Die Image-Maschine
Ein Notruf lockt sie nach Tsopan - dem Planeten
der Bewußtseins-Forscher von Kurt Mahr
Atlan - He...
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Die Image-Maschine
Ein Notruf lockt sie nach Tsopan - dem Planeten
der Bewußtseins-Forscher von Kurt Mahr
Atlan - Held von Arkon - Nr. 136
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Was bisher geschah Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht – eine Zeit also, da die in die Barbarei zu rückgefallenen Erdbewohner nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen. Arkon hingegen – obzwar im Krieg gegen die Maahks befindlich – steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herr schaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Imperator von Arkon zu fürchten: Atlan, Sohn Gonozals, den rechtmä ßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der inzwischen zum Mann herangereift ist. Nach der Aktivierung seines Extrahirns hat Atlan den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen und strebt den Sturz des Usurpators an. Doch Atlans Möglichkeiten und Mittel sind begrenzt. Ihm bleibt nichts an deres übrig als der Versuch, einem mächtigen Gegner durch kleine, geziel te Aktionen soviel wie möglich zu schaden. Der Weg, den der Kristallprinz dabei einschlägt, ist voller Abenteuer und Gefahren. Dies zeigt sich besonders kraß, als Atlan sich durch einen Notruf zum Planeten der Bewußtseins-Forscher locken läßt – und in die Gewalt der IMAGE-MASCHINE …
Die Hautpersonen des Romans:
Allan - Der Kristallprinz wehrt sich gegen die Duplizierung seines
Bewußtseins.
Fartuloon - Atlans väterlicher Freund und Lehrmeister.
Farnathia - Die junge Arkonidin wird erneut entführt.
Eiskralle - Der Chretkor wird rabiat.
Soon-Soon und der »Forscher« - Wissenschaftler des Planeten
Tsopan.
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1.
Ein merkwürdig geformtes Raumschiff glitt mit gemächlicher Fahrt durch die Tiefen des Alls. Es bestand aus zwei voneinander getrennten Teilen, die von Streben zusammengehalten wurden. Der größere Teil war eine Kugel von etwa fünfzig Metern Durchmesser. Aus der Hülle der Kugel drangen hier und dort Auswüchse, die Antennen oder Tastgeräte, vielleicht auch Waffen sein mochten. Der zweite Teil des Fahrzeugs bestand aus ei nem Konus, der an seinem dicken Ende, das er der Kugel zuwandte, etwa dreißig Meter durchmaß. Aus dem verjüngten Ende trat stummelförmig ein Rohransatz hervor, bei dem es sich wahrscheinlich um eine Triebwerk öffnung handelte. Von dem Konus führten insgesamt vier Streben hinüber zu der Kugel, auf deren Hülle sie endeten. In einem Raum im Zentrum der Kugel, inmitten einer verwirrenden Fül le fremdartiger Gerätschaften, hielten sich zwei Wesen auf, die dem Auge eines Menschen äußerst merkwürdig vorkommen mußten. Sie ruhten auf flexiblen Liegen, die sich der Form ihrer Körper anzupassen vermochten. Die Position der Liegen war zentral gewählt, so daß die beiden Wesen mit ihren langen, tentakelähnlichen Armen jedes Gerät im Raum erreichen konnten. Unter der Kuppeldecke glomm ein riesiger Bildschirm. Er schien mehr als nur optischen Beobachtungszwecken zu dienen, denn er zeigte nicht nur, was jedes normale Auge auch ohne Hilfsgerät sehen konnte, nämlich die verwirrende Sternenfülle der inneren Milchstraße, sondern auch noch einige Flecken, Funken und Punkte, die in den unterschiedlichsten Farben und Intensitäten glühten und in Wirklichkeit Orterreflexe zu sein schienen. Auf der Kopfscheibe der beiden Wesen spielten flackernde Lichter, von denen die meisten einen sattroten Farbton hatten. Plötzlich jedoch verän derte sich etwas im Gehabe der beiden fremden Astronauten. Einer von ih nen richtete sich halb von seiner Liege auf und gab dabei einen summen den Ton der Überraschung von sich. Gleichzeitig begannen die Lichter auf seiner Kopfscheibe ins Bläuliche zu spielen. Er war sichtlich erregt, und ein Teil der Erregung sprang auf das andere Wesen über, das sich bislang noch nicht gerührt hatte. Einer der Tentakel schoß in die Höhe. Die Hand mit den Greifzangen näherte sich dem großen Bildschirm und wies auf einen grellgelb strahlenden Punkt, der soeben über den Schirmrand einge wandert war und sich mit großer Geschwindigkeit annähernd auf das Zen trum der Bildfläche zubewegte. Die Sprache der Fremden setzte sich aus Summtönen zusammen. Die Laute gingen von der Kopfscheibe aus, obwohl dort auch der geübteste Blick kein dem menschlichen Mund vergleichbares Organ hätte entdecken
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können. Aneinanderreihung verschiedener Summfrequenzen und Nuancie rung der einzelnen Töne oder Tongruppen verlieh den Lauten Informati onsgehalt und machte sie in ihrer Gesamtheit zu einer Sprache im Sinne menschlicher Logik. »Ein mächtiges Fahrzeug!« sagte der, der den gelben Orterreflex zuerst bemerkt hatte. »Das Produkt einer weit entwickelten Technologie«, pflichtete ihm der andere bei. »Ich bin begierig darauf, diese Wesen kennenzulernen.« »Wenn sie sich kennenlernen lassen wollen«, meinte sein Genosse. »Unseren Wünschen hat sich noch keiner widersetzen können«, erinner te ihn der erste Sprecher. »Du weißt, daß es im Rat Bestrebungen gibt, un ser Volk zum höchstentwickelten dieser Sterneninsel zu proklamieren.« »Wir werden sehen«, antwortete der andere gelassen. »Auf jeden Fall müssen wir uns schleunigst zurückziehen. Die Fremden sind kaum achthundert Sonnenabstände entfernt. Wenn sie uns bemerken, werden sie womöglich mißtrauisch.« Er gab alsdann einen hellen, vielfach unterbrochenen Summton von sich. Dabei schien es sich um ein akustisches Signal für den Autopiloten zu handeln. Das Triebwerk trat in Tätigkeit. Das seltsame Raumschiff vollführte eine scharfe Wendung und entfernte sich mit rasch wachsender Geschwindigkeit aus seinem bisherigen Operationsgebiet. Wir waren auf dem Weg nach Kraumon. Die POLVPRON hatte soeben die dritte Transition hinter sich gebracht. Der ziehende, unwirkliche Schmerz, den der Durchbruch durch den Hyperraum jedesmal auslöste, war verklungen. Farnathia war tief in ihren Kontursessel gerutscht und sah zu mir herüber. Als ich ihren Blick erwiderte, lächelte sie, aber es war ein klägliches, schmerzhaftes Lächeln. »Hat es weh getan?« fragte ich sanft. »Hat es weh getan!« polterte hinter mir Fartuloons tiefe Stimme. »Fällt dir nichts Gescheiteres zu fragen ein? Natürlich tut eine Transition weh, aber Farnathia wird sich daran gewöhnen, und überdies haben wir nur noch zwei weitere Hypersprünge vor uns.« Ich war zornig wegen seiner Grobheit. Ich wirbelte meinen Sessel her um und faßte den kahlköpfigen Bauchaufschneider ins Auge. Er hielt mei nem Blick mühelos stand. Nach einer Weile begann es, um seine Mund winkel zu zucken, und schließlich fing er dröhnend an zu lachen. So machte er es immer. Jedesmal, wenn er mich durch irgend etwas in Zorn gebracht hatte und ich ihn deshalb zur Rede stellen wollte, ließ er mich getrost auf sich zukommen, stand da, standhaft wie ein kirtanesischer Hoplit und strahlte eine Aura von Überlegenheit und Besserwissen aus, die mich im Handumdrehen entwaffnete.
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»Nichts für ungut«, lächelte er, nachdem er sich von seinem Heiterkeits ausbruch erholt hatte. »Ich weiß, wie dir zumute ist. Aber es gibt wichtige re Dinge als den Transitionsschmerz. Wenn wir auf Kraumon ankommen, müssen wir ganz genau wissen, was wir mit Freemush tun wollen.« Natürlich hatte er recht. Freemush war unser großes Problem. Natürlich war es von Vorteil für uns, daß er in unsere Hand geraten war. Aber seit dem wir ihn gefangengenommen hatten, beschäftigte er unsere Gedanken in ungewöhnlichem Maße. Als einer der bedeutendsten Ökonomen im Großen Imperium war er für uns eine wirksame Waffe im Kampf gegen den Diktator Orbanaschol. Aber der Wirkungsgrad der Waffe hing davon ab, wie wir sie einsetzten, und eben darüber zerbrachen wir uns seit dem Start von der Sogmanton-Barriere den Kopf. Freemush war als Abgesandter des Imperators mit einer großen Flotte von Robotschiffen zur Freihandelswelt Jacinther IV gekommen, als Fartu loon und ich in den Kerkern des Gouverneurs Kaddoko schmachteten. Freemushs Auftrag war, auf dem Freihandelsplaneten in politischer Hin sicht nach dem Rechten zu sehen. Der Imperiumsbeauftragte Fertomash Agmon, der bisher über Jacinther IV geherrscht hatte, war gestorben, und um seine Nachfolge war unter den Gouverneuren der verschiedenen Kon tinente ein wilder Kampf entbrannt. Freemush machte dem Wüten ein En de, indem er einen Orbanaschol treu ergebenen Mann, den er von Arkon mitgebracht hatte, zum Imperiumsbeauftragten und damit zu Agmons Nachfolger ernannte. Die Gouverneure ließ Freemush wissen, daß sie ihre Posten zwar behalten könnten, sich von jetzt an jedoch als in Ungnade ge fallen zu betrachten hätten. Alle Gefangenen, die wegen politischer Verge hen festgehalten wurden – darunter auch Fartuloon und ich – wurden auf der Stelle freigelassen. Im weiteren Verlauf der Dinge war es uns nicht nur gelungen, uns des Ökonomen Freemush zu bemächtigen, sondern auch, seine Robotflotte zu vernichten. Das war der erste nennenswerte Schlag, den wir gegen Orba naschol, den Mörder meines Vaters, hatten führen können, und mein Selbstvertrauen war infolgedessen um einige Grad gestiegen. Jetzt aber hatten wir, wie schon gesagt, Freemush in der Hand und muß ten uns darüber klar werden, was wir mit ihm zu tun gedachten. Ich hatte den Anfang einer Idee, den ich im Gespräch mit Fartuloon zwischen zwei Transitionen weiterzuentwickeln gedachte. Aber ich kam nicht einmal da zu, das erste Wort auszusprechen. Eiskralle, der Chretkor, stieß plötzlich einen spitzen Schrei aus. Eiskralle reagierte immer ein wenig intensiver als andere Leute. Wir waren daran gewöhnt und glaubten auch diesmal nicht, daß er wirklich etwas Besonderes wahrgenommen hätte. Eiskralle aber saß vor der Kommunikationskonsole und starrte mit großen Augen auf die Da tenanzeige eines Bildschirms.
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»Ein Hilferuf, wenn mich nicht alles täuscht!« rief er. »Laß mich das sehen!« befahl ich ihm. Ich schaltete meinen Datenbildschirm ein und empfing wenige Sekun den später dasselbe Bild, das den Chretkor so erregte. Für die Auswertung von Signalen, die in keinem der uns bekannten Kode gesendet wurden – und das war hier der Fall –, verwendete unser Bordrechner eine symboli sche Darstellung, die die empfangenen Signale je nach Gehalt, Form, In tensität, Länge, Modulation und anderen Parametern durch gewisse Sym bole wiedergab. Er zeichnete sozusagen ein Bild der Signale. In diesem Fall war er mit wenig Symbolen ausgekommen. Bei dem Funkspruch handelte es sich um Gruppen von nur zwei verschiedenen Si gnalen. Das eine gab der Rechner durch das Bild eines Punktes wider, das andere stellte er als einen Strich von mäßiger Länge dar. Die Nachricht sah so aus: ... ... ––– ––– ––– ... ... ... ––– ––– ––– Damit entsprach sie der interstellaren Vorschrift für die Abfassung von Hilferufen: zwei Signale, jeweils zu Gruppen von dreien zusammengefaßt, die erste Gruppe dreimal abstrahlen, dann die zweite, dann wieder die er ste … und so weiter. »Ortung, Eiskralle!« dröhnte Fartuloons Stimme. Ich zuckte zusammen. Ohne daß ich es bemerkte, war er hinter mich ge treten und sah mir über die Schulter. »Gleich!« rief Eiskralle. »Gleich habe ich es!« Ich blickte zum Rundbildschirm hinauf. Der Sternenteppich der inneren Milchstraße umgab uns von allen Seiten. Dem menschlichen Auge war es unmöglich zu entscheiden, welcher unter Millionen von Lichtpunkten uns am nächsten stand. Bei der Sternendichte dieses Raumsektors war es je doch nicht unwahrscheinlich, daß wir uns nicht mehr als ein paar Lichtmo nate von einem Fixstern entfernt befanden. Die Gegend war uns unbe kannt. Das Gedächtnis unseres Bordrechners enthielt keinerlei Angaben über diesen Raumsektor. Der Chretkor rief hastig ein paar Daten. Der akustische Servo des Ka merasystems reagierte darauf. Auf dem Rundbildschirm entstand plötzlich eine Ausschnittvergrößerung. Ein hellgelber Lichtpunkt wurde von seiner Umgebung isoliert und schien mit rasender Geschwindigkeit auf uns zuzu wachsen. »Der Ausgangsort des Hilferufs«, erklärte Eiskralle. Der Ausschnitt zeige den hellgelben Lichtfleck der fremden Sonne, um geben von der Schwärze des Weltalls, und weit abseits einen schwachen, kaum wahrnehmbaren Lichtpunkt. Das mochte ein Planet sein. »Entfernung zwei Lichtmonate«, fuhr der Chretkor fort. Über solche Entfernung konnten selbst die besten Teleskope ein Plane
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tensystem nicht in alle seine Bestandteile auflösen. Wenn der matte Licht punkt wirklich ein Planet war, dann mußte es sich um den am weitesten von der Sonne entfernten – und um einen Planetenriesen obendrein – han deln. Die kleineren, näheren Welten verschwanden unauffindbar in der Strahlenkugel des Zentralgestirns. Da half nur noch die Hypertastung, mit der Eiskralle soeben beschäftigt war. Während er sich behende bewegte, durchdrang das Licht der Wandbeleuchtung seine durchsichtige Körper substanz und enthüllte das Spiel der Muskeln. »Vier Planeten«, rief der Chretkor. »Drei in Sonnennähe, ein vierter, ein Riese, weit draußen.« Meine Analyse war also richtig gewesen. »Ist die Ortung genau genug, daß man erkennen kann, von welchem Planeten der Hilferuf kommt?« fragte Fartuloon. »Nein, das ist sie nicht«, antwortete Eiskralle. Dann drehte er sich um und musterte mich mit vorwurfsvollem Blick. »Bei dem ganzen Gerede ist mir so heiß geworden, daß ich bitten muß, die Temperatur ein wenig niedriger einzustellen.« Ich achtete nicht auf ihn. Ich war am Nachdenken. Ich wußte nicht, was es war, das mir diesen merkwürdigen Hilferuf in einer völlig unerforschten Gegend der Milchstraße so interessant erscheinen ließ. Aber ich war fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Fartuloon schien meinen Entschluß zu erraten. »Du willst dem Funkspruch nachgehen, nicht wahr?« fragte er. »Ich habe es vor«, antwortete ich. »Hast du Einwände?« Da streckte er die Hände vor sich hin und wandte sie mit den Innenflä chen nach oben. Die Bewegung veranlaßte ihn, die Schultern dabei ein wenig zu heben. Das war die alte arkonidische Geste, die zum Ausdruck bringen sollte: Mach du, was du willst! Ich bearbeitete die Schalter auf meiner Konsole. Dabei warf ich einen raschen Blick auf Farnathia. Ihr Schmerz schien sich gelegt zu haben. Als sie meinen Blick bemerkte, lächelte sie wiederum, diesmal freundlich und ohne Zurückhaltung. Aufgrund meiner Schaltungen wich die POLVPRON von ihrem bisheri gen Kurs ab. Für den Augenblick war Kraumon vergessen. Wir nahmen Kurs auf das unbekannte Sonnensystem mit den vier Planeten, von deren einem der Hilferuf gekommen zu sein schien. Es waren dieselben zwei fremden Wesen, nur befanden sie sich jetzt in ei nem anderen Raum. Er war groß und hatte an vielen Stellen kleine Fen ster, durch die man aus der Höhe eines mehrstöckigen Gebäudes auf die Oberfläche einer dicht besiedelten und dennoch in ihren natürlichen Gege benheiten erhaltenen Welt hinabblickte. Die Aufmerksamkeit der beiden Wesen jedoch war nicht auf den Ausblick von den Fenstern, sondern auf
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eine große Bildschirmfläche gerichtet, die die Schwärze des Alls und darin einen grellgelben Lichtpunkt wiedergab. »Sie sind ahnungslos«, summte eines der beiden Wesen. »Ich frage mich, was sie dazu veranlaßt hat, den Kurs zu wechseln«, summte das andere. »Das glaube ich zu wissen«, stellte das erste Wesen fest. »Der Me thanatmer hat vor kurzem einen Hilferuf abgestrahlt. Aus einem Grund, den ich nicht verstehen kann, fürchtete er sich vor uns und betätigte seinen Sender. Diesen Hilferuf haben die Fremden in dem Kugelraumschiff an scheinend empfangen und eilen nun nach hier, um Hilfe zu leisten.« »Hilfe zu leisten?« fragte das zweite Wesen erstaunt. »Nach der Form des Raumschiffs zu urteilen, handelt es sich bei den Fremden um die Art von Wesen, die sich Arkoniden nennt. Wir wissen aber, daß die Methanat mer und die Arkoniden seit Jahrzehnten in heftiger Fehde leben. Warum sollte ein Arkonide auf den Hilferuf eines Methanatmers reagieren?« »Du ahnst nicht, wie schlau diese Geschöpfe sind«, kam, deutlich belu stigt, die Antwort. »Es gibt ebenso viele Verständigungskodes, wie es Sternenvölker gibt. Anhand des Kodes, der in einem Funkspruch verwen det wird, kann man unmißverständlich auf die Volkszugehörigkeit dessen schließen, von dem der Spruch ausgesandt wurde. Weil nun aber Raum schiffe weite Strecken zurücklegen und mitunter in Gegenden geraten, die weit von ihrem Ursprungsort entfernt sind und von einem anderen Volk beherrscht werden, und weil von der Besatzung dieses Schiffes nicht ver langt werden kann, daß sie alle die fremden Verständigungskodes be herrscht, haben sich einige Sternenvölker dieser Galaxis auf einen inter stellaren Kode geeinigt, der jedermann verständlich ist. Die Methanatmer müssen davon Wind bekommen haben. Sie wissen, daß sie sich in einem Gebiet befinden, in dem der arkonidische Einfluß groß ist. Ein Hilferuf, im Kode der Methanatmer abgestrahlt, hätte wahr scheinlich eine ganze arkonidische Flotte auf die Beine gebracht. So aber verwenden sie den interstellaren Kode. Niemand wird vermuten, daß es sich bei den Hilfesuchenden um Methanatmer handelt. Dadurch vermeiden sie die Konfrontation mit der arkonidischen Militärmacht.« Das zweite Wesen schien plötzlich das Interesse an dem Thema verlo ren zu haben. Mit einem seiner Tentakel deutete es zu dem Bildschirm hinauf, auf dem inzwischen ein Koordinatennetz erschienen war. Der gel be Lichtpunkt näherte sich dem Zentrum des Netzes. »Ich weiß, was du meinst«, sagte das erste Wesen. »Es wird Zeit, daß wir sie einfangen.« Wenn man in einem fremden Sonnensystem einem Hilferuf nachgeht, dann sieht man naturgemäß auf dem Planeten nach, der die arkonähnlich sten Umweltbedingungen aufweist. Im Laufe der Jahrhunderte arkonidi
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scher Astronautik hatte es sich nämlich erwiesen, daß intelligentes Leben, auch wenn es von nichthumanoider Form ist, sich mit Vorliebe auf sol chen Welten bildet, die unseren in etwa ähnlich sind. Wir waren nahezu si cher, daß der Hilferuf von der Antenne eines Raumschiffs abgestrahlt wor den war, denn nur raumfahrende Völker beherrschten normalerweise die Technologie des Hyperfunks. Wenn es sich andererseits um ein Fahrzeug handelte, das von außen gekommen und in diesem System fremd war, dann konnten wir nicht unbedingt als plausibel annehmen, daß der Spruch von dem arkonähnlichsten Planeten dieses Systems abgesandt worden war. Das Fahrzeug hätte zum Beispiel in den Wasserstoffstürmen des Methanriesen in Not geraten können. Trotzdem wandten wir unsere Aufmerksamkeit zuerst der Welt zu, die unserer Heimat am ehesten glich. Es war, von der fremden Sonne aus ge rechnet, der zweite Planet. Er besaß eine vorzügliche Sauerstoffatmosphä re, sein Echospektrum wies das Vorhandensein lebender organischer Ma terie nach. Die POLVPRON zog an der hellgelben Sonne vorbei und nä herte sich der fremden Welt. Nach wie vor befanden sich nur Fartuloon, Farnathia, Eiskralle und ich im Kommandostand. Der Gefangene Free mush befand sich in der sicheren Obhut einiger Roboter, und Corpkor so wie Morvoner Sprangk gaben sich der verdienten Ruhe hin. Wir hatten et wa vier Fünftel der Entfernung von der Sonne bis zu dem fremden Plane ten zurückgelegt, als die mit normal-lichtschnellen Mikrowellen arbeiten de Nahortung uns die ersten Eindrücke von den Oberflächenkonturen der unbekanntem Welt lieferte. Wir unterschieden Kontinente und Meere, warme und kalte Gebiete, und als die Entfernung weiter schrumpfte, be merkten wir Zentren hektischer Aktivität, die wir für Städte halten muß ten. Sie waren von bedeutender Größe. Es war klar, daß wir eine hochzivi lisierte Welt vor uns hatten. Unsere Antennen versuchten, den Funkver kehr zu belauschen, der sich auf dieser Welt abspielen mußte, aber sie wa ren erfolglos. Die unbekannte Zivilisation schien sich weder elektroma gnetischer, noch hyperfunktechnischer Kommunikationsmethoden zu be dienen. Der Verdacht verdichtete sich daher, daß der Hilferuf, den wir empfan gen hatten, von Geschöpfen stammte, die nicht auf dieser Welt zu Hause waren. Sie waren Fremde und womöglich von den Bewohnern dieses Pla neten bedroht worden. Es war nicht unbedingt unsere Aufgabe, uns um Hilferufe zu kümmern, von denen wir nicht wußten, wer sie abgesandt hat te. Mit unserem kleinen Raumschiff war es womöglich sogar ein Risiko, sich allzu nahe an den fremden Planeten heranzuwagen. Aber meiner hatte sich eine unzähmbare Neugierde bemächtigt. Ich mußte wissen, was hier vorging, und so duldete ich es, daß die POLVPRON immer näher an die unbekannte Welt hinantrieb. Fartuloons Blicke übersah ich geflissentlich.
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Denn in seinen Augen stand zu lesen, was er von meinem Vorhaben hielt. Und er behielt recht. Wir waren noch vier Lichtsekunden von der Ober fläche des fremden Planeten entfernt, als wir in ein Fesselfeld gerieten, dessen ungeheurer Kraft unsere Triebwerke hilflos unterlegen waren.
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2.
