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Panfilo de Retortilla fluchte. Er hatte seine schwere, aus Rohlederstreifen geflochtene Pe...
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Seewölfe 52 1
Roy Palmer 1.
Panfilo de Retortilla fluchte. Er hatte seine schwere, aus Rohlederstreifen geflochtene Peitsche zusammengerollt und unter den linken Arm geklemmt. Während er über den Gang des Unterdecks lief, versuchte er, das Gleichgewicht zu halten. Das Schiff rollte und schlingerte in den kochenden Fluten der Karibik. Schwer krängte es nach Backbord, aber schon im nächsten Moment legte es sich wie ein angeschlagener Gigant auf die Steuerbordseite - so weit, daß es zu kentern drohte. Gleichzeitig hob und senkte sich die Galeone in ihrer Längsrichtung - mal schoß es die steilen Hänge von Wellenbergen hinauf und ritt über deren gischtende Kämme, mal neigte sich der Bugspriet den gähnenden Tiefen der Wogenschluchten entgegen und leitete eine rasende Talfahrt ein. Dröhnend und heulend tobten die Urgewalten der Natur. Es war die Hölle. Panfilo de Retortilla, ein schlanker und sehniger Mann mit Oberlippenbärtchen, verlor auf halber Höhe des Niederganges die Balance. Mit der Schulter krachte er gegen die rechte Seitenwand. Er rutschte daran zu Boden. Beinahe wäre er die Holzstufen hinuntergestürzt und auf den Gang zurückgekehrt. Im letzten Augenblick stemmte er die Füße gegen die andere Seitenwand, stützte sich mit den Händen ab und richtete sich wieder auf. Voll Wut stürzte er auf Deck. Es lag nur zum Teil am Sturm, daß er so ungehalten war. Da war noch etwas anderes: ein Verdacht, den er schon seit langem gehegt hatte. Die Galeone holte wieder nach Backbord über. Der Spanier hatte seine Not, sich irgendwo festzuklammern und nicht über Bord gerissen zu werden. Grollend rollten die Brecher heran, türmten sich neben der Steuerbordseite hoch und rauschten als schwärzlich-grüne Wand hoch über das Schanzkleid hinaus. Das Wasser ergoß sich zischend über die Kuhl.
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Ein Seemann, der verzweifelt damit beschäftigt war, ein Fall zu klarieren, wurde durch die Wucht des Brechers von der Nagelbank fortgeräumt wie ein unnützer Sack Lumpen. De Retortilla war Zeuge, wie der Mann über das Backbordschanzkleid hinausgespült wurde. Er unternahm jedoch keinen Versuch, den Bedauernswerten zu retten. Es hätte ihn das Leben kosten können. In dieser Lage war sich jeder selbst der Nächste. Der Seemann schrie gellend, dann erstickte das Brüllen des Sturmes seine Laute. De Retortilla sah ihn in den brodelnden Fluten verschwinden. Panfilo de Retortilla biß die Zähne zusammen und hangelte an den über Deck gespannten Manntauen nach achtern. Er befand sich auf der Höhe der Kuhlgräting, als die Brecher erneut mit unbezwingbarer, furchtbarer Gewalt auf die Galeone einhieben. Der Mann mit dem Bärtchen duckte sich. Dann warf er sich hin und klammerte sich an der Gräting fest. Wassermassen prasselten auf ihn nieder, und er glaubte, ertrinken zu müssen. In diesem Moment verlor er auch seine Rohlederpeitsche. Der Sturm heulte stärker als je zuvor. Er rüttelte an der DreimastGaleone. Ein Ruck durchlief sie und fuhr bis tief in die Verspannungen, daß es bedrohlich knackte. De Retortilla rappelte sich auf. Er war bis auf die Haut durchnäßt. Die Kürbishose und das Schoßwams klebten ihm am Körper. sei Hut hatte er längst verloren. Sein scharfgeschnittenes Gesicht hatte etwas von der Arroganz verloren. die es gewöhnlich zur Schau stellte. Er hastete an den Manntauen weiter. Von den anderer, beiden Schiffen, die zu ihrem Verband gehörten, vermochte er in dem tobenden Wetter nichts zu erkennen. Wo waren sie? Abgefallen, vom Kurs abgekommen und auf rasender Irrfahrt durch das wogende Element? Oder gar bereits von der See verschlungen? Es kostete ihn viel Kraft bis zum Achterkastell zu gelangen. Der aus Südost herantosende Sturm drohte ihn von den Füßen zu reißen. Ein falscher Griff, ein
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Fehltritt, und er würde gegen den Großmast geschleudert oder über die Kuhl gewirbelt werden. Dann würde er dem außenbords gegangenen Seemann und den anderen Schiffbrüchigen folgen, die schon in den Fluten trieben. Wer nicht ertrank, der würde von Haien zerrissen werden. De Retortilla blickte auf. „Wo ist Sagreras?“ schrie er. „Wo steckt der Kapitän?“ Niemand konnte ihm eine Antwort geben. Der Rudergänger, der Stockmeister und die Offiziere, die sich auf dem Achterdeck versammelt hatten, zuckten nur mit den Schultern. Sie hatten alle Hände voll zu tun. Sie klammerten sich an den Nagelbänken, am Schanzkleid und an der Five-Rail fest, flehten zum Himmel, fochten einen erbitterten Kampf gegen das drohend über ihnen schwebende Schicksal und versuchten zu retten, was noch zu retten war. Sie trachteten danach, das Schiff vor dem Querschlagen und Kentern zu bewahren. Sinnlose Befehle wurden über Deck geschrien. Die Mannschaft hatte bereits jegliche Kontrolle über sich selbst und über ihr Schiff verloren. Die Galeone hatte sich in ein in panischer Angst dahingaloppierendes Roß verwandelt, das seinem Herrn durchgegangen war. De Retortilla zog den Kopf ein, als über ihm die Segel zu schlagen begannen. Das Knattern war gewaltig. Es übertönte noch das Orgeln des Sturmes. Die Mannschaft schrie in Todesangst, und die Offiziere auf dem Achterdeck beteten mal zu Gott, mal riefen sie den Leibhaftigen an. Der Stockmeister brüllte auf den Rudergänger ein, als sei dieser für das Chaos verantwortlich. Endlich hatte de Retortilla das Backbordquerschott des Achterkastells erreicht. Er riegelte es auf. Bevor neue Brecher heranfegten und ihm zusetzten, tauchte er im Dunkel des Niederganges unter. Er stieg nach unten und hastete wankend auf dem Gang entlang, der zur Kapitänskammer führte. Ohne anzuklopfen, riß er die Tür auf.
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Ein untersetzter Mann in Uniform fuhr mit hochrotem Kopf aus einer Ecke der Kammer hoch. „Sie! Zum Teufel, was fällt Ihnen ein, hier so einfach ...“ „Kapitän Sagreras!“ rief de Retortilla erbost. „Das Schiff fährt mitten durch sämtliche Feuer der Verdammnis, und Sie verkriechen sich feige in Ihrer Kammer!“ „De Retortilla! Ich verbiete Ihnen, weiterzureden. Ich ...“ „Feigling!“ brüllte der Mann mit dem Oberlippenbärtchen. Er stolperte in den Raum, das Schlingern des Schiffes ließ keine vernünftigere Gangart zu. „Sie elender Narr haben feige Ihren Posten oben auf der Hütte verlassen.“ „Das ist infam!“ „Das ist die Wahrheit!“ „Ich bin hier unten, um mich anhand der Karten über unsere genaue Position zu vergewissern“, sagte der Kapitän mit vor Wut zitternder Stimme. „In der Ecke dort?“ „Ich bin gefallen. Außerdem — ich bin Ihnen keinerlei Rechenschaft schuldig.“ Sagreras richtete sich schwerfällig auf. Beim ersten Mal mißlang dies, er kippte wieder in seine Ecke zurück. De Retortilla hatte sich in Zorn und Eifer geredet. Er hielt sich in keiner Weise mehr zurück. „Was gedenken Sie zu tun, Sagreras? Haben Sie die Hosen so gestrichen voll, daß Sie nicht mehr in der Lage sind, ein vernünftiges Kommando zu erteilen?“ Sagreras stand jetzt auf den Füßen. Er war darum bemüht, die heftigen Schiffsbewegungen durch Beinarbeit auszugleichen. Eine Hand hielt er hinter dem Rücken. „Ich verbitte mir diesen Ton, de Retortilla. Das ist Meuterei. Sie wissen, was Sie riskieren.“ Der Mann mit dem Oberlippenbärtchen rückte weiter auf ihn zu. „Ja, ich weiß, daß Sie mich vor ein Bordgericht stellen und zum Tod verurteilen könnten. Aber hier geht es bereits um das nackte Leben, falls Sie das noch nicht bemerkt haben sollten.“ Er stand jetzt dicht vor Sagreras und keuchte. „Da ist es mir egal, wie Sie über mich denken. Kurzum, ich scheiße auf die
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Vorschriften und die Borddisziplin. Ich will, daß Sie diesen elenden Kahn vor dem Untergang retten.“ Der Kapitän schien zu überlegen. „Wie steht es mit denen im Unterdeck?“ „Die? Um die brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen“, erwiderte de Retortilla wild. „Ich habe dieses Vieh angekettet, daß es sich nicht mehr rühren kann. Nicht mal Satan höchstpersönlich könnte sie losreißen. Wenn wir Pech haben und vom Sturm erdrückt werden, saufen sie alle ab, aber sich befreien - nein, das schaffen sie niemals.“ Er packte Sagreras an den Rockaufschlägen und zog ihn zu sich heran. „Tu endlich was, du elender Hasenfuß. Laß uns nicht so schimpflich verrecken. Nicht ich, sondern du bist der Lump auf diesem Schiff.“ In diesem Augenblick polterte hinter dem Rücken des Kapitäns etwas zu Boden. Panfilo de Retortilla entdeckte eine halbleere Rumflasche, die polternd aufschlug und in die Ecke rollte. Der Rest des Inhalts lief aus. Jetzt bemerkte er auch die Alkoholfahne, die ihm aus Sagreras’ Mund entgegenwehte, und etwas in ihm kochte über. „Bastard! Verbrecher!“ schrie er. „Oben auf Deck schinden sich die Männer ab, und du Dreckskerl säufst dir die Hucke voll, um nicht vor Angst verrückt zu werden.“ Er überhäufte Sagreras mit einem Schwall übelster Beschimpfungen. Dann schlug er ihm zweimal ins Gesicht. Sagreras versuchte den Degen zu ziehen. Die Waffe verhedderte sich jedoch im Wehrgehänge, und Panfilo de Retortilla stieß seine Faust in die Magengrube des untersetzten Mannes. Der Kapitän taumelte zurück und setzte sich auf seinen Allerwertesten. Der Gegner stürzte auf ihn zu, entwand ihm den Degen und die Pistole und schleuderte sie weit von sich. Sie fielen zu Boden und rutschten unter die Koje - unerreichbar für Sagreras. De Retortilla packte den Kapitän, riß ihn hoch und stieß ihn vor sich her in Richtung auf den Gang. Die Galeone holte unter schweren Brechern weit nach Steuerbord
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über, und sie fielen beide hin. Sagreras wimmerte plötzlich. Er wollte fortkriechen. De Retortilla holte ihn ein. Er hieb ihm mit voller Wucht gegen die Brust. Sagreras stöhnte und rang nach Luft. „Du Versager. stieß der Mann mit dem Oberlippenbärtchen hervor. „Ich sorge dafür daß du degradiert und abgeurteilt wirst, wenn wir jemals aus dieser Hölle rauskommen. Unternimm jetzt endlich was.“ „Ich will nicht sterben „Du willst stockbesoffen krepieren, du Aas. Du denkst, daß es sich so leichter stirbt. Aber daraus wird nichts.“ „Laß mich hier unten ...“ De Retortilla raffte sich auf, griff mit beiden Händen nach dem schweren Mann und schleppte ihn mit sich durch den düsteren Gang_ Das Tosen des Sturmes war ein greuliches Konzert, das sie erschaudern ließ. Sagreras jammerte. daß es eine Schande war. „So habe ich dich eingeschätzt!“ rief de Retortilla. „Von Anfang an habe ich gewußt. daß du eine Memme bist, und deswegen konnte ich dich nicht ausstehen, Sagreras.“ „Hilf mir, de Retortilla, mein Gott, ich werde dich reich belohnen!“ „Einen Dreck tue ich. Jetzt wird abgerechnet. Du und ich, wir klettern aufs Achterdeck. Da kannst du eine Probe seemännischen Könnens liefern. Du wirst uns aus der Klemme helfen. Ich schwöre dir, ich steche dich ab, wenn du es nicht schaffst.“ Sagreras schrie vor Panik. „Kein Mensch kann diesen Kahn noch vor dem Absaufen bewahren. Das weißt du so gut wie ich!“ Panfilo de Retortilla rammte dem Kapitän die Faust in die Seite. Dieser krümmte sich unter unsagbaren Qualen. Die Schmerzen durchzuckten seinen Leib in rasenden Stößen, Schleier wogten vor seinen Augen auf und ab. Sagreras war halb ohnmächtig, als der Mann mit dem Oberlippenbärtchen ihn aus dem Holzquerschott des Achterkastells auf das Quarterdeck und dann in Richtung auf den Großmast dirigierte. Mehr instinktiv
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als bewußt hielt sich der Kapitän an den Manntauen fest. Gischt hüllte sie beide wie Nebelschleier ein. Die Mannschaft bestand nur noch zur Hälfte, und dieser kleine, verzweifelte Resthaufen hatte sich auf der Kuhl versammelt und trachtete danach, sich unters Vordeck zu retten, ehe ihn das Schicksal der anderen, vom Meer verschlungenen Seeleute, traf. Die Männer schrien um ihr Leben. „Sieh sie dir an!“ brüllte de Retortilla dem Kapitän ins Ohr. „Sie sind nicht viel mehr wert als das Vieh, das im Unterdeck festgekettet ist - und doch haben sie dir einiges voraus, du Bastard. Ergreife die Initiative, wenn dir dein Leben lieb ist. Tu etwas!“ „Ich kann nicht!“ kreischte Sagreras. Panfilo de Retortilla zückte sein Messer. Er war allen Ernstes darauf aus, den Kapitän zu töten. Niemals würde sich wieder eine so günstige Gelegenheit dazu bieten. Sagreras war betrunken, angeschlagen und halb wahnsinnig vor Furcht, er leistete keinen Widerstand mehr. Er war ein willenloses Etwas in de Retortillas Fäusten. Die Blicke des Stockmeisters, der Offiziere und des Rudergängers hafteten auf dem Mann mit dem Oberlippenbärtchen. Keiner regte sich, um Sagreras beizustehen. Sie konnten ihn alle nicht leiden, den zur Fülle neigenden, Entscheidungen gern aus dem Weg gehenden Mann. Sagregas war ein Mensch, der den Weg des geringeren Widerstandes liebte und nie Kapitän hätte werden dürfen. Begünstigungen, Vetternwirtschaft und Korruption hatten ihm überhaupt erst zu seinem Posten verholfen. Er eignete sich nicht zum Führer. De Retortilla hatte das früh erkannt und es verstanden, während ihrer Reise für sich zu werben. Er war nicht der Typ, der Sympathien hortete, aber er verfügte über die Überzeugungskraft und Härte, die Sagreras fehlten. Schon lange hatte er daran gedacht, den Kapitän abzusetzen und die Führung an sich zu reißen.
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Und darauf lief es hinaus. In einer dramatischen Szene wollte er Sagreras vor aller Augen niedermetzeln und das Schiff übernehmen. Sagreras hatte sich schließlich geweigert, die Lage zu meistern. Alle wußten das. So bestand eine Rechtfertigung für den Mord. Später, im fernen Spanien, konnte man übereinstimmend behaupten, der Kapitän sei im Sturm über Bord gegangen, und er, de Retortilla, habe bravourös Schiff und Mannschaft gerettet. Die Messerklinge schwebte über Sagreras’ Brust. „Nein!“ schrie der Mann in panischem Entsetzen. „Töte ihn!“ brüllte der Erste Offizier. Doch es kam anders. Die Segel über ihren Köpfen schlugen wie wild, und in diesem Augenblick geschah es. Mit ohrenbetäubendem Krachen ging die Großmarsrah in die Brüche. Sagreras riß sich von de Retortilla los, als dieser für eine Sekunde aufblickte. De Retortilla zog den Kopf ein, sprang zur Seite und suchte sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Die schwere Spiere krachte mitsamt dem an ihr befestigten Segelzeug auf das Deck nieder. Doch das war erst der Beginn des großen Unheils. Plötzlich erbebte der Schiffsrumpf unter einem gewaltigen Schlag. Berstende Geräusche waren zu vernehmen, das Geschrei der Männer, das Heulen des Sturmes und das Rauschen der Brecher waren die grausige Untermalung dazu. Panfilo de Retortilla warf sich hinter eine Nagelbank und hielt sich fest. Er wußte nicht, wo Sagreras steckte, aber im Augenblick interessierte es ihn auch nicht mehr. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er sah ganz deutlich, wie es geschah: Der Großmast brach. De Retortilla warf sich der Länge nach auf die Planken. Er beobachtete nicht, was weiter geschah. Er schloß die Augen und spürte nur noch, wie das Inferno in seiner Vollendung über sie hereinbrach. 2.
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Gary Andrews, der hellblonde, hagere Mann aus Philip Hasard Killigrews Mannschaft, hatte Mühe, sich aufrecht zu halten und nicht von dem aus Südosten herantosenden Sturm umgeblasen zu werden. Der heulende Wind fegte über die Bergkuppe weg, beulte Garys Kleidung auf und zerzauste seine Haare. Eine besonders heftige Bö brachte ihn zum Straucheln. Er fluchte, hielt sich an dem Stumpf einer abgebrochenen Krüppelkiefer fest und wartete eine Weile. Dann setzte er seine Ausguckwache fort. Aus zusammengekniffenen Augen schaute er aufs Meer hinaus, ließ den Blick schweifen, bis er auf die „Isabella V.“ traf, die unter ihm in der versteckten Bucht ankerte. Sie war wieder seeklar, die schmucke, gut bestückte Lady, die sie Generalkapitän Don Francisco Rodriguez unter dem Hintern weggekapert und erfolgreich gegen die Tortuga-Piraten unter Caligu verteidigt hatten. Die Gefechtsschäden waren vollauf behoben. Aber nicht nur Ferris Tucker. der rothaarige Schiffszimmermann. und dessen Helfer hatten in diesen vergangenen Tagen alle Hände voll zu tun gehabt. Auch der Kutscher, Koch und Feldscher in der Crew, war kaum zur Ruhe gelangt. Denn der Seewolf und viele seiner Männer hatten sich die Wunden lecken müssen, die sie aus der letzten großen Seeschlacht in der Windward-Passage davongetragen hatten. Fünf Tage und Nächte hatte der erbitterte Kampf gedauert - dann war der Seewolf der Meute unter der Führung von Caligu entwischt. Die Karibik-Piraten hatten sicherlich Gift und Galle gespuckt, daß ihnen dieser fette Brocken entgangen war. Philip Hasard Killigrew hatte sich mit der „Isabella“, in deren Frachträumen ein riesiger Schatz lagerte, in diese versteckte Bucht bei Port Morant, an der Südostküste von Jamaica, verholt. Jetzt, Anfang Oktober 1579, war die Mannschaft endlich wieder aktionsfähig.
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Aber der Sturm verhinderte das geplante Auslaufen. Der Seewolf nahm die Verzögerung mit Gelassenheit hin, denn die kleine Bucht bot ihnen guten Schutz zur See hin, so daß ihre Dreimast-Galeone nicht gefährdet war. Gary marschierte über die Bergspitze in südöstlicher Richtung. Er mußte sich gegen den Sturm stemmen, um nicht von den Beinen geholt zu werden. Wenn die starken Böen einfielen, suchte er Schutz hinter Bäumen und Buschwerk. Es wäre ein leichtes gewesen, sich einfach in irgendein Gestrüpp zu legen oder gar eine kleine Höhle aufzusuchen und dort das Vorüberziehen des Sturmes abzuwarten. Aber gerade das lief einem Mann wie Gary Andrews gegen den Strich. Und es war gegen die Prinzipien und die Bordmoral, die auf der „Isabella V.“ herrschten. Der Seewolf hatte ihm befohlen, Ausguckwache dicht an der Bucht zu gehen - und Gary tat das. Er wußte ja auch nur allzu gut, was aus einer Nachlässigkeit erwachsen konnte. Patrick O’Driscoll hatte auf der Wache geschlafen, als sie vor Cayman Grae geankert hatten. Das hätte sie alle den Kopf kosten können, wenn nicht Valdez gewesen wäre, Valdez, der in Ehren ergraute spanische Soldat, der Caligu entwischt war und sie gewarnt hatte. Patrick O’Driscoll hatte zu jenem Teil von Hasards Crew gehört, der sich aus ehemaligen Karibik-Piraten zusammensetzte. Der vierschrötige Ire hatte sein Versagen unter der neunschwänzigen Katze büßen müssen. Der Seewolf hatte kein Erbarmen gekannt. O’Driscoll, rachsüchtig wie er gewesen war, hatte Valdez vergeblich zu töten versucht, war dann über Bord gesprungen und von Piraten Caligus aus dem Wasser gefischt worden. Bei einem nächtlichen Versuch der Meute, die Schätze der „Isabella“ zu erbeuten, war O’Driscoll schließlich über die Klinge gesprungen. So hatte ein Mann sein Ende gefunden, der sich durch sein eigenes Verschulden von der sonst so fest zusammengeschmiedeten Seewolf-Crew abgesondert hatte.
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Andrews arbeitete sich bis zum Osthang des Berges vor. Es war Nachmittag, doch die grauen und schwarzen Wolkengebilde, die sich über der See bis zur Kimm hin türmten, ließen kaum Sonnenlicht durch. Der Sturm trieb die bizarren Formationen wie ein peitschenschwingender Tyrann vor sich her. Über dem Meer verwuchsen die tiefhängenden Wolkenbänke mit den hoch aufsteigenden Wogen. Die Farben der kochenden Fluten variierten zwischen Schwarz, Grün und Grau, und nur weit in der Ferne war als einziger Kontrast zu diesem düsterem Bild des Infernos ein schmutzigroter Schimmer zu erkennen. Er war nicht dazu angetan, Hoffnungen auf ein baldiges Abklingen des Wetters zu wecken. Gary Andrews wußte nur zu genau, daß dort, inmitten des rötlichen Scheins, das Kerngebiet des Sturmes lag. Die Brecher rollten auf die Insel zu, sprangen gegen ihre Küste an, suchten sich einen Weg zwischen vorgelagerten Klippfelsen hindurch, teilten sich daran, rasten auf die natürliche steile Ufermauer zu, prallten erbost dagegen und schäumten sprühend hoch. Gischtwolken stiegen fast bis zu Gary auf. Gary Andrews wollte sich schon abwenden und wieder zurückmarschieren, als er plötzlich etwas entdeckte. Er kauerte neben einer Gruppe von Felsenquadern und richtete seinen wachen, geschulten Blick auf die südöstliche Kimm. Vor dem schmutzigroten Schimmer des tobenden Wetters waren plötzlich Bewegungen zu erkennen - undeutlich nur, aber konkret genug, um Gary zu alarmieren. Er hob sein mitgebrachtes Spektiv vors Auge und sah die Masten und Aufbauten von Schiffen. „Drei Galeonen“, murmelte er vor sich hin. „Hölle und Teufel, das wird doch wohl nicht wieder Caligu mit seinen Hundesöhnen sein?“ Gary beobachtete angestrengt. Die Galeonen wurden vom Sturm auf die Insel zugetrieben. Sie liefen vor ihm her und hielten auf die äußerste östliche Spitze der Insel zu. Eins der Schiffe schien schwer angeschlagen zu sein.
