Nr. 367
Die große Stille Raubzug im Land der Magier von Marianne Sydow
Pthor, der Kontinent des Schreckens, hat sich ...
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Nr. 367
Die große Stille Raubzug im Land der Magier von Marianne Sydow
Pthor, der Kontinent des Schreckens, hat sich auf Loors, dem Planeten der Bran geln, lange genug aufgehalten, um es Atlan zu ermöglichen, Spercos, des Tyrannen der Galaxis Wolcion, Gewaltherrschaft ein jähes Ende zu setzen und den unterdrück ten Völkern die verlorene Freiheit wiederzugeben. Inzwischen ist Pthor zu neuem Flug durch den Kosmos gestartet. Eingeleitet wurde der Start durch den »Ruf des Wächters«, der fast alle Lebewesen auf Pthor in tiefen Schlaf versinken ließ, und durch das Erscheinen des »schwarzen Kontrolleurs«. Um zu verhindern, daß Pthor wieder der Kontrolle der mysteriösen Beherrscher der Schwarzen Galaxis anheimfällt, macht sich Atlan, der dank dem Goldenen Vlies nicht in Tiefschlaf verfallen ist, auf den Weg zur »Seele« von Pthor. Doch es gelingt Atlan nicht, auf die Steuerung Einfluß zu nehmen. Statt dessen wird der Arkonide auf die »Dimensionsschleppe«, den Ableger Pthors, verschlagen, der eine kleine Welt für sich bildet. Während der Arkonide dort in Eis und Schnee und unter den Clanocs, den Ausge stoßenen von Pthor, seine gefährlichen Abenteuer besteht, blenden wir kurzfristig um in den Teil von Pthor, der die Heimstatt der Magier ist. Auch dort erschallte der Ruf des Wächters – und als Folge davon regiert DIE GROSSE STILLE …
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Die Hautpersonen des Romans:
Gofruun - Bodenmagier von Oth.
Heix - Gofruuns seltsamer Verwandter.
Das Budella - Ein Intelligenz- und Wissensräuber.
Copasallior - Der Weltenmagier wird aufgeweckt.
1. Gofruun stellte bei seinem Rundgang fest, daß schon wieder magisches Plasma abge storben war. Insgesamt war der Verlust nicht groß, aber den Bodenmagier beunruhigte es sehr, daß in den Höhlen ein ihm unbekannter Einfluß spürbar wurde. Er brauchte das Plas ma. Und es war keineswegs sicher, daß er es in den nächsten Tagen in ausreichender Menge produzieren konnte, um die Lücken auszufüllen. Als er in die Haupthöhle zurückkehrte, entdeckte er seinen Alterenkel Heix ausge rechnet in der Tür zur Vorratskammer. »Kannst du nicht mal an etwas anderes denken, als dich pausenlos vollzufressen?« schrie Gofruun wütend. Heix stopfte sich schnell eine Nektarknol le in den Mund. »Ich brauche meine Kräfte!« behauptete er kauend. »Außerdem habe ich dir schon hundertmal gesagt, daß du mich nicht an brüllen sollst.« Er watschelte schnaufend an Gofruun vor bei und ließ sich ächzend in einer Ecke nie der. Sein faßförmiger Körper paßte kaum in den massigen Sitz aus Yasselleder. Über ihm an der Wand leuchtete das Plasma hel ler auf. Das Licht spiegelte sich auf dem blanken Schädel. Heix war etwa zwei Meter groß und fast genauso breit, blauhäutig und absolut haarlos. Gofruun musterte ihn wü tend, wagte jedoch nicht, seinen Ärger wei ter an dem Dicken auszulassen. Er war auf Heix angewiesen, und darum ertrug er ihn, auch wenn das Scheusal ihn manchmal bis zur Weißglut reizte. Er hatte keine Ahnung, wie er zu seinem Alterenkel gekommen war. Genau genom men wußte Gofruun nicht einmal, was der
Ausdruck bedeutete. Heix behauptete hart näckig, mit Gofruun verwandt zu sein. Er zählte auch allerlei Namen auf, wenn er in der richtigen Stimmung war, aber Gofruun konnte damit nicht viel anfangen. An seine Kindheit erinnerte er sich ohnehin kaum noch, er selbst war geschlechtslos, und sei nen Vater hatte er niemals kennengelernt. »Wir brauchen neues Plasma«, sagte er zu Heix. »Weiß ich«, brummte der Dicke schläfrig. »Darum mußte ich mich ja stärken. Aber es hat keinen Sinn. Es ist zu still oben.« »Zu still?« fragte Gofruun überrascht. »Wie meinst du das?« Heix fixierte den Bodenmagier und huste te gequält. »Die Luft ist schlecht«, beschwerte er sich. »Warum baust du nicht endlich eine Vorrichtung, mit der sich das ändern läßt? Seit wievielen Jahren rede ich jetzt schon deswegen auf dich ein! Es ist doch in dei nem Interesse …« Gofruun ergriff die Flucht. Er lief von der Wohnhöhle weg bis zu ei nem Schacht, der an die Oberfläche führte. Am unteren Ende des Schachtes blieb er ste hen. Er lauschte. Er verstand die Behaup tung des Alterenkels nicht. Es war immer still hier unten. Natürlich gab es Geräusche, denn die Barriere von Oth war nicht halb so massiv, wie sie von außen wirken mochte. Überall gab es Höhlen, und in vielen strömte Wasser durch die Tiefen. Ganze Stromsyste me existierten, dazu kamen luftgefüllte Gän ge und Hallen, von denen viele irgendwann in der Geschichte dieses Gebirges bewohnt gewesen waren. Gofruun hatte sein Leben fast ausschließlich in der Tiefe zugebracht. Er wußte also, was jedes Knacken und Kni stern in den Höhlenwänden bedeuten konn te. Er kannte die unterschiedlichen Ge
4 räusche von Wasser, das auf verschieden ge arteten Untergrund tropfte oder sprühte oder an steinernen Sperren nagte. Heix hatte zweifellos andere Geräusche gemeint. Gofruun erinnerte sich an ein schrilles Pfeifen, das er vor kurzer Zeit vernommen hatte. Es kam von oben. Dort war es in letz ter Zeit zu allerlei Vorfällen gekommen, aus denen Gofruun sich lieber heraushielt. Ei nem Ereignis hatte er sich nicht entziehen können. Als es zur Auseinandersetzung im Tal der Nebel kam, hatte die Macht der Ma gier nach allen gegriffen, die in der Barriere lebten. Heix hatte offen für Jarsynthia Partei ergriffen. Gofruun konnte seinen Alterenkel in diesem Fall erfolgreich zum Schweigen bringen. Es mochte wie Berechnung ausse hen, daß der Bodenmagier sich gerade noch rechtzeitig auf die Seite der Sieger schlug, aber Gofruun war bei allen Eigenheiten kein Narr. Es war seine ehrliche Überzeugung, daß die Leute um Jarsynthia es seit langem etwas zu weit trieben. Er hatte sich gewun dert, daß es so lange dauerte, bis die anderen die Geduld mit der Liebesmagierin verloren. Der Kampf war entschieden, die Ruhe in der Barriere wiederhergestellt. Die Zeit ver ging. Dann kam das Pfeifen. Es hielt aber nicht lange an. Gofruun hatte es nur durch einen Zufall bemerkt. Das Geräusch hatte ihn gestört. Er war in die tieferen Bereiche ausgewichen. Seitdem war ihm nichts aufgefallen, was nicht in sein normales Leben gepaßt hätte. Aber als er unter dem Schacht stand, spür te Gofruun ein Vibrieren unter seinen Fü ßen. Erschrocken drehte er sich im Kreis. Das Vibrieren wurde stärker. Der Boden un ter seinen Füßen begann zu wackeln. Sein »gutes« Gesicht zeigte ihm, wie sich jenseits des Plasmabelags im Fels winzige Spalten bildeten und andere sich schlossen. Das Ge stein schien zu pulsieren. Gofruun kämpfte gegen die Panik an, die in ihm hochstieg. »Kein Grund zur Aufregung!« sagte er zu sich selbst. »Nur ein kleiner Start. Das ken-
Marianne Sydow nen wir doch. Wird Zeit, daß Pthor auf die Reise geht.« Aber dabei wußte er genau, daß etwas nicht stimmte. Die letzte »Landung« war ein Notmanöver gewesen. Das hatte er erfahren, und er hatte das als Erklärung für die Er schütterungen genommen, die man in der großen Barriere trotz des Großen Knotens gespürt hatte. Was war überhaupt mit dem Knoten? Er vergaß die Frage, weil die Felsen für Sekunden zu bocken begannen. Gofruun verlor den Halt unter den Füßen. Er stürzte der Länge nach zu Boden. Hinter sich hörte er Heix kreischen. Er versuchte nicht erst, sich aufzurichten, denn immer schlimmer wurde das Schlin gern. Er ignorierte das, was sein »gutes« Ge sicht ihm mitzuteilen versuchte. Von dort kamen nämlich nur Bilder von drohender Zerstörung, und Gofruun wußte, daß er sich nicht durch solche Impulse lähmen lassen durfte. Er kroch auf allen vieren den Gang hinunter. Halb blind und taub vor Entsetzen er reichte er schließlich die Wohnhöhle. Er nahm seine Umgebung nur undeutlich wahr. Heix kauerte in seiner Ecke, hielt sich die Ohren zu und hatte die Augen geschlossen. Dabei wimmerte und stöhnte er. Die Ge räusche gingen im Rumpeln und Knirschen fast vollständig unter. »Heix!« rief Gofruun eindringlich. »Heix, komm zu dir! Wir müssen das Plasma stüt zen. Nur so können wir überleben!« Aber Heix verschloß sich gegen die Stim me des Bodenmagiers. Gofruun wunderte sich. Heix hatte zweifellos magische Kräfte, denn er war mehr oder weniger unsterblich, und er lebte in der Barriere. Auch war er ir gendwann über die Grenze am Ko-Tomarth gekommen. Aber es schien, daß nicht einmal der Weltenmagier selbst wußte, wie die Ta lente dieses dicken Individuums aussahen. Heix existierte und bewirkte, daß Gofruun sein magisches Plasma herstellen konnte. Ohne ihn wäre der Bodenmagier gezwungen gewesen, daß Leben in den Höhlen aufzuge
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ben oder sich doch zumindest gründlich um zustellen. Aber der Alterenkel hatte noch niemals von sich aus etwas getan, was auf magische Fähigkeiten schließen ließ. Im Ge gensatz zu allen anderen Magiern hatte er sein Leben in der Barriere auch nicht damit begonnen, sich in den unterschiedlichen Fachgebieten schulen zu lassen. »Tu endlich etwas!« flehte Gofruun den Alterenkel an. »Allein stehe ich das nicht durch. Wenn ich sterbe, bist du auch verlo ren.« Heix öffnete ein Auge. Gofruun sah es undeutlich, trotzdem schrak er vor diesem Blick zurück. »Ich kann nichts tun«, erklärte Heix mit ungewohntem Ernst. »Sieh zu, wie du es überstehst. Vielleicht wäre es besser für dich gewesen, mit den anderen in Schlaf zu sin ken.« Gofruun war sprachlos. »Vergiß es!« murmelte Heix und machte das Auge wieder zu. Der Bodenmagier verlor sich für einen Moment in einer formlosen Dunkelheit. Als er wieder sehen konnte, starrte er Heix im mer noch an. Aber er konnte sich an die rät selhafte Bemerkung des Alterenkels nicht mehr erinnern. Statt dessen erfüllte ihn tiefe Resignation. Was mochte jetzt oben geschehen? Wie würde die Barriere diese neue Belastung überstehen? Zum erstenmal machte Gofruun sich Ge danken über seine Artgenossen. Er fragte sich, warum die mächtigen Magier nichts unternahmen, um diese Erschütterungen zu mindest zu dämpfen. Waren sie am Ende nicht imstande, etwas zu unternehmen? Er versank in einem unruhigen Schlaf.
* Gofruun hatte keine Ahnung, wie lange er so in der Wohnhöhle gelegen hatte, bis er endlich wieder zu sich kam. Er richtete sich mühsam auf. Sein erster Blick galt Heix. Der Alterenkel schien sich nicht vom Fleck
gerührt zu haben. Gofruun fühlte sich wie zerschlagen. Mit Mühe nur konnte er sich gegen die Müdig keit behaupten, die ihn erfüllte. Am liebsten wäre er liegengeblieben. Die Höhle war immerhin unversehrt ge blieben. Es gab ein paar lose Felsbrocken, die herabgestürzt waren, ohne Schaden an zurichten. Das Plasma hatte sich an einigen Stellen gelockert. Gofruun strich mit den Händen über das weiche Gewebe. Das Zeug fühlte sich warm an. Das war für den Bo denmagier ein deutliches Zeichen dafür, welchen Belastungen das Plasma hatte standhalten müssen. Nachdenklich blickte er zu Heix hinüber. Gofruun war sich ziemlich sicher, daß er in seinem desolaten Zustand das Plasma nicht unterstützt hatte. Gofruun war in dieser Hinsicht unge wöhnlich aufrichtig – jedenfalls für einen Magier von Oth. Im Gegensatz zu vielen an deren Bewohnern des Gebirges neigte er nicht zur Selbstüberschätzung. Ein anderer hätte sicher geglaubt, daß es ihm gelungen sei, im Augenblick der Gefahr ungeahnte Kräfte zu entwickeln. Gofruun dagegen heg te den Verdacht, daß es der Dicke war, der das Plasma stärkte. »Bist du wach?« fragte er vorsichtig. Heix antwortete nicht. Gofruun stand seufzend auf und durch suchte die Höhle. Im Vorratsraum war ein Fach leer, das er noch kurz vor dem Beginn der Erschütterung mit Nektarknollen gefüllt hatte. Wahrscheinlich hatte Heix die Knollen aufgegessen. Aber dann mußte er in der Zwischenzeit doch in den Höhlen herumge laufen sein! Er sah in die Wohnhöhle. Der Alterenkel schnarchte leise. Gofruun schüttelte verwirrt den Kopf. »Mit Faulheit und Gefräßigkeit«, murmel te er vor sich hin, »übersteht man wahr scheinlich alle Gefahren leichter.« Er wartete auf einen wütenden Kommen tar, aber der Dicke rührte sich nicht. All
6 mählich kam ihm die Sache merkwürdig vor. Er trat dicht an Heix heran und legte die Hand gegen den Hals seines Alterenkels. Er schrocken stellte er fest, daß Heix bewußtlos war. Er untersuchte den Dicken hastig, fand aber keine Verletzungen oder andere Anzei chen, die als Erklärung für den Zustand des Alterenkels hätten herhalten können. Gofruun gab es schließlich auf. Er konnte nichts für Heix tun. Der Boden der Höhle vi brierte immer noch, aber die Gefahr war längst nicht mehr so groß wie kurz nach dem Start. Der Bodenmagier inspizierte eilig sein Reich. Es hatte hier und da Einstürze gege ben. Manche Höhlen waren teilweise blockiert, aber Gofruun stellte erleichtert fest, daß er diese Schäden schnell beheben konnte. Besorgniserregend war lediglich der Zustand des Plasmas. Es würde Wochen dauern, bis das Geflecht wieder die volle Menge an Nektarknollen liefern konnte. Nachdenklich kehrte er zu Heix zurück. Der Alterenkel sah blinzelnd zu ihm auf. »Ich habe Hunger!« klagte er. »Bring mir etwas zu essen.« »Dazu ist jetzt keine Zeit«, antwortete Gofruun schroff. »Das Plasma hat sehr gelit ten. Wenn du mir jetzt nicht hilfst, wirst du zwangsweise erleben, wie vorteilhaft eine Abmagerungskur sich auf deine Figur aus wirken kann.« Heix kam schnaufend auf die Beine. »Du weißt nicht, wovon du redest!« warf er dem Bodenmagier vor. »Eines Tages wird dein eigener Geiz dich in den Hungertod treiben.« Gofruun hörte gar nicht hin. Er schritt voran und hörte bald die keuchenden Atem züge seines Alterenkels hinter sich. Er lä chelte böse. Heix war natürlich versuchswei se zurückgeblieben. Aber manchmal war es eben doch zu merken, daß Gofruun seinem seltsamen Verwandten etwas voraus hatte. Die Tür zur Vorratskammer würde sich dies mal nur auf Gofruuns Zeichen hin öffnen. Dem Dicken blieb gar nichts anderes übrig, als zuerst bei der Regeneration des Plasmas
Marianne Sydow zu helfen. »Du bringst mich noch um«, jammerte Heix. »Ich bin geschwächt, und wenn ich jetzt nicht sofort eine Pause machen darf, dann werde ich dir bald überhaupt nicht mehr helfen können.« Der Bodenmagier ging schweigend wei ter. Vor einer Lücke im Plasmageflecht blieb er stehen. Heix stöhnte herzerwei chend. Als er merkte, daß Gofruun sich da von nicht beeindrucken ließ, gab er endlich Ruhe. Er ließ sich schwerfällig auf dem Bo den nieder, umschlang die Knie mit den Ar men und starrte das Plasma an. Während die Pupillen des Alterenkels sich zu winzigen Punkten zusammenzogen, spürte Gofruun die vertraute Kraft in seinen Händen stärker werden. Er regenerierte das Plasma so weit, daß es sich von nun an selbst helfen konnte. Dann weckte er Heix aus seinem Trancezu stand und trieb ihn zur nächsten beschädig ten Stelle. Erst als fast alle Lücken im Geflecht bis auf dünne Risse verheilt waren, gönnte der Bodenmagier sich und Heix die verdiente Ruhe. »Wir sollten uns oben umsehen«, sagte Heix plötzlich, als Gofruun schon dachte, der andere wäre eingeschlafen. »Das hast du schon mal gesagt«, brummte er. »Der Start kam mir dazwischen. Ich weiß nicht, was es oben Neues geben sollte. Wenn wir uns blicken lassen, gibt es nur Är ger.« »Wo niemand ist, kann auch niemand Är ger verursachen.« Gofruun sah überrascht zu seinem Alte renkel hinüber. »Wir werden hinaufgehen«, entschied er. »Aber erst morgen.« »Morgen?« fragte Heix spöttisch. Gofruun schwieg. Er wußte selbst nie ge nau, ob es oben Tag oder Nacht war, und es kümmerte ihn auch nicht. Er brauchte kein Licht, bis auf die schwache Dämmerung, die das magische Plasma verströmte. Er brauch te auch keine Sonne und all die anderen Din ge, um die sich die Gedanken derer drehten,
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die an der Oberfläche lebten. Trotzdem würde er nach oben gehen. Heix hatte es mit seinen Bemerkungen ge schafft, den Bodenmagier neugierig zu ma chen.
2. Das Budella glitt in seinem Käfig unruhig hin und her. Ab und zu fuhr es ein Stielauge aus und musterte die Umgebung, und je län ger es die geschlossene Tür betrachtete, de sto ungeduldiger wurde es. Wo blieb der Bursche mit den sechs Ar men diesmal? Es war eine Unverschämtheit, fand das Budella, es so lange allein zu las sen. »Er hat uns vergessen!« klagte der Suk im Nachbarkäfig und ringelte sich dabei um einen abgestorbenen Ast. »Unsinn«, widersprach Nyzel von der an deren Seite. »Er schämt sich. Wird auch Zeit.« Das Budella hielt sich aus der Diskussion heraus. Die beiden anderen stammten zwar ebenfalls von irgendeinem Planeten, den Pthor auf seiner Reise berührt hatte, aber sie waren ziemlich dumm. Nur dem Sechsarmi gen verdankten sie das bescheidene Quan tum an Intelligenz, das ihnen solche Unter haltungen gestattete. Der Suk war groß und lang, hatte ein Bein mit zehn krallenförmigen Zehen daran und einen ballartigen Körper, der ein paar Sin nesknoten trug. Mit dem Bein ringelte er sich meistens an seinem Trageast fest. Nyzel gehörte einer Familie von bandähnlichen Wesen an, die meistens als unentwirrbares Knäuel auf dem Boden ihres Käfigs lagen. Jedes Band erfüllte eine Funktion. Nyzel war der Sprecher des Knäuels, die sechs Farrns waren die Läufer und so fort. Das Budella dagegen war groß und präch tig. Es hatte einen glockenförmigen Körper und viele rote Blätter, zwischen denen an dehnbaren Stielen seine Augen, Ohren, Na sen, Schwerespürer und anderen Sinnesorga ne saßen. Es bewegte sich mit unnachahmli
cher Eleganz leicht und schwebend und ent faltete sich – wenn es sich wohl fühlte – zu einer fast zwei Meter breiten, dunkelroten Riesenblüte. Beim Schweben erzeugten die Schwerespürer einen zarten Gesang, und in ihn mischte sich das silberhelle Klingeln der metallenen Trageknospen. Sogar Copasallior war von der Schönheit des Budella überwältigt gewesen. Darum hatte er es in die Barriere gebracht. Das Bu della wußte allerdings auch, daß der Welten magier diese Tat inzwischen bereute, denn die seltsamen Fähigkeiten des Blütenwesens offenbarten sich erst später, und da hatte Pthor den Heimatplaneten des Budella längst verlassen, und Copasallior sah keine Möglichkeit, es zurückzubringen. Er konnte es aber auch nicht auf irgendeiner anderen Welt abladen, denn die Fähigkeiten des Bu della bargen Gefahren. Das Budella verfügte über etwas, das Co pasallior in anderer Form bereits kannte – es entzog den Lebewesen in seiner Umgebung Kraft und Wissen und leerte seine Opfer da bei allmählich aus. Sie blieben als rein vege tative Hüllen zurück. Da das Budella not falls sein auffälliges Äußeres verändern und sich hervorragend tarnen konnte, dazu fast unverletzbar war, mit allen organischen und anorganischen Stoffen fertig wurde und kei ne spezialisierte Nahrung brauchte, wurde es durch die Intelligenzsaugerei zu einem nahe zu unüberwindlichen Gegner. Copasallior hatte mehr als ernsthaft dar über nachgedacht, ob es nicht besser wäre, diese gefährliche Riesenblüte zu vernichten. Aber da war das schlechte Gewissen, denn in seiner Heimat war das Budella für nie manden eine Gefahr, und wenn er das We sen nicht in die Barriere verschleppt hätte, wäre es still und friedlich seinen vorgezeich neten Lebensweg gegangen. So aber trug der Weltenmagier die Verantwortung für seinen Schützling. Seit seiner Ankunft in der Bar riere hatte das Budella ein eigenes Bewußt sein entwickelt, und es widerstrebte dem Weltenmagier, ein denkendes Wesen ein fach auszulöschen.
