollen die Büßenden "die Herzen und nicht die Kleider" zerreißen (Joel 2,13). Dazu stimmt, wenn die Proverbien (12,10 u.a.) den GottlO8eD durch die Schlechtigkeit seiner Gesinnung, nicht seiner Taten charakterisieren. Das alles ist dem Ansehen eines am Faktisohen orientierten Vergeltungsprinzipes ebenso abträglioh wie die Gedanken der o. S.48f. zitierten Demokrit-Fragmente. Darum wundert es nicht, wenn man im Spätjudentum eine auf manoherlei Weise geführte Polemik gegen die Identifizierung von Vergeltung und Gerechtigkeit findet. Wie im Neuen Testament wird in großen Teilen der nachbibJisohen Literatur des Judentums allenthalben auf den Primat der Gesinnung hingewiesen, und die rechte Gesinnung äußert sich in Verzicht und Hingabe, nicht in der Wahrnehmung eines wie auch immer gearteten Vergeltungsanspruches. Deshalb soll man Vergeltung weder praktizieren noch Belohnung von seinem Partner erwarten (vgl. etwa den berühmten AU88pruch des R. Antiooh08 v. Bocho [1. Jh. v. ehr.] in Aboth 1,3 oder Apoc. Esr. via. 3,26,4 = p. 247 Viol.).
c)
Es gibt noch andere Erfahrungen und überlegungen, die das Vertrauen in die Richtigkeit des Vergeltungaschemas ersohüttern und die wiederum sowohl im Alten Orient als auch in Griechenland sehr früh nachzuweisen sind. Da ist einmal die durch gewissenhaftes Nachdenken gewonnene Behutsamkeit in der Beurteilung der eigenen Position und damit der eigenen Ansprüche an den Anderen. Was ist denn der Mensoh, daß er sich anmaßt, in der Wahrnehmung scheinbar gerechtfertigter Ansprüche vergelten zu wollen' Ist er nicht vielleicht der größere Frevler als der Andere' Ist er nicht mindestens Gott als der höchsten VergeItungsinstanz gegenüber im Unrecht und hat allein schon daduroh jeden eigenen Vergeltungsanspruch verwirkt t Aus solchen Erwägungen kommt dann ebenfalls die Mahnung, in jedem Fall nur Gutes zu tun, auch dem Feind oder Widersacher, gegenüber dem man einen Vergeltungaanspruch zu haben glaubt. Den aber soll man lieber Gott tiberlassen (vgl. etwa Sir. 28,llf.; Exod.23,4f.; Deut. 32,35). Im
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gleichen Sinn sagt Plinius (ep. 8,22,2): optimum est ignoaae ita ipse . quasi pecces cottidie ' . Die Mahnung, behutsam zu sein und auf Vergeltung lieber zu verzichten, weü man der Rechtmäßigkeit des eigenen Anspruches niemals ganz sicher sein darf, steht vor dem Hintergrund einer großen Zahl vulgärethiacher bzw. -psychologischer AUIJII&gen, in denen eine trübe Erfahrung niedergelegt ist: In den seltensten Fällen geht es dem Menschen um objektive Gerechtigkeit oder gar um die Förderung des Anderen. Vielmehr ist er immer wieder nur am eigenen N atzen interessiert. So sagt Terenz in der "Andria" (426f.) verum illud verbum est, volgo quod dici 101et, omnia sibi malle melius esse quam alteri. (Ähnlich Eurip. Med. 86; Menand. Monoetich.528). Auch Ariatoteles trifft in der "Nikomachischen Ethik" eine sehr nüchterne Featatellung hinsichtlich der vorwiegenden Ich-Bezogenheit alles menschlichen Handelna (1121 b 12ff.). Daß er damit dem Menscben nicht Unrecht tut, zeigt ein Distichon des Tbeognis-Buches (1089f.), das durchaus als positive Maxime gedscht ist:
d nOTe {JOVMWOlPI rp[Np xaxO., aVrO. ''lOIpI. Bi lJI TI "eiN. EIJol, TOatw aÜ'rO. 'XOI.
"z.
Dieser dem Vulgärbewußtaein durchaus geläufige Zug im Wesen des Menschen entspricht auch seiner Neigung, Fehler nur beim Anderen zu sehen und auf lOlche Weise sein eigenes Tun zu rechtfertigen (Eurip. fr. 1042 N.; Monoat. Catonia 41). Daraus ergibt sich die oft wiederholte Mahnung, "vor der eigenen Tür zu kehren": ÖTa-,
TI pellTI' Tm. ni~ "aT7J~i., Ta C7a\IToV neäiTOI> mlOxhr:rov
~
xaxa.
(Menand. fr. 710 Kock = diat. 41; ähnlich Plaut. Truc. 160 u. Pseud. 612; Apoetol. [paroem. graec. 11] 4,23; Cic. Phü. 12,25). Auch Demokrit (B 60) weiß ähnliches zu lehren: xeiUC701> Ta obn)i'a apaen/IJGTa i}Jyxelll #J Ta dft"ia. Endlich gibt es eine den Vergeltungsgedanken als moralisches Prinzip in Frage stellende Erfahrung, die unter all den hier aufgeführten Motiven wohl am frühesten ihren Ausdruck gefunden hat: I Auch der Gedanke, daß ein von den M_ben gebilligtea Handehl noch nicht notwendigerweiae die ZWltimmung Gottea findet, führt zur Behutllamkeit. Er findet eich daa ..... Mal in einem babyloniaoben Weiaheitetnt auageeprochen (überaet&t zuletzt bei W.G. Lambert, Babylonian WiBdom Literature, Osford 1960, "').
Du Wissen um die Unsicherheit und die Unberechenbarkeit menschlichen Schicksals. Schon die WeisheitllllprUche des Anii (18. Dynastie) fordern zum Wohltun gegenüber dem Anderen auf, weil sich nach dem Plan des "Herrn des Lebens", der ein anderer ist als der Plan der Menschen, du Verhältnis von Geber und Empf"änger schon morgen umkehren kann (Text bei A. Volten, Hist. filol. Medd. Kgl. Dan. Videnak. Selsk.23, 1935/38, 118)'. Zwar setzt dieser Text den Vergeltungagedanken an dieser Stelle insofern vonr.ua, als doch offenbar nur der, welcher im Glück die Not des Anderen nicbt übersah, seinerseits im Unglück Hilfe finden wird. Aber Glück und Unglück in ihrer wechselnden Verteilung treffen die Menschen nach einem undurcbschaubaren Plan, nicht nach der (vorauszusehenden) Belohnung oder Beatnr.fung ihrer Taten. Die durch Tat und Vergeltung konstituierte Kette ist nicht identisch mit dem Auf und Ab menschlichen Glückes. Ganz Ahnliches gibt es im Alten Testament. Im Priesterkodex (Lev. 19,33f.) steht die Mahnung, die "Fremdlinge'" nicht zu unterdrücken, weil du Volk Israel selbst einmal Fremdling in Ägypten gewesen sei (ähnl. Deut. 15, 12f.). Du Wissen vom (unverschuldeten) Wechsel menschlichen Glückes gestattet es, jede Situation nicht nur vom eigenen Rechtlllltandpunkt her, sondern auch mit den Augen des Anderen zu sehen, weil man damit rechnen muß, auch einmal in seine Lage zu kommen, bzw. schon einmal in seiner Lage gewesen ist. Ihre größte Tiefe erreichen denr.rtige Betrachtungen in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen, daß auch der Gerechte leiden muß. Hier versagt jeder Versuch einer reinlichen Aufrechnung von Tat und Vergeltung. Es ist bekannt, wie die Antinomie zwischen dem Bedürfnis nach sichtbarem gerechtem Ausgleich und der Einsicht, daß es du dem Gerechten von Gott geschickte Leiden gebe, in dem Bruch zwischen Rahmenerzählung und Dialogteil des Buches Hiob seinen unübertroffenen Ausdruck findet'. Im vorliegendenZuaammenhang kommt nichts darauf an, ob man mit einer einheitlichen Komposition des Hiob-Buches rechnet oder seine Teile verschiedenen Verfaaaem und verschiedenen Zeiten zuweist. Spätestens seit der Zeit des Exils sind im Judentum sowohl du archaische Vertnr.uen darauf, daß Glück und Unglück auf Erden als Lohn und Strafe von Gott geschickt werden (z. B. Pa. Salom. 5,16; 16,12 oder die Frage der Juden nach der Ursache des Unglücks von Siloah Luc. 13,4), sls auch du Den Hinweis auf di..... Stelle verdanke ich Herrn Brunner. • Es handelt .ich bei dieoen gerim entweder um Hintcrsauen oder um ,.Metöken", jedenfaUo wohl um Nichtisraeliten innerhalb der vom Volk Israel konotituierten Wirtechafto· und Wohngemeinochaf't.. die nicht in vollem Sinne rechtaf'ihig sind, weil oio keinem der Stimme angehOren. • Eine bellCmdero ausführliche Widerlegung deo Vergeltungoochemao .toht im Buch Hiob 21,2911'. 1
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Bewußtsein, Gott sei denen, die unverdientennaßen in Not, Unglück und Erniedrigung gerieten, besonders nahe (z. B. Jes. 42,3; Hen. 96, 3; vgl. Rea\l. f. Ant. u. Christ. 3,743ff.), in gleicher Weise lebendig. Filr du Verhältnis zu Gott ergiht sich daraus die Lehre, daß der Einzelne nicht einen Lohna.nspruch auf Grund lückenloser Gesetzeserfilllung erheben, sondern sich in gläubiger Hingabe allen Schickungen fügen solle (Apoc. EHr. via. 3,26,4). Für das Verhältnis zum Mitmenschen aber ist darum eine Vorsicht und Behutllamkeit angebracht, die nicht vorschnell über die sittliche Qualität und die Ansprüche des Anderen zu dessen Ungunsten urteilt (Mischna Aboth4,3; Sotah 5, 5b), sondern gegenüber allen Menschen - oder doch mindestens den Glaubensgenossen - eine wohlwollende, versöhnliche Gesinnung anempfiehlt, die sich vom Vergeltungsschema. ema.nzipiert hat. Im griechischen Bereich vermittelt vor allem die attische Tragödie die Einsicht, daß Erhebung und Sturz im Leben der Menschen, welche die Götter bewirken, nicht nach dem den einfachen, menschlichen Rechtsverhältnissen entlehnten Gesetz von Tat und Vergeltung zu erklären sind '. Die Tragödie vertieft hier eine schon der a.rchaischen Zeit geläufige Erkenntnis, nach welcher der Mensch der jeweils vorliegenden Situation ausgeliefert ist und sein Ergehen weder vorausberechnen noch wa.hrhaft beeinflussen kann I. Immer wieder suchen die Tragiker zu zeigen, daß das souveräne, a.n keinerlei Rechenschaftsablage gebundene Ha.ndeIn der Götter, mit dem sie die Menschen in ausweglO&e Lagen zu bringen pftegen, dem vordergründigen Verständnis bzw. dem, der nur menschliche Maßstäbe anzulegen gewohnt ist, als durchaus ungerecht erscheinen muß. Dazu betonen die Tragiker mehr als ihre Zeitgenossen, daß ma.n den Folgen einer Tat auch dann nicht entrinnen kann, wenn man sie unwissentlich oder auf fremden Antrieb hin bega.ngen hat. Während im 5. Jahrhundert, insbesondere in seiner zweiten Hälfte, der Schuldbegriff sehr entschieden rationalisiert wird, dergesta.\t, daß wirklich nur die vorsätzliche Tat Schuld, Verantwortung und damit strafende Vergeltung nach sich ziehen sollte, demon1 Etwas derber und anspruchsloser heiBt es in der Invaliden·Rede des Lysiaa (24,22): hI.I6ol"dc1 ~w. ,.."lnon 6 6alp"'. wnl(!1/a.. .,...s~ "pi. irpwlatno ~oiiTo ~Ö dcnN!11O" fryotIplPrJ d .... ~a, nzo, ~oi, baao ....1 ~.;;. xaxw, xal ~w,
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• Schon bei Homer (z.B. a 130«.) und in der Lyrik (Archil. Cr. 88 D.; Pind. Pyth. 3,8Uf.), besonders dann aber bei Herodot, dem Erben der archaiachen Ethik, wird immer wieder die "Oberzeugung atugeBprochen,6ro ..a. in.. ~ :010; ""/AfIOtII (Hdt. 1,32,4; vgl. H. FriLDkel, Wege und Fonnen des frühgriechischen Denkens, München 191111, 23 Ir., und R. PCeilrer, PhilaI. 84,1929, 1371r.). In besonders eindrucksvoller Weise opricht auch Simonides (Cr.8 D) von der Undurchllchaubarkeit der apezifioch mOlll!Chlithen Situation, weniger difFe· renziert Theognis (1331r.).
li6
atriert die Tragödie, vor allem die BOphokleische, daß auch der iDl Sinne dieaes zeitgemäßen Schuldbegriffs unschuldige, weil unwillentliche, Täter die volle Wucht der göttlichen Vergeltung ertragen muß. Der vielbehandelte tragische Schuldbegriff, den man immer wieder insbesondere an Hand einer Interpretation des ..König Oedipus" erläutert hat, läßt sich alBO in seinen wesentlichen Zügen nur als Antwort auf die Rationalisierung (s. o. S.16f.) der Schuldvorstellungen im gleichzeitigen Rechtsdenken und in der sich mehr und mehr durchsetzenden Geainnungaethik verstehen. Offenbar sieht Sophokles die Gefahr einer einseitigen Bindung der Schuld an die vorsätzliche, mit Einsicht und Absicht vollzogene Tat darin, daß sie den Menschen verführt, an die Berechenbarkeit des menschlichen Geschehens zu glauben. Wer überzeugt ist, daß ihn Vergeltung nur für lOlche Taten treffen wird, die er auf Grund ungetrübter Einsicht und freier Entscheidung vollbracht hat, kann auch leicht der Ansicht verfallen, er brauche nur nach eigenem Gutdünken zu leben (elxfl CjjI> Soph. 000. R. 979; vgl. dazuEur. fr.19u. Soph. fr. 287 N.; Thuc. 3,84; zur Wortbedeutungvon elxfl vgl. Xenophan. 2,13 D.), um allen verhängnisvollen Folgen auszuweichen. Sophoklea will demgegenüber zeigen, daß der Menschund gerade der große, überragende Mensch - durch die willkürlich ausgeübte Macht der Götter ohne Wissen und Wollen in TatfoJgen verstrickt wird, ja, daß sich sein wahres Wesen und damit auch sein Wert in den Extremaituationen offenbart, die auf diese Weise für ihn zustande kommen. So ist gerade jenes unschuldige Schuldigsein als spezifisch menschliches Phänomen erklärt, das durch einen einseitig rationalen, an Einsicht Wld Absicht geknüpften Schuldbegriff vel'deckt würde. Wir haben keinen Anlaß anzunehmen, daß Sophokles im Bereich des Mora.liBchen den .. modemen", rationalen Schuldbegriff abgelehnt hätte. Seine wertenden Peraonenschilderungen verraten das Gegenteil. Im Falle des Oedipus hat Sophokles besonders deutlich zu verstehen gegeben, daß er den Helden in jeder menschlich angemessenen Hinsicht für schuldlos und tadeiafrei ansieht. Die der alten Sage geläufige Vorstellung vom Erbfluch hat Sophokles gefliBsentlich zurückgedrängt, um auch hiermit den Zuschauer nicht auf die falsche Fährte zu locken. Der Fluch, dem Oedipus zum Opfer iällt, ist derselbe, den er mit eigenem Munde a.m Beginn des Stückes über die Mörder des Laios ausgesprochen hat. Oedipus macht am Schluß des Stückes auch nicht den Versuch, sich nachträglich mit dem Hinweis auf seine Unschuld oder Unwissenheit in irgendeiner Form zu rechtfertigen. So gewiß er seiner mora.1iBchen Unschuld ist, 10 deutlich erkennt er in seinem Schickaa.l das Handeln ApollonB, und angesichts dieser Einsicht versagen alle moralisch-juristischen Überlegungen.
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Sophokles verweist a1so mit Hilfe des sog. tragischen Schuldbegriffs, der einerseits archaische Vorstellungen wiederaufnimmt, andererseits aber den modemen Gesinnungsschuldbegrift' vora11llll8tzt, auf eine neu entdeckte Tiefendimension, in der sich das menschliche Schicksal entscheidet. Was hier für Sophokles gesagt ist, gilt mit einigen Modifikationen auch für die beiden anderen großen Tragiker. Alle drei sind nämlich in gleicher Weise von der von außen bewirkten Verstrickung des Menschen überzeugt. Dafür macht es keinen oder keinen entscheidenden - Unterschied aus, ob man mit Aiachyl08 die Diskrepanz zwischen göttlichem Handeln und mensohlicher Moral auch für das rationale Verständnis glaubt auflösen zu könneni, ob man mit Sophokles diese Diskrepanz zwar für unaufhebbar hält, aber trotzdem das jenseits aller menschlichen Moral sich vollziehende Handeln der Götter gutheißt, oder ob man die Götter wie Euripides an den Maßstäben menschlicher Moral mißt und deshalb verurteilt (vgl. etwa fr. 286 u. 292 N. aus dem ..Bellerophontes"). Für alle drei Tragiker ergeben sieh aus der spezifisch tragischen Situation die gleichen moralischen Konsequenzen für das Verhältnis zum Mitmenschen. Am Anfang und am Ende des sophokleisohen ,,Aias" zeigt Odyaseus die wahre Einsicht in die Hinf&lligkeit menschlicher Größe und die dem menschlichen Verstande sich als unentwirrbar darbietenden Schuldverhältnisse. Nach menschlichen Maßstäben steht die Strafe, die den Helden trifft, in keinem gerechten Verhältnis zu seiner Verfehlung, wenn von einer solchen überhaupt gesprochen werden darf'. 1 AillChylos und Pindar bieten die eindrucksvo11sten Beispiele daf'tlr, wie man in .pätarchaiecher und friihk1l188ischer Zeit immer wieder veroucht, die mythiochen Überlieferungen vom .trafenden oder rächenden Eingreifen der Götter mit den Maßot&ben der geltenden Moral zu vera6bnen. Beide betonen, daß nur den Frevler, den eine auch nach menschlichen HaBet.iben eindeutige Schuld bol&Btet, die göttliche Strafe trifft (pind. 01. I, 30ft'.; Aeoch. Eum. 530ft'.; 7Nft".). Auch im friihaten unter den erhaltenen Dramen dee Sophoklee findet Hieh noch einmal eine derartige Andeutung (Ai. 766ft'.). Der Bpätero Sophoklee aber hat sich, wie etwa der ,,König ÖdipUB" zeigt, von dieeem Poet.ulat abgewandt und gerade die Inkommensurabilität göttlichen und menachlichen HandolnB in den Vordergrund der Betrachtung geeteUt. Deutlich ißt dieee epeaifioch 8Ophokleieche Position etwa in fr. 226 N. (aUB dem ..Thyeetee") aURgedrückt. • In der aischyleiechen Tragödie, darauf venreißt mich Bruno SneU, ergibt lieh die weeentliche Einechränktmg der Selbotaicherheit mtmBDblichen Handelna aUB der Einsicht in den opezifioch tragiechen Zwieepalt, der darin beoteht, daß sich der Mensch zwei konkurrierenden, mit gleicher Autorität aUBgeetatteten Forderungen 8"8"Düberaieht und darum, trotz und wegen oemer Entocheidungofreiheit, in jedem Fall wieoentlich ochuidig werden muß. Be8Ondera deutlich wird dao am Beispiel dee 01'l!8te8. Indll8ll8ll, gerade in der Oreetie, dem reifsten Werk unter den 7 Tragödien, zeigt sich deutlich, daß Aiochyloe-
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Oberwi"dvng du V.rgelI ..ngadenk.....
Die irrepar&ble, ihn vor dem Heer befleckende Untat hat Ai88 ja erst in dem von Athena gesendeten Wahnsinn verübt. Von Athena über den Ursprung menschlichen Leidens im Handeln der Götter belehrt, verzichtet Odysseus darum gegenüber dem gestilrzten Helden auf einen Vergeltungaanspruch, der ihm nach den geltenden Grundsätzen des Rechtes und der Moral zusteht und an dem die Atriden auch festhalten. Sucht man im "Ai&ll" moralische Paränese, so wird deutlich, wie der Dichter in der extremen und doch von ihm als spezifisch menschlich verstandenen Situation das Verhalten der Atriden mißbilligt und das des Odyaaeus gutheißt. Beispiele ähnlicher, im Drama implioite enthaltener Paränese liefert die Tragödie in groBer Anzahl. Man denke etwa an die "Perser" des Aischylos, an Sophokles' "Antigone" oder an die Schlußazene des euripideischen "Hippolytos". Weil die Tragödie den unheimlichen, undurchschaubaren Vergeltungsmechanismus, den die Götter in Gang setzen, so besonders ernst nimmt, kann sie die Vergeltung als Prinzip der zwischenmensohlichen Beziehungen nachdrücklich in Frage stellen'. Die Tragödie lehrt damit den grundsätzlichen Respekt vor der Person des Anderen, der sich nicht mit dem Automatismus von Tat und Vergeltung als Maßstab moralischer Wertsetzung verbinden läßt, so sehr sich das Fragen der Tragiker auf die Beschaffenheit der vom Gerechtigkeitsgefühl geforderten Vergeltung allen Tuns auch richten mag. Auf Grund all dieser, in den vorangegangenen Abschnitten geschilderten Erwägungen ist es, auch auBerhaJb der philosophischen Tradition, zum selbstverständlichen Besitz in der Gesittung der nachklassischen Antike geworden, daß der Mensch dem Mensohen mit Wohlwollen und Respekt entgegentreten und ihm auch nicht in der Verfolgung eines scheinbar eindeutigen Vergeltungsanspruches Schaden tun solle. Diese Maxime findet sich in mannigfachen Formulierungen, ande... als Sophoklee - an die Möglichkeit einer letzt.inatanzlichen Lösung sol· cher Konflikte glaubt, die der gOttlichen Ordnllllg ebenso Genüge tun wie einer rational kontrollierten menschlichen Sittlichkeit. , Auch Herodot v_baulicht die Unmöglichkeit, ein dem menschlichen Verstand erkennberee Gleichgewicht zwischen Tat und Vergeltllllg dort zu finden, wo die Gottheit den Menschen in eine (tragische) Schuld vlll'lltrickt. Du zeigt etwa die im 7. Buch erzählte Vorgeschichte dee Xerxee.Zugee. Zwar tut Xerxee den lIl'IIten Schritt auf dem Wege der Hybris aUB freien Stücken, zeigt aich dann aber, bewegt durch die Warnungen dee beeonnenen Artabanoto, zur Umkehr bereit. Erst das gewalttätige Auftreten der von den Göttern geIIIUldten Traumeracheinllllg bringt den Mahner zum Schweigen und drängt den Xerxee auf die Bahn dee schuldhaften VerhlI.ngniaee. Die IrrationaJisierllllg dee SChuldbegrift'.... die Herodot mit Sophoklee gemeinsam hat, Jii.ßt sich nur als Reaktion auf das in denelben Zeit &ehr lebendige Streben ventehen, Schuld und Haftung restlos und weitergehend, als das in der alten Blutgesetzgebllllg
Groduell
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deren berühmteste vielleicht das homo homini deus ist (Zenob. 1,91 [paroem. I];Caeciliusb. Symmach. ep. 9,114; vgl. Ter. Heaut. 77 u.a.) Für die Frage der Vergeltung ergibt sich daraus die Regel iniuriarum remedium est oblivio (Publil. Syr. 281 ; Com. inc. fr. LXXIII 88 Ribb.; Sen. ep. 94,28)1. Wenn das vorliegende Kapitel die Überschrift "Graduelle Überwindung des Vergeltungsgrundsatzes" trägt, so soll das den folgenden Sachverhalt kennzeichnen: Die Einschränkung oder gar Aufhebung der Vergeltung als Grundsatz menschlichen HandeIns, die hier an sehr verschiedenartigen Beispielen erläutert wurde, erweist sich insofern überall als eine graduelle, als das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer Vergeltung im Guten und Bösen um der Gerechtigkeit willen, und zwar sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch in der von göttlichen Mächten garantierten Weltordnung, durchaus lebendig bleibt. Die Abmahnungen von der Vergeltung berufen sich lediglich auf die Undurchsichtigkeit des menschlichen Schicksals, die Schwäche der menschlichen Position, die Schwierigkeit, Gesinnung und Tat gegeneinander abzuwägen, den übergeordneten Rang der Verzeihung usf. Man leitet aus derlei Überlegungen mit stärkerer oder schwächerer Folgerichtigkeit ab, daß ein Handeln nach dem Grundsatz unvoreingenommenen Wohlwollens, auch gegenüber dem Feind oder Schuldner, angesichts so vieler Unsicherheitsfaktoren weiser und besser sei als das Bestehen auf dem Vergeltungsanspruch, durch das sich der MeDllCh in neue und unvorhergesehene Schuld verstricken kann. An der Richtigkeit und Gültigkeit des Vergeltungsgrundsatzes als solchem, auch im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, braucht darum noch kein Zweüel zu entstehen. In der Muimenbildung kann nur etwa die Verzeihung gegenüber der Vergeltung die Qualifikation eines opus superrogationis erhalten. In all den zitierten und behandelten Textbeispielen kann man also die "neuen" Verhaltensvorschriften, die sich vom Vergeltungsgrundsatz distanzieren, als einfache Addition zur Paränese einer typologisch älteren, an der Vergeltung orientierten Ethik verstehen. Die Überwindung des Vergeltungsschemas ergibt sich aus seiner konsequenten Anwendung in der moralischen Reflexion, die es als unpraktikabel erweist. Die Lage und die sich aus ihr herleitenden Pflichten des Menschen werden nicht einer grundlegend neuen geochehen war, f"ür das rationale Verstlndnis voneinander zu trennen, und zwar im juristischen ebeaso wie im moraliacben Bereich. Man d8llke nur an die bei Plutarch (Per. 38) überlieferte (s. o. S. (8) Unterhaltung zwischen ProtagorB8
und Perikles. • Vgl. hierzu das reiche Material bei J. Stroux, Summum ius summa iniuria (wieder abgedruckt in: Römiache Rechtswissensehaft. und Rhetorik, Potedam 19.9).
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Betrachtungsweise ausgesetzt, vielmehr zieht man lediglich aus der herkömmlichen, aber mit größerer Intensität und unter Berücksichtigung eincs immer reicheren Beobachtungsmateriales verfolgten Denkweise neue, von der Vergeltung wegfiihrende Konsequenzen für die moralische Paränese. Zwar hatten wir nicht selten Anlaß, auf die Tiefe und den Reichtum moralischer Reflexion, auf den vielfach bezeugten psychologischen Scharfblick hinzuweisen. Aber nirgends zeichnete sich der Ansatz zu einer grundsätzlich neuen Fragestellung ab, mit deren Hilfe man Wesen und Handeln des Menschen zu erkennen trachtet. Wir haben uns bisher, trotz aller Tiefe und Subtilität, die wir gelegentlich feststellen konnten, immer im Bereich der Vulgärethik bewegt, denn den Ausgangspunkt alles Nachdenkens bildete immer wieder die A1ltagserfahrung, die dem common sense geläufige Erkenntnis, die 60Ea TCÜ" noiJ.ciiv oder wie immer man eine nicht auf die Seinsfrage bezogene Erkenntnis nennen will. Daß aber der Vulgärmeinung, dem auf der AIItagserfahrung beruhenden Bittlichen Bewußtsein das VergeltUDgBschema als moralische Bewertungsgrundlage unmittelbar gcgeben ist und daß darum das Haften an der Vergeltung als Kriterium aller Vulgärmoral gelten darf, kann spätestens seit PIaton als gesicherte Erkenntnis betrachtet werden. Die im folgenden zu behandelnde grundsätzliche überwindung des Vergeltungsprinzips annulliert schlechthin dessen Gültigkeit als Leitfaden und Bewertungsgrundlage in den zwischenmenschlichen Beziehungen, wenn auch nicht notwendig in der Weltordnung. Zweimal ist diese grundsätzliche überwindung des Vergeltungsdenkens in dem uns angehenden geographisch-geschichtlichen Bereich auf verschiedene Weise vollzogen worden: In der platonischen Philosophie durch die Bestimmung des Seinscharakters von Gut und Böse und im Neuen Testament mit der Lehre, daß der empirische Mensch unter den be80nderen Bedingungen einer eschatologischen Existenz lebe.
V. Prinzipielle tlberwindung des Vergeltungsdenkens a) Philosophie Die grundsätzliche tlberwindung des Vergeltungsschemas in der sokratisch-platonischen Philosophie ' läßt sich aus einer ganzen Anzahl von Dialogpartien ablesen, ein Hinweis auf die Bedeutung, die dieses Problem in der platonischen Ethik besitzt. Im "Kriton" (49 Aff.) im "Gorgias" (474 BIf.) und im "Staat" (332 E ff.) wird mit Hilfe der Dialektik, d.h. der auf die Erkenntnis des wahren Seins der Dinge gerichteten Begriffsbildung, der Nachweis geführt, daß Schaden, Kränkung, Verletzung, Unrecht, kurz, jeder Akt, mit welchem dem Anderen ein Nachteil zugefügt werden soll, g&llZ unabhängig von den äußeren Umständen stets dieselbe seinsmäßige und damit auch moralische Qualität besitzt. Der moralische Charakter einer Mucla bleibt also auch dadurch unberührt, ob sie einem Menschen unprovoziert oder in der Vergeltung erlittenen Unrechtes zugefügt wird. Da sich nach Platons überzeugung die Wahrheit hinsichtlich eines Dinges oder eines Vorganges nur dem Denken erschließt und nur der denkende Teil der Seele am wahren Sein Anteil hat, ist eine Vereinzelung der sittlichen Phänomene, ein Absehen vom faktischen Zusammenhang, der nur der auf Sinneseindrücken beruhenden Erfahrung gegeben ist, nicht nur zulässig, sondern geboten, wenn man die Wahrheit im Phänomen erkennen will. Die Sophisten als Vertreter des common sense werfen es nach der Darstellung Platons dem Sokrates immer wieder vor, daß eine derartige Vereinzelung der Dinge und Erscheinungen, diese geflissentliche Nichtberücksichtigung des der Erfahrung I Als Anhang sei hier vermerkt, daß sich im Hinblick auf die Entwicklung eines humanitAren Denkens überraschende Parallelen z'lll'ischen nachexilisch· jüdischer und griechischer Ethik ziehen ~n. Indessen besteht der große Unterachied, daß sich im Griechiachen aus dem Ungenügen an der Vergeltung im Faktiachen eine autonome Ethik entwickelt, die den Menschen und die Ausg&DgIIp08ition seines sittlichen Handelns vom Einlluß äußerer Gewalten zu befreien verspricht. Auf der jüdischen Seite dagegen steht die o~ wiederholte Aufforderung, in demütiger HiDgabe bei demselben Gott Trost und Hilfe zu suchen, dessen Hand das als Vergeltung nicht voll verständliche Leiden geechickt hat (z.B. Hos. 8,Ur.).