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Und dann sah Gary Andrews, wie der Großmast dieser Galeone über Bord ging. Er stieß einen leisen Pfiff aus, erhob sich und lief über die Bergspitze auf die Bucht zu. Rasch eilte er an einen Platz, von dem aus er den Seewolf unter dem Wind anrufen konnte. Er mußte dazu die Bucht umrunden. Als er den Platz erreicht hatte, legte er beide Hände wie einen Trichter an den Mund und schrie: „Wahrschau! Wahrschau! Drei Galeonen in Südost mit Kurs auf die Insel! Himmel, Arsch und Zwirn, seid ihr denn alle taub?“ Eine Stimme wehte von der „Isabella“ zu ihm herüber - eine Stimme, die sich fast bis in den Diskant hinaufschraubte und dann überkippte. „He, Gary, du Kakerlakenfresser, nimm das Maul nicht so voll! Wir sitzen hier nicht auf unseren Ohren!“ Gary grinste breit. „Dan O’Flynn, du Schlingel. Na warte, wenn ich dich zu fassen kriege.“ Während Gary von seinem jetzigen Punkt aus weiterverfolgte, was sich draußen auf See abspielte, schrie Dan O’Flynn auf der „Isabella V.“ aus dem Großmars: „Deck, Deck, wir kriegen Besuch! He, ho, sagt Hasard Bescheid!“ Das war nicht mehr notwendig, denn soeben öffnete sich das Steuerbordschott im Achterkastell und der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen betrat das Quarterdeck. Er lief zu den Großmastwanten in Lee, schwang sich aufs Schanzkleid und enterte in den Webeleinen auf. Kurz darauf kletterte er über die Segeltuchverkleidung der Marsplattform. Durch den Kieker konnten sie genau beobachten, wie sich die drei Galeonen durch die tosende See kämpften und wie das Schiff mit dem zerstörten Großmast zum Spielball der Wogen wurde. Der Mast hing nach Steuerbord über. Die Galeone krängte so erheblich, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sie kenterte. „Der Mast liegt zu gut drei Vierteln außenbords“, sagte Hasard. „Es hat ihn oberhalb der Nagelbank wie einen Strohhalm weggeknickt“, fügte Dan hinzu. „Das Schanzkleid, wo er aufliegt, ist
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zersplittert. Ich möchte nicht in der Haut der Leute auf dem Schiff stecken.“ „Und wenn es Caligus Verbündete sind?“ „Dann wünsche ich ihnen natürlich den Teufel auf den „Der sitzt ihnen schon ii Nacken“, erklärte der Seewolf ernst. „Das Drama nimmt seinen Lauf. Wahrscheinlich haben die Männer Schoten, Wanten und Fallen des Mastes kappen können. aber sie schaffen es nicht, ihn ganz über Bord und in die See zu wuchten. Des Ganze kann nicht gut auslaugeBald konnten alle an Bord der „Isabella V.“ beobachten, wie die entmastete Galeone hinter den beiden anderen Schiffen des kleinen Verbandes zurückblieb. Auf den zwei noch intakten Galeonen schien man um sein eigenes Wohlergehen bemüht zu sein, jedenfalls dachte keiner daran, dem ramponierten Schiff zu Hilfe zu eilen. „Das sind Dons“, sagte Dan im Großmars. „Ich habe ganz deutlich eines ihrer unvermeidlichen Holzkreuze vor der Galion des vordersten Schiffes baumeln sehen. Sie führen keine Hoheitszeichen, aber welcher Pirat wäre schon so närrisch, sich ein Kreuz an den Vorsteven zu binden. Es sei denn, die Freibeuter haben die Schiffe gekapert und... „Es sind Spanier“, unterbrach ihn der Seewolf. „Mich würde lebhaft interessieren, was die geladen haben.“ „Vielleicht wissen wir’s bald. Die entmastete Galeone treibt auf uns zu.“ Wie gebannt beobachteten Philip Hasard Killigrew und seine Männer, wie das Unglücksschiff von den haushohen Wogen gegen die Küste der Insel geworfen wurde. Korallenbänke, etwa zweihundert Yards vor dem Ufer platziert, verhinderten den direkten Aufprall an der Steilküste. Die Galeone geriet zwischen die Bänke. Trotz des Sturmheulens war das Splittern und Krachen zu vernehmen, mit dem sie auseinander-brach. Die Männer der „Isabella“ konnten auch deutlich das entsetzliche Schreien von Menschen hören. „Wer immer sie sind, Gott sei ihrer Seele gnädig“, sagte der Seewolf. Diesmal hatte
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Dan O’Flynn keine Entgegnung auf der Zunge. Nach wie vor kümmerten sich die Besatzungen der anderen beiden Galeonen nicht um das Schicksal ihrer Gefährten. Die Schiffe liefen nach Westen ab. „Das ist gefährlich genug für sie“, sagte Dan nach einigem Schweigen. .Die Südküste der Insel ist Legerwall. Bei dem auflandigen Wind könnten sie leicht ein ähnliches Ende finden wie ihre Companeros.“ „Sie haben uns nicht gesehen“, sagte Hasard. „Und das ist auf jeden Fall von Vorteil für uns. Sollten sie sich unversehrt nach Kingston oder sonst wohin verholen, können sie nichts über eine mysteriöse Galeone erzählen, die früher mal als Flaggschiff eines Konvois fungiert hat. Ich kann hier keine Schnüffler gebrauchen. Ich will endlich mit meiner Beute nach England.“ Allmählich verschwanden die beiden Galeonen außer Sicht. Kurze Zeit darauf brach die Dämmerung herein und vervollkommnete die Finsternis über der Karibik, noch bevor die Nacht einsetzte. Der Sturm dauerte fort. Philip Hasard Killigrew kehrte auf Deck zurück und trat zu Ben Brighton, Edwin Carberry und Ferris Tucker. „Es wäre heller Wahnsinn, mit den Beibooten zu den Korallenbänken hinauszupullen und nach Überlebenden zu suchen“, sagte er. „Außerdem glaube ich nicht, daß auch nur ein Besatzungsmitglied der Galeone das Unglück überstanden hat.“ 3. Am nächsten Morgen versah Dan O’Flynn, der Gary Andrews abgelöst hatte, den Posten als Ausguck auf der Bergspitze. Arwenack, der Schimpansenjunge, begleitete ihn dabei. Sie marschierten in friedlicher Eintracht auf und ab, als die Sonne aufging. Der Sturmwind hatte sich fast ganz gelegt. Nur noch ein paar unbedeutende Wolkenfetzen trieben am graublauen
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Himmel. Es schien ein beschaulicher Tag zu werden. Dan verharrte über dem Abbruch, der auf den Osthang des Berges hinunterführte. Er richtete das Spektiv auf die Korallenbänke vor der Bucht. Von der Galeone war so gut wie nichts mehr zu sehen. Treibholz bewegte sich schaukelnd auf den Wellen und wurde vom abgeflauten Wind, der handig aus Ost wehte, in die Bucht getrieben. Plötzlich fuhr das Bürschchen zusammen. Auf -einem winzigen Riff hatte sich etwas bewegt! Er spähte hinüber und entdeckte die Gestalten von zwei Menschen. „Allmächtiger, Arwenack, es hat doch Überlebende gegeben! Wer hätte das gedacht!“ Arwenack fletschte die Zähne, keckerte und klatschte in die Hände. Er hüpfte auf der Stelle und zupfte an Dans Hosenbein. „Ja, natürlich müssen wir zu Hasard laufen und ihm Bescheid geben“, sagte Dan. „Aber warte doch mal, ich versuche was Genaueres zu erkennen ...“ Das war leider nicht möglich, denn die beiden Schiffbrüchigen hatten sich unter einen kleinen Felsüberhang des Riffes gekauert und saßen damit für ihn im toten Blickwinkel. Dan schob also das Spektiv zusammen, steckte es ein, nahm Arwenack bei der Hand und rannte mit ihm quer über den Berggipfel auf die Bucht zu. Der Seewolf zeigte sich überrascht, als er die Meldung vernahm. „Profos!“ rief er. „Sir?“ „Du besetzt das Beiboot mit zehn Männern und läßt zum Riff hinüberpullen. Holt die Schiffbrüchigen an Bord.“ „Aye, aye, Sir.“ Im Handumdrehen hatte Carberry seine Leute ausgesucht: Blacky, Batuti, Will Thorne, Jean Ribault. Matt Davies, Smoky sowie die beiden Dänen Nils Larsen und Sven Nyberg und die Holländer Jan Ranse und Piet Straaten. Sie ließen das Beiboot zu Wasser, enterten an der Jakobsleiter ab und pullten etwas später mit kräftigen Zügen aus der Sucht. Dan hatte ihnen das
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Riff, auf dem er die beiden Gestalten gesichtet hatte, genau beschrieben. Ed Carberry saß auf der Achterducht des Beibootes und bediente die Pinne. „Ich glaube nicht, daß es Verdruß gibt“, sagte er. „Aber haltet trotzdem die Waffen bereit. Immerhin haben wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit Dons zu tun. Und wenn die unsere Sprache hören, spitzen sie die Ohren und kriegen es mit der Angst zu tun. Wer weiß. wozu die nach dem Erlebnis von gestern abend fähig sind.“ „Die sind imstande und springen ins Wasser zurück“, sagte Matt Davies. „Wir hätten Valdez mitnehmen sollen“, sagte Jan Ranse. Jean Ribault lächelte. „Ich spreche auch Spanisch, vergiß das nicht. Irgendwie raufen wir uns schon mit ihnen zusammen. Schließlich retten wir sie. Das Verlangen nach Essen und Trinken, nach Wärme und Geborgenheit dürfte wohl größer sein als die Angst vor den verdammten Engländern.“ Sie pullten auf das winzige Riff zu. Vorerst war von den beiden Menschen nichts zu entdecken. Als die elf Männer aber den bizarr aus den Fluten aufragenden Felsen umrundeten, entdeckten sie die beiden Menschen. Die beiden hockten auf der Sonnenseite des Riffes. wo sich Korallenformationen der verschiedensten Färbungen mit de- Gestein verbunden hatten und es überwucherten. Beim Anblick des Bootes und der Crew fuhren sie hoch. Aber die Überraschung an Bord des Bootes war weitaus größer als die Verblüffung der beiden Schiffbrüchigen. „Donnerschlag-. stieß der Profos hervor. „Ja, ist denn das die Möglichkeit?“ rief Nils Larsen. Und Matt Davies fiel nichts anderes ein als: „Das gibt’s doch gar nicht.“ Batuti, der riesige Gambia-Neger, riß von allen am meisten die Augen auf. Vor den schroffen, scharfkantigen Korallenwänden des Riffes standen die beiden Schiffbrüchigen und drängten sich zusammen. Sie duckten sich wie gehetztes
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Wild unter den kleinen Überhang und schickten sich an, Reißaus zu nehmen. Ihre Hautfarbe war tiefschwarz, und sie trugen keinen Fetzen Kleidung auf den Leibern. Es waren eine Frau und ein Mann, beide jung und gutgewachsen. Sie stießen abgehackte, gutturale Laute aus und wiesen mit den Fingern auf das Beiboot der „Isabella“. „Negersklaven“, sagte Piet Straaten. „Jetzt wissen wir, was die Galeone geladen hatte. Die armen Teufel!“ „Los, beeilen wir uns“, drängte Nils Larsen. „Die holen sich ja noch den kalten Tod, so ganz ohne Kleider. Auf jeden Fall sind sie ein anderes Klima gewohnt und dürften überdies durch die Überfahrt und die durchgestandenen Strapazen geschwächt sein.“ „Also ehrlich, ich hole lieber zwei Neger an Bord, als zwei gottverdammte Dons“, sagte Carberry. „Ich will damit nichts gegen Valdez gesagt haben, aber der Großteil der Spanier besteht eben doch aus Rübenschweinen und Affenärschen.“ „Profos, da hast du was Richtiges gesagt. Ich bin ganz deiner Ansicht“, sagte Piet Straaten, der Spanienhasser. Jean Ribault verzog den Mund. „Was ist jetzt, palavern wir weiter oder steuern wir endlich an das Riff heran? Wir sollten wegen der Untiefen aufpassen. Die Korallen sind tückisch und so scharf, daß sie uns glatt die Bootswände aufschlitzen können. „Himmel, Arsch“, polterte der Profos, „glaubst du Kanalratte vielleicht, ich hätte die verflixten Serranilla-Bänke schon vergessen, auf die der Hurensohn Rodriguez seinen Konvoibrummen ließ? Ich bin doch nicht blöd. Auf Riemen — Riemen ein!“ Die Männer hoben weisungsgemäß die Riemen aus dem Wasser. Carberry legte die Pinne. Das Boot vollführte einen Schwenk nach Backbord und glitt langsamer werdend auf das Riff zu. Alle Männer warfen ein Auge auf den Grund, der in den kristallklaren Fluten unter dem Boot sichtbar wurde.
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Carberry paßte auf wie ein Luchs und lavierte haarscharf an einem bis unter die Wasserlinie aufragenden Korallengewächs vorüber. Mollusken, Muscheln, Flügelschnecken, und viele bunte kleine Fische bevölkerten die Korallenbänke. Für sie war das Reich der Rinden- und Elchkorallen, der Hirn- und Lederkorallen ein idealer Tummelplatz, für die Seeleute ein Platz voll tückischer Hindernisse. Das Negerpärchen auf dem Riff war unter dem dröhnenden Klang von Carberrys Stimme zusammengezuckt. Jetzt wich es zur Seite aus und hastete auf das Wasser zu. „He, stehenbleiben!“ rief der Profos. „Schockschwerenot, wir tun euch doch nichts. Wir wollen euch helfen, kapiert ihr das nicht, was, wie?“ Das Negermädchen stieß einen Schrei aus. Der junge Mann nahm es bei der Hand. Sie trafen Anstalten, sich ins Wasser zu stürzen und davonzuschwimmen. „Ed, du lernst es nicht, ein bißchen sanftmütiger mit den Leuten umzugehen“, sagte Jean Ribault. „Wer dich nicht kennt, muß ja vor dir davonlaufen. Man könnte dich glatt mit einem schnaubenden Bullen verwechseln.“ „Hör zu, du kannst froh sein, daß du vorn sitzt“, gab der Profos zurück. „Sonst würde ich dir jetzt Flötentöne beibringen und dir die Haut ...“ „ ... in Streifen vom Hintern ziehen”. Jean Ribault lachte. Die anderen grinsten, und Carberry lief im Gesicht dunkel an. Batuti, der seine erste Verblüffung überwunden hatte, rettete die Situation und hielt das Paar auf dem Riff zurück, indem er sich von seiner Ducht erhob, die Arme ausbreitete und etwas in seiner Muttersprache rief. Erstaunt fuhren die Neger herum. Das Mädchen antwortete etwas, und Batuti lachte tief und kehlig. „Oha, die verstehen sich“, sagte Matt Davies. „Batuti, bedient ihr Afrikaner euch denn alle derselben Sprache?“ Der hünenhafte schwarze Mann drehte sich zu ihm um. Er zeigte zwei weiße, blitzende Zahnreihen. „Nein. Ich den beiden gesagt,
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daß mein Bruder und meine Schwester sind, und sie haben in derselben Mundart geantwortet Das sein Zufall. Sie stammen aus Gambia wie ich.“ Er wandte sich wieder dem Riff zu und gab eine wortreiche Erklärung ab. „Ich versteh nicht die Bohne“, sagte Jan Ranse. „Das brauchst du auch nicht“, entgegnete Ed Carberry. Wieder steuerte er an einer Koralle vorbei, einer Art Stalagmit, der vom Grund nach oben wucherte und in den Farben Grün, Rosa und Blau schimmerte. Der Profos nickte Batuti zu, und der ließ sich geschickt ins flache Wasser gleiten. Er watete auf das Ufer des Riffes zu, bremste das Boot mit den Händen ab und sorgte dafür, daß die Bordwände nicht an der kantigen Korallenkruste scheuerten. „Und noch was“, sagte der Profos, immer noch zu Jan Ranse gewandt. Er war plötzlich stockernst geworden. „Wir nehmen ein nacktes Mädchen an Bord. Ich weiß, welche Versuchung das für euch Kerle ist. Aber ich schwöre euch: der erste, der die schwarze Lady mit seinen ungewaschenen Pfoten antatzt, kriegt die Neunschwänzige zu spüren.“ „Wieso schaust du mich dabei an?“ fragte der Holländer beleidigt. „Das gilt für alle.“ „Wir wissen uns zu zügeln“, erwiderte Jean Ribault. „Schließlich sind wir keine Barbaren, und Typen wie Gordon Watts und Patrick O’Driscoll sind Gott sei Dank nicht mehr an Bord.“ Batuti war an Land gegangen und hatte zwei Festmacher des Bootes unter Steinen festgeklemmt. Er schritt auf das aufgeregt schnatternde Paar zu, es sah beinahe feierlich aus. Die Art, wie sie sich nun umarmten, auf die Schultern klopften und auf die Wangen küßten, war rührselig. Das Mädchen und der junge Mann waren halbtot vor Erschöpfung und Angst, aber nichts konnte ihnen ihre Würde nehmen. Langsam gingen sie neben Batuti her auf das Boot zu. „Die haben mehr Zivilisation als mancher Weiße“, sagte Blacky gedämpft.
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„Das wissen wir doch schon von Batuti, oder?“ Matt Davies sah ihn von der Seite an. „Und Karl von Nutten hat uns zur Genüge darüber berichtet, wie die spanischen Konquistadoren unter den Indianern gewütet haben und die Dons mit den Negersklaven umspringen — pfui Teufel!“ Batuti führte die beiden Schiffbrüchigen an das Boot heran, und erst jetzt sahen die Männer, daß die zwei Kettenreste an den Handgelenken und an den Fußknöcheln trugen. „Räumt eine Ducht und rückt gefälligst zusammen“, befahl der Profos. „Na los, was glotzt ihr so blöd? Braucht ihr eine Sondereinladung oder soll ich euch die Hammelbeine langziehen ?“ Die Männer ließen das übliche Gemecker des Profos’ gelassen über sich ergehen und taten, wie ihnen geheißen worden war. Wenig später pullten sie zur „Isabella“ zurück. Auch an Bord der Galeone staunte man nicht schlecht, als die beiden Nackten mit der Bootsbesatzung aufenterten. Philip Hasard Killigrew nahm sie auf der Kuhl in Empfang. „Decken“, sagte er zu allererst. „Kutscher, flitz los und raff zusammen, was du auf die Schnelle in die Hände kriegst. Das Ganze hier ist schließlich keine Fleischbeschau.“ Der Kutscher verschwand im Achterkastell. Der Seewolf begrüßte die beiden Neger mit ein paar Worten, die Batuti ihnen übersetzte. Der junge Mann lächelte dankbar. Er streckte die Hand aus. Hasard griff sie und schüttelte sie. Das Mädchen deutete eine Verbeugung an. Ihr Lächeln ging Hasard unter die Haut und brachte sein Blut ein wenig in Wallung, auch er konnte sich ihrem Reiz und der zarten Weiblichkeit ihrer Erscheinung nicht verschließen. Sie waren beide gut und kräftig gebaut, diese Sklaven, und das Mädchen verfügte über Formen, bei deren Anblick manche weiße Frau vor Neid erblaßt wäre. Ihre Brüste waren groß, prall und stolz, ihre Schenkel lang und gerade wie die einer Gazelle. Sie besaß einen ganz entzückenden Po und einiges andere mehr,
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bei dem kein Vollblutmann ruhig bleiben konnte. Es wurde still auf Deck, und Hasard spürte Nervosität in sich aufsteigen. Die Männer ließen ihre Blicke nicht von dem Mädchen - und bis zu einem gewissen Grad konnte der Seewolf sie verstehen. Er war froh, als der Kutscher die Decken brachte und sie den beiden überlegte. Ferris Tucker erschien mit Werkzeug, um ihnen die Kettenreste und die Eisenmanschetten abzunehmen, die noch an ihren Gelenken befestigt waren. Unterdessen war der Kutscher bereits wieder verschwunden und kehrte wenig später mit Essen und Trinken zurück. Sie ließen die Schiffbrüchigen auf der Kuhl niederkauern und sahen ihnen zu, wie sie voll Heißhunger Schiffszwieback und Pökelfleisch in sich hineinschlangen. Sie tranken mit Wasser verdünnten Wein aus einer Muck, und schließlich nickten sie glücklich, schauten in die Runde und taten auf ihre Weise kund, daß sie sich erheblich wohler fühlten. Batuti stellte ihnen Fragen und teilte dem Seewolf mit, was sie jeweils antworteten. „Sie Gambia-Neger wie Batuti“, erklärte er noch einmal. „Der Junge heißt Jalu, das Mädchen Keloa. Sie sagen Dank für die Hilfe und für alles, was wir für sie getan haben.“ „Das ist nicht der Rede wert“, entgegnete der Seewolf. „Setze ihnen auseinander, daß das für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Ich würde gern etwas über die Bestimmung und das Ziel der drei Galeonen erfahren.“ Nach Jalus und Keloas weiteren Erläuterungen wurde Batuti plötzlich ziemlich erregt. Obwohl er schon sehr gut Englisch gelernt hatte, seit er unter dem Seewolf fuhr, verfiel er wieder ins Radebrechen - ein Zeichen dafür, wie sehr er aus dem Häuschen war. Er gestikulierte und rief: „Galeonen - alle drei Sklavenschiffe! Jedes Schiff siebzig Schwarze aus Gambia. Von siebzig zwanzig Frauen.“
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„Du meinst, fünfzig Männer und zwanzig Frauen auf jeder Galeone?“ vergewisserte sich Hasard. „Ja. Dreckige Bastarde von Dons! Bringen Sklaven nach Isla de Santiago. Sein für Kingston bestimmt!“ Hasard fuhr sich mit der Hand übers Kinn. „Kingston - der Hafen liegt nur rund fünfundzwanzig Meilen in westlicher Richtung von uns entfernt, ebenfalls in einer sehr geschützten Bucht.“ Batuti schüttelte die Fäuste gegen einen imaginären Feind und rollte mit den Augen. „Auf Galeonen schlimme Sachen! Schreckliche Schicksale für Sklaven. Hundesöhne von Dons. Batuti wütend. Batuti nehmen Bogen und Pfeile und machen Philipps fertig, alle ...“ „Nun beruhige dich erstmal“, sagte Hasard. Er legte ihm die Hand auf den Unterarm. „An den Gegebenheiten änderst du doch nichts mehr. Reiß dich also zusammen und schildere in aller Ruhe, was sich zugetragen hat und ob es eventuelle weitere Überlebende vonder Unglücksgaleone geben könnte.“ Der Gambia-Neger holte tief Luft, dann redete er auf Jalu und Keloa ein. Er hörte sich ihre wortreichen Erklärungen an, nickte mehrmals, ballte die Hände und stieß böse, grollende Laute aus. Nach einigem Hin und Her wandte er sich wieder an den Seewolf. „Es war die Hölle, sagen sie. Batutis schwarze Schwestern sind geschändet worden. Batutis schwarze Brüder jeden Tag ohne Grund ausgepeitscht. Viele Tote, die einfach über Bord geworfen wurden. Batuti ist voll Haß und Zorn auf die Spanier.“ Valdez hatte zugehört und war immer betretener geworden. Er wußte, daß Batutis Zorn nicht auf ihn gemünzt war, aber schließlich waren es seine Landsleute. die die Verbrechen an den schwarzen Männern und Frauen verübten, die sie vom afrikanischen Kontinent holten. Philip Hasard Killigrew gab keinen Kommentar, zeigte nur eine verschlossene Miene und lauschte den Berichten, die Batuti ihm übersetzte. Was sollte er sonst
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tun? Er kannte ja die Praktiken der Spanier. Er hatte sie oft genug in Grund und Boden verdammt, die von England als „Dons“ und „Philipps“ titulierten Welteroberer von der iberischen Halbinsel. Aber das nutzte nun einmal nichts. Man konnte ihnen nur durch Überlegenheit trotzen, sie mit eiskalter Berechnung überlisten und bekämpfen - und vor allen Dingen nicht nach ihrem Beispiel verfahren, sondern neue Maximen setzen. Kapitän Drake hatte sich an der Westküste des neuen Kontinents mit den Araukanern und anderen Indianerstämmen gegen die Spanier verbündet. Hasard hatte von seinem Lehrmeister gelernt und weitere Beispiele für den menschlichen Umgang mit der Urbevölkerung in den südlichen Ländern gesetzt. Er hatte Neger und Indianer befreit und hatte Seite an Seite mit ihnen gekämpft. Er haßte die Massaker, die die Spanier anrichteten, genauso wie ihre Weltanschauung, in der die sogenannten „Primitiven“ keinen Platz hatten. Mit billigen Handelswaren beladen, verließen die Sklavenschiffe ihre spanischen Heimathäfen und segelten nach Gambia oder in andere Länder an der westafrikanischen Küste - oft bis zu zweitausend Meilen weit. Die mitgebrachten Waren wurden gegen Negersklaven eingetauscht. Oft handelte es sich dabei um Eingeborene, die bei Stammesfehden gefangengenommen worden waren und von den siegreichen Häuptlingen als gewinnbringende Ware an die Spanier verkauft wurden. Man trieb die schwarzen Sklaven in die überfüllten Laderäume der Schiffe. Hier wurden sie auf engstem Raum barbarisch zusammengepfercht, damit man möglichst viele von ihnen transportieren konnte. Man nahm Kurs auf die Neue Welt, doch die Bedingungen an Bord waren so unmenschlich, daß mehr als zehn Prozent der Sklaven die lange Fahrt nicht überlebten. Batuti war einer dieser Unglücklichen gewesen, genau wie Jalu und Keloa, und seine Erregung war nur allzu verständlich.
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Auf die Frage an das Paar, ob es denn weitere Schiffbrüchige gäbe, die sich auf die Riffs gerettet hatten, zuckten beide mit den Schultern. Hasard hatte auch keine neuen Meldungen von Dan O’Flynn, die auf weitere Überlebende hindeuteten. Außer den beiden Schwarzen schien sich von der zerschmetterten Galeone niemand auf die Korallenbänke gerettet zu haben. Die Sklaven waren wie wilde Bestien festgekettet gewesen, und es war überhaupt ein Wunder, daß Jalu und Keloa nicht ertrunken waren wie ihre Stammesbrüder und -schwestern. Eine glückliche Fügung des Schicksals hatte sie aus dem Unterdeck freikommen und auf das winzige Riff zutreiben lassen. Alle anderen schienen tot zu sein. Der Seewolf wandte sich an Carberry. „Trotzdem. Ed, du pullst noch einmal mit der Bootsbesatzung aus der Bucht. Sucht alles nach weiteren Überlebenden ab. Es ist unsere Pflicht.“ 4. Die Wärme kroch über seine Gesichtshaut und kitzelte ihn wach. Panfilo de Retortilla hatte Mühe, seine Augenlider zu öffnen. Er blinzelte gegen die Sonnenstrahlen, kniff die Augen wieder zu, rollte sich auf die Seite. Er wollte etwas sagen, aber seine Stimme war nur ein unartikuliertes Krächzen. Die Zunge lag ihm wie ein pelziger Klumpen in der Mundhöhle. Gaumen und Rachen waren völlig ausgetrocknet. Seine Haut brannte, und ihm tat jeder Knochen im Körper weh. Gleichzeitig spürte er entsetzlichen Durst und Hunger. Er konnte sich kaum bewegen. Noch einmal schlug er die Augen auf. Diesmal stach die Sonne nicht direkt gegen ihn an. Er blickte über krustige, vielfarbige Korallenformationen weg und wußte plötzlich, daß er auf einem der vielen Riffs vor der Küste der Insel gestrandet war. Ein heiseres Lachen entrang sich seiner Kehle. Plötzlich mußte er husten. Er schüttelte sich vor innerer Qual. Er lebte aber wie! Plötzlich sah er den Mann liegen.