8 Bis zuletzt hatte Copasallior immer wie der Versuche unternommen, das Budella auf elegante Art unter Kontrolle zu bringen. Längst gab es einen Käfig, von dem der Weltenmagier glaubte, daß auch die Riesen blüte sich nicht daraus befreien könnte, denn nicht einfache Materie hielt das Budella fest, sondern magische Fesseln umgaben es und schenkten ihm gleichzeitig die Illusion, sich in völliger Freiheit bewegen zu können. Nach dem Kampf im Tal der Nebel hatte Copasallior sogar weitere Sperren errichtet. Dann schob sich auch in der Barriere von Oth ein Ableger des VONTHARA aus dem Boden. Die Magier, die unter dem sich nur langsam auflösenden Großen Knoten gute Chancen gehabt hätten, der allgemeinen Lähmung zu entgehen, hatten mit einem sol chen Angriff aus der Mitte ihres Reiches of fenbar nicht im Traum gerechnet. Sie schlie fen genauso gründlich ein wie alle anderen Pthorer auch – mit Ausnahmen, wie zum Beispiel Gofruun und seinem Alterenkel Heix. Als die Magier aber das Bewußtsein ver loren, erloschen auch viele Sperren und Schirme und Verbindungen aller Art, soweit sie nicht an bestimmte Speicher gebunden waren. So lag die Barriere völlig schutzlos vor jedem, der sich in diesem geheimnisumwitter ten Gebiet umsehen wollte. Zum Glück war unter den gegebenen Um ständen nicht zu erwarten, daß macht- und beutegierige Pthorer die Gelegenheit nutzten und die Barriere plünderten. Nur das Budella bildete einen Unsicher heitsfaktor, an den nicht einmal Copasallior gedacht hatte. Man durfte ihm keinen Vor wurf deswegen machen. Vom VONTHARA und dessen lähmenden Tönen hatte er offen sichtlich nichts gewußt, sonst hätte er ver sucht, sich vor derartigen Angriffen zu schützen. Um so weniger konnte er vorher sehen, daß ausgerechnet die Riesenblüte zu den Wesen gehörte, die gegen das Pfeifen immun waren. Das Budella war geduldig. Es hatte das
Marianne Sydow Pfeifen wahrgenommen und völlig unbe wußt darauf reagiert. Es hatte sich vor der Lähmung bewahrt. Es war nicht gerissen ge nug, um sofort darauf zu kommen, daß die Magier nicht ebenso leicht mit dem Problem fertig werden könnten. Es stellte nicht ein mal fest, daß Nyzel und der Suk nur deshalb noch bei Bewußtsein waren, weil sie sich nahe genug bei dem Budella aufhielten. Dann begann dieses fürchterliche Dröh nen und Vibrieren, von dem das Budella in zwischen wußte, daß es auf einen nicht nor mal verlaufenden Start und Flug dieses Lan des hinwies. Das Budella zog seine Blätter enger zusammen und dachte angestrengt nach. Es kam zu der Schlußfolgerung, daß etwas nicht stimmte. Die drei magischen Käfige mit der Rie senblüte, dem einbeinigen Suk und dem knäuelförmigen Gemeinschaftswesen befan den sich mitten im Crallion, einem Berg, der sechseinhalbtausend Meter hoch war. Nahe dem Gipfel, unter einem See, der drei Was serfälle speiste, lag der Eingang zu Copasal liors Höhlen. Oben gab es helle, relativ freundlich eingerichtete Wohnräume. Zur Halle der Wunder, in der Copasallior die un gefährlicheren Beutestücke aus fremden Welten aufbewahrte, gelangte man über eine steile Wendeltreppe oder – wenn Copasalli or es so wollte – durch einen runden Schacht, der sich besonders gut zum Aufbau unsichtbarer Flugfelder eignete. Noch tiefer als die Halle der Wunder, gute zweihundert Meter unter den Wohnhöhlen, begannen die geheimen Höhlenbereiche. Hier bewahrte Copasallior magische Gegenstände auf, die er für sich selbst brauchte, und es gab weit läufige Hallen mit seltsamen Werkzeugen und Geräten und anderen Dingen, die Copa sallior für Versuche und Forschungen benö tigte. Direkt unter diesem Labyrinth lagen die Kavernen mit den Käfigen. Copasallior sah düster aus und neigte nicht gerade zum Frohsinn, aber er hatte sei ne lebenden Beutestücke stets gut behandelt. Die Kavernen boten ihren Bewohnern jede Bequemlichkeit. In vielen gab es ganze
Die große Stille Landschaften mit den richtigen Tieren und Pflanzen, und selbst das Wasser in den künstlichen Teichen und Bächen glich in Temperatur und Beschaffenheit dem, was die jeweiligen Wesen aus ihrer Heimat ge wöhnt waren. Das Budella kannte die Ört lichkeiten nicht aus eigener Anschauung. Seine Informationsquelle war noch viel bes ser – trotz aller gebotenen Vorsicht hatte das Budella dem Weltenmagier immer wieder kleine Brocken seines Wissens stehlen kön nen. Es war nicht so dumm gewesen, sich Co pasallior gegenüber auch nur mit dem klein sten Gedanken zu verraten. Und so dachte Copasallior stets, daß das Budella in seinem Käfig absolut sicher untergebracht war. Das Budella aber hatte auch noch einen gut ausgeprägten Zeitsinn. Solange es sich besinnen konnte, kam Copasallior stets we nige Stunden nach einem Start in die Kaver nen, um sich persönlich davon zu überzeu gen, daß es seinen Schützlingen an nichts fehlte. Das Budella wußte, daß die Reisen Pthors für verschiedene Lebensformen ge fährlich wurden und daß Copasallior darum die Verpflichtung fühlte, solche Kontrollen zu unternehmen. Als die Stunden um waren und der Weltenmagier auch jetzt nicht in der Tiefe auftauchte, kam das Budella zu dem Schluß, daß dem Weltenmagier etwas zuge stoßen sei. Darauf hatte es seit langem gewartet. »Was tust du da?« fragte der Suk, und Nyzel schnatterte aufgeregt: »Halte es, Farrn eins, halte es, Farrn zwei, halte es, Farrn drei …«, aber ehe der Sprecher der Bandwesen noch jedem einzelnen Läufer Befehle ertei len konnte, hatte sich das Budella bereits umgedreht. Seine roten Blätter hingen dicht über dem Boden, während die klingelnden Trageknospen gegen die Stellen schlugen, an denen die magischen Wände verankert waren. »Nyzel, sieh!« kreischte der Suk, ohne daran zu denken, daß das Band namens Ny zel fürs Sehen nicht zuständig war. »Ergreift ihn, Drohs, ergreift ihn!« schrie
9 Nyzel, und sechs andere Bänder schnellten in die Luft, prallten gegen die magischen Wände des Nachbarkäfigs und sanken be täubt zu Boden. »Das hast du davon«, spottete das Budella mit säuselnder Stimme, zog die Trageknos pen ein und schwebte durch die nicht mehr existierende Wand hindurch. »Es flieht«, heulte der Suk. »Es flieht! Haltet es auf, haltet es auf!« »Drohs schmerzen, schmerzen, schmer zen«, jammerte Nyzel, und ehe er in seinem Klagen fortfahren konnte, hatte das Budella den Ausgang der Kaverne schon erreicht. Die Sicherungen an seinem Käfig hatte es ausschalten können, weil Copasallior oft ge nug sehr unvorsichtig darüber nachgedacht hatte, wie er es dem Budella noch unmögli cher machen könne, jemals aus dem Crallion zu fliehen. Den Weg nach oben fand es nicht so leicht, und anfangs kam es nur langsam voran. Nicht nur die vielen Türen und Sper ren aller Art machten ihm zu schaffen. Noch schlimmer fast war die Furcht, entdeckt zu werden, bevor er Copasallior gefunden hat te. Er hatte eine gute Chance, den Welten magier zu besiegen, wenn es überraschend angreifen konnte. Wurden die Kavernen von außen beob achtet? Darüber hatte das Budella vorher nie nachgedacht. Jetzt, als es zum erstenmal die Größe der Höhlen sah, wurde ihm doch recht bange. Hauste Copasallior wirklich al leine hier? Mußte er nicht viele Helfer ha ben, wenn er all diese Räume nutzen wollte? Es schwebte vorsichtig weiter, hielt im mer wieder an, um sich zu orientieren und streckte alle Sinnesfühler aus, um zu erkun den, ob bereits Copasalliors Helfer unter wegs waren, um das Budella wieder einzu fangen. Das Blütenwesen erinnerte sich mit großem Unbehagen an Copasalliors seltsame Schleuder, mit der er das Budella einmal be rührt hatte. Damals war das Blütenwesen noch nicht lange im Crallion gewesen, und kaum daß seine Intelligenz unter dem Ein
10 fluß des Weltenmagiers erwachte, hatte es sich bei der erstbesten Gelegenheit auf ihn gestürzt, um seine Fähigkeiten zu erwerben. Die Schleuder hatte das Budella in einen schmerzhaften Krampf gestürzt, und noch wochenlang hatte es sich prompt geschlos sen, wenn Copasallior nur in die Kaverne hineinsah. Aber es kam niemand. Allmählich wurde die Neugierde größer als die Furcht. Das Budella erreichte die Halle der Wunder. Es verharrte verwirrt und zog einen Teil seiner Fühler ein, denn es nahm zu viele Informationen auf, mit denen es gar nicht schnell genug zurechtkam. Das Licht kam hier nicht einfach aus der Decke, sonnenhell oder nachtgedämpft, son dern entströmte kleinen Kugeln, den Trage knospen nicht unähnlich. Um jede dieser Kugeln waren andere, größere Körper aus durchsichtigem Material angeordnet. Und überall lagen Gegenstände herum, die das Budella nie zuvor gesehen hatte. Zuerst wurde es von seinen Instinkten hin und her gerissen. Es schwankte zwischen diesem und jenem Ding hin und her, glitt über Bilder hinweg, verharrte zitternd neben Statuen, kreiste verwundert summend um Steine von seltsamer Form und um die Überreste fremder Pflanzen und Tiere. Erst nach mehreren Minuten gelang es dem Bu della, sich aus diesem Bann zu lösen. Es konnte sich später immer noch in dieser Hal le umsehen. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Nur eine magische Sperre trennte es noch von Copasalliors Wohnhöhlen. Alle anderen Hindernisse waren zusammengebrochen, als der Weltenmagier das Bewußtsein verlor. Davon wußte das Budella noch nichts. Es wunderte sich nur, daß es hier oben leichter vorwärts kam als in den tiefen Höhlen. Erst als es den Weltenmagier am Boden sah, begriff es, daß sich seine vage Hoff nung tatsächlich erfüllt hatte. Von Copasallior hatte es vorerst nichts zu befürchten. Und die anderen Magier? Copasallior hatte in Gegenwart des Bu-
Marianne Sydow della nicht oft an sie gedacht. Das Blütenwe sen wußte, daß Copasallior fast allen ande ren Bewohnern dieses Gebirges überlegen war. Darum beschloß es, sich zunächst aller Fähigkeiten des Weltenmagiers zu bemäch tigen. Damit und mit dem bereits vorhande nen Wissen sollte es leicht sein, zunächst ei nige weniger mächtige Magier zu überwin den, und dann wuchsen gleichzeitig die Kräfte des Budella, so daß es sich selbst vor einem zahlenmäßig überlegenen Gegner nicht zu fürchten brauchte. Summend näherte es sich dem Weltenma gier. Copasallior lag auf dem Boden. Das Pfei fen des VONTHARA wirkte keineswegs blitzartig. Die Wesen überall in Pthor, auch die Robotbürger von Wolterhaven und ihre Diener, fanden zumindest Zeit, um zu be greifen, daß etwas Schreckliches bevorstand. Auch Copasallior hatte es gespürt und ver sucht, sich zu retten. Das Budella, dem die Zusammenhänge noch nicht bekannt waren, bemerkte ein paar Meter von dem Welten magier entfernt einen seltsamen, zerfaserten Schatten, aber es maß dieser Erscheinung keine Bedeutung bei. Erwartungsvoll erhob es sich mit Hilfe seiner Trageknospen und schob die Unterseite seines glockenförmigen Körpers über den Magier – da traf etwas wie ein gräßlicher Schlag das Budella, und es wich so hastig zurück, daß es sich die roten Prunkblätter an einer schrägen Wand zusam menstauchte. Zitternd und verwirrt hielt es inne. Es sor tierte mit Hilfe der Sinnesfühler die Blätter zurecht und richtete dann etliche Augen und sonstige Wahrnehmungsorgane auf den be wußtlosen Magier. Was seine Organe ihm mitteilten, versetz te das Budella in Panik. Es raste auf den Trageknospen davon, schlug einen Haken um den Weltenmagier, verhinderte gerade noch einen neuen Zusammenprall mit der Höhlenwand und schoß wie von der Sehne geschnellt in die klare Luft der Barriere hin aus. Zehn Meter von der niedrigen Brüstung rund um das Plateau entfernt hielt es in der
Die große Stille Luft an. Heftig pulsierend, zu sofortiger Flucht bereit, spähte es zu der offenen Tür hinüber. Lange Zeit geschah nichts. Das Budella beruhigte sich ein wenig. Seiner Umgebung schenkte es jedoch noch keine Aufmerksam keit. Es spürte die frische Luft, den leichten Wind und eine unbehagliche Kälte, die dann und wann zu ihm heraufwehte, aber das alles war nebensächlich. Schließlich schwebte es langsam auf das Plateau hinab. Es gab sich Mühe, ganz leise zu summen. Neben der Tür verharrte es. Zwei vorgestreckte Fühler zeig ten ihm, daß es keineswegs einem Trugbild zum Opfer gefallen war. Da lag der Weltenmagier. Aber er war nicht mehr reglos, sondern bewegte sich. Nur zögernd streckte das Budella weitere Sinnesorgane aus. Es fand die Situation ver wirrend, denn wenn Copasallior nicht be wußtlos war, so gab es keinen vernünftigen Grund, weshalb der Magier nicht auf der Stelle die Jagd auf das Budella eröffnete. Copasallior lag auf dem Rücken. Zwei Hände waren unter dem düsteren Gewand verborgen. Zwei andere preßten sich rechts und links gegen den Steinboden. Die fünfte Hand lag über den riesigen, starren Augen. Die sechste dagegen fuchtelte in der Luft herum. Das Budella entdeckte keine Waffen an dem Weltenmagier. Auch schien die gräßli che Schleuder sich nicht in Copasalliors Nä he zu befinden. Trotzdem hatte zweifellos der Weltenmagier dem Blütenwesen jenen Schlag versetzt, der es vorerst von einem Diebstahl der magischen Fähigkeiten ab hielt. Sollte Copasallior imstande sein, dem Budella mit der bloßen Hand einen Schmerz zuzufügen? Unwahrscheinlich, dachte das Budella. Und dann sah es sich diese sechste Hand ge nauer an. Das Budella hatte keine Knochen, aber aufgrund seiner besonderen Lebensweise konnte es sich recht gut in ein anderes We sen hineinversetzen. Es war sogar lebens wichtig für das Budella, sich frühzeitig über
11 die körperliche Verfassung potentieller Geg ner genau zu informieren. Nachdem es Co pasallior unter die Lupe genommen hatte, stellte es fest, daß die sechste Hand des Wel tenmagiers sich außerordentlich merkwürdig benahm. So, wie sie sich jetzt bewegte, sich drehte und herumwedelte, hätte man meinen sollen, daß sie gar nicht mehr zu Copasallior gehörte. Und wenn die Trennung dennoch nicht vollzogen war, so konnte es nicht mehr lange dauern, denn die Knochen und Sehnen konnten derartige Verdrehungen nicht lange aushalten. Mehrere Minuten lang beobachtete das Budella den Weltenmagier. Dann kam es zu dem Schluß, daß diese Hand tatsächlich ein Eigenleben führte. Copasallior war nach wie vor bewußtlos. Seine sechste Hand entzog sich diesem Zustand. Für das Budella entstand damit ein Pro blem besonderer Art. Nachdem es den Wel tenmagier trotz der Hand als ungefährlich eingestuft hatte, versuchte es sofort, den ge planten Raub in die Tat umzusetzen. Aber als es sich dem Magier näherte, krabbelte dessen sechste Hand dem Blütenwesen ent gegen, so weit Copasalliors Arm ihr dies er laubte. Einen Meter weiter stieß das Budella auf ein Hindernis. Es rannte wütend dagegen und verlor vor Schmerz drei Blätter. Die neu erwachende Furcht brachte die Instinkte des Blütenwesens in Schwung, und wieder fand sich das Budella in der fatalen Lage, daß sein Körper sich wider alle Vernunft wild gegen das Hindernis warf, während der Ver stand des Blütenwesens längst erfaßt hatte, daß hier mit Gewalt gar nichts auszurichten sei. Bis es sich endlich unter Kontrolle be kam, hatte das Budella noch mehr Blätter verloren, so daß etliche Sinnesfühler nackt und ungeschützt dastanden. Verzweifelt wich es bis zur Tür zurück. Kein Zweifel, es war diese sechste Hand, die das Budella zu rückschlug. Vielleicht wußte Copasallior gar nichts davon, aber er trug eine Waffe gegen seinen Gast mit sich herum. Diese Waffe hatte es in sich. Das Budella kam nicht nahe
12 genug an Copasallior heran, um sich dessen Wissen einzuverleiben. Es versuchte, wenigstens ein paar Grund informationen aus sicherer Entfernung auf zusaugen, aber die seltsame Hand verhinder te auch das. Zögernd schwebte das Budella nach drau ßen. Was nun? Es hatte Angst, einem mächtigen Magier über den Weg zu laufen, ehe es sich irgendwo mit neuen Kräften versorgt hatte. Copa sallior hatte irgendwann eine Bemerkung darüber gemacht, daß man nicht überall in der Barriere von Oth mit so viel Rücksicht rechnen dürfe, wie der Weltenmagier sie dem Budella entgegenbrachte. Andererseits hatte das Blütenwesen keine Lust, in die Höhle zurückzukehren und sich das dumme Geschwätz seiner Käfignach barn anzuhören. So schwebte es schwankend die Serpenti nenstraße hinab. Immer noch löste sich hier und da ein Blatt und segelte mit müden Be wegungen zu Boden. Das Budella kannte seine schwachen Stellen genau, und es wuß te, daß es schnell Nahrung und Wissen fin den mußte, wenn es nicht einen extremen Rückfall in die vegetative Existenz riskieren wollte. Dann war es hilflos, bis der Zufall ihm ein intelligentes Wesen über den Weg führte. Aber nirgends zeigte sich ein Magier. Die Barriere von Oth war wie ausgestorben. Schließlich schöpfte das Budella Verdacht, denn es kam ihm allmählich seltsam vor, daß nicht einmal kleine Tiere über die Stra ße wechselten. Es schwebte seitwärts den Hang hinab und fand endlich in einem Gebüsch eine pel zige Kreatur, die in tiefem Schlaf zu liegen schien. Alarmiert suchte es weiter. Dort la gen ziemlich große Tiere regungslos im Gras. Ein Stück von ihnen entfernt schlum merte ein ganzer Schwarm von kleinen Vö geln auf einem Teppich aus dunklem Moos. Das Budella sank auf den Boden herab. Fas sungslos betrachtete es mit Hilfe seiner
Marianne Sydow Stielaugen die Umgebung. Alles schlief. Am Fuß der Bäume ruhten Käfer und Fliegen, Würmer und Spinnen und zahlrei che andere Tiere, die dem Budella völlig un bekannt waren. Nichts rührte sich. Der Wind strich durch die Halme und Blätter, und ein fernes Rauschen und Donnern erfüllte die Luft. Das Licht war grau, der Himmel hinter einer Schicht dicken Nebels verborgen. Das allein reichte, um das Land trostlos aussehen zu lassen. Aber dann auch noch die regungs losen Tiere überall … Das Budella schüttelte sich. Nicht, weil ihm die Landschaft so unheimlich vorkam, sondern weil ein paar lockere Blätter ihm Beschwerden bereiteten. Sie fielen von ihm ab, und es glitt leise summend weiter. Als es sich dem Tal der Schneeblume näherte, empfand es Unbehagen. Es wich nach Osten aus, ohne sich Gedanken darüber zu ma chen, warum es so handelte. Irgendwo muß te es auf den nächsten Magier treffen. Das Budella war sehr zuversichtlich. Es schien, als wären nicht nur die Tiere, sondern auch die Herren dieser Berge in einen endlosen Schlaf gesunken …
3. Auch Gofruun spürte die Einsamkeit. Er stand vor dem Eingang zur obersten Höhle und sah nachdenklich zum nebeligen Himmel auf. Dieses Grau kannte er. Auch das ferne Rauschen, das zu einer Reise durch die Dimensionskorridore gehörte, war ihm vertraut. Anders das Donnern, das nur zu deutlich machte, daß etwas nicht in Ord nung war. Und ganz und gar ungewohnt war diese grenzenlose Stille in der Barriere von Oth. Gofruuns Bezirk lag einige Kilometer südlich vom Fuß des Gnorden. Er hatte an der Oberfläche nur eine sehr geringe Aus dehnung, da Gofruun für sich und Heix nur diesen Ausgang und einen freien Weg zum nächsten neutralen Pfad beanspruchte. Drüben am Gnorden war es immer ruhig.
Die große Stille Glyndiszorn haßte Störungen aller Art. Au ßerdem führte der offizielle Weg zur ORSA PAYA über die Ostflanke des Berges. Auch in Gofruuns näherer Umgebung war mei stens nicht viel los, denn hier hausten nur ein paar Magier mit geringen Kräften. Sie waren zufrieden, wenn sie ihre Höhlen nicht zu verlassen brauchten. Aber die neutrale Straße konnte man vom Höhleneingang sehen, und daß sich auch dort nichts rührte, stimmte Gofruun nach denklich. Die Magier waren nicht besonders reise freudig. Außerdem – so fiel ihm erst jetzt wieder ein – hatten die Seelenlosen die Bar riere verlassen. Aber es war auch kein Yas sel unterwegs oder ein anderes Tier, das eine Botschaft befördern konnte. »Wo bleibst du?« rief Gofruun ärgerlich in die Höhle hinein. Heix antwortete nicht. Gofruun hörte sei nen Alterenkel ächzen und schnaufen. We nig später wand sich der Dicke aus der Schachtöffnung. Auf seiner blanken Glatze schimmerten helle Schweißtropfen. »Was hast du herausgefunden?« fragte er, sobald er wieder zu Atem gekommen war. »Nichts«, antwortete Gofruun mürrisch. Heix sah sich enttäuscht um. Er hatte ge hofft, daß Gofruun bereits alles herausbe kommen hatte und er sich nicht aus der Si cherheit der Höhle nach draußen begeben mußte. »Komm jetzt!« befahl Gofruun. Heix watschelte keuchend hinter ihm her. »Es ist kalt!« schimpfte er. »Wir werden erfrieren!« »Unsinn«, murmelte Gofruun, aber ihm wurde plötzlich bewußt, daß er ebenfalls fror. Er blieb stehen und überlegte, ob es ihm nur so vorkam oder ob die Temperatur sich wirklich gesenkt hatte. Sein Blick fiel auf Hragghs Steinhütte, keine hundert Meter entfernt dicht neben dem Pfad. Hragghs Ma gie befaßte sich mit bestimmten Erdmetallen und Sandarten. Gofruun wußte, daß Hraggh sich dabei auch mit den herrschenden Tem
