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HANS BAUMANN
Die Höhlen der großen Jäger Vier Jungen und ein Hund geraten in die Eiszeit
ENSSLIN & LAIB...
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HANS BAUMANN
Die Höhlen der großen Jäger Vier Jungen und ein Hund geraten in die Eiszeit
ENSSLIN & LAIBLIN VERLAG REUTLINGEN
Den Einband und die Karten gestaltete Karl Langenbacher Die Bilder sind Wiedergaben von Original-Höhlenzeichnungen Copyright by Enßlin & Laiblin Verlag Reutlingen Printed in Germany – Enßlin-Druck Reutlingen Schrift Garamond-Antigua – Sämtliche Rechte vorbehalten – 53/1-10 Bestellnummer 5578
IM SÜDLICHEN FRANKREICH, GEGEN DIE BISKAYA hin, fließt die Dordogne. An ihren Ufern gibt es Wein und Mandelbäume, Hänge mit Obst und in der Erde Trüffeln. Keine Wälder wie bei uns, nur lange Pappelreihen. Durch Hügel im Norden werden rauhe Winde abgehalten. Das benachbarte Meer sorgt für genügend Regen. An wolkenlosen Tagen aber ist über der Landschaft, die wie der Fluß Dordogne heißt, ein Licht, das alle Dinge deutlich und die Menschen heiter macht. In einem Seitental sind seltsame Häuser zu sehen. Sie schmiegen sich an die steilen Talränder. Der überhängende Fels bildet die Rückwand der Häuser und manchmal sogar ihr Dach. Noch in halber Höhe der Steilwände kleben diese Menschen-Nester. Durch einige von ihnen sind uralte Eingänge verdeckt, hinter denen bereits vor Tausenden von Jahren Menschen wohnten, zu einer Zeit, in der weite Strecken der europäischen Länder unter Eis begraben waren. Die Wohnhöhlen der Eiszeitmenschen sind seit etwa hundert Jahren nach Spuren abgesucht worden. Die Forscher haben, sorgfältig schürfend, Schicht um Schicht abgetragen. An manchem Höhleneingang sind sie in eine Tiefe bis zu zehn Metern gedrungen und haben Geräte und Waffen ans Licht gefördert: aus Feuerstein und Knochen erlegter Tiere. Sie fanden Harpunen, Pfeilspitzen und Faustkeile. Die Knochen stammten nicht nur von Hirsch und Reh und Wildschwein, sondern auch von Mammut, Panther und Wollnashorn, von Bison und Bär. Viele Spuren deuteten daraufhin, daß die Menschen der Eiszeit große Jäger waren. Was die Forscher fanden, wurde in Museen zusammengetragen. Eine der reichsten Sammlungen befindet sich dort in der Dordogne in einem alten Schloß, das wie die seltsamen Häuser an einer Steilwand nistet. Im Laufe der Jahrzehnte wurden viele Höhlen entdeckt, die einmal Behausungen der großen Jäger gewesen waren. Und eines Tages taten sich Höhlen auf, in denen die großen Jäger weder Waffen noch Geräte hinterlassen haben, dafür aber etwas, von dem ihre geheimsten Gedanken abzulesen sind. In diesen Höhlen haben sie nicht gewohnt, nur einer ihrer Toten blieb als Wächter zurück, wenn sie 5
die Jagdgründe um die Höhle verließen. Solche geheimnisvollen Kammern und Gänge unter der Erde gibt es nicht nur in der Dordogne. Fast hundert Fundstätten dieser Art werden bisher in Frankreich und Spanien gezählt. Die meisten wurden von Höhlenforschern aufgespürt. Doch befinden sich unter den Entdeckern auch Jäger und Bauern und ein Alkalde, das ist ein spanischer Bürgermeister. Die bedeutendste aller Eiszeithöhlen entdeckten vier Jungen aus Montignac, einem kleinen Ort in der Dordogne. Die vier Jungen heißen Marcel, Georges, Jacques und Simon. Marcel und Jacques führen heute die Fremden, die kommen, um die Höhle zu besuchen. Drei Tore, von denen das äußerste wie das Portal eines Tempels anmutet, sichern den Eingang, zu dem breite Stufen hinabführen. Eine Autostraße ist angelegt. Rings um den Höhleneingang sind Bäume und Sträucher entfernt, und der gelbe Sand ist von Tausenden zutreten. Am 12. September 1940, dem Tag der Entdeckung, war an dieser Stelle der lichte Kiefernwald unberührt. Niemand außer dem Förster und spielenden Kindern kümmerte sich um den Hügel, der auf Flurkarten den Namen Lascaux trägt. Vier Jungen und ein Hund Am frühen Nachmittag jenes Septembertages durchstreiften Marcel, Georges, Jacques und Simon das Eichenwäldchen im Süden von Montignac und näherten sich der Hügelkuppe, die von Kiefern bestanden ist. Der Hügel Lascaux war ihr bevorzugtes Revier. Sie hatten einen Hund dabei, einen Foxterrier mit pechschwarzen Ohren. Er hieß Robot und gehörte Simon, dem jüngsten der vier Jungen. Simon ließ Robot frei laufen, auch im Wald. Der Förster hatte ihn einmal zur Rede gestellt: „Na, Simon, keine Leine dabei?“ „Doch“, hatte Simon gesagt. „Dann mach Robot fest!“ 6
„Sofort, Herr Förster!“ Ein Pfiff. Robot war angesaust gekommen und hatte sich nicht mehr von Simons Seite entfernt. „Und wenn er hinter einem Jungreh her ist oder hinter einem Hasen?“ hatte der Förster eingewendet. „Schade, daß Sie keinen Hasen dabei haben“, hatte Simon geantwortet. „Es wäre ganz das gleiche mit Robot. Meine Leine für ihn ist eben mein Pfiff.“ Da hatte der Förster gelacht. Und er hatte nie wieder etwas gesagt, wenn er Simon begegnete und Robot im Wald frei laufen sah. Ganz undenkbar, daß Robot wilderte oder ausriß. Die vier Jungen hatten kein bestimmtes Ziel. Es gefiel ihnen, daß die Kiefernstämme in der Herbstsonne kupfern glänzten. Ihren Füßen tat wohl, wie geschmeidig der Sandboden bei jedem Schritt nachgab. Sie ließen die Blicke schweifen und kümmerten sich nicht einmal um Spuren. Es gab kaum Unterholz, zwischen den Stämmen war viel Platz, man konnte weit sehen. Die Jungen waren schon über die Eichen hinaus, da blieb Marcel stehen. Er schaute um sich. Er trat einige Schritte zurück und spähte nach allen Seiten. „Ich sehe Robot nicht mehr“, sagte er. „Wo ist Robot?“ „War eben noch da“, sagte Jacques. „Keine zehn Schritt vor mir war er“, sagte Georges. „Moment“, sagte Simon. Er pfiff. Die vier standen mit erhobenen Köpfen. Nichts bewegte sich. Simon pfiff noch einmal, sein Pfiff zerschnitt die Stille. Sie schloß sich wieder wie ein Vorhang. Robot kam nicht zum Vorschein. „Keine fünf Sekunden, daß ich ihn sah“, sagte Jacques. „Pfeif noch einmal!“ sagte Marcel zu Simon. 7
„Hat keinen Sinn“, sagte Simon. Er blickte ratlos um sich. Georges sagte: „Er kann doch nicht einfach vom Erdboden verschwunden sein!“ „Warum nicht?“ sagte Marcel. „Vielleicht hat ihn die Erde verschluckt.“ „Red nicht so dummes Zeug!“ sagte Jacques, der bemerkt hatte, wie tief der kleine Simon erschrocken war. Simon faßte Georges am Arm: „Wo hast du ihn gesehen, zuletzt?“ Georges ging zu der Stelle hin, die andern hinter ihm drein. Es war nur ein niedriger Strauch da, aber in ihm steckte er nicht, das war leicht zu sehen. Plötzlich war Simon auf seinen Knien und tastete den Boden ab. Er hatte unter dem Strauch ein schmales Loch entdeckt. Moosfetzen hingen hinein. Er riß das Moos weg. Er hob Steine ab. Marcel sah, daß die Strauchwurzeln im Weg waren, und zog sein Messer. „Laß dir helfen“, sagte er zu Simon. „Und mach dir keine Sorgen!“ fuhr er fort, während er unter den Wurzeln aufräumte. „Er kann gar nirgendwo anders sein als in dem Loch. Wir werden ihn gleich heraushaben.“ Marcel arbeitete mit raschen Schnitten. Bald war das Loch so groß, daß er Kopf und Schultern hineinstecken konnte. „Hat ihn tatsächlich verschluckt“, sagte er, als er den Kopf wieder herausgezogen hatte. „Was für ein wüstes Maul!“ sagte Georges. Marcel hatte Sand und Wurzelfasern in den Haaren. „Hast du nichts gehört?“ fragte Simon. „Robot meldet sich doch sofort, wenn einer von uns in seine Nähe kommt.“ „Es geht tiefer hinunter“, sagte Marcel. „Und es ist verdammt eng.“ „Ich komm am leichtesten durch“, sagte Simon und versuchte Marcel wegzuschieben. Marcel ließ sich nicht vom 8
Loch abdrängen. „Wer weiß, wie weit es hinuntergeht!“ sagte er. „Sicher ein Fuchs- oder Dachsbau, in den kommst du nie“, sagte Jacques. „Aber Robot kommt dann bestimmt gleich wieder.“ Sie warteten. Robot kam nicht. „Er kommt nicht!“ sagte Simon, „warum kommt er denn nicht?!“ „Vielleicht gibt’s mehrere Ausgänge“, meinte Georges. „Das ist kein Fuchs- oder Dachsbau“, sagte Marcel. „Das ist etwas ganz anderes. Und ich werde gleich herausbringen, was.“ Als Simon nochmals versuchte, sich vorzuschieben, sagte Marcel: „Ich weiß jetzt schon, was das ist. Nämlich eine Höhle, aber eine, bei der niemand voraussagen kann, wie groß sie ist und wie weit es hinunter geht. Man hat schon öfter solche Höhlen gefunden. Zum Glück hab ich eine Taschenlampe dabei. Also meine Sache.“ Die andern wußten, daß Widerspruch bei ihm nichts nützte. Immer, wenn es gefährlich wurde, kam keiner in Frage außer ihm. Marcel sah den Vorwurf in den Blicken der andern. „Unsere Sache“, verbesserte er. „Aber ich trage die Verantwortung für euch alle, auch für Robot.“ Dann knipste er die Taschenlampe an und leuchtete in den engen Einschlupf. Mit der rechten Hand riß er noch ein paar Erdbrocken und Steine weg. „Scheint tiefer drin weiter zu werden“, sagte er, als er den Kopf bereits in der Öffnung hatte. „Willst du nicht warten, bis wir ein Seil haben?“ fragte Georges. „Ich kann eins holen.“ „Hab doch die Lampe“, kam es undeutlich aus dem Loch. Und als die Beine schon verschwunden waren: „Wird weiter 9
hier drin… schon ganz erträglich – “ Die drei lagen auf dem Bauch, die Nasen dicht am Erdloch. Sie hörten, wie Marcel sich weiterschob, und manchmal sahen sie einen schwachen Schein. Dann war der Schein auf einmal weg, und sie hörten ein Gepolter und gleich darauf kullernde Steine, alles gedämpft, und dann war es fürchterlich still. „Abgestürzt“, flüsterte Georges. Jacques und Simon versuchten etwas zu sagen, doch ließen ihre Kehlen nichts durch. Sie lagen da, als laste auf jedem von ihnen ein schwerer Stein. „Wir müssen ein Seil holen“, sagte Georges mit heiserer Stimme. Die drei wollten aufstehen, da hörten sie einen Ruf, der dunkel aus dem Erdloch kam: „Robooo – “ Und gleich darauf kam der Ruf noch einmal, schwächer, viel tiefer aus der Erde. Das Echo, dachten die drei, wie groß muß diese Höhle sein! „Er lebt!“ rief Georges. „Er sucht Robot!“ Und Georges und Jacques schrien: „Marcel, Marcel!!“ Simon aber schob sich ohne ein Wort in das Erdloch und hinter ihm drein die beiden andern. Ein paar Meter ging es flach dahin, dann abwärts. Simon tastete sich im Dunkeln vor. Er spürte, daß die lockere Erde aufhörte und daß an beiden Seiten Fels begann, auch über ihm. Er kam rasch weiter. Und eben, als er ins Leere griff, wurde unter ihm die Taschenlampe angeknipst, und er sah Marcel stehen, mehr als fünf Meter tiefer. „Was passiert?“ fragte Simon. Marcel blickte auf. „Du siehst doch, daß die Lampe in Ordnung ist“, sagte er verlegen. „Aber d u bist wohl verrückt, so einfach im Dunkeln weiterzukriechen!“ „Nicht verrückter als du“, unterbrach ihn Simon. Marcel versteckte die linke Hand hinter seinem Rücken. 10
Simon, der die Schrammen in Marcels Gesicht sah, rief: „Wir werden schon aufpassen – geh mal weg!“ Und er ließ sich vorsichtig abrutschen. „Nicht mal meine Hose ist zerrissen“, sagte er, als er unten ankam. Georges und Jacques kamen nach. „Eine fabelhafte Rutschbahn!“ sagte Georges. „Wieviel Platz hier ist!“ staunte Jacques. „Ein ganzer Saal!“ „Und wie ich euch da wieder raufbringen soll, daran denkt wohl keiner von euch!“ knurrte Marcel. Simon hielt ihm mit einer Hand den Mund zu. Als es ganz still war, pfiff er. Sie hörten, wie der Pfiff von einer Höhlenwand der andern zugeworfen wurde, bis er tief drin im Berg verschwand. Aber er verlor sich nicht. Er fand Robot. Robot kam angerannt, sie hörten seine weiten Sätze, noch ehe sie ihn sahen. Er sprang so wild an Simon hoch, daß er ihn fast umwarf. Verrückt vor Freude tanzte er um die vier Jungen. Zum ersten Male war der Faden zwischen ihm und den Jungen abgerissen gewesen. Nicht meine Schuld, versuchte Robot mit Schnauze, Pfoten und Schwanz zu beteuern. Das Erdloch hat mich gepackt, das Dunkel hat nachgegeben, ich bin in die Tiefe gerutscht, irgend etwas hat mich weitergezogen, bis mich der Pfiff erreicht hat wie ein Lichtstrahl… „Ruhig, Robot!“ sagte Simon immer wieder, kniete bei ihm hin und klopfte seine Flanke. Robot blickte Simon an: Die Erde hat mich einfach verschluckt. Uns alle, sagte der schwarze Glanz in den Augen, als Robot einen um den andern ansah, uns alle hat die Erde verschluckt. Aber jetzt sind wir wieder zusammen. Das ist gut. Ja, das ist gut, dachte Marcel. Und er dachte für sich: Kein Mensch weiß jetzt, wo wir sind. Er sagte es nicht. Er leuchtete in den
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Streifen. Über dem Pferd, das er angefaßt hatte, war ein weiteres, und daneben eins, und weiter oben eins, und alle waren langgestreckt in wildem Lauf. Und ihnen entgegen blickten Hirsche mit mächtigen Geweihen, ein rötlicher, ein dunkler Hirsch und einer in hellem Braun, ein Rudel in heftiger Bewegung. Und drüber gewaltige Rinder von riesigen Ausmaßen, mit Hörnern länger als Männerarme. Die Jungen drangen tiefer in die Höhle ein. Sie wurde schmäler, der Boden abschüssig. Über und über waren die senkrechten Wände mit großen Tieren bedeckt, und oben, wo die Wände sich gegeneinander lehnten, waren Rinder mit langen Hälsen und schmalen Köpfen. Manche Bilder gaben nur den Umriß, andere waren ganz mit Farbe ausgefüllt, und dann gab es Bilder, die andere Bilder durchscheinen ließen. Links im engen Gang sahen die Jungen ein schwarzes großes Rind, dessen Auge zornig flammte. „Das rast!“ rief Simon. „Aber warum ist es so zornig?“ Marcel deutete auf den einen Vorderfuß des Rindes, auf den etwas Dunkles zuflog. „Ein Pfeil vielleicht“, sagte Marcel. „Aber wo ist dann der Jäger?“ fragte Jacques. Die Jungen suchten. Doch war nirgendwo ein Jäger zu sehen. Ganz hinten entdeckten sie eine Gazelle und ein Pferd, das rücklings in einen Abgrund stürzt. Und plötzlich deutete 12
Simon auf die Wand rechts und rief: „Fohlen! Seht nur, Fohlen, wie munter sie traben!“ „Eine ganze Reihe von Fohlen! Und drüber ein Rind, das auf ein Gestell zurennt. Auf eine Futterkrippe vielleicht“, meinte Georges. Die Jungen gingen in den weiten Saal mit den Riesenrindern zurück. Seitlich führte ein Gang ab. In ihm sahen sie kleinere Tiere, Steinböcke, Pferde, und dort, wo der Gang sich etwas weitete, wieder eine mächtige Kuh. Und dann stießen sie auf zwei große Tiere, die zur Hälfte wie Stiere aussahen, aber vorne viel gewaltiger waren. Schwarz waren die beiden, den einen durchflammte ein feuriger Streifen. Die ungeheuren Nacken waren drohend gekrümmt, die Vorderhufe vorgeworfen – das war der Sprung, mit dem die Flucht aufgestörter Tiere anfängt. Simon begann sich zu fürchten. Er wandte sich ab und suchte an der andern Seite. Und da sah er Hirsche, ein ganzes Rudel, aber nur die Köpfe, alle weit vorgestreckt. „So ist es, wenn sie schwimmen“, sagte Marcel nach einer Weile. „Und seht, da ist der Fluß!“ Er deute auf den dunklen Streifen, aus dem sich die schlanken Hälse der Hirsche hoben. „O ja“, sagte Jacques, „der Vorderste richtet sich auf, er steigt eben aus dem Wasser.“ Ein kurzer Seitengang zweigte ab. In ihm bemerkten die Jungen nichts Besonderes. Doch auf einmal standen sie vor einem Schacht. Marcel leuchtete hinab. Es ging einige Meter steil hinunter. Marcel gab die Taschenlampe an Georges und sagte: „Ich werde mich hinunterlassen.“ Er rutschte erst und fiel dann wie eine Katze auf alle viere. „Wirf vorsichtig!“ rief er, als er wieder auf seinen Beinen stand. „Daß sie genau in meine Hände kommt.“ Marcel leuchtete die Wände der Gruft ab. Er tat, als sei da nichts. Aber er hatte sofort bemerkt, daß da ein Mensch war. 13
Der Mensch lag und hatte die Arme ausgestreckt wie einer, der nach hinten gestürzt ist. Über dem Mann war eins von den wilden Tieren, die zur Hälfte wie Stiere aussahen. Das Tier raste. Sein Bauch war von einem Speer aufgerissen, es holte mit dem Schädel zum Stoß aus, die Hörner zeigten auf den Mann, der da lag. „Siehst du was?“ fragte Jacques in die Gruft hinab. „Nichts“, sagte Marcel und leuchtete leere Wandstellen an. „Keine Fohlen?“ fragte Simon. „Nichts“, wiederholte Marcel und dachte: Das darf Simon nie sehen, den gestürzten Menschen mit dem rasenden Tier drüber… Marcel faßte die Taschenlampe mit den Zähnen. Dann kletterte er, von oben streckten ihm Jacques und Simon die Arme entgegen. „Seltsam“, sagten Jacques und Georges, als sie zurückgingen, „daß nur Tiere da sind!“ „Ja“, sagte Marcel, „nichts als Tiere.“ „Aber das Tier ganz vorn, das mit dem hängenden Bauch und mit den geraden Hörnern – was für ein seltsames Tier!“ sagte Jacques, „mit Beinen, wie Menschen sie haben -!“ Marcel gab keine Antwort. Er dachte an den Menschen in der Gruft. „Die Hirsche sind am schönsten von allen Tieren“, sagte Georges, und Marcel stimmte ihm zu. „Die Fohlen!“ verwahrte sich Simon, „die Fohlen habt ihr wohl schon vergessen!“ „Die Fohlen sind ganz wunderbar“, gab Jacques zu. „Was das nur für Tiere sein mögen, die zur Hälfte wie Stiere sind!“ „Und das mit den geraden Hörnern?“ Sie waren nun wieder ganz vorn in der Höhle. Robot stieß an Simons Knie. Er wollte hinauf, hinaus ins Licht. Alle wollten sie hinaus.