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„He!“ sagte er. Es war das einzige, das er vorläufig herausbekam. Schwerfällig kroch er auf den Liegenden zu. Er packte ihn am Arm und schüttelte ihn ein wenig. Der Mann rührte sich nicht. Panfilo de Retortilla stützte sich auf und blickte dem Mann ins Gesicht. Es war ein verquollenes, blutiges Gesicht, doch es trug unverkennbar die Züge des Kapitäns der Galeone. Sagreras. De Retortilla registrierte, daß seine Augen gebrochen himmelan starrten und kein Leben mehr in dem untersetzten Leib war —und plötzlich kicherte er. Er wälzte sich auf dem harten Untergrund und konnte sich kaum beruhigen. Das Kichern und die Bewegung kosteten ihn viel Kraft. Wie ausgelaugt blieb er schließlich auf dem Rücken liegen. Er atmete keuchend. „Narr“, stieß er krächzend hervor. ..So hast du dein verdientes Ende gefunden. Es gibt einen Idioten weniger auf der Welt.“ Er hustete wieder. Es war kaum zu glauben, welche Mühe und Komplikationen das Sprechen brachten. Ächzend kroch er ein Stück über das Korallenriff und suchte einen Platz, an dem er sich vor der vom Himmel brennenden Sonne verkriechen konnte. Mehrfach mußte er absetzen und sich auf den Bauch sinken lassen. Er atmete tief durch und stieß die Luft pfeifend aus. Was für ein Wrack aus dir geworden ist, dachte er voll Selbstverachtung, ein menschlicher Abfallhaufen. Besser wäre es gewesen, mit dem anderen zu krepieren. Er schaffte es, sich in den Schlagschatten eines säulenähnlichen Korallengebildes zu kauern. Er zog die Beine an den Körper und hielt die Knie umschlungen. In dieser Position verharrte er. Sein Blick war auf den toten Kapitän gerichtet. Fliegen ließen sich auf dessen Leib nieder, und bald kroch ein kleiner Krebs über den aufgedunsenen Bauch. De Retortilla grinste höhnisch. Gemeinsam bis in den Tod, dachte er, das Schicksal hat uns fest vereint, Sagreras — du räudiger Hund. Ich werde vielleicht langsam
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krepieren, aber dabei kann ich wenigstens zusehen, wie du zu faulen beginnst. Das reicht mir als Genugtuung aus. Er glaubte, von einem Augenblick zum anderen sterben zu müssen, so elend war ihm zumute. Und doch flackerte sein Lebenslicht beständig weiter. Die Sonne war ein glühender Ball vor seinen Augen. Es wurde heißer. Er glaubte, innerlich zu kochen und allmählich auszutrocknen. Doch es waren die gelähmten Sinne und der ausgedörrte Geist, die ihm Trugbilder der Qual vorgaukelten. Er überlegte sich, ob er zum Wasser kriechen und zur Insel hinüberschwimmen sollte. Doch da war der Gedanke an die mörderischen Tiburones — die Haie. Also überwog doch der Lebenswille in ihm! De Retortilla war froh über seine Erkenntnis. Nein, er wollte nicht zum willfährigen Opfer der Haie werden. Er wollte sich genau überlegen, was zu tun war. Langsam drehte er sich um und schaute nach Nordwesten. Ein größerer Korallenblock versperrte ihm die Sicht auf die Insel und die Bucht. in deren Nähe sich seine Galeone zuletzt befunden hatte. Der erschöpfte Mann sah jedoch das nach Westen auslaufende Ufer und konnte in etwa die Entfernung schätzen, die ihn von Süßwasser. Nahrung und der Hoffnung, auf einen Menschen zu treffen, trennte. Die Distanz war nicht groß. Er wägte noch seine Chancen ab, lebend bis ans Ufer der Insel zu gelangen, da vernahm er Stimmen. Zunächst schalt er sich einen Narren. Du träumst, sagte er sich, das Fieber setzt ein. Dann lauschte er wieder und hörte, wie jemand in einer fremden Sprache redete. Und plötzlich schob sich ein Boot in sein Blickfeld. Es war mit elf Männern besetzt. Panfilo de Retortilla hob eine Hand, ließ sie aber sofort wieder schlaff nach unten sinken. Er wollte schreien, aber seine Stimme war nur noch zu einem Keuchen fähig. So stand er auf. Schwankend hielt er sich für kurze Zeit auf den Beinen: Dann hatte er das Gefühl, der Boden würde ihm unter den Füßen weggerissen. Die rot, blau und
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grün glänzenden Korallen rasten ihm entgegen. Dunkelheit nahm ihn gefangen. Er kehrte aus den fernen Sphären meiner Besinnungslosigkeit zurück, als sich etwas ungemein erquickend über seinem Kopf ausbreitete und sein ausgedörrtes Gesicht benetzte. Die Nacht war kalt gewesen, der Morgen kühl, aber die Sonne, die nun fast im Zenit stand, hatte Kraft. Panfilo de Retortilla wußte, daß sie ihm den Rest gegeben hätte, wenn nicht die Männer mit dem Boot erschienen wären. Etwas verwirrt schlug er die Augen auf. Mit der rechten Hand fuhr er sich übers Gesicht und stellte fest, daß es angenehm naß war. Er wischte sich über die spröden Lippen. Ein breites Antlitz erschien über ihm. Es hatte grüne Augen, die ihn aufmerksam musterten, und wurde von einem strohblonden Haarschopf gekrönt. Der Mund öffnete sich und sagte: „Wie so ein Schwall kaltes Trinkwasser aus der Pütz doch wirkt, was, Profos? Ich hab’s ja gewußt, der Bursche wacht auf, wenn wir ihn nur ordentlich begießen.“ „Und ich weiß nicht, ob das Wasser nicht glatt vergeudet ist, Piet“, entgegnete eine laute, bissige Stimme. Retortilla wandte ein wenig den Kopf und erkannte einen breitbeinig und mit verschränkten Armen dastehenden bulligen Mann. Er hatte ein Rammkinn, sein Gesicht war zernarbt. Andere Männer umringten ihn jetzt, und der Spanier stellte fest, daß er auf dem Deck eines großen Schiffes lag. „Kurzum“, fuhr Profos Carberry fort, „ich meine, wir hätten diesen Kerl bei dem Toten auf dem Riff liegen lassen sollen. Wozu haben wir ihn da heruntergepflückt? Er ist einer von den Sklavenhändlern der Galeone, dieser Sohn einer triefäugigen Ziege.“ „Nun mal halblang“, sagte Hasard und trat neben ihn. „Ich weiß, es wäre dir lieber gewesen, statt dieses halbtoten Spaniers noch einen dritten Negersklaven aufzufischen. Aber an den Gegebenheiten kannst du nichts ändern. Und es wäre
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glatter Mord gewesen, ihn auf dem Riff zu lassen.“ „Ihr werdet schon noch sehen, was wir uns mit dem eingehandelt haben.“ „Nicht unken, Carberry.“ „Schmeißen wir ihn lieber gleich wieder in die See.“ „Schluß jetzt“, sagte Hasard. „Aye, aye, Sir.“ Carberry blieb in unveränderter Haltung stehen und legte auch seine verdrossene Miene nicht ab. Er sagte aber kein Wort mehr. Die Crew blickte ähnlich skeptisch wie er auf den liegenden Mann mit dem Oberlippenbärtchen. De Retortilla richtete sich halb auf. „Spricht denn hier keiner Spanisch?“ erkundigte er sich. „Ich verstehe kein Wort. Wo bin ich?“ „Auf der ,Isabella V. Ihrer königlichen Majestät Elizabeth von England“, erwiderte der Seewolf in perfektem Spanisch. „Engländer? Verdammt.“ De Retortilla erhob sich und massierte sich die Gliedmaßen. „Da bin ich ja richtig gelandet. Ich schätze, ihr würdet mir am liebsten die Gurgel durchschneiden. Die Ingléses machen mit unsereins ja bekanntlich gern kurzen Prozeß, diese unzivilisierten Halunken.“ Hasard sah aus den Augenwinkeln, wie der spanischsprechende Teil seiner Crew - Ben Brighton, Karl von Hutten, Jean Ribault und Valdez die Hände ballte und wütend dreinblickte. Hasard nahm die Bemerkung des Schiffbrüchigen kommentarlos hin. Valdez indessen trat vor, sagte seinen Namen und gab sich als Landsmann zu erkennen. „Ich heiße Panfilo de Retortilla“, sagte der Mann mit dem Oberlippenbärtchen. „Wie ich an Ihrem Aufzug sehe, sind Sie nichts weiter als ein einfacher Soldat, Valdez. Das heißt, Sie stehen ab sofort unter meinem Kommando und liefern mir alle Erklärungen, die ich benötige, um diese etwas undurchsichtige Situation zu erfassen.“ Der Seewolf musterte de Retortilla von oben bis unten - und sagte immer noch
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nichts. De Retortilla war um die Dreißig, gut gekleidet, wenn auch ziemlich ramponiert, und er hatte eine kleine Stirnwunde beim Untergang seiner Galeone davongetragen. Es war nicht schwer, ihn einzustufen. Er war ein schnöseliger Gockel, dessen blasierter Gesichtsausdruck von dem schwarzen Bärtchen auf der Oberlippe vollendet unterstrichen wurde. Er reckte sein spitzes Kinn leicht vor. Die Art, wie er mit Valdez sprach, war deutlich herablassend und verächtlich. Allein sein spöttisch betontes „Valdez“ war eine Herausforderung. Wahrscheinlich hätte er Valdez am liebsten einen Fußtritt versetzt. Die Crew sah ihren Kapitän ziemlich fassungslos an. „Möchte wissen, wieso du dem nicht die Leviten liest“, sagte Ben Brighton verhalten. „Alles zu seiner Zeit“, erwiderte Hasard und grinste. Panfilo de Retortilla zupfte an seiner zerrissenen Kleidung herum. Hasards Grinsen schien ihn zu reizen. „Also, Valdez, ich warte. Was hat dies alles zu bedeuten? Wie kommen Sie auf ein englisches Schiff? Das ist, gelinde ausgedrückt, eine Absurdität. Sind Sie etwa ein Deserteur?“ Valdez konnte kaum an sich halten, aber die Selbstdisziplin zügelte ihn. „Senor“, stieß er hervor. „Wo bleibt Ihr Dank für die Rettung?“ De Retortilla zog die Augenbrauen hoch. „Wer stellt hier die Fragen? Ein abtrünninger Soldat aus dem letzten Glied oder ich?“ „Sie spielen zu hoch“, sagte Valdez kalt. „Ich warne Sie. Sie können sich hier gewaltig die Finger verbrennen. Wahrscheinlich sind Sie nicht in der Lage, die Dinge abzuschätzen, aber Sie sollten wenigstens wissen, wer der Kapitän auf diesem Schiff ist ...“ De Retortilla lachte hämisch, dann wandte er sich abrupt an den Seewolf. „Jetzt habe ich aber genug. Sie da, hören Sie mir mal gut zu, ich verlange, sofort an Land gesetzt zu werden.“
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Philip Hasard Killigrew grinste immer noch. Er hielt seinen Blick auf das Gesicht des Spaniers gerichtet. Dieser wurde ein wenig unsicher und schien endlich etwas von der in Hasards eisblauen Augen liegenden Drohung zu spüren. Dann kam es zum Aufruhr. Jalu und Keloa, die von Batuti ins Vordeck geführt worden waren, wo er ihnen eine Kammer zugewiesen hatte, erschienen plötzlich auf der Kuhl. Gleich hinter ihnen schob sich auch die mächtige Gestalt Batutis aus der Öffnung des Schotts. Jalu stieß einen wilden Schrei aus. Er stürmte los, teilte die Reihe der Männer um de Retortilla mit den Händen und warf sich auf den Spanier. Dabei verlor er seine Decke. Er riß de Retortilla herum und hieb ihm die Faust in den Magen - ein tobender schwarzer Panther, der nur von einem Wunsch besessen war: den Mann zu töten. * Jalu brüllte wie verrückt. Keloa schrie auf und hielt sich zitternd an Batuti fest. Panfilo de Retortilla wehrte sich nach Kräften und ließ Flüche vom Stapel, die so gar nicht zu seiner bornierten, aristokratischen Art passen wollten. Der Seewolf selbst war es schließ--ich, der Jalu festhielt und ihn sanft von dem Mann fortzog. Jalu war ein kräftiger Neger mit imposanten Muskelpaketen, doch unter dem Griff des Seewolfes war er hilflos. „Ruhig“, sagte Hasard. „Ganz ruhig, Jalu. Batuti, frag ihn, weshalb er solchen Haß auf diesen Mann hat.“ Batuti trat vor. Jalu haspelte ein paar Sätze in seiner eigentümlichen Sprache herunter. Batuti nickte, dann dolmetschte er. „De Retortilla böse. Sklavenaufseher. Peitscht auf Galeone immer Jalu und Keloa und alle anderen aus. Jalu sagt, er bringt ihn um.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Mach ihm klar, daß er sich zurückhalten muß. Bei mir an Bord gibt es keine Lynchjustiz. Er und das Mädchen befinden sich in Sicherheit, und ich werde sie vor dem Spanier
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beschützen. Das sollte ihm genügen vorerst.“ Jalu beruhigte sich zusehends, als Batuti ihm dies auseinandersetzte. Die drei Neger zogen sich ein Stück zurück und gesellten sich zu der Crew. Panfilo de Retortilla rappelte sich auf. Er war kalkweiß im Gesicht. „Dieses Vieh! Kein schwarzer Bastard hat es bisher gewagt, Hand an mich zu legen. Man reiche mir frische Kleidung, der Gestank dieses Hundes haftet an meinen Sachen und wird niemals wieder herauszukriegen sein.“ „Wie lange wollen wir uns das noch anhören?“ fragte Ben Brighton. Carberry reckte seine Fäuste, die groß wie Ankerklüsen waren. „Hasard, laß mich mit ihm reden. Ich will mal sahen, wie stark dieser Menschenschinder und Sadist ohne seine Peitsche ist. Es juckt mir in den Fingern.“ Der Seewolf hatte de Retortilla nicht aus den Augen gelassen - und grinste immer noch. „Haben Sie das gehört, Senor? Ich an Ihrer Stelle würde das Maul nicht so voll nehmen. Es brodelt, und zwar gewaltig. Bringen Sie den Topf nicht zum Überkochen. Es wäre Ihr Ende.“ Der Spanier schluckte ein paarmal, dann hatte er seine Fassung wiedergefunden. „Das ist ungeheuerlich. Infam. Sie sind der Kapitän? Also gut, hören Sie mich an. Ich appelliere an Ihr Gewissen als Autoritätsperson und weißer Mann. Es geht nicht an, daß Sie diese Sklaven begünstigen. Ich bin Aufseher, das stimmt, und ich habe den offiziellen Auftrag der spanischen Krone, die Plantagen auf der Insel zu beaufsichtigen.“ „Aha“, sagte Hasard. „Ich hoffe, es wird Ihnen jetzt langsam bewußt, wen Sie vor sich haben“, fuhr de Retortilla fort. „Kurz vor dem Untergang meiner Galeone bin ich sogar zum Kapitän avanciert, denn Sagreras - der Tote, der neben mir auf dem Korallenriff lag - hatte sich seiner Aufgabe als Schiffsführer völlig unwürdig erwiesen. Er trug die Hauptschuld an dem Unglück. Hätte man auf mich gehört, wären wir nicht auf den
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Korallenbänken gelandet.“ Er holte tief Luft und plusterte sich wie ein eitler Hahn auf. „Ich befehle Ihnen also, mich unverzüglich zum spanischen Gouverneur zu bringen. Valdez wird uns begleiten und die beiden Schwarzen bewachen, die ich beim Gouverneur abliefern werde. Diese Affen gehören auf der Stelle eingesperrt.“ „Aha“, sagte Hasard noch einmal. De Retortilla hob die Stimme. „Also“, rief er, „auf was warten Sie noch? Lassen Sie das Beiboot abfieren und ...“ Die kalte Stimme des Seewolfes schnitt ihm das Wort ab. „Nein. Den Teufel werde ich tun. Die beiden Gambia-Neger stehen unter meiner Obhut. Und ihr verdammter Gouverneur kann auf Sie warten, bis ihm die Beine in den Bauch wachsen.“ „Das ist ...“ „Das ist mein Befehl, dem Sie sich unterzuordnen haben, de Retortilla, denn, falls Sie es schon wieder vergessen haben: dieses Schiff segelt unter der Flagge Ihrer Majestät, der Königin von England. Und hier kommandiert nur einer. Ich.“ „Wer bist du?“ schrie de Retortilla. Carberry brüllte zurück: „Philip Hasard Killigrew, der Seewolf - el Lobo del Mar!’’ Er beherrschte zwar die spanische Sprache nicht, aber die paar Brocken hatte er doch gelernt. Und sie trafen den Mann mit dem Oberlippenbärtchen wie ein Fausthieb. „Du Hund!“ schrie er - und stürzte sich auf Hasard. Hasard ließ ihn anrücken. Er blockte einen Hieb ab, der auf seinen Unterleib gezielt war. Dann schlug er nur einmal zu und traf den Spanier so wuchtig, daß dieser quer über die Kuhl segelte. Er kam zu Fall, schlidderte bis zur Back und prallte kurz davor gegen eine Nagelbank. Er krümmte sich vor Schmerzen und stöhnte. Der Kutscher dachte nicht im Traum daran, ihm zu Hilfe zu eilen. Die ganze Mannschaft brüllte Beifall. Keloa trippelte auf den Seewolf zu, stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihm die Hände auf die Schultern und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. Hasard wurde richtig ein bißchen verlegen.
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„Was tun wir mit dem feinen Gockel?“ rief der Profos. „Sperrt ihn in die Vorpiek“, befahl Hasard. „Smoky, Stenmark und Buck Buchanan“, bellte die Stimme des Profos. „Ab mit dem Don in die Vorpiek. Wollen doch mal sehen, ob er da nicht Federn läßt. In dem Loch ist schon mancher Kerl weichgeklopft worden.“ Er blickte Hasard an und grinste. Eigentlich kannte er nämlich nur einen Mann, der sich durch eine ähnliche Behandlung nicht hatte unterkriegen lassen: den Seewolf. Auf der „Marygold“ hatte Hasard das finstere, stinkende Loch zur Genüge auskundschaften können. denn Carberry hatte ihn dazu verdonnert - das war damals gewesen, Ende 1576, als Francis Drakes Preßgang den Seewolf und die Hälfte dessen jetziger Crew an Bord geholt hatte. Philip Hasard Killigrew war nur „einer von denen aus dem Vorschiff“ gewesen, aber er hatte rasch die Zähne gezeigt, dem Profos einen heiligen Respekt vor ihm eingetrichtert und bewiesen, daß er das Zeug zum Kapitän hatte. Nur drei Jahre lagen diese Ereignisse zurück, doch in dieser Zeit hatte Hasard selbst Francis Drake übertrumpft, was Tollkühnheit und Geschick bei seinen Unternehmungen betraf. Panfilo de Retortilla. wurde abgeführt. Carberry marschierte hinter ihm und seinen Begleitern her und sagte: „Und wenn die. gesengte Sau immer noch nicht kapiert, wer hier die Befehle gibt, tretet ihr ihre noch mal kräftig in den Hintern.“ „Worauf du dich verlassen kannst“, erwiderte Smoky. „Denkst du etwa, wir wären neuerdings zartbesaitet, was, wie?“ 5. Matt Davies kratzte sich mit seiner Hakenprothese am Hinterkopf. Er tat das sehr geschickt, und es war ein kleines Wunder, daß er sich dabei nicht wehtat. „Also, was hat es nun mit diesen Plantagen auf sich? Ich komme da nicht ganz mit.“ „Typisch“, sagte der Kutscher. „Bei deiner Unbedarftheit.“
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„Hör auf zu stänkern, Kutscher.“ Matt zeigte ihm den Haken. „Du weißt, daß ich damit nicht nur Holz hacken, Lasten heben und Spundlöcher verdübeln kann.“ „Nein“, entgegnete Gary Andrews fröhlich. „Du kannst dir damit auch der Nase bohren.“ Matt zog ein wenig den Kopf ein und blickte angriffslustig. „Und ich kann euch Schlaumeiern damit auch den Arsch aufreißen.“ Der Seewolf griff ein, bevor sie tatsächlich aufeinander losgingen. Matt konnte Spaß verstehen, aber manchmal wurde er auch ruppig, besonders¬ wenn man ihn mit seiner Prothese aufzog. „Ihr habt sicherlich alle von einem namens Christoph Columbus gehört“, sagte Hasard. „Die Spanier nannten ihn Cristobal Colon, obwohl er aus Genua stammte und lange Zeit Portugal lebte. Dieser Columbus soll ein ziemlich engstirniger und selbstüberheblicher Mann gewesen sein – ein ewiger Quengler. Immerhin, im Auftrag der spanischen Krone entdeckte er die Neue Welt. Er behauptete, es handle sich dabei um Indien und dessen Nachbarländer –Kuba nannte er zum Beispiel Zipangu, also Japan. Er betrat 1494 auch diese Insel hier und nannte sie Isla de Santiago. Insgesamt unternahm dieser Columbus vier Expeditionen, machte sich bei allerhand Leuten unbeliebt und lächerlich und wurde einmal sogar in Spanien eingesperrt. Bei alledem hat er natürlich nicht seinen eigenen Vorteil vergessen. Rechtzeitig beanspruchte er die Isla de Santiago als eigenen Besitz, und der spanische König überließ sie ihm. Er ist jetzt schon einige Zeit tot, aber seine Nachkommen sind die Statthalter der Insel.“ „Donnerwetter“, sagte Matt. „Du weißt aber gut Bescheid. He, Karl, kennst du dich über diesen Columbus auch so gut aus?“ Karl von Hutten lächelte. „Vergiß nicht, daß ich von spanischen Mönchen erzogen worden bin. Die haben mir alles über Religion und Geschichte eingetrichtert, was ein Klosterschüler wissen muß.“
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Rasch wurde er wieder ernst. „Diego, Columbus’ Sohn, war der erste spanische Gouverneur der Insel. Bis etwa 1560 hatten die Spanier die indianischen Ureinwohner, die Arawaken, so ziemlich ausgerottet. Das ist die Art der Dons, dieser Stil steckt tief in ihnen und keiner treibt das ihnen aus.“ Von Huttens Gesicht drückte Bitterkeit und tiefe Verachtung aus. „Anschließend wurden eben Negersklaven eingeführt – und darauf wollte Hasard bei seiner Erzählung wohl hinaus.“ „Richtig“, sagte der Seewolf. „Die Neger werden für die spanischen Plantagen gebraucht. Sie sind Arbeitskräfte, die nichts kosten und bis zum letzten ausgenutzt werden können - bis sie vor Erschöpfung sterben.“ „Die Dons, diese Hundesöhne“, sagte Piet Straaten. „He, Valdez, nimm mir die Bemerkung nicht übel. Sie ist nicht persönlich gemeint.“ Valdez zuckte mit den Schultern. „Was soll’s! Ich kann meine Landsleute in dieser Hinsicht nicht verteidigen. Es gibt viele gnadenlose Schinder wie de Retortilla oder Rodriguez. Aber vergeßt nicht, daß auch unter den Spaniern noch Männer existieren, die ihre Köpfe gutgläubig für die anderen hinhalten, ohne sich ihres Irrtums bewußt zu werden.“ „So wie du“, sagte von Hutten. „Was wird denn auf diesen Plantagen angebaut?“ fragte Matt Davies. Von Hutten gab ihm die Antwort. „Bataten, Mais, Ingwer, Zuckerrohr, Kakao, Majoran, Vanille und andere Kleinigkeiten. Mehr gibt die Erde der Insel nicht her.“ „Das ist auch schon viel zuviel für die Dons“, erwiderte Matt Davies. „Wenn ich daran denke, wie sie die armen Neger über die Felder scheuchen und foltern, wenn sie nicht mehr schuften können, wird mir ganz schlecht. Sir, was tun wir jetzt?“ Plötzlich blickten alle den Seewolf an. Die Mienen der Männer waren erwartungsvoll. Der Seewolf überlegte. Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht, schon gar nicht, wenn er Batuti, Jalu und Keloa in die Augen schaute. Er konnte die Bitte, die darin zu
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lesen stand, nicht übergehen. Aber andererseits -da war sein Schiff mit den vollen Frachträumen, da war die Dringlichkeit seiner Rückkehr nach England, wo er der Königin seine Schätze zu übergeben gedachte. Und doch dachte er wieder daran, wie er im November 1576 die „Barcelona“ enterte. Er hatte damals angenommen, auf reiche Beute zu stoßen. Stattdessen hatte er die in den Frachträumen zusammengepferchten Sklaven entdeckt. „Schwarze Fracht“ aus Gambia, die für die Neue Welt bestimmt gewesen war wie jetzt Jalu und Keloa und ihre Stammesgenossen. Wie er heute das junge Paar gerettet hatte, so hatte er damals die Sklaven vor dem sicheren Verderben bewahrt. Er hatte sie befreit und es ihnen ermöglicht, nach Afrika zurückzukehren. Einer war bei ihm geblieben: Batuti. Batuti starrte beinahe flehend zu seinem Kapitän hoch, als dieser aufs Achterdeck stieg, sich umdrehte und die Hände auf die Leiste der Querbalustrade legte. Für den schwarzen Mann schien es selbstverständlich zu sein, daß der Seewolf die beiden Galeonen angriff, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Sturm nach Kingston gerettet hatten - und damit in ihrem Bestimmungshafen ankerten. Lag es nicht auf der Hand, daß Hasard jetzt die Neger befreite? Ich will nicht länger aufgehalten werden, dachte der Seewolf, verdammt und zugenäht, ich muß nach England! Gewiß, die Gambia-Neger auf den beiden spanischen Galeonen taten ihm leid. Er brauchte sich nur vor Augen zu halten, daß sicherlich viele unter ihnen waren, die Jalu, Keloa und Batuti ähnelten und mehr Menschlichkeit hatten als so .mancher Weißer. Er wußte auch, was es hieß, angekettet zu sein und von brutalen Aufsehern vom Typ eines Panfilo de Retortilla ausgepeitscht und auf andere Weise schikaniert zu werden. Es gab mehr als tausend Arten, einen Mann ohne jeglichen Anlaß allmählich zu zermürben, ihn zum Tier zu degradieren, ihn nur noch vegetieren zu lassen.