13 peraturen beschäftigen mußte. »Wo willst du hin?« keifte Heix, als Go fruun vom Pfad abwich. Gofruun antwortete nicht. Er hätte natür lich etwas magisches Plasma von unten her aufholen können, aber der Schacht war lang und eng, und Gofruun hatte es plötzlich ei lig. Etwas stimmte nicht. Er überschritt die Grenze zu Hragghs Be zirk, ohne es wirklich zu merken. Erst als er mit dem Fuß gegen einen hochschnellenden Balken aus bläulichem Material stieß, blieb er überrascht stehen. »Das ist die innere Grenze«, murmelte er verblüfft. »Hragghs ganzer Stolz. Und nichts hat uns aufgehalten.« »Warte!« rief Heix. »Ich kann nicht so schnell.« »Der alte Narr schafft es nicht mehr«, fuhr Gofruun fort, aber er meinte nicht Heix, sondern seinen Nachbarn Hraggh. »Nicht einmal die einfachste Sperre kann er auf rechterhalten. Was soll daraus nur werden?« Aber er machte sich dabei ernsthafte Sor gen. Er tat gerne so, als gönne er allen ande ren Lebewesen jedes nur denkbare Mißge schick. In Wahrheit konnte er niemanden leiden sehen. Was einen Magier erwartete, der seine Fähigkeiten einbüßte, war ihm nur zu gut bekannt. Niemand konnte Hraggh helfen, nicht einmal Copasallior oder der Lebensmagier Wortz. Heix hatte den Bodenmagier eingeholt. »Willst du zu ihm?« fragte der Alterenkel besorgt und blickte zur Steinhütte hinüber. »Ja«, antwortete Gofruun knapp. »Paß auf dich auf. Ein paar alte Fallen funktionieren immer noch.« Da stolperte Heix jedoch schon und fiel der Länge nach auf seinen dicken Bauch. Schimpfend rappelte er sich auf und folgte Gofruun bis zur Tür von Hragghs Behau sung. »Ich bin es, Gofruun!« rief er laut. »Darf ich hereinkommen?« Niemand antwortete. Gofruun wurde unruhig. Er fühlte sich schuldig, weil er die Grenze überschritten
14 hatte, ohne Hraggh vorher zu informieren. Der andere hätte ihn für ein solches Verge hen sogar töten können, ohne daß ihm je mand einen Vorwurf machen durfte. Hraggh war normalerweise gutmütig und geduldig, aber bei einem Magier konnte man nie si cher sein, was er als nächstes tat. Als sich nach mehreren Minuten immer noch nichts rührte und beide – der Boden magier und sein Alterenkel – unter der Kälte litten, stieß Gofruun zögernd die Tür auf. Vorsichtig spähte er in den dahinterliegen den Raum. »Hraggh!« rief er. »Hraggh, antworte doch. Ist etwas passiert?« Aber der andere rührte sich nicht. »Du bleibst hier und paßt auf«, befahl Go fruun seinem Alterenkel. »Rufe mich, so bald sich jemand nähert. Ich möchte nicht da drin überrascht werden. Aber schlaf nicht ein!« Heix schnaufte verächtlich. In der Hütte war es stockfinster. Gofruun hob vorsichtig die Hände, aber er spürte so fort, daß kein magisches Plasma in der Nähe war, das er hätte beeinflussen können. Er war nie zuvor in Hragghs Hütte gewesen, darum wußte er nicht, ob und wo es hier ei ne von den überall verwendeten Kristallku geln gab. Er tastete sich an der Wand ent lang, bis er ein vertrautes Material unter den Fingern spürte. Erleichtert griff er mit bei den Händen zu. Er erwischte einen kurzen Stab aus einem glatten Material. Der Stab fühlte sich warm an. Einen Augenblick spä ter glühte er auf, und Gofruun steckte ihn in eine Halterung an der Wand. Jetzt konnte er das Innere der Hütte über blicken. Es gab nur diesen einen Raum, der bis unter die Decke vollgestopft war mit al len möglichen Dingen. Nur vorne, in der Nähe der Tür, gab es etwas Platz. Ein Tisch stand da und ein wackeliger Schemel, und daneben lag Hraggh auf einem unordentli chen Lager aus dünnen, abgeschabten Yas selhäuten. Gofruun beugte sich über den anderen und untersuchte ihn hastig. Zuerst sah er nur
Marianne Sydow seinen Verdacht bestätigt, daß seinem Nach barn ein Unglück zugestoßen sei. Aber er merkte schnell, daß mehr dahintersteckte. Hraggh war unverletzt. Sein Herz schlug kräftig und regelmäßig. Ihm schien gar nichts zu fehlen. Dafür war sein Schlaf un natürlich fest. Gofruun rüttelte und schüttel te den anderen, aber der zuckte nicht einmal mit den Augenlidern. »Heix!« rief er. »Wie sieht es draußen aus?« »Komm doch her und schau's dir an!« keifte der Alterenkel zurück. Gofruun seufzte. Ratlos ließ er Hraggh auf das Lager sinken, dann sah er sich nach einer Möglichkeit um erstens Genaueres über den Gesundheitszustand seines Nach barn herauszubringen, zweitens die Sache mit der Kälte zu klären und drittens – wenn möglich – für sich und Heix eine schützende Bekleidung aus dem Durcheinander zu zer ren. Er fand nur für letzteres eine Lösung. Hinter dem Lager entdeckte er ein halbes Dutzend Umhänge aus Yasselhaut. Sie wa ren schmutzig und alt, aber sie waren immer noch besser als gar nichts. Er nahm zwei da von und ging nach draußen. »Was soll ich damit?« fragte Heix ange ekelt und wies auf den schmutzigen Um hang, den Gofruun ihm anbot. »Wie du willst«, murmelte Gofruun. »Ich kann's gebrauchen.« Und er traf Anstalten, sich auch des zwei ten Umhangs zu bemächtigen. Heix riß das lederne Zeug wütend an sich und stellte dann fest, daß der Umhang nicht reichte, um seine gewaltige Leibesfülle ganz zu be decken. »Gibt es nichts da drinnen, was mir besser paßt?« fuhr er Gofruun an. »Geh und sieh nach!« befahl der Boden magier mit ziemlicher Schärfe, woraufhin Heix den Kopf zwischen die Schultern zog. Er war schließlich kein Magier. Auch wenn er sich sonst vor jedem damit brüstete, daß Gofruun ja ohne ihn gar nicht leben könne, war er sich seiner Grenzen doch stets
Die große Stille bewußt. Und ein Magier konnte Heix selbst dann in seine Schranken verweisen, wenn er es gar nicht bewußt versuchte. »Und es ist doch kälter geworden!« brummte Heix, als sie wieder den Pfad er reichten. »Wir gehen erstmals zur neutralen Stra ße«, entschied Gofruun. Er wollte es Heix gegenüber nicht zugeben, aber er machte sich wirklich große Sorgen. Auf der neutralen Straße herrschte Toten stille. »Was ist das?« fragte Heix plötzlich, und es hörte sich so entsetzt an, daß Gofruun sich eiligst umdrehte. Auf der Straße lag – in einiger Entfernung – ein dunkler Klumpen. »Ein Stein«, vermu tete Gofruun sofort. »Kein Wunder bei den Erschütterungen.« »Es ist kein Stein«, wisperte Heix. Er zit terte vor Angst. »Das ist ein Slarw.« »Ein Slarw?« Aber Heix sagte nichts mehr. Gofruun wandte sich ab und schritt die Straße ent lang. Als er sein Ziel erreichte, blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Vor ihm lag ein Monstrum von einem Wurm, ausgestattet mit etlichen Dutzend kurzen Beinen und von Kopf bis Fuß in einen stacheligen Panzer gehüllt. Gofruun umrundete das Tier und be trachtete es aufmerksam von allen Seiten. Es rührte sich nicht. Es war aber auch nicht tot. Er dachte an Hraggh und die ungewohnte Stille und schüttelte den Kopf. »Woher kommt dieses Biest?« rief er zu Heix hinüber. Der Dicke hielt sich vorsich tig im Hintergrund. »Ich habe es noch nie gesehen.« Das hatte nicht viel zu bedeuten, denn Gofruun kam selten an die Oberfläche. Zu denken gab ihm dagegen die Tatsache, daß Heix dieses Wesen zu kennen schien. Der Dicke wagte sich erst recht nicht aus den si cheren Höhlen hervor. Heix antwortete nicht. Gofruun beobach tete ihn mißtrauisch. Verschwommen erin nerte er sich daran, daß er sich vor kurzer Zeit schon einmal über Heix gewundert hat
15 te. Es gelang ihm jedoch nicht, die Erinne rung an die Ereignisse unten in den Höhlen zurückzurufen. »Komm mal her«, rief Heix schließlich. »Hier sind lauter Tiere, und alle schlafen.« Gofruun rannte erschrocken zurück. Heix hatte dieselbe Entdeckung gemacht wie vor her das Budella. Wer einen prüfenden Blick auf die Steine und Baumrinden warf, konnte es gar nicht übersehen: All das kleine Getier, das stets gegenwärtig war und deshalb kei nem mehr auffiel, war in tiefen Schlaf ge sunken. »Vielleicht hat der Traummagier das ge tan«, flüsterte Heix und sah sich furchtsam um. »Er soll sehr mächtig sein, nicht wahr?« »Er hätte nicht ausgerechnet uns ver schont«, stellte Gofruun nüchtern fest. »Außerdem wäre dies ein so schlimmer Ver stoß gegen unsere Gesetze, daß er keine Gnade zu erwarten hätte, würde jemand ihm entkommen. Nein, Kolviss ist kein solcher Narr.« Gofruun sah sich um und deutete auf den Pfad, der zum Eistal hinüberführte. »Wir gehen da entlang«, sagte er. »Es lie gen mehrere Bezirke zwischen uns und Mal venias Bezirk. Unterwegs werden wir her ausfinden, was hier gespielt wird.« »Wir sollten lieber die entgegengesetzte Richtung nehmen«, murmelte Heix. »Warum?« fragte Gofruun ungeduldig, denn im Westen gab es nur noch ein paar unwichtige Bezirke, dann begann die unbe wohnte Schneise zum Tal der Schneeblume. An deren nördlichem Ende erhob sich der Crallion. Bis sie die Reviere der Magier öst lich der Schneise erreichten, verloren sie nur Zeit und gewannen mit Sicherheit keine neuen Erkenntnisse. Heix starrte schweigend gen Osten. Gofruun zuckte mit den Schul tern und wandte sich in Richtung Crallion. Er wußte selbst nicht genau, was ihn dazu brachte, den Vorschlag seines Alterenkels anzunehmen. Unterwegs fanden sie immer neue Bewei se dafür, daß etwas Furchtbares geschehen sein mußte. Überall lagen Tiere schlafend
16 am Boden. Nirgends zwitscherte ein Vogel in den Bäumen der warmen Täler, und nicht das kleinste Insekt kreuzte ihren Weg. Nur der Wind wimmerte zwischen den Felsen. Sie fanden ein Yassel und daneben einen ih nen unbekannten Magier – beide waren be wußtlos, das Tier wie der Mann, und sie sa hen aus, als hätten sie sich mitten auf der Straße zum Schlaf gebettet. »Vielleicht ist es überall so«, überlegte Heix. Seine kleinen Äuglein glitzerten gie rig. Gofruun antwortete nicht, denn er hatte mit seinem »guten« Gesicht eben einen Hohlraum in einer nahen Felsnadel entdeckt. Er schloß die Augen, und die Sinnesorgane auf der Rückseite seines Kopfes entfalteten ihre Kraft. Heix sah den verklärenden Schimmer, der über dieses zweite Gesicht glitt, und er ließ sich stumm zu Boden sin ken. Gofruun durchspähte den ganzen Felsen, bis er ein Tor fand, das sich – wenn man das Geheimnis kannte – von außen öffnen ließ. Ehe er dieses Wissen in die Tat umsetzte, suchte er jedoch nach dem Bewohner der Höhle. Er war nicht sonderlich überrascht, als er ihn schließlich in einem riesigen Bett entdeckte. Auch dieser Magier schlief tief und fest. Heix stolperte hastig hinter Gofruun her. Begeistert rieb er sich die Hände, als das Tor sich öffnete. »Du bleibst draußen!« befahl Gofruun auch diesmal. Heix nickte nur. Er wartete, bis der Bo denmagier hinter der nächsten Ecke ver schwunden war, dann eilte er hinter ihm her. Dabei bewegte er sich völlig lautlos. Flink, ohne das übliche Schnaufen und Keuchen, huschte er durch eine andere Tür, schloß sie leise hinter sich, setzte mit einer befehlen den Geste eine Kugellampe in Brand und sah sich um. »Aha«, murmelte er zufrieden. »Was ha ben wir denn hier?« Er wußte nicht, mit welcher Magie der Besitzer all der seltsamen Schätze sich be-
Marianne Sydow faßte, aber es schien, als sei er neben seiner Forschung vor allem an seinem leiblichen Wohl interessiert. Auf Wandborden und steinernen Platten lagen neben glänzenden Gegenständen aus allerlei Metallen auch Mengen von Früchten und trockenem Ge bäck. Heix zögerte nicht lange. Er griff mit beiden Händen zu und stopfte sich den Mund voll. An der Wand stand ein hoher Krug. Heix hob ihn an und schüttelte ihn, roch kurz an der Öffnung und kam zu dem Schluß, daß ein trinkbares Gebräu sich darin befinden mußte. Er setzte den Krug an und spülte die krümeligen Reste des Backwerks mit süßem Wein hinunter. Das wiederholte sich ein paarmal, und je länger Heix sich von den Vorräten seines unfreiwilligen Gastgebers bediente, desto fröhlicher war ihm zumute. Selig schmatzend stürzte er sich auch noch auf die letzten Früchte, dann fühlte er sich so angenehm gesättigt, daß er fast ver gessen hätte, was draußen vor sich ging. Eben ließ er sich zu einem kurzen Schläf chen an der Wand nieder, da drang aus der Ferne Gofruuns Stimme zu ihm vor. »Verflixt«, sagte Heix erschrocken. Er wußte haargenau, daß Gofruun ihn nicht draußen gelassen hatte, weil er allen Ernstes einen überraschenden Angriff befürchtete. Vielmehr war der Bodenmagier durch frühe re Erlebnisse gewarnt. Heix konnte seine dicken Finger einfach nicht stillhalten, wenn fremdes Gut in seiner Nähe lag. Gofruun war keineswegs übertrieben ehr lich. Wenn er alles tat, um seinen Alterenkel am Stehlen zu hindern, dann nur, weil er die Rache der geschädigten Magier fürchtete. Heix galt als eine Art Mündel des Bodenma giers. Ihn selbst würde man für allerlei Schandtaten nicht verantwortlich machen, sondern sich an Gofruun halten. Heix stemmte sich in die Höhe, sah sich hastig um und nahm aufs Geratewohl einen silbernen Gegenstand an sich. Es war ein verdreht aussehendes Rohr, das an einem Ende offen war und auf der anderen Seite einen verschnörkelten Griff trug. Heix schob
Die große Stille das Rohr unter seinen Umhang. Er wischte sich die Krümel vom Mund. Erschrocken stellte er fest, daß er bei jeder Bewegung ins Schwanken geriet. Außerdem roch er mei lenweit nach süßen Wein. Er tastete sich bis zur Tür vor. Mißtrau isch lauschte er – von Gofruun war nichts zu hören. Vielleicht suchte der Magier ihn auf der anderen Seite des Felsens. Heix schöpfte Hoffnung, es möge ihm ge lingen, unbemerkt nach draußen zu gelan gen. Wenn er Glück hatte, merkte Gofruun gar nichts. Die Tür schwang lautlos auf. Heix ließ geistesgegenwärtig die Lampe erlöschen, ehe man das Licht bis zum Ausgang sehen konnte. Dann tappte er auf unsicheren Bei nen nach draußen – und stand einen Augen blick später vor dem Bodenmagier. Oder hinter ihm, es kam auf die Betrachtungswei se an. Wenn es um magische Fähigkeiten ging, wurde bei Gofruun der Hinterkopf zum herrschenden Körperteil. Gofruun drehte sich gelassen um, und an stelle des schlafenden »guten« Gesichtes schwang die mit Warzen, Runzeln und Fal ten übersäte andere Seite des Kopfes auf den schreckensstarren Heix zu. »Dieb!« sagte Gofruun wütend. »Hast du gedacht, du könntest mich an der Nase her umführen?« »Aber ich habe doch nur«, stotterte Heix, »ich meine, ich wollte …« »Schluß!« schrie Gofruun. »Der Schaden ist auch so schon groß genug. Was du in die ser Kammer aufgegessen hast, stammte nicht aus der Barriere. Erstens kann ich kei nen Ersatz besorgen, und zweitens wäre Fes ler auch nicht mit einem solchen Ersatz zu frieden.« »Ich hatte eben Hunger«, sagte Heix trot zig. Gofruun warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Heix spürte das metallene Rohr unter seinem Umhang und zitterte innerlich bei dem Gedanken, Gofruun könne auch dieses Beutestück entdecken. Er hatte sonst keinen übertriebenen Respekt vor Gofruuns
17 Fähigkeiten, aber diesmal wünschte er sich, die verborgenen, immer schlafenden Augen des »guten« Gesichts könnten unter den ver wachsenen Lidern auch noch blind sein. Denn nur diese zusätzlichen Augen konnten selbst den härtesten Fels durchdringen und erkennen, was sich dahinter befand. Es schien allerdings so, als wäre Yassel haut in diesem Fallt stabiler als Granit. Go fruun schob Heix ungeduldig zum Ausgang. Der Alterenkel stolperte in die graue Däm merung hinaus. Ihm wurde plötzlich übel. Benommen lehnte er sich an einen Baum, während Gofruun den Ausgang verschloß. Heix starrte ins Leere, und seine Phantasie gaukelte ihm, angeregt vom ungewohnten Wein, die seltsamsten Ungeheuer vor, die sich rings um ihn erhoben. Mitten drin schwebte ein knallroter Farbfleck, der sich summend im Wind wiegte. »Vorsicht!« schrie Gofruun, und Heix schrak zusammen. Die Ungeheuer verschwanden spurlos. Der Farbfleck allerdings blieb. Heix blinzel te benommen, und der Fleck verwandelte sich in eine Riesenblüte, die scheinbar schwerelos durch die Luft flog. Das Ding kam genau auf den Alterenkel zu. Heix stol perte um den Baum herum und versuchte, sich hinter dem rissigen Stamm zu verber gen. Die Blüte sang ein wenig lauter und bog in eine enge Kurve ein. »Hilf mir!« kreischte Heix und floh voller Entsetzen in die Richtung zur Straße. Gofru un brüllte etwas, was er nicht verstand. Als er sich im Laufen umsah, hing das rote Et was dicht über ihm in der Luft. Heix ließ sich fallen und kullerte ein Stück den Ab hang hinunter, bis er im Gestrüpp hängen blieb. Die Blüte schwebte hin und her und sang vor sich hin. »Geh weg!« stieß Heix wütend hervor. »Laß mich in Ruhe! Warum schläfst du nicht wie alle anderen hier?« Die Riesenblüte antwortete nicht. Heix hatte auch gar nicht damit gerechnet. Er konnte ja nicht wissen, daß das Budella sehr wohl des Pthora mächtig war. Er kroch tiefer
18 ins Gebüsch hinein, blieb ein paarmal mit seinem Umhang an langen Dornen hängen und schimpfte dabei abwechselnd auf die Blüte, auf Gofruun, auf die Magier im allge meinen und auf Fesler im besonderen, denn er schob ihm die Schuld für das in die Schu he, was in seinem Revier geschah. »Achtung!« rief Gofruun. »Es hat dich entdeckt!« Heix richtete sich so hastig auf, daß der Umhang endgültig den Dornen zum Opfer fiel. Dadurch kam das geraubte Rohr zum Vorschein. Heix fühlte das Gerät in der Hand, sah die singende Blüte und schleuder te blindlings das Rohr dem seltsamen Wesen entgegen. Das Budella gab einen dumpfen Laut von sich. Das Rohr prallte von seinem glocken förmigen Körper ab und fiel auf den Boden. Es rollte ein kurzes Stück durch niedriges Gras. Für einen Augenblick war die Riesen blüte abgelenkt. Heix nutzte die Gelegenheit und stolperte aus dem Gestrüpp heraus. Hin ter dem nächstbesten Felsen ließ er sich ein fach fallen. Er hatte Glück. Das Budella richtete gerade alle Sinnesfühler auf das Rohr, so daß es Gofruuns Alterenkel aus den Augen verlor. Im nächsten Moment hatte es andere Sorgen, als sich um einen fliehenden Magier zu kümmern. Der Boden selbst schien zu erwachen, den Einwirkungen des VONTHARA zum Trotz. Allerlei Gestalten erhoben sich und bauten sich rund um das Budella auf. Da waren rie sige, zahnbewehrte Kiefer, breite, hornige Tatzen und dürre Knochenpfoten mit langen Krallen, und das alles begann sich rasselnd, klappernd, schnatternd und klirrend um das Budella zu drehen, daß sich dem Blütenwe sen die Sinnesfühler zu verwirren drohten. Mit großer Mühe löste es sich aus diesem neuen Bann, stürzte sich schnurstracks auf ein besonders großes Gerippe und schleu derte dem Gegner die Trageknospen regel recht entgegen. Das Budella öffnete sich gleichzeitig für die einströmenden Wissen simpulse – und fand sich gleich darauf zwi schen schnappenden Mäulern und stampfen-
Marianne Sydow den Hufen wieder. Entsetzt raffte es sich auf, schloß den Blätterschopf dicht über den empfindlichen Fühlern, stieß die Schwebefühler mit aller Wucht gegen den Boden und raste minde stens hundert Meter hoch in die Luft, bis es ihm gelang, den Sprung abzubremsen. Rat los starrte es von oben auf die Skelettwesen hinab. Da tanzten sie im Kreis herum, und das Budella war wohl zum erstenmal in seinem Leben völlig ratlos. So etwas hatte es noch nie erlebt. Heix war über das, was da geschah, min destens genauso überrascht wie das Budella, aber er lebte immerhin schon seit langer Zeit in der Barriere. Er wußte nichts über Fesler, aber er erkannte schnell, daß die Skelette durch magische Kräfte in Bewegung ver setzt wurden. Er sah das Budella davon schießen und beschloß, sich schleunigst aus dem Staub zu machen. Ungeschoren kroch er hinter dem Felsen bis an die neutrale Stra ße. Dort blieb er erleichtert liegen. Er kam vorerst nicht auf die Idee, daß auch die neu tralen Wege der Veränderung unterworfen sein könnten. Gofruun dagegen sah sofort, daß die Sa che noch längst nicht bereinigt war. Seine größte Sorge war, daß das Budella – dessen Name ihm zu diesem Zeitpunkt natürlich noch unbekannt war – den Knochenmagier angreifen könnte. Was immer das Blütenwe sen auch im Reich der Magier suchte, es war gefährlich, und Gofruun schloß nicht einmal die Möglichkeit aus, daß das Budella die Magier und die Tiere in tiefen Schlaf ver setzt haben könne. Die tanzenden Skelette gehörten zu kei nem normalen Fallensystem, sondern waren durch das von Heix gestohlene Gerät herbei gerufen worden. Gofruun beschloß, den Al terenkel diesmal nicht wegen des Diebstahls zur Rechenschaft zu ziehen, denn ohne die Skelette wäre es ihm und dem Bodenmagier schlecht ergangen. Er verließ sich darauf, daß die Knochenwesen sich nicht um ihn kümmern würden. Es sah ganz so aus, als
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hätten sie nie einem anderen Zweck gedient, als Fesler Vergnügen zu bereiten. Gofruun rannte an dem klappernden Gewirr vorbei und vergewisserte sich, daß die Tür zur Fels nadel fest verschlossen war. Die Fähigkeiten der Riesenblüte kannte er nicht. Er mußte sich darauf verlassen, daß der Knochenma gier besser für seine Sicherheit gesorgt hatte, als es bei Hraggh der Fall gewesen war. Als er vom Felsen weglief, hörte er das Singen der Blüte, und er schlug einen Haken und stürmte mitten in den Ring tanzender Skelette. Die geisterhaften Wesen vollführ ten ungerührt ihre rhythmischen Bewegun gen. Das Budella schreckte jedoch vor ihnen zurück. Gofruun klaubte hastig ein paar Steine vom Boden und warf damit nach der Blüte. Dem Budella konnten so harmlose Geschosse nichts anhaben, aber das Wesen war schockiert wegen der bloßen Tatsache, daß doch noch jemand in der Barriere wach und munter war. Darum drehte es nach kurz em Zögern ab und schoß eilig nach Westen davon. Gofruun schlüpfte zwischen den tan zenden Knochenbeinen hindurch und setzte sich erstmal auf einen Stein, bis er wieder bei Atem war. Dann ging er, um nun doch mit Heix zu schimpfen.