Die unbekannte Kraft bugsierte uns sanft hinunter auf die Oberfläche des Planeten, ohne daß wir etwas dagegen hätten unternehmen können. Auf unserem Bildschirm waren weite, weiße Wolkenfelder zu sehen und daneben das Blau ausgedehnter Meere. Die Oberfläche der unbekann ten Welt schien zu mehr als siebzehn Prozent aus Wasser zu bestehen. Die Kontinente waren zumeist grün. Nur hier und dort unterbrachen dunklere Farbtöne von Gebirgsketten oder das Graubraun kleiner Wüstenstriche den Eindruck der allgemeinen Fruchtbarkeit. Wir stellten die üblichen Messun gen an und ermittelten, daß die Umweltbedingungen in der Tat denen der drei Arkonwelten glichen. Die Atmosphäre war atembar und enthielt eini ge Prozent mehr Sauerstoff als die Luft, an die wir gewöhnt waren. Der Planet drehte sich einmal in rund siebzehn Stunden um seine Achse, an der Oberfläche herrschte eine Gravitation, die um zwanzig Prozent über der Normalschwerkraft der Arkonwelten lag, und die über den gesamten Pla neten ermittelte Temperatur lag im Augenblick um drei Grade über dem Wert, den man normalerweise auf Arkon ermittelt hätte. Die Städte der Fremden waren weit auseinandergezogen. Eigentlich wa ren es keine Städte, sondern nur Gegenden, in denen die Gebäude näher beieinanderstanden als draußen auf dem freien Land. Die Bewohner dieser Welt schienen nicht an Platzmangel zu leiden. Ihre Städte enthielten schier endlose Grünflächen. Sie schienen es sich zur Regel gemacht zu haben, daß niemand näher als eine halbe Meile an seinem Nachbarn lebte. Nur der innerste Kern der Städte war ein wenig dichter bebaut. Dort schienen auch die Gebäude größer zu sein und nicht nur reinen Wohnzwecken zu dienen. Wir wollten uns näher darüber informieren und versuchten, mit Hilfe der Ausschnittsvergrößerung das Zentrum einer der riesigen Städte in erkennbare Einzelheiten aufzulösen. Dabei erlebten wir die erste Überraschung. Die Ausschnittsvergröße rung funktionierte nicht. Das optische System sprach auf den Befehl nicht mehr an. Fartuloon, der die Vergrößerung hatte herstellen und einblenden wollen, war perplex. Dann trug er Eiskralle auf, das Optik-System zu überprüfen und den Fehler zu finden. Ich sagte nichts dazu, obwohl ich schon jetzt fest davon überzeugt war, daß es sich nicht um einen System fehler handelte. Allmählich wurde klar, daß wir auf ein riesiges, freies Feld zusanken, dessen Oberfläche aus einem hellgrau bis weißen Material bestand und im Glanz der fremden Sonne weithin sichtbar leuchtete. Es schien sich um einen Raumhafen zu handeln, obwohl weder Raumfahrzeuge noch die üb lichen Kontrolleinrichtungen zu sehen waren. Wir befanden uns in einer
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Höhe von etwa fünfzehn Meilen, da erlebten wir die zweite Überraschung. Hinter dem Horizont empor schoß ein mächtiges Raumschiff. Es schien auf uns zuzuhalten, aber das erwies sich bald als optische Täuschung. Das gigantische Fahrzeug war auf dem Weg hinaus in den Raum. Seine Hülle schien zu flimmern, und hinter sich her zog es wie einen leuchtenden Schlauch die Kontur eines Prallfeldes. Die Form des Fahrzeugs war cha rakteristisch. Das Raumschiff war wie eine Granate alten Stils geformt – zylindrisch, vorne spitz zulaufend. Die Länge der Granate betrug über eine Meile, ihre Dicke etwa ein Viertel davon. Das war ein Maahk-Raumschiff, ein Fahrzeug der erbittertsten Gegner, die Arkon jemals gehabt hatte. Fartuloon war ebenso überrascht wie ich. Unsere erste Reaktion war, sofort auf Gefechtsstation zu gehen. Das war reiner Instinkt. Beim Anblick eines Maahks bereitete sich ein Arkonide auf Angriff oder Verteidigung vor. Dann jedoch begannen wir, aus dem leuchtenden Schlauch des Prall felds unsere Schlüsse zu ziehen. »Er kam weder freiwillig hierher«, brummte Fartuloon, »noch fliegt er freiwillig wieder ab!« Meine Gedanken gingen weiter. »Glaubst du, er war es, der den Hilferuf ausstrahlte?« Fartuloon wiegte den kahlen Schädel. »Fast halte ich es für möglich. Er wurde hier herabgelockt wie wir auch. Der Himmel mag wissen, warum. Er hielt die Lage für gefährlich und funkte um Hilfe – mit interstellarem Kode natürlich, weil ihm sonst in die ser Gegend niemand zu Hilfe gekommen wäre. Die Fremden haben irgend etwas mit ihm gemacht. Jetzt sind sie fertig damit und schicken ihn wieder fort.« Er sah mich an, als hätte er plötzlich eine Idee. Ich wußte, was er dach te. »Uns erwartet das gleiche Schicksal, nicht wahr?« sagte ich. »So sieht es aus«, brummte er. Eiskralle tauchte jammernd aus einem Vorschlag auf. »Es gibt keinen Fehler im optischen System«, rief er. »Aber kalt ist es dort drinnen. So kalt, daß ich zu zerbrechen fürchte.« Sein Gesichtsausdruck war, wie üblich, nicht zu erkennen. So vollkom men war die Durchsichtigkeit seiner Hautsubstanz, daß das Auge weitaus mehr Gehirn und Muskeln als Miene erblickte. »Du brauchst dich nicht mehr darum zu kümmern«, sagte ich. »Das Op tik-System ist völlig in Ordnung.« Fartuloon musterte mich erstaunt. »Du meinst …?« »Ja, ich meine«, antwortete ich. »Nun, wir werden sehen«, knurrte er.
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Kurze Zeit später setzte die POLVPRON auf. Die Landung war so sanft, als ob unser Autopilot sie ausgeführt hätte. Wir waren rund zwanzig Meilen von einer der riesigen Städte entfernt. Auf dem Bildschirm erstreckte sich die grauweiße Fläche des Landefelds fast bis an den Horizont. Die Gebäude der Stadt waren winzige Punkte, an denen keine Einzelheiten wahrgenommen werden konnten. »Und jetzt?« fragte Fartuloon ungeduldig. Farnathia hatte sich inzwischen aus dem Kommandostand zurückgezo gen. Wir drei Männer waren unter uns. »Meinst du nicht, daß sie sich mit uns in Verbindung setzen werden?« erkundigte sich Eiskralle besorgt. »Irgendwie auf jeden Fall«, bestätigte Fartuloon knurrend. »Fragt sich nur, wann und wie!« »Wir müssen nicht auf sie warten«, bemerkte ich. »Wir können ausstei gen und uns die Stadt aus der Nähe ansehen.« Fartuloon warf einen mißtrauischen Blick auf den Bildschirm. »Ja, das können wir«, stimmte er zu. Dann erhob sich seine Stimme zu einem zornigen Dröhnen. »Und bei allen Geistern Arkons – wir sollten es tun!« Wir vereinbarten, daß Eiskralle als Wache zurückbleiben solle. Fartu loon und ich würden die POLVPRON mit einem Fluggleiter verlassen und die Stadt anfliegen. Wir wollten den Fremden zeigen, daß wir uns nicht vor ihnen fürchteten. Wir fuhren hinab zum Gleiter-Hangar und machten eines der Fahrzeuge startbereit. Es handelte sich um ein linsenförmiges Fahrzeug, das höch stens vier Personen Platz bot und in der oberen Hälfte eine verglaste Kup pel trug, die den Blick nach allen Richtungen ermöglichte. Wir stiegen ein. Fartuloon klemmte seinen nicht gerade hageren Körper hinter das Steuer. Er tat die üblichen Handgriffe, die sonst dazu führten, daß der Gleiter sich aus der Halterung löste, auf das Schleusenschott zuschwebte und das Schott sich öffnete. Da erlebten wir unsere dritte Überraschung. Das Triebwerk begann zu summen. Der Gleiter löste sich aus der Halterung und schwebte auf rau schenden Luftkissen etwa einen Meter über dem glatten Boden des Han gars. Er bewegte sich langsam auf das Schott zu. Aber das Schott rührte sich nicht. Fartuloon hielt das Fahrzeug an. Mit grimmigem Zorn bearbeitete er die Schalttasten. Aber das Schott war hartnäckig. Es blieb geschlossen. Fartu loon kam rasch wieder zur Besinnung. Er erkannte die Nutzlosigkeit sei nes Tobens und bugsierte den Gleiter zurück zur Halterung. Dann setzte er ihn ab. Seufzend betätigte er den Mechanismus, der das Ausstiegsluk öff nete. Wir kletterten nach draußen.
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»Ich glaube«, sagte Fartuloon mit schwerer Stimme, »die Lage ist wei taus unangenehmer, als wir bisher gemeint haben.« »Ich glaube, wir haben da einen sehr interessanten Fang gemacht«, sagte das erste Wesen und betrachtete auf dem Bildschirm nahezu andächtig das arkonidische Raumschiff, das das Traktorfeld soeben zu Boden gebracht hatte. »Wir haben uns schon des öfteren mit Arkoniden befaßt«, gab das zwei te Wesen zu bedenken. »Ich weiß nicht, warum gerade diese hier so inter essant sein sollten.« »Bedenke doch«, begann die Entgegnung, »welche Art von arkonidi schen Raumfahrzeugen wir bisher auf Tsopan zu sehen bekommen ha ben!« »Nun, es waren in allen Fällen größere als dieses hier.« »Ganz richtig beobachtet. Und noch etwas unterschied sich von dem Fahrzeug, daß wir soeben eingefangen haben.« »Noch etwas …?« »Ja, bevor wir sie einfingen …« »Ah, ich weiß! Die arkonidischen Fahrzeuge erschienen niemals alleine. Immer nur in Verbänden. Wir mußten mit viel List und Tücke ein einzel nes Fahrzeug aus dem Verband locken, damit wir es mit dem Traktorfeld zur Landung zwingen konnten.« »Darin eben«, sagte das erste Wesen, »liegt der Unterschied zwischen den Arkoniden, die wir bislang kennenlernten, und denen, die heute hier gelandet sind. Das arkonidische Volk befindet sich in einem galaxienwei ten Krieg gegen die Methanatmer. Diese Gegend wird, wie wir aus den Bewußtseinen unserer Gäste entnommen haben, als der arkonidischen Ein flußsphäre zugehörig betrachtet. Aber so recht sicher scheinen sich die Ar koniden hier trotzdem nicht zu fühlen. Deswegen tauchen sie im allgemei nen hier nur mit mächtigen Raumschiffen und möglichst in starkem Ver band auf. Unser heutiger Gast ist von anderer Art. Ich bezeichnete sein Fahrzeug, als ich es draußen im Raum zum ersten Mal bemerkte, als mächtig. Jetzt, da ich weiß, daß es sich um ein arkonidisches Raumschiff handelt, muß ich zugeben, daß seine Größe keineswegs beeindruckend ist. Wieviel Mut muß die Mannschaft dieses Fahrzeugs haben, um sich alleine und mit ei nem so kleinen Schiff in diese Gegend zu wagen? Oder vielleicht haben sie gar kein Übermaß an Mut. Vielleicht war irgendeine katastrophale Ent wicklung daran schuld, daß sie sich hierher wagen mußten. Wie dem auch sei … ich bin überzeugt, daß wir seit langem erstmals wieder einen über aus interessanten Fall vor uns haben. Und ich werde das Meinige dazutun, daß wir uns aus dieser interessanten Besatzung die interessantesten Leute heraussuchen.«
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»Das Fesselfeld legt alles lahm«, knurrte Fartuloon. »Wir können weder aussteigen, noch unsere Bordwaffen gebrauchen.« Diesmal waren wir allesamt, bis auf Freemush, im Kommandoraum ver sammelt. Wir diskutierten unsere Lage. Bislang hatten die Fremden sich nicht gemeldet. Wir wußten noch immer nicht, warum wir hier zur Lan dung gezwungen worden waren und was man mit uns vorhatte. Plötzlich meldete sich jemand zu Wort, von dem wir nicht so früh schon einen Beitrag zu dieser Diskussion erwartet hätten: Farnathia. »Auch nicht unseren Sender?« erkundigte sie sich mit ihrer hellen, kla ren Stimme. »Auch nicht unseren Sender«, grollte Fartuloon, ohne sich die Mühe zu machen, über Farnathias Frage nachzudenken. »Das ist merkwürdig«, sagte Farnathia und schüttelte dabei den Kopf, daß die langen, silberhellen Haare ihr um die Schultern flogen. »Wieso?« brummte Fartuloon. »Weil der Maahk einen Hilferuf abstrahlen konnte«, antwortete Farna thia. »Erinnerst du dich? Nur dieses Rufes wegen sind wir überhaupt hier!« Ich staunte. Ihr Gedankengang war von bestechender Logik. Der Maahk war ohne Zweifel in die gleiche Art von Fesselfeld eingesponnen worden wie wir. Das Feld riegelte das Raumschiff energetisch von der Umgebung ab. Nichts funktionierte mehr – weder die Ausschnittsvergrößerung des optischen Systems noch die Öffnungsmechanismen der Schotte, und schon gar nicht unsere Bordgeschütze. Es war durchaus logisch zu glauben, daß auch die Sendeanlagen die Feldhülle nicht würden durchdringen können. Allerdings hatten wir noch keinen Versuch in dieser Richtung angestellt. Gesetzt den Fall, unsere Vermutung war richtig und die Sender funktio nierten in der Tat nicht mehr. Das bedeutete, daß die Maahks irgendeine Möglichkeit gefunden hatten, die dichtschließende Feldhülle wenigstens für die Funkwellen ihres Hypersenders durchlässig zu machen. Die maahksche Technologie war der unseren nicht überlegen. Was die Maahks tun konnten, das brachten auch wir fertig! Wenn es eine Möglich keit gab, die Feldhülle zu durchbohren, dann würden wir sie finden. Nur war unser Ziel ein anderes. Es genügte uns nicht, einen Hilferuf abzuset zen. Wir waren ziemlich sicher, daß ihn niemand hören würde. Und wenn ihn doch jemand empfing, dann war es wahrscheinlich einer von Orbana schols Häschern. Wir wollten mehr. Wir wollten das Schiff verlassen und unsere Bordwaffen einsetzen können; denn unsere Feuerkraft war trotz des geringen Umfangs der POLVPRON von solchem Umfang, daß sie die Be wohner der Stadt, die vor uns lag, wohl beeindruckt hätte. Je länger ich über das Problem nachdachte, desto freier bewegten sich meine Gedanken. Wir würden zuerst die Natur des Fesselfeldes ergründen
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müssen, seine energetische Struktur, seine Form und so weiter. Danach mußten wir uns überlegen, wie durch Anlegen eines Gegenfeldes das Fes selfeld durch Interferenz in begrenzten Bereichen annulliert werden konn te. Einer dieser Bereiche zum Beispiel mochte vor der Mündung eines Strahlengeschützes liegen, so daß wir das Geschütz abfeuern konnten, und ein anderer unmittelbar vor einer der Schleusen, so daß wir die Schleuse öffnen und das Schiff verlassen konnten. Ich sah auf und bemerkte die Blicke aller gespannt auf mich gerichtet. »Was … was ist …?« fragte ich verwirrt. Farnathia lächelte strahlend. Fartuloon hatte ein unverschämtes Grinsen auf dem Gesicht. »Du hast das Problem schon gelöst, wie?« fragte er. »Nein«, wehrte ich ab. »Ich habe nur den Anfang einer Idee …« Die beiden Wesen hatten den Raum nicht verlassen, von dem aus sie das arkonidische Raumschiff schon seit seiner Landung beobachteten. Ei ne ganze Bank fremdartiger Meßgeräte war zusätzlich zum Leben erwacht. Es schien, als könne von dieser Zentrale aus jede winzige Lebensäußerung angemessen werden. »Der kritische Zeitpunkt nähert sich«, erklärte das erste Wesen. »Ich sagte dir schon, wir haben hier einen äußerst interessanten Fang gemacht.« »Ich stimme dir bei«, antwortete das andere Wesen. »Sie haben keine Zeit verloren. Sie haben unverzüglich die Struktur des Fesselfeldes er forscht, und nun sind sie dabei, das Feld zu manipulieren.« Er schwieg einen Atemzug lang und fuhr dann fort: »Hat das etwas mit deinem Plan zu tun?« »Ja, es hat. Mein Plan kann nur wirksam werden, wenn die Besatzung des Fahrzeugs eine Möglichkeit findet, das Schiff zu verlassen.« »Ich wollte, du wärest nicht so verschlossen und würdest mich wissen lassen, was du vorhast.« Die Kopfscheibe des ersten Wesens leuchtete plötzlich in sattem Grün blau – ein Zeichen dafür, daß es sich vorzüglich amüsierte. »Ich bin ein alter Mann, Soon-Soon (oder so ähnlich klang die summen de Anrede, deren sich das erste Wesen seinem Genossen gegenüber be diente), und habe dieselben Mucken, die viele alte Männer haben. Ich habe eine Überraschung für dich, also verdirb sie nicht, indem du mich aus fragst. Ich liefere dir von der für deine Zwecke höchst interessanten Mann schaft dieses Raumschiffs das interessanteste Mitglied. In wenigen Ma xiskopen wirst du wissen, worum es sich dreht, und meine Weisheit aner kennen.« Das Wesen, das Soon-Soon genannt wurde, schwieg. Seine Kopfscheibe leuchtete nur noch in blassem, mattem Rot – ein Zeichen dafür, daß es ver drossen war. Das erste Wesen jedoch war mit Begeisterung bei der Arbeit
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und nahm die gedrückte Stimmung seines Genossen nicht zur Kenntnis. Es verfolgte die Meßgeräte, die die Vorgänge an Bord des arkonidischen Raumschiffs beobachteten. Zwar konnte es nicht unmittelbar durch die Wanderung des Kugelfahrzeugs hindurchblicken, aber die Anzeigen waren doch so genau, daß es zu jeder Zeit ziemlich genau darüber informiert war, was innerhalb der stählernen Rundung der Kugel vor sich ging. Schließlich leuchtete eine Kontrolllampe in grellem Blau auf, und dazu zirpte ein Warngerät. Das erste Wesen erhob sich von seiner Liege. Seine Kopfscheibe flackerte ebenfalls blau und strahlte Zeichen höchster Erre gung ab. »Sie haben es geschafft!« jubelte das Wesen. »Sie haben das Feld durchbrochen.« Triumphierend wandte es sich seinem jüngeren Begleiter zu. »Jetzt, Soon-Soon, wirst du sehen, wie mein Plan funktioniert.«
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3.
Die Stunden vergingen wie im Flug. Wir arbeiteten wie besessen. Analyse der Struktur des Fesselfeldes, Simulierung des Feldes auf dem Bordrech ner und Entwicklung einer geeigneten Interferenzmethode, Berechnung der erforderlichen Energien, Installation der Generatoren und Projektoren, erste Testversuche. Wir kamen kaum mehr zu Atem, und trotzdem wurden wir nicht müde. Es war weniger die Gefahr, die uns anstachelte, als vielmehr das Empfin den, daß wir von einer fremden Technik herausgefordert worden seien. Noch wußten wir nicht, ob eine Gefahr überhaupt existierte. Hatten wir nicht Grund zu glauben, daß der Maahk auf dieselbe Weise heruntergeholt worden war wie wir, und hatte er nicht frei und unbehelligt wieder abflie gen dürfen? Das heißt: nicht ganz frei. Die Möglichkeit, seine Bordwaffen einzusetzen, war ihm nicht gelassen worden. Wir konzentrierten uns zunächst darauf, eine der Schleusen zu öffnen. Als Versuchsobjekt hatten wir uns eine nahe dem Südpol der POLVPRON gelegene kleine Hangarschleuse ausgesucht, die gerade Platz für einen ein zigen Fluggleiter bot. Beim fünften Test hatten wir Erfolg. Durch den Stahl der Wandung hindurchgreifend, interferierte unser Gegenfeld mit dem von draußen einwirkenden Fesselfeld und brachte dieses auf einer Fläche, die kreisförmig war und das Schleusenschott gänzlich in sich ein schloß, zum Erlöschen. Farnathia betätigte den Öffnungsmechanismus. Die beiden Schotthälften teilten sich und glitten beiseite. Vor unseren Blicken lag der von der Stadt abgewandte Teil des riesigen Landefeldes. Warme, trockene Luft schlug uns entgegen. Sie war von fremdartigen Düften erfüllt. Fartuloon hob ein kleines Stück Draht auf, das bei der In stallation des Gegenfeldprojektors übriggeblieben war, und warf es durch die Öffnung hinaus. Es fiel unbehindert zu Boden. Damit stand fest, daß wir von nun an keine Schwierigkeit mehr hatten, die POLVPRON zu ver lassen. »Eiskralle und ich gehen hinaus und sehen uns die Stadt aus der Nähe an«, sagte ich. »Fartuloon, du übernimmst das Kommando hier an Bord. Während wir draußen sind, können die Installationen vorgenommen wer den, die notwendig sind, um das Fesselfeld vor der Mündung des schwe ren Strahlgeschützes zu annullieren.« Fartuloon war einverstanden. Auf dem Weg zurück zum Kommando stand hatte er jedoch noch eine Idee. »Man kann nie wissen, wie sich die Dinge entwickeln. Du und Eiskral le, ihr nehmt am besten einen automatischen Kodegeber zu euch … für den Fall, daß ihr irgendwo festgehalten werdet und euch nicht mit uns in
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Verbindung setzen könnt.« Die Idee war gut, aber ich sah nicht ein, warum sie auf uns beschränkt werden sollte. Falls Eiskralle und mir etwas zustieß, war es denkbar, daß Fartuloon, Farnathia, Sprangk oder Corpkor das Schiff verließen, um nach uns zu suchen, und in diesem Fall waren sie denselben Fährnissen ausge setzt wie zuvor Eiskralle und ich. Die vernünftigste Lösung war also, daß wir alle Kodegeber zu uns nahmen. Fartuloon mußte meine Argumente gelten lassen. Kodegeber sind winzige Geräte, die in stetiger Wiederholung charakte ristische Impulse von sich geben. Gewöhnlich handelt es sich um elektro magnetische Signale, die von einfachen Radiogeräten empfangen werden können. Es gibt jedoch auch Kodegeber, die auf Hyperfunkbasis arbeiten und über Lichtjahre hinweg zu hören sind. Jedes Gerät besitzt seine eige ne, individuelle Impulsfolge, so daß sich anhand der Signale die Identität des Trägers mühelos feststellen läßt. Kurz vor unserem Aufbruch gab es noch eine kleine Schwierigkeit. Far nathia bestand darauf, mit uns zu kommen. Es bedurfte Fartuloons und meiner ganzen Überredungsgabe, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Draußen schickte die Sonne sich an unterzugehen. Die Dämmerung war für unser Vorhaben die beste Zeit. Eiskralle und ich fuhren zur Hangarschleuse hinab. Ich war gerade da bei, das Schott hinter mir zu schließen, da hörte ich aus der Höhe ge dämpft zwar, aber nichtsdestoweniger deutlich einen langgezogenen Schrei. Ich schaltete sofort mein Armbandfunkgerät und rief Fartuloon. »Was war das?« wollte ich wissen. »Ich weiß es nicht!« kam keuchend die Antwort des Alten. »Der Schrei kam aus der Richtung der Wohnkabinen. Ich sehe gerade nach …« Er unterbrach sich mitten im Satz. Eine unheimliche Ahnung stieg in mir auf. »Was ist los?« drängte ich. »Sprich weiter!« »Farnathia!« stieß er hervor. »Sie ist … verschwunden!« Ich weiß bis heute nicht, wie ich so schnell zum mittleren Deck hinauf kam, aber wenige Augenblicke, nachdem Fartuloon seine entsetzliche Bot schaft ausgestoßen hatte, stand ich in Farnathias Kabine. Sie war ordent lich und aufgeräumt wie immer, und in der Luft hing der leise Duft des Parfüms, das Farnathia verwendete. Daneben gab es eine zweite Duftnote, die mir fremd war, der ich jedoch in der ersten Aufregung keinerlei Beach tung schenkte. Wir riefen Farnathias Namen, aber sie antwortete nicht. Wir durchsuch ten die umliegenden Räumlichkeiten und fanden weder das Mädchen, noch eine Spur von ihr. Allmählich begann mein Verstand, das Ungeheu erliche zu akzeptieren. Farnathia war entführt worden.
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Wir eilten zum Kommandostand und überprüften die Anzeigen der Geräte. Nichts wies darauf hin, daß jemand ohne unser Wissen ins Schiff einge drungen war. Die Aktivitätsindikatoren der Schotte zeigten noch immer den alten Stand. Keines von ihnen war in der Zwischenzeit geöffnet wor den. Wir standen vor einem Rätsel. Jemand war in die POLVPRON einge drungen, um Farnathia zu entführen. Aber er hatte keine Spur hinterlassen. Er schien durch die Wände gekommen zu sein. Schließlich kehrten Fartuloon und ich zu der Kabine des Mädchens zu rück. Die Aufregung des ersten Augenblicks war verflogen. Ich nahm zur Kenntnis, daß Farnathias Entführung ohne Kampf vonstatten gegangen war. Es gab keine Spuren von Unordnung. Farnathia mußte völlig über rascht worden sein. Sie hatte nur noch Zeit gefunden, den Schrei auszusto ßen. Ich interessierte mich dieses Mal für den Fremdgeruch, der die Luft des Zimmers erfüllte. Er war – mit einem Wort – fremdartig. Eine merkwürdi ge Mischung aus Parfüm und dem Geruch von Fäulnis, etwas völlig Unbe kanntes, nie zuvor Gerochenes. Fartuloon hatte ihn ebenfalls bemerkt. »Ich nehme an, das ist der Körpergeruch der Fremden«, brummte er. »Das werden wir bald wissen«, antwortete ich zornig. »Wir brechen so fort auf.« Fartuloon sah auf. Er schien über etwas nachzudenken. Dann kam er auf mich zu und legte mir die Hand auf die Schulter. »Es ist womöglich keine gute Idee, jetzt auf Erkundungsfahrt zu ge hen«, sagte er mit ungewöhnlichem Ernst. »Warum nicht?« brauste ich auf. »Wir müssen sofort …« »Eben deswegen. Die Sorge um Farnathia raubt dir die Fähigkeit des nüchternen Denkens. Du wirst den Fremden ein billiges Opfer werden.« »Ich werde mit den Fremden aufräumen«, brach es aus mir hervor. »Ich werde ihnen zeigen, was es heißt, eine Arkonidin zu entführen. Ich werde …« Sein mißbilligender Blick brachte mich zum Schweigen. Ich sah ein, daß er recht hatte. Ich war erregt. Ich hatte meine Sinne nicht beisammen. Ich wollte so rasch wie möglich aufbrechen, ohne zu wissen, wohin ich mich wenden sollte und was ich zu tun hatte, um Farnathia zu befreien. »Ich erkenne mit Befriedigung«, sagte Fartuloon, »daß du anfängst zu denken. Wahrscheinlich kann ich dich nicht zurückhalten. Aber wenn du gehst, dann bitte ich dich, eines zu bedenken. Die Fremden sind mächtig. Ihre Technologie ist der unseren wahrscheinlich überlegen. Denk nur dar an, auf welche Weise Farnathia entführt wurde: Die Fremden kamen durch einen halben Meter Arkonitstahl, ohne Spuren zu hinterlassen. Willst du das im Sinn behalten?« Ich nickte. Die Ruhe war zurückgekehrt. Ich mußte hinaus, um nach
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Farnathia zu suchen. Aber in erster Linie war wichtig, daß ich einen küh len Verstand bewahrte. »Ich werde es nicht vergessen«, sagte ich. Soon-Soon war begeistert. »Ich verstehe«, summte er. »Du entführst ein Mitglied der Mannschaft, und die übrige Mannschaft wird versuchen, den Entführten zu finden und zu befreien. Wer sich bei diesem Versuch am geschicktesten anstellt, ist für unsere Zwecke der Interessanteste.« Das erste Wesen war soeben von einem kurzen Ausflug zurückgekehrt. Es hatte sich mit Hilfe eines Transportfeldes an Bord des arkonidischen Raumschiffs begeben und von dort ein Besatzungsmitglied entführt. Das entführte Wesen – eine Frau übrigens, wie dank früherer Erfahrungen mit Arkoniden und ähnlichen Geschöpfen hatte festgestellt werden können – befand sich in einem Nebenraum, bewußtlos vor Schreck, aber ansonsten unversehrt. »Du verstehst es richtig«, erhielt Soon-Soon zur Antwort. »Ich erwarte zuversichtlich, daß derjenige, der die entführte Frau zu befreien versucht, sich vor anderen Besatzungsmitgliedern durch größere Tatkraft, höheres Wissen und vermehrte Umsicht auszeichnet. Ich bin ganz sicher, daß wir diesmal einen großartigen Fang gemacht haben.« Seine Kopfscheibe funkelte in glitzernden, blauen Farben. Er war freu dig erregt. Er deutete auf den großen Bildschirm, der optische Eindrücke ebenso wie die Ergebnisse der Ortung vermittelte, und deutete auf einen grellen Punkt, der sich rasch dem Mittelpunkt der Bildfläche näherte. »Da ist er. Er hat sich aus seinem Raumschiff ausgeschleust und ist auf dem geradesten Weg hierher! Er verliert keine Zeit.« »Das sollte einem zu denken geben«, wandte Soon-Soon ein. »Er muß sich darüber im klaren sein, daß wir sein Fahrzeug beobachten. Er kann sich denken, daß wir ihn nicht so ohne weiteres an die Gefangene heran lassen.« »Wäre es nicht so, müßte man in der Tat über ihn enttäuscht sein«, be stätigte das erste Wesen. »Aber ich bin sicher, daß du in Kürze etwas zu sehen bekommen wirst.« Soon-Soon war mit seinen Einwänden noch nicht am Ende. »Woher weiß er überhaupt, in welche Richtung er sich wenden muß?« fragte er. »Er hält genau auf uns zu! Woher weiß er, daß sich die Gefange ne hier befindet?« »Eine kluge Frage, Soon-Soon«, bemerkte das erste Wesen. »Sie bringt mich auf eine Vermutung, der ich sofort nachgehen werde. Ich nehme an …« Er unterbrach sich mitten im Satz. Der grelle Leuchtfleck war plötzlich vom Bildschirm verschwunden. Soon-Soon fuhr überrascht auf.