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Aber schließlich mußte er auch an seine Crew denken. Er durfte sie nicht einfach verheizen. Ein Kampf gegen die Spanier konnte scheitern, immerhin hatten sie sich gerade erst wieder von der harten Schlacht in der Windward-Passage erholt. Und außerdem: seine Mannschaft war nicht dafür da, die Sklaverei aufzuheben und mit sämtlichen spanischen Verbrechern aufzuräumen, die die schwarze Rasse für ihre Zwecke mißbrauchten. Das führte denn doch zu weit. Kein Seewolf konnte von heute auf morgen verhindern, daß Männer geschlagen und getreten und Frauen reihum von grölenden Kerlen vergewaltigt wurden. Er, Philip Hasard Killigrew, würde sich immer gegen Unmenschlichkeit und Sadismus auflehnen und dagegen anfechten, wenn er direkt damit konfrontiert wurde. Aber als ein Vorkämpfer für eine bessere Welt fühlte er sich dennoch nicht. Er wußte selbst, daß er sich nur eine Reihe von Rechtfertigungen zu schaffen suchte. Trotzdem war sein Gesicht jetzt voller Ablehnung. Batuti erriet seine Gedanken. Er ließ den Kopf hängen und blickte auf seine Fußspitzen. Jalu und Keloa schnitten auch ziemlich belämmerte Mienen. Die weißen Männer der Crew sahen ein, daß es keinen Zweck hatte, auf den Seewolf einzureden. Das stand ihnen nicht zu. Er war der Kapitän. Was er sagte, wurde getan. Betretenes Schweigen breitete sich auf Deck aus. Es wurde unerwartet durch einen Schrei unterbrochen. Dan O’Flynn, der immer noch seinen Posten als Ausguck an Land versah, meldete sich von der Bergspitze oberhalb der Bucht. Er hob einen Arm und rief herüber: „Wahrschau! Drei Schaluppen von Westen — von Weeeesten ...!“ Schaluppen? Der Seewolf zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. Auch das noch, dachte er. Dann versetzte er sich einen innerlichen Ruck. Er nahm das Spektiv zur
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Hand. „Profos, alle Mann auf Gefechtsstation!“ „Aye, aye, Sir!“ Edwin Carberry brüllte sein „Klar Schiff zum Gefecht“ und legte mit seinen üblichen Wortkaskaden los. Die Männer ließen die Beschimpfungen mit der gewohnten Gelassenheit an sich abprallen. Sie kannten ihn ja, ihren Profos, und wußten, daß er im Grunde seines Herzens alles andere als ein Schleifer war. Aber er brauchte sein Gebrüll nun einmal wie andere Leute ihren täglichen Schnaps oder ähnliche Kleinigkeiten. Jeder hatte seine lieben Gewohnheiten. „Steht nicht rum und glotzt wie die Hornochsen — bewegt euch“, tönte es da über Deck. „Hopp, hopp, willig, willig, ihr geschniegelten Affenärsche, oder ich bringe euch auf Trab. Braucht ihr eine Sondereinladung, was, wie? Kutscher, huste deine dämlichen Kombüsenfeuer aus. Valdez, willst du wohl die Wassereimer füllen? Ihr im Linksgalopp von euren Müttern an die Wand geschissenen Waldameisen, löst endlich die Brooktaue, marsch, marsch, ein bißchen dalli und nicht so lahmarschig. He, Al Conroy, der Wischer des Siebzehnpfünders dort drüben sieht aus wie ein gerupfter Igel! Siehst du das nicht, du Sohn einer krummbeinigen Hafenhure, was, wie?“ In diesem Tonfall ging es weiter. Hasard richtete unterdessen vom Achterdeck der „Isabella“ aus sein Spektiv nach Westen. Er sah die Schaluppen hart am Wind herangleiten. Sie waren schlanke Schatten unter der vom Himmel knallenden Sonne. Seiner Meinung nach segelten sie viel zu dicht unter Land. Es bestand die Gefahr, daß sie die Galeone entdeckten. Hasard fluchte ungehalten, dann schob er das Spektiv zusammen und wandte sich an Ben Brighton. „Ben, wir bleiben vorläufig in der Bucht und warten die Entwicklung der Dinge ab, klar?“ „Aye, aye, Sir.“ „Ich lasse mich jetzt an Land setzen. Von dem Berg aus habe ich einen besseren Überblick.“
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Gary Andrews, Al Conroy, Sam Roskill, Bob Grey und Buck Buchanan waren die Seeleute, die ihn in dem Beiboot vom Schiff zum Ufer pullten, ihn außenbords jumpen und an Land waten ließen. Weisungsgemäß harrten sie aus, um ihn jederzeit unverzüglich zur „Isabella V.“ zurückbefördern zu können. Der Seewolf erklomm den Südhang des Berges und erreichte Dan, der die Augen aufmerksam nach Westen gerichtet hielt. „Wenn du mich fragst, so sind das keine Piraten“, sagte Dan, während er angestrengt durch seinen Kieker linste. Hasard hob ebenfalls wieder sein Spektiv ans Auge. „Stimmt, man kann ihre Kleidung erkennen. Keine bunten Fetzengewänder, keine Kopftücher, keine Ohrringe und ähnlicher Klimbim. Wir haben es mit Dons zu tun.“ „Ich will einen Schwabberdweil auffressen, wenn die nicht was suchen“, sagte Dan O’Flynn. „Überlebende von der Sklavengaleone? Demnach müßten die beiden anderen Schiffe es tatsächlich geschafft haben, Kingston anzulaufen.“ „He - die eine Schaluppe luvt an!“ Der Seewolf spähte durch seine Optik. „Stimmt, und die zweite tut es ihr jetzt gleich. Beide gehen über Stag und drehen ab.“ „Na denn“, sagte Dan, „die laufen mit raumem Wind aus Südost gemütlich nach Westen zurück. Scheinen die Nase vollzuhaben. Ist ja auch ein müder Job, ewig nur Treibholz zu sichten und keinen einzigen Schiffbrüchigen. Hoffentlich gibt die Besatzung der dritten Schaluppe jetzt auch auf. Dann sind wir diese Bastarde wenigstens los. ohne ihnen ein Ding vor den Latz knallen zu müssen?“ Der Seewolf ließ sein Spektiv sinken. „Wer sagt denn, daß wir auf sie schießen müssen?“ „Sie drehen doch wahrscheinlich auch ab, oder?“ „Und wenn nicht?“ „Dann ballern wir sie nicht in Fetzen?“
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Hasard blickte Dan O’Flynn schweigend an. Der Groschen fiel bei dem Jungen, und plötzlich lachten sie beide los. „Jetzt hab ich endlich kapiert, was du im Falle eines Falles tun würdest“, prustete Dan. „Oh, Sir, du bist wirklich unverbesserlich!“ Sie beobachteten aufmerksam. Wider Erwarten segelte die dritte Schaluppe weiter ostwärts. Hasard hob die Unterlippe abwägend vor. Er überlegte scharf. Was sollte er tun? Doch lieber kurzen Prozeß machen, den Feuerbefehl geben und die Schaluppe unter orgelnden Beschuß nehmen? Nein, es war besser, noch zu warten. Kanonendonner konnte die beiden anderen Schaluppen wieder anlocken - wenn nicht noch mehr Schiffe. Kam es ganz schlimm, hatten sie binnen kürzester Zeit ganze Schiffsverbände am Hals. Die Küsten der Insel wurden scharf bewacht, und die über „El Draque“ und _El Lobo del Mar“ kursierenden Schauergeschichten hatten bestimmt auch längst die Isla de Santiago erreicht. Man war auf der Hut. Hasard und sein pfiffiger Begleiter sahen, wie die Schaluppe an der geschützten Bucht vorüberzog. Noch hatte die Besatzung die „Isabella“ nicht entdeckt. Hasard und Dan duckten sich vorsichtshalber. „Ich finde, es ist eine Unverschämtheit von den Dons, so dicht vor unseren Nasen herumzustöbern“, zischte Dan. „Ich wünsche den Halunken, daß sie mit den Korallenbänken Ärger kriegen. Ich lach mir einen Ast, wenn sie auf Grund laufen.“ „Den Gefallen tun sie dir nicht.“ Der Seewolf behielt recht. Die Schaluppe segelte weiter ostwärts, an der Bucht vorbei. Die beiden Männer konnten verfolgen, wie sie bis nach Morant Point vordrang und die Ostspitze der Insel umrundete. Nach etwa einer Stunde kehrte sie wieder zurück. Es war Nachmittag geworden. Der Wind wehte immer noch von Südost. Die Schaluppe lief gute Fahrt. Wieder rückte sie auf die Bucht zu. Diesmal hielt sie sich aber auf größere Distanz.
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Plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, fiel sie ab und hielt platt vor dem Wind auf die Bucht zu. „Zappenduster“, sagte Dan O’Flynn. „Die statten uns doch noch einen Besuch ab. Ich hab’s doch geahnt. Was jetzt?“ „Jetzt kommt mein Plan zum Tragen.“ „Ach, richtig. Was veranlaßt die blöden Philipps nur, in unsere Bucht vorzustoßen? Haben die vielleicht doch was entdeckt und Lunte gerochen?“ Hasard lächelte hintergründig. „Gottes Ratschluß ist unergründlich. Ich habe so den Eindruck, die schnüffeln sämtliche Buchten ab. Warum sollten sie uns wohl auslassen?“ „Immerhin müssen sie zwischen Korallenriffs hindurchlavieren.“ „Sicherlich haben sie die nötige Erfahrung.“ „Die bereuen noch, ausgerechnet hier aufgetaucht zu sein.“ Hasard wandte sich zum Gehen. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Halte hier deinen Posten, Dan, ich lasse dich später ablösen.“ „Aye, aye.“ Philip Hasard Killigrew lief den sanft abfallenden Südhang hinunter und hielt auf den weißen Sandstrand zu. Die Küste war in dieser Gegend ganz unterschiedlich geformt. Nach Osten hin zum Beispiel stieg sie zu einem Streifen Steilfelsen auf, der vom östlichen Ende der Bucht etwa zwei bis zweieinhalb Meilen in Richtung auf Morant Point verlief. Dann fiel sie wieder ab und ging in märchenhaften Strand mit von Palmen gesäumter Böschung und dahinterliegendem Hügelland über. Die Landschaft hatte eine ganz eigenwillige Charakteristik. Im Augenblick hatte Hasard alles andere zu tun, als sich an der Schönheit der Insel zu erfreuen. Er hastete zum Boot, kletterte übers Dollbord und ließ sich auf der Achterducht nieder. Gary Andrews drückte das Boot vom Ufer weg. Dann gab Hasard das Kommando: „Streich Backbord, Ruder an Steuerbord“, und ihr Gefährt drehte sich auf der Stelle nach Backbord. Sobald es mit dem Bug auf die
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„Isabella“ wies, ließ der Seewolf wieder normal pullen. Rasch gelangten sie in Lee ihres Schiffes. Hasard hatte der Bootsbesatzung die Lage auseinandergesetzt. Jetzt enterte er an der Jakobsleiter auf, jumpte übers Schanzkleid auf die Kuhl und begab sich sofort aufs Quarterdeck. Hier drehte er sich um und rief den Männern zu: „Die Spanier können es nicht lassen. Ich schätze, sie suchen uns hier in der Bucht auf. Die ‚Isabella’ bleibt gefechtsklar, aber ich will die Geschütze nur im äußersten Notfall in Anwendung bringen. Profos!“ „Sir?“ „Sind die Musketen und Pistolen schußbereit?“ „Aye, aye, Sir. Hieb- und Stichwaffen für den Nahkampf liegen ebenfalls klar. Die Hurensöhne können zum Tanz aufspielen – wir sind bereit.“ „Gut. Dann bauen wir den Dons jetzt eine Falle.“ 6. Antonio Cunha legte sein ganzes Geschick in die Aufgabe, sich mit der Schaluppe bis an die geschützte Bucht heranzutasten. Er war der Lotse und Steuermann auf der einmastigen Schaluppe. Außer ihm befanden sich noch zehn Mann an Bord. Einen davon hatte er am Bug postiert. Er hatte die Tiefe auszuloten, bis sie ganz dicht an den Korallenbänken waren und die Tücken sehen konnten, die unter der Wasseroberfläche lauerten. „Wenigstens haben wir nicht viel Tiefgang“, sagte Cunha zum Kapitän, einem dunkeläugigen, breitschultrigen Mann mit dichtem schwarzen Vollbart. „Wenn wir Glück haben, gelangen wir ohne jeglichen Kratzer am Schiff in die Bucht.“ „Natürlich tun wir das“, gab der Kapitän ziemlich geringschätzig zurück. Er hatte die Nase gestrichen voll von dem Unternehmen. Ausgelaugt hatten sie in der Nacht mit den beiden Sklavengaleonen die Hafenstadt Kingston erreicht. Er hatte das
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eine Schiff befehligt und war heilfroh, dem Sturm entwischt zu sein und nicht das Schicksal erlitten zu haben, das Sagreras und dessen Mannschaft zuteil geworden war. In Kingston hätte er nichts lieber getan als eine Mütze voll Schlaf zu nehmen. Doch der Kommandant des kleinen Schiffsverbandes hatte keine Ruhe gegeben. Noch in der Nacht und anschließend den ganzen Morgen über waren dringende Arbeiten an Deck ausgeführt und Verwundete versorgt worden. Der bärtige Kapitän war der Ansicht, daß dies auch ohne seine Aufsicht hätte geschehen können. Doch er hatte sich dem Willen des Vorgesetzten beugen müssen. Dann der Aufbruch: Der Kommandant hatte darauf bestanden, die Küste nach dem im Sturm zerschellten Schiff abzusuchen und nach Überlebenden zu forschen. Dabei kam es ihm mehr auf die Sklaven als auf die Landsleute an, denn, wie hatte er doch so treffend gesagt? „Jeder Sklave mehr bedeutet Gewinn, jeder Sklave weniger Verlust.“ Er war ein geldgieriger Hund und Pfennigfuchser, dieser Verbandskommandeur. Als sie aber entlang der Küste keine Spur von einem Schiffbrüchigen, sondern nur treibende Schiffstrümmer entdeckt hatten, da hatte er die Lust an der Suche verloren. Er befand sich auf einer der beiden Schaluppen, die frühzeitig abgedreht und nach Kingston zurückgesegelt waren. Er hatte seine Ruhe, doch es mußte einen Dummen geben, der das Unternehmen ordnungsgemäß zu Ende führte. Und dieser Dumme war der Kapitän mit dem schwarzen Vollbart. Er war völlig übermüdet und sehnte nichts dringlicher herbei als ein bißchen Ruhe. „Ich verstehe nicht, wieso du plötzlich Bedenken hast und dir in die Hose machst“, sagte er zu dem Lotsen Cunha. Sie hatten ihn in Kingston an Bord der Schaluppen bestellt. Er war ein Mann, der die Insel wie seine Wamstasche kannte.
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„Korallen gibt es doch überall vor der Küste“, fuhr der Kapitän fort. „Aber nicht so gefährliche wie diese.“ „Hör zu. Ich schlage dich nieder, wenn du den Kahn aufbrummen läßt.“ „Ich tue mein Bestes.“ „Das hoffe ich um deiner Gesundheit willen.“ Antonio Cunha gab keine Erwiderung mehr, er widmete sich dem Steuerruder der Schaluppe. Er wußte, daß es keinen Zweck hatte und nichts einbrachte, sich mit einem verdrossenen, verbiesterten Galeonenkapitän herumzustreiten. Er zog dabei auf jeden Fall den kürzeren. Der Kapitän hatte den höheren Dienstrang, er konnte seine Wut an ihm auslassen, so oft und so sehr er wollte. Glücklicherweise fand Cunha eine Passage, die quer durch die Korallenbänke auf eine Position östlich der Bucht zuführte. Er steuerte die Schaluppe hinein und vorsichtig hindurch. Der Rest war dann ein Kinderspiel. Dennoch war der Kapitän nicht zufrieden. „Jetzt wieder das gleiche Spiel“, sagte er. „Wir sehen uns eine Bucht an, finden nichts, verholen uns wieder. Bis wir in Kingston eintreffen, ist es dunkel. Und das für nichts und wieder nichts. Nicht einen lausigen Schwarzen haben wir aufgefischt. Ach, zum Teufel mit dem Kommandanten, der gesamten Armada und dem König, der drüben in der Heimat faul und gefräßig auf seinem dicken Hintern hockt!“ Er fluchte verhalten vor sich hin. Das dauerte an, bis der östliche Rand der Bucht an ihnen vorüberglitt. Die Steilfelsen-Zone riß ab, und plötzlich hatten sie den Blick frei auf die geschützte Bucht -die nicht leer war! „Jetzt krieg ich aber zuviel“, sagte Cunha. Der Mann im Bug ließ einen Pfiff vernehmen, ein paar andere stießen sich an und murmelten überrascht oder anerkennend, und der Kapitän schaute ziemlich verdutzt drein. Eine stolze Dreimast-Galeone lag dort vor Bug- und Heckanker in der Bucht. Sie erweckte einen pieksauberen und ordentlichen Eindruck, war gepflegt vom
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steil aufragenden Bugspriet bis zu mit reichem Schnitz- und anderem Zierwerk versehenen Achterkastell, von ihren zwölf Stückpforten in der Backbordseite bis unter die Toppnanten und zu den Maststengen hinauf. Der Kapitän staunte nicht schlecht. Er erkannte die spanischen Hoheitszeichen der Galeone und fragte sich, welches Schiff das wohl sein mochte. „Ist das die Galeone, die wir suchen?“ fragte eins der Besatzungsmitglieder. Er war ein Mann, der ihnen gleichfalls von der Hafenkommandantur in Kingston zugeteilt worden war, zählte also nicht zu den Seeleuten der Sklavengaleonen. Der Kapitän trat ihm sofort in den Hintern. „Idiot! Konntest du keine blödere Frage stellen? Die dritte Sklavengaleone ist zerschmettert worden, daran gibt es nichts zu rütteln.“ „Was ist es dann für ein Schiff?“ wollte der Mann wissen. Der Kapitän blickte ihn an, als wolle er ihn erwürgen. Antonio Cunha sagte rasch: „Das fragen wir uns ja auch. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Galeone der spanischen Krone.“ „Ein schmuckes Schiff“, murmelte der Kapitän. „Sein Kommandant kann sich glücklich schätzen. Los, wir laufen in die Bucht ein und sehen uns das Schiff genauer an. Wenn wir Glück haben, kann uns die Besatzung etwas über das Schicksal der Schiffbrüchigen sagen.“ „Vielleicht hat die Galeone sogar Überlebende aufgenommen“, sagte Cunha. „Das wage ich gar nicht zu hoffen.“ „Es wäre zu schön, um wahr zu sein.“ „Maul halten!“ Antonio Cunha steckte die neue Zurechtweisung ergeben ein. Er betätigte die Ruderpinne und ließ die Schaluppe in einen Bogen in die Bucht gleiten. Eine weitgezogene Schleife führte sie dicht an die Dreimast-Galeone heran. Der schwarzbärtige Kapitän zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Er überlegte angestrengt. Hatte hier alles seine Richtigkeit? Warum hatten sie die Galeone nicht schon beim ersten
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Vorüberfahren gesichtet? Nun, das war Cunha zuzuschreiben, diesem Narren von einem Lotsen und Steuermann! Er würde ihn deswegen schon noch zusammenstauchen. Aber die Galeone — warum lag sie hier und nicht in Kingston oder einem der anderen Häfen? Was hatte sie geladen, welches war ihr Ziel? Warum hatte die Besatzung am Vortag nicht eingegriffen, als die Sklavengaleone vom Sturm auf die Korallenbänke geworfen wurde? Immerhin war es denkbar, daß das Unglück nicht entdeckt worden war. Der Ausguckposten mochte geschlafen haben. Der spanische Kapitän beruhigte sich mit dieser Überlegung. Außerdem sagte er sich, daß auch der Kapitän der fremden Galeone bestimmt nach dem gleichen Prinzip verfuhr wie er selbst: jeder ist sich selbst der Nächste Sie befanden sich in Luv der Galeone und schickten sich an, längsseits zu gehen, als Antonio Cunha die Hand ausstreckte und auf das Achterdeck des Schiffes wies. „Da“, sagte er. „Endlich sehe ich jemanden.“ Der Schwarzbärtige kniff die Augen zusammen und spähte zur Galeone hinüber. Auf dem Achterdeck bewegte sich eine große. breitschultrige Gestalt. Ein schwarzhaariger Riese, der mit seinen Schultern sicherlich mühelos eine Tür verdecken konnte. Plötzlich war der Spanier ungemein neugierig und fragte sich, ob das wohl der Kapitän war und wie der Rest der Mannschaft aussah. * Philip Hasard Killigrew spielte wieder einmal einen seiner Tricks aus. Es war ein bewährtes Rezept, nach dem er hier in der Bucht von der Isla de Santiago verfuhr — ein Rezept, das ihm mehr als einmal Erfolg gegenüber dem Feind gebracht hatte. An Deck waren nur die Dunkelhaarigen der Crew geblieben, vor allem natürlich Ben Brighton und Jean Ribault, die ja Spanisch beherrschten.
