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Seewölfe 41 1
Roy Palmer 1.
Die Dunkelheit hatte das Zwielicht der Abenddämmerung verdrängt und sich über Panama gesenkt. Ein bleicher Mond goß sein kaltes Licht über dem Hafen und der Stadt aus. Den Wellen, die leise gurgelnd gegen die Bordwände der dahingleitenden Segelpinasse schlugen, setzte er feine Silberkronen auf. Acht Männer hatten sich auf die Duchten gehockt. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann an Bord von Philip Hasard Killigrews „Isabella III.“, kauerte im Bug. Der ehemalige Profos bei Francis Drake, Edwin Carberry, saß am Heck und hielt die Ruderpinne. Das Segel war aufgegeit worden. Smoky, Matt Davies, Stenmark, Karl von Hutten, Jeff Bowie und Piet Straaten legten sich in die Riemen und pullten so gekonnt, daß die Blätter beim Eintauchen ins Wasser kaum ein Geräusch verursachten. Fast lautlos bewegte sich die Pinasse fort. Matt Davies nahm den Platz auf der Ducht neben dem Holländer Piet Straaten ein. Er grinste wie ein Teufel. Achteraus lag die stolze, schlanke „Isabella III.“, die sie soeben verlassen hatten. Ein prächtiges Schiff! Es hatte ihnen eine Menge Glück gebracht. Trotz des unermeßlichen Schatzes, der inzwischen im Bauch der Zweimastgaleone ruhte, würde sie damit immer noch flinker und wendiger sein als sämtliche normalgebauten Dreimaster dieser Welt. Ja, Matt Davies hielt riesengroße Stücke auf die „Isabella“ – und auf ihren Kapitän, den verwegenen Seewolf! Während dieser mit Jean Ribault den Hafenkommandanten Alfonso de Roja begleitete und sich sozusagen mitten in die Höhle des Löwen begab, pullten sie weisungsgemäß über die Reede von Panama und vollendeten den tollkühnen Plan, den Hasard gefaßt hatte. Matt drehte sich halb um und blickte voraus. Da lagen sie wie dicke, träge Tiere im dunklen Wasser: neun Galeonen der Spanier. Vorgestern waren es noch zwölf gewesen. Doch der Seewolf hatte das Dutzend verkleinert, indem er drei mit
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seiner .Mannschaft auf den Grund der See geschickt und die Bordwachen auf den Panama vorgelagerten Inseln ausgesetzt hatte. Das waren die „Victoria“ und die „Saint Gabriel“ gewesen. Wie die dritte geheißen hatte, war Matt entfallen. Wichtig war für ihn auch bloß, daß sie die Schiffe vor dem Anbohren um ihre Frachten erleichtert hatten: Gold, Silber und Perlen, alles fein säuberlich zum Mitnehmen in Truhen verpackt -und Tabak! Er lachte leise, als er daran zurückdachte, wie schlecht dem Bürschchen Dan O’Flynn nach seinem ersten Raucherlebnis geworden war, so speiübel, daß er beinahe seine ganze Seele in die See gespuckt hätte. „Was ist los?“ fragte Piet Straaten nicht gerade freundlich. „Ich freue mich auf die blöden Gesichter der Dons, wenn sie sehen, was wir mit ihren verdammten alten Waschzubern anstellen.“ Matt zeigte bedeutungsvoll seine Hakenprothese hoch. „Hoffentlich hat keiner der Philipps ein solches Ding wie ich, denn damit kann man nicht bloß Holz hacken, sich in der Nase bohren, Schädel spalten, Lasten heben und jemandem den Arsch aufreißen -man kann damit auch Spundlöcher und alle möglichen anderen Löcher verdübeln.“ „Deubel ok“, erwiderte Piet in seiner Muttersprache. „Zum Teufel, mach doch keine blöden Witze.“ Stenmark raunte: „Haltet den Rand, ihr beiden!“ „Was ist denn los?“ zischte Jeff Bowie. „Matt erzählt mal wieder von seinem Haken“, sagte Smoky spöttisch. „Als ob wir noch nicht wüßten, was für Wunderdinge er damit vollbringt.“ Matt wollte einen gesalzenen Fluch vom Stapel lassen, aber Carberry gab einen drohenden, grollenden Laut von sich und brummte: „Ruhe an. Bord, ihr Rübenschweine. Wer jetzt noch ein Wort sagt, dem zieh ich die Haut in Streifen vom Hintern, verstanden, was, wie?“ Ferris Tucker gab ihnen durch Winke zu verstehen, welchen Kurs sie zu steuern hatten. Vor ihnen nahmen sich düster die
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Konturen der spanischen Galeonen aus, sie schienen langsam zu wachsen. Ferris hielt angestrengt Ausschau und wählte die erste Galeone aus, der ihr Unternehmen gelten sollte. Sie schwoite ziemlich weit vor ihnen in nördlicher Richtung an der Ankerkette. Der Wind stand von Norden, war also ablandig. Die Galeone lag nach Ferris’ Ansicht insofern günstig, als sich genau hinter ihr ein zweites Schiff befand. Die Distanz zwischen beiden betrug höchstens eine halbe Kabellänge. Bevor er an Land gegangen war, hatte der Seewolf ihnen nämlich empfohlen, sich zunächst das am weitesten in Luv liegende Schiff vorzuknöpfen. Denn wenn Ferris die Bordwand unterhalb der Wasserlinie anbohrte und die Ankertrosse kappte, dann mußte die erste Galeone unweigerlich auf die weiter leewärts befindlichen Schiffe zutreiben und zumindest den ihr am nächsten liegenden Dreimaster rammen. Die Männer hinter Ferris Tucker begriffen, was er vorhatte - und jetzt grinste nicht nur Matt Davies. Sie konnten sich ausmalen, was für eine Verwirrung es auf der Reede geben würde! Besonders Carberry konnte da in seinem Geist auf ein noch nicht sehr lange zurückliegendes Erlebnis zurückgreifen, hatte er doch - noch unter Francis Drake - in der Nacht des 15. Februar 1579 im Hafen von Callao selbst die Ankertrossen mehrerer leerer spanischer Kaufahrer gekappt. Es hatte ein wüstes Durcheinander gegeben. Die Dons an Bord der Schiffe und am Hafen hatten sich vor Verwirrung fast gegenseitig über den Haufen gerannt. Unterdessen hatten sich Drake und seine Mannschaft mit der vorsichtshalber gefechtsklar gehaltenen „Golden Hind“ heimlich verzupft. Die Pinasse mutete beinahe wie ein gespenstisches. Gebilde an, als sie jetzt auf die „auserkorene“ Galeone der Spanier zuhielt: Ferris Tucker legte seine Werkzeuge zurecht. Ed Carberry lenkte die Bootsbewegung konzentriert mit der Ruderpinne. Die sechs Männer nahmen die Riemen ein und Carberry steuerte die Pinasse an die Steuerbordseite der
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Galeone. Behutsam verholten sie das Boot zum Vordersteven. Von oben waren verhaltene Stimmen zu vernehmen. Der Profos und der Zimmermann legten die Köpfe in den Nacken, vermochten jedoch keinen Spanier zu erkennen. Die Burschen da oben mußten sich irgendwo auf der vorderen Kuhl aufhalten, wo genau, ließ sich nicht orten. Hasards Männern war das auch ziemlich egal. Hauptsache, die Dons lugten nicht vor der Zeit über das Schanzkleid und entdeckten sie! Die Bordwand der Galeone wuchs finster und drohend neben ihnen hoch, als wolle sie sich über ihnen ausstülpen und sie erdrücken. Ferris Tucker hatte sich im Bug auf gerichtet. Er tastete vorsichtig mit den Fingern an dem Schiff entlang. Der Profos hatte das Manöver so berechnet, daß die Pinasse direkt unter der Galion auslief. Ferris half noch ein bißchen nach und bremste mit den Händen ab. Sie stoppten und konnten über sich den behäbig aufragenden Bugspriet und das Vorgeschirr des Spaniers erkennen. Die Ankerklüse nahm sich schräg über ihnen, wie ein glotzendes Gigantenauge, aus. Carberry beäugte grinsend die Trosse. Sie stach nicht weit von ihm entfernt in die Fluten. Er tippte sich an die Brust, und damit lag der Fall klar: Er würde sie kappen. Ferris begann mit seinem Werkzeug zu hantieren. Natürlich hätte er den Bohrer auch irgendwo mittschiffs ansetzen können, doch wegen der Stimmen, die sie gehört hatten, hielt er den Bug in diesem Fall für den günstigsten Platz, um ungestört zu arbeiten. Er brachte der Galeone das erste Loch unterhalb der Wasserlinie bei. Und das war durchaus kein leichtes Stück, er geriet richtig ins Schwitzen dabei. Die Dons bauten ihre Segler aus jahrelang abgelagertem Pinienoder Edelkastanienholz, denn beide quollen im Wasser nicht auf und erwiesen sich auch sonst als außerordentlich widerstandsfähig. Diese Galeone hätte einen Rumpf aus Kastanie, echte, gute, harte spanische
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Edelkastanie! Was die Härte betraf, so stand sie Eichenholz in nichts nach. Ferris fluchte im stillen. Nicht, weil er die Mühe scheute sondern weil es ihm nicht schnell genug ging. Wenn nur die Philipps nicht auf die abwegige Idee verfielen, ausgerechnet jetzt auf die Back ihres Schiffes zu klettern und einen prüfenden Blick übers Schanzkleid nach außenbords zu werfen! Ferris Tucker hatte der Galeone das erste Loch beigebracht. Er zog den Bohrer heraus, und es gab ein schmatzendes Geräusch. Die Männer stießen sich an. Matt Davies grinste wie ein Haifisch. Ferris bohrte noch drei Löcher, dann bedeutete er Carberry durch eine Gebärde, daß er dran war. Gern hätte der Schiffszimmermann ein regelrechtes Sieb aus der Galeone gemacht, aber dafür reichte nicht die Zeit. Schließlich lagen da noch acht andere Schiffe auf der Reede, die ebenfalls sehnsüchtig auf sie warteten. Der Profos ließ auf der Backbordseite streichen und auf der Steuerbordseite anrudern, so daß die Pinasse auf der Stelle drehte. Das Heck schwenkte im Wasser herum wie der Hintern einer Ente. Carberry erhob sich und packte mit der einen Faust die Ankertrosse. Mit der anderen Hand führte er den kurzklingigen Schiffshauer, den er sich schon bereitgelegt hatte. Die Schneide trennte das Tauwerk mühelos durch. Es gab einen Ruck. Das eine Ende der Trosse versank im Wasser, das andere baumelte traurig an der Bordwand der Galeone herunter. Der mächtige Schiffsleib begann nach Lee zu treiben. Zeit für die acht Männer, sich zu verholen! Sie pullten davon und hielten auf eine der nächsten Galeonen zu. Um das Schiff, das eine halbe Kabellänge achteraus der ersten, angebohrten Galeone vor Anker lag, brauchten sie sich nicht mehr zu kümmern. „Die beiden machen das unter sich selbst ab“, sagte Smoky höhnisch. Er wollte noch etwas hinzufügen, bemerkte aber gerade noch rechtzeitig den drohenden Blick Carberrys. Der besagte, daß jeder
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Schwätzer an Bord der Pinasse nach wie vor um sein Achterleder zu bangen hatte. *
Seit die drei spanischen Galeonen wie ein Spuk aus dem Hafen von Panama verschwunden waren und Gerüchte umliefen, verbrecherische Besatzungsmitglieder hätten sich mit den Reichtümern aus den Frachträumen aus dem Staub gemacht oder es existiere gar ein „Geisterschiff“, das diese Gewässer heimsuche – seitdem waren die Wachen auf den restlichen neun Galeonen verdoppelt und verdreifacht worden. Das bedeutete jedoch noch lange nicht, daß die Mannschaften diesen Dienst nun bereitwilliger versahen. Zwei Bordwachen standen auf der vorderen Kuhl der in Luv liegenden Galeone. Sehnsüchtig blickten sie zu den beleuchteten Häusern an der Hafenmole hinüber. „Vayase al diablo“, sagte der eine, ein schlanker Mann mit dunklem Teint und schwarzen Haaren, ein gutaussehender Typ. „Zum Teufel aber auch ! Seit wir hier in dem gottverfluchten Hafen von Panama liegen, bin ich kein einziges Mal von Bord gekommen und habe fast ununterbrochen Wachdienst geschoben, Diego.“ „Wem sagst du das? Der Fluch soll die Schweine treffen, die die drei Galeone versenkt haben. Wäre das nicht passiert, hätten wir längst unseren sauer verdienten Landurlaub genossen, was, Urbano?“ Diego sagte das mit sauertöpfischer Miene. Er war ein untersetzter Mann um die Vierzig und hatte einen etwas kümmerlichen Schnauzbart. „So ist das.“ Urbano seufzte. „Wenn ich an die vielen schönen Weiber denke, die da auf uns warten, Hombre, wird mir ganz anders. O Dios, endlich wieder ein ordentliches Stück Weiberfleisch in den Händen halten, einen runden Hintern streicheln, einen prallen Busen anfassen ...“ „Du vergißt das Wichtigste“, entgegnete Diego grinsend.
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„Erinnere mich bloß nicht daran.“ „Wo wir schon dabei sind ...“ „Wie lange ist es her, daß wir in keinem vernünftigen Hurenhaus mehr waren und wie die Maden im Speck gelebt haben, Diego?“ „Mehr als sechs Monate.“ „Viel zuviel für einen vollblütigen Sohn des Vaterlandes unter seiner Majestät, Philipp II. von Spanien.“ Urbano sandte noch einen entsagungsvollen Blick zu den Hafengebäuden hinüber, dann senkte er plötzlich die Stimme und sagte: „Hör zu, Compadre. Ich habe noch eine volle Flasche echten chilenischen Rotwein unter meiner Koje versteckt liegen. Wenn wir schon enthaltsam wie die Mönche leben müssen, wollen wir die wenigstens auf den Kopf hauen.“ Diego meldete Bedenken an. „Auf einen guten Tropfen hätte ich zwar auch Lust – aber wenn der Erste oder der Capitano was davon erfahren, gibt es dicke Luft.“ „Ach Quatsch.“ Urbano schaute sich um und tastete die Gestalten der übrigen, weiter entfernt auf der Kuhl und dem Achterdeck postierten Wachen mit einem prüfenden Blick ab. „Ich hole jetzt den Vino, dann gehen wir aufs Vorkastell, da sind wir unter uns. Die Hauptsache ist, daß es keiner von den anderen rauskriegt und an einen Offizier weitergibt. Zeigt sich jemand, lassen wir die Pulle rasch hinterm Ankerspill oder sonst wo verschwinden.“ Gesagt, getan. Urbano verschwand kurz unter Deck. Diego blieb auf der Kuhl der Galeone zurück und stand sozusagen Schmiere. Als der Freund wieder den Kopf aus der Luke des Niederganges streckte, gab Diego ihm ein Zeichen, daß alles in Ordnung sei. Urbano schob das Holzquerschott ganz auf, kletterte hoch, und sie begaben sich auf das Vorkastell. Unweit des Ankerspills ließen sie sich am Steuerbordschanzkleid nieder. Urbano entkorkte die Flasche. Er hatte an der Öffnung des Halses geschnuppert, den Inhalt für gut befunden und setzte nun an, um einen kräftigen Schluck zu nehmen, da lief ein Ruck durch den Schiffskörper. Er fiel nicht sehr stark aus, jedoch heftig
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genug, um den schlanken Spanier aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der gute Wein ergoß sich über Urbanos Gesicht. Urbano rollte zur Seite, verlor die Flasche und fluchte zum Gotterbarmen. Diego wußte nicht, ob er lachen oder ebenfalls wettern sollte. Ein paar Augenblicke später registrierte er jedoch, daß die Ankertrosse schlaff geworden war. Er kriegte Augen, so groß wie Suppenteller. Urbano stieß gegen eine Nagelbank und konnte sich abfangen. Er fand auch die Flasche wieder, doch die war bereits leer. Der letzte Rest des kostbaren Nasses hatte sich auf die Decksplanken ergossen und verbreitete süßlichen, süffigen Weingeruch. „Al diablo!“ Er packte die Flasche am Hals, erhob sich und schleuderte sie über Bord. Auf der Kuhl und auf dem Achterkastell entstand Unruhe, die übrigen Wachen schienen etwas bemerkt zu haben. Urbano sah, daß Diego am Schanzkleid stand und wie gebannt außenbords starrte. Er trat neben ihn und wollte ihn fragen, was los sei, da sagte der schnauzbärtige Mann bereits fassungslos: „Wir - wir haben den Anker verloren!“ „Wir haben was?“ Urbano sichtete die herunterbaumelnde Trosse erst jetzt. Er schaute etwas auf, und in diesem Moment schien es ihm, als sähe er die undeutlichen Konturen eines größeren Bootes oder einer Pinasse im Dunkeln verschwinden. „Verloren“, wiederholte er entsetzt. „Du spinnst ja. Jemand hat die Trosse gekappt und wir treiben nach achtern ab.“ Auf der Kuhl wurde inzwischen gebrüllt, sinnlose Kommandos ertönten. Niemand wußte recht, wer zu befehlen und wer zu gehorchen hatte. Das Steuerbordschott im Achterkastell flog auf, daß es nur so knallte. Der wachhabende Offizier stürzte an Deck. „Was ist los?“ rief er immer wieder. Urbano bemerkte eine sprudelnde Bewegung am Bug der Dreimastgaleone und er begriff. Er riß Diego gewaltsam vom Schanzkleid los und zerrte ihn mit sich fort. Sie flankten über den
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Querabschluß der Back, landeten auf der Kühl und stießen einen Kameraden um. Sie rasten förmlich unter Deck. Sie hatten die Vorpiek noch nicht erreicht, da schossen ihnen bereits die Wassermassen entgegen. Diego schrie auf. Urbano stand plötzlich knietief in den schwärzlichen Fluten und fluchte, daß selbst eine in Ehren ergraute Hafenhure noch rot geworden wäre. Die Unterdecksräume - füllten sich gurgelnd mit Wasser. Die beiden Männer begriffen, daß sie allein nicht damit fertig wurden. Sie liefen zurück an Deck und prallten wieder mit einer Wache zusammen. Diego riß den Arm hoch und wies auf das, was da aus der Finsternis auf sie zuzuwanken schien. „Madre de Dios!“ Die Umrisse der achteraus liegenden zweiten Galeone wurden immer größer und wuchtiger. Der Offizier schrie mit überkippender Stimme Befehle. Tatsächlich kletterten nun auch ein paar Männer die Wanten hoch, andere griffen nach Schoten und Brassen. Man versuchte mit allen Mitteln, das Schiff in letzter Sekunde zu manövrieren. Urbano sah als einer der ersten, daß ihre Galeone bereits nach Steuerbord überkrängte. Er lief aufs Achterkastell, griff mit beiden Händen in den Kolderstock und lehnte sich mit dem Körpergewicht dagegen. Die Galeone legte sich schräg, als wolle sie mit der Rahnock des Großsegels die Wasserfläche berühren. Immerhin schwang sie etwas mit dem Heck herum, doch es blieb ein verzweifeltes, letztlich nutzloses Manöver. Urbano wandte den Kopf und sah die Bugpartie der anderen Galeone buchstäblich auf sich zurasen. Drohend ragte der Bugspriet auf, so, als wolle er ihn aufspießen. Urbano ließ den Kolderstock los und lief, was seine Beine hergaben. Er erreichte noch die Balustrade auf dem Quarterdeck, dann geschah es. Achterschiff und Bug der beiden Galeonen bohrten sich krachend ineinander. Holz splitterte solides spanisches Edelkastanienholz! Die Männer schrien wie besessen durcheinander, jemand erhielt
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einen Splitter ins Bein und ging wimmernd in die Knie. Urbano wurde durch die Wucht des Aufpralls über die Handleiste der Balustrade weggehoben. Hart landete er auf der Kuhl. Der Offizier brüllte außer sich vor Wut. Doch als der Bug des anderen Schiffes sich noch ein Stück tiefer in den Leib ihrer Galeone schob und sie anhob, verlor er die Balance und schlidderte quer über Deck auf das Steuerbordschanzkleid zu. Er ging über Bord und nahm dabei den schreienden und gestikulierenden Diego mit. Genau in diesem Moment löste sich die Galionsfigur der anderen Galeone aus den Resten des zertrümmerten Bugs und krachte aufs Achterdeck des anderen Schiffes. Sie hieb glatt durch und landete ein Deck tiefer in der Kapitänskammer. Urbano arbeitete sich zu ein paar Kameraden vor. Es gelang ihnen, ein Beiboot aus den Laschungen zu lösen und aufs Wasser abzufieren. Hierin lag die einzige Möglichkeit, noch das nackte Leben zu retten. Unterdessen nahm der Lärm auf der Reede zu. Die Wachtposten auf den anderen Schiffen hatten den Vorfall bestürzt beobachtet. Jetzt ließen auch sie Beiboote zu Wasser. Auf einer Galeone wurden das Vormarssegel und das Großmarssegel gesetzt. Sie schwang herum, um den beiden havarierten Schiffen zu helfen — viel zu spät. Die beiden Galeonen hatten sich bereits so weit mit Wasser gefüllt, daß ihr kläglicher Untergang nicht mehr verhindert werden konnte. 2. Es war Nacht, aber Ben Brighton benötigte weder Licht noch Spektiv, um das Durcheinander verfolgen zu können, das sich da auf der Reede entwickelte. Mit bloßem Auge sah er, wie die ersten beiden Galeonen ineinander krachten, sich nicht mehr voneinander lösten und immer tiefer wegsackten. Er konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken. Die Dons befanden sich mal wieder in hellstem Aufruhr. Da wurden die lästerlichsten
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Flüche ausgestoßen, sämtliche Teufel der Hölle herbeizitiert, daß sie die am Drama Schuldigen vernichten sollten, und Gott angerufen, er möge den Schiffbrüchigen beistehen. Da klatschten Beiboote zu Wasser, da stöhnten und jammerten Verwundete, da erloschen schwankende Laternen, während auf den noch unversehrten Schiffen immer mehr Lichter aufflammten. Inzwischen glitt die Pinasse zwischen den Galeonen dahin. Nicht einmal Ben Brighton konnte sie entdecken. Der erste Offizier und Bootsmann des Seewolfs erkannte aber bald, wie an Bord einer dritten Galeone mörderisches Geschrei losbrach und das Schiff in Bewegung geriet. Wieder grinste er. Ferris Tucker, Carberry und die anderen spukten wie die Kastenteufel auf der Reede umher und taten ihre Arbeit. Noch gab es keinen Grund, mit der „Isabella III.“ einzugreifen, und das sollte auf Hasards Anweisung hin auch nicht geschehen, solange es nicht unumgänglich wurde. Die „Isabella III.“ sollte ihr Gesicht als „Valparaiso“ wahren — als spanisches Schiff, das im Geheimauftrag des Gouverneurs von Chile den berüchtigten „El Draque“, Francis Drake, jagte. Nur so hatte die Seewolf-Crew sich frech und gottesfürchtig unter die Schiffe auf der Reede des Hafens von Panama stehlen können, nur so war es gelungen, die drei bereits versenkten Galeonen wie fette alten Enten auszunehmen. Was inzwischen in der Stadt geschehen. war, wußte Ben Brighton nicht, doch es war klar, daß zumindest die Besatzungen der spanischen Galeonen nach wie vor fest davon überzeugt waren, in der ehemaligen „Valparaiso“ einen der ihren unter sich zu haben. Trotz allem hatte Ben natürlich gefechtsklar machen lassen. Die Männer kauerten auf der Kuhl hinter den schußbereiten Demi-Culverinen, auf Achterdeck und Back hinter den Drehbassen. Sie warteten nur darauf, den Dons mal wieder eins auf den Pelz zu brennen.
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Ben trat neben Pete Ballie, den Rudergänger. „Wenn Ferris, der Profos und die anderen mit der Pinasse in der Nähe sind, gehen wir ankerauf. Es muß so aussehen, als ob wir auch zu den Leidtragenden gehören.“ „Aye, aye. Dan O’Flynn hockt im Vormars und wird die Pinasse rechtzeitig sehen. Bloß eins frage ich mich, Ben.“ Pete, der stämmige Mann mit den riesengroßen Fäusten, blickte Brighton an. „Was tun die acht, wenn sie von den Dons entdeckt werden?“ „Das ist kein Problem. Karl von Hutten spricht hervorragend Spanisch. Er kann sich damit herausreden, daß sie Schiffbrüchige von den ersten beiden sinkenden Galeonen sind.“ „Stimmt.“ Pete lachte leise. „Daran habe ich gar nicht gedacht.“ Dan O’Flynn hockte hoch über ihnen im Vormars. Arwenack, der Schimpansenjunge, saß neben ihm auf der Segeltuchverkleidung. Jedesmal, wenn eine weitere spanische Galeone sich von ihrem Anker löste und sichtlich unkontrolliert in die Dunkelheit hinausdümpelte, klatschte er in die schwieligen Hände und gab gegrunzte Beifallslaute von sich. Dan hielt gespannt Ausschau und sichtete die Pinasse im entscheidenden Augenblick. Er gab ein Zeichen. Batuti, der wie eine Art größerer Bruder von Arwenack in den Luvhauptwanten hing, leitete ihn an Ben Brighton weiter. Ben ließ den Anker lichten, und fortan spielte Pete Ballie am Kolderstock verrückt. Die „Isabella III.“ krängte mal nach Backbord, mal nach Steuerbord über, und es wirkte tatsächlich so, als „treibe“ sie infolge eines dreisten Überfalles der Pinassenbesatzung von der Reede ab. Der Lärm auf der Reede nahm zu, denn Philip Hasard Killigrews Mannschaft beteiligte sich nun nach Kräften an dem Gebrüll - damit es so echt wie möglich wirkte. Ben Brighton ließ ellenlange Tiraden vom Stapel. Die anderen stimmten mit ein, so gut sie konnten. Einige deftige Ausdrücke wie „Maldido“ und „Mierda“
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hatten sie immerhin schon gelernt. Dan O’Flynn kreischte im Vormars, als wolle man ihn abstechen. Arwenack quietschte vor Vergnügen. Batuti ließ sich auf Deck fallen und trampelte mit den nackten Füßen. Einige andere wie Blacky, Gary Andrews, Gordon Watts, Nils Larsen, Patrick O’Driscoll und Bob Grey schrien sich die Kehlen heiser. Der Kutscher beförderte einen prall gefüllten Sack mit Abfällen übers Schanzkleid. Als er ins Wasser plumpste, sah es wahrhaftig so aus, als sei jemand baden gegangen. Ben ließ die Vorstellung andauern. Das Theater mußte solange dauern, bis sie in der Dunkelheit außer Sicht gerieten. Ben brauchte Pete keine Anweisungen mehr zu geben. Dieser wußte ja, daß ihr Ziel die Insel Chepillo war. Sie lag etwa dreizehn Seemeilen in ostsüdöstlicher Richtung von Panama, jedoch nur eine knappe Seemeile von der Küste entfernt. An ihrer Ostseite sollte sich die „Isabella“ verstecken und dort auf die acht Männer mit der Pinasse sowie auf den Seewolf und dessen Begleiter Jean Ribault warten. Ben trat an die Heckgalerie und betrachtete das Durcheinander, für das Ferris, Carberry und die anderen aus der Pinasse gesorgt hatten. Die Verwirrung auf den Schiffen wurde noch dadurch gesteigert, daß sich die Kapitäne und die meisten Offiziere an Land befanden. Niemand wußte recht, was er tun sollte, kurzum, das Tohuwabohu war perfekt. Um Mitternacht hatte Tucker sechs der neun Schiffe auf die letzte Reise geschickt. Wrackstücke und Schiffbrüchige trieben auf der Reede, es herrschte ein heilloser Zustand. Ben Brighton entging nicht, daß einige Schiffbrüchige plötzlich und auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Etwas zerrte sie in die Tiefe. Ben lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Unwillkürlich schüttelte er sich und gab einen tiefen, unwilligen Laut von sich. Blacky, der ganz in seiner Nähe an der einen Drehbasse stand, sagte: „Haie. Ist doch ein Ding, wie die immer zur Stelle sind, wenn es irgendwo einen fetten Happen zu holen gibt.“
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Ben wollte etwas erwidern, wurde jedoch durch die Vorgänge am Hafen abgelenkt. Fackeln und andere Lichter wurden dort bewegt. Zweifellos trachtete man danach, Boote flottzukriegen und den Schiffbrüchigen zu Hilfe zu eilen. Ben Brighton wurde aber das Gefühl nicht los, daß es noch einen anderen Grund für die plötzlich entstandene Aufregung an der Mole gab, einen Grund, der unmittelbar mit Hasard und Jean Ribault zusammenhing. * „Verdammt und zugenäht!“ Hasard blickte entgeistert auf die Nebenpier, an der Jean Ribault und er ihr Boot vertäut hatten. Es war verschwunden. Irgendjemand hatte es sich unter den Nagel gerissen —wer, das war ganz egal, von Bedeutung war nur die Tatsache, daß die Lage nun wirklich prekär für sie wurde. „Der Fall ist klar“, sagte Jean Ribault. „Ferris und die anderen haben zugeschlagen und lassen die neun spanischen Galeonen seewärts abtreiben und absaufen. Erste Schiffbrüchige sind hier eingetroffen, wir haben ja bruchstückweise gehört, was sie berichtet haben. Und jetzt? Jetzt wird jedes verfügbare Boot genommen, damit man die Besatzungen aus dem Wasser ziehen kann, bevor sie von den Haien aufgefressen werden.“ Er lächelte, wie das nur ein Franzose seines Kalibers konnte. „Mon ami, wir befinden uns gewissermaßen in einem aufgescheuchten Hornissennest!“ Hasard blickte sich um. Im Hafen herrschten Mordsgeschrei und ein Wirbel, als würde jeden Augenblick die ganze Stadt in die Luft fliegen. Schritte trappelten auf dem Kopfsteinpflaster der Straßen und Gassen und des freien Platzes vor der Mole, Männer brüllten und fluchten, Frauen kreischten, irgendwo weinte ein Kind, bellte ein aufgescheuchter Hund. „Weg hier“, sagte Hasard. „Wir suchen uns woanders einen Kahn.“
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Sie liefen von der Nebenpier und forschten nach einem Boot. Die Degen, die sie während des Banketts im Gouverneurspalast so erfolgreich zum Einsatz gebracht hatten, hielten sie nun wieder in den Fäusten. Denn jeden Moment konnten die Dons zur Stelle sein, die ihnen aus dem Gouverneurspalast gefolgt waren. Alfonso de Roja, der Hafenkommandant, den sie so hervorragend geblendet hatten, der Polizeipräfekt Miguel de Villanueva und der Gouverneur de Avila verspürten nicht übel Lust, ihnen eigenhändig die Köpfe abzureißen. Sicherlich würden ihre Leute nicht lange fackeln, wenn sie die Flüchtigen aufstöberten. Ganz gewiß hatten sie die Anweisung, sie auf der Stelle umzubringen. Hasards Rolle als stolzer spanischer Capitan Diaz de Veloso war geplatzt. Er brauchte nicht länger zu schauspielern. Der Polizeipräfekt von Panama, de Villanueva, kannte den wirklichen Kapitän der ehemaligen „Valparaiso“ — den Mann, dem Hasard und seine Crew seinerzeit mittels dessen eigenem Schießpulver eine so schmähliche Niederlage beigebracht hatten. Der Seewolf und Jean Ribault hatten an dem Festbankett des Gouverneurs von Panama teilgenommen, da war de Villanueva auf der Szene erschienen und hatte Hasard sozusagen entlarvt. Hasard und Jean hatten für Krach gesorgt, daß die Wände wackelten, dann hatten sie ihr Heil in der Flucht gesucht. Mit allem hatte der Seewolf gerechnet — nur nicht damit, daß ihnen der Weg auf diese Art abgeschnitten wurde! Alles Fluchen nutzte ihnen nichts. Sie fanden kein Boot, mit dem sie sich absetzen konnten. Sie stahlen sich von den Piers fort und schlüpften in eine winzige, unbeleuchtete Gasse. Hier drückten sie sich in einen Hauseingang und verschnauften erst einmal. Rundum tönten die Stimmen der Spanier, hallten Schritte. Aus irgendeinem Fenster über ihren Köpfen ertönte das monotone Gebet einer
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Frau, die allem Anschein nach glaubte, der Tag des Jüngsten Gerichtes sei gekommen. „Parbleu, wir sitzen in der Falle“, stellte Jean Ribault so nüchtern fest, als spräche er über die tägliche Proviantverteilung an Bord der „Isabella“. „Du fällst mir langsam auf die Nerven, Franzose“, gab Hasard zurück. „Das ändert nichts an den Tatsachen.“ „Also schön. Was unternehmen wir?“ „Wir könnten zu Fuß gehen.“ „Deine blöden Witze sind wirklich unangebracht.“ Jean grinste. „Ich meine es todernst.“ Hasard verzog das Gesicht. „Wenn wir an der Küste entlang marschieren, weißt du, wie lange wir da brauchen? Auf dem Wasserweg sind es dreizehn Seemeilen bis zur Insel Chepillo. Aber auf dem Landweg müssen wir Buchten hinter uns bringen und Flußmündungen umgehen oder durchschwimmen.“ „Kein erfreulicher Gedanke.“ „Eben. Ich schlage vor, wir verstecken uns. Ist der schlimmste Trubel vorüber, verdrücken wir uns in aller Gemütsruhe.“ „Hm.“ „Was soll das heißen — hm? Irgendwann müssen die Boote ja zurückkehren. Wir nehmen dann eins in Beschlag. Wahrscheinlich wird erst in der nächsten Nacht etwas daraus, aber so lange müssen wir uns eben gedulden.“ „Da liegt das Problem nicht“, erwiderte der Franzose leise. „Wir müssen ein geeignetes Versteck finden. Die Phillips werden doch alles nach uns absuchen, werden jeden Kistendeckel ein paarmal umdrehen, um ja keinen Platz auszulassen, an dem wir uns verkrochen haben könnten. Wir müssen hundertprozentig auf Nummer Sicher gehen. Aber wie? Wo? Kennst du dich so gut in Panama aus?“ Er blickte nach oben, um herauszufinden, hinter welchem Fenster die Frau betete. Hasard schüttelte den Kopf. „Da nicht. Das hat keinen Sinn. Sie würde schreien, ganz egal, was wir ihr androhen. Außerdem habe ich was dagegen, unschuldige Leute in diese Geschichte zu verwickeln.“ „Das ist edel.“
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„Das ist normal“, entgegnete Hasard. „Los, komm jetzt, wir haben schon genug Zeit mit Sprücheklopferei verloren.“ Er lief voraus, tief in das Dunkel der Gasse hinein. Er wußte auch nicht, wie er die Bedenken des Franzosen zerstreuen sollte, aber er vertraute ganz einfach auf die glückliche Hand, die er in Aktionen wie dieser immer wieder bewiesen hatte. Kein Raid, war er auch noch so genau geplant, konnte ausschließlich aus kühl berechneten Zügen und nüchternem Kalkül bestehen, es gehörte schon eine gute Portion an Ungewißheit und tödlichem Risiko dazu, und letztere ließen sich nur durch Tollkühnheit und eine gewisse Selbstüberzeugung meistern. Hasard war nie überheblich gewesen, und er war es auch jetzt nicht. Aber im Gegensatz. zu Jean, der mit einem Mal zu zweifeln begann, war er überzeugt, etwas Passendes zum Unterschlüpfen zu finden. Das Schicksal ergab sich nicht immer, es wollte bisweilen auch manipuliert werden. Fast stießen sie mit einem Trupp bis an die Zähne bewaffneter spanischer Soldaten zusammen. Hasard sichtete sie, als er eine trübe beleuchtete Straßenecke passierte. Er bewies Kaltblütigkeit. Zurückziehen konnte er sich nicht mehr, sie hatten ihn gesehen. Zurückweichen, das war in diesem Moment gleichbedeutend mit einem selbstunterschriebenen Todesurteil. Hasard lief weiter. Dem Franzosen, der hinter ihm aus der Gasse trat, rief er auf spanisch zu: „Nun, beeil dich endlich, hombre. Die beiden Ingléses, die Schweinehunde, die gesucht werden, sollen sich an den Hafenpiers versteckt haben!“ Ribault, alles andere als ein Langsamdenker, schaltete sofort. „Dann nichts wie hin, ich will dabei sein, wenn sie zusammengeschossen werden.“ Wie zwei Schatten huschten sie vor dem Trupp Soldaten vorüber. Der Anführer riß seinen Degen hoch und kommandierte: „Zum Hafen, zum Hafen, bewegt euch, Leute!“ Und während der Seewolf und Jean Ribault in der gegenüberliegenden Gasse untertauchten, trappelten die Schritte
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der Soldaten hinter ihnen vorbei und verloren sich in dem allgemeinen Lärm. Dem Anführer fiel es nicht weiter auf, daß die beiden Männer, die doch angeblich auch zum Hafen unterwegs waren, einen Umweg nahmen. Und auch sonst hegte er keinerlei Verdacht. Es war ihm eben nur gemeldet worden, daß zwei verwegene Burschen gesucht würden, die das Festbankett im Gouverneurspalast gestört hätten. Wie die aussahen, hatte man ihm offensichtlich noch nicht näher beschrieben. Eben dies war eine glückliche Fügung des Schicksals. Sie gewährte Hasard und Jean Ribault den zeitlichen Aufschub, den sie so dringend benötigten, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie überquerten einen winzigen Hinterhof und stahlen sich in einen Gang, der so schmal war, daß sie die beiderseits aufragenden Mauern mit den Schultern berührten. Eine Katze stob vor ihnen davon. Hasard pirschte bis an den Auslaß vor; er führte auf eine etwas breitere Straße. Hasard streckte den Kopf vor und konnte plötzlich bis zur Hafenmole gucken. Jean war hinter ihm. „Nun? Was siehst du?“ „Eine Menge Leute“, raunte Hasard ihm zu. „An der Piers herrscht Wuhling, als sei ein Aufstand losgebrochen. Noch einen Schritt weiter, und wir werden garantiert entdeckt.“ Als hätte er es mit seinen Worten heraufbeschworen, näherten sich in diesem Augenblick harte Schritte —aus Richtung Hafen. Hasard und Jean wichen etwas zurück und drehten sich so, daß sie mit den Rücken zur Mauer standen. Sie hielten sich dagegen gepreßt und wünschten sich inständig, so platt wie Schollen zu sein. Schätzungsweise ein Dutzend Soldaten marschierte vorüber. Die Kerle hatten grimmige Mienen und hielten die Waffen gezückt. Warf auch nur einer einen Blick in den schmalen, finsteren Gang, mußte er die wie gelähmt stehenden Gestalten zumindest schemenhaft erkennen. Der Trupp eilte davon. Ribault, der die Atemluft angehalten hatte, stieß einen
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leicht pfeifenden Laut aus. „Fast wär’s soweit gewesen. Nichts wie weg hier.“ „Moment noch.“ Hasard riskierte noch einen Blick. Er hatte plötzlich ein Gebäude entdeckt, das ihrem Zweck zu entsprechen schien. Es erhob sich jenseits des gegenüberliegenden Straßenrandes — ein gemauerter, viereckiger Bau, ein ziemlich häßlicher Kasten mit weißgetünchtem Äußeren. Vorn wurde es von zwei Soldaten bewacht. Sie hielten ihre Musketen im Anschlag, und es gab nicht die geringste Möglichkeit, sich an sie heranzuschleichen. Hasard drehte sich um und gab dem Franzosen ein Zeichen. Sie kehrten auf den winzigen, übelriechenden Hinterhof zurück, den sie soeben passiert hatten. Auf Umwegen gelangten sie schließlich über die Straße und erreichten die Rückseite des großen Gebäudes. Hasard grinste. „Na bitte. Hier stehen keine Posten.“ „Noch nicht ...“ „Beeilen wir uns, Jean.“ Sie entdeckten einen Baum, dessen Konturen sich fast übergangslos mit der Schwärze der Nacht verbanden. Es war eine schlanke, hoch aufragende Zypresse. Die beiden fackelten nicht lange, sie kletterten daran empor. Die Zypresse befand sich so nahe an der Gebäudemauer, daß sie aus ihrem Wipfel mühelos übersteigen konnten. Hasard tat dies als erster. Er entdeckte einen simsartigen Vorsprung, stellte sich darauf und klammerte sich oben fest, so gut es ging. Er steckte einfach die Finger in eine Mauerritze. Jean Ribault setzte ihm nach, aber er geriet plötzlich aus dem Gleichgewicht. Verzweifelt bewegte er die Arme und versuchte, die Balance wiederzugewinnen. Er drohte, aufs Pflaster zu stürzen und sich ein paar Knochen zu brechen oder gar den Schädel aufzustoßen. Der Seewolf packte ihn mit der linken Hand und zog ihn zu sich heran. Er konnte von Glück sagen, daß er dabei nicht selbst abrutschte. „Mist, verfluchter“, zischte der Franzose.
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Sie kletterten höher und gelangten an den Rand des flachen Giebeldaches. Hasard zog sich höher und preßte den Oberkörper auf die rauhen, mit großen Steinen beschwerten Schieferplatten des Daches. Er ließ die Beine baumeln, verschaffte sich durch eine heftige Bewegung Auftrieb und glitt vollends hinauf. Gleich darauf half er Jean über die Kante weg. Der kriegte es mit der Angst zu tun, denn unten näherten sich hastige Schritte. Mehrere Männer fluchten. Jean lag auf dem Dach und zog die Beine ein. Da stürmten sie um die Gebäudeecke — mehr als zehn spanische Soldaten. Hasard spähte über die Kanten der Schieferplatten und meinte, einen der Burschen zu erkennen — es war der Anführer, den sie mit ihrem Scheingespräch zum Narren gehalten hatten. „Diese Bastarde!“ schrie er. „Ich bringe sie eigenhändig um, wenn ich sie zu fassen kriege. Die werd ich lehren, was es heißt, einen Soldaten seiner Majestät zu verscheißern!“ Als sie vorüber waren, blickte Hasard den Franzosen an. Jean konnte sich das Lachen kaum verkneifen, sie grinsten beide. „Offenbar sind wir ihm inzwischen beschrieben worden“, meinte Jean Ribault. Sie krochen auf dem Dach entlang und erreichten eine alte, verrottete Luke. Jean wollte diesmal den Vortritt haben und die im ungewissen Dunkel lauernden Gefahren .auf sich nehmen. Aber Hasard lehnte ab. Er steckte die Beine in die Luke, ließ sich abgleiten und hielt sich mit den Händen an der hölzernen Fassung fest. Sie knackte bedrohlich. Hasards Körper und Beine baumelten im Freien. Mit den Füßen suchte er nach einer Leiter, einer Stiege oder irgendetwas Ähnlichem — vergebens. Er blickte nach unten und strengte sich an, etwas im Inneren des Gebäudes zu erkennen. Aber es war so stockfinster, daß er nicht einmal seine Füße sah. „Was jetzt?“ flüsterte Ribault. Hasard erwiderte nichts; er ließ sich kurz entschlossen fallen. Er konnte sich etwas brechen, aber das nahm er in Kauf. Eile tat not. Wenn die Schergen des
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Polizeipräfekten oder Hafenkommandanten sie erst aufgespürt hatten, blühte ihnen das Allerschlimmste. In der Beziehung gab er sich überhaupt keinen falschen Hoffnungen hin. Hasard fiel ins Dunkel und hatte ganz überraschend wieder Boden unter den Füßen. Er rollte sich geistesgegenwärtig ab, stieß sich aber dennoch die Knochen auf dem harten Untergrund. Unwillkürlich fragte er sich, ob er auf Eisenplatten gelandet sei. Unter ihm schien etwas zu wanken, es knarrte bedenklich. Er blieb liegen und rührte sich eine Weile nicht. Stille umfing ihn. Er befühlte den Untergrund, wirklich, der war kühl und hart wie Eisen. Die Luke über ihm war ein blasses Rechteck. Mittendrin nahmen sich die Umrisse von Jean Ribaults Schädel aus. „He!“ raunte der Seewolf. „Du kannst runterkommen!“ Wenig später kauerte der Franzose neben ihm und rieb sich die schmerzenden Gliedmaßen. „Parbleu“, schimpfte er leise. „Du hättest mir ruhig sagen können, was mich hier erwartet.“ Hasard grinste. „Wußte ich doch selbst nicht. Warte mal.“ Er holte Lunte und Feuerstein hervor. Feuerstahl hatte er nicht, aber er benutzte die Fläche, auf der sie aufgesprungen waren, als solchen. Binnen kurzem flackerte schwaches Licht auf. Hasard wußte, daß er allerhand riskierte. Entdeckte auch nur ein verflixter Don den Feuerschein, dann waren sie geliefert. Andererseits mußten sie aber auch ihre neue Umgebung ergründen, sonst konnte es böse Überraschungen geben. Plötzlich klappten sie die Münder auf - und sagten gar nichts mehr. Ihr Schweigen hatte etwas Ehrfürchtiges. Jean Ribault strich immer wieder mit den Händen über den plattformähnlichen Platz, auf dem sie gelandet waren. Der schimmerte matt und rötlich gelb und war alles anders als Eisen, wie Hasard anfangs vermutet hatte. Aber Metall war es. „Gold“, hauchte Jean Ribault. „Mir bleibt die Luft weg.“
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Hasard kroch ein Stück weiter und orientierte sich. „Wir sitzen auf einem richtigen Berg“, flüsterte er. „Auf gestapelten Goldbarren. Die Dinger sind verdammt schwer, sonst wären sie bei unserem Aufprall ins Rutschen geraten und der Stapel wäre auseinandergefallen.“ Ribault wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Himmel, hätte das einen Aufstand gegeben! Was meinst du, lagert das Gold hier bis zum Abtransport nach Portobello?“ „Bestimmt. Komm, ich habe was entdeckt!“ Hasard führte den Franzosen in eine Ecke des großen Gebäudes. Hier schichteten sie die Barren so, daß sie eine Art Höhle bildeten - eine richtige Grotte, die ihnen beiden genügend Platz bot und die sie vorn wiederum durch andere Barren fast ganz schließen konnten. Sie schlüpften hinein und mauerten sich selbst mit Barrengold ein. „O Mann, o Mann“, sagte der Franzose verhalten. „Sag mir, daß das nicht wahr ist! Zwei Korsaren Ihrer Majestät, der Lissy, igeln sich in einem puren Goldhügel ein. Davon hab ich schon immer geträumt ...“ „Heute nacht schlafen wir auf Gold“, sagte Hasard. „Wenn wir das an Bord der ‚Isabella’ erzählen, glaubt es uns keiner.“ 3. Alfonso de Roja, fettleibig, faul und gefräßig und seines Zeichens Hafenkommandant von Panama, zerschmolz fast unter den wütenden Blicken seines Gouverneurs. Gouverneur Diego de Avila war ein ähnlich dicker und pomadiger Typ wie der Kommandant, und was die innere Einstellung betraf, so hatten sie sich gegenseitig nichts am Zeuge zu flicken, sondern hübsch den Mund zu halten. Doch im Moment ging es nicht um interne Vetternwirtschaft, um Schmarotzertum und Korruption, es ging um die beispiellose Frechheit, mit der sich der Seewolf und sein Begleiter in den Hafen geschlichen und schließlich auf dem
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Bankett für unglaublichen Trubel gesorgt hatten. Da konnte de Roja im Moment nur buckeln, zumal Miguel de Villanueva, der Polizeipräfekt, in die gleiche Kerbe hieb. „Unfähig!“ schrie der Gouverneur. Er war glühend rot im Gesicht und erweckte den Eindruck, als würde er jeden Augenblick platzen. „Das wird noch ein Nachspiel für Sie haben, mein lieber de Roja. Glauben Sie nur nicht, daß Sie so billig davonkommen...“ „Sie haben eine Schlange an Ihrem Busen genährt!“ brüllte der Polizeipräfekt. „Niemals hätten Sie diesem schwarzhaarigen Bastard und seinen Komplicen so mir nichts dir nichts Glauben schenken dürfen, Mann!“ „Wer konnte denn ahnen, daß er nicht Diaz de Veloso ist?“ wagte de Roja einen schwachen Einwand. „Verstand hätten Sie beweisen müssen“, gab der Gouverneur mit keifender Stimme zurück. „Scharfsinn! Gespür! Wer ist denn hier der Hafenkommandant?“ De Villanueva lachte kalt und freudlos. „Don Diego, merken Sie denn immer noch nicht, daß wir hier einen völlig abgeschlafften, inkompetenten Mann vor uns haben? Die Zeiten haben sich gewandelt, von allen Seiten droht Gefahr, ,El Draque` spukt jetzt auch in diesen Gewässern herum. Aber alles das wird Von diesem unfähigen Hafenkommandanten ignoriert. Sorglos und unbedarft ist er in die Falle getappt. Der schwarzhaarige Teufel und seine Kerle sind ganz gemeine Piraten —vielleicht sogar Landsleute und Kumpane von ,El Draque`, die es vorzüglich verstanden haben, sich als Spanier zu tarnen.“ „Nein!“ schrie Alfonso de Roja plötzlich aufbrausend zurück. „Das kann nicht sein! Das sagen Sie nur, um sich selbst herauszuwinden. Aber Sie sind mitverantwortlich an dem, was geschehen ist, Präfekt!“ De Villanueva zuckte zurück, als habe man ihn geohrfeigt. Das war denn doch zu ungeheuerlich! Er sah aus, als wolle er seinem Kommandanten mitten ins Gesicht
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springen. Nur der Gouverneur, der jetzt einen Schwall von Beleidigungen und konfusesten Mutmaßungen losließ, hielt ihn davon ab. Sie standen an der Hafenmole, und die Kapitäne der draußen auf der Reede gesunkenen oder im Untergehen befindlichen Schiffe traten nach und nach zu ihnen. Ihre Stimmen wurden laut. „Unglaublich!“ „Alles Übel geht also von der ,Valparaiso` aus!“ „Diese Piraten! Diese gemeinen Halunken!“ „Packt sie!“ „Laßt sie kielholen, aufhängen und vierteilen!“ Einige drehten sich um und schüttelten die Fäuste gegen die Reede. Da herrschte immer noch größte Verwirrung und Panik, und es gelang nicht, die sinkenden und miteinander kollidierenden Schiffe irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Fast alle neun Galeonen schienen zum endgültigen Untergang verdammt zu sein. Alles, was man noch tun konnte, war, die Schiffbrüchigen zu bergen. Unter den Geborgenen, die auf den Piers von den Rettungsbooten ausgesetzt wurden, befanden sich nicht nur Überlebende. Es waren auch Tote darunter. Einige waren an Bord ihrer Schiffe von Trümmerteilen erschlagen worden. Den grausigsten Anblick boten die von den Haien Angefallenen, die man vor dem entsetzlichen Schicksal zu bewahren getrachtet hatte. Sie waren zerstückelte Körper, einigen fehlte der gesamte Unterleib sowie die Beine. Ein Mann namens Urbano, ein Überlebender von Bord der ersten gesunkenen Galeone, erkannte in dem einen Bißopfer seinen Freund Diego. Erschüttert wandte er sich ab. Der Gouverneur Diego de Avila blickte kurz zu der schaurigen Sammelstätte hinüber.. Er erbleichte, von dem Geschehen wurde ihm fast übel. Er wandte sich’ wieder dem Präfekt, dem Kommandanten und den Kapitänen zu und schnappte hörbar nach Luft.