4. Noch drei magische Bezirke streiften sie auf dem Weg zum Tal der Schneeblume, und was sie dort sahen, war geradezu er schreckend. Dabei fing alles so harmlos an. Als Gofruun mit seiner Strafpredigt zum Schluß kam, nickte Heix nur friedlich, an statt sich wie sonst empört zur Wehr zu set zen. Der Bodenmagier blickte seinen Alte renkel verblüfft an. »Sie schlafen alle«, behauptete Heix, oh ne auch nur mit einer Silbe auf Gofruuns Vorwürfe einzugehen. »Und diese Blüte hat nichts damit zu tun, das wirst du noch selbst feststellen können.« »Schon möglich«, gab Gofruun zu. »Wenn sie aber schon einmal schlafen,
können wir uns doch ruhig ein paar Sachen ausleihen«, erklärte Heix listig. »Sie merken es nicht, und wenn sie wieder aufwachen, ist alles längst an Ort und Stelle.« Gofruun setzte zu einem wütenden Kom mentar an, dann hielt er aber doch den Mund. Der Vorschlag seines Alterenkels war nicht übel. Es war in der Tat eine arge Plackerei, immer nur von dem magischen Plasma zu leben. Hier draußen gab es genug Nahrung, und obwohl Gofruun an das Leben in der Tiefe gewöhnt war, gefiel es ihm in der Barriere – wenigstens jetzt, wo er nicht damit rechnen mußte, auf Schritt und Tritt einem mächtigeren Magier zu begegnen, der ihm das Leben schwer machte. Andererseits … »Wenn sie aufwachen, werden sie es trotzdem merken«, murmelte er. »Du kennst sie nicht so gut wie ich. Sie haben mehr Möglichkeiten, einen Dieb zu fangen, als du dir überhaupt vorstellen kannst.« »Was hilft ihnen ihre Kunst, wenn inzwi schen alles geplündert wurde, worin sie ihre Kräfte gespeichert hatten? Es wird lange dauern, bis sie aus ihrem Schlaf erwachen.« »Woher weißt du das?« »Ich weiß es eben«, wehrte Heix gelassen ab. »Und noch etwas: Wir sind sicher nicht die einzigen, die aus irgendeinem Grund wachgeblieben sind.« »Ich traue der Sache nicht«, murmelte Gofruun. Er beobachtete seinen Alterenkel beunruhigt. Was war nur in Heix gefahren? Er wirkte verändert. Hinter der wohlbekann ten Mischung aus Faulheit und List, Feigheit und Frechheit schien sich etwas Neues zu verbergen. Fast erschien es dem Bodenma gier, als sei Heix plötzlich zu geheimem Wissen gelangt. Und was noch nie vorge kommen war – der Bodenmagier fühlte sich seinem Alterenkel unterlegen. »Keine Angst«, sagte dieser veränderte Heix. »Es wird alles so kommen, wie ich es dir sage. Nicht die Riesenblüte hat alles in Schlaf versetzt, sondern eine Waffe der Her ren der FESTUNG. Diese Narren dachten,
20 sie brauchten die Rache der FESTUNG nicht zu fürchten, wenn sie sich unter dem Großen Knoten verbargen! Gut, die Herren sind tot, aber die eigentlichen Herrscher sind noch längst nicht geschlagen.« Gofruun versuchte, etwas zu sagen, Heix eine Frage zu stellen, aber die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Stumm starrte er sei nen Alterenkel an. Blitzartig erinnerte er sich der Vorfälle in den Höhlen des Plasmas, und er begriff, daß es mit Heix eine beson dere Bewandtnis hatte. Er hätte früher dar auf kommen müssen, denn ein absolut unbe deutendes Individuum wie der alte Heix war in der Barriere praktisch nicht lebensfähig. Vor allem dann nicht, wenn ein so schwa cher Magier wie Gofruun ihm Sicherheit ge währen sollte. Gofruun erkannte entsetzt, daß das Verhältnis genau umgekehrt gewe sen sein mußte: Heix hatte ihm geholfen, heimlich und unbemerkt, damit er nirgends in die zahlreichen Fallen stolperte. Gleichzeitig ahnte er bereits, daß er auch das alles in wenigen Minuten vergessen würde. Dann war Heix für ihn wahrschein lich wieder der verfressene Fettwanst, der mangelnden Mut durch große Worte zu er setzen versuchte. »Die Zeit des Wächters ist gekommen«, fuhr Heix fort. »Und niemand kann vorher sagen, wie lange sie währt.« Er blinzelte, und sofort vergaß Gofruun einige Dinge. Er wehrte sich verzweifelt ge gen diese Kraft. »Diese Zeit werden wir für uns ausnut zen«, sagte Heix grimmig. »Die Magier kön nen gar nichts merken, denn wir werden nicht die einzigen sein, die sich hier und dort Waffen und Schätze holen. Sicher hast du recht, und sie finden allerlei Spuren, aber ein solches Durcheinander werden selbst die Mächtigsten von Oth nicht restlos enträtseln können. Also, worauf wartest du noch?« Heix lachte meckernd, und dieses Ge räusch fuhr wie ein seltsamer Besen durch Gofruuns Gehirn, so daß kaum noch mehr darin zurückblieb als die vage Vorstellung von einem grandiosen Geheimnis. Auch das
Marianne Sydow verging. Was dann noch vorhanden war, ließ Gofruun erschauern. Er wußte immer noch, daß er sich selbst in Teufels Küche brachte, wenn er Heix' Vorschlag befolgte. Trotzdem war er fest entschlossen, sich alles aus den anderen Bezirken zu holen, was er und sein Alterenkel brauchten, um sich das Leben in Zukunft zu erleichtern. So zog er denn los, und Heix – nun wie der äußerlich ganz der alte – trottete hinter drein. Sie wichen hier und da von der neutralen Straße ab. Es bereitete ihnen keine Schwierigkeiten, in fremde Bezirke einzudringen. Nur wenige Sperren existierten noch, und diese erwiesen sich als so einfach, daß Gofruun sich dar über wunderte, warum er stets vor den ande ren Angst gehabt hatte. Gewiß, dies waren nicht die Reviere der Mächtigen, aber Go fruun war schon halb davon überzeugt, daß man auch bei ihnen auf angenehme Überra schungen stoßen würde. Schwierig wurde es, als sie das Heim des ersten Magiers erreichten und sich dort nach Gegenständen umsahen, die sie mitgehen lassen könnten. Bei Hraggh hatte es nichts gegeben, was das Stehlen lohnte, und bei dem Besuch in Feslers Felsnadel war Gofru un noch von dem Gedanken beseelt, sich von dem Eigentum anderer Magier geflis sentlich fernzuhalten. Jetzt betrachtete er al les mit dem Wunsch, es für sich zu nutzen. Der Magier – seinen Namen wußten we der Gofruun noch Heix – hatte sein Heim mit allerlei Kram gefüllt. Da lagen bunte Steine und getrocknete Kräuter, metallene Schmuckstücke und eigenartige Waffen, Felle und buntes Tuch wild durcheinander geworfen auf dem Boden. In schmalen Krü gen schillerten ölige Flüssigkeiten, die alle samt unappetitlich rochen. An den Wänden hingen Reliefbilder aus Stein neben bronze nen Äxten, wie man sie oft auf wilden Au ßenwelten fand, und daneben baumelten blauschimmernde Stahlteile in den abson derlichsten Formen und Mosaikbilder, die aus den bunten Schuppen irgendwelcher
Die große Stille Tiere zusammengesetzt waren. Jedes Stück mochte einen magischen Wert besitzen, und jedes konnte auch eine tödliche Falle darstellen, denn die Sperren an den Reviergrenzen waren nicht aus schlaggebend dafür, ob nicht hier, im Wohn bereich, ganz andere Gesetze galten. »Ein Schwert«, sagte Heix, »braucht Kraft und Mut, und beides fehlt mir.« Gofruun wunderte sich über so viel Of fenheit. »Aber dies«, fuhr der Alterenkel fort und griff nach einem grauen Gegenstand, »ist ei ne Waggu und lähmt einen Gegner, wenn man aus sicherer Entfernung auf ihn anlegt.« Er wollte den Vorgang demonstrieren. Als er die Waggu in Anschlag brachte, löste sich ein schwerer Stein aus dem Dach des Ge wölbes. Heix rettete sich mit einem riesigen Satz. »Pech gehabt«, murmelte Gofruun scha denfroh und griff nach einer Lanze, deren scharfe Spitze ihm gefiel. Aber auch die Lanze gehorchte eigenen Gesetzen. Sie floh vor der fremden Hand und kehrte an der Tür blitzschnell um. Auch Gofruun tat einen Satz, aber er hatte selbst dabei Pech und warf einen Krug um, dessen stinkender Inhalt sich über ihn ergoß. Heix lachte Tränen über den Bodenmagier, bis dieser zornig aufsprang. »Eine feine Idee!« schnaubte Gofruun. »Einfach etwas mitnehmen, alles andere fin det sich! Sorge selbst für deine Bequemlich keit, wenn dir so viel daran liegt.« Er wollte nach draußen rennen, aber Heix stellte ihm ein Bein – und Gofruun fiel nicht etwa auf den Boden, sondern in ein weiches, duftendes Polster aus feinsten Fellen, das sich direkt vor ihm entfaltete. »Da siehst du es«, sagte Heix gelassen. »Es gibt nicht nur Fallen und böse Kräfte in der Welt. Je zahlreicher sie sich an einem Ort finden, desto stärker ist auch das Gute vertreten.« »Wie sinnig!« knurrte Gofruun und rap pelte sich auf. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das Polster schrumpfte zu ei
21 nem handlichen Päckchen, sobald es nicht mehr gebraucht wurde. Gofruun wollte sich danach bücken, aber Heix kam ihm zuvor. »Das ist meine Beute«, behauptete er mit einem hinterhältigen Kichern. Gofruun zuckte nur die Schultern. Mit der gebotenen Vorsicht untersuchte er verschie dene andere Gegenstände, bis er einen Be cher fand, der sich mit klarem Wasser füllte, sobald man ihn an die Lippen setzte. »Willst du schon aufgeben?« fragte Heix enttäuscht. »Mir reicht es«, erklärte Gofruun und warf einen vielsagenden Blick auf die Lan ze, die zwischen zwei Holzbalken stak, und den Stein, unter dem Heix beinahe gelandet wäre. »Nun«, sagte der Alterenkel, »dann neh me ich beides – und das, ja, und den Krug dort auch noch.« Gofruun runzelte die faltenreiche Stirn. Heix hakte eine kleine Axt von der Wand, nahm einen steinernen Teller auf und eine aus Knochen gefertigte Pfeife und legte alles auf einen Tuchstreifen. Im Handumdrehen hatte er seine Beute zu einem Paket ver schnürt, und keiner von diesen Gegenstän den wehrte sich in irgendeiner Weise dage gen, daß Gofruuns Alterenkel sie davon schleppte. Draußen herrschte immer noch das eintö nig graue Licht, das stets mit einer Reise durch die Dimensionen einherging. Unter diesen Umständen war es schwer, abzu schätzen, wieviel Zeit inzwischen vergangen war. Gofruun hatte es eilig, zu seinen Höh len zurückzukommen. Das magische Plasma reagierte bisweilen sehr empfindlich auf je de scheinbare Vernachlässigung. Er nahm sich nicht einmal genug Zeit, nach dem Ma gier zu suchen, dem das Gewölbe gehörte. Sicher lag er wie alle anderen irgendwo her um und schlief. Da außer der rätselhaften Riesenblüte nichts in diesen Bergen bei Be wußtsein war, wähnte Gofruun den Unbe kannten in Sicherheit. Sie eilten also die neutrale Straße entlang, und Gofruun erhielt reichlich Gelegenheit,
22 seinen magischen Becher zu erproben. Heix entwickelte einen enormen Durst, und es schien, daß nur klares Wasser dem Alteren kel über die Folgen seiner Zecherei hinweg half. Als sie endlich den Einstieg zum Höh lensystem erreichten, war Heix schon wieder halbwegs nüchtern, Gofruun dagegen total erschöpft. Er achtete nicht auf die Klagen seines Alterenkels, der sich über schmerzen de Füße und die Kälte und tausend andere Dinge beschwerte, sondern kletterte so schnell wie möglich nach unten, eilte in die Wohnhöhle, trank selbst auch einmal von dem Wasser aus seinem gerade erworbenen Becher und schlief dann sofort ein. Er erwachte, weil etwas Kaltes ihn be rührte. Im ersten Schrecken, noch im Halbschlaf, dachte er voller Entsetzen an die Riesenblüte und Feslers Knochenballett, und in seiner Phantasie flossen die Bilder zu einer schier unverdaulichen Mischung zusammen. Dann richtete er sich mit einem Ruck auf, und sei ne Gedanken befaßten sich mit der Wirk lichkeit. Die sah sehr beunruhigend aus. Gofruun sprang auf, als er merkte, daß die Kälte von fröhlich sprudelndem Wasser kam, das um seine Beine rauschte und – al len Gewohnheiten zum Trotz – ausgerechnet dahin floß, wo es zum höher gelegenen Aus stieg ging. »Heix!« schrie Gofruun mit überschnap pender Stimme. »Wo steckst du? Was hast du wieder angerichtet?« Heix antwortete nicht. Gofruun entdeckte eine Stelle, an der das Plasma heller als ge wöhnlich leuchtete und watete hinüber. Un gefähr eineinhalb Meter über dem Boden, fast schon über dem Haupt des Bodenma giers, schwebte das weiche Polster aus dufti gen Fellen, und darauf lag Heix. Der Alte renkel hatte im Schlaf sein feistes Gesicht zu einem friedlichen Lächeln verzogen. Neben ihm stand der steinerne Teller auf dem Polster. Gofruun schnupperte mißtrau isch daran. Kein Zweifel, es hatten Früchte darauf gelegen, und ein für Gofruun gerade-
Marianne Sydow zu ekelerregender Geruch deutete auf gebra tenes Fleisch hin – der Bodenmagier konnte keine tierischen Stoffe vertragen, Heix dage gen war um den Preis eines guten Bratens sogar bereit, auf eine Stunde Schlaf zu ver zichten. Gofruun sah sich nach der Axt und der Pfeife um, konnte sie aber nicht entdecken. Dafür sah er seinen magischen Becher, der auf einem Wandbord lag und die Quelle ei nes sprudelnden Baches bildete. Hastig watete er hinüber. Sein Verdacht bestätigte sich – als er den Becher aufrecht hinstellte, hörte das Wasser auf zu fließen. Hatte er selbst den Becher so unvorsichtig liegen lassen? Das war mehr als unwahrscheinlich. Selbst wenn – Heix war lange nach ihm in die Höhle gekommen, und der Alterenkel hätte darum merken müssen, welches Un glück sich anbahnte. Also war Heix schuld an der Überschwemmung. Gofruun nahm sich vor, dem Dicken ordentlich die Mei nung zu sagen, sobald er das Wasser aus den Höhlen entfernt hatte. Das war schwieriger, als er vermutet hat te. Das Zeug verhielt sich anders als die Flüssigkeit in den Bächen und Seen der Großen Barriere. Es war zum Schacht ge flossen, obwohl der Weg bergauf führte, und nun blockierte es den Ausgang. Gofruun hoffte anfangs noch, die Blockierung werde sich von selbst auflösen, denn das Wasser strömte munter in die Höhe, aber als ein be stimmter Teil der Höhlen trocken war, blieb das Wasser stehen. Der ganze Schacht war von einer flüssigen Säule ausgefüllt. Der Weg nach oben war zu lang, um ihn etwa tauchend zu überwinden, abgesehen davon, daß Gofruun gar nicht schwimmen konnte. Mißmutig holte er sich eine Schaufel und stocherte in dem Wasser herum, leider ohne jeden Erfolg, denn es gelang ihm nicht, auch nur einen Tropfen aus dem Schachteinstieg zu entfernen. Ratlos starrte er nach oben. Er versuchte es mit den einfachen Formeln, die er auf das Plasma einwirken ließ, aber das Wasser
Die große Stille rührte sich nicht. Schließlich kam er auf die Idee, daß dieses Wasser, das ja magischen Ursprungs war, am ehesten mit einem Ge genstand aus dem Besitz des Bestohlenen zu beeinflussen war. Er rannte zurück zur Wohnhöhle. Als er eintrat, richtete Heix sich gerade auf. Das Polster schwebte sanft mit ihm nach unten, und Heix reckte und streck te sich ausgiebig, ehe er seine Schlafstatt verließ. »Was ist denn hier los?« fragte er ver wundert und betrachtete das Wasser. Es stand nicht mehr so hoch wie zu Anfang, aber seine Spuren waren überall deutlich zu erkennen. Gofruun warf seinem Alterenkel einen wütenden Blick zu, schnappte sich den verhängnisvollen Becher und eilte zum Schacht zurück. Hastig streckte er die Arme aus, in dem Bemühen, den Becher mit dem verflixten Wasser in Berührung zu bringen. Es gelang ihm nicht ganz, aber ehe er sich darüber Gedanken machen konnte, hörte er einen schrillen Ton. Er drehte sich blitzschnell um, und dann rauschte es gewaltig, und Gofruun wurde von einer wahren Flutwelle davongespült. Als er sein Bewußtsein wiedererlangte, lag er in einem Winkel der Wohnhöhle. Er fror erbärmlich. Seine Kleidung war triefend naß, und der blaue Haarkranz, der das »gute« vorn normalen Gesicht trennte, tropf te ebenfalls. Er starrte genau in die kleinen Augen seines Alterenkels. »Toll!« sagte Heix, hob die Knochenpfei fe an die Lippen und blies mit aller Kraft hinein. Das entstehende Geräusch durchlief Gofruuns Körper wie ein Stromstoß. Seine Zähne klapperten unkontrolliert, sämtliche Nerven vibrierten, und in seinem Schädel rasselte es, als hätten alle Gedanken sich blitzschnell in winzige Kieselsteine verwan delt. »Hör auf!« schrie Gofruun gequält. Heix setzte die Pfeife ab. »Ich wollte dir doch nur helfen«, sagte er gekränkt. »Immerhin sind deine Sachen nun wieder trocken.« Das stimmte. Gofruun spürte keine Nässe
23 mehr, weder in der Kleidung, noch in sei nem Haarschopf. Dafür merkte er – mit leichter Verzögerung – daß auch seine Haut trocken und spröde wurde. Vielleicht war es Einbildung, daß nun auch ein unstillbarer Durst in ihm erwachte. Gofruun jedenfalls fühlte sich, als würde er wie frisches Traum kraut über einem rauchlosen Feuer gedörrt. »Hilf mir«, krächzte er. »Wasser! Ich brauche …« Die Stimme versagte ihm. Ein unartiku liertes Krächzen war alles, was noch über seine Lippen drang. Wie hypnotisiert starrte er Heix an, der mit der Pfeife hantierte und offensichtlich auch nicht wußte, wie man die Wirkung des Geräts umkehren konnte. Der Alterenkel versuchte, die Luft durch das dünne Röhrchen anzusaugen. Blies er hindurch, verschwand Wasser, also war es logisch, daß Saugen die entgegengesetzte Wirkung erbrachte. Nur waren magische Geräte in den seltensten Fällen nach den Ge setzen der Logik konstruiert. Heix saugte und bekam einen Erstickungsanfall, weil ihm eine volle Dosis Sternblumenpollen in die Lungen drang. Das Zeug war in dieser Reinheit wirkungsvoller als Traumkraut nach neunundneunzigtägigem Gärungspro zeß. Heix sank mit glasigen Augen zu Bo den. Gofruun spürte seine Kräfte schwinden. Es war, als schrumpfe er zusammen. Mit letzter Kraft brachte er es fertig, Heix mit dem Fuß anzustoßen. Der Stoß fiel so leicht aus, daß Heix ihn nicht einmal hätte spüren dürfen. Aber der Alterenkel schrak trotzdem aus seinen Träu men hoch. Verständnislos sah er sich um, dann griff er unsicher nach der kleinen Bronzeaxt. »Nein!« würgte Gofruun hervor, als Heix die Axt über dem Kopf des Bodenmagiers schwang. Heix ließ das Mordinstrument ratlos sin ken. Dann stellte er den steinernen Teller auf Gofruuns Bauch. Sofort erschienen saftige Früchte auf dem Teller, und Gofruun wurde fast wahnsinnig vor Durst bei diesem An blick, aber seine Hände gehorchten ihm
24 schon nicht mehr. »Auch nicht?« murmelte Heix enttäuscht. Dann hellte sich sein Gesicht auf. »Wasser brauchst du«, nickte er verständ nisvoll. »Warum bin ich nicht eher darauf gekommen?« Und er holte diesen verflixten Becher und hielt ihn über Gofruuns Kopf. Das Wasser strömte eiskalt auf den Bo denmagier herab. Ein neuer Bach bildete sich und floß in Richtung Ausstieg, und Go fruun, der erstaunlicherweise noch recht klar denken konnte, dachte verzweifelt, daß er ei ne zweite Runde dieses teuflischen Spiels nicht überstehen würde. Da schwankte Heix unter einer leichten Erschütterung des Bo dens. Eiskaltes Wasser schwappte über den Leib des Alterenkels, und endlich entrann Gofruun der nassen Kälte für einen Augen blick. Er bekam den Stiel der bronzenen Axt zu fassen und griff danach, ohne darüber nachzudenken, wozu er das Ding brauchte, und gleichzeitig strömte neue Kraft durch seinen Körper. Er setzte sich auf und starrte die Axt an, dann gewahrte er Heix, der den Becher eben wieder herumschwenken wollte. Blitzartig zuckte die Faust des Bodenmagiers hoch. Er war nur eineinhalb Meter groß, und norma lerweise lag das Kinn seines Alterenkels weit außerhalb seiner Reichweite. Aber dies mal glückte ihm ein so guter Schlag, daß Heix auf der Stelle zusammenbrach. Gofruun wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann stellte er zuerst den Becher so hin, daß er die sinnlose Produktion von Eiswasser einstellte. Anschließend nahm er dem bewußtlosen Heix die merkwürdige Pfeife ab. Er achtete darauf, daß er die Öff nung wirklich nur auf feuchte Stellen richte te. Es gelang ihm, nach und nach die Höhlen und den Ausstieg von Wasser zu befreien. Anschließend verstaute er die Pfeife in ei nem Behälter, der magische Einflüsse zu rückhalten sollte. Da er Hunger hatte, ver suchte er sich an dem steinernen Teller. Das Ding produzierte auch prompt leckere Früchte, aber daneben lag gebratenes
Marianne Sydow Fleisch, so daß dem Bodenmagier umgehend der Appetit verging. Ärgerlich trug er Fleisch und Früchte zu jener Felsspalte, in der auch alle anderen Abfälle verschwanden. Als er den Teller umdrehte, fiel das Fleisch nach unten. Eine Sekunde später schoß ein wild fauchendes, fuchsähnliches Tier aus der Felsspalte. Gofruun bückte sich und ver suchte, das Gesicht mit den Armen zu schüt zen. Das Tier landete auf Gofruuns Kopf. Eine Tatze hinterließ eine blutende Wunde auf dem »guten« Gesicht des Bodenmagiers, dann raste das Wesen schreiend und fau chend davon. Gofruun hörte es noch eine ganze Weile. Kopfschüttelnd steckte er auch den Teller in die Schatulle. Inzwischen hatte sich der Tuchstreifen, den Heix als Verpackungsma terial benutzt hatte, selbständig gemacht. Er flatterte wie eine überdimensionale Motte träge an den Wänden auf und ab. Gofruun versuchte, den Stoff einzufangen, aber es ge lang ihm nicht. Mißtrauisch starrte er das flatternde Etwas an. Er kam zu dem Schluß, daß sie an einen ungewöhnlich hinterhälti gen Magier geraten waren, und das ausge rechnet bei ihrem ersten Beutezug. »Ich werde den ganzen Kram irgendwo wegwerfen«, überlegte Gofruun laut. »Damit haben wir doch nur Ärger.« Dann fiel ihm die Axt ein. Er nahm sie vorsichtig in die Hand, und sofort spürte er die Kraft, die ihn durchströmte. »Du bleibst da«, nickte er. Als er die Schatulle mit der Pfeife, dem Teller und dem Wasserspeienden Becher nach oben gebracht hatte, kam auch Heix wieder zu sich. Es gab eine kurze, aber sehr lautstarke Auseinandersetzung wegen des Tellers, aber diesmal behielt Gofruun die Oberhand. »Los jetzt!« befahl er, als Heix seinen Wi derstand einstellte. »Wir müssen nach oben.« »Wozu draußen herumlaufen, wenn du doch nichts für uns heranschaffst?« nörgelte Heix. »Das ist doch reine Zeitverschwen dung. Ich.«
Die große Stille »Du wirst jetzt mitkommen!« fauchte Go fruun seinen Alterenkel an. »Und zwar ge nau bis an die Oberfläche. Hier unten lasse ich dich jedenfalls nicht alleine. Du kriegst es fertig und verwandelst das ganze Höhlen gewirr in einen Trümmerhaufen.« Heix schmollte. Es blieb ihm jedoch keine Wahl. Gofruun hatte zwar ein unangeneh mes Gefühl in der Magengegend, als er sei nen Alterenkel schimpfend vor sich her trieb, und er meinte, sich irgendwie an etwas zu erinnern, was in Widerspruch zur Hilflo sigkeit seines unbequemen Verwandten stand, aber die Gedanken entglitten ihm. Er gab es auf und beschloß, sich später um Heix zu kümmern. Jetzt mußte er vor allem sehen, wie er den entstandenen Schaden aus bessern konnte. Heix setzte sich tatsächlich neben dem Eingang auf einen moosüberzogenen Stein. Er sah an Gofruun vorbei und reagierte auch nicht auf direkte Fragen. Der Bodenmagier versiegelte wütend das Tor zu den Höhlen, denn er fürchtete, daß der beleidigte Heix sonst sofort nach unten ging und seinen Zorn an dem wehrlosen Plasma ausließ. Dann marschierte er an seinem Alterenkel vorbei. Er ging zu Hragghs Hütte, obwohl er wußte, daß es dort für ihn nichts zu holen gab. Er folgte einfach einem Instinkt, und er nahm sich vor, es auch in Zukunft so zu hal ten. Er stieß die Tür diesmal ohne lange Vor reden auf. Schon bevor er den Leuchtstab berührte, wußte er, daß sich etwas verändert hatte. Er spürte es geradezu, so, wie man ein Gewitter nahen fühlt, lange bevor sich schwarze Wol ken zeigen. Als Licht aufflammte, entdeckte er auf dem Boden einen Fetzen schwammi gen, grellroten Materials. Im ersten Moment konnte er nichts damit anfangen. Dann sah er Hraggh an. Der Magier lag immer noch auf seinem Lager, und es schien, als hätte er sich nicht um einen einzigen Millimeter bewegt. Trotz dem war da etwas Ungewohntes. Unsicher
25 trat Gofruun näher heran. Aber erst als er die Hand ausstreckte und Hragghs runzelige Hand berührte, wußte er, was ihn so beunru higte. Hraggh war immer noch bewußtlos. Dar über hinaus aber war jene Kraft aus ihm ge wichen, die jeden Magier umgab und ihn ge genüber allen anderen lebenden Wesen un verwechselbar machte. Die magische Aura war spurlos verschwunden. Hraggh war in einen ganz normalen Sterblichen zurückver wandelt worden. Gofruun zuckte zurück, als hätte er sich gestochen. Fassungslos starrte er den ande ren an. Die magische Aura konnte sich nicht von selbst verflüchtigen. Kein einziger Fall die ser Art war bekannt. Aber es kam vor, daß Magier, die die Gesetze brachen, mit dem Entzug dieser lebenswichtigen Kraft bestraft wurden. Auch das geschah nicht oft, denn ein Vergehen mußte schon schlimm sein, um eine so harte Strafe zu rechtfertigen. An dererseits kam es auch darauf an, welchen Magier der Entzug traf. Je geringer die Fä higkeiten, desto schwächer waren auch die Folgen. Gofruun zum Beispiel wußte, daß er selbst im schlimmsten Fall noch viele Jahre leben konnte, wenn er nicht anderen Einflüs sen zum Opfer fiel. Die Mächtigsten von Oth dagegen hätten einen solchen Entzug wahrscheinlich nur um wenige Minuten überlebt. Gofruun war sicher, daß Hraggh nicht in dieser Weise bestraft worden war. Etwas an deres hatte ihm seine Fähigkeiten genom men. Und plötzlich, als er mit dem Fuß ge gen den roten Fetzen stieß, wußte er auch, wer sich an Hraggh vergriffen hatte. Er rannte nach draußen. Heix saß belei digt neben dem Höhleneingang. Die Riesen blüte war nicht zu sehen. Gofruun hatte keine Ahnung, wie schnell dieses Ding sich bewegen konnte und nach welchem Schema es vorging. Klar schien ihm nur eines: Das Biest wollte die Kräfte der Magier in sich vereinen. Es war auf dem Weg nach Westen. Schon bald mußte es in
26 die Dunklen Täler gelangen. Die dort leben den Magier hatten vor kurzem eine schmerz hafte Niederlage erlitten. Trotzdem gab es für die Riesenblüte viel zu holen. Und dann würde sie weiterziehen, am Karsion entlang, zum Tal der Käfer, an den Hang der Töpfer schnecke, ins Tal der Nebel, schließlich auch in die Tronx-Kette. Danach mußte sie soviel Macht und Wissen gewonnen haben, daß niemand sie mehr aufhalten konnte. Dann kamen auch Glyndiszorn und Copasal lior und Kolviss an die Reihe – das rote Biest würde eine Macht verkörpern, wie selbst Pthor sie noch nie zuvor gekannt hat te. Gofruun bekam eine Gänsehaut bei die sem Gedanken, und sein »gutes« Gesicht leuchtete auf, in dem instinktiven Bemühen, sofort einen Hohlraum ausfindig zu machen, in dem der Bodenmagier sich vor der Gefahr verbergen konnte. Aber damit war niemandem geholfen. Erstens würde die Blüte auch Gofruun ausfindig machen, wenn sie darauf Wert leg te. Zweitens war Gofruun auch ohne den di rekten Angriff des unheimlichen Gegners zum Tode verurteilt. Wenn die Magier star ben und ihre Fähigkeiten von der Riesenblü te davongetragen wurden, war es aus mit der besonderen Kraft dieses Gebirges. Und das bedeutete, daß Gofruun seine Kräfte an sei ne Umgebung abgeben mußte, ob er es woll te oder nicht, bis auch er nur mehr ein Sterb licher war. Darauf legte er keinen Wert. »Copasallior«, stieß er aus. »Der müßte helfen können. Wozu haben wir ihn denn sonst zum Mächtigsten in Oth gemacht?« »Schnell!« rief er seinem Alterenkel zu. »Suche dir ein Yassel. Wir müssen zum Crallion reiten!« Der Dicke rührte sich nicht. Gofruun eilte wütend zu ihm hin und versetzte ihm einen Tritt. »Mach, was du willst!« keifte Heix giftig. »Ich komme nirgendwohin mit. Ich will die sen Teller wiederhaben. Ehe er nicht hier vor mir auf dem Boden steht, werde ich kei-
Marianne Sydow nen einzigen Schritt tun.« »Von mir aus«, murmelte Gofruun er schöpft. »Dann bleibst du eben da sitzen. Wenn die Riesenblüte kommt, um dir den Verstand zu rauben, ist das auch nicht weiter schlimm. Bei dir gibt es sowieso nicht viel zu holen.« Heix vergaß den magischen Teller und sprang wutentbrannt auf. Dann erst begriff er halbwegs, was Gofruun eben gesagt hatte. »Verstand rauben?« wiederholte er schwerfällig. Gofruun war bereits an ihm vorbei gegan gen. Ganz in der Nähe gab es ein kleines Tal, in dem sich meistens mehrere Yassels aufhielten. Sie fanden dort gutes Futter und klares Wasser, und da sie im Bereich der Magier ein freies und ungebundenes Leben führten, waren sie weder scheu noch aggres siv. Gofruun sah insgesamt zehn der weißen Reittiere, zwei davon noch sehr klein, drei halbwüchsig, wie an dem kaum ausgebilde ten Stirnhorn erkennbar war. Die anderen fünf waren groß und kräftig, sie hätten Go fruun und seinen Alterenkel sicher in vollem Galopp bis zum Crallion getragen – wenn sie nicht wie alle anderen Lebewesen be wußtlos am Boden gelegen hätten. »Ha!« machte Heix schadenfroh. »Du wirst vergeßlich, Gofruun. Daran hättest du früher denken müssen.« »Sei still!« brüllte der Bodenmagier wü tend. Dann sah er sich ärgerlich um. Zu Fuß konnte er den Crallion erst in mehreren Stunden erreichen. Oder gab es noch eine andere Lösung? »Die Grenzen sind ausgelöscht«, überleg te er laut. »Wir brauchen uns also nicht an die neutrale Straße zu halten. In zwei Stun den könnten wir die Serpentinenstraße errei chen.« »Und dann?« »Das werden wir sehen. Wir müssen es versuchen.« »Wir könnten nachsehen, wo die Blüte steckt, und sie angreifen«, schlug Heix vor. »Wenn sie nach Westen weitergezogen ist,
Die große Stille
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werden wir unterwegs genug Waffen fin den.« »Die dann auf uns Jagd machen, anstatt die Blüte niederzuringen, wie?« fragte Go fruun höhnisch. Aber im stillen gab er seinem Alterenkel recht. Bis sie Copasalliors Höhlen erreich ten, mochte die Riesenblüte schon Dutzende von Magiern ihrer Fähigkeiten beraubt ha ben. Und es war überhaupt nicht sicher, daß der Weltenmagier etwas gegen die rote Be stie unternehmen konnte. Am Ende stellte sich heraus, daß ein Steinwurf die Blüte tö ten konnte. Gofruun verließ das Tal schweigend und eilte parallel zur neutralen Straße nach We sten. Er war erstaunt darüber, daß Heix ihm diesmal ohne die üblichen Klagen folgte. Vielleicht sah selbst der Alterenkel ein, daß dies ein besonderer Fall war. Im Bezirk der Sturmmagierin Nayr am Rand der Dunklen Täler fanden sie die Spur der Riesenblüte wieder. Sie eilten über den Hügel und beob achteten entsetzt, wie das rote Biest in Nayrs gläserne Behausung eindrang. Die Blüte schwebte mühelos durch alle Räume, öffnete jede Tür, indem sie sich auf den Kopf stellte und kleine Metallkugeln gegen das Hinder nis schleuderte, und fand endlich Nayr auf einem weichen Lager im Zentrum der Glas konstruktion. »Was macht das Biest jetzt?« flüsterte Heix atemlos. Gofruun schwieg. Für ihn gab es keine Zweifel daran, daß die Blüte emsig damit beschäftigt war, sich Nayrs magische Aura einzuverleiben. Als die Blüte sich von dem Opfer löste, gingen Gofruun und sein Alterenkel hinter einem Stein in Deckung. Das Biest schwebte fröhlich summend an ihnen vorbei.