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„Wir könnten meinen Lehrer, Herrn Laval, fragen“, sagte Simon. „Er hat uns einmal von Höhlen erzählt, in denen Menschen wohnten.“ Jacques blickte Marcel an. „Die Höhle ist doch unser Geheimnis.“„Wir müssen es ihm sogar sagen“, beschloß Marcel nach einigem Zögern. „Diese Höhle ist ganz sicher sehr wichtig. Habt ihr je von einer Höhle gehört, deren Wände bemalt sind?“ „Wer sie wohl bemalt hat?“ fragte Simon. „Der Mann muß schon lange tot sein“, sagte Marcel. „Die Farbe ist doch ganz frisch!“ „Stimmt“, sagte Marcel. „Aber die Höhle war doch beinah völlig zugewachsen. Vielleicht kann Herr Laval uns alles erklären. Ich weiß, er interessiert sich für Höhlen.“ „Aber unsere muß sie bleiben“, sagte Jacques. „Robot und wir haben sie entdeckt.“ „Mein Lehrer ist tadellos“, gab Simon zu bedenken. Marcel überlegte: Ihn könnte ich auch nach dem Menschen fragen, der da unten liegt. Er sagte: „Übermorgen werden wir es ihm sagen. Morgen soll die Höhle noch uns allein gehören, keinem Menschen außer – “ Marcel stockte. „Außer wem -?“ fragte Georges. „Außer uns eben“, sagte Marcel. Aus den Steinbrocken, die in der Mitte des ersten Raumes lagen, bauten sie eine behelfsmäßige Treppe und kletterten hinaus, Robot zuerst. Alle atmeten auf, sobald sie wieder im Freien waren, wo es Bäume und die Sonne gab. Am nächsten Tag hatten sie ein Seil dabei, außerdem für jeden eine Lampe. Viel genauer als am Tag zuvor konnten sie nun die Bilder ansehen. Marcel wollte die drei andern abhalten, in die Gruft hinabzuleuchten. Sie ließen sich nicht daran hindern. Georges war der erste, der unten ankam. Auch Jacques und Simon kamen heil hinunter, nur eine Lampe wurde zerschlagen. Marcel stand noch oben bei Robot. 15
Jacques sah als erster den Mann, der mit ausgestrecken Armen auf dem Rücken lag. Und die drei sahen das rasende Tier. „Hast du das gestern nicht gesehen?“ fragte Jacques hinauf. „Ich hab es gesehen“, sagte Marcel. „Und warum hast du es vor uns verheimlicht?“ „Weil es nichts für euch ist“, sagte Marcel. Robot begann zu winseln, als sich auch Marcel hinunterließ. „Dem Tier ist ja der Bauch von einem Speer aufgerissen, und die Eingeweide hängen heraus“, sagte Simon. „Das ist es eben“, sagte Marcel. „Komm, steigen wir wieder hinauf!“ „Was für ein seltsamer Vogel!“ rief Jacques. „Auf einer Stange!“ „Und wie der Mensch gemalt ist!“ sagte Georges, „nur mit ein paar Strichen, ganz anders als das Tier!“ „Einen Vogelkopf hat der Mensch!“ rief Simon. „Davon hab ich heut nacht geträumt“, sagte Marcel. „Sicher geht das Tier am Speer zugrunde“, sagte Georges, „aber vorher muß der Mensch dran glauben. Wie der da liegt! Besinnungslos.“ „Es sieht so aus“, sagte Marcel. „Kommt jetzt!“ „Da ist ja noch ein Tier!“ sagte Jacques. Marcel blickte genau hin. Die Vorderbeine fehlten, aber Kopf, Rücken, Hinterbeine und Schwanz waren da, und auf der Nase hatte das Tier drei Hörner, die hinteren waren nur halb so lang wie das ganz vorn. „Das kann nur ein Nashorn sein“, sagte Marcel. „Aber Nashorne gibt es doch in Frankreich nicht, höchstens im Zoo!“ Sie suchten weiter und fanden in einer Nische ein Pferd. Dann wurde ihr Blick wieder vom Menschen und dem ra16
senden Tier angezogen. „Warum wohl der Vogel auf der Stange dabei ist?“ Simon blickte Marcel an. „Vielleicht kann dein Lehrer uns das sagen“, drängte Marcel. „Es ist besser, wenn wir jetzt gleich zu deinem Lehrer gehen.“ „Warum so eilig?“ fragten die drei. „Wollt ihr heut nacht auch davon träumen?“ Robot begann wieder zu winseln. Da stiegen sie hinauf und machten sich auf den Weg zu Simons Lehrer, von dem sie wußten, daß ihm daran lag, etwas über Höhlen zu erfahren. Ein Lehrer führt einen Indianertanz auf Die Jungen sahen Herrn Laval auf das Haus zugehen, in dem er wohnte. Er hatte eine Baskenmütze auf. Niemals ließ er sich ohne Baskenmütze im Freien sehen. Herr Laval war weit über die Fünfzig und in der Schule streng. Aber seine Schüler hingen an ihm, denn er war gerecht, vor allem war es in keinem Fach langweilig bei ihm. Marcel sah Simon von der Seite an. „Wie bist du – in der Schule, meine ich?“ „Es geht“, sagte Simon. „Dann gehst du am besten allein zu ihm.“ „Aber nicht ohne Robot!“ Herr Laval war etwas verwundert über Simons Besuch, vor allem, weil er mit dem Hund ankam. „Er war dabei“, erklärte Simon. „Wo dabei?“ fragte Herr Laval. „Er war sogar der erste in der Höhle“, sagte Simon. „Ohne ihn hätten wir sie niemals gefunden. Die Tiere freilich“, fuhr er fort, „die Tiere haben wir bemerkt, die hat Robot, glaub ich wenigstens, nicht gesehen.“ 17
„Was für Tiere?“ fragte der Lehrer. Simon sah, daß er beunruhigt bald auf Robot, bald auf ihn blickte. „Die Pferde“, sagte Simon. „Die Pferde sahen wir zuerst. An der Wand links, als Marcel sie mit seiner Taschenlampe anleuchtete. Ich hab sie gesehen, Herr Laval, und Georges und Jacques entdeckten dann die Kühe und Hirsche, und Marcel hielt uns erst für verrückt, aber dann sah er das rötlichbraune Pferd, und er faßte es an und hatte Farbe an der Fingerspitze, richtige Ölfarbe, denken Sie, wir alle haben daran gerochen.“ Herr Laval stand auf. „Wo habt ihr die Pferde und Hirsche und die Kühe gesehen?“ fragte er erregt. „In der Höhle“, sagte Simon. „Droben auf dem Hügel Lascaux, im Kiefernwald, der dem Herrn Bürgermeister gehört. Robot war plötzlich in einem Erdloch verschwunden, wir wollten ihm heraushelfen, Marcel stürzte in einen Schacht… Sagen Sie bitte, Herr Laval, was für Tiere sind das, die zur Hälfte wie Stiere aussehen, aber vorn viel wilder? Kennen Sie solche Tiere?“ Herr Laval ging zu einer Kommode. Er zog hastig eine Schublade auf und nahm einige Zeitschriften heraus. Simon sah, daß die Hände seines Lehrers zitterten, als er in den Zeitschriften blätterte. Simon sah Bilder: Pferde, wie sie in der Höhle gemalt waren, mit struppiger, nach oben gerichteter Mähne. Und dann deutete der Lehrer auf ein Bild und fragte: „Solche Tiere?“ „Ja“, sagte Simon. „Was für Tiere sind das?“ Herr Laval sah Simon genau an. „Wirklich solche Tiere?“ „Genau solche Tiere“, bestätigte Simon. „Aber besonders wilde von denen, und einem ist der Bauch von einem Speer aufgerissen, und ein Mensch liegt vor den Hörnern. Was für Tiere sind das?“ Statt eine Antwort zu geben, tat Herr Laval etwas, worüber Simon erstaunt war, und wahrscheinlich hat noch nie ein 18
Lehrer mit einem Schüler so etwas gemacht: Er packte Simon mit beiden Händen, drückte ihn an seine Brust, gab ihm einen Kuß auf beide Wangen und schwenkte ihn immer wieder um sich herum, daß Simon ganz schwindlig wurde. Dabei kamen Laute aus dem Mund des Lehrers, wie sie Simon noch nie von ihm gehört und bei ihm auch gar nicht für möglich gehalten hatte. Es war ein Gebrüll, als habe Herr Laval Hirsche und Pferde in seiner Brust. So stellte sich Simon einen Indianertanz vor. „Aber was haben Sie denn, Herr Laval?“ rief er, sobald er losgelassen wurde. „Verrückt bin ich!“ rief Herr Laval. „Verrückt vor Freude! Ihr wißt ja nicht, was ihr entdeckt habt!“ „Die Tiere?“ fragte Simon eingeschüchtert. „Was für Tiere sind es denn nun?“ Herr Laval faßte sich. „Bisons“, sagte er mit strahlendem Gesicht, als seien Bisons die liebenswertesten Tiere der Welt. Ganz ohne Zweifel Bisons. Ihr habt eine Höhle mit Malereien entdeckt, die mindestens tausendmal so alt sind wie du.“
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Er ist tatsächlich verrückt, dachte Simon. „Ich muß sie sofort sehen!“ sagte Herr Laval. „Aber Sie kommen vielleicht gar nicht durch“, gab Simon zu bedenken. „Das Schlupfloch ist sehr eng.“ „Ich komme durch“, erklärte er. „Und wenn ich zum Maulwurf werden muß!“ Noch nie hatte Simon seinen Lehrer so gesehen, er sah um zwanzig Jahre jünger aus. Mit großen Schritten verließ er das Haus. Auf der Straße winkte er die andern drei Jungen zu sich her. „Los!“ sagte er. Die Jungen starrten ihn an. „Was seht ihr mich so an?“ fragte Herr Laval. „Bin ich ein Gespenst?“ „Nein, Herr Laval“, sagte Marcel. „Nur, Ihre Baskenmütze –“ Herr Laval griff nach seinem Kopf. Zum ersten Male hatte er ohne Mütze die Wohnung verlassen. Aber Simon sauste 20
bereits zurück ins Haus, Robot hinter ihm drein. Auf dem ganzen Weg sagte Herr Laval nicht ein Wort. Er machte große Schritte, obgleich es ständig bergauf ging. Vor dem Einschlupf hielt er sich nicht lange auf. Es war nicht einfach für ihn, durchzukommen. Aber er schonte sich nicht, er riß Steine und Erdklumpen los. Als die Jungen helfen wollten, ließ Herr Laval sie nicht zugreifen. „Herr Laval!“ sagte Marcel, als die Öffnung groß genug war und der Lehrer seinen Kopf in die Höhle schieben wollte. „Was denn?“ sagte der Lehrer unwillig. „Sollen wir nicht Posten aufstellen?“ Marcel gab Georges und Jacques einen Wink und deutete auf Robot. „Meinetwegen“, sagte Herr Laval. „Tu das!“ Und er wollte im Erdloch verschwinden. „Herr Laval!“ rief Marcel noch einmal. Doch der Lehrer kroch weiter. Da faßten ihn alle drei an den Beinen und zogen ihn heraus. „Was fällt euch ein!“ sagte Herr Laval. „Sollen wir zulassen, daß Sie abstürzen?“ fragte Marcel. „Sie können doch gar nichts sehen ohne Lampe. Darf ich Ihnen bitte vorausleuchten, es ist gefährlich – der Schacht…“ Das sah Herr Laval ein. Marcel kroch als erster, dann folgte der Lehrer, ihm auf den Fersen Simon. Robot behielten Georges und Jacques oben. Zu dritt bezogen sie Posten, damit kein Unbefugter der Höhle zu nahe komme: dem Maul, das die Erde auf dem Hügel von Lascaux immer weiter aufmachte. Als Herr Laval die ersten Bilder sah, nahm er seine Mütze vom Kopf. Er sagte auch jetzt in der Höhle kein Wort. Er suchte von Bild zu Bild weiter. Simon bemerkte, daß vor manchem Bild das Gesicht seines Lehrers zuckte. Offenbar wollte er sprechen. Doch es gelang ihm nicht. Als er zur Decke aufblickte, an der die vielen Bilder eines neben dem andern waren, glitt die Mütze aus seiner Hand, ohne daß er es merkte. Erst als sie wieder draußen waren und den Ein21
schlupf bereits mit Steinen zugebaut hatten, fiel den Jungen auf, daß die Baskenmütze zum zweiten Male fehlte. „Tut nichts“, sagte Herr Laval zu Marcel, der sie holen wollte. „Ich habe zu Hause noch eine.“ „Es wird den Leuten auffallen, Herr Laval“, sagte Simon. „Außerdem sind Ihr Rock und Ihre Hose ziemlich schmutzig. Man wird Sie vielleicht fragen.“ Herr Laval klopfte seine Kleider ab, so gut es ging. „Wenn nur keiner von euch ein Wort sagt -!“ „Von uns wird niemand auch nur eine Silbe erfahren“, versicherte Marcel. Die andern nickten zustimmend. „Sehr gut“, sagte Herr Laval, als gäbe er eine Note. „Und der Herr Bürgermeister, dem der Wald gehört?“ warf Jacques ein. „Die Höhle ist hundertmal wichtiger als der Wald“, stellte Herr Laval fest. Doch dann überlegte er und sagte: „Er muß es natürlich erfahren. Aber es wird ihm nicht viel nützen, denn er wird kaum in die Höhle kommen.“ Der Lehrer zog von Hüfte zu Hüfte einen weiten Halbkreis. Da fingen die Jungen an zu lachen, weil allen vieren in der gleichen Sekunde eingefallen war, daß der Herr Bürgermeister einen gewaltigen Bauch hatte. „Und nun muß ich sofort zur Post“, erklärte Herr Laval. „Wollen Sie uns denn bitte nichts über die Bilder sagen?“ bat Marcel. „Wir würden so gern etwas über die Bisons und den Mann hören und über das Tier mit den geraden Hörnern!“ „Eben deshalb will ich zur Post. Ich will jemand bitten, sofort zu kommen und die Bilder anzusehen.“ „Soll es denn noch jemand erfahren?“ protestierte Jacques. „Ja“, sagte Herr Laval. „Ich will sogar ein Telegramm schicken, und zwar an den Mann, der am meisten über solche Bilder weiß. Und auch über die Menschen, die solche Bilder 22
gemalt haben.“ „Sie kennen diesen Mann?“ fragten die Jungen. „Aus Büchern und Zeitschriften“, sagte Herr Laval. „Er hat viele Aufsätze über Höhlen geschrieben und besonders über die Bilder in Höhlen und kann euch mehr erzählen als ich. Er wohnt in Paris und ist ein Abbé.“ „Ein Abbé?“ fragten die Jungen mit ungläubigen Gesichtern. „Ja“, sagte Herr Laval, „ein Priester und ein großer Gelehrter. Er kann euch alles sagen, was ihr wissen wollt. Und er wird es tun, denn ihr habt eine Entdeckung gemacht, die so wichtig ist wie die Entdeckung Amerikas… beinah. Jetzt laßt mich zur Post, und dann geh ich zum Bürgermeister.“ „Und der Abbé wird wirklich kommen? Von Paris?“ „Morgen wird er hier sein“, sagte Herr Laval. Simon rechnete. „Der Abbé aus Paris ist dann der Siebente, der in das Geheimnis eingeweiht wird.“ „Der Sechste“, versuchte ihn sein Lehrer zu verbessern. „Und Robot?“ fragte Simon entrüstet. Der Abbé bekommt das Telegramm und Fieber Während das Telegramm nach Paris unterwegs war, wurde der Sechste in das Geheimnis eingeweiht. Herr Laval versuchte, die ungewöhnliche Sache zu erklären. „Was soll das sein?“ unterbrach der Herr Bürgermeister ungeduldig. „Tiere unter der Erde? Kühe, Hirsche – Sie meinen wohl Füchse und Kaninchen?“ „Es handelt sich um Bilder, Herr Bürgermeister, um Höhlenbilder unter dem Kiefernwald, auf dem Hügel von Lascaux.“ „Wird immer schöner! Bilder unter meinem Grund und Boden! Wer erlaubt sich denn so etwas!?“ 23
Der Herr Bürgermeister schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sofort soll dieser Mensch mir Rede und Antwort stehen, wieso er dazu kommt!“ „Ich fürchte“, sagte Herr Laval lächelnd, „das würde er nicht tun, selbst wenn er noch lebte.“ Der Herr Bürgermeister blickte den Lehrer mißtrauisch an. „Damals“, fuhr Herr Laval fort, „zu jener Zeit, in der die
Bilder gemalt wurden, gehörte der Grund und Boden niemanden oder, sagen wir, er gehörte allen gemeinsam.“ Der Herr Bürgermeister fragte aufgebracht: „Damals?? Was heißt das?“ „Nun“, antwortete Herr Laval leichthin, „vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren.“ Der Herr Bürgermeister sagte nichts mehr. Er griff nach seinem Hut. Auf dem Weg erzählte ihm Herr Laval alles, was er über Höhlen und Höhlenbilder wußte, und beichtete auch, daß er ein Telegramm nach Paris abgeschickt habe. Der Herr Bürgermeister blieb stehen. „An die Regierung?“ „Nein“, sagte Herr Laval. „An den Mann, der am meisten über Höhlen weiß, an einen Abbé und großen Gelehrten. Er wird die Höhle unter Ihrem Grund und Boden so berühmt 24
machen, daß man in der ganzen Welt von ihr weiß. Er wird in Büchern und Zeitschriften über die Bilder schreiben, und es werden bald so viel Menschen nach Montignac pilgern wie nach einem Wallfahrtsort.“ „Sind die Bilder denn so wertvoll?“ „Ihr Wert läßt sich nicht abschätzen“, versichterte Herr Laval. „Oh“, stöhnte der Bürgermeister, „dann wird man sie nach Paris schleppen, ins Museum!“ Herr Laval lachte. „Zum Glück geht das nicht. Die Bilder sind auf nackten Fels gemalt. Man muß sie dort lassen, wohin sie gehören.“ Beruhigt stapfte der Bürgermeister weiter, durch den Eichenbestand aufwärts zu den Kiefern. „Hier ist es“, sagte Herr Laval und räumte die Steine weg. „Dieses erbärmliche Fuchsloch? Das ist alles?“ „Drin ist es wie in einer Kirche“, sagte Herr Laval. „Schlimm“, sagte der Herr Bürgermeister, „sehr schlimm, wenn man einen solchen Wanst mit sich herumschleppt wie ich. Aber ich will es versuchen. Die Bilder muß ich sehen.“ Es ging beim besten Willen nicht. „Ich werde aufgraben lassen“, sagte er, wütend auf sich selbst und seinen Bauch. „Bitte nicht“, bat Herr Laval, „wenigstens nicht vor übermorgen! Der Abbé aus Paris wird Sie am besten beraten können, was zu tun ist, damit den Bildern nichts geschieht.“ Der Abbé in Paris bekam gegen Abend das Telegramm und bekam sogleich, nachdem er es gelesen hatte, Fieber. Nicht gefährlich: Reisefieber – aber es ließ ihn die ganze Nacht nicht schlafen. Er war entschlossen, mit dem Frühzug zu reisen. Mit einem Telegramm kündigte er seine Ankunft in Montignac an. * 25
Marcel, Georges, Jacques, Simon und Robot standen neben dem Herrn Bürgermeister und Simons Lehrer auf dem kleinen Platz vor der Kirche, um den Abbé abzuholen. „Wie sieht einer aus, der Abbé ist und soviel weiß?“ flüsterte Simon Marcel zu. „Sei still! Der Autobus kommt“, flüsterte Marcel zurück, ohne Simon anzusehen. „Sicher doch ist er nicht so dick wie der Herr – “ „Willst du wohl deine freche Schnauze halten!“ zischte Marcel. Der Autobus, der zwischen Montignac und der Bahnstation Brive die Verbindung besorgt, hielt. Nur wenige Leute stiegen aus. Nur e i n Abbé. „Beinah so schlank wie Robot!“ flüsterte Simon bewundernd. Marcel gab ihm einen Stoß mit dem Ellbogen. „Das sind die Entdecker“, stellte der Herr Bürgermeister vor, und der schlanke Abbé strahlte und gab jedem Jungen die Hand. Da sahen sie erst, daß er beträchtlich älter war als Herr Laval. Der Herr Bürgermeister wollte ihn unverzüglich bewirten. „Danke, Herr Bürgermeister“, sagte der Abbé aus Paris, „danke vielmals! Essen später. Sonst komme ich vielleicht nicht mehr durch. Manchmal ist der Einschlupf nicht sehr gemütlich… Ich kann es auch kaum mehr erwarten. Und ihr“, er blickte die Jungen an, „ihr werdet mich doch führen, hoff ich.“ Marcel und Jacques gingen voran und trugen abwechselnd den Koffer. Zu beiden Seiten des Abbés gingen der Herr Bürgermeister und Herr Laval; Georges und Simon in gehörigem Abstand hinterdrein. „Wunderbar ist er“, flüsterte Simon. „Seinen Augen sieht man gleich an, daß er viel weiß“, flüsterte Georges. „Alles werden wir jetzt erfahren, sicher auch, was mit dem Vogel auf der Stange ist.“ 26
„Und was für Pferde das sind“, sagte Simon, „die Pferde in der Höhle sind ja anders als unsere auf den Weiden, und über Bisons weiß er sicher etwas, und über das unheimliche Tier mit den Hörnern, die wie Speere über den Kopf hinausstehen.“ „Still“, sagte Georges, „jetzt redet er mit Herrn Laval.“ Die beiden beeilten sich, um näher an den Abbé heranzukommen und kein Wort zu versäumen, das er sagte. Aber der Abbé fragte nur, ob auch farbige Bilder in der Höhle seien oder nur schwarze Zeichnungen. Als ihm der Lehrer Auskunft gegeben hatte, rief der Abbé Marcel zu sich und ließ sich von ihm die Entdeckung schildern. Der Abbé erkundigte sich, wie Marcel zu den Schrammen gekommen sei. „Ich war ein bißchen voreilig“, sagte Marcel. „Aber es war gar nichts dabei.“ „Gefällt mir, daß du nichts aus der Sache machst“, sagte der Abbé. „Doch ihr habt etwas entdeckt, was die ganze Welt angeht.“ So ähnlich hat schon Herr Laval gesagt, dachte Simon. Und alle vier waren stolz, weil der berühmte Abbé aus Paris ihre Entdeckung so hoch einschätzte. Als die Steine vor dem Loch weggeräumt waren, sagte der Herr Bürgermeister: „Es ist nicht leicht für mich, als einziger hier draußen zu bleiben. Aber ich bin selbst schuld, ein Bauch taugt nichts. So werde ich eben Posten stehen, solang die Höhle offen ist, dann bin auch ich zu etwas gut.“ Er blickte betrübt auf den Einschlupf. Und da geschah etwas, das niemand erwartet hatte. Herr Laval räusperte sich. Dann sagte er: „Verzeihen Sie, Herr Bürgermeister. Ein Posten scheint mir ein bißchen wenig für eine so wichtige Sache. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich – “ „Großartig!“ sagte Marcel. Zu spät merkte er, daß er laut gedacht hatte. Aber er fand es wirklich so großartig von Herrn Laval, auf den Einstieg in die Höhle zu verzichten, 27
jetzt, da doch der Abbé dabei war – daß er so etwas nur bei Jungen für möglich gehalten hatte, nicht bei einem Lehrer. „Ihr habt sie schließlich entdeckt“, sagte Herr Laval zu den Jungen. „Euch gebührt der Vortritt.“ „Es kann aber länger dauern“, sagte der Abbé, während er einen Grubenanzug aus dem Koffer nahm und hineinschlüpfte. „Von hier draußen läßt sich das nicht absehen.“ Marcel machte einen Vorschlag: „Die Höhle braucht ja nicht offen zu bleiben. Sie könnten hinter uns den Eingang zubauen, und wir stoßen die paar Steine dann von innen weg.“ „Es kann wirklich länger dauern“, wiederholte der Abbé. Da bauten der Herr Bürgermeister und Herr Laval, nachdem der Abbé und die vier Jungen in der Höhle verschwunden waren, das Erdloch zu. Das Mädchen von Altamira Nun waren die jungen Entdecker mit dem Abbé aus Paris allein. In ihrer Höhle! Sie führten ihn von Bild zu Bild. Bei jedem neuen Bild hofften sie, daß der Abbé anfinge zu erklären. Er hatte die Bilder sofort gesehen, ruhig betrachtete er eines nach dem andern, und sein Schweigen weckte das Schweigen der Höhle auf. Die Jungen spürten, wie es immer gewaltiger wurde. Am längsten stand der Abbé vor dem hingestreckten Mann mit dem Vogel und dem tödlich verwundeten Bison. Auch in der Gruft sagte er nichts. Aber als sie wieder hinaufgestiegen waren in den Saal mit den vielen Bildern, setzte sich der Abbé auf einen Stein und gab den Jungen einen Wink, daß auch sie sich setzen sollten. Dann sagte er: „Diese eure Höhle ist nicht die erste, die gefunden worden ist. Aber sie ist die schönste in ganz Frankreich, und vielleicht ist sie die großartigste Bilderhöhle der Welt.“ Die Jungen hielten ihre Taschenlampen sehr ruhig. Die 28
Lichtkegel blieben auf die Decke gerichtet, so war im ganzen Raum gleichmäßig sanftes Licht, und sie konnten den Abbé gut sehen, besonders seine Hände und sein Gesicht und am besten seine Augen. Wie ein König sitzt er da, dachte Simon, ein König, der sein Reich unter der Erde hat, und wir sind seine Knappen und haben ihm eine neue Provinz eingebracht. „Viele Höhlen sind schon entdeckt?“ fragte Marcel besorgt. „Auch solche mit Bildern?“ „Dreiunddreißig bis jetzt“, erklärte der Abbé zögernd. „Aber unsere ist doch sicher die erste, die von Jungen entdeckt wurde!“ sagte Marcel rasch. Die hohe Zahl gefiel ihm gar nicht. Der Abbé antwortete nicht sofort. „Es wäre ja nicht so schlimm“, sagte Simon vorsichtig, „wenn es nicht die allererste wäre.“ „Dann kann ich euch ja gestehen“, sagte der Abbé, „daß eine Höhle sogar nach drei Jungen benannt ist. Sie heißt ,Trois Frères’ - Drei Brüder – weil sie von den drei Söhnen eines französischen Grafen entdeckt wurde, im Jahre 1914.“ Diese Eröffnung war nicht angetan, die vier Jungen zu begeistern. Sie blickten über ihre Knie weg auf den Boden. „Nun“, sagte der Abbé, „warum auf einmal so trübsinnig? Die drei Brüder haben die Höhle doch auch für euch entdeckt. Wenn ihr wollt, werde ich beim Grafen, dem die Höhle gehört, anfragen, ob ihr sie einmal besuchen dürft. Nur sehr selten erhält jemand Zutritt.“ Von dieser Aussicht waren die Jungen begeistert. „Eurer Höhle“, fuhr der Abbé mit Nachdruck fort, „wird ja nichts genommen, weil vor euch andere Jungen schon einmal das gleiche Glück hatten.“ Marcel sagte: „Und alle andern Höhlen wurden von großen 29
Leuten gefunden und die Brüder waren wenigstens die ersten Jungen?“ „Die ersten Jungen waren sie“, sagte der Abbé. „Aber lange vor ihnen hat ein Mädchen Höhlenbilder entdeckt. Es waren die ersten Höhlenbilder überhaupt, und einige Bilder in jener Höhle übertreffen vielleicht sogar die besten Bilder von Lascaux. Altamira heißt jene andere Höhle. Sie liegt in Spanien, nahe der Nordküste bei Santillana, einer Ortschaft, die in der Hauptsache aus alten Palästen besteht.“ „Und wie alt war das Mädchen von Altamira?“ fragte Simon, der im geheimen immer noch die Hoffnung hatte, der jüngste aller Höhlenentdecker zu sein. „Fünf Jahre“, sagte der Abbé in die Stille. Mit zaghafter Stimme fragte Simon weiter: „Und wie hieß das Mädchen?“ „Maria“, sagte der Abbé. „Die Entdeckerin hat mir vor dreißig Jahren selbst erzählt, wie es bei dieser ersten Entdekkung zuging. Und die Entdeckung selbst war nochmal dreißig Jahre früher, und das Mädchen und der Vater, der ein Edelmann war, ein spanischer Don, haben viele Jahre für die Höhle gekämpft.“