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„Tun Sie was!“ schrie er de Roja schließlich an. „Warum sind der schwarze Hund und sein Komplice noch nicht gefunden worden?“ „Alle verfügbaren Männer sind auf den Beinen“, meldete de Villanueva anstelle des verzweifelt gestikulierenden de Roja. „Die Umgebung des Gouverneurpalastes wird systematisch abgesucht. Ich habe keinen Zweifel, daß die Kerle binnen kurzem aufgescheucht und gefangengenomrnen werden — ganz gleich, wo sie untergekrochen sind.“ „Und die ,Valparaiso`?“ schrie der Gouverneur wütend. „Ein Schiff“, sagte de Roja, und dann schrie er es: „Ein Schiff, ein Königreich für ein Schiff! Ich selbst werde die Schurken stellen und ...“ „Es gibt kein brauchbares Schiff mehr auf dieser Reede, Sie Narr“, unterbrach ihn einer der Kapitäne. „Wollen Sie den Flüchtigen etwa mit einem Boot nachsetzen?“ „Wer gibt ihnen das Recht, mich als Narr zu bezeichnen’?“ „Nicht so happig!“ brüllte ein anderer Kapitän de Roja an. „Schließlich haben wir es doch Ihnen zu verdanken, daß unsere Galeonen auf den Grund der See geschickt wurden, oder?“ „Nein!“ De Roja japste vor Wut. „Ich habe wohl schon einmal festgestellt: Jeder Kapitän trägt selbst die volle Verantwortung für sein Schiff und seine Mannschaft, ganz gleich, wo er sich gerade befindet.“ „Lüge!“ rief jemand. Einer der Kapitäne lachte höhnisch auf. „Versuchen Sie bloß nicht, die Schuld von sich abzuwälzen. Sie haben sich ganz schön von diesem schwarzhaarigen Bastard beeinflussen lassen. Vielleicht stecken Sie sogar mit ihm unter einer ...“ „Bemessen Sie Ihre Worte“, fuhr de Roja ihn an. Plötzlich griff er nach seinem Degen. Der Gouverneur war jedoch neben ihm und legte ihm die Hand auf den Unterarm. Er schrie etwas, das in dem allgemeinen Tumult unterging.
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Erst de Villanueva gelang es wieder, sich Gehör zu verschaffen. Er beschrieb eine herrische Geste, worauf die meisten Männer verstummten. „Eins steht doch nun wohl fest“, erklärte er. „Das Märchen von den spanischen Seeleuten an Bord der ersten drei verschwundenen Galeonen, die sich angeblich mit den Ladungen davongemacht haben sollen, läßt sich nicht mehr aufrechthalten. Mit der ,Valparaiso` stimmt etwas nicht, das ist doch klar.“ „Aber auf der ,Valparaiso` war auch der Teufel los!“ Alles schaute auf den Mann, der diese Worte gesprochen hatte. Es war Urbano. Er trat in den Kreis, und de Villanueva musterte ihn, als wolle er ihn erdolchen. „Und das Schiff schlingerte so stark, daß ich annehme, es ist auch untergegangen“, fuhr Urbano fort. „Schön, es trieb mit Nordwind von der Reede, aber weit ist es bestimmt nicht ...“ „Blödsinn!“ unterbrach ihn de Villanueva. „Sieht hier denn jemand auch nur ein Besatzungsmitglied der ,Valparaiso`? Oder willst du Schwachkopf uns weismachen, die seien alle ersoffen oder den Haien zum Opfer gefallen?“ Er wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Moment trat ein berittener Bote ein und sorgte für eine neue Verzögerung. „Rund um den Gouverneurspalast gibt es auf Distanz von über einer Meile keine Spur von den Gesuchten“, berichtete er. De Villanueva verstand es, die Meldung sofort zu seinen Gunsten auszulegen. „Natürlich, natürlich. Im Grunde habe ich mir das ja gedacht. Warum habe ich mich wohl gleich mit Ihnen an den Häfen begeben, Caballeros? Nicht nur, um voll ohnmächtiger Wut der Katastrophe beizuwohnen, die sich dort draußen auf der Reede abspielt. Nein, ich hegte auch eine dumpfe Ahnung — daß nämlich die beiden Schurken vom Bankett aus zum Hafen zu fliehen versuchten. Schließlich liegt hier ihr Boot, mit dem sie von der ,Valparaiso’ aus zum Hafen gesegelt waren.“ „Es lag“, korrigierte einer der Kapitäne. „Jetzt ist das Boot weg, es wurde für die Rettung von Schiffbrüchigen eingesetzt.“
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„Ausgezeichnet“, erwiderte de Villanueva, und seine überhebliche Miene drückte aus: Natürlich habe ich mir auch das gedacht, Caballeros! De Villanueva war ein brutaler Mensch, aber auch ein verschlagener Typ. Der Zwist mit de Roja kam ihm gerade richtig, er war Wasser auf seine Mühlen, im Beisein des Gouverneurs wollte er unbedingt seine Überlegenheit beweisen und war überzeugt, daß das Früchte tragen würde. Er breitete theatralisch die Arme aus, musterte ein paar Umstehende und fuhr in seiner Rede fort: „Selbstverständlich sind die beiden Verbrecher zu spät eingetroffen. Was bedeutet der Verlust ihres Bootes? Daß sie keine Möglichkeit mehr haben, aus dem Hafen zu entweichen, denn alle Boote sind besetzt. Entsprechend wird unsere Initiative ausfallen.“ „Bravo!“ rief der Gouverneur aus. Sein feistes Gesicht zeigte Wohlwollen, sein überkochender Zorn war im Abschwellen begriffen. „Endlich einmal fällt das richtige Wort im richtigen Augenblick. Unternehmen Sie was, de Villanueva. Sie sind der fähigste Mann, den wir mit dieser Aufgabe betrauen können.“ Er holte tief Luft, das ging nicht ohne hörbares Schnaufen ab. „Ab sofort übergebe ich Ihnen das Oberkommando über den Einsatz im Hafen. Verfügen Sie über sämtliche Männer, auch über meine Palastwache — eben über alle!“ Miguel de Villanueva schien vor Stolz zu wachsen, er warf sich gehörig in die Brust. Da konnte Alfonso de Roja nicht ruhig zusehen, da konnte er nicht nur vor Neid erblassen und den Dingen ihren Lauf lassen. „Ich protestiere!“ rief er. Er fühlte sich in seiner Autorität als Hafenkommandant untergraben und sah seine Felle davonschwimmen. Der Gouverneur bedachte ihn mit einem ungnädigen Seitenblick, dann führte er die Hände hinter dem Rücken zusammen und wandte sich von neuem an de Villanueva. „Also, Präfekt; was gedenken Sie zu tun?“ „Ich lasse verschärfte Wachen aufstellen, die die Abriegelungsposten unterstützen
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und zusätzlich das Hafengebiet abpatrouillieren.“ Der dicke Diego de Avila nickte ihm aufmunternd zu, und de Villanueva herrschte den Boten an: „Los, Mann, reite zu deinem Vorgesetzten und sag ihm, er soll alle verfügbaren Männer vom Gouverneurspalast abziehen und höchstpersönlich hierherführen.“ Der Reiter galoppierte davon. „Ich will, daß keine Maus ungesehen passiert!“ rief de Villanueva ihnen noch nach, und der Gouverneur lächelte dazu. War das ein Kerl, dieser Polizeipräfekt! De Avila wunderte sich darüber, daß ihm die Führungsqualitäten dieses Mannes noch nicht früher aufgefallen waren. Die Kapitäne redeten durcheinander und wüßten immer noch nicht genau, wie sie sich verhalten sollten. Die Rettungsaktion für die Schiffbrüchigen der untergegangenen Galeonen lief auf vollen Touren, aber sie konnten nichts dazu beitragen. Ihre Schiffe waren von der Reede verschwunden, nur Wrackteile trieben noch in den schwärzlichen Fluten. Die stolzen Capitanos waren gewissermaßen ohne Zuhause und deswegen sichtlich verwirrt. Sie umstanden den Gouverneur und den Präfekten, palaverten gestenreich und drängten dabei den übergewichtigen Alfonso de Roja allmählich ab. De Roja rang die Hände, daß es in den Fingerknöcheln knackte. Hin und wieder wandte er sich mit einem vernehmlichen „Don Diego“ oder „Ich protestiere“ an de Avila, doch der wollte ihm kein Gehör schenken. Schließlich war es de Villanueva, der mit spöttischem Lächeln aus der Gruppe trat und sich breitbeinig vor den Hafenkommandanten hinstellte. Er verschränkte die Arme und sagte: „Nun?“ De Roja keuchte vor Wut. „Was soll das heißen, nun?“. „Kommandant, wollen Sie sich nicht endlich um die Zweimastgaleone ,Valparaiso` kümmern?“ „Aber ich habe doch. ....“
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„... festgestellt, daß mit dem Schiff etwas nicht stimmen kann?“ De Villanueva grinste geradezu herausfordernd. „Mein Freund, dieser Verdienst steht doch wohl mir zu. Oder reicht Ihr Verstand nicht so weit? Haben Sie schon wieder vergessen, was wir eben gesprochen haben?“ „Nein“, entgegnete de Roja. „Ich wollte ja der ,Valparaiso` nach, aber Sie, Sie ...“ „Wann treffen Sie Ihre Entscheidungen endlich selbständig?“ fragte de Villanueva höhnisch. „Dios, das kann doch nicht so schwierig sein. Jemand muß nach der vertrackten Zweimastgaleone schauen, und wenn Sie sich nicht bequemen, dann finde ich gewiß jemand, der sich darum kümmert. Ich dachte nur, es wäre recht und billig, wenn Sie sich gegenüber dem Gouverneur wieder in ein besseres Licht setzen.“ De Roja drehte sich abrupt um und hastete zur Mole. „Meine Schaluppe! Wo ist meine Schaluppe?“ Seine Stimme überschlug sich. „Ein Königreich für ein Boot!“ Einer der Kapitäne trat neben ihn: „Ihre Schaluppe befindet sich draußen auf der Reede, ich habe sie eben gerade wieder ablegen und auslaufen sehen. Reißen Sie sich doch zusammen, Kommandant. Wo kommen wir denn hin, wenn wir jetzt alle durchdrehen? Ein bißchen Ruhe, und wir finden schon ein Boot für Sie.“ „Das will ich auch hoffen“, entgegnete de Roja japsend. Tatsächlich näherte sich einer der Piers bald ein Schatten, seine Konturen schälten sich allmählich aus dem Dunkel, und sie erkannten ein vollbesetztes Boot, das von zwölf Riemen auf den Landesteg zubewegt wurde. Sechs Männer holten jetzt die Riemen ein, andere bemühten sich um zwei reglos zwischen den Duchten liegende Gestalten. Alfonso de Roja rannte auf die Pier. Er bequemte sich nicht, den Anlegenden in irgendeiner Weise behilflich zu sein, er schnauzte nur herum, man solle sich gefälligst beeilen. Sichtlich wütend stiegen die Männer aus dem Boot und trugen die
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beiden Bewußtlosen - zwei Seeleute, die viel Wasser geschluckt hatten - an Land. De Roja griff nach den Leinen des Bootes. Fast wäre es ihm wieder abgetrieben. Eigenhändig vertäute er es. Er schaute auf und sah, daß die Kapitäne zu ihm herübersahen und grinsten. Das versetzte ihn noch mehr in Aufruhr. Er lief über die Mole, sorgte für -einen Heidenaufstand und schaffte es endlich, sechs Soldaten und sechs Männer, die ihm als Rudergasten dienen sollten, zusammenzutrommeln. Sie mußten in das Boot steigen und sich arg zusammendrängen. Dann pferchte sich auch noch der dicke Hafenkommandant auf die Steuerducht. Das Boot begann so bedrohlich am Anleger zu schwanken, daß es wahrhaftig den Anschein hatte, es würde jeden Augenblick kentern. De Villanueva trat auf die Pier und blickte auf seinen Rivalen hinunter. „Fragen Sie mich vorher gar nicht, bevor Sie eigenmächtig ein paar Männer einteilen?“ „Ich ...“ „Der Gouverneur hat mir das Oberkommando übertragen“, sagte der Präfekt scharf. „Für den Landeinsatz“, erwiderte de Roja mühsam beherrscht. „Treiben Sie es nicht zu weit, Mann.“ „Also schön.“ De Villanueva taxierte die Bootsbesatzung mit einem huschenden Blick. „Ein kaum sehr kriegerisches Aufgebot haben Sie da zusammengestellt“, bemerkte er hämisch. „Wollen Sie damit notfalls gegen die Besatzung der ,Valparaiso` kämpfen?“ „Ja. Ich habe keine Wahl.“ Der Hafenkommandant rief das so laut, daß der Gouverneur es unbedingt hören mußte. Der wandte auch tatsächlich den Kopf und sah herüber. De Roja verspürte den Ansatz eines kleinen Triumphes und plusterte sich ordentlich auf, um den starken Mann hervorzukehren. „Ich werde diesen Männern mit gutem Beispiel vorangehen. Sie werden sich noch wundern. Ohne das Rätsel der ,Valparaiso’ gelöst zu haben, kehren wir nicht zurück.“ Das Boot legte ab, und Miguel de Villanueva lachte leise. De Rojas zwölf
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Männer sahen nicht so aus, als wären sie von dem Gesagten sehr überzeugt. Und der Kommandant selbst hätte sich vor diesem Einsatz, zu dem ihn der Präfekt letztlich gezwungen hatte, lieber gedrückt. Doch vor dem Gouverneur konnte er sich das nicht erlauben. 4. Ferris Tucker kauerte im Bug der Segelpinasse und tastete schon nach dem Schaft seiner Muskete, die er schußbereit unter die Duchten geschoben hatte. Es wurde mulmig. Sieben Galeonen hatten sie erfolgreich angebohrt, die Ankertrossen gekappt und sie zu den Fischen geschickt. Matt Davies hatte zutiefst beruhigt und fest überzeugt bemerkt: „Also haben sie doch keine eiserne Hakenhände, die Dons, sonst hätte einer von ihnen die Löcher damit zugedübelt. Die lernen nicht mehr, was so ein Ding wert ist, diese Nachttopfsegler.“ Carberry hatte ihn daraufhin als „Kanalratte“ und „Rübenschwein“ bezeichnet, sich dann aber auf seine Tätigkeit an der Ruderpinne konzentriert, denn es kam darauf an, sich aus der Nähe der noch intakten Galeonen, der Ruderboote und Schaluppen zu verziehen. Überall flammten Fackellichter auf, es wurde geflucht, kommandiert, gesucht. Durch lautes Reden, das der Profos sich immer wieder verbat, konnte die Besatzung der Pinasse sich kaum verraten, vielmehr drohte jetzt die Gefahr, daß sie gesehen und entlarvt wurden. Auch auf den beiden unversehrt in Lee schwoienden Galeonen flackerten Lichter auf, so hell, daß sich Hasards Männer unmöglich noch heimlich an sie heranpirschen konnten. Karl von Hutten blickte in die Richtung, in der die „Isabella III.“ —einstmals „Valparaiso“ — in der Nacht verschwunden war. „Vielleicht war es ein Fehler, daß sich Ben und die anderen so früh verholt haben“, sagte er. „Wir hätten ihre Rückendeckung jetzt gut brauchen können.“
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„Ach was“, erwiderte Smoky. „Wenn wir auf ein Boot mit verfluchten Philipps stoßen, gibst du uns als Spanier aus.“ „Das schon, aber sie werden Verdacht schöpfen und uns die Rolle nicht mehr abkaufen ...“ „Wollt ihr endlich die Schnauzen halten, ihr Kakerlaken, was, wie?“ Carberry schaute sie drohend an, als wollte er sie ohne zu kauen mit Haut und Haaren verschlingen. „Ed, hör doch auf“, sagte Ferris. „Bei dem Lärm, den die Dons veranstalten, hören sie uns ja doch nicht.“ Der Profos bellte zurück: „Die Dons sind ganz miese Affenärsche, die von christlicher Seefahrt und mannhaftem Kampf keine Ahnung haben — aber auf ihren Ohren sitzen sie nicht!“ „Wenn du so brüllst, werden sie bestimmt auf uns aufmerksam!“ Der Profos schwieg beleidigt. „Was tun wir?“ fragte Stenmark. „Wir lassen die letzten beiden Galeonen sausen und verduften“, schlug Jeff Bowie vor. „Den Hauptteil unseres Auftrages haben wir erledigt, das genügt doch wohl.“ „Und Hasard?“ sagte Matt Davies. „Hasard und Jean kommen allein zurecht, das haben sie von Anfang an gesagt“, gab Smoky zurück. „Verdammt!“ wetterte Piet Straaten, der Holländer. „Und wenn was schiefgegangen ist und sie in der Klemme stecken?“ Ferris schüttelte den Kopf. „Leute, es hat keinen Sinn, darüber Mutmaßungen anzustellen. Wir müssen wirklich voraussetzen, daß der Seewolf und der Franzose sich aus eigener Kraft heraushauen. Bloß eines will mir nicht in den Kopf: Wieso sollen wir die letzten Galeonen sausen lassen?“ Er setzte sich auf der Ducht am Bug zurecht, ein riesiger Mann mit einem Kreuz,’ so breit wie ein Rahsegel, ein rothaariger Bulle, der so stur wie kein anderer werden konnte: Hasard hatte ihm den Auftrag erteilt, alle Schiffe zu versenken. Und deshalb wollte er alle auf den Grund der Reede schicken. „Die Dons könnten uns damit verfolgen“, sagte er. „Das dürft ihr nicht vergessen. Und
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außerdem bin ich der Meinung, daß wir einfach keine halben Sachen leisten dürfen.“ „Finde ich auch“, sagte Karl. von Hutten. Carberry sah aus wie ein angriffslustiger Stier. „Daß sich hier keiner vor Angst in die Hose scheißt, ist doch klar. Ich weiß bloß nicht, wie wir uns den beiden Schiffen unbemerkt nähern sollen.“ Die anderen schwiegen betreten. So, wie die Dinge standen, hatte tatsächlich keiner einen vernünftigen Vorschlag anzubieten. Ferris Tucker wollte sich schon zu dem Plan durchringen, zu den Dreimastern zu tauchen - so, wie sie es getan hatten, als es vor der Küste von Ecuador galt, den berüchtigten spanischen „Feuerspeier“, die „Cacafuego“, zu kapern, ohne ein Blutbad auf beiden Seiten anzurichten. Ferris wollte sich entsprechend äußern, als Carberry plötzlich einen warnenden Laut ausstieß. Er wies in Richtung auf die Hafenmole, und dann sahen alle acht, wie sich ein Ruderboot an sie heranschob. Es war mit dreizehn Männern besetzt, sechs davon Soldaten, wie sie im Schein der an Bord entzündeten Fackeln erkennen konnten. Hinter den sechs Rudergasten saß eine fette Gestalt. „Die haben uns entdeckt“, flüsterte Piet Straaten. „Quatsch“, sagte Matt Davies. ;,Auf die Entfernung ist das nicht drin. Es ist ein reiner Zufall, daß sie auf uns zurauschen.“ „Der Dicke“, sagte Ferris Tucker verblüfft. „Das ist ja de Roja, dieser Widerling von einem Hafenkommandanten.“ „Und was jetzt?“ fragte Smoky drängend, obwohl er die Antwort zu kennen glaubte. „Wir nehmen das Boot auf die Hörner.“ Ferris grinste verwegen. „He, Ed, nimm die Pinne herum. Jungs, pullt die Pinasse so an den Kahn heran, daß die Dons uns nicht mehr entwischen können!“ „Jetzt gibt’s Zunder“, sagte Matt Davies. Er schwang verheißungsvoll seine Unterarmprothese. Die Segelpinasse drehte und wandte dem herangleitenden Boot des
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Hafenkommandanten Steuerbordbug zu.
drohend
den
* „Adelante!“ Alfonso de Roja hieb die Faust auf die Ducht und trieb seine Rudergasten an. „Vorwärts, ihr Faultiere, geht das denn nicht schneller, ihr verdammten Hunde?“ Er hörte nicht auf, die Männer anzubrüllen, obwohl er genau wußte, daß sie nicht schneller pullen konnten. Die Rudergasten legten sich bereits mit der größtmöglichen Kraft in die Riemen und rissen das vollbesetzte Boot durch das bewegte Wasser. Das Boot hatte bedenklichen Tiefgang und nahm ab und zu Wasser über, so daß de Roja einen feuchten Hintern kriegte. Dieser Umstand besserte seine Laune nicht gerade. Die sechs Soldaten hatten die Fackeln in Brand gesetzt. Sie hielten sie weisungsgemäß hoch, damit das Licht so weit wie möglich über die Wasserfläche fiel und der Hafenkommandant etwas erkennen konnte. Er sichtete die beiden noch nicht beschädigten Galeonen, treibende Schiffstrümmer sowie ein paar blutige Leichenteile und erschauerte bei dem Anblick. Er sah die vielen beleuchteten Boote, die zur Rettung der letzten Schiffbrüchigen auf der Reede unterwegs waren, und einmal glaubte er, im Leuchtkreis der Fackeln eine dreieckige schwarze Rückenflosse zu entdecken. Wieder lief es ihm kalt über den Rücken. Er mochte sich gar nicht ausdenken, wie es war, von einem Hai angefallen zu werden. All dies sah de Roja, nur die „Valparaiso“, die der Seewolf in „Isabella III.“ umgetauft hatte, fand er nicht. Er fluchte im stillen und malte sich aus, was er alles mit dem angeblichen Capitan Diaz de Veloso, diesem schwarzhaarigen Teufel, anstellen würde, wenn der ihm in die Finger geriet. Die grausamste Folter sollte er erleiden, die furchtbarste Todesstrafe sollte über ihn verhängt werden! De Roja war zu tief in seine düsteren Gedanken verstrickt, um das herauf
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ziehende Unheil rechtzeitig zu bemerken. So war es einer der im Bug des Bootes sitzenden Soldaten, der zuerst „Atencion!“ ausrief und seine Fackel schwenkte. Der Kommandant schreckte aus seinen Überlegungen hoch und schaute sich verdutzt um. Die Soldaten schrien durcheinander, die Rudergasten hörten auf, zu pullen. Der Soldat achtern an der Ruderpinne. riß die Augen auf und wußte mangels Befehl nicht recht, wie er sich verhalten sollte. De Roja, der die Situation hätte regeln müssen, reagierte völlig verdattert. Ein Schatten schoß aus der Dunkelheit hervor. De Roja fragte sich noch, warum sie das große Etwas nicht früher gesehen hatten – da geschah es auch schon. Die Segelpinasse rauschte mit voller Fahrt auf das Boot zu und schien zum Rammstoß anzusetzen. Die Soldaten und die Rudergasten schrien auf, der dicke Hafenkommandant schimpfte wie ein Rohrspatz. Er erhob sich, schüttelte die Faust und brüllte: „Was fällt euch ein, ohne Laternen durch die Gegend zu segeln? Wer hat euch die Erlaubnis gegeben?“ Bis zum entscheidenden Augenblick nahm er immer noch an, es handle sich bei den acht Männern an Bord der Pinasse um Landsleute. Der entscheidende Moment erfolgte, als de Rojas Lebte zwar mit knapper Not dem direkten Rammstoß entgingen, aber die Steuerbordriemen der Pinasse wie Sensen über das Dollbord des spanischen Bootes fegten und gleich drei, vier Mann mitrissen. Die hölzernen Blätter räumten sie regelrecht von Bord. Sie schrien und fielen klatschend in die Fluten. Und dann brach der Tumult erst richtig los. Alfonso de Roja kreischte wie eine altjüngferliche Waschfrau. Vor Entsetzen ließ er sich zurück auf die Ducht plumpsen. Die Pinasse schwang heran. Bordwand scheuerte an Bordwand und beide Boote begannen zu krängen. De Roja verhinderte nur mit Mühe, daß er von dem wie verrückt schwankenden Boot direkt ins Wasser rutschte – zu den Haien. Diese
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Tatsache versetzte ihm einen neuerlichen Schock. Verzweifelt hielt er sich fest. Vor den wild aussehenden und höllisch fluchenden Männern, die jetzt von der Pinasse auf das Boot überenterten, hatte er Angst. Noch größeres Grauen verspürte er jedoch bei dem Gedanken an die flossenbewehrten, gräßlichen Menschenfresser, die im Wasser lauerten. Vor Schreck wie gelähmt, klammerte er sich an der Ducht fest. Ferris Tucker sprang als erster über. Seine Muskete hatte er wohlweislich in der Pinasse zurückgelassen. Und entsprechend der selbstgesetzten Verhaltensmaßregel fiel auch der Befehl aus, den er den anderen erteilt hatte: jeden Schuß verhindern, damit die Spanier in den anderen Booten und an Land nicht vorzeitig auf den Zwischenfall aufmerksam wurden. Ferris teilte gleich ein paar Kinnhaken aus, die es in sich hatten. Zwei Gegner gingen außenbords. Einer gab einen gurgelnden Laut von sich. Matt und Stenmark stürmten nach und droschen gleichfalls erbittert auf die Dons ein. Dann erschienen auch Smoky, Karl, Jeff und Piet an Bord des Bootes und sorgten für knüppeldicken Verdruß. Vorher waren die Spanier in der Übermacht gewesen, doch jetzt, im Zuge der völlig überraschend über sie hereingebrochenen Attacke, wurde ihre Zahl geradezu blitzartig bis auf sechs reduziert. Sechs Spanier, teils Soldaten, teils Rudergasten, deckten den feisten de Roja noch ab. De Roja badete in seinem eigenen Schweiß. Ferris Tucker arbeitete sich vor, hinter sich die Kameraden. Das Boot schwankte. Der Kommandant greinte und dachte immer noch an die Haie. Einer der Dons legte mit der Muskete auf Ferris Tucker an. Geistesgegenwärtig duckte sich der riesige Schiffszimmermann und hieb von unten mit der Faust gegen den Lauf der Waffe. Er brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig mit dem Fuß nach dem Leib des Gegners zu treten. Der konnte gar nicht anders -er mußte die Muskete loslassen. Sie schlug ins Wasser. Ferris riß den Mann zu sich heran und
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schleuderte ihn zur Seite fort, wo er Matt Davies in die Hände fiel. Der Spanier wollte, in Ermangelung weiterer Waffen, Matt Davies in die Hand beißen. Da war er bei Matt gerade an den Richtigen geraten. Er drehte seine Hakenprothese ein Stück, daß die Spitze nach oben wies, dann ließ er sie auf den Schädel des Spaniers krachen. Ohne noch einen Mucks zu sagen, kippte der Don zur Seite. Reglos blieb er über dem Dollbord hängen. Matt versetzte ihm einen Stoß, und er verschwand in den Fluten. Die restlichen fünf Spanier setzten sich nach bestem Vermögen zur Wehr. Aber gegen die Männer der Seewolf-Crew waren sie machtlos. Keiner brachte seine Muskete rechtzeitig hoch, keiner schaffte es, einem der Engländer einen Degen, Säbel oder Dolch in den Leib zu rammen oder ihn mit bloßen Fäusten außer Gefecht zu setzen. Smoky knöpfte sich einen breitschultrigen Soldaten vor. Er wuchtete ihm die Faust in die Magengrube, erhielt aber selbst einen Hieb vor die Brust. Als der Gegner den nächsten Haken abschießen wollte, wich Smoky flink zur Seite. Durch die Wucht seines eigenen Schlages nach vorn katapultiert, raste der Soldat an ihm vorbei. Smoky trat ihm zusätzlich kräftig in den Hintern - worauf der Mann bis zur Backbordducht des Bootes stolperte, sich überschlug und sehr unglücklich auf der Segelpinasse landete. Dort stand groß und wuchtig Edwin Carberry, der ehemalige Profos von Drakes „Golden Hind“. Er bückte sich nach dem Soldaten, hob ihn auf und beutelte ihn kräftig durch, wobei er immer wieder Schimpfworte wie „gesengte Sau“ oder „Kakerlake“ oder „Scheißhaussegler“ benutzte. Er konnte es nun einmal nicht lassen. Schließlich packte er den mit verdrehten. Augen zusammenbrechenden Spanier an Hosenboden und Jackenkragen und beförderte ihn in hohem Bogen außenbords. Unterdessen hatten sich die sieben Männer die übrigen vier Dons vom Halse geschafft. Blieb nur noch der Hafenkommandant.
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Fett und schwitzend rutschte er auf seiner Ducht hin und her, der eigensüchtige Alfonso de Roja, der die genießerischen Seiten des Lebens liebte und den Kampf haßte. Er hatte gedacht, seine Leute würden sich doch noch durchsetzen, aber das hatte sich ja nun als bitterer Irrtum erwiesen. Zur Flucht war es zu spät. Außerdem dachte de Roja nach wie vor mit größtem Entsetzen an die Haie. Er besann sich seiner Männlichkeit und seines Heldentums und erhob sich. Gleichzeitig trachtete er danach, seinen Degen aus der Scheide zu ziehen. Irgendetwas hakte und hinderte die Waffe, aus der Scheide zu gleiten. De Roja fluchte, doch das nutzte nichts. Endlich kriegte er den Degen frei, aber jetzt war Ferris neben ihm. Der Degen flog plötzlich in hohem Bogen in die Nacht hinaus - und de Roja jammerte, weil sein Unterarm schmerzte. Ferris hatte nämlich mit aller Kraft dagegen geschlagen. Ferris stellte sich hinter den Dicken, packte ihn und hatte plötzlich ein Messer in der Faust. Dessen Spitze näherte sich bedrohlich dem schwammigen Halsansatz de Rojas. „Noch rebellisch?“ erkundigte sich Ferris in holprigem Spanisch. „N-nein.“ Alfonso de Roja begriff, was die Stunde geschlagen hatte. Das waren Fremde - dem Akzent nach Engländer! Piraten! Oder was noch schlimmer war Korsaren des gefürchteten „El Draque“. De Rojas Furcht steigerte sich ins Namenlose. Plötzlich schienen ihm alle Zusammenhänge klar: Man hatte ihn nach Strich und Faden geprellt, übers Ohr gehauen, durch eine aberwitzige Farce hereingelegt! Oh, was für ein Narr bist du doch gewesen, sagte er sich, nicht nur der schwarzhaarige Bastard und sein Kumpan, auch die gesamte „Valparaiso“-Mannschaft hat dich verschaukelt! Er erkannte den rothaarigen Riesen und andere dieser acht wilden Kerle- wieder und kapierte, was die Glocke geschlagen hatte. De Villanueva hat recht, dachte er erbittert, diese Schmach! Aber alle Erkenntnis und Selbstkritik erfolgten zu spät. Der
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Rothaarige hatte ihn fest im Griff. Es gab keinen Ausweg mehr. Alfonso de Roja sah sein Ende nahen. Der rothaarige Riese brüllte ihm etwas ins Ohr, daß er fast taub wurde. De Roja verstand nicht. Ängstlich schüttelte er seinen Kopf. Karl von Hutten trat vor und dolmetschte. „Wenn du uns nicht bedingungslos gehorchst, stechen wir dich ab“, sagte er. „Überleg’s dir also.“ „Was wollt ihr?“ stieß der Kommandant heiser hervor. Seine Kehle war wie ausgedörrt, die Zunge lag ihm wie ein Klumpen im Mund. „Laßt mich leben. Ich will nicht sterben. Das habe ich nicht verdient. Vergeßt doch nicht, wie höflich ich euch und euren Capitan behandelt habe ...“ Ferris Tucker unterbrach seinen Redeschwall, indem er ihm die Messerklinge etwas gegen die Haut drückte. De Roja wagte kaum noch zu atmen. Ferris sagte: „Verklare ihm, daß er den Mannschaften der letzten beiden Galeonen einen Befehl erteilen soll. Sie sollen ihre Schiffe verlassen. Er ist der richtige Mann, ihm werden sie gehorchen. Als Grund soll er angeben, daß man vermute, der Hafen werde bald von Land her angegriffen. Folglich werden die Besatzungen zur Verteidigung der Stadt gebraucht.“ „Gute Idee“, bemerkte Ed Carberry. Die Pinasse und das Boot hörten allmählich auf zu schwanken. Smoky hob eine brennende Fackel auf, die das Boot in Flammen zu setzen drohte, und trat ein paar Funken auf den Planken aus. Alle anderen Fackeln waren mit den zwölf Bootsgästen baden gegangen. Karl von Hutten stand mit leicht abgewinkelten Beinen vor dem eingeschüchterten Hafenkommandanten, und hielt die Hände auf die Hüften gestützt. In seinem Blick lag die ganze Verachtung, die er für die Spanier empfand. Sie hatten seinen Vater, den letzten Generalkapitän der deutschen Kolonie des Handelshauses der Welser in Venezuela, und seine Mutter - eine Indianerin - umgebracht.
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Karl übersetzte. De Roja kriegte große Augen, sie schienen aus den Höhlen hervorquellen zu wollen. Als von Hutten geendet hatte, erwiderte er mit gepreßter Stimme: „Das - das ist ungeheuerlich!“ Ferris Tucker verstand zwar nicht, was der Bursche sagte, aber er begriff, daß er nicht mit dem Vorschlag einverstanden war. Wieder drückte er etwas fester mit dem Messer zu. Diesmal wurde de Rojas rosige Schweinchenhaut geritzt, und ein dicker Blutstropfen quoll aus der Wunde. Alfonso de Roja sah ihn über seine Brust kullern. Ihm wurde schwindlig. Sein Herz hämmerte so wild, als wollte es seine Brust sprengen. „Sag ihm, daß ich ihn absteche“, sagte Ferris wild. „Aber ganz tot mache ich ihn vielleicht doch nicht. Ich schicke ihn als halbe Leiche zu den Haien, die besorgen dann den Rest.“ Karl hatte keine Mühe, dem Dicken das Ansinnen des ruppigen Zimmermannes zu verdeutlichen. Als er zum Schluß „Tiburon, tiburon“, sagte, begann der Hafenkommandant zu röcheln. „Haie? Santa Maria, tu mir das nicht an!“ In seinem Geist sah er sie schon, die wimmelnden Leiber der großen Fische, die aufklaffenden Mäuler mit den vielen dolchspitzen Zähnen, sein in den Ozean fließendes Blut. „Ich gehorche“, sagte er. „So gefällt er mir schon besser“, sagte Ferris Tucker grimmig. „Los, steigen wir wieder auf die Pinasse zurück. Das Boot hier bohre ich ein bißchen an, damit es so schnell wie möglich verschwindet.“ „Du kommst sonst noch aus der Übung“, meinte Matt Davies und grinste von einem Ohr zum anderen. * Die Bordwachen der in Lee befindlichen beiden Galeonen äugten ziemlich mißtrauisch über die Schanzkleider, als die Segelpinasse heranglitt. Smoky, Matt Davies, Stenmark, Karl von Hutten, Jeff Bowie und Piet Straaten bedienten wieder
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die Riemen. Carberry versah seine Tätigkeit an der Ruderpinne. Ferris Tucker stand im Bug neben dem vor Angst schwitzenden Hafenkommandanten. In der einen Hand hielt er die Fackel, in der anderen das Messer, bereit, es dem Dicken zwischen die Rippen zu stoßen, falls er falsches Spiel trieb. Die Pinasse lief zwischen den beiden Galeonen aus. Ferris hielt die Fackel so, daß man von Bord der Schiffe aus das feiste Gesicht Alfonso de Rojas erkennen mußte. De Roja hob eine Hand. „Männer! Hier spricht der Hafenkommandant! Sofort in die Beiboote und ab zur Hafenmauer. Panama soll von Land aus angegriffen werden.“ Er verschluckte sich, hustete Ferris empfing einen mörderisch drohenden Blick. De Roja keuchte, fluchte und fuhr fort: „Jeder Mann wird gebraucht. Wir können auf keinen Kämpfer verzichten. Na los, beeilt euch, auf Was wartet ihr noch?“ Die Mannschaftsmitglieder an Bord der beiden Dreimaster starrten ihn an wie ein neuartiges Insekt. Ferris piekte den Dicken ein wenig mit seinem Dolch. Da zog jener das richtige Register. „Al diablo, zum Teufel mit euch, ihr Schurken, was hält euch ab?“ De Roja brüllte, bis er feuerrot im Gesicht wurde. „Wollt ihr zusehen, wie Panama niedergebrannt und seine Bürger ermordet werden? Ihr faulen Ratten, befolgt meinen Befehl, oder ich lasse euch auspeitschen!“ Das Messer in seinem Rücken vermittelte eine so überzeugende Sprache, daß er seine Rolle geradezu perfekt spielte. Wer ihn so gestikulieren sah und mit lauter Stimme brüllen hörte, der mußte ihm einfach glauben. Hastig ließen die Mannschaften die Beiboote zu Wasser, enterten über Jakobsleitern an den Bordwänden ab und pullten auf den Hafen zu. Ferris grinste zufrieden. Er bedeutete de Roja, daß er sich setzen könne. Der Mann ließ sich auf die Ducht fallen, er war nur noch ein zitterndes Nervenbündel.
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Ferris ließ sich an die ihnen am nächsten liegende Galeone heranpullen. Dann setzte er wieder den Handbohrer an. Nachdem er mehrere Löcher in die Steuerbordwand gebohrt hatte, vernahmen sie das Gurgeln, mit dem das Wasser ins Innere des Schiffsbauches strömte. Es hörte sich an, als sauge der Dreimaster es gierig ein, als könne er gar nicht genug davon kriegen. Sie kappten die Ankertrosse dieses Schiffes, dann nahmen sie sich das nächste vor. Auch hier vergingen nur Minuten, bis die verhängnisvollen Löcher unter der Wasserlinie im Rumpf prangten und die Ankertrosse durchgesäbelt war. Die Galeonen begannen abzutreiben. Es waren Geisterschiffe, von Mann und Maus verlassen. Ihre Mannschaften bemerkten nichts mehr von dem Ende des Dramas, das hier seinen Lauf nahm - sie waren mit ihren Booten im Dunkeln verschwunden. Ed Carberry steuerte die Pinasse von den abtreibenden Galeonen weg. Kräftig legten sich die sechs Männer in die Riemen, und bald hatten sie die letzten treibenden Trümmerteile passiert und die äußerste Zone der Reede erreicht. Sie setzten das Segel. Vor dem Nordwind her rauschte die Pinasse in die Nacht und gewann rasch an Fahrt. Alfonso de Roja zitterte am ganzen Leib. „Erbarmen!“ flehte er Ferris an. „Ich habe getan, was ihr wollt. Zeigt, daß ihr ein Herz habt. Ich werde euch reich belohnen, wenn ihr mich nur am Leben laßt.“ „Was sagt er?“ fragte Ferris. „Daß er an seinem mickrigen Dasein hängt und uns belohnt, falls wir ihn nicht abmurksen“, erklärte Karl von Hutten. Ferris kratzte sich am Hinterkopf und blickte Ed Carberry an. Beide brachen in dröhnendes Gelächter aus. Die übrigen Männer fielen mit ein. De Roja schwitzte, als wolle er auf dem Deck der Pinasse zerfließen. „Caridad, caridad“, murmelte er immer wieder. „Erbarmen, Erbarmen.“ Ferris nahm ihn ins Gebet, und Karl übersetzte sehr flink und sehr präzise, was gesprochen wurde. „Was hattest du Fettsack auf der Reede zu suchen?“ wollte Ferris wissen. Das
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plötzliche Auftauchen des Kommandanten hatte ihn in der Tat stutzig werden lassen. Eigentlich hätte sich de Roja doch mit Hasard, Jean und allen Kapitänen bei der Beratung in der Hafenkommandantur befinden müssen. De Roja haspelte herunter, was er während der letzten Stunden erlebt hatte. Wie der Gouverneur erschienen und sie alle zum Festbankett eingeladen hatte. Wie de Villanueva, der Polizeipräfekt, den vermeintlichen Capitan Diaz de Veloso als Schwindler entlarvt hatte. Wie Teller und Tassen geflogen, Tische umgestürzt worden waren, wie entsetzte Frauen hysterisch gekreischt hatten, als der schwarzhaarige Bastard und dessen Freund sich den Weg durch den Gouverneurspalast mit den Degen freigekämpft hatten. Wie er, Alfonso de Roja, die größte Schmach seines Lebens hatte einstecken müssen. Ferris schaute ihn drohend an. „Und wo steckt Hasard jetzt? Und Jean Ribault?“ „Wer?“ „Der schwarzhaarige Teufel und sein Freund“, sagte von Hutten barsch. „Ach so.“ De Roja zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich schwöre es – bei meiner seligen Madre ...“ „Er soll seine Mutter aus dem Spiel lassen“, sagte der Schiffszimmermann, nachdem Karl ihm auch dies übersetzt hatte. „Er soll sich gefälligst anstrengen und seinen Schädel zermartern, ob ihm nicht einfällt, wo Hasard und Jean untergekrochen sein könnten. Sie scheinen in einer üblen Klemme zu stecken.“ „Himmel, Arsch und Zwirn“, sagte Matt Davies. De Roja antwortete: „Und wenn ihr mich wirklich ermordet – ich habe nicht die geringste Ahnung. Miguel de Villanueva, der Präfekt, nimmt fest an, daß sie irgendwo im Hafen verschwunden sind, denn sie haben wahrscheinlich kein Boot mehr zu Verfügung gehabt.“ „Verdammt“, sagte Ferris. Er dachte nach, dann wandte er sich wieder an die Männer. „So hat es keinen Zweck. Erst mal müssen wir uns mit Ben und den anderen beraten.
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Vielleicht ist es Hasard und Jean Ribault ja doch gelungen, zu entwischen. Auf jeden Fall müssen wir Kriegsrat halten, bevor wir auf blauen Dunst losschlagen.“ „Ja, das stimmt“, entgegnete der Profos. „Ben weiß zwar weniger als wir, was die Vorfälle an Land betrifft, aber möglicherweise ist es klüger, mit der kompletten Mannschaft nach Panama zurückzukehren und Hasard und Jean herauszuholen.“ „Nehmen wir Kurs auf die Insel Chepillo“, sagte Ferris. Der dicke Hafenkommandant benötigte diesmal keine Übersetzung. „Chepillo“, das verstand er auch so, und er kannte diese Gegend gut genug, um zu begreifen, daß ihre Reise dorthin führte. „Chepillo? Was soll das heißen? Was habt ihr mit mir vor?“ Er kriegte wieder Angst um sein Leben und dachte an die Haie, die hier draußen im offenen Wasser noch zahlreicher waren als auf der Reede von Panama. „Du wirst als Geisel mitgenommen“, führ Ferris ihn an. „So, und jetzt halt’s Maul, oder ich stopfe es dir!“ 5. Der Polizeipräfekt Miguel de Villanueva hatte seinen Befehlsstand in dem Gebäude der Hafenkommandantur eingerichtet. Von hier aus leitete er die Fahndung nach den beiden Gesuchten und versuchte mit allen Mitteln, dem Gouverneur gegenüber durch straffe Organisation und sinnvolle Einsätze zu glänzen. Daß er sich ausgerechnet die Hafenkommandantur als vorübergehendes Domizil ausgesucht hatte, beruhte keineswegs auf einem Zufall. Es bereitete ihm Spaß, de Roja einen weiteren Tiefschlag zu versetzen. Systematisch brachte er dessen Stuhl zum Wackeln. Schon lange hatte ihm etwas Ähnliches vorgeschwebt, jetzt hatte sich eine großartige Chance ergeben. De Villanueva war es völlig gleichgültig, was draußen auf der Reede mit de Roja und dessen Leuten passierte. Ja, er hoffte sogar inständig, der Dicke werde nicht mehr an
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Land zurückkehren. Das hätte sofort klare Fronten geschaffen und für ihn, de Villanueva, bedeutet, daß er mit dem wohlwollenden Einverständnis des Gouverneurs gleich zwei Posten bekleidete. Ob der Schwarzhaarige und dessen Mitstreiter aufgestöbert wurden, interessierte ihn eigentlich nur noch am Rande. De Villanueva hatte die Kapitäne und einige Offiziere in der Kommandantur versammelt, und zwar in einem saalgroßen Raum, der nicht weit entfernt von dem lag, in dem sie sich ein paar Stunden zuvor zu jener bedeutungsvollen Beratung eingefunden hatten. De Villanueva stand neben einem Fenster, von dem aus er fast den gesamten Hafen überblicken konnte. Der fette Gouverneur Diego de Avila hatte auf einem Sessel Platz genommen. Die Herren Kapitäne und Offiziere saßen wie die Schüler auf in Reihen gruppierten Stühlen. Der Präfekt holte zu einer schwungvollen Rede aus. „Caballeros – es ist nicht nur eine Frage des zahlenmäßigen Aufgebotes von Männern, ob ein Einsatz vom Erfolg gekrönt wird, es kommt vor allem auf die richtige Strategie und im Einzelfall wieder auf die passende Taktik an. Nicht der heldenhafte Kampf einiger weniger, sondern die hervorragende Zusammenarbeit aller Beteiligten ist letztlich ausschlaggebend.“ „Soll das ein Vortrag über militärische Grundmaßregeln werden?“ erkundigte sich ein Kapitän. „Den können Sie sich sparen.“ Er gähnte ostentativ. „Wir sollten uns lieber an der Suche nach diesen beiden tolldreisten Verbrechern beteiligen. Wem dient es, daß wir hier herumsitzen und große Reden halten? Ich für meinen Teil werde langsam von der Müdigkeit übermannt.“ „Ich verbitte mir das“, sagte de Villanueva scharf. „Wie bitte?“ „Ich verbitte mir solche Zwischenrufe. Vergessen Sie nicht, daß ich das Oberkommando über den Landeinsatz
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habe, Senores. Und was die Fahndung betrifft, so halte ich es für grundfalsch, sich auf den Stand des billigen Fußvolkes herabzuwürdigen. Unsere Aufgabe ist es, die Befehle zu geben, nicht, uns die Finger an solchem Gesindel wie diesem Schwarzhaarigen und seinem Kumpan zu beschmutzen. Oder gelten auf Ihren Schiffen andere Gesetze, Senores Capitanos?“ Der Kapitän gab sich geschlagen, alle anderen auch. Der Gouverneur lachte zufrieden. Was de Villanueva da sagte, war ganz nach seinem Geschmack: Nur keinen Schlag zuviel tun, das konnte dem Ansehen und der Gesundheit schaden! Eine Maxime, nach der Diego de Avila verfahren war, soweit er zurückdenken konnte. Der Präfekt wollte weitersprechen, doch das Geschehen draußen an der Hafenmauer fesselte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Erstaunt blickte er durch die Bleiglasscheibe des Fensters und registrierte neue Unruhe. Seine Überraschung schlug in Bestürzung um, als er die vielen Boote erkannte, die dort herangepullt und an den Piers vertäut wurden. „Da stimmt was nicht“, sagte er und stürmte nach draußen. Die Kapitäne, ebenfalls unruhig geworden, liefen ihm nach. Aufgeregt redeten sie durcheinander. Selbst de Avila bequemte sich schließlich, seinen gemütlichen Sessel zu verlassen und ihnen mit watschelndem Gang zu folgen. De Villanueva tat als erster zu den an den Piers eintreffenden Seeleuten. Wahllos griff er sich einen Mann heraus und fragte ihn: „Was hat das zu bedeuten? Was ist vorgefallen? Wer seid ihr überhaupt?“ Der Mann kratzte sich verwirrt am Kopf. Er wußte nicht, was dieser brutal und außergewöhnlich zornig wirkende Mann in Uniform von ihm wollte. War der Befehl zum Verlassen der beiden Galeonen nicht von höchster Stelle, vom Hafenkommandanten, erteilt worden? Wieso war man hier an Land darüber nicht
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informiert? Warum hatte man noch keine Barrikaden gegen die von der Landseite her anrückenden Feinde errichtet? Der Seemann beschloß, seine Antwort sehr vorsichtig zu bemessen. Man weiß nie, was kommt, sagte er sich, begeh jetzt keinen Fehler! Laut sagte er: „Wir haben die beiden Galeonen verlassen und sind mit unseren Beibooten hergepullt, weil es uns der Hafenkommandant so befohlen hat weil wir hier gebraucht werden.“ Dem Präfekt fehlten die Worte. Einer der Kapitäne griff jetzt ein, ein zweiter meldete sich gleich darauf ebenfalls zu Wort. Es waren die beiden, denen die zwei noch unversehrten Dreimaster unterstanden. Zug um Zug holten sie aus ihren Besatzungen heraus, was auf der Reede vorgefallen war. Besonders anschaulich wußten die Seeleute den cholerischen Ausbruch des Alfonso de Roja zu schildern. Der Gouverneur verschluckte sich, hustete und lief dabei so dunkel an, daß man befürchten mußte, er ersticke jeden Augenblick. Heftiger fiel de Villanuevas Reaktion aus. Er tat, was man landläufig mit Aus-der-Haut- Fahren bezeichnet. Ungeniert und laut begann er zu fluchen, dann trat er gegen eine leere Kiste, daß sie ins Wasser flog. Er packte einen der Seeleute an den Rockaufschlägen, zog ihn zu sich heran und brüllte ihm ins Gesicht: „Und die Schiffe? Wer ist auf den Schiffen zurückgeblieben? Rede, Kerl!“ „Niemand ...“ De Villanueva stieß ihn von sich. Der Mann wäre hingestürzt, wenn ihn ein paar seiner Kameraden nicht aufgefangen hätten. Die beiden zuständigen Kapitäne wollten protestieren, doch der Gouverneur hielt sie zurück. In seinem derzeitigen Zustand war der Präfekt imstande, jemanden vor Wut zu erdolchen, ganz gleich, wen. Er stand mit pumpenden Lungen da. Sein Verstand sträubte sich dagegen, die Wahrheit zu akzeptieren, doch er konnte sich den Tatsachen nicht verschließen. „Das ist ein Stück aus dem Tollhaus“, sagte er keuchend. „De Roja, dieser
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Fettsack, muß total übergeschnappt sein.“ Abrupt wandte er sich dem Gouverneur zu und fuchtelte ihm mit den Händen vorm Gesicht herum. „Oder, Don Diego - oder er steckt irgendwie mit drin in dieser verdammten Schweinerei, wie ich von Anfang an geahnt hatte!“ De Avila kamen - bei allem Unmut, den er de Roja gegenüber empfand -leise Zweifel. „Ihre Ahnungen in Ehren“, sagte er mit asthmatischem Röcheln. „Aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Er könnte von jemandem dazu gezwungen worden sein, den Besatzungen diesen Irrsinnsbefehl zu geben, vergessen Sie das nicht.“ „Die Schiffe verlassen, um Panama zu verteidigen?“ rief einer der Kapitäne. „Das ist ebenso lachhaft wie ungeheuerlich!“ „Es ist nicht unsere Schuld“, rechtfertigte sich ein Seemann. De Villanueva funkelte ihn aufgebracht an. „Und die beiden Galeonen? Was ist aus ihnen geworden, he? Antworte, Mann!“ Ich weiß es nicht.“ „Na hören Sie mal“, sagte einer der beiden für die Galeonen zuständigen Kapitäne. „Sie liegen natürlich wie bisher vor Anker und ...“ „Phantast!“ rief der Präfekt aus. „Geht denn hier keinem ein Licht auf?“ Er ballte die Hände zu Fäusten, daß das Weiße an den Knöcheln hervortrat. Wieder wandte er sich an einen der Seeleute. „He, du! Ich will wissen, ob sich Soldaten in dem Boot des Hafenkommandanten befunden haben.“ „Soldaten? Nein.“ „Und wieso überhaupt Boot?“ sagte ein anderer. „Der Kommandant stand im Bug einer Segelpinasse, nicht in einem Boot. Haben wir das vorhin nicht berichtet?“ „Nein“, entgegnete de Villanueva voll ohnmächtiger Wut. „Das habt ihr nicht, ihr Hornochsen. O heilige Mutter. Maria, laß es nicht wahr sein!“ „Was ist eigentlich aus der Zweimastgaleone ,Valparaiso` geworden?“ erkundigte sich der Gouverneur bei den Besatzungsmitgliedern.
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Ein untersetzter Mann mit Vollbart erwiderte: „Die ist auf See getrieben, und dann haben wir sie nicht mehr gesehen.“ „Hölle und Verdammnis!“ Miguel de Villanueva glaubte, ihn müsse jeden Moment der Schlag treffen. „Und das alles haben wir dem falschen Diaz de Veloso und dessen Kumpan zu verdanken - dieses gemeine, abgekartete Spiel, dieser elende Betrug ...“ Ein Kapitän hatte ein Spektiv gezückt und es auf die Reede gerichtet. Von den beiden Galeonen vermochte er gerade noch die Bordlaternen zu erkennen, alles andere war in Finsternis gehüllt. Doch lagen die Schiffe nicht ein wenig schief? Er kam nicht dazu, eine Schlußfolgerung zu ziehen, denn seine Aufmerksamkeit wurde auf ein paar Verzweifelt winkende Gestalten gelenkt, die im Wasser unweit der Hafenmauer schwammen. „Schiffbrüchige!“ rief er. „Los, Männer, hopp, hopp, zurück in die Boote! Bergt die Leute, bevor die Haie sie schnappen!“ Es gelang ihnen, acht Männer an Land zu ziehen. Es waren fünf Rudergasten und drei Soldaten aus dem Boot, mit dem der Hafenkommandant aufgebrochen war, um nach der „Valparaiso“ zu forschen. Jetzt schilderten die klitschnassen, erschöpften Männer, was ihnen widerfahren war. Vier von ihnen, das knüpften sie am Schluß an, waren von den Haien in die Tiefe gezerrt und zerrissen worden. Die Überlebenden hatten Höllenängste ausgestanden und wußten selbst nicht, welchem glücklichen Umstand sie es zu verdanken hatten, daß das Schicksal ihnen gnädig gewesen war. „Und die beiden Galeonen?“ fragte der Gouverneur. Einer der Soldaten erwiderte: „Sie sind angebohrt worden und treiben sinkend von der Reede ab. Wir haben das ganz deutlich gesehen.“ „Diese Teufelspiraten“, sagte de Villanueva leise, gefährlich leise. „Diese Meuchelmörder. Don Diego, ich verhänge den Ausnahmezustand über Panama. Niemand darf innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden sein Haus verlassen.“
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„Ich habe keine Einwände“, erwiderte der feiste de Avila lahm. Der Präfekt ließ die Anführer der einzelnen Patrouillen rufen und hielt einen kurzen Kriegsrat im Saal der Hafenkommandantur ab. Von den Gesuchten gab es immer noch keine Spur. De Villanueva hieb mit der Faust auf einen Tisch, daß es krachte. „Sind die Bastarde noch in der Stadt, oder ist es ihnen gelungen, zu entwischen? Wir wissen es nicht, aber wir fahnden weiter, bis wir Klarheit erhalten. Gnade Gott diesen Hundesöhnen, wenn wir sie fassen! Fackelt nicht lange, schießt sie über den Haufen, sie sind heimtückischer als ein Haufen Schlangen!“ „Jawohl!“ riefen die Männer im Chor zurück. „Ich brauche jeden verfügbaren Mann“, sagte der Präfekt. „Wir stellen die ganze Stadt auf den Kopf. Die Suchtrupps, die ich neu einteile, durchkämmen das Hafengebiet, lassen keine Kneipe, kein Wohnhaus, keine Gasse oder Straße und kein verdammtes Rattennest aus. Gebt die Beschreibungen der Halunken an die Bevölkerung weiter. Sicher gibt es Leute, die etwas aussagen können.“ Seine Augen wurden schmal. „Und falls es jemandem einfallen sollte, den schwarzhaarigen Teufel und seinen Kumpan zu decken, so erwartet ihn das gleiche Schicksal wie diese Verbrecher.“ 6. Urbano, der schlanke, gutaussehende Seemann von Bord der ersten versenkten Galeone, hatte das Erlebte mit irgendetwas verdrängen wollen. Vor allem, was den Anblick seines von den Haien zerstückelten Kameraden Diego betraf, hatte er das dringende Bedürfnis verspürt, das Grauen herunterzuspülen und zu vergessen. So hatte er eine kleine Cantina im Hafenviertel aufgesucht, eine Spelunke. Ungefähr zwanzig Menschen hatten sich im Raum befunden. Doch jetzt, als es auf den frühen Morgen zuging, hatten die meisten die Cantina verlassen - zumeist
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überraschend, fast überstürzt, denn draußen auf den Straßen wollte das Trappeln der Schritte und das Fluchen der Soldaten nicht abnehmen. Die Stadt glich einem in Alarmzustand versetzten Heerlager. Urbano hatte seinen Kummer im Rotwein ertränkt. Und er hatte Gesellschaft gefunden: einen hochgewachsenen, breitschultrigen Fischer und zwei Mädchen, die zu der einschlägigen Sorte gehörten und Gefallen an diesen beiden Männern gefunden hatten. Der Fischer war ein schwarzhaariger Mann mit blauen Augen. Er hatte ein kantiges, wettergegerbtes Gesicht und trug über dem ehemals weißen, zerknitterten Hemd eine dunkelbraune Rohlederweste. Sie unterhielten sich über die Ereignisse und ließen den Wirt, einen krumm gehenden Mann von dürrer Gestalt, immer wieder die Humpen füllen. „Drei Galeonen sind verschwunden“, sagte der Fischer mit schwerer Zunge. „Zwei davon mit unschätzbaren Werten an Bord. Wie konnte das geschehen? Keiner weiß es. Und jetzt — was ist mit den restlichen Schiffen passiert?“ Urbano blickte ihn aus trüben Augen an. „Versenkt. Alle, wenn man den letzten Gerüchten Glauben schenken darf. Ich’ gehe nicht zum Hafen, um mir die Leichen anzusehen, die noch an Land gezogen werden. Ich hab genug, amigo, und bin froh, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Laßt uns anstoßen!“ Er hob seinen Becher, blinzelte und fragte: „Sagt mal, wie heißt ihr eigentlich? Wenn wir hier schon zusammenhocken und kluge Sprüche führen, sollten wir wenigstens wissen, wie wir uns anzureden haben. Ich heiße Urbano.“ „Alberto ist mein Name“, erwiderte der Fischer. Das eine Mädchen, eine temperamentvolle Schwarzhaarige, kicherte. „Ich bin Rosaria. Gefällt dir mein Name?“ Die andere, brünett, gut gewachsen, mit keckem Busenausschnitt, blieb ernst. „Ich heiße Gracia Maria. Ich muß ehrlich sagen, mich beängstigen alle diese
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Vorkommnisse. Wer steckt dahinter? Das muß ein Ungeheuer sein.“ „Da sind diese beiden Fremden, die die Frechheit besessen haben, an dem Festbankett des Gouverneurs teilzunehmen und dann einen Streit vom Zaune zu brechen“, sagte Urbano. „Sie haben sich tollkühn den Weg freigesäbelt.“ „Toll“, sagte Rosaria. „Also, ich kann diese Burschen nur bewundern. Es würde mich nicht wundern, wenn es ,El Draque` oder einer seiner tollkühnen Gefährten höchstpersönlich gewesen ist. Huch, mir läuft direkt ein Schauer über den Rücken!“ Alberto grinste. „Es könnte dir gerade so passen, einen dieser Kerle unter die Bettdecke zu kriegen, was?“ „Einen — beide!“ Rosaria kicherte. Dann, als Alberto sie an sich zog und ihr einen Kuß aufdrückte, begann sie zu quietschen. „Ja, mein Großer“, sagte sie, „ich habe eine Schwäche für Männer mit Muskeln und Mut.“ „Ich weiß nicht“, meldete Gracia Maria wieder ihre Bedenken an. „Es ist alles so — so gespenstisch. Früher haben wir uns in dieser Stadt und in der Neuen Welt sicher gefühlt. Aber jetzt hat man Angst, überhaupt noch auf die Straße zu gehen. Hört doch!“ Sie blickte an Urbano vorbei aus dem Fenster. Draußen rückte gerade wieder ein Trupp Soldaten an. Türen von Häusern wurden aufgestoßen. dann war das Brüllen von Männerstimmen zu vernehmen, das Kreischen von Frauen, das Weinen von Kindern. Aus einem Hof flatterte eine Schar aufgescheuchter Hühner hervor. In dem Haus polterten Schritte, Männer lachten, eine Frau flehte sie deutlich vernehmbar an, die Einrichtung heil zu lassen. „Diese Angst“, sagte Gracia Maria. „Ich glaube, ,El Draque` steckt mit dem Teufel im Bunde. Er hat den Fluch über uns gebracht. Wir werden alle ein grausames Ende finden.“ „He, nun übertreib mal nicht“, sagte Rosaria. Alberto trank einen Schluck Rotwein aus seinem Humpen, setzte das Gefäß hart auf
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den Tisch und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. „Ich würde den Teufel nicht an den Wand malen, Mädchen. Dieser Drake hat sicherlich keinen Pakt mit dem Klabautermann geschlossen. Es steht außerdem auch gar nicht fest, daß er der Verantwortliche für diesen Beutezug ist.“ Rosaria kriegte einen träumerischen Blick, ihr Gesicht nahm einen entrückten Ausdruck an. „Da ist noch die Rede von einem wilden Korsaren, der mit ,EI Draque` die Neue Welt unsicher macht. ,EI Lobo del Mar’ nennen sie ihn - den Seewolf. Er soll einen feuersprühenden Blick haben und Feinde mit bloßen Händen zerreißen können.“ „Gerüchte“, sagte Urbano. „So ein Blödsinn. Hört doch mit dem dummen Zeug auf.“ Er trank aus und rief nach dem Wirt. Der war für kurze Zeit in irgendeinem Hinterzimmer verschwunden. Jetzt erschien er wieder, eilte an den Tisch und hielt ihnen sein zerknittertes Raubvogelgesicht entgegen. „Tut mir leid, Senores, aber ich muß schließen. Der Präfekt hat den Ausnahmezustand über die Stadt verhängt und alle Leute haben für mindestens vierundzwanzig Stunden in ihren Häusern zu bleiben.“ Zwei späte Zecher erhoben sich von einem Nebentisch. Sie hatten das Gesagte gehört, zahlten und verließen in aller Hast die Cantina. Alberto, Urbano, Rosaria und Gracia Maria indes trafen keine Anstalten, zu gehen. Alberto lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und schaute den Wirt herausfordernd an. „Ausnahmezustand, was? Und jeder hat in seinem Haus zu bleiben, wie? Mein Zuhause liegt am Rand der Stadt - zu weit entfernt, um jetzt noch loszulaufen. Und Urbano hat sein Haus verloren. Und diese beiden Queridas, diese Zuckerpuppen hier, würden allzu gern zwei Zimmer mit uns Männern teilen. Zimmer im Obergeschoß, die du Erzschurke doch garantiert zu einem Wucherpreis an uns vermieten würdest, nicht wahr?“
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„Unter normalen Bedingungen schon ...“ „Mach halblang“, fuhr Urbano ihn an. „Schließ die Tür ab. Dreh die Lichter runter. Und dann bringe einen Krug Wein; damit wir im trauten Familienkreis feiern können.“ Rosaria kicherte. Gracia Maria lehnte sich mit dem Kopf gegen Urbanos Schulter. Der Wirt kam der Aufforderung nach, wenn auch widerstrebend. Als er neuen Wein ausschenkte, bebten seine Hände. Die Angst war ihm in die Knochen gefahren. Panama erlebte einen kriegsartigen Zustand. Wer nicht die Befehle des Präfekten befolgte, mußte mit ärgstem Verdruß rechnen. „Es wird gesagt, der Hafenkommandant sei entführt worden“, flüsterte der spindeldürre Wirt seinen vier Gästen zu. „Stellt euch das vor. Das wird noch Konsequenzen haben, die sich keiner von uns ausmalen kann.“ „Das fette Schwein“, erklärte Rosaria respektlos. „Um den ist es nicht schade, sage ich euch. Ich weine ihm jedenfalls keine Träne nach, wenn er spurlos verschwindet.“ „Sei still“, warnte Gracia Maria. Draußen marschierten wieder Soldaten vorüber. Ihre Angst wuchs. „Du mußt de Roja ja gut kennen“, brummte Alberto. Rosaria lachte girrend. „Hör mal, hältst du mich für eine keusche Betschwester, oder was ist los? Eifersucht ist nicht drin, nicht bei einer von meinem Gewerbe.“ „Immerhin hätte ich dir etwas Geschmack zugetraut“, sagte er verdrossen. Sie erstickte seinen Protest jedoch mit einer Serie von Küssen. Etwas später erhoben sie sich. Alberto klatschte Rosaria auf ihr wohlgerundetes Hinterteil. Sie gab einen kleinen Schrei von sich und lief zu der Treppe, die ins Obergeschoß führte. Urbano und Gracia Maria folgten eng umschlungen. Der Wirt blickte ihnen nach, er war froh, daß sie sich endlich nach oben zurückzogen. Er räumte die Theke auf und wischte sie mit einem schmutzstarrenden Lappen ab. Danach löschte er die Talglichter. Er wollte sich zur Ruhe
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begeben, da wurde vorn mit Fäusten gegen die Tür gehämmert. Der Wirt begab sich angstschlotternd hin. „Wer da?“ rief er. „Im Namen des Präfekten und Gouverneurs von Panama — aufmachen!“ Rasch legte der dürre Wirt den Riegel zurück. Die Tür wurde aufgestoßen, ihre Kante traf seine Brust und warf ihn zurück. Er keuchte entsetzt. Die Tür knallte gegen die Innenwand, dann drängten sich mehrere bewaffnete Soldaten herein. Ihr Anführer war ein muskulöser, vollbärtiger Sargento. Drohend blickte er den zitternden Wirt an. „Wir durchsuchen deinen Läusestall, Mann. Beherbergst du jemanden?“ „Ich ...“ „Die Cantina ist ein stadtbekanntes Hurenhaus“, bemerkte einer der Soldaten. „Da wäre es ein Wunder, wenn nicht ein paar Pärchen in den --Kammern des Obergeschosses schliefen.“ Der Sargento grinste. „Ach ja? Sieh mal einer an.“ Er tat so, als fiele er aus allen Wolken. Dabei war sein Gesicht dem Wirt bestens bekannt, er gehörte zu den Stammkunden der Mädchen. Doch der Wirt hütete sich, ein Wort darüber zu verlieren, denn was der Sargento heimlich tat, wollte er vor seinen Leuten gewiß nicht preisgeben — aus Angst, jemand könnte seiner Frau etwas verraten. „Gleich nach oben“, befahl der Sargento. „Wir wollen doch mal sehen, ob wir nicht ein paar stramme Weiberhintern zu Gesicht kriegen. Los, Männer beeilt euch, daß es ja keinem gelingt, durch ein Fenster zu entwischen.“ Sie stürmten nach oben und stießen die Türen zu den Kammern auf. Sofort entdeckten sie sowohl den Fischer Alberto mit der glutäugigen Rosaria als auch Urbano und Gracia Maria. Die Mädchen hatten sich vollständig entkleidet und deckten beim Anblick der Soldaten kreischend ihre Blößen zu. Die Männer hatten sich wegen des Lärms unten im Schankraum wieder die Hosen übergestreift, Alberto sogar sein Hemd und seine Rohlederweste. Sie hatten nach dem
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Rechten sehen wollen, doch jetzt prallten ihnen die Soldaten entgegen. „Festhalten, die Burschen!“ schrie der Sargento plötzlich. Er betrachtete die beiden Männer im trüben Licht der Zimmerlampen und bekam einen eigentümlichen Blick. „Schafft sie nach unten!“ Urbano und Alberto wurden nach unten in den Schankraum gezerrt. Alles Fluchen und Widerstreben nutzte ihnen nichts, gegen die Übermacht kamen sie nicht an. Der Sargento zückte seinen Degen, grinste und räumte mit der Spitze das Laken fort, mit dem Rosaria sich verhüllt hatte. „Zier dich nicht so. Stellst du dich immer so an?“ „Das weißt du doch, oder?“ „Sei still.“ „Hast du etwa Angst?“ „Vor dir vielleicht? Nein.“ „Was willst du von den Männern, Sargento?“ „Ich will wissen, wie sie heiß en und was sie hier treiben.“ „Urbano und Alberto. Und sie sind mit hier heraufgekommen, um mit uns ein paar fromme Lieder zu singen.“ Der Sargento zog eine verbissene Miene. „Nicht so frech, du kleines Luder, sonst lernst du mich noch richtig kennen. Sind die beiden -Spanier?“ „Was denn sonst?“ entgegnete Rosaria schnippisch. Gracia Maria erschien. Sie hatte sich notdürftig angezogen und fragte mit weit aufgerissenen Augen: „Was ist denn los? Was hat das zu bedeuten? Die Männer haben euch Soldaten doch nichts getan.“ „Das wird sich noch herausstellen. Ich muß ihre Identität klären“, sagte der Sargento förmlich. „Los jetzt, Mädchen, kommt mit. Daß ihr euch ja nicht einfallen laßt, stiften zu gehen. Ich kann verdammt unangenehm werden, merkt euch das.“ Rosaria lächelte spöttisch, doch er kümmerte sich nicht darum. Als sie die Treppe hinabstiegen, bemerkte sie noch voll Hohn: „Ich lege mich doch nicht mit euch Generälen an. Ich will meiner Arbeit in dieser Stadt noch ein paar Jahre lang friedlich und ungestört nachgehen.“
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Unten vor der Theke nahm sich der Sargento den Fischer und Urbano, den Mann von der spanischen Galeone, vor. Es gab einen hitzigen Wortwechsel, dann brüllte der Sargento mit einem Mal: „Sie sind es! Ja, ich habe jetzt keinen Zweifel mehr. Laßt euch nicht täuschen! Wir haben den falschen Diaz de Veloso und seinen Kumpan geschnappt! An die Wand mit ihnen!“ Alberto und Urbano wehrten sich nach Kräften, aber die Soldaten packten sie fester und legten ihnen Fesseln an. Die beiden leichten Mädchen begannen zu kreischen und zu schimpfen. Aber der Sargento und seine Helfer ließen sich nicht beirren. Fluchend zerrten sie die beiden Gefangenen auf die Gasse hinaus. „Ich hab’s doch geahnt, daß mit denen was nicht stimmt“, beeilte sich der Wirt zu sagen. Wieselflink lief er dem Anführer des Trupps nach. „Die haben so merkwürdige Gespräche geführt.“ „Zum Beispiel?“ fragte der Sargento. „Na, da ging es um den Untergang der Galeonen, um den Kampf beim Festbankett im Gouverneurspalast und noch so einiges mehr.“ „Das genügt!“ schrie der Sargento. „Sie sind es. Macht die Musketen bereit!“ „Ich bin ein ehrbarer Seemann!“ brüllte Urbano. Er war kalkweiß im Gesicht geworden. „Ihr braucht nur meinen Kapitän oder einen der Offiziere von Bord meiner Galeone zu fragen, die können es euch sofort bestätigen.“ Der Sargento winkte ab. „Warum bist du dann hier und nicht am Hafen, wo jeder Mann gebraucht wird? Unerlaubte Entfernung von der Truppe? Das kaufe ich dir nicht ab, Kerl.“ „Aber es stimmt. Ich bin davongelaufen, weil ich mir einen ansaufen wollte. Dafür riskiere ich gern, ein paar Tage in die Vorpiek oder ins Kabelgatt gesperrt zu werden. Ich war einfach fertig, versteht ihr das nicht?“ Urbano hatte die letzten Worte gebrüllt. Und Gracia Maria bettelte den Sargento an, sich doch genau zu überlegen, was er tue. Der stieß sie von sich und versetzte ihr
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noch eine Ohrfeige, als sie ihm zu lästig wurde. „Verdammte Hure!“ rief er. „Mich blendet keiner. Die Beschreibung paßt auf die Dreckskerle. Einer ist groß und schwarzhaarig, und auch die Kleidung ist die, die uns beschrieben wurde. Der andere ist schlank und ein dunkler Typ –sie sind es!“ „Ihr Narren“, sagte Alberto. „Ihr richtet zwei Unschuldige hin.“ „Das ist Mord!“ schrie Urbano. „Hundsfott“, stieß der Wirt hervor. „Halt gefälligst dein Maul!“ Er schlug auf den Seemann ein, wurde aber von einem Soldaten zurückgedrängt. Immerhin war der Wirt nun überzeugt, sich reingewaschen zu haben. Es durfte keinesfalls der Verdacht entstehen, er stecke mit den beiden unter einer Decke, sonst war er sein florierendes Geschäft und alles andere für immer los. Soldaten stellten die Gefangenen gegen die Mauer der Cantina. Fünf Uniformierte legten mit ihren Musketen an, und der Sargento rief: „Feuer!“ Donnernd brachen die Schüsse, weiße Pulverwölkchen stoben hoch. Der Gluthauch des Todes schlug in die Leiber der beiden gefesselten Männer. Sie brachen zusammen, aber Urbano wälzte sich noch. Der Sargento fluchte über die miserable Arbeit. Er trat neben ihn, zückte seine Radschloßpistole und drückte auf Urbanos Kopf ab. In das Krachen des Schusses fiel Gracia Marias Schrei. Sie warf sich gegen Rosaria und weinte hemmungslos. Rosaria streichelte ihr den Kopf. „Du bist zu weich für dieses Gewerbe, Querida“, flüsterte sie. „Laß dir das gesagt sein, du mußt noch viel lernen.“ Rosaria schaute auf den toten Fischer Alberto und schüttelte verständnislos den Kopf. „Madre de Dios, das soll ein Korsar gewesen sein?“ Die Gasse füllte sich, immer mehr Soldaten stürmten herbei. Die Bewohner der Häuser wagten sich nicht heraus, drückten sich von innen aber die Nasen an den Bleiglasfenstern platt. Endlich
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erschienen auch einige Kapitäne und der forsche Polizeipräfekt Miguel de Villanueva. De Villanueva verschaffte sich mit ein paar herrischen Bewegungen Platz. Er näherte sich den beiden gefesselten Toten. „Wir haben sie auf der Stelle hingerichtet“, berichtete der Sargento stolz. „Ganz, wie Sie es befohlen hatten.“ De Villanueva blickte schweigend auf das Gesicht des schwarzhaarigen Toten mit den blauen, gebrochenen Augen. Vergebens forschte er nach Übereinstimmungen mit den Zügen des verhaßten Mannes, den er jagte, des falschen Diaz de Veloso, dessen Physiognomie er niemals vergessen würde. Seine Miene verzerrte sich. „Gütiger Himmel!“ rief jetzt einer der Kapitäne. „Aber das - das ist ja einer meiner Seeleute!“ Er lief zu dem toten Urbano, stoppte ab und wandte sich betroffen dem Sargento zu. „Aber Mann, wie konnte Ihnen denn ein solcher Fehler unterlaufen? Sie hätten doch nur ein paar Leute zu befragen brauchen, ob sie diese beiden jemals gesehen hätten.“ Der Sargento begriff. In ihm stürzte eine Welt zusammen. Er suchte den Blick des Präfekten, aber der starrte ihn nur voller Verachtung und Wut an. „Dafür werden Sie sich zu verantworten haben“, sagte de Villanueva. „Betrachten Sie sich als degradiert, Mann. Führt diesen Idioten ab und sperrt ihn ein. Später werde ich mit dem Gouverneur darüber beraten, was mit ihm geschieht.“ Rosaria bedachte den Sargento mit einem haßerfüllten Blick. „Du wolltest dir Lorbeeren verdienen, was, kleiner Mann? Das hast du jetzt davon. Ich glaube, es wird Zeit, daß deine Frau ein paar Kleinigkeiten über dich erfährt.“ „Aber - aber ich habe doch nur meine Pflicht getan!“ schrie der Sargento. Er wurde gepackt und abgeführt, zeigte sich aber renitent und gab die gröbsten Verwünschungen von sich - so lange, bis ihm einer der Soldaten auf den Mund schlug. Da schwieg er endlich.
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Panama wurde von den Ängsten, dem Mißtrauen und der Arglist seiner Menschen regiert. Ein feiner Lichtstreifen fiel durch die Dachluke, wanderte über die gestapelten Goldbarren und traf schließlich den schmalen Durchlaß, den Hasard und Jean Ribault vor ihrem Unterschlupf gelassen hatten. Der Seewolf wurde als erster wachgekitzelt. Er schlug die Augen auf, reckte sich und gähnte herzhaft. Dann rieb er sich die schmerzenden Knochen, fluchte ein paarmal verhalten, aber deftig und peilte dann die Lage. Nach seiner Meinung befanden sie sich in absoluter Sicherheit. Niemand hatte sie in dieser goldenen Grotte aufgestöbert, und es sah nicht so aus, als ob sich das innerhalb der nächsten Minuten ändern würde. Das Innere des kastenförmigen Gebäudes lag im morgendlichen Halbdunkel. Außer ihnen beiden hielt sich hier niemand auf. Im Grunde konnten sie ganz zufrieden sein -wenn da nicht die Unbequemlichkeit des engen Versteckes gewesen wäre. Philip Hasard Killigrew warf einen Blick auf Jean, seinen tapferen Mitstreiter. Jean schnarchte leise vor sich hin. Hasard boxte ihm in die Seite, und er schreckte augenblicklich hoch. „Was - wo - wieso ...“ „Hör zu, alter Gauner, es wird Zeit, daß wir auf die Beine kommen. Wir können hier nicht ewig herumlungern.“ Jean blickte sich verdattert um. Verärgert fuhr er sich mit der Hand über den Hinterkopf. „Verdammt noch mal, mir tut der Kopf weh. Gold ist schön und beruhigt ganz ungemein, aber als Schlafunterlage ist’s nicht der wahre Jakob.“ „Ich fühle mich auch wie gerädert.“ „Ich habe Durst.“ „Ich auch. Und Hunger.“ „Also. Was tun wir? Sehen wir uns nach ein paar gastfreundlichen Philipps um, die uns in ihrer grenzenlosen Nächstenliebe ein fürstliches Frühstück servieren - oder müssen wir uns wie die Strauchdiebe das Notwendige zusammenklauen?“
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„Du machst mir mal wieder Spaß, Franzose. Ich habe die Befürchtung, uns gelingt weder das eine noch das andere.“ „Wir können hier aber auch nicht bleiben. Wie stellt du dir das vor?“ „Hast du einen Plan, wie wir hier rauskommen? Wir sitzen in einem goldenen Käfig.“ Hasard grinste, obwohl ihm trotz des vielen Goldes eigentlich nicht danach zumute war. „Hör zu, wir schließen eine kleine Wette ab. Ich sage, daß die verfluchten Dons vor diesem Bau Wache schieben. Du verläßt jetzt unsere neckische kleine Höhle, steigst nach unten und siehst nach, ob es so ist. Der Gewinner kriegt einen Goldbarren.“ „Sehr witzig. Wieso fällt das Los ausgerechnet auf mich?“ „Weil du den größten Durst hast.“ „Das ist vielleicht eine Art von Logik!“ Jean Ribault murmelte noch etwas Verdrossenes, dann hob er aber die Goldbarren aus der Öffnung ihres Versteckes, schuf einen Ausgang und kroch nach draußen. Geschickt turnte er an dem Barrenberg nach unten. Er hatte einen Blick durch eins der Fenster riskiert, da zog er sich bereits wieder hastig zurück und trat den Rückweg zu Hasard an. Ohne ein Wort zu verlieren, klemmte er sich wieder in die enge Goldgrotte zurück und schichtete von neuem die Barren als Barriere auf. „Und?“ erkundigte sich der Seewolf. „Ja, es sind noch Posten da“, gab der Franzose mißmutig zurück. „Und irgendwer marschiert geradewegs auf diesen vertrackten alten Kasten zu.“ „Soldaten?“ „Nein, Zivilpersonen mit Handkarren. Möchte wissen, was die wollen. Wir sitzen wieder in der Klemme, zum Teufel.“ Er beendete rasch seine Arbeit. Hasard half ihm dabei. Dann zogen beide ihre Degen aus den Scheiden. Jean wetterte leise, weil er erst jetzt konstatierte, daß seine Waffenscheide bei dem Sprung aus der Luke in der vergangenen Nacht eine Delle davongetragen hatte. Die Degenklinge schabte störend an ihrer Innenseite entlang.
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Mit gezückten Waffen lauerten sie hinter ihrer Mauer aus Goldbarren und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Hasard schaute unentwegt auf die große, offensichtlich sehr schwere Eichenholztür hinunter, die sich im blassen Licht abzeichnete. Sie schien den einzigen Einund Ausgang dieses Gebäudes darzustellen, wenn man einmal von dem beschwerlichen Weg durch die Dachluke absah. Jean sollte recht behalten. Die Eichentür wurde von außen aufgeschoben, jemand hatte einen Schlüssel im Schloß gedreht und trat jetzt mit überheblichem Gebaren ein. Die Engländer schauten sich an. Das war ja der Polizeipräfekt Miguel de Villanueva, dieser verteufelte Hund! Er besah sich die gestapelten Goldbarren, nickte zufrieden, drehte sich dann um und winkte jemandem zu. Mehrere uniformierte Posten traten ein und sicherten nach allen Seiten. Es folgten die zivil gekleideten Männer mit ihren Handkarren. Hasard vermutete, daß es Hafenarbeiter waren. „Beeilt euch!“ befahl der Präfekt. „Wir haben nicht die Zeit, groß herumzutrödeln.“ Die Arbeiter schlugen die Planen ihrer Handkarren zurück. Die Posten hatten ein waches Auge auf sie, und de Villanueva beobachtete sie voller Mißtrauen. Auf den Ladeflächen der Karren lagen Goldbarren. Eine neue Ladung! Gewiß waren sie erst vor kurzem geschmolzen worden, jetzt lagerte man sie hier bis zum Abtransport nach Portobello ein. Jean stieß seinen Kapitän an. Sie kauerten auf einem Schatz unermeßlichen Wertes, konnten doch nichts ausrichten und standen sozusagen auf Stützen. Die Wachen waren in der Überzahl. Hinzu kam, daß sie sich auf einen Präsentierteller begeben hätten, wenn sie ihre Deckung verlassen hätten. Die Uniformierten hätten sie mit ihren Musketen abgeschossen wie die Stallhasen. Es bestand also nicht einmal ansatzweise die Aussicht, jetzt das selbstgewählte Gefängnis zu verlassen und zudem noch einen Dreh zu finden, wie sie
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sich zumindest einen Teil dieses Reichtums unter den Nagel reißen konnten. Zum anderen hatte Hasards und Jeans Situation aber den unschätzbaren Vorteil, daß sie in ihrer Goldhöhle nicht gesucht wurden. Damit mußten sie sich vorerst zufriedengeben. De Villanueva trat für kurze Zeit vor die Tür, um sich mit einem draußen stehenden Offizier zu unterhalten. Dabei ließ er die Arbeiter und die Wachtposten natürlich keine Sekunde aus den Augen. Die Leute wagten jetzt aber, ein Gespräch zu beginnen. Sie redeten nicht gerade sehr laut. Aber Hasard und Jean spitzten die Ohren und hörten mit. „Spanien wird immer reicher“, sagte ein Soldat. „Eine unschlagbare Weltmacht! Der König wird stolz auf Panama sein.“ „Schon möglich“, erwiderte einer der Hafenarbeiter, ein bullig aussehender Mann mit Glatze. „Aber wenn er erst erfährt, daß der Hafenkommandant entführt worden ist, alle Schiffe wie ein Spuk von der Reede verschwunden sind und über die Stadt der Ausnahmezustand verhängt worden ist, wird er uns alle zum Teufel wünschen.“ „Es ist nicht unsere Schuld“, bemerkte ein anderer Posten. „Man hätte besser aufpassen müssen“, sagte der Glatzkopf. „Seit ‚El Draque` an dieser Seite der Neuen Welt aufgetaucht ist, kann man nur auf der Hut sein.“ „Spuck doch nicht so große Töne“, entgegnete der erste Posten. „Ihr habt euch noch nie mit diesen Bastarden von Engländern herumschlagen müssen. Ihr wißt ja nicht, wie das ist. He, packst du die Barren auch richtig aufeinander?“ Er trat vor und hielt die Muskete im Anschlag. Argwöhnisch achtete er darauf, daß der Mann ordnungsgemäß arbeitete. Vielleicht glaubte er wirklich, der Kerl könne sich einen Barren unter das Hemd schieben und damit verschwinden. Vielleicht wollte er aber auch nur Punkte beim Präfekten sammeln. In der Tat, de Villanueva wandte sich jetzt um und betrat wieder das Lagergebäude.
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„Ruhe da“, herrschte er die Leute an. „Ich dulde kein Geschwätz. Mit de Roja, dem vorher diese Aufgabe hier zufiel, habt ihr vielleicht leichtes Spiel gehabt – mit mir nicht! Bei mir geht es diszipliniert zu, verstanden? Wer aus der Rolle fällt, den lasse ich vor der Hafenkommandantur auspeitschen, klar?“ „Ja“, sagten die Männer. „Si, Senor.“ Die Hafenarbeiter beendeten ihre Tätigkeit. Doch bevor sie gehen durften, wurden sie von Posten genau kontrolliert. Auch die Handkarren wurden durchstöbert, ob nicht etwa irgendwo ein Krümel Gold hängengeblieben oder gar ein Barren „aus purem Zufall“ in irgendeinen Winkel gerutscht war. Die Arbeiter zogen ab. De Villanueva kommandierte den Offizier, mit dem er soeben gesprochen hatte, sowie ein paar andere Aufsichtspersonen her- an, und diese inspizierten die Soldaten. Dem Präfekten blieb es zum Schluß vorbehalten, die Höherdekorierten zu überprüfen — es war eine regelrechte Hackordnung, von bodenlosem Mißtrauen geprägt. Miguel de Villanueva verließ als letzter das Gebäude. Er hatte den Schlüssel im Besitz. Er drehte ihn im Schloß um, schritt davon und tat so, als sei der Berg aus Goldbarren sein Privateigentum. Jean Ribault grinste. „Ferris Tucker und die anderen haben es also geschafft; und zusätzlich haben sie noch diesen Fettwanst de Roja gefangengenommen. Dem Präfekten scheint das sehr gut in den Kram zu passen.“ „Ja. Er hat sich in der Hafenkommandantur eingenistet.“ „Und er hütet den Schlüssel für die Eichenholztür.“ „Und mir ist etwas Großartiges eingefallen, Jean“, sagte Hasard. Tausend Teufel blitzten plötzlich in seinen eisblauen Augen. 8. Im Morgengrauen sichtete Ferris Tucker Land. Die Männer, in der Segelpinasse blickten voraus und sahen nun alle jenen schwärzlich-grauen Streifen, der sich über
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der Kimm erhob und ihrer Reise ein vorläufiges Ende setzte. Die Insel Chepillo war erreicht! Sie umrundeten sie, trafen auf die Ostseite und entdeckten in einer kleinen geschützten Bucht die „Isabella III.“. Die schlanke Zweimastgaleone lag vor Anker und bot eins der friedlichsten Bilder der Welt. Die Männer in der Pinasse standen auf und brüllten begeistert. Von Bord der „Isabella“ aus wurde zurückgewinkt, jemand warf seine Mütze hoch und fing sie wieder auf. Der einzige, der eine sauertöpfische Miene zog und von dem Anblick des Seglers überhaupt nicht überwältigt war, war der Hafenkommandant Alfonso de Roja. Apathisch hockte er auf seiner Ducht und sorgte mit seinem Gewicht dafür, daß die Pinasse ordentlichen Tiefgang hatte. Alles in allem sah er entsetzlicher aus als der gute Mac Pellew, der Koch an Bord der „Golden Hind“, der als Miesgram verschrien war und den selten jemand hatte lachen sehen. Ferris ließ wieder anluven. Ed Carberry bediente die Ruderpinne, und dann glitt die Pinasse in die Bucht. Es war ein idealer Platz — versteckt, geschützt, geradezu idyllisch. Sie legten an der Backbordseite der „Isabella“ an. Ferris Tucker enterte als erster an der Jakobsleiter auf. Noch während die Pinasse an der Bordwand schwabberte, stellte er die entscheidende Frage an Ben Brighton: „Sind Hasard und Jean zurück?“ „Nein. Wir dachten, ihr bringt sie mit oder wißt wenigstens etwas Genaueres über ihr Schicksal.“ „Scheiße, verdammte.“ Ferris mußte seinem Unmut erst einmal richtig Luft machen. Das hatte er geahnt: Der Seewolf und der Franzose saßen bis zum Hals in der Tinte. Was sollte die Crew unternehmen? Die übrigen acht Männer aus der Pinasse kletterten über das Schanzkleid auf die Kuhl. Batuti, Blacky, Dan O’Flynn und ein paar andere hievten die Pinasse an Bord. Unterdessen wurde Alfonso de Roja von allen Seiten betrachtet und mit bissigen
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Kommentaren bedacht. Ihm wurde dabei immer unwohler in der eigenen Haut. Als schließlich auch noch Arwenack vom Großmast herabturnte, in den Leewanten verharrte und ihn mit einer Kokosnußschale bombardierte, die ihn genau an den Kopf traf — da war es um seine Selbstbeherrschung geschehen. Wieder begann er mit seinem Lamento und bettelte um sein Leben. „Einfach widerlich“, sagte Matt Davies. „Und so was will Hafenkommandant von Panama sein. Was machen wir jetzt mit dem?“ „Runter in die Kapitänskammer“, sagte Ben Brighton. „Ferris und Ed, ihr begleitet mich und nehmt den Dicken in die Mitte.“ In der Kammer mußte de Roja wieder Rede und Antwort stehen. Er berichtete noch einmal; was in Panama vorgefallen war, und schilderte besonders minuziös die Ereignisse im Anschluß an das unterbrochene Festbankett des Gouverneurs. „Noch mal ganz deutlich“, sagte Ben Brighton schließlich. „Es wurden also sämtliche verfügbaren Boote benutzt, um die Schiffbrüchigen von den Galeonen zu retten?“ „Ja.“ „Und der Seewolf und Jean Ribault fanden ihr Boot folglich auch nicht mehr an der Pier vor?“ „El Lobo del Mar“, wiederholte de Roja leise. „Wenn ich das geahnt hätte. O, was für ein Dummkopf bin ich doch gewesen.“ „Das kannst du dir wirklich hinter die Ohren schreiben“, sagte Ben. Er konnte die Unterhaltung direkt führen und benötigte keinen Übersetzer, denn er beherrschte die spanische Sprache genauso gut wie Hasard, Karl von Hutten und Jean Ribault. „Was ist, antwortest du jetzt auf meine Frage?“ „Antworte“, sagte Ed Carberry drohend. Ferris stand schon wieder mit gezücktem Messer bereit. So, wie er mit den Augen rollte, wurde der Hafenkommandant wieder von einem Heidenschreck durchzuckt.
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Rasch haspelte er hervor: „Aber natürlich — äh, ich meine, es ist anzunehmen, daß die beiden kein Boot mehr fanden.“ Ben setzte sich hinter das Pult des Diaz de Veloso und stützte grübelnd das Kinn auf. „Gehen wir mal davon aus, es ist so. Dann können sie sich nur zu Fuß abgesetzt haben — falls sie nicht gefaßt worden sind. Herrgott noch mal, ich will wirklich hoffen, daß sie das geschafft haben. Auf jeden Fall leuchtet es ein, daß sie uns auf Schusters Rappen noch lange nicht erreicht haben können.“ Er stand auf, kramte in einem der Schapps herum und beförderte eine Seekarte zutage. Er breitete sie auf dem Pult aus, und sie beugten sich darüber. Dabei hatten sie nach wie vor ein waches Auge auf den Hafenkommandanten. Der tat zwar so, als hätte er die Hosen gestrichen voll, aber dennoch war ihm zuzutrauen, daß er in einem günstigen Augenblick Reißaus nahm, über Bord sprang und an Land zu schwimmen versuchte. Ben Brighton tippte mit dem Zeigefinger auf die Karte. „Das hier ist Panama, und dies ist der Weg, den Hasard und Jean nehmen müßten, um bis auf die Höhe der Insel Chepillo zu gelangen.“ Er wies die Strecke. Sie verlief sehr kurvenreich. „Da gibt’s eine Menge Flußmündungen und Buchten“, sagte Edwin Carberry. „Wenn ihr mich fragt, wird das ein sehr beschwerlicher Marsch. Vor Einbruch der Dunkelheit sind sie bestimmt nicht hier.“ „Bestätige das, Dickwanst“, sagte Ben zu de Roja. „Si, si - auch ein Ortskundiger würde so lange brauchen“, erwiderte de Roja mit leicht bebender Stimme: Ben ließ die Karte los, sie rollte sich von selbst zusammen. Er schob sie in das Schapp zurück, schloß ab und drehte sich den anderen zu. „Also, meiner Ansicht nach gibts es da nur eine Möglichkeit. Ein paar Männer brechen wieder mit der Pinasse auf und suchen dicht unter Land an der Küste entlang in Richtung Panama. Ganz gleich, wo Hasard und Jean sich zur Zeit aufhalten, auf diese Weise müssen wir sie treffen.“
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„Ja“, entgegnete Ferris Tucker verdrossen. „Wenn die Dons sie nicht zu Kleinholz verarbeitet haben.“ „Hör auf“, sagte der Profos. „Ich will nicht dran denken.“ „Bevor wir nicht genau über das Schicksal der beiden Bescheid wissen, sollten wir keine Schwarzmalerei betreiben.“ Ben wandte sich der Tür zu und verließ die Kapitänskammer. Carberry und Tucker folgten mit de Roja. Sie stiegen den Niedergang zur Kuhl hinauf. Oben angelangt, sagte Carberry: „Ich steige wieder mit in die Pinasse.“ „Ich auch“, erklärte Ferris. Ben Brighton schüttelte den Kopf. „Ferris, wir brauchen dich hier an Bord. Es sind ein paar kleine Reparaturen vorzunehmen, bei denen du nicht fehlen darfst. Außerdem hätte die ‚Isabella’ eine gewissenhafte Inspektion nötig.“ Der rothaarige Riese zog eine Schippe, begriff aber sofort, daß Ben recht hatte und sein Hierbleiben notwendig war. „Also gut, meinetwegen“, sagte er. „Dann sperren wir zuerst mal diesen Halunken ins Kabelgatt.“ „Teile jeweils zwei Männer ein, die ihn bewachen!“ Ben sah Ferris nach, wie er mit dem dicken Hafenkommandanten über die Kuhl abschob, dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem bulligen Profos. „Also, Ed, du nimmst am besten Karl von Hutten mit, denn du brauchst vielleicht jemanden, der spanisch spricht. Es bleibt dir überlassen, wen du sonst noch aussuchst. Nehmt ausreichend Waffen mit.“ Der Profos grinste grimmig. „Worauf du dich verlassen kannst!“ Er schritt über Deck und sagte Karl von Hutten Bescheid, daß wieder ein Einsatz auf sie wartete. Als weitere Gefährten wählte er diesmal aus: Batuti, den riesigen Gambia-Neger, und das gewitzte Bürschchen Dan O’Flynn. Die beiden galten als unzertrennlich und stellten im übrigen ein sehr brauchbares Duo dar, das sich durch unterschiedliche Fähigkeiten ergänzte. Batuti konnte kämpfen wie ein Herkules, und seine Geschicklichkeit im
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Umgang mit Pfeil und Bogen hatte in vielen Auseinandersetzungen mit den Spaniern den Ausschlag gegeben. Dan O’Flynn war als Ausguck unersetzlich, höchstens Jean Ribault konnte ihm da das Wasser reichen. Carberry teilte weiter ein: Buck Buchanan und Luke Morgan, beide ausgezeichnete Kämpfer. Außerdem die Dänen Nils Larsen und Sven Nyberg, die wie Buchanan und Morgan zu den ehemaligen Karibik-Piraten zählten. Sie waren nach jenem bedeutsamen Gefecht bei Puerto de Caldero zu Philip Hasard Killigrew übergelaufen und hatten auf der „Isabella III.“ eine neue, lohnenswertere Aufgabe gefunden - nach jener Seeschlacht, bei der Hasard „Einohr“ Mac Dundee, dem schottischen Anführer der Piraten, wider Willen zu fetter Beute verholfen hatte. Mac Dundee hatte ihm das schlecht gedankt. Der einzige Vorteil, den der Seewolf aus der Episode gezogen hatte, war die Tatsache. nun wieder mehr Männer und damit eine komplette Mannschaft auf seinem Schiff zu haben. Die Pinasse wurde ausgeschwenkt und hinuntergefiert. Dan O’Flynn ließ eine Jakobsleiter an der Achtergalerie herabbaumeln, und sie kletterten in den Einmaster hinunter. Sie nahmen Musketen, Degen, Messer und breitklingige Schiffshauer mit, auch Enterhaken, denn sie konnten ja nicht wissen, in welche Situation sie noch gerieten. Batuti verstaute seinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen unter der Ducht, auf der er Platz nahm. Sie wollten ablegen, da hangelte eine kleine Gestalt die Jakobsleiter hinunter. Matt Davies beugte sich fluchend über das Schanzkleid, aber es war zu spät, um den flinken Burschen zu greifen. Es war Arwenack, der da keckernd von der untersten Sprosse der Leiter in die Pinasse hüpfte und sogleich Batuti auf die mächtige Schulter krabbelte. Batuti entblößte die weißen Zähne und lachte guttural.
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„Miststück von einem Affen!“ rief Matt. „Komm sofort wieder rauf, du hast da unten nichts verloren!“ „Ach was, wir nehmen ihn mit“, gab Ed Carberry zurück. „Wer weiß, vielleicht bringt er uns Glück und läßt uns Hasard und Jean rasch finden.“ „Wie ihr wollt“, sagte Matt Davies. Er blickte ihnen nach, als sie mit der Pinasse aus der Bucht pullten und schließlich das Segel setzten. Im Grunde tat es ihm leid, daß sie nun auch noch den Schimpansenjungen mitgenommen hatten, denn wie alle anderen Männer an Bord der „Isabella“ fand er großen Spaß daran, Arwenack bei seinen akrobatischen Kletterkunststücken zu beobachten. Er hatte ihnen auf diese Art oft die Zeit vertrieben. Und Kurzweil tat not, denn es war immer die undankbarste Aufgabe, auf der Zweimastgaleone zurückzubleiben, während die Kameraden aktiv waren. Matt Davies seufzte. Was blieb ihm anderes übrig? „Drückt die Daumen, daß der Seewolf und der Franzose mit heiler Haut davongekommen sind“, sagte er. * Der Polizeipräfekt Miguel de Villanueva hatte sich hinter dem Schreibtisch niedergelassen, der eigentlich noch Alfonso de Roja gehörte. Aber es sah wirklich so aus, als würde de Villanueva seinem Konkurrenten bald den Stuhl ansägen. Er hatte nämlich sämtliche Räume der Hafenkommandantur durchstöbert und sich als letztes diesen Schreibtisch vorgenommen. Ohne irgendwelche Skrupel zu empfinden, hatte er ihn aufgebrochen. Dabei war er auf Kontrollisten gestoßen, die mittlerweile zu seiner bevorzugten Lektüre geworden waren. Die Abenddämmerung kroch von Osten her über den Isthmus und über die Stadt, und er hockte und studierte die Listen im schwächer werdenden Licht, ohne sich eine Lampe anzuzünden. Er war viel zu vertieft. Schließlich richtete er sich auf.
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„De Roja, du Hurensohn“, sagte er leise im Selbstgespräch. „Der Teufel soll dich holen. Das hier bricht dir das Genick.“ Er hatte jetzt keinen Zweifel mehr. Der dicke Hafenkommandant hatte es verstanden, die Listen zu manipulieren. Die Eintragungen darauf betrafen weder Tabak noch Schießpulver noch irgendwelche anderen relativ unbedeutenden Güter - sie gaben den Umfang des Inventars jenes kastenförmiges Gebäudes wieder, das de Villanueva am Morgen anläßlich eines neu eingetroffenen Transportes kontrolliert hatte. Gold! De Roja hatte es eindeutig geschafft, sein Privatvermögen anzureichem. Er hatte die Posten auf den Listen so geändert, daß einige Barren ganz einfach „unter den Tisch“ fielen - direkt in seinen feisten Schoß. Der Präfekt grinste. Im stillen legte er sich seinen Plan zurecht. Er hatte jetzt ebenfalls Blut geleckt und nahm sich vor, die betreffenden Goldbarren für sich abzuzweigen. Rechnete er alle zusammen, so kam dabei eine erkleckliche Menge heraus. Sein Lächeln hatte etwas Diabolisches an sich. Er würde schon noch den richtigen Dreh finden und das Versteck aufspüren, in dem de Roja die entwendeten Barren untergebracht hatte! Kehrte der Mann jemals nach Panama zurück, so gestaltete sich das Ganze natürlich einfacher. Er würde ihn dann verhören, notfalls foltern, und sich das Versteck verraten lassen. Anschließend würde er den Hafenkommandanten über die Klinge springen lassen. Bei dem, was jener sich geleistet hatte, war das wirklich keine Schwierigkeit. Der Gouverneur würde erfahren, daß er sich widerrechtlich bereichert hatte, aber es würde nie bekannt werden, daß de Villanueva nur seinerseits die Barren an sich gerafft hatte. Ich muß nur die Listen entsprechend aufpolieren, sagte er sich. Er war ein Meister, was Intrigenspiel und Ränke betraf. Warum sollte ihm nicht auch dieser große Zug gelingen?
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Wenn de Roja von der Bildfläche verschwunden war, würde er, der Präfekt, groß dastehen und sich vom Gouverneur Diego de Avila die Genehmigung erteilen lassen, künftighin selber das Goldmagazin zu überwachen. Darauf liefen alle seine Bestrebungen hinaus! De Avila war in de Villanuevas Augen ein ebenso träger Faulenzer und Schurke wie de Roja, er würde keine Schwierigkeiten haben, den Gouverneur so zu stimmen, wie es ihm gerade gefiel. Die Aufgabe, den falschen Kapitän Diaz de Veloso und dessen Kumpan zu finden, war darüber schon fast in Vergessenheit geraten. De Villanueva nahm an, daß den beiden die Flucht gelungen war — daß sie die Situation am Hafen rasch erfaßt und den Landweg gewählt hatten, um sich abzusetzen. Natürlich hatte er inzwischen Soldaten ausgeschickt, die Umgebung von Panama abzusuchen. Aber im Grunde versprach er sich nicht sehr viel von dieser Aktion. Der Gouverneur war in seinen Palast zurückgekehrt, erschöpft von den Bemühungen der anderen. Der Gouverneur hatte sich wieder von der Realität abgekapselt — und das kam de Villanueva gerade recht. Die Tatsache, daß zwei Unschuldige erschossen worden waren, hatte er zu seinen Gunsten auszulegen gewußt. Um Zeit zu gewinnen, hatte er dem Gouverneur eine Depesche überbringen lassen, in der es hieß, die beiden „mutmaßlichen Täter“ seien „auf der Flucht“ erschossen worden. Bis der dicke de Avila die Wahrheit erfuhr, vergingen möglicherweise Tage. Und selbst dann konnte er, de Villanueva, sich immer noch herausreden. „Inzwischen“, so würde er dann sagen, „hat sich das Ganze leider als tragischer Irrtum herausgestellt. Wir haben die Falschen erwischt, mein Gouverneur! Sie sahen den wirklichen Verbrechern aber auch allzu ähnlich! Doch wir werden nicht rasten, bis wir den schwarzhaarigen Bastard und seinen Freund gestellt haben, Exzellenz.“ Der Präfekt wurde in seinen Überlegungen unterbrochen. Jemand klopfte an.
