Frank Funke
Die Jagd nach dem wahren Schatz
Frank Funke
Die Jagd nach dem
wahren Schatz
Roman
Bibliografische...
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Frank Funke
Die Jagd nach dem wahren Schatz
Frank Funke
Die Jagd nach dem
wahren Schatz
Roman
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche
Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the
Internet at http://dnb.ddb.de
Frank Funke
Die Jagd nach dem wahren Schatz
ISBN 3-936128-50-2
Alle Rechte beim Autor. Printed in Germany.
2003
Der Inhalt dieses Buches ist frei erfunden.
Herstellung:
Mein Buch Elbdock, Hermann-Blohm-Str. 3
20457 Hamburg
Freecall 0800-634 62 82
www.MeinBu.ch
Widmung Ich widme dieses Buch der Frau, die mich zum Schreiben inspiriert hat. Mit tiefem Dank an all meine Freunde für die Unterstützung, besonders Nicole und Bernd.
Kapitel 1 Mit feuchten Händen umfaßte ich den Griff der Beretta ungewohnt fest, nur um sicherzugehen, daß ich im Notfall gerüstet war. Jeder Hauch von Abenteuer war gewichen und ich starrte regungslos auf eine Hügelkette, die mir gegenüber in einem sanften Auf und Ab eine unschuldige Kulisse bildete. Es war kühl – was man üblicherweise nicht mit der Toskana verbinden würde, dazu strich zu allem Überfluß ein leichter Nieselregen rauschend über die kahlen Weinstöcke hinweg, aber was wollte ich schon von einem Februartag erwarten. Dunkle Wolkenstreifen zogen auf grauem Himmel entlang, mir war kalt und ich fühlte mich müde, während meine Hand prüfend über das Kinn strich und sich an den Bartstoppeln rieb. Die letzten Tage waren viel zu aufregend gewesen und jetzt, wo ich zur Ruhe gezwungen war, löste sich langsam die aufgestaute Anspannung in mir. So merkte ich, wie Körper und Geist der Ruhe immer mehr nachgaben, doch dem mußte ich standhalten. All meine Konzentration richtete sich auf dieses alte Castello, das sich thronend, beinahe majestätisch, über die Weinberge vor mir erhob. Vereinzelte Lichter waren schon in den Fenstern zu sehen und man bereitete sich auf die Dunkelheit der einbrechenden Nacht vor. Sie war mein Verbündeter und mein Schutzschild – ein Vorteil, der meine Chancen gegenüber dieser Übermacht dort drüben etwas verbesserte, doch bis dahin hatte ich noch einige Stunden Zeit und mein Platz hier war ideal, um unentdeckt abwarten zu können. Das Tal zwischen den Hügeln konnte ich gut überschauen und das alte Nachtsichtgerät würde hoffentlich seinen Dienst tun, denn von dem russischen Soldaten, der mir dieses Teil verhökert hatte, konnte ich wohl keine Garantie mehr erwarten. Eingehüllt in meine Tarnplane begann die Müdigkeit von mir Besitz zu ergreifen, ohne daß ich mich großartig dagegen wehren konnte, und dösend ließ ich alles noch einmal an mir vorbeiziehen. Wann stolperte ich in diese Sache hinein? Wo beging ich meinen ersten Fehler und war es vielleicht sogar tödlich, hier zu sein? Wenn ich es bedenke, dann begann alles eigentlich schon damals in Australien... Outback, noch zwei Kilometer bis zur Startbahn und ich rannte um mein Leben über den mit Buschwerk und Felsen bedeckten Boden. Mannshohes Gestrüpp stand dicht verteilt in der weiten Ebene, dazwischen versteckten sich kleinere Sträucher, die sich besonders gut als Stolperfallen eigneten und nur eine mäßige Deckung boten, doch ich war nicht wählerisch, um mich vor meinen Verfolgern zu verstecken. Der schwere Rucksack schwang im Takt jeder Bewegung mit und obwohl ich die Riemen so fest wie nur möglich eingestellt hatte, schlug er dabei immer wieder fest in das Kreuz. Unablässig umklammerten meine Hände die Tragriemen, um diesen Mißstand etwas zu mildern, aber das gelang wohl niemandem besonders gut, der Männer mit MP´s im Rücken hatte. Schon seit einiger Zeit tobte ein Kampf in mir, denn vieles sprach dafür, meinen Ballast einfach wegzuwerfen und somit meine Chancen zu verbessern. Doch damit wäre 7
auch meine ganze Arbeit umsonst gewesen und solange ich noch die Hoffnung hegte, heil aus dieser Hetzjagd herauszukommen, wollte ich diese letzte Alternative nicht ausschöpfen. Alles, was ich in den letzten drei Wochen hier im australischen Norden gesammelt hatte, steckte in meinem Rucksack, darunter nette Fotos, die einiges Aufsehen erregen würden, Kopien diverser Dokumente und mehrere aufschlußreiche Telefonmitschnitte von hochbrisanten Gesprächen, die sicher einigen Leuten gefährlich werden konnten. Allerdings sah es im Moment eher so aus, als wenn ich den Ärger hätte und nicht die Leute mit den Waffen hinter mir. Die Sonne hatte fast ihren Zenit erreicht und mittlerweile war die Hitze unerträglich geworden. Wie ein wildes Tier jagte man mich schon seit drei Tagen, zuerst mit dem Auto und dann später ging es zu Fuß weiter, was mich endgültig davon überzeugte, daß ich es mit wirklich hartnäckigen Jungs zu tun hatte. Sie waren sicher nicht schlecht, aber manchmal zu sehr von sich überzeugt, und das war die Ursache, weshalb ich sie zweimal überraschen konnte. Trotzdem hatte ich den letzten Jeep mit ihren besten Männern nicht abhängen können und langsam gingen mir die Ideen aus, um es noch rechtzeitig bis zum Flugzeug zu schaffen. Zwei Projektile chinesischer Maschinenpistolen schlugen dicht neben mir ein und ich war gezwungen, einen Haken hinter einem der rotleuchtenden Felsen zu schlagen, wo ich stolperte und beinah lang hinfiel. Im letzten Augenblick konnte ich mich am Stein abstützen und zur Seite wegdrücken, was diese Bewegung wahrscheinlich sogar elegant aussehen ließ. So lag der Felsen jetzt zwischen mir und den Männern, die mich so nicht mehr sehen konnten, und ich nutzte das aus und änderte die Richtung nach Süden, um dort zwischen hohen Sträuchern zu verschwinden. Es war zwar nicht ganz der Weg, den ich einschlagen mußte, doch wieder einmal spekulierte ich auf meine genauen Ortskenntnisse, die mir in den letzten Tagen schon öfters das Leben gerettet hatten. Das war natürlich keine Garantie dafür, daß es funktionierte, aber ganz sicher würde ich bald eine Auszeit nehmen müssen, denn mir blieb kaum verborgen, daß ich mich schon einige Zeit am Limit meiner Kräfte bewegte. Der Atem ging schwer und trotzdem lachte ich etwas darüber, denn vielleicht hätte ich mich mit etwas Konditionstraining auf diesen harten Job vorbereiten sollen. Es schien fast so, als wollte mein Körper solche Strapazen nicht mehr wie selbstverständlich wegstecken – und das beängstigte mich mehr als die 7.62 Geschosse der MP´s. Auf jeden Fall war es ein warnendes Beispiel für die Zukunft, wenn es so etwas für mich dann noch geben sollte. An die fünf Minuten bewegte ich mich geduckt durch die Deckung und stieß auf einen von knorrigen Bäumen gesäumten, ausgetrockneten Bach, der offenbar nur zur Regenzeit Wasser führte. Hier oben im Norden Australiens konnten diese Regenfälle in kürzester Zeit ein ruhiges Bächlein in einen reißenden Strom verwandeln, aber davor brauche ich im Moment keine Angst zu haben, denn nicht die kleinste Wolke milderte das Brennen der strahlenden Sonne. Ich kreuzte den mit vielen Steinen bedeckten Wasserlauf, doch dabei wurde mehr von dem feinen Flugsand aufgewirbelt, als es mir lieb sein konnte und so durfte ich mich nicht darüber wundern, daß im selben Moment einige hundert Meter nördlich von mir der schwarze, staubverschmierte Geländewagen in dem breiten Bachbett auftauchte und sofort mit durchdrehenden Rädern beschleunigte. Gleichzeitig wurde das Feuer 8
eröffnet und die Kugeln, die als Querschläger von den Felsbrocken doppelt gefährlich waren, kamen mir bedrohlich nahe. Geschoßgarben peitschten hinter mir auf und ich verdankte sicher nur den ruppigen Ausweichmanövern des Fahrers, der mit viel Mühe die großen Steine umfahren mußte, daß die beiden Schützen kein klares Ziel aufnehmen konnten und so nur einige Vögel aus den Büschen jagten. Mit einem Sprung in den bewachsenen, steinigen Uferstreifen war ich wieder außer Sichtweite und wendete mich nach Norden, also genau auf meine Verfolger zu, die sich schnell meiner letzten Position näherten. Bei ihrer Geschwindigkeit konnte ich davon ausgehen, daß sie an mir in der tiefer liegenden Rinne vorbeifahren würden und vorerst südwestlich weitersuchten. Es war riskant und es war einfach, das hatte sich oft als das Beste erwiesen und auch diesmal funktionierte es so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Die drei Männer fuhren bis zu der Stelle, an der ich über das hohe Ufer verschwunden war, und entfernten sich in einer großen Staubwolke. Ich atmete erst einmal durch und war kurz vor dem Ende meiner Kräfte, aber es war noch nicht geschafft und das letzte Stück mußte ich noch hinter mich bringen. Nur noch mit Mühe konnte ich vorwärts laufen und jetzt, wo der Atem des Feindes nicht mehr in meinem Rücken zu spüren war, brauchte ich meinen letzten Willen, um mich zu noch einmal zu motivieren. Die dürren Bäume und die hohen Sträucher wurden immer weniger. Rotbrauner Boden, der sich mit dunkelgrauen Felsen und einigen bodendeckenden Gräsern abwechselte, löste langsam das Buschland ab. So lief ich schwitzend und mit zusammengebissenen Zähnen über zwanzig Minuten lang meinem Ziel entgegen, immer wieder die geringste Deckung ausnutzend und nach den Männern Ausschau haltend, die sicher noch nicht aufgegeben hatten. Dann, wie eine Fata Morgana, erschienen vor mir die verfallenen Baracken des alten Flugfeldes, das irgendwann im zweiten Weltkrieg zur Verteidigung gegen die Japaner errichtet wurde, um hinterher einfach wieder im Strudel der Geschichte zu verschwinden. Ein letztes Hindernis lag noch zwischen mir und der kaum noch sichtbaren Piste – eine freie Fläche aus hohem, braunem Gras, das sich im Wind wiegte und ausgetrocknet von der Sonne gleich einem Meer vor mir ausgebreitet lag. Geduckt lief ich bis zu dessen Rand und verharrte einen Moment, um die Gegend abzusuchen, denn ab hier war ich meilenweit auch für den dümmsten Verfolger zu sehen und so kurz vor dem Ziel wollte ich keinen Fehler mehr begehen. Meine Hände stützten sich auf die Oberschenkel und ich rang nach Atem, dabei starrte ich auch hinüber zur Piste und suchte nach dem Flugzeug, das wie abgesprochen dort stehen müßte, doch mein Objekt der Begierde war nicht zu entdecken. Der schönste Plan nutzte nichts, wenn er nicht funktionierte, und dabei erschien er mir doch so einfach, als ich mit Jocelyn und Hank in ihrem Haus gesessen hatte und wir alles bei einem Foster´s bis ins kleinste Detail durchsprachen. Hank kannte die Gegend gut, denn als Pilot mit seiner kleinen Twin Otter hatte er schon manchen Chartergast in die Einsamkeit der Nordküste geflogen. Zudem schätzte ich ihn als sehr zuverlässig ein, obwohl wir uns erst vor einem Jahr bei der Hochzeit der beiden kennengelernt hatten. 9
Jocelyn war eine langjährige Freundin von mir, die ich damals bei Recherchen in Canberra traf, wo sie freiberuflich als Journalistin arbeitete – doch jetzt war sie richtig solide geworden und hatte ihren festen Job beim Sydney Morning Herald. Schließlich war so etwas ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn man im Begriff war, eine Familie zu gründen, und so mit einem sicheren Einkommen rechnen konnte, während Hank noch seine eigene Charterfirma aufbaute. Weit und breit war nichts von der Propellermaschine zu sehen und alle Ursachen dafür schossen mir gleichzeitig durch den Kopf – was die Palette von einem Unfall bis zu einem falschen Treffpunkt abdeckte. Leider hatte ich keine Chance, ihn zu erreichen, denn mein Handy war nicht mehr zu gebrauchen seitdem der Akku den Geist aufgegeben hatte, allerdings hätte mir das Telefon hier ohne ein Netz sowieso nichts genutzt und so mußte ich einfach weiter hoffen. Aber mir blieben noch einige Strohhalme, an die es sich zu klammern lohnte, zweifellos konnte immer noch jeden Moment das Flugzeug am Himmel auftauchen, oder Hank war wirklich schon gelandet und hatte die Maschine im Schatten der dicht gedrängten Holzbaracken geparkt. Es gibt Situationen im Leben, da denkt man eine Sache nicht mehr bis zum Ende durch, man handelt einfach instinktiv und ich handelte so, denn eine Wahl hatte ich kaum, und das machte mir meine Entscheidung sehr einfach. Noch einmal zurrte ich den Rucksack fest und schaute sehnsüchtig in den Himmel, dann holte ich tief Luft und rannte los, alles in diesen Lauf werfend, was mein Körper noch geben konnte. Das Gras schlug gegen meine Beine und machte es beinahe unmöglich, sie zu heben. Trotzdem brachte ich schnell Meter für Meter hinter mich und behielt dabei das Areal halb hoffend, halb besorgt im Auge. Dann, als ein Drittel des Weges hinter mir lag, vernahm ich ein Motorengeräusch und mein Blick wanderte sofort nach oben, doch ich hätte lieber nach hinten sehen sollen, denn es waren meine Verfolger, die meine schlimmsten Vermutungen bestätigten. Nun erkannte ich meinen Fehler und sah im Zurückblicken, wie der Jeep mit aufheulendem Motor die letzte Buschreihe durchschlug und federnd auf dem Gras aufsetzte. Knapp sechshundert Meter vor mir begannen die Baracken und auf meiner rechten Seite näherten sich die Schmuggler etwa aus der gleichen Entfernung. Sie würden keine Mühe haben, mir den Weg abzuschneiden, oder mich als lebende Zielscheibe zu benutzen und doch zwang mich mein Instinkt weiterzurennen. Sofort peitschten die ersten Schüsse durch die Luft und anfangs wurde ich sogar noch schneller, dann versagten mir jedoch die Beine und ich warf mich in Deckung auf den Boden. Ich hatte keine Waffen und es war unwahrscheinlich, daß mir in dieser Situation noch irgend etwas Rettendes einfallen würde – nun konnte mir nur noch ein Wunder helfen. Hier draußen würde niemand meine Leiche finden und so würde es noch einen von diesen ungeklärten Vermißtenfällen geben, doch was sollte eigentlich mein Selbstmitleid, denn ich wußte schließlich, auf was ich mich eingelassen hatte, und kannte die möglichen Konsequenzen dafür. Für Sekunden bekam der Tod einen süßen Beigeschmack, ich war zu müde und zu enttäuscht, um Angst zu haben und in erschreckender Weise hatte es auch etwas Verlockendes, einfach nur zu schlafen. 10
Plötzlich hörte die Schießerei auf, eine ohrenbetäubende Explosion drückte mich noch tiefer in das Gras und verwundert fragte ich mich, warum diese Idioten nun ausgerechnet Granaten benutzten. Die Druckwelle zerrte an meinem Rucksack und rollte mich etwas zur Seite, so sah ich jetzt Rauch und lodernde Flammen aufsteigen und gleichzeitig erfaßte eine Hitzewelle meinen ganzen Körper. Dann folgte eine unnatürliche Stille, die Zeit schien stillzustehen und das Einzige, was ich vernahm, war das rasende Blut in meinen Schläfen. Das alles kam mir nicht real vor, langsam kniete ich mich auf und sah knapp zweihundert Meter entfernt die Reste des Jeeps, von dem gerade kleine Flämmchen den Lack abbrannten. Überall im Umkreis zündelten kleine Feuer im trockenen Gras, wahrlich, so schnell wurde noch nie ein Wunder geliefert. Ich schluckte, die Luft war noch heißer und noch trockener als zuvor, und aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung vom Rande der Baracken, über denen jetzt ein Helikopter schwebte und langsam näher kam. Gleichzeitig entdeckte ich mehrere Männer in Uniform und ein paar Zivilisten, die nun rennend auf mich zukamen, während ich noch mit wackligen Knien im Gras stand und mich an den Gedanken gewöhnte, diese Welt doch noch nicht verlassen zu müssen. Die Uniformierten zeigten erstaunlich wenig Interesse an mir und begutachteten zuerst das, was vom Auto und den Insassen übriggeblieben war, dann machten sie sich daran, den Brand zu löschen, bevor er sich zu einem Buschfeuer ausweiten konnte. Doch man ignorierte mich nicht lange, denn zwei Männer traten auf mich zu, deren Erscheinung man sofort ansah, daß sie ganz sicher zu den Leuten gehörten, die hier das Kommando innehatten. Es waren Zivilisten mit unpassend sauberen Anzügen, die eilig Anweisungen durch ihre Funkgeräte gaben, und dabei kein Detail der Gegend aus ihren Augen ließen. Ein Beamter von der Australian Federal Police trat dazu – er war es, der einige Worte mit mir sprach und besonders sorgsam auf meinen Rucksack aufpaßte, als er mich zu einer der morschen Baracken führte, wo ich mit reichlich Wasser und etwas zum Essen überrascht wurde. Scheinbar funktionierte hier draußen noch der Zimmerservice und einzig vermißte ich etwas Eis zu den Getränken. Dabei wußte ich natürlich, daß diese freundliche Geste nur eine Ouvertüre zu einem sehr „sachlichen“ Gespräch werden würde, und konnte mich so darauf vorbereiten. Nach einigen Minuten hatte ich mich wieder erholt, körperlich wie mental, und schon bevor jemand etwas gesagt hatte, war mir klar, was man von mir wollte. Deshalb sah ich der Angelegenheit recht gelassen entgegen, obwohl es immer schwierig war, hinter die Absichten von Behörden und Geheimdiensten zu schauen. Allerdings gehörte ich nicht zu den Gangstern und hatte reichlich Beweise gesammelt, um diese zur Strecke zu bringen – das sollte doch nun wirklich reichen, damit wir alle Freunde waren. Die beiden Zivilisten betraten den Raum mit lächelnden Gesichtern. Wahrscheinlich hatten sie das Material schon gesichtet und überlegt, wie positiv sich das auf ihre Karrieren auswirken könne, „Mister Kronau, ich hoffe Sie haben sich etwas gestärkt und können uns nun ausgiebig einige Fragen beantworten?“ Es war der Jüngere von beiden, der das Wort führte, mit dunkelblonden Haaren und einer kleinen Narbe auf der linken Wange, die sich leicht abzeichnete. Ich schätzte ihn 11
als Bürohengst ein, aber mit solch verkniffenen Augen, aus denen eine gewisse Erfahrung sprach. Er steckte sich eine Zigarette an und legte die Schachtel neben sich auf den Tisch, ohne mir etwas anzubieten – das hieß er kannte meine Gewohnheiten oder der Mann war ausgesprochen unhöflich. „Danke sehr, daß Sie mich rausgehauen haben. Ihr Eingreifen war Rettung in letzter Sekunde, aber zum Glück ist ja alles gut gegangen. Wie kann ich Ihnen helfen, damit ich etwas von meinen Schulden zurückzahlen kann?“ Er lehnte sich etwas zurück und zog genüßlich an seinem Glimmstengel, „Seien Sie einfach ehrlich, Mister Kronau, aber kommen wir der Hoflichkeit halber erst einmal zu den Fakten. Mein Name ist Agent McCrawley vom Australian Secret Intelligence Service und mein Kollege ist Agent Dougle vom MIC“ Meine Einschätzung war richtig. Es war doch eigenartig, daß man „sie“ immer erkannte und dann auch noch zwei verschiedene Dienste zusammen, die ASIS und Mister Dougle vom Maritime Intelligence Center. Doch diese Kombination überraschte mich nicht, denn sie paßte zu dem, was ich in den letzten Tagen herausgefunden hatte. Dougle blieb am Fenster stehen und schaute sich die Leute dort draußen an, nur bei seiner Vorstellung nickte er kurz herüber und spielte sonst den Zuschauer. Vielleicht trug er üblicherweise Uniform und fühlte sich im Anzug unwohl, jedenfalls schien es, als wäre er überhaupt nicht anwesend. „Unsere Beamten haben Ihre Unterlagen beschlagnahmt und werden diese Dokumente an die zuständigen Stellen weiterleiten. Wir denken, das ist die beste Lösung für alle Beteiligten, oder haben Sie da eine andere Meinung?“ Irgendwie hatte ich so etwas erwartet, aber schließlich war ich es, der für das Zeug sein Leben riskiert hatte, und deshalb verspürte ich wenig Lust, auf einmal mit leeren Händen dazustehen, „Das ist zwar sehr fürsorglich von Ihnen, aber es sind meine Sachen, und ich bin mir sicher, daß meine Zeitung einen Artikel über die Zustände an der Küste gerne bringen würde“ „Das ist sogar wahrscheinlich, allerdings würde es meine Regierung nicht gerne sehen, wenn in einer deutschen Zeitung etwas darüber zu lesen wäre, und das ist für mich das Maßgebliche. Wir regeln die Sache hier vor Ort und brauchen keine Journalisten aus Europa, um unsere Probleme zu lösen“ „Deshalb bin ich auch nicht hergekommen, ich möchte nur darüber berichten – Pressefreiheit, das haben Sie sicher in der Schule schon mal gehört“ „Gefängnis – davon haben Sie sicher schon einmal gehört, Mister Kronau. Sie haben hier auf australischem Boden gegen ein Dutzend Gesetze verstoßen. Und wenn das nicht reicht, dann denken wir uns noch ein Dutzend dazu aus. Da Sie nicht nur für die Zeitung arbeiten, sondern auch Schriftsteller sind, sollten Sie wissen, wie einfach so etwas geht“, er schaute dabei freundlich und sprach so ruhig als wenn er gerade am „Drive In“ einen Burger bestellte. Ich überlegte währenddessen, ob das möglicherweise nur eine Masche war oder ob hier ein ein Typ am Tisch saß, der richtig Spaß an seiner Arbeit hatte.
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„Mister Kronau, wenn Sie kooperieren und alles vergessen, dann werden wir einfach so tun, als wäre nichts geschehen, und Sie können schon morgen auf dem Rückflug nach Hause sein. Ist das nicht ein großzügiges Angebot der Regierung?“ „Sehr großzügig, Agent McCrawley, vor allem auch so bequem“ Wer den längeren Hebel in der Hand hatte, konnte damit auch zuschlagen – so blieb mir einzig, mich über mein Leben zu freuen und auch darüber, nebenbei noch einige wertvolle Erfahrungen gemacht zu haben. Dazu hatte ich wenigstens noch den Trost, daß durch meine Hilfe den Gangstern das Handwerk gelegt wurde, und nun eine Menge Menschen ruhiger schlafen konnte. Vielleicht ging ich also doch nicht als Verlierer vom Feld. Den ganzen Nachmittag verbrachte ich nun damit, die Geschichte zu erzählen, wie ich in London vom Waffenschmuggel in der Torresstraße hörte, den eine als Geologen getarnte Bande durchführte und daraufhin beschloß, mir das mal näher anzusehen. Es wäre unnatürlich gewesen, wenn mich das nicht neugierig gemacht hätte, also machte ich mich sofort nach Sydney auf, wo ich die günstige Gelegenheit nutzte, um meine Freundin Jocelyn zu besuchen. Von ihr erfuhr ich, daß zwei Reporter, die an der gleichen Geschichte gearbeitet hatten, spurlos im Outback verschwunden waren und man mittlerweile für sie das Schlimmste befürchtete. Mir kam die Idee, mich als Vertreter eines internationalen Waffenhändlers auszugeben, um an die Drahtzieher des Schmuggels heranzukommen, was solange ausgezeichnet funktionierte, bis ich wohl einen Fehler im Camp gemacht hatte. Der Rest ergab sich dann beinahe von selbst, jemand wurde mißtrauisch und in letzter Sekunde konnte ich aus dem Lager der Schmuggler entkommen, um bis jetzt verfolgt zu werden. Ungerührt hatten die beiden Männer mir zugehört und sie begleiteten mich dann anschließend zu einem Helikopter, der mich nach Cairns brachte, von wo es nach Canberra weiterging, um das Gleiche noch einmal zu erzählen. Während dieses Fluges dorthin begleitete mich Agent Dougle und es war recht schwer, mit ihm ins Gespräch zu kommen, damit die Flugzeit etwas kürzer erschien. Trotzdem ergab sich mit der Zeit doch noch ein Thema, über das er mit mir ein paar Worte wechselte, „Sagen Sie, Mister Dougle, wie sind Sie eigentlich auf meine Spur draußen im Busch gekommen?“ Unwillig schaute er zu mir hinüber, so als überlege er, ob das schon zu geheim sei, aber er dann begann er doch zu reden, „Das ist ganz einfach, Sir. Agent McCrawley hat einen Tip über Sie bekommen und wir brauchten dann nur noch ein kurzes Gespräch mit Ihren Freunden in Sydney, um an die Nummer Ihres Handys zu kommen. Über Satellit läßt sich das Gerät jederzeit lokalisieren, solange genügend Energie im Akku ist, auch ohne daß es benutzt wird. Leider hatte Ihr Telefon zu früh keinen Strom mehr und so mußten wir an dem Treffpunkt warten, den Sie mit Ihrem Piloten ausgemacht hatten“ „Aha, also meine Freunde haben Ihnen geholfen?“ „Nach etwas gutem Zureden schon, sie wurden über mögliche Konsequenzen informiert, wenn etwas von der Geschichte nach außen dringt. Schließlich wäre Ihr Freund ohne seine Fluglizenz arbeitslos und eine Klage wegen Verleumdung würde Ihrer Freundin die Karriere bei der Zeitung auch nicht erleichtern. Irgendwie sind 13
doch alle Menschen gleich, niemand will Schwierigkeiten haben und das sind Argumente, die fast immer wirken. Mister Kronau, Sie dürfen das nicht falsch verstehen. Ich bin kein Freund solcher Maßnahmen, aber es gibt Tatsachen, die sind eben nicht für jedermann bestimmt“ „Möglicherweise haben Sie recht, aber wer entscheidet das?“ „Natürlich die Regierung, Sir“ „Wohl dem, der eine Regierung hat, die keine eigenen Interessen verfolgt. Auf dem Papier ist das Volk der Souverän, aber dafür gibt es ja Wahlen, oder?“ Dougle zuckte nur mit den Schultern, vielleicht interessierte ihn dieser Aspekt der Sache überhaupt nicht, jedenfalls lenkte er das Gespräch gleich in eine andere Richtung, „Gestatten Sie eine persönliche Frage, Mister Kronau?“ Ich nickte mit dem Kopf, „Sicher, fragen Sie ruhig“ „Wie kommt es, daß sich ein Mann in Ihrem Alter und mit Ihrem Erfolg solchen Gefahren aussetzt und leichtfertig in so eine Dummheit verwickelt ist?“ Das mit dem Erfolg konnte ich gut hinnehmen, allerdings das mit dem Alter kratzte mich ein wenig – denn seit wann ist man mit Mitte dreißig zu alt für ein Risiko? „Mister Dougle, es gibt nur einen Grund, warum ein Mann Dummheiten macht, stimmt’s?“ Auch jetzt zuckte der Agent nur mit seinen Schultern, aber diesmal war ein Lächeln in seinem Gesicht. Scheinbar wußten wir beide, wovon ich gesprochen hatte. Fast vier Wochen waren seit diesen Ereignissen vergangen. Meine Schrammen waren längst verheilt und zu meiner Überraschung zeigte hier keine Regierungsstelle ein Interesse für mein australisches Abenteuer. Ich war der Letzte, der sich darüber beklagen wollte, und hätte auch keine Nerven für so etwas gehabt, denn als ich wieder zurückgekehrt war, hatte mich mein Privatleben sofort wieder eingeholt. Flucht war nie eine Lösung gewesen und offensichtlich nur der Versuch, die Zeit bis zur Heilung zu überbrücken. Wie üblich saß ich in dem kleinen italienischen Restaurant von Stefano, der mit seiner deutschen Frau Ingrid aus einer heruntergewirtschafteten Kneipe einen Geheimtip in der Berliner Gourmetszene gemacht hatte. Mit viel Phantasie und Geschmack war ein Schmuckstück entstanden, das die zugezogene Politprominenz gerne besuchte und das deshalb auch von der Presse ausgiebig in Augenschein genommen wurde. Die beiden kannte ich noch aus ihrer Anfangszeit, früher hatte ich mir hinter der Bar das Geld für mein Studium verdient und eine Menge über Menschen und Cocktails gelernt, die eigenartigerweise viel gemeinsam hatten, denn Drinks mit der auffälligsten Dekoration hatten oft den billigsten Inhalt. Doch das war schon viele Jahre her, in denen allerdings der Kontakt nie abriß und inzwischen waren wir gute Freunde geworden. Zum Glück war heute ein ruhiger Abend mit unauffälligen Gästen und einer angenehm dezenten Atmosphäre, die so beruhigend auf mich wirkte, wie ich es erhofft hatte. Langsam wurden die leeren Tische weniger und die Gesten der Kellner hektischer, ein verführerischer Geruch strömte mir in die Nase, aber ich hatte keinen Hunger, weshalb mein Stammplatz an der Bar sofort mein Ziel wurde. 14
Wenig später schlürfte ich an meinem Latte Macchiato und schaute trübe über den Tresen, verglich dabei geistesabwesend die verschiedenen Flaschenformen in der polierten Messingbar, deren Inhalt in den verschiedensten Farben leuchtete. Mir ging es nicht besonders gut, es war das typische Gefühl, wenn man in einer großen Menge alleine sein wollte, und dazu bildete das Gemurmel der Gäste einen idealen Vorhang, hinter dem man sich perfekt verstecken konnte. „He, come stai?“, Stefano riß mich mit seinen Worten aus meinen Gedanken und unterstützte das handfest, indem er mir auf die Schulter schlug. „Non c’è male“, ich versuchte ein Lächeln und war auch überzeugt, daß ich es gut hinbekommen konnte. Er kam wie immer mit einem Lächeln auf mich zu, was wohl auch einen guten Gastronomen ausmachte, und setzte sich zu mir auf einen freien Barhocker. Spätestens dieser Vorgang mußte mir klarmachen, daß es sich um ein langes, oder sogar ein ernstes Gespräch handeln würde und ich stellte mich ein wenig mißmutig auf beide Varianten ein, denn gerade heute stand mir der Sinn mehr nach Schweigen und Grübeln. „Was macht dein neues Buch? Hast du schon eine Geschichte, oder suchst du noch?“ Er blickte fragend zu mir hinüber. „Ich weiß nicht so recht, die Nebel wollen sich einfach nicht lichten und wenn du mit Gewalt nach einer Geschichte suchst, dann kommt dir erst recht nichts Vernünftiges in den Sinn“ „Ahhh,... du denkst wieder an ‚Sie’, Gabriel?“, dabei hob er die Augenbrauen und sah mich fragend an, so wie nur Stefano es konnte. Natürlich wußte ich, worauf er anspielte, es war ja auch eindeutig, aber ich hatte einfach keine Lust auf Diskussionen und schon gar nicht über dieses Thema, „Nein, sicher nicht, ich überlege nur, ob ich ein paar Tage wegfahre, um etwas auszuspannen und...“ Eine Handbewegung unterbrach meinen Satz, „Du und ausspannen? Seit diese Jenny dich verlassen hat, machst du nur noch Unsinn – stupido. Du weißt, ich bin dein Freund und ich liebe dich wie meinen Sohn, aber keiner kann mit ansehen, wie du leidest. Sie war es nicht wert, Mamma Mia! Auf Händen hast du sie getragen und weder Dank, geschweige denn Liebe hast du von ihr bekommen. Du hast etwas Besseres verdient und wenn es eine Gerechtigkeit gibt, Madonna, dann wird dieser Börsenmakler, mit dem sie dich betrogen hat, schon morgen pleite sein. Dafür werde ich eine Kerze anzünden und so wird es bei allen Heiligen geschehen“, wieder gestikulierte er heftig und sprang dabei auf. Jetzt konnte auch ich mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen, doch das bremste seinen Redefluß in keiner Weise. „Ich will dir doch nicht wehtun, wenn ich dir das sage, und du weißt doch auch, daß ich recht habe...“, damit setzte er seinen Weg mit fuchtelnden Händen fort und verschwand in der Küche, aus der ich aber immer noch das Gemurmel vernehmen konnte. Er hatte recht und unrecht zugleich. Sicher wußte ich, daß er mir nicht wehtun wollte, und ganz bestimmt hatte er auch mit meiner Fastverlobten recht, schließlich mußte ich mir das jedesmal zähneknirschend eingestehen. Sie war ein Partygirl und ich hatte schon zuviel vom Leben gesehen, um zu ignorieren, daß es nur aus bloßem Spaß 15
bestand. Doch die Liebe machte blind und in ihrem Fall hatte ich sechs schwarze Punkte auf der gelben Binde. Vorsichtig nippte ich an dem warmen Glas und betrachtete weiter die Galerie der Flaschen in den Regalen - flüssiger Trost aus aller Herren Länder, deren Dienste ich jedoch schon lange nicht mehr benötigte. Mich schmerzte auch nicht mehr ihr Verlust und die verletzte Eitelkeit hatte ich schnell überwunden. Ich ärgerte mich über mich selbst, daß Jenny meine Menschenkenntnis so einfach aufs Glatteis führen konnte, und dabei waren doch alle Anzeichen eindeutig gewesen. Jenny hatte es selbst so gewollt und war schon längst in meinem Herzen eine Episode geworden, doch eines blieb und das war der Stachel, der mich immer wieder beschäftigte. Es war die Angst, daß mir so etwas noch einmal passierte, eine offene Wunde zu haben ist kein Problem, denn so war nun mal das Leben, aber wer streut mit Absicht dann noch Salz hinein – nein, ich ganz bestimmt nicht. Was soll’s, nichts war so schlecht, daß es nicht wenigstens als Erfahrung dienen konnte, und ich hatte diese Krise überstanden. Der Ordner mit meinen Erfahrungen war um ein Blatt reicher geworden, mehr war nicht passiert und langsam sollte ich mich wirklich wieder um meine Arbeit kümmern, denn es war schließlich lange her, daß ich als aussichtsreiches Talent gefeiert wurde. Mein letztes Buch war nur ein mäßiger Erfolg, das Feuer fehlte und ich hatte mich in letzter Zeit des Öfteren dem Journalismus zugewandt, um von dieser Seite einige neue Inspirationen zu bekommen. Außerdem war ich ja alt genug, um zu wissen, was mir helfen konnte, deshalb hielt ich eine Luftveränderung auch für eine gute Idee und so paßte es ausgezeichnet, daß ich vor einigen Tagen einen Brief von einem alten Freund bekommen hatte, der mich bat, nach Florenz zu kommen. Dieser Aufforderung wollte ich nur allzu gerne folgen. Dort fing ich damals, nach dem Tod meiner Eltern, an zu schreiben und zu diesen Wurzeln wollte ich jetzt zurückkehren, gute Erinnerungen wieder auffrischen und alte Freunde treffen, vielleicht sogar das Leben neu ordnen. Auf alten Pfaden ein neues Leben beginnen und welcher Platz würde sich besser dazu eignen, als diese wunderschöne Stadt in der Toskana. Deshalb blieb ich nicht mehr sehr lange auf meinem Hocker sitzen und reservierte mir einen Platz für den Flug am nächsten Morgen. Die Vorbereitungen waren wie immer sehr einfach und ich nahm so wenig wie möglich mit, denn Kofferpacken war eine Passion, in der ich nie ein Künstler werden würde. Seit langer Zeit empfand ich wieder Vorfreude und hoffte, eine ruhige Zeit in der Stadt am Arno zu verbringen, die mir neuen Schwung geben sollte und mich hoffentlich wieder zu den wichtigen Dingen im Leben führte. Vielleicht war es gerade dieses Gefühl, das ich im Moment brauchte, als Fremder in einer vertrauten Stadt zu sein, die wie ein angenehmer Fremdkörper um einen herum ist und dabei half, sich auf sein eigenes Ego zu konzentrieren. Diese Veränderung würde zur rechten Zeit kommen und doch war es kein Zufall, daß ich von diesem alten Freund Post bekam, denn zuvor hatte ich einen Brief dorthin geschrieben, um ein paar Erkundigungen über einen gewissen Josef Biedermann einzuziehen. Dies alleine war sicher nicht außergewöhnlich, aber der Umstand, daß ich 16
diesen Mann nicht kannte und noch nie gesehen hatte, und natürlich der Zufall, der mich auf ihn aufmerksam gemacht hatte, waren schon mehr als ungewöhnlich. Es war geradezu spannend, beinahe abenteuerlich, und damit genau das Richtige für mich und meiner Suche nach einem neuen Stoff für ein Buch. Etwas recherchieren, dazu ein wenig lesen und langweilige Telefonate standen mir bevor, doch das war das Material, aus dem ich etwas zaubern konnte, und alles wurde ausgelöst von einem kleinen Gegenstand, den ich vor Wochen bei einem zwielichtigen Antiquitätenhändler in Sydney entdeckt hatte. In diesem Geschäft stöberte ich ziellos durch die Vitrinen und hinter viel Nippes und einigem Schnitzwerk der Ureinwohner fand ich einen alten Kompaß, recht heruntergekommen und deshalb für die breite Masse wohl uninteressant, doch mich als Gelegenheitssegler begeisterte das Stück sofort als maritimer Schmuck, der jede Kajüte zierte. Er war wohl aus Messing, mit einer nüchternen Gravur, die aber durch den Hauch der Geschichte nur schlecht zu erkennen war. Doch das war mir egal, ich wollte ihn als netten Blickfang für mein kleines Boot mitnehmen, an dem ich schon jahrelang herumbastelte und das in der ganzen Zeit noch keine handbreit Wasser unter dem Kiel gehabt hatte. Das alte Instrument würde an Bord sicher sehr gut aussehen, obwohl ich mir ausmalte, wie aufwendig es wäre, dieses heruntergekommene Teil wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen. Mehr um schon die Arbeit abschätzen zu können, versuchte ich oberflächlich die Gravur lesbar zu machen und als ich einige Zeichen entzifferte, fing mein Puls an, sich merklich zu beschleunigen. Denn dort war jetzt schlecht, aber eindeutig „U 113“ zu erkennen, zweifelsfrei die Bezeichnung eines deutschen UBootes, und das genügte, um meinen Verstand zum Rotieren zu bringen und meine Neugier anzuheizen. Sofort erstand ich das gute Stück zu einem immer noch recht stolzen Preis, was sicher daran lag, daß ich mein Interesse kaum verbergen konnte, und schickte es per Post nach Hause, da ich mich mitten in den Vorbereitungen der Undercoveraktion im Norden steckte. Auf meine Fragen konnte mir der Inhaber des Ladens leider keine näheren Auskünfte über diesen Kompaß geben, was ich sehr bedauerte, aber nicht ändern konnte. So begnügte ich mich vorerst mit dem historischen Original und nachdem ich einige Wochen später wieder nach Berlin zurückgekehrt war, machte ich mich daran, dieses Stück herzurichten, um es auf mein kleines Schiffchen zu bringen, dessen Name mittlerweile nicht mehr feststand – „Jenny“ würde es jedenfalls nicht mehr heißen. Also begann ich mit viel Ruhe, den Kompaß soweit wie möglich auseinanderzunehmen und bei dieser Arbeit, nach dem Entfernen der Rückenabdeckung, fiel mir zu meiner Verblüffung ein kleines Bündel entgegen. Noch überraschter war ich, als es offen vor mir lag, denn darin befanden sich deutsche Dokumente eines Kapitänleutnants Josef Biedermann und eine Rechnung aus dem Jahre 1946 über die Restaurierung an einer italienischen Vase aus dem 18. Jahrhundert. Diese Rechnung war in Florenz ausgestellt worden, genauso wie eine beigelegte Eingangsbestätigung dieser Vase als Leihgabe an die Uffizien. Doch kein Name war auf der Quittung verzeichnet und nur eine Notiz auf der Rückseite schien eine Spur zu sein: „Pinkie Mahoney 20 Dollar“. 17
Vor mir lagen undeutliche Indizien ohne einen konkreten Hinweis, aber das genügte, denn es ließ meinen erlahmten Jagdinstinkt wieder aufblühen und in mir reifte der Entschluß, dieser ganzen Geschichte auf den Grund zu gehen. Es war genau meine Kragenweite, alt und geheimnisvoll, dazu sicher ungefährlich, also genau richtig, um wieder langsam in Schwung zu kommen und sich auf das zu konzentrieren, was ich am besten konnte – Schreiben. Der logische Ansatz wäre sicher, zuerst in Australien sein Glück zu versuchen, doch da meine Beziehungen dorthin immer noch etwas gestört schienen, versuchte ich eben, meine Nachforschungen in Italien zu beginnen und alles Weitere würde sich sicher ergeben. Insgeheim war ich natürlich gespannt, wie weit ich mit meinen Recherchen kommen würde, und sah der Sache gelassen entgegen. Aber aus Vorsicht kopierte ich trotzdem die Dokumente, um sie an einem sicheren Ort zu deponieren, schließlich bestand auf einer Reise immer die Gefahr, daß so einmalige Dokumente abhanden kamen. Ich fühlte mich vorbereitet und war froh, als ich nach einigen Stunden Schlaf im Taxi saß, wissend, daß es wieder einmal ins Ungewisse losging. Mein Flug ging über München und hatte schon vor dem Start Verspätung, weil der Jet, aus der Schweiz kommend, immer noch nicht eingetroffen war. Diese Zeit nutzte ich gezwungenermaßen, um mich in dem kleinen, aber gut sortierten Reiseshop mit notwendigen Kleinigkeiten einzudecken und gelangweilt vom einem Juwelier über das Preis-Leistungs-Verhältnis von Luxusuhren informiert zu werden. Der Verkäufer sah mitleidig auf meinen vergleichsweise billigen Chronometer, der aber das letzte Geschenk meiner Eltern war und mir deshalb tausendmal mehr Wert war als diese Fliegeruhren mit den stolzen Preisen, welche sich meist Leute kauften, die nie im Leben eine Flugschule von innen sehen würden. Wahrscheinlich beurteilte er mich nach meiner Uhr und gab sich deshalb wenig Mühe, aber so bekam ich wenigstens die Zeit herum, bis der Aufruf zum Einchecken kam. Im Airbus mußte ich mich mit einem Platz am Gang begnügen und saß neben einer recht üppigen Dame, deren Alter ich sehr großzügig auf knapp vierzig Jahre einordnete. Sie genoß ihre Aussicht am Fenster wohl sehr und versuchte, mir dies auch gleich mitzuteilen. Aber mir war nicht nach Konversation und so war ich demonstrativ in meinen toskanischen Weinführer vertieft, der über einige interessante Anbaugebiete berichtete, die so ausführlich beschrieben waren, daß ich hoffen konnte, den Flug ungestört verbringen zu können. Leider teilte diese Dame meinen Wunsch nach Ruhe keinesfalls und ich mußte drei hartnäckige Versuche einer verbalen Mißhandlung über mich ergehen lassen, denen ich als freundlicher Mensch mit einem Lächeln zu entgehen suchte. Nachdem sie von mir mit einigen kurz gefaßten Antworten auf ihre belanglosen Fragen abgeschmettert wurde, verlegte sie sich nun enttäuscht darauf, der Stewardeß das Leben schwer zu machen. Das wiederum begann mein Interesse zu wecken, weil ich bei mir eine gewisse Mitschuld an der mißlichen Lage der jungen Frau sah, die mit leicht zitternden Händen die Getränke in den vor mir liegenden Reihen verteilte und laut, beinahe schrill, von meiner Nachbarin angesprochen wurde. Ihr zweifelsfrei bayrischer Dialekt brach nun gelegentlich in einer erregten Diskussion über die Qualität des angebotenen 18
Schaumweines durch, offensichtlich war sie nur Besseres gewohnt und empfand den jetzigen Zustand schon fast als Zumutung. Erst als dieser eigentlich harmlose, aber immer wieder künstlich verlängerte Disput mich in meiner Lektüre ernstlich störte, schaute ich auf und überlegte, wie ich mich in Anbetracht meines schlechten Gewissens dezent einmischen konnte. Dabei sah ich in das Gesicht der offensichtlich mit der Situation überforderten Flugbegleiterin, die ohne Zweifel einen ihrer ersten Flüge absolvierte und sich zwingen mußte, ruhig zu bleiben, doch die rot angelaufenen Wangen verrieten dabei ihren wahren Gemütszustand. Sie versuchte, freundlich zu bleiben und war schon mit einer Reihe im Rückstand, so daß einige Passagiere der hinteren Plätze anfingen, ein ungeduldiges und nicht zu ignorierendes Murmeln von sich zu geben. Es war förmlich zu spüren, wie sich langsam eine Spannung aufbaute, und die niedliche Stewardeß mit dem kastanienbraunen Pferdeschwanz versuchte, inmitten dieses Strudels ihre Fassung zu bewahren. In der Mitte des Ganges sah ich ihre Kollegin, anscheinend die Chefstewardeß, die ernst die ganze Angelegenheit aus der Entfernung beobachtete und anfänglich das Ganze noch mit einem Lächeln hinnahm. Als sich die Sache allerdings schon unnötig lang hinzog, wurde auch sie zusehends ernster, ohne jedoch in Erscheinung zu treten, denn scheinbar sollte hier die junge Frau eine Lektion für das kommende Berufsleben lernen. Für sie mußte es die Hölle sein und ich beschloß, mit einem diplomatischen Vorstoß in das Egozentrum einer mißverstandenen Dame einzuschreiten, ohne daß es zu sehr auffallen würde. „Gnädige Frau“, ich beugte mich etwas vor und sprach sie dabei mit einem Lächeln an. Sie brach in ihrem Satz ab und schaute eher fragend als verwundert zu mir herüber, dabei begannen ihre Augen zu leuchten und es erschien ein Lächeln ihres perfekt gerichteten Gebisses. Jetzt durfte ich sie nicht mehr von Haken lassen, „Entschuldigen Sie, ich habe Ihren Ärger mitbekommen und würde gerne versuchen, Ihnen aus dieser kleinen Verlegenheit zu helfen“ „Wirklich? Jesus, da bin i aber gespannt“, mit einem vielsagenden Lächeln wandte sie sich zu mir. „Ich habe hier unten etwas, das Ihnen sicher gefallen wird“, dabei griff ich äußerst langsam zwischen meine Beine, um die Spannung zu erhöhen, was mir sichtlich gelang. Ihre Augen weiteten sich und ich bemerkte, wie sie ausgiebig Luft holte. Dabei lenkte sie ihren Blick auf meinen Schritt, einer Region, die sie anscheinend sehr interessierte. Ich nestelte an der Tüte zwischen meinen Beinen herum und fand, was ich suchte. „Hier, sehen Sie, gnädige Frau“, dabei hielt ich ihr eine Flasche Dom Perignon vor das Gesicht und grinste sie dabei frech an. Das hatte sie nun doch nicht erwartet und ich erlebte die Frau für einige Sekunden sprachlos, was wohltuender als eine Thalassotherapie war, „Diesen Tropfen habe ich noch am Flughafen als Geschenk gekauft, aber wenn es sich hier um einen Notfall handelt, würde ich Sie gerne zu einem Gläschen Champagner einladen“ Nun lächelte sie wieder zuckersüß und ich befürchtete schon ihre übermäßig mit Ringen geschmückte Hand auf meinem Knie, oder noch schlimmer, dorthin, wo weiterhin ihr Blick haftete, „Ja, Sie san mir aber einer, Kruzitürken“ 19
Sie fing an, in ihrer Frisur herumzuspielen, und zog ihren unpassend kurzen Rock wieder gerade, der durch das vorhergegangene Herumzappeln leicht hochgerutscht war. „Sicher würde i gerne ein Glas Champagner trinken, wo und wann Sie wollen. Sie sind so ein charmanter Mann, darf i nach Ihrem Namen fragen?“, die Wimpern klimperten dabei und das hielt ich für ein böses Zeichen. Doch nun hatte ich mir diese Suppe eingebrockt und durfte beim Auslöffeln nicht kneifen, „Mein Name ist Kronau, Gabriel Kronau. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Frau... ?“ „Sybilla von Purchenau, leider früh verwitwet, ja mei“ Sie senkte betrübt die Augenlider und legte all ihren Schmerz in einen schmachtenden Blick. „Angenehm“, die Glückwünsche für ihren Mann hielt ich taktvoll zurück, dann drehte ich mich um und hielt nach der Stewardeß Ausschau, die jetzt ebenfalls zu mir sah, und sich das Lächeln nur mäßig verkneifen konnte. Trotzdem war da immer noch der scheue Blick zu meinem Nachbarplatz, der ihre Besorgnis über weitere Beschwerden enthielt, und deshalb stand ich lieber selber auf, um auch diese Last von ihren Schultern zu nehmen. Meine Miene verriet sicher, was ich von der Dame hielt, und doch fragte ich freundlich nach zwei Gläsern, um das edle Getränk nicht aus einem Becher genießen zu müssen. Eigentlich opferte ich nur ungern die Flasche Champagner, denn sie war als Geschenk für Signore Dino Spinola gedacht, den Mann, der mich mit seinem Brief nach Florenz gebeten hatte und dessen Informationen mir hoffentlich ein Stück weiterhelfen würden. Als Kunsthändler hatte er die besten Kontakte in der Stadt, und das nicht nur zu den offiziellen Stellen, was mir möglicherweise einige Türen öffnete und meine Nachforschungen sehr erleichtern würde. Seine schnelle Antwort alleine war schon ein vielversprechender Einstieg und ich wurde das Gefühl nicht los, endlich den Anfang eines Fadens gefunden zu haben, der mich zu einem neuen Manuskript führen würde. Die Stewardeß kam mit den Gläsern und einer Serviette zurück, die sie mir als erstes mit einem bezaubernden Lächeln in die Hand drückte. Dann sah sie etwas unsicher auf die Flasche, die ich immer noch beschützend festhielt. Es wurde ernst, entschlossen atmete ich noch einmal durch und wollte es mir nicht nehmen lassen, persönlich diese „Enthauptung“ zu übernehmen, als wir – Bacchus sei Dank – zum Landeanflug ansetzten und die üblichen Anweisungen dazu aus den Boxen erhielten. Mit dem bedauerlichsten Gesicht, zu dem ich fähig war, wandte ich mich zu Frau von Purchenau hinüber, „Es tut mir so leid, aber wir landen gleich und es ist wirklich schade, daß wir diesen edlen Tropfen nicht mehr kosten können“ Noch ohne eine Antwort abgewartet zu haben, verstaute ich die Flasche in aller Ruhe wieder und konnte dabei kaum aufschauen, um mich nicht durch mein Grinsen zu verraten. „Ja, das is ein Pech, bleiben Sie denn lange hier in München?“ „Oh,... nein, ich bin nur auf der Durchreise nach Florenz und in einer Stunde geht meine Anschlußmaschine. Ich fliege gleich weiter, ja..., äh, immer viel zu tun, Sie verstehen das sicher“, noch mal Glück gehabt, jetzt wäre mir beinah das Lachen im Hals steckengeblieben und ich begann mir sorgsam den Angstschweiß von meinen Händen 20
zu wischen. Dabei bemerkte ich in der Serviette ein kleines gefaltetes Stück Papier, dem ich natürlich sofort meine Aufmerksamkeit widmete. Sehr dezent öffnete ich das Blättchen und erblickte eine Telefonnummer mit dem dazugehörigen Namen in einer anmutigen Frauenhandschrift. Aha, die niedliche Stewardeß hieß Tanja und lächelte mich immer noch an, daß es einem warm ums Herz werden konnte. Natürlich war ich angenehm überrascht, aber es hätte zehn Jahre und eine Jenny weniger bedurft, um dieses reizende Angebot anzunehmen, trotzdem schwang ein gewisses Bedauern in meiner Stimme, als ich sie noch einmal ansprach, „Danke für Ihre lieben Bemühungen, vielleicht sehen wir uns auf dem Rückflug wieder“ Ihr enttäuschtes Gesicht ließ es mich schon fast bereuen, doch ich konnte nicht in München bleiben, oder vielmehr wollte ich es nicht. Schließlich brauchte ich endlich einen klaren Kopf und dabei half mir sicher keine Affäre, die mich nur an jemanden erinnerte, den ich vergessen wollte. Noch einmal lächelte ich sie fast entschuldigend an und sie wandte sich ab, um sich auf die Landung vorzubereiten, dann hielt sie jedoch noch einmal kurz inne, „Sollten Sie es sich doch noch anders überlegen, ich komme gerne“, das glaubte ich ihr aufs Wort. Man sollte meinen, daß sich Florenz im Februar von einer verschlafenen und ruhigen Seite zeigen würde. Versunken in einer Erholungspause zwischen den sommerlichen Touristenanstürmen aus aller Welt, ohne die ich mir die Innenstadt überhaupt nicht vorstellen konnte. Irgendwie stimmte das auch, denn es waren weniger Menschen auf den Straßen, aber immer noch drängelte sich an den berühmten Sehenswürdigkeiten ein buntes Gemisch aus aller Welt. Besonders die Japaner waren nicht zu übersehen, wenn sie von einem Reiseleiter mit erhobenem Regenschirm durch die Stadt geführt wurden und, dem Klischee entsprechend, alles fotografierten, was ihnen vor das Objektiv kam. Ich hatte mich für ein stilvolles Hotel im Zentrum der Stadt entschieden, das mir im Umkreis von fünf Minuten alles bot, was ich hier brauchte. Jede Menge Kultur, die unzähligen Restaurants und natürlich das besondere Ambiente der Arnometropole, die sich entlang des Flusses im breiten Talkessel ausbreitete. Das Hotel lag in einer Nebenstraße, gleich an der Piazza della Repubblica, und genau dort war schon bei der Gründung durch die Römer das Zentrum des damaligen Florentia gewesen, was sich bis heute noch deutlich durch die Anlage der zuführenden Straßen erkennen läßt. Florenz begrüßte mich mit einem milden, mediterranen Vorfrühlingswetter, getragen von einem blauen Himmel und milden Temperaturen, die aber von den Einheimischen sicher noch als arktisch empfunden wurden. Die Luft war wie Seide und die Sonne strahlte mit einer Präsenz, die ich nur allzuoft in Deutschland vermißte. Tief atmete ich durch und schloß die Augen, viel zu lange war ich nicht mehr in dieser Stadt gewesen, und wenigstens hatte ich keine Reise mit Jenny hierher gemacht, um mich mit irgendwelchen Erinnerungen herumzuquälen. Mein Taxi fuhr vor und ein Page eilte, wenn auch nicht schnell, so doch zielsicher, zu dem Wagen hin und forderte beflissen mein Gepäck von dem Chauffeur, bevor wir das 21
Foyer durch eine Glastür betraten. Die Einrichtung erinnerte mich an eine Mischung aus einem englischen Landgut und dem Orientexpress. Schwere, mit rotem Plüsch bezogene Sessel standen in der Halle vor einem grauen Marmorkamin und auf einem großen Tisch dazwischen befanden sich Zeitungen aus aller Welt, die zum Lesen verführen sollten. Dazu schwebte ein imposanter Kronleuchter aus Kristall hoch über mir in der Halle und verlieh dem Raum eine kühle Eleganz. An der Rezeption mußte ich einen Moment warten, eine stark geschminkte Frau, die ihrer Sprache nach eindeutig aus den Vereinigten Staaten kam, redete gerade mit dem Concierge und dabei traf sie immer eine Tonlage, die dem Kristalleuchter über mir gefährlich werden konnte. Soweit ich von dem Gespräch mitbekam, benötigte sie eine Telefonnummer aus Rom und der Mann an der Rezeption bemühte sich, ihr zuvorkommend diesen Wunsch zu erfüllen. Nach einem kurzen Telefonat mit der Auskunft wurde dann auch schnell die Nummer auf einem Zettel überreicht, worauf die Dame wortlos im Aufzug verschwand und ich überraschend auf deutsch angesprochen wurde. Jetzt erinnerte ich mich, wenn auch nur undeutlich, daß dieser Concierge früher im Savoy Hotel arbeitete, wo ich auf früheren Reisen übernachtet hatte, und es freute mich natürlich, hier so freundlich begrüßt zu werden. Neben der Erledigung der üblichen Formalitäten erkundigte ich mich deshalb gleich nach einer Karte für die Uffizien, da mir bekannt war, daß von den Hotels direkt Karten bestellt werden konnten, die dann an einem separaten Eingang abzuholen waren, was mir lange Wartezeiten ersparte. Mitten in unserem Dialog kam wutentbrannt die Dame von vorhin aus dem Fahrstuhl gestürzt und fuhr den armen Kerl hinter der Rezeption an, der erst einmal völlig verdattert in seinem Anzug steckte und beinahe hilflos zu mir herübersah. Dann begann sie, ohne auf unser Gespräch Rücksicht zu nehmen, sich über ihr defektes Telefon auf dem Zimmer zu beschweren und behauptete, in Boston wäre sowieso alles viel besser, was natürlich niemand beweisen konnte. Es dauerte etwas bis der gute Mann verstand, worin das Problem lag, und reagieren konnte. Ich begriff die Situation etwas eher und konnte mich kaum beherrschen, einfach loszulachen, aber da ich hier Gast war, hielt ich mich vornehm zurück und wartete gespannt auf seine bevorstehende Reaktion. Tatsächlich, jetzt machte es „Klick“ und ein breites Lächeln machte sich über seinem Gesicht breit, das er nur mühsam zügeln konnte, denn die Lady hatte zehn Minuten lang immer nur die Null gewählt und auf einen Operator gewartet, der sie vermittelte. Er klärte sie nun freundlich auf und sie entfernte sich etwas murmelnd wieder in den Fahrstuhl, jedoch eine Entschuldigung für die Störung hörte ich nicht von ihr. Der Concierge begleitete mich auf mein Zimmer, gefolgt von dem Pagen, der meine Reisetasche so fachmännisch wie möglich vor mein Bett stellte und ein angemessenes Trinkgeld dafür bekam, bevor mich beide allein ließen und ich meine neue Umgebung begutachten konnte. Dazu öffnete ich das Fenster, doch wenn ich jetzt einen malerischen Panoramablick erwartete, hätte ich ans Meer fahren sollen, denn hier bekam ich einen zu dieser Jahreszeit etwas öde aussehenden Innenhof mit Zierpflanzen und verwaisten Bänken zu sehen. Es war eben 22
mitten in der Stadt und die noble Ausstattung der Suite entschädigte für den ernüchternden Ausblick. Zuerst machte ich mich frisch, packte meine Sachen ordentlich in den Schrank und trotzdem ich mir Mühe gegeben hatte, mußte ich wieder bemängeln, daß meine Hemden völlig zerknittert waren, was glücklicherweise ein Anruf beim Zimmerservice wieder in Ordnung brachte, so daß ich mich ohne Scheu unter die eleganten Italiener wagen konnte. Schnell wurde es Abend, ich schlenderte noch etwas durch die Straßen und ließ die hellen Schaufenster auf mich wirken. Kalt war es und ich hatte meinen Kragen hochgeschlagen, als ich über die Ponte Vecchio ging, jener Brücke, auf der sich die Geschäfte der Goldschmiede seit der Zeit der Medici aneinanderreihten und den schönsten Schmuck in jeder Art von Edelmetall anboten. Mein Ziel war aber ein kleines Restaurant in der Nähe des Palazzo Pitti, wo ich später ein ausgezeichnetes Filet Fiorentina mit einem noch besseren Chianti dazu genoß und mich so auf meine Zeit hier einstimmte, die doch so ganz anders verlaufen sollte, als ich es zu diesem Zeitpunkt noch erwartete. Das Geschäft von Dino Spinola lag in einer kleinen Seitenstraße dicht an der Via Maggio und wie immer, wenn ich die schmalen Gassen sah, wußte ich, warum die Italiener ein Faible für Kleinwagen und Einbahnstraßen hatten. Den spärlichen Gehweg hatte ich schon längst mit der Fahrbahn vertauscht, einer überaus beliebten Methode der Fußgänger hier, die dadurch besser an den abgestellten Motorrollern vorbeikamen und gleichzeitig dafür sorgten, daß jedes Auto in der Innenstadt nur Schrittempo fuhr. Der Duft von gerösteten Maronen lag in der Luft, als ich mich der kleinen Tür mit dem passenden Schaufenster näherte, in dem einige schön dekorierte Antiquitäten die Kundschaft anlocken sollten. „Signore Kronau, schön Sie wieder einmal hier begrüßen zu dürfen“ Der gut fünfzigjährige Italiener mit dem Grauansatz in seinem schwarzen Haar stand hinter dem verschnörkelten Tisch auf und reichte mir die Hand, was mir gleich die Gelegenheit gab, mein gerettetes Präsent zu überreichen. „Danke sehr, ich bin immer wieder gerne hier und da ich weiß, daß Sie Kenner eines guten Tropfens sind, habe ich mir erlaubt, diese Flasche für Sie mitzubringen“ Wir setzten uns auf eine an der Seite stehende Ledercouch und er gab seiner Assistentin ein Zeichen, daß sie Mineralwasser und zwei Espresso bringen sollte. „Das dürfen Sie nicht tun, Signore Kronau. Sie sind Gast in meiner Stadt und ich sollte Ihnen etwas schenken, trotzdem vielen Dank“ „Gern geschehen, es hat mich sehr gefreut, daß Sie so schnell geantwortet haben, trotzdem war ich darüber auch etwas überrascht“ „Oh, das war ich auch, denn zuerst konnte ich überhaupt nichts erreichen. Der Restaurator, den Sie mir genannt hatten, ist schon lange tot und er hinterließ keine Unterlagen, dazu hatte ich unerwartet Schwierigkeiten in der Verwaltung der Uffizien, wo man nicht bereit war, mir weiterzuhelfen“ „Das hört sich nach einem sehr schwierigen Fall an, Signore Spinola. Wie haben Sie es trotzdem geschafft?“ 23
„Ich habe wenig dazu beigetragen, man hat mich sozusagen gefunden,...“, er machte dabei ein erstauntes Gesicht, dem ich mich anschloß, „...gerade als ich schon aufgeben wollte, meldete sich ein Herr am Telefon und sagte mir, daß er sehr an der Vase interessiert sei. Er habe wohl schon einiges von ihr gehört und war offenbar auch schon vergeblich auf der Suche nach dem Besitzer“ „So? Das ist recht merkwürdig, meinen Sie nicht auch, Signore Spinola?“ „Nein, eigentlich nicht, denn hier in Florenz laufen die Informationen anders, etwas direkter, wenn Sie verstehen, was ich meine. Viele Kunstliebhaber wollen nicht in Erscheinung treten und je wertvoller ein Stück ist, desto vorsichtiger werden diese Leute. Man hinterläßt an vertrauenswürdiger Stelle einige Visitenkarten und wartet dann auf eine Reaktion und sobald sich etwas ergibt, dauert es keinen Tag, bis der Kontakt hergestellt ist. Irgend jemand hat von meinen Nachforschungen erfahren und so darf Sie das nicht wundern, wenn sich schnell eine interessierte Person meldet, ich habe das hier schon öfters erlebt“ „Ach, was Sie nicht sagen, das ist ja eine bemerkenswerte Praktik. Ich wußte auch gar nichts darüber, daß diese Vase scheinbar so begehrt ist“, es begann in mir zu kribbeln, was ich immer verspürte, wenn etwas Ungewöhnliches in der Luft lag. „Sie ist sicher kein Fabergé-Ei, aber doch von einigem Wert, besonders natürlich für Sammler, die sich dieser Zeitepoche verschrieben haben. Hier bitte, auf dem Papier steht die Adresse des Herren, der bei mir angerufen hatte. Er bittet um eine baldige Kontaktaufnahme, offenbar ist er nur kurze Zeit in der Stadt“ Ich nahm den Notizzettel zur Hand und las mir den Namen und die Anschrift durch, „Benedetto di Gondoni? Habe ich noch nie gehört, kennen Sie den Mann, Signore Spinola?“ „Nein, leider nicht. Sie sehen ja selbst, er wohnt etwas außerhalb und ist bei mir im Geschäft noch nicht in Erscheinung getreten. Auch meine dezenten Nachforschungen haben nichts ergeben, scheinbar hat er das Haus, in dem er wohnt, erst vor kurzem gemietet und legt sehr viel Wert auf seine Privatsphäre“ „Ich möchte die Vase zwar nicht verkaufen, aber trotzdem werde ich mich mal mit diesem Signore di Gondoni unterhalten. Es macht mich doch etwas neugierig, wie er von Ihnen, Signore Spinola, erfahren hat“ „Es freut mich, wenn ich Ihnen damit helfen konnte, Signore Kronau. Bleiben Sie denn lange in Florenz, denn...“, die Espressi wurden serviert und langsam wandelte sich das Gespräch. Die Zeit, als ich Dino Spinola kennengelernt hatte, wurde jetzt das Thema. Damals stand ich etwas ratlos in den Uffizien vor Botticellis „Geburt der Venus“ und versuchte, das Bild mit meinem bescheidenen Wissen zu interpretieren. Dabei schien er meine Ratlosigkeit bemerkt zu haben und sprach mich einfach an, worauf er mir den ganzen Nachmittag etwas über die Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts erzählte und das die nächsten Tage mit großer Geduld fortsetzte. Innerhalb dieser Zeit hatte ich mehr über die Bedeutung der Perspektive in der Malerei der Renaissance gelernt, als in meinem ganzen Leben zuvor. Damit legte dieser Mann den Grundstein auf ein völlig unbebautes Feld meiner Interessen, ohne das ich mir mein Leben heute kaum vorstellen könnte. 24
Bis in den frühen Nachmittag plauderten wir und ich hatte es fast geahnt, daß ich heute nicht mehr zum Schreiben kommen würde, denn eine Einladung von Signore Spinola dürfte mich sicher den ganzen Abend beschäftigen. Doch der Verlockung, bei einer großen italienischen Familie zu Gast zu sein, konnte ich einfach nicht widerstehen. So machte ich mich auf den Weg, um vorher noch nach einem kleinen Geschenk Ausschau zu halten, und kam dabei an einem Bettler vorbei, den ich durch das Schaufenster schon über eine Stunde lang beobachten konnte. Er kniete auf einer Pappe und ging seinem Tagewerk nach, indem er mit herzzerreißenden Aufforderungen die Passanten ansprach. Jetzt, wo ich auf der Straße stand, entdeckte ich etwas, das nicht so ganz ins Bild paßte, und mir normalerweise nicht aufgefallen wäre, denn neben der verschmutzten, abgewetzten Kleidung trug er eine besondere Sonnenbrille – Armani. Noch gab mir dieser Umstand nicht zu denken, aber Tage später wäre ich ernsthaft darüber ins Grübeln gekommen. Vorerst jedoch ging ich durch die Straßen, vorbei an den Schaufenstern, die geschickt in die alten Hausfassaden integriert waren, und fand einen ausgezeichneten Brunello als Präsent für das bevorstehende Essen. Letztendlich war er auch die Ursache dafür, daß ich sofort nach diesem Abend in mein Bett fiel und traumlos einschlief. Das Frühstück lag hinter mir und ich war auf dem Weg zur Piazza dell´Indipendenza, direkt an der Via Nazionale, denn hier befand sich eine Haltestelle der Buslinie 7, von der ich nach Fiesole, auf einem der Hügel nördlich von Florenz, fahren wollte. Ich hatte an einem Zeitungskiosk einige Billets gekauft und hielt Ausschau nach dem orangefarbenen Bus, der recht schnell kam und mich durch den dichten Verkehr zu der alten Villa in dem Vorort brachte, wo ich mit Benedetto di Gondoni verabredet war. Es gab nichts Besseres, um das Credo einer Stadt kennenzulernen, als sich einfach auf sie einzulassen und der Bus vermittelte mir diese Nähe, die man im Taxi sitzend nicht einmal erahnen konnte. Motorinos, die kleinen wendigen Motorroller, umkreisten den Bus und drängelten sich durch das vormittägliche Chaos, das außerhalb des Zentrums etwas weniger wurde. Kurz vor dem Mittag erreichte ich den Marktplatz von Fiesole, von dem ich zu meinem Ziel noch einige Minuten Fußweg, vorbei an den Ausgrabungen aus etruskischer Zeit mit dem kleinen Museum, zu absolvieren hatte. Am Rand des Ortes, mit Blick auf die Metropole, lag das Anwesen, dessen massive Holztür zum Haus einen Hauch von Beständigkeit und Sicherheit ausstrahlte. Trotzdem benutzte ich etwas zaghaft den schmiedeeisernen Klopfer und wartete auf eine Reaktion, doch die blieb aus, und das ließ mich vorerst ratlos in der Gegend stehen. Das war ärgerlich, denn ich hatte mich vom Hotel aus telefonisch angekündigt und wußte nun nicht recht, was ich davon halten sollte. Ungeduld und Ärger wuchsen und ich wollte schon wieder gehen, als ein Riegel von innen betätigt wurde und ein dunkelhäutiger Glatzkopf mit Sonnenbrille die Tür öffnete.
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Beeindruckt betrachtete ich den Kerl, sein breites Kreuz, das in einem schwarzen Anzug steckte, verdeckte fast vollständig den offenen Eingang, als er zur Hälfte heraustrat, „Sie wünschen, Mister?“ „Mein Name ist Kronau und ich habe einen Termin mit Signore di Gondoni“ „Mister Kronau,... gehen Sie bitte in den Garten, dort werden Sie schon erwartet“, er trat zur Seite und wies mir den Weg außen um das Haus herum, dann verschwand er und ich hörte nur noch, wie die schwere Tür wieder zufiel. Langsam ging ich an der Vorderseite des Hauses vorbei und je näher ich dem Garten kam, desto deutlicher vernahm ich einige Sprachfetzen von zwei Männern. Zypressen und Pinien standen neben einzelnen Palmen, die schon viele Jahre alt waren und hier ein interessantes Ensemble bildeten. Dazwischen viele Sträucher, für die jedoch die Jahreszeit wohl noch zu früh war, und so tauchte ich hinter einer solchen hohen Hecke auf und sorgte mit meinem plötzlichen Erscheinen für eine Überraschung. Die Männer schauten mich an, wechselten einige Blicke miteinander und sofort kam einer von den beiden auf mich zu. Er schien im besten Vorruhestandsalter zu sein, wirkte aber erstaunlich agil in seinen Bewegungen, „Signore Kronau? Willkommen in meinem Domizil“ „Danke sehr, ich nehme an, Sie sind Signore di Gondoni?“ „Präzise getroffen, danke, daß Sie so schnell meiner Bitte gefolgt sind und sich hierher bemüht haben. Ich weiß das zu schätzen“ Er führte mich zu dem anderen Mann und bereitete dabei eine dicke Zigarre zum baldigen Gebrauch vor. Dieser imponierte mir sofort und dazu brauche er nicht einmal ein Wort zu sagen, denn sein Auftreten sprach für sich. Elegant, mit einer selbstverständlichen Autorität ausgestattet, schien der genau zu wissen, was er wollte, und hatte wohl auch den Willen, es zu bekommen. Er war bestimmt zehn Jahre jünger als Signore di Gondoni, mit streng nach hinten gelegten weißen Haaren und einem grauen Vollbart. In einem direkten Duell hätte ich bestimmt Mühe mit ihm gehabt und seine Augen schienen die Einschätzung seiner Entschlossenheit zu bestätigen. Dazu trug er einen schwarzen Anzug mit passendem Rollkragenpullover, der den fast zwei Meter hohen Körper bedeckte, dessen ausgezeichneter Zustand auch dadurch nicht zu verbergen war. „Darf ich sie bekannt machen, meine Herren. Signore Kronau, das ist Señor Miguel Almera, ein Geschäftsmann aus Spanien und ein alter Freund von mir“, wir begrüßten uns kurz mit einem Handschlag und ich mußte dabei einen musternden Blick über mich ergehen lassen. „Torro, darf ich dir Signore Gabriel Kronau aus Deutschland vorstellen?“, Torro? Das war wohl ein Spitzname und nachdem er mir die Hand gegeben hatte, wußte ich auch, warum er mit einem Stier verglichen wurde. Im Anschluß hielten wir einen kleinen Small Talk über meine Reise und das herrschende Wetter, bis mein Gastgeber entschied, das es zu kühl sei, und es besser wäre, alles Weitere im Haus zu besprechen. So kamen wir durch eine Seitentür in das Innere und ich befand mich nun mit den Herren in einer Art Salon, mit einer Einrichtung, die ich nicht zwingend hier erwartet hätte, denn alles war asiatisch gehalten, von den Lacktischchen bis zu einem Paravent mit Kranichmotiv. Signore di Gondoni sah meinen verwunderten Ausdruck darüber 26
und beeilte sich, mich darüber aufzuklären, „Sie müssen wissen, ich war viele Jahre in Asien und habe mir deshalb diese kleine Marotte zugelegt. Überall, wo ich mich aufhalte, gestalte ich mir solch einen Raum zur Entspannung und Meditation“ „Ich verstehe, Signore di Gondoni, dann sind Sie also viel auf Reisen?“ „Das kommt schon mal vor, früher hauptsächlich beruflich und jetzt eher privat, sozusagen zum Vergnügen“ „Das nenne ich ein angenehmes Leben, darf ich fragen, in welcher Branche Sie tätig waren?“ „Ursprünglich nur Marketingberatung für Konzerne in der ganzen Welt, aber im Laufe der Zeit hat sich der Handel mit Antiquitäten für große Firmen immer mehr gesteigert und so ist dies mittlerweile meine Hauptbeschäftigung. Jetzt natürlich nur noch als Hobby für alte Kunden, zu denen man ein besonderes Vertrauensverhältnis aufgebaut hat“ „Sehr interessant, aber seit wann sind denn Wirtschaftsunternehmen an Kunstwerken interessiert?“ „Sehr einfach, Signore Kronau, für firmeneigene Gästehäuser und in Chefetagen sind das begehrte Objekte zur Dekoration und da Manager meist schlechte Kunstkenner sind, zahlt sich ein guter Name in der Branche sofort aus“ „Das ist einleuchtend“, es wurde nebenher ein milder Grappa von dem dunkelhäutigen Türwächter gereicht und wir unterhielten uns angeregt weiter. Dabei war ich natürlich neugierig, wann endlich das Gespräch auf die Vase kommen würde, und ich sollte nicht lange auf die Folter gespannt werden. „Aber natürlich wissen Sie, warum wir Sie eingeladen haben, denn schon sehr lange ist ein Kunde von mir an Ihrer Vase interessiert und deshalb habe ich versucht, Sie ausfindig zu machen. Schließlich gehört Ihnen da ein besonders schönes Stück, für das ich Ihnen ein außergewöhnliches Angebot machen möchte“ „Da machen Sie mich jetzt aber wirklich neugierig“ „Schön, das gehört auch zu jedem Geschäft dazu, vorher gibt es da aber eine kleine Formalität, eigentlich nur eine Nebensächlichkeit, aber die Versicherung besteht darauf und wir müssen uns dem beugen. Ich brauche eine Expertise über die Herkunft der Vase mit der Liste der früheren Besitzer, das ist reine Routine, um zuvor die Echtheit zu überprüfen“ An sich hörte sich das einleuchtend an, was der Mann zu mir sagte, doch irgendwie war ich mir sicher, daß er wußte, welchen Wert das Stück hatte, und da ich das Geschäft ja sowieso nicht machen konnte, verlegte ich mich darauf erst einmal soviel wie möglich aus ihm herauszubekommen. „Leider muß ich Sie enttäuschen, meine Herren. Mir gehört diese Vase nicht und ich agiere bei allem, was mit ihr zu tun hat, nur treuhänderisch, demnach kann ich nur als Vermittler auftreten“ „So? Würden Sie mir das bitte näher erklären“, ich sah eine Mischung aus Enttäuschung und Mißtrauen mir entgegenschlagen. „Nun, ich bin Journalist und arbeite freiberuflich für einige Zeitungen, so ist es bei mir wie mit einem Arzt, denn natürlich kann ich meine Quellen nicht offenbaren. Bei einer meiner Nachforschungen habe ich den Eigentümer kennengelernt, der mich 27
vertrauensvoll bat, daß ich mich um seinen Besitz in aller Verschwiegenheit kümmere, also habe ich wirklich keine Möglichkeit, Ihnen in dem Fall direkt behilflich zu sein“ „Journalist sind Sie...?“, Señor Almera warf das etwas spöttisch ein und Signore di Gondoni fiel ihm gleich ins Wort. „Wir haben uns natürlich erkundigt und nach unseren Informationen sind Sie ein nicht ganz unbekannter Schriftsteller, niemand hat uns etwas von einem Journalisten gesagt, was sagen Sie dazu?“ Das kam für einen Kunstliebhaber, der mich milde für einen Verkauf stimmen wollte, etwas zu scharf herüber, beinahe schon drohend, und so war es wohl auch gemeint. Alleine schon die Tatsache, daß sie meine wahre Identität herausfinden konnten, obwohl ich unter einem Pseudonym schrieb, bei dem nur weniger Leute wußten, wer sich dahinter verbarg, ließ mich aufhorchen, auch wenn mich das nicht aus dem Konzept brachte, „Ihre Informationen sind vollkommen richtig, aber sie schließen doch meine Aussage nicht aus. Wahrscheinlich haben Sie sich nur mit den falschen Leuten unterhalten, sonst wären Sie jetzt nicht so überrascht“ Gondoni schien die Situation nun etwas diplomatischer regeln zu wollen und setzte wieder sein Lächeln auf, „Es ist auch nicht so wichtig, Signore Kronau. Wenn Sie so freundlich sind, dann geben Sie uns einfach den Namen des wirklichen Besitzers und wir machen ihm dann persönlich das Angebot, was auch nicht Ihr Schaden sein soll. So wird zwar etwas mehr Zeit vergehen, aber das sollte doch kein weiteres Problem darstellen, stimmt’s Miguel?“, er sah mit einem strengen Ausdruck zu seinem Nebenmann herüber und nickte etwas. „Ja, natürlich, es geht auch so“, das wirkte zwar nicht überzeugend, aber in der Stimme lag ein gewisser Grad an Einsicht. Allerdings würde meine Antwort sicher nicht dazu beitragen, daß Miguel Almera mit besserer Laune den Nachmittag verbringen sollte, „Leider kann ich Ihnen trotzdem den Namen nicht nennen, aber ich wäre bereit, mich mit dem Besitzer in Verbindung zu setzen und das Angebot zu übermitteln, selbstverständlich nur, wenn Ihnen das recht ist. Vielleicht könnten Sie mir sagen, für wen Sie die Vase erwerben wollen, und warum es ausgerechnet dieses Stück sein soll, das würde sicher meinen Klienten interessieren und dürfte bestimmt auch ausschlaggebend für seine Antwort sein“ Demonstrativ wurde meine letzte Frage übergangen, mir kam es vor, als wenn sich Rauhreif über das Zimmer legte und die Mienen merklich kühler wurden. Darüber täuschten mich auch nicht die anschließenden versöhnlichen Worte von Benedetto di Gondoni hinweg, „Eine ausgezeichnete Idee, Signore Kronau, aber vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal, denn das würde die Sache sehr vereinfachen, und wir wollen doch nicht zuviel Aufwand betreiben. Schließlich geht es doch nur um eine Vase“ Hartnäckig waren sie ja, allerdings nützte Ihnen das nichts und einzig wurde dadurch mein Mißtrauen geweckt. Ich spürte, daß wir uns gegenseitig etwas vormachten, und nun kam es darauf an, wer am längsten die Fassade aufrechterhalten konnte, „Da muß ich Sie abermals enttäuschen, denn ich muß bei meiner Entscheidung bleiben. Wir werden warten, wie mein Klient zu Ihrem Angebot steht, und danach sehen wir dann 28
weiter. Es tut mir wirklich leid, aber in dieser Angelegenheit habe ich keine andere Wahl“ Die nun folgende Minute des Schweigens kam mir unendlich lang vor, dann durchbrach doch endlich der Gastgeber die Stille, „Gut, Signore Kronau, dann werden wir Ihnen unser Angebot am Samstag mitteilen. Ich würde Sie gerne zu einem Empfang in Florenz einladen, dort können wir in entspannter Atmosphäre die Sache noch einmal besprechen. Zudem muß ich sagen, daß mich Ihre Standhaftigkeit sehr beeindruckt hat, und Sie können uns glauben, wir verstehen Ihre Lage vollkommen und akzeptieren sie natürlich. Also, ich würde mich freuen, wenn Sie meine Einladung annehmen, Sie kommen doch?“ Genauso irritiert von dieser Einladung wie ich, schien der Spanier zu sein, allerdings wollte ich nicht die Gelegenheit verpassen, an diesen Leuten dranzubleiben. Zudem war das die Chance auf einen netten Abend, auch wenn er für die beiden genauso ergebnislos verlaufen würde wie der heutige Nachmittag, „Ich freue mich über Ihre Einladung und natürlich werde ich kommen, vielen Dank“ „Ausgezeichnet, ich werde Ihnen die Einladung in Ihr Hotel schicken, es handelt sich um eine Benefizveranstaltung für krebskranke Kinder im Palazzo Vecchio“ Señor Almera stand langsam auf, ich nahm das als Zeichen, daß die Runde aufgelöst wurde, und erhob mich ebenfalls. Die Verabschiedung verlief eher nüchtern und ich wollte mich gerade nach dem Ausgang erkundigen, als der Spanier mir überraschenderweise anbot, mich in die Stadt mitzunehmen. Diese Offerte nahm ich gerne an und wir verließen gemeinsam das Haus durch den Vordereingang, von wo wir noch einige Schritte auf der Straße zum Wagen gehen mußten. Almera schien dabei etwas nachdenklich und war offenbar nicht ganz bei der Sache, als er neben mir zu sprechen begann, „Für „Lo Squalo“ ist es sehr wichtig, diese Vase zu erwerben. Sie sollten Ihren Standpunkt noch einmal in Ruhe überdenken, es zahlt sich sicher für Sie aus“ Ich mußte lächeln, „Lo Squalo“ bedeutete „der Hai“ und wenn sich hier alle Leute mit Tieren vergleichen sollten, dann müßte ich mir schleunigst etwas einfallen lassen und mir auch etwas Passendes zulegen. Warum hieß der alte Mann „der Hai“? Langsam verspürte ich so ein Ziehen im Nacken, es lag was in der Luft und dies war ein untrügliches Zeichen für mich, welches ich aus langer Erfahrung nicht ignorieren sollte. Man hörte nichts, man sah nichts und man roch nichts, aber man wußte, daß etwas auf einen zukam, und wenn man sich endlich umgedreht hatte, war die Dampfwalze schon über einen hinweggerollt. Er schaute forschend zu mir hinüber, vielleicht war ihm bewußt geworden, daß er sich gerade verplappert hatte, aber ich ließ mir nichts von meinen Vermutungen anmerken, „Nun, ich werde sehen, was ich machen kann, und gegen ein kleines Zubrot hätte wohl niemand etwas einzuwenden“ Wir erreichten nun sein Auto und seiner Erscheinung entsprechend hätte ich einen Bentley oder Mercedes erwartet, aber zu meiner Überraschung mußte ich feststellen, daß er direkt auf einen schwarzen Van mit dunkel getönten Scheiben zusteuerte. Darin eingestiegen versuchte ich, das Gespräch wieder in Gang zu bringen, „Was ist eigentlich mit Ihnen, Señor Almera, arbeiten Sie mit Signore di Gondoni zusammen?“ 29
Er zögerte einen Moment, ohne von der Straße zu sehen, „Nur noch selten, zwar sind wir aus der gleichen Branche und wenn es paßt, dann beschäftigen wir uns auch mit demselben Projekt, aber meistens sehen wir uns privat, der alten Zeiten wegen“ Offensichtlich hatte er kein Interesse, etwas von sich preiszugeben, und so kamen wir wieder zu den üblichen Belanglosigkeiten, doch ich verspürte schlagartig während dieser Fahrt auch keine Lust mehr zu einem ernsthaften Gespräch. Denn die schmale Serpentinenstraße führte bergab und der Van nahm hinunter zwei Drittel der Fahrbahn ein, seine hellen Lichtkegel berührten mal die Straße und strahlten dann in den engen Kurven weit in das Arnotal. Dies alles wäre sicher sehr malerisch gewesen, wenn man mich nicht gerade mit hoher Geschwindigkeit und mit quietschenden Reifen gen Stadt katapultierte und ich wechselweise verhindern mußte, auf Señor Almeras Schoß zu sitzen, oder auf meiner Seite aus dem Auto zu fallen. Offensichtlich hieß dieses maskuline Spiel‚ eher das Leben verlieren, als das Gesicht und wenn so Geschäftsleute fuhren, dann wußte ich jetzt auch, warum es Chauffeure gab. Mir persönlich gefiel dieses Spiel ausgezeichnet, mein Magen-Darm-Bereich war allerdings ganz anderer Meinung und ich hatte zu tun, damit sich beides nicht zu Wort meldete. Demzufolge war ich natürlich sehr froh, die Außenbezirke von Florenz zu erreichen und mein ins Gesicht gemeißelte Lächeln entspannen zu können, als wir an der Via di Bardi auf einem Parkplatz hielten. Von hier aus brauchte man dann nur noch die Ponte Vecchio überqueren, um in die Viccolo dell`Oro zu gelangen, wo sich Señor Almeras Hotel befand. Hier bat er mich, fünf Minuten auf ihn zu warten, was ich in einer kleinen Bar links hinter der Rezeption nun wieder entspannt machen konnte. Die Einrichtung war modern, eher nüchtern und von kühler Eleganz mit einem Schuß japanischer Architektur und nur die weißen Sitzgruppen repräsentierten die italienische Eleganz. An der Wand hing neben einigen Bildern ein großer Plasmabildschirm, auf dem gerade ein Fußballspiel lief, das zwar den Barkeeper sehr interessierte, mich aber recht kalt ließ, weil es ein grottenschlechter Kick war, und so verfolgte ich aus dem weichen Sessel eher gelangweilt die Partie. Den Espresso, den ich eigentlich bevorzugte, tauschte ich nach dieser Fahrt gegen einen Bourbon mit viel Eis, und machte damit, bis Señor Almera dazukam, die letzten Reste meines flauen Magens nur noch zu einer Erinnerung. Er nahm Platz und fing gleich an zu reden, in einer nun merkwürdig lockeren Verfassung, die mir im wahrsten Sinne des Wortes spanisch vorkam, „Ich habe gerade noch einmal mit Signore di Gondoni gesprochen und wir bitten Sie um einen kleinen Gefallen am Samstag. Vielleicht ist es etwas vermessen, aber wir befinden uns praktisch in einer Notlage, und ich hoffe, Sie schlagen uns diese Gefälligkeit nicht auch aus. Es ist ganz einfach für einen Mann mit Ihrer Bildung und Ihrem Charme und man könnte beinahe sagen, es dürfte für Sie das reinste Vergnügen werden“, jetzt hatte er meine volle Aufmerksamkeit, da waren mir zu viele Komplimente in einem Satz und ich begann automatisch an Troja zu denken – hüte dich vor Griechen, die Geschenke bringen – und hier steuerte gerade ein riesiges Holzpferd auf mich zu. „Dann schießen Sie mal los, ich bin sehr gespannt, welches Vergnügen Sie mir bereiten wollen“ 30
„Wir wären Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie eine Dame zum Empfang begleiten würden“, dabei sah er mich an, als wäre er Teilhaber einer Partneragentur, die dringend Umsatz machen mußte, und bei meinem Glück mit Frauen hieß die besagte Dame Sybilla von Purchenau. Er schien mir die Zweifel anzusehen und fügte lächelnd hinzu, „Sie hat auch einige Zeit in Deutschland gelebt und kennt hier in Florenz niemanden weiter. Es ist eine Bekannte von Signore di Gondoni und es würde doch für eine sehr junge Dame extrem langweilig werden, wenn wir, zugegeben in die Jahre gekommenen Männer, sie den ganzen Abend begleiten würden. Außerdem treffen wir uns dort mit einigen Geschäftsfreunden und ich glaube kaum, daß das für Sie oder die Señorita interessant wäre“ Meine Erfahrungen mit Frauen dieses Alters waren entweder kurz und heftig oder lang und traurig, so vorbelastet konnte ich sicher das Risiko eingehen und mich zu dem Verlauf dieses Abends überreden lassen. Sollte das meine Eintrittskarte sein, um eventuell mehr von den beiden Männern zu erfahren, so hätte ich es auch schlimmer treffen können. Vielleicht würde es sogar nett werden, wer konnte das schon vorausahnen, „Sie können auf mich zählen, ich tue Ihnen gerne diesen Gefallen und gegen charmante Gesellschaft habe ich nie etwas einzuwenden. Dazu hätte ich auch noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich Ihnen heute nun schon zum zweiten Mal einen Korb gäbe, schließlich sind Sie doch kein Bastwarenhändler. Wann treffen wir uns?“ „Nun, am Samstag im Palazzo Vecchio, Señor Kronau“ Vorerst hatte ich aber noch am Freitag genug Zeit, mich auf den großen Abend einzustimmen, und natürlich auch, um über den vergangenen Tag nachzudenken, der mich vorerst der Lösung meines Rätsels keinen Schritt näher gebracht hatte. Ich war selbstverständlich nicht auf einen großen Auftritt vorbereitet und meine besten Anzüge waren da, wo sie eigentlich immer waren, zu Hause im Schrank. Also stürzte ich mich zum Shoppen ins Getümmel der Stadt, die diesbezüglich keine Wünsche offenließ. Es war schon schwierig für einen Mann, der wußte, was er einkaufen wollte, etwas Passendes zu finden, aber hier, bei der verschwenderischen Auswahl, verstand ich die Sorgen und Nöte aller Frauen, die sich nie entscheiden konnten, oder einfach alles nahmen, was sie in die Finger bekamen. Geschäfte reihten sich aneinander in den Straßen und kleinen Gäßchen rund um den herrlichen Dom, dessen runde, rotleuchtende Kuppel immer ein hervorragender Orientierungspunkt in der Sichtachse der großen Straßen war. Zielsicher bewegte ich mich auf die Filiale eines bekannten Herrenausstatters zu und betrat diese gut gelaunt mit noch gefüllter Brieftasche und den noch lieber genommenen Kreditkarten. Bei aller Neugier auf meine Verabredung war mir dieser Abend eher wegen der ganzen Begleitumstände wichtig und ich wußte, daß ich dort sicher ein offenes Ohr haben würde, um alles aufzuschnappen, was mir helfen konnte. Wäre das nicht so, hätte ich mich schon längst in die Archive der Uffizien eingeschmuggelt, wo ich mir die Unterlagen in aller Ruhe angesehen hätte, und dabei nach einem entscheidenden Hinweis suchen würde. Allerdings konnte ich mir bei dem Interesse von Gondoni nicht vorstellen, daß er dies nicht schon vor mir getan hatte, und wohl zu keinem Ergebnis 31
kam, aber genau dieser Punkt mußte schließlich geklärt werden und vielleicht fand ich dort etwas, das er übersehen hatte. Kurz entschlossen erwarb ich einen schwarzen Anzug mit passender Weste und dunkler Krawatte und verließ zufrieden das Geschäft unter den freundlichen Verabschiedungen eines eindeutig zum gleichen Geschlecht tendierenden Verkäufers. Zehn Minuten später war ich wieder in meinem Hotel und machte mich etwas frisch, um dann endlich zu den Uffizien zu gehen, schließlich wurde es Zeit, daß ich das Objekt der Begierde persönlich in Augenschein nahm. Vielleicht gelang es mir auch jetzt schon, in das Archiv zu kommen, aber eigentlich hatte ich vor, das erst einige Tage später zu tun, nachdem ich wußte, was dieser Gondoni tatsächlich im Schilde führte. Es war regnerisch geworden, noch war eigentlich Winter und heute war so ein Tag, an dem man es auch merken konnte. Ich haßte solch ein Wetter schon zu Hause, aber hier in Italien war es ein Sakrileg und da ich noch etwas Zeit hatte, begab ich mich in ein Café direkt an der Piazza Signoria, um noch einen Espresso zu nehmen und mich dabei ein wenig aufzuwärmen. Schließlich war Florenz auch in den Restaurants präsent und hier schien das Flair der Metropole sogar noch komprimiert zu sein, mit all seinen guten und auch hektischen Seiten. Wohlige Wärme lag in der Luft, in einem Duft von frischem Kaffee und Tabak. Parallel zum rechtwinkligen Tresen standen Rattanmöbel dicht an den großen Fenstern, nur etwas abgetrennt von Pflanzenarrangements, die etwas Intimität erzeugen sollten, doch die vielen Menschen machen dieses Vorhaben mit ihrer Anwesenheit zunichte. Ein Fernseher über dem Barkeeper versorgte die Gäste am Tresen natürlich mit Sport und selbstverständlich konnte ich mich dem auch nicht ganz entziehen, als ich bestellte und mich an einer Ecke dort hinsetzte. Von meinem Platz aus beobachtete ich, wie die beiden anderen Kellner viel zu tun hatten, denn es war Mittagszeit und das zusätzliche Jonglieren durch die Massen machte ihren Job bestimmt nicht leichter, dafür aber sicher lukrativer. So saß ich an der Bar und kostete einen der typischen florentinischen Mandelkekse, zu denen eigentlich ein Vin Santo besser passen würde, und betrachtete die vielen verschiedenen Menschen um mich herum. Geschäftsleute, Touristen und auch Angestellte, die nur eine kurze Pause machten, oder sich zu einem Schwätzchen trafen. Sie alle bildeten das typische Hintergrundmurmeln, das ich an Bars und Cafés so liebte. Ich erwischte von rechts einen kleinen Gesprächsfetzen und auch von der anderen Seite bekam ich etwas mit, weshalb ich etwas schmunzelte, da die Menschen auf der ganzen Welt offenbar die gleichen Probleme hatten. Sport, die Steuern und natürlich die Familie, es wurde über Tante Lucia hergezogen und der Chef hatte etwas mit seiner Sekretärin, alles wie zu Hause und hier in Florenz fühlte ich mich jetzt schon fast wieder so. Halb verdeckt von zwei Männern, die sich angeregt über Fußball unterhielten, sah ich in einer der Ecken ein Rad, das zu einem Rollstuhl gehörte. Jetzt, wo ich das so sah, fiel mir auf, daß ich in all den Jahren, wo ich hier gewesen war, nie einen Rollstuhl bewußt wahrgenommen hatte. Das mochte an der Fülle der Straßen gelegen haben, die ja ständig mit Menschen überlaufen sind, oder hatte mich die Schönheit der Stadt so geblendet, daß ich das übersehen hatte? 32
Es machte mich nachdenklich, ich hielt mich immer für einen toleranten und hilfsbereiten Mann, der keine Vorurteile kannte, und dieser Umstand begann mich natürlich zu beschäftigen. Viel, eigentlich zuviel, hatte ich schon mit Tod und Krankheit bei mir nahestehenden Menschen zu tun gehabt, als daß ich nicht wüßte, daß nur eine Sekunde ausreichte, um auch mein Leben so gravierend zu verändern. Deshalb hatte es mir auch immer Respekt abgefordert, wenn ein Mensch mit so einem Handicap zurechtkommen mußte, und dies auch tat. Dennoch war mir klar, daß ich trotz meines Einfühlungsvermögens bestimmt nicht die Tragweite solch eines Schicksals erfassen konnte. Mit diesen Überlegungen verbrachte ich einige Minuten, aber langsam drängte sich wieder das Geheimnis der Vase in mein Bewußtsein, doch bevor ich damit richtig weitermachen konnte, bestellte ich noch einen Espresso und ging in Richtung Toilette, was mittlerweile bitter nötig wurde. Dabei kam ich dicht am Rollstuhl vorbei und sah darin eine junge Frau sitzen, die immer noch ihren dicken Mantel trug und eine heiße Schokolade trank, deren Dampf noch aus der Tasse aufstieg. Sie hatte keine Begleitung, jedenfalls soweit ich das erkennen konnte, und schien sich nicht besonders wohl zu fühlen. Jedenfalls schaute sie gelangweilt abwechselnd in ihre Modezeitschrift und dann aus den großen Fenstern hinaus auf die Piazza Signoria. Als ich kurz darauf wiederkam, hatte sich das Bild nicht geändert, aber was sollte mich das beschäftigen, und ich begab mich wieder zu meinem gemütlichen Platz, wo eine neue Tasse auf mich wartete. Allerdings kannte ich mich zu genau, weswegen ich kaum überrascht war, daß mich diese Frau nicht losließ und eines war sonnenklar, wenn sie nicht in diesem Stuhl gesessen hätte, wäre sie in einer Bar voller Italiener keine Minute alleine gewesen. Bisher sah ich sie nur im Profil, aber das reichte aus, um etwas von ihrer elektrisierenden Ausstrahlung wahrzunehmen, die mich magisch anzog. Ihre glänzenden schwarzen Haare erzeugten einen wirkungsvollen Kontrast zu dem beigefarbenen langen Mantel und dem weißen Schal, der nur um ihren Nacken lag und trotz des Winters hatte sie eine sonnengebräunte Haut und... nein, ich schaute weg und wollte mich ganz auf den Sportkanal konzentrieren. Meine Schwärmerei gefiel mir gar nicht, es war so, als hielte mir jemand ein Messer entgegen und ich brauchte mich nur noch hineinzustürzen. So beobachtete ich zwei Sumoringer, die wohl in der japanischen Meisterschaft ihre Massen bewegten und dabei die Massen begeisterten – genau für zehn Sekunden..., um wieder in die Ecke zu schauen. Doch sie war jetzt nicht mehr alleine, schon wollte sich eine gewisse Enttäuschung in mir breit machen, als ich erkannte, daß sich unter der dicken Daunenjacke eine Frau befand, die mit einer Mütze und Sonnenbrille bekleidet war. Beide redeten leise, scheinbar jedoch über ein wichtiges Thema, was durch die ausladenden Gesten unterstrichen wurde, und dabei schauten sie des öfteren in meine Richtung. Unverständlicherweise beschleunigte das meinen Puls und ich bekam feuchte Handflächen. Zum Glück schoben sich immer wieder Gäste durch das Blickfeld, die diesen Zustand etwas abmilderten, und nach fünf Minuten war die Frau mit der Sonnenbrille wieder verschwunden, worauf sich kurz darauf auch der Rollstuhl in Bewegung setzte. Dabei hatte diese wunderschöne Frau keine Wahl und mußte an meinem Platz vorbei. Jeder Widerstand war zwecklos und nur mit Mühe konnte ich mir 33
das Hinsehen verkneifen, jedenfalls für einige Sekunden, in denen ein mörderischer Kampf in mir tobte. Ich riskierte einen Blick und sah in zwei wunderschöne braune Augen, die von einem ernsten Gesicht eingefaßt wurden, und ganz kurz, für einen winzigen Augenblick, sah sie zu mir auf und ein kalter, fast schon arroganter Ausdruck war in diesen Augen zu lesen, die mich aber nicht täuschen konnten, denn darin gab es noch soviel mehr. Mich durchlief es heiß und kalt und nur ein Anfall von Disziplin ließ mich die Energie aufbringen, um wegzuschauen, doch mein Herz blieb dabei fast stehen und ich bekam eine trockene Kehle. Langsam schob sich der Rollstuhl durch das Gedränge, ein Kellner, der gerade in der Nähe war, öffnete die Glastür und sie verließ den Raum. Nachdem sie draußen war, erschien mir das Café leer und verlassen. Noch sah ich sie draußen, wie sie stehen blieb, um ihre schwarzen Haare unter einer wärmenden Wollmütze zu verstecken, und dann entschwand sie endgültig meinem Blick. Obwohl viel Trubel um mich war, verspürte ich eine merkwürdige Stille in mir und leider war mir nur allzu klar, was das für mich bedeutete. Ich konnte jetzt aufstehen und hinter ihr herstürzen, aber ich tat es nicht, das Schicksal hat mich einmal bestraft und es soll keine zweite Gelegenheit dazu mehr bekommen – aber hatte es nicht in diesem Augenblick schon anders entschieden? Ich wußte es nicht recht, aber was war überhaupt passiert? Eigentlich gar nichts, ich sah nur in zwei Augen, in denen ich versinken konnte, und für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, darin einen besonderen Menschen zu erkennen. Doch warum solch einen Aufstand darum machen, es war schließlich nur eine Begegnung von tausenden, die jeden Tag an einem vorbeieilen, und sicher würde ich sie nie wieder sehen, wir waren wie zwei Schneeflocken im Sturm des Lebens. Erst einmal trank ich einen Ramazotti und hoffte, daß ich spätestens übermorgen das Gesicht vergessen hätte, allerdings sah draußen trotz des schlechten Wetters alles freundlicher aus und das gab mir zu denken. So ging ich mit merkwürdig besserer Laune in die Uffizien und mußte lächelnd dabei feststellen, daß die Kunstwerke aus Leinwand, Farbe und Stein nur ein schwacher Abglanz der Schönheit aus Fleisch und Blut waren. Trotzdem konnte ich mich der Kunst nicht ganz entziehen und so genoß ich diesen Rundgang mit der genügenden Aufmerksamkeit und machte mich letztendlich daran, die Vase zu besichtigen. Ja, da stand sie, eine ausgezeichnete Arbeit, aber war sie deshalb den ganzen Aufwand wert? Mir erschien es kaum so, doch wußte ich genau, wie schnell ein oberflächlicher Eindruck täuschen konnte, und bis jetzt hatte ich nur die Oberfläche dieser Geschichte angekratzt. Dies konnte allerdings ein Blick in die Akten, um dem Geheimnis näherzukommen, ändern und das würde ich sicher bald erledigen. Mit diesen und anderen Gedanken ging ich durch die Zimmer und Flure der Ausstellung und wie ich erwartet hatte, war auch diesmal die Zeit mein Feind, um in aller Ruhe die große Vielfalt der Kunstschätze bewundern zu können, und deshalb fand ich es schade, daß ich mich darüber nicht bei den römischen Imperatoren, deren Büsten entlang des Hauptflures aufgestellt waren, beschweren konnte. So verließ ich, in der festen Überzeugung wieder nicht alles gesehen zu haben, das Gebäude in Richtung des 34
Arno und spazierte an dessen Ufer noch eine Weile entlang, bevor ich mich entschied, welches Restaurant ich zum Abendessen besuchen wollte. Dabei ging mir den Abend über ein Zitat von Marcel Proust nicht mehr aus dem Kopf - „Von allen Frauen, deren Charme ich erlegen bin, habe ich hauptsächlich Augen und Stimme in Erinnerung“ Der Samstag begann, wie der Freitag endete – regnerisch und mit dem Bild einer Frau in meinem Kopf. Morgens telefonierte ich noch einmal mit Benedetto di Gondoni und erfuhr so, daß wir uns abends direkt im Palazzo Vecchio treffen würden, der für mich besonders bequem zu erreichen war, da er nur fünf Minuten Fußweg von meinem Hotel entfernt war. Über die Vase verloren wir beide in der ganzen Zeit kein Wort und da mich die tatsächlichen Beweggründe der Männer natürlich noch brennend interessierten, beschloß ich, bei passender Gelegenheit einige Erkundigungen über sie einzuziehen, vielleicht hatte ich mehr Erfolg als Signore Spinola. Doch vorerst wollte ich zu einem der wichtigsten Orte in dieser Stadt gehen, dem Dom, der beherrschend im Zentrum stand und mit seiner Erscheinung ein beeindruckendes Bild abgab. Betrat jemand zum ersten Mal das Kirchenschiff, wird er, ob gläubig oder nicht, in eine mystische Welt hineingezogen. Die leisen Worte der vielen Besucher werden an den Wänden reflektiert und bilden ein dumpfes Gemurmel, das von überallher widerhallt, und zwei große, runde Eisenständer, die immer mit brennenden Opferkerzen versehen sind, tun ihr übriges, um diesen Eindruck zu erzeugen. Ich begab mich nun im Inneren auf die rechte Seite, vorbei an dem Eingang zum unterirdischen Ausstellungsraum, zu einer der Holzbänke, die an beiden Wänden standen und zum Verweilen einluden. So zu sitzen genoß ich sehr, denn ich liebte diese Stimmung und die meditative Ruhe, die von ihr ausging. Einige Zeit wollte ich so verweilen und mich schon auf das Beste freuen – den Aufstieg zur Kuppel und der darauffolgenden Belohnung für die Strapazen, dem beeindruckenden Ausblick über die Stadt und deren Umgebung. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich zurück und ließ für einen Moment alle Anspannung von mir abfallen, blinzelte etwas durch die Augenlider und sah auf die Lichter und ihr unregelmäßiges Flackern. So ließ ich meinen Blick mit fast geschlossenen Liedern umherschweifen – was war das? Ich wendete ganz leicht meinen Kopf wieder zurück, zwei Gestalten, die mich beobachteten? Zuerst dachte ich, es wäre eine dieser Einbildungen, die bei allzu mißtrauischen Menschen des öfteren vorkamen. Aber nachdem ich einen kleinen Test machte und mit geöffneten Augen nochmals die gegenüberliegenden Wandgemälde betrachtete, waren beide plötzlich in ein sehr fesselndes Gespräch vertieft, wobei sie natürlich nicht in meine Richtung sahen. Dies wiederholte ich noch einige Male, immer mit demselben Ergebnis und der relativen Sicherheit, daß hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Beide schienen Italiener zu sein, mit schwarzen, beinahe schulterlangen Haaren und markanten Dreitagebärten, was mich schmunzeln ließ, denn sie sahen aus, als wären beide aus der gleichen Genfabrik entsprungen. Doch der eine wirkte sehr muskulös, wohingegen sein Freund eher drahtig aussah und dabei sicher wieselflink war. 35
Langsam stand ich auf, ohne daß ich mich um die beiden kümmerte, und ging in Richtung Altar, über dem die berühmte Kuppel mit dem berühmten Fresko schwebte. Genau unter der Kuppel versammelte sich immer eine große Traube von Menschen, um nach dem Himmel zu schauen, und sie hatte wirklich etwas Himmlisches an sich. Denn in der Art ihrer Darstellungen zeigte Vasari dort eindrucksvoll einige Szenen des Jüngsten Gerichtes und die ließen wohl kaum einen der vielen Touristen ungerührt. Diesmal jedoch verzichtete ich auf das Erlebnis und behielt unauffällig die beiden Schatten, die mir recht geschickt folgten, im Auge und bemerkte, wie sie versuchten, einen harmlosen Abstand zu mir zu halten. Das Spiel machte ich ungefähr zehn Minuten mit und überlegte die ganze Zeit fieberhaft, was zu tun wäre. Schließlich hatte ich den Vorteil, daß mir beide nicht verborgen geblieben waren und wenn ich jetzt nicht handelte, konnte es gut sein, daß sie mich in einem anderen Augenblick unvorbereitet treffen würden. Eines stand jedoch wohl fest, egal was sie vorhatten, es würde wohl kaum hier geschehen, wo so viele Menschen anwesend waren. Wahrscheinlich hatten es die Kerle auf Touristen abgesehen, um sie auszurauben, vielleicht sogar, um an die Zimmerschlüssel heranzukommen und sich über das Gepäck und den Schmuck herzumachen. Das war natürlich auch eine Möglichkeit, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, allerdings bestand das Risiko, sich dabei einen falschen Kunden auszusuchen. Hier liefen Hunderte Omas herum, denen man wesentlich leichter ihre Handtasche abnehmen konnte, als mich von der Herausgabe meiner Wertsachen zu überzeugen. Jedoch, was sollte ich mich mit Vermutungen herumärgern, wenn die Tatsachen für sich sprachen. Also gut, meine Herren, dann wollen wir der Sache mal auf den Grund gehen. Gemütlich ging ich in eine Ecke, in der ein kleiner Holztisch stand, auf dem Kerzen zum Kauf angeboten wurden. Dort musterte ich ausgiebig das Angebot und fand genau das, was ich suchte, alles in dem sicheren Gefühl, daß jede meiner Handlungen beobachtet wurde. Ich erwarb die größte Kerze des Sortiments und dazu auch noch eine von normaler Größe, wie sie auf den Kerzenständern verwendet wurde, um sie gleich darauf anzuzünden, denn schaden konnte das bei meinem Vorhaben bestimmt nicht. Anschließend begab ich mich zu der kleinen Seitentür des Kassenhäuschens, an dem jeder vorbei mußte, der den Weg zur Kuppel gehen wollte. Genau daneben war ein Durchgang, hinter dem die vierhundertdreiundsechzig Stufen zu der kleinen Aussichtsterrasse oberhalb der Kuppel begannen, und schon der erste Blick auf die Treppe rief mir wieder die Anstrengungen ins Gedächtnis, die mir jetzt bevorstanden. Ruhig bezahlte ich und schaute wie selbstverständlich in die Runde, dabei gab ich den beeindruckten Touristen, doch alles andere als die Fresken und den Altar hatte ich dabei im Auge. Sie waren dicht hinter mir und bezahlten gerade, das gab mir einige entscheidende Sekunden und so beschleunigte ich meine Schritte, sobald ich aus ihrem Blickfeld war. Im gleichbleibenden Rhythmus rannte ich die Treppe hinauf, deren Gangbreite höchstens einen Meter breit war und die unförmige kleine Stufen hatte. Um den Schwierigkeitsgrad noch zu erhöhen, führte mich mein Weg über eine Wendeltreppe, die mit feuchter muffiger Luft angefüllt war, und schnell begannen meine Sachen unangenehm am Rücken zu kleben. 36
Nachdem ich dieses Hindernis hinter mich gebracht hatte, fing meine Luft schon an, etwas knapp zu werden, aber ich mußte noch weiter nach oben in den Vorraum, von dem aus die Balustrade zugänglich war, die unterhalb der Kuppel im Inneren des Doms entlangführte. Zu meinem Glück machten die beiden wohl mehr Kraftsport als Konditionstraining und so konnte ich weit unter mir ein paar atemlose Flüche, begleitet von schweren Schritten, hören. Dies räumte meine letzten verbliebenen Zweifel aus. Die Typen waren tatsächlich hinter mir her, denn warum sollte man sonst so blöd sein und diesen Weg nach oben hetzen? Der Schweiß stand mir auf der Stirn, als ich den kleinen Vorraum erreichte und jetzt wurde es Zeit, meinen kleinen Plan durchzuführen. Fest umschloß ich die große Kerze mit meiner Hand, es war guter, harter Wachs, der sehr vorteilhaft für meine Zwecke war und der jetzt ein Feuer ganz anderer Art entfachen sollte, vielleicht ging meinen Verfolgern dadurch ein Licht auf. Der kleinere von den beiden war als erster am Durchgang und völlig überrascht, als ihn mein Ersatzknüppel perfekt an der Schläfe traf. Er schaute einen Moment starr nach vorne und es schien, als suche er nach Worten, bevor sein Körper einfach auf der letzten Stufe zusammensackte. Unglücklicherweise brach bei diesem Schlag die Kerze durch und nur der Docht hielt die beiden Enden noch zusammen. Das gehörte zwar nicht zu meinem Plan, allerdings blieb mir sowieso keine Zeit, jetzt nach einer Alternative zu suchen, denn etwas geschockt und mit einer mächtigen Wut im Bauch stürzte der zweite Kerl aus dem Aufstieg hervor und nestelte in seiner Jacke herum. Nun war größte Vorsicht geboten, ich ahnte, nach was er suchte, und mir blieb nichts weiter übrig, als mit aller Macht auf ihn zuzuspringen. Wie ich befürchtet hatte, kam jetzt der Lauf einer Pistole zum Vorschein, aber er hatte zuviel Zeit damit verbracht, sie aus dem Holster zu holen. Ein Fehler, der sich nun rächte, denn ich holte aus und schlug ihm mit dem frei schwingenden Teil der Kerze auf seine Hand, woraufhin er sofort jaulte und dabei die Waffe fallen ließ. Ohne Zeit zu verlieren holte ich diesmal von unten aus und traf ihn mit voller Wucht am Unterkiefer, was leider nicht die gleiche Wirkung wie bei seinem Komplizen hatte, aber ich konnte meine Chancen damit deutlich verbessern. Er war jetzt so nahe, daß ich direkt in seine Augen sehen konnte, und eine Mischung aus Haß und Erregung sprühte mir entgegen, als ich zum finalen Schlag ansetzen wollte, denn solange er noch benommen war, schien die Gelegenheit günstig, ohne großen Schaden aus dieser Lage herauszukommen. Aber beim Ausholen riß der Docht und das Vorderteil der Kerze flog quer durch den Raum und prallte gegen die dicke Mauer. Ein Grinsen stand nun in seinem massigen Gesicht und ich wendete mich ab, um in Richtung der Kuppel zu rennen, was das Zeichen für ihn zu sein schien, seine Verfolgung fortzusetzen, und er folgte mir mit seinem schweren Körper. Leider war sein Pech, daß ich sofort wieder stoppte und mich mit aller Kraft gegen ihn warf. Meine Schulter traf sein Kinn und ich riß die rechte Hand hoch, so daß mein Ellenbogen die gleiche Stelle noch einmal bearbeitete. Das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um nun das Handtuch zu werfen, aber sein Kollege schlief leider noch und so mußte er jetzt die Konsequenzen bis zum Schluß tragen. 37
Mein nächster Schlag traf seinen Solar Plexus und er krümmte sich leicht nach vorne, dies nutzte ich aus und riß mein Knie nach oben - das war die letzte Aktion, die er noch vor dem Einschlafen mitbekam. Ich verspürte deutlich einen kleinen Anfall von Stolz, als mein Adrenalin durch den Körper pulsierte und die Schlafmützen vor mir auf dem Boden ihr Nickerchen machten. Allerdings hatte auch ich etwas abbekommen und mir einen Muskel gezerrt, das war zwar nichts Aufregendes, dennoch blieb es sehr unangenehm und ich wußte nun, warum man sich vor dem Sport warm machen mußte. Jetzt begann der ernste Teil und ich konnte beide in aller Ruhe filzen, wobei ich zuallererst die Beretta vom Boden an mich nahm. Alles zusammengenommen bildete ein schönes Arsenal – Ersatzmagazine mit Munition für die Waffe und sogar ein passender Schalldämpfer. Bargeld und ein Foto von mir, das nicht unbedingt meine Schokoladenseite zeigte, rundeten das Inventar ab, jedoch fand ich keine Papiere oder sonstige Hinweise auf die Identität der Männer, was wohl auch zu einfach gewesen wäre und mich deshalb nicht überraschte. Als Bonus fielen mir drei Schlüsselbunde in die Hände, wovon zwei fast identisch waren und offensichtlich zu den gleichen Schlössern gehörten, der dritte Schlüssel jedoch paßte zu einem Fiat, was durch das Logo darauf nicht zu übersehen war. Natürlich steckte ich alles ein und begann währenddessen nachzugrübeln, denn alleine schon das Foto ließ meine bisherigen Vermutungen zusammenbrechen. Sicher, die Handschrift der beiden war nicht gerade professionell, aber auch nicht so stümperhaft wie man sie bei einem Laienschauspieler vermuten würde, und so hielt ich es für wahrscheinlich, daß die Kerle nur kleine Fische waren, die auf mich angesetzt wurden. Denn es war eine vorbereitete Aktion und demnach mußte es Hintermänner geben, wieso sollte sonst jemand ein Bild von mir gemacht haben, wenn ich als Opfer nur wahllos aus der Menge gefischt werden sollte. Gerade in der Stadt angekommen und schon eine große Einladung bekommen und einen kleinen Überfall erlebt – die Ereignisse begannen, sich zu verselbstständigen und das steigerte meine Spannung. Hier gab es nichts mehr zu tun, der Ort war denkbar ungeeignet, um länger an ihm zu verweilen, und mitnehmen konnte ich die beiden sowieso nicht. Also wollte ich gerade weiter zur Kuppel gehen, um ordentlich und unauffällig auf der anderen Seite wieder den Weg nach unten zu nehmen, als Stimmen von der Treppe unter mir zu vernehmen waren, „...komm, Gerti, nu komm, hier geht’s raus“ Ein Mann rief scheinbar nach unten, dabei konnte er aber nur noch wenige Meter vom Durchgang entfernt sein. Sicher würde man sofort Hilfe holen, doch dafür war es mir zu früh und eine Flucht Hals über Kopf schien mir bei den engen Wegen zu riskant, da ich so sicher auffallen würde. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich aus dem Dilemma herauskommen konnte, bis mir eine Idee durch den Kopf schoß, die ich spontan und mit breitem Grinsen umsetzte. Zuerst griff ich mir den kleineren der beiden, um ihn aus der Sichtweite der Tür zu bekommen, und setze ihn an die Wand, dann machte ich es genauso mit seinem Partner. Als Tüpfelchen, das zu jedem I gehörte, drückte ich jedem ein Stück von meiner Kerze in die Hände und zündete sie als Krönung des Ensembles an, um in letzter Sekunde meinen kleinen Fotoapparat in die Hand zu nehmen und mich zu 38
positionieren. Im selben Augenblick erschien ein älteres Pärchen am Ende der Treppe, das völlig außer Atem und sichtlich etwas von der Szene irritiert war. Also sah ich herüber, legte meinen Zeigefinger vor den Mund und flüsterte leise ihnen leise zu, „Keine Angst, kommen Sie ruhig näher, so etwas haben Sie noch nicht gesehen“ Mit der Hand winkte ich sie zu mir herüber und machte dazu ein erstauntes Gesicht, um wieder den Touristen zu spielen. „Nu da schau her Gerti, die Italiener machen Siesta,...“, er schüttelte mit dem Kopf, „...bei uns in Dresden würde man die aber achtkantig...“ „Psst,...“, bevor er zu laut wurde, unterbrach ich ihn „...machen Sie schnell ein Foto, bevor die beiden aufwachen, wenn man solche Leute stört, dann kann es sehr ungemütlich werden“ „Oh Gerti, hast du das gehört? Komm schnell, mach ein Foto und dann hubben wa weiter. Danke junger Mann, sie sind sehr freundlich“ Gerti „schoß“ ihr Foto und beide eilten schnell zur Balustrade, wobei auch ich es mir nicht verkneifen konnte, davon ein Bild zu machen, und ich folgte dem Paar aus Dresden schnellen Schrittes. Kurz blickte ich nach oben zu den Fresken des Jüngsten Gerichtes und dachte daran, daß ich es nur meiner Aufmerksamkeit zu verdanken hatte, hier mit heiler Haut davongekommen zu sein, und die mögliche Alternative behagte mir dabei überhaupt nicht. So sparte ich mir den bekannten Ausblick über die Stadt, denn in meinem Kopf geisterten zu viele Fragen herum, die ich mir auf dem nicht ganz so beschwerlichen Weg nach unten immer wieder stellte. Noch einmal nahm ich mein Foto zur Hand und überlegte, woher es stammte. Nach der Kleidung zu urteilen könnte es der gestrige Vormittag gewesen sein, doch leider war es eine Vergrößerung, bei der die Gegend kaum zu erkennen war, was eine Identifizierung sehr viel schwerer machte, als ich es gewünscht hätte. So verließ ich leicht humpelnd den Dom wieder durch den Vordereingang, nachdem ich mich mehrmals umgesehen hatte, um sicherzustellen, daß ich niemanden übersehen hatte, der noch zu meinen beiden Verfolgern gehörte. Draußen suchte ich mir einen Platz in einem Café, von wo ich den Eingang mit der breiten Treppe gut beobachten konnte. Irgendwann würden die beiden Langschläfer wieder aufwachen und reumütig das Weite suchen, vielleicht konnte ich den Spieß dann umdrehen und sehen, wohin sie gingen. Einen Versuch war das allemal wert, doch bis dahin mußte ich wohl noch warten und stärkte mich inzwischen mit einem doppelten Espresso. Das warme, wohlig duftende Getränk belebte meine Sinne und ließ mich einen Moment sinnieren. Wenn ich jetzt meine Koffer packte und nach Hause flog, konnte ich sicher allem Ärger, aus dem Wege gehen, denn das sowas kommen würde, davon war ich jetzt überzeugt. Vielleicht war das alles auch als Warnung gedacht, möglich, daß ich mir ernsthaft die Zeit nehmen, sollte diese Botschaft ruhig zu durchdenken. Allerdings kam ich zu einem anderen Schluß, denn nur, wenn ich wirklich auf einer wichtigen Spur war, würden sich solche Maßnahmen erklären lassen und das bestärkte mich eher, als daß es mich abschreckte. Es war schon der dritte Espresso und langsam kam Unruhe in mir auf. Es war möglich, daß die beiden durch einen Seitenausgang entkommen waren, oder ich hatte sie einfach übersehen? Dieser unsichere Zustand dauerte an, bis ich nach weiteren 39
zehn Minuten das leicht lädierte Pärchen auf den Stufen sah und dabei wieder schmunzeln mußte, als ich die deutlich erkennbaren Wachsflecken auf ihren Hosen erkannte. Eilig verließ ich das Café und hielt einen gebührenden Abstand ein, immer darauf bedacht, daß genügend Menschen zwischen uns waren. Die beiden gingen zur Rückseite des Doms über die Piazza della Pallottole und weiter in die Via dell Oriuollo, hier herrschte schon deutlich weniger Verkehr und ich mußte mich dicht an den Häuserzeilen halten, um nicht von ihnen entdeckt zu werden. Glücklicherweise schien es so, als wenn ganz andere Probleme die beiden momentan beschäftigten, schließlich hatten sie ihren Auftrag versaut und würden das wohl nun dem Auftraggeber beichten müssen, was ich gerne miterleben würde. Langsam steuerten sie auf einen mit Dellen und Kratzern verzierten, ehemals weißen Kastenwagen zu und stiegen mit laut zuklappenden Türen ein. Welch ein Glück für die Männer, daß es bei diesem Gefährt nicht nötig war, es überhaupt verschließen zu müssen. Der fehlende Schlüssel stellte dann nur kurzzeitig ein Problem dar, jedenfalls sprang in wenigen Sekunden der Motor an und blauer Dunst nebelte zuerst das Heck ein, bevor sie sich mit wilden Gesten hinter den Scheiben in Bewegung setzten. Das Nummernschild hatte ich schon im Kopf, aber dann sah ich etwas, das mir noch weiter helfen sollte, denn früher war auf dem Wagen eine Beschriftung gewesen, die wohl erst vor kurzem entfernt worden war, und so leuchtete an den Stellen, wo die Buchstaben geklebt hatten noch der ursprüngliche, saubere Lack - „Castello di Montana – Radda in Chianti – Siena“ Es handelte sich zweifelsfrei um ein Weingut, denn ich sah schon einmal diesen Schriftzug auf einer Flasche, jedoch sollte man keine voreiligen Schlüsse daraus ziehen, weil es auch möglich war, daß der Wagen zwischenzeitlich den Besitzer gewechselt hatte. Gerne hätte ich heute noch diese Spur weiterverfolgt, aber es wurde Zeit, mich für meine Verabredung fertigzumachen. Zudem hielt ich es für nötig, einige Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, schließlich mußte ich davon ausgehen, daß man wußte, wo ich mich befand, und deshalb hielt ich ein Taxi an, das mich zur Stazione Centrale brachte. Hier im Bahnhof suchte ich mir ein Schließfach, um dort einen Großteil der Sachen, die mir heute in die Hände gefallen waren, zu deponieren. Einzig die Beretta behielt ich, denn instinktiv rechnete ich mit weiteren Unannehmlichkeiten, aus der mir die Waffe eventuell heraushelfen konnte. Nichts Außergewöhnliches wußte der Concierge später in meinem Hotel zu berichten, was mich beruhigte und mit der gefüllten Hand in der Manteltasche betrat ich mein Zimmer, das genauso unversehrt war, wie ich es verlassen hatte. Während ich mir ein Bad einließ, legte ich mir meinen neuen Anzug bereit und begann nebenbei, einige Notizen auf einen Zettel zu schreiben, eine alte Angewohnheit, damit ich bei verworrenen Nachforschungen auch nichts vergaß. Doch schon nach kurzer Zeit hatte ich schon zu viele Punkte, die mir Kopfschmerzen bereiteten, auf dem Zettel stehen, was mir bewußt machte, daß ich mir ohne etwas Unterstützung sicher die Zähne daran ausbeißen würde. Das würde letztendlich weder mich, noch meinen Zahnarzt freuen und ich griff zum Telefon, um Conny anzurufen und mir so die nötige Unterstützung zu besorgen. 40
Sie war Assistentin in der PR-Abteilung meines Verlegers und kümmerte sich um alles, was zwischen dem Verlag und mir zu regeln war. Manuskripte, Post, Termine und sehr ausgefallene Recherchen erledigte sie für mich und für letzteres besaß sie ein besonderes Händchen. Einmal hatte ich versucht, sie über ihre Kontakte auszuhorchen, aber nur ein vielsagendes Lächeln war ihre Antwort drauf, womit ich mich gezwungenermaßen zufrieden geben mußte. Das war bei einem der seltenen persönlichen Treffen, bei denen ich es immer herausforderte, ihre Gesichtsfarbe zu ändern, denn sie wurde ziemlich schnell verlegen und wenn es soweit war, konnte man das knallige Rot dort nicht übersehen. Doch das passierte höchstens einmal im Jahr, sehr viel häufiger hatte ich dagegen ihre Nummer auf meiner Telefonrechnung stehen, weshalb sie immer meinte, daß wir eine verbalplatonische Beziehung hatten. Ganz am Anfang standen wir natürlich nur in geschäftlichem Kontakt, aber vor einigen Jahren blieb es nicht aus, daß ich mitbekam, wie ihr Exfreund das gemeinsame Konto plünderte und sich danach in die Dominikanische Republik abgesetzt hatte. Ich half ihr, natürlich nur, weil ich vermeiden wollte, daß meine Post zu lange liegenblieb und vielleicht auch ein wenig, weil ich ihre verheulte Stimme am Telefon nicht so gerne hörte wie ihr Lachen. Dabei gelang es mir, dieses kleine Mißverständnis aufzuklären und das Geld zum größten Teil wiederzubeschaffen, aber ich sprach nicht gerne über die Sache, weil meine Methode recht robust war. Doch der Knabe hatte schließlich keine reine Weste und fand sich für einige Stunden in einer Hotelkläranlage wieder. Das machte ihn kooperativer und die Fotos, die ich Conny hinterher zugeschickt hatte, hängen jetzt bei ihr unübersehbar in der Wohnung wie sie mir immer wieder gerne versicherte. Der Typ verkaufte jetzt wohl den Touristen am Strand irgendwelche Wohnungen in Puerto Plata und hatte sich seither nicht mehr in Deutschland blicken lassen, was vielleicht auch mit dem von mir erfundenen Haftbefehl zu tun hatte. Jedenfalls bestand seither ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Conny und mir, dem ich bereits einige brisante Informationen verdankte. Etwas böse, weil ich ohne eine Nachricht zu hinterlassen wieder in der Welt herumirrte, mußte ich mich erst einmal entschuldigen, um überhaupt meine Bitte bei ihr vortragen zu dürfen. Auf der Liste, die ich ihr dann durchgab, stand das Castello di Montana an erster Stelle, gefolgt von den beiden Herren mit der großzügigen Einladung und natürlich Josef Biedermann, samt seinem U-Boot. Sie hatte zum Glück nicht die Angewohnheit, mehr wissen zu wollen, als ich ihr sagte, trotzdem hörte ich natürlich eine gewisse Neugier am Telefon, die sie aber zu verstecken suchte. Ab jetzt ging alles Weitere den üblichen Weg, ich bekam auf dem Handy eine Nachricht, sobald es etwas Neues gab, und brauchte nur noch meine Mailbox zu öffnen, um an die neuesten Informationen zu kommen, und natürlich hoffte ich, daß dies bald geschehen würde. Das Bad war bereit und schnell machte ich mich fertig, denn die Zeit verging schneller als mir lieb war und während meiner Restaurierung konnte ich noch den Gedanken freien Lauf lassen. Waren die beiden Männer von Gondoni geschickt 41
worden, um mir Druck zu machen? Wer war mein Blind Date? Alles Fragen, die schnellstens einer Antwort bedurften. Meine Wertsachen und die Papiere nahm ich mit in die Lobby, um sie im Safe einschließen zu lassen, sollte eventuell doch noch ungebetener Besuch kommen. In dem Fall würden sie wenigstens nichts Brauchbares vorfinden, schließlich mußte man sich nicht über Unvorhersehbares ärgern, sondern nur über etwas Erwartetes, auf das man nicht reagiert hatte. Deshalb steckte ich auch die Pistole in die Manteltasche und machte mich dann auf den Weg durch die belebten Straßen der abendlichen Stadt. Angst hatte ich keine – nicht, daß ich dafür zu dumm war, aber im Laufe der Jahre hatte ich einen erstaunlich präzisen Indikator für Gefahren entwickelt, nämlich meinen Nacken, der die außergewöhnliche Angewohnheit hatte, sich schmerzhaft bei mir zu melden, wenn etwas nicht so war, wie es sein sollte. Natürlich verließ ich mich nicht blind darauf, aber es war schon beinahe erschreckend, wie oft das mit Erfolg funktioniert hatte, und ich war überzeugt, daß irgendwelche urzeitlichen Instinkte sich damit bei mir meldeten. Als ich die Piazza Signioria betrat, bemerkte ich schon von weitem die Limousinen, die hier sonst überhaupt nicht fahren durften, und einige Carabinieri, die eine Metallabsperrung errichteten, um neugierige Passanten vom Eingang fernzuhalten, was mir sofort meine Waffe wieder ins Gedächtnis rief. Irgendwo mußte ich die Pistole in Sicherheit bringen, am besten so, daß ich später ohne Probleme wieder an sie herankommen konnte, und so überlegte ich mir was zu tun sei, bis mir eine brauchbare Idee kam. Ich ging ein Stück zurück zu dem gleichen Café, indem mir diese bezaubernde Frau im Rollstuhl mit ihren wunderschönen Augen begegnet war. Als ich so an sie dachte, wurde ich ein wenig sentimental und schaute beim Betreten des Lokals in die Ecke, in der sie gesessen hatte. Unauffällig durchschritt ich den jetzt weniger besuchten Raum und verschwand auf der mir bekannten Toilette, wo ich die Beretta in einem der dort vorhandenen Spülkästen einklemmte. Von dieser Sorge befreit ging ich hinaus und schob mich lächelnd an den Carabinieri vorbei. So ging ich erleichtert durch das große Portal des Palazzo, der mit Fahnen geschmückt und hell erleuchtet eine herrliche Kulisse zum abendlichen, klaren Himmel über Florenz bildete, an dem die Sterne im letzten Kobaltblau wie ein kostbarer Vorhang funkelten. Schon alleine der heutige Abend war die Reise wert gewesen, und daß ich hierher eingeladen wurde, war eine glückliche Wendung, die ich dem Interesse von zwei undurchsichtigen Kunstliebhabern verdankte. In der Vorhalle gab ich meinen Mantel ab und schaute mir das Publikum daraufhin an, ob ich die beiden Signori schon sehen konnte, aber sie waren nicht zu entdecken. Jedenfalls erkannte ich sie nicht in dem herrschenden Getümmel, in dem die Kavaliere ihren Damen die Umhänge und Mäntel von den Schultern nahmen und einen kleinen Stau dabei verursachten. Dadurch war die Anwesenheit einiger schöner Frauen nicht zu übersehen und ich bemerkte, daß es auch anderen Herren nicht entging, besonders dann, wenn ihre eigene Begleitung gerade abgelenkt war. All das fiel mir dezent ins Auge, während ich langsam durch die Halle auf die große Treppe zuging, die mich nach oben zum Festsaal bringen sollte. 42
Als ich die erste Stufe betrat, sah ich Señor Almera mit einem fast übertriebenen Lächeln auf mich zukommen und bevor ich reagieren konnte, schlug er mir auf die Schultern, beinahe so, als ob er einen alten Freund treffen würde, „Es ist eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen. Schön, daß Sie unserer Einladung gefolgt sind, Señor Kronau“ Das hätte man bestimmt auch leiser machen können und ich war mir sicher, daß die umstehenden Menschen alles klar und deutlich verstanden hatten, was mich wunderte, denn meine Anwesenheit hier rechtfertigte ganz sicher nicht solch ein merkwürdiges Benehmen, „Ich freue mich auch sehr, daß ich hier sein darf, danke für diesen ausgesprochen herzlichen Empfang“ Wir betraten zusammen den großen Saal, der schon allein mit seiner wunderschönen hohen Decke jeden Betrachter beeindrucken konnte. Die Wände waren mit riesigen Fresken geschmückt, die Szenen aus der Geschichte von Florenz zeigten, dazwischen Skulpturen aus dem sechzehnten Jahrhundert, so daß ein reizvoller Kontrast zu den vielen Menschen entstand, die den Saal mit Leben erfüllten. Auch fiel mir unterhalb der großen Balustrade ein kleines Orchester in historischen Kostümen auf, das mit klassischer Musik der Veranstaltung einen würdigen Rahmen gab. Jetzt sah ich auch Benedetto di Gondoni, der mit zwei Herren ein offensichtlich ernstes Gespräch zu führen schien, aber noch bevor wir die Männer erreichten, verabschiedeten sie sich und verschwanden schnell in der Menge. „Signore Kronau, ich begrüße Sie hier, hoffentlich wird Ihnen dieser Abend gefallen“ „Vielen Dank, das hoffe ich auch. Es ist eine seltene Gelegenheit, solch einen festlichen Rahmen zu genießen, die ich gerne ausnutzen möchte“ „Das sollten Sie auch tun, es gibt Gelegenheiten, die nicht wiederkommen, und man ärgert sich später, daß man sie nicht genutzt hat, aber das muß ich Ihnen ja nicht erzählen“ „Ich habe nicht vor, eine Gelegenheit zu verpassen“ „Das freut mich zu hören, wir können uns gerne später noch einmal darüber unterhalten, ich möchte Ihnen jetzt gerne Ihre Begleiterin für den heutigen Abend vorstellen, wenn Sie mir bitte folgen würden“ „Sehr gerne, Sie werden nicht glauben, wie neugierig ich schon bin“, Signore di Gondoni führte mich an die Seite, an der sich Michelangelos „Genius des Sieges“ befand und davor stand eine Frau mit dem Rücken zu uns, die wohl gerade diese Skulptur bewunderte. Noch bevor wir sie erreichten, bemerkte ich den Bannkreis, den sie um sich errichtet hatte, an dessen Rand sich wie auf Satellitenbahnen eine Handvoll Männer verteilt hatten, die sie mit Blicken bombardierten. Genau wie die nebenstehenden Frauen, die jedoch ganz andere Gründe dafür hatten. Diese Göttin in Blond trug ein feuerrotes, schulterfreies Kleid aus Satin, das eigentlich nichts zeigte und doch alles betonte, was die Natur ihr mitgegeben hatte. Nur wenige Sekunden genügten mir, um meine instinktiv männliche Reaktion wieder in den Hintergrund zu drücken, wobei es für mich genauso war, als wenn sich mein Auge an ein gleißendes Licht gewöhnen mußte. Dann hatte ich alles wieder unter Kontrolle, was mir die nötige Gelassenheit gab, um mich aufmerksam, aber nicht aufdringlich zu 43
präsentieren, denn diesen Typ von Frau kannte ich. Schließlich stand ich ja einmal kurz davor, solch ein Exemplar zu ehelichen, und diese Lektion war mir lebhaft im Gedächtnis geblieben. „Signorina LeClaire, kommen Sie bitte zu uns“, Gondoni sprach etwas lauter und griff bei der nächsten Gelegenheit ein Glas Champagner von dem Tablett eines vorübereilenden Kellners. Mit einer eleganten Bewegung wendete sie sich zu uns herum und ich mußte gestehen, was der Rücken versprach, konnte auch der Rest halten. Nicht nur wegen der hohen Absätze, die sie trug, bekam ich einen Blick von oben herab. Zwei blaue Augen sahen mich an und schienen eine Reaktion zu erwarten, aber den Gefallen tat ich ihr nicht und konnte somit unbekümmert ihrer Musterung standhalten, ohne daß Hitzewallungen meinen Körper durchströmten. Sie trat zu uns und reichte mir die Hand, mit dieser typisch weiblichen, anmutigerotischen Geste, die alten Stummfilmen zu eigen ist, hundertmal vor dem Spiegel eingeübt und perfekt auf die Wirkung bedacht, was mir eine Spur zu aufgesetzt erschien, aber sicher war ich hier der einzige, dem das auffiel. „Mia Cara, dies ist Signore Gabriel Kronau, ich hoffe, daß wir sehr bald Geschäfte miteinander machen werden. Er kommt aus Berlin, da wirst du dich sicher freuen, mit ihm deutsch sprechen zu können“, er lächelte, als er das sagte und man hörte an seinem Tonfall, wie viel ihm daran lag. Ich gab ihr einen angedeuteten Handkuß, dies geschah nicht hektisch oder aufgeregt, sondern freundlich und zurückhaltend, beinahe so, wie ich es vor Äonen in der kleinen Tanzschule, am Ende unserer Straße, gelernt hatte. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Kronau. Ich war lange nicht mehr in Deutschland, Sie könnten mir sicher viel Neues erzählen“, dabei erwies sie mir die Gunst eines Lächeln und ich merkte, daß sie mich noch nicht in eine ihrer Schubladen einordnen konnte. „Signore Kronau, darf ich Ihnen Diana LeClaire vorstellen, ohne Zweifel das hellste Licht, das am heutigen Abend hier erstrahlt“, sicher hätte er das mir gegenüber nicht noch zu betonen brauchen, weil es zu offensichtlich war, aber es schien so, als wäre diese Bemerkung nicht für mich gedacht. „Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können, Signore di Gondoni, das Vergnügen ist ganz meinerseits“, mir schien es, als ob sich alle Welt für diese kleine Begrüßung interessieren würde, obwohl ich nicht so vermessen war, zu denken, daß auch nur ein Mensch dabei auf mich geachtet hätte. Benedetto di Gondoni verabschiedete sich freundlich mit dem Hinweis, daß er später noch mit mir zu reden wünsche und dann ließ er uns sehr schnell alleine. Etwas mißtrauisch war ich schon die ganze Zeit, besser gesagt, ich war nach allen Richtungen aufmerksam und versuchte, etwas zwischen den Zeilen zu lesen, denn eine begehrte Vase, zwei potentielle Interessenten, ein Einschüchterungsversuch im Dom und eine Frau, deren Anwesenheit ungezählte Ehekrisen hervorrief, ließen meine Vermutung in eine bestimmte Richtung gehen, die es wert war, überprüft zu werden. Doch vorerst begnügte ich mich damit, mit etwas Small Talk das Eis zu brechen, und war dabei gespannt, wie dick es sein würde, „Wie lange waren Sie denn nicht mehr in Deutschland, wenn ich fragen darf, Frau LeClaire?“ 44
Sie nippte an dem Glas, das mit einem rötlichen, sicher sehr exotischen Cocktail gefüllt war, und antwortete mir mit der Belanglosigkeit, die eine solche Konversation begleitete, „Ich bin nur noch gelegentlich in Deutschland, jetzt lebe ich hauptsächlich in Paris und manchmal auch hier in Italien“ „Oh, dann haben Sie ja schon einiges von der Welt gesehen“ „Ja, das ist richtig, waren sie schon einmal in Paris? Ich liebe Paris, Sie sollten unbedingt einmal hinfahren, wenn Ihre Zeit das ermöglicht“ Ihre Frage konnte ich bejahen und für die nächste Viertelstunde hatten wir genügend Gesprächsstoff über die Stadt an der Seine. Zwischenzeitlich gesellten sich einige Herrschaften vom Organisationskomitee zu uns und baten höflich um Spenden für eine Klinik, in der krebskranke Kinder behandelt wurden. Wenige Minuten später gingen sie mit strahlenden Gesichtern und einem Scheck mehr zur nächsten Gruppe im Saal weiter. Nun versuchte ich, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, „Paris ist eine Stadt, in der es sich gut leben läßt, und die noch dazu viele Möglichkeiten bietet. Ich bin ein wenig neugierig und würde gerne von Ihnen erfahren, was Sie dort machen“ Jetzt schaute sie mich mit einem ironischen, beinahe vorwurfsvollen Blick an, „Ich arbeite als Model in Paris, vielleicht haben Sie mich schon einmal in einer Zeitschrift oder auf dem Laufsteg gesehen?“, mich wunderte ihre Aussage nicht, denn diese Berufsbezeichnung paßte irgendwie zu meinem Verdacht, der sich zu erhärten schien. Schließlich existierten Models, die gerne liefen und es gab auch „Models“, die gerne schliefen, vorzugsweise gegen Bezahlung. Nicht, daß ich etwas gegen den ältesten Beruf der Welt hätte und Diana LeClaire damit in Verbindung bringen wollte, aber es gab wohl einiges, was dafür sprach. Sollte ich recht behalten, würde Sie sicher irgendwann mit mir alleine sein wollen, um mich mit ihren Reizen zu einem Verkauf der Vase zu überreden. Neunundneunzig Prozent der Männer hätten jetzt schon überlegt, was man bei einem solchen Angebot mit der Blondine anstellen könnte, meine Gedanken drehten sich eher um die Vase und was sie so wertvoll machte, naja, jedenfalls der Teil meiner Phantasie, den ich beeinflussen konnte. „Tut mir leid, ich besuche ganz selten eine Modenschau, aber ich verspreche, das zu ändern, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Haben Sie Signore di Gondoni auch auf einer solchen Vorführung kennengelernt?“ „Ja, Sie haben richtig geraten, vor einiger Zeit hatte ich zufällig das Vergnügen, Signore di Gondoni in Mailand kennenzulernen und er war so freundlich, mich zu dieser Party einzuladen, als er erfuhr, daß ich für ein paar Tage in der Stadt sein würde“ „Das war eine wirklich gute Idee von ihm und ich muß sagen, er hat einen ausgezeichneten Geschmack bewiesen, indem er dieses Fest mit Ihrer Anwesenheit verschönerte, außerdem scheint er wohl mit seinen Einladungen sehr großzügig zu sein, wofür ich das beste Beispiel bin“ Ein vielsagendes Lächeln huschte über das makellose Gesicht, „Vielen Dank für das Kompliment. Ja, er scheint wirklich großzügig zu sein, in vielerlei Hinsicht sogar und auch sehr nett, er hat mir sogar erzählt, daß Sie in Besitz eines Kunstwerkes sind, das ihn sehr interessiert?“ 45
Das Gespräch begann langsam die Richtung anzunehmen, die ich erwartet hatte, aber ich spielte gerne mit und wollte herausfinden, wie weit sie gehen würde, „Das stimmt und stimmt auch wieder nicht, ich bin nicht der Besitzer des Gegenstandes, aber ich könnte darüber im Moment verfügen“ „Da sind Sie ja in einer blendenden Position, vielleicht sollten Sie sich Zeit lassen und sein Angebot genau überdenken, es wäre doch zu schade, wenn Sie eine voreilige Entscheidung treffen würden“, dann entschuldigte sie sich, um ihr reizendes Näschen zu pudern, während ich zur Bar ging und mich nach dieser Plauderei fragte, weshalb sie meinen Verkaufswillen eher zügelte, als mir gut zuzureden, aber der Abend war noch lang genug, um eine Antwort darauf zu bekommen. Mein Blick schweifte durch die Menge und wanderte dann über die vielen Bilder, auch konnte ich nun in Ruhe die Decke betrachten, die in drei Reihen unterteilt war, welche mit den goldüberzogenen Deckenbalken Quadrate bildeten, die wie Bilderrahmen wirkten, in denen jeweils ein Fresko zu sehen war. So vertieft bemerkte ich erst sehr spät, daß Signore di Gondoni neben mir stand und ebenfalls nach oben schaute, „Wunderschön, nicht wahr?“ „Ja, da haben Sie absolut recht, man könnte Stunden damit verbringen, alles zu betrachten und hätte wohl doch Mühe, jede Einzelheit zu erkennen“ „Das ist richtig, leider hat man kaum die Muße, alles bis ins Genaueste zu studieren, dazu leben wir in einer zu schnellebigen Welt, aber weil wir gerade bei diesem Thema sind, haben Sie es sich noch einmal überlegt und sind Sie jetzt vielleicht doch bereit, uns den Namen des Eigentümers mitzuteilen? Das würde uns allen eine Menge Zeit ersparen und für Sie würde ein schönes Sümmchen an Provision abfallen“, seine Gesten, die nun eher etwas Konspiratives hatten, ließen bei mir ein Gefühl der Unbehaglichkeit aufkommen, das ich aber geschickt überspielte. „Signore di Gondoni, für wen halten Sie mich? Ihre Kunden sind vertraulich, genauso wie meine Kontakte, hier und jetzt werde ich Ihnen nicht weiterhelfen können, aber was halten Sie davon, wenn ich etwas anderes für Sie tue?“ Enttäuschung war es nicht, was ich sah, überraschend gelassen nahm er meine Worte hin, vielleicht etwas vermischt mit einer Spur Neugier, „Was wollen Sie denn für mich tun, oder besser, was können Sie denn für mich tun?“ „Ganz einfach, ich setze mich mit dem Eigentümer in Verbindung und wenn dieser die Vase verkaufen möchte, dann bin ich gerne bereit, den Deal zu vermitteln“ Gondoni zögerte etwas, es schien, als überlegte er etwas, bevor seine Antwort kam, „Schade, ich hoffte, daß sich Ihre Einstellung geändert hätte, aber natürlich akzeptiere ich Ihre Entscheidung so, wie sie gefallen ist. Sie dürfen mich in der Sache nicht falsch verstehen, Signore Kronau, wenn ich hinter etwas her bin, dann setzte ich eben alles daran, es zu bekommen – aber so muß ich wohl noch etwas länger warten, um mein Ziel zu erreichen. Also genießen Sie noch diesen Abend und ich würde mich freuen, wenn ich bald etwas Positives von Ihnen hören würde“, recht locker entschuldigte er sich und ging auf die andere Seite des Saales, wo Señor Almera stand und die beiden begannen sich sofort zu unterhalten, wobei ich kein Prophet sein mußte, um zu wissen, worum es ging. Eine Weile schaute ich aus der Entfernung zu, aber dann sah ich, wie ein Kellner zu den beiden Herren trat und dem Spanier etwas zusteckte, ein kleiner Zettel, den er 46
aufmerksam durchlas und mit einer zustimmenden Geste kurz antwortete, worauf der Mann im Livrée wieder in Richtung Treppe verschwand. Einige Minuten redeten nun die Männer sehr angeregt, dann setzten auch sie sich in die Richtung der Tür in Bewegung, wohin schon der Kellner verschwunden war, und da meine Verabredung sich Zeit ließ, nutzte ich diese Pause, um mich von der anderen Seite dem Ausgang zu nähern. Dabei nahm das Kribbeln in mir zu, was nicht nur am Champagner lag, denn alle meine Sinne sagten mir, daß nun etwas Ungewöhnliches passierte. Der rege Verkehr machte mir zu schaffen, eine große Gruppe von Gästen brauchte recht lange, um durch die breite Tür in den Saal zu kommen, so daß es etwas dauerte, bis ich endlich nach draußen auf die Treppe gelangen konnte. Hier war es ähnlich voll wie im großen Saal und den vielen Nebenräumen und ich mußte wohl einsehen, daß ich die Männer verloren hatte, denn trotzdem ich alles dezent absuchte, konnte ich niemanden von den Gesuchten entdecken Offenbar mußte ich mich mit den bisherigen Erkenntnissen zufriedengeben und wollte gerade wieder zurück, als ich noch einen kurzen Blick in den Säulenhof warf und mir direkt hinter einem Vorsprung einige Schatten auf dem Boden auffielen. Sofort umging ich in einem großen Bogen diese Stelle und schob mich hinter eine große Säule, von der aus alles zu sehen war und tatsächlich – dort standen Gondoni und Almera in Begleitung eines dritten Mannes, der mir zu meiner größten Überraschung ebenfalls bekannt war. Es war Agent McCrawley, vom australischen Geheimdienst, der mir mit seinen Fragen soviel Freude bereitet hatte. Mein Nacken begann zu ziehen, irgendwie brach in diesem Augenblick die Vorstellung über das ganze Geschehen um mich herum zusammen und wurde für Sekunden durch ein wildes Gewirr von Spekulationen in meinem Kopf ersetzt. Zwei völlig verschiedene Linien meiner Biographie hatten sich gerade tangiert – Zufall oder Planung? Der einzige gemeinsame Fakt bestand darin, daß ich beiden, McCrawley und dem Kompaß, in Australien zum ersten Mal begegnet war, aber einen Zusammenhang konnte ich im Moment bei aller Phantasie nicht entdecken. Selbstverständlich schreckte mich die neue Situation nicht ab, ganz im Gegenteil, aber der Boden, auf dem ich bisher operiert hatte, schien von ganz anderer Struktur zu sein, als ich die ganze Zeit dachte. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, daß ich eine Bombe in der Hand hatte und niemand war so gütig, mir zu sagen, daß die Lunte schon lichterloh brannte. Langsam machte ich mich wieder auf den Weg und erreichte die große Treppe, über die ich wieder in den Saal gelangte. Auf jeden Fall durfte niemand ahnen, daß ich mehr mitbekommen hatte, als ich wohl sollte. So würde ich den netten Abend durchziehen und dann erst einmal gründlich überlegen, was zu tun sei. Doch sicher würde ich mich morgen mit Jocelyn in Sydney in Verbindung setzen, um etwas über McCrawley zu erfahren, und vielleicht hatte sie Glück und konnte die Spur des Kompasses aufnehmen, bis ich mich persönlich um die Sache kümmern konnte. 47
Die Informationen, die ich hatte, ergaben im Moment kein klares Bild, das mußte sich ändern, wenn ich Erfolg haben wollte. Mit diesen Überlegungen im Kopf ging ich durch den Saal, nahm erst einmal einen neuen Drink zur Hand, was mir sicher nicht beim Denken half, aber bestimmt einen Pluspunkt in Lockerheit brachte. Bedauerlicherweise war von meiner Begleitung auch nichts mehr zu sehen. Nicht, daß ich etwas vorgehabt hätte, aber sie war sicher hier im Saal die aufregendste Frau, so daß auch ich die neidvollen Blicke der Männer genoß, und deshalb schaute ich mich nach ihr in den kleineren Nebenräumen um, wo ich prompt fündig wurde. Ein mitleiderregender Blick traf mich aus ihren Augen, zwar schien das Näschen gut versorgt worden zu sein, doch sah es so aus, als wäre sie auf dem Rückweg von drei sehr aufgekratzten Herren abgefangen worden war, die sie nun anbaggerten wie eine Truppe Schwarzarbeiter. Ich setzte mich langsam in Bewegung und sah schon, wie sie zu lächeln begann, denn sicher dachte Diana LeClaire jetzt, daß ich sie retten würde. Aber da war sie schief gewickelt, denn ich ging an den Männern vorbei und stellte mich direkt hinter ihnen auf, wo einige aufmerksam dekorierte Tische standen, auf denen kleine Sushi-Köstlichkeiten zum Probieren angerichtet waren. Es war ausgezeichnet, sicher ein gewisser Stilbruch zum Ambiente, aber gelungen. Grinsend drehte ich mich um und da die Herren mit dem Rücken zu mir standen, sah ich nur die wütenden Augen des Models und als Bonus bekam ich sogar noch etwas von der Konversation mit, während ich mich fragte, warum sie diese Pfeifen nicht einfach stehen ließ. Der Typ, der das Wort führte, vereinigte einige Klischees, die das Bild von uns Männern in ein äußerst schlechtes Licht rückten. Sicher, Körperpflege ist wichtig, aber mußte man bei solch einem mediterranen Klima noch ins Sonnenstudio und warum hatte er sich sein Parfum besorgt, als er einen Schnupfen hatte, denn eine viel zu süßliche Wolke strömte zu mir herüber. Zusätzlich vermutete ich, daß er zu Hause keinen Safe besaß und seinen offenbar reichlich vorhandenen Schmuck mitbringen mußte, der von der Kette und den Ringen bis zu einem Armband reichte und im direkten Vergleich mit den Preziosen schnitt Diana LeClaire wohl schlechter ab – dafür sah sie aber wesentlich besser aus. Nun wäre das sicher alles verzeihlich gewesen, wenn nicht nur Müll aus seinem Mund gekommen wäre, den auch seine Freunde, die scheinbar nur Staffage waren, des öfteren mitverzapften. Er war gerade dabei, in lockerer Abfolge seinen Besitz aufzuzählen, damit versuchte er scheinbar, bei ihr zu landen, und selbst ich staunte nicht schlecht, was der Kerl so alles besaß. Ferienhäuser, einen Privatjet und, wie er betonte, den neusten Lamborghini, mit dem er auch heute hier wäre und sich sehr freuen würde, wenn sie mit ihm eine Spritztour machen würde – wahrscheinlich auch ohne zu fahren, vervollständigte ich in meinen Gedanken den Satz. Dann erzählte er von seinen Kontakten zu den angesagtesten Modedesignern und wie gut er doch mit ihnen befreundet sei, offensichtlich stimmte es doch, daß Beziehungen das halbe Leben sind und nun verstand ich auch, weshalb sie das alles über sich ergehen ließ. Mir kam in den Sinn, langsam etwas Mitleid zu zeigen und nun doch zu helfen.
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Mich hatten die Herren nicht bemerkt und ich entfernte mich zwischen den vielen Menschen unauffällig zur Tür, drehte mich um und kam umso auffälliger wieder zurück, „Frau LeClaire, da sind Sie ja, ich habe Sie schon überall gesucht“ Sie wußte zuerst nicht, wie sie reagieren sollte, aber ungenutzt wollte Diana LeClaire diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, um wieder von dieser Gesellschaft befreit zu werden, „Schön, daß Sie mich gefunden haben, Herr Kronau, mir war so, als hätte ich Sie vor kurzem schon hier gesehen“, sie lächelte, trotzdem kam das ein wenig hart herüber, warum bloß? Der Kerl in der Mitte war mit seinem Vortrag noch nicht fertig und schaute mich mit finsterer Miene an, weil ich gerade dabei war, seine ganze Vorarbeit zunichte zu machen, dabei war es für mich immer wieder erstaunlich, was man bei genauer Beobachtung der Körpersprache so zwischen den Zeilen lesen konnte, denn die Herren verringerten gemeinsam den Abstand und waren offenbar noch nicht gewillt, so einfach aufzugeben. Anstatt die Dame jetzt in den Saal zu entführen, hatte ich mir schon die ganze Zeit einen kleinen Spaß ausgedacht, quasi als Rache für alle Leute, die sie mit ihrem Geschwätz gelangweilt hatten, „Stellen Sie sich vor, kaum waren Sie weg, hat mir doch tatsächlich ein Kellner erzählt, daß draußen ein Auto ausgebrannt sei und die Feuerwehr konnte nichts mehr retten, schade um den neuen Lamborghini“, das war nicht schlecht, selbst mir schossen beinahe beim Klang meiner Stimme die Tränen in die Augen. Jedoch wenn Kieferknochen aushacken könnten, so wäre in diesem Moment solch ein Exemplar, dank der Schwerkraft, auf das Parkett gekracht, denn mit offenem Mund stand der Angeber in der Mitte des Raumes und war völlig von der Rolle, sicher war der Wagen nur gemietet oder geleast und schlimmstenfalls „Sponsored by Daddy“. Das nun folgende Szenario überraschte mich allerdings selber, denn er stürzte sofort los, vergaß dabei völlig, sich zu verabschieden und riß einen zufällig vorbeikommenden Kellner um, der sein Tablett daraufhin nicht mehr halten konnte und die sorgsam angerichtete Sushiplatte in eine Ansammlung von Damen warf, die sofort kreischend in Richtung der Toilette losrannten, um sich von den leckeren Häppchen, die in Haaren und Kleidern gelandet waren, zu befreien. Verblüfft versuchten natürlich die beiden Freunde, ihm zu folgen und kamen sich nun mit den entgegengesetzt laufenden Frauen ins Gehege, die natürlich schon unterwegs mit ihrer Restaurierung begonnen hatten und nichts mehr von ihrer Umwelt wahrnahmen. Eine recht massiv gebaute Dame, die das Pech hatte, die Schale mit der Sojasauce auf das Dekolleté zu bekommen, war die einzige, die aufmerksam genug war, um mit ihrem silbernen Abendtäschchen auszuholen und dabei einen der beiden Mitläufer noch treffsicher am Hinterkopf zu erwischen, worauf dieser das Gleichgewicht verlor und auf einige Fischröllchen trat. Sofort rutschte er aus und fiel, alle vier Extremitäten von sich gestreckt, auf den Boden, wo er mit dem Gesicht auf das leere Tablett knallte und von den mittlerweile aufmerksam gewordenen Sicherheitsleuten aufgesammelt wurde, die ihn beidseitig ergriffen und durch einen Nebeneingang nach draußen verfrachteten. Obwohl fast jeder der Anwesenden zur guten Gesellschaft gehörte, sah ich keinen, der sich in Anbetracht dieser Szene das Lachen verkneifen konnte, jedoch hielt ich es 49
jetzt für besser, mit meiner Verabredung in den großen Saal zu verschwinden, um nicht als Urheber dieses Scherzes noch größere Aufmerksamkeit zu bekommen, als die Dame neben mir mit ihrer Anwesenheit verursachte. Doch die Sorge war unbegründet, schlagartig setzte die vornehme Zurückhaltung wieder ein und das elegante Treiben wurde fortgesetzt, als ob nichts geschehen wäre. Eilig herbeieilende dienstbare Geister beseitigten das Chaos am Boden und schon nach wenigen Minuten sah alles so aus, als wäre überhaupt nichts passiert, so daß ich beinahe hörbar durchatmete. „Danke sehr für Ihre Hilfe, es war höchste Zeit, sonst wäre ich nie von den Herren weggekommen, allerdings müßte ich es Ihnen übel nehmen, das Sie mich so lange warten ließen“, sie wandte sich zu mir und lächelte mich trotzdem dabei an. „Bitte sehr, gern geschehen, aber Sie hätten das auch einfacher haben können. Wir Männer sind intelligenter als man landläufig annimmt, ein ‚Nein’ können wir schon verstehen, nur manchmal können es einige von uns nicht akzeptieren“ Kritik oder Widerspruch, beides schien nicht ihre Stärke zu sein. Sie setzte einen Schmollmund auf, aber irgend etwas hielt sie zurück, mich einfach so stehenzulassen, „Vielleicht, haben Sie recht, Herr Kronau, aber das ist auch egal. Jetzt können wir doch auf diesen Sieg anstoßen, oder?“ „Gerne, so ein Sieg macht durstig“, schnell waren zwei Gläser Champagner organisiert, in deren perlenden Inhalt sich das Licht brach und der wirklich zu den besten Sorten gehörte, die ich je kosten durfte. „Ich bin übrigens Diana, nach dem gemeinsamen Abenteuer können wir doch zum ‚Du’ übergehen“ „Ich habe nichts dagegen, mein Name ist Gabriel“, dabei war ich gespannt, ob sie nun das volle Programm durchziehen wollte und sie wollte es. Nach dem Kuß erwartete sie sicher eine romantische Wendung des Abends, denn ihre Vorgehensweise paßte genau zu meiner Vermutung, obwohl ich mir immer noch nicht sicher war, in welcher Spezialisierung sie als „Model“ arbeitete. „Hat Signore di Gondoni schon mit dir gesprochen?“, weich klang ihre Stimme und neugierig waren die Augen dazu. „Ja, als du so beschäftigt warst, hatten wir ein kurzes Gespräch“ „Darf ich fragen, wie es ausgegangen ist?“ „Sicher, es ist kein Geheimnis, ich habe deinen Rat von vorhin befolgt und werde mir mit einer Entscheidung genügend Zeit lassen“ „Oh, gut, das kann nicht schaden“, entweder sie hatte erfahren, was sie wollte, oder ihr Interesse war schlagartig erlahmt, jedenfalls wechselte sie geschickt das Thema und wir plauderten wieder über Banalitäten, wie sie hier überall schnell zu finden waren. „Gabriel, ich werde langsam müde, bist du so nett und bringst mich in mein Hotel?“ Nun begann der Abend wirklich interessant zu werden und ich überlegte noch, wie weit ich bereit war, ihr Spiel mitzuspielen, aber das konnte ich operativ entscheiden, „Selbstverständlich, ich denke aber, wir sollten uns vorher und von unserem Gastgeber verabschieden“ „Mach du das bitte, ich hole schon meine Sachen und warte dann unten, ja?“ 50
„Gut, wie du möchtest“, ich machte mich auf den Weg, Gondoni zu suchen und fand ihn wieder am Ende des Saales, von McCrawley war natürlich nichts zu sehen. Gondoni und der Spanier, welcher sich gleich dazugesellte, schien es nicht weiter zu stören, daß wir zusammen das Fest verlassen wollten, und ich suchte Anzeichen bei den beiden, daß sie vielleicht fest damit rechneten, aber mir fiel nichts Außergewöhnliches auf. Sonst war die Verabschiedung kurz und sachlich, Signore di Gondoni bedankte sich bei mir und wies noch einmal auf unsere Vereinbarung hin, die ich natürlich freundlich bestätigte. Señor Almera tat das Gleiche, überraschte mich dann aber am Ende doch noch, „Hier, nehmen Sie meinen Wagen, das ist einfacher. Die Signora wohnt etwas außerhalb und uns ist sehr daran gelegen, daß sie unbeschadet in ihr Hotel kommt“ So fürsorglich schätzte ich ihn überhaupt nicht ein, aber möglicherweise täuschte ich mich in meiner Einschätzung, trotzdem schien mir dieser Schachzug nur zu passen, wenn meine ursprüngliche Annahme von der Konstellation dieses Abends stimmen würde, und ich ließ mich deshalb nicht von seinem Angebot überraschen, „Selbstverständlich, ich werde dafür sorgen, daß sie heil nach Hause kommt, wo haben sie denn Ihren Van abgestellt?“ Er lächelte etwas, „In der Nähe auf einem Parkplatz am Arno, an der Piazza Gudici, aber es ist nicht der Van, sondern ein schwarzer Mercedes, sie können ihn sicher nicht verfehlen“ Den Ort kannte ich und die fünf Minuten Fußweg dorthin würden uns sicher gut tun. Es war eine sternenklare Nacht, unter anderen Umständen hätte man die Situation als durchaus romantisch bezeichnen können, besser gesagt, sie sollte romantisch sein, aber wir beide spielten uns nur etwas vor und machten das nur aus einem Grund - Etwas Bestimmtes von dem anderen zu erfahren. Außerdem hatte mich nicht dieses gewisse Kribbeln erwischt, das sich nur dann einstellte, wenn ich wirklich Feuer fing, so wie mir das gestern ohne einen sichtbaren Anlaß passiert war. Heute verspürte ich nur ein Jucken der Spürnase und das Ziehen meines Nackens, was mich vor einer Gefahr warnte, die im Moment allerdings nur von meiner schönen Begleiterin ausgehen konnte. So gingen wir die säulenbegrenzte Gasse zum Arno entlang, die auf drei Seiten, von der u-förmigen Anlage der Uffizien eingerahmt wurde. Tagsüber spielten hier Musiker oder Straßenmaler verdienten sich ihr Geld mit schnellen Portraitzeichnungen, jetzt waren kaum Leute zu sehen und die Liebespaare zogen sich in den Schatten zurück, um unbeobachtet Zärtlichkeiten auszutauschen. Der Mond warf schräg sein fahles Licht in die Stadt und von den Wänden hallten Dianas Schritte durch die Nacht, die ganze Situation schien auf einen bestimmten Punkt hinauszulaufen und ich ärgerte mich ein wenig über mich selbst, daß es mich so wenig interessierte. Eigentlich könnte ich heute Nacht eine kleine Pause von meinen Nachforschungen machen und morgen ganz entspannt wieder ans Werk gehen, aber es gab genug Gründe, sich nicht auf eine Sache einzulassen, die von anderer Hand geplant worden war. Von all den Gedanken konnte die Frau an meiner Seite nichts ahnen und angeregt unterhielten wir uns über die Ereignisse im Palazzo und den drei 51
Aufschneidern, die sicher für lange Zeit einen Bogen um jedes japanische Restaurant machen würden. Am Arno angekommen mußten wir nach links, in eine kleine, zum Ufer parallel laufende Straße einbiegen, die einen breiten Fußweg direkt an der Brüstung zum Wasser hin hatte. Während wir so sprachen, schaute ich in die Nacht und suchte schon nach dem Auto, erkannte aber in der Entfernung nur einen dunklen Polizeiwagen der Carabinieri, der am Anfang des kleinen Platzes stand und dessen Insassen lässig über die Uferbrüstung gebeugt auf den Fluß sahen. Jedenfalls solange, bis die beiden Polizisten meine Begleiterin entdeckt hatten und leise miteinander tuschelten, was verständlich war, schließlich waren sie auch nur Männer und diese Reaktion hatte ich am heutigen Abend schon zu oft bemerkt, als daß sie mir besonders auffiel. Die Beamten machten ihre Pause weiter und nachdem ich den schwarzen Mercedes gesehen und mir mit der Fernbedienung die Bestätigung geholt hatte, daß es sich um die gesuchte Karosse von Señor Almera handelte, steuerten wir langsam darauf zu. Irgendwie verstärkte sich das Ziehen in meinem Nacken und ich war gespannt, was Diana LeClaire vorhatte, wenn ich sie in ihrem Hotel abliefern würde, doch viel weiter kam ich nicht mit meinen Spekulationen, denn instinktiv nahm ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr, die von den Silhouetten der beiden Polizisten ausging, dann sah ich etwas Dunkles auf mich zukommen, hörte einen Schrei und verspürte einen dumpfen Schlag am Kopf, bevor ich in ein großes schwarzes Loch fiel. Es ist unglaublich schön, wenn der Schmerz nachzulassen beginnt – aber als ich wieder zu Bewußtsein kam, verspürte ich trotzdem noch ein Dröhnen in meinem Schädel, das sich offensichtlich sehr hartnäckig halten wollte. So vermied ich es, mich zu bewegen, oder auch nur die Augen zu öffnen, denn alles, was ich tat, konnte die Schmerzen nur verschlimmern, aber vielleicht sollte ich doch all meinen Willen zusammennehmen und die Stelle mit den Händen untersuchen, an der ich meinen Kopf vermutete. Ich mußte es sein lassen, nicht daß ich keinen Willen aufbringen konnte, doch die Fesseln an meinen Armen erwiesen sich als etwas hinderlich für mein Vorhaben. Dafür begann jetzt die Erinnerung wieder einzusetzen, was auch nicht schwer war, denn so einen Schlag vergißt man selten und auch das, was sich vorher ereignet hatte, schoß mir wieder in den ramponierten Kopf. Immer noch rührte ich mich nicht, aber nun deutete alles darauf hin, daß ich in einem Auto war, halb sitzend, mit dem Oberkörper auf etwas Weichem lag, das sich sehr glatt anfühlte und unheimlich gut nach etwas roch, das mir schon mal in die Nase gekommen war. So hob ich mutig millimeterweise mein Lid und in dem Wechsel von hell und dunkel, der vorbeihuschenden Straßenbeleuchtung, sah ich den roten Stoff von Diana LeClaire´s Kleid vor mir. Über mir schluchzte es, zittrige Hände lagen auf meinem Nacken und vor mir hörte ich sporadisch die Stimmen zweier Männer, die sich keine Mühe gaben zu verbergen, daß sie gute Laune hatten, was ein viel zu lautes Lachen nach sich zog. 52
Nachdem mein Gehirn seine Tätigkeit wieder aufgenommen hatte, konnte ich mühsam damit beginnen, mir eine Erklärung für die letzten Ereignisse zu suchen und dabei zu spekulieren, wer so ausgiebig die Stärke meiner Schädeldecke getestet hatte. Diana hörte sich nicht so an, als gehörte dieser Teil zu ihrem Plan, und daß sie neben ihrem Modeljob noch eine so extrem gute Schauspielerin war, bezweifelte ich irgendwie, also schied wohl der einzig potentielle Auftraggeber, aus, dem man dieses Erlebnis verdanken konnte – Benedetto di Gondoni. Gab es mehr Parteien, die hier mitmischten, oder waren wir zufällig in die Hände von Automarder gefallen, die sich für die Luxuskarosse interessierten, und warum mußte ich über so schwere Dinge nachdenken, wenn mir der Schädel brummte? Nicht nur wegen des Zustandes in meinem Kopf hatte ich das Gefühl in einer Achterbahn zu sitzen, es ging mittlerweile auf und ab und dazu blieb es jetzt draußen dunkel, was auf einen Mangel an der üblichen Straßenbeleuchtung schließen ließ, und deshalb war ich recht Stolz auf meine Schlußfolgerung, daß wir außerhalb der Stadt waren. Ohne eine merkliche Änderung ging es so eine ganze Weile weiter, bis die Straße holpriger wurde und das Auto nur noch langsam vorwärts kam. In der ganzen Zeit hatte ich mich totgestellt und versucht, meine Fesseln zu lösen, aber das gelang mir nicht, zu gut war ich verschnürt worden, wenn auch nach einer sehr ungewöhnlichen Methode, denn direkt unterhalb der Ellenbogen waren die beiden Arme mit dicken Stricken zusammengebunden worden. Weniger kompliziert, mehr traditionell, hatte man dafür meine Beine gefesselt, was jeden Gedanken an eine Flucht für den Moment ins Reich der Träume verbannte. Und mehr, um nicht das absolute Gefühl der Machtlosigkeit zu haben, nestelte ich an meinen Fesseln herum und verwarf die letzten Reste des Gedankens, es mit der Polizei zu tun zu haben, denn die würden sich sicher nicht soviel Mühe machen, mich zu verpacken – also hatten wir es scheinbar vorhin mit zwei Komparsen zu tun. Auch wenn mir das gegen den Strich ging, würde ich abwarten müssen, mit wem wir es zu tun hatten, denn ich sah keine Möglichkeit etwas zu unternehmen. Allerdings wäre dafür die Zeit auch zu kurz gewesen, denn einige Minuten später hielt der Wagen und wir wurden brutal aus dem Auto gezerrt. Man hielt mich noch für benommen und zum Aufmuntern bekam ich ein paar Ohrfeigen und einen Tritt, der mich in die Knie zwang. Danach wurde ich sofort wieder am Kragen hochgezogen und nun sah ich auch die beiden Männer, die sich einen Spaß daraus machten, mich zu prügeln, während Diana LeClaire an den Händen gefesselt und geknebelt am Auto stehen mußte und weinte. Es waren definitiv nicht die Polizisten, sondern zwei junge Kerle, die uns in Almera´s Wagen hierhergebracht hatten. Sie redeten zu laut und es schien, als wollen sie sich gegenseitig ihre Stärke beweisen, indem sie besonders rücksichtslos auf mich eintraten. Ich steckte einiges ein, aber die letzte Konsequenz fehlte, noch war ich nicht dran, das spürte ich, schließlich besaß ich mehr Erfahrung in solchen Dingen, als diese beiden Burschen zusammen haben konnten, aber davon hatten sie sicher keine Ahnung. Wäre ich etwas weniger sorgsam verschnürt gewesen, hätte sich das Bild in kürzester Zeit geändert, doch so mußte ich die Schläge und Verhöhnungen über mich ergehen lassen und hatte kaum eine Chance, mich passiv zu schützen. 53
Alles geschah vor einer verfallenen Hütte, die von knorrigen, alten Olivenbäumen und Weinstöcken umgeben war. Wolken zogen schnell am Vollmond vorbei und verdunkelten kurzzeitig diese Tortur, die von dem kühlen, feuchten Wind noch untermalt wurde. Endlich schienen sie genug zu haben, jedenfalls von mir und wendeten sich der Frau zu, doch die Folter, die hinter mir lag, war mir tausendmal lieber, als die Demütigung, die ich nun offenbar miterleben sollte. Während mich einer der Männer im Auge behielt, ging der zweite, welcher Massimo gerufen wurde, auf Diana zu und flüsterte ihr etwas ins Ohr, dabei griff er unter ihren Mantel und wanderte mit der Hand langsam höher. Sie wich mit aufgerissenen Augen zurück, worauf ein kräftiger Schlag in ihr Gesicht folgte, der sie gegen den Wagen schleuderte. Ich stand kurz davor, zu explodieren und mir war egal, das ich keine Chance hatte, irgend etwas mußte passieren, denn ich hatte nicht vor, das zuzulassen. Enrique, der Kerl neben mir, war nur einen Meter weg. Wenn ich es geschickt anstellte und ihm die Beine wegschlagen konnte, würde ich vielleicht an seine Waffe kommen und,... hörte, wie neben meinem Kopf der Hahn eines Revolvers gespannt wurde, „Nicht doch, Amigo, du wirst uns doch nicht den Spaß verderben wollen. Schließlich hat man uns versprochen, daß wir mit der Kleinen alles machen können, was wir wollen und dich dürfen wir auch umlegen,... aber natürlich erst, wenn du geredet hast. Komm mit, du scheinst zu schwache Nerven zu haben, ich will großzügig sein und dir den Anblick ersparen, damit du nachher noch sprechen kannst“ Enrique winkte zu Massimo herüber und deutete mit seiner Magnum auf die Hütte, der war genervt, weil er sein Vorhaben unterbrechen mußte, kam herüber, nachdem er Diana mit Handschellen an den Wagen gekettet hatte und beide trugen mich in den Verschlag, dessen Umrisse ich schon im Dunkeln bemerkt hatte. Jetzt bekam ich auch wieder genug Luft, um reden zu können, „Wenn ihr mir sagt,... was ihr wissen wollt, dann rede ich gleich und wir können alle... als Freunde nach Hause gehen, ist das nicht ein guter Vorschlag?“ Das fanden die beiden überhaupt nicht und ich erntete düsteres Gelächter, als Enrique einen Strick über einen Deckenbalken warf und ihn unterhalb meiner Fesselung durch meine Arme steckte, dann zogen die beiden das Seil fest an, so daß ich mit erhobenen Händen beinahe auf meinen Zehen stand und mir noch einen Schlag in den Magen einhandelte und derbe Beleidigungen über mich ergehen lassen mußte, „...man hat uns gesagt, du wärst ein harter Brocken, dabei war es so einfach, dich zu kassieren. Wir sehen uns in einer halben Stunde, darauf kannst du dich schon freuen. Du glaubst doch nicht, daß wir auf unser Vergnügen verzichten werden, das wird genausoviel Spaß machen, wie dir die Haut abzuziehen und glaube mir, ich meine das, was ich sage“ Beide grinsten mich an und verschwanden eilig durch die Holztür, die nun von außen mit einem Riegel verschlossen wurde. Zuerst hörte ich noch das dreckige Lachen vor der Tür, dann absolute Stille. Einige Sekunden war ich wie betäubt, aber die Wut über meine Ohnmacht riß mich aus der Lethargie und ich suchte nach einer Möglichkeit, mich zu befreien. Schon alleine die Vorstellung, was jetzt vor der Tür geschah, ließ meine Schmerzen unbedeutend 54
erscheinen und ich begann, mich mit dem Seil langsam entlang des Balkens zu bewegen, um es durchzuscheuern. Realistisch betrachtet würde es Stunden dauern, bis ich damit fertig war, aber irgend etwas mußte ich tun, sonst würde ich wahnsinnig werden, doch schon eine Minute später hörte ich, wie draußen wieder der Riegel betätigt wurde, weshalb ich meine Bemühungen einstellte und mich auf das Unvermeidliche vorbereitete. Überraschenderweise schob sich eine Gestalt in einem schwarzen Overall und mit passender Gesichtsmaske durch den Türrahmen, betrachtete mich und meine Lage kurz und überzeugte sich scheinbar, daß ich hier alleine herumhing. Nach der Bewegung dieses Körpers war es eine Frau, die eine Luger mit Schalldämpfer in der Hand hielt und mit dieser zweifelsfrei ungewöhnlichen Waffe aufreizend lange in meine Richtung zielte. Offenbar gehörte sie zu den Kerlen und hatte hier auf ihre Ankunft gewartet, sonst konnte ich mir das nicht erklären und nun würde sie sicher damit beginnen mich auszuquetschen. Vielleicht tat sie mir einen Gefallen und kam ganz dicht an mich heran, wenn ich es schaffte, ganz schnell meine Beine anzuwinkeln, dann konnte ich ihr zum Abschied noch einen Tritt geben, bevor sie mich dann erschießen würde. Aber ehrlich gesagt rechnete ich nicht wirklich damit, diese Gelegenheit zu haben, doch plötzlich senkte sie die Waffe und begann sich ihre Maske abzustreifen, unter der das ernste Gesicht einer knapp dreißigjährigen Frau erschien, deren brünette lange Haaren jetzt zu einem Zopf herunterfielen. Sie war sehr sportlich und durchtrainiert, aber nicht zu muskulös, so daß die feminine Seite an ihr nicht verloren ging und ohne ein Wort befreite sie mich von meinen Fesseln. „Danke, was ist mit der Frau draußen?“ „Ganz ruhig, Señor Kronau, wir haben alles unter Kontrolle. Señora LeClaire ist in guten Händen, es ist nichts passiert. Sie sehen etwas mitgenommen aus, alles in Ordnung mit Ihnen?“ „Kein Problem, mir geht es blendend, darf ich fragen wer Sie sind und was hier eigentlich los ist?“ „Sicher dürfen Sie das fragen, aber wir stehen ein wenig unter Zeitdruck, es wird nicht lange dauern und man wird mißtrauisch werden, daß sich die beiden Schweine dort draußen nicht mehr melden. Ich würde vorschlagen, wir verschieben das auf später und reden dann in Ruhe darüber“ „Soll mir recht sein, mein Terminkalender ist noch leer, aber einen Namen werden Sie doch sicher haben, damit ich weiß, bei wem ich mich bedanken kann, oder?“ „Nennen Sie mich Carmen“ „Danke für Ihre Hilfe Carmen, übrigens ein schöner Name“ „Ich weiß“, wir traten jetzt schnell aus der Hütte und ich sah Diana auf der Beifahrerseite des Mercedes sitzen, wie sie ihre Tränen trocknete und sofort aufsprang, als sie mich sah und in meine Arme stürzte. Ich versuchte, sie etwas zu trösten und dabei zu beruhigen, trotzdem ließ ich gleichzeitig mein Auge schweifen, um diese Carmen weiter zu beobachten, die nicht alleine war, wie ich jetzt feststellen mußte. Vor mir auf dem Boden lagen die beiden Kerle in ihrem eigenen Blut, sie würden nie wieder so finster in die Nacht lachen und über die Leichen beugte sich gerade ein älterer, korpulenter Asiat mit einem rasierten Kopf, der die Taschen der beiden gerade 55
durchsuchte. Die Frau, die mich befreit hatte, war in der Dunkelheit verschwunden, um gleich darauf mit einem Geländewagen vorzufahren, den sie neben der schwarzen Limousine abstellte und wieder zu uns herüberkam, um Diana´s Hand zu nehmen, „Alles ist vorbei, Sie sind jetzt in Sicherheit. Ich habe das schon zu Señor Kronau gesagt, wir haben jetzt keine Zeit für Erklärungen, aber es ist in unser aller Interesse, wenn wir uns ungestört ausgiebig unterhalten können. Heute Nacht dürften sie beide in ihren Hotels sowieso nicht sicher sein, also schlage ich vor, sie folgen uns und übernachten in unserem Quartier“ Diana nickte gleich zustimmend, ich war zögerlicher mit meiner Antwort, weil ich mir auf die ganze Sache im Moment überhaupt keinen Reim machen konnte. „Mißtrauisch, Señor Kronau?“ „Verstehen Sie das nicht falsch, nicht daß ich keine aufregenden Nächte mag, aber das heutige Programm war etwas zu herb für meinen Geschmack, eine weitere unangenehme Überraschung würde ich gerne aus dem Wege gehen“ „Ich verstehe Sie nicht falsch, Vorsicht hat noch keinem geschadet – Moment,...“, sie ging zum Jeep, in dem mittlerweile der Mann saß, wo sie die Magnum von Enrique holte und mir anschließend in die Hand drückte, „...besser?“ Schnell schaute ich mir die gefüllte Trommel an, „Viel besser! Wer ist eigentlich der Mann in Ihrem Wagen?“ „Ein guter Bekannter aus Hongkong, sein Name ist Lao. Können wir los?“ „OK, ich denke, das geht in Ordnung“ „Gut, dann steigen Sie beide in den Mercedes und folgen uns, der Wagen ist sowieso auf Ihren Namen gemietet, die Papiere liegen im Handschuhfach“ „Bitte?“, mir war so, als hätte ich mich verhört. „Erklärung folgt später, kommen Sie“ Diana und ich folgten dem Jeep durch die Nacht, deren Mond uns mit seinem hellen Licht schemenhaft die toskanische Landschaft vorführte. Diese Carmen hatte recht, ich war nicht nur vorsichtig, sondern auch mißtrauisch und ich dachte, nachdem was geschehen war, dürfte darüber niemand verwundert sein. Wie aus dem Nichts erschienen die beiden wie rettende Engel und taten so, als wäre es das Normalste von der Welt. Am Anfang dachte ich sogar, daß Gondoni nur seinen Plan modifiziert hatte, um mich butterweich zu bekommen, aber ich hatte mich kurz überzeugt, daß Enrique und Massimo wirklich nicht mehr unter den Lebenden weilte und für ein gut gemachtes Schauspiel war es doch ein zu hoher Preis. So war ich auf einmal in Gesellschaft und doch ganz alleine. Auch Diana war und blieb für mich etwas undurchsichtig, ohne auch nur einen konkreten Anhaltspunkt dafür in den Händen zu halten und noch schlimmer war mein Gefühl, daß alle um mich herum mehr zu wissen schienen, als ich schon herausbekommen hatte. Die Fahrt ging in Richtung Greeve, einer wunderschönen kleinen Stadt mit einem fast dreieckigen Marktplatz, die ich von früher gut kannte, denn sie war mitten im Chantigebiet gelegen. Anfangs war Diana schweigsam, dann sprach sie ohne Pause, so konnte sie sich einfach ihre Angst von der Seele reden und ich hörte einfach nur zu. Dabei merkte sie kaum das ich nich ganz bei der Sache war, denn mein Fazit der Nacht war eher 56
niederschmetternd und nüchtern. Ohne Hilfe wären wir nicht heil aus der Sache herausgekommen, und das Schlimmste an der Geschichte war, daß ich keine blasse Ahnung hatte, warum die Vase und ihr Besitzer mich in diese Turbulenzen gestürzt hatte. Langsam mußte ich meine Einstellung überprüfen, ich war von einem gemütlichen Spaziergang ausgegangen und bin in einem Marathonlauf gelandet, das erforderte wohl in der Tat meine ganze Kraft und ich hatte nicht nochmal vor, so unvorbereitet eine Überraschung zu erleben. Sicherheit schien es nicht zu geben, auch wenn ich ein besseres Gefühl bei den Leuten hatte, die gerade unser Leben gerettet hatten, aber es wäre nicht das erste Mal in meinem Leben, daß ich es mit einer perfekten Täuschung zu tun hätte. Trotzdem folgte ich dem Jeep, weil ich damit hoffte, auf dem Weg zu neuen Antworten zu sein. Es dämmerte schon, als wir an einem alten Weingut ankamen und der grobe Kies, der den Hauptweg zum Haus markierte, knirschte unter unseren Rädern. Soweit ich sehen konnte, machte hier alles einen heruntergekommenen Eindruck, dadurch wirkte es geheimnisvoll und mysteriös und paßte damit genau zu all den anderen Umständen im Moment. Die Nebengebäude schienen undichte Dächer zu haben und die Fenster waren blind, oder gar zerbrochen. Wahllos verteilt lag alter Hausrat in den Ecken, der schon jahrelang von Gestrüpp überwuchert wurde und kaum mehr zu erkennen war, aber an sich machte alles noch einen stabilen Eindruck. Wir betraten die ehemals rustikale Villa, die ihre Glanzzeiten weit hinter sich gelassen hatte, wobei man immer noch diesen ursprünglichen Charme verspüren konnte. Der Chinese verschwand sofort in einem der hinteren Räume und Carmen führte uns in ein Zimmer, das früher sicher mal als Salon genutzt wurde und dessen edelstes Möbelstück ein mehrfach geflicktes Sofa in der Ecke war, welches noch recht stabil schien. Dorthin brachte ich Diana, die schon fast am Einschlafen war und unsere Gastgeberin reichte ihr eine Decke, so daß es keine Minute mehr dauerte, bis sie in den Schlaf gesunken war. Ich setzte mich an den großen Tisch in der Mitte des Raumes, auf einen alten Hocker und beobachtete Carmen, die sich eine Zigarette anzündete und aus einer Ecke eine Flasche hervorholte, „Tequila oder Wasser?“ „Beides“ „Bueno, warten Sie bis das Feuer wieder an ist, dann wird das hier richtig gemütlich“ „Das glaube ich Ihnen gerne, ich kümmere mich darum, es hat mir schon immer Spaß gemacht, mit dem Feuer zu spielen“, nach einem Glas Tequila und einem großen Schluck Wasser kniete ich vor dem alten Kamin, neben dem einige Holzscheite gestapelt waren und bereitete das Feuer vor, was kein großes Problem war, weil noch die Glut unter einer weißen Ascheschicht glimmte. Währenddessen grübelte ich, woher diese Carmen wohl kommen mochte, sie sprach spanisch mit Akzent und nach dem Äußeren zu urteilen, tippte ich auf Südamerika, einer Gegend, die mir sehr vertraut war, und an die ich gute, aber auch sehr schmerzhafte Erinnerungen hatte. Bilder kamen mir in den Sinn, Fragmente von lachenden Kindern und ermordeten Freunden, der Lärm von Kämpfen und Gitarrenmusik, doch das lag schon viele Jahre zurück und zu viele Abenteuer dazwischen begannen mittlerweile das Erlebte zu überlagern. 57
„Señor Kronau... Señor Kronau?“ „Si, es wird gleich warm werden. Was machen wir jetzt?“ „Ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir ein paar Stunden schlafen und uns ausgeruht unterhalten. Sehen Sie, Ihre Freundin macht es uns schon vor“ „Einverstanden, ich bin froh, daß sie es so gut wegsteckt und schlafen kann, aber bevor Sie etwas mißverstehen, Diana ist nicht meine Freundin“ „Weiß sie das auch?“, dabei nippte sie an ihrem Glas. „Ich denke schon, oder sagen Sie es mir. Frauen sollen doch ein Gespür dafür haben“ Sie lachte, „Da verbrenne ich mir nicht die Finger. Wir haben oben ein freies Zimmer mit einem Bett, wollen Sie dort schlafen?“ „Danke, nein, ich werde hier bleiben und auf das Feuer aufpassen“ „Immer noch mißtrauisch?“ „Nein, immer noch vorsichtig“ Ich hatte es mir auf ein paar Decken vor dem Kamin gemütlich gemacht, es gab schon wesentlich unbequemere Schlafplätze, die ich in meinem Leben ausprobieren mußte, und so schlief ich wirklich einige Zeit, bis mich im Unterbewußtsein ein nicht klar zu deutendes Geräusch erreichte, das mich aus meinen Träumen in die Realität zog. Im Halbschlaf hörte es sich an, als wenn jemand etwas über den Boden zog und dann wartete, wieder zog und wieder wartete, was sich wiederholte und immer leiser wurde, bis ich mit trockenem Mund die Augen öffnete und zuerst nach Diana auf der Couch sah und dann nach der möglichen Ursache suchte. Nichts Ungewöhnliches war zu entdecken, friedlich wie ein Baby lag sie eingerollt in der Decke und schlief. Das Geräusch tat ich als Teil eines wirren Traumes ab, wie sie mich des öfteren heimsuchten, meistens erinnerte ich mich am nächsten Morgen überhaupt nicht mehr an sie, so daß jeder Traumdeuter bei mir arbeitslos wäre. Trotzdem war ich vorsichtig genug, die Magnum zu überprüfen und in der Hand zu lassen, als ich aufstand und leise durch die Tür in den Flur ging. Dort empfingen mich keine Gangster oder losgelassene Monster, sondern der Duft von frisch gebrühtem Kaffee, der sofort eine magische Wirkung auf mich ausübte. Vorbei an der Treppe, die zu den oberen Räumen führte, ging ich noch schlaftrunken den Flur entlang, dort, wo der Chinese gestern verschwunden war. Vielleicht war er für die Küche zuständig und ich hoffte inständig, daß der Kaffee hielt, was er jetzt schon versprach, und so drückte ich die leicht angelehnte Tür auf, erstarrte zu einem bewegungsunfähigen Etwas und wußte mit absoluter Sicherheit, daß ich gerade gestorben war, oder den unglaublichsten Traum meines Lebens erlebte. Vor mir saß an einem kleinen Tisch die Frau aus dem Café an einem gedeckten Tisch und lächelte mich mit einer Tasse in der Hand an. Kochendes Öl in einer Friteuse war im Moment cooler als ich, wobei mir als Alternative gerade durch den Kopf schoß, daß ich halluzinierte. Einige Millisekunden lang überzeugte mich dieses Argument, doch irgendwie hielt ich das auch für unwahrscheinlich und begann langsam zu akzeptieren, was meine Augen dort erblickten. Wenn es aber real war, was hier geschah, dann machte ich in diesem 58
Augenblick das dämlichste Gesicht, zu dem ich fähig war, und es wurde sicher nicht besser, als mir das bewußt wurde. „Guten Morgen, Herr Kronau, gehen Sie immer mit einem Revolver zum Frühstück?“ „Äh...“, gute Frage, wenigstens begann mein Gehirn dadurch wieder zu arbeiten und mit der Stabilisierung meiner Atmung kamen auch wieder Worte über meine Lippen, „...selten, sehr selten, aber man weiß ja nie, wer kocht. Ich wünsche Ihnen auch einen wunderschönen Morgen, Frau...?“ „Anne, nennen Sie mich einfach Anne. Möchten Sie einen Kaffee?“ „Gerne, bitte mit Milch, wenn es geht“, ein Glück, daß es einen Stuhl in der Küche gab, dachte ich so bei mir, denn lange hätte ich meine zittrigen Knie nicht mehr verbergen können. Wir sprachen auf deutsch, genauso eine Nebensächlichkeit, die mir erst jetzt auffiel, wie die Tatsache, daß hier scheinbar alle meinen Namen kannten, aber das war mir im Moment sowas von egal, was sich noch steigerte, als ich die Tasse bekam und ihr dabei in die Augen sehen konnte. Es war nicht der plakative Modellook wie bei Diana, den sie ausstrahlte, sondern eine Schönheit mit dem Hauch des Einzigartigen, was schwer zu erklären, aber dafür intensiv zu spüren war. „Wissen Sie, Herr Kronau, daß wir uns schon einmal gesehen haben?“ „Ach, wirklich? Daran kann ich gar nicht erinnern“, in dem Moment, wo ich das sagte, war mir schon klar das ich den blödesten Fehler meines Lebens gemacht hatte, aber jetzt war es zu spät und die Quittung kam sofort, als das Lächeln weniger wurde und sie sich sehr intensiv mit den Frühstücksvorbereitungen beschäftigte. Nur was hätte ich denn sagen sollen, vielleicht: „Klar, kann ich mich an Sie erinnern, weil mir schon seit Tagen ihr hübsches Gesicht nicht mehr aus dem Kopf geht und bei meinem Zustand, den Sie gerade ausgelöst haben, müßte mich jeder Internist sofort stationär einweisen“ Damit hätte ich mich wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt und das könnte genauso in die Hose gehen. Doch so schlimm konnte meine Antwort nicht gewesen sein, weil sie weiterhin mit mir redete und immer noch lächelte, „Ja wirklich, ich war mit Carmen in einem Café, gegenüber von den Uffizien“ „Ach, ja, jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir wieder ein, welch ein Zufall“, oje, gerade noch so die Kurve bekommen. „Das hat nichts mit Zufall zu tun, aber ich denke, wir haben genug Zeit zum Reden, wenn wir beim Frühstück sind. Sie könnten so nett sein und von draußen Feuerholz in den Salon bringen, beim Holz finden Sie auch eine Axt, ich denke, in der Zwischenzeit werden dann alle wach sein, auch Ihre Freundin“ „Kein Problem, ich werde mich um das Holz kümmern, aber eine Frage habe ich noch“ „Und die wäre?“, ihre Augen blitzten dabei. „Warum denkt hier jeder, das Diana LeClaire meine Freundin ist?“ „Sie ist doch eine schöne Frau und scheint Sie sehr zu mögen“, erwartungsvoll lehnte sie sich zurück und sah mich forschend an.
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„Sie ist tatsächlich eine schöne Frau, aber das macht sie nicht automatisch zu meiner Freundin und vielleicht mag sie mich wirklich, aber zur Liebe gehören zwei Herzen und so etwas passiert erst recht nicht automatisch“ „Sie wissen wirklich mit Worten umzugehen, das sollte ich mir merken“ „Das sollten Sie machen, Anne, aber ich kann auch mit anderen Dingen umgehen. Jetzt zum Beispiel werde ich mir die Axt nehmen und Holz holen, Sie entschuldigen mich“, trotzdem ich aus ihrer Nähe kaum weg wollte, fühlte ich mich doch wohler, als ich nun vor dem Haus die Holzscheite spaltete. Der Kopf wurde richtig frei und ich hatte genügend Zeit, mich von meinem Schock zu erholen, auch wenn ich mich jetzt, nicht zum ersten Mal am heutigen Morgen, richtig dämlich fühlte, weil kein normaler Mensch in einem Designeranzug Holz hacken würde. Die Arbeit ging schnell von der Hand und ich kam genau zum richtigen Zeitpunkt wieder zurück, um erneut den Kamin in Betrieb zu nehmen und mich auf den letzten Platz am Tisch zu setzen, wo zuerst ein eher deftiges Frühstück, mit Eiern, Toast und Schinken, die Konversation bremste und wenige belanglose Sachen kurz angesprochen wurden. Diana freute sich besonders, mich zu sehen und ließ kaum eine Gelegenheit aus, mir etwas zu reichen, oder aufmerksam auf die Menge meines Morgenkaffees zu achten, wobei es mir auffiel wie sich Anne und Carmen dabei ansahen. Man hatte ihr mit einigen Sachen ausgeholfen, schließlich paßte das Abendkleid weder zur Zeit, noch zum Ort und dürfte im Moment mehr als unpraktisch sein, so daß sie nun in Jeans und einem Shirt neben mir saß, aber auch das konnte kaum ihre Reize verstecken. Ich schob das alles in meinem Kopf erst einmal zur Seite, genau wie meinen Teller, denn trotz der Überraschung des heutigen Morgens lag mir der gestrige Abend noch schwer im Magen und jede Information über die Hintergründe waren mir willkommen, also hoffte ich gespannt darauf, daß einer unserer Retter endlich das Thema anschneiden würde und ich mußte nicht mehr lange darauf warten. „Ich sehe in den Augen von Herrn Kronau, daß er etwas ungeduldig wird, also sollten wir über das reden, was gestern geschehen ist, damit sie wissen, wie sie sich am besten zu verhalten haben, um lebend aus der Sache herauskommen“, Anne schien jedes Wort, das sie sagte, so zu meinen, anders konnte ich ihren Gesichtsausdruck nicht deuten, und ich ergriff darauf als Erster das Wort. „Danke noch einmal für ihre Hilfe. Sie scheinen also zu wissen, wer uns gestern umbringen wollte?“ Sie antwortete mit einem leichten sarkastischen Unterton, „Sicher, sonst hätten wir sie kaum finden können. Vorab möchte ich sagen, daß wir nicht vorhatten, in irgendeiner Form in Erscheinung zu treten, ich möchte, daß sie das wissen, damit es in diesem Punkt keine Mißverständnisse gibt“ „Dafür war es auch zu deutlich formuliert“ „Gut, das sollte es auch sein, es ist nicht so, daß wir es bereuen, aber nun wissen Gondoni und Almera von unserer Anwesenheit und daß es jemanden gibt, der ihnen auf die Finger schaut. Dies bedeutet eine große Gefahr für uns“ „Gefahr? Also Gondoni und sein spanischer Freund stecken dahinter, warum?“ 60
„Das könnten wir Ihnen sagen, aber das wäre auch Ihr Todesurteil, jetzt würden Sie noch aus der Geschichte herauskommen. Das Interesse dieser Männer endet bei dem Besitzer der Vase, also sollten Sie sich überlegen, was Ihnen wichtiger ist, Herr Kronau, das Leben dieses Mannes, oder Ihr eigenes“ „Na gut, vorsorglich sage ich mal, mein Leben ist mir wichtiger. Sie wollen mir also nicht sagen, was dahintersteckt – schade, denn ich wüßte schon zu gerne, warum man mich umbringen wollte“ „Ich weiß, daß sie Schriftsteller sind und sicher auch sehr neugierig, aber Gondoni und seinesgleichen sind gefährlich, viel zu gefährlich, als daß man sie unterschätzen sollte. Das ist etwas anderes, als am Schreibtisch zu sitzen, Herr Kronau! Das, was gestern passiert ist, war nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, zu was dieser Mann fähig ist, glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede“, sie machte eine kleine Pause und schaute zu Carmen, die dann weitersprach. „Auch wenn es schwerfällt, Sie müssen das so hinnehmen, wir haben keinen Grund, Sie beide anzulügen und wenn ich Ihnen jetzt sage, was wirklich gestern passiert ist, dann erkennen Sie vielleicht schon am Umfang der Planung, wie ernstzunehmend dieser Mann ist. Schon in dem Moment, wo Sie, Señor Kronau, sich geschickt aus der Schlinge gezogen hatten und Gondoni nicht den Besitzer genannt hatten, lief die ganze Aktion an, denn auch für diesen Fall hatten Ihre Gastgeber schon längst vorgesorgt. Nicht umsonst hat man darauf geachtet, daß sehr viele Zeugen ein attraktives Model mit einem bestimmten Herren zusammen sehen. Almera scheint für das Grobe zuständig zu sein, denn er ließ von seinen Leuten einen Wagen auf Ihren Namen mieten und plante dann, daß Sie beide auf dem Parkplatz in Empfang genommen wurden. In der Hütte wollte man Sie dann zum Sprechen bringen und nachdem das geschehen wäre, hätte man Sie beide umgebracht, so das es wie ein Mord und Selbstmord aus Leidenschaft aussehen sollte. Oder Sie beide wären das Opfer eines plötzlichen Autounfalls geworden, wie schnell kommt man in den toskanischen Hügeln von der Straße ab und das Auto geht in Flammen auf, bedenken Sie Ihre merkwürdige Fesselung an den Armen, es sollten keine Spuren an Ihren Gelenken zu erkennen sein, die bei einer Obduktion auffallen könnten“ Auch Diana hatte mit offenen Mund zugehört, schien das Ganze jedoch recht gut zu verdauen, „Also hat mich Signore di Gondoni nur zufällig ausgesucht, weil wir uns kannten und er jemanden brauchte, der das Opfer in seinem Plan war?“ „Das ist richtig, allerdings glaube ich mittlerweile fest daran, daß jeder, der mit Gondoni zu tun hat, ein Opfer ist“ Obwohl das, was ich gehört hatte, mir einige Sachen erklärte, warf es doch mehr Fragen auf, die mich natürlich nicht nur beschäftigten, sondern auch störten, „Na gut, Sie haben keinen Grund, uns anzulügen und ich habe keinen Grund, Ihnen nicht zu glauben, dafür paßt die Geschichte zu gut und ich verstehe schließlich etwas davon, aber was für eine Rolle spielen sie drei in dem Zusammenhang. Kommen sie von der Regierung, oder hat sie alle die Fee aus dem Zauberland geschickt?“ Eine gewisse Ratlosigkeit packte die beiden Frauen und nur der Chinese schien sich nicht irritieren zu lassen, bis Anne dann doch begann darauf zu antworteten, „Sie kennen doch das Spiel, Herr Kronau, viele Fragen, wenig Antworten. Nicht umsonst 61
kennen Sie nur unsere Vornamen, aber ich versichere Ihnen, wir sind keine Verbrecher und wollen nur Gerechtigkeit, auch wenn ich weiß, daß es ein sehr dehnbarer Begriff ist. Wir haben unsere Gründe Gondoni zu beobachten und dabei sind diese Vase und Sie beide mit in unser Blickfeld geraten. Noch im Café dachte ich Sie sind ein Freund von dem Mann, aber nachdem wir die Gespräche im Palazzo mitgehört hatten und vor allem nach den weiteren Ereignissen, wissen wir, daß sie nur unschuldige Leute sind, die zufällig in diese Sache verwickelt wurden. Machen Sie also nicht den Fehler und stochern in der Sache weiter herum, denn soviel Glück wie bisher werden Sie kaum noch haben“, das hörte sich nun weniger wie ein Rat, sondern eher wie eine Drohung an. Trotzdem hatte es sich gelohnt, genau auf ihre Worte zu hören, „Mir wäre sicher aufgefallen, wenn Sie gestern anwesend gewesen wären, wieso wissen Sie also, was wir gesprochen haben?“ Jetzt bekam ich wieder ein Lächeln zu sehen und scheinbar überspielte sie damit den aufkommenden Ärger, den ihre voreilige Bemerkung in ihr auslöste, „Aufgefallen, genau so, wie in dem Café? Sorry, Spaß beiseite, Herr Kronau, dazu ist die Angelegenheit zu ernst. Wir... wir wußten schon sehr früh von der Einladung, die Diana LeClaire zum Empfang bekommen hatte, das machte uns neugierig und es war eine Gelegenheit, an Gondoni heranzukommen, vielleicht einiges an Informationen aufzuschnappen. Also machten wir einen Besuch bei ihrem Schneider und haben einen Minisender in das Kleid einnähen lassen“ „Ach, wo haben Sie denn da noch einen Platz gefunden?“, jetzt war ich aber neugierig. „Aber Herr Kronau, Sie haben sicher genug Phantasie, um sich das vorstellen zu können“ „Stimmt, deshalb frage ich ja. Ich nehme an, durch diesen Sender haben Sie uns dann auch in der Nacht gefunden“ „Gut kombiniert, wir haben uns dann entschlossen, Ihnen zu helfen, aber wir können jetzt nichts mehr weiter für Sie tun, sonst gefährden wir uns selber“ „Glauben Sie mir, ich vergesse das nicht und in gewisser Weise schätze ich Ihre Vorsicht sogar, aber wie sollte es jetzt nach Ihrer Meinung weitergehen?“ Carmen ergriff wieder das Wort, „Wir verschwinden jedenfalls, sollte Gondoni Sie in die Finger bekommen, wird er ganz sicher aus Ihnen etwas über dieses Versteck herausbekommen. Aber da wir ihm schon einmal aufgefallen sind, weiß er schon, daß wir existieren und so wäre der Schaden gering. Für Señora LeClaire sieht es nicht ganz so schlimm aus, nachdem sie ihre Opferrolle nicht spielen mußte, wäre es sinnlos, sie umzubringen und damit Staub aufzuwirbeln, allerdings scheint es ratsam, kein Wort über die Sache zu verlieren, sonst wäre sie doch ein zu hohes Risiko für ihn und als einzige Zeugin dürfte dann ihre Zukunft sehr kurz sein“ „Ich verstehe, was Sie mir damit sagen wollen, Carmen“, für mich akzeptierte Diana diese Nachricht erstaunlich gelassen und ich war neugierig, welchen Rat mir Carmen selber geben würde, „Und wie sollte ich mich verhalten, Carmen?“ „Machen Sie einen ganz lange Urlaub, wo Sie niemand finden kann, und schreiben Sie einen Brief an Ihren Anwalt, worin sie die Geschichte aufschreiben. Vielleicht läßt 62
sich Gondoni davon abhalten, sollten Sie nochmal mit ihm zu tun haben, denn dadurch, daß sie beide nicht unbekannt sind, läßt sich ein Mord nur schwer unter dem Teppich halten, aber darauf vertrauen würde ich ehrlich gesagt nicht“ „Wissen Sie, Carmen, ich finde es auch nicht schön, wenn man zu optimistisch an eine Sache herangeht“ „Ich wollte nur ehrlich sein“ „Kein Problem, damit kann ich leben“ „Vielleicht, Señor Kronau, fragt sich nur wie lange“, das waren ja schöne Aussichten, aber ich hatte ja unbedingt danach erkundigen müssen. Obwohl mir noch einige Sachen unter den Nägeln brannten, hatte ich keine Gelegenheit mehr danach zu fragen, denn nachdem wir unsere Geschichte nochmal geschildert hatten und es offensichtlich keine Unstimmigkeiten mit den Gesprächen gab, die unsere Retter gestern mitgehört hatten, wurden wir beinahe überstürzt gebeten, unsere Sachen zu holen, um das Anwesen „ aus Sicherheitsgründen“ schnell zu verlassen. Anne hatte offensichtlich recht gehabt, es war wirklich ein Spiel mit zu vielen Fragen und zuwenig Antworten, aber in einem Punkt täuschten sich alle in diesem Raum. Niemand ahnte was mir zuzutrauen war und dabei sollte es im Moment auch bleiben. Ich schloß mich Carmens Meinung an, einem Kerl wie Gondoni nicht zu trauen, doch das bedeutete, ich mußte mich um ihn kümmern, bevor er das mit mir machen konnte und so fand ich es ganz gut, daß sich die Wege von Diana und mir gleich hier getrennt hatten. Sie wurde von Lao in die Nähe ihres Hotels gebracht, während ich gleich mit dem Mercedes in die Stadt fahren würde und mir vorgenommen hatte, sofort den Autovermieter aufzusuchen. Wenn „Lo Squalo“ und „Torro“ wirklich solche Möglichkeiten hatten, dann würde mir die Vogel-Strauß-Politik nicht helfen und ich mußte dafür sorgen, daß sich schnellstens jemand von denen bei mir meldete, um mich geschickt aus der Schußlinie zu manövrieren, was mir sicher dabei half, besser aus der zweiten Reihe agieren zu können. So schien ich schon wieder dabei zu sein, mich ohne Netz und doppelten Boden auf ein großes Wagnis einzulassen und es war schon eigenartig, denn immer wieder versuchte ich in den letzten Jahren, meine Kampfausbildung, den Guerillakrieg und das Töten zu vergessen und immer wieder holte es mich auf die eine oder andere Art ein. Sollte ich das verfluchen oder mir eingestehen, daß es einen Teil in mir gab, der überhaupt nicht die Absicht hatte, sich von dieser Vergangenheit abzuwenden? Der Regen hatte aufgehört, aber das machte meine Stimmung nicht unbedingt besser. Schnell zogen tiefliegende Regenwolken über den Himmel, der sich im Moment nur als graue Masse darstellte und der Wind strich unangenehm über die Haut, so daß es mich fröstelte, als eine Böe heftig an meinem Kragen zerrte, so daß ich froh war, in einigen Minuten in dem voll klimatisierten Wagen zu sitzen, wo ich mir nebenbei alles nochmal auf der Zunge zergehen lassen konnte. Diana war schon mit dem Chinesen weg, der, nachdem was ich aufgeschnappt hatte, sich anschließend um das neue Quartier dieser drei undurchsichtigen Leute kümmern würde, und ich stand mittlerweile schon am Wagen, um einzusteigen, als ich mich nochmal zu Anne und Carmen umdrehte, die nach der Verabschiedung an der Außentür geblieben waren und mir nachschauten. 63
„Vielleicht könnten Sie mir doch noch eine Frage beantworten, die Sie beide sicher nicht kompromittieren würde. Kennen sie zufällig zwei Italiener, so Ende Zwanzig, die im Moment etwas verbeult durch die Gegend laufen?“ Beide schauten sich fragend an und tuschelten miteinander, das gab mir noch einmal für wenige Sekunden die Gelegenheit, das Gesicht von Anne zu betrachten und ungewollt begann es, sich in mein Gedächtnis einzuprägen, gleichzeitig bemerkte ich jede Einzelheit ihrer Bewegungen, die trotz ihrer Unauffälligkeit für mich bedeutsam waren. Während die Frauen sprachen, spielte sie unbewußt mit einer Haarsträhne, die sie immer wieder langzog und zurechtlegte, was mit einer spielerischen Leichtigkeit geschah, die gleichsam anmutig, ja sogar grazil wirkte. Es war ein Bild, dem ich gerne stundenlang zugesehen hätte und dadurch reagierte ich fast zu spät, als mir Carmen nun antwortete, „Tut uns leid, wir kennen die Männer nicht,... warten Sie einen Augenblick, ich habe noch etwas zu erledigen und komme mit in die Stadt. Sie nehmen mich doch mit?“ „Kein Problem, das Auto ist groß genug“, etwas irritiert wartete ich, bis sie sich ihre Jacke geholt hatte und einstieg, während Anne bedauerlicherweise schon längst aus meinem Blickfeld verschwunden war. Grundlos schien mir Carmens Entschluß nicht zu sein und ich war neugierig, was sie von mir wollte, vielleicht bekam ich doch noch einige Antworten, denn es schien so, daß unsere Einladung nur dem einzigen Zweck gedient hatte, uns auszufragen, aber sowenig wie möglich selber zu erzählen. So war ich ziemlich gespannt, als Carmen sofort nach unserer Abfahrt das Wort ergriff, „Was hat das mit den Männer auf sich, nach denen Sie vorhin gefragt haben, Señor Kronau?“ „Nicht so wichtig, ich hatte ein wenig Ärger mit zwei Kerlen im Dom, aber vielleicht hatten sie es nur auf Touristen abgesehen und nach dem gestrigen Erlebnis sehe ich überall Gespenster“ „Ach so, auch als Tourist kann man gefährlich leben, aber offensichtlich gehen Sie besser mit solchen Ereignissen um, als jeder Tourist es wohl tun würde. Wissen Sie, was ich glaube?“ „Nein, tut mir leid, ich habe meine Glaskugel vergessen, aber Sie können mich gerne aufklären“ „Ich glaube, Sie wissen mehr als Sie zugeben und ich bin mir ziemlich sicher, daß Sie nicht derjenige sind, für den Sie alle halten sollen“ Offensichtlich schien Carmen ein gutes Gespür für ihre Mitmenschen zu haben, doch ich hatte nicht vor ihre Indizien mit einem Geständnis zu untermauern, dazu war mir ihre Rolle zu undurchsichtig und ich verlegte mich auf das Taktieren, „Sie sollten meine Neugier nicht mit irgendwelchen Hinterhältigkeiten verwechseln. Sicher gibt es einige Dinge, die Sie kaum von mir wissen können, aber wie ich auch in diese Angelegenheit verwickelt bin, ist es nicht in meinem Interesse, daß jemand zu Schaden kommt“ Ungerührt sah sie weiter au dem Fenster und schüttelte nur leicht mit dem Kopf, „ Machen Sie es nicht so geheimnisvoll, Señor Kronau, ich hatte es schon mit härteren Kerlen als Ihnen zu tun und die haben wesentlich besser gelogen. Vielleicht stimmt Ihre Geschichte, vielleicht arbeiten Sie auch nur auf eigene Rechnung, oder werden von 64
jemanden bezahlt, damit Sie etwas im Dunst herumstochern. Wohlmöglich sind Sie dabei auf einige Informationen gestoßen, die Sie entweder verkaufen wollen, oder selbst zu nutzen hoffen, aber das ist mir egal, solange sich unsere Wege nicht noch einmal kreuzen. Ich sage es Ihnen ehrlich in Ihr Gesicht, daß ich Ihnen nicht traue und mein Gefühl hat mich in dieser Hinsicht noch nie getäuscht“, offensichtlich versuchte sie mich mit einer direkten Konfrontation aus der Reserve zu locken. Wohlmöglich, weil sie sich immer noch nicht sicher war, mit wem sie es zu tun hatte und unbedingt Klarheit über diesen Punkt haben wollte. „Ob Sie mir trauen oder nicht, das ist Ihre Entscheidung, jedoch sollten Sie bedenken, daß wir einen gemeinsamen Gegner haben und auch, wenn Ihnen das nicht gefällt, stehen wir offensichtlich auf derselben Seite und das wissen Sie selbst ganz genau, sonst hätten Sie uns nicht gerettet“ „Vielleicht ist es richtig, was Sie sagen, Señor Kronau. Allerdings haben Sie es zu einem Großteil Anne zu verdanken, daß wir eingegriffen haben, offensichtlich haben Sie beide etwas gemeinsam, einen übertriebenen Hang zur Neugier“ „So? Das ist gut zu wissen, wenn ich sie das nächste Mal sehe, werde ich mich bei ihr dafür bedanken“ „In Ihrem Interesse sollte es kein nächstes Mal geben. Ich habe bemerkt, wie Sie Anne angesehen haben und es hat mir nicht gefallen. Sie ist wie eine kleine Schwester für mich und wir haben zu viel zusammen erlebt, um einfach mitanzusehen, wie ein dubioser Schriftsteller ihr Flausen in den Kopf setzt und irgendwann wieder verschwunden ist – also fahren Sie wieder nach Hause und poussieren Sie mit irgendwelchen Models herum, da scheinen Sie doch mehr Erfolg zu haben“ „Ihr Urteil ist ein wenig hart, jedenfalls dafür, daß Sie mich nicht kennen, und deshalb gebe ich Ihnen einen guten Rat - Trauen Sie nicht immer dem ersten Eindruck, zu leicht kann man sich täuschen“ „Señor Kronau, lenken Sie nicht ab, dazu ist mir das Thema zu ernst. Sie werden es sowieso nicht schaffen, meine Meinung über Sie zu ändern, und wenn Sie ehrlich mit sich selbst sind, müssen Sie wohl eingestehen, daß ich nicht unrecht habe“, diese Unterhaltung schien für sie den Zweck erfüllt zu haben, denn suchend blickte Carmen nach vorne aus dem Fenster, „Halten Sie dort vorne an, der Bus bringt mich zurück und zum Abschied bekommen Sie von mir auch einen guten Rat. Kümmern Sie sich nicht weiter um diese Angelegenheit, denn sollte ich Sie irgendwann nochmal in Annes Nähe sehen, dann nehme ich Gondoni die Arbeit ab und lege Sie persönlich um, ...dabei fällt mir ein, geben Sie mir die Waffe zurück, wir werden sie dringender brauchen als Sie in irgendwelchen Bars, wo man mit Abenteuern gut angeben kann. Gute Heimreise, Adios“, sie schlug die Tür zu, steckte die Magnum unter ihre Jacke und verschwand aus meinem Rückspiegel. So fuhr ich ziemlich ernüchtert der Stadt entgegen. Seit gestern hatte sich die Welt ganz schön gedreht, ich stand auf einer Abschußliste, wurde bedroht und hatte urplötzlich einen Ruf, von dem ich weit entfernt war, ihn zu verdienen. Da ich aber immer versuchte, optimistisch zu sein, würde die ganze Sache sicher auch etwas Positives haben, ich mußte es nur noch finden und hatte die ganze Rückfahrt dazu Zeit, obwohl ich nicht glaubte, daß dies ausreichen würde. 65
Es war früher Nachmittag, der Autovermieter hatte sich gewundert, daß sein Wagen von einem völlig veränderten Herren zurückgebracht wurde. Leider hatte mein Namensvetter den Mercedes bar bezahlt und die Beschreibung dieses Mannes hätte auf die Hälfte der männlichen Bevölkerung in Italien zutreffen können, somit hatte sich meine Inspiration als Sackgasse erwiesen. Direkt einen Besuch bei Gondoni zu wagen, hielt ich momentan für zu riskant, zuerst wollte ich die Idee von Carmen aufgreifen und tatsächlich einen Brief an meinen Anwalt schicken, obwohl ich dadurch kaum sicherer war und einzig das Gefühl hatte, etwas vorgesorgt zu haben. Also schnappte ich mir ein Taxi und fuhr in mein Hotel, doch noch in der Lobby änderte ich meine Pläne kurzfristig und begab mich mit den Kopien aus dem Safe zur Museumsverwaltung der Uffizien. Hier hatte ich nach einigen Schwierigkeiten das Glück, einen Praktikanten zu finden, den ich soweit mit diesen Sachen beeindrucken konnte, daß er mir für einige Minuten einen Einblick in die Akten gewährte, obwohl sicher meine Geldscheine einen größeren Anteil an seiner Kooperation hatten, doch das war eine gute Investition, die mich ein Stückchen voranbrachte. Zuerst war ich enttäuscht, weil nur die in meine Hände gelangte Nummer der Quittung aus dem Kompaß als Name des Besitzers aufgeführt war, aber ich wurde auf eine Randnotiz vom letzten Jahr aufmerksam, die besagte, daß für routinemäßige Restaurierungsarbeiten ein Mitarbeiter namens P. Pasquini die Vase für kurze Zeit in Verwahrung genommen hatte. Natürlich frage ich den Jungen sofort über diesen Restaurator aus, jedoch wußte er nicht viel über ihn, allerdings das was er sagte reichte mir, denn offenbar wurde Patrizio Pasquini einige Tage nach dem Zeitpunkt der Eintragung ermordet in seiner Wohnung aufgefunden. Hat man ihn wegen der Vase umgebracht? Es erschien mir möglich und mich schockierte dieser Zusammenhang mehr, als ich erwartet hatte. Natürlich war mir seit der Aktion von Gondoni klar, wie hoch der Einsatz für mich sein konnte, doch dann unvermittelt auf einen Mord zu stoßen, der offensichtlich ins Bild passen könnte, nahm mir den letzten Rest an spielerischer Leichtigkeit, mit dem ich an diese Geschichte herangegangen war. So begab ich mich sehr nachdenklich wieder auf die Piazza und erreichte nach wenigen Minuten Fußweg mein Hotel. Der Concierge lächelte mich nur komisch an, möglich, daß er durch meinem etwas derangierten Anzug auf eine lange Nacht mit amourösem Ausgang tippte – meine Nacht war jedoch ganz anders gewesen, als er sich das vorstellte. Routinemäßig erkundigte ich mich nach etwaigen Nachrichten, während ein unauffälliger Blick von mir aufmerksam in der Lobby umherwanderte und obwohl ich nichts Verdächtiges sehen konnte, bekam ich dann während meines Weges nach oben wieder dieses Ziehen im Nacken, das mich warnte, obwohl es nach diesen Anstrengungen diesmal auch nur ein verspannter Hals sein konnte. Nichtsdestotrotz betrat ich vorsichtig mein Zimmer und war beinahe enttäuscht, daß niemand dort sein Unwesen getrieben hatte. Nicht, daß ich darauf stand, wenn jemand in meinen Sachen wühlte, aber felsenfest hatte ich diesen Schritt erwartet und war 66
enttäuscht über meine Fehleinschätzung, die tief an meinem Ego nagte. So rief ich etwas frustriert den Portier an, der mich für einige Zeit verleugnen sollte, und mußte erst einmal aus meinen Klamotten raus, denn durch ein ausgiebiges Bad wollte ich erst einmal zur Ruhe kommen und entspannt die neuen Fakten ordnen. Also machte ich mir ein üppiges Schaumbad, das wohltuend nach Lavendel roch, so daß der perlende Schaum an einigen Stellen schon über den Rand quoll, denn offensichtlich war ich bei der Dosierung etwas zu großzügig gewesen, aber ich war mir sicher, daß der Hotelmanager mir das nicht ankreiden würde. Ein müdes, zerknittertes Gesicht betrachtete mich im Spiegel und ein spöttischer Ausdruck zeugte dabei von zu wenig Respekt. Langsam glitt ich in das angenehm warme Wasser, das meine Lebensgeister wieder mobilisierte und die perfekte Abrundung des Ganzen würde jetzt in einer Massage bestehen, aber ich zog es vor, alleine zu bleiben und einfach nur die Wärme in mir aufzunehmen, die ein angenehmes Kribbeln auf meiner Haut erzeugte. Heißer Dampf lies die Spiegel beschlagen und ich fühlte, wie meine Gedanken etwas Verbotenes taten und zu Anne abglitten, ihre... nanu, was war das? Meine Badezimmertür war nur angelehnt und so hörte ich deutlich das Schnappen meines Zimmerschlosses. Urplötzlich wurde mir bewußt, daß meine erbeutete Waffe immer noch versteckt war und ich wehrlos in der Badewanne saß und auch wenn jetzt das Zimmermädchen kommen würde, wäre dies eine sehr prickelnde Situation, doch um diese Zeit kam nie das Zimmermädchen, was es mehr als prickelnd machte. Einen Augenblick überlegte ich, ob mir meine Einbildung nur einen Streich gespielt hatte, aber nach meinen letzten Erfahrungen mußte ich wohl eher annehmen, daß draußen ein Besucher ohne freundliche Absichten herumlief und immer noch saß mir der Schreck in den Gliedern – aber nackt und unbewaffnet war ich am gefährlichsten, denn ich hatte schließlich mein Hirn dabei und eine gute Idee dazu, die zwar aus der Not entstand, aber offenbar meine einzige Chance momentan darstellte. Deshalb bereitete ich unverzüglich alles für meinen improvisierten Plan vor, machte noch mehr Schaum und fing lauthals an, ein Liedchen zu trällern. Leider vertrieb meine miserable Stimme den Eindringling nicht, der Sekunden später in einem langen schwarzen Mantel und mit vorgehaltener Waffe mein Badezimmer betrat, was meine schlimmsten Befürchtungen bestätigte. Es war der kleine, flinke Typ aus dem Dom, den meine Kerze komplett außer Gefecht gesetzt hatte und ich glaubte, auch jetzt noch den Ärger darüber in seinen Augen erkennen zu können, als er die Pistole genau auf meine Stirn richtete, „He, Stronzo!“ Selbstverständlich tat ich sehr überrascht und eine gewisse Skepsis über den Verlauf der nächsten Minuten brauchte ich nicht vorzutäuschen, was meinen Gesichtsausdruck dazu passend machte, „Los, steh auf“, natürlich folgte ich der Aufforderung, dabei war glücklicherweise mein ganzer Körper mit Schaum bedeckt, der aber langsam anfing, an mir herunterzugleiten. „Jetzt werden wir noch plaudern, du Sohn einer dreckigen Schlampe und dann mach ich dich fertig! Du glaubst nicht, wie sehr ich mich auf ein Wiedersehen mit dir gefreut habe, um mich für unser letztes Treffen revanchieren zu können“, ein Grinsen erschien 67
in seinem Gesicht, das alle Zweifel über die Ehrlichkeit seiner Worte zerstreute. Mit der Waffe winkte er und ich verließ nach dieser Aufforderung die Wanne mit erhobenen Händen, dabei war klar, daß ich an ihm vorbei in das Zimmer gehen sollte, weshalb er etwas zurücktrat, damit ich durch die Tür gehen konnte. In dem Augenblick, wo nur wenige Zentimeter uns trennten, lief dann alles blitzschnell ab. Ich simulierte mit einer ausladenden Bewegung, daß ich auf dem glatten Boden ausrutschte, wobei ich „ungeschickterweise“ die Waffe aus meiner Schußrichtung schlug, da ich keine Möglichkeit sah, mit meinen glitschigen Händen den Arm greifen zu können und hielt ihm Sekundenbruchteile später eine Hand direkt an den Hals, während die andere gut sichtbar vor seinem Gesicht schwebte. Rechtzeitig, bevor er die Waffe wieder auf mich gerichtet hatte, erkannte er die Gefahr, weil meine beiden Hände nicht leer waren, sondern den blinkenden Stahl von zwei Rasierklingen festhielten, die bisher zwischen den Fingern versteckt und vom Schaum getarnt waren und nun in der Badezimmerbeleuchtung funkelten. Es war schon immer sehr praktisch gewesen, ein Bad und eine Rasur miteinander zu verbinden, auch wenn sich das heute auf eine ganz andere Weise bestätigte. Ungläubig starrte er auf das tödliche Metall und ich legte auch noch die zweite Klinge genüßlich an seine Halsschlagader an, „So du kleine Ratte, wenn du auf mich schießt, habe ich noch alle Zeit der Welt, dich mitzunehmen, was soll’s nun werden?“ Für ihn kam das alles scheinbar zu überraschend, denn er war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen. „Du weiß was jetzt kommt, Kleiner, leg’ die Waffe auf das Waschbecken, aber schön langsam, sonst gibt es eine kostenlose Trockenrasur von mir und das solltest du dir in deinem eigenen Interesse nicht antun“ Das Reaktionsvermögen war noch da, er legte irritiert seine Pistole ab und ich drehte ihn langsam zur Wand, so daß meine Hand zum Becken reichte und ich mich einige Sekunden später bewaffnet viel wohler fühlte. Wo ein Idiot war, konnte der andere Trottel nicht weit weg sein, „He, Kurzer, wo ist denn dein Freund mit dem kaputten Kinn?“, dabei drückte ich ihm die Mündung in den Rücken, um die Antwort zu beschleunigen, die aber kam nicht und im Spiegel sah ich seinen zornigen Blick, also mußte ich mir auf eine andere Art Respekt verschaffen, wenn ich nicht bis Ostern hier warten wollte. Ganz sachte setzte ich die Klinge an seinem Ohr an „Wenn du sowieso nicht hören kannst, dann brauchst du diese Dinger auch nicht, oder?“ Das wirkte ganz gut, auch wenn es einen Moment dauerte, „Emilio ist draußen im Flur und paßt auf,... bitte töte meinen Bruder nicht!“ Vielleicht hätte mich sein Familiensinn gerührt, wenn ich nicht vorher seine Sprüche gehört hätte, die kaum etwas Fürsorgliches an sich hatten und nur noch vom Selbsterhaltungstrieb zeugten. „Wissen eure Eltern eigentlich, was ihr hier anstellt? “, ich hoffte, später seine Sorge um den Bruder zur Preisgabe einiger Informationen nutzen zu können, und führte ihn in das Zimmer, wo er sich erst einmal die Jacke ausziehen mußte. Sein Name war Mario, wie ich zwischenzeitlich mitbekam und mit zwei Gürteln verschnürte ich den Kerl an Armen und Beinen ließ ihn auf dem Boden liegen. Als ich mich selbst wieder angezogen 68
hatte, griff ich seine Jacke, die mir aber zu klein war, weshalb ich nur den Arm in den Ärmel steckte und mit entsicherter Waffe vorsichtig die Zimmertür öffnete. Kein Mensch war dort, also hielt ich jetzt den Arm aus der Tür, damit er auf dem Flur gesehen werden konnte und winkte solange, bis sich Schritte ausmachen ließen, worauf ich wieder im Zimmer verschwand. Es dauerte nur wenige Augenblicke, da spazierte Emilio mit einem Lächeln herein, das aber sofort abbröckelte, als er sah, wie ich seinem Bruder die Mündung der Sig 9mm an die Schläfe hielt, „Komm rein und mach die Tür zu, es zieht“ Innerhalb einiger Minuten, war auch er entwaffnet und mit seinem Gürtel fest verschnürt und so standen jetzt beide etwas verdattert vor mir. „Mario? Wir wollten doch etwas plaudern, also ich höre..., ah! Ihr scheint keine Fragen mehr zu haben, das trifft sich gut, denn bei mir ist das anders. Wer seid ihr und wer schickt euch?“ Beide starrten nur in die Luft, aber niemand sagte etwas. Diesem Mario mit der Rasierklinge etwas Angst zu machen war eine Sache, aber zwei wehrlose Kerle zusammenzuschlagen und zu foltern, das war nicht mein Stil. Allerdings war ich auch nicht Mutter Theresa und die beiden hätten sicher an meiner Stelle nicht gezögert, mich umzubringen – das gab schließlich den Ausschlag für mich, etwas direkter vorzugehen. In dem Moment glaubte Emilio, der nur an den Händen gefesselt war, eine Chance zu sehen, mich zu erledigen, und er machte einige Schritte mit seinem schweren Körper auf mich zu, um mich einfach umzurennen. Unglücklicherweise war er nicht schnell genug und ich hatte zuviel Zeit um zu reagieren, so wollte ich eigentlich mein Bein hochreißen, um ihn am Brutkorb zu erwischen, doch das unangenehme Ziehen im Oberschenkel erinnerte mich an meine Zerrung und so drehte ich mich nur ab und gab ihm dabei noch einen zusätzlichen Schwung als wir uns berührten, worauf er nicht sehr gekonnt über einen Stuhl fiel. Da er sich nicht mit den Händen abstützen konnte, erwischte es ihn wieder am Kopf, einem definitiv untergeordneten Teil seines Körpers, und ein dumpfer Schlag erklang, als er damit die Stärke der Wand testete. Mario schaute erschrocken seinen Bruder an, doch als er merkte, daß der nur bewußtlos war, wurde er wieder ruhiger und blieb auf meine wiederholten Fragen genau so schweigsam wie vor dem Zwischenfall. Ich verlor langsam meine Geduld und beschloß, die einzige Schwachstelle auszunutzen, die mir von Mario bekannt war, sein Bruder. Dazu fesselte ich Emilio noch die Beine und schleppte ihn mühsam ins Bad, wo er mit dem Gesicht nach unten von mir in die Badewanne gelegt wurde. Dann holte ich den zweiten Bruder und setzte ihn daneben auf die Kloschüssel, damit er einen Logenplatz hatte, um alles gut verfolgen zu können, ganz besonders den Augenblick, in dem ich den Wasserhahn ohne eine Miene zu verziehen aufdrehte, „So, nun werden wir ja sehen, was dir deine Verwandschaft wert ist. Wenn er absäuft, ist das deine Schuld. Also mach dir schleunigst Gedanken, ob du reden willst oder nicht“ Sehr langsam ließ ich lauwarmes Wasser in die Wanne laufen und Emilio begann dadurch wieder munter zu werden. So griff ich einen Lappen und steckte ihm ihn in 69
seinen Mund, weil ich sonst befürchten mußte, daß er mir die ganze Etage zusammenbrüllen würde. Mario schaute mich fassungslos an, doch immer noch hatte er nichts zu sagen, aber ich merkte, wie er mit sich rang, als er seinem Bruder zusehen mußte, der sich in der Wanne wie ein Aal wand, ohne die Möglichkeit zu haben, an den glatten Wänden einen Halt zu finden. Endlich brach er sein Schweigen und während ich schnell das Wasser abdrehte, um nun innerhalb kurzer Zeit einige interessante Antworten zu erhalten, glaubte ich, daß meine Erleichterung über diese Entscheidung, der seines Bruders in nichts nachstand. Wie vermutet waren Emilio und Mario kleine Gelegenheitsgangster, die aus Sardinien kamen und sich mit Überfällen und Einbrüchen über Wasser hielten. Den Auftrag mich betreffend erhielten sie von der Fortunati Familie, die scheinbar recht groß im organisierten Verbrechen tätig war und erfolgreich mit legalen Firmen ihre Machenschaften verschleierte. Der „Firmensitz“ der Familie war das „Castello di Montana“, einem Weingut mitten in der Toskana, von dem aus die Fäden gezogen wurden. Man hatte die beiden Sarden erst vor kurzem in die „Familie“ aufgenommen und es war der erste große Job, den sie erledigen sollten. Beim ersten Versuch im Dom sollte ich noch entführt werden, heute wollte man mich jedoch mit allen Mitteln nach dem Besitzer der Vase ausquetschen und dann unter allen Umständen töten, auch wenn ich geschwiegen hätte. In diesen Kreisen informierte man seine Handlanger natürlich nicht, also blieb das Motiv von Paulo Fortunati, dem Chef des Syndikats, im Dunkeln und mit Spekulieren wollte ich mich nicht lange aufhalten. Meine Sympathiewerte schienen stark nach unten zu gehen, zwei Mordversuche innerhalb weniger Stunden und niemand sagte mir, womit ich mich so unbeliebt gemacht hatte. Mit der Nennung des Castello wußte ich recht sicher, daß sie nicht gelogen hatten, vielleicht verschwiegen sie noch etwas, aber ich konnte nicht ewig so weitermachen und beschloß sie laufen zu lassen. Es sah so aus, als hätte ihre Verbrecherkarriere in dieser Gegend ein jähes Ende gefunden, niemand versaut zweimal hintereinander denselben Auftrag und kommt ungeschoren davon. Ich war mir sicher, daß die beiden soviel Intelligenz besaßen, um die einzig logische Konsequenz daraus zu ziehen und sich aus dem Staub zu machen. Nachdem ich Emilio aus der Wanne geholfen hatte und die Fesseln der beiden löste, drückte ich ihnen noch etwas von ihrem eigenen Geld in die Hand, damit sie leicht von hier verschwinden konnten. Doch kein Wort des Dankes hörte ich, nur leise Flüche kamen über ihre Lippen, als sie wie begossene Pudel abzogen und ich hoffte in ihrem Interesse, daß sie nach Sardinien zurückkehrten, um sich vor Fortunati nicht verantworten zu müssen. Das war allerdings ein gutes Stichwort, denn auch ich sollte schnellsten von hier verschwinden, um erstmal in Australien die Spur des Herrn Biedermann aufzunehmen, mit hoffentlich mehr Erfolg und mehr Antworten auf das, was um mich herum passierte.
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So ging ich in die Lobby, damit mir der Concierge den nächsten Flug nach Deutschland buchen konnte und lief hinterher zu dem Café an der Piazza Signoria, um die Waffe zu holen, die ich dort im Spülkasten versteckt hatte. Irgendjemand würde sie garantiert in den nächsten Tagen finden und gestern hatte ich nicht daran gedacht, meine Fingerabdrücke von der Beretta zu entfernen, so fürchtete ich, daß es mit dem richtigen Computer sicher kein Problem war, aus den alten Akten eine Verbindung zu mir herzustellen und darauf war ich sicher nicht scharf. Nachdem ich zweimal vergeblich versuchte, in die Kabine zu kommen, weil ein dicker Holländer die italienische Küche nicht vertragen hatte, kam ich endlich dazu, den Kasten zu öffnen und erholte mich schnell von dem Schreck, denn anstatt der Pistole fand ich einen Plastikbeutel vor, dessen Inhalt ein Zettel und der Schlüssel für ein Bankschließfach war. Die schriftliche Notiz war einfach und klar, offensichtlich sollte ich eine bestimmte Bank aufsuchen und als Codewort meinen Geburtstag benutzen, um so den Zugang zum Schließfach zu erlangen. Es war eine einfache und effektive Methode, um zu verhindern, das jemand, der nur zufällig den Beutel entdeckt hätte, damit etwas anfangen könnte, dazu noch recht ungewöhnlich – aber was war an dem heutigen Tag schon gewöhnlich gewesen. Eine halbe Stunde später stand ich in einem gepanzerten Schließfachraum und benutzte den Schlüssel. In der Stahlkassette fand ich die Beretta, mit einer wohl nicht ganz ernstgemeinten Notiz - „Reinigen und Ölen nicht vergessen, Herr Kronau“ Es schien sich um einen Spaßvogel zu handeln, der allerdings in diesem Punkt nicht unrecht hatte. Ein weiterer Umschlag hingegen erwies sich als nicht sehr spaßig, denn ich fand Grundrißzeichnungen, die vom Castello di Montana stammten, dazu noch einige Fotos und eine Wegbeschreibung. Eine markierte Stelle in dem Hauptgebäude war scheinbar ein Arbeitszimmer, in dessen Nordwand der Einstieg zu einem Geheimgang war, der zu einem kleinen Raum führte, wo sich laut eines kleinen Zettels ein Safe befinden mußte, den man mit Hilfe der beigefügten Kombination leicht öffnen konnte. Ich las die Rückseite dieses Zettels und nach einer Minute war mir klar, daß sich meine Reisepläne geändert hatten und das nicht ganz freiwillig, denn für das genaue Datum in der Nacht von Dienstag zu Mittwoch hatte ich die folgenden klaren Anweisungen bekommen - „Beschaffen Sie die Akte „Operation Hagen“ – absolute Geheimhaltung, Ihr Leben hängt davon ab. Ein Kontaktmann wird sich mit Ihnen in Verbindung setzten. P.S. Sollten Sie zweifeln, wir wissen alles über Peru! Der Lotse“ Offenbar wußte jemand mehr, als mir lieb sein konnte, und für denjenigen sollte ich in das Hauptquartier eines Verbrechersyndikats einbrechen. Tja, der Tag fing mit dem Höhepunkt an und ließ dann ganz stark nach, aber wenigstens kam die Sache ins Rollen, wohin allerdings, das konnte ich noch nicht klar erkennen. Diesmal war der Flug ereignislos und ich kam unbeschadet und ohne aufdringliche Reisebekanntschaft, dafür aber mit neuen Fragen, in Berlin an. 71
Sicher war das Castello auch ein lohnendes Ziel, doch daß mich jemand als Marionette benutzte ging mir gegen den Strich, und ich fand wieder einmal die Bestätigung dafür, daß einen die Vergangenheit schneller einholen konnte, als man dachte. Allerdings war ich nicht allzu unglücklich über diesen Auftrag, schließlich schien er mit der ganzen Sache zu tun zu haben, und ob mich nun eine Reise nach Australien oder der Weg zurück nach Florenz der Lösung etwas näher brachte, das sollte mir vorerst egal sein. Zudem konnte ich auch nicht Carmens Rat befolgen und eine bestimmte Person vergessen, die sich dort aufhielt, weshalb in mir die Hoffnung keimte, Anne vielleicht doch noch einmal wiederzusehen. Meine Wohnung gab mir erst einmal das Gefühl von Geborgenheit und ich machte den Fernseher an und legte eine CD ein, die mich beschallte, als ich dabei war, mir einen grünen Tee zu bereiten, der in einer Büchse mit der Beschriftung „Gunpowder“ auf seine Bestimmung wartete – das Getränk schien mir im Moment genau richtig zu sein. Wenn ich für unbestimmte Zeit weg war, schaltete ich nie den Anrufbeantworter ein, aber ich wußte ja, wo ich nur anrufen brauchte, um mich wieder auf den neuesten Stand zu bringen, „Hallo Conny, noch so spät bei der Arbeit?“ „Oh, der verlorene Sohn ist auch wieder im Lande. Hast du dich gut amüsiert?“ „Ach ja, das Übliche, du weiß ja, wie das so ist. Warst du fleißig und hast was Neues für mich?“ „Soso, jetzt verstehe ich, woher der Wind weht. Du hast also keine Sehnsucht nach mir, sondern ich soll dir wieder einmal nur helfen“ „Aber natürlich habe ich Sehnsucht, doch seitdem du mit deinem neuen Freund zusammen bist, da ist doch der Zug für mich abgefahren und jetzt weine ich mich jede Nacht in den Schlaf“, ich wettete gerade mit mir, daß sie jetzt rot wurde. „Lügner! Also paß auf und setz dich, ich habe ein wenig Material für dich. Fangen wir mal mit dem U-Boot an...“ Nach kurzer Zeit ergab sich für mich folgendes Bild über U-113 - Es wurde als eines von vier Schiffen im Januar 1939 bei der AG Weser in Bremen in Auftrag gegeben, aber nie in Dienst gestellt, denn im September des gleichen Jahres wurden die Vorbereitungen an der kleinen Flottille zurückgestellt und die endgültige Stornierung zum Bau erfolgte im Mai 1940. Die vier U-Kreuzer vom Typ IXB existierten also überhaupt nicht. War es möglich, daß jemand von der Werft sich einen der schon vorhandenen Ausrüstungsgegenstände als Souvenir eingesteckt hatte? So gab es einen Kapitän ohne Schiff und einen alten Kompaß in meinem Arbeitszimmer, der normalerweise nicht dort sein dürfte. Parallel schickte mir Conny die Daten per Mail, so auch den Internetlink zum Weingut vom Castello di Montana mit seinem Chianti, mehr war im Augenblick nicht zu bekommen, denn Biedermann, Gondoni und Almera waren bis jetzt eine Fehlanzeige. Dafür setzte ich Paulo Fortunati auf die Liste, genauso wie den toten Restaurator Pasquini, vielleicht ein sinnloser Versuch, der jedoch nicht schaden konnte. „..., aber es wäre schön, wenn du etwas finden würdest, Conny“ 72
„Ich nehme an, du brauchst es schon gestern, oder? Was würdest du nur ohne mich machen?“ „Sicher eine Andere ärgern, aber bei dir macht es am meisten Spaß. Danke noch einmal, ich rufe dich an, Tschüss“ „OK, aber nicht so spät, ich habe auch noch ein Privatleben, bye“ Nachdem auch diese Informationen nicht gerade zu einer weitreichenden Erleuchtung geführt hatten, trank ich meinen kalten Tee und mußte jetzt jemanden anrufen, dem ich unbedingt vertrauen konnte und der frei über seine Zeit verfügen konnte, Bernd. Ihm gehörte der „Club Thirty“, einem der angesagtesten Dancefloors in der Stadt, wo er fast immer anzutreffen war, mit schwarzer Musik und bunten Cocktails, welche eine grazile Jamaikanerin namens Sheela mit ihren zierlichen Händen zauberte, die im Laufe der Zeit an meinem Gesichtsausdruck den erwünschten Alkoholgehalt meiner Bestellung ablesen konnte. Ein schlechtes Gewissen hatte ich schon, denn das Attentat, das ich plante, konnte ich ganz bestimmt nicht jedem zumuten, aber ich wußte, daß ich mich in dem Fall auf ihn verlassen konnte. Seine Rolle war ganz einfach, er sollte mich mit dem Jeep nach München fahren und ich würde versuchen, während der Fahrt den Schlaf nachzuholen, der mir schon jetzt fehlte. Der Rest war dann ganz einfach, er bekam von mir einen Rückflug erster Klasse nach Berlin und ich hatte keinen Zeitverlust, um pünktlich am Castello di Montana zu sein und mir selbst noch einen Eindruck des Geländes zu verschaffen. Doch der Preis war höher als erwartet, zuerst sträubte er sich, weil seine Frau ihn sowieso viel zu wenig sah und das würde wohl wieder Ärger mit Nicole geben. Selbst wenn ich ehrlicherweise einen Großteil der Schuld auf meine Kappe nehmen würde, bliebe es für ihn ein gefährliches Vorhaben. Aber nachdem ich versprochen hatte, die beiden zu einem romantischen Wochenende nach Paris einzuladen, war ein überzeugendes Argument gefunden, um seine Frau damit besänftigen zu können. Das Problem war aus der Welt geschafft, ich atmete erstmal durch und begann, den Rest meiner Vorbereitungen zu erledigen, damit ich bis dreiundzwanzig Uhr fertig war, um Bernd im Club abzuholen. In der Tiefgarage fristete mein schwarzer Geländewagen unter einer Plane schon einige Zeit sein Dasein, denn hauptsächlich hatte ich ihn für spontane Campingtouren oder den Angelausflügen mit den Jungs benutzt, wo sich die Größe des Gefährtes als praktisch erwiesen hatte. Jetzt mußte er für eine Aufgabe ganz anderer Natur ausgerüstet werden und ich überlegte sorgsam, was mitzunehmen sei. Der Schlafsack war noch im Wagen, dazu eine Plane in Tarnmuster und der Spirituskocher, allerdings nur für den Notfall, denn ich hielt es für ein Verbrechen, in Italien etwas aus der Büchse zu essen. Ein altes Nachtsichtgerät, das ich günstig erworben hatte, kam dazu, der altmodische Handkompaß und ein GPS-Gerät, das ich zum Segeln brauchen würde, sobald ich irgendwann einmal das Boot fertigbekommen sollte. Zum Abschluß natürlich das um Aspirin erweiterte Erste-Hilfe-Set, plus meinem Notizbuch zum Schreiben. Der Rest lag noch in dem Schließfach in Florenz, darunter auch die Waffen und die Munition. 73
In den letzten Jahren mußte ich nicht oft damit umgehen und es war jedesmal ein merkwürdiges Gefühl, das mich dabei beschlich, doch war mein Verhältnis dazu im Grunde praktischer Natur, denn in den Zeiten, in denen ich es mit einer mordgierigen, blutrünstigen Bande zu tun hatte, war es leider nie ein logisches Argument gewesen, das mich vor dem Tode gerettet hatte. Die Zeit wurde langsam knapp und ich suchte noch einige Klamotten zusammen, da klingelte plötzlich mein Telefon. Es war recht spät am Abend, aber nicht zu Ungewöhnlich, daß ich mir Sorgen darüber machte, doch das änderte sich, als ich die Stimme am anderen Ende hörte, „Buona sera, Signore Kronau, hier ist Benedetto di Gondoni aus Florenz, Sie werden sich sicher erinnern“ War meine Rechnung also doch noch aufgegangen. Jetzt mußte ich mit dem Verstand arbeiten und listig sein, gespannt erwartete ich wie er sich verhalten würde, „Ja, natürlich erinnere ich mich an Sie, Signore di Gondoni“ „Sie sind so überstürzt abgereist, genau wie Signora LeClaire, sie ist leider unauffindbar. Hat Ihnen denn der Abend nicht gefallen?“ Der alte Mann wollte mich gerade schön leimen, aber er konnte nicht wissen, daß mir sein Plan von vorgestern bekannt war. Also stellte er sich offensichtlich dumm und heuchelte seine Worte in das Telefon, doch dafür hatte er sich aber den Falschen ausgesucht, denn ohne arrogant zu sein hielt ich mich für den Profi im Geschichtenerzählen und begann auch sofort damit, „Stellen Sie sich vor, Florenz ist auch nicht mehr das was es einmal war, wir sind auf dem Weg ins Hotel überfallen worden“ „Nein, das ist ja schrecklich, Signore Kronau, dann kann ich natürlich verstehen, daß Sie abgereist sind, aber wie haben Sie denn den Überfall überstanden?“, er machte das ganz gut, wenn ich nicht gewußt hätte, was dahinter steckt, wäre er bei mir damit durchgekommen. „Nur durch Zufall, Signore di Gondoni, nur durch einen günstigen Zufall. Es sind den Verbrechern, die uns gefesselt haben, zwei Kerle gefolgt, die offenbar den Mercedes stehlen wollten, und es gab daraufhin eine wilde Schießerei, bei der ich mich befreien konnte. Die Autodiebe sind dann geflüchtet, nachdem sie die Entführer erschossen hatten“ Die Pause am anderen Ende war länger als nötig, um zu antworten, scheinbar war Gondoni nicht ganz sicher, was er von meiner Geschichte halten sollte, „Das nenne ich wirklich einen Zufall, Signore Kronau, so etwas habe ich selten gehört. Haben Sie denn die Angreifer gesehen?“ „Nein, leider nicht genau, dafür war es zu dunkel und Sie werden sicher verstehen, daß ich den Männern nicht gefolgt bin“ „Selbstverständlich verstehe ich das, trotzdem, es ist wirklich eine unglaubliche Geschichte“ Selbst für mich war die Story zu dünn und ich mußte mich bemühen, ihn vom Kern der Sache abzulenken, „Da haben Sie vollkommen recht,... aber um von diesem unerfreulichen Thema wegzukommen muß ich sagen, daß ich Ihren Plan durchschaut habe, Signore di Gondoni“ 74
„Ah... bitte? Was haben Sie?“ „Ich meine den Plan mit dem schwarzen Mercedes, der Wagen mit dem ich Signora LeClaire in das Hotel fahren sollte, das werden Sie doch nicht vergessen haben?“ „Nein... Ah, der Mercedes, so...“ „Ich fand die Überraschung sehr gut, was meinen Sie, wie erstaunt ich war, als mir im Handschuhfach die Papiere in die Finger gekommen sind und mir klar wurde, daß Sie den Wagen extra für mich gemietet hatten, damit ich in Florenz mobil bin. Geben Sie es ruhig zu, Sie wollten mich damit bestechen, um den Namen des Besitzers aus mir hervorzulocken, stimmt’s?“ Mir war, als hörte ich auf der anderen Seite das Poltern eines Gebirgsmassivs, „Ja..., Ja genau, Signore Kronau, Sie haben mich doch tatsächlich durchschaut. Ich bin sehr überrascht, daß Sie es herausgefunden haben“ „Signore di Gondoni, leider habe ich beinahe ein schlechtes Gewissen wegen der Sache, schließlich haben Sie sich so viel Mühe gemacht und ich bin einfach abgereist. Sie müssen aber verstehen, daß ich nach dem Überfall etwas Ruhe brauche und mich jetzt in die Einsamkeit zurückziehen werde, um wieder zu mir zu kommen“ „Natürlich verstehe ich das, es ist ja auch ein schreckliches Erlebnis, wohin wollen Sie denn?“ „Ach, es gibt da einen abgelegenen See in Schweden, dort werde ich mich beim Angeln etwas erholen“ „Im Februar? Ist das nicht etwas kalt?“ „Ich liebe das Eisangeln, Signore di Gondoni. Das Wasser ist klar und man muß nicht im Trüben fischen“ „Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg, vielleicht könnten Sie mir noch zwei Gefallen tun, bevor Sie abreisen. Ich gebe Ihnen eine Telefonnummer von mir, sollten Sie mit dem Inhaber der Vase gesprochen haben, dann melden Sie sich doch umgehend bei mir, desgleichen bitte ich Sie mir eine Nachricht zu geben wie es Diana LeClaire geht, wenn sie sich bei Ihnen melden sollte“ „Natürlich, das mache ich doch sehr gerne, es ist sehr aufmerksam von Ihnen, das Sie so besorgt um uns sind, so etwas findet man selten heutzutage“ Wir verabschiedeten uns freundlich, nachdem ich mir seine Handynummer notiert hatte, und jeder Teilnehmer dieser Konversation war überzeugt, den anderen richtig schön eingeseift zu haben, worauf mir ein Ausspruch von Roberto einfiel, einem Mann, der mich in den Anden in Taktik unterrichtet hatte, und dabei die nervende Angewohnheit hatte, kleine Verse aus seinen Weisheiten zu dichten, damit man sie bloß nicht vergessen konnte, „Mach dich kleiner, wie du bist, wirst du sicher nicht vermißt, stehst du auf dann imposant, wird der wahre Mann erkannt“ Meine Übersetzung war künstlerisch kaum gelungen, aber wie bei allen Sachen im Leben, kam es auf den Inhalt an. Gondoni schien erstmal zufrieden, jedenfalls hatte ich ihm einen guten Grund geliefert, mich vorerst zu unterschätzen, und ich ging nun davon aus, daß ich jetzt den Rücken frei hatte, um mich ungestört dem Castello di Montana zuwenden zu können. 75
Sicher hatte ich mir damit nur einen Aufschub verschafft, doch die gewonnene Zeit wollte ich sinnvoll nutzen. Alle Sachen waren verstaut und ich fuhr Richtung City, der abendliche Berufsverkehr war schon längst vorbei und so ging es recht schnell voran. Ich parkte den Wagen auf dem dafür vorgesehenen Mittelstreifen der breiten Straße, unweit des Strausberger Platzes, wo man tagsüber nur mit Mühe einen Platz fand. Die hellerleuchtete Fassade zog das Auge auf die mehrstöckige Fensterfront und so betrachtete ich einen Moment den Kontrast zu dem dunklen Nachthimmel, der nur durch die Straßenbeleuchtung verwischt wurde. Es hatte Vorteile, wenn man den Chef kannte, so schob ich mich an der Schlange vor dem Eingang vorbei, erwiderte den kurzen Gruß des zwei Meter großen Türsteher, der mich vom Sehen kannte und begab mich direkt nach oben zur runden Bar, in deren Mitte ein Rondell aus Messing und Holz stand, indem sich die Flaschen langsam wie in einem Postkartenständer an den Barkeepern vorbeidrehten. Hier halfen mir meine Beziehungen jedoch überhaupt nicht weiter und ich mußte etwas warten, bis Sheela mir einen Drink zusammengezaubert hatte, der ungewöhnlich gehaltvoll war, scheinbar sah ich im Moment sehr bedürftig aus. Solange Bernd noch zu tun hatte, nippte ich am Glas und beobachtete die Leute, junge Mädchen die einen alten Kerl so heiß machten, daß ihm die Fliege rotierte, oder ein Macho, der sich wechselweise um zwei Frauen kümmerte, ohne daß die beiden etwas von der jeweiligen Konkurrentin mitbekamen, da war es wohltuend, auch mal ein ganz normales Pärchen zu sehen, das einfach nur miteinander glücklich war. Überall sah man die Varianten des gleichen Spiels, der Suche nach Glück und Liebe, doch wo man sie fand, konnte niemand wissen – gezielt in einer Bar, oder zufällig in einem Café in Florenz. Wir fuhren in die kalte Nacht hinein und aus der erleuchteten Stadt hinaus, so dauerte es nicht lange und ich fand mich in unruhigen Träumen wieder, die aber zum Glück bald in einem tiefen Schlaf zerstoben. Ich hatte einige Stunden im Wagen geschlafen, langsam konnte man in der aufkommenden Dämmerung die Alpen am Horizont erkennen. München lag vor uns, noch eine halbe Stunde bis zum Flughafen und aus dem CD – Player erklang gedämpfte Schmusemusik, die es mir schwer machte, wieder richtig wach zu werden. Zudem waren meine Beine eingeschlafen, mit den Verrenkungen meiner Zehen versuchte ich langsam, wieder das Blut zirkulieren zu lassen und der fade Geschmack in meinem Mund mußte demnächst unbedingt beseitigt werden. Die Straßen waren zum Glück freigeräumt, aber an den Rändern lag immer noch der weißgraue Schnee, den die Sonne noch nicht in Wasser verwandeln konnte. Was ich an Bernd schätzte, war sein absolutes Desinteresse an der ganzen Aktion, wenn ich reden wollte, dann wußte er, daß ich dies tun würde, und da ich schwieg, akzeptierte er dies und wir quatschten einfach über alte Geschichten, die immer noch nicht einen Hauch an Komik verloren hatten. Die Verabschiedung war kurz und herzlich, ich fuhr nun alleine weiter und hatte immer noch das Gefühl, viel zu wenig geschlafen zu haben, aber nach einer kurzen Rast 76
und einem Kaffee, der so stark war, daß mir fast schlecht wurde, ging es merklich besser. Schneebedeckte Felswände erhoben sich auf beiden Seiten der Autobahn und parallel schlängelte sich der Inn in seinem Flußbett, das von Unmengen an Geröll durchzogen war. Der Weg ging durch die imposante Felsenlandschaft und je höher mein Wagen kam, desto mehr Schnee verdeckte das Gebirge, das teilweise von Dunst und Nebel eingehüllt war. Schlimm wurde es noch einmal, als ich die Dolomiten verließ und Verona vor mir lag – so stieg ich aus, die samtweiche, kühle Luft und der klare blaue Himmel ließen mich schnell wieder wach werden und ich fuhr dann über Bologna und Modena, um endlich die Toskana zu erreichen, die sich seit gestern nicht verändert hatte. Wieder führte mich mein Weg nach Florenz, aber diesmal versuchte ich, so schnell wie möglich die Stadt wieder zu verlassen, jetzt durch einen blöden Zufall erkannt zu werden, konnte ich mir nicht leisten, doch ich mußte schließlich die fehlenden Sachen aus dem Schließfach holen. Schnell wie der Wind war ich kurz darauf wieder aus der Stadt verschwunden und die Straßenkarte wies mir nun den Weg zum Castello di Montana, wo die Lösung der Rätsels auf mich zu warten schien. Eine kleine unbefestigte Straße führte mich hinauf zu den Weinbergen rund um das Weingut und glücklicherweise wechselte hier auf einem der Hügel ein Gebiet mit Weinreben in ein Pinienwäldchen, das sich am steinigen Hang festkrallte und mir die Möglichkeit bot, den Wagen im Schatten der Bäume stehen zu lassen. Zu dieser Jahreszeit war es kaum zu erwarten, daß sich jemand hier herumtreiben würde, und so bereitete ich mich in Ruhe vor, um mir anschließend eine ideale Stelle zu suchen, von der aus ich hinüber auf das Castello blicken konnte. Rechts von mir lagen die kahlen Weinstöcke und links einige größere Steine, dann fingen schon die Bäume an und boten mir eine ausgezeichnete Deckung. Ich benutzte mein Fernglas und beobachtete zuerst die einsehbaren Hauptwege, um dann zum Hauptgebäude zu schwenken und auch dieses unter die Lupe zu nehmen. Es waren überall Männer auf den Nebengebäuden postiert, die aber nicht besonders aufmerksam waren, denn einige sprachen miteinander und andere standen nur herum und rauchten. Mich überraschte es weniger, überhaupt Wachen zu sehen, vielmehr diese offensichtliche Demonstration der Abschreckung und sie verfehlte auch bei mir anfänglich nicht ihre Wirkung. Dazu hatte diese alte Anlage ihren Charakter bewahrt und die Türme und Wehrgänge waren nicht nur Fassade aus alten Tagen, jedenfalls machte alles keinen einladenden Eindruck auf mich. Eine intakte Mauer mit ausgebesserten, hellen Stellen umgab die Gebäude und bildete eine wirkungsvolle Verlängerung der Felsen, die ihnen als Fundamente dienten. Wie ein Schneckengewinde führte die kleine Hauptstraße innerhalb der Mauer nach oben zu einer zentral liegenden Piazza, auf der eine Art Palazzo stand, und genau gegenüber markierte eine Kirche mit dem viereckigen Glockenturm romanischer Bauart den höchsten Punkt. Ich mußte vorsichtig sein, auch dort waren Posten zu 77
erkennen, die den besten Ausblick hatten und schnell auf mich aufmerksam werden konnten, wenn ich einen Fehler beging. Es schien fast unmöglich, in diesen Komplex einzudringen, wenn man den Schwachpunkt nicht kannte, doch dieses Problem hatte ich nach dem Stand der Dinge wohl nicht. Trotzdem prägte ich mir alles ein, was ich erkennen konnte, es wäre nicht das erste Mal, daß ich gezwungen war zu improvisieren. Alleine schon meine Erfahrung, zu wissen, daß nie alles so klappt wie man es vorab geplant hatte, drängte mich dazu, das Castello genau zu studieren. Das Wetter wurde schlechter, es begann zu tröpfeln und mir blieb nichts weiter übrig, als zu warten, bis es Nacht werden würde, um mich den Mauern im Schutze der Dunkelheit zu nähern. Dort mußte ich auf der Rückseite eine bestimmte Stelle an der Mauer erreichen, von der ich wohl unbemerkt ins Innere gelangen konnte. So griff ich mir meine alte Tarnplane, um vor dem einsetzenden Nieselregen etwas geschützt zu sein und starrte weiter auf den Hügel gegenüber, wobei ein kleiner Vogel, der etwas scheu auf einem Zweig saß, mir neugierig zuschaute. ... Rückblickend auf die Ereignisse der letzten Tage war es sicher ein Fehler, hier zu sein, aber ich würde um nichts auf der Welt tauschen wollen. Zu sehr hatte mich diese Geschichte schon in ihren Bann gezogen, zu sehr machte mich dieses offensichtliche Geheimnis neugierig und zu sehr hatte mich Anne fasziniert, um sie einfach aus den Augen zu verlieren. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als sich ein schwarzer Wagen dem großen Tor näherte und ohne kontrolliert zu werden einfach durchgelassen wurde. Es war schon dunkel geworden, nur das Nachtsichtgerät gab mit die Möglichkeit, die große Limousine auf dem Weg nach oben zu verfolgen, bis sie vor einer Art Palazzo auf der Piazza im Zentrum hielt. Leider waren die Männer, die das Fahrzeug jetzt verließen, nicht deutlich zu erkennen, doch die hektische Betriebsamkeit ließ vermuten, daß es sich um Fortunati persönlich oder um einen bedeutenden Gast handelte, der so aufmerksam empfangen wurde bevor dort unten wieder die alte Ruhe einkehrte, die dann auch mich wieder überkam. Was hatten zwei angebliche Kunsthändler mit einem australischen Geheimagenten zu tun? Ich wußte es nicht. Wie paßte Fortunati in das Bild? Keine Ahnung. Wer waren Anne, Carmen und der Chinese? Das interessierte mich am meisten. Wieso half mir der Lotse? Alles gute Fragen, aber sie waren dazu da, um nach Antworten zu suchen, und ich hatte vor, diese zu finden.
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Kapitel 2 Der Regen hatte den schweren Boden glitschig gemacht und trotz meiner Vorbereitung war es in der Dunkelheit recht beschwerlich, einen vernünftigen Weg hinunter zu finden. Ich versuchte, mich immer in Deckung hinter den Weinstöcken zu halten und keine losen Steine den Hang abrollen zu lassen, aber das war einfacher gesagt als getan und erwies sich als ungewöhnlich anstrengend. Mit Verspätung erreichte ich deshalb ungesehen das Tal, in dem sich eine kleine, unbefestigte Straße ihren Weg um den Hügel, auf dem das Castello stand, bahnte, die sich dann nach Norden weiterschlängelte, um hinter der nächsten Anhöhe zu verschwinden. Auf der Straße konnte ich zwar schnell vorankommen, aber mir mangelte es an Verstecken und deshalb beschloß ich, mich dicht an der Mauer zu halten, wo nur ein kleiner bröckliger Pfad entlang lief, der aber von Felsen und Gestrüpp geschützt war. Hierbei erwiesen sich die Dienste des Nachtsichtgerätes als unbezahlbar und ich wollte mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich ohne diese Technik zurechtgekommen wäre. Regelmäßig blickte ich nach oben, um nach möglichen Wachen Ausschau zu halten, die jederzeit einen Blick über die Mauer werfen konnten, doch zum Glück kam niemand in dieser Nacht auf eine solche Idee. Langsam näherte ich mich dem bezeichneten Punkt und ging jetzt um eine steile Kante an der Mauer herum, dort entdeckte ich am Fuße des Felsens einen kleinen Bach, der ruhig dahinplätscherte und den Mond wie eine glühende, im Wasser versunkene Sichel erscheinen ließ, die zufällig genau auf jenen Ort wies, den ich so angestrengt suchte. Es war die Stelle, an der sich Felsen und Wasser trafen, dort mußte ich nach meinen Anweisungen den versteckten Teil eines alten Eisengeflechts finden, der hinter einigen Wasserpflanzen gut verborgen war. Vorsichtig entfernte ich das Gestrüpp und legte tatsächlich ein großes vergittertes Loch im Stein frei, dessen Durchmesser ungefähr einen Meter betrug und erstaunlich präzise gearbeitet war. Hierbei mußte es sich wohl um einen alten Abflußkanal handeln, der vor Jahrhunderten erbaut und dann nur noch schlampig freigehalten wurde, bis nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Zeit ihn überwuchert hatten. Das Gitter war komplett in den Felsen eingesetzt worden und ich hockte einige Sekunden lang etwas ratlos davor, sah mir dabei die Konstruktion an und grübelte, was nun zu tun sei, denn wie man dieses Hindernis beseitigen konnte, dazu schwiegen meine Notizen. Die Gitterstäbe waren zwar stark korrodiert, aber trotzdem war das Material immer noch stabil genug, um mir standzuhalten, also lenkte ich mein Augenmerk auf die Übergänge in den Felsen. Auch hier machte alles einen soliden Eindruck, aber das täuschte den oberflächlichen Betrachter, denn der kalkhaltige Mörtel in den Fugen hatte im Laufe der Jahre mit dem Eisen chemisch reagiert und erwies sich als extrem porös. 79
So begann ich etwas daran herumzukratzen und sofort bröselte mir etwas Mörtel entgegen, der sich überraschend gut mit dem Messer sehr leicht wegschaben ließ. Das ging besser als erwartet, doch kurz darauf fand ich dafür eine einleuchtende Erkläreung, denn jemand hatte gute Vorarbeit geleistet und die Gittereinfassung freigeschabt, um sie später mit einer dünnen Mörtelschicht nur leicht wieder zu bedecken. Ich ließ mir besonders viel Zeit, um keine Geräusche zu verursachen, trotzdem ging alles sehr schnell, bis auf das millimeterweise Herausnehmen des Gitters, das sich als extrem schweißtreibend erwies. In dem Gang war es stockfinster und nur das Nachtsichtgerät half mir aus einer selbstverschuldeten Klemme, weil ich Idiot bei aller Vorbereitung etwas sehr Wichtiges vergessen hatte, nämlich eine Taschenlampe in meinen Rucksack zu packen. Ich ärgerte mich extrem über diesen unnötigen Anfängerfehler, der zum Glück keine unlösbaren Schwierigkeiten verursachte. Zögernd schaute ich in den dunklen Schlund, beinahe witterte ich hinein, um eine Gefahr aufzuspüren, doch dann schob ich die immer noch bestehenden Zweifel beiseite und ließ mich von dem Eingang verschlingen. Am Fuß der Röhre war der Kanal noch feucht und der untere Teil war zu einem Viertel mit Schlamm angefüllt. Modriger, abgestandener Geruch begleitete mich die ersten Meter und einige Insekten schwirrten um mich herum, die auf eine günstige Gelegenheit warteten, sich einen Mitternachtssnack zu holen. Dann bemerkte ich einen leichten Anstieg und es war nur noch der behauene Felsen um mich, der durch seine lange Benutzung eine glattgewaschene Oberfläche hatte, die jetzt das Vorankommen auf meinen Knien etwas erleichterte. Je weiter ich kroch, desto steiler wurde der Anstieg und ich bekam Bedenken, daß es bei einer zu starken Neigung nicht mehr weiter gehen würde. Notgedrungen mußte ich hier wohl meinen Instruktionen vertrauen, die mich hoffentlich nicht in eine Sackgasse schickten, geschweige denn in einen Hinterhalt – auch diese Variante schwirrte mir zeitweilig durch den Kopf. Doch warum sollte sich jemand solch eine Mühe machen, mich in solch eine Falle zu locken, dafür gab es wesentlich bequemere und dazu effektivere Möglichkeiten, die diesen Aufwand nicht nötig machten. Trotzdem verspürte ich latent ein gesundes Mißtrauen und nur mein ausgeprägter Instinkt riet mir, mich auf dieses Wagnis einzulassen, dessen Natur mir immer noch nicht klar war. Vielleicht handelte es sich auch um eine Art von Folter, das würden jedenfalls meine Knie dazu sagen, denn nach einer halben Stunde standen sie kurz davor, ihren Dienst zu versagen und jede Berührung mit dem Boden begann zu einem schmerzhaften Erlebnis zu werden. Gerade zur richtigen Zeit schien diese Tortur vorbei zu sein, weil ich eine Zwangspause einlegen mußte, bedingt durch den Umstand, daß sich die Röhre teilte und ich nun die Qual der Wahl für mein weiteres Vorgehen hatte. Offensichtlich wollte mir der Lotze die Sache nicht zu einfach machen und verzichtete deshalb auf eine diesbezügliche Notiz. 80
Mit dem Nachtsichtgerät erkannte ich nichts, das mir helfen konnte, eine eigene Entscheidung zu treffen. Vielleicht gab mir die Struktur der Oberfläche einen Hinweis und ich kramte nach meinem Feuerzeug, um mir das mal genauer anzusehen. Doch nicht diese Untersuchung des Bodens brachte mich weiter, sondern ein unregelmäßiges Flackern der Flamme gab für mich den Ausschlag, in den rechten Kanal hineinzukriechen und so hatte sich mein kleines Malheur doch noch als Glücksfall erwiesen. Die totale Finsternis, die mich bisher umgeben hatte, wechselte vor mir in ein schemenhaftes Dämmerlicht, das es aber immer noch unmöglich machte, eine klare Struktur zu erkennen. Doch je weiter ich dem Luftzug folgte, änderte sich dies, und vor mir öffnete sich ein fest gemauerter vertikaler Schacht, auf dessen Grund sich der Nachthimmel im Wasser widerspiegelte, der über mir original in einem runden Ausschnitt zu bewundern war, denn ich war auf halber Höhe im alten Brunnen des Castello di Montana gelandet. Zur Orientierung lehnte ich mich aus dem Kanal und besah mir im Licht des Feuerzeuges die Wände, wobei ich überlegte wie man am besten die sechs Meter bis zum Rand überwinden konnte, ohne Flügel benutzen zu müssen, aber wenigstens in dem Punkt hatte mich der Verfasser des Zettels nicht im Unklaren gelassen. Gleich neben der Öffnung, in der ich mich befand, waren alte Eisenkrampen, die jedoch teilweise durchgerostet waren und nach all der Zeit nicht sehr vertrauenserweckend wirkten. Allerdings befanden sich im gleichen Abstand noch große Ringe in der Wand, die ich zunächst auch für Eisen hielt, die sich aber bei näherer Betrachtung als eine Bronzearbeit herausstellten und einen wesentlich stabileren Eindruck bei mir hinterließen. Mich kostete es einige Zeit, auf dem Bauch liegend an den Rucksack heranzukommen, und mein Seil, das ich laut meinen Anweisungen mitnehmen sollte, hervorzuholen. Dann führte ich das Seil durch den ersten Ring, der fast neben mir in dem Mauerwerk steckte und knotete eine Schlaufe nach Seemannsart, sehr fest und doch leicht wieder lösbar. Jetzt kam ein riskanter Teil des Vorhabens, denn noch im Kanal liegend zog ich mich an dem Seil hinaus, bis der Augenblick kam, an dem ich mich nicht mehr dort abstützen konnte und ganz in die Schlaufe steigen mußte. Es war ein Moment absoluter Konzentration, gepaart mit dem flauen Kribbeln, nicht zu wissen, was in der nächsten Sekunde geschah. Der Ring trug mich, allerdings wollte ich mein Glück nicht zu lange bemühen und steckte zügig das andere Ende des Seils durch den nächsten Ring über mir – was ich bis oben zum Rand wiederholte. Bis jetzt waren nicht die Wachen das Problem, sondern die unverhofften Hindernisse auf dem Weg, doch das änderte sich nun. Mein Kopf hob sich Millimeter für Millimeter über den Rand des Brunnens und langsam gewöhnten sich meine Augen wieder an das spärliche Licht des Mondes, das nur geringfügig von einigen Laternen unterstützt wurde, welche die Piazza in einem gelblichen Schein erleuchteten. 81
Niemand war auf dem Platz zu sehen, aber vom Brunnen aus ließen sich die Posten auf den Dächern, deren Aufmerksamkeit meiner Beobachtung nach ständig nach außen gerichtet war, nicht lokalisieren und deshalb blieben die kommenden Sekunden ein Risiko. Entschlossen griff ich an einen Teil der Windenkonstruktion und schwang mich über den Rand in den Schatten des Brunnens, der vom Mond geworfen wurde, wo ich mich sofort hinter den breiten Steinrand duckte. Wieder verharrte ich, wieder lauschte ich in die Nacht, und nachdem sich nichts tat, kroch ich einige Meter zur Wand eines Nebengebäudes, um mich hinter einem Mauervorsprung zu verstecken. Von hier aus konnte ich mich kurz orientieren und sah den Vordereingang des Palazzo, der gut gesichert war, und suchte eine kleine, zwischen den Häusern liegende Treppe, die mich nach unten zu einem Eingang der unterirdischen Kasematten bringen sollte. Immer mit dem Rücken zur Wand schob ich mich eine Gasse, die von der Piazza wegführte, entlang und versuchte dabei, meine Schritte möglichst lautlos aufzusetzen, doch in dem Augenblick wo ich die Hälfte des Weges geschafft hatte, ließ mich etwas abrupt halten. Verdammt! Vor mir hörte ich laute Stimmen von der Treppe, die langsam nach oben auf mich zu kamen. Es war keine Zeit zu verlieren und ich mußte mich in Sekundenbruchteilen entscheiden, was nun zu tun sei. Hinter mir war es bis zum Brunnen zu weit, um wieder in Deckung zu gehen und hier gab es dazu keine Möglichkeit, denn in der Gasse waren nur glatte Wände mit einigen vergitterten Fenstern und wenigen Türen ohne Vorsprung, die nur von ein paar Pflanzentrögen verziert wurden. Auch die erste Etage bot mir keine Chance mit ihren Balkonen und den schmiedeeisernen Gittern, da ich sie wegen ihrer Höhe nicht erreichen konnte. Kein Versteck und keine Fluchtmöglichkeit, normalerweise blieb nur der Angriff, aber ich wollte lieber bis zum Schluß mit meinem Köpfchen arbeiten als mit den Muskeln. Auf jeden Fall war es notwendig, daß ich als Erster am Treppenabsatz war, um die Leute unter mir zu haben und mir damit eine bessere Position zu verschaffen. Tastend versicherte ich mich meiner Waffe, ließ sie aber vorerst stecken und begann zu laufen, bis ich nach einigen Schritten einen Blumenkübel kurz unterhalb eines Balkons sah und jetzt ohne zu überlegen die Richtung änderte. Es gab nur einen Versuch und den wollte ich unbedingt nutzen. Ich beschleunigte und sprang vom Rand des Tongefäßes ab, um gerade so die Unterkante des Balkons zu erreichen und mich daran festzuhalten. Mit beiden Händen zog ich mich an den Gitterstäben hoch, wobei ich gleichzeitig meine Beine anwinkelte und es im zweiten Versuch schaffte, das rechte Knie auf den Rand des Balkons aufzusetzen, was mir gerade noch rechtzeitig auch mit dem anderen Bein gelang, bevor nun oben auf der Treppe eine Gruppe Männer erschien. Diese Aktion hätte keine Sekunde länger dauern dürfen, sonst wäre ich sicher von den vier schwerbewaffneten Wachen erwischt worden, und so hing ich angespannt hinter der schmalen Balkonbrüstung und konnte nur hoffen, daß keiner der Männer Verdacht geschöpft hatte. Durch die Aufregung bekam ich einen trockenen Mund, 82
wenn jetzt jemand nach oben schauen würde und mich erkannte, dann hatte ich keine Chance und war ich ein leichtes Ziel für Fortunatis Leute. Doch ich hatte die Glücksgöttin auf meiner Seite und schaute festgekrallt am Balkon, ob es einen Nachzügler gab, während die Gruppe unter mir unbeirrt auf die Piazza zustrebte. Als dann die Luft rein zu sein schien, ließ ich mich mit einem Seufzer der Erleichterung herunter, wobei ich die in dem Trog gepflanzten Fuchsien etwas schuldbewußt in Mitleidenschaft zog, und schlich dann zu den Stufen, die mich endlich nach unten zu meinem nächsten Ziel bringen sollten. Hinter der Treppe verschwand ich sofort in einer Seitenstraße und horchte in die Nacht, ob mir vielleicht doch jemand gefolgt war, aber es blieb ruhig und nun kam für einige Momente der eigentliche Schreck in mir hoch, weil mir bewußt wußte, wie knapp das gewesen war. Weiter folgte ich meinen Instruktionen ohne Zwischenfälle und erreichte das große zweiflüglige Tor, mit der kleinen Tür auf der linken Seite, das den Eingang zu alten Vorratskellern des Palazzo darstellte. Sie war nicht verschlossen, wahrscheinlich hatte der Lotse auch hier dieses Problem schon vorher beseitigt, und jetzt fragte ich mich langsam, warum mein Auftraggeber nicht selbst die Unterlagen an sich genommen hatte und extra so ein kompliziertes Versteckspiel organisierte. Vorsichtig betrat ich den dunklen Raum und erkannte in der Ecke eine alte Ölmühle mit einem weiß schimmernden Granitstein, dazu mächtige Pfeiler, die das alte Gewölbe stützten, das sich etwa drei Meter in die dunkle Höhe erstreckte. Beidseitig von mir sah ich die ellipsenförmigen Umrisse von großen, alten Holzfässern, die sich entlang eines Ganges aufreihten und in der Dunkelheit verschwanden, so daß ich jetzt wieder mein Nachtsichtgerät benutzte, um bis zum Ende das großen Raumes zu gelangen, wo ich nach einem besonderen Exemplar der hölzernen Weinbehälter suchte. Der Duft von vergorenen Früchten lag in der abgestandenen Luft, je tiefer ich vorstieß, desto intensiver wurde er und in der hintersten Ecke entdeckte ich endlich ein doppelt so große Faß mit vielen geschnitzten Ornamenten. In einer Nische der Felswand sollte nun hinter einer verstaubten Öllampe ein Holzpflock zu finden sein, den man nach hinten drücken mußte, um daduruch einen Zugang zu öffnen und nach kurzem Suchen fand ich auch den beschriebenen Hebel. Spannung machte sich breit, denn ich wußte nicht, was mich erwartete, und rechnete deshalb mit allem, von einer Wache Fortunatis, bis zu aufgeschreckten Ratten, die mir entgegenkommen würden. Kaum hörbar sprang ein kleiner Durchgang hinten im Faß auf, daß im letzten Drittel durch eine Wand abgetrennt war, so daß der vordere Teil mit Wein gefüllt werden konnte, um nicht das kleine Geheimnis des Hohlraumes zu verraten. Nichts geschah weiter in den nächsten Sekunden und bis auf einige Spinnweben stellte sich mir niemand in den Weg, den ich trotzdem sehr vorsichtig fortsetzte und so in einen kleinen Gang gelangte, der in den Felsen gehauen war und zum Fuß einer in den Stein gehauenen Treppe nach oben führte. 83
Viele Stufen, die lange nicht benutzt worden waren, mußte ich hinter mich bringen. Der Staub der Jahrhunderte lag dort überall und urplötzlich endete mein Aufstieg vor einer glatten Holzwand. Das konnte nur die Rückseite der Täfelung im großen Saal des Palazzo sein, die auf meiner Seite mit schweren Scharnieren und einem kompliziert aussehenden Öffnungsmechanismus aus alter Zeit versehen war. Dieser Aufwand galt keinem Besucher von draußen, so wie mir, sondern jemandem, der aus dem Saal unbemerkt verschwinden wollte und zu diesem Zweck im Raum einen Mechanismus betätigen konnte. Nach meinen Aufzeichnungen war das ein Fackelhalter neben diesem Durchgang, bei dessen Drehung der Riegel gelöst wurde. Es war kurz nach Mitternacht, ein alter, schwergängiger Pflock, der ein Astloch schloß, gab mir den Blick in den Raum frei. Einige Wandleuchter verbreiteten ein schummriges Licht und in dem großen Kamin prasselte ein glutrotes Feuer, das gerade dabei war, die Reste eines gewaltigen Holzklotzes zu verzehren. Niemand war zu sehen, auf der großen Tafel stand noch die Tischdekoration vom Abendessen und die flackernden Schatten der Flammen waren das Einzige, was sich bewegte. Die Gelegenheit war günstig, deshalb beeilte ich mich, vorsichtig den Zugang zu öffnen und leise zwischen zwei geschnitzten Säulen hervorzukommen, um mich vorerst hinter einer der beiden Flügeltüren des Saales zu verstecken. In mir kribbelte alles, der Einsatz war hoch, genauso wie meine Spannung und ich konnte auch nicht verhehlen, daß es mir dazu auch einen ungeheuren Spaß machte, den ich aber unter Kontrolle halten mußte, damit daraus kein Leichtsinn wurde. Die Flure schienen um diese Zeit verlassen, ich horchte in die Stille und schlich möglichst leise meinen Ziel entgegen, vorbei an prächtig geschmückten Wänden mit alten Bildern und wertvollen Teppichen. Endlich hatte ich den markierten Punkt auf dem Grundriß erreicht und stand vor dem Arbeitszimmer, fast hätte ich die nötige Vorsicht vergessen und erst im letzten Moment horchte ich noch einmal an der Tür, gerade noch rechtzeitig, denn von dort vernahm ich dumpf einige Stimmen. Der beinahe verhängnisvolle Fehler ärgerte mich, weil ich in Gedanken schon bei dem Safe war – diese Warnung sollte mir wirklich eine Lehre sein. Schnell entfernte ich mich, um eine kleine Kammer in der Ecke zu erreichen, die als Abstellraum genutzt wurde und die ich mir deshalb als Notversteck während meines Studiums des Grundrisses vor Stunden schon ausgesucht hatte. Von hier aus ließ sich ein Teil des Flures und der Eingang des Arbeitszimmers durch den Türspalt beobachten, ohne dadurch großartig in Gefahr zu geraten. Zwischen Staubsaugern, einigen Besen und einem Regal mit diversen Reinigungsmitteln machte ich es mir leidlich bequem und mußte ungefähr eine halbe Stunde warten bis etwas geschah, das die lästige Untätigkeit endlich beendete. Zwei Männer verließen in ein angeregtes Gespräch vertieft das Zimmer und entfernten sich langsam über die breite Treppe ins Erdgeschoß, was mir für einen kurzen Augenblick die Gelegenheit gab, die beiden genauer in Augenschein zu nehmen. Den jüngeren Mann schätzte ich auf Mitte dreißig und bemerkte, daß er in einem teuren Anzug mit passenden Schuhen steckte, während er gestenreich das Wort führte. Seine schwarzen, halblang nach hinten gelegten Haare und der dominante Ton ließen 84
keinen Zweifel das ich Paulo Fortunati an mir vorbeigehen sah, der seinen älteren Gesprächspartner bestimmend den Weg wies. Dieser war nicht weniger beeindruckend und am Auffälligsten erschien mir sein zu einem Zopf zusammengebundenes graues Haar, das auf einem hellgrauen Anzug lag und etwas vom aristokratischen Flair aus alten Zeiten ausstrahlte. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, wartete ich sicherheitshalber noch einige Minuten und ging dann wieder zur Tür, horchte noch einmal und betrat nun mit erhöhter Herzfrequenz den Raum. Das Zimmer, in das ich trat, war eine alte Bibliothek und so standen hier viele Bücher in den langen, polierten Holzregalen, welche die Wände bedeckten. Ich ging an einem imposanten Schreibtisch vorbei, suchte in dem Regal dahinter nach einem Kästchen mit einem Zahlenschloß, das den Zugang zu dem Geheimversteck sicherte, und wurde – nicht unerwartet – hinter Cicero fündig. Ein Gobelin, der den Eingang versteckte, ließ sich an einer Schiene vollständig zur Seite bewegen, so daß eine kleine Tür jetzt sichtbar wurde, die nach der Eingabe des gelieferten Codes für mich kein Hindernis mehr war. Die wachsende Spannung wurde langsam nervenaufreibend und trieb mir den Schweiß auf die Handflächen, den ich mir in kürzer werdenden Abständen an meinen schmutzigen Hosen abwischte. Ich war nun in der Geheimkammer, hier verbreiteten Stahlschränke die Atmosphäre einer Behörde und sie wirkte deshalb auf mich etwas ernüchternd. Aber wenigstens hatte man den Tresor in eine alte Kaminöffnung eingemauert und so hatte ich wenigstens dort die optische Kulisse, einem verborgenen Geheimnis nachzujagen. Wenn man die Kombination kennt, ist es ein Kinderspiel, den Safe zu öffnen und so war es in diesem Fall auch. Also wähnte ich mich schon am Ziel, als die Stahltür zur Seite ging. Doch eine Unmenge an Papieren machte es mir zuerst nicht leicht, das Gesuchte zu finden, bis ich endlich auf ein dickes, vergilbtes Bündel stieß, auf dem in schöner Schreibschrift „Operation Hagen“ stand. Meine Beute verstaute ich im Rucksack und verließ schleunigst diesen zwar aufregenden, aber auch sehr gefährlichen Ort, um auf dem gleichen Weg, auf dem ich gekommen war, wieder zurückzukehren. Allerdings merkte ich dabei, wie sich meine Neugier auf die Informationen, die ich jetzt auf meinem Rücken trug, unaufhörlich steigerte. Vorsichtig näherte ich mich wieder dem Empfangssaal, im Kamin brannten die letzten Reste der Holzscheite müde vor sich hin und nur noch ein schwaches, dunkelrotes Licht ließ mich die Tür in der Wand finden. Vorausschauend nahm ich mir eine Kerze vom Eßtisch mit und drehte den Fackelhalter, gleichzeitig drückte ich etwas gegen die Täfelung und schon war ich aus dem Raum wieder verschwunden, was mich ungemein beruhigte. Zwei Umstände ließen mich jetzt dort auf der Treppe verweilen - das ungezügeltes Verlangen herauszufinden, welchen Schatz ich gehoben hatte, weshalb ich nun neben der brennenden Kerze zu lesen begann, und meine Erfahrung, daß mit dem Voranschreiten der Nacht die Aufmerksamkeit der Wachen abnahm, was meine Flucht hoffentlich erleichterte. 85
Hätte mich jemand gesehen, nachdem ich eine halbe Stunde die Unterlagen überflogen hatte, wären ihm sicher mein offener Mund und die erstaunten Augen aufgefallen, schließlich wird einem nicht alle Tage bewußt, daß man sich wohl auf der Spur eines verschollenen Nazischatzes befand. Wildeste Vermutungen hatten nach meinem Wissen schon viele Abenteurer mit den verschiedensten Theorien auf den Plan gerufen, die danach in der ganzen Welt gesucht hatten, jedoch war niemand bisher dem Schatz auch nur einen Schritt nähergekommen und nun sah es so aus, als war ich gerade dabei, dies zu tun. Die Blätter waren nicht mehr im besten Zustand, aber offensichtlich hielt ich eine Art Verzeichnis in meinen Händen, das mir über die Größenordnung der verschwundenen Wertsachen einen Aufschluß gab, der mich staunen ließ. Denn darunter waren etliche Kisten mit dem Gold der Reichsbankreserve, eine beträchtliche Anzahl an Schmuck und Edelsteinen, dazu Devisen und wertvolle Kleinodien, auch Porzellan. Jetzt war es keine große Denkleistung mehr, die Verbindung zu „meiner“ italienischen Vase herzustellen und dank der akribischen Genauigkeit in diesen Protokollen fand ich sie unter Posten 78 wieder. Wenn eine übertriebene Bürokratie auch sonst zu nichts gut war, hier hatte sie mir entscheidend geholfen. Es war für mich vollkommen erstaunlich, daß selbst kurz vor Kriegsende noch Übergabeprotokolle und Empfangsbestätigungen ausgestellt wurden, die mir jetzt in groben Details die erstaunliche Geschichte des geheimen Transportes der Schatzkisten erzählten. Im April 1945 sammelten sich die in Auflösung befindlichen deutschen Truppen im noch nicht besetzten süddeutschen und österreichischen Alpenraum, der sogenannten „Alpenfestung“, von der ich schon gehört hatte und wußte, daß es wohl nicht mehr als ein Hirngespinst der Kriegspropaganda war, um das Durchhaltevermögen der Soldaten zu stärken. Dorthin schaffte man alles Wertvolle hin, damit es in geheimen Depots vor den Alliierten in Sicherheit gebracht werden sollte, aber die SS und das unterstellte Reichsicherheitshauptamt hatten offenbar einen weiteren Plan entwickelt, um einen Teil dieses Schatzes einer anderen Bestimmung zuzuführen. Salzburg und Innsbruck waren Stationen des Transportes zu einem kleinen Fliegerhorst in den Alpen, wo zwei Flugzeuge bereitstanden, welche die Kisten unter dem Decknamen „Trampolin“ zu einem geheimen Ort bringen sollten, der deshalb leider nicht notiert war. Trotzdem konnte man nicht sagen, daß sich Enttäuschung in mir breit machte, schließlich hatte ich jetzt eine ungefähre Ahnung, warum man so intensiv nach dem Besitzer der Vase suchte, über den man sicher an den Rest des Schatzes kommen wollte. Damit stand wohl fest, daß Gondoni und Almera keine Kunstliebhaber, sondern skrupellose Schatzjäger waren, die mich deshalb beinahe auf dem Gewissen hatten, denn nur so war ihr Verhalten zu erklären. Blieb nur noch die Frage nach meinem geheimnisvollen Auftraggeber mit seinem viel zu umfangreichen Wissen über meine Person. Möglicherweise konnte er mich auch nur mit meiner Vergangenheit in Peru geködert haben, um mich später zu beseitigen und dann, ohne eine eigene Spur zu hinterlassen, in den Besitz der Akte zu kommen.
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Könnten auch hier die beiden Männer aus Florenz dahinterstecken? Da hieß es, vorsichtig zu sein und keinen Fehler zu begehen, genau so wie jetzt, wo ich mich wieder auf den Rückweg machte. Die Treppe, das Faß und die Kasematten hatte ich schnell hinter mich gelassen und bis jetzt keine Probleme gehabt. Draußen vor dem Tor wurde es schon brenzliger, hier gab es schließlich genug Hausecken, aus deren Schatten jemand blitzschnell heraustreten konnte, und dann war ich geliefert. Es war wichtig, weder die Nerven zu verlieren, noch den verhängnisvollen Versuch zu unternehmen, viel zu schnell aus dem Castello zu kommen. Eile und Hast waren im Moment der Feind, den es vorrangig zu bekämpfen galt, und die einzige Waffe dagegen bestand in meiner Erfahrung. Die Treppe, die ich noch gut in Erinnerung hatte, war frei und ich ging ruhig an der rechten Seite nach oben, schaute abwartend über die oberste Stufe, um mir die Lage in der kleinen Gasse anzuschauen und stellte, bevor ich weiterging, erleichtert fest, daß vor mir alles ruhig war. Doch in dem Augenblick, als ich die oberste Stufe betreten hatte, hörte ich wieder Stimmen und urplötzlich erschallten schnelle Schritte in den hohlen Gassen ringsum, dazu erstrahlten innerhalb weniger Sekunden an den Seiten der Piazza große Scheinwerfer und tauchten dort alles in ein unwirkliches helles Licht. So ein verdammter Mist, diese Treppe schien mir wirklich kein Glück zu bringen. Ich sprang in einem Satz einige Stufen herunter und ging erst einmal in Deckung, dabei griff ich noch im Fallen meine Beretta und sicherte mich nach hinten ab, doch eigenartigerweise bewegte sich niemand in meine Richtung. Männer rannten nur über den freien Platz und dann hörte ich, wie sich ein großer Wagen über die gewundene Zufahrt dem Zentrum näherte. Wieder schaute ich gespannt auf die Piazza und sah etwas überrascht den weißen Lieferwagen, den ich vom Dom her kannte, vorbeifahren, doch leider ließ sich von hier aus nicht erkennen, was nun weiter vor dem Palazzo geschah, da mir die vielen engstehenden Nebengebäude die Sicht versperrten. Natürlich konnte ich mich kaum damit zufriedengeben, schließlich mußte ich wissen was der Auslöser dieses Spektakels war und wohlmöglich galt mir doch der ganze Aufwand. Direkt oberhalb der Treppe ging ein kleiner Durchgang um das angrenzende Haus, dessen Fassade die Gasse auf der einen Seite begrenzte, herum und diesen Weg benutzte ich, um von der anderen Hausseite direkt auf das Hauptportal zu schauen. So kam ich gerade rechtzeitig dort an, als sich Signore Fortunati offensichtlich etwas zu gut gelaunt vor der Tür postierte und sich genüßlich eine Zigarre anzündete, die ihm einer seiner vielen Leibwächter gereicht hatte. In dem Moment öffneten sich auch die Türen des Wagens und zu meiner größten Überraschung entstiegen ihm Mario und Emilio, die scheinbar nicht in Ungnade gefallen waren und sich bester Gesundheit erfreuten. Eifrig stürzten sie nach hinten, öffneten den Laderaum und verschwanden dort für einige Sekunden, um mit einer gefesselten Frau wieder herauszukommen – es war Carmen. 87
Mir blieb im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg, solch eine Wendung hatte ich überhaupt nicht erwartet, und wie bei einem Reflex fragte ich mich nach der Schrecksekunde sofort, was mit Anne war. Carmen war an den Armen gefesselt und machte keine Anstalten, sich zu wehren, doch es schien, als wäre dies vorher anders gewesen, denn ich konnte getrocknetes Blut an ihrer Schläfe erkennen und auch die Kleidung deutete offensichtlich auf einen harten Kampf hin. Fortunati genoß es sichtlich, wie sie vor ihm stand, und schien einige abfällige Bemerkungen zu machen, die seine Leute zum Lachen animierten, so daß ich es sogar aus der Entfernung hören konnte. Als gleich darauf die beiden Sarden wieder in den Lieferwagen zurückkehrten, ahnte ich schon mit einem Kloß im Hals, was nun folgen würde. Trotzdem traf es mich heftiger, wie ich erwartet hatte, als ich sah, daß Anne von den beiden in das Haus getragen wurde, und ich bekam einen Stich in die Magengegend, dessen Schmerz sich wellenförmig in meinem Körper fortsetzte. Nur mühsam zwang ich mich zur Ruhe und schaffte es leidlich, gleichzeitig gegen das Gefühl der Ohnmacht anzukämpfen. Ein weiterer Lieferwagen war in der Zwischenzeit auf die Piazza gefahren und vier Männer in einem erbärmlichen Zustand stiegen aus. Zwei humpelten fluchend über den Platz, während einem Mann seine offensichtliche Schußverletzung am Arm notdürftig bandagiert wurde. Doch schlimmer hatte es wohl die drei Leute erwischt, deren Körper nun aus dem Wagen geholt wurden, und auch Fortunati schien nun einzusehen, daß er einen teuren Preis für seine Gefangenen bezahlt hatte, als er wütend die Zigarette in eine Ecke warf. Die Toten wurden weggeschafft, keiner von ihnen glich dem fehlenden Chinesen, den ich eigentlich noch vermisste, und obwohl sein Schicksal mir nicht egal war, konnte ich es kaum verhindern, daß ich jetzt nur besorgt an die Frauen dachte. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, doch leider konnte ich für einige Augenblicke die Lage nicht nüchtern und sachlich genug einschätzen und das ärgerte mich, aber eines stand fest - Ich konnte nicht einfach tatenlos verschwinden. Ohne genau zu wissen, was ich nun machen sollte, trugen mich meine Beine zurück, schließlich gab es die Möglichkeit, unbemerkt in den Palazzo zu kommen und je nachdem, was ich dort vorfand, würde mir hoffentlich immer noch etwas Brauchbares einfallen. Kaum fünf Minuten später fand ich mich wieder an der Wand zum Speisesaal ein und hatte das nötige Glück, denn dieser Raum wurde zum Verhör benutzt, dessen Zeuge ich nach dem erneuten Entfernen des Holzstöpsels nun wurde. Paulo Fortunati stand neben einigen Männern, zu denen auch Mario und sein Bruder gehörten, und hatte vor sich vor den Stühlen, auf denen die Frauen gefesselt sitzen mußten, aufgestellt. Ihre Gesichter waren ernst und verschlossen, doch bei Carmen kam eine Spur von Wut und Trotz durch, während Anne ruhig blieb, aber mir war fast so, als spürte ich tatsächlich, wie sie ihre Angst verbarg und nur nach außen hin gefaßt wirkte. Die laute Stimme Fortunatis war gut zu verstehen und mitten in einem selbstgefälligen Monolog stieß ich dazu, „...Chance, wenn Sie, meine Damen, sich hier weiterhin so starrsinnig zeigen, dann werden sie kaum noch ein langes Leben haben. Sie beide brauchen nicht zu glauben, nur weil Sie Frauen sind, wird Ihnen nichts 88
passieren. Es ist mir ehrlich gesagt völlig egal, obwohl es eigentlich schade um soviel Weiblichkeit ist. Aber es gibt so viele Möglichkeiten, Sie beide zum Reden zu bringen und eine davon wird sicher Erfolg haben,...“ er wartete einen Augenblick, um das Gelächter abebben zu lassen, „...vielleicht haben Sie ja auch keine Angst vor den Schmerzen, so etwas soll es ja geben, dann könnte ich mir auch was anderes einfallen lassen. Ich habe gute Freunde in Südamerika und die suchen ständig willige Mitarbeiterinnen für ihren Vergnügungsbetrieb, schließlich muß ich jetzt die Familien unterstützen, deren Väter und Söhne Sie heute Nacht umgebracht haben, und das kann wenigstens einen Teil meiner Unkosten decken. Also stelle ich noch einmal meine Frage und überlegen Sie sich ihre Antwort genau. Wo ist das Gold?“ Anne und Carmen schwiegen und mit trockenen Mund erwartete ich Fortunatis Reaktion. „Nun gut, meine Damen, vielleicht war das alles heute zu viel für Sie und Ihnen muß erst ihre Lage bewußt werden. Ich gebe Ihnen die heutige Nacht noch als Bedenkzeit und Sie tun gut daran, diese Zeit sinnvoll zu nutzen, um etwas gesprächiger zu werden, ansonsten können Sie sich denken, was passiert. Übrigens, sollten Sie auf irgendwelche Hilfe hoffen, dann vergessen Sie das gleich, Ihr schlitzäugiger Freund ist tot, wir sind in diesem Fall auf Nummer sicher gegangen“ Jetzt konnte Carmen doch nicht mehr an sich halten, „Fortunati, Sie Schwein, er ist nur angeschossen worden, ihn umzubringen war nicht nötig“ „Was nötig ist, das bestimme ich, schon vergessen, wo Sie sind?“ Carmen hatte sich jetzt wieder unter Kontrolle und warf ihm, ohne ein Wort zu sagen, einen vernichtenden Blick hinüber. „Los, bringt die beiden in den Keller. Ich will, daß sie rund um die Uhr bewacht werden, verstanden?“ Man hatte seinen Befehl verstanden und kurz darauf war nur noch Fortunati mit zwei Bodyguards und den beiden sardischen Brüdern im Saal geblieben, wo die Unterhaltung zwischen ihnen noch weitergeführt wurde, „Ihr habt euren Fehler wieder gut gemacht und das rettet euer Leben, aber trotzdem seit ihr wie Trottel von dem Deutschen abgefertigt worden, das passiert nie wieder, ist das klar?“ „Si, Don Paulo“ „Das ist auch besser so, wo ist jetzt dieser Bastard?“ Mario antwortete alleine auf die Fragen, ich hatte ja sowieso den Eindruck, daß er von den beiden der Klügere war, allerdings ohne dabei seine Intelligenz überbewerten zu wollen, „Don Paulo, er ist eine Stunde, nachdem wir das Hotel verlassen hatten, verschwunden und nach Hause abgereist“ „Schade, so ein Feigling. Ich hätte ihn gerne schreien hören, wenn eine brennende Zigarre auf seiner Haut ausgedrückt wird, dann hätte er uns sicher alles gesagt, meint ihr nicht auch?“ „Si Don Paulo, unsere Informanten in Berlino haben erzählt, daß er auch dort nicht mehr ist“ „Da hat er sich also verkrochen, dieser Bastard und von so etwas laßt ihr euch auch noch verprügeln, eine Schande. Aber egal, wir haben dafür diese Frauen und von wem 89
ich die Informationen bekomme, ist mir gleichgültig, allerdings kann man mit ihnen noch ein kleines Geschäft machen, das sollte man nicht unterschätzen. Vorerst sind sie aber im wahrsten Sinn des Wortes Gold wert und ich will morgen alles wissen, was diese Frauen mit der Sache zu tun haben. Mein Informant hat leider nur vage Andeutungen über ihr Wissen gemacht, also wird den beiden kein Haar gekrümmt, bis ich morgen früh mit ihnen fertig bin. Ihr könnt jetzt auf euren Posten gehen. Los verschwindet, ihr wißt, was zu tun ist“ „Si, Don Paulo“, die Brüder verließen unterwürfig den Saal und auch Fortunati ging mit seinen beiden Schatten durch die große Tür hinaus. Grübelnd lehnte ich mich an die grob behauene Wand und war mangels einer Eingebung überhaupt nicht glücklich über diesen Zustand. Wenigstens stand die Kerze immer noch hier und wenn auch nicht mehr viel von ihr übrig geblieben war, reichte es allemal aus, um sich noch einmal den Grundriß zur Hand zu nehmen und nach allem zu suchen, was nach einem Keller aussah. Doch auch das war nicht sehr erfreulich, denn die ganze Sache hatte einen gewaltigen Schönheitsfehler. Um zum einzig möglichen Aufendhaltsort der Frauen zu gelangen, mußte man durch das Haus marschieren und in die Küche gehen, von der eine einzige Tür in den Keller führte. Außerdem konnte es nicht schaden, noch einen Schritt weiterzudenken, denn sollte ich es wirklich schaffen, bis dorthin zu kommen und mein Vorhaben durchzuführen, wie bekam ich sie wieder aus diesem Castello heraus? Anne konnte nicht laufen, so war der Brunnen also keine Alternative für uns und ich hielt es für vermessen zu denken, daß ein gestohlener Wagen mitten in der Nacht auf dieser bewachten Piazza kein Aufsehen erregen würde. Bei allem Optimismus, bei all den Kriegslisten, die ich mir in meinem Leben schon ausgedacht hatte, durfte ich nie den Fehler machen, den Blick für die Realität aus dem Auge zu verlieren. Spielte ich zu riskant und man nahm mich gefangen, dann konnte ich auch nicht mehr helfen, allerdings nach der Lage der Dinge würde kaum etwas anderes übrig bleiben, mehr zu wagen, als der Verstand mir riet. Außerdem begannen gewisse Gefühle, die wesentlich mehr als bloße Sympathie waren, in meine Motive mit einzufließen, zwar konnte ich vermeiden, über die Ursache nachzudenken und dadurch meinen Kopf für meine Vorbereitungen frei bekommen, die Tatsache hingegen, daß sie existierten, war nicht mehr zu ignorieren. So saß ich ziemlich ratlos auf der alten Treppe, für das Geheime und Verborgene gebaut und von mir auch so benutzt - im Geheimen mit dem Geist planend und geleitet von den verborgenen Gefühlen des Herzens. Eine ganze Weile brauchte es, bis ich die nötige Ruhe in mir wieder hergestellt hatte und nachdem ich einfach die Faktoren vernachlässigte, die sowieso unlösbar waren, suchte ich anhand der lösbaren Probleme einen Plan zu entwickeln. Paulo Fortunati war eiskalt und ich bezweifelte, daß er Anne und Carmen überhaupt am Leben lassen würde, nachdem er erfahren hatte, was er wissen wollte, schließlich konnte ihr Wissen auch für andere Leute interessant sein und es gab nur eine Möglichkeit diese Quelle austrocknen zu lassen. 90
Er und dieser Benedetto di Gondoni nahmen sich beide nichts und als mir das kurz durch den Kopf schoß, da fiel mir etwas ein - Gondoni war doch ganz versessen darauf, den Besitzer der Vase in die Hände zu bekommen, was wäre, wenn dieser nun in einem toskanischen Castello als Gefangener saß und morgen früh umgebracht werden sollte, nachdem er das Geheimnis des Schatzes preisgegeben hätte, wäre das kein Grund einzugreifen? Einen Versuch war es wert, auch wenn ich den Namen Biedermann offenbaren mußte, um die Frauen zu retten, doch der hatte sich ja bei der bisherigen Suche sowieso als nicht sehr gewinnbringend erwiesen - das Risiko schien gering und der Gewinn war verlockend. Ich war schon in der Höhle des Löwen und brauchte nur jemanden, der mir den Weg nach draußen ebnen würde, oder wenigstens für mein Vorhaben soviel Ablenkung schaffte, damit eine Flucht erfolgreich sein konnte. Ich zweifelte nach der Entführung von Diana und mir nicht daran, daß Gondoni und Almera einige Schlägertypen in Reserve hatten, die sie schnell zusammentrommeln konnten und die würden sicher genügend Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Also holte ich mein Handy aus dem Rucksack und mußte wieder nach unten, weil die dicken Mauern keine Verbindung zuließen. Direkt vor der großen Kellertür konnte ich mich einwählen und schon beim zweiten Klingelton meldete sich eine mir unbekannte Männerstimme, die mich nach der Nennung meines Namens für einige Sekunden vertröstete. Es dauerte keine halbe Minute, dann begrüßte mich Gondoni, wobei er seine Überraschung nicht gut verbergen konnte, „Ich hätte nicht gedacht, daß Sie sich so schnell melden, Signore Kronau. Was ist denn so wichtig, daß Sie mitten in der Nacht anrufen?“ „Entschuldigen Sie die späte Störung, aber ich bin etwas ratlos und durcheinander, Sie scheinen mir der einzige Mensch zu sein, der mir helfen kann“ „Worauf wollen Sie hinaus? Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Die Sache ist die, ich habe einen Anruf meines Bekannten mit der Vase bekommen, er ist in großen Schwierigkeiten“ „Ach? Inwiefern das, Signore Kronau?“ „Man hat ihn entführt und will ihn morgen früh erschießen, wenn er nicht bestimmte Informationen verrät. Er konnte noch einen Hilferuf absetzen, bevor man sein Handy in seiner Zelle gefunden hatte, aber jetzt ist der Kontakt abgebrochen“ „Das hört sich wieder wie eine Ihrer unglaublichen Geschichten an, Signore Kronau, hat er gesagt, um welche Informationen es geht und wo man ihn festhält?“ „Er konnte nur kurz seinen Aufenthaltsort nennen, der wohl in einem alten Weingut ist, dem Castello di Montana, es scheint nach seinen Aussagen ein stark bewachtes Versteck zu sein“ „Castello di Montana, nun gut, aber was glauben Sie, was ich da tun kann?“ „Ich weiß es nicht, aber Sie sind dichter am Geschehen als ich hier und haben vielleicht einige Beziehungen, um sein Leben retten können. Von hier aus habe ich keine Möglichkeit, Herrn Biedermann zu helfen“ Länger als erwartet mußte ich auf seine Antwort warten, „Biedermann sagen Sie,... Biedermann ist in Italien? Das ist interessant, hmmm... vielleicht kann ich wirklich 91
etwas unternehmen, es war vollkommen richtig sich bei mir zu melden, Signore Kronau. Wo sind Sie eigentlich, immer noch in Schweden?“ „Ja, mich hat die Nachricht gerade beim Nachtangeln erreicht, sozusagen während der Jagd nach einem ganz großen Fisch, Signore di Gondoni“ „Dann hoffe ich, daß Sie noch das nötige Jagdglück haben, falls Sie diese Nachricht nicht allzu mitgenommen hat. Ich werde Sie natürlich auf dem laufenden halten und mich bei Ihnen melden. Nur eines muß ich Ihnen jetzt noch sagen, wenn ich Erfolg haben sollte, wird das nichts mehr mit unserem Geschäft“ „Das ist doch nicht so wichtig, die Hauptsache ist doch, Sie können rechtzeitig eingreifen. Was haben Sie denn vor?“ „Leider kann ich Ihnen das nicht sagen, aber ich bin zuversichtlich, daß ich Signore Biedermann helfen kann, Arrivederci, Signore Kronau“, damit beendete er das Gespräch und ich war mehr als froh, daß dies hinter mir lag und so reibungslos verlief. Es schien, als war ihm der Name Biedermann nicht unbekannt, dieser Umstand war für mein Gewissen wichtig und ausßerdem schien es auch seine Zweifel an meiner Geschichte zerstreut zu haben. Allerdings hing immer noch die wichtige Frage wie ein Damoklesschwert über mir, ob Gondoni der Lotse war, denn unser Dialog ließ keine Schlüsse darauf zu. Sollte dem so sein, konnte das für mich und mein Vorhaben heikel werden, da er meine Geschichte dann durchschaut hatte und sich nichts anmerken ließ, doch ich hatte keine Wahl und mußte die Karten ausspielen, die ich in der Hand hatte. Wie könnte jetzt alles ablaufen? Auf der Straße brauchte man sicher eine Stunde aus Florenz, dann noch die Vorbereitungszeit – da ich jedoch nicht wußte, was Gondoni genau vorhatte, war es schlicht unmöglich, präzise das Kommende vorherzusagen. Doch rechnete ich damit, daß Gondoni versuchen würde, einige Leute über die Mauern zu schicken, die dabei sicher einen Alarm auslösten und mir das lieferten was ich zur Unterstützung brauchte. Ich haßte solche unausgegorenen Aktionen, sie waren gefährlich und unberechenbar, allerdings wenn man es sich nicht aussuchen konnte, half schließlich auch kein Gejammer, denn die einzige Alternative bestand darin, einfach zu verschwinden und den Dingen ihren Lauf zu lassen – keine gute Wahl für mich. Also begann ich, meinen Teil in Angriff zu nehmen, damit die Frauen schon befreit waren, wenn Gondoni vor der Tür stand, um dann schnell reagieren zu können. Je eher ich damit anfing, desto mehr Zeit hatte ich für unvorhergesehene Probleme, von denen es sicher eine ganze Menge gab. Zuerst ließ ich etwas Ruhe in das Haus einkehren und stärkte mich unterdessen mit einer Tafel Nußschokolade, die ich in meinem Rucksack als Verpflegung mitführte, dann inspizierte ich nochmals den Grundriß und prägte mir alles haargenau ein. Eine Minute der Konzentration verharrte ich bevor es losging, denn war erst einmal der Anfang gemacht, gab es kein Zurück mehr. Diese Aktion ließ sich nicht halb durchführen, entweder wurde sie ein Erfolg oder ein Desaster, darüber mußte ich mir klar sein.
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Wieder öffnete ich die Geheimtür zum Saal und beeilte mich auf den Flur zu kommen, der jetzt nur von kleinen Strahlern, die einige der alten Bilder anleuchteten, erhellt wurde. Meine Sinne waren geschärft und ich lauschte in jede Richtung nach verdächtigen Geräuschen, die urplötzlich aus dem Nichts erscheinen konnten. Direkt vor mir ging die Treppe abwärts zum Erdgeschoß und langsam betrat ich sie, erreichte auf halber Höhe ein breites Mittelpodest und warf vorsichtig einen Blick in die dunkle Halle. Wie ich befürchtet hatte, saßen dort zwei Männer recht gelangweilt neben der großen Vordertür und putzten lieblos ihre Maschinenpistolen, was wohl nicht notwendig war, sondern dem Anschein nach als Beschäftigungstherapie gegen das Einschlafen half. Dieser Weg war mir versperrt, ungesehen ließ sich die Küche also nicht erreichen und wenn ich die beiden ausschalten würde, wäre es nur eine Frage der Zeit, wann ihre Abwesenheit auffiele. Eine andere Idee mußte her, zwar führte vom großen Saal ein Speiselift in die Küche, aber entgegen allem, was ich in Actionfilmen gesehen hatte, konnte wegen seiner geringen Größe kein Mensch damit die Küche erreichen. Eine Möglichkeit blieb mir, auch wenn ich diese Variante haßte und wirklich nur im Notfall nutzen wollte. Leider war dieser gerade eingetreten und mit einem verkniffenen Gesicht schlich ich wieder die Stufen nach oben. Von dort ging es dann rechts den Flur entlang, an dessen Stirnseite ein großes Fenster war, das von schweren Samtvorhängen, die recht dekorativ waren und eine gewisse, staubige Schwere ausstrahlten, eingerahmt war. Hier im ersten Stock war das Fenster nicht besonders gesichert und ich hatte wenig Mühe, es zu öffnen, wobei ein Auge den Korridor fest im Blick hielt und das andere nach draußen schaute, immer darauf gefaßt, eine mögliche Wache zu erspähen. Etwas schwer ließ sich der Fensterflügel mit den kleinen eingefaßten Glasscheiben nach innen öffnen und ich schaute vorsichtig in die Seitengasse, die völlig im Dunkeln unter mir lag. Zwischen den Häusern schweifte mein Blick für einen Moment über die nur mäßig vom Mondlicht erleuchte Landschaft der Toskana, mit ihren sanften Hügeln, die teilweise mit dem dunklen Horizont am Himmel verschmolzen waren und dabei wie gemalt wirkten. Der Wind ging immer noch um die Hausecken, mal gleichmäßig, mal in einer auffrischenden Böe, die mit dem Klappern der Fensterläden oder dem Rascheln von vorüberfliegendem Zeitungspapier einher ging, was mich dann jedesmal zusammenzucken ließ. Im Haus gegenüber waren die hölzernen Läden geschlossen und auch auf den Dächern konnte ich keine Gefahr erkennen - so gefiel mir das, obwohl ich genau wußte, daß sich jeden Moment ganz leicht das Blatt wenden konnte. Langsam trat ich auf die Fensterbank und dann machte ich den ersten Schritt nach draußen, nicht um zu schweben, sondern um auf einen umlaufenden Sims aus Sandstein zu steigen, der aber nur fünfzig Zentimeter breit war und in regelmäßigen Abständen von steinernen Fratzen verziert wurde. Das wäre sicher eine sportliche Herausforderung gewesen, wenn ich nicht unter Höhenangst leiden würde und mir dabei sofort tausend Nadeln in die Handflächen und Fußsohlen stachen, die sich dort mit dem aufkommenden kalten Schweiß trafen. Nicht 93
für Geld und gute Worte würde ich so etwas machen, aber ich hatte eine ausgezeichnete Motivation und das half erstaunlicherweise sehr gut – jedenfalls, solange ich mich nicht auf dem Sims bewegen mußte. Von außen schloß ich den Fensterflügel wieder, der sich im Rahmen etwas festklemmte und dadurch nicht umherschlagen konnte. Glücklicherweise boten die grob behauenen Steine der Fassade die Möglichkeit, sich etwas festzuhalten, wenn auch nur sehr oberflächlich, was sich trotzdem sehr positiv auf meine aufkommende Übelkeit auswirkte. Dann begann ich mich mit dem Gesicht zur Wand Stück für Stück nach links vorzuschieben, um das fünf Meter entfernte kleine Vordach zu erreichen, das direkt über dem Lieferanteneingang neben der Küche angebracht war. Bevor ich mich so vorantastete und jeden Moment hoffte, aus dem Alptraum zu erwachen, hatte ich den Rucksack abgesetzt und ihn nur über meinen Arm gehängt, so daß er jetzt unter der Schulter hing, damit wollte ich den Schwerpunkt etwas zu meinen Gunsten verlagern und bis jetzt funktionierte das auch ganz passabel. Wieviel Zeit insgesamt vergangen war, konnte ich nicht sagen, aber es erschien mir unendlich lange. Keinen Blick riskierte ich auf die Straße, das wäre wohl auch das Schlimmste gewesen, was ich machen konnte, denn unter mir öffnete sich eine bodenlose Leere, die nur auf mich wartete. Erst als ich den Anfang des Vordaches erreichte, ließ auch meine Nervosität nach und ich atmete freier durch, so das mich auch wieder meine Umgebung interessierte und ich mir nun etwas genauer die Konstruktion ansehen konnte. Von oben waren nur die bemoosten Dachsteine zu erkennen, sicher sehr brüchig und schmierig und an den Seiten befand sich eine Stützkonstruktion, die rechtwinklig gegen die Wand drückte, um sich mit dem Ende, das frei über der Straße hing, mit dem Dach zu treffen und damit wie ein an der Wand befestigtes Dreieck aussah. Vorsichtig setzte ich meinen linken Fuß auf das Dach und ging mit dem rechten Bein in die Knie, um mich auf dem Sims abzustützen, wobei sich meine rechte Hand an der Wand festkrallte. Geschafft, ich tastete mit dem Fuß unter die Dachschräge und suchte nach dem waagerechten Stützbalken, aber dann passierte es. Als ich den Balken fand, rutschte ich von dem Sims ab und konnte mich mit beiden Händen gerade noch abfangen, so hing ich mit einer Hand am Steinvorsprung und mit der anderen griff ich nach dem Vordach, dessen Dachziegel aber nachgaben und im Nachfassen riß ich einen davon herunter, der mit dem typischen, splitternden Geräusch zu Boden ging. Dabei rutschte ich weiter vom Dach ab und konnte nur noch auf Verdacht in die Dunkelheit fassen, um nach dem Querbalken zu greifen, den ich schon mit dem Fuß ertastet hatte. Sekundenbruchteile später hing ich nur mit der linken Hand an diesem Balken, da ich mich am Sims nicht mehr halten konnte und ihn durch den großen Abstand nicht mehr erreichte. Blitzschnell nutzte ich die Pendelbewegung meines Körpers und faßte jetzt auch mit der rechten Hand nach dem Vordach, als ich gleichzeitig ein Schließgeräusch von der 94
Tür zur Küche unter mir vernahm. Meine kleine Klettertour und die tolpatschige Aktion dabei war wohl leider nicht verborgen geblieben. Langsam schaukelte ich aus und das Einzige, was ich in dieser Sekunde noch tun konnte, war, die Beine anzuziehen, um sie aus dem Blickwinkel der Tür zu bekommen, die jetzt geöffnet wurde. Genau im schwachen Lichtschein der Küche lag der zerbrochene Ziegel und der heraustretende Mann sah, entweder aus Müdigkeit, oder weil sich seine Augen noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erst einmal dorthin, anstatt zu mir nach oben. Das hätte er lieber tun sollen, denn im selben Augenblick erwischten ihn schon meine Sohlen, die mit ganzem Schwung gegen seine Schläfe trafen und ihn gut drei Meter von seinen vorigen Standpunkt wegkatapultierten. Noch in seiner Flugphase löste ich mich vom Dach und lies mich auf den Boden fallen, wo ich mich sofort aus dem Licht der offenen Tür herausrollte und kniend, mit gezogener Waffe, an der Hauswand wieder zu Ruhe kam. Ich war darauf gefaßt, daß eine zweite Person aus der Tür auftauchen würde, aber nichts dergleichen geschah. Im Moment war die Zeit gegen mich und ich durfte niemandem gestatten, aus der Küche Alarm zu schlagen, deshalb ließ ich den Rucksack an der Seite liegen, rollte mich mit schußbereiter Waffe durch den Lichtkegel zu dem Mann, der etwas benommen, aber nicht bewußtlos, am Boden lag und sich seinen Kopf hielt. Als ich an der Tür vorbeihuschte, war kein Mensch zu sehen, aber das konnte auch täuschen und ich mußte mir erst einmal den Rücken freimachen. Mit dem Griff der Pistole beförderte ich den Mann ins Land der Träume und schnappte ihn mir, dabei sah ich aus den Augenwinkeln, daß meine beiden sardischen Freunde ihren Kastenwagen genau in die Einfahrt zu dieser Sackgasse geparkt hatten und registrierte diesen glücklichen Zufall sehr erfreut. Ein kräftiger Ruck und ich hatte den bewußtlosen Mann hochgezogen, um mit ihm als Schild die Küche zu betreten. Sie war leer und da nur wenige Sekunden vergangen war, glaubte ich kaum, daß jemand die Zeit hatte, um den Raum inzwischen zu verlassen und so verschloß ich schnell wieder die Außentür, nachdem ich mir vorher meinen Beutel von draußen gegriffen hatte. Die schlafende Wache setzte ich an den Tisch, wo dieser wohl zuvor schon den Abend verbracht hatte, denn hier fand ich seine Maschinenpistole, eine handliche Mak 10, die er offensichtlich in seiner Müdigkeit liegen gelassen hatte. Zwei Türen sah ich nun vor mir, eine von ihnen führte geradeaus in die Halle und die andere nach rechts in den Keller hinunter. Kurzzeitig überlegte ich, ob es nicht besser wäre, den Zugang zur Halle zu verbarrikadieren, oder nach einem Schlüssel aus meinem reichhaltigen Vorrat zu suchen, um einfach abzuschließen, aber ich wollte lieber den Wächter mitnehmen und alles unverändert lassen, denn das wäre sicher unauffälliger als eine plötzlich verschlossene Tür. Durch die ganze Aufregung verging kaum meine Übelkeit von vorhin und das konnte ich nun am Wenigsten gebrauchen, so zwang ich mich sofort, weiterzugehen und die Kellertür zu öffnen, um gar keine Zeit zum Nachdenken zu haben. 95
Eine alte Steintreppe führte nach unten, die reichlich von nachträglich auf das Mauerwerk installierten Lampen ausgeleuchtet wurde – etwas zu gut für meinen Geschmack. Nochmals griff ich mir den leblosen Körper des Mannes und zerrte ihn in den Kellereingang, wo ich ihn sicherheitshalber mit einem Seil fesselte und mit einem Handtuch knebelte, was alles in der Küche herumgelegen hatte. Hier war er erst einmal gut deponiert und ich mußte mich nicht damit herumquälen, ihn zu tragen. Würde jemand von vorne aus dem Keller kommen, lief er mir sowieso in die Arme und das Risiko, daß aus der Küche irgendwer in den Keller wollte, mußte ich einfach eingehen. Also lies ich ihn hinter der nun geschlossenen Kellertür liegen und bewegte mich, wenn auch nicht katzenartig, so doch vorsichtig und geschmeidig nach unten, immer auf eine neue Überraschung gefaßt. Unten angekommen war rechter Hand ein Raum mit einer angerosteten Metalltür. Laut der Zeichnungen war hier ein Generator untergebracht, der sicher nicht nur für Stromausfälle benutzt wurde, sondern auch jene Festbeleuchtung ermöglichte, die ich vorhin auf der Piazza bewundern durfte. Ich mußte aber nach links weiter in einen langen Gang, der dem Generatorraum gegenüber lag und sich weit in den Untergrund – wie in verlassenen Katakomben – erstreckte. Dank meiner Pläne war es für mich einfach, den richtigen Weg zu finden, der beidseitig von halbrunden Gewölben gesäumt war, die sich wie riesige Nischen aneinanderreihten. Eine düstere Stimmung verbreitete dieser Ort, die stickige Luft mit ihrem hohen Feuchtigkeitsanteil machte das schnelle Atmen beschwerlich und Schweiß rann über meine Haut, der kaum noch von meinen Sachen aufgesogen wurde, so daß er an den Armen und dem Rücken entlang kroch, wie ein kleines Insekt, daß sich in meine Kleidung verirrt hatte. Vorerst zog ich mich wahllos in den Schatten einer der alten Nischen zurück und überprüfte meine „neuerworbene“ Maschinenpistole. Die Mac10 hatte nur das eingesteckte Magazin, aber konnte mir sicher wegen ihrer Handlichkeit bei Bedarf gute Dienste leisten. Um möglichst ungestört zu sein, lag ich verborgen hinter einigen Kisten in Deckung, schaute dabei eher neugierig als suchend zu ihnen und bemerkte einige offene Deckel, die versetzt auflagen. Etwas Besonderes erwartete ich nicht, denn vorher hatte ich einige gut gefüllte Weinregale gesehen und dazu noch viel alter Plunder, angefangen vom Hausrat bis hin zu einigen Möbelstücken. Hier war es jedoch anders, denn ordentlich gestapelt waren Kisten an den Wänden plaziert, die mich mit ihrer dunkelgrünen Farbe und den überstrichenen Beschriftungen sehr an das Militär erinnerten. Natürlich ließ ich die Sache nicht auf sich beruhen und einen Deckel zur Seite schiebend, sah ich dann, eingepackt wie Eier von der Hühnerfarm, zwei Reihen voll Handgranaten, die meinen ersten Eindruck über den Inhalt bestätigten. Nicht schlecht, aber denkbar ungeeignet für eine Befreiungsaktion, mit Blendgranaten wäre mir im Moment mehr geholfen. Trotzdem steckte ich ohne eine 96
bestimmte Absicht zwei von diesen „Überraschungseiern“ in die vorhandenen Schlaufen meiner Jacke und schaute vorsichtig in den langen Gang. Unregelmäßig huschten mehrmals Schatten durch den Lichtkegel der halboffenen Tür weit vor mir, die offensichtlich zu dem Raum führte, in dem ich die Frauen vermutete. Von Nische zu Nische kam ich ihm näher und versteckte mich jeweils hinter einem der gemauerten Bögen, bis mich nur noch wenige Schritte vom Eingang trennten. Da!... zwei Gestalten erschienen in der Tür und kamen mit lauten Lachen den Gang entlang um zur Treppe zu gehen und gerade noch rechtzeitig schaffte ich es mich hinter einem der Stützpfeiler zu verstecken. Dieses Lachen kannte ich, Emilio und Mario, die beinahe aufreizend lässig an mir vorbei durch den Gang schlenderten. Mit den beiden hatte ich noch ein Hühnchen zu rupfen, denn gleich nach Verlogenheit und dem Hang sich einzuschleimen, haßte ich es wenn jemand meine Großzügigkeit ausnutzte, wofür diese Brüder eine wunderbares Beispiel lieferten und ihr Konto mit der Entführung von Anne und Carmen um einen gewaltigen Posten zusätzlich erweitert hatten. Beide gingen sehr langsam den Gang entlang und aus den Gesprächsfetzen konnte ich heraushören, daß sie bester Laune waren und offenbar schon kräftig ihren Erfolg feierten. Die Gelegenheit schien günstig, ihnen das Gefieder zu stutzen. So schaute noch einmal zur Tür, wo sich aber niemand weiter zeigte, schlich dicht an den vielen Bögen vorbei und kam ihnen immer näher. In einer dieser Nischen hatte ich vorhin zwei alte Stuhlbeine gesehen und beschloß sie einer sinnvollen Verwendung zuzuführen, dabei steckte ich meine Beretta in den Gürtel, denn die Waffe zu benutzen kam in diesem Fall, wo die Vorteile auf meiner Seite waren, nicht in Frage. Wenn die Umstände es erforderten, hatte ich kein Problem damit, die Pistole zu benutzen, doch ich war kein eiskalter Killer, der zwei Leuten einfach in den Rücken schoß, um eine offene Rechnung zu begleichen. So griff ich im Vorbeischleichen die Holzteile und beschleunigte, holte gleichzeitig aus und wie bei einem Schlagzeugsolo gelang es mir, als ich ihre Hinterköpfe traf, zwei melodische Töne zu erzeugen, was sicher an der Fülle des Resonanzraumes lag. Es war zwar ein kurzes Vergnügen, trotzdem ging es mir jetzt wesentlich besser. Beide zog ich in hinter ein paar Regale und die übliche Fesselung vermied weitere Überraschungen, dann nahm ich meinen Plan wieder auf und näherte mich mit einem dezenten Lächeln im Gesicht einige Minuten später wieder der Tür. Je näher ich kam, desto mehr Geräusche konnte ich aus dem Raum vernehmen. Mal rückte ein Stuhl, oder einige Worte wurden kurz gewechselt, aber die späte Stunde forderte schon ihren Tribut und die Wachen waren sicher froh, einfach ein Schläfchen zu machen. Inzwischen hatte ich das letzte Gewölbe erreicht und tastete mich dort vor, um mir aus der Deckung einen Überblick durch den Türspalt zu verschaffen. Drei Männer konnte ich erkennen, die dösend an einem Tisch saßen und den Kopf wahlweise auf der Tischplatte oder den aufgelegten Händen hatten. Ein vierter Kerl stand an einer Zelle, die eher wie ein Käfig aussah, weil sie bis auf die Wandseite nur aus Gitterstäben 97
bestand, und stierte dort hinein, wo ich leider nur undeutlich etwas von den gefangenen Frauen sehen konnte. Also hatte ich gefunden, was ich suchte, und schloß die Augen, um mir die Position jeder Wache einzuprägen, während ich dabei die Maschinenpistole in meine linke Hand schob. Mit der Beretta und der Mak 10 wollte ich hineinstürmen und die vier Mafiosi überraschen, so daß ich keinem von ihnen ein Haar zu krümmen brauchte, doch jetzt passierte etwas, daß sich in Sekundenbruchteilen abspielte, mir aber wie Stunden vorkam. Gerade, als ich durch die Tür stürzen wollte, hörte ich weit hinter mir einen lauten Ruf und einiges Gepolter, das von schweren Schritten begleitet wurde. Zwei kurze Feuerstöße folgten und ein Getrampel näherte sich mir von der Treppe, so daß ich mit einem Satz wieder im Schatten meiner Nische verschwunden war. Gleichzeitig kam nun in dem kleinen Gefängnis eine panische Betriebsamkeit auf und jeder griff zu seinen Waffen. Hatte man Wind von mir bekommen, oder war das schon Gondoni? Doch dafür erschien mir die vergangene Zeit zu kurz und mit entsicherten Waffen wartete ich auf eine Antwort, halb gespannt, halb besorgt, wer nun durch den dunklen Gang kam. Aus meinem Versteck hinter einigen ausgedienten Möbeln hatte ich einen Logenplatz und sah plötzlich, wie das Mündungsfeuer der Wachen in den Gang hineinzielte, das vorerst nicht beantwortet wurden. Dafür hörte ich einige Gesprächsfetzen von den Angreifern, die zu schnell und zu undeutlich gerufen wurden, aber ein Wort verstand ich gut, „Torro“. Dann eröffneten auch sie das Feuer und um die Tür herum schlugen die Geschosse von der anderen Seite ein, so daß sich der lösende Staub und der Pulverdampf zu richtigen Nebelschwaden verbanden, die durch den Raum zogen und gleichzeitig von einem ohrenbetäubenden Krach, den das Gewölbe tausendfach verstärkte, begleitet wurde. Es waren also Gondonis Männer und Señor Almera schien irgendwo in der Nähe zu sein, ob nun persönlich, oder über mit den Männern per Funk verbunden. Mit einigen Vorwürfen über meine zeitliche Fehleinschätzung und der Sorge, daß Anne und Carmen etwas passieren konnte, verbrachte ich die nächsten Minuten, in denen sich das Feuergefecht hinzog und ich hilflos zum Zeugen der Ereignisse wurde. Zuerst schien es eine Pattsituation zu geben, jemand war so schlau gewesen, im Raum das Licht zu löschen, und die Angreifer ließen sich einige Zeit, um immer dichter an den Eingang heranzukommen. Doch dann wendete sich das Blatt zu Gunsten von Gondoni. Der Widerstand wurde schwächer und es kam das zum Einsatz, was ich in meiner Ausrüstung vermißt hatte, eine Blendgranate. Als ich das Objekt im Bruchteil einer Sekunde an mir vorbeifliegen sah, wußte ich instinktiv, daß ich in Deckung gehen mußte, und so überraschte mich die Wirkung nicht allzusehr. Genau wie der Anblick der beiden maskierten Männer in ihrer schwarzen Kampfkleidung und den schußsicheren Westen, die an mir vorbeihuschten und sofort mit den Kerlen im Raum kurzen Prozeß machten. Nun durfte ich nicht zögern, denn lange würde es sicher nicht mehr dauern bis jemand bemerkte, daß sich hier kein Josef Biedermann aufhielt und das nach draußen 98
meldete, also legte ich meine Waffen auf einen mit Holzwürmern gespickten Sekretär, den ich auf das späte achtzehnte Jahrhundert schätzte und warf hintereinander die beiden Handgranaten rechts in den Gang auf die von mir dort vermuteten restlichen Angreifer Gondonis. Zwei ohrenbetäubende Explosionen ließen schlagartig jegliche Aktivität aus dieser Richtung erlahmen. Meine Waffen greifend rannte ich in den Gang und hielt die Mündung der Maschinenpistole in Richtung der Treppe und drückte blind ab, während meine Beretta in das Gefängnis gerichtet war, genau wie meine Augen, die nach den beiden Zielen suchten. Jetzt feuerte ich auf beide Seiten und verletzte den ersten Mann gleich tödlich, während der zweite am Bein getroffen zur Seite sprang und so aus meinem Blickfeld verschwand. Die Mak hatte ihren Dienst getan und ich ließ sie einfach fallen, warf mich mit einer Rolle in den Raum und konnte somit dem letzten Schuß des Verletzten ausweichen, der nun keine Patrone mehr in seinem Magazin hatte und diesen Schock erst einmal verdauen mußte. Sofort nutze ich die Chance, sprang auf ihn zu und holte zu einem wütenden Faustschlag aus - damit war jeder Widerstand in diesem Raum gebrochen und ich schaute vergebens über die Körper der Männer, ob noch jemand überlebt hatte. Trotz des Ernstes der Lage fühlte ich mich nicht schlecht als ich in die ungläubigen Augen der Frauen sah, wobei auch ich überrascht wurde, denn in dem Käfig erblickte ich unvermutet das Gesicht von Diana LeClaire. Die Zeit darüber nachzudenken hatte ich im Moment nicht, aber offenbar mußte Fortunati wohl dahinter gekommen sein, daß sie mit Gondoni, dem Konkurrenten auf der Suche nach dem Schatz, in Verbindung stand und hatte sich ihrer bemächtigt, genau wie Anne und Carmen. Ich war erleichtert, die drei Frauen nach diesem Gemetzel unversehrt zu sehen, doch in ihren Gesichtern hatten diese Ereignisse ihre Spuren hinterlassen. Am schnellsten reagierte Carmen, die zweifelnd zu mir schaute und es offensichtlich kaum fassen konnte was sie sah, auf die neue Situation. Ich hingegen hielt mich nicht damit auf in irgendwelchen übertriebenen Siegesposen zu verharren und mein Ego aufzupolieren, denn dafür war weder ein Grund noch die Zeit vorhanden, schließlich hatte ich keinen Plan, wie ich die Gefangenen hier herausholen sollte und das passte nicht zu einem strahlenden Helden. Unsicherer denn je huschte mein Blick über die Ausrüstung von Gondonis Männern und gab mir erneut ein Rätsel auf, denn das Zeug sah eher nach einer Kommandoeinheit aus und kam sicher nicht aus dem Schrank eines Amateurs. Mit wem hatte ich es hier zu tun? Doch vorerst stellte ich diese Frage in den Hintergrund und schnappte mir eine der umherliegenden Waffen, die ich Carmen in den Käfig reichte, weil ich im Augenblick keine Zeit hatte, nach einem Schlüssel zu suchen, „Muß ich Angst haben, wenn ich Ihnen die Waffe gebe?“
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Sie mühte sich zwar, das Aufhellen ihres Gesichtes zu verbergen, aber es gelang ihr nicht ganz, „Nein, Señor Kronau, das müssen Sie nur, wenn Sie mir die Waffe nicht geben“ „Na, das wollen wir doch beide nicht, bitte“, schnell griff sie zu und ich wendete mich sofort wieder ab, nahm mir eines der handlichen Sturmgewehre vom Boden und rannte aus dem Raum in meine altvertraute Nische, denn noch war ich mir nicht sicher, ob noch jemand draußen kampfbereit herumlungerte. Doch kein Schuß fiel, insgesamt lagen dort vier weitere Männer tot am Boden, die möglicherweise schon dem Feuergefecht zum Opfer gefallen waren. Jedenfalls war hier im Keller Ruhe eingekehrt, aber dadurch schallten deutlich die Geräusche von oben herunter und dumpf konnte man vereinzelte Explosionen vernehmen. Auch das hörte sich kaum nach einer Gruppe von Gondoni angeheuerter Kleinkrimineller an, die sich schnell ein warmes Essen verdienen wollten. Es war noch nicht vorbei und in dem Fall war ich froh darüber, weil unsere Chancen, durch das Getümmel zu entkommen, immer noch bestanden. Als zwei Schüsse hinter mir aufpeitschten, zuckte ich unwillkürlich zusammen und riß die Waffe herum, die dann absank als Carmen durch die Tür kam und sich ebenfalls ein Bild von der Situation machte, „Wir wollten nicht mehr auf den Schlüssel warten, Señor Kronau. Waren Sie das alleine, oder haben Sie Hilfe mitgebracht?“ „Sie werden es mir nicht glauben, aber Gondoni hilft uns gerade“ Augenblicklich entsicherte Sie die Pistole und richtete sie auf mich, „Doch ein Verräter, wieviel hat Ihnen Gondoni dafür gezahlt?“ „Carmen, ganz ruhig. Gondoni weiß nicht, daß er uns hilft und wenn ich ein Verräter wäre, dann hätte ich das wohl kaum ausgeplaudert. Könnten Sie bitte das Mißtrauen einstellen, ich habe keine Lust, immer ein flaues Gefühl zu haben, wenn Sie in meinem Rücken sind“ Meine Erklärung überzeugte sie nicht gleich und es dauerte einige Sekunden, bis sich die Waffe langsam von mir wegbewegte, „Gut, es erscheint mir einleuchtend, was Sie sagen, aber ich hoffe nicht, daß ich das eines Tages bereuen werde, sonst...“ „Sparen Sie sich die Drohungen für jemand anderen auf, die werden Sie bei mir nicht brauchen und jetzt sollten wir schleunigst verschwinden, bevor Gondoni noch Verstärkung herrunter schickt“ „Einverstanden, hier ist es mir sowieso zu ungastlich gewesen. Wie kommen wir raus?“, sie schaute mich mit einem durchdringenden Blick an und leider hatte ich genau diese Frage befürchtet, auf die ich nun eine Antwort mehr improvisierte, als wußte. „Wir müssen in die Küche und dann durch den Lieferanteneingang nach draußen, dort steht der weiße Lieferwagen. Wir nutzen den Tumult aus und versuchen so zu verschwinden. Holen Sie für uns die schußsicheren Westen und soviel Waffen und Munition wie sie nur tragen können, ich glaube, das Schlimmste steht uns noch bevor noch“ „Ziemlich dünn, dieser Plan“ „Ich weiß, und wenn Sie eine bessere Idee haben, höre ich Ihnen gerne zu“ 100
Sie nickte nur und ging los, während ich zurücklief und nach Anne schauen wollte, die ich geschockt und zitternd in dem Käfig vermutete, aber eine Erfahrung, die sicher jeder Mann in seinem Leben schon einmal gemacht haben wird, bestätigte sich hier erneut, denn Frauen machen garantiert etwas anders, als man von ihnen erwartete. Anne saß zwar noch in der Zelle, hatte aber schon eine automatische Pistole in der Hand und hielt damit den angeschossenen Mann in Schach. Gleichzeitig untersuchte Diana gerade die Brauchbarkeit der herumliegenden Waffen, wobei sie die toten Wachleute mit einer Selbstverständlichkeit durchsuchte, als wenn man das in der Volkshochschule lernen könnte. Als Diana mich sah, sprang sie auf und umarmte mich heftig, wobei sie mir einen langen Kuß auf die Wange gab, was mir vor Anne unangenehmer war, als es eigentlich sein sollte, „Gabriel, du bist ein Engel, deinen Namen hast du wirklich verdient. Wie hast du uns gefunden? Ist das draußen die Polizei?“ „Danke für das Kompliment, aber noch sind wir nicht aus dem Gröbsten raus und ich habe jetzt kein Zeit für lange Erklärungen. Von draußen können wir keine Hilfe erwarten und wir müssen schnellstens hier weg sein, bevor alles vorbei ist. Können Sie mit der Pistole, die Sie da gerade festhalten, auch umgehen, Diana?“ Sie antwortete mir mit einer Selbstverständlichkeit, als wenn sie ein Abendkleid vorführen müßte, „Ja, Gabriel, nur keine Angst, schließlich habe mal einen Selbstverteidigungskurs besucht und treffe immer, was ich will“ Sehr umfangreich, wie man heutzutage dort ausgebildet wurde, „Dann sind Sie besser als ich. Jedenfalls sollte es reichen, um zu wissen, daß Sie da kein Spielzeug haben, also nur auf die bösen Jungs schießen“ „Sicher, ich suche mir mein Ziel immer sehr genau aus“ „Das kann nur von Vorteil sein, draußen könnte Carmen sicher deine Hilfe beim Einsammeln einiger Sachen brauchen, vielleicht würdest du das übernehmen?“ Etwas enttäuscht drehte sie sich um und verschwand schnell aus dem Raum. Jetzt kam endlich der Augenblick, um mit Anne zu sprechen, und obwohl um uns herum Tod und Gefahr herrschte, war das der Moment, in dem ich wirklich Angst bekam und mir das Herz bis zum Hals schlug. Lässig saß sie mit der Waffe in der Hand auf der Pritsche und schaute mir fest in die Augen. Ich hatte keinen Grund, wegzuschauen und sie sagte nichts, genau wie ich, so war es für einen Moment schon unheimlich, wie wir uns starr ansahen, bis sie mit einem Lächeln die Situation durchbrach und zu reden begann, „Könnte es sein, daß ich Sie unterschätzt habe, Herr Kronau?“ Ganz leicht nickte ich und konnte nur schwer meine ruhige Fassade aufrechterhalten, „Ich glaube, das liegt im Bereich des Möglichen“ Sie streckte mir ihre Hand entgegen, „Diesen Fehler werde ich nicht noch einmal machen“ Bei der Berührung ihrer Hand kribbelte meine Haut wie von kleinen Entladungen durchströmt und ich mußte mich förmlich zwingen, nicht die unerfreuliche Ursache unseres Zusammentreffens zu vergessen, weshalb ich mich räusperte und möglichst fest sprach, „Das ist schön zu hören, wir sollten schließlich aus jedem Fehler lernen, damit es uns beim zweiten Mal nicht mehr passiert“ 101
Darauf antwortete sie nichts und der Ernst der Lage duldete leider keinen Aufschub mehr, um dieses Gespräch weiterzuführen, denn eines galt es für mich noch zu tun. Es war Jahre her, daß durch meine Hand ein Mensch getötet wurde und genau wie damals mußte ich mein Gewissen überprüfen, ob es etwas gab, was mich schuldig sprach. Vielleicht gab es das wirklich, aber konnte man die subjektive Bedrohung durch einen Killer mit der nüchternen Objektivität menschlicher Moralbegriffe aufwiegen? Kurz beugte ich mich über den von mir getöteten Mann und nahm ihm seine schwarze Gesichtsmaske ab. Er sah nicht aus wie ein hinterhältiger Verbrecher, eher wie ein unschuldiger Familienvater, aber die Waffen bei ihm erzählten eine andere Geschichte und warum dieser Mann auch immer für Gondoni gearbeitet hatte, er brachte den Tod und er hatte ihn geerntet. Es war nichts Pathetisches dabei und ich fühlte keine Genugtuung, nur eine gewisse Wut, weil ich keine andere Wahl hatte, als zu schießen. Während ich ihn so betrachtete, fiel mir das kleine Headset auf, welches er noch trug und das ich nach kurzem Überlegen sofort an mich nahm. Auch der zweite Angreifer war damit ausgerüstet und ich ging zu dem benommenen Kerl herüber, griff mir auch dieses Gerät und setzte es mir gleich auf. Bekam ich jetzt noch das Rufzeichen des Mannes, konnten wir einen entscheidenden Vorteil aus dem Funkverkehr von Gondonis Leuten ziehen. Deshalb funktionierte ich eine Mineralwasserflasche aus der Ecke in eine Dusche um und brachte damit meinen Gefangenen wieder ins Bewußtsein zurück, doch auch die Überredungskunst meiner Beretta genügte nicht, um seinen Codenamen, geschweige denn etwas über seine Identität zu erfahren und eine Minute später landete er dann gefesselt auf der Pritsche des Käfigs, begleitet von einem überheblichen Grinsen aus seinem Gesicht. Der vergebliche Versuch, etwas zu erfahren, hatte uns schon zuviel Zeit gekostet, die uns ohne Erbarmen im Nacken saß, denn niemand konnte wissen, wie lange das da oben noch so weiterging und je schneller wir weg waren, desto besser war es für uns. Gerade als ich Anne in die Arme nehmen wollte, was mir überhaupt nicht unrecht war, um sie herauszutragen, stürzte Carmen herein und winkte ebenfalls mit vier Headsets, worauf sie kurz nickte, als sie bei mir das Funkgerät sah und damit wohl anerkannte, daß ich deren Wert genauso hoch eingeschätzt hatte. Doch als noch viel wertvoller stellte sich ein unscheinbarer Rucksack heraus, der draußen im Gang bei den Männern gelegen hatte und offensichtlich eine mit Plastiksprengstoff vollgestopfte Haftladung war. Carmen trug schon eine Panzerweste und verteile drei weitere an uns, wobei sie zuletzt zu mir kam und einige aufgesammelte Magazine neben meine Maschinenpistole legte, „Wie haben Sie es geschafft, daß Gondoni hier aufgetaucht ist“ „Es gibt Leute, die können guten Argumenten nicht widerstehen, solch ein Mensch ist auch Signore di Gondoni, leider wird er bald merken, daß er aufs Glatteis geführt würde und dann möchte ich wirklich nicht in seiner Nähe sein“ Sie hob die Augenbraue und sah mich durchdringend an, „Also ein Ablenkungsmanöver!“ „So ungefähr, ich brauchte einen Waldbrand, um mein Lagerfeuer zu kaschieren, quasi ein Wunder und Gondoni konnte es mir liefern“ 102
„Respekt Señor Kronau, ich bleibe bei meiner Meinung, daß Sie nicht das sind, was Sie vorgeben zu sein, doch ich habe es mir mit meiner Einschätzung über Sie zu einfach gemacht. Bis jetzt glaubte ich, sie geben nur vor, gefährlich zu sein, um andere zu beeindrucken, nun weiß ich aber, daß Sie gefährlich sind und ich bin beeindruckt“ „Das müssen Sie nicht sein Carmen...“, ich drehte mich zu Anne, um sie in das Gespräch mit einzubeziehen, „...Sie beide haben auch ein Geheimnis und wir ähneln uns vielleicht mehr, als Sie zugeben wollen. Ich mache das sicher nicht zum Spaß und habe auch meine Gründe dafür, außerdem haben Sie mir das Leben gerettet. Es ist nur fair, daß ich mich dafür revanchiere und wir können uns gerne in Ruhe noch einmal darüber unterhalten, allerdings nicht hier. Wir sollten erst einmal von diesem Ort verschwinden“ „Natürlich, Señor Kronau...“, Carmen ging zur Tür, „...ich überprüfe den Weg bis zur Treppe, dort treffen wir uns“ „Gut, passen Sie aber auf, ich habe vorhin einen Gefangenen auf der Treppe deponiert“ Eilig hing ich die Maschinenpistole quer über die Schulter und steckte mir meine Beretta griffbereit in den Gürtel, dann ging ich zu Anne und hob sie hoch, wobei sie ihre Arme um meinen Nacken legte. Es war schon eigenartig, in solch einer Situation, in der auf einen geschossen wurde und man um das Leben gekämpft hatte, war es diese Umarmung, die mir einzig eine Gänsehaut über den Körper jagte. Anne sah mich an, während ich sie trug, „Machen Sie das wirklich nur, um ihre Schulden zu bezahlen?“ „Hmmm,... hatten Sie schon einmal das Gefühl, etwas machen zu müssen, ohne wenn und aber?“ „Ja, so ein Gefühl kenne ich“ „Dann können Sie mich hoffentlich verstehen, Anne“ Wir liefen schnell den Gang entlang, kamen an der Nische mit den Handgranaten vorbei und ich gab Diana den Hinweis, einige von ihnen mitzunehmen, denn jetzt könnten sie doch noch nützlich werden. Am Fuße der Treppe lag die Wache aus der Küche tot in einer Blutlache, die ersten Schüsse, die ich gehört hatte, galten wohl dem wehrlosen Kerl und das ließ mein Mitleid mit Gondonis Leuten fast völlig verschwinden. Carmen wartete oben vor der halb geöffneten Tür und schaute vorsichtig in die Küche, die immer noch völlig leer im Dunkeln lag, dann kam ich hinzu und setzte Anne etwas tiefer auf der Kellertreppe ab und verschaffte mir selbst einen Überblick. Diana sollte bei ihr bleiben, während ich den Lieferanteneingang unter die Lupe nahm und Carmen darauf bestand, den Weg durch die Empfangshalle zu erkunden, so krochen wir durch die Tür in den verlassenen Raum, jeder seinem Ziel entgegen. Begleitet wurde die Szenerie von einem permanenten Feuergefecht, das scheinbar von allen Seiten kam und unregelmäßig von schweren Detonationen verstärkt wurde, die mich eher an einen Krieg denken ließen. Das war weit mehr, als ich erwartet hatte und wirkte in seinen Ausmaßen eher wie eine Hollywoodinszenierung. Langsam hielt 103
ich es für einen Fehler Gondoni hergeholt zu haben, der offensichtlich eine größere Gefahr werden konnte, als diese Mafiosi. Ich konnte mir im Moment auch nicht erklären warum die Küche von Fortunatis Männern unbewacht blieb, schließlich war es der zweite Eingang zum Palazzo und deshalb strategisch nicht unwichtig, jedoch sollte ich einige Sekunden später den Grund dafür massiv vor Augen geführt bekommen. Mehrere Männer in Schwarz hatten sich in der Zwischenzeit durch die Sackgasse gekämpft und erschienen blitzartig vor dem Lieferanteneingang, indem sie mit dem weißen Transporter in hoher Geschwindigkeit davor auftauchten und dann in dessen Schutz in das Haus eindringen wollten. Nur noch wenige Meter trennten uns voneinander, ich hatte einen Logenplatz hinter den großen Küchenfenstern, um die Gefahr in ihrem ganzen Ausmaß zu erkennen und halb vor Schreck riß ich die MP in den Anschlag, warf mich hinter den massiven Anrichtetisch mit seiner polierten Granitauflage und riß ihn um, so daß die Steinplatte mir Schutz bieten konnte. Gerade in dem Augenblick, als das Fahrzeug zum Stehen kam und Gondoni´s Leute dahinter hervorstürmten, detonierten von oben aus dem Haus geworfene Handgranaten und unzählige Projektile durchschlugen den Wagen. Nur wenige Sekunden dauerte das Inferno, dann hatte sich ein riesiges Leichentuch über die Szene gelegt, bevor der Transporter genau vor der Tür explodierte und durch die Hitze des nun lodernden Brandes jedes Entkommen durch diesen Ausgang verhinderte. Wenigstens von zwei Seiten hatten die Männer von Paulo Fortunati ein freies Schußfeld, dazu mußten sich wohl über uns ebenfalls mehrere Mafiosi verschanzt haben, die solange gewartet hatten, bis die Falle unter ihnen zuschnappen konnte. Mein Instinkt, sich hinter dem Tisch zu verschanzen, hatte sich bezahlt gemacht, denn durch die Granaten und die Explosion, war die ganze Fensterfront zerstört worden und Tausende von Splitter flogen wie winzige Geschosse durch die Luft, die glücklicherweise auch Carmen nicht erreichen konnten, da sie immer noch in der Eingangshalle verschwunden war. Allerdings nur kurz, denn gleich darauf sprang die Tür auf und sie rollte gefolgt von einer Salve auf dem Boden ab, „Haben Sie etwas abbekommen, Carmen?“ „Nicht der Rede wert, vier Männer haben sich vor dem Eingang in der Halle verbarrikadiert und kontrollieren so die Piazza, damit leider auch diese Tür zur Halle und jetzt wissen sie, daß jemand hier ist. Ohne Kampf kommen wir kaum raus und dafür haben wir schlechte Karten, denn oben in der ersten Etage sind auch einige Männer, die diesen Bereich unter Beschuß nehmen können. Aber hier sieht’s auch recht wild aus?“ „Ja, Sie haben gerade die Begrüßung des Empfangskomitees aus dem ersten Stock verpaßt. Diese Typen halten alles in Schach und von den umliegenden Häusern wird auch jeder festgenagelt. Das sieht nicht sehr gut aus, genau wie unser Fluchtwagen da draußen“ „Wie ich schon sagte, ein ziemlich dünner Plan, was jetzt?“ 104
„Erst einmal sichern, irgendwas wird noch passieren, schließlich muß doch Gondoni versuchen, seine Leute herausbekommen und ich glaube, daß ist eine gute Möglichkeit, die wir vielleicht nutzen sollten“, wir zogen uns erst einmal in den Schutz des Treppenzugangs zurück. In dem Augenblick hörte ich das typische Geräusch eines Helikopters, der schnell über das Haus flog, gefolgt von den schon bekannten Detonationen und auch in dem Headset tat sich jetzt etwas. „Sylvester, Sylvester bitte kommen“, es schien, als bekam ich nun den gesuchten Codenamen frei Haus geliefert und in meinem Hirn braute sich langsam etwas zusammen, das uns weiterhelfen konnte. Außerdem fiel bei mir weiteres Kleingeld, denn dieser Helikopter war die logische Erklärung für einige offene Fragen. Zuerst erklärte das die Geschwindigkeit, mit der es Gondonis Männer geschafft hatten, so schnell vor Ort zu sein und zweitens konnte die Einschleusung seiner Leute höchstwahrscheinlich nur über das Dach erfolgen, die sich dann in Windeseile an den verdutzten Wachen vorbei, durch das Gebäude gekämpft hatten. Das war endgültig zuviel Equipment für einen Kunsthändler und ich sollte unbedingt mehr über diese Leute erfahren, doch vorerst mußten wir hier raus und diese Maschine war unsere Rückfahrkarte. In Carmen arbeitete es ebenfalls und ich glaubte, sie war auf dem Weg zu der gleichen Idee, als ich sie, im Kellereingang angekommen, anredete, „Wir brauchen für uns alle die Kampfanzüge von den Männern unten im Keller. Ich halte hier solange die Stellung, erledigen Sie das Carmen?“ „Ich weiß, was Sie meinen, wir sind gleich wieder da“, damit zog sie die überraschte Diana, die etwas irritiert der energischen Frau folgte, von der Treppe hoch und beide rannten nach unten. Ich blieb mit Anne auf den obersten Stufen der Kellertreppe, von hier aus hatte man beide Türen unter Kontrolle und genau jetzt griffen Fortunatis Männer an. Ein massiver Beschuß der Küchentür setzte ein und noch gefährlicher waren die drei Seile aus dem ersten Stock, die ich an den Resten der Fenster vorbeifliegen sah, demnach stand uns ein Angriff von zwei Seiten bevor. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort mit der richtigen Frau – ein Umstand, der sonst sicher mehr als angenehm gewesen wäre, aber jetzt nur große Sorgen in mir hervorrief. Also galt es, mit aller Kraft diesen Angriff zu verhindern und ihr schneller Atem in meinem Nacken verdoppelte diese Entschlossenheit. Unsere Munition war recht spärlich und diese Einschätzung war noch geschmeichelt. Nur die Granaten gaben uns noch einen Vorteil, aber auf die kurze Entfernung konnte das für uns gefährlicher werden, als für die anderen. Einen langen Moment schaute ich in Annes Augen und versuchte ihr damit ein Gefühl der Sicherheit zu geben Ob mir das gelang, wußte ich nicht, aber dafür bekam ich etwas unerwartet zurück - den unbändigen Willen, bis zu letzten Patrone auszuhalten, damit dieser Frau nichts geschah. Alles passierte in nur wenigen Sekunden, mit einer schnellen Bewegung griff ich nach den Granaten und hielt eine davon wurfbereit in der Hand, den Rest gab ich Anne, die sofort reagierte und wußte was damit zu tun sei. 105
Gespannt warteten wir darauf, daß der Sturm losbrach, und ihre Hand legte sich auf meine Schulter, konnte jetzt noch etwas Schlimmes passieren? Bis jetzt noch nicht, aber ich war mir sicher, das würde sich gleich ändern, also improvisierte ich und benutzte das, was mir zur Verfügung satnd - mein Hirn. Schnell stellte ich meinen erbeuteten Sender auf minimale Leistung, um durch eine schlechte Übertragung meine Stimme undeutlich zu machen, „Hier Sylvester, bitte kommen! Hier Sylvester, bitte kommen!“ „Grandma ruft Sylvester, bitte kommen!“ „Sylvester an Grandma, brauchen Luftunterstützung, sitzen fest, stand by“ „Verstanden - Ist Tweety gesichert?“ Wer verdammt nochmal war Tweety? – Ah!!! „Wir haben Tweety gesichert, brauchen einen Helikopter auf der Piazza – nach Luftunterstützung – stand by“ „Grandma an Sylvester – verstanden – brauchen Koordinaten für Angriff – kommen“ „Koordinaten – Eingänge, West und Südfront von Zielobjekt – sofortiger Angriff“ „Verstanden – Roadrunner kommt in fünfundvierzig Sekunden, zieht die Köpfe ein – Over and Out“ Kaum war ich fertig, glitten einige Schatten an den Seilen herunter, welche durch das schwache Außenlicht viel zu gut für mich sichtbar waren. Also flog gleichzeitig meine Handgranate durch eines der zersplitterten Fenster, die uns einige Sekunden Ruhe bescherte, welche ich auch brauchte, um meine Aufmerksamkeit auf die Tür zur großen Halle zu lenken. Ich hatte mich gerade eng an die Wand gedrückt, als diese aufflog und die Küche nun durch den Schein von zwei Mündungsfeuer erhellt wurde. Wahllos feuerten die Männer in den Raum und boten ein ideales Ziel aus meiner Deckung, bis ihre Waffen für immer schwiegen. Die Offensive war vorerst gestoppt, doch ich wußte, daß dies nur ein Prolog war, der gleich für Fortunati in ein explosives Finale übergehen würde. Diana und Carmen kamen mit den Uniformen zurück und wunderten sich etwas über unseren Rückzug in die Tiefe, aber nach einigen Worten war der Sinn klar. Wieder hatte ich Anne in meinen Armen, die ohne ein Anzeichen von Angst meine Waffen festhielt, doch bei Diana erblickte ich dieses Gefühl nun zum ersten Mal. Noch auf der Kellertreppe donnerten die ersten Explosionen los, der Boden unter den Füßen schien etwas nachzugeben und überall verteilte sich feiner Staub, der von oben aus den Fugen rieselte und uns bis nach unten begleitete. Dort angekommen waren die Auswirkungen des Angriffs nicht mehr ganz so bedrohlich. Trotzdem rumorte es einige Zeit in meinem Magen, der bei jedem Raketeneinschlag mitschwang, während wir uns umzogen und ich nach außen hin so tat, als liefe alles perfekt nach Plan ab, von dem nur Carmen wußte, daß er nicht existierte. „Grandma an Sylvester – in sechzig Sekunden steht der Helikopter bereit – stand by“ „Sylvester an Grandma – verstanden“ Die Rollen der nächsten Minuten standen auch ohne viele Worte fest, wir waren jetzt die Reste des Angriffskommandos und hatten wir erst einmal den Helikopter erreicht, mußten wir ihn nur noch in unsere Gewalt bringen. 106
Ein Problem blieb noch, denn oben in der verwüsteten Küche angekommen, bemerkten wir, daß es trotz des Angriffes aus der Luft immer noch einigen Widerstand über uns in der oberen Etage gab und ohne ihn beseitigt zu haben, war ein sicherer Abzug unmöglich. Eine Lösung mußte innerhalb der nächsten Minute gefunden werden und ich sah eine Möglichkeit innerhalb dieser Zeit einen letzten Trumpf auszuspielen. Deshalb räumte ich einige Trümmer aus dem Weg und kam so zum Speiseaufzug, der tatsächlich noch mit dem Strom des Notgenerators im Keller funktionierte. Carmen war mir gefolgt und als ich ihr den Beutel mit der Sprengladung abnehmen wollte, drückte sie mich nur zur Seite und schüttelte den Kopf, „Das ist ein Job für eine Frau, die etwas davon versteht, also lassen Sie mich da ran, bevor Sie uns alle noch in die Luft jagen“ Ich hätte eine Handgranate mit in das Paket gelegt und dadurch die Explosion ausgelöst, sie bereitete hingegen professionell die Sprengkapseln mit dem Zündmechanismus vor und behielt die beiliegende Fernbedienung in der Hand, offenbar hatte sie wirklich mehr Ahnung davon und ich war froh, nicht mit dem Teufelszeug herumexperimentieren zu müssen. Als Carmen alles erledigt hatte, drückte ich den Knopf für den Aufzug und die explosive Fracht nahm den Weg nach oben. Jetzt holte ich Anne und Diana, während Carmen auf den richtigen Augenblick wartete und als wir nochmals einige Stufen in die Tiefe gerannt waren, da erhob sich eine derartig gewaltige Explosion, daß ich befürchtete, der ganze Palazzo würde jetzt einstürzen. Diesmal vibrierten sogar die massiven Felswände, so daß ich keinen Zweifel mehr daran hatte, daß mich ab heute jeder Denkmalschützer lynchen würde, denn einen Teil dieses alten Gebäudes hatte ich sicher gerade in eine Erdumlaufbahn katapultiert. Die Küche existierte nur nach als unbestimmter Raum mit massiven Wänden, überall lagen Deckenteile störend vor den Füßen und wenn man nach oben sah, konnte man teilweise die obere Etage sehen, was aber keinen Reiz mehr hatte, weil sie nicht mehr so schön wie noch vor einigen Minuten aussah. Es tat mir weh, das Trümmerfeld zu sehen – allerdings, wenn das der Preis für das Leben der drei Frauen war, konnte ich diesen Anblick bedauern, aber bereuen konnte ich ihn nicht. Schnell sprachen wir während der Durchquerung der Halle die nächsten Schritte ab und dann traten wir ins Freie. Die umliegenden Dächer schienen auch sehr gut bepflastert worden zu sein, denn einige Feuer erhellten den dämmrigen Morgenhimmel, dazu lag ein Geruch von Pulver und schwelendem Holz über der ganzen Piazza, an deren Seite ein schwarzer Helikopter kreiste, dessen großkalibrige Maschinengewehre und die Abschußvorrichtungen für die 2.75 Inch-Raketen gut zu erkennen waren. Sofort nachdem wir den Platz betraten, schwebte die Maschine als unser Taxi ein und wartete mit drehenden Rotoren auf uns. In unserem eigenen Interesse hatten wir den Weg zur Einstiegstür sehr schnell hinter uns gebracht und bestiegen eilig die Maschine, Carmen vorne neben dem Piloten, während ich genau hinter der Kanzel 107
meinen Platz einnahm, nachdem ich Anne in die hinterste Ecke gesetzt hatte und Diana mit einem Zeichen ebenfalls dorthin dirigierte. Der Pilot hatte die Anordnung auf die verbliebenen Männer von Gondoni, die noch auf einigen Dächern verteilt waren und sich langsam aus ihren Verstecken näherten, zu warten, aber das war nicht unser Plan und mit vorgehaltener Waffe hielt ich den Mann ruhig, während Carmen das Funkgerät deaktivierte und die Steuerung übernahm. Noch in der Halle hatte sie mir ihr Talent gebeichtet und anstatt während des Fluges die Maschine zu kapern, konnten wir nun die elegantere Lösung wählen. Zu Verblüffung von Gondonis Leuten hoben wir ab und verschwanden rechtzeitig aus der Reichweite ihrer Schußwaffen, um dem kleinen Bach zu folgen, der hinter dem nächsten Hügel in einen See mündete. Dort durfte dann der Pilot zeigen, daß er auch ohne Technik fliegen konnte und sprang nicht ganz freiwillig aus wenigen Metern ab, was er aber gut überstand und sich höchstens während der anschließenden Schwimmübungen eine Erkältung holte. Wir folgten dem Tal weiter im Tiefflug nach Süden, änderten dann den Kurs und flogen einen langgestreckten Bogen, um in einiger Entfernung zum Weinberg, wo mein Wagen stand, einen Landeplatz zu finden. Schließlich mußte ich unbedingt meinen Jeep aus der Gefahrenzone bringen, denn anderenfalls war es für die Behörden, Fortunati und besonders Gondoni zu leicht auf meine Spur zu kommen. Also versprachen Anne und Carmen sich vorerst, um die verängstigte Diana zu kümmern und sie erst einmal in Sicherheit zu bringen. Dazu schien ich soviel Eindruck hinterlassen zu haben, daß wir zu einer bestimmten Zeit einen Treffpunkt ausmachten, um endlich in einem sicheren Versteck über unsere gemeinsame Verwicklung in dem Fall reden zu können. Die Umstände ließen leider keine lange Verabschiedung zu und wir trennten uns schnell in der Gewißheit eines baldigen Wiedersehens, so stieg ich aus und lief in eine sichere Entfernung, um dem Abheben des Helikopters zuzusehen und dabei trotz dieses erfolgreichen Unternehmens ein wenig wehmütig zu werden. Der Hubschrauber entfernte sich geschützt durch die unzähligen toskanischen Hügel und ließ mich alleine zurück, schon eingefangen von dem Gedanken, Anne in Paris wiederzutreffen. Zuerst ging es im Halbdunkel des jungen Tages bergab, bis ich mich über die holprige Piste, die ich vor Stunden schon einmal mit dem Wagen genommen hatte, wieder nach oben auf den Weinberg quälte. Erschöpft und voller neuer Fragen erreichte ich schließlich den Wagen, der immer noch friedlich von den Bäumen beschützt an der gleichen Stelle stand. Jetzt fühlte ich mich wohler und begann, meine Sachen zu verstauen, allerdings konnte ich es mir nicht nehmen lassen, noch einmal zu meinem Aussichtspunkt zu kriechen, um einen letzten Blick auf Fortunatis Unterschlupf zu werfen. Da – ein Knacken genau hinter mir, zum Umdrehen reichte es nicht mehr, denn ein plazierter Schlag gab mir einen Schlafbefehl und der dunkle Vorhang begann sich zu senken, während ich von einem schönen schwarzhaarigen Mädchen in einem Kampfanzug zu träumen begann. 108
Abermals erwachte ich in einem fahrenden Auto, während ich mich an einen fürchterlichen Schlag auf meinen Kopf erinnerte und die Frühlingssonne dabei angenehm meine rechte Gesichtshälfte wärmte, die gegen die Scheibe der Beifahrerseite drückte. Noch hatte ich die Augen geschlossen und benommen versuchte ich, mich in den Sitz zurückzulehnen, so daß mein dröhnender Schädel gegen die Kopfstütze fiel und einen zusätzlichen Schmerz verursachte - Danach bestand mein sehnlichster Wunsch aus einer Doppelpackung Aspirin. Ich betastete die schmerzende Stelle, wozu aber eine Hand nicht ausreichte, und rieb mir die Augen, bevor ich mich mit der Tatsache vertraut machen wollte, wem ich diese schlagkräftige Erfahrung zu verdanken habe. Mühsam drehte ich den Kopf und eigenartigerweise konnte mich jetzt gar nichts mehr überraschen, denn neben mir saß der alte Mann mit dem grauen Pferdeschwanz aus Fortunatis Arbeitszimmer am Steuer meines Jeeps. Eher mitleidig sah er zu mir herüber und fuhr regungslos weiter, ich hingegen hatte noch kein Bedürfnis zu reden und verdaute langsam diese neue Tatsache. Also gefesselt hatte er mich nicht, aber war das nun ein gutes Omen? Nach den letzten Wendungen dieser kleinen „ungefährlichen“ Recherche schien ich alles und jedes in Frage zu stellen, oder gleichzeitig in Betracht zu ziehen, und ich überlegte, wohin mich wohl diese Reise führen würde. Möglicherweise zu Fortunati, doch den mußte es während des Angriffes erwischt haben, oder er fegte grade im Castello die Trümmer zusammen, jedenfalls war er nur einen Katzensprung entfernt gewesen und draußen sah die Landschaft nicht mehr nach der Toskana aus. Offensichtlich ging es woanders hin, doch darüber zu spekulieren, ließ mein Kopf noch nicht zu. Sicher sah mir der Mann im Augenblick meine Gedanken an und er hielt es jetzt wohl für einen geeigneten Augenblick, mit mir zu sprechen, „Kronau, Sie stehen wohl auf die Tour mit der Brechstange, oder?“ Unwillkürlich stieg ein bitteres Lachen, das beinahe sarkastisch war, in mir auf, „Sie aber scheinbar auch, oder womit haben Sie mir eine übergebraten?“ „Nun tun Sie doch nicht so, die kleine Delle ist doch nichts im Vergleich zu dem Chaos, daß Sie im Castello di Montana angerichtet haben. Ich habe mir Ihre Vorstellung von dem Hügel aus ansehen dürfen und muß sagen, sollte jemand mal den dritten Weltkrieg anzetteln wollen, dann sind Sie genau der richtige Mann dafür“ „Freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat, schließlich ist ja Fortunati auch kein Vorbild, wenn es um gutes Benehmen geht, und weil wir gerade bei dem Thema sind, haben Sie eine Tablette oder einen Eisbeutel im Auto, damit sich mein Benehmen vielleicht etwas bessert“ Er ignorierte unfreundlicherweise meine Frage und schüttele nur den Kopf, „Kronau, Kronau, wenn wir in Zukunft gut zusammenarbeiten wollen, dann sollten Sie sich nicht so zimperlich haben“ „Ähhh,... zusammenarbeiten? Sagen Sie mal, hat Ihnen auch jemand mit der Brechstange zugesetzt?“ „Sie werden es nicht glauben, manchmal kommt mir das auch so vor, aber ich kann Sie beruhigen, im Moment geht’s mir blendend. Übrigens, ich bin derjenige, der Sie dort hineingeschickt hat, der Lotse, Sie erinnern sich?“ 109
Damit schien zuerst einmal klar zu sein, daß es Gondoni nicht war, und nun wurde ich langsam gespannt, welche Geschichte er mir nun auftischen würde, denn wenn er mich einfach umbringen wollte, hätte er es sicher schon getan, also hatte er was zu sagen, „Oh? Angenehm, mit der Erinnerung ist das im Moment so eine Sache, aber natürlich weiß ich noch von Ihrem Zettel, schließlich hat er mich in dieses Schlamassel reingeritten, obwohl ich Ihnen dafür eigentlich dankbar sein müßte“ „Sie meinen die Frauen, die sie befreit haben und dabei soviel Staub aufwirbelten, daß Sie damit die Sahara neidisch machen könnten. Kannten Sie die Gefangenen, oder ist bei Ihnen der Hang zum furchtlosen Retter durchgebrochen?“ „Ich habe den Eindruck, Sie sehen das zu negativ, denn ich bin nur ein hilfsbereiter Mensch und schließlich ist Ihr Freund Fortunati ein skrupelloser Verbrecher im Schafspelz. Der hat nichts anderes verdient, wenn er irgendwelche Leute entführen läßt und dann umbringen will“ „Sie werden sicher gemerkt haben, daß Fortunati nicht zu meinen Freunden gehört, sonst hätte ich Sie nicht für mich die Unterlagen aus seinem Safe holen lassen, und außerdem wissen Sie überhaupt nicht, welchen Schaden Ihre kleine Einmann-Show angerichtet hat“ „Die Geschichte ist voll von falschen Freunden, also warum sollten Sie da eine Ausnahme bilden, sicher sind Sie auch wie alle anderen nur hinter dem Gold her. Viel Spaß beim Anstellen, ich glaube, da hat sich schon eine lange Schlange gebildet“ „Ach! Sie wissen also von dem Gold, das erspart mir ein langes Herumgerede, aber eigentlich sollte es mich bei Ihrem Lebenslauf nicht wundern, daß Sie die Gelegenheit, in den Unterlagen herumzuschnüffeln, genutzt haben. Nachdem Sie hier aufgetaucht sind und es klar war, daß Sie in die Sache verwickelt sind, hat mir das Innenministerium Ihre Akte zukommen lassen und damit meine ich die vollständigen Papiere, mit einer gewissen Zeit in Peru und Kolumbien“ Scheinbar hatte ich doch mehr abbekommen, als ich dachte, denn damals war ich nur unbeschadet aus der Sache herausgekommen, weil alle Seiten sich zum Stillschweigen verpflichtet hatten, „Was war das eben?“ „Sie haben schon richtig verstanden, mein Name ist Doktor Markus Breitenbach, ich bin hier in einer Sonderfunktion für die Regierung tätig und Sie werden mir dabei helfen. Schön, daß Sie sich gerade freiwillig gemeldet haben“ Jetzt war ich mir sicher, daß mein Kopf einen Schaden davongetragen hatte, „So? Wenn ich mich zu etwas freiwillig melde, dann bekommen Sie das sicher mit, und sollten Sie wirklich aufmerksam meine Akte studiert haben, wissen Sie dadurch sicher, daß mich Drohungen oder Einschüchterungen nur sauer, aber nicht gefügig machen. Versuchen Sie es einfach mit einem freundlichen Wort und nehmen wir mal spaßeshalber an, Herr Doktor, Sie erzählen hier in Ihrer Sprechstunde gerade die Wahrheit. Warum sollte ausgerechnet ich Ihnen helfen, sind denn zu Hause die Beamten ausgegangen?“ Gelangweilt lächelte der Mann zu mir herüber, „Stimmt, ich habe in Ihrer Akte gelesen, daß Sie eine gewisse Art von Humor bevorzugen und wenn die Sache nicht so todernst wäre, dann könnten wir hier ein Späßchen nach dem anderen machen, aber ich hätte leider im Augenblick die Angst, daß mir das Lachen im Halse steckenbliebe. 110
Natürlich sind uns nicht die Beamten ausgegangen und Sie dürfen mir glauben, daß ich überhaupt kein Interesse habe, mir von einem Zivilisten helfen zu lassen, doch leider machen es die Umstände nötig und damit Sie einen zusätzlichen Anreiz bekommen, biete ich Ihnen auch etwas für Ihre Mitarbeit an“ „Na, jetzt werde ich aber neugierig, wollen Sie mich vielleicht mit Geld ködern?“ „Mir ist bekannt, daß Sie urplötzlich zu Geld gekommen sind und ein finanziell unabhängiges Leben führen, Kronau, Sie dürfen mir glauben, mein Angebot ist wesentlich besser. Zwar haben die beteiligten Regierungen damals alles unter den Teppich gekehrt, aber Sie sehen ja, es kommt immer wieder zutage. Wenn Sie mit uns kooperieren, dann habe ich grünes Licht vom Minister persönlich, daß Ihre komplette Akte gereinigt wird – und damit meine ich nicht nur Mittelamerika, sondern auch Ihre Eskapaden zwischendurch, bis zu der kleinen Sache vor kurzem in Australien. Ihr Auftauchen hier ist für mich ein glücklicher Zufall und weil ich niemandem aus den Geheimdiensten mehr trauen kann, brauche ich Sie mit Ihrer Erfahrung – jemanden, der von außerhalb kommt“ “Es ist schon ein verlockendes Angebot, aber je größer der Köder ist, desto größer muß auch der Haken sein, an dem er hängt,und ich bin mir sicher, daß Sie mir diesen Haken verschwiegen haben“ „Was ist schon perfekt, Kronau. Ich könnte zugeben, daß es gefährlich ist, aber das haben Sie schon alleine herausbekommen, also wo bleibt ihr Hang zum Risiko, von dem ich gelesen habe?“ „Keine Angst, den habe ich noch und deshalb riskiere ich es lieber, weiterhin mir einer ‚dreckigen’ Akte herumzulaufen. Suchen Sie sich jemand anderes, der für Sie oder die Regierung irgendwelche alten Goldbarren sucht, ich habe andere Pläne und arbeite lieber auf eigene Faust“ Meine Absage zeigte bei ihm keine Reaktion, beinahe war es so, als daß er sogar darauf gewartet hätte, „Mir soll es recht sein, wenn Sie selber ablehnen, aber die Mission ist komplizierter als Sie denken und um die Wahrheit zu sagen, es ist sicher nur noch eine Frage von Stunden, bis Sie einen Haufen gut ausgebildeter Killer an Ihren Fersen haben werden. Mit Ihrem Intermezzo im Castello di Montana sind Sie Leuten auf die Füße getreten, gegen die Sie alleine keine Chance haben und ohne mein Wissen ist es vollkommen aussichtslos da herauszukommen. Damit Sie aber sehen, daß ich Sie nicht in Ihr Verderben rennen lassen will, gebe ich Ihnen noch zwei Gründe, mir zuzuhören. Erstens erhalten Sie von mir trotzdem Informationen über die Leute und können danach entscheiden, ob wir uns gegenseitig helfen, und zweitens sollten Sie wissen, daß jeder der Beteiligten in Gefahr ist, also auch die Frauen, für die Sie Ihr Leben riskiert haben. Habe ich jetzt vielleicht ihre volle Aufmerksamkeit?“ Umsonst kommt wohl niemand in solch eine Position und bestimmt nicht, wenn er nicht die Schwachstelle seines Gegenübers lokalisieren konnte – es schien, daß er auf dem richtigen Posten war und damit auch meine ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. Die brauchte ich auch in den nächsten drei Stunden, als wir in einer Trattoria saßen und Doktor Breitenbach mir wirklich die versprochenen Informationen gab. Zuvor hatte er sogar einiges von sich preisgegeben, eine vertrauensbildende Maßnahme, die 111
mich bei jemanden vom Geheimdienst eher mißtrauischer werden ließ. Doch schien es mir, daß er seine Geste genau bedacht hatte, möglich, daß er tiefer in der Klemme steckte, als er zugeben wollte, und trotz seiner äußerlichen Gelassenheit registrierte mein geschultes Auge die kleinen Zeichen, die so verräterisch waren und eine verborgene Nervosität ans Tageslicht brachten. Es war nicht so, daß mir irgendwelche Agenten nicht schon über den Weg gelaufen waren, doch alles, was ich bis dahin über sie wußte bestand darin, jedes Wort von ihnen in Zweifel zu ziehen und nur das für wahr zu halten, was sie nicht sagten. Allerdings behielt ich diese Erfahrung für mich. Mein Kopf war wieder voll funktionsfähig und der war der Meinung, daß auch eine Halbwahrheit mehr war, als daß, was ich bisher in den Händen hielt. Dazu blieb die dunkle Andeutung über eine Bedrohung von Anne und den anderen Frauen, was mich genauso, wenn nicht sogar mehr beschäftigte als die Gefahr, in der ich mich wohlmöglich selbst befand. Markus Breitenbach gab sich als ehemaliger BND Außendienstmitarbeiter im Ruhestand aus, der bis ins letzte Jahr ungestört seine Pension genoß und offenbar kaum die Ambitionen für ein Comeback hatte. Jedenfalls solange, bis der Präsident des BND persönlich in einem sehr klischeehaft anmutenden Treffen den altbekannten Mitarbeiter für ein delikates Unternehmen reaktivierte, dessen Existenz kaum einer Handvoll Leuten in Pulach bekannt war. Schlicht und ergreifend sollte sich Doktor Breitenbach an die Fährte eines Maulwurfes heften, der schon einige Zeit lang geheime Dokumente aus einem Archiv entwendete und auf dem freien Markt anbot. Der Doktor schien wegen seiner Erfahrung in der Abwehr und seines inoffiziellen Status am besten geeignet für diesen Job, denn jeder Insider, den man betrauen würde, konnte auch der Gesuchte selbst sein. Alle Spuren erwiesen sich als Sackgasse. Dann konzentrierte er sich auf eher unbedeutende, verstaubte Dokumente, die – scheinbar wertlos – auch zu den vermißten Akten gehörten, und studierte eine Kopie auf Mikrofilm, die ihm den entscheidenden Hinweis lieferte und nach Florenz führte. Dort stand in den Uffizien das einzig bekannte Kunstwerk aus der Liste mit den verschollenen Wertsachen und Doktor Breitenbach stieß überraschenderweise auf einige Leute, die sich auffällig dafür interessierten, darunter auch Paulo Fortunati. Dieser schien schon längere Zeit nach genau solch alten Dokumenten zu suchen, wie sie aus dem Archiv verschwunden waren. Das erregte die Aufmerksamkeit des Doktors, der sich als Drogenhändler bei dem Mafiosi einschmuggelte und dort nach Beweisen für seine aufkommende Vermutung suchte, die er in den verschwundenen Akten auch fand, wo ich dann ungewollt in seine Ermittlungen einbezogen wurde. Schließlich war Doktor Breitenbach noch mit Fortunati zusammen, als ich schon im Palazzo war, das gab ihm ein ideales Alibi, um nach der Identität des Maulwurfes weiterzusuchen, die ihm wohl bisher verborgen geblieben war. Ohne daß der Doktor auch nur ein Wort darüber verlor, vermutete ich nach diesen genannten Fakten, daß meine nächtliche Aktion ein Stich ins Wespennest sein sollte, um Fortunati nach dem Diebstahl der Unterlagen zu motivieren, den „Lieferanten“ nochmals in Anspruch zu nehmen. Möglicherweise, um Ersatz zu bekommen, vielleicht 112
aber auch nur, um über ihn an Namen von anderen Interessenten heranzukommen, die für den Einbruch verantwortlich sein könnten, denn ich brauchte nicht viel Phantasie, um den Italiener als rachsüchtig einzuschätzen. Auch diese Überlegungen hielten mein Mißtrauen aufrecht und so hatte ich den Eindruck, daß mir das Wichtigste verschwiegen wurde, um von vielen Nebensächlichkeiten beeindruckt zu werden. Allerdings gehörte zu den Belanglosigkeiten sicher nicht das, was ich über Paulo Fortunati von Doktor Breitenbach erfuhr und sicher selbst erst nach langen Recherchen herausgefunden hätte. Seine Karriere verlief typisch für die zweite Generation eines Verbrechersyndikats. Der Vater hatte als kleiner Ganove angefangen und im Laufe der Zeit mit dem besonderen Fleiß dieser Branche ein kleines Imperium aufgebaut, dessen Stärke sein Weitblick gewesen war. Als er anfing, im Ausland tätig zu werden und international zu agieren, trat er in Italien damit den großen Familien nicht zu sehr auf die Füße und hielt sich aus den Gebietsstreitigkeiten heraus, das gab ihm die Zeit und die Ruhe, das Geschäft zu vergrößern. Rücksichtslos und konsequent hatte der alte Fortunati seine Linie durchgezogen und saß wie eine Spinne im Netz, daß in all den Jahren von vielen Punkten der Landkarte direkt in sein Castello führte. Mit der Zeit benutzte er das Geld aus seinen Unternehmungen, um legale Geschäfte aufzubauen, eine weit verbreitete Methode für den Einstieg in ein „anständiges“ Leben und auch hier schien er ein glückliches Händchen gehabt zu haben, denn seine Speditionen brachten ihm offensichtlich zusätzlich ein weiteres Vermögen ein. Als sein Sohn Paulo alt genug war, trat er in die Fußstapfen des Vaters, nur noch erfolgreicher und noch rücksichtsloser als sein alter Herr es war, der nun an einem geheimen Ort den Lebensabend genoß. Alles, vom Drogenhandel über Prostitution und bezahlten Mord, intensivierte er und baute damit sein Geschäft noch aus, so daß die Geldquellen auch in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession reichlich sprudelten. Jedenfalls war er kein angenehmer Zeitgenosse, aber das konnte ich mir nach dem Besuch im Castello di Montana schon denken. Er schien der gefährlichste Spieler auf dem Feld zu sein, eine Einschätzung, die sich drastisch ändern sollte, als wir zu den Männern kamen, die alles andere als Kunsthändler waren. Zu meiner Überraschung waren dem Doktor die Namen bekannt, denn offensichtlich hatte Fortunati ebenfalls von ihrer Suche nach dem Besitzer der Vase erfahren, jedoch blieben seine Nachforschungen erfolglos, während dem BND Agenten andere Möglichkeiten zur Verfügung standen. Benedetto di Gondoni und Miguel Almera kanten sich beruflich nur in einer Kunst aus, der des Krieges und darin schienen sie einen zweifelhaften Ruf zu besitzen. Sie waren nach der Aussage von Doktor Breitenbach offenbar Mitglieder der geheimen NATO-Spezialeinheit „Limes“ gewesen, die nach dem Ende des kalten Krieges keinen Zweck mehr erfüllte und zu einem Teil von weitsichtigen Militärs und zum anderen Teil von sparsamen Verwaltungsbeamten aufgelöst wurde. Der Doktor zeichnete kein sehr freundliches Bild von dieser Truppe, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war und damals speziell für Sabotage und Geheimoperationen aus Spezialisten aller NATO-Staaten zusammengesetzt wurde, die 113
sich beim Aufbau auch nicht scheuten, alte Nazispione zu rekrutieren, um ihr „Fachwissen“ nun selbst zu nutzen. So waren jahrzehntelang diese Leute damit beschäftigt, zu infiltrieren und die Arbeiten zu erledigen, von denen man nie etwas in den Nachrichten hören würde. Aber im Laufe der Jahre hatten sich die Zielstellungen in der Weltpolitik geändert und damit wurden auch die Dienste dieser Spezialeinheit nicht mehr notwendig, so schob man die ehemals so bedeutenden Spezialisten in den Ruhestand ab, oder versetzte sie auf mittelmäßige Posten in den jeweiligen Ländern. Die beiden Kunstliebhaber Gondoni und Almera gehörten scheinbar zu den Pensionären und hätten sich bis an ihr Lebensende über ihre Apanage freuen können, wenn nicht gewisse Merkwürdigkeiten in den nachfolgenden Jahren aufgetreten wären, die auf einen anderen Lebenswandel hindeuteten. Gut organisierte Überfälle und Entführungen geschahen weltweit, die zeitlich mit langen Reisen der beiden Männer zusammenfielen, doch trotz des Verdachtes konnte nichts bewiesen werden und die langjährigen Kontakte zu hohen Dienststellen taten ihr übriges, um alles im Sand verlaufen zu lassen. Offenbar waren zu dem Zeitpunkt nicht nur Gondoni und Almera beschattet worden, sondern noch weitere ehemalige „Limes“-Mitglieder, doch alles mit dem gleichen erfolglosen Ergebnis und es tat sich in dieser Sache in den letzten zwei Jahren nichts weiter, weshalb jede der ermittelnden Behörden froh war, diese delikate Geschichte in den Schubfächern verrotten zu lassen. Niemand schien ein großartiges Interesse gehabt zu haben, ohne Grund solchen Männern ans Bein zu pinkeln und nur wenige Sicherheitsleute hielten das für einen Fehler – zu denen der Doktor scheinbar gehörte. Er war wohl mehr als überrascht, als er bei seinen Ermittlungen hier ebenfalls auf ihre Spur stieß und hielt mich solange für einen Komplizen der beiden, bis er über Fortunati erfuhr, daß ich selbst einem Mordanschlag von ihnen entgangen war. Mich wunderte es, als ich hörte, daß der Mafiosi so gut Bescheid wußte und der Doktor selbst schien keine Ahnung zu haben, aus welchem verborgenen Kanal dies zu Fortunati gedrungen war, mir kam es auf alle Fälle sehr merkwürdig vor. Nach dieser Information entschloß sich Doktor Breitenbach, mir seine Nachricht zu schicken, denn seine Vorgesetzten schienen mittlerweile sehr an den Exoffizieren und deren Verwicklung interessiert, aber wegen des Sicherheitslecks in der Behörde durfte niemand weiter von dort eingeweiht werden. So lag es nahe, jemanden, der schon mitten in der Sache steckte, als Hilfe zu verpflichten – freiwillig oder mit einer gewissen Überredung. Es war kaum ein Grund, geschmeichelt zu sein, daß es mich traf, und ich gab mir Mühe, darin nach einem Vorteil zu suchen. Der bestand sicher darin, zu wissen ,wer die Leute waren, doch erhöhte das mein Risiko auf ein Maß, von dem ich vor wenigen Tagen kaum gerechnet hätte und warf natürlich auch andere Fragen auf. War unter den Kunstwerken etwas ungemein Wertvolles, das ich bisher übersehen hatte? War einzig das Gold der Grund, notfalls auch über Leichen zu gehen? Bei einem Mafiosi konnte ich das noch verstehen, doch dieses Exemplar hatte es kaum nötig, sich für ein paar Millionen soviel Unannehmlichkeiten ans Bein zu binden, die er ohne Aufwand mit seinen Geschäften leichter verdienen konnte. 114
Blieben Gondoni und Almera, die mit ihrem Lebenslauf sicher keine enthusiastischen Schatzsucher waren, sondern eher als nüchterne Planer ein bestimmtes Ziel verfolgten. Die beiden bereiteten mir die meisten Kopfschmerzen bei meinem Versuch, sie an die richtige Stelle in das Bild zu bekommen. Allerdings gab es noch jemanden, der überhaupt nicht in mein Bild passen wollte – Anne. Ich grübelte, auf welcher Seite sie stand und hoffte, es sei die richtige. Mein Gefühl sagte mir, daß es so war, aber schon seit einiger Zeit mußte ich mir eingestehen, daß ich in dieser Einschätzung nicht mehr objektiv war. So blieb mir Paris, um das herauszufinden. Die unmittelbare Gefahr für sie schien durch ihre Abreise gebannt und ich mußte mir dringend Gewißheit verschaffen, welche Ziele Anne hatte, um sie dann warnen zu können, oder um festzustellen, ob sie nur eine goldgierige, oberflächliche Schönheit war. Von all diesen Überlegungen erfuhr der Doktor natürlich nichts und ich war mir sicher, auch er hatte noch seine Geheimnisse, aber ich glaubte ihm den Rest, den er mir erzählte, vielleicht war es etwas riskant, doch ich fand darin nichts Unplausibles. Trotz einiger Bedenken revanchierte ich mich im kleinen Rahmen für seine Informationen und erzählte im Gegenzug auf seine Fragen von dem Kompaß und wie ich ihn fand. Auch Biedermann erwähnte ich, weil sein Name bekannt schien, und wenn Gondoni Bescheid wußte, dann hielt ich es für wahrscheinlich, daß der Doktor damit auch nicht zu überraschen war. Das schaffte ich jedoch mit McCrawley und der Tatsache, daß ich ihn in Florenz gesehen hatte, offensichtlich etwas, das er nicht wußte und ihm wichtig erschien, genauso wie mir. Mir gab es das Gefühl nicht nur wertloses Zeug zu erzählen, denn natürlich erkannte ich die Gelegenheit, die mir Doktor Breitenbach mit dieser Zusammenarbeit gab, auch wenn ich es ab jetzt mit einem Partner zu tun hatte. Meine Entscheidung, auf sein Angebot einzugehen, fiel mir nicht leicht, allerdings gab er mir die Freiheiten, die ich brauchte, was ich erleichtert zur Kenntnis nahm. Offenbar hatte er mich auserkoren, eine Sache für ihn zu erledigen, die er nicht selber tun konnte, weil seine Mission in Florenz noch nicht erledigt war. Also gab er mir Instruktionen für ein Treffen, das er eigentlich selbst durchführen wollte und bei dem es um wichtige Informationen über die alten Schatzkisten ging. Ich setzte ihn am Flughafen von Verona ab, von wo er zurückflog. Mein Weg hingegen ging weiter nach Berlin, zu einem Treffen mit jemanden, den der Doktor als zuverlässig bezeichnete. Er würde mir alles Weitere erklären, was ich noch wissen mußte für meine Verabredung am Meer, in einem gigantischen alten Nazibau, der neben einem der bekanntesten Badeorte an der Ostsee lag – Binz. Bei diesem Wetter war ich fast allein auf den Landstraßen, die mich nach Rügen führten. Der sonst zu den üblichen Saisonzeiten verstopfte Weg zur Ostsee war frei und ließ mich entspannt meine Fahrt genießen, oder besser - ließ mir die Zeit, ungestört meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Wenn das Zusammentreffen mit Doktor Breitenbach nicht gewesen wäre, würde ich schon längst in Paris sein, ein verführerischer Gedanke, der mir permanent durch den 115
Kopf schwirrte und gleichzeitig immer wieder die Frage nach der Identität von Anne und Carmen aufwarf. Auch Conny konnte mir bisher dabei nicht weiterhelfen, obwohl ich bei meinem Aufenthalt in Berlin gründlich die Ergebnisse ihrer neuesten Nachforschungen studierte. Sie hatte in der Zwischenzeit ein paar Zeitungsartikel über Gondoni und Almera gefunden, doch die waren schon uralt und zeigten die beiden im Hintergrund bei großen NATO-Empfängen. Allerdings bestätigte dieser Fund die Aussage des Doktors und so gab es auch seinen anderen Fakten mehr Gewicht. Trotzdem waren die wenigen Sachen wesentlich mehr Material, als das was ich über Paulo Fortunati von ihr bekam, nur einige kleinere Artikel und etwas über ein Gerichtsverfahren, das aus Mangel an Beweisen abgeschmettert wurde. Keine Skandale oder verfänglichen Fotos, auch Paparazzi wollen am Leben bleiben, und das interessanteste war ein Bild, das ihn mit seinem Vater zeigte, der jetzt scheinbar irgendwo auf dem Land zurückgezogen lebte. Zum Schluß hatte ich noch etwas aus einer venezolanischen Zeitung, wo sein Cousin Valerio Nostro mit einheimischen Fischern zu sehen war, die für eine Firma der Fortunatis arbeiteten. Da war nicht viel Neues dabei und wirklich weiter halfen mir diese Informationen nicht. In welches Wespennest war ich also so unversehens geraten? Zwei als Kunsthändler getarnte ehemalige NATO-Offiziere, dazu einen Mafiosi mit guten Kontakten zu deutschen Geheimarchiven und eine Frau, an die ich jede Minute denken mußte. All diese Menschen schienen eine Verbindung zu einem U-Boot zu haben, das es nicht geben durfte und eine jahrzehntelang verschollene Fracht an Bord hatte. Für ein Manuskript reichte das sicher, ich sollte umdrehen und einfach mit dem Schreiben beginnen, aber daran dachte ich natürlich nicht einmal im Traum. Zu sehr hatte mich diese Geschichte schon in ihren Bann gezogen und ich wußte genau, daß ich weder meine Neugier noch meine aufkommende Leidenschaft zügeln konnte. Mein Weg führte mich jetzt zur Ostsee, weil Doktor Breitenbachs Nachforschungen sich wohl nicht nur auf Fortunati beschränkten. Er suchte offensichtlich auch nach Antworten in den damaligen Ereignissen und hatte ein Treffen mit einem ehemaligen Besatzungsmitglied der „Rio Oro“ organisiert. Nach dem Dossier aus Berlin war es ein Mann, der sich in seinem Geburtshaus auf Rügen zur Ruhe gesetzt hatte und sicher nur noch seinen Enkelkindern einige aufregende Geschichten aus seinem Fischerleben erzählte. Gegen die Zahlung einer großzügigen Summe war er wohl bereit, einige Informationen über die letzte Fahrt dieses Schiffes mitzuteilen, die in direktem Zusammenhang mit dem verschwundenen Gold stehen sollte. Selbst mich überraschte es, daß die „Rio Oro“ ein unter spanischer Flagge fahrender Frachter war, der damals von der Regierung Francos den Deutschen für besondere Transporte zur Verfügung gestellt wurde, um unauffällig an den Alliierten vorbei operieren zu können. Es gab mehrere von diesen Schiffen und auf jedem fuhr inkognito ein deutscher Verbindungsoffizier mit, der das Schiff eigentlich führte und Walter Lüttjens war dort dieser Mann. 116
Meine Aufgabe bestand nun darin, dieses Geschäft abzuwickeln, dabei hatte mich der Doktor zur Vorsicht gemahnt und gab mir den Rat, möglichst viel aus dem Mann herauszubekommen, denn jede Kleinigkeit konnte uns weiterhelfen. Der Austausch sollte in dem riesigen KdF-Gebäudekomplex in Prora stattfinden, der sich kilometerlang zwischen Binz und dem Fährhafen von Mukran hinzog und wie ein einziges unendlich lang gezogenes Haus aussah, das genau in einem seichten Bogen dem Strandverlauf folgte. Durch einige Besuche des Badeortes kannte ich den dunkelbraunen Riesenbau, der sich bei strahlendem Sonnenschein besonders gut von dem weißen Sand in der Entfernung abhob. Leider verschlug es mich nun bei Matsch und kühlen Temperaturen an die Küste, der Winter hatte mich leider wieder, obwohl er hier sicher auch reizvolle Momente zeigen konnte. Stürmischer Seewind und hohe Wellen empfingen mich auf der ausgestorbenen Strandpromenade, die im Sommer von unzähligen Menschen gefüllt wurde. Die leeren Straßen hatten mir eine schnelle Fahrt beschert und ich setzte mich in eines der wenigen schon geöffneten Strandrestaurants, um mich bei einer Tasse Kaffee etwas aufzuwärmen. Während ich wartete, betrachtete ich abwechselnd die stürmische See und die Fische in den zur Dekoration arrangierten Aquarien, die sich um ein künstliches Korallenriff tummelten und dem Futter wild hinterher jagten. Der Kaffee tat mir gut, vielleicht war es auch die Wärme hinter den sicheren Fensterscheiben, jedenfalls hätte ich hier länger sitzen können, aber mein Zeitplan drängte mich unerbittlich nach draußen. Trotz des stürmischen Wetters beschloß ich, nach Prora zu laufen, denn ich liebte die salzige Luft und genoß den frischen Wind, der mir um die Nase wehte. So lief ich los, genoß es einfach, nach oben zu schauen und sah, wie die einzelnen Wolkenformationen über den blauen Himmel getrieben wurden, mal von Regentropfen begleitet und mal von einem Sonnenstrahl wieder getrocknet. Als die Promenade endete, mußte ich hinunter zum Strand gehen und das Rauschen der See begleitete mich bis zu den dunklen Anfängen der gigantischen Anlage. Unten am Strand übten ein paar Rettungsschwimmer mit ihren Schlauchbooten einige Manöver, die mich an mein Schwerwettertraining auf der Segelyacht eines Freundes erinnerten. Für mich sah es lustig aus, wie das Boot auf den Wellenkämmen tanzte, allerdings, wie es den Insassen ging, darüber konnte ich nur spekulieren und meine eigene Erinnerung bestand nur aus einem flauen Magen. Trotzdem mußte mich unbedingt mal wieder um mein Boot kümmern, hier bekam man wieder richtig Lust aufs Wasser, vielleicht sollte der Wind etwas weniger und die Sonne viel mehr sein, aber auch so verspürte ich das Kribbeln wieder. Dicht am Ufer fuhren die Männer und Frauen in ihren Neopren-Anzügen immer fleißig gegen die Wellen an und etwas abseits ließ sich ein Schlauchboot mit vier Mann treiben und beobachtete die ganze Szenerie. Ich ging wieder nach oben hinter den Bau, dort führte eine Straße weiter zu einem kleinen Museum, vor dem der Treffpunkt vereinbart war. Schon von weitem sah ich ein nicht mehr so taufrisches Auto stehen, das dicht neben einer Imbißbude parkte und dort verlassen wirkte, genau wie der alte, gebeugt stehende Mann, der mit einem 117
Plastikbecher in der Hand auf jemanden wartete. Auf der unbefahrenen Betonstraße spielte ein Junge mit einer alten Coladose und vertrieb sich mühsam die Langeweile, während ich zielsicher auf den Mann zuging und grüßte, „Herr Lüttjens?“ „Ja, der bin ich, Sie sind Doktor Breitenbach?“ „Nein, er ist aufgehalten worden, aber ich komme in seinem Auftrag. Wollen wir ein Stück laufen?“ „Gut“, er drehte sich zu dem Jungen um, „Martin, du bleibst hier und mach keine Dummheiten“ Das quittierte der Kleine nur mit einer kurzen Unterbrechung seines Spiels und einem flüchtigen Nicken. „Der Lütte ist mein Enkel“, dabei sah ich deutlich ein stolzes Leuchten in seinen Augen. Mit seinen müden Schritten ging er mit mir die Betonstraße entlang, an der sich rechts das langgestreckte Gebäude und auf der linken Seite ein so typisches norddeutsches Kiefernwäldchen entlang zog. „Sie haben also das Geld dabei?“ „Ja, habe ich und was haben Sie für mich?“ Er nestelte an seiner Tasche herum und gab mir ein Bündel Papier mit kopierten Buchseiten. Fragend schaute ich herüber, „Was ist das?“ „Das sind die wichtigen Seiten aus meinem Tagebuch. Ich habe damals alles niedergeschrieben, was ich so erlebt habe. Wissen Sie, fern der Heimat war es wie ein guter Freund und das sind die Seiten, die ich während der letzten Fahrt geschrieben habe, mit den Positionen und dem Treffpunkt mit den beiden U-Booten“ „Hmmm,... es waren zwei U-Boote? Eine Frage Herr Lüttjens, erinnern Sie sich noch an die Bezeichnung der U-Boote oder an die Kommandanten?“ Er wackelte etwas mit dem Kopf, „Das finden Sie auch auf dem Papier dort, aber wenn Sie so ungeduldig sind, es waren U 744 und U 489 und die „Alten“ an Bord hießen Biedermann und Ahlen“ „Die Alten? Sie meinen damit sicher die Kapitäne“ „Ja Jungchen, auf den Booten war der Kommandant immer der „Alte“, verstehen Sie?“ „Alles klar“, der Kreis schloß sich, denn Biedermann war der Name, den ich hören wollte, obwohl die Bezeichnung der Boote überhaupt nicht zu meinen Erkenntnissen paßte. Möglicherweise verwechselte der alte Mann etwas, oder ich hatte es mit einem geschickten Täuschungsmanöver der Kriegsmarine zu tun. Auf alle Fälle schien ich auf der richtigen Spur zu sein und das bestärkte mich darin noch etwas neugieriger zu werden. Ruhig nahm ich die Kopien an mich und gab dem alten Mann einen dicken Umschlag, den ich bei meinem Kurzaufenthalt in Berlin von einem hageren Kerlchen auf der Oberbaumbrücke in die Hand gedrückt bekommen hatte, und ich mußte etwas über mich selbst schmunzeln, weil in mir ein richtiges Agentenfeeling aufkam. Doch anstatt eines geschüttelten Wodka Martini hätte ich jetzt einen heißen Grog bevorzugt. Walter Lüttjens freute sich natürlich, daß seine alten Aufzeichnungen noch so begehrt waren und sich offensichtlich die Erinnerungen von damals jetzt noch in barer 118
Münze auszahlten. Es sah allerdings auch so aus, als wenn der Geldregen keinen Falschen treffen würde und so lud er mich in der ersten Euphorie an den verwaisten Imbiß ein, wo ich nun doch zu meinen Grog kommen sollte. Dabei begann er zu reden, mit dem Geld wollte er hauptsächlich die Ausbildung seines Enkels finanzieren und diese Aussicht machte ihn gesprächig, genauso wie meine dezenten Fragen. Es dauerte nicht lange und wir kamen wieder auf diese ominöse, letzte Reise zu sprechen. Seine Erzählung war fesselnd und führte mich weit zurück, in längst vergangene Tage, welche ein junger Mann erlebt hatte und die nun als Erinnerung wieder auftauchten. Vor Menorca hatte die „Rio Oro“ auf Reede gelegen und auf neue Befehle gewartet, die das Schiff nun vor einen abgelegenen Küstenstreifen beorderte, der schon einige Male das Ziel des Frachters gewesen war. Dort, in dieser gottverlassenen Ecke, existierte ein als Hazienda getarnter deutscher Stützpunkt, der von spärlichen Plantagen und einigen Ölhainen umgeben war. Das Meisterstück dieser Anlage schien eine Landebahn zu sein, die mit beweglichen Holzbuden vollgestellt wurde und so jeglicher alliierter Luftaufklärung verborgen blieb. Durch Zufall entdeckte der junge Kapitän Lüttjens dort zwei Flugzeuge, die am Rande der ungewöhnlich geraden, planierten Piste unter Dächern aus Palmwedeln gestanden hatten und dadurch seine Aufmerksamkeit erregten. Noch ungewöhnlicher war dar Umstand das es sich um englische Lancaster Bomber handelte, aus denen zu diesem Zeitpunkt viele Kisten auf mehrere kleine Boote gebracht wurden und so die „Rio Oro“ erreichten. Ein geschwätziger Pilot, den Lüttjens in der Hazienda traf, verriet ihm nebenbei, daß Rommel früher die Bomber in Afrika erbeutet hatte, die von dort auf höchsten Befehl zur speziellen Verwendung nach Berlin gebracht wurden. Eilig und mit mehreren „Zivilisten“ im Offiziersrang nahm das Schiff den Kurs auf Gibraltar, dem Prüfstein der Reise, wo die Besatzung einer englischen Fregatte eine Inspektion vornahm und nichts von der geheimen Fracht oder den verdächtigen Passagieren in den gut getarnten Verstecken entdeckte. Dann ging es weiter zu den Kanarischen Inseln, wo in einer versteckten Bucht die zwei U-Boote warteten und dort diese seltsamen Kisten und die noch seltsamere Reisegesellschaft übernahmen, um in den Weiten des atlantischen Ozeans zu verschwinden. Kapitän Lüttjens wartete anschließend in Spanien auf das Kriegsende und begann später wieder als Fischer zu arbeiten, er war ein Mann der See und würde es wohl bis zu seinem Lebensende bleiben. Der Grog rann mir wie heißes Öl die Kehle herunter, so daß ich wenig von dem Geschmack mitbekam, aber es wärmte und irgendwie fühlte man sich hinterher besser. Unauffällig schaute ich auf die Uhr, meinen Auftrag hatte ich schließlich erledigt, und auch wenn mir die Informationen auf den Kopien keine wesentlich neuen Ansatzpunkte brachten, halfen sie doch, das Bild der damaligen Geschehnisse abzurunden und vielleicht konnte der Doktor damit mehr anfangen als ich im Moment. 119
Mit vorsichtigen Einwürfen meinerseits brachte ich das Gespräch langsam zum Ende, auch wenn es mir leid tat, den alten Kapitän in seinem Redefluß zu unterbrechen. Ich wollte mich gerade verabschieden, als ich bemerkte, wie zwei Motorradfahrer auf die breite Betonstraße einbogen und in einiger Entfernung stehenblieben. Sofort verspürte ich das vertraute Ziehen in meinem Nacken und meine Aufmerksamkeit war schlagartig auf die ganze Umgebung gerichtet. Jede Bewegung eines Kiefernzweiges ließ mich stutzig werden und ich glaubte, soeben auf dem flachen Dach des langen Gebäudekomplexes einen Schatten beobachtet zu haben. Wir standen hier wie auf dem Präsentierteller, es gab wohl kaum einen besseren Ort für eine perfekte Falle, doch noch bestand die Hoffnung, daß ich etwas überreagierte und eine hypersensible Reaktion auf die Ereignisse der letzten Tage erlebte. Leider sprach zuviel dafür, daß meine Befürchtungen berechtigt waren, und es begann sich zu bestätigen, denn beide Maschinen heulten im selben Moment auf und beschleunigten mit qualmenden Reifen. Der alte Mann reagierte nicht und der Junge war immer noch in seinem Spiel vertieft, mitten auf der sonst verlassenen Straße. Ich rannte schnell zu ihm hin und griff mir den Kleinen wortlos, der sich erst erschreckte und dann mit seinen kleinen Fäusten wild gegen meinen Brustkorb hämmerte, um sich wieder zu befreien. Walter Lüttjens stand der Schreck ins Gesicht geschrieben, immer noch hatte er die Situation nicht erfaßt und wußte nicht, wie er sich mir gegenüber verhalten sollte. Jetzt, fast gleichzeitig erschienen zwei Männer auf dem Dach und gaben jeweils eine stumme Salve aus einer Maschinenpistole mit Schalldämpfer ab, deren Geschosse auf dem Beton Funken schlugen, die sich bis auf wenige Meter dem Imbißhäuschen näherten. Gleichzeitig standen die mit Motorradkleidung verhüllten Männer neben uns, durch deren verdunkelte Visiere nicht die geringste Regung zu erkennen war. Natürlich hatte ich keine Chance mehr, zu regieren – jede unbedachte Aktion von mir hätte unser aller Leben gefährdet und ich hatte keine Lust, am Tod des Jungen, des alten Mannes, oder eines geschockten Imbißbesitzers schuld zu sein. Ruhig streckte mir einer der Motorradfahrer die Hand entgegen und machte eine fordernde Geste, während der andere eine Pistole aus der Lederjacke zog und uns damit in Schach hielt. Die beiden Männer vom Dach hatten sich mittlerweile entfernt und erschienen nach kurzer Zeit an einem der vielen Eingänge, dem anzusehen war, daß dort im Erdgeschoß einige Umbauarbeiten im Gange waren, die aber heute scheinbar ruhten. Wieder winkte der Mann und ich wollte diese gefährliche Lage so schnell wie möglich entschärfen, von mir aus sollte er die Kopien bekommen, darauf stand nichts, wofür sich das Sterben lohnte. Mit Bedacht griff ich unter meinen Mantel, wobei jede Bewegung von den vier Männern mit Spannung verfolgt wurde und übergab das Bündel mit den Kopien. Die Männer sahen sich an und immer noch wurde kein Wort gesprochen, das machte die Situation gefährlich, zu gefährlich nach meinem Geschmack und ich hoffte, daß die Kerle nun, da sie hatten, was sie wollten, genau so schnell verschwanden, wie sie erschienen waren, doch das war leider nicht der Fall. 120
Die Männer vom Dach übernahmen das Bündel mit den Kopien und verschwanden damit, während der Kerl mit seiner Automatik die Waffe seelenruhig auf mich richtete und entsicherte. Das war kein Spiel mehr, der Kerl pokerte auch nicht, es gehörte zu ihrem Plan, mich einfach auszuschalten. Hatte ich dieses Ende Doktor Breitenbach zu verdanken? Hatte er mich in eine Falle laufen lassen, um sein eigenes Leben zu schützen und war ich sein Köder geworden? Mein Herz begann, wie wild zu schlagen, und auch, wenn es in dieser Situation nur idiotisches Machogehabe war, wollte ich mir keine Blöße geben – aber nicht aus bloßem Stolz, sondern nur, weil ich den Männern einen letzten Sieg nicht gönnen wollte. Eigenartigerweise wurde ich jetzt ruhig und gelassen, das hatte ich nicht erwartet, vielleicht überraschte mich mehr die Trauer in meinem Herzen, die mich nun überkam, weil mir keine Zeit blieb, Anne richtig kennenzulernen. Wie oft traf man schon einen Menschen, um den die eigenen Gedanken mehr kreisten, als um sich selbst. Schade, und daß es ausgerechnet in einer Situation geschehen mußte, die ich für harmlos hielt, war ein unverzeihlicher Fehler. Fehleinschätzung oder Überheblichkeit, es blieb mir kaum noch die Zeit, diese Frage zu beantworten, und wenn doch, würde kein Hahn mehr danach krähen. Mir blieb nur noch eines zu tun, „Machen Sie es nicht hier vor dem Jungen, oder haben Sie vor, ihn auch zu töten?“ Die beiden Helme schauten sich an, dann stieg ein Kerl ab und stellte sein Motorrad hin, um mich erst einmal zu durchsuchen, doch bei mir war nichts weiter zu finden, was ihnen gefährlich werden konnte. Gleich darauf bekam ich einen Stoß in meinen Rücken, der mich aufforderte, zu dem Eingang zu gehen, aus dem seine Komplizen zuvor herausgekommen waren. Meine Gedanken waren auf dem Weg wie eingefroren, erst als ich durch die Tür ging, lief der Denkmotor wieder an, aber die Hoffnung, heil aus der Sache herauszukommen, erschien mir so unrealistisch, daß ich sie sofort aus meinem Herzen verbannte. Hinter dem Eingang verlief gleich der Flur, der sich weit von rechts nach links entlang zog und im Moment total eingerüstet war, so daß kaum Platz zum Gehen war, was mir noch einige Sekunden Gnadenfrist gab, weil es etwas langsamer voran ging. „Go left“, dies war eine klare Aussage und ich wendete mich in die angegebene Richtung. Schon hörte ich das Durchladen der Waffe, als ich in der gleichen Sekunde auf den knapp über meinen Kopf laufenden Bodenbrettern des Gerüstes einen alten Eimer sah, dessen Henkel mit einer Halteschnur versehen war, die lose über den Rand hing und mich zu einem riskanten Plan inspirierte. Da ich ja vor meinem Mörder ging und nichts hinter mir sehen konnte, spekulierte ich damit, daß er während des Durchladens seine Pistole nach unten gehalten hatte, so griff ich zeitgleich nach der Schnur und schleuderte den Eimer einfach hinter mich, worauf nun zwei Dinge eintraten, die mich vorerst am Leben erhielten.
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Aus Schreck, oder vielleicht auch Reflex, löste sich zuerst der Schuß aus seiner Waffe und verfehlte mich nur knapp, doch entscheidender war der zweite Punkt, denn dieser Eimer war mit trockenem Gips gefüllt gewesen. Nur Sekundenbruchteile später, als dieser Eimer den Kerl offensichtlich an der Schulter traf, staubte es so schnell heraus, daß er in einer weißen Wolke stand und dies brachte mir den minimalen, aber entscheidenden Zeitgewinn, den ich bitter nötig hatte, um in der nächsten Tür zu verschwinden. Halb sprang ich, halb flog ich in den Raum, wobei ich schon im Abrollen mit meinem rechten Fuß gegen die Tür trat und diese mit einem lauten Knall schloß. Keine Zeit war zu verlieren, denn schon beim Zuschlagen der Tür hörte ich, daß sie noch aus alter DDR-Produktion war und offenbar aus viel Pappe und wenig Holz bestand. Das hielt niemanden lange auf, aber das nötige Glück war auf meiner Seite. Neben der Tür stand eine massive Schreinerkiste, die ich blitzschnell davor zog, was keinen Augenblick zu früh geschah, denn in dieser Sekunde bewegte sich schon die Klinke und mein Verfolger drückte sich gegen die Papptür. Nichts wie weg! Instinktiv duckte ich mich und schon durchschlugen einige Projektile das Pappe-Sperrholzgemisch, ohne auf größeren Widerstand zu stoßen. Dann unheimliche Ruhe, entweder war der Typ unsicher, was er jetzt tun sollte, oder er holte seinen Partner, was ich für wahrscheinlicher hielt, und wenn er das tat, hatte ich ab jetzt weniger als eine Minute zur Verfügung, doch solange wollte ich nicht auf den Besuch warten. Allerdings ernüchterte mich mein Blick zur Fensterfront sofort, ich war in einer Falle – aufgehoben war nicht aufgeschoben. Alle Fenster waren vergittert, es gab keine Chance, das Gitter rechtzeitig zu entfernen und keine weitere Tür führte aus diesem Raum. Dazu waren weder eine Deckenluke, noch eine Kellertreppe zu sehen, ich war ganz schön im A... . Nur noch Sekunden, um mir was einfallen zu lassen, es war nicht viel, aber ich war für jede Idee dankbar, die mir weiterhelfen konnte. Hier lagerten einige Werkzeuge, unter anderem Winkelschleifer und Bohrmaschinen, die alle zum Werfen gut geeignet waren, aber gegen zwei Automatik schien es ein lächerlicher Gedanke zu sein. Nichts Brauchbares zu entdecken, schon war ich mit zwei langen Schraubendrehern bewaffnet, als ich die Rettung sah, rechts in der Ecke hinter zwei Holzböcken lag ein riesiger Luftdrucknagler. Dieser hatte ein eingelegtes Magazin mit fünfzehn Zentimeter langen Nägeln und lächelte mich an, während ich den Kompressor einschaltete, das war die Antwort auf mein Problem, doch diese Geräte hatten am Kopf eine Drucksicherung, die erst beim Auflegen auf das Holz freigegeben wurde und so nah kam ich den beiden sicher nicht, verdammt! Ich war schon in der Verlängerungszeit, jetzt sah ich in der anderen Ecke Klebeband. Es war eine Bewegung, die Rolle zu greifen, abzuziehen und die Mündung auf das Band und den Boden zu drücken, geschafft, es hielt. Das richtige Timing ist wichtig und manchmal verdankt man ihm sogar das Leben. Sekundenbruchteile später zerfetzten einige Schüsse aus einer Maschinenpistole das Schloß, dazu drei harte Tritte und die beiden Männer standen in voller Lebensgröße im Raum, allerdings nicht lange, denn sie wurden genagelt bis das Magazin leer war. 122
Die Stahlnägel hatten ganze Arbeit geleistet und es gab nichts mehr, was man für die beiden tun konnte. Schnell nahm ich ihre Waffen an mich und stürzte mit der Befürchtung hinaus, daß man in der Zwischenzeit die drei vor dem Haus doch noch zum Schweigen gebracht hatte, aber glücklicherweise sah ich die drei Köpfe ängstlich hinter der Imbißbude hervorschauen. Jetzt erkannte ich auch, daß die entscheidenden Sekunden für meine Vorbereitungen dem Umstand zu verdanken waren, daß man die drei an einen Fahrradständer gefesselt hatte und ich machte mich daran, dies rückgängig zu machen. Ein Seufzer der Erleichterung entwich mir dabei und nun lachte ich schon fast wieder, denn am besten schien der Besitzer der Imbißbude diesen Zwischenfall überstanden zu haben, „Sie?,... Wie?,... Äh,... kommen Sie rüber und trinken Sie erst einmal einen Kaffee, der weckt Tote auf“ „Na, wenn das so ist, dann bringen Sie lieber keine Tasse ins Haus“ Er sah mich an, als wenn er erst jetzt begreifen würde, was geschehen war, und goß die heiße Flüssigkeit mit zittrigen Händen in die Plastikbecher. „Machen Sie am besten gleich den Laden dicht, bevor hier noch ein paar Freunde der Kerle auftauchen und nachsehen, was passiert ist“ „Was? Oh, eine gute Idee, das werde ich machen“, jetzt hatte er es endgültig begriffen und mit einer fast panischen Eile drückte er uns allen, einschließlich des Jungen, der sicher noch nicht die Wirkung des Kaffees zu schätzen wußte, einen Becher in die Hand. Dann schloß er die Metalluke des Imbisswagens und setzte sich auf ein klappriges Damenrad, um auf dem gleichen Betonweg zu verschwinden, den auch die Motorräder benutzt hatten. Ich kippte, nachdem ich einen Schluck genommen hatte, den Kaffee weg und wendete mich Walter Lüttjens zu, der nur schwer die Fassung wiedererlangte, „Sie haben meinem Enkel das Leben gerettet, das vergesse ich ihnen nie“ „Ach, stimmt doch gar nicht, ich habe ihn doch nur von der Straße getragen, ihm wäre sicher nichts passiert, denn die Kerle hatten es nur auf mich abgesehen“, doch so sicher wie ich es sagte, war ich mir dabei nicht. „Nein, nein, ich weiß es genau, ohne Sie wäre er jetzt tot. Kommen Sie mit, wir fahren jetzt zu mir und ich gebe Ihnen mein ganzes Tagebuch mit. Das wollte ich eigentlich nicht aus den Händen geben, aber jetzt bekommen Sie es. Ich weiß, nur wenn man seine Schulden bezahlt, kann man mit ruhigem Gewissen sterben und bald wird meine Zeit gekommen sein. Diese Schuld bezahle ich gerne. Sagen Sie mir Ihren Namen, bitte!“ „Mein Name ist Gabriel Kronau, Herr Lüttjens, aber mir wäre es lieber, wenn Sie es nicht als Schuld ansehen würden, denn eine Bezahlung würde mir nicht gefallen, doch ihre Hilfe, die könnte ich gebrauchen und die möchte ich auch dankend in Anspruch nehmen“ Wir stiegen in den Wagen und verließen den Ort des Geschehens, irgendwie überraschte mich der kleine Junge am meisten, denn jetzt, da sich die Anspannung löste, kullerten kleine Tränen über seine Wangen, die er aber vor seinem Großvater verbergen wollte und sofort begann, gegen sie anzukämpfen Wie gerne hätte ich dem 123
kleinen Kerl dieses Erlebnis erspart, aber wenigstens hatten alle heil diesen Tag überstanden und ich hoffte, das würde so bleiben. Die Drahtzieher des Überfalls hatten ihr Ziel erreicht und die Kopien in ihren Besitz gebracht, lohnte es sich jetzt noch, die Zeugen aus dem Weg zu räumen? Auf alle Fälle war hier Doktor Breitenbach mit seinen Beziehungen gefragt, um für den Schutz der Leute zu sorgen, darauf würde ich bestehen wenn ich mit ihm reden sollte, und über den Ablauf dieses Treffens mußte ich dringend mit ihm sprechen. Während der Fahrt hatte ich auch die Gelegenheit, mit mir selbst ins Reine zu kommen, schließlich steckte ich es nicht jedesmal wie eine Maschine weg, wieder einmal dem Tod von der Schippe gesprungen zu sein und nur langsam hakte ich das Erlebnis ab, wobei ich wußte, daß es noch einige Abende geben würde, die ich darüber nachgrübeln würde. Mit dem Wagen fuhren wir über die idyllischen schmalen Straßen, die auf Rügen so verbreitet sind, und kamen zu einem einsam liegenden Hof mit den typischen reetgedeckten Gebäuden. Die Fenster waren schon erneuert worden, aber eine massive, alte Tür, die etwas windschief in den Angeln hing, gab dem Haus immer noch etwas Ursprüngliches. Ich wurde in die gute Stube geführt und mußte dort Platz nehmen, während der alte Mann in der Küche verschwand, um nach kurzer Zeit wieder mit einer Flasche Rum zu erscheinen, „Den haben wir uns jetzt verdient, Herr Kronau, meinen Sie nicht auch?“ „Auf jeden Fall, Herr Lüttjens“, schaden konnte das jetzt wirklich nicht. „Meine Frau bringt gleich einen guten Tee für uns und ich hole mein Tagebuch, warten Sie einen Moment“, damit ließ er sich aber solange Zeit, bis wir angestoßen hatten. Wieder verschwand er, dafür erschien aber Frau Lüttjens mit einem Tablett in der Stubentür, auf dem das gute weißblaue Geschirr stand, das wohl nur zu meinen Ehren aufgetragen wurde. Sie war eher schweigsam, mit gütigen Augen, denen man aber ansah, daß sie im Leben hart gearbeitet hatte und mit etwas gebeugtem Rücken deckte sie schweigsam den Tisch und lächelte dabei von Zeit zu Zeit zu mir hinüber. An den Wänden hingen einige Bilder und Erinnerungen aus einem langen Leben, die zwischen Kitsch und Kunst schwankten und trotzdem genau in die gemütliche Stimmung paßten, die man hier verspürte. Die Frau verschwand wieder und ich hörte, wie mit gedämpften Stimmen auf der kleinen Veranda gesprochen wurde. Das gab mir die Gelegenheit, ungestört über die Hintermänner der Tat einige Vermutungen anzustellen. Von der Ausführung her konnte man es jedem der beiden Hauptprotagonisten durchaus zutrauen, doch der Punkt war wohl eher, wer von dem Treffen überhaupt erfahren haben konnte? War wieder etwas durch die undichte Stelle in Doktor Breitenbachs Umfeld nach außen gesickert? Einiges schien dann für Fortunati zu sprechen, der ja diesen Kontakt schon genutzt hatte. Oder waren alte Kanäle von der NATO zum BND noch offen, die Gondoni angezapft hatte? Es gab ein reichliches Für und Wider, das ich ergebnislos beendete und sicher würde es sich lohnen, noch einmal 124
den Schauplatz des Geschehens aufzusuchen. Vielleicht hatte ich einen Hinweis, der mir in dieser Frage weiterhelfen konnte, übersehen. Doch vorerst kam ich hier nicht weg, denn der alte Mann betrat das Zimmer mit einem in Packpapier eingeschlagenen Paket. Man konnte ihm ansehen, wie schwer er sich von dem Buch trennte, welches einen Teil seines Lebens widerspiegelte. Doch wollte er unbedingt seinen Dank ausdrücken und dieses Gefühl überwog, als er mir mit einer bedächtigen Geste das Bündel übergab. „Bitte, ich hoffe, Sie können etwas damit anfangen. Sie sollten besonders die letzten Seiten lesen, vielleicht hilft Ihnen das weiter, Herr Kronau“ „Natürlich werde ich das machen, danke sehr. Ich weiß, daß es Ihnen nicht leicht gefallen ist und ich werde ganz sicher das Buch in Ehren halten“ Mit einem Seufzer setzte sich mein Gegenüber hin und wir genossen den Tee, der nach norddeutscher Art zubereitet war, während das hinter uns liegende Abenteuer in der gleichen Tradition recht einsilbig von ihm abgehandelt wurde. Die wahren Hintergründe erwähnte ich nicht und ließ alles in dem Licht erscheinen, daß es sich um kleine Kriminelle handelte, die sich für die Kisten interessierten, von deren genauen Inhalt der alte Kapitän zwar keine Ahnung hatte, dafür aber einige Vermutungen anstellte, die im Laufe der Jahre in seiner Phantasie entstanden waren. Von Frau Lüttjens war die ganze Zeit über nichts zu sehen, während ihr Mann jetzt wieder die Zeit nutzte und einige Geschichten aus seinem Leben erzählte und die Höflichkeit gebot mir, ihn nicht zu unterbrechen, bis ich es dann doch nach anderthalb Stunden endlich schaffte, ein Taxi zu bestellen und mich wieder nach Binz fahren zu lassen. Von hier aus brauchte ich dann nur noch zehn Minuten mit dem Geländewagen und erreichte nun wieder über einen ausgefahrenen Waldweg den Schauplatz der Ereignisse. Hinter einigen Kiefern ließ ich das Auto stehen und näherte mich vorsichtig mit einer der zusammenklappbaren Kalaschnikows unter dem Mantel, die ich vorsichtshalber mitgenommen hatte, der Imbißbude. Vorsichtig kam ich aus dem Wald und suchte geschickt die Deckung einiger einzeln stehender Bäume, bis ich sicher war, alleine hier zu sein, und betrat etwas angespannt das Gebäude. Ein Laut des Erstaunens, verbunden mit einem kurzen Kopfschütteln, war meine Reaktion, nachdem ich den Raum mit der zerschossenen Tür erreichte, denn ich vermißte dort die toten Körper genauso wie jegliche Blutflecken am Boden. Nicht, daß ich sie wirklich vermißte, aber sie fehlten einfach, und daß man noch gründlicher gewesen war, sogar akribisch die Einschußlöcher in der Wand bearbeitet hatte und dabei offenbar die Projektile von dort entfernte, überraschte mich in seiner Konsequenz dann doch erheblich. Da wohl die verbliebenen Löcher noch verdächtig genug erschienen, hatte man den Bereich der Einschüsse vollständig vom Putz befreit und absolut wild eine Unmenge Grafittis im Raum verteilt, so daß es hier aussah, als ob eine Gruppe von Jugendlichen randaliert hätten. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, daß hier vor einigen Stunden eine Schießerei stattgefunden hatte und wenn die Polizei sich den Schaden ansehen würde, dann hätte sie auch keinen Ansatz, diesbezüglich irgendwelche Spuren zu finden. 125
Ich war beeindruckt über diese logistische Leistung und tendierte jetzt eher zu Gondoni als Urheber des Hinterhaltes, denn irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, daß sich einfache Kriminelle, auch wenn sie zur Mafia gehörten, solch eine Mühe machen würden und vor allem auf eine Aktion dieser Art vorbereitet waren. Selbst draußen war nichts Brauchbares zu entdecken und sollte es Reifenspuren oder irgend etwas anderes gegeben haben, so waren auch diese Brotkrümel geschickt beseitigt worden. Etwas ratlos und natürlich sehr nachdenklich stand ich nun in der Gegend herum und machte mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zurück nach Berlin. Die Fahrt war angefüllt von Spekulationen, die auch Doktor Breitenbach mit einschlossen, denn unleugbar hatte er mich hierhergeschickt und war selbst abgetaucht. Konnte das nur ein dummer Zufall sein? Mir schien mittlerweile alles möglich und da ich nun den Job erfüllt hatte, brauchte mir der Doktor erst mit etwas Neuem kommen, wenn meine Zweifel ausgeräumt waren und dabei würde er sich Mühe geben müssen. Ich beschloß jedenfalls, meine eigenen Interessen weiterzuverfolgen, und damit war mir mein nächstes Ziel sonnenklar. Außerdem wollte ich mir jetzt nicht den Lohn für mein Risiko so einfach aus den Händen nehmen lassen und hielt unterwegs in einem größerem Ort vor einem Kopierladen an. Hier verbrachte ich die nächste Stunde damit, das Tagebuch zu duplizieren, bevor es in Berlin in die Hände des dünnen Kerlchens gelangen würde. Schließlich erwartete er Kopien und die sollte er auch bekommen, sogar mehr als zuvor gedacht und ich behielt das Original für mich, denn mein Vertrauen gegenüber diesen Leuten neigte sich gegen Null und außerdem hatte ich Lüttjens versprochen, gut darauf aufzupassen. Trotz einiger Bedenken fuhr ich zu dem Treffpunkt und übergab die Kopie, so war der Deal und ich stand zu meinem Wort, solange mir nicht der unumstößliche Beweis eines Verrats vorlag. Allerdings ließ ich dabei erst einmal einigen Dampf ab, schließlich hatte niemand den Blumenstrauß für Uschi’s Geburtstag vergessen, sondern ich war bei einer von Doktor Breitenbach organisierten Übergabe in einen Hinterhalt geraten, da durfte man sicher mal eine Beschwerde loswerden und das tat ich reichlich. Nachdem dies geschehen war, verlangte ich nach einigen Vorsichtsmaßnahmen für Walter Lüttjens, der schließlich Zeuge des ganzen Geschehens war und dadurch in gewisser Weise gefährdet war. Als meine Kontaktperson, namens Björn Krause, wieder zu Wort kam, zeigte er eine gewisse Bestürzung, die aber nicht die ganze Tragweite des Geschehens erfassen konnte. Dadurch war mir klar, daß dieser Jüngling noch nie in einer brenzligen Situation gewesen war und die alles verschlingende Panik erlebt hatte, die dem Blick in das Angesicht des Todes zu eigen war. Das ließ meinen Ärger verfliegen, denn der junge Herr Krause mit dem typischen Berliner Dialekt trug sicher keine Verantwortung bei der Sache und ich würde bei kommender Gelegenheit diese Sache lieber mit Doktor Breitenbach selber klären. Insgeheim fragte ich mich sowieso, wie jemand mit Rasterlocken und dem Charme eines Pizzaboten etwas mit dem Geheimdienst zu tun haben konnte, aber ich hütete 126
mich davor, ihm gegenüber voreingenommen zu sein, gerade solche Menschen konnten immer für eine Überraschung gut sein. Zum Abschluß bekam ich noch ein entschuldigendes Achselzucken und eine freundliche Beschwichtigung von ihm, „Det wird schon Kollege, der Chef kümmert sich drum. Ick muß los, die Bahn kommt, sie verstehen“, und schon verschwand er in Richtung des U-Bahnhofs. „Na lojisch“, fügte ich in Gedanken hinzu und ging zu meinem Wagen, mit dem ich vorher Satellit gespielt hatte und zweimal die Gegend umkreisten mußte, bis ich überhaupt einen Parkplatz fand, vielleicht sollte ich das nächste Mal auch die „Öffentlichen“ nehmen. Endlich zu Hause - nach diesem Tag durfte mein „Sundowner“ etwas größer sein, doch zu allem Unglück waren die Vorräte in der Bar versiegt und ich hatte nicht die geringste Lust, die Wohnung zu verlassen und mich deshalb noch in einen übervollen Supermarkt zu stellen. Selbst das Weinregal war leer, schließlich war ich schon einige Zeit nicht mehr auf romantische Abende zu Zweit eingestellt, aber das könnte sich vielleicht in Zukunft ändern und ohne das Thema weiter zu vertiefen machte ich mir einen großen Notizzettel mit dicken Buchstaben an den Kühlschrank – „Weinhandlung“. So genoß ich ein anregendes Bad und später, bei gedämpfter Musik, las ich fast die ganze Nacht das Buch durch, immer darauf gefaßt, durch einen unangemeldeten Besucher aus meiner Lektüre gerissen zu werden, aber die Kalaschnikow neben dem Couchtisch konnte sicher etwas dagegen ausrichten. Der alte Mann hatte recht, die letzten Seiten waren besonders interessant, denn hier tauchte ein Name auf, der eine vielversprechende Spur abzugeben versprach, Jasper Matsen. Nach den Notizen von Walter Lüttjens war er ein dänischstämmiger Schleswiger, der auf der letzten Fahrt der „Rio Oro“ an Bord zum Wachpersonal gehörte und der sich mit ihm dort ein wenig angefreundet hatte. Wie alle anderen war später auch dieser Matsen mit dem U-Boot im Atlantik verschwunden, aber 1946 bekam Lüttjens eine Postkarte aus Montevideo, mit der er nach Uruguay eingeladen wurde, um dort in Matsen´s Firma zu arbeiten. Eine höchst erstaunliche Karriere! Südamerika, das paßte genau, denn nur dorthin konnte das Gold unterwegs gewesen sein, um den untergetauchten Nazis etwas zu nutzen. Conny würde sich freuen, weil die Liste der Namen, die sie für mich suchen sollte, immer länger wurde und langsam würde wohl ihre „Nebenbeschäftigung“ beim Verlag darunter leiden. Als meine Mail an sie fertig war, schrieb ich gleich weiter an Jocelyn nach Sydney, wenn jemand ein Schlüssel zu der ganzen Angelegenheit war, dann sicher dieser Josef Biedermann und es war dringender denn je nötig, eine Spur von ihm zu finden. Beim Schreiben fiel mir auch die Notiz am Rande der Quittung wieder ein und wenn sich Jocelyn schon auf die Suche nach alten Spuren machte würde, dann konnte sie auch mit dem Namen Pinky Mahoney ihr Glück versuchen, damit hatte ich ihr alles gegeben, was ich selbst wußte. 127
Langsam wurde es wieder hell und ich gönnte mir noch ein paar Stunden Schlaf, der unsanft von meinem Radiowecker unterbrochen wurde, weil ich mich riesig freute, ein paar alte Freunde zum Essen zu treffen. Nach meiner Meinung bestand das Leben nicht nur daraus, sich beschießen zu lassen, und da es üblich war, daß wir uns in unregelmäßigen Abständen bei Stefano trafen, nutzte ich diese Gelegenheit gerne aus, um für einen Moment alles wegzuschieben und einfach die Gesellschaft meiner Freunde zu genießen. Niemand wußte von den gefährlichen Eskapaden, die mir in den Zeiten meiner Abwesenheit von zu Hause widerfahren sind und ich hatte auch kein Bedürfnis, das im Detail in die Welt hinauszuposaunen. So pfiff ich lächelnd ein Lied vor mich hin, während ich das Restaurant betrat und da mich so richtig niemand erwartet hatte, wurde meine Anwesenheit besonders registriert. Jeder fragte, wo ich mich jetzt schon wieder herumtrieb, was ich mit einer erfundenen Geschichte beantwortete und dabei unbeabsichtigt einen riesigen Fehler beging, als ich nebenbei erwähnte, daß mich mein Weg heute Abend nach Paris führen würde. Das war geradezu fahrlässig, denn Bernd und Nicole saßen ja mit am Tisch und bei den beiden hatte ich noch ein Versprechen offen, was mir sofort wieder ins Gedächtnis gerufen wurde. Es wäre natürlich verantwortungslos gewesen, die beiden dorthin mitzunehmen und so hoffte ich, daß Nicole aus ihrem neueröffneten Friseursalon nicht heraus konnte, aber dieses Glück war mir nicht vergönnt. Sie beschlossen, nächstes Wochenende zu mir nach Paris zu kommen und ich müßte ihnen diese Zeit so unvergeßlich wie möglich machen – manchmal sollte man vorsichtig mit seinen Wünschen sein, denn sie könnten in Erfüllung gehen. Nach dem ersten Schreck brauchte ich einen Moment, um diese neue Tatsache etwas zu durchdenken und begann es dann nicht mehr als so schlimm anzusehen. Die Stadt war groß und mir würde sicher etwas einfallen, um die beiden zu beschäftigen, wobei ich mir sicher war, daß sie das auch gut alleine konnten. Außerdem wußte ich überhaupt nicht, ob ich zu diesem Zeitpunkt noch dort sein würde und so machte ich mir vorerst deshalb keine Sorgen mehr. Stefano kam des öfteren zu mir und versuchte mit mir zu plaudern, aber die vielen Gäste zwangen ihn immer wieder, das Gespräch zu unterbrechen, bis es ihm doch gelang, sich für einige Minuten wegzustehlen, „Sag mal, Gabriel, hat es einen besonderen Grund, daß wir dich im Moment so selten sehen?“ „Sicher gibt es den, meinst du, ich reise nur so zum Spaß durch die Gegend? Nein, dafür ist mir die Zeit zu schade, es gibt schon einen Grund, Stefano“ „Natürlich, so meinte ich es auch nicht. Wir sind ein wenig ins Grübeln gekommen, du wirkst irgendwie verändert. Bist du denn wieder mit Jenny zusammen?“, mir war so, als verstummten im selben Augenblick alle Gespräche am Tisch. „Äh,...Nö, nicht das ich wüßte. Wie kommst du denn auf diese blöde Idee? Wenn das so wäre, dann hätte ich mich sicher schon untersuchen lassen“ Das Schwiegen hielt nach der Antwort an, aber die Gesichter wurden deutlich freundlicher, „Das ist gut, nicht das es uns was angeht, aber...“ „Schon gut, ich weiß, danke für das Mitgefühl, aber darüber braucht ihr euch keine Sorgen mehr zu machen“ 128
„Sooo?“, Stefano hob etwas den Kopf und sah mich an, „Aha, da gibt es also eine neue Frau, ich habe doch recht?“ „Stefano, ich glaube, dein Koch hat gerade nach dir gerufen, scheint wohl eine Menge Arbeit heute zu geben“, er wußte natürlich, daß ich nur von dem Thema ablenkte und sein vielsagendes Lächeln begleitete mich den ganzen Nachmittag. Als ich dann mit dem Taxi zum Flughafen fuhr, um die Maschine zu besteigen und endlich in Richtung Paris zu starten, hatte ich seine Worte aber immer noch nicht aus meinem Kopf. Ach Freunde – mit ihnen ist es wie mit den Frauen, man kann nicht mit ihnen leben und auch nicht ohne sie, außerdem wäre dann das Leben nicht schön und das galt für beide. Zwei Stunden später in Paris war schon die warme Südluft zu spüren, von der man in Deutschland noch träumte. Ein stahlblauer Abendhimmel, der zum Horizont hin in ein glutrotes Feuer überging, erweckte in mir das Gefühl von purem Leben und ich sog diese unbeschreibliche Schönheit ganz in mich auf, während ein Taxi mit mir durch die Stadt an der Seine fuhr. Dreimal wechselte ich das Gefährt aus Sicherheitsgründen, dann endlich fuhr ich zu meinem eigentlichen Ziel. Ich war durch die Änderung meiner Reisepläne einen Tag zu spät hier eingetroffen, doch trotzdem fest davon überzeugt, daß man auf mich warten würde. Wenn Männer versuchen, die Frauen zu verstehen, müssen sie zwangsläufig scheitern, diese Erfahrung hatte wohl schon jeder Vertreter des männlichen Geschlechts machen müssen und ich hatte dieses Vorhaben selbst schon vor Jahren aufgegeben, aber man konnte sich wenigstens auf eine Schwachstelle verlassen und das war die weibliche Neugier. Nach meiner Aktion im Castello di Montana war ich mir ganz sicher, daß dieser Virus die beteiligten Damen befallen hatte und so fuhr ich in das 9ième arrondissement auf den Boulevard des Capucines, um mich dort in das Café de la Paix zu setzen und zu warten. Die vereinbarte Zeit war achtzehn Uhr gewesen und bis dahin blieb mir noch eine halbe Stunde, in der ich mich nun entscheiden mußte, ob ich einen großen Kaffee nahm, oder doch schon ein Glas Beaujolais versuchen sollte. Der Beaujolais gewann, allerdings muß ich gestehen, der Kaffee wäre wohl die bessere Wahl gewesen, was mein zeitweise angesäuertes Gesicht verriet und eine gewisse Enttäuschung machte sich bei mir breit. Auch Coco, die nette Bedienung, konnte das nicht mildern, doch dies wurde langsam nebensächlich, denn es war schon einige Minuten über die Zeit und ich begann, mich widerwillig mit dem Gedanken anzufreunden, daß ich mich wohl doch getäuscht hatte. Trotz meiner Fehleinschätzung konnte ich dabei ein kleines Schmunzeln nicht verbergen, weil offensichtlich eine Erfahrung immer zutraf – Frauen tun generell das, was man von ihnen nicht erwartete. So blieb ich mehr aus Ratlosigkeit sitzen und grübelte nach, wie ich weiter vorgehen sollte, wobei die Blicke von Coco mir verrieten, daß sie da schon eine bestimmte Idee hatte, aber das ließ mich kalt und höchstens mein Ärger erregte mich, daß ich früher solche Gelegenheiten nicht ausgelassen hätte. 129
Mein Glas war leer und ich wollte mir ein Hotel suchen, um morgen nach Sydney weiterzufliegen, denn trotz allem hatte ich natürlich keinen Grund, meine Nachforschungen zu beenden. Coco schaute mich beim Bezahlen mit ihren Kulleraugen an und ich mußte schon zugeben, daß ich ein wenig unsicher in meiner Entscheidung wurde, aber dann drehte ich mich zur Tür und verließ das Café. Natürlich schüttelte ich über mich selbst den Kopf, aber letztendlich fühlte ich mich gut dabei und deshalb verflogen auch jegliche Zweifel sehr schnell. Ein Taxi zu finden war nicht schwer, weil genau am Bürgersteig eines wartete und der Fahrer schien übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen, denn er sprang sofort aus dem Auto und sprach mich an, „Mousieur Kronau?“ „Qui?“, das er ein solch guter Hellseher war, glaubte ich dann doch nicht. „Ich habe den Auftrag von Madame, Sie zum Haus zu bringen“, das hörte sich gut an und das „Madame“ brachte mir mein altes Lächeln wieder. So fuhr ich durch den dichten Pariser Abendverkehr, vorbei an den Menschen, die aus den Metrostationen oder den vielen Restaurants kamen und ihren Zielen entgegenströmten, während in mir die Spannung unaufhaltsam stieg, was mich an meinem Ziel erwarten würde. Der Fahrer hielt vor einem großen Gebäude in einem der Außenbezirke, das von einer massiven Mauer umgeben war und sich damit nicht sehr von den vielen Häusern in der Straße unterschied. Langsam ging ich durch das geöffnete Tor der Auffahrt und meine Aufregung stieg, während sich Herz- und Pulsfrequenz anpaßten, was unerbärmlich den Höhepunkt erreichte, als ich an der Tür klingelte. Diese sprang mit einem summenden Ton leicht auf und voller Neugier betrat ich eine kleine Vorhalle, an deren Wände einige helle Stellen zu erkennen waren, wo früher einmal Möbel standen. Auf dem staubigen Marmorboden hallten meine Schritte durch den hohen Raum, der mit seinen Fresken und den stumpfen Spiegeln so wirkte, als ob hier die Zeit konserviert wurde und nur darauf wartete wieder in altem Glanz aufzuerstehen. Eine unheimliche Stille herrschte und verstärkte den geheimnisvollen Eindruck, den diese Mauern verbreiteten, bis ich das Knistern eines Kaminfeuers vernahm, das mir den Weg zum Eingang eines kleinen Salons wies. Die zweiflüglige Tür war nur leicht angelehnt, die beim Aufdrücken einen knarrenden Ton von sich gab, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ und dadurch sicher wirkungsvoller als jede Klingel war. Der Raum war verlassen, ich sah mich etwas um und legte mein spärliches Gepäck auf einen Sessel, der vor dem großen Kamin stand und schaute den Flammen zu, wie sie um die Holzscheite tanzten und sie zum Glühen brachten. Dieser Anblick beruhigte mich, meine Gelassenheit kehrte wieder und ich atmete tief durch, bis mich ein Geräusch erneut aus meinem Gleichgewicht brachte. Wieder knarrte die Tür und sofort blickte ich dorthin, wo mir nun das neugierige Gesicht von Anne entgegenschaute, die langsam in ihrem Rollstuhl auf mich zukam. Gleich in diesem Moment versuchte ich, aus ihren Augen abzulesen, ob sie sich freute und das Funkeln, das ich dabei bemerkte, wurde hoffentlich nicht nur durch das flackernde Licht des Kaminfeuers verursacht. 130
„Schön, Sie wieder bei uns zu haben, Herr Kronau. Wir dachten schon, Sie hätten es sich anders überlegt und sind schon wieder dabei, jemand anderen zu retten“ Ihre Stimme war freundlich, jedoch nicht überschwenglich und vielleicht mit einer Spur Beherrschung, die ich zu erahnen glaubte, „Danke sehr, ich freue mich genauso hier zu sein und hoffe sehr, daß Sie meine kleine Verspätung verzeihen können“ „Gerade so, es wäre schade gewesen, wenn wir keine Gelegenheit mehr gehabt hätten, um miteinander zu reden, ich muß gestehen, was dort in Italien passiert ist, hat mich ein wenig neugierig gemacht“ Zum Glück konnte sie jetzt meine Gedanken nicht lesen und die Bestätigung meiner Vermutung ließ mein Lächeln noch etwas verschmitzter werden. „Wir können uns gerne darüber unterhalten, aber erwarten Sie bitte nicht zuviel. Ich bin nur ein kleiner Schriftsteller, der viel Glück gehabt hat, und es gibt nichts Schlimmeres, als zu hohen Erwartungen nicht entsprechen zu können“ „Wissen Sie, Herr Kronau, im allgemeinen habe ich eine gute Menschenkenntnis und im besonderen, also in Ihrem Fall, glaube ich, daß Sie gerade versuchen, mich anzuschwindeln, aber bei passender Gelegenheit werde ich sicher herausbekommen, welches Geheimnis in Ihnen steckt...“, ich war mir keinesfalls sicher, ob ihr das gefallen hätte, „...und weil wir gerade bei den Gelegenheiten für eine Unterhaltung sind - haben Sie schon gegessen, Herr Kronau? Wir haben zwar nicht viel in der Küche, aber für uns beide wird sich sicher etwas finden lassen“ Im ersten Moment traute ich meinen Ohren nicht, sollte es wirklich wahr sein und ich war mit dieser Frau alleine? Daß man in seinem Leben manchmal ein riesiges Glück hat, konnte ich schon erleben, aber mit dem Wink des Schicksals konfrontiert zu werden, das nahm mir dann doch den Atem. Allerdings benebelte mich der Gedanke nicht so, um gleich eine einleuchtende Frage auf meinen Lippen zu haben, denn was war mit dieser Carmen geschehen und wo war Diana geblieben? Das wollte ich gerade ansprechen, als Anne schon dabei war, mir darauf zu antworten, „Wir haben Diana gleich zum Flughafen gebracht, sie hat in London einen Fotojob bekommen und war ganz froh, wieder zu arbeiten. Dort fühlt sie sich offenbar sicher und will die ganze Aufregung vergessen, aber in einigen Tagen würde sie sich gerne hier mit uns treffen. Ich glaube, sie möchte sich bei uns allen bedanken, aber ganz besonders bei Ihnen“, das war mir etwas zu hart gesagt, um nur belanglos zu wirken. „Ein höflicher Zug von Diana, doch überhaupt nicht nötig. Ich wußte schließlich nicht, daß sie auch in dem Keller war“ „So? Dann sind Sie also nur gekommen, um Carmen und mich zu befreien?“ „Das ist richtig, ich wurde leider Zeuge, wie man sie beide auf dem Castello abgeliefert hatte und da ich es nicht mag, wenn man Frauen so behandelt, hielt ich es für das Beste, etwas zu unternehmen“ „Aha, das ist interessant, aber das können Sie mir gerne nachher noch ausführlich erzählen, schließlich weiß ich, daß es eine aufregende Geschichte wird. Carmen ist übrigens auch weg, sie hat einige wichtige Sachen für die nächsten Tage vorzubereiten und wird sich telefonisch melden, wenn sie wieder hierher kommt. Um 131
ehrlich zu sein war sie ein wenig skeptisch, mich alleine mit Ihnen zu lassen, aber ich glaube, Sie verdienen mein Vertrauen und ich hoffe, daß Sie sind nicht allzu enttäuscht sind, weil nur ich hier bin?“ Meine Enttäuschung darüber hielt sich sehr in Grenzen, besser gesagt, sie war nicht vorhanden und ich hatte Mühe meine aufkommende Euphorie nicht zu stark an die Oberfläche brodeln zu lassen, „Ganz im Gegenteil, ich finde diesen Rahmen äußerst angenehm. Zu Zweit kann man sich doch viel intensiver unterhalten und so neugierig, wie Sie es sind, bin ich es natürlich auch, also sollten wir gleich damit anfangen“ „Herr Kronau,...“, dabei hielt sie inne und sah mich ganz lange an, „...wir Frauen haben gerne unsere Geheimnisse, die sollten Sie uns vorerst noch lassen, aber vielleicht könnte ich mich nach einem guten Essen dazu hinreißen lassen, etwas zu verraten, schließlich wäre dieser Rahmen passender, um das Abenteuer vom Castello zu feiern, also lassen Sie uns in der Küche etwas vorbereiten. Außerdem habe ich mich bei Ihnen noch gar nicht für unsere Rettung bedankt, was ich hiermit sehr gerne machen möchte. Wie haben Sie das nur gemacht, scheinbar verfügen Sie über schlummernde Talente, die ich Ihnen kaum bei unserer ersten Begegnung zugetraut hätte und sicher haben Sie noch mehr Überraschungen auf Lager“. Darauf konnte diese Frau wetten und irgendwie mußte es mir doch gelingen, ihr Interesse zu wecken, nicht bloß die Neugier. Doch weder wollte, noch konnte ich versuchen, Anne wie eine Festung zu erobern, dies war kein Spiel um Erfolg oder Mißerfolg, es ging für mich um weitaus mehr, denn der Einsatz zu dieser Partie schlug wild in meinem Brustkorb. Also mußte ich alles in die Waagschale werfen, was ich hatte, und die Gelegenheit schien günstig, gleich damit anzufangen, „Natürlich gibt es noch einige Dinge, mit denen ich Sie verblüffen könnte. Was halten Sie davon, wenn ich mich mal in der Küche umschaue und Sie mit einem kleinen Menü überrasche, damit ich Ihnen beim Abendessen erzählen kann, wie es mich in das Castello di Montana verschlagen hat, und wenn wir Glück haben, dann finden wir dazu auch noch einen guten Wein im Keller“ Zuerst veränderte sich nichts in ihrem Gesichtsausdruck, ich befürchtete, mein Vorschlag hätte keine große Wirkung erzielt, aber dann begann sich leicht ihre Unterlippe vorzuschieben, was in ein gut gespieltes, ungläubig schauendes Gesicht überging, „Und Sie meinen, ich kann es wagen, mich Ihren Kochkünsten anzuvertrauen?“ Nun wäre die Behauptung sicher übertrieben, daß ich ein Meisterkoch wäre, aber seitdem ich meine schon recht guten kulinarischen Fähigkeiten bei einer verdeckten Recherche in „Tante Erna`s Kochinternat“ erheblich verbessern konnte, war ich in der Lage, aus dem Stand ein Fünf-Gänge-Menü zu zaubern. Leider hatte ich nur sehr selten die Lust und auch die Gelegenheit, dies in der Praxis anzuwenden, aber sollte es mir heute weiterhelfen, war all diese Anstrengung nicht umsonst gewesen. Doch hütete ich mich davor, jetzt damit zu prahlen, sollte nämlich etwas daneben gehen, stand ich schön als Idiot da und das war das Letzte, was ich vor Anne wollte. „Nun, Wasser habe ich noch nie anbrennen lassen und ein Sandwich werde ich auch noch hinbekommen, jedenfalls hat es bisher jeder überlebt, für den ich gekocht habe. Also probieren wir es einfach aus – in einer Stunde essen wir!“ 132
Ein noch neutraler Blick streifte mich, der langsam in ein Lächeln überging, „Bei dem Mann, der mir das Leben gerettet hat, kann ich es wohl riskieren, mich auf seine Kochkünste einzulassen. Dann werde ich mich jetzt zum Essen umziehen und Sie haben eine Menge Arbeit vor sich, ich bin nämlich sehr gespannt, was Sie für uns zaubern werden. Vielleicht schaffen Sie es ja wieder, mich zu überraschen“ Mit einem niedlichen kleinen Nicken quittierte sie, daß ich ihr die Tür aufgehalten hatte, wonach sie durch die Halle im gegenüberliegenden Zimmer verschwand. Was ich mir hier gerade eingebrockt hatte, war die wichtigste Suppe meines Lebens und nun durfte nichts schiefgehen. Zuerst einmal mußte ich die Küche suchen, wurde aber zum Glück schnell fündig und durchstöberte dann die Vorräte, die ich übersichtlich im Kühlschrank vorfand. Viel stand wirklich nicht zur Auswahl, doch frisches Obst in Mengen, kombiniert in einigen Standardrezepturen, ließ mich optimistischer auf mein Vorhaben schauen, bei dem ich zwischenzeitlich gegen das Gefühl ankämpfen mußte, daß ich mich etwas übernommen hatte. Längst lag schon meine Jacke über dem Stuhl und mehr intuitiv begann ich, die Zutaten zu ordnen. Nur nicht übertreiben, ich beschloß es lieber einfach und gut zu machen als mit einem Knalleffekt, der garantiert nach hinten losgehen würde. Dabei überlegte ich fieberhaft, ob es in irgendeiner Kultur einen Gott der Köche gab, der für ein Stoßgebet empfänglich wäre, doch mir fiel keiner ein und so mußte ich auf mein erlerntes Wissen vertrauen. Der Schweiß trat mir auf die Stirn, als ich das Gemüse putzte und dann noch die verschiedenen Obstsorten vorbereitete, die nebeneinander von mir in Schälchen bereitgestellt wurden. Nach fünfundvierzig Minuten hatte ich endlich einmal Zeit, auf die Uhr zu schauen, aber das hätte ich nicht tun sollen, denn sofort fiel mir ein, was ich noch nicht geschafft hatte und nur die Erfahrung, daß jegliche Panik beim Kochen fehl am Platze war, ließ mich relativ ruhig nach meinem Plan weiterarbeiten. Der Salat mit Tomaten und frischen Champignons war noch einfach zu bereiten, die in Orangensauce angerichtete Putenbrust erschien da schon etwas anspruchsvoller, wobei ich diese mit pochierten Apfelstreifen garnierte und mit Reis reichen würde. Den Abschluß sollten in Honigteig gebackene Bananen bilden, die ich dann am Tisch noch mit etwas Hochprozentigem flambierten wollte. Es waren noch zehn Minuten, schnell machte ich mich daran, den Tisch zu dekorieren, das Geschirr war schnell drapiert und auch die alten Kerzenleuchter aus der Halle wurden auf einen effektvollen Platz gestellt. Wenn ich jetzt noch Blumen und einen Geiger bekommen könnte, würde ich die Nummer an den Zirkus verkaufen und sie mir patentieren lassen, aber das war wohl nicht mehr zu schaffen. Schlimmer empfand ich es allerdings, daß mir kein Wein bei meiner Suche in die Hände fiel, doch irgendwie kam ich beim Einrühren des Orangensaftes in den Bratenfond davon wieder ab, weil unzählige Gedanken durch meinen Kopf gingen, die von Australien bis zur Ostsee reichten und trotzdem immer bei einer bestimmten Frau endeten. Genau eine Stunde, nachdem ich mich soweit aus dem Fenster gelehnt hatte und noch nicht hinausgefallen war, schien ich fertig zu sein mit dem Essen, teilweise auch 133
mit den Nerven, obwohl das nicht so stimmte - denn ich war eigentlich nur aufgeregt und gespannt darauf, wie wohl ihre Reaktion sein würde. Deshalb litt ich an Appetitlosigkeit, die sich zu einer leichten Übelkeit steigerte und mich befürchten ließ, daß ich keinen Bissen herunterbekommen würde. Ein Glas Sherry kurbelte meinen Kreislauf dann wieder an und stabilisierte meinen Zustand, obwohl ich trotz aller Freude nicht behaupten konnte, daß ich mich wohl in meiner Haut fühlte. Jedoch nicht hier mit Anne alleine zu sein, wäre noch viel schlimmer und so ertrug ich das kleinere Übel mannhaft. Als ich alles geschafft hatte, setzte ich mich an den Tisch und atmete noch einmal kräftig durch, nebenbei rückte ich noch etwas von dem Geschirr zurecht, damit alles möglichst harmonisch wirkte und schaute prüfend über mein Werk der letzten Stunde. Es war soweit, ich hörte die Tür auf der anderen Seite der Halle und schlagartig setzte bei mir die Kraft der zwei Herzen ein, denn mein Pulsschlag verdoppelte sich augenblicklich. Etwas schlurfte über den Boden, mir wurde das zuerst gar nicht bewußt, aber ich kannte dieses Geräusch und brauchte etwas länger, bis mir wieder einfiel, daß es in der alten Villa in der Toskana war, wo ich Anne wiedergesehen hatte. Doch das Knarren der Tür riß mich aus meiner Erinnerung und ich stand auf, um im selben Augenblick am eigenen Leibe zu erfahren, was es bedeutete, vom Schlag getroffen zu werden. Vor mir zwischen den beiden Flügeln der Tür stand Anne, jawohl, Sie stand! Auf unsicheren Beinen kam sie mir langsam entgegen und ihre Augen waren dabei nicht zu übersehen, weil sie strahlten und leuchteten, was sicher durch mein ungläubiges Gesicht noch verstärkt wurde. Jetzt erst glitt mein Blick an ihr entlang und das lange weiße Kleid bildete einen atemberaubenden Kontrast zu ihrem dunklen Teint, der ihr eine Ausstrahlung von purer Schönheit verlieh, die es mir unbegreiflich machte, daß ich einen Menschen aus Fleisch und Blut vor mir hatte. Ich dankte in diesem Augenblick Gott, dem Schicksal, oder wer immer dafür zuständig war, dieser Frau begegnet zu sein, um jetzt solch ein Bild erblicken zu dürfen. Meine Sprache schien endlich wiederzukommen, doch was sollte man in diesem Augenblick sagen, denn kein Wort war würdig, meine Empfindungen auszudrücken und so ging ich sprachlos auf sie zu, um sie zum Tisch zu geleiten. „Herr Kronau, Sie sehen so blaß aus, ist Ihnen nicht gut?“ „Ähhh,...Nein. Ich meine natürlich ja, mir geht es gut, um nicht zu sagen, sogar ausgezeichnet, Anne. Diese Überraschung ist Ihnen wirklich gelungen, das muß ich schon sagen und außerdem sehen Sie wunderschön aus, das hat mir etwas die Sprache verschlagen und so etwas passiert mir auch nicht alle Tage, bitte entschuldigen Sie“ Jetzt strahlte sie über das ganze Gesicht und ein Schauer jagte dabei über meinen Rücken, „Danke sehr, das ist sehr lieb von Ihnen. Ich hoffe, Sie finden die Sprache wieder, sonst werden wir eine sehr einseitige Unterhaltung führen und das wäre schade, weil ich mich schon darauf gefreut habe, einiges von Ihnen zu erfahren“ Sie berührte meinen Arm und für den Bruchteil einer Sekunde streiften ihre zarten Finger über meine Hand, was mein Herz zum pulsieren und mein Blut zum kochen brachte, wieder mußte ich tief durchatmen, „Das geht mir ebenfalls so und daß Sie auf 134
einmal vor mir stehen, läßt noch mehr Fragen dazukommen, als ich Ihnen eigentlich stellen wollte“ „Das kann ich gut verstehen, Sie müssen die kleine Maskerade mit dem Rollstuhl verzeihen, aber solange ich noch nicht ganz gesund bin, bin ich darauf angewiesen, auch wenn es hoffentlich nicht mehr lange dauern wird, bis ich ganz darauf verzichten kann. Aber das gehört auch mit zu der ganzen Geschichte, die uns hierhergeführt hat ,und ich denke, im Laufe des Abends werden einige unserer offenen Fragen noch beantwortet werden“ Wir hatten den Tisch erreicht und ich half ihr beim Hinsetzen, danach holte ich noch einen zweiten Stuhl an den Tisch, den ich aus naheliegenden Gründen nicht hingestellt hatte und zündete die Kerzen an. Langsam begann ich, den Salat auf dem Teller anzurichten und beobachtete heimlich ihre Augen, die jede Bewegung von mir unauffällig verfolgten. Ein Tisch, zwei Stühle und vier Augen, die sich suchten und gleichzeitig bemüht waren, dies zu verbergen. Vorsichtig kostete sie den Salat und ließ sich sehr lange Zeit mit einer Bemerkung, ich hatte so etwas erwartet, trotzdem erreichte sie es damit, daß ich unsicher wurde, bis dann meine Qualen endlich endeten, „Hmmm, Sie schaffen es wirklich, mich immer wieder zu überraschen und obwohl ich schon vermutet habe, daß Sie ein Mann mit ungeahnten Talenten sind, habe ich Ihnen das nicht zugetraut. Allerdings, wie ich sehe, haben Sie den Wein noch nicht entdeckt, schauen Sie doch bitte dort in dem Schrank nach“, dabei deutete sie auf ein unscheinbares dunkles Möbelstück in der Ecke, wo ich zu meiner Überraschung einige ausgesuchte Tropfen fand und eine zum Geflügel passende Flasche öffnete. Nachdem ich den Wein eingeschenkt hatte, war der Abend nahezu perfekt, aber auch mit Wasser und Brot wäre nichts von dem Zauber verlorengegangen, der sich langsam, aber stetig im Raum ausbreitete. Ich empfand es so, als wenn sich eine imaginäre Blase um uns bildete, und auch wenn es nicht zu erklären war, glaubte ich nicht, daß diese Frau erst vor kurzem zum ersten Mal in mein Leben getreten war, denn ich kannte sie schon mein ganzes Leben. Nun verlor sich die Aufgeregtheit und die Angst schwand, während ein eigenartiges, nie zuvor gekanntes Gefühl der Sicherheit über mich kam. Mußte ich mich langsam damit vertraut machen, daß ich jetzt zum ersten Mal der Liebe begegnet war und nicht nur einer Verliebtheit, die ich jahrelang für dieses Gefühl hielt? Diese Empfindung war anders als alles zuvor und auch diese Frau war anders als alle weiblichen Wesen, die meinen Weg gekreuzt hatten. Die Stunden vergingen und auch die Flasche Wein war schon lange leer, als wir uns immer noch unsere Geschichten erzählen. Unmerklich waren wir langsam immer weiter in die Vergangenheit eingetaucht und nun kannte Anne fast mein ganzes Leben, bis auf die damaligen Ereignisse um meine Eltern, die ich verschwieg, weil sie wirklich nicht zur Stimmung dieser Nacht paßten. Natürlich hatte sie mir auch nicht alles gesagt und ich wußte nur das, was sie mich wissen lassen wollte, doch das genügte, um ihr Leben zu verstehen und aus dem, wie sie es erzählte, den Menschen darin zu erkennen. 135
Spätestens jetzt saß der Pfeil mit Widerhaken und Sekundenkleber in meinem Herzen und wenn sie sprach, war es mir beinahe peinlich, daß ich nur zu ihr sah und den Blick nicht von ihr wenden konnte. Doch dagegen war ich machtlos und nur in den wenigen Momenten, da es mir auffiel, versuchte ich, aus Respekt ihr gegenüber meine Zurückhaltung zu wahren. Ich wollte sie einfach nur betrachten, wenn sie still und traurig etwas Ernstes sagte und mich dann nur wenig später mit viel Witz einfach zum Lachen brachte. Mit jedem Blick brannte sich ihr Gesicht mehr in mein Hirn, unmerklich, kaum wahrnehmbar, aber unaufhörlich und so endete dieser Abend erst spät, als es draußen schon hell wurde und ich bedauerte von ganzem Herzen, daß er überhaupt enden mußte. Bis zu ihrem Zimmer begleitete ich sie und zu diesem Zeitpunkt waren wir schon beim „Du“ angelangt, wenn mir das heute morgen jemand erzählt hätte, wäre er von mir eingewiesen worden, doch so ist das Leben, das alles innerhalb einer Sekunde auf den Kopf stellen konnte. „Danke, Gabriel, es war seit sehr langer Zeit ein wundervoller Abend für mich“, und bevor ich reagieren konnte, bekam ich einen Kuß auf die Wange, dann verschwand sie sofort in ihrem Zimmer und ich stand regungslos vor der Tür. Über den Boden der Halle schwebte ich in den Salon und setzte mich an den Kamin, vor dem ich unendlich lange regungslos ins Feuer sah und keinen bestimmten Gedanken fassen konnte. Zwar machte sich die Müdigkeit bemerkbar, doch innerlich war ich zu aufgewühlt, um überhaupt an Schlaf denken zu können. Irgendwann später betätigte ich mich sinnvoll und räumte den Tisch ab, bis ich endlich wirklich zu müde wurde, um überhaupt noch über irgend etwas nachdenken zu können und mich erschöpft, aber glücklich auf ein Sofa in der Ecke legte und Angst hatte einzuschlafen, denn wer wußte schon, in welcher Realität ich dann aufwachen würde. Viel zu früh schreckte ich aus meinen unruhigen Träumen und als ausgewachsener Morgenmuffel verblüffte es mich sehr, daß ich nach dem Öffnen der Augen sofort wieder hellwach war, obwohl nur zwei Stunden seit dem erfolglosen Versuch, etwas Ruhe zu finden, vergangen waren. Oje, ich wußte, was nun kam und mein Verstand bereitete mich langsam darauf vor, als ich nach dem Duschen langsam das Frühstück in der Küche vorbereitete, denn der Tag nach so einem Abend barg immer eine Entscheidung. Man hatte die Zeit, über seine Gefühle nachzudenken und wurde zögerlich, oder mußte sich sogar eingestehen, daß man einen Fehler gemacht hatte. Ich bemerkte davon bei mir nicht das geringste Anzeichen, aber wie würde Anne reagieren? Was immer gegen solche Grübeleien half war, sich in die Arbeit zu stürzen, um so viel wie Ablenkung möglich zu bekommen, aber leider gingen in diesem Falle die Arbeit und die Liebe gemeinsame Wege und das machte es wirklich nicht einfacher, trotzdem überlegte ich, was mir außer Annes Gesicht noch an Fakten in Erinnerung geblieben war. 136
Natürlich wußte ich noch alles, was sie gesagt hatte und konnte ihre Situation sicher besser verstehen, als sie vermutlich annahm, denn der gewaltsame Tod ihres Vaters lag ein Jahr zurück und was sie empfand, war mir nicht fremd, weil auch meine Eltern vor acht Jahren in Kolumbien ermordet wurden. Anne hatte die Mutter bei ihrer Geburt verloren und hing deshalb besonders an ihrem Vater. Er ließ ihr viele Freiheiten, was sicher auch beruflich bedingt war, denn Georg Damianski war ein viel beschäftigter Kunstprofessor, der gelegentlich Vorträge hielt und sich sonst in einem Institut mit seinen zeitraubenden Forschungen beschäftigte. Später wollte Anne mit ihrem Vater zusammenarbeiten und studierte deshalb ebenfalls Kunstgeschichte. Allerdings weit ab vom Einfluß des Vaters, wo sie offenbar begann, etwas über die Stränge zu schlagen, doch scheinbar alles im Griff behielt, um sich keine Sorgen machen zu müssen, wie sie mir mit einem zwinkernden Auge verriet. Zu der Zeit als Anne sich zu Hause auf ihren Abschluß vorbereitete, traf sich Georg Damianski mit einem Studienfreund, der unerwartet angerufen hatte und dringend um eine Zusammenkunft bat. Es war Patrizio Pasquini, der mir schon bekannte Restaurator aus den Uffizien, mit dem er sich für zwei Tage in Südtirol traf – eine Tatsache, bei der ich kurzzeitig die wunderschöne Frau mir gegenüber vergaß und über den Zusammenhang nachgrübelte. Offensichtlich mußte etwas Besonderes geschehen sein, denn nach dem Treffen kam Annes Vater mit einer alten Karte wieder zurück und erzähle ihr nun aufgeregt, welche wissenschaftliche Sensation in der Luft lag. Sein Freund hatte ihn gebeten, die Echtheit des Dokumentes zu überprüfen, denn Pasquini wollte erst seinen Fund bekanntmachen, wenn dies zweifelsfrei feststand und wartete offenbar ungeduldig auf das Ergebnis. Doch einen Tag später erhielt Georg Damianski die Nachricht von der Ermordung des Restaurators und es brauchte nicht viel Überlegung, um einen Zusammenhang mit der Karte, die nun in seinen Händen war, herzustellen. Er bekam Angst, weniger um sich, als viel mehr um seine Tochter, mit der er zusammen das Stück schon untersucht hatte und nun wußte, daß die Karte von Pasquini echt war. Seine Hoffnung bestand darin, daß niemand von dem Treffen wissen würde, trotzdem blieb er nervös und suchte verzweifelt jemanden, der Anne in den nächsten Tagen beschützten würde. Diese Person fand er in einer Frau namens Carmen Santiago, die ihm von einem befreundeten Dozenten aus Japan für solche Dienste empfohlen wurde und die einen loyalen Ruf dort hatte. Vielleicht war es damals ein Fehler gewesen, nicht die Behörden einzuschalten, aber scheinbar vertraute er darauf, daß niemand eine Verbindung zu ihm herstellen konnte und wollte weder durch plumpe Ermittlungen noch durch zu viele Fragen Staub aufwirbeln. Seine Einschätzung war falsch und kaum zwei Wochen später geschah dann ein Autounfall, der zuerst nichts Verdächtiges an sich hatte, doch später bei den Untersuchungen verriet ein kleines Detail die wahre Ursache, eine geschickte Manipulation des Wagens. Als Anne diesen Teil erzählte, wurde es für sie schwer, trotzdem tat sie es und ich war überzeugt, daß sie sich damit viel von der Seele redete. Sie wirkte beherrscht, scheinbar darin geübt, jeden Tag an dieses schreckliche Ereignis zu denken und doch immer 137
wieder den gleichen Schmerz zu durchleben, dem ich mich bei ihrer Erzählung nicht entziehen konnte und der mir bewußt machte, wie wenig ich in der Lage war zu helfen – außer damit, ihr einfach zuzuhören. Georg Damianski war sofort tot und bei Anne wurde später in der Klinik neben einigen Frakturen auch eine Rückenmarksquetschung diagnostiziert, die sie ans Bett fesselte und später in den Rollstuhl brachte. Die geringsten Verletzungen hatte Carmen Santiago davongetragen, sie überlebte mit einigen Prellungen und einer starken Gehirnerschütterung. Ihr verdankte Anne ihr Leben, denn nachdem Carmen aus der ersten Bewußtlosigkeit erwachte, schaffte sie es gerade noch, Anne aus dem brennenden Wrack zu ziehen und Hilfe zu holen. Niemand wußte zu diesem Zeitpunkt, ob sie je wieder laufen konnte, alles um Anne herum war zusammengebrochen und einige Wochen mußte sie wohl lethargisch im Krankenhaus verbracht haben, in denen ihr nur Carmen zur Seite stand, die scheinbar begann, dies alles nicht mehr als Job anzusehen. Die Karte war zusammen mit anderen Unterlagen bei dem Anschlag verbrannt, das ließ alles noch sinnloser für sie erscheinen und es verging über ein halbes Jahr, bis sich bei Anne eine Besserung einstellte. In der Zwischenzeit verkaufte sie das Elternhaus und Carmen war nun nicht nur eine ständige Begleiterin, sondern auch ihre Freundin geworden. Es sah so aus, daß Anne mit kleinen Schritten wieder ins Leben fand, als erneut bedrohliche Ereignisse über die beiden Frauen hereinbrachen, denn jemand versuchte, sie aus dem Krankenhaus zu entführen. Dies konnte rechtzeitig von Carmen vereitelt werden, deren Erfahrung nun riet, zur Sicherheit unterzutauchen und selbst herauszufinden, weshalb man es auf Anne abgesehen hatte, denn die Arbeitsweise der Polizei versprach nicht, daß sie einen weiteren Versuch zuvorkommen könnten. Sicher hatte es mit den Ereignissen um Georg Damianski zu tun und so kamen die beiden Frauen in die Nähe des Gegenstandes, der die Ursache des Unglücks war, nämlich der Vase in den Uffizien von Florenz. Dort versuchten sie, an die Hintermänner des Mordanschlages und der Entführung heranzukommen, vor allem um sich selbst zu schützen – aber auch, um diese Leute für den Tod von Annes Vater bezahlen zu lassen. Bei den Nachforschungen erfuhren sie von Gondoni und einem Deutschen, der einiges über die Vase zu wissen schien, was die beiden natürlich brennend interessierte, dazu tauchte noch ein Model auf und – für Anne etwas überraschend – bekam Carmen Verstärkung von einem Mann aus Hongkong, der einige außergewöhnliche Kontakte hatte. Dieser Lao Puh war eher geheimnisvoll und Carmen schien seine Informationen mit ihrem Schweigen erkauft zu haben, denn mehr, als daß er auf der Seite der Frauen stand, wußte selbst Anne nicht. Trotzdem lohnte sich diese Zusammenarbeit, weil außerdem noch etwas Ausrüstung und einiges Geld im Spiel war, das die Frauen dringend für ihr Vorhaben benötigten. Natürlich fragte Anne für wen der Chinese arbeitete, aber Carmen blieb verschwiegen und rechtfertigte das mit einem Versprechen, daß sie selbst Anne gegenüber nicht brechen konnte. So nahm offenbar 138
Lao Puh sein Geheimnis mit ins Grab, jedenfalls solange, bis sich Carmen entschließen würde, seine wahre Identität preiszugeben. Aller Informationen zum Trotz gab es jemanden, den die drei Verschworenen nicht auf ihrer Rechnung hatten, Paulo Fortunati. Dieser trat erst im Castello di Montana in Erscheinung und gab damit Anne und mir ein Rätsel über dessen Rolle in dem Geflecht der obskuren Machenschaften auf. Im Laufe des Abends entging mir natürlich nicht eine Ungereimtheit, in dem was Anne sagte, auch wenn meine Gedanken lange Zeit nicht übermäßig an den Fakten hingen und sich vornehmlich mit der Erzählerin beschäftigten, war ich doch erfahren genug, um dies zu bemerken. Warum sollten die Entführer noch ein Interesse an Anne haben, wenn diese ominöse Karte aus der Vase zerstört wurde? Insgeheim machte ich ihr keinen Vorwurf, daß sie mir nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte, denn das tat ich ja auch nicht. Zwar kannte Anne nun die Geschichte von dem Kompaß und auch dessen brisanten Inhalt mit dem Namen Biedermann, doch sie hatte nie etwas von Doktor Breitenbach oder dem Tagebuch von Walter Lüttjens gehört. Sicher, ich war in sie verliebt, vielleicht liebte ich sie auch, aber das hieß für mich nicht, daß ich mich ihr auslieferte, auch wenn ich deshalb einige Kämpfe in mir austrug und das Ergebnis nicht sehr schätzte. Das Knarren der Salontür drang bis in die Küche und gab mir das Signal, die Eier in die Pfanne zu geben, dazu Tomaten mit frischem Schnittlauch und einigen verbliebenen Champignons – hoffentlich bevorzugte Anne ein kontinentales Frühstück. Mit dem Tablett in der Hand beeilte ich mich, schnell zu ihr zu kommen und sah sie nun wieder im Rollstuhl sitzen, leider mit einem wesentlich ernsteren Gesicht als es mir noch vor Stunden erschienen war. Oh nein, bitte nicht genau das, was ich befürchtet hatte. Tausend Gedanken schossen mir auf dem Weg zum Tisch durch den Kopf, ging ihr alles zu schnell, oder hatte ich etwas falsch gemacht? Verdammt, ich haßte es, wenn man sich so unsicher fühlte und ein Sprichwort sagt, „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“, ich mußte das im Moment etwas abwandeln, „In der Liebe und im Krieg ist Panik vernichtend“, also nur nicht nervös werden und gleich kapitulieren, „Guten Morgen Anne, gut geschlafen?“ „Ja danke“, ich bekam nur ein Nicken und dieses leise Gemurmel zu hören, dabei schaute sie beinahe böse, so daß sich eine winzig kleine Falte auf ihrer Stirn bildete. Das war nicht nett, soviel ist doch auch wieder nicht passiert, daß man gleich so mufflig zu werden braucht und meine gute Laune sackte zusammen, wie ein Soufflé, das zu früh aus dem Ofen genommen wurde. Wortlos saßen wir uns gegenüber, ich war sicher einiges von den Frauen gewohnt, aber meistens wußte ich wenigstens, warum sie sauer auf mich waren und hier war ich mir ehrlich gesagt keiner Schuld bewußt. Ewig konnte ich auch nicht so herüberschauen und auf eine Reaktion warten, aber Nachfragen wollte ich auch nicht, warum auch, sie hat mich doch gestern geküßt, oder? Frauen! 139
Appetitlos saß ich auf meinem Stuhl, der sowieso viel zu hart war und kaute auf dem Toast herum, der nur fade schmeckte. Wenn ich jetzt eine Zeitung gehabt hätte, dann wäre ich wenigstens beschäftigt gewesen und nun, bei diesem Gedanken, begann ich wieder zu lächeln. Wie bei einem Ehepaar, das hundert Jahre verheiratet war - sie ist sauer und er liest Zeitung, besser konnte man kein Klischee leben. Das löste etwas meine Anspannung, wenn sie nicht reden wollte, dann konnte ich es auch nicht ändern und nachdem sich meine Gedanken von meiner schlechten Laune gelöst hatten, sah ich genauer zu ihr hinüber. Nein, bin ich blöd. Ich Trottel, ich dreimal bescheuerter Vollidiot! Es wäre sicher besser gewesen, wenn mich meine egoistischen Gedanken nicht so in Beschlag genommen hätten und langsam schärfte sich wieder mein Blick für die Wirklichkeit. Sie saß leicht gebeugt im Stuhl und bewegte sich sehr vorsichtig, offensichtlich hatte Anne Schmerzen, der gestrige Abend war natürlich noch etwas zuviel gewesen und ich hatte das nicht bemerkt, wie konnte man nur so blind sein. Was konnte ich jetzt machen, damit es ihr besser ging? Sicher erst einmal die schlechte Laune abstellen und sie ablenken, soweit das überhaupt möglich war. Vor allem brauchte sich Anne nicht vor mir zu verstellen, denn gerade, wenn es ihr schlecht ging, war es wichtig, für sie da zu sein. „Ich schätze, das war gestern etwas anstrengend, oder?“, vorsichtig tastete ich mich mit einem Lächeln vor. „Leider, ich habe es wieder einmal übertrieben, aber das wird bald wieder besser, schließlich ist mir das schon öfter passiert“, sie versuchte zu lügen, aber ich sah, wie es ihr ging und beschloß, das nicht ohne weiteres hinzunehmen. Unaufhörlich zermarterte ich mein Gehirn, bis mir tatsächlich jemand einfiel, der möglicherweise helfen konnte eine Domina. Gemeint war die ebenso liebreizende, wie furchteinflößende Lady Gwendolyn, welche eigentlich Regina hieß und eine ehemalige Nachbarin von mir war, die neben meiner ersten Wohnung ihr Domizil hatte und damals noch den Beruf einer Physiotherapeutin ausübte. Von ihr hatte ich einige Massagen bekommen, aber schon damals zeigte sie den Hang zu einer gewissen Strenge, so daß immer ein großer Sicherheitsabstand zwischen uns blieb, den sie zwar zu durchbrechen suchte, doch ich schaffte es immer, ihr mit einigem Geschick zu entkommen. Als gute Bekannte hingegen war mit ihr immer ein phantastisches Auskommen gewesen und nachdem sie eingesehen hatte, daß ich für ihre Spielchen nicht zur Verfügung stand, war ich wohl einer der wenigen Männer, der sich mit ihr auf einer fast gleichen Ebene unterhalten durfte. So lernte ich einige Massagetechniken, die mir später bei meinen Freundinnen den Ruf einer gewissen Kunstfertigkeit einbrachten, allerdings wußte ich dadurch auch genau, daß bei Annes medizinischer Indikation ein Amateur die Hände weglassen sollte. Doch wie konnte mir das alles jetzt helfen? Sehr einfach, denn aus Regina der Physiotherapeutin, wurde Regina mit dem erotischen Massagestudio, und später Lady Gwendolyn, die sich ihren Jugendtraum erfüllte und nach Paris zog, um ihrer Berufung mit viel Einsatz nachzugehen. 140
Natürlich hielt ich es für unwahrscheinlich, daß eine Massage helfen konnte, aber Regina war nun mal der qualifizierteste Mensch in Paris, den ich kannte, und solange die Chance bestand, Anne eine Linderung ihrer Schmerzen zu verschaffen, mußte ich handeln. Außerdem hatte sie mich schon einige Male aufgefordert, auf einen Besuch nach Paris zu kommen, was ich irgendwie immer vor mich hergeschoben hatte und so war das auch eine Gelegenheit dieses Manko nachzuholen. Bereit, mein Vorhaben auszuführen, erzählte ich Anne noch ein wenig über das schöne Wetter, ohne eine lange Antwort zu erwarten und verschwand danach kurz in der Küche, um Conny anzurufen, die mir aus meiner Adressdatei die Telefonnummer von Regina hier in Paris heraussuchen sollte. Es hatte sich schon öfters bewährt, daß Conny auch meine privaten Nummern verwaltete, auch wenn sie ganz bestimmt nicht alle zu Gesicht bekam, aber hier zeigte sich wiedereinmal der Vorteil dieser Praxis und in weniger als einer Minute hatte ich, was ich brauchte. Zum Schluß bekam ich noch die Nachricht von ihr, daß sich Jocelyn aus Sydney gemeldet hatte und ich sollte doch unbedingt mal meine Emails abrufen, was ich sofort versprach, aber erst später machen wollte, nachdem ich das erledigt hatte, was mir jetzt am wichtigsten war. Nach zweimaligem Verbinden meldete sich Lady Gwendolyn in geschäftsmäßigem, kühlen Ton, der aber überrascht und freundlich wurde, als sie mitbekam, mit wem sie gerade sprach. Schnell hatte ich ihr die Situation geschildert und zu meinem Erstaunen wollte sie jetzt gleich vorbeikommen, weil in der Mittagszeit offenbar zuviel in ihrem Studio los war, denn die Manager nutzen gerne die Mittagspause, um sich anständig verwöhnen zu lassen. Damit hatte ich jetzt das Problem, Anne beizubringen, daß wir demnächst Besuch bekamen und ich wußte nicht so recht, wie ich ihr die Zusammenhänge erklären sollte, „Anne, gleich kommt eine alte Freundin von mir vorbei und würde sich gerne mal mit dir wegen deiner Schmerzen unterhalten. Ich hoffe sie kann dir etwas helfen, sie ist eine... Physiotherapeutin“ Ich dachte, daß sie sich darüber freuen würde, wie viel mir an ihrem Wohlbefinden lag, aber ich erntete vorerst nur einen fragenden Blick, „Eine Freundin?“ „Ähhh, ja! Aber wir haben uns Jahre nicht gesehen und nun will es der Zufall, daß sie in der Stadt wohnt. Diese Gelegenheit sollte man doch nutzen, oder?“, dabei setzte ich mein harmlosestes Lächeln auf. „Na gut, ich habe schon so viele gute Ratschläge und Medikamente bekommen, dann wird das sicher nicht schaden und irgendwie bin ich sehr gespannt, wer diese ‚Freundin’ ist“ „Keine Sorge, ich kenne sie schon sehr lange und wenn ich von ihren Kunden überhaupt etwas gehört habe, dann nur gutes. Vielleicht ist sie etwas gewöhnungsbedürftig, aber auf jeden Fall sehr nett“ Annes Stimmung wurde langsam besser, auch wenn ich vermutete, daß sie weiterhin ihren Zustand überspielte und sie begann, langsam gesprächiger zu werden, ohne daß wir über die gestrige Nacht zu sprechen begannen, bis ein starkes Klopfen mich hochschrecken ließ und unseren Redefluß unterbrach. 141
Sie sah mich gespannt an und mit schnellen Schritten eilte ich durch die Halle, öffnete die Tür und mein Unterkiefer fiel zu Boden, dann knallte ich vor Schreck die Tür wieder zu. Habe ich das eben wirklich gesehen? Ich mußte erst einmal schlucken und betätigte vorsichtig nochmal den Türgriff, „Hallo Kleiner, früher warst du aber nicht so schüchtern. Laß uns rein, aber zackig, ich möchte mir hier draußen doch keinen Schnupfen holen“ „Regina? Das ging aber schnell und du hättest dir ruhig noch einen Mantel anziehen können, ich glaube es ist noch Winter“ „Sicher Gabriel, du kleines Schnuckelchen, aber vom Auto ist es nicht weit. Gefalle ich dir etwa nicht? Der Sklave heißt übrigens Simon, er fährt ganz passabel den Wagen, deshalb benutze ich ihn dafür“, dazu deutete sie auf ihre Begleitung, der ein noch originelleres Outfit trug als Lady Gwendolyn selbst. „Angenehm, das ist ja eine schöne Überraschung, ...kommt doch herein“, wenn Anne das sah, konnte ich meine Hoffnungen begraben, denn mit meiner gutgemeinten Idee hatte ich mir mit einem Schlag alles versaut, weil die beiden gerade in ihrer Berufskleidung hier erschienen waren. Sie trug einen knallengen Ledermini mit hohen Schaftstiefeln, die durch das ganze Haus zu hören waren, dazu eine Chiffonbluse und eine enge Lederweste, die als fast einzigstes Kleidungsstück irgend etwas bedeckte. Simon hingegen hatte kein Gesicht, das hieß, er hatte schon eines, aber das war durch eine schwarze Ledermaske verdeckt, die wenigstens Sehschlitze und eine Mundöffnung hatte, was für das Chauffieren sicher zweckmäßig war. Dazu trug er eine Art breite Hosenträger, die über Kreuz gingen und den sonst freien, recht muskulösen Oberkörper sicher nur schlecht wärmten. Außerdem war da noch eine enge Lederhose mit einer merkwürdigen Beule am Reißverschluß, bei der ich nur hoffen konnte, daß es sich um ein Suspensorium handelte. So gingen wir alle durch die Halle, beinahe jedenfalls, denn der Sklave folgte uns auf allen vieren an einer Leine. Dabei flüsterte mir Regina etwas ins Ohr, so daß es Simon am Boden nicht hören konnte, „Du mußt schon entschuldigen, aber ich habe einen Ruf zu wahren, wenn ich das Hundchen angeleint habe und wir alleine sind, dann können wir richtig reden. Hast du einen Platz für ihn?“ Wenigstens ergab sich die Chance, den Ärger zu halbieren und den Sklaven aus Annes Blickfeld zu bringen, so begann ich wieder etwas Hoffnung für mich zu schöpfen, „Komm mit in die Küche, ich glaube, da gibt’s sogar eine Decke und...“ „Keinen Luxus, das Hundchen war böse“ „OK, ist ja dein Hund, wie wäre es mit einem Napf Wasser?“ Simon wurde an den massiven Tisch in der Küche angebunden, wobei er gehorsam die Stiefel von Lady Gwendolyn ableckte und ich einen prüfenden Blick zu meinen Schuhen warf, bevor ich ihm eine Schüssel mit Wasser auf den Boden stellte, die er ganz nach der Art eines Hundes benutzte. Danach verließen wir nun alleine die Küche, ich atmete erst einmal tief durch, bevor wir zum Salon kamen und überspielte mit einem unschuldigen Gesicht die 142
offensichtliche Freizügigkeit meiner alten Freundin bei der nun folgenden Vorstellung, „Anne, das ist Regina, von der ich dir schon erzählt habe“ Sie drehte sich vom Kamin zu uns und ich sah nur in ihre größer werdenden Augen, die ihre Überraschung deutlich verrieten. Dann folgte ein mehr spöttischer, als fragender Blick zu mir, den ich nur mit einem kurzen Nicken beantwortete und ihr damit zu verstehen gab, daß alles in Ordnung sei. „Guten Tag, das war alles Gabriel´s Idee. Ich hoffe es macht Ihnen keine Umstände uns hier zu besuchen“ Ich spürte förmlich, daß Anne eine sehr lose Bemerkung auf der Zunge hatte und rollte hilflos mit meinen Augen, was sie wohl registrierte und es sich gerade noch verkneifen konnte, etwas zu sagen. Nun sah mich Regina so merkwürdig von der Seite an und ein breites Lachen ging über ihr Gesicht, „So, nun laß mal die Chefin alleine, du störst nur Schnuckelchen. Ich werde mal sehen, was sich machen läßt, damit es der Kleinen besser geht“ Wie konnte denn Regina jetzt Schnuckelchen zu mir sagen? Ich haßte das sowieso und es war wohl besser, wenn ich erst einmal verschwand. Soviel Peinlichkeiten ließen sich nur schwer ertragen, so schaute ich beim hinausgehen in Annes Gesicht, die grinsend zu mir nickte. Wortlos schloß ich die knarrende Tür und ging in die Küche, um den Geschirrspüler leer zu räumen, oder irgend etwas anderes zu finden, womit ich mich beschäftigen konnte, während meine Gedanken zwischen der Einzigartigkeit dieses Hausbesuches und der Sorge um Anne pendelten. Grübelnd machte ich mich an die Arbeit und warf dem „Hund“ von Zeit zu Zeit einen von den alten, staubigen Käsecrackern zu, die ich beim Kochen zufällig entdeckt hatte und zum Glück wedelte Simon vor Freude darüber nicht mit seinem Schwanz, als er das Futter bekam. Der Tag versprach wunderbar zu werden, denn durch die Fensterscheiben konnte man nichts erkennen, weil die Sonnenstrahlen sich genau in der Dreckschicht brachen und nur ein helles, diffuses Licht durchließen, das mich veranlaßte, ein Fenster zu öffnen, um die frische, warme Frühlingsluft hereinzulassen. Viel zu langsam verging die Zeit, was machten die beiden nur so lange? Immer mit einem Besteckteil in der Hand lief ich vom Geschirrspüler zu dem Schubfach, denn es gab eine Sache, die mich beruhigte, wenn ich extrem angespannt war - und zwar lief ich immer auf und ab, irgend einen bestimmten Weg, den ich fast im Schlaf kannte und dabei bekam ich den Kopf frei, um meine Gedanken kreisen zu lassen, fast wie in Trance. Das praktizierte ich gerade, um für einen Moment einfach abzuschalten und dabei meine Unruhe zu bändigen – Gabel nehmen, laufen, Schublade auf, einordnen, Cracker vom Tisch nehmen, werfen, nachdenken, ANNE – manchmal half selbst das nicht. Die laute Salontür verriet mir, daß jetzt das Warten ein Ende hatte und blitzschnell war ich in der Halle. Regina trat aus dem Raum und stellte sich breitbeinig vor mir hin, „Ah, da bist du ja, mein Schnuckelchen, viel konnte ich wirklich nicht helfen, aber bei mir in Behandlung ist einer der besten Neurologen von Paris und der hört aufs Wort, also ich schicke ihn nachher vorbei, um sich das mal genauer anzusehen. Jetzt habe ich 143
bei dir was gut und weil ich deiner Freundin geholfen habe, wirst du mir doch gerne zu Diensten sein, oder?“ Mich beschlich der Gedanke, daß ich jetzt ein mächtiges Problem bekommen würde, denn scheinbar war Regina doch nicht mehr die nette Nachbarin, wie ich sie in Erinnerung hatte. Wie sonst sollte ich diese Anspielung verstehen? Sicher war ich absolut unbrauchbar als Hund und würde eher beißen als parieren, da konnte sie noch so viele Gefallen offen haben, wie sie wollte, „Und was hast du dir da so vorgestellt?“, meine Augenbrauen schoben sich zusammen und fast lauernd wartete ich auf die Antwort. Zuckersüß grinste sie mich an, ein Schauer jagte über meinen Rücken, der sich verstärkte, weil sie mich recht lange auf die Antwort warten ließ, doch dann brach ein Lachen hervor, „Du siehst in diesen engen Lederhosen bestimmt heiß aus und wenn ich dich dann schon fessele...“ „Regina! Komm wieder herunter und hör auf zu träumen, das hat schon damals nicht funktioniert und es wird auch jetzt nichts werden, klar?“ Ihr Lachen blieb, „Sicher, ich verstehe schon, aber laß mich dich doch ärgern, das ist schließlich alles was ich mit dir machen kann. Außerdem habe ich dich und die Kleine da drinnen zusammen gesehen, da war mir schon bewußt, daß ich keine Chance mehr bei dir hatte, doch versuchen kann man es ja mal, stimmt’s?“ „Regina, Regina, dein Humor ist nicht jedermanns Sache, aber du weißt ja noch von früher, daß ich dir nicht böse bin“, langsam erholte ich mich vom ersten Schrecken. „Der Gefallen, den du mir tun kannst, ist ganz einfach, Gabriel. Ich ziehe in ein größeres Studio in der City und nun habe ich etwas Probleme mit der Zeit, du verstehst, die Geschäfte müssen weitergehen, deshalb brauche ich jemanden, dem ich vertrauen kann. Wenn du meine Kartons mit den persönlichen Sachen und einigen Kleinigkeiten zu der neuen Adresse bringen könntest, dann sind wir quitt, OK?“ Dieser Vorschlag war schon mehr nach meinem Geschmack, „Wann soll es denn losgehen mit dem Umzug?“ Unschlüssig schaute sie durch die Halle, „Morgen Mittag, so gegen vierzehn Uhr würde mir passen, hier ist meine Karte, damit du mich auch findest. Ein Lieferwagen steht bereit, das ist alles schon organisiert“ „Geht klar,...“, wir gingen währenddessen langsam zur Küche und leinten Simon ab, „... danke nochmal für deine Hilfe. Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet“ „Laß mal, wir halten das wie früher und helfen uns gegenseitig, damit sind wir doch immer gut gefahren“, dabei schwang etwas Wehmut in ihrer Stimme, „Wie kommst du eigentlich zu mir, hast du ein Auto?“ „Nein, um ehrlich zu sein, ich habe noch keinen fahrbaren Untersatz, aber ich denke, ich kann mir irgend etwas mieten“ Regina hob die Hand zum Einspruch, „Nein Schnuckelchen, das ist nicht nötig, ich kenne einen der größten Autovermieter hier, geschäftlich natürlich, warte mal...“, schnell drückte sie mir die Leine in die Hand und knallte dabei mit dem Absatz auf den Boden. Sofort riß Simon ein Handy vom Gürtel und reicht es untertänigst seiner Herrin, die sich etwas zu Seite begab und ein sehr kurzes, aber forderndes Telefonat führte, bei dem sie des öfteren lachend zu mir herübersah. 144
„Alles erledigt, in einer Stunde wird dir ein Wagen geliefert, den kannst du solange fahren wie du hier bist und wenn er abgeholt werden soll, dann rufst du einfach die Nummer auf der Karte im Handschuhfach an, na, wie bin ich?“ „Einfach unglaublich, Regina, es ist wirklich wie in den alten Zeiten, Beziehungen sind alles“ „Da hast du recht und das ändert sich auch nicht, wir sehen uns morgen, Schnuckelchen“, dann ging sie zum Wagen, wobei Simon auch wieder gehen durfte und majestätisch rollte die schwere Limousine von der kleinen Einfahrt. Mir blieben einige Sekunden, in denen ich mir die wärmenden Sonnenstrahlen auf das Gesicht scheinen ließ und mich sammelte, denn wenn ich Anne nicht ganz verkehrt einschätzte, bekam ich gleich einige sehr ironische Bemerkungen zu hören, auf die ich mich eigenartigerweise schon sehr freute. Kaum hatte ich die Tür wieder verschlossen, vernahm ich hinter mir Geräusche und wußte sofort, daß ich mich nicht getäuscht hatte, „Aha! Eine Freundin, und Physiotherapeutin ist sie auch noch, auf welche Behandlungen ist sie denn spezialisiert?“, ich liebte genau diesen Tonfall so an ihr. „Ich glaube, sie befaßt sich nur mit den ganz schweren Fällen und behandelt nach der ‚Hartmann-Peitschendorf-Technik’, das hat sie sich selbst durch Bücher autodidaktisch beigebracht“ „So! Na dann bin ich auf den Arzt gespannt, der gleich kommen soll, vielleicht hat der Hörner und einen Pferdefuß. Ich werde mich erst einmal auf mein Zimmer in Sicherheit begeben und du sagst mir dann bitte Bescheid, wenn er da ist, damit ich noch genug Zeit habe, mich auf diesen Besuch vorzubereiten“ Anne konnte sich kaum mehr beherrschen, wollte mir aber den Triumph nicht gönnen, daß sie einfach loslachte und deshalb verschwand sie ganz schnell in ihrem Zimmer, von wo ich anschließend einige unterdrückte Laute hören konnte. Den Tag hatte ich, wenn auch etwas unfreiwillig, gerettet und so konnte ich mich ans Abräumen machen, wobei mir einfiel, daß ich hier mehr Hausarbeit machte, als in meiner Wohnung, das war sicher auch nicht normal. Kurze Zeit später war wieder Bewegung an der Tür, diesmal war ich etwas vorsichtiger und schaute mir aus dem Fenster den älteren, grauhaarigen Mann mit Spitzbart an, der dort stand und mit seinem Gehstock an die Tür klopfte. Klein erschien er mir, aber nicht untersetzt und in der Hand hielt er jetzt den zum Anzug passenden Hut, als ich öffnete und mit meinem leidlichen Französisch nach seinem Begehr fragte. Seine Identität war mir schon beim ersten Blick klar und die kurze, etwas verlegende Antwort von seiner Seite gab mir nur die Bestätigung dafür. Ihm war es sichtlich unangenehm, die Verbindung zu Lady Gwendolyn zu erwähnen und ich ließ den Mann eintreten, wobei ich das Thema überging und gleich auf Anne zu sprechen kam, die ihn nach meiner Vorwarnung in ihr Zimmer bat. Die Untersuchung dauerte schon fast zwanzig Minuten, als es wieder an der Eingangstür klopfte, langsam fühlte ich mich wie auf einem Bahnhof und nicht in einem geheimen Versteck. Ein junger Mann grinste mich mit etwas Papierkram in der Hand 145
an und deutete auf ein rotes Mercedes Cabriolet in der Einfahrt, dessen weiße Lederausstattung in der Sonne glänzte, „Monsieur Kronau?“ „Qui“, dann drückte er mir die Papiere samt Schlüssel in die Hand und verschwand durch das Tor, wo ein zweiter Wagen auf ihn wartete und schnell davonfuhr. Garantiert hatte ich noch nie in meinen Leben so einfach ein Auto bekommen und ich konnte es mir bei dem Anblick nicht verkneifen, um den Wagen herumzugehen und mit der Hand über das weiche Leder zu gleiten. Danach schmiß ich wie ein kleiner Junge den Schlüssel in die Luft und mit einem Liedchen auf den Lippen machte ich mich an den Rest meiner häuslichen Pflichten. Über anderthalb Stunden waren vergangen, bis der Arzt das Zimmer verließ und natürlich hatte ich in dieser Zeit kaum eine Minute vergehen lassen, in der ich nicht besorgt zur Tür geschaut hatte. Dadurch war ich gleich zur Stelle als der Doktor das Zimmer verließ, „Monsieur, ihre Frau braucht jetzt ihre ganze Unterstützung. Die Schmerzen werden mit der Zeit nachlassen, aber jetzt muß der Körper wieder an die Belastungen gewöhnt werden. Sie müssen mehr mit ihr üben und zu viele Schmerzmittel sind auf Dauer nicht ratsam. Bitte, hier ist ein Rezept, allerdings empfehle ich Ihnen, das Medikament nur bei Bedarf anzuwenden. Für den Moment habe ich eine Spritze verabreicht, doch die Wirkung wird nur achtundvierzig Stunden anhalten und dann sollten die Tabletten weiterhelfen. Im Augenblick schläft sie etwas und für den Fall, daß es schlimmer werden sollte, gebe ich Ihnen meine Karte“ Jetzt hatte er es urplötzlich eilig und ich bekam das Rezept, sowie die Karte in meine Hand gedrückt, er lüftete leicht den Hut, so daß ich es gerade noch schaffte, ein kurzes “Merci“ hinterher zu rufen und dann war er auch schon verschwunden. Offensichtlich war ihm die Situation doch noch unangenehm. Ich ging zu Annes Tür, sehr vorsichtig, so als wenn sie durch meine Schritte aufgeweckt werden könnte und stand eine ganze Weile davor. Sollte ich mal nachsehen, wie es ihr ging? So recht wußte ich es nicht, schon ging ich in Richtung Küche, als ich mich wieder umdrehte und sogleich wieder zögerte. Doch schließlich überzeugte mich das Argument, daß ich auf sie aufpassen sollte, also war es sozusagen meine Pflicht, mich über ihren Zustand zu vergewissern. Es kribbelte überall, als ich langsam die Tür öffnete und mit dem halben Gesicht in das Zimmer schaute. Da lag sie, wie ein Engel der schlief. Ohne daß ich es wollte, trugen mich meine Füße zum Bett und meine Augen sahen, wie ihre Halsschlagader ganz leicht im Takt des Herzens pulsierte. Eine dunkle Strähne hatte sich frech über ihr Gesicht gelegt und lange überlegte ich, ob ich sie ihr nicht aus ihrem Gesicht streichen sollte. Schon näherte sich meine Hand unaufhörlich den glänzenden Haaren, als ich kurz vorher verharrte und es dabei beließ. Schließlich konnte sie mir jetzt nicht auf die Finger hauen oder mich böse anschauen, so stand ich nur da und schüttelte lachend über mich selbst den Kopf, dann verließ ich vorsichtig das Zimmer. Immer noch hielt ich das Rezept in meiner Hand und beschloß, aktiv zu werden und die Tabletten zu holen, einfach etwas zu tun, um Annes Zauber ein wenig von mir 146
abzuschütteln, der mich immer mehr von den rationalen Überlegungen abhielt, auf die ich sonst bei gefährlichen Recherchen so stolz war. Doch es gelang mir nicht und es wäre auch ein Paradoxon gewesen, denn war ich nicht gerade dabei, etwas für sie zu tun? Noch spielte ich nur mit dem Gedanken, daß ich sie liebte, aber immer mehr sah ich es als Tatsache an, die ohne es zu merken in einem fließenden Übergang ein Teil von mir wurde und vielleicht war dieser Prozeß dann abgeschlossen, wenn ich begann, nicht mehr darüber nachzudenken. Lange mußte ich nicht mit dem Cabrio nach einer Apotheke suchen und war schon auf dem Rückweg, als mir ein Blumenladen auffiel, der mich mit den vielen bunten Blüten magisch anlockte. Ohne viel zu überlegen hielt ich am Straßenrand und betrat das Geschäft, wo ich wie selbstverständlich bei den Rosen hängenblieb. Doch mir waren die vielen feuerroten Blüten zu gewagt, deshalb ließ ich einige weiße Rosen mit einbinden, um den Kontrast zu erhöhen und für mich stand fest, daß es der schönste Strauß war, den ich jemals für eine Frau gekauft hatte. Mit dem riesigen Bouquet auf dem Sitz neben mir fuhr ich die paar Ecken zu dem Haus und betrat es wieder mit dem schlechten Gewissen, zu lange weg gewesen zu sein und überzeugte mich, daß alles so war, wie ich es verlassen hatte. Dann suchte ich nach einer entsprechenden Vase für den Strauß, zu dem passend die Schmetterlinge viel zu aufgeregt in meinem Bauch herumflogen, als ich wieder Annes Zimmer betrat. Noch schlief sie, davon hatte ich mich überzeugt und mich überkam dieses schelmische Gefühl, wenn man eine Überraschung vorbereitet und es nicht abwarten konnte bis der spannende Moment endlich da ist. So trug ich leise die schwere weiße Bodenvase in das Zimmer und stellte sie so neben das Bett, daß es unmöglich war, sie zu übersehen. Ich war zufrieden mit mir, aber wie konnte ich nur die Zeit schneller verstreichen lassen, bis sie wieder erwachen würde? Da gab es etwas, das ich sowieso schon ins Auge gefaßt hatte und nun schien der richtige Augenblick, es in die Tat umzusetzen. Also klappte ich mein Notebook auf und hätte jetzt die Mails aus dem Netz abrufen können, doch das interessierte mich alles im Moment überhaupt nicht. Meine Aufmerksamkeit richtete sich vornehmlich auf die Seiten der Pariser Restaurantführer, denn ein zweites Abendessen war mit den vorhandenen Lebensmitteln nicht mehr zu zaubern und mir war sowieso nach etwas Besonderem. Die Aufgabe erwies sich schwieriger als ich erwartete, schließlich sollte es ein gutes Restaurant sein, nicht protzig, dafür elegant und mit dem Pariser Charme, so schien ich erst nach längerem Suchen etwas Adäquates gefunden zu haben. Es lag direkt am Seineufer, in der Nähe des Boulevard Saint-Germain und sollte einen wunderschönen Blick über den Fluß haben. Diesbezüglich mußte ich dem Verfasser der Webseite wohl vertrauen, was genau so für die hochgelobte Küche mit ausgezeichneten Jahrgängen der Weine galt.
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Schnell reservierte ich einen Tisch, ohne zu wissen, ob Anne Lust haben würde und vor allem überhaupt in der Lage war, einen Ausflug zu unternehmen, aber ich wollte unbedingt auf alles vorbereitet sein, wenn sich diese Fragen klären würden. Aber dafür mußte ich mich in Geduld üben, denn es war schon früher Nachmittag und nichts regte sich in ihrem Zimmer. Durch die Ruhe wirkte sich der wenige Schlaf der letzten Nacht bei mir aus und ich schaffte es kaum noch, mich gegen die Müdigkeit zu wehren, die durch das monotone Ticken der alten Wanduhr in der Ecke noch unterstützt wurde. Die Couch, auf der ich saß, verlockte mich, etwas die Augen zu schließen und nur auf die Geräusche im Haus zu achten, doch schnell versank ich ganz in meinen Träumen, aus denen ich durch ein merkwürdiges Gefühl wieder herausgetrieben wurde. Irgendwas strich durch mein Gesicht und im Halbschlaf dachte ich an meine Katze, die schon vor Jahren gestorben war und früher die Angewohnheit hatte, in mein Bett zuspringen und die Nasenspitze zu lecken, worauf sie sich drehte und ihren weichen buschigen Schwanz durch mein Gesicht zog, so daß ich entweder durch das Kribbeln, oder das nachfolgende Niesen wach wurde. Aber das konnte es offenbar nicht sein. Verträumt öffnete ich meine Augen und wie bei jedem Aufwachen in den letzten Tagen hatte ich Annes Gesicht vor mir, nur mit dem Unterschied, daß sie diesmal wirklich dort war und mit einer weißen Rose langsam über meine Nasenspitze fuhr. Als sie mich endlich wach gemacht hatte, roch sie lange an der Blume, lächelte mich an und mit der Bemerkung, daß ich ein verrückter Kerl sei, lehnte sie sich zurück und hauchte mir ein „Danke“ in mein Ohr, daß mich hellwach machte und gleichzeitig träumen ließ. Viel zu lange schaute sie zu mir, es schien, als wenn sie dabei ernster wurde und viel nachdachte. Dabei ließ ich sie nicht aus den Augen und spürte, daß ich jetzt etwas unternehmen mußte, damit sie nicht beginnen konnte, sich vor mir zu verschließen. So sprang ich auf und verkündete meine Planung für den Abend, das löste etwas die Spannung der Situation und schnell sagte Anne zu, aber sie wollte nur ohne ihren Rollstuhl in die Stadt. Offenbar hatte der Schlaf und vor allem die Spritze ganze Arbeit geleistet, was mich zwar nicht ganz beruhigte, denn es schien mir, daß sie etwas zu euphorisch die Sache anging. Doch nun hatte ich kein Argument mehr in der Hand, um sie von ihrer Entscheidung abzubringen und weitere Zweifel standen einem schönen Nachmittag mit anschließendem Abendessen wohl nicht mehr im Wege. Dabei trug das Wetter eines so milden Vorfrühlingstags sein übriges zu der Stimmung bei, denn der Südwind brachte eine wunderbar klare, warme Luft mit sich, die man nach der langen Winterzeit förmlich in sich aufsaugen wollte. So zog sie sich eine halbe Stunde zurück, um sich fertig zu machen und ich hielt es für eine gute Idee erst einmal mit dem Wagen eine Stadtrundfahrt zu unternehmen, denn im Auto zu sitzen war vorerst das Bequemste für Anne, falls sie sich doch überschätzt hatte. Gab das keine Probleme, konnte ich sie ohne schlechtes Gewissen zum Restaurant am Quai de la Tournelle bringen, wo dann abends ein Tisch auf uns wartete. Fast pünktlich, mit nur wenigen Minuten Verspätung, trat sie unsicheren Schrittes aus dem Zimmer, leger gekleidet in dunklen Jeans, einem sehr figurbetonendem 148
Pullover und einer Lederjacke kam sie auf mich zu und nicht nur aus Höflichkeit sagte ich ihr, wie bezaubernd sie aussah. Auf dem Weg zum Auto war ich immer darauf vorbereitet, daß ich sie stützen mußte, aber diese Sorge war unbegründet, denn mit eisernem Willen ging sie zur Tür und nur beim einsteigen hielt ich helfend ihre Hand. Dann fuhr ich langsam los, zuerst über den Boulevard Saint-Michel, an Notre Dame vorbei, um hinter dem Centre Pompidou nach links einzubiegen und am Louvre vorbeizufahren. Wir ließen links die Place de la Concorde liegen und steuerten auf die Champs Elysées zu, die in das mörderische Rondell des Arc de Triomphe führte. Hier in einer kleinen Seitenstraße fand ich vor einem netten kleinen Café einen Parkplatz, was sehr ungewöhnlich war und genau zu diesem schönen Tag paßte. So ließen wir die Chance nicht ungenutzt und bei einem Kaffee konnte man bei etwas Small Talk das Treiben der Leute auf den Straßen beobachteten. Hinterher ging es natürlich zum Wahrzeichen von Paris, den Eiffelturm, der sich in den wolkenlosen Himmel erhob und auf dem Weg dorthin streiften wir das Palais de Chaillot und passierten wieder die Seine, an deren Ufer es wieder in Richtung Notre Dame ging. Mittlerweile war es kühl geworden, die Sonne hatte noch nicht die Kraft, ihre wärmenden Strahlen bis in die Abendstunden zu spenden und es versprach wieder ein beeindruckender Sonnenuntergang zu werden, denn ein orangefarbener Schleier hatte sich um den untergehenden Feuerball gelegt. Etwas früher erreichten wir das Restaurant und nahmen noch einen Apéritif an der Bar, bevor Anne und ich an unseren Tisch geführt wurden, der direkt in einer großen halbrunden Fensterfront stand, die einen atemberaubenden Blick über den mittlerweile glutroten Abendhimmel zuließ. Links vor uns war die Kathedrale Notre Dame zu sehen und geradezu lief ein Seitenarm der Seine entlang, der um die kleine Insel herumfloß, auf der dieses berühmte Bauwerk stand. Auf dem Wasser war ein Wechselspiel der Wellen und Farben von Silber bis Rot zu sehen und rechter Hand war über dem Hôtel de Ville schon das Royalblau der Nacht zu erkennen. Auf dem cremefarbenen Tischtuch befand sich eine Kerze in einem silbernen Halter und der romantische Eindruck wurde durch die tausend Reflexionen in den blankpolierten Gläsern noch verstärkt. Es wäre so leicht gewesen, uns jetzt anzugreifen, ich war mit meinen Gedanken weit weg und doch ganz nah bei der Frau mir gegenüber. Sie erzählte über das halbe Jahr, das sie in dieser Stadt mit einer Freundin verbracht hatte, und ich stieg jedesmal mit ein, wenn mir etwas bekannt vorkam, denn ich war schon öfters in Paris, auch mit einer gewissen Verlobten, deren Name mir im Moment nicht einfiel. Beinahe zufällig bemerkte ich, daß der sehr aufmerksame Oberkellner etwas nervös wurde, weil wir es innerhalb einer halben Stunde nur geschafft hatten einen Apéritif zu bestellen, so daß der Mann einen glücklichen Gesichtsausdruck bekam, als ich ihn mit einer dezenten Geste zu uns winkte. Wieder einmal vertraute sich Anne meinen kulinarischen Empfehlungen an und ich stellte für uns beide ein kleines Menü zusammen, da mit einem Salat Lyonnaise begann. 149
Das Essen zog sich lange hin, eine Geschichte reihte sich an die nächste und hier und während sie erzählte, bekam ich die Gewißheit, an einem Ziel angekommen zu sein, zu dem ich mein ganzes Leben lang unterwegs gewesen war. Dieses Gefühl gab mir eine innere Ruhe, welche ich noch nie verspürt hatte und ich akzeptierte eine Tatsache mit meinem Verstand, die mein Herz schon längst wußte. Das alles geschah innerhalb von einer Minute, in der sich an der Oberfläche nichts geändert hatte und doch erschien mir alles klarer, mit scharfen Konturen und leuchtenden Farben. Über der Kathedrale war nur noch ein dunkelroter schmaler Streifen zu erkennen, die nächtliche Beleuchtung der Stadt spiegelte sich jetzt in dem unter uns liegenden Fluß. Eine Creme brulée bildete den Abschluß und immer wieder fanden sich unsere Hände zu kurzen zärtlichen Berührungen. Schnell verließen wir das Restaurant und direkt unterhalb des großen Fensters an der Uferbrüstung der Seine passierte es dann – unser erster Kuß. Etwas schuldig sah ich sie an, denn sie war mir viel zu kostbar, als daß alles auf einen schnellen Flirt hinauslaufen sollte und auch sie schien das Gleiche zu empfinden, „Ich glaube, wir sollten einen Gang herunterschalten, auf alles war ich vorbereitet, aber nicht auf so etwas, Gabriel“ „Ja, ich weiß, was du meinst, aber ich möchte keine Sekunde des heutigen Abends missen. Vielleicht sollten wir wirklich zuerst den ganzen Ärger hinter uns lassen, doch ich will nicht, daß es hier und so endet“ Ein nun ernster Blick traf mich, „Das will ich auch nicht, du hast mir gezeigt, daß es wieder etwas anderes in meinem Leben gibt als Rache und meine Gefühle sollte ich auch nicht hinter der Suche nach einem Schatz verstecken, ich bin mir sogar sicher, daß ich gerade etwas Besseres gefunden habe. Aber das ist überhaupt nicht der Punkt – so ein Mist, es ist alles so kompliziert und da gibt es auch noch etwas, daß ich dir gestern nicht erzählt habe“ Hier stockte sie und gespannt, fast ängstlich lauschte ich ihren Worten, „Vor dem Unfall war ich verlobt, mit allem drum und dran, selbst das Aufgebot war schon bestellt“ Etwas zögerte ich, weil ich nicht sicher war, ob noch etwas kam, „Hmmm,... also ich war auch irgendwie schon verlobt und solange du nicht verheiratet bist, sehe ich da weniger ein Problem“ Anne nickte zustimmend, dann schüttelte sie wieder den Kopf und drehte sich zum Fluß, „Ja,... nein, du verstehst das nicht. Er kam nur einmal in das Krankenhaus und hat sich nie wieder sehen lassen, als jeder davon ausging, daß ich für immer in diesem verdammten Rollstuhl sitzen müsse. Offenbar war ich ihm da nicht mehr gut genug und ich will nicht noch einmal enttäuscht werden, verstehst du das jetzt, ich habe einfach Angst davor“ Diese Frau die jetzt nicht nur wegen des kühlen Wetters zu zittern begann, verstand ich vollkommen und ich nahm sie vorsichtig in den Arm, ohne daß ich ihr das Gefühl geben wollte, sie zu etwas zu drängen, „Ich bin jetzt bei dir und du mußt keine Angst haben, denn ich kann dir sicher nicht wehtun. Also vergleiche mich bitte nicht mit einem Idioten, der nicht wußte, was er aufgibt, als er dich verlassen hat, und wenn ich es richtig bedenke, müßte ich dem Kerl wohl auch noch dankbar sein“ 150
Sie lachte und lehnte ihren Kopf an mich, so standen wir und blickten schweigend über die Seine, jeder hing seinen Gedanken nach und ihr weiches Haar streichelte vom lauen Frühlingswind getragen meinen Hals. Wir beide brauchten Zeit, jeder hatte seine Gründe dafür und ich für meinen Teil war bereit, ihr alle Zeit der Welt zu geben. Natürlich passierte nichts in dieser Nacht, das bedauerte ich und gleichzeitig auch wieder nicht, denn mir erschien es alles richtig und was ich in meinem Herzen fühlte, konnte sowieso nicht mehr gesteigert werden. Wenn ich mir überlegte, daß ich diese Frau vor ein paar Tagen noch gar nicht kannte und welchen Einfuß sie auf mein Leben hatte, empfand ich es als eine wunderschöne, aber auch erschreckende Entwicklung, die ich jedoch um nichts auf der Welt missen wollte. Die Spritze ließ langsam nach, aber noch war es für sie nur unangenehm und nicht schmerzhaft und mit einigen Pausen, in denen sich Anne ausruhen konnte, breiteten wir das Frühstück vor. Diese Normalität und Harmonie machte uns wohl bewußt, was das Glück bedeuten kann, nach dem sich die Menschen ein Leben lang sehnen. Vielleicht erlebten wir diesen Morgen deshalb so unbeschwert, doch die Insel des Friedens, inmitten von Abenteuer und Gefahr, war am versinken. Carmen hatte angerufen, daß sie morgen wieder zu uns stoßen wollte, und vorher hatte ich noch ein Versprechen einzulösen, denn Bernd und Nicole würden am Vormittag auf dem Flughafen Charles de Gaulle landen. Ich konnte es nicht über das Herz bringen, sie hängen zu lassen und schließlich hatte ich, zugesagt die beiden abzuholen, um sie in ihr Hotel zu bringen, wo ich gestern noch schnell die Zimmer reserviert hatte. Doch zuerst genoß ich das Frühstück mit Anne und später ließ sie sich nicht davon abbringen, mit mir zum Flughafen zu kommen. Sicher erlebte sie diese unbeschwerten Stunden genau so wie ich, aber es bestand immer die Gefahr, daß sie sich zuviel zutraute und mir blieb nur übrig, ein waches Auge auf sie zu haben. So verbarg ich meine Sorgen um sie und freute ich mich auf die großen Augen meiner beiden Freunde, wenn ich sie nicht alleine abholen würde. Schließlich lagen sie mir wechselweise schon monatelang in den Ohren, nach Jenny etwas „anderes“ zu suchen, das hatte ich zwar nicht gemacht, dafür aber unverhofft das „beste“ gefunden. Blieb noch Regina mit ihrem Umzug, in meinem Kopf rotierte es, um einen Zeitplan zu improvisieren, damit ich alles unter einen Hut bekam und irgendwie mußte es doch möglich sein, die Zeit, die ich ohne Anne verbringen mußte, so gering wie möglich zu halten. „He, wo bist du denn mit deinen Gedanken?“, ich bekam einen zärtlichen Stoß in die Seite. „Der ganze Tag ist verplant und wenn morgen Carmen wieder...“, weiter kam ich nicht, denn Anne schlug sich die Hand vor den Kopf und verharrte einen Moment, so daß ich leicht irritiert zu ihr sah bis sie zu reden anfing - „Du bist schuld!“ „Was...? Wieso...? Warum...?“, ich hatte nicht die geringste Ahnung, auf was sie hinaus wollte. 151
„Ja, du bist schuld. Du hast mir so den Kopf verdreht, daß ich was Wichtiges vergessen habe“ „Danke für das Kompliment. Das gebe ich gerne zurück und woran soll ich nun eigentlich Schuld sein?“ „Ich habe dir vergessen zu sagen, daß uns Diana telefonisch um einen Gefallen gebeten hat. Wir möchten doch bitte für sie ein Paket abzuholen“ „So? Was ist denn so wichtig, daß es keine Zeit hat bis Sie wiederkommt?“ „Keine Ahnung, vielleicht ist da ein Verehrer, der ihr ein Präsent schenken möchte, ich weiß es nicht. So wie es aussieht hat jemand für sie bei einer alten Freundin etwas abgegeben und wenn Diana herkommt, dann kann sie es gleich in Empfang nehmen“ „Na, Klasse, gut erledigen wir das auch noch. So wie dieser Tag anfängt, werde ich mit allen Planungen aufhören, weil das verlorene Zeit ist und vielleicht steht nachher sogar Diana selber vor der Tür“ „Mach dir mal darüber keine Sorgen, so schnell geht das nicht, denn Carmen hat darauf bestanden, bei ihr genau so vorsichtig zu sein wie bei dir. Sie kennt dieses Haus nicht und wird sich vorher mit Carmen in Verbindung setzten, um sich mit ihr zu treffen. Demnach können beide frühestens morgen hier erscheinen, wenn Diana dann schon mit ihrem Fotoshooting fertig sein sollte“ „Dann lassen wir uns mal überraschen, irgendwie ist das schon ein komischer Tag“ „Nein, das ist ein schöner Tag“, dabei lächelte sie mich an und was konnte man gegen solch ein Argument schon machen. „Du bist mir schon eine, gut, erledigen wir das auch noch, damit niemand auf den Gedanken kommt, daß wir in den zwei Tagen untätig waren“ „Waren wir auch nicht“, ich bekam einen Kuß auf die Wange und sie machte sich für unseren Ausflug fertig. Anne war glücklicherweise eine Frau, die mit dem Begriff Pünktlichkeit etwas anfangen konnte, jedenfalls erstreckte sich die zeitliche Grauzone ihrer Verspätung am Cabrio auf nur fünf Minuten, ganz im Gegensatz zum Flugzeug aus Berlin, das fast eine halbe Stunde überfällig war und uns noch genug Zeit gab, bei einer Tasse erbärmlichen Kaffee auf die Landung zu warten. Endlich erschienen Nicole und Bernd, die uns allerdings völlig unbeeindruckt begrüßten, was ich sicher Stefano verdankte, der mir schließlich schon in Berlin auf den Zahn fühlte, so daß seine Vermutungen in Bezug auf eine neue Frau sicher schon als Tatsache gehandelt wurde. Nach den ersten Worten zeigte sich allerdings Bernd schon genervt, weil seine Frau sämtliche Kreditkarten eingesteckt hatte, um ihre Garderobe auf den Sommer umzustellen. Sie konnte sich das auch leisten, aber die bevorstehende Tour durch die Pariser Modehäuser löste bei ihm eine toxische Reaktion aus, akute Shoppingallergie. Schon im Auto entfaltete Nicole einen Zettel mit Namen und Adressen einiger bekannter Designer, die unbedingt besucht werden mußten, und wenn man dann noch die Schuhe und sonstige Accessoires zurechnet, würde es sicher kein romantischer Ausflug werden, sondern eher ein Arbeitsurlaub.
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Wir ließen sie in dem eleganten kleinen Hotel einchecken, während Anne und ich in der Lounge einen viel besseren Kaffe tranken und über den Ablauf der nächsten Stunden sprachen. Kurz darauf ergab sich der weitere Ablauf nun von selbst, denn ich teilte Anne mit Nicole und mußte mich mit meinem alten Freund Bernd begnügen. Die Frauen gingen einkaufen, während ich meinen Kumpel ohne zu fragen dazu verdonnerte, in Paris einen Umzug mitzumachen, das hatte zwar auch wenig Romantisches an sich, aber wenigstens hing beim Einkaufen der Haussegen nicht schief. Vorerst wußte jedoch der arme Kerl noch nichts von seinem Glück, nur Nicole freute sich über die weibliche Gesellschaft, über die ich mich noch viel mehr gefreut hätte. Natürlich wog ich das Risiko ab, es war nicht so, daß ich vergaß, was mich eigentlich hierher geführt hatte und Annes Anwesenheit schärfte eher meine Wachsamkeit, als daß meine Wahrnehmung durch eine rosarote Brille getrübt wurde. Unser Versteck war absolut sicher und war auch so von Carmen ausgewählt worden, sonst wäre schon längst etwas passiert und so hielt ich die paar Stunden für ungefährlich, die meine Freunde mit uns verbringen würden. Nach einem leichten Mittagessen in dem gegenüberliegenden Bistro fuhren wir alle zu Reginas Adresse, wo Nicole sich ans Steuer setzte und mit Anne davonfuhr, in die unendlichen Jagdgründe der Frauen. Dabei hoffte ich, daß ich den Wagen in einem Stück wiederbekam und vor allem natürlich, daß alle Insassen heil diese Fahrt überstehen würden, denn Bernds Frau hatte erst vor kurzem den Führerschein gemacht und wenig Gelegenheit gehabt, etwas Fahrpraxis zu sammeln – jetzt in Paris damit anzufangen konnte heikel werden. Mit qualmenden Reifen waren die Damen verschwunden und ich mußte Bernd erst einmal erklären, was jetzt folgen würde, „Sag mal, du klagst doch immer darüber, daß du in deinem Club immer zuwenig Bewegung hast und am Schreibtisch sitzt, oder?“ „So etwas würde ich nie sagen, was meinst du, wie ich schuften muß“ „Stimmt, aber das ist doch eine sehr einseitige Beschäftigung, paß mal auf...“ Nicht gerade begeistert, aber mit besserer Laune als wenn er Tüten schleppen müßte, gingen wir die drei Etagen hoch und dann bekam ich einen Klaps auf den Hinterkopf mit der Geste auf das Messingschild an der Tür, auf dem groß und deutlich zu lesen war, um was für ein Etablissement es sich handelte. „Na Alter, mal Lust auf was neues, oder?“ „Quatsch, kennst du noch Regina aus meiner alten Wohnung?“ „Ja, klar, mit der wolltest du mich verkuppeln, damit sie dir nicht auf die Pelle rückt“ „Genau, aber da kannten wir uns noch nicht so gut und es hat ja auch nicht geklappt. Ich glaube zum Glück für dich, denn sie ist hier die Chefin“ „Oh, Oh, ich will gar nicht wissen, was hier abgeht, laß uns die Kartons schnappen und dann nichts wie weg“ Ich klingelte und wir mußten etwas warten bis Simon, der Käsecrackerfetischist, die Tür öffnete, um uns endlich hereinzulassen. Glücklicherweise war Lady Gwendolyn auf Hausbesuch und in den Räumen schien der Geschäftsbetrieb schon eingestellt worden zu sein, so daß man ungestört die vollen Kisten greifen konnte, die wir mühsam auf der Straße im Lieferwagen verstauten. 153
Neben einigen Ordnern und den üblichen Papieren hatten wir auch eine etwas ungewöhnliche Fracht zu transportieren. Handschellen und Lederhalsbänder, dazu Knebel, Ketten und sonstiger Kleinkram, das hätte man auch teilweise als Trekkingausrüstung benutzen können, jedenfalls war nichts dabei, was man als nettes Geschenk zum Muttertag präsentieren sollte. Der kleine Kastenwagen war zu schnell voll und in Gedanken sah ich schon den Zeitplan dahinschmelzen, denn erst nach zwei Stunden waren wir bei der dritten Fuhre und ich erkannte langsam, welches Ausmaß der kleine Gefallen annahm. Bernd war mittlerweile zu einem Einkaufsfan geworden und nie mehr würde er sich gegen einen Schaufensterbummel sträuben, denn daß die Alternative noch schlimmer sein konnte, mußte er am eigenen Leib schmerzvoll erfahren. Treppe hoch und Treppe runter, eigentlich gehört ein SM-Studio in den Keller, schoß es mir durch den Kopf. Bernd hingegen dachte über etwas anderes nach, „Sag mal, als du uns zu einem Luxuswochenende eingeladen hast, wann ist dir da der Gedanke gekommen, daß ich das hier abarbeiten muß?“ „He, was soll das? So etwas nennt man Aktivurlaub, dafür bezahlt man sonst einen Aufschlag“ „Du bekommst auch gleich einen Aufschlag. Das kostet dich heute ein Abendessen für alle vier und du bezahlst natürlich“ Ich zögerte, nicht aus Geiz, sondern weil das völlig an meinen Vorstellungen für den Abend vorbeilief, ganz abgesehen von der Sicherheitsfrage. Trotzdem war der Gedanke verlockend genug, daß ich nicht gleich ablehnte, und das nutzte mein Freund solange aus und bearbeitete mich, bis ich nachgab. Allerdings unter dem Vorbehalt, daß Anne den Tag gut überstand und nichts dagegen hatte, „Schon gut, schon gut, du nimmst auch alles mit, was du gratis bekommen kannst, aber ich mache es gerne für euch. Dafür wird deine Frau euer Konto schröpfen, vielleicht solltest du das nächste Mal die Kreditkarten verstecken“ Ein nicht nur verschwitztes, sondern auch säuerliches Gesicht zog mir gegenüber nun eine Grimasse, „Ha, Ha, du Ahnungsloser, sei selbst erst einmal verheiratet, aber weil wir gerade beim verstecken waren, wo hast du denn die ganze Zeit dieses Mädchen versteckt. Wir dachten uns schon, daß da was im Busch ist, und jetzt verstehe ich, warum du dich in letzter Zeit so rar gemacht hast“ „Stimmt gar nicht, ich habe nur gearbeitet und recherchiert, da ist sie mir sozusagen über den Weg gerollt“ „Gerollt?“, das konnte er natürlich nicht verstehen und ich klärte ihn darüber auf. Während unserer Arbeit erzählte ich eine entschärfte Version der Ereignisse, die mich hierhergebracht hatten, so daß er langsam etwas von den Zusammenhängen verstand, ohne dadurch auch nur eine Vorstellung von mir zu erhalten, wie brisant die Geschichte war. Nachdem wir endlich die letzten Utensilien aus dem alten Studio verstaut hatten, fuhren wir einen Bogen an der Seine entlang, um den Gefallen für Diana zu erledigen. Dafür mußten wir uns mit einer Dame treffen, die an einer der besten Adressen von Paris eine bekannte Galerie besaß und der ich von unterwegs schon den Besuch telefonisch ankündigte. 154
Unsere durchgeschwitzte Kleidung und der ehrlich erworbene Staub darauf machte uns nicht gerade zu der Art von Kunden, die hier gerne gesehen wurden und eine elegante Dame kam forsch auf uns zu, nachdem sie ihre nüchterne Musterung beendet hatte, „Monsieur?“ „Wir suchen Madame Clementine Huppert, können Sie uns helfen?“ Vielleicht hatte ich in meinem ungeübten und eingerosteten Französisch einige Fehler, denn sie verharrte regungslos und überlegte sich offenbar eine Antwort. In Gedanken ging ich meine Sätze noch mal durch, aber sinngemäß konnte ich keinen Fehler darin entdecken und wollte gerade den Monolog wiederholen, als sie sich doch entschloß etwas zu sagen, „Moment bitte, wen darf ich melden?“ „Monsieur Kronau! Wir möchten das Päckchen für Diana LeClaire abholen. Madame Huppert weiß sicher darüber Bescheid“ „Bon, für Mademoiselle LeClaire. Ich verstehe, das ist etwas anderes“, damit verschwand sie eiligen Schrittes im hinteren Bereich der Galerie. Im Raum waren weiße, viereckige Säulen unregelmäßig verteilt, an denen Bilder mit zeitgenössischen Künstlern hingen, die von modernen Wandleuchtern angestrahlt wurden und oben an der Decke waren Dachfenster in Pyramidenform, die das Tageslicht einfingen und eine offene Atmosphäre schaffen sollten. Mein Blick schweifte durch den Raum. Uns gegenüber hatte sich ein kleines Grüppchen von gutgekleideten Leuten postiert, die ab und zu herüberschauten und tuschelten. Natürlich konnte ich mir denken, daß unser Aussehen der Grund dafür war. Es waren bedauernswerte Menschen, gefangen in ihren eigenen Vorurteilen, die oft einen Maßstab anlegten, dem sie selber kaum gerecht werden würden. Bernd sah sich schon wieder eine der freizügigen Skulpturen an, die auf potente Käufer wartete und nach meiner Meinung überhaupt nicht in die kleine Wohnung paßte, welche er mit Nicole schon jahrelang bewohnte. Zu lange kannte ich ihn, um nicht zu wissen, was in ihm vorging und auch wenn er für diese Venus mehr an Speditionskosten bezahlen müßte als für die Plastik selber, so stand er davor, dies jeden Moment demonstrativ mit seiner Platinkarte zu erledigen. Schon nestelte er entschlossen an der Brieftasche herum, als ich ihm beruhigend auf die Schulter faßte, „Laß mal, wenn du diesen Leuten was beweisen mußt, dann haben sie gewonnen, also laß die Typen in der Ecke stehen und kauf deiner Frau etwas Schönes für das Geld“ „Das macht sie schon alleine, dafür kenne ich sie zu lange, um noch irgendwelche Illusionen zu haben. Was soll’s, ich liebe sie trotzdem“ Schmunzelnd wendete ich mich ab und schlenderte zum Schaufenster, um mir mit einem Blick auf die belebte Straße die Wartezeit zu verkürzen. Viel Verkehr und die Cafés waren gut besucht, der Standort der Galerie war hervorragend gewählt und nur die fehlenden Parkplätze schienen ein Wermutstropfen zu sein, aber das kannte man ja von zu Hause. Gegenüber auf der anderen Straßenseite hatte ein Kleinbus geparkt, der die Sicht auf den dahinterliegenden Herrenausstatter verdeckte. Ein neuer Anzug könnte wiedereinmal nicht schaden, auch wenn sich das langsam zu einer Manie ausartete, 155
denn natürlich hatte ich keinen dabei und ich würde nicht mehr so leger in ein Restaurant gehen können, wenn ich heute abend mein Versprechen einlösen mußte. So schaute ich mir das Schaufenster genauer an, verglich und – Moment?! Das darf doch nicht wahr sein. Hinter dem Bus stand jemand, der mir ungewöhnlich bekannt vorkam. Glücklicherweise spiegelte sich dieser Bereich genau in den Fenstern des daneben liegenden Geschäftes und ermöglichte mir so den Blick auf zwei Gesichter, die ich zum letzten Mal in den Kellern des Castello di Montana erblickt hatte. Emilio und Mario, die Handlanger der Fortunatis, schienen wiedereinmal einen Auftrag zu haben, bei dem sich unsere Wege kreuzten und dieses Zusammentreffen konnte kein Zufall sein. War ich zu leichtsinnig und wie konnten sie mich aufspüren? Plötzlich war ich heilfroh, daß Anne nicht alleine im Haus war und hinter meiner ungerührten Fassade überschlugen sich die grauen Zellen. Mehrere Möglichkeiten erschienen mir plausibel, doch ich wollte mich nicht mit Spekulationen begnügen, hier brauchte ich Klarheit. Es galt, Ruhe zu bewahren, außerdem durfte Bernd kein Haar gekrümmt werden, denn als zufällig Beteiligter war er der Letzte, den die beiden Blindgänger in die Finger bekommen sollten. Wiedereinmal erschien es am besten, den Überraschungseffekt zu nutzen, um einen Nachteil in einen Vorteil zu verwandeln, doch dies mußte noch einige Minuten warten, da sich die Dame von vorhin näherte und uns nun sehr zuvorkommend nach hinten geleitete. Ich war mir sicher, daß die beiden Sarden genug Zeit hatten und sich nicht in Luft auflösen würden, solange wir diese kleine Nebensächlichkeit erledigten, die mir zudem noch die Gelegenheit gab, einen spontan entwickelten Plan nochmals durchzugehen. In einem kleinen Salon begutachtete Madame Huppert gerade ein expressionistisches Gemälde und ließ sich von unserem Eintreten nicht irritieren, bis wir uns höflich vorstellten. „Meine Herren, bitte, nehmen Sie Platz“, sie wies auf eine Ledercouch auf der linken Seite, „Kann ich Ihnen etwas anbieten?“ „Nein danke, das ist sehr nett von Ihnen, aber wir sind etwas in Eile, Madame. Sie werden sicher auch viel zu tun haben und da wollen wir Sie nicht lange aufhalten“, in Wirklichkeit brannte ich darauf, mich meinen zwei Bekannten zu widmen, aber das zu sagen wäre natürlich ziemlich uncharmant gewesen. „Gut, meine Herren, bitte, hier ist das Päckchen. Ehrlich gesagt wundert es mich, daß jemand nach so langer Zeit ein Päckchen für Diana zu mir schickt. Wer weiß, was das zu bedeuten hat, aber so war sie schon immer. Da pflichten Sie mir sicher bei, meine Herren, sie werden Diana ja bestimmt gut kennen“, langsam legte sie ein kleines Paket in der Form einer Zigarettenschachtel vor uns hin, das keinerlei Absender aufwies. „Wahrscheinlich nicht so gut, wie Sie selbst, Madame. Darf ich fragen, weshalb Sie das so wundert?“ „Sicher dürfen Sie das fragen, Monsieur Kronau, es ist kein Geheimnis, daß wir im Streit auseinandergegangen sind. Dabei hat sie mir doch alles zu verdanken, ich habe sie entdeckt, praktisch zu dem gemacht, was sie heute ist. 156
Sie hätten sie sehen sollen, als sie in meine Modellagentur gekommen ist, schrecklich. Es war schon mehr als Arbeit, beinahe eine Strafe, aber es hat sich letztendlich gelohnt“ „Sie sind demnach auch in der Modellbranche, Madame?“ „Nicht mehr, Monsieur, aber vor drei Jahren besaß ich noch meine Agentur. Das war die Zeit, als Diana alles wegen eines Mannes hingeschmissen hatte, sie wußte ja alles besser und träumte schon davon, eine große Dame zu sein. Na ja, lassen wir das Gestern ruhen, wie ich hörte, arbeitet sie wieder, scheint wohl doch nicht die große Liebe gewesen zu sein, aber ich habe es ja gleich gewußt“ „Die Liebe geht seltsame Wege, Madame Huppert, vielleicht stammt das Paket von diesem Mann. Wissen Sie, wer Ihnen das Päckchen geschickt hat?“ „Wer weiß das schon, sie beide können sich sicher vorstellen, daß es keine Ausnahme ist, wenn junge gutaussehende Frauen Geschenke bekommen, gerade auf den Partys nach den Vorführungen lernen die Mädchen doch viele reiche Männer kennen. Mich wundert nur, das nach so langer Zeit etwas kommt und dann noch hierher, wo ich doch solange nichts mehr mit ihr zu tun hatte“ „Sie haben recht, das wird sicher auch Diana überrascht haben“ „Das hat es meine Herren, das hat es. Ich habe natürlich noch die Telefonnummer ihrer neuen Agentur und so war es leicht, mit ihr darüber zu sprechen. Ehrlich gesagt habe ich damit gerechnet, daß sie nicht selber herkommt, aber damit kann sie mich nicht mehr treffen. Dankbarkeit von ihr zu erwarten, war wohl doch etwas zuviel gewesen. Sie werden mich jetzt sicher entschuldigen, ich habe noch zu tun“ „Natürlich, Madame Huppert, danke für Ihre Zeit und diese aufschlußreiche Unterhaltung“, wir wurden entlassen mit einer Geste, die jeder Diva gut zu Gesicht stehen würde und gingen gemächlich durch den Ausstellungsraum. Jetzt blieb mir nichts weiter übrig, als Bernd auf die bevorstehende Begegnung vorzubereiten, möglichst jedoch ohne bei ihm Streß aufkommen zu lassen, „Sag mal, du bist doch früher bei den Fallschirmjägern gewesen, stimmt’s?“ „Ich? Nein, du kennst doch die Geschichte, nach sechs Wochen bin ich wegen meiner Knochen rausgeschmissen worden und war in der Kantine. Die haben mich noch nicht mal aus dem Flugzeug springen lassen“ „Ja, richtig, aber die Grundausbildung hast du doch mitgemacht, so mit Nahkampf und solchen Sachen, oder?“ „Das stimmt und war auch gut so, du erinnerst dich sicher an die drei Kerle, die Nicole anbaggerten und einer von denen hat dir den Stuhl über deinen harten Dickschädel gehauen. Ganz alleine habe ich die Typen weggeputzt“, gerade kamen die schmerzhaften Erinnerungen aus der Zeit, wo sich die beiden Turteltauben erst zwei Wochen kannten, wieder hoch. „Wie war das eigentlich,...“, mußte ich nun schmunzelnd fragen, „...ist das nicht schon sechs Jahre her und hattest du damals nicht einen Jochbeinbruch?“ „Ja, und das mache ich jederzeit wieder, sollte einer meiner Frau zu nahe kommen“, leider vergaß er das angeschlagene Knie vom Fußballspielen und die gerade gerichtete 157
Bandscheibe, aber ich hatte auch nicht vor, ihn größeren Anstrengungen zu unterziehen. „Na, dann ist ja alles gut, denn wir werden uns gleich ein wenig prügeln und ich wollte nur wissen, ob ich mit dir rechnen kann“ „Prügeln? Wieso? Was hast du denn nun schon wieder ausgeheckt, mit dir hat man wirklich kein ruhiges Wochenende“ „Sagen wir mal so, ich habe vorhin alte Freund gesehen und die sind wie die Kletten, naja vier zum Essen einzuladen kann ich mir gerade noch leisten, aber sechs Leute, nein, dazu bin ich doch zu geizig“ Er machte eine kleine Pause, schaute zu mir herüber und nickte nur, „Los raus damit, du hast dir doch sicher was ausgedacht, oder?“ „Klar, kennst mich doch“, dann redete ich ein paar Minuten mit ihm und am Ende des Gespräches konnte er sich kaum vor Lachen halten. Ohne zu zögern setzten wir den Plan um, der vorsah, daß ich alleine das Gebäude verließ und diagonal die Straße passierte. Bernd blieb vorerst in der Galerie und mußte nun abwarten, wie sich die Mafiosi verhalten würden. Wenn beide mir folgten, dann hatte er freie Bahn, um zu verschwinden, wenn nicht, mußte ich den Verfolger ausschalten und Bernd behielt den anderen solange im Auge, bis auch er an der Reihe war. Für ihn war es kein Kompliment, denn Mario und Emilio gingen mir gemeinsam nach, aber das hieß, wir spielten das leichtere Spiel und darüber war ich nicht böse. Demonstrativ schlenderte ich links den Boulevard entlang und wie vermutet liefen von rechts kommend die beiden Sarden hinter mir her, um mich keinen Moment aus den Augen zu lassen. Neugierig betrachtete ich das Schaufenster eines Hutmachers und gab damit Bernd das Zeichen zu verschwinden, wovon ich mich mit einem schnellen Blick aus den Augenwinkeln überzeugen konnte und ihn zuletzt in der Seitenstraße sah, wo unser Wagen stand. Daraufhin betrat ich ein Fotogeschäft und erwarb eine Einwegkamera, die ein wesentlicher Bestandteil meiner Vorbereitungen war, ging dann weiter die Straße entlang und mußte solange warten, bis der Kastenwagen mit Bernd am Steuer vorbeifuhr. Gleich darauf bog er in die kleine Gasse vor mir ein und würde planmäßig sofort damit beginnen, alles weitere vorzubereiten. Die Mafiosi waren jetzt zwanzig Meter hinter mir und versuchten, sich zwischen den vielen Passanten so gut wie möglich zu verstecken und ich muß gestehen, wenn ich sie nicht vorher gesehen hätte, wäre es ihnen auch gut gelungen. Noch zehn Meter bis zur Seitenstraße. Ich wurde etwas langsamer und die beiden Italiener holten im Strom der Fußgänger etwas auf. Es waren zwei Minuten vergangen, seitdem mein Freund vorbeigefahren und in die Straße eingebogen war, also genug Zeit, um alle Vorbereitungen abgeschlossen zu haben und tatsächlich, als ich um die Ecke bog, sah ich dahinter das Auto mit der Front nach vorne stehen. Gleich darauf konnte man die geöffnete Hecktür erkennen, hinter der die Beine von Bernd nur demjenigen auffielen, der darauf achtete und ich kannte zwei Kerle, die das kaum machen würden. 158
Ohne Reaktion lief ich an dem Wagen vorbei und hörte, wie sich die Schritte der Verfolger näherten, auch sie hielten diese unbelebte Seitengasse für den idealen Ort, einen Überfall zu starten, womit die beiden auch vollkommen recht hatten – allerdings ganz anders als sie jetzt noch dachten. Alles weitere spielte sich innerhalb der nächsten Sekunden ab. Mario und Emilio griffen schon unter die Jacken, als sie am Auto vorbeikamen und dann hörte ich nur noch zwei kurze Schreie, dazu einige undefinierbare Geräusche und darauffolgend ein Winseln, das jedem kastrierten Hirtenhund Konkurrenz machen könnte. Als ich mich sofort zum Wagen wendete, um notfalls Bernd gleich helfen zu können, war alles schon vorbei und voller Stolz, nebst einem breiten Grinsen, stand er vor mir mit zwei riesigen Elektroschockern bewaffnet und darunter lagen röchelnd und bewegungsunfähig die zwei Pechvögel des heutigen Tages. Diesen Anblick nutzte ich gleich aus, um das erste Bild zu knipsen, daß ich meinem begonnenen Album aus Florenz hinzufügen konnte. Unser Glück war der Inhalt der letzten Umzugskisten, an den ich mich in der Galerie erinnert hatte, diese witzigen Utensilien wurden so einem etwas anderen, aber trotzdem sehr befriedigenden Zweck zugeführt. Um keine weitere Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, warfen wir die Männer schnell in den Wagen und ich beeilte mich loszufahren, wobei Bernd die Zeit nutzte, um hinten im Wagen seiner Phantasie freien Lauf zu lassen und mit den vorhandenen Sachen die Fahrt für die beiden zu einem fesselnden Erlebnis machte. Sein Adrenalinspiegel war so hoch, daß er die ganze Zeit hinter mir im Auto nur davon erzählte, wie er ganz alleine die Kerle plattgemacht hatte und ich gönnte ihm dieses Hochgefühl, daß ich selber nur allzugut kannte. Dazwischen reichte Bernd mir die Waffen noch vorne, die ich vorsichtshalber an mich nahm und erst einmal auf den Beifahrersitz legte. „Was ist das?“, Bernd zeigte mir einen handliches Gerät, das er in Marios Jackentasche gefunden hatte. „Oh, das ist ein Empfänger für GPS-Daten und der scheint gut zu funktionieren“ „GPS, das gleiche, was es auch auf deinem Boot gibt?“ „Genau, ein globales Positionierungssystem, das dir den Standort des Senders bis auf wenige Meter genau durch Satelliten angibt. Wenn mich mein Instinkt nicht täuscht, weiß ich jetzt, was in dem Paket für Diana LeClaire drin ist“ „Der Sender!“ Kurz darauf hatte ich an der Seite angehalten und mich von der Richtigkeit meiner Vermutung überzeugt, wonach wir das tolle Geschenk im nächsten Müllkorb entsorgten, falls es einen zweiten Empfänger geben sollte. So kamen wir nach dieser kleinen Pause zum neuen Arbeitsplatz von Lady Gwendolyn und es war recht praktisch, daß dieses Haus einen Hof hatte, auf dem man parken konnte ohne großartig gesehen zu werden, denn wäre uns jetzt eine herzkranke Rentnerin entgegengekommen, hätte niemand für ihre Gesundheit garantieren können. Mario und Emilio trugen jetzt Ledermasken, durch die sie nichts sehen konnten, und Bernd hatte sie zusätzlich mit Mundknebeln verziert, dazu gab es noch Handschellen 159
und merkwürdige Metallhalsbänder, die sich bei Druck zusammenzogen und unangenehmerweise Dornen in den Hals bohrten. Dadurch gefügig gemacht folgten uns die beiden, deren Lähmungserscheinungen sich bis auf ein geringfügiges Nachziehen der unteren Extremitäten verflüchtigt hatte. Im Studio angekommen gingen wir in einen Raum, der schon recht „wohnlich“ eingerichtet war, ich begann Emilio an ein bereitstehendes Kreuz zu binden, während Bernd weiterhin Mario am Halsband festhielt, der kurz darauf in einen Pranger gesteckt wurde und ich anschließend beiden die Knebel abnahm. „Paris ist doch eine Reise wert, oder? Ihr habt also die Schießerei im Castello überlebt und hattet nichts besseres zu tun, als hier aufzutauchen? Die Chance, damals zu verschwinden, habt ihr dummerweise nicht genutzt und deshalb kann ich euch das folgende leider nicht ersparen“ Nebenbei zwinkerte ich Bernd zu, der sofort vor den Augen unserer Gefangenen anfing, in den Kartons nach allem zu suchen, was versprach, sehr schmerzhaft zu sein. So lagen schon einige Minuten später die verschiedensten Utensilien ausgebreitet vor den beiden, wovon ein Reizstromgerät sicher das merkwürdigste Instrument darstellte. Mir blieb vorbehalten, den Männern genug Angst zu machen, bis sie bereit waren, mit uns zu reden, „Bernd, gibst du mir bitte mal die Peitsche herüber“ Er drückte mir ein Teil in die Hand, das eher dazu bestimmt schien, Großwild zu bändigen, jedenfalls brauchte ich nicht lange damit herumzuwedeln, um den Widerstand von Mario zu brechen, „Signore, bitte nicht, das können Sie nicht machen“ „Doch, ich glaube, ich schaffe das schon, es dauert nur eine Weile bis man die Technik herausbekommt – tut mir leid für euch“ Eine Unmenge an Schimpfworten verließen nun die Münder der Delinquenten, ohne daß sie dadurch das Geringste ändern konnten, und mein erster Knall, mehr zufällig verursacht, ließ sie sofort verstummen. „Jetzt reicht es, ich habe keine Zeit für euer Geschwätz. Für jede Frage, auf die ich keine Antwort bekomme, fange ich an, etwas mit der Peitsche zu üben und ich glaube kaum, daß euch das Spaß machen wird. Also, wie habt ihr uns gefunden?“ Noch hielten beide die Schweigsamkeit für eine Tugend, aber als ich dadurch genötigt wurde, die Lektion zu beginnen, gaben sie ganz schnell auf. „Don Paulo hat uns geschickt, seit zwei Tagen warten wir schon vor der Galerie Huppert und beobachten das Haus. Der Patrone hat nur gesagt, daß wir dem folgen sollen, der ein Paket abholt. Es ist die Wahrheit, das müssen sie uns glauben“ „Ach so, muß ich das wirklich, was wißt ihr sonst noch über uns?“ „Nichts Signore, wirklich überhaupt nichts. Wir sollten nur beobachten und dann alles Don Paulo mitteilen“ „Woher wußte Fortunati, wo wir zu finden waren? Überlegt euch gut die Antwort, denn wenn ich herausbekomme, daß ihr mich angelogen habt, gibt es kein Pardon“ „Das hat er uns nicht gesagt, wir sind doch nur kleine Leute, Signore. So etwas beredet man doch nicht mit uns, wir führen nur die Anweisungen aus“ „Hmmm,... ihr Galgenvögel, euch zu glauben fällt mir schwer, wo ist Fortunati jetzt?“ 160
Mario zögerte, als ob er in seinem Hirn eine Lüge ausbrütete, „Er war zuletzt in Florenz mit dem Signore, dessen Männer das Castello angegriffen haben, zusammen“ „Was...? Er war mit Benedetto di Gondoni zusammen?“, scheinbar war Mario ein gewitzter Bursche, der mir entweder etwas Zucker vor die Füße warf, oder meine Neugier doch mit einer Schwindelei reizen wollte. „Si, Don Paulo hat mit ihm und mit einem anderen Signore lange gesprochen, daß wir sie vielleicht interessieren, aber mehr wissen wir wirklich nicht, bitte verschonen sie uns, bitte“ „Du sagst, ein anderer Signore war bei Gondoni, wie sah er aus?“ „Oh sehr groß, ein starker Mann mit einem dunklen Anzug, doch er war kein Italiener“ „Ein Spanier vielleicht?“ „Si, Signore, das ist möglich, er sprach mit solch einem Akzent“ Eine unerwartete Wendung der Ereignisse, sollte Mario damit wirklich die Wahrheit gesagt haben? Wenn ich als sicher annahm, daß vor dem Abend im Castello keine Verbindungen zwischen Fortunati und Gondoni bestanden hatte, mußten die Sarden hinterher die Exoffiziere gesehen haben, denn woher sollte Mario sonst eine Beschreibung von Almera bekommen. Es sprach einiges für diese These, allerdings nur gründend auf den mir bekannten Fakten und daß diese immer noch recht lückenhaft waren, hatten die letzten Tage häufig genug bewiesen. Trotzdem nahm ich das erst einmal so hin und suchte nach einem Sinn hinter solch einem Treffen. Zweifelsfrei ging es um das Gold und vielleicht hat sie ihr gemeinsames Interesse daran zusammengebracht. Ich hätte sicher noch stundenlang darüber sinnieren können, doch bedrohlicher war die Tatsache, daß Fortunati versuchte, an Diana heranzukommen. Der Sinn dabei war klar, da sie mit uns aus dem Castello geflohen ist, spekulierte der Mafiosi sicher auf einen weiterhin bestehenden Kontakt und so wollte er Anne und Carmen wieder in seine Gewalt bringen. Unerwartet hatten Bernd und ich eine große Bedrohung ausgeschaltet, aber daß man die Fährte der Frauen wieder aufgenommen hatte, war keine beruhigende Nachricht und das einzig Gute an dieser Sache bestand in der offensichtlichen Desorientierung von Fortunati und Gondoni bezüglich unseres Aufenthaltsortes. Eines trat jedenfalls deutlich zu Tage, ich mußte vorsichtig sein und durfte nichts aus den Augen lassen, es war kaum zu erwarten, daß der Mafiosi mit seinen neuen Freunden so schnell aufgeben würde. Bei all den Sorgen hatte ich die dringlichste Aufgabe direkt vor mir, Mario und Emilio. Nicht ohne Grund hatte ich sie hergebracht, denn was würde es wohl peinlicheres geben, als die beiden in ihrer jetzigen Lage zu sehen und deshalb kam jetzt meine Einwegkamera ins Spiel, die das perfekte Druckmittel war, um vor ihren Nachstellungen sicher zu sein. Besser sogar, es war vorauszusehen, das Fortunati nicht begeistert wäre, solches Material von seinen Leuten in die Finger zu bekommen und das sollte den beiden Sarden die Lust am Mafialeben gründlich verderben. 161
Doch kurz bevor das Fotoshooting losgehen sollte, bemerkte Bernd draußen auf dem Flur etwas Unruhe, die sich immer mehr steigerte. Schritte näherten sich und ich griff zu einer der Waffen, die mir zum wiederholten Male von Mario und Emilio geliefert wurden und warf auch Bernd eine Automatik zu, was er für einen schlechten Scherz hielt und mich völlig entgeistert ansah. „Ist schon gut, wir gehen nur auf Nummer sicher“, ich dirigierte ihn in Deckung und wir schauten zu der leicht angelehnten Tür, die nun langsam aufging. Gleich darauf ließ die Spannung nach, denn Regina betrat das Studio und verschaffte sich ohne eine Miene zu verziehen den Durchblick über diese merkwürdige Situation. Währenddessen ließ ich flink die Waffe unter dem Mantel verschwinden und Bernd war so clever, es mir nachzutun. „So, Schnuckelchen, du stehst also doch auf die härtere Gangart, ich wußte doch das dir sowas gefällt“, dabei grinste sie mich an und schaute zu Bernd herüber, den sie nicht gleich erkannte, aber dann fiel der Groschen doch noch. „Ach wen haben wir denn da? Noch jemanden, der nicht so wollte wie ich, und dabei hätten wir drei soviel Spaß haben können“ Was sollte man da sagen, die Höflichkeit ließ bei Bernd und mir nur ein verkniffenes Lächeln zu, bis ich wieder zum Ernst der Lage fand, „Deshalb sind wir ja hier, wenn auch sicher anders als du denkst. Die beiden Typen sind hinter uns her gewesen, ich wollte ihnen nur einen kleinen Denkzettel verpassen und einige kompromittierenden Fotos machen, die uns zukünftig diese Plagegeister vom Leibe halten sollen. Ich hoffe, du wirst nichts dagegen haben, wenn wir das schnell erledigen und dann sind wir alle schon wieder verschwunden“ Ein diabolisches Lächeln zierte nun Lady Gwendolyn Gesicht, „So! Ich habe sehr viel dagegen, besonders, wenn irgendwelche Stümper so einen Job erledigen wollen. Aber ihr habt Glück, denn ich habe eine neue Nachwuchsdomina, die eingearbeitet werden muß und ich glaube, deine beiden Freunde sind nicht in der Lage, einen Einspruch dagegen zu erheben, wenn wir einige Stunden einen praktischen Workshop veranstalten“ Meine erste Reaktion war Mitleid mit den beiden, denn ich wollte mir nicht ausmalen, was ihnen bevorstand, doch dann kamen mir die Bilder vom Castello in den Sinn, wie sie Anne und Carmen behandelt hatten und dabei auch sicher mit Schuld am Tod des Chinesen waren. Dazu kamen das gebrochene Versprechen und wer weiß, was sie sonst noch auf dem Kerbholz hatten. Das Mitleid blieb, doch die Einsicht, daß Strafe sein mußte und ich nur die Alternative hatte, sie umzubringen, zwang mich förmlich zu diesem Exempel, um sie unschädlich zu machen. Deshalb legte ich nach kurzem Zögern die Kamera auf einen Stuhl, „Gut, du kannst sie für deinen Workshop haben, aber ich brauche die Bilder, um sie mir vom Leib zu halten, außerdem solltest du noch wissen, daß du unter Umständen großen Ärger bekommen könntest, also nimm ihnen nicht die Masken ab, damit sie nichts erkennen können“ „Dann sind die beiden aber nicht auf den Fotos zu erkennen, wartet,... ich habe eine Eingebung. Wir nehmen meine Kamera, schlossen die Fensterläden und nehmen ihnen dann die Masken vom Kopf. Mit dem Blitzlicht bekommen wir trotzdem die heißen Bilder und wegen der Sicherheit braucht ihr beiden Süßen euch keine Sorgen zu 162
machen. Ich würde den Job nicht so lange machen, wenn ich nicht die geeigneten Leute im Laufe der Jahre kennengelernt hätte. Der Polizeipräfekt wird sicher gerne dafür sorgen, daß diese Männer hinterher einige Tage unter staatlicher Aufsicht verbringen werden und für mich fertige ich außerdem noch ein paar Abzüge, die mir notfalls den Ärger vom Leibe halten werden“ „Gute Idee, ich hatte schon beinahe vergessen, welch eine organisatorische Begabung du bist und wieviel Wert du immer darauf gelegt hast, dich nach allen Seiten abzusichern, da brauche ich mir wirklich keine Sorgen mehr zu machen - dann viel Spaß beim Lernen. Übrigens, ich bin auf die Bilder schon gespannt“ „Das kannst du sein Schnuckelchen. Wie geht’s eigentlich der Kleinen?“ „Durch deine Hilfe viel besser. Danke noch mal“ „Bitte gern geschehen, aber ich glaube, du bist auch nicht ganz schuldlos daran und nun verschwindet, wir haben noch zu tun“ Mit einem letzten Blick sah ich auf die Brüder und kniete mich nochmal neben Mario, der schwitzend unter seiner Ledermaske röchelte. „Wenn ihr hier heil raus kommt und euch fragen solltet, was ihr mit eurem Leben anfangen sollt, dann gebe ich euch nur den guten Rat, diesmal die Gelegenheit zu nutzen und euch einen Stein zu suchen, wo ihr euch verkriechen könnt. Schafft ihr es diesmal wieder nicht, diese Denkleistung zu vollbringen und treffe ich euch wieder, werdet ihr darum betteln, wieder hier angekettet zu werden, denn dann lasse ich euch nicht mehr laufen“ Sein Kopf nickte und die röchelnden Laute wurden stärker, „Si Signore, aber bitte verschonen Sie uns, Gnade“ „Ihr werdet es überleben, ganz im Gegensatz zu euren Opfern, also erinnert euch an meine Worte, denn wenn ihr nochmal für Fortunati arbeiten solltet, wäre das der erste Schritt in euer Verderben. Buona Sera“ Das war nun der richtige Zeitpunkt, dieses Spektakel zu verlassen, und ich winkte kurz zu Bernd herüber, der neugierig in der Ecke stand, „Komm und laß uns abhauen, ich glaube, das wird kein schöner Anblick“ „Glaube ich auch, aber haben die Typen sowas wirklich verdient?“ „Wenn nicht, muß ich das auf mein Gewissen nehmen, aber was ich von ihnen mitbekommen habe reicht, um zu wissen, daß sie vielleicht noch zu milde davongekommen sind“ Er fing etwas an zu grinsen, „Wenn das so ist, dann haben die beiden ja richtig Glück gehabt“ Noch beim Verlassen des Studios war mir so, als wenn ich das Stöhnen und Wimmern selbst hinter der Tür hören könnte, doch das wieder aufkommende Mitleid wischte ich schnell weg, sie hätten mich schon lange umgebracht, wenn ich an ihrer Stelle wäre und von Reue war keine Spur zu entdecken. Da Bernd die beiden Brüder noch im Auto durchsucht hatte, wußten wir durch den Schlüssel, daß sie im Hotel Ares abgestiegen waren und sicher wäre es nun klüger gewesen, das Zimmer sofort zu durchsuchen. Aber die Frauen warteten auf uns und ich glaubte im Moment an keine schnelle Rückkehr der Männer, so ließen wir jetzt den 163
Wagen dort stehen und fuhren mit der Metro in die City, um uns wie verabredet mit Anne und Nicole zu treffen. Wir erschienen gerade so pünktlich, aber weder der Wagen, noch die beiden Frauen waren zu sehen und mich beschlichen sofort einige Befürchtungen, während mein Freund sich die letzten Minuten ausmalte, wie hoch die Kreditkartenabrechnung sein würde. Fünf Minuten später verflogen meine Sorgen, während seine sich wohl steigerten, als das Cabrio mit einer Vollbremsung neben uns hielt und wir uns erstmal auf dem Rücksitz etwas Platz wegen der reichlichen Tüten verschaffen mußten. Bernd war etwas sauer, weil ich ihn gebeten hatte, Stillschweigen über die Mafiosi zu bewahren, denn nur zu gerne hätte er von seinem Abenteuer berichtet, aber ich mußte darauf bestehen, um Anne nicht zu beunruhigen, oder schlimmstenfalls zu warnen. So hatte jeder seine Probleme und mein vorrangigstes zur Zeit war immer noch der fehlende Anzug für den heutigen Abend. Also mußten wir anhalten und ich bestand darauf, alleine in das Geschäft zu gehen, denn nichts konnte schlimmer sein als vier Meinungen in Kleidungsfragen, wenn man unter Zeitdruck stand. Recht schnell hatte ich einen hellen Leinenanzug anprobiert, der mir mit einem edlen dunklen Hemd und passender Krawatte eine sehr angenehme Mischung aus Eleganz und Sportlichkeit verlieh, es war sicher kein Outfit für alle Tage, aber die Gesellschaft, in der ich mich befand, machte diesen Tag auch zu etwas Besonderem. Kurz darauf verschwanden meine Freunde wieder in ihrem Hotel und ich war endlich mit Anne alleine. Während ich mich erkundigte, wie es ihr ging, kam es mir fast unglaublich vor, wie sehr ich sie vermißt hatte und versuchte irgendwie, jede verlorene Sekunde ohne sie wieder aufzuholen. Noch hatte ich kein Mittel gefunden, um damit zurechtzukommen, und wie sollte das auch gehen, wenn ich ihr nur zuhören brauchte und schon überkam mich eine Gänsehaut, wie jetzt, als sie über einige Episoden des großen Shoppingabenteuers sprach. Ich ließ sie einfach erzählen und merkte, wie unbeschwert sie auf einmal wirkte, so als wäre eine große Last von ihr gefallen. Von Tag zu Tag stellte ich eine kleine Veränderung bei ihr fest, als ob die reservierte Fassade aufbrach und das Wesen dahinter bereit war, ins Licht zu treten. Nein, sie spielte kein falsches Spiel und ich hatte keine Zweifel mehr an ihr, als wir das Haus erreichten. Bevor sie ausstieg, inspizierte ich alle Räume und überzeugte mich davon, daß in der Zwischenzeit keine Überraschung dort vorbereitet wurde, dann holte ich Anne vom Wagen ab. Jetzt beim Gehen sah ich ihre vorsichtigen Schritte und nur noch mit Mühe konnte sie die Anstrengung, mit der sie lief, verbergen. Trotz allem lächelte sie und wie selbstverständlich ergriff sie meinen Arm, der ihr Halt gab, die dunklen braunen Augen gaben mir alles zu verstehen, was sie noch nicht aussprach, und nur dieser Blick reichte, um mein Herz rasen zu lassen. Es war ein Augenblick voller Reinheit, der so klar und so einfach auf das einzig Wesentliche reduziert war. Ich wollte ihr alles sagen und keine Sekunde mehr zögern, um meine Liebe und die Tiefe meiner Gefühle zu gestehen. 164
Doch ich sank nicht auf die Knie oder drückte ihre Hand an mein pochendes Herz und begann zu sprechen – Nein, etwas hielt mich zurück. Die Angst, Unsicherheit und die Hoffnung, alles mischte sich und brachte meine Gefühle dazu, Achterbahn zu fahren, so schwieg ich, auch wenn mein Herz schreien wollte. Wir erreichten ihr Zimmer und ich brachte sie zum Bett, wo sie ihre Tabletten nahm und mir versprechen mußte, sich jetzt auszuruhen, bevor ich sie verließ. Meine Gedanken waren ständig in dem kleinen Eckzimmer mit dem großen Rosenstrauß, als ich die Tüten aus dem Cabrio holte, und irgendwie mußte ich mich ablenken, deshalb kam ich nun endlich dazu, meine Mails aus dem Netz zu holen und einige aufgeschobene Dinge zu erledigen. Neben Routinesachen fand ich die Nachricht von Doktor Breitenbach. Er hatte seinen Stil immer noch beibehalten, „Mona Lisa – 17.00 Uhr– Dringend! – Der Lotse“ und das ganze war für den morgigen Tag geplant. Sicher ging es um das Tagebuch und ich hatte die Gelegenheit, ihm wegen Prora auf den Zahn zu fühlen, genau so wie auf einige andere Fragen von mir und vielleicht würde ich sogar eine Antwort darauf bekommen. Leider war weder von Jocelyn aus Sydney, noch von Conny etwas zu lesen, das mehr Licht in das Halbdunkel der Fakten bringen konnte und deshalb machte ich mir nur noch einige Notizen für meine Recherchen, die ich in letzter Zeit sträflich vernachlässigt hatte. Es war gegen neunzehn Uhr als ich wieder in Annes Zimmer schlich, um sie zu wecken. Lieber hätte ich auf das Essen verzichtet, damit die Ruhe ihre aufkommenden Beschwerden lindern konnte, doch ich hatte heute gesehen, wie sehr sie sich auf den Abend freute und das führte mich in einem großen Zweispalt. Letztendlich konnte ich aber nicht die Entscheidung für sie treffen, schließlich hatte ich einen erwachsenen Menschen vor mir und ich glaubte auch kaum, daß sie etwas gegen ihren Willen tun würde. Vorsichtig setzte ich mich auf den Rand des Bettes und sah mit einem Lächeln in ihr Gesicht, wo die Haarsträhne, die sie sich immer aus dem Gesicht zupfte, wirr über der Stirn lag. Mit einer sanften Berührung, die meine Fingerspitzen kaum über ihre Haut führte, strich ich das Haar zurecht und glitt zart über ihre Wangen bis ich sie langsam dem Schlaf entrissen hatte. Anne schlug die Augen auf und verharrte erst mal – dann, wie aus der Pistole geschossen, kam Leben in sie, „Guten Morgen“ „Nicht ganz, guten Abend wäre passender“, ich kniff etwas streng die Brauen zusammen, „Wie fühlst du dich?“ Der Sinn meiner Frage drang langsam zu ihr und einige Verrenkungen der Beine zeigten mir, daß sie ihren Zustand genauestens überprüfte, „Wenn mir nicht etwas schwindelig wäre, dann würde ich sagen ganz gut. Wie spät ist es denn?“ „Kurz nach neunzehn Uhr, wir sind gegen einundzwanzig Uhr...“ „Was nur noch zwei Stunden, los raus, ich muß noch baden, und...“, den Rest verstand ich nicht mehr, denn in der Zwischenzeit war sie aufgesprungen und hatte mich vor die Tür geschoben, oder besser, ich hatte mich schieben lassen. 165
Alle Achtung, diese Tabletten schienen es in sich zu haben und ich sollte mir für den Eigenbedarf einen Vorrat zulegen. Durch die alten Rohre hörte ich, wie das Wasser hindurchlief und machte mich nun selber daran, die Garderobe zu wechseln. Als Freund der pragmatischen Wäsche war ich nach fünf Minuten wieder unter der Dusche hervorgekommen und so konnte ich mich innerhalb einer halben Stunde fertig vor den Spiegel stellen und das passable Ergebnis betrachten, wobei es sich hier nur um meine subjektive Meinung handelte. Vorhin, während des Lesens meiner Post, hatte ich den Tisch im Restaurant bestellt. Diesmal etwas außerhalb der City, kurz hinter dem Eiffelturm am Bois de Boulogne im „La Grande Cascade“, mitten in dem Waldgebiet, das sich in einen weiten Bogen an die Seine schmiegte. Dieser Ort versprühte die Eleganz des neunzehnten Jahrhunderts, ohne verstaubt und bieder zu wirken. Das wußte ich aus eigener Erfahrung, denn mein Weg hatte mich schon einmal an diesen Ort geführt, damals leider nur zu einem Geschäftsessen mit einem französischen Verleger und nicht wegen eines so schönen Anlasses wie heute. Wieder einmal überraschte mich Anne als nach einer Stunde die Tür ihres Zimmers aufging. Sichtlich provokativ stellte sie sich in den Rahmen und wartete auf meine Reaktion, die vorerst überhaupt nicht stattfand, weil ich sekundenlang zu nichts fähig war. Sie hatte ihre Haare streng nach hinten gelegt und das Ende eines kleinen Zopfes, kunstvoll in lauter Fransen drapiert, der zusätzlich von einer funkelnden Silberspange verziert wurde. Diese paßte gut zu dem Kleid, das sie trug, klassisch geschnitten und bestehend aus champagnerfarbenem Stoff, der weich und fließend an ihrem Körper herunterglitt. Als ich sie sah, kam ich mir in meinem Anzug beinahe schäbig vor und für eine Sekunde konnte ich überhaupt nicht verstehen, warum sie überhaupt mit mir ausging. Doch zu meiner Beruhigung setzte mein recht ausgeprägtes Selbstbewußtsein wieder ein, daß mir sagte, was für ein toller Typ ich war – na jedenfalls manchmal, oder besser selten, auf jeden Fall ab und zu. Ihre Hand greifend versuchte ich, sie nicht pausenlos mit Komplimenten zu überschütten, was mir sehr schwerfiel, aber lieber flirtete ich auf das heftigste mit ihr, als daß ich mich verplapperte und von Fortunatis Männern erzählte. Trotzdem Anne vor mir stand und ich nur Augen für sie hatte, gab es einen winzigen Teil in mir, der sich mit den Ereignissen dieses Tages beschäftigte und ich schaffte es nicht ganz, sie zu verdrängen. Aber zu kostbar war mir der Abend, als daß ich sie aus ihrer ausgelassenen Stimmung riß, denn ich brauchte nur über ihre geröteten Wangen und in ihre glänzenden Augen zu schauen, um festzustellen wie gut diese Abwechslung für sie war. Vielleicht konnte ich sie bald überzeugen, sich nicht mehr um Gondoni zu kümmern und einfach mit mir zu verschwinden, ich kannte genug abgelegene Orte, wo sie lernen konnte, mit ihrem Verlust umzugehen. Rache war noch nie ein guter Ratgeber gewesen und Gold konnte nicht so wertvoll sein, als daß man auf der Suche danach sein Leben opfert und leider wußte ich dies genau, denn ich mußte erst die bittere Erfahrung selbst machen, um das zu begreifen. 166
Auf der Fahrt zum Hotel meiner Freunde war ich schweigsam und dachte beinahe schon zuviel über diese Frage nach, die sich so drängend für mich in den Vordergrund schob. Dazu verkomplizierte sich alles, weil ich Anne liebte und nun aufgegeben hatte, es zu ignorieren. Wie sollte ich das auch schaffen, denn die Anzeichen waren zu eindeutig, schlaflose Nächte und keine ruhige Minute, wenn ich nicht wußte, wie es ihr ging. War sie hingegen bei mir, war ich aufgeregt wie ein Schuljunge und hatte Angst, etwas falsch zu machen – alles in allem war das völlig normal, allerdings fühlte ich mich nicht so. Der stärker werdende Verkehr der Innenstadt verlangte nun meine ganze Aufmerksamkeit und vor dem Hotel sah ich schon Nicole und Bernd stehen, die mit einer Geste auf den linken Unterarm signalisierten, daß unsere kleine Verspätung nicht unbemerkt geblieben war. Nicole hatte sich nicht weniger chic gemacht, was ihren Mann sehr stolz an ihrer Seite stehen ließ, der sich aber immer wieder unruhig auf die Zehenspitzen stellte und die vorbeigehenden Männer argwöhnisch betrachtete. Kein Wunder, denn mit dem tief dekolletierten Leopardenkleid konnte sie schon ein mittleres Verkehrschaos verursachen. Ich ließ Anne vorne sitzen und war Nicole und Bernd beim Einstieg behilflich, um dann mit dem üblichen Small Talk durch die Straßen von Paris zum Bois de Boulogne zu fahren. Kurz vor zweiundzwanzig Uhr erreichten wir das vornehme Restaurant, in dem unser Tisch schon wartete und der gut gefüllte Saal, der nach Napoleon dem Dritten benannt war, empfing uns mit dezenter Musik und einem aufmerksamen Garçon, der uns zu den Plätzen geleitete. Schon das bloße Lesen der Karte weckte die Lust auf die kommenden kulinarischen Genüsse und als Vorspeise wählten wir so erlesene Gerichte wie, „Pâte en croûte au foie gras“ und „Langoustines et légumes en tempura“, für die sich der Weg hierher alleine schon gelohnt hätte. Lange blieben wir sitzen und genossen das herrliche Ambiente, es gab wenige Sachen im Leben, mit denen man sich die Zeit besser vertreiben konnte. So verflogen die Stunden und es wurde langsam Zeit, wieder in die Stadt zu fahren, um sich einen netten Club zu suchen, der zum Abschluß noch einen Drink zur Nacht versprach. Fündig wurden wir in der Avenue Victor Hugo in dem gleichnamigen Café, wo man Jazz und Blues spielte, der sich über das dichte Treiben in den schmalen Gängen legte. Eng beieinander saßen wir alle zusammen und während Nicole schon aus Müdigkeit den Kopf auf die Schulter ihres Mannes gelegt hatte, hakte sich Anne in meinen Arm und kuschelte sich dicht an mich und ich hatte wirklich nicht die geringste Veranlassung, irgend etwas dagegen zu unternehmen. Es war schon früher Morgen und die Cocktails zeigten langsam ihre Wirkung mit der aufkommenden Müdigkeit. Von Zeit zu Zeit schaute ich zu Anne herüber, um mich zu überzeugen, daß es ihr noch gut ging, aber der schöne Abend schien ihre Kräfte zu mobilisieren und der eiserne Wille, den ich des öfteren bei ihr bemerkt hatte, ließ sie keine Schwäche zeigen. 167
Wir brachten Bernd und seine Frau zu ihrem Hotel und wünschten ihnen noch einen schönen Sonntag, den die beiden in Ruhe alleine verbringen würden, dann ging es über die menschenleeren Straßen weiter zum Haus. Anne war mittlerweile eingenickt, ihr Kopf lehnte seitlich an der Kopfstütze und ein kaum wahrnehmbares Lächeln umschmeichelte ihren Mund. So blieb dieser Ausdruck auch als wir beide durch die Tür gingen und ich ein wenig verlegen in der kleinen Halle stand, denn ich verlangte nichts und erwartete noch weniger. Für mich war der Abend so schön gewesen, wie er verlaufen war, aber wir beide wußten, daß etwas in der Luft lag, das sich von Sekunde zu Sekunde steigerte. Ich nahm ihre Hand, eine Berührung, die weder von mir, noch von ihr so beendet wurde, wie sie begann, denn ich faßte noch einmal kurz nach und schaute in die beiden Sterne, die mich anleuchteten, bis mir bewußt war, daß ich schon viel zu lange gewartet hatte. Kein Widerstand stellte sich mir entgegen und dieses starkes Gefühl, daß sich schon so lange in meinem Brustkorb befand, drängte heraus, um nicht mehr in meinem Herzen gefangen zu sein. Spontan, ohne es gewollt zu haben, nahm ich sie einfach in die Arme und küßte sie. Tausend Gedanken und doch nichts Bestimmbares schossen mir dabei durch den Kopf, wobei das einzigste, an was ich mich überhaupt erinnern konnte, der Hauch ihres Parfüms war, der entlang ihrer Halslinie zu mir herüberschwebte. Ich weiß nicht, wie lange wir uns küßten und das war mir auch egal – ein nie gekanntes Gefühl durchdrang meinen Körper. Alles was wichtig war im Leben, mischte sich darin und verwob sich zu etwas Neuem, unbeschreiblich Einzigartigen. Dann ließ ich sie los und kein Wort fiel, noch hatte ich Angst, aber ich brauchte nur in ihr Gesicht zu schauen, um zu wissen, daß dies nicht nötig war. Sie schloß die Tür und diesmal stand ich nicht alleine auf der anderen Seite. Wie soll man das Gefühl beschreiben wenn man zum ersten Mal neben dem Menschen aufwacht, der einem mehr als das eigene Leben bedeutete – schön, toll oder einzigartig? Ich konnte es nicht in einem Wort ausdrücken, aber auch eine Million von Worten würden dazu nicht ausreichen, denn zu viele Gefühle vermengten sich und schienen alle auf einen Punkt zuzulaufen – und dieser lag friedlich schlafend neben mir. Doch um aufwachen zu können, hätte man erst einmal schlafen müssen und das gelang mir beim besten Willen nicht. Lange nachdem Anne in süße Träume eingetaucht war, schlug ich fast jede Minute die Augen auf und vergewisserte mich, daß sie noch neben mir lag und ich nicht das Opfer einer wunderschönen Einbildung geworden war. Dabei betrachtete ich ihre Silhouette, die vom Mondlicht berührt neben mir lag und ich konnte nicht wegschauen, weil sie mich gleich einer Sirene magisch anzog. Ich sah sie einfach an, stundenlang, ohne etwas zu denken, ohne mir Sorgen um etwas zu machen, es gab kein Gestern und es gab kein Morgen, nur das Jetzt war wichtig. Aber irgendwo, ganz tief in mir, wußte ich, daß dies nicht immer so sein würde, bald, sehr bald würde uns die Realität wieder eingeholt haben, die uns beide hierhergebracht hatte und doch auch bedrohte. Es wurde langsam hell und sie lag immer noch in meinen Armen, ihr weicher Körper gab mir Schutz und Geborgenheit und ich sah zu, wie gleichmäßig ihr Atem ging. 168
Ohne sie zu wecken verließ ich das Haus, um frisches Baguette aus einer nahen Brasserie zu holen, draußen zog sich der Himmel zu und als ich wieder in der Küche stand, tropfte schon der Regen gegen die schmutzigen Scheiben. Mein Elan, irgendwelchen Geheimnissen nachzujagen ging gegen Null, anstatt mir Sorgen um Gondoni, Fortunati und den Doktor zu machen, würde ich lieber die Koffer packen und mit Anne in ein abgelegenes Ferienhaus fahren. Sollten sich doch alle anderen um das alte Zeug streiten, sie wußten offenbar alle nicht, was im Leben wirklich Bedeutung hatte. Ich sollte beim Frühstück mit ihr über meine Idee reden und nicht nur darüber, denn einige ungeklärte Dinge gab es noch, die angesprochen werden mußten. Allerdings konnte ich dabei nur vorsichtig vorgehen, weil ich spürte, daß es für sie nicht einfach war, ganz auf mich zuzukommen und trotz allem, was letzte Nacht geschehen war, brauchte sie sicher noch Zeit. Die vertrauten Geräusche aus Annes Zimmer rissen mich aus den Überlegungen und wie ich erwartete hatte, saß sie heute morgen wieder im Rollstuhl. Ich hatte diesen Anblick befürchtet und auch der Unterschied, daß sie jetzt lächelnd ihre Schmerzen ertrug, konnte nicht verhindern, daß sich bei mir mein schlechtes Gewissen wegen der gestrigen Verabredung meldete. „Guten Morgen, mein Schatz“, sie zog mich zu sich herunter und gab mir einen langen Kuß, so könnte von mir aus ab heute jeder Morgen beginnen. Diesmal begann das Frühstück fröhlich und sie schwärmte von dem tollen Abend. Fast zwanzig Minuten hielt sie einen Monolog, den ich höflicherweise mit zustimmenden Nicken begleitete und der mir dabei Zeit gab, jede Nuance in ihrem Gesicht zu erforschen. Dann unvermittelt machte sie eine Pause, nach der sich langsam ihre Tonart änderte, „Gabriel?“ „Ja?“ „Ich habe heute morgen viel nachgedacht, nicht nur wegen letzter Nacht, sondern auch schon die ganzen Tage vorher. Wir beide wissen doch, was passiert ist und ich möchte nichts ungeschehen machen, aber ich habe dir auch erzählt, daß mir etwas im Wege steht und ich will nicht, daß dadurch eine Beziehung kaputt gehen könnte, die noch gar nicht richtig existiert. Mir ist es wichtig, daß du mich verstehst und auch akzeptierst, denn manchmal verstehe ich mich selber ja kaum und bei anderen Menschen ist mir das egal, aber nicht bei dir. Geduld ist etwas, daß ich im letzten Jahr lernen mußte und mir hängt es zum Hals heraus, geduldig zu sein, deshalb weiß ich, wie nervend das ist. Deshalb möchte ich dich nicht darum bitten, sondern das einzige, was ich brauche, ist dein Verständnis, damit ich irgendwann wieder jemandem vertrauen kann“ Wie schwer ihr das Sprechen fiel, konnte ich nicht nur in ihrem Gesicht, sondern auch an ihrem ganzen Körper sehen, denn nervös spielte sie mit den Händen und suchte mit den Augen im Raum einen Punkt, an dem sie sich festhalten konnte. Sanft streichelte ich ihre Wange, „Mach dir deshalb keine Sorgen, du kannst mich ruhig darum bitten, geduldig zu sein, denn das bin ich für dich gerne. 169
Leider weiß ich, wie lange es dauern kann, bis tiefe Wunden im Herzen heilen können, aber ich weiß auch, daß es geschehen wird und dann wirst du feststellen, daß es sich gelohnt hat, darauf zu warten“ „Schön, wie du das so sagst, beinahe bin ich versucht dir zu glauben und hoffen tue ich jedenfalls schon darauf, nur es ist schließlich nicht nur diese Enttäuschung von damals. Das war doch nur ein Teil der größeren Katastrophe, die mein ganzes Leben aus den Angeln gehoben hat und eines steht doch fest - so wie es einmal war, wird es nie wieder werden. Irgendwie weiß ich auch nicht mehr, ob alles richtig war, was ich im letzten Jahr getan habe. Meinen Vater macht es auch nicht mehr lebendig, wenn ich die Hintermänner finden sollte und auf diesen Schatz, sollte er wirklich existieren, kann ich auch gerne verzichten. Nur gibt es etwas sehr Verwirrendes an der Sache, denn schließlich hat mir meine Wut geholfen zu überleben und mein Haß hat mich dazu gebracht, aus diesem dämlichen Stuhl aufzustehen. Wenn ich das alles wegwerfe, was bleibt da noch von mir übrig?“ „Das kann ich dir ganz genau sagen - eine intelligente, emotionale, humorvolle, und nicht zu vergessen, wunderschöne Frau. Mit all dem gehörst du zu einer Minderheit und bist deshalb ein ganz besonderer Mensch, der für mich einzigartig ist“ Jetzt hatte ich sie doch wieder zum Lachen gebracht, „Sag mir nicht immer so schöne Sachen, daran könnte ich mich richtig gewöhnen“ „Ausgezeichnet, dann werde ich sicher nicht damit aufhören, bis du süchtig danach bist. Du weiß sicher, daß ich damit noch stundenlang weitermachen könnte, aber langsam sollten wir uns überlegen, was jetzt geschehen soll. Ich würde mit dir gerne in ein kleines Ferienhaus an einem abgelegenen Strand fahren und den ganzen Ärger einfach vergessen. Schwimmen, vielleicht etwas segeln und ich würde mich natürlich darum kümmern, daß du fleißig deine Übungen machst, so wie der Doktor es gesagt hat. Was hältst du davon?“ Wieder wurde sie traurig und sah irgendwo ins Nichts, „Du weißt gar nicht, wie gerne ich das mit dir machen würde, aber ob ich will oder nicht, ich bin gezwungen diesen Weg bis zum Ende zu gehen“ Ich schaute sie etwas irritiert an, „Das verstehe ich nicht. Wer sollte etwas dagegen machen können, wenn wir einfach verschwinden?“ „Du kennst leider noch nicht die ganze Wahrheit. ‚Sie’ werden uns finden, so wie diese Leute mich im Krankenhaus damals auch schon gefunden haben. Vielleicht hat du aus meiner Erzählung den Eindruck gewonnen, daß Carmen und ich aus Abenteuerlust und Rachegelüsten solange gesucht haben, bis wir endlich die Spur von diesem Gondoni gefunden hatten. So war es aber nicht, denn unsere Suche war eher eine Flucht, bei der man uns schon einmal fast erwischt hätte und wo wir nur knapp seinen Leuten entkommen waren. Carmen überzeugte mich dann, daß sie uns früher oder später kriegen würden und der einzige Weg, diesem Treiben ein Ende zu machen, wäre, selber diese Männer zu jagen, bevor sie uns erwischten. Deshalb haben wir uns in Florenz auf die Lauer gelegt und deshalb sind wir uns auch nur begegnet“ 170
„Dann hatte es wenigstens etwas Positives, aber lassen wir mal alles andere drum herum weg, wieso sind Gondonis Leute hinter dir her, wenn die Karte aus der Vase vernichtet worden ist?“ „Es stimmt, die Karte von Pasquini ist verbrannt, aber es existiert eine perfekte Kopie und leider bin ich diese zweite Karte“ Zuerst begriff ich nicht ganz, was sie meinte, „Was bist du?“ „Du hast sicher schon mal etwas von einem fotografischen Gedächtnis gehört, Gabriel. Ich besitze solch ein Gedächtnis und das war im Krankenhaus als auch an der Universität bekannt. Irgendwann hat es wahrscheinlich Gondoni herausgefunden und eine Möglichkeit gesehen, doch noch an die Goldkisten heranzukommen und damit begann meine Odyssee“ Nun wurde mir einiges begreiflich und gleichzeitig mußte ich auch einsehen, daß Anne recht zu haben schien bezüglich unseres gemeinsamen Verschwindens, „Manchmal wird man durch die Umstände getrieben und hat kaum einen Einfluß darauf, ich kenne das leider nur zu gut von früher“ Anne schaute mich kurz an und jetzt war sie es, die nach meiner Hand griff, „Ich weiß, daß du mir in den letzen Tagen sehr viel zugehört hast, aber du darfst mir glauben, auch ich habe das bei dir getan. Etwas hast du immer umschrieben und bist dieser Sache ausgewichen, willst du mir nicht die Geschichte erzählen?“ Mit unsicheren Händen drehte ich immer meine Tasse und stierte auf die braune Flüssigkeit, die mir aber nicht meine Frage beantwortete, ob es falsch war, Anne etwas davon zu erzählen. Schließlich war es kein Musterbeispiel, wie man zivilisiert mit einer Konfliktsituation umgehen sollte und ich war schon nicht mehr stolz darauf gewesen, als es damals gerade vorbei war. Trotzdem blieb, daß ich seither ein anderer Mensch war, vielleicht nicht unbedingt ein besserer, aber doch etwas weiser und mit dem größten Respekt vor dem Wert des Lebens. Diese Frau, die mir gegenübersaß und meine Hand hielt, war kein dummes Zimmerpflänzchen. Sie wußte selbst, was es hieß etwas zu verlieren, was es bedeutete für etwas zu kämpfen und weil ich sie liebte, hatte sie auch jedes Recht der Welt mein letztes und düsterstes Geheimnis zu erfahren. Als ich stockend begann, schienen auch die alten verborgenen Gefühle wieder aufzutauchen und sie begleiteten mich, als ich in meinen Erinnerungen weit zurück ging, in die Zeit, als meine Eltern sich von zu Hause verabschiedeten, um nach Mexiko abzureisen. Mein Vater war Archäologe und meine Mutter begleitete ihn schon jahrelang als Fotografin. Beide planten, bei dieser Reise einen Bildband von den Ruinen der Maya in Mittelamerika zu machen und freuten sich schon sehr darauf. Sie streiften Yucatán nur kurz und zogen zu den weniger bekannten Stätten im Grenzgebiet zu Guatemala, wo ein Ausgrabungsteam auf die beiden wartete, das sie zu einigen kleineren Grabungsplätzen brachte. Die Arbeit ging gut voran und nebenbei halfen sie dem Team bei den Vermessungen, das für jede Unterstützung dankbar war und sie deshalb bat, noch für einige Zeit dort zu bleiben. Ihre Leidenschaft siegte und es vergingen einige Wochen im Camp, die nicht ungewöhnlich verliefen, bis meine Eltern einem kolumbianischen Drogenhändler auf 171
die Schliche kamen, der durch dieses Gebiet seine Ware auf geheimen Routen nach Norden brachte. Scheinbar perfekt organisiert wurden über verschlungene Dschungelpfade und auf gut ausgebauten Straßen die Drogen transportiert und von geschmierten Polizisten bestens bewacht, bis sie die Vereinigten Staaten erreichten. Noch bis heute glaubte ich fest, daß meine Eltern sich der Gefahr nicht bewußt waren, oder sie maßlos unterschätzten, denn anstatt dem Ärger so weit es ging aus dem Weg zu gehen, alarmierten sie die Behörden, die selber scheinbar eine zwielichtige Rolle in dieser Sache spielten. Damit hatten sie ihr Todesurteil unterschrieben und es war für den Kopf der Verbrecher leicht, im Dschungel eine Falle vorzubereiten, um sie zu verschleppen und dann umzubringen. Mich erreichte die unfaßbare Nachricht mitten im Studium und zuerst war die Trauer so stark, daß ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Doch als sich der überlebende Führer der Expedition dem deutschen Konsul anvertraute und mir dieser Bericht in die Hände fiel, hatte ich nur noch den Gedanken an Rache, der mich so stark verfolgte, daß ich alles stehen und liegen ließ und mich nach Mexiko aufmachte, wo sich die Justiz viel Zeit ließ – offenbar solange, bis die Angelegenheit im Sande versickert war. Als ich dort angekam, wirbelte ich damals in meiner naiven Art soviel Staub auf, daß ich mich zwei Wochen später schwer verletzt in einem abgelegenen Küstendorf wiederfand und dort notdürftig von einem alten Padre versorgt wurde. Denn der Kolumbianer hatte mir seine Killer auf den Hals gehetzt, die nachts in meinem Hotelzimmer auf mich gewartet hatten und nur ein Zufall ließ sie ihr Werk nicht beenden. Der Hotelbesitzer war ein guter Mann und schien schlau genug zu sein, um deshalb keinen Ärger haben zu wollen, als er mich mehr tot als lebendig fand und zu seinem Cousin bringen ließ, der ein einfaches Motel in einem abgelegenen Ort an der Pazifikküste hatte, wo ich Unterschlupf und Pflege erhielt. Francisco Chispa, der in dem kleinen Kirchlein auf einem Felsen hoch über dem Meer lebte, war der Padre, der die Wunden meines Körpers versorgte, doch es dabei nicht vermochte, den Schmerz meiner Seele zu heilen. Es dauerte Monate bis ich meine Kraft wiedererlangte und der Haß begann mich wieder in seinen Bann zu ziehen. So verließ ich diesen Ort, an den ich jedoch später wiederkehren sollte. Die Zeit hatte nicht ausgereicht, um das Verlangen nach Rache zu besiegen und mir war währenddessen nur klar geworden, daß ich mit meinen Fähigkeiten kaum eine Chance hatte, gegen diese erfahrenen Verbrecher anzukommen. Also faßte ich den Entschluß, mich als Söldner anwerben zu lassen. Es war die schnellste und effektivste Möglichkeit, eine militärische Ausbildung zu bekommen und dabei das Überleben im Dschungel zu erlernen. Mit gefälschten Papieren landete ich in einem Ausbildungslager einer Guerillaeinheit in Peru, die in ein paar Andentälern ihr Unwesen trieb und den Behörden einiges Kopfzerbrechen bereitete. Mich interessierten nicht ihre Ziele und Forderungen und anfangs war ich sogar blind dafür, weil ich diese Leute selber nur für meinen Vorteil benutzte und auf meine Pläne fixiert war. Ich verachtete sie sogar und einige hatten das 172
auch verdient, aber ich lernte auch Menschen kennen, die von der Not getrieben wurden und versuchten, sich einfach aus Verzweiflung zu wehren. Kein Mann kann es lange ertragen, wenn seine Familie hungert und er wird fast wahnsinnig, wenn nachts seine Kinder deshalb weinen. Selbst mir als Außenstehendem ging das unter die Haut und ich begann, mit diesen Menschen zu leiden – begann, ihr Schicksal zu teilen. Dort entstand ein Tagebuch, der bescheidene Anfang, aus dem sich später meine Leidenschaft zum Schreiben entwickeln sollte. Es bildete sich ein Grüppchen um mich, das auf Ausgleich bedacht war, mit Leuten, die erkannt hatten, daß nur der Frieden eine Hoffnung für die Zukunft ihrer Kinder war. Meine Bildung brachte mir einiges Ansehen, eine Normalität, die ich zu Hause als selbstverständlich empfand, wurde hier in der Abgeschiedenheit zu etwas Besonderem. Jedoch mußten wir zunächst gegen den überlegenen Feind in den eigenen Reihen kämpfen, meist Kerle, die nur auf Mord und Plündern aus waren und sich jeder friedlichen Lösung in den Weg stellten. Wir fochten einen harten Kampf, dessen Ende einige gute Männer nicht mehr erlebten, und so war es ein teuer erkaufter Sieg, der nur dann einen Sinn haben würde, wenn wir erfolgreich mit den Behörden verhandeln konnten. Ein ebenso anstrengendes, wie gefährliches Unternehmen, an dessen Ausgang die Hoffnung so vieler Menschen hing. Menschen wie Pepe Ramirez, den beiden Pinedo-Brüdern, die sich in die gleiche Frau verliebt hatten, und auch Maria de Silva, welche aber nur „Dulce“ gerufen wurde, was ich in ein „Dulcinea“ abgewandelt hatte und mir so die Sympathien der fünfzigjährigen Señora einbrachte. Unser Vorhaben gelang, auch wenn es nur ein Kompromiß war, den viele mit einigen Bedenken angenommen hatten. Dennoch blieb es ein Sieg, denn ein winziger Flecken Erde bekam seine Ruhe zurück und irgendwo auf der Welt gab es einen kleinen Punkt mehr, wo die Leute nach vorne blicken konnten. Trotz all dieser Ereignisse brannte das Feuer der Vergeltung immer noch in mir, zu jung war ich damals, um auf meine eigenen Zweifel zu hören und so brach ich nach Kolumbien auf, wild entschlossen, meinen Feind zu stellen. Meinem alten Waffengefährten Pepe Ramirez konnte ich es nicht ausreden, mich zu begleiten, genauso wie Pedro Pinedo, jener Bruder, der nicht von der geliebten Frau erwählt wurde und daraufhin keine Gelegenheit ausließ, sich umbringen zu lassen – was mich immer ein doppelt wachsames Auge auf ihn werfen ließ. Wir töteten den Mann, der für die Ermordung meiner Eltern verantwortlich war und befreiten dabei eher zufällig den Sohn eines reichen venezolanischen Geschäftsmannes, für den ein enormes Lösegeld gefordert wurde und der sich später mir gegenüber mehr als großzügig dafür gezeigt hatte. Pepe starb in diesem letzten Kampf und Pedro, der sich nichts sehnlicher wünschte als den Tod zu finden, half mir ihn zu begraben. Was ich die ganze Zeit erhofft hatte, war vollbracht, aber das konnte meine Trauer nicht stumm machen und meine Wut war immer noch in mir, die sich erst langsam in 173
Weisheit wandelte. Dabei half mir der alte Padre, zu dem ich mit Pedro nach diesen Ereignissen zurückkehrte. Es war eine Zeit, in der ich gegen den schlimmsten Gegner kämpfen mußte, mich selbst, und gegen ihn siegreich zu sein bedeutete, sich eigenhändig zu vernichten, oder das Schicksal zu akzeptieren und so lernte ich damals mit dem Schmerz zu leben. Mein Atem ging schwer als ich ausführlich die damaligen Geschehnisse erzählte und dies änderte sich nur langsam, nachdem ich geendet hatte. Anne hatte die ganze Zeit stumm zugehört und hielt immer noch meine Hand. Es war schön, einfach darüber zu sprechen, ohne mich dabei schwach und verletzbar zu fühlen. Der Kaffee war kalt geworden und der Regen hatte sich verstärkt, alles paßte zu der nachdenklichen Stimmung, die momentan im Raum lag. „Du siehst, ich verstehe dich besser als du vielleicht gedacht hast und ich weiß, was in dir vorgeht, wenn du von deinem Vater sprichst, auch ohne in dein wunderschönes Gesicht zu sehen“ Sie sagte nichts und nickte nur, dann nahm Anne etwas aus einem Beutel, der immer an dem Rollstuhl hing und gab es mir in die Hand, „Hier bitte, Gabriel, das möchte ich dir schenken, damit du immer an mich denkst“ Ich nahm die dünne Kette mit dem kleinen Anhänger aus Gold und betrachtete sie, „Du brauchst mich nichts zu schenken, damit ich mich an dich erinnere – wenn ich auch alles in meinem Leben vergessen sollte, dich bestimmt nicht“ „Mein Vater hat mir diese Münze geschenkt, als ich noch ein kleines Mädchen war. Er ließ einen Anhänger daraus machen und ich habe es seitdem immer getragen, bis zu dem Tag als er gestorben ist. Damals legte ich sie in meine Schatulle, weil ich sie nicht mehr tragen konnte, aber es ist für mich immer noch das kostbarste, was ich besitze und nun möchte ich, daß du diese Kette bekommst, damit sie dir Glück bringt“ „Ich danke dir, aber vielleicht sollte es uns zusammen lieber Glück bringen, denn...“, Schritte im der Halle ließen mich plötzlich aufschrecken. Sofort hatte ich reagiert und Marios Waffe gezogen, doch das tat ich nicht allein, denn Anne griff genauso schnell zu ihrem Beutel und beförderte eine handliche Browning zu Tage, die nun ebenfalls auf die Tür gerichtet war. Beide warteten wir was geschehen würde, wobei ich mich langsam vor Anne schob, um sie bei Gefahr schützen zu können, doch leise flüsterte sie in mein Ohr, „Gabriel! Wenn du nicht gleich aus meiner Schußlinie verschwindest, dann könnte es sein, daß ich dich erwische, also verschwinde Liebling“ „Ähhh, ich wollte doch nur, das sie zuerst mich sehen und...“ „Keine Chance, ich passe schon auf dich auf. Carmen hat mir eine Menge beigebracht, also braucht du keine Angst zu haben, solange ich bei dir bin“ „Hab ich nicht, aber in den Filmen beschützt immer der Junge das Mädchen“ „Filme? Seit wann stimmt denn, was im Kino gezeigt wird? Paß lieber auf, die Schritte kommen näher“ Mit einem Schwung öffnete sich die Tür und Carmen schaute verdutzt in die Läufe unserer Waffen, dabei warf sie einen prüfenden Blick in den Raum, ob sie den Anlaß dieser Aufregung erkennen konnte, „Bonjour, Señora y Señor, nette Party bei euch 174
beiden. Moment, ich hole gleich auch meine Pistole heraus und dann können wir vergleichen, wer die größte von uns hat, OK?“ „Carmen, laß die Witze, du hast uns einen Schreck eingejagt, schließlich hättest du auch klopfen, oder rufen können“ „Also Anne, in dem letzten halben Jahr haben wir uns hier so oft versteckt und ich habe nie angeklopft, meinst du, nur weil wir ausnahmsweise Besuch haben, werde ich...“ sie sah zu mir, dann zu Anne und sicher hatten wir völlig unschuldige Gesichter, trotzdem spürte sie wohl das etwas passiert war, „Gut, dann klopfe ich eben beim nächsten Mal an. Das ist kein Problem, denn ich weiß, wie das geht und jetzt laß dich drücken, Kleine“ Die beiden Frauen begrüßten sich und auch ich kam bei Carmen mit einem milden Handschlag gut weg. Während der ersten Minuten wurde der übliche Small Talk gehalten, während Carmen ihr Gepäck in eine Ecke stellte und erzählte, daß Diana LeClaire am Nachmittag hier eintreffen würde. Sie schien mit Carmen einen Treffpunkt ausgemacht zu haben, um von ihr zum Haus gebracht zu werden. Mir war diese Entwicklung sehr recht, denn so konnte ich heute Abend mit dem Model reden, die wohl für einige Zeit an einem geheimen Ort Urlaub machen mußte, damit Fortunati nicht noch einmal auf die gleiche Idee, wie mit dem Sender, kommen würde. So gab ich Carmen den eindringlichen Rat, Diana nicht direkt herzubringen und sehr vorsichtig zu sein, worauf sie nur nickte und mir lächelnd sagte, daß sie keine Anfängerin mehr wäre. Ich wußte das mittlerweile und da die beiden Frauen scheinbar einiges alleine zu bereden hatten, kam ich mir etwas fehl am Platze vor, weshalb es ausgezeichnet paßte, daß ich mich langsam beeilen mußte, um den Termin mit Doktor Breitenbach einzuhalten. Aus diesem Grund verabschiedete ich mich kurz, wobei Anne und ich zögerten, uns vor Carmen zum Abschied zu küssen, was mich im Nachhinein an die guten alten Zeiten in der Schule erinnerte und dann machte ich mich mit dem Mercedes auf den Weg. Da Carmen im Haus war, brauchte ich mir wegen Anne keine großen Sorgen zu machen und während der Fahrt überlegte ich schon, wie ich dem Doktor schonend beibrachte, daß sich unsere Zusammenarbeit nach diesem gefährlichen Beginn in Prora jetzt schnell einem jähen Ende zuneigte. Halb in Gedanken fuhr ich in die Innenstadt und hoffte, daß der Regen bald aufhören würde, denn bei diesem Wetter war die Orientierung in der fremden Stadt recht schwierig. Dazu schlug es sich auch auf meinen Nacken, der nun unangenehm zu ziehen begann. Endlich hatte ich in der Nähe des Louvre einen Parkplatz gefunden und kaufte bei einem afrikanischen Schwarzhändler einen Regenschirm, da meine hochgeschlagene Jacke kaum noch Schutz bot und das Wasser sich vorzugsweise den Weg am Rücken entlang suchte. Die Leute auf den Straßen schienen es alle eilig zu haben, durch die dicken Wolken hatte die Sonne keine Chance durchzukommen und die einsetzende Dämmerung ließ eine depressive Stimmung auf den Straßen herrschen, welche auch von den vielen Autos mit ihren Scheinwerfern nicht gemildert werden konnte. 175
So betrat ich wie ein begossener Pudel das Museum, mir war kalt und ich war naß, dazu wollte überhaupt nicht hier sein und sehnte mich nach dem knisternden Kaminfeuer im Haus. Die trübe Stimmung draußen schlug auf das Gemüt und ich fühlte ich mich lausig, aber andererseits erschien mir ein Treffen mit dem Doktor doch zu wichtig, um es als lästig abzutun. Eilig suchte ich den Saal, wo die Mona Lisa zu finden war und bemerkte dort natürlich den grauhaarigen Mann, der in einem dunklen Mantel vor dem Gemälde stand und sich gelegentlich zu den Ausgängen wandte. Ich nahm mir die Zeit, mich kurz nach etwaigen Freunden von Doktor Breitenbach umzusehen, aber außer den üblichen Touristen und gedankenverlorenen Kunstliebhabern sah ich nichts Verdächtiges. „Das Wetter ist nichts im Vergleich zu Italien, oder?“, ich hatte einen günstigen Moment abgewartet, um ihn von hinten zu überraschen. „Kronau! Sie können mich doch nicht so erschrecken. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, ich bin ein alter Mann und mit so etwas können Sie mich glatt ins Grab bringen“ „Hören Sie auf, Doc. Sie sehen doch richtig fit aus, das liegt bestimmt daran, daß andere Leute vorzugsweise für Sie ins Gras beißen, stimmt’s? Was ist in Prora schiefgelaufen?“ Er nickte leicht und schaute sich vorsichtig um, „Alles, Kronau, so ziemlich alles ist schief gelaufen. Ich hatte nicht erwartet, daß es so gefährlich werden könnte und hätte Sie nie geschickt, wenn das vorauszusehen gewesen wäre. Das einzig Positive an der Sache ist das Tagebuch, aber Lüttjens und seine Frau sind tot. Ich bin hergekommen, um Sie zu warnen“ Ich konnte zunächst gar nicht glauben, was ich gehört hatte, „Verdammt, ich habe doch Ihrem Kontaktmann gesagt, daß jemand auf den Mann aufpassen soll. Ausgerechnet der alte Lüttjens und seine nette Frau, ihr Tod ist doch absolut sinnlos. Wie ist es passiert?“ „Sie haben recht, aber auch wir haben einen Mitarbeiter dabei verloren, es war also nicht so, daß Ihre Warnung ungehört geblieben ist. Das Haus von Lüttjens ist abgebrannt und offiziell sieht es nach einem Unglück aus, aber ich glaube nicht an solch einen Zufall, so kurz nach diesem Überfall. Außerdem war unser Agent in ausgezeichneter Form, es wäre sicher kein Problem gewesen, den Flammen zu entkommen, deshalb bin ich mir sicher, daß Gondoni dabei seine Hand wieder im Spiel hatte, schließlich ist seine Art, die Dinge zu erledigen“ „Seine Art, die Dinge zu erledigen? Gut, daß wir gleich zur Sache kommen. Jetzt rücken Sie mal mit der Sprache raus, was hinter der ganzen Angelegenheit steckt. Ich will nämlich wissen, mit wem ich es zu tun haben - besonders bei Leuten, die vor Mord nicht zurückschrecken und tischen Sie mir keine Märchen auf, Doc. Denn ich glaube, nachdem ich meinen Hals für Sie riskiert habe, besteht ein gewisses Recht für mich, die Wahrheit zu erfahren“ Er verrenkte ein wenig den Kopf und schob mich etwas von einer Menschentraube weg, die gerade dabei war, Leonardos Werk zu bewundern, „Das ist nicht so einfach, Kronau, die Sache ist... sie ist einfach zu groß, verstehen Sie?“ 176
„Nein Doc, das kann ich nicht verstehen, weil Sie es mir nicht erzählen wollten, dafür verstehe ich aber langsam, daß Sie nur einen Idioten gesucht haben, der für Sie die Drecksarbeit erledigt und dafür auch noch was auf die Socken bekommt, so wie im Castello, an der Ostsee und hier in Paris“ „Paris? Was ist hier passiert?“ „Ich habe gestern etwas Ärger mit zwei Männern bekommen, die mir in Fortunatis Auftrag schon in Florenz aufgelauert haben. Das hat sich dann für die beiden nicht so entwickelt, wie sie dachten, und deshalb weiß ich auch, daß sich Fortunati jetzt wohl sehr gut mit Gondoni versteht“ „Das mit Fortunatis Männern wissen Sie also auch schon, ich habe es selbst erst gestern erfahren und wollte nicht, daß Sie ihnen ins Messer laufen. Aber deshalb habe ich das Treffen nicht vereinbart, mir war es wichtiger Sie zu warnen, nachdem sich Benedetto di Gondoni und Paulo Fortunati offenbar verbündet haben. Es wäre sicher besser, wenn Sie sofort untertauchen würden, denn alles scheint außer Kontrolle geraten zu sein und ich habe nicht die Möglichkeit, Sie zu beschützen. Lüttjens ist der beste Beweis für die Kaltblütigkeit mit der diese Leute vorgehen, um jeden Zeugen loszuwerden“ „Ich hätte mich heute sowieso von Ihnen verabschiedet - nehmen Sie es nicht persönlich. Aber vorher werden Sie mir sicher noch ein paar Fragen beantworten, das sind Sie mir nämlich schuldig, damit ich überhaupt weiß, vor wem ich untertauchen muß“ „Kronau, wir wollen nicht vergessen, daß Sie selbst schon bis zum Hals in der Geschichte gesteckt haben, bevor wir uns trafen, allerdings glaube ich auch das Sie sich die Antworten verdient haben. Jedoch ist genau dieses Wissen auch tödlich und wie Sie es auch drehen und wenden wollen, an dem Tag, an dem sie in Florenz eingetroffen sind, war Ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert“ „Doc, ich kann nicht behaupten, daß mir das egal ist, aber wer mich aus welchem Grund im Visier hat, möchte ich schon wissen, oder glauben sie ernsthaft das ich Lust habe mich für immer zu verstecken? Das ist wirklich nicht mein Ding“ Irgendwo in der Weite des Raumes suchte der Doktor nach einer Antwort, ob er mir die Wahrheit sagen sollte und er schien sie momentan nicht zu finden. Ich merkte das er schwankte und hatte ihm deshalb so zugesetzt, denn was auch hinter Gondoni steckte, dieser Mann schien solange hinter Anne her zu sein, bis sie ihm den Weg zu den Goldkisten zeigen würde und schon deshalb mußte ich wissen, welches Geheimnis den ehemaligen NATO-Offizier umgab. Endlich schien Doktor Breitenbach eine Entscheidung getroffen zu haben, „Kronau, kennen Sie sich in römischer Mythologie aus?“ „Römische Mythologie? Im Rahmen eines vorbelasteten Elternhauses habe ich schon mal was davon gehört. Wie kommen Sie jetzt darauf, Doc?““ „Wissen Sie, was darin die Lemuren sind?“ „Lassen Sie mich überlegen,... ich glaube es sind Geister, oder so etwas in der Art. Moment,... sagen Sie mir jetzt nicht, daß wir in eine übersinnliche Geschichte mit Gespenstern und Vampiren eintauchen“ 177
„Vor denen hätte ich weit weniger Angst, Kronau. Sie haben recht, die ‚Lemuren’ sind römische Todesdämonen, die heute niemandem mehr Angst und Schrecken einjagen, aber leider gibt es eine Gruppe von Leuten, die unter diesem Namen operieren und genau das perfekt können. Eine schattenhafte Terrororganisation, deren eigentliche Ziele niemand kennt, die aber weder vor Mord, noch vor Erpressung und Entführungen zurückschreckt und die weltweit aktiv ist“ Zunächst stutzte ich, denn mir fiel es schwer plötzlich in solchen Dimensionen zu denken, „Von solch einer Organisation habe ich noch nie gehört und was hat Gondoni damit zu tun?“ „Sehr einfach, ich vermute, daß er genauso wie Almera und einige ihrer ehemaligen Kameraden für die ‚Lemuren’ arbeitet, vielleicht sogar zu ihnen gehört. Das Ihnen diese Gruppe unbekannt ist, wundert mich kaum, schließlich haben die betroffenen Regierungen darüber ein Stillschweigen vereinbart, denn es ist für jede Behörde schwierig, der Öffentlichkeit einen Anschlag zu erklären, ohne daß sich jemand dazu bekennt. Aber es gibt immer genügend Trittbrettfahrer, die beinahe darum betteln, verantwortlich gemacht zu werden und somit wird dann jede Aktion der Lemuren den üblichen Verdächtigen in die Schuhe geschoben“ „Terroristen? Damit hätte ich nicht gerechnet, aber es ist doch merkwürdig, daß niemand irgendwelche Forderungen stellt, ich meine, irgend etwas wollen doch die Leute damit bezwecken“ „Das ist richtig, aber genau dadurch schützen die ‚Lemuren’ ihre Identität, niemand kann sie einer Interressengruppe zuordnen und es findet sich kein Ansatzpunkt um an die Hintermänner heranzukommen. Selbst die zeitlichen Parallelen zwischen den Reisen der ehemaligen Angehörigen von ‚Limes’ und den darauffolgenden Anschlägen wurde nur durch Zufall bei einer Sicherheitsprüfung für potentiell gefährdete NATOGeheimnisträger entdeckt. Vielleicht wollen sie die Gesellschaft erst ins Mark treffen und beginnen dann Forderungen zu stellen, ich würde viel geben wenn ich wüßte was dahintersteckt. Sie gehen auch nicht nur gegen gegen staatliche Ziele vor, sondern scheinen es auch auf Wirtschaftsunternehmen abzusehen, die mit Vorliebe erpreßt werden, manchmal sogar bis in den Ruin getrieben werden und das macht diese Leute so unberechenbar“ „Also Doktor, wenn diese Leute solch eine Gefahr darstellen, kann mir nicht vorstellen, daß nicht jede Regierung ihre Möglichkeiten nutzt und alles vom Geheimdienst, bis zu den Pfadfindern aufbietet, um dagegen anzugehen“ „Vollkommen richtig, aber wir haben es hier mit einer Organisation zu tun, die überall ihre Spitzel hat und bisher immer gewarnt worden ist, wenn ihr jemand zu nahe kam. Normalerweise verstecken sich solche Leute und man kommt ihren über die Logistik auf die Spur. Sie brauchen Waffen und Nahrungsmittel, Fahrzeuge und einen sicheren Unterschlupf. Da gibt es immer einen Fehler, der begangen wird und den wir ausnutzen konnten, aber die Lemuren verschwinden sofort wieder ins Nichts. Das beste Beispiel war bisher Gondoni, ein pensionierter Exmilitär, der seinen Hobbys nachging. Plötzlich verschwand er ein paar Tage, etwas passierte und dann 178
erschien er wieder in seinem Lieblingsrestaurant, als ob nichts geschehen wäre. Gibt es einer perfektere Tarnung?“ „Doc, Sie wollen mir doch sicher nicht erzählen, daß man vergessen hatte, Gondoni bei solchen ‚Reisen’ zu beschatten, um herauszubekommen, wohin er abtaucht“ „Natürlich, Kronau, nur das brachte überhaupt nichts, weil er offenbar immer gewarnt worden ist und so haben die observierenden Agenten mit ihm öfters eine Tour zu den schönsten Golfplätzen Europas gemacht. In der Zwischenzeit hatte dann jemand anders seinen Job erledigt, während sich alle auf Gondoni konzentriert hatten und das Gleiche passierte durchweg auch mit seinen Kameraden. Nach einer Weile zerstreute sich der Verdacht, aber für mich sind die Indizien stichhaltig, daß es in entscheidenden Positionen Informanten gibt, die den ‚Lemuren’ in die Hände spielen. Überlegen Sie sich den Aufwand des Überfalls an der Ostsee, das waren Spezialisten, vielleicht ehemalige Militärs, oder sogar Männer, die noch im aktiven Dienst sind, offensichtlich weltweit verstreut. Die sitzen jetzt möglicherweise irgendwo in einer Kaserne und zählen das Geld aus ihrem Nebenjob. Sie denken vielleicht, daß ich mit meinen Aussageb übertreibe, aber seitdem am Castello diese Aktion stattgefunden hat, werden zwei Mitglieder einer italienischen Antiterroreinheit in ihren Stützpunkten vermißt. Eventuell gehörten sie zu den Toten, die aus dem zerstörten Castello verschwunden sind - dort ist offiziell übrigens ein Tankwagen explodiert. Macht Sie das stutzig, Kronau? Mich schon, und was aber noch viel schlimmer ist, wer hat die Macht so etwas zu vertuschen?“ Es gab Fragen, auf die wollte man keine Antwort finden, weil man Angst davor bekam, mir ging es jedenfalls jetzt so, „Es ist wirklich unglaublich - Was Sie mir erzählen, hat mehr von einer Verschwörung an sich, als von bloßem Terror und das alleine wäre schon schlimm genug“ „Leider richtig, das findet auch der Minister in Berlin und er hat mich zum Handeln autorisiert, nachdem durch die Ermittlungen Gondoni ins Blickfeld gekommen ist. Ich komme geradewegs von einer Besprechung mit einem Sonderreferenten des Innenministeriums und meinem Chef aus Pulach, die dafür extra in die Nähe von Paris gefahren sind, um die Unterbrechung meiner Nachforschungen dadurch zu verkürzen. Wir können diese Chance, Gondoni langfristig im Auge zu behalten, nicht vorbeiziehen lassen, weil es durch die alten Kisten erstmalig einen Ansatzpunkt für seine weiteren Pläne gibt“ „Der alte Schatz, ich verstehe auf was Sie hinauswollen. Folgen Sie der Spur der Kisten, haben Sie auch Gondoni und stoßen dann wohlmöglich auf die Anführer der Terroristen“ „Das haben Sie richtig erkannt, Kronau. Ich weiß natürlich auch, daß es eine verschwindend kleine Chance ist, aber das ist das Beste, was wir jemals bekommen haben“ Mir lag seine Erzählung immer noch schwer im Magen und trotzdem sortierte ich schon seine Fakten im Kopf, die mir soweit plausibel erschienen – bis auf einen Punkt, „Doc, Sie glauben überhaupt nicht, wie sehr ich hoffe, daß Sie erfolgreich sind. Aber ich frage mich, ob Gondoni nicht vielleicht den Kisten aus reinem Privatvergnügen 179
nachjagt und diese Sache gar nichts mit den ‚Lemuren’ zu tun hat. Denn für einen Pensionär können einige Millionen in Gold verlockend sein, doch lohnt sich der Aufwand bei einer weltweit agierenden Terrorgruppe, die sich die finanziellen Mittel sicher einfacher beschaffen könnte?“ „Geld ist Geld, aber Ihr Einwand ist nicht ganz unberechtigt und ich sagte schon, es ist eine verschwindend kleine Chance. Allerdings hat Gondoni in dieser Sache kaum alleine gehandelt und die Ausführung der Aktionen war eigentlich schon viel zu teuer, um beim Verkauf des Schatzes, sollte er ihn wirklich finden, noch einen Gewinn zu machen. Das ist ein Punkt, der mich selbst zweifeln läßt, aber solange er hinter den Kisten her ist, werde ich versuchen, an seinen Fersen zu bleiben. Leider kennen Sie ja schon von mir unser kleines Sicherheitsproblem mit dem Maulwurf und deshalb muß ich alleine weitermachen, gerade deswegen wäre mir Ihre Hilfe weiterhin willkommen“ „Netter Versuch, Doc, und Sie könen mir glauben das ich Sie verstehe, aber in den letzten Tagen haben sich meine Pläne geändert und ich bin nicht mehr scharf darauf, nochmal eine Zielscheibe zu spielen. Allerdings bin ich nicht blöd, auch wenn ich manchmal so ein Gesicht mache, und natürlich habe ich mitbekommen, wie brisant die ganze Geschichte in Wirklichkeit ist. Vielleicht ist es mir möglich, Ihnen bei dem Versteck der Kisten zu helfen, dann sind Sie schon vor Gondoni dort und können machen, wozu Sie auch immer befugt sind. Doch dazu muß ich zuerst mit jemanden reden und versprechen kann ich Ihnen in der Sache nichts“ Fragend, beinahe überrascht, sah er mich an, „So? Das hört sich sehr interessant an, um wen handelt es sich denn?“ „Belassen wie es erstmal dabei, Doc. Ich habe eine gewisse Verantwortung und die ist mir in dem Fall besonders wichtig. Wie kann man Sie erreichen, wenn ich die Informationen für Sie bekommen sollte?“ Enttäuscht war er schon, aber was sollte er anderes machen, als mich nach meinen Regeln spielen zu lassen. „Scheinbar vertrauen Sie mir nicht ganz, das ist schade, weil ich ihnen gerade die Wahrheit gesagt habe. Aber irgendwie kann ich Sie auch verstehen und ich hoffe, daß sich Ihr Mißtrauen gegen mich irgendwann zerstreuen wird. Ich melde mich bei Ihnen wieder über Ihren Verlag, denn heute abend geht noch meine Maschine nach Montevideo, um dort die Firma von Matsen unter die Lupe nehmen. Die scheint immer noch zu existieren und vielleicht bekomme ich dort etwas heraus. Wenn es ganz dringend sein sollte, versuchen Sie mich über Herrn Krause in Berlin zu erreichen, allerdings nur im Notfall. Er ist zuverlässig, aber niemand darf dort Verdacht schöpfen das wir zusammenarbeiten und Sie tauchen jetzt am besten schnell ab, wo Sie unsichtbar sind“ „Danke für Ihr Verständnis, ich werde mich bestimmt ganz ruhig verhalten, denn im Moment bin ich an Ärger überhaupt nicht interessiert“ „Das will ich für Sie hoffen, allein der Glaube fehlt mir. Seien Sie vorsichtig, Kronau“ Wir reichten uns die Hände und gingen dann getrennte Wege nach draußen in die verregnete Dunkelheit einer hektischen Großstadt. 180
Während ich fuhr, verdaute mein Gehirn erstmal in kleinen Brocken, was es gehört hatte. Gondoni und Almera hatten offenbar etwas mit Terroristen zu tun und das war schon schlimm genug, aber daß beide hinter der Frau, mit der ich gerade eine Zukunft plante, her waren, machte mir am meisten Angst. Jetzt war klar, warum Carmen und Anne mit ihren eigenen Nachforschungen nicht weitergekommen sind und ich war insgeheim froh darüber, wohlmöglich hätten die beiden anderenfalls schon längst das Schicksal der Familie Lüttjens geteilt. Der Rat des Doktors zur Flucht war angebrachter denn je, aber vorher mußte ich Anne über Gondoni aufklären und ich war mir sicher, daß sie ihm daraufhin die Informationen über die Kisten zur Verfügung stellen würde. Doktor Breitenbach konnte dann den Schatz heben, oder den Lemuren damit eine Falle stellen und bestenfalls verschwand die Bedrohung für uns danach. Natürlich war es etwas blauäugig gedacht, doch sobald Annes Wissen nicht mehr wertvoll war, mußte die Gefahr für sie geringer werden und damit blieb die Konsequenz, den Doktor so gut es ging zu unterstützen. Der Weg, den ich dabei ging, war der einzige, den ich gehen konnte, und auch wenn Doktor Breitenbach nun wußte, daß ich einige Sachen für mich behielt, sollte er sich sicher sein, auf welcher Seite ich stand. Jedenfalls durfte ich Anne bei ihm nicht ins Spiel bringen, denn Behörden, und in dem Fall sogar Regierungen, haben oft ein sehr einnehmendes Wesen, wenn es darum geht, ihre Interessen zu wahren und solange ich einen winzigen Einfluß darauf ausüben konnte, würde ich das verhindern und zwar in meinem eigenen Interesse. Ich jagte den Wagen beinahe durch die Straßen. In mir stieg das Gefühl, von den Ereignissen überrollt zu werden, und ich wollte mit Anne so schnell es ging verschwinden, bis wir irgendwo in Sicherheit wieder festen Boden unter den Füßen hatten. So ging es mir erst besser, als ich die Auffahrt befuhr und im dichten Regen die Haustür erreichte. Als ich die kleine Halle noch nicht ganz durchschritten hatte, öffnete sich die Tür zum Salon, doch nicht Anne oder Carmen erschienen dort, sondern Diana LeClaire kam lächelnd auf mich zu, „Da bist du ja, Gabriel, ich dachte schon, du wolltest mich nicht mehr sehen“ Offensichtlich hatte sie schon Carmen abgeholt, deshalb hielt sich meine Überraschung in Grenzen. Mir fielen sofort meine Fragen an Diana wieder ein, doch das konnte noch einige Minuten warten und ich begrüßte sie sehr schnell, weil ich gleich mit Anne sprechen wollte. „Wie kommst du auf diese Idee? Ich war noch unterwegs in der Stadt etwas erledigen, schön dich wiederzusehen - Wo sind die anderen?“ Sie zog die Augenbraue etwas hoch und ihr Gesichtsausdruck änderte sich leicht, doch dabei verlor sie nicht ihr breites Lächeln, „Die beiden sind schon in ein neues Versteck aufgebrochen. Du weiß ja, die kleine Anne hat immer mit ihrem Handicap zu kämpfen und ich glaube, da war es günstiger, daß sie gleich abgereist sind. Manchmal tut sie mir richtig leid, es ist schon schlimm so etwas mit anzusehen und dabei ist sie auch noch so jung. Armer Gabriel, du siehst so überrascht aus, haben sie dir vorher nichts davon gesagt? 181
Aber ärgere dich nicht darüber, denn sie haben mich ja gebeten dir alles zu erklären und dich herzlich in Empfang zu nehmen“, dabei faßte sie mir an die Schulter und strich ganz langsam am Arm entlang. Was sie sagte und vor allem, in welcher Tonart das geschah, gefiel mir ganz und gar nicht. Etwas mußte passiert sein und die ganze Sache war so faul, als ob hier jemand einen Korb mit alten Eiern in die Halle gestellt hätte. Trotzdem machte sich eine maßlose Enttäuschung in mir breit, die nur noch von der Unsicherheit über die Situation übertroffen wurde. Hatte ich mich von Anne blenden lassen, so daß ich für ihre wahren Absichten blind gewesen war? Mühsam konnte ich die Fassade wahren und wollte erst mehr von Diana herausbekommen, bevor ich das so akzeptierte, „Abgereist? So überstürzt - das ist merkwürdig, denn vorhin war keine Rede davon gewesen“ Ohne eine Miene zu verziehen hörte sie, was ich gesagt hatte und drehte sich zur Salontür, „Komm mit, vor dem Kamin kann ich es dir besser erklären. Außerdem habe ich eine Kleinigkeit zum Essen vorbereitet, du wirst sicher eine Menge Appetit haben“ Sie schien jedenfalls einen gewissen Hunger zu verspüren, denn ihre Zunge fuhr ganz leicht an ihren Lippen entlang und der Augenaufschlag ließ mich vermuten, wer das Hauptgericht des heutigen Abends werden sollte. Ich war auf das Äußerste gefaßt und folgte ihr. Dieses Haus schien seinen romantischen Charakter verloren zu haben und mir kam es so vor, daß ich mich im Labyrinth eines weiblichen Minotaurus wiederfand. Nichtsdestotrotz ließ ich mich auf das Spiel ein, denn es war die einzige Möglichkeit herauszufinden, was hier in den letzten Stunden geschehen war. Aus ihrer Hand bekam ich ein Glas Champagner, der vorher sicher nicht im Haus gewesen war, und wir stießen an, „Ein netter Tropfen, also, wohin sind Anne und Carmen abgereist?“ „Ich weiß nicht. Sie hatten es sehr eilig und wir haben kaum ein paar Worte gewechselt, nachdem mich Carmen herbrachte. Auch für mich kam das überraschend, aber weil ich nun den Abend mit dir verbringen kann, ärgert mich das nicht sehr“ „Das ist nett von dir, trotzdem ist das etwas zuwenig als Antwort für mich“ „Mir würde das an deiner Stelle reichen, sie hatten es eilig, wegzukommen und wenn ich mich nicht täusche, waren die beiden recht froh, ohne dich das Haus zu verlassen“ „Ach so, und sie haben keine Nachricht hinterlassen?“ „Nein, ich habe mich bei ihnen bedankt und sie haben uns beiden einen schönen Abend gewünscht, mehr kann ich dir nicht sagen, weil sie mich genauso hier alleine gelassen haben wie dich“, ein lasziver Blick kam zu mir herüber, den ich zwar wahrnahm, aber keineswegs aufgreifen wollte. Irgendwas stimmte nicht und ich kam nicht dahinter, wo mein Denkfehler lag. Annes Reaktion war für mich nicht nachzuvollziehen, es sei denn, daß sie mir die ganze Zeit etwas vorgespielt hatte, ein Gedanke, der für mich unvorstellbar war. Vielleicht genauso unvorstellbar wie für Tausende anderer Männer denen das Gleiche passiert war? So kam ich nicht weiter, ohne mich nicht selbst dabei zu zerfleischen, also galt es, die Nerven zu behalten und dem Verstand das Ruder zu übergeben, auch wenn er es dabei 182
schwer haben würde, „Hmmm,... also hat man uns beide hier alleine gelassen. Ich finde das mehr als eigenartig, aber das läßt sich wohl nicht ändern und wenigstens kannst du mir jetzt eine Frage beantworten, die ich dir sowieso stellen wollte“ „Oh, eine Frage? Du weißt doch, daß ich dir gerne bei allem was dich bedrückt helfen würde“, mehr und mehr ahnte ich, was sie damit meinte, wahrscheinlich enttäuschte sie es deshalb, daß ich wirklich etwas von ihr wissen wollte. „Wie hast du eigentlich von dem Paket bei Madame Huppert erfahren?“ „Das Paket! Das habe ich ja völlig vergessen, wo ist es denn?“ „Dazu kommen wir später, wenn du bitte vorher meine Frage beantworten würdest“ Diana stutze einen Moment, begann dann aber sofort wieder zu erzählen, „Sehr einfach, sie hat mich in London über meine Agentur angerufen und mir erzählt, daß etwas für mich bei ihr per Post abgeliefert wurde. Du mußt wissen, wir verstehen uns nicht so gut und deshalb habe ich Anne gebeten, das für mich abzuholen, weil ich Madame Huppert nicht unbedingt wiedersehen wollte“ „Ich verstehe und weshalb hast du gerade Anne gefragt, schließlich lebst du doch hier und müßtest doch noch einige andere Leute kennen“ „Wie das so ist, ich kenne eigentlich nur Freunde aus der Modeszene und die wissen auch von dem Krach zwischen uns, da war es mir lieber, einen Außenstehenden zu fragen und so oft bin ich sowieso nicht in der Stadt, um viele Menschen kennenzulernen. Deshalb halte ich es auch für einen aufregenden Glücksfall, dich getroffen zu haben - Wo ist denn nun mein Geschenk?“ Alles was Diana sagte, hatte ich schon so vermutet und es war nun sicher, daß Fortunati den raffinierten Plan geschmiedet hatte, um durch dieses fingierte Paket das Versteck der Frauen zu finden. Dieses ahnungslose Model war also zu einem Werkzeug geworden, ohne es zu wissen und ich hatte auch nicht vor, ihr etwas davon zu erzählen, um sie nicht zu beunruhigen. So war alles, was ich für sie tun konnte, auf sie einzuwirken, damit sie sich für einige Zeit von der Öffentlichkeit fernhielt und vielleicht einen langen Urlaub machte, „Das Paket war der Werbegag eines Reisebüros, lauter Kataloge und nichts Besonderes weiter, wahrscheinlich hat halb Paris das Gleiche bekommen. Aber vielleicht ist eine Reise für dich keine schlechte Idee, noch sind die Verbrecher aus Italien auf freiem Fuß und könnten leicht an dich herankommen, schließlich bist du bekannt“ Das Lächeln verschwand kurz und ein leicht verwundertes Gesicht sah mich an, das jedoch nur wenige Sekunden brauchte, um wieder ein verführerisches Antlitz zu zeigen, „Oh, schade, ich habe mich schon auf eine Überraschung gefreut, aber vielleicht wird der heutige Abend für uns noch überraschend sein und wenn du mich begleiten würdest, könnte ich mir eine weite Reise sehr gut vorstellen“ Ich schüttelte nur mit dem Kopf, „Ehrlich gesagt habe ich heute Abend meine Überraschung schon bekommen und meine Pläne für die nächste Zeit sind schon gemacht, aber trotzdem danke für das charmante Angebot“ Damit hatte ich klar gemacht, was ich meinte - dachte ich jedenfalls, doch mußte ich mich eines Besseren belehren lassen, als sie begann, die Qualität meines Hemdes zu prüfen. 183
„Komm schon, du mußt diese kleine untreue Hexe einfach vergessen und locker werden. Schließlich habe ich doch bemerkt, wie du sie angesehen hast, aber ich kann mir nicht vorstellen, was du von so einer überhaupt willst, wenn du mich bekommen kannst. Hast du denn nicht auch in Florenz diese Anziehungskraft zwischen uns beiden gefühlt?“, wie eine Krake begann sie, mit ihren Händen an mir hinunterzugleiten und ich war für einige Sekunden zu überrascht, um reagieren zu können. Vielleicht wurde sie dadurch noch mehr ermuntert, denn ich spürte ihren heißen Atem in meinem Nacken und ihre Zunge fuhr von meinem Ohrläppchen ganz langsam den Hals herunter. Jetzt kam ich wieder zur Besinnung und griff energisch, aber nicht hart nach ihren Händen, bevor sie damit noch etwas anstellen konnte, „Diana, natürlich habe ich gemerkt, daß wir uns sympathisch sind und es schmeichelt mir ungemein, wenn eine so schöne Frau sich für mich interessiert, aber ich bin im Moment verliebt und im Gegensatz zur weitläufigen Meinung über Männer, ist das ein Grund, um bei dir nicht schwach zu werden“ Ein Grinsen ging über ihr schönes Gesicht, „Ich rede auch nicht vom Heiraten, mein Lieber, und von mir aus kann Anne dein Herz haben, solange ich jetzt den Rest bekomme. Diese kleine Schlampe in ihrem Rollstuhl kann dir doch sowieso nicht geben, was du brauchst, und du bist ein Mann, der sich sonst sicher nimmt, was er haben will, oder bist du auch nur so ein Maulheld wie all die anderen, der kneift, wenn es ernst wird“ Diana riß sich los und ging einige Schritte, dann blieb sie stehen und drehte sich wieder um, „Ich habe dafür gesorgt, daß wir alleine sind, oder glaubst du, daß dieses dumme Mädchen mit ihrer Freundin so einfach verschwunden wäre? Das war ganz einfach und ich hatte nicht viel Mühe damit, sie zu überzeugen, daß du nicht der Richtige für sie bist“, sie begann die Knöpfe ihrer hellen Bluse zu öffnen, so daß nun der weiße Satin BH sichtbar wurde, der ihre perfekten Rundungen voll zur Geltung brachte. „Ich glaube das einfach nicht, was hast du ihr erzählt? Los, raus mit der Sprache“, eine Antwort bekam ich nicht, dafür entledigte sie sich nun völlig ihrer Kleidung und lächelte mich an, in der festen Erwartung, daß ich bei diesem Anblick nachgeben würde. Sie fing an, mit mir zu spielen, ich war das Wollknäuel und sie war die Katze, dabei konnte sie sich einfach nicht vorstellen, daß auch Wolle kratzen konnte. Jetzt kam sie ganz dicht an mich heran, „Was ist nun, läßt du eine Lady einfach so stehen, oder kannst du auch etwas Besseres?“ „Sicher kann ich das, aber ich stehe nicht darauf, wehrlose Frauen zu schlagen, weil dies das Einzige ist, was mir im Moment einfällt. Also nochmal zum Mitschreiben, ich werde nicht diese oder sonst eine Nacht mit dir verbringen und wenn du dich jetzt wieder anziehen würdest, hast du auch die Chance, ohne Erkältung von hier wegzukommen. Allerdings wirst du mir vorher noch erzählen, was du Anne gesagt hast, sonst vergesse ich vielleicht doch noch meine gute Kinderstube“
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Sie schaute mich einige Augenblicke ungläubig an, denn sicher hatte diese Frau noch nie in ihrem Leben einen Korb bekommen, dann sah ich ein Blitzen in ihren Augen und sie holte aus, um mir eine Ohrfeige zu verpassen. Ein Reflex bewahrte mich davor, das Opfer ihres Zorns zu werden, „Das ist aber nicht Ladylike, hat das kleine Mädchen nicht bekommen, was es wollte?“ „Ja, genau so wie du nicht bekommen wirst, was du willst“, wütend, beinahe mit Haß in ihren Augen sah mich Diana an, „Ich habe ihr erzählt, daß wir die letzten Tage zusammen waren und ich überhaupt nicht in London gewesen bin, weil wir uns in Berlin getroffen haben und du süchtig nach mir bist. Nur zu leicht hat sie mir die Geschichte abgenommen und hat ihre Koffer gepackt. Das lief besser als ich gedacht habe, und kaum eine halbe Stunde später war sie schon verschwunden. Du wirst es noch bereuen, mich zurückgewiesen zu haben, ganz bestimmt, denk an meine Worte“, dann riß Diana sich los, sammelte hastig ihre Sachen vom Boden zusammen und verließ wutschnaubend das Zimmer. Ich verharrte immer noch in der Mitte des Salons und mir kamen die letzen Minuten so unrealistisch vor, daß ich ernsthaft zweifelte, das alles auch erlebt zu haben. Deshalb stand ich noch an der gleichen Stelle, als einige Minuten später die Außentür knallte und Diana das Haus verließ. Es gab keinen Grund mehr sie aufzuhalten, mit ihrer kleinen Rache hatte sie ihre Sache ausgezeichnet gemacht, denn mein Leben lag in Trümmern und tatsächlich dachte ich an ihre Worte. Dabei hatte sie genau den wunden Punkt bei Anne getroffen, um uns auseinanderzubringen und dafür zu sorgen, daß ich diese Intrige nicht aufklären konnte. Anne würde sich zutiefst verletzt in sich zurückziehen und würde sich niemals mehr bei mir melden, mir hingegen fehlte jeder Anhaltspunkt, wo ich sie jetzt suchen sollte. Nicht Gondoni und nicht Fortunati hatte ich den Verlust meiner großen Liebe zu verdanken, sondern der gekränkten Eitelkeit einer verschmähten Frau und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Selten wurde Champagner aus einem traurigeren Anlaß getrunken, wie heute von mir, denn mit einem Glas in der Hand saß ich vor dem Kamin und sprang bei jedem Geräusch auf, in der Hoffnung, daß Anne doch zurückkehren würde. Doch draußen schien nur der Wind sein Spiel mit mir zu treiben und machte sich einen Spaß daraus mich damit zu quälen. Irgendwann später betrat ich ihr Zimmer, wo noch der Duft ihres Parfüms im Raum lag, daß die Erinnerungen in mir mit brennenden Schmerzen aufsteigen ließ, so daß ich mit einem letzten, wehmütigen Blick zu den Rosen einfach ging. Die Flasche war leer und mir war eher schlecht, als daß ich betrunken war, doch wenigstens wurde ich dadurch müde. Morgen konnte ich wieder nachdenken und planen, vielleicht würde ich sie doch irgendwo wiederfinden, aber jetzt fühlte ich mich nur ausgebrannt. So ging ich langsam in mein Zimmer nach oben und versuchte zu schlafen – nicht um neue Kräfte zu sammeln, sondern nur um endlich diese Nacht hinter mich zu bringen.
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Kapitel 3 Selten wurde ich von Alpträumen geplagt, aber in dieser Nacht erschienen mir die Schrecken des Unterbewußtseins. Verschwommene Gestalten, die ich kannte, ohne sie wirklich zu erkennen, tauchten auf und verschwanden wieder im wirren Zusammenspiel all dessen, was ich den letzten Tagen erlebt hatte. Zeit spielte keine Rolle und kaum gelang es mir eine Situation zu erfassen, bevor alles im nächsten Traum wirr und keiner klaren Linie folgend mit den gleichen Ängsten weiterging. All dies unterbrach gelegentlich ein kurzes Aufschrecken, um danach wieder in das verschwitzte Kissen zurückzusinken und wieder in das Dunkel hinabzutauchen. Auch jetzt war es wieder so und eigentümliche Geräusche begleiteten mich wieder im Halbschlaf. Träumte ich das, oder war es real? Egal, ich war zu müde und... Nein, es war nicht egal. Ich zwang mich mühsam dazu, den Schlaf abzuschütteln und mit leicht wackligen Knien stand ich langsam aus dem Bett auf, immer bedacht, den Unterschied zwischen der Illusion des Traumes und der Realität zu finden. Draußen war es noch immer dunkel, durch die Lamellenläden vor den Fenstern drang kein Licht und für einige Sekunden wähnte ich mich noch in einem diffusen Traum, doch langsam brach die geistige Dämmerung über mich herein und ich konnte mich langsam wieder auf meine Umgebung konzentrieren. Mein erster Blick galt der Uhr, knapp zwei Stunden waren seit dem letzten Tropfen des Champagners vergangen und der Regen bildete immer noch eine störende Hintergrundmusik, die das Szenario vor der Tür meinen Sinnen entzog - aber irgend etwas geschah dort, davon war ich nun fest überzeugt. Schnell hatte ich mir was übergezogen und griff zu der Waffe, die ich in der antrainierten Routine kurz überprüfte und jetzt etwas beruhigter in die Nacht lauschte. Mal hörte ich etwas rutschen und mal feste Schritte, jedenfalls alles unpassend für diese Uhrzeit in einen verlassenen alten Haus. Anne! Sollte sie doch zurückgekommen sein? Mein Herz begann zu rasen und ich spürte die Hoffnung in mir aufkommen, aber ich bremste schnell meine Gefühle, denn der Mercedes vor dem Haus hätte ihr gesagt, daß ich noch da war und es würde ihr deshalb keine Mühe machen, mich schnell hier oben zu finden. Nein, ich sank wieder in die alte Lethargie zurück, vielleicht waren es stinknormale Einbrecher, die durch den Wagen angelockt wurden und nun dachten, hier reiche Beute machen zu können. Sollte ich recht haben, dürfte das eine herbe Enttäuschung für solche Kerle werden, trotzdem, wer oder was sich auch immer hier herumtrieb, um diese Zeit kam selten etwas Gutes und darauf sollte ich mich einstellen. Bis jetzt war nichts passiert, was meine Annahme stützte, dennoch vertraute ich auf meine Intuition, die mich in so vielen Jahren noch nie im Stich gelassen hatte. Für mich blieb das immer eine Gratwanderung, die ich dabei zu bewältigen hatte, das logische Handeln des Verstandes mit den spontanen Reflexen aus dem Bauch in Einklang zu bringen, dabei auf beides hören und niemals einer Seite den Vorzug geben. 187
Einen Schritt begann ich vor den anderen zu setzen und stieß fast gegen einen Stuhl, den ich aber nur streifte und bei der Berührung sofort inne hielt. Nichts geschah und es ging behutsam weiter zur Tür, wo ich durch das Holz lauschte und merkte, wie sich meine Aufregung steigerte, als ich mich dem Türgriff näherte. Kurz bevor ich ihn erreichte, wurde aus meiner Ahnung eine Realität, denn das typische metallische Geräusch beim Durchladen einer Waffe warnte mich vor einem unvorsichtigen Besucher auf der anderen Seite. Sekunden später versuchte jemand, möglichst leise die Tür zu öffnen, aber da ich sie verschlossen hatte, ging das nicht ohne weiteres und eine trügerische Ruhe kehrte wieder ein. Irgendwie hoffte ich jetzt, aus meinem Alptraum zu erwachen, aber dieser Gefallen wurde mir nicht erfüllt und gleich darauf holte mich die Wirklichkeit wieder ein. Wieder verräterische Geräusche am Schloß, doch diesmal verstand dort jemand sein Handwerk und keine zehn Sekunden später wurde die Tür langsam geöffnet. Der kleine Lichtkegel einer Taschenlampe tanzte an der Wand und eine Hand schob sich in den Raum, die deutlich zu erkennen eine Pistole hielt und damit genau auf mein Bett zielte. Offensichtlich ließ das dicke Deckbett die Vermutung zu, daß ich mich noch darin befand, ein Umstand, der die Aufmerksamkeit der Person ganz in diese Richtung lenkte und den Bereich hinter der Tür sehr vernachlässigte, was sich gleich als großer Fehler entpuppen sollte. Im richtigen Augenblick schnellte ich vor, griff nach der Hand und warf mich mit meiner ganzen Kraft gegen die Tür, die nun den Arm einquetschte. Gleichzeitig löste sich ein Schuß und ließ eine kleine Wolke Gänsefedern aus dem Kopfkissen hochfliegen, die lustig über dem Bett tanzten und langsam wieder herabschwebten. Für mich war es jetzt leicht, unter dem Gejaule von draußen die Pistole aus der Hand zu entfernen, was blitzschnell geschah und ich drehte mich schnell ab, um aus der Drehung Schwung zu holen, welche die Hand samt dem Rest in den Raum katapultierte. Eine schwarz bekleidete Gestalt kam mir nun stark beschleunigt entgegen und so mußte ich in letzter Sekunde zur Seite ausweichen, damit die Flugbahn frei war. Nach der Masse, die ich bewegt hatte, zu urteilen, konnte ich es nur mit einem Mann zu tun haben, der nun über den Stuhl flog und auf den kleinen Schreibtisch fiel, doch das gute Stück war leider dem Aufprall nicht gewachsen und so fand sich der Kerl gleich darauf in einem Haufen Sperrholz wieder. Diese niederschmetternde Erfahrung beschäftigte ihn etwas und so hatte ich kurz die Gelegenheit, zur Tür zu sehen, wo ich zu meinen Schrecken zwei weitere Männer erkannte, die gerade dabei waren, in das Zimmer zu stürmen. Noch hatte ich beide Waffen in der Hand, aber leider waren sie schon zu nahe, um damit etwas anfangen zu können, denn ein gezielter Tritt des Vorderen traf mich leicht, weil ich mich mit einem Reflex zurückziehen konnte. Dadurch hatte sein Kumpan die Zeit, an meine Seite heranzukommen und noch bevor ich die Pistole hochreißen konnte, erwischte mich ein präziser Treffer und entwaffnete mich auf einer Seite. In der anderen Hand hielt ich immer noch die Waffe des ersten Angreifers am Lauf fest, die mir so allerdings nicht viel nützte und das ließ sich nicht ändern, denn mein Gegenüber 188
verstand zuviel von Jiu-Jitsu, weshalb meine ganze Konzentration darauf gerichtet war, zwei schnelle Angriffe zu parieren. Ich improvisierte aus der Not, in einem günstigen Augenblick wehrte ich einen Schlag ab und brach dem Mann mit dem Griff der Waffe offenbar das Nasenbein, der daraufhin eher überrascht, als getroffen wirkte. Dieses Zögern ließ mich einen Tritt gegen sein Knie führen, dessen lautes Knacken mir deutlich verriet, daß er stark an Standfestigkeit verloren hatte. Schon spürte ich eine gewisse Erleichterung über meine verbesserten Chancen, als ich feststellen mußte, daß sich der Mann aus dem Sperrmüllhaufen befreien konnte und sich in meinem Rücken aufgerappelt hatte, denn plötzlich umklammerten mich zwei Arme von hinten. Darüber freute sich sein verbliebener Mitstreiter besonders, der meinem Zahnarzt scheinbar etwas Arbeit verschaffen wollte und seine in schwarze Lederhandschuhe gehüllten Fäuste begannen, sich zu ballen – um demnächst in meinem Gesicht einige Spuren zu hinterlassen. Immer noch hing Nummer Eins an mir und hielt mich fest, während der Zweite wimmernd sein Knie hielt und die Drei gerade ausholte. So beschloß ich, den Rückwärtsgang einzulegen und drückte mit aller Kraft nach hinten, was mich aus der Reichweite des noch lachenden Dritten brachte, der nun etwas verdutzt sein Grinsen verlor, weil er vorerst unbeteiligt dem nachfolgenden Treiben zusehen mußte. Bedauerlicherweise für den Mann an meinem Rücken stand hinter ihm nämlich das Bett, doch nach kuscheln war mir nicht zumute, als wir beide in den weichen Federn landeten. So beugte ich jedem Annäherungsversuch vor und plazierte nach der Landung meinen Hinterkopf mit aller Wucht auf seiner Nase. Daraufhin lösten sich sofort die Armklammern und ich rollte nach links, sah aber, wie der Typ mit den Lederhandschuhen auch zu dieser Bettseite eilte und bremste sofort, um mit dem Arm auszuholen. Dadurch besorgte ich mir wieder den nötigen Schwung, um diesmal eine Drehung in die entgegengesetzte Richtung zu machen und dabei meinen Ellenbogen in den Magen meines Bettgenossen zu rammen, der wenig erfreut darüber zu sein schien. Jetzt sah die Lage wirklich etwas rosiger aus, doch noch hatte ich den verbliebenen Kerl vor mir, der wütend auf der anderen Seite des Bettes stand und nach jeder Richtung abschätzende Blicke warf, um zu sehen, an welcher Seite er wohl am besten an mich herankäme. Allerdings bekam er jetzt ein großes Problem, denn ich hatte nun alle Zeit der Welt, die Waffe endlich umzudrehen und mit einem breiten Lächeln forderte ich ihn auf, seine Finger in die Luft zu strecken. Für meinen Geschmack fügte er sich zu schnell und in Gedanken spielte ich einige Varianten durch, was mich vor meiner Zimmertür erwarten könnte. Es sprach viel dafür, daß es im Haus noch mehr finstere Gestalten gab, aber passiv zu bleiben bedeutete, die Initiative aufzugeben und in der Situation, in der ich mich befand, wäre das sicher ein Fehler gewesen. Demnach blieb mir kaum eine Wahl, wenn ich mich nicht heimlich aus dem Staub machen wollte und selbst dazu müßte ich erst einmal durch das Haus kommen. Auf dem Boden lag noch meine zweite Pistole, die ich vorsichtig aufnahm und dann erst einmal meine Besucher durchsuchte, wobei ich immer die noch offene Tür im Visier hatte und mit halben Ohr in den Flur horchte. Die beiden weiteren Waffen, die 189
ich dabei fand, steckte ich in den Gürtel und ließ dann den großen Kerl mit den Lederhandschuhen vor mir durch die Tür gehen, denn mit einer guten Deckung erschien es mir sicherer, das Haus zu durchsuchen. Natürlich lag mir auf der Seele zu erfahren, mit wem ich es zu tun hatte, doch solange ich nicht wußte, wer sich sonst noch hier herumtrieb, schien mir die Zeit zum Plaudern noch nicht gekommen. Die alten Dielen knarrten in unregelmäßigen Abständen und die herrschende Stille verstärkte noch den bedrohlichen Eindruck, als ich mit dem Mann den dunklen Gang entlangging. Meine Handflächen begannen zu schwitzen, zwar nicht stark, aber das zunehmende Kribbeln konnte ich deutlich spüren und ich versuchte, vor meinem Gefangenen nicht zu zeigen, daß auch mein Atem schneller ging. „Stop“, wir hielten vor einer Tür, hinter der ich glaubte etwas gehört zu haben, ich zögerte und horchte wieder in die Stille nach der möglichen Ursache. Ganz dicht zog ich den Mann an mich heran und öffnete die Tür. Der Spalt vergrößerte sich langsam und mit einer kurzen Geste dirigierte ich meinen Gefangenen in das Zimmer. Nichts war zu sehen, es war stockdunkel und mein Instinkt riet mir zu verschwinden, doch soweit kam ich nicht, denn es ging eine Tischlampe an und vor mir saß, eingerahmt von vier schußbereiten Bodyguards, Benedetto di Gondoni. Dies schien ein Zeichen gewesen zu sein, denn es begann sich sofort hinter mir auf dem Flur einiges zu regen und endete damit, daß mir jemand den kalten Stahl eines Pistolenlaufes in den Nacken drückte. Ich mußte meine Intelligenz kaum anstrengen, um die Lage richtig einzuschätzen und verwarf im Augenblick jeden lächerlichen Gedanken an eine Gegenwehr. Wahrscheinlich hätte ich es kaum geschafft, die Pistole um einen Zentimeter zu bewegen, ohne von einigen Kugeln durchlöchert zu werden und mir blieb so nur übrig, ein sarkastischen Lächeln aufzusetzen, als ich von meinen Waffen befreit wurde, „Signore di Gondoni? Ich hatte um diese Uhrzeit keinen Besuch erwartet, Sie werden die Unordnung sicher verzeihen. Wie wäre es, wenn ich in die Küche ginge und ein paar Schnittchen machte, vielleicht noch ein saures Gürkchen dazu, passend zu Ihrer Miene?“ Es schien, als dachte er tatsächlich einen Augenblick über meinen Offerte nach, doch dann winkte er nur zu einem Mann in meiner Nähe, der mir sofort einen Schlag in die Nieren verpaßte. Das zwang mich fast auf die Knie und nur die Überraschung ließ mich weiterhin noch stehen, weniger mein fester Wille. Doch der war bitter nötig, nachdem mich der zweite Treffer in die andere Seite traf und gleichzeitig ein furchtbarer Schwinger von dem Kerl mit den Handschuhen meinen Magen deformierte. Keuchend stand ich im Raum und bekam einen letzten Schlag ins Genick, der nun das bewirkte, was er sollte, ich kniete vor Gondoni, „Du dreckiger Bastard, kommst dir wohl unheimlich schlau vor, niemand legt uns rein und schon gar kein verlogener Schreiberling. Schweden ist weit weg und du wirst dir noch wünschen, wirklich dorthin gefahren zu sein. Ich weiß alles von dir und was du getan hast, das bezahlst du mir mit deinem Leben“ Jetzt, auf dem Boden kniend, schaffte ich es kaum, systematisch einen Gedanken zu halten, dafür war die Bedrohung zu spürbar für mich, jedoch konnte ich zum ersten Mal 190
den unglücklichen Geschehnissen des gestrigen Abends etwas Gutes abgewinnen. Schließlich fielen so Anne und Carmen nicht in die Hände von Gondoni und auch nicht Diana, der ich selbst jetzt dieses Schicksal nicht wünschte, obwohl es etwas dauerte, bis mir das wirklich klar wurde. Vielleicht verlor der Haß auch an Bedeutung, wenn man offensichtlich an der Schwelle des Todes war und ich hatte leider keinen Grund, dem Mann gegenüber seine Worte nicht zu glauben. „Ich... Ich konnte doch nicht wissen, das Sie so nachtragend sind, Gondoni“, das hätte ich aber besser für mich behalten, denn den Tritt gegen meine Rippen hätte ich für einige Tage nicht vergessen, wenn mir noch soviel Zeit geblieben wäre. Während ich versuchte, mich einigermaßen davon zu erholen, hörte ich hinter mir Schritte und sah ein Paar blankgeputzter Schuhe an mir vorbeigehen, die sich Gondoni näherten. Es war Paulo Fortunati, den ich beim Aufsehen erblickte, wie er nun neben dem alten Mann stand und mich verwundert betrachtete, „Signore di Gondoni, das ist also der Mann, der uns soviel Ärger bereitet hat? Um ehrlich zu sein bin ich in gewisser Weise enttäuscht, sind Sie sich sicher, daß es überhaupt der Richtige ist?“ Gondoni blieb ungerührt, „Natürlich bin ich mir sicher, Don Paulo. Ich weiß, daß der Kerl einen enttäuschenden Anblick abgibt, aber sie sollten nicht vergessen, daß er viel Glück gehabt hat und vielleicht haben wir ihn auch anfangs ein wenig unterschätzt. Doch Sie sehen, wir haben zu jeder Zeit alles unter Kontrolle und nun besteht keine Veranlassung mehr, über dieses Subjekt nachzudenken, wir werden uns seiner elegant entledigen“ Beide lachten und der reichhaltige Anhang stimmte laut mit ein, so blieb ich wohl der Einzige, der das nicht lustig fand. Die darauffolgenden Minuten waren von einer intensiven Konversation geprägt, bei der ich wohl immer die falschen Antworten gab, denn regelmäßig erinnerte mich schlagkräftig einer von Gondonis Männern daran, die Wahrheit zu sagen. Dabei log ich in Bezug auf Biedermann noch nicht einmal, weil ich wirklich nicht wußte, wo er war – jedoch schienen mir die Männer nicht glauben zu wollen. Ich richtete mich auf ein langes Verhör ein und hoffte inständig, genug Kraft zu haben, um nichts von den Frauen zu verraten, denn irgendwann würde mich sicher Fortunati nach ihnen fragen. Er hatte sie bekanntlich entführen lassen und mich würde es wundern, wenn er nun die Gelegenheit verpassen würde, noch einige Antworten aus mir herauszuholen, bevor mein Mund für immer verschlossen blieb, doch nichts dergleichen geschah. Einzig interessierte ihn, etwas über das Verschwinden seiner beiden Männer von der Galerie zu erfahren und wenn diese Leute ihm wichtiger waren, dann log ich ihn eben deshalb an. Mir blieb keine Zeit weiter darüber nachzudenken und vielleicht war das alles jetzt auch belanglos geworden, deshalb wunderte ich mich mehr über ein Summen in der Luft, das mir recht bekannt vorkam. Mir wurde schwarz vor Augen und ich brach endgültig zusammen, doch blieb ich bei Bewußtsein und wußte nun, daß ich die Bewegung des Armes gehört hatte, dessen Faust mich soeben niederstreckte. 191
Benommen bekam ich mit, wie man mich durch den Flur in mein Zimmer trug und am zersplitterten Schreibtisch auf den Boden legte. Widerstandslos mußte ich mich mit einem Klebeband fesseln und knebeln lassen, dabei begann ich mich etwas zu erholen und fragte mich, warum mir noch niemand eine Kugel in den Kopf geschossen hatte, denn damit hatte ich gerechnet. Irgendwie hätte es sich Gondoni einfacher machen können und diese Unsicherheit, wie ich sterben sollte, machte mich verrückter als die reine Tatsache, daß mir das unmittelbar bevorstand. Diese Sichtweise änderte sich schlagartig, als ich im dunklen Raum mitbekam was sich die Männer ausgedacht hatten und ich begann mich nach einer Patrone zu sehnen, denn zwei Kanister mit Benzin wurden über mich gegossen und dazu im ganzen Raum verteilt. Wie ein Ketzer auf dem Scheiterhaufen, bekam ich nun Gondonis Inquisition zu spüren und wußte dabei nicht, wie man sich auf solch ein Ende vorbereiten sollte. Trost ist ein strapazierter Begriff, trotzdem suchte ich ihn und gehörte wohl zu den glücklichen Männern, die ihn in einer Frau gefunden hatten und das einzig bedrückende darin war, Anne niemals von Dianas Schuld erzählen zu können und mit dem Gedanken zu sterben, in ihren Augen ein Lügner zu sein. Einer der Männer schaute vom Flur ins Zimmer und sprach die beiden Kerle an, die sich gerade an meinen Beinen zu schaffen machten, „Seid ihr endlich fertig? Das Gas strömt gleich aus, dann haben wir noch dreißig Minuten bis dieser alte Kasten damit gefüllt ist und alles in die Luft fliegt. Also pronto, damit wir soweit wie möglich von hier entfernt sind, denn es muß uns ja niemand in der Nähe beobachten“ „Si, schade daß ich nicht sehen kann wie das Schwein gegrillt wird, aber dafür bin ich morgen schon am Strand und werde mir in paar heiße Chicas aufreißen“ „Rede nicht soviel und denk nicht an die Weiber, das ist schlecht bei der Arbeit. Bevor ihr verschwindet, schließt hinter euch die Tür ab und vergeßt nicht, in fünf Minuten wird der Zünder aktiviert“ „Si, Comandante“, beide Männer verließen kurz danach den Raum und schlossen befehlsgemäß die Tür ab. Nun war ich alleine und mußte feststellen, daß es etwas Schlimmeres als den Tod gab, nämlich hilflos auf das Unvermeidliche warten zu müssen. Aber so abzutreten war nicht mein Stil und wenn mir wirklich noch eine Galgenfrist bleiben sollte, würde ich diese nicht ungenutzt verstreichen lassen. Viel Zeit hatte mir Gondoni nach dem, was ich gehört hatte, nicht gelassen und ich konnte nicht sagen, daß mir urplötzlich eine Erleuchtung kam, was ich nun tun sollte – vielmehr überlegte ich, was dieser Terrorist mit der Explosion bezweckte. Vielleicht kam ich der Sache am nächsten, wenn ich an Florenz dachte und wie raffiniert er dort Dianas Tod mit in seine Pläne eingebunden hatte. Auch ich war durch meine Bücher nicht unbekannt und möglicherweise versuchte er, somit einen Unfall vorzutäuschen, der die Behörden weniger aufmerksam machte. Während ich mich mit dieser Erklärung zufrieden geben mußte, hatte ich schon die ganze Zeit versucht, etwas zu finden, an das ich meine Hoffnung auf ein Überleben knüpfen konnte. Doch die Tür war zu massiv, um sie eintreten zu können, selbst wenn ich es schaffen würde, meine Beine zu befreien und vor den Fenstern waren die Läden fest verschlossen und verkeilt worden – das zu ändern war ohne freie Hände unmöglich. 192
Unten hörte ich einige Autotüren und dann das Geräusch der aufheulenden Motoren, bevor eine unerträgliche Stille einsetzte, die selbst das heruntergefallene Telefon nicht durchbrach, denn kein Ton war vom daneben liegenden Hörer zu vernehmen. Sie waren Profis und hatten offenbar an alles gedacht, wirklich an alles? Mein Puls beschleunigte sich und meine Gedanken rotierten, denn nun drang mir eine Idee ins Bewußtsein und gab mir meine Zuversicht zurück. Diese wurde genährt durch mein Handy, das ich auf den Schreibtisch gelegt hatte, der nun wie ein Riesenpuzzle neben mir lag und eilig schabte ich mit den zusammengebundenen Beinen die zersplitterten Holzteile zur Seite, um nach ihm zu suchen. Da war es, unbemerkt von Gondoni´s Handlangern und noch immer aktiv, irgendwie mußte es möglich sein, das Gerät zu benutzen, aber wie sollte ich sprechen und vor allem mit wem? Wer konnte innerhalb kürzester Zeit zu mir kommen und mich befreien? Doch noch hatte ich die Zeit darüber nachzudenken, denn zunächst mußte ich die weitaus schwierigeren Probleme meiner gefesselten Hände und des verklebten Mundes lösen. Ich krümmte mich auf dem Boden und bewegte meinen Körper schnell hin und her, mit genügend Schwung gelang es mir daraufhin, mich hinzuknien und danach in die Hocke zu kommen. Nun ging der Rest erstaunlich einfach, so das ich gleich darauf mitten im Raum wie eine Mumie stand. Als nächstes hüpfte ich zur gegenüberliegenden Wand. Dort hing ein vergilbtes Foto, das ich mit den Schultern solange anhob bis es herunterfiel, nicht weil das Dargestellte mir nicht gefiel, sondern vielmehr war ich darauf versessen, an den Nagel in der Wand heranzukommen. Vorsichtig drückte ich mit dem Nagel das Klebeband in der Mitte meines Mundes ein und verstärkte dies solange, bis ein Loch entstand war, so daß ich ein akzeptables Nuscheln hervorbringen konnte. Über fünf Minuten hatte ich für die ganze Aktion gebraucht, es wurde eng mit der Zeit und mein erster Gedanke war Regina anzurufen, die vielleicht eine Nachtschicht eingelegt hatte. Nie wurden mehr Hoffnungen in einen schlaflosen Masochisten gelegt, als heute durch mich. Auf dem Weg zurück zum Telefon hoppelte ich an meinem Nachttisch vorbei und erinnerte mich dabei an den darauf liegenden Kugelschreiber, der mir nun weit wertvollere Dienste leisten mußte, als einige kurze Notizen auf ein Blatt zu kritzeln. Trotz der aufkommenden Hektik versuchte ich, mich darauf zu besinnen, wo er genau lag, denn in dem dunklen Raum konnte man nur vage Umrisse von größeren Gegenständen erkennen. Aber der kleine silberne Stift blieb verborgen und ausgerechnet mit ihm stieg und fiel mein Vorhaben. Er mußte beim Kampf heruntergefallen sein, so fiel ich auf die Knie und graste dicht über dem Boden wie ein Ochse auf der Weide, als ich ihn endlich fand. Wieder vergingen zwei wertvolle Minuten, bis ich mit Hilfe meiner Zunge den Stift im Mund hatte und ich vor dem Handy kniend versuchte, die Telefonnummer aus dem Speicher zu bekommen. Das klappte, wenn ich auch mehrere Versuche brauchte, doch es kam keine Verbindung zustande und ich wiederholte mit wachsender Verzweiflung diesen 193
Vorgang, jedoch mit dem gleichen deprimierenden Ergebnis. So blieb mir keine andere Möglichkeit und ich wählte hintereinander die Notrufnummern von Polizei und Feuerwehr, aber das Unmögliche trat ein, denn jedesmal mißlang mein Versuch. Es dauerte etwas, bis ich wirklich begriff, daß es für einen Zufall zu ungewöhnlich war und mir kam auch wieder in den Sinn, welche Beziehungen Gondoni zuzutrauen waren. Technisch war es jedenfalls machbar, ein bestimmtes Handy nicht einwählen zu lassen, oder sogar per Kopfdruck die Sendemasten eines bestimmten Bereiches zu deaktivieren. Doch was von dem auch zutraf war mir jetzt egal, denn die Auswirkungen dessen raubten mir die letzte Chance und beinahe paralysiert kauerte ich im Raum. Auf der einen Seite vergingen die Sekunden viel zu schnell, als ob tausend Gnome ihre helle Freude daran hatten, den Zeiger der Uhr vorwärts zu schieben und dabei meine Qualen zu vertausendfachen, andererseits war noch genügend Zeit vorhanden, um sich das kommende Szenario bildlich vorzustellen. Was blieb war die Wut, weil ich mich so hilflos fühlte und diesen letzten Kampf verloren hatte, so war es nur ein verbissenes Aufbäumen, als ich an den Fesseln zerrte, ohne den geringsten Erfolg. Keine Alternative bot sich mir, mit den Händen auf dem Rücken saß ich neben dem Bett und mein Zeitgefühl ging verloren. Zusätzlich wurde mir übel, denn aus dem verschütteten Benzin entwich das Benzolgas und dies begann, meine Sinne zu benebeln. Vielleicht blieben mir noch zehn Minuten. Gas und Benzin ließen mich träge werden und ich erwartete, daß sich langsam noch einmal mein Leben vor meinem geistigen Auge abspielen würde, aber alles fing sich nur an im Raum zu drehen, was ich für eine enttäuschende Abschiedsvorstellung hielt. Ich begann langsam aufzugeben, doch auch wenn mir keine Hoffnung blieb, wußte ich aus meiner Erfahrung, daß dies falsch war. Solange ich noch denken konnte, war ich noch am Leben und solange ich noch am Leben war, mußte ich kämpfen. Tat ich das nicht, hatten meine Feinde schon gewonnen, bevor meine Zeit gekommen war und ich war zu geizig, ihnen diesen Sieg zu gönnen. Mein Schicksal konnte es einfach nicht sein, so zu sterben und die Frau, die ich liebte, in Ungewißheit und Gefahr zu lassen. Nicht solange ich noch einen Atemzug machen konnte, war ich dazu bereit und aus meinem Inneren stieg eine Kraft auf, mit der felsenfesten Gewißheit, niemals zu kapitulieren. Mit letzter Energie riß ich mit meinen Armen an den Fesseln und dann geschah es, das Band begann sich leicht zu dehnen und ließ sich nach und nach lösen. Doch obwohl es mir wie ein Wunder vorkam, war es keines, denn das Benzin wirkte mit der Zeit auf das Band wie Verdünnung und verringerte deshalb die Klebwirkung, so daß es mir nun möglich war, mich zu befreien. Welcher Engel auch für diese Rettung in letzter Sekunde verantwortlich war, ich hätte ihn hier sofort auf den Knien gedankt, aber das mußte ich verschieben, denn nach meiner umnebelten Schätzung bleiben nur wenige Minuten, um das Haus zu verlassen. In aller Eile warf ich alle wichtigen Sachen auf das Bett, wo auf der unbenutzten Seite eine vom Kampf etwas zerknüllte Tagesdecke lag, die sich bestens für ein Bündel eignete. Auf die Garderobe im Schrank konnte ich spielend verzichten, aber das 194
Notebook, meine Papiere, Handy, oder die Kleidung von gestern, die ich brauchte, um meine benzingetränkten Klamotten vom Leib zu bekommen, waren mir zu wichtig, als daß ich sie zurücklassen wollte. Zwanzig Sekunden später war das Fenster geöffnet und mit einem gewagten Sprung aus der ersten Etage landete ich neben der Auffahrt. Ohne zurückzuschauen rannte ich über den Vorhof und vermißte dabei mein Cabrio, was offenbar verschwunden war. Doch mir blieb keine Zeit darüber nachzudenken, denn kaum hatte ich hinter der Mauer zur Straße die erste Deckung gefunden, riß mich eine infernalische Explosion von den Beinen. Trümmerteile flogen über mich hinweg, die Fensterscheiben der umliegenden Häuser zersplitterten und die mich umgebenden Fassaden waren in helles Licht getaucht. Eine Welle heißer Luft strich über meinen Körper, während ich mich vom ersten Schrecken erholte und stolpernd einige Meter weiter in eine Querstraße rannte. Dieses wunderschöne alte Haus war jetzt nur noch Erinnerung und mit Wehmut sah ich auf den Haufen Schutt, aus dem Flammen nach oben züngelten und alles verzehrten, was die lodernden Mäuler zu fassen bekamen. Überraschend schnell füllten sich nun die Straßen, Sirenen kündigten die Ankunft der Feuerwehr an und da war die Polizei sicher auch nicht mehr weit. Leicht hätte ich mich unter die neugierigen Passanten mischen können, aber mein Benzingeruch konnte mich in einige Schwierigkeiten bringen und so verließ ich durch die kleine Gasse die Stätte des Infernos, geschützt durch die Dunkelheit der bald sterbenden Nacht. Es dauerte eine Weile bis ich eine öffentliche Toilette fand und mich notdürftig reinigen konnte, dann entledigte ich mich meiner Sachen und zog mich um. Dabei hatte ich dort ein kleines Zusammentreffen mit einem Mann, der meinen Striptease mißverstand und nach einem kurzen Schlagabtausch feststellen mußte, daß ich kein Junge für eine Stunde war. Langsam dämmerte es und auf dem Weg zu Regina hatte ich einige Zeit, über alles nachzudenken. Sie war der einzige Mensch hier, dem ich vertraute und der mir Unterschlupf gewähren konnte, bis ich mir über meine weiteren Schritte im Klaren war. Allerdings stand eine Konsequenz durch den heutigen Abend schon fest, ich war vorübergehend für die Terroristen tot und es erschien mir vorteilhaft, das noch eine Weile zu bleiben, auch wenn ich mir keine Hoffnung machte, diese Scharade lange aufrecht erhalten zu können. Schließlich würde man in den Trümmern keine Leiche finden, aber man brauchte sicher ein paar Tage, um das festzustellen, und mit dieser Zeit konnte ich sicher etwas anfangen. Einen gefälschten Reisepaß zu besorgen hielt ich nicht für so schwierig, schlimmer war es, daß ich keines meiner Konten benutzen konnte, ohne mich zu verraten, denn die waren sicher sehr leicht zu überwachen. Der größte Verlust allerdings war und blieb Anne. Nicht, daß ich unglücklich darüber war, überlebt zu haben, aber jetzt mußte ich die Bürde mit mir tragen, daß sie mich haßte und ich konnte nicht sagen, daß dies einfach war. Doch auch dort hatte ich jetzt die Chance bekommen, sie zu suchen und alles richtig zu stellen. Es war sicher 195
nicht einfach, aber der Gedanke an sie hatte mich gerade gerettet und er würde mich weiterhin begleiten, wohin es mich auch immer verschlug. Kurz vor Reginas Studio ging ich in eine Brasserie, um mit Kaffee und einem Croissant etwas Normalität in den Tagesablauf zu bringen und dabei wenigstens das Gefühl zu haben, daß ich alles unter Kontrolle hatte. Aber das hatte ich nur sehr schlecht und selbst mir war bewußt, wieviel Glück ich in dieser Nacht gehabt hatte. Möglicherweise war mein Konto in dieser Hinsicht aufgebraucht, vielleicht hatte ich auch nur meinen Untergang um ein paar Tage hinausgezögert, aber wer konnte schon in die Zukunft sehen. Eine gute Stunde später fand ich mich frisch geduscht in Reginas Gästezimmer wieder und wurde beinahe rührend mit heißer Milch versorgt, aber auch ohne sie stand ich kurz davor, in einen tiefen Schlaf zu fallen. Allerdings machte mein Aufzug es vorher nötig, etwas ausführlicher mir ihr über mein Problem zu reden und obwohl sie nur andeutungsweise etwas erfuhr, reichte das um mir ihrer Hilfe sicher zu sein. Mehr sogar, sie deutete an, genügend Beziehungen zu haben, damit ich mein Vorhaben in Angriff nehmen konnte, drückte sich aber so vage und geheimnisvoll aus, daß ich nicht wußte, was sie vorhatte. Das Grübeln darüber gelang mir nur kurz, zu erschöpft verlangte der Körper nach der nötigen Ruhe und mit Macht holte er sie sich. Drei Tage beherbergte mich Regina nun schon und je länger es dauerte, desto heißer wurden die Kohlen, auf denen ich saß. Dabei hatte ich die Zeit nicht sinnlos verstreichen lassen, im Gegenteil, denn zuerst hatte ich mich heimlich in das Hotel Ares geschlichen und im Zimmer von Emilio und Mario nach möglichen Spuren gesucht. Doch dort war nichts mehr zu finden, denn irgend jemand hatte ihre Sachen geholt und die Rechnung bezahlt, obwohl mir Regina ernsthaft versicherte, daß die beiden noch immer in staatlichen Gewahrsam waren und keine Gelegenheit hatten, mit jemanden zu sprechen. Sie mußten also einen Helfer haben und vielleicht hatte ich ihn übersehen als Bernd und ich die Sarden überwältigt hatten. Dadurch ergab sich zwangsläufig, daß ich selbst das Versteck in dem alten Haus verraten hätte, wenn man mich weiter beobachtet haben sollte, und es dauerte eine Weile, bis ich mich von dem Schock dieser Möglichkeit erholt hatte. Genauso wäre dann auch Fortunati Reginas Studio bekannt, was mich wiederum jetzt in Gefahr brachte und Regina nicht minder, doch gegen einen solchen Verlauf der Dinge sprachen einige schwerwiegende Indizien. Fortunati hätte mich niemals nach Mario und Emilio gefragt, wenn er durch seine Leute schon längst wußte, wo sie sich gerade aufhalten und in den letzten Tagen waren wir auch unbehelligt geblieben, was schon für sich sprach. Nein, wahrscheinlich hatte uns dieser Helfer nicht beobachtet und nur zur Sicherheit das Zimmer der Sarden geräumt, was mich letztendlich wieder beruhigte. Als nächstes nahm ich Kontakt zu Conny auf, die etwas verdutzt war, als ich sie instruierte, niemandem zu erzählen, daß ich mich gemeldet hatte, doch kannte sie meine „Arbeitsweise“ und dachte deshalb wohl nicht lange darüber nach. 196
Sie sollte versuchen den Aufenthaltsort von Diana LeClaire zu finden, die wohlmöglich mehr über das neue Versteck von Anne und Carmen wußte, als sie mir in ihrer Erregung sagen wollte. Außerdem hatte ich mit dieser Frau mehr als nur ein paar Wörtchen zu reden und sie konnte von Glück sagen, daß sie nicht „jetzt“ in meiner Reichweite war. In meiner Reichweite war leider auch nicht Doktor Breitenbach, der keine Nachricht aus Uruguay geschickt hatte und ich war ernsthaft am überlegen, ob jetzt der Notfall eingetreten war, um Herrn Krause ins Spiel zu bringen, schließlich dürften die letzten Ereignisse auch den Doktor brennend interessieren. Doch wer konnte garantieren, daß der Maulwurf nichts davor erfuhr und dann sein Wissen an die „Lemuren“ oder Fortunati verkaufte, so entschied ich mich für den Alleingang. Den mußte ich mit einer neuen Identität wagen und die Fotos für meinen neuen Paß waren schon längst gemacht. Zusätzlich hatte ich mich dazu durchgerungen, einen alten Kontakt in Venezuela wiederherzustellen, von dem ich mir die nötige Unterstützung bei meiner Suche nach Anne erhoffte. Zwiespältige Gefühle hatten mich dabei begleitet, denn alleine die Tatsache, daß mich mein Weg offensichtlich wieder in diesen Teil der Erde verschlagen würde, hätte nicht dazu ausgereicht, um Juan Rubio einen Besuch abzustatten. Es war nicht so, daß ich ihn nicht wiedersehen wollte, ganz im Gegenteil, auch waren wir damals nicht im Streit auseinandergegangen, trotzdem hatte ich es in den letzten sieben Jahren vermieden, ihn und seine Familie zu besuchen. Der Grund war an sich simpel und doch belastete er mich, weil es mir einfach unangenehm war, immer wieder auf seine damalige Befreiung aus den Händen des Drogenboßes angesprochen zu werden. Als wir damals zusammen in Caracas bei seiner Familie eintrafen, steigerte sich das zu einer Art Verehrung, aus der heraus ich fürstlich beschenkt wurde und diese Geste keinesfalls ablehnen durfte. Weder vor all den Jahren, noch heute, würde diese „Belohnung“ die Rubios ärmer machen, denn der Vater Carlos Rubio machte aus seiner kleinen Ölfirma einen im südamerikanischen Raum bekannten Konzern, der von Export-Importgeschäften bis zu internationalen Beteiligungen alles machte, was versprach, Geld abzuwerfen. Die riesige Summe, die er mir damals so großzügig geschenkt hatte, ließ mich mein finanziell sorgenfreies Leben führen und es ermöglichte mir, in fremden Ländern manches Abenteuer und dazu gelegentlich auch einigen Ärger zu erleben. Jetzt wollte ich den so häufig ausgesprochenen Einladungen endlich folgen und gleichzeitig versuchen, mir ein Sprungbrett zu schaffen, um zu den Schatzkisten zu gelangen, wo Anne früher oder später wieder auftauchen würde. Doch diesen Punkt in Südamerika zu finden, bedeutete noch eine Menge Arbeit und deshalb war ich für jede Hilfe dankbar, die ich bekommen konnte. Von diesen Hintergründen ahnten die Rubios natürlich nichts als ich meinen Besuch ankündigte und dabei mit meinem zwar nicht schlechten, aber auch nicht reinen Gewissen zurechtkommen mußte, weil mich hauptsächlich sehr egoistische Gründe zu der Reise veranlaßten. Venezuela stand nun für mich als Reiseziel fest, jedenfalls bis zu dem Augenblick, an dem ich in einem Internetcafe meine Mails durchsah und Post von Jocelyn aus Sydney 197
bekommen hatte, die sofort meine gesamte Planung über den Haufen warf. Denn sie hatte eine Spur von Josef Biedermann gefunden und wenn sich das als wahr herausstellte, konnte ich vielleicht schneller als in meinen kühnsten Träumen erwartet zum Versteck des Goldes aufbrechen. Jedoch überraschte es mich, wie schnell sie zu einem Ergebnis gekommen war, was mich etwas vor allzu schnellen euphorischen Ausbrüchen bewahrte, denn in der kurzen Nachricht standen keine Einzelheiten und es wr möglich das sie sich täuschte. Trotzdem reichten die paar Zeilen aus, um meine Reservierung nach Caracas platzen zu lassen und nach Sydney umzubuchen, wo ich demnächst als José Gonzales landen würde, so stand es jedenfalls in meinem neuen Paß, der mich als argentinischer Rindfleischexporteur aus Buenos Aires auswies. Wie Regina es geschafft hatte, einen echten argentinischen Reisepaß zu bekommen, sollte mich nicht interessieren, obwohl es das ungemein tat und sich meine Phantasie in dieser Sache einiges ausmalte. Doch sie blieb verschwiegen, als wir uns am Flughafen verabschiedeten und ich kaum die Worte fand, mich für ihre unschätzbare Hilfe zu bedanken. Es war doch eigenartig, wie ein Mensch, den man so lange nicht gesehen hatte, schlagartig eine bedeutende Rolle im Leben spielen konnte und ich würde ihr das sicher nicht vergessen. So bestieg ich nachdenklich das Flugzeug als Argentinier auf dem Weg nach Australien und natürlich mußte ich mich ein wenig auf diese Rolle vorbereiten. Nun war ich nicht mehr blond, sondern hatte gefärbte schwarze Haare und trug Kontaktlinsen, damit mich meine blauen Augen nicht verraten konnten. Dazu gab mir die dunkle Sonnenbrille den Hauch eines Latinos, dem ich nur mit meiner gebräunten Haut nicht auf die Sprünge helfen mußte. Wieder empfing mich Sydney freundlich, denn das herbstliche Wetter hier auf der Südhalbkugel hatte alle Register gezogen, um es den Menschen so angenehm wie möglich zu machen. Hank und Jocelyn holten mich ab und wir fuhren zu ihrem Haus in eine der gepflegten Vorstädte, die nicht weit vom Meer lagen, dabei wunderten sie sich kaum über mein leicht verändertes Erscheinungsbild, denn schon meine Suche nach Biedermann hatte ihnen klar gemacht, daß ich wieder an einer spannenden Sache arbeitete. Die sanfte Brise, die sich von der See über das Land legte, war wohltuend, ich genoß das zusammen mit den wärmenden Strahlen der Sonne und versuchte trotz der inneren Eile, die ich verspürte, genug von dieser Natur in mich aufzunehmen. Später ging meine Ankunft dann in eine kleine Party über, denn schon einige Male war ich hier zu Besuch gewesen und kannte die Familie so gut, daß Hanks Eltern, die in der Nähe wohnten, sogleich zu einem Willkommenstrunk im Garten erschienen. Ich drängelte nicht von Biedermann zu hören, dazu blieb am Abend noch genug Zeit und wäre es akut gewesen, hätte mich Jocelyn sowieso schon darauf angesprochen. Außerdem genoß ich die heitere Stimmung, die mich etwas von dem Jetlag ablenkte, der mich sicher noch bis morgen begleiten würde. Solange das Essen vorbereitet wurde, konnten wir Männer uns über den Sport und das Fischen auslassen, was jedoch schnell von Jocelyn unterbunden wurde, die es gar nicht mochte, wenn wir uns mit einem Foster`s in die Ecke stellten und wild drauflos 198
fachsimpelten. So saßen wir dann in fröhlicher Runde bis uns der kühle Nachtwind in das Haus vertrieb und nur noch wir drei übrig waren, das war der Zeitpunkt, um zum ernsteren Teil meines Besuches zu kommen, „Also Jocelyn, nun verrate mir mal, wie du Biedermann gefunden hast“ „Eine Mischung aus Glück und guter Vorarbeit, Gab. Deine Informationen waren nicht schlecht, aber zuerst erbrachten die direkten Nachforschungen überhaupt nichts. Ich überlegte mir dann, daß der Antiquitätenhändler mehr wissen könnte, als er dir gesagt hatte und dem rückte ich auf den Pelz. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Ausstrahlung so ein Presseausweis hat, jedenfalls wurde er ganz schön nervös und meine Nase sagte sofort, da mußt du nachhaken und tatsächlich, nach einigen Drohungen und einigen netten Worten löste sich dann seine Zunge“ „Hank! Was hast du da nur für eine Frau geheiratet? Ich bin schockiert“ Er tat sehr zerknirscht und schüttelte mit dem Kopf, „Ich weiß auch nicht, das ist ja wirklich erschütternd. Vor der Hochzeit war sie ganz anders“ Jocelyn zeigte sich davon unbeeindruckt, „Männer...! Also, auf jeden Fall kaufte der Händler von einem Typen namens Sparky Diebesgut an und ungefähr alle drei Monate tauchte Sparky mal auf, der ihm dann alles anbot, was an seinen Fingern klebengeblieben war. Durch die ‚freiwillige’ Mitarbeit dieses Händlers hatte ich zwar jetzt eine Beschreibung von Sparky, aber der hätte ja sonstwo sein können. Das wäre eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen geworden und schlimmstenfalls hätten wir warten müssen, bis er sich wieder nach einem Beutezug gemeldet hätte“ Ich nippte an meiner Flasche Bier, „Das hört sich so an, als wenn du nicht solange gewartet hättest“ „Genau Gab, ich saß in meinem Büro und grübelte gerade darüber nach, als mich mein Kollege Bob auf eine gute Idee brachte. Er meinte, ich solle doch mal bei der Polizei oder den Gefängnissen nachfragen, denn wenn der Kerl erwischt worden wäre, könnte ich noch lange warten und genau dieser Tip war ein Volltreffer“ „Gedankt sei Bob“, wir stießen alle an. „Stimmt, im Norden hatten sie ihn in einer kleinen Stadt verhaftet und nun wartet er auf seinen Prozeß. Ich bin natürlich sofort hin und wollte mit ihm reden, aber das ist ein verstockter Brocken gewesen. Sowas Stures habe ich selten gesehen“ „Aber du hast seine Zunge gelöst?“ „Ja, sicher, wer kann denn schon meinem Charme widerstehen?“ „Was?!“, Hank horchte auf. „Nein! Ich habe ihm einen guten Anwalt besorgt und dafür hat er dann endlich geredet. So einfach war das, meint ihr Männer denn wirklich, daß wir nicht mit unserem Kopf arbeiten können und immer unsere Reize einsetzen müssen?“ Hank antwortete ganz schnell, „Äh, Nein!“ „Uh, also, was denkst du denn. Niemals!“, kam von mir hinterher. Da waren wir beide gerade noch von der Schippe gehopst, auf die uns Jocelyn nehmen wollte. „Gab, Gab, du hast einen schlechten Einfluß auf meinen verehrten Gatten!“ „Wer? Ich? Neeeein! Wie ging denn die Sache nun weiter?“ 199
„Hmmm..., leider konnte sich Sparky nur noch sehr vage an alles erinnern, muß wohl an den Drogen liegen, die ihm offenbar das Gehirn angefressen haben. Jedenfalls wußte er nicht mehr so recht, wo genau er sich den Kompaß besorgt hatte, aber daß es auf einer Tour durch den Nordwesten war, da war er sich sicher. Aus dem Polizeiprotokoll konnte ich aus der Liste der Einbrüche einige seiner Reisen rekonstruieren und das gab mir ungefähr einen Eindruck, wie weit er sich immer von Sydney entfernt hatte“ „Du bist wirklich ein schlaues Mädchen, wenn ich das so sagen darf,...“ , dabei sah ich zu Hank hinüber, der zustimmend nickte, „... also, wo kommt nun der Kompaß her?“ „Sei doch nicht so aufgeregt, es geht ja schon weiter. Bis an die sechshundert Meilen hatte er seine Fahrten ausgedehnt, je nach dem, wie erfolgreich er war, doch das blieb vorerst eine Sackgasse. Aber ich setzte mich mit allen Regionalzeitungen von hier bis Wilcannia in Verbindung und ließ dort nach einer Einbruchserie suchen, dazu sollten die Leute auch im Archiv nachsehen, ob sie etwas mit dem Namen Pinky Mahoney anfangen konnten“ „Und das konnte jemand, stimmt’s?“ „Gut kombiniert, Gab. Leider kommen des öfteren Einbrüche vor und das alleine hätte uns nicht viel geholfen, aber einige Einbrüche und Pinky Mahoney, das hörte sich vielversprechend an“ „Richtig gesagt Jocelyn, gute Arbeit von dir und wo bist du fündig geworden?“ „In Corban, ich zeige es dir gleich auf der Karte. Pinky war vor fünfzig Jahren ein stadtbekannter Trunkenbold und hatte dort öfters Ärger mit der Polizei, deshalb wurde auch gelegentlich über ihn geschrieben. Es waren meistens zwei Sätze, daß er wieder eine Prügelei angezettelt hatte, oder zum Ausnüchtern in der Zelle gelandet war, damals schien so etwas die Leute zu interessieren. Als ich mit den Jungs da unten telefonierte, sagten sie mir, daß es wohl noch einen Redakteur aus den alten Tagen geben soll, der schon längst pensioniert ist, aber manchmal noch in der Redaktion herumlungert. Vielleicht weiß er noch einiges von früher, hier ist seine Adresse in Corban“ Der Mann hieß Perry O`Tear und sollte er sich wirklich an Pinky Mahoney erinnern, dann vielleicht auch an die Leute, die mit ihm zusammen waren, so wie Biedermann, „Du bist eine Super-Reporterin Jocelyn und wenn du nicht Hank hättest, würde ich dich glatt heiraten“ Sie verzog betont säuerlich die Miene, „Ha, Ha, das sagst du ja nur, weil du weißt, daß ich meinen Mann nie verlassen würde“ Wir saßen noch einige Zeit zusammen und plauderten, so erzählte ich von einigen harmloseren Erlebnissen und die beiden eröffneten mir fast nebenbei, daß Jocelyn im dritten Monat schwanger war und ich unbedingt zur Taufe kommen mußte. Mit diesen guten Nachrichten ging ich dann bald schlafen, denn morgen würde wieder ein langer Tag werden und ich hatte einen weiten Weg nach Corban vor mir. Viel Zeit hatte ich auch diesmal nicht für die beiden, doch in einigen Monaten würde ich das sicher nachholen und länger bleiben. 200
Es war eine ruhige und erholsame Nacht, eine von wenigen in letzter Zeit, und ich wußte, daß ich mich bald wieder nach solch einem friedvollen Schlaf sehnen würde. On the Road - Viel wußte ich über mein Ziel gerade nicht, nur daß es durch den Kupferabbau und die vielen Minen dort recht bekannt sein mußte. Mit dem geborgten Jeep meiner Freunde fuhr ich gegen Mittag los und nachdem Sydney schon eine Weile in meinem Rücken verschwunden war, ging es weiter westlich über Springwood und Lawson in Richtung Katoomba, mitten durch den Blue Mountains National Park. Dieser Name kam nicht von ungefähr und ich hatte das Glück, für einen kurzen Moment das wundervolle Naturschauspiel zu beobachten, das der Landschaft zu diesem Namen verhalf. Die Verdunstungen der ätherischen Öle einer Unmenge von Eukalyptusbäumen war nämlich für einen bläulichen Schleier in der Luft verantwortlich und machte die Landschaft irgendwie geheimnisvoll, so daß man jeden Moment erwartete, von Feen und Trollen aus dem Wald umgeben zu sein. Doch die ließen sich heute nicht blicken und so gönnte ich mir nur eine kurze Rast in Katoomba, wo ich am Echo Point über die hügelige Landschaft meine Augen bis zu den Felsformationen am Horizont schweifen ließ. Von diesem Bild konnte ich mich nur schwer wegreißen, aber die Zeit drängte mich und nachdem ich vollgetankt hatte, ging es wieder weiter – meinem ersten Etappenziel entgegen. Schnell kam ich ihm näher, weil die Fahrzeuge hier draußen merklich abnahmen und das kam mir sehr entgegen, denn der Linksverkehr auf den Straßen war so ungewohnt für mich, daß ich mich auf den dichtbefahrenen Strecken sehr stark konzentrieren mußte. Dabei hätte ich viel lieber auf die Känguruhs geachtet, doch die hielten ihren Mittagsschlaf und einzig erkannte ich einige Emus am Rand einer Lichtung, die sich auf der Nahrungssuche von den wenigen Autos nicht stören ließen. Längst lag Bradhurst schon hinter mir und ich hielt auf dem Mitchell Highway bei Wellington an, wo ich einen kleinen Lunch zu mir nahm, um so gestärkt bis zum Abend wenigstens noch die Strecke nach Nyngan hinter mich bringen zu können. Die Nachmittagshitze flimmerte auf dem Asphalt und Kilometer für Kilometer drang ich weiter in das Land vor. Langsam senkte sich die Sonne und berührte in einem wundervollen Orange die Spitzen des Buschlandes mit ihren letzten Strahlen. So erreichte ich Nyngan, ein nettes Städtchen am Bogan River, welches seine Größe offenbar der günstigen Lage am Schnittpunkt zwischen dem Mitchell Highway und dem Barrier Highway zu verdanken schien. Die lange Fahrt hatte mich müde gemacht und noch lagen an die hundert Meilen vor mir, doch den größten Teil der Strecke hatte ich schon hinter mich gebracht. Dort angekommen suchte ich nicht lange nach einer passenden Unterkunft und traf eine ganz gute Wahl, als ich im „Country Mannor Motor Inn“ ein Zimmer nahm, wo auf mich als erstes eine erfrischende Dusche wartete. Es tat einfach gut, das warme Wasser am Körper zu spüren und sich hinterher auf ein kühles Bier zu freuen. 201
Mit diesem Gedanken ging ich in die Stadt und suchte nach einem typischen Restaurant, das sich leicht an der Hauptstraße finden ließ, und bestellte mir ein Emusteak, welches mich im Geschmack leicht an Rindfleisch erinnerte und davon mußte ich als argentinischer Rindfleischexporteur schließlich Ahnung haben. Beim Essen kam natürlich meine Berufskrankheit wieder durch und ich schaute mir die Leute etwas genauer an, die freundlich und doch etwas verschlossen schienen, dem Fremden anfangs reserviert, jedoch nicht so, daß man sich unwillkommen fühlte. Doch viel Zeit, um die Menschen hier kennenzulernen, blieb mir nicht, denn dazu war der Gedanke an mein Bett allzu verführerisch und so ging ich langsam wieder zurück zum Motel. Die Luft war hier anders als in Sydney, viel schwerer und die Kühle der Nacht brachte mir beim Gehen einen erdigen Geruch in die Nase. Ich schaute mich aufmerksam um und versuchte, mit allen Sinnen etwas von dem Land in mich aufzunehmen, „Der Tourist fällt auf, der Reisende verschwindet in der Menge“, das war mir einmal zu Ohren gekommen und ich fand es sehr passend. Ich war immer ein Reisender gewesen und jedes Land hatte seine Eigenheiten, die man respektieren sollte, und dieser Respekt war es, der mich viele Kleinigkeiten aus anderen Kulturen lernen ließ. Die Geschäfte wurden weniger, vielleicht trennten mich noch einige Minuten vom Motel, als das Klappern einer Dose dicht hinter mir mich aufhorchen ließ. Ich blieb stehen und drehte mich suchend um, aber kein Mensch war zu sehen. Da war es wieder, dieses Ziehen in meinem Nacken und ich sah mich nochmals nach einer drohenden Gefahr um. Doch es war nichts zu entdecken und ich setzte meinen Weg fort, allerdings mir war so, als wenn mich jemand verfolgte und beobachtete. Waren all meine Bemühungen, inkognito in dieses Land zu kommen, vergeblich gewesen? Die ganze Zeit hatte ich mich vorsichtig verhalten und nichts Verdächtiges war mir aufgefallen. Was auch dahintersteckte, eines stand für mich fest - Bevor ich mich die ganze Nacht damit beschäftigen würde, mußte ich mir Gewißheit verschaffen. So verschwand ich in eine kleine Querstraße, wo ich am Ende des Blocks nach rechts abbog und wartete. Nichts passierte, vorsichtig sah ich zurück um die Hausecke, aber niemand folgte mir in die Gasse. Hatte ich mich wirklich so getäuscht? Angespannt ging ich weiter und erreichte ohne Zwischenfälle das Motel, aber der Instinkt riet mir immer noch, vorsichtig zu sein. Das war ich dann auch, obwohl es mir ein wenig übertrieben vorkam, als ich noch am Jeep stehenblieb um Hank`s großkalibrige Jagdflinte zu nehmen, die an der Innenseite der Hecktür befestigt war, „Man kann nie wissen, was da draußen so alles passiert“, mit diesen Worten hatte sich Hank verabschiedet, als er mir das Gewehr zeigte und damit hatte er offensichtlich nicht unrecht. Die Waffe war mir persönlich zu unhandlich mit ihrem Zielfernrohr, aber der Gebrauch eines Jagdgewehres war mir durch den Aufenthalt in mehreren abgelegenen Gegenden bestens bekannt, so mußte ich mich mit der Sauer 202 nur kurz vertraut machen. Es hatte Kaliber 375 mit einem Magazin von vier Schuß und sicherheitshalber 202
überprüfte ich nochmal das Magazin, aber mittlerweile fühlte ich mich nicht mehr bedroht und hatte vielleicht nur gereizt auf das Spiel einer Katze reagiert. So ging ich ruhig zu Bett, trotzdem hatte ich keine so ruhige Nacht wie die vorherige, denn irgendwann nachts war ich wieder wach geworden und hatte einige Zeit ziellos aus dem Fenster geschaut, aber auch diesmal mußten mir meine Sinne zu empfindlich reagiert haben. Nach solch einer Nacht war es demnach nicht verwunderlich, daß ich schon früh auf den Beinen war und mit dem starken Kaffee den Rest an Müdigkeit aus meinem Körper vertrieb. Das dauerte etwas und erst nach der dritten Tasse ging es relativ munter mit dem ersten Sonnenlicht gen Westen auf dem Barrier Highway in Richtung Corban weiter. Buschland mit vereinzelten hohen Bäumen wechselte sich mit großen Flächen gelben Grases ab, das sich im Wind wiegte und mich an Weizenfelder denken ließ. Die Hügel und Felsen nahmen später dann zu und ich wurde etwas aufgeregt, als ich mich der Stadtgrenze meinem Ziel näherte und auf einem Parkplatz in der Nähe des Great Western Hotels aus dem Wagen ausstieg. Ohne lange Umschweife machte ich mich auf den Weg zu dem alten Zeitungsmann, dessen Wohnung in einem mehrstöckigen Haus war, das unweit des Stadtkerns lag. Ich ging zu Fuß, es war nach der Fahrerei eine Wohltat etwas zu laufen und sich dabei die Stadt anzusehen. Wenig Leben war auf der Straße und mir fielen einige betrunkene Männer auf, die sich auf dem Gehweg sitzend über einige Passanten lustig machten. Es war kein schöner Anblick und ich war hier auch nicht auf Ärger versessen, also machte ich einen großen Bogen um die Gruppe und stand wenig später vor der gesuchten Wohnung. Vorsichtig klopfte ich an die Tür, aber nichts geschah. Das wiederholte ich nun etwas lauter und erst beim dritten Mal hörte ich nun etwas hinter der Tür, die einen Spalt geöffnet wurde, „Ja?“ „Mister O´Tear?“ „Ja, der steht vor Ihnen, junger Mann“ „Mein Name ist Gonzales und ich würde ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Die Redaktion ihrer alten Zeitung hat mir ihre Adresse gegeben und vielleicht können Sie mir weiterhelfen“ Ein kauziges kleines Männchen machte die Tür weiter auf und sah mich fragend durch seine Brille an. Durch seine geringe Größe wirkte der Mann eher schmächtig und der leicht gebeugte Körper verstärkte diesen Eindruck noch. „So? Wenn diese Grünschnäbel mal nicht weiter wissen, dann brauchen sie meine Hilfe, aber weiterarbeiten wollten Sie mich nicht lassen, dafür war ich ihnen zu alt. Wissen Sie eigentlich, daß ich beinahe Chefredakteur geworden wäre...“, ich schüttelte mit dem Kopf, „...Nein? Können Sie ja auch nicht wissen, aber es war so. Und wissen Sie auch was dann passiert ist?“ Natürlich mußte ich nichtwissend mit den Schultern zucken. „Auch nicht? Woher denn auch. Der Besitzer meinte, daß es sich die paar Jahre bei mir nicht mehr lohnen würde und hat dann einen Kerl von der Universität aus der Stadt 203
geholt, ein studierter Journalist und mit Wirtschaftsabschluß, wo gibt es denn sowas? Artikel schreiben muß man im Blut haben! Nur wissen Sie, was er nicht kann, was sie ihm auf der Universität nicht beigebracht haben?“ „Äh...“ jetzt kam ich noch nicht mal mehr zum Nicken. „Genau, wer sollte Ihnen das auch erzählt haben, junger Mann, er kann nicht schreiben. Nicht wie Sie vielleicht jetzt denken, daß er nicht in der Lage wäre, mit dem Stift die Buchstaben aneinanderzureihen, aber wissen Sie was dabei herauskommt?“ Ich runzelte nur noch die Stirn. „Richtig erkannt, seitdem kaufe ich mir kein Klopapier mehr, weil ich kostenlos diese journalistische Verunglimpfung zugeschickt bekomme“, er machte eine kleine Pause, um sich zu sammeln. „Aber das nur am Rande, kommen Sie doch herein und erzählen Sie mir Ihr Problem, bis jetzt waren Sie ja recht schweigsam“ Wo er recht hatte, da hatte er einfach recht und ich folgte ihm in das Wohnzimmer, das voll mit Büchern war und nur ein antikes Radio verzierte eine Ecke, in der sich auch noch ein großes Aquarium befand. Ohne Umschweife kam ich dann schnell zur Sache und in seiner trockenen Art konnte er mir tatsächlich einige Episoden über die Zeit, in der Pinky Mahoney hier sein Unwesen trieb, erzählen. Pinky hatte eine Farm am Darling River und einmal im Monat ließ er es in der Stadt so richtig krachen, leider mit den mir schon bekannten Folgen. Prügeleien und reichlich demoliertes Mobiliar hatten dabei seinen Weg begleitet, jedoch blieben das die schlimmsten Vergehen von ihm und so lieferte er hauptsächlich harmlosen Tratsch, den eine aufstrebende Bergwerksstadt brennend interessierte. Doch daß ein Josef Biedermann, oder überhaupt ein Deutscher nach dem Krieg hier aufgetaucht war, das konnte er ausschließen und es wäre ihm auch bestimmt nicht verborgen geblieben. Auch wenn er das nicht mit absoluter Gewißheit sagen konnte, denn zu der Zeit der großen Minen waren wohl so viele Menschen durch Corban gekommen, daß niemand genau wüßte, wer hier so alles Station gemacht hatte. Natürlich war ich etwas enttäuscht über den Ausgang des Gespräches, aber irgendwie lagen meine Erwartungen auch nicht höher, denn das hätte allem widersprochen, was ich an Lebenserfahrung schon gesammelt hatte, „Danke Mister O´Tear, wüßten Sie vielleicht noch jemanden, der mir in der Sache weiterhelfen könnte?“ „Mister Gonzales, ich bin hier garantiert das letzte Fossil, das darüber reden kann. Aber lassen Sie mich überlegen,... nein,... auch nicht mehr,... Hmmm,...vielleicht versuchen Sie es mal beim alten Callaway. Der hat damals die Farm von Mahoney gekauft und reichlich vergrößert, vielleicht weiß der noch was von damals. Neuerdings läßt er sich aber kaum mehr blicken, ist wohl ein wenig scheu im Alter geworden. Ich weiß auch nicht, ob er überhaupt noch lebt, doch da fragen Sie am besten seine Enkelin, die wohnt ein paar Straßen weiter, wie hieß sie noch... Lisa? Nein, Moment,... Lilly, ...ja genau. Das Flittchen müßte es doch genau wissen“ Fragend hob ich bei seiner letzten Bemerkung meinen Kopf hoch und sah ihn an. 204
„Verzeihen Sie, Mister Gonzales. Ich rede sicher sonst nicht so über Frauen, aber die Kleine hat ihren Ruf weg. Das ist ja auch kein Wunder und liegt wohl in der Familie, aber das nur am Rande“ Nachdem ich nun meine Fragen gestellt hatte und die Adresse von dieser Lilly auf einem Zettel bekam, versuchte der alte Mann seiner Neugierde Luft zu machen und wollte mich aushorchen, warum ich mich nach so vielen Jahren noch für Pinky Mahoney interessierte. Wohl wissend wie schnell Gerüchte entstanden, erzählte ich ihm daraufhin etwas von entfernten Verwandten in Südamerika, die urplötzlich ihren Stammbaum erforschen wollten und legte somit eine falsche Fährte, bevor ich mich eilig aus dem Staub machte. Scheinbar würde ich mich hier auf einen etwas längeren Aufenthalt einstellen müssen, um etwas Brauchbares erfahren zu können und niemand sollte ahnen, was der wirkliche Grund meines Besuches hier war. Nach fünf Minuten schien ich laut des kleinen Schildchens am Briefkasten bei Lilly Callaway angekommen zu sein und klopfte vorsichtig an. Daraufhin dauerte es überraschenderweise keine zwei Sekunden, bis die Tür aufgerissen wurde, „Verpiß dich Steve, und laß mich... oh, wer sind Sie denn?“ Eine junge Frau mit rotem Lockenkopf, deren Temperament zu der Haarfarbe passend schien, stand vor mir und war sich nicht ganz schlüssig, ob sie gleich wieder die Tür zuknallen sollte, oder doch lieber wartete, bis ich was gesagt hatte. Ich schätzte sie auf knapp zwanzig Jahre und konnte mir das Grinsen kaum verkneifen, „Ich bin auf keinen Fall Steve!“ „Das ist auch gesünder für Sie. Wenn dieser Typ sich hier noch einmal blicken läßt, dann gibt es etwas damit zwischen seine Beine“, dabei holte sie hinter der Tür einen Baseballschläger hervor und ich wünschte Steve aus ganzem Herzen, daß er sich nie wieder in diese Gegend verirren würde. „Er scheint es offenbar verdient zu haben, aber deshalb bin ich sicher nicht hier. Entschuldigen Sie die Störung, ich suche die Enkelin von Mister Callaway, bin ich da bei Ihnen richtig?“ Sie überlegte einen Moment und schien sich dabei etwas abzureagieren, wonach es nun etwas ruhiger weiterging, „Kann schon sein, daß Sie hier richtig sind. Wer will denn das wissen?“ Jetzt war ich mir ziemlich sicher, diese Lilly vor mir zu haben, allerdings mit der Keule in der Hand antwortete ich besser auf ihre Frage, „Mein Name ist José Gonzales. Ich komme aus Argentinien und habe eine wichtige Sache mit Mister Callaway zu klären, aber das kann ich nur persönlich mit ihm machen. Man sagte mir, daß Sie wüßten, wo ich ihn finden kann“ „Ist ein weiter Weg aus Argentinien, ich bin seine Enkelin Lilly, und wenn es wichtig ist, können Sie es auch mir sagen“ „Miss Callaway, leider geht das nur persönlich und es ist wichtig, bitte helfen Sie mir“ Ganz so überzeugend war ich scheinbar nicht, aber nach einer eingehenden optischen Prüfung willigte sie schließlich doch ein, „Bleiben Sie hier stehen und rühren Sie sich nicht weg. Ich hole eine Karte und danach werde ich meinen Großvater 205
anrufen, daß Sie kommen. Er liebt keine Überraschungen mehr und ich gebe Ihnen den guten Rat, dort draußen keinen Ärger zu machen, das liebt er nämlich auch nicht“ Die Kleine hatte Haare auf den Zähnen und schien nicht dumm zu sein, denn sie war vorsichtig genug, um mich nicht hereinzulassen, was mir gefiel. „Hier sehen Sie, in Richtung Wilcannia, dort am Darling River liegt die Farm meines Großvaters. Sie können sie nicht verfehlen, achten Sie nur auf das Schild am Highway und vergessen Sie nicht, sich Wasser mitzunehmen, denn Sie sehen wie ein Stadtmensch aus“ „Danke für Ihren Rat, Sie haben mir sehr geholfen“, ich war schon im Begriff, mich umzudrehen und zurückzugehen, da fiel mir plötzlich noch etwas ein. „Eine Frage habe ich noch, Miss Callaway. Ist bei Ihnen in letzter Zeit eingebrochen worden?“ Sie schaute mich überrascht an und wich etwas zurück, „Woher wissen Sie das? Was sind Sie für ein komischer Typ, los, sagen Sie mir die Wahrheit“ Ein Schuß ins Blaue und ein Treffer ins Schwarze, der darauf beruhte, daß Sparky sich nur in Städten rumgetrieben hatte, aber nie abgelegene Farmen bei seinen Touren besuchte. „So komisch bin ich gar nicht. Hat man Ihnen dabei einen alten Kompaß gestohlen?“ Es war nicht zu übersehen, daß Sie zusammenzuckte und gleichzeitig den Griff des Schlägers fester nahm, bevor sie noch Dummheiten damit machte, sprach ich deshalb weiter, „Das ist der Grund, weshalb ich mit Ihrem Großvater reden wollte. Ich vermute mal, daß Sie den Kompaß von ihm bekommen haben. Vor einiger Zeit ist mir das Stück, ohne seiner Herkunft zu kennen, in die Hände gefallen und ich habe daraufhin einige Erkundigungen eingezogen, um etwas mehr darüber zu erfahren und einige offenen Fragen zu klären“ Sie stand immer noch, ganz entgegen meines ersten Eindrucks, zögernd vor mir und schien nicht recht zu wissen, was sie von mir zu halten hatte, „Ich bereue es schon, Ihnen den Weg gezeigt zu haben, allerdings hätte Ihnen sowieso jeder Trottel aus der Stadt das Gleiche erzählen können und wenigstens hatten Sie soviel Anstand, bei jemanden aus der Familie zu fragen. Nun wissen Sie also, wo mein Großvater zu finden ist, stellen Sie Ihre Fragen und verschwinden Sie dann. Aber vorher will ich mein Eigentum zurück, sonst komme ich noch auf den Gedanken, daß Sie hinter dem Einbruch stecken und dafür würde sich sicher die Polizei interessieren“ „Das macht sie schon, der Einbrecher sitzt bereits hinter Gittern und Ihren Kompaß bekommen Sie selbstverständlich zurück. Allerdings habe ich ihn nicht bei mir und kann Ihnen erst von zu Hause aus das gute Stück zuschicken“ „Ich weiß zwar nicht, warum Sie extra herkommen sollten, um mich anzulügen, aber ich habe trotzdem ein blödes Gefühl bei Ihnen. Irgendwas stimmt an der Geschichte nicht und das werde ich auch gleich meinem Großvater sagen - verschwinden Sie jetzt“ „Vielen Dank nochmal, junge Lady...“, höflicher konnte ich nicht mehr sein, weil nun die Tür kurz vor meiner Nase zuknallte. Dieser alte Callaway hatte offensichtlich seiner Enkelin den Kompaß geschenkt, auch wenn sie mir das nicht direkt bestätigt hatte, so schien mich mein Instinkt nicht 206
getrogen zu haben. Vielleicht stammte er noch aus der Zeit, wo Pinky Mahoney auf der Farm lebte und durch Zufall fiel er in die Hände der Callaways. Doch möglicherweise steckte hinter dem alten Callaway auch jemand anderes, meine Nase juckte und der Nacken meldete sich, ich war wieder dicht im Zentrum des Geschehens. Schneller als erhofft löste sich der Nebel der Unwissenheit auf und wies mir den Pfad zur Erkenntnis, der mich nach Südwesten in Richtung Wilcannia führen sollte. Wieder lagen hundert Meilen gerade Straße vor mir, die mich mit wachsender Spannung durch eine sanfte, hüglige Gegend führte und parallel zum Darling River verlief. Solange, bis mich ein altes Schild am Highway vom Asphalt wegführte und ich nun meinen Weg über eine staubtrockene Piste fortsetzen mußte, die schnurgerade durchs Gelände ging. Nach zehn Meilen holpriger Fahrt konnte ich die ersten Anzeichen einer Schafzucht entdecken, einige Herden zogen am Horizont zwischen den Hügeln entlang und dann sah ich auch die ersten Zäune. Hier war alles weiter und ausgedehnter, Jocelyn hatte sicher recht, wenn sie meinte, daß wir Europäer meist in kleineren Dimensionen dachten, aber wer von uns hatte schon je solche Weiten erlebt. Der Himmel war blau und einzelne kleine Dunststreifen, die man beim besten Willen nicht als Wolken bezeichnen konnte, schwebten an ihm entlang, einem imaginären Ziel entgegen. Nach dem letzten Hügel sah ich endlich die Farm vor mir in einer kleinen Talsenke liegend, mit drehendem Windrad und einigen Nebengebäuden, dazu ein Haupthaus, das elegant in der Sonne lag, mit weißen Holzwänden, die das Licht zu mir herüberreflektierten. Sicher war meine Staubwolke schon meilenweit zu sehen gewesen und Lilly Callaways Anruf hatte das übrige getan, denn einige Leute standen an der Veranda bereit, um mich in Empfang zu nehmen. Deshalb macht nicht nur die heiße Luft beim Aussteigen meine Kehle trocken, sondern auch die Gesichter dieser drei Männer, die genauso abschreckend waren wie ihre Gewehre, „Hallo, einen schönen Tag wünsche ich“ Ein großer Kerl mit Vollbart und struppigem Haar, das von einem alten Hut mit breiter Krempe nur teilweise verdeckt wurde, trat vor und begutachtete mich mit einem geringschätzigen Blick, „Howdy, sind Sie Gonzales?“ „Ja, das bin ich“, als hätte ich gegen eine Wand gesprochen, standen die drei ungerührt vor mir und starrten mich weiter an, doch dann kam doch Bewegung in den Mann, der mit mir geredet hatte, „OK, ich sage Bescheid und Sie rühren sich nicht von der Stelle, Mister“ Er verschwand und ich erlaubte mir trotz seiner Aufforderung einige Schritte zu gehen, um mir den alten Brunnen mit dem Windrad etwas intensiver zu betrachten, wobei ich keine Sekunde von den beiden verbliebenen Männern aus den Augen gelassen wurde. Mein Blick ging zu den Ställen, die jedoch leer dalagen und irgendwie trostlos aussahen, auch sonst war keine Menschenseele zu sehen und alles wirkte hier verlassen und öde.
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Ich mußte kein Fachmann für meine Einschätzung sein, daß die Geschäfte sicher nicht gut liefen und die paar Schafe auf den Weiden konnte man kaum als dickes Plus auf der Habenseite notieren. Die zwei Kerle blieben mißtrauisch und schweigsam, als ich wieder zurückging und so durchbrach nur das Summen des Windrades kontinuierlich das Schweigen, bis der Mann mit dem Hut wiederkam, „Mister Callaway will Sie sehen, kommen Sie rein“ Das war mein Stichwort, schnell drehte ich mich um und mußte über die Veranda in das Haus gehen, durch das ich jedoch einfach nur hindurchgeführt wurde und auf der im Schatten liegenden Rückseite wieder herauskam. Ein alter Mann, der kaum mehr Haare auf dem Kopf hatte und sich im Sitzen mit zittrigen Händen auf einen Stock stützte, erwartete mich, doch sein Blick verriet mir sofort, daß ich mich nicht von seinem körperlichen Zustand täuschen lassen sollte. Die scharfen Augen folgten mir bei jeder Bewegung und sahen mich dabei durchdringend an, in einer Art und Weise, als wüßte er genau, was ich von ihm wollte. „Buenas Dias, Señor Callaway...“ „Mister Gonzales, ich habe nicht mehr die Muße, um mir lange Geschichten anzuhören, also kommen wir gleich zur Sache und verschwenden Sie nicht meine Zeit. Meine Enkelin hat mich informiert, daß sich in Ihrem Besitz ein Kompaß befindet, der ihr vor einigen Monaten gestohlen wurde. Wenn Sie ihn einfach zurückgeben wollen, dann hätten Sie das auch bei ihr machen können und ich bin etwas irritiert, weshalb Sie darüber mit mir reden wollen“ Noch schien er sich nicht darüber klar zu sein, ob sein kleines Geheimnis entdeckt worden war und auch ich vertrat die Meinung, daß keine Zeit verschwendet werden sollte. So hielt ich es für das Beste, meine Karten offen auf den Tisch zu legen, „Was Sie sagen stimmt, aber ich würde die Sache gerne mit Ihnen unter vier Augen besprechen, wenn das möglich wäre“ Er grübelte einen Moment, dann sah er zu meinem Begleiter, „Rusty, geh ein Stück und laß uns alleine, ich komme schon zurecht“ Rusty tat wie ihm befohlen wurde und verschwand hinter der Ecke des Hauses, wobei mir sein Schatten verriet, daß er dort stehen blieb, um für den Notfall bereit zu stehen. „Danke, ich glaube, was ich mit ihnen zu bereden habe, muß nicht jedermann hören. Als ich Ihre Enkelin Lilly getroffen habe, sagte ich die Wahrheit. Ich habe den alten Kompaß und auch dessen brisanten Inhalt,... Herr Biedermann“, ohne sichtbare Veränderung nahm er diesen Namen zu Kenntnis. „Biedermann? Biedermann ist schon lange tot und wenn Sie sich das Bild in den alten Papieren und den Mann, der vor ihnen sitzt, genau betrachten, fällt Ihnen sicher auf, daß Sie nichts mehr gemein haben. Wollen Sie mich nach so vielen Jahren den Behörden melden, oder gar erpressen, damit Sie Ihr Wissen nicht weitergeben? Wenn das Ihr Plan ist, dann sollten Sie sich auf einen Mißerfolg einstellen, in meinem Alter gibt es nichts mehr, mit dem ich mich unter Druck setzen lasse“ „Machen Sie sich keine Sorgen, ich bin nicht hier, um Sie zu erpressen. Mir geht es einzig darum, einige wichtige Informationen von Ihnen zu bekommen“
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„Informationen? Was könnte ich Ihnen schon sagen?“, trotzdem er in einem gleichgültigen Ton mit mir sprach, verrieten ihn jetzt seine Augen, die forschender, beinahe lauernd wurden. „Seien Sie nicht so bescheiden, Herr Biedermann. Sie müßten doch genau wissen, was sich in Ihrer Vase in den Uffizien versteckt war“ „War?“, jetzt beugte er sich ein wenig überrascht nach vorne. „Es ist eine lange Geschichte, jedenfalls ist schon vor einiger Zeit der Lageplan darin entdeckt worden und wurde unterdessen bei einem Feuer vernichtet, doch Sie kennen sicher noch den Platz wo die Kisten zu finden sind und ich muß unbedingt dorthin“ „Rusty!“, der Schatten bewegte sich und ich hörte, wie er sein Gewehr entsicherte. „Mister Gonzales, ich wußte, daß irgendwann ein goldgieriger Schatzsucher bei mir auftauchen würde und mir dumme Fragen stellt, aber ich habe Ihnen und Ihresgleichen nichts zu sagen und nun werden Sie die Güte haben, mich zu verlassen, bevor ich es vorziehe, solchen Abschaum wie Sie einfach erschießen zu lassen“ Mit einem Gewehrlauf im Rücken hatte man zwei Möglichkeiten nachzudenken, sehr schnell, oder es funktionierte überhaupt nicht mehr, zum Glück ließ ich mich davon nicht beeindrucken und blieb auf der Stelle stehen, „Ganz ruhig, machen Sie keinen Fehler, den Sie später bereuen könnten. Wenn ich wirklich das wäre, wofür Sie mich halten, wäre ich dann offen zu Ihnen gekommen und würde ein ehrliches Gespräch mit Ihnen suchen? Ich brauche Ihre Hilfe, nicht weil ich reich werden will, oder scharf drauf bin, einen verschollenen Schatz zu finden und das dann in aller Welt auszuposaunen. Mein Interesse an der Sache ist weitaus profaner und sehr viel bedeutender als ein Batzen Gold. Wenn Sie mir etwas von Ihrer kostbaren Zeit leihen würden, dann könnte ich ihnen eine Geschichte von Mord, Entführungen und einigen wirklich gefährlichen Leuten erzählen, zu denen ich nicht im geringsten gehöre“ „So? Vielleicht stimmt es, was Sie sagen, Mister Gonzales. Aber weshalb suchen Sie dann meine Hilfe und was treibt Sie zu den alten Kisten?“ „Lassen Sie mich alles erzählen und entscheiden Sie dann, ob ich lüge. Ich will Sie nicht hintergehen und ich weiß, daß wir auf derselben Seite stehen, weil wir die gleichen Feinde haben, die mich genauso suchen, wie auch Sie. Sie fragen nach dem Grund, weshalb ich hier bin? Ganz einfach, ich habe einen Menschen verloren, der mir mehr bedeutet, als alles was in tausend Ihrer Kisten versteckt sein könnte und der einzige Weg, diese Frau zu finden, ist der Spur des Goldes nachzugehen. Ich hoffe, Sie können mich jetzt verstehen und falls Sie glauben, daß ich Ihnen ein rührseliges Ammenmärchen aufgetischt habe, sollten Sie mir die Gelegenheit geben, Ihnen alles zu schildern, denn es gab schon Tote und ich befürchte, es könnten nicht die letzten gewesen sein“ Diese Gelegenheit sollte ich gleich bekommen, Rusty mußte sich wieder auf Schußweite zurückziehen und ich durfte mich zum Erzählen auf einen Stuhl setzten. Wohlmöglich war nicht das ausschlaggebend, was ich sagte, sondern wie ich es gesagt 209
hatte, denn während meines kleinen Vortrages begann ich, mich regelrecht darin hineinzusteigern, das schien seine Aufmerksamkeit geweckt zu haben. Ich begann ihm die ganze Geschichte vorzutragen und ließ nur wenige unbedeutende Aspekte aus, warum sollte ich auch die Unwahrheit sagen, denn er war es schließlich, der alles wußte und ich hatte nur einige Fragmente in der Hand. Außerdem konnte ich nur Ehrlichkeit erwarten, wenn ich bereit war das Gleiche zu geben, so zögerte ich nicht und beschrieb den Weg, der mich zu ihm geführt hatte. Er hörte zu und dabei bemerkte ich, wie sich in Gedanken der müde Blick des Greises mit den wachen Augen des jungen Kapitäns traf. Möglicherweise hatte er sich wirklich in den letzten Jahrzehnten auf solch ein Treffen vorbereitet, aber es schien, daß er trotz allem schwer an dieser Sache trug. Nachdem ich geendet hatte, blieb er ruhig und war tief in Gedanken, mir war es unmöglich, hinter seine Absichten zu kommen und ich bekam einige Bedenken, ob er wirklich bereit sein würde, mir zu helfen. Irgendwann in dieser Zeit traf er wohl seinen Entschluß und lehnte sich ohne mich anzusehen in seinen Korbsessel, so als ob er bewußt in die aufregenden Tiefen seines Lebens zurückglitt, damit ich nun ausführlich hören konnte, was damals geschah. Die vier offiziell nie gebauten U-Boote gehörten zu einer kleinen geheimen Flottille, die ihre Befehle zuerst von der Abwehr und später dann vom SD bekam, um hauptsächlich für die Spionage und Sabotage hinter feindlichen Linien eingesetzt zu werden. Oft setzten sie Agenten ab und sorgten für den geheimen Transport von Dokumenten und Personen zu den japanischen Verbündeten, oder dienten als Sprungbrett für spezielle Unternehmen. Dafür rekrutierte man im allgemeinen Männer ohne Familie, um die Geheimhaltung zu wahren und so war es auch bei Josef Biedermann, der in einem Waisenhaus in Bremerhafen aufgewachsen war. Kurz vor Kriegsende setzte man die zwei noch verfügbaren Boote auch zu regulären Operationen ein, bis ein letzter Befehl sie vor die Kanaren beorderte. U-113 übernahm dort wie befohlen die geheimnisvolle Fracht, jedoch nicht nur die Kisten, sondern auch äußerst unangenehme Passagiere, wie Parteibonzen, Sicherheitsdienst und hohe Offiziere, die sich so schnell es ging absetzten wollten. An jedem freien Fleck standen jetzt Kisten, dazu war jeweils in der Nähe einer dieser Herren als Wachposten und ließ weder Fracht, noch Besatzung aus den Augen. Nach dem Auslaufen in den Atlantik wußte selbst Kapitän Biedermann nicht, wohin die Reise eigentlich gehen sollte, nur ausgewählte Passagiere waren darüber informiert und gaben die entsprechenden Anweisungen erst auf hoher See. Es war eine lange Fahrt, immer in der Furcht vor einer Entdeckung durch die Alliierten und zu allem Überfluß kam noch ein Sturm hinzu, der beide Boote trennte. Doch das war noch nicht genug, denn nachdem sich das Wetter wieder beruhigt hatte, traf U-113 auf einen amerikanischen Zerstörer, der vom Kurs abgekommen war und wurde in ein Gefecht verwickelt. Biedermann´s Boot wurde durch Wasserbomben schwer bei diesem Angriff beschädigt, so daß der Kapitän mit letzter Kraft gerade noch ein Absacken in die unendlichen Tiefen des Meeres verhindern konnte. Niemand in der Stahlröhre wußte, 210
was ihn an der Oberfläche erwarten würde, denn nachdem der Sauerstoff knapp wurde, blieb keine andere Wahl als wieder aufzutauchen, aber die Besatzung hatte Glück. Das Wetter war wieder schlechter geworden und von dem Zerstörer war wohl deshalb nichts mehr zu sehen gewesen. Eine Maschine war unbrauchbar und andere schwere Beschädigungen bereiteten der Besatzung großes Kopfzerbrechen, jedoch das größte Problem schien ein bevorstehender Riß im Druckkörper zu sein und jeder Mann an Bord erkannte, daß ein weiterer Versuch auf Tiefe zu gehen, der letzte sein würde. Dazu mußte man mit einer wahren Hetzjagd auf das Boot rechnen, sobald sich das Wetter bessern würde, die sicher solange ging, bis man es aufgebracht oder zerstört hatte. Natürlich machten die Passagiere keinen Hehl daraus, was ihnen am liebsten war, nämlich die Weiterfahrt zu ihrem Bestimmungsort. Allerdings hatte das angeschlagene U-Boot gegen die Zerstörer, Flugzeuge und den vermutlich dicht an der Küste operierenden Patrouillenbooten kaum eine Chance, unentdeckt die Rio de la PlataMündung zu erreichen. So beschlossen die verantwortlichen Offiziere über jede maritime Kenntnis hinaus, ihre kostbare Fracht anderweitig dorthin zu bringen, wohin sie laut ihren Befehlen gebracht werden sollte - in die Obhut einer geheimen Organisation, die sich in Uruguay und Argentinien eingenistet hatte. Durch Scheinfirmen getarnt und mit unauffälligen Emigranten in leitenden Positionen, wurde schon einige Zeit lang ein gut funktionierendes System aufgebaut, das als vorrangigstes Ziel die Flucht von Nazis ins Ausland organisierte und dringend alle verfügbaren finanziellen Mittel dazu brauchte. Das Boot wurde, während es sich westwärts schleppte, notdürftig repariert und konnte nun in geringen Tiefen tauchen, um den verräterischen Turm von der Oberfläche verschwinden zu lassen. Langsam aber unaufhörlich näherte sich U-113 dem Amazonasdelta, der nächstgelegenen befahrbaren Flußmündung, um darin einfach zu verschwinden. Es ging immer weiter stromaufwärts, Städte und Siedlungen wurden im Schutze der Dunkelheit passiert und jederzeit fuhr die Gefahr, auf Grund zu laufen oder entdeckt zu werden, mit. Indianerkanus oder kleine Kähne, die das Pech hatten in der Nacht unterwegs zu sein, wurden gnadenlos auf Befehl der hohen Offiziere vom Flakgeschütz erledigt, ohne daß der Kapitän etwas dagegen unternehmen konnte. Noch vor Manaus verließ man den Hauptarm und folgten nun einem Zufluß nach Süden, um dadurch den Landweg nach Uruguay möglichst zu verkürzen. Tagelang ging das so und einige hundert Kilometer wurden zurückgelegt, bis das Boot auf dem seichter werdenden Fluß kaum mehr eine Möglichkeit hatte voranzukommen. Das Risiko bemerkt zu werden überwog nun die Vorteile eines schnellen Transportes und deshalb beschloß man, an Land weiterzumarschieren. An einer Stelle, wo der Strom sich teilte und eine kleine Insel in der Mitte entstanden war, wurde das Boot in den kleineren Seitenarm gebracht und nach dem Entladen durch eine Unmenge an Sprengladungen zerstört, so daß nur noch rostender Schrott 211
übrigblieb, den man im Laufe der Zeit leicht für einen gesunkenen Flußdampfer halten konnte. Männer wurden ausgesucht, die das nächste Dorf suchten und dort Maultiere für den Marsch eintauschten, dann wurden die Kisten verladen und der Troß begann, sich immer weiter am Fluß entlang auf ausgetreten Pfaden in Bewegung zu setzen. Dieser Marsch sollte vielen Männern das Leben kosten. Krankheiten breiteten sich aus und die Kisten hatten mittlerweile ihr Geheimnis verloren, so daß Habgier und Mißtrauen zum ständigen Begleiter wurde. Erste Streitereien konnten noch geschlichtet werden, doch sie machten die Situation explosiv und die Disziplin wurde nur noch vom Willen zum Überleben getragen. Es war abzusehen, daß unter diesen Bedingungen die Kisten kaum sicher bis zur Grenze gebracht werden konnten und der Kreis der hohen Passagiere drängte bei einer Flußgabelung zu einer Rast. Dort sagten sie, es wäre besser, zuerst ihr Ziel zu erreichen, um später gut ausgerüstet die Kisten nachzuholen und deshalb sollte ein unauffälliges Versteck für das Gold angelegt werden. Also begann die Besatzung des Bootes in einer etwas abseits vom Wasser gelegenen Talsenke ein Loch zu graben, damit darin die Kisten deponiert werden konnten, wobei ein Sicherheitskommando die Arbeiten unter Aufsicht der Offiziere bis zum Ende überwachte. Dann geschah es - ohne Vorwarnung eröffneten die SD-Leute das Feuer und metzelten jeden Mann nieder, um alle Zeugen zu beseitigen. Nur Kapitän Biedermann überlebte mit einem stark blutenden Streifschuß am Kopf, der ihn bewußtlos machte, was ihm wohl das Leben rettete, da man ihn inmitten seiner Leute für tot hielt. Stunden später wieder zu Bewußtsein gekommen packte ihn Wut und Entsetzen über diese Tat und obwohl er geschwächt war, wollte er hinter den Mördern her, um es ihnen heimzuzahlen. Aber es dauerte nicht lange, bis sein Verstand ihn mahnte, dieses undurchführbare Unternehmen zu lassen und diese Leute besser dort zu treffen, wo sie es viel mehr schmerzen würde. Mühsam legte er das Versteck wieder frei und versorgte sich mit etwas Geld aus den Dollarbündeln, dann begab er sich mit schwächer werdenden Kräften zu einem Dorf, an dem sie vor einigen Tagen vorbeigefahren waren. Es dauerte einige Zeit und nachdem er seine Verletzungen notdürftig versorgen ließ, kaufte er dort ein altes Flußboot und einige Maultiere, und erkundete die Gegend für ein neues, nur ihm bekanntes Versteck. Angst vor den Behörden mußte er kaum haben, dazu war die Gegend zu abgelegen und die Vorstellung, daß sich dort Deutsche aufhalten würden, war selbst für ihn kaum nachzuvollziehen. Trotzdem war sein drängendstes Problem drei Monate später, nachdem er seinen Plan vollendet hatte, im chilenischen Valparaíso an Papiere heranzukommen. Biedermann zog durch die Krankenhäuser und fand einen sterbenskranken australischen Seemann, dem er kurz vor dessen Tod die Dokumente stahl und sich damit nun an einen sicheren Ort begeben wollte. Doch wohin? Nach Hause konnte er nicht, er war sich sicher, daß es genug Spitzel gab, die nach ihm suchen würden, auch wenn genügend Zeit vergehen würde und so hielt er seine neue Identität für einen Wink des Schicksals. 212
In Australien suchte er sich ein abgelegenes Plätzchen und kaufte sich dort als wohlhabender Mann das Anwesen von Pinkie Mahoney, sicher der letzte Ort an dem ihn jemand suchen würde. Nochmals fuhr er nach Brasilien und holte den Rest des Geldes und zwei Vasen, die ihm besonders gut gefielen, das Gold hingegen ließ er vorerst dort, weil er es nicht alleine transportieren konnte und für sich selbst im Moment mehr als genug besaß. Fast ein Jahr verging so, der Krieg war vorbei und langsam vergaß er die Gefahr. Heimweh und die Erinnerung an eine Frau ließen ihn jedoch 1946 wieder den Weg nach Europa einschlagen, wo er als Geschenk für seine Verlobte eine der Vasen mitbrachte. Doch seine früheren Vermutungen erwiesen sich als richtig und nur ein Zufall bewahrte ihn davor, dort in die Hände mehrerer Männer zu laufen, die diese Frau überwachten, so daß er schweren Herzens beschloß, weder sie noch sich einer weiteren Bedrohung auszusetzen und einfach verschwand. Die Reise ging über Italien und dadurch gewarnt, wie schnell er beinahe in eine Falle gelaufen war, beschloß er, sein Wissen an einem sicheren Ort zu deponieren. So fuhr Biedermann einen Umweg über Florenz, wo ein geschickter Restaurateur einen verschlüsselten Plan im Fuß der Vase versteckte, die dann als Leihgabe in der Ausstellung landete und niemanden dazu inspirierte, darin nach etwas Verborgenem zu suchen. „Herr Biedermann, wenn ich Sie richtig verstanden habe, war dieser Plan also keine Landkarte, sondern eine Art Wegbeschreibung, wäre es nicht einfacher gewesen, nur die Koordinaten auf einen Zettel zu schreiben?“ „Einfacher schon, aber auch wenn es unwahrscheinlich war, mußte ich doch damit rechnen, daß jemand diese Notizen findet und wie Sie mir ja berichtet haben, war meine Befürchtung berechtigt. Damals war es mir wichtig, daß ich lediglich eine Gedankenstütze hatte, um den Weg nach Jahren wiederzufinden, deshalb hatte ich als Anfangspunkt das Wrack meines Bootes gewählt und nur einige markante geographische Besonderheiten als Markierungen hinzugefügt. Da ich den Weg kannte, wäre es für mich immer einfach gewesen, doch jeder andere müßte suchen, und das nicht zu knapp, denn ich hatte viele Kleinigkeiten, die auch in die Irre führen können, dabei verwendet“, ein kleines Schmunzeln konnte er dabei nicht verbergen, während er aus einem mittlerweile von Rusty herbeigebrachtem Stück Papier die Position von U-113 aufschrieb und es mir herüberreichte. „Sehr vorsichtig, Herr Biedermann, das muß ich schon sagen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, waren Sie seither nie wieder in Brasilien, hat Sie denn das Gold nicht gereizt?“ Er wiegte abschätzend den Kopf, „Wie das Schicksal so spielte, hatte ein Gemischtwarenhändler aus Corban eine wunderschöne Tochter und den Rest werden Sie sich denken können. Auf einmal hatte ich eine Frau, dann ein Kind und da hatte ich einfach keine Gelegenheit mehr, das Gold zu holen, wie sollte ich denn das alles erklären? Außerdem hatte ich alles, was ich brauchte und zuviel Reichtum hätte vielleicht viele Leute mißtrauisch gemacht“ 213
„Sicher, und Glück läßt sich schwer mit Geld kaufen. Ich möchte noch einmal auf die Kisten zurückkommen, denn eines geht mir nicht aus dem Kopf, als Sie mir gerade die Geschichte erzählt haben. Für mich bleibt es ungewöhnlich wie rücksichtslos dieser Gondoni bisher vorgegangen ist. Gab es etwas außer den Wertsachen, das für irgendwelche Leute noch bis heute interessant sein könnte?“ Biedermann grübelte eine ganze Weile und schüttelte dabei seinen Kopf, „Nein, nicht daß mir da jetzt etwas einfällt. Alle Kisten hatte ich mir angeschaut, die mit den Goldbarren und dem Schmuck, auch das Bargeld und persönliche Sachen von den Passagieren. Die Vasen und kleinere Kunstgegenstände könnten heute sicher einen großen Sammlerwert haben, aber sonst kann ich ihnen da nicht weiterhelfen“ „Hmmm..., das wäre möglich. Sie sagten, persönliche Sachen, hat die denn keiner mitgenommen?“ „Natürlich hatte jeder vor dem Marsch seine Fotos und Papiere an sich genommen, oder sonstige Kleinigkeiten, die einem am Herz lagen. Ich meinte damit einige Kisten von Wissenschaftlern, die wir an Bord hatten. Ich glaube es waren zwei Mediziner und ein Geologe mir ihrer Ausrüstung unter den Offizieren auf meinem Boot und...“ Ungewöhnliche Geräusche ließen mich aufhorchen, ein Helikopter schien sich zu nähern und ich stand beunruhigt auf. Biedermann schüttelte nur seinen Kopf, „Bleiben Sie ganz ruhig, hier treiben einige Rancher manchmal ihre Tiere mit dem Hubschrauber zusammen, das ist nicht ungewöhnlich. Sie sollten mal meine Enkelin dabei sehen, die fliegt wie der Teufel. Ich bin einmal mit ihr geflogen, danach bekam ich einen Schwächeanfall, weil sie es übertrieben hatte, das arme Kind macht sich deshalb heute noch Vorwürfe, sie ist wirklich mein ganzer Stolz“ „Das kann ich mir gut vorstellen, aber sind Sie sich wirklich sicher, daß nur Vieh zusammengetrieben wird?“, mir war zwar die hiesige Methode schon zu Ohren gekommen, doch dieses Geräusch erzeugte kein kleiner Helikopter, der für solch einen Einsatz enorm wendig sein mußte, hier kam ein ganz schwerer Brummer auf uns zu. Auch der Schatten von Rusty bewegte sich und schenkte dem Phänomen seine Aufmerksamkeit. Ich stieg einfach die Treppe des Hauses herab und mir war es dabei egal, ob man mich jetzt für unhöflich hielt, aber mein Instinkt sagte mir, daß hier irgend etwas nicht stimmte. So ging ich schnell weiter an dem massiveren Steinfundament entlang, auf dessen solider Basis das Haus errichtet worden war und mittlerweile konnte ich auch Rusty hinter der Hausecke sehen, der gegen die Sonne in die mir abgewandte Richtung schaute. Das Geräusch kam näher und dann unterhalb der gleißenden Feuerballs, sah ich ein noch viel stärker leuchtendes Objekt aufblitzen, „Verdammt, eine Rakete!“ Das war das Letzte, was ich noch rufen konnte, und mir blieb nur noch die Zeit, ganz dicht an den Haussockel zu springen und mich klein zu machen, dann krachte es schon über mir. Erdreich und Teile des Hauses flogen über mich hinweg, während ich damit beschäftigt war, meinen Kopf unter den Armen zu verstecken und ein kleines 214
Trümmerstück schmerzhaft meinen Rücken traf. Weitere Detonationen etwas abseits ließen mir bewußt werden, wie gründlich gerade jemand versuchte, die gesamte Farm einzuebnen und das bedeutete für mich nur eines, ich mußte hier weg. Zögernd sah ich auf, doch es war nichts von Rusty oder dem alten Biedermann zwischen all dem Feuer und Rauch zu entdecken. Die Hitze drängte mich nach hinten ins Freie, doch hier war ich ein hervorragendes Ziel, einzig geschützt durch die dichten Rauchschwaden, von denen ich umschlossen war, und die mir zugleich die Luft zum Atmen nahmen. Eine weitere Explosion fegte gerade einen der Schafställe vom Boden weg und da sich die Angreifer in ihrem Helikopter offenbar nach der Größe der Ziele zu orientieren schienen, war bis jetzt mein Jeep noch verschont geblieben, der immer noch unbeschädigt unweit des ehemaligen Eingangs stand. Ohne Vorwarnung bot sich mir auf Kosten einer der Männer, die mich vorhin so stumm empfangen hatten, eine Chance, ungesehen den Wagen zu erreichen, denn der Mann gab sein Versteck auf und rannte auf den nahen Fluß zu. Die Idee war sicher gut, aber der Hubschrauber hatte ihn gesehen und das machte es fast unmöglich, dem Angriff von oben zu entkommen. Während ich mich durch den Rauch kämpfte, hörte ich das einsetzende MG-Feuer in einigen unregelmäßigen Salven, die plötzlich verstummten und eine unheimliche Ruhe einsetzte – ich wußte, was das bedeutete. Endlich hatte ich den Jeep erreicht und riß die Rückklappe auf, um nach Hank´s Gewehr zu greifen, das geschah mehr aus Reflex, denn wie meine Aussichten gegen einen schwerbewaffneten Helikopter waren, konnte ich mir an allen Fingern abzählen. Nur wenige Augenblicke später beschleunigte ich den Wagen und mußte mir schnell etwas einfallen lassen, damit es keine kurze Reise werden würde. Der Plan des toten Schafhirten war nicht schlecht, also nahm ich nicht die gerade Piste zum Highway, auf der ich hergekommen war, sondern fuhr über einen selten genutzten Weg hinter dem Haus auf den Darling River zu, wo dichtes Gestrüpp und viele Bäume am Ufer entlang standen und etwas Schutz versprachen. Meine Anspannung nahm zu, als ich in allen Spiegeln den dunklen Schatten des Todes hinter mir sah, der sich unaufhörlich näherte und nur gierig auf den Moment wartete, wo er zuschlagen konnte. Jetzt ging der Hubschrauber in Angriffsposition, er schwebte genau hinter mir und dann sah ich das kleine Wölkchen an den Kufen aufsteigen, das mir den baldigen Besuch einer verdammten Luft-Boden Rakete verriet. Wäre ich ein guter Mathematiker, hätte ich sicher leicht ausrechnen können, wieviel Zeit mir bis dahin noch blieb. Ich vertraute lieber meinem Gefühl und das sagte mir, sofort rechts ausweichen! Dort stand eine Gruppe dorniger Büsche, die mich zwar nicht verstecken konnte, aber vielleicht irritierte es den Piloten und brachte mir damit einige wertvolle Sekunden bei seinem zweiten Angriff ein, denn dieser erste mißlang gründlich, wie mir eine ohrenbetäubende Detonation nur einige Meter entfernt auf der Piste bestätigte, das war mehr als knapp gewesen. Das Heck des Wagens hob sich hinten leicht an, Erdklumpen und Gestein schlugen gegen die Heckscheibe und ich hatte Mühe, nicht aus der Fahrtrichtung geschleudert 215
zu werden, um mich anschließend fürchterlich zu überschlagen, „Fahrkarte geschossen, du Pfeife“, zum Glück hörte das nicht der Pilot, der sich dann beim nächsten Mal sicher mehr anstrengen würde. Die Bordkanone heulte wieder auf und mir blieb nur noch übrig, einen weiteren Haken zu schlagen, dabei hatte ich wirklich Glück, denn zwei Geschosse schafften Durchzug im Jeep. Mist, vor mir lagen einige hundert Meter ohne Deckung, die ich mit Vollgas nahm und über die Piste flog, verfolgt von dem feuerspeienden Monstrum, dessen Projektile sich unaufhörlich näherten. Als ich das bemerkte, setzte ich wiedereinmal alles auf eine Karte und ging voll auf die Bremsen, so daß der überraschte Pilot über mich hinwegrauschte und in eine enge Linkskurve einschwenken mußte, um mir danach den Rest zu geben. Wieder Vollgas, der Weg führte nun zu vereinzelten Bäumen und Sträuchern, die endlich etwas Deckung versprachen. An beiden Seiten des Weges erhoben sich die vereinzelten Baumkronen, welche die Sicht nach oben beeinträchtigen mußten und das war eine Gelegenheit, auf die ich gewartet hatte. Ich drückte auf den Tempomat, griff das Gewehr und sprang aus dem Auto, wobei ich etwas unglücklich aufkam, es aber mit einer Rolle und dem gesamten Schwung trotzdem schaffte, sicher hinter einem Baumstamm zum Liegen zu kommen. Der Wagen tauchte unter den Baumkronen wieder hervor und fuhr schnurgerade weiter auf den Darling River zu, was den Piloten sicher sehr erfreute, denn dadurch sollte er keine Probleme mehr beim Zielen haben. Tatsächlich stelle er sich diesmal besser an und zerlegte Jocelyn´s Wagen in tausend Stücke - ob das meine Haftpflichtversicherung abdeckte? Ich sollte unbedingt mal in die Geschäftsbedingungen schauen. Der Pilot flog um das Wrack herum und blieb dann regungslos in der Luft stehen, um sich das Werk seiner Zerstörung anzuschauen. Diese Bell UH-1 kannte ich gut und wußte deshalb auch, wo die Tanks lagen, jetzt war meine Stunde gekommen und in einer Bewegung entsicherte ich Hank´s Waffe. Der Schuß donnerte los und genau dort, wo ich es beabsichtigt hatte, schlug das Projektil ein, doch leider ohne die gewünschte Wirkung. In jedem guten Film wäre jetzt der Hubschrauber explodiert und es gäbe ein Happy End, aber scheinbar mußte ich mich weiter mit der Realität abgeben. Schnell lud ich nach und nahm jetzt den Heckrotor aufs Korn, es würde schwierig werden, die Nabe zu treffen, aber vielleicht gelang mir so, die Maschine auf die Erde zu zwingen. Wieder bellte das Gewehr los, wieder ein Treffer und diesmal kam das Vehikel ins Trudeln. Aber der Pilot konnte den Helikopter abfangen, das war gut für ihn und schlecht für mich, denn jetzt konnte ich seiner Aufmerksamkeit sicher sein. Zwei Patronen hatte ich noch im Magazin, womit sich gegen diesen Gegner nur noch wenig ausrichten ließ, besonders, nachdem ich mich zu erkennen gegeben hatte. Zuerst flog er über das brennende Wrack hinweg und wendete, um dann mit hoher Geschwindigkeit über die Bäume hinwegzufliegen und offenbar nach mir Ausschau zu halten. Ich hingegen versuchte, mich im Schatten der Baumstämme zu halten, und mit langsamen Bewegungen nicht meinen Standort zu verraten. 216
Der Pilot umkreiste das Gebiet und als ihm das zu langweilig wurde, schoß er wahllos zwischen die Bäume, deren Äste er damit vortrefflich stutzte. Um mich herum flogen die Kugeln viel zu dicht vorüber, so daß es mir in den Ohren summte und ich mit der aufkommenden Angst zu kämpfen hatte, doch ewig konnte er nicht so weitermachen, denn etwas Positives bewirkte das Loch in seinem Tank, die Maschine verlor offensichtlich ihren Treibstoff. Tatsächlich dauerte es nicht lange und der Hubschrauber landete in größerem Abstand zu den Bäumen, dabei wurde meine Aufmerksamkeit nun von dem Mann erregt, der links aus der Kanzeltür stieg und mir bekannt vorkam, Agent McCrawley. Wenn ich behaupten sollte, daß ich überrascht war, so nicht von der Tatsache seiner Anwesenheit, sondern vielmehr, weil sich gerade meine schlimmsten Vermutungen bestätigten und wer mochte das schon. Diesmal trat er mir bewaffnet entgegen, die Maschinenpistole in der Hand sprang er geduckt hinter einem Busch in Deckung und kam langsam auf meine Baumgruppe zu. Die ganze Zeit hatte ich ihn in meinem Zielfernrohr und konnte so seine Schweißperlen auf der Stirn sehen, die überhaupt nicht zu seinem so sauberen Anzug paßten, dabei überlegte ich ernsthaft, ihn einfach wie einen Hasen abzuknallen. Scheinbar hatte ihn die Schreibtischtätigkeit unvorsichtig gemacht und ihm fehlte der Blick für die Gefahr. Aber irgendwie konnte ich diesen todbringenden Schuß nicht über das Herz bringen und faßte in meiner Situation eine gewagte Entscheidung, „Bleiben Sie stehen und werfen Sie die Waffe weg, McCrawley. Ich habe Sie im Visier“ Er blieb stehen und senkte seine MP, warf sie aber nicht weg und grinste dabei so komisch, was mich sofort mißtrauisch machte. Das war auch berechtigt, denn jetzt stieg genau hinter ihm der Hubschrauber in die Luft und hielt geradewegs auf mich zu, wobei McCrawley offenbar mit seinem Headset meinen Standort durchgab. Ihn jetzt zu erschießen wäre zwar eine Genugtuung gewesen, aber damit war mir kaum geholfen und mir blieb nur, alles zu riskieren. So zielte ich sofort auf die linke Seite der Kanzel wo der Pilot saß und durchlöcherte zweimal hintereinander die Scheibe mit meinen letzten beiden Patronen. Die Nase kippte augenblicklich nach vorne und die Maschine sackte ab, was sich zu einem doppelten Desaster ausweitete, denn Mister McCrawley stand genau in der Flugbahn und sah starr vor Schreck nach oben, dann... es war kein schöner Anblick, als ihn der Rumpf erfaßte. McCrawley´s Ende kam somit schneller als mir lieb war, ich hatte gehofft, mit einer Verletzung des Piloten die Maschine zur Landung zu zwingen und ihn somit abzulenken, bis ich ihn überrumpeln konnte, oder eine neue Deckung am Fluß suchen konnte. Von dort aus wäre mir sicher etwas eingefallen, um ihn auszuschalten und an wertvolle Informationen zu kommen, die jetzt unwiederbringlich verloren waren. Mit einem großen Knall ging die Maschine zu Boden und das Heck knickte ab, was von einem Knirschen begleitet wurde, wie ich es vorher noch nie gehört hatte. Wenige Sekunden darauf erfolgte die gewaltige Explosion, letztendlich hatte der auslaufende Treibstoff doch noch die erhoffte Wirkung erzielt. Ich hielt mich noch einige Minuten geduckt hinter dem großen, alten Baum versteckt, bis die nachfolgenden Detonationen der verbliebenen Munition verklungen 217
waren. Dabei nahm ich mir die Zeit, erleichtert durchzuatmen, obwohl das Gemisch aus geschmolzenem Plastik und brennendem Treibstoff keinen Luftkurort aus der Gegend machte. Trotzdem war ich natürlich froh, überlebt zu haben und zugleich bestürzt über die Ausmaße von McCrawley´s Angriff, so daß ich während meines Rückmarsches über die Zusammenhänge nachgrübelte. Seine Verbindung mit Gondoni war mir bekannt und ich hielt es für mehr als wahrscheinlich, daß die Lemuren hinter der Sache steckten, denn ich konnte mir kaum die australische Regierung als Urheber für diesen Auftrag vorstellen, auch wenn ich quasi illegal hier war. Nein, es war eine Handschrift, die ich schon einmal gesehen hatte, und dieses Indiz überzeugte mich vollkommen, allerdings bedeutete das einen völligen Fehlschlag meiner Bemühungen unerkannt die Nachforschungen fortzusetzen. Wie kam man auf meine Spur? Hinter mir brannte der Helikopter nun vollkommen aus, schwarzer Qualm stieg auf und kündete bis zum Horizont das etwas Schreckliches passiert sein mußte. In Gedanken sah ich mich schon bei einem mißmutigen Constabler sitzen, der mir lästige Fragen darüber stellen würde, auf die ich zum Teil auch keine Antworten hatte und das hielt ich für keine schönen Aussichten. Außerdem war Biedermann tot und nur meine Reise hierher konnte der Grund dafür sein, weil ich die Terroristen geradewegs zu dem alten Mann geführt hatte und auch diese Erkenntnis trug nicht gerade dazu bei, daß es mir besser ging. In mir erlebte ich diese gefürchteten Sekunden, in denen man das Gefühl hatte, daß einem alles entgleitet und jegliche Kontrolle gerade abhanden kam. Unterschätzte ich die Gegner so sehr und brachte ich Anne dadurch nicht erst recht in Gefahr? Biedermann´s Tod hatte ich verschuldet, auch wenn ich nicht den Abzug betätigt hatte, trotzdem würde er jetzt noch leben, wenn ich nicht so darauf versessen gewesen wäre, Anne wiederzufinden. Gehörte das auch zur Liebe? Die Flamme der Leidenschaft, die in einem heftigen Feuer alles verzehrt, so daß der Rauch die Sinne vernebelt. Ratlosigkeit mußte wohl für einen Moment in meinem Gesicht stehen. Ich wußte felsenfest, daß in mir solch ein Feuer loderte und mich in seinen Bann zog, wie eine Motte, die dem Schein der Kerze nicht widerstehen konnte und dabei war es mir egal, ob ich verbrennen würde oder die wohlige Wärme fand, die in einer eisigen Winternacht das Gefühl der Geborgenheit brachte. Mit dem Verstand war dieser Sache nur schwer beizukommen und doch war es die einzige Möglichkeit, meine Gefühle in vernünftige Bahnen zu lenken. Mir mußte bewußt sein, daß es auch eine gefährliche Seite meiner Liebe gab, die mich unvorsichtig werden ließ und die begann, mich blind zu machen. Stärker denn je vermißte ich Annes Nähe und schwer war ihr Verlust zu ertragen, aber ich konnte nicht aufgeben, nach ihr zu suchen, niemand würde mich davon abbringen, solange ich die Hoffnung hatte, irgendwann in ihre Augen zu sehen und dabei das falsche Spiel von Diana LeClaire aufzuklären. Die Hälfte des Weges lag hinter mir, ab und zu schaute ich auf und beäugte besorgt den Himmel, denn es war schließlich nicht auszuschließen, daß eine zweite Maschine 218
von Gondoni´s Männern am Himmel erscheinen würde, doch bis ich die Farm endlich erreichte, blieb alles ruhig. Das Trümmerfeld breitete sich vor mir aus und die Temperatur der Umgebung steigerte sich durch die brennenden Reste auf ein unerträgliches Maß, mir bot sich ein trostloser Anblick, der mich traurig machte. Ich setzte mich und sah erschöpft aus einiger Entfernung dem Spiel der Elemente zu, bei dem Feuer und Wind miteinander um die Vorherrschaft buhlten. Weiter an die zerstörten Häuser heranzukommen, um nach Überlebenden zu suchen, war aussichtslos, denn außer der enormen Hitze verzehrte das Feuer noch den ganzen Sauerstoff und machte mit dem ganzen Rauch das Atmen unmöglich. Fast eine halbe Stunde saß ich so und sah dem düsteren Treiben zu, denn retten konnte ich hier nichts mehr. Dicke Balken glühten, hier und dort knisterten Funken explosionsartig aus dem Holz und verteilten sich in der qualmenden Asche. An einer Stelle, an der die Häuser etwas weiter auseinander gestanden hatten, versuchte ich an den alten Brunnen heranzukommen, denn der Durst wurde langsam unerträglich. Die Lippen und der Mund waren staubtrocken, der Qualm biß in meiner Kehle und die Augen brannten. Es gelang mir durchzukommen und nach einigen Anstrengungen hatte ich dann einen nebenstehenden Eimer voll von dem kühlen Naß, das mir die ersehnte Linderung verschaffte und mir langsam wieder einen klaren Kopf brachte. Es war erstaunlich, wie dankbar man für so wenig sein konnte und es war für mich nicht das erste Mal, daß ich die wahre Bedeutung eines Schlucks Wasser erkennen mußte. Zurückgelehnt dachte ich noch darüber nach, wie ich mich zur nächsten Ortschaft durchschlagen sollte, als sich aus westlicher Richtung erneut ein bedrohliches Geräusch näherte und ich sofort wieder einen Adrenalinschub verspürte. Sollte ich mit meiner Vermutung recht behalten? Eng drückte ich mich an die Stütze des umgestürzten Windrades und kniff die Augen wegen des hellen Sonnenlichtes zusammen, um besser erkennen zu können, was dort auf mich zukam. Gleich darauf erkannte ich die neuerliche Bedrohung, denn ein weiterer Helikopter schwenkte in eine Kreisbahn ein und flog in einem Radius von fünfhundert Metern um die Trümmer, dabei erinnerten mich seine schwarz getönten Scheiben an einen Ritter, der zu feige war sein Visier zu öffnen und so blieb der Feind für mich gesichtslos und unfaßbar. Trotzdem blieb ich unschlüssig, ob ich mich nicht doch bemerkbar machen sollte, schließlich konnte es auch nur ein Helfer aus der Gegend sein, der den Brand gesehen hatte, aber darauf konnte ich mich einfach nicht verlassen und so blieb hinter dem Windrad in Deckung. Gespannt wartete ich ab, bis die Maschine zur Landung ansetzte und suchte nach einer Möglichkeit, um unentdeckt zu verschwinden, oder wenigstens um etwas in die Hand zu bekommen, womit ich mich wehren konnte, aber beide Vorhaben schienen erfolglos zu bleiben. Nach meinem Geschmack landete der Helikopter viel zu dicht an der Ruine des Wohnhauses und kaum, daß die Kufen den Boden berührten, flog die Tür auf und eine Gestalt sprang heraus, die geduckt den Bereich der drehenden Rotorblätter verließ und für mich nur schwer durch die schwarzen wehenden Rauchfahnen zu erkennen war. 219
Irgendwie kam ich mir lächerlich vor mit dem Fragment eines Holzpfostens in der Hand, um damit auf einen Terroristen zu warten und ich wußte, daß mein besseres Gefühl dadurch nur ein glatter Selbstbetrug war. Die Maschine verharrte in ihrer Position und nur eine Person näherte sich offenbar suchend dem Zentrum des Infernos, von dem ich nicht weit immer noch hinter den Streben des Stahlgerüstes lag. „Kronau,... Kroooooonauuuuuu“, eine unerwartet bekannte Stimme drang durch die hitzeflirrende Luft zu mir, von der ich nicht gedacht hatte, daß ich sie einmal so gerne hören würde und zuerst mußte ich kräftig Husten, um überhaupt antworten zu können. „Doktor Breitenbach?, ...Doc, hallo hier bin ich“ Seine Gesichtszüge entspannten sich leicht und ich glaubte sogar, ein Lächeln entdeckt zu haben, aber vielleicht ließ ich mich nur durch den Rauch täuschen. Die abschätzenden Blicke des Doktors überflogen das Trümmerfeld als er näherkam, „Kronau, Kronau, Sie ziehen eine Spur der Verwüstung hinter sich her und wo Sie auftauchen, wird jede Versicherung arm. Ich hatte mir gleich gedacht, wenn jemand solch ein Chaos überstehen kann, dann sind Sie es. Sind noch Banditen in der Nähe?“ Auch ich konnte mir nach diesem Erlebnis ein kleines Lächeln nicht verkneifen, „Also wenn kein weiterer Hubschrauber hier auftauchen sollte, dann sind alle Banditen ins Nirwana abgeflogen. Allerdings war unter ihnen auch ein Kollege von der australischen ASIS und er schien nicht in offizieller Mission hier zu sein“ „McCrawley?“ „Ja, genau“ „Wo ist er?“ „Gehen Sie anderthalb Kilometer auf den Fluß zu, da brennen die Reste von seinem Flieger und das Schwein liegt mittendrin. Er hat ohne Vorwarnung die Farm in Schutt und Asche gelegt und Biedermann mit seinen Männern kaltblütig umgebracht“ Überrascht schaute er auf, „Biedermann, der von dem U-Boot? Mein Gott, Kronau, Sie sind besser als ihr Ruf und ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, warum der Minister mich förmlich dazu gedrängt hatte, Sie um Hilfe zu bitten, nachdem er Ihre Akte gesehen hatte“ „Meine Akte? Sie wissen ja, was ich davon halte, Doc. Außerdem steht da sicher nur Müll drin, denn so gut kann ich wirklich nicht sein, schließlich habe ich McCrawley zu Biedermann geführt, anders kann ich mir das nicht erklären“ Er schüttelt leicht den Kopf und sah zu den Resten des Wohnhauses, „Müssen Sie wohl tatsächlich getan haben, aber dafür konnten Sie nichts, denn das Haus Ihrer Freunde wurde von McCrawley überwacht. Wahrscheinlich schon seit dem Zeitpunkt, als bekannt wurde, daß Sie darin verwickelt waren und daß sie beide schon einmal zusammentrafen, war ihr Kontakt hier in Australien kein Geheimnis. McCrawley hatte diese Observierung unter einem mickrigen Vorwand durchführen lassen und wohl darauf gehofft, daß Sie hier auftauchen und ihn auf die Spur von Biedermann bringen. Das hätte ihm sicher einige Punkte bei den Lemuren eingebracht“ „Damit hatte er auch nicht unrecht und ich bin wie ein tapsiger alter Bär in seine Falle gelaufen“ 220
„So gut Sie auch sind, Kronau. Sie können auch nicht alles wissen“ „Danke für die Streicheleinheiten und wie haben Sie mich gefunden, Doc, auch so einfach?“ „Hmmm,... wie man es nimmt, Kronau. Der Jäger ist der Beute gefolgt und ich bin dem Jäger auf den Fersen gewesen. Nachdem Sie mir erzählt haben, daß McCrawley in Florenz mit Gondoni zusammen war, haben wir den Australiern einen Tip gegeben und die hatten ihren Mann schon selber in Verdacht. Eine Spezialabteilung war schon länger an McCrawley´s Aktivitäten sehr interessiert und über unsere Information natürlich sehr dankbar. So haben sie sich revanchiert und ich bekam den Hinweis, daß McCrawley einen ‚Argentinier’ observierte, der zufälligerweise bei den Freunden von Herrn Gabriel Kronau aufgetaucht war. Wenn man Sie ein wenig kennt und weiß, zu was sie fähig sind, dann kommt man schnell dahinter, wer der Mann sein könnte, vor allem, wenn von Ihnen seit Paris kein Lebenszeichen mehr zu vernehmen war. Ich hielt es daraufhin für besser, meine Pläne zu ändern und mir das selbst einmal anzusehen. Tja, und wie ich jetzt feststellen muß, hatte ich den richtigen Riecher“ „Den hatten Sie wohl wirklich, Doc. Also hat sich meine Ankunft hier demnach wie ein Lauffeuer verbreitet und Gondoni weiß sicher schon Bescheid, das ist sehr ärgerlich“ „Möglich ist es, aber ich glaube nicht daran. McCrawley wußte erst, wo Biedermann zu finden war, als Sie ihn auf die Farm geführt hatten, das haben wir aus seinen Funksprüchen zur Zentrale erfahren. Er brauchte Informationen über den Besitzer des Landes und konnte frühestens ab diesem Zeitpunkt ahnen, wen sie besuchten. Danach ging keine Nachricht mehr raus, scheinbar hatte er keine Gelegenheit mehr dazu, bestimmt wollte er erst sicher sein, bevor er es seinen Freunden meldete“ „Na das wäre doch mal eine positive Nachricht, Doc. Ich nehme an, durch diese Funksprüche sind Sie dann hergekommen“ „Stimmt genau und ich erzähle Ihnen das auch gerne ausführlich, aber nicht hier, wir werden gleich die Behörden verständigen und dann ist hier sowieso der Teufel los. Kommen Sie mit zur Maschine, Kronau, wir fliegen zurück und unterhalten uns währenddessen in aller Ruhe. Sicher ist es eine interessante Geschichte, wie Sie auf Herrn Biedermann gestoßen sind“ „Nicht nur das, Doc. Es wird Sie interessieren, was in Paris geschehen ist, eine unangenehme Sache...“ Der Doktor brachte mich nach Canberra und unterwegs staunte er nicht schlecht über meine Erlebnisse in der Seinemetropole. Natürlich ließ ich die persönlichen Aspekte so gut es ging beiseite, allerdings schien mir, daß er lange genug in seinem Job war, um zwischen den Zeilen lesen zu können. Doch er fragte nicht in dieser Richtung nach und ich hatte in der australischen Hauptstadt vorerst auch einige dringlichere Fragen von den Behörden zu beantworten, die mich scheinbar noch in guter Erinnerung hatten und meine neue Identität nicht gerade lustig fanden. Es war wohl nur der Intervention des Doktors und meiner tatkräftigen Mitarbeit an dem „Fall McCrawley“ zu verdanken, daß ich wiedereinmal mit einem blauen Auge 221
davonkam. Da ich offiziell nicht hier war, hatte so auch niemand etwas dagegen, wenn ich mich einfach wieder in Luft auflöste und dafür übernahm Doktor Breitenbach die Garantie, in dessen Obhut ich entlassen wurde, solange meine Füße noch auf australischem Boden standen. Unsere Flüge gingen morgen und da das Verhör so lange gedauert hatte, war ich über diese Verzögerung nicht böse. Denn hinter mir lag so ein Tag, den man gerne in einem langen Schlaf vergessen wollte, besonders nachdem ich Jocelyn angerufen hatte und nach einem günstigen Schrotthändler für ihren Wagen fragte. Allerdings wußte ich schon, daß ihre Versicherung zahlen würde, es war wohl immer ein Vorteil, wenn sich hohe Regierungsstellen um solche Kleinigkeiten kümmerten. Mein Bett stand in einem luxuriösen Hotel in der City, das wohl des öfteren von der ASIS benutzt wurde und ich freute mich schon darauf. Doch ohne einen Drink zu nehmen, wollte ich diesen gefährlichen Tag nicht ausklingen lassen, wobei mir der Doktor freundlicherweise Gesellschaft leistete. „Was versprechen Sie sich eigentlich von Ihrer Reise nach Venezuela, Kronau?“ „Informationen, hauptsächlich Informationen, Doc. Die Rubios sind jedenfalls in geschäftlichen Dingen immer auf dem laufenden, da wird sich nichts geändert haben und dazu benutzen sie solche Quellen, die auch in Ihrer Branche üblich sind. Sicher haben sie es nicht nötig in anderen Firmen Wirtschaftsspionage zu betreiben, aber um sich davor zu schützen, müssen sie eben zu den gleichen Mitteln greifen. Die Spuren deuten ja nach Südamerika, wenn Sie in Uruguay arbeiten und ich von Venezuela aus nachforsche, dann nehmen wir die Lemuren in die Zange und so finde ich vielleicht auch Anne Damianski wieder“ „Ich hoffe, daß sie fündig werden, vielleicht kann ich Ihnen auch helfen und werde meine Möglichkeiten nutzen, um Ihre Freundin aufzuspüren. Möglicherweise schneller als Sie denken, aber das ist noch nicht spruchreif, ich informiere Sie natürlich, sollte sich da etwas ergeben“ „Hört sich vielversprechend an, Sie wissen ich bin über jeden Hinweis dankbar. Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Fortunati?“ „Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm, denn seitdem er mit Gondoni zu tun hat, besteht die Gefahr daß sie mich enttarnen. Wer weiß, welche Informationen die Lemuren über mich haben und da gehe ich lieber kein Risiko mehr ein“ „Verstehe, Doc, eine gesunde Einstellung, die Sie haben. Sie scheinen sowieso eine Menge auf dem Kasten zu haben, zuerst tauchen Sie bei Fortunati mit einer Legende als Lebenslauf auf und nun auch in Uruguay. Ich habe das des öfteren selber probiert und kann gut einschätzen, wie schwierig das ist, auch wenn mein letzter Versuch gerade gründlich schiefging“ „Grämen Sie sich nicht deshalb, das ist meistens nur erfolgreich wenn der Gegner nicht darauf vorbereitet ist, aber McCrawley hatte schon einige Zeit Ihre Freunde beobachten lassen und da hatten Sie einfach die schlechteren Karten. Außerdem hat es keine katastrophalen Auswirkungen, wenn man von den Toten natürlich absieht, aber wie Sie schon sagten, Sie haben nicht abgedrückt, Kronau. Ich selber habe das auch einige Male erlebt als ich noch in der Auslandaufklärung tätig war - ein Fehler und es wäre vorbei. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe 222
meinen Job geliebt und deshalb auch auf vieles verzichtet, aber jede Entscheidung, die man treffen muß, wiegt doppelt schwer und es ist eben nicht so wie in einer Bank zu arbeiten“ „Danke, nett das Sie mir über den Tod von Biedermann hinweghelfen wollen und ich kann in dem Fall jeden Trost gebrauchen, doch manchmal hilft es nur, wenn man weiß, warum man sich in solch eine Sache stürzt. Meine Beweggründe kennen Sie ja, was ist eigentlich mit Ihnen, wenn ich mal fragen darf. Gibt es nicht irgendwo eine Frau Doktor, die zu Hause wartete und darüber flucht, daß Sie jetzt wieder in der Weltgeschichte herumgondeln?“ „Das ist geheim, Kronau. Sie könnten diese Information gegen mich einsetzten...“, er lachte und nahm einen Schluck seines Mineralwassers, „... nein, das war nur ein Spaß. Ich habe nie geheiratet. Beinahe wäre es zwar doch passiert, aber es ist eben kein regelmäßiges nach Hause kommen und selten gemeinsame Wochenende mit der Familie. Sie ist dann gegangen und ich habe sie auch deshalb verstanden, nun ja,... trotzdem war sie meine große Liebe und es ist nicht einfach, wenn man sich zwischen Job und Familie entscheiden muß. Damals war ich noch jung und manchmal schießt es mir durch den Kopf, daß ich die falsche Wahl getroffen haben könnte, aber das läßt sich nun sowieso nicht mehr rückgängig machen. Es soll sich nicht anhören, als ob ich unglücklich gewesen wäre, ich hatte ein sehr aufregendes Leben und das war schön, aber vielleicht wäre man genauso glücklich geworden, wenn man einen anderen Weg gegangen wäre. Doch das sind alles nur Spekulationen, unsere Ehe hätte vielleicht auch scheitern können, weil ich den Beruf, den ich liebte, nicht ausgeübt hätte. Sie merken also Kronau, daß es immer ein „was wäre wenn“ gibt und für mich als rationeller Analytiker ist das zu schwammig. Ich habe gelernt mit Fakten zu arbeiten und auf sie zu reagieren, vielleicht bewundere ich Sie deshalb sogar ein wenig, weil Sie manchmal die Dinge so intuitiv anpacken“ „Schön gesagt, Doc, aber das müssen Sie wirklich nicht. Im Gegenteil, ich glaube sogar, Sie sind selber dafür anfälliger als Sie denken, schließlich wollen Sie mir doch auch helfen und das ist rational betrachtet völlig unnötig, oder?“ „Kronau, Sie versuchen gerade ein Szenario zu konstruieren, das nicht vorhanden ist. Ich helfe nur einem Mann, der das gleiche für mich tut und das finde ich sehr rational, aber wir können das auch ein anderes Mal besprechen, denn ich bin nämlich müde und muß jetzt schlafen gehen - das ist nämlich auch sehr rational von mir gedacht. Ich wüsche Ihnen noch eine gute Nacht“ „Das wünsche ich Ihnen auch, Doc, und wenn Sie es so sagen, dann glaube ich es Ihnen sogar“, schon verschwand er in der Lobby und bestieg den Lift. Mir war weniger nach Schlafen zumute, obwohl ich auch hundemüde war, aber langsam setzten sich die vergangenen Ereignisse und ich begann dem Doktor ein wenig nachzueifern, um etwas rationaler zu werden. Dabei half mir wie immer ein ausgedehnter Spaziergang, den ich entlang der zu dieser Zeit spärlich befahrenen Straße am Hotel machte. 223
Der gesamte Anschlag schien mir sinnlos, denn um mich kaltzustellen, gab es weniger spektakuläre Möglichkeiten auf der Rückfahrt nach Sydney. Damit wäre ich von der Bildfläche verschwunden, die Identität von Biedermann hätte festgestanden und McCrawley hätte die Auszeichnung als Mitarbeiter der Woche bei den Lemuren bekommen. Gondoni hätte sich dann den alten Mann geschnappt und der hätte sicher noch genug gewußt, um ihn zum Versteck der Kisten zu führen. Damit wäre die Sache wohl erledigt gewesen, aber der Australier reagierte anders und ging auf Nummer sicher, damit Biedermann keine Chance zum Überleben hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es sich dabei um eine übereilte Aktion des australischen Agenten handelte, sondern das geschah auf Anweisung. Kaltblütig wie bei Lüttjens zeigte sich Gondoni, doch ich begriff einfach nicht, wie man den eigenen Vorteil so aus der Hand geben konnte. Das war der Punkt, der mich schon die ganze Zeit im Unterbewußtsein beschäftigte und der mich maßlos an der Sache störte. Nichts Plausibles wollte mir einfallen, um das erklären zu können, bis ich auf den Gedanken kam, daß Gondoni den Weg doch kannte und Biedermann auf die schwarze Liste gesetzt hatte, damit niemand anderes dorthin gelangen konnte. Doch der Plan war zerstört und einzig... Anne wußte noch, wo das Versteck lag - Man hatte sie erwischt! Mein Hals wurde trocken und ich überlegte, ob ich nicht irgendwo einen Denkfehler hatte, aber es war logisch, es war möglich und es schien mir die einzige Erklärung zu den bekannten Fakten. Schock war sicher das treffende Wort für meinen Zustand, obwohl ich dabei messerscharf mein Gehirn benutzen konnte und dadurch gleich eine zweite Erkenntnis schmerzhaft hinnehmen mußte. Wenn Gondoni oder sein Freund Fortunati herausbekommen hatten, daß ich noch am Leben war, dann brauchten sie Anne nur mit einer Pistole an der Schläfe vor mir aufzustellen und ich hätte keine andere Wahl, als mich zu ergeben. Das nötigte mich förmlich dazu, meine Identität weiterhin zu verbergen und so gab es auch vorerst keine Gelegenheit das Gegenteil zu beweisen, wenn man ihr von meinem Tod in Paris erzählen sollte. Ich sah ihre traurigen braunen Augen vor mir und mußte meine Hoffnung begraben, sie so schnell wiederzusehen. Nur in meinem Herzen würde ich Anne bei mir haben, dort, wo der stechende Schmerz mich zu jeder Tages- und Nachtzeit an sie erinnerte. Ziellos irrte ich durch die Stadt, denn ich hätte es jetzt in keinem ruhigen Zimmer alleine ausgehalten und das machte ich solange, bis der neue Tag mit einem Leuchten am Horizont begann. Viel half es mir nicht und der Körper forderte allmählich sein Recht, so daß ich in meinem Zimmer in einen von unruhigen Bildern durchzogenen Schlaf fiel. Ein entferntes Klingeln ließ mich aufschrecken und ich zweifelte, ob diese zwei Stunden Ruhe mehr genutzt oder geschadet hatten. So down, wie ich mich fühlte, sah ich bestimmt auch aus, als ich den Doktor im Frühstücksraum traf, „Kronau, wie sehen Sie denn aus, sind Augenringe jetzt modern?“ Er grinste viel zu munter zu mir herüber, als ich Platz nahm und überlegte, welche Antwort im Moment passen würde. „Stimmt, wollen Sie auch einen haben?“ 224
„Danke, das verlockende Angebot muß ich leider ablehnen, aber erst einmal wünsche ich Ihnen einen guten Morgen, denn Sie scheinen keine so gute Nacht gehabt zu haben“ „Danke,... das ist richtig, ich habe die ganze Zeit noch Zwei und Zwei zusammengezählt und bin darauf gekommen, daß sich Anne wahrscheinlich in den Händen von Gondoni befindet“ „Ach? Was veranlaßt Sie denn zu dieser Schlußfolgerung?“, der Doktor sah mich ungerührt an und goß mir einen Kaffee ein, dann erzählte ich ihm, nur unterbrochen von einem gelegendlichen Schluck aus der Tasse, meine Vermutung. „Was Sie sagen hat einiges für sich, Kronau. Kommen Sie mit raus in den kleinen Park, wir spazieren etwas und reden darüber, das wird Ihren Kopf freimachen“ „Na gut, Sie sind der Doktor, aber letzte Nacht hat das nichts gebracht“ Wir brauchten nur über die Straße zu gehen, um unser Ziel zu erreichen. Hier drückte mir das satte Grün des frisch gesprengten Rasens auf die Augen und trieb damit wirklich die Müdigkeit aus meinem Kopf. Hohe Bäume begannen schon, ihren angenehmen Schatten zu spenden, und einige Jogger keuchten an uns vorbei. „Kronau, Sie haben recht! Man hat ihre Freundin gefangen“, fast traf mich der Schlag und mir war, als hätte mich jemand mit einer Keule erwischt. „Bitte?!... Was, Wer?“ „Ich habe erst heute morgen die Nachricht erhalten, daß Anne Damianski und Carmen Santiago auf der Motoryacht von Fortunati gefangen gehalten werden, ebenso wie Diana LeClaire“ „Verdammt! Gefangen und dann noch mit diesem Früchtchen von Model zusammen, da kommt ja alles Schlimme zusammen. Wenigstens leben sie, aber... aber woher wissen Sie das denn?“ „Vielleicht haben Sie das in Ihrer kurzen Nacht vergessen, aber ich bin beim Geheimdienst, daß heißt ,wir behalten unsere Geheimnisse und wollen die von den anderen wissen. Nein, im Ernst, Kronau, es gibt Kontakte, die ich aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben kann und das müssen Sie einfach so hinnehmen“ Der Mann hatte gut reden und ich nahm mir eine kurze Auszeit, um diese Neuigkeit sacken zu lassen, bevor ich gefaßter das Gespräch fortsetzte, „Wenn Ihr Kontakt zuverlässig ist, soll mich das nicht stören, aber wenn ich auf nüchternen Magen solche Nachrichten bekomme, bin ich immer skeptisch, Doc. Sie sagten, die Frauen wären auf Fortunatis Yacht, warum gerade bei ihm?“ „Offenbar hatte Paulo Fortunati das Glück, sie zuerst zu erwischen und jetzt sieht es so aus, daß er die gefangenen Frauen vorerst als Pfand für seine Sicherheit ansieht und erst später an die Lemuren übergeben will. Scheinbar traut er seinen neuen Freunden doch nicht ganz über den Weg“ Schlagartig war meine Konzentrationsschwäche beseitigt und ich begann trotz der Gefahr wenigstens etwas positiv zu sehen, ich wußte nun, wo Anne zu suchen war, „Wir müssen etwas unternehmen, Doc, schließlich können wir doch nicht hier tatenlos sitzenbleiben, wo befindet sich die Yacht jetzt?“ „Auf dem Weg von den Kanarischen Inseln nach Barbados, wahrscheinlich, um später weiter in den Amazonas einzufahren“ 225
„Klingt einleuchtend, um irgendwann zum Rio Guapore zu kommen, schließlich ist in dem Fluß damals das U-Boot versenkt worden. Also Doc, mein Flug heute abend bringt mich sowieso in die Gegend und ich werde garantiert etwas unternehmen. Helfen Sie mir Fortunati vor den Latz zu hauen und die Frauen zu befreien?“ „Ruhig Kronau, ganz ruhig bleiben, genau solch eine Reaktion habe ich von Ihnen erwartet und bevor Sie sich über meine Meinung aufregen, will ich Ihnen sagen, daß ich das auch ganz verständlich finde, aber hören Sie mir erst einmal zu. Die Frauen sind im Moment so sicher wie in der Bank von England, es wir einige Tage dauern, bis die Yacht in Barbados ankommt und selbst dann ist Ihre Freundin noch nicht an Gondoni ausgeliefert worden. Meine bescheidenen Informationen deuten darauf hin, daß sich Fortunati dort nach der Ankunft mit Gondoni treffen will und durch dieses Zusammentreffen können wir vielleicht erfahren, wer sich alles hinter den Lemuren verbirgt. Danach helfe ich Ihnen sehr gerne, die Frauen von der Yacht zu holen“ „Danke Doc, aber ich bin nicht blöd und habe schon verstanden, was Sie vorhaben. Anne ist der Käse in der Mausefalle, aber das spiele ich nicht mit. Was ist, wenn sie Fortunati auf der Yacht foltern läßt, um an die Informationen zu kommen, oder wer weiß, was sich sein Verbrechergehirn sonst noch ausheckt. Es tut mir leid, aber das Risiko ist mir zu groß und niemand kann mir garantieren, daß sie wirklich unversehrt in Barbados ankommt“ Er machte ein nachdenkliches Gesicht und ich sah ihm förmlich an, wie er mit sich kämpfte, „Geben Sie mir eine Stunde, Kronau. Bei der Brisanz der ganzen Angelegenheit sollten wir alle Möglichkeiten nutzen, die wir haben. Ich habe eine Idee und will mal sehen, was ich für Sie tun kann – aber nur, wenn Sie mir versprechen, in der Zeit keine Dummheiten zu machen und schön brav hier sitzen zu bleiben“ „Versprochen Doc, und wenn Sie wiederkommen, bringen Sie mir einen Kaffee und gute Nachrichten mit. Ich brauche die Stunde sowieso, um ihre schlechten Neuigkeiten erst einmal zu verdauen“ So ließ er mich alleine im Park und tatsächlich drehte sich alles in meinem Kopf – nur das Gehörte, wie ich es befürchtet hatte. Mit einer halben Stunde Verspätung kam er wieder auf den Springbrunnen, auf dessen Rand ich mittlerweile saß, zu und drückte mir einen lauwarmen Pappbecher in die Hand, „Es ist alles arrangiert, Kronau. Sie haben vorhin von einer Garantie gesprochen, die kann ich Ihnen jetzt geben. Den Frauen wird auf der Yacht nichts geschehen“ Ich wußte inzwischen, daß der Doktor einen gewissen Zug zum Humor entwickelte, aber daß er in diesem Punkt scherzte, hielt ich für ausgeschlossen und sah ihn fragend an, „Aha? Da versprechen Sie aber eine ganze Menge. Ich hoffe nicht, daß Sie mich nur beruhigen wollen, um damit etwas Zeit zu schinden“ „Kronau, ich habe Sie niemals belogen, vielleicht habe ich nur nicht die ganze Wahrheit gesagt, aber das ist eine Berufskrankheit. Doch ich weiß, wo Sie mir niemals eine Unwahrheit verzeihen würden und das kann ich mir nicht leisten, weil wir am selben Strang ziehen müssen, also hören Sie gut zu. 226
Die Garantie ist ein U-Boot der Bundesmarine, das gerade vom Torpedoschießen aus einem Übungsgebiet in der Karibik auf Heimatkurs gegangen ist. In diesen Minuten wird es neue Befehle bekommen und sich an die Yacht von Fortunati hängen. Spätestens in sechs Stunden kann sich dann der Kommandant durch das Periskop sein neues Ziel ansehen und jederzeit bei einer brenzligen Situation auf hoher See eingreifen“ „Ein U-Boot? Da fahren Sie wirklich schwere Geschütze auf, also so hilflos scheinen Sie gar nicht zu sein, Doc. Allerdings wird es schwierig für den Kommandanten an Bord durch die Schiffswände zu schauen, um zu wissen, wann er möglicherweise auftauchen und entern soll“ „Da haben Sie nicht unrecht, Kronau. Mir steht zwar nicht der übliche Apparat zur Verfügung, aber dadurch, daß ich direkten Kontakt zum Innenministerium habe, bestehen gewisse Möglichkeiten der Unterstützung. Ich vermute mal ganz stark, daß es in der letzten Stunde ein Gespräch mit dem Verteidigungsminister gab, daß diese Lösung ermöglichte, und wegen dem, was auf der Yacht vorgeht, brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen. Ich denke, Sie vermuten schon seitdem wir darüber gesprochen haben, daß ich jemanden an Bord habe, der für uns arbeitet, und damit liegen Sie richtig. Sie sehen also, es wurde für alles gesorgt und es besteht kein Grund, voreilig zu handeln, gerade wenn man eine so schwere Nacht wie Sie hinter sich hat. Vielleicht sollten Sie sich lieber noch mal hinlegen und wir treffen uns später wieder, denn so richtig munter sehen Sie immer noch nicht aus“ „Danke für das Kompliment und auf alle Fälle kann ich jetzt etwas beruhigter schlafen“, ich machte eine kurze Pause, „Falls ich das noch nicht gesagt habe – Danke für alles, Doktor!“ Seine Mundwinkel zogen sich etwas nach oben, „Keine Ursache, Kronau. Diese Observation hilft uns beiden und wenn Sie dadurch wieder etwas lockerer werden, können Sie sich sicher besser auf Ihre Aufgaben vorbereiten. Schließlich besteht keine absolute Gewißheit, daß mich Gondoni wirklich zu den Lemuren führt und so sollten Sie in der Zwischenzeit weiter nachforschen, wie es geplant war – falls Barbados sich als Sackgasse erweist“ Er entschwand langsam meinen Blick und ich trottete durch den Park zurück in mein Zimmer, wo ich ins Bett fiel und wirklich nach einigen Stunden erholt am frühen Nachmittag erwachte. In der Zeit, die ich verschlafen hatte, war der Doktor nicht untätig gewesen und hatte zwei codierte Satellitentelefone besorgt, die es uns ermöglichen sollten, direkt in Kontakt zu treten, wenn sich unsere Wege getrennt hatten. Ein schneller Informationsaustausch konnte für die nächsten Tage entscheidend sein und natürlich gierte ich nach allem, was sich auf Fortunatis Yacht tat, worüber mich Doktor Breitenbach immer auf dem laufenden halten wollte. Jetzt brauchte ich nur noch einen Codenamen, der mich mit einem zusätzlichen Pincode auf den Satelliten schaltete und das erwies sich als schwieriger, wie ich angenommen hatte. Denn man merkte dabei die alte Schule des Doktors an seinen konservativen Vorschlägen, wie „Graugans“ oder „Seelöwe“, und ich konnte mir kaum eine eindeutige Grimasse darüber verkneifen. 227
Danach kam er mir mit dem nicht ernst gemeinten Namen „Schmierfink“, was ich rigoros ablehnte und dabei nur hoffte, daß er das nicht auf meine Arbeit bezogen hatte. Letztendlich einigten wir uns klassisch, womit man gut leben konnte – sein Codename war „Don Carlos“ und ich hatte, nicht ganz unpassend, den „Rosenkavalier“ abbekommen. „Das wäre auch erledigt, vielleicht gebe ich ihnen jetzt noch ein paar Fakten, die Ihnen noch nicht bekannt sein dürften. Als ich mit meinen Vorgesetzten gesprochen hatte, gaben sie mir einen gewissen Spielraum, um Sie soweit zu informieren, damit Sie keine unnötigen Fehler aus Unwissenheit begehen. Zwar haben Sie schon fast alles, was auch wir gewußt haben, selbst herausgefunden, aber auch Sie können schließlich nicht alles wissen. Eines muß Ihnen allerdings klar sein, Alles, was passiert ist und auch noch geschehen wird, ist mit unbedingtem Stillschweigen zu behandeln und ich brauche Ihnen sicher nicht zu sagen, was Sie für einen gewaltigen Ärger bekommen werden, wenn Sie sich nicht daran halten“ „Keine Angst, ich verstehe den Ernst der Lage sehr gut und hänge das sicher nicht an die große Glocke, weil das auch gegen meine Interessen gehen würde“ „Ja, das weiß ich, Kronau. Ich wollte es nur der Ordnung wegen noch mal erwähnt haben, also von den Lemuren habe ich ihnen schon ausgiebig erzählt und dabei angedeutet, daß wir sehr wenig von diesen Terroristen wissen. Aber es gibt einige Details, die im Laufe der Zeit bekannt geworden sind, unter anderem wurden mit ihrer Planung in diesem Jahr schon zwei Aktionen durchgeführt. Einmal in Frankreich, wo man zwei hohe Militärs entführte, und dann konnte eine unerhörte Katastrophe verhindert werden, als in der europäischen Zentralbank die Zündung von mehreren Sprengkörpern verhindert wurde“ „Ach, von der Sache in Frankreich habe ich in den Nachrichten gehört, aber die Zentralbankgeschichte ist mir neu“ „Es würde mich wundern, wenn es anders wäre, denn die Sicherheitskräfte konnten nichts anderes machen, als ein Lösegeld in Diamanten zu bezahlen. Jede Aktion von ihnen hätte die sofortige Sprengung nach sich gezogen und so etwas verbreitet man ungern in alle Welt. Es war leider wiedereinmal eine Bestätigung für die gut durchdachte Organisation dieser Anschläge, die nur mit Insiderwissen gelingen konnte. Ich persönlich vermute, daß auf das Konto der Lemuren auch einige identische Aktionen in Amerika und Asien gehen, vielleicht erinnern sie sich an die Entführungen in Hongkong und der Bombenanschlag in Manila, von denen in der Zeitung stand – das geschah nach ähnlichem Muster. Zwar gibt es bislang keine handfesten Beweise für meine Theorie, aber im zeitlichen Kontext gesehen halte ich es für sicher, daß hinter allem Lupus steckt“ „Lupus,... den haben Sie mir bisher verschwiegen, wer ist das?“ „Das ist der größte Erfolg aller Nachforschungen sehr vieler Sicherheitsdienste, ein Name. Ist nicht gerade viel und ich würde Ihnen gerne mehr sagen, aber wir wissen nur, daß es die Person an der Spitze der Lemuren sein soll“ „Also der Boß der ganzen Schweinebande, Sie haben recht Doc, ein Name ist recht wenig, wenn man einen so gefährlichen Gegner hat. 228
Keine Idee, nicht mal eine Kleinigkeit, die man über Lupus weiß?“ „Glauben Sie mir, Kronau, es gibt viele Leute, die würden dafür töten, an ihn heranzukommen und ihn zur Stecke zu bringen. Wahrscheinlich läuft das nach dem gleichen Muster ab, wie bisher bei Gondoni, bevor Sie sein Stolperstein wurden und er untertauchen mußte. Lupus lebt irgendwo sein bürgerliches Leben und bricht dann kurz aus, um seine diabolischen Pläne umzusetzen, keine Spuren und keine Anhaltspunkte“ „Das ist eine Möglichkeit, schließlich spricht viel dafür, daß alle Mitglieder der Lemuren das gleiche erfolgreiche Prinzip verwenden und bisher war ihre Tarnung auch sehr erfolgreich. Bleibt eigentlich nur die Motivsuche. Es muß doch einen Grund für die Anschläge und auch das besondere Interesse an den alten Kisten von U-113 geben“ „Das sollte man meinen und ich glaube sicher, daß es ein Motiv gibt. Vielleicht ist Lupus ein geldgeiler Spinner, der nie genug bekommen kann und dazu von seinen Eltern verstoßen wurde, weshalb er an einem krankhaften Minderwertigkeitskomplex leidet, oder er ist morgens einfach aufgewacht und hatte die Schnauze voll. Suchen Sie sich was aus Kronau, solange er keine Forderungen stellt, ist das weite Feld der Spekulation für Sie geöffnet. Es gibt in allen Geheimdiensten genug Psychologen, die an einem Profil von ihm arbeiten, und glauben sie mir, die Ergebnisse gehen alle weit auseinander. Kurz vor meiner Pensionierung sah ich mal ein Dossier von der CIA, weil er erstmalig in den Vereinigten Staaten mit einigen Erpressungen in Erscheinung getreten war, und die hielten ihn noch für einen Einzeltäter, damit lagen die Amerikaner ganz weit daneben. Aber das ist auch schon einige Jahre her und seitdem hat er mit seinem Apparat ausreichend das Gegenteil bewiesen. Das muß beendet werden, so oder so, und ich hoffe inständig, daß wir dazu auf dem richtigen Weg sind. Deshalb ist es so wichtig, die Geheimhaltung zu wahren und niemanden weiter zu informieren, der möglicherweise mit den Lemuren in Kontakt stehen könnte. Das ist der Grund, weshalb bei uns alles gleich über den BND-Präsidenten und den Innenminister läuft, damit ist die Administration mit der undichten Stelle ausgeschaltet“ „Hoffentlich ist da nicht ihr Maulwurf, Doc. Dann ist nämlich Ihre ganze Geheimhaltung für den Allerwertesten und bei der Gelegenheit möchte ich an den Zwischenfall in Prora erinnern“ „Kronau, wenn dort ein Spitzel sitzen sollte, dann haben wir ganz andere Sorgen als Lupus. Aber ich kann Sie beruhigen, es wird weiter nach der undichten Stelle gefahndet und man ist zuversichtlich, dieses Problem demnächst in den Griff zu bekommen, also lassen Sie meine Kollegen ihren Job erledigen und wir müssen uns auf unsere eigene Aufgabe konzentrieren, damit ich Lupus und Sie Ihre Freundin bekommen“ „Es gibt Sachen Doc, da würde ich Ihnen nie widersprechen, wie geht’s jetzt weiter?“ „Sie treffen sich mit ihren Freunden in Caracas, vielleicht kommt ja wirklich etwas dabei heraus und kommen dann nach Barbados, wo wir die Ankunft der Yacht erwarten, um Ihr kleines Problem zu lösen. Ich werde mich inzwischen in Montevideo nützlich machen, dort muß es irgendwo jemanden geben, der über die Ladung von U-113 mehr weiß, als in den alten Akten 229
steht. Vielleicht ist es die Person, von der Lupus seine Informationen hat, denn irgendwoher muß er doch von dem Gold gehört haben. Matsen´s Firma scheint mir da ein guter Einstiegspunkt zu sein, nach dem Tip in Lüttjens Tagebuch. Wie weit wir auch kommen, Kronau, auf jeden Fall waren wir schon erfolgreicher, als alle Dienste, die es vorher probiert haben und ich muß schon sagen, daß Sie ein gewisses Talent für solche Unternehmungen haben. Wenn Sie mal die Branche wechseln wollen, ich kenne da noch einige Leute von früher“ „Wenn das ein Kompliment war, dann danke sehr, aber ich bin sehr zufrieden, wie das bisher so gelaufen ist, und dabei werde ich sicher auch bleiben“ „War ja auch nur so eine Idee, hier nehmen Sie das“, er hielt mir einen dicken Umschlag entgegen. „Was ist das?“ „Sie kommen doch im Moment nicht an Ihr Geld heran, jedenfalls nicht unbemerkt, und das wird sicher für eine Weile reichen, Rosenkavalier“, ich schaute hinein und sah ein dickes Bündel Banknoten. „Schmeicheleien haben nichts gebracht, jetzt kommt das Bestechungsgeld, aber ich will trotzdem nicht in die ‚Firma’, Don Carlos“ „Keine Angst, irgendwie habe ich nichts anderes von Ihnen erwartet. Das ist nur dazu gedacht, damit Sie sich nicht verraten, wenn Sie hungrig am Geldautomaten stehen, wäre doch zu schade, wenn Gondoni so erfährt, das Sie noch leben“ „Wenn das so ist, habe ich kein Problem damit, Doc. Mein Flieger geht in drei Stunden und wenn ich in Caracas angekommen bin, melde ich mich bei Ihnen“, wir gaben uns die Hand und er verließ nach unserer Verabschiedung das Zimmer. Danach machte ich mich daran, meine Sachen zu packen und nutzte die Zeit bis zu meiner Abreise dazu, meine Mails aus dem Internet abzurufen. Beruhigt bemerkte ich, daß sich niemand Sorgen über mein lautloses Verschwinden machte, denn so etwas hatten meine Freunde und auch Conny aus der Redaktion schon des öfteren erlebt und so irritierte es niemanden mehr, daß ich für einige Zeit nicht erreichbar war. Dafür war ich irritiert und das nicht wenig, über die Ausmaße der Verwicklungen, in die ich hineingestolpert war. Manchmal entwickelte sich eine Recherche nicht so, wie ich gedacht hatte – na gut, das passiert – und gelegentlich liefen mir auch schon mal finstere Gestalten über den Weg – auch nicht zu ändern –, aber was sich diesmal für eine Klientel um mich versammelt hatte, das sprengte jeden Rahmen. Lediglich der Umstand, daß ich Anne kennengelernt hatte, ließ diese Gesellschaft für mich erträglich werden. Und sie war auch der Grund, mich weiterhin mit ihnen abzugeben, wobei ich den Doc dabei gerne ausklammerte, der wie ein Neutrum zwischen seinen und meinen Interessen pendelte. Gerade wollte ich das Zimmer verlassen, um zum Flughafen zu fahren, als es klopfte und ich zur Tür ging, wo Doktor Breitenbach mit einem etwas verstörten Gesichtsausdruck vor mir stand und sofort ins Zimmer hereinstürzte, „Kronau, wir haben ein Problem!“ Ich bekam natürlich sofort einen Schreck, daß etwas auf der Yacht geschehen war, „Beruhigen Sie sich, was ist passiert?“ 230
„Ich kann es einfach nicht glauben. Diese kleine Göre ist drauf und dran, unser ganzes Projekt zu gefährden und wir können nichts tun. Es ist doch nicht zu fassen, daß...“ „He Doc, nun mal ganz langsam, WAS... IST... LOS?“ „Entschuldigen Sie Kronau, aber ich habe eben die Nachricht erhalten und etwas die Contenance verloren, aber das ist auch kein Wunder. Sie erinnern sich doch sicher noch an die Enkelin von Biedermann, diese Lilly Callaway?“ „Ja, sie hat einen gewissen Eindruck bei mir hinterlassen, als ich vor ihrer Tür stand. Was ist mit ihr?“ „Einen gewissen Eindruck also, kann ich verstehen, das hat sie bei mir auch getan und wissen Sie auch warum, Kronau? Weil die Kleine mit dem Computer umgehen kann und eine Mail in die USA geschickt hat“, dabei lächelte er jetzt so komisch, daß ich einen Anflug von Sorge über seinen Gesundheitszustand hatte. „Doc, geht’s Ihnen gut, haben Sie etwas gefeiert? Nicht, daß es schlimm wäre, das ist alles menschlich und wenn jemand eine Mail verschickt, kann es doch kaum so schlimm sein, oder?“ „Kronau, es ist schlimm, weil wir nicht über Geburtstagsgrüße reden, sondern die dumme Pute hat eine Mail zu ihrer Freundin geschickt und zwar mit Bildern von der zerstörten Farm. Aber das ist nicht alles, denn jetzt kommt die Krönung der Geschichte - Sie ist fest davon überzeugt, daß es eine Verschwörung gibt, um den Schatz ihres Großvaters zu heben. Darum legte sie gleich noch einen detaillierten Bericht mit dazu. Tja, und danach hat sich das gnädige Fräulein bei mir gemeldet und teilte mir freundlich mit, wenn sie nicht dabei sein kann, dann läßt sie die Bombe platzen und macht alles publik“ Ich überlegte erst mal, ob ich das wirklich gehört hatte, und dann fing ich nach dem ersten Schock zu lachen an, was Doktor Breitenbach überhaupt nicht lustig fand. „Doc, es wird doch bei ihren Beziehungen möglich sein, dieser Freundin in den Staaten die Unterlagen wieder abzunehmen, oder solange die Hand darauf zu halten, bis alles vorbei ist, wozu gibt es denn FBI, CIA oder wen Sie noch so alles kennen. Schließlich sind ja nach Ihren Erzählungen auch die Interessen der Vereinigten Staaten betroffen und das sollte uns doch helfen. Mich beschäftigt eher, wie sie überhaupt auf die Idee von einer Verschwörung gekommen ist, denn darüber mache ich mir ehrlich gesagt mehr Sorgen, aus den Fingern wird sie es sich kaum gesaugt haben. Hat jemand gequatscht?“ „Ach gequatscht, wo denken Sie hin, Kronau. Die Kleine ist leider nicht auf den Kopf gefallen und hat wohl sofort geschaltet, als die ASIS sie um Stillschweigen bat. Denen war genauso daran gelegen, den Überfall von McCrawley auf die Farm unter den Teppich zu kehren, wie uns. Wer liest schon gerne von einem Verräter aus den eigenen Reihen in der Zeitung. Infolge dieses Gespräches ist Miss Callaway nicht gerade kooperativ gewesen und anstatt die angebotene Entschädigung für die Farm in die Tasche zu stecken, ist sie voll auf Konfrontation gegangen, mit dem bekannten Ergebnis. 231
Um auf die Sache mit der Mail zurückzukommen, muß ich leider sagen, daß ich eine winzige Kleinigkeit zu berichten vergessen habe, Kronau. Eigentlich nur die geringfügige Nebensächlichkeit, daß diese Freundin ausgerechnet in Atlanta bei CNN ein Praktikum absolviert und offenbar in der Zwischenzeit die Mail an mehrere andere Leute aus der Nachrichtenbranche zur Aufbewahrung verschickt hat. Ich glaube, jetzt muß ich Ihnen nichts mehr erzählen“ Nein, das mußte er wirklich nicht mehr, denn diese Freundin hatte sich den bestmöglichen Praktikumsort gewählt, um uns eine Menge Ärger zu bereiten. Es war nur zu gut vorstellbar, wie schwer es sein würde, diesen Stein einmal aufzuhalten, sollte er ins Rollen kommen. „Langsam teile ich Ihre Einschätzung, Doc. Was können wir jetzt machen?“ Er hatte sich mittlerweile aus meiner Minibar bedient und schaute mit einem wütenden Blick aus dem Fenster, zu dem seine beherrschte Stimme nicht ganz passen wollte, „Ich weiß es wirklich nicht, Sie sind doch das Improvisationstalent und jetzt wäre mal wieder eine Gelegenheit, etwas aus dem Hut zu zaubern. Offiziell ist keiner von uns hier und nichts ist passiert. Zu viele Leute wollen nicht, daß die Geschichte an die Öffentlichkeit kommt und ich habe das dumme Gefühl, Miss Callaway hat sich unwissentlich durch ihren jugendlichen Leichtsinn in eine prekäre Lage gebracht. Selbst der australische Offizier, mit dem ich gerade geredet habe, war etwas ratlos, was sie mit ihr machen wollen. Sie hat keine Verwandten mehr, damit können die Behörden sie nicht unter Druck setzen und wenn man sie einsperrt, oder sogar liquidiert, dann brauchen Sie nur morgen CNN einzuschalten und können die ganze Geschichte im Fernsehen noch einmal begutachten. Der Australier versuchte sogar, mir schmackhaft zu machen, sie wirklich mitzunehmen, das grenzt für mich schon an Verzweiflung“ „Doc, ich hoffe, das mit dem Liquidieren war nur ein dummes Beispiel, sonst wären die Guten nicht besser als die Bösen. Mir läuft die Zeit weg und ich muß zu meiner Maschine, wo ist denn das Mädchen jetzt?“ „Sie haben recht, Kronau, es war ein dummes Beispiel, aber trotzdem würde ich bei einigen Leuten den Gedanken nicht soweit wegschieben, auch wenn sie zu den Guten gehören. Soweit ich weiß, ist das Mädchen noch in Corban und wartet dort auf die Beerdigung ihres Großvaters, aber wenn sie danach nichts Positives von uns hört, dann geht die Geschichte in den Ticker. Wie dann unsere Chancen aussehen, kann ich nur noch mit ganz üblen Worten bezeichnen“ „Ich verstehe, bestellen Sie mir mal ein Taxi, Doc, und ich grüble mal ganz schnell nach“, das war zwar einfach gesagt, aber so unvermittelt eine derartige Nuß knacken zu müssen, war schon ein oberer Schwierigkeitsgrad. Es dauerte solange, bis der Page kam und mein Gepäck abholte, ehe ich wieder die Worte fand, „Hmmm,... wir haben keine andere Wahl, als auf Zeit zu spielen und die Kleine mitzunehmen. Solange wir eine Kontrolle über sie haben, wird hoffentlich nichts passieren und wenigstens bis Barbados muß das auch so klappen. Im Vordergrund steht für mich jedenfalls das Leben der gefangenen Frauen und solange sie nicht befreit sind, müssen wir Miss Callaway ein paar Krümel vor die Füße werfen, die das Mädchen ablenken“ 232
Das Gesicht des Doktors wurde noch düsterer und irgendwie verstand ich ihn nur allzugut, „Sagt mir nicht zu, Kronau. Sie sind für mich als Partner akzeptabel, denn selbst ohne meine Hilfe würden Sie sich durchschlagen und wissen dabei auch meistens, was Sie tun, aber die Kleine hat doch keinen Schimmer, was gespielt wird. Die Verantwortung, wenn sie mit uns in eine brenzlige Situation kommt, möchte ich nicht haben“ „Doc, Sie sollen das Mädchen doch nicht mit in den Dschungel nehmen, oder sonst einer Gefahr aussetzten. Beschäftigen Sie die Kleine in Montevideo mit sinnlosen Recherchen und im Notfall kommen Sie mit ihr nach Barbados. Vielleicht liegt sie dann nur am Strand und wir haben unsere Ruhe – comprende!“ „Ja, das hört sich einleuchtend an, ich denke, das könnte klappen und... Moment mal Kronau, wieso soll ich mich um Miss Callaway kümmern und nicht Sie?“ „Weil mein Flug in einer Stunde geht und die Lady noch in Corban ist, das nennt man Timing, Doc“ „Dann verschieben Sie den Flug!“ „Geht doch gar nicht, haben Sie schon vergessen, daß die Behörden José Gonzales, also mich, loswerden wollen? Tut mir leid, ich glaube, das ist Ihr Job. Kommen Sie noch mit runter in die Lobby, um mich zu verabschieden, Doc?“ Ich hörte einige Worte von ihm, die zu seiner unfreundlichen Miene paßten, doch letztendlich mußte er sich in sein Schicksal ergeben und was hätte der Doktor auch sonst tun sollen. Ein winziges schlechtes Gewissen hatte ich schon und noch im Flugzeug ging ich die Geschichte mehrmals durch, ohne eine andere Alternative zu finden. Dabei hoffte ich, daß wir die richtige Entscheidung getroffen hatten, aber Lilly Callaway hatte sie uns praktisch abgenommen und deshalb nahm ich das nach einiger Zeit als eine aufgezwungene Tatsache hin. So konnte ich mich etwas beruhigter in den Sitz lehnen und versuchte zu schlafen, denn mir stand wieder ein Flug über mehrere Zeitzonen bevor und das würde meinen Biorhythmus, der in letzter Zeit einiges auszuhalten hatte, für die nächste Zeit sowieso wieder durcheinanderwirbeln. Endlich in Venezuela. Jetzt, wo ich hier war, freute ich mich so sehr darüber, daß ich es beinahe selber nicht mehr verstand, warum erst etwas Außergewöhnliches passieren mußte, um diese Reise zu unternehmen. Zudem war von Regen war weit und breit nichts zu entdecken und der wolkenlose blaue Himmel ließ mich wieder einmal verschmitzt an das Matschwetter in Deutschland denken. Der internationale Flughafen „Simón Bolívar“ lag außerhalb der Stadt in Maiqueta und wurde durch die vierspurige Autopista mit der Metropole verbunden. Diese bohrte sich durch die Bergketten und zog sich teilweise an der Küste entlang, um später in den Talkessel, der Caracas umschloß, einzutauchen, was einen atemberaubenden Ausblick hergab. Wie es vom Fliegen bekannt ist, bekam ich dabei diesen typischen Druck auf den Ohren, als der Fahrer, der mich mit einer Firmenlimousine abholte, mit hoher 233
Geschwindigkeit die tausend Meter Höhenunterschied bewältigte und selbst scheinbar keinerlei Beschwerden bekam. Es war erst das zweite Mal, daß ich hier war und mir schien, daß noch mehr Hütten seit damals um das Zentrum von Caracas herumlagen, dessen markante Hochhäuser schon von weitem gut zu erkennen waren. Diese eigentümlichen neuen Vororte, auch als Ranchos bekannt, waren zudem nicht ohne, denn als Tourist war es kaum ratsam, sich nachts hier blicken zu lassen und auch am Tage würde sicher jeder Einheimische davon abraten. Im Vorbeifahren schaute ich mir das trostlose Bild der zusammengeflickten Häuschen, im Kontrast zu den glitzernden Türmen des Zentrums im Hintergrund an und das ganze Bild wurde eingerahmt von den Bergkämmen, die mit ihrem Kamm einen scharfen Schnitt zwischen Himmel und Erde zogen. Im Norden lag der Höhenzug von El Avila, der sich bis an den östlichen Horizont ausbreitete und sich mit der dunkelgrünen Vegetation reizvoll von der Stadt abhob. Begierig schaute ich auf die Umgebung nach allem, was meine Erinnerung wecken könnte, wie das weit sichtbare, aus zwei Türmen bestehende Centro Simón Bolívar. Dort hatte früher die Firma der Rubio´s ihren Sitz, doch jetzt saßen sie in einem weitaus höheren Gebäude, wie ich aus meinen Telefonaten erfahren hatte. Die neuen Büros befanden sich in einem Komplex, der im Parque Central lag und aus sieben Wolkenkratzern bestand, denen zudem noch Museen und Theater in sehr dekorativen Nebengebäuden angegliedert waren, was mein Freund Juan besonders schätzte. Die Klimaanlage lief auf vollen Touren, es war schon später Nachmittag und immer noch waren an die dreißig Grad draußen auf den Straßen. Das Mineralwasser einer französischen Edelmarke schlummerte eiskalt in der kleinen Minibar und brachte mir die ersehnte Erfrischung, als wir kurz vor unserem Ziel in einen Stau kamen, der den Zeitplan meines Chauffeurs total ruinierte. Ich nutzte die Zeit und schaute mir von meinem Logenplatz den Parque de los Caobos mit seinen imposanten Gewächsen an. Viele Bäume und Büsche standen kurz vor der Blüte, oder waren schon dabei, ihre wohltuende Pracht zu entfalten. Ein Farbenmeer in Rot, ein wenig Gelb und viel Weiß harmonierte äußerst wirkungsvoll mit dem Grün der Blätter, das durch das intensive Sonnenlicht noch leuchtender wirkte. Viele Arten kannte ich nicht, aber die Bucares und Apamates, dazu die Araguaneyesbäume hatte ich schon auf meinen früheren Reisen gesehen. Um mich herum pulsierte das Leben einer typischen Großstadt, deren Menschen sich für das ungeübte Auge wild durcheinanderbewegten und chaotisch verwoben mit den Autos und Motorrädern eine Einheit bildeten. Doch schien es dabei eine Gesetzmäßigkeit zu geben, die das alles ordnete und in kontrollierte Bahnen lenkte, die nur der Außenstehende nicht vorahnen konnte. Endlich erreichten wir die mondän angelegte Auffahrt zu einem der imposanten Wolkenkratzer und mir wurde die Tür geöffnet, vor der eine Dame in einem biederen grauen Kostüm auf mich wartete. Sie schien sichtlich nervös wegen unserer kleinen Verspätung zu sein, die offenbar den ganzen Tagesplan durcheinander gebracht hatte, denn ich bekam den Eindruck, daß sie mich gerne eigenhändig zum Aufzug treiben würde. Das gab sich glücklicherweise, als wir zusammen oben ankamen, und ich 234
bemerkte sofort auf der gesamten Etage die Firmenschilder der verschiedensten Zweige des Konzerns, in denen jedoch immer wieder der Name meiner Gastgeber vertreten war. Neugierig drehten sich die Hälse nach mir um, was mich zwar etwas unangenehm berührte, andererseits konnte ich ein gewisses Schmunzeln darüber nicht verkneifen und schob das auf die üblichen Gerüchte, die in Büros wohl besonders gut gediehen. So war ich erleichtert, als es gleich in das Büro meines Freundes Juan weiterging. Dabei mußte ich feststellen ,wie dehnbar der Begriff „Büro“ in diesem Falle war, denn wenn man an „Eiche rustikal“ und Plastikmöbel dachte, lag man absolut daneben. Italienische Marmorböden und kreisförmig angeordnete Säulen machten daraus eher einen Tempel der Macht. Dazu schufen zwei riesige Fensterfronten eine offene Atmosphäre. In der Mitte des Rondells stand ein riesiger Schreibtisch, hinter dem ein etwas zu klein geratener, aber dafür gut durchtrainierter Latino saß, der jedoch sofort aufsprang, als er mich erblickte, „Oh welch eine Freude, oh welch ein herrlicher Tag. Endlich, nach so vielen Jahren sehen wir uns wieder, Compañero. Laß dich umarmen, Gabriel“, schon war er bei mir und wir begrüßten uns wie in alten Zeiten. „Danke sehr für deinen herzlichen Empfang, Juan. Ich hoffe, du und deine Familie können mir verzeihen, aber... was soll ich sagen, jetzt bin ich hier und freue mich schon sehr, euch alle wiederzusehen“ „Bitte setz dich doch. Es stimmt, wir haben dich vermißt, aber niemand ist dir irgendwie böse. Wir haben natürlich deine Karriere verfolgt und jedes deiner Bücher steht in Vaters Bibliothek auf einem Ehrenplatz. So hat er es angeordnet und du weißt, was das bedeutet. Wie einen Sohn hat er dich seit damals immer in Erinnerung gehalten und obwohl er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, weiß ich genau, wie aufgeregt er wegen deiner Ankunft ist, genauso wie Mamacita. Dein Zimmer ist auf unserer Hazienda auch schon vorbereitet und wir fliegen gleich mit dem Helikopter ab, du wirst sicher vom Flug erschöpft sein und dich nach etwas Ruhe sehnen“ Ich setzte mich erst einmal und mußte mich tatsächlich von dieser freundlichen Begrüßung erholen, „Ihr habt euch viel Mühe gegeben, es ist fast so, als hätten wir uns gestern das letzte Mal gesehen, dabei ist das schon so lange her. Allerdings muß ich dir gleich sagen, daß mich die Arbeit hergebracht hat und ich dadurch einiges zu erledigen habe, vielleicht wäre es deshalb besser, wenn ich in der Stadt bliebe und in einem Hotel...“ „Madonna!...“, er schlug die Hände zusammen, „...das meinst du doch nicht im Ernst! Willst du uns alle beleidigen, Gabriel?“ „Keinesfalls, das ist das Letzte, was ich will, ihr sollt euch nur keine Umstände wegen mir machen und ...“ „Von wegen Umstände, du gehörst zur Familie und da ist es völlig normal, daß du bei uns wohnst. Hotel, wenn ich das schon höre, das könnte dir so passen, aber jetzt wo du hier bist, kannst du dich nicht verstecken. Eine Überraschung haben wir auch schon für dich, aber da ich weiß, wie du so etwas haßt, verrate ich es dir schon jetzt. Am Wochenende findet eine große Fiesta auf der 235
Hazienda statt und viele Freunde werden kommen, um den Helden von damals kennenzulernen, der mich so mutig befreit hat“ Anstatt mich zu freuen, dachte ich, daß mir jemand einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf gießt, den genau sowas war der Grund, weshalb ich es immer hinausgezögert hatte, die Familie Rubio zu besuchen, „Das ist sehr... sehr nett von euch, aber ich bin nicht nur zum Vergnügen hier, leider! Mein Problem bei eurer Überraschung ist, daß niemand wissen sollte, daß ich hier bin und eine Party ist wohl nicht dazu geeignet, etwas geheim zu halten. Ich wollte eigentlich in Ruhe mit dir sprechen, aber bei eurer Planung muß ich dich inständig bitten, die Fiesta abzusagen und wenn wir geredet haben, dann wirst du mich sicher verstehen“ Er kniff die Augen zusammen und sah mich abschätzend an, wobei ich an seinem Blick feststellte, daß ich nicht mehr den Jungen von früher, sondern einen Mann vor mir hatte. Sicher war er ein Kämpfertyp, wenn auch nicht im Dschungel, so doch auf dem Wirtschaftsparkett und daß Juan in dieser Umgebung gefährlich war, hatte ich ausgiebig über die Jahre gehört. Vielleicht war das sogar vernichtender als mit einer Waffe zu kämpfen und deshalb zollte ich ihm meinen vollen Respekt, weil er so ein Wirtschaftsimperium im Griff hatte – eine Aufgabe, die mir viel zu anstrengend gewesen wäre. Dabei hatte er sich früher immer gewünscht, etwas von mir zu haben und er sehnte sich nach der Freiheit, vielleicht sogar der Unvernunft, mit der ich mich auf so manches Abenteuer eingelassen hatte. Sicher sah er das immer zu verklärt, obwohl ihn seine Gefangenschaft im kolumbianischen Dschungel eines Besseren belehrt haben sollte, doch das war lange her und ich war überzeugt, daß sich seine Einstellung geändert hatte. „Aha, ich verstehe Gabriel, das läßt sich sicher noch arrangieren, dann machen wir eben ein Barbecue im kleinen Kreis daraus und die anderen vertrösten wir, es sollte ja sowieso auch eine Überraschung für unsere Gäste werden. Scheinbar bist du wieder mitten in einem Abenteuer und ich bin sehr gespannt, um was es diesmal geht. Weißt du, manchmal würde ich sowas auch gerne mal machen, doch jetzt, wo ich verheiratet bin, da erschlägt mich meine Frau, mein Vater enterbt mich und meine Mutter würde nie wieder mit mir reden. Du siehst, selbst wenn man so vermögend ist, kann man sich leider auch mit Geld nicht jeden Wunsch erfüllen“ „Du kennst meine Meinung, Juan. Ich finde es gut, daß es Wünsche gibt, die nicht mit Geld zu erfüllen sind und auch ich habe einen Wunsch, den du mir einfach so erfüllen könntest, denn ich brauche deine Hilfe“ „Meine Hilfe? Oh, das ist einfach zu erfüllen und eigentlich solltest du wissen, daß ich dir diese Bitte nie abschlagen würde. Laß uns losfliegen, unterwegs erzählst du mir alles“, so verließen wir das Büro und kamen kurz darauf auf dem Dach an, auf dessen Landeplattform ein Helikopter bereitstand. Schon auf dem Flug hierher hatte ich überlegen müssen, wie weit ich Juan einweihen durfte und welche Gefahren es gab, wenn ich zuviel sagte, aber Vertrauen gehörte nun mal zur Freundschaft und Juan war mein Freund. Deshalb fiel mir mein Entschluß 236
leicht, ihn umfassend einzuweihen und dabei auch von meinen weiteren Absichten zu erzählen. Meine ursprüngliches Vorhaben, von hier aus Anne im Amazonasbecken zu suchen, hatte den Sinn durch die Information des Doktors verloren, aber ich konnte nicht so kurzsichtig sein, um die weiterbestehende Gefahr für sie zu ignorieren. Wenn es mir wirklich gelang, die Frauen in Barbados zu befreien, hieß das nicht, daß die Lemuren aufgeben würden und so lag es in meinem eigenen Interesse, diese Zeit hier zu nutzen, um den Doktor bei seiner Aufgabe zu unterstützen – das war ich ihm im Gegenzug für seine Hilfe schuldig. Konnte er diese Organisation knacken, würde auch das Leben für Anne und mich weitaus sicherer werden. So setzte ich meine Hoffnungen auf das über Südamerika verstreute Firmennetz der Rubio´s und deren Informationskanäle bis in die Politik hinein. Besonderes Augenmerk wollte ich auf die Lage in Uruguay legen und speziell alles, was Matsen´s Firma anbelangte, die vor Ort vom Doktor begutachtet wurde. Vielleicht war es eine Chance, oder auch nur eine Sackgasse, doch die Zeit war nicht verloren, weil ich dabei zwei wichtige Sachen gleichzeitig erledigen konnte - einen hinausgezögerten Besuch abstatten und meine Vorbereitungen für Barbados treffen. Nachdem ich im Helikopter mit meiner Erzählung geendet hatte, erntete ich einiges Kopfschütteln von Juan, das er jedoch mit einem anerkennenden Schulterklopfen paarte und per Funk seinen Sekretär Valdez anwies, die ersten Schritte in allen Filialen einzuleiten. Wahrscheinlich wurde innerhalb einer Stunde das Heer der Informanten von Feuerland bis Kanada aufgescheucht, um nach vertuschten Erpressungen oder Anschlägen in Politik und Wirtschaft zu suchen. Als ich ihm dann von Anne erzählte, lachte er nur und boxte mir leicht in die Seite, „Sieh an Compañero, damals hast du aus Rache deinen Feinden das Fürchten gelehrt und nun aus Liebe. Ich persönlich halte das für einen Fortschritt und hoffe, daß ich diese bemerkenswerte Frau auch mal kennenlernen werde“ „Das hoffe ich auch, Juan, und ich würde nichts lieber tun, als sie dir vorzustellen, aber da gibt es noch einiges, was mir im Weg steht, „ „Mach dir keine Sorgen, das bekommen wir zusammen schon hin, Amigo. Doch heute abend wirst du eine andere bemerkenswerte Frau kennenlernen, meine Francesca, und ich verspreche dir, sie wird dich genauso beeindrucken“ „Das glaube ich dir gerne und darauf bin ich schon sehr gespannt, Juan“, das konnte ich auch sein, denn als mich die Nachricht von der Hochzeit damals erreichte, hatte sich gerade Jenny von mir getrennt und ich verspürte zu der Zeit keine Lust, an solch einem Trubel teilzunehmen. Trotzdem war ich neugierig genug, um mich zu informieren, wen mein Freund Juan zur Frau nehmen wollte. Francesca Maria de Medina war, wie es ihr Mädchenname verriet, mit altem spanischen Blut geboren und nicht nur eine angehende Ärztin, sondern kam vor zwei Jahren bei der Wahl zur Miss Venezuela unter die letzten fünf Bewerberinnen. Da konnte man schon neugierig werden, jedoch aus meiner Sicht nur deshalb, weil ich darauf gespannt war, ob sich Geld und Schönheit miteinander verbunden hatten, oder ob doch richtige Liebe im Spiel war. Ich war eben von Beruf aus sehr neugierig und vom 237
Charakter unverbesserlich romantisch – so wünschte ich meinem Freund natürlich nur das Beste und eine Frau, die ihn aufrichtig liebte. Damals, als ich ihn zum ersten Mal traf, hätte er das vielleicht nicht zu schätzen gewußt. Er war ein verschüchterter junger Mann, der es haßte, im Schatten seines Vaters zu stehen. All das Geld hatte ihn nicht glücklich gemacht und wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn skrupellose Verbrecher ihn nicht entführt hätten. Natürlich hatte er damals einige wichtige Lektionen für das Leben gelernt, trotzdem konnte ich mich nie dazu durchringen, dies als glücklichen Umstand zu bezeichnen. Dieses Verbrechen hatte nur einen positiven Nebeneffekt, denn begleitet von den traumatischen Ereignissen, die Gefangenschaft und Flucht mit sich brachten, hatte der junge Hitzkopf eine andere Sicht auf die Welt bekommen. Nach dem halben Jahr in den Dschungelcamps des Kolumbianers war er wohl ein anderer Mensch geworden, aber das konnte ich nicht so gut beurteilen, denn als wir aufeinandertrafen, war diese Veränderung schon in vollem Gange. Ein wenig suchte ich jetzt in unserem Gespräch noch nach diesem Mann, der vor Jahren so nachdenklich, vielleicht auch unsicher und zweifelnd war und mir kam es so vor, als wenn ich für wenige Momente den altvertrauten Ausdruck in seinen Augen entdecken konnte. Doch die vergangene Zeit überdeckten das und gab ihm dazu Erfahrung, die ihm eine wohltuende Ruhe verlieh, scheinbar hatten wir beide in den vergangenen Jahren dazugelernt. Der Flug reichte kaum aus, um alles anzusprechen, und wir würden sicher die nächsten Tage noch viel miteinander reden, um unsere Lücken in den Lebensläufen wieder vollständig zu schließen. Unser Helikopter schwenkte zur Landung über der Hazienda ein und schwebte kurz über dem Anwesen, das von einem großen Herrenhaus mit einer gewaltigen Terrasse zum Meer hin dominiert wurde. In deren Mitte befand sich ein riesiger Pool, dessen blaugrünes Wasser mit dem Strahlen der Sonne spielte und an den Seiten waren Palmen in schöner Regelmäßigkeit gesetzt worden, die sich mit blühenden Sträuchern abwechselten. Einige Gebäude im Hintergrund konnten nur die Stallanlagen für die Pferde sein, der Leidenschaft von Juan´s Vater Carlos, dessen züchterischer Ehrgeiz von einigen erfolgreichen Rennpferden bestätigt wurde. Auf einem breiten Rasenstück der Rückseite des Hauses setzte der Hubschrauber auf und ein Mann im schwarzen Anzug öffnete uns von außen die Tür. Ich haßte schon immer diese auslaufenden Rotorblätter und versuchte schnell aus der Gefahrenzone herauszukommen, bis wir den befestigten Weg erreichten, der zu einer breiten Treppe hinauf zum Haus führte. Erst da sah ich das Empfangskomitee, welches sich bei den obersten Stufen versammelt hatte. Wohl das gesamte Personal bildete ein beiderseitiges Spalier und in der Mitte stand die Familie dicht gedrängt um das Oberhaupt, Carlos Rubio. Unwillkürlich mußte ich nach hinten schauen, ob noch ein Helikopter im Anflug wäre, der eine hochgestellte Persönlichkeit brachte, aber das war nicht der Fall und ich ahnte mit wachsender Übelkeit, für wen der ganze Aufwand getrieben wurde. Zum Glück war die Treppe lang und so konnte ich mich allmählich auf diesen Empfang einstellen, der mich viel zu sehr an unser erstes Zusammentreffen erinnerte und all 238
meine Befürchtungen der letzten Jahre bestätigte. Damals hatte ich mir ungewollt ihre Dankbarkeit verdient und nun mußte ich wenigstens soviel Respekt vor ihrer Lebensart haben, daß ich diesen Überschwang einfach hinnahm und mit einem Lächeln zu akzeptieren begann. Oben angekommen kam Carlos Rubio mit dem weißen Spitzbart eines spanischen Don`s auf mich zu und verharrte, so daß es mich zu frösteln begann. „Señor Kronau! Gabriel! Als Freund hast du unsere Familie verlassen, als Freund bist du heute wieder zurückgekehrt. Im Namen aller Freunde, Geschwister und von Eltern, deren Sohn du aus größter Not gerettet hast – ein herzliches Willkommen!“ Alles schwieg und noch bevor ich eine Antwort fand, setzte ein Begrüßungsmarathon ein, der sicher an die zehn Minuten dauerte. Einige entfernte Verwandte waren da versammelt, sowie die beiden Schwestern von Juan, nebst deren Ehemännern und Kindern, wie ich vermutete, dazu eine atemberaubende Schönheit, die selbst mich überraschte, bei der es sich mit Sicherheit um Juans Frau handelte. Sogar einige enge Freunde der Familie waren anwesend, wie der Hausarzt Doktor Javier Martinez, der damals diverse Flickarbeiten an mir ausführte und der Anwalt Samuel B. Birnbaum. Mein leichtes Unwohlsein verflog langsam, als wir in das Haus gingen und jeder in aufgelockerter Stimmung durcheinander sprach, einige junge Mädchen kicherten und zwei Jungs blieben draußen stehen, um sich verstohlen einen Fußball zuzuspielen. Langsam wechselte der Charakter des Abends vom Staatsempfang zur Familienfeier und das ließ meine letzten Sorgen in der Hinsicht verfliegen, als ich mich vorerst zurückzog, um mich umzuziehen. Später saß ich dann als Ehrengast an einer langen Tafel zwischen Carlos Rubio und seiner Frau Elena, viele Fragen wurden beiderseits gestellt und ich erzählte einige Geschichten, die ich in der Zwischenzeit erlebt hatte, und trug damit zu einer lockeren Stimmung erheblich bei. Das Essen wurde in mehreren Gängen serviert und im Hintergrund stand ein Mann in den besten Jahren, der in einen Frack gekleidet auf jede Bewegung des Personals achtete und notfalls mit einer kurzen Geste oder wenigen Worten jedes kleine Problem aus der Welt schaffte. Señora Rubio bemerkte, daß ich mir diesen Mann genauer ansah und beugte sich dezent zu mir hinüber, „Das ist Randall, unser Butler aus England. Er ist dort an der besten Schule ausgebildet worden und wenn es Probleme gibt, Randall weiß immer Rat“, ein außergewöhnlicher Mensch, wenn das stimmen sollte. Ich nickte nur und nahm wieder an den lockeren Gesprächen in der Runde teil, dann, wie ich es schon erwartet hatte, wurden die Männer unruhig und man forderte mich auf, mit in die Bibliothek zu kommen, um eine Zigarre zu rauchen. Natürlich hätte es auch jeder andere Grund sein können und es diente nur als Vorwand, um sich aus der Reichweite der Ladys zu entfernen und endlich Männergespräche führen zu können. Da saß ich nun als Nichtraucher, mit einer handgedrehten kubanischen Nikotinschleuder in der Hand, umringt von allen Männern im offiziellen Raucheralter und versuchte, das Gerät, ohne allzusehr das Gesicht zu verlieren, in Betrieb zu nehmen. Sicherlich hätte ich in Deutschland freundlich die riesige Zigarre abgelehnt und niemanden hätte das auch nur gestört, hier hingegen wäre eine Ablehnung auf 239
größtes Unverständnis gestoßen. Man war eben Macho, also paffte ich in großen Abständen und versuchte herauszufinden, was das große Geheimnis des Rauchens war, aber auch heute blieb mir wieder die Erkenntnis verborgen. Zuerst drehten sich die Gespräche um das allgemeine Weltgeschehen und einige wollten meine europäische Sichtweise darauf erfahren, was ich als einziger Vertreter meines Kontinents so freundlich wie möglich absolvierte, denn ich mußte feststellen, daß hier einige abweichende Meinungen zum Thema Regenwald und Umweltverschmutzung vorherrschten. Klippen, die ich nur mit größter Mühe umgehen konnte, aber bei der globalen Erwärmung war ich drauf und dran, mir die Finger zu verbrennen, denn fast alle hier hatten mit dem Ölgeschäft oder mit angrenzenden Industrien zu tun. In dem Punkt war ich ein Realist auf verlorenem Boden, kein Märtyrer, also hielt ich mich zurück und lauschte lieber den Ausführungen der anwesenden Herren, denn das, was ich hörte, war keineswegs uninteressant. „... Wenn sich das bestätigt, dann haben wir eines der größten Ölfelder entdeckt, die vor der Küste liegen“, damit weckte ein Mann nun vollständig mein Interesse, der zu den Freunden von Carlos Rubio gehörte und erst zum Essen mit seiner Frau dazugekommen war. Sein Name war Jonathan Plunkett und er schien eine Menge Erfahrung in diesem Geschäft zu besitzen. Umsonst würde er auch sicher nicht Vizepräsident der North American Oil and Gas sein, einer jener amerikanischen Ölfirmen, die sich schon lange hier im Land engagieren wollten, aber durch das Energieministerium und die staatliche Ölgesellschaft nie zum Zuge gekommen waren. So hatte er wohl bisher über eine Tochterfirma mit Bohrgerät gehandelt und wahrscheinlich immer die Augen offen gelassen, um auf die Chance zu warten, dies zu ändern. „Ja, das ist gut möglich, Mister Plunkett,..., „, warf Señor Martinez ein, der scheinbar nicht nur in der Medizin bewandert war, „...aber vielleicht ist es nur ein Ausläufer des Feldes nördlich der Isla Margarita“ Obwohl ich gespannt zuhörte, machte es mir nicht viel Spaß, einem Gespräch zu folgen, dessen Grundlage ich nicht kannte, „Die Señores werden verzeihen, aber kann mir freundlicherweise jemand auf die Sprünge helfen, worum es hier geht?“ „Gabriel, ich hoffe es langweilt dich nicht“, Carlos Rubio sah zu mir herüber, aber ich winkte nur ab und machte ein neugieriges Gesicht. „Nun, vor kurzem ist in einem einhundertfünfzig Quadratkilometer großen Gebiet zwischen der Isla Margarita, Tortuga und Blanquilla ein riesiges Ölvorkommen entdeckt worden. Die PDVSA sicherte sich dort schon ihre Rechte, aber nun hat Jonathan außerhalb der Hoheitsgewässer mit einem Forschungsschiff seiner Gesellschaft möglicherweise ein vielversprechendes neues Feld entdeckt und wir spekulieren nun darüber, ob das ein Ausläufer des Margaritavorkommens ist, oder eine neue Lagerstätte“ „Ach so, jetzt verstehe ich. Die PDVSA ist doch die staatliche Ölgesellschaft, oder?“ „Ja genau“, Plunkett schien sich über mich, als aufmerksamen Zuhörer, zu freuen, „wir würden natürlich einen gigantischen Profit machen, wenn wir erst einmal das Lager erschlossen haben, denn außerhalb der Hoheitsgewässer zwängen uns keine gesetzlichen Bestimmungen ein“, dabei hatte er die Dollarzeichen schon in den Augen 240
und selbst mir als Laien war klar, daß es sich um ein äußerst lukratives Geschäft handeln würde. Es ging noch eine ganze Weile mit diesem Thema weiter, dann machte sich die Müdigkeit bei mir bemerkbar und ich zog mich diskret zurück, nachdem ich mich noch einmal bedankt und allen eine gute Nacht gewünscht hatte. Die lange Reise und der anstrengende Abend zeigten jetzt Wirkung, jedoch konnte ich es mir nicht verkneifen, auf den Balkon zu gehen, der sich über die ganze Front meines Zimmers hinzog und mir einen phantastischen Blick über das karibische Meer gestattete. Natürlich war es dunkel, aber der Mond schien so hell, daß er sich im Tanz der heranwogenden Wellen widerspiegelte. Über mir spannte sich ein grandioser Sternenhimmel auf, der sich am Horizont mit dem Ozean verband und wie Millionen Diamanten funkelte. Ein großer Rattansessel stand auf der linken Seite und für einen Moment setzte ich mich, um den Wellen zu lauschen, die ich vom milden Seewind getragen bis hierher hören konnte. Wie mochte es Anne gehen, sah sie auch zum Mond und lauschte den Wellen auf dieser Yacht, die sie Minute für Minute immer näher zu mir brachte? Unbewußt nahm ich ihren Anhänger in die Hand und lächelte in die Ferne, wohin meine Gedanken gerichtet waren. Eine schmerzende Sehnsucht begann sich stechend in mein Herz zu bohren und wie gerne hätte ich jetzt mit ihr auf diesem Balkon gesessen, um mit ihr in meinen Armen in die Weite zu schauen. Wenigstens wußte ich, daß es ihr gut ging, eine Gewißheit, der allein ich meine Ruhe zu verdanken hatte, und so dämmerte ich einfach in der lieblichen Luft weg, die mich wie eine dünne Decke umwehte. Erstaunlicherweise schlief ich auf dem Balkon durch und wurde erst von krächzenden Papageien geweckt, die in den nahen Bäumen saßen und so den neuen Tag begrüßten, oder insgeheim beschlossen hatten, mich zu ärgern. Ein leichtes Kratzen im Hals war anscheinend die Quittung für diese Nacht und ich mußte aufpassen, daß ich den ewigen Temperaturwechseln in letzter Zeit nicht Tribut zollen mußte, denn eine Erkältung war das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. So beschloß ich, statt der üblichen Dusche ein heißes Bad zu nehmen und mich in aller Ruhe fertig zu machen, um auf der Terrasse zu frühstücken und reichlich Orangensaft zu trinken. Jetzt gegen acht Uhr waren ausschließlich die dienstbaren Geister, angeführt von Randall, auf den Beinen, der mich begrüßte und nachfragte, welche Morgenzeitung ich zu lesen wünschte. Mir schoß verschmitzt durch den Kopf, nach dem „Kicker“ zu verlangen, aber da ich berechtigt annehmen mußte, daß er diesen Witz nicht verstehen würde, ließ ich mir die New York Times geben und las mich ein, während mir ein frisch gepreßter Saft und eine Tasse Kaffe auf die Glasplatte des Korbtisches gestellt wurde. Mit dem Essen wollte ich warten, bis alle Familienmitglieder versammelt waren, aber Randall erkannte wohl meine Absicht und klärte mich dezent auf, daß es hier morgens keine festen Zeiten gab, da jeder den Tag anders begann und alles eher den Charakter eines Brunchs hatte. 241
Das sollte mir recht sein und ich begann, ausgiebig zu frühstücken. Als ich fast fertig war, hörte ich Schritte hinter mir und sah Francesca am morgendlichen Buffet stehen, die etwas unschlüssig über die reichhaltige Auswahl sah und sich dann für etwas Obstsalat entschied, „Guten Morgen, Señor Kronau, so früh schon auf den Beinen? Ich hätte gedacht, daß Sie nach dem anstrengenden Tag länger schlafen würden. Hoffentlich hat Sie mein Schwiegervater nicht zu sehr beansprucht. Juan erzählte mir von Ihrer Aversion gegen großen Auftritte“ Francesca saß vor mir in äußerst eng sitzenden Reithosen und Stiefeln, weshalb ich mir denken konnte, was der nächste Punkt ihrer Tagesordnung sein würde, und gezwungenermaßen drängelte sich mir die Frage auf, warum diese Frau nur Fünfte geworden war, „Guten Morgen, ich bin im Moment unfreiwillig ein Frühaufsteher. Durch die vielen Flüge kommt der Biorhythmus ganz schön durcheinander und eigentlich bin ich schon froh, daß ich diese Nacht in einem Stück durchgeschlafen habe, es dauert immer ein paar Tage, bis sich die innere Uhr umgestellt hat“ „Ich weiß, wie schlimm das ist, und wenn Ihnen der Jetlag noch zu schaffen macht, dann werden Sie sicher keine Lust auf einen Ausritt haben, oder?“, sie blickte beinahe enttäuscht zu mir. Das letzte Mal, daß ich auf einem Pferd gesessen hatte, war schon sechs Jahre her und es war ein Ereignis, daß aus der Not geboren war. Sofort kamen mir die damaligen harten Landungen auf dem Boden in den Sinn, die den Höhepunkt der Differenzen zwischen Mensch und Tier markierten. Allerdings konnten mir einige Stunden Training nicht schaden und so rang ich mit meinem inneren Schweinehund, bis er verloren hatte, „Doch, Lust habe ich schon, aber die Übung fehlt. Wenn Sie das nicht stört, würde ich mir gerne das Anwesen etwas genauer anschauen und die Gelegenheit zu einem Ausritt in solch einer Umgebung nutzen. Es wäre reizend, wenn Sie mir die Gegend zeigen würden“ „Wirklich? Schön, daß mir endlich jemand Gesellschaft leistet, es ist nämlich auf Dauer so langweilig, alleine auszureiten“ Randall erledigte alles notwendige und veranlaßte einen Stallburschen, noch ein Pferd zu satteln, währenddessen ging ich noch einmal auf mein Zimmer, um mir passende Kleidung anzuziehen, die aus meiner Khakihose und einem Hemd mit Weste bestand, alles Sachen, die ich mir noch vorausschauend in Australien gekauft hatte. So saß ich eine halbe Stunde später auf einer gutmütigen Stute, während meine Begleiterin einen feurigen Araberhengst zwischen ihre Schenkel nahm und mir zuliebe ein seichtes Tempo anschlug. Augenscheinlich gefiel das dem Tier, der sicher an einen schnellen Ritt gewöhnt war, überhaupt nicht, ich hingegen konnte mich damit sehr gut anfreunden. Hinter den Stallungen begann ein gut angelegter Reitweg, der auf eine Lichtung führte und links von einem Palmenhain eingerahmt wurde. Auf der anderen Seite standen hingegen leicht abfallende Felsen, an deren Fuße sich das Wasser des Meeres mit weißem Schaum unablässig brach. Francesca ließ jetzt dem Hengst seinen Willen und galoppierte über die weitläufige Lichtung, so daß ich Mühe hatte, das Tempo mitzugehen, denn erst langsam stellte sich die Vertrautheit mit meinem Pferd ein und ich wurde erst nach einiger Zeit mutiger. Natürlich trieb mich mein Ego voran, als ich versuchte Juan´s Frau einzuholen, aber 242
mehr als den Abstand gleich zu halten, war mir nicht möglich, und daran war bestimmt nicht mein Tier schuld. So brauchte es viel Mühe und auch etwas Glück, um bei der Verfolgung im Sattel zu bleiben, aus der ich zwei Lehren ziehen mußte – sie ritt besser und ich mußte jeden Tag aufs Pferd, um nicht die Wild West Version vom sterbenden Schwan abzugeben. Nach fünf Minuten, der Zeitspanne, die ich brauchte, um vollständig mein Hemd durchzuschwitzen, hatte Francesca den gegenüberliegenden Rand der Lichtung erreicht, die dort von wahllos umherstehenden Bäumen begrenzt wurde, und blieb lachend stehen. Wenig später traf ich ebenfalls mit einem Lachen ein, was aber mehr aus einem bitteren Zähneknirschen hervorging. „Wir können wieder zurückreiten, wenn Sie sich erst einmal erholen wollen, Señor Kronau“ „Danke, ich habe mich gerade eingewöhnt und es beginnt wieder, richtig Spaß zu machen. Von mir aus kann es weitergehen, oder haben Sie keine Lust mehr?“, dabei dachte ich nur daran, daß mir für Tage mein Hintern wehtun würde, von den Oberschenkeln ganz zu schweigen. „Bueno“, sie wendete den Araber, „Vamanos! Señor Kronau“ Der Pfad ging weiter in stetigem Auf und Ab um einen Hügel herum, der von einigen erodierten Felsenspitzen gekrönt wurde, die der Seewind in langer Zeit bearbeitet hatte. Es wurde immer schmaler und auf der Rückseite des Hügels kamen wir aus der enger stehenden Vegetation in eine trichterförmige Öffnung, die sich sanft zum menschenleeren Strand hin öffnete. Wieder mußte sie auf mich warten und stand dabei direkt an der Wasserlinie, von wo sie die schäumende Gischt betrachtete und ihr Pferd mit dem Vorderhuf im weichen Sand scharrte. Mir wurde langsam klar, daß sie sich nur vornehm zurücknahm und vielleicht schon dabei war, sich zu ärgern, einen Gelegenheitsjockey wie mich mitgenommen zu haben. Aber das mußte ich ihr nicht antun und mir reichten die Schmerzen, die ich bis jetzt schon spürte aus, trotzdem konnte ich wohl für den ersten Versuch ganz zufrieden sein, „Ich werde in Ruhe zurückreiten, wenn Sie nichts dagegen haben. Mir scheint, ich habe das Reiten doch zu lange vernachlässigt und werde die Sache lieber langsam angehen“ Sie nickte nur und schien unter der freundlichen Fassade erleichtert, als ich endlich neben ihr angekommen war. Dann ließ sie das Tier laufen, nahm es aber wieder zurück und kam nochmals an meine Seite, „Nun, wenn Sie morgen früh wieder Lust haben, dann können wir es noch einmal versuchen und vielleicht wird es ja besser, wenn Sie üben. Überlegen Sie es sich, Señor Kronau“ „Gracias, wir werden sehen“, schon jagte Francesca endgültig über den Strand hinweg, so daß der nasse Sand, den die Hufe des Hengstes hoch wirbelten, weit nach hinten geschleudert wurde. Für mich wurde die Heimkehr in einem ruhigen Gang wesentlich angenehmer und ich beobachtete nebenbei das Treiben der vielen bunten Vögel, darunter meiner heiß geliebten Papageien und sogar einem Kolibri. Meine weiße Stute schien den Weg zu kennen, denn nur gelegentlich mußte ich die Zügel benutzen und vertraute mich ganz dem Tier an, das seine Sache ausgezeichnet machte. So erreichte ich ohne Probleme 243
den Stall, an dem mich der Stallbursche schon erwartete und etwas dumm aus der Wäsche sah, als ich alleine zurückkam. Beim Absteigen bestätigten sich dann all meine Befürchtungen und mit einem sehr seltsamen Gang, der an modernen Ausdruckstanz erinnerte, bewegte ich mich wieder auf das Haus zu und erschien auf der Terrasse, wo Juan saß und die Financial Times studierte. Er sah auf und schaute etwas verkniffen, „Guten Morgen Gabriel, du hast einen Ausritt gemacht?“ „Ja, sieht man das? Deine Frau war so nett, mich mitzunehmen und hat mir bei der Gelegenheit etwas von der Gegend gezeigt“ „Und wie gefällt sie dir?“ „Ein schönes Anwesen, dazu die Palmen und das Meer, es ist ein Traum“ Irgendwie war das nicht die Antwort, die er erwartet hatte, „Nein, ich meinte Francesca“ „Ach so? Was soll ich dir sagen, sie scheint sehr nett zu sein, aber ich kenne sie kaum und über ihr Äußeres brauchen wir wohl nicht zu reden, Compañero“ Richtig zufrieden schien er damit aber immer noch nicht zu sein, „Muß ich mir Sorgen machen?“ „Glaube ich nicht, sie wird sich doch sicher hier auskennen, oder? Moment mal,...“, jetzt erkannte ich, woher der Wind wehte, er war eifersüchtig. Also, wenn Juan dachte, daß ich mich an seine Frau ranmachen würde, dann kannte er mich schlechter, als ich angenommen hatte, zumal mich keine andere Frau außer Anne interessierte. Doch verzieh ich ihm sofort, denn leider kannte ich dieses Gefühl selber und wußte, auf welch absurde Ideen man dadurch kam. „...du brauchst dir überhaupt keine Sorgen zu machen, höchstens sie kennt nicht den Weg zurück, dann solltest du allerdings sofort hinterher reiten und die Dame deines Herzens retten“ Jetzt hatte ich wohl das gesagt, was er hören wollte, so hakte ich diesen Punkt ab und vergaß sofort die Sache. Seine Gesichtszüge entspannten sich und wir scherzten etwas bei einer zweiten Tasse Kaffee, über meine angespannte Körperhaltung, bevor er sich verabschiedete und in die Firma flog. Ich schleppte mich weiter auf mein Zimmer, das unglücklicherweise in der ersten Etage lag und nahm ein weiteres heißes Bad, allerdings diesmal nicht nur, um sauber zu werden. Fast eine Stunde brauchte ich, um Gelenke und Muskulatur wieder geschmeidig zu bekommen, dann konnte ich endlich mit meiner eigentlichen Arbeit beginnen, die mir langsam unter den Nägeln brannte. Je nach Wetterlage würde die Yacht mit Anne an Bord zwischen acht und zwölf Tagen auf See sein, das gab mir genügend Zeit, meine Vorbereitungen in aller Ruhe zu treffen und rechtzeitig in Barbados zu sein. Juan´s Sekretär Valdez hatte sich als loyaler Mann erwiesen, der dabei war, die Baupläne von Fortunatis Yacht zu besorgen und im Büro der Rubios die eingehenden Berichte bezüglich meiner Nachfrage gestern zu sammeln und vorzulegen. Natürlich lief der Strom der Informationen nur spärlich an und was ich bisher von einem Kurier bekommen hatte, war nicht das, was ich suchte. Trotzdem brauchte es seine Zeit, um das festzustellen, und ich hatte es dabei fast versäumt, auf die Uhr zu schauen. Gerade noch pünktlich gelang es mir, die vereinbarte 244
Verbindung mit dem Doktor herzustellen, der sicher gespannt auf meine Neuigkeiten war, genauso wie ich auf den ersten Bericht vom U-Boot wartete, „Hallo, Don Carlos, hier Rosenkavalier. Ist alles in Ordnung, was gibt es Neues bei Ihnen?“ Trotz der Sendeverzögerung dauerte die Antwort ungewöhnlich lange, „Hier Don Carlos, überhaupt nichts ist in Ordnung! Wir haben eine kleine Änderung Ihres Plans, Sie Taktiker und ich möchte keine Widerrede hören“ Ich bekam erst mal große Augen, denn die Tonart hatte ich beim Doktor noch nicht erlebt und sie ließ auch scheinbar keinen Widerspruch zu. Besorgt fragte ich erst mal nach, „Eine Änderung? Reden Sie, was ist passiert?“ „Diese Kleine, Sie wissen schon, wen ich meine, macht mich vollkommen wahnsinnig. Ich hatte keine Zeit mehr, den Babysitter zu spielen, denn hier haben sich einige Umstände ergeben, die meine ganze Aufmerksamkeit erfordern. Gerade bin ich in Montevideo mit ihr eingetroffen, aber ab morgen werden Sie das Vergnügen haben, auf sie aufzupassen. Ihr Flug landet mittags, also seien Sie pünktlich, damit die Kleine nicht nervös wird und zum Hörer greift“ Wenn der Doc tatsächlich etwas gefunden hatte, war es sicher besser, wenn ich mich während meiner Vorbereitungen um Miss Callaway kümmerte, allerdings glaubte ich, daß Doktor Breitenbach nur zu gerne diese Gelegenheit nutzte, um sich zu revanchieren. „Danke Doc, ich habe auch nichts Besseres zu tun, endlich mal eine anspruchsvolle Aufgabe. Hier werden schon fleißig Informationen gesammelt, ich halte Sie darüber auf dem laufenden. Was gibt es aus dem Atlantik zu berichten?“ „Alles bestens, machen Sie sich keine Sorgen, höchstens Sie interessieren sich für den Wetterbericht, denn der ist nicht ideal für eine Kreuzfahrt, aber das lenkt Fortunati sicher von Dummheiten ab. Gelegentlich ist jemand von der Besatzung an der Reeling zu sehen und läßt sich das Essen noch einmal durch den Kopf gehen, das ist wohl so ziemlich das aufregendste Ereignis auf der Yacht, aber wenn etwas Wichtiges passiert, sind Sie natürlich der erste, der es erfährt. Viel Glück Rosenkavalier, Don Carlos Ende“ „Das werde ich brauchen können und danke für die Beschäftigungstherapie, ich wäre sonst sicher vor Langeweile gestorben. Rosenkavalier meldet sich zum Blumenschneiden ab, Ende“ Die gute Nachricht für mich bestand darin, daß es nichts Schlechtes von der Yacht zu berichten gab und damit reduzierte sich die morgige Ankunft von Lilly Callaway auf eine unangenehme Nebensächlichkeit. Schlimmstenfalls mußte ich eben die Kleine solange beschäftigen, bis wir in Barbados die Einzelheiten der Befreiung planen konnten, sollte es dann hinterher Ärger mit Biedermann´s Enkelin geben, waren die Auswirkungen nicht mehr so gravierend. Trotzdem mußte ich mir eingestehen, daß ich von dem Gedanken an ein nutzloses Anhängsel nicht begeistert war, auch wenn ich insgeheim etwas über die clevere Art dieses rotgelockten Sturkopfes schmunzeln mußte, der zwei nicht gerade unerfahrenen Haudegen ganz schön einheizte. Langsam bekam ich Hunger und diesmal gab es eine feste Zeit zum Lunch, die ich keinesfalls verpassen durfte. So ging ich nach unten, wo ich von Randall in ein kleineres 245
Eßzimmer geführt wurde, in dem mich nur Juan´s Eltern erwarteten, denn der Rest ging den verschiedenen Tagesbeschäftigungen nach. Jetzt, wo alle weg waren, wirkte das große Haus eher leer, doch die hellen Räume, durch die eine milde Meeresbrise wehte, hatten dadurch etwas Entspannendes, das sehr beruhigend auf mich wirkte. „Setz dich, Gabriel und such dir was aus, es ist reichlich zum Essen da“, damit hatte Donna Elena nicht unrecht. Gefülltes Gemüse, kalter Braten und Obst sollten die Zeit bis zum Abend überbrücken, wo traditionell das Hauptgericht mit der ganzen Familie eingenommen wurde. Carlos Rubio, der von meinen morgendlichen Aktivitäten erfahren hatte, fragte mich natürlich gleich, wie mir seine Pferde gefielen und ich war voll des Lobes, wobei ich versuchte, meine Probleme beim Sitzen zu kaschieren. Während der Mahlzeit hatten wir reichlich Gelegenheit, über viele Dinge ungestört reden zu können, besonders wie es mir die letzten Jahre ergangen war und auch über meine Zukunftspläne. So überraschte mich Donna Elena nur wenig, als sie sich fürsorglich zu mir herüberlehnte, „Wird es nicht langsam Zeit, daß du dir eine Frau suchst, um eine Familie zu gründen?“ Sie stellte mir damit sicher eine sehr persönliche Frage, aber sich um einen Freund Sorgen zu machen, konnte ich nicht als schlechten Charakterzug abwerten, dazu war ich beinahe schon ein Familienmitglied. Trotzdem berührte es mich etwas unangenehm, weil ich gerade in diesem Punkt selbst nicht wußte, was die Zukunft mit Anne brachte. Schließlich war sie zusammen mit Diana LeClaire auf dieser Yacht und wenn das Model bei ihrer Geschichte blieb, dann würde Anne jeden Tag mit dieser erlogenen Geschichte konfrontiert werden und was das bewirken konnte, wollte ich mir nicht ausmalen. Steter Tropfen höhlt den Stein, eine alte Weisheit, die mir unweigerlich in diesem Zusammenhang in den Sinn kam. So blieb mir nur, meine Ängste solange zu ignorieren, bis ich Anne wieder gegenüberstand – einer Situation, der ich deshalb mit gemischten Gefühlen entgegensah. „Liebe Donna Elena, Sie wissen sicher noch, wie es mir im letzten Jahr ergangen ist, ich habe mit Juan darüber gesprochen und damals wäre jeder Gedanke an eine feste Bindung nur mit einem höhnischen Lachen bedacht worden, aber heute weiß ich, daß es das Beste war, was mir passieren konnte“ „Ah! Das Mädchen, dem du helfen willst?“ „Stimmt, das war wohl auch nicht schwer zu erraten. Natürlich denke ich überhaupt nicht soweit, aber Anne ist in jeder Hinsicht etwas ganz Besonderes und kann ich nicht glauben, daß einem so ein Mensch zweimal im Leben begegnet. Zuerst jedoch müssen noch einige Probleme beseitigt werden und deshalb sollten wir alle nicht zu weit in die Zukunft planen, schon gar nicht eine Hochzeit“ Die beiden lachten und schüttelten ein wenig die Köpfe, hier in einem lateinamerikanischen Land hatte die Ehe einen ganz anderen Stellenwert und deshalb mußte ich mir nun einen langen Monolog darüber anhören. Leider erinnerte es mich auch an Anne und es war schwer, gleichzeitig an sie zu denken und am Tisch über die Ausführungen meiner Gastgeber zu schmunzeln. 246
Deshalb versuchte ich unauffällig nach einiger Zeit, das Thema zu wechseln und nutzte die Gelegenheit von meinem kommenden Besuch zu erzählen. Dabei hielt ich es für unnötig, eine Geschichte über Miss Callaway´s Identität zu erfinden und gab sie als eine junge Kollegin aus, die mich bei der Story unterstützte, die mich hergeführt hatte. Objektiv betrachtet entsprach das auch der Wahrheit und für alle war das einleuchtend. Einzig Juan war eingeweiht, welches die tatsächlichen Beweggründe meines Erscheinens hier waren und auf seine Verschwiegenheit konnte ich mich verlassen. Wie ich erwartet hatte, wurde Biedermann´s Enkelin sofort hierher mit eingeladen, zwar hatte ich sie so immer im Blickfeld, andererseits wußte ich nicht, welchen Kuckuck man sich ins Nest holen würde, und diese Verantwortung drückte mir schon jetzt auf den Schultern. Das verging auch den ganzen Nachmittag nicht, den wir gemeinsam verbrachten und erstaunlicherweise immer noch Themen zum Plaudern fanden, die noch nicht angesprochen wurden, bis sich die Familie zum Abendessen versammelte. Juan hatte mir die von Valdez besorgten Baupläne von Fortunatis Yacht mitgebracht und dazu noch Satellitenbilder vom Amazonas und dem Rio Guapore. Letztere waren für einen Plan B gedacht, sollte die Sache in Barbados scheitern oder wenn Annes Spur sich wieder verlieren würde. Dann hatte ich schon Material für das Gebiet, in dem Biedermann den Schatz versteckt hatte, und dort hoffte ich, sie dann erneut zu finden. Aber soweit wollte ich es erst gar nicht kommen lassen, deshalb mußte nächste Woche alles klappen und das gelang nur mit einer exzellenten Planung, die jedoch von hier aus nur teilweise durchzuführen war. Schließlich waren die Bedingungen vor Ort entscheidend und das konnte ich heute noch nicht voraussehen. So kreisten meine Gedanken beim Essen wieder um die Vorbereitungen und ich schwieg größtenteils, bis später im Salon noch ein Drink genommen wurde. Viel Arbeit lag noch vor mir, ich merkte das schon jetzt und verfluchte langsam, daß mir der Doc die Rolle der Nanny verpaßt hatte. Es war einfacher, alleine zu arbeiten – jedenfalls, wenn man sich nicht sicher war, was auf einen zukam. Die Planung lief erst an, es war normal, daß alles fragmentarisch in meinem Kopf herumschwirrte, trotzdem hatte ich das Gefühl, nicht viel geschafft zu haben, als ich schlafen ging und mich noch lange im Bett herumwälzte – auch solche Tage gab es. Der Flughafen war unangenehm überfüllt, als ich dort mit wenig Begeisterung saß und gelangweilt auf die große Tafel für die ankommenden Flüge schaute. Auch das Sitzen bereitete mir nur wenig Freude, aber das war kein Wunder, denn natürlich war ich heute morgen wieder ausgeritten und nach zwei Minuten auf Cinderella, so hieß mein Pferd, hatte ich meine Entscheidung schon wieder zutiefst bereut. Nur mit Mühe hielt ich genauso lange wie am gestrigen Tag durch und ließ Francesca gezwungenermaßen wieder alleine am Strand entlang reiten. Dies war nicht das Ergebnis, was ich erwartete hatte, und irgendwie mußte ich mir eingestehen, daß es früher einfacher ging, aber auch diesmal entschädigte mich wenigstens die Natur mit ihrer Schönheit für die schmerzhaften Unannehmlichkeiten. Ich ritt in mäßigem Tempo kreuz und quer durch den Palmenhain und bewegte mich etwas vom Meer weg, in eine hüglige Gegend östlich, die aber immer noch zum Anwesen der Rubios gehörte und mich auffallend an die 247
Dschungelpfade in Kolumbien erinnerte. Dann jedoch mußte ich in einem strengen Galopp wieder zurück, weil mir die Zeit wegrannte und ich bekam deshalb schlechte Laune, die sich nur besserte, weil mir Juan seinen Helikopter zu Verfügung stellte, um die Zeit wieder herauszuschinden. Beim Flug kamen wir dann durch die aufsteigenden Winde an den Bergen in Turbulenzen und natürlich hatte ich meine Probleme mit der Vorstellung, aus mehreren hundert Metern in die Tiefe abzusacken. Das alles verdankte ich dieser starrköpfigen Miss Callaway und wenn sie planmäßig hier eingetroffen wäre, hätte sie bei mir schlechte Karten gehabt. Aber das Flugzeug kam nicht pünktlich und ich wußte, wie unglaublich ungerecht ich ihr gegenüber war, trotzdem brauchte es seine Zeit, bis ich meine sprichwörtliche Ausgeglichenheit wiederfand und diesen Vormittag einfach verdrängt hatte. So verging die Stunde Verspätung äußerst langsam und vor Langeweile lutschte ich einen Vitaminbonbon nach dem anderen, bis mir etwas schlecht wurde – das war heute einfach nicht mein Tag. Endlich traf die Maschine aus Montevideo ein und ich hielt nach dem unübersehbaren Rotschopf Ausschau, aber sie war nicht zu sehen und wenn sich jetzt noch herausstellte, daß ich am falschen Ausgang stand, würde ich mich in mein Bett verkriechen und erst morgen wieder aufstehen. Entweder war das Mädchen nicht an Bord oder ich hatte sie noch nicht bemerkt. Ließ jetzt auch noch meine Sehkraft nach? „Buenos Dias, Señor Gonzales“, ich zuckte zusammen und fuhr herum. Vor mir stand eine Dame mit pechschwarzen Haaren und großer Sonnenbrille, in einem langen dunklen Kostüm. „Ah, ja?... Was kann ich für Sie tun, Señorita?“ „Ich bin es“, dabei zog sie kurz die Sonnenbrille von der Nase und schaute mich so merkwürdig konspirativ von unten an. Jetzt erkannte ich sie. Kein Wunder, daß ich Lilly Callaway übersehen hatte, denn mit Farbe im Gesicht und gefärbten Haaren sah sie völlig anders aus. Gerade hatte ich mich von dieser Überraschung erholt und wollte sie willkommen heißen, als sie mir eine Ohrfeige verpaßte, die meinen Backenzahn vibrieren ließ. Völlig überrascht von dieser Attacke, verhalf mir erst mein Adrenalin wieder zu meinen Reflexen und ich packte sie am Arm, um einem zweiten Schlag gerade noch entgehen zu können. Verständnislos sah ich sie an und in diesem Augenblick war mir völlig egal, was die Leute um uns herum dachten, „Kindchen, das machst du nicht...“ „Seien Sie ruhig und nennen Sie mich nicht Kindchen, Mörder. Das war für meinen Großvater. Sie wollen doch sicher nicht abstreiten, daß Sie die Killer zu ihm geführt haben. Da sind Sie wohl überrascht, aber meine Leute zu Hause haben mir erzählt, wie es war, und ich weiß genug von Ihnen, um Sie fertigzumachen“ Tja, ich konnte es drehen und wenden wie ich wollte, sie hatte recht und ich konnte sie jetzt nicht einfach packen und zum Hubschrauber zerren. Also mußte ich eindringlich mir ihr reden, bevor wir dieses Gebäude überhaupt verließen, damit ich erst mal einen Waffenstillstand schließen konnte. 248
„Miss Callaway, wir gehen in die Cafeteria und reden dort in Ruhe über die Sache, das ist alles nicht so einfach zu erklären und ich finde es ist ernst genug, um so etwas nicht zwischen Tür und Angel zu erledigen“, ich ließ sie los und nickte in Richtung der Tische des Flughafenrestaurants. „Reden Sie sich jetzt bloß nicht raus. Das können Sie sowieso nicht wieder gut machen, aber ich werde dafür sorgen, daß Sie sich jeden Tag an meinen Großvater erinnern werden und als Buße werden Sie mir helfen, den letzten Wunsch meines Großvaters zu erfüllen. Sie wissen, wovon ich rede – dem Schatz!“ Mir blieb erst einmal nichts weiter übrig, als zu schweigen und sie an einen Fenstertisch zu plazieren, dann besorgte ich einen Kaffee und grübelte währenddessen nach, was ich ihr sagen sollte. Würde ich ihr zuviel erzählen, hätte sie noch mehr Munition gegen den Doktor und mich und Lügen hatte sie nicht verdient, so wie die Dinge lagen. Blieben Halbwahrheiten, aber was durfte ich einer zornigen jungen Frau anvertrauen? Als ich ihr gegenübersaß, fand ich immer noch nicht die passenden Worte, doch sie blieb erstaunlich ruhig. Lilly Callaway schien ihren Schmerz nicht ausleben zu wollen, sondern trug ihn tief in sich, aber ihre Augen erzählten mir von ihm. Vielleicht sah sie mir an, daß es mir schwerfiel zu beginnen und ich beschloß, über die Geschichte ihres Großvaters zu sprechen und wie ich auf ihn gestoßen war. Das ging sie direkt an und möglicherweise half es uns beide, denn das Schuldgefühl trug ich seit Australien mit mir herum, auch ohne daß man mich daran erinnern mußte. Nach zwei Stunden kannte sie einen Teil der Wahrheit, ohne etwas von den Dimensionen der Lemuren zu erfahren, so daß sie glaubte, daß einfache Kriminelle an das versteckte Gold heran wollten und dabei keine Skrupel kannten. Wenn man es sehr vereinfachte, stimmte diese Darstellung sogar, doch wenn der Tod im Spiel war, sollte man sich aus Respekt nicht in Haarspaltereien verwickeln. Was das Mädchen nun endgültig beruhigte, konnte ich nicht genau sagen, jedenfalls bemerkte ich, wie sich ihre Haltung entspannte, doch es blieb ein Lodern in ihren Augen und ich ahnte bereits, daß Sie weiterhin für Ärger sorgen würde, ob sie das wollte oder nicht. Im Moment war ich allerdings zufrieden, daß wir diesen Punkt geklärt hatten, und ich hoffte, daß sich meine Sorgen wegen ihr nicht bewahrheiten würden. „Mister Gonzales, ich habe einige Worte mit dem Mann in Montevideo geredet, bevor er mich zu Ihnen abgeschoben hat und dabei ist mir eines klargeworden - Sie sind mir gegenüber im Vorteil“ „So? Ich dachte, mit Ihrer Freundin bei CNN liegen alle Vorteile bei Ihnen, oder wie haben Sie das gemeint?“ „Sehr einfach, ich kenne Ihren richtigen Namen noch nicht, aber dafür kennen Sie meinen und ich finde, das sollte sich ändern, wenn wir zusammenarbeiten. Ihr Partner war leider genauso verschwiegen, ihm habe ich das Outfit und diese Kleinigkeit zu verdanken“, sie hielt mir einen Reisepaß entgegen, der überraschenderweise meinem glich und ich war noch überraschter, als die erste Seite vor meine Augen kam. In der Hand hielt ich ein argentinisches Dokument, ausgestellt auf eine Isabella Gonzales, der rudimentäre Humor des Doktors schien hier vollends ausgebrochen zu sein, „Schau an, wir sind also verwandt?“ 249
„Da steht es jedenfalls. Sollten Sie bis jetzt keine Geschwister gehabt haben, dann hat sich das gerade geändert und ich denke, wenn wir schon eine Familie sind, könnten Sie sich wenigstens vorstellen“ Sie versuchte, die Initiative zu behalten, aber es wurde langsam Zeit, ihr eine Grenze aufzuzeigen, „Stimmt, könnte ich machen, aber ich halte das noch nicht für angebracht“ „Sie scheinen zu vergessen, daß ich nur ein Zeichen geben muß und die ganze Welt wird wissen, was passiert ist. Vielleicht macht Sie das mir gegenüber etwas freundlicher“ „Unwahrscheinlich, genau aus dem Grund habe ich keine Lust , Ihnen meine wahre Identität zu verraten. Außerdem gibt es in diesem Gespräch einen Zeitpunkt, an dem Ihre Erpressung einfach ins Leere läuft und ich vermute, wir sind ganz dicht an diesem Punkt. Vielleicht haben Sie in unserer Unterhaltung vorhin noch nicht begriffen, daß Sie mit Ihrem Handeln Menschen gefährden und damit machen Sie einen schlimmeren Fehler, wie der, den Sie mir vorwerfen. Ich konnte nicht wissen, daß mich ein Killer verfolgt hat, aber Ihnen, Miss Callaway, muß spätestens jetzt bewußt sein, daß Sie eine Bombe in der Hand haben und damit spielt man nicht“ Ihre Gesichtszuge blieben ernst und sie drehte sich zum Fenster, wo sie einfach nur starr hinaus sah. Natürlich ließ ich ihr die Zeit, über meine Worte nachzudenken und ich selbst ging das Gesagte in Gedanken noch einmal durch. Zudem war mir selbstverständlich bewußt, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis sie im Haus der Rubios meinen wahren Namen herausbekommen würde und so erschien diese Geheimhaltung eigentlich sinnlos. Aber ich hatte später vor, ihr mit der Offenbarung meiner Identität einen Vertrauensbeweis zu geben, so daß ich vielleicht langsam eine Verbindung zu ihr aufbauen konnte, die ich für die nächsten Tage brauchte, um sie besser unter Kontrolle zu halten. Denn schon diese ersten Stunden ließen mich ahnen, welch ein schwieriges Vorhaben das sein würde. „Wo ist Ihr Gepäck, Isabella Gonzales? Sie sind doch sicher nicht nur mit Ihrem kleinen Beutel hergekommen“ „Ich habe kein Gepäck weiter, dieser andere Mann meinte, Sie würden alles besorgen, was ich benötige. Er schien sowieso ziemlich genervt zu sein und vertröstete mich andauernd, so daß ich schon annahm, daß Sie beide mich verschaukeln würden“ „Irgendwie kann ich das nachvollziehen. Nennen Sie den Mann zukünftig einfach Doc, dann weiß ich, wer gemeint ist, und mein Name ist Gabriel. Jetzt liegt mein Leben auch in Ihren kleinen Händen, also handeln Sie dementsprechend“ Sie sah mich mit großen Augen an, „Gabriel, Sie verstehen mich einfach nicht, ich habe nicht vor jemandem zu schaden, aber Sie müssen das einfach mal aus meiner Sicht sehen“ Vielleicht sollte ich das wirklich machen, aber vorerst sehnte ich mich danach, in das Haus zurückzukehren und mich meinen wichtigen Aufgaben zu widmen, anstatt hier sinnlos die Zeit zu vertrödeln. „Was halten Sie von einem beiderseitigen Kompromiß, Isabella. Sie sind mit dabei, wenn auch mit zweifelhaften Methoden, aber nun sollten Sie nicht versuchen, das 250
Kommando zu übernehmen. Denn wenn Sie es sich richtig überlegen, dann wollen Sie das doch auch gar nicht. Das Gold interessiert weder den Doc noch mich, auch wenn Sie das Gegenteil vermuten, und wenn wir wirklich eine Spur davon finden, können Sie von mir aus damit glücklich werden, aber solange sollten Sie die Füße stillhalten. Wir wollen nämlich genau die Leute finden, die auch Ihren Großvater ermordet haben und ich denke, das ist auch in Ihrem Interesse. So, und wenn wir schon Geschwister sind, dann sollten wir uns auch duzen, oder?“ Etwas unschlüssig stand Sie mit gesenkten Haupt vor mir, vielleicht sollte ich nicht sehen, wie es in ihr arbeitete, „Einverstanden, du hast recht, die Mörder zu finden ist für mich das Wichtigste, aber ich habe auch nicht vor, mich von euch über den Tisch ziehen zu lassen. Vorerst verspreche ich dir, ruhig zu bleiben, aber wenn ich merken sollte, daß ihr beide mich hintergeht, dann ist unser Kompromiß genauso gestorben wie mein Großvater. Noch was,... wenn du jetzt fluchst, was du dir mit so einer Schwester eingehandelt hast, dann will ich mich vorab dafür entschuldigen, ich bin nicht so, wie du denkst, aber ich weiß, was ich will, können wir jetzt gehen?“ „Ich glaube schon, Lilly. Übrigens, Familie kann man sich nicht aussuchen, das gilt wahrscheinlich auch für uns beide, also werden wir sehen, ob der Status Quo hält und jetzt geht es zu unserem Quartier, da haben wir sicher noch Zeit, in Ruhe miteinander zu reden“ Gentleman wie ich war, griff ich ihren Rucksack und warf ihn mir über die Schulter, während wir über die Parkzone für Firmenjets gingen, hinter der unser Hubschrauber wartete. Lilly schien sich zuerst nicht vorstellen zu können, daß wir wirklich fliegen würden und schmunzelnd fiel mir ihr offen stehender Mund auf, als wir auf den Helikopter zusteuerten. Der Pilot machte einen sichtlich erfreuten Eindruck, daß wir weibliche Gesellschaft hatten und kümmerte sich rührend um das Mädchen, die aber so gut wie kein Spanisch sprach und nichts von den Komplimenten verstand, welche dieser junge Torero pausenlos von sich gab. Aber der Junge schaltete schnell und legte in Englisch los, was nun dem Gespräch und ihrer Laune sichtlich besser tat. Ich war wie Luft für die beiden, konnte aber alles beim Einsteigen verstehen und mühte mich, das Grinsen aus dem Gesicht zu bekommen. Sie war schließlich nicht unattraktiv und dazu von der frechen Sorte, die diesen verschmitzten Blick besaß, bei dem man auf alles gefaßt sein mußte und zu was für Taten sie fähig war, das wußte ich ja schon. Kokett spielte sie das alte Spiel mit diesem jungen Draufgänger und gewann natürlich, während ich hinten saß und das Geschehen weiter beobachtete. Da wir alle beim Flug über Bordfunk verbunden waren, ging die amouröse Konversation weiter, doch zum Glück war der junge Pilot Profi genug, um beim Fliegen die Prioritäten richtig zu setzen. Er schien ein Hitzkopf mit Hirn zu sein und erinnerte mich damit an jemanden, den ich früher oft im Spiegel gesehen hatte. „Gabriel, das ist eine Jet Ranger, die Maschine bin ich einmal zu Hause geflogen“, Lilly drehte sich zu mir um und tippte dabei gegen den Sitz. Richtig, mir fiel es wieder 251
ein, der alte Biedermann hatte so etwas erwähnt und in meinem Kopf bildete sich das Wölkchen einer Idee. „Stimmt Lilly, das ist eine Bell 206, was bist du denn noch so alles geflogen?“ „Ach, nur so kleine Hüpfer, die gelegentlich auf den Weiden benutzt wurden, meistens eine Robinson R 22, die ist irre wendig und es macht einen Höllenspaß, im Tiefflug ein paar Kurven zu ziehen. Vielleicht könnte ich hier mal...“ „Ich glaube nicht, daß der Pilot Hilfe braucht, Lilly“, meine Idee war scheinbar doch nicht so gut. Unser Chauffeur war da offenbar anderer Meinung, „Ah, die Señorita versteht was vom Fliegen. Bueno, versuchen Sie es doch mal“ Sie griff entschlossen nach dem Steuerknüppel und als ich das sah, schoß mir sofort der Schweiß auf die Stirn und mein gespaltenes Verhältnis zu jeder Art von Höhe in den Kopf. Instinktiv krallte ich mich in die Sitze und schaute bedenklich nach unten, denn jeden Moment erwartete ich, daß die Maschine zu taumeln begann. Noch flogen wir ganz ruhig weiter, aber ich fürchtete, gleich würde der Pilot die Steuerkontrolle abgeben, als der sich umdrehte und mit beiden Händen in der Luft schaukelte. Lilly Callaway flog schon und dies nicht übel, solange es so ruhig weiterging, hatte ich keine Probleme damit. Aber sie wurde mutiger und zog einige Kurven, denen mein Magen nicht ganz folgen wollte. Ich war mir unsicher, ob mein Eingreifen nötig war, denn damit würde ich möglicherweise einen Plan torpedieren, der mir vorhin in den Sinn gekommen war und der versprach, ihre Anwesenheit zu neutralisieren. Kurz darauf übernahm wieder der Pilot das Steuer und als wir auf der Hazienda landeten, ging es mir schon wieder gut, genau wie Lilly, die sprachlos vor dem imposanten Gebäude stand. Auf solch eine Kulisse war sie sicher nicht vorbereitet und gegenüber einem Städtchen wie Corban mußte das hier wie der Garten Eden sein. „Gabriel, das ist ja phantastisch! Ah,... du hast aber das Gold nicht schon gefunden, oder?“ „Nein Lilly! Bitte merk dir für die Zukunft, daß dieses Thema nur besprochen wird, wenn ich damit anfange, denn man weiß nie wo ungebetene Ohren herumlungern“ „Gut, schon verstanden, aber hier ist doch niemand zu sehen“, sie schien jetzt wieder etwas grantig zu werden. „Stimmt, aber manchmal sieht man einen Lauscher auch nicht, also halte dich bitte daran, wir können keinen weiteren Ärger gebrauchen. Gleich werde ich dich unseren Gastgebern vorstellen und hier hält man dich für eine Journalistin, die mit mir zusammenarbeitet, also versuche, dich dementsprechend zu verhalten, ich denke das wirst du sicher schaffen“ „Natürlich werde ich das, also muß ich jetzt wohl Boß zu dir sagen“ „Gabriel tut es auch und versuche nicht zu übertreiben, die Leute in dem Haus sind meine Freunde, also nicht vergessen...“ „Ich bin eine Kollegin von der Zeitung und helfe dir, schon kapiert“, es beruhigte mich etwas, daß sie scheinbar schnell lernte, trotzdem war ich nicht gerade entspannt, als wir das Haus betraten. 252
Randall verbeugte sich leicht am Eingang und nahm mir den Rucksack ab, den er mit einiger Verwunderung betrachtete und sofort mit spitzen Fingern einem Hausmädchen weitergab, die damit im Hintergrund verschwand. Dann führte er uns zu Donna Elena, die mit Francesca auf der Terrasse saß und gerade ihren Tee nahm, „Oh, da ist ja der Besuch. Kommen Sie doch bitte her, meine Liebe und setzen Sie sich. Das gilt natürlich auch für dich, Gabriel“ Nun mußte ich erst einmal den offiziellen Teil, der in diesen Kreisen so ernst genommen wurde, erledigen und hoffte, daß mich das Mädchen nicht großartig blamieren würde. Doch zu meiner Überraschung färbte bei ihr die neue Umgebung erstaunlich gut ab und lächelnd, als ob sie frisch von einer Klosterschule kam, saß sie am Tisch, während ich sie vorstellte. Irgendwie traute ich dem Frieden nicht, aber auch hinterher antwortete sie nur, wenn man sie ansprach und gewann so im Sturm die Sympathien der beiden anderen Frauen. Ich hingegen blieb überrascht und mir fielen ihre Worte vom Flughafen ein. Kleider machten ja bekanntlich Leute, vielleicht machte die Gesellschaft den Menschen und mich störte diese andere Seite an ihr sicher nicht. Es wurde noch ein wenig Small Talk geführt und dann brachte Señora Rubio Lilly nach oben auf ihr Zimmer, während ich mit Francesca auf der Terrasse blieb, „Francesca, wenn Sie mir bei einer Kleinigkeit helfen würden, könnten Sie mir einen großen Gefallen tun“ „Gerne, wenn es mir möglich ist, um was geht es denn?“ „Es geht um Lilly, sie braucht einige Sachen, da ihre Abreise etwas überhastet war und es wäre sehr nett von Ihnen, wenn sie ihr dabei helfen würden. Ich selbst habe zuviel anderes im Kopf und würde nur ungern meine Zeit dafür opfern“ „Ich verstehe Sie schon, kein Mann geht gerne einkaufen. Nun, ich denke, das ist kein Problem und es würde mich freuen, wenn ich Ihnen helfen kann, auch wenn es nichts im Vergleich zu dem ist, was Sie damals für meinen Mann getan haben“ „Ach Francesca, lassen Sie die alten Geschichten ruhen, das ist doch schon lange vergessen“ „Vielleicht für Sie, Señor Kronau, aber nicht für mich, schließlich hätte ich Juan ohne Sie nicht kennengelernt, wenn ihm damals etwas zugestoßen wäre. Ich weiß, daß er sie sehr bewundert und möglicherweise wäre er heute ein anderer Mann als der, in den ich mich verliebt habe, wenn sie beide damals nicht so viel zusammen erlebt hätten“ „Da habe ich ganz sicher den geringsten Anteil daran, er hatte sich schon damals selbst zum Besseren verändert und wie ich bemerken konnte, hat das in den letzten Jahren auch nicht aufgehört. Sie können stolz auf Juan sein. Außerdem denke ich, daß sie beide sich trotzdem getroffen hätten, das Schicksal findet für die Liebe immer einen Weg“ „So, wie Sie das sagen, glaube ich Ihnen das sogar“, sie lächelte und nahm verträumt ihre Tasse zur Hand. Donna Elena kam alleine zurück, scheinbar hatte Lilly die lange Reise mehr ermüdet, als sie dachte, doch das paßte mir ausgezeichnet, um nach dem Tee ungestört meine Planungen weiter fortzusetzen. Valdez hatte am Vormittag weitere Unterlagen geschickt, die nun verstreut zur Sichtung auf meinem Schreibtisch lagen. Voraussichtlich für den morgigen Tag konnte ich die Baupläne von Fortunatis Yacht 253
erwarten, dabei war es erstaunlich, wie kooperativ eine Werft sein konnte, wenn ein großer Auftrag versprochen wurde. Bevor ich mich nun an den Papierstapel machte, sprach ich noch mit dem Doktor, doch ohne irgendwelche Ereignisse auf beiden Seiten wurde es nur ein kurzes Gespräch – und, um ehrlich zu sein, war das für mich am besten, nach all dem, was ich heute schon erlebt hatte. So begann ich hinterher, die neuen Berichte zu sortieren und ordnete sie grob nach Inhalt. Vornehmlich verwiesen sie auf Schmiergeldzahlungen an korrupte Regionalpolitiker und Finanzmanipulationen kleinerer Firmen, einige Hinweise bezogen sich auf Konzerne, die mit fragwürdigen Mitteln ihre kleinere Konkurrenz schluckten und nur ein geringer Anteil beschäftigte sich mit illegalen Machenschaften in Politik und Hochfinanz. Das war natürlich das interessanteste Gebiet und dem widmete ich mich auch zuerst. Geordnet nach Regionen begann ich zu lesen und machte mir dabei fleißig Notizen, was mehrere Stunden dauerte, bis ich unkonzentriert wurde und auf dem Balkon etwas Luft schnappen wollte. Vor mir auf dem Meer war es schon dunkel und nur in meinem Rücken zauberte der vergehende Tag noch einen schwachen Kontrast zu den schwarzen Spitzen der Bergzüge. Die Luft war angenehm mild und ich schloß die Augen, um ein wenig zu verharren, dabei gedankenlos den Hauch des Meeres zu spüren und die Kraft für meine bevorstehende Aufgabe zu finden. Das Rauschen des nahen Ozeans hatte fast etwas Meditatives in seinem monotonen Gleichklang, der so beruhigend auf die Nerven wirkte, daß jeder Psychiater hier sicher arbeitslos wäre. Einige Minuten stand ich so am Geländer und konzentrierte mich nach außen auf das Meer und nach innen auf den Strudel der Gefühle, der mich unablässig auf einen unbestimmten Punkt des Atlantiks führte. Das schaffte Ordnung und Klarheit in mir und doch löste es keine Probleme, man sah sie nur manchmal in einem anderen Licht, um sie besser bewältigen zu können. Also lauschte ich und hoffte auf diese vertraute Wirkung beim Klang der Wellen, doch ich nahm einzig ein anderes Geräusch wahr, das ich zuerst jedoch nicht einzuordnen verstand. Zuerst versuchte ich herauszubekommen, von woher es zu mir drang, und ich ging bis zur rechten Seite, bis ich am Rand des Balkons nicht mehr weiterkam. Ich hatte mich nicht getäuscht, hier war es deutlicher zu vernehmen und jetzt dämmerte es mir auch, was es war. Jemand weinte, nicht dieses maßlose hysterische Heulen einer jung gebliebenen sechzigjährigen Frau, die im Spiegel die Wahrheit erkennen mußte. Sondern ein Weinen für sich selbst, das durch seine Tonlage alles ausdrückte, was man nicht sagen konnte. Trauer, Wut, Zorn und viel Angst lagen darin und es war für mich nicht schwer zu erraten, wen ich dort durch das geöffnete Seitenfenster hörte. Irgendwie war es peinlich und ich ging zurück, um eine Weile im Rahmen der Balkontür stehenzubleiben und über mein Verhalten gegenüber Lilly nachzudenken, zum zweiten Mal dachte ich an ihre Worte und beschloß, alles einmal aus ihrer Sicht zu betrachten. Es dauerte nicht mehr lange bis zum Abendessen, ich duschte schnell und zog mich um, dann ging ich langsam zu Lilly´s Zimmer. Nach meinem vorsichtigen Klopfen öffnete sie ihre Tür nur einen Spalt, so daß ich sie kaum sehen konnte, „Ja?“ 254
„Lilly, wir essen gleich, mach dich bitte fertig“ „Ich habe aber keinen Hunger und ich bin so müde“ „Das kenne ich nur zu gut, ist die Reisekrankheit, aber wenn du nicht in den neuen Rhythmus reinkommst, bist du morgen unausgeschlafen und kannst den Tag vergessen. Schließlich hast du dir soviel Mühe gegeben, hier dabeizusein, dann solltest du das auch nicht verschlafen. Außerdem kann ich hier niemanden gebrauchen, der nicht fit ist. Also, ich hole dich in einer halben Stunde ab“ Es stöhnte nur kurz hinter der Tür auf, dann flog sie wieder zu. Ich wertete das als zustimmende Antwort und ging langsam die Treppe nach unten, wo mich Juan, der gerade das Haus betrat, sofort zur Seite zog, „Wir müssen nach dem Essen unbedingt reden, es ist was passiert und das paßt genau in das Schema, nach dem du suchst“ „Was sagst du da?“, sofort war ich elektrisiert. „Keine Angst, es hat nichts mit unserer Familie zu tun. Nachher kommt noch ein Besucher, der dir alles erklären kann und sicher gerne deine Fragen beantwortet“ „Aber, kannst du mir nicht sagen...“ „Bitte Gabriel, ich will nicht, daß die Frauen etwas mitbekommen, außerdem weiß ich auch zu wenig. Laß uns bis nachher warten“ So blieb mir nichts weiter übrig, als meine Unruhe mit einem Lächeln zu tarnen und in den Salon zu gehen, wo man sich vor dem Essen versammelte. „Gabriel,...“, Francesca kam auf mich zu, nachdem sie ihren Mann begrüßt hatte, „...alles in Ordnung? Sie sehen so nervös aus“ „Danke der Nachfrage, mir geht es gut. Ich denke nur mit Schmerzen daran, daß ich morgen wieder auf dem Pferd sitzen werde“ „Ach so, ich verstehe, hoffentlich weitet sich das nicht in eine Phobie bei Ihnen aus. Wo ist denn Ihre nette Kollegin?“ „Lilly ist immer noch oben auf ihrem Zimmer. Sie kämpft noch mit den Nachwirkungen des Fluges und macht sich jetzt langsam fertig“ „Soll ich mal nachsehen? Vielleicht kann ich ihr helfen und notfalls bin ich ja medizinisch geschult, wenn es etwas Ernstes sein sollte“ „Danke Francesca, das ist eine ausgezeichnete Idee, aber Vorsicht, sie ist etwas mufflig“ „Kein Problem, solche Fälle kenne ich auch aus der Klinik, aber ich glaube, das wird schon nicht so schlimm werden“, gleich darauf entschwand sie eiligst aus dem Raum. Die Neugierde stellte meine Geduld auf eine harte Probe und da ich das im Moment sowieso nicht ändern konnte, ließ ich mir von Randall einen Bourbon mit Eis bringen und stellte mich zu Carlos Rubio und seiner Frau, die sich mit Doktor Martinez unterhielten, der wie so oft Gast in diesem Hause war. „Komm her, Gabriel, ich hörte, du hast dich mit meiner Cinderella etwas angefreundet?“ „Das ist richtig, sie ist ein sehr sympathisches Tier und besonders ihre Ruhe gefällt mir. Dem Reiten habe ich in den letzten Jahren wohl zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und ich hoffe, daß ich mit meinen gemächlichen Ausritten das Pferd nicht zu Tode langweile“ 255
Ein dezentes Lachen kam mir aus der Runde entgegen und so zog sich das Gespräch solange hin, bis Randall uns ein Zeichen gab, daß alles vorbereitet sei. Aber da die Gesellschaft noch nicht vollzählig war, blieben wir etwas unschlüssig stehen und warteten, bis uns Schritte die Ankunft der beiden Frauen von oben ankündigten. Lilly trug jetzt ein langes Sommerkleid, das ihr sicher Francesca geborgt hatte und womit sie fast schon perfekt in den Rahmen paßte, den die Rubios so gerne pflegten. Das Lachen der beiden bestätigte meinen Eindruck, daß die Frauen sich gut verstanden, und ich hielt es für eine weitere gute Idee von mir, das in meinem Plan, mir den Rücken frei zu halten und Lilly zu beschäftigen, einzubauen. Es tat mir leid, daß ich zu solchen Mitteln bei Lilly greifen mußte und würden mich böse Absichten treiben, könnte man das durchaus als eine hinterhältige Intrige bezeichnen. Doch ich brauchte meine ganze Energie für die Annes Befreiung und die Unterstützung des Doktors. Was konnte ich da noch für ein vom Schicksal gebeuteltes Mädchen tun, ohne mich zu verzetteln. Verantwortung zu tragen heißt, Prioritäten zu setzen und gerade jetzt ertappte ich mich bei dem Gedanken, noch mal Kind sein zu wollen, wo Verantwortung nur etwas für die allwissenden Eltern war. Ich erlebte im Haus der Rubios ein harmonisches Essen, bei dem sich Lilly zum Glück zurückhielt und hauptsächlich mit Francesca sprach, während ich mich nur mit Floskeln an der Konversation beteiligte und sonst lieber zuhörte. Trotz der gelungenen Anstrengungen des Koches schmeckte es mir kaum und ich sah des öfteren verstohlen zur Uhr, die aber nicht schneller lief und mich erbarmungslos auf meinen heißen Kohlen sitzen ließ, bis Randall dem Hausherren diesen ominösen Besucher meldete. Scheinbar war ich nicht der einzige Mensch an der Tafel, der auf ihn gewartet hatte, denn es genügten nur der Blickkontakt zwischen Juan´s Vater, ihm selbst und mir, der wie ein imaginäres Zeichen zum Aufstehen wirkte und wir daraufhin sofort in die Bibliothek gingen. Noch im Gehen sagte ich zu Lilly, daß sie bei Francesca bleiben sollte, die mir nur zunickte und wohl verstanden hatte, welche Rolle ich ihr zugedacht hatte. Wir betraten das Zimmer und ich sah, daß es sich bei dem neuen Gast um den Amerikaner von meinem Begrüßungsabend handelte, der seltsam blaß um die Nase war und auch sonst sehr verändert wirkte. „Gabriel, du erinnerst dich noch an Jonathan Plunkett“, Carlos Rubio leitete das Gespräch ein, setzte sich aber gleich in den Hintergrund, um seinem Sohn danach den Vortritt zu lassen. „Si, selbstverständlich. Also, Mister Plunkett hat demnach ein Problem?“ Juan fuhr mit dem Gespräch fort, „Ja, so ist es leider. Jonathan, danke, daß du hergekommen bist, erzähl uns bitte, was passiert ist“ Man sah ihm an, daß er offenbar wenig Schlaf bekommen hatte und nicht recht wußte, wo er anfangen sollte, so daß er mehrmals ansetzte und wieder abbrach, bis er tief Luft holte und nun doch einen Einstieg fand, „Vielen Dank, daß ich hier ein offenes Ohr finde und über die Sache reden kann, besonders bei Ihnen, Mister Kronau. Denn Sie scheinen wohl der richtige Mann zu sein, der mir helfen könnte“ 256
„Bitte Mister Plunkett, aber vielleicht sollten wir erst mal die Vorschußlorbeeren sein lassen. Was ist denn nun eigentlich geschehen?“ „Sie haben recht, also heute hatte ich mit Juan einen Geschäftstermin und er sah mir gleich an, daß etwas nicht stimmte. Wir kennen uns schon einige Jahre und ich konnte seinen bohrenden Fragen nicht lange ausweichen, also habe ich ihm von meinem Problem erzählt. Man versucht mich schon längere Zeit mit Drohungen unter Druck zu setzen und bisher habe ich die Briefe und Anrufe nicht ernst genommen, denn so etwas passiert schon mal im Geschäftsleben, aber jetzt hat sich das geändert. Nachdem Juan einige Details von mir wußte, drängte er mich noch heute herzukommen und Ihnen das zu erzählen, Mister Kronau, weil Sie scheinbar auch von solchen Fällen wissen. Vielleicht können Sie mir mit Ihrem Wissen weiterhelfen“ „Leider nicht, Mister Plunkett, ich bin nur bei einigen Recherchen auf solche Erpressungen gestoßen und suche eher Informationen, als daß ich sie Ihnen geben kann. Sie sagten, daß sich Ihre Einstellung geändert hätte, können Sie uns den Grund dafür nennen?“ „Natürlich kann ich das, vielleicht hilft Ihnen das ja weiter. Gestern Mittag hatte ich einen Termin mit einem Anwalt, der um ein Treffen gebeten hatte. Das ist nichts Ungewöhnliches und ich habe mir nichts dabei gedacht, auch wenn ich ihn vorher nicht kannte. Doch anstatt einer Routinesache eröffnet mir dieser Mann, daß ich schleunigst die Untersuchungen an unserem neuen Ölfeld einstellen müßte und dazu alle Forschungsergebnisse zu übergeben hätte. Außerdem verlangte er eine Summe von zwanzig Millionen Dollar, damit mir keine ‚Unannehmlichkeiten’ entstünden“ „Das ist ja unglaublich und hört sich wie eine Schutzgelderpressung im großen Stil an. Was haben Sie daraufhin gemacht, Mister Plunkett?“ „Was wohl, ich hielt diesen Anwalt für einen Spinner und wollte ihn vom Sicherheitsdienst verhaften lassen, aber der Mann zeigte mir ein Foto von meinem Sohn, der in den Staaten zur Schule geht, und fragte mich höhnisch, ob ich ihn gerne lebend wiedersehen würde. Da habe ich es natürlich mit der Angst zu tun bekommen. So ließ ich ihn gehen und er verlangte zum Abschluß, daß ich mich mit ihm morgen um dreizehn Uhr im Park Jardín Botánico treffen soll, um ihm meine Antwort mitzuteilen“ „Tja, nach einem Spinner hört sich das wirklich nicht an, haben Sie Sicherheitsvorkehrungen getroffen?“ „Natürlich, meinen Sohn habe ich erst einmal vom Internat genommen und er wird morgen hier eintreffen, dann wurde von mir natürlich meine Firma informiert. Wir haben einen Vertrag mit einer Sicherheitsgesellschaft und die werden Leute herschicken, die für solche Fälle ausgebildet sind. Außerdem hat die Zentrale beschlossen, das State Departement zu informieren, aber wir sind hier in Venezuela und es kann dauern, ehe von dort Hilfe kommt“ „Das ist doch schon was, jedenfalls haben Sie vorgesorgt und vielleicht läßt sich Schlimmeres verhindern“ „Ich wünschte, ich wäre da genauso optimistisch wie Sie, denn der Aufsichtsrat meiner Firma in Dallas hat sicher nicht vor, das Projekt in der Karibik aufzugeben, 257
besonders jetzt, wo das Forschungsschiff gerade seine Arbeit beendet hat. Wir haben zuviel Kapital in diese Sache gesteckt und müssen das irgendwie wieder reinholen, anstatt solchen Leuten noch zwanzig Millionen dazuzugeben und auch noch die ganze Arbeit zu verlieren“ „Das verstehe ich sehr gut. Sie haben doch Ihre Partner informiert, fahren Sie einfach mit Ihrer Familie in einen langen Urlaub, bis die Gefahr beseitigt ist“ „Genau das habe ich vor und sobald mein Sohn hier ist, fahren wir an ein verschwiegenes Plätzchen. Solange halte ich hier die Stellung, ich kann ja nicht alles liegen lassen und muß wenigstens die wichtigsten Dokumente und die abschließenden Ergebnisse vom Schiff nach Dallas schicken. Sie sehen, ich sitze im Moment in einer Zwickmühle und hatte schon wieder etwas Hoffnung bekommen, als mir Juan sagte, daß Sie genau nach solchen Verbrechern suchen. Vielleicht können Sie mit meinen Informationen etwas anfangen und die Leute ausschalten, das würde mir eine Menge Ärger ersparen, schließlich ist mir die Geschichte von Juan und Ihnen bekannt und daher weiß ich, wozu sie fähig sind“ „Hmmm,... lassen Sie sich nicht von dieser Sache blenden, im Laufe der Jahre scheint das eine Legende geworden zu sein. Ich bin niemals ausgezogen, um Juan zu befreien, vielmehr habe ich ihn nur zufällig getroffen und mitgenommen, das hat wenig Heroisches an sich. Genauso wie ich jetzt nicht ausgezogen bin, um einer Erpresserbande das Handwerk zu legen, in der Hinsicht muß ich Ihre Hoffnung zerstören, aber was ist mit den Behörden?“ Es war förmlich zu sehen, wie er zusammensackte, „Die Behörden? Ich habe von diesem Anwalt die Anweisung bekommen, mich ruhig zu verhalten und keine Polizei hinzuzuziehen. Was sollte ich denen auch erzählen, schließlich handeln die ja nur, wenn etwas passiert ist, und bis jetzt gibt es doch nur eine Drohung. Bitte helfen Sie mir, Mister Kronau, Sie schaffen es bestimmt, die Hintermänner dieses Anwalts zur Strecke zu bringen“ „Tut mir leid, Mister Plunkett, ich würde Ihnen gerne helfen, aber mir sind die Hände gebunden. Soll ich Ihnen etwas versprechen und Sie dann im Stich lassen? Sicher ist das kein Einzeltäter und das Bild von Ihrem Sohn beweist, daß es eine vorbereitete Aktion war, also sind diese Leute ernst zu nehmen. Sie haben vorerst den besten Weg gefunden und bringen Ihre Familie in Sicherheit und wenn diese Erpresser sich bei der Zentrale in Dallas melden, dann ist es eine Sache des FBI und die werden das schon regeln“ Er senkte den Kopf und schwieg, mir fiel es schwer, ihn so zu sehen, aber sich neben all dem, was mich sowieso schon beschäftigte, noch ein Problem aufzuhalsen, konnte niemand von mir verlangen – genausowenig, wie einen Menschen so in Not zu sehen. „Mister Plunkett, das Einzige, was ich für Sie tun kann, ist, Ihnen einen Rat zu geben, den Sie morgen bei dem Treffen im Park beherzigen können, oder auch nicht, das ist dann Ihre Entscheidung. Ich würde vorschlagen, Sie gehen morgen erst einmal auf die Forderungen ein, wenn auch nur zum Schein und damit erhalten die Leute von der Sicherheitsfirma genug Zeit, um diese Erpresser dingfest zu machen. Schließlich 258
müssen Sie nur ein paar Stunden Zeit rausschinden, dann können Sie morgen gleich abfliegen und sind in Sicherheit“ Mister Plunkett stimmte mir mürrisch zu. Sicher war das nicht die Hilfe, die er sich erhofft hatte, aber vielleicht half es ihm schon, daß er darüber reden konnte und morgen hatte er seine Unterstützung aus den Staaten hier, das sollte genügen. Trotzdem machten wir uns alle natürlich Sorgen und verabredeten nach dem Treffen mit dem Anwalt ein Gespräch, bevor Plunkett abreisen würde. Letztendlich ging er in besserer Laune als er gekommen war, ob das allerdings berechtigt war, bezweifelte ich angesichts der enormen Forderungen, die nicht auf Amateure deuteten. Eines wollte mir dabei allerdings nicht schlüssig erscheinen, nämlich die ganze Sache mit dem Ölfeld. Darin hatte Juan recht, es könnte in mein Suchschema passen, doch hypothetisch angenommen, die Lemuren steckten wirklich dahinter, was wollen Terroristen mit einer Lagerstätte, die erst erschlossen werden mußte? Das erschien mir zu absurd, eher kam wohl ein wirtschaftlicher Konkurrent in Betracht, der selber mit allen Mitteln das Geschäft machen wollte, und man sollte Plunkett unbedingt einmal danach fragen, vielleicht war das ein guter Tip für seine Sicherheitsleute. Allerdings ich hatte keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken, weil die beiden Rubio´s mit mir wieder das Eßzimmer betraten. Dort ließen wir uns vor den Ladys nichts von unserem Gespräch anmerken, doch die vielen fragenden Blicke, die hin- und hergeworfen wurden, zeigten wieder einmal, daß dem weiblichen Spürsinn nur wenig zu entgehen schien. Wir saßen gestern nicht mehr lange beieinander und normalerweise hätte ich die Nacht zu einem erholsamen Schlaf nutzen sollen, aber Plunketts Geschichte ging mir nicht aus dem Kopf und beschäftigte mich solange im Bett, bis ich wieder aufstand, um mich mit den Valdez Papieren etwas abzulenken. Inspiriert von den abendlichen Ereignissen wandte ich mich von den politischen Berichten eher den Anschlägen auf größere Unternehmen zu, aber das Material war zu dünn, um etwas Entscheidendes zu entdecken. So konnte ich nur hoffen, daß der Strom der Berichte in dieser Hinsicht nicht versiegen würde. Übermüdet begann ich also diesen Tag, der sich mit so vielen Ereignissen angekündigt hatte. Trotzdem wollte ich deshalb meinen Ausritt nicht ausfallen lassen, denn irgendwann mußte es doch besser gehen und nachdem ich vergeblich versucht hatte, den Doktor zu erreichen, um ihm die neue Entwicklung mitzuteilen, verließ ich mein Zimmer. Die schmerzenden Stellen waren mir schon vertraut und ich weigerte mich, die Anstrengungen der vergangenen Tage als sinnlos anzusehen, deshalb ging ich auch heute voller Zuversicht zu den Stallungen und begrüßte Cinderella, die sich schon an mich gewöhnt hatte und freudig ihren Kopf nach hinten warf. Doch vielleicht freute sie sich auch nicht über mich, sondern nur über die zwei Stückchen Zucker, die wie gestern auf wundersame Weise vom Frühstückstisch verschwunden waren. Die Box des Araberhengstes war leer, scheinbar war ich nicht früh genug aus dem Bett gekommen und dies nutzte Francesca aus, um nicht in die Verlegenheit zu 259
kommen, mich begleiten zu müssen. Diesmal wollte ich mich jedoch nicht geschlagen geben und ließ meine Stute auf der Lichtung in den Galopp übergehen, damit schaffte ich es in Rekordzeit zum großen Hügel und saß zum ersten Mal mit einem Lächeln im Sattel. Mühsam versuchte ich, die ausgetretenen Spuren im Sand zu deuten, aber die Fährte war nicht klar zu erkennen und erst in der feuchten Erde erkannte ich, weshalb dies mir Schwierigkeiten bereitete, denn zwei Spuren überlagerten sich auf dem Weg und des Rätsels Lösung befand sich direkt vor mir am Strand. Francesca hatte Lilly mitgenommen und beide bewegten sich langsam auf ihren Pferden, tief in ein Gespräch versunken. So bemerken sie mich nicht und die Lautstärke der Brandung machte es mir leicht, von hinten an die Frauen heranzukommen. „Buenos Dias, Señoras“, mit einem eleganten Bogen ritt ich an ihnen vorbei. Verdutzt bekam ich von beiden den Gruß zurück, wobei Francesca beinahe ungläubig erst auf mich und dann auf das Pferd schaute. „Francesca, bleibt es dabei, daß Sie mit Lilly in die Stadt fahren?“ „Ja natürlich, ich freue mich schon darauf. Mein Mann hat mir erzählt, daß Sie heute den ganzen Tag beschäftigt sein werden, hat das etwas mit dem gestrigen Besuch von Jonathan Plunkett zu tun?“ „Stimmt leider, ein kleines Problem ist bei ihm aufgetaucht und wir versuchen, ihm ein wenig zu helfen. Ich kann leider nicht darüber reden, aber Juan wird das sicher zu gegebener Zeit gerne machen“ „Aber wenn es doch nur ein kleines Problem ist, dann können Sie es uns doch verraten“, dabei sah mich Francesca verschmitzt an, sicher weil sie langsam mitbekommen hatte, daß ich gerne einen Spaß machte. Aber hier handelte es sich um nichts Spaßiges und ich mußte nochmals verneinen. Nun meldete sich auch Lilly, „Francesca, du darfst dich nicht über Gabriel ärgern, er scheint gerne seine Geheimnisse zu haben. Ich würde ja auch gerne wissen, was passiert ist“ „Nichts, was unsere Geschichte betrifft, Lilly! Du wirst mit Francesca einkaufen gehen und später besprechen wir einige Sachen zusammen“ „Ja aber...“ „Lilly, denk an die Spielregeln, das hatten wir doch schon geklärt“ „Warum mußt du immer...“ „Komm mit, Lilly!“, es wurde wohl jetzt schon Zeit, um mit ihr zu sprechen. „Francesca würden Sie uns einen Moment entschuldigen. Ich muß mit meiner jungen Kollegin beruflich ein paar Worte wechseln“ „Ja, selbstverständlich, aber seien Sie nicht zu streng mit ihr, Gabriel“, damit trabte sie an und hielt sich kreisend in einiger Entfernung, wie ein Schiedsrichter, der notfalls zur Stelle sein würde. Eigentlich wollte ich selbst das Gespräch beginnen, aber Lilly hatte wohl im Gefühl, daß einige grundsätzliche Dinge geklärt werden mußten und fing gleich selbst zu erzählen an. “Keine Angst, ich weiß schon, was du sagen willst. Ich bin dir nur im Wege und habe mich mit miesen Methoden aufgedrängt, dazu versuche ich meinen Willen 260
durchzusetzen und dieser Doc würde jetzt bestimmt sagen, daß ich keinen Respekt habe, stimmt’s?“ „Also, das mit dem Respekt ist mir zwar noch nicht in den Sinn gekommen, aber bei den anderen Punkten hast du einen Volltreffer gelandet“ Sie holte tief Luft, was mich auf das Schlimmste vorbereitete, „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Denkst du, daß mir die ganze Situation so gefällt, wie sie ist? Nein, sie gefällt mir nicht, weil ich nicht so bin, wie das Bild von mir, daß in deinen Kopf ist. Mir ist nie etwas geschenkt worden, also habe ich eben gelernt, mir selbst alles zu holen, aber dafür entschuldige ich mich nicht, weil ich eben so bin. Du solltest das doch eigentlich verstehen, schließlich bist du auch kein Typ, der widrige Umstände so leicht akzeptiert“ „Ach so? Ich wüßte nicht, daß wir uns über meinen Charakter unterhalten haben, Lilly“ „Richtig, aber das hätten wir vielleicht tun sollen. Francesca und ich waren die ganze Nacht wach und sie hat mir dafür einige Geschichten über dich erzählt, aber du darfst ihr deshalb nicht böse sein. Deshalb weiß ich auch von deiner Freundin und da habe ich auch begriffen, warum du so allergisch auf meine Anwesenheit reagiert hast. Aber woher sollte ich das denn alles wissen, wenn einem nichts erzählt wird?“ Francesca wußte wohl sofort, welches Thema wir hatten, als sie mein etwas zu streng ausgefallener Blick traf, der aber nicht lange anhielt. Es war sowieso zu spät, um sich über dieses nächtliche Geplauder zu ärgern, vielleicht hatte es ja auch etwas Gutes bewirkt, „Weißt du, Lilly, Vertrauen muß sich immer erst bilden und wenn du heute Nacht wirklich einige Einsichten hattest, dann wirst du verstehen, warum ich so vorsichtig gehandelt habe“ „Das begreife ich schon, aber willst du auch verstehen, warum ‚ICH’ so gehandelt habe? Wenn ich nicht die Chance ergriffen hätte, euch unter Druck zu setzen, dann wäre ich jetzt sicher nicht hier. Dich würde das bestimmt freuen, aber das war vielleicht die letzte Gelegenheit für mich aus dem Loch herauszukommen und wenigstens einmal in meinem Leben das durchzuziehen, was ich mir vorgenommen habe. Du hast doch noch nicht einmal eine Ahnung von meinem Leben, nur eine Meinung hast du dir schnell gebildet. Ich kann das nachvollziehen und aus deiner Sicht ist das auch verständlich, doch nach allem, was ich von dir gehört habe, bist du doch nicht ein so oberflächlicher Mensch, der nur versucht, seine Vorurteile zu bestätigen“, sie war richtig erregt und ein tiefes Rot schoß in ihr Gesicht, was mich für einige Augenblicke in die Defensive drängte und noch bevor ich etwas sagen konnte, legte sie gleich wieder los, „Loswerden willst du mich, genau wie alle anderen auch. Meinst du, ich bin wirklich so gierig auf das Gold? Ja, das bin ich ganz bestimmt, aber nicht so, wie du vielleicht denkst. Damals, als sich meine Mutter nur in billigen Kneipen rumgetrieben hat und mein Vater schon über alle Berge war, da hatte ich nur noch meinen Großvater. Er erzählte mir immer die Geschichte wie wir eines Tages über das große Meer fahren und nach einem großen Schatz suchen würden. Seitdem ich mich erinnern kann, hat er mir vor 261
dem Einschlafen dieses Märchen erzählt und er hat mir versprochen, daß wir zusammen in den Dschungel fahren und Kisten voller Gold holen werden. Dann würde alles gut werden und wir hätten niemals mehr irgendwelche Sorgen. Wenn du nicht nach ihm gesucht hättest, dann wäre er heute noch am Leben und du glaubst mir vielleicht nicht, wie weh es mir tut, wenn ich an ihn denke. Aber eins steht fest, er wäre doch viel zu alt gewesen, um jemals mein Märchen wahr werden zu lassen. Ich habe nichts weiter als diesen gemeinsamen Traum, mein Großvater ist tot und die Farm liegt in Trümmern, meine Mutter hat es vor einigen Jahren meinem Vater nachgemacht und kam nicht mehr nach Hause. Das Einzige, was sie mir hinterlassen hatte, war ihr schlechter Ruf, denn Menschen in kleinen Orten verallgemeinern sehr gerne, das macht wohl das Leben einfacher. Das Schlimmste dabei war allerdings, daß ich beinahe wirklich auf dem Weg war, auf der Straße zu landen und wenn ich das jetzt nicht mache, dann werde ich niemals in meinem Leben etwas auf die Beine stellen – so, vielleicht verstehst du ‚mich’ jetzt besser. Ich habe gesagt, was ich sagen wollte“ Da war es wieder, dieses wütende Lodern in ihren Augen und ich war beeindruckt von dem was sie mir gesagt hatte. Ich wolle es mir nicht so einfach machen, wie irgendwelche Kleinstädter, sie hatte das wirklich nicht verdient und ich begann sogar etwas Respekt vor ihrem Willen zu bekommen. „Na gut Lilly, du warst ehrlich zu mir, dann werde ich sicher nicht hinter dir zurückstehen. Mich stört an dieser ganzen Sache, daß ich die Verantwortung für dich habe und auf dich aufpassen muß. Du hast nicht die Erfahrung und du weißt auch nicht, auf was du dich überhaupt eingelassen hast. Das ist kein Spiel, hierbei kannst du sterben und deshalb will ich dich nicht dabei haben, nicht, weil ich dich nicht leiden kann, oder weil mir deine kleine Erpressung gegen den Strich geht. Im Gegenteil, ich finde das ganz schön ausgekocht und unter anderen Umständen würde ich sicher darüber lachen, aber hier vergeht einem das schnell. Das ist kein Videoclip oder ein Computerspiel, wo man das Level wiederholen kann, wenn hier ‚Game Over’ erscheint, dann ist es definitiv das letzte, was du in deinem Leben siehst, und das muß dir bewußt sein“, jetzt ging es auch mir besser, es half eben wirklich, wenn man sich die Probleme von der Seele reden konnte. „So ist das! Weiß du, ich kann auf mich selber aufpassen und auch wenn ich nicht deine Erfahrung habe, bin ich schon in der Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Wenn du willst, bekommst du von mir schriftlich, daß ich auf eigene Verantwortung handle und niemand anderes die Schuld trägt, als ich selbst. Noch was, ich habe schon Tote gesehen und konnte nicht behaupten, daß mir das gefallen hat, und vielleicht sehe ich das auch etwas naiv, aber ich will niemanden töten und auch nicht als Leiche enden, deshalb kannst du mir glauben, daß ich mich aus solchem Ärger heraushalte“ „Na gut, wenn du unbedingt diesen Weg gehen willst, dann stelle ich mich nicht dazwischen, schließlich bist du alt genug. Aber wenn wir zusammen wirklich weiterreisen sollten, dann sollte dir eines klar sein - ohne Erlaubnis vom Doc oder von mir machst du gar nichts, verstanden!“ 262
Ihre Antwort war ein übertrieben langes Nicken und ich reichte ihr meine Hand herüber, „Du spielst jetzt mit den Erwachsenen, also verhalte dich auch so“ Sie schlug ein und ihre Augen leuchteten, „Danke, mir ist es auch lieber, daß jemand lächelt, wenn er mich sieht. Wie geht es nun weiter?“ „Vorerst nach Plan, du gehst mit Francesca shoppen und nachmittags werde ich dir schöne langweilige Aufgaben geben, damit du deinen Starrsinn bereust“ Die Sonne kam nicht an das Strahlen heran, das jetzt von ihrem Gesicht ausging, „Danke Boß!“ „Hey Girl, und nicht gleich am Anfang übermütig werden“, ich sah ihr noch einen Moment nach wie sie zu Francesca ritt und machte mich wieder auf den Weg zu den Ställen. Wenn ich mich nicht ganz täuschen sollte, würden jetzt die beiden Frauen sicher nicht mehr weit kommen und nur noch miteinander reden. Sollte sich Lilly ruhig freuen, ich hatte nicht die Absicht, sie irgendeiner gefährlichen Situation auszusetzen, denn es waren nur noch ein paar Tage bis Barbados und danach konnte sich alles für mich ändern, unabhängig vom Doc, oder diesem australischen Mädchen. Das war auch der Grund, weshalb ich versuchte, den Doktor mit meinen Recherchen so gut es ging unter die Arme zu greifen, denn es war nicht meine Art, jemanden einen schwierigen Job allein machen zu lassen, wenn ich dabei etwas unternehmen konnte. Doch dieses schlechte Gewissen, das sich in seinen Anfängen deshalb bei mir regte, konnte es nicht annähernd schaffen, sich an die Stelle der brennenden Sehnsucht nach Anne zu setzten. Zu stark war sie in mir verankert und bei jeder Kleinigkeit, die mich an sie erinnerte, brach sie aus und überflutete mich in einen Strom von Gefühlen. Es war schwer, damit zu leben, sich nicht nur dem Herzen hinzugeben, sondern den Blick für die Ereignisse um mich herum zu bewahren und mit dem Verstand darauf zu reagieren – soweit das überhaupt möglich war. Kurz vor zehn Uhr hatte ich im Haus endlich Doktor Breitenbach in Montevideo erreicht. Er schien mittlerweile erfolgreich an einige Unterlagen von „Matsen Export and Logistics“ herangekommen zu sein und war damit sehr zufrieden, bis ich seine Stimmung etwas durch mein Gespräch mit Lilly dämpfte. Begeistert zeigte er sich nicht gerade über das Ergebnis, allerdings hatte ich es hier mit ihr zu tun und mußte das Beste daraus machen – seine Chance hatte er ja gehabt. Das war aber nur eine Randnotiz, denn natürlich nahm die neue Entwicklung einen wichtigeren Stellenwert ein, „... ist gestern Abend passiert. Die Sache kommt mir recht eigenartig vor und auch wenn ich nicht denke, daß die Lemuren dahinterstecken, werde ich das weiter beobachten“ „Ja, das ist eine gute Idee. Jetzt, wo Sie diesen Plunkett besser kennen, könnte es doch sein, daß seine Firma auch noch solche Informationen wie ihr Freund zu bieten hat, wenn Sie ihm schon helfen, dann kann er sich so wenigstens revanchieren“ „Ach Doc, Sie scheinen auch jede Chance zu wittern, aber Sie haben recht, obwohl ich glaube, daß er im Moment andere Sorgen hat“ „Das ganz bestimmt, schauen Sie doch mal, ob ihnen irgendwo die U.F.S.A. unterkommt“ „Wer soll denn das sein?“ 263
„Das ist die Unidad Federal. Ein riesiger Konzern, der wohl der Hauptauftraggeber von Matsen Export and Logistics ist. Matsen´s Firma scheint über Jahre, beinahe Jahrzehnte, ein Subunternehmen für die U.F.S.A. gewesen zu sein und ich glaube, daß beide Firmen damals von Deutschen gegründet wurden. Der Zufall scheint mir zu groß, also werde ich mich die nächsten Tage darum kümmern“ „Das ist wirklich interessant, ich werde hier die Augen offen halten und hoffe, Sie sind auf der richtigen Spur. Läuft auf der Yacht noch alles gut?““ „Keine Angst, Kronau, Ihre Prinzessin sitzt noch immer auf der Erbse und mein Agent auf Fortunatis Schiff hat immer ein Auge auf die Frauen geworfen“ „Wie bitte?“ „Ach Kronau, legen Sie doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage, der Agent paßt doch nur auf“ „Dann bin ich ja beruhigt, Doc. Rosenkavalier Ende“ Es war höchste Zeit, sich mit Juan in seinem Büro zu treffen. Wir hatten uns beide schon gestern abend verabredet, um gemeinsam auf das Ende von Plunketts Treffen zu warten, allerdings schien uns die Gelegenheit günstig, diesen Anwalt im Park einmal unter die Lupe zu nehmen, denn wer konnte einem schon verbieten, einen Spaziergang zu machen. Ein Firmenhelikopter wartete schon auf mich und flog zu dem Büroturm nach Caracas, wo mir die Dame von meiner Ankunft sofort wieder den Weg wies. Dabei wußte ich, daß es Ärger geben würde, denn mein Nacken meldete sich seit einer halben Stunde unablässig und löste bei mir eine noch gedämpfte Unruhe aus, als ich zu Juan kam. „Da bist du ja endlich, Gabriel. Ich habe mir schon Sorgen gemacht“ „Danke, aber das brauchst du bei mir nicht, ich glaube Plunkett hat das nötiger. Hat er schon angerufen, daß er auf dem Weg in den Park ist?“ „Nein, noch nicht, aber langsam könnte er anrufen, denn viel Zeit bleibt ihm nicht mehr“ „Du hast recht, aber geben wir ihm noch einige Minuten, um sich zu melden. Du kennst ihn ja schon eine Weile, was ist er eigentlich für ein Typ?“ Juan stutzte etwas, ließ sich aber dann von meiner Frage nicht weiter irritieren, „Er ist ein alter Freund der Familie, der schon seit einigen Jahren mit uns Geschäfte macht. Zuerst waren es nur kleinere Sachen, aber je höher er in der Hierarchie seiner Firma geklettert ist, desto umfangreicher wurde unsere Zusammenarbeit mit ihm. Du kannst dir dann sicher denken, wie das weitergeht, man trifft sich auf gesellschaftlichen Veranstaltungen und dann kommen einige private Einladungen dazu, so entwickelte sich in der Zeit ein freundschaftliches Verhältnis. Ich denke, er ist in Ordnung, ein Gringo eben, aber einer von der netten Sorte und dazu hat er eine sympathische Frau, du hast sie ja bei der Begrüßungsparty gesehen. Meinst du, er ist immer noch in krumme Geschäfte verwickelt?“ „Schwer einzuschätzen, ich glaube es nicht, aber was soll das schon heißen. Weil wir gerade bei krummen Geschäften waren, hat du schon mal was von der U.F.S.A. gehört?“ 264
„Der Unidad Federal Konzern? Sicher, obwohl die bisher hauptsächlich im Süden aktiv waren. Der Hauptsitz ist in Buenos Aires und dann gibt es noch Ableger bis nach Brasilien und Kolumbien. Ich kann mir von Valdez das Dossier geben lassen, dann wissen wir genau Bescheid, aber du kannst auch Plunkett nach ihnen fragen, denn der hatte mit der Unidad Federal zu tun“ „Ach?!“, es erschien mir, als öffnete jemand einen Vorhang in meinem Kopf. „Ja, sie wollten vor Monaten mit der North American Oil and Gas ins Geschäft kommen und sich an den Forschungen am neuen Ölfeld beteiligen. Soweit ich weiß, wollten die Yankees das lieber alleine durchziehen und das war es dann. Warte mal,... meinst du vielleicht, daß U.F.S.A. hinter den Drohungen steckt?“ „Tja,... ich habe keinen Beweis dafür, aber ich kenne einige erschreckende Zusammenhänge und die machen mich jetzt sehr nervös. Bitte versuch’, Plunkett ans Telefon zu bekommen, ich muß mit ihm reden“ Über das Vorzimmer ließ sich Juan mit Plunkett verbinden, doch er erreichte nur seine Assistentin und kam anschließend besorgt zu mir, „Er ist vor einer Stunde einfach nach Hause gefahren, ohne irgendwas zu sagen“ „Verdammt! So eine Sch... schlechte Nachricht habe ich befürchtet. Hat er ein Handy, oder kannst du ihn zu Hause anrufen?“, der Strudel der Ereignisse begann sich schneller zu drehen. „Ja, Moment..., bei beiden Nummern meldet sich niemand“ „OK, hier herumsitzen bringt nichts, nehmen wir ab jetzt das Schlimmste an. Weißt du, wo er wohnt?“ „Selbstverständlich, er hat ein schönes Haus in den Bergen vor der Stadt. Ich lasse den Helikopter startklar machen“ „Sehr gut! Gib dem Piloten die Adresse, ich fliege hin und schaue mir das aus der Nähe an, irgend etwas muß passiert sein“ „Wieso fliegst du nur hin? Es ist mein Hubschrauber und es ist mein Freund und so wie ich dir helfe, lasse ich auch Jonathan nicht im Stich, also laß uns keine Zeit verlieren“ Ich stand wirklich keinem Jungen mehr gegenüber, so versuchte ich ihm seinen Entschluß auch nicht mehr ausreden und verzichtete auf eine lange Diskussion, „Gut Compañero, aber wenn ich dir sage, daß du den Kopf einziehen sollst, dann spielst du Schildkröte, comprende!“ „Si, schon damals hast du mir so das Leben gerettet“ Bevor wir gingen, öffnete Juan eine Schublade und zu meinem Erstaunen holte er einen alten 45er Colt heraus, der mir ungewöhnlich bekannt vorkam, „Hier, du erinnerst dich vielleicht daran“ Er warf mir die Waffe zu und griff mit der anderen Hand nach einer Schachtel Patronen. „Ist das der Colt von damals? Ich dachte, der wäre im Sumpf mit dem Rest untergegangen und wozu brauchst du überhaupt einen Revolver im Büro, machst du so deine Geschäfte?“ „Nein, er ist seit damals nie wieder benutzt worden, bisher war der Revolver nur ein Andenken an die alten Tage“ 265
Oben angekommen bestiegen wir die Maschine und verließen eilig den Wolkenkratzer. Schnell kamen die Berge näher und mein ungutes Gefühl begann, sich zu steigern, denn mir ging es immer noch zu langsam voran. Ein kleiner Helikopter kreuzte unseren Weg im Tiefflug unter uns, der wegen seiner leuchtend gelben Schwimmer wie ein Insekt aussah und uns deshalb besonders auffiel. „Madre de Dios, der fliegt wie ein Schwein“, schimpfte der Pilot in sein Mikro, den ich jetzt als den jungen Mann erkannte, mit dem ich Lilly abgeholt hatte. „Vielleicht hat er seine Lizenz im Lotto gewonnen, egal ... Was ist das? Juan, da vorne steigt Rauch auf“ „Tatsächlich weißer Rauch,...“, er wurde blaß und hektisch, „...das ist Plunketts Haus!“ „Oh nein, ich habe so etwas befürchtet. Los, wir müssen dichter ran!“ Als wir über dem Haus zu kreisen begannen, sah ich etliche Menschen auf dem Gelände liegen, einige in Tarnkleidung und mit Waffen neben sich, andere trugen dunkle Anzüge und befanden sich in der Nähe eines Kleinbusses mit offenen Türen. Jemand trieb mit dem Rücken nach oben in dem großen Pool, der rechts neben Plunketts Haus war und aus dem der Rauch nun spärlicher aus den oberen Etagen quoll. „Pilot, wir müssen runter und sofort landen“, brüllte ich in die Anlage. „Señor, ich kann hier nicht landen. Es gibt keinen freien Platz, nur der Berg und die Bäume“ „Was ist mit der Straße vor dem Haus?“ „Die ist zu schmal, wenn ich da runtergehen würde, dann kratzt mein Rotor an den Felsen“ „So ein Elend aber auch, immer auf die harte Tour. Pilot, gehen Sie über dem Pool soweit es geht runter und fordern Sie über die Flugleitstelle einige Krankenwagen an. Verstanden?“ „Si, Señor“ Er mußte präzise zwischen dem Haus und den hohen Bäumen absinken, in einem schmalen Korridor, der kaum Platz für Fehler bot. Während ich Juan den Revolver wieder in die Hand drückte, suchte ich von hier oben nach möglichen Bedrohungen am Boden, aber außer den spärlichen Bewegungen einiger Verletzter konnte ich nichts weiter erkennen. „Kennst du den Pool, Juan?“ „Nein..., wieso?“ „Weil ich stark hoffe, daß es kein Kinderbecken ist, sonst wird das gleich eine harte Landung, aber das Sprungbrett da unten ist sicher keine Dekoration, also – let`s do it!“ Ich schob die hintere Tür auf und schaute einige Meter nach unten. Der Boden, oder im dem Falle das Wasser, bewegte sich unter meinen Füßen und obwohl der Pilot bemüht war, die Maschine so ruhig wie möglich zu halten, fiel es mir schwer, einen festen Punkt zu finden. Die aufkommende Übelkeit ließ sich wohl nur schnell 266
loswerden, indem ich absprang und so stand ich auf den Kufen, drehte mich mit dem Gesicht zur Kabine und versuchte,die Mitte des Pools anzuvisieren. „Beeile dich, Gabriel, der Pilot kann die Kiste nicht mehr ruhig halten. Es gibt hier einen zu starken Luftstrom in der Schneise zwischen dem Haus und der Felswand“ „Danke Juan, das merke ich gerade auch“ brüllte ich ihn an, da mein Kopfhörer schon lange auf dem Ledersitz lag. Jetzt ging alles sehr schnell, nur auf die Aktion konzentriert ging ich in die Hocke, hielt mich nur mit der linken Hand fest und drehte mich um neunzig Grad. Dann stieß ich mich mit den Beinen ab und landete kerzengerade, mit einer sensationellen B-Note, an der gewünschten Stelle im Wasser. Nach dem Eintauchen winkelte ich die Beine an und spreizte die Ellenbogen, um meine Geschwindigkeit etwas abzubremsen und so landete ich sanft mit den Knien auf dem Boden, von wo ich mich kraftvoll mit den Beinen abdrückte und nach Rambo-Art an die Oberfläche schoß. Neben mir trieb die Leiche eines Mannes, dessen Rückseite ein kleines, dunkel gefärbtes Loch zeigte. Natürlich sah ich mich nochmals um und suchte besonders das Haus mit seinen Fenstern ab, doch keine Reaktion auf meine Vorstellung folgte. Daß meine Sachen nun am Körper klebten, machte es recht schwierig über die Badeleiter herauszukommen und literweise tropfte Wasser von mir herunter, als ich die ersten Schritte zu einem Mann am Beckenrand lief, der sich im Liegen etwas bewegt hatte und kraftlos mit seiner blutverschmierten Hand winkte. Ich war vorsichtig, denn es konnte Freund oder Feind sein, aber ich sah, daß er keine Waffe mehr hielt und kniete mich neben ihn. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, aber das war nicht so gravierend, auch die Treffer in seinem Oberkörper hatten ihm nur die Luft genommen, da er eine Panzerweste trug. Wesentlich katastrophaler war der Schuß in den Oberschenkel, aus dem in Intervallen das Blut herausquoll und sich schon zu einer großen Lache sammelte. Seine Arterie war getroffen und er lag sicher schon einige Minuten hier, es ging um Sekunden, bevor der Kerl verblutete. Instinktiv preßte der Mann seine Hand auf die Wunde, doch zwischen seinen Fingern rann ihm ohne Erbarmen sein Leben hindurch. „Hallo? Verstehen Sie mich, Señor?“, dabei riß ich sein Kampfmesser aus dem Futteral und schnitt die Hose auf, um davon einige Streifen zu schneiden. „Ja,... Sir, Ohhh...“, seine Augenlider klapperten, ich war kurz davor, den Mann zu verlieren, der Amerikaner zu sein schien, wie ich durch die Aussprache seiner gestammelten Worte vermutete. „Reißen Sie sich zusammen und erzählen Sie mir sofort, was passiert ist, verstanden!“ Er bekam aber kein Wort mehr heraus und kämpfte mit der Bewußtlosigkeit, die immer mehr von ihm Besitz ergriff. Mittlerweile hatte ich eine stabile Schlinge gemacht, die ich über der Wunde anlegte und aus Ermangelung einer Alternative griff ich das M 16 Maschinengewehr und zerlegte es blitzschnell in seine Einzelteile. Den Lauf steckte ich dann in die Schlinge und begann solange zu drehen, bis der Blutstrom versiegte, dann fixierte ich die beiden 267
Enden des Gewehrlaufes mit weiteren Stoffstreifen am Bein, so daß sich die Schlinge nicht mehr aufdrehen konnte. Ein Guerillero wies mich damals darauf hin, wie überlebenswichtig es sein konnte, seine Waffe exakt auseinandernehmen zu können, aber ich glaube kaum, daß er das so gemeint hatte, wie ich es heute zur Anwendung brachte. Inzwischen war der Mann nicht mehr ansprechbar, aber er lebte noch und ich hatte alles getan, was in meiner Macht stand. Jetzt konnte ich ihm nicht mehr viel helfen, so griff ich nach seiner Pistole am Gürtel und schaute mich weiter um. Als ich mich dem Haus näherte, begann mir das Wasser in die Augen zu schießen, der weiße Rauch kam offenbar von keinem Brand, sondern war ein Gemisch aus Tränengas und den Resten einer Rauchbombe, die irgendwo im Haus gelandet sein mußte. Aus diesem Schleier tauchte am Eingang eine bewaffnete Gestalt mit einem Tuch vor dem Gesicht auf und taumelte mir ziellos entgegen. Urplötzlich stand ich vor ihm und erschreckt riß er seine M16 hoch, doch das erwartete ich und stoppte schon seine Bewegung im Ansatz. Nun brauchte ich nur noch den Lauf nach links wegzudrücken und griff nach seinen Hals, um ihn gleichzeitig mit einer Fußtechnik flachzulegen, „Nicht so hastig, mein junger Freund, ich bin einer von den Guten und wer sind Sie?“, diese Ansprache war gerechtfertigt, denn der Mann unter mir hatte kaum mehr als zwanzig Lenze auf dem Buckel. Statt einer Antwort bekam ich vorerst einen Husten aus dem oberen Bereich der offenen Bronchalskala zu hören, dann versuchte er mich durch seine geschwollenen Augen anzusehen, „Was? Ah... Wer sind sie denn?“ „Ein Freund der Plunketts und nun mal raus mit der Sprache“ „Woher weiß ich, daß Sie nicht lügen, Mister?“ „Sie wissen das, weil Sie noch leben, also bekomme ich noch eine Antwort!“ Nach kurzem Überlegen schien ihm mein Argument einzuleuchten, „Mein Name ist Timothy Barkman und ich bin Mitarbeiter der PASO. Unsere Sicherheitsfirma kennen Sie bestimmt, Pan American Security Organisation“ „Schon gehört, die North American Oil and Gas hat Sie hergeschickt, stimmt’s?“ „Yes Sir, unsere Gruppe ist heute morgen hier eingetroffen, wir haben den Sohn der Plunketts mitgebracht und noch bevor wir wußten, worum es geht, hat jemand zugeschlagen. Wissen Sie, es ist mein erster Job gewesen und nun gleich so etwas, völlig unvorbereitet hat es uns erwischt. Kurz nachdem wir mit dem Bus ankamen, fuhr ein Wagen von einem Paketdienst vor und während wir unser Equipment ausluden, ging alles ganz schnell. Das Tränengas und der Rauch machten uns orientierungslos, eine leichte Beute für die Männer, die aus dem Lieferwagen stürmten. Mich haben die Kerle im Haus erwischt und niedergeschlagen, ich sah vorher gerade noch, wie ein Hubschrauber auf dem Pool gelandet ist und Mistress Plunkett mit ihrem Sohn hineingezerrt wurde“ „Ein Helikopter ist auf dem Pool gelandet? Vielleicht mit gelben Schwimmern?“ „Das stimmt Sir, woher wissen Sie das?“ Seine Verwunderung konnte ich gut verstehen. 268
„Das war nur eine blöde Ahnung, Mister Barkman. Wissen Sie auch, was aus Mister Plunkett geworden ist?“ „Nein, leider nicht, ich habe ihn nicht gesehen“ Im Hintergrund waren schon die Sirenen der Helfer zu hören und ich hatte erst einmal genug gehört, um das mit Sicherheit den Lemuren das zuschreiben zu können, „OK, das reicht erst einmal, geht’s Ihnen wieder besser?“ „Danke Sir, ich lebe noch und mit dem Atmen wird es auch schon wieder“ „Sie sind ein zäher Bursche, Mister Barkman. Gleich kommen die Krankenwagen, weisen Sie die Ärzte ein und sorgen Sie dafür, daß der Mann dort am Pool als erster abtransportiert wird, er hat noch gelebt. Ich suche in der Zwischenzeit nach Mister Plunkett, verstanden?“ „Yes Sir“, er rappelte sich auf und taumelte immer noch halb benommen zu meinem Patienten, da fiel mir noch etwas ein. „Mister Barkman, wenn ein Mann namens Juan Rubio hier auftaucht – nicht umlegen, das ist ein Freund“ Mit einem Fetzen Stoff vor dem Gesicht betrat ich das Haus und suchte mit verschwommenen Augen nach dem Amerikaner, wobei ich jedes Fenste,r an dem ich vorbeikam, öffnete, um das Gas abziehen zu lassen. Mehrere Leute fand ich dabei und brachte sie nach draußen, dann war ich endlich erfolgreich. Plunkett lebte, er saß gefesselt an seinem Schreibtisch und war durch die geschwollenen Augen und eine kleine Wunde am Kopf gezeichnet. Auch ihm hatte das Gas zugesetzt und es dauerte, bis er mich verstand, „Mister Plunkett! Sind Sie in Ordnung?“ „Oh Gott... Mister Kronau! Diese Leute... haben meine Familie mitgenommen. Was ist draußen passiert?“ „Es sieht nicht sehr gut aus, aber einige von den Sicherheitsleuten haben überlebt und auch das Personal scheint unverletzt“ „Oh... wenigstens das“, nachdem ich ihn nebenbei befreit hatte und zum Fenster brachte, ging es ihm langsam besser und wir sahen von dort, wie die ersten Krankenwagen in die Auffahrt fuhren. „Sie sehen, die Hilfe kommt schon, Mister Plunkett, gleich wird sicher auch die Polizei erscheinen. Dann werden wir kaum noch reden können, aber ich habe eine Vermutung, wer hinter dieser ganzen Sache steckt und wenn sie möchten, kann ich das in der Zwischenzeit überprüfen“ „Sicher, ich will nur meine Familie wiederhaben, wer sind diese Mistkerle?“ „Alles zu seiner Zeit, Mister Plunkett, unbestätigte Gerüchte helfen in der Sache nicht weiter, aber ich verspreche Ihnen, daß Sie es als Erster erfahren werden, wenn ich etwas gefunden habe. Können Sie mir kurz erzählen, was heute vormittag geschehen ist?“ „Sicher kann ich das und ich verlasse mich auf Ihr Versprechen. Diesen Tag werde ich bestimmt nicht vergessen. Als ich im Büro war und nervös wartete, bis ich in den Park fahren konnte, rief dieser Anwalt an und änderte plötzlich unsere Verabredung. Ich sollte mich sofort mit ihm bei mir zu Hause treffen und meine Frau würde darunter leiden, wenn jemand davon erfuhr. 269
Natürlich war ich zuerst in Panik, aber da ich wußte, daß irgendwann am Vormittag die PASO- Leute mit meinem Sohn eintreffen würden, rechnete ich mit dieser Verstärkung und vielleicht war das sogar eine Gelegenheit, dem Kerl selbst Angst zu machen“ „Das scheint wohl nicht ganz funktioniert zu haben, Mister Plunkett“ „Das weiß ich jetzt leider auch, Mister Kronau. Jedenfalls, nachdem ich eingetroffen war, habe ich genau das befolgt, was wir gestern besprochen haben. Doch dieser Anwalt machte mir dabei einen sehr desinteressierten Eindruck und stellte nur weiterhin seine unverschämten Forderungen. Dann klingelte sein Handy und er führte ein Gespräch, während ich sah, daß mein Sohn eintraf. Natürlich wollte ich raus, um ihn zu begrüßen und mit dem Einsatzleiter zu sprechen, aber ehe ich mich versah, bekam ich einen Schlag auf den Kopf verpaßt. Gleich darauf war ich schon gefesselt und draußen begann das Inferno, das damit endete, daß sie mir meine Familie weggenommen haben“ „Ich verstehe, aber so schlimm das auch ist, sie sind sicher am leben, denn solche Leute passen auf ihr Faustpfand besonders gut auf. Können Sie mir diesen Anwalt etwas näher beschreiben?“ „Den Kerl werde ich sicher auch nicht vergessen, denn wie ein typischer Anwalt sah er ganz bestimmt nicht aus. Er ist ein großer Mann um die fünfzig mit grauen Haaren und einem Bart, der schon durch seine Erscheinung bedrohlich wirkt“ Das ging mir genauso, als ich Miguel Almera das erste Mal gesehen hatte und ich zweifelte nun kaum, daß dieser Anwalt und der ehemalige NATO-Offizier die gleiche Person waren. Zwar wunderte ich mich, daß er selbst hier erschien und in den Vordergrund trat, zumal diese Leute offensichtlich vorher immer in ihr bürgerliches Leben zurückkehrten, aber auch Gondoni hatte ja sein Verhalten geändert. Sicher ließ sich später eine definitive Bestätigung von Almera´s Identität erbringen, indem man Plunkett ein Foto von ihm zeigte und das hatte ich immer noch durch Connys akribische Nachforschungen auf meinem Notebook. Vorerst erschien es mir jedoch nicht ratsam, dem aufgebrachten Amerikaner irgendwelche Details zu nennen, da sicher eine Befragung durch die Polizei bevorstand, bei der man sich sehr leicht versprechen konnte und niemand wußte, wer sonst noch mithörte. „Gut, Mister Plunkett, damit kann ich vielleicht etwas anfangen, hat man Ihnen irgendwelche Anweisungen gegeben?“ „Ja, der Kerl erklärte sie mir seelenruhig, als er mich auf dem Stuhl fesselte. Ich könne ruhig über die Entführung mit der Polizei reden und dabei auch das Lösegeld erwähnen, aber wenn ich etwas von dem Ölfeld erzählte, dann bekomme ich meine Familie in Einzelteilen wieder“, vor Wut schlug er jetzt auf die Tischplatte und ballte seine Fäuste. „Ruhig, Mister Plunkett, ich verstehe Sie gut, aber wenn es auch unerträglich schwer fällt, Sie müssen jetzt die Nerven behalten“ „Sie verstehen mich? Was wissen sie denn schon, wie es einem geht, wenn alle Menschen, die man liebt, in Todesgefahr schweben?“ 270
„Vielleicht mehr als Sie denken würden,... wieviel Zeit hat man Ihnen gelassen, um die Forderungen zu erfüllen?“ „Ich werde heute abend noch in die Staaten fliegen, um mit dem Aufsichtsrat persönlich wegen der Forschungsergebnisse und dem Lösegeld zu verhandeln, aber das Ergebnis kenne ich jetzt schon. Übermorgen früh soll ich wieder hier eintreffen und dann nehmen diese Leute wieder Kontakt zu mir auf. Bitte, Mister Kronau, helfen Sie mir, so wie Sie Juan damals geholfen haben. Ich weiß sonst nicht mehr weiter“, er faßte nach meinem Arm und verkrallte sich beinahe darin. „Mister Plunkett, ich bin schließlich kein Geiselbefreiungsteam oder die Delta Force. Alles was damals passierte, ist doch mit dieser Situation nicht vergleichbar und so, wie die Dinge hier liegen, kann ein Mann sowieso nichts ausrichten. Versuchen Sie, ihre Partner zu überzeugen, ihre Forschungsberichte herauszugeben, diese Kidnapper können doch nur etwas damit anfangen, wenn sie beginnen würden, das Feld zu erschließen – oder die Unterlagen zu verkaufen, doch damit verraten sie sich. Versuchen Sie zu zahlen, dann bekommen Sie sicher Ihre Frau und Ihren Sohn wieder. Kein Geld ist das Leben eines Menschen wert“ Er stand mir mit aschfahlem Gesicht gegenüber und ich wußte genau, was in ihm vorging, „Ich verstehe, Mister Kronau. Sie können mir glauben, daß ich alles versuchen werde, um meine Familie wiederzubekommen“ Vor der Tür hörte ich Schritte, dann stürzte Juan ins Zimmer, „Jonathan! Ein Glück, du lebst wenigstens. Draußen ist gerade ein Polizeioffizier angekommen, er wird jeden Moment hier sein“ Jonathan Plunkett wirkte abwesend, aber trotzdem behielt er sich im Griff und es schien, daß die nun anstehenden Formalitäten ihm halfen, die Fassung zu bewahren, „Danke Juan, ich kümmere mich darum. Im Laufe der Zeit habe ich einige Kontakte zu der Polizeibehörde geknüpft und werde versuchen, alles so diskret wie möglich abzuwickeln. Publicity kann ich jetzt nicht gebrauchen. Mister Kronau, vielleicht bekommen Sie doch noch rechtzeitig etwas heraus“ „Das hoffe ich auch, Mister Plunkett“ Nachdem er aus dem Zimmer war, informierte ich Juan über das, was ich von Plunkett erfahren hatte und auch er teilte meine Einschätzung bezüglich der Terroristen. Allerdings blieb uns nicht viel Zeit dabei, denn wenig später mußten wir ebenfalls mit der Polizei sprechen und es verging fast eine Stunde, bevor wir unsere Aussagen beendeten, die Juan und mich als zufällige Besucher erscheinen ließ. Der Bericht von Mister Barkman und natürlich die Aussage von Jonathan Plunkett stützte dies, auch wenn es dem Offizier merkwürdig erschien, wie ich auf das Grundstück gelangte. Trotzdem lag auf der Hand, daß wir an der Sache unbeteiligt waren und mit der Auflage, den Behörden zur weiteren Klärung zur Verfügung zu stehen, wurden wir entlassen. Schnell verließen wir diesen unheilvollen Ort und während des Fluges zum Haus war mein Freund ernst und grübelte unablässig nach, „Was ist los mit dir, Juan?“ „Das vorhin hat mich alles an Kolumbien erinnert. Ich dachte, ich wäre darüber hinweg, aber für einige Augenblicke erlebte ich genau die gleichen Gefühle wie vor acht Jahren. Wie schaffst du das nur jedesmal, die Nerven zu behalten?“ 271
Das war wirklich eine gute Frage, auf die ich selbst kaum eine Antwort fand, „Glaub mir, das sieht nur so aus und ich bin froh, daß niemand in mich hineinschauen kann, denn dann würde mir das beste Pokerface nichts mehr nützen. Eigentlich gibt es in solchen Situationen nur zwei Möglichkeiten, entweder du schaust weg und lebst den Rest deines Lebens mit den Konsequenzen, oder du handelst eben, auch auf die Gefahr hin, dafür bezahlen zu müssen. Jeder muß das für sich selbst entscheiden und ich denke, niemand hat dann das Recht, diese Entscheidung eines anderen zu kritisieren“ „Das hört sich so einfach an. Ich treffe auch jeden Tag Entscheidungen und manchmal bereue ich sie auch, aber in solchen Situationen wie vorhin würde ich wohl immer Angst haben“ „Genau wie ich, man darf nur nicht daran denken, sonst kreisen die Gedanken immer darum, was oft genau in die Katastrophe führt. Wie ich gerade schon gesagt habe, wenn die grundsätzliche Entscheidung einmal getroffen wurde, dann braucht man sie später nicht mehr in Frage zu stellen, sonst wird man dann unsicher, wenn man es am wenigsten braucht“ „Ja, ich glaube, da hast du recht, aber dazu muß man schon eine Menge Erfahrung haben und schwer bleibt es trotzdem immer noch“ „Das wird sich wohl auch nie ändern, Juan“ Der Rest des Fluges war ungewöhnlich schweigsam. Viele Fragen schwebten in unseren Köpfen und keine Antworten leisteten ihnen Gesellschaft. Kurz vor der Landung hatte ich jedoch genug Zeit gehabt, um von diesem Ereignis loszukommen und es schob sich bei mir eine alte Idee wieder in den Vordergrund, „Juan, ich habe eine Bitte an dich. Du weißt, daß ich noch heute die Pläne der Yacht von Valdez bekommen werde und was hier auch geschehen mag, in einigen Tagen werde ich Anne in Barbados von dort herunterholen. Jetzt ist auch noch Plunkett dazwischengekommen und ich habe eine moralische Verpflichtung dem Doktor gegenüber, soviel wie möglich zu erfahren, was er verwenden kann. Für diese beiden Sachen brauche ich einen freien Kopf und kann mich nicht um Lilly kümmern. Deshalb würde ich ihr gerne eine sinnvolle Aufgabe geben, bei der sie voll und ganz beschäftigt ist, ohne mir großartig in die Quere zu kommen“ „Also, wenn du denkst, daß ich mich um sie kümmere, da hast du meinen Terminkalender noch nicht gesehen“ „Nein, du natürlich nicht, ich meinte vielmehr den jungen Mann, der uns durch die Gegend fliegt. Lilly ist dann garantiert abgelenkt und bekommt dazu noch mehr Praxis“, ich zwinkerte ihm dabei zu. „Ach so! Ich war ja immer dafür, junge Talente zu unterstützen, das geht schon klar“ „Danke, dann wäre eines von den tausend Probleme schon erledigt“ „Siehst du – aufsteigende Tendenz“, jetzt lächelte Juan sogar schon wieder. Irgendwie war ich froh, als die Hazienda wieder in Sichtweite kam, denn sie war für mich wie ein Hort der Ruhe, doch da täuschte ich mich gewaltig, denn nachdem wir gelandet waren, erwartete uns Randall schon an der Treppe. Jonathan Plunkett hatte sich gemeldet und um dringenden Rückruf gebeten. Es roch förmlich danach, daß etwas passiert war und so sicher wie das Amen in der Kirche würde es nichts Gutes sein. 272
Den Anruf erledigte Juan im Arbeitszimmer und kam dann wieder zu mir, ich hatte in letzter Zeit immer mit den Hiobsbotschaften recht und auch jetzt war es wieder einmal soweit, „Gabriel, du wirst nicht glauben, was geschehen ist“ „Das werde ich sicher, darauf kannst du Gift nehmen, denn ich sehe in deinem Gesicht, daß du keine Späße machst“ „Plunketts Forschungsschiff ist in der Karibik gekapert worden“ Juan stand kurz davor, doch recht zu haben, denn zwar konnte ich seinen Worten glauben, aber ich wollte es nicht, „Nein! Nicht auch noch das, wie viele Menschen sind auf dem Schiff?“ „Jonathan sagte auf der „Framke“ seien insgesamt dreiundzwanzig Besatzungsmitglieder, eingeschlossen das Forschungspersonal. Dafür wollen die Terroristen noch zusätzlich zwanzig Millionen Dollar und bis übermorgen um neun Uhr hat er Zeit, um aus den Staaten mit dem gesamten Geld wieder zurück zu sein. Er hörte sich nicht gut am Telefon an und,... und ich fürchte, das ist noch nicht alles gewesen“, er machte ein Gesicht, das mich nun schon nicht mehr beunruhigen konnte, denn das war ich schon längst. „Ich sage dir das bestimmt nicht gerne, aber Jonathan will im Notfall den Terroristen deine Identität mitteilen, wenn er die Chance sieht, seine Familie dadurch freizubekommen“ Für eine winzige Sekunde stand ich da und war zu keiner Reaktion in meinem Körper fähig. Ungläubig starrte ich Juan an und ging jede Silbe in seinen Worten durch, um den Sinn zu erfassen, aber es gelang mir nicht, „W... Was?“ Urplötzlich begriff ich ihn dann doch und ließ meinen Freund stehen, rannte vorbei an Randall, mit dem ich beinahe zusammengestoßen wäre, und schnappte mir das nächste Telefon. Juan folgte mir, vielleicht dachte er, ich würde durchdrehen und müßte vor mir selbst geschützt werden, aber das hätte er lieber von seinem Freund Jonathan vermuten sollen, den ich nun sofort anrief, „Plunkett, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Was soll dieser Mist mit dem Deal, wissen Sie überhaupt, was Sie damit anrichten können?“ Erst nach einer Pause bekam der Amerikaner seine Antwort heraus, „Was soll ich denn machen, Mister Kronau. Bitte glauben Sie mir, wenn ich nicht so verzweifelt wäre, würde ich dies niemals in Erwägung ziehen. Aber genauso wie Sie weiß ich auch, daß meine Familie nur dann frei kommt, wenn ich die Unterlagen aushändige und die wird mir der Aufsichtsrat nie geben. Außerdem hat sich die Situation durch die Kaperung der „Framke“ zusätzlich noch verschärft und noch mehr Menschenleben stehen auf dem Spiel. Was habe ich sonst noch anzubieten, außer dem Wissen, daß Sie hergekommen sind, um nach diesen Verbrechern zu suchen, oder liege ich da so falsch? Mir ist nur noch wichtig, meine Frau und meinen Sohn wiederzubekommen, Sie müssen mich verstehen, bitte!“ „Das Schlimme ist, daß ich Sie verstehe, aber auch wenn Sie reden wäre die Information nicht so wertvoll, daß diese Leute dafür auf das Geld verzichten. Sie richten nur Schaden an und würden sicher keinen Nutzen daraus ziehen, also lassen Sie es“ 273
„Mister Kronau, ich will Sie nicht unter Druck setzen und deshalb habe ich es auch Juan gesagt, was ich vorhabe. Es soll nicht so aussehen, als würde ich Sie gerne ans Messer liefern, aber meine Entscheidung bleibt bestehen, weil ich keine Wahl habe. Einzig versprechen kann ich Ihnen, daß ich solange warte, bis ich keine andere Möglichkeit mehr habe und das wäre, wenn ich mit der Geldzahlung keinen Erfolg bei den Entführern hätte. Wenn Sie es in der Zwischenzeit schaffen, mir aus der Sache zu helfen, dann stehe ich nicht vor dieser Entscheidung. Sie haben es selbst in der Hand, es tut mir leid, Mister Kronau“ „Mir auch, Mister Plunkett, mir auch“, damit beendete ich eines der unangenehmsten Telefonate, das ich je führen mußte. Ich konnte einfach nicht mehr mit ihm reden und Juan sprach noch mal mit Plunkett, um einige Details von dem Forschungsschiff zu erhalten, während ich mich zu beruhigen suchte. Ich selbst wußte, daß es einer meiner Charakterfehler war, allergisch auf Leute zu reagieren, die mich zu Sachen zwingen wollten, in die ich nicht verwickelt werden wollte. Es dauerte deshalb eine Weile, bis ich mir klarmachen konnte, daß bis übermorgen noch nichts geschehen würde und ich die verbleibende Zeit zu meinen Gunsten nutzen konnte. Trotzdem blieb der bittere Beigeschmack, daß Plunkett rücksichtslos versucht hatte, diese Sache zu meiner Angelegenheit zu machen und er schaffte es auch, auf diese menschlich verständliche unfaire Art. Valdez wurde von Juan telefonisch angewiesen, alle Informationen über die „Framke“ und das Seegebiet ihrer letzten Position zu besorgen und ich machte mich daran, mit einem Tee über diese Krise zu kommen. Erstaunlicherweise half das auch und anstatt mich weiter zu ärgern, hielt ich es erst einmal für das Beste mit dem Doktor zu sprechen, was sich wegen der Brisanz einige Zeit hinzog, „...Rosenkavalier, Sie meinen es könnte Almera gewesen sein?“ „Die Beschreibung stimmt jedenfalls auffallend. Ich will mir aber noch die Bestätigung von diesem Idioten Plunkett holen, wenn er wieder hier ist“ „Seien Sie nicht so hart, der Mann hat einfach Angst und das können Sie ihm nicht vorwerfen. Wenn Sie eine ruhige Minute haben und sich das mal überlegen, werden Sie mir sicher zustimmen“ „Ja, ich weiß das selber und es geht ja auch schon wieder“ „Stürmische Emotionen sind eben ein Vorrecht der Jugend, ich weiß, daß Sie sich schon wieder im Griff haben. Viel mehr besorgt mich der Zufall, daß Sie so schnell auf die Lemuren in Venezuela gestoßen sind, da hatten Sie mehr als Glück, aber warum soll das nicht auch mal passieren. Endlich kommt Bewegung in die Angelegenheit, obwohl sich durch die Entführung und das besetzte Schiff alles extrem zuspitzt. Als erstes werde ich mich mit meinen Vorgesetzten in Verbindung setzten. Die Aussicht, an Almera heranzukommen, sollte doch genügen, um etwas mehr Unterstützung zu bekommen, aber das sind Politiker und bei denen weiß man selten, was sie im Schilde führen“ „Da haben Sie recht, Doc, vielleicht können Sie ja etwas erreichen“ „Gut, Kronau, im Moment sind Sie der wichtigste Mann vor Ort und ich zähle auf Sie. Leider kann ich nicht gleich selber nach Venezuela hochkommen, weil ich an der 274
Unidad Federal dran bin. Der Firmenboß scheint zwar sauber zu sein, aber ich spüre, daß dieser Bartolome Diaz etwas zu verbergen hat, deshalb muß ich hier weitergraben, aber wir bleiben in Verbindung. Spätestens morgen früh wissen wir sicher etwas Neues aus Berlin, bis dahin, Over and Out“ „Viel Glück, Doc. Rosenkavalier Ende“ Der Doktor sagte, „...wissen wir sicher etwas Neues...“, ob das jedoch besser war, stand noch in den Sternen. Irgendwie mußte es trotzdem weitergehen und das beste Mittel gegen übermäßiges Grübeln und extremes Ärgern war, sich mit einer Beschäftigung abzulenken. Diese bestand für mich erst einmal im Genuß von frischem Gebäck aus der Küche und dem Studieren der eingetroffenen Pläne von Fortunatis Yacht, denn für mich war und blieb das mein Hauptziel. Dabei stellte ich beinahe schon erstaunt fest, wie sich in mir die Wogen glätteten, wenn ich an Anne dachte, und jeglicher Ärger um mich nur noch einen diffusen Charakter annahm. Ohne mich darüber zu wundern, führte ich ein Zwiegespräch mit ihr, versuchte meine Handlungsweise zu erklären und hoffte, daß sie mir recht gab, doch es blieb stumm im Zimmer und so trug ich die Last der Entscheidung weiterhin alleine. Trotzdem ging es mir jetzt besser, denn in Wirklichkeit war ich nicht alleine in diesem Raum und das gab mir die Stärke für alles, was auf mich zukam. Ein Bote brachte die angeforderten Seekarten und ich zog aus Platzgründen in die große Bibliothek um, die durch meine hektische Betriebsamkeit den Charakter eines kleinen Krisenzentrums angenommen hatte. Die letzte Position der „Framke“ lag fast genau zwischen Puerto Rico und der Küste von Venezuela über einem ausgedehnten Tiefseebecken. Nach Lage der Dinge hatte Almera die Wahl, das Schiff in internationalen Gewässern liegen zu lassen, oder er verschwand irgendwo unter die Küste. Dort patrouillierten zwar einige Schnellboote, aber da hier keine europäischen Verhältnisse waren, blieb das sicher ein kalkuliertes Risiko. Seit der letzen Meldung war kein Lebenszeichen mehr zu hören und Plunkett erhielt die Aufforderung, nicht selbst nach dem Schiff zu suchen. Jedes Flugzeug, das sich ihm näherte, konnte von den Terroristen mit Boden-Luft-Raketen bedroht werden und deshalb verzichtete der Amerikaner darauf, seinen Firmenjet loszuschicken. Das war schon alles, was von Plunketts Aktivitäten bekannt war, und ich selbst gab mich nur einer Analyse der Gesamtsituation hin, die für mich nicht berauschend aussah. Juan gesellte sich dazu und wir standen gerade über eine Karte gebeugt, als unser Pilot von vorhin ins Zimmer trat und zaghaft an die offene Holztür klopfte, „Señores, darf ich Sie für einen Moment stören?“ Wir blickten kurz auf und Juan winkte den Mann zu sich, „Sicher Cristobal, kommen Sie näher“ Auch ich schaute hoch und sah in dem Gesicht ein seltsames Wechselspiel von Verlegenheit und einem unterdrückten Grinsen, das mich sofort neugierig machte. „Señores, ich habe mir erlaubt, einen Freund aus meiner Militärzeit anzurufen und nach den heutigen Aufzeichnungen der Luftüberwachung zu fragen. Sie werden das 275
hoffentlich entschuldigen, aber ich habe mich so über diesen Kerl mit seiner gelben Maschine geärgert. Nun sind mir einige Gerüchte zu Ohren gekommen, daß in dem Helikopter die Verbrecher von heute mittag waren und da hielt ich es für doppelt wichtig, mich darum zu kümmern“ , ein schelmisches Leuchten seiner Augen begleitete seinen Vortrag. Juan sah mich an und ich nickte nur, „Gute Arbeit, Cristobal. Ich mag Leute mit Eigeninitiative und was haben Sie herausgefunden?“ Der Mann schien gerade noch ein Stück gewachsen zu sein, obwohl er sicher nicht der kleinste war, dazu Latino durch und durch, mit schwarzen, kurzen Haaren und den typischen dunklen Augen. Es war zu verstehen, warum Lilly nichts gegen einige Flugstunden hatte und auch an Selbstbewußtsein mangelte es ihm im Moment nicht, denn er wußte ganz genau, daß jetzt alle Ohren auf ihn gerichtet waren, „Die Maschine flog auf die offene See in Richtung der Insel Tortuga und verschwand danach vom Radar“ Sofort schaute ich mir die Karte an und überschlug den möglichen Kurs, sollte mir der Zufall in Form eines diensteifrigen, jungen Piloten einen entscheidenden Hinweis zugespielt haben? „Gut gemacht, Señor..., darf ich nach Ihrem Namen fragen?“ „Cristobal Avialo, Señor Gonzales“ „Sie haben ausgezeichnet reagiert, Señor Avialo. Gehen Ihre Kontakte so weit, daß Sie mir die gleichen Informationen über die Isla Margerita besorgen können?“, nach dem Blick in die Karte hatte ich eine Inspiration, die sich zu überprüfen lohnte. „Nicht sofort, aber ich könnte nachfragen, Señor“ „Bitte machen Sie das, es ist sehr wichtig und danke nochmals für Ihre Information“ Er nickte freudestrahlend und verschwand augenblicklich wieder. „Juan, ist diesem Mann zu trauen?“ „Cristobal arbeitet seit über einem Jahr bei uns. Er war vorher beim Militär und hat sich bisher als sehr zuverlässig erwiesen, also, ich würde sagen, er ist in Ordnung“ „Zwei Quellen sind besser als eine und eine Quelle ist besser als nichts. Solange ich keinen Grund dazu habe, werde ich dem Mann nicht mißtrauen und hoffen, daß dies kein Fehler war“ „Gabriel, soweit ich das beurteilen kann, machen wir keinen Fehler“ Über eine halbe Stunde sah ich mir nun unter Einbeziehung der neuen Erkenntnisse die Seekarten an und versuchte mir vorzustellen, wie die Entführung heute abgelaufen war. Entfernungen und Reichweiten, beides eingepaßt in den bekannten Zeitrahmen. In mir dämmerte schon einiges, aber es war vage und damit begab, ich mich auf solch dünnes Eis, daß es eine Feder durchschlagen könnte. Im Haus hatte sich unterdessen eine mystische Spannung verbreitet, die von Juan´s und meinem Verhalten ausgelöst wurde. Scheinbar merkten alle, daß irgend etwas in der Luft lag, was aber nur zu erahnen und ausnahmslos für die Eingeweihten faßbar war. Dazu gehörte auch Carlos Rubio, der sich bei unserer Ankunft nicht täuschen ließ, und jetzt mit Donna Elena, Doktor Martinez und den Enkelkindern, die heute zu Besuch waren, im Garten zusammensaß. 276
Juan pendelte unterdessen zwischen der Bibliothek und seinem Arbeitszimmer in der ersten Etage, das bis zum heutigen Tage kaum benutzt worden war, und sprach mit Valdez und einer Sekretärin, die extra aus dem Büro geholt wurden. Damit stellte er sicher, daß seine Geschäfte nicht ganz zum Erliegen kamen, denn der Gedanke, einfach nur im Büro zu sitzen, sagte ihm im Moment überhaupt nicht zu. Ich hingegen war die ganze Zeit nicht aus der Bibliothek herausgekommen und merkte über meiner Planung kaum, daß die Zeit rasend verging. „Hi Boß, was ist los, die sind alle so angespannt, wie auf einer Schafauktion in Corban“, Lilly stand plötzlich hinter mir und brachte mich in die Realität zurück. „Das kannst du laut sagen, Lilly. Hast du alles bekommen, was du auf deiner Liste hattest?“ „Ja, fast alles, es fehlen noch ein paar Kleinigkeiten, aber die bekomme ich schon und Francesca ist auch echt smart. Jetzt spann’ mich aber nicht auf die Folter, was ist passiert?“ Lilly bekam von mir die Kurzfassung der heutigen Begebenheiten zu Gehör und zeigte sich nach der ersten Bestürzung wie erwartet freudig erregt, als ich ihr von den Flugstunden erzählte. Natürlich bestand sie sofort darauf, mit mir Plunkett zu helfen, aber genau das wollte ich ja unbedingt vermeiden. Sollte sie sich mit Señor Avialo in die Höhe begeben und ich kümmerte mich um den Rest. Überraschend piepste das Satellitentelefon des Doktors und irritiert vernahm ich seine Stimme, „Hier Don Carlos. Sitzen Sie Kronau? Ich habe schlechte Nachrichten für Sie und gute Nachrichten für uns beide, was darf es denn zuerst sein?“ Ich ahnte Schlimmes, „Verpassen Sie mir ruhig die nächste Nachricht, die ich nicht hören will, Doc“ „Also gut, wie sie wollen. Das U-Boot hat den Kurs geändert und läuft in die karibische See“ „Verdammt! Warum denn das?“ „Tja, die Umstände, Kronau. Die „Framke“ ist ein norwegisches Schiff, das von der North American Oil and Gas gechartert wurde. Da unsere Unterwassereinheit am dichtesten an ihrer letzten Position in der Karibik ist, unterstützt die Marine ein norwegisches Spezialteam mit dem U-Boot und einer kleinen KSK-Einheit, die im Notfall helfen, das Schiff zu befreien. Ich denke, daß es im Rahmen von europäischen Sicherheitsverträgen ein Abkommen über gegenseitige Hilfe gibt, jedenfalls ist eine Herkules schon in der Luft und wird in ungefähr neun Stunden auf Puerto Rico landen“ „Na gut, ich verstehe schon, dreiundzwanzig Menschenleben auf der „Framke“, gegen drei auf der Yacht, das ist eine einfache Rechnung“ „So ist es ja auch nicht, Kronau. Mein Agent ist immer noch an Bord und es sind kaum mehr zwei Tage bis Fortunatis Yacht in Barbados eintreffen wird, die Gefahr ist minimal für Ihre Freundin. Mehr können wir nicht tun, aber mehr brauchen wir auch nicht zu tun, aber es scheint sich zu lohnen“ „Was scheint sich zu lohnen?“ „Ich habe Ihnen doch von dem Boß der U.F.S.A. erzählt, Bartolome Diaz. Er scheint eine Reise zu planen und nun raten Sie mal wohin?“ „Ach Doc, Sie mit Ihren Ratespielen. Ich weiß nicht, Barbados?“ 277
„Genau richtig geraten, leider haben Sie dafür nichts gewonnen, aber wenigstens wissen Sie nun, daß ihre Entscheidung, mir in dem Punkt zu Vertrauen, richtig war, denn möglicherweise kommen wir so an die Lemuren“ „Das macht mich zwar nicht ruhiger, aber ich muß es wohl so hinnehmen“ „Sie müssen nicht, doch es ist der einzige Weg, um heil aus dieser Sache herauszukommen und damit meine ich uns alle. Vielleicht beruhigt es Sie, daß ich wegen Bartolome Diaz schon morgen in Barbados eintreffen werde, also lange genug, bevor Fortunatis Yacht einläuft, und ich werde mein Versprechen, Ihnen bei der Befreiung zu helfen, halten können“ „Ich nehme an, das war dann die positive Nachricht, die Sie mir sagen wollten“ „Nicht ganz Kronau, diese Spezialeinheiten brauchen ein ziviles Transportmittel zum U-Boot, können Sie das organisieren? Durch den Maulwurf trauen wir kaum unseren eigenen Leuten, aber wer weiß, ob die Amerikaner nicht auch infiltriert sind und da ist das Risiko zu groß, sie zu fragen. Der Minister will nicht, daß dadurch die Aktion im letzten Augenblick durch Verrat gefährdet wird“ „Und das soll die gute Nachricht sein? Ich werde sehen, was ich bekommen kann, aber irgendwie schaffe ich das schon“ „Gut, sagen Sie mir Bescheid und ich koordiniere alles notwendige für den Transport und natürlich war das nicht die gute Nachricht, sondern, daß die KSK-Einheit Spezialausrüstung für uns mit dabei hat, die Sie für mich in Empfang nehmen. Wenn wir uns dann in Barbados treffen, können wir sie für Fortunatis Yacht verwenden, obwohl das Material eigentlich benutzt werden soll, falls Bartolome Diaz wirklich ein Mitglied der Lemuren ist. Dann kann ich gegebenenfalls sofort losschlagen“ „Das nenne ich wirklich mal eine gute Nachricht, damit ist der Tag doch noch etwas gerettet. Allerdings gibt es zwei Punkte in diesem tollen Plan, die mir noch unklar sind, nämlich woher das U-Boot weiß, wo die „Framke“ überhaupt ist und was wird aus Plunketts Familie?“ „Kronau, Sie finden auch immer ein Haar in der Suppe, allerdings haben Sie leider genau die Schwachpunkte erkannt. Wir spekulieren damit, das die „Framke“ von einem vorbeifahrenden Schiff identifiziert wird, dazu suchen natürlich auch venezolanische Jets nach ihr und haben wir sie wirklich gefunden, dann können wir mit der letzten bekannten Position sogar einen Kurs berechnen. Der stimmt dann zwar nur, wenn die „Framke“ nicht die Richtung ändert, aber wir können unser U-Boot zumindest in die Nähe bringen. Weitaus schwieriger ist das mit Mister Plunketts Familie. Es ist eine Sache der Zuständigkeit und die haben wir nicht. Für uns sind die Norweger wichtig, aber es könnte möglich sein, daß die Plunketts auch auf das Schiff gebracht wurden, um alle Geiseln an einen Punkt zu bringen. Dann können wir zwei Fliegen mit einer Klappe erledigen, aber deshalb kommen unsere Jungs und die norwegische Spezialeinheit nicht her“ „Klar, die kümmern sich verständlicherweise um das Schiff. Ich weiß, die Amerikaner sind über das State Departement von Plunketts Firma in Kenntnis gesetzt worden, dann wird sich wohl der CIA der beiden Geiseln annehmen, oder?“ 278
„Wahrscheinlich, aber seit wann erfahren wir was vom CIA? Soweit gehen meine Informationen nicht und ehrlich gesagt, habe ich mit meinem Job alle Hände voll zu tun. Allerdings steht eines fest - Wenn wir die „Framke“ befreien und die Geiseln nicht an Bord sind, dann kann niemand mehr für ihr Leben garantieren“ „Dann wollen wir hoffen, daß sie an Bord sind, oder die CIA ganz schnell ihre Arbeit erledigt, anderenfalls,... denken wir lieber nicht soweit“ Wir sprachen noch über einige Details und verblieben, daß ich mich bei ihm wegen des Transportes des Spezialkommandos melden würde. So hatte ich mehr Sorgen dazubekommen und nichts war weniger geworden, aber es hätte auch schlimmer kommen können, nämlich so wie es jetzt kam, denn Cristobal Avialo betrat wieder die Bibliothek, „Señor, wir haben leider eine Niete gezogen. Die Isla Margarita hat keinen unplanmäßigen Flugverkehr auf dem Radar beobachtet“ Zuletzt stirbt die Hoffnung, langsam sollte ich schwarz tragen. „Danke Señor Avialo, halten Sie sich bitte bereit. Wir werden Ihre Dienste bald brauchen“ Er verließ genauso enttäuscht den Raum, wie ich mich fühlte, dafür kam Juan hinein und sah mich fragend an, „Schlechte Neuigkeiten?“ „Das wird sich noch zeigen, weißt du, woher ich einen Transporthubschrauber bekomme, der ungefähr zehn Mann und entsprechend Ausrüstung aufnehmen kann?“ Lange brauchte er nicht zu überlegen, „Sicher, in einer halben Stunde kannst du ihn dir auf dem Flughafen abholen. Wir haben vor kurzem einen großen Sikorsky S-92 erworben, um bequem in die verschiedenen Filialen zu reisen, allerdings ist das ein fliegendes Büro und kein Transporter“ „Macht nichts, wenn ich den bekommen kann, dann wäre ich dir dankbar. Ich muß nach Puerto Rico“ Seit einer Stunde dachte Plunkett, daß ich ihm helfen würde, dabei machte ich ihm nur Mut mit einigen Andeutungen, ohne daß er von der Spezialeinheit von mir erfuhr. Wenn er doch schwach werden würde und reden sollte, durfte er so wenig wie möglich wissen. Nachdem ich nun wußte, welche Hilfe für das Forschungsschiff unterwegs war, und ich mir alles noch mal durch den Kopf gehen ließ, teilte ich mit einem gewissen Zweckoptimismus die Vermutung, daß die Plunketts auch auf der „Framke“ festgehalten wurden. Jedenfalls erschien das einleuchtend und es war ein verlockender Gedanke, daß durch eine Befreiungsaktion alle Probleme auf einmal gelöst wurden. Trotzdem hatte ich Lilly Callaway mit Señor Avialo zur Isla Margerita geschickt, um von Juan´s Strandhaus aus das Gebiet abzusuchen. Denn so gerne ich auch die einfache Lösung vorzog, rebellierte mein Instinkt dagegen, bestärkt durch die eingeschlagene Route des gelben Helikopters. Er konnte so unmöglich das Gebiert erreichen, in dem das Forschungsschiff zu dieser Zeit noch war und das machte mich stutzig. Aber es war eben nur eine Vermutung, unterstützt durch das Ziehen meines Nackens und damit brauchte ich keine Pferde scheu zu machen. Das war auch der Grund, weshalb es mir unbedenklich erschien, das Mädchen mitfliegen zu lassen, die dadurch hier auf keine dummen 279
Gedanken kam und nun sogar sinnvoll ihre Übungsflüge mit Señor Avialo absolvieren konnte. Auch ich war schon die ganze Nacht sinnvoll mit einem Helikopter unterwegs und dieser Sikorsky ließ mich staunen, denn noch nie hatte ich eine so große Maschine gesehen. Die Ausstattung war natürlich den geschäftlichen Erfordernissen angepaßt und hatte mehr von Luxus, als von Economy. Ledersessel mit kleinen Tischchen sowie eine ausladende Sitzgruppe machten hiermit eine Geschäftsreise zum reinsten Erholungsurlaub und der Clou bestand in einem eingebauten WC, das sich eng aber edel im vorderen Teil befand. Ich hatte mir die Pläne der „Framke“ mitgenommen, war jedoch überzeugt, daß die Norweger besseres Material hatten, aber wenigsten wußte ich dadurch, worum es bei diesem Einsatz ging. Fünfundneunzig Meter lang und sechzehn Meter breit, viel Platz der „gesichert“ werden mußte und ich hatte soviel Erfahrung, um zu sehen, daß nur Profis so etwas erfolgreich durchziehen konnten. Einige Stunden schaffte ich es, auf der Ledercouch zu dösen, um dann während der Landung mit diesem pelzigen Geschmack auf der Zunge etwas fröstelnd wieder aufzuwachen. Dann standen wir auf einem der fünf Hubschrauberlandeplätze des Luís Muñoz Marin Flughafens, dicht an der Küste, ungefähr neun Meilen von der Hauptstadt San Juan entfernt. Die Herkules hatte ihre Position schon eingenommen und planmäßig erfolgte das Umladen der Ausrüstung auf dem Gelände. Dazu kamen acht Männer in Zivil, die ausgesprochen wortkarg mit zupackten und dann ernst im Inneren der Maschine verschwanden. Jetzt war es hier eng und meine Versuche, wenigstens mit den Deutschen ins Gespräch zu kommen, prallten wie von einer Betonwand ab, so lösten einzig ihre Namen bei mir ein kleines Grinsen aus – Hans, Paul, Max und Franz. Dieser Hans schien wohl der ranghöchste Offizier zu sein und er war auch der Einzige, mit dem ich einige Worte wechselte, während sich der Rest schon umzog und die Taucheranzüge anlegte. „Einige Kisten sind für Sie bestimmt, Rosenkavalier. Bitte quittieren sie den Erhalt, das Formular hat Paul“ „Ich soll was machen? Ach so, ich vergaß die deutsche Gründlichkeit. Wer ist denn Paul?“ „Der da drüben an der Tür“, er zeigte in die andere Ecke. „Na gut, wenn das wirklich nötig ist“, so ging ich rüber, unterschrieb mit „Rosenkavalier“ und kam dann mit diesem Paul doch noch etwas ins Gespräch, der nicht ganz so versessen aufs Schweigen zu sein schien. Er erzählte mir auch, daß dieser Hans schon 1997 bei der „Operation Libelle“ mit dabei war, wo deutsche und ausländische Zivilisten aus Albanien unter schwierigsten Bedingungen von KSKEinheiten evakuiert wurden. Neugierig wie ich war, fragte ich auch nach Afghanistan, aber da kam seine Verschwiegenheit wieder zum Tragen und er meinte nur, daß ihr Kommandotrupp für amphibische Operationen dort nur wenig zu tun hätte. Während die Truppe sich vorbereitete, holte ich über Satellit die letzten Instruktionen vom Doc und erfuhr so die Position des U-Bootes vor der Insel Antigua, das dort schon auf uns wartete. Außerdem gab es eine gute Neuigkeit dazu, denn die 280
Luftwaffe hatte einen AWACS-Aufklärer zu einem „Übungsflug“ in die Karibik beordert, um eine mögliche Befreiungsaktion zu unterstützen, aber das wußten Hans und seine Leute schon längst. Eine Stunde später war dieses merkwürdige Zusammentreffen schon wieder Geschichte und die Männer, samt der Ausrüstung in den wasserdichten Containern, waren über Bord gegangen, um gleich darauf vom U-Boot wieder aufgefischt zu werden. Ich wünschte diesen Leuten bei ihrem Vorhaben viel Glück, sie würden es brauchen können. Erleichtert freute ich mich, daß alles so reibungslos geklappt hatte und gab als nächstes Ziel das Ferienhaus von Juan auf der Isla Margerita an, das wir aber erst nach einem Tankstopp auf Martinique erreichen konnten. Im Anflug auf die Insel schoß mir dabei durch den Kopf, daß mich nur eine Flugstunde von Anne auf Fortunatis „Bella Donna“ trennte und einige unruhige Augenblicke war ich versucht, gegen meinen Verstand dorthin zu fliegen, doch jetzt durfte ich meine Vorbereitungen nicht verderben, indem ich einer Gefühlswallung spontan nachgab. Also lenkte ich mich ab, indem ich unsere Ausrüstung einer genauen Inspektion unterzog. Die Kisten im Gang sahen in dieser Umgebung etwas deplaziert aus und mit ihrer dunkelgrünen Farbe wirkten sie unverkennbar militärisch, der Inhalt bestätigte das. Der bestand vornehmlich aus Waffen der Firma Heckler & Koch, die offensichtlich das bevorzugte Werkzeug für solche Unternehmen waren und mich irritierten, da ich mir den Doktor kaum mit einer P8 in der Hand vorstellen konnte. Von dieser Pistole, mit der passenden 9mm-Munition und einem zusätzlichen Sortiment von transparenten Ersatzmagazinen, fand ich zwei Exemplare. Ebenso viele, wie in einer großen Kiste daneben, mit HK53EA3 Maschinenpistolen. Es war lange her, daß ich mich auf diesem Gebiet weiterbilden mußte, und darüber war ich auch nicht traurig, aber natürlich sah ich mir die 5.56 mm-Waffe genauestens an und begutachtete auch das beiliegende Zubehör, wie Schalldämpfer und Nachtsichtoptik. Meine Philosophie beim Umgang mit Waffen deckte sich eher mit dem Prinzip der Abschreckung, die funktionierte allerdings nur, wenn der Gegner überzeugt war, daß man mit solch einem Gerät umgehen konnte. In Erstaunen versetzte mich dann zum Abschluß ein separat stehender Behälter mit einem HK69 Granatwerfer, der durch seine Schulterstütze wie eine Luftpumpe mit Griff aussah. Allerdings würde 40-Millimeter-Munition wesentlich mehr Unheil anstellen können und ich schloß schnell diese Kiste, weil ich zuviel Respekt vor dieser Feuerkraft hatte. Zu guter Letzt fand ich noch codierte Sprechfunkgeräte, dazu schwarze Kampfoveralls und ein Nachtsichtgerät, gänzlich Material, was mir beinahe wertvoller als all die Waffen erschien und mir sicher die Befreiung von Anne erleichtern würde. Gegen zwölf Uhr Ortszeit kamen wir auf der Isla Margerita an und landeten auf einer extra großen Rasenfläche vor dem Haus. Danach beeilte ich mich mit den Piloten, dem Hausverwalter und dem Gärtner, die Kisten auszuladen, weil wir den Platz brauchten, denn Cristobal Avialo hatte sich schon mit Lilly per Funk angekündigt. 281
So konnte der Pilot nach einigen Minuten schweißtreibender Arbeit in der karibischen Sonne seine Maschine zum Flugplatz bringen, um aufzutanken und dort auf Anweisungen zu warten. Aus dem Haus rief ich Juan in Caracas an und fragte nach Neuigkeiten. Die hatte er und wie erwartet war der Vorstand der North American Oil and Gas zwar bereit das Lösegeld zu zahlen, weigerte sich jedoch, die Pläne des Ölfeldes auch nur anzurühren. Mich wunderte dieses Verhalten trotzdem, denn durch die Kaperung der „Framke“ durfte bestimmt schon ein Teil der Informationen an Bord in die Hände der Terroristen gefallen sein und das machte eigentlich für Plunketts Firma den Preis niedriger, aber hier ging es wohl um eine prinzipielle Frage. Einzig der Rückflug blieb nun dem Amerikaner und Juan. Von Juan erfuhr ich, daß Plunkett noch heute nacht wieder in Caracas eintreffen wollte. Sicher wollte er seine Vorbereitungen treffen und hatte dann eine Menge Sicherheitsleute um sich, das war keine Gesellschaft die ich mir wünschte und daher beschloß ich, nur noch einmal nach seiner Ankunft zu reden. Der lange Flug und die unruhige Nacht begannen, mich müde zu machen, aber der Zeitpunkt dafür war ungünstig und so versuchte ich, mich im Meer zu erfrischen, das keine zehn Meter vom Haus entfernt war und nur durch einen weißen Sandstrand getrennt wurde. Es half und während ich im kristallklaren Wasser umherschwamm, hörte ich schon den erwarteten Helikopter, der langsam über den Strand einschwebte. Leider half mir das Bad nur eine halbe Stunde über den toten Punkt hinweg, in der mir Lilly erzählte, daß ihre Flüge bisher erfolglos waren und sie keine Spur von dem auffälligen Helikopter finden konnten. Eigentlich hatte ich genau dieses Ergebnis erwartet, es schien das Ende einer sowieso kaum wahrnehmbaren Spur der Terroristen zu sein. Aber wenigstens hatte ich es versucht, auch um mein eigenes Gewissen gegenüber Plunkett zu beruhigen – nur, daß es nichts genutzt hatte. Schließlich war ja nicht so, daß die Familie von Plunkett unbedingt nur durch mich gerettet werden konnte. Es gab das Lösegeld, um sie freizukaufen, die KSK, um sie von der „Framke“ zu befreien und die CIA, die sie noch woanders suchen würde – was sollte ich schwaches Individuum dazwischen ausrichten? So überlegte ich ernsthaft, ob ich mit Lilly schon morgen nach Barbados aufbrechen sollte, hier blieb wohl nichts mehr zu tun und Plunkett konnte immer noch einen gewissen Schaden anrichten, der nur dort vor Ort zu korrigieren war. Müdigkeit und Enttäuschung begannen sich langsam zu vermischen und hier, in diesem Paradies, war der ideale Ort, um wenigstens einen Augenblick Ruhe zu finden, so döste ich langsam in einen tiefen Schlaf. Zuvor flog Cristobal Avialo ebenfalls zum Flugplatz, um seine Maschine wieder einsatzbereit zu machen und Lilly war so aufmerksam, das Satellitentelefon im Auge zu behalten, damit ich mich meinen unruhigen Träumen hingeben konnte. Fast zwei Stunden lag ich im Schatten zwischen einigen Palmen in einer Hängematte, als mich Lilly aus der REM-Phase meines Schlafes riß, „Hallo Boß! Gabriel, Nickerchen beenden, es gibt was Neues zu berichten, der Doc hat angerufen“ „Ohhh..., Ja? Was denn?“ Irgend jemand mußte mir mal erklären, warum man bei einem Mittagsschlaf doppelt so lange brauchte, um munter zu werden. 282
„Komm, steh’ auf und hör’ dir das selber an, oder ich hole einen Eimer Wasser und mache dich munter, wie willst du es denn haben?“ „OK, OK, ich bin schon unterwegs“, und da sagt man, Frauen sind feinfühlige Wesen. Auf dem Weg griff ich nach dem gekühlten Fruchtsaft auf dem Tisch und lutschte die verbliebenen Eiswürfel auf, das beseitigte den letzten Rest der Schläfrigkeit und ich hörte aufmerksam nach meinem Rückruf dem Doktor zu. Das U-Boot hatte Sichtkontakt zur „Framke“ und man besah sich das Forschungsschiff nun durch das Periskop. Tatsächlich wurde das verschollene Forschungsschiff aus der Luft gefunden und dementsprechend das U-Boot umgeleitet, vor Ort hatte nun der Kommandant eine interessante Entdeckung gemacht, denn auf dem fahrenden Schiff waren drei Speedboote zu erkennen, die garantiert nicht zur Standardausrüstung gehörten. Damit mußten offensichtlich die Geiselnehmer gekommen sein, aber das verriet mir noch mehr und meine Handflächen kribbelten vor Aufregung, als mir das bewußt wurde. Die Reichweite dieser Rennboote war natürlich begrenzt und die letzte Position der „Framke“ war bekannt, das hieß, irgendwo innerhalb einer Tankfüllung um diesen Punkt mußte der Ausgangspunkt dieser Aktion gewesen sein. Das alleine sagte noch nicht viel, denn auch von einem Schiff hätte man starten können und Zusatztanks verdarben ebenfalls meine Spekulation, aber mir kreiste immer noch der gelbe Hubschrauber im Kopf herum, der mit diesem Kurs vom Radar verschwunden war. Was wäre, wenn irgendwo in diesem südlichen Gebiet des gedachten Kreises eine Art Operationsbasis war, so wie es ehemalige Offiziere bevorzugen würden? Ohne mir darauf eine Antwort geben zu können, nahm ich die Karte zu Hand und vorausgesetzt, daß ich Recht hatte, gab es unendlich viel Wasser und nur einen Flecken Land, von dem das möglich war – die Insel Blanquilla. Dieses Eiland war gut einhundert Kilometer von der Isla Margarita entfernt, äußerst spärlich bewohnt und gelegentlich ein Anlaufpunkt von Touristen, die sich per Schiff in die sehr malerischen, abgelegenen Buchten bringen ließen, wie mich der Hausverwalter auf meine Nachfrage hin aufklärte. Etwas weiter südlich befand sich die Inselgruppe Los Hermanos, kleine Inselchen, verlassen in der Weite der Karibik. Schnell hatte ich mir die Seekarte geholt und verglich sie mit der Verlängerung des Kurses von dem gelben Helikopter. Natürlich wies sein Weg nicht genau dorthin, aber die grobe Richtung und die mögliche Reichweite könnte stimmen. Ich hätte mich sicher nicht für dafür begeistert, eine Nadel im Heuhaufen der riesigen Wasserfläche zu suchen, denn dazu hatten wir kaum die Mittel und dafür waren auch die Behörden zuständig, aber die paar Inseln auf Verdacht zu überfliegen, das war keine große Anstrengung. Erneut versetzte mich die neue Möglichkeit in Unruhe, doch erwartete ich kein positives Ergebnis, sondern wollte mir nur auch in diesem Punkt Klarheit verschaffen und so ausschließen, daß sich dort die Lemuren mit ihren Geiseln versteckten. Sofort leitete ich die nächsten Schritte ein, rief Señior Avialo vom Flugplatz zurück und instruierte Lilly in der Zwischenzeit, welches Gebiet die beiden unter die Lupe nehmen mußten. 283
Lieber wäre mir gewesen, wenn ich selber mitfliegen würde, aber da es kaum mehr als ein auf Vermutung basierender Verdacht war, der kaum faßbar in der Luft hing, hielt ich es für besser, hier meine letzten Vorbereitungen zu treffen und die Entwicklungen abzuwarten. Gab es eine gravierende Veränderung, konnte ich immer noch mit dem Sikorsky entsprechend reagieren und entweder nach Caracas, Blanquilla oder Barbados aufbrechen. Kaum zehn Minuten später waren sie schon unterwegs und hatten ein codiertes Sprechfunkgerät des Doktors mitgenommen, damit wir in Verbindung blieben. Ich hingegen versuchte mit Plunkett in seinem Flugzeug aus den Staaten zu sprechen, doch ich erreichte ihn nicht und während ich es einige Male probierte, ging mir diese Insel, wohin Lilly und Señor Avialo gerade unterwegs waren, nicht aus dem Sinn. Also redete ich noch einmal kurz entschlossen mit dem Doktor und versuchte, ihn zu bewegen, die AWACS-Überwachung dieses Gebietes zu veranlassen, um auch von dieser Seite alles abzusichern und so meine beiden Kundschafter besser im Auge zu behalten. Damit hatte ich auch für die beiden noch ein Sicherheitsnetz gespannt und konnte mich mit Juan in Ruhe über die Bestellung einer besonderen Substanz unterhalten, die ich für Annes Befreiung gut gebrauchen konnte und überrascht versprach er, mir diese zu besorgen. Damit hatte ich die grobe Planung beendet und mußte noch den Feinschliff in Barbados selbst erledigen. Bald hatte ich sie wieder und dann kam der schwierige Moment, ihr alles zu erzählen, das machte mir zu meinem Erschrecken die gleichen Sorgen, wie das Treiben der Lemuren. Der Hausmeister wirkte wegen des Trubels etwas verstört und hatte sich inzwischen die Bestätigung seines Arbeitgebers besorgt, daß hier alles mit rechten Dingen zuging. So erledigte er nun das Übliche, wenn ein Besuch anstand. Er hatte eingekauft, was eine ausgezeichnete Idee war, denn mit den paar Früchten wäre heute abend der Hunger nicht mehr zu besiegen gewesen. Zum ersten Mal seit langer Zeit wußte ich nichts mit mir anzufangen und wollte schon anfangen, mir eine Kleinigkeit in der Küche zu bereiten, als die Köchin aus dem Nichts auftauchte und ihren Dienst begann. Später erfuhr ich dann, daß der Hausverwalter nach seinem Telefonat mit Juan das gesamte Personal zusammengetrommelt hatte, welches nur bei der Anwesenheit der Rubios etwas zu tun hatte. Das war auch besser so, denn kaum war die Zeit vergangen, eine Zwiebel zu häuten, meldete sich der Doktor wieder und berichtete von zwei langsam fliegenden Kontakten auf dem AWACS, die Kurs auf Blanquilla hatten. Einer näherte sich direkt aus dem Süden und das war zweifelsfrei die Bell 206 von Señor Avialo. Der andere Kontakt kam aus dem Westen und hatte schon fast sein Ziel erreicht, worauf nach einer Kursrückverfolgung über die Computer feststand, daß diese zweite Maschine irgendwo aus dem Umkreis der Insel Grenada kam. Sofort warnte ich mein Suchteam über Funk und ermahnte sie nochmals zur Vorsicht, möglicherweise waren es Touristen auf einer Besichtigungstour, doch vielleicht auch jemand mit 40-Millimeter-Kanonen an Bord und dieses Risiko müßten die beiden nicht wegen einer Theorie eingehen. 284
Sie versprachen nochmals, sehr genau aufzupassen und setzten den Flug fort, während ich mich damit beruhigte, daß Cristobal Avialo beim Militär gewesen war und scheinbar einige Erfahrung besaß. Außerdem glaubte ich nicht, daß er Lilly einer größeren Gefahr aussetzen würde und das überzeugte mich dann letztendlich, die beiden weiterfliegen zu lassen. Mehr als zwei Stunden vergingen, in denen ich nichts weiter von unserem Hubschrauber hörte und es dauerte bis gegen achtzehn Uhr Ortszeit, um endlich ein Lebenszeichen über Funk zu erhalten, „Also, Boß, zuerst einmal ist alles gut gegangen. Blanquilla ist zwar eine wundervolle Insel, war aber eine totale Fehlanzeige. Dann sind wir weiter zu dem Archipel Los Hermanos geflogen und auf einer dieser Inseln sind wir tatsächlich fündig geworden“ „Ahhh,... was, ihr habt wirklich etwas gefunden?“ „Klar Boß, sollten wir das nicht? Du braucht nicht überrascht zu sein, Chris und ich sind ein gutes Team, aber das ist ja im Moment egal. Jedenfalls haben wir gesucht und mitten zwischen all den Inselchen dann Land mit einem verdächtigen Camp am Strand entdeckt. Diese ganze Insel ist höchstens zwei Kilometer lang mit breiten Stränden und an der Nordwestseite sind einige schroffe Felsen, die bis in das Meer reichen. Dort ist es auch etwas hügelig, ganz im Gegensatz zu dem Rest von dem Flecken, der flach wie ein Teller ist und die Mitte ist bewachsen mit Büschen und wenigen Palmen“ „Eine ganz passable Beschreibung und was hat das mit dem Camp auf sich?“ „Danke Boß, aber ich habe hier einen Zettel vor mir und Chris hat mir etwas geholfen, aber nicht viel! Das Camp lag auf der westlichen Seite mit einer wunderschönen Bucht mit kristallklarem Wasser und einem phantastischen Stück Strand. Es waren beim Vorbeiflug einige Zelte zu sehen und dazu noch Treibstoffässer, außerdem noch irgendwelche Sachen, die unter großen Tarnnetzen verborgen waren. Außerdem glaube ich, noch eine Satellitenschüssel in den Baumkronen gesehen zu haben, aber da könnte ich mich auch getäuscht haben. Wir konnten leider nicht zu neugierig sein und sind schnurgerade am Strand entlanggeflogen, um keinen weiteren Verdacht zu erregen. Dann landete Chris auf einer Nachbarinsel und wir haben etwas gebadet, natürlich nur für eine perfekte Tarnung“ „Natürlich! Ihr beide seid ganz schön gerissen. Jedenfalls hört sich das alles sehr verdächtig an und ist sicher mehr Aufwand, als man ihn für Individualreisende erwarten würde. Kommt erst einmal zurück, ich schalte die Beleuchtung ein“, das war nötig, denn es begann jetzt schnell dunkel zu werden. Solange ich noch auf die Rückkehrer wartete, versuchte ich weiterhin Plunkett zu erwischen, denn sicher hatte er jemanden von seinen Landsleuten in Reichweite, der etwas mit diesen neuen Erkenntnissen anfangen konnte. Dann sollten die Amerikaner einfach einige SEALS losschicken und herausfinden, wer dort überhaupt war, denn alleine die Tatsache, daß irgendwo ein paar Zelte herumstanden, machte es noch nicht zu einem Basislager der Lemuren. Wieder war ich erfolglos und nun begann ich, mir langsam Sorgen zu machen, die sich bestätigten, als sich nun Juan aus Caracas bei mir meldete, „Gabriel, ich habe schlechte Nachrichten, Jonathan ist verschwunden“ 285
„Habe ich auch schon bemerkt, weißt du etwas Genaues?“ „Leider kaum etwas, die halten alle dicht, weil das State Departement jetzt mit im Boot ist, aber auf jeden Fall war Jonathan nicht in seinem Firmenjet, als dieser hier in Caracas gelandet ist. Offenbar haben sie in Dallas einen Beamten tot aufgefunden, der ihn begleiten sollte und jemand hat von der North American Oil and Gas dem Piloten des Firmenjets die Anweisung gegeben, ohne Jonathan zu starten. Deshalb ist es erst jetzt nach der Landung herausgekommen“ „Verdammt! Du weißt, was das heißt. Hatte er das Geld bei sich?“ „Er hatte die Hälfte mit dabei, die anderen zwanzig Millionen Dollar sollten erst morgen früh mit einem Kurier eintreffen, so hatte mir das Jonathan jedenfalls kurz vor dem Abflug erzählt“ „Das ist für einen normalen Raub zu gut eingefädelt worden, da stecken garantiert die Terroristen dahinter und die haben einfach unter der Nase der Amerikaner das Geld schon vorher kassiert“ „Meinst du wirklich, aber es ist doch nur die Hälfte?“ „Stimmt, wahrscheinlich haben sie damit nicht gerechnet und das wird auch sicher eine böse Überraschung für die Lemuren gewesen sein, als nicht nur die Forschungsergebnisse, sondern auch noch ein Teil des Lösegeldes fehlte. Trotzdem ein geschickter Plan, denn die beste Übergabe ist sicher diejenige, von der niemand etwas weiß. Ich bin auch fest überzeugt, daß Mister Plunkett noch lebt und in der Gewalt der Terroristen ist, sonst hätte er sicher neben dem Bundesbeamten in Dallas gelegen und ich betätige mich gleich noch einmal als Wahrsager, denn ganz sicher werden sich bald die Lemuren bei der North American Oil and Gas melden, um den Rest zu bekommen. Versuche bitte, deine Kontakte bei Plunketts Firma zu nutzen und überprüfe, ob meine Vermutung stimmt“ „Klar, kann ich machen und wie verhalten wir uns jetzt?“ „Gute Frage, entweder den Kopf in den Sand stecken, oder den Hintern in den Dreck. Hier gibt es noch etwas, das jemand überprüfen müßte und dabei wird sich das entscheiden. Ich melde mich bei dir, Juan“ Wie ein Hausierer meldete ich mich nun mit meiner kleinen Information bei Doktor Breitenbach, doch der wiegelte aus den altbekannten Gründen der Geheimhaltung ab, gerade jetzt, wo sich das Spezialkommando daran machte, alle Vorbereitungen zu treffen, um die „Framke“ zu entern. Einzig zusagen konnte er mir, die Nachricht über den Minister weiterzugeben, der dann das Weitere entscheiden konnte, aber wie schnell das ging, wußte auch er nicht. Ich hatte einen vielversprechenden Hinweis und niemanden interessierte das, dabei verging die Zeit der Plunketts rasend schnell und irgendwann heute nacht würde sie ablaufen. Es sah so aus, als müßte ich mich sicherheitshalber der Sache selbst annehmen, besonders, weil ich mir denken konnte, daß die Terroristen nicht sehr verständnisvoll auf die Befreiung des Forschungsschiffes reagieren würden. So brauchte ich eine Gewißheit, was es mit der Insel auf sich hatte und ging hinaus an den Strand, um darüber nachzudenken ,wie ich das am besten bewerkstelligen konnte. In Gedanken versunken schaute ich zurück, die roten Strahlen der vergehenden Sonne veränderten das Aussehen dieses Hauses, das jeden Menschen sicherlich zu den 286
schönsten Gedanken inspirierte. Malerische Sonnenuntergänge und ein romantisches Abendessen am Strand, dazu sanfte Musik von der nahen Terrasse, mit einem Spaziergang im Mondlicht, ich jedoch berechnete Reichweiten und plante einen möglichen Überfall auf ein Lager, das mit Hinterhalten gespickt sein konnte. Besser konnte der Irrsinn des Lebens nicht in Erscheinung treten. Noch einmal ging ich die Topographie der Insel durch und versuchte, mir die Umgebung vorzustellen. Wie eine durch Erfahrung geprägte Maschine begann in mir automatisch der Plan meines Vorgehens zu entstehen. Nur ein paar Männer genügten, um das Eiland von jeder Seite zu sichern. Es war ein perfektes Versteck und dazu würde jede Annäherung, ob mit einem Boot oder per Hubschrauber, sofort entdeckt werden. Darüber grübelnd ging ich auf den Steg, wo die fünfzehn Meter lange Yacht der Rubios lag und betrat diese mit einem Sprung auf die Badeplattform am Heck, denn dorthin unterwegs fiel mir etwas ein. Die Tauchausrüstung schien die ideale Lösung für dieses Problem zu sein, denn nur unter Wasser hatte ich in der Nacht eine gute Chance, die Insel ungesehen zu erreichen. Juan und Francesca waren begeisterte Sporttaucher, mir hingegen waren nur noch vage die Grundbegriffe aus einem ägyptischen Dive Resort geläufig, die ich dort mehr aus Langeweile erlernt hatte und mich kaum noch dafür interessierte. Was ich aber wußte ist, daß man beim Tauchen nicht leichtfertig sein sollte und mich tröstete, daß ich nicht tief tauchen brauchte, sondern nur unter der Wasseroberfläche weit schwimmen mußte. Auf der Yacht hörte ich die Bell 206 und es dauerte nur wenige Minuten, bis Cristobal Avialo auf dem Steg erschien. „Wir sind wieder da, Señor Gonzales“ „Ja, das habe ich schon gehört, wo ist Lilly?“ „Lillycita hat das Essen gesehen und konnte nicht widerstehen. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“ Sicher sah er, wie ich mit Falten auf der Stirn die Ausrüstung ordnete. „Das hoffe ich, Señor Avialo. Sogar in doppelter Hinsicht könnten Sie mir helfen. Zuerst das Wichtigste, würden Sie mich in die Nähe der besagten Insel mit dem Camp bringen?“ „Señor, das müssen Sie nicht fragen, ich stehe selbstverständlich zu Ihrer Verfügung und es freut mich, mit Ihnen wieder ein Abenteuer zu erleben, so wie am Haus von Mister Plunkett“ „Danke sehr, aber Sie sind für das Fliegen zuständig und ich, wenn es unvermeidbar ist, für das Abenteuer. Meine zweite Frage ist wesentlich ungefährlicher, kennen Sie sich mit einer Tauchausrüstung aus?“ „Si, Señor, bei meiner Ausbildung gehörte so etwas zum Überlebenstraining, sollte man über See abgeschossen werden“ „Gut, dann sind Sie hier der Fachmann und können mir helfen, damit ich weiter überlebe. Wir müssen alles überprüfen und ich bin ein wenig aus der Übung“ Schnell waren die Schlüssel aus dem Haus geholt, um die Maschinen der Yacht zu starten und den Kompressor einzuschalten, damit wir zuerst die Flaschen befüllen konnten. 287
Dann ging alles bei Señor Avialo sehr schnell und ich begann, mir die restliche Ausrüstung zusammenzusuchen, darunter auch die Harpune der Tauchausrüstung und eine P8 mit Munition, die ich in einen wasserdichten Beutel steckte. Dazu griff ich noch zu einer HK53 mit Schalldämpfer und dem Granatwerfer, vermied dabei jedoch, zuviel Munition mitzuschleppen, da ich nicht vorhatte, in einen Krieg zu ziehen, sondern nur mal nach dem rechten schauen wollte. Für solch einen Zweck eignete sich das Nachtsichtgerät sowieso viel besser und ich verstaute es ebenfalls im Hubschrauber, bei den anderen Sachen und mit etwas Verpflegung. Außer sich eventuell mit Terroristen und Erpressern anzulegen, kam jetzt ein genauso schwieriger Teil des Abends, denn ich mußte Lilly nach Caracas zurückschicken, damit sie danach zum Doktor fliegen konnte. Niemand wußte, wie diese Geschichte heute für mich enden würde, und ich war es nicht gewohnt, jemanden zurückzulassen, für den ich mich verantwortlich fühlte, also ging ich dabei den sicheren Weg. Sie blieb erstaunlich ruhig, aber viel zu deutlich sah ich die Enttäuschung in ihren Augen und ich haßte es, daß sie nun wieder dachte, von mir abgeschoben worden zu sein. Daß ich dabei nur ihr Bestes im Sinn hatte und sie nicht verletzen wollte, sah Lilly im Augenblick nicht, aber es würde sicher bei dieser cleveren jungen Frau nicht lange dauern, bis sie mich verstand. So flog Lilly Callaway traurig mit dem Sikorsky ab und ich fühlte mich irgendwie schuldig. Das Allison Triebwerk der Bell 206 sprang an und das Vibrieren der Maschine verjagte all diesen Ärger. Jetzt mußte ich mich auf den bevorstehenden Einsatz konzentrieren, auch wenn es immer noch berechtigte Zweifel gab, dort überhaupt die gesuchten Lemuren anzutreffen. Es war kurz nach zwanzig Uhr, die nächsten Stunden würden über das Schicksal einiger Menschen entscheiden und mein Plan für diese Nacht stand fest. Dieser sah vor, abzuspringen und schwimmend auf einem drei Kilometer weiter südlich gelegenen Eiland zu landen, um dann unter Wasser rüberzugehen. Sicher die beste Variante in diesem Gebiet mit kleinen Inseln, die wie ein Haufen Perlen im Meer verteilt waren. Durch den herrschenden Westwind flogen wir im Tiefflug von Osten her auf unser Ziel zu, um das Motorengeräusch nicht bis an das Ufer dringen zu lassen, denn wäre ich einer der Terroristen, stünden sicher auch dort Wachen, um jede Bedrohung des Camps auszuschließen. Mit dem Mond über uns und dem Wind von vorne blieb Señor Avialo mit der Bell kurz über der Wasseroberfläche in der Luft stehen, damit ich nun schon zum zweiten Mal in so kurzer Zeit aus solch einem Fahrzeug in die Tiefe springen konnte. Meine mangelnde Erfahrung darin und die aufkommende Höhenangst brachten mich zudem in Schwierigkeiten, was ich gerade so korrigieren konnte und so gab ich erleichtert nach dem Auftauchen ein Lichtzeichen mit der kleinen wasserdichten Taschenlampe nach oben, daß alles gutgegangen war. Er war wahrscheinlich genau so erfreut darüber und drehte ab, um seine Warteposition auf einem etwas weiter entfernten Inselchen einzunehmen. 288
Jetzt war ich alleine, alles um mich herum war dunkel und still und der Gedanke an die Haie und Moränen, die dieses Gebiet bevölkerten, spornten mich an, so schnell es ging mein erstes Ziel zu erreichen. Ruhig und gleichmäßig tauchte ich knapp unter dem Wasserspiegel und nur vereinzelt kam ich an die Oberfläche, damit ich mich anhand des kleinen Kompasses in dieser Wasserwüste orientieren konnte. Nach einiger Zeit spürte ich eine Dünung im Wasser, das Land konnte nicht mehr weit sein und ich ging wieder nach oben, wo ich eine unerwartete Überraschung erlebte. Denn vor mir erkannte ich die Umrisse eines Segelbootes, dessen weißer Rumpf sich vor dem dunklen Hintergrund der Insel besonders gut abzeichnete und das wohl hier vor Anker lag. Hatte ich recht mit meiner Befürchtung, daß Späher auf der Insel waren? Wenn ja, dann mußte es sich bei ihrem Verhalten um blutige Anfänger handeln, weil ich nun am Rumpf vorbei auf den Strand sehen konnte und dort etwas hell flackern sah. Natürlich wurde ich vorsichtig und tauchte langsam wieder ab, um den Kopf kurz vor dem Ufer durch die Wasseroberfläche wieder nach oben zu schieben und der Sache auf den Grund zu gehen. Zum Glück hatte ich das Mundstück fest zwischen den Zähnen, denn sonst wäre sicher ein Laut der Verblüffung oder des Schrecks über meine Lippen gekommen, denn im Schein von zwei Fackeln liebte sich gerade ein Pärchen äußerst heftig. Ich war sicher auf einige Begegnungen vorbereitet, darauf jedoch sicher als letztes und irgendwie war es mir peinlich, obwohl natürlich nur die Umstände an diesen intimen Einblicken Schuld waren. Nachdem ich mich von der ersten Überraschung erholt hatte und nun auch über die Situation schmunzelte, verschwand ich dezent nach unten, nicht jedoch ohne noch einmal das Paar in Augenschein zu nehmen, um die recht ungewöhnliche Stellung zu deuten, die dem gordischen Knoten sehr nahe kam. Das beschäftigte mich ungewollt die nächsten zehn Minuten, während ich parallel zum Ufer nordwärts schwamm und einen idealeren Punkt suchte, an dem man etwas heimlicher die Insel betreten konnte. Einen Vorteil hatte diese Situation doch, sollte es wirklich einen Beobachtungsposten auf der Insel geben, war dieser garantiert zu abgelenkt, um sich auf die Gegend zu konzentrieren. Noch im Wasser entledigte ich mich der Taucherausrüstung und ließ alles neben einem kleinen Felsen am Strand liegen, dann kroch ich über den Sand zu den ersten Büschen, wobei ich immer darauf bedacht war, als Orientierungspunkt die Fackeln nicht aus den Augen zu verlieren. Auch hier standen einige große Palmen in der Mitte der Insel, die von hoch wachsendem Gebüsch eingerahmt waren, dazu noch allerlei Dornengewächse, die nach außen bis zum Wasser hin immer spärlicher wurden. Mein Nachtsichtgerät war noch bei den unhandlichen Sachen im Hubschrauber und hätte mir sicher damit einige Zeit beim Absuchen sparen können, aber dennoch brauchte ich nur zwanzig Minuten, um nun sicher zu sein, daß die Insel sauber war. Intervallweise hatten mich dabei die eindeutigen Geräusche vom Strand begleitet, doch nun hörte ich vom Wasser der gegenüberliegenden Seite etwas anderes, das sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog und je näher es kam, desto deutlicher vernahm ich einen Motor, dessen verräterisches Brummen vom Wind getragen wurde. 289
Das kleine Segelboot war wohl doch nicht verborgen geblieben, mir blieb nur übrig, ruhig zu bleiben und in einer günstigen Position abzuwarten, wer sich dort näherte. Dabei steckte ich die P8 in meinen Gürtel und tastete nach meinem Messer, während ich mich unter die Zweige eines dichten Strauches schob und den Blick nach Osten wandte, wo sich eine dunkle Silhouette auf die Insel zu bewegte. Beinahe unheimlich kam sie näher und wurde dabei immer größer, bis das Motorengeräusch verstummte und von Ruderschlägen abgelöst wurde. Das Stöhnen im Hintergrund hörte immer noch nicht auf, aber nun war mir nicht nach einem anerkennenden Schmunzeln, denn ich mußte mich auf diese ankommenden Besucher konzentrieren. Dabei zerrte etwas an meinen Gewissen, daß ich die beiden jungen Leute so auf dem Tablett servierte, doch hätte es mich nicht hierher verschlagen, wären sie auf sich alleine gestellt gewesen und jetzt waren ihre Chancen deutlich besser. Jeder, der sich hier umsehen wollte, mußte zwangsläufig an mir vorbei, das war der Vorteil meiner Position in der Mitte dieses Inselchens, dessen magere Vegetation nur hier einige Deckung bot. Die Ruder verstummten, statt dessen schabte der Boden eines Bootes über den Sand und jemand sprang in das Wasser, während es hinter mir nun endlich etwas ruhiger wurde – geschafft. Allerdings war das Pärchen immer noch gut auszumachen, denn die Fackeln ließen keinen Zweifel daran, wo die beiden zu finden waren. Zwei Schatten kamen näher und einer sprach leise in ein Funkgerät, doch sie waren noch zu weit weg, um etwas verstehen zu können. Sein Zwilling folgte wortlos und gab nach hinten ein Zeichen, demnach mußte wenigstens noch ein Mann bei dem Boot geblieben sein. Während sich die zwei Gestalten durch das Unterholz tasteten und jetzt fast die Mitte problemlos erreicht hatten, kontrollierte ich bewußt meinen Atem, wohl wissend, daß die Aufregung ebenfalls ein Gegner sein konnte, den man nicht unterschätzen durfte. Die beiden verharrten wenige Meter von mir entfernt und sahen mit leuchtenden Augen zum schummrigen Strand, dann krochen sie weiter vor, hinter einen umgestürzten Palmenstam, „He Jorge, du hattest recht gehabt, es wird sich lohnen, wenn wir den anderen nichts von dem Boot sagen. Gut, daß du drüben Wache hattest. Schau dir die Schlampe an, die hat den Kleinen fertig gemacht, ich glaube, wir müssen ihm mal zeigen, wie eine Señorita richtig behandelt werden will“ „Das wird endlich mal wieder ein Spaß nach dem ganzen Rumsitzen, verdammter Job, aber hier holen wir uns alles wieder, was uns die letzten Tage gefehlt hat. Los, hol Putcho vom Boot, damit er auch was davon hat und gib drüben Hernando Bescheid, daß wir noch Zeit brauchen, dann fragt er nicht nach, wo wir die ganze Zeit bleiben“ Beide lachten leise und ein Schatten schob sich langsam den Weg zurück, „Gut Armando, aber warte gefälligst, bis wir auch da sind“ „Was denkst du? Ich werde doch nicht ohne meine Freunde anfangen“, dieses kurze Gespräch vermittelte mir deutlich, daß ich es nicht mit feinfühligen Zeitgenossen zu tun hatte und nahm mir zugleich jeden Zweifel über meine weitere Vorgehensweise. Der Kerl namens Jorge schlich sich, nicht sonderlich begabt, zurück zum Boot und ich folgte ihm ohne Schwierigkeiten, da mir die beiden zuvor schon einen Weg gebahnt 290
hatten. Kurz bevor der Strand anfing, blieb ich rechts hinter einem großen Felsen liegen und wollte mich zuerst überzeugen, daß die Nachricht auch wirklich zum Lager durchgegeben wurde, bevor ich diese drei Galgenvögel in meine Gewalt brachte. Dabei half mir das fahle Mondlicht, einige Einzelheiten zu erkennen, wie diesen Putcho, einen dicken alten Kerl mit einem geschulterten Karabiner, an dessen linker Seite ein Lederfutteral samt Machete hing. Jorge hingegen war ein großer, schlaksiger Mann, der ein Basecap auf dem Kopf und eine alte Maschinenpistole in seiner Hand hatte und gerade versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden und eine Flasche aus dem Boot zu nehmen. Gerade gingen sie an mir vorüber, als ein furchtbarer Schrei von der anderen Seite der Insel erschallte. Armando konnte es scheinbar doch nicht abwarten und das begriffen auch die Männer sofort, die wie auf Kommando ihre Schritte beschleunigten, um nicht zu kurz zu kommen. Augenblicklich zog ich meine Sturmhaube, die ich, wie den schwarzen Kampfoverall, im Warendepot des Doktors entdeckt hatte, über das Gesicht und sprang auf. Gleichzeitig griff ich einen handlichen Stein vom Boden und folgte den beiden, die nur gebannt nach vorne sahen und keine Ahnung hatten, daß die Gefahr nur wenige Meter hinter ihnen war. Geschwindigkeit war oberstes Gebot und kaum waren sie in meiner Reichweite, erwischte ich Putcho mit voller Wucht am Hinterkopf, der vom Stein getroffen zusammensackte und durch die Wucht beschleunigt lang nach vorne hinfiel. Das hohle, dumpfe Geräusch des Schlages veranlaßte Jorge dazu, einen Blick nach hinten zu werfen, wo er noch schemenhaft das Profil meiner Schuhe vor Augen hatte und gleich darauf sein Hinterkopf gegen einen Baumstamm prallte. Benommen taumelte er wieder nach vorne, für ihn die falsche Richtung, denn nachfolgend erwischte ihn der Schaft meiner Harpune, was ihn bewußtlos in einen der umstehenden Dornenbüsche katapultierte und ihm gleichzeitig eine kostenlose partielle Akupunktur einbrachte. Ich schätzte die Dauer des Angriffs auf zehn Sekunden und war mit meiner Leistung mehr als zufrieden, obwohl es lauter ablief, als ich angenommen hatte, doch nach einigen Schritten auf das Westufer zu, konnte ich mich davon überzeugen, daß Armando nichts hörte, weil er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Nackt kniete das Liebespaar nebeneinander, während er mit gezogener Pistole die beiden wie ein Geier das Aas umkreiste. Es wäre jetzt nur eine Kleinigkeit, diesen Kerl mit meiner Pistole niederzustrecken und der Schalldämpfer gab mir die absolute Gewißheit, daß der Schuß nicht bis zur Nachbarinsel dringen würde. Sicher wäre niemand allzu traurig über den Verlust, doch das war nicht mein Stil und diesen konnte ich mir jetzt leisten, denn Armando war in meinem Visier und er selbst hatte keinen Schimmer davon. Langsam ging ich auf den Strand zu, immer in Deckung, aber genau beobachtend, was sich dort tat. Der Kerl begann, die Frau zu fesseln und fuhr mit seinen gierigen Händen durch ihr Haar, sie wandte sich weinend ab, was ihren Freund dazu brachte, aufzuspringen und mit der Faust auszuholen, dieses wurde jedoch mit einem Tritt in seine Rippen quittiert, so daß der arme Kerl gegen das kleine Dingi fiel und sich nicht mehr rührte. 291
Jetzt wurde es gefährlich, Armando ging auf das Dingi zu und hob schon seine Pistole, als ich nur wenige Meter hinter ihm aus dem Gebüsch trat, „He Maricon!...“, das war unterste Schublade an Verbalentgleisung, die mir in Spanisch einfiel, „...wenn du dich mit jemandem anlegen willst, dann mit mir“ Er zuckte zusammen und drehte sich blitzartig um, wobei instinktiv seine Pistole nach einem Ziel suchte, aber gleichzeitig richtete sich die Harpune und die P8 genau auf sein Herz, „Aber, aber, das macht man doch nicht im Beisein einer Lady. Laß die Waffen fallen und nimm die Hände über den Kopf“ Völlig verdutzt sah er mich an und schaute nervös zur Mitte der Insel, von wo er offensichtlich seine Kumpane erwartete, „Wer bist du?“ „Keine Zeit für Höflichkeiten, mach was ich dir gesagt habe“ Jetzt wurde sein Ausdruck verschlagen und er warf die Pistole vor sich in den Sand, zog aber dafür sein Messer und hielt es fest umschlossen, „Bastardo, du bist nur ein Feigling, der mit vorgehaltener Waffe die Befehle geben kann. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was du kannst. Los, kämpfe wie ein Mann. Oder läufst du weg und rufst nach deiner Mama?“ Er provozierte mich, in absoluter Fehleinschätzung der Situation, um Zeit zu schinden und er hoffte auf seine Verstärkung, die süß träumend in den Büschen lag. Mir kam das sehr gelegen, denn es juckte mich schon seit der kurzen Unterhaltung in den Fingern, diesem Schwein eine Lektion zu erteilen, die ihm für die Zukunft den Spaß an solchen Überfällen nehmen sollte. Die Harpune warf ich zur Seite und das Gleiche passierte mit meiner Pistole, dann zog ich mein Messer, „Komm schon, zeig mir, was du kannst und dann werden wir ja sehen, wer zu Mama rennt, du Großmaul“ Überzeugt von meiner Dummheit grinste er mich nun siegessicher an und beide umkreisten wir uns. Sein durchtrainierter Körper bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers und er witterte seine Chance. Blitzschnell schoß er auf mich zu, aber elegant ging ich ihm aus dem Weg, drehte mich und stieß meinen Ellbogen in seinen Rücken, was ihn stürzen ließ und so eine Kostprobe des Sandes zu sich nahm. Spuckend war er wieder auf den Beinen und kam auf mich zu, erst langsam, dann die letzten Meter rennend. Der Stoß seines Messers folgte, aber ich griff unter seinen Arm, hielt mir dabei mit der anderen Hand die Klinge vom Leib und stellte ihm ein Bein, so daß er auf dem Bauch zum Liegen kam. Unter mir schnaufte es vor Wut, dann drehte ich das Messer aus Armando´s Hand und warf es in die Nacht, „War das alles? Jetzt ist es wohl Zeit, deine Mama zu holen“ Ich ließ ihn wieder aufstehen und er keuchte dabei, während mich ein unbeschreiblicher Haß aus seinen Augen traf. „Mit dem Messer wird das nichts, versuche es doch mal mit deinen Fäusten“, mit diesen Worten landete irgendwo hinter mir mein Messer. „Du Sohn eines Hundes bist ein toter Mann, du weißt es nur noch nicht. Ich werde dich langsam sterben lassen und du wirst vor meinen Füßen betteln, daß ich dich erschlage, wie einen räudigen Köter“, offensichtlich mußte er sich dringend Mut machen. Wieder kam er auf mich zu und ein kleiner Schlagabtausch entwickelte sich, bei dem anfangs niemand einen Vorteil hatte. So ließ ich ihn sich austoben, ohne daß er 292
mir ernstlich einen Schaden zufügen konnte, doch dann wurde er geschickter. Denn beim folgenden Angriff traf er mich, aber nur an der Schulter und um nachzulegen öffnete er die Deckung, das gab mir die Gelegenheit, einen harten Treffer zu landen, auf den er reagierte. Schnell ging ich zur Seite, er folgte mir, aber zu langsam und damit war seine Seite frei, was Armando´s Nieren zu spüren bekamen und ihn auf die Knie zwang. Gleich darauf bekam er sein „Golden Goal“ auf seinen Kieferknochen, der den Kopf zur Seite riß und ihn dahin brachte, wo er hingehörte, auf den Boden der Tatsachen. Es war genug, mühsam versuchte er, sich aufzurichten und kam erst langsam wieder auf die Knie. Unterdessen hatte ich schon meine Pistole wieder gegriffen und war gerade dabei, mich nach meinem Messer zu bücken, als ein kurzer Aufschrei der Frau mich sofort in Kampfstellung brachte und der Lauf meiner Waffe blitzschnell auf Armando zielte. Doch dies war unnötig, denn die Pfeilspitze ragte aus seinem Brustkorb, die er ungläubig betrachtete, dann sah er zu mir auf und brach zusammen. Es war eine gespenstische Szene, die sich gerade vor mir abgespielt hatte. Hinter dem toten Körper hatte der Mann vom Segelboot die Harpune in der Hand, der gerade halb im Sand kniend begriff, was er getan hatte. Er begann zu zittern und brach in Tränen aus, dabei warf er die Waffe weg und schlug immer wieder mit den Kopf gegen das Beiboot. Der arme Kerl tat mir leid und was ihn auch immer dazu getrieben hatte, ob Panik, Schock oder Wut, er würde mit seiner Tat leben müssen. Dabei es sah so aus, als würde ihm das wohl schwer fallen und seine Frau, die ich mittlerweile von ihren Fesseln befreit hatte, gab ihm eine Decke, die in dem kleinen Boot gelegen hatte. Sicherheitshalber steckte ich die Waffen von Armando ein, damit der Mann keine weiteren Dummheiten mehr machen konnte und sah mich um. Die Frau hatte sich wieder angezogen und tröstete ihren Mann, deshalb kam ich mir fehl am Platze vor und ging zurück, um mich der bewußtlosen Kerle anzunehmen und sie dingfest zu machen, bevor sie wieder zu sich kommen würden. Dazu bekam ich eine Leine aus dem Boot und griff mir den Gürtel von Armando, weil mir nicht Besseres in die Finger kam und so war ich einige Minuten später bei Putcho und Jorge, die kurz darauf an zwei Palmstämmen gefesselt saßen. Ihre Waffen versteckte ich gut und machte mich wieder auf den Rückweg zum Strand, um die beiden zur Abfahrt zu bewegen. Der Mann kauerte immer noch zusammengesunken am Beiboot, doch die Frau schien die Situation besser zu verarbeiten und suchte schon alle Sachen zusammen, um sie eilig zu verstauen. Als sie mich sah, kam sie sofort auf mich zu und sprach mich an, „Danke sehr, ich weiß nicht ,was ohne Sie passiert wäre. Ich...“ „Schon gut, es war mir eine Freude, Ihnen beiden zu helfen und danken wir dem glücklicher Zufall, daß ich hier war. Wie geht’s Ihrem Mann?“ „Mike ist immer so sensibel, er wird sicher noch lange brauchen, aber er kommt bestimmt darüber hinweg, ich kenne ihn. Was wird jetzt passieren, soll ich die Behörden verständigen?“ „Sie werden sich ruhig verhalten und über alles schweigen, um die Behörden werde ich mich kümmern. Das Einzige, was Sie jetzt machen, ist, von hier zu verschwinden, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß noch mehr unfreundliche Typen hier auftauchen“ 293
„Was? Sie meinen...“ „Ja! Also beeilen Sie sich bitte und dann segeln Sie sofort ab“ „Gut, ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll. Sie hat der Himmel geschickt und wir werden Ihnen das nie vergessen. Wie ist ihr Name?“ „Zwingen Sie mich bitte nicht zu lügen, ein Name ist nicht wichtig, nur die Tat ist das Entscheidende. Gehen Sie beide jetzt“ „Ich verstehe das zwar nicht, aber trotzdem vielen Dank noch mal“, sie drehte sich zu ihrem Mann und half ihm beim Einsteigen. Der Bursche war dabei nicht in der Lage, mir in die Augen zu schauen, sie würde es die nächsten Tage mit ihm sicher nicht einfach haben. Wenig später hatten sie das Segelboot erreicht und ich hörte, wie der Motor in der Dunkelheit angeworfen wurde. Danach entfernte sich das Geräusch langsam nach Nordwest, genau in die Richtung, die ich ihnen noch empfohlen hatte, um nicht von der anderen Insel bemerkt zu werden. Diese Ereignisse gingen mir noch durch den Kopf, als ich die beiden Fackeln als Markierungen auf dem breitesten Strandstück an dieser Seite positionierte und mit dem kleinen Funkgerät Señor Avialo instruierte, dort zu landen. Bis dahin würde es ungefähr eine Viertelstunde dauern und die würde mir reichen, um mich solange meinen Gefangenen zu widmen und sie nach einigen Details im Camp zu fragen. Putcho hatte es wohl schwerer erwischt, als ich es beabsichtigt hatte, aber Jorge war wieder munter und jaulte, weil ihm noch einige Dornen von seinem Sturz sehr zusetzten. „He, Jorge, bist du bereit, einige Fragen zu beantworten?“ „Largate!“, damit gab er mir eine nicht sehr freundliche Aufforderung, den Ort zu wechseln. Dadurch nicht gerade milder gestimmt beschloß ich, den Versuch, seine Zunge zu lösen, etwas zu verkürzen und ging zu dem von ihm mißhandelten Busch, um einige dornenbesetzte Zweige mit dem Messer abzuschneiden. Zwei kleine Stiche mit meiner Klinge genügten dann, seinen Hintern zu heben und schnell legte ich das abgeschnittene Grünzeug darunter. Früher hätte man Folter dazu gesagt, heute war es für mich einfach nur ein nonverbaler Versuch, mit ihm zu kommunizieren und zwar schnell. Die ersten zwei Minuten kam der Kerl noch gut zurecht, da er sich gegen den Stamm drückte und somit noch etwas Abstand zu den spitzen kleinen Dornen halten konnte, aber ich wußte, daß die Zeit für mich lief, denn auf Dauer ließ sich das nicht durchhalten. Während dieser Zeit bekam ich eine Schimpftirade zu hören, die selten so ausführlich den Bogen von tierischen Verhaltensweisen zu menschlichen Körperteilen gespannt hatte, was mich aber eher belustigte, als beleidigte. Schließlich war es doch seine einzige Möglichkeit, dem Ärger freien Lauf zu lassen und dabei hätte es für ihn viel schlimmer kommen können, aber daran verschwendete er im Moment keinen Gedanken. Solange Jorge zeterte, hatte er noch Kraft, also besah ich mir ihr Schlauchboot unten am Wasser, ob sich etwas Verwertbares darin befand, doch nur das alte Funkgerät schien brauchbar zu sein und ich nahm es mit zurück zu dem kleinen Schreihals. Seine Stimme begann nun immer schwächer und verzweifelter zu werden, aber das hatte man 294
eben davon, wenn man unschuldige Reisende überfallen wollte und in mir regte sich keine Spur von Mitleid. Die Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und nur mit Mühe konnte er sich über den Zweigen halten, was zu meiner Genugtuung auch einige Male mißlang, „Na, gesprächiger geworden?“ „Si, Bastardo, aber dafür wirst du in der Hölle schmoren“ „Oh, ich nehme an, dann treffen wir uns da noch einmal. Dir sollte eines klar sein, wenn du lügst, dann mache ich aus dir ein Sandwich. Unten Dornen, du in der Mitte und oben Dornen, das hast du doch sicher verstanden?“ „Si...“ „Ist eine Familie mit dem Namen Plunkett auf der Insel?“, er zuckte ein wenig zusammen als ich den Namen sagte, das war schon Bestätigung genug, aber ich wartete, bis sein „Si“ mehr gezischt als gesprochen aus seinem Mund kam. Tatsächlich, ich hatte recht gehabt, und obwohl ich genug vermutet hatte, um hierher zu kommen, überraschte es mich letztendlich doch. Trotzdem verdrängte ich es im Moment, die Konsequenzen daraus zu ziehen, denn des Verhör bedurfte all meiner Aufmerksamkeit, „Wie viele Gefangene haltet ihr insgesamt fest?“ „Das habe ich doch schon gesagt, es sind diese Gringos, die drei Americanos“ „Drei? Also auch Señor Plunkett?“ „Si, warum fragen Sie mich immer das Gleiche? Er ist vor einigen Stunden hergebracht worden“ Das würde ins Bild passen, wenn Jonathan Plunkett aus Dallas nach Grenada verschleppt worden wäre, und dann, mit der Maschine, die das AWACS als zweiten Kontakt erkannt hatte, zur Insel gebracht wurde. „Das ist interessant, wer ist der da drüben, Boß? Und wehe, du sagst nicht die Wahrheit“ „Unser Boß ist Hernando, wir hören nur auf ihn, du...“ „Schon gut, ich habe das heute schon gehört. Sag mir lieber, wer ihr seid und wo ihr herkommt“ „Kannst du vorher nicht die Zweige wegnehmen?“ „Nein, also antworte“ „Wir kommen fast alle aus Machurucuto im Süden und wir arbeiten auf Booten. Hernando ist schon seit einigen Jahren unser Anführer und er hat auch diesen Job besorgt“ „Auf Booten, seid ihr Fischer?“, das konnte ich nicht glauben. Aber das brauchte ich auch nicht, denn er zögerte seine Antwort verdächtig lange hinaus, „Äh, wir fischen selbstverständlich auch“ „Und was noch? Los rede!“ „Also manchmal kontrollieren wir einige Boote...“, nun lächelte er etwas verlegen, als ob ich ihn beim Birnenklauen erwischt hätte, „...nach überflüssigem Ballast“ „Was? Ihr seid also nebenberuflich Piraten und überfallt Frachter?“ „Oh nein, das wäre viel zu riskant, die Yachten von reichen Gringos sind besser. Die haben viel zuviel Sachen an Bord und wir können alles gut gebrauchen, Señor. Wir sind arme Leute und die Not zwingt uns, für unsere Familien ein Auskommen zu suchen“ 295
Er sah mir nicht nach einem treusorgenden Familienvater aus und wenn er sich so entschuldigen wollte, war er bei mir an der falschen Adresse. Auch imponieren konnte er mir damit nicht, doch ich hatte sein Verhalten beobachtet und wenn ich mich beeindruckt zeigte, würde ihm seine Eitelkeit einen Streich spielen und mir meine Aufgabe sehr erleichtern. „Oh, Señor Jorge, das ist sicher ein schweres Los, dann kann ich das beinahe verstehen. Demnach befinden sich nur arme Fischer auf der Insel?“ „Si, das ist richtig, Señor, aber nicht ganz, denn es sind auch noch vier Männer dort, die von Hernandos´s Auftraggeber geschickt worden sind. Ganz sicher sind es Ausländer, aber keine Americanos, die würde ich erkennen. Sie sprechen andauernd mit anderen Männern über Funk und einer von ihnen fliegt den Hubschrauber, der die Gringos auf die Insel gebracht hatte“ „Aha, sehr aufschlußreich, Señor Jorge. Ich werde das berücksichtigen“ Nun kamen noch eine Reihe von Fragen über die örtlichen Gegebenheiten und natürlich die Anzahl und Bewaffnung der Entführer, die er mit gelegentlicher Aufmunterung von mir beantwortete. Zum Ende dieses Verhörs wußte ich von fünfzehn verbliebenen Männer auf der Insel und wo sie zu suchen waren, dazu bekam ich einen groben Überblick darüber, welche Ausrüstung ihnen zur Verfügung stand. So wußte ich schon über die Situation auf der Nebeninsel Bescheid, ohne einen Fuß auf sie gesetzt zu haben, und mir reichte das für meine Aufklärungsmission. Sobald die Bell gelandet war, konnte ich über Satellit dem Doktor diese Ergebnisse mitteilen, denn irgend jemand mußte doch damit etwas anfangen können und in der Lage sein die Sache zu beenden. Der leichte Wind rauschte in den Zweigen und trotz der angenehmen Nachttemperaturen lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, als ich an die gefangene Familie nicht weit von mir entfernt dachte. Wenn Plunkett geredet hatte, war es jetzt sowieso schon zu spät und ich mußte dann schnellstens nach Barbados, aber die baldige Anwesenheit des Doktors und von Lilly waren ein gewisser Trost, daß Anne und die anderen Frauen im Notfall nicht alleine waren. Aber vielleicht war er auch standhaft geblieben und es packte mich etwas bei meiner Ehre, ihm dann nicht selbst zu helfen, doch warum sollte es mich danach drängen, alleine gegen einen überlegenen Gegner anzugehen, wenn professionelle Hilfe bereitstand? Die Bell landete und ich ging dem Piloten entgegen, der gerade aus dem Cockpit kletterte, „Gut gemacht, Señor Avialo, ich habe Sie nicht gesehen und erst im letzten Augenblick gehört, meine Gratulation“ „Das war schwierig, Señor Gonzales, aber endlich mal was anderes als diese langweiligen Geschäftsflüge. Es hat mich an die guten alten, aber schlecht bezahlten Zeiten beim Militär erinnert“ „Nun, was beweist, alles hat seine zwei Seiten“ Während wir weiter sprachen und ich ihm, um seine unglaubliche Neugier zu stillen, von den Ereignissen der letzten Stunde erzählte, reichte ich Cristobal ebenfalls eine Sturmhaube herüber, „Hier, wir haben Gäste auf der Insel und die müssen Sie nicht unbedingt sehen“ 296
Danach sprach ich mit dem Doktor, der ebenfalls sehr überrascht war und nun auch bereit schien, trotz seiner Bedenken direkt meine Nachricht weiterzugeben, doch die Umstände machten das mittlerweile sinnlos. Die Spezialeinheit war nämlich bereit, in zwei Stunden die „Framke“ zu entern und konnