ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten
Nr. 124 (145)
Die Instinkt-Spezialisten
von Hans Kneifel
Auf den Stütz...
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ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten
Nr. 124 (145)
Die Instinkt-Spezialisten
von Hans Kneifel
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Anfang Mai des Jahres 2843. Lordadmiral Atlan hat bei seinem Einsatz auf dem Planeten Karagam den geraubten Zel laktivator noch gerade rechtzeitig zurückgewonnen. Der kopierte Bewußtseinsinhalt des jungen Kristallprinzen Atlan, der Körper und Geist des Springers Curs Broomer übernom men und quasi vergewaltigt hatte, existiert nicht mehr. Auch der Körper Broomers ist tot – und damit ist eine Episode beendet, die nicht nur in Kreisen der USO beträchtliche Unruhe und Aufregung verursacht hatte. Doch inzwischen bahnt sich eine neue Krise an, die Lordadmiral Atlans Organisation zum sofortigen Eingreifen veranlaßt. Ausgangspunkt dieser Krise ist das Tiffak-System, ein Sonnensystem in der Eastside der Galaxis. Hier, und zwar auf der Welt Komouir, sind wertvolle Schwingkristalle entdeckt worden. Die Entdeckung hat sofort bei allen Prospektoren und Glücksrittern in der Nähe einen wahren Run ausgelöst. Die USO und das Solare Imperium haben dabei das Nachsehen, denn sie sind nicht früh zeitig genug informiert worden. Dem Lordadmiral bleibt daher nichts anderes übrig, als eine neue, noch unerprobte Truppe in den Einsatz zu schicken – DIE INSTINKT SPEZIALISTEN ...
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ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Lordadmiral gibt einen »Zünd impuls«. Sellbegg Garobier – Leiter eines Ge heimprojekts der USO. Ceeman Orient, Isidor Natzmann und Froom Wirtz – Drei Abenteurer treten in den Dienst der USO. Jean Atenro – USO-Beobachter auf dem Planeten Komouir.
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kus, der einmalig war. Von den Landegebüh ren bis zum Verkaufen oder zeitweiligen Ü berlassen des Geländes, von den Bohr- und Schürferlaubnissen über die Ausfuhrzölle, ganz abgesehen von dem Preis der unveredel ten Rohkristalle – das alles würde dem Plane ten eine Menge Geld bringen können. Geld und die gleiche Menge Kriminalität, Ärger, Aufregung und Störungen. »Wann hat das Ganze begonnen?« fragte Atlan. Du mußt etwas tun! Greife ein, ehe aus dem rollenden kleinen Stein eine Lawine wird! flüsterte sein Extrasinn. »Vor etwa zwanzig Tagen. Kann sein, daß es auch ein paar Tage mehr sind. Jedenfalls hat ein Wissenschaftler alles gestartet, als er das Ergebnis seiner Untersuchungen bekannt gab. Die Untersuchungen über die Natur und die wahre Bedeutung und Wichtigkeit der überaus seltenen Schwingkristalle.« »Was ist über das Tiffak-System zu sa gen?« erkundigte sich Atlan. »Nichts, Lordadmiral«, erklärte der USOMann auf Komouir, »was nicht in den Archi ven wäre. Ich habe lediglich eine bezeichnende Szene in der Nähe einer vorgeschobenen Stadt gefilmt.« Atlan nickte zustimmend, während er nachdachte. »Spielen Sie bitte die Aufzeichnungen ab.« »Selbstverständlich, Sir!« Von Minute zu Minute wurde der erfahrene Arkonide unruhiger. Es gab nichts Greifbares, aber eine Art Instinkt oder die Ahnung von kommenden Schwierigkeiten und Auseinan dersetzungen meldete sich. Atlan kannte die ses Gefühl zur Genüge. Er war lang genug Chef der USO und hatte sein Leben in Kämp fen verbracht. Während er auf die Einspielung wartete, tippten seine Finger fast automatisch die Auf forderung an den Stationscomputer ein, sämt liche vorhandenen Informationen über das Tiffak-System einzuspielen. Die Daten kamen und blieben leuchtend auf dem einen Bild schirm stehen, während auf dem anderen die Bilder des Spezialisten anliefen. Eine Ebene auf Komouir: Es war früher Nachmittag, vor genau drei zehn Stunden war dieser Film in einer winzi
»Ich mag voreilig sein, Lordadmiral«, sagte keuchend der Mann auf dem großen Bild schirm, »aber ich bin überzeugt, daß eine ernste Krise droht. Auf diesem Planeten ist schon jetzt der Teufel los. Und wenn die nächsten Schiffe kommen, dann gibt es ein Desaster. Der gesamte Pöbel wird sich um die Funde prügeln.« Atlan starrte seinen Gesprächspartner be troffen an. Die Botschaft kam aus der Eastsi de der Galaxis. Hier, in Quinto-Center, war alles ruhig – fast zu ruhig. Die Pausen zwi schen den einzelnen Krisen und schnellen, gefährlichen Einsätzen schienen im Augen blick kürzer zu werden. Lordadmiral Atlan fragte nachdenklich: »Was ist passiert? Geben Sie eine Zusam menfassung, bitte!« »Natürlich. Also ... im Tiffak-System wur den Schwingkristalle gefunden. Sie scheinen in einzelnen Fundort-Inseln über den gesam ten Planeten verteilt zu sein, natürlich immer in der Nähe von ehemaligen Vulkanen oder abgetragenen Vulkanschloten. Niemand weiß mehr genau, wer die Nachricht verbreitet hat. Jedenfalls hat es sich in Windeseile herum gesprochen. Aus den verstecktesten Winkeln kamen die Händler, die Prospektoren, die Springer und eine Masse Glücksritter aus sämtlichen galak tischen Völkern. Ich habe es offensichtlich zuletzt erfahren.« »Reichlich merkwürdig!« kommentierte Atlan. »Nicht so sehr«, gab der USO-Spezialist zu bedenken. »Schließlich war ich nicht auf dem Planeten Komouir. Ich kam zu spät. Hoffent lich nicht zu spät für entsprechende Aktionen der United Stars Organisation!« Atlan schüttelte langsam den Kopf. »Ich hoffe nicht. Lassen Sie mich nachden ken ...« Die Schwingkristalle waren ohne Zweifel wertvoll. Sie gehörten dem Planeten Ko mouir, der zweiten von insgesamt siebzehn Welten, die die Sonne Tiffak umliefen. Also lag es an der Verwaltung dieses Planeten, sie zu verkaufen. Wenn nur ein Mensch dort wirtschaftlich dachte, entfesselte er einen Zir 4
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten gen, aber hochleistungsfähigen Kamera auf genommen worden. Die Gebäude einer hufei senförmig angeordneten Stadt zwischen dem Gebirge und der Ebene lagen im kurzen Schatten der Gewächse. Der Raumhafen war überfüllt. Pausenlos landeten kleine und grö ßere Schiffe und schoben sich zwischen die abgestellten Einheiten. Der Platz quoll über. Sämtliche raumfahrenden Völker der Galaxis schienen hier vertreten zu sein. Akonen eben so wie Blues oder Neu-Arkoniden. Prospekto renschiffe sah man ebenso häufig wie die Walzenraumer der Galaktischen Händler. Die Linsen gingen näher heran. Zwischen den Schiffen bewegten sich Men schenströme. Schwere Gleiter wurden ausge laden und unter den Schiffen bemannt und ausgerüstet. Überall gab es Gruppen, die zu sammenstanden, diskutierten oder sich strit ten. Die wenigen Hilfsmannschaften waren hoffnungslos überfordert. Eine Umblendung: In der Stadt waren die Verhältnisse nicht anders. Dort standen vor dem Haus der Plane taren Verwaltung lange Schlangen. Die Ka mera filmte eine dieser Reihen. Atlan sah in die Gesichter tatsächlich aller nur denkbarer Individuen aus den Reihen sämtlicher politi scher Gruppierungen der Galaxis. Warum hatte die Nachricht diese Leute früher erreicht als die USO oder die Terraner? Ruckweise glitt die Schlange in Halbmeterstücken vor wärts. Diejenigen, die aus dem Eingang her ausrannten, sprangen in Gleiter und rasten davon. Sie hatten eine Lizenz für ein be stimmtes Stück Land gekauft. Der Film wurde unterbrochen. »So sieht es überall aus, Sir. Oder fast ü berall. Einige Küstenstädte sind noch von der Invasion verschont geblieben«, erläuterte der Spezialist. »Wollen Sie den zweiten Teil auch sehen?« »Ja, natürlich!« erwiderte Atlan. Er warf einen Blick auf die abgerufenen In formationen. Der einzige Fundort in diesem Tiffak-System war der zweite von siebzehn Planeten. Dann las Atlan in einer der letzten Zeilen, daß 5,89 Lichtjahre von Tiffak ent fernt ein System lag, an das sich sein photo graphisch exaktes Gedächtnis sofort erinnerte: Es war das Deylight-System, eine Ansamm
lung von vier Planeten. Der dritte Planet war wichtig. Er hieß Wiga-Wigo ... und dort war IS Froom Wirtz stationiert. Atlan zuckte zu sammen. Dies war ein wichtiger Punkt. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem anderen Bildschirm zu. Der Ausschnitt zeigte einen Teil der Ebene. Es war eine Steinwüste mit den Resten frühe ren Vulkanismus. Aber jetzt war diese Ge gend belebt. Staubfahnen zogen hinter den dahinrasenden Fahrzeugen in die Luft. Über all durchfurchten Spuren die Dünen und Sandflächen. Hin und wieder stand da ein Gleiter oder ein Mehrzweckfahrzeug. Kleine Gestalten arbeiteten mit seltsam aussehenden Geräten. Sie schnitten mit Lasern und Ultra schallmaschinen in den Stein, brachten Boh rungen nieder und schlugen sich mit Schwär men von langbeinigen fliegenden Insekten herum. Detonationen hallten zwischen den geröllübersäten Bergen. Die Explosionswol ken standen lange in der unbewegten Luft. Es sah aus, als habe sich ein gewaltiges Amei senheer über diese Wüste verteilt. Eine SpaceJet schwebte langsam und in einem verwir renden Zickzack zwischen den Bergen ent lang. Wieder war deutlich zu erkennen, daß sich Angehörige aller galaktischen Sternen völker an der aufregenden Suche nach den Schwingkristallen hier beteiligten. Nach ei nem langen Schwenk, der die gesamte Ge gend und die unregelmäßig darin verteilten Such- und Schürfkommandos zeigte, endete die Aufzeichnung. »Sie haben alles gesehen, Sir«, sagte der In formant. »Was haben Sie für mich?« »Im Augenblick nichts. Beobachten Sie je doch sorgfältig weiter und halten Sie sich bereit, uns weitere Daten zu liefern. Und na türlich melden Sie sich sofort, wenn sich eine Krise anzubahnen beginnt.« »Geht in Ordnung!« sagte der Spezialist und trennte die Hyperkomverbindung zu Quinto-Center. Atlan betrachtete die Daten des Systems, ließ alles in seine Überlegungen einsickern und dachte nach. Er mußte alle seine folgenden Aktivitäten genau bedenken. Das Problem der Schwingkristalle und der zu erwartenden Schwierigkeiten mußte sehr be hutsam gelöst werden. »Der Run der Glücksritter und der Hob 5
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten byprospektoren hat also bereits voll einge setzt«, sagte er laut und drückte einen Knopf, der ihn mit seiner Sekretärin verband. »Sir?« »Versuchen Sie mit allen Mitteln, Sellbegg Garobier zu finden. Ich möchte ihn so schnell wie möglich sprechen.« »Sofort, Sir. Sie meinen Garobier, den Psy chologen und Genetiker, nicht den Außen handelsexperten?« »Ich meine den Mann, mit dem zusammen ich vor Jahren das IS-Programm gestartet ha be.« Das lächelnde Gesicht der Sekretärin ver schwand vom Interkom. Atlan war einen Au genblick allein. Seine Gedanken schweiften zurück, um ziemlich genau sechs Jahre. Im selben Augenblick summte das Signal auf. Der Psychologe war auf dem Bildschirm. »Ich begrüße Sie, Lordadmiral. Sie haben nach mir rufen lassen?« »Richtig. Wo sind Sie im Augenblick?« »Ich betreibe auf einem USO-Stützpunkt ganz in der Nähe meine Forschungen. Sie brauchen mich? Ich kann in vier Tagen im Center sein. Von hier, Point Lyra, ist es nur ein Katzensprung.« »Ja, kommen Sie bitte. Höchste Dringlich keit. Offensichtlich hat einer unserer IS ver sagt.« Der dreiundsechzigjährige Wissenschaftler riß erstaunt die Augen auf. »Wer?« »Froom Wirtz auf Wiga-Wigo!« erklärte der Lordadmiral. Er blickte in die ruhigen braunen Augen des Wissenschaftlers. Die Kiefer des Mannes bewegten sich auch dann, wenn Garobier nicht sprach. Sellbegg kaute Betel. »Ausgerechnet Wirtz. Und wir haben ihn doch so gut programmiert. Aber wir können im Center über alles sprechen. Damals ... wir haben uns schon sehr wilde Typen herausge sucht für unsere Versuche. Gut, ich komme sofort. Gibt es bestimmte Unterlagen, die ich mitbringen muß?« Atlan schüttelte den Kopf. »Über dieses Programm ist alles in den Speichern. Es wird, glaube ich, eine gefährli che Sache. Kommen Sie so schnell wie mög lich, Sellbegg!«
»Wird gemacht, Sir!« Sie winkten sich kurz zu, dann trennte At lan die Verbindung. Noch sehr lebhaft war die Erinnerung an diesen klugen Mann, hinter dessen angeblicher Schwerfälligkeit sich ein messerscharfer, analytischer Verstand verbarg. Sein Laster, Betel zu kauen, war aus gesprochen harmlos. Die narkotisierende Wirkung der Nüsse, in deren dünner Schale sich schwach stimulierende Mittel verbargen, war gering. Die einzig auffallende Wirkung war ein aromatisch riechender Atem. Zugleich mit der Erinnerung an die Zeit der Zusam menarbeit kamen die Gedanken an einige Frauen und Männer, die von der USO damals verpflichtet worden waren. Vor sechs Jahren. Im Juli des Jahres 2837 ... 2. Ceeman Orient spähte hinunter auf das La ger. Er rechnete seit acht Monaten mit Ärger und mit Brutalität. Und zwar nicht nur in den Nächten, sondern in jeder Sekunde des Tages. Die drei Gründe standen dort unten vor der unzerstörbaren Panzerplastscheibe, die einen Teil der Lager-Sicherheitseinrichtungen bilde ten. Drei Gründe, drei Männer. Vor acht Jahren waren die drei Männer hier im Straflager eingeliefert worden. Kim Zahok, der fünfzigjährige, massige Akone, mehrfa cher skrupelloser Mörder und Dieb, dann der Neu-Arkonide Rotta N'honk, der sechsund dreißigjährige, eiskalte Wirtschaftsverbrecher, dessen Wohlleben und Verschwendungssucht mit den Geldern vieler Opfer finanziert wor den waren, und schließlich der kleine, wiesel artige Russel Zunt, ein Terraner. Er war der intelligenteste Mann dieser Dreiergruppe. Im Augenblick standen sie alle drei dort unten und sprachen miteinander. Ceeman Orient war versucht, das Richtmikrophon herumzu schwingen und die drei zu belauschen, aber dann unterließ er es mit einem Rest von Zu rückhaltung. Der Summer. »Ja?« »Hör zu, Ceeman, ich habe ein böses Ge fühl. Bitte, halte mich nicht für hysterisch.« Ceeman Orient grinste kalt und entblößte 6
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten die Zähne. Auf der kleinen Scheibe des Moni tors sah ihm das hagere, bronzefarbene Ge sicht des Terraners Bobby Mondina entgegen. »Du bist keineswegs hysterisch. Ich bin auch nicht mehr in der Lage, feste Nahrung aufzunehmen. Am besten gehen wir hinunter und betäuben die drei Kerle mit Gas. Dann könnten wir vielleicht heute nacht schlafen.« Seit acht Wochen demoralisierte die Anwe senheit von drei Gefangenen das gesamte La ger mit rund zweihundertfünfzig verurteilten Strafgefangenen der Neu-Arkoniden. Orient, Bobby Mondina und Alncraft – seinen Nach namen kennt nur er – waren die Chefs des Bewachungskommandos. Zweihundertfünfzig Verbrecher: eine Viertel Million Jahre Straf lager. Es war höchst unwahrscheinlich, ob jemals einer dieser Männer den Planeten Komdorr jemals verlassen würde. Vielleicht in einem Sarg oder in einer Urne, lebend jedoch kaum. »Hör zu, Ceeman – wir müssen etwas tun.« »Ich warte auf den Chef. Ich kann mich nicht ohne einen triftigen Grund gegen die verdammten Vorschriften stellen, Bobby!« »Das sehe ich ein. Aber sie machen uns das ganze Lager verrückt, diese drei Neuen.« Ceeman winkte nachlässig ab. »Es ist so gut wie unmöglich, zu fliehen. Das wissen wir. Der Chef muß jeden Augen blick kommen. Er wird entscheiden.« »Komm runter, Ceeman. Es gibt Kaffee und Cognac. Und vielleicht auch etwas zu essen!« »In Ordnung«, sagte Ceeman und schaltete ab. Er aktivierte sämtliche Überwachungssys teme und verließ seinen Platz. Es war ein ge sicherter Turm, der sich an strategisch günsti ger Stelle neben dem Lager erhob. Darunter lagen die Häuser der Bewacher. Die NeuArkoniden, die für diese Straflager verant wortlich waren, beschäftigten an den wichti gen Stellen ausschließlich terranisches Perso nal. Die Terraner waren die zuverlässigsten Bewacher, die es gab. Ceeman schwang sich in den engen An tigravschacht und schwebte abwärts. Unten erwartete ihn bereits Bobby Mondina. Sie schüttelten sich die Hände. »Wo ist Alncraft?« fragte Ceeman unruhig. Sie gingen nebeneinander über den üppigen
Rasen hinüber zu dem kleinen, flachen Kanti nengebäude. Das gesamte Lager war von die sem Rasen umgeben. Es wirkte wie ein annä hernd rundes Gebilde in einer riesigen, grünen Ebene. Erst fünfhundert Meter jenseits der zehn Meter hohen Glasmauer begannen die mächtigen Bäume der Dschungelgegend. »Mit dem Gleiter unterwegs. Er kontrolliert den Waldrand, Cee!« »Einverstanden.« Das Lager befand sich in der Mitte einer riesigen Lichtung, die ihrerseits im Zentrum eines ausgedehnten Urwaldgebietes lag. Der Urwald bedeckte eine große Insel, fast einen kleinen Kontinent. Außer dem Lager, dem Gebäude der Wachmannschaften, einem klei nen Raumhafen und einigen Reparaturgebäuden und dem kombinierten Vorrats-, Versor gungs- und Technikgebäude gab es auf der Insel nichts mehr, wohin ein Flüchtling sich absetzen hätte können. Trotzdem waren zu mindest die drei Terraner unruhig und nervös. »Wir müssen sie trennen! Sie stecken dau ernd zusammen!« sagte Ceeman leise. »Sie sind alle drei klug genug, um zu wissen, daß wir sie abhören können. Aber sie planen et was.« »Siehst du Gespenster?« »Nein.« Ceeman Orient war ein sechsunddreißig Jahre alter und einhundertfünfundachtzig Zen timeter großer Mann. Sein Kopf war völlig kahl, aber die Schädeldecke glänzte in einem merkwürdigen Schmuck. Drei Fingerbreit über den Brauen begann ein Muster aus ver schiedenen Farben, die dicht unter der Haut schimmerten. Verschiedene Blumen und Blü ten, Blätter und Ranken ringelten sich in ver schlungenen Mustern rund um die Ohren, über den Scheitel und bis hinab in den Na cken. Es wirkte einigermaßen verwirrend. Ceeman und Mondina betraten die kleine Cafeteria und setzten sich an die Theke. Die Robotmaschinerie nahm ihre Wünsche entge gen und stellte die Tassen und Teller auf die Platte. »Versteh mich recht, Bobby! Wir sind Söldner, keine Neu-Arkoniden!« Mondina brummte ärgerlich: »Das weiß ich ebenso gut wie du, Ceeman. Aber wir haben uns im Laufe der Jahre eine 7
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Art sechsten Sinn antrainiert. Wir drei wissen, daß es im Lager gärt. Es gibt keine deutlichen Beweise, aber wir wissen es. Richtig?« Ceeman schlürfte seinen Kaffee. Sein ner vöser Magen beruhigte sich. Er dachte daran, daß es hier insgesamt hundertzwanzig Bewa cher und genau zweihundertdreiundfünfzig Gefangene gab. »Richtig. Wir haben aber sämtliche Mög lichkeiten, eine Gefahr erst gar nicht entste hen zu lassen!« entgegnete Bobby. »Das sagst du so leicht!« Der Strafplanet war einigermaßen raffiniert ausgesucht worden. Er lag abseits aller Raum fahrtlinien und wurde so gut wie niemals an geflogen. Drei stationäre Sperrforts sorgten dafür, daß auch keine unangemeldeten Schiffe anflogen und landeten. Die Forts waren tödli che Instrumente, die ebenfalls von hier aus kontrolliert wurden. Wenn es im Lager unruhig wurde – und die drei Terraner kannten diese vielen unsichtba ren Zeichen aus guter Erfahrung –, dann hatte dies einen Sinn. Einen Sinn aber ergab es nur, wenn ein Fluchtversuch gewisse Aussicht auf Erfolg hatte. Wohin sollten die Gefangenen fliehen, wenn die Alternative für das versorg te Lager die Wildnis des Planeten war, diese riesige Insel? Ceeman stützte die Ellbogen auf und brummte: »Wenn du dort gefangen wärst, was wür dest du tun? Ich meine, ergibt es einen Sinn, eine Flucht zu planen?« »Unter besonderen Umständen ergäbe es einen Sinn. Aber ohne Schiff ist alles sinnlos. Oder meinetwegen ohne Transmitter.« Ceeman starrte Bobby an, als habe er einen völlig Fremden vor sich. Der junge Mann neben ihm bewegte sich unruhig. »Was hast du? Du siehst aus, als hättest du den Weltuntergang gesehen!« Ceeman flüsterte: »Das ist es! Ein Schiff kommt hier nicht durch! Aber ein Transmitter! Das muß die Lösung sein!« Er sah, wie Bobby Mondina kreidebleich wurde. »Verdammt! Du hast recht!« sagte Bobby. »Das muß überlegt werden. Einen Moment, Cee!«
Er glitt vom Hocker, lief hinüber zum In terkom und schaltete das Gerät ein. Zwei Se kunden später meldete sich Alncraft. Er war ein hochaufgeschossener Mann von vierzig Jahren. Er sprach wenig, handelte aber schnell. Seine hellblauen Augen musterten das aufgestörte Gesicht Mondinas. »Was ist los?« fragte er alarmiert. »Komm zurück, Aln! Wir sind auf eine irr sinnige Sache gestoßen. Wir haben das drin gende Gefühl, es wäre mehr als nur ein unbe gründeter Verdacht.« »Ich komme sofort. Übrigens, falls es euch beruhigt, ich habe nichts Besonderes festge stellt, Freunde.« »Gut!« Die hundertzwanzig Frauen und Männer waren nicht nur als reine Aufpasser hier. Sie besorgten auch sämtliche Arbeiten, die mit der Lebenserhaltung von rund dreihundert siebzig Menschen oder Humanoiden zu tun hatten. Sie alle wurden sehr gut bezahlt; eine Mannschaft aus Akonen, Neu-Arkoniden und Terranern. Niemand war hier auf Komdorr, der etwas von einem normalen Leben hielt. Keine Spießer, keine Beamten. Sie alle waren in gewissem Sinn Abenteurer. Mondina trank den letzten Schluck Kaffee aus, bestellte noch einen Cognac und sagte dann nachdenklich und langsam: »Wir müssen versuchen, uns Schritt um Schritt durch die Gedanken der Gefangenen zu tasten!« Ceeman nickte und stimmte zu: »Das scheint das Werk von Russel Zunt zu sein. Diese menschliche Ratte ist zu allem fähig. Er hat vor allem Geld und Beziehun gen.« »Sicher.« Die Kerntruppe von etwa sechzig Männern waren Terraner. Zum Teil zwielichtige Ges talten, zumeist jedoch harte, kühle Männer, die ihre Aufgabe nicht leicht nahmen. Sie galten ausnahmslos als Söldner. Dies traf zu, denn sie alle hatten sich für eine bestimmte Zeit freiwillig verpflichtet. Die NeuArkoniden vertrauten ihnen so sehr, daß sich nur höchst selten ein Kontrollschiff hier sehen ließ. Vor acht Wochen war das letzte Schiff gelandet und hatte diesen Abschaum der Ga laxis gebracht. Zahok, N'honk und Zunt. 8
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Draußen landete der schwere Kontrollglei ter mit Alncraft am Steuer. Der große, breit schultrige Mann schlug die Tür zu und betrat die Cafeteria. »Zwischen Glas und Waldrand alles in Ordnung!« sagte er mürrisch, bestellte eben falls Kaffee und Cognac und setzte sich. »Ihr seht reichlich verstört aus. Was gibt es wirk lich?« Ceeman sagte kurz: »Ich wette, die drei Gangster wollen flie hen.« Alncraft sah schweigend und beunruhigt von Mondina zu Orient und brummte dann: »Ich akzeptiere eure Aufregungen. Ich habe ebenfalls ein schlechtes Gefühl im Magen.« Während ihrer Zeit hatte es drei Aus bruchsversuche gegeben. Einen hatten sie am Zaun, den zweiten am Waldrand und den drit ten siebentausend Meter tief im Dschungel abgefangen. Und jetzt stand, wenn ihr Instinkt nicht trog, der vierte bevor. Alncraft lehnte sich zurück und sagte: »Gut. Spielen wir also wieder einmal eine Flucht durch.« Sie kannten natürlich die wenigen schwa chen Stellen der Anlage am besten. Aber wenn die drei Gangster versuchten zu fliehen, dann würden sie sich nicht mit läppischen Sachen wie einem langen Fußmarsch abge ben. In diesem Fall würde alles bestens vorbe reitet sein. Irgendwo im Dschungel stand mit Sicherheit ein kleiner Transmitter, dessen Gegengerät in einem Raumschiff außerhalb der Reichweite der drei Forts justiert war. Der Weg zwischen dem bodengebundenen und dem Schiffstransmitter war klar und konnte von ihnen nicht beeinflußt werden. Sie hatten lediglich eine Space-Jet neu-arkonidischen Baumusters zur Verfügung. Orient sagte in rauhem, aggressivem Ton fall: »Angenommen, es ist so. Wie kam der Transmitter hierher? Ohne daß er von einem Fort angemessen wurde? Dann gibt es noch andere Fragen wie die nach der Begleitmann schaft; nach dem Zeitpunkt und der Entfer nung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Rus sel Zunt beispielsweise hundert Kilometer zu Fuß durch den Dschungel rennt, um den Transmitter zu erreichen.«
Bobby warf ein: »Diese Überlegung wird auch von ihnen durchgeführt. Sie wissen, daß wir ihnen be stimmte Dinge nicht zutrauen. Gerade deswe gen werden sie daran denken.« »Richtig. Eine wichtige Überlegung.« Alncraft sprach und blickte durch die raumhohe Scheibe hinüber zu den Gebäuden des Straflagers. Der Chef, dessen Ankunft erwartet wurde, sollte auch ein Konzept mit bringen, das die Beschäftigung bestimmter Gefangener vorsah, allein deswegen, um die gefahrbringende Langeweile abzubauen. Man konnte zum Beispiel edle Hölzer exportieren. Die drei Leiter des Wachkommandos hatten eine grauenerregende Vision. Das Lager glich einem Tollhaus, wenn die drei Verbrecher zu flüchten versuchten. Sämtliche Gefangenen würden Ablenkungsmanöver unternehmen. Gerüchte und Stimmungen waren in solchen geschlossenen Bereichen schneller fast als die Gedanken. Irgendwann in den nächsten Tagen oder Nächten würde es stattfinden. Die Span nung innerhalb und außerhalb der Mauer trieb unweigerlich einem Höhepunkt entgegen. »Betrachten wir einmal die Strecke zwi schen dem Lager und dem Transmitter, der irgendwo dort draußen steht. Wir können den Transmitter nicht anmessen, Aln?« »Nein! Nicht mit unseren Geräten.« Das war eine endgültige Feststellung. Diese Möglichkeit schied also aus. Alncraft sagte nach einigen Sekunden Schweigen: »Es ist bisher so ziemlich alles probiert worden, um aus dem Lager herauszukommen. Strickleiter, Katapulte, unterirdische Gräben ... einfach alles. Unser Trio wird sich keines wegs mit größerer körperlicher Arbeit abge ben wollen.« »Sicher nicht.« Sie sprachen stundenlang und überlegten sämtliche Möglichkeiten, die diese drei Gangster einsetzen konnten. Aber weder Alncraft noch Ceeman oder Bobby entdeck ten, welches Mittel das Trio einsetzen würde. Gegen Abend saß Ceeman Orient wieder in seiner Kontrollkabine und hatte vor sich die Armaturen, die vielen Bildschirme und die großartige Aussicht. Er war um keinen Milli meter weitergekommen. 9
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Es steht für mich unverbrüchlich fest, daß die drei Gangster in Kürze zu fliehen versu chen. Aber wie und auf welchem Weg, mit welchen Hilfsmitteln, das weiß niemand von uns. Jedenfalls hatten sie die Jet halb stillgelegt und mit einem dichten Ring aus schwerbe waffneten Wachrobotern umstellt. Mondina und Alncraft schliefen; Alncraft würde ihn in fünf Stunden ablösen. Er wartete.