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Oberwi"dullg de8 Verg.zlu"g8unkens
gegebenen Zusammenhanges in den faktischen Geschehnissen, den Dialektiker zu Einsichten führe, die vielleicht zwar wahr, in ihrer Zusammenhangslosigkeit aber praktisch nicht verwertbar seien (z. B. Hipp. min. 369 B/C; lsocr. Hel. 5ff.). Somtes (Platon) weist diesen Vorwurf der pue(!OÄ.oyla nicht eigentlich zurück. Er sagt vielmehr, daß die Suche nach solchen dialektisch gewonnenen Einzelerkenntnissen das eigentliche Movens sittlicher Lebensgestaltung sei (am deutlichsten vielleicht in der "Apologie"). Denn die Erkenntnis des wahren, intelligiblen Seins, selbst wenn sie nur an einzelnen Punkten erreicht werden kann, ist wertvoller und kann eine weit höhere Autorität beanspruchen als alles noch so plausible Meinen und Vermuten, daß sich in den großen Faktenzusammenhängen der Sinnenwelt beim praktischen Handeln zu bewähren scheint. Die Sinnenwelt verbirgt nämlich die Wahrheit, die sich nur dem Denken öffnet, und alle Verderbnis im Zusammenleben der Menschen rührt daher, daß man sein Handeln normalerweise nach den in der trügerischen Sinnenwelt gesammelten Erfahrungen und den an sie anknüpfenden Vermutungen, d.h. nach der MEa TW" no.uw.. einrichtet, nicht aber seinen Blick auf das intelligible Sein gerichtet hält. Im Falle des M"u;i" ist die richtige Erkenntnis des wahren Seins erreichbar. Der Gute, der nach dem rechten Wissen sucht und es sich immer wieder im einzelnen zu erwerben vermag, wird sich jedes Muesiv, jeder Schädigung des Anderen enthalten und das uVTa6,xeip auch nicht durch einen Vergeltungsanspruch gerechtfertigt sehen (Rep. 335 D). Er weiß nämlich, daß das MIxei", ganz unabhängig von den daran beteiligten Personen und den gegebenen Umständen, ein Übel an sich ist. Er unterscheidet sich damit von den Vertretern der ~a TWII no.uw.., also auch von den Sophisten, die bei aller Abneigung gegen bloßes M'XIli" das dna6ueei" glauben rechtfertigen zu miissen (Crit. 49 C; Men. 71 E). Weil der Mensch nun allein durch seine Seele Anteil am wahren Sein hat und diese damit der bestimmende und allein wesentliche Teil seines Selbst ist, können als "Nutzen" und "Schaden" im menschlich-moralischen Wortsinn lediglich solche Wirkungen bezeichnet werden, welche die Seele eines Menschen fördern oder schädigen, besser oder schlechter machen. Anytos und Meletos, die Ankläger, können Sokrates also ebensowenig schaden wie die Richter, die das Todesurteil über ihn sprechen, denn keiner unter ihnen vermag den Seelenzustand des Sokrates zu affizieren (Apol. 30 Cl. Der Schaden, der mit einer MueLa angerichtet wird, trifft in Wahrheit nur den Täter, denn in der Vorbereitung und im Vollzug einer Handlung, die sich gegen den Anderen richtet und darum ungerecht ist, schädigt er die eigene Seele. Die Seele kann nicht in ihren besten Zustand, den der deEni,
Prin:ipieU
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gelangen, wenn Denken, Planen und Handeln des Menschen auf falscher Einsicht beruhen und darum moralisch schlecht sind. Der Schaden, den ein d6ucotlll~ erleidet, ist demgegenüber nur ein vermeintlicher, solange seine Seele durch die Einwirkung des Anderen nicht in einen schlechteren Zustand als zuvor versetzt wird. Die Lehre, daß die schlechte Tat den Täter selbst trefFe, ist bei Platon nicht aus der alten Erfahrung abgeleitet, daß der, "welcher dem Anderen eine Grube gräbt, selbst hineiniällt" (vgl. Hes. Op. 266; ähnlich noch Enn. trag. fr. 321 Ribb. = 320 Kl.). Diese Vorstellung gründet sich auf die "Überzeugung, daß alles im Bereich des Faktischen Beine genaue Vergeltung finde und darum der 'Obeltätersteta Beine eigene Bestrafung mit der Tat in Gang Betze. Platon sieht demgegenüber nur in der Wirkung auf die Seele des Subjektes die wesentliche Folge allen Handelna und Denkens. Es geht in der sokratisch-platonischen Ethik nicht darum, einen wie auch immer gearteten "gerechten" Zustand in der sinnlich wahrnehmbaren Welt, soweit die Intereaaen des Einzelnen oder der Gemeinschaft davon berührt sind, durch geeignete Handlungen und vergeltende Gegenhandlungen herbeizuführen. Die "Sorge für die Seele'" ist vielmehr das Ziel jeder moralischen oder pädagogischen - und d.h. für Platon intellektuellen - Anstrengung (vgl. etwa die schöne GleichnisaUlllJ&ge Phaedr. 248 B). Die rechten Zustände in der empirischen Welt der Menschen werden sich von Belbst einstellen, wenn die Seelen der einzelnen Menschen oder doch der mit Macht und Verantwortung aWlgestatteten Lenker menschlicher Gemeinwesen ihre bestmögliche Verfassung erreicht haben'. Obgleich Platon vor allem in späteren Schriften (z.B. Leg. 870 E) die feste 'Oberzeugung aUBBpricht, daß der Gang der Welt von einer unverbrüchlichen, vergeltenden Gerechtigkeit bestimmt Bei, die sich für den Einzelnen als unausweichliche Belohnung oder Bestrafung Beines Tuns im Jenaeita bzw. auf den verschiedenen Etappen der Seelenwanderung realisiert, hat doch in der platonischen Ethik, die das Handeln der Menschen in den Situationen Beiner jeweils gegebenen irdischen Existenz betrifft, der Vergeltungagedanke jede Bedeutung verloren. Auch im Strafrecht begründet Platon die Bemessung der 1 Ob w- Ernmgenacbaft. Platon oder 80kratea zuzuschreiben sei, bleibt angesichte dee UID8taIIdes. daß der xenophontiache 80kratea die im .,staat". im ..Gorgiaa" und anderswo energisch beetritteDe Maxime, dem Feind zu ...haden und dem Freund zu nützen. sich wiederholt zu eigen macht (Mem. 4.4.24. vgl. auch 2.1.12). eine erast zu nehmende Frage. die aber hier nicht näher erörtert zu werden braucht. • •&.,u1a.a ~ ~%iI' als Bezeichnung dee Erziehungazielee der Philosophie findet sich auch in der polemischen Darlegung bei Isocr. c. 8oph. 8. Zur .. Ent· deckung" der inneneelischen Vorgänge als Ausgangspunkt moraliecher Beurteilung s. o. 8. 49. Anm. 49. (vgl. Demokr. B 170/171).
O~rwind.. ng du V ...geUunglKknkeM
Strafe nach dem faktischen Umfang des Vergehens ausschließlich mit pädagogischen Argumenten (Prot. 324 B; Leg. 934 Al'. Daß die Strafe gegebenenfalls sogar dem Vergeltungsgrundsatz in seiner schärfsten Form, der Talion, genügen muß, hängt mit dem unvollkommenen sittlichen Bewußtsein der Menschen zusammen, auf die nur eine VergeltWlgllStrafe den gewünschten Erziehungseffekt ausübt. Es ist nicht erforderlich, in unserem Zusammenhang auf die nähere ontologische Begründung der platonischen Ethik einzugehen. Wichtig ist nur, daß in dieser streng intellektualistischen Ethik (oOOEk bulw QJ.UI(!TtWEI, "Tugendwi886n")I, in der die gesamte Aufmerksamkeit auf den Zustand der Seele des denkenden und handelnden Subjektes konzentriert ist, ein Vergeltungsprinzip, d_n Verwirklichung man im Ausgleich des äußeren Geschehens erwartet, als gänzlich irrelevant erscheint. Da d61XEiut'Jal in jedem Fall besser ist als MIXEi", weil nämlich nur durch das letztere die Seele Schaden leidet, ist die Frage, wie denn die Mtxla gerechterweise durch den Menschen zu vergelten sei, überflüssig und sinnlos geworden. Auch das dvra"txEiv, wie es die Vulgärmeinung fordert und gutheißt, läßt den Handelnden seelischen Schaden nehmen, denn es ist ebenfalls ein OOIXEi"l. Der platonische Sokrates kann mit seiner Lehre, die für das sittliche Handeln mit dem Grundsatz des faktischen Ausgleichs radikal bricht und nur die "Sorge um die Seele" als Ziel sittlicher Bemühung anerkennt, recht eigentlich als Begründer der Auff&BSung von der Autarkie und Autonomie des Individuums gelten, die fortan aus der Geschichte der hellenistisch-römischen Ethik, und zwar durchaus nicht nur der philosophischen, nicht mehr wegzudenken ist. Mit der Konzentration der moralischen Reßexion und des sittlichen Bemühens auf die Seele bzw. ihren denkenden Teil ist der Mensch als sittlich handelndes, sittlicher Beurteilung unterliegendes Wesen von der sich als Folge von Tat und Vergeltung darbietenden Kette des äußeren Geschehens ebenso befreit wie vom Einftuß und Urteil seiner Umwelt, deren Forderungen mit der Besinnung auf die freie, vemunftgemäße , Zur Straftheorie Platons vgl. jetzt W. Knoch, Die StrafbestimmWlgen in Platons Nomoi, (Klaaa. Philol. Stud. 23) 1960; dort weitere Literatur. I Dae gilt unbeochadet der Tatsache, daß der späte Platon am sokratischen Intellektualismus einige Abstriche vorgenommen hat. V gl. dazu neuerdings P. Rabbow, Paidagogia, Göttingen 1960. • Es braucht kaum geeagt zu werden, daß es im Sinne dieser Ethik auch vergeltende gute Handlungen geben kann. Bei der pädagogisch wirksamen Strafe ist meistens die Vergeltung ebenao notwendig wie bei der Abtragung einer Dankesschuld. Indeosen bedingt nicht du Vergeltungsschema die mora· lische Einetufuug der Tat. Sie ist gut, weil sie für und nicht gegen den Betroffenen vollzogen wurde und weil in ihrem Vo1lzug die Seele des Handelnden beesar und nicht schlechter wurde.
Prinzipiell
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Entacheidung des Individuums zu Bittlichen Größen zweiter, abgeleiteter QrdnWlg werden. Sokrates kann die nachdrückliche Behauptung der sittlichen Autonomie des Einzelnen (vgl. etwa Apol. 37 Elf.) gerade deshalb mit einer loyalen Unterwerfung unter die Gesetze seines Staates verbinden, weil er die entere im seelischen Bereich Bucht, den er für Bittliche Ziel- und Wertaetzungen allein für bedeutsam hält. Wenn Platon, vor allem in den Schriften seiner mittleren und späten Periode, die Prinzipien einer sich im SeeliBchen verwirklichenden, individualistischen Ethik auf die Verhältnisse der staatlichen Gemeinschaft überträgt, unternimmt er damit einen in mancher Hinsicht unzeitgemäßen Versuch. Die BefreiWlg des Individuums von den Bindungen der Polis-Tradition war schon vor Sonates proklamiert worden I, und zwar durchaus im Sinn BOZiaiethiBcher Zielsetzung (Erfolg des Tüchtigen im ölfentlichen Leben), er aber hatte diese Befreiung als seelisch-Bittliche Autonomie umgedeutet". Sokrates' Btarker, vielleicht naiver Patriotismus gestattete jene Verbindung der Bittlichen Autonomie des Individuums mit der absoluten Loyalität gegenüber der hergebrachten StaatsordnWlg. Beim späteren Platon hingegen beruht die entschiedene Wendung zur Sozialethik nicht auf seinem positiven Verhältnis zum empirisch gegebenen Staat, sondern auf einer, gewiß sehr eindrucksvollen, Konstruktion, welche die sittlich bedeutsame Struktur der Individualseele mit dem Aufbau der StaateordnWlg gleichsetzt. Die sog. Kleinen Sokratiker des 4. Jahrhunderte dürfen insofern wohl den Anspruch auf eine gradlinigere SokratesNachfolge erheben, als es in ihren Lehren ganz überwiegend allein um I In diesen Zusammenhang gehört die ochraDkeniose Subjektivierung des .opor; in der oophistischen Spekulation. Die Gültigkeit und Verbindlichkeit der .01'0' soUen nunmehr davon abhängen, ob diejenigen Menschen, die der .opor; betrifft, ihm aWldriicklich zustimmen (z.B. Protag. b. Plat. Theaet. 187C; Eur. fr. 19 N. aus dem ,.&olos"). Im anderen Fall hat der Mensch ""iner .,va.r;, d. h. der Stimme des oommon ""n... zu folgen. Di_ Konsequenz aus der Be. obachtung, daß die Völker jewei1ll nach verschiedenen und einander oft widersprechenden .01'01 leben, haben erst die Sophisten gezogen. Die Verschiedenheit der .01'01 als solche ...... IIChon 1ange vor den Sophisten Gegenstand der Re· fluion, ""itdem nämlich die Griechen in eine hinlAnglich intensive Berül1rung mit fremden Völkern gekommen waren (vgl. etwa Aeoch. Sept. 1070 oder Hdt. 3,38, wo der pindarioche Ausspruch vom .0,.". fIaa&lrtlr; zitiert wird). Man sieht aber in dieser Erscheinung zunächst gerade eine Best&tigung der zwingenden Kraft des .opor;. Die erregte Polemik des Sopholdes (Oed. R. 883ff.) gegen die Abwertung der .01'0' kann demnach nur auf sophistische .opor;-Lehren gemünzt
som.
o Vgl. A. Dihle, Studien zur griechischen Biographie, Göttingen 1968, 39f. Die Entecheidung für die Polis und ihre .opo. bedeutet bei Sokrates gerade keine bedingungalOlMl Unterwerfung unter ihre sittliche Autoritit, ...eil sie, wie die Al-gumentation des ,,Kriton" zeigt, nach freier und selbstvel'Ult...ortlioher Prüfung auf Grund eipDer Einsicht vollzogen wird • •
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die Freiheit und Unabhängigkeit des Individuums geht, die auf den verschiedensten Wegen der Erkenntnis und der Übung erstrebt werden (Antisthenes, Aischines, Krates und die Kyniker, Stilpon, Euklid von Megara, die frühen Skeptiker usw.)'. Aristoteies ist Platon auf der Rückkehr zum Primat der Sozialethik ebenfalls nicht gefolgt, sondern hat, im Detail auf den von Platon ·gelegten Grundlagen weiterbauend, eine Ethik entworfen, die im Einzelnen die letzte sittliche Instanz sieht und ihre ausführlichen Regeln für das staatliche ZUBammenleben letztlich aus den sittlichen Bedürfnissen des Individuums herleitet. Gerade hierin erweist sich Aristoteies als der Vorläufer der ethischen Systeme des Hellenismus, die ihre z. T. sehr differenzierten und sehr weitgehenden sozialethlschen Forderungen· nach Maßgabe der eVOO.lJMWla des Einzelnen erheben, für die es also nur eine aus der Individualethik abgeleitete Sozialethik gibt. Es ist unmittelbar evident, daß für jede Ethik, die derart um den Begriff der wtJaliJOPla des Einzelnen bzw. seiner Seele zentriert ist und alle Handlungen des Einzelnen ebenso wie seiner Partner als sittliche Phänomene nur soweit in Rechnung setzt, als sie auf seinen Seelenzustand einwirken bzw. Rückschlüsse auf ihn zulassen, der Vergeltungsgedanke ohne Bedeutung bleiben muß. Das Vergeltungsschema wird überwunden, nicht weil man - wie schon seit langem - einzelne und vielleicht gravierende Bedenken dagegen erheben kann, sondern weil die Grundgedanken einer neuen, wnf&8B6nden Anthropologie es als mögliche Richtschnur sittlich guten Handelns von vornherein ausschließen. Aristoteies hat sich in einem längeren Abschnitt der "Nikomachlschen Ethik" recht ausführlich mit der von den Pythagoreern vertretenen Ansicht auseinandergesetzt, die Gerechtigkeit sei als strengste Form der Vergeltung, als Talion, zu definieren (E. N. 1132b 21ff.)". Aristoteies bestreitet in diesem ZUBammenhang, daß das dn~ cLUtp den Erfordernissen einer 6",lUOcnlrrJ 6urPEI''1T1NP/ oder 6wefcoTlNP/ gerecht werden könne. Selbst da, wo das Vergeltungsprinzip eine gewisse Bedeutung besitze, nämlich im Strafrecht, im St&&tsleben und vor allem im Wirtschaftsleben, herrsche es nicht uneingeschränkt und nicht in seiner strengsten Form, eben der Talion. Im Strafrecht erfahre es seine Einschränkung dadurch, 1 Hierzu E. 8chwartz, Ethik der Griechen, Stuttgart 1951, aUf. und D. R. Dudley, A Hiatory of Cynicism, LoDdon 1937. I Vgl. M. Pohlem, Die Stoa, Gött.iDgen "19M, 1, 131ft".; 2,74.f. mit ...,iteren Literaturhinweisen. I Zum Ganzen vgl. M. SaJomon, Der Begriff der Gerechtigkeit bei AristoteIes, Leiden 1937, 13ft". u. 145ft". 80wie den Kommentar DirImeiers zu seiner Übersetzung der E. N. z. St. (Berlin 1958). AristoteIes gibt in diesem Abochnitt implicite eine aufachluJlreiche Definition des BegrifIiI der %~. mit der IWID Thuc. 2,40f. und Antiph. B M alt Parallelen vergleichen mag.
Prinnpiell
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daß man die Absicht des Täters (ixOOultWldxoOOltW) und den Zweck der Strafe. die Erziehung (xoAciCew). berücksichtigen miia8e. Du Staataleben sei dellhalb nicht eigentlich vom Vergeltungaprinzip bestimmt. weil es weniger auf die gegenseitigen Leistungen der Bürger als auf den komplementären Aufbau des Gemeinschafta1ebens ankomme'. und im Wirtschaftsleben endlich gehe es weniger um die quantitative Vergeltung im bilateralen Tauschgeschäft. als um eine multilaterale Befriedigung der Bedtlrfnis&e. die den qualitativen Wert bzw. Gegenwert der Einzelleistung bestimme. Im sittlichen Bereich. also da. wo ma.n nach der detni bzw. der riJ&upcwla des Individuums fragt. tritt die VergeltllDg vollends zurück. Hier handelt es sich vielmehr gerade darum. daß der Imovdaio,. aIao du sittlich vollkommene und deshalb mit seinem Tun Maßstäbe setzende Individuum. sich vom psychischen oder sozialen Zwang. Vergeltung zu üben. frei hält und in souveräner Entscheidung vergilt oder verzeiht. je nach den richtig erkannten Erfordernissen des Einzelfalles. Die nl]fu$-r'l" eine wichtige gute Verhaltensweise des Imovda~. ist insofern eine peaOUJ'. als ihr Besitzer weder sklavisch an der Vergeltung haftet. also vom T'P(f)I]fjTuaW frei bleibt. andererseits aber auch nicht auf die Vergeltung prinzipiell verzichtet und sich alles gefallen läßt. wu ein Zeichen sklavischer Stumpfheit wäre und auf die Partner einen schlechten Einfluß aU8Üben würde. Ob eine Handlung aus einer rechten l~" heraUB vollzogen wurde. aIao tugendhaften Charakter trägt. hängt nicht davon ab. ob durch sie vergolten wurde oder nicht. sondern allein davon. ob der Handelnde die rechte. wenn vielleicht auch begrenzte Einsicht in die Sachlage und die rechte. durch 'übung erworbene Verfusung seiner Seele gehabt hat. Eine eindentig gute Handlung. die als Vergeltung oder in der Erwartung einer Wiedervergeltung vollzogen wurde. ist nicht wegen dieeee Begleitumstandes ein mcu"mW. Ihr Wert gründet sich vielmehr allein auf die rechte Beechatfenheit der neoa/eea" beim handelnden Subjekt (E. N. 1163a 1If.). Daß Unrecht leiden darum in jedem Fall b_r sei als Unrecht tun. weil nämlich du erstere keine schlechte neooleea" voraU68etzt. und daß Wohltaten erweisen besser sei als Wohltaten empfangen. ist für Aristotelee ebenso selbstverständlich (z.B. E.N. 1158b 11&".) 1 Das W_ der ~ "--,,""un!. die spAtel" in der lItoiacbeIl Sozial· ethik eine groBe RoUe spielen sollte (SteUen b. PobleDz. Stoa 2. "I. ist dadurch gekennzeichnet, daS durch sie die mult.ilateralen BeziehUIIpD der M_hen eine ........-.. Resebmg finden. Das drr~ lABt lIich dl!lllp8811über immer nur in einer bilateNJen BeziehUDg v.wirldichen. Die MilderUDg der atarrm VerpltUDg im Sinne des auWD cuique kannt auch Iao....tea (Arsop. 211, der eich mit m- Eineicht in den Bahnen der IOphistiach beeinfluJltIID Staats· t.heorien des 4. Jahrhunderte bewegt• • 0
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VbenDindung du Vergdlungadenl:eM
wie für P1a.ton (z.B. ep. 7, 335 A.fr.) und die hellenistische Ethik (z.B. Epic. fr. 544 Us.). Auch da, wo sein Blick mehr auf dem Handlungszusammenhang als solchem als auf den handelnden Personen ruht, hält sich AriBtoteles frei von der VerBuchung, durch die wie auch immer differenzierte Vergeltung die Richtigkeit der Handlung garantiert zu sehen. Da der .aPO!; im Rechtslehen nicht jeden Fall mit allen denkbaren Nuancen im voraus bestimmen und klaasifizieren kann 1 - und nur mit Hilfe einer solchen, vorher erfolgten Fixierung könnte man Gerechtigkeit als völlige laO'"1~ durchsetzen -, bedarf es der mu:lxEUJ, der ausdrücklich der Rang einer "uuuocnWrJ zuerkannt wird ("11C1JIOO'IMj TI~). Es ist die Aufgabe der bru:IICEUJ, durch Einschränkung oder Aufhebung des Vergeltungaanspruches eine für heide Seiten erträgliche Lösung zu finden. Setzte man nämlich die "lxIlIOO'IiP7j ala laOnj~ durch, würde man in zahllosen Fällen, deren Sachlage niemand im Detail vorausberechnen kann, dem einen oder dem anderen, vielleicht gar beiden Partnern, echlimmen Schaden zufügen (E.N. 1137b 15fr.)". Aus der reinen Individual- und Gesinnungsethik der nachkl&88ischen Philosophie kann man eine lange Reihe von Zeugnissen zusammenstellen, die von einer vollständigen, mit verBchiedenartigen Argumenten begründeten überwindung des Vergeltunguchemas sprechen. Wenige Beispiele mögen hier genügen. M. Ant. 7,73 -Orm aV w nmol7JlCtb~ ~ xoi ällw~ w ;remwlJW~, Tl hl C7JTei~ T(!ITIW Taii'ra, wom(! 0& pfU(!Ol, Ta lCai M~aI W nmol7Jxbal ~ Ta dpol{ljj~ TV%€i.; Die Pointe des Satzes liegt darin, daß man durch rechtes Handeln, das dem Anderen zugute kommt und darum in der Vulgärmeinung den Anspruch auf Wiedervergeltung begründet, in Wahrheit sich selbst, seiner Seele, die größte Wohltat erweist, weshalb ro nou:i. und w naaZEI" für den WeiBen zusammenfallen (vgl. ebd. 7,74). Umgekehrt kann man sagen: d MIICWv lama" MllCEi iaVTo. :lUJXCÜ' nolCÜv (ebd. 9,4; ähnlich Epict. ench. 42 mit dem Kommentar des Simplikios p. 128 Dübn.). Es wäre töricht, angesichts dieser Einsichten noch nach einer dpOIPfJ zu fragen I. Als Faktor
naea
1 Nach Eph01'08 (F 138J.1 hat Zaleuk08 in der lokriaohen OeaetzgebUDg für alle denkbaren Delikte Strafen featll"""tzt, weil die Richter vonnutlich in zahl· reichen Fällen verschieden urteilen würden. • Ob sich die Polemik dee Ariatote1... gegen eine AufI'uauDg, _Iche die cl"","""",,, als lmInj, ,,-,.ne-; definiert, auch an die ~ P1atons wendet (vgl. et_ Gorg. 60S Al, bleibe hier unerörtert. • In ko~uenter FortfiibruDg dieses Gedankens kommt man zu der Lehre, daß der Weiae durch den vermeintlichen Schaden, den ihm aein übelwollender Hitmenaob zufügt, Dicht nur nicht nachteilig af6ziert wird (aeine Seele leidet ja keiDenScbadenl, sondern daß ihm solche HandlUDgeD (ibn1icb wie die phyai.acben 'Obel, vgl. die Stellen bei K. Gronau, Das Theodizeeproblem in der a1tcbriat·
Prinzipiell
eines sittlichen Ordnungssystems ist die Vergeltung schlechthin ausgeschieden. M. Ant. 11,18 Tl "de 0"0' no,~O"u eS tlPeUTTuubTaTot;, ltifl cJI41'BMi. eV~' av-rq;: Die eVl'EPel4 kann als Indiz für den intakten seelischen Gesundheitszustand gelten. Dieser vermag nicht durch Akte des Partners beeinträchtigt zu werden, in denen die Vulgärmeinung irrigerweise Schädigung, Kränkung o. ä. erblickt. Cic. de off. 3,21 (ob die Stelle auf PanaitiOB oder auf Poseidonios zuruckzufilhren sei, ist noch kontrovers, vgl. K. Reinhardt, R. E. 22, 1,772). Hominem hominis incommodo suum commodum augere magis est contra naturam quam mors, quam paupertaa, quam dolor (vgl. Chrysipp S. V.F. 3,310; ähnlich Sen_, ep. 94,67; Gnom. Pythag. 58 Chadw. ).vnoiilrra nW nÄrjO"IOfl 00 McJ- av-reW 4ÄvnOfl el'PW). Nicht eine Vergeltung im Guten oder Bösen, sondern allein der Nutzen, den der Andere empfängt, ist, abgesehen von der zugrunde liegenden Seelenverfaaaung des Handelnden, Kriterium für die Naturgemäßheit und damit für den sittlichen Wert der Tat. Natürlich soll man es mit der Vergeltung empfangener Wohltaten ernst nehmen (l'tl. Ant. 11,25), sich aber auf der anderen Seite auch helfen oder beschenken l&BBen, ohne sich zu schämen (ebd. 7,7). Im übrigen ist Wohltun gerade die an keinerlei Notwendigkeit, also auch keine Vergeltung gebundene, freie Tätigkeit des Menschen, durch die er vor allem anderen den Göttern ähnlich werden kann (Sen. ep. 95,50; weitere Stellen bei Theiler zu M. Ant. 10,8: dazu Ps. Demokrit. B 302)1. Die gemeinschaftsfördernden Handlungen zugunsten Anderer, die nach der Vulgärmeinung einen Vergeltungsanspruch begründen, kommen aus der richtigen Seelenverf&88ung des Weisen so, wie Früchte an einem Baum wachsen, ohne daß auch nur der Gedanke an eine Wiedervergeltung ihr Zustandekommen mitbestimmt (M. Ant. 5,6)1. Umgekehrt weiß der Weise, daß die gegen ihn gerichteten Fehlhandlungen eines Anderen aus deaaen schlechter Seelenverfaasung stammen. So gibt es gar keine Ebene, auf der sinnvollerweise eine Vergeltung vollzogen werden könnte (M. Ant. 5,25: ähnlich Gnom. Pythag. 85 Chadw.). Der ).01'0"1'0. vermag, wenn er ungehemmt wirkt, wie alle anderen AfFekte so auch den Vergeltung heischenden Haß gegen den Feind zu unterdrücken (4. Macc. 2,14). lichen Auffaasung, TübiDgen 1922, 3211".) geradezu den AnIaD zur Beribrung und Steigenmg der eigenen dern! liefern. Plutarch hat di-.n Thema eine Spezial.ocbrift gewidmet. 1 In dem achon öfters zitierten neupythagoreiachen Gnomologium heißt .. entsprechend (lNChadw.): TOÜ """""I 11• ..atlar/ dzdfun", w,.....o;. I Derselbe Topos findet sich dann auch in der christlichen Literatur, z.B. bei Greg. Nyaa. ep. 14,7 Pasqu.
"""'.nl.
70 Die klarste ontologillche Begründung der Überwindung des Verge1tungssohemaa findet man im Neuplatonismus. Wenn man sagen kann, daß der gute Vorsatz seine Belohnung, der schlechte aber seine Bestrafung in sich trage, 80 gilt das deshalb, weil der Mensch mit einem derartigen Akt des Denkens (und des u. U. daraus entspringenden Hande1ns) eine Einstufung seiner selbst vornimmt und sich selbst einem höheren oder einem niedrigeren Seinsbereich zuweist (Procl. in Plat. Tim. I, p. 378,18 Diehl; vgl. W. Theiler, Porphyri08 und AugustimJII, Halle 1937, 31f.)I. Wie sich die Ablehnung des Vergeltungsschemas auch in der popularphilosophisohen Ethik durchgesetzt hat, zeigt die 18. Rede des Maximos von Tyros, die ganz diesem Problem gewidmet ist. Dieselbe Ablehnung findet sich dann auch in einem Stück anspruehsloser Symposionspoesie (Pap. Ox. 1795), das seiner metrisohen Form zufolge (vgl. Hermes 82, 1954, 184) nicht vor dem 2. Jahrhundert. n. ehr. entstanden sein kann: M,ll dc)",BiIl C~TBI, 1l7JfJ', dll dfJr.xfj, 1r(l0oe(llari,'· Da, wo veratändlicherweise die Gegenseitigkeit im zwischenmenschlichen Verhältnis im Vordergrund der Betrachtung stehen muß, in der Lehre von der Freundschaft und in der vom Erweisen bzw. Empfangen der Wohltaten, wird die alte vulgärethiBche Regel, alles mÜ8Be notwendigerweise seine Vergeltung finden, in den Grundsatz der Gesinnungagleichheit transformiert. Es gilt, 80 sagt Seneca in seiner wesentlich auf der Lehre des Stoikers Hekaton fußenden Abhandlung de beneficiis, ein Gleichgewicht der Gesinnung, nicht der Leistung, herzustellen (1,3,9; vgl. M. Pohlenz, G.G.A. 197, 1935, 104). Sic demus quomodo velimus aceepisse (2,1,1) und nicht id - quod oder tantum - quantum. Qui libenter bene6cium accipit, reddidit (ebd. 2,20). Auf eine fa.ktische Vergeltung kommt hier nichts mehr an. Si vis aman, ama (Sen. de ben. 1,3 = Hecat. fr. 11 Fow.)'. Das ist die einzige Form der "Vergeltung", die in dieser Ethik sinnvollerweise überhaupt erwähnt werden kann. Da nur das gute Handeln, das dem Pa.rtner zuguto kommt, die eigene Eudämonie konstituiert (Sen. ep. 48,2), richtet es sich nicht 1 Vgl. auch Plot. ezm. 4,3,18; vergleichbar achon Numen. fr. Uff. ~mana. • Almlich in der lateinischen Sentell"AmBMImlung des Pap. Michigan 7, 430 (vgl. R. Merkelhach, Arch. r. Pap. 18, 1958, 129). • Du erläutert die kurze, eine lange platonisch.peripatetisch.stoische Tra· dition resümierende Definition der Freund'IChaft im mittel platonischen Ka· techismus des A1binOll (Didaec. 33): ".Al"" ..ar' ..:r.o.... dnl.....ec>tp&>I' (vgl. auch die Bestimmung der 6p1wouJ PB. P1at. Der. 413 E). Der VerC_ der peeudo. plutarchiachen Conaolatio ad ApoUonium bek&mpft die stoische cbrd..... mit dem Argument, durch oie gehe dem Menachen 'I Ix TOÜ al "..utafm nJ.o,a verloren, die eein wichtigatee Gut sei (102 C; vgl. auch luven. aat. 12,130).
.,wi• ..
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nach den zu erwartenden oder den vorhergegangenen Leistungen des Partners, BO daß es auch BOlehen Menschen zugute kommen kann, welche die Vulgärmeinung in den Kreis der Feinde oder Frevler rechnet (Sen. de ir. 2,34,4; de vit. beat. 20,5; M. Ant. 2,1 u.a.). Der Wettstreit mit dem Nächsten BOll demnach darin bestehen, daß man ihn mit Wohltaten zu übertreffen, ihm mit iniuriae dagegen zu unterliegen trachtet. Inhumanum verbum est et quidem pro iUBto receptum ultio; et t&lio non multum difFert (sc. ab iniuria) niai ordine (Sen. de ir.2,32,1). Jedes Haften am Vergeltungaachema würde den Menschen einer Gefahr ausliefern, vor der MarcAurel mit folgenden Worten warnt (7,65): ·Oea p~:roTe TOwVTlW ndfJrj. :7r(1II; T~ ~~, olcw 01 dncm7ewno,:7r(1II. T~ m.oelAov; Az{}~ p~ no'ijam, TOll. {J' Az{}~ q>lÄov; lqydaaa{}m (Diog. Laert. 8,23)'und8. 4" p~ 6o"'pdC1Tl; q>lhw 1l1..m, Az{}eo. no'ijaa, :rIllpllAafo (Gnom. Pythag. 76 Chadw.). , Die Begründung der Freund..,haft mit dem Nützlichkeitsprinzip, die f"\ir die epikureiache Theorie geoichert ist (fr. 523ft'. bes. 527 Us.), widerstreitet durchaus dem, was man von der Tiefe der Freundachafbobeziehungen innerhalb epikureiacher Konventikel weiß: W. 8chmid, RealI. f. Ant. u. ehr. 1I,730ft'. • Die Stelle ist vermutlich auf Favorin zurü"kzuf"Uhren.
72 b) Christentum Unter gänzlich anderen VoraUSBetzungen hat die Predigt Jesu von Nazareth und die an sie anknüpfende frühchristliche Theologie den Vergeltungsgedanken als Grundlage oder Bestandteil einer sittlichen Ordnung ausgeschieden. Die Predigt Jesu verkündet den Anbruch der Endzeit, in der Gottes Gericht über die Menschen ergehen wird. In dieser Gerichtssituation wird olFenbar, daß niemand den Ansprüchen des gerechten Richters und Herrn entsprechen kann, daß alle Menschen ohne Ausnahme "BÜndig" sind, d.h. nach ihren eigenen Intentionen statt nach denen des Schöpfers gelebt und sich dadurch von ihm getrennt haben. En-ettung und Erlösung ist diesen Menschen aber dadurch verheißen, daß ihnen ihr Schöpfer und Richter die Schuld nachzul&BBen bereit ist, sofern sie sich vorbehaltlos "wie die Kinder", ohne eigene Qualitäten, Leistungen oder Ansprüche geltend zu machen, seiner vergebenden Gnade anvertrauen. Diese Hingabe, die von den Menschen erwartet wird, wenn sie ihre wahre Situation erkannt haben, ist keine sittliche oder religiöse Leistung, die im Endgericht mit dem Freispruch honoriert wird, sondern eine bloße Sinnesänderung, durch die der verwirkte Urteilsspruch suspendiert und dem menschlichen Dasein auf Erden durch die Aussicht auf die göttliche Gnade ein positives Ziel gesetzt wird. Die Begnadigung und Erlösung im Endgericht verschenkt der Herr und Richter völlig frei, ohne damit den Umfang vorangegangener Leistungen zu lohnen (Mt. 20,11F.). Das - nach menschlichen Maßstäben berechtigte - Vertrauen auf die eigene sittliche Leistung versperrt daher dem Menschen den Blick auf seine Lage im Endgericht und auf die göttliche Gnade (Lc. 18,101F.) nicht anders, als es ein Vertrauen auf Gesundheit, Reichtum, Macht oder andere irdische Faktoren tun würde (Mt. 19,24)1. Aus dieser Lehre von der Gnade im Endgericht ergibt sich für die zwischenmenschlichen Beziehungen, daß jeder Schuldtitel oder Vergeltungsanspruch seinen Wert verliert. Da der Mensch seine gesamte Existenz, hier und, was weit wichtiger ist, im Jenseits, allein der göttlichen Begnadigung verdankt - er ist ja eigentlich der Verdammung zum Tode im Endgericht verfallen -, wäre es absurd, wollte er von seinem Mitmenschen die Bezahlung irgendeiner Schuld fordern, die doch in jedem Fall geringer sein muß als diejenige, die ihm Gott erl&BBen hat oder zu erl&BBen bereit ist (Mt. 18,211F.). I Darum sind die Kranken, Annen, Sünder auch UD ehestenpeignet, die neue BotachaCt. IUlZUDehmen, weil ihre gegenrirt.ige Siiuation unter den Menschen bereits die wahre Situation aller Menachen im Endgerichi abbildet.