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»Was ist das?« rief er erschreckt. »Wohin ist er plötzlich verschwun den?« Die Lichter auf der Kopfscheibe des ersten Wesens flackerten ins Grün liche, ein deutliches Anzeichen dafür, daß auch es nun Besorgnis empfand. »Ich sagte dir, daß du in Kürze etwas zu sehen bekommen würdest«, war die Antwort. »Nun ist es geschehen. Der Fremde hat sich unserer Be obachtung entzogen.« Soon-Soon summte einige unverständliche Laute vor sich hin. Dann meinte er: »Für meine Begriffe ist dieses Geschöpf ein wenig zu interessant. Ich fühlte mich wohler, wenn wir uns eines ausgesucht hätten, das nicht sämt liche Tricks dieser Galaxis beherrscht.« Aber das erste Wesen war schon wieder guten Mutes. »Jetzt«, sagte es, »ist es an der Zeit, deinem Verdacht nachzugehen. Wir wissen nicht, wo der Arkonide ist. Aber es gibt vermutlich ein Mittel, ihn in eine Falle zu locken!« Fartuloon hatte in der Schleuse, von der wir gestartet waren, ein Sendeund Empfangsgerät installiert, einen jener tragbarer Kästen, die nach dem elektromagnetischen Prinzip funktionieren; aber mehr brauchten wir auch nicht. Die Verständigung klappte ausgezeichnet. Wir arbeiten mit Raffern, Dehnern und Zerrhackern. Die Fremden mochten noch so schlau sein … es würde ein paar Stunden dauern, bis sie unseren Kode gebrochen hatten, und dann war es immer noch eine Frage, ob sie Arkonidisch beherrschten. Wir glitten in geringer Höhe über das weite Landefeld dahin. Farnathias Kodegeber lieferte ein deutliches, stationäres Signal, das wir im Laufe we niger Augenblicke angepeilt hatten. Wir machten etwa zehn Messungen, bis wir wußten, wo Farnathia sich im Augenblick aufhielt. Eiskralle und ich trugen je einen Hodometer. Wir kalibrierten die Geräte so, daß der Ort, an dem Farnathia gefangengehalten wurde, die, Koordination 0;0;0 erhielt, also den Koordinatenursprung bildete. Die Hodometer funktionierten, in dem sie Beschleunigungen zu Geschwindigkeiten und Geschwindigkeiten zu zurückgelegten Strecken integrierten. Sie waren, wenn wir uns an Bord befanden, ebenso zuverlässig wie später, wenn wir uns notgedrungenerma ßen zu Fuß würden bewegen müssen. Indem wir ständig in die Richtung abnehmbarer Koordinatenwerte strebten, konnten wir den Aufenthaltsort des Mädchens nicht verfehlen. Eines machte mir Sorge. Ich war sicher, daß die Fremden die POLV PRON scharf beobachteten. Es war ihnen gewiß nicht entgangen, daß wir ihr Fesselfeld an einer Stelle durchbrochen und einen Fluggleiter gestartet hatten. Auf ihren Orterschirmen mußten sie uns kommen sehen. Welchen Sinn aber hatte unser Unternehmen, wenn wir dem Gegner Gelegenheit gaben, seine Verteidigung auf unsere Ankunft einzurichten? Ich sprach
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mit Fartuloon darüber. Obwohl seine Worte tausendfach zerhackt, zusam mengedrückt und wieder auseinandergezogen worden waren, klang seine Stimme so echt aus dem Empfänger, als ob er unmittelbar neben mir stün de. Ich habe Kode-Modems schon immer für eine der wunderbarsten Er zeugnisse der Technik gehalten. »Irgendwo am Rand der Stadt mußt du den Gleiter absetzen«, riet der Alte. »Sonst läufst du ihnen genau in die Arme. In ein paar Minuten wird es völlig dunkel sein. Ich kann von hier aus nicht erkennen, ob die Stadt erleuchtet ist …« Wir waren näher dran und sahen die düstere, dunkelrote Lichtglocke, die über der fremden Stadt hing. Ich beschrieb Fartuloon den Anblick. »Das ist aufschlußreich«, antwortete er. »Ihr optisches Sehvermögen umfaßt anscheinend noch einen weiteren Bereich im Infraroten. Daher ist für ihre Augen tief rotes Licht am hellsten. Das ist ein Nachteil für euch, mein Junge! Bedenke das!« »Wir haben unsere Deflektoren«, hielt ich ihm entgegen. »Das ist gut, sonst wäret ihr von vornherein verloren!« »Ich habe eine Idee, wie wir ihre Ortung durcheinanderbringen«, sagte ich. »Ich nehme an, daß sie auf energetischer Basis funktioniert. Sobald wir die Stadt erreicht haben, schalte ich das Antigrav-Triebwerk ab. Mit den Luftkissen …« »Das ist Selbstmord!« unterbrach er mich scharf. »Bei diesem Fahr zeugtyp ist das Luftkissen nur zur zusätzlichen Stabilisierung gedacht. Es kann den Gleiter nicht tragen. Im günstigsten Fall würdet ihr ziemlich hart aufsetzen und das Fahrzeug dabei ruinieren.« »Was wäre daran so schlimm?« lachte ich. »Wenn wir aussteigen, wer den es die Fremden ohnehin spätestens am Morgen finden.« »Tu es nicht!« warnte er mich eindringlich. »Du riskierst deinen Hals!« Ich antwortete nicht mehr. Vor uns tauchten der Rand des Landefelds und die ersten Häuser der Stadt auf. Es waren merkwürdig geformte Ge bäude. Sie hatten durchweg ovalen Grundriß. Die Wände, nahezu fenster los, stiegen schräg nach innen geneigt in die Höhe und bildeten einen mes serscharfen First. Man sagt, daß die Gebäudeform einer jeden Zivilisation auf das in vorgeschichtlicher Zeit verwendete Baumaterial hinweist – Rundhäuser zum Beispiel auf Schilf und Rohr, viereckige Gebäude auf Baumstämme und die arkonidischen Trichterhäuser auf den arkonidischen Riesenlotos, der mit Stamm und Kelch schon ein fertiges Gebäude abgab. Es fiel mir schwer, aus dem Anblick der fremden Gebäude auf das Bauma terial zu schließen, das diesem Volk in seiner Vorgeschichte zur Verfü gung gestanden hatte. Eiskralle begann zu murren. »Es ist zu kalt!«
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»In ein paar Augenblicken wird es dir zu warm werden.« »Das darf nicht sein!« jammerte er. »Dann zerschmelze ich.« »Halt den Mund!« knurrte ich ihn an, und wider seine Gewohnheit war er tatsächlich ruhig. Unsere Beobachtung war richtig gewesen. Die Fremden legten ihre Städte tatsächlich in großzügigster Weise an. Es gab weite Grünflächen und, wie ich mit Überraschung feststellte, keinerlei Straßen. Der Verkehr dieses Planeten schien sich ausschließlich durch die Luft zu bewegen. Jede Erinnerung an die Zeiten, in denen Räder mühselig über gebahnte Straßen gerollt waren, schien verblichen. Die Grünflächen waren üppig mit Bäu men und Büschen bestanden und boten uns gute Deckung. Ich wartete, bis der Gleiter, von der Stadtmitte her gesehen, in den Ortungsschutz eines be sonders hoch aufragenden Gebäudes gelangte, dann schaltete ich das Triebwerk aus. Der Gleiter fing sofort an zu torkeln. Eiskralle stieß einen ängstlichen Schrei aus und klammerte sich an die Haltegurte. Zwei Sekunden lang stürzten wir wie ein Stein. Dann hatte ich die Luftkissen auf Höchstlei stung angekurbelt. Ich richtete den Bug des Gleiters schräg nach oben, so daß uns die glatte Unterfläche als aerodynamische Bremse diente. Wir hat ten eine gehörige Vorwärtsfahrt. Das half beim Bremsen, aber sobald wir Bodenberührung bekamen, würde es uns tüchtig durcheinanderbeuteln. »Wir stürzen ab!« schrie Eiskralle voller Angst. »Mir ist heiß!« »Beiß dir auf die Zunge!« schrie ich ihn zornig an. »In ein paar Sekun den sind wir unten!« Ein Park, übergossen von düsterrotem Licht, kam mit rasender Ge schwindigkeit auf uns zu. In diesem Augenblick dachte ich an Fartuloons warnende Worte. Hatte ich mir wirklich zuviel vorgenommen? Ich richtete die Nase des Gleiters noch steiler in die Höhe. Nur schwerfällig gehorchte das Fahrzeug dem Steuer. Wir waren zu langsam geworden und fielen abermals. Ein letzter Knall, das Fahrzeug drehte sich wie ein Karussell, dann war Ruhe. Ich war benommen, aber noch bei Sinnen. Eiskralle starrte mich aus großen, ängstlichen Augen an. Ich drückte den Knopf, der meine Gurte löste. »Raus hier!« herrschte ich ihn an. »In ein paar Augenblicken sind uns die Fremden auf den Fersen!« Wir rissen an uns, was wir an Gerät mitgebracht hatten. Ich öffnete das Ausstiegsluk. Das war ein banger Augenblick. Der harte Aufprall hatte die Fahrzeughülle verworfen, und die beiden Lufthälften zögerten einen Au genblick, bevor sie sich quietschend in Bewegung setzten. Warme, trockene Luft drang zu uns herein. Eiskralle turnte als erster hinaus. Er schien seinen Schreck überwunden zu haben und verschwand sofort in der
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Deckung eines Gebüschs. Ich folgte ihm auf dem Fuß.
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4.
Vorerst ging alles gut … auffällig gut, möchte ich fast sagen. Wir tauchten im Gebüsch unter. Ringsherum war es ruhig. Wir hatten die Deflektorschirme eingeschaltet und waren für normale Augen unsichtbar. Aus sicherer Entfernung warf ich einen Blick zurück auf unseren Flug gleiter. Das düstere rote Licht, das von Leuchtplatten ausgestrahlt wurde, die anscheinend frei in der Luft schwebten, kam mir nicht sehr zustatten. Ich hatte den Eindruck, daß das Fahrzeug nicht übermäßig beschädigt wor den war. Vermutlich war es noch immer fluguntauglich. Mit einem Arm bandsender war ein Befehlsgeber gekoppelt, der auf den Autopiloten des Gleiters einzuwirken vermochte. Falls die Fremden das Fahrzeug nicht ab schleppten und irgendwo festlegten, würden wir es im Notfall zu uns her anrufen und mit ihm davonfliegen können. Wir rasteten eine Weile und sahen uns dabei um. Die Stille war nahezu unwirklich. Es gab kein Geräusch außer dem leisen Rascheln der Blätter, die der warme Wind bewegte. Wo waren die Fremden? War es ihre Ge wohnheit, während der Nacht so ruhig zu sein, oder hatte unsere Bruchlan dung sie verschreckt. Plötzlich hörte ich Eiskralles aufgeregte Stimme. »Sie bewegt sich! Sie bewegt sich!« Seitdem wir die Deflektorschirme eingeschaltet hatten, konnte ich ihn nicht mehr sehen. Ich wußte jedoch, daß er sich in unmittelbarer Nähe be fand. Ich sah deutlich die Stelle, an der sein unsichtbarer Körper die Zwei ge des Gebüschs auseinanderdrängte. Ich trug ein Miniatur-Ortergerät bei mir. Ich löste es aus dem Gürtelha ken und schaltete es ein. Wir hatten die Anzeige von Farnathias Kodege ber markiert. Die Markierung bildete einen kleinen gelblichen Lichtfleck. Die ganze Zeit über war er stationär gewesen, jetzt jedoch hatte er begon nen, sich zu bewegen. »Ich glaube es nicht«, sagte ich verbissen. »Ich auch nicht«, dröhnte mir Fartuloons Stimme ins Ohr. Ich erschrak. Ich hatte für den Augenblick vergessen, daß der Alte noch immer mit uns verbunden war. Wir empfingen ihn über Helmfunk. »Das ist ein Trick«, fügte er hinzu. »Sie haben den Kodegeber des Mäd chens gefunden und seine Funktion erkannt. Jetzt schaffen sie das Gerät woanders hin, um euch in eine Falle zu locken.« Das war genau meine Ansicht. »Ich habe vor, mich an das ursprüngliche Ziel zu halten«, erklärte ich. »Fünf zu eins, daß du damit recht hast, mein Junge«, antwortete Fartu loon.
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»Ich bin nicht so sicher«, ließ Eiskralle sich hören. Er hatte die Unter haltung zwischen Fartuloon und mir mitverfolgt. »Vielleicht sollten wir uns trennen. Der eine folgt dem Kodegeber, der andere kümmert sich um das ursprüngliche Ziel.« »Hör nicht auf ihn!« drängte Fartuloon. »Er ist durcheinander, wahr scheinlich ist ihm entweder zu kalt oder zu heiß, und in solchen Lagen durchschaut er die Dinge nicht ganz.« Ich mußte lachen. »Ich fühle mich ganz und gar wohl«, protestierte Eiskralle, »und meine Gedanken sind die Ergebnisse einer völlig unantastbaren Logik. Der Geg ner bietet uns zwei Ziele, und da wir zwei Mann sind, sollten wir …« »Ich habe mich anders entschieden, Eiskralle«, unterbrach ich ihn. »Wir halten uns an die ursprüngliche Adresse. Und je rascher wir vordringen, desto größer ist unsere Aussicht auf Erfolg.« Er seufzte. »Die Götter geben, und die Götter nehmen. Was vermag ich armes Ge schöpf gegen das unerforschliche Walten des Schicksals?« Mit diesen seinen Worten setzten wir uns in Bewegung. Auf den Ort zu, von dem aus Farnathias Kodegeber ursprünglich gestrahlt hatte. Die klickenden Lumineszenzmarken unserer Hodometer bewiesen uns, daß wir auf dem richtigen Weg waren. Ich wollte nur, ich wäre meiner Sache sicherer gewesen. »Du hattest recht«, verkündete das erste Wesen, nachdem es mit unbe kanntem Ziel etwa eine halbe Maxiskope lang unterwegs gewesen war. »Es gibt einen triftigen Grund, warum der Arkonide geradewegs das Ziel ansteuert. Die Gefangene war präpariert.« Einer seiner Tentakel schnellte nach vorne. In der Greifzange erblickte Soon-Soon ein winziges, kugelförmiges Gerät. »Sie trug es hinter einem der beiden Körperteile, die bei den Arkoniden dem Hörsinn dienen«, erklärte das erste Wesen. »Es war halb in die Haut gedrückt und nur sehr schwer zu finden. Zudem wehrte sich die Gefange ne.« »Was ist es?« fragte Soon-Soon verblüfft. »Ein höchst primitiver, aber äußerst wirksamer elektromagnetischer Sender. Innerhalb einer Skope sendet er zehnmal dieselbe Impulsfolge ab. Ohne Zweifel ist es ein Gerät, das man mühelos anpeilen kann.« Soon-Soon war befriedigt. Er liebte es, wenn alle Unklarheiten beseitigt waren. Zwar erschien ihm die Aufgewecktheit der Arkoniden nahezu furchterregend, aber jetzt wußte man wenigstens, woran man war. »Was hast du vor?« fragte er den Älteren. »Ich habe vor, unseren ungebetenen Gast in eine Falle zu locken«, er hielt er zur Antwort. »Es besteht nun kein Zweifel mehr daran, daß es sich
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bei ihm um ein überaus interessantes Spezimen des arkonidischen Volkes handelt. Wir können uns alles weitere Herumsuchen sparen. Je rascher wir den Kerl einfangen, desto früher kommst du dazu, dein Bewußtseinsrelief anzufertigen.« Soon-Soon war begeistert. Seine Kopfscheibe glitzerte in leuchtend blauen Farben. »Die Sicherheitsgruppe ist benachrichtigt«, fuhr das erste Wesen fort. »Der Platz ist geschickt gewählt. Man kann sich gut vorstellen, daß einer, der Leute aus Raumschiffen entführt, ihn als Versteck für seine Gefange nen wählen würde.« »Du hast vor, den Sender dort zu plazieren?« »Ja, das habe ich.« Ein grünlicher Unterton der Besorgnis mischte sich in das blaue Flim mern auf Soon-Soons Kopfscheibe. »Was nun, wenn der Arkonide auf deinen Trick nicht hereinfällt? Wenn er ihn durchschaut?« »Damit glaube ich nicht rechnen zu müssen«, hielt ihm der Ältere ent gegen. »Die Signale des Senders sind der einzige Anhaltspunkt, den er hat. Wenn der Sender den Standort wechselt, muß er annehmen, daß auch die Gefangene es tut. Alles andere wäre Spekulation, und ich halte unseren unbekannten Freund für zu schlau, als daß er sich darauf einließe.« Als er sah, daß Soon-Soon weitere Einwände hatte, kam er ihm rasch zuvor: »Im übrigen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Die Sicherheits gruppe hat eine ihrer Abteilungen damit beauftragt, die Stadt nach dem Arkoniden zu durchkämmen. Fangen wollen wir ihn erst in der Falle, weil wir nicht wissen, wie er bewaffnet ist. Aber wir wollen sichergehen, daß er sich auch wirklich in die Falle begibt.« Eiskralle gab einen komischen Seufzer von sich. »Da kommen sie schon wieder«, klagte er. Wir steckten unter einem dichten Gebüsch, dem zwanzigsten oder drei ßigsten, unter dem wir Zuflucht gesucht hatten, seitdem wir mit unserem Fluggleiter notgelandet waren. Vor kurzem war die Stadt plötzlich zum Leben erwacht. Ihre Einwohner hatten wir zwar immer noch nicht zu Ge sicht bekommen, dafür aber eine Menge ihrer Fahrzeuge. Es handelte sich um kreisrunde, linsenförmige Scheiben, unseren eigenen Fluggleitern nicht unähnlich, jedoch von geringerem Umfang. Sie schwirrten nahezu lautlos, jedoch mit großer Geschwindigkeit durch die Luft, hielten abrupt an, standen eine Zeitlang völlig unbeweglich und schossen schließlich wieder davon. Solche Manöver waren nur mit Hilfe eines äußerst wendi gen Antigravs möglich. Mein Respekt vor der Technologie der Fremden wuchs von Minute zu Minute.
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Es wurde uns bald klar, daß sie nach uns suchten. Das war einerseits ein erfreuliches Zeichen; denn es wies darauf hin, daß wir durch unsere Bruchlandung für den Gegner in der Tat aus dem Blickfeld verschwunden waren. Andererseits jedoch bewies die Art, wie die kleinen Gleitlinsen rings um uns herum förmlich in der Luft klebten, daß die Fremden diesen vorübergehenden Nachteil längst wieder wettgemacht hatten. Sie hatten uns wiedergefunden. Der Auftrag der kleinen Gleiterflotte schien jedoch nicht darin zu bestehen, uns gefangenzunehmen oder sonstwie unschädlich zu machen, sondern uns zu beobachten. Unser Bemühen, uns beim Auftauchen der Gleitlinsen zu verstecken, schien mir rein akademisch zu sein. Wir trugen nach wie vor die Deflek torschirme. Optisch waren wir also nicht wahrzunehmen. Ich hatte den Verdacht, daß die Fremden unsere Schirme energetisch anzumessen ver standen. Mit anderen Worten, es war gerade das Mittel, mit dem wir uns zu verbergen hofften, das uns verriet. Mein erster Impuls war, den Deflek torschirm auszuschalten. Dann jedoch kam mir eine bessere Idee. Der Gegner hatte – das glaubte ich sicher zu wissen – Farnathias Kode geber gefunden. Er war auf den Gedanken gekommen, den Kodegeber als Lockmittel zu benutzen. Er hatte ihn Farnathia abgenommen und ließ ihn an einen Ort bringen, an dem er gleichzeitig eine Falle für uns errichtete. Unter diesen Umständen war es besser, wenn wir die Gegenseite zuerst glauben machten, daß wir auf ihren Trick hereinfielen, bevor wir zum zweiten Mal unsichtbar wurden. Ich stieß Eiskralle an. »Stell deinen Hodometer um!« befahl ich ihm. »Warum?« fragte er verblüfft. »Sollen wir doch …« »Frag nicht! Justiere ihn auf die Stelle, an der Farnathias Kodegeber sich jetzt befindet.« Er brummte vor sich hin. Ich konnte infolge des Deflektorfeldes nicht sehen, was er tat; aber ich war sicher, daß er gehorchte. »Geschehen!« meldete er nach wenigen Augenblicken. »Was jetzt?« »Wo liegt der neue Nullpunkt?« wollte ich wissen. »Halblinks voraus.« Ich überlegte. Wenn wir auf der Stelle einen neuen Kurs einschlugen, würde der Gegner mißtrauisch werden. Wir mußten langsam vorgehen, zö gernd, unsicher – als wüßten wir nicht genau, wohin wir uns zu wenden hatten – und dann verschwinden. Ich teilte Eiskralle meinen Plan mit. Er war nicht begeistert davon, aber das machte mich nicht irre. Eiskralle war selten von dem begeistert, was ein anderer ihm vorschlug. Ich kroch als erster unter dem Gebüsch hervor. Über uns standen vier Linsengleiter. Es mochten mehr sein, aber in dem ungewissen Licht konn
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te ich nur vier sehen. Als hätte ich nichts zu befürchten, wanderte ich offen über die weite Grasfläche und wich den Büschen aus, um rascher voranzu kommen. Optisch war ich noch immer unsichtbar, aber ich war nahezu si cher, daß die Fremden meinen Deflektorschirm als prallen Lichtfleck auf ihren Ortern sahen. Ich hörte Eiskralle hastig atmen und wußte, ohne ihn zu sehen, daß er dicht hinter mir war. Wir erreichten den nördlichen Rand des Parkgeländes und befanden uns nun an der Grenze eines Grundstücks, auf dem sich ein Gebäude von beeindruckender Größe erhob. Die Grenze war leicht auszumachen. Jenseits befand sich nur niedriges Gras, das zu dem künstlich erhaltenen Durcheinander des Parks einen deutlichen Ge gensatz bildete. Wir schritten weiter aus und hielten uns dabei ein wenig mehr als bis lang nach links. Die Deflektorschirme verbargen uns, aber unsere Spuren waren in der kurzgetrimmten Grünfläche deutlich zu sehen. Ich blickte auf und sah, daß die Fluglinsen sich wieder in Bewegung gesetzt hatten. Es war die Taktik des Gegners, uns nicht ständig mit denselben Fahrzeugen zu folgen, sondern, sobald wir uns zu bewegen begannen, die bisherigen Verfolger abzurufen und sie durch neue zu ersetzen. Ungehindert, jedoch stets unter Beobachtung legten wir einen weiteren Kilometer zurück. Immer deutlicher nahmen wir Kurs auf das zweite Ziel, das der Gegner uns durch die Verlagerung des Kodegebers bezeichnet hat te. Es wurde allmählich Zeit, daß wir uns von neuem unsichtbar machten. Ich hatte Eiskralle inzwischen mit meinem Plan vertraut gemacht. Ich bereue heute noch, daß ich mit meinem Vorhaben so lange zögerte. Ich wollte mich vergewissern, daß der Gegner genug Grund hatte zu glau ben, wir seien auf seinen Trick hereingefallen. Deswegen wartete ich so lange. Hätte ich rascher gehandelt, wäre es wahrscheinlich nicht zu dem Zwischenfall gekommen, der uns – unzeitig und in durchaus unerwünsch ter Weise – zum ersten Mal in Feindberührung brachte. Wir waren dabei, eine ebene, deckungslose Fläche zu überqueren, als einer der linsenförmigen Fluggleiter sich aus dem Verband löste, der stän dig hinter uns herschwebte und in steilem Gleitflug auf uns zugeschossen kam. Erst wenige Meter hinter uns fing der Pilot den Sturz ab, zog sein Fahrzeug in die Waagrechte und sauste geradewegs auf uns zu, als wollte er uns rammen. Das bewies, daß die Fremden in der Tat trotz unserer De flektorschirme auf den Meter genau wußten, wo wir uns befanden. Ich stieß einen Warnruf aus und warf mich zur Seite. Bevor ich mich zu wehren begann, wollte ich genau wissen, ob die Fremden nun wirklich auf Gewalt umzuschalten gedachten oder ob man uns hier einschüchtern woll te. Unglücklicherweise war Eiskralle weniger besonnen. Ich hörte ihn wü tend aufschreien. Aus meinem Helmempfänger drang ein leises, doppeltes Knacken. Ich wußte sofort, was es bedeutete.