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„Adelante“, sagte er, und schon wurde die Tür aufgestoßen. Ein Wachtposten steckte seinen Kopf herein. „Eine Senora will Sie sprechen, Senor. Es ist die Frau des Sargento — Sie wissen schon ...“ „Ja.“ De Villanueva ordnete die Listen zu einem handlichen Bündel und ließ sie in der Schreibtischschublade verschwinden. „Sie soll hereinkommen.“ Er setzte sich. zurecht und nahm eine arrogante Pose ein. Als die Frau des Sargento vor ihn hintrat, bot er ihr einen Stuhl an. Der uniformierte Posten rückte ihn zurecht. De Villanueva verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich zurück und musterte die Frau ungeniert von oben bis unten. Sie war um die Dreißig und sehr attraktiv. Sie blickte ihn aus großen, etwas feuchten Augen an, um ihre Mundwinkel zuckte es. Sie atmete heftig, und unter ihren Zügen hob und senkte sich ihr großer, fester Busen. „Senor, bitte hören Sie mich an!“ „Ich bin ganz Ohr; meine Liebe.“ Er scheuchte den Posten mit einer Handbewegung davon. „Laß uns allein. Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.“ Nachdem der Mann gegangen war, begann die schöne Frau zu reden. „Es ist wegen meines Mannes, Senor. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich durchgestanden habe, wie ich leide...“ Ihr kamen die Tränen. Sie holte ein spitzenbesetztes Taschentuch hervor und tupfte sich die Wangen ab. Mit väterlicher Miene umrundete Miguel de Villanueva den Schreibtisch, legte ihr die Hand auf die Schulter und sprach beschwichtigend auf sie ein. „So beruhigen Sie sich doch. Noch sitzt Ihr Mann im Gefängnis, aber es werden sich schon Wege finden lassen, ihn herauszupauken. Wenn ich ein gutes Wort für ihn einlege, erhält er nur eine kleine Strafe. Der Gouverneur vertraut auf meinen Ratschlag. Auch wegen der Degradierung wird sich etwas tun lassen, denn der Sargento hat sich vorher nie etwas zuschulden kommen lassen ...“ Sie schaute auf und funkelte ihn an. „Nie? Das dachte ich auch, Senor. Aber unter der
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Schale des Biedermannes verbirgt sich ein schlechter Kern. Wenn Sie wüßten, auf welche verabscheuungswürdigem Weg es mir zugetragen wurde! Eine gewisse Rosaria suchte mich auf und erzählte mir in haarkleinen Einzelheiten, wie er es mit ihr und anderen getrieben hätte, mit diesen – diesen.. .“ „Hafenmädchen?“ Der Präfekt konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Da hat er also munter Seitensprünge vollführt und Sie betrogen, Senora. Verzeihen Sie, aber ich hatte erwartet, daß Sie etwas Derartiges längst vermutet hätten.“ „Nein! Ich bin eine Frau voller Leidenschaften, aber in gewisser Hinsicht auch gutgläubig.“ Er sah sie wieder an, und ihm kam ein glänzender Gedanke. „Sie haben mich aufgesucht, um für ihn um Gnade zu bitten, nehme ich an?“ „Nein!“ Sie sprang auf. „Niemals! Er soll büßen! Ich will ihn nicht mehr sehen. Es ist mir egal, was mit ihm geschieht! Einer Frau wie mir tut man so etwas nicht ungestraft an !“ Er griff nach ihren Handgelenken und zog sie etwas zu sich heran. „So beruhigen Sie sich doch, meine Liebe. Ich werde dafür sorgen, daß er seine Sünden bereut. Sind Sie auch hundertprozentig überzeugt von dem, was Sie da eben gesagt haben?“ „Ja. Er verdient den Tod.“ „Den Tod? Verlassen Sie sich ganz auf mich.“ Ihre Gesichter waren sich plötzlich sehr nahe, und sie hauchte: „Ich bin Ihnen so dankbar, Senor. Schade, daß ich nicht weiß, wie ich mich für Ihr Entgegenkommen revanchieren kann. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe ...“ „Vielleicht.“ Er lächelte wieder. „Ich besuche Sie in den nächsten Tagen, meine Liebe. Was Ihren Mann betrifft, so werde ich Sie selbstverständlich über den Erfolg meines Einschreitens auf dem laufenden halten.“ Sie ging, und er befand, daß der ExSargento bereits so gut wie tot war. Im übrigen malte er sich in seiner Phantasie aus, wie vergnüglich es sein würde, die
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attraktive Frau als Mätresse zu halten. Sie würde für immer dazu verpflichtet sein, den Mund zu halten, denn sie hatte ja den Tod ihres Mannes gefordert. Miguel de Villanueva entnahm dem Schreibtisch den Schlüssel für das Goldmagazin. Er erhob sich, verließ die Hafenkommandantur und schritt auf das kastenförmige Gebäude zu. Vielleicht befand sich de Rojas. Goldversteck im Magazin selbst? Er würde es herausfinden. * Hasard und Jean verließen vorsichtig ihre goldene Höhle. Es hatte sie einige Geduld gekostet, den ganzen Tag in dem Schlupfloch zu verbringen, aber sie hatten keine andere Wahl gehabt. Der Plan, den der Seewolf sich zurechtgelegt hatte, ließ sich nur nach Einbruch der Dunkelheit in die Tat umsetzen. Die Abendfinsternis war ihr Verbündeter. Sie wollten das Magazin durch die Luke verlassen und praktisch den gleichen Weg nehmen, den sie beim Einsteigen beschritten hatten. Hasard wollte in die Hafenkommandantur eindringen und den Präfekten gefangen setzen. Er hatte den Schlüssel für die Eichenholztür des Magazins. Mit ihm als Geisel mußte es gelingen, einige Goldbarren zu bergen, in ein Boot zu verfrachten und sich dann davonzustehlen. Sie krochen über den Berg aus Barren, als sie draußen eine barsche Stimme vernahmen. Sofort hielten sie inne und duckten sich. „Kontrolliert das Hafengelände, ihr Nichtsnutze!“ Der Sprecher ging alles andere als freundlich mit den Posten um. „Ich habe verdächtige Geräusche gehört, und zwar unterhalb der Cantina, nicht weit vom Schmied entfernt ganz in der Nähe der Hafenmauer.“ „Si, Senor!“ ertönte es zurück. „Dann beeilt euch, ihr Faulenzer!“ Schritte trappelten davon. Hasard sagte: „Das ist de Villanueva, unser gemeinsamer Freund, Jean. Er hat die beiden Posten vor dem Magazin abkommandiert.“
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„Ob er wirklich verdächtige Laute“ gehört hat?“ „Glaube ich nicht.“ „Was will er dann?“ „Werden wir ja sehen.“ Es wurde von außen an der schweren Eichentür hantiert. Ganz eindeutig war den Geräuschen zu entnehmen, daß der Präfekt den Schlüssel hinein schob und ihn drehte. Hasard und der Franzose blickten sich an. Es war zu spät, wieder in die Höhle zurückzukehren und die Barriere aus Barren davor aufzurichten. Außerdem - der Präfekt war allein! Hätte es eine bessere Gelegenheit geben können? Sie krochen auf dem Barrenstapel entlang und zogen sich so weit zurück, daß sie sich für Miguel de Villanueva im toten Blickwinkel befanden, sobald er eintrat. Sie verhielten sich still und warteten ab. Die Tür wurde aufgeschoben. Sie knarrte in leicht angerosteten Angeln. Knirschende Schritte näherten sich, waren nun in der Halle und verharrten. Die Tür wurde ins Schloß geworfen. Miguel de Villanueva entzündete ein Licht. Es verbreitete einen rötlich-gelben, leicht „ flackernden Schein. Hasard und Ribault vernahmen, wie der Präfekt jetzt langsam um den Goldberg herumzuwandern begann. Der Seewolf gab Jean ein Zeichen. Der verstand. Katzengewandt glitt Hasard an den gestapelten Barren bis auf den Boden hinunter. Um sich mit Ribault abzusprechen, waren keine großen Worte nötig. Seit sie zusammen waren, hatten sie sich gut aufeinander eingespielt, und der Franzose besaß das notwendige Feingefühl, um gewisse Vorhaben im Ansatz zu erkennen und sich darauf einzustellen. So war es auch jetzt. Hasard war sicher, daß er seinen Part in dem nun folgenden Unternehmen vortrefflich durchführen würde. Hasard orientierte sich an den Schrittgeräuschen des Spaniers. Der umrundete das im Magazin angehäufte Vermögen. Der Seewolf schlich in derselben Richtung und folgte ihm. Rasch hatte er so weit aufgeholt, daß er ihn sehen
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konnte. De Villanueva hielt sein Talglicht in der rechten Hand. Manchmal führte er es höher, bisweilen tiefer, fast bis auf den Boden, und immer wieder blieb er stehen, um nach irgendetwas Ausschau zu halten. Einmal drehte er sich um. Hasard blieb gerade noch die Zeit, sich ein Stück zurückzuziehen und mit dem Rücken gegen die Goldbarren zu pressen. Nur so entging er dem wachen, mißtrauischen Blick des Präfekten. De Villanueva suchte etwas, das stand fest. Um was es sich handeln konnte, wußte Hasard nicht. Er ließ ausreichend Abstand zwischen sich und ihm – noch war der richtige Augenblick nicht gekommen. De Villanueva hatte eine geladene Pistole in seinem Gürtel stecken. Und sicherlich würde er sie auch schnell bei der Hand haben, wenn der Seewolf ihn angriff. Es bedurfte einer List, um ihn zu überrumpeln. In einem günstigen Moment huschte Hasard von den Goldbarren zur Gebäudewand hinüber. Geduckt und auf den Zehenspitzen schleichend, hielt er sich dicht hinter dem Präfekten. Dann geschah es. Etwas bewegte sich hoch über de Villanuevas Kopf.. Wie erwartet, blieb er stehen und blickte auf. Er hörte ein scharrendes Geräusch, hob die Lampe und sah gerade noch eine Art Schatten davongleiten. Seine Hand tastete nach dem Griff der Pistole. „Ist da jemand?“ Hasard schob sich auf ihn zu. De Villanueva war mit dem Rätsel-. haften da oben auf dem Barrenstapel viel zu beschäftigt, um ihn in diesem Moment zu bemerken. Hasard packte ihn von hinten. Er schlug ihm auf den Unterarm, daß er die Hand vom Pistolengriff löste. De Villanueva fluchte und riß sich los. Doch der Seewolf packte die Schußwaffe und zerrte sie ihm aus dem Hosenbund. Der Präfekt schleuderte ihm das Talglicht entgegen. Für einen Augenblick war Hasard überrascht und wehrte das Talglicht ab. Aber da war Jean Ribault, der wie ein Panther von dem Barrenstapel sprang,
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federleicht aufsetzte und de Villanueva mit gezücktem Degen Paroli bot. Der Präfekt sah sich in die Enge getrieben. Hinter ihm näherte sich Philip Hasard Killigrew, er drückte ihm die Pistole ins Kreuz. „Keinen Mucks, Amigo“, sagte er. „Sonst ist dein Leben keinen Pfifferling mehr wert.“ „Ihr Hunde“, keuchte Miguel de Villanueva. „Ihr Bastarde! Ich schreie.“ Jean setzte ihm die Spitze der Degenklinge gegen den Hals. „Ich an deiner Stelle würde mir das gut überlegen. Du kennst uns ja und weißt, daß wir bei Anlässen wie diesem hier nicht zu scherzen pflegen.“ Er lächelte kalt. „Im übrigen bin ich natürlich hocherfreut, dich wieder zutreffen, du Hurensohn von einem Polizeibüttel.“ „Hier habt ihr euch also verkrochen. Das kommt euch teuer zu stehen ...“ „Da würde ich mal nicht so sicher sein“, sagte Hasard. Er nahm ihm den Degen ab, tastete ihn ab und entdeckte auch noch ein Messer, das er ebenfalls behielt. Danach packte er den Mann am Rockaufschlag und drängte ihn zur Tür des Magazins. „Was hast du hier zu suchen, Bursche? Rede, oder ich vergesse mich.“ De Villanueva war der kalte Schweiß ausgebrochen, er lief in feinen Rinnsalen von den Schläfen und der Stirn auf sein Gesicht, dann aufs Kinn und auf die Brust. Er befürchtete, die beiden würden nicht lange fackeln. Ihm war elend zumute. Er hatte Angst. Dennoch preßte er die Lippen zusammen und schwieg. Hasard ließ ihn gegen die Wand prallen. Er holte kurz aus und hieb ihm kräftig gegen das Kinn. De Villanueva hatte den Eindruck, sein Kieferknochen würde platzen. Eine Welle des Schmerzes tobte durch seinen Kopf und Hals und zog bis in den Leib. „Rede“, sagte Hasard noch einmal. Die Art, wie ihn dieser große Mann mit den eisblauen Augen anblickte, gab Miguel de Villanueva den Rest. Er leckte sich hastig die Lippen, dann entgegnete er: „De Roja. Ich - ich habe herausgefunden, daß er Goldbarren auf die Seite geschafft und irgendwo versteckt hat. Ich suche sie.“
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Jean Ribault lachte leise und spöttisch. „Um sie dir selbst unter den Nagel zu reißen, was? Das sieht einem Typ wie dir ähnlich. Ihr Dons seid doch alle gleich: durchtrieben und hinterlistig. Keiner traut dem anderen. Und jeder würde auch seinen besten Freund übers Ohr hauen.“ „Öffne die Tür, Jean“, sagte der Seewolf. Der Franzose kam der Aufforderung sofort nach. Hasard hielt den Gefangenen in unveränderter Position gegen die Wand gepreßt und ließ ihn nicht aus den Augen. De Villanueva hielt seinem kalten, verächtlichen Blick nicht stand. Er schlug die Lider nieder. „Wir warten ab, bis die beiden Posten zurückkehren“, sagte Hasard. „Du bist ein Mann des Todes, wenn die Kerle nicht spuren.“ „Sei vernünftig“, sagte der Polizeipräfekt. Er versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. Ein leichtes Beben konnte er aber nicht unterdrücken. „Wir können Partner werden. Ich bin kein armer. Schlucker, der sich seine Freiheit nicht erkaufen kann. Wenn ihr mich laufen laßt, belohne ich euch so großzügig, wie ihr es euch gewiß nicht vorstellt.“ „Wir sind verwöhnt“, antwortete Jean Ribault. Wieder setzte er sein spöttisches Lächeln auf. „Denk dir mal, Amigo, wir haben nicht nur jede Menge Silberbarren, sondern auch den Schatz des Vizekönigs in Peru an Bord unserer ‚Isabella’ - ach, richtig, du kennst sie ja nur unter dem Namen- ,Valparaiso’. Und damit nicht genug, die Liste setzt sich fort mit den Perlen, die wir uns von Bord der Galeone ‘Victoria’ geholt haben, sowie mit den zwölf Schatztruhen von der ,Saint Gabriel’. Die waren doch für euren großen Philipp II. bestimmt, oder täusche ich mich? Soll ich noch mehr aufzählen?“ „Genug“, entgegnete de Villanueva gepreßt. „Also doch. Euch haben wir allen Verdruß zu verdanken. De Roja, der die Mitschuld trägt, soll krepieren.“ „Also, ihr liebt euch wirklich von Herzen“, sagte Jean. Hasard gab ihm ein Zeichen. Sie verhielten sich mucksmäuschenstill. Wie Hasard
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richtig gehört hatte, näherten sich dem Goldmagazin wieder Schritte. Sie vernahmen die Stimmen der beiden Wachtposten, und der Seewolf drückte dem Polizeipräfekten die Pistolenmündung unter den Kiefer. Der kriegte vor Angst tellergroße Augen. Die Gestalten der beiden Soldaten erschienen in der Türöffnung. Deutlich hoben sie sich vor dem weißen Licht des Mondes ab. Hasard bedeutete de Villanueva, etwas zu sagen. „Kommt herein, ihr beiden“, sagte der Präfekt gepreßt. Die Posten taten ein paar Schritte ins Magazin und blickten sich verwundert um. Während sie noch nach ihrem Vorgesetzten suchten, warf Jean Ribault die schwere Eichenholztür zu. Die Spanier rissen ihre Musketen hoch, aber der Präfekt rief: „Nicht schießen! Sie haben mich gefangengenommen. Sie bringen mich um, wenn ihr euch nicht ergebt.“ Jean entfachte das Talglicht und hielt es neben Hasard und den Präfekten. Verstört betrachteten die beiden Posten die für sie völlig unfaßbare Szene. Der Seewolf schob seine Geisel vor sich her, bis sie dicht vor den Uniformierten standen. „Folgendes“, sagte er. „Wir brauchen ein einigermaßen großes Boot. Ich habe an die Schaluppe des Hafenkommandanten de Roja gedacht. Einer von euch begleitet meinen Freund hier, und ihr holt die Schaluppe und vertaut sie an der Pier direkt vor dem Magazin, klar?“ Den Posten blieb vor Schreck die Spucke weg. Jean kniff die Augen zusammen und sagte: „Also los, Hasard, jag unserem Amigo Präfekt eine Kugel in den Kopf.“ „Nein“, stieß de Villanueva gurgelnd hervor. „Ich will nicht sterben, ich - ich befehle euch, die Anweisungen dieser Männer zu befolgen.“ Er blickte die Posten an. Seine Augen spiegelten die namenlose Panik wieder, die ihn befallen hatte. „Wir gehorchen“, sagte der eine Soldat. Jean Ribault marschierte mit ihm davon. Ihre Gestalten wurden von der Nacht
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verschluckt. Hasard behielt Miguel de Villanueva im Griff, zielte nun aber mit der Pistole auf den anderen Wachtposten. Die Zeit über, in der Jean mit dem ersten Uniformierten fort war, sprach er kein Wort - und seine Gefangenen standen wahre Höllenqualen durch. Die Ungewißheit nagte an ihnen. Was sollte dieser schwarzhaarige Teufel wirklich? Sie zum Narren halten, quälen oder schließlich auf grausame Weise hinrichten? Das leise Schlagen von Wellen verkündete, daß sich ein Wasserfahrzeug näherte. Der Seewolf spähte in die Dunkelheit. Endlich gewahrte er Jean Ribault. Der richtete sich auf der Pier auf, winkte und grinste und ließ den Wachtposten aus der Schaluppe des Alfonso de Roja heraussteigen. Er besaß die Dreistigkeit, das Talglicht zu halten. Damit riskierte er, von sämtlichen im Hafengelände postierten Spaniern entdeckt zu werden. Im Nu konnte hier der Teufel los sein. Aber er wußte ja, daß sie in de Villanueva einen unschätzbaren Faustpfand hatten. Hasard wartete, bis die beiden heran waren, dann sagte er: „Und jetzt heißt es schuften, Caballeros. Ihr schafft so viele Goldbarren wie irgend möglich in die Schaluppe. Verstaut sie gefälligst sachgemäß, sonst geht es euch an den Kragen.“ In der folgenden Stunde arbeiteten die beiden Posten im Schweiße ihres Angesichts. Hasard und Jean sahen gleichsam vergnügt zu. Der Seewolf drängte de Villanueva immer wieder, die Männer anzutreiben. Dann trat etwas Unvorhergesehenes ein. Während die beiden Posten noch auf der Pier standen und einen neuen Schwung Barren zwischen die Duchten der Schaluppe hinabbugsierten, näherten sich zwei Soldaten des gleichen Dienstranges - die Ablösung. „Die können wir auch gebrauchen”, sagte Hasard zu dem Präfekten. „Ein falsches Wort, und du stirbst.“ „Überspanne den Bogen nicht.“ „Wir sind noch zu ganz anderen Sachen imstande“, bemerkte Jean Ribault.
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Hasard richtete unterdessen die Radschloßpistole auf die beiden Spanier an der Schaluppe. Sie registrierten es und hüteten sich, die Kameraden zu warnen. Wenig später saßen auch die beiden Neuankömmlinge in der Falle — und sie mußten mithelfen, die Schaluppe zu beladen. Miguel de Villanueva war völlig mit den Nerven herunter. Niemals hätte er sich eine derartige Entwicklung ausgemalt! Seine kühnen Träume zerplatzten wie Seifenblasen. Noch einmal wandte er sich in einem verzweifelten Appell an den Mann, den sie „El Lobo del Mar“ nannten. „Hör zu, ich schenke dir das gesamte Goldmagazin. Ist das nicht ein fürstliches Angebot?“ „Danke, wir räumen es ja schon aus.“ „Du wirst mich also freilassen?“ „Keineswegs, du Ratte.“ Hasard kitzelte seinen Hals mit der Pistolenmündung. „Wofür hältst du mich eigentlich? Noch so ein windiger Vorschlag, und ich knalle dich gleich hier wie einen räudigen Hund ab.“ De Villanueva hütete sich, fortan noch etwas Ähnliches zu sagen. Er verspürte ein schwächliches Gefühl in der Kniegegend. Er wußte genau, was das war: die nackte Angst. „So, das genügt“, sagte Hasard schließlich zu den vier Soldaten. Er schritt auf sie zu. Aus Richtung Hafen blieb immer noch alles ruhig, von jemand anders waren sie bisher noch nicht entdeckt worden. Die vier Wachtposten zeigten größte Furcht. Jean Ribault hatte sie entwaffnet und hielt eine der Musketen, bereit, jeden niederzuschießen, der aus der Reihe tanzte. Hasard blickte von der Pier aus in die Schaluppe. Sie war wirklich randvoll mit Goldbarren. Mehr dürften sie nicht laden, sonst ging sie jämmerlich unter, und das war nicht im Sinne des Erfinders. Hasard grinste plötzlich: „Ihr könnt ins Magazin gehen und euch selbst bedienen“, sagte er zu den Uniformierten. „Ja, ihr habt richtig verstanden. Nun haut schon ab, bevor ich es mir anders überlege. Wirbelt Staub auf?“
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Sie schauten ihm verdattert zu. Dann aber tat einer von ihnen den ersten Schritt, und die anderen folgten. Sie stürmten in das Lager und waren heilfroh, endlich aus der Reichweite der verwegenen Engländer verschwinden zu können. Der Seewolf indes dirigierte seinen Gefangenen in die Schaluppe und nahm dann selbst auf einer der Duchten Platz. Jean Ribault löste die Leinen, sprang auch an Bord und griff zusammen mit seinem Kapitän nach den Riemen. De Villanueva kauerte mit haßerfülltem Blick auf der Heckducht. Hasard hatte sich die Pistole auf die Knie gelegt. Der Hahn war gespannt. „Ich weiß, was du denkst“, sagte er. „Du willst türmen. Aber denk daran, daß ich schnell mit der Waffe bin. Ich erwische dich auch noch im Wasser.“ Sie pullten auf die Reede hinaus. Die Schaluppe glitt sehr schwerfällig durch die Fluten. Aber als sie das Segel setzten, gewann sie an Fahrt. Der Wind war immer noch ablandig auf, für sie also günstig. Hasard segelte, sobald sie die Nähe der Piers verlassen hatten, zur Irreführung einen Schlag südwestwärts. Wer immer ihnen nachsah, sollte zu der Überzeugung gelangen, daß sie sich auf einen der Insel Chepillo entgegengesetzten Kurs begaben. Die vier Soldaten holten derweil so viele Barren aus dem Goldmagazin, wie sie tragen konnten. Sie schleppten sie fort. In dem nahegelegenen Haus des Postens, der mit Jean zusammen die Schaluppe geholt hatte, verstauten sie die Last. Erst dann kehrten sie zum Magazin zurück und schrien: „Alarm! Alaaarrm! Zu den Waffen!“ Kein Mensch würde ihnen jemals nachweisen können, daß sie etwas von dem Gold eingeheimst hatten. Schließlich ging die gesamte fehlende Menge auf das Konto des Seewolfes. Die vier mobilisierten sämtliche verfügbaren Leute, sorgten dafür, daß Boote besetzt wurden und ausliefen — aber im Grunde empfanden sie auch so etwas wie Ehrfurcht vor den beiden tollkühnen Männern, die ihnen zu unerwartetem Reichtum verholfen hatten.
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Es war zu spät. Die Schaluppe des Hafenkommandanten war bereits außer Sicht. Keine der Bootsbesatzungen konnte sie wiederentdecken. 10. In der Nacht ging Philip Hasard Killigrew auf Ostkurs und steuerte Chepillo an. Es wurde ziemlich kühl, schließlich war es Mitte März 1579 und damit selbst in Äquatornähe eine nicht gerade heiße Jahreszeit. Miguel de Villanueva zitterte leicht auf seiner Ducht, das aber wohl mehr vor Angst als vor Kälte. Die Nacht verflog, und die dunstigen Schleier des Morgengrauens erstreckten sich über der See. Jean Ribault richtete sich plötzlich auf, hob den Kopf und hielt angestrengt Ausschau. „Hasard, wir kriegen Besuch!“ Der Seewolf blickte ebenfalls voraus. Was sich da aus dem Morgennebel an sie heranschob, war auf Distanz nicht näher zu erkennen. Zweifellos handelte es sich um ein größeres Boot mit Segel, aber wer befand sich an Bord? Spanier? Hasard und der Franzose griffen zu den erbeuteten Schußwaffen. Drüben wurden Flüche laut. Hasard glaubte Musketenläufe zu erkennen. Es sah wirklich alles danach aus, als gäbe es jeden Augenblick Kleinholz, da lichteten sich die Dunststreifen für einige Sekunden und sie konnten Genaueres erkennen. „Großsegel und Fock“, sagte der Seewolf. „Das ist ja }unsere Pinasse, Jean!“ „Und der närrische Bulle dort drüben“, schrie Ribault außer sich vor Begeisterung. „Das kann kein anderer als Edwin Carberry, der höllischste aller Stockmeister sein!“ „He!“ brüllte Carberry. „Holla, ist denn das die Möglichkeit? Dreht bei, ihr Satansbraten, oder wir rauschen aneinander vorbei.“ Er hatte die Stimmen von Hasard und Jean erkannt und grinste jetzt fröhlich wie ein Honigkuchenpferd. Karl von Hutten, Batuti, Dan, Buck Buchanan, Luke Morgan, Nils Larsen und Sven Nyberg begannen zu rufen und zu
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winken. Arwenack, der Schimpansenjunge, keckerte und turnte am Mast empor. Als sich die beiden Fahrzeuge nahe waren, musterte Carberry seinen Kapitän und dessen Begleiter sehr genau und rief dann: „Himmel und Hölle, bin ich vielleicht froh, daß ihr noch in einem Stück seid! Verdammt noch mal, Dan O’Flynn. hat in dem verflixten Frühnebel doch richtig die Schaluppe des Hafenkommandanten erkannt und wir haben klar zum Gefecht gerüstet. O Mann, das hätte leicht ins Auge gehen können!“ Ed Carberry, nach außen hin sonst immer das unverbesserliche Rauhbein, war tief in seinem Inneren, auf dem Grund seines Herzens, alles andere als ein Mensch ohne Gefühle: Fast ergriffen blickte er auf den Seewolf. Schließlich hatte er ihn in Trujillo davor bewahrt, daß er zu Tode gefoltert wurde. Und vor Francis Drake hatte er ihn wegen John Doughty in Schutz genommen und gefordert, daß Doughty, der ihn, Carberry, in jener unvergessenen Nacht über Bord gestoßen hatte, wegen Mordversuches zum Tode verurteilt wurde. Drake hatte das abgelehnt und Hasard hatte wieder einmal bewiesen, wie rigoros er für seine Männer eintrat. Er hatte mit Drake gebrochen und den Profos bei sich an Bord der „Isabella III.“ behalten. Ja, deswegen hing Ed Carberry mit besonderer Verehrung an dem viel jüngeren Kapitän, den er einst nicht für voll genommen hatte. Dieses anfängliche Urteil hatte er aber oft revidiert, seit Philip Hasard Killigrew von der Preßgang der „Marygold“ in Plymouth „angeheuert“ worden war. „He, was habt ihr denn da an Bord?“ wollte Dan O’Flynn wissen. Hasard wies auf den Polizeipräfekten. „Meint ihr denn? Das ist ein noch größerer Halunke als de Roja - Miguel de Villanueva, der Polizeipräfekt von Panama. Der Mann, der mich bei dem Festbankett des Gouverneurs als falschen Capitan Diaz de Veloso entlarvt hat.“ „Das müßt ihr alles noch genau erzählen!“ rief Karl. „Habt ihr de Roja?“ fragte Jean Ribault.