Die Jungen kamen vor Staunen nicht mehr zum Reden. 30
„Ja“, sagte der Abbé, „die Entdeckung war nur ein kleiner Teil der Geschichte von Altamira. Vielleicht ist diese Geschichte das Beste, das ich euch schenken kann, besser als einige Pfeilspitzen aus Stein.“ Der Abbé aus Paris ließ die Taschenlampen bis auf eine ausknipsen und warf einen Blick auf die Tiere, die durch das zarte Licht der einen Lampe zu ihm herabsahen. Dann begann er zu erzählen. Vom großen Eis „Seltsam“, sagte der Abbé, „auch in Altamira begann es mit einem Hund. Wie Robot war er plötzlich von der Erde verschwunden. Der Hund gehörte dem Jäger des Don Marcelino de Sautuola, der sein Schloß nahe Altamira hatte, im Dorf Puente San Michel. Der Hund verschwand mitten auf einer Wiese, die sich einen flachen Hügel hinauf erstreckte. Der Jäger pfiff. Sein Hund kam nicht zurück. Der Jäger suchte und fand ein Loch. Er fing an nachzugraben, denn er sah gleich, daß das kleine Loch weder ein Fuchs noch sonst ein Tier gegraben hatte. Der Hund kam ihm aus einer Höhle entgegen. Natürlich berichtete der Jäger dem Don Marcelino sogleich von der Höhle unter der Wiese. Don Marcelino sah sie an. An manchen Stellen war die Höhle so niedrig, daß ein Mann nur gebückt in ihr stehen konnte, er mußte aufpassen, daß er nicht mit dem Kopf an einen der vielen Felsbuckel stieß, die einer neben dem andern an der Decke waren. Weder der Don noch der Jäger sahen etwas Besonderes. Nun, eine Höhle, wie es ihrer viele gibt, dachte Don Marcelino. Merkwürdig nur, daß sie in einem flachen Hügel ist, sonst sind Höhlen doch meist dort, wo es tiefe Schluchten gibt, in Gebirgen. Niemand kümmerte sich in der folgenden Zeit um die Höhle, sie blieb offen, aber kein Mensch ging hinein. Neun Jahre später, im Jahre 1878, reiste Don Marcelino 31
nach Paris. Dort war eine Weltausstellung, auf der alles gezeigt wurde, was die Menschen bis zu dieser Zeit erfunden und entdeckt hatten. In einem der Säle waren gläserne Schränke und Tische mit gläsernen Tischplatten aufgestellt, und durch das Glas konnte man allerlei Dinge sehen, die aus Stein oder Knochen waren. Es gab Messer, Bohrer, Kratzer und Stichel, es gab Pfeilspitzen und steinerne Keile, die gut in der Hand lagen und mit denen man Schläge mit großer Wucht austeilen konnte. Es gab Harpunenspitzen von Armlänge und Nadeln aus Knochen, die nicht länger als ein kleiner Finger waren und so feine Öhre hatten, wie wir sie an den Nadeln kennen, mit denen wir nähen. Vor allem gab es Steine und Knochenstükke, in die Tiere eingeritzt waren, Bisons zum Beispiel.“ „Und Fohlen auch?“ fragte Simon. „Fohlen auch“, sagte der Abbé. „Man konnte deutlich erkennen, daß es nicht die Pferde waren, die wir im Stall haben, es waren Wildpferde mit aufgerichteter Mähne. Es gibt heute noch solche Pferde in Sibirien. Tarpan heißt diese Wildpferdart. Und in Sibirien hat man auch jenes Tier gefunden, dessen Bild am häufigsten in Knochen und Steine eingeritzt war, das Mammut,
einen Riesenelefanten mit zottigem Fell; man fand ihn im Eis eingefroren; und das Eis hatte ihn über Jahrtausende 32
hinweg unversehrt erhalten.“ „Ich dachte“, warf Georges ein, „Elefanten gäbe es nur in heißen Ländern?“ „Es waren Mammute, die Kälte aushalten konnten, weil sie einen dichten Pelz anhatten“, erklärte der Abbé. „Auch Rhinozerosse mit warmen Wintermänteln gab es, Wollnashörner, und sie hatten unter dem Pelz einen dicken Panzer und auf der Nase gleich zwei Hörner, das vordere Horn war über einen Meter lang, und sie waren sicher sehr gefährlich. Und Rentiere gab es, Eisfüchse und Schnee-Eulen, alle Tiere eben, die sich in kalten Gegenden wohlfühlen.“ „Und diese Tiere gab es einmal auch in Frankreich?“ fragte Marcel. „In Frankreich ebensogut wie in Spanien und Italien und in Deutschland, überall in Europa gab es das Rentier, den Säbeltiger, das Wollnashorn, denn zu der Zeit, in der jene Zeichnungen in die Knochen geritzt wurden, war es in ganz Europa kalt. Man nennt jene Zeit Eiszeit. Die Gebirge in Norwegen, die Alpen und die Pyrenäen waren damals viel höher als heute. Sie hatten zwei Stockwerke, das obere Stockwerk war aus Eis. Über den dunklen Felsbergen türmten sich Gebirge, von denen ein kalter Glanz ausging, und nach allen Seiten flossen Ströme aus Eis. Erschrocken wichen Tiere und Menschen vor ihnen zurück. Auch die Pflanzen flohen, ganze Wälder ergriffen die Flucht, natürlich ging alles sehr langsam, aber Jahrzehnt um Jahrzehnt gewann das Eis an Boden, und die Pflanzen mußten sich mit dem schmalen Streifen zwischen Fels und Eis begnügen. Schließlich gab es nur noch jene Pflanzen, die wir auch heute am Rand großer Eisfelder finden: Zwergbirken und Zwergweiden, Steinflechten und Moose, Heidesträucher und, zaghaft zwischen Woll- und Riedgräsern hervorlugend, spärliche Blumen: blassen Mohn, Polarnelken und hin und wieder Maßliebchen und Veilchen. Es war kein Paradies, in dem der Mensch damals zu Hause war. Es muß auch ungeheure Stürme gegeben ha33
ben, im Winter mit Schnee, in den Sommern mit riesigen gelben Wolken, die über die Erde hinjagten und alles niederwarfen und erstickten. Es waren Wolken aus dem Staub der großen Steppen, die es damals gegeben haben muß. Es gab mancherlei Tiere, auch solche, die nicht gefährlich waren: Dachse und Rehe, Steppenesel und Zwergpfeilhasen, die kaum größer als Ratten waren, es gab Stachelschweine, Rentiere und Gemsen und Murmeltiere und Mooreulen. Aber manche der Tiere, denen der Mensch begegnete, machten ihm den Platz, den das Eis übrig ließ, streitig: Bären und Höhlenlöwen, Panther und Hyänen, Moschusochsen und Eber und Luchse. Vom Bison, Mammut und Wollnashorn erzählte ich euch schon. Der Mensch konnte diesen Tieren nicht aus dem Weg gehen. Er stieß auf sie, wenn er in einer Höhle Zuflucht suchte. Er brauchte Fleisch, um nicht zu verhungern, Felle, um nicht zu erfrieren. Aus den Knochen der Tiere allein konnte er Werkzeuge und Waffen machen. Und um manchen Platz, der vor Stürmen, Schnee und Regen schützte, wird es erbitterte Kämpfe gegeben haben. Jener Gelehrte, der die meisten der in Paris ausgestellten Geräte und Zeichnungen gefunden hatte, erzählte dem Vater des Mädchens von Altamira, daß in mancher Höhle die Knochen von Bär und Mensch nebeneinander lagen – niemand kann sagen, wer Sieger geblieben war. Vielleicht waren beide im Kampf gefallen. Don Marcelino ging während der Ausstellungswochen Tag um Tag zu den gläsernen Schränken, aus denen ihn eine Zeit anblickte, die längst vergangen war. Von den Geräten und Zeichnungen war abzulesen, daß es einige Eiszeiten gegeben haben muß. Doch sind die Zeitspannen dieser Erdepochen nur ungefähr zu bestimmen. Man nimmt an, daß die letzte Eiszeit zwischen zwanzigund zehntausend vor Christus zu Ende ging. Die Schmelzwasser haben Geröll abgelagert, aus der Mächtigkeit der Schichten lassen sich Schlüsse ziehen. Und einiges von jener 34
ausgehenden letzten Eiszeit, aus der die großen farbigen Höhlenbilder stammen, weiß man mit Sicherheit. So sind die Tiere, die damals lebten, lückenlos bekannt. Wenn Don Marcelino eine Harpune betrachtete, tauchte ein Bison vor ihm auf, und die Faustkeile ließen ihn an Bären und Höhlenhyänen denken. Alles, was in den übrigen Sälen zur Schau gestellt war, erschien ihm gering vor dem Mut, von dem diese Geräte und einfachen Waffen aus Knochen und Stein Zeugnis ablegten, von der Tapferkeit der Jäger, die Nachbarn des Großen Eises gewesen waren. Ihre Hand mußte rascher gewesen sein als die Pranke des Tigers, ihr Geist wacher als alle Instinkte der Tiere. Nur einen Helfer hatten sie, der die Tiere aus ihrer Nähe bannte, der selbst stärker war als das Eis. Aber diesen Helfer mußten die Menschen sich immer wieder neu gewinnen. Es war das Feuer. In zahlreichen Höhlen hat man Brandstellen gefunden, und manche Bilder und Zeichen sind von Menschen jener Zeit in Knochen gebrannt. Das Feuer, dem Blitz oder auch der Glut der Sonne abgelauscht, und der Blick, der aus dem Auge des Jägers wie ein Blitzstrahl brach und das Tier noch vor der Waffe traf… durch dies beides war der Mensch der Stärkere. Aus Paris brachte Don Marcelino den Wunsch heim, mehr über jene Menschen zu erfahren, ihnen näherzukommen und selber eine Spur von ihnen zu entdecken. Vom großen Eis war ein Glanz in seine Seele gefallen. Nach Spanien heimgekehrt, begann er an manchen Tagen den Hügel von Altamira aufzusuchen. Er fand die Höhle leicht, der Eingang war in den zehn Jahren, die seit der Entdeckung verflossen waren, nicht verändert worden.“ „Und niemand hat in all diesen Jahren die Höhle betreten?“ fragte Marcel. „Einige Dorfkinder“, sagte der Abbé. „Doch wurde den Kindern der Zutritt durch die Eltern verwehrt.“ „Warum?“ fragte Simon. „Hatten sie Angst, daß die Höhle 35
einstürze?“ „Oder gibt es in ihr Gänge, aus denen man nicht mehr zurückfindet?“ erkundigte sich Jacques. „Es gibt Gänge, die immer enger und niedriger werden“, erklärte der Abbé. „Auch ist das Gestein brüchig, und Teile der Höhlendecke sind eingestürzt. Doch das waren nicht die schwersten Bedenken der Dorfleute. Sie glauben bis heute, daß die Höhle eine Behausung für Geister sei. Und sie leben in der Furcht, daß den, der in die Höhle eindringe, ein Zauber treffe.“ „Wußte auch Don Marcelino davon?“ fragte Marcel. „Gewiß“, sagte der Abbé. „Und gerade dadurch wurde er bestärkt, hinzugehen. Er dachte: Sicher ist dieses Gerede uralt und deutet darauf hin, daß die Höhle in der Vorzeit eine Behausung gewesen ist und es sich lohnen kann, nach Spuren zu suchen. Und ein Gutes hat diese Furcht vor den ,Geistern’ auf jeden Fall. Es hat die Dorfleute ferngehalten, und ich werde in der Höhle alles so antreffen, wie es zu einer Zeit war, in der die Menschen noch keine Pflüge kannten. Voll Zuversicht begann Don Marcelino mit der Erforschung der Höhle.“ „Und die kleine Maria?“ fragte Simon. „Ich dachte, sie war die Entdeckerin?“ „Von ihr sollt ihr nun hören“, sagte der Abbé. Der Blick aus dem Bisonauge „Das Mädchen von Altamira war eben fünf Jahre alt geworden, als der Vater damit anfing, in der Höhle zu graben, die seit Jahren für ihn offen stand. Er ging oft in die Höhle und ließ sich nicht dadurch entmutigen, daß er lange Zeit außer seinen Grabgeräten nichts heimbrachte. Eines Tages im November kam er ohne Grabgeräte und dennoch nicht mit leeren Händen, in der größten Aufregung ins Schloß zurück. Er hatte einen Faustkeil und einige Pfeilspitzen, wie er 36
sie in den gläsernen Schränken von Paris gesehen hatte, gefunden. Kein Lebender konnte zu ihm sagen: Die hab ich vor dir gesehen… Don Marcelino hatte den Beweis erbracht, daß Menschen der Eiszeit auf dem Boden, der ihn und sein Schloß trug, gelebt und ihr Leben dem Eis und den gewaltigen Tieren, die sie bedrohten, abgetrotzt hatten. Der Beweis hielt den schärfsten Blicken stand, man konnte ihn anfassen. Von diesem Tag an grub Don Marcelino Tag für Tag. Er fand Harpunen und Nadeln – Dinge, wie sie auch in den gläsernen Schränken von Paris gewesen waren, und als er einen großen Knochen mit Zeichnungen gefunden hatte, fuhr er nach Madrid, der Hauptstadt Spaniens, und zeigte die Zeichnungen und einige Werkzeuge, die er gefunden hatte, dem berühmtesten spanischen Professor, dessen Fach die Erforschung der Erde war – er hieß Vilanova –, und dieser Professor wünschte Don Marcelino Glück zu seinen Funden und sagte, er möge nur weitergraben, und wenn er noch mehr finde, dann komme er einmal nach Altamira, um alles in Augenschein zu nehmen. Und er kam eines Tages. Doch vorher geschah etwas, das kein Professor voraussehen konnte, auch der berühmte Professor Vilanova von Madrid nicht. Don Marcelino hatte Maria des öfteren mit in die Höhle genommen. Das Mädchen hatte gern zugesehen, wenn der Vater beim Schein einiger Kerzen vorsichtig mit einem Haken ein Erdstückchen nach dem andern wegkratzte. Maria hatte sich gefreut, wenn etwas zum Vorschein kam, das der Vater in die Hand nahm und dem Mädchen zeigte. Und wenn es längere Zeit nichts gab außer Erdkrumen, war das Mädchen in der Höhle umhergelaufen. Es brauchte sich vor den Felsbuckeln nicht zu fürchten. Ein Mädchen von fünf Jahren stößt noch lange nicht mit dem Kopf dort an, wo ein Mann sich bücken muß und darum nur schwerlich sieht, was über ihm an der Decke ist. Es war ein Novembertag, vom Eingang her fiel nur spärli37
ches Licht in die Höhle. Don Marcelino hatte noch mehr Kerzen mit als sonst, aber er stieß auf nichts, das der Mühe wert schien. Ein Erdbrocken nach dem andern zerkrümelte in seiner Hand. Maria nahm eine Kerze und spazierte in der Höhle umher. Das kleine Mädchen fand es eben langweilig und ein wenig ungemütlich, weil die Finger kalt waren, und hielt abwechselnd eine Hand nah an die Kerzenflamme, um die Finger zu wärmen. Aus purer Langeweile leuchtete Maria in die Winkel der Höhle und leuchtete in einer seitlichen Kammer die Felsbuckel an der Decke an, und das Kerzenlicht spielte mit ihnen und hob sie aus den schattigen Mulden heraus. Auf einmal rief das Mädchen laut: ,Toros! Toros!’ Das ist ein spanisches Wort und heißt: ,Stiere! Stiere!’ – Das Mädchen sah Toros, die ruhig dastanden oder lagen, und sie waren nicht schrecklich anzusehen sondern herrlich, von leuchtendem Rot. ,Toros!’ rief Maria noch einmal, denn noch nie hatte das kleine Mädchen so schöne Stiere gesehen, so gewaltig und ruhig zugleich. Der Vater horchte auf, während ein Erdbrocken in seiner Hand zerkrümelte. Dann kam er aus dem Raum neben dem Eingang in die Seitenkammer. ,Toros siehst du?’ fragte er. ,Wo sind Toros?’ ,Da!’ rief das Mädchen und hob die Kerze gegen die Felsbuckel, auf denen die Toros leuchteten. ,Das sind nur Schatten’, sagte der Vater, ,du brauchst dich nicht zu fürchten.’ ,Ich fürchte mich nicht, Vater’, rief das Mädchen. ,Neben dem Schatten ist der Toro, ein roter Toro!’ ,Das ist das Licht’, sagte der Vater. ,Das Kerzenlicht täuscht dich.’ ,Nein, nein’, sagte das Mädchen, ,viele Toros, und alle rot! Don Marcelino wischte die Erde von seinen Händen und ging gebückt zum Mädchen hin. Er legte eine Hand an die 38
Stirn des Mädchens. ,Wir müssen heim’, sagte er, ,du hast dich erkältet und hast Fieber.’ Don Marcelino schüttelte verwirrt den Kopf. Die Stirn des Mädchens war kühl. Maria konnte kein Fieber haben. Er kniete hin und beugte sich zurück. Sorgsam suchte er die Felsdecke ab, einen Buckel um den andern. Er sah nichts. Da gab ihm Maria die Kerze und holte den längsten von den Grabhaken, die Don Marcelino dabei hatte. Sie deutete auf ein großes rötliches Tier, das sich zusammenkrümmte, als sei es getroffen. ,Da, die Hörner, und da die Hufe von allen vier Füßen, und hier das große Auge -!’ Da erblickte Don Marcelino plötzlich das Tier, das Maria für einen Toro hielt. Es war ein Bison in Todesnot. Er blickte den Menschen an mit seinem großen Auge, um das ein schwarzer Rand war. Und Don Marcelino sah den schweren Schatten, den der Bison warf; eine breite Mulde füllte der Schatten aus; das tiefe Schwarz machte das Rot des gewaltigen Bisonkörpers noch leuchtender. Es schien im Kerzenlicht, als rege sich das Tier, als atme es. Das Auge aber war ohne Bewegung. Der Blick, der aus ihm kam, schien der letzte, den es zu vergeben hatte. Don Marcelino atmete heftig. Die Kerze flackerte. Jetzt rührt sich der Toro!’ rief Maria. ,Nein’, sagte der Vater, ,sei ohne Sorge, er kann sich nicht bewegen, er ist aus Farbe und Fels.’ Er zog das Mädchen an seine Brust und ließ seinen Blick von einem Felsbuckel zum andern gehen. Auf jedem begegnete er einem Tier.“ Ein König, der kam „Und nun kam der berühmte Professor Vilanova aus Madrid. Don Marcelino hatte ihm geschrieben, nachdem er 39
Decke und Wände der Höhle in den nächsten Tagen sorgfältig abgeleuchtet und weit über hundert Bilder gefunden hatte. Immer wieder hatte seine Hand vor Erregung gezittert: wenn die Lampe einem Eber nahekam, der auf ihn zurannte, oder wenn der Schein auf den äsenden Kopf einer Hirschkuh fiel. Die Tiere lebten, sie waren zwar nur aus Farbe auf kaltem Stein, Don Marcelino wußte es, aber sie waren nicht tot. Es war ihm selbst unbegreiflich, daß er so oft in der Höhle gewesen war und nichts gesehen hatte. Ich habe zu selten aufgeblickt, dachte er, immer hatte ich den Blick am Boden, zu sehr war ich drauf aus, die Erde zu durchwühlen. Ich war vom Wunsch besessen, etwas zu finden. Das Kind wollte nichts, und es sah die Tiere beim ersten Blick. Professor Vilanova hatte im Schloß alle Funde Don Marcelinos betrachtet, er hatte in der Höhle die Fundstellen untersucht. Nun schob er sich von Bild zu Bild. Don Marcelino bemerkte mit Schrecken, wie oft der Professor den Kopf schüttelte, als wolle er kundtun: das kann nicht sein, so etwas kann es nicht geben. Aber das Kopfschütteln wurde seltener. Der Professor nahm sich für einzelne Bilder Zeit, und vor dem zusammengebrochenen Bison verweilte er lang. Jetzt sieht der Bison ihn an, dachte Don Marcelino. ,Nicht wahr’, fragte er mit gedämpfter Stimme, ,die Farben leuchten, als seien die Bilder erst gestern gemalt?’ Der Professor aus Madrid gab keine Antwort. Er hatte die Frage gar nicht gehört. Er lag auf dem Rücken und starrte zur Decke, die nur wenig mehr als einen Meter höher über ihm hing. Er war so unbeweglich, als sei er vom Bild gebannt. Don Marcelino sah es und fragte nicht mehr, bis Vilanova sich ihm zuwandte. ,Wann wurde die Höhle entdeckt?’ fragte der Professor. ,Vor etwa zehn Jahren’, sagte Don Marcelino. 40
,Und Sie kennen alle Menschen, die in der Höhle waren, seit man weiß, daß es sie gibt?’ ,Alle’, sagte Don Marcelino. ,Außer dem Jäger und mir waren nur einige Dorfkinder in der Höhle. Aber nur im ersten Jahr, die Eltern verboten den Zutritt, weil man im Dorf glaubt, in der Höhle gebe es Geister. Seit Jahren war niemand mehr dort, außer mir und Maria.’ Die Unruhe, die den Professor aus Madrid zuerst von einem Bild zum andern getrieben hatte, kam nach dieser Auskunft noch einmal über ihn. ,Kein Maler?’ fragte er und richtete sich auf. Don Marcelino schüttelte den Kopf. Vilanova berührte vorsichtig eines der Bilder, er hatte schon vorher andere betastet, er tupfte die Farbe auf den Rücken seiner blassen Hand. Es war frische, leuchtende Farbe. Rote, gelbe, braune und schwarze Tupfen hatte Professor Vilanova auf der Hand. ,Es sind viele Bilder, und sehr verschiedenartige’, gab Don Marcelino zu bedenken. ,Und vielleicht finden sich bei gründlicherer Suche noch mehr. Aber auch für die Bilder, die wir bisher fanden, bräuchte ein Maler doch viele Jahre, glauben Sie nicht?’ ,Sicher’, sagte der Herr Professor. ,Ein Menschenleben wäre kaum ausreichend.’ Er begann von neuem die Bilder in der Kammer zu betrachten. Dann begannen beide in anderen Teilen der Höhle zu suchen. Sie war groß und hatte geräumige seitliche Kammern. An die dreihundert Meter tief reichte sie ins Erdinnere. An vielen Stellen entdeckten sie Malereien. Manche waren schon sehr verblaßt. Im schmäler werdenden Gang fand Vilanova kleine Zeichnungen, die mit einem Stichel in die weiche Wand eingeritzt waren. Er faßte einen herausstehenden Stein an. Leicht löste er sich aus der Decke. Erschrocken bemerkte Vilanova nun die vielen Risse. Zurückgekehrt in die Kammer mit den vielen Bisons, such41
te der Professor auch die Viel-Buckel-Decke nach Sprüngen ab. Manche gingen mitten durch die Bilder. Don Marcelino und Vilanova kauerten nebeneinander und blickten auf. Die Decke war kaum zehn Meter breit und doppelt so lang, doch über und über mit Tierbildern bedeckt. Mehr als fünfundzwanzig Tiere in natürlicher Größe! Zum Teil verdeckte eins das andere. Da war ein galoppierendes Pferd, da waren Hirschkühe, vor allem waren da Bisons. Als seien sie unangreifbar, standen manche von ihnen und zogen den Blick auf sich. Aber am ergreifendsten war jener im Todesschmerz zusammengekrümmte Bison, den Maria zuerst gesehen hatte. ,Ein so gutes Bild wird nicht in jedem Jahrhundert gemalt’, sagte der Professor. ,Nein’, sagte er und bewegte heftig den Kopf, als wolle er etwas Lästiges abschütteln, ,kein Maler, der heute lebt, kann dieses Bild gemalt haben.’ ,Das ist Ihr fester Glaube?’ fragte Don Marcelino. ,Ja’, sagte der berühmte Professor aus Madrid. ,Ich habe Ihnen etwas verschwiegen’, sagte Don Marcelino zögernd. ,Aber nun wird es Sie nicht mehr irre machen: Es war während der letzten zehn Jahre ein Maler in Altamira.’ Der Professor aus Madrid blickte Don Marcelino bestürzt an. ,Aber’, sagte Don Marcelino, ,er hat die Höhle nie betreten. Ich gebe Ihnen mein Wort. Es war ein unglücklicher Mensch, der in jungen Jahren durch einen Schrecken um die Sprache gebracht wurde. Ich nahm ihn bei mir auf. Er kümmerte sich um die Malereien an den Wänden im Schloß, die im Laufe der Zeit stark gelitten hatten.’ ,Darf ich mir die Bilder ansehen?’ fragte Vilanova. ,Sie haben doch sicher das Bild im Raum, in dem ich meine Sammlungen habe, bemerkt? Das ist von ihm.’ ,Dann weiß ich genug’, sagte der Professor. ,Der Mann, der 42
jenes Bild malte, hat mit diesen Bildern nichts zu tun.’ Er blickte zum Bison auf. Dann ergriff er Don Marcelinos Hand. ,Es gibt keinen Zweifel. Die Bilder sind wenigstens zehntausend Jahre älter als alle Maler, die heute leben.’ ,Es kann ja nicht anders sein’, sagte Don Marcelino mit glücklichen Augen. ,Aber mir, der ich kein Professor bin, würde es wahrscheinlich niemand glauben.’ ,Mir wird man es glauben’, sagte Profesor Vilanova, als er neben Don Marcelino auf dem Weg zum Schloß war. ,Ein Wunder’, sagte Don Marcelino, ,daß die Bilder nach so langer Zeit noch unversehrt sind.’ ,Das ist nicht das Wunderbarste an ihnen’, sagte der Professor. ,Das ist leicht zu erklären: Bei stets gleicher Temperatur waren sie in der Dunkelheit und im Schweigen, das sie umgab, so geborgen, daß die Zeit nicht mehr zählte. Sie alterten nicht, weil kein Blick sie traf, nicht einmal der Blick der Sonne. Keine Hand hat sie je berührt, da die Höhle sich über ihrem Geheimnis schloß. Nicht das hohe Alter der Bilder ist unbegreiflich, das Wunderbare an ihnen ist, daß sie s o g u t sind. Einige dieser Bilder sind Meisterwerke, und jener Maler, der den zusammengebrochenen Bison gemalt hat, wird in aller Zukunft zu den größten Malern der Welt gehören. Man muß bedenken, daß er seine Bilder zu einer Zeit schuf, in der ein großer Teil des Landes unter Eis begraben war und Kälte und Löwen und Bären ihn umlauerten. Daß es so war, daran glaube ich, und dafür werde ich mit meinem Namen einstehen.’ In Santander, der Provinzhauptstadt, hielt Professor Vilanova den Vortrag, in dem er vor vielen Zuhörern enthüllte, daß es in der Eiszeit Menschen gegeben habe, die nicht nur mit dem Wollnashorn und dem Mammut, mit dem Höhlenbären und Bison und mit dem Großen Eis fertig wurden, sondern die auch Bilder malten, von denen einige neben die besten Bilder anderer Zeiten gestellt werden können. ,Und 43
diese Bilder’, sagte der berühmte Professor aus Madrid in die Stille des Saales, die beinah so atemlos war wie die Stille in der Höhle von Altamira, ,diese Bilder hat ein Kind entdeckt: Maria, ein Mädchen von fünf Jahren. Viele tausend Jahre waren diese Bilder im Dunkel, nun ist Licht auf sie gefallen. Sie haben lang geschwiegen, nun werden sie reden, und die Welt wird aufhorchen, weil durch diese Bilder offenbar wird, wie der Mensch war, der am Rande des Großen Eises lebte.’ In den Tagen, die nun folgten, kamen Menschen in großen Scharen nach Altamira, um die Bilder zu sehen. Zeitungsmänner kamen; sie sahen nicht nur die Bilder an, sondern fragten den Professor aus Madrid und Don Marcelino und das Mädchen aus, sie schrieben in vielen Zeitungen über die Bilder, die von Nachbarn des Großen Eises gemalt waren. Es wurde viel Lärm um die Bilder gemacht, aber in der Höhle war es immer wieder still wenn die Menschen, die zu den Bildern aufschauten, der Blick des getroffenen Tieres berührte, wenn der Eber auf sie zusprang oder einer der herrischen Bisons alle Aufmerksamkeit auf sich zog, bis dem Betrachter nichts übrig blieb außer Staunen. In allen Zeitungen wurde über die junge Entdeckerin geschrieben, und manche Zeitung brachte ihr Bild.“ „Wird es auch hier in Montignac so sein?“ fragte Simon den Abbé. „Ich meine: viel Lärm?“ Ihm lag nichts daran, sein Bild in der Zeitung zu sehen, er hatte nur Bedenken, daß den Fohlen und Hirschen der Besuch vieler Menschen zum Schaden gereichen könnte. „Auch in eure Höhle“, sagte der Abbé, „werden viele Menschen kommen. In Zeitungen und Büchern wird man über diese Bilder schreiben. Heute weiß man zwar, daß in der Eiszeit große Künstler gelebt haben, die Forscher sind immer darauf gefaßt, daß neue Höhlenbilder entdeckt werden – aber seit der Höhle von Altamira ist keine Höhle entdeckt worden, die so großartig ist; und eure Höhle birgt weit mehr Bilder als Altamira. Durch eines freilich ragt die Entdeckung des 44
Mädchens von Altamira über alle Höhlenfunde hinaus: Sie hob zum erstenmal den Schleier, der die frühen Jahrtausende vor unserm Blick verhüllt hatte. Seit sie auf die ,Toros’ gedeutet hatte, konnte man von sicheren Anzeichen ablesen, was die Menschen der Eiszeit bewegte.“ „Was bewegte sie?“ fragte Marcel. „Was weiß man über sie?“ „Ihr werdet alles, was ich über sie weiß, erfahren“, sagte der Abbé. „Aber laßt uns jetzt zum Mädchen von Altamira zurückkehren. Von ihr wurde damals in der ganzen Welt gesprochen, als sei durch sie ein Wunder geschehen. Und dann kam für sie und den Vater ein großer Tag. Denkt euch: Eines Tages stand der König von Spanien vor der kleinen Maria. Professor Vilanova hatte ihm von den Bildern berichtet. Die Einfahrt zum Schloß von Altamira war geschmückt. Don Marcelino hatte den Eingang zur Höhle erweitern lassen, damit der König leichter eintreten konnte. Diener standen mit Kerzen bereit, es war wie in einer Kirche. Das Licht der vielen Kerzen ließ die Höhle höher erscheinen. Aber sie war wie immer. Daß ein König kam, regte die Höhle nicht auf. Auch der König mußte sich bücken wie alle andern, als er in die Seitenkammer trat. Wenn er die Tiere an der Viel-BuckelDecke betrachten wollte, mußte auch er sich klein machen. Und der König kniete unter dem Bison, der ihn mit dem letzten Blick, den sein brechendes Auge noch hatte, ansah. Lang verweilte der König in der Höhle, er ließ sich bis in den hintersten Spalt führen. Es störte ihn nicht, daß er sich durchzwängen mußte. Die Diener hielten die Kerzen nah an die Felswände und an die Decke, damit dem König nicht ein Bild entging, und einer der Diener brannte heimlich beim Höhleneingang in den Fels den Namen des Königs: Alphonso XII. Alle künftigen Besucher sollten gleich sehen, daß unter den ersten Gästen der Höhle ein König gewesen war. Als der König alle Bilder gesehen hatte und aus der Höhle ins Freie trat, war eine große Menge von Menschen versammelt. 45
Sie schrien begeistert, sobald sie den König erblickten. Aber der König winkte, und es wurde still. Der König nahm die Hände der kleinen Maria und sagte vor allen Leuten: ,Dir, kleine Maria, verdanken wir eine große Entdeckung. Spanien ist stolz auf das Mädchen von Altamira.’ Und alle, die es hörten, warfen die Hüte in die Luft und schrien: ,Viva Maria! Viva el Rey! Es lebe der König!’ Es war ein Tag aus Glanz und Stolz und Ruhm. Und der König sagte: ,Im nächsten Jahr kommen Professoren der ganzen Welt in Lissabon zusammen, um über die wichtigsten Entdeckungen der letzten Jahre miteinander zu reden. Ich werde sie einladen, nach Spanien zu kommen. Denn Altamira erscheint mir von allen Entdeckungen der letzten Zeit die größte.’ Mit diesen Worten nahm der König Abschied, und alle konnten sehen, daß er sehr bewegt war.“ „Und die Professoren?“ fragte Jacques laut und sprach damit aus, was sie alle wissen wollten. „Die Professoren aus aller Welt was sagten sie?“ „Ihr werdet staunen“, sagte der Abbé. Von Professoren aus aller Welt „Viele Professoren fanden sich in Lissabon ein“, fuhr der Abbé fort. „Sie kamen aus allen Ländern, in denen es Professoren gibt, und sie alle hatten Bücher geschrieben und waren berühmt, mindestens in ihrem eigenen Land. Viele von ihnen hielten Vorträge, in denen sie den andern sagten, was sie in den letzten Jahren erforscht hatten, und nach den Vorträgen redeten sich die Professoren die Köpfe heiß. Vilanova hielt einen Vortrag über die Höhlenbilder von Altamira. Alle hörten ihm aufmerksam zu, denn Vilanova war ein berühmter spanischer Professor. Er hatte sich große Mühe gemacht und eine große Anzahl der Bilder von Altamira abgezeichnet, manche Abbildungen waren farbig. Nach dem 46
Vortrag nahmen die Professoren die Bilder in Augenschein. ,W i e alt sollen diese Bilder sein?’ fragte ein Professor aus Schweden. ,Zehn- bis zwanzigtausend Jahre’, sagte Vilanova. ,Vielleicht auch älter. Ganz sicher sind die Gravierungen im engen Gang der Höhle älter.’ ,Sehr gut, daß Sie vielleicht sagen’, meinte ein Professor aus Italien, ,vielleicht sind sie auch nur zehn oder zwanzig Jahre alt.’ ,Zwanzigtausend’, sagte Vilanova mit fester Stimme. ,Und wie wollen Sie dieses sagenhaft hohe Alter der Bilder beweisen?’ fragte ein Professor aus Amerika. ,Solche Bilder wären ja viele Millionen wert!’ ,Ihren Wert wird man kaum in Zahlen ausdrücken können’, sagte Vilanova. ,Doch läßt sich mit Sicherheit auf ihr Alter schließen. In der Höhle von Altamira fand Don Marcelino de Sautuola auch Geräte, von denen erwiesen ist, daß sie aus der Eiszeit stammen: Stichel, Faustkeile, wie sie bereits in einigen Ländern gefunden wurden. Er fand sogar Zeichnungen auf Knochenstäben, wie man sie von andern Fundstellen her kennt.’ ,Zeichnungen, das ist etwas anderes’, sagte ein Professor aus Frankreich, der selbst solche Zeichnungen gefunden hatte. ,Zeichnungen kann man mit den Geräten, von denen feststeht, daß der Eiszeitmensch sie benutzte, ausführen. Aber farbige Bilder? Sie halten doch wohl nicht für möglich, daß man farbige Bilder mit Faustkeilen machen kann?’ ,Nein’, sagte Vilanova. ,Die Farben sind mit Farbstiften oder mit der Hand oder mit Pinseln aufgetragen, ein Maler könnte ohne Zweifel auch die besondere Technik der Pinselführung feststellen. Aber daß man Pinsel benutzte, kann jeder mit dem bloßen Auge sehen.’ ,Hat man Pinsel aus jener Zeit gefunden?’ ,Pinsel nicht’, sagte Vilanova. ,Sie sind längst vermodert. Aber Farbstifte, vom tiefsten Braun bis zum hellsten Rot. Don Marcelino 47
fand flache Steine, auf denen Farben verrieben und gemischt wurden. Ich habe die Farben untersuchen lassen. Sie sind aus Ocker und Mergel und Manganerde hergestellt und vermutlich vor dem Auftragen mit Tierfett oder Harz oder Blut vermischt worden. Vielleicht hat auch die Feuchtigkeit des Gesteins dazu beigetragen, die Farben zu binden. Sicher aber hat der Sinter, den der Fels ausscheidet, die Bilder geschützt; denn er hat sie mit einer dünnen, durchsichtigen Schicht überzogen, die alle Farben noch mehr leuchten läßt. Eine Reihe von Farbstiften lag in der Höhle von Altamira auf einer Steinbank, die Stifte lagen noch so da, wie der Maler sie aus der Hand gelegt hatte.’ ,Vor zwanzigtausend Jahren, nicht wahr?!’ ergänzte ein Professor aus Portugal. Viele lachten. Vilanova schwieg. Er blickte in die Gesichter der Professoren, die ihn und die Abbildungen umstanden. Es war nicht schwer für ihn zu erkennen, daß er einen harten Stand haben würde. Er war einer gegen viele, es war eine Übermacht von Zweiflern, die seinen Glauben an die Echtheit der Höhlenbilder belagerte. Und Vilanova wußte, daß sein Gelehrtenname auf dem Spiel stand. ,Noch nie und nirgendwo hat man bis jetzt etwas Ähnliches gesehen.’ ,Was besagt das!’ rief Vilanova. ,Irgendwann muß mit allem ein Anfang gemacht werden. Es kann doch sein, daß man in anderen Höhlen ebenfalls Malereien findet.’ ,Wo wäre da noch ein Fortschritt?’ fragte ein Professor aus der Schweiz, ,wenn der Mensch vor zwanzigtausend Jahren schon zu vollendeten Kunstwerken fähig gewesen wäre?’ ,Haben nicht Ägypter und Chinesen’, sagte Vilanova, ,haben nicht Babylonier und Chaldäer vor Tausenden von Jahren Kunstwerke hervorgebracht, die nicht weniger wert sind als die besten Werke unserer Zeit? Woher wollen wir das Recht nehmen, uns über Menschen, die lang vor uns lebten, 48
zu erheben? Ist es nicht so, daß die Menschen verschiedener Jahrtausende nur verschiedene Sprachen reden, aber in jeder Zeit dem Menschen gegeben ist, auf seine Art das Höchste hervorzubringen? Warum wollen wir jenem namenlosen Meister, der den sterbenden Bison von Altamira so malte, daß der Anblick seines Todes jeden Betrachter ergreift, unsere Ehrfurcht schuldig bleiben?’ Ein Professor aus Paris ereiferte sich: ,Weil es ganz und gar unglaubhaft ist, daß die Menschen der Eiszeit, auch wenn wirklich Künstler von höchstem Rang unter ihnen gewesen wären, s o gemalt haben, wie die besten Maler in Paris heute malen. Die Kunstwerke der Ägypter und Babylonier haben etwas Fremdes, eben etwas Frühes! Die Höhlenbilder von Altamira befremden nicht, sie sind nicht alt, sie reden eine Sprache, die der unseren verdächtig verwandt ist. Nein, nein! Irgendwer, der sich mit den Gelehrten der ganzen Welt einen Spaß erlauben wollte, hat diese Bilder gemalt oder malen lassen oder -’ Vilanova trat vor den Professor aus Paris hin: ,Es ist ein spanischer Edelmann, der mir das Wort gab, daß niemand außer ihm und seinem Jäger und einigen Dorfkindern in die Höhle kam. Wollen Sie das Wort Don Marcelinos anzweifeln?’ ,Ein Edelmann ist kein Gelehrter’, sagte ein Professor. ,Ein Edelmann kann irren, wenn es um eine Frage der Wissenschaft geht.’ ,Der König von Spanien hat Sie eingeladen’, rief Vilanova, sein Gesicht war bleich. ,Der König ist selbst irregeführt worden’, sagte ein Professor aus Portugal, ,so wie man uns irreführen wollte. Unsere einmütige Ablehnung wird ihn überzeugen, daß es sich um eine etwas – anrüchige Sache handelt. Die Farbe, das sagten Sie doch selbst, ist so frisch, daß sie noch riecht? So frisch, als sei sie erst aufgetragen worden!’ 49
,Kein Wunder!’ rief Vilanova, ,da die Höhle zugewachsen war, also versiegelt, daß nicht ein Lufthauch die Bilder berühren konnte! Sie liegen unter einem unverletzten Sinterüberzug, der in Jahrtausenden entstand. Wer hätte Hunderte von Bildern heimlich malen und in die Höhle unbemerkt soviel Farbe bringen können, wie für hundert Bilder nötig ist?’ ,Man muß untersuchen!’ riefen einige. Vilanova sah, wie manche Gesichter, die eben noch abweisend waren, nachdenklich wurden. Einen Augenblick schienen selbst eifrige Spötter zu schwanken und sich seinen Gedanken aufzuschließen. Da trat ein Mann vor, den Vilanova sehr gut kannte. Vilanova erschrak. Diesem Mann, der wie er Professor in Madrid war, hatte er von jenem Maler erzählt, den Don Marcelino bei sich aufgenommen hatte… Wenn jetzt, in diesem Augenblick, bekannt wurde, daß in jenen Jahren, in denen die Höhle bereits offen stand, ein Maler in Altamira gewesen war… ,Sie sagten mir doch in Madrid’, erklärte der spanische Professor, ,daß mehrere Jahre hindurch ein Maler Gast des Don Marcelino war, eben in jener Zeit.’ Mit steigender Stimme fuhr der Professor aus Madrid fort: ,Ein stummer Maler, war es nicht so? Vielleicht hatte Don Marcelino seine Gründe, gerade einen solchen Maler auszusuchen, dem es unmöglich war, etwas auszuplaudern. Oder hat Don Marcelino den Maler erst stumm gemacht etwa mit Geld?’ Ein Tumult brach los. Vilanova versuchte zu reden. Er schrie. Man hörte ihn nicht an und ließ ihn stehen. Vilanova starrte die Mauer an, die sich von ihm entfernte, eine Mauer aus lauter Rücken. Vilanova blickte um sich. Er war allein. Da faßte ihn Angst!“ Der Abbé aus Paris schwieg, sein Blick war auf den Boden gerichtet. „Er hat doch nicht etwa aufgegeben?“ fragte Marcel. „Es waren zuviele, die gegen ihn standen“, sagte der Abbé. 50
„Wie?“ fuhr Georges auf, „er hat Don Marcelino im Stich gelassen?“ „Es ist keine leichte Sache, mit seiner Meinung allein zu stehen“, sagte der Abbé. „Nur selten hält das einer durch.“ „Er hatte doch die Bilder gesehen“, sagte Marcel. „Und wer die Bilder einmal gesehen hat…“ „Vilanova“, sagte der Abbé, „Vilanova war ein geachteter Name. Der Professor aus Madrid wußte, daß er in den Augen der berühmtesten Gelehrten weiter nichts als ein Narr sein würde, wenn er auf dem Posten blieb, auf den er sich gestellt hatte.“ „Und wenn er Altamira aufgab, war er ein Feigling!“ rief Jacques. „Hat er es wirklich getan?“ fragten die Jungen. „Er hat es getan“, sagte der Abbé. „Aber wer weiß, vielleicht hätte auch ich es getan.“ Die Jungen von Montignac sahen den Abbé erschrocken an. „Niemals!“ sagte Simon für sie alle. „Jener Professor aus Paris“, sagte der Abbé ernst, „eben der, der sich in Lissabon so sehr ereiferte, war mein Lehrer. Ein unbestechlicher Mann und ein strenger Gelehrter. Ich verdanke ihm sehr viel. Fast alles, was ich über Höhlenbilder weiß, erfuhr ich von ihm. Damals aber zweifelte er noch an Altamira, volle dreiundzwanzig Jahre blieb er bei seinen Zweifeln.“ Die Jungen schwiegen betroffen. Der Abbé ließ seinen Blick von einem Jungen zum andern gehen. „Die Professoren waren doch einfach blind, sie wollten nicht sehen“, sagte Marcel. Da erwiderte der Abbé: „Es scheint das Schicksal der großen Entdeckungen zu sein, daß nur bei sehr wenigen Menschen der Mut ausreicht, an sie zu glauben.“ 51
„Sie hätten Don Marcelino nie im Stich gelassen“, erklärte Georges feierlich. Aber eben in diesem Augenblick wurde das Licht seiner Taschenlampe so schwach, daß eine andere angeknipst werden mußte, sonst hätten sie im Finstern sitzen müssen. „Und wie ging es in Altamira weiter, damals?“ fragte Jacques und hielt seine Taschenlampe mit dem Scheinwerfer nach oben. „Der Tag, an dem die Professoren kommen sollten, war doch seit langem festgesetzt.“ „Seit Monaten“, sagte der Abbé. „Niemand hatte eine Absage für möglich gehalten. Auf der ersten Seite aller Zeitungen in Spanien und Portugal, in vielen Zeitungen jener Länder, die Professoren nach Lissabon entsandt hatten, waren Artikel mit großen Überschriften erschienen: BERÜHMTE GELEHRTE BEI DER EISZEIT ZU GAST WISSENSCHAFTLER AUS ALLER WELT KOMMEN NACH ALTAMIRA
So oder ähnlich hieß es in den Zeitungen. Don Marcelino hatte alles auf das sorgfältigste vorbereitet. Die berühmten Männer sollten in ihm einen Gastgeber finden, dessen sich der König von Spanien nicht zu schämen brauchte. Niemand kam. Von Vilanova kam ein Telegramm und später ein ausführlicher Brief, in dem er schrieb, daß er für Altamira gekämpft habe, solange er glauben konnte, daß die Bilder aus der Eiszeit seien aber unter der Wucht der Beweise habe er seine Meinung nicht länger aufrecht erhalten können…“ „Verräter!“ sagte Marcel. „Und was tat Don Marcelino?“ fragte Jaques. „Einige Tage sah ihn niemand außerhalb des Schlosses“, sagte der Abbé. „In seinem Zimmer war jenes tiefe Schweigen, das die Bilder umgeben hatte, solang die Höhle versiegelt gewesen war. Als er nach einer Woche zum ersten Male wieder auf den Hügel von Altamira zuging, war sein Haar 52
weiß. Nicht ein Mensch war in der Höhle. Sein erster Blick fiel auf die großen Buchstaben, die mit der Kerze eingebrannt waren: Alphonso XII. An ihn werde ich mich nicht wenden, dachte Don Marcelino. Ich werde es auf mich nehmen, für die Wahrheit zu kämpfen, auf mich allein. Die Artikel über Altamira, die nach jenem Tag in den Zeitungen erschienen, befaßten sich nicht mehr mit den Bildern, sondern nur noch mit dem Mann, der den Blick auf sie gelenkt hatte. SPANISCHER EDELMANN ALS MAMMUTFÄLSCHER DER BISONZÜCHTER VON ALTAMIRA
So etwa stand nun in den Zeitungen. Hohn und Verdächtigung, nichts sonst. Und in einigen Zeitungen war zu lesen: DER GEHEIMNISVOLLE GAST DON MARCELINOS DER MALER MIT DEM VERSIEGELTEN MUND WER WAR DER MALER VON ALTAMIRA?
Viele Zeitungen fragten nach dem Maler, von dem Don Marcelino behauptete, er habe die Höhle nie betreten und habe bereits in seiner Jugendzeit die Fähigkeit zu sprechen verloren.“ „Don Marcelino hat doch sicher die Wahrheit gesagt?“ fragte Jacques. „Die reine Wahrheit“, bestätigte der Abbé. „Der Maler war bereits stumm, als er in Altamira aufgenommen wurde. Er hat die Höhle während der Jahre, in denen er im Schloß malte, nie betreten.“ „Und warum meldete er sich nicht, um für die Wahrheit einzutreten?“ fragte Marcel weiter. „Er kam“, sagte der Abbé. „Sobald er aus den Zeitungen erfuhr, daß man Don Marcelino und ihn verdächtigte, kam er.“ „Aber vorher“, fragte Georges, „in der Zeit, in der so viele 53
Menschen nach Altamira gekommen waren – hat er auch in jenen Tagen die Höhle nie betreten?“ „Nein“, sagte der Abbé. „Und warum tat er das nicht?“ fragte Simon. „Das will ich euch jetzt sagen.“ Der Maler mit dem versiegelten Mund Der Abbé blickte Marcel an: „Du warst doch der erste, der in diese Höhle eindrang, nicht wahr?“ „Ja“, sagte Marcel. „Aber Simon wollte unbedingt vor mir.“ „Darauf kommt es jetzt nicht an“, fuhr der Abbé fort. Ich möchte nur erfahren, wie dir zumut war, als du durch den engen Einschlupf krochst.“ „Ich dachte an Robot“, sagte Marcel ohne Zögern. „Das half mir.“ „Wärst du auch dann weitergekrochen, wenn Robot nicht in der Höhle gewesen wäre?“ forschte der Abbé. „Wahrscheinlich. Ich bin für Höhlen und so was.“ „Und du glaubst, daß jeder in dem engen Loch weitergekrochen wäre?“ „Wie soll ich das wissen?“ sagte Marcel zögernd. „Mag sein, nicht jeder, sehr gemütlich war es nicht, vielleicht hätte mancher Angst gehabt. Aber wenn einer kein Stubenhocker ist… Jeder richtige Junge ist doch auf Abenteuer aus und gehört zu irgendeiner Horde.“ Marcel stockte, denn der Abbé fing an zu lächeln. Und dann sagte der Abbé: „Wenn nur der ein ,richtiger’ Junge ist, der zu einer Horde gehört und sich in Höhlen wohlfühlt, dann war Henry – so hieß der Maler – nie in seinem Leben ein ,richtiger’ Junge gewesen. Henry war gern allein. Er hing lieber seinen Gedanken nach, als daß er zuschlug. Die andern nannten ihn einen Träumer. Aber alle konnten ihn leiden, obwohl er ein Einzelgänger war, denn er 54
tat nie etwas, das gegen die Ehre eines Jungen verstieß. In der Schule war er immer bereit, seinen Nachbarn aus der Patsche zu helfen. Er konnte rascher denken als die meisten und besser zeichnen als sie alle. Er machte auch die besten Bogen und Pfeile und hatte für geeignete Hölzer einen Blick, der ans Wunderbare grenzte. Auch besondere Steine und Pflanzen sah er sofort, als erhielte er von ihnen einen Wink. Drum lagen ihm die andern oft in den Ohren, er solle bei ihren Spielen und Streifzügen mitmachen. Hin und wieder tat er es, und wenn er mitmachte, dann war er mit so großem Eifer dabei, daß er alle andern übertraf. Wenn sie ,Fuchsjagd’ spielten, erklärte er sich ohne Zögern bereit, den ,Fuchs’ zu machen und sich von den ,Hunden’ hetzen zu lassen, und oft dauerte es über eine Stunde, bis sie ihn bekamen. Er wich auch dem Kampf nicht aus, wenn sie ihn gestellt hatten, und wenn er kämpfte, dann tat er es verbissen, er sprang die ,Hunde’ so wild an, daß er sie warf und daß mancher zurückwich. In solchen Augenblicken verwandelte sich der schüchterne Knabe in einen gefährlichen Raufbold. Der stille Henry, der die Mutter bei seiner Geburt verloren hatte, verwandelte sich in einen Jungen, der besser als jeder andere zum Anführer der Horde getaugt hätte. Aber Henry war kein geborener Draufgänger, er war kein Anführer von Natur. Er kämpfte nicht aus Lust am Raufen, er war tapfer aus Angst, von den andern ausgelacht zu werden. Abenteuer machten ihn nicht glücklich, er war froh, wenn er aus ihnen wieder heraus war. Er wollte sich nur nichts vergeben und sich niemals anmerken lassen, daß er sich in gefährlichen Lagen immer fürchtete und daß es ihm schrecklich war, in Bedrängnis zu geraten. Gerade darum wagte er manchmal mehr als die andern. Eines Tages war er wieder als ,Fuchs’ unterwegs, die Meute hinter ihm drein. Henry war ein rascher Läufer. Er rief mit hohlen Händen vor dem Mund Echowände an, so daß der Ruf aus einer Richtung kam, in der Henry gar nicht war. 55
Aber obwohl er die ,Hunde’ immer wieder täuschte, wurde er allmählich eingekreist. Der ,Leithund’ hatte einige ,Paßhunde’ an festen Plätzen aufgestellt, Henry mußte nach allen Seiten sichern, damit er keinem von ihnen auf seinem Zickzackweg zu nahe kam. Er war schon ziemlich ausgepumpt, als er das Gesicht eines ,Paßhundes’ in etwa dreißig Meter Entfernung sah, ein rotes Gesicht, und aus diesem Gesicht kam ein Schrei, als Henry stutzte. Er war entdeckt. Die Meute, durch das Gekläff des ,Paßhundes’ herbeigerufen, würde ihn nun stellen. Henry war abgehetzt. Er fühlte sich schwach. Zum ersten Male würde es keinen großen Kampf geben, sondern er würde jämmerlich geworfen werden. Er sah einige Hetzhunde zur Linken auftauchen, sie waren so nah, daß er die einzelnen erkannte. Da ergriff ihn panische Angst. Er wollte diesem Kampf, für den er keine Kraft mehr hatte, ausweichen. Er sah sich nach einem Versteck um. Er begann wild zu rennen, seine Flucht war nun nicht mehr Spaß, sie war ernst, er hatte den Geschmack von Blut im Mund. Während er rannte, sah er eine Öffnung in der Erde, es war ein Fuchs- oder Dachsbau. Henry warf sich auf den Bauch und zwängte sich in das Loch, und obgleich es eng war, schob er sich weiter. Die Füße müssen noch draußen sein, überlegte er, und versuchte mit einem Ruck tiefer in den Bau zu kommen. Da spürte er plötzlich eine Riesenlast auf seinem Rücken. Er konnte nicht mehr atmen und den Mund nicht mehr aufmachen. Er wollte schreien und konnte nicht. Der Bau war eingestürzt, Henry war begraben. Nur wenige Sekunden war es so, denn die ,Hetzhunde’ hatten sich im gleichen Augenblick in Jungen zurückverwandelt, in Kameraden, die Zugriffen, und sie hatten ihn gleich heraus, weil an jedem Bein zwei Jungen zogen, und Henry konnte sie lachen hören, trotzdem er Sand in den Ohren hatte. Sie lachten, weil seine herausstehenden Beine so komisch ausgesehen hatten, und nun lachten sie weiter, weil er so verdattert 56
aussah und alles so gut abgelaufen schien. ,Na, du Fuchs, wie war’s im Fuchsbau?’ fragte ihn einer. Henry machte den Mund auf, aber es kam kein Wort, nur Sand, Henry spuckte ihn aus. Er wischte über die Augen, den Sand von Wimpern und Brauen weg, in die Augen war kein Sand gekommen, sie hatten sich von selber zugepreßt, als der Bau eingestürzt war, und jetzt starrten sie die andern Jungen an, und die Bäume in der Nähe; weit waren die Augen auf, Henry sah fremd aus, es war für alle ein wenig unheimlich. Das Lachen erstickte.