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Karl von Hutten mußte sich wegen seines Blondschopfes zurückhalten. Er stand mit Blacky und Sam Roskill am Spillgang und wartete auf Befehle des Seewolfes, die er gegebenenfalls an die Männer in der Kuhl weiterleiten würde. Diesmal hatte er einfach nicht die Zeit gefunden, sich die Haare dunkel zu färben. Gewiß, es gab auch blonde Spanier, doch es war klüger, den Dons auf der herandümpelnden Schaluppe keinerlei Anlaß zum Mißtrauen zu geben. Unter der Back saßen der Kutscher, Batuti und Smoky, der Rest der Crew hatte sich in verschiedene Verstecke begeben. Die Gefechtsbereitschaft bestand weiterhin. Hasard brauchte nur einen Ruf auszustoßen, und die Männer würden an die Geschütze stürzen und die Schaluppe in Trümmer schießen. Aber der Seewolf hatte anderes im Sinn. Wenn es irgend ging, wollte er die Spanier so vollendet in die Falle tappen lassen, daß sie sich widerstandslos ergeben mußten. Das war die menschlichste Lösung. Hasard hatte es gelegentlich bereut, in ähnlichen Lagen nicht einfach gnadenlos drauflosgefeuert zu haben, bis nichts mehr vom Gegner übrig war — beispielsweise im Falle Caligus. Diesen ausgekochten Schurken von einem Karibik-Piraten hätte er lieber gleich bei der ersten vor Grand Cayman samt seinen Schlagetots und Galgenvögeln zum Teufel jagen sollen. Er hätte den ganzen Verdruß, den er daraufhin mit den „Brüdern der Küste“ und „Söhnen von Tortuga“ erlebt hatte, vermeiden können. Dennoch hatte er sich nicht geändert. Er würde diese Spanier an Bord der einmastigen Schaluppe nur töten, wenn sie sich wie hirnverbrannten Idioten benahmen. Er trat an das Backbordschanzkleid auf dem Achterkastell, lehnte sich weit über und winkte sie heran. „Compadres!“ rief er. „Seid willkommen! Geht mit eurer Schaluppe längsseits und laßt euren Kapitän aufentern!“
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„Das bin ich!“ rief der schwarzbärtige Uniformierte neben dem Steuermann zurück. „Wer seid ihr?“ „Dies ist die Galeone ,San Josefe’. Falls ihr nach Überlebenden der Sklavengaleone sucht, die auf den Riffs zerschellt ist, wir haben einen an Bord. Er heißt Panfilo de Retortilla. Heute morgen haben wir ihn geborgen, er ist schon wieder gut bei Kräften.“ Hasard mußte sich Mühe geben, ernst zu bleiben. Hinter dem Schanzkleid kauerten seine Männer und grinsten zu ihm hoch. Hasard fuhr fort: „Ihr könnt ihn übernehmen. Es ist mir eine Ehre, euch zu helfen, so wahr ich Don Francisco Rodriguez heiße.“ „In Ordnung“, erwiderte der Schwarzbärtige. „Wir kommen.“ Barsch erteilte er seinem Steuermann die Order, längsseits der Galeone zu gehen. Hasard bediente sich eines perfekten, nahezu akzentfreien Spanisch. In drei Jahren hatte er es vorzüglich gelernt, sich mit den Dons zu verständigen. Sicher, eine etwas nördliche Klangfärbung schwang immer noch in seinen Worten mit, aber Ben Brighton, der ja schon unter den Dons gefahren war, Karl von Hutten und Jean Ribault hatten ihm immer wieder versichert, daß ihn der Akzent nicht verraten konnte. In Spanien gab es nicht nur eine Region Kastilien, in der das beste Spanisch gesprochen wurde. In den vielen Landstrichen der Halbinsel waren die unterschiedlichsten Mundarten mit den ausgefallensten Akzenten gebräuchlich. In der Neuen Welt hatte sich das „Castellano“ auch wiederum gewandelt. Das mochte ganz einfach an der veränderten Umwelt liegen, in der die Dons sich hier befanden. Nein, durch seine Aussprache konnte sich der Seewolf nicht verraten. Und er hatte dem Schwarzbart zum Teil sogar die Wahrheit gesagt. Die „Isabella V.“ hatte tatsächlich einmal „San Josefe“ geheißen und war das Flaggschiff des Konvois aus Cartagena unter dem Oberbefehl von Generalkapitän Don
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Francisco Rodriguez gewesen. Hasard hatte sie gekapert und umgetauft. Er bediente sich jetzt einfach Rodriguez’ Namen — wie er schon öfter die Namen der früheren Kapitäne seiner Prisenschiffe benutzt hatte, wenn es erforderlich gewesen war. Die Spanier auf der Schaluppe waren alles andere als mißtrauisch, zumal Hasard ja die Flagge der Dons hatte heißen lassen. Hasard entging aber auch nicht der prüfende Blick, den der schwarzbärtige Kapitän immer wieder über die Galeone gleiten ließ. Er formte die Hände zu einem Schalltrichter vor seinem Mund und rief: „Was habt ihr hier in der Bucht zu schaffen?“ Dumm war er nicht, dieser Kapitän. Bei allem Vertrauen, das er der Besatzung des fremden Schiffes entgegenbrachte, blieb er auf der Hut. Vom Aussehen her erweckte er einen übermüdeten und verbiesterten Eindruck, vielleicht lag es daran. Hasard warf ihm seine Antwort hin wie einen Köder, den er anstandslos zu schlucken hatte. „Wir haben Schutz vor dem Sturm gesucht. Er hätte uns fast selbst auflaufen lassen. Wir haben noch Glück gehabt, daß wir hier hereingelangt sind, bevor das Wetter richtig über uns hereinbrach.“ Die Schaluppe ging in den Wind und glitt auf die Backbordseite der „Isabella“ zu. Kurz darauf berührten die Fender mit dumpfem Laut das harte, solide Eichenholz, aus dem die Galeone gebaut war. Der Schwarzbärtige enterte über die Jakobsleiter auf — und die Crew des Seewolfs verhielt den Atem. Hasard eilte über den Niedergang vom Achterkastell aufs Quarterdeck und dann auf die Kuhl. Er trug drei Waffen: den Degen im verzierten Wehrgehänge, sein Messer und die doppelläufige sächsische Reiterpistole im Gurt. Der Spanier kletterte über das Schanzkleid. Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Natürlich entdeckte er ein paar Männer, die sich hinter das Schanzkleid geduckt hatten
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— Ferris Tucker, den rothaarigen Riesen, zum Beispiel. Schlagartig wurde ihm bewußt, daß er einen entsetzlichen Fehler begangen hatte. Er ahnte noch nicht, wer die Männer waren, die da auf ihn lauerten, aber er witterte die Gefahr und reagierte. Seine Hand senkte sich auf den Griff seiner Pistole. Hasard war schneller. Er stand vor ihm, packte ihn an den Armen und riß ihn vom Schanzkleid herunter zu sich heran. Gleichzeitig verhinderte er. daß der Kapitän seine Schußwaffe zücken konnte. Hasard drehte ihn um, nahm ihn mit dem Arm in einen Würgegriff und zog rasch das Messer. Die Spitze drückte er ihm gegen den Hals. „Wenn dir und deinen Männern das Leben lieb ist, dann streichst du augenblicklich die Flagge, Freundchen.“ „Teufel“, zischte der Schwarzbärtige. Die Wut, die bislang in ihm gegärt hatte, gelangte zum Überkochen. Er steckte in der Klemme, aber er dachte nicht daran aufzugeben. Plötzlich wußte er einfach nicht mehr, was er tat. O ja, er benahm sich wie ein hirnverbrannter Idiot, dieser heißblütige Don. „Männer!“ schrie er. „Aufpassen! Wir sind in eine Falle geraten!“ Er trat mit dem Fuß nach hinten aus und erwischte Hasard am Schienbein. Im selben Augenblick riß er den Kopf nach unten weg. Seine Wange wurde von der Messerspitze geritzt. Das Blut lief, aber der Kapitän kümmerte sich den Teufel darum. Was er unternahm, war selbstmörderisch. Und doch rammte er dem Seewolf beide Ellbogen in die Magengrube, wand sich wie ein Aal und befreite sich mit erstaunlichem Geschick aus der Umklammerung. Hasard fluchte. Der Schwarzbärtige riß die Pistole aus dem Gurt. Er spannte den Hahn. Philip Hasard Killigrew ächzte vor Schmerzen, aber er wußte, daß er handeln mußte, wenn er nicht von der Pistolenladung zersägt werden wollte. Er hatte vollauf mit dem Kapitän zu tun, um die Schaluppe konnte er sich nicht mehr kümmern:
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Das unternahmen Profos Carberry, Ben, Ferris und die anderen. Der Kampf lief auf zwei Ebenen ab. Carberry lugte aus einer Stückpforte hervor und brüllte auf die zehn Spanier ein: „Ergebt euch, wenn ihr nicht in Klumpen gehauen werden wollt, ihr Affenärsche!“ Ben schrie das gleiche noch einmal auf Spanisch, aber es nutzte nichts, die Schaluppenbesatzung wollte die offene Auseinandersetzung. Sie griff zu den Waffen. „Feuer!“ dröhnte Carberrys Stimme über Deck. Musketen wurden über das Schanzkleid geschoben. Ihre langen, in wuchtige Holzschäfte gebetteten Läufe lagerten auf Gabelstützen. Die Lunten glommen bereits. Die Schützen betätigten die Abzüge, und die Luntenenden senkten sich unter Federdruck auf das Zündkraut in den Schlossen. Damit war Hasards Crew den Spaniern um einen Zug voraus. Der Seewolf ließ seinen Fuß hochschwingen, daß er den Waffenarm des wutschnaubenden Kapitäns traf. Der Mann drückte zwar ab, aber die Pistole fuhr hoch und spuckte ihre Ladung in die Toppnanten des Großmastes aus. Das Krachen des Schusses mischte sich mit dem Schrei, den der Don ausstieß. Hasard trat noch einmal zu, es war eine fast akrobatische Verrenkung. Diesmal erwischte er seinen Gegner am Brustbein. Während der Kapitän keuchte und nach Luft rang, zückte Hasard seinen Degen. Es wäre ein leichtes gewesen, den Spanier einfach niederzuknallen. Dessen Pistole war einschüssig und damit wertlos geworden. Zum Nachladen blieb keine Zeit. Hasards Doppelläufige indes bot alle Chancen, das Leben des Spaniers zu beenden. Doch ein Mann wie der Seewolf hielt die Gebote der Fairneß aufrecht. Der Kapitän schleuderte die schmauchende Pistole weit von sich. „Bastard!“ schrie er — dann zog auch er seinen Degen aus der Scheide. Die Klingen kreuzten sich. Hasard hatte den Schienbeinstoß und die
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Magengrubenknüffe verdaut, er konnte schon wieder kalt lächeln. „Ich gebe dir einen guten Rat!“ rief er dem Widersacher zu. „Laß die Waffe fallen. Noch hast du die Möglichkeit, mit heiler Haut davonzukommen.“ „Verfluchter Hund!“ brüllte der Schwarzbärtige. Ihr Wortwechsel ging in dem Krachen der Musketen unter. Carberry und die anderen fackelten nicht lange, sie nahmen die Schaluppe unter Beschuß, bevor die zehn Spanier richtig zum Luftschnappen kamen. Bleikugeln, gehacktes Blei und Eisen rasten auf die Schaluppe hinunter und deckten sie fast völlig ein. Die Spanier schrien gellend. Der Mann, der im Bug gehockt und die Tiefe ausgelotet hatte, kippte blutüberströmt außenbords. Er stürzte ins Wasser, die Fluten schlugen über ihm zusammen. Der reglos gewordene Körper schwappte wieder hoch, das Blut färbte das Wasser um ihn herum dunkel. Der Spanier, der jene törichte Frage über die Galeone gestellt hatte, brach gurgelnd in die Knie, bevor er seine Muskete in Anschlag bringen konnte. Vier andere traf das gleiche Schicksal. Der Tod raste wie ein Besessener an Bord der Schaluppe. Antonio Cunha erkannte, welcher Wahnsinn es war, sich den doppelt und dreifach überlegenen Feinden zu widersetzen. Er brüllte den neben ihm stehenden Mann an. „Aufhören! Wirf die Waffe weg und heb die Hände hoch! Willst du, daß wir auch krepieren, du Narr?“ Philip Hasard Killigrews Männer legten die Musketen beiseite und griffen zu frisch geladenen Waffen, die Carberry in weiser Voraussicht hatte bereitstellen lassen, aber eine neue Salve brauchte nicht abgegeben zu werden. „Aufhören!“ schrie Antonio Cunha, der Steuermann und Lotse der Schaluppe. „Wir ergeben uns!“ Carberry zog die Augenbrauen zusammen, seine Miene war finster. „Was jammert der Hurensohn?“
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Ben Brighton dolmetschte. Der Profos rief daraufhin sofort: „Feuer einstellen! Laßt die überlebenden vier Rübenschweine einzeln heraufkommen und nehmt sie in Empfang. Wer einen Trick versucht, wird abserviert, verstanden?“ Erst jetzt drehten sich die Männer um und sahen, was sich zwischen dem Seewolf und dem schwarzbärtigen Kapitän abspielte. Carberry stieß ein wölfisches Knurren aus. Er tastete nach seinem Messer, aber Jean Ribault war neben ihm und hielt ihn am Arm zurück. „Nicht eingreifen. Die beiden wollen es allein austragen“, sagte er. Er war selbst ein vorzüglicher Degenkämpfer und verfolgte mit fachmännischem Blick, wie Hasard und der Spanier in erbitterter Auseinandersetzung quer über die Kuhl tänzelten. Der Seewolf hielt eine vorzügliche Verteidigung, in die es dem Kapitän nur selten einzubrechen gelang. Hasard hielt sich mit Ausfällen zurück. Zunächst tastete er den Gegner ab und stellte sich auf dessen Stil ein. Der Kapitän hatte Erfahrung und kannte eine Menge Tricks. Aber sein Handicap war die Wut, die in ihm rauchte. Er führte seine Paraden zu hastig und impulsiv. Hasard übertrumpfte ihn durch seine Kaltblütigkeit. Sie fochten sich von Backbord nach Steuerbord, dann zum Niedergang und aufs Quarterdeck empor. Es gab keinen Schußlärm mehr, nur Pulverrauch lastete noch in dünnen Schwaden über dem Mitteldeck der _Isabella“. Ruhe breitete sich aus. Das Klirren der Degenklingen war deutlich bis zum Vorkastell hin zu vernehmen. Die Crew nahm die vier überlebenden Spanier gefangen, vereinnahmte die Schaluppe und beförderte die noch auf deren Deck liegenden Leichen über Bord. Den Rest würden die Haie besorgen. Das war das rauhe, gnadenlose Gesetz, das auf See herrschte und an dem niemand zu rütteln vermochte, solange es Kämpfe wie diese gab.
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Hasard hatte seine Taktik entwickelt. Er ließ sich von dem schwarzbärtigen Spanier bis aufs Achterdeck emportreiben. Er täuschte Unterlegenheit vor und lockte den Gegner damit noch mehr aus der Reserve. Schon zeigte der Kapitän eine triumphierende Miene. Er glaubte, von nun an leichtes Spiel zu haben. Hasard ließ ihn heran. Er hütete sich aber, sich bis ans Schanzkleid und in die Enge drängen zu lassen. Er wartete den nächsten Ausfall des Spaniers ab. Und er kam! Die Degenklinge zuckte vor, stach auf seine Brust zu. Hasard riß seine Waffe hoch, blockte die tödliche Attacke ab und drückte plötzlich mit aller Kraft gegen den Schwarzbärtigen. Klinge rieb sich an Klinge. Der Spanier preßte die Lippen zusammen. Schweißperlen standen auf seinem Gesicht, lösten sich auf und liefen in Rinnsalen an der Haut herab. Der Seewolf vollführte eine blitzschnelle Bewegung. Der Spanier brüllte auf. Er bewegte schlenkernd die schmerzende Rechte. Der Degen befand sich mit einem Mal nicht mehr darin, segelte durch die Luft, senkte sich auf die Decksplanken nieder und blieb zitternd in der Nähe des Besanmastes stecken. Hasards Degenklinge durchbohrte den Oberleib des Spaniers. Da war keine Rippe, die den tödlichen Stoß gegen das Herz verwehrte und abprallen ließ. Hasard hatte sauber gezielt und sicher zugestochen. Er riß die Waffe aus der Wunde. Außer einem Loch in der Uniform des Spaniers deutete zunächst nichts auf die Dramatik des Augenblicks hin. Dann aber quoll Blut aus der Stichwunde. Der Kapitän tat zwei, drei wankende Schritte. Er stieß unverständliche Laute aus und ballte die Hände. Zuerst sah es so aus, als wolle er noch einmal seinen Degen an sich reißen. Er torkelte darauf zu. Kurz davor brach er zusammen. Er drehte sich auf den Rücken, und Hasard wandte sich ab, um nicht die letzten Zuckungen mitanzusehen, unter denen er starb. Hasard suchte das Quarterdeck auf.
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„Werft ihn in die See“, sagte er zu seinen Männern. „Wickelt ihn meinetwegen in Segelleinen und beschwert den Packen, aber übergebt ihn so schnell wie möglich der See. Profos!“ „Sir?“ „Hat es Verletzte in unseren Reihen gegeben?“ „Nein, Sir.“ Hasard trat auf die Kuhl und schritt zu den vier Gefangenen, die mittlerweile gefesselt worden waren. „Das war mehr als Dummheit“, sagte er auf Spanisch. „Ihr wißt genau, daß ihr dieses Massaker hättet vermeiden können. Eure Gefährten haben sich selbst zuzuschreiben, was ihnen passiert ist.“ „Mein Name ist Antonio Cunha“, sagte der Steuermann und Lotse. „Ich verlange keine Gnade für mich und meine Männer. Tut, was ihr tun müßt. Vollendet euer blutiges Werk.“ Der schwarzbärtige Kapitän war nicht mehr am Leben, und Cunha trauerte ihm nicht nach. Er fühlte sich jetzt als Ranghöchster, als Held und Märtyrer. Stolz hob er den Kopf und blickte dem Seewolf in die blauen Augen. „Unsinn“, erwiderte Hasard knapp. Er drehte sich wieder um und gab dem Profos Anweisung, die Männer in der Kuhl zu versammeln. Es waren auch Jalu und Keloa dabei, die die vier Gefangenen mit haßerfüllten Blicken bedachten. Ihre Empfindungen beruhten auf Gegenseitigkeit. Die Spanier beäugten sie voll Verachtung, hüteten sich aber, auch nur ein Wort gegen das „schwarze Vieh“ auszusprechen, das die Gambia-Neger in ihren Augen waren. Batuti stand in ihrer Nähe. Auch der Rest der Crew war bereit, ihnen die Mäuler zu stopfen, wenn sie aufmüpfig wurden. Der Seewolf hatte seine Entscheidung gefällt. „Wir haben die Schaluppe. Sie ist ein Trumpf in unserer Hand’’, sagte er zu der Mannschaft. „Die Situation sieht jetzt also grundlegend anders aus. Mit der Galeone könnten wir niemals frech und gottesfürchtig in den Hafen von Kingston
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segeln. Man würde uns stoppen, untersuchen, aushorchen, entlarven. Vielleicht ist der Hafenkommandantur auch bereits bekannt, daß die einstige ,San Josefe’ jetzt von Engländern besetzt ist. Aber die Schaluppe bietet uns einige Chancen, einen Handstreich zu führen, der uns keine Verluste bringt.“ Jean Ribault lächelte. „Der Wolf schleicht sich verkleidet in die Schafherde, stimmt’s?“ „Ja. Was ich anfangs nicht wollte, tue ich jetzt. Ich befreie die schwarzen Frauen und Männer von den Sklavengaleonen.“ Die Männer johlten. Batuti wurde wieder ganz aufgeregt und redete auf seine Stammesgenossen ein. Keloa stieß einen Jubellaut aus. Hasard griff Batuti rasch beim Arm und sagte: „Erkläre ihr, daß sie mir nicht wieder einen Kuß aufdrücken soll. So was schwächt die allgemeine Bordmoral.“ Batuti tat es, und Keloa lächelte verschmitzt. Hasard grinste zurück. „Möglich, daß wir bei dieser Gelegenheit unseren Freunden, den Dons, noch ein paar Zähne ziehen können. Vielleicht gibt es was zu erbeuten. Und noch etwas. Mir ist eingefallen, daß wir dringend unsere Pulver- und Munitionsvorräte ergänzen müssen. Die Gefechte in der WindwardPassage haben ganz erheblich an unseren Beständen gezehrt.“ Er entblößte seine zwei weißen Zahnreihen und lachte rauh. Er hatte jetzt wirklich etwas von dem Beinamen, den ihm die Crew schon unter Drake verpaßt hatte – vom Seewolf. Er wandte sich um und fixierte die vier Gefangenen. Antonio Cunha hatte er als den Mann wiedererkannt, der am Ruder der Schaluppe gestanden hatte. Ihn blickte er jetzt plötzlich an, als sei ihm etwas eingefallen. War es etwas, das Cunha den Strick drehen konnte, mit dem man ihn an der Rahnock zum Zappeln aufhängen würde? Jedenfalls schien der Spanier mit einem Mal in sich zusammenzuschrumpfen. Die Angst suggerierte ihm die schrecklichsten Bilder:
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wie man ihn hängen. köpfen oder gar kielholen würde. Was würde es sein? Hasards Finger stach vor und deutete auf ihn. „Du da.“ Antonio Cunha schluckte entsetzt. „Was ist?“ „Bringt ihn her“, befahl der Seewolf. „Ich hab’s gewußt“, versetzte der gefesselte Mann neben Cunha. „Du hast den Mund zu voll genommen und hättest dich nicht so aufspielen sollen, du Armleuchter.“ 7. Antonio Cunha wäre in diesem Moment am liebsten im Deck versunken. Gern hätte er sich in eine Maus verwandelt und sich durch das nächste Spundloch in die unteren Bereiche des Schiffsrumpfes verdrückt. Aber alle stillen Stoßgebete nutzten nichts — die bittere Realität blieb. Smoky und Gary Andrews packten ihn an den Armen. Natürlich gingen sie nicht besonders sanft mit ihm um. Sie schleppten ihn zu Hasard, laufen konnte er nicht, weil sie ihm auch die Fußknöchel mit Stropps zusammengebunden hatten. Dicht vor dem Seewolf stellten sie ihn wieder auf die Füße. „Dich kann ich gut gebrauchen“, sagte Hasard. „Du begleitest uns nach Kingston. Du bist unser Führer. Als Steuermann und Lotse der Schaluppe bist du genau der richtige Mann für uns.“ Cunha fiel ein schwerer Brocken vom Herzen. Er atmete erleichtert auf. Fast hatte er schon mit seinem Leben abgeschlossen. „Warum japst du so?“ fragte Smoky: ihn. „Er kann dich nicht verstehen“, sagte Gary. „Und die anderen drei Compadres?“ erkundigte sich Cunha vorsichtig. „Die bleiben hier.“ Hasard gab seinen Männern einen Wink und bedeutete ihnen, die Gefangenen bis auf Cunha abzuführen. „Bringt sie in die Vorpiek zu Panfilo de Retortilla, diesem arroganten Schnösel.“ „Der Mann befindet sich also wirklich an Bord“, versetzte Cunha erstaunt.