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„Ja!“ rief das Bürschchen Dan zurück. „Ich habe aber eben nicht auf deine Geisel angespielt, sondern auf das, was da unter den Duchten liegt. Eure Schaluppe sieht ja aus, als würde- sie jeden Augenblick absaufen. Paß auf, hier schwimmen eine Menge Haie rum!“ Hasard lachte, in seinen Augen blitzte es. Er hob einen der Goldbarren auf und zeigte ihn der Besatzung der Segelpinasse. Der Jubel der Männer kannte jetzt kaum noch Grenzen. Nur de Villanueva schien immer kleiner zu werden. „Dann ist ja wahr geworden, was Alfonso de Roja uns versprochen hat!“ rief Carberry. „Er wollte uns fürstlich belohnen, wenn wir ihn freilassen. Jetzt haben wir den Lohn, aber von der ‚Isabella’ kommt er doch nicht so schnell fort.“ Jean Ribault wandte sich lächelnd dem Präfekt zu. „Etwas Ähnliches habe ich irgendwo schon mal vernommen, Amigo. Ich muß sagen, ihr Spanier geht sehr leichtfertig mit euren Schätzen um.“ „Der Übermut wird dir noch Vergehen“, gab de Villanueva voll glühendem Haß zurück. Dan O’Flynn hatte das gehört. „Der muß eins draufhaben!“ schrie er. „Was fällt dem ein, so kiebig zu werden?“ Hasard sah davon ab, den Präfekten zu maßregeln. Vielmehr drängte er darauf, jetzt Kurs auf die „Isabella III.“ zu nehmen. Wenig später pflügten sie nebeneinander her durch die Dünung des Stillen Ozeans und hielten auf die Insel Chepillo zu. An Bord der „Isabella“ gab es ein großes Wiedersehen. Die Erlebnisse wurden ausgetauscht. Hasard ließ Wein aus der Kapitänskammer holen. Der Kutscher mußte Gefäße heranschaffen. Er drückte dann auch dem ersten Dutzend je eine Muck in die Hand, aber für die anderen waren keine vorhanden. „Keine Schwierigkeit!“ rief Dan O’Flynn, der wie üblich wieder das größte Wort hatte. „Ich bin bei meinem Alten als Flaschenkind großgeworden.“ Mit diesen Worten griff er sich eine Flasche und setzte sie an. Er hätte sie fast
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in einem Zug bis auf den Boden geleert, wenn nicht Arwenack gewesen wäre. Der kletterte in die Webeleinen der Luvhauptwanten, vollführte einen kühnen Satz und landete auf Dans Schulter. Mit raschem Griff nahm er ihm die Flasche ab. Das Bürschchen verschluckte sich und hustete zum Gotterbarmen. Währenddessen nuckelte der Schimpanse genüßlich an der Flasche. Die Männer brüllten vor Lachen. „Paßt auf, daß ihr euch nicht wieder sinnlos besauft, ihr beiden!“ rief Ed Carberry. Er spielte damit auf die Ereignisse vor der Küste von Ecuador an – kurz vor der einträglichen Jagd auf die spanische Galeone „Cacafuego“. Dan und Arwenack hatten sich mit Chicha, dem scharfen Schnaps der Araukaner und Pechuenches, volllaufen lassen und dann ihren Rausch in der Vorpiek ausgeschlafen. Hasard hatte sie gehörig zusammengestaucht, und anschließend hatte sie das schlechte Gewissen geplagt. Die Goldbarren wurden an Bord gehievt und in den Frachträumen der Zweimastgaleone verstaut. Während einige der Männer noch damit beschäftigt waren, die Pinasse und die Schaluppe an Bord zu hieven, trat der Seewolf an eine der Ladeluken. Die Gräting war abgeräumt worden. Batuti, Smoky und Stenmark ließen soeben eine Ladung Barren ab, daß es in den Taljen knarrte und quietschte. Unten im Bauch der „Isabella“ ständen Matt Davies, Ferris Tucker und Patrick O’Driscoll und nahmen die wertvolle Fracht entgegen. „Da paßt doch noch einiges hinein“, sagte Hasard. Dan O’Flynn war neben ihm und grinste breit. „Wie meinst du das? Versteh ich dich jetzt richtig?“ „Wenn wir beispielsweise den Übervorrat an Pulverfässern schmälern, paßt noch eine ordentliche Menge rein.“ „Eine Menge wovon?“ „Rate doch mal.“ „He, Männer!“ schrie das Bürschchen über Deck. „Kapitän Killigrew schwebt im
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Goldrausch und hat schon wieder einen Plan!“ Karl von Hutten flankte über den Querabschluß des Achterkastells, landete mit einem Satz auf der Kuhl und trat zu ihnen. „Da möchte ich gern mitschwelgen! Na los, Hasard, rück schon mit der Sprache heraus.“ „Ich sagte, einige von den Pulverfässern müssen weg ...“ Dan legte den Kopf ein wenig auf die Seite und runzelte die Stirn. „Einfach so? Du willst sie ins Wasser schmeißen?“ „Habe ich das gesagt?“ „Ha!“ Das Bürschchen hieb sich mit der einen Faust in die offene Fläche der anderen Hand. „Jetzt kapier ich endlich! Weg mit dem Pulver, aber es soll vorher ordentlich krachen, nicht wahr?. Hey, ho, Männer, wir veranstalten einen Feuerzauber und machen den Dons Feuer unter dem Hintern!“ Hasard lachte und begab sich zu Ben Brighton auf das Achterdeck. „Ben, wir gehen sofort ankerauf und nehmen Kurs auf Panama. Das viele Gold, das dort noch im Magazin liegt, kann ich nicht einfach so zurücklassen.“ „Aye, aye, Sir.“ Jean Ribault stand neben Ben und sagte: „Ja, mir bricht es auch das Herz, die Dinge nur halb zu vollenden. Die Senores werden die Augen aufreißen, wenn wir da plötzlich wieder frech und gottesfürchtig auf der Reede aufkreuzen.“ * Der Polizeipräfekt wurde auf Hasards Befehl ins Kabelgatt geführt. Ferris Tucker und Blacky hatten ihn in die Mitte genommen. Vor dem Holzquerschott des Raumes schob gerade der Holländer Jan Ranse Wache. Er grinste, als er die bitterböse Miene von de Villanueva sah. „Bringt ihr jetzt noch so einen Dösbaddel?“ „Drück dich deutlicher aus“, sagte Blacky. „Was heißt das jetzt wieder?“ „Dösbaddel? Na, soviel wie Mistfink, gesengte Sau, Affenarsch...“
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Ferris winkte ab. „Das reicht. Beleidige Arwenack nicht.“ De Villanueva verstand natürlich kein Wort. Als er aber in das Kabelglatt gestoßen wurde und sich das Schott krachend hinter ihm schloß, da sah er sich plötzlich einem Mann gegenüber, mit dem er sich auf spanisch verständigen konnte. Der kauerte fett und verdrossen in einer Ecke, schaute halb wütend, halb tückisch auf und stieß dabei einen Fluch aus. „De Villanueva!“ „De Roja! Du Schuft!“ Der Präfekt sprang auf ihn zu, packte ihn an den Aufschlägen und zog ihn hoch. „Du glaubst wohl, ich sei dir nicht auf die Schliche gekommen, was? Wo hast du das Gold versteckt?“ „Welches Gold?“ Miguel de Villanueva fackelte nicht lange. Endlich hatte er jemanden, an dem er seine Wut auslassen konnte. De Roja war zwar ein korpulenter Mann, aber an Kräften seinem__ Widersacher nicht gewachsen. Unter Hieben zerrte der Präfekt den Hafenkommandanten in die Nähe der Ankertrossen, hob eine davon auf und legte ihr Ende als Schlinge um den fetten Hals des anderen. „Sprich, wenn dir dein Leben lieb ist! Wohin hast du das Zeug gebracht, wohin?“ Er zerrte an der Schlinge, daß dem Kommandanten die Luft wegblieb. „Ich habe die Kommandantur durchsucht, deine Wohnung, das Magazin. Du verdammter Hund wirst mir jetzt Rede und Antwort stehen!“ Er ließ die Trosse etwas lockerer, und Alfonso de Roja keuchte entsetzt. Bevor der Präfekt wieder seine Gurgel zusammenpresste, stammelte er: „Einige der Bodenplatten im Goldmagazin lassen sich lockern und abheben. Darunter befindet sich ein hohler Raum. Niemand wäre jemals auf die Idee gekommen ...“ „Wo genau?“ brüllte de Villanueva ihn an. „Wenn man eintritt, links neben der Tür – zehn Schritte von der linken vorderen Gebäudeecke entfernt.“ „Betrüger“, sagte der Präfekt voller Haß. „Hast geglaubt, du könntest dein Spiel auf
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ewig treiben? Schlag dir das aus dem Kopf. Paß auf, was ich mit dir tue.“ Er zerrte heftig an dem Kabel. Doch in diesem Moment flog das Schott auf. Ferris, Blacky, Jan und Jean Ribault stürmten herein. Sie zogen den aufgebrachten Präfekt von dem wimmernden Dicken fort und schleppten ihn aus dem Kabelgatt auf den Gang hinaus. Jean lächelte ihn an, wie eben nur er das konnte. „Mon ami, ich danke dir für deine freundliche Unterstützung. Selbstverständlich habe ich jedes Wort gehört. Wir segeln jetzt nach Panama zurück und räumen das Goldmagazin aus. So werden wir auch besagte Steinplatten anlüften und die kleine Reserve de Rojas herausholen. Bringt den Kerl in die Vorpiek. Wir können ihn unmöglich mit de Roja zusammen lassen. Die bringen sich ja gegenseitig um.“ * Der Wind hatte gedreht. Die „Isabella III.“ rauschte unter handigem Südostwind und unter vollem Zeug auf Panama zu. Der Seewolf stand auf dem Achterdeck und beobachtete mit blitzenden Augen - ein schrankbreiter Mann, der mühelos eine Tür verdecken konnte. Seine weißen Zahnreihen bildeten einen Kontrast zu der Bräune seiner von Wind, Wetter und Sonne gezeichneten Haut. Die Narbe, die sein Antlitz von der oberen rechten Stirnhälfte bis zur linken- Wange hinab überzog, verstärkte noch den Ausdruck der Härte und Verwegenheit. Panama war zur Zeit von See her unbewacht. Die zwölf zum Teil bewaffneten Galeonen hatten sie ja selbst versenkt - und neue Schiffe waren nicht eingetroffen, um die Schätze des Königs von Spanien zu schützen. Es rechnete wohl auch niemand damit, daß der Seewolf noch einmal die unvorstellbare Dreistigkeit aufbringen würde, bis dicht an die Piers heranzusegeln. An Bord der „Isabella“ hatte emsige Tätigkeit eingesetzt. Ed Carberry fühlte sich ganz in seinem Fett. „Geschützpforten
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auf !“ kommandierte er. „Macht die Drehbassen klar! Klarschiff zum Gefecht!“ Die Männer hängten sich in die Taue, und die schweren Abdeckungen der Luken, hinter denen die Kanonen auf ihren Eichenlafetten standen, wurden in die Höhe gezogen. „Großmars und Vormars aufgeien! rief Ben Brighton. Die Zweimastgaleone glitt direkt auf die Piers von Panama zu. Ihre Steuerbordseite war schräg dem Land zugewandt. „Geschütze ausfahren!“ ordnete der Profos an. Die Männer stemmten sich gegen die Bronzerohre und Eichenlafetten der Kanonen und schoben sie auf ihren kleinen Hartholzrädern so weit nach vorn, daß ihre Mündungen drohend aus den Pforten ragten. Was die „Isabella III.“ an Armierung zu bieten hatte, war nicht viel. Sie verfügte über je zwei Drehbassen auf der Back, achtern auf der Kuhl und auf dem Achterdeck sowie acht Kanonen, vier auf jeder Seite. Es waren sogenannte Demi-Culverinen, Neunpfünder mit gegossenen Bronzerohren. Doch trotz dieser fast lächerlichen Armierung hatte die Beutegaleone dank des kämpferischen und seemännischen Könnens ihres Kapitäns und der Verwegenheit und Erfahrung ihrer Crew Schiffe besiegt, die viel mehr Geschütze aufzuweisen hatten. Hasard ließ backbrassen und sein Schiff so zum Stehen bringen. Mit der Steuerbordbreitseite zu den Hafenanlagen hin ankerten sie schließlich vor der Stadt. Die Schaluppe wurde abgefiert. Hasard stieg mit Carberry, Ferris Tucker, Stenmark, Blacky, Karl von Hutten und Jean Ribault hinein - und natürlich nahmen sie auch ihre beiden Geiseln, den Präfekten und den Hafenkommandanten mit. Sie pullten an die Pier vor dem Goldmagazin heran. In diesem Augenblick begann es vor den Häusern von Panama unruhig zu werden. Offiziere und Soldaten stürmen aus der Kommandantur und anderen Gebäuden, einige von ihnen deutlich schlaftrunken. Jemand hatte die „Isabella“ gesichtet und Alarm geschlagen.
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„Schön aufrecht stehenbleiben, ihr beiden Erzhalunken“, sagte der Seewolf zu seinen Gefangenen. „So ist es richtig! Sie sollen euch deutlich sehen können, diese Kanalratten.“ „Ihr könnt sie nicht zurückhalten“, stieß de Villanueva gepreßt hervor. „Sie werden ihre Stadt und ihr Leben verteidigen - bis zum Äußersten.“ Ein Offizier, den Hasard als Teniente identifizierte, ergriff als erster die Initiative. Er führte eine Gruppe von Soldaten dicht an das Goldmagazin und gab dann den Befehl: „Legt an!“ Die Musketen schwangen hoch, drohend richteten sich die Mündungen auf die Besatzung der Schaluppe. Wenige Yards trennten den Seewolf jetzt noch von der Pier. „Teniente!“ rief Hasard mit schneidender Stimme. „Beim ersten Schuß, den Sie ihre Männer abgeben lassen, hänge ich euren Präfekten und den fetten Kommandanten eigenhändig an der Rahnock dieser Schaluppe auf. Und dann beschießen wir mit unseren Geschützen Panama so lange, bis kein Stein mehr auf dem anderen ist.“ Der Teniente zögerte, den Schießbefehl zu erteilen. Die Soldaten ließen ihre Musketen aber immer noch nicht sinken. „Ed“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Ed, erledige es.“ Carberry gab Ferris, Stenmark und Blacky einen Wink, und sie legten den beiden Geiseln Schlingen um die Hälse. Sie hatten sie vorher an Bord der „Isabella“ schon vorbereitet. De Villanueva und de Roja waren an Händen und Füßen gefesselt. Selbst, wenn sie gewollt hätten, hätten sie sich nicht ins Wasser fallen lassen können. Ihre Augen drückten Todesangst aus. Ihr Schicksal lag in der Hand ihres größten Feindes. „Ed, zieh den Präfekten mal probeweise ein Stück hoch“, ordnete der Seewolf an. „Der spuckt doch immer so große Töne.“ „Aye, aye, Sir.“ Mit grimmiger Miene zerrte der Profos jetzt an dem einen Tauende, das von der Rah der Schaluppe herabbaumelte. De Villanueva verlor den Boden unter den Füßen, sein Körper
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pendelte plötzlich hin und her. Unter dem Zug der Schlinge wurde sein Hals zusammengeschnürt. Er würgte, streckte unwillkürlich die Zunge heraus und seine Augen quollen aus den Höhlen. „Stopp!“ schrie der Teniente. „Was in aller Welt wollt ihr?“ Hasard hob die Hand, Carberry ließ den Präfekten herab, bevor es mit ihm zu Ende ging. Japsend rang der Mann nach Luft. Hasard stand mit in die Hüften gestemmten Fäusten auf der Steuerbordseite der Schaluppe. „Wir verlangen freien Zugang zum Goldlager, Teniente.“ „Laßt diese Freibeuter durch!“ schrie der Polizeipräfekt. „Um Himmels willen, treibt es nicht auf die Spitze, sonst werde ich wirklich umgebracht. „Erbarmen“, jammerte Alfonso de Roja. „Ich will nicht sterben!“ Der Teniente gab einen schwachen, seufzenden Laut von sich und ließ die Arme sinken. Er ließ die Soldaten bis zur Hafenkommandantur abrücken und zog auch die Geschützmannschaft ab. Er war machtlos und empfand ohnmächtige Wut. „Du“, sagte er zu einem seiner Männer. „Du stiehlst dich heimlich davon und reitest sofort zum Gouverneur. Das hier geht über meine Kompetenzen.“ „Si, mi Teniente.“ „Wir können nicht verantworten, daß Panama beschossen wird. Der Gouverneur soll selbst erscheinen und eine Entscheidung fällen. Beeil dich!“ Der Mann hetzte davon. Der Teniente trat wieder unter die Tür der Hafenkommandantur und verfolgte schweigend und mit verbissener Miene das Treiben der Schaluppenbesatzung. Er befand sich in einer verteufelten Lage. Im Grunde war es ihm egal, was mit de Villanueva und de Roja geschah. Der Präfekt war ihnen allen verhaßt und de Roja war als der schleimige, korrupte Kerl bekannt, der er auch wirklich war. Aber durfte er sie wirklich opfern, um das Gold zu retten — durfte er die große Schlacht vom Zaune brechen? Während der Teniente mit sich selbst im Zweifel lag und die Soldaten konsterniert
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in den Häusern verweilten, ließ Hasard den Profos zusammen mit Ferris Tucker, Stenmark, Blacky und Karl von Hutten an Land jumpen. Er selbst blieb mit Jean Ribault bei den Geiseln in der Schaluppe zurück. Die Männer der Seewolf-Mannschaft eilten auf die Eichenholztür des Magazins zu. Carberry hatte von Hasard den Schlüssel erhalten, den dieser dem Präfekten abgenommen hatte. Ferris Tucker steckte ihn ins Schloß und drehte ihn um — doch die Tür ließ sich nicht so einfach aufschieben. Nach den Ereignissen der Nacht war sie verrammelt worden. Ferris grinste. Das hatte er sich gedacht. Er hatte Werkzeug mitgebracht und setzte es jetzt an. Unter seiner Geschicklichkeit und Körperkraft brach die Tür bald auf. Johlend stürmten die Männer ins Innere des kastenförmigen Gebäudes und bestaunten den gewaltigen Stapel aus Goldbarren. Und dann setzte ein so emsiges Schaffen ein, daß die Spanier immer größere Augen bekamen. Der Teniente, die übrigen Offiziere und sämtliche Soldaten zogen sich immer weiter zurück. „Diese wilden Kerle“, flüsterte der Teniente. „Das müssen Verrückte sein. Anders kann es nicht sein, daß sie das wagen.“ Hasards Männer mannten die Barren zur Schaluppe hinüber. Als sie fast bis zum Dollbord angefüllt war, wurde sie zur „Isabella“ hinübergepullt. Dort war inzwischen auch die Pinasse zu Wasser gelassen worden. Die Schaluppe wurde entladen, aber in der Zwischenzeit pullten Batuti, Dan O’Flynn, Al Conroy und ein paar der ehemaligen Karibik-Piraten zur Pier hinüber. Sie bugsierten Fässer an Land. Pulverfässer! Carberry, Karl von Hutten, Blacky, Stenmark, Batuti, Dan und die Karibik-Piraten schufteten wie die Besessenen und stopften jetzt die Pinasse mit Goldbarren voll. Unterdessen verteilten Al Conroy und Ferris Tucker die Pulverfässer. Sehr sachgemäß und sehr akkurat legten sie die Zündschnüre aus und führten sie bis an die Schaluppe heran, die
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mittlerweile zurückgekehrt war. Die Schaluppe und die Pinasse unternahmen noch ein paar Reisen im Pendelverkehr zwischen der Pier und der „Isabella III.“. Systematisch wurde auf diese Weise Barren um Barren aus dem Magazin geholt. Auch die von de Roja beschriebenen Steinplatten wurden angehoben - und tatsächlich, es befand sich ein bis an den Rand mit Gold gefüllter Hohlraum darunter. Die Schaluppe blieb an der Pier liegen. Al Conroy stieg zwischen ihre Duchten und beschäftigte sich wieder intensiv mit seinem Spezialfach, dem Anbringen von Sprengladungen. Er enterte als letzter Mann auf die Segelpinasse über. Dort nahmen ihn die Kameraden in Empfang, dort standen Hasard und Ed Carberry und hielten die beiden Gefangenen mit Waffen in Schach, damit der Teniente ja nicht doch noch auf die Idee verfiel, eine sinnlose Heldentat zu begehen. Die Pinasse hatte am Heck der „Isabella“ angelegt, die Männer enterten an der Galerie hoch. De Villanuev.a und de Roja mußten ebenfalls die Jakobsleiter benutzen, zu diesem Zweck waren ihnen die Fußfesseln entfernt worden. Die komplette Mannschaft war an Bord der Galeone versammelt, die Pinasse wurde so schnell wie möglich eingeholt. Schon stemmten sich die Männer gegen die Spaken des Ankerspills, langsam glitt der Anker empor und verharrte unter der Klüse. Der Seewolf ließ die Segel setzen da war das Klappern von Hufen zu vernehmen. Ratternd bog eine von einem Vierergespann gezogene Karosse um die Gebäudeecke der Hafenkommandantur und stoppte vor dem Eingang. Der Gouverneur Diego de Avila, fett, schwitzend und hektisch rot im Gesicht, stieg aus und schrie die Offiziere an: „Was geht hier vor? Was muß ich hören? Man muß einschreiten!“ Der Teniente wies auf die „Isabella III.“. De Avila gestikulierte und hielt mit seinem typisch watschelndem Gang auf die Hafenmauer zu. „Zurück, ihr Strolche! Ihr müßt mich anhören!“ Als er keine Antwort
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erhielt, fuhr er herum und brüllte; „Richtet das Geschütz! Feuert, was das Zeug hält! Worauf wartet ihr noch? Zur Hölle mit de Villanueva und de Roja, ich will das Gold wiederhaben. Ich ...“ Seine letzten Worte gingen in einem ohrenbetäubenden Krachen unter. Der Zündfunke der ausgelegten Lunte hatte die Pulverfässer im Goldmagazin erreicht. Jetzt trieb es das Gebäude mit Wucht von innen her auf. Dachpfannen wirbelten hoch, die Mauern barsten, Trümmer flogen in alle Himmelsrichtungen. Inmitten stand ein gewaltiger Feuerblitz, der eine mächtige Rauchwolke himmelan stieben ließ. Der Gouverneur wurde von der Druckwelle umgerissen. Er flog über den Rand der Kaimauer und ging baden. Verzweifelt schrie er um Hilfe, denn er konnte nicht schwimmen. Ein paar Offiziere hievten endlich den fluchenden Gouverneur aus dem Wasser. Er hetzte geduckt mit ihnen auf die Hafenkommandantur zu. Die vier Pferde seiner Karosse waren längst scheu geworden, hatten sich aufgebäumt und waren dann durchgegangen. De Avila mußte den Fortgang des furchtbaren Geschehens aus nächster Nähe erleben. „Sag mal, Al, hast du auch wirklich nichts verpatzt?“ Conroy schaute ihm fast empört an. „Wofür hältst du mich? Paß nur auf, wie der Feuerzauber weitergeht.“ Er hatte kaum ausgesprochen, da stieg vor der Pier des Magazins eine riesige Wasserfontäne auf. Mit ihr wirbelten die Trümmer der Schaluppe hoch, segelten auf die Hafenkommandantur zu und scheuchten die Soldaten von dem Geschütz fort. Dann stachen überall aus den Hafenanlagen heftige Feuerlanzen, ging alles in den Donnerschlägen einer Serie von Explosionen unter. „Wenigstens haben wir das Pulver nicht sinnlos vergeudet“, sagte der Seewolf. Einige Zeit später kam westlich von Taboga die Insel Tortolas in Sicht. Der Seewolf wagte sich wegen einiger Untiefen nicht sehr nahe heran. Die Pinasse wurde ausgesetzt. Miguel de Villanueva und
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Alfonso de Roja, die sich so gut leiden konnten, wurden auf die Insel gebracht und sich selbst überlassen. Als die „Isabella“ wieder westwärts an der Küste entlang klüste, richtete Philip Hasard Killigrew seinen Kieker auf den
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Sandstrand der Insel. Der Präfekt und der dicke Hafenkommandant traktierten sich bereits wieder mit Faustschlägen. „Die werden keine Langeweile kriegen“, sagte er. „Und nähren werden sie sich von ihrem Haß ...“
ENDE