Prinzip~U
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Die ethischen Konsequenzen der Predigt Jesu reichen aber noch weiter und führen in eine noch weitere Ferne von dem der gleichzeitigen jüdischen Gesetzesreligion 80 vertrauten Vergeltungsgedanken. Die wichtigste, ja vielleicht einzige Möglichkeit, GehorBam und Hingabe an Gott im Erdenleben zu praktizieren, ist der vorbehaltlose Dienst, die uneingeschränkte Unterordnung unter den Nächsten. Im Nächsten ist Gott dem Menschen jederzeit gegenwärtig, vor allem im Armen und Hilfsbedürftigen (Mt. 18,6; 25,40). Diese Pflicht zum Dienst am Nächsten, die aus der Erkenntnis der eigenen Situation erwächst, beschränkt sich nicht auf das Verhältnis zum Freund und G1aubensgen088en, 80ndern muß gerade gegenüber dem Feind und Verfolger wahrgenommen werden, der ja mit den Gläubigen in der gleichen eschatologischen Situation steht (Mt. 5,44). Die Freunde lieben und die Feinde h&8Ben, jene alte Regel der Vulgärethik, die von den mit übersteigertem Erwählungsbewußtsein ausgestatteten Sektierern der Zeit Jesu mit neuem, eschatologischem Sinn erfüllt worden war, bezeichnet für Jesus gerade die Verhaltensweise, die es zu überwinden gilt (Mt. 5,43). Vorbild für ein Leben ständiger Unterordnung unter den Nächsten ist die Person Jesu selbst. Sein bis in die letzte Konsequenz geleisteter Dienst an den Menschen, die ihn ablehnen und verfolgen, setzt darum für seine Anhänger den Maßstab für das menschliche Verhalten, weil er, im Gegensatz zu jedem Menschen, in niemandes Schuld stand, also durch keinen Vergeltungsanspruch zur Dienstleistung hätte bewogen werden können. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, die Lehre von einer sich in stets neuen Akten der Unterordnung unter den Nächsten realisierenden imitatio Christi in das Gefilge objektiver, von der persönlichen Erfahrung und Entscheidung abstrahierter Begriffe einzuordnen. Das beweist die Geschichte der christlichen Theologie. Die prinzipielle Unterordnung unter den Nächsten, durch die jeder Vergeltungsanspruch hinfällig wird, widerspricht dem Bedürfnis einer rational begründeten und formulierten Ethik, sittliche Werte und Qualitäten eindeutig und unabhängig von den nur erfahrbaren Umständen einer unverwechselbaren individuellen Existenz gegeneinander abzugrenzen. Solche Objektivierung aber erstrebt eben jede philosophische Ethik ebenso wie die formalisierte, d.h. auf ihren präzisesten Ausdruck gebrachte und damit rationalisierte Vulgärethik. In der Predigt Jesu besitzt die ..Ethik" keinen eigenen Bereich, dessen Eigengesetzlichkeit man bestimmen und beschreiben könnte. Jede menschliche Verhaltensweise gilt hier vielmehr als unmittelbarer Ausdruck einer gelltörten oder intakten Beziehung zu dem sich in der Person Jesu offenbarenden Gott und kann darum ihrerseits niemals objektiviert, von der Erfahrung getrennt und zum Gegenstand rationaler DiBkUBBion
O'-windung du Verll"Uungadenkm.9
mit dem Ziel zusätzlicher Einsicht gemacht werden. Es leuchtet ein, wie schwierig es für eine sich konstituierende christliche Gemeinde sein mußte, den rein personalen Cha.ra.kter des Zuspruohs in der Predigt Jesu nicht zu verwischen und dabei dem Bedürfnis nach objektiv gültigen, überpersönlichen Verhaltensregeln zu genügen, die für ein geordnetes Leben des Einzelnen sowohl wie der Gemeinschaft in einer als feindlich empfundenen Umwelt nötig waren. Eine starke eschatologische Spannung konnte diesen Zwiespalt überbrücken, da sie die irdischen Verhältnisse in ihrer Bedeutung minderte. Aber gerade diese Spannung ließ bekanntlich sehr schnell nach. Dazu kommt, daß sowohl das Judentum als vor allem die hellenistisch-römische Umgebung, in die das Christentum eintrat, in einer sittlichen Vorstellungswelt lebten, zu der eine besonders ausgeprägte Objektivierung und Formalisierung der Vorschriften und Wertsetzungen gehörte. Die Ethik einer imitatio Christi ist vor allem in den pauliuischen Briefen nach vielen Seiten hin expliziert (z.B. Phil. 2,5ff.). Der reiche Schatz sittlicher Paränese, den Paulus und die anderen frühchristlichen Autoren der synagogalen und der popularphilosophischen Tradition entnehmen konnten mit all seinen Mahnungen zur Freundlichkeit, Nachgiebigkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber allen Men~chen', bekommt durch das Bewußtsein, ein "Schuldner aller Menschen" zu sein (Röm. 1,14)2, für die Christen eine ganz neue Bedeutung. Dabei 1 Daß die moralische Paräneee der christlichen Gemeinde bereits bzw. gerade auf der frühsten uns zugänglichen Stufe, nämlich in den Texten des N. T., unter dem Einfluß der synagogalen Tradition steht (die ihrerseits von der Vul· gärethik des Griechentums nicht unberührt geblieben ist), braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Die Grundlegung einer neuen Ethik in der Predigt Jesu und in der paulinischen Theologie bleibt davon unabhängig. 1 Gerade an dieeem Ausspruch des Römerbriefes kann man sich ein Specificum neutestamentlicher Ethik verdeutlichen. Der antiken Vulgärethik ist der Grund· satz geläufig, daß ein rechtschaffener Mann niemandem etWBS schulde. Das erläutert z. B. eine bei PausaniBB (1,23) überlieferte Anekdote, die von dem wegen seiner Redlichkeit berülunten Phormion handelt (vgl. auch das Platon· Testament bei Diog. Laert. 3,43, das schon Wetstein zu Rom. 13,8 anführt und Carm. epigr. lat. 67 Buech. = CIL 1", 1218). Die Mahnung, niemandem etwas schuldig zu bleiben, übernimmt auch Paulus aus der traditionellen Paränese (Rom. 13,8), lUgt aber bezeichnenderweise hinzu, daß davon das dll"~ d,.anö. eine AusnaJune mache. Die hausbackene Nützlichkeitsvorschrift, um die es sich bei diesem Gebot ursprünglich handelt, kann bei fortschreitender Sublimierung in die Maxime des Ta lawoV neciTr.,. einmünden, die schon der spät· archaischen Ethik geläufig ist und an der Platon den Begriff der I1wtpeocn!v'1 darlegt (Charm. 162 Air.). Aber dieser Weg zur Konzeption einer Lehre von der Autarkie des Individuums, den die hellenistische Ethik zu Ende gegangen ist, wird von Paulus gerade nicht beschritten, obwohl er jenen alten Leitsatz ganz unbefangen übernimmt. Vielmehr geht es ihm gerade darum zu zeigen, daß die als Schuldverpflichtung empfundene Unterordnung unter den Nächsten jedes Streben des Einzelnen nach Autonomie ausachliellt: 6 ,.de d,.anaw TO' IUIl'" .op"" n.,,).ojew"ev.
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geht es nicht primär um den Erwerb einer höheren Vollkommenheitastufe durch die Bewährung höherer Formen der Sittlichkeit in Denken und Handeln, sondern um die ..Früohte" der inneren Erneuerung der Erlösten (Joh. 15,UF.), die in der liebevollen Hinwendung zum Nächsten sichtbar werden (1. Joh. 2,10). Die Hingabe an Gott soll sich in ständiger Liebe zum Nächsten realisieren (Eph. 5,1 f.), da man auf ihn als den Stellvertreter Gottes hingewiesen ist. Wo lich demnach alle Menachen einander stets unterordnen miillllen, bleibt für zwischenmenachliche Vergeltung ala Motiv sittlichen HandelnB sohlechterdings kein Platz. Man spürt diese in der Predigt Jesu vollzogene Neubegri1ndung des Verhältnisses des Menschen zu seinem Nächsten auch dort, wo der enge Anschluß an die synagogale ParäneBe in der frühchristlichen Literatur die spezifisch christlichen AUBBagen ala neue Gesetze&vorschriften erscheinen läßt. Der Barnabas-Brief z.B. übertrumpft das Nächstenliebe-Gebot aus Lev. 19,18 damit, daß er fordert, den Nächsten mehr zu lieben als sich selbst (19,5). Stellen wie die eben zitierte sind Zeugnisse für das Entstehen einer christlichen Sonderethik 1 • In ihr nimmt das Neue, das in der Predigt Jesu enthalten war, gleiohasm von selbst die Form objektivierter, rational explizierter Wertbestimmungen und Vorschriften an, die zu den vorhandenen der jüdischen und griechischen Paränese hinzutreten. Paulus hat sich immer wieder bemiiht, das mit diesem Prozeß verbundene Mißverständnis hinsichtlioh der Neuartigkeit der christlichen Lehre zu vermeiden. Man erkennt das etwa in seiner langen Darlegung über den Genuß des Opferßeisches (1. Cor. 8). Die Handlung als solche ist nach seiner Meinung das, was die Stoiker ein Mu:i9'OeOl' nennen würden. Sie wird aber zur Verfehlung, wenn an ihr ein Nächster von sohwächerer Einsicht angesichts seiner eigenen, andersartigen Gewissensentscheidung Anstoß nimmt. Diese Gewissensentscheidnng ist zwar nioht auf den Anderen übertragbar, sie ist aber ebenaowenig rational zu begri1nden oder zu widerlegen; die durch sie erfolgte moralische Wertsetzung läßt sich alBo nicht objektivieren, da sie einen Teil der unmittelbaren Beziehung des Gewissensträgers zu Gott darstellt. Eine Gewissensentscheidung muß deshalb von jedem Nächsten auch wider dessen andere und vielleicht richtigere Einsicht respektiert und in seinem Handeln berücksichtigt werden, sofern er sich seiner Pfticht zu grundsätzlicher Unterordnung unter seinen Partner bewußt ist. Das Gewissen markiert die Grenze einer möglichen objektiven, überpersönlichen Wertsetzung im Bereich des Sittlichen. I
Zum Problem der christlichen Sonderethik vgl. R. Bultmann, Theologie
des N. T., Tübingen 1963, 991f. u. 5ü If.
76 Die Entwicklung der christlichen Ethik ist über Paulus hinweggegangen, zunächst auf Grund der ErforderniBBe eines geregelten Gemeindelebens, das nach &lIgemein akzeptierten, ilberperBÖnlichen Regeln gerade im Bereich des praktisch-sittlichen Verhaltens verlangt. In den folgenden Jahrhunderten tritt dazu dann der ständig erneuerte Versuch, den Inhalt der christlichen Lehre mit den Mitteln philosophischer Begrifflichkeit, also rational, ohjektivierend und in Beziehung auf eine Seinaordnung, zu erf&BBen und damit eine auch außerhalb der persönlichen Entscheidung des Einzelnen gilltige Fixierung des Sittenkodex zu erreichen. Um nun aber &lien Mißverständnissen vorzubeugen: Im NT ist die Vergeltung nicht schlechthin "abgeschafft". Auch der neutestamentliche Gerechtigkeitsbegrift' kommt nicht ohne die als Lohn oder Strafe aktualisierte Vergeltung aus. Der vergebende Gott bleibt nach neutestamentlicher Vorstellungsweise auch der vergeltende Richter, und sinnvollerweise kann auch das NT von Vergebung und Verzeihung im zwischenmenschlichen Bereich sprechen nur vor dem Hintergrund einer möglichen Vergeltung 1. Das Neue in dieser Ethik liegt darin, daß sich nach der Predigt Jesu schlechterdings keine Situation des empirischen, in der Endzeit befindlichen Menschen ersinnen läßt, die ihm die Wahrnehmung eines Vergeltungsanspruches im Bösen gestattete oder in der die Vergeltung im Guten ein Verdienst wäre. Auf solcher Basis kann dann eine christliche Sonderethik den Vergeltungsverzicht zu einem Postulat objektiver Gilltigkeit erheben. Zwei völlig verschiedene Denkweisen - verschieden, weil der einen ihr Weg durch die begriffiiche Untersuchung der Seinsfrage, der anderen durch die religiöse Erfahrung gewiesen wurde - annullieren also die Vergeltung a.ls Maßstab und Motiv sittlichen HandeIns, doch erweisen sie durchaus nicht filr jeden Fa.ll ein Handeln nach dem Vergeltungsschema als falsch. Das vergeltende Handeln, etwa anIäßlich einer Dankesschuld, ist weiterhin in vielen Fällen durchaus angebracht und widerstreitet nicht den Prinzipien der neuen Sittlichkeit, nur daß es darum, weil es die Vergeltung zum Motiv hat, nicht bereits sittlich gutes Handeln genannt werden darf. Der sittliche Charakter einer Handlung ist nach ganz anderen Kategorien zu bestimmen. Unter dieser VoraU88etzung versteht man, wenn auch im Rahmen einer sittlichen Vorstellungswelt, aus deren Grundlagen der Verge1tungsged&nke verdrängt wurde, die situationsgebundenen Mahnungen einer typologisch älteren, vulgären, &m Grundsatz der Vergeltung orientierten Mora.l lebendig bleiben können. Man wird beispielsweise dem Grundsatz, Gutes mit Gutem zu vergelten oder die 1
W. Pesch, Der Lohngedanke in der Lehre Jeeu (Münch. TheoJ. Stud. 1,7)
1955.
77 Eltern wegen der von ihnen empfangenen Wohltaten im Alter zu unterstützen, weiterhin durchaus beipftichten, weil ein durch ihn gelenktes Handeln in jeder Hinsicht begrüßenswerte Ergebnisse zeitigt, und man wird ihn nicht deshalb einfach ablehnen, weil man in diesem Handeln noch keine sittliche Leistung erblickt. So erklärt es sich, daß in und neben den Einzelvorschriften, die aus spezifisch christlicher oder spezifisch philosophischer Ethik hergeleitet sind, die Mahnungen der Vulgärethik durchaus zu einem großen Teil ihre Geltung bewahren, zumal sie sich im Alltag auf das trefflichste zu bewähren pflegen. Man darf aber sogar noch einen Schritt weitergehen. Sittliche Vorstellungen, die, auf einem der beschriebenen Wege gewonnen, den Vergeltungsmaßstab hinter sich l&BBen, können nur konzipiert und vermittelt werden, wenn aus dem Grundsatz der Vergeltung zuvor alle Konsequenzen gezogen sind. Man denke nur an den Ernst, mit dem im NT die Gerichtssituation ausgemalt ist. Die neuen Vorstellungen können nur einleuchten auf dem Hintergrund einer am Vergeltungsprinzip orientierten Sittlichkeit, oder, anders ausgedrückt, das Vergeltungsdenken muß als Vorstufe in das jeweils neue sittliche Bewußtsein einbezogen werden. Man muß mit dem Vergeltungsschema operieren und argumentieren, um zu einer vom Vergeltungsprinzip freien Ethik zu gelangen. Das Verhältnis zwischen vulgärer und höherer Ethik ist also gleichzeitig sowohl als auch nachzeitig : nachzeitig insofern, als die höhere, das Vergeltungsprinzip annullierende Ethik nur auf dem Boden der älteren erwachsen kann; gleichzeitig insofern, als die Grundsätze der höheren Ethik dem Bewußtsein nur dann gegenwärtig zu sein vermögen, wenn in ihm auch die kontrastierenden der Vulgärethik lebendig bleiben. Das Gebot der Feindesliebe z. B. erhält seinen Sinn erst auf dem Hintergrund einer als berechtigt empfundenen Gepflogenheit, dem Feinde zu schaden. Der begritJlich-theoretische Ausdruck dieses Sachverhaltes kann sehr verschieden sein. Platon und die Platoniker ordnen das Prinzip der Vergeltung der schicksalhaften Determination des Geschehens in der sinnlich wahrnehmbaren Welt zu, während sie das sittliche Initiativhandeln des Menschen auf sein MylxOv, also auf eine intelligible Größe, zurückführen. Damit ist sittliches Handeln frei und in voller Verantwortung des Menschen vollziehbar, und dem Menschen steht die Wahl zwischen vergeltendem und nichtvergeltendem Tun offen, wobei eine Bewertung des Tuns ganz anderen Maßstäben unterliegt 1. Die 1 Ähnliches gilt flir die Stoa, nur das dort die wirklich freie Tätigkeit des 148Jll1Chen sich auf die freiwillige Hinnahme des durch die dptJ(l,u.., determi-
78 Verbindung der Vergeltung mit einer niedrigeren, der neuen, das Vergeltungsprinzip überwindenden Ethik mit einer höheren Stufe des Seins und Erkennens kennt auch die christliche Gnosis. Der alte "opa. d xaTa T1}P lJ.pVFaV xal dncmooootv TWv ne0a6"e7JodnWII xelpEtlOr; (Ptolem. ad Flor. b. Epiph. Panar. 33,4, 1ff.)' war gut und gerecht angesichts der Schwäche und niedrigen Erkenntnisstufe der Menschen, für die ihn Gott gegeben hatte. Mit der Erlösung der gefallenen und in die Materie verstrickten Seele und ihrem Aufstieg zu ihrem Ursprung aber ist für den Gnostiker der alte "opa. der Vergeltung hinfällig geworden und die durch einander ablösende Vergeltungsakte gebildete Kette des Bösen, d. h. der immer wieder neuen Verstrickung in die Materie, endgültig abgeriBBen ". In der Lehre Markions • sind die Prinzipien der vergeltenden Gcrechtigkeit und der vergebenden Liebe in zwei einander gänzlich wesensfremden Göttern hypostasiert, und Markion interpretiert diesen Gegensatz historisch als die Unabhängigkeit der christlichen Verkündigung von der alttestamentlich-jüdischen Tradition. Im NT wird diese Antinomie nicht begrifflich-theoretisch aufgelöst, der Widerspruch vielmehr als eines der Kennzeichen der eschatologischen Situation des Menschen hingenommen, in der Vergangenes und Zukünftiges sich mischen. Die frühchristliche Theologie hat demgegenüber verstiD.dlicherweise immer wieder nach einer Formel gesucht, die das Nebeneinander von Vergebung und Vergeltung im Verhältnis Gottes zu den Menschen ebenso wie im Verhältnis der Menschen zueinander theoretisch bewältigt. Tertullian etwa (adv. Marc. 4,16) erklärt, daß die im AT verankerte Vergeltungsordnung unerläßlich sei, jedoch nur pädagogischen Zweoken diene, während niurten GMchehena beocbriinkt (C1eanth. hymn. 8). Diese freiwillige, zustim· mende Hinnahme, die aus der Einsicht in den wahren Zusammenhang allee Geechehena erwächst, begründet die .v6aJllcwl4 dee Menschen als eines vernunft· begabten Lebewesens. - Daß die cI.cf"..'!, die Kette von Tun und Leiden, der materiellen Welt und die Freiheit der Seele zuzuordnen sei, ist dann gemein. same Lehre aller Philosophien im philosophischen Synkretismus der Kaiserzeit, wo der stoische Materialismus, flir den das Problem am schwierigsten zu lösen war, im Sinne dee platonischen Spiritualismus umgedeutet wird; vgl. etwa Phllo, da mut. nc. oder Nemee. de nato homo 2911". u. 3911". 1 Ahnlichee gibt ee auch in der judencbriatlicheu Gnosis; vgl. die Stellen bei L. Goppelt, Judentum und Christentum, Gütereloh 1957, 172C. I Auch die Hermetik erörtert an Hand eines reichen, verschiedenen Schul· philosophien entlehnten Materialee die Frage, wie sich die Verstrickung dee empiriechen Menschen in Tat und Vergeltung zur Freiheit dee Gnoet.ikers ver· halte. Dazu Corp.Herm.l,15 und vor allem 12,611".; vgl. auch Pistis Sophia p.227,111". Schmidt. • LiteratU1'8llpben zu Karkian zusammengestellt bei H. Jonaa, Gnostio Religion, Boston 1958, 137ft".
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für den Gläubigen im Hinblick auf da.a Verhältnis zum Mitmenschen nur da.a Gebot gelte, die Rache Gott zu ilberla.ssen. Das erinnert daran, daß Platon bereits für da.a Strafrecht aus pädagogischen Gründen da.a Vergeltungsprinzip beibehält. Das Bewußtsein, in einer zweischichtigen sittlichen Vorstellungswelt zu leben, die nur schwer zu einer Einheit gebracht werden kann, in der vulgären und in der höheren, ist also bei Philosophen und christlichen Theologen mit hinlänglicher Deutlichkeit allenthalben zum Ausdruck gebracht.
VI. a) Die Goldene Regel in der Typologie des Vergeltungsdenkena Den im vorigen Abschnitt dargelegten Zuaammenhang muß man im Auge behalten, ~i11 man die auffällige Pel'8iatenz vulgärethiacher Maximen, die, streng genommen, zur höheren - religiös oder philosophisch begründeten - Ethik im Widel'8pruch stehen, als geschichtliches Phänomen wilrdigen. Zu diesen Maximen gehört die Goldene Regel. Die Goldene Regel entstammt in ihrer positiven wie in ihrer negativen Formulierung einem Denken, das in der Vergeltung, im Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung, den sittlich guten Zustand der zwischenmenschlichen Beziehungen verwirklicht sieht und darum aus dem Vergeltungsprinzip den Wertmaßstab für jegliches Handeln nehmen kann. Von der zu erwartenden Gegenhandlung her wird in der Goldenen Regel die Initiativhandlung qualifiziert. Dieser Wertmaßstab ist nur dort sinnvoll, wo Vergeltung und Ausgleich das als gut empfundene Gleichgewicht in den zwischenmenschlichen Beziehungen hel'8tellt. Gehört die in der Goldenen Regel zum Ausdruck kommende sittliche UrteiIsweise einer sehr altertümlichen Sehieht des sittlichen Bewußtseins an, so iat andererseits ihre Form ilberaus differenziert und typologisch jung. Die Typenreihe, die wir hier im Auge haben, mag durch folgende Beispiele verdeutlicht werden: Wer einen Menschen tötet, der soll wieder getötet werden. Vergilt empfangene Wohltat mit Wohltat und Kränkung mit Kränkung. F11ge dem Anderen nichts zu, was du selbst nicht angetan haben willst, verhalte dich zu ihm vielmehr so, wie du es von ihm dir gegenüber erwartest.
Der 8I'8te Typus zeigt seine formale Primitivität daran, daß es der Konstruktion eines konkreten Vorfalles bedarf, um an ihm den Grundsatz der Vergeltung zu exemplifizieren. Der Fortschritt, den der zweite Typus bringt, besteht demgegenüber in der VeraIIgemeinerung, in der Ablösung vom konkret vorgestellten Einzelfall. Auf diese Weise
T~Einonln."."
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wird aus der situationsgebundenen Einzelvorschrift eine allgemeingültige sittliche Maxime. Der dritte Typus besitzt gegenüber dem zweiten, desaen Generalisierung er bewahrt, zwei weitere Errungenschaften. Einmal vermag er die Zweiseitigkeit der durch die Maxime zu regelnden Verhältnisse adäquat auszudrücken, indem er den gedachten Vorgang aus dem Blickwinkel des einen wie des anderen Partners beleuchtet. Sodann ist die Formulierung prospektiv oder prophylaktisch, insofern sie nicht nur mehr auf die (vergeltende) Gegenhandlung oder Gegenleistung hinweist, sich also an ein Nacheinander der beiderseitigen Handlungen bindet, sondern das Handeln schlechthin, also auch das Initiativhandeln, ins Auge zu fassen lehrt. Der Maßstab, der mit dieser paränetischen Formel an jedes Handeln, also auch an das nicht vergeltende, angelegt wird, ist aus dem Vergeltungsprinzip hergeleitet. Es wird als recht und billig und wohl auch als zu erwartender Normalfall angenommen, daß man Gleiches mit Gleichem vergilt. Deshalb kann die Goldene Regel mit dem Hinweis auf die einfache Umkehrung des bestehenden Verhältnisses zwischen den Partnern, durch welche die Rollen des Täters und des Erleidenden vertauscht werden, von einer unfreundlichen Handlung abmahnen bzw. zu freundlichem Handeln auffordern. Obgleich von Vergeltung expressiB verbis gar nicht geredet wird, bildet doch das Vergeltungsprinzip die Grundlage der hier erfolgenden sittlichen Urteilafindung oder Wertsetzung. Es leuchtet ein, daß die Goldene Regel die letztmögliche und vor allem die allgemeinste Konsequenz aus dem Vergeltungsprinzip zieht. Weil aus dem Vergeltungsprinzip hier eine Mahnung allgemeinster Gültigkeit abgeleitet wird, ohne daß dabei die Vorstellung eines konkreten Vergeltungsvorganges zu Hilfe genommen wäre, setzt sich diese Regel auch für das oberflächliche Verständnis zu einem sittlichen Bewußtsein nicht in Widerspruch, das die Vergeltung als Motiv und Bewertungsmaßstab sittlichen Handelns ablehnt. Die Goldene Regel fordert ja nicht zur Vergeltung auf, sondern bewertet nur indirekt jedes Handeln vom Grundsatz der Vergeltung her. Die von uns vorgelegte Typenreihe zeigt einen deutlichen Fortschritt von der einfachen, konkreten, situatiom;gebundenen Einzelvorschrift zur differenzierten, abstrakten, allgemeinen Verhaltensregel. Die Frage liegt also nahe, ob sich ein BUkzeMives Auftreten dieser drei Typen in den uns zugänglichen Quellen zur Geschichte der Ethik bzw. des Rechtes nachweisen läßt. Man darf natürlich nicht erwartelI, daß ein neu auftretender Typus den oder die jeweils älterea verdrängt: Bis auf den heutigen Tag ist z. B. der erste und altertümlichste Typus für die Formulierung einer Gesetzesvorschrift unentbehrlich. Während nun die beiden ersten Typen, nach denen der Vergeltungsgrundsatz •
'1882 DIIIIo. OaIdoDi .....
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formuliert werden kann, bereits in den frühesten literarisch faßbaren Perioden der Geschichte der Ethik nebeneinandeI vorhtnden sind, die aus ihrem verschiedenen Abstraktionsgrad abgeleitete Annahme ihrer sukzessiven Entstehung al80 nicht verifiziert werden kann, läßt sich bei der Goldenen Regel auf das Genauste zeigen, unter welchen geschichtlichen VoraUBBetzungen sie im Mitte1meergebiet das erste Mal formuliert wurde 1 • b) Die Goldene Regel im Judentum Es konnte auf den ersten Seiten dieser Abhandlung gezeigt werden, eine wie große Bedeutung die mora1ische Paränese des Spätjudentums der Goldenen Regel zumaß. Sie sei, 80 hören wir, die Swnme des Gesetzes, und das Gesetz umr.ßt für den gläubigen Juden jener Zeit noch ungeschieden die Regeln zur Bewahrung 1ruItischer, juristischer und sittlicher "Gerechtigkeit" (sedakah). Um 80 erstaunlicher ist es, daß man die Goldene Regel in der israelitisch-jüdischen Literatur vorhellenistischer Zeit nirgends nachweisen kann. Erstaunlich muß dieser Umstand auch deshalb genannt werden, weil das Denken des Volkes Israel, das uns in den kanonischen Schriften des AT begegnet, wie das kaum eines anderen Volkes um das Problem einer durch Vergeltung realisierbaren Gerechtigkeit kreist und sich dabei 8Owohl für ein starres Festhalten Am Grundsatz der Vergeltung als auch für seine Überwindung entscheiden kann. Darüber hinaus sei daran erinnert, daß es konkrete Einzelvorschriften im Sinne der Goldenen Regel im AT durchaus gibt: Behandele deine Hintersassen gut, denn du selbst bist Hintersasse in Ägypten gewesen (Deut. 15, 13f.). Einen ähnlichen Befund ergibt die Durchsicht der alten Spruchliteratur Ägyptens und Vorderasiens: Eine intensive - positive oder negative - Auseinandersetzung mit dem Verge1tungsgrundsatz, das Auftreten konkreter Einzelvorschriften, die dem Sinn der Goldenen Regel entsprechen (s. o. S. 13), aber ein Fehlen der Goldenen Regel als formulierter Sentenz. Die beiden ältesten Belege für das Auftreten der Goldenen Regel im Judentum stammen aus dem Aristea&-Brief (207) und aus dem Buche Tobit (4,16), gehören a1BO beide in die Zeit zwischen 130 und 100 v. ehr. Der Aristeas-Brief ist in griechischer Sprache vermutlich ebenso für heidnische wie für jüdische Leser verlaßt, und vom Buche Tobit, dessen Urlassung hebräisch oder aramäisch geschrieben war (vgl. O. EiBsfeldt, Einleitung in das AT, Tübg. 11956, 722f1'.), muß es 1 Zum Auftreten der Goldenen Regel in Indien und China vgJ. 0.8. 10 Anm.l.
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aohon sehr früh eine griechiache Version gegeben haben, die in unserer Überlieferung dominiert. Es ist dabei keineswegs sioher, ob die zahlreichen Sentenzen, die das Buch in seiner griechischen F8IIII1lDg ohne festen ZUlllUlUDenhang mit der Erzählung enthält, auch &chon alle der semitischen Urfauung eigneten. Vielleicht gibt die zu erwartende Publikation hebräischer und aramäischer Tobit-Fragmente aus den Funden von Qumran im Hinblick auf den V. 4,15 hierüber Aufschluß, welcher bislang nur im griechischen Text bekannt ist. Seit hellenistischer Zeit häufen sich dann die Belege für eine besonders hohe Schätzung der Goldenen Regel im Judentum (8. o. S. 8, ferner Test. Napht. 1,6; Bl. Hen. 61,1), wobei ein Teil der Stellen der jüdischgriechiscben Literatur zugehört (z.B. Philon b. Euseb. praep. ev. 8,7 Mrae).
Daß die Goldene Regel wirklioh ein Zeugnis für eine Art der Abstraktion und Generalisierung darstellt, die dem jüdischen Denken ursprünglich fremd war und von ihm erst im Verlaufe der Auseinandersetzung mit dem Hellenismus rezipiert wurde, lehrt sehr deutlich ein Vergleich zwischen der hebräi8chen und der griechischen FIWIII11Ilg einer Stelle aus Jesus Sirach (31 [34], 15) 1 Eine Anzahl glüoklicher Umstände 1 Zum ganzen Problem vgl. G. Bertram, Die religi6ae UmdeutUDg a1torien. talischer Lehensweiaheit in den griechischen ÜberaetzUDg8ll des AT, Zeitachr. f. at!. Wias. 13, 1936, 163ft". Welcher Abstand im Denken bei derartigen "Ober. aetzUDgen zu überbrücken war, mag man sich an folgendem Beispiel vergegen. wärtigen. Im HebriLischen, und zwar auch noch auf der Entwickilmgaatufe, die die Sprache beim Einsetzen des griechischen EinflW11188 erreicht hatte. können die Wörter näpiLsch, leb und ruach, die wörtlich Leben, Herz und Hauch be· deuten, f&8t. unterschiedslos und weitgehend miteinander vertaU8Chbar, r_ jedes aee!ische Organ, jede Regung oder Funktion des Inrum1ebens bezeichnen, von der Einsicht und Klugheit über Wille und Gewissen bis zu Zorn, Gelüst oder Wohlbehagen. Die Benennung aeelischer Pbä.nomene durch Körperteile u. ä. ist nicht spezifisch hebräisch und beispielsweise auch dem frühgriechischen Sprachgebrauch geliufig. Aber schon bei Homer ist der Ausdruck 'leb" (Zwerch· fell) im wesentlichen auf die intellektuelle Komponente des Seelenlebens beschränkt, ~0C1 (wahrscheinlich .. Unterleib") auf die Gemütslage und ..,~ (Rauch, Dunst) auf die GemütareguDgell. Und wihrend im Akkadiachen die Leber unterschiedslos das Organ des Intellektes, des Gemütes und der Lebens· kraft sein kann, erscheint sie im Griechischen ateto nur als TriIgerin der Aft"ekto und nie der DeaktAtigkeit (Belege bei H. Hagen, Die physiologische und peychologische Bedeutung der Leber in der Antike, Dias. Bonn 1961, 38 u. 46ff.). Diaee SpezialisierUDg deutet auf die sich apiLter in der Philosophie voll· endende paychologische Begrifflichkeit, wie sie das Hebräische nill hervorgebracht hat. Durch die Eindeutigkeit des Ausdrucks, die den Gebrauch von Bildern überflüssig macht, ist der Weg zur rational voUzogeneo, von Erfahrung und Intuition unabbingigan Veratiindigung über II18II8Cblich _ _he Gegeben· heiten freigemacht. Vber die Genauigkeit und Tiefe der psychologischen Be· obachtung hiDgegen, die an rational konzipierte Begriffe nicht gebund_ ist und in Bild und Symbol ebenaogut bezeichnet werden kann, ist damit noch
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gestattet es, die beiden Versionen mit einiger Sicherheit zu datieren und zu lokaliBieren: Der hebräische Text muß um 190 v. ehr. in Palästina, der griechische um 100 v. ehr. in Ägypten entstanden &ein (vgl. Eisafeldt S.738f.). Der hebräische Text dieses Veraea enthält im wesentlichen eine Paraphrase des Nächstenliebegebotes aus Lev. 19, 18: Sei freundlich zu deinem Freunde wie mit dir seIhet. Dieses Näcbatenliebegebot, das, wie wir o. S. 8 hörten, der Targum Jeruschalmi im 1. Jahrhundert v. ehr. mit der Goldenen Regel umschreibt, wird zwar, wenn man es in Einzelvorschrlften für das Handeln zu explizieren unternimmt, zu gleichen oder ähnlichen Konsequenzen leiten wie die Goldene Regel, und insofern hat die Paraphrase des Targum ihre Berechtigung. Es ist jedoch zunächst nur formuliert, um den Intensitätsgrad der liebevollen Hinwendung zum Nächsten oder Freunde zu bezeichnen, welcher dem der als selbstverständlich vorausgesetzten Selbstliebe oder Selbsterhaltung nicht nachstehen soU. Das Nächstenliebegebot trägt insofern wie die Goldene Regel dem Verlangen nach Gegenseitigkeit Rechnung. Betrachtet man aber die griechische Version der zitierten Sirach-SteUe (Ydel Ta ToV :rrÄ'Iu1ew Ix ueatlToV), so wird man erkennen, daß hier Lev. 19,18 bzw. die Vorlage des hebräischen Sir&ch im Sinne der Goldenen Regel umgedeutet worden ist 1. Hier wird dazu aufgefordert, die Situation mit den Augen des Partners zu sehen, und das entspricht der Mahnung der Goldenen Regel, die Wirkung des eigenen Handelns auf den Partner in der Weise abzuschätzen, als ob man selbst der leidende Teil wäre". Die Goldene Regel erweist sich also innerhalb des Judentums als eine aus dem Griechischen stammende, aber begierig angenommene und innerhalb kürzester Frist fest eingebürgerte Neuerung. Sie muß im Laufe des 2. Jahrhunderts v. ehr. rezipiert worden sein. Ein gerade im jüdischen Denken besonders beliebtes Schema Bittlieher Bewertung findet in ihr &einen zugleich allgemeinsten, d.h. von jeder konkreten Situation abstrahierten, und seinen differenziertesten Ausdruck. Erfunden aber ist die Goldene Regel nicht im jüdischen Bereich. gar nichts gesagt. Der begriftliche Ausdruck befreit den Menschen als Geeprilchll. partner lediglich von dem Zwang, zur Verstii.ndigung über eine kompliziertere, den Bereich der Sinnenwelt traa8Zendierende AWIIIBgO alle Gefiihle, Assoziati· onen und ErCahrunpn d.. Anderen immer wieder von neuem IUlChzuvollziehen oder sich allein einer s - c h l _ nicht jedermaan zupuglichen Symbolik zu bedilll18ll. 1 Vgl. J. Leipoldt, Featachrift. Schubart, Leipzig 1950, liGf. • Dieaer Vorka1kü1 zur Goldenen Regellällt sich sowohl in älteren griechischen Taten (z.B. Hom •• 188f.) als auch bei frühchristlichen Autoren IUlChweiaen, die in der TraditiOD 8)'JIIIgOpIer P&Iänase stehen, z.B. Martyr. Polye. 1,2 (B. u. S. 106).