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»Nicht schießen!« schrie ich den Chretkor an. Aber es war längst zu spät. Aus dem Nichts entstand die gleißende Lichtbahn einer Energiesalve. Eiskralle hatte sich ebenfalls vor dem her anbrausenden Gleiter in Sicherheit gebracht. Das Fahrzeug war zwischen uns hindurchgeschossen. Eiskralles Schuß erwischte es am Heck. In dem flachen Aufbau des Gleiters erschien ein Loch von der Größe eines Män nerkopfes, mit glühenden, gezackten Rändern. Das Fahrzeug begann zu taumeln. Der Pilot brachte es noch fertig, seine Fahrt etwa auf ein Drittel des ursprünglichen Wertes zu verringern; aber dann war es mit seiner Kunst zu Ende. Die Linse schlug auf, federte wieder in die Höhe, prallte ein paarmal auf den Boden zurück und barst schließlich. Eiskralle und ich eilten auf die Unglücksstelle zu. In dem Gewirr von Trümmerstücken und zerstreutem Gerät entdeckten wir auf den ersten Blick nichts, was wir als den Piloten des abgestürzten Fahrzeugs hätten identifizieren mögen. Plötzlich jedoch hörte ich Eiskralle einen halb er stickten Ruf der Überraschung ausstoßen. »Dort … links!« sagte er mit bebender Stimme. »Neben dem kleinen Busch!« Ich sah hin. Das Ding sah aus wie eine überdimensionale Wurst, die vom einen Ende her schon angeschnitten war. Es war knapp anderthalb Meter lang und an der umfangreichsten Stelle etwa einen halben Meter dick. Diese Stelle war eben das Ende, an dem die Wurst angeschnitten zu sein schien. Die Schnittstelle wies eine vielfältige Granulatur auf. In bleichgraue Materie eingesprenkelt befanden sich dort Substanzen ver schiedener Farbe. Aus den Seiten des Gebildes ragten dicht unterhalb der »Schnittstelle« tentakelartige, lange Arme hervor, insgesamt zwei, die an ihrem Ende mit dreifingrigen Greifzangen bewaffnet waren. Unterhalb des Ansatzes der Tentakel drang etwas Undefinierbares aus dem Körper, und am unteren Ende entwuchsen dem wurstähnlichen Körper schließlich zwei Paare von Gehwerkzeugen, ein kräftig entwickeltes unmittelbar hinter der Schnittstelle und ein etwas verkümmertes kurz vor dem sich rasch verjün genden Ende der Wurst. Der Anblick des Geschöpfs war so fremdartig, daß ich lange Zeit ratlos dastand und es anstarrte. Ich konnte nicht erkennen, ob es bekleidet war oder nicht. Wenn ja, dann war seine Kleidung von derselben bleichgrauen Farbe wie seine Haut, und man konnte nicht erkennen, wo die Nacktheit auf hörte und die Kleidung begann. Eiskralles Stimme schreckte mich aus meiner Nachdenklichkeit. »Welch ein häßliches Ding!« stieß er hervor. Er war eigenartig. Bei der Mehrzahl aller Gelegenheiten ein aufge schlossenes, tolerantes Wesen mit weltoffenen Ansichten, hatte er sich dennoch gewisse Vorurteile bewahrt. So zum Beispiel die Meinung, daß er
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bei niedrigen Temperaturen wie Glas zerbrechen und in der Wärme rasch zerlaufen würde. Oder die Ansicht, daß nur Geschöpfe von androidem Äu ßerem einen Anspruch darauf hatten, als schön betrachtet zu werden … abhängig natürlich davon, ob Eiskralle sie wirklich als schön empfand. Nichtandroide Wesen jedoch waren grundsätzlich häßlich oder gar ab scheulich, eine Nuancierung, der des Chretkors privater Maßstab zugrunde lag. Beim Anblick der abgeschnittenen Wurst konnte er, aufgrund seiner Einstellung, nicht anders empfinden, als er sich soeben ausgedrückt hatte. Er befand sich jedoch außerdem in einem Zustand hochgradiger Erre gung. Damit hatte ich nicht gerechnet. Er ließ es bei den abfälligen Worten nicht bewenden. Ich konnte nicht sehen, was er tat. Erst als er den Deflek torschirm abschaltete, was für sein Vorhaben notwendig war, erschien er in meinem Blickfeld. Aber da war es für ein Eingreifen schon zu spät. Er kniete an der Seite des bewußtlosen Wesens und packte es mit beiden Händen an dem rückwärtigen, sich verjüngenden Körperende. »Nicht …!« schrie ich auf. Aber Eiskralle hatte schon zugepackt. Durch den bisher reglosen Körper des Fremden ging ein Ruck. Er erstarrte zu Eis. Denn das war die unheim liche Fähigkeit, die dem Chretkor innewohnte, daß jedes Stück organi scher Materie, das er mit einem gewissen Griff seiner Hände erfaßte, alle ihm innewohnende Wärme verlor und auf der Stelle zu Eis wurde. Ich wollte ihn für seine Voreiligkeit schelten. Er aber sprang auf und sah sich um. Da er seinen Schirm ausgeschaltet hatte, konnte ich ihn deut lich sehen. Er starrte an mir vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde zeigte sein gläsernes Gesicht einen deutlich erkennbaren Ausdruck, eine Grimas se der Furcht. Ich hatte während der vergangenen Minuten die Szene ringsum völlig vergessen. Die Angst, die aus Eiskralles Augen leuchtete, erinnerte mich an die Fluggleiter der Fremden, die rings um uns in der Nacht schwebten und die Vorgänge ohne Zweifel beobachtet hatten. Ich wirbelte herum und sah sie auf uns zukommen. Sie flogen niedrig, kaum zwei Meter über dem Boden, und mit beachtlicher Geschwindigkeit. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu glauben, daß sie uns angreifen wollten. Ihrer Übermacht waren wir nicht gewachsen. Es trennten uns nur wenige Meter von einem dichten Gebüsch, in dessen Schatten wir Deckung finden konnten. Ich schaltete meinen Deflektorschirm ebenfalls aus und packte den vor Schreck erstarrten Chretkor am Arm. »Nichts wie weg!« schrie ich ihn an. Kopfüber, stürzten wir davon.
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5.
Das Leuchten auf der Kopfscheibe des ersten Wesens hatte schon vor eini ger Zeit den Farbton der Besorgnis angenommen. Ohne einen Laut von sich zu geben, lauschte es den Sendungen, die von den Fahrzeugen der Si cherheitsgruppe abgestrahlt wurden und es über die jüngsten Entwicklun gen informierten. Schließlich, als in der raschen Folge der Nachrichten eine kurze Pause eintrat, sah das Wesen auf. »Sie haben einen unserer Leute getötet«, sagte er ernst. »Sie …?« fragte Soon-Soon überrascht. »Es sind zwei – nicht nur einer, wie wir zuerst annahmen.« Der Umstand, daß ein Mann der Sicherheitsgruppe getötet worden war, schien für Soon-Soon von größerer Bedeutung zu sein als die Erkenntnis, daß es sich bei den Fremden nicht um einen, sondern um zwei Arkoniden handelte. »Aber sie sind auf dem Weg zur Falle?« erkundigte er sich eifrig. »Das nehmen wir an«, antwortete das erste Wesen. »Wir nehmen an? Wir wissen es nicht?« »Ganz richtig. Bisher konnten die Leute der Sicherheitsgruppe den Fremden leicht folgen. Sie hatten sich mit einer Art Feldschirm umgeben – unsere Leute nehmen an, daß es sich um einen Schirm handelte, der den für arkonidische Augen sichtbaren Teil des Spektrums ablenkt und seinen Träger daher für arkonidische Begriffe unsichtbar macht. Für unsere Orter geräte wurden sie dafür um so auffälliger. Das müssen sie gemerkt haben. Nach dem Zwischenfall schalteten sie die Schirme ab und verschwanden in einer Deckung, aus der sie bisher noch nicht wieder aufgetaucht sind.« »Von welchem Zwischenfall sprichst du?« Das erste Wesen schien sich erst jetzt zu besinnen, daß Soon-Soon an dem telepathischen Nachrichtenaustausch mit den Fahrzeugen der Sicher heitsgruppe nicht teilgenommen hatte. Er berichtete knapp von dem Ab schuß des Fluggleiters und dem Tod des Piloten. »Der Kosmos gönne ihm eine günstige Rekonfigurierung«, murmelte Soon-Soon summend. »Und zu Eis gefroren, sagst du?« »Ja. Eine unerklärliche Kraft hat ihm auch das letzte Quantum an Wär me aus dem Leib gezogen. Er wirkt wie jemand, sagen die Sicherheitsleu te, der eine Stunde lang in einem Tank voll flüssiger Luft gesteckt hat.« »Aber die Fremden haben den Weg zur Falle eingeschlagen?« wollte Soon-Soon wissen. »Ganz eindeutig. Als unsere Leute sie zuerst beobachteten, waren sie noch auf dem Weg hierher; aber dann bogen sie allmählich ab. Ich bin si
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cher, daß wir uns um sie vorerst nicht weiter zu kümmern brauchen. Wenn es soweit ist, tauchen sie ganz von selbst vor der Falle auf.« Soon-Soon musterte ihn, und das grünliche Leuchten seiner Kopfschei be zeigte ernste Besorgnis. »Verzeih mir, wenn ich nicht dasselbe Zutrauen habe wie du«, sagte er. »Erlaubst du mir, daß ich meine eigenen Vorkehrungen treffe?« Das erste Wesen schien überrascht. »Welch eine Frage? Wir sind alle gleichberechtigte Wissenschaftler. Wie hätte ich dir Vorschriften zu machen!« »Ich dachte, vielleicht … paßt es nicht in deinen Plan«, antwortete Soon-Soon zögernd. »Und dein Plan hat selbstverständlich Vorrang. Ich möchte mich ein wenig um die Gefangene kümmern. Ich möchte sicher stellen, daß alles in Ordnung ist, auch wenn die beiden Arkoniden aus Versehen plötzlich hier auftauchen sollten.« »Das ist dir unbenommen«, erklärte das erste Wesen. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Unser Vorstoß sollte eine kühl ge plante, mit Bedacht und ohne Hast ausgeführte Unternehmung sein. Jetzt jedoch stoben wir durch das Gebüsch, wie von den Furien gehetzt, und jeder Meter, den die Fahrzeuge der Verfolger hinter uns blieben, er schien uns eine völlig unverdiente Gunst des Schicksals. Wir hatten es gut getroffen. In der Richtung, die wir eingeschlagen hat ten, als wir uns von der Leiche des Fremden entfernten, gab es kleine Wal dungen und jede Menge Gebüsch. Nach einer halben Stunde hatten wir guten Grund zu glauben, daß die Verfolger unsere Spur endgültig verloren hätten. Kein einziges Fahrzeug befand sich mehr in unserer Nähe. Soweit wir sehen konnten, hatten sich die Fluggleiter annähernd gleichmäßig über die Strecke verteilt, die zu dem Punkt führte, von dem die Signale von Far nathias Kodegeber jetzt ausgingen – dem Ort also, von dem wir annah men, daß er eine Falle sei. Sie erwarteten also nach wie vor, uns auf die sem Weg zu finden, und das war ein nicht unbedeutender Erfolg unserer Taktik. Gleichzeitig bedeutete es freilich, daß wir keine Zeit verlieren durften. Die Fremden würden uns eine gewisse Zeitspanne vorgeben, innerhalb de ren wir in der Nähe ihrer Falle auftauchten. Wenn wir diese Erwartung nicht erfüllten, würden sie Alarm schlagen und andernorts nach uns zu su chen beginnen. Bis es soweit war, mußten wir unser wahres Ziel also er reicht und Farnathia befreit haben. Trotzdem packte ich Eiskralle, der keuchend vor mir herstürmte, schließlich bei der Schulter und zwang ihn anzuhalten. »Warum hast du die Wurst umgebracht?« herrschte ich ihn an. In seinen Augen stand noch immer derselbe Ausdruck von Furcht, den ich an ihm bemerkt hatte, als er sich auf den Fremden stürzte.
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»Ich … ich weiß es nicht!« stieß er hervor. »Es war … etwas in mir … ich mußte es einfach tun. Der Fremde war in eine Aura von Gefahr gehüllt … ich …« Er hob die Hände und starrte sie an – sie, in denen eine solch unglaubli che Kraft wohnte –, als sähe er sie zum ersten Mal. Ich wußte nicht, was in ihn gefahren war. In einer Lage wie der unseren war es sicher nicht ge schickt, ihm wegen seines Verhaltens langatmige Vorwürfe zu machen. Er hatte sie verdient, daran bestand kein Zweifel. Aber im Augenblick hatte die Taktik eindeutig den Vorrang. Mein Hodometer wies aus, daß wir nur noch knapp einen Kilometer von dem Ort entfernt waren, an dem wir Far nathia vermuteten. Wenn wir sie befreit und in Sicherheit gebracht hatten, dann erst war es an der Zeit, dem Chretkor Vorhaltungen über sein barba risches Verhalten gegenüber Fremdintelligenzen zu machen. Wir drangen weiter vor. Das Gelände war wie für uns gemacht. Es gab dichtes Gebüsch und kleine Gruppen von Bäumen, die dicht beieinander standen. Die Nacht war durchdrungen von dem düsteren, roten Licht, das die Fremden während der Nacht zur Beleuchtung ihrer Stadt verwendeten. Die Versuchung war groß, das schummrige Halbdunkel als einen weiteren Vorteil auf unserer Seite zu sehen. Ich jedoch meinte, daß die Augen der Fremden anders beschaffen waren als die unseren und daß sie eben in die sem Licht genauso gut sehen konnten wie wir bei strahlendem Sonnen schein. Wir waren also nach wie vor einzig und allein auf die Deckung an gewiesen, die die Büsche und Bäume uns gewährten. Es sah so aus, als befänden wir uns in einem Park, in dessen Innerem das Gebäude lag, in dem Farnathia gefangengehalten wurde. Daß es sich um ein Gebäude handeln müsse, daran hatte es für mich bislang nicht den geringsten Zweifel gegeben. Und als wir schließlich den Rand eines Wäld chens erreichten und auf eine mit niedrigem Gebüsch bestandene Lichtung hinauslugten, da wußte ich, daß ich recht gehabt hatte. Etwa zweihundert Meter von uns entfernt erhob sich das umfangreichste Gebäude, das ich auf dieser Welt bis jetzt gesehen hatte. Es besaß die übliche Form, langge streckt, oval, mit steil aufragenden, leicht geneigten Wänden, die in der Höhe einen messerscharfen First bildeten. Nur hier und dort waren die Wandflächen von kleinen Fensteröffnungen durchbrochen. Das Gebäude hatte eine Länge von mehr als einhundert Metern und war wenigstens dreißig Meter hoch. Gemessen an allem, was wir bisher gese hen hatten, war es ein Gigant unter den Bauten dieser Welt, und der Um stand, daß aus sämtlichen Fensteröffnungen, so wenige es auch sein moch ten, Licht schimmerte, tat ein übriges, um uns klarzumachen, daß es sich hier nicht nur um ein großes, sondern auch um ein wichtiges Gebäude han delte. Bei näherem Hinschauen entpuppte sich ein in Bodennähe gelegenes,
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größeres Fenster als Eingang. Ich faßte ihn schärfer ins Auge, versuchte, in der matten Helligkeit, die aus der Öffnung hervorleuchtete, die Bewe gung fremder Gestalten zu erkennen. Aber es regte sich nichts. Das Bau werk war erleuchtet, aber ansonsten schien es genauso ausgestorben wie alle anderen Häuser der Stadt. »Wir versuchen, dort einzudringen«, flüsterte ich Eiskralle zu und deu tete auf den Eingang. »Ich an deiner Stelle würde mich zuerst umsehen«, raunte er. Ich hatte keine Ahnung, wonach ich mich hätte umsehen sollen. »Sie bauen mit leichtem Material«, fuhr Eiskralle fort. »Kaum beständi ger als Holz. Ihre Türen können keinem ernsthaften Eindringling nennens werten Widerstand leisten. Sie werden also Monitoren eingebaut haben, die die Ankunft eines jeden Unbefugten anzeigen.« Eiskralle hatte bessere Augen als ich. Ich hegte keinen Zweifel an seiner Einschätzung des Baumaterials. Diese Welt schien ein überdurchschnitt lich warmes Klima zu besitzen. Verwundernswert wäre es nicht, wenn man hier leicht baute. Und des Chretkors Schlußfolgerungen ergaben ebenfalls Sinn. Wenn die Türen schon nicht standhaft genug gebaut waren, dann mußte man zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen anbringen, um sich gegen unerwünschte Eindringlinge zu schützen. In dem Augenblick, in dem wir uns durch das düster erleuchtete Portal Bahn brachen, würden wahrscheinlich im ganzen Gebäude die Alarmsirenen zu schrillen begin nen – oder was sonst auch immer die Fremden anstelle von Sirenen be nutzten. »Also … was schlägst du vor?« fragte ich. »Rundgang«, antwortete der Chretkor knapp. Er wartete meine Antwort erst gar nicht ab, sondern setzte sich sofort in Bewegung. Am Rande des Waldes entlang begannen wir, das große Ge bäude zu umrunden. Meine Unruhe wuchs stetig, denn nach meiner Schät zung war der Augenblick bald gekommen, in dem die Fremden uns in der Nähe der Falle auftauchen zu sehen erwarteten und unruhig werden wür den, wenn wir uns nicht zeigten. Eiskralle dagegen war plötzlich die Ruhe selbst. Er war der geborene Späher, und keine Aufgabe konnte man ihm mit größerer Zuversicht anvertrauen als die, eine Lage auszukundschaften, ein Versteck zu finden oder einen Zugang zu einem sorgfältig geschützten Ort zu ermitteln. Der Erfolg ließ auch nicht lange auf sich warten. Ich schlich unruhig und ungeduldig vor mich hin und achtete wenig auf die Umgebung, da streckte Eiskralle plötzlich die Hand aus und hielt mich an. »Sieh dort!« zischte er. Ich blickte auf. Sein ausgestreckter Arm wies auf einen riesigen Baum. Er mußte uralt sein und war der einzige seiner Art in unmittelbarer Nähe
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des Gebäudes. Seine Äste, die zum Teil selbst wiederum die Stärke ausge wachsener Baumstämme besaßen, ragten an einigen Stellen bis auf wenige Meter an die steil aufstrebenden Wände des Bauwerks hinan. Ein Ast wies geradewegs auf eines der spärlichen Fenster. Ich begriff sofort, was der Chretkor meinte. »Der dicke Ast, nicht wahr?« stieß ich hervor. »Er reicht bis auf wenige Schritte an das Fenster heran!« Ich konnte sein Gesicht nicht genau erkennen, aber es kam mir so vor, als grinste er hämisch. »Wie weit kannst du springen, Atlan?« fragte er. »Fünf, sechs Meter … mit ausreichendem Anlauf«, antwortete ich. »Das dort sind wenigstens sieben. Anlauf gibt es nur auf dem Ast, und der ist nicht besonders gerade. Möchtest du es wagen?« Jetzt war der Spott unüberhörbar. »Immerhin sind es höchstens zwölf Meter bis auf den Bo den!« »Also was dann!« stieß ich ungeduldig hervor. »Siehst du den Ast darüber?« Ich sah ihn. Er war dünn, ragte nicht annähernd so nahe an das Gebäude heran wie der dickere, tiefere und schien von Schmarotzerpflanzen befal len zu sein, die unordentlichen Haaren gleich in die Tiefe hingen. »Den …?« fragte ich ungläubig. »Den mit den Fransen«, bestätigte Eiskralle. »Die brauchen wir näm lich, um durch das Fenster zu kommen.« Mir ahnte Schlimmes. »Affen spielen?« erkundigte ich mich. »Natürlich«, kicherte er. »Affen spielen! Anders schaffen wir es nicht.« Wir hätten uns die Mühe sparen können, wenn wir mit flugfähigen Kampfanzügen ausgestattet gewesen wären. So jedoch trugen wir unsere normalen Monturen und dazu noch die Aggregate des Deflektors um die Schultern geschnallt. Mir kam das ganze Unternehmen höchst riskant vor. Es blieb mir jedoch nichts anderes übrig, als mich voll und ganz auf den Chretkor zu verlassen. Er war Spezialist in solchen Dingen. Der mächtige Stamm des Baumes bot uns genug Angriffspunkte, so daß wir nahezu mühelos bis auf den Ast gelangten, den Eiskralle sich ausge sucht hatte. Wir tasteten uns so weit vor, wie das Holz uns tragen wollte. Als der Ast sich bedrohlich unter unserem Gewicht zu biegen begann, wies der Chretkor auf eine der langen, dicken Lianen und zischte mir zu: »Daran hinab … so weit du kannst!« »Und du?« fragte ich ohne Begeisterung. »Ich setze das Ding in Schwung, dann komme ich nach.« Ich war ein wenig benommen von der wenig verlockenden Aussicht, im nächsten Augenblick rund achtzehn Meter tief zu stürzen. Ohne zu fragen,
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tat ich einfach, was Eiskralle mir auftrug. Ich packte die Liane wie ein Seil und turnte daran hinab. Das dicke, zähe Gewächs ertrug mein Gewicht mühelos. Es bewegte sich kaum, während ich daran nach unten kletterte. Ich kam in einiger Entfernung an dem Ast vorbei, den ich mir ursprünglich ausgesucht hatte. Ein paar Meter weiter unten war die Liane so dünn, daß ich es für besser hielt anzuhalten. Ich bemerkte, wie Eiskralle mit ruckarti gen Bewegungen versuchte, die Schlingpflanze in Bewegung zu bringen. Er brauchte eine Zeitlang, aber schließlich hatte er Erfolg. Die Liane be gann, wie ein Pendel zu schwingen. Ich bewegte mich abwechselnd auf die Wand des Gebäudes zu und dann wieder von ihr weg. Mit geschickten Bewegungen vermochte der Chretkor die Amplitude des Pendels allmäh lich zu vergrößern, bis ich, am unteren Ende der Schlingpflanze hängend, beim weitesten Ausschlag nur noch wenige Meter von dem Fenster ent fernt war, das wir uns als Einstiegsmöglichkeit ausgesucht hatten. Dahinter waren im matten Licht die Umrisse eines zum größten Teil leeren Raumes zu erkennen. Nichts bewegte sich darin. Ich versuchte aus zumachen, welche Art von Materie die Fremden für ihre Fenster verwen deten. Es schien keinen Rahmen zu geben, und der Durchblick war, wenn man die geringe Intensität des Lichts in Betracht zog, erstaunlich klar. Ich gelangte zu dem Schluß, daß es überhaupt kein Fenstermaterial gab. Das Fenster war einfach eine Öffnung in der Wand, ohne Scheibe! Die Schwingungen des Pendels wurden abrupt langsamer. Ich blickte in die Höhe und erkannte, woher das kam. Der Chretkor hing nun ebenfalls an der Liane und hangelte sich zu mir herab. Dabei krümmte und streckte er sich jedoch im Rhythmus des schwingenden Pendels, so daß die alte Ausschlagweite bald wiederhergestellt war. »Keine Fensterverkleidung«, raunte Eiskralle mir zu, als er dicht über mir angekommen war. »Das hilft uns!« Ich hatte die Beobachtung ebenfalls gemacht, war jedoch meiner Sache keineswegs so sicher, wie er es zu sein schien. Im Geiste sah ich uns schon springen und gegen ein undurchdringliches Hindernis prallen, wonach der Sturz in die Tiefe eine unausbleibliche Folge war. »Achtung jetzt!« zischte der Chretkor. Ich hatte keine Ahnung, was er wollte, und fragte mich verzweifelt, was er beabsichtigte. Da, von einer Zehntelsekunde zur andern, kam mir die Erleuchtung. Das Holz einer Schlingpflanze ist gewiß kein guter Wärme leiter, und dennoch spürte ich den Kälteschock, der die Liane plötzlich durchfuhr. Eiskralle hatte seine unheimlichen Kräfte mobilisiert. Ich hörte es über mir knistern und krachen, als das zu Kristall erstarrte Holz brach und sich der untere Teil der Liane vom Rest der Schlingpflanze löste. Eiskralle hatte genau den richtigen Augenblick abgepaßt. Wie ein Ge schoß flogen wir auf die Fensteröffnung zu. Ich duckte mich instinktiv, um
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mit Kopf und Schultern nicht gegen die obere Umrahmung des Fensters zu prallen. Einen halben Atemzug später schlug ich schwer zu Boden. Wir waren angekommen. Ich überschlug mich mehrmals, und die Luft wurde mir aus den Lungen geprellt, aber schließlich kam ich an einer Wand zur Ruhe. Benommen richtete ich mich auf. Mitten in dem leeren Raum lag ein Stück Liane, das an seinem dicken Ende ein häßliches, graues Ausse hen hatte. Seitwärts davon stand der Chretkor und grinste. »Gut gelandet, wie?« erkundigte er sich. »Gelandet«, wies ich die Unterstellung zurück. »Über die Qualität der Landung wollen wir nicht reden.« Er hörte mir gar nicht zu. Er lauschte jetzt. In den Tiefen des Gebäudes war es still. Ich blickte mich um und sah, daß der Raum, in dem wir uns befanden, sich zu beiden Seiten trichterförmig verengte. Die Trichter führ ten rechts und links in einen Gang, der gerade so hoch war, daß wir uns gebückt darin bewegen konnten. Die Beleuchtung der Gänge war nicht in tensiver als die des Zimmers. Man konnte gerade noch erkennen, daß der Korridor zur Rechten geradlinig an der Außenwand des Gebäudes entlan glief, während der andere sich allmählich einwärts neigte. »Dorthin!« entschied Eiskralle und deutete in den gekrümmten Gang hinein. Ich folgte ihm. Der Gang hatte einen kreisförmigen Querschnitt und durchmaß nur wenig über anderthalb Meter. Das Licht schien aus den Wänden zu kommen. Sie glühten in magischem Rot, ohne jedoch dabei Hitze auszustrahlen. Das Innere des Gebäudes war eine magische Welt, die uns um so mehr verwirrte, je weiter wir vordrangen. Zum erstenmal kam uns so richtig zum Bewußtsein, wie fremdartig die Zivilisation dieser Welt in Wirklichkeit war. Von Zeit zu Zeit gab es in den runden Wänden des Ganges Öffnungen. Sie stellten die verjüngten Enden von Trichtern dar, die jenem glichen, durch den wir gekommen waren. Jede Öffnung führte in einen Raum. Die Räume waren von verschiedener Größe und verschiedener Form, aber ei nes war ihnen allen gemeinsam – sie waren leer. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß die Fremden völlig ohne Mobiliar auskommen«, sagte ich, nachdem wir den sechsten leeren Raum inspiziert hatten. »Freilich nicht«, antwortete Eiskralle. »Es gibt nur eine Erklärung: Das Gebäude ist neu und erst zum geringsten Teil in Betrieb genommen wor den.« Der Gedanke erschien einleuchtend – und erschreckend zugleich. »Oder vielleicht überhaupt noch nicht!« mutmaßte ich. »Falsch!« korrigierte mich der Chretkor. »Einen Verwendungszweck hat man wenigstens schon gefunden.«
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»Welchen …?« fragte ich verblüfft.