5. Obwohl es Gofruun vor Grauen förmlich schüttelte, ging er in das Glashaus und über zeugte sich selbst davon, daß sein Verdacht zutraf.
Nayr besaß keinen Funken magische Kraft mehr. »Hier ist eine Waffe!« rief Heix ihm aus einer Kammer zu. Der Bodenmagier betrachtete zweifelnd einen Bogen, der neben einer Tür an der Wand lehnte. Die Sehne war um die zwei Meter lang, und das Holz des Bogens stammte aus dem Blutdschungel – Gofruun wußte, daß ein Bogen von dieser Art für ihn als Waffe nicht in Frage kam. Er konnte sich auch nicht vorstellen, daß Heix damit umzu gehen vermochte, denn man brauchte mehr als bloße Kraft, um mit den klobigen Pfeilen ein Ziel zu treffen, das sich zu allem Über fluß in ständiger Bewegung befand. Aber der Anblick des Bogens brachte ihn auf eine Idee. »Komm«, sagte er zu Heix. »Wenn wir uns beeilen, können wir dieses Monstrum im übernächsten Bezirk abfangen. Ich glaube, ich kenne jetzt einen Weg, es von weiteren Überfällen abzuhalten.« Heix stellte keine Fragen. Schnell folgte er dem Bodenmagier nach draußen. Gofruun schonte weder sich, noch seinen Alterenkel. Im Laufschritt eilte er über den nächsten Hügel, dann durch ein gewundenes Tal und schließlich zwischen hohen Felswänden hin durch. Als Heix den Turm vor sich sah, der seltsam unfertig wirkte, weil er aus vielen verschiedenen Teilen bestand, ahnte auch er, welche Waffe Gofruun gegen die Riesenblü te einsetzen wollte. Die Verbundmagierin Srika lag bewußtlos im Innern des Turmes. Heix wagte sich nicht in den Raum hinein. Gofruun befahl ihm, sofort Alarm zu schlagen, falls die Riesen blüte in diesem Tal auftauchte. Er hoffte aber, daß das Monstrum die einmal einge schlagene Richtung beibehielt und weiter nördlich vorbeizog. In aller Eile durchstö berte er den Turm. Zum Glück fand er schnell jenen Platz, an dem Srika ihre Waf fen aufbewahrte. Schaudernd drückte Gofru un sich an einem Behälter vorbei, in dem verschiedene Organe schwammen, die aber jetzt wenigstens nicht noch pulsierten, wie
28 es sonst der Fall war. Er griff blindlings in einen offenen Kasten hinein und erwischte fünf silberne Stäbe. Hastig zog er sich damit zurück. Heix hatte von der Riesenblüte noch nichts gesehen. Gofruun nahm sich daher Zeit, die Stäbe zu überprüfen. Er wußte, daß Srika diese Waffen gegen jeden Diebstahl abgesichert hatte, aber mit dieser Sperre wurde er fertig. Problematisch erwies sich jedoch der Auslösemechanismus. Ausge rechnet Heix löste das Rätsel: Er spuckte verächtlich auf eine der scheinbar nutzlosen Waffen, und als Gofruun den Stab daraufhin sicherheitshalber sauberwischte, hätte er um ein Haar die linke Hälfte des Wohnturms zerstrahlt. »Das wird helfen«, versicherte er zufrie den. »Ein Glück nur, daß es Leute wie Srika und mich in der Barriere gibt.« »Was hast du mit dem Vorhandensein dieser Feuerstäbe zu tun?« »Nun«, murmelte Gofruun, »eigentlich nichts. Aber du mußt zugeben, daß die nor malen Waffen der Magier in diesem Fall versagen.« »Daß ich nicht lache! Was können die an deren dafür, daß sie in Schlaf versetzt wur den?« »Wenn sie wirklich so mächtig wären, hätten sie sich auch dagegen schützen kön nen.« Heix kniff die Augen zusammen. »Wer sagt dir, daß sie es nicht getan haben?« »Meine Augen«, knurrte Gofruun wütend. »Sie schlafen, und damit basta. Srika war nie mächtig genug, um sich bei einem Über fall auf ihre Kräfte verlassen zu können. Darum hat sie sich die Feuerstäbe ver schafft.« »Und du?« »Ich bin der einzige, der die Dinger auf die Riesenblüte richten kann, denn ich bin wach geblieben.« »Du hast etwas übersehen«, sagte Heix ungewohnt freundlich. »Ich bin nämlich auch noch da.« Gofruun holte tief Luft. Dann schluckte er
Marianne Sydow die gehässige Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, wieder hinunter. Erstens hatte Heix ja recht, und zweitens war es wirklich dumm, mit einem Streit die Zeit zu vertrö deln, wenn doch auch ihre eigene Existenz durch die räuberische Blüte bedroht wurde. »Komm!« sagte er daher und reichte Heix zwei von den Stäben. »Wir müssen dort ent lang.« Wieder führte der Weg durch eine schma le Schlucht. Der Ausgang war vom Turm aus nicht zu sehen, erst wenn man direkt vor den Felsen stand, sah man die Öffnung, die schräg nach Norden führte. Nach wenigen Schritten bewegten sie sich in fast völliger Finsternis dahin: Selbst bei strahlendem Sonnenschein gelangte wenig Licht in diese Tiefe. Aber die beiden fühlten sich in der Nähe der von Nässe überzogenen Felsen überaus wohl, und dementsprechend schnell kamen sie voran. Auf Schritt und Tritt trafen sie auf die Spuren der Seelenlosen, die sich mit Vorliebe in solchen Schluchten angesie delt hatten. Gofruun fragte sich, wo diese Wesen geblieben sein mochten. Sie hatten die Barriere verlassen, aber soviel er gehört hatte, waren sie nirgends auf Pthor wieder zum Vorschein gekommen. Waren sie wirk lich in einer fremden Welt geblieben? Oder stimmte sogar jenes Gerücht, das besagte, die Seelenlosen wären während des Fluges über den Rand von Pthor gegangen und hät ten sich so selbst ausgelöscht? Nach etwas über einer Stunde wurde es vor ihnen etwas heller. Sie schlichen zum Ende der Schlucht. Vor ihnen begann der Bezirk des Faltenmagiers Ognor. Ein trockener, aus grauem Geröll bestehender Hang zog sich bis zu einem schwarzen Bach hinab, über den eine uralte, fast zerfallene Brücke führte. Auf der anderen Seite begann eine aus schwarzen Steinen zusammenge setzte Treppe, die für einen Riesen bestimmt zu sein schien. Die Treppe führte um einen Felsvorsprung herum, und darüber lugte ein Stück vom silbrigen Flugkörper eines Luft schiffs hervor. Das war die PYLTER, in de ren Gondel Ognor lebte.
Die große Stille Das rote Monstrum war noch nicht in Sicht, und Heix wäre am liebsten vor der Schlucht geblieben, bis die Blüte sich blicken ließ, aber Gofruun trieb seinen Alte renkel erbarmungslos den Hang hinunter. Sie tasteten sich über die Brücke, die offen bar stabiler war, als sie aussah, und eilten dann die monumentale Treppe hinauf. Als sie um die Felsen bogen, schnaufte Gofruun grimmig und hob den ersten Feuer stab. Ein greller Blitz löste sich aus der run den Öffnung und traf genau den glockenför migen Körper des Monstrums, das schon fast den Einstieg zur Gondel erreicht hatte. »Vorsicht!« kreischte Gofruun, als er sah, daß Heix ebenfalls den Feuerstab hob. Aber da war es schon zu spät. Der zweite Blitz zuckte nach oben und traf nicht die Blüte, sondern eine der Trossen, an denen das Luft schiff verankert war. Die Trosse riß mit ei nem lauten Knall und sprang mit ungeheurer Macht nach oben. Das Luftschiff schien zer bersten zu müssen. Ein Regen von kleinen Steinen und allerlei anderem Zeug ging auf die beiden Magier herab. Nur die Riesenblü te blieb ungeschoren, und sie hatte auch den direkten Treffer verdaut. Eilig nutzte sie die Verwirrung ihrer Gegner, um sich einen bes seren Platz in der Nähe der Gondel zu si chern. Gofruun verzweifelte fast, als er merkte, daß nicht einmal die Feuerstäbe das Biest gefährden konnten. Heix hatte seine Waffe erschrocken zur Seite geschleudert, als er seinen Fehler be merkte. In ihrer Verwirrung dachten weder er noch der Bodenmagier an Srikas Dieb stahlsicherung. Erst die Explosion des ver waisten Feuerstabs brachte Gofruun auf eine grandiose Idee. Nachdem er sich soweit von Sand und kleinen Steinen befreit hatte, daß er wieder etwas sehen konnte, rannte er die Treppe hinunter bis an eine Stelle, an der Ognor eine Trosse für besondere Zwecke verankert hatte. »Leg den zweiten Stab hinein!« schrie er Heix an, und dann drehten sie beide an einer Kurbel, und ein eiserner Korb schleppte drei
29 Feuerstäbe immer weiter hinauf. Sie hielten den Atem an und kurbelten dennoch wie ra send. Die Zeit schien stillzustehen und gleichzeitig viel zu schnell zu vergehen. Der Korb stieg, und die Riesenblüte kletterte ebenfalls immer weiter nach oben, und als das Biest die Tür zur Gondel erreichte, wur de es von dem Korb überholt – und dann endlich knallte es. Drei Feuerstäbe waren es, die auf einen Schlag ihre gesamte Energie freisetzten. Fast hätten sie dabei den Faltenmagier, dem die Rettungsaktion galt, restlos ausgelöscht. Aber der Eisenkorb drehte sich in der Luft, und der Glutball wurde genau auf den Flug körper gelenkt. Ein gewaltiges Loch ent stand in der silbrigen Umhüllung. Es zischte und fauchte. Glühende Tropfen regneten auf die Felsen herab. Dennoch wichen Gofruun und sein Alterenkel nicht zur Seite, sondern starrten erwartungsvoll nach oben. Die Rie senblüte steckte irgendwo in den Wolken von Staub und Rauch, die sich um die PYL TER bildeten. Endlich faltete sich die Haut des Flugkör pers ein, und als Folge davon sank das Flug schiff nach unten, zuerst langsam, dann im mer schneller. Die Trossen erschlafften und bildeten zusätzliche Gewichte, die die Gon del nach unten zerrten. Aus dem Flugkörper wurde ein schwach flatternder Fladen, der sich um die Gondel legte und dabei das rote Biest, das immer noch neben dem Einstieg hing, unter sich begrub. Mit begeistertem Geschrei verfolgten Go fruun und Heix die unsanfte Landung dieses wirren Gebildes. Sie fühlten sich schon ganz als Sieger im Kampf gegen die größte Ge fahr, die für die Magier von Oth jemals ent standen war. Da beulte sich die Wand des Flugkörpers aus, und ein wild summendes Etwas rumorte unter der silbrigen Haut umher. Gofruun und sein Alterenkel wichen entsetzt ein paar Schritte zurück. »Es kann uns nichts mehr tun«, flüsterte Heix, um sich selbst Mut einzuflößen. »Es muß doch mehr tot als lebendig sein! So ein
30 Absturz …« Die silberne Haut zerriß, und dünne rote Fäden schossen aus der Öffnung. Die metal lenen Kugeln an ihren Enden klingelten auf geregt. Ein Faden wickelte sich um den lin ken Arm des Alterenkels. Heix stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Gofruun wirbelte herum. Er hatte noch einen Feuerstab, aber auf so kurze Entfernung konnte er die Waffe nicht einsetzen. Er hätte Heix damit einen schlechten Gefallen getan. Trotzdem war Gofruun nicht gewillt, sei nen oft so unbequemen Verwandten kampf los dieser räuberischen Riesenblüte zu über lassen. Er stürzte sich auf die Öffnung in der Flughaut. Ein zweiter Faden schnellte heran, aber Gofruun konnte den Schlag mit dem Unterarm abwehren. Auch dem nächsten Angriff entging er. Mit dem Feuerstab und der bloßen Faust warf er sich der Blüte ent gegen, die langsam durch den Riß quoll und immer mehr Arme an dem Bodenmagier vorbei mogelte, wovon dieser in der Hitze des Kampfes gar nichts merkte. Ein wahrer Rausch erfaßte ihn und ließ ihn wie einen Automaten zuschlagen und kämpfen und weiter zuschlagen … … bis hinter ihm ein eigenartiges Seufzen erklang. Es war ein Geräusch, bei dem sich dem Bodenmagier die Haare aufstellten. Ganz langsam drehte er sich um. Die rote Bestie war für den Augenblick vergessen. Da saß Heix, und wer ihm in die Augen blickte, konnte keinen Zweifel mehr über den Zustand hegen, in dem der Alterenkel sich befand. Heix war nie ein echter Magier gewesen, jedoch ein intelligentes und sogar relativ un sterbliches Wesen. Jetzt war jeder Funke von Verstand von ihm gewichen. Der Raub, den die Blüte verübt hatte, ging viel tiefer, als Gofruun jemals gedacht hatte. Heix wür de nicht einmal fähig sein, sich ohne fremde Hilfe zu ernähren. Unbemerkt hatte die Blüte sich über Go fruun geschoben. Als der Bodenmagier auf
Marianne Sydow die Gefahr aufmerksam wurde, schien es längst zu spät zu sein. Die metallischen Ku geln schwebten herab und klingelten, und die Blüte sang und summte zufrieden, weil sie ihr nächstes Opfer sicher glaubte. Gofru un war wie erstarrt. Er begriff gar nichts mehr, als die Blüte nach wenigen Sekunden in die Höhe schnellte. Er sah hinauf. Die Glöckchen waren verstummt. Das Singen klang nervös. Und dann schwebte das Biest zur Seite, sank gemächlich zu Boden und gewann an Geschwindigkeit. Sie sauste über den Bach und flog an den Felsen vorbei nach oben, und ein paar Sekunden später war sie ver schwunden. Wäre nicht Heix gewesen und das zer trümmerte Luftschiff neben Gofruun – der Bodenmagier hätte geglaubt, einen bösen Traum erlebt zu haben.
* Gofruun verschwendete nicht mehr viel Zeit. Er kletterte in die Gondel und stellte erleichtert fest, daß Ognor den Absturz sei nes Luftschiffs heil überstanden hatte. Es grenzte an ein Wunder, aber der Faltenma gier hatte tatsächlich nicht einmal eine Schramme davongetragen. Gofruun brachte ihn nach draußen, denn das, was von der PYLTER übriggeblieben war, würde keine neuen Bodenerschütterungen mehr ertragen. Er bereitete im Schutz der überhängenden Felsen zwei Lager. Auf das eine legte er den Faltenmagier. Heix ließ sich willenlos zu dem zweiten Fellhaufen führen. Gofruun holte Wasser vom Bach und Früchte aus Ognors Vorräten. Heix aß, was der Boden magier ihm in den Mund steckte, griff aber nicht ein einzigesmal selbst zu. Gofruun machte sich Sorgen um seinen Alterenkel. Er konnte ihn unmöglich mitnehmen, wenn er zum Crallion ging – und genau dorthin mußte er gehen, denn wenn es ihm nicht ge lang, den Weltenmagier aufzuwecken, gab es wohl gar keine Hilfe mehr für die Magier von Oth.
Die große Stille Sollte er Heix in diesem Zustand allein lassen? Aber was blieb ihm anderes übrig. Im merhin konnte er ziemlich sicher sein, daß niemand den Alterenkel angreifen würde. Alle wilden Tiere schliefen, und verhungern und verdursten würde Heix nicht so schnell. Als Gofruun sich seufzend erhob, folgte Heix ihm nicht einmal mit den Blicken. Ver legen murmelte Gofruun ein Abschiedswort. Heix schwieg. Die Blüte ließ sich nicht mehr blicken. Gofruun folgte jetzt ihrer Spur – sie war auf geradem Wege aus östlicher Richtung ge kommen, so daß er zwangsläufig immer wieder auf ihre Spuren stieß. Ab und zu fand er abgefallene Blätter aus dem Blütenschopf. Einer dieser roten Fetzen brachte ihn nachträglich zu der Erkenntnis, daß er seine Rettung dem »guten« Gesicht auf seinem Hinterkopf verdankte. Er hatte schon immer gewußt, daß dieses engelhaft schöne, wenn auch unvollkommene Antlitz mehr konnte, als Hohlräume im Fels aufzuspüren. Aber für eine Waffe gegen intelligenzfressende Riesenblüten hielt er es auch jetzt nicht. Wenn er dieses Abenteuer heil überstand, so schwor er sich, wollte er alles tun, um den einen oder anderen Trick dazuzulernen. Ohne es zu merken, änderte Gofruun sei ne innere Einstellung zu den Magiern und zu seinem eigenen Leben. Nach den Erfahrun gen dieser Zeit würde es ihm schwerfallen, sich in seinen Höhlen zu vergraben und in gewohnter Nichtachtung alles vorbeiplät schern zu lassen, was andernorts geschah. Vorläufig jedoch war Gofruun ein gren zenlos einsames Wesen, das durch eine grandiose Bergwelt eilte und einen Wettlauf auf Leben und Tod bestritt. Als er endlich am Crallion ankam, war er so erschöpft, daß er sich abseits vom Weg ins Gras fallen ließ und auf der Stelle ein schlief. Er schrak bald wieder hoch, schweißgebadet, denn im Traum hatte er wohl ein dutzendmal Heix stöhnen gehört. Die grenzenlose Stille riß an seinen Nerven. Er kehrte an den Beginn der Serpentinen
31 straße zurück. Sechstausendfünfhundert Meter hoch war dieser Berg, und Copasalliors Höhlen lagen knapp unter dem Gipfel. War der Weltenma gier bei Bewußtsein, so half er dem einen oder anderen Besucher, indem er ihm ein Flugfeld schickte. Neben der Straße lagen bewußtlose Yassel auf wohlgepflegten Wei den. Es gab auch über die Länge der Straße verteilt steinerne Hütten, in denen Zaum zeug bereitlag. Gofruun jedoch mußte Kurve um Kurve nach oben steigen. Er verlor jegli ches Zeitgefühl dabei, denn solange Pthor sich durch einen Dimensionskorridor be wegte, gab es weder Tag noch Nacht. Die erste Entdeckung, die ihn aus seinem lethargischen Trott aufschrecken ließ, war ein roter Fetzen, der sich am Straßenrand in einem Gebüsch verfangen hatte. Gofruun untersuchte seinen Fund lange, ehe er wirklich daran zu glauben wagte, hier ein Blatt der seltsamen Riesenblüte gefun den zu haben. Die Erkenntnis versetzte ihm einen ziem lichen Schock, und er nahm auf einem fla chen Stein Platz, um sich ein wenig zu erho len. Was hatte die Blüte am Crallion getan? Zuerst fürchtete Gofruun, Copasallior könnte bereits seiner magischen Fähigkeiten beraubt sein. Das wäre in der Tat ein Grund, den Mut zu verlieren. Erstens wäre Gofruun die ganze Zeit umsonst die Straße hinaufge stiegen und hätte somit viel Zeit vergeudet. Zweitens hatte Gofruun bisher im stillen noch gehofft, die Blüte könne den wirklich Mächtigen von Oth nicht viel anhaben. Das Erlebnis unter dem Luftschiff PYLTER be stärkte den Bodenmagier in diesem Glauben. Schließlich war Heix, dessen Fähigkeiten gleich Null waren, der Blüte zum Opfer ge fallen, während Gofruun ungeschoren davon kam. Sicher war der Bodenmagier auch nicht gerade mit reichen Talenten und einem Übermaß an Macht ausgestattet, aber dafür schliefen ja die anderen auch. Selbst jetzt, als Gofruun den deutlichen Beweis dafür vor Augen hatte, daß der unheimliche Gegner
32 sich am Crallion herumgetrieben hatte, wei gerte er sich, an Copasalliors Niederlage zu glauben. Endlich fand er auch einen vernünftigen Grund, sich diesen Glauben zu erhalten. Copasalliors Macht resultierte aus der Fä higkeit, sich selbst oder andere Magier so wie Materie aller Art ohne Zeitverlust über große Entfernungen zu transportieren. Hätte die Blüte die Kraft des Weltenmagiers über nommen, so wäre sie niemals von dem sin kenden Luftschiff bedroht gewesen. Sie brauchte auch nicht in vergleichsweise lä cherlichem Tempo von einem Bezirk zum anderen zu schweben, sondern konnte sich blitzschnell nacheinander in alle Behausun gen von Oth versetzen und so den Prozeß der Machtübernahme radikal beschleunigen. Gofruun klammerte sich an diesen Gedan ken. Er brauchte ihn, denn sonst wäre er wahrscheinlich nicht mehr fähig gewesen, bis zu den Wohnhöhlen hinaufzusteigen. Je weiter er kam, desto zahlreicher wur den jedoch die Spuren, die die räuberische Blüte hinterlassen hatte. Immer wieder fand Gofruun Blätter, und seine Sorge wuchs. Keuchend eilte er weiter, bis er sich buch stäblich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er schlief mitten auf der Straße ein. Als er aufwachte, gab es nichts, woran er er kennen konnte, wieviel Zeit ihm nun wieder verloren gegangen war. Die Angst, die Blüte könnte inzwischen alle Magier westlich vom Crallion besucht haben und bereits unter wegs zu den Bezirken jenseits vom Tal der Schneeblume sein, trieb ihn weiter. Im Lau fen riß er ein paar Früchte von den Sträu chern und aß, und nur einmal hielt er an ei nem Bach inne, um etwas zu trinken. Schließlich, als er bereits glaubte, sein Ziel nie mehr zu erreichen, trat er auf das Plateau unter dem Gipfel des Crallion hinaus. Wie betäubt wankte er auf die dunklen Öffnungen in der Felswand zu. Er fand Copasallior ziemlich schnell. Aber als er sah, daß der Weltenmagier be wußtlos war wie alle anderen Bewohner der Großen Barriere auch, setzte er sich mutlos
Marianne Sydow auf den Boden. Lange Zeit starrte er Copa sallior an. Dann suchte er in den Höhlen nach etwas Eßbarem. Anschließend näherte er sich dem Weltenmagier in der Absicht, ihn aufzuwecken. Aber als er nur noch ein paar Schritte von Copasallior entfernt war, schien dieser ganz von selbst das Bewußt sein wiederzuerlangen. Atemlos sah Gofru un hin – bis er erkannte, daß nur eine Hand auf die Nähe des Bodenmagiers reagierte. Die Hand bewegte sich hin und her, und Go fruun spürte eine fremde Kraft. Er trat näher heran – und plötzlich war es, als hätte er über Heix einen Kontakt zu seinem magi schen Plasma hergestellt. Nur war Heix gar nicht in der Nähe, und die sechste Hand des Weltenmagiers bestand keineswegs aus Plasma. Gofruun löste sich entsetzt aus einem Sog, der ihn erfassen wollte. Er wich unter großen Qualen ein paar Schritte zurück. Plötzlich war er frei. Die Hand bewegte sich immer noch. Fast sah es aus, als versuche sie, dem Bodenmagier zu folgen. Aber als er noch ein paar Schritte tat, sank die Hand endlich auf die Brust des Weltenmagiers zu rück und blieb still liegen. Gofruun schlug einen weiten Bogen um den Weltenmagier. Was immer auch die Hand in Bewegung gesetzt hatte, es war fä hig, zwischen Copasallior und dem Boden magier ein festes Band zu errichten. Gofru un fürchtete, durch diese unbekannte Kraft schließlich auch in die Tiefen eines Schlafes gerissen zu werden, aus dem nur ein Wunder ihn erwecken konnte. Immerhin wußte er jetzt, daß Copasallior noch im Besitz seiner magischen Fähigkei ten war. Er konnte diese Aura deutlich spü ren. Es schien ihm sogar denkbar, daß diese auf seltsame Weise mit eigenem Leben er füllte Hand die Blüte abgewehrt hatte. Sie war in diesen Höhlen gewesen, das stand fest. Gofruun fand überall ihre Spuren. An einer Stelle lagen mehrere abgefallene Blätter. Fast schien es, als hätte dort ein Kampf stattgefunden. Aber da Copasallior bis auf seine sechste Hand völlig regungslos
Die große Stille dalag und sich auch seit langem nicht be wegt zu haben schien, irrte Gofruun sich wohl. Er ging auf die Suche nach Proviant und Wasser. Unbewußt folgte er dabei den Spu ren der Blüte. Als er vor einer offenbar auf gebrochenen Tür stand, wurde ihm endlich klar, daß die Blüte hier oben nicht nur zu ei nem kurzen Besuch verweilt hatte. Gofruun tat etwas, wovor er sonst stets zurückschreckte: Er ignorierte Hunger, Durst und Erschöpfung und konzentrierte sich auf die magischen Energien um ihn her um. Er ging ein Risiko ein, denn wenn die Energien aufgebraucht waren, würde er dop pelt müde sein und noch mehr Kraft brau chen, um sich in einen handlungsfähigen Zustand zu versetzen, und das mochte so weitergehen, bis er tot zusammenbrach. Go fruun verdrängte diese Gedanken. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Vor allem wollte er jetzt herausfinden, woher die Blüte ge kommen war – und es schien, als sei er da mit am Crallion genau an der richtigen Stel le. Sobald er sich erfrischt fühlte, untersuchte er die Tür. Er fand die Spuren der metalle nen Kugeln, mit denen die Blüte um sich zu werfen pflegte. Hinter der Tür begann ein Tunnel, der in geisterhaftes blaues Licht ge taucht war. Gofruun huschte lautlos hin durch bis zu einem Schacht. Er stellte fest, daß die Blüte diesen Weg benutzt hatte. Über steile Rampen und enge Wendel treppen eilte er nach unten, stundenlang, bis er einen riesigen Saal erreichte. Erstaunt sah er sich um. Er schien direkt in Copasalliors geheimer Schatzkammer angelangt zu sein. Überall türmten sich Berge von unbekannten Gegenständen. Gofruun streckte die Hand nach einem wunderschönen Edelstein aus. Gerade noch rechtzeitig erinnerte sich der Bodenmagier an die Folgen des Diebstahls, zu dem Heix ihn angestiftet hatte. Widerstrebend wandte er sich erneut sei ner Suche nach Spuren zu. Es dauerte eine ganze Weile, bis Gofruun schließlich auch die letzten Rätsel dieses
33 Höhlenlabyrinths gelöst hatte. Dann aber stand er in der Kammer mit den drei Käfi gen, und Nyzel und ein Wesen, das sich »Suk« nannte, überschütteten ihn mit Fragen aller Art. Gofruun merkte schnell, daß diese Wesen nur über eine geringe Intelligenz verfügten. Das Band namens Nyzel verriet ihm, daß die Riesenblüte hier unten »das Budella« ge nannt wurde. Copasallior hatte es – wie viele andere Wesen auch – von einem anderen Planeten geholt. Die meisten Wesen brachte der Weltenmagier in ihren Lebensraum zu rück, bevor Pthor zur nächsten Reise auf brach. Gofruun, der im ersten Impuls ge neigt war, dem Weltenmagier alle Schuld an dem drohenden Unglück zuzuschieben, stellte beschämt fest, daß er Copasallior da mit Unrecht antat. Oft genug bewahrte der Weltenmagier auf diese Weise seine Gefan genen vor dem Tod, denn er brachte sie erst wieder nach draußen, wenn die Horden der Nacht längst in die Ebene von Kalmlech zu rückgekehrt waren. Es war durchaus denkbar, daß manche dieser Wesen dann die Keimzelle einer neuen Zivilisation gebildet hatten. Gofruun erkannte, daß dies nicht der rich tige Zeitpunkt war, über solche Probleme nachzudenken. Die beiden Wesen in den Käfigen konnten ihm mitteilen, daß das Bu della sich vor Copasallior fürchtete und der Weltenmagier sicher eine spezielle Waffe gegen die Riesenblüte besaß. Aber sie konn ten weder sagen, wo diese Waffe sich be fand, noch wie sie aussah. Gofruun hatte so gar den Eindruck, daß die merkwürdigen Gefangenen zwischendurch ebenfalls in tie fen Schlaf gefallen waren und sich keines wegs darüber klar waren, wieviel Zeit seit dem Ausbruch des Budella vergangen war. Er wandte sich schließlich dem Ausgang zu. »Bleib hier!« kreischte der Suk sofort, und Nyzel bettelte: »Laß uns hinaus!« Aber Gofruun wagte es nicht, den beiden diesen Gefallen zu erweisen. Sie wirkten harmlos, aber wer konnte wissen, ob sich das nicht
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Marianne Sydow
nachträglich als Tarnung entpuppte? Hastig kehrte er in die Wohnhöhlen zu rück. Aber als er wieder vor Copasallior stand, hatte er noch keine vernünftige Idee, wie er mit dem Budella fertig werden sollte. Während er den Weltenmagier ansah, spürte er erneut die merkwürdige Verbin dung, die sich zu der beweglichen Hand auf baute. Er wollte zurückweichen, dann aber erkannte er, daß hier vielleicht die Lösung für einen Teil seiner Probleme lag. Er hätte nicht zu sagen vermocht, was er sich erwar tete, aber er ergriff die sich windende Hand. Im nächsten Moment fand er sich in einem nebelhaften Gefängnis. Die Wände um ihn herum schienen aus Wolken zu bestehen, und obwohl Licht hindurchdrang, konnte Gofruun die Höhlen im Crallion nicht mehr sehen. Er blickte nach unten. Da lag Copa sallior. Der Weltenmagier richtete sich gera de auf und schüttelte benommen den Kopf.