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c) Die Goldene Regel und die Gnomik der Sophisten Die Erfindung der Goldenen Regel wird man, wenn nicht alle Zeichen trügen, als eine Errungenschaft der Sophistik im ausgehenden 5. Jahrhundert v. ehr. &IlZUIIehen haben. Die wesentliche Leistung der Sophistik auf dem Gebiete der Ethik ist wohl darin zu suchen, daß sie sittliche Vorstellungen des Vulgärbewußtseins, des common lIt!llse, in knappe, einprägsame und darum lehrbare Formulierungen von höchatmöglichem AbatraktiollBgl'8d gebracht hat. Die Bemühungen der Sophisten auf anthropologiach-ethischem Gebiet gelten vorzUglich dem Versuch, den Inhalt de6 sittlichen VulgärbewußtseinB von konventionsbedingten und situationagebundenen Vorstellungen zu befreien, um auf diese Weise eine lehrbare, rational einsiohtige und allgemeingültige T~rnI des erfolgreichen Wohlverhaltens zu gewinnen. Der technische Charakter des sophistischen Erziehungaprogramma verrät sich deutlich im zweiten Epigramm der Gorgiaa-Statue von Olympia, die nicht lange nach seinem Tode errichtet wurde:
rO(!)lloo da'"iI1IU 'JIV%'lP l!ernj. I. clyawa. otl6t" nCil 1'hrjTaw Xallloll' riet dmT" Die aus Regeln bestehende T~rnI beruht auf dem common sense, der von den Sophisten in seiner Zeitgebundenheit nicht erkarmt, sondern mit der Natur des Menschen gleichgesetzt und der Konvention entgegengehalten wird. Die Konzeption einer solchen drnl setzt eine gewisse Geläufigkeit in der rationalen Analyse zwischenmenschlicher Vorgänge und vor allem eine virtuose, in jeder Einzelheit rational kontrollierte Sprachbeherrachung voraus, denn die 60fa Tci"w nolÄtiW, welche die Sophisten erklärtermaßen in ihrer reinsten Form zu gowinnea und auszudrücken trachten, ist normalerweise nur als Konglomerat sehr komplexer, an konkrete Anschauung, Erfahrung und Gewohnheit gebundener Vorstellungen dem Bewußtsein gegenwärtig. Es gilt also, sie von allen Zutaten zu befreien und durch angemeBBene Formulierung in die volle Helle des rational kontrollierten Bewußtseins zu heben. An der Frage, ob die 60fa Taw nolltü.' (auch in ihrer allgemeinsten Form) für das sittliche Handeln verbindlich sei, entzündet sich der I Zur Rolle der ~a in der platonischen Erkenntnistheorie vgl. J. Sprute, Der Begriff der ~a in der pJatoniach8ll Philosophie, Disa. Gött.iDgan 1981. Die lI8U8rIÜIIp von E. R. Dodde eehr nacbdrücldich vertretene Auft"UIJIlIlg, Gorgiaa Bei gar nicht den Sophisten zuzurechnen (Plato, Gorgiaa, Oxford 19119, 71f.) braucht hier nicht erörtert zu werden. Die von uns analysierte Kunst, VOftItellungen der VuJgiLrmeinUDg rational zu err-n und sie mit pidasogiacber Absicht auf' die einprilgaamate Formel zu bringen, teilt Gorgiaa mit jenen Zeit· genossen, denen noch niemand den Sophistentitel abgesprochen bat.
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Streit zwischen Sophibtik und Sokratik, die in der rationalen Analyse menschlicher Phänomene und im Streben nach eindeutiger BegriftBbildung sehr viel Gemeinsames haben, das für die Zeit seit dem letzten Drittel des 5. Jahrhunderte als besonders bezeichnend gelten darf. Platon aber ist nach dem Vorbild des Sokratee bereit, bei jedem Einzelproblem, und sei es noch so unbedeutend, die Wahrheitafrage neu zu stellen, unbekümmert darum, ob das Ergebnis der stets erneuerten Untersuchung ihm oder der Umwelt einleuchten wird. Es geht ihm also um den Seinscharakter dessen, was man gemeinhin als Wohltat, Tapferkeit, Nutzen etc. bezeichnet, ohne sich über den Inhalt dieser Bezeichnung genaue rationale Rechenschaft abzulegen. Nur das rational gewonnene und geprüfte Einzelwissen gibt seinem Träger den Anspruch auf Sachverstand, nicht die noch so vollständige Verfügung über die tJOEa TMI nollüw. Immer wieder spricht Platon den Sophisten, weil sie über den common sense nicht hinauskommen, den Sachverstand ab und bestreitet ihren Anspruch, eine Te1T'l delo richtigen Verhaltens vermitteln zu können, mit dem einfachen Hinweis auf die von ihnen nicht gestellte, geschweige denn gelöste Frage nach dem Seins- odel Wahrheitscharakter der einzelnen sittlichen Erscheinungen und Benennungen (z. B. Rep. 332 A ff.). Die Sophisten - und zu ihnen muß man unter diesem Gesichtspunkt Isokrates rechn~n, dessen breit ausgeführtes Erziehungsprogramm ganz im sophistischen Denken wurzelt - halten dem entgegen, daß sich die auf das Detail gerichtete sokratische Elenktik in zahllose, einander und dem common sense widerstreitende Einzeleinsichten verliere und keine befriedigenden Ergebnisse für das praktische Leben erzielen könne (Plat. Hipp. min. 369 B/C; lsocr. Antid. 2; 262; Hel. 5). Nachdrücklich stellt Isokrates die Verbindlichkeit '!einer auf den rechten 60EIU gegründeten Lehre, ihre Ver3tändlichkeit und Anwendbarkeit der nutzlosen Esoterik des sokratisch-platoniscl>en I>E'nkens gegenüber (Antid. 84ff.), dem er, ähnlich wie der naturwissenschaftlichen Forschung, alIt nfalls propädeutische Aufgaban zuweisen will (Hel. 6). Platon verschließt sich durchaus nicht der Einsicht, daß derjenige, der sein Leben nach dem Vorbild des Sokrates der vorbehaltlosen Wahrheitssuche verschrieben hat, immer wieder zu Ergebnissen seines Forschens und damit zu Maximen seines Handelns geführt wird, die nur wenigen Menschen einleuchten (Crit. 49 Cf.). So wird er der Umwelt fremdartig wie Sokratee, wenn nicht gar lächerlich erscheinen (Theaet. 174 Aff.). Demgegenüber ist es das erklärte Ziel sophistischer Unterweisung, durch die Vermittlung theoretischer Einsicht dem Menschen gerade im praktischen Leben zu Tüchtigkeit, Anerkennung und Erfolg zu verhelfen (Protag. b. Plat. Theaet. 166 B ff.; Isocr. Hel.
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8f.)1. Das zeigt u.a. auch die - gewiß ironisch gemeinte, aber sonst ganz im Sinne des Beschriebenen formulierte - Schilderung der vielseitigen Tüchtigkeit des Sophisten Hippias ln den beiden HippiasDialogen des platonischen Corpus. Diese Tüchtigkeit aber ist nach Ansicht der Sophisten eben ein Ergebnis der Rationalisierung und Technisierung im Bereich des Moralischen. Man muß nur das natürliche, von Konventionen unbelastete Wesen des Menschen richtig einschätzen und diese Einsicht als Regelsystem eines Lehrbuohes zusammenfassen, in der ethisch-politischen Unterweisung also denselben Weg einschlagen, den man in derselben Zeit auch im Städtebau, der Plastik, der Dramaturgie, der Rhetorik, der Psyohotherapie usf. zu erproben beginnt. Nicht mehr Konvention, Gewohnheit und durch alte Autoritäten geschützte, aber ungeprüft übernommene Regeln sollen das Verhalten bestimmen, sondern die rational erworbene Tll"/. Aristophanes oharakterisiert die Angehörigen der jungen, von den Sophisten beeinflußten Bildungsschicht als Leute, die für alles ein Lehrbuch und die Regeln einer Tl1Y'I parathalten (Rau. 110Illf.) und Isokrates verteidigt gegen die Angrilfe Platons vornehmlich den technischen Charakter seiner Erziehung (Antid. 205; 209). Wenn Isokrates jedes Suchen nach sicherem Wissen und absoluter Wahrheit ablehnt und den Menschen auf den Erwerb richtiger, d.h. von allen akzeptierter und darum anwendbarer 6Ola, verweist (Hel. 11 u. a.), so folgt er hierin dem Skeptizismus älterer Sophisten, die wie Protagoras (B 1) und Gorgias (B 1) absolutes Wissen und unangreifbare Wahrheitaerkenntnis als auOerhalb der mensohlichen Möglichkeiten liegend betrachteten und darum auf den oommon sense zurüokgreifen mußten. Nun liegt der Gedanke, auch der reine, von allen Zutaten der Konvention befreite und in die Zone rationaler Formulierung gehobene oommon sense könne seinerseits schon zeit- und situationsgebunden sein und über die Natur des Menschen darum nichts Sicheres erschließen lasaen, außerhalb der Fragestellungen des IsoI Das als Erbteil der Sophistik zu verstehende Streben des hokrates, seine Unterweisung auf die unmittelbare Anwendung des Gelernten in der Praxis einzurichten. entspricht genau aeiner Haltung gegenüber der Politik Athens während aeiner Lebenszeit. Platon und hokrates Bind .ich am Anfang des 4. Jahr· hunderte einig in der Verurteilung der akuten ZustÄnde ihrer Vaterstadt. Aber während Platon fortan aller praktiachen politischen Tätigkeit den Rücken kehrt und aein sitt1iches Reform......k ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten irgendeinee bestehenden Staates in Angrift' nimmt, hat hokrates in seinem langen Leben die Geschicke Athens mit zahlreichen, je nach der Situation """,haelnden Ratschllgen zur Innen· und Außenpolitik begleitet und auch mittelbar. dUl'Ch aeme Schüler. Einfluß genommen. Seine Bereitschaft. mit dem bestehenden Staat zu rechnen. entspricht der willigen Anerkennung der &lfa TW• .....uw.. unter denen er nun einmal lebt. Vgl. dazu W. Jaeger. Demoothenes. Berlin 1939. 13ft".
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kratea und seiner sophistischen Vorbilder. Man findet bei ihnen denn auch allenthalben Anschauungen und Meinungen, die für das Denken des Bpäten 5. und des 4. Jahrhunderts schlechthin charakteristisch sind und sich bei Demokrit und den Historikern ebenso finden wie etwa in der Tragödie. Die Prävalenz der Seele vor dem Körper z.B. gilt Demolait (B 170/171), Euripides (fr. 1007 N.) und Iaokratea (Antid. 180; Ps. Isocr. ad Demon. 40)' in gleicher Weise als selbstverständlich. Dem entspricht der Grundsatz, daß Vorsatz und Gesinnung wesentlicher sind als die Handlung selbst (Aesch. Sept. 591ft'.; Democr. B 62; 89; Iaocr. Antid. 118). Durch übung oder Erziehung gewonnene Eigenschaften sind wertvoller als angeborene (Eur. Suppl. 860ft'.; Antiph. B 60; Demoer. B 242; Anon. Iambl. 2; Isoer. Antid. 207f.; 291f.; vgl. Protag. B 3; Anon. Iambl. 2), das IrrtEIXi, forderlieher als das starre 6huucw (Gorg. Epitaph. B 6; Herodot. 3,53,3). Diese Reihe von Parallelen ließe sich noch verlängern, wobei es im Einzelfall nicht immer zu entscheiden ist, ob eine echte Entlehnung aus sophistischer Doktrin vorliegt oder ob, was zweifellos häufiger zutrifft, die Sophisten sich mit wesentlichen AUBBagen ihrer Lehren in 'Obereinstimmung mit der 60(<< ihrer Zeit befinden, sofern diese eine a11gemeingi11tige, intellektuell befriedigende Formulierung gefunden hat. Es liegt in der Feststellung, die Sophisten hätten bei ihrer Suche nach allgemeingü1tigen Regeln für das menschliche Verhalten den Bereich des common sense erklärterweise nicht verlassen, durchaus keine Herabsetzung ihrer intellektuellen Leistung, wenn man einmal von der BpeZie11en platonischen Polemik absieht. Um klar zu erkennen, was alle Menschen ..normalerweise" für gut, billig und erfolgverBprechend halten, bedarf es eines scharfen analytischen Verstandes, denn man muß hinter situationsgebundenem Handeln, hinter Konventionen, Symbolen und Gesten, hinter gegenstandsgebundenen Vorstellungen den rational faßbaren Sinn greifen. Insbesondere erfordert die Analyse konventionell festgelegter Handlungsweisen intellektuelle Energien, wenn man, wie die Sophisten, davon ausgeht, daß Konvention ("opo,) und richtige, d.h. allen Menschen gemeinsame, ..natürliche" ME« einander nicht ohne weiteres entsprechen. In der nachhaltig von Platon beeinBußten 'Oberlieferung erscheinen die Sophisten vornehmlich als Männer, die jegliche Konvention in Frage gestellt und der gleichbleibenden qJtia" der Menschen, die sich in einleuchtenden ooEa, I Die aus dem CatiliDa.Prooernium Salltl"UI bekannte VorateIlwag von der FiihruDgaaufgabe der Seele gegenüber dem Leib braucht nicht aus irgeDdeiner philosophisch.... Doktrin zu stamm..... Sie begegnet &chon bei Iaolr:rateol, der vom ""'I'""nS... der Seele redet (Antid. IBO), und vorher bei Antiphon
(D:!).
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aU88pricht. entgegengehalten haben '. Die .Ablehnung von Sitte und Herkommen. welche die Sophisten den Zeitgen088en offenbar nicht selten suspekt gemacht hat (vgl. Aristophanes' Wolken). ist insofern offenbar nicht eigentlich grundsätzlicher Natur gewesen. als die Gegenposition der richtigen 60Ea doch nicht mit absolutem Wahrheitaanspruch ausgestattet war. sondern nur durch die rationaJe Erfassung des a.IIgemeinen. meist nur unbewußten Glaubens und Meinens der Menschen errungen wurde. 'Ober die Zuverläaaigkeit menachlichen Erkennens haben sich Protagoraa und Gorgiaa bekanntlich sehr skeptisch geäußert. Wohl aber ergab sich aus der beschriebenen Intention sophistischen Denkens eine Fülle scharfer Beobachtungen menschlicher Verhaltensweisen. wie sie vor a.IIem die Reste der Schriftstellerei des Gorgiaa auszeichnet I. Die rationaJe Analyse menschlicher und zwischenmenschlicher Vorgänge war für die Sophistik ebenso wichtig wie für die Sokratik. und in den Dialogen. die Platon und Xenophon ihren Meister mit sophistischen Gesprächspartnern über anthropologischethische Begriffsbildungen haJten la.aaen. ist die Gemeinsamkeit der Diakuaaionsebene überaus deutlich. Der durchdachten .Anwendung sprachlicher Ausdruckamittel bedarf es nicht nur zur Mitteilung der beobachteten VerhaJtensweisen des Menschen. sondern vor allem dann. wenn man die Maßstäbe des eommon sense. die entweder nur dem Unterbewußtaein (a.lao ohne sprachlichen Ausdruck) oder in der Form situationsgebundener EinzelvOl"Bchriften gegenwärtig zu sein pßegen. in a.llgemeingültige. vom Einzelfa.ll abstrahierte Maximen des HandeIns umzusetzen unternimmt·. Hier liegen die Gründe für die notwendige Verbindung der moralischen mit der sprachlich-rhetorischen Komponento im Erziehungaayatem der Sophistik. der Iaokratea in den programmatischen Sätzen über seine ,u.oaOf'lo. - vor allem in der .. Helena... in der Sophistenrede und in der ..Antidosis" - beredten Ausdruck verliehen , Grundlegend hierzu F. HeinimaDn, Nomoa und Physis. Basel 1945. Daß die o. S. 611 enriIhnte Relatlvierung der -.6po. nich~ unbedingt eine negative Beurteiluug des -.6,.0> schlechdUn einechließ~. kann man der bei Plawn repro· duzierten Kulturentetehungalehre des Prot.agoraa enmehmeD, in der von dor seg_ichen Wirkung der -.6PfH auf die menscbliche Geai~~uug eiDgehend gesprochen wird. 1 So zeigen z. B. die Bemerkungen des Gorgiaa zum Drama (M. Pohlenz. Nachr. Gött. Gea. Wisa. 1920. 142ft". sowie: Die griechische Tragödie. Gö~tlngen "1964. 1,481ft". u. 2.192) eine Fülle von hervorragenden psychologischen Einsichten. Von den herkömmlichen Wertungen der Trag6die. die sich au~ ihrer Funktion im kultischen und politischen Leben Athena ergeben. ist dabei keine Rede. I Welche Anfordenmgen die Formulierung der Goldeoen Regel an das Abstraktionsvermögen mUt. ist o. S. 81 dargelegt worden.
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hat'. Diese Verbindung ist durchaUB schon für die Sophistik gegeben. Mit Protagoraa beginnt die theoretische Erf&88ung der Elemente des sprachlichen AUBdrucka und der Debattierkunat. Gorgiaa hat dem kunatmäßigen Proaaatil seine Aufmerksamkeit zugewandt und eine drnl der Prosa entwickelt, in der die logisch-grammatische Gliederung des Textes mit der rhythmisch-klanglichen übereinstimmt und die man darum als rationaliaierte Verabildung bezeichnen könnte·. Thraaymachos beschäftigt sich mit Problemen der Sprachrhythmik, Prodikos mit solchen der Synonymik uaf. Die jedeamal mit der rationalen Durchdringung eines neuen Lebensbereiches sich stellende sprachliche Aufgabe haben gerade die Sophisten sehr genau erkannt. Damit aber ist auch der Weg von der Sophistik zur Rhetorik vorgezeichnet, an dessen Ende Iaokratea steht. Seinen vollkommensten AUBdruck findet das Bemühen, die rationalmoraliache und die sprachlich-rhetorische Komponente bei der Erziehung des Menschen zu vereinigen, in der Formulierung einer allgemeingültigen, die ästhetischen, moralischen und intellektuellen Bedilrfnisae gleicherweise befriedigenden Sentenz. Die zahlreichen Sentenzen moralischen Inhaltes, die im Zeitalter der Sophistik das erste Mal formuliert und auch zUB&mmengestellt wurden, setzen als Instrumente moraliacher Unterweisung die Tradition der alten Weisheitadichtung, der molHjlUJl, fortS. Wie in älterer Zeit die sittlichen Erfahrungen und Forderungen einer bestimmten GeaeUschaft in einen Vers gefaßt wurden, um sie dadurch über das Niveau bloßer Alltäglichkeit hinaUBzuheben, ihnen Würde, Allgemeingültigkeit und pädagogische Wirkung zu verleihen, so trachten die Sophisten und viele ihrer ihnen geistesverwandten Zeitgenoaaen danach, die Ergebnisse eigener oder älterer Reflexion über die Maßstäbe rechten Handelns mit den Mitteln einer durchdachten Proaaapra.che jene Einprägsamkeit zu geben, deren der pädagogische Zuspruch bedarf. Die auf diesem Wege gewonnenen Sentenzen können zu Sammlungen ZU8&mmengefaßt werden, die dann ein Kompendium einer formalisierten, auf dem common sense aufgebauten Ethik darstellen. Die in der Schule 1 Zur ErziehWlll"lehre des Isokrates vgl. die zusammenfllllllellde Darstellung bei E. Mikkola, Isokratea, Helsinki 19611. Dort weitere Literaturhinweise. I Die gorgiaDische Diktion ist. bekanntlich die Vorstufe der klasaÜlchen, durch Isokrates voUendeten Periodenfonn. I80krates vennag, was Gorgiaa noch nicht erreichte (und vieUeieht auch nicht wollte), nii.mlich auch umfangreiche und komplizierte Byntaktische Gebilde einer gleicherweise logÜlch·gramma. tÜlchen wie rhytbmÜlch·kJanglichpn Gliederung einzufügen. Aristotel.... bat darum die Periode mit dem SyUogiamUB verglichen (Rhet. 1410 a 20ft".). I Dazu P. Friedländer, Hennea 48, 1913, 668ft". und K. Bielolahwek, Philol. Suppl. 32,2 (1940). Gute Bemerkungen zur Rolle der Gnomik in der geaamten älteren gricchÜlchen Poesie bei F. Domaeiff, Pindars Stil, &rlin 1921, 129 ft".
S~hillli8cM
Gnomik
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des !sokrates entstandene Demonilws-Rede bietet dafür ein gutes Beispiel!, das man sehr wohl mit den SpruchsammIungen des Phokylides oder Theognis vergleichen kann. Isokrates hat in der Mahnrede an Nikokles diese Parallele selbst gezogen (ad Nie. 43). Derartige Sentenzen haben nicht nur moralisch-pädagogischen Wert, sondern sind daneben Musterstücke einer vollkommenen Beherrschung des sprachlichen Ausdrucks. Weil in der gelungenen Sentenz die Übereiusti=ung zwischen Form und Inhalt, zwischen Wort und Gedanke ihren höchsten und rational nachprüfba«'ll Präzisionsgrad erreicht, ist sie sowohl ein Schmuckstück, ein lumen, für jeden literarischen Text als auch ein Lehrbeispiel für die rhetorisch-stilistische Unterweisung. Die große Frequenz und die liebevolle, stets fortschreitende Ausgestaltung des sententiÖ8en Ausdrucks, die Wlbeschadet aller individuellen Unterschiede unter den Autoren für die gesamte literarische Tradition der Antike, iusbe80ndere der nachklassischen Zeit, charakteristisch sind, beweisen zur Genüge die Bedeutung der Sentenz als eines Elementes der stilistischen Theorie und Unterweisung sowohl als auch der literarischen Praxis. Es leuchtet ein, welches Gewicht und welch langdauemde Wirkung die Vulgärethik daduroh in der antiken Trs-dition erhalten mußte, de.ß ihre Prinzipien in Sentenzen formuliert wurden, die abgesehen von ihrer moralischen Bedeutung, den Ansprüchen einer hohen sprachlich-literarischen Kultur genügten I. Weil mit der rhetorischen Gnomik die Vulgärethik ihren weithin sprachlich ungeformten Zustand verließ und eine pädagogisch angemessene Form gewann, konnte sie für die sich aus ganz anderen Quellen speisende philosophische Ethik ein ernsthafter Gegner oder Partner werden und sie in jahrhundertelanger Auseinandersetzung zur Ablehnung oder zum Kompromiß zwingen. Und daß sich die formal-rhetorische Bildungstradition der Antike, die man auf Isokrates und !!eine sophistischen Vorbilder I Die Demonicea ist ein treuee Spiegelbild der Vulgärethik des 4. Jabrhunderts. Man begegnet in ihr so typisch vulgären, am Vergeltungsschema orientierten Lehren wie der, daJl man den Freund im Wohltun, den Feind im Schädigen übertreffen (26) oder dem "Schlechten" niemals etwas Gutee antun solle (29). Immer wieder hören wir, daJl man den Eindruck seines Handeln.. auf die Umwelt berücksichtigen und es entsprechend einrichten müsse (17; 21; 26; 38). In eben dieser Umgebung erscheint auch die Goldene Regel (17). I Es liegt bereite im Programm der T8%"/ dee Gorgias, welche ..die Seele f"lir die Agone der den>! üben will" (die Formulierung ist dem zweiten Epigramm der Gorgias·Statue [875 Kaibel] entnommen), durch die sprachliche Vollkommenheit ihrer Formulierungen peychagogisch zu wirken (vgl. E. Schwanz, Ethik der Griechen, Stuttgart 1951,79C.). Es ist letztlich gorgiani.sch gedacht, wenn Seneca (ep. 94,25 u. a.) von der in der Formulierung liegenden Evidenz moralischer Sentenzen redet, die nach seiner Meinung keiner weiteren Begründung bedürfen.
92 zurückführen darf, mit solcher Zähigkeit behauptete, findet umgekehrt zum guten Teil seine Erklärung darin, daß sie stets die Vermittlerin einer auf dem common sense beruhenden, rationeI faßbaren und formulierten, aber unpbilosophischen Moral geblieben ist. Ohne Frage läßt ein reichet Schatz an Gnomen, die vor dem 5. Jahrbundert entstanden wld z. T. in gebundene, z. T. in Prosaform gebracht sind, eine den Griechen schlechthin eigentümliche und von der Sophistik unabhängige Freude am zugespitzten, einprägsamen Ausdruck erkennen, in dem eine wesentliche Eineicht ihre zuglllich verbindlichste und verständlichste Formulierung erhält. Es steht aber ganz außer Zweifel, daß sich die Tendenz zum gnomischen Ausdruck im ausgehenden 5. Jahrhundert, und zwar im Zusammenhang mit sophistischer Denk- und Argumentationsweise, erh~b1ich verstärkt. PIston (Phaedr. 267C = Artium script. 114 Raderm.) bezeugt, daß der Gorgias-SchUler Polos die Gnomik als Teil der rhetorischen Theorie behandelt hat, und dazu paßt, daß in der ps. aristotelischen "Rhetorik an Alexander" der Gnomik großes Gewicht beigemessen wird (1439 a 3ff. u. a.)I. Der Tragiker Agathon, dessen Beziehungen zur Sophistik auf mancherlei WeUe deutlich werden (v~l. Plat. Conv. 194 E ff.), war wegen seiner Sentenzen berühmt (Aristot. Rhet. 1392 b8; 1402 a 10). Die Vorliebe, die der junge, den modemen Bildungsideslen zugewandte Athener ihrer Zeit für die Gnomik hegt, verspotten Kratinos (fr. 307 K.) und Aristophanes (Equ. 1379). DM alles findet seine beste Erklärung in dem Umstand, daß die moralischsprachliohe Unterweisung der Sophisten folgeriohtig mit einer besonderen Pflege der Gnomik verbunden war, eben weil sie eine rationalisierte, formalisierte, aber auf den oommon sense gegründete Moral und nicht die Erkenntnis des wahren, von der Meinung der Mensohen unabhängigen Seine vermitteln wollte. In dieses Bild fügt es sich vorzüglich, daß die Gnomik im Geschichtswerk des Thukydides eine beherrschende Rolle spielt. C. Meister" hat die thukydideischen Sentenzen einer umfassenden Untersuchung unterzogen, dabei allerdings mehr auf ihre Form und ihre Funktion im Aufbau des Werkes als auf ihren Inhalt geachtet. Aus einer Aufreihung der Gnomen aus dem Geschichtswerk des Thukydides ergäbe sich ohne Schwierigkeit das Kompendium einer rational konzi1 Die neuerlich erörterte Frage der Verf88B6rschaft der "Rhetorik an Ale,,· ander" braucht hier nicht beantwortet zu werden (vgl. V. Buchheit, Unte!"· suchungen zur Theorie d.... 0en08 Epideiktikon von GorgiaA bis Aristotelee, München 1960). Zur Gnomik in der rhetorischen Theorie und Praxis vgl. H. Framm, Quomodo oratoree Attici sententüs usi sinto Dias. Straßburg 1909. • C. Meister, Die Gnomik im Geschichtswerk d .... Thukydides, Winterthur 19611.
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pierten, aber durchaWi unphiloeophiachen Ethik oder Anthropologie, denn es ist in ihnen zwar ein reiches Beobachtungwnaterial verarbeitet, aber außer dem anthropologisch nicht eben ergiebigen qIIla,,-Begriff' der ionischen Wissenscha.ft; keine Kategorie verwendet, mit deren Hilfe die Fülle der Erscheinungen zu einem übergeordneten Sein in Verbindung gesetzt werden könnte. Vor allem im Psychologischen macht sich dieser Mangel bemerkbar, gerade weil die Beobachtungen ort von unübertretflicher Schärfe sind. Thukydides erweist sich hierin als Partner und ZeitgenOll8e der Sophisten', und es sei in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen, wie sehr beispielsweise seine Rechtfertigung des Präventivkrieges (1,33; 3,12; 6,87; vgl. o. S. 37) die Züge einer sophistischen Argumentation trägt, die mit Hille fortschreitender Abstraktion alle rational verständlichen Konsequenzen aua der MEa TciW nollciW zu ziehen vermag, ohne jemals den common sense selbst in Frage zu stellen, wie es Sokrates zu tun pflegt. Damit, daß sich sein Denken mit Sicherheit in der Dimension der Geschichte bewegt, überschreitet Thukydides freilich den Horizont der Sophisten. Löst man indessen seine Gnomen aus ihrem jeweils bedeutsamen historisch-politischen Zusammenhang, kann man sie wie die des lsokratee oder der Demonicea als Ausdruck formalisierter Vulgärethik verstehen. Der Qualitätsunterschied zwischen den von Thukydides und den von Isokrates geprägten Gnomen, die Verscbiedenheiten in der Schärfe der Beobachtung und in der Intensität rationaler Analyse des Beobachteten, das alles bleibt von dieser Feststellung ganz unberührt·. Eine Auseinandersetzung zwischen vulgärer und philoeophischer Ethik, die über die Beschreibung des Gegensatzes hinausführt, leitet Aristote1es ein a. Indem Ariatoteles, ohne die Aufgabe einer größtmöglichen Annäherung an die absolute Wahrheit zu vernachlässigen, doch dem großen Bereich alles dessen, was die Menschen seit alters meinen , Die sonstigen, vielCältig nachgewiesenen Beziehungen des Thukydides zur Sophistik brauchen hier nicht erörtert zu werden. Es ""i nur an die im Meller· Dialog von athenischer Seite entwickelte Lehre vom Recht des Stärkeren er· innert (6.106 - Plat. Gorg. 484BC.). Allerdinga darf dabei die Dialektik nicht üheraehen werden, die der sophistisch bestimmten Lehre ihre Gegeopoaition entgegensetzt. Vgl. G. DeiniDger. Der Me\ierdialog. Dias. Erlangen 1939. I So wird man z. B. bei Isokrates vergeblich nach einer so tiefteichenden Ein· aicht 8\lChen. wie sie Thukydidea mehrfach hinsichtlich der Empfindlichkeit der Menschen gegenüber Beeinträchtigungen ihrer 1 0 _ aU88pricht. lUD knappsten in 1.77.4: dd.....vJUl'OI. ';', 10...... 01 ~ ,.a.uo. c!eYIC....... " fI~6JU1'OI. Tel ,.b Ydc! cbrcI Toii r.." 60xci .u-........ icrfa&. Tel .,. cbrcI Toii xed,,_ .........."..ac....... (vgl. Meister 38C.). Derart scharfe und völlig in die Helle des rat.ionaJen Bewußtesins gehobene Beobachtungen gibt es dann wieder bei De· mokrit und Aristotelea. • ttber den undogmatiachen Charakter der Ethik Demokrits s. o. S. 49.
und glauben, seine volle Aufmerksa.mkeit zuwendet, vermag er sophistische und philosophische (sokratische) Betra.chtungaweise zu kombinieren. Er gelangt zu der Einsicht, da.ß ein großer Teil der sittlichen Phänomene sich nicht duu eignet, da.ra.us Erkenntnisse mathematischer St>ingenz und Widerspruchsfreiheit zu gewinnen (Ta b6ex.0I't'PfJ xal cLUw, 'x.e,., E. N. 1134b31 u.a. vgl. leocr. Antid. 271), welches Ziel sich die p1a.tonische Ethik gesetzt hat. Für viele ethische Bestimmungen und Wertaetzungen genügt es zu wissen, ob sie die a.llgemlline Zustimmung oder Ablehnung der Menschen erfahren (bra'l/eTm. I fllBXTm.)l. Aristote1es läßt a.1so wie auf anderem so auch auf ethischem Gebiet den vulgären Anschauungen Gerechtigkeit widerfahren, ohne aber da, wo es ihm sinnvoll erscheint, auf die Frage na.ch dem Seinscharakter des Guten zu verzichten. Die Fülle der von AristoteIes auf dem Wege umra.saender und unvoreingenommener Beoba.chtung gewonnenen Einsichten war so groß, daß sich in Anthropologie und Ethik keine der hellenistischen Schulen seinem EinftuB entziehen konnte. Du gilt auch für die Stoa, die, vor a.llem in ihrer älteren Periode, einen deutlichen Trennungsstrich zwi8chen situationsgebundener vulgärer Verha.1tensvorschrift und philosophisch~thischem Grundsa.tzwissen zieht ". Aber wenn die Stoiker in den 60Ecu der Menschen auch den Ausdruck ihres durch UmwelteinflÜ8Be verdorbenen Seelenzuata.ndes sehen und nur dem Weisen, der im vollen Besitz des philosophischen Grundsa.tzwissens sich befindet, die Möglichkeit zu sittlioh gutem Handeln zuerkenn.en, so führt doch die Lehre von der Naturgemäßh!lit der philosophisch begründeten Ethik und von der essentiell guten (lediglich durch UmwelteinflÜ8Be verdorbenen) menschlichen Natur dazu, auch in den vulgären, von der Philosophie unbeeinfluBten Meinungen über Menschen und Götter Spuren der natürlichen, von UmwelteinftÜ8Ben nicht beeinträchtigten Wahrheitserkenntnisaen zu finden (xo,Ni motcu). Daher braucht es nicht zu befremden, wenn die Untersuchung der 'Über1ieferungsgeschichte der Gnomologien, die nur in re1a.tiv späten F&IIII1lDgen erha.lten sind, zu dem Ergebnis ka.m ", daß eine maßgebende Sammlung vulgärethischer Sentenzen, von der die späteren unmittelI Da8 Ariatoteles in aeiDer ersten, p\a.toniachen Periode am Ideal einer Ethik more geometrico featgeba.lten babe, sucht W. Jaeger zu erweisen (Ari. stoteles, Darmst.adt "191111, 91f.). I Besonders gilt das, DACh dem Zeugnis des N. Seneca-Briefes, rür Ariston von Cbioe, den Lehrer des Eratoetbenea. I Die auf Untersuchungen Elters gestützte Ansicht, daß die UDS band· schriftlich überlieferten Gtlomologien llilmtlich in letzter Instanz auf die Samm· hm, des Cbryaipp zuriickzufUmen aeien, bat durch Papyruafunde in jüngerer Zeit eine gewieee Modifikation erfahren.