auszuschalten. Sie schliefen seit einigen Ta gen sogar in ihren Kleidern. Als Alncraft vor Orient stand, starrten sie sich schweigend und nachdenklich an. »Keine Idee gehabt, Boß?« fragte Alncraft leise. »Nein. Mir fallen nur so absurde Dinge wie Ballons oder Raketen ein.« »Abwegig, Cee.« Orient nickte und schnallte sich die schwe re Kombinationswaffe um. »Das sage ich selbst. Ich werde mich aufs Ohr legen. Bitte, warne mich bei dem gerings ten Anlaß. Und denke daran, daß sämtliche Warneinrichtungen durch einen schnellen, exakt geplanten Trick ausgeschaltet werden können. Wir gehen von der Voraussetzung aus, daß nicht ins Lager eingebrochen, son dern aus dem Lager ausgebrochen werden muß.« »Ich weiß, Boß!« Ceeman schwebte hinunter, ging zweimal um den Gleiter herum und stellte natürlich nichts von Bedeutung fest. Er schlenderte müde hinüber zu dem niedrigen, langge streckten Gebäude, in dem seine Wohnräume lagen. Er zog die dünne Jacke und die Stiefel aus und schlief lange nicht ein. Er träumte von einer geheimnisvollen Kraft, die drei Verbrecher entführte, sie drei ßig Kilometer weit über den Dschungel trans portierte und vor dem Transmitterrahmen absetzte.
* Der riesige weiße Mond stand fast im Ze nit. Sein bleiches Licht überstrahlte die Szene. Im Lager selbst brannten nur noch wenige Lichter, aber das Infrarotbild machte aus den vielen freistehenden Gebäuden ein Bild, des sen Schärfe nur unwesentlich schlechter war als bei Tageslicht. Langsam kreisten die Antennen. Aufmerk sam beobachtete Orient die Schirme. Am Waldrand zeigten sich nicht einmal Tiere. Die Ultraschallgeräte hielten sie aus dem Grund fern, weil sie auf dem Schirm irreführende Echos erzeugen würden. Der gesamte Boden zwischen Waldrand und der hohen Glasmauer bestand aus einem nichtrostbaren Metallnetz, das unter dem Gras ausgelegt war. Jedes grö ßere Wesen zeichnete sich auf dem ringför migen Detektor so scharf ab, als gehe es über einen hellerleuchteten Platz. »Nichts!« brummte er. Diese Unsicherheit lähmte ihn und regte ihn gleichzeitig auf. Sämtliche Wachen waren von dieser Unruhe erfaßt, denn auch sie spür ten es. Obwohl kein einziges lautes Wort fiel, war die gesamte Niederlassung hoch nervös und aufgeregt. Fünf Stunden später ging der Summer. Orient fuhr sich mit der Hand über den kah len Schädel und drückte den Knopf. »Ja?« »Alncraft hier. Ich löse dich ab.« »Gut. Komm rauf!« »Ich komme.« Am Fuß des Wachgebäudes stand ein flug bereiter Gleiter. Er war hervorragend ausge rüstet, aber zusätzlich gesichert. Die drei Chefwärter versuchten, sämtliche Risiken
* Vier Tage und vier Nächte vergingen, ohne daß mehr geschah, als daß die Nerven des Wachpersonals auf das äußerste strapaziert worden wären. Genau das schienen die Gangster zu planen, denn wenn immer sie zu sehen waren, grinsten sie unübersehbar höh nisch. Mehr denn je warteten sie alle auf den Ausbruchsversuch. Bobby hielt in dieser Nacht Wache oben im Ausguck. Er war ebenso zuverlässig, aber nicht ganz so erfahren wie Alncraft und Orient. Er wurde genau um Mitternacht unruhig, aber er wußte in den ersten Sekunden nicht genau, warum sich seine Unruhe der Panik näherte. Seine 10
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Handflächen begannen feucht zu werden. Schweiß lief von seiner Stirn. Er richtete sich halb auf und ließ sich entmutigt wieder zu rücksinken. Was ist los? Warum bin ich ... begann er in Gedanken. Seine Augen glitten vom Bild schirm zu Bildschirm. Kein Zeichen deutete darauf hin, daß sich etwas genähert hatte. Dann zwinkerte Bobby Mondina überrascht und erkannte, was vorgefallen war. »Der Mond!« stöhnte er auf. Das Mondlicht wurde schwächer. Mondina hob den Kopf und starrte durch die Kuppel nach oben. Die Scheibe des Vollmonds zeigte die typischen Zeichen einer beginnenden Mondfinsternis. Bobby zögerte und drückte dann den Knopf, der ihn unmittelbar mit dem Schlafraum Orients verband. Zehn Sekunden verstrichen, ehe sich Cee man rührte. Sein schlaftrunkenes Gesicht mit den rotunterlaufenen Augen erschien auf dem Schirm. »Alarm?« bellte er mit belegter Stimme. »Nein. Cee – eine Mondfinsternis fängt ge rade an. In wenigen Minuten ist es stockdun kel. Außerdem ist ein Südwind aufgekom men.« »Ich verstehe. Ich komme sofort!« Ceeman wirbelte herum, rannte in die Naß zelle und tauchte seinen Kopf in eiskaltes Wasser. Dann lief er in den Wohnraum zu rück, triefend naß, und schnallte sich die Waf fe um. Er sprang mit einem Satz hinaus auf den Rasen und spurtete die zwanzig Meter hinüber zum Haus Alncrafts. Er hämmerte an die Tür, riß sie auf und schrie: »Aln! Es gibt etwas! Heraus mit dir!« Er stürzte in den Wohnraum hinein, riß die andere Tür auf und sah Alncraft, der gerade aufstand und sich in den linken Stiefel zwäng te. Er sah auf. »Ausbruch?« »Möglich«, erwiderte Ceeman die ge krächzte Frage. »Eine Mondfinsternis be ginnt. Sie nützen es mit Sicherheit aus.« »Ich komme.« Eine Minute später rannten sie beide auf den Turm zu. Das Mondlicht hatte weiter ab genommen. Sie waren sicher, daß diese Nacht die günstigste für eine Flucht war. Was ge schah jetzt? Die zwei Männer schwebten durch den Schacht aufwärts und prallten in
den Kontrollraum hinein. Mondina stand vor den Apparaten und sah aus, als ob er jeden Augenblick explodieren würde. »Das muß von langer Hand vorbereitet ge wesen sein!« stieß er hervor. »Der Weitsicht schirm!« Südwind. Die Zahlen der beträchtlichen Windgeschwindigkeit huschten über die Digi talzifferblätter. Auf dem Schirmbild zeichnete sich die Ebene ab, der Waldrand und darüber der freie Himmel. Dort sahen die drei Terra ner eine dichte Kette großer, runder Gegens tände. Ceeman drückte sofort den Alarmknopf. An vier Punkten der Umgebung begannen Sirenen und Warngeräte mit unabhängigen Stromkreisen zu arbeiten. Gleichzeitig erhell ten sich sämtliche Leuchtkörper innerhalb und außerhalb des Lagers. Die gläserne Mauer, die im schwindenden Mondlicht fast unsichtbar geworden war, leuchtete auf. »Stufe Eins!« sagte Mondina. »Wir haben es geahnt. Jetzt wissen wir es. Sie haben ge waltige Hilfe. Aber wie ...?« Ceeman sagte grob: »Du hast recht, aber diese Frage braucht uns erst nachher zu interessieren. Wir müssen den Aufstand niederschlagen und das Ent kommen verhindern.« Ununterbrochen heulten die Sirenen. Die Aufzeichnungsgeräte liefen an. Es wa ren Geräte, die von den Terranern zum eige nen Schutz, beziehungsweise zur Beweisfüh rung installiert worden waren. Die strahlenden, meist schußsicher ange brachten Leuchtkörper innerhalb des runden Lagerareals beleuchteten kahle Hausfronten, geschlossene Türen und freie, leere Flächen und Gänge. Beim ersten Alarm war eine au tomatische Verriegelung der Türen und Fens ter in Betrieb getreten. »Nichts los, dort unten.« »Kommentiere nicht zu früh. Was sollen diese runden Dinge? Was ist das überhaupt?« fragte Ceeman laut, der jetzt vom schräglie genden Fenster zurücktrat. Die Wachmann schaften bezogen ihre Plätze. Alncraft drehte bereits an den Abstimm knöpfen des Geräts. Signale auf den Schirmen wurden deutlicher. »Es sind keine Metallgegenstände. Der 11
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Wind scheint sie hierher zu treiben. In einer breiten Linie driften sie nahezu mit Windge schwindigkeit auf das Lager zu. Es scheinen Ballons zu sein oder irgendwelches Gespinst, mit Gas gefüllt. Jedenfalls gibt es dort kein Metall, sonst hätte das Gerät längst gewarnt.« Alncraft brummte: »Wir nehmen die Jet und schießen die Ku geln ab!« »Unsinn.« Ihre Aufregung wuchs immer mehr. Drei tausend Meter weit war die erste Kugel noch von der Glasmauer entfernt. Der Durchmesser war laut Meßlinien auf dem Schirm mehr als hundert Meter. »Warum ist das Unsinn?« widersprach Alncraft. Ceeman grinste kalt. »Weil wir noch nicht genau wissen, was sich in diesen schwebenden Dingern ver steckt. Warten wir noch einige Sekunden und aktivieren wir noch mehr von unserer techni schen Ausrüstung. Los!« Noch immer bewegte sich dort unten nie mand. Der Mond verschwand jetzt vollkommen im Schatten des Planeten. Nur eine dünne Kreislinie, die mehr zu ahnen als zu sehen war, stand zwischen den Sternen am schwar zen Himmel. Die Bälle sanken ab. Dort, wo sie die Schnittlinien der Strahlensperre trafen, flammten sie auf. Aber auch die Strahlen be gannen zu flackern. Im Pult flammten einige Rotlichter auf. »Überlastung der Projektoren!« schrie Alncraft. Sie wurden nicht angegriffen, aber sie fühl ten sich hier oben gleichermaßen eingeschlos sen wie auch der Wirklichkeit entrückt. Jetzt hatte der Sturm auch die letzten Ballons her angetrieben. Sie platzten alle. Die Ortungs schirme spielten verrückt. Ein wirres Muster zeichnete sich auf ihnen ab. Flammend bra chen einige Strahlen zusammen. Aus einigen Kugeln drang schwarzer Rauch, der die Räume zwischen den Kugeln ausfüllte. Er verdunkelte das Bild völlig. So wohl die Wachen, die durch die gläserne Mauer das Innere des Lagers nicht mehr er kennen konnten, als auch die drei Posten hier oben, sahen nichts mehr. »Ceeman!« sagte Bobby alarmiert. »Wir
sind ausgeschaltet.« Der Wind aus dem Süden verteilte den Rauch und schluckte halbwegs den Klang der schweren Detonation, die irgendwo dort unten ertönte. Aber der gleiche Wind schob den Rauch vor sich her und blies den Raum zwi schen den Häusern und der Mauer am äußers ten südlichen Punkt auch wieder frei. Es war in dieser Dunkelheit kaum etwas zu erkennen. Nur auf dem Infrarotschirm zeichneten sich verworrene Eindrücke ab. »So scheint es. Also war mein Traum von einem Ballon doch kein Scherz. Sie werden auf diese Weise fliehen wollen. Achtung.« Ceeman hob das Mikrophon an die Lippen und schaltete die riesigen Lautsprecher ein. Er sagte deutlich: »Achtung! Ceeman Orient spricht. Diese Kugeln sind unter allen Umständen abzu schießen. Sie dürfen nicht nach Osten abtrei ben! Feuert, was das Zeug hält!« Klick. Die Lautsprecher schwiegen wieder. Kaum hatte Ceeman Orient den Schalter herumgelegt, begannen Bobby und Alncraft zu feuern. Sie hatten die Fenster weit zur Sei te geschoben, trugen schwere Infrarotbrillen und legten die Waffenläufe an das Metall der Fenster. Donnernd und fauchend löste sich Schuß um Schuß. Zwischen den Schüssen schrie Bobby: »Ich sehe, wie aus einem zerstörten Haus drei Gestalten rennen. Ich versuche, sie mit dem Lähmstrahler zu treffen.« »Es ist das Haus, in dem das Trio unterge bracht ist!« kommentierte zwischen zwei Treffern Alncraft. »Zu große Entfernung für die Schockwaf fen. Sinnlos!« Aus drei verschiedenen Fenstern feuerten sie auf die Kugeln. Langsam trieb der Wind den Rauch nach Osten ab. Auch rund um das Lager wurde geschossen. Drei der Projektoren für die Strahlensperren waren ausgefallen. Aus dem fadendünnen Kreis zwischen den Sternen wurde wieder ein zunehmender Mond, der sekündlich mehr kalkiges Licht abstrahlte. Einer der Ballons nach dem anderen deto nierte. Die einen enthielten eine Substanz oder ein Gas, das mit einer grellen Entladung explodierte und die Augen der Schützen blen 12
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten dete. Andere ließen wieder Rauch aus allen Sei ten quellen. Mehrere Ballons schienen zu wachsen und schossen am anderen Ende des Lagers fast senkrecht in die Höhe. Als die Wachen erkannten, was da ablief, feuerte sie wie besessen aus allen Richtungen auf die Ballons. Aber die Entfernung war für genaue Treffer bereits zu groß. Die Strahlen waren bereits zu wenig gebündelt, um ernsthafte Schäden an zurichten. Orient ließ die heißgeschossene Waffe sin ken. »Dort sind sie, Freunde! Sie treiben in gro ßer Höhe nach Osten, denn der Wind hat sich inzwischen gedreht. Osten ist ihr Ziel.« Er blickte auf den Schirm, der jetzt, nach der Zerstörung der meisten kleinen und aller großen Ballons, wieder deutliche Informatio nen lieferte. Drei winzige Punkte befanden sich unterhalb der reliefartigen Schattenbilder der drei Ballons. Das Mondlicht war abermals heller geworden. »Was jetzt? Gleiter oder Jet?« Alncraft schob eine neue Energiezelle in seine Waffe. »Jet? Sie ist schneller, aber wir können nur an wenigen Plätzen der Insel landen. Nehmen wir den Gleiter.« Mondina nickte Orient zu. »Ich verständige die einzelnen Teamchefs. Geht ihr hinunter zu Maschine?« »In Ordnung.« Nach wie vor war es im Lager hell, jedoch unnatürlich ruhig. Niemand hatte sich wie die drei Gangster aus dem Haus gewagt. Undeut lich erkannte Orient, während Mondina die einzelnen Funkkanäle aktivierte und Alncraft sich in den Antigravschacht zwang, die Trümmer der Tür und einiger Steine aus der Ummantelung. Zehn Minuten später, als der Mond wieder zu drei Vierteln sichtbar war, startete der Gleiter. Die Teams der übrigen Wachen würden versuchen, die Ordnung wieder herzustellen. Die schwere Maschine, von Orient gesteuert, raste hinter den Ballons her nach Osten. Irgendwo dort wartete der eingeschaltete Transmitter auf die drei Verbrecher. Wer die
Invasion der merkwürdigen Ballons gestartet hatte, würde vermutlich für immer ungeklärt sein. Ceeman sagte kurz: »Wir müssen sie fassen!« »Das ist inzwischen sogar zur reinen Pres tigefrage für uns geworden«, unterstrich Mondina diesen Satz. »Wir sind im Dschungel mehrmals so gut wie die drei. Jeder von uns wiegt sie alle auf!« schloß Alncraft, lehnte sich zurück und schaltete langsam die Radargeräte und die kleinen Ortungsschirme ein. Der Transmitter konnte zwei, aber auch hundert Kilometer entfernt sein. * Drei Stunden ging das Rennen nach Osten. Zuerst hatten sie zu tun gehabt, um die schnell treibenden Ballons überhaupt zu fin den. Durchsichtige Bälle gegen den nachtdunk len Himmel, in denen drei Menschen kauer ten, die ebenfalls weder große Metallgegens tände besaßen noch sonst irgendwie ein gutes Echo ergaben – das war sehr schwierig gewe sen. Während der halbstündigen Suche ent fernten sich die Ballons immer weiter. Dann, als die Terraner dicht hinter ihnen waren, senkten sich die Kugeln und ver schwanden stellenweise zwischen einzelnen Baumwipfeln und in kleinen Lichtungen. Die Geschwindigkeit ließ nach, aber immer dann, wenn Orient, Mondina und Alncraft glaubten, die Flüchtenden würden in die Sümpfe von Komdorr springen, schossen die drei Ballone wieder davon. Jetzt strebten sie dem letzten Stück des Inselkontinents zu – der niedrig bewachsenen Zone zwischen dem Meer und dem Rand des Dschungels. Sie flogen schnell, niedrig und in einer Kette. Der Gleiter ent deckte sie und raste hinter ihnen her. In der Morgendämmerung, als das Geschrei der Vögel und Säugetiere dort unten selbst die Maschinen des Gleiters mühelos übertönte, hob Alncraft den Arm und deutete nach vorn. »Dort. Der erste Ballon landet. Wenn er wirklich durchsichtig ist, werden wir sehen, ob der Insasse ausgestiegen ist.« Sofort änderte Orient den Kurs der Maschi 13
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten ne und raste in einem flachen Winkel auf die Fläche zu, die sich wie ein Dreieck im Dschungel abzeichnete. Auf dem Grund der Lichtung sahen sie einen breiten, schmutzig braunen Wasserlauf. Der Ballon, der an seiner untersten Stelle etwas spitz zulief, verschwand zwischen Bäumen und hohen Sträuchern und kam eine Sekunde später wieder hoch. Er stieg schnell auf, und der Gleiter umkreiste ihn. »Ich sehe ein dunkles Bündel an der tiefs ten Stelle«, sagte Orient scharf. »Alncraft – einfach in den obersten Punkt der Blase feu ern. Wir wollen sie lebend.« Während der Gleiter in einer engen Kurve auf den Ballon zuschwebte, drifteten die bei den anderen weiter auf den jenseitigen Rand der Lichtung zu. »Feuer!« Mit einem peitschenden Röhren löste sich der Schuß und brannte ein Loch in die hauch dünne Hülle. Sie brannte von oben nach un ten. Das Gas verpuffte in einigen Stichflam men, die sich ausbreiteten. Einige Fetzen tru gen das Bündel in langsamem Fall nach un ten, aber als der Gleiter in einem halsbrecheri schen Manöver sich dem abstürzenden Rest näherte, schrie Mondina enttäuscht auf. »Das sind Zweige und eine Jacke! Er hat uns getäuscht.« Ceeman Orient zog den Gleiter hoch, aber die zwei anderen Blasen hatten bereits den Boden berührt, tauchten ins Wasser ein und begannen zu schrumpfen. Sie wurden vom Wasser mitgerissen. »Auch das noch!« stöhnte Orient auf und lenkte den Gleiter im Schatten der Bäume an die Stelle zurück, an der er die erste Blase hatte kurz aufsetzen gesehen hatte. »Hier ist einer ausgestiegen!« rief er erbit tert. Er war müde, aber jetzt hatte ihn das Jagdfieber gepackt. Die innere Spannung hat te sich bei allen drei Söldnern gelöst. Ihre Sinne arbeiteten mit ungewohnter Schärfe und Leichtigkeit. »Leise und langsam!« warnte Alncraft. Er versenkte die Fenster auf seiner Seite und streckte den Oberkörper in die morgend liche Kühle hinaus. Der Gleiter änderte seine Flugbahn. Er schwebte leise in einen Kreis ein, dessen Radius ungefähr hundert Meter
betrug. Langsam und ohne ein Wort zu sagen, kletterte Bobby Mondina hinaus auf die Lade fläche, federte in den Knien und blieb breit beinig stehen, die Waffe in der rechten Hand. Er hatte den Paralysatorlauf eingeschaltet. Dort drüben sind abgerissene Äste und zer fetzte Blätter. Dort ist der Ballon herunterge kommen. Bobby brummte leise: »Wir müssen die Spur finden. Die Ballons sind flußabwärts getrieben, also ist dort das Ziel.« Sie beendeten die erste Umfahrt der Stelle, als sie im nassen Gras und Gestrüpp auf eine nicht zu übersehende Spur stießen. Augenblicklich wurde der Gleiter herumge rissen und schob sich, schneller werdend, ne ben der Spur in östliche Richtung. Im Augen blick schwebten sie parallel zum Wasser. Der Urwald war vom Lärmen der eben erwachten Tiere erfüllt. Eine gewaltige Geräuschkulisse umgab die drei Männer. Der Gleiter schwebte über zusammengebrochenen, verfaulenden Baumstämmen und über mannshohen Pflan zen aller Arten. Tiere schwangen sich über ihnen durch die Zweige. Insekten und Vögel flatterten aufgeregt in Spiralen und dicken kleinen Wolken um den Gleiter. »Bleib auf der Spur, Cee!« sagte Mondina von der Ladefläche aus. Er stand da und späh te nach vorn. Das Brummen der Gleiterma schinen verschmolz mit dem Lärm ringsum. »Hier ist er gerannt! Vielleicht steht der Transmitter auf einer der vielen Flußinseln!« murmelte Alncraft. »Vielleicht.« Mit der Geschwindigkeit eines rennenden Menschen schob sich die weiße, tropfenför mige Maschine vorwärts. Dann tauchte sie am Ende der Lichtung in den tiefen Schatten und in die kalte, feuchte Luft zwischen den Bäu men ein. Der Gleiter driftete hinaus über die Wasserfläche und wurde schneller. Alncraft hing halb aus dem rechten Fenster. Als er die Bewegung sah, feuerte er sofort. Sein Strahler fauchte, und dicht vor dem schwankenden Busch breitete sich die Glut der Explosion aus. Von der Ladefläche aus schoß Mondina. Er hatte die dahinrennende und stolpernde Ges talt erkannt. Es war Russel Zunt, der ent 14