»Man bewahrt eine entführte Arkonidin hier auf!«
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6.
Der Gang wand sich in schlangengleichen Windungen durch das Innere des Gebäudes. Treppen oder Rampen schien die fremde Zivilisation nicht zu kennen. Die Prinzipien ihrer Architektur waren denen der unseren so fremd, daß wir Sinn und Zusammenhang der Räumlichkeiten dieses Bau werks nicht enträtseln konnten. Das alles wirkte so verspielt und nutzlos. Aber ich habe schon bei vielen Begegnungen mit fremden Sternenvölkern erlebt, daß der eine für sinnlos hält, worin der andere einen wichtigen, tieferen Sinn sieht. Ich ließ das fremdartige Bild einfach auf mich wirken, ohne ein Urteil darüber zu fällen. Wir hatten etwa zwei Dutzend leerer Räume der verschiedensten Grö ßen und Gestalten zu sehen bekommen. Alle waren leer, und nirgendwo gab es eine Spur von Farnathia. Ich wurde zuerst mißmutig und dann ver zweifelt. Wie, wenn wir doch irregegangen waren? Wenn sich wirklich niemand in diesem Gebäude aufhielt? Wenn sich das Mädchen doch dort befand, woher die Signale ihres Kodegebers kamen? Eiskralle beobachtete mich. Als mir die Verzweiflung deutlich genug auf dem Gesicht geschrie ben stand, sagte er herausfordernd: »Warum tust du nicht das Einfachste?« »Was ist das Einfachste?« fuhr ich ihn unwillig an. »Rufen!« Er wartete nicht auf meine Entscheidung, sondern legte selbst die Hände von beiden Seiten trichterförmig an den Mund und rief laut und deutlich: »Farnathia …!« Und das Wunder geschah! Von irgendwoher kam Antwort, ein schwa ches, Ungewisses Geräusch zunächst, aber dann, als wir uns an der Rich tung orientierten, aus der es kam, immer lauter, immer deutlicher, bis ich schließlich Farnathias Stimme erkannte und ein paar Augenblicke später auch die Worte verstand: »Hier … Atlan … hier …!« Da gab es für mich kein Halten mehr. Gebückt rannte ich den kreisrun den Gang entlang, bis ich schließlich vor der Trichtermündung stand, aus der ihre Rufe hervordrangen. Ich zwängte mich hinein, fiel auf die Hände, um auf allen vieren rascher vorwärtszukommen, und sah aus den Augen winkeln den Chretkor, der sich mir dicht auf den Fersen hielt und, voraus schauender als ich, seine Waffe schußbereit in der Hand hielt. Der Raum war oval, anscheinend die bevorzugte Grundrißform der Fremden, und leer. Das heißt, in der Nähe der weiten Trichtermündung stand Farnathia. Ihre Miene reflektierte den Kummer und die Sorge, die sie sich gemacht hatte. Tränen standen in ihren Augen, als sie mich er
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kannte. Sie stieß ein trockenes Schluchzen aus und kam mir entgegen. Ich rannte auf sie zu und barg sie in meinen Armen. Lange Zeit standen wir einfach da, wortlos, ich ihre Haare streichelnd, ihr Gesicht an meiner Schulter geborgen. Es gab nichts zu sagen. Wir hat ten sie gefunden. Das war das Wichtigste. Die nächste Frage war, ob wir sie heil aus diesem Gebäude herausbringen würden. Plötzlich hörte ich hinter mir eine leicht spöttische Stimme. Der Chret kor natürlich! Er meinte wohl, lange genug geduldig hinter uns gestanden zu haben. Da verstand ich erst, was er sagte: »Ihr beide wendet euch am besten wieder den nüchternen Dingen zu! Es scheint sich etwas getan zu haben.« Ich fuhr herum und sah auf den ersten Augenblick, was er meinte. Vor der Trichtermündung, durch die wir hereingekommen waren, lag ein wa berndes, durchsichtiges Flimmern. Es bedurfte keiner besonderen Vorstel lungskraft, zu erkennen, daß es sich um ein energetisches Feld handelte. Eiskralle trat sofort den Beweis dafür an. Aus einer der zahllosen Taschen seiner Montur zog er einen Gegenstand. Ich konnte nicht sehen, was es war. Er schleuderte das Objekt in Richtung des Trichters. Es prallte gegen das flammende Gebilde und stürzte kraftlos zu Boden. »Ein einfaches Prallfeld«, ließ sich der Chretkor fast verächtlich hören. »Es ist ungefährlich. Vielleicht können wir versuchen, wie weit es in die Wand zu beiden Seiten des Trichters hineinreicht.« In diesem Augenblick meldete sich eine fremde, seltsam klingende Stimme zu Wort. »Nein, das könnt ihr nicht«, sagte sie in einwandfreiem Arkonidisch, wenn auch mit ungewöhnlich hohem und fremdartig singendem Tonfall. »Wir haben uns dagegen gesichert.« Die Worte schienen aus der Höhe zu kommen. Wir alle rissen die Köpfe in den Nacken und blickten auf. Dann merkten wir, daß die fremdartige Akustik des ovalen Raumes uns getäuscht hatte. Die Stimme kam in Wirk lichkeit vom anderen Ende des Zimmers. Eiskralle stieß einen schrillen Schrei aus. Auch mich durchfuhr beim Anblick des fremden Geschöpfs derselbe Impuls wie kaum eine Stunde zuvor, als wir den abgestürzten Pi loten gesehen hatten: eine atavistische Mischung aus Furcht und Abscheu. Lediglich Farnathia verhielt sich ruhig – ein Zeichen dafür, daß sie mit den Unbekannten schon des öfteren Kontakt gehabt hatte. Der Fremde sah so aus wie der Pilot: eine angeschnittene Wurst, andert halb Meter lang, mit langen Tentakeln, die dicht hinter dem flachen, brei ten Körperende aus dem Körper drangen, Knorpelstücken dicht darunter, vier Füßen und einem konisch zulaufenden Hinterteil. Der Fremde war weder bewaffnet, noch schien er eine Waffe zu tragen. Einen Unterschied zwischen ihm und dem Piloten bemerkte ich jedoch
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bald: Er trug oben auf dem Körper ein kleines, kastenförmiges Gerät, und als er von neuem zu sprechen begann, drang die fremdartige, singende Stimme eben aus diesem Kasten. Es gab keinen Zweifel – es mußte sich um einen Translator handeln. Die Fremden waren früher schon mit Arko niden in Berührung gekommen, und ihre elektronischen Geräte beherrsch ten unsere Sprache! Die Erkenntnis hatte keinerlei Gelegenheit, beruhigende Gefühle in mir auszulösen. Denn was der Fremde zu sagen hatte, lautete: »Mein Name würde von euch wie Soon-Soon ausgesprochen werden. Ich bin ein Skine und arbeite und lebe in diesem Gebäude. Ihr aber seid meine Gefangenen!« Eiskralle stieß ein drohendes Knurren aus. Ich griff hinter mich und hielt ihn mit einer Hand zurück. Seine hemmungslose Wut war hier fehl am Platze. Wir durften nicht vergessen, daß die fremde Technologie der unseren um ein paar Jahrtausende voraus war. Man mußte mit Überlegung vorgehen. »Mein Name ist Atlan«, antwortete ich auf die Erklärung des Skinen. »Wir sind Arkoniden, wie du richtig vermutet hast. Wir sind nicht gewillt, uns als deine Gefangenen zu betrachten.« Es funkelte auf der runden, flachen Scheibe, in der der Vorderteil seines Körpers endete. Die Einsprenklungen, die wir auch schon auf der Front scheibe des verunglückten Piloten gesehen hatten, besaßen die Fähigkeit, aus eigener Kraft zu leuchten. Es gab verschiedene Farben, aber das Blau herrschte vor. »Ich wüßte nicht, wie ihr euch gegen das Gefangensein wehren könn tet«, erklang die singende Stimme aus dem Translator. Ich griff zum Gürtel und zog den Strahler hervor. Spielerisch wog ich ihn in der Hand. »Mit diesem hier«, antwortete ich ruhig. »Ich glaube nicht, daß du die ser Waffe viel entgegenzusetzen hast. Wenigstens im Augenblick nicht.« Es gab nichts, woran ich hätte erkennen können, daß er erschrak. Auch seine nächsten Worte stellten für mich eine völlig ungewöhnliche Reakti on dar. »Verzeih mir, daß ich mich falsch ausdrückte«, sagte er. »Selbstverständlich seid ihr nicht meine Gefangenen. Ihr seid überhaupt keine Gefangenen. Ihr seid appropriiert, und zwar nur vorübergehend. Nicht für mich, sondern für das Projekt.« Natürlich wußte ich nicht, wovon er sprach. Ich brachte meine Einwän de der Reihe nach vor. »Appropriiert ist genauso gut wie gefangen!« behauptete ich. »Siehst du!« antwortete er naiv. »Deswegen konnte mein Translator zwischen den beiden Begriffen nicht unterscheiden.«
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»Und wir weigern uns noch immer, uns als Gefangene zu betrachten.« »Aber seht doch nur das Schirmfeld, das vor dem Eingang liegt!« rief er aus dem Translator. Das Gerät war so vorzüglich, daß es Emotionen mit in seine Übersetzungen einflechten konnte. Der Skine gab sich verwundert und ratlos zugleich, weil wir – nach seiner Meinung – zu dumm waren, um zu begreifen, daß wir gefangen waren, ob wir nun wollten oder nicht. Ich richtete die Mündung meines Blasters auf die Mitte seines Leibes. Ich nahm an, daß einer oder mehrere der bunten Einschlüsse in seiner Kopfscheibe Sehorgane darstellten und daß er ohne Schwierigkeit beob achten konnte, was ich tat. »Genug mit dem Unsinn«, sagte ich hart. »Entweder du sorgst dafür, daß der Feldschirm sofort verschwindet und man uns drei ungehindert zu unserem Raumschiff zurückkehren läßt, oder du wirst dir in Zukunft über haupt keine Sorgen mehr zu machen brauchen.« Eine Zeitlang war er still, dann meldete sich der Translator von neuem zu Wort, diesmal im Tonfall der interessierten Verwunderung. »Du willst mich also töten!« Er beabsichtigte es gewiß nicht – aber die Art, wie die Feststellung aus gesprochen wurde, klang verletzend. Er kam mir vor wie ein Zoologe, der eine tropische Ameise auf die Handfläche gesetzt hat und zu ihr sagt: So, du willst mich also beißen. Ich geriet einen Augenblick aus dem Gleichge wicht, und diese kurze Zeitspanne nutzte er, um fortzufahren: »Es hätte dir auffallen sollen, daß wir von dem Toten, den ihr draußen erzeugt habt, noch kein Wort sprachen.« Ich horchte auf. Was war das für eine Ausdrucksweise. Einen Toten er zeugt! Wir hatten einen Skinen getötet – im Affekt, war ich bereit, Eiskral le zugute zu halten. Allein in der Ausdrucksweise schien sich der himmel weite Unterschied zwischen unserer Denkweise und der der Skinen anzu deuten. »Ich weiß, daß die meisten primitiven Rassen den Tod fürchten und den, der Tote erzeugt, verachten und bestrafen«, fuhr Soon-Soon fort. Wie geschickt er zu verletzen verstand. Wir Arkoniden primitiv? »Euch ist die Erkenntnis noch nicht zuteil geworden, daß der Kosmos von der Substanz des Seins niemals etwas verliert. Die Summe der drei Erscheinungsformen des Seins, nämlich Seele, Energie und Materie, ist für alle Zeiten konstant. Derjenige, der den Tod erleidet, wie ihr euch ausdrückt, geht doch nicht etwa verloren. Seine Substanz wird umgruppiert. In einer neuen Form fährt er fort, ein Bestandteil des Kosmos zu sein. Wer dies erkennt, dem kommt alle Abscheu, alle Furcht vor dem Tode abhanden. Er empfindet das Sterben als einen ebenso natürlichen Vorgang wie das Atmen, das Se hen und das Geborenwerden. Und du willst mich schrecken, indem du mir mit deiner Waffe drohst?«
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Der Fremde war verrückt! Ich durfte mich von ihm nicht irremachen lassen. Er bluffte nur! »Ich gebe dir fünf Sekunden Zeit!« schrie ich ihn an. »Du weißt, was fünf Sekunden sind?« »Etwa drei Miniskopen«, antwortete er gelassen. »Erkenne ich nach fünf Sekunden kein Anzeichen dafür, daß man das Schirmfeld entfernt, werde ich dich töten … ob du den Tod fürchtest oder nicht!« »Und danach noch immer gefangen sein«, verspottete er mich. Ich begann zu zählen. Es ist ein eigenartiges Fluidum, das von einem Wesen ausgeht, das dem Tod gelassen ins Auge sieht. Ich konnte mir denken, daß der Skine jetzt lä chelte, obwohl ich nicht wußte, wie auf seiner Kopfscheibe das Äquivalent eines menschlichen Lächelns auszusehen hatte. Und in demselben Maße, in dem er seine Gelassenheit ausstrahlte, bis sie den oval geformten Raum schließlich ganz zu erfüllen schien, in demselben Maße schrumpfte meine Wut, fiel mein Zorn in sich zusammen. Die fünf Sekunden waren längst vergangen, und ich hatte den Strahler nicht abgefeuert. Ich kam mir dumm und lächerlich vor. Ich senkte die Hand mit der Waffe und sah zu Boden. »Du gewinnst«, sagte ich dumpf. »Wenigstens vorerst. Die Verantwor tung für das, was nun kommt, fällt auf dich.« »Ich trage sie«, antwortete er. »Wir fürchten uns nicht vor den Geschüt zen deines Raumschiffs.« Ich erschrak. Konnte er meine Gedanken lesen? Ich hatte wirklich an Fartuloon gedacht und daran, daß es ihm mittlerweile gelungen sein müs se, das Fesselfeld in der Nähe einer der Geschützmündungen zu beseiti gen. Waren die Skinen natürliche Telepathen? Ich erfuhr später, daß sie die Kunst des Gedankenlesens nicht beherrschten. Über kurze Strecken hinweg bedienten sie sich zur Nachrichtenübermittlung telepathischer Si gnale. Aber die gingen nicht von ihren Gehirnen aus, sondern von Sende geräten, die die Signale auf elektronisch-mechanische Art und Weise er zeugten. Auch zum Empfang der Impulse wurde ein Umsetzer benötigt, der die Telepathie wieder in akustisch oder anderswie wahrnehmbare In formationen verwandelte. Soon-Soons Schlußfolgerung beruhte nicht auf übersinnlichen Fähigkeiten, sondern allein auf seiner überragenden Intelli genz. All dies war mir jedoch im Augenblick noch nicht klar. »Ich verlange zu wissen, was es mit diesem Projekt auf sich hat, von dem du sprachst«, fuhr ich fort. »Für welchen Zweck sind wir, wie du sagst, appropriiert worden?« »Wir Skinen«, antwortete er bereitwillig, »sind ein Volk von Wissen schaftlern. Der Drang, das Universum zu erforschen, ist uns angeboren.
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Wir bearbeiten eine ungeheure Menge von Fachgebieten. Meines ist die Erforschung der Bewußtseine der intelligenten Wesen, die dieses Univer sum bevölkern. Ich brauche euch, um ein Abbild eures Bewußtseins her zustellen.« »Wie wird das gemacht?« »Wir haben Geräte dazu«, antwortete er einfach. »Ich glaube, du wür dest ihre Wirkungsweise nicht verstehen.« Ich schluckte auch diese Beleidigung. »Ist die Herstellung des Abbilds mit Schmerzen oder gar Gefahren ver bunden?« wollte ich wissen. »Mit Schmerzen auf keinen Fall«, lautete seine Antwort. »Gefahren je doch gibt es, allerdings sind sie winzig. Unter tausend Fällen ereignet sich im Durchschnitt einer, bei dem das Bewußtsein des Versuchsobjekts für dauernd gestört wird. Es verbleibt dann in unserer Obhut und wird von uns versorgt, so daß es keine Not leidet.« Ein Schauder lief mir über den Rücken. Welche Diskrepanz zwischen dem erhabenen Glauben an die Unminderbarkeit des Kosmos und der un menschlichen Einstellung, die ein intelligentes Wesen als Versuchsobjekt bezeichnete. Ich erschrak von neuem vor den Aussichten, die sich hier vor uns auftaten. Ich nahm mir vor, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um Farnathia, Eiskralle und mich vor dem Schicksal zu bewahren, Studienob jekte der Skinen zu werden. Vor allen Dingen aber galt meine Sorge Far nathia. Von ihrem Bewußtsein durfte auf keinen Fall ein Abbild hergestellt werden. Sie hatte in jüngster Zeit viel durchgemacht. Ihre Seele hatte das übliche Gleichgewicht noch längst nicht wiedererlangt. Sie war weitaus mehr gefährdet als ich oder Fartuloon. Hier bot sich eine Möglichkeit! »Ich bin bereit, deinem Projekt zu dienen«, sagte ich zu Soon-Soon, »aber ich habe Bedingungen.« »Nenne sie!« forderte der Skine mich gelassen auf. »Und ich will sehen, ob ich darauf eingehen kann.« »Behalte mich hier und laß das Mädchen und diesen gläsernen Mann wieder an Bord unseres Raumschiffs zurückkehren. Als Ersatz für die bei den biete ich dir meinen alten Lehrmeister. Er ist im Schiff und wird sich dir ausliefern, wenn wir uns einigen können.« Soon-Soon überlegte kurz. »Ich nehme an«, erklärte er sodann. »Wenn du einen Lehrmeister hast, dann ist sein Bewußtsein für mich von größerem Interesse als das des Mädchens oder des durchsichtigen Mannes an deiner Seite.« Das ging so einfach, daß ich mißtrauisch wurde. »Ich warne dich, falls du betrügerische Absichten haben solltest«, ent fuhr es mir. »Fartuloon wird erst hierherkommen, wenn feststeht, daß Far
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nathia und Eiskralle ungehindert zurückkehren können.« Aus seiner Antwort entnahm ich, daß er meine Warnung nicht verstand. »Was du sagst, ergibt keinen Sinn«, drang es aus dem Translator. »Ich habe dein Angebot angenommen, also werden wir nach deinem Angebot handeln.« »Farnathia und Eiskralle sind frei?« fragte ich hastig. »Noch nicht«, wehrte er ab. »Erst möchte ich die Zusicherung deines Lehrmeisters, daß er sich dem Projekt zur Verfügung stellt. Ich nehme an, ihr verfügt über die notwendigen Kommunikationsmittel …« Auf diese Gelegenheit hatte ich gewartet. Diese Chance brauchte ich, um meinen Plan in Gang zu setzen. Ich aktivierte meinen kleinen Sender und rief nach Fartuloon. Der Empfänger war auf höchste Lautstärke ge stellt, so daß Soon-Soon die Antworten des Alten hören konnte. »Allen Göttern sei Dank!« stieß er hervor, als er meine Stimme hörte. »Wo steckst du, mein Junge? Wie …« »Hör zu!« unterbrach ich ihn scharf. Dann schilderte ich mit knappen Worten unsere Erlebnisse während der vergangenen Stunde. Ich sprach von Soon-Soons Projekt und erläuterte das Angebot, das ich gemacht hat te. »Also mich willst du gegen Farnathia und Eiskralle eintauschen«, knurrte Fartuloon. »Natürlich bleibt mir nichts anderes übrig, als deinem Wunsch zu entsprechen; aber glaube nur nicht, daß ich begeistert bin!« Er meinte es nicht so. In Wirklichkeit hätte er sein Leben für Farnathia bedingungslos in die Schanze geschlagen. Aber jetzt hatte ich ihn da, wo ich ihn brauchte. Jetzt kam der entscheidende Augenblick. Etwas langsa mer als bisher sagte ich: »Es tut mir leid, Alter. Ich dachte zuerst an Singtauman. Aber alles in allem gerechnet, bist du für die Skinen doch das tauglichere Versuchsob jekt.« Es war einen Atemzug lang still am anderen Ende. Dann hörte ich den Alten seufzen, und schließlich antwortete er, im Tonfall eines Mannes, der sich schweren Herzens in sein Schicksal ergibt: »Also schön, ich mache mich reisefertig. Jemand wird mir hoffentlich sagen, wohin ich mich zu wenden habe.« Das klang so unbeteiligt, so normal, daß ich nicht sagen konnte, ob Far tuloon nun meisterhaft schauspielerte oder ob er mich einfach nicht ver standen hatte.
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7.