Jetzt ist doch alles vorbei’, sagte der Anführer der Buben. Am liebsten hätte er Henry an den Schultern gepackt und geschüttelt, aber er traute sich nicht recht. ,So ein guter Fuchs warst du noch nie’, sagte er, ,du hast uns gehetzt und hast uns hübsch an der Nase herumgeführt.’ Henry öffnete den Mund wieder, man sah deutlich, er sagte etwas. Aber niemand verstand ihn, es war nichts zu hören. 57
,Warum sagt er denn nichts?’ fragte der kleinste von allen Jungen. ,Das Spiel ist doch vorbei?’“ „Ja, warum sagte er nichts?“ fragte Simon den Abbé. „Er konnte nicht“, sagte der Abbé. „Er brachte kein Wort heraus. Der Schrecken hatte ihm die Fähigkeit, verständliche Worte zu reden, genommen. Henry kam auf eine Taubstummenschule. Auch dort war er der beste. Er wurde ein guter Maler und lernte Geige spielen. Aber sprechen, das er schon einmal gekonnt hatte, lernte er nicht wieder. Nun wißt ihr den Grund, warum der stumme Maler die Höhle von Altamira gemieden hatte: weil ihn die Erde das erste Mal, als er in sie eingedrungen war, auf so schreckliche Weise festgehalten hatte und er ihr nicht mehr traute.“ „Aber nachdem die Bilder entdeckt waren – zog es ihn da nicht hin?“ fragte Marcel. „Der Bilder wegen?“ „Es zog ihn hin“, sagte der Abbé. „Er hätte viel darum gegeben, die Bilder zu sehen. Aber er hatte von den Zweifeln gehört, mit denen viele diese Bilder betrachteten, und er wollte sich nicht in Erinnerung bringen, um nicht den törichten Verdacht zu nähren. Vielleicht aber sagte er sich das auch nur vor, um sich das Fernbleiben leichter zu machen. Denn diese rätselhaften Bilder zogen ihn so mächtig an, wie niemals andere Bilder vorher.“ „Das alles kann ich verstehen“, sagte Marcel. „Doch was tat er, als in den Zeitungen nach ihm gefragt und Don Marcelino als Schwindler hingestellt wurde?“ „Er schrieb sofort an Don Marcelino“, sagte der Abbé. „Er schilderte im Brief jene ,Fuchsjagd’, von der ich euch erzählt habe, und versicherte, daß er seitdem niemals eine Höhle betreten habe. Daß er aber nun bitte, Don Marcelino möge ihn die Bilder in der Höhle ansehen lassen. Vielleicht könne er, der Maler, den man verdächtige, etwas an den Bildern finden, wodurch bewiesen werde, daß die Bilder so alt seien, 58
wie Don Marcelino annehme und wie auch er, Henry, glaube. Don Marcelino lud den stummen Maler ein, sobald wie möglich zu kommen. Er hatte sich entschlossen, für die Höhle zu kämpfen. Die Eile, mit der die Zeitungsmänner alles aufgriffen, um das sich Lärm machen ließ, die Bedenkenlosigkeit, mit der sie heute so und morgen anders schrieben, hatten den Zorn des spanischen Edelmannes herausgefordert. Er wollte diesen Windfahnenschreibern entgegentreten. Vielleicht entdeckte der stumme Maler etwas, das alle üble Nachrede zum Schweigen brachte. Der stumme Maler machte sich, sobald er den Brief Don Marcelinos erhalten hatte, auf den Weg nach Altamira. Don Marcelino nahm Maria mit, als er Henry zur Höhle begleitete. Er hatte sich viele Gedanken gemacht, wie es am besten für den Maler sei. Er wollte das Kind zuerst in die Höhle gehen lassen. Dann würde es dem Maler nicht so schwerfallen. Auf dem Weg erzählte er, wieviele Menschen schon in der Höhle gewesen waren und wieviel Platz in ihr war. ,An vielen Stellen’, sagte er ruhig, ,ist sie so hoch, daß man stehen und umhergehen kann. Und die wichtigsten Bilder sind nicht im engen Gang, sondern in der geräumigen Kammer.’ Als der erweiterte Eingang sichtbar wurde, sagte Don Marcelino: ,Beinah wie das Portal einer Kirche, nicht wahr?’ Don Marcelino machte sich unnötig Sorgen. Henry dachte nicht an den Fuchsbau, während er auf die Höhle zuging. Er hatte nur einen Gedanken: Wie werden die Bilder sein? Je näher er dem Eingang kam, um so stärker wurde er angezogen. Und plötzlich fühlte er, als sei er wieder ein Junge in eurem Alter, in sich den Wunsch, das wilde Spiel zu spielen.“ „Das mit den ,Hetzhunden’? fragte Simon verwundert. „Genau das!“ bestätigte der Abbé. „Jenes Spiel, bei dem er sich zum Kampf gestellt und seine Verfolger geworfen hatte, wenigstens den einen oder andern von ihnen.“ 59
„Aber er war doch nun ein Mann, kein Junge mehr!“ sagte Georges erstaunt. „Er war ein Maler“, sagte der Abbé und sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann, während in seine Augen ein lebhafter Glanz kam, fuhr er fort: „Ich will versuchen, euch zu sagen, was ein Maler ist – sonst werdet ihr das, was in der Höhle geschah, nicht verstehen können. Wenn mir gelingt, euch anzudeuten, wie ein Bild zustandekommt, dann werden euch die Bilder über euren Köpfen, die ihr entdeckt habt, viel mehr sagen als bisher.“ Der Abbé hob seine Hand und deutete auf die Reihe der trabenden kleinen Pferde. „Farbe“, sagte der Abbé. „Sonst nichts.“ „Fohlen“, sagte Simon sehr bestimmt. „Farbe“, wiederholte der Abbé, „ihr seht doch selbst: es ist nichts als Farbe. An der Fingerspitze Marcels war Farbe.“ „Jetzt wissen wir, daß es Farbe ist“, sagte Marcel. „Aber zunächst dachten wir: Pferde, Hirsche, Fohlen. Wir meinten lebendige Tiere vor uns zu haben.“ „Simon hat es ganz laut gerufen“, sagte Jacques. „Er rief: ,Ein Pferd!’ und wir alle waren erschrocken und Georges und ich sahen dann die Kühe und die Hirsche, und als Marcel das Pferd sah, dachte er zuerst: ein Pferd! Und konnte gar nicht fassen, daß Ölfarbe an seiner Fingerspitze war, als er das Pferd vorsichtig berührt hatte.“ „Wir alle vier“, bestätigte Georges, „dachten erst: Da sind Tiere, vielleicht Geistertiere, aber Tiere jedenfalls.“ „Die Fohlen traben ja doch“, sagte Marcel, „sie stecken voll Leben, und die beiden schwarzroten Bisons beginnen grad in diesem Augenblick die Flucht. Die Hirsche schwimmen wirklich, so gut sind sie getroffen.“ „Sie sind getroffen, das ist es“, sagte der Abbé. Und so leise, daß sie genau hinhören mußten, fügte er an: „Ein Jäger könnte nicht besser treffen. Auch der Blick des Malers nämlich muß in das Reh eindringen, wie ein Geschoß. Der Blick 60
darf nicht unsicher sein, die Malerhand darf nicht zittern, sonst trifft der Maler nicht das, worauf es ankommt.“ „Aber“, sagte Jacques sofort, „wenn ein Jäger ein Tier gut trifft, dann ist es doch tot.“ „Ein Maler“, sagte Marcel und suchte nach Worten, „ein Maler ist eben ein Jäger, der nicht tötet, sondern lebendig macht, wenn er trifft.“ „Genau so ist es!“ rief der Abbé voll Freude darüber, daß die Jungen ihn so gut verstanden. „Das Tier, das ein Maler wirklich getroffen hat, atmet, von ihm geht Wärme aus, es blickt dich an. Ich habe euch vom Bisonblick erzählt, der das Mädchen von Altamira und Don Marcelino und den Professor aus Madrid und den König von Spanien getroffen hatte. Einen Blick kann man vergessen: der König hatte das getan. Man kann vor einem Blick Angst bekommen: das war der Grund, warum der Professor aus Madrid nicht wiederkam. Don Marcelino hatte immer wieder Mut aus diesem Blick geschöpft. Und nun war der stumme Maler gekommen und war bereit, dem Bisonblick zu begegnen. Ein Maler ist ein Jäger, hat Marcel gesagt, einer, der lebendig macht, wenn er genau trifft. Wenn ein Maler ein Bild ,angeht’, dann faßt er, wenn es sich zum Beispiel um einen Löwen handelt, diesen Löwen so oft ins Auge, bis er ihn auswendig weiß, ja, bis er von ihm zu träumen anfängt! Er ist vom Tier, das er erlegen will, gepackt, es läßt ihn nicht mehr los, es geht ihm nach, es verfolgt den Maler auf Schritt und Tritt. Zuletzt setzt es ihm so zu wie ein Hetzhund dem Fuchs beim wilden Spiel, das die Jungen mit Henry gespielt hatten, als er noch sprechen konnte. Diesem Löwen, der den Maler bei Tag und Nacht verfolgt, muß er sich einmal stellen, auch wenn er erschöpft ist von der Hetze. Er darf aber nicht müde sein, er darf sich nicht werfen lassen, wenn es darauf ankommt. Er muß seine Schwäche überwinden und zupacken. Und dann geschieht es, daß aus dem Gehetzten mit einem Schlag wieder der Jäger wird. Er trifft mit 61
seinem Blick. Und mit diesem Blick geht ein Stück von ihm in das gemalte Tier ein. Und das eben ist die Kraft, die das gemalte Tier atmen läßt, das ist das Leben, das dem Bild durch nichts genommen werden kann.“ Der kleine Simon nickte lebhaft, und der Abbé fuhr fort: „Jetzt denke ich, könnt ihr erst verstehen, was in der Höhle von Altamira sich mit dem Maler ereignete. Henry war aufs äußerste erregt, als er den Höhlenbildern nahekam. Den Namen des Königs sah er gar nicht. Ich bin sicher, er merkte auch nicht, daß er sich bücken mußte, als die niedrige Decke anfing. Don Marcelino hatte eine gute Lampe mit, und Maria hielt eine Kerze in der Hand wie bei der Entdeckung. Der stumme Maler ließ sich auf das rechte Knie nieder und stützte sich seitlich auf, um besser sehen zu können. Er sah die Bilder sofort. Erst bemerkte er einige von den Bisons, die standen. Dann sah er das zusammengebrochene Tier. Und er blickte in das schwarze, weit offene Auge. Der stumme Maler tastete mit seinem Blick die Hörner ab, den hochgewölbten Widerrist, Rücken und Brust und die eng beieinander liegenden Hufe. ,Wie gut das Tier liegt!’ sagte er. ,Wie der Felsbuckel herhalten muß!’ Er sprach laut, man konnte seine Erregung aus den Worten hören.“ „Er konnte doch gar nicht reden“, sagte Simon. „Er konnte es wieder“, sagte der Abbé, „aber er selbst merkte es nicht. Das Mädchen war so überrascht, daß es die Kerze fallen ließ. Da wurde auch dem Maler bewußt, was mit ihm geschehen war. ,Hab ich geredet?’ fragte er und brach sofort ab, als ihm bewußt wurde, daß er sich selbst die Antwort auf seine Frage gegeben hatte. Don Marcelino sah, daß er zu zittern anfing. ,Wie ist es mit dem Felsbuckel?’ fragte Don Marcelino, als sei nichts geschehen. Henry blickte den Bison an, bis er sich gefaßt hatte, und 62
dann redete er weiter, als sei er nie stumm gewesen, und erklärte Don Marcelino, wie großartig die Form des Felsbukkels ausgenützt und wie die Farbe aufgetragen worden sei. ,Hier!’ Er deutete auf Stellen an der Flanke und an den hinteren Beinen, ,hier muß er mit einem ganz feinen Pinsel gemalt haben, ich glaube mit einer Feder. Und hier ist mit der Hand gewischt, und hier ist der Strich klar mit einem Stift gezogen!’“ „Sagte er nichts über den Blick?“ fragte Marcel, „der Blick war doch das wichtigste?“ „Nein“, sagte der Abbé, „über all das, worüber ich gesprochen habe, sagte er nichts. Ihn, den Maler, interessierte vor allem, wie der andere es gemacht hatte. Er versuchte, dem andern hinter die Schliche zu kommen, wie das einem Jäger wohl ansteht. Der Maler zeigte Don Marcelino Bilder, bei denen nur der Umriß da war. ,Die müssen viel früher als die farbigen Bilder sein’, sagte er, ,denn so fängt man an.’ Er konnte vieles so genau sagen, als habe er bei der Arbeit zugesehen. ,Und wie alt sind die Bilder?’ fragte Don Marcelino. ,Das weiß ich nicht’, sagte Henry. ,Sie können sehr alt sein. Aber das ist ihnen nicht ohne weiteres anzusehen.“ Die Jungen sahen den Abbé enttäuscht an. „Für Don Marcelino war das Alter der Bilder doch wichtiger als alles andere“, sagte Marcel. „Ihm kam es doch darauf an, daß der Maler einen Anhaltspunkt fand… wegen der Zeitungsleute und Professoren?“ „In dieser Stunde“, sagte der Abbé, „dachte Don Marcelino nicht mehr an den Lärm, den die Zeitungsleute gemacht, und an die Kränkungen, die die Professoren ihm zugefügt hatten. Die gehässigen oder törichten Worte über Altamira, die alle Welt in Aufregung versetzt hatten, waren ohne Bedeutung vor den Bildern. Durch die Bilder hatte ein Maler über Jahrtausende hinweg einen andern Maler angeredet, und dieser 63
hatte ihm geantwortet, obgleich er stumm gewesen war. Und wie vom Maler die Bedrückung gewichen war, so fühlte sich Don Marcelino frei und war nicht mehr besorgt um das, was die Leute ,Ehre’ oder ,Ansehen’ oder ,Namen’ nennen. In der Höhle waren sie beide, der Entdecker und der Maler, geborgen. Eine Riesenmuschel hielt alles Feindselige von ihnen ab. Sie waren nur noch für die Bilder da, und die Bilder für sie. Henry machte eine Entdeckung nach der andern. Er bemerkte Stellen, an denen die Farbe den Fels durchscheinen ließ. Sie konnte weder mit der Hand noch mit Pinseln aufgetragen sein. Henry machte Don Marcelino aufmerksam: ,Hier muß die Farbe aufgeblasen sein, der Maler muß sie an den Fels gehaucht haben, vielleicht von der offenen Hand weg oder durch Rohrstäbe.’ ,Das ist gut möglich’, sagte Don Marcelino. ,Ich habe Röhrenknochen gefunden, an denen Farbspuren waren, vor allem war innen Farbe, ich habe es mir nicht erklären können.’ ,Hier, sehen Sie’, sagte der Maler, ,dieses Pferd ist in den Fels geritzt. Vielleicht mit einem spitzen Faustkeil oder einem Stichel. So sicher, daß kein Strich verbessert zu werden brauchte. Der Mann, der das gemacht hat, mußte schon viele hundert Pferde gemacht haben, bevor er dieses Pferd in den Fels grub.’ ,Ich habe Zeichnungen von Pferden gefunden’, sagte Don Marcelino. ,Auf Schulterblättern von Hirschen oder auf flachen Steinen.’ ,Es kann nur so gewesen sein, daß dieser Mann einen Lehrer hatte’, fuhr Henry fort, ,und sicher war sein Lehrer wieder bei einem Lehrer in die Schule gegangen. Einer, der ganz von vorn anfangen muß und kein Vorbild hat, an das er sich halten kann, der kommt nicht so weit, daß er Bisons so malen kann, wie sie an der Decke mit den vielen Buckeln gemalt sind.’ Don Marcelino führte Henry zu einer Stelle, an der viele 64
Linien nebeneinander im Fels zu sehen waren. Er sah Henry fragend an. ,Was hat der Maler wohl damit gemeint?’ ,Das war kein Maler’, sagte Henry sofort. ,Das war ein Tier, die Linien sind mit Krallen gemacht, ein Bär hat hier seine Krallen geschärft, ich hab solche Kratzspuren im Zoo gesehen.’
Da sagte Don Marcelino: ,Vielleicht ist dem Eiszeitmenschen an diesen Spuren aufgegangen, daß auch er Linien in den Fels graben könne. Vielleicht war der Höhlenbär der erste Lehrer des Höhlenmenschen.’ ,Wenn es so war’, sagte Henry, ,dann hat der Schüler seinen Lehrer weit übertreffen.’ ,Das ist nicht verwunderlich’, sagte Don Marcelino. ,Er übertraf die Tiere, mit denen er zu tun hatte, ja auch in allem übrigen. Und es waren gewaltige Tiere, mit denen er Tag für Tag den Kampf aufnehmen mußte. Er behauptete das Feld.’ ,Und wie schaffte er das?’ fragte der Maler. ,Gegen ihn stand doch das Gehörn des Bisons, das furchtbare Gebiß des Säbeltigers, die Pranke des Höhlenlöwen!’ ,Der Mensch vermochte etwas, das kein Tiger fertig brach65
te’, sagte Don Marcelino. ,Er schuf sich Waffen.’ Don Marcelino, der in der Höhle von Altamira genügend Waffen gefunden hatte, um sich ein Bild zu machen, erzählte dem Maler, wie dem Mann der Eiszeit immer besser gelang, aller Gefahren Herr zu werden.“ „Dürfen wir davon nichts erfahren?“ bat Marcel. „Von den Waffen, mit denen die Jäger der Eiszeit die großen Tiere besiegten?“ „Natürlich“, sagte der Abbé. „Man weiß heute darüber mehr als zu Don Marcelinos Zeit, denn seitdem sind Jahrzehnte vergangen, und die Forscher haben diese Zeit nicht ungenützt verstreichen lassen.“ „Wie war es ganz im Anfang?“ fragte Simon. „Welches war die erste Waffe?“ Ein Pfeil über das Tal hin „Im Anfang war die Hand“, begann der Abbé. „Doch eines Tages wird sie einen Stein ergriffen haben, vielleicht in einem Augenblick höchster Gefahr. Plötzlich war vor dem Mann, der einem Reh nachstellte, ein Bär. Der Mann stutzte, der Bär fing an zu knurren. Der Bär war ausgehungert. Er war schon einmal mit einem Mann fertig geworden. Es war ein Bär, der die Furcht vor dem Menschen verloren hatte, die Furcht vor den Tatzen, die keine Krallen hatten. Der Bär richtete sich drohend auf seinen Hintertatzen auf und kam näher. Der Mann sah, daß ihm nichts übrig bliebe als der Kampf, bei dem nur einer überdauert. Der Mann war entschlossen, dem Bären an die Kehle zu springen und ihn zu erwürgen. Er duckte sich, um einen besseren Ansprung zu haben. Er duckte sich so tief, daß die Finger die Erde berührten. Und da spürte er mit den Fingern der rechten Hand einen Stein. Der Mann griff zu, der Stein lag gut in seiner Faust, und nun war die Faust des Mannes doppelt so groß wie zuvor. Der Stein hatte eine scharfe Kante, die zwischen den Nägeln und dem 66
Handballen herausstand, der Mann sah es nicht, denn er hatte nur für den Bären einen Blick, ihn ließ er nicht eine Sekunde aus den Augen. Der Mann hielt den Bären mit seinem Blick, der zu funkeln anfing, denn nun hatte der Mann eine Pranke, die schwerer war als die des Bären. Nun brauchte er nicht mehr zu würgen, er konnte zuschlagen. Der Mann schnellte vom Boden ab, im Sprung holte er zum Schlag aus und traf genau die Stelle über den Augen. Der Bär taumelte. Und er wehrte sich nicht mehr, als der Mann weiter auf ihn eindrang und ihn würgte. Das war dem Mann noch nie vorgekommen. Ohne Regung lag der Bär. Der Mann fing an, den Bären vorsichtig anzustoßen. Er hob die Tatze, sie fiel zurück. Der Kopf gab nach, als der Mann ihn drehte. Und da sah der Mann, daß zwischen den Augen der Stein steckte, den er in der Faust gehalten hatte. Der Stein war über den Augen in den Schädel eingedrungen. Der Mann hatte Mühe, ihn herauszubekommen. Du hast mich gerettet, Stein, dachte der Mann. Wärst du mir nicht zu Hilfe gekommen, läge i c h jetzt da, nicht der Bär, denn es war ein so starkes Tier, wie mir bisher noch keins begegnete. Der Mann sah den Stein genau an. Er fuhr mit seinen Fingerspitzen über die scharfe Schneide hin. Das hat meine Faust nicht, dachte der Mann. Mit meiner Faust kann ich einen Bärenschädel nicht einschlagen. Gut ist dieser schwere, scharfe Stein. Der Mann freute sich, daß er den Stein gefunden hatte. Der Stein selbst hat sich in meine Hand gelegt, dachte er, er wollte zu mir, und jetzt gehören wir zusammen. Was wäre der Stein auch ohne meine Faust? Er allein kann nichts als daliegen. Erst in meiner Hand ist er mächtig. Und erst wenn ich genau hinblicke und gut zuschlage, dann kann der Stein einen Bären töten. Der Mann schloß die Augen und sah sich selbst, wie er aufsprang und den Bären mit dem Stein erschlug. Gut, daß mein Arm so lang ist und so weit ausholen kann 67
zum Schlag, dachte er. Wäre der Arm kürzer, wäre die Wucht nicht so groß. Bären haben harte Schädel, die Wucht kann gar nicht groß genug sein. Wenn nun mein Arm noch länger wäre… Ich könnte sogar vielleicht den Schädel eines Bisons zertrümmern. Ein längerer Arm wäre gut – aber ich kann meinen Arm nicht länger wachsen lassen, grübelte der Mann. Er hatte die Augen noch immer geschlossen und träumte sich einen längeren Arm… Sein rechter Arm war länger als der linke und er sah sich, wie er mit diesem viel längeren Arm einen scharfen Stein gegen einen Bisonschädel schwang. Er sah einen Arm, den er gar nicht hatte… Im Anfang war der Blick, der Blick mit geschlossenen Augen. Der Mann begann nach dem längeren Arm, von dem er geträumt hatte, zu suchen. Einmal fand der Mann einen Ast, der abgebrochen war und dessen eines Ende klaffte. Der Ast hatte ein Maul. Er hielt seine beiden Kiefer aufgesperrt dem Mann entgegen, es sah aus, als habe der Ast Hunger… und der Mann sah es und blickte seinen Stein an, und dann gab er dem Ast seinen Stein zu fressen. Er stopfte dem Ast das Maul. Und damit der Ast nie wieder aussah, als habe er Hunger, band der Mann den Stein zwischen den Kiefern des Astmauls fest, so, daß die scharfe Schneide heraussah, wie sie zwischen seinen Fingernägeln und dem Hand
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ballen herausgeblickt hatte. Und er schwang in wilder Freude den viel längeren Arm, den er nun wirklich besaß, er ging auf den Schädel eines Bisons, den ein Höhlenlöwe oder ein Bär geschlagen hatte, los und schlug den viel längeren Arm gegen den Bisonschädel. Die scharfe Faust kam durch: die Schneide biß in die Schädeldecke. Der Mann hatte ein Beil. Er suchte immer bessere Steine, mit anderen Steinen hämmerte er immer schärfere Schneiden. Aber auch mit dem schärfsten Beil mußte er so nah an den Bären oder den Bison oder den Eber heran, daß er von Hörnern, Tatzen oder Hauern gefaßt werden konnte. Und wenn er das Beil dem Tier entgegenschleuderte, hatte es nicht die Wucht, als wenn er es schwang, und er hatte keine Waffe mehr, wenn das Beil aus seiner Hand war. Da dachte er: Ein zweiter, längerer Arm wäre gut, vielleicht noch länger als ein Beil, ein Arm, mit dem man zustoßen konnte oder genauer treffen, wenn man warf. Der Mann nahm gerade, längere Äste und übte sich im Werfen. Er schabte den Stamm einer jungen Esche glatt und 69
spitzte den Schaft zu, aber die Holzspitze wurde rasch stumpf. Der Mann überlegte: Das Horn eines Bisons wird nicht stumpf, auch das Geweih eines Hirsches nicht, und er nahm eine Geweihstange und machte sie an seinem Schaft fest. Er verstand immer besser, Schaftspitzen aus Geweihstangen oder langen Knochen zu machen. Schließlich hatte er einen guten Spieß, dessen Spitze Widerhaken hatte, eine Art Harpune. Wenn der Mann sie einem Bison in den Leib stieß, konnte das Tier sie nicht mehr abschütteln, es gab eine furchtbare Wunde, an der es verblutete. Aber der Bison war rascher als der Mann. Auch der Hirsch war rascher, das Reh konnte er mit einer Harpune nur dann erlegen, wenn er nah genug herangekommen war. Der Mann konnte gut anschleichen, aber so gut wie der Wolf konnte er es nicht. Wenn ich eine Harpune hätte, die weiter fliegt! dachte der Mann. Einmal blieb er, als er einen Hirsch verfolgte, an einem starken Ast hängen, der Ast schnellte zurück und warf den Mann auf den Boden. Eine Harpune, die von einem Ast geschnellt würde, das wäre gut, dachte der Mann, während er aufstand. Er bog einen Ast mit beiden Händen und ließ ihn aus der einen Hand schnellen. Er nahm einen Fellstrick und spannte den Ast stärker. Der Mann ließ Steine vom Fellstrick abschnellen. Je kleiner der Stein war, desto weiter wurde er geschleudert. Es muß eine kleine Harpune sein, dachte der Mann. Er stellte immer wieder Versuche an. Er machte eine Schnur aus den Därmen von Tieren und spannte damit den Ast. Er machte die Harpune immer kürzer, zuletzt war sie nicht länger als sein Arm, sie war so schlank wie sein kleiner Finger. Eines Tages sprang der erste Pfeil von der Bogensehne. Im Anfang war der Gedanke. Der Pfeil war rascher als das Reh, rascher als das Wild70