95 bar oder mittelbar abhängen, von dem Stoiker Chrysipp veranstaltet worden ist. Mit der zunehmenden Popularisierung der philosophischen Ethik vermehren sich die Berührungspunkte zwischen der "formalisierten Vulgärethik" der rhetorischen Tradition und der philosophischen Ethik, die nunmehr auch in verständlicher und ansprechender Form vermittelt werden soll. Der philosophierende Rhetor oder Publizist wird zu einer ebenso geläufigen Erscheinung wie der literarisch oder oratorisch wirkende Philosoph (Dion v. Prosa, Favorin, Maximos v. Tyros u.a.). Aber auch in der strengen Schulphilosophie findet man im Aufbau der ethischen Theorie einen bestimmten Platz für die sententiÖB formulierte Vulgärethik, die keiner weiteren Begründung bedarf. In der planvollen sittlichen Unterweisung gehört sie, wie Poseidonios wohl als erster gelehrt hat, vor die philosophische Grundsatzbelehrung als ein eigener TOno' WrofBTucO' (Sen. ep. 95, 64ft".; Clem. Alex. Paed. l,l,lft".). Der mittlere Platonismus hat diese Lehre von der Funktion der Gnomik im Aufbau der philosophischen Ethik übernommen, wie die 6w.leea" des Eudoros zeigt (Stob.2,42,l1ft". Wachsm.). Vom Aussehen der dem tlno17BTuW, TOx~ gewidmeten philosophischen Literatur kann man sich durch Senecas Briefe und vor allem aus den umf"li.nglichen, bei Eusebi08 erhaltenen Fragmenten der 'Ynol7BT"'ci des Philon von Alexandrien ein Bild machen. Begründet Seneca im 94. und 95. Brief die Berechtigung der praecepta neben der philosophischen Grundsatzbelehrung, so sagt Philon ausdrücklich, daß derartige praecepta zu den ayecupa M-q "al .ap/pa, also dem von der Philosophie oder der religiösen Offenbarung unabhängigen, allen Menschen gemeinsamen sittlichen Regeln gehören sollen (Euseb. praep. ev. 8,7,5f.)1. Innerhalb und außerhalb der Philosophie sind also überall bei Griechen und Römern besonders günstige Voraussetzungen für das Fortleben und die progressive Entfaltung der reichen vulgärethischen Gnomik gegeben. d) Das erste Auftreten der Goldenen Regel Unsere Darlegungen zur Leistung der Sophisten für die Vulgärethik werden genügen, um das Auftreten der Goldenen Regel in
1W 88 Philon unter den c1"e"9"J ,.., "a/ .0"'''0 versteht, erläutert er näher in de apec. leg. 4, 149. Der Unterachied zwischen .0"0' und .0,.,,.0 ist in der hellenistischen Kulturtheorie terminologisch fixiert. So berichtet Agatharchidee von Primitivvölkem, die keinen .opa, kennen, aber bestimmte .0,.,,.0 genau beachten (b. Diod. 3, 33). - B. Motzo. La Uno6en"d di Filone. Torino 1912. war mir leider nicht zugiLnglich.
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der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts und ihren Siegeszug durch die folgende Zeit verständlich zu machen. Daß die Goldene Regel letztlich auf dem vulgärethischen Grundsatz beruht, Gleiches müsse mit Gleichem vergolten werden, wenn &lies seine Richtigkeit haben solle, wurde schon o. S. 80ff. ausgeführt. Dabei wurde auch schon erwähnt, daß Aristoteies, der in der Ethik weder den Vergeltungsgrundsatz noch die Goldene Regel als Maxime rechten Handelns heranzieht, in der "Rhetorik" (1384 b 3ff.) genau das als Schema vuJgärethischer Wertung aufdeckt und formulialt übrigens ganz in der Argumentationsweise der Sophisten - , was die Goldene Regel als Ma:rime rechten Handelns empfiehlt: a YOe T~ mlTd, m;u:i, Tenno UyETa, Toi. ni).a, mi "6flEUcr" WUTE a /J~ nou:i, MjAoP 8n "EflEUij. Die Möglichkeit, das Handeln und Planen des Anderen dadurch richtig zu beurteilen, daß man aich in seine Lage versetzt, auch ohne dabei an das reziproke Verhä.ltnis von Handlung und Gegen handlung zu denken, drückt schon Homer aus. Kolypso sagt zu OdysBeuS (E 188f.):
dlla Ta /Je" lIoiw "al Ipeauuo/Ja" duu' cb l"ol mie m'rrfi /J7J{Jol/JT(I', OTE /JE %eE'W TOU071 f"o,. Hier ist von einer Mfizierung des Anderen durch die Tat oder den Plan, wie sie Aristoteies mit der Wahl des Wortes ve/Jeuä" andeutet (s. o. S. 39) und wie sie in Deut. 15, 12f., der Anweisung, die gerim gut zu behandeln, durch den paränetischen Charakter der Aussage und das historische Exempel impliziert ist, nicht die Rede. Wohl aber haben wir an all den angeführten Stellen den Hinweis auf die Austauschbarkeit der handelnden Personen, die man berücksichtigen muß, um volle Einsicht in die bestehende Situation zu gewinnen. Die einfache Mahnung, sich in die Person des Nächsten zu versetzen, gibt es denn auch weiterhin neben der Goldenen Regel in dcr moralischen Paränese, z.B. Martyr. Polyc. 1,2 /Ji} ,.0,,071 u"onoWrE, Ta "a{}' EaVTOO', d.UQ "ai Ta "QTa Too. m~ in Anlehnung an Phil. 2,4. Die früheste gesicherte und annäherungsweise datierbare Stelle, an der die Goldene Regel in fertiger Formulierung vorkommt, steht bei Herodot. Maiandrios, der Nachfolger des gestürzten Polykrates, hält den Samiem eine "Antrittsrede" (3,142), in der er beteuert: lyw {Ji Ta T(~ ni).a. rntnÄf}uuw, "aTa M",a!UI' mi no,f}uw. Daß es sich hier um eine vorformulierte Sentenz handeln muß, die ä.hnIich wie in der Nikokles-Rede des Isokrates in ein Regierungsprogramm aufgenommen wird (Nic. 49 u. 62), darf man aus zwei Beobachtungen mit einiger Sicherheit schließen. Die Goldene Regel taucht in fast derselben Formulierung aber in anderem Zusammenhang noch einmal bei Herodot auf (7, 136), und die Redewendung
aVra,
Er" Au/'rem.
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murJ.7juuw Tl Tm gibt es bei Herodot nur an diesen beiden Stellen. Sie ist bei Aischyl08 das el'8te Mal zu belegen und stammt wohl aus dem Jonischen, da unter den attischen Prosaautoren nur Platon sie verwendet, der - vor aJJ.em in den Spätdialogen - nicht wenige Jonismen aufweist, während sie der hellenistischen Prosa-Sprache offenbar geläufig ist (z.B. Agatharch. b. Phot. BibI. 444 b 27). Das murJ.t/o"ulI'1' entspricht in dieaer Bedeutung etwa dem 1'BIlSUa1' bei Aru.tot. Rht.t. 1384 b 4ff., womit gesagt ist, daß der brw1juuwl' nicht direkt vom Tun des Anderen affiziert zu eein braucht, jedoch dadurch, daß er den Vorgang moralisch beurteilt, zum Partner des Anderen wird. Doch wird man verständlicherweise gerade solche Handlungen des Anderen vor aJJ.em tadeln, von denen man eelbst den Schaden davonträgt. Die Frage erhebt sich, ob man das erste Auftreten der Gold9nen Regel bei Herodot mit der Sophistik in Zusammenhang bringen soll. Der Verweis auf ihre häufige Verwendung bei Isokrates, dem "Testamentsvollstrecker" der Sophistik, genügt wohl allein noch nicht, um die Goldene Regel bei Herodot als sophistisches Detail zu erklären. Als sicher kann zunächst gelten, daß Herodot hervorragende Vertreter der Sophistik pel'8Önlich gekannt hat. Protagoras " Herodots etwas älterer Zeitgen08ll8, ist wie dieser in den gesellschaftlich führenden Kreisen des perikleischen Athen ein- und ausgegangen, und beide haben sich an der von Perikles inaugurierten Kolonie-Gründung von Thurioi beteiligt. Herodots Aufenthalt in Athen fallt etwa in die Jahre 440-425. Also sind Tragödien wie der "König Oedipus" des Sophokles oder der "Bellerophontes" des Euripides, die in jeweils anderer aber gleichermaßen entschiedener Weise zu sophistischen Lehren Stellung nehmen, unter eeinen Augen aufgeführt worden. Das erste Auftreten des damals schon berühmten, nicht viel jüngeren Gorgias muß Herodot 427 in Athen miterlebt haben, vielleicht auch die Anfange des Hippias und Thrasymach08 l • Endlich sei auf Herodots nahe und nachweisliche Beziehungen zu dem um knapp 10 Jahre älteren Sophokles hingewiesen, der eeinereeits sich ernsthaft und kritisch mit sophistischen Meinungen aUll8inandergeeetzt und mit der Schrift über den Chor und in eeinem Urteil über Aischyl081 an der I Du be..m- die platonischen Dialogazanan ebeuso wie die anekdotische 'Obarliafanmg bei Plutarch (z. B. Per. 36). t Vgl. M. Untarstainar, I 80fisti (angl. 'Obers. von K. Freaman) Orlord 19M, 31 Uf. - AII8 der reichen Literatur, die sich mit Harodota RoUe im parikleiachen Athen beachiftigt, zitiere ich nur J. KleiDlmacht, Hannes 76, 1940, 241ft". und J. Schwanz, BuU. Fee. LeU. Straab. 36, 1967/68, 336ft". t AiachylOll, 80 aagta Sophoklas nach dem Zeugnis das Chamailaon b. Athen. 22Af., habe du Richtige nur unbewuBt gatrotran.
7 '1881 DIIIIe, _
.....
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ausgeprägten Rationalität und Diakutierlust seiner Generation vollen Anteil gehabt hat l • Nun sind die sittlichen Anschauungen Herodots von verwirrender Vielschichtigkeit. Neben Auff&88Ullgen, die ganz in archaischem Denken wurzeln und ihre nächsten Pa.ra.llelen in der archaiscben Lyrik besitzen, begegnen uns Erörterungen, die Herodot in nächste Nachba.rschaft zur Tragödie, insbesondere zu Sophokles, rucken. Du Fazit aus der Kroisos-Geschichte ließe sich in der Form einer BOlonischen Elegie ziehen, zur Deutung der Vorgeschichte des Xenes-Zuges kommt man nicht ohne den Schuldbegriff der Tragödie aus. Neben Meinungen vom Wesen der menschlichen Natur, von der Bedeutung der Umweltbedingungen und der gesellschaftlichen Konvention für da.a paycho-phyBische Erscheinungsbild der verschiedenen Menschen und Völker, die der ionischen Medizin und Ethnographie entnommen sind, gibt es zahlreiche .Äußerungen und BegrifFsbestimmungen bei Herodot, deren Verwandtschaft zum Denkstil der Sophistik unmittelbar einleuchtet. Hier wie da gibt es die unvoreingenommene, sich von der konventionellen Wertung bewußt distanzierende und an den gesunden Menschenverstand mit Hilfe des elxO, appellierende Beschreibung verschiedenster Erscheinungen des menschlichen Lebens. Hier wie dort ist da.a Streben zu beobachten, aus den beschriebenen Erscheinungen allein mit Hilfe des bei allen Menschen in gleicher Weise vorausgesetzten Verstandes und ohne Rücksicht auf konventionsgebundene Anachauungen die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Lebens und damit die Regeln für ein richtiges Verhalten herzuleiten. Schon o. S. 35 wurde auf 7,11,2 verwiesen, wo Herodot ganz im BOphistisehen Stil eine Beschreibung vom Wesen der l~ gibt. Gleichfalls Züge des sophistischen Rationalismus trägt die 7,10 FJ 2 vorgetragene Analyse der "taPo}.Jj. Während ein Muu:i" normalerweise die zweiseitige Beziehung zwischen MuuiW und MlJtOIipno, herstellt, gibt es bei der Verleumdung vor den Ohren eines Dritten im Vollzug einer Handlung zwei MooMrrE, und einen MucoVIlE1lO'. Wegen dieser singulären Dreieckabeziehung ist die Verleumdung eine besonders schlimme Form der Muck. Leider ist da.a Hippiu-Fragment B 17 zu unvollständig, um als echte Parallele gelten zu können, doch scheint auch Hippiu die "taPo}.,} in ähnlich rationalistischer Weise als beBOnders arges Mucei. beschrieben zu haben. Wesentlich ist jene eigentümlich berechnende Art der Betrachtung mora.lisch relevanter Vorgänge. In 3,72,4 läßt Herodot den Otanes, der mit anderen Ver1 Zur Datierung des ,,König Ödipus" vgl. A. Leaky, Die tragische Dichtung der Helleaen, GöttiDgen 1968, 120e. m. weiterer Literatur. Zur Verteidigung der ..sI"" im grollen Chorlied 883fr. 8. o. S. 86 Anm. 1.
Erlllu Au/'....,...
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Bchwörem die Beseitigung des falschen Smerdea plant, den Wert dea tUJjlJLCem'}(u und dea ~alJlU allein an dem jeweils dadurch erzielten "AeOOI; meB&en. Die Pa.rallele bei Soph. EI. 61 (oIldh e;;l'a mW "'~6el ICCII«W) iBt seit langem bekannt. Sie steht in dem Monolog, in dem Oreat seinen Racheplan entwickelt. Beide Äußerungen stehen aber wiederum in enger Beziehung zu den aophistiBchen Definitionen dea "'eOOl;, die Platon zu widerlegen BUcht (Gorg. 527 C; Rep. 338 Cl, und zu den Erwägungen über die Zuliissigkeit des 'I'eWealJal "al iEana-räp in den .dcaaoi ÄOyOI (3,2). Sophistiach in ihrer konsequenten rationalen Analyse moraliBcher Gegebenheiten mutet ferner die Betrachtung an, die Herodot (7, 10 6 2) über den vom Ausgang der Handlung unabhängigen moralischen Wert dea eJ {JOVleVealJlU anstellt. Man denkt sogleich an die ri{JovAla, das erklärte Ziel aophistischer Erziehung (Iaocr. Antid. 285; ad Demon. 34; Kritias B 25,21ff.; Plat. Rep. 428 B). Eine enge Parallele zum Epitaphi08 dea Gorgias (B 6) findet sich in 3,53,3, wo dem hrceeJ. der Vorrang vor dem 6bclUOP eingeräumt wird, und Argumentationen mit dem ebtO., durch die ältere, auf die Autorität der Tradition geatützte Meinungen widerlegt werden, gibt ea mehrfach bei Herodot (2,120; 8,60,,). Der große Dialog zwiachen Xerxea und Demarat (7, 102ff.) läßt sich eigentlich nur ao verstehen, d&ß in ihm die einseitig naturwissenschaftliche, nur nach dem Wesen des Einzelmenschen als Vertreter seiner Gattung fragende Anthropologie der ioniachen Wiasenschaft, der Herodot auf mancherlei WeiBe in seinem Werke verpflichtet iBt, durch featländiBch-griechiBche Einsichten in die Eigengesetzlichkeit dea aozialen Bereichea ergänzt und korrigiert wird. Diese Einsichten oder Erfahrungen, die besagen, daß eine staatliche Gemeinschaft mehr iBt als die Addition der in ihr zusammengefaßten Individuen, sind im griecbiachen Mutterland während der Ztlit der Entstehung der Polis als Staatsform gesammelt worden. In der aopbiBtischen Nomos-Lehre erhalten sie zum erstenmal ihren theoretischen Ausdruck, denn erst die aophistiBche rationale Analyse hergebrachter Anschauungen führt zu dem Schluß, daß mit tptla,. und .01'01; zwei voneinander unabhängige, eigengesetzliche Bereiche bezeichnet sind, in denen sich das Leben dea Menachen abspielt, wobei man die tptJa,. am einzelnen Menachen, den .0'10. an der menachlichen Gemeinachaft studieren kann (vgl. etwa den aophiBt. Anonymus b. [DemO8th.) 25,15). Herodot erläutert die Eigengesetzlichkeit dea aozialen Bereicbea im Demarat-Dialog an der nicht mit Kategorien der Natur zu erfassenden Kriegstüchtigkeit dea spartanischen Heereaaufgebotes, die nicht eine kumulierte Tapferkeit vieler Einzelkämpfer iBt ' . Die hier bereits erwähnten Parallelen zwiachen Herodot und der I
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NiLheres zum Demarat-Dialog demniich8t im ,.Philologus".
100 Sophistik sind wohl eng genug, um denjenigen zustimmen zu können, die in der berühmten VerflUl81lngsdebatte (3,80ff.) ein geschl0888nes Stück sophistischer Staatslehre sehen wollen 1. Die gegen diese Auff&II8UDg jüngst erhobenen Einwände sind schwerlich gravierend I. Schließlich ist daran zu erinnern, daß zuerst bei Herodot das Wort aoq>umj, nicht nur wie bisher den Fachmann oder Experten bezeichnet, sondern auch den wandernden, selbst lernenden und seine Umwelt belehrenden Weisen. Das paßt zum Bild der Männer, die zu Herodots Lebenszeit sich dieeen Titel selber zulegten. Herodot gibt Solon (1,29) und Pythagoras (4,95) den Sophistennamen, und schwerlich beruht es auf einem Zufall, wenn Iaokratea 100 Jahre später ausführlich erörtert (Antid. 313), ob und warum gerade Solon als erstem der SophistenTitel zukomme. Angesichts aller dieser Erwägungen wird man kaum fehlgehen, wenn man das Auftauchen der Goldenen Regel bei Herodot mit der Sophistik und ihrer Vorliebe für die Formulierung neuer Gnomen in Verbindung setzt. Natürlich gehört Herodot nicht zu den Sophisten, aber er teilt mit ihnen, vielleicht unter ihrem EinfiuD stehend, die Neigung und die Fähigkeit, die latent vorhandenen Grundsätze der Vulgärmoral zu analysieren, ins Bewußtsein zu heben und sententiös zu formulieren. Er gehört zu jenen, auch in anderen Lebensbereichen des späten 5. Jahrhunderts anzutreffenden Rationalisten, denen die Möglichkeit des freien Raisonnements, mit dem man sich über die Anweisungen der Konvention hinwegsetzen kann, bewußt geworden ist. Es reizt ihn wie sie, die Grundsätze, nach denen der common 8On8O zu urteilen pflegt, von allem irrationalen Ballast zu befreien und in eine rational verständliche Form zu bringen, weil man sich von dieeem Verfahren untrügliche Weisungen für ein erfolgreiches und richtiges Handeln versprechen darf. Herodot ha.t sich der Sophistik nicht verschlossen, nur vermag er durch treue Bewahrung traditionagebundener Anschauungen und durch tiefere Einsicht in rational nicht zugängliche Erscheinungen des menschlichen Lebens ein sehr viel reicheres Bild I So zuletzt K. F. 8trobaker, Historia 2, 1953,38111.; J. S.lIrIorrison, CIass. Quart. 35, 1941, 12ft". bat sogar geradezu Protagoras als (literarische) Quelle 8IIfI8Ilommen. I H. Apffel, DieVerC8II8UJlI!IIdebatte beiHerodot, Diaa. Erlangen 1957. Wenn der VerfaMer ernsthaft. glaubt., daß Herodot orientalische (persische) Anregungen zu seinem sta.atatheoretischen Exkurs verarbeitet babe, 80 sei daran erinnert, daß Herodot selbst die Absonderlichkeit dieeer Dialogazene im per. Bischen Milieu hervorhebt (3.80,1 xal iUxfrI
Er.1u Auf/reim
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der sittlichen Wirklichkeit zu zeichnen, als wir es irgendeinem unter den Sophisten zutrauen möchten. So soll es uns nicht befremden, daß wir die Goldene Regel als Beispiel sophistischer Gnomik zuerst bei Herodot und nicht in den - aufs Ganze gesehen sehr spärlichen - Resten der sophistischen Schriftstellerei antreffen. Daß sich die Sophisten mit dem Fragenkomplex, aus dessen Erörterung die Goldene Regel erwachsen sein muß, recht intensiv beschäftigt haben, kann man einer ganzen Reihe von Zeugnissen entnehmen. Die alte, dem common sense genügende Regel, man müsse seinen Feinden schaden und seinen Freunden nützen, müsse Gutes mit Gutem und Böses mit Bösem vergelten, ist von den Sophisten offenbar mit Nachdruck gelehrt worden. Der platonische Somtes muß sie mehrfach widerlegen (s. o. S. 61), und zwar in der Diskussion mit sophistischen Gesprächspartnern (im "Gorgiaa" und im ersten Buche des "Staates"). Daß gerade Gorgiaa an dieser, schon in der früharchaischen Lyrik als Gnome formulierten Regel festhielt, ergibt sich aus Plat. Men. 71E. In der Grabrede (B 6) rühmt Gorgiaa die Gefallenen als v{l(!lenal E~ TOll. v{l(!U1Ta., XOUPWI E~ TOll. xoup[(YI)" und die entsprechende Maxime begegnet uns in den L1wuoi lOyOI (2,7). Es fehlt ferner nicht an ZeugniBBen dafür, daß Sophisten aus dieser MEa TCÖ" no)J.cii" weitere Verhaltensregeln abgeleitet und sich ihrer als Mittel der Argumentation bedient haben. Der Palamedes der vermutlich pseudepigraphen, aber doch wohl aus dem Kreise des Gorgias stammenden Apologie erhebt die auch bei den Gerichtsrednern des 4. Jahrhunderts geläufige Forderung, daß ihm die nichts zufügen dürften, denen er zuvor nichts angetan habe (31). Der Goldenen Regel am nächsten kommt ein Satz aus der Schrift ns(!i op01'ola. des Sophisten Antiphon (B 58): öenl' /JE /J(!aUEI" Ite" oiErat TOll. mÄa. xaxCÖ., mlasa{}al /J' oiI, Oll uW
102 erscheint sie in einer negativen Formulierung, die an die bei Herodot vorliegende F&IIIIUJlg erinnert: ci naaXOVTt<; VIP' hee- &l!i'lt;u",Jt, TaVra TOO. &.Uov. Il~ nou:iTt. Einer bestimmten Situation ist die Goldene Regel im ,,Panegyrikos" (81) und in der Mahnrede an Nikokles (ad Nic. 24) angepaßt: OOTCU' olllk, TciiJo nOAtcu~ ~ Ta.'1nov<;, WlTlUf! 11" Ta. >«!tlnov. ~ Eamm. ~Icbatla<;. Ähnlich ist der Befund in der pseudisokrateischen Mahnrede an Demonikos. Hier beschreibt die Goldene Regel u.a. das rechte Verhältnis zwisohen Eltern und Kindern (14), womit uns der Zusammenhang dieser Maxime mit der alten Vulgärethik besonders augenfällig gelIl&Cht wird, die in der Aufzucht der Kinder seit je eine Vorleistung auf später zu erwartende, vergeltende Wohltaten sehen lehrte (s. o. S. 34). Die Goldene Regel hebt die Bindung dieser Verhaltensvorschrift an das Nacheinander von Tat und Vergeltung auf, ohne jedoch den Bewertungsmaßstab gegenüber der alten Vulgärethik zu ändern. Die Verwandtschaft der schon des öfteren herangezogenen Stelle aus der "Rhetorik" des Aristoteies zur Goldenen Regel (1384 b 3ff.) ergibt sich besonders deutlich aus Demon. 21: Tfl 6' &erfi nae=Ä1JaloJ<; IXT/<; neO<; TOO<; allaeTci"ona<;, wanE(! dll ned. Eamm. allaeTcltIoYra _I TOO<; &.Uov<; IXt,,, ~tcbatta<;l. Was bei Aristoteies
einfache Konstatierung einer menschlichen Verhaltensweise und damit des Schemas einer vulgärethischen Urteilsweise ist, erscheint hier als paränetische Aussage. Die Zugehörigkeit der Goldenen Regel zum vulgärethischen Bereich, in dem der common sense oder die M~a TciiJo nollciiJo die Maßstäbe setzt, ist unübersehbar (vgl. auoh ebd. 38 u. o. S. 38). Daß alle diese Stellen aus Isokrates nicht Zuf&lls- oder Gelegenheitsformulierungen enthalten, sondern als Beispiele für die Manipulation einer bereits geprägten Sentenz gelten dürfen', ergibt sich zunächst einfach aus den Übereinstimmungen im Vokabular. Außerdem aber findet sich die Goldene Regel schon in der äginetischen Rede des Isokrates, in einer Prozeßrede also, die er vor der Eröffnung seiner Schule gehalten haben muß, denn er hat als Schulhaupt und Erzieher späterhin die Erzeugnisse seiner früheren Logographentätigkeit geflissentlich verleugnet (vgl. Aristot. b. Dion. HaI. de Isoor. 18 = fr. 134 R.). Im Aegineticus erscheint die Regel in folgender Form: TOwVTOV<; JAO' yttlea{)a, 6lXaaTa<;, 01_ nE(! d~ aUTO! TVxti~ ~unaalTB (50). Diese Stelle kann zeigen, daß Isokrates die Goldene Regel bereits übernahm, wozu ihr erstes Auftreten bei Herodot vorzüglich paßt. I Diese Formulierung klingt auch bei Lysias (21, 20) &n. I Daß in der rhetorisch·literarischen Tradition der Antike mit unaufhörlicher Geduld geprägte Sentenzen und gelungene Formulierungen nicht nur weiter· gegeben, sondern auch ständig weiter verfeinert und abgewandelt wurden, ist von Morawaki (Abh. Akad. Krakau 2,1 [1892] 38211".) an einigen Beispielen aus der lateinischen Proaaliteratur gezeigt worden.
103 e) Die Goldene Regel in der antiken und der christlichen Tradition Vom 4. Jahrhundert an wird das Vorkommen der Goldenen Regel in der griechischen und dann auch in der lateinischen Literatur so häufig. daß sich eine vollständige Sammlung der Belegstellen erübrigt. Manfindet sie in Sentenzenaammlungen (Sext. Sent. 87ff. Ohadw. ; Pap. Mich. 7.430). bei den Rednern (Demoath. Prooem. 22.3; Liban. or. 21 1 ). den Historikern (Oaas. Dio 52,34/39 in der für die Kaiserideologie bedeutsamen Maecenaa-Rede), in popularphilosophischen Schriften (Xenoph. Cyrup. 6,1,47), in der literarlaohen Epistolographie ([Philipp.] ep. 2.4 p. 462 Herch; Jul. ad Athen. p. 361 Hertl.). in der biographisch-anekdotischen Überlieferung (Diog. Laert. 5.21) und natürlich in der Dichtung (Ovid. ex Pont. 3,1,71). Es zeigt sich, daß die positive Fassung - behandle deinen Nächsten so, wie du selbst behandelt werden möchtest - ebenso beliebt ist wie die negative tue niemandem etwas an, was du selbst nicht erfahren möchtest (z.B. Sext. Sent. 89 [pos. ] ebd. 90 [neg.]). Aber auch der ältere Typus, der die Verwandtschaft der Goldenen Regel zum VergeltungBBchema unmittelbar erkennen läßt (ab alio exapectes alteri quod feceris). bleibt daneben im Gebrauch (Antiph. Soph. B 58; Publil. Syr. 2; Sen. ep. 94.43). Oft liefert die Goldene Regel auch nur die Argumentationsgrundlage. ohne daß dabei ein paränetischer Zweck verfolgt würde. eben weil sie an den common sense. die tMEa TW. nollciW. appelliert. Das gilt etwa für die o. g. Stelle aus dem pseudepigraphen Brief des Makedonenköniga Philipp: nw, 00 &I.&., lrp' or, nat'Mne, 06TOJ, ll'uniaaTe T~ "edaan~, 1M ah~ rpobeaiJe nolOiin~. Zusammenfassend darf man also sagen, daß die Goldene Regel seit dem 4. Jahrhundert zum integrierenden Bestandteil einer in Gnomen formulierten Vulgärethik gehört, die uns allenthalben in der von der rhetorischen Schultradition stärker oder schwächer bestimmten Literatur der Griechen und Römer entgcgentritt. Demgegenüber ist nicht zu übersehen, daß die Goldene Regel in der philosophischen Ethik des 4. Jahrhunderts und des frühen Hellenismus durchaus fehlt. Weder bei Platon und Ariatoteles (von der biographischen Anekdote ·bei Diog. Laert. 5,21 abgesehen) noch in den Fragmenten der älteren Stoiker ist sie nachweisbar. Wo im strengen Wortsinn philosophische Ethik gelehrt wird, wo al'lO die Normen für das rechte Handeln sich nicht aus der communis opinio ergeben. sondern aus der Bemühung um die Erkenntnis des wahren, von den Meinungen der Menschen unabhängigen Seins. hat offenbar 1 .11 ...0. d ..... "IOI'~""' .1 Ta~ pb mJf!' hili"" flJ.dfl"" x<Üm....,;;I'... aolTo,I fJi d, hil!"'" ToVrO :ro.. " de,,;'o0l'n. Vgl. G. Reach. T.U.13, 19011, 132ft".
1M
die Goldene Regel keinen Platz. Jede genauere Analyse ihres Inhaltes wird nämlich ihre Zuordnung zum Vergeltungsprinzip zutage f"ördem, dieses aber ist in den entwickelten Formen einer Individual- und Gesinnungaethik als Kriterium für die Richtigkeit menschlichen Handem gerade außer Kraft gesetzt. Wo jedoch die Lehren philosophischer Ethik einem breiteren Publikum vermittelt werden sollen, wo also philOllOphische und vulgäre Ethik in engere Beziehung zueinander treten mÜ88en und iiberdies die ethisch-pädagogische Theorie beiden eine jeweils genau bestimmbare Funktion im Verlauf des sittlichen Aufstiegs (neo"omj) anweist (vgl. o. S. 915), dort taucht sogleich wieder die Goldene Regel auf. Ihr Inhalt leuchtet dem common sense unmittelbar ein und ihre im Detail variable sprachliche Form geniigt wegen des durch sie ausgedrückten Abstraktionsgrades den intellektuellen und ästhetischen Ansprüchen einer gleichzeitig hochentwickelten und in die Breite wirkenden literarischen Bildung, wie sie die nachkl&llllische Antike auszeichnet. Darum ist es nicht verwunderlich, daß man die Goldene Regel in späteren philosophischen Texten antreffen kann, insbesondere in solchen, die für ein literarisch anspruchsvolles Publikum verfaßt sind wie die Schriften Senecas (de benef. 2,1; ep. 47,11). Die Goldene Regel gehört eben dank ihrer inhaltlichen und formalen Eigenschaften zu jenen Sentenzen, von denen Seneca - wohl im Anschluß an 1'0seidonios - sagen kann, sie müßten durch das Gewicht ihrer Formulierung jedermann ohne weitere Begriindung, also auch ohne die Anwendung philosophischen Grundsatzwissens, unmittelbar einleuchten. Immerhin verdient angemerkt zu werden, daß auch in der Spätzeit eine gewisse Reserve gegeniiber der Goldenen Regel in den philosophischen Texten nicht zu iibersehen ist. Nur einmal, im Kommentar des Simplikios zum Encheiridion Epiktets, wird sie, wie weithin in der jiidisch-christlichen Literatur, zur Summe aller sittlichen Verhaltensvorschriften erhoben (30 p. 87 Dübn.). Wenn sich aber der Stoiker Hierokles (Stob. 4 p. 661 Hense) des Schemas der Goldenen Regel in paränetischer Absicht bedient, dann nicht, um ein faktisches Gleichgewicht der beiderseitigen Handlungen im zwischenmenschlichen Verkehr zu fordem, sondern nur, um die Notwendigkeit zu illustrieren, daß man sich stets in die Lage des Partners versetzen miil!se: mzni xll'1an 1" TE ToV aaVTcW pe" ixeillOll l"eiFOll !Ji aavTo. moiJla{}aJ.. Hierokles drückt damit also nur aus, was auch Mare Aurel iiber das Verhältnis zum Nächsten zu sagen weiß, ohne dabei das Doppelschema der Goldenen Regel zu Hilfe zu nehmen (s. o. S. 71). AUB dem reichen Gnomellllchatz der Griechen, dessen Ausfonnung, Überlieferung und ständige Verfeinerung - wie wir sahen - unter ganz bestimmten literar- und kulturgeschichtlichen Bedingungen
Antike und Christentum
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vor sich ging, hat du Judentum in hellenistischer Zeit die Goldene Regel neben a.nderen Sentenzen iibernommen'. Diese Rezeption erfolgte um so leichter, aJs die Goldene Regel einer dem Judentum seit alters geläufigen Denk- und Urteilsweise den bis da.hin im HebräischAramäischen nicht formulierten, a.däqua.ten Ausdruck verlieh. Dem von uns bereits a.n mehreren Beispielen erläuterten hohen Ansehen der Goldenen Regel im Spätjudentum, wo sie immer wieder zur Summe des Gesetzes erklärt wird, versa.gt auch du frUhe Christentum nicht seine Anerkennung. Die Tra.dition, die von der syna.gogaJen zur christlichen Pa.ränese iiberleitet, ist so kontinuierlich, da.s Gewicht der erprobten und einprägsam formulierten Sentenzen so stark, daß der Unterschied otrenba.r nicht oder nicht mit hinlänglicher Deutlichkeit empfunden wurde, der zwischen der in der Goldenen Regel wirksamen Urteilsweise und den spezifischen Ziigen einer an der Predigt Jesu orientierten Ethik fraglos besteht. Mit za.hllosen Ma.hnungen zur Eintracht, Bescheidenheit, Freundlichkeit und Hilfsbereit&cha.ft, iiber welche die Synagoge verfiigte (vgl. etwa die Pirqe Aboth), iibernahm die frühe Kirche im Verlauf ihrer aJlmä.hlichen Ema.nzipation aus den Bindungen an da.s Judentum auch die Goldene Regel. Angesichts dieses Vorga.nges ist es müßig zu fragen, ob jemals die Goldene Regel aus dem Hebräischen oder Aramäischen ins Griechische riickiibersetzt wurde, denn sie wa.r, wie wir sahen, dem Judentum griechischer Zunge ebenso vertraut wie dem des semitischen Spra.chgebietes. Die christlichen Gruppen, die sich im Verlauf des ersten Ja.hrhunderts allenthaJben im Ra.hmen bestehender Synagogen-Gemeinden zu formieren bega.nnen, brauchten keine sprachlichen Ubertra.gungen vorzunehmen, um die Goldene Regel ihrer Pa.ränese zu erhalten. So ist sie auch späterhin in syrisch-christlichen Texten ebenso a.nzutretren wie in den griechisch-lateinischen der Väterzeit. Als sicher kann nur folgendes gelten: Seit die christliche Bildung88chicht sich aus Kreisen zu rekrutieren bega.nn, denen die philosophisch-litera.rische Bildungstra.dition der heidnischen Antike selbstverständlicher Besitz wa.r, blieb nicht verborgen, daß sich die Goldene Regel in der rhetorisch-vulgärethischen Tra.dition und in der jiidisch-christlichen Pa.ränese einer durchaus gleichen Schätzung erfreute. Ein spätes Zeugnis dieser Einsicht findet sich in den Fragmenten des Kommentars zum Matthäus-Eva.ngelium, den Photi08 unter Benutzung der älteren Exegese verfaßte (Phot. in Matth. 7,12 b. ReU88, T. U. 61, 1957, 283): Photi08 erklärt die Goldene Regel als ein Stuck ..na.tiirlicher", d. h. aJlen Menschen gemeinsamer Moral und &usdriicklich nicht als 1 "Ober den Zusammenhang der jüdisch·christlichen Tradition mit einem verwandten Bereich des literarischen Lebens der Antike unterrichtet A. Ehrhardt, Greek Proberva in the Gospel (HBrv. Theo\. Rev_ 46, 1953, 59ff.).