Während der nächsten Stunde hielt die Ungewißheit unvermindert an. Ich hatte Fartuloon einen Geheimtip gegeben. Singtauman war nicht eine Per son, sondern eine halbzivilisierte Welt, im inneren galaktischen Sternenring, auf der Fartuloon und ich vor nicht allzu langer Zeit ein gefährliches Abenteuer bestanden hatten. Daß wir der Gefahr nicht nur lebend, sondern sogar unbeschädigt entgangen waren, verdankten wir einem Trick, den Fartuloon angewendet hatte. Wenn er mir richtig zugehört hatte, mußte er verstehen, daß ich denselben Trick auch hier wieder anzuwenden gedach te. Aber ich hatte keine Sicherheit, daß ich richtig verstanden worden war. Inzwischen hatten Farnathia und Eiskralle ihre Freiheit wiedererlangt. Das Energiefeld in der Nähe des Ausgangs war verschwunden. Zwei Ski nen waren hereingekommen, ebenfalls mit Translatoren bewaffnet, und hatten die beiden mit hinausgenommen. Auf meine Frage erklärte mir Soon-Soon, Farnathia und Eiskralle würden in je einem der kleinen linsen förmigen Fluggleiter in unmittelbare Nähe der POLVPRON gebracht und dort freigelassen werden. Der Skine erwartete, daß Fartuloon sich, sobald die beiden Freigelassenen an Bord gekommen waren, hierher auf den Weg machte. Die Lage des Gebäudes, in dem wir uns befanden, war dem Alten genau beschrieben worden. Er hatte es abgelehnt, sich in einem der skini schen Gleiter transportieren zu lassen, und wollte sein eigenes Fahrzeug benützen. Denn wenn mein Plan Erfolg haben sollte, dann brauchten wir ein Transportmittel, auf das wir uns verlassen konnten. Soon-Soon führte mich sodann durch leere, gewundene Gänge mit glü henden Wänden in einen anderen, größeren Raum des riesigen Gebäudes. Er unterschied sich von allen anderen, die ich bisher gesehen hatte, da durch, daß er eingerichtet war. Er war vollgepackt mit Geräten, deren Funktion ich nicht kannte und von denen ich nicht wußte, nach welchen Prinzipien sie arbeiteten. Ich sah nur, daß das Oval, das von allen geome trischen Figuren den Skinen die liebste zu sein schien, auch hier vor herrschte. Hier gab es nicht das ineinander verschachtelte Neben-, Überund Durcheinander von kubischen und kugeligen Formen, wie es in unse ren Labors und Schalträumen zu sehen war. Jedes Gerät, selbst der riesige Bildschirm, der an der Decke angebracht war, besaß ovalen Querschnitt. In der Mitte des Raumes standen zwei liegenähnliche Möbelstücke. Auf einem davon ruhte ein Skine, der in den Anblick des Bildschirms vertieft schien. Die Lichter auf seiner Kopfscheibe glommen in traulichem Rot. Ich hatte Gelegenheit festzustellen, daß die Farbe der Leuchtorgane auf der Kopfscheibe der Skinen mit ihrer Gemütsverfassung in Zusammen hang stand. Rot bedeutete Ausgeglichenheit, Blau Erregung. Die Intensität
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des Gefühls spiegelte sich in der Leuchtstärke der Organe wider. Es gelang Soon-Soon schließlich, die Aufmerksamkeit des auf der Lie ge Ruhenden auf mich zu richten. Daß ich erwartet worden war, erkannte ich an dem Umstand, daß auch der Skine auf der Liege einen Translator umgeschnallt hatte. Er richtete sich ein wenig auf, wobei er nicht die Gliedmaßen, sondern alleine die Muskeln seines flexiblen Körpers zu Hil fe nahm. Das Vorderende des Körpers bog er so zur Seite, daß sich die Kopfscheibe mir entgegenrichtete. Ich nahm an, daß er mich musterte, oh ne jedoch sagen zu können, welche von den leuchtenden Flecken der Scheibe seine Augen waren. »Das ist Atlan«, stellte Soon-Soon mich vor. Er bediente sich der summenden, für unsere Begriffe nahezu unartiku lierten Sprache der Skinen. Der Translator war jedoch angeschlossen und übersetzte jeden seiner Sätze ins Arkonidische. Danach wandte Soon-Soon sich mir zu. »Dies hier ist einer unserer bedeutendsten Wissenschaftler«, erklärte er. »Seinen Namen kennt er fast selber nicht mehr, so viele Beinamen wurden ihm im Laufe der Zeiten gegeben. Man nennt ihn ›das erste Wesen‹ oder ›den Weisen‹, auch ›den Überlegenen‹ oder ›den Forscher‹. Obwohl wir alle natürlich Forscher sind.« Ich nahm an, daß es unter den Skinen eine gesellschaftliche oder politi sche Rangordnung gäbe, und mutmaßte, daß »der Forscher« sozusagen zum obersten Niveau gehörte. Um mich zu vergewissern, fragte ich nach der politischen Struktur der skinischen Gesellschaft. Ich wollte wissen, wie sie sich regierten, welche Rechte der einzelne hatte und ob wirklich al le Skinen ausschließlich mit der Wissenschaft beschäftigt waren. Die Ant worten, die ich sowohl von Soon-Soon als auch von dem Forscher bekam, belehrten mich, daß alle Vorstellungen, die ich mir bisher von der Gesell schaft der Skinen gemacht hatte, falsch waren. Ich hatte arkonidische Ge gebenheiten einfach auf die Skinen übertragen und mußte nun zu meiner Bestürzung feststellen, daß ich es hier mit einem Volk zu tun hatte, das nicht nur in technologischer, sondern auch in jeder anderen Hinsicht uns weit überlegen war. Wenn der Translator die Summgeräusche, die den skinischen Namen dieses Planeten darstellten, in artikulierte Laute übersetzte, dann kam et was heraus, das so ähnlich wie »Tsopan« klang. Der Name der Stadt, in der ich mich befand, lautete »Xascat«. Es gab viele große Städte, und den noch lebten die meisten Skinen draußen auf dem freien Land. Wie viele Bewohner Tsopan insgesamt hatte, war nicht genau zu erfahren. Weder Soon-Soon noch der Forscher wußten es. Aber es konnte sich um nicht mehr als einige hundert Millionen handeln. Die Geschichte des skinischen Volkes reichte einige Jahrhunderttausen
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de in die Vergangenheit. Den Versuch, sich auszubreiten, andere Welten zu kolonisieren, hatten die Skinen niemals unternommen. Das mochte da mit zusammenhängen, wie sie selbst meinten, daß es in ihrer unmittelba ren Nähe keine intelligenten Sternenvölker gab und daß sie aus dem All niemals bedroht worden waren. Denn gerade solche Bedrohungen sind es, die den von Natur aus passiven Selbsterhaltungstrieb eines Volkes in eine aktive Kraft verwandeln, die aus dem Selbsterhaltungstrieb einen Expansi onstrieb machen. Nichtsdestoweniger hatten die Skinen jedoch das Uni versum gründlich durchforscht. Ich konnte nicht herausbekommen, ob ihre Forderungen sich auf diese unsere Galaxis beschränkten oder ob sie auch fremde Sterneninseln aufgesucht hatten. Sie wollten sich darüber nicht auslassen, wichen meinen Fragen aus. Ich gewann jedoch den Eindruck, daß sie in den langen Jahrzehnten intensiven Forschens bis in die hinter sten Winkel des Universums vorgestoßen waren. An ihr fremdartiges Äußere begann ich mich allmählich zu gewöhnen. Inzwischen wußte ich ein wenig mehr über ihre Anatomie. Die knorpeli gen Ansätze unterhalb der Stelle, an der die langen Greifarme aus dem Körper drangen, waren Ohren, die im Bedarfsfall rüsselförmig ausgefah ren werden konnten. Das rückwärtige, verjüngte Körperende der Skinen barg sowohl das Äquivalent unseres Mundes als auch die Mündung des Kanals, durch den Körperabfälle ausgeschieden wurden. Die Skinen be nutzten den Mund allerdings nur zur Nahrungsaufnahme, nicht etwa zum Sprechen. Der akustischen Kommunikation diente vielmehr eine Mem bran, die in die farbige Kopfscheibe eingewachsen war. Die Skinen waren zweigeschlechtlich. Weibliche Skinen waren durchschnittlich von größe rem Körperumfang als die männlichen. Das war das einzige Merkmal, nachdem die unerfahrenen Augen eines Fremden die beiden Geschlechter zu trennen vermochten. Die Skinen selbst, erklärte Soon-Soon mit süffisantem Tonfall, den der Translator ge nau wiedergab, hatten bei der Unterscheidung keinerlei Schwierigkeiten. In einem Jahrhunderttausend friedlichen Daseins gewachsen, war die skinische Gesellschaft ein äußerst lockeres und formloses Gebilde. Es gab keine Vorschriften, kaum Gesetze. Das Ansehen eines Mannes oder einer Frau richtete sich nach dem Ausmaß, in dem er oder sie zum Wohle der Allgemeinheit beitrug. Es gab keine Regierung, keine Volksvertretung. Es gab auch keine anstehenden Probleme. Die Technik der Skinen versorgte das ganze Planetenvolk mit allem, was es zum bequemen Leben brauchte. Die Bevölkerungszahl hatte sich im Laufe der Jahrtausende von selbst auf einen für eine Welt dieser Größe ungewöhnlich niedrigen Wert eingepen delt. Tsopans Landwirtschaft war automatisiert. Sie produzierte genau so viel, wie die Skinen für ihr gewiß nicht frugales Dasein brauchten. Die Rohstoffvorräte des Planeten würden die skinische Technik, wie der For
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scher mir versicherte, noch eine Million Jahre lang mit allem Notwendigen versehen. Eine eigentliche Religion schien es auf Tsopan nicht zu geben. Man glaubte an die Unminderbarkeit des Kosmos – ein Glaube, aus dem man auch die Furchtlosigkeit angesichts des Todes ableitete. Das gesprochene Wort war für die Skinen das wichtigste Kommunikationsvehikel. Es schi en keine Schrift zu geben. Aufzeichnungen wurden akustisch gemacht, et wa nach der Art unserer Tonbänder. Dieser Einstellung der Skinen ent sprach, daß Lügen, also Worte, die eine Lage anders zu beschreiben such ten, als sie in Wirklichkeit war, etwas gänzlich Unbekanntes waren. Auf das gesprochene Wort war Verlaß. Das war selbstverständlich. Daran konnte man nicht rütteln. Ich war erstaunt, wie freizügig Soon-Soon und der Forscher über ihre eigene Welt sprachen, ohne eine einzige Frage über die Zivilisation zu stellen, der ich entstammte. Ich glaubte zu erkennen, daß sie nicht nur un sere Sprache beherrschten, sondern auch über das Große Imperium bestens informiert waren. Mit keinem Wort gab ich darum zu verstehen, daß ich ein Mitglied der herrschenden Dynastie war, von einem Verräter vertrie ben, auf dem Wege, mein rechtmäßiges Erbe zurückzufordern … Eines interessierte mich noch: die Anfertigung von Abbildern des Be wußtseins. Ich hatte inzwischen verstanden, daß Soon-Soon der Leiter die ses Projekts war; aber worum es im einzelnen dabei ging, das wußte ich noch nicht. Als ich die erste diesbezügliche Frage danach stellte, winkte jedoch der Forscher mit einem seiner Tentakel und deutete mit der drei fingrigen Greifhand auf den Bildschirm. »Er kommt!« sagte er. Ich blickte auf. Der Bildschirm zeigte die Grünfläche, die das riesige Gebäude umgab. Ein arkonidischer Fluggleiter hatte sich auf die Bildflä che geschoben. Er setzte soeben zur Landung an. Ich sah, wie das Luk sich öffnete, und erkannte Fartuloons stämmige Gestalt. Er sah sich einige Au genblicke lang unschlüssig um. Da näherten sich zwei Skinen. Fartuloon schien von Farnathia und Eiskralle auf das Aussehen der Bewohner von Tsopan vorbereitet worden zu sein, denn seine Reaktion war nichts ande res als gleichgültig. Willig ließ er sich von den beiden Fremden den Weg weisen. Er verschwand von der Bildfläche, als er sich dem Eingang näher te. In der vergangenen Stunde hatte ich mich so eingehend damit beschäf tigt, Tsopan und die skinische Gesellschaft zu verstehen, daß mein Plan mehr und mehr in den Hintergrund meines Bewußtseins getreten war. Jetzt jedoch streifte ich alle unnützen Gedanken von mir ab. Jetzt ging es nur noch um eines: die Freiheit. So imposant und fortgeschritten diese Zivili sation auch sein mochte, ich empfand nicht das geringste Bedürfnis, mich
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ihr als Experimentiergegenstand zur Verfügung zu stellen. Fartuloon war nahe. In wenigen Augenblicken mußte sich herausstellen, ob er meinen heimlichen Wink verstanden hatte oder nicht. Die zwei skinischen Führer waren draußen auf dem Gang zurückgeblie ben. Fartuloon betrat alleine den mit Geräten vollgestopften Raum. Er blinzelte in das Licht, sah mich stehen und grinste mir freundlich zu. »Es freut mich, dich wohlauf zu sehen«, begrüßte er mich. »Zwar haben Farnathia und Eiskralle mir schon alles berichtet, aber es geht eben doch nichts über die Gewißheit, die man gewinnt, wenn man selbst sieht.« Ich beobachtete ihn scharf; aber es gab nichts an seinem Gesichtsaus druck, an seinen Worten, was darauf hinwies, daß er auf meinen Plan ein gegangen war. Meine Zuversicht begann zu schrumpfen. Er hatte meinen Wink nicht verstanden! Sein Blick wandte sich den beiden Skinen zu. »Welches Recht haben sie, uns für ihre Zwecke zu beanspruchen?« fragte er mit grollender Stimme. »Ich glaube, von Recht spricht man hier nicht«, beantwortete ich die Frage, als Soon-Soon und der Forscher zögerten. »Es paßt in ihr Vorha ben, und da sie uns keinen Schaden zuzufügen gedenken, verstehen sie nicht, warum wir Einwände dagegen haben könnten.« »Haben sie mit dem Maahk dasselbe gemacht?« »Ich nehme an, du sprichst von dem Raumschiff der Methanatmer«, ging Soon-Soon auf diese Frage ein. »Ja, auch von einigen ihrer Bewußt seine wurden Abbilder hergestellt. Sie waren uns fremd. An ihnen waren wir besonders interessiert.« »Der Ungeist soll sie fressen«, knurrte Fartuloon und wandte sich mir zu, offenbar im Begriff, eine weitere Frage zu stellen. Er kam jedoch nicht dazu. Unter meinen Füßen hob sich plötzlich der Boden. Brüllender Donner brandete auf uns ein. Das Gebäude schien zu schwanken. Die dünnen Wände warfen sich auf und bekamen dicke Beu len. Im Boden entstand ein klaffender Riß. Durch die Mündung des Trich ters fauchte ein heißer Luftstrom herein. Ich hätte vor Begeisterung fast aufgeschrien. Das war Fartuloons Trick von Singtauman! Er wirkte auch hier. Soon-Soon fuhr entsetzt herum und stieß ein hohes, spitzes Summen aus, das der Translator nicht übersetzte. Der Forscher sprang von seiner Liege auf. Beide Skinen eilten in Richtung des Ausgangs. Die Explosion hatte ihnen alle Fassung geraubt. Sie achte ten nicht mehr auf uns … oder waren unser so sicher, daß sie uns nicht be wachen zu müssen glaubten. Auf diesen Augenblick hatte Fartuloon gewartet. Blitzschnell zog er die Schockwaffe hervor, die er unter seinem Umhang getragen hatte. Soon-Soon und der Forscher standen immer noch am Ausgang, uns den Rücken zuwendend, als der Schocker zu summen begann. Gewiß: Fartu
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loon hatte sich auf ein Risiko eingelassen, als er, dem Beispiel von Sing tauman folgend, weiter nichts als eine Schockwaffe mitgebracht hatte. Die Geschöpfe auf Singtauman waren von unserer Art gewesen, und man durf te annehmen, daß die Schockstrahlung auf ihr Nervensystem ebenso ver heerend wirken würde wie auf das unsere. Hier jedoch lag der Fall anders. Waren die Skinen für arkonidische Schockstrahlung empfänglich? Der Forscher und Soon-Soon bäumten sich auf, als der Strahl sie packte. Mit summenden, singenden Geräuschen sanken sie schließlich zur Seite und blieben reglos liegen. Fartuloon beäugte sie eine Sekunde lang miß trauisch, dann schob er den Schocker zurück in den Gürtel und packte mich bei der Schulter. »Raus hier!« herrschte er mich an. »Solch eine Gelegenheit kommt nicht wieder!« Ich hatte keine Ahnung, wo innerhalb des riesigen Gebäudes wir uns befanden. Fartuloon jedoch hatte sich den Weg, den er unter Führung der beiden Skinen gekommen war, bestens gemerkt. Er machte den Führer. Die gewundenen Gänge des Baus waren von Qualm gefüllt. Überall kni sterte und krachte es in den Wänden. Ich hatte von Soon-Soon erfahren, daß dieses Bauwerk erst vor kurzem errichtet worden war und als For schungszentrum für Fremdintelligenz-Bewußtseine dienen sollte. Nur der geringste Teil der Laboratorien war bislang eingerichtet worden. Jetzt war die Frage, ob die Skinen das Gebäude überhaupt jemals für einen nutzbrin genden Zweck würden verwenden können. Dem Vorbild von Singtauman getreulich folgend, hatte Fartuloon einen hochbrisanten chemischen Sprengkörper, den er an Bord der POLVPRON zu sich genommen hatte, in einem unbemerkten Augenblick im Innern des Gebäudes deponiert. Das war, wie er mir später erzählte, so geschickt ge schehen, daß die beiden Skinen, die ihn führten, nichts davon merkten. Die Zündung der Sprengkapsel war auf eine Laufzeit von zwanzig Minuten eingestellt gewesen. Nach Ablauf dieser Zeitspanne war die Kapsel explo diert. Obwohl chemischer Natur, war ihre Sprengwirkung so groß, daß sie den leichten Bau bis in seine Grundfesten hinab erschüttert hatte. Das Ziel der Explosion war hier wie auf Singtauman, die Aufmerksamkeit derer, die uns gefangenhielten, für gewisse Zeit von uns abzulenken. Der Trick hatte funktioniert. Wir waren frei! Nach wenigen Minuten erreichten wir den Ausgang. Kein einziger Skine war uns entgegengetreten. Nur wenige Meter entfernt stand Fartuloons Gleiter. Wir eilten darauf zu. Mit einem Sprung waren wir im Innern des Fahrzeugs. Das Triebwerk heulte auf. Unter Fartuloons kundiger Lenkung stieg der Gleiter wie ein Geschoß in die Höhe. Über den Wipfeln des Wäldchens, das das Forschungszentrum umgab, ließ der Alte das Fahrzeug abkippen und nahm direkten Kurs auf das Raumlandefeld.
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»Alles ist für einen Blitzstart vorbereitet«, stieß er hervor. »Sobald wir durch das Außenschott der Hangarschleuse fliegen, hebt der POLVPRON ab.« »Und das Fesselfeld …?« »Liegt noch an«, antwortete er. »Aber wir haben eine Methode ent wickelt, um es in seiner Gesamtheit für einige Minuten zu beseitigen. Wir verbrauchen dabei zwar viel Energie, aber was sonst wollen wir tun, wenn wir von dieser verdammten Welt loskommen wollen?« Ich schwieg. Ich dachte an Soon-Soon und den Forscher, die jetzt hilflos und reglos in ihrem Labor lagen, und so etwas wie Mitleid und Schuldbe wußtsein wollten mich ankommen. Ich schob die Gedanken beiseite. Sie hatten uns zwingen wollen, ihrer Wissenschaft zu Diensten zu sein. Ich hatte mir keine Vorwürfe zu machen. Sie hatten ihr Los verdient. Wir schossen in niedrigem Flug über die spitzgiebeligen Häuser der Skinen hinweg. Im Osten begann der Himmel, sich zu röten. Ein neuer Tag kündete sich an. Wo würden wir sein, wenn er zu Ende ging? Weit vor uns tauchte der Rand des Landefeldes auf. Wir flogen über die Stelle hinweg, an der ich vorhin die Notlandung gebaut hatte. Der beschädigte Gleiter lag noch so da, wie Eiskralle und ich ihn verlassen hatten. Nie mand hatte sich um ihn gekümmert. Die Positionslichter der POLVPRON erschienen am Horizont. Ich emp fand Erleichterung. Wir hatten es geschafft. Die Skinen würden uns nicht mehr fassen. Ich wußte mittlerweile, daß sie über eine besondere Art von Transmitter verfügten, einpolige Gegenstände transportieren konnten, oh ne daß sich am anderen Ende der Transportstrecke ebenfalls ein Gerät be fand. Mit Hilfe eines solchen Einpoltransmitters hatten sie Farnathia unbe merkt aus unserer Mitte geholt. Mit derselben Waffe konnten sie auch je des beliebige andere Mitglied der Schiffsbesatzung von Bord holen. Wir waren also bis zu dem Augenblick in Gefahr, in dem wir die Reichweite der skinischen Transmitter verließen. Aber ich verließ mich darauf, daß uns nichts geschehen würde, solange der Forscher und Soon-Soon bewußt los waren – und das konnten, wenn sie auf Schockstrahlung so reagierten wie wir – noch ein paar Stunden sein. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da begann unser Gleiter plötzlich zu rucken. Ich stieß einen Warnruf aus, aber Fartuloon reagierte nicht. Er saß über das Steuer gebeugt und schien zu schlafen. Panik ergriff mich. Was war geschehen? Das Fahrzeug neigte sich in steilem Flug dem Landefeld entgegen. Ich versuchte, Fartuloon beiseite zuzerren und an sei ner Statt das Steuer zu bedienen. Im selben Augenblick befiel mich bleier ne Müdigkeit. Ich war nicht mehr imstande, einen Arm zu bewegen. Die Hand sank schlaff herab, bevor sie das Steuer fassen konnte. Abgrundtiefe Gleichgültigkeit bemächtigte sich meiner. Nichts ging
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mich mehr an. Ich sah den glatten Boden des Landefeldes mit beängsti gender Geschwindigkeit auf uns zukommen. Trotzdem schloß ich die Au gen. Angesichts des Todes schlief ich ein.
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8.