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Hasard maß ihn mit einem kalten Blick. „Für was hältst du uns eigentlich? Für Lügenbolde? Zügle ja deine Zunge, sonst vergesse ich mich noch.“ Er hatte nicht vor, dem Spanier etwas zuleide zu tun. Nur wollte er ihm klarmachen, daß es sinnlos war, aufzumucken oder Fluchtpläne zu fassen. Er mußte die eisenharte Autorität des Siegers zu spüren kriegen, damit er keine dummen Gedanken faßte. Cunha wagte es nicht, erneut den Mund aufzutun. Ihn interessierte zwar, was mit de Retortilla angestellt worden war — der jetzt tote Kapitän hatte über ihn berichtet und ihn als einen der ausgekochtesten Sklavenschinder des vormals drei Schiffe zählenden Verbandes geschildert. Cunha hütete sich aber, auch nur noch eine einzige Frage zu stellen. Er war ja heilfroh, nicht auf der Abschußliste des Seewolfes zu stehen. Dieser schwarzhaarige Riese, der den bärbeißigen spanischen Kapitän in meisterhaftem Degenkampf getötet hatte, schien weitaus mehr Format zu haben, als die Korsaren und Piraten, die bisher die Karibik verunsichert hatten. Jene schreckten vor keiner Grausamkeit zurück, und wo sie zuschlugen und siegten, gab es keine Gefangenen — nur reihenweise Leichen. Antonio Cunha begann, neben seinem heiligen Respekt vor Philip Hasard Killigrew so etwas wie Bewunderung für ihn zu empfinden. „Folgende Einteilung“, sagte der Seewolf zu seiner Crew. „Smoky, du unternimmst während unserer Abwesenheit das Kommando auf der ,Isabella’. Du brauchst mich nicht so belämmert anzusehen, irgendjemand muß schließlich hier in der Bucht bleiben und auf unser Schatzschiff aufpassen. Und das steht dir als dem Decksältesten dienstgradmäßig zu. Kutscher, Will Thorne, Valdez, Jeff Bowie und Bob Grey, ihr leistet Smoky Gesellschaft. Die restlichen zwanzig Mann begleiten Cunha und mich auf der Schaluppe nach Kingston. Ja, auch Jalu und Keloa. Keine Angst, euch passiert
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nichts, dafür sorgen wir schon. Und eure Leidensgenossen von den Sklavengaleonen werden hocherfreut sein, euch wiederzusehen. Batuti, übersetze das bitte.“ Die Sonne berührte als feuriger Ball die westliche Kimm, und die Dämmerung schickte ihre blaßroten und grauen Schleier über die Karibik aus, als Hasard und seine Männer in die Schaluppe abenterten. Antonio Cunha stand unter ständigem sanften Druck — der Seewolf hielt ihn vorsichtshalber mit der Doppelläufigen in Schach. Die Segel der Schaluppe wurden gesetzt, dann legte sie von der Backbordseite der „Isabella V.“ ab. Sie kreuzte gegen den handigen Südost aus der Bucht und drehte dann nach Westen, so daß sie Backstagswind erhielt und zusehends Fahrt gewann. Pete Ballie übernahm die Rolle des Rudergängers. Die Schaluppe war prallvoll mit bis an die Zähne bewaffneten Männern. Sie segelten in Sichtweite der Küste an der Isla de Santiago entlang und glich einem Schwan, der ruhig und majestätisch eine gleichmäßige Bugwelle vor sich herschob. Der Wind blähte die Fock und das Großsegel auf, das Wasser gurgelte an den Bordwänden entlang, spreizte sich an den Hecks zum Fächer aus, der breiter und breiter wurde, als Spur eine Zeitlang wie ein Keil über dem Wasser lag und plötzlich wie weggewischt war. Die Dunkelheit löste die Dämmerung ab. Der Abendhimmel war ein mit Silbertupfern durchwirktes schwarzes Samttuch, das im Zentrum von einer Sichel beherrscht wurde: Der Mond schickte sein fahles Licht auf das Meer und die Schaluppe. Weit und breit war kein anderes Schiff zu entdecken. Dan O’Flynn hatte den Posten auf der Bergspitze verlassen und war zu der Crew zurückgekehrt. Er hielt als Ausguck die Augen offen. Die Fahrt nach Kingston verlief größtenteils schweigend und ohne nennenswerte Begebenheiten. Dennoch verging die Zeit wie im Fluge, denn vor
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den Männern lag das Abenteuer. Die Aussicht darauf verkürzte die Stunden, ließ der Phantasie freien Lauf, regte zu Mutmaßungen und kühnen Vorstellungen an. Noch vor Mitternacht erreichten sie ihr Ziel. Dan wies sie auf Lichtflecken an der Küste hin. „Kingston“, sagte Jean Ribault. „Auch Port Royal genannt; der Mittelpunkt dieser Insel, der die Indianer den Namen Xaymaca verliehen haben — Jamaica, Land der Wälder und des Wassers. Kingston ist einer der besten Häfen, was seine Zugänglichkeit, Größe, Sicherheit und Bedeutung betrifft.“ „Etwa so wie Panama?“ fragte Matt Davies. „Vielleicht noch besser.“ Matt grinste wie ein Teufel. „Na, das werden wir ja sehen. In Panama haben wir die Dons schwer angeschlagen und uns hübsch die Taschen vollgestopft mit ihren Reichtümern.“ „Wir wollen diesmal kein Dutzend Galeonen versenken“, sagte der Seewolf vom Heck der Schaluppe her. „Und ich weiß auch nicht, ob wir riesige Mengen Gold und Silber finden. Mir würde schon Munition genügen -und die Befreiung der Sklaven.“ „He, Jean!“ rief Dan O’Flynn. „Wie steht es denn mit den Weibern in dieser verflixten Stadt?“ „Nun hör dir den Dreikäsehoch an“, brummte Ferris Tucker. „Immer noch nicht trocken hinter den Löffeln, aber von Frauenzimmern reden.“ „Oh, Spelunken und Tavernen aller Art gibt es zur Genüge in Kingston“, sagte der Franzose. „Und in ihnen verkehren Hafenhuren aller Hautschattierungen. Aber ich glaube nicht, daß du die Damen zu Gesicht kriegen wirst, Daniel O’Flynn.“ „Sehr richtig“, sagte nun der Seewolf. „Rumgehurt wird nicht. Gesoffen auch nicht. Wir haben einen präzisen Plan, den wir in größter Eile zur Durchführung bringen. Das ist alles. Und von jetzt an haltet ihr gefälligst die Klappe.“
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„Aye, aye, Sir“, erwiderten die Männer im Chor. „Cunha!“ Hasard wandte sich an den Lotsen - auf Spanisch natürlich. „Du hast meine Pistole immer noch im Kreuz und wirst auf Mucken verzichten, kapiert? Du weißt, daß ich nicht zögere, dich niederzuschießen, wenn du einem deiner Landsleute eine Warnung zurufst oder auszukneifen versuchst. Und es lohnt sich ebenso wenig, uns auflaufen zu lassen.“ „Ich führe euch sicher an den vorgelagerten Riffs vorbei“, erwiderte Antonio Cunha hastig. „Wir befinden uns schon fast in der Fahrrinne. Die Hafeneinfahrt liegt zwischen der westlichen Felsenküste und einer langgezogenen Landzunge, die von Osten aus bis weit ins Wasser reicht.“ „Und dort lauert die Hafenwache“, sagte Hasard. „Ja.“ „Wo noch?“ „Am Ende der langen Hauptpier, an der die meisten zu be- oder entladenden Schiffe vertäut liegen. Und dann natürlich vor der Hafenkommandantur.“ „Du wirst dich mit diesen Brüdern verständigen, wie es sich gehört, Cunha. Sag ihnen, daß die Suche ergebnislos verlaufen ist. Keine Überlebenden von der Sklavengaleone. Begriffen?“ „Ja.“ „Ich hoffe, daß die Hafenwache nicht anfängt, die Männer hier in der Schaluppe zu zählen.“ „Ich auch nicht.“ Antonio Cunha schluckte und benetzte seine spröden Lippen mit der Zunge. „Ich sorge dafür, daß wir auf ausreichender Distanz bleiben.“ Wenig später beschrieb die Schaluppe eine Halse. Pete Ballie zog das Heck durch den Wind, und von jetzt an segelten sie über Backbordbug mit raumem Wind direkt auf Kingston zu. Die Wache auf der Landzunge gab sich mit ein paar Zurufen des Lotsen zufrieden. Brenzliger wurde die Lage, als sie sich der Hauptpier näherten. Hasard dachte nicht im Traum daran, dort festzumachen, er war eher auf einen versteckten Platz ganz am Rand der
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Kaimauer erpicht. Aus der Dunkelheit hoben sich jedoch die Schatten zweier Gestalten auf der Pier ab. Cunha gab sich zu erkennen und setzte ihnen auseinander, was der Seewolf ihm aufgetragen hatte. Die beiden Gestalten waren Wachtposten, aber auch sie forschten nicht weiter, sondern waren überzeugt, die dritte Schaluppe des am Morgen zusammengestellten Suchtrupps vor sich zu haben. Sie redeten eine Weile mit Cunha hin und her, aber es war belangloses Geschwätz. Hasard war angenehm überrascht. Die Bewachung des Hafens erwies sich als weitaus laxer. als er angenommen hatte. Offenbar rechnete man entgegen seinen Befürchtungen mit keinem Feind —schon gar nicht mit Engländern. Die Schaluppe glitt an ein paar Galeonen vorbei, die an ihren Ankerketten schwojten. Es wurde nur sehr leise geredet, wenn, dann auf Spanisch. Hasard wies nach einigem Abschätzen der Situation Cunha den Platz an, an dem er festzumachen gedachte. Ben Brighton, Jean Ribault und Karl von Hutten flüsterte er ein paar Anweisungen zu, im übrigen wußten die Männer auch so, was sie zu tun hatten. Die Schaluppe ging am Hauptkai längsseits. Im Schutze der Dunkelheit stiegen die Männer an Land. * Sie verharrten eine Weile und blickten zu den dicht zusammengepferchten Häusern des Hafenviertels hinüber. Die Bleiglasfenster der Spelunken waren rötlichgelbe Vierecke, die wie in die Finsternis gestanzt wirkten. Schwacher Lichtschimmer fiel bis auf die Straße, die über den Kai verlief, und man konnte die buckligen Katzenköpfe des Pflasters erkennen. Das Grölen von Männern, das Juchzen von Frauen und der Klang einer verstimmten Vihuela wehten von den Kneipen zu ihnen herüber. Dan O’Flynn und ein paar andere
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kriegten entsagungsvolle, wehmütige Mienen. „Jetzt fangt bloß nicht wieder mit Thema Nummer eins an“, sagte der Seewolf gedämpft. „Los, marschieren wir in die Stadt. Cunha muß uns zeigen, wo sich die Depots befinden, in denen wir uns bedienen können.“ Und ob der spanische Lotse sie zu den Lagerhäusern führte! Es blieb ihm ja nach wie vor nichts anderes übrig, als nach Hasards Pfeife zu tanzen. Er befand sich praktisch mitten unter seinen Landsleuten, und doch konnte er nichts unternehmen, um die Freiheit wiederzugewinnen. Die Reiterpistole in der Rechten des Seewolfes vermittelte eine zu deutliche Sprache. Längst hatten sie entdeckt, wo sich die beiden Sklavengaleonen befanden. Sie lagen an einer Nebenpier vertäut, fett und behäbig, so daß sie auch in der Nacht nicht zu übersehen waren. Aber die GambiaNeger - befanden sie sich überhaupt noch an Bord? Wenn sie für die Plantagen der Insel bestimmt waren, dann war es gut möglich, daß man sie bereits „gelöscht“ hatte. Hasard wußte, daß das Aufspüren der Schwarzen keine Schwierigkeit war. Doch wenn sie noch in den Frachträumen der Galeonen schmachteten, würde es ein Problem sein, die Wachmannschaften auf den Schiffen lautlos zu überwältigen. Cunha erledigte seine Aufgabe gut - mit einer Pistole im Rücken marschierte es sich schnell und zielstrebig. Die Depots wuchsen als wuchtige, kastenförmige Bauten vor der Crew aus der Dunkelheit hoch. Sie standen ein wenig abgesondert von den anderen Bauten des Hafenviertels. Die Hafenkommandantur war von diesem Platz aus nicht zu sehen. „Sehr gut“, raunte der Seewolf. „Cunha, wo lagern die Pulverfässer und die Munition für eure Kanonen?“ Der Lotse wies auf zwei der Gebäude. Hasard blickte sich nach allen Seiten um. Plötzlich gab er der Mannschaft einen Wink. Wie die Geister zogen sich die Männer in Gassen, Seitengänge, Toreinfahrten und Hauseingänge zurück.
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Schritte tappten heran. Hasard blieb eiskalt. Er verbarg die Reiterpistole unter seiner Kleidung, lächelte frostig und blickte Cunha von der Seite an. „Ein falsches Wort, und ich schicke dich als ersten auf die Höllenfahrt“, sagte er leise. Von weitem mußte das durchaus den Eindruck erwecken, als spräche er mit seinem unfreiwilligen Begleiter über Belangloses. Drei Männer in voller Montur bogen um eine Hausecke - Soldaten. Sie bewegten sich im Gleichschritt über die Katzenköpfe der Straße. Ihr Ziel schien irgendwo weiter im Inneren der Stadt zu liegen, doch sie begannen, mißtrauisch zu Hasard und dem Lotsen herüberzuschauen. Hasard lächelte immer noch. „Warum sagst du nichts, amigo? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ Er sprach verhalten, doch es war gut möglich, daß die drei Soldaten ihn verstanden. Er konnte größten Argwohn erregen. Es gehörte schon mehr als Abgeklärtheit dazu, sich derart gelassen wie der Seewolf zu verhalten. Cunha war weiß im Gesicht, das ließ sich sogar im schalen Mondlicht erkennen. Für einen Augenblick schien er mit sich selbst im Widerstreit zu liegen. Dann gab er sich den Männern zu erkennen. Und sie zogen kommentarlos vorbei. Sie grüßten durch Gebärden, und Cunha tippte mit zwei Fingern gegen den Rand seiner Mütze. Hasard ließ die Männer aus ihren Verstecken treten. Kurz darauf näherten sie sich der eisenbeschlagenen Tür des ersten Munitionsdepots. Kein Wachtposten war zur Stelle, aber natürlich hinderten sie die Riegel am sofortigen Eintreten. „Ferris“, sagte Hasard. Der rothaarige Riese hatte außer seinen Waffen auch ein wenig Werkzeug mitgeschleppt, und mit dem ging er jetzt an die Arbeit. Antonio Cunha verfolgte mit einigem Staunen die Bemühungen des Zimmermannes. Tucker brachte die Verriegelung in kürzester Zeit auf. Er stieß die beiden hölzernen Türflügel auf. In den schweren Eisenangeln quietschte es ein wenig. „Bitte sehr“, sagte er spöttisch.
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Die ersten Männer schlüpften an ihm vorbei, und er schloß sich der Gruppe an. Gary Andrews und Matt Davies blieben als Posten an der Tür zurück. Sie hielten sich im Dunkeln dicht neben der Füllung, man konnte sie von draußen nur aus nächster Nähe erkennen. Wer sich jetzt zu dicht an das Depot heranwagte, riskierte, Garys Dolch oder Matts Prothesenhaken zwischen die Rippen zu kriegen. Der Seewolf hätte am liebsten Licht angezündet, aber er wußte, daß das erstens wegen des Depotinhaltes und zweitens wegen der Dons gefährlich war. Wie leicht konnten sie sich verraten! Sie mußten sich also im Dunkeln vorantasten. „Hier sind wir richtig“, sagte Al Conroy plötzlich. „Ich will Nepomuk heißen, wenn in den Fässern hier kein Pulver ist. Und die passenden Kugeln für unsere Siebzehnpfünder und Drehbassen habe ich auch entdeckt.“ „Nicht so laut, du schielender Hering“, brummte der Profos. „Hast du vergessen, daß du Englisch sprichst?“ „Nein, aber du vielleicht.“ „Ruhe“, zischte der Seewolf. „Ihr seid wohl nicht bei Trost, was? Los, wir bepacken uns und schleppen Fässer und Kisten auf die Schaluppe. Beeilt euch. Wir laden soviel von dem Zeug, wie wir können.“ „Vergeßt nicht, daß wir nachher noch wieder zusteigen müssen“, wisperte Dan O’Flynn. „Wenn die Schaluppe zuviel Tiefgang kriegt und Wasser übernimmt, saufen wir ab.“ „Du Schlaumeier“, sagte Nils Larsen. „Das wissen wir selbst.“ „Bei euch ist man nie sicher“, erklärte Dan O’Flynn. „Ich versohl dir den Hintern“, versprach Sven Nyberg, aber der Seewolf stand plötzlich zwischen ihnen und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Wer jetzt noch ohne triftigen Grund seine Klappe aufreißt, dem sind sechs Hiebe mit der Neunschwänzigen sicher.“ Das war in vollem Ernst gesprochen. Hasard verfügte über eine ordentliche Portion Humor, aber wenn ihm der verging, war mit ihm nicht
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gut Kirschen essen. Dan, die beiden Dänen und alle anderen spürten die Warnung in seinen Worten deutlich. Sie schwiegen. Der Seewolf blieb stets in Antonio Cunhas Nähe. Auch der Spanier mußte Pulverfässer, Eisen- und Bleiladungen für die Geschütze der „Isabella V.“ mit zur Schaluppe transportieren. Das Unternehmen wurde in aller Stille und unter Berücksichtigung größter Vorsichtsmaßnahmen durchgeführt. Ständig mußten die Männer vor jählings aus dem Dunkel auftauchenden Spaniern auf der Hut sein. Aber es kam zu keinem Zwischenfall. Die Crew schob Fässer und Kisten an Bord der Schaluppe, verstaute sie fachgerecht – und zur selben Zeit arbeiteten Ferris Tucker und Al Conroy auf Hasards Anweisung hin im Depot. Sie schufteten wie die Besessenen. Sie legten Lunten und bereiteten den gesamten Bau zur Sprengung vor. Als die Schaluppe ausreichend beladen war und die Männer die letzten Stücke hinübertrugen, unternahm Hasard mit Cunha einen kleinen Erkundungsgang. Hasards Ahnung bestätigte sich: aus einem der Frachtschuppen ertönten Stimmen. Er blieb stehen. Neben ihm verhielt auch Cunha seinen Schritt. „Verstehst du etwas?“ fragte der Seewolf ihn. „Kein Wort. Das ist ja ...“ „Die Sprache der Gambia-Neger. Männer und Frauen. Sie sind alle in dieses Gebäude gesperrt worden. Wir werden sie herausholen.“ „Warum?“ „Das begreifst du nicht, wie?“ „Ich würde meinen Kopf nicht für eine Handvoll verdammter Sklaven hinhalten ...“ „Still jetzt.“ Hasard hielt ihn am Arm fest. Sie hatten sich dem Frachtschuppen von der Rückseite her genähert. Er befand sich gut zweihundert Yards von dem Munitionsdepot entfernt. Die Bauten, die zwischen dem Schuppen und dem Depot errichtet waren, versperrten die Sicht zum Munitionslager. Und das war gut so. Der
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Schuppen der Sklaven wurde nämlich bewacht —von zwei Posten. Sie schritten an einer Seitenwand entlang auf sie zu. Hasard sah sie, als er um die Ecke lugte. Er war froh, daß sie sie nicht beim Ausräumen des einen Depots ertappt hatten. Jetzt verharrte er mit verhaltenem Atem neben Cunha und richtete den Pistolenlauf auf dessen Körperseite. Er war bereit, ihm auf einen gewissen Punkt unter der Achselhöhle zu feuern, falls er nicht parierte. Dahinter verbarg sich das Herz. Antonio Cunha hatte sich stets weisungsgemäß verhalten, seit sie ihn gefangengenommen hatten. Das schloß jedoch keine bösen Überraschungen aus. Nach wie vor konnte er einen jähen Ausfall versuchen. Die Posten waren dicht vor der Gebäudeecke. Hasard lauerte dem ersten auf und schlug ihm vor die Brust, sobald er hinter der Mauerkante hervortrat. Der Mann prallte gegen seinen Begleiter. Er fluchte. Er war jedoch viel zu verdutzt, um sofort zu reagieren. Der Seewolf nutzte dies aus. Er war bei ihnen, bevor sie ihre Waffen zücken konnten. Flink packte er sie bei den Köpfen und hieb diese an den Schläfen zusammen. Die Männer sanken zu Boden. „Euch hätte ich festere Schädel zugetraut“, sagte Hasard. Er hieb noch zweimal mit dem Knauf seiner Pistole zu — schließlich war er eigens zu diesem Zweck so wulstig geformt. Und: Doppelt hält besser, dachte Hasard, die beiden rappeln sich innerhalb der nächsten halben Stunde bestimmt nicht wieder auf. Mehr Zeit brauchte er nicht. Und Cunha? Der Seewolf fuhr herum. Er drehte die Reiterpistole in der Hand und richtete sie wieder auf den Lotsen und Steuermann. Cunha stand aber in unveränderter Haltung auf seinem Platz. Er gab sich sogar Mühe, treuherzig dreinzublicken. Hasard wußte nicht, wie weit er diesem Spanier trauen konnte. Eins stand aber fest: er hatte ihm solche Angst eingeflößt, daß er wirklich
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nicht an Flucht dachte. Einzig das war für den Seewolf ausschlaggebend. Hasard kehrte mit dem Lotsen zu der Crew zurück. Ferris Tucker trat auf ihn zu, um Meldung zu erstatten. „Alles in bester Ordnung, Sir. Die Lunten liegen zum Zünden bereit.“ „Habt ihr auch das zweite Depot berücksichtigt?“ Der rothaarige Riese lachte auf. „Gewiß. Die Schuppen werden zur selben Zeit in die Luft fliegen. Al und ich haben das ganz genau berechnet.“ „Gut. Vorerst warten wir aber noch mit dem Feuerwerk. Kommt jetzt, die Schwarzen müssen befreit werden.“ Er führte seine zwanzigköpfige Mannschaft zu dem Frachtschuppen. Seine Männer staunten nicht schlecht, als sie die beiden bewußtlosen Wachtposten liegen sahen. Jan Ranse und Piet Straaten übernahmen es, die beiden in einen verborgenen Winkel zu schleppen, zu fesseln und zu knebeln. In der Zwischenzeit hatten die anderen unter Hasards Führung eine Hintertür des Gebäudes entdeckt. „Ausgezeichnet“, sagte der Seewolf. „Die liegt gerade richtig für unsere Zwecke. Sie kann vom Hafen aus nicht eingesehen werden. Wir können ungestört arbeiten.“ Batuti legte sein Ohr an das Türholz und vernahm deutlich die Stimmen aus dem Inneren. Er wurde unruhig. Jalu und Keloa benahmen sich plötzlich auch sehr aufgeregt. Hasard mußte richtig ruppig werden, um sie zu bremsen. Keloa wurde sich erst jetzt bewußt, daß sie aufgeregt vor sich hin plapperte. Erschrocken hielt sie sich den Mund zu. Sie blickte Hasard aus weit aufgerissenen Augen an. „Schon gut“, sagte er. „Gut“, wiederholte sie leise. „Hasard gut!“ Die Art, wie sie ihn dabei anschaute, ließ ihre Gefühle erraten. Sie war sowieso nicht der Typ, der seine Empfindungen vor den anderen versteckte. Die Gambia-Neger, das wußte Hasard aus Erfahrung, hatten einen ganz anderen Sittenkodex als die
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Europäer. Sie benahmen sich ungezwungener. Das war einerseits gut, aber andererseits durfte Keloas Ungezwungenheit auch nicht ins Extrem abgleiten. Himmel, sie war schon drauf und dran, sich in den Seewolf zu verlieben! Nicht, daß Hasard etwas gegen sie hatte — im Gegenteil. Aber Frauen an Bord eines Schiffes waren nun mal ein Unding. Auf die Dauer verursachten sie Eifersucht, Neid und Zank unter den Männern. Ferris Tucker bosselte mit seinen Werkzeugen an dem Türschloß herum. Er hatte auch hier keine Schwierigkeiten, bald drückte er sie auf und lugte mit den anderen ziemlich neugierig in den riesigen Raum des Schuppens. Die Neger hatten sich erschrocken und waren verstummt. Bestimmt rechneten sie mit einem Besuch der Spanier, mit neuen Schikanen, vielleicht sogar mit einem Weitertransport ins Landesinnere. Batuti sprach ein paar beruhigende Worte. Und dann redeten auch Jalu und Keloa verhalten auf ihre Stammesbrüder und schwestern ein. Da brach aufgeregtes Geschnatter los, lösten sich Gestalten aus dem stockfinsteren Hintergrund des Inneren, da wurden die Ankömmlinge bestaunt, befragt, betastet. Offenbar hielt man es für ein Wunder, daß das Pärchen das furchtbare Schiffsunglück überlebt hatte. Etwas Mondlicht fiel in den vorderen Bereich des Raumes. Da waren die nackten Körper der Gambia-Neger zu sehen, und hinter Hasard drängelten sich plötzlich die Männer der Crew, um einen Blick zu erhaschen. „Mann in der Tonne“, sagte Stenmark. „Das haut einen glatt um“, sagte der ewig vorlaute Dan O’Flynn. „Die Mädchen da haben allerhand Holz vor der Tür, Leute.“ „Schnauze halten“, zischte der Seewolf. Die Männer zogen unwillkürlich die Köpfe ein, als fürchteten sie ein über sie losbrechendes Donnerwetter. Hasard konnte aber nicht wettern. Er dachte an die in der Stadt auf und ab patrouillierenden
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spanischen Soldaten. Und daran, daß sie sich beeilen mußten. Er schritt etwas weiter vor und stellte sich neben Batuti. Verflixt, diese Negermädchen konnten einen wirklich ganz schwindlig machen! Sie liefen völlig hüllenlos zwischen den Männern herum, begrüßten Keloa und Jalu, tuschelten, kicherten, antworteten auf Batutis Erklärungen mit überraschtem „Ah“ und „Oh“. Ihre prallen Brüste wippten, ihre hinteren Rundungen glänzten aufreizend im Licht des bleichen Mondes, ihr Benehmen war beinahe offen provozierend. Sie dachten sich nichts Schlimmes dabei, o nein. Hasard kannte ja ihre Mentalität. Aber die Crew wurde richtig fiebrig. So ging das nicht weiter. „Batuti“, sagte Hasard. „Hast du ihnen die Lage erklärt?“ „Ja. Schwarze Brüder und Schwestern glücklich. Sind voll von Dank und sagen, daß sie Hasard lieben.“ „Daß sie was?“ Carberry konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. „Paßt mal auf, die angeln sich unseren Kapitän noch vom Fleck weg, und wir schauen dumm aus der Wäsche ...“ „Profos“, sagte Hasard leise und drohend. „Aye, aye, Sir. Schnauze halten, jawohl.“ Keloa ergriff plötzlich die Initiative, faßte drei andere Mädchen bei den Händen und verneigte sich mit ihnen tief vor dem Seewolf. Sie haspelte etwas in ihrer sonderbaren Sprache herunter. Und Batuti dolmetschte. „Keloa kann nie vergessen, was Hasard für sie getan hat. Sagt, du kannst sie haben. Und drei andere Mädchen auch.“ „Stop.“ Hasard hob die Hand. „Jetzt wird’s mir aber zu bunt. Sag, sie sollen sofort mit dem Zirkus aufhören.“ „Verdammich.“ Batuti kratzte sich am Kopf. „Gefallen dir Keloa, Mona, Tania und Sobria nicht?“ Der Seewolf wollte aufbrausen, aber er bezwang sich. Hinter ihm war wieder diese Unruhe. Wenn die Crew nicht solchen enormen Respekt vor ihm gehabt hätte, hätte sie jetzt wohl losgeprustet.
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„Batuti, das haben wir doch schon mal gehabt“, sagte Hasard mit größter Beherrschung. „Erinnerst du dich an damals, als wir dich mit deinen Stammesbrüdern von der ‚Barcelona’ befreiten?“ „Batuti nie vergessen“, erwiderte der schwarze Riese. Das klang feierlich. „Also. Ich weiß, daß es bei euch so üblich ist, Frauen zu verschenken, und daß man so was voll Stolz und Ehre anzunehmen hat. Aber ich bin Philip Hasard Killigrew, Kapitän der ‚Isabella V.`, verflixt und zugenäht, und ich will weder diese vier noch sonst irgendein Frauenzimmer am Hals haben. Will dir das in den Schädel, du Roß?“ „Klar“, sagte Batuti. „Dann verklickre ihnen das.“ Batuti sprach gedämpft, und die kleine Heerschar von Negern lauschte gebannt. Hasard hatte den Eindruck, daß der Riese sich sehr diplomatisch ausdrückte. Mona, Tania und Sobria nahmen die Erklärung denn auch gelassen zur Kenntnis -nur Keloa begann zu weinen. „Schluß jetzt“, sagte Hasard. „Profos, Ben, Ferris, Dan, Smoky und wie ihr alle heißt zeigt den Sklaven, wo sie sich Waffen und Munition holen können. Beeilt- euch und laßt euch bloß nicht schnappen. Anschließend verschwindet der Trupp aus der Stadt und schlägt sich ins Innere der Insel durch. Die Dons können sich totsuchen, sie werden sie nie finden.“ Batuti setzte den Negern auch dies auseinander. Die nächsten Minuten verstrichen in hastiger Geschäftigkeit, es war ein beständiges Hin und Her zwischen dem Frachtschuppen und den Munitionsdepots. Schließlich hatte jeder Schwarze mindestens eine Waffe, und Batuti gab sich redlich Mühe, ihnen den Umgang mit Musketen und Pistolen zu erklären. Jalu erwies sich als besonders aufnahmefähiger Schüler. Die rund hundertvierzig Männer und Frauen verabschiedeten sich stumm von Hasard, Batuti und dem Rest der „Isabella“-Crew. Jalu erkundigte sich noch einmal, wie sie sich für die Befreiung
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erkenntlich zeigen könnten. Hasard lehnte jedoch weitere Dankesbezeugung ab. Keloa konnte es denn doch nicht lassen. Sie mußte sich noch einmal auf die Zehenspitzen stellen und dem Seewolf einen Kuß auf die Wange hauchen. Eine dicke Träne löste sich aus ihrem linken Auge und kullerte die Wange hinunter. „Ha-sard“, sagte sie noch einmal. Dann gingen die Schwarzen und huschten in das buschbestandene Gelände hinter den Depots. Ihre Körper verschmolzen mit den Schatten der Nacht. „Na dann“, sagte Hasard. „Weiter im Text.“ 8. Der Seewolf und seine Männer pirschten in die Gassen der Stadt und inspizierten den Hauptkai. In den Spelunken ging es lauter als vorher zu, sonst war nichts Bemerkenswertes zu verzeichnen. Vor allem befanden sich keine Soldaten in der Nähe. „Wir haben beinahe lautlos gearbeitet“, sagte Hasard. „Im Hafen ist nichts bemerkt worden. Ferris!“ „Sir?“ „Al und du, ihr nehmt euch ein Beiboot. Nicht weit von unsrer Schaluppe entfernt liegt eins vertäut, soweit ich vorhin gesehen habe. Hör gut zu. Ihr pullt leise zur Schaluppe, geht längsseits und fischt euch ein paar Pulverfässer heraus. Lunten habt ihr genügend einstecken, oder?“ „Ja“, sagte Al. Er grinste so breit, daß seine Mundwinkel an die Ohrläppchen zu stoßen drohten. „Und ich weiß auch schon, was du vorhast.“ „Dann spuck’s mal aus, du Neunmalkluger.“ „Wir pullen mit dem Pulver zu den an der Nebenpier liegenden Sklavengaleonen, schleichen uns nach allen Regeln der Kunst an und knüpfen die Fässer mit ein paar Stropps und Tampen an den Bordwänden fest. Am besten unter den Hecks, die hängen so schön weit über.“ „Gute Idee“, sagte Ferris Tucker.