106 spezifisch christlichen '/10140'. Dieselbe Auffassung hinsichtlich der Goldenen Regel in Mt. 7,12 hat schon Origenes vertreten, wie aus einem leider sehr kurzen Katenenfragment seines Matthäus-Kommentars (fr. 142 Klosterm. = Griech. ehr. Schr. 41,72) hervorgeht. Die christlichen Exegeten unterscheiden sich mit dieser Meinung nicht von der philosophischen Tradition, welche die Goldene Regel gleichfalls unter die ayeaq;a EIhJ xal 'IIop'pa 1 rechnet, die allen Menschen auch ohne philosophische Einsicht geläufig sind und darum innerhalb der moralischen Unterweisung in den TOno' vnoDETuro, (s. o. S. 95) gehören (Philo, hypotet. b. Euseb. praep. ev. 8,7,6). Ganz Entsprechendes gilt für die Parallele zwischen Lact. inst. 1,16,10 und Sen. ep. 94,43 (vgl. PubliI. Syr. 2), wo überall die der Goldenen Regel eng verwandte Maxime "ab alio exsp8Ctes alteri quod feceris" in derselben Weise klassifiziert wird". Die frühsten christlichen Beispiele einer Verwendung der Goldenen Regel finden sich schon bei den Synoptikern (s. u. S. 109). Und wie sich die rabbinische Orthodoxie in ihrer Vorliebe für die Goldene Regel nicht von den jüdischen Sekten unterscheidet, so begegnet uns diese Maxime auch bei Vertretern aller christlichen Richtungen und Sekten. Die folgende Liste enthält eine Reihe von Stellen, an denen die Goldene Regel in positiver oder negativer Fassung vorliegt. Sie kann, ohne irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, die ungemein weite Verbreitung der Goldenen Regel im frühen Christentum iJIustrieren·. 1 Noch Erasmus bezeichnet in der Schrift vom Freien Willen die Goldene Regel als den Inbegriff "natürlicher", allen Menschen gemeinsamer Ethik. Vg!. dazu W. Rüegg, Cicero und der Humanismus, Zürich 1946, 116. I Die Aufdeckung wirklicher oder echeinbarer Übercinstinlmungen zwischen jüdischer bzw. christlicher und griechisch·philosophischer Lehre als exegetische oder apologetische Methode hat eine lange, weit in das hellenistische Judentum zurückreichende Geschichte. Bei Philon etwa begegnet die Erklärung biblischer Gesetze, Namen und Erzählungen als verschlüsselte, aber vollkommene Mitteilung solcher Wahrheiten, welche die Philosophie erst spät und unvollkommen beschrieben habe, auf Schritt und Tritt (z.B. die Erklärung des Namens Isaak mit der nlndfe,o der xaed de mut. nom. 131 u. a.l. Daneben gilt das Bemühen christlicher Exegeten dem Nachweis, daß Aus.oagen biblischer Texte trotz ihres abweichenden sprachlichen Ausdrucks mit philosophischen Lehren identisch eeien. So identifiziert beispielsweise Origenes die TIm"~7j mit der d",rpIa oder /JST/lm7j. der philosophischen Ethik, Klemens von Rom mit der lyx/l.nelAJ. Di..... Verfahren erwies sich oft deshalb als nötig, weil der biblische Ausdruck eehr wenig attraktive Vorstellungen bei Leeem hervorrief, denen der philosophische und gegebenenfalls auch nur der allgemeine griechische Sprach. gebrauch geläufig war: TwrO'.o. bedeutet inl nonnalen Griechisch bekanntlich soviel wie ,,niedrig, knechtisch, verächtlich, unwürdig". Näheres hierüber Reall. f. Ant. u. Christt. 3,755ft". • Zur Ergänzung der Liste eei auf die Stellen christlicher Herkunft ver· wieeen, die auf den ersten Seiten dieeer Abhandlung zitiert wurden.
107 Didache 1,2 - neg. 1 Didasc. 1,1 und Const. Apost. 1,1 - neg. Epist. Apost. 18 Duens. - neg. Theophil. ad Autolyc. 2,34 - neg. Ev. Thom. (gnost.) log. 6 - neg. lust. Dial. 93,1 - pos. Aristid. Apol. 14,4f. - neg. Tert. adv. Marc. 4,16 - pos. u. neg. Iren. adv. haer. 3,12,14 neg. Bar Daisan, Iib reg. 11 Nau - pos. u. neg. C1em. Alex. Paed. 3,88, 1 - pos. Clem. A1ex. Strom. 2,139,2 - neg. Gypr. ad Quirin. 3,19 - neg. A1tercatio Sim. et Theoph. (T. U. 1,3 p. 28) -neg. Lact. inst. epit. 55,3-neg. Ps. Clem. homo 7,4; 11,4 - pos. Ps. Clem. Recogn. 8,56·- neg. loh. Chrys. in Matth. homo 23 (P. G. 57,314) - pos. Hieron. in Matth. comm. 1,8 (P. L. 36,47)-pos. Hieron. ep.121,8, 12-neg. August. enarr. in Ps. 35 serm. 1,34 - neg. in Ps. 51 serm. 10, 22f. - pos. .. .. in Ps. 57 serm. 1,8-neg. Rabbula b. Overbeck, S. Ephraemi opera select& p. 241 - neg. lnscr. lat. christ. 476 Diehl- neg. Salv. de gubem. dei 3,25 - pos. Martin. Brac. de corr. rust. 17 - pos. u. neg. Es verdient endlich einen besonderen Hinweis, daß es auch viele Zeugnisse für die Beliebtheit der Goldenen Regel in gnostischen Kreisen gibt. Obwohl die Gnosis in fast allen ihren Richtungen eine deutliche Abneigung gegen traditionelle Ethik zu erkennen gibt und obwohl einige ihrer Vertreter gerade den Grundsatz der vergeltenden Gerechtigkeit auf das schärfste ablehnen (s. o. S. 78), hat sich die Goldene Regel auch bei ihnen als Element der Paränese durchsetzen können (Ev. Thom. log. 6; R. Ginza 2,1,65 b. M. Lidzbarski, Quellen zur Religionsgeschichte 4,13, Göttingen-Leipzig 1925, S.38,32; Manichäischer Turfan-Text bei F. C. Andreas-W. Hennig, Mitteliranische Manichaica = S. Ber. Ak. Berlin 1934, 854)1. Angesichts derradikalen, I Zur Verbindung der Goldenen Regel mit dem ZweiwegMChema (und dem Liebeegehot) vg\. A. Seeherg, Die heiden Wege und das Aposteldekret, Leipzig 1906. I Nur am Rande aei vennerkt, daß die Goldene Regel auch in der ialamiachell Tradition geachtet wird, in die sie natürlich aus dem Judentwn oder dem
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Die Goldene &gd
zu strengeter Askese oder zum Libertinismus führenden Konsequenzen, die fast alle Gnostiker aus ihrem dualistischen Weltbild ziehen und die die theoretische Neubegründung einer differenzierten Alltagsethik anders als im orthodoxen Christentum erschwert haben, ist die Beibehaltung der Goldenen Regel nur noch bemerkenswerter. Bar Daisan freilich, bei dem sich die Goldene Regel ebenfalls findet, unterscheidet sich gerade in der Ethik, soweit man sie aus dem Liber regionum ableiten kann, ganz erheblich von allen sonst bekannten gnostischen Systemen. Die Beliebtheit einer so einprägsam und knapp formulierten Regel ist schon deshalb verständlich, weil das von ihr anempfohlene Handeln sich normalerweise keineswegs in Widerspruch zu setzen braucht zu den Prinzipien der jeweils neuen - philosophischen oder christlichen Ethik, in deren Zusammenhang sie sich behauptet. Weder die überzeugung, jede Handlung gewinne ihren sittlichen Wert aus der ihr zugrunde liegenden rechten Verf888UDg der Seele, noch das Gebot, sich dem Nächsten in allem Tun unterzuordnen, wird mit der Goldenen Regel unter den üblichen Lebensumständen in Konfiikt geraten. Wohl aber verstößt es gegen die Prinzipien sowohl der philosophischen als auch der christlichen Ethik, wenn man in übereinstimmung mit der Vulgärmeinung eine Handlung deswegen für sittlich gut erklärt, nur weil sie der Goldenen Regel entspricht. Einen solchen Widerspruch aber muß man in allen Fällen gerechterweise notieren, in denen die Goldene Regel von philosophischen oder christlichen Autoren zum Inbegriff sittlich guten Hande1ns erhoben wird. In die rabbinische Ethik fügt sich diese Einschätzung der Goldenen Regel weit besser ein, denn sie ist trotz aller ihrer Mahnungen zu Verzeihung und Nachgiebigkeit stärker als die christliche und die griechisch-philosophische am Prinzip der vergeltenden Gerechtigkeit orientiert. Wenn also Hillel die Goldene Regel zur Summe des Gesetzes erklärt oder der Targum Jeruschalmi das die Vorschriften der Tora zusammenfassende Nächstenliebegebot aus Lev. 19,18 mit der Goldenen Regel umschreibt, ist damit der Boden spätjüdischer Ethik nicht verlassen. Anders aber muß man urteilen, wenn in christlichen Texten (Did. 1,2; Bar Daisan, lib. reg 11; Ps. C1em. homo 7,4; Joh. Chrys. homo 23 ad Mt. 7,12; Lact. inst. 6,23,32 -epit. 55,3; Martin Brac. de corr. rust 17) die Goldene Regel zum Leitfaden oder zum allgemeinen Wertmaßstab für alles Christentum eingedruDgen ist. So steht in der TraditionensammJuug des 811· Nawawi (Arb 'jna haditan Nr. 13): "Von Abü Hamza AllaH ibn Malik. dem Diener des Propheten: der Prophet hat s-gt: Niemand von euch ist gläubig, wenn er nicht seinem Bruder du wünscht. was er sich aelbort. wünscht." ("Ober. aetzuug bei A. Bertholet, ReligioDSpIIChichtliches Leoebuch, Tiibingen 1931. H. 18, 8. 18). Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Caraten Colpe.
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sittliche Handeln erklärt wird. So wenig man deIVtige AUlI8agen überinterpretieren aollte, da den Autoren vielleicht nur daran lag, eine erprobte und durch Mt. 7,12 in ihrer hohen Wertachätzung gesicherte Fauatregel recht nachdrücklich zu empfehlen I, 10 sehr bleibt doch festzuhalten, daß sich in deIVtigen Äußerungen du Gewicht einer Maxime geltend macht, die, dem Vulgärbewußtaein entstammend wld an d&888lbe appellierend, aber in eine einprägsame Form gekleidet, Bich gegenüber den Prinzipien einer neuen, tiefer begründeten Sittlichkeit durchzusetzen vermag". Das sehr bezeichnende Mißverständnis, du wohl alle älteren Exegeten der Lukas-Perikope 6,27ft'. im Hinblick auf die dort vorkommende Goldene Regel teilen, wird WlB noch beschäftigen. f) Die Goldene Regel und das Nächstenliebegebot Die Goldene Regel Bteht, wie wir sagten, a1B allgemeine Verhaltensregel und moraliBcher WertmaßBtab in einem gewiB88n Gegensatz zu den Grundsätzen philoaophiBcher und christlicher Ethik, nicht jedoch im Hinblick auf ihre Auswirkungen, wenn Bie a1B praktische Einzelvorschrift befolgt wird. Anders liegen die Dinge bei der Forderung, seinen Nächsten wie sich selbBt zu lieben, die wir verschiedentlich mit der Goldenen Regel verknüpft fanden ", die aber in allerlei Abtönungen erheblich früher auftritt alB die Goldene Regel. EB Bei 1 Auch die AuffBllB1lllg, die Goldene Regel sei Ausdruck einer "natürlichen", allen Menschen gemeinsamen, nicht aber spezifisch christlichen Sittlichkeit, die, wie wir aahen (0.8. I06f.) in der frilhchriatlichen Bibele"egeae vertreten wird, konnte immer bis zu einem gewissen Grade ihr Vorkommen im N. T. recht· fertigen. I Jedenfalls aber steht eine solche Hocbschätzung der Goldenen Regel in Widerspruch zu der energischen Zurückweisung des Vergeltungsprinzips auch als Motiv des Wohltuns - , die in christlichen TeJ:ten nicht selten formuliert winl (z.B.Ps. C1em. hom.12,21111'.). Diese Ablehnung geht zu....i1en so weit, daß Gregor von Nazianz (or. 18,20 P. G. 311, 1009) und andere (vgl. C. Bocker, Rea\1. f. Ant. u. Chriatt. s. v. Cicero 8p. 110 u. 114) im Gegensatz zu den Lehren der meisten philosophischen Schulen es ('Ur unzuliiaBig erklären, beim Erweisen einer Wohltat auf die Würdigkeit des Empfängers zu achten. (Zur ganzen Frage vgl. J. Kabiersch, Untersuchungen zum Begrift' der Philanthropia bei Kaiser Ju1ian, Wiesbaden 1980, 4311'.) Verwandt ist eine Sentenz des schon mehrfach zitierten neupythagoreischen Gnomologiums (104 CI1adw.): Toii alt"IT'" pt! mn:A a. mztlau dxdcllfIT'" """"',"". Im übrigen gibt es auch in christlichen TelaGTw tj ikrjpomm, fIOV Td, X.~ fIOV, ,.AXe&' a. "..;;" Tl.. ~. Vergleichbar Ps. Phocyl. 1112, also ein Stück jüdischer
.1,
Parineae. I
Z. B. Did. 1,2; C1em. Al8l<. Paed. 3,88,1 u. a_
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nur &Il Lev. 19,18 erinnert. Dieses Gebot fügt sich den Begriffen und Anschauungen einer dlWl VergeltungBBchema verneinenden Ethik offenbar leichter als die Goldene Rege}1. Die Gemeinsamkeit zwischen dem Niichstenliebegebot und der Goldenen Regel liegt offenbar darin, daß beide dem Menschen ein Verhalten &Ilempfehlen, das dem am eigenen Fühlen und Verstehen gemeBBenen Bedürfnis des Partners entspricht. Beide Regeln betonen allerdings auf verschiedene Weise - die Gegenseitigkeit im zwischenmenschlichen Geschehen. Beide befehlen dem handelnden Subjekt, die gegebene Situation mit den Augen des Partners anzusehen und sich in die Rolle des affizierten Objektes zu versetzen. Aber gerade an diesem Punkte wird auch der Unterschied zwischen den beiden Geboten deutlich. H&Ildelt es sich beim Niichstenliebegebot darum, dem Menschen in Erinnerung zu rufen, daß der Andere auf genau das Maß &Il Zuneigung Anspruch erheben darf, das der Mensch sich selbst entgegenzubringen pflegt, mißt die Goldene Regel das rechte Handeln an den billigerweise zu erwartenden Gegenhandlungen des Anderen. Die Goldene Regel ist also einerseits komplizierter und nur auf Grund einer längeren Reflexion zu formulieren, insofern sie nicht einfach dazu auffordert, den Nächsten als Objekt der Zuneigung &Il die Stelle des Ich zu setzen, sondern von der Vorstellung ausgeht, der gute Gleichgewichtszust&lld zwischen den Menschen werde nur durch eine genaue Vergeltung jeder Leistung hergestellt, und von da aus jedes rechte Handeln im voraus berechnet. Auf der anderen Seite aber gehört die Goldene Regel einer früheren und primitiveren Schicht des sittlichen Bewußtseins &Il als das Nächstenliebegebot in seiner allgemeinen Form. Sie beruht, wie gezeigt wurde, auf der Vorstellung, es müsse notwendigerweise stets ein Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung, Tat und Vergeltung stattfinden. Das Nächstenliebegebot haftet demgegenüber nicht am Vergeltunguchema, nicht am Bedürfnis, den sittlichen Gleichgewichtszust&lld im Faktischen verwirklicht zu sehen. Es kann zum Ausdruck einer reinen Gesinnungsethik werden, weil es die zwischenmenschlichen Beziehungen im Bereich des Faktischen vernachlässigt und ein Maß nur für die rechte Zuneigung des Herzens setzt. Um sich den hier beschriebenen Unterschied zu vergegenwärtigen, braucht m&ll nur einmal das Nächstenliebegebot und dann die Goldene Regel neben das sittliche Gebot der Feindesliebe zu halten. Im ersten 1 Das NäcbsteDliebegebot ist eben darum der philosophischen und außer· philosophischen Ethik der Griechen ebenso bekannt wie der des Judentums. Vgl. dazu außer den u. S. 117 zu besprechenden Stellen etwa Iambl. vit. Pyth. 29 und Protrept. 2.. Beidee zitiert schon der bis heute nicht völlig ersetzte Kommentar von Wetetein zu Mt. 22,36ff.
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Fall wird m&ll zwar den materialen Unterschied zwischen heiden Regeln nicht übersehen, indessen sohwerlich gezwungen sein, in eine andere Kategorie des sittlichen Bewußtseins umzudenken. Im zweiten Vergleich zeigt sich aber, daß durch das Gebot der Feindesliebe gerade der Maßstab, der in der Goldenen Regel die Richtigkeit des Tuns oder Unterla.ssens sichtbar werden läßt, seine Gültigkeit verliert. Die vernünftiger- oder billigerweise zu erwartende Gegenhandlung des Partners scheidet beim Feindesliebegebot ja gerade als Größe aus dem moralischen Kalkül aus. Mit dem Gebot der Feindesliebe ist, noch radikaler als im Nächstenliebegebot, jede an der Vorstellung vom faktischen Ausgleich orientierte Sittlichkeit bestritten. Berücksichtigt man die hier beschriebenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Goldenen Regel und dem Nächstenliebegebot, wird es nicht verwundern, das letztere sowohl erheblich früher formuliert als auch späterhin in engerer Nachbarschaft zur philosophischen und christlichen Gesinnungsethik zu finden. Als Element reiner Gesinnungsethik wird m&ll es auch nicht eigentlich der Vulgärethik zurechnen dürfen, sofern wir für diese ein Haften am Bereich des Faktischen als wesentliches Kriterium bezeichnen. Ob das NächBtenliebegebot allerdings wirklich als Element einer Gesinnungsethik betrachtet werden darf, hängt davon ab, in welcher Weise der Begriff des Nächsten definiert ist. Ist der Nächste lediglich der Angehörige derselben sozialen Gruppe, innerhalb deren eine feste, ganz im Faktischen verwurzelte Interessengemeinschaft besteht, drückt das Nächstenliebegebot nur die lebensnotwendige Solidarität innerhalb des Stammes, Staates oder der Religionsgemeinschaft aus und hat mit Gesinnungsethik nichts zu tun. Sein notwendiges Komplement ist in diesem Fall die Anweisung, den Feind zu hassen oder zu schädigen, wie wir es schon bei Archilochos lesen. Es ist bekannt, mit welchem Nachdruck Jesus in LC.10,25ff. (vgl. Mc. 12,31; Mt. 22,39 u. 19,19) das Nächstenliebegebot aus Lev. 19,18 als Summe aller rechten Verhaltensvorschriften bezeichnet hat, in übereinstimmung mit R. Akiba (2. Jh. n. ehr.) und anderen Lehrautoritäten der rabbinischen Tradition 1. Besondere Bedeutung für alle spätere Ethik gewinnt diese Lukas-Perikope aber dadurch, daß das Gleichnis vom Barmherzigen S&mariter grundsätzlich allen Menschen, in diesem Fall dem Angehörigen einer von der jüdischen Orthodoxie verabscheuten Sekte, den Rang des Nächsten zuerkennt und jegliohen Exklusivitäts&nspruch einer wie auoh immer abgegrenzten oder bevorzugten Gruppe verneint. Mit der Ausdehnung auf das Verhältnis zu allen Menschen, die für das Spätjudentum nicht selbst1
Vgl. Strack.BilIerbeck zu Le. 10,2711".
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verBtändlich war', gewinnt das Nächstenliebegebot in der christlichen Tradition jene humane Weite, die ihm auch in der philosophischen Ethik des Hellenismus eignet, wo seine Formulierung indessen unter anderen Voraussetzungen zustande gekommen ist (s. u.
S. 118). Aus inhaltlichen Gründen wird man die Interpretation, die Lev. 19,18 in Lc. 10,2511. erfährt, einer sehr alten, an die Wirksamkeit Jesu unmittelbar &Il8Chließenden Schicht der synoptischen Tradition zuschreiben, was aus formalen Gründen, insbesondere wegen der unlöslichen Verknüpfung des Zitates mit dem Bericht über Jesu Disput und dadurch mit der G1eichniserzählung, auch schon länget geschehen ist. In ähnlicher Weise aber stimmen innere und formale Kriterien auch bei einer Beurteilung der Goldenen Regel in Mt. 7,12 überein. Die Goldene Regel steht dort in einer Kette locker aneinandergefügter, z. T.längerer, z. T. kürzerer und gnomisch zugespitzter Lehren und Mahnungen, in der sich spezifisch christliches Gut mit Elementen traditioneller, synagogaler Paränese mischt. R. Bultmann (Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 11957, 107) hat bereite die schwerlich zu widerlegende Folgerung gezogen, daß die Goldene Regel in diesem Zusammenhang nur als Element traditioneller, nicht notwendigerweise auf die Predigt Jesu zurückzuführender Paränese zu verstehen sei. Es wird sich wohl niemals mit völliger Sicherheit ausmachen lassen, in welchem Umfang die Predigt des historischen Jesus derartige Elemente enthalten hat oder ob ihr Auftreten in den synoptischen Texten awmahmel08 der frühen Gemeindetradition zuzuschreiben ist, die verständlicherweise genuine Jesus-Worte mit erprobten und allgemein gutgeheißenen Lehren der synagogalen Unterweisung verband. Im Falle der Goldenen Regel in Mt. 7,12 darf man jedoch soviel sagen, daß der hinzugesetzte Hinweis, sie enthalte die Summe des Gesetzes und der Propheten, eher die Anschauungsweise des Spätjudentums als den Geist echter Jesue-Logien verrät. Zwar widerspricht ein Handeln na.ch der Goldenen Regel nicht den Verhaltensweisen, die sich aus Jeeu Lehren vom Menschen und seiner Situation in der anbrechenden Endzeit herleiten. Aber nie könnte auf Grund des Neuen, bis dahin nicht Gesagten, was die Predigt Jesu enthält, die Goldene Regel zum Inbegriff guten Handelns erhoben und aus ihr alle Maßstäbe für die sittliche Bewertung einer Handlung gewonnen werden. Die nächste Parallele zu Mt. 7,12 ist und bleibt jene HillelAnekdote des Talmud (Schab. 31 a), mit der wir unsere Betrachtung begannen, und daß man die positive F&88Ung der Goldenen Regel nicht , lfaD d8llke etwa an die Äußerungen einee tieren ~ gegen alle Außen· stehenden, die sich im Schlußpealm der Sektenregel von Qumran ebeulo finden wie im Achtzelmgebet (12) der S)'IlII8088.
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als spezifischen Ausdruck christlichen Denkens (im Gegensatz zur negativen) in Anspruch nehmen darf, wurde bereits mit dem Hinweis auf ihr Vorkommen bei IsokrateB, CaBllius Dion und im slavischen Henoch-Buch begründet. In Lc. 6,31 liegen die Dinge anders. Zunächst erscheint die Goldene Regel hier durchaus nicht mit dem Anspruch, die Summe des Gesetzes zu sein. Vielmehr steht der Vers im Zusa.mmenhang einer längeren, in sich geschlO8Benen Paränese, die von V. 27 bis V. 36 reicht und deren Einzelforderungen sämtlich mit Ausnahme des V.31 im Geiste des zweimal, 110m Anfang (V. 27) und 110m Ende (V. 36), formulierten Gebotes der Feindesliebe erhoben werden. Immer wieder ruft diese Rede dazu auf, das Verhalten gegenüber dem Nächsten gerade nicht danach einzurichten, wu man von ihm erwarten muß; man soll vielmehr für den Verfolger beten, die andere Wange nach dem empfangenen Schla.g a.uf die erste hinhalten, Geraubtes nicht zurückfordern usw. In dieser Umgebung nimmt sich die Goldene Regel recht seltsam aus, und noch seltsamer ist es, wenn in den V. 32-34 ein Verhalten, du dcr Goldenen Regel in V.31 durchaus entspricht, umständlich beschrieben und als Handlungsweise der Sünder kla.ssifiziert wird. Es heißt dort (32-34), daß nichts Besonderes da.ran sei, wenn man seinem Wohltäter wohltue, seinen Freund liebe etc., denn da.s täten auch die Sünder'. Es gelte vielmehr, so fährt der V.35 nach dieser Vorbereitung fort, seine Feinde zu lieben. Da.s neue Gebot erscheint also vor dem Hintergrund einer Vorstellungsweise, für die schon das Wohltun an dem Freund, von dem man Wohltaten erfahren hat oder erwarten darf, als sittlich gut oder verdienstlich gilt. Der Sinn dieser Aussa.gen kann natürlich nicht der sein, die Freundesliebe zu verbieten, weil sie auch den Sündern eiguet, sondern nur der, daß dieser aus der M~a TWV noJJ.ciw hergeleiteten Verhaltensweise kein sittlicher Wert beizumessen sei. (Dabei ist für die Predigt Jesu das, wa.s wir hier mit dem Ausdruck ..sittlicher Wert" bezeichnen, durch die Erfüllung eines göttlichen Gebotes konstituiert.) Der Anstoß, den wir an der Goldenen Regel in Lc. 6,31 genommen haben, verschwindet sofort, wenn wir die Worte xa{)tlJ, {)Ah:rll lva nolCÜall' vp.ip ol ö,I1IJewrol, noIBiTIl miTo~ op.olw, nicht als Aufforderung, sondern nur als Feststellung der üblichen, in den V. 3234 näher erläuterten Verhaltensweise aller Menschen ansehen, wenn also nOlBiTIl nicht als Imperativ, sondern als Indikativ aufzuf8088en ist. Dann enthalten die V. 31-34 lediglich eine Beschreibung jenes 110m , In der (vennutlich älteren) Fassung dieser Aussage bei Mt. 5,47 sind es die nicht die dpO{!TwÄDl, deren Handeln vom Prinzip der Gegenseitigkeit gelenkt ist. Zur Struktur der parallelen Perikopen vgl. R. Bultmann., Die Gesch. d. synopt. Tradition, Göttingen "1957, 82ft'. ~,xol,
8 7881 DIhIo, 0 0 _ BepI
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Grundsatz der Vergeltung im Guten orientierten Verhaltens, das gemeinhin, also auch unter den a/lOQTwAol, als sittlich gut angesehen wird und dem nun in der Predigt Jesu das Gebot der Feindesliebe, die BÖ8e8 mit Gutem vergilt, als neue Kategorie religiös-sittlicher Wertsetzung entgegentritt. Der V. 31 wäre damit aus der Zahl der Gebote oder Forderungen, die diese Perikope enthält, zu streichen, so daß nur solche übrigbleiben, die dem Geiste des Gebotes der Feindesliebe entsprechen. Die alte und die modeme Bibel-Exegese' hat den V. 31 wohl stets als Aufforderung verstanden. Das ist nicht merkwürdig, wenn man bedenkt, daß die christliche Paränese bereits in frühester Zeit die Goldene Regel mit naiver Selbstverständlichkeit aus dem Sentenzenschatz ihrer jüdischen und hellenistischen Umwelt iibemommen hat. Angesichts der zahllosen Parallelen aus der biblischen, spätjüdisohen, griechisch-römischen und christlichen Literatur, unter denen sich eine so gewichtige Stelle wie Mt. 7,12 befindet, lag nichts näher, als auch Lc. 6,31 im Sinne eines Gebotes zu verstehen. Dazu kommt, daß jedem Leser synoptischer Texte die Aufreihung lctirzerer, inhaltlioh nioht immer zusammenhängender AUBBagen und Mahnungen geläufig sein mußte, das Auftreten einer bekannten imperativischen Sentenz in einem nicht genau passenden Zusammenhang also nicht unbedingt zu befremden brauchte. Akzeptiert man aber unsere Interpretation des Verses, wird ohne weiteres deutlich, wie hier das Handeln nach altem vulgärethischem, letztlich am Vergeltung88chema orientierten Grundsatz zwar nicht verboten, aber durch das neue Gebot der Feindesliebe sittlich abgewertet wird". Unsere Erwägungen finden eine gewisse Bestätigung in einer anderen Stelle der synoptischen Evangelien, an der das Gebot der Feindesliebe erscheint. Mt. 5,43f.: 'H"oVUaTli ÖTI E(!eHh/· dyamjue" Tm. nA'IUUw uov HaI /llfniue" Tm. Erft(!lw uov. Erw 66 Uyw t5/li.. • dyanäTe ToV, EX{)(!mi. t5/liiw !(TA. In Lc. 6,35 führte der Weg zum Feindesliebegebot über die Feststellung, daß man normalerweise seine Freunde • Das Unbehagen der Exegeten zeigt sieh in den Worten von E. Kloster. mann (Das Lukasevangelium -Hdb. z. N. T. - Tübingen "1929, 81): "DiBBer Spruch, der auch bei Mt. 7,12 nicht an gesichertem Platz steht, muß hier dazu dienen, die Verhalterumegoln gegenüber den Feinden zusammenzuf888en, was die Nuance 01 iiv8eO):no, etwas erleichtert. Gegenüber der Mt.Fassung fällt das Fehlen der Beziehung auf das A. T. auf." DiBBe Auslegung paßt schlecht zu den folgenden Versen, die das Verhalten nach der Goldenen Regel explizieren und disqualifizieren. Vgl. auch P. Dausch, Die drei älteren Evangelien, Tillmanns Kommentar zum N. T. Bann' 1932, 4&. I Das Gebot der Feindesliebe bietet ein anschauliches Beispiel für das Prinzip der Tara·Verschärfung, das sieh in den verschiedenen Bereichen der spätjüdisch. frühchristlichen Walt auf jeweils verschiedene Weise und mit verschiedener Motivierung Geltung verschafft. Grundlegend hierzu H. Braun, Spätjüdisch· haeretischer und frühchristlicher Radikalismus, 1/2, Tübingen 1957.