Mein Bewußtsein kehrte nur zögernd zurück. Ich empfand keinerlei Schmerz. Allmählich setzte die Erinnerung ein. Im Geist sah ich mich wie der in dem Fluggleiter sitzen, über den reglosen Fartuloon gebeugt, ver zweifelt nach dem Steuer greifend. Ich sah das Landefeld auf uns zurasen, und jetzt plötzlich empfand ich die Todesangst, die ich, als der Vorfall sich wirklich zutrug, nicht empfunden hatte. Ich bäumte mich auf und schrie. Dann öffnete ich die Augen. Das erste, was mir auffiel, war der Um stand, daß ich nicht lag, wie ich es erwartet hatte, sondern aufrecht stand. Rings um mich herum war eine gläserne Wand, so dicht, daß ich mich nur ein wenig zu bewegen brauchte, um sie zu berühren. Sie war glatt und schien dieselbe Temperatur zu besitzen, wie meine Hautoberfläche. Sie fühlte sich weder warm noch kalt an. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte in die Höhe. Die Röhre, in der ich stak, schien unendlich zu sein. Sie stand in einer riesigen Halle, die ihr Licht aus Leuchtkörpern un ter der endlos weit entfernten Decke bezog. Auf dem Boden der Halle standen hier und dort Gruppen von fremdartigen Geräten und Maschinen. Hunderte von Skinen hielten sich in der Halle auf und waren, ihren Bewe gungen nach zu urteilen, emsig beschäftigt. Eine Wand der Halle war für mich von besonderem Interesse. Sie bilde te eine riesige Fläche von graubrauner Farbe und schien aus Metall zu be stehen. Eingebettet in diese Fläche waren linsenförmige Erhebungen aus unbekanntem Material, die von Zeit zu Zeit, in unregelmäßigen Abstän den, gelblich rot aufleuchteten. Es war ein verwirrendes Lichterspiel, wie auf einer gigantischen Konsole, die von einem unsichtbaren Zyklopen be dient wurde. Ich hatte keine Ahnung, welchen Zweck die Wand erfüllte, aber ihr Anblick war faszinierend. Ich nahm Geräusche wahr und stellte fest, daß die Wandung der Röhre, in der ich stak, mich nicht so vollkommen von der Umwelt isoliert hatte, wie ich zuerst angenommen hatte. Das Summen der skinischen Stimmen war allgegenwärtig. Um mich schienen sie sich jedoch nicht zu kümmern. Ich dachte darüber nach, wie ich in diese Lage geraten sein mochte. An scheinend waren Soon-Soon und der Forscher längst nicht so lange be wußtlos gewesen, wie Fartuloon und ich erwartet hatten. Sie mußten ziem lich rasch wieder zu sich gekommen sein. Daß wir auf dem Wege zur POLVPRON waren, konnten sie sich denken. Sie brauchten also nicht lan ge nach uns zu suchen. Die Müdigkeit, der Fartuloon und schließlich auch ich zum Opfer gefallen waren, mußte die Auswirkung einer Waffe sein, die die Skinen gegen uns eingesetzt hatten. Ich konnte mir nicht denken,
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nach welchem Prinzip die Waffe funktionierte; aber mittlerweile hatte ich eine unendlich hohe Achtung vor der skinischen Technologie und traute ihr zu, daß sie auch die unwahrscheinlichsten Tricks beherrschte. Der Sturz des Gleiters war anscheinend rechtzeitig abgefangen worden. Wir waren nicht zerschellt, sondern unter dem Einfluß eines Prall- und Steuerfeldes einigermaßen sanft gelandet. Ich konnte mich zwar nicht so frei bewegen, daß ich alle Muskeln und Gliedmaßen hätte ausprobieren können. Die enge Wand der Röhre hinderte mich daran. Aber soweit ich feststellen konnte, war ich unverletzt. Blieb nur die Frage, was aus Fartuloon geworden war. Hatten die Ski nen auch ihn hierhergebracht? Ich sah mich um. Zu meiner Linken ent deckte ich in etwa fünf Metern Abstand eine zweite Röhre, auch sie mit ei nem Durchmesser, der einen menschlichen Körper gerade noch umschloß, und bis zur weit entfernten Decke hinaufreichend. Innerhalb der Röhre be fand sich eine Gestalt. Ich riß die Augen weit auf. Das konnte Fartuloon nicht sein! Diese undeutlichen Konturen, dieser farblose Körper. Das war doch … »He, Eiskralle!« rief ich, so laut ich konnte. Er hörte mich und wandte mir das Gesicht zu. Wie fast immer, war sei ne Miene unerkennbar. Erst als er mir antwortete, konnte ich am Klang seiner Stimme seine Gemütsverfassung identifizieren. »Ja, ich bin es«, rief er im kläglichen Tonfall. »Ich habe Angst! Diese Röhre erstickt mich fast. Es ist zu warm. Ich werde bald zerfließen!« Ich störte mich nicht an seinem Jammern. Ich fragte nach Fartuloon. Eiskralle berichtete, daß der Fluggleiter des Alten planmäßig in die Han garschleuse der POLVPRON eingeflogen sei. Erst als Fartuloon nicht aus stieg, wurde man mißtrauisch. Man öffnete das Luk und fand den Alten bewußtlos über das Steuer gebeugt. Also hatten die Skinen das Fahrzeug in Fernsteuerung genommen und an Bord der POLVPRON bugsiert. Mich jedoch hatten sie zuvor – wahr scheinlich mit Hilfe eines ihrer einpoligen Transmitter – aus dem Gleiter entfernt und hierhergebracht. An Bord unseres Raumschiffs hatte große Ratlosigkeit geherrscht. Nie mand wußte, was zu tun sei. Man versuchte, Fartuloon wieder zu sich zu bringen; aber jeglicher Versuch in dieser Richtung schlug einstweilen fehl. Weiter konnte Eiskralle nichts berichten. Es war ihm plötzlich schwarz vor den Augen geworden, und als er wieder zu sich kam, stak er in der durch sichtigen Röhre neben mir. Die Skinen hatten also abermals einen Austausch vorgenommen. Erst Fartuloon gegen Farnathia und Eiskralle, und nun Eiskralle gegen Fartu loon. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Anscheinend beabsich tigten sie nach wie vor, uns als Versuchsobjekte für Soon-Soons Projekt
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zu benützen. Und ich war nach wie vor nicht gewillt, mich in dieser Art und Weise mißbrauchen zu lassen. »Gib's schon auf!« meldete sich da mein Extrahirn zu Wort, das wäh rend der vergangenen Tage beharrlich geschwiegen hatte. »Wie willst du ihnen entkommen?« Ich sah an mir hinab. Die Skinen hatten mir nichts abgenommen, nicht einmal den gefährlichen Blaster. »Diesmal müssen wir eben ein wenig härter zupacken als bisher«, dach te ich mürrisch. »Und einschlafen, bevor du auf den Abzug drückst«, verspottete mich der Extrasinn. »Du hast erfahren, wie mächtig ihre Waffen sind. Ich an deiner Stelle würde auf jeden Widerstand verzichten und mich einfach in mein Schicksal ergeben. Schließlich haben sie uns versprochen, daß wir keine Schmerzen zu erdulden haben werden, nicht wahr?« »Und darauf willst du dich verlassen?« »Sie lügen nicht, das wissen wir doch! Die Lüge ist ihnen unbekannt.« Natürlich hatte er recht, und ich ärgerte mich darüber, denn mein Nor malbewußtsein war von jeglichem Gedanken an Kapitulation noch weit entfernt. Ich bäumte mich auf gegen die Ungerechtigkeit, die mir hier wi derfahren sollte. Ich allein war Herr meines Körpers und meines Geistes. Niemand hatte das Recht, gegen meinen Willen, nach seinem Gutdünken damit zu verfahren. »Im Prinzip hast du recht«, reagierte das Extrahirn. »Aber zur Weisheit gehört auch die Fähigkeit, die Unvermeidbarkeit einer Entwicklung zu er kennen. Übrigens – sprich mit dem, der da kommt! Vielleicht kann er dich überzeugen.« Aus der Menge der Skinen, die sich an den verschiedenartigen Maschi nen zu schaffen machten, hatte sich ein Wesen gelöst und kam auf meine Röhre zu. Es war mir zwar noch immer unmöglich, einen Skinen vom an deren zu unterscheiden, aber ich hätte schwören mögen, daß das Geschöpf, das sich mir da näherte, Soon-Soon war. Der Skine blieb vor der Röhre stehen. Aus dem Translator, den er auf dem Rücken trug, drangen die Worte: »Du bist ein sehr merkwürdiges Wesen!« Was mich am meisten daran überraschte, war der gleichgültigfreundli che Tonfall, dessen der Translator sich bediente. Ich hatte ja schon mehr mals die Erfahrung gemacht, daß das Gerät in seiner Übersetzung die Emotionen des Sprechers zum Ausdruck bringen konnte. Soon-Soon schi en mir nicht zu zürnen. Er betrachtete mich nicht als gefährlichen Gewalt täter, sondern lediglich, wie er sagte, als ein merkwürdiges Wesen. »Warum merkwürdig?« fragte ich. »Du verstehst es, Worte zu sagen, die nicht im Einklang mit dem ste
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hen, was du denkst.« Das also war es. Der des Lügens gänzlich Unkundige betrachtete es als ein Phänomen, daß ich die Unwahrheit zu sagen verstand. Ich hatte ihm und dem Forscher versprochen, mich dem Projekt zur Verfügung zu stel len, und mich später diesem Versprechen durch die Flucht entziehen wol len. Darin sah Soon-Soon eine Diskrepanz, die mich zu einem »merkwürdigen Wesen« stempelte. Es wäre interessant gewesen, diesen elementaren Unterschied der Denkweisen näher zu analysieren. Aber zum Analysieren hatte ich keine Zeit. »Warum habt ihr meinen durchsichtigen Freund wieder herbeigeholt?« wollte ich wissen. »Der dicke Mann mit dem kahlen Kopf war uns ein wenig zu gefährlich und zu widerspenstig«, antwortete es aus dem Translator. »Er wäre ohne Zweifel ein interessantes Versuchsobjekt gewesen; aber das Risiko, das wir mit seiner Behandlung eingegangen wären, erschien uns zu groß. So holten wir uns also den gläsernen Mann wieder zurück.« »Ist dies der Ort«, fragte ich, »an dem die Herstellung des Bewußt seinsabbilds erfolgen soll?« Einer der beiden Tentakel wies auf die graubraune Wand mit den flackernden, linsenförmigen Erhebungen. »Das dort sind die Fallen«, antwortete Soon-Soon. Falls das eine Antwort auf meine Frage sein sollte, verstand ich sie nicht. »Fallen …?« rief ich verwundert. »Wir nennen sie so«, erklärte der Skine belustigt. »Was sich einmal dar in befindet, kann nicht mehr heraus – es sei denn, wir holen es heraus.« »Und was befindet sich darinnen?« wollte ich wissen. »Nun – eben die Abbilder der Bewußtseine, die wir mit diesen Maschi nen und Geräten hergestellt haben.« Eine unwirkliche Ahnung von etwas Ungeheuerlichem, Abscheulichem bemächtigte sich meiner. »Du hast mir nie gesagt, wie diese Abbilder aussehen«, drang ich vor sichtig in Soon-Soon. Ich wollte ihn nicht verschrecken. Ich bediente mich desselben halb sachlichen, halb unbeteiligten Tonfalls, den auch der Translator gebrauch te, selbst wenn er über die haarsträubenden Dinge sprach. »Wie meinst du … aussehen?« erklang Soon-Soons Gegenfrage. »Wie sieht ein Bewußtsein aus? Auf optimalem Wege kann man es selbstver ständlich nicht wahrnehmen.« »Aber du sprachst von Bewußtseinsabbildern!« beharrte ich. »Nun, was ist ein Abbild? Eine Wiedergabe des Originals.« Ich hätte viel lieber vor Entsetzen geschrien. Aber ich zwang mich zur
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Ruhe. Mein Verdacht war gräßlich, aber ich durfte nicht eher ruhen, als bis er entweder bestätigt oder widerlegt war. »Eine Wiedergabe, die auch sämtliche Funktionen des Originals ausfüh ren kann?« stieß ich hervor. »Natürlich! Sonst verdiente es nicht, ein Abbild genannt zu werden.« »Und was geschieht mit dem Original, nachdem das Abbild hergestellt wurde?« »Es kehrt dorthin zurück, wo es zuvor seinen Sitz hatte. In deinen Kör per, zum Beispiel.« Ich schwieg. Ich war vor Entsetzen wie gelähmt. Die Skinen beabsichtigten nicht, sich mit einer Aufzeichnung unserer Bewußtseine zufriedenzugeben. Sie würden Duplikate davon herstellen, echte, funktionierende Doppel unser selbst! Nach der Behandlung würde es zwei Atlanbewußtseine geben – eines hier in der Röhre und ein anderes dort in einer der leuchtenden Linsen, gefangen für alle Ewigkeit! Nein, das durfte nicht geschehen! Ohne auf Soon-Soon zu achten, wandte ich mich an Eiskralle. »Kannst du mit der Röhre etwas anfangen?« rief ich ihm zu. Er verstand mich sofort. »Affirmativ! Sie besteht mehr als zur Hälfte aus organischer Materie!« »Hast du gehört, was die Wurst sagte?« erkundigte ich mich. »Einen Teil davon«, antwortete er. »Ich verstehe längst nicht alles.« »Man will Doppelgänger unseres Bewußtseins herstellen. Lassen wir uns das gefallen?« »Nein!« schrie er entsetzt auf. »Davon wollen wir nichts wissen!« »Dann pack zu, Eiskralle!« forderte ich ihn auf. Soon-Soon war auf seinen kurzen Beinen ein paar Schritte weit zurück gewichen. »Nein, nein …«, jammerte es aus dem Translator. »Was habt ihr vor? Ihr dürft den Ablauf des Projekts nicht stören!« Ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern konzentrierte meine Auf merksamkeit auf den Chretkor. Die Röhren waren so eng, daß man sich nicht darin rühren konnte. Eiskralle mußte die Handflächen auf die Röh renwandung legen können, wenn er seine unheimlichen Kräfte zum Ein satz bringen wollte. Er wand sich und krümmte sich. Aber die Arme wur den ihm von der Wand des durchsichtigen Behälters dicht an den Körper gepreßt, und zwar in normaler Haltung, also mit den Handflächen dem Körper zu. »Ich schaffe es nicht!« jammerte er. »Mir wird heiß und immer heißer …« »Reiß dich zusammen!« schrie ich ihn an. »Von dir hängt alles ab. Wenn du es nicht schaffst, wird es in einer Stunde zwei Eiskrallen geben –
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eine hier in der Röhre und eine dort drüben in der Wand mit den leuchten den Linsen!« Er knurrte bösartig. Das war das Zeichen, daß er das letzte aus sich her auszuholen versuchte. Er ging in die Knie, soweit die enge Röhre ihm das erlaubte, und drehte die Arme, bis sie fast aus den Gelenken zu springen drohten. »Aufhören!« zeterte Soon-Soon. Seine Kopf Scheibe war eine in grel lem Blau leuchtende Fläche. Er befand sich im Zustand höchster Erre gung. »Ihr könnt jetzt nicht … es ist nicht zulässig …« »Jetzt …!« schrie Eiskralle. »Ich hab's!« Er stöhnte auf, als er den Händen die letzte Drehung gab, die sie mit den Flächen der Röhrenwandung zuwendete. Dann griff er zu. Das durchsich tige Material der Röhren verfärbte sich augenblicklich. Es wurde grünlich trüb. Für ein paar Sekunden entschwand der Chretkor meinen Blicken. Dann hörte ich es krachen und bersten. In der grünlichen Oberfläche der Röhre entstanden Sprünge und Risse. Aus Soon-Soons Translator kamen unverständliche Laute. Er konnte nicht mehr zusammenhängend sprechen. Da barst plötzlich aus der Röhre ein großes Stück Wandung heraus. Ein Stiefel erschien und trat mit voller Wucht gegen die Ränder der Öffnung. Besorgt blickte ich in die Höhe. Die riesige Röhre, ihrer Basis beraubt, be gann zu wanken. »Schnell!« rief ich dem Chretkor zu. »Das Ding fällt um!« Er brach aus dem Loch hervor. Ich sah, wie er mitten im Schritt zögerte, als er Soon-Soon erblickte, der immer noch vor meiner Röhre stand, aller dings ein paar Meter entfernt, und in den höchsten Fisteltönen summte. Ich wußte, was in seinem Gehirn vor sich ging. »Laß den Skinen in Ruhe!« befahl ich ihm. »Komm her und hilf mir raus!« Er gehorchte. Ringsum in der riesigen Halle waren die Skinen aufmerk sam geworden. Hundertstimmiges, aufgeregtes Summen erfüllte den riesi gen Raum. Immer mehr neigte sich die Säule, aus der der Chretkor sich eben befreit hatte. Jetzt stand er vor meiner Röhre. Ich wich zurück, soweit ich konnte, als ich sah, wie sich die beiden Hände der Röhrenwandung nä herten. Es knisterte, als er seine Kräfte spielen ließ und der organischen Materie der Wand jegliche Wärme entzog. Der Effekt wiederholte sich: die Wandung wurde trübe und verfärbte sich grünlich. Mit dröhnendem Knall drang Eiskralles Stiefel durch die zu Eis erstarrte Materie. Ein Loch entstand, das sich unter des Chretkors Tritten rasch erweiterte. Ich zwängte mich hinaus. Auch meine Säule hatte zu wanken begonnen. In wenigen Sekunden würde auch sie quer in die Halle stürzen. Vor mir stand Soon-Soon und winselte. Er hatte die Beherrschung vollends verlo ren. Kein einziger verständlicher Laut kam mehr aus dem Translator.
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Ich riß den Strahler aus dem Gürtel. Ich wußte nicht, wo wir uns befan den, wo das Gebäude, dem diese Halle zugehörte, in Relation zum Lande feld lag. Aber das war vorerst nicht wichtig. Ausschlaggebend war einzig und allein, daß wir den Skinen entkamen, solange die Überraschung und das Entsetzen sie gepackt hielten. Ihre Aufmerksamkeit war den stürzen den Röhren zugewandt. Das war die beste Gelegenheit. Ich feuerte eine Strahlsalve dicht über die Leiber der heraneilenden Ski nen hinweg. Das hielt sie nicht auf. Sie hatten in der Tat keinerlei Furcht vor dem Tode. »Dort drüben!« hörte ich den Chretkor schreien. »Ein Ausgang!« Ich blickte auf. An einer Stelle der Seitenwand, die meinem Blick bisher verborgen gewesen war, gab es eine Art Portal. Das mußte der Ausgang sein. Wir rannten. Einmal sah ich mich um und erkannte zu meiner großen Erleichterung, daß die Skinen sich um uns gar nicht kümmerten. Ihre ein zige Sorge galt den beiden Röhren. Die durchsichtigen Gebilde hatten zu erst nur langsam an Geschwindigkeit gewonnen, jetzt jedoch befanden sie sich in vollem Sturz. Die Skinen erkannten, daß sie sie nicht mehr aufzu halten vermochten, und wichen zur Seite, um von den stürzenden Röhren nicht erschlagen zu werden. Donnerndes Getöse erfüllte die riesige Halle, als die gläsernen Säulen beim Aufprall auf den Boden in Hunderttausende von Stücken zerbrachen und ein Regen glitzernder Trümmerstücke die Luft erfüllte. Da wuchs das Portal vor uns auf. Es öffnete sich selbsttätig, als wir uns ihm bis auf einen gewissen Abstand genähert hatten. Von draußen schim merte der helle Tag herein. Als wir den Ausgang passiert hatten, befanden wir uns am Rand eines weit ausgedehnten Parkgeländes. Wir rannten wei ter, bis uns die Luft auszugehen drohte. Dann gingen wir hinter einem aus gedehnten Gebüsch in Deckung. »Das hätten wir geschafft!« grinste Eiskralle mich an und holte mit sto ßenden, keuchenden Atemzügen Luft. »Ja, das hätten wir geschafft!« stieß ich hervor. »Du Narr!« spottete mein Extrahirn. »In spätestens einer Stunde werden sie dich wieder haben!«
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Ich versuchte, mich nach dem Stand der Sonne zu orientieren. Das Lande feld lag im Süden der Stadt. Die Sonne stand ungefähr im Mittag. In die Richtung, in der sie stand, hatten wir uns also zu wenden. Ich überlegte, ob ich uns die Suche nicht dadurch erleichtern sollte, daß ich über Funk die POLVPRON anrief und mich von dorther anpeilen ließ. Schließlich ließ ich den Gedanken jedoch fallen. Die Skinen warteten sicherlich nur dar auf, daß mein Sender sich muckste, um sich unverzüglich auf uns zu stür zen. Die ersten Fluglinsen tauchten am wolkenlosen Himmel über uns auf. Die Jagd hatte begonnen. Ich trug noch immer das Deflektorgerät, hütete mich jedoch, es zu benützen. Büsche und Bäume boten uns ausreichend Deckung. Außerdem trug der Chretkor nur die übliche Arbeitsmontur und hätte sich ohnehin nicht unsichtbar machen können. Ich justierte meinen Hodometer so, daß er auf einen in südlicher Richtung zehn Kilometer ent fernt liegenden Punkt als Koordinatenursprung eingestellt war. Der Hodo meter würde uns von nun an als Wegweiser dienen. Selbst wenn wir zur Seite ausweichen mußten, um deckungsfreies Gelände oder Gebäude zu umgehen, würde er uns wieder auf den richtigen Kurs zurückbringen. Wir kamen zunächst gut voran. Die große Vorliebe der Skinen für weite Grünflächen mit halbwildem Baumbestand kam uns sehr zustatten. Die Gleiter kreisten überall, aber ihre Piloten bekamen wir nie zu Gesicht. Von Zeit zu Zeit wagte ich es, Eiskralle auf einen dicht belaubten Baum hinauf zuschicken und ihn aus luftiger Höhe Umschau halten zu lassen. Er war dabei weniger gefährdet als ich, denn sein durchsichtiger Körper war we niger leicht wahrzunehmen als der meine. Bei den ersten Versuchen mel dete der Chretkor weiter nichts als noch mehr Parks und Grünflächen und dazwischen die spitzen Firste einiger Häuser, die wir mühelos umgehen konnten. Aber dann, bei seiner siebten Klettertour, kehrte er mit strahlen dem, siegessicherem Lächeln zurück. »Ich hab's gesehen!« verkündete er stolz. »Was?« »Das Landefeld!« Ich packte ihn vor Begeisterung bei den Schultern und schüttelte ihn. »Wo, wo?« schrie ich ihn an. »Wie weit noch?« Er machte ein mißbilligendes Gesicht und versuchte, sich meinem Griff zu entwinden. Ich ließ los. »Wenn du mich so rüttelst, werde ich zerbrechen«, beklagte er sich. »Sieh meine unvergleichliche Gestalt, meinen gläsernen Körper … möch test du so etwas Vollkommenes zerbrechen?«
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»Wenn du mir nicht bald sagst, was ich wissen will«, knurrte ich, »dann wird von deiner vollkommenen Schönheit bald nichts mehr übrig sein!« »Also …«, sagte er und holte tief Luft in dem unverkennbaren Bestre ben, die Sache spannend zu machen. Ich griff erneut nach seiner Schulter. Er stieß einen Protestschrei aus und wich einen Schritt zurück. »Genau in der Richtung, die du ausgewählt hast«, sprudelte er hervor. »Höchstens noch fünf Kilometer entfernt.« »Konntest du die POLVPRON sehen?« »Ich konnte sie nicht deutlich erkennen. Aber eine kurze Distanz jen seits des Randes des Landefelds liegt ein kugelförmiges Raumschiff von etwa der richtigen Größe.« Die Erleichterung machte mich fast schlapp. Ich ließ mich zu Boden fal len und lehnte den Rücken gegen den Stamm des Baumes, von dem der Chretkor soeben herabgestiegen war. »Siehst du?« sagte ich zu meinem Extrasinn. »Wir schaffen es doch!« »Warte ab, Narr!« klang die schroffe Antwort. »Die Stunde ist noch nicht herum!« Der Raum, in dem das erste Wesen und Soon-Soon sich zu einer Be sprechung zusammenfanden, lag unmittelbar neben der großen Halle, in der die stürzenden Glassäulen vor kurzem solch verheerende Verwüstung angerichtet hatten. Das Gemüt der beiden Skinen war von Sorgen erfüllt. Ihre Kopfscheiben leuchteten in schmutzigem Braun – das übliche Rot vermischt mit dem tiefen Grün des Grams. »Der Schaden ist beträchtlich«, ließ das erste Wesen, der Forscher, sich hören. »Es wird Stunden dauern, bis die Maschinen den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt haben. Willst du nicht auf den Versuch verzich ten, Soon-Soon?« Blaue Erregung flackerte für die Dauer einer Miniskope über Soon-So ons Kopfscheibe. »Das Projekt ist über eintausend Jahre alt, und noch nie hat es vor einer Fremdintelligenz kapitulieren müssen. Nein, ich möchte nicht verzichten. Im Gegenteil: meine Neugierde ist jetzt nahezu unerträglich. Ich muß in den Besitz einer Kopie des Bewußtseins des Arkoniden kommen.« Das erste Wesen stieß ein summendes Geräusch aus, das Äquivalent ei nes menschlichen Seufzers. »Nun, dann müssen wir eben warten, bis sie wieder an Bord ihres Raumschiffes sind«, sagte er. »Von dort holen wir sie zurück!« Soon-Soon ließ einen Laut hören, der zum Ausdruck brachte, daß er nicht besonders glücklich war. »Du wünschst es anders?« erkundigte sich der Forscher. »Ja. Ich glaube, in der Haltung besonders des einen, der sich Atlan
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nennt, einen Zug zu erkennen, der uns völlig fremd ist. Ich möchte ihn als Hochmut bezeichnen – als die Fähigkeit, Freude darüber zu empfinden, daß der Unterlegene dem Überlegenen Schaden zufügt. Es ist ein sehr in teressanter Zug, aber ich muß zugeben, daß er mir Ärger bereitet. Ich möchte die beiden Arkoniden fangen, noch lange bevor sie ihr Raumschiff erreichen.« Die Kopfscheibe des ersten Wesens leuchtete vorübergehend in hellem Blaurot. Es war offensichtlich erheitert. »Aber, Soon-Soon!« tadelte es gutgelaunt. »Du machst emotionelle Be weggründe zum Maßstab deines Handelns?« »Ich schäme mich dessen«, antwortete Soon-Soon, »aber im Augen blick kann ich nicht anders.« »Gut. Und wie willst du sie fassen, ohne zu wissen, wo sie sich befin den?« »Sie sind auf jeden Fall auf dem Weg zu ihrem Raumschiff«, antwortete Soon-Soon. »Ich brauche also nur ein paar Posten am Rand des Lande felds aufzustellen, um ihrer ganz sicher zu sein. Aber selbst das genügt mir nicht. Ganz abgesehen davon, daß es zu Komplikationen kommen könnte, wenn sie plötzlich am Rand des Feldes auftauchen und von Bord ihres Raumschiffs aus gesehen werden, möchte ich mir größere Genugtuung verschaffen. Ich beabsichtige, sie irrezuführen und sie in dem Augenblick zu ergreifen, in dem sie erkennen, daß sie irregeführt worden sind.« »Das heißt, irrationales Handeln auf die Spitze treiben!« schalt das erste Wesen. »Ich bitte dich, verzeih mir nur dieses eine Mal«, ließ Soon-Soon sich hören. »Du weißt, ich bin nicht der ungelehrigste deiner Schüler. Ich wer de meine Emotionen in Zukunft zu zügeln wissen.« Nach kurzem Zögern gab das erste Wesen nach. »Also von mir aus«, sagte er. »Was hast du vor?« »Ich dachte an den Weitflächenprojektor«, erhielt er zur Antwort. Allmählich verlangsamte sich unser Marsch. Die Skinen waren vermut lich auf die Idee gekommen, daß wir uns auf dem geradesten Weg zum Landefeld begeben würden, und je näher wir dem Rand des Feldes kamen, desto dichter wurden die Scharen der Linsengleiter, die über uns durch die Luft schwirrten. Immer öfter waren wir gezwungen, vor einem vorbeiflie genden Schwarm in Deckung zu gehen, und immer seltener bot sich die Gelegenheit, Eiskralle in die Krone eines Baumes hinaufzuschicken und ihn von dort aus Umschau halten zu lassen. Dabei war gerade dies für un ser Weiterkommen von Bedeutung. Je näher wir dem Landefeld kamen, desto öfter mußte ich den Hodometer rejustieren. Die anfängliche Einstel lung war nur grob richtig gewesen. Jetzt, da wir die Umrisse der POLV PRON am Horizont erkennen konnten, war es möglich, die Einstellung ge
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nauer vorzunehmen, und zwar um so präziser, je näher wir dem Ziel ka men. Die letzte Einstellung, die ich vorgenommen hatte, schätzte Eiskralle auf eine Genauigkeit von nicht besser als plus-minus zwei Kilometer radi al. Das heißt: der Punkt, den der Hodometer anpeilte, lag irgendwo inner halb eines Kreises von zwei Kilometern Radius – also vier Kilometer Durchmesser – dessen Mittelpunkt die POLVPRON bildete. Das hört sich nicht nach viel an. Aber wer von einem unerbittlichen Gegner gejagt wird und sich darüber im klaren ist, daß unter der Schwerkraft von Tsopan ein Fußgänger wenigstens eine Stunde braucht, um vier Kilometer zurückzule gen, der wünscht sich in einer solchen Lage nichts sehnlicher als eine wei tere Gelegenheit, seinen Hodometer von neuem und mit größter Genauig keit zu adjustieren. Wir kamen schließlich in einen dichten Wald, der in der Hauptsache aus gigantischen, breitknochigen Bäumen bestand. Ich zögerte anfangs, das Gehölz zu betreten. Denn wenn ich ein Skine gewesen wäre, dann hätte ich mir ausgerechnet, daß die zwei Arkoniden, die mir zu entkommen ver suchten, sich nirgendwo lieber hinwandten als gerade in einen solchen Wald, der jede Menge von Deckungsmöglichkeiten bot. Und ich hätte ge rade in diesem Wald die Mehrzahl meiner Wachtposten aufgestellt, damit mir die Flüchtigen auf keinen Fall durch die Lappen gingen. In Wirklichkeit aber blieb uns gar keine andere Wahl, als den Wald zu durchqueren. Erstens lag er auf dem geraden Weg zum Landefeld. Und wir waren darauf angewiesen, den geraden Weg zu nehmen, weil sich die Zahl der Fluggleiter, die nach uns suchten, von Minute zu Minute ver mehrte und die Gefahr bestand, daß sie uns zu guter Letzt dank ihrer Men ge doch noch erwischen würden. Zweitens aber boten gerade die riesigen Bäume mit dem dichten Laub die beste Möglichkeit, ein letztes Mal nach der POLVPRON Ausschau zu halten und eine letzte, endgültige Justierung des Hodometers vorzunehmen. Wir drangen also in den Wald ein. Nach etwa einhundert Metern hielt ich an und sagte zu Eiskralle: »Es wird Zeit! Wir brauchen eine neue Justierung.« Er seufzte. Unter normalen Umständen hätte er sich über die Zumutung beschwert. Aber er wußte, wie kritisch unsere Lage war. Er trat auf den nächsten Baum zu. Ich leistete ihm Hilfestellung, den untersten Ast zu er reichen. Von da an ging es leicht. Ich sah ihn im Laubwerk verschwinden. Etwa fünf Minuten vergingen, dann kam er wieder herab. »Richtung … dort drüben«, sagte er und senkte den Arm, so daß er in einer geraden Linie etwa nach Südwest bei Süd wies. »Entfernung: schät zungsweise drei Kilometer.« Ich musterte den Hodometer.
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»Du bist verrückt!« entfuhr es mir. »Das kann nicht sein!« Die letzte Anzeige wies annähernd nach Südosten. Wir konnten uns selbstverständlich um ein paar Grad in der Richtung geirrt haben. Aber daß der Kurs jetzt plötzlich Südwest bei Süd anstatt Südost sein sollte, das wollte ich nicht glauben. »Ich habe mich nicht geirrt!« behauptete Eiskralle beleidigt. »Ich habe mir die Richtung genau eingeprägt und mir einen Markierungspunkt am Stamm des nächsten Baumes genommen. Dort ist er … der Stumpf des ab gebrochenen Astes dort oben!« Ich sah in die Richtung, in die er wies. Ich kannte seine Gewissenhaftig keit in Fällen dieser Art. Der abgebrochene Aststumpf lag haargenau auf 192 Grad, also bis auf ein halbes Grad auf Südwest bei Süd. Ich wußte nicht, was ich damit anfangen sollte. Ich war ratlos. »Vielleicht«, sagte Eiskralle ein wenig gehässig, »möchtest du selbst nach oben klettern und dich überzeugen.« »Das ist ein Gedanke!« antwortete ich rasch. »Nicht, weil ich dir miß traue, du gläsernes Ungeheuer. Sondern weil ich die Skinen aller denkba ren Tricks für fähig halte. Verstanden?« Er war halbwegs versöhnt und half mir auf den untersten Ast hinauf. Ich kletterte flink wie eine Bergkatze, so rasch, wie ich noch nie zuvor geklet tert war. Ich erreichte den Ast, auf dem Eiskralle gesessen hatte. Ich setzte mich rittlings darauf und schob mich vorwärts, bis ich soweit kam, daß der Ast sich unter mir in gefährlicher Weise zu biegen begann. Ich sah mich um und vergewisserte mich, daß die umherschwirrenden Gleiter mich nicht sehen konnten. Dann hielt ich Ausschau. Ich begriff erst jetzt, wie schwierig Eiskralles Aufgabe bisher gewesen war. Er mußte aus dieser luftigen Höhe die Silhouette der POLVPRON anpeilen und sich dann irgendwo in der näheren Umgebung ein Merkmal suchen, das in derselben Richtung lag. Das war ein mühseliges Unterneh men, und es nahm mich jetzt nicht mehr wunder, daß unsere Einweisung selbst auf so geringe Entfernung noch einen Fehler von bedeutender Größe hatte. Ich blickte über die Wipfel der Bäume und die Firste der Häuser hinweg auf das Landefeld hinaus. Ich sah die Kugel der POLVPRON. Ich senkte den Blick und versuchte, den Aststumpf zu finden, nach dem Eiskralle sich orientiert hatte. Als ich ihn gefunden hatte, fuhr es mir wie ein elektri scher Schock durch den Körper. Der Stumpf lag weit links von der Rich tung, in der sich unser Raumschiff befand. Wie der Chretkor ihn als Mar kierung hatte wählen können, war mir unklar. Ich suchte nach einem bes seren Merker. Ich blickte hinab in das grüne Halbdunkel des Waldes und fand einen kleinen, verkümmerten Baum, dem seine großen Artgenossen das Sonnenlicht raubten, so daß er nicht wie sie hatte wachsen können.