6. Copasallior erinnerte sich sofort und ge nau an alles, was geschehen war, ehe er di rekt vor dem rettenden Versteck zusammen gebrochen war. Der Wächter im Tal der Schneeblume war erwacht. Copasallior hatte dieses Ding noch nie mals mit eigenen Augen gesehen. Es gab auch nur sehr wenige Magier, die überhaupt von der Existenz des Wächters wußten. Ei nerseits hatte niemand damit gerechnet, daß die Magier jemals von dem Gerät bedroht sein könnten. Zweitens gehörte der VONTHARA – es gab ihn nicht nur in der FESTUNG, sondern in vielfacher Ausferti gung überall in Pthor – zu den Dingen, die die Herren der FESTUNG mit einem Tabu belegt hatten. Im Lauf der Entwicklung hatte es sich nicht vermeiden lassen, daß einige Bewoh ner der Großen Barriere in die FESTUNG kamen und sogar die Herren selbst sahen. Die magischen Wissenschaften aber ließen Kenntnisse dieser Art zu tödlichen Gefahren
werden. Um nicht eines Tages selbst von den Magiern bedroht zu werden, erließen die Herren der FESTUNG eine ehernes Gesetz: Wer sie in Wort, Bild oder sonstiger Weise darstellte, starb einen fürchterlichen Tod. Vorsichtshalber hatten die Herren dann die ses Gesetz auf einige Einrichtungen ausge dehnt, die ihnen besonders wichtig erschie nen. Der VONTHARA mit seinen zahlrei chen Ablegern gehörte dazu. Als man im Tal der Schneeblume dieses unheimliche Gerät entdeckte, beschlossen die mächtigsten aller Magier, das Wissen um die Existenz des Wächters geheimzuhalten. Das geschah zu einer Zeit, als die Lage in der Barriere noch einigermaßen entspannt war. Den Magiern damals reichte es, das Wis sen um den VONTHARA auf nur wenige Bewohner ihrer Berge zu verteilen. Darüber hinaus wurde dafür gesorgt, daß niemand den Herren der FESTUNG verriet, daß man das Geheimnis kannte. Die Magier gingen sogar so weit, ihr eigenes Gedächtnis mit Sperren zu versehen, die es ihnen schwer machten, sich an das zu erinnern, was mit dem VONTHARA in Zusammenhang stand. Copasallior hatte sich erst an den Wächter erinnert, als die Wirkung des Pfeifens be reits einsetzte. »Nun gut«, murmelte er und richtete sich vorsichtig auf. »Glyndiszorn hätte mir eher sagen sollen, daß er für mich ein Versteck angelegt hat. Wie hast du uns hierher ge bracht?« Er sah den Magier an, der neben ihm stand. Er brauchte einen Augenblick, um sich an den Namen des doppelgesichtigen Mannes zu erinnern. Als er Gofruun erkann te, sah er sich unwillkürlich nach Heix um. Die beiden waren unzertrennlich. Wenn sie schon mal ihre Höhlen verließen, traten sie stets zu zweit auf. Aber der Alterenkel war nicht zu sehen. »Ich habe eigentlich gar nichts getan«, versicherte Gofruun eilig. Ihm war selbst nicht klar, wo er sich überhaupt befand, ge schweige denn, wie er an diesen unheimli chen Ort gelangt war. »Es war deine Hand –
Die große Stille diese da. Sie hat sich bewegt. Als ich sie be rührte, waren auf einmal diese Wände da.« Copasallior hob die bewußte Hand und betrachtete sie. Sie sah normal aus und fühl te sich auch so an. Jedenfalls rührte sie sich nicht. Hatte er irgendwann in der letzten Zeit Glyndiszorn die Hand gereicht? Es wäre die einzige Erklärung, die ihm einfallen wollte. Dann kam er auf die Idee, daß dies im Augenblick nicht die wichtigste Frage war. Was, um alles in der Welt, hatte dieser Bo denmagier am Crallion zu suchen? »Ich – äh – habe etwas Seltsames gese hen«, stotterte Gofruun auf Copasalliors Fra ge. »Eine Blüte schwebt überall herum. Je denfalls ist es ein Wesen, das aussieht wie eine Blüte, aber es ist ziemlich groß, und es scheint, als hätte das verdammte Ding den Plan, sämtliche Magier um ihre speziellen Kräfte zu bringen. Darum kam ich zum Crallion. Ich hoffte, du könntest etwas gegen die Blüte unternehmen.« »Das Budella!« stieß Copasallior entsetzt aus. »Ich habe es vergessen. Aber es müßte doch schlafen! Oder habe ich mich geirrt? Gofruun, wie sieht es draußen aus? Berichte mir alles!« Copasallior begriff sehr schnell, daß der unwahrscheinlichste Zufall eingetroffen war – das Budella war immun gegen alles, was der VONTHARA von sich geben konnte. Kein Wunder, daß es nun mit den bewußtlo sen Magiern leichtes Spiel hatte. Als Gofruun vom Schicksal seines Alte renkels sprach, beschlich den Weltenmagier ein seltsames Gefühl. Irgend etwas gab es, das ungeheuer wichtig war und mit dem Al terenkel zusammenhing. Aber Copasallior zerbrach sich vergebens den Kopf. Er konn te den Gedanken, der Heix betraf, einfach nicht festhalten. Dafür stellte er fest, daß er selbst in keiner angenehmen Lage war, denn man würde ihn für die Taten des Budella verantwortlich ma chen. Noch schien es, als wären nur verhält nismäßig schwache Magier betroffen, und Copasallior hoffte, daß auch sie nach einiger
35 Zeit ihre Fähigkeiten zurückerhielten, wenn es gelang, das Budella an weiteren Schand taten zu hindern. Trotzdem hing alles davon ab, wann die anderen aus diesem seltsamen Schlaf er wachten. Copasallior hatte dank Gofruun und Glyndiszorns Fürsorge einen Vor sprung, den es klug zu nutzen galt. Zuerst mußte das Budella schachmatt gesetzt wer den. »Als erstes wirst du den Tunnel verlas sen«, ordnete Copasallior an, »und von drau ßen irgendein Tier hereinbringen. Aber paß auf, daß du eines erwischst, das harmlos ist.« »Was willst du mit dem Tier machen?« fragte Gofruun enttäuscht. »Wäre es nicht besser, du gehst sofort auf die Jagd nach dem Budella, ehe es noch mehr Schaden an richtet?« »Mit unnützen Fragen vertrödeln wir nur kostbare Zeit«, antwortete Copasallior ärger lich. »Geh!« Gofruun musterte ratlos die Wände. Co pasallior hatte leicht reden. Es schien nir gends eine Tür zu geben. Aber der Weltenmagier kannte sich mit Glyndiszorns Magie recht gut aus. Er be rührte Gofruun mit jener Hand, von der er glaubte, daß der Knotenmagier sie für diesen Zweck heimlich beeinflußt hatte. Tatsäch lich versank Gofruun sofort in der nebligen Wand und schritt draußen erschrocken da von. Copasallior beobachtete den anderen. Das »gute« Gesicht auf dem Hinterkopf war deutlich zu erkennen. Alles andere – Gofru un und das Innere der Höhlenwohnung – verschwamm vor seinen Augen. Copasallior wußte längst, daß Gofruun ihm nur einen Teil von dem berichtet hatte, was ihm und seinem Alterenkel seit dem Auftauchen des VONTHARA begegnet war. Die beiden hatten mit Sicherheit versucht, die Behausungen einiger Magier zu plün dern. Copasallior hoffte, daß Gofruun und sein Alterenkel sich nicht auch schon an den Schätzen im Crallion vergriffen hatten, denn dann konnte es geschehen, daß die einzige
36 Waffe, mit der das Budella zur Freigabe der geraubten Fähigkeiten gezwungen werden konnte, nicht mehr funktionierte. Copasalli or bewahrte diese Waffe sicherheitshalber stets in einem Zustand auf, in dem auch das Budella sie nicht an sich reißen konnte. Selbst wenn es diesem Wesen gelungen wä re, alle Informationen über die Waffe an sich zu ziehen, verlor es bei der Suche nach den Teilen so viel Zeit, daß Copasallior es mühe los überwältigen konnte. Das allerdings galt nur für den Fall, daß das Budella einen Ausbruch versuchte, wäh rend Copasallior bei Bewußtsein und hand lungsfähig war. Unruhig wartete der Weltenmagier auf Gofruuns Rückkehr. Er sah sehr deutlich die Stelle, an der er den Tunnel verlassen konn te. Er stellte auch schnell fest, daß dieses Versteck eine Sackgasse war. Vielleicht hat te Glyndiszorn den Tunnel ursprünglich so eingerichtet, daß Copasallior durch ihn in die Welt jenseits des Wölbmantels und so mit auch aus dem Wirkungsbereich des VONTHARA gelangte. Aber nach Gofruuns Schilderung war Pthor inzwischen gestartet – selbst an diesem unheimlichen Ort spürte auch Copasallior die Vibrationen, die das Land durchliefen. Endlich tauchte der Bodenmagier auf. Co pasallior sah ihn als dunklen Schatten hinter den Nebeln. Als Gofruun sich suchend zur Seite drehte, leuchtete das »gute« Gesicht in warmem Licht auf. Copasallior sah es mit Verwunderung. Was hatte es mit diesem Ge sicht auf sich? Copasallior hatte Gofruun stets für ein nicht gerade wichtiges Mitglied der Gemein schaft der Magier gehalten. Er und dieser merkwürdige Dickwanst namens Heix konn ten in seinen Augen höchstens einem Sinn dienen: Die Zahl der Magier insgesamt auf dem richtigen Niveau zu halten. Es gab ein paar Leute, die anders darüber dachten und behaupteten, daß auch die unwichtigste Ma gie einen unschätzbaren Wert besaß. Beim Kampf im Tal der Nebel waren diese Rebel len nicht gerade die unwichtigsten in den
Marianne Sydow Reihen der Verbündeten um Copasallior ge wesen. Aber in diesem einen Punkt mochte Copasallior den Magiern aus der Tronx-Ket te auch jetzt noch nicht zustimmen. Er verdrängte die unnützen Gedanken. Gofruun konnte weder den Weltenmagier noch das Versteck selbst sehen. Copasallior wartete, bis der Bodenmagier ihm bei der Suche nahe genug kam. Dann ergriff er ihn am Arm und zog ihn in die von Glyndiszorn geschaffene Nische. Gofruun gab einen erschreckten Laut von sich, dann fing er sich. Verblüfft starrte er auf seine rechte Hand. Copasallior sah einen kleinen Käfer, der emsig über die Finger des Bodenmagiers krabbelte. »Bring ihn wieder nach draußen. Warte einen Augenblick, was mit ihm geschieht. Dann kehrst du mit ihm zurück.« Gofruun befolgte Copasalliors Anweisun gen ohne Kommentar. Es zeigte sich, daß der Weltenmagier zu Recht vorsichtig geblieben war. Der Käfer erstarrte außerhalb der Nische und wachte auch bei der Rückkehr in die Ni sche nicht auf. Copasallior betrachtete die Wände und dachte darüber nach, was Glyn diszorn im einzelnen in sein Versteck hin eingepackt hatte. Es war noch zu wenig Zeit vergangen, um festzustellen, ob er hier drin gegen Hunger und Durst gefeit war, aber man durfte dem Knotenmagier, der Unbequemlichkeiten in dieser Richtung gar nicht schätzte, die nöti ge Umsicht getrost zutrauen. Sicher aber schien dem Weltenmagier vor allem eines: Er ging ein fast untragbares Risiko ein, wenn er das Versteck verließ, ehe er genug Beweise dafür hatte, daß die lähmende Wir kung des VONTHARA sich abschwächte. Wenn er nicht selbst sofort wieder das Be wußtsein verlor, so mußte doch beinahe zwangsläufig diese Nische zusammenbre chen. »Ich werde dir erklären, was du mit dem Budella tun mußt«, sagte Copasallior. Gofruun vernahm es mit großem Unbeha gen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, er
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hätte sich an diesem Ort, geschützt vor allen Gefahren, gründlich ausruhen dürfen, wäh rend der Weltenmagier sich auf die Suche nach seinem entlaufenen Hausgenossen be gab. Aber er wagte es nicht, Copasallior zu widersprechen. Darum hörte er geduldig zu und ging dann nach draußen, um die Einzel teile der Budella-Waffe zusammenzusuchen.
* Die fertige Waffe sah nicht gerade beein druckend aus. Sie bestand aus mehreren me tallenen Teilen, die aneinandergesteckt an eine dicke Kette aus gekrümmten Zähnen er innerten. An den Enden der Kette saß je ein Handgriff, an den anderen Teilen waren füh lerähnliche Gebilde aus verschiedenen Ma terialien befestigt. »Wie löst man das aus?« fragte Gofruun mißtrauisch, als die Kette fertig war. »Überhaupt nicht«, erwiderte Copasallior gelassen. »Du mußt nur nahe genug an das Budella herankommen. Es hat inzwischen mehr magische Kraft in sich aufgenommen, als ich ihm jemals zuvor habe zukommen lassen. Das macht die Wirkung dieser Waffe aus. Sie ist nur auf das Budella abgestimmt. Wenn das Blütenwesen ohne jede Energie aus unserem Bereich ist, kann die Kette es nur halten, indem du sie über den Blätter schopf schlingst.« Copasallior zeigte dem Bodenmagier, wie man die Kette in die richtige Position brach te. »Das«, fuhr er fort, »darfst du erst dann tun, wenn alle magische Kraft freigesetzt ist. Merke es dir, denn es ist wichtig. Wenn das Budella die geraubten Kräfte wieder hergibt, werden diese zu den Magiern zurückkeh ren.« »Das ist toll«, sagte Gofruun überrascht. »Es gibt also wirklich eine Chance für die Opfer der Blüte?« »Selbstverständlich. Als ich erkannt hatte, was mit dem Budella los ist, habe ich sofort alle Vorbereitungen für einen Notfall getrof fen. Aber nun wieder zu dieser Waffe. Du
wirst das Budella wahrscheinlich in der Nä he der PYLTER finden. Ich kenne dieses Wesen recht gut. Es ist im Grunde genom men ängstlich. Aber es mag auch keine Nie derlagen hinnehmen. Sicher hat es sich in den Hügeln nördlich vom Eistal versteckt. Von dort aus kann es das Tal beobachten. Es hat sich bestimmt nicht gleich nach draußen gewagt, als du das Tal verlassen hattest. Im Gegenteil: Es ist durchaus möglich, daß es immer noch abwartet. Es kann nicht wissen, daß ein anderer als ich die Waffe bedienen kann. Wenigstens hoffe ich, daß es nicht auf diesen Gedanken gekommen ist.« »Auch wenn es glaubt, daß es genug Zeit hat, wird es über alle Berge sein, bis ich endlich die PYLTER erreiche«, sagte Gofru un mutlos. »Der Weg ist weit für mich. Kein Yassel steht draußen auf seinen vier Bei nen.« Copasallior nickte. Er wußte, daß das Pfeifen des VONTHARA sogar auf die Ro botbürger und – diener in Wolterhaven wirk te. »Hast du nach Saisja gesehen?« fragte er sicherheitshalber. »Das eiserne Yassel sieht aus wie sein ei genes Standbild«, antwortete Gofruun be trübt. Abgesehen davon, daß die Lage mit jeder Stunde bedrohlicher wurde, hatte er auch gar kein Verlangen danach, schon wieder zu Fuß kreuz und quer durch die Große Barrie re von Oth zu laufen. »Dann bleibt mir keine andere Wahl«, seufzte Copasallior. »Ich werde dir die Kraft verleihen, für die Dauer eines Tages auf meine Weise zu reisen. Aber nimm dich in acht: Wenn du diese Kraft mißbrauchst, wirst du die Folgen schnell zu spüren be kommen!« Gofruun nickte stumm. Er würde sich Mühe geben, den Weltenmagier nicht zu enttäuschen. Er fühlte sich plötzlich sehr wohl. Der Gedanke, daß er zur Zeit der wichtigste Magier von Oth war, verlieh ihm neues Selbstvertrauen. Copasallior erklärte in allen Einzelheiten,
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was Gofruun zu tun hatte, sobald er die Blü te entdeckte. Gofruun hörte aufmerksam zu. Dann kam der Augenblick, vor dem Gofru un sich trotz allem ein wenig gefürchtet hat te: Copasallior bereitete sich darauf vor, dem Bodenmagier etwas von der Kraft der Weltenmagie zu überlassen. Zum Glück verlief die ganze Angelegen heit so nüchtern und reibungslos, daß Gofru un die Veränderung kaum bemerkte. Als er dachte, es würde losgehen, war bereits alles vorbei. »Wenn das Budella die magischen Kräfte herausgegeben hat«, sagte Copasallior, »bindest du es mit der Kette und bringst es zurück in seinen Käfig. Du weißt ja, wie die Tür sich verschließen läßt. Gib nur acht, daß sich die Kette nicht durch einen unglückli chen Zufall wieder lockert. Und dann kommst du zu mir zurück.« Gofruun verließ das Versteck. Erst drau ßen spürte er, daß tatsächlich eine neue Kraft in ihm war. Er konzentrierte seine Ge danken auf Heix, Ognor und die PYLTER. Im nächsten Augenblick war der Platz vor dem Versteck leer. Copasallior ließ sich seufzend auf dem nebelhaft sichtbaren Boden nieder. Er mach te sich Sorgen. Gofruun gehörte nicht zu de nen, auf die er sich allzu sehr verlassen mochte. Wenn er die Vielzahl von Fehlern bedachte, die dem Bodenmagier trotz gründ licher Vorbereitung unterlaufen mochten, wurde ihm regelrecht übel.
* Unterdessen erlitt auch das Budella einige Qualen, die ihm mindestens so fremd waren, wie dem Weltenmagier die Tatsache, daß er sich nicht nach Lust und Laune an einen an deren Ort versetzen konnte. Die Riesenblüte hielt sich tatsächlich noch in der Nähe der PYLTER auf, wenn auch nicht nur deshalb, weil es die erlittene Niederlage nicht zu vergessen mochte. Das Budella hatte so etwas wie Bauch weh. Es hatte sich nicht wirklich überfres-
sen, aber ein Teil der Kraft, die es in sich ge speichert hatte, sorgte für große Unannehm lichkeiten. Sie benahm sich, als wäre sie noch gar nicht Teil des Wissens, das die Blüte sammelte. Diese Kraft bohrte sich kreuz und quer durch das Budella und löste sogar Teile der anderen Kräfte los, die dar aufhin nichts Eiligeres zu tun hatten, als sich schleunigst zu entfernen. Wenn es so weiter ging, würde am Ende nur noch diese rebelli sche Kraft übrigbleiben, und was dann ge schah, malte sich das Budella lieber nicht aus. Lange Zeit kämpfte es gegen diese Kraft an. Es verzichtete sogar auf seine Schwebe felder und legte sich auf den Boden, um sich ganz auf den Kampf in seinem Innern kon zentrieren zu können. Es ging damit kein be sonderes Risiko ein, denn hier gab es nichts, was dem Budella hätte gefährlich werden können. Trotzdem war ein solches Verhalten für die Riesenblüte ungewöhnlich und zeug te daher von der Schwere des Kampfes. Lei der half auch der Verzicht auf die simpelste Bequemlichkeit gar nichts. Die merkwürdi ge Kraft wühlte weiter in dem Budella her um. Die Blüte war kaum noch fähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Nur lang sam begriff sie immerhin eines: Diese Kraft hatte sie in sich aufgenommen, als es zu dem so erschreckend erfolglosen Kampf mit zwei beweglichen Magiern gekommen war. Sofort erinnerte sich das Budella an den blauhäutigen Dickwanst. Bei ihm handelte es sich offenbar um einen sehr schwachen Magier. Trotzdem kam nur er als Quelle des Übels in Frage. Das Budella richtete sich auf. Es erschrak, als es erkannte, wie geschwächt es bereits war. Es vermochte kaum, sich weiter als ein paar kümmerliche Zentimeter über den Bo den zu erheben. Es wurde höchste Zeit, daß das Budella die lästige Kraft abstieß. Leider hatte es darin keine Erfahrung. Im Gegenteil, die größten Sorgen hatte sich das Blütenwesen stets darum gemacht, wie es einmal geraubtes Wissen über einen langen Zeitraum hinweg festhalten konnte. Das Bu
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della war so eingerichtet, daß es stets nur so intelligent sein konnte wie seine Umgebung. Sammelte es einmal zu viel Wissen, dann verschwand ein Teil der geraubten Fähigkei ten von ganz alleine. Es schwebte mühsam einen Hang hinauf. Von oben konnte es das Tal überblicken, in dem noch immer das zerstörte Luftschiff lag. Das Budella wagte sich zögernd nach unten. Auf halber Höhe jedoch erlitt es einen regelrechten Schwächeanfall. Es mußte sich auf die Steine sinken lassen, um sich auszu ruhen. Und auch in dieser Zeit rumorte es in ihm, als hätte es statt einer Portion Wissen ein lebendiges Tier verschlungen. Noch während es sich verschnaufte, spür te es etwas, das ihm einen noch größeren Schrecken einjagte. Irgend etwas zerrte an ihm. Das Budella öffnete seinen Blätter schopf ganz weit und streckte sämtliche Sin nesfühler aus, aber es konnte nichts und nie manden entdecken, was es für dieses Gefühl hätte verantwortlich machen können. Heftig pulsierend hob es sich an und schwebte abermals ein Stück weiter, aber auch dies mal mußte es bald eine Pause einlegen. Allmählich wurde dem Budella die Sache unheimlich. Es begriff nicht, was da mit ihm vorging. Es war beinahe froh, als es plötz lich in geringer Entfernung buchstäblich aus dem Nichts einen Magier auftauchen sah. Es schob alle Befürchtungen in den Hinter grund und flog so schnell es konnte auf den Gegner zu. Eine neue Portion Wissen würde ihm sicher zu frischen Kräften verhelfen. Es nahm sich nicht einmal die Zeit, sich den eben angekommenen Gegner genauer anzusehen.