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten sprungene Terraner. »Hinüber, Cee!« Der Gleiter bewegte sich seitwärts auf das rechte Ufer des Flusses zu. Zwischen Lianen bündeln und herunterhängendem Pflanzenge wirr tauchte immer wieder kurz die geduckte Gestalt des Verbrechers auf. Wieder feuerte Mondina. Ceeman steuerte die Maschine dicht neben dem unkenntlichen Urwaldpfad am Ufer ent lang. Die Schüsse wurden von den Pflanzen abgelenkt und trafen nicht oder nur knapp neben den Verbrecher. Auch Alncraft hatte jetzt auf den Paralysatorlauf der Waffe umge schaltet und zielte lange, ehe sich ein Schuß löste. Schließlich, nach etwa dreißig Sekun den, sagte Orient kurz: »Übernimm das Steuer, Aln!« »Ich verstehe.« Während der Gleiter in einem flachen Bo gen in die Mitte des Flusses hinaussteuerte und sekundenlang aus der Steuerung lief, wand und schlängelte sich Alncraft hinter die Hebel und Schalter. Ceeman schnappte seine Waffe und kletterte nach hinten zu Mondina. »Halt dich fest!« sagte er. Wieder raste der Gleiter auf das Ufer zu. Er schrammte mit dem Kiel über die harten Pflanzen und riß eine breite Gasse. Als er sich über dem Pfad befand, sprangen Mondina und Orient ab, landeten im Morast des Pfades und rannten weiter. Aufbrummend schob sich die Maschine rückwärts und nahm dann, als die beiden Männer den Pfad entlang spurteten, wieder den alten Kurs ein, parallel zum Ufer. Vor sich hörte Ceeman nach rund fünfzig Metern schnellsten Rennens die Fußtritte und die keuchenden Atemzüge des Flüchtigen. Er sah ihn hinter einer der unzähligen Bie gungen verschwinden und erhöhte sein Tem po. Seine Sohlen blieben im schwarzen, leh migen Boden stecken. Ceeman achtete nicht auf die Insekten und die Tiere, die neben ihm schrien und sich versteckten, sondern rannte mit erhobener Waffe weiter. Jetzt kam ein annähernd gerades Stück des Pfades. Als er dreißig Schritte vor sich wieder die schlamm bespritzte kleine Gestalt sah, feuerte er, ohne in seinem rasenden Lauf innezuhalten. Er zielte auf die Beine des Flüchtigen. Der Paralysator fauchte auf. Zweimal,
dreimal, dann gerieten die Füße vor ihm aus dem Takt. Zunt riß die Arme in dem vergeblichen Versuch, das Gleichgewicht nicht zu verlie ren, in die Höhe. Dann schlug er, sich halb drehend, lang in den Schmutz des Tierpfades. Drei Sekunden später stand Ceeman breitbei nig neben ihm und richtete die schwere Waffe auf das Gesicht des Mannes. Die Augen des Verbrechers sahen Ceeman mit ungebroche nem Haß an. »Ende des Fluchtversuchs, Zunt!« sagte Ceeman keuchend und registrierte zwei Din ge. Hinter ihm kam Mondina angerannt, und der Gleiter schob sich vom Fluß aus durch das Unterholz und zerfetzte Lianen, als er auf den Pfad zuschwebte. »Mondina! Die Fesseln!« Sie fesselten Zunt, der noch immer nicht sprechen konnte. Sie schleppten ihn drei Me ter weit und legten ihn auf die Ladefläche des Gleiters. Mondina und Ceeman schwangen sich in den Gleiter. Ceeman Orient sagte nur: »Weiter. So schnell wie möglich, Aln!« »Okay!« Der Gleiter schob sich zurück auf den Fluß, beschleunigte voll und raste zwei Meter über der braunen Wasserfläche in der Richtung des fließenden Wassers weiter. Sie hielten Aus schau nach zwei kleinen Ballons, die auf dem Fluß dahintrieben, dem Transmitter zu. Von Zunt würden sie nichts erfahren, das war si cher – es gab Dinge, die wußten sie, ohne sie ausgesprochen zu haben. Der Gleiter wurde schneller und fegte, das Wasser hinter sich kräuselnd, flußabwärts. In den leichten Kur ven wurden die Männer tief in die Sessel gepreßt. Zunt rutschte über die Ladefläche und schwieg. In seinem Gesichtsausdruck lagen Erschöpfung, Wut und Haß. Einige Minuten vergingen. Die beiden Männer zündeten sich Zigaretten an und wischten Schweiß und Morastspritzer aus den Gesichtern. Noch immer herrschte hier das fast mythologische Dunkel in dem Tunnel zwischen den dichtstehenden und tiefhängen den Bäumen. Der Gleiter schwang sich über einen Baumstamm, der quer über zwei Drit teln des Flusses lag, ging wieder tiefer und schoß weiter geradeaus und die Windungen 15
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten entlang. Dann, mit eindrucksvoller Plötzlich keit, änderte sich die Umgebung. Die Flußufer traten weiter auseinander. Es wurde heller, der Gestank des faulenden Bo densatzes der Ufer ließ schlagartig nach. Der Fluß wurde vorübergehend flacher und brei ter. Das Wasser begann zu schäumen und zu quirlen, als es über die Steine und die vorge schobenen Felsrücken floß. Wirbel bildeten sich. Ein sausendes, rauschendes Toben be gann den Raum zwischen den Ufern zu erfül len. Weit voraus, in dreitausend Metern etwa, tauchte eine flache Insel auf, die aus Stein, Sand, Schwemmgut und wuchernden Wasser pflanzen bestand. »Die Ballons!« Ceeman schrie es fast. Alncraft trat den Ge schwindigkeitsregler bis zum Anschlag durch, als er die kleinen, zusammengeschrumpften Kugeln sah, die am Anfang der Insel auf den Wellen schaukelten und ständig kleiner zu werden schienen. Die Maschine raste direkt auf die beiden Gespinstkugeln zu und wurde brutal abgebremst. Mit einem Blick vergewisserten sie sich, daß die Kugeln leer waren. Auch hier führte eine unübersehbare Spur geradeaus, auf den weiter abwärts gelegenen Teil der Insel zu. »Weiter! Es geht um Sekunden!« stöhnte Mondina auf und entsicherte seine Waffe. Wieder kletterten Bobby und Ceeman auf die Ladefläche, hielten sich am Dach der Kabine fest und waren bereit, jede Sekunde abzu springen. Die Spur wand sich zwischen Fel sen, kleinen Brackwassertümpeln und massi gen Bäumen hindurch. Der Gleiter flog höher, Alncraft überblickte das Gelände und konnte deshalb geradeaus fliegen. Die Pflanzen wur den niedriger, mehr und mehr Sand wurde sichtbar. Und Felsen, die jetzt enger neben einander standen. Die Spur führte zwischen den Felsen hindurch. Der Gleiter wurde a bermals schneller und überflog dann ein La byrinth aus fingerähnlichen Steinen. »Irgendwo hier muß der Transmitter ste hen! Verdammt! Es wird knapp!« murmelte Ceeman, der an das Schlimmste dachte. Viel leicht erreichten die beiden Verbrecher den Fluchtpunkt nur um Sekunden vor ihnen. Und dann sahen sie den Transmitter. Es war ein kleines, transportables Gerät,
das auf einer großen, annähernd runden Flä che aus stoffähnlicher Substanz stand. Die beiden schenkelähnlichen Säulen spannten sich bis zum Schnittpunkt. Alncraft tat das einzig Vernünftige; er drückte die Maschine abwärts, kreiste einmal um einen Felsen und hielt dann den Gleiter in der Nähe des Trans mitters an. Wir waren also doch etwas schneller als die beiden Verbrecher, dachte Ceeman und schwang sich hinunter in den Sand. Dann sag te er drängend: »Mondina! Du gehst in die Richtung der Spur. Ich warte hier. Aln – du fliegst zurück und machst einen Rückweg unmöglich. Schnell!« Bobby sprang neben ihm von der Ladeflä che. Augenblicklich stieg der Gleiter hoch und verschwand über den Felsen. Ceeman zog sich zwischen die Steine zurück und stand in einem toten Winkel, keine zwölf Meter von der Maschine entfernt, von der die Rettung der Verbrecher abhing. Mondina huschte, die Waffe in der Hand, zurück nach Westen und verschwand zwischen den schrägen und ge äderten Sandsteinwänden. Ceeman wartete und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Keine dreißig Sekun den später hörte er die Sirene und den lauten Summer des Gleiters. Zwischen den Felswän den wurde ein hallendes Echo hörbar. Seine Unruhe erreichte einen Grad, der ihn fast krank machte. Ein Gefühl der ohnmächtigen Schwäche breitete sich von der Magengegend aus. Schüsse krachten und fauchten. Er sah nichts, absolut nichts. Die Sirene des schwe ren Gleiters heulte und kreischte. Sämtliche Nerven Ceemans waren zum Zerreißen ge spannt. Er kontrollierte mit einem schnellen Blick die Waffe, um sich abzulenken. Dann hörte er ein neues Geräusch. Fußtritte. Sie waren hastig und stolpernd, unregelmäßig. Ceeman zielte auf den Ausschnitt, aus dem er den Flüchtigen erwartete. Aber dann rannte Rotta N'honk, der Neu-Arkonide, aus einem anderen Zwischenraum heraus und auf den leuchtenden Kleintransmitter zu. Ceeman ging kein Risiko ein. Er feuerte ei ne Maximalladung genau in die Brust des Neu-Arkoniden. Nach drei Metern strauchelte 16
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten der Verbrecher, schrie gepreßt auf und über schlug sich im Sand. Ceeman Orient trat aus der Felsspalte her aus und wartete unruhig. Gleichzeitig mit Mondina, der schräg hinter ihm aus einem der vielen Ausgänge des Felsenlabyrinths heraus rannte, kam Kim Zahok aus einem anderen Zwischenraum. Der Mann hielt in jeder Hand einen Stein und reagierte blitzschnell. Der Akone schleuderte den scharfzackigen Fels brocken auf Ceeman, aber Mondina schoß ihm in den Arm. Es war ein hastiger, schlecht gezielter Schuß. Ceeman ließ sich fallen, roll te sich ab und schoß noch während der Bewe gung. Er traf Zahok in die Brust. Zwei Meter vor dem Transmitter brach Zahok zusammen. Der Stein löste sich aus seiner wirbelnden Hand und flog in einem flachen Bogen durch den Transmitter und verschwand. Mühsam kam Ceeman auf die Beine. »Vorbei«, sagte er. »Jetzt kann der Chef sich um den Rest kümmern. Wir haben unsere Prämien verdient.« Der Gleiter landete. Die Männer sahen sich schweigend an und fesselten die Verbrecher, legten sie auf die Ladefläche. Ceeman sagte müde zu Mondina: »Ruf die Station an und sage ihnen, sie sol len ein Bad für mich einlassen.« Sie setzten sich in den Gleiter, aßen etwas von den Notvorräten, gaben einen ersten Kommentar für die Station ab und verluden dann den ausgeschalteten Transmitter. Im Augenblick interessierte sie nicht einmal die Spekulation über die einzigartige Möglich keit, einen Transmitter auf diesem bewachten Planeten abzusetzen. Sie flogen auf direktem Weg zurück zum Lager. Dort erwartete sie eine Überraschung. Ein Raumschiff war gelandet. Aber es war keines der Neu-Arkoniden.
vom Raumschiff, das am frühen Morgen ge landet war. »Ebenso«, sagte Ceeman und streifte die Asche seiner Zigarette ab. »Sie sind Terraner. Aber in den Diensten der Neu-Arkoniden? Ein Söldner wie ich?« »Nein!« Ceeman blickte ihn genauer an. Groß, schlank, mit wettergegerbter Haut und grauen Augen. Er trug keine Uniform, aber eine Waf fe im Schulterhalfter. Der Besucher drehte sich halb um und sah schweigend zu, wie sich zwei weitere Männer in den Raum schoben. »Gehen Sie zum Teufel!« sagte Ceeman ärgerlich. »Ich will ausspannen.« Der erste Sprecher sah ihn mit kühlem, dis tanziertem Blick an und erklärte: »Sie sind ein wilder Bursche mit Ihrem komischen Pseudokopfschmuck. Sie sind ein hochqualifizierter Söldner ohne Disziplin. Sie verdienen sehr gut und sind bis zu einem be stimmten Punkt Ihr eigener Herr.« Ceeman betäubte seine aufkommende Un sicherheit mit einem Schluck, der genügt hät te, eine Ratte zu konservieren. »Das wußte ich schon, bevor ihr hier ein gedrungen seid. Woher kommt ihr eigent lich?« »Von der United Stars Organisation. Sagt Ihnen das etwas?« Ceeman zuckte zusammen. »Allerdings!« Er pfiff durch die Zähne. »Was wollen Sie von mir?« »Wir bieten Ihnen bessere Bedingungen, als Sie hier haben. Unabhängigkeit, jede Menge Abenteuer, Schulung und sogar Al tersversorgung. Machen Sie mit?« »Sie scherzen!« murmelte Ceeman. »Sie wollen mich ärgern. Wie sind Sie eigentlich durch die Sperrforts gekommen?« »Auf demselben Weg, wie diese Kugeln kamen und der Transmitter. Wie gesagt, wir können immer ein bißchen mehr. Haben Sie nicht Lust, sich uns anzuschließen? Wir pla nen ein ganz neues Experiment. Sie befänden sich dann in bester Gesellschaft!« »Mondina und Alncraft auch?« »Nein. Nur Sie.« Ceeman musterte die drei Männer und schwieg. Dann sagte er leise und nachdenk lich:
* Die drei Besucher kamen, als sich Ceeman Orient genau in der schmalen Zone zwischen Erleichterung und Erschöpfung befand. Er saß in seinem Wohnraum, ein riesiges Glas besten Alkohols in der Hand. Der Raum wurde von lauter, terranischer Musik überflutet. »Guten Abend!« sagte der Mann. Er war 17
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten »Lassen Sie mir Zeit bis morgen früh. Ich muß überlegen. Kommen Sie aber erst nach dem Frühstück wieder.« »Geht in Ordnung, Partner!« sagte der Sprecher. Die Männer verließen den Raum. Am nächsten Morgen flog Ceeman Orient mit ihnen, nachdem er seine Kündigung einge reicht hatte.
täuschte jedoch gründlich. »Ich habe nicht mehr gehofft, daß die In stinkt-Spezialisten jemals eingesetzt werden. Vor sechs Jahren haben wir alles aufgebaut. Und jetzt ist der beste Mann des Teams aus gefallen, noch bevor es begonnen hat!« mur melte er. »Haben Sie eine Erklärung dafür, Sir?« »Keine Erklärung. Ich spiele noch mit dem Gedanken, ein Schiff der USO nach dem Kristallplaneten Komouir zu schicken. Aber andererseits steht dabei unsere Planung auf dem Spiel. Aber ich kann unseren ›Zündim puls‹ noch einmal verstärkt ausstrahlen las sen.« »Das wäre gut!« pflichtete Garobier bei. Er hatte die Frauen und Männer noch sehr gut in Erinnerung. So gut, als habe er den Versuch erst vor einigen Wochen beendet. Es war eine wilde Bande undisziplinierter Mäd chen und Burschen gewesen, voller Fähigkei ten, die nicht entdeckt und noch weniger aus gebaut waren. Mühsam genug hatte man sie auf den langen Weg zum IS gebracht. Aber sie hatten sich nicht geändert; noch immer blieben sie die Abenteuernaturen, die alles andere als ruhige Beamtentypen werden konnten. Ceeman Orient war einer von ihnen gewesen. Ein Mann von ungewöhnlichen Ta lenten, voller Überraschungen und wie kaum ein anderer für diese ebenso ungewöhnliche Ausbildung geeignet. Sellbegg Garobier zuck te die Schultern und murmelte: »Wie ernst ist es mit dem Run auf Ko mouir?« »Ziemlich ernst!« sagte Atlan. »Wie gesagt – ich warte noch ein wenig. Dann werde ich auch ohne IS Froom Wirtz handeln.« Die Vision eines Rausches, der sämtliche Glücksjäger und deren unerwünschten An hang innerhalb eines winzigen Gebietes kon zentrieren würde, kam über den Arkoniden. Er wußte, daß er es nicht mehr verhindern konnte. Der kleine, autarke Planet würde ü berflutet werden. Schon jetzt war die Situati on mehr als gefährlich. Jede Stunde landeten dort im Tiffak-System weitere Schiffe und spien Mannschaften aus, die augenblicklich nach Kristallen zu suchen begannen – und sie auch fanden. Wenn dieser Run vorbei war, dann war auch der Planet hoffnungslos ver
3. »Das war vor sechs Jahren«, erklärte Garo bier. »Wir hatten schöne Erfolge. Aber ich habe mich zu wiederholten Malen gefragt, was aus den Instinkt-Spezialisten geworden ist!« Atlan hob den Kopf und blickte Sellbegg an, der ihm in dem schweren Sessel gegenü bersaß und die Kiefer mahlend bewegte. Der aromatische Geruch der Betelnuß drang in Atlans Nase. »Vielleicht kommen wir diesem merkwür digen Vorfall auf die Spur. Sie sagen, Sir, Froom Wirtz wäre weder zu erreichen, noch habe er sich selbst gemeldet.« »So ist es!« bestätigte Atlan unruhig. Es war einige Tage nach dem ersten Ge spräch mit Sellbegg Garobier. Atlan und der Genetiker waren am Schicksal von IS Froom Wirtz aus mehreren Gründen sehr interessiert. Nicht nur deswegen, weil Wirtz im DeylightSystem noch immer schwieg, sondern auch deswegen, weil er der nächste Spezialist war, der sich um die Vorkommnisse auf Komouir kümmern konnte. »Es gibt verschiedene Möglichkeiten!« schlug Garobier vor. »Die gibt es immer, Sellbegg. Aber schließ lich wäre dies der beste Augenblick, unsere Geheimentwicklung an Ort und Stelle gründ lich zu testen. Wir haben überall sofort verbreiten lassen, Perry Rhodan würde das Tiffak-System besuchen!« »Tatsächlich? Und das hat nicht gewirkt?« »Nein!« sagte Atlan. »Das klingt nicht gut. Genauer: es sieht so aus, als ob unser schönes Experiment mit den Instinkt-Spezialisten fehlgeschlagen sei!« murmelte Garobier. Sein blondes Haar war zerrauft. Er wirkte schwerfällig und schläfrig, wie er da vor Atlan saß. Dieser Eindruck 18
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten wüstet und alle seine Bewohner korrumpiert. Und, verdammt, warum griff Wirtz nicht ein, der nur eine Handvoll Lichtjahre vom Ort des Geschehens entfernt war und dem man inzwi schen zweimal sein IS-Stichwort laut und deutlich gegeben hatte? Wenn sich Terra mit Gewalt in dieses Ge schehen auf Komouir einschaltet, dann konnte dies sogar Krieg bedeuten. Atlan stand auf und sagte entschlossen: »Ich warte noch drei Tage, bis zur Mitte des Monats. Dann handle ich persönlich.« Du wirst diese Frist vermutlich noch ver ändern müssen. Vielleicht auch verlängern! murmelte die Stimme seines Extrasinns. »Ich erwarte noch heute bestimmte neue In formationen aus dem Tiffak-System«, sagte Atlan. »Bis dahin können wir uns die Spei cherdaten unserer IS noch einmal ansehen.« »Es waren sechs Männer und drei Frauen«, sagte Sellbegg Garobier träumerisch, »die wir schließlich aussondern konnten. Damals, vor sechs Jahren ... eine sehr interessante Zeit, Lordadmiral.« »Ich weiß«, antwortete Atlan. »Aber sechs Jahre sind eine lange Zeit.« Auch er erinnerte sich sehr genau. Deswe gen war seine Enttäuschung, daß Wirtz nicht handelte, auch so nachhaltig.