pferd, er war fast so rasch wie der Wunsch des Mannes. Doch gab es Tiere,
denen konnte weder Pfeil, noch Harpune, noch Beil etwas anhaben. Vor dem Mammut, dem Wollnashorn waren diese Waffen lächerlich. Das Wollnashorn zuckte nicht einmal, wenn eine Harpune gegen den Panzer prallte, es brach über den Mann herein wie ein Felsblock. Und das Mammut kam wie ein Berg auf ihn zu und zermalmte ihn samt seiner Waffe. Einmal, in der Nacht, saß der Mann an einem offenen Feuer am Eingang seiner Höhle. Plötzlich sah er ein Wollnashorn auftauchen, er sah es stutzen und die Flucht ergreifen. Noch nie ist ein Wollnashorn vor mir geflohen, dachte der Mann. Es muß die Glut sein, die es erschreckt hat. Mit Feuer werde ich den Tieren, die stärker sind als ich, zu Leibe rükken. Und er nahm in den nächsten Nächten trockene Äste, die gut brannten, und ging mit dem Brand auf den Platz los, an dem er das Wollnashorn wußte. Und es floh, sobald es das Feuer erblickte. Einige Jäger taten sich zusammen, sie machten eine Kette aus Männern, jeder trug eine Fackel. Sie trieben das Wollnashorn vor sich her auf einen Abgrund zu. Das Wollnashorn floh, und als es dem Abgrund nahe kam, begannen die Jäger wilder zu rennen. Sie schwangen die Brände, glühende Kreise schrieben sie in die schwarze Luft, Funken sprühten weithin, das Nashorn rannte entsetzt und merkte zu spät, daß der 71
Boden unter den Füßen zu Ende war und das Leere begann. Es raste in seinen Tod. Das Wollnashorn, das stärkste Tier nach dem Mammut, war überwunden. Im Anfang war das Feuer. Wo kein Abgrund war, gruben die Männer eine Falle. Sie hoben tiefe Gruben aus und überdeckten sie mit Zweigen und Moos. In weitem Kreis umstellten sie den Platz, an dem sie das Mammut wußten. Dann begannen sie ein schreckliches Geschrei und trugen die Feuerbrände immer näher auf die Grube zu. Oft brach das Mammut durch eine Lücke zwischen zwei Jägern – aber hin und wieder glückte die Treibjagd. Auch Bisons und Wildpferde und Rinder gerieten in Fallgruben oder große Fanggatter, die versteckt aufgestellt waren und einstürzten, sobald ein Tier daran stieß. Von allen Arten zu töten war das die ungefährlichste. Den weidenden Wildpferden näherten sich Wildpferde, plötzlich warfen diese Wildpferde alles, was sie von einem Pferd an sich hatten, ab und waren die furchtbaren Wesen, die mit zwei Füßen galoppierten und auftauchten, wohin die Wildpferde sich auch wendeten, und Speere schleuderten und Beile schwangen. Den Jägern gelang immer besser, sich wie Tiere zu bewegen, sie kamen auf immer neue Listen. Vor allem lernten sie, sich zusammenzutun und die Beute zu umzingeln. Für einen Jäger war der Kampf mit Bison und Säbeltiger ein Kampf auf Leben und Tod. Die Horde war stärker als das Mammut. Die Horde hatte sich vorher beraten, sie hatte viele Gedanken, aus denen ein Plan wurde, ein Wille. Im Anfang war die Horde. Die Horde war stärker als die Herde. Mit der Horde begann die Zeit der Herrschaft. Das alles“, schloß der Abbé, „kann man von den Waffen ablesen, die man in Wohnhöhlen gefunden hat.“ „Und warum“, fragte Simon, „warum sagten Sie immer wieder: Im Anfang war…?“ 72
„Ja“, sagte Marcel, „was war nun wirklich am Anfang: die Hand oder der Blick, der Gedanke, das Feuer oder die Horde?“ „Alles“, sagte der Abbé, „alles zu seiner Zeit; denn der Mann fing immer wieder an. Und das war sein Glück. Bison und Wollnashorn blieben bei ihren Hörnern, der Eber blieb bei seinen Hauern; sie lernten nichts dazu und änderten sich nicht. Der Mann begnügte sich nicht mit dem, was er einmal ausgedacht oder von seinen Vorfahren gelernt hatte. Sobald er entdeckte, daß er mit dem Faustkeil wohl gegen Bären und Löwen etwas ausrichten konnte, aber nichts gegen flüchtige Wildpferde, ließ es ihm keine Ruhe, bis er etwas gefunden hatte, mit dem er auch Wildpferden beikam. Schließlich gab es kein Tier mehr, das die Horde gefährden oder ihr auf die Dauer entrinnen konnte. Es gab für die Tiere keinen größeren Schrecken als den Menschen, er war ihr aller Todfeind.“ Simon sah bedrückt drein. Als der Abbé eine Pause machte, fragte er: „Hatte die Horde unter den Tieren denn nur Feinde, nicht einen Freund?“ „Du meinst: Wie ihr in Robot einen Freund habt – “, ergänzte der Abbé. Die Jungen nickten eifrig. Das wollten sie wissen, ob eine Jägerhorde damals schon Hunde hatte. „In der frühesten Zeit, aus der wir Höhlenbilder kennen“, sagte der Abbé, „in der Mitte der letzten Eiszeit also, die etwa 50.000 Jahre zurückliegen mag, wird der Mensch noch ohne Helfer gejagt haben. Jedenfalls ist auf keinem Höhlenbild ein Jäger mit Hund dargestellt. Erst aus einer späteren Zeit, in der das Eis schon längst den Rückzug angetreten hatte, kennen wir Bilder, die mehr verraten und einen Einblick in die Gewohnheiten und Bräuche der großen Jäger gewähren. In den Höhlen sind fast nur Tiere dargestellt, kaum je Menschen. Doch im Südosten Spaniens hat man Felsbilder gefunden, auf denen häufig Menschen dargestellt sind. Diese Malereien befinden sich in offenen Nischen. Auf ihnen sind häufig Jäger zu sehen, Frauen mit Röcken, mit Bändern im 73
sorgfältig frisierten Haar, man erkennt Muschelketten, die Menschen sind bemalt, die Männer tragen Gürtel und Stulpenstiefel, wie sie für Jäger praktisch sind, und Federkronen, wie sie Indianer haben. Man sieht, wie sie tanzen und jagen, wie sie Gericht halten und Krieg gegeneinander führen. Auf diesen Bildern gibt es Männer, die Pferde am Zaum führen. Aber das sind nicht mehr die Pferde mit den verwegenen Bärten und schmalen Augenschlitzen, die in den Höhlen zu sehen sind. In der Eiszeit hielt der Mensch weder Pferde noch Rinder noch Rentiere. Er jagte sie, töten war einfacher als zähmen. Mit dem Zähmen aber fängt Freundschaft zwischen Tier und Mensch an. Sicher wird der Hund der erste Freund des Mannes geworden sein, er konnte ihm bei der Jagd am besten helfen. Man weiß nicht genau, welches Tier es war, aus dem der Hund wurde, der erste Jagdgefährte des Menschen – aber sicher war es ein Tier, das jagte, und zwar in der Meute, sonst würde nicht heute noch, nach Jahrtausenden, der Hund einem hingeworfenen Stück nachjagen, und er würde sein Fressen nicht so gierig hinunterschlingen, aus Besorgnis, andere könnten es ihm wegfressen. Wahrscheinlich sind es zwei Tiere gewesen, aus denen der Hund hervorging: der Goldschakal und der Wolf. Beide lebten vom Jagen, und sie jagten in Rudeln wie die Jäger der Eiszeit. Beiden stellte der Mensch ganz sicher nicht nach – es gab Tiere, die leichter zu erlegen waren und deren Fleisch besser schmeckte. So werden sich immer wieder Wölfe oder Goldschakale in die Nähe der Jägerhorde gewagt haben, um Reste der Jagdbeute aufzuschnappen. Dem Menschen, der diese Tiere um ihre Schnelligkeit beneidete, entging das nicht. Es war ihm recht. Er warf dem Wolf Brocken hin. Der Wolf kam jedesmal näher, mißtrauisch, doch hungrig. Es wird Wölfe gegeben haben, die niemals näher kamen als auf eine Entfernung, in der sie sogar vor Pfeilen sicher waren. Solchen Wölfen war es widerwärtig, den Menschen zu wittern. Andere waren weniger wölfisch, sie waren nur Mitläufer im Wolfsrudel, nur geduldet. Das Rudel jener ,Wölfe’, die beim 74
Laufen nur zwei Füße auf dem Boden hatten, zog sie an. Und eines Tages geschah es, daß ein Wolf den ersten Bissen aus der Hand eines Mannes nahm. Er zitterte, als er zuschnappte. Und er floh, sobald er die Zähne fest in der Beute hatte. Aber er kam wieder. Der Mensch wußte genau, was er tun mußte, um den Wolf anzulocken. Er hatte einen Blick, der in den Wolf drang. Er sah, was im Wolf vorging und er nahm ihn ,an die Leine’, lange bevor er ihm ein Halsband umlegte. Er nahm sich der Wölfe an, die von den wilderen Wölfen ausgebissen wurden: der Tiere, die bei ihm Zuflucht suchten, um vor dem schlimmsten Feind, dem Hunger, sicher zu sein. Der Mensch teilte mit ihnen. So oft der Wolf aus der Hand des Menschen fraß, bezahlte er mit einem Stück Wolf. Zuletzt war er kein Wolf mehr, sondern ein Hund, der nicht mehr vom Menschen loskam. Nicht anders war es auch mit dem Goldschakal. Der Mensch hatte beide an sich gebunden, er konnte es – er hatte die Hände frei. Und er hatte seine Stirn nicht am Boden. Er faßte auch mit dem Blick zu. Er allein von allen Wesen, die jagten oder gejagt wurden, ging aufrecht. Auch manche Tiere versuchten, sich aufzurichten: die Raupe, die Giftschlange und der Bär in Augenblicken der Wut. Aber sie fielen immer wieder zurück. Der Mensch allein trug seine Stirne, solange er wach war, frei erhoben. Von der Stirn gingen jene Pfeile aus, gegen die es keinen Panzer gab. Denn ehe der Jäger den Pfeil von der Sehne schnellen ließ, zielte er, und vorher hatte er gedacht. Seine Gedanken waren Pfeile, die das Ziel niemals verfehlten. Von diesen Pfeilen besaß er einen Vorrat, der nie zu Ende ging. Darum wurde er zum Herrn über das Land. Viele Bogenschützen“, sagte der Abbé, „finden sich an den Felswänden im Südosten Spaniens. Einen kann ich nie mehr vergessen. Er ist ein Zeichen für alle andern. Er bringt das Unglaubliche fertig, zugleich in äußerster Bewegung und vollkommen ruhig zu sein: wie ein Skispringer, der eben über die Schanze geht, so ist er gespannt, er selber ist der Bogen, von dem der 75
Pfeil abschnellt… ein Pfeil nicht nur bis zu Hirsch oder Höhlenpanther, sondern über das Tal hin, über das Land, das ihm niemand mehr streitig machen kann, weder Säbeltiger noch Bison, weder Mammut noch Bär!“ Der Abbé hatte, während er sprach, den Bogenschützen mit dem Finger auf den Boden der Höhle gezeichnet: die Beine gespannt, ein starker Bogen, über den der schlanke Leib weit hinausragte. Der Blick der vier Jungen war dem Finger des Abbés gefolgt; nun sahen sie die Zeichnung gebannt an. „Ihr erinnert euch“, sagte der Abbé, „wie es anfing: ein Mann, dessen einzige Waffen seine Hände und seine Zähne waren, duckte sich zum Sprung, so tief, daß er mit seinen Fingern einen Stein berührte. Jahrtausende vergingen, wahrscheinlich sogar Jahrzehntausende, bis der Bogenschütze als Gegner des Bären auf dem Plan erschien. Niemand kann sagen, wie viele Menschenleben lang es dauerte. Aber einmal war er da. Seht ihn an! Mit sicherem Blick faßt er seinen Gegner. An ihm ist nichts mehr geduckt. Seine Haltung verrät Stolz. Er weiß: Ich kann nicht mehr besiegt werden, solang ich so bin. Vielleicht stößt mir einmal etwas zu, es ist möglich, daß ich auf einem glatten Stein zu Fall komme, und der Bison, durch meine Harpune rasend gemacht, kann das ausnützen. Aber selbst dann werde ich noch das meine zum Sieg beitragen. Während ich den Blick des Bisons auf mich lenke, werden die Jagdgefährten das übrige für mich tun und ihn überwältigen. Keiner wird sich daran stoßen, daß ich vom Bison gezeichnet bin, im Tod bin ich ihnen nicht fremd. Sie werden mich aufheben und mir eine Höhle überlassen, wie sie einem Lebenden zusteht. Sie werden mich mit dem Gesicht zur Sonne setzen. Und die Sonne wird alle Winkel meines Gesichtes absuchen. Und wenn sie nicht eine Spur von Feigheit an mir entdeckt, wird die Sonne sagen: Du hast nicht aufgegeben – der Tod hat dir nichts nehmen können. Komm nun heim!“ 76
Der Abbé beugte sich vor und verwischte das Bild mit seiner Hand. „Ich konnte den Bogenschützen nicht so gut zeichnen, wie er an der offenen Felsnische über der Valltortaschlucht gemalt ist“, sagte er leise. „Ihr müßt ihn einmal dort sehen. Dann wird es euch ergehen wie mir: Ihr werdet ihn nicht mehr vergessen.“ Der Abbé zögerte etwas. „Vielleicht wird euch zu Anfang befremden, daß der Bogenschütze nicht so gemalt ist wie die Bilder in eurer Höhle. Er ist von ganz anderer Art, aber er könnte nicht besser sein. Denn alles, was nicht unbedingt zum Bild des Bogenschützen gehört, ist weggelassen – aber was sein Wesen ausmacht, ist vollkommen da: das Bild ist ein Zeichen, eine Formel. Es ist ein Buchstabe im großen Buch, in das eingetragen wird, was die Zeiten überdauert. Nur sehr Weniges gehört dazu. Den wenigen Bildern aber ist immer auch anzusehen, in welcher Zeit sie entstanden sind.“ Der Abbé holte aus seiner Tasche einen flachen Stein. Jeder der Jungen durfte ihn in die Hand nehmen und genau betrachten. Auf der einen Seite war der Kopf eines Wildpferdes eingeritzt. Nur der Umriß war da, er war mit einem klaren Strich gezogen. „Das ist aus der ersten Zeit der Höhlenbilder“, erklärte der Abbé. „Sie dauerte schätzungsweise dreißigtausend Jahre und ist nach dem Ort Aurignac, bei dem viele Funde aus dieser Zeit ausgegraben wurden, benannt. In den darauffolgenden zehntausend Jahren, der Zeit, die vom Fundort Madeleine ihren Namen hat, entstanden Zeichnungen mit lockerem Strich und die großen farbigen Bilder. Erst viel später, einige Jahrtausende nach dem Abschmelzen der unermeßlichen Gletscher, malten die Jäger in der straffen Art, in der etwa der Bogenschütze gemalt ist.“ Der Abbé ließ sich den Stein von Simon zurückgeben. „Später werde ich euch noch andere Gravierungen zeigen, aus verschiedenen Schichten, von denen an manchen Grabungsorten mehrere übereinander liegen, weil die Plätze Jahrtausende hindurch bewohnt waren. Ihr werdet selbst den 77
Blick dafür bekommen, aus welcher Schicht eine Gravierung stammt. In einigen Höhlen hat man Hunderte von Steinen und Knochen gefunden, auf denen Entwürfe sind. Die ausgeführten Bilder zu einigen Skizzen wurden später an Höhlenwänden entdeckt. Es gab also richtige Schulen, in denen Maler ausgebildet wurden. – Aber nun wollen wir uns an Don Marcelino erinnern. In seiner Höhle hatte ein stummer Maler zu sprechen begonnen. Die Bilder hatten das bewirkt, der Blick aus dem Bisonauge hatte den Maler so getroffen, daß das Siegel von seinem Mund abfiel. Als Don Marcelino mit Henry die Höhle verließ, versprachen sie einander, darüber mit niemandem zu reden. Henry blieb als Gast in Altamira. Sie gingen oft in die Höhle, aber nie mehr kam die Rede auf die Zeitungsleute und Professoren, auch nicht auf den König und die vielen andern, die nach Altamira gekommen waren. Es schien, als sollten die Bilder in alle Zukunft nur den beiden Männern und dem Mädchen gehören. Im stillen machte Don Marcelino sich indessen unaufhörlich Vorwürfe. Zweifel quälten ihn. Warum, so fragte er sich, wenn er allein war, warum suchen Forscher nach Spuren früherer Menschen? Warum durchwühlen sie die Erde mit Grabhaken, und warum gibt es Bücher und Zeitschriften über Funde, von denen etwas abzulesen ist? Warum kommen die Gelehrten der ganzen Welt zusammen, um darüber zu beraten? Hat nicht mich selbst der Anblick der Werkzeuge und Waffen in den gläsernen Schränken von Paris in Erregung versetzt? Warum? Vermutlich doch, weil es ein großes Glück ist, wenn man erfahren kann, wie etwas wirklich gewesen ist, und vielleicht, weil es überhaupt nichts Wichtigeres für den Menschen gibt als zu lernen. Konnten aber nicht diese Bilder einem, der lernen wollte, viel mehr sagen als alle Geräte aus Stein oder Knochen? Don Marcelino war darüber nicht im Zweifel. Also, sagte er sich, warum schweigst du dann und verkriechst dich in deine Höhle? Bist du etwa eingeschüchtert? Hast du gar Angst? 78
Don Marcelino ließ sich nicht anmerken, was in ihm vorging, aber seine Bedenken verfolgten ihn bis in die Träume, im Traum wurde er von Tieren angegriffen. Ein Bison drang auf ihn ein, er schwang eine Harpune und warf sie gegen den Bison, aber als die Hand sich öffnete, flog ein Strohhalm und wurde verweht, und der Bison schob ihn mit seinen Hörnern beiseite. Ein Höhlenlöwe sprang, Don Marcelino stand allein, er spürte einen Faustkeil in der Hand, doch beim Zuschlagen wurde der Faustkeil zu einem Haselnußkern und der Löwe kam über ihn mit aufgesperrtem Rachen. Er wurde nicht zerrissen, aber er lag und sah, wie ein Gletscher sich auf ihn zuschob, er machte nicht halt und schob sich über ihn weg. Er ließ ihn am Leben, doch Don Marcelino konnte sich nicht bewegen und war ein toter Mann, obwohl er durch das Eis sehen konnte. ,Bin ich wirklich ein toter Mann?’ fragte er sich, als er aufwachte. ,Haben mich die Professoren für immer beiseitegeschoben wie der Bison im Traum, haben sie mich totgeschwiegen, und soll das Schweigen auch über die Bilder kommen wie ein Gletscher?’ Eines Tages, als beide wieder in der Höhle waren, fragte Henry, ob er nicht einige Bilder auf große Bogen übertragen dürfe, er wolle alle Mühe daran wenden, die Farben möglichst getreu nachzubilden. ,Um das gleiche wollte ich Sie bitten’, gab Don Marcelino zur Antwort. ,Aber Sie haben doch die Bilder’, sagte Henry erstaunt. ,Die Höhle gehört Ihnen.’ ,Das ist es, was mich bedrückt’, sagte Don Marcelino, ,daß ich sie habe, ich allein. Ich glaube, es ist ein Unrecht. Wenn einer um etwas weiß, das für viele etwas bedeuten kann, darf er es dann für sich behalten?’ ,Aber die andern hatten doch Zutritt’, sagte Henry. ,Offenbar haben sie nicht das gesehen, worauf es ankommt. 79
Und die Professoren, für die es besonders wichtig gewesen wäre, sie waren eingeladen und kamen nicht. Warum sich also Gedanken machen?’ ,Die Bilder sind in Gefahr’, sagte Don Marcelino. ,Sie konnten nicht verletzt werden, solang die Höhle verschlossen war. Nun ist das anders. Nun kann Luft in die Höhle eindringen. Diese Luft ist heute trocken und morgen feucht, am Tage warm und in der Nacht kalt, das wird den Bildern schaden. Tausende von Jahren hat der Fels die Bilder behütet, nun trage ich die Verantwortung, denn ich habe den Eingang erweitert.’ ,Man könnte die Höhle ja mit einem Tor verschließen’, schlug Henry vor. ,Das will ich tun’, sagte Don Marcelino. ,Die Bilder sollen auch vor der Zudringlichkeit unverständiger Besucher sicher sein. Solang kein Tor sie schützt, kann jeder die Bilder anfassen und die Farben verwischen. Ich will das Tor unverzüglich anbringen lassen’, wiederholte Don Marcelino. ,Aber das ist nicht genug. Den Bildern ist bereits etwas angetan worden.’ Der Maler blickte verwundert auf. ,An ihnen’, erklärte Don Marcelino, ,haftet der Verdacht der Fälschung. Soll das so bleiben, nur weil ich mir ersparen will, noch einmal für sie einzutreten? Nur weil ich mir nicht zutraue, die Mauer zu durchbrechen, an der Vilanova gescheitert ist? Wenn die Bilder so alt sind, wie ich vermute, handelt es sich um eine der wichtigsten Entdeckungen aller Zeiten.’ ,Sie sind echt’, sagte der Maler. ,Ich habe sie genau untersucht. Allein der Sinterüberzug, diese durchsichtige Kalkschicht über den Farben, ist ein sicherer Beweis. Aber auch die Maltechnik deutet darauf hin, gerade weil sie manche Rätsel aufgibt. Sicher hatten die großen Maler der Eiszeit ihre Werkstattgeheimnisse wie die Baumeister des Mittelalters. Wir verstehen ja auch nicht mehr unsern Glasfenstern jenes 80
wunderbare Rot zu geben, das in den Fenstern mittelalterlicher Dome zu finden ist. Die Bilder von Altamira könnte kein heute Lebender mehr malen. Jeder Zweifel am hohen Alter dieser Bilder ist unbegründet.’ ,Dann darf ich nicht zögern, für sie zu kämpfen und den Professoren die Anerkennung abzutrotzen’, schloß Don Marcelino. Der Maler widersprach nicht mehr. Er machte sich an die Arbeit und brachte eine Reihe von Bildern auf starke Bogen. Don Marcelino schrieb ein Buch, in dem er alles zusammentrug, was auf das Alter der Bilder hindeutete. Als die französischen Gelehrten in Algier, einer Stadt in Nordafrika, zusammenkamen, reiste Don Marcelino nach Algier. Die Professoren hörten zu, keiner nahm ihn ernst. Don Marcelino wandte sich an die Gelehrten, die in Berlin zusammenkamen, er kämpfte in Paris für seine Bilder. Er kam nicht einen Schritt weiter. Hatte er einen Einwand beiseitegeschoben, stand ein neuer Einwand da. Nichts als Spott und Mitleid kamen ihm entgegen… Der seltsame alte Mann aus Altamira, hieß es, der Mann, der nicht einsehen will… Schließlich hieß es: der Narr! Niemand hörte ihn an. Zweifel auf allen Seiten, kein Durchkommen… Und wenn mich alle Welt für einen Sonderling hält, dachte Don Marcelino, wenn sie mich totschweigen – – ich werde nicht aufgeben!’“ „Er schaffte es doch?“ fuhr es Marcel heraus. „Er kam durch“, sagte der Abbé. Er zögerte. Dann fügte er an: „Aber er erlebte es nicht mehr.“ „Wie kann das sein? „ fragte Simon. „Es ist etwas Wunderbares um das Durchhalten“, sagte der Abbé, „und um den Glauben, bei dem ein Mensch bis zum Tode bleibt. Er macht den Menschen mächtig bis über den Tod hinaus. Don Marcelino hatte, ihr erinnert euch, in einer Woche weiße Haare bekommen. Damals, als die Professoren nicht kamen, war er nahe daran gewesen, die Zweifel der andern wichtiger zu nehmen als seinen Glauben. Aber dann hatte der Blick aus dem Bisonauge in seiner Gegenwart den 81
Maler so stark getroffen, daß er wieder sprechen konnte. An jenem Tage nahm Don Marcelino aus der Höhle die Gewißheit mit: Ich kann nicht mehr besiegt werden. Don Marcelino starb – doch andere führten sein Werk fort. Diese andern haben bis heute nicht vergessen, daß Don Marcelino der erste war.“ „Und wer waren diese andern?“ fragte Marcel geringschätzig. „Ich zum Beispiel“, sagte der Abbé lächelnd. „Und mein Lehrer. Ihn begleitete ich vor dreißig Jahren nach Altamira. Ihr wißt, es war jener französische Professor, der in Lissabon seine Stimme so heftig gegen den Schwindler von Altamira erhoben hatte. Nun war er mit mir aufgebrochen, um am Grab Don Marcelinos seinen Irrtum abzubitten. Das Mädchen von Altamira, nun eine junge Gräfin, begleitete ihn auf diesem Gang. Sie schloß das Tor auf und ging schweigend voraus. In der Höhle lag der lange Grabhaken, mit dem sie auf den zusammengebrochenen Bison gedeutet hatte. Sie hob den Grabhaken auf. ,Mein Vater’, sagte sie, ,hat bis zu seinem Tod mit ihm gearbeitet. Sie wissen: Er hat niemals gezweifelt. Und was mir noch mehr scheint: Er hat daran geglaubt, daß eines Tages einer seiner Gegner kommen werde, um zu sagen: Ich habe mich geirrt.’ Die Tochter Don Marcelinos blickte damals meinen Lehrer mit einem Blick an, in dem kein Vorwurf war. ,Er hat Sie erwartet’, sagte sie lächelnd, ,Sie oder einen andern. Und da er wußte, daß nichts schwerer ist, als einzugestehen: der andere hatte recht hat er mich beauftragt, an den ersten, der käme, diesen seinen Grabhaken weiterzugeben.’ Ja, ihr Jungen von Montignac, so war es. Auch mein Lehrer hatte einen schweren Gang hinter sich, er hatte sich durch seine Zweifel, die ihn bedrängten, durchgezwängt. Als er den Grabhaken empfing, konnte er vor Bewegung nicht sprechen. 82