* Gofruun wußte nichts von den Schwierig keiten, mit denen das Budella kämpfte. Er sah nur, daß die Blüte auf ihn zu schwebte, kaum daß er in Ognors Nähe angekommen war. Vom Transport durch eine seltsame Welt noch halb benebelt, vergaß der Boden magier zunächst alles, was Copasallior ihm
beigebracht hatte. Er spürte die schwere Kette in seiner Hand und warf damit nach dem Budella. Die Riesenblüte sang lauter als gewöhnlich, stieß mit einer ärgerlich wir kenden Bewegung mehrere Blätter ab und bemühte sich offensichtlich, der Kette aus zuweichen. Aber Copasalliors Waffe entwickelte höchst merkwürdige Fähigkeiten. Sie schwebte länger in der Luft, als es sich auf normale Weise erklären ließ, beschrieb eine Kurve und breitete sich dann aus, als wollte sie das Budella umschlingen. Die Riesenblüte tat einen riesigen Satz. Dabei surrte sie wie ein ganzer Schwarm von zornigen Insekten. Sie hob sich im letz ten Moment über die Kette hinweg. Endlich schien sie auch zu bemerken, daß sie sich ausgerechnet mit jenem Magier anzulegen gedachte, von dem sie schon einmal in die Flucht geschlagen worden war. Das Budella raste zur Seite, und als wäre durch den Schock der unerwarteten Bewe gung endlich Ruhe in seine Gedanken ge kommen, erkannte es, daß es rettungslos verloren war, wenn es nicht auf der Stelle neue Kräfte in sich aufnahm. Dabei vernach lässigte es allerdings seine Vorsicht gegen über der Kette, die es noch gar nicht bewußt als Copasalliors Waffe erkannt hatte. Nur ein Instinkt riet ihm, diesem Ding nicht zu nahe zu kommen. Für gefährlich hielt das Budella zu diesem Zeitpunkt in erster Linie den Bodenmagier, denn der Widerstand al len Bemühungen, ihn von seinen Fähigkei ten zu befreien. Das Budella kam zu dem Schluß, daß es nur frische Kräfte brauchte, um endlich auch diesen Kampf für sich zu entscheiden. War Gofruun aus dem Weg ge schafft, so konnte auch die Kette nichts mehr gegen die Blüte ausrichten. Das war ein Trugschluß. In dem Budella herrschte offensichtlich wirklich schon ein ganz gewaltiges Durcheinander. Es flog jetzt wieder in Richtung auf den Felsen, zu dessen Füßen Gofruun seine bei den Schützlinge zurückgelassen hatte. Heix saß auf seinem Lager und stierte ausdrucks
40 los ins Leere. Ognor rührte sich nicht. Auf ihn aber hatte das Budella es abgesehen. Gofruun verfolgte das Geschehen wie in Trance. Bei ihm machten sich die pausenlo sen Anstrengungen der letzten Zeit immer stärker bemerkbar. Auch Copasalliors über tragene Kräfte vermochten daran nichts mehr zu ändern. Gofruun kannte nur noch ein Ziel: Er mußte so schnell wie möglich das Budella außer Gefecht setzen. Dann erst durfte er sich die ersehnte Ruhe gönnen. Al les andere war ihm in diesem Augenblick egal. Er setzte sich schwerfällig in Bewegung. Die Kette lag jetzt auf dem Boden. Sie hatte noch versucht, das Budella zu verfolgen, aber so stark war die in ihr verankerte Kraft offenbar auch wieder nicht. Gofruun hob die Waffe auf und mar schierte weiter, von dem Wunsch getrieben, der Sache endlich ein Ende zu bereiten. Er stolperte über Steine und zähe Pflanzen, und die Kette schien bei jedem Schritt schwerer zu werden. Jetzt langte das Budella mit sei nen Sinnesfühlern nach Ognor, und Gofruun verzweifelte fast darüber, daß er nicht mehr rechtzeitig bei dem Faltenmagier eintreffen konnte. Da geschah etwas ganz und gar Un erwartetes. Heix, der eben noch mit leerem Blick da gesessen hatte, erwachte plötzlich zum Le ben. Der Alterenkel drehte den Kopf und er blickte das Budella. Die Riesenblüte kon zentrierte sich gerade auf Ognor, so daß sie gar nicht bemerkte, wie das bereits besiegt geglaubte Opfer sich aufrichtete und heran schlich. Das Budella saugte mit aller Kraft das Wissen des Faltenmagiers auf. Es wußte, daß es sich beeilen mußte. Darum ging es viel rabiater zu Werke, als es sonst der Fall war. Ognor leistete keinen Widerstand, was ja auch kein Wunder war. So kam das Bu della binnen weniger Sekunden zu neuer Kraft – und als es daran gehen wollte, die eben erworbenen Kenntnisse in die Praxis umzusetzen, warf sich Heix auf die Riesen-
Marianne Sydow blüte und schlang die Arme um deren Blät terschopf. »Komm endlich!« schrie er Gofruun zu. Der Bodenmagier fürchtete den Verstand zu verlieren, als er seinen Alterenkel so sah. Heix hing an der Blüte, als wäre er mit ihr verwachsen. Das Budella zuckte und zappel te und sang dabei immer lauter und schriller. Offensichtlich versuchte es auch, sich der Faltenmagie zu bedienen. Ognor konnte sich damit unsichtbar machen, und dasselbe ge schah mit Lebewesen und Gegenständen al ler Art, die er in einer bestimmten Form be handelte. Das Budella hatte jedoch Schwie rigkeiten, denn es wurde zwar durchschei nend, entkam den feisten Händen des Alte renkels aber trotzdem nicht. »Steh nicht so herum!« kreischte Heix wütend. Er verlor zeitweise den Boden unter den Füßen, weil die Blüte ihre Trageknos pen einsetzte. Heix war alles andere als ein Held. Er kämpfte nicht gegen die Blüte, weil er unbedingt Mut beweisen wollte, sondern weil er ganz genau wußte, daß er sterben mußte, wenn das Budella sein unheilvolles Werk vollenden konnte. Gofruun riß sich zusammen und rannte über das Geröll auf seinen Alterenkel zu. Er fiel ein paarmal hin, aber je weiter er kam, desto merkwürdiger verhielt sich Copasal liors Kette. Sie hob sich wieder an und schwebte ganz von selbst auf das Budella zu. Zum Schluß zerrte die Waffe den Boden magier regelrecht hinter sich her. Die beiden erreichten Heix, und die Kette schlang sich so schnell und fest um den glockenförmigen Leib der Riesenblüte, daß diese gar keine Gelegenheit zur Flucht bekam, obwohl Heix ein wenig zu früh losließ. Das Singen der Blüte erstarb. Gofruun blieb keuchend stehen. Er bekam noch mit, daß Heix einem Stein einen Tritt versetzte, weil Gofruun sich daran unweigerlich den Kopf gestoßen hätte, dann fiel er zu Boden und war bereits eingeschlafen, bevor er den Aufprall spürte.
7.
Die große Stille »Wach endlich auf!« rief Heix ungeduldig und rüttelte den Bodenmagier an den Schul tern. »Die Zeit vergeht. Du mußt zum Cralli on zurückkehren!« Gofruun drehte sich ärgerlich auf die an dere Seite. Er blinzelte unter halbgeschlosse nen Lidern hervor. Graues Licht ließ sche menhaft Felsblöcke erkennen, die vom Was ser rundgeschliffen waren. Gofruun war fest davon überzeugt, in seiner Höhle zu liegen, denn dazu paßte dieses Bild. Und was sollte das Gerede vom Crallion? Er schloß die Au gen ganz fest und atmete tief und regelmä ßig. Wenn Heix merkte, daß er nichts er reichte, würde er den Bodenmagier sicher in Ruhe lassen. Heix aber dachte gar nicht daran, sich so leicht geschlagen zu geben. »Das Budella muß in seinen Käfig!« schrie der Alterenkel so laut, daß Gofruun ein Zusammenzucken nicht verhindern konnte. Diesmal wurde der Bodenmagier ein we nig nachdenklich. Das Budella … Plötzlich war die Erinnerung wieder da, und Gofruun richtete sich so hastig auf, daß er sich den Schädel am rechten Knie des Al terenkels stieß. Heix kippte nach hinten, ließ sich zu Boden plumpsen und rieb jammernd sein Bein. »Woher kennst du den Namen der Blü te?« fragte Gofruun, ohne sich um die lauten Klagen seines Alterenkels zu kümmern. Heix sah nicht einmal auf. »Das ist nun der Dank«, schimpfte er. »Man gibt sich Mühe, und dafür brichst du mir das Bein. Wenn ich nicht mit dir ver wandt wäre, hätte ich mir längst jemanden gesucht, mit dem es sich leichter zusammen leben läßt. Aber das ist typisch für dich.« Gofruun kam zu dem Schluß, daß Heix wieder normal sei. Auch sonst hatte offenbar die rauhe Wirklichkeit wieder Einkehr ge halten. Nur das Budella paßte nicht so recht ins Bild. Gofruun beschloß, dieses rote Monstrum auf der Stelle wegzuschaffen. Dann mochten andere sich um das Wohl schlafender Magier kümmern, so lange es
41 ihnen Spaß machte – er selbst wollte sich nur noch Copasalliors letzten Auftrag entle digen. Anschließend konnte er diesen unver schämten Dickwanst in die Höhlen zurück bringen. Sicher gab es viel zu tun. Das magi sche Plasma mußte in einem schrecklichen Zustand sein. Wie lange hatten sie sich eigentlich jetzt schon außerhalb der Höhlen aufgehalten? Pthor war immer noch zwischen den Dimensionen unterwegs. Nichts erlaubte einen Rückschluß darauf, wieviel Zeit seit dem Start vergangen war. Immer noch spürte man Vibrationen. Wenn nicht bald etwas un ternommen wurde, um den Flug dieses rei senden Kontinents zu stabilisieren, wurde es gefährlich, und zwar nicht nur in der Barrie re von Oth, sondern überall auf Pthor. Gofruun schob auch diesen Gedanken von sich. Er wollte nichts mehr damit zu tun ha ben. Pthor war nicht sein Problem. Gut, vielleicht ging es letzten Endes auch um Gofruuns Leben. Aber er konnte sowie so nichts ändern. Er war nur ein ziemlich unwichtiger Bodenmagier. Außerdem gab es Mächte, die sich um Pthor kümmerten, und diese würden schon dafür sorgen, daß dieses Land samt den Magiern unversehrt an sein Ziel gelangte. Gofruun konnte sich nicht vorstellen, wie jemand über Pthor herrschen sollte, wenn ihm jede Unterstützung aus der Barriere ver sagt blieb. Und die Magier – daran glaubte er unerschütterlich – waren einzigartig in sämtlichen Universen. Mit derart gestärktem Selbstvertrauen ge lang es Gofruun, Heix nun völlig zu ignorie ren. Er ging an seinem Alterenkel vorbei und trat unter den überhängenden Felsen hervor. Sofort sah er das Budella. Es schwebte dicht über dem Boden und rührte sich nicht. Gofruun wunderte sich flüchtig darüber, daß die Kette sich über dem Blät terschopf spannte. Aber da die Waffe sich schon vorher reichlich selbständig aufge führt hatte, nahm Gofruun an, daß das Gerät von selbst die richtige Stellung eingenom men hatte, nachdem das Budella unter die
42 sem unerbittlichen Druck alle magischen Kräfte freigegeben hatte. Auch Ognor hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Gofruun bückte sich und musterte den Faltenmagier. Er konnte keine einzige Wunde entdecken, die das Budella ihm viel leicht geschlagen haben könnte. Deutlich spürte er magische Kräfte in Ognors Körper. »Komm!« befahl er seinem Alterenkel, der immer noch vor sich hin schimpfte und dabei sein Bein streichelte. Heix stand auf und humpelte unter lautem Stöhnen an Gofruun vorbei. Neben dem Bu della blieb er stehen. Gofruun wunderte sich darüber, denn es schien fast, als wüßte Heix, was der Bodenmagier als nächstes zu tun be absichtigte. Er wollte zusammen mit Heix und dem Budella zu jenem Punkt springen, an dem die neutrale Straße den Bezirk des Boden magiers berührte. Dann konnte Heix in die Höhlen hinabsteigen, während Gofruun die Blüte beim Weltenmagier ablieferte. Das schien ihm die zeitsparendste Methode, um sich aller weiteren Aufgaben zu entledigen. Copasallior würde sicher versuchen, Gofru un noch für allerlei Dienste einzuspannen. Aber Gofruun war fest entschlossen, alles abzulehnen und nur an sich selbst zu den ken. Also faßte er nach der Hand seines Alte renkels und berührte mit der anderen das ge fesselte Budella, schloß die Augen, dachte intensiv an jenen Abschnitt der Straße, den er zu seinem Ziel erwählt hatte und wollte dann die übertragenen Kräfte freigeben – aber es geschah nichts. Verwirrt sah Gofruun sich um. Heix grinste unverschämt. »Was hast du getan, du Dummkopf!« fuhr Gofruun ihn an. »Nichts«, versicherte der Alterenkel mit gespielter Unschuld. »Absolut nichts.« »Das ist eine Lüge«, zischte Gofruun zor nig. Dann wirbelte er herum und musterte das Budella, betrachtete anschließend seinen Alterenkel und begriff, warum ihm der Sprung nach Art des Weltenmagiers nicht
Marianne Sydow gelingen wollte. »Verdammter Narr!« schimpfte er verbit tert. »Was hast du dir dabei gedacht? Mach das sofort wieder rückgängig, hörst du?« Heix tat, als verstünde er kein Wort. »Verstell dich nicht!« fauchte Gofruun. »Meinst du, ich könnte es nicht spüren? Du hast mich über die Blüte angezapft. Einer wie du, der sonst über die magischen Kräfte einer tauben Nuß verfügt, bildet sich ein, so einen Diebstahl vollbringen zu können! Hast du den Verstand verloren? Was willst du jetzt anfangen, he? Du kannst mit diesen Kräften überhaupt nicht umgehen. Über haupt ist es ein Wunder, daß sie dich nicht schon umgebracht haben. Rede endlich! Wie hast du es gemacht?« Heix schwieg. Zuerst dachte Gofruun, sein Alterenkel wollte sich zu allem Überfluß auch noch bockig anstellen, da aber bemerkte er, daß sich auf dem kahlen Schädel des Dicken Schweißtropfen bildeten. Erschrocken ließ er die Hand los und gab dem Budella einen leichten Stoß. Die Blüte trieb ein paar Meter zur Seite. Er hatte es sofort befürchtet. Was ihm zu denken gab, war die Tatsache, daß es nicht viel früher zur Katastrophe gekommen war. Heix war nie ein echter Magier gewesen. Er war mit knapper Not dazu imstande, sich selbst mit Hilfe der überall im Überfluß vor handenen Energie am Leben zu erhalten. Das reichte, um Gofruun als Katalysator bei der Herstellung seines Plasmas zu dienen. Aber sonst war er schlechter dran als selbst ein magisch überhaupt nicht vorbelasteter Sterblicher. Jedem anderen Wesen konnten die Magier einen Teil ihrer Fähigkeiten lei hen oder zusätzliche Kräfte schenken, aber Heix war anders beschaffen. Hatte Heix das etwa vergessen? Oder war er der Ansicht, daß sich etwas änderte, wenn er sich für diesen Betrug der räuberischen Riesenblüte bediente? Nun jedenfalls steckte Copasalliors gelie hene Kraft in Gofruuns Alterenkel und ent wickelte dort die unausweichlich negativen
Die große Stille Folgen. Gofruun konnte nichts dagegen tun. Er konnte sogar von Glück sagen, daß er wenigstens das Budella aus der Reichweite des Dicken entfernt hatte, denn plötzlich lös te Heix sich in Luft auf. Gofruun eilte auf einen Felsen und hielt von oben Ausschau nach Heix. Zunächst schien es, als sei der Alterenkel in irgendei nem weit entfernten Teil der Barriere gelan det. Aber dann tauchte er als blauer Farb klecks auf einem nahen Hügel auf. Aller dings war er mehrere Meter über Grund ma terialisiert, so daß er wie ein Stein in die Tiefe stürzte. Gofruun schlug die Hände vor das Gesicht. Aber da war Heix schon wieder verschwunden. Gofruun sah sich ratlos um. Über ihm entstand ein hohles Rauschen, von dünnem Pfeifen begleitet. Entsetzt warf sich der Bodenmagier zur Seite. Er hatte leider vergessen, wie schmal der Felsen war, auf dem er stand. Er rollte über die Kante und bis auf die schwarze Treppe hinunter. Dabei holte er sich zahlreiche Beu len und Prellungen. Heix hatte es indessen zum drittenmal aus der normalen Welt gerissen. Und wieder landete er an einem Ort, den er sicher nicht freiwillig zum Ziel seiner Reise gewählt hat te. Er kam neben einer in der Steilwand fest hängenden Trosse heraus und klammerte sich gerade noch mit einer Hand daran fest. Kreischend blickte er zu Gofruun hinab. »Zum Bach!« schrie der Bodenmagier. »Spring ins Wasser, es wird dich festhal ten!« Denn Wasser nahm magische Energie be sonders leicht auf, und offenbar waren Co pasalliors Kräfte bestrebt, sich so schnell wie möglich von Heix zu befreien. Heix hing immer noch an der Trosse. Ent weder verstand er Gofruun gar nicht, oder die gestohlenen Kräfte hatten sich schneller erschöpft, als der Bodenmagier angenom men hatte. »Hol mich 'runter!« brüllte Heix. Die Trosse schwankte mit ihm hin und her. Der Alterenkel klammerte sich fest und wurde am Felsen entlanggeschleift. Vor lauter
43 Angst kam er nicht auf die naheliegende Idee, sich bei der erstbesten Gelegenheit an einer Unebenheit festzuklammern. »Du mußt mir helfen! Ich bin doch dein Alteren kel! Hilfe!« Gofruun strich sich verzweifelt den blau en Haarkranz zurück. Die Felswand war voller Risse und Spal ten. Es war gar nicht schwierig, daran her umzuklettern – für Gofruun, denn der war nur etwas über eineinhalb Meter groß und sehr gelenkig. Für Heix sah es schon anders aus, und Gofruun fürchtete, sein Alterenkel würde sich bei einem gemeinsamen Abstieg so ungeschickt anstellen, daß sie beide von den Felsen stürzten. Andererseits hatte er nicht einmal ein Seil, um Heix zu einem besseren Halt zu verhelfen, und es schien auch so, als könne der Alterenkel sich nicht mehr lange halten. Gofruun kletterte also doch los, auch wenn das ein ziemlich aussichtsloses Unter nehmen war. Ab und zu sah er nach oben. Heix hatte immer noch so viel Kraft, daß er lautstark seine Lage kommentierte und den Bodenmagier einen treulosen Feigling nann te, weil dieser sich angeblich gar zu viel Zeit ließ. Es zeigte sich, daß Gofruun seine Kräfte zu optimistisch eingeschätzt hatte. Jedenfalls mußte er schweißüberströmt anhalten, ehe er noch einen Sims erreichte, von dem aus er Heix vielleicht an den Beinen festhalten konnte. Der Alterenkel pendelte am Ende der Trosse hin und her und schrie sich die Lunge aus dem Hals. »Du mußt dich konzentrieren!« rief Go fruun verzweifelt. »Versuche es wenigstens! Bis zum Bach ist es nur ein kurzes Stück …« Heix hörte gar nicht zu. Endlich fiel dem Bodenmagier ein, daß Copasallior über mehr als eine Fähigkeit verfügte. Die Frage war nur, ob Heix sich überhaupt noch einmal dazu aufraffen konn te, etwas Sinnvolles zu unternehmen. »Baue ein Flugfeld auf!« schrie er und be
44 mühte sich, die Stimme seines Alterenkels zu übertönen. Heix verstummte augenblicklich. »Was hast du gesagt?« erkundigte er sich. Gofruun robbte keuchend ein paar Meter weiter nach oben, bis er Heix wieder deut lich sehen konnte. »Unter deinen Füßen«, stieß er aus, »mußt du dir festen Boden vorstellen. Versuche es. Copasallior kann es schließlich auch!« »Aber ich habe keine Ahnung von sol chen Dingen.« »Stell dich nicht so dumm an!« brüllte Gofruun zu ihm hinauf. »Versuche es we nigstens mal. Ich kann sonst nichts für dich tun.« »Ich …« »Wenn du nicht sofort anfängst«, unter brach Gofruun seinen Alterenkel, »dann stürzt du eben ab. Ich kann nicht mehr wei ter!« Das entsprach der Wahrheit. Vor Gofru uns Augen tanzten Lichtpünktchen, und manchmal verschwamm die Umgebung hin ter dunkelroten Wolken. Der Bodenmagier klammerte sich fest und hoffte verzweifelt, daß er lange genug bei Bewußtsein blieb, um noch an eine weniger gefährliche Stelle kriechen zu können, wo er nicht bei der ge ringsten Bewegung abstürzen mußte. Er war so sehr mit sich beschäftigt, daß er keine Gelegenheit mehr fand, auf Heix zu achten. Erst als er sich keuchend über den Rand des Simses gezogen hatte, kam ihm zu Bewußt sein, daß Heix keinen Ton mehr von sich gab. Zuerst dachte er betroffen, daß es nun wohl tatsächlich zum Schlimmsten gekom men war. Das hatte er nicht gewollt. Aber er trug ja auch keine Schuld an dem, was dem Alterenkel zugestoßen war. Dann hob er mühsam den Kopf – und stierte die blaue Gestalt an, die wenige Me ter von ihm entfernt in der Luft schwebte. »Was …«, krächzte Gofruun, dann ver sagte ihm die Stimme. Heix gönnte dem Bodenmagier nur einen verächtlichen Blick, schwebte anschließend
Marianne Sydow weiter und manövrierte das Flugfeld dabei so, daß Gofruun ihn einfach sehen mußte. Triumphierend winkte er, als er fast den si cheren Boden erreicht hatte, zu Gofruun hin auf – und fand sich in der nächsten Sekunde auf dem harten Felsen wieder. Falls Gofruun bei diesem Anblick noch Schadenfreude empfand, so war er wenig stens nicht mehr fähig, sie auch zum Aus druck zu bringen, denn die Erschöpfung übermannte ihn. Heix rieb sich das Hinter teil und fluchte lautstark über den Welten magier und das Budella und allerlei andere Dinge, die ihm gerade einfielen. Dann küm merte er sich um Gofruun. Der Bodenmagier hatte eine Stelle erreicht, an der er einiger maßen sicher aufgehoben war. Heix machte sich nicht die Mühe, extra nach oben zu klettern, sondern stieg in die aufgebrochene Gondel der PYLTER. Es gab kaum einen Magier in Oth, der keinen Wert auf wohlgefüllte Vorratskam mern legte. Als Heix in der Gondel nur ein paar Früchte und steinhartes Brot fand, durchsuchte er das ganze Tal mit einer für ihn ungewöhnlichen Ausdauer. Endlich fand er am oberen Ende der Treppe einen Hohl raum, der nur von einer Steinplatte verdeckt wurde. Heix stürzte sich gierig auf Ognors eiserne Reserve. Er stopfte in sich hinein, was immer zwischen seine Zähne passen wollte, und holte sich dazu Wasser aus dem Bach. An Gofruun oder den Faltenmagier, der über diesen Raub sicher nicht erfreut sein würde, dachte er dabei nicht. Als Gofruun endlich erwachte, lag Heix statt und zufrieden auf weichen Fellen und dachte daran, daß jetzt nur ein wenig Son nenschein fehlte, damit es so recht behaglich wäre.
* Gofruun merkte, daß Heix ihn lauernd be obachtete. Der Bodenmagier riß sich müh sam zusammen, denn ein Wutanfall kostete ihn nur noch mehr Kraft und bewirkte bei Heix gar nichts.
Die große Stille Er trank Wasser aus dem Bach und riß ein paar wilde Beeren von den Sträuchern am Ufer. Das brachte seinen Magen nur noch stärker zum Knurren. Trotzdem tat er, als sä he er Heix nicht einmal, als er an ihm vorbei zu der Stelle ging, an der das gefesselte Bu della schwebte. Wenn Gofruun das Budella mühsam zu Fuß zu den Höhlen des Crallion bringen mußte, dann lag das einzig und allein an Heix. Nicht genug damit, daß er sich heim lich Copasalliors Kräfte hatte aneignen wol len – durch seine Dummheit hatte Gofruun auch so viel Zeit verloren, daß die vom Wel tenmagier gesetzte Frist abgelaufen war. Das hieß, daß er eine Umkehrung des Übertra gungsprozesses gar nicht erst zu versuchen brauchte. Eine flüchtige Untersuchung des Budella zeigte denn auch, daß die Blüte nicht den kleinsten Rest dieser Transport energie mehr besaß. Wütend packte Gofruun das eine Ende der Kette und zerrte das Budella hinter sich her. Er hatte schon fast die uralte Brücke er reicht, als er Heix herankeuchen hört. Gofru un blieb stehen, sah sich jedoch nicht um. »Ich helfe dir«, bot Heix großzügig an. Gofruun schüttelte nur den Kopf. »Es wird schwer, alleine das Riesenbiest durch die Berge zu bringen«, bemerkte Heix etwas weniger großspurig. Er schien allmäh lich zu bemerken, daß er wohl doch ein biß chen zu weit gegangen war. Gofruun schritt stumm auf die Brücke hinaus. Wenigstens bereitete ihm das Budel la keine Schwierigkeiten. Es wog in seinem jetzigen Zustand fast nichts und wehrte sich in keiner Weise gegen sein Schicksal. »Sei doch nicht gleich beleidigt!« rief Heix. »Ist es nicht egal, ob ich mit anfasse, oder ob ich nur neben dir her laufe? Wir ha ben ja doch denselben Weg!« Gofruun blieb stehen und sah den Dicken an. »Von jetzt an nicht mehr«, sagte er grim mig. »Geh, wohin du willst, aber verschwin de aus meiner Nähe!« Heix starrte ihn entsetzt an.
45 Der Bodenmagier kümmerte sich nicht um ihn, sondern ging weiter. Die Steine un ter seinen Füßen knisterten, aber wenn die Brücke ausgerechnet jetzt zusammengebro chen wäre, hätte Gofruun sich auch dadurch nicht aufhalten lassen. Er war so unsagbar wütend, daß er alles andere vergaß. Es ging ja nicht nur um ein paar Unbequemlichkei ten und die Gefräßigkeit des Alterenkels. Gofruun hatte vielmehr versagt, und dies auf eine Art und Weise, mit der er sich unsterb lich blamierte. Unbewußt hatte er die ganze Zeit über gehofft, in Zukunft ein besseres Leben führen zu können, vielleicht sogar ein bißchen Dankbarkeit von seiten der gerette ten Magier genießen zu dürfen. Heix hatte es geschafft, all diese verschwommenen Träu me zu vernichten. »Du wirst ohne mich verhungern!« ver suchte Heix es noch einmal. »Die Nektar knollen …« »Ich brauche sie nicht«, schnitt Gofruun ihm schroff das Wort ab. »Ich kann von den Früchten dieser Berge leben, im Gegensatz zu dir. Du kommst ohne das magische Plas ma nicht aus. Du kannst es haben. Ich werde nicht in unsere Höhlen zurückkehren.« Auch das meinte Gofruun ernst. Er war fest entschlossen, das Budella in seinen Kä fig zu bringen und dann an irgendeiner Stel le in den Bergen eine neue Behausung zu su chen. Wenn er Glück hatte, ließen ihn die Magier zufrieden, wenn sie erst wieder auf gewacht waren, und er konnte sich ein neues Leben aufbauen. Ließen die anderen ihn je doch spüren, daß er nicht einmal imstande war, die ihm von Copasallior übertragenen Fähigkeiten zu verwalten, dann mußte er eben die Barriere verlassen. Das hatten schon mehrere Magier getan, weil ihre Kräf te zu gering waren, um sich bei den Bewoh nern dieser Berge Achtung zu verschaffen. Heix blieb schließlich zurück. Er hatte wohl eingesehen, daß es sinnlos war, Gofru un weiter zu bedrängen. Mit Bitten ließ sich der Bodenmagier jetzt doch nicht umstim men. Im Gegenteil – je länger Heix auf ihn einredete, desto tiefer würde er sich in seine
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tristen Gedanken verbohren. Der Alterenkel trottete in sicherem Ab stand hinter Gofruun her. Wenn Gofruun an hielt, um sich auszuruhen, setzte sich auch Heix nieder, aber er paßte genau auf, daß er den Bodenmagier niemals aus den Augen verlor. Er folgte ihm bis zum Beginn der Serpentinenstraße. Dort stellte Heix fest, daß sich hier für ihn immer noch schier undurchdringliche Sper ren erhoben. Gofruun kam natürlich mühe los hindurch, und das Budella zog er mit sich. Heix dagegen mußte zurückbleiben, ob es ihm paßte oder nicht. Er suchte sich einen geschützten Platz, denn ein kalter Wind blies durch die Täler der Großen Barriere. Er würde hier warten. Wenn Copasallior den Bodenmagier nicht mit einer weiteren Portion seiner seltsamen Kräfte ausstattete, mußte Gofruun auf dem Rückweg hier vorbeikommen. Es gab nur diese eine Straße zum Crallion hinauf. Wenigstens kannte Heix keinen zweiten Weg, und das gab ihm neuen Mut. Sicher brauchte Gofruun nur ein wenig Zeit, um zu erkennen, wie dumm und über eilt sein Entschluß von vorhin gewesen war.
8. Gofruun ging die Straße hinauf, bis er si cher war, daß sein Alterenkel ihn nicht mehr sehen konnte. Dann schob er das Budella in eine der kleinen Schutzhütten, die es überall am Crallion gab. Erleichtert stellte er fest, daß es hier alles gab, was er brauchte. Er aß und trank und fiel danach in einen tiefen Schlaf, aus dem ihn kein Alterenkel oder sonstige Störenfriede aufweckten. Erfrischt machte er sich wieder auf den Weg – er hat te sicher mehr als einen vollen Tag verschla fen, was ihn aber nicht im geringsten störte. Jetzt, da er sich wieder kräftig genug fühl te, um es mit den Tücken eines Lebens im Bereich der Barriere aufzunehmen, dachte er mit weniger Grimm an Heix. Eigentlich hat te er, der Bodenmagier Gofruun, es wohl doch etwas übertrieben. Gewiß, Heix hatte
einiges verdorben, woraus Gofruun sich noch manchen Vorteil erhoffte, und er hatte auch sonst genug Dummheiten angestellt, um einen gutmütigen Verwandten gründlich zu verärgern. Aber wenn Gofruun es sich genau überlegte, war es reiner Unfug, das gesicherte Leben mit dem magischen Plas ma nur wegen dieses unwissenden Narren aufs Spiel zu setzen. Ein neues Leben – es gab keine freien Bezirke in der Großen Bar riere. Und jeder kannte natürlich den Magier mit den zwei Gesichtern. Außerdem konnte er draußen mit seinem Talent, auch die ver borgensten Höhlen aufspüren zu können, erst recht nichts anfangen. Nein, es war sicher nicht klug, über Heix gleich den Stab zu brechen. Vielleicht ließ sich Copasallior sogar dazu überreden, den Bodenmagier dafür zu belohnen, daß dieser das Budella eingefangen und unschädlich gemacht hatte. Gofruun fand Gefallen an dieser Idee. Sollte Copasallior nicht von selbst darauf kommen, so mußte der Bodenmagier ihn eben auf die dringende Notwendigkeit ge wisser Maßnahmen aufmerksam machen. Gofruun war sich völlig sicher, daß Copasal lior das Budella mit voller Absicht vor allen anderen Magiern versteckt hatte. Wenn je mand erfuhr, was der Weltenmagier riskiert hatte, indem er diese gefährliche Riesenblüte in der Barriere behielt … Nein, Copasallior würde es sicher vorzie hen, Gofruun mit einem kleinen Geschenk dazu zu bringen, daß er den Mund hielt und nicht über die Vorgänge der letzten Tage sprach. Für Heix würde der Bodenmagier sich verbürgen müssen. Das gefiel ihm schon weniger. Er zog die Blüte die Straße entlang. Auf seine Umgebung achtete er überhaupt nicht. Ihm konnte schließlich auch nichts gesche hen, solange der Bann des Wächters ganz Pthor lahmlegte. Was sollte er von Copasallior verlangen? So etwas mußte man sich gründlich über legen. Gofruun dachte so lange darüber nach, daß er eine Extrapause einlegen muß
Die große Stille te, weil er sonst sein Ziel erreicht hätte, ehe er sich über seine Wünsche im klaren war. Plötzlich kannte er die Antwort. Wenn man von zufälligen Ereignissen ab sah, gegen die ohnehin kein Kraut gewach sen war, gab es nur einen Punkt, der dem Bodenmagier immer wieder Ärger und Sor gen bereitete: Heix. Zunächst dachte Gofru un daran, Copasallior zu bitten, daß er dem Bodenmagier endlich zu der Möglichkeit verhalf, sein magisches Plasma ohne die Mitwirkung seines Alterenkels herzustellen. So verlockend der Gedanke auf den ersten Blick wirken mochte, Gofruun erkannte schließlich doch den wunden Punkt daran. Wenn er Heix nicht mehr brauchte, gab es für ihn keinen Grund mehr, die zahllosen Unarten seines Alterenkels in Kauf zu neh men. Er würde also Heix früher oder später davonjagen, und wenn Heix erkannte, daß Gofruun ihn tatsächlich nicht mehr brauchte, würde er seine Konsequenzen ziehen und wirklich fortgehen. Heix mochte noch so wertlos im Sinn irgendeiner Magie sein – er war immerhin ein Gesprächspartner und ein intelligentes Wesen. Wie intelligent, stand auf einem anderen Blatt. Tatsache war, daß Gofruun sich im Lauf der Zeit an seinen Al terenkel gewöhnt hatte. Er brauchte ihn – nicht nur für sein Plasma, sondern auch sonst. Mit wem sollte er herumschimpfen, wenn Heix die Höhlen verließ? Gofruun fand eine andere Lösung. Vergnügt machte er sich wieder auf den Weg. Er wußte nicht, ob Copasallior ihn von seinem komischen Tunnel aus sehen konnte. Wenn, dann merkte der Weltenmagier we nigstens rechtzeitig, daß Gofruun sich nicht als willenloses Werkzeug benutzen lassen wollte. Der Bodenmagier zerrte das Budella mit voller Absicht ganz dicht an jenem Punkt vorbei, hinter dem der Zugang zu Copasal liors Versteck lag. Provozierend gleichgültig marschierte er tiefer in die Höhlen hinein. Mit heimlicher Schadenfreude dachte er dar an, daß Copasallior sich bestimmt über das
47 Verhalten des Bodenmagiers ärgerte und keine Möglichkeit hatte, dies auch deutlich zum Ausdruck zu bringen, ehe Gofruun es ihm erlaubte. Als Gofruun den nach unten führenden Schacht erreichte, vergaß er Copasallior zu nächst, denn es gab ein Problem, das er vor her nicht bedacht hatte. Das Budella wog zwar fast nichts, war aber immer noch recht umfangreich. Copa sallior hatte den Schacht nicht etwa für gan ze Horden von Besuchern bauen lassen, son dern ausschließlich für sich selbst. Und der Weltenmagier war schon beinahe dürr zu nennen. Trotzdem – das Budella paßte gera de durch den Schacht hindurch. In die anderen Gänge, die über Rampen und Treppenstufen nach unten führten, ließ sich die Riesenblüte selbst unter Gewaltan wendung nicht hineinquetschen. Sicher gab es andere Gänge im Fels, denn in der Höhle der Wunder standen viele Ge genstände, die zu groß waren, um sie auf diesem Weg nach unten zu bringen. Gofruun ließ die Blüte los und wollte sich gerade daran machen, nach diesen Gängen zu suchen – was ihm ja wegen seines »guten« Gesichts in Rekordzeit gelingen mußte – da stieß er auf einen fatalen Denk fehler. Eigentlich war es schon ein mittleres Wunder, daß es überhaupt normale Wege hier unten gab, denn der Weltenmagier be nötigte sie nicht. Für ihn genügte eine Geste, um sich selbst und alle möglichen Beute stücke zu befördern – nach drinnen oder nach draußen, ganz nach Wunsch und Lau ne. Gofruun versuchte es trotzdem, gab das sinnlose Beginnen jedoch schnell wieder auf. Ratlos starrte er das Budella an. Sollte er Copasallior um Rat fragen? Aber damit hätte er seine Position für künftige Verhand lungen nur geschwächt. Nein, er mußte selbst eine Lösung finden. Sollte er das Budella einfach hier zurück lassen? Fürs erste hatte niemand etwas von der Riesenblüte zu befürchten. Und Copasallior würde nichts bemerken, ehe nicht die Wir
48 kung des VONTHARA abklang. Bis dahin steckten Gofruun und Heix längst wieder in ihren sicheren Höhlen. Dort waren sie leider vor dem Weltenma gier auch nicht sicher. Gofruuns Sperren wa ren so schwach, daß Copasallior sie vermut lich nicht einmal bemerkte, wenn er sie durchstieß. Und dann gab es nichts mehr, was Copasallior davon abhalten konnte, den Bodenmagier zu bestrafen. Selbst der Hin weis auf das Budella half Gofruun dann nicht mehr, denn er selbst verstieß gegen die Gesetze der Barriere, wenn er die gefährli che Blüte hier zurückließ. Es half nichts. Das Budella gehörte in sei nen Käfig. Gofruun versetzte der Blüte einen heftigen Tritt. Sie schwebte zur Seite, bis sie gegen den Fels stieß. Da hatte Gofruun eine Idee. Sofort probierte er die Tragfähigkeit der Blüte aus. Die Blüte hatte selbst den dicken Heix getragen, aber das war geschehen, ehe die Waffe sich um die rote Bestie schlang. Vorsichtig zog sich Gofruun an den äußeren Blättern hinauf. Die Blüte hielt still. An das leise Summen hatte Gofruun sich schon so sehr gewöhnt, daß er es nicht mehr bewußt wahrnahm. Er schob sich behutsam so weit über die Blüte, daß er den Griff der Kette auf der an deren Seite berühren konnte. Atemlos vor Spannung drückte er dagegen – und das Bu della bewegte sich. Gofruun hätte vor Erleichterung beinahe laut aufgeschrien, besann sich aber noch rechtzeitig darauf, daß solche Reaktionen noch verfrüht waren. Er dirigierte das Budella über den Schacht. Das war der kritischste Moment. Gofruun konnte nicht restlos sicher sein, ob sich die Blüte nicht einfach verstellte und ihn in Sicherheit zu wiegen versuchte. Wenn sie ihn über dem Schacht abwarf, war er ret tungslos verloren. Das Budella tat nichts dergleichen. Es summte wie gewöhnlich und sank nach un ten, ganz sanft und gemütlich, und Gofruun war sehr mit sich zufrieden. Nur eines ärger-
Marianne Sydow te ihn: Daß er erst jetzt auf diese Idee ge kommen war. Und da hatte er die Blüte die ganze Zeit über gezogen, anstatt sich von ihr in aller Bequemlichkeit durch die Berge tra gen zu lassen! Als er unten ankam, blieb Gofruun gleich auf dem Budella liegen und steuerte das We sen durch Copasalliors Schatzkammer zum nächsten Schacht und schließlich bis zu je ner Kaverne, in der er den Käfig des Budella entdeckt hatte. Hier mußte er absteigen, um die Tür zu öffnen. Und genau darauf hatte das Budella gewartet. Denn Gofruun hatte sich bei seiner Unter suchung getäuscht. Heix hatte die Kette zu früh um den Blätterschopf geschlungen, weil er es nicht erwarten konnte, Gofruun mit den gestohlenen Kräften zu überraschen. Das Budella bewahrte sich daher einen Rest von Intelligenz, und das war ausgerechnet eine Regung, die dem Budella zu äußerster Vor sicht und Zurückhaltung riet. Das war der Anfang. Erst am Beginn der Straße am Crallion hatte sich die Kette ein wenig gelockert, so daß das Budella behut sam weitere Fähigkeiten aufzusaugen ver mochte. Als Gofruun in der Hütte schlief, bediente das Budella sich ausgiebig bei den zahlreichen Tieren in der Nähe des Boden magiers. An Gofruun wagte es sich nicht heran. Es hatte sogar beschlossen, wider standslos in den Käfig zurückzukehren, um später, wenn Copasalliors Mißtrauen ver flog, mit besseren Chancen erneut auszubre chen. Aber dann hatte Gofruun das Budella in die Wohnhöhle gezerrt, und die Blüte mußte feststellen, daß Copasallior verschwunden war. Das Budella war sich über die Folgen die ses für ihn unerklärlichen Vorgangs noch gar nicht recht klar, da beging Gofruun den nächsten Fehler. Die Blüte nahm nichts von seinen Kräften, während der Bodenmagier sich vertrauensselig durch die Unterwelt des Crallion tragen ließ. Aber sie gewann aus Gofruuns Gedanken alle Informationen, die sie noch brauchte. Copasallior war wehrlos.
Die große Stille Das Budella brauchte sich über den Welten magier keine Gedanken mehr zu machen. Der Trottel namens Heix war ebenfalls kein Gegner, wenn das Budella ihm diesmal aus dem Weg ging. Blieb Gofruun, den es zu be seitigen galt. Das Budella spürte, daß der Bodenmagier eine Gefahr bildete. Also mußte es Gofruun aus dem Verkehr ziehen, ohne ihn nach be währtem Muster auszusaugen. Das Budella kannte einen Käfig, der so gut abgesichert war, daß es sogar selbst nur unter erhebli chen Schwierigkeiten daraus hatte entkom men können: seine eigene, frühere Unter kunft. Gofruun öffnete die Tür. Dann griff er nach hinten, um die Blüte zu ergreifen und in den Raum zu befördern. Aber seine Hand fuhr ins Leere. Erschrocken drehte er sich um. Aber noch ehe er den Anblick der entfalteten, angriffs bereiten Riesenblüte verarbeiten konnte, wurde er zu Boden gerissen. Er schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf und blieb halb betäubt liegen. Im stillen schloß er bereits mit seinem Leben ab. Er sah, wie sich das Budella auf ihn her absenkte und schloß schicksalsergeben die Augen. »Haltet ihn fest, Drohs!« gellte hinter ihm eine Stimme, daß dem Bodenmagier fast die Trommelfelle platzten. »Auf ihn, Farrns! Gib's ihm, Suk!« Etwas trampelte über Gofruun hinweg. Der Bodenmagier riß die Augen auf und sah einen wirren Haufen von Schlangen, die ge rade über seine Beine hinweghasteten. Er wollte sich aufrichten, da landete ein kral lenbewehrter Fuß auf seinem Kopf, und wie der verlor er beinahe das Bewußtsein. Ein langer Riß zog sich über sein »gutes« Ge sicht. Die Schmerzen waren fast unerträg lich. Nur das Bewußtsein, daß zwischen Le ben und drohender Vernichtung durch das Budella im letzten Moment noch etwas auf getaucht war, das ihm helfen mochte, gab ihm die Kraft, trotzdem taumelnd auf die Füße zu kommen. Er sah fast nichts. Es war,
49 als wäre sein Kopf in dunkle Wolken gebet tet. Nur die geschlossenen Augen auf sei nem Hinterkopf funktionierten auf die ihnen eigene Weise. Benommen tappte Gofruun vorwärts. Er spürte Bewegung zu seinen Füßen. Schrille Laute mischten sich mit dem zornigen Sum men des Budella und einem wütenden Fau chen, das Gofruun nicht kannte. Er stieß mit der vorgestreckten Hand ge gen etwas Weiches. Das mußte das Budella sein. Gofruun stemmte sich gegen den Kör per, der sich jetzt nicht mehr einfach zur Seite schieben ließ. Sein »gutes« Gesicht verriet ihm, daß die offene Tür etwas weiter rechts war. Er war nicht geradeaus gefallen, sondern hatte sich noch gedreht. Anscheinend war das Budella anderweitig so stark in Anspruch genommen, daß es sich nicht um Gofruun kümmern konnte. Es ge lang ihm, sich an der Blüte entlangzuschie ben, bis er die richtige Stelle erreicht hatte. Dann warf er sich mit seinem ganzen Ge wicht gegen die Riesenblüte und angelte gleichzeitig nach den Enden der Kette, die nicht ganz aus den Blättern hatte gleiten können. Jetzt merkte das Budella, was Gofruun plante. Er spürte metallene Kugeln, die ge gen seinen Körper hämmerten, aber er ließ nicht los. Als er die Enden der Kette fast zu sammengebracht hatte, stießen klebrige Din ger auf seine Hände herab. Am Geruch er kannte er, daß das Budella irgendeine schar fe Flüssigkeit absonderte. Wären nicht ande re Schmerzen dagewesen, die ihm zu schaf fen machten, so hätte er das Budella wegen seines unnützen Abwehrversuchs ausge lacht. Gofruun hatte häßliche, knochige Hände, und seine erdgraue Hautfarbe mach te den Bodenmagier auch nicht schöner. Aber immerhin war seine Haut zum Aus gleich sehr widerstandsfähig. Ein paar Trop fen Säure konnten ihm nichts anhaben. Das merkte auch das Budella – aber da war es schon zu spät. Die Enden der Kette fügten sich ineinander. Gofruun torkelte
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rückwärts gegen die Wand, ließ sich auf den Boden gleiten und wartete, bis er endlich wieder etwas sehen konnte. »Das habt ihr gut gemacht«, sagte er er schöpft zu einem Knäuel von Schlangen und einem einbeinigen Wesen, das gerade mit seinem Schnabel die beiden letzten Blätter aus dem Schopf des Budella, die sich noch unter der Kette verfangen hatten, nach oben strich. Die Kette spannte sich jetzt um den ganzen glockenförmigen Leib. Gofruun spürte die Kräfte, die dem Budella entström ten. Diesmal würde kein diebischer Alteren kel im falschen Moment der Blüte die Fessel abnehmen!
* Als Gofruun endlich vor dem Versteck auftauchte, griff Copasallior ungeduldig nach draußen und zerrte den Bodenmagier in den Tunnel. »Wo hast du dich so lange herumgetrie ben?« herrschte er Gofruun an. Der Doppelgesichtige berichtete er schöpft. Seine Widerstandskraft war arg ge schmolzen, seit er hatte erkennen müssen, daß er sich auch nicht viel gescheiter als sein Alterenkel angestellt hatte. Nur den merk würdigen Schlangen und dem Suk hatte er es zu verdanken, daß er nicht an der Stelle des Budella in einem schier unzerstörbaren Käfig steckte. »Die beiden anderen sind freiwillig in ihre Käfige zurückgekehrt«, erklärte Gofruun und betastete die Beulen auf seinem Haupt. »Sie bitten dich, sie zum Dank bald in ihre Heimat zu bringen. Ich glaube, sie haben das auch verdient.« Copasallior schwieg lange. Dann breitete er alle sechs Arme in einer ratlosen Geste aus. »Die beiden müssen warten«, sagte er dü ster. »Ich kann nichts tun, solange ich an dieses Versteck gebunden bin. Hast du das Budella so behandelt, wie ich es dir aufge tragen habe?« »Die magischen Kräfte sind aus ihm ge-
wichen«, versicherte Gofruun, der im Au genblick gar nicht an Heix und all die Strei tereien denken mochte. Er war nur dankbar, daß der Kampf mit dem Budella vorbei war. »Und die Kette umschließt es, der Käfig ist gesichert. Übrigens wird den beiden anderen Gefangenen die Zeit sicher nicht lang. So bald das Budella im Käfig saß, fielen sie in tiefen Schlaf.« Copasallior nickte. Noch wußte er nicht genau, warum ausgerechnet das Budella dem Pfeifen des VONTHARA standgehal ten hatte. Er nahm sich auch fest vor, auf al le weiteren Experimente mit diesem Wesen zu verzichten. Bei der ersten Gelegenheit würde er das Budella in seine Welt zurück bringen. Und er würde diesen gefährlichen Planeten finden und sich nicht länger auf ihm aufhalten, als unbedingt nötig war, das stand fest. »Wie sieht es draußen aus?« fragte er. Gofruun antwortete bereitwillig. Copasal lior sah noch düsterer drein, als er hörte, daß Pthor immer noch unterwegs war. »Da stimmt etwas nicht«, sagte er schließ lich. »Diese Vibrationen machen mir Sor gen. Fast kommt es mir vor, als treibe Pthor diesmal auf einem falschen Kurs dahin. Oder als versuche jemand, entgegen den normalen Impulsen in die Steuerung einzu greifen.« Er dachte an das, was er zuletzt über die FESTUNG erfahren hatte – kurz vor dem Auftauchen der VONTHARA-Ableger über all in Pthor. Opkul war ziemlich sicher ge wesen, daß der »Steuermann« noch nicht einsatzfähig war. Wer steuerte Pthor aber dann? Wieder dieses unbekannte Wesen, das mit einem gigantischen Wassertropfen in die Tiefen unter der FESTUNG gelangt war? Es hatte Pthor schon einmal vor einem entsetz lichen Unglück bewahrt. Aber mußte es nicht auch bewußtlos und gelähmt sein? Au ßerdem mußte er den VONTHARA berück sichtigen. War es Zufall, daß sich dieses Ge rät gerade jetzt gerührt hatte, als sich für ganz Pthor eine neue Zeit anzukündigen schien?
Die große Stille
51
»Geh in die FESTUNG«, sagte er zu Gofru un. »Sieh dort nach dem Rechten. Ich bin si cher, daß du irgendein Zeichen findest, das dir weiterhilft.« »Aber ich will nicht zur FESTUNG!« sagte Gofruun trotzig. »Ich will in meine Höhlen. Ich brauche Ruhe.« »Die wirst du bald im Überfluß haben«, versicherte Copasallior. »Dann nämlich, wenn Pthor entweder unter diesen Belastun gen zerbricht, oder wir das Ziel der Reise er reichen – und dort wird uns nicht gerade ein freundliches Willkommen bereitet werden. Mir wäre es lieber, ich könnte selbst gehen. Du weißt, warum das unmöglich ist. Also muß ich mich auf dich verlassen. Du und dein Alterenkel, ihr seid vielleicht die einzi gen Wesen in ganz Pthor, die noch etwas unternehmen können.« Gofruun dachte schweigend nach. Copa sallior ließ dem Bodenmagier Zeit. Er be dauerte es, daß er hilflos in diesem Versteck bleiben mußte. Gofruun schien ihm nicht ge rade geeignet, einen ebenso schwierigen wie wichtigen Auftrag zu erfüllen.
Leider hatte er keine Wahl. »Ich gehe in die FESTUNG«, murmelte Gofruun schließlich. Er dachte flüchtig an Heix, verschob aber alle Bitten, die er an den Weltenmagier richten wollte, auf einen späteren Zeitpunkt. Er sah Copasallior er wartungsvoll an. Der Weltenmagier starrte zurück, bis er erkannte, daß er nicht länger ausweichen konnte. »Es geht nicht«, murmelte er. »Ich kann dir keine Kräfte verleihen, denn ich bin hier drin weitgehend isoliert.« Gofruun verbarg seinen Schrecken. Daran hatte er nicht gedacht. »Ich werde mich beeilen«, versprach er rauh, dann trat er rasch durch die neblige Wand nach draußen. Copasallior sah ihm unbewegt nach.
E N D E
ENDE