wane warfen fast keine Schatten – die Sonne strahlte nahezu senkrecht vom fahlblauen Himmel Ig'Tovonchs. Es war eine leere und abstoßende Welt. Einer ihrer Vorzüge war der Squopper. »He, Jäger!« schrie Ed Diumant von hinten. Als der Ton der rauhen, schnarrenden Stimme Natzmann traf, war es, als würfe ihm jemand ein Stilett zwischen die Schulterblätter. Lang sam drehte er sich im Sattel um und musterte den Mann mit dem runden Gesicht. Ohne Reittier wäre Diumant binnen einer Stunde hier auf Ig'Tovonch hoffnungslos verloren gewesen. »Ja, Mister Ed?« Natzmann zwang sich zur Höflichkeit. Es gab zwar nur zwei weitere Squopper-Jäger auf diesem Planeten, aber dieser reiche Pöbel, den er spazierenführte, verbreitete seine eigene Tüchtigkeit nur per Mundreklame. Haben Sie sie schon gehört, Teuerste, dieser fabelhafte weiße Jäger auf Ig'Tovonch? Der Junge versteht sein Ge schäft. Er führt uns immer an die richtigen Stellen! »Wie lange müssen wir noch auf diesen stinkenden Böcken reiten, bis wir eines der Ungeheuer vor die Flinte bekommen?« Fahr zur Hölle, du Angeber! dachte Natz mann, aber er antwortete nach unmerklichem Zögern: »Wie ich es Ihnen allen schon erklärt habe, Mister Ed, sind die Squopper sehr selten und dazu auch noch sehr scheu. Wir reiten im Zickzack zwischen den Punkten hindurch, an denen sie am häufigsten anzutreffen sind. Schließlich dürfen wir alle kein Risiko einge hen.« »Verstehe!« krächzte die Stimme. Sie war ebenso wenig sympathisch wie der Besitzer dieses Organs. Natzmann ließ seine Schultern wieder nach vorn sinken und paßte sich den Bewegungen des dahingleitenden, geschmeidigen Tierkör pers an. Es waren zwölf Safarigäste, zwei junge Burschen und er. Fünfzehn Personen, die von Frontier aufgebrochen waren. Jeder Tag wur de von diesen Großwildtouristen bezahlt, und der junge Jäger hatte nicht die entfernteste Absicht, den Trip zu beschleunigen. Jeder Tag brachte ihm von zwölf Gästen Einnah
4. Am heutigen Morgen war die Karawane den elften Tag vom Stützpunkt TovonchFrontier entfernt. Hier auf dem öden Planeten zählten die Tage, nicht die zurückgelegten Kilometer. Isidor Natzmann richtete sich in den Steig bügeln auf und spähte unter der Krempe sei nes einstmals weißen Hutes hervor. Langsam drehte er den Kopf. »Nichts!« flüsterte er mit rissigen Lippen. Der Ponter unter ihm ging in einem gleichmäßigen Trab. Er konnte fast einen ganzen Tag von sechsundzwanzig Stunden ununterbrochen in diesem Tempo laufen. Hin ter Natzmann hingen die schweren Wassersä cke und das wenige Gepäck, das er persönlich brauchte. Der Lauf der Waffe über seiner Schulter strahlte eine ungeheure Hitze aus. Die Tiere und die Teilnehmer der Jagdkara 19
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten men. Diesmal hatte er eine besondere Auswahl erwischt. Jedesmal, wenn zwölf Interessenten zu sammengekommen waren, schickte das Rei sebüro eine solche Sammlung per Raumschiff hierher. Die Verträge waren wahre Meister werke und schlossen für Isidor Natzmann jede Haftung aus, aber noch keine Jagd war ver gangen ohne ernsthafte Verletzungen der hilf losen Touristen. Seit zwei Jahren machte Natzmann nun diese Anstrengungen, und bald würde er es geschafft haben. Schließlich war er der beste Jäger innerhalb einer Kugel von mehreren Lichtjahren Durchmesser. Sie ritten weiter. Jeder Tourist führte ein Reservetier an sei nem Sattel, voll beladen mit Wasser und Aus rüstung. Die beiden Helfer hatten jeweils drei Tiere, nur Natzmann ritt ohne hinderlichen Troß. Abe kam entlang des Zuges nach vorn ge prescht und hielt sich neben Natzmann in ei ner hochgewirbelten Wolke feinen Staubes an seiner Seite. »Boß!« Isidor blickte in das schweißnasse, dicht mit einer Staubschicht bedeckte Gesicht des Helfers. »Was gibt es, Abe?« »Kommen wir heute noch nach Point Tran quillitatis?« »Ja. Noch vier, fünf Stunden. Durch die Schlucht. Ich habe nicht vor, auf eine Squopper zu stoßen.« Abe grinste. »Verstehe. Die Touristen«, flüsterte er und zwinkerte wie ein Berufsverschwörer, »sie haben schon wunde Hintern. Die Damen seh nen sich nach einer Dusche.« Isidor nickte. »Ich bin von der Jet verständigt worden. Das Lager ist bereit. Sie waren dort und haben jede Menge Spuren gesehen.« »Dann gibt es sicher eine lustige Nacht!« versprach der Helfer und hielt seine Tiere an. Langsam zog die Karawane an ihm vorbei. Es waren sechs nicht mehr ganz junge Frauen, von denen bestenfalls eine die Be zeichnung »Dame« verdiente. Die anderen waren zu reiche, zu gelangweilte und zu
schlecht erzogene Terraner, die ernsthaft glaubten, sie wären die einzigen wichtigen Menschen im Kosmos und hätten nicht nur diese Reise, den Jagdausflug, sondern auch das Leben der drei Helfer gekauft und bezahlt. Sie tyrannisierten drei oder vier Tage lang alle bis zur Weißglut, aber dann hatten die Sonne und der Sand, die Anstrengungen und die ge schmeidige, honigsüße Höflichkeit Natz manns sie kuriert. Fertiggemacht wäre der bessere Ausdruck, überlegte Abe. Natzmann war der falscheste Hund, der zwischen den Polen herumritt. Aber er brauchte zwei durch zechte Nächte, wenn die Safari vorbei war. Dann endlich war er wieder der alte. Natzmann hob jetzt die Hand, winkte sei nen Gästen und ritt an die Spitze des Zuges. Die Karawane näherte sich dem Tal, das zu nächst weit offen stand, schließlich zu einem engen Canyon wurde und schließlich in die große, windgeschützte Oase Point Tranquilli tatis mündete. Dort war das Ziel des heutigen Tages. Als er an Yngryt DeVrias vorbeiritt, griff sie in den Zügel des Ponters und rief: »He, Isidor! Sie wirken so aufgeregt! Hat das Jagdfieber Sie gepackt?« Natzmann schüttelte den Kopf und grinste sie an. »Nein, keineswegs; Madam«, sagte er und spuckte Sand seitlich aus dem Sattel. »Wie Sie wissen sollten, lassen sich die Squopper nur in der Nacht sehen. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Wie die Vampire!« »Ich lechze nach einer Dusche und nach ei nem eisgekühlten Drink!« beschwor sie ihn. »Und diese Sättel! Einfach schrecklich!« »Das einfache Leben eines tapferen Jägers erfordert eine gewisse Zurückhaltung und bringt mannigfache Widrigkeiten mit sich, Yngryt!« sagte er scheinheilig, aber mit einer Stimme und einem Gesichtsausdruck, die höf lich und entgegenkommend waren. »Trotzdem! Wann werden wir endlich ei nen Squopper sehen?« Die schwere Mannlicher mit dem geschütz ten Zielfernrohr, die mit der Mündung nach unten in der Satteltasche steckte, wippte ne ben den Knien der Reiterin. »Wenn Sie ihn sehen, Madam, ist es schon zu spät. Dann ist er schon auf Schleuderent 20
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten fernung heran.« Sie kicherte und spuckte ebenfalls völlig undamenhaft Sandstaub aus. »Sie sind ein Schelm, Isidor.« Er gab ungerührt zurück: »Aber ein guter Jäger mit exzellenten Jagd gästen!« Ohne auf eine Antwort zu warten, ritt er weiter. Oh, wie er diese reichen, idiotischen Pseu dojäger haßte! Er hatte den Hals voll von ih nen. Sie widerten ihn an, aber trotzdem nahm er ihr Geld. Isidor Natzmann war siebenund zwanzig Jahre alt, aber er wirkte wie ein er fahrener Fünfunddreißiger. Er maß einen Zen timeter mehr als hundertachtzig und war bei seinem gewaltigen roten Haarschopf mit einer hellbraunen Haut und strahlenden blauen Au gen ausgestattet. Zusammen mit den weißen Zähnen ergab dies einen Eindruck, der die jüngeren unter den weiblichen Gästen zur Raserei und Verzweiflung brachte. Raserei deswegen, weil die betreffenden Damen in jeder anderen Frau eine Rivalin sahen, Ver zweiflung aus einem anderen Grund: Er war zu keinem seiner Gäste höflicher oder entge genkommender als zu einem anderen. Er ver teilte seine Körbe gleichmäßig. Und jetzt ritt er an der Spitze der Karawa ne, die sich durch die Hitze, den Staub und den Sand bewegte. Wofür Leute freiwillig eine gewaltige Summe Geld ausgaben, war für Natzmann ein Rätsel. Gut, er selbst war ein Jäger, der Schnellig keit mit Instinkt und beste Kenntnisse mit dem Bestreben verband, mit einer Art, mög lichst schnell möglichst viel Geld zu verdie nen. Und er verdiente! Er kassierte ebenso von dem Vermieter der Reittiere wie vom Verkäufer der Nahrungsmittel, vom Verleiher der Zelte und der Ausrüstung wie vom Reise büro, und überdies bekam er noch feste Trinkgelder. Er mußte also in dieser Hitze auf Squopper jagd ... »Na schön«, murmelte er und klopfte dem Tier auf den langen, gekrümmten Hals. »Bringen wir es hinter uns. Hoffentlich ster ben nicht allzu viele. Das schlägt auf die Lau ne.« Und auf die Prämien, dachte er, aber er
wagte es nicht einmal auszusprechen. Sie rit ten weiter. Er war jetzt so weit vor der Kara wane und gab vor, Spuren zu sichern, daß ihn niemand mehr erreichen konnte, falls er rief. * Vier Stunden später ließen die Gäste die engen Felswände hinter sich, die jedes flüs ternde Geräusch in einen Orkan aus Echos gemacht und eine unbarmherzige Hitze aus gestrahlt hatte. Der grüne Kreis der Oase lag vor ihnen. Hundertfünfzig Bäume, zwei Brunnen, Ra sen und Sträucher. Und zwanzig kleine Wür fel aus Plastik und Verbundbaumaterial, die an die natürliche Wasser-Durchlaufkühlung angeschlossen waren. Den Terranern und den Tieren schlug ein aromatischer Duft entgegen, der nach Blüten und Wasser roch. Die Tiere wurden schneller und hasteten auf die Wasserstelle zu, einen Trog, der au ßerhalb der Pflanzen stand und aus roh be hauenen Steinen bestand. Natzmann ritt bis vor die Rinne und schrie laut: »Haltet die Tiere zurück. Sie trinken sich sonst krank! Vorsicht! Zuerst absatteln!« Neben ihm bremsten die beiden Helfer und griffen sofort ein. Natzmann schwang sich schnell und geschmeidig aus dem Sattel. Die zwölf Gäste kletterten ächzend und mit steifen Knochen aus den Sätteln. Die jüngste Teilnehmerin war vierunddreißig, der älteste fast siebzig Jahre alt. Er war noch der netteste und verständnisvollste Jagdgast. Aber auch er hatte diese Jagd unter besonderen Umständen angetreten. Er wünschte seine Jugend zu verlängern. Die Sattelgurte wurden gelöst. Die Touris ten schufteten wie die Wilden, nur um schnel ler in die gekühlten Kuben hineinzukommen und aller ihrer Verpflichtungen ledig zu sein. Wieder grinste Natzmann und versorgte sein Tier. Er schleppte Sattel und Ausrüstung in die Hütte mit der Nummer eins und führte dann den Ponter zum Trog. Eine Stunde später hörten sie nichts mehr als gleichmäßiges Duschen der Teilnehmer. Isidor Natzmann saß am Rand des Troges, sah den trinkenden und weidenden Tieren zu und rauchte in guter Ruhe eine lange gelbe Zigar 21
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten re. Einheimischer Tabak. Er roch wie ein brennender toter Vogel, aber er schmeckte nicht schlecht – und vertrieb die Insekten.
aus. Sein Kontrakt sah vor, der Gesellschaft mindestens zwei Squopper vor die Büchsen läufe zu treiben. Vielleicht erfüllte er heute die erste Hälfte. Einen Augenblick lang, wie schon sehr häufig in den letzten Monaten, überlegte sich Isidor, ob es nicht doch besser gewesen wäre, sein Hyperphysikstudium zu beenden, aber dann dachte er an sein Guthaben bei der klei nen planetaren Bankniederlassung und grinste kalt. Noch ein Jahr, Isidor! dachte er, während er in den kühlen Würfel kletterte und sich auszog, dann hast du soviel Geld, wie du brauchst. Er reinigte sorgfältig Kleidung, Ausrüstung und Stiefel, dann duschte er heiß und kalt. Das Sonnenlicht und die Hitze erwärmten den Tank im Dach; dadurch gab es warmes Was ser in genügend großer Menge. Isidor zog sich neue Wäsche an, stieg in einen Teil sei ner Jagdkleidung und sicherte die schwere Waffe, bevor er den Wohnwürfel verließ. Ein Schluck aus der flachen Taschenflasche, und er fühlte sich wieder hervorragend. Das erste Drittel der Jagdreise war vorbei. Abe und Manfred erschienen und blieben vor ihm stehen. »Machen wir jetzt das Essen für unsere lie ben Gäste?« »Genau das. Bei Einbruch der Dunkelheit geht eine Gruppe mit mir los.« »In Ordnung, Boß!« Sie packten die Nahrungsmittel aus, klapp ten einen der Würfel, die im Halbkreis im Schatten der palmenähnlichen Gewächse standen, auseinander und begannen mit der Vorbereitung des Essens. Zwei der jüngeren weiblichen Teilnehmer kamen und halfen ihnen. »Sie könnten die Tische decken, Maryon!« bat Isidor. »Abe wird Ihnen helfen, die Platten und die Sessel herauszutragen.« »Mache ich gern für Sie, Natzmann!« ki cherte sie. Maryon war ziemlich hübsch und unerträg lich langweilig. Es war möglich, daß sie sich auf dem gesellschaftlichen Parkett in Terrania hervorragend bewegte, aber hier in der rauhen Natur war sie eine Zumutung. Aber sie ritt
* Die Reittiere weideten rund um die Oase und zwischen den Bäumen. Sie waren satt, getränkt und von den beiden Helfern und ei nigen männlichen Gästen abgerieben worden. Sauber aufgereiht lagen die Sättel vor den kleinen Hauswürfeln, die auf stählernen Stel zen standen. Ig'Tovonch war einer von drei Planeten ei ner rötlichen Sonne. Er besaß Meere und eine für Menschen geeignete Atmosphäre, aber die meisten Landstriche waren große Wüsten aus Gebirgen, Steinen und Sand. Hauptsächlich aus Sand. Es gab kaum Bodenschätze, aber die kleine Siedlung, die einzige auf diesem Kontinent übrigens, existierte ganz gut. Es gab ein Hundert-Zimmer-Hotel, einen Badestrand und einen der letzten Wälder des Planeten. Von diesem Hotel aus starteten die Jagdgesellschaften, um den Squopper zu ja gen. Es war ein seltsames Tier, eine Art Kreu zung zwischen sauriergroßer Echse und Wüs tentier; geheimnisvoll, weil seine Lebensge wohnheiten kaum bekannt waren. Und sehr gefährlich, denn er war schnell, tötete mit Prankenschlägen, seinem furchtbaren Rachen oder mit seiner Schleuder, einem Organ, das wie die Zunge eines Chamäleons arbeitete. Das ausgewachsene Tier wog fünf Tonnen und ernährte sich von Grünzeug ebenso wie von Gazellen, in deren Rudel es einbrach. Fast so schnell wie ein Ponter, aber nicht so wendig. Die Drüsen am Hinterkopf und in den Gelenken enthielten Hormone, die angeb lich stark lebensverlängernd wirkten. Sämtli che Jäger, die auf den Squopper Jagd mach ten, sagten aus, daß sie es wegen der Faszina tion der Jagd täten und nicht wegen dieser vorgeblich lebensverlängernden Hormone. Sie logen. Isidor Natzmann stand auf. Er schlenderte hinüber zu seinem Wohnwürfel und sah nach dem Sand und dem Stand der Sonne. Es wür de heute nacht keinen Sturm geben, und bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten sie noch rund vier Stunden Zeit. Es sah alles ganz gut 22
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten hervorragend. Die Gebäude in dieser Oase und an einer Anzahl anderer Plätze in den verschiedenen Wüsteneien waren angelegt worden, um den damaligen Suchtrupps das Leben zu erleich tern und sie in die Lage zu versetzen, längere Zeit unabhängig vom Stützpunkt zu operie ren. Sie hatten Bodenschätze gesucht oder etwas, das zu bergen sich lohnte, um diesen Planeten interessanter und wertvoller zu ma chen. Aber ihre Suche war nur selten erfolg reich gewesen. Ig'Tovonch war und blieb un terentwickelt. Abe zog eine Anzahl Platten aus einem ge sicherten Fach, klappte die Beine aus und stellte die Tische in U-Form auf. Fünfzehn Plätze; die Klappstühle befanden sich eben falls in einem leeren Wohnwürfel. Maryon deckte die Tische. Sie kochten eine dicke Suppe, runde, schwarzhäutige Bodenfrüchte, Eier mit Schinken. Dazu gab es alle mögli chen Getränke. Nur mit Alkohol ging Isidor sehr sparsam um. Als der dünne rote Wein des Planeten in den Papierbechern gluckerte und die Zigaretten brannten, lehnte sich Isidor in seinem Klappstuhl zurück und sagte: »Mein Damen, meine Herren!« Jemand knurrte: »Das heißt besser: liebe Jagdgenossen!« »Wenn Sie dies vorziehen, bitte«, wich Isi dor aus. »Also, meine Jagdgenossen, wir sind in dieser Oase. Hier bleiben wir drei Tage. Die Squopper kommen niemals oder sehr sel ten hierher, weil sie, wie bekannt, scheu sind. Wir werden sie also suchen und verfolgen. Heute nach der Abenddämmerung bricht die erste Gruppe auf, drei Genossinnen und drei Genossen. Und ich. Die anderen müssen Si cherheitsaufgaben übernehmen. Morgen nacht wechseln wir. Ich betone noch einmal, daß dies kein Jagen auf Hasen oder Schnepfen ist, sondern eine tödliche Beschäftigung. Zuerst sehen Sie bitte alle Ihre Waffen nach, kümmern sich um die richtige Munition und stecken die Detonatoren ein. Dann kommt die Kleidung dran. Es sind schon mehr Jäger durch aufgerissene Stiefel schnallen gestorben und durch rutschende Sättel als durch wilde Tiere. Und noch etwas: Ich bin der Chef. Sie schießen nur dann, wenn ich es sage, denn ich
kenne im Gegensatz zu Ihnen allen die Squopper sehr gut. Sie sehen sich einer Bestie gegenüber, die so groß und fast ebenso schnell ist wie ein Lastengleiter. Lassen Sie den Squopper nicht näher als fünfzehn Meter an Sie herankommen. Sie kennen die Stellen, an denen Schüsse tödlich sind. Überlegen Sie mehrmals, ehe Sie den Zeigefinger krümmen. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich bisher eine Handvoll toter Jagdgenos sen zurückbringen mußte. Es waren diejeni gen, die es besser gewußt haben wollten als ich. Haben Sie mich alle verstanden?« Einige Sekunden herrschte Schweigen. Sei ne Rede war deutlich gewesen und hatte den zwölf Personen – Terraner vom Heimatplane ten und aus vielen Kolonien – den Ernst ihres Unternehmens gezeigt. Dann brach eine Flut von Fragen über Natzmann herein. Er beantwortete sie geduldig. Bevor er aufstand, um zu erklären, daß sie jetzt alle die letzten Vorbereitungen treffen sollten, überlegte er, ob er das Funkgerät mit nehmen sollte oder nicht. Da die Wahrschein lichkeit, daß sie in echte Not geraten würden, relativ klein war, entschied er sich dafür, den leistungsfähigen Minikom hier zu lassen. Er schloß die Antwort auf die letzte Frage ab und ordnete an: »Los geht's, meine Jagdgenossen. Wir ha ben eben gelost – die sechs Glücklichen las sen sich von den Verlierern helfen!« Fünf verschiedene Gänge zwischen den Felsen führten aus der Oase hinaus. Die sie ben Terraner ritten leise durch den nördlichen Canyon hinaus in die Wüste. Die flachen Dü nen bildeten ein Muster aus Gelb, bleichem Weiß und tiefem Schwarz. Zwei Monde stan den am Himmel. Die heiße Luft, die aus dem Sand hochstieg, ließ die Sterne flimmern und flackern. Man hörte nur die Geräusche der Ponterhufe, das Schnauben der Tiere, die den Tag über als Lasttiere gegangen waren, und die knarrenden Sättel. Hin und wieder schlug ein Waffenlauf gegen ein Metallteil der Aus rüstung. »Nur im Flüsterton unterhalten«, erklärte Isidor. »Die Wüste leitet den Schall hervorra gend. Wir biegen bei den drei Felsen nach Süden ab!« 23
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Die drei Frauen und die drei Männer hoben die Hände zum Zeichen, daß sie verstanden hatten. Isidor Natzmann hob das schwere Glas an die Augen, federte in den Knien und drehte langsam den Kopf. In der Ferne, in siebentau send Metern Entfernung oder so, sah er die dunklen, schopfartigen Büschel der Palmen jener Wasserstelle. Dort hatten die gecharter ten Leute, die vor wenigen Tagen die Station ausgerüstet hatten, eine Menge Squopperspu ren gesehen. Vermutlich gab es dort wieder Gazellenherden. »Dorthin!« flüsterte Isidor und lenkte sei nen Ponter auf der Kuppe einer langgezoge nen Düne in die Richtung der Wasserstelle. Ruhig und in langsamer Gangart folgten die übrigen sechs Tiere. Hinter ihnen kamen Abe und einer der älte ren Gäste aus der Oase und bezogen ihre Stel lungen. Sie würden helfen oder angreifen, wenn etwas besonders Gefährliches geschah. Außerdem trugen sie das Funkgerät bei sich, mit dem man sofort im Stützpunkt um Hilfe funken konnte. Maryon flüsterte: »Werden wir einen Squopper treffen?« Natzmann zog die Schultern hoch und gab zurück: »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, ich ha be dort zwei Gazellenrudel gesehen, auf dem Weg zur Wasserstelle.« Eigentlich war bei der Jagd nur ein einziger tödlicher Schuß nötig, ins Auge oder ein Blattschuß ins Herz. Aber dieses riesige Tier, das sich unaufhörlich bewegte, war nur schwer an der richtigen Stelle zu treffen. Isi dor wurde unruhig. Es war nicht das Fieber der Jagd, sondern die Verantwortung. Er wuß te, daß diese Pseudowaidmänner ohne ihn verloren waren. Der Squopper zertrampelte und zerfetzte sie, wenn er nicht gleichzeitig an allen Stellen war. Er steckte den Finger in den Mund, befeuchtete ihn mit Speichel und hob ihn in die Höhe. Der milde Nachtwind stand gegen sie. Ausgezeichnet! dachte er. Das sichert uns einen Vorteil. Diese Jagd ließ dem gejagten Wild mehr als eine faire Chance. Der Jäger war ebenso ge fährdet wie das Tier.
»Schneller!« Die kleine Karawane setzte sich in Bewe gung. Die Sporen klirrten leise. In einer Reihe ritten die Jäger über die Dünen. Der Sand staubte unter den Hufen der Ponter hoch. Ei nige Minuten lang ging es geradeaus, die Dü nenkämme hinauf und hinab. Dann, nach ei ner Zeit voller Nervenanspannung und ständi gen Sicherns nach allen Seiten, hob Isidor wieder den Arm und zischte: »Halt!« Sie befanden sich jetzt am Rand eines gro ßen Trichters. Die sanft abfallenden Hänge aus Sand und Geröll, von spärlichen Büschen und einzelnen Felstrümmern durchsetzt, zeig ten im Mondlicht deutliche Spuren. Kleine und große und quer durch mehr als den hal ben Trichter die riesige Spur eines Squoppers. Die sieben Reittiere blieben in weitem Ab stand nebeneinander am Rand der Mulde ste hen. Genau vor den Jägern lag der dunkelgrü ne Fleck der Wasserstelle. Mondlicht glitzerte auf dem schmalen Wasserlauf. »Was jetzt, Isidor?« Maryon schob ihren Ponter seitlich an das Tier des Jägers heran. Isidor deutete nach rechts. »Wir warten. Vermutlich liegt der Squopper am Rand der Wasserstelle. Er war tet auf ein großes Tier, denn wenn er einmal zuschlägt, verscheucht er für die halbe Nacht sämtliches Wild.« »Ich verstehe. Ist er da?« Wahrheitsgemäß versicherte Natzmann: »Ich weiß es nicht. Wir müssen warten. Wenn wir wissen, daß er da ist, können wir handeln. Ruhig bleiben!« »In Ordnung, Boß!« Sie warteten. Die dämmerungs- und nacht aktiven Tiere ließen sich durch die Jäger nicht verscheuchen. Von Norden her näherte sich ein Rudel großer Antilopen. Helle Tiere mit riesigen, nach hinten gebogenen Hörnern, angeführt von einem massigen alten Bock. Sie verharrten schräg gegenüber der Jäger am Rand des Trichters, dann tastete sich der Leit bock den Hang hinunter. Das starke Rudel folgte. Sand knirschte, die Tiere und die Schatten bewegten sich, die gesamte Szene blieb still und gespannt. »Wenn der Squopper das Tier geschlagen 24
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten hat, wird er abgelenkt sein. Wir warten noch.« Bisher war es noch nicht gelungen, einen Squopper am Tag zu sehen oder zu erlegen. Die Tiere schienen sich spurlos im Sand auf zulösen. Der Squopper, auf den sie hier lauer ten, war das dreißigste Tier in der Laufbahn Natzmanns auf diesem Planeten. Im Augen blick war er mit seinen Gästen zufrieden – sie blieben ruhig in den Sätteln und warteten mit unwahrscheinlicher Geduld. Inzwischen hatte der Leitbock des Rudels den Rand der Pflanzen erreicht. Er warf den Kopf hoch und sog die Luft geräuschvoll ein. Er war unruhig. »Er scheint da zu sein!« sagte Natzmann leise. Eine Welle der Erregung ging durch die Wartenden und teilte sich sofort den Tieren mit. Auch sie wurden unruhig und mußten hart in die Zügel genommen werden. Aber die Entfernung zwischen den schnell spielenden Lauschern der Tiere und der Hügelkuppe war offensichtlich zu groß, ebenso wie der Durst der Tiere. Sie zogen jetzt ruhig zwischen den Bäumen und den abgefressenen Büschen auf die Wasserstelle zu. Lange Sekunden verstri chen. Dann war auch das letzte Tier des Zu ges verschwunden, und am anderen Ende der kuppelförmig angeordneten Pflanzen und Bäume tauchte der Leitbock auf. Natzmann ahnte, was jetzt geschehen würde, und zudem fühlte er den ersten kühlen Stoß des nächtli chen Windes in seinem Gesicht. »Zügel festhalten!« zischte er. Die unruhigen Tiere drängten sich vom Hang zurück, als die Jäger in die Zügel grif fen. Sämtliche Muskeln spannten sich im Körper Isidors. Er ließ das Nachtglas fallen; es schlug schwer gegen seine Brust. Als der Bock nach langem Sichern – er war noch im mer unruhig! – den Kopf zum Wasser senkte, gab es ein schnalzendes, lautes Geräusch. Natzmann nickte zufrieden – der Squopper war also da! Er hatte zugeschlagen. Unmittelbar nach dem Schnalzen gab es ei ne Kette von Geräuschen, die wie nach einem Schema abliefen ... zuerst das Aufröhren des Bullen, dann das scharfe Krachen von Kno chen, das Plätschern von Wasser, in dem die Läufe des Tieres schlugen. Dann die schnelle Reaktion des Rudels.