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Hasard lächelte. Die beiden sahen in diesem Moment aus wie sahnelüsterne Kater, die um einen Topf herumschlichen. „Also los, ihr Schlaumeier, setzt euch in Trab.“ Ferris und Al huschten auf der Kaimauer entlang, liefen an der Schaluppe vorbei und enterten in das von Hasard ausgewählte Beiboot ab. Wenig später pullten sie seelenruhig durch das Hafenbecken zur Nebenpier. Es war ein richtig gottvoller Anblick. Dan kicherte. „Wenn die Dons wüßten ...“ „Du sollst die Schnauze halten“, raunte Stenmark. „Was unternehmen wir jetzt?“ wollte Ben Brighton wissen. „Wir warten noch“, sagte Hasard. „Und Cunha, dieser Musterknabe von einem Don?“ fragte Smoky. Hasard warf ihm einen Seitenblick zu. „Der bleibt bei uns.“ „Auch, wenn wir in die Schaluppe zurückkehren?“ „Auch dann.“ Jean Ribault lächelte, man konnte seine Zähne im Dunkel der Gasse schimmern sehen. „Dem armen Teufel schlottern die Knie, und zwar ganz gewaltig. Er versteht kein Englisch, aber er hört ja, daß über ihn gesprochen wird. Wahrscheinlich denkt er, wir stechen ihn ab.“ Hasard blickte angestrengt zu den beiden Galeonen hinüber. Dick und selbstherrlich wie gefräßige Giganten lagen sie an ihrer Pier, ihr Mastwerk mit den aufgegeiten Segeln ragte skelettartig in die Nacht auf. Ferris Tucker und Al Conroy befanden sich jetzt unter dem Heck der ersten, näher zum Hauptkai befindlichen Galeone. Die ganze Zeit über bestand die Gefahr, daß ein Wachtposten von Bord der Schiffe oder von einer Pier aus die beiden in dem Beiboot entdeckte. Der Seewolf preßte die Lippen zusammen. Kam es dort drüben zum Feuergefecht, dann sah es schlecht aus für Ferris und Al. So schnell konnte der Rest der Crew sie nicht erreichen. Hatte er, Hasard, einen Fehler begangen? Hätte er ihnen einige Helfer mitgeben sollen?
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Das Beiboot dümpelte lautlos von der einen zur anderen Sklavengaleone. Noch herrschte äußerste Spannung bei Hasard und seinen Männern, noch konnte das Unternehmen platzen. Aber dann gab Ferris Tucker von drüben aus ein Zeichen. „Alles in Butter“, flüsterte Daniel O’Flynn, dessen Augen tatsächlich auch in der Nacht bestens funktionierten. „Ihr bleibt hier“, sagte Hasard nur, Dann drehte er sich um und eilte zu den Munitionsdepots. Er wußte, wo die Luntenenden lagen. Nur Sekunden würde er benötigen, um sie zu zünden und dann wieder zum Hauptkai zurückzukehren. Als er aus dem Gewirr der Hafengassen hervorstieß und die letzte Straße überqueren wollte, die ihn noch von den Depots trennte, prallte er fast mit einem Mann zusammen. Im letzten Augenblick fing er sich, murmelte eine Entschuldigung und wollte sich an dem Mann vorbeidrücken. „He!“ Der Kerl packte ihn unversehens am Arm. Er trug keine Uniform. Sein Wams stand offen, sein Hut saß schief, und eine kräftige Weinfahne wehte dem Seewolf entgegen. „Was ist das für eine Art, harmlose Leute anzurempeln?“ Der Kerl war nicht mehr ganz Herr seiner Zunge, aber das täuschte nicht über seine Gefährlichkeit hinweg. Er war voll bis obenhin, doch ein Typ wie er wurde nicht lammfromm, wenn er sich einen angetörnt hatte, sondern rabiat. Hasard kannte die Burschen. Sie suchten gern Streit und fühlten sich im Rausch mächtig stark und unbesiegbar. Die Zeit drängte. Hasard hatte keine Lust, sich lange mit diesem Spanier herumzuzanken. „Tut mir leid“, sagte er in seinem gut einstudierten Spanisch. „Gehen wir jeder seines Weges, ja?“ Der Kerl stieß einen Fluch aus. „Auch noch frech werden? Na warte, dir werd’ ich’s zeigen.“ Er wollte den Seewolf am Kragen packen und zu sich heranziehen. Genau in diesem Augenblick explodierte Hasard. Er rammte dem Kerl die Faust
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unters Kinn. Er legte alle Wucht in diesen Schlag und traf auch den rechten Punkt. Mit einem Ächzer legte der Zecher sich schlafen. Hasard zerrte ihn in eine düstere Gasse. Dann hastete er weiter, kniete sich zwischen den beiden Munitionsdepots hin, brachte die Lunte mit Feuerstein und Feuerstrahl zum Glimmen, richtete sich wieder auf und lief zur Crew zurück. Sie blickten ihm halb erwartungsvoll, halb besorgt entgegen. „Hat es Ärger gegeben?“ fragte Ben Brighton gedämpft. „Davon später. Jetzt erst mal ab zur Schaluppe“, entgegnete Hasard. Sie schoben sich über den Kai auf die einmastige Schaluppe zu und besetzten sie. Der Seewolf gab Ferris Tucker und Al Conroy ein Zeichen. Er hoffte, daß sie nach ihm sahen und die Gebärde bemerkt hatten. Wenig später hatte er die Bestätigung: Das Beiboot glitt von der Nebenpier zu ihnen herüber. Hasard atmete auf. Er ließ die Festmacher der Schaluppe lösen. In den Hafenkneipen ging es nach wie vor hoch her. Die Lieder waren lauter und unanständiger geworden. Irgendeiner der grölenden Kerle schien einer der Hafenhuren kräftig auf den Hintern geklopft zu haben — ihrem Kreischen nach zu urteilen. In einer anderen Kaschemme stritten sich die Zecher miteinander. Hasard hoffte nur, daß nicht plötzlich eine Tür aufflog und ein aufgebrachter Wirt seine Kunden auf den Kai katapultierte. Nur noch ein paar Augenblicke, dachte er immer wieder, nur noch ein kleines Weilchen... Das Beiboot mit dem Schiffszimmermann und Al Conroy glitt auf sie zu. Hasard blickte Ferris fragend an. Der nickte und grinste. Das hieß : die Lunten an den Galeonen glommen auch. Da bedurfte es keiner wortreichen Erklärungen. Da war, einfach ausgedrückt, alles klar. Tucker und Conroy wurden von der Schaluppe aufgenommen. Dann löste sich die Schaluppe vom Hauptkai. Die Männer
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pullten und setzten die Segel, der Bug pflügte die Fluten. Die stille Order lautete, sich so schnell wie möglich aus dem Hafen von Kingston zu verholen. Hasard entdeckte die beiden Schaluppen, die sie am Morgen von ihrer geschützten Bucht aus gesichtet hatten. Sie lagen an einer kleinen Pier vertäut. Die Versuchung war zu groß. Der Seewolf ließ die Maske fallen. „Feuer!“ rief er. Die Hälfte der Crew richtete sich von den Duchten auf und legte die Musketen auf die mitgeführten Gabelstützen. Zielen und abdrücken war fast eins. Das Zischen der Lunten vor dem Krachen der Schüsse war Musik in den Ohren des Seewolfes. Dann donnerten die Musketen los. Feuerblitze zuckten, beißender Rauch breitete sich in Schwaden auf dem Deck der Schaluppe aus. Kugeln, gehacktes Blei und Eisen rasten zu den Schaluppen hinüber und hieben in die Wasserlinie der Bordwände. Sie begannen zu sinken. Hasard entdeckte andere Schaluppen und ließ ebenfalls darauf feuern. Er blickte sich zum Hafen um. Hinter der Kaimauer wurden die Türen der Kneipen und Wohnhäuser aufgerissen. Verdutzte, vom Wein benebelte Männer und Frauen stürmten heraus. Vor der Hafenkommandantur versammelten sich uniformierte Gestalten. Doch das war längst noch nicht der Gipfel. Die Kommandantur sollte binnen der nächsten Minuten noch Soldaten ausspucken, daß es eine Freude war. Die Schüsse auf die Schaluppen waren ja nur das Vorspiel zur Teufelssinfonie. Sie passierten die Außenmole. Ein Wachtposten zielte mit der Muskete auf sie. Edwin Carberry war schneller, er holte den Mann mit einem sicheren Schuß von den Füßen. Und dann brach das Inferno los. Zuerst flog das Munitionsdepot in die Luft. Ferris und Al hatten Präzisionsarbeit geleistet — das doppelte Wummern der Explosionen erfolgte tatsächlich gleichzeitig. Eine gewaltige Stichflamme stob himmelan, dann wirbelten Trümmer
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hoch und Schwaden von Rauch quollen in den Nachthimmel. Menschen schrien in Todesangst. Soldaten schossen von der Kaimauer aus — ein völlig sinnloses Unterfangen. Es donnerte wieder wie unter Erdbebenstößen. Die Hecks der beiden Sklavengaleonen wurden weggerissen. Kingston brannte als weithin loderndes Fanal. Panik war ausgebrochen, die Menschen. liefen planlos durcheinander. Die Männer um Philip Hasard Killigrew grölten vor Begeisterung, ließen ihren Kapitän hochleben und hieben Ferris und Al immer wieder auf die Schultern. Sie führten einen regelrechten Tanz auf. Die Schaluppe geriet ins Schwanken und schlingerte bedrohlich. Dan O’Flynns Befürchtungen trafen aber trotzdem nicht zu. So vollgepackt die Schaluppe auch mit Pulverfässern und Munition für die Kanonen der „Isabella“ war, sie nahm kein Wasser über. Hasard hatte es verstanden, die Menge an Ladung zu berechnen, die er unter den Duchten verstauen durfte. Das Musketenfeuer der spanischen Soldaten wurde von der Crew mit höhnischem Gelächter quittiert. Einige der Dons rannten auf die Außenmole zu und schossen, aber auch ihre Salven rissen lediglich Fontänen im Wasser hoch. Der Seewolf und seine Männer waren bereits zu weit entfernt. Noch bevor in Kingston die ersten Geschütze geladen und gerichtet waren, befanden sie sich auch für jene außer Schußweite. Sicher segelte die Schaluppe aus der Hafenbucht. Sie kreuzte gegen den Südost bis auf fast eine halbe Meile in die See hinaus. Danach ging sie hoch an den Wind und bewegte sich ostwärts, zurück zur „Isabella“. Ihre Umrisse wurden eins mit der Dunkelheit. Die Spanier in Kingston bemühten sich, so schnell wie möglich Schiffe zu bemannen und dem Gegner nachzuschicken. Aber die Schaluppe war einem Geisterfahrzeug gleich verschwunden. Keiner der Verfolger
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wußte, welchen Kurs er nehmen sollte, um sie noch zu stellen. 9. Es war um Mitternacht, als Panfilo de Retortilla zu jammern begann. Er wälzte sich auf der Gräting in der stockfinsteren Vorpiek. Unter der Gräting schwappte stinkendes Bilgewasser. Und wenn man de Retortilla so lamentieren hörte, konnte man glauben, daß er jeden Augenblick seinen Mageninhalt und noch einiges mehr in die trübe Brühe spucken würde. Er stöhnte, wimmerte und schrie zum Gotterbarmen. Die anderen drei Spanier, die mit Antonio Cunha von der Schaluppe weg gefangengenommen und in das finstere Loch gesteckt worden waren, wohnten der Szene als stumme Zeugen bei. Sie hockten ganz in de Retortillas Nähe, hatten die Beine angezogen und mit den Händen umklammert. Philip Hasard Killigrews Männer hatten ihnen die Hände und die Fußknöchel zusammengebunden, aber sie verfügten doch noch über eine gewisse Bewegungsfreiheit. De Retortilla war in der gleichen Weise gefesselt, doch er krümmte sich wie ein Wurm und bäumte sich auf, als könne er die Tauenden dadurch abstreifen. Die drei anderen unternahmen nichts. Was geschah, war genau abgesprochen worden. Will Thorne, der Segelmacher der „Isabella V.“, ging vor der Vorpiek Wache. Er hörte sich das Gejammer des Sklaventreibers eine Zeitlang an, dann hämmerte er erbost mit der Faust gegen das Holzschott. „Ruhe, zum Donnerwetter noch mal! Willst du wohl still sein?“ „Jesus, Maria, Erbarmen, Erbarmen“, stieß de Retortilla hervor. „Ich will nicht sterben. Nein, ich will leben ... Madre de Dios, heilige Mutter Gottes, warum tust du mir das an?“ „Aufhören, oder ich stopfe dir das Maul“, sagte Will Thorne. Der verdammte Don muß verrückt geworden sein, dachte er. „He, ihr drei anderen, sorgt dafür, daß er den Schnabel hält.“
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„Er ist von einer Ratte gebissen worden“, sagte einer der drei von der Schaluppe seiner Rolle gemäß. „Er hat Angst, jetzt eine schlimme Krankheit zu kriegen oder am Wundfieber zu sterben“, fügte sein Nebenmann hinzu. Will Thorne war des Spanischen nicht mächtig. Er fluchte. Der Allmächtige mochte wissen, was die Spanier da faselten - jedenfalls ging ihm das Gewimmer und Geschrei des Mannes auf die Nerven. Panfilo de Retortilla hatte seinerseits auch nicht die geringste Ahnung, ob der Mann, der sie da bewachte, nun ihre Erklärungen verstand oder nicht. Er baute nur auf eins: daß Thorne nachschaute, was los war. Und Will Thorne tat es. Ärgerlich riegelte er das Holzquerschott auf, bückte sich und warf einen Blick in das finstere, übelriechende Loch. Es handelte sich wirklich um die allerletzte Ecke eines Segelschiffes. Dabei hatten die Dons aber immer noch Glück, daß sich die Galeone nicht in voller Fahrt befand. Dann wären sie in diesem Vorraum zur Hölle unter beständigem Seegang und durch die Gräting hochschwappendes Bilgewasser binnen Kürze weichgeklopft worden. Will begriff nicht so recht, was den vieren einfiel, sich zu beschweren. War dem Sklavenpeiniger etwas zugestoßen? Er wälzte sich, soviel konnte Thorne in der Dunkelheit erkennen. Sein Gejammer klang auch ziemlich echt. Will Thorne nahm eine Öllampe zur Hand und leuchtete den liegenden de Retortilla an. Der sah wirklich elend aus. Sein Gesicht war verzerrt. Er keuchte. Will war ein besonnener, ziemlich gutmütiger Mann. „Krank?“ sagte er. „Eigentlich sollte ich dich mit deinen Schmerzen allein fertig werden lassen. Verdient hättest du es. Wenn du verreckst, weint dir keiner eine Träne nach. Aber meinetwegen, ich sage dem Kutscher Bescheid. Vielleicht kann er dir was geben, das dich zur Ruhe bringt. Kapiert?“ De Retortilla und seine Gefährten verstanden nicht. Dafür wußten sie aber ganz genau, was sie wollten. Will hatte
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sich kaum umgedreht, da rückte de Retortilla mit ungeahnter Behändigkeit auf ihn zu. Er rutschte förmlich hinter ihm her, stieß mit den Füßen gegen seine Waden und brachte ihn ins Wanken. Will fluchte mörderisch. Er wollte sich zur Wehr setzen. Aber jetzt schwangen die anderen drei hoch - einer nach dem anderen. Sie warfen sich auf ihn. Einer rammte ihm den Kopf in den Magen, der nächste stieß ihn mit solcher Wucht, daß ihm die Öllampe entglitt und zu Boden fiel. Auch Will stürzte hin. Der dritte Kerl landete mit dem vollen Gewicht seines Körpers auf ihm. Der Segelmacher stöhnte auf. De Retortilla ging es mit einem Mal prächtig. Er biß Will und hinderte ihn daran, eine Waffe zu ziehen. Einer seiner Kumpanen schlug dem Engländer mit dem Schädel gegen die Schläfe - und damit war es geschehen. Will sank ganz zurück und blieb reglos liegen. Er brachte nicht einmal mehr einen Seufzer heraus. „Bewußtlos“, sagte de Retortilla. .Ein guter Hieb, Compadre.“ „Mir tut der Kopf weh“, beschwerte sich der Kopfartist. „Das geht vorüber. Los, nehmt ihm das Messer und die Pistole ab. Seine Muskete steht wahrscheinlich draußen auf dem Gang, wir kassieren sie später.“ „Stechen wir das Schwein ab?“ fragte einer der Männer aus der Schaluppe. Der Sklavenaufseher schüttelte den Kopf. „Du bist wohl nicht ganz bei Trost, was? Wir brauchen das Messer, um unsere Fesseln aufzuschneiden. Den grauhaarigen Burschen hier fesseln wir. Wir stopfen ihm einen Lumpen zwischen die Zähne, damit er nicht schreien kann. Mit ihm haben wir eine Geisel.“ Er ließ sich die Handfesseln aufschlitzen, dann nahm er dem Helfer das Messer ab und entledigte sich rasch der Fußstricke. Bevor er die drei befreite, löschte er die Öllampe. Sie hätte das ganze Schiff in Brand setzen können. De Retortilla hätte ein solches Feuer dem Seewolf gegönnt. Aber er dachte auch an
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sich. Wenn er die Galeone abfackeln ließ, womit sollte er dann flüchten? Ja, er war schon jetzt sicher, daß er siegen würde. Die drei von der Schaluppe hatten ihm erzählt, wie viele Besatzungsmitglieder an Bord der „Isabella“ geblieben waren. Sechs! Einen Mann hatten sie außer Gefecht gesetzt. Blieben noch fünf! De Retortilla steckte sich die Pistole des bewußtlosen Segelmachers in den Gürtel. Er kroch zu seinen Kameraden und löste ihre Fesseln. „Es ist klar, daß ich hier das Kommando führe“, erklärte er ihnen. „Ich bin der Ranghöchste. Wenn ihr nicht pariert, sorge ich dafür, daß der Gouverneur der Isla de Santiago euch in Ketten legen läßt, sobald wir wieder Land unter den Füßen haben.“ „Wir gehorchen“, erwiderte einer der drei für alle. „Gut. Peilen wir jetzt zunächst einmal die Lage.“ De Retortilla begab sich mit dem Mann, der Thorne bewußtlos geschlagen hatte, auf den Gang vor der Vorpiek hinaus. Die anderen beiden verschnürten den Grauhaarigen zu einer Art Paket. Sie schoben ihm einen Knebel in den Mund, der seine Kiefer ganz gehörig auseinanderklaffen ließ. Trotzdem konnte er sich niemals aus eigener Kraft von dem schmutzigen Ding befreien. De Retortilla entdeckte Wills Muskete und inspizierte sie. „Ordnungsgemäß geladen“, sagte er leise. „Pulverhorn und Munition führt der Bastard von einem Ingles auch bei sich.“ „Auf was warten wir?“ flüsterte sein Begleiter. „Schleichen wir uns nach oben und zeigen wir es diesen Halunken. Noch sind die anderen Hundesöhne nicht wieder zurück. Wir hätten das hören müssen.“ „Du meinst wirklich, die sind nach Kingston unterwegs?“ „Ja. Cunha, der Lotse und Steuermann, führt sie. Sie haben ihm das auf Spanisch verdeutlicht, als wir abgeführt wurden.“ „Aber du hast auch noch mitgekriegt, welche Männer auf der Galeone zurückgeblieben sind, oder?“
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„Ja. Da wäre außer dem Grauschädel hier ein ziemlich dünner, nicht besonders kräftig aussehender Kerl ...“ „Das ist der Koch. Weiter.“ „Ein Bulle mit braunem Haar, einer mit einem Eisenhaken anstelle der linken Hand, ein drahtiger Blonder und — und, ja, da ist noch dieser Bursche, der spanisch spricht und aussieht wie ein alter Kriegersmann.“ De Retortilla hatte plötzlich schmale Augen. „Dieser Hurensohn ist ein echter Spanier. Ein Verräter! Valdez heißt er. Den knöpfe ich mir gesondert vor, das schwöre ich dir.“ „Gehen wir also?“ De Retortilla schüttelte den Kopf. „Du bist doch kein Selbstmörder, oder? Wir haben drei Waffen. Aber die Bastarde dort oben sind wahrscheinlich auf der Hut. Das sind nach meiner Einschätzung keine Typen, die auf der Wache schlafen. Und sie sind immer noch in der Überzahl,“ So kam es, daß die vier Spanier bei dem gefangenen Will Thorne ausharrten, bis es vier Uhr morgens wurde. Panfilo de Retortilla konnte sich ausrechnen, daß irgendwann die Ablösung für den Segelmacher erscheinen würde. Man mußte nur die erforderliche Geduld haben, den richtigen Moment abzuwarten. Schritte polterten auf den Stufen des Niederganges. Zwei der Männer aus der Schaluppe flankierten den unteren Absatz und hielten sich gegen die Holzwände gepreßt, daß die Ablösung sie nicht sehen konnte. De Retortilla hatte sich mit dem vierten Mann in die Vorpiek zurückgezogen. Sie hielten das Schott angelehnt, lugten durch ein winziges Spundloch und sahen den Schein eines Lichtes, das schwach den Niedergang ausleuchtete und sich mehr und mehr ausbreitete. Der Kutscher trug das Talglicht, mit dem er sich im Dunkel des Schiffsinneren orientierte. „Will“, sagte er. „He, Will, sag bloß, du bist eingenickt? Mann, du kannst froh sein, daß der Seewolf nicht an Bord ist. Der hätte dich aufgefressen. Mensch, hast du
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Lust, die Neunschwänzige über den Rücken gezogen zu kriegen — so wie Patrick O’Driscoll, dieser elende Narr?“ Der Kutscher sprach und schritt dabei weiter nach unten. Er ärgerte sich gewaltig, daß der Segelmacher nicht antwortete. So was hatte er nicht von ihm erwartet. Thorne galt als ein ausgesprochen guter und umsichtiger Seemann. Wie konnte er sich einen derartigen Schnitzer erlauben? Der Kutscher gelangte in seinen Überlegungen nicht weiter. Er hatte den Sockel des Niederganges erreicht. Etwas schoß von links und von rechts auf ihn zu. Hände packten und umklammerten ihn, so daß er sich nicht mehr rühren konnte. Er fluchte. Aber in diesem Augenblick flog das Holzquerschott der Vorpiek auf und de Retortilla richtete seine Beutepistole auf ihn. „Keinen Laut mehr!“ zischte er. Der Kutscher war kein ausgesprochener Ignorant, ein paar Brocken Spanisch waren ihm geläufig. Außerdem bedurfte ja die Waffe in der Hand des Sklavenschinders keiner weiteren Erläuterung. Der Kutscher fluchte nicht mehr. Er hielt den Mund offen und war perplex. „Fesseln und zu dem anderen Dreckskerl sperren“, befahl de Retortilla. „Nehmt ihm die Waffen und das Talglicht ab.“ Etwas später pirschten sie sich durch das Unterdeck - der Sklavenaufseher voran, die anderen drei im Gänsemarsch hinter ihm. „Das Kräfteverhältnis ist jetzt gleich. Vier gegen vier. Wir wagen es. Wir gehen nach oben und stürzen uns auf diese räudigen Hunde“, sagte de Retortilla. „Aber vorher will ich mir ansehen, was in den Frachträumen dieses Schiffes lagert. Da ist ein Geheimnis verborgen.“ „Woher willst du das wissen?“ fragte einer der drei anderen. „Ich habe so eine Ahnung.“ „Wenn man immer danach gehen wollte ...“ Panfilo de Retortilla blieb stehen, drehte sich um und richtete die Pistole nach hinten. Der Lichtkreis der Lampe fing
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seine drei Begleiter ein, und erzielte auf den Sprecher. „Hör zu“, sagte er frostig. „Hier bestimme ich, was getan wird, und dummes Fragen steht keinem von euch zu. Außerdem habt ihr mich mit Sie’ und mit ,Senor` anzureden.“ „Si, Senor“, erwiderte der vorlaute Mann leise. Vorsichtig tasteten sie sich bis zum ersten Frachtraum vor. Was sie hier im Schein des blakenden Talglichtes erblickten, übertraf all ihre Erwartungen. Die drei von der Schaluppe stießen Laute der Verblüffung aus. „Gold- und Silberbarren“, flüsterte de Retortilla. „Schatzkisten, die wunderbare Edelsteine, Perlen und die herrlichsten Schmuckstücke enthalten.“ „Dort drüben“, raunte einer seiner Gefährten. „Noch mehr Kisten.“ „Und Barren, wohin man sieht.“ „Ein unermeßlicher Reichtum!“ „Ja“, sagte der Sklavenaufseher. „Und ich werde ihn diesen Freibeutern des Teufels wieder entreißen und der spanischen Krone zurückbringen. Der Dank des Königs wird keine Grenzen kennen. Unser Unternehmen bringt uns größeren Ruhm, als wir je gedacht haben, Männer.“ Er wandte sich um. „Beeilen wir uns jetzt. Bringen wir den verdammten Engländern und Valdez, diesem Verbrecher, das Fürchten bei.“ 10. Der Kutscher würgte. Ihm war übel. Den dicken, speckigen Lappen, den sie ihm zwischen die Zähne gestopft hatten, hätte er am liebsten ausgespuckt und sich dann sofort übergeben. Er ekelte sich vor dem Knebel. Er war Koch und Feldscher, außerdem hatte er bei Sir Anthony Abraham Freemont in Plymouth gedient was er anfaßte und in den Mund nahm, hatte sauber zu sein. Bei allem Widerwillen verspürte er aber die größte Wut auf sich selbst, weil er so trottelig gewesen und in die Falle getappt war.