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Die Stelle, an der sein dünner Stamm aus dem Boden drang, lag genau in derselben Richtung wie die Silhouette der POLVPRON. Sie war noch wei ter nach Westen verschoben als bisher, und das konnte ich mir nicht erklä ren. Aber es hatte keinen Zweck, über derartige Dinge lange nachzuden ken und dabei Zeit zu verlieren. Man mußte die Lage einfach nehmen, wie sie war. Es war alles in Ordnung, bis ich dann – kurz bevor ich mit dem Abstieg begann – meine Peilung vorsichtshalber noch einmal überprüfte. Ich maß mit dem Auge den dürren Baumstamm, ließ den Blick in die Höhe gleiten und visierte über die Wipfel des Waldes hinweg die POLVPRON an. Als ich sah, daß meine Markierung in den wenigen Augenblicken weit nach links ausgewandert war, daß die POLVPRON weit mehr westlich stand, als ich vor kurzer Zeit gemeint hatte, da hätte ich vor lauter Schreck fast den Halt an meinem Ast verloren und wäre in die Tiefe gestürzt. Ich fing mich jedoch noch im letzten Augenblick. Was hier geschah, ging nicht mit rechten Dingen zu. Jetzt erst, wahrscheinlich viel zu spät, dachte ich an die Mittel, die den Skinen, dank ihrer überlegenen Technik zur Verfügung standen. Ich begriff, daß wir einem Trick aufgesessen wa ren, einem Zauberkunststück, das die Skinen uns vorgeführt hatten. Das bedeutete, daß uns unmittelbare Gefahr drohte. Ich glitt so rasch am Stamm des Baumes hinab, daß mir durch das strapazierfähige Material der Montur hindurch auf der Haut heiß wurde. Unten erwartete mich Eiskralle mit zuversichtlich spöttischer Miene. Er änderte seinen Gesichtsausdruck rasch, als er mich erblickte. »Was … was ist los?« stotterte er. »Sie haben uns an der Nase herumgeführt!« knurrte ich. »Sie gaukeln uns irgendeine optische Illusion vor, die uns irreführt. Das Landefeld liegt nicht wirklich dort, wo wir es sehen. Wer weiß, wie lange wir schon in die Irre gegangen sind.« Er war ratlos. »Und was tun wir jetzt?« wollte er wissen. »Wir warten«, entschied ich. »Irgendwann werden die Skinen der Sache müde werden und die Illusion ausschalten. Bis dahin halten wir uns ver steckt.« Ich erfuhr später, daß meine Vermutung tatsächlich richtig war. Die Skinen verstanden es, großmaßstäbliche Bilder sozusagen in die Luft hin ein zu projektieren. Mit diesem Kunststück hatten sie uns einen Anblick des Landefeldes und der POLVPRON vorgegaukelt, der sich nicht mit der Wirklichkeit deckte. Der Unterschied zwischen Illusion und Wirklichkeit wurde zuerst gering gehalten, damit uns die Unterschiede, die sich von ei ner Justierung des Hodometers zur nächsten ergaben, nicht mißtrauisch machten. Erst als wir dem Ziel nahegekommen waren, wurde die Diskre
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panz so deutlich, daß wir Verdacht schöpften. So richtig meine Hypothese war, so falsch waren, wie sich bald heraus stellte, die Schlußfolgerungen, die ich daraus zog. Ich glaubte, wir brauch ten hier nur zu warten, bis den Skinen die Geduld ausging. Was ich über sah, war die Tatsache, daß sie mit Hilfe der optischen Illusion unsere Be wegungen hatten kontrollieren können. Sie wußten, daß wir zu unserem Raumschiff zurückwollten. Indem sie das Landefeld und die POLVPRON an einen unbestimmten Ort projizierten, zwangen sie uns, die Richtung zu diesem Ort einzuschlagen. Sie wußten also, entlang welcher Linie wir uns bewegen würden, und brauchten ihre Posten nur entlang unseres Kurses aufzustellen, um uns ganz sicher wieder in die Hände zu bekommen. Eiskralle und ich waren rechtschaffen müde. Ich konnte mich kaum noch erinnern, wann ich das letzte Mal geschlafen hatte. Wir setzten uns auf den Boden und lehnten uns gegen den Baumstamm. Ich muß wohl ein geschlafen sein. Denn als ich plötzlich das mittlerweile vertraute, aufge regt helle Summen einer skinischen Stimme hörte, fuhr ich benommen in die Höhe. Es nützte mir allerdings nichts mehr. Etwas traf mich mit der Wucht ei nes Huftritts gegen den Kopf. Ich sah noch den Boden auf mich zukom men, als ich stürzte, aber den Aufprall spürte ich nicht mehr.
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10.
Dann war es wieder wie zuvor. Ich stak in der himmelhohen, durchsichti gen Röhre, und fünf Meter entfernt gab es eine zweite Röhre, in der Eiskralle steckte. Er war bei Sinnen und warf mir einen halb zerknirschten, halb bedauernden Blick zu. Etwas allerdings war anders. Die Hunderte von Skinen huschten nicht mehr wie früher geschäftig und emsig hin und her, sondern sie ballten sich um eine Gerätegruppe in der Mitte der Halle. Ihre Kopfscheiben leuchte ten in hellstem Blau. Etwas Unvorhergesehenes mußte geschehen sein. Meine Neugierde erwachte. Ich wollte wissen, was es war. Der Umstand, daß mein zweiter Fluchtversuch ebenso wie der erste mißlungen war, hatte mich entmutigt, aber nicht völlig. Jetzt, da die Auf merksamkeit der Skinen ausschließlich auf die eine Gruppe von Maschi nen konzentriert war, schien mir der Augenblick gekommen, in dem ich einen dritten Versuch unternehmen sollte. Ich faßte den Chretkor scharf ins Auge und zischte ihm zu: »Nichts wie 'raus hier!« Er nickte zögernd. Viel schien er von der Idee nicht zu halten. Aber er begann von neuem, sich zu drehen und zu winden, wie er es zuvor schon getan hatte, um seine Handflächen mit der Wandung der Röhre in Kontakt zu bringen. Er hatte es fast schon geschafft, da geschah das Unerwartete: die Röhren begannen, sich zu bewegen. Ich fühlte die Wandung an mir entlanggleiten und stellte fest, daß die Röhre sich senkte. Sie glitt rings um mich herum in den Boden der Halle hinein. Eiskralle hatte sofort innegehalten, als er die Bewegung der Röhren be merkte. Er bot den Anblick der personifizierten Bestürzung – auch dann noch, als das obere Ende der Röhren längst an uns vorbeigeglitten und im Boden verschwunden war. Wir waren frei, aber der Chretkor stand immer noch so, wie er sich zuletzt gekrümmt hatte, um seine Handfläche mit der Röhrenwandung in Kontakt zu bringen. Der Anblick reizte zum Lachen. »Heh, wach auf!« rief ich ihm zu. Er löste sich aus der Starre. Mit großen Augen blickte er sich um. »Wa … warum?« stammelte er. »Etwas muß vorgefallen sein«, antwortete ich und nickte in Richtung der Skinen. »Das ist die beste Möglichkeit …« Ich wurde unterbrochen. Wie aus dem Boden gewachsen, stand plötz lich ein Skine vor uns. Ich glaubte, Soon-Soon zu erkennen. Bis auf den heutigen Tag weiß ich nicht, wo er so plötzlich herkam. Es mag sein, daß er einen der einpoligen Transmitter benutzte. »Man hat euch gesagt, daß ihr frei sein werdet, sobald die Behandlung
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abgeschlossen ist«, erklärte er, und an der Stimme des Translators erkann te ich, daß es wirklich Soon-Soon war. Er schwieg, als erwarte er eine Antwort. »Ja … nun?« fragte ich schließlich. »Was man euch gesagt hat, ist richtig«, fuhr er fort. »Ihr seid frei. Den noch möchte ich dich bitten, noch eine Zeitlang bei uns zu verweilen.« Ein paar Augenblicke lang war ich sprachlos. »Heißt das …«, stieß ich hervor, »daß die Behandlung schon abge schlossen ist?« »Ja, das heißt es«, erklang es aus dem Translator. Ich versuchte, nachträglich Zeichen oder Symptome der Behandlung zu erkennen. Aber ich fühlte mich völlig normal. Die Herstellung des Abbilds meines Bewußtseins hatte keinerlei Spuren an mir hinterlassen. Ich erholte mich von der Überraschung und begann zu ahnen, daß Soon-Soons seltsa me Erklärung mit dem Unerklärlichen zu tun hatte, das die Skinen mit Er regung erfüllte. »Wir sind also frei?« erkundigte ich mich, um meiner Sache ganz sicher zu sein. »Ihr habt Abbilder unseres Bewußtseins erzeugt, und wir können gehen.« »Ja, das könnt ihr. Nur, wie gesagt …« »Du bittest mich, noch eine Weile zu bleiben. Warum?« »Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte Soon-Soon ernst. »Und Eiskralle?« »Draußen wartet einer unserer Fluggleiter auf deinen gläsernen Freund. Er wird ihn zu eurem Raumschiff bringen.« Ich sah den Chretkor fragend an. Er machte begeistert die Geste der Zu stimmung. »Du willst gehen?« fragte ich. »Je eher, desto besser!« »Gut! Richte Fartuloon aus, daß sich hier etwas Wichtiges ereignet hat und daß ich ein wenig später komme.« Er machte ein zweifelndes Gesicht. »Bist du sicher, daß du den Kerlen trauen kannst?« wollte er wissen. »Ich bin sicher«, antwortete ich. »Ihr braucht euch um mich keine Sor gen zu machen.« Er ging auf den Ausgang zu. Zwei Skinen nahmen sich seiner an, um ihn zu dem Fahrzeug zu geleiten. »Komm mit mir«, forderte Soon-Soon mich auf, »damit ich dir zeigen kann, was sich hier Eigenartiges zugetragen hat.« »Du machst mich neugierig«, ließ ich ihn wissen. Wir näherten uns der mehrere hundert Personen starken Gruppe der Ski nen, die sich um die Ansammlung von Maschinen im Mittelpunkt der Hal
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le drängten. Als sie uns kommen sahen, wichen sie auseinander und bilde ten eine Gasse, durch die wir bis an eine kompliziert und fremdartig ausse henden Konsole gelangten. Soon-Soon drückte ein paar Knöpfe und er klärte: »Zuerst zeige ich dir das Bewußtsein deines gläsernen Freundes.« Er schien meinen ungläubigen Blick deuten zu können, denn er beeilte sich hinzuzufügen: »Ich weiß, ich sagte, ein Bewußtsein sei optisch nicht sichtbar. Diese Aussage gilt nach wie vor. Aber innerhalb der ›Falle‹ erzeugt das Bewußt seinsabbild gewisse energetische Veränderungen, die man sichtbar ma chen kann.« Aus einer Spalte schlüpfte ein ovales Stück glänzender Folie. Sie war dunkel bis auf eine Anzahl wirrer, heller Spuren. Sie sah aus wie eine Röntgenaufnahme. Soon-Soon ergriff sie mit einer seiner Greifhände und hielt sie nach oben in das Licht. Ich sah etwas, das eine vage Ähnlichkeit mit einer unregelmäßig geformten, hundertbeinigen Spinne hatte. Die Mit te bildete ein heller Kern, von dem aus eine Unzahl tentakel- oder spinnen beinähnlicher Fäden auswärts strebten. »Das«, sagte der Skine mit Nachdruck, »ist das energetische Abbild der Veränderung, die das Bewußtsein deines Freundes in der Speicherzelle hinterlassen hat.« Er drückte abermals eine Serie von Knöpfen. »Und jetzt kommt das Abbild deines Bewußtseins.« Ein zweites Stück dunkler, glänzender Folie glitt aus dem Schlitz. Auch dieses ergriff Soon-Soon und hob es in die Höhe. Das Bild war grundver schieden von dem, das ich wenige Augenblicke zuvor gesehen hatte. Ich begriff nun, warum die Skinen so erregt waren. Das Bild zeigte zwei Spin nen anstelle der einen, die Eiskralles Bewußtseinsabdruck erzeugt hatte. »Du siehst es!« sagte Soon-Soons Translator mit schwerer Stimme. »Du bist ein gänzlich ungewöhnliches Wesen. Bei dem Versuch, ein Abbild deines Bewußtseins herzustellen, entstanden ohne unser Dazutun zwei Bil der!« In dem Augenblick, in dem er es sagte, fiel mir die einzige plausible Er klärung ein: mein Extrahirn! Es hatte auf das Bemühen, ein Abbild meines Verstandes zu erzeugen, als selbständiges Bewußtsein reagiert. Der Impuls zur Erzeugung des einen Abbilds war von meinem Normalgehirn, der zur Herstellung des anderen von meinem Extrasinn ausgegangen. Das Abbild meines Bewußtseins existierte nun im Duplikat, und die Skinen waren ver wirrt. Etwas Ähnliches war ihnen im Laufe ihrer jahrtausendealten Praxis noch niemals zugestoßen. Ich konnte ihre Bestürzung verstehen. Anderer seits fühlte ich mich jedoch nicht verpflichtet, sie aufzuklären. Ich beab sichtigte, das Geheimnis meines Extragehirns für mich zu behalten. »Ich weiß keine Erklärung«, log ich. »Vielleicht sind eure Maschinen
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defekt.« »Bei uns gibt es keine defekten Maschinen«, antwortete Soon-Soon ab weisend. »Bei uns funktioniert alles … besonders solch wichtige Geräte wie diese hier.« Er versuchte, mich auszuforschen. Er schilderte, wie er uns durch eine optische Täuschung genarrt hatte. Wie Posten entlang unseres voraussicht lichen Weges aufgestellt worden waren, um in dem Augenblick über uns herzufallen, in dem wir es am wenigsten erwarteten. Er berichtete, daß er inzwischen gelernt habe, uns Burschen von der POLVPRON für rabiate Gesellen zu halten. Deswegen hatte er kein zusätzliches Risiko eingehen wollen und uns der Behandlung unterzogen, während wir noch bewußtlos waren. Es machte, wie er sagte, für die Prozedur keinen Unterschied, ob der, dessen Bewußtsein abgebildet werden sollte, wachte oder schlief oder ohnmächtig war. Solange er nur noch lebte, wurde das Abbild ordnungs gemäß erzeugt. Er wollte wissen, ob wir auf unserer Flucht irgendwelche außergewöhn lichen Erlebnisse gehabt hätten, die das Entstehen von zwei Abbildern meines Bewußtseins zu erklären vermöchten. Ich verneinte auch diese Fra ge, und nicht ohne Schadenfreude fügte ich hinzu: »Die Idee, eine Kopie meines Bewußtseins herzustellen, war die eure. Für unerwartete Folgen bin ich nicht verantwortlich.« Er hörte den Spott nicht – oder wollte ihn nicht hören. Mit ernster, ein dringlicher Stimme ließ er mich wissen: »Durch dieses Ereignis werden Ergebnisse jahrtausendelanger For schungen in Frage gestellt. Eine Theorie hat zu wanken begonnen – eine Theorie, die wir bisher für die am sichersten fundierte hielten. Wie kann ein solcher Vorfall dich so gleichgültig lassen?« »Ganz einfach«, lachte ich. »Weil ich mich nicht für die Bewußtseine anderer Wesen interessiere. Was gedenkt ihr übrigens zu tun? Was ge schieht mit dem überzähligen Duplikat?« »Wir wissen es nicht«, bekannte er offen. »Beide Abbilder existieren zusammen in derselben Speicherzelle. Wenn sie nicht miteinander iden tisch wären, würden sie einander auslöschen. So jedoch scheinen sie sich miteinander zu vertragen.« »Was tut ihr mit den Abbildern, nachdem ihr sie gespeichert habt?« fragte ich weiter. »Wir rufen sie bei Gelegenheit ab, um sie genau zu untersuchen. Nach Abschluß der Untersuchung werden sie wieder in den Speicher überführt.« »Und dasselbe werdet ihr auch mit meinen beiden Bewußtseinsabbil dern tun?« »Ich glaube es nicht«, antwortete er, und die Stimme des Translators klang halbwegs verzweifelt.
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»Warum nicht?« »Weil wir als Behälter für das aus dem Speicher abberufene Bewußtsein ein Leerbewußtsein zur Verfügung stellen müssen – also einen von uns, dessen Eigenbewußtsein durch Drogen unterdrückt worden ist, so daß er als Empfänger fungieren kann. Solange es sich nur um ein Fremdbewußt sein handelt, das er in sich aufnehmen muß, ist alles in Ordnung. Das ha ben wir schon hundertmal getan, und dabei gibt es keine Gefahr. Wenn jetzt jedoch plötzlich zwei Bewußtseinsabbilder in das Leerbewußtsein fahren, dann kann es sein, daß der Empfänger beschädigt wird. Daß das Gehirn eine bleibende Verletzung davonträgt. Deswegen weiß ich nicht, was wir jetzt tun sollen.« Er stand so, daß seine Kopfscheibe auf die graubraune Speicherwand mit der flackernden Kuppel gerichtet war. In einer dieser Kuppeln verbarg sich mein Doppelbewußtsein. Soon-Soon schien die Wand anzustarren, als erwarte er alleine aus ihrem Anblick eine Lösung seines Problemes. In diesem Augenblick geschah etwas Seltsames. Ein merkwürdiger Ton ging von der Wand aus. Es klang wie ein hohles Sausen, das in äußerst tiefer Tonlage begann und dann rasch höher und schriller wurde. Als es ei ne solche Lautstärke erreicht hatte, daß meine Ohren zu schmerzen began nen, brach es plötzlich ab. Ich hatte keine Ahnung, was vorgefallen war. Und den Skinen schien es nicht besser zu ergehen, denn plötzlich leuchte ten ihre Kopfscheiben nicht mehr blau, sondern türkis und schließlich so gar grün, wodurch gezeigt wurde, daß sie tiefe Sorge empfanden. Niemand schien zu wissen, was zu tun war. Das aufgeregte Summen skinischer Stimmen umgab mich von allen Seiten. Von den Skinen um mich herum trug nur Soon-Soon einen Translator. Ich konnte also nicht hören, was die andern zu sagen hatten. Ich blickte mich um und bemerkte einen einzelnen Skinen, der sich aus der Gruppe löste und ohne sonderli che Eile auf den Ausgang zuging. Ich sah ihn das Portal öffnen und hinaus ins Freie treten. So nebenbei nahm ich zur Kenntnis, daß draußen die Son ne schien. Es war also noch immer – oder schon wieder Tag. Die Bedeu tung meiner Beobachtung ging mir erst später auf. Soon-Soon schien sich zu einem Entschluß durchgerungen zu haben. Er betätigte noch einmal dieselbe Gruppe von Schaltknöpfen, mit der er es auch zuvor schon zu tun gehabt hatte. Zum dritten Mal spie der Schlitz ein Stück dunkler, glänzender Folie aus. Soon-Soon nahm es auf und betrach tete es. Das spitze Summen, das er gleich darauf ausstieß, konnte nur als ein Schrei des Entsetzens gedeutet werden. Ich bemühte mich, an das Bild heranzukommen. Das war nicht einfach, da die Skinen es untereinander herumreichten und nicht höher hielten, als für ihre geringe Körpergröße notwendig war. Ich entriß es schließlich ei ner Greifhand, die in meiner Nähe vorbeifuhr, und hielt es hoch gegen das
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Licht. Da sah ich, worüber Soon-Soon so entsetzt war. Eine der beiden Spinnen war verschwunden. Es befand sich nur noch ei nes der Abbilder meines Bewußtseins in der Speicherzelle! Die Erregung hielt unvermittelt an. Schließlich nahm Soon-Soon mich beiseite und führte mich aus der Halle hinweg in einen Nebenraum. Er lud mich ein, auf einer skinischen Liege Platz zu nehmen. Ich wollte wissen, was er vorhatte; er schien jedoch plötzlich meine Fragen nicht mehr zu verstehen. Nach wenigen Minuten öffnete sich der Eingang und ein weite rer Skine erschien. Er trug einen Translator und sagte zu mir: »Ich kann mir vorstellen, daß du mich nicht mehr erkennst. Für deine Augen sehen alle Skinen gleich aus. Ich bin derjenige, den sie den For scher nennen.« Ich bekam große Augen. Die Sache war also wichtig! Der Forscher hat te, wie ich verstand, mit Soon-Soons Projekt eigentlich nichts zu tun. Sei ne Studien waren anderer Art. Nur manchmal wurde er seiner großen Weisheit wegen als Berater hinzugezogen. Daß er jetzt hier auftauchte, be wies, daß seine Dienste dringend gebraucht wurden. »Ich weiß nicht, wie ich dir erklären soll, was hier geschehen ist«, sagte er, »weil ich es mir selbst kaum erklären kann. Fest steht jedoch, daß eines der beiden Abbilder deines Bewußtseins aus der Speicherzelle entkommen ist. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der nur dadurch ermöglicht wor den sein kann, daß sich in ein und derselben Zelle zwei Abbilder befinden. Das jedoch nur am Rande. Wir wissen, daß ein Bewußtsein ohne materiel le Bindung nicht existieren kann. Das entwichene Abbild muß also ein Ge hirn gefunden haben, in dem es sich niederließ. Mit anderen Worten: ir gendwo auf dieser Welt lebt in diesem Augenblick ein Wesen, das zwar nicht in körperlicher, aber wohl in geistiger Hinsicht dein absolutes Eben bild ist. Dein Bewußtsein scheint von außergewöhnlicher Intensität zu sein. Es hat das Eigenbewußtsein des Gastkörpers in die Knie gezwungen und beherrscht seinen Geist vollkommen. Wäre es anders, hätte sich der Befallene schon längst gemeldet.« Mir schwamm es vor den Augen. Mein Bewußtsein im Körper eines Skinen! Denn nur ein Skine konnte es sein, in dessen Gehirn das Abbild aus der Speicherzelle geflohen war! Ein skinischer Atlan! Was würde er tun? Was hatte er vor? Plötzlich fiel mir der eine Skine ein, den ich beob achtet hatte, wie er sich von der Versammlung in der Halle davonstahl. Ich sprang auf. »Ich habe ihn gesehen!« rief ich. »Wen?« fragte der Forscher. »Den Skinen, in dem sich mein Bewußtsein versteckt hat!« »Erzähle!« forderte er mich auf. Ich beschrieb den Vorgang.
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»Wann war das?« wollte er wissen. »Vor nicht mehr als dreißig Minuten.« »Also etwa zwanzig Skopen«, antwortete der Forscher niedergeschla gen. »Er wird längst über alle Berge sein.« »Es fehlt in der Tat einer meiner Techniker«, ließ Soon-Soon sich hö ren. »Er ist seit kurzem spurlos verschwunden.« »Laß überall nach ihm suchen«, wies der Forscher ihn an. »Wir müssen unserer Sache sicher sein. Wenn sich das Bewußtsein des Arkoniden wirk lich in seinen Körper geflüchtet hat, wird es schwer sein, ihn zu fassen. Denn unser Freund Atlan ist ein Wesen von ungewöhnlichen Fähigkei ten.« Er wandte mir die Kopfscheibe zu. Sie leuchtete in hellem Rot, ein Zei chen dafür, daß er sein seelisches Gleichgewicht nach wie vor besaß. »Du wirst uns helfen müssen, mein Freund«, sagte er. »Helfen … wozu?« fragte ich überrascht. »Dein Bewußtsein wieder einzufangen.« »Oh nein!« lachte ich. »Das ist euer Problem. Ihr veranstaltet diese merkwürdigen Spielchen, Abbilder von Bewußtseinen herzustellen. Ihr fangt es wieder ein.« »An deiner Stelle würde ich die Sache nicht so leicht nehmen«, warnte er mich. »Warum nicht?« »Das Bewußtsein eines Arkoniden steckt im Körper eines Skinen. Meinst du, es fühlte sich dort wohl? Bei nächster Gelegenheit wird es ver suchen, sich einen wirtlicheren Gastkörper zu verschaffen – zum Beispiel eines der Besatzungsmitglieder deines Raumschiffs. Wie wohl wäre dir, wenn du an Bord deines eigenen Schiffes plötzlich einen Doppelgänger hättest?« Das stimmte mich nachdenklich. Er mochte recht haben. Die Sache war wirklich nicht so einfach, wie ich sie mir gedacht hatte. Das Bewußt seinsabbild konnte in diesem Augenblick schon in die POLVPRON einge drungen sein. Es lag in meinem eigenen Interesse, daß es gefunden und in den Speicher zurückgebracht wurde, bevor es Schaden anrichten konnte. »Ich will mir die Sache überlegen.« Im stillen aber wußte ich, daß ich mich an der Jagd beteiligen würde. An der Jagd nach meinem eigenen Bewußtsein …! ENDE
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