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liebe. Der Ton lag dementspreohend darauf, daß man nunmehr seine Feinde (und nicht nur seine Freunde) lieben BOlle. Mt. 5,43 dagegen bezeiohnet die Vergeltung im Guten wie im Bösen, &Iso nicht nur die Vergeltung im Guten, als Prinzip der bislang geltenden Sittliohkeit. Darum liegt der Akzent im folgenden Feindesliebegebot darauf, daß man seine Feinde lieben (und nioht hall8en) BOlle. Nun war, wie wir zeigen konnten, die Vergeltung im Bösen als Element einer auf Reflexion beruhenden und verantwortungabewußten Paränese in Jesu engerer und weiterer Umwelt bereits seit langem bis auf gewisse Spuren verschwunden. PaulUB kann sich mit dem Verbot, Böses mit Bösem zu vergelten (Rom. 12,17) schon auf Provo 20,22 (vgl. auoh Prov. 3,4 LXX) beziehen. An die Stelle der Vergeltung im Bösen war die Verzeihung als das nach sittlichen Maßstäben rechte Handeln getreten, mochte sich auch der Drang nach Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Faktischen durch Rache und Vergeltung damals wie heute in der Praxis oft genug Raum verschaffen. Es war deshalb auch den Bibelexegeten bis vor kurzem unmöglioh, in der biblischen oder spätjüdiBchen Literatur oder in der popularphilO8Ophischen Paränese eine Stelle nachzuweisen, auf die sich das Logion Mt. 5,43 unmittelbar beziehen kann, das ja den Haß gegen die Feinde als formulierte Vorschrift (7}xot!aan 8n ieeiihJ) voraUB8etzt. Stellen wie Ps. 119,113 oder Ps. 139,21 reden zwar vom Haß gegen die Feinde JahweB, beziehen sich aber nioht geradezu auf die zwischenmenschlichen Beziehungen in ihrer Gegenseitigkeit wie das in Mt. 5,43 parallel gesetzte Nächstenliebegebot aUB Lev. 19,18. Dasselbe gilt für Stellen wie Ps. 91,8, die von der Genugtuung über die duroh Jahwe vollzogene Bestrafung der "Gottlosen" reden. Und im tlbrigen ist dem nachexilischen Judentum durchaUB schon das Feindesliebegebot als formulierte Vorschrift bekannt (Prov. 25,21; vgl. o. S.44). Man versteht darum die Bereitwilligkeit, mit der viele Gelehrte nach dem Bekanntwerden der Sektenschrift von Qumran deren Anfang als den Text heranzogen, auf den sich Mt. 5,43 bezieht. Es steht dort (1,9) anläßlich der Bedingungen zur Aufnahme in die Sekte das Gebot, auf das sich der Initiand verpflichten muß, die Kinder des Lichtes zu lieben und die Kinder der Finsternis zu hall8en 1. Daß mit den Kindern des Lichtes die Sektengen088en, &Iso Freunde, mit den Kindern der Finsternis die grundsätzlich als Feinde betrachteten Außenstehenden gemeint sind, ergibt sich aUB anderen Teilen der Qumran-Literatur, z. B. der BOg. Kriegarolle, mit aller wtlnBChenswerten Deutlichkeit. • Zur allgemeinen Information aei auf die beiden Arbeiten von Miliar Burrowa hiDgewieaen (Die 8cbriftrollen vom Toten Meer, München 19117; Mehr Klarheit über die 8chriftrollen, München 19118; dort 8. 88C. zur oben angeschnittenen Frage) •
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Der Haß und die Liebe, die hier gefordert werden, begründet die Sektenschrift ausführlich mit der göttlichen Strafe bzw. dem göttlichen Lohn, den die beiden unterschiedenen Menschengruppen in der Endzeit zu erwarten haben. Die VerhaltensweillO der Gläubigen gegenüber den Menschen soll aIao in Haß und Liebe nichte als ein Spiegelbild der bevorstehenden göttlichen Vergeltung im Guten und BÖ&en sein. Ohne irgendwelche Ergebni88e der inzwischen hochspezialisierten Qumran-Forschung vorwegnehmen zu wollen, darf man daher im Rahmen un&erer Untersuchung folgenden Zusammenhang für sinnvoll halten: Der alte, bis heute dem unkontrollierten Bewußt&ein der Menschen gegenwärtige Grundsatz, nicht nur Gutes mit Gutem, sondern auch ßÖ&es mit BÖ&em zu vergelten, d. h. aber den Freund zu lieben und den Feind zu ha88en, d_n erster Teil allein in der auf Reflexion beruhenden Paräne&e zu Jesu Zeit übriggeblieben war, erhielt in dem übersteigerten Erwählungsbewußt&ein eschatologisch orientierter Sektierer in lIOinem vollen Umfang neue Aktualität. Daran knüpft das Logion Mt. 5,43 an und versieht auf diese Weise das neue, alles Vergeltungsdenken außer Kraft IIOtzende Gebot der Feindesliebe mit einer schärferen KontrastaUllll&8e als Lc. 6,35 bzw. 27. Den Hintergrund zu Mt. 5,44 gibt die jüdische Sektenfrömmiglteit, den zu Lc. 6,35 die Gesittung der gricchisch-römischen Umwelt Jesu und der jüdischen, soweit sie nicht mit ihrer eigenen, vom Hellenismus nicht unberührt gebliebenen Vergangenheit radikal gebrochen hatte. Ähnlich wie die Gleichniserzählung vom Barmherzigen Sama.riter (Lc. 10,251f.) erweitert aber auch Mt. 5,44 den Gcltungsbercich des NächstcnIiebegebotes auf das Verhältnis zu allen Menschen, indem hier der Unterschied zwischen Freund und Feind im Hinblick auf das vom Menschen geforderte Handeln für irrelevant erklärt wird. Lev. 19,18 gilt nicht mehr als Korrelat zu der Anweisung, den Feind zu ha88en, sondern regelt das Verhältnis zu allen Menschen, ganz unbeschadet ihres Verhaltens. Ein Vergleich zwischen Lc. 6,271f., Mt. 5,43f. und La. 10, 251f. kann &Iso lehren, wie sich das Nächstenliebegebot durch die Erweiterung in der Definition des Nächsten einer neuen Ethik anpaßt, in der aus der Gegenscitigkeit oder gar der Vergeltung im zwischenmenschlichen Bereich Maßstäbe des Sittlichen nicht mehr abgeleitet werden kÖlUlOn. Wenn aIao PaulUB (Rom. 13,8 u. Gal. 5,14) das NächstcnIiebegebot als Inbegriff aller sittlichen Verhaltensvorschriften zitiert, bedeutet das eine organische Fortbildung der alttestamentlichen Ethik, die durch Jesu Predigt angeregt ist. Von der Goldenen Regel indessen führt kein direkter Weg zu der neuen, im Feindes1iebegebot am schärfsten formulierten Ethik, weil Bie alles Handeln vom Grundsatz der Gegenscitigkeit her bewertet.
Ver1a4ltnu zum NlicMfenliebegebol
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Nicht nur der spezifischen Ethik des NT fügt sich das Nächstenliebegebot auf die beschriebene Weise bruchlos ein. Es wird auch zum organischen Bestandteil der philosophischen Ethik des Hellenismus, während die Goldene Regel in philosophischen Texten, wie wir gesehen haben, allenfalls &ls nützliche Einzelvorschrift im Tono<; Wro{}eTUro<; auftaucht, ohne in festem Zusammenhang mit den theoretischen Grundlagen des Systems zu stehen. Wie sieh das Nächstenliehegebot im Zusammenhang philosophischer Ethik ausnimmt und wie es theoretisch begründet werden kann, läßt sich u. a. an einer längeren Darlegung Ciceros (de leg. 1,33f.) zeigen. Es handelt sich dabei um cine Begründung des Naturrechtes, die sich im wesentlichen stoischer Argumente bedient. Diese stoischen Gedanken beruhen jedoch einerseits aufAnregungen aus demfrühenPeripatos, andererseits sind sie zuCiceros Zeit bereits in da.s System der wieder zum Dogmatismuszuriickgekehrten Akademie einbezogen. Für Cicero hat &1so die im folgenden kurz zu erörternde Darlegung nicht den Cho.rakter enger Schulphil08ophie, sondern entspricht der philosophischen Anthropologie schlechthin. Die Grundlage der sogar bei den empirischen, durch mala consuetudo korrumpierten Menschen zu beobachtenden Gemeinsamkeit wichtiger sittlicher Begriffe, so a> Cicero an der zitierten Stelle, besteht in der natürlichen benevolentia, die alle Menschen a.Is '(pa ÄoYlXd, als miteinander verwandte Teilhaber 110m göttlichen Myo., füreinander hegen. (Diese benevolentia ist dann auch eine der Voraussetzungen für das Naturrecht.) Die benevolentia gebietet dem Menschen, seinen Nächsten "um nichts weniger &1s sich selbst zu lieben". Ihre umfassendste Begründung hat diese von Cicero reproduzierte Maxime in der Oikeiosis-Lehre' erfahren, einer stoischen Lehre, die aus früh• Dirlmeier (Philol. Suppl. 30, I, 1937) hat bekanntlich nachzuweisen versucht, daß die ol".lwa.,·Lehre bereits von Theophrast konzipiert sei. DieRen Nachweis wird man nach der Entgegnung von :M. Pohlenz (Abh. Akad. Gött. 1940, Ifl'.) schwerlich als geglückt ansehen dürfen, da. der Terminus ol".twa., doch oll'enbar Eigentum Zenons ist (vgl. auch die Zusammenfassung bei Pohlenz, Stoa, 2,65f.; anders urteilt O. Regenbogen R. E. Suppl. 7, 1494f.). Unbe· zweifelbar ist jedoch folgendes: Die ol".lwa.,-Lehre ist, darin der epikureischen 1jclo.~·Lehre vergleichbar, ein besonders deutlicher Ausdn.ck des Strebens, die ethischen Postulate aus'jien von der Natur gegebenen Vorausaetzungen des menschlichen Dasein.. abzuleiten. Dieser Fragenkomplex aber steht gerade in der ersten Generation des Peripatos im :Mittelpunkt des Interesses (vgl. etwa die au.f"lihrliche Erörterung der 'l"'a."al rlenal in den :Magna :Moralia. 1197 b 3711'., die bei Aristoteies noch keine RoUe spielen). Zenon und Epikur haben also in dieser Hinsicht ihre wesentlichen Anregungen aus dem Peripatos bezogen, und darum entbehrt es nicht der Folgerichtigkeit, wenn in dem bei Stobai08 erhaltenen Abriß der peripatetischon Ethik (2, 11611'. Wachsm.), der viel theophrastiscbes Gut enthält, jedoch, weil er auch auf Kritolaos Bezug nimmt, nicht vor dem I. Jb. v. ehr. kompiliert sein kann, die stoische ol".lw,",Lehre der peripatetiscben Ethik einverleibt ist.
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peripatetischen Gedankengängen hergeleitet ist und in ihrer entwickelten Form dann von Akademie und Peripatoa im 1. Jahrhundert v. ehr. ilbernommen wurde. Sie besagt, daß der natilrliche Trieb zur Selbsterhaltung und Selbstentfaltung, der jedem Lebewesen innewohnt, sich beim Menschen nicht nur auf das Individuum selbst richtet, sondern auch auf alle durch ihre Vernunftbegabung miteinander verwandten und darum auf Gemeinschaftabildung hingewiesenen anderen Menschen. Der Trieb zur Selbsterhaltung und -entfaltung des Individuums ist also immer gleichzeitig, wenn er nicht durch schädliche UmwelteinflÜBBeund verkehrte Meinungen abgelenkt wird, auchein Trieb zur Erhaltung und Entfaltung der Gemeinschaf't, an der alle Menschen Anteil haben. Darum beatehtzwischendem bonum und dem utilein Wwheit auch niemals ein Gegensatz, denn die gemeinschaftaschädigende, also Bittlich schlechte Handlung kann dem Einzelnen immer nur eingebildeten, nicht aber wahren Nutzen bringen'. Die Interessen der Gemeinschaft und des Individuums sind von Natur aus identisch, wenn auch nur der aapiens, der im festen Besitz des rechten Grundsatzwissens ist, diese naturgegebene Ordnung klar erkennen und im bewußten Handeln verwirklichen kann. Der empirische Mensch unterliegt von klein auf dem verwirrenden Einfluß der Umwelt, die ihn mit falschen Vorstellungen versieht ("aT~%7/a" TIiW no}J.IiW), und täuscht sich darum oft hinsichtlich der natilrlichen übereinstimmung seiner Interessen mit denen aller seiner Mitmenschen·. Ein von solchen Vorstellungen geleitetes Handeln aber verschlechtert nur weiter seinen Seelenzustand. Das Gebot, den Anderen wie sich selbst zu lioben, das in der stoischen Philosophie einen umfassenden Geltungsbereich und eine ebenso umfassende Begründung erhält, ist auch im Griechischen zweifellos älter. Wichtig ist wiederum die Frage, ob es ursprünglich der Leitsatz einer Gruppenaolidarität war, und weiterhin, unter welchen Voraussetzungen es auf das Verhältnis zu allen Menschen übertragen werden konnte. In altertümlichen Gesellschaftsordnungen entfalten sich rechtliche und moraliache Beziehungen in erster Linie zwischen Gruppen (Familien, Stammesverbänden u. ä.) und nicht zwischen Individuen. Der Mensch handelt dort verantwortlich nicht als Einzelner, sondern , Vgl. dazu das lIIateria\ bei M. Valente, L'M.bique .toici_ cbez Cie4ron, Tb.... Paris 1968, 188ft'. • Daß nur der Weise der Fretmdocbal\ fähig oei, iot ein der ganzen Stoa ge. I&ufiger Topos, der den idealen Hintergrund abgibt für die mannigfacben Anweisungen hinsicbtlicb der Auswahl der Fretmde und deo Umgangs mit ihnen, die sicb natürlich an die "fOMImcwrac richten. Vgl. dazu 8VF 3, 723ft'. oder den Epiktet-Kommentar dee Simplikioe p. 88f. Dübn.
VerMUnü zum NrklYImlie6egebol
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als Glied seiner Familie, die deaha.lb auch illllgtl8&Illt für die Folgen seiner Handlung aufkommt, etwa bei der Blutra.che. Als Glied der gentilizischen Kultgemeinscha.ft und nicht als Individuum steht der Mensch unter diesen VerhältniBllen auch in Verbindung mit den Göttern, die materiellen Güter sind zum größten Teil nicht sein Eigentum, sondern da.s seiner Sippe bzw., wenn es sich um Grund und Boden handelt, dp.~ gentilizisch gegliederten Gemeinde usf. Daß in derartigen vorgeschichtlichen und archaischen Gesellschaftsformen der Mensch den SippengenOBllen, d.h. den Nächsten, "wie sich selbst liebt", ist beinahe selbstverständlich, wenn ma.n "lieben" nur nicht im Sinne der Zuneigung des Herzens und der Gesinnung versteht'. Wo die vitalen Intereaaengegensätze aUBBchlioßlich zwischen gentilizischen Gruppen ausgetragen werden, besteht innerhalb der Gruppe notwendigerweise eine Intereaaenübereinstimmung zwischen dem Einzelnen und seinem Nächsten. Die Individuen innerhalb der Gruppe sind nicht unverwechselbar. Was einer dem anderen antut, trifft ihn selbst als Glied der einen bestehenden Gemeinschaft, welche die kleinste rechtlich-moralische Einheit bildet. Das Gebot, den Nächsten wie sieb selbst zu lieben', braucht also innerhalb einer solchen altertümlichen Sippengemeinschaft gar nicht ausdrücklich formuliert zu werden, da da.s a.n ihm orientierte Verhalten jedes Einzelnen ohnehin eine unmittelbar gegebene Notwendigkeit für den Bestand der Gruppe ist. Nun besteht gerade in primitiven Gesellschaftsordnungen eigentlich stets eine Reihe von Möglichkeiten, ursprünglioh nicht zugehörige Personen zum Glied des Sippenverba.ndes zu machen. Neben Adoption und Heirat gibt es fast allenthalben bei urtümlichen Völkern da.s Institut der Blutsbrüderschaft, durch die ein Außenstehender in den Gentilverba.nd eintritt oder doch mindestens für seinen Blutsbruder den Charakter des SippengenOBllen a.nnimmt. Auch bei dem neuen SippengenOBllen kommt fortan die Sippe f11r die Folgen seines Tuns oder Leidens auf. Ein engerer Zusammenschluß der Gemeinde im Verlauf sozialer, wirtschaftlicher oder militärischer Wa.ndlungen erfolgt ebenfalls häufig in der Form, daß bei der damit verbundenen Vereinigung mehrerer Sippenverbände tatsächlich bestehende Verwandtschaftsverhältnisse stärker ins Bewußtsein treten (z. B. durch • Eine ausführliche Beschreibung der sehr "handgreiflichen" Bedeutung des Wortes .,..ulo im homerischen Griechiach (freundlich bewirten, willkommenheißen, pt behandeln) gibt H. Frinke), Dichtung und Pbü080phie des frühen Griechentwns, New York 1951, 117. • Natürlich gebOren die o.8.32f. ausführlich besprochenen AnweiauDgen archaischer Ethik, den Freund (Si~ o. ä.) zu "lieben" und zu fördem, den Feind (d. h. den nicht zur Gruppe Gehörigen) dagegen zu 8OhIdigon, &llCh in diesen Zusammenhang.
120 die ZentraJisienmg der sippengebundenen Kulte) oder daß gar die neue größere Ordnung nach fiktiven Verwandtschaftsverhältnissen konstituiert wird. Es ist bekannt, daß die Phylenordnung des k1&BBischen Athen, die Kleisthenes schuf, auf einer fiktiven gentiIizischen Einteilung beruhte. Somit bildet sich das ZUBammengehörigkeitsgefühl der Bürger einer Polis weitgehend am Modell der Blutsverwandtschaft. Endlich gibt es schon in primitiven Gesellschaftsformen Bünde oder Vereinigungen, z.B. aller Krieger oder anderer sozial gleichgestellter Individuen, deren Zusammenschluß gleichfalls nach dem Modell der Blutsverwandtschaft zu erfolgen pflegt, etwa im Hinblick auf den gemeinsamen Kult, auf Eß- und Wohngemeinschaft, auf die Ausschaltung des gewaltsamen Austrags bestehender Streitigkeiten usw. 1 überall da, wo Verbände oder Gemeinschaften sich konstituieren, deren Mitglieder wie durch Blutsbande aneinander gebunden sind, und darum, ohne dem Sinn des ZusammenschlUBBeB zu widersprechen, nicht mehr gegeneinander handeln können, ist die Möglichkeit gegeben, sich des Prinzips einer solchen Gemeinschaft bewußt zu werden. Es besteht darin, daß im Rahmen des ZusammenschlUBBeB jeder zwischenmenschliche Konflikt, der sich in Tat und Vergeltung ausgleichen muß, von vornherein aufgehoben ist. Der Andere im Bunde ist wie der SippengenOBBe kein möglicher KonfliktBpartner, sondern beide sind Glieder einer als moralisch-juristische Einheit empfundenen Gemeinschaft, die nicht weiter a.ufgespalten werden kann. Hier muß man und das ist nicht das Ergebnis eines eigenen EntschlUBBeB, sobald die Gemeinschaft einmal etabliert ist - den Nächsten wie sich selbst lieben, denn durch das entgegengesetzte Verhalten würde die Gruppe, in der und durch die das Individuum nur leben kann, in ihrem Bestande bedrohtl. I Das grandiose Archiloch08·Gedicht des StraBburger Papyrus (xV/,"'1'I fr. 79a D) vermag noch eine Vorstellung davon zu vennitteln, wie stark in arcbaiacher Zeit die Bindung empfunden wurde, die durch den Eid einer Krieger.Hetaine zwischen zwei Personen zustande kam. Der Bruch einer solchen Beziehung ist ein äbnlicher Verstoß gegen die geltenden moralisch·rechtlichen Anschauungen wie die MiJlachtung der SolidaritAt innerhalb der Familie. (Vgl. allch Alk. Cr. 129,23 u. 3011,9 LP.) Zu der von Archiloch08 bei diesem Anlaß verwendeten Rache·Formel (Tm;.' l.no./,' ob Md. - sc. die BeetraCung des Eidbrüchigen) vgl. E. Fraenkel, Horace, Ozford 19117, 29. - Ganz enteprechend stellt sich der Bürger einer Polia, der gegen die Interessen des Demoa handelt, auf eine Stufe mit dem ,,AuBenstehenden", dem i~, wie ee die Sentenz des K1eobul08 (Stob. 3, 113 Honse) lehrt. V gl. auch Hom.163f. I Die hier skizzierte Gruppenbildung, auf die sich das Nächstenliebegebot ursprünglich beziehen muB, hat im Laufe der Geschichte bei den verschiedenen Völkern natürlich &ehr verschiedenartige Erscheinungsformen gehabt. Eine besonders cbarakteristioche unter ihnen zeigen die Nah· und Schutzverbältni.e
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Wenn man bedenkt, in welchem Umfa.ng der antike, letztlich aus Gentilverbänden hervorgegangene Staat sowohl wie jeder Kultverband und jede, wie auch immer geartete Hetairie von allen ihren Gliedern weitgehende Solidarität verlangten, versteht man das Mißtrauen, das ma.n in Rom so gut wie in den griechischen Poleis allen den Vereinigungen, insBesondere kultischer Art, entgegenbrachte, die nicht seit jeher zu dem betreffenden Staatswesen gehörten und deren Götter nicht diejenigen waren, die als Stadt- oder Staatsgötter das Gemeinwesen zusammenhielten. Aus der Satzung einer KuitgenOBBenschaft auf einem Papyrus des 1. Jahrhunderts v. Chr. erfahren wir (Preisigke, Sa=elb. 5,7835), daß sich die Mitglieder zu unbedingter Solidarität verpflichten und nichts gegeneinander unternehmen dürfen, insbesondere aber sich jedes gerichtlichen Vorgehens gegeneinander enthalten müssen. Es ist klar, daß eine derart weitgehende Verpftichtung unter Umständen nur schwer mit den Loyalitätsansprüchen des Staates in Einklang zu bringen ist, und das gilt sowohl für die rechtsstaatliche Ordnung des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit als auch für das die intensive Beteiligung des Einzelnen heischende Staatsleben der römischen Republik und der griechischen Poleis. Vom Hermokopiden-Prozeß und den Unruhen um oligarchische Hetairien im Athen des ausgehenden 5. Jahrhunderts über den großen Bacchanalien-Prozeß von 186 v.Chr. (CIL I" 682; Liv.39,8ff.) bis zu den Christenverfolgungen beobachten wir darum immer wieder das Einschreiten des Staates gegen solche .. Verschwörungen", da ihm die Solidarität innerhalb der neuen Gruppe mit der Solidarität innerhalb der staatlichen Gemeinschaft nicht vereinbar erscheint, beide Gemeinschaften aber kultisch sanktioniert sind. Man hält ein energisches Einschreiten bezeichnenderweise auch dann für notwendig, wenn keine in der Gesellschaft der römischen Republik. Auch diese Nahverhältnisse neh· men das Bewußtsein der Zeitgenossen das Aussehen erweiterter Familienbeziehungen an. Der Freigela._ne erhält den Familiennamen seines Freilassers und bleibt damit z. B. in der durch die gens konstituierten Kultgenossenschaft. Die Verpflichtung zu gegen.'lCitiger Hilfeleistung und Respektierung (pietBs), die zwischen Patron und Klient besteht, rangiert, eben weil sie analog zur Bluts· verwandtschaft empfunden wird, vor allen anderen Verpflichtungen. E. gibt hier keinen übergeordneten Gesichtspunkt, ,mter dem sich der gewaltsame Austrag eines Interessengegel\F8tzes zwischen Klient ,md Patron rechtfertigte (vgl. die Unterweltsstrafen für diesbezügliche Verfehlungen bei Verg. Aen. 6,601 ff. und d89 von Norden im Kommentar z. St. gesammelte Material), weshalb z. B. die vor Gericht oder in der politischen Au""inandersetzung geschuldete Hilfestellung von der objektiven Rechtslage oder von der politL'lChen Überzeugung des Hilfeleistenden weitgehend ul\8bhängig ist. Das Band der pietBs erweist sich al. stärker. Die Bedeutung, die derart fundierte Gruppenbildungen die Geschichte des römischen Staates gehabt haben, ist vor allem in den Ar· beiten von F. Münzer und M. Gelzer erläutert worden.
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122 unmittelbare faktische Bedrohung des Staates und seiner Bürger Torliegt. Alle diese Vorgänge legen Zeugnis ab für die Festigkeit, mit der das Individuum in eine derartige Gruppe eingefügt war'. Die erste Umsetzung dieses Gruppenverhaltens in eine Theorie der Freundschaft haben in der griechischen Welt die Pythagoreer vorgenommen. Ihre Bünde, die zu gewissen Zeiten in Unteritalien einen nicht geringen politischen Einfluß ausübten, trugen anfangs wohl durchaus den Charakter altertümlicher Bluts- oder Schwurbrüdersohaften mit gemeinsamem Kult, vorgesohriebenen und z. T. geheimgehaltenen Lebensregeln u. ä. Der altertümliohe Charakter der pythagoreischen Lehre prägt sich in vielen Tabu-Vorschriften des pythagoreischen Katechismus aus, die erst eine spätere Zeit mit Hilfe allegorischer Erklärung rationalem Denken anzupassen versuchte, die sich aber anfänglich ganz unvermittelt neben der rationalen Zahlenspekulation und dem Interesse an der Mathematik standen. Welche Rolle die tptÄla im Denken der Pythagoreer spielte, bezeugen noch die der späteren Tradition geläufigen Erzählungen von rührender pythagoreischer Freundestreue (Schillers Bürgschaft). Einige altpythagoreische Leitsätze lassen zudem erkennen, daß die Pythagoreer ihren Bund nach der Analogie des alten Sippenverbandes auffaßten: xOl1'a Ta TWv tp[).&Y/1 heißt es da und tptÄla laoT7}t; (bzw. unter Berücksichtigung der mathematischen Spekulation nael,o"lOt; laoT7}t;, vgl. Alex. Polyh. b. Diog Laert. 8,33). Was für Familien, Blutsbrüderschaften, Hetairien, Kultgenossenschaften u. ä. nach alter Anschauung gilt, ist also in der tplAla-Theorie, die das Leben der pythagoreischen Bünde begleitete, wohl das erste Mal begriffiich erlaßt und ausgesprochen worden: In der Freundschaft sind die Interessengegensätze, die sich in Tat und Vergeltung ausgleichen müssen, deshalb aufgehoben, weil die Gemeinschaft und nicht das Individuum die kleinste moralische Einheit darstellt·. Es ist wohl kein Zufall, daß noch im Neupythagoreismus, also in einer Zeit, deren Gesittung durch eine ausgeprägte Individualethik 1 Zur sozialen Struktur frühgriechischer Bünde und Hetairien vgl. J. Trumpf, Studien zur griechischen Lyrik, Dias. Köln 1958, Uft". Dort weitere Literatur. Die spii.teren Ethnographen berichten immer wieder von der bis zur Selbztaufgabe reichenden Identifikation eines .,IAo, oder Gefolgsmannes zu seinem König, die sich bei exotischen Völkern beobachten läßt. So erzählt Agatbarchides (b. Diod. 3,7), daß die "LAo. der äthiopischen Könige sich, wenn ihr Herr verwundet wird, die gleiche Verletzung freiwillig zmligen. Ähnliches Strab. 3, p. 1811; Val. )lax. 2, 8, ll;Plut. Sert.l4.; c-r B.G.3,22. Bei TheognisheiJIt das laar Tm d,,~ Ttö. TO xaxm "nil"" (82). Vgl. Gnom. Epic. Vatic. 68 Von derMühll. • Zur altpythagoreischen Freundschaftslehre vgl. H. Fril.nkel, Dichtung und Philosophie des frühen GriechentWD8, New York, 1961, 351ft". bes. 380f.; A. Delatte, Essai &ur la politique pythagoricienne, Paris 1922; J. Dunbabin, The Westem Greeks, Oxford 19'8, 380ft". Femer Aristox. fr. 30f. W.
123 bestimmt war, BOZialethische Fragen sehr stark im Vordergrund des Interesses standen. Auf diesem Gebiet sind wohl die originellen Leistungen dieser Schule zu suchen '. Die individualethischen und anthropologischen Einzellehren übernehmen die Pythagoreer der Spätzeit fast ausnahmslos, wie die Ps. Archytas-Fragmente bei Stobaios zeigen, aus dem Peripatos, und ihre Neigungen zur Dämonologie und anderen übersinnlichen Dingen teilen sie mit vielen philosophischen und religiösen Richtungen der späteren Antike. Die 9',)Ja bekommt in hellenistischer Zeit ein anderes Gesicht, als die Welt für die Griechen weiter wurde und sich dem Einzelnen vielfach die Möglichkeit ergab, außerhalb der angestammten Lebenskreise der Familie, der Polis und der Kultgemeinschaft eine eigene Existenz zu gründen. Jetzt bedeutete sie eher den freien ZUBammenschluß solcher Individuen, die sich in der Weite der hellenistischen Staatenwelt und nachmals des römischen Imperiums auf Grund gegenseitiger Zuneigung, gemeinsamer Aufgaben und übereinstimmender Bildung oder Lebensauffassung zUBammenschlO88en, ohne unbedingt nach ihrer Herkunft zUBammenzugehören. Eine solche 9'lÄla, für die eine entsprechende Gesinnung die wichtigste VOr&lllIIIetzung bildete, konnte sehr wohl den Ersatz für die verlorenen angestammten Bindungen der älteren Zeit bedeuten, bewahrte aber dem Einzelnen seine sittliche Autonomie. Die hellenistischen Philosopbenscbulen, die allesamt dem Einzelnen eine Lebenskunst vermitteln wollen, sind, soziologisch betrachtet, durchweg derart strukturierte Freundeskreisei, in denen individuen auf Grund gleicher geistiger Betätigung und gleicher Lebensziele ein Nahverhältnis zueinander eingehen. Berühmt wegen der Festigkeit ihrer Freundschaftsbeziehungen waren die Epikureer, was damit zusa.mmenhängt, daß illre Lehre besonders nachdrücklich von , So haben die Neupythagoreer z.B. auch die durch die Ehe konstituierte sittliche Gemeinschaft zwischen Mann und Frau beeonders betont (Gnomol. Pythag.62 Chadw.; Sext. Sent. 238 Chadw.). Die Einbeziehung der Ehe und der Familie in den Kreis der Gegenstll.nde moralischer Reflexion erfolgte demgegenüber in den anderen Schulen dee Hellenismus spät und zögemd (Anti pater - vgl. Pohlenz, Stoa. I. 190; MUSOni08 p. 69f. He"",,; Plutaroh. con.'Praec. 143A u a.). trotz der mannigfachen AnsAtze. die die Ethik dee 5. und •. Jahrhunderte (Xen. Oec. 3. IlIf.) in dieeer Richtung gemacht hatte (vgl. auch das schöne Menander-Fragment dee Papyrus Didot. S. 143 Kö. = S. 131 Jensen oder Epitr.588f.). Auf die Bedeutung der Sozialethik im Neupythagoreismua hat man auch schon in anderem Zueammenhang aufmerksam gemacht. Vgl. etwa F. WilheIm. Rhein. M\18. 70. 1915. 161ft'. und Ps. Ocellua Lucanua 62ft'. Harder. dazu L. Delatte. Lee trait
124 jeder Beteiligung am öffentlichen Leben abrät, so daß für sie die Bindung an den Freundeskreis der GesinnungsgenoSBen die einzige sittlich relevante soziale Beziehung bedeutete. Die hellenistische Philosophie aller Schulen, zu der unter diesem Gesichtspunkt auch AristoteIes zu rechnen ist, hat darum von Anfang an im RaJunen ihrer Ethik dem Phänomen der Freundschaft große Aufmerksamkeit zugewandt und ihr eine umf&SBende anthropologische Begründung zu geben versucht. Für zahlreiche Philosophen sind uns noch die Titel ihrer Abhandlungen über die Freundschaft überliefert, und aus Ciceros "Laelius" und aus Plutarchs Schrift über den Unterschied zwischen Freund und Schmeichler kann man sieh noch ein Bild von dieser Literatur n. 'I"}Jat; machen, die mit der klassischen Behandlung der Freu~dschaft in det' "Nikomachischen Ethik" des AristoteIes ihren Anfang nimmtl. Der Kern dieser umfassenden, in den Einzelheiten sehr verschiedenartig ausgeführten Lehre liegt darin, daß man das Gebot, im Anderen das alter ego zu sehen, von seinem Geltungsbereich innerhalb der Sippe oder einer sozial sonstwie abgegrenzten Gruppe grundsätzlich auf das Verhältnis zu allen Menschen überträgt und mit dem Hinweis auf die naturgegebene Verwandtschaft aller Menschen begründet·. Diese übertragung kann sich auf Gedanken des ausgehenden 5. und des 4. Jahrhunderts berufen, als zum ersten Mal die Zusammengehörigkeit der Bürger einer Polis oder auch der Griechen als Ergebnis der Konvention einer naturgegebenen Verwandtschaft aller Menschen entgegengestellt wurde. Dieser in der Sophistenzeit erstmals proklamierte Kosmopolitismus, dessen Aufkommen bereits einen gewiSBen Niedergang der klassischen Polis voraussetzt und dem sich weder Platon noch Ariatotelea anschließen, ist dann schon vor der Begründung der großen hellenistischen Systeme von den Kynikern und von anderen sog. Kleinen Sokratikern gelehrt und praktiziert worden. Aber auch die vor allem der stoischen Orthodoxie geläufige Anschauung, nur unter den Weisen, die im Besitz des rechten Grundastzwissens allein die natiirliche Bestimmung des Menschen erfüllen können, sei Freundschaft überhaupt möglich, ist schon im frühen 4. Jahrhundert vorgebildet. Isokrates (Paneg.50)1 kann bereits I Zur Freundachaftslehre Plato"" vgl. W. Ziebis, Der Begriff der ".Ua bei Plato. Dias. B..,.lau 1927. • Die atoische (wohl cbryaippische) Definition der Freund.ocbaft bei Diog. Laert.. 7,124 (_......{a T" TWIo xmd Tel. flkw, XeOJ,.bHo. TO~
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125 ganz in sophistischer Tradition - aUBBprechen, daß mit dem Hellenennamen nicbt die griechische Herkunft, sondern der Besitz griechischer Bildung bezeichnet sei. Hier wie dort ist der Erfahrung Ausdruck gegeben, daß jede nicbt auf Abstammung oder auf einer vorgegebenen sozialen Ordnung beruhende Gemeinschaft unter Menschen nur möglich ist, wenn die Partner nach Bildungsgrad und Lebensanschauung sich nicht allzusehr unterscheiden l . Da aber Bildung erworben und dem Menschen von der Natur weder geschenkt noch vorenthalten wird, braucht diese Erfahrung die überzeugwlg von einer naturgegebenen Verwandtschaft und damit einer potentiellen Freundschaft unter a.llen Menschen nicht zu erschüttern. Innerhalb der Stoa haben überhaupt die schroffen Lehren, nach denen nur der Weise Tugendhandlungen ausführen und seine natürliche Bestimmung erreichen kann, eine relativ geringe praktische Bedeutung gehabt. Man blieb sich darüber klar, daß es den Weisen in der empirischen Welt nur in ganz seltenen Ausnahmefällen gäbe. Darum gilt das, was nur der Weise völlig verwirklichen kann, als Ziel und Maßstab durchaus schon für das Handeln der neo>eom-OVTE/; unter welche sich die Menschen bei optimistischer Selbsteinschätzung einstufen können (Epict. 3,2,5f; ench. 47). Damit aber ist auch die
OtlM.a TW' ixIJew. I''''ptjaopa, iaIJ}Jw Una, 0tl6i. pb ai_tla", 6.,;.0, iona ",{).oo. Die ritterliche Hochschätzung d"" Gegners, die man gelegentlich bei Homer finden kann, weist in dieselbe Richtung, und ebenso die verständnisvolle und von aller Gehiißigkeit freie Darstellung des geschlagenen Todfeindes in den "Persern" des Aischy los.