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Er hörte es neben sich rumoren. Sprechen konnte er nicht, und auch der Mann neben ihm in der Vorpiek schien einen Knebel im Mund stecken zu haben. Er gab nur dumpfe Laute von sich. Es war stockfinster, aber der Kutscher hatte keinen Zweifel, daß es Will Thorne war, der da herumwühlte. Bisher hatte er nicht herausbekommen können, was die Spanier mit ihm angestellt hatten. Gott sei Dank, sie hatten ihn am Leben gelassen! Will Thorne entwickelte erstaunliche Aktivitäten. Er kochte vor Wut, genauso wie der Kutscher. Sein Kopf schmerzte, als steckten Nägel darin. Ihm war hundeelend zumute. Und doch brachte er all seine Kraft auf, um von seinem Platz in der Ecke der Piek über die Gräting zum Schott zu rutschen. Das war kein Robben und kein Wälzen, die Fesseln saßen stramm und ließen es nicht zu. Will Thorne hoppelte höchst albern auf dem Hosenboden durch die Piek. Er kam nur mühsam voran. Er fühlte sich gedemütigt — was für ein Narr war er doch gewesen, auf den Trick dieser Dons hereinzufallen! Die Kameraden oben in dem Logis des Vorschiffes mußten gewarnt werden. Smoky, Valdez, Jeff und Bob durften den Spaniern nicht zum Opfer fallen! Die Kerle waren lautlos verschwunden und befanden sich wahrscheinlich auf dem Weg nach oben, aber noch war nicht alles zu spät! Will gelangte endlich an das Schott. Er ließ sich nach hinten übersinken, hob die Beine an und tastete mit den Füßen nach einem Querriegel, den er an der Innenseite wußte. Er fand ihn und schob ihn vor. Der Kutscher vernahm das scharrende Geräusch, mit dem der Riegel sich bewegte. Er begriff. Etwas hatten sie erreicht. Die Spanier konnten nicht mehr, so mir nichts, dir nichts, in die Vorpiek zurückkehren und sich ihrer als Geiseln .bedienen. Das war schon allerhand wert. Der Kutscher rutschte auch auf das Schott zu. Er winkelte seine Beine an — und dann knallte er die Absätze seiner Stiefel gegen das Holzschott. Will Thorne tat das
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gleiche. Sie hämmerten im Takt, daß es durch die ganze „Isabella“ dröhnte. Hoffentlich, dachte der Kutscher immer wieder, hoffentlich hat das Ganze einen Sinn! Smoky, dachte Will Thorne, um alles in der Welt, sei wachsam und laß dich von den Dons nicht überrumpeln! * Smoky schreckte hoch. Er teilte das Logis im Vorschiff mit Valdez und Jeff Bowie. Alle drei waren sie bereits in ihren Kojen eingeschlafen. Aber jetzt drang das Wummern an Smokys Ohren — ein beängstigendes Geräusch, das nur von Stiefeln oder Fäusten durch Schlagen gegen ein Schott oder eine Wand im Schiff erzeugt werden konnte. Was hatte das zu bedeuten? Die gefangenen Spanier konnten es nicht sein, die sich da mausig machten. Der Kutscher und Will Thorne hätten sie zur Räson gebracht... Smoky dämmerte es. Er sprang aus der Koje, griff sich seine Waffen und scheuchte die beiden anderen hoch. „Hölle und Teufel. es gibt Verdruß. Der Kutscher und Will stecken in der Klemme. Wir ...“ Weiter gelangte er nicht. Vier Gestalten schlüpften flink wie die Kastenteufel in das Logis. Der erste — einer von den Burschen aus der Schaluppe — richtete seine Muskete auf Jeff Bowie. Smoky feuerte seine Pistole auf ihn ab. Der Mann warf sich zwar zur Seite, wurde aber am Arm getroffen. Die Muskete entglitt seinen Händen. Smoky stürzte sich mit erhobenem Messer auf den nächsten. Jeff Bowie schwang aus der Koje hoch und ließ sine Hakenprothese durch die Luft pfeifen, wie er das von Matt Davies gelernt hatte. Es fiel nur ein bißchen Mondlicht durch ein winziges Fenster, aber im Auf blitzen des Pistolenfeuers waren die vier Gegner deutlich zu erkennen gewesen. Valdez griff auch in den Kampf ein. Gemeinsam stürmten sie gegen die Eindringlinge an.
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Jeff krallte seinen Eisenhaken in die Schulter eines Spaniers, bevor dieser auf ihn schießen konnte. Der Mann stöhnte auf. Seine Pistole polterte zu Boden. Jeff riß den Haken aus der Schulter und hieb noch einmal zu. Dann sah er de Retortilla, wie dieser auf Valdez losging - mit gezückter Pistole! Jeff packte seinen Gegner und schleuderte ihn auf den schlanken Sklavenschinder zu. Der Mann geriet zwischen de Retortilla und Valdez. De Retortilla drückte ab, doch seine Kugel fuhr in den Leib des eigenen Verbündeten. Er fluchte lästerlich, als der Mann zusammenbrach. Mit dem Pistolenkolben wollte er auf Valdez einschlagen. Aber der hatte jetzt seinen Degen gezückt und bot ihm Paroli. Smoky und Jeff befaßten sich in der Zwischenzeit mit den beiden anderen. Einer der Spanier rief immer wieder: „Der vierte -wo ist der vierte? Himmel, er könnte uns in den Rücken fallen.“ Aber sie berücksichtigten diesen Umstand nicht genügend. Sie hatten vollauf mit den erbittert kämpfenden Männern des Seewolfs zu tun. Als dann Schritte über den Gang heranpolterten und Bob Grey im Logis erschien, stieß Smoky einen wilden Ruf aus. „Bob! Licht!“ Grey hastete ein paar Schritte zurück, beschaffte sich eine Öllampe und lief damit ins Logis. Er war auf Deck Ankerwache gegangen. Dann hatte er den Schuß und den übrigen Lärm gehört, der sich im Vorschiff entwickelt hatte. Sofort hatte er sich in Trab gesetzt. Jetzt zündete er das Licht an, drang damit in den Raum vor und hielt es hoch. Der zuckende, rötlich-gelb schimmernde Schein breitete sich in dem Geviert aus und zeichnete die Konturen der Gestalten gespenstisch nach. Zwei Spanier von der Schaluppe waren von Smoky und Jeff Bowie gegen die nach achtern weisende Wand abgedrängt worden. Der dritte lag reglos in seinem Blut. Panfilo de Retortillas Kugel hatte ihm die Brust zerfetzt.
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Jeff Bowie riß seinen Eisenhaken hoch. Ferris Tucker hatte ihm die Prothese gebastelt, nachdem er seine linke Hand durch Piranhas verloren hatte. Es war eine Ledermanschette mit Hartholzeinlage im unteren Teil. Der metallene Haken unten war mit viel Mühe zurechtgeschliffen worden. Will Thorne hatte die Ledermanschette so genäht, daß sie wie ein Strumpf über Unter- und Oberarm gezogen und mittels Stropps unter der Achsel hindurch um die Schulter herum festgezogen werden konnte. Sie war eine furchtbare Waffe, diese Prothese. Jeff schmetterte den Haken auf den Kopf eines Spaniers nieder. Der Mann brüllte fürchterlich. Sein Geschrei ging in Gurgeln über, er brach in die Knie. Er bot einen entsetzlichen Anblick. Jeff hatte ihm den Schädel regelrecht gespalten. Smoky rammte dem anderen das Messer in die Brust. Die Klinge prallte aber irgendwo ab, rutschte höher und traf nicht sofort das Herz. Valdez trieb de Retortilla mit dem Degen auf Bob Grey zu. Der Sklavenschinder hatte nur das von Will Thorne erbeutete Messer, mit dem er sich zu Wehr setzen konnte. Die Partie schien entschieden zu sein. Plötzlich aber warf sich der Spanier mit dem Messer in der Brust doch noch auf Smoky. Noch einmal kam es zum Aufruhr, noch einmal brandete der Kampf auf. Bob Grey brachte seine Pistole in Anschlag. Er zielte auf den Spanier mit dem Messer in der Brust, mußte aber aufpassen, daß er Smoky nicht verletzte. Smoky rang mit dem Mann. Jeff Bowie bewegte sich von einer Seite auf die andere und suchte nach einer Gelegenheit, dem schwer angeschlagenen Spanier den entscheidenden Hieb zu versetzen. Valdez wollte den vernichtenden Degenstoß gegen den verhaßten Panfilo de Retortilla führen, doch dieser tauchte blitzschnell vor ihm weg und schleuderte sein Messer. Haarscharf strich es an dem ausweichenden Valdez vorbei und blieb
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hinter ihm in der Wand stecken. Das Heft zitterte. Valdez schrie vor Wut. „Das wirst du mir büßen! Du entwischst mir nicht, verfluchter Peitschenknecht!“ Bob Grey schoß auf den Mann, der mit Smoky rang. Er erwischte ihn nur am Arm, weil er Angst hatte, Smoky zu verwunden. In das Krachen des Schusses mischte sich das Schmerzgeheul des Dons. Er ließ etwas von Smoky ab — und in diesem Moment hieb Jeff Bowie mit seinem Prothesenhaken zu. Der Spanier taumelte auf Bob zu. Seine Augen waren weit aufgerissen, aus den Körperwunden und aus seinem Mund quoll Blut. Er breitete die Arme aus — es sah gräßlich aus. Er glich einem Schreckgespenst, wie es sich die Seeleute immer vorstellten, wenn sie vom Klabautermann, den Geistern der See und anderem Mummenschanz sprachen. Bob fluchte und hieb mit dem Kolben der Pistole zu. De Retortilla nutzte die Lage. Er warf sich gegen Bob. Beide stolperten sie auf den Gang hinaus, während der sterbende Spanier Smoky, Jeff und Valdez den Weg versperrte. Sie mußten ihn von der Tür wegreißen, denn genau an der Schwelle brach er zusammen. Die wenigen Sekunden genügten de Retortilla. Er hieb Bob die Faust an die Stirn, richtete sich halb auf und schlug ihm noch einmal die Faust in den Magen. Bob krümmte sich. Die Öllampe war seinen Fingern entglitten und lag auf dem Gang. Öl lief aus. Die Flamme kroch darauf entlang und flackerte immer höher. De Retortilla riß Bob Grey das Messer aus dem Hosenbund, raffte sich auf und rannte vor der Feuerspur der umgekippten Lampe her im Gang des Vorschiffes entlang. Valdez und Smoky stürzten gleichzeitig aus dem Logis. Gleich hinter ihnen lief Jeff Bowie. Valdez zückte die Pistole und feuerte hinter dem Flüchtenden her. Donnernd brach der Schuß. Panfilo de Retortilla war ein schemengleicher Schatten im Dunkel des Gangendes. Kein
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Schrei verkündete, ob Valdez ihn getroffen hatte. Smoky rief: „Himmel, Arsch und Zwirn, das Aas entwischt uns noch!“ „Ihm nach!“ schrie Valdez. Er war außer sich, denn die ganze Zeit über hielt er sich vor Augen, was geschehen wäre, wenn sie nicht von dem Kutscher und Will Thorne unten in der Vorpiek gewarnt worden wären. Jeff half Bob auf. Alle vier hetzten dem Sklavenaufseher nach. * Panfilo de Retortilla lief, als säßen sämtliche Teufel der Hölle im Nacken. Er gelangte an einen Niedergang, raste dessen Stufen hinunter und flüchtete tiefer in den Schiffsbauch. Sein Ziel war die Vorpiek. Er hätte sich wegen der erlittenen Schlappe ohrfeigen können. Aber alle Selbstvorwürfe nutzten nichts. Er lebte, und das war letztlich die Hauptsache! Was mit den drei Mitstreitern passiert war, bekümmerte ihn nicht im geringsten. Diese Narren! Sie hätten besser kämpfen und schlauer sein sollen! Er, Panfilo, hatte sich nur mit einem Messer gegen Valdez zur Wehr gesetzt, und war den Männern des Seewolfes doch entwischt. Das sollte ihm erst einmal jemand nachmachen. Fast waren ihm die Felle davongeschwommen, doch noch war nicht alles verloren. In seiner grenzenlosen Überheblichkeit und Selbstüberschätzung glaubte Panfilo de Retortilla nach wie vor an seinen Sieg. Die Geiseln! Er beglückwünschte sich innerlich, daß er die beiden nicht umgebracht hatte. Wieder ein Beweis für die Unfähigkeit seiner drei jetzt toten Begleiter! Diese Schlappschwänze! Sie hätten es lieber gesehen, wenn die Geiseln gleich umgebracht worden wären. Gewiß, der hagere Koch und der grauhaarige Segelmacher hatten durch ihr Stiefelgetrampel ein Warnsignal gegeben.
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Aber schließlich waren sie ein Trumpf, dessen unendlicher Wert sich jetzt bewies. Sie waren de Retortillas Lebensgarantie! Mit ihnen konnte er alles erreichen. Er brauchte sie nur aus der Vorpiek zu holen, ihnen das Messer gegen den Rücken zu setzen und sich hinter ihnen zu verstecken. Er würde sie als lebenden Schutzschild benutzen. Und die Engländer, diese Bastarde? Würden die vielleicht das Leben zweier Kameraden aufs Spiel setzen, nur um ihn, Panfilo, zu greifen? Nein. Sie schienen eine treue, aufeinander eingeschworene Gemeinschaft an Bord dieser Galeone zu sein. Das brach ihnen das Genick. De Retortilla lachte grimmig bei dem Gedanken an das, was sich nun anbahnte. Sie suchten ihn im Vorschiff. Sollten sie! Er hatte jetzt den letzten Niedergang erreicht, der ihn noch von der Vorpiek trennte, hastete auf das Holzquerschott zu — und war plötzlich wie vor den Kopf gestoßen! Es ließ sich nicht öffnen. Er rüttelte mit beiden Händen daran. Umsonst. Er half mit dem erbeuteten Messer nach — auch vergebens. Er riskierte nur, die Klinge abzubrechen und somit seine letzte Waffe zu vernichten. Diese Teufel, dachte er. Der Kutscher und Will Thorne hämmerten von innen mit ihren Stiefeln gegen das Schott, daß es nur so wummerte. De Retortilla hätte schreien können vor Zorn und Haß. Er warf sich herum und hastete zurück, den Niedergang hinauf, fort, nur fort aus dem Unterdeck! Das Messer stichbereit in der Rechten, tastete er sich durch die Dunkelheit voran. Er vernahm Stimmen. Die anderen vier! Sie hatten das Feuer oben auf dem Gang gelöscht, befanden sich auf seiner Fährte, würden ihn aufspüren. De Retortilla drückte sich in einen Seitengang und kauerte sich hin. Das Warten zehrte erheblich an seinen angespannten Nerven. Er kaute auf der Unterlippe herum. Warum kamen sie nicht?
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Endlich liefen Smoky, Jeff Bowie, Bob Grey und Valdez an ihm vorbei. Für einen Augenblick spielte de Retortilla mit dem Gedanken, ihnen in den Rücken zu fallen und wenigstens einen mit auf die Höllenfahrt zu nehmen — Valdez. Aber dann verwarf er den Plan wieder. Er wollte nicht sterben. Er mußte die letzte Chance, die ihm blieb, ausnutzen. Während die vier zur Vorpiek hasteten, weil sie den Spanier dort vermuteten und um den Kutscher und Will Thorne bangten, schlich sich de Retortilla aufs Oberdeck. Die Nachtluft war kühl und klar. Über ihm spannte sich der sternbesetzte Himmel. Plötzlich fühlte er sich erleichtert — und frei. Er trat ans Steuerbordschanzkleid der „Isabella V.“ und kletterte hinauf. Sein Wams knöpfte er auf und schleuderte es von sich. Auch die Stiefel würden ihm lästig sein. Er zerrte ihre Riemen auf, aber dann ließ er sich vornüberfallen, er konnte sie immer noch im Wasser abstreifen. Er raste der schwärzlichen Wasserfläche entgegen. Seine vorgeschobenen Hände teilten die Fluten, er tauchte, kam wieder hoch. Bevor er zu schwimmen begann, entledigte er sich der Stiefel und nahm das Messer zwischen die Zähne. Wenn die gefürchteten „Tiburones“, die Haie, erschienen, wollte er sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Er schwamm. Unter dem schalen Licht des Mondes erkannte er undeutlich das Ufer der Bucht. Sein Plan war gescheitert. Aber er konnte immer noch an Land gehen, sich ins Innere der Insel durchschlagen und den Gouverneur verständigen. Dann würden Soldaten zusammengetrommelt und Schiffe ausgeschickt werden. Der Gouverneur würde den Seewolf jagen und stellen — und ihn vernichten. Der Gedanke daran trieb Panfilo de Retortilla voran. Er schwamm wie ein Besessener. Und mit jedem Yard Distanz, der sich zwischen ihn und die Galeone legte, wuchs seine Zuversicht. 11.
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Die Schaluppe lief in die geschützte Bucht ein. An Bord herrschte Heiterkeit. Das Unternehmen in Kingston war glatt über die Bühne gegangen, Verfolger hatten sich nicht eingestellt. und endlich tauchte wieder der wohlvertraute Schattenriß ihrer „Isabella“ vor ihnen auf. Die Männer lachten und rissen Witze. „Wenn wir auf geentert sind, spendiere ich eine Extraration Rum“, sagte Hasard. „Bleibt nur zu hoffen, daß Dan nicht klammheimlich die Restbestände ausgesoffen hat, die der Kutscher in seinen Schapps hortet“, sagte Matt Davies. „Wehe dir, Bürschchen“, sagte der Profos drohend. Dan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ich bin doch keine diebische Elster. Ich habe ein reines Gewissen. Was kümmert den Adler ...“ „Hör auf“, unterbrach ihn Blacky. „Den Spruch kennen wir. Aber da bleibt immer noch dein Komplize Arwenack. Vielleicht hat er unsere Abwesenheit ausgenutzt, um ein bißchen in der Kombüse herumzustöbern.“ Als hätte er’s berufen, erklang in diesem Moment das Keckern des Schimpansenjungen von Bord der Galeone. Die Schaluppe lief am Wind. Es lag nur noch eine Kabellänge zwischen ihr und dem Schiff. Der Seewolf und seine Männer horchten auf. Arwenack schien ziemlich aus dem Häuschen zu sein. Und dann brüllte jemand auf der „Isabella” los, daß der Crew die Ohren schlackerten. „Smoky“, sagte Hasard. „Mein Gott, was ist denn da los?“ „Der Don!“ brüllte Smoky. „Der hundsgemeine Affenarsch von einem Philipp ist stiften gegangen! He, de Retortilla, ich bringe dich um! Ich kriege dich noch, das ist sicher!“ Hasard begriff und gab sofort seine Befehle. „Pete, den Kahn wenden! Wir umrunden das Heck der ,Isabella’. Der Sklavenaufseher muß sich im Wasser zwischen unserem Schiff und dem Ufer befinden. Los, Jungs, klar zur Wende, holt die Segel noch dichter. Der Kerl darf uns nicht entwischen!“
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Dan O’Flynn stieß einen schrillen Pfiff aus. Smoky und auch Jeff Bowie, Bob Grey und Valdez, die inzwischen auf dem Vorkastell standen, sichteten sie. Sie stießen Rufe aus, jumpten auf die Kuhl hinunter, von der Kuhl aufs Quarterdeck und enterten dann auf das Achterkastell, um dem Manöver der Schaluppe aus nächster Nähe beizuwohnen. Die Schaluppe fiel hinter dem Heck der Galeone wieder ab, glitt platt vor dem Südostwind her, mit Kurs auf das Ufer der Insel. Batuti erhob sich kerzengerade von seiner Ducht.. Er hatte den flüchtenden Spanier im Wasser erkannt. Ehe der Seewolf ihn zurückhalten konnte, war er aufs Dollbord gestiegen und sprang ins Wasser. Batuti teilte das Naß mit seinen mächtigen Armen. Und er dachte an all die Schikanen, die seine Brüder und Schwestern aus Gambia unter diesem Schinder hatten erleiden müssen. Ihr schimpfliches Los hatte dereinst auch sein Schicksal sein sollen. Sein Haß gegen die gnadenlosen Menschenquäler überwog alle anderen Empfindungen, er kannte nur noch ein Ziel: mit Panfilo de Retortilla abzurechnen. De Retortilla entdeckte die massige Gestalt natürlich, die sich da von schräg achtern auf ihn zuschob. Er sah die Schaluppe und die Männer an Bord. Jetzt wußte er, was die Stunde geschlagen hatte. Er hätte aufgeben können, doch er tat es nicht. Warum schossen sie nicht auf ihn? Wollten sie ihn doch noch mit heiler Haut davonkommen lassen, genügte ihnen der Schreck, der ihm beim Anblick des Schwarzen in die Knochen fuhr? Er mußte dem Neger schwimmend entweichen. Er legte all seine Kraft in dieses Vorhaben. Weit war das Ufer nicht mehr entfernt. Er mußte es schaffen. Batuti arbeitete sich wie ein Nilpferd an den Spanier heran. Der Abstand zwischen ihnen schrumpfte mehr und mehr zusammen. Trotz der größeren Verdrängung, die sein Körper im Wasser hatte, war der Gambia-Neger schneller. Er packte Panfilo de Retortilla an den wild
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auf- und abschlagenden Beinen. Dann riß er ihn zu sich heran. Der Spanier schaltete. Er nahm das Messer in die Faust. Fluchend stach er auf seinen Todfeind ein. Er zielte auf Kopf, Brust, Unterleib, es war ihm egal, wohin er traf, Hauptsache, er wimmelte diesen grollenden Riesen ab. Aber Batuti gab sich keine Blöße. Einmal ritzte die Messerklinge seinen Unterarm, doch Schlimmeres konnte er verhindern. Er packte de Retortillas Messerhand und bog sie nach hinten über. De Retortilla schrie, als stecke er am Spieß. Das Messer entglitt seiner Hand und sank auf den Grund der Bucht. In den letzten Augenblicken erkannte de Retortilla, daß er dem Neger nicht gewachsen war, daß auch sein Schlagen und Treten keinen Zweck mehr hatte. Und er begriff fast schlagartig, welch entsetzlicher Fehler seine hochnäsige Selbstüberschätzung gewesen war. Er hatte Menschen malträtiert und gefoltert, an den Rand des Wahnsinns gebracht — jetzt zahlte er grausige Buße. Batuti drückte ihn mit dem Kopf unter Wasser. Panfilo de Retortilla zappelte unter seinen mächtigen Fäusten. Doch der Neger verspürte keine Skrupel. Er ließ den Gegner nicht mehr los. De Retortillas Finger krallten sich in seinen Armen fest, doch Batuti empfand keinen Schmerz. Der Widerstand ließ nach. Dann stiegen keine Luftblasen mehr auf. Panfilo de Retortilla hatte aufgehört zu atmen. Batuti stieß sich von ihm ab und schwamm direkt zur „Isabella“. Die Schaluppe ging längsseits der Galeone. Alle hatten Batutis Kampf gegen den Spanier beobachtet. Philip Hasard Killigrew tadelte den schwarzen Mann nicht, er nickte ihm nur schweigend zu, als sie gemeinsam an der „Isabella“ aufenterten. * Will Thorne hatte den Riegel an der Innenseite des Vorpiekschotts wieder zurückgeschoben. Die Crew konnte
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eintreten und ihn und den Kutscher von den Fesseln und Knebeln befreien. Arwenack kletterte dem Koch und Feldscher auf die Schulter und kraulte ihn fürsorglich und mitleidsvoll am Ohr. Er stieß kurze, winselnde Laute aus. „Himmel“, sagte der Kutscher. „Hör doch auf. Wir leben ja noch. Pfui Teufel, dieser verfluchte Knebel. Ich muß mir dringend den Mund ausspülen. Arwenack. nun hör doch mit dem Geschmuse auf. Ich bin schließlich kein Schimpansenweibchen.“ „Sei froh, daß er dich mag“, erwiderte Will Thorne. „Mir zupft er nicht am Ohr.“ Dan O’Flynn grinste. „Du verwaltest ja auch nicht die Rum-Reserven. Arwenack will sich ebenfalls den Mund ausspülen — wie wir alle.“ Der Seewolf ließ zuerst an Deck die Flasche kreisen. Etwas später, es ging auf die Morgendämmerung zu, ließ er die Pulverfässer und die Munition aus der Schaluppe an Bord mannen. Der neue Tag kündigte sich mit milchigem Licht an, als die „Isabella V.“ in der Bucht ankerauf ging. Die Crew enterte in den Wanten auf, setzte die Segel und bediente unter den Kommandos des Profos’ Schoten und Brassen. Stolz glitt die Galeone an den Korallenbänken vorbei, die der Isla de Santiago vorgelagert waren. Die Männer warfen noch einmal einen Blick auf die Riffs, von denen sie Panfilo de Retortilla gerettet hatten. „Ich hab’s ja gesagt“, brummte Edwin Carberry. „Wir hätten den Kerl da verschmachten lassen sollen.“ Niemand schaute mehr zu der Leiche des Sklavenaufsehers zurück, die von den Wellen und der Uferbrandung auf den weißen Sandstrand von Jamaica gespült wurde. Panfilo de Retortilla blieb auf dem Rücken liegen. Seine starren, gebrochenen Augen waren gegen den blaßgrauen Morgenhimmel gerichtet. Der Seewolf hatte die Schaluppe versenken lassen. „Wir gehen auf Ostkurs“, sagte er zu Ben Brighton. „In die Windward-Passage will ich nicht zurückkehren. Wir segeln südlich an Hispaniola vorbei und steuern die
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Mona-Passage an. Hoffentlich gibt es keine neuen Aufenthalte. Verdammt und zugenäht, ich will unseren Schatz endlich nach England bringen, Ben.“
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„Nicht nur du“, sagte Ben Brighton ruhig. „Wir alle ...“
ENDE