Der Professor war eine Weile stumm, genau an der gleichen Stelle, an der Henry, der Maler, plötzlich wieder hatte sprechen können. Es war ein beredtes Schweigen, das Mädchen von Altamira verstand sehr gut, was dieses Schweigen sagte. Don Marcelino, ihr Vater, hatte es bewirkt, lang nachdem er fort war. Er hatte aus seinem Feind einen Helfer gemacht. Der Widersacher von gestern nahm seinen Grabhaken auf: eine Waffe für die Wahrheit… eine Waffe über den Tod hin.“ „Und hat der Professor auch geschwiegen, als er mit den andern Zweiflern zusammentraf?“ fragte Marcel. „O nein“, sagte der Abbé. „Er hat sogar eine Schrift erscheinen lassen, in der er seinen Irrtum vor aller Welt zugab.“ „Wieviele Jahre nach der Zusammenkunft in Lissabon war das?“ erkundigte sich Jacques. „Dreiundzwanzig Jahre“, sagte der Abbé. Der Fluß im Berg und das Katzenloch „Und damit“, ergänzte der Abbé nach einigem Schweigen, „damit ist die Geschichte der Entdeckung von Altamira zu Ende. Doch blieb noch viel zu entdecken, vor allem das Geheimnis, das alle Höhlenbilder umgab.“ „Ein Geheimnis?“ fragten die Jungen im gleichen Augenblick. „Ja“, sagte der Abbé, „ein bedeutendes Geheimnis. Ihm kamen jene drei Grafensöhne, die 1914 Trois Frères fanden, um einen großen Schritt näher. Erinnert euch an das, was Don Marcelino während der Jahre der Verdächtigungen durchmachen mußte, als um ihn nur Zweifel und Spott waren, als man ihn mit Demütigungen überhäufte, daß er nicht mehr frei atmen konnte, als er manchmal selber nicht mehr genau wußte, ob er durchhalten werde… eben das kann man in der Höhle von Trois 83
Frères erleben. Dort gibt es einen langen Gang, in dem man sich an manchen Stellen nur mit Mühe weiterschieben kann. Und in der benachbarten Höhle Tuc d’Audoubert, die einst mit Trois Frères verbunden war und schon früher entdeckt worden ist, gibt es ebenfalls einen schwierigen Durchschlupf. Die Söhne des Grafen haben ihm einen Namen gegeben, der sehr gut paßt. Er heißt: das Katzenloch. Ich bin durch das Katzenloch gekrochen und nicht nur einmal.“ „Und wie war das?“ fragten die vier Jungen. „Nicht ganz einfach“, sagte der Abbé. „Und besonders aufregend beim ersten Mal. Aber ich will euch lieber erzählen, wie es den drei Brüdern erging, vor allem dem Grafen, damals, als sie das Katzenloch fanden. Das war 1912. Tuc d’Audoubert hat den merkwürdigsten aller Eingänge. In diese Höhle kann man nur auf einem unterirdischen Fluß gelangen.“ „Das wäre etwas für uns!“ rief Marcel. „Der Graf hat bisher nur einigen Gelehrten die Einfahrt erlaubt“, fuhr der Abbé fort. „Für die erste Erkundung hatten die drei Brüder ein behelfsmäßiges Boot gezimmert und mit einigen Bezinkanistern zu einem Floß verbreitert. Auf ihm drangen sie in den Berg vor bis zu einem Felskanal, den der Fluß, die Volp, ganz ausfüllt. Dort sind die ersten Bilder. Trockene seitliche Gänge führen zu Sälen, auch dort sind Bilder – und Seen, schwarze Seen, die das Schweigen noch tiefer machen. Hin und wieder fällt ein Tropfen, danach ist die Stille noch deutlicher zu spüren.“ Der Abbé schwieg eine Weile. Dann sagte er: „An den Ufern dieser Seen weit in der Erde fanden die drei Brüder Fußspuren von Menschen, die in der Eiszeit gelebt hatten, sie konnten die feinen Linien erkennen, die ein bloßer Fuß so gut wie eine Hand in weichem Lehm hinterläßt. Die Linien sind bis heute so klar, als seien die Menschen erst gestern dagewesen. In der Höhle hat die Zeit nichts zu sagen.“ 84
„Und das Katzenloch?“ unterbrach Simon neugierig den Abbé. „Die drei Brüder entdeckten eines Tages, als sie wieder in der Höhle waren, im Fels ein rundes Fenster, das zugewachsen war.“ „Wie kann das sein?“ fragte Jacques, „mitten in der Erde?“ „Das ist nicht so unerklärlich wie es auf den ersten Blick scheint“, sagte der Abbé. „Ihr wißt doch, daß in Tropfsteinhöhlen die seltsamsten Gebilde zu finden sind. Im tropfenden Wasser ist Kalkstein aufgelöst, er setzt sich am Fels an, Hauch um Hauch. Im Katzenloch hat sich die Natur den Scherz erlaubt, eine Art Butzenscheibe aus Tropfstein einzusetzen. Vielleicht ist noch richtiger, wenn man sagt: Sie verschloß das Katzenloch im Laufe der Jahrtausende mit Stäben aus Stein; zwischen den Stäben gab es zuletzt nur noch einige kaum bemerkbare Ritzen. Einer der drei Brüder leuchtete mit der Taschenlampe hin, ein Schein fiel durch. Da holten die drei Brüder starke Hämmer und spitze Haken und schlugen die Scheibe aus Tropfstein ein. Ein Durchschlupf tat sich auf. Die Jungen waren schlank genug, um hindurchzukriechen. Sie entdeckten neue Säle und neue Bilder und neue Spuren. Nun konnte niemand mehr bezweifeln, daß es Spuren von Menschen waren, die vor Jahrtausenden gelebt hatten, und auch die Bilder, die von den drei Brüdern in den Sälen gefunden wurden, konnten nur von diesen Menschen stammen. Die Jungen liefen zu ihrem Vater. Der Graf stieg mit in das Boot, alle vier drangen vom Uferstreifen aus in den Berg bis ans Katzenloch. Der Graf, ein mutiger Mann, wagte es. Er war beinahe durch, da blieb er stecken. Er konnte weder vorwärts noch rückwärts. Einer seiner Söhne war vorausgekrochen, er versuchte, den Vater zurückzuschieben und die beiden andern Söhne wollten ihn herausziehen. Der Graf steckte so fest, als sei er selber ein Stück Fels. Doch der Gedanke, daß er einem seiner Söhne den Rückweg aus der Höhle versperrte, gab ihm die Kraft sich durchzuzwängen. Als er 85
durch war, hatte er keine Hose mehr an, sein Hemd war in Fetzen. Die drei Brüder mußten lachen, der Graf lachte mit, obwohl er nicht wußte, wie er noch einmal durch das Loch kommen sollte, zurück ins Freie. Die drei Brüder schlugen mit den Hämmern so lang, bis das Katzenloch für ihren Vater weit genug war. Dann sahen sie die neuentdeckten Säle, besonders die letzte Kammer. Doch ehe ich euch von ihr berichte, will ich euch erzählen, wie die benachbarte Höhle Trois Frères entdeckt wurde. Sie ist die am schwersten zugängliche von allen.“ „Noch schwieriger als das Katzenloch?“ fragte Marcel. „Hört nur zu, wie es Louis, dem Entdecker, seinen beiden Brüdern und seinem Vater beim ersten Einstieg erging! Es waren auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem sie zum ersten Male durch den Fluß in den Berg eingedrungen waren. Der Graf und seine drei Söhne hatten vor, der Höhle Tuc und dem Katzenloch einen Besuch zu machen. Es war ein heißer Tag, der 20. Juli 1914. Sie wollten auf dem Weg rasten und suchten nach einem schattigen Platz. Weit und breit war kein Baum. Da sagte ihnen ein Bauer, daß am Hang ein ,blasendes Loch’ sei, aus dem kühle Luft komme. Der Graf horchte auf. Als sie an die Stelle kamen, hielten sie die Hand in das Loch. Sie spürten, wie der Berg atmete. Sofort fingen sie an, das Loch zu erweitern. Es ging steil hinab. Einer der Brüder holte ein Seil. Louis, der jüngste Sohn des Grafen, ließ sich als erster hinab: achtzehn Meter. Sobald er Bilder sah, kehrte er um zum Seil, und nun kletterten auch Max und Jacques, seine Brüder, in die Tiefe. Der Graf blieb als Wächter am Eingang zurück. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Erst nach einigen Stunden kamen die Jungen wieder zum Vorschein, und zwar nicht aus dem ,Blasenden Loch’, über die Wiesen rannten sie an und winkten von weitem. ,Hunderte von Bildern!’ rief Louis, und nachdem sie wieder Atem genug hatten, erzählten sie, wie sie durch viele Gänge zu einem neuen Ausstieg gekommen waren. Der Graf winkte 86
nun sogleich einigen Bauern, diese hielten das Seil, und nun stiegen die drei Brüder ein zweites Mal hinab, mit ihnen der Graf. Sie kamen in Säle, die wie das Innere eines Domes waren, und dann wurde das Weiterkommen
schwierig. Der Durchschlupf war zu Anfang nicht ganz so eng wie das Katzenloch, aber er schien kein Ende zu nehmen. Stellenweise war er so niedrig, daß selbst ein Junge den Kopf nicht heben konnte und sich auf dem Bauch weiterschieben mußte wie eine Eidechse. Während der Graf sich weiterschob, fiel ihm ein, daß er mindestens dreißig Meter schon hinter seinen drei Söhnen hergekrochen war – wenn er hier steckenbliebe, tief in der Erde, gäbe es kein Zurück, niemand könnte ihm helfen… Der Graf versuchte so zu atmen, daß es sich nicht wie ein Stöhnen anhörte. Er wollte sich von seinen Jungen nicht beschämen lassen. Endlich war er durch. Ein hoher Raum tat sich auf, an steilen Wänden und in Felsnischen waren Hunderte von Bildern: Bisons, Mammute, Wildpferde, Bären, Wollnashörner. Rentiere und Hasen und Fische und Vögel. Louis fand zwei Schnee-Eulen mit einem Jungen, an einer Stelle, zu der er von einem Felsabsatz zum andern hinüberspringen mußte, meterhoch über den andern. Und sie fanden 87
einen Bären, dessen Fell viele Löcher aufwies und aus dessen Maul Blut hervorbrach. Der Graf blickte auf. Hoch oben, in einem Felskamin, über vielen Tieren, sah er eine rätselhafte Gestalt, die ihn mit großen dunklen Augen ansah. Die Gestalt hatte den Kopf eines Hirsches mit riesigem Geweih, sie hatte einen langen Bart, der die Brust fast verdeckte, Bärentatzen und einen Pferdeschweif… und Beine, wie nur ein Mensch sie hat.“ Die Jungen von Montignac horchten auf. Auch in ihrer Höhle war doch ein rätselhaftes Tier mit Menschenbeinen – das Tier mit den geraden Hörnern. Doch keiner wagte jetzt zu fragen. „Noch nie“, fuhr der Abbé fort, „niemals in seinem Leben hatte sich der Graf so verlassen gefühlt wie im langen, engen Durchgang. Der Fels hatte ihn auf allen Seiten umschlossen, er hatte das Gesicht nicht heben können. Den Jägern der Eiszeit war es nicht anders ergangen. Auch sie waren durch die finstere Enge gekrochen, durch den Gang, in dem nicht mehr Platz ist als in einem Sarg… aber wenn einer durch war, der konnte wieder frei atmen. Wer es geschafft hatte, den empfing, inmitten unzähliger Tiere, die rätselhafte Gestalt mit dem dunklen Blick. Der Rückweg ist dann nicht mehr schwer. Der Ausgang zieht, das Licht des Tages wartet draußen. Aber dem, der aus der Höhle zurückkehrt, kommt es vor, als sehe er die Sonne zum ersten Male. Er ist neu zur Welt gekommen… Das ist das Geheimnis der Drei-BrüderHöhle.“ „Ich hätte Angst“, sagte Simon. „Jeden packt sie“, sagte der Abbé. „Auch mich hat sie beim ersten Male gepackt. Denn dort unten, mehrere hundert Meter weit vom Eingang, ist ein Schweigen, wie es in einem Grab nicht tiefer sein kann, Im engen Durchlaß kann niemand umkehren. Mancher enge Gang in Höhlen führt durch lockeres Gestein, und es gibt eingestürzte Gänge, die einst zu Bildern geführt haben mögen. Auch in Altamira ist es so. 88
Und vielleicht auch hier in Lascaux. Ihr habt ja selbst gesehen: Sogar von der Decke des Hauptsaales ist ein breiter Streifen eingestürzt. Es war also immer ein Wagnis. Und einmal kam der Graf in der Höhle Tuc in eine Lage, die schlimmer kaum zu denken ist. Eines Tages war er mit einem Gast aus Deutschland auf dem Fluß in den Berg gefahren, um in der Höhle zu graben. Als sie nach einigen Stunden zurückkehren wollten, war der Fluß so gestiegen, daß sie nicht mehr durchkamen. Sie waren von draußen abgeschnitten.“ „Für immer?“ fragten die Jungen erschrocken. „Für eine Nacht“, sagte der Abbé. „Es muß eine schreckliche Nacht gewesen sein“, sagte Jacques. „Was haben sie nur angefangen die ganze Nacht?“ „In jener Nacht haben sie eine große Entdeckung gemacht.“ „Haben sie weitergegraben?“ fragte Marcel. „Stunde um Stunde“, sagte der Abbé. „Und der Gast fand einen Stein, auf dem ein Bison eingeritzt ist, eine herrliche Zeichnung. Aber das war nicht die große Entdeckung. Als die beiden eingeschlossen waren, froren sie vor Angst. Aber sobald sie begonnen hatten zu graben, so unbeirrt, als sei der Weg ins Freie nicht versperrt, wurde ihnen warm und sie bemerkten, daß die Angst verschwunden war.“ Der Abbé nickte den Jungen zu. „Weitergraben war das sicherste Mittel, die Angst zu vertreiben“, sagte er. „Sobald einer aufhört, nur an sich zu denken, hat die Angst über ihn keine Macht mehr. Die beiden, der Graf und sein Gast, waren geübte Höhlengräber. Wenn sie den Grabhaken in der Hand hatten, gab es für sie nichts anderes, als mit wachsamer Hand zu graben. Der Wille, etwas zu finden, füllte sie aus – wo sollte da für Angst noch ein Winkel in ihrem Herzen bleiben? Am nächsten Morgen fiel 89
der Fluß. Die beiden Männer brachten ihren Fund ans Licht.“ „Einmal möchte ich doch durch das Katzenloch!“ fuhr es Marcel heraus. „Ich wünschte es euch allen“, sagte der Abbé. „Dort unten würde es euch sicher nicht anders ergehen als denen, die es vor euch versuchten. Solch ein dunkler, enger Durchschlupf im Schoß der Erde ist wie geschaffen, alle Furcht abzustreifen.“ Die Höhle der Bisontänze Aber in Altamira“, sagte Georges, „in Altamira ist doch alles viel einfacher. Dort gibt es doch kein Katzenloch, kein Durchzwängen.“ „Heute nicht mehr“, sagte der Abbé. „Aber einmal gab es das auch in Altamira.“ „Ist der Einstieg dort nicht ganz leicht?“ fragte Jacques. „Der Eingang, den der Jäger gefunden und den Don Marcelino erweitern ließ, ist nicht der alte Einstieg“, erklärte der Abbé. „Der alte Zugang ist verschüttet. Auch der von euch entdeckte Einstieg in eure Höhle ist ganz sicher nicht der alte.“ „Und warum denken Sie so, Herr Abbé?“ fragte Marcel. „Weil in jenen Höhlen, deren ursprünglicher Zugang sich erhalten hat, niemals die wichtigen Bilder gleich hinter dem Eingang liegen, niemals so, daß man gleich auf sie stößt. Die Bilder wurden in den hintersten Kammern angebracht oder an engen Stellen. Heute machen die Maler das anders. Sie hängen ihre Bilder in leicht zugänglichen Sälen auf, so daß möglichst viel Licht auf sie fällt. Die Maler der Eiszeit haben ihre Bilder versteckt.“ „Versteckt? Warum denn das?“ „Sie wollten verhindern, daß jemand sie zufällig erblickte. 90
Nur die Jäger, für die sie bestimmt waren, sollten sie sehen, darum sind sie an Stellen gemalt, die man schwer entdeckt, sie finden sich in Räumen, in die man nur dann gelangt, wenn man etwas wagt: die Fahrt auf einem Fluß, der tief im Berg verschwindet, den Durchschlupf durch das Katzenloch oder den Irrweg durch ein Gewirr von Gängen, aus denen man nur mit Hilfe eines Fadens wieder herausfindet. Es gibt eine Höhle, in der man einen See durchschwimmen muß, wenn man zu den Bildern kommen will. Oft ist auch das Betrachten der Bilder selbst noch schwierig. Man muß sich zurückbeugen oder in eine Ecke kauern. Die Bilder schmiegen sich dem Fels so an, als wollten sie sich in den Mulden verbergen.“ Die Jungen blickten zu den Bildern ihrer Höhle auf. „Es war sicher schwer, dort oben zu malen“, sagte Georges. „In der Höhle der Drei Brüder“, sagte der Abbé, „sind manche Bilder vier bis fünf Meter über dem Boden.“ „Und wie kam der Maler so hoch hinauf?“ fragte Georges. „An manchen Stellen konnte er auf Felsvorsprüngen einen Halt finden. Vielleicht hat ihn auch ein anderer gestützt. Niemand weiß darüber Genaues“, sagte der Abbé. „Aber man weiß heute, warum die Maler so verborgene und schwierige Plätze für ihre Bilder ausgesucht haben.“ „Und warum taten sie das?“ „Weil sie nicht nur Maler waren“, sagte der Abbé. „Sie waren sogar in der Hauptsache etwas anderes als Maler.“ „Was waren sie?“ Die vier Jungen fragten, aufs äußerste gespannt. „Zauberer“, sagte der Abbé. „Sie waren Zauberer, die Tiere malten und manchmal auch sich selbst. Im hohen Saal hinter dem langen Durchschlupf etwa, dort hatte der Zauberer sich selbst gemalt. Gleich dreimal, zweimal mitten im Gewimmel der vielen Tiere und einmal hoch in der hintersten Nische. 91
Die Gestalt mit dem riesigen Hirschgeweih, mit den Bärentatzen und dem Roßschweif – das ist er. Oder sollte es ein Gott sein – der Gott der Tiere? Er hat etwas Unheimliches an sich. Ihm kann die Zeit nichts anhaben. Nach Jahrtausenden blickt er den Besucher mit dem gleichen dunklen, eindringlichen Blick an, mit dem er die Jäger der Eiszeit empfing. Trotzdem spricht mehr dafür, daß der Zauberer sich selbst dargestellt hat. An einer andern Stelle tanzt er hinter Tieren her und bläst auf einer Flöte. Und ein drittes Mal ist er da, mit einem Bisonfell bekleidet, mit einer Tiermaske vor dem Gesicht, er macht einen großen Tanzschritt, einen Sprung, wie ihn auch Bisons machen.“ Die Jungen schwiegen, ihre Augen glänzten vor Erregung. Der Abbé redete mit gedämpfter Stimme weiter, wie einer spricht, der etwas Geheimnisvolles mitteilt. „Nicht in jeder Höhle hat er es getan. Seht, dort: Das ,Tier mit den geraden Hörnern’! Vermutlich verbirgt sich der Zauberer in ihm. Er ist in ein Tier geschlüpft, in ein Fell, das beinah bis zum Boden hängt. Er hat eine Tiermaske vor dem Gesicht. Die Hörner, die über seinen Kopf hinausragen, sind länger als die Hörner jedes anderen Tieres – sie sind das Zeichen dafür, daß er Macht hat über alle. So, als Tier, das über sämtliche Tiere herrscht, tanzt er seinen Tanz in einer Haltung und mit Sprüngen, die an Tiere erinnern.“ „Warum tanzte er so?“ fragte Simon. „Warum wollte er wie ein Tier aussehen?“ warf Marcel ein. „Nun, die Menschen der Eiszeit waren Jäger“, erklärte der Abbé. „Nichts war für sie wichtiger, als auf Tiere zu stoßen, die sie erlegen konnten. Nicht immer stellten sich Tiere ein, bevor der Hunger kam. Dann versammelten sich die Jäger in der Höhle, in der Tierbilder waren: jene Bisons, Pferde und Rinder, die der Zauberer der Horde gemalt hatte. In der Höhle sahen sie den Bison so, wie er vor dem Angriff dastand, oder so, wie er zusammenbrach. Und nun machten sie 92
Jagd auf diese gemalten Tiere. Die Höhlen, mit Mammut und Bisons bevölkert, waren Stätten der Vorbereitung für die Gefahr auf freier Wildbahn-Jagdgründe unter der Erde. Der Zauberer, Tiere zu seinen Häupten, tanzte
den Jagdtanz, und die Jäger, von Tieren umgeben, tanzten gleich ihm. Noch heute gibt es Jägervölker, die tanzen, ehe sie zur Jagd ausziehen – Jakuten in Sibirien so gut wie Indianer- oder Negerstämme. Heute noch haben die Eskimos Zauberformeln, wie auch der Zauberer der Eiszeit sie sprach, um Moschusochsen oder Bisons herbeizuziehen und zu bannen. Manche der Worte, die von den Eskimos noch heute 93
beim Jagdzauber gesprochen werden, stammen aus einer früheren Sprache, die sie selber nicht mehr verstehen. Vor dem Aufbruch zur Jagd richteten die Jäger ihre Blicke auf die Tiere, die der Zauberer mit Farbe oder mit Linien an die Wände der Höhle gebannt hatte. Sie zielten auf sie und erlegten sie mit Harpunen und Pfeilen. Man hat tiefe Einschußlöcher in Tierleibern gefunden, die der Zauberer aus Lehm gemacht hatte. In andere Tiere sind Pfeile oder Harpunen oder Bumerangs gemalt, meist mit schwarzer Farbe – und an den Stellen, wo eine Waffe tödlich treffen konnte, rot. Es gibt Bilder von Elefanten, in die ein rotes Herz gemalt ist. Beim Tanz brannte in den Jägern die Begierde, das Herz zu treffen, sie sahen vor sich das Herz wie ein Läufer im Wettlauf das Zielband vor sich sieht, auch wenn er noch kilometerweit von ihm entfernt ist. Geht es nicht auch euch so, daß euch ein Vorhaben besser gelingt, wenn ihr an nichts anderes denkt als nur an das eine? Die Jäger in der Eiszeit wagten bei jeder Jagd ihr Leben. Sie setzten schon vorher alles daran, so viel Geistesgegenwart wie möglich zu sammeln für den Augenblick, in dem es drauf ankam. Beim Tanz schlüpften sie in das Fell bereits erlegter Tiere, weil sie ,dahinterkommen’ wollten, hinter das Tier, sie wollten es in- und auswendig kennen, um beim Zustoßen mit Sicherheit die verwundbarste Stelle zu treffen. Drum versuchten sie im Tanz alles abzuwerfen, was sie bei der Jagd ablenken konnte. Sie zwängten sich durch enge Gänge, um alles Hinderliche abzustreifen. Tief krochen sie in den Bauch der Erde, um stärker wieder hervorzukommen, ,wie neugeboren’. Die Jäger hatten den Glauben, daß sie aus den Höhlenbildern einen Zauber über die gefährlichen Tiere auf freier Wildbahn gewinnen könnten. In den Höhlen hielten die Jäger nur ganz bestimmte Winkel für ,heilig’. Jahrtausende hindurch wurden von den Zauberern oder vielleicht auch von ihren Gehilfen, die zu Malern ausgebildet waren, die gleichen Winkel bemalt oder mit Gravierungen versehen. Unter vielen Farbbildern der ausgehenden 94
Eiszeit finden sich Gravierungen, die viel älter sind. Ich werde euch in den nächsten Tagen Bilder in eurer Höhle zeigen, unter denen frühere Malereien liegen. Weil ich so oft in andern Höhlen Übermalungen antraf, sah ich sie auf den ersten Blick. Die Bilderhöhlen waren eben die geheimen Orte, in denen der Jagdzauber mächtig war. Nur Jäger hatten Zutritt. Niemals wurden Spuren von Frauen in solchen Höhlen gefunden, wohl aber“, fuhr der Abbé nach einer bedeutenden Pause fort, „Spuren von Jungen, und zwar Jungen in eurem Alter. Nun sollt ihr von jener innersten Kammer erfahren, in die der Graf und die drei Brüder kamen, nachdem sie den dunklen Fluß und das Katzenloch hinter sich gelassen hatten, viele Gänge und Säle und Seen und einen Kamin, in dem sie etwa zehn Meter hoch klettern mußten. Dieser innerste Raum ist die ,Kammer der Bisontänze’. Dort gibt es nur zwei Tiere, und sie sind nicht an die Wand gemalt. Sie sind aus Lehm gebildet, mitten im Raum: Ein Bisonstier und eine Bisonkuh. Dorthin hat der Zauberer die Söhne der Jäger geführt. Ehe sie in die Jagdhorde aufgenommen wurden, ehe sie zum ersten Male töteten. Dort unten erfuhren sie, daß sie selbst vor ihrer Geburt neun Monate im Leib der Mutter geborgen waren und unter Schmerzen geboren wurden. Und daß sie nun noch einmal geboren werden sollten: als Jäger. Dort im innersten Raum hörten die Jungen vom Großen Geist, aus dem alles Leben hervorgeht und in den es zurückkehrt. Sie erfuhren, daß mit dem Tode das Leben nicht aufhört. Mit vierzehn Jahren wurden die Jungen in die Geheimnisse von Geburt und Tod eingeweiht. Sie tanzten den Bisontanz. Noch heute sind die Spuren zu erkennen. Mit angehobenen Zehen, mit den Hacken stampfend wie die Bisons mit ihren Hufen, tanzten sie. Im Schein der Fackeln, die von den Helfern des Zauberers gehalten wurden, traten unruhige Schatten aus der Wand hervor. Das Flackern ließ die Tiere lebendig werden. Die Schultern der Jungen glänzten, sie schienen 95