126 Ea zeigt sicb aJso, daß du Nächstenliebegebot ohne Bruch, anders als die Goldene Regel, in du System einer philosophischen Ethik eingefügt werden kann. Ist es auch uraprllnglich zweifellos der Ausdruck einer notwendigen Gruppenaolidarität, bedarf es doch nur einer Umdeutung des BegrifFs des Nächsten oder Freundes, um es zur zentralen Forderung einer reinen, auf du Individuum als autonome sittliche Einheit bezogenen Geainnungaethik zu erheben. überall da, wo man glaubt, daß der Einzelne als autonome sittliche Persönlichkeit zu allen seinen Mitmenschen im Verhältnis allgemeiner Brüderlichkeit stehe, erhält du NächBtenliebegebot seine zugleich breiteste und tiefste Bedeutung. Diese Auff&88ung vom Menschen aber kann 10wohl aU8 einem rational konzipierten Bild der Welt abgeleitet als auch durch die r3ligiÖ8e Erfahrung vermittelt worden sein. Dic Goldene Regel haftet demgegenüber, unbeachadet des komplizierten Kalkills, den sie voraUBBetzt, am Bereich des faktischen Geschehens. Sie beruht auf der vulgären Vorstellung, daß das rechte Verhältnis unter den Menschen nur durch ein ständig erneuertes Gleichgewicht zwischen Tat und Vergeltung hergestellt werde. Si" ist nach ihrem Weaen weder der Gesinnungaethik noch dem sittlichen IndividualismU8 bzw. der dem letzteren korrespondierenden Idee von der Bruderschaft aller Menschen verwandt'. Ihr Auftreten im Zuaammenhang spezifisch christlicher und philOBOphiBCher Ethik in der kl&BBischen und l1achkl&88ischen Antike muß also mit der Persistenz vulgärer Moral- und Rechtaauff&88ungen erklärt werden, die um so hartnäckiger zu sein pflegt, je höheren formalen und damit intellektuellen Ansprüchen die Formulierung dieser Auff&88ungen genügt.
Die Kontinuität, die wir zwischen Antike, Judentum und Christentum am Beispiel dar Goldenen Regel beobachten konnten, gehört also in den Bereich der Vulgärethik. Die Vorstellungen des vulgären sittlichen Bewußtseins zeigen eine erstaunliche Gleichförmigkeit. Entfaltet sich eine höhere, in der religiösen Erfahrung oder im rationalen Denken neu begründete Ethik, wird die jeweils vorangehende Stufe vulgärer Sittlichkeit als Unterbau in du neue Ordnungssystem sittlicher Wertsetzungen einbezogen. Damit bleibt ein Wirkungsfeld 1 Dem scheint das Vorkommen der Goldenen Regel im 407. Brief Senecas (47,11) zu widersprechen. Der Brief ist bekanntlich dem Thema gewidmet, daß alle Menschen Brüder seien und darum jeder Unterschied zwischen Herr und Sklave hinfliJlig werde. Es zeigt .ich an dieeer SteUe, daß .ich die Goldene zu figurieren. Nicht Regel in der Tat sehr gut dazu ..ignet. im To-, Il,,,,fn• die GnmdeinotellUDg gegenüber allen Menschen. _dem die sich aua der Lehre von der Gleichheit der M_ben ergebende spezielle Verhaltensweise des Herrn gegenüber dem Sklaven wird nämlich hier mit der Goldenen Regel umschrieben.
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127 für die Maximen d3r Vulgärethik auch in der neuen, von den Prinzipien der jeweils höheren Ethik bestimmten Zivilill&tion erhalten, zumal dann, wenn, wie im Fall der Goldenen Regel, diese Maximen eine einprägsame und den intellektuellen Amorderungen einer entwickelteren Zivilill&tion genügende Form gewonnen haben. Ja, die wohlgelungene Form kann ihnen in einer sprachlich anspruohsvollen Umwelt geradezu neue Einfiußmöglichkeiten verschafFen. Die Beliebtheit der Goldenen Regel in der griechisch-römiBohen und in der jüdisch-christlichen Welt bedeutet nicht zuletzt einen Triumph der sophistischen Kunst, Vorstellungen, Anschauungen und Meinungen, die der common sense hervorgebracht hat, in die einprägsamste Bprachliche Form zu kleiden.
REGISTER Aller OrI6D& (eiDachl. AT und Spätjudentum) Achtzehngebet 6 Staerk: 43 - , 12 Staerk: 112,1 Apo~n- des Eara via. 3, 26, 4 (p.247 VIO!.): 62: 65 PB. Aristeas, ep. 207 Wend!.: 82 f. Damaskueochrift IO,3ff. ROßt: 46,1 Geaotze, altorientolische. Cod. Harn· m~rabi § 196 (S. 176 Pritch.): 13 - , mlttel.....yr. Gesetz b. Pritch. S. 180f.: 13 Henoch 96,3: 66 Henoch (slav.) 61,1: 9: 10; 83 J08Ophus, bell. lud. 1,17,2-8: 14, I J080ph u. Asensth 28,5: 44 Jubiliienbuch 4,31f.: 28 Philo, legat. ad Gaium 7: 36 - , da exoorat. 166: « - , de mut. nom. 47f.: 77,1 - , - 131: 106 - , da Bpec. leg. 2, 196: « - , - 4,149: 96,1 - , de opif. 169: 42 - , hypoth. b. Euseb. praep. 8,7: 83: 96; 106 Ps. Phocylides 152: 109,2 Qumran·Sektenschrift (I QS) 19: 116f. ' - , 9,15: «f.: 112,1 - , IO,17ff.: «f. Talmud, Aboth 1,3: 62 - , - 2,2a: 8 - , - : 4,3: 55 - , - 6,2a:« -,Sehab. 31a: 8: 112 - , Sotah 6,6b: 66 Targum Jeruschalmi z. Lev. 19,18: 8 Altes Testament - , Gen. 4,23f.: 20 - , Ex. 20,5: « - , - 2I,23ff.: 13: 43 - , - 23,4f.: 43: 62
- , - 34,6f.: 43 - , Lev. 19,18: 9: «: 75: 84: 110: 111: 116: 116: 125 - , - 19,33f.: 54 - , - 24,17ff.: 13 - , - 24,19f.: 43 - , Xum.14,18:« - , - 35: 13 - , Deut. 15,12ff.: 54: 82: 96 - , - 19,19f.: 43 - , - 32,35: 29:62 - , lud. 9,66f.: 29 - , - 16,lff.: 36 - , I. Sam. 16,7: 52 - , - : 24,18: 43 - , I. Reg. 8,39: 52 - , ludith 8,13: « - , Tob. 4,15: 82f. - , 4. Macc. 2,14: 69 - , PB. 7,10: 52 - , - 41,2ff.: 34 - , - 91,8: 28: 116 - , - 103,8ff.: « - , - 103,10: 43 - , - 116,4: 44 - , - 119,113: 115 - , - 139,21: 116 -, Provo 3,4 (LXX): 115 - , - 11,21: 34 - , - 12,10: 62 - , - 19,17: 28 - , - 20,22: 115 - , - 24,29: 43 - , - 26,21f.: 42,2: 43: 115 - , - 28,27: 34 - , Hiob 2I,29ff.: 64,3 - , - 3I,29f.: « - , Sir. 16,7ff.: « - , - 28,lff.: 62 - , - 31 (34 LXX), 15 : 83f. - , PB. Salom. 6,16: 54 - , - 16,12: 54 - , Mich. 7,18: «
129 - , Hos. 8,1ft".: 81,1 - , Joel 2,13: U; 112 - , Jon.4,2: U - , Jea.42,3: 66 Teetam. Gad 11,13: " Teetam. Napht. 1,8: 83 Teetam. Sebul. 11,3: 9; 28 Teetam. Sim. 4,4: " W eiaheitaliteratur, a1toriant. - , Lehre d. AmanamhOtBp (Prit.ch. S. 42Ir.): 43 - , Lehre des Anii S. 118 Volten: 54 - , ABByr. Text b. Priteh. S. 428: 43 - , BabyIon. Ten b. O.-mann S. 292: 43 - , BabyIon. Ten b. Lambert S. 40: 113,1 - , Lehre dea Merikare S.37 Volten: 21,1 - , Lehre des PtahotBp b. Ennan, Ägypt. Lit. 94: M ADtike
Aeechylue, Choeph. 313ft".: 14 - , Eum.1I30ft".: 117,1 _., - 794ft".: 117,1 - , Sept.1I92ft".: 111; 88 - , - 880: 20 - , - 1070: 811,1 Aeaopue, rab. 3 Hauer.: 24 Agatharchideaap. Phot. bibI. ,"b27: 97 - - 4118b 1811": S8,I - apo Diod. 3,7: 122, I - - 3,33: 911,1 Albinue, Didaac. 33: 70,3 Aloaeue, rr. 129,23 LP: 120,1 -, Fr. 3011,9 LP: 110,1 -, Fr. MI LP: 32 -, Fr. M8 LP: 33 Alomaeo Crotonieaaill B 4 Diels· Kranz: 30,1 Anazimander BI Diels·Kranz: 24,1 Andooidea, de myet. 911: 111 Anonymus Iambliohi 2: 88 - 7,10: 311,1; 38 Anon. de legibua apo Ps. Demoeth. 211,111: 99 - 211,17: 18 Pa. Antipho, Tetral. 2: 16 - , Tetral. 3d 4: 18 t 788! DIhIe. _
.....
Antipho Soph. B 2 Diels·Kranz: 88,1 - B 114 Diels·Kranz: 66,1 - B 118 : 101; 103 -B60 .. :88 Apoetoliue Paroem. 4,23 L.·Sohn.: 113 Arohiloohue 68 D.: 1111,2 - 79 D.: 23,1 - 79a D.: 120,1 - 89 D.: 24 - Pap. Ox. 22,2310: 32 Arohytas B 4 Diels·Kranz: 30,1 Aristo Cbiue apo Sen. ep. 94,2: 94,2 Aristophanea, Equ. 1379: 92 - , Lys. 103911".: 21 - , Nub. 1074ft".: M,I - , - 139911".: 34 -, Raa. 146ft".: 27 - , - 1048: 36 - , - 1I01lft".: 87 - , Theem. 1118ft".: 33 AristotB\es, Met. 986a 2311".: 30, I - , E. N. 1I03a 1411". 49,2 - , - 1I21b 1211".: 113 - , - 1I26a 30: 36 - , - 1I32b 2111".: 30; 30,1; 8811". - , - lI36b 31: 94 - , - 1137: 46 - , - 1I37b 11111".: 68 - , - 1I118b 1111".: 67 - , - 1I63a 111".: 67 Ps. AristotB\ea, M. M. 1182& 14: 30; 30,1 - , - 1I97b 37ft".: 117,1 AristotB\es, Rhet. 13Mb 4: 39r.; 96; 97; 102 - , - 1392b 8: 92 - , - 1402& 10: 92 Ps. AristotBles, Rhet. ad AI. 1439a 311: 92 AristotB\ea, Fr. 134 R.: 102 AristoxanWl, Fr. 3Or. Wehrli: 122,2 Ariue Didymue apo Stob. 2 p. 11611". W.: 117,1 AUjJU8tus Imperator rr. 38 Halo.": 48 Baoohylides 17,6011.: 22 Caesar, bell.Oall. 3,22: 122,1 Cbamaeleo apo Athen. I, 22Ar.: 97,3 Chrysippue SVF 3,310: 89 Cioero, de inv. 1,111: 111,3 - , - 2,911: 111,3 - , da off. 3,21: 89 - , da \es. 1,3ar.: 117ft".
130 - , - 3,10: 111 - , Lul.21111".: 71 - , - '": 36 - , Tusc. 6,68: '",, - , Phü.OI'. 12,16: 63 - , ad fam. lf,', 1 : 21,' Cleanthee, hymn. 8: 77,1 Codex Tbeodosianua 11, 10,3: 211,1 Comioua inoertua fr. LXXIII Ribb.: 611 Corpua Hermaticum 1,16: 78,2 - 11,811".: 78,2 Cratinua, fr. 307 Kook: 111 Critiaa B 26 Dials·Kranz: 36,1; 38; 1111 Democritua B '3 Dials·Kranz: 23,2 - B '6 Dials·Kranz: '" -B'8 :'6 -B80 :63 - B82 : '",1; 88 - B88 : '",1 -B711 :'9,1 - B811 : '8; 88 -B1I2 :f8 - BII8 : '8f. - B 1113 : 33 - B 170f. : '",2; 83,1; 88 -B2'1 :88 - BIN : 311,1 Ps. Democritua B 302: 811 Demoathanes 1,27: 60 - 16,8: 36 - 18,"': 17,1 - 18,2'8: 17,1 - 18,1811: ",2 - 18,114: 18 - 111,11: 17 - 111,101: 17,1 - 20paa.: 38 - 20,8: 18 - 20,60: 18 - 20,611: 18 - 20,lf3: 18 - 20,181: 311,1 - 22,3f.: 36 - 21,66: '2,1 - 23,1: 36 -23,78: 111,1 - 2',13l1f.: 111 Ps. Demostb_ M,8: 36 - 611,111".: 36 - prooem. llI,3: 103 Digesta 41,11,11: 16,3 - '8,111,11: 111
Dio C-iua 62,U: 10; 103 Diodorus 1,90,2: U - 1I,II,3f.: '6 - 11,'6: 17,1 - 11,17,3: 111 - 22,lf: 17,1 Diogenee Laertiua 1,38: 11; 60,3 - 1,78: '6 - 3,'3: 14,1 - 6,11: 11; 103 - 8,3:" - 7,11': 12',2 - 8,23: 71 - 8,261r.: 30 - 8,33: 30; 122 Diale"eis 1,7 Dials·Kranz: 33,2; 101 - 3,2 Dials·Kranz: 1111 Enniua, trag. fr. 321 Ribb. (320 Kl.): 83 Ephorus F 1311 J"".: 88,1 Epiobarmua B 32 Dials-Kranz (276 Kaib.): 36 EpiotetU8, diss.3,2,6f.: 126 - , enob. 30: 71 -, - '2: 88 Epiourus, fr. 623 Ir. UM.: 71, 1 - , fr. Mt Us.: 88 - , rat. sent. 31: 38 - , - 33: 38 Epigrammata graeca Nr. 36 FriedI. : 21 Nr. '0 FriedI.: 21 Nr. 876 Kaib.: 86; 111,2 Epigrammata latina Nr.87 Bueob.: 7',1 Nr. 131 .. : 32 Nr. 132 .. : 32 Eudorus apo Stob. 2 p. '2, 11 11". W: 116 Euripidee, Hec. Bfff.: 33, I - , - 1260: 33 - , Hero.686f.: 33 - , - 732f.: 33 -,10 10.8: 33 - , Med.88: 63 - , - 8011: 33 - , 0.. 180lIf.: 61 - , Suppl. 338: U - , - 88011".: '",2; 88 - , fr.' N.: U - , fr. 111 N.: 68; 86,1 - , fr.288 N.: 67 - , fr.2112 N.: 57 - , fr.2118 N.: 12',3
131 - , fr. 1007 N.: 88 - , fr. 1042 N.: 63 Gnomologia Dicta Catonis 1,11: 10 - 30: 10 Monostioha Catonis 4: 63 Gnomol. Epie. Vatic. 66 Von der MühlI: 122,1 Menandri monosticha 317: 34 - 528: 63 Poet.lat. min. 3 p. 241 Baehrens: 10 Publilius Syrus 2: 101; 103 - 273: 36 - 281: 69 Gnomol. Pythag. &non. 68 Chad· wiek: 69 - 62 : 123,1 - 76 : 71 -85 :69 - 104 .. : 69,1; 109,2 Sext(i)us, .....t. 87ff. Chadwiek: 9f.; 103 - 238 Chadwiek: 123,1 Gorgias B I Diels· Kranz: 87 - B 6 Diels·Kranz: 46; 88; 99; 101 - Pa\am. 18: 33 - - 31: 36; 101 Hecato, fr. 11 Fowler: 70 Heraclitus B 63 Diele·Kranz: U,I - B 66 Diels·Kranz: 24,1 -B94 :24,1 - B 115 .. : 49,2 Hermogen.... , de ideis p. 347 Rabe: 47, 1 Herodotus 1,2 ff.: 26; 36 1,8: 46,1 1,9ff.: 26 1,13,1: 46,1 1,29: 100 1,32.4: 55,2 1,41, I: 20; 35 1,45: 17 1,85,4: 47 - 2,120: 99 - 3,38: 66,1 - 3, 39ff.: 26 - 3,53,3: 88; 99 - 3,63,4: 46 - 3,72,4: 98 - 3,80ff.: 100 - 3,80,4: 42 - 3,109: 25,2 - 3,142: 96f, g.
- 4,95: 100 - 4,205: 20; 37 - 5,58: 25; 37 - 6,84,3: 26,2 - 6,88: 50 - 7,8ff.: 58,1 - 7,10: 26 - 7,10 eI 2: 99 - 7,10'12: 98 - 7,11,3: 35,1; 98 - 7,102ff.: 99 - 7,136: 96f. - 7,190: 25 - 8,60: 23,2; 99 - 8,106: 37 Hesiodus, Theog. 170ff.: 3i; -, Opera 187ff.: 34 - , - 218: 12 - , - 219ff.: 24,1 - , - 254ff.: 24,1 - , - 26lif.: 14 - , - 266: 63 - , - 280ff.: 15; 16,3 - , - 282: 16 - , - 349f.: 45 - , - 3113f.: 31 - , - 721: 31 - , fr. 144 Rz.: 15,2 - , fr. 174 Rz.: 14 Hierodes Stoieus apo Stob. 4 p. 661 H.: 104 Hippias B 17 Diels·Kranz: 98 Hippocrates, de &er. 100. aqu. 22: 21f, - , de morb. sacr. pass.: 22,1 Homerus A 11: 23, 1 - A 12ff.: 22,1 - A 356: 23,1 - I 63f.: 120,1 - I 496ff.: 23,2 - n 387ff.: 23 - E 497ff.: 15 - Y 250: 31 - 'I' 85ff.: 15 - • 18Sf.: 84,2; 96 - C 184: 32 - I' 382: 47 - • 259ff.: 15 - " 130ff.: 55,2 - % 413ff.: 23 11> 433f.: 14 Horatius, oarm. 3,23: 50 Hyperides 31 pass.: 37
132 Iambliehus, protrept. 24: 110,1 - , vit. Pyth. 29: 110,1 Inscriptionea graecae I. G. 111 1417: 21 I. G. IV «4.2: 21 Schwyzer, Exempla Nr. 409: 16,1 Sylloge': Nr. 783, 29ff.: 36 Sylloge': Nr. 98I1,61ff.: 21,3 P. Moraux, Imprecation funj\raire 11: 21,1 Inscriptionea Iatinae C. I. L. I' 682 (Dessau Nr.6302): 121 Deasau Nr. 8186: 21 Dessau Nr. 8190: 21 loannes StobaelLo 3 p. 113 H.: 120,1 - 3 p. 118 H.: 42 - 3 p. 119 H.: 34 - 3 p. 120 H.: 9 Isaeus 2,10: 34 Isidorus, Origin... 11, 27: 31. 2 I.soeratea, Aegin.60: 102 - , Antid. 2: 86 - , - 7: 111 - , - 27: 42 - , - 69: 111 - , - 71: 111 - , - 84ff.: 86 - , - 118: 111; 88 - , - 180: 49,2; 88 - , - 2011: 87 - , - 207: 88 - , - 209: 87 - , - 262: 86 - , - 271: 94 - , - 278: 47,1 - , - 2811: 99 - , - 291f.: 49,2; 88 - , - 313: 100 - , Aroop. 21: 67,1 - , Hel. IIff.: 62; 86; 87 - , - 6: 86 - , - 8f.: 87 - , Nie. 49: 96; 101 - , - 61: 102 - , - 62: 96; 101 - , ad Nie. 24: 102 - , - 43: 91 - , - 49: 10 - , Paneg.IIO: 124 - , - 81: 102 - , adv. Soph. 8: 63,2
Ps. laocratea, ad Dem. 14: 102 - , - 17: 91,1 - , - 21: 91,1; 102 - , - 26: 91,1 - , - 29: 91,1 - , - 34: 99 - , - 38: 91,1; 102 - , - 40: 88 Iulianus Imperator, ad Athen. p. 361 HertJ.: 103 Iuvena1is, sat. 12,130: 70,3 Lege_ XIItab. 8,2: 13 Lex Comclia apo BfUJUI, Fon ..... ' Nr. 13: 17 Livius 39, 8ff.: 121 Lueianus, Catapl. 24f.: 27 - , de saorif. 2: 21,4 Lueilius 1326ff. Marx: 33 Lysiaa 1 p688.: 111,1 - 3,42: 16; 111 PB. Lysiaa 6,7: 33 - 6,20: 25 Lysias 13,1: 35 - 21,20: 102,1 - 24,22: 1111,1 MareU8 Antoninus 2, 1: 71 - 5,6: 69 - 11,25: 69 - 6,113: 71 7,7: 69 7,36: 411 - 7,611: 71 - 7,66: 48,1 - 7,73: 68 - 7,74: 68 - 9,4: 68 10,8: 69 - 11,18: 69 - 11,25: 69 Maximus TyriU8 18 p688.: 70 Martialis 3, 85: 27, I Menander, Dysc. 727ff.: 47 - , - 797f.: 34 - , - 809ft".: 34, 1 - , Epitr. 588f.: 123,1 -, fr. Didot p. 143 Kö.: 123,1 -, fr. 710 Kock: 113 MU80nius p. 69f. Hense: 123,1 NumeniuB fr. 24ft". Leemans: 70,1 PB. OoeUus LUe&nus 52ft". BanJer: 123,1 Ovidius, ex Ponto 3, t, 71: 103
133 Papyri Pap. Flor. 367: "I Pap. Mieh. 7,430: 70,2; 103 Pap. Ox. 10611: 22 Areh. f. Pap. 6, 1920, 1Off.: 17, 1 Hunt·Edgar, SeI. Pap. Nr. 82; 93; 96: 36 Koenen, Ptolem. Königsurkunde IIff.: 17,1 Page, Literary Papyri Nr. 116: 34 Preisigke, Sammelb. 11,78311: 121 Wilcken UPZ 1,499: 17,1 Parmenides B I Die ...·Kranz: 24, 1 - B 14 DieL.-Kranz: 24,1 Pausani.... 1,22,2: 20,1 - 1,23: 74,1 -4,17,4: 14 - 11,27,6: 20,1 Petroni1l8 43,4: 33 - «,3: 34,2 - ",7: 33 P •. PhilipplL. Ma.eedo, ep. 2,4 (p. 462 Hercher): 103 Pbilostratll8, vit. ApoU. 8,11: 22, 1 Pindaruo, 01. 1,30ff.: 117,1 -, 01. 13,24: 211 - , Pyth. 3,8Iff.: l1li,2 - , Pyth. 10,43ff.: 41,1 - , Nem. 4,32: 14 - , Isthrn. 7,39ff.: 211 Plato, Ellthyphr. 14 E: 21,4 - , Apol. 30C: 62 - , - 37Eff.: 611 - , Crito 49Aff.: 6lf.; 86 - , Phaed. 114Af.: 27 - , Theaet. 167C: M,I - , - 166Bff.: 86 - , - 174Aff.: 86 - , Ccnv. 194Eff.: 92 - , Phaedr.248B: 63 - , Charm. 161Dff.: 46,1; 74,1 - , Prot. 324B: 64 - , Gorg. 474Bff.: 61 - , - 484Bf.: 93,1 - , - 1I07B: 33 - , - 1I08A: 68,2 - , - 1127C: 99 - , Men. 71E: 33; 33,2; 62; 101 - , Hipp. min. 369Bf.: 62; 86 - , Rep. 332Aff.: 86 - , - 332E: 33; 61 - , - 334C: 33
- , - 3311D: 62 - , - 338C: 99 - , - 338Dff.: 311,1 - , - 428B: 99 - , - 434C: 46,1 - , Leg.866D: 16 - , - 870E: 26; 63 - , - 904Cf.: 26,1 - , - 934A: 18; 64 - , ep. 7,33I1Aff.: 68 Po. Plato, ep. 8,352D: 101 - , def.413E: 70,3 Plautos, Pseud. 160: 53 - , Tme. 160: 113 Pliniu8 maior, nato hist. 2,14 (Democr. A 76): 40,1 PliniU8 minor, ep. 8,22,2: 113 - , ep. 9,30: 411,2 PIOtinU8 4,3, 16: 70, 1 Plutarchu8, Alex. 41: 45 - , Mar. 23: 28, I - , Per. 36: 16; 58,1 - , Sert. 14: 122,1 - , Sol. 22.1: 34 - , de aud. poet. 36B: 49.4 PA. PIlltareh. eon.•. ad Apol1. 102C: 70,1 Pllltarehuo, eoniug. praee. 143A: 123,1 - , de am. prolo 4911A: 71 - , de sero num. vind. 550A: 22,1 - , ad prine. inerud. 782 D: 39, 1 Polus p. 114 Radermaeher: 92 Polybius 23, 10,3: 27 Porphyriuo, adv. Christ. fr. 8 Harn.: 9 POAidonius F 38 Jae.: 27,2 - F 108 a 13 Jae.: 27,2 - F 108 i Jae.: 27,2 - F 108 u Jae.: 27,2; 39,1 - apo Sen. ep. 95,64: 95 Proelus, in Tim. I p. 378, 18 Diehl: 70 - , opuse. 1,51 Boose: 22,1 Prot.agoras B I Dicls·Kranz: 87 - B 3 Diels-Kranz: 88 Ps. Pythagora.•• earm. aur. 12: 39, I Sappho 5,6 LP: 32 Seolia anonyma (Pap. Ox. 17911): 70 Scolia attica Kr. 7 Bergk': 111,1 Scriptores bistor. Aug., Alex. Sev. 51: 10 Semonides 11 D.: 24 Seneea Rhetor, SUM. 6, 22: 38
1M Sen-. de benef. 1,3,9: 70 - , - 2,1,1: 70; 1(14 - , - 2,20: 70 - , de elem. 2,3: 45 - , de ir. 2,32,1: 71 - , - 2,34,4: 71 - , de vit. beat. 20,5: 71 - , ep. 47,11: 104; 126,1 - , - 48,2: 70 - , - 94,25: 9; 91 - , - 94,28: 59 - , - 94,43: 9; 101; 103; 106 - , - 94,67: 69 - , - 9/1,/10: 69 - , Phoen.494: 49,4 Bimonides 4 D.: 16,3; /10 Bimplicius, in Epict. eneh. p. 86 DUbn.: 118,2 - , - p. 87 DUbn.: 104 - , - p. 128 .. : 68 Bolo 1,/1 D.: 32 - 1,7fF. D.: 24,1; 25 - 1,l7fF. D.: 24,1 - 1,29f. D.: 15 - 3,13fF. D.: 2/1 - /I D.: 23,1 - 10 D.: 24,1; 2/1 Bophocles, Ai. 756fF.: 117,1 - , EI. 61: 99 - , 000. R. 1fF.: 22, I - , - 863fF.: 65,1; 98,1 - , - 979: 56 - , - 1070: 65,1 - , fr.226 N.: 57,1 - , fr. 287 N.: /16 - , fr. 703 N.: 47 Btoiei SVF 3,723fF.: 118,2 Btrabo 3, 165: 122, I - 15,710: 14,1 Suetonius, vit. Aug. 32: 29,3 Symmachus, ep. 9,114: /19 Tacitus, Agric. 42: 36 - , &IUl. 6,/11: 39,1 Terentius, Andr. 426f.: /13 - , Heaut. 77: 59 Theocritus 2,23: 21 Theognis /l9f.: 32 - 82: 122,1 - 133fF.: /1/1,2 - 34lf.: 2/1,1 - /l47f.: 4/1 - /173: 31f.
- 731fF.: 1/1 - 1079f.: 12/1,1 - 1089f.: /13 Theophrastus apo Stob. 2 p.23 H.: 40, 1 Thueydides 1,33,1: 37 - 1,33,3: 37; 88 - 1,77,': 93,2 - 1,140,1: 23,2 - 2,40f.: 66,1 - 2,40,4: 36 - 3,12: 37; 88 - 3,40,1: 17; 47,1 - 3,84: /16 - /1,105: 93,1 - /1,111,4: 47,1 - 6,87: 37; 88 Ps. Timaeus Locru8 95BfF.: 26,1 P8. Tyrtaeus 9,20 D.: 49,2 Valerius Maximus 2,6: 122,1 Varro, Menipp. 498 B.: 34,2 Vergilius, Aen. 6,6011J.: 120,2 Xenophanes I,I/If. D.: 50 - 2,13 D.: /16 Xenophon, Cyrup. 1,6,45: 35 - , - 3,1,38: 17 - , - 6,1,47: 103 - , Hier. 11,1/1: 4/1 - , Mem. 2,6,24: 33 - , - 2,1,12: 63,1 - , - 2,2,14: 33 - , - 4,4,24: 63,1 - , Oec. 3,lIfF.: 123,1 - , - 7,37: 71 Zenobius Paroem. 1,71 L.·Schn.: 3/1 - 1,91 L.·Sehn.: 69 CbrIIteatam (eIJIIolIL Ga"')
Neues Testament Mt. /I,43f.: 4/1,1; 73; 1141J. /1,47: 113,1 6,3: 4/1,2 6,12: 43 7,12: 9; 109; 112 18,6: 73 18,211J.: 72 19,19: 111 19,24: 72 20,lfF.: 72 22,39: 111 2/1,40: 73 Me. 12,31: 111
135 Lc.6,27ff.: 109; 113f.; 116 6,31: 9; 114 IO,26ff.: 112ff. 10,28: 8 13,4: 54 18,IOff.: 72 Joh. 16,111'.: 76 Aot. 16,2011'.: 9; 10 Rom. 1,14: 74 12,17: IU 13,8: 74,1; 116 I. Cor. 8 pass.: 7M. Ga). 11,14: 116 Eph. 6,H.: 711 Phil. 2,4: 96 2,1111'.: " I. Joh. 2,10: 76 Alteroatio Simonis et Theophili (T. U. 1,3 p.28): 107 Apocal. Petri 2I1ff.: 27 Aristides, ..pol. 14,H.: 107 Augustinus, enarr. in PR. 36 86rm. I, 34: 107 - , - PM. 111 86rm. IO,22f.: 107 - , - Po. 117 86rm. 1,8: 107 Bar Daisan, liher leg. reg. 11 N ..u: 9; 107; 108 Barnabas, ep. 19,6: 75 Ps. Clemens, horn. 7,4: 107; 108 - , - 11,4: 107 - , - 12,21111'.: 109,2 - , Reoogn.8,66: 107 Clemens Ale"., Paed. 1,1,1 ff.: 95 - , - 3,88,1: 107; 109,2 - , Strom. 3,139,2: 107 Constitutiones Apostolorum 1,1: 107 Cyprianus, ad Quir. 3,19: 107 Didascalia 1,1: 107 Didache 1,2: 9; 10; 107; 108; 109,3 - 1,6: 109,2 Dracontius, Iaud. Dei 2,584: 29,2
Epistula Apostolorum 18 Duensing: 9; 107 Ev. Thomae (gnost.), log. 6: lOH. Gregorius Nazianzenus, or. 18,20 (P. G. 36,1009): 109,2 Gregorius NY886l1us, ep. 14,7 Pasqu.: 69,2 Hegemonius, Acta Arohelai 10: 26,1 Hieronymus, ep. 121,8,12: 107 - , inMatth. comm. 1,8(P.L. 36,47): 107 Inscript. Iat. christ. 476 Diehl: 107 loannee Chry808tomus, in Matth. horn. 23 (P. G. 117, 314): 107; 108 Irenaeus, adv. haer. 2,12,14: 107 !UBtinUS, Dial. 93,1: 107 Lact&ntius, inst. 1,16,10: 106 - , - 6,23,32: 108 - , inst. epit. 1111,3: 107; 108 Mandaic.. h. Lidzharski, Quell. z. Relig.gesch. 4,13 S. 38: 107 Manichaica b. Andreaa.Hennig, S. Ber. Bin. 1934, 864: 107f. Martinus Bracar., de corr. rust. 17: 107; 108 Martyrium Polycarpi 1,2: 84,2; 96 Nemesius, de nato homin. 29ff.: 77,1 Origenes, in Matth. fr. 142 Klosterm.: 106 Photius, in Matth. 7,12 (b. Reuss, T. U. 61,283): 10M. Pistis Sophi.. p. 227, I ff. Sohmidt: 78,2 Ptolemaeus, ad Flor...p. Epiphan. Panar. 33,4,111'.: 78 Rabbula ..p. Overbeok, S. Ephraemi op ....1. p. 241: 107 Salvianus, de gub. Dei 3,26: 107 Tertullianus, adv. Mare. 4,16: 78; 107 Theophilus, ad Autolyo. 2,34: 107
ALBRECHT DIHLE
Studien mr griechischen Biographie ~
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Griechische Metrik J.
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Die tragische Dichtung der Hellenen '1,1.
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Das mathematische Denken der Antike "". ,., sm., _6. ,J' DM Hrfll
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Der antike Roman AIif,. 'ni.
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Die römische Satire I., ,.;, ,;.., NtdIr.z, ...... AlI/Itct ,,,,. Hrfli
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Griechische Epigraphik "". ", sm., -.b. DM
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MARTIN OSTWALD
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RUPRECHT· GOTTINGEN UND ZORICH