Die Tiere rissen die Köpfe aus dem Wasser, sprangen vor Schreck senkrecht in die Höhe und rannten und sprangen davon. Sie setzten über die Büsche und entfernten sich in einer Reihe von riesigen Fluchten in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ein Vogel schwarm stob kreischend aus den zerzausten Kronen der Bäume und flatterte aufgeregt herum. Ein Hyänenhund begann schaurig zu heulen. Dann ein fauchendes, zischendes Geräusch. Schließlich brüllte der Squopper auf. Ein donnerartiges Gebrüll, wie das Triebwerksge räusch eines kleinen Schiffes, schallte durch die Senke. Gleichzeitig bäumten sich die sie ben Ponter auf und mußten mit allen Mitteln gezügelt und gehalten werden. Als sie sich wieder beruhigt hatten, hörte man nur noch das Geräusch berstender Knochen und das Reißen von Fleisch. Natzmann sagte ruhig: »Jetzt frißt er. Rod hier drüben ist der beste Schütze. Erst drei Minuten nach seinem Schuß darf gefeuert werden, eher nicht! Klar?« Sie nickten ihm zu. Er gab ein Zeichen, und die Tiere gingen auf den Hang zu und beweg ten sich hinunter. Dabei zog sich die Linie weiter auseinander. Isidor nahm seine Waffe aus der Schutztasche, spannte die Hähne und hielt das schwere Gewehr mit der Mündung nach unten in der rechten Hand. Jetzt bestand zwischen den einzelnen Tieren eine Distanz von fast zwanzig Metern. Die Reiter bildeten einen Halbkreis, dessen Mittelpunkt an der Stelle war, wo sich der fressende Squopper befand. Sie brauchten nur den Geräuschen nachzureiten. Natzmann wußte, daß jetzt die kritischste Phase des gesamten Unternehmens begann. Er ritt ein wenig schneller bis zu einem Punkt, an dem er alle und alles übersehen konnte. Halb verborgen von dem dichten Ge büsch lag vierzig Meter vor ihm das Raubtier, von dem nur schattenhafte Bewegungen des riesigen Körpers und ein Teil des Kopfes zu sehen waren. Der Kopf hing schräg, damit die mächtigen Kiefer besser an den Kadaver des Bocks herankamen. Die Zähne zermalmten die Knochen. Im Mondlicht leuchteten die Hörner, die mit dem Schädel hin und her ge 25
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten worfen wurden. Blut glänzte auf dem zerris senen Fell und auf dem Gehörn. Natzmann zählte seine Jagdgenossen. Sie standen dort, wie sie stehen mußten. Mister Rod war abgestiegen, hatte seinen Ponter mit dem Zügel fest an einen Baumstamm gebun den und richtete gerade das Zielfernrohr ein, das eine Infrarotlinse trug. Natzmann zog den stabförmigen Werfer aus der Brusttasche und richtete ihn am Wip fel einer Palme vorbei in den Himmel. Er schnippte mit den Fingern. Sechsmal kam das Verstanden-Signal. Dann drückte Isidor die Hülse zusammen. Die kleine Rakete versengte ihm ein wenig die Finger und das Handschuhleder, dann zischte sie schräg hoch und detonierte mit einem puffenden Geräusch in hundert Meter Höhe und loderte stechend weiß und sehr stark auf. Magnesit-Licht schuf in weitem Umkreis Tageshelle. Das Raubtier sprang auf, schleuderte mit einem leichten Ruck seiner Kiefer den Kada ver zwanzig Meter weit von sich und schob sich aus dem Gebüsch hervor. Die beiden mächtigen Vorderbeine standen tief im Was ser der Quelle. Langsam drehte sich der Schä del. »Rod!« Ein scharfer Befehl. Augenblicklich feuerte Rod. Er hatte auf das Auge des Tieres gezielt, was unter den herrschenden Umständen auch Natzmann getan hätte. Aber nur das zusammengerollte Fangorgan wurde getroffen. Sofort holte das Raubtier tief Atem, noch immer übergossen von der kreideweißen zitternden Lichtflut des langsam herunterschwebenden Projektils. Blut wurde in breiten Stößen aus der tiefen Wunde gepumpt. Zwei Sekunden waren ver gangen. Das Tier sah nichts, weil ihm das Blut über das Auge lief, aber dann erblickte es mit dem anderen Auge Maryon, die neben ihrem Ponter stand und eine Sekunde später feuerte. Der Rückstoß der schweren Waffe ließ sie nach hinten taumeln und sie fiel schwer gegen das Tier. Der riesige Körper des Raubtiers zuckte zu sammen, dann erst machte der Schmerz den Squopper rasend. Er stemmte sich ganz hoch, schob sich weiter vor und rannte dann in sei nem eigentümlichen Trab los. Der lange
Schwanz peitschte durch die Luft und schnitt einen schenkelstarken Palmenschaft in der Nähe Rods fast auseinander. Wieder feuerte einer der Jäger. Noch griff Natzmann nicht ein, aber er hielt seine Büchse hoch und zielte auf das Auge der Bestie. Gleichzeitig krachten zwei Schüsse von links und von ganz rechts. Der Squopper tob te, warf sich keine zehn Meter vor der ver ängstigten Maryon herum und rannte genau in Natzmanns Richtung. Ein Ponter ging durch, raste in einem halsbrecherischen Galopp durch die Bäume und warf in der Mitte des Abhangs seinen Reiter aus dem Sattel und schleifte ihn zwanzig Sprünge weit durch den Sand. Gleichzeitig feuerten Rod und Isidor. Rod brachte einen Blattschuß an, und Natzmann jagte das Explosivgeschoß durch das Auge direkt ins Gehirn des Tieres. Zwei Meter vor dem wie verrückt kreischenden und hochgehenden Ponter brach der Squopper mit einem krachenden Geräusch in den Sand und ins Wasser. Langsam entrollte sich das Fangorgan. Der lange Schwanz zuckte noch ein paarmal, wäh rend die wild ausschlagenden Reptilienfüße Wasser und Sand aufwühlten. Rod kam herbeigerannt und schwenkte die Waffe über dem Kopf. »Ich habe ihn geschafft!« schrie er. Natz mann sprang ihn an und schrie: »Vorsicht, du Narr!« Die letzte Bewegung des Schwanzes, der in eine Kette aus scharfen Knochenteilen auslief, machte aus dem Schweif eine überdimensio nale Peitsche, die eine Handbreit über den Männern die Büsche zerfetzte und dann Rod am Bein traf und hinschleuderte. Dann war auch die letzte Bewegung des Tieres vorbei. Breite Ströme von Blut liefen aus den furcht baren Wunden der Explosivgeschosse. »Walther!« schrie Natzmann. »Reiten Sie hinüber zu Maryon und sehen Sie nach!« »Verstanden.« Die Leuchtkugel fiel dicht neben dem Ko loß ins Wasser und erlosch. Erst jetzt konnten sie das Monstrum genau betrachten. Es maß von der Schwanzspitze bis zu den Widerha ken des Fangorgans mindestens sechzig Me ter. Eine rostrote, an einigen Stellen gelbe 26
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Haut mit handtellergroßen Schuppen und knöchernen Dreiecken entlang der Rückenli nie. Die vier Beine, die schlanker und länger waren als die Extremitäten von Sauriern, wie sen jeweils vier scharfe, lange Krallen auf. Und überall war Blut. Rod fragte leise, noch immer von seinem Erlebnis überwältigt: »Wer hat ihn erlegt?« »Vermutlich wir alle zusammen. Ich schoß als letzter, und ich habe das Auge hier getrof fen. Es war eine richtige Gemeinschaftsleis tung. Aber jetzt kommt die Hauptarbeit.« »Ich weiß. Die Drüsen!« »Richtig. Hoffentlich könnt ihr alle die schweren Vibromesser handhaben.« »Mehr oder weniger!« stimmte Rod zu. Er sicherte die Waffe und warf sie auf den Rü cken. Sie beruhigten die Reittiere und mach ten sich, nachdem Walther, ein fünfzigjähri ger Geschäftsmann aus den Kolonien, der einen abenteuerlichen Helm trug, der jungen Frau geholfen und ihren Ponter eingefangen hatte, ans Aufbrechen des riesigen Kadavers. Gegen Morgen kamen sie zurück ins Lager und waren erschöpft. Die Kleidung starrte von Schmutz und von Blut. Über der Wasserstelle kreiste ein riesiger Schwarm von Aasvögeln, und in den Kühltaschen befanden sich die Fleischbrocken, von denen die fünf Drüsen umgeben waren. Maryon hatte einen verstauchten Knöchel.
risten hatten sich begeistert auf das rohe Raubtierfleisch gestürzt, das tatsächlich her vorragend schmeckte; als Beefsteak à la Tata re mit Kräutern und Gewürzen auf getoaste tem Brot angerichtet, konnte es auch empfind lichen Gaumen zugemutet werden. Die gerin gen Mengen Hormone in diesem Fleisch wirkten angeblich Wunder, jedenfalls hatten die Jagdgäste versichert, sie fühlten sich jün ger. Reine Einbildung! dachte Natzmann. Sie ritten genau nach Westen und suchten eine andere Wasserstelle. Vom Ende des Zuges kam Camara, eine vierunddreißigjährige Dienststellenleiterin, deren Vater Zulieferer für eine Raumschiffswerft war, in scharfem Tempo herangeritten und blieb mit Isidor auf gleicher Höhe. Sie lächelte ihn strahlend an und sagte: »Ich bewundere Sie, Natzie!« Er schluckte seinen Ärger herunter und wußte, daß es mit dieser Gruppe noch mehr Ärger geben würde. Er antwortete: »Ich heiße Natzmann, Miß Camara. Oder Isidor. Verwechseln Sie mich bitte nicht mit Ihrem Reittier. Außerdem – warum bewun dern Sie mich, einen heruntergekommenen Jäger?« »Sie sind so ungeheuer souverän. Aber gleichzeitig haben Sie etwas Wildes, Urtümli ches an sich!« »Richtig«, sagte er sarkastisch. »Sie kennen nur mein Zivilisations-Ich. In Wirklichkeit hause ich in einer Höhle, ernähre mich von Nüssen und geklauten Eiern und trage einen Fellschurz. Und bete Bäume und Blitze an.« Sie kicherte und deutete auf sich. »Wie Sie das einrichten. Das Auslosen des ersten Schusses, das Bestimmen, wer am bes ten und sichersten schießt, und das alles.« »Das gehört zum Handwerk, Madam«, sag te Natzmann höflich. Noch fünfzehn Tage, dachte er. Und dann muß ich mich zwei Tage lang besaufen, um diese Ignoranten zu ver gessen. »Werden wir heute einen Squopper finden? Dieses Tier ist ja riesig! Und wie es gestun ken hat! Gräßlich.« »Nur selten«, bemerkte Natzmann, »pfle gen Tiere in freier Wildbahn nach Parfüm zu riechen!«
* Sie ritten jetzt, einen halben Tag später, mitten in die lodernde Abenddämmerung IgTovonchs hinein. Wieder sechs Jagdgäste und Isidor Natzmann. Er fühlte sich nicht ganz ausgeschlafen, obwohl er von der Morgen dämmerung bis zum Abendessen in seinem Kubus geschlafen hatte. Der Schauplatz würde heute ein anderer sein; es war nicht damit zu rechnen, daß eines der Raubtiere die Wasserstelle der vergange nen Nacht innerhalb der nächsten fünfzehn Tage aufsuchen würde. Die Aasfresser, die kleineren Raubtiere und die Aasvögel würden in dieser Zeit den riesigen Körper bis auf die weißen Knochen abgefressen haben. Insekten, Sonne und Sand besorgten den Rest. Die Tou 27
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Wieder kicherte sie. Diese junge Frau hatte das Gebaren einer Hysterikerin; er vermochte sich nicht vorzustellen, wie sie in der Lage sein sollte, eine Dienststelle zu leiten. »Sie sind lustig, Isidor!« sagte sie dann. »Was ist das dort vorn?« Er setzte sich gerade auf und spähte unter der Hand nach der Stelle, auf die sie deutete. Dann sah er es deutlich. »Sie sind ein Glückspilz«, sagte er. »Das ist eine ganz frische Squopperspur.« Der Zug hielt an, als er das Signal gab. Die sechs Reiterinnen und Reiter versammelten sich um ihn. »Das ist eine ganz frische Spur«, sagte er drängend. Zum erstenmal in diesen Tagen hatte ihn selbst das Jagdfieber ergriffen. »Sie führt nach Süden, in die Richtung eines ande ren Wasserloches. Nur eine kleine Wasserstel le. Wir werden ihr folgen.« Risco, ein Textilkaufmann, fragte alarmiert: »Bedeutet das, daß wir vielleicht einen Squopper am Tag sehen können?« Natzmann nickte. »Vielleicht. Das kann gut möglich sein. Al lerdings wäre es auch für mich das erstemal.« »Nichts wie hinterher. Wie weit ist es bis zum Wasserloch?« erkundigte sich Dany la chend. Er war ein hagerer, schlaksiger Mann von fast siebzig, der einen unerschütterlichen Optimismus zur Schau trug, mit dem er nicht nur Natzmann auf die Nerven fiel. »Ein Tagesritt!« sagte Natzmann. »Nicht ganz, wenn die Strecke gut ist!« »Vielleicht treffen wir den Squopper schon vor dem Loch!« schlug Marnali vor, die Inha berin eines großen Gleiterverleihs auf einem hochindustriellen Planeten des Imperiums. »Ich glaube nicht an Wunder. Also, mei netwegen! In langsamem Trab der Spur ent lang!« »Heiahh!« brüllte jemand und spornte sei nen Ponter. Es wurde zusehends dunkler. Die Spur des Riesenraubtiers lag jetzt deutlich, mit tiefen Schatten, vor ihnen. Sie war wie mit dem Li neal gezogen und führte über die Dünen und durch die Täler geradeaus nach Süden. Das bedeutete eine Abkehr um neunzig Grad vom eigentlichen Ziel. Wieder setzte sich die Karawane in Marsch
und glitt wie ein Zug rasend schneller Amei sen der Spur entlang. Die Krallen des Tieres hatten scharfe Löcher in den harten Sand ge rissen. Sie waren an der Vorderkante scharf abgeschnitten, aber nach hinten verwischt. Hinter jedem Eindruck befand sich ein längli ches Häufchen Sand. Das gewaltige Tier mußte schnell gerannt sein. Der Squopper war der König der Wüsten gegenden dieses Planeten. Und die Population schien ziemlich groß zu sein, denn trotz der Jagd auf ein Tier, das diese Größe besaß, rie sige Nahrungsmengen brauchte und aus die sen und anderen Gründen nicht sehr zahlreich sein konnte, gab es noch immer große Men gen. Sie folgten sieben Stunden lang der Spur. Am Ende dieser Zeit waren die Tiere ziem lich erschöpft und die Menschen ebenso. Kleidung und Stiefel waren voller ätzendem Staub. Die Lippen waren ausgedörrt. Sie hat ten Hunger und dürsteten. Die Feldflaschen waren leer. Und noch immer war weder der Squopper zu sehen noch das Wasserloch. Die durstigen Tiere würden das Wasser gewittert haben. »Verdammt!« dachte Natzmann laut. »Das kann schiefgehen.« Er beschloß, noch sechzig Minuten zu warten. Sie ritten weiter. Etwas langsamer und erschöpft, aber noch immer folgten sie der Spur. Die sieben Terra ner hingen schwer in den Sätteln, aber auch in den Köpfen der sechs Gäste spukte diese be sondere Jagd. Sie waren von der Erregung Natzmanns angesteckt und versuchten, sich nicht zu blamieren, obwohl man besonders den Frauen ansah, daß sie lieber jetzt als in zehn Minuten die Jagd abgebrochen hätten. Aber sie hielten sich gut und schauderten nur dann und wann, wenn die Schatten ihr Spiel trieben und sie erschreckten. Nicht ganz eine Stunde lang ging es schweigend weiter. Die Tiere keuchten und wurden plötzlich schneller. Fast gleichzeitig rochen sie es alle: Wasser. »Dort vorn! Dort muß es sein!« sagte Natzmann. »Auf alle Fälle bleiben wir an der Wasserstelle!« Sie waren unachtsam geworden, deswegen traf es sie besonders schwer. Niemand sah 28
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten den Squopper, der plötzlich hinter einer Düne auftauchte und gegen die Scheibe des Mondes eine scharfe Silhouette bildete. Er war ge räuschlos und ungesehen herangekommen. Jetzt schrie er auf. Panik brach aus. Die Reittiere gingen durch und strebten instinktiv von der Schallquelle fort. Sieben Ponter rasten die Dünen hinauf und hinab. Der Squopper sprang los, rannte auf ein Tier zu und feuerte die spiralige Fangmuskulatur ab. Sie zischte durch die Luft, warf Tullmann aus dem Sattel und riß eine tiefe Wunde in die Flanken des Reittiers. Natzmann saß eisern im Sattel seines Tieres, das sich auf der Stelle drehte und sich gegen Zügel, Schenkeldruck und Sporen stemmte. Dann machte das Tier ein paar stolpernde Sätze und raste einen Dünenkamm entlang. Natzmann schrie, so laut er konnte: »Außer Sichtweite reiten! Dann zurück kommen und gezielt schießen!« Er hörte hinter sich wieder die Muskelfa sern des Fangorgans durch die Luft zischen und duckte sich. Das Tier unter ihm streckte sich und schien die Gefahr zu sehen. Er wurde schneller. Natzmann versuchte seine Waffe aus der langen Hülle zu ziehen und drehte sich um. Das Riesentier hinter ihm rutschte gerade eine Düne hinunter und überschlug sich. Endlich war die verdammte Waffe frei. Mit äußerster Gewalt lenkte Natzmann sein Tier auf die Kuppe einer anderen Düne hinauf und hielt es an. Das Tier stand, aber es zitterte an allen Gliedern. Die anderen Jagdgäste wa ren in alle Richtungen zerstreut, aber Natz mann sah Tullman, der versuchte, auf allen vieren den Hang hinaufzuklettern. Er bot im hellen Licht der beiden Monde ein verlockendes Ziel für das Fangorgan der Bestie, die sich jetzt brüllend aufrichtete. Natzmann feuerte, ohne besonders lange zu zielen. Das Projektil traf dicht neben dem Auge des Tieres auf eine Hornplatte, zerfetzte sie und schlug eine furchtbare Wunde. Natzmann schoß ein zweites Mal und riß die Büchse herunter, repetierte und sah dann erst nach dem Treffer. Jetzt tauchte Camara auf, eben falls die Büchse an der Schulter und schoß auf das Tier. Der Squopper stand in der Mulde zwischen
den Dünen und schüttelte sich, schrie und peitschte mit seinem langen Schwanz. Natzmanns zweiter Schuß war in den Ra chen gegangen. Das Tier löste sich jetzt aus der Starre und griff brüllend an. Es stürzte sich auf Tullman, der noch im mer mit dem nachrutschenden Sand kämpfte. Isidor zielte sorgfältig und versuchte, das Zittern des Ponters auszugleichen. Noch zwanzig Meter trennten Tullman vom Squopper. Isidor verfolgte das Tier mit dem Lauf, hielt den Atem an und krümmte den Finger. Peitschend löste sich der Schuß und traf voll ins Blatt. Der Squopper bäumte sich auf. Wei tere Schüsse hämmerten durch die Dünen. Dann, nachdem es sich auf dem Schwanz aufgerichtet hatte, brach das Tier zusammen und verendete im Todeskampf. Es überschüt tete Tullman mit einem Sandregen und schleuderte mit seinem letzten Schwanzhieb Sihouk von ihrem Tier, die schreiend durch den Sand kollerte und direkt neben dem blut überströmten Schädel liegenblieb, neben den schnappenden Kiefern. Dann starb der Riese. Natzmann stieg ab und blieb stehen. Er suchte mit den Augen seine sechs Gäste und war verblüfft, daß sie sich noch bewegten. Also war niemand ernsthaft verletzt worden. Es war schwierig, mitten in der Nacht hier Ordnung zu schaffen. Sie versorgten die Ver letzten, fingen die Tiere ein, machten eine lange Pause und gingen dann daran, das Tier zu zerlegen. Bereits in der frühesten Morgen dämmerung zeigten sich die ersten Aasvögel. Ihre Anzahl stieg ständig, und sie wurden so zudringlich, daß sie schon einfielen, als die Männer noch mit den Vibromessern an dem Kadaver herumschnitten. Damit war die Jagd so gut wie beendet. Nach reichlich zwei Wochen kam die Ka rawane wieder in Frontier an. Als sie die Siedlung von fern sahen, erkannte Natzmann, daß sich etwas verändert hatte. Ein hundert Meter großes Kugelraumschiff stand neben dem Touristenschiff auf dem kleinen Hafen. Etwas Besonderes also. Er erfuhr es sieben Stunden später in der Hotelbar.
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ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten *
verwundert: »Woher kennen Sie meinen Namen?« »Keiner ist hier bekannter. Kommen Sie!« Natzmann entschuldigte sich bei Connie und folgte dem Mann hinaus bis zur Brüstung der Terrasse. Dort machte der Fremde ihm das Angebot, bei einem Projekt der United Stars Organisation mitzumachen. Auf seine Frage, welcher Art dieses Projekt wäre, erhielt er ausweichende Antworten. Aber Lordadmiral Atlan selbst habe ihn vorgeschlagen. Also eine große Sache. Natzmann erbat sich Bedenkzeit. Er bekam sie und verlebte einige sehr glückliche Tage mit Connie und einige Nächte voller Schlaflo sigkeit wegen der Fragen, die er sich immer wieder stellte. Am siebenten Tag kassierte er alle seine ausstehenden Gelder, verabschiede te sich von seiner Reisegruppe, steckte den Scheck ein und flog mit dem USO-Schiff da von.
Hier, in einer Atmosphäre, in der sie sicher war, veränderten sich die Gäste völlig. Ers tens waren sie in den teuren Kleidern, die sie endlich anziehen konnten, fast nicht mehr zu erkennen, und zweitens hatten sie die Strapa zen einigermaßen verändert. Wohltuend ver ändert, fand Natzmann, der in einem weißen Anzug an der Bar saß und mit der Chefste wardeß des Touristenschiffs flirtete. Er war schon ziemlich angeheitert. Er hob das Glas und erklärte Connie gera de: »Verstehst du, Mädchen, ich brauche das. Ich habe sie alle so gründlich satt, daß ich sie hassen könnte. Sieh hin, wie sie sich bewe gen, die großen Abenteurer. Aber ich lebe von ihrem Geld. Und nicht einmal schlecht! Ver dammt!« Er stürzte ein Glas Whisky herunter und verzog das Gesicht. Dann sah er schräg hinter Connie einen Mann, der nicht hierher paßte. »Wer ist das?« Connie drehte sich um, musterte den Mann wie ein besonders interessantes Bild und sagte dann leise: »Das ist einer der schweigsamen Burschen vom anderen Schiff. Man sagt, es sei von der USO!« »Aha! Interessiert mich nicht!« bemerkte er und widmete sich wieder dem Versuch, Con nie zu überzeugen, daß er für die wenigen Tage ihres Aufenthaltes hier der beste Mann für sie wäre. Plötzlich merkte er, daß der Mann neben ihm auf dem nächsten Hocker Platz genommen hatte. Der Fremde in einem unauffälligen Anzug tippte ihm auf die Schul ter und fragte: »Verzeihen Sie – haben Sie bitte Feuer?« »Möglich!« Natzmann fischte nach dem Feuerzeug und bediente den Fremden. Der andere sah ihn prüfend an und murmelte dann so leise, daß es nicht einmal Connie verstehen konnte: »Ich muß mit Ihnen sprechen. Kommen Sie bitte für einige Minuten hinaus auf die Terras se. Es ist wirklich dringend und könnte eine große Chance für Sie sein. Die größte Ihres Lebens, Isidor Natzmann.« Langsam glitt er vom Hocker und fragte
5. Die Kneipe war voller Rauch und Schweiß, voller Lärm und Gerüche, voller Menschen und Humanoiden. Es war unmöglich, sein eigenes Wort zu verstehen, wenn man nicht gerade schrie. Gläser klirrten, Mädchen ki cherten schrill, harte Flüche waren zu hören. Acht Uhr abends, und die Zustände waren noch vergleichsweise ruhig und angenehm. Drei Stunden später würde hier die Hölle los sein. So wie an allen Abenden seit dem Be ginn des Sturms auf die Schwingkristalle. Noch niemals in seiner Geschichte hatte der Planet Komouir so viele Menschen gesehen. Jean Atenro war zwischen einen bärtigen Ertruser und einen Springer eingekeilt und hielt seine Hand schützend auf das Glas. Im mer wieder fiel Asche in das Getränk. Es war billiger Fusel, durch eine Menge von Eiswür feln trinkbar gemacht. »Und ich sage dir, Terry«, dröhnte der Springer lachend, »in ein paar Wochen haben wir Galaktischen Händler die besten Fundstät ten fest in unseren Händen. Dann besitzen wir das Monopol!« »Quatsch!« gab der Ertruser zurück. »Hast du nicht gehört, daß dieser Rhodan kommen wird? Sein Besuch ist schon mehrmals ange 30
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten sagt worden. Dann wird die Flotte uns hier hinausekeln!« Der Springer lachte laut und rempelte Jean Atenro an. Hinter ihm feuerte jemand seinen Schockstrahler gegen die Decke ab. »Das ist möglich, aber unwahrscheinlich!« warf der Springer ein. »Der Planet ist unab hängig und untersteht nicht dem Imperium.« »Als ob das schon jemals von Wichtigkeit gewesen wäre«, schrie der Ertruser zurück. Eine Kellnerin, die ihr einstmals gutes Ausse hen ihrem Beruf geopfert hatte, zwängte sich an den Männern vorbei. Atenro versuchte, die vielen winzigen Informationen, die er hier und an vielen Stellen aufgefangen hatte, zu einem Gesamtbild zu verarbeiten. »Ich sagte dir, es ist das beste, wir versu chen, so schnell zu arbeiten wie eben nur möglich!« rief ein jüngerer Springer, der mehr oder weniger zufällig von den drängelnden Menschen hierher geschoben worden war. Sämtlichen Anwesenden lief der Schweiß in breiten Bahnen über die Gesichter. Aber nie mand öffnete ein Fenster der Spelunke. Inzwischen hatten sich verschiedene As pekte ergeben. Kaum einer davon war geeig net, Jean Atenro zu begeistern. Nahezu alle große Gruppen oder Einmann-Kristallgräber begannen zu ahnen, daß die Zeit ziemlich kurz sein würde, in der sie ohne Beschrän kung von Menge oder Lage graben und aus führen durften. Also verstärkte sich die Inten sität der Arbeit. Und im gleichen Verhältnis verstärkten sich auch die Begleiterscheinun gen. Verwüstungen der Landschaft und schwere Eingriffe in die Planetenökologie. Kriminalisierung der Bewohner und Zuzug von mehr und mehr Gesindel, das hier eine leichte Chance zum schnellen Geldverdienen sah. Die kleinen Städte des Planeten wirkten in zwischen wie Heerlager eines mittelalterli chen Krieges. Jean Atenro trank wieder einen Schluck seines kaum zu definierenden Getränks und hörte weiter zu, indem er versuchte, sich ent lang der schwankenden Theke zum Ausgang hinzuschieben. Seine Fortbewegungsge schwindigkeit betrug nur Millimeter. Atlan hatte ihm versichert, ein ganz besonderer
Mann würde hier eintreffen, aber bisher gab es nicht das geringste Zeichen dafür, daß je mand hier gelandet war, der mit diesem Heer der Verrückten nichts zu tun hatte. Wieder schnappte er Gesprächsfetzen auf. »... haben wir den Felsen gesprengt. Ich sa ge dir, jede Menge Kristalle. Allerdings keine Ader oder keine großen, zusammenhängenden Klumpen. Aber viele kleine Funde.« Der Preis für die Lizenzen und die Aus fuhrzölle stiegen ununterbrochen. Es gab nur wenige Plätze des Planeten, an denen nicht gebohrt, gesprengt, gebaggert oder gegraben wurde – mit Geräten, die quer durch zwei Jahrtausende technischer Entwicklung ver schiedener raumfahrender Völker gingen. »... aber dann ist der Damm gebrochen, und das Meerwasser hat dieses verdammte Land überschwemmt. Wir hatten drei Tote, von den Verletzten will ich gar nicht reden ...« Jean Atenro hatte sich jetzt um zehn Meter bewegt. Noch vier Meter und etwa dreißig Personen trennten ihn noch vom Ausgang. Er holte tief Atem und schob sich zwischen zwei Überschwere. »Verzeihung, Freund!« sagte er und stellte sein fast leeres Glas irgendwo ab. »Ich muß hier durch. Sonst wird mir schlecht.« »... warte nur auf den Augenblick, wo Rho dans Flotte eintrifft. Oder dieser weißhaarige Arkonide. Dann werfen wir sie raus!« »Aber das wird sich unsere Regierung nicht gefallen lassen!« »Dann gibt es eben Krieg. Schließlich kön nen wir ganz gut allein für Ordnung sorgen.« Im hinteren Teil des Lokals entstand wüstes Geschrei. Dann hörte Atenro die Geräusche von Schlägen und einen Schuß. Die Men schen vor ihm stürzten zur Seite, und er er wischte die Tür und riß sie auf. Die Sonne blendete ihn. Er warf einen langen Blick nach hinten und sah, daß sich eine Gruppe Akonen mit einem Polizisten prügelte und den Mann erbarmungslos zusammenschlug. Jean rannte hinaus in das Sonnenlicht und die frische Luft und hastete ein Stück Straße entlang, bis er auf den zerschrammten Gleiter der Polizei traf. »In der Bar dort schlagen sie einen von euch zusammen. Vielleicht sollten Sie sich 31
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten um ihn kümmern, Sergeant!« sagte er. Der Streifenführer musterte ihn kurz, dann erkannte er, daß Jean im Ernst sprach und schwang sich hinter das Steuer. Mit aufheu lender Sirene wendete der Gleiter und raste quer über die Straße auf den Eingang des Lo kals zu. Gleich darauf hörte Atenro die typi schen Entladungen von Schockwaffen. »Verdammter Mist!« flüsterte er und ging weiter. Er würde noch heute einen letzten, drin genden Appell an Atlan und die USO richten. Sie durften nicht mehr warten. Orgelnd raste ein kleines Springerschiff schräg über den Himmel, direkt über das Zentrum der Sied lung. Überall bildeten sich Gruppen von Fremden, gingen wieder auseinander, trafen sich neu. Ein Geruch nach Staub, heißem Me tall und stinkendem Abfall lag über der Stadt. Selbst die Bäume sahen schmutzig aus. Jean schauderte.
ternommen hatten, um die Gruppe der IS er folgreich zu testen und auszubilden. Es wäre eine einzigartige Gelegenheit, Froom Wirtz zu testen. Ebenso wichtig würde es werden, fest zustellen, warum ausgerechnet einer der talen tiertesten Instinkt-Spezialisten zumindest bis her versagt hatte. »Können Sie sich noch erinnern, warum wir Wirtz nach Wiga-Wigo geschickt haben?« fragte Garobier. Dann entsann er sich, daß Atlans Erinne rung schlechterdings phänomenal war, und er lächelte entschuldigend. Atlan erwiderte: »Natürlich. Sozusagen auf Abruf. Wir dachten uns, daß wir in der Eastside der Gala xis niemals genug Spezialisten haben können. Wirtz würde auf jeden Fall tätig werden ...« »... das dachten wir!« unterbrach Garobier kauend. »Richtig, das dachten wir. Davon waren wir überzeugt. Jedenfalls scheint auch im Deylight-System oder auch nur auf dem Pla neten Wiga-Wigo nicht das geringste erfahren zu haben.« Atlan war ernstlich beunruhigt und hatte bereits drei verschiedene Mannschaften aus rüsten lassen. Sie standen bereit und waren in der Lage, jede Sekunde zu starten. Aber nach genauem Nachdenken und Abwägen aller Möglichkeiten war der Lordadmiral zu dem Schluß gekommen, daß er noch bis zum Sechzehnten dieses Monats warten würde. Wirtz, dachte er. IS Froom Wirtz, der A benteurer. Einer der Männer, die zuletzt aus gesucht worden waren. Damals, nach dieser spektakulären Angelegenheit seiner verrück ten Klondike-Bahn ...
* »Wenn ich ein Raumschiff schicke, dann provoziere ich!« sagte Atlan hart und schlug mit der Faust auf die Tischplatte. »Das ist völlig klar!« »Das wäre noch die Frage!« schränkte Sellbegg Garobier ein. Er saß da, las in den Unterlagen und kaute Betel. »Schließlich wis sen die Schatzsucher auf Komouir, daß au ßergewöhnliche Umstände herrschen.« Atlan schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich warte noch einen Tag, also bis zum sechzehnten Mai. Nicht länger, denn der letzte Bericht meines Beobachters Atenro war schon fast ein Alarm.« Natürlich hätte er jederzeit ein Schiff dort hin schicken können. Aber erstens wollten sie, Sellbegg und er, die Instinkt-Spezialisten testen, und zweitens war ein USO-Schiff eine klare Provokation. Es würde Unruhe unter den Glücksrittern stiften. Warum zögerst du eigentlich? Es muß nicht ein offizielles USO-Schiff sein, gab der Ext rasinn zu bedenken. Das wäre eine Möglichkeit! Ein getarntes Schiff. Aber dann dachte Atlan wieder an die gro ßen Anstrengungen, die Sellbegg und er un
6. Das größte Karussell der Galaxis war eine Goldgrube. Seit einem Jahr, seit dem Zeit punkt, an dem es sich amortisiert hatte, warf es jeden Tag mehr Geld ab. Froom Wirtz war jetzt auch der Inhaber – für neunundneunzig Jahre hatte er von der planetaren Verwaltung dieses Stück Svorgebirge gepachtet. Aber schon jetzt erreichte Frooms Vermögen eine sechsstellige Zahl in terranischen Solar. Wirtz stand auf und blickte etwas mißmutig auf das Glas, das vor ihm auf dem Schreib 32
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten tisch stand. Ich entspanne zu oft und zuviel, dachte er selbstkritisch. Ich brauche mehr Bewegung. Ich mag schon keine dicken Frauen, und di cke Männer sind mir zuwider! Er grinste seinem Spiegelbild in einer raumhohen Mehrfachglasscheibe zu. Sein Büro lag auf dem Dach des Klondike-Hotels, eines Bauwerks, das sämtliche Voraussetzun gen erfüllte, um den Strom der Gäste aufzu fangen. Wirtz betrachtete die Bildschirme, von de ren funkelnden und stereoskopischen Flächen eine ganze Wand ausgefüllt war. Fünfzehn Reihen hoch, jede Reihe zu zwanzig Monito ren, ein kleines Schaltpult, das sämtliche Möglichkeiten des Überwachungssystems ausnutzte. »Zweitausendeinhundertzwanzig Kilome ter!« murmelte Wirtz. Er war stolz auf sich, seine Energie und sein Lebenswerk, auch wenn es keinen anderen Zweck erfüllte, als den Besuchern einigen Spaß zu bereiten. Ein Summer unterbrach die Stille des gro ßen Büros, in dem nichts anderes zu hören war als die Atemzüge von Wirtz und das feine Summen der Klimaanlage. Froom ging zu rück an den Tisch, kippte einen Schalter und fragte: »Ja?« Ein Interkom leuchtete auf. Der Oberkörper von Doman Riley war zu sehen. Der Chef der Kontrolltruppe, ein sehr fähiger und umsich tiger Mann von siebzig Jahren, sagte ruhig: »Sie wissen, Froom, Alabama DePeer ist im Anflug. Er ist mehrfacher Millionär und Person des öffentlichen Interesses.« »Aha. Und sollten wir jetzt unsere Bahn waschen und polieren?« fragte Froom zurück. »Das nicht. Aber wir haben die Gästeliste kontrolliert. Wir haben genau ein Dutzend Leute heraussuchen können, die nicht in unser Schema passen.« Wirtz biß sich auf die Unterlippe und mur melte: »Das ist ein völlig neuer Aspekt, Doman. Lassen Sie mich nachdenken, bitte.« »Deswegen rief ich an. Das Schiff von DePeer landet in weniger als zwanzig Stunden.« »Gut. Ich rufe zurück. Wo sind Sie?« »Unten, zwischen Restaurant und
Schwimmbad.« »Danke, Doman!« Froom wurde unruhig. Er war ein Kämpfer, wenn es sich lohnte oder wenn es notwendig wurde. Er hatte jahrelang kämpfen müssen, um diese Klondike-Bahn zu bauen und einzu richten. Und er würde auch gegen jeden kämpfen, der diese Bahn anrührte. Er zündete sich eine kurze schwarze Zigarre an und ging unruhig im Raum hin und her. Manchmal blieb er vor einem der vielen Monitore stehen und sah hinein. Langsam bewegten sich die Linsen, programmgesteuert brachten sie Ein zelheiten näher heran oder veränderten sich in die Totale. Für ihn besaßen diese Bilder natürlich ei nen ganz anderen Sinn als für jeden anderen. Die Besucher jedenfalls kamen in Scharen, aus allen Teilen der Galaxis. Sie fühlten sich wohl und ließen eine Menge Geld hier. Wenn in vielen Jahren die Anlage einmal nicht mehr interessant sein würde, dann hatte sich die Gegend rund um das Hotel in ein kleines Pa radies verwandelt. Schon heute wurde sie jeden Tag um ein paar Quadratmeter größer. »Ja«, sagte Froom endlich. »Ich glaube, das ist wichtig!« Er war erst achtundzwanzig Jahre alt, wirk te aber reifer. Hundertsiebzig Zentimeter groß, ein eher schmächtiger, fast zerbrechlich wirkender Typ. Man mußte ihn länger ken nen, um zu erfahren, daß seine Zähigkeit fast unerreichbar war. Er war ruhig und zurück haltend, bedächtig fast, aber dabei hochintel ligent. Sein Lebensweg bis zum heutigen Tag war einigermaßen kurios, aber er zeigte eini ges von den Energien, die in diesem Mann steckten. Froom sog an der Zigarre, blies den blauen Rauch gegen einen Monitor und sah dem Zug zu, der durch die kleine Intensiv-Prärie dampfte. Er hatte eine konventionelle Ausbildung hinter sich. Er war Professor für alte Musik. Es gab so gut wie kein Musikstück des alten Terra, das er nicht kannte. Auch hier auf Mourt-Amont besaß er sämtliche Bänder und eine ziemlich gute Anlage, mit der er sowohl sein Büro als auch seine Wohnung bedienen konnte. Aber viel interessanter war sein Hob by, das sich mit dem Thema Schatzsuche be 33
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten schäftigte. Froom drückte auf einen Schalter. Blitz schnell fuhr eine breite Tür zur Seite. Durch einen kleinen Flur ging Wirtz hinüber in seine Wohnung. Die Sonne des Vormittags brannte auf das Dach des Penthouses, aber die Filter scheiben ließen die Hitze nicht durch. Vorsichtig legte Froom die dicken Kontakt linsen an. Er brauchte sie, wenn er seine Räume verließ. Er hatte sich entschlossen, wegen der wichtigen Persönlichkeit etwas zu unternehmen. Auf alle Fälle mußte er sich mit Doman unterhalten. Gefahr lag in der Luft. Als Professor für alte Musik war er ge scheitert. Das lag weniger an seinem mangelnden Wissen, sondern daran, daß er allzu kühne Theorien vertreten hatte. Er versuchte immer wieder, den Zusammenhang terranischer Mu sik mit dem Einfluß außerirdischer Elemente zu beweisen. Das brachte auf die Dauer zwar reizvolle Thesen und Effekte, diskreditierte Wirtz aber bei Kollegen und auch bei den Studenten. Auch sein Hobby, das sich zeitweise zu ei ner Manie ausweitete, war bizarr, erfolgver sprechend und nicht jedermanns Sache. Wirtz wußte fast alles über Schätze, ver borgene Schätze, deren Methoden und Erfolge sowie Mißerfolge. Er hatte den Schatz und jeden geschichtlichen wichtigen Wertgegens tand der terranischen Geschichte im Kopf. Große theoretische Erfahrung in sämtlichen verwendeten Techniken der Schatzsuche und Schatzhebung – das war seine zweite Stärke. Er war ein rastloser Mensch und besaß einen glänzenden Verstand. Bisher war die Klondike-Bahn sein erster Erfolg gewesen. Aber ein ausgezeichneter Erfolg, bemerkte er bei sich und zog seine weiße Jacke aus. Er schnallte sich die flache Waffe unter die Schulter und setzte die dunkle Brille auf. Es mußte nicht sein, daß ihn jeder erkannte und begrüßte, wenn er unten auftauchte. Mit dem Privatlift einer kleinen Antigra vanlage fuhr er hinunter in die Halle des Klondike-Hotels. Vor dem kleinen Kiosk, in dem die Karten verkauft wurden, standen mindestens hundert Menschen, die an einer der nächsten Fahrten teilnehmen wollten.
Frooms Grinsen war nicht ohne Selbstgefäl ligkeit. Er ging über den weichen Teppich bis zu der langgestreckten Bar, die jetzt wenig besucht war. Doman saß vor einem Glas warmer Milch. »Das Frühstück?« erkundigte sich Wirtz halblaut. »Etwas Ähnliches. Ist gut gegen Magenge schwüre.« Sie grinsten sich kurz an, dann schwang sich Froom auf den Nachbarhocker. Diese Bewegung zeigte, wie wendig und sicher er wirklich war. »Haben Sie welche?« fragte Wirtz kurz und sah sich langsam, mit durchdringenden Bli cken um. Alles, was er sah, freute ihn. Es war in Ordnung. »Noch nicht.« »Was ist das für eine finstere Geschichte mit dem Millionär und dem Dutzend der ver dächtigen Personen?« Doman holte Luft, trank einen Schluck Milch und erklärte: »Jeder, der hier ankommt und bei uns wohnt, füllt eine Art Fragebogen aus. Diese Anmeldung enthält alles Wissenswerte. Unser Computer hat, nach Häufigkeit und Wahr scheinlichkeit sortiert und gestaffelt, für jede Personengruppe bestimmte Kriterien. Wenn also jemand, total abgerissen und unrasiert, hier ankommt und behauptet, er sei Rhodans Adjutant, dann entspricht er nicht dem typi schen Bild, das man sich von Rhodans Adju tant macht, klar? Wir prüfen ihn dann näher, und bei dieser Überprüfung hat sich bisher in siebzig von hundert Fällen ergeben, daß unser Computer zu Recht argwöhnisch war. Das ist, abgesehen von rund zweihundert Informationsstellen, unser Sicherheitssystem. Zum großen Teil haben Sie diese Investiti onen genehmigt, es kann Ihnen also nicht fremd sein!« Froom Wirtz nickte langsam. »Sie haben recht. Ich wollte nur Gewißheit haben. Sind diese zwölf Personen noch ein mal überprüft worden?« »Ja. Vier scheiden aus. Sie sind, was sie vorgeben, und sie sind sauber. Die anderen acht sind Männer, kommen von allen mögli chen Richtungen und haben bisher die Bahn 34
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten jeweils sechsmal benutzt. Sie scheinen sich genau umzusehen.« Sie sahen sich schweigend an. Beide hatten die gleichen Gedanken. »Entführung?« fragte Wirtz gedehnt. Etwas Kaltes berührte seinen Rücken und erzeugte ein Gefühl der Drohung. »Dies oder etwas Ähnliches, Chef.« »Was können wir tun?« Nach einigen Sekunden mußte Doman be kennen: »Noch nichts. Wir haben noch neunzehn Stunden Zeit. Wir können uns etwas einfallen lassen.« Wirtz dachte nach: Wenn sich acht Männer daran machen, einen Millionär zu entführen, um Lösegeld zu kassieren, dann brauchten sie ein genaues Konzept. Hier auf der vierten Sauerstoffwelt des Perrmit-Systems, sieben tausendachthundertdreißig Lichtjahre entfernt, gab es vier Möglichkeiten für eine solche Ak tion. Als ob er Frooms Gedanken gelesen hätte, fragte Doman: »Der Raumhafen – nach meiner Meinung scheidet er aus. Er ist klein, und dort wird sehr viel kontrolliert. Und nach unserer Un terhaltung wird noch mehr kontrolliert.« »Ich würde auch niemanden aus dem Raumschiff entführen. Sie können nicht an ders vorgehen, als die technischen Möglich keiten es zulassen. Entweder Entführung mit einem Raumschiff, durch einen Transmitter und in Verbindung mit einem Schiff, und als letzte Möglichkeit die bekannte Geiselnahme, die eine mehr oder weniger offene Flucht er möglicht.« »Richtig. Ich schlage vor, wir mengen uns unter die Gäste und kontrollieren einmal die Strecke. Bei der Gelegenheit können wir eini gen unserer Mitarbeiter auf die Finger sehen.« »Keine schlechte Idee!« Sie standen auf und gingen langsam auf die Endstation der Klondike-Bahn zu, die einen Kilometer vom Hotel entfernt war. Rund um das Hotel wucherte kontrolliert die Grünzone, die sich im Laufe der Jahre, in den Jahren der schrittweisen Erweiterung der Bahnstrecke, geschaffen hatte. Froom Wirtz und Doman Riley bestiegen den Führerstand der Bahn und warteten, bis sie anfuhr.
Normalerweise kostete eine Fahrt siebzehn Solar und dauerte sieben Stunden. * Die Landschaft zwischen dem Hotel und der ersten langen Höhle des Svorgebirges war völlig unverändert geblieben. Die Kette der Prallgleiter – die ersten hundert Kilometer blieben mehrere Einheiten zu einem Zug ver bunden – fuhr mehrere Handbreit über dem Boden dahin und wurde durch Energieleitli nien gesteuert. Der Zug ruckte an, beschleu nigte und raste los. »Schöne Gegend!« kommentierte Doman trocken und deutete aus dem Führerstand hin aus. Die Bahn sah aus wie eine der ersten Ei senbahnen des Wilden Westens Terras; auch der Name stammte aus dieser Zeit. Bei einer Geschwindigkeit von mehr als zweihundert Stundenkilometern pfiff, heulte und kreischte der Fahrtwind um jede der Aufbauten. Die Glocke läutete ohrenbetäubend, als Wirtz auf einen Hebel drückte. Aus dem riesigen Schlot quoll schwarzer Rauch, der vom Fahrtwind nach hinten gerissen und zerfetzt wurde. »Kann ich etwas für die Gegend?« Die ersten Ruinen tauchten auf. Es waren Anlagen, die älter als zwei Jahrtausende und hervorragend erhalten waren. Die Überreste einer uralten Kultur, deren Erschaffer ausge storben und vergessen waren. Schwarzer, mattglänzender Stein, in schaurigen Formen erbaut. Es sah drohend aus. Die Bahn machte eine scharfe Kurve und fuhr holpernd und ratternd auf das Zentrum der Gebäude zu. Eine riesige Anlage, unter brochen von Rasenflächen, von verkrüppelten und versteinerten Bäumen umgeben. Ge schwungene Treppen, die in Eingängen wie Totenschädel verschwanden. Die Bahn bohrte sich in diese Schächte und tauchte alle Gäste in pechschwarze Dunkelheit. Die Fahrt verlangsamte sich. Der Zug fuhr in Schleifen, aufwärts und abwärts, schneller und langsamer, manche Strecken zweimal, tauchte in unterirdische Höhlensysteme und schob sich durch die O berflächenbauten. Sie waren einst, das hatten die Aufzeichnungen und die ebenfalls in Stein gehauenen Bilder, Basreliefs und Standbilder 35
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten deutlich genug gezeigt, eine Kultstätte gewe sen. Der Kult schien von der Opferung leben diger Wesen gelebt zu haben. Der Umstand, daß dieses ausgestorbene Planetenvolk men schenähnlich gewesen war, verstärkte noch mehr die grauenvolle Wirkung der Anlage. Sie war von Wirtz und seinen Leuten und einer Schar von Robotern und Handwerkern weitgehend restauriert worden. Dumpfer Chorgesang war zu hören und hallte als mehrfaches Echo zwischen den Mauern wider. Scheinwerfer blendeten auf und beleuchte ten Szenen der Folterung und der Opferung, dargestellt durch einfache Robotapparaturen. Es war keine Geisterbahn, sondern viel mehr, fast bis zum historischen Perfektionismus getreu, eine nachvollzogene Geschichte dieser Bauwerke. Die Mischung aus völliger Stille, aus schnellen Beschleunigungsmanövern, von Abfahrten und Aufstiegen, durch tiefes Dun kel voller Feuer, Lichtblitze und Scheinwer fer, erhellt von flackernden Fackeln und ru ßenden Öllampen – gasgespeist – der uralte terranische Chorgesang und schaurige Primi tiv-Musik, teilweise von Wirtz selbst »kom poniert« – diese Mischung faszinierte die Zu schauer schon fünfzehn Minuten nach Anfang der Fahrt. Dann ratterte der Zug heulend und dampfzischend durch einen gewundenen Tunnel hinaus ins Freie und auf einen typi schen früheren Bahnhof der Klondike-Zeit. »Danke, Maschinist«, sagte Froom und stieg aus. Auch die Reisenden mußten den Zug wechseln. Wirtz und Riley schlossen sich aber nicht den anderen Fahrgästen an, sondern sie gingen hinüber in den Lagerschuppen ne ben dem Wasserturm. Dort erwartete sie ein heller, hervorragend eingerichteter Raum. Wirtz begrüßte seine Mitarbeiter, die schon fast Freunde geworden waren und mit Prä mien und Gewinnbeteiligung hier ebenfalls mitverdienten. »Mädchen«, sagte er, »und natürlich auch Jungen, ich glaube, es stehen uns ein paar aufregende Stunden bevor.« Sie umringten ihn, und zusammen mit Ri ley berichtete er, was sie erwarteten. Er schloß: »Es kann sein, daß alles ein blinder Alarm war. Aber ebensogut können diese acht Män
ner auch tatsächlich die Entführung planen. Nehmt alle Geräte, macht in den nächsten dreißig Stunden lange Kontrollgänge und meldet alles in mein Sekretariat. Es ist ver dammt wichtig. Außerdem spekuliere ich drauf, daß sich unser nichtsahnender Freund, der Millionär DePeer, auch erkenntlich zeigen wird. Das wäre es!« Er konnte sich auf sie verlassen, trotzdem aber unternahmen er und Doman Riley einen langen Rundgang durch das Gebiet. Es gab hier natürlich unzählige Verstecke für einen Transmitter, einen schweren Gleiter oder eine schnelle Space-Jet, aber sie alle waren nach kurzer Suche zu entdecken. Die Bahn ver kehrte nur in der Zeit der Tageshelligkeit, also fiel die Nacht als Schutz für mögliche Verbrechen aus. Zweifellos würden die Gangster mit den Mitteln der Überraschung und des Terrors arbeiten. Das bedeutete eine harte Auseinanderset zung. »Warum sind wir eigentlich so pessimis tisch?« fragte sich Wirtz laut. »Wir haben doch keine Gewähr, daß es diese acht Männer tatsächlich auf ein lohnendes Kidnapping ab gesehen haben?« »Ich selbst«, erklärte Riley, »glaube nur zu fünfzig Prozent an eine Entführung oder einen ähnlichen Gewaltakt. Aber fünfzig Prozent sind schon zuviel des Zufalls. Es muß Metho de hinter allem liegen.« Er winkelte den Arm an und sprach in sei nen Minikom: »Raumhafen. Sind irgendwelche Aktivitä ten gemeldet worden?« »Nein. Nichts. Wir haben alles durchsucht und auch Roboter und die planetare Polizei aktiviert. Es ist so friedlich wie immer. Es ist uns buchstäblich nichts aufgefallen außer ei nigen Abfällen, die natürlich niemand liegen gelassen hat.« »Gut so. Weitermachen!« murmelte Riley und schaltete ab. Sie gingen zu dem nächsten Zug, der sich fertig machte. Durch die alte Hafenstadt, die sich unmerklich veränderte, gingen die Gäste, bummelnd und einkaufend, essend und trin kend, hinunter zum Hafen. Auch dieser Hafen war original, aber restauriert. Eine Kette von 36
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten spindelförmigen Booten lag dort, durch Stege miteinander verbunden und tauchfähig. Auch sie wurden durch Energieschienen geleitet und gesteuert. Riley und Wirtz bestiegen das Führungsboot. Die zweite Fahrt begann.
Erlebnis der Brücke bevor. »Richtig. Und dafür eignet sich weder die Unterwasserstadt noch dieser Abschnitt der Strecke. Wenn sie den Wagen mit dem Milli onär überfallen und anhalten – oder etwas anderes tun –, dann nur an drei möglichen Plätzen.« Finster bestätigte Wirtz: »In der Totenstadt, in den Höhlen ...« »... und vor dem Vulkan. Meinetwegen noch im Bereich der Geister!« »Richtig.« Sie durchfuhren die gesamte Strecke und freuten sich, als die Gäste schreckensbleich und kreischend merkten, wie die Brücke zu schwanken und sich durchzubiegen begann. Schluchten von grauenerregender Einsam keit wechselten sich mit einer Fahrt über die Stromschnellen und den Wasserfall eines Ge birgsflusses ab, der seinerzeit von den ausge storbenen Planetariern umgeleitet und zu ei ner Reihe fürchterlicher Wasserspiele ge macht worden war. Ein Boot, das sich auf diesem Fluß beweg te, glitt durch Kanäle, die im Fels verschwan den und ihre Beleuchtung durch schräge Schächte erhielten. Die Fahrzeuge der Klondike-Bahn fuhren die alten Wege, trennten sich, kamen wieder zusammen und machten alle die merkwürdi gen Martern durch, die jene Wesen damals als Spaß oder gesunde Aufregung empfunden hatten. Auch hier leitete die Technik die Wa gen auf die sicherste Weise. Die Ingenieure, die diese Programme entworfen hatten, waren heute hochbezahlte Spezialisten und außer dem stolz darauf, daß noch nicht der kleinste Unfall geschehen war. Dann kam die Höhle. Auch hier stiegen sie aus und bereiteten die Insassen der Kontrollstationen darauf vor, was passieren konnte. Schließlich nahmen sie einen Gleiter und flogen hinüber zu dem vulkanisch aktiven Gebiet, in dem heißes Tiefenwasser, Dampf und abgelagerte Mineralien dafür sorgten, daß die Phantasie überreizt wurde. Die siebente Stunde der Fahrt verbrachten die Gäste hier, dann kehrten sie wieder zurück zum Aus gangsbahnhof. Auch hier befanden sich die Überreste der alten Kultur, überwuchert von
* Sie glitten durch die Wunderwelt der ver sunkenen Stadt. Es war eine große Hafenmetropole gewe sen, die durch einen fernen Vulkanausbruch versenkt worden war. Riley hatte eine wahr haft riesige Summe ausgegeben, um einen provisorischen Damm zu ziehen, alles leerzu pumpen und den Schlick der Jahrtausende wegzuräumen. Jetzt konnten die Boote sich durch die Gassen winden, konnten ins Innere der restaurierten und abgesicherten Gebäude sehen und die Schwärme von Fischen in allen Größen und allen Farben und Formen bewun dern. Zwei Stunden lang glitten sie durch die zauberhafte Umgebung, über die versunkenen Straßen hinweg und zwischen den Ästen der toten Bäume. Hier war ein Überfall nicht möglich, aber an der nächsten Station würden die Chancen der Gangster größer sein. Weiter ... durch alle Stationen, durch die Schluchten der Berge und durch die Tunnels, die übergangslos endeten und in Rampen aus liefen, die eineinhalbtausend Meter über dem Boden von Schluchten zwischen Himmel und Erde entlang glitten. Nur die Pfade von Berg ziegen waren schmaler und schwindelerre gender. Auch in dieser Passage schien ein Überfall für die Verbrecher mehr Gefahr zu bedeuten als für ihr Opfer. »Es muß schnell gehen, Doman!« sagte Wirtz und beugte sich weit aus dem Fenster, um den Abgrund genau zu sehen. Die einzel nen Wagen wanden sich wie Raupen an der senkrechten Felswand entlang und steuerten dann in sinnverwirrenden Serpentinen hinun ter und auf die Brücke zu. Auch der Pfad, ebenso wie die Felsenbrü cke, waren Hinterlassenschaften der alten Kultur. Nur waren sie inzwischen durch terra nische Technik sicherer gemacht worden. Jedenfalls stand den Passagieren noch das 37
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Kalkablagerungen in sämtlichen pastellenen Farben des Spektrums. Nachdem sämtliche Streckenposten in er höhte Alarmbereitschaft versetzt worden wa ren und ihrerseits darüber nachdachten, was sie tun konnten, um alles noch sicherer zu machen, gingen Riley und Wirtz wieder in das Büro zurück. Alles war geradezu unheimlich normal und ereignislos. Natürlich wurden die acht Männer über wacht. Aber auch sie verhielten sich nicht anders als normale Touristen. Mit einem kleinen Unterschied ...
seine ununterbrochene Beschäftigung mit sehr ungewöhnlichen Materien hatten ihn, unter anderem, eines gelehrt: alles, was ein Hirn oder mehrere Hirne sich ausdenken konnte, konnte von einem anderen Verstand nachvoll zogen oder, besaß man Anhaltspunkte, vor ausbedacht werden. Wirtz duschte sich, wäh rend die Anlage donnerte und die Scheiben zitterten, heiß und kalt und nahm dann eine Dosis aufputschender Mittel. Er zog sich an, wechselte seine Waffe aus und klemmte sich einen Minikom an den Arm. Dann ging er hinüber ins Büro, drückte einen Schalter und sagte kurz: »Bereitschaftsdienst!« Der Roboter verband ihn in einem Sekun denbruchteil. Vom Schirm grinste ihn Doman Riley an. Beide hatten sie also die gleichen Empfindungen gehabt. »Sehr gut!« sagte Wirtz erleichtert. »Doman, haben Sie einen Expreßwagen?« »Selbstverständlich. Ich konnte nicht schla fen.« »Ich auch nicht. Ich komme zu Ihnen her unter. Ist Azih in der Nähe?« »Ja. Er beschäftigt sich mit seinem positro nischen Spielzeug.« »Okay!« Minuten später befand sich Wirtz in dem runden Büro, das über dem Wasserbehälter der Oase untergebracht war. Die Anlage be fand sich, fast nicht wahrnehmbar, auf der Kuppe eines runden Hügels in unmittelbarer Nähe des Kopfbahnhofes. Wirtz sah hinunter auf die arbeitenden Reinigungsroboter und bemerkte, daß vor der Lokomotive des ersten, bereitgestellten Zuges ein schneller Prallfeld gleiter mit einem Zusatzgerät stand. »Gehen wir!« sagte Wirtz. »Wohin?« »In die Höhlen. Ins Labyrinth. Dort und nirgendwo sonst werden sie es versuchen.« Als sie durch die menschenleeren Gassen schritten, arbeitete hinter ihnen Azih mit sei nen Monitoren. Von allen Punkten, die mit Linsensystemen zu erreichen waren, wurden Aufnahmen gemacht und gespeichert. Dann blieben die Linsen eingeschaltet. Veränderte sich nun in der Wirklichkeit das gespeicherte Bild, das immer wieder von der Positronik kontrolliert wurde, dann ertönte ein Warnsig
* Mitten in der Nacht erwachte Froom Wirtz. Er blinzelte, schaltete das Licht ein und wischte sich über die Stirn. In der letzten Zeit hatte er eine Untugend an sich festgestellt, die Anzeichen einer Krisensituation oder einer sich nähernden Krise war. Er sprach gern mit sich selbst. Er schüttelte den Kopf, ging in die halbrobotische Versorgungszelle und nahm sich ein Glas Fruchtsaft aus dem Kühl schrank. Er hatte auf dem Planeten Mourt-Amont das größte Karussell, eine historisch einwand freie Geisterbahn, kurz: eine Sensation errich tet. Dieses Lebenswerk, das ihm eine Menge Selbstbewußtsein einflößte und eine noch höherer Summe Geld brachte, war in Gefahr. Was immer geplant wurde – dieses Zusam mentreffen war nicht zufällig. Sieben Stunden lang war der Millionär in Gefahr. Im Hotel und zwischen Hotel und Raumhafen konnte er beschützt werden, aber nicht genügend wäh rend der langen Fahrt. Froom Wirtz stellte seine schwere Omni aphonanlage an, schob eine Kassette ein und ließ alte terranische Musik durch die Räume donnern. Er fühlte sich persönlich angegrif fen. Es war, als ob ein Verbrecher eine hoch versicherte Karussellanlage auf einem Rum melplatz zerstören wollte und damit den Kin dern den größten Schmerz zufügte. Es ging jetzt nicht mehr um die Bahn, sondern um das Prinzip. Wirtz entschloß sich zu handeln. Seine wissenschaftliche Ausbildung und 38
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten nal. Dieses Signal würde nicht ertönen, solan ge der normale Verkehr der Klondike-Bahn ablief. Sie schwangen sich in den Gleiter, dessen hintere Sitze voller Waffen, Schein werfer und anderen Geräten lagen. Die Ma schine schoß los und beschleunigte innerhalb von vierzehn Sekunden auf vierhundert Stun denkilometer. Sie benutzten die Weichen und fuhren ohne Umwege die kürzeste Strecke bis zum Höhlenlabyrinth. Dort, vor dem Eingang, hielt der Gleiter an. Wirtz sah auf die Digitaluhr an seinem Hand gelenk und sagte: »Bis zum ersten Zug haben wir noch vier Stunden Zeit, Freund Riley. Wir werden sie gut nutzen.« Einer plötzlichen Eingebung folgend, blick te Wirtz hinauf zum Himmel. Dort waren die funkelnden Reflexe und die dünnen Partikel spuren von zwei offensichtlich kleinen Raum schiffen zu sehen. Die Gerade wies genau auf den kleinen Raumhafen der Stadt. »Der Millionär!« bemerkte Riley. »Mit sei ner Privatjacht.« »Und das zweite Schiff?« Sie blickten sich an und hoben vielsagend die Schultern.
hatten hier in vier Ebenen, verbunden durch zahlreiche Rampen und Treppen, ein Laby rinth geschaffen, das im wesentlichen aus dicken Säulen und langen Wänden in vielerlei rechten Winkeln bestand, unterbrochen durch kleine Plätze und Nebenanlagen. Die Hohl räume zwischen diesen über und über behau enen Figurenwänden, Altären, Versamm lungsplätzen, rituellen Stätten und Anlagen waren in mühevoller Arbeit geschaffen und das Gestein hinaustransportiert worden. Es bildete, inzwischen erodiert und von einem Wald bestanden, eine Art Sockel dieses Bergmassivs. Riley fädelte den Gleiter in die Steuerimpulse der regulären Rundfahrt ein und sah auf seiner Seite hinaus. »Es gibt nur wenige Stellen, an denen ein Überfall möglich ist. Schließlich muß ein Wagen angehalten werden. Womöglich auch noch einer, der voller fremder Passagiere ist.« Wirtz nickte nachdenklich und deutete schräg nach vorn. Dort, zwischen langen Mauern, befand sich ein Nebenplatz, bevöl kert mit einfachen Robotwesen, die ausge schaltet waren. Jetzt, im grellen Licht, wirkte alles etwas steril und ohne jedes Geheimnis und angenehmes Schaudern. »Das ist ein solcher Platz. Denkbar ist, daß sie den Millionär herauszerren, in einen Transmitter stoßen, dessen Gegengerät in ei nem Raumschiff ist. Wir müssen also han deln, ehe der Transmitter erreicht ist.« Riley murmelte: »Wir werden sie zweifellos sehen, wenn sie den Transmitter aufbauen. Es ist schließlich ein auffälliges Gerät.« Er drückte auf einen Knopf und steuerte den Gleiter aus der Rundfahrt hinaus. Die Maschine schwebte langsam und vorsichtig in den Hintergrund zurück und wurde dort an einer Stelle versteckt, die kaum jemand finden konnte. Dann schritten die Männer zwei Stunden lang die Höhle ab und fanden einige Stellen, die sich förmlich anboten. Sie stellten eine Serie kleiner Geräte auf, machten die Handscheinwerfer fertig und warteten. Insgesamt vier Stunden lang. Dann erreichten sie kurz nacheinander mehrere Meldungen. »Millionär DePeer ist eingetroffen, hat sein Hotelzimmer erreicht. Er kam mit seiner sehr
* Wirtz fragte in das winzige Mikrophon des Minikoms hinein: »Wachdienst Höhlenlabyrinth. Hier spricht Wirtz. Gibt es etwas Neues?« »Nein. Wir haben euch kommen sehen. Was geht vor?« »Wir warten hier, ob etwas geschieht. Macht bitte für eine Stunde sämtliche Lichter an, ja?« »Gut. Brauchen Sie noch etwas?« »Vielleicht später ein Frühstück. Ich denke, wir bleiben ziemlich lange hier. Paßt um Himmels willen auf, sobald der Betrieb be ginnt!« »Selbstverständlich, Chef!« Sämtliche Lichter wurden nacheinander angeschaltet, selbst die Scheinwerfer der Not beleuchtung, die auch die verstecktesten Win kel ausleuchteten. Der Gleiter nahm Fahrt auf und schob sich über den Energieschienen in die Höhle hinein. Jene merkwürdigen Wesen 39
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten gutaussehenden Tochter.« »Zwei der beobachteten Männer sind mit einem Mietgleiter weggefahren. Richtung Norden, also Wüstenrand.« »Drei Männer verlassen mit Koffern das Hotel. Nehmen angeblich an einem Planeten rundflug teil!« »Die drei letzten Verdächtigen haben sich getrennt. Sie kauften Karten für die Bahn.« Langst waren die Lichter wieder ausge schaltet worden und hatten den »normalen« Effektlichtern Platz gemacht, die eine Menge schauriger Szenen beleuchteten und die in Stein gehauenen gräßlichen Bildwerke her vortreten ließen. Nachdenklich musterten die beiden Männer die Fratzen, die Qualen der Opfer und die wahrhaft steinernen Gesichter der Zelebranten. Die Züge kamen, fuhren ihre Schlangenli nien, fuhren wieder weg, erschienen an ande ren Stellen. Die Trommeln und Fanfaren, die Chorsätze der uralten Musik, das Stöhnen und die elekt ronisch erzeugten Geräuscheffekte brachen sich zwischen den Bildwerken und den schwarzen Mauern. Parallel strahlende Scheinwerfersätze verwandelten die Reliefs in drohende Galerien der Schrecken. Langsam ging das Inferno aus Geräuschen und Lichtern, aus Musik und den vorbeihu schenden Gesichtern den Männern auf die Nerven. Wieder erhielten sie neue Mitteilungen. Inzwischen gab es keinen Zweifel mehr daran, daß die acht Männer etwas versuchten. Riley und Wirtz warteten immer noch. Hin und wieder huschte einer der Männer weg und inspizierte das Gelände. Schließlich kam es aus dem Minikom: »Soeben sind DePeer und seine Tochter ge startet. Zwei der Männer befinden sich im selben Wagen.« »Jetzt geht es los!« sagte Wirtz. Sie warteten weiter. Sie wurden unruhig, aber ihre Wachsamkeit ließ keineswegs nach.
Säulen und Winkel. Der Lärm und die Musik übertönten sämtliche Geräusche. Wieder ein Summen. Also waren die beiden Männer ein getroffen, die den Mietgleiter fuhren. Riley näherte seinen Mund dem Ohr Frooms und sagte grimmig: »Alle unsere Überlegungen waren richtig. Sämtliche Sicherheitssysteme haben erstklas sig funktioniert.« Eine weitere Meldung besagte, daß sieben Männer der Sicherungstruppe von ihren Pos ten abgerufen und auf den Weg hierher ge schickt worden waren. Hin und wieder sahen Wirtz und Riley die Fremden. Es waren Männer, die sich mit schnellen, sicheren Körperbewegungen durch das Labyrinth schoben. Sie schleppten schen kelstarke, dicke Metallteile mit sich. Sie gin gen sehr geschickt vor und nützten jede De ckung aus, rannten geduckt zwischen den Prallfeldgleitern vorbei und kamen immer näher. Sie verschwanden in einem kleinen runden Platz zwischen den Säulen. Hier loder te ein gasgespeistes Feuer, um das Roboter in den Gewändern der ausgestorbenen Herren dieses Labyrinths tanzten. Die Männer be wegten sich im Takt der Musik und begannen, ihr Gerät zusammenzubauen. Sie waren au ßerordentlich geschickt. Im Rhythmus des flackernden Lichtes setz ten sie in wahrer Rekordzeit die Basis des kleinen, aber leistungsfähigen Transmitters zusammen. Riley sah ebenso zu wie Wirtz, und als Riley vorsichtig die dunkle Jacke zu rückschlug und die Waffe zog, drückte Froom die Hand langsam hinunter. Die Mündung deutete jetzt zum Boden. Warnend schüttelte Wirtz den Kopf. Riley verstand sofort. Der Transmitter war zusammengebaut. Die Männer bückten sich und schalteten ihn ein. Der Krach, mit dem die beiden rotglühenden Säulen sich aufbauten, übertönte die Ge räuschkulisse im Labyrinth. Aber von den Wagen aus fiel der arbeitende Transmitter nicht auf. Dreißig Minuten vergingen. Riley und Wirtz merkten sich genau, wo die beiden Gangster sich versteckten. Dann ertönte a bermals das Signal, und drei weitere Verbre cher näherten sich und versteckten sich eben falls zwischen der scharfen Kehre der Bahn
* Plötzlich summte eines der Warngeräte auf. Augenblicklich sprangen die Männer auf und drückten sich in den tiefen Schatten der 40
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten und der Nebenhöhle. Hinter ihnen kamen die Wächter und legten sich auf die Lauer. Wirtz hob den Arm und sagte in den Minikom: »Stoppt die Bahn nach dem Wagen, in dem der Millionär sitzt. Sonst gibt es ein Chaos!« »Verstanden.« Damit schien wenigstens ein Teil der drei Kidnapper ausgeschaltet zu sein, falls sie sich hinter dem Wagen des Millionärs befanden. Wieder warteten die Männer und wußten, daß es in kurzer Zeit auf Sekunden ankommen würde. Schließlich kam der Prallfeldgleiter heran und näherte sich in der vorgeschriebe nen Geschwindigkeit der scharfen Kehre. Kurz bevor der Gleiter den Wendepunkt er reichte, sprang einer der Kidnapper vor, feuer te aus einer schweren Zweihandwaffe auf den Boden und durchtrennte die dicke Isolierung der Leitlinie. Einer der Wächter erhob sich und feuerte aus einem wuchtigen Lähmstrah ler. Der Saboteur riß den Oberkörper zurück, schleuderte die Waffe nach rechts und fiel nach links zwischen die Felswände. Zwei weitere Männer sprangen vor, als die Tür des Gleiters aufgerissen wurde und das Mädchen hinaussprang. Ein Gangster folgte, der mit dem Strahler DePeer bedrohte. Jetzt bewegten sich auch Riley und Wirtz. Anschließend überstürzten sich die Ereig nisse. Die zwei Männer, die den Transmitter auf gebaut hatten, eröffneten das Feuer auf die Stelle, an der der Wächter gestanden hatte. Jemand sprang vor und riß das Mädchen als Schild vor sich. Er rannte und stolperte auf den Transmitter zu. Jetzt handelte Wirtz. Er riß den kleinen Paralysator heraus, zielte sorg fältig und schoß dem Kidnapper die volle Ladung in den Rücken. Dann ließ er die Waf fe fallen, hechtete nach vorn und faßte das Mädchen um die Hüfte. Er zog sie mit sich in den Hintergrund und warf sich zu Boden, als zwei Strahlerschüsse über das Mädchen und ihn hinwegzischten und die Steine detonierten und im Funkenregen auseinanderbrechen lie ßen. »Bleiben Sie hier liegen!« brüllte er und wirbelte herum, halb in der Hocke, die Waffe hochgerissen. Er feuerte einen langen Schuß auf den Transmitter ab und zerschmolz die
Basisplatte. Undeutlich sah er Schatten und Bewegungen verschiedener Männer. Er konn te Freund und Feind nicht unterscheiden. Flammen und glühende Spuren fraßen sich durch das Metall des Transmitters. Dann de tonierte das Gerät, warf die Robots um und löschte die Gasflammen aus. Riley war hinter dem Entführer aufgetaucht, der den Millionär bedrohte. Sein Arm hob sich und sauste her ab. Der Entführer brach, von einem furchtba ren Schlag getroffen, auf der Stelle zusam men. Riley riß den Millionär mit sich und flüchtete, von einigen Schüssen verfolgt, hin ter einer Säule und versuchte dann, sich zum Gleiter durchzuschlagen. Die Kidnapper – fünf Mann mußten noch übrig sein – zogen sich in die Tiefe des Laby rinths zurück. Die anderen Sicherheitsleute der Klondike-Bahn verfolgten sie. Wirtz, der zusehen mußte, wie wertvolle Teile der ural ten Bildwerke zerstört wurden, wie die kost baren Leitschienen vernichtet und die Scheinwerfer zerfetzt wurden, fühlte, wie eine besinnungslose Wut in ihm hochkroch. Er sprang zwischen den taumelnden Robotern hervor, hechtete nach links und rannte dann eine lange Rampe hinauf. Rechts, schräg unter ihm, in einer Front von mehr als zwanzig Metern, lieferten sich Ver folger und Verfolgte ein wütendes Gefecht. Jetzt war eine Unterscheidung einigerma ßen gut möglich. Die Gruppe der Kidnapper zog sich in die Richtung zurück, in der einige abgestellte Wagen standen. Nach wie vor waren die Leit schienen in Betrieb, die Störung erstreckte sich nur auf einen Teil der Strecke von fünf Kilometern, der sich durch die Labyrinthe wand. Wirtz begann zu rennen und hetzte im Zickzack zwischen den Säulen und den vielen Winkeln des Felsens entlang und gab von Zeit zu Zeit einen gezielten Schuß ab. Er sah einen Mann fallen, aber dann überflutete ein Hagel aus Feuerstrahlen seine Deckung. Er rannte keuchend weiter. Noch vier Kidnapper. Die Verfolger schwärmten aus und ver suchten, die Männer zu umgehen und zu um zingeln. Jetzt entdeckte einer der Kidnapper die abgestellten Wagen und handelte schnell. 41
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten Es schienen Profis zu sein. Für sie war es wichtig, um jeden Preis zu entkommen. Plötz lich schaltete jemand das gesamte Licht ein, und die dröhnende Musik, die bisher ununter brochen gespielt hatte, riß abrupt ab. Jetzt waren die Schüsse, die hastigen Schritte und die Flüche deutlich und mit Echo zu hören. Ein weiterer Kidnapper wurde von einem Hagel aus Strahlen festgehalten und beim Versuch, die Deckung durch einen tollkühnen Sprung zu verlassen, in der Luft von einem Wirkungstreffer erwischt und herumgewir belt. Zwei Männer rannten auf den Gleiter an der Spitze zu, auf ein offenes Modell. Zwei Sekunden später schleuste sich die Maschine in die Gerade ein und raste davon. Die Männer schossen nach rückwärts und verbrannten einen Verfolger den Arm und den halben Rücken. Wirtz fluchte lautlos und erreichte den nächsten Wagen. Jetzt war seine Wut in mör derischen Haß umgeschlagen. Er schwang sich in den Fahrersitz und schaltete die Maschine ein. Rücksichtslos riß er den Beschleunigshebel bis zum Anschlag durch und fühlte, wie ihn der Andruck schwer in den Sitz preßte. Das andere Fahrzeug hatte einen Vorsprung von mindestens zehn Kilo metern, aber er kannte einige Tricks, die den anderen vor ihm fremd waren. Beide Gleiter nahmen Kurs auf den Weg durch die Schluchten und entlang der senk rechten Felsabstürze.
technischen Einrichtung zurückgeblieben wa ren. Hin und wieder stießen sie auf einen be wegungslosen Körper und hoben ihn auf. Scheinwerfer waren zerschossen oder aus gebrannt. Stromführende Kabel hingen durchge schmort von den Decken. Die Leitschiene war durchschossen. Zwischen den Säulen hing Rauch. Kna ckend kühlte an einigen Stellen der Stein aus. Fetzen waren aus den Fratzen und den Figu ren herausgesprengt worden. In den Basalt wänden waren tiefe Trichter. Der Prallfeld gleiter war zerstört. Die Tochter des Millionärs hob den Kopf und sah ihnen entgegen. »Kommen Sie«, sagte Riley. »Es ist alles vorbei. Sie sollten entführt werden. Unser Chef jagt die beiden letzten Kidnapper.« »Es war furchtbar!« flüsterte sie. »Was ist eigentlich passiert?« Vom hinteren Teil der Anlage schob sich der Krankengleiter heran und blendete die Scheinwerfer ab. Binnen kurzer Zeit waren die bewußtlosen und toten Körper verstaut. Eine Hosteß mit einem kleinen Hotelgleiter kam und brachte den Millionär und seine Tochter zurück ins Hotel. * Froom Wirtz holte auf. Schon längst hätte Wirtz die Verbrecher eingeholt, wenn nicht, mit Ausnahme des Fel senlabyrinths, sämtliche anderen Schienen und Gleiter hätten weiterlaufen müssen. So aber konnte er nur aus seinem Gerät das Letz te herausholen und hoffen, daß inzwischen die Schaltzentrale ein Teilstück ausschaltete, so daß sich der Gleiter vor ihm entscheidend verlangsamte. Er würde trotzdem in der Spur bleiben, dank der Sicherheitsvorkehrungen der Klondike-Bahn. Die Fahrt abwärts be gann. Die Wagen näherten sich bis auf dreißig Meter, aber durch einen Abgrund getrennt. Langsam hob Wirtz die Waffe und visierte den vor ihm rasenden Gleiter an. Er selbst raste auf einer langen Gerade auf eine Kurve zu. Hinter der Kurve verschwand eben der Gleiter mit den beiden Kidnappern. Er würde
* Riley erschoß den letzten Kidnapper, der sich erbittert wehrte und ihn um eine Hand breit direkt in den Kopf getroffen hätte. Seine gesamte Schädelhälfte brannte fürchterlich. Dann hob er den Arm und schrie ins Mik rophon: »Wir haben sie alle. Bringt sofort die Ret tungsleiter ins Labyrinth. Genau zu den tan zenden Derwischen!« Er sicherte die Waffe und schob sie zurück. Dann ging er langsam zu der Stelle zurück, wo sie den bewußtlos geschossenen Millionär und dessen Tochter zurückgelassen hatten. Unterwegs sahen sie die furchtbaren Schäden, die sowohl an den Skulpturen wie auch an der 42
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten eine enge Wendung beschreiben und dann an der gegenüberliegenden Felswand wieder schneller werden. Dreißig Meter vor der Kurve feuerte Wirtz einen Schuß nach dem anderen ab. Er traf den Unterteil des Gleiters, die Windschutzscheibe und das Heck. Die Maschine sackte mit dem Heck schwer durch und schlitterte funken sprühend und krachend über die planierten Felsen. Dann bremste Frooms Gleiter, bog in die Kurve ein, und jetzt eröffneten die Kid napper das Feuer. Wirtz, dem die Steinbro cken und die Splitter um die Ohren flogen, duckte sich tief unter das Armaturenbrett. Über ihn fauchten die Schüsse hinweg. Dann verschwand der Gleiter. Wieder raste das Fahrzeug Frooms los, schob sich bis auf kurze Distanz an den da hinratternden und schlingernden Gleiter her an. Froom stemmte sich mit Kniekehlen und der linken Hand, die sich irgendwo festkrampfte, gegen die Fliehkraft und hob sich halb aus dem Sitz. Er zielte und feuerte, ein Schuß löste sich und schmetterte zwischen die beiden Männer. Bis hierher hörte Wirtz den Schrei. Er bewegte den Lauf hin und her, aber die Kidnapper ließen sich in die Sitze fallen. Die Feuerstrahlen schmolzen weitere Teile des Hecks zusammen. Jetzt quoll aus dem Heck eine dichte, langgezogene Rauchwolke. Un barmherzig schoß Wirtz weiter und sah jetzt, daß der Gleiter vor ihm sich der langsamen Schußfahrt näherte, die in die schwankende Brücke überlief. Sein Gleiter natürlich auch, zwanzig Meter später. Er war fast besinnungslos vor Wut. Dort vorn verbrannte sein Eigentum, an dem der Schweiß vieler und karger Jahre klebte. Der Gleiter vor ihm wurde schneller. Und schneller. Noch schneller. Er schlin gerte hin und her. Wirtz ließ sich wieder zu rückfallen und wußte, was jetzt kommen wür de. Er warf die Waffe achtlos auf den Neben sitz und drosselte die rasende Geschwindig keit des Wagens. Der Fahrtwind heulte durch die offenen Seitenfenster und durch die durch löcherte Frontscheibe. Jetzt ... Die Maschine schlingerte, beschleunigte noch immer und wurde dann aus der Führung,
die durch unsichtbare Energien gewährleistet wurde, gerissen. Vor der letzten leichten Kur ve verließ der Gleiter die Gerade und raste weiter, schnellte sich von dem schmalen Fels band und flog einige Sekunden lang gerade aus weiter. Dann senkte sich die Haube. In einem flachen, immer spitzer werdenden Winkel kippte die Maschine ab und stürzte dann trudelnd, sich überschlagend und rau chend mehr als eintausend Meter tief. Erst als Wirtz schon lange an der Absturzstelle vorbei war, hörte er die Explosion eine Zehntelse kunde nach dem Aufprall und rund drei Se kunden später als der Zeitpunkt, in dem die Männer gestorben waren. Tausend Meter wa ren drei Sekunden, die der Schall zurücklegen mußte. An der nächsten Station stieg er aus, nahm sich einen Gleiter und fuhr zurück in sein Bü ro. Dort erfuhr er, daß Riley bereits jede ver fügbare Kraft, auch die bereits voll program mierten Roboter, ausgeschickt hatte, um die verwüstete Höhle wieder instand zu setzen. Auch die planetare Polizei wartete auf ihn. Drei Stunden nach Abschluß aller notwen digen Formalitäten: Froom Wirtz lag in einem Sessel. Aus den Lautsprechern klangen die letzten zwanzig Minuten der Incoronazione di Poppea von Monteverdi. Froom war nicht mehr ganz nüchtern, als er einen störenden Ton heraus zuhören glaubte. Der Türsummer! Er schlug einen kunstvollen Seemannsknoten in den Gürtel des weißen Bademantels und ging langsam zur Tür. Der scharfgesichtige Mann in dunkelbrau ner Uniform, der ihn anblickte, war völlig unbekannt. »Darf ich eintreten?« fragte er. »Der Tag ist ohnehin schon ruiniert«, sagte Wirtz. »Kommen Sie herein. Calvados?« »Gern. Wenn Sie den Kaffee dazu liefern.« »Natürlich. Und was wollen Sie?« Der Fremde lächelte verbindlich, jedoch sehr zurückhaltend. »Ich habe von dem Unglück gehört, das Sie betroffen hat. Ich weiß auch, daß Sie mit aller Macht die Schäden wieder aufbauen wollen. Ich bin geschickt worden, um Ihnen ein An gebot zu machen.« »Sie sind geschickt?« 43
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten »Möglicherweise nur erfahren«, beendete der Fremde das Wortspiel und folgte Froom in die Küche, wo Wirtz die Kaffeemaschine programmierte. »Ich komme von Atlan, dem großen Boß der United Stars Organisation. Er läßt fragen, ob Sie bei uns mitmachen wollen ...« Wirtz zuckte zusammen. »Höre ich schlecht?« »Nein. Wir können Ihnen ein Leben voller gefährlicher Abenteuer bieten und die fast uneingeschränkte Macht der riesigen Organi sation. Übergeben Sie treuhänderisch die Bahn Ihrem Freund Riley und kommen Sie mit uns. Kein USO-Spezialist hätte das Kid napping besser verhindern können als Sie.« Der Robot stellte die Tassen bereit und die Gläser. Sie zogen sich in den Wohnraum zu rück, in dem gerade die letzten, triumphieren den Takte der uralten Musik verhallten. Dort setzten sie sich. Mit einem gekonnten Schnörkel lief die Musik aus. Die Stille war beinahe erschreckend. »Woher wissen Sie, was ich getan und un ternommen habe?« erkundigte sich Wirtz et was verwirrt. »Bildschirme, Gerüchte, einige Wahrneh mungen, Unterhaltung mit Petra DePeer, und andere Dinge. Wie gesagt: United Stars Orga nisation.« Wirtz war ein Mann schneller Entschlüsse. Beim dritten Calvados sagte er zu, dann ging er ins Bett und schlief bald ein. Der Fremde hatte ihm nicht verraten, wozu die USO gera de ihn, Froom Wirtz brauchen konnte. Sicher nicht dazu, um eine andere Klondi ke-Bahn einzurichten ...
det, und mir wurde eben versichert, daß er nicht auf Komouir gelandet ist.« Er deutete auf eine entsprechende Mittei lung, die auf dem Bildschirm flimmerte. War das gesamte Projekt IS sinnlos geworden und bewies damit seine Untauglichkeit? »Welche Fehler haben wir gemacht?« frag te er laut. Garobier kaute und murmelte schwer ver ständlich: »Ich habe in den Tagen, in denen ich hier bin, sämtliche Unterlagen noch einmal durch gelesen und genau analysiert. Schließlich hat ten wir das Projekt vor sechs Jahren etwa ge startet.« Atlan sah ihn fast verzweifelt an. »Ja, und? Mit welchem Ergebnis?« Garobier schüttelte seinen Schädel und ver sicherte im Tonfall der tiefsten Überzeugung: »Wir haben alles richtig gemacht, Lordad miral. Alles. Mir fiel nicht der geringste Feh ler auf. Außerdem haben wir zweimal eine Wahrscheinlichkeitsberechnung machen las sen. Es gibt nur eine denkbare Lösung.« Atlan senkte den Kopf. »Froom Wirtz ist auf Wiga-Wigo umge kommen. Er ist tot.« Es gab kaum etwas, das sie nicht über das Projekt »Instinkt-Spezialisten« wußten. Sie erinnerten sich. Sechzehn Terraner wurden ausgesucht. Sie waren alle Personen ohne soziale Bindungen. Zehn Männer, darunter Ceeman Orient, Isi dor Natzmann und Froom Wirtz, waren an allen möglichen Orten der Galaxis ausge sucht, befragt und angeworben, ohne daß ei nem von ihnen klar gewesen wäre, worin sie sich mit ihrer grundsätzlichen Einwilligung eingelassen hatten. Und sechs Frauen ... sie waren in gewisser Weise derselbe Typ. Unabhängig, überra schenderweise sehr hübsch und mit allen Wassern gewaschen. Auch sie waren auf die selbe Weise angeworben worden. Die Sammelaktion hatte einen guten Erfolg erbracht. Schließlich befanden sich die sechzehn Ter ranerinnen und Terraner in Quinto-Center. Atlan erinnerte sich deutlich, wie er damals in den kleinen Saal getreten war ... »Fragen Sie mich jetzt nicht, warum wir
7. 16. Mai 2843 – Quinto-Center: Atlan schaukelte mit seinem Sessel hin und her und fragte sich zum hundertstenmal, was in seinem Projekt fehlgeschlagen sein könnte. Wieder bewegte sich der massige Mann vor ihm und deutete auf die Bildschirme des Computers. »Jetzt haben wir die letzte Bestätigung. Nichts, Sir!« Atlan nickte. »Nichts. Froom Wirtz hat sich nicht gemel 44
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten gerade auf Sie gestoßen sind. Das erfahren Sie alles während Ihrer Ausbildung – falls Sie sich ausbilden lassen. Ich sage Ihnen, daß wir ein faszinierendes Vorhaben starten wollen.« Damals wie heute stand es vor seinen Au gen, hatte Wirtz die Hand gehoben und leicht ironisch gefragt: »Schön und gut, Sir. Aber wer sagte Ihnen, daß gerade wir die Richtigen für Ihr Vorhaben sind?« Atlan hatte gegrinst und geantwortet: »Unter anderem eine Reihe von Tests. Was immer die Resultate sind – Sie gehen kein Risiko ein. Wir nennen dieses Projekt ›InstinktSpezialisten‹. Ich frage Sie jetzt, wer sich freiwillig für dieses Projekt zur Verfügung stellt. Es hat, abgesehen von einer erstklassi gen Ausbildung, einige zunächst merkwürdig erscheinende Erkenntnisse zur Folge. Ihr Gedächtnis wird in bestimmten Teilen verändert. Das ist aber kein Eingriff in die Persönlichkeit, denn gerade weil Sie alle so sind, wie Sie sind, haben wir Sie ausgesucht. Zweitens werden Sie einer Reihe von ein zelnen Abschnitten der Hypnoschulung unter zogen. Wissen und Kenntnisse, Erkenntnisse und Verhaltensweisen werden Ihnen einge prägt. Es ist dies alles keine Veränderung Ih rer bisherigen Qualifikation; selbst Kandida ten, die erkennen lassen, daß sie für diesen Versuch nicht geeignet sind, werden bei uns eine Menge anderer, ebenso reizvoller Mög lichkeiten finden. Und wenn Sie nicht mehr mögen, verschaf fen wir Ihnen einträgliche Jobs, die Sie selbst sich aussuchen können! Wer meldet sich freiwillig?« Atlan mußte grinsen. Damals hatten sich al le gemeldet, ohne jegliches Zögern. Dann, schon am nächsten Tag, hatten die Testreihen begonnen. Die USO beschäftigte ausschließlich Spit zenkönner. Deswegen waren die Tests auch zuverlässig und sagten eine Menge aus. Ganz langsam, von Woche zu Woche, verringerte sich die Zahl der Kandidaten. Sechs Männer und drei Frauen blieben übrig. Neun aus sechzehn. Ein fabelhafter Prozentsatz, wie der betelkauende Sellbegg versichert hatte.
Diese sieben Frauen und Männer wollten ebenfalls in den Reihen der USO bleiben und wurden entsprechend untergebracht. Garobier unterbrach die Gedanken des Ar koniden. Er fragte trocken: »Nun, in den Erinnerungen gekramt, Sir?« Atlan lächelte etwas schwermütig. »So ist es«, gab er zu. »Ich glaube wirklich, Wirtz ist tot. Es gibt kaum eine andere Alter native. Wiga-Wigo ist ein kleiner Planet, auf dem selten Schiffe landen oder starten. Die Siedler dort in der Eastside kämpfen hart um ihre Existenz.« »Erinnern Sie sich noch an die Aufregun gen damals?« fragte Sellbegg. »Ich erinnere mich immer!« sagte Atlan. Die neun Terraner, die nach den umfang reichen Tests übriggeblieben waren, erhielten Hypnoschulungen. Die Testreihen wurden immer schwieriger, je mehr Zeit verstrich. Nicht eigentlich schwieriger, sondern spezia lisierter. Sie hatten die Ungeeigneten von den Geeigneten getrennt. Es war für Atlan fast eine Selbstbestäti gung, daß Ceeman Orient, Isidor Natzmann und Froom Wirtz übriggeblieben waren. Schließlich, nach einem halben Jahr ... ... wußten die neun Personen nicht mehr, daß sie erstens Instinkt-Spezialisten waren und zweitens zur United Stars Organisation gehörten. Sie waren noch immer »ihre alten Persön lichkeiten«. Sie hatten sich kaum verändert. Ceeman Orient war und blieb der Typ des Mannes, der seine persönliche Freiheit über alles stellte und auch voll in der Lage war, sie zu behalten und nötigenfalls mit allen Mitteln zu verteidigen. Er konnte aber mehr, wußte mehr, besaß mehr Kenntnisse und Erkenntnis se. Sein Intelligenzquotient hatte sich um dreißig Prozent erhöht, und schon vorher war er alles andere als niedrig gewesen. Isidor Natzmann blieb jedenfalls der jun genhaft wirkende Jäger, der jetzt aber zu groß und zu gut für Bestien wie einen Squopper war. Noch immer stand er dem Rest der Ge sellschaft – das waren mit ein paar Ausnah men alle anderen Menschen – mit äußerster Skepsis gegenüber. Aber er hatte sein Wissen um einen geradezu unglaubhaft hohen Betrag erweitert und fühlte sich keineswegs als An 45
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten gestellter einer Institution, die die Ordnung im Kosmos auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Und schließlich Froom Wirtz. Noch immer produzierte sein Verstand die skurrilen Ideen und phantastischen Theorien am laufenden Band. Auch er war einer der Menschen, die im Bedarfsfalle von der USO aktiviert werden konnten. Er lebte unter einer neuen, ihm sehr sympathischen Identität und fühlte sich dabei wohl. »Verdammt!« sagte Atlan. »Schade, daß er tot ist. Oder derart blockiert, daß er sich nicht befreien kann.« Sellbegg Garobier, der Leiter dieses langen und sehr intensiven Verfahrens stimmte zu. »Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Natürlich habe ich etwas dagegen, mir selbst zu erzählen, meine wissenschaftliche Arbeit sei Unsinn oder nicht effizient, aber dennoch muß ich sagen: Froom Wirtz scheint, so oder so, ausgefallen zu sein.« Sie schwiegen. Zahlreiche Möglichkeiten, mit denen Instinkt-Spezialisten auszuschalten waren, schossen durch ihre Überlegungen. Die Instinkt-Spezialisten mußten »gestar tet« oder »gezündet« werden. Das bedeutete nichts anderes, als eine um fassende Reaktion auf Schlüsselreize. Bei Froom Wirtz war es die Mitteilung, daß Rho dan auftauchen würde. Ein unerklärlicher Zwang, den Wirtz keineswegs als unerklär lich, sondern als höchst normal erkannte, würde ihn dann an die Stelle treiben, an der Rhodan auftauchen würde. Das war gesche hen. Man hatte auch in die Richtung von Wi ga-Wigo ausgestrahlt, daß Rhodan nach Ko mouir kommen und dort nach dem Rechten sehen würde. Die IS wußten keinesfalls, wa rum sie so und nicht anders handelten. Und das machte sie auch völlig immun ge gen jede Art von Verhör. Niemand konnte sie verdächtigen, für die USO zu arbeiten. Niemand war in der Lage, ihnen eine Ver bindung zur USO nachzuweisen, denn was sie selbst nicht wußten, konnten sie bekanntlich unter keinen Umständen ausplaudern. Ihre wahre Identität war auch durch die bekannten und zu Recht gefürchteten Hypnoverhöre nicht ans Tageslicht zu bringen. Niemand wußte, daß sie im Dienst der USO
unterwegs waren. Denn während die Instinkt-Spezialisten im Einsatz waren, wußten sie selbst nicht, daß sie eigentlich im Dienst und für die Interessen der USO arbeiteten. Sellbegg fragte leise: »Sollen wir nicht einen anderen Mann ein setzen? Oder eine der jungen Frauen?« Natürlich kannten sie alle die Operations gebiete, in denen die »schlafenden« Spezialis ten jetzt operierten, bereit, auf Abruf zu einer neuen Mission zu starten. »Nein!« erklärte der Arkonide. »Ich habe bereits etwas anderes im Sinn. Ich habe ver sprochen, bis heute zu warten. Ich versprach es mir selbst, weil ich nicht an einen Mißer folg von Wirtz dachte. Aber jetzt muß ich handeln, ob ich will oder nicht!« Zielsicher spuckte Garobier die ausgekaute Schale der Betelnuß in einen Abfallvernichter und fischte in der Tasche nach einer neuen, glänzenden Betelnuß. Er schob sie zwischen die Zähne und biß darauf. Dann begann er zufrieden zu kauen. »Ich verstehe!« sagte er kauend. Der Einsatzbefehl für IS erfolgte durch ein fache Kommandos. Es war im Idealfall fast eine Reaktion der Pawlowschen Hunde. Wirtz würde dorthin reisen, wo Rhodan demnächst landen würde. Ein geistiger oder sogar körperlicher Reiz war der Auslöser. Atlan überlegte abschließend: Bisher hatte er gewartet, ob Wirtz auf Ko mouir eintraf. Perry Rhodan – das war die Aktivierung für Wirtz gewesen. Sie hatte ver sagt. Jedenfalls war im Deylight-System et was los. Entweder hatten sie die Nachricht über Rhodans Landung auf Komouir nicht gehört – das war unglaubwürdig. Sie mußten es gehört haben! Es gab keine Alternative. Oder Wirtz war tot. Sellbegg Garobier und Atlan klammerten sich an den Ausdruck ihres Wunschdenkens. Sie wollten nicht daran glauben, daß Wirtz tot war. Er hätte augenblicklich ins TiffakSystem aufbrechen müssen. Außerdem ... wenn man in den letzten Winkeln der Galaxis von den Schwingkristallen auf Komouir ge hört hatte und augenblicklich reagierte, dann war es geradezu unmöglich, daß diese Nach 46
ATLAN 124 (145) – Die Instinkt-Spezialisten richt nicht bis nach Wiga-Wigo gedrungen war. Garobier fragte: »Sie sind ratlos, Lordadmiral?« »Sie haben recht. Ich weiß nicht, was ich von allem halten soll. Jedenfalls werde ich jetzt die Alternativplanung einleiten. Sofort, Sellbegg.« Sie verließen den Computerraum. Beide Männer schwiegen. Sie kannten die eigene Enttäuschung und den Grad der Enttäuschung, die den anderen bedrückte. Sie waren ratlos. Es wäre das erstemal, daß eine derart sorgfältige USO-Planung ein derart erbärmlich schlechtes Ergebnis ergeben hatte. Überraschungen und Pannen – ja.
Aber keine Fehlreaktion in diesem Aus maß. Atlan blieb plötzlich stehen, packte Garo bier am Ärmel und sagte hart: »Ich habe keine Beweise, Sellbegg. Aber ich kann nicht glauben, daß ausgerechnet Froom Wirtz tot ist.« Sellbegg nickte gleichmütig und versicherte: »Ich auch nicht. Aber warten wir es ab. Ihre Alternativplanung wird sicher bessere Ergeb nisse erbringen. Was ist, wenn Wirtz handelt, ohne daß wir etwas davon erfahren?« Atlan blickte ihn ratlos an. ENDE
Weiter geht es in Band 125 (147) der ATLAN-ebooks mit:
Im Bann der Hohlwelt von Ernst Vlcek
Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2004, eine Lizenzaus gabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
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