im Tanz zu wachsen – nach diesem Tanz wurden die Jungen zu den Männern gezählt, nach der Einweihung waren sie vollgültige Jäger der Horde. Der Zauberer blies auf der Flöte, und die Jungen stampften den Takt des Tanzes. Der Zauberer nahm die Flöte vom Mund und sang das Zauberlied.“ Der Abbé stand auf. „Nun wollen wir noch einmal in die untere Kammer hinabsteigen“, sagte er. „Zum Jäger, den der Bison niedergeworfen hat?“ fragte Simon. „Der Bison hat ihn nicht niedergeworfen“, sagte der Abbé. „Und er kann ihm nichts anhaben.“ „Ist der Mann ein Zauberer?“ fragte Marcel. „Kommt!“ sagte der Abbé. „Ich will versuchen, euch dort unten beim Bild noch mehr darüber zu sagen.“ Das Geheimnis der hellen Hände Der Abbé ging schweigend voraus. Jeder der Jungen hatte seine besonderen Gedanken. Vieles, was sie vom Abbé erfahren hatten, erschien ihnen rätselhaft. Doch zweifelten sie keinen Augenblick daran, daß der Abbé in Geheimnisse eingeweiht sein müsse, die ihnen noch dunkel waren, und daß er sie in diese verborgene Welt des Jagdzaubers einführen könne. „Haben die Zauberer der Eiszeit denn nichts aufgeschrieben, in ihren Höhlen, meine ich?“ fragte Georges, als sie vor dem Absturz standen. „Man hat nichts gefunden“, sagte der Abbé. Nur unverständliche Zeichen, rote und schwarze Punkte, aber man weiß nicht, was sie bedeuten.“ „Keine Worte, von denen etwas abzulesen wäre?“ „Nur Bilder und Zeichen. Aber in ihnen verbirgt sich sicher eine Mitteilung, vielleicht die Zauberregel.“ Sie stiegen zum zweitenmal an dem Seil, das Marcel bereit96
gelegt hatte, in die untere Kammer hinab. Lange betrachteten sie das Bild: den hingestreckten Mann, Vogel und Bison. Auch links das Nashorn mit den drei Hörnern. „Mit ihnen war sicher nicht leicht fertig zu werden“, meinte Jacques. „Hat das Nashorn den Mann getötet?“ fragte Marcel. „Ich glaube nicht, daß das Nashorn und der Mensch etwas miteinander zu tun haben“, gab der Abbé nachdenklich zur Antwort. „Das Nashorn gehört wahrscheinlich gar nicht dazu, es ist ein Bild für sich.“ „Und der Vogel auf der Stange?“ fragte Simon. „Der Vogel ist ja auch so gezeichnet wie der Mann, nur im Umriß, beide anders als der Bison“, sagte Jacques. „Seht doch den Kopf des Mannes an!“ sagte der Abbé. „Ein Vogelkopf“, sagte Marcel. „Wie kommt es, daß dieser Mann den Kopf eines Vogels hat?“ „Durch dieses Bild“, sagte der Abbé, „werdet ihr alle andern Bilder besser verstehen können. Vielleicht ist es das wichtigste Höhlenbild, das bisher überhaupt gefunden wurde. Es ist sehr schwierig, ja fast unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, was das Bild bedeutet. Manche werden es für eine Darstellung eines Jagdunglücks halten, andere für ein Gedenkbild für einen großen Jäger. Einige werden glauben, der Mann sei tot, und der seltsame Vogel sei seine Seele, die aus dem vom Bison aufgebrochenen Käfig entwichen sei. Das Bild könnte aber auch etwas anderes, viel Eigenartigeres, bedeuten.“ Die Jungen sahen den Abbé gespannt an. „Es gibt heute noch Jäger“, fuhr der Abbé fort, „ die so leben, wie die Jäger vor zehntausend Jahren gelebt haben. Es gibt ja auch heute noch Landschaften, über die Sommer und Winter der Hauch von Gletschern hinstreift, der Atem des Großen Eises: in Grönland etwa. So haben Sibiriaken, India97
ner, Australier und auch afrikanische Jägerstämme noch heute Jagdtänze, bei denen sich die Tänzer wie die Tiere bewegen, die sie erlegen wollen. Solche Tänze sind für jemanden, der zusieht, von unfaßbarer Wildheit. Einem Außenstehenden kommt es vor, als seien die Tänzer außer sich. Und das ist auch so: Im Tanz geraten sie außer sich. Ihr brennender Wunsch macht sich, noch während sie tanzen, schon auf den Weg zum Tier, um das ihr ganzes Denken kreist. Im Tanz wird ihre Seele auf das höchste gespannt. Plötzlich lassen sie sich los, wie die Hand den gespannten Pfeil losläßt, sie stürzen nieder, ihr Körper liegt entseelt da, die Seele fliegt auf das Tier zu, sie wird zum Pfeil oder – wie auf diesem Bild – zum Speer, der den Bison durchbohrt hat -!“ „So etwas kann doch aber nur ein Zauberer!“ rief Simon. „Wir sagen Zauberer“, erklärte der Abbé. „Aber das ist ein irreführendes Wort. Für uns ist ein Zauberer ein Mann, der eine Uhr vom Tisch verschwinden läßt, ohne einen Finger zu bewegen, oder der Kaninchen aus dem Rockärmel zieht. Solche harmlosen Kunststückchen haben mit dem, was der Zauberer einer Jägerhorde auf sich nimmt, nichts zu tun. Bei ihm geht es auf Leben und Tod. Er begegnet in der Höhle dem Bison wirklich, er glaubt sich ihm gegenüber – wie ein Beter sich Gott gegenüber glaubt. Mit dem Jäger, der tanzt, ist es nicht anders. Er ruft den Geist an, daß er ihm zu Hilfe komme im Augenblick äußerster Gefahr. Und seht, im ,Vogel auf der Stange’ ist dieser Helfer da, er ist an des Jägers Seite. Im Vogel ist die Geistes-Gegenwart gemalt.“ „Der kleine Vogel soll dem Jäger helfen können?“ fragte Jacques befremdet. „Er ist ja kein gewöhnlicher Vogel“, sagte der Abbé. „Er ist ein Totem.“ „Was ist ein Totem?“ fragten die Jungen. „Ein Schutzgeist“, erklärte der Abbé. „Die Eiszeitjäger, das 98
ist von diesem Bild abzulesen, müssen einen ähnlichen Glauben gehabt haben wie die Indianer. Ihr kennt die Indianer wahrscheinlich nur aus Büchern, die ihre erbarmungslosen Feinde, weiße Menschen nämlich, geschrieben haben. Diese weißen Menschen kamen als Eindringlinge in ihr Land und machten Jagd auf ganze Stämme. Sie haben aus dem roten Mann etwas anderes gemacht als er früher war. Ehe der weiße Mann kam, war der rote Mann so, wie Grau-Eule oder Ohiyesa, also Indianer, ihn dargestellt haben. Aus ihren Büchern erfahren wir, daß der rote Mann nicht nur ein großer Jäger, sondern auch ein frommer Mann war. Er trauerte dreißig Tage um den Gegner, der von seiner Hand gefallen war. Jeder Baum, jedes Tier war ihm ein Bruder. Er tötete Tiere, weil ihm nichts anderes übrigblieb, wenn er nicht verhungern wollte. Und er flehte nach jeder Jagd den Großen Geist an, daß er den Tieren, denen er einen Verlust zugefügt hatte, neues Leben schenke. Das haben auch die Jäger der Eiszeit getan. Ihr habt ja in eurer Höhle gesehen, daß viele der dargestellten Tiere schwere Bäuche haben, sie sind trächtig. Und wie jeder Indianer sich einem Tier besonders verbunden fühlte, so auch jeder Eiszeitjäger. In diesem einen Tier war der Schutzgeist verborgen. Bei den Indianern heißt dieses Tier: Totem. Auch der Eiszeitjäger hatte sein Totemtier, und vielleicht hat auch er sich das Bild dieses Tieres in die Brust eintätowiert, wie es bei den Indianern üblich ist. Auf jeden Fall geht aus diesem Totembild hervor, daß die Eiszeitjäger wie die Indianer an ein oberstes Wesen glaubten, an den ,Großen Geist’. Man hat für diesen Glauben noch andere Zeichen gefunden. Es gibt eine Höhle, in der ein Bär aus Lehm gebildet ist, aber nur der Leib mit den vier Tatzen – als Kopf wurde der Schädel eines echten Bären verwendet. Er lag noch so zwischen den Vordertatzen, wie die Jäger der Eiszeit ihn dort hingelegt hatten: beim Opfer nach geglückter Jagd. Die Zähne des Bären waren stumpfgefeilt. Heute noch wird dieser Brauch bei Jägervölkern geübt, die am Rande von 99
Eiswüsten leben. Auch sie feilen die Zähne der Bärenschädel ab, die sie opfern. Die Jäger der Eiszeit haben also geopfert und auf ihre Art zum Großen Geist gebetet. Sie wurden dazu von den Zauberern angeleitet, den Medizinmännern, wie sie bei manchen Jägervölkern heißen. Das waren die ,Weisen’ – eben die Priester des jeweiligen Stammes.“ „Ich glaube nicht“, sagte der Abbé nach einer Pause mit großem Ernst, „daß wir uns einfallen lassen sollten, von jenen frühen Menschen geringschätzig zu denken. Sie vermochten in ihren Tänzen, die ihre Gebete waren, etwas, das heute nur noch wenigen beim Beten gelingt. Von Heiligen wissen wir, daß sie im Gebete ,außer sich’ geraten. In ihrer Entrückung erblicken sie den Gekreuzigten, sie hören Stimmen. Wir wissen von der Jungfrau von Orléans, daß sie durch Stimmen berufen wurde, Frankreich zu retten. Aus dem Christenverfolger Saulus wurde, nachdem ihn vor Damaskus ein Licht vom Himmel geblendet hatte, Paulus der Apostel. Die Jäger der Eiszeit hatten zwar noch nicht die Offenbarung, die uns zuteil wurde, doch war der Große Geist gegenwärtig, wenn sie tief im Innern der Erde, in Höhlen, die für sie heilige Orte waren, beteten.“ „Dann waren ja diese Höhlen für die Jäger das, was für uns Kirchen sind?“ fragte Marcel. „Zutreffender könnte es niemand ausdrücken“, sagte der Abbé, und seine Augen leuchteten. „Das ist das Geheimnis der Höhle von Altamira, und das ist das Geheimnis aller Höhlen, in denen es Bilder aus der Eiszeit gibt.“ Der Abbé lenkte den Blick der Jungen noch einmal auf das Bild. „Der Vogel ist das Unscheinbarste, aber er zieht den Blick auf sich, von ihm geht mehr Macht aus als vom Bison. Der Vogel wird nun nicht mehr von der Seite des Jägers weichen. Wenn der Jäger aus dem Zustand, in den er im Zaubertanz entrückt worden ist, erwacht, ist er für die Jagd nicht nur mit Harpune und Bogen gerüstet. Sein Totem begleitet ihn. Wenn er dann mit dem Bison aneinandergerät, wird es ihm nicht an Gei100
stes-Gegenwart fehlen. Der ,Vogel auf der Stange’ wird ihm eingeben, was er im entscheidenden Augenblick zu tun hat.“ Der Abbé blickte nachdenklich vor sich hin. Dann fuhr er fort: „Mag sein, daß von diesem Bild noch mehr abzulesen wäre. Vielleicht könnten wir es, wenn sich noch ähnliche Bilder finden, und wenn wir in der Höhle von Lascaux noch etwas heimischer geworden sind.“ Der Abbé bemerkte, daß Simons Gesicht blaß vor Erregung war. „Nun laßt uns hinaufsteigen“, sagte er und blickte an der steilen Wand hoch. „Ich hoffe, ihr helft mir!“ Marcel stieg als der geübteste Kletterer zuerst aus dem Schacht. Mit Hilfe des Seiles war es nicht schwer, die Jungen nach oben zu holen, und zuletzt zogen sie mit vereinten Kräften den Abbé heraus. Während sie durch die Höhle zurückgingen, warfen die Jungen nur noch flüchtige Blicke auf die Bilder. Nun wurde ihnen bewußt, daß eine Reihe von Stunden vergangen sein mußte. Sie hatten Hunger, vor allem Hunger nach Licht. Doch kurz vor dem Ausgang blieb der Abbé noch einmal stehen. „Von einer Höhle“, sagte er, „muß ich euch noch berichten, ehe wir eure Höhle verlassen. Auch sie wurde nicht von Forschern entdeckt, sondern von einem Jungen, der damals so alt war wie ihr heute seid. Er fand seine Höhle vor zwanzig Jahren und sie trägt seither den Namen Davidshöhle. Als erstes sah David in seiner Höhle etwas Seltsames: Hände, die von tiefroter oder schwarzer Farbe umschlossen waren. Die Hände hoben sich hell ab. Manche dieser Hände hatten nur vier Finger. Man weiß heute, daß der Mann, der die Hand an den Fels legte und Farbe darüber blies, den fehlenden Finger geopfert hat. Solche Opfer werden bis in unsere Tage bei manchen Jägervölkern geübt. Einer, der aus großer Gefahr hervorgeht, opfert ein Stück von sich. In der Davidshöhle und in vielen andern Höhlen, auch in Altamira, legte er die Hand an den Fels und blies Farbe darüber, daß 101
der Abdruck der Hand ausgespart stehen blieb. Diese Hand des Jägers sagte: Sieh her, Großer Geist, ich war hier, um Dir für mein Jagdglück zu danken. Steh mir auch künftig bei! – Diese hellen Hände“, schloß der Abbé, „sind ein Zeichen, dafür, daß die großen Jäger hin und wieder ihre Hand nach einem Helfer ausstreckten, von dem sie glaubten, daß er mächtig wäre über alles und gegenwärtig auch im Fels.“ Der Abbé warf noch einen Blick auf die Fohlen. „Nie ist mir etwas Hübscheres in Höhlen begegnet!“ „Die Fohlen habe ich zuerst gesehen“, sagte Simon. „Und mir sind sie das Liebste.“ „Wunderbar sind sie“, sagte der Abbé. „Aber nun wird’s Zeit, daß wir hinauskommen aus der Höhle.“ Der Schritt in die Sonne Marcel kroch unbesorgt auf die Steine zu, mit denen der Ausschlupf zugebaut war. Aber es war gar nicht so einfach, die Steine wegzustoßen. Marcel versuchte es mehrmals mit beiden Händen. Plötzlich ging es ganz leicht. Die Steine purzelten, und als Marcel seinen Kopf hinaussteckte, sah er mit blinzelnden Augen, wie zwei Beine eilig beiseite traten, und Simons Lehrer sagte: „Du wolltest mich wohl bis Montignac hinunterschubsen!“ „Sie saßen hier?“ fragte Marcel höchst erstaunt. „Schon fast eine Stunde“, sagte Herr Laval. „Der Herr Bürgermeister, dem es zu lange dauerte, schickte mich. Noch keinen Hunger?“ „Mächtigen Hunger“, sagte Marcel, „aber drin kamen wir nicht dazu, daran zu denken.“ „Wußte ich“, sagte Herr Laval. „Darum hatte ich keine Eile.“ Schade, daß ich nicht in seiner Klasse bin, dachte Marcel für sich. Einer um den andern kroch ins Freie. Als letzter Simon. Er ließ sich Zeit. Während er sich dem Ausschlupf zuschob, sah er etwas Großartiges: Die Sonne stand genau dort, wohin er kroch. Sie tat seinen Augen weh, aber er warf immer wieder 102
einen Blick auf sie. Er kroch genau in die Sonne hinein. Die Stämme waren rot von der untergehenden Sonne, der halbe Himmel glühte. Die Jungen und der Abbé aus Paris preßten die Lider zusammen. Sie blickten durch schmale Augenschlitze wie Wildpferde. Das letzte Licht des Tages tat ihren Augen nicht lange weh. Bald konnten sie wieder ungehindert um sich blicken. Und auf einmal rief Simon: „Da kommt Robot!“ Simon hatte den Hund zu Hause gelassen, damit er den Abbé nicht störe. Nun kam er angefegt, er war ausgerissen und hatte die Spur gleich entdeckt. Die Jungen rannten ihm entgegen. „Die vier Jungen haben die schönste Höhle Frankreichs entdeckt“, sagte der Abbé zum Lehrer, „wahrscheinlich sogar die großartigste Höhle der Welt. Die Bilder von Lascaux sind mindestens ebenso gut erhalten und so lebendig wie die großen Bilder von Altamira. Und hier in Lascaux gibt es nicht nur einen Saal. Eine Galerie schließt sich an die andere, und viele Bilder sind Meisterwerke, von deren Schönheit auch die sorgfältigsten Abbildungen in Büchern nur eine Ahnung geben können. Manche sind so eindringlich, daß man sie bereits nach dem ersten Betrachten nie wieder vergißt.“ „Und dennoch“, gestand der Lehrer, „dennoch sah ich die Bilder gestern nicht sofort. Erst nach einer Weile traten sie aus dem Fels hervor. Aber dann so deutlich, so nah, daß mir unbegreiflich ist, wie es möglich sein konnte, sie auch nur einen Augenblick nicht zu sehen. Ist das nicht höchst eigenartig?“ „Manchem Forscher, der für seinen Scharfblick berühmt ist, erging es wie Ihnen“, beruhigte er den Lehrer. „Und mancher hat sogar jahrelang in bemalten Höhlen gegraben und hat nichts bemerkt. Es scheint“, schloß der Abbé, „als sei uns Erwachsenen der Blick zuweilen getrübt – gerade für die wesentlichen Dinge. Ist es nicht auffallend, daß die bedeutendsten Bilderhöhlen der Eiszeit von Jungen entdeckt wurden und daß das Mädchen von Altamira ein Kind von 103
fünf Jahren war, als der Blick aus dem Bisonauge es traf!“ Der Abbé aus Paris und der Lehrer aus Montignac beeilten sich, die jungen Entdecker einzuholen, die Robot wild umtanzte. *
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UND NUN, MARCEL UND JACQUES, DANKE ICH EUCH. Ihr beiden habt mich durch eure Höhle geführt und habt mich in ihr heimisch werden lassen. Dir, Marcel, danke ich besonders, weil du mit mir sogar in die schwer zugängliche Krypta hinabstiegst. Als wir vor dem Bild mit dem „ Vogel auf der Stange“ kauerten, erzähltest du so ruhig, als seien weder Wagen noch Autobusse nach Lascaux unterwegs, vom Tag der Entdeckung. Jacques paßte inzwischen draußen auf wie damals, als du mit Simon und seinem Lehrer in der Höhle warst. Ich werde es nicht vergessen, Marcel. Dennoch kann ich dieses kleine Buch nicht allein dir und deinen drei Gefährten widmen. Und nicht nur dem großen Abbé aus Paris. Auch David hat ein Anrecht darauf, vor allem aber das Mädchen von Altamira. Und Simon etwa nicht? Ich denke jetzt nicht an Simon, den Jüngsten von euch vieren – Simon de Altamira meine ich, den Zweiundsiebzigjährigen, der bis in den hintersten Winkel „seiner“ Höhle vorauskroch, in vier Sprachen übersprudelnd, wenn er auf die Gravierungen hinwies. Und der alte Clastres von Niaux, der mit seinem Haselstecken auf jede Pfütze aufmerksam machte, und der alte Justó von Pindal, dessen Haus von Myrten und Feigenbäumen umstanden ist und der vor „seiner“ Höhle einen Paradiesflecken hat, eine in Felsen versteckte Märchenwiese fünfzehn Meter über der Biskaya! Und Felipe! Sollte ich vergessen, wie er durch die Irrgänge von La Pasiega und Castillo führte und, nachdem wir mehr voneinander wußten, immer noch ein wenig zögernd, zur Höhle Las Monedas vorausging, die er kurz zuvor erst entdeckt hatte und die noch gar nicht erschlossen war! Und Graf Bégouën, Louis, der 1914 als Fünfzehnjähriger in die Gänge von Trois Frères eindrang… wie er in der selten von Gästen betretenen Höhle lächelnd auf den wackeligen Klappstuhl wies, auf dem der große Abbé immer sitzt, wenn er die Bilder abzeichnet… Sie alle muß ich in den Gruß an euch, Marcel und Jacques, einschließen. Denn ihnen allen verdanke ich, daß es dieses kleine Buch über „die große Entdeckung der Jungen von Montignac“ gibt.
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Literatur- und Bildnachweis Hans-Georg Bandi und Johannes Maringer, Die Kunst der Eiszeit (zitiert als „Kunst“), Holbein-Verlag, Basel 1952. Herbert Kühn, Die Felsbilder Europas (zitiert als „Felsbilder“), W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1952. Herbert Kühn, Auf den Spuren des Eiszeitmenschen (zitiert als „Spuren“) Verlag Eberhard Brockhaus, Wiesbaden 1950. Abbé H. Breuil, Four Hundred Centuries of Cave Art, Centre d’Etudes et de Documentation Préhistoriques, Montignac, Dordogne, 1952. * Die Illustrationen wurden nach Abbildungen aus den drei ersten Werken geschaffen: Umschlagbild: Komposition von Karl Langenbacher (Reutlingen) nach einem Bild des Ganges von Lascaux bei Montignac (Frankreich): Kunst, Abb. 107, S. 82. Vorsatzkarten: Gezeichnet von Karl Langenbacher (Reutlingen) nach Vorlagen des Verfassers und Motiven aus den vorgenannten Werken. S. 13: Zauberer in Tierverkleidung, Lascaux bei Montignac (Frankreich): Felsbilder, Abb. 10, S. 19. S. 14: Schwimmende Hirsche, Lascaux bei Montignac (Frankreich). Nach: Spuren, Abb. 51, S. 184. S. 21: Wandmalerei (Bison), Fontde-Gaume (Dordogne, Frankreich): Felsbilder, Abb. 16, S. 26. S. 25: Wildschwein, Montespan (Frankreich): Felsbilder, Abb. 24, S. 38. S. 31: Fischzeichnung auf Stein, Trois-Frères bei Montesquieu-Avantès (Ariège, Frankreich): Spuren, S. 94. S. 33: Zwei Mammute, Fontde-Gaume (Dordogne, Frankreich): Kunst, Abb. 76, S. 57. Nach Abbé H. Breuil, Paris. 106
S. 43: Wildpferd im Galopp, Altamira (Santander, Spanien): Felsbilder, Abb. 35, S. 49. S. 57: Wildschweinjagd, Gasulla-Schlucht (Cueva Remigia, Castellón, Spanien): Felsbilder, Abb. 54, S. 72. S. 61: Wildpferd, Niaux (Frankreich): Felsbilder, Abb. 23, S. 36. S. 65: Bizarrer Tierfries, La Baume-Latrone (Gard, Frankreich): Kunst, Abb. 127, S. 100. Nach Glory. S. 67: Schreitender Bär, Les Combarelles (Dordogne, Frankreich): Spuren, S. 25. Nach Abbé H. Breuil, Paris. S. 69: Bison mit Pfeil und Bumerang, Pindal (Spanien): Felsbilder, Abb. 13, S. 22. S. 71: Wollhaariges Nashorn, Fontde-Gaume (Dordogne, Frankreich): Kunst, Abb. 88, S. 68. Nach Abbé H. Breuil, Paris. S. 77: Bogenschütze, Valtorta-Schlucht bei Albocacer (Castellón, Spanien): Spuren, S. 145. S. 87: Blutender Bär, Trois-Frères bei MontesquieuAvantés (Ariège, Frankreich): Spuren, S. 93. S. 91: Zauberer mit zwei Tieren, Trois-Frères (Frankreich): Spuren, S. 95. S. 93: Elefant mit eingemaltem Herz, Pindal (Asturien, Spanien): Kunst, Abb. 86, S. 67. Nach Abbé H. Breuil, Paris. S. 102: Negativbild einer Menschenhand, Gargas (Frankreich): Kunst, Abb. 125, S. 98. Nach Lemozi. Wir danken den vorgenannten Verfassern und Förderern, vor allem den Universitätsprofessoren Herbert Kühn (Mainz), Hans-Georg Bandi (Bern), Sauter (Genf) und Abbé H. Breuil von der Académie Française (Paris), und den Verlagen, vor allem dem Holbein-Verlag Basel, für die freundliche Genehmigung, daß wir das Bildmaterial ihrer Werke der deutschen Jugend zugänglich machen konnten. Unser Dank gilt außerdem den Archives Photographiques des Monu107
ments Historiques, dem Spéléo-Club und der Association Civile pour la Grotte de Lascaux, alle in Paris, die die Genehmigung zur Veröffentlichung der Photographien aus französischen Höhlen erteilt haben.
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Inhalt Vorwort Vier Jungen und ein Hund Ein Lehrer führt einen Indianertanz auf Das Mädchen von Altamira Vom großen Eis Der Blick aus dem Bisonauge Ein König, der kam Von Professoren aus aller Welt Der Maler mit dem versiegelten Mund Ein Pfeil über das Tal hin Der Fluß im Berg und das Katzenloch Die Höhle der Bisontänze Das Geheimnis der hellen Hände Der Schritt in die Sonne Nachwort Bildnachweis
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5 7 19 29 31 37 40 46 54 66 83 90 96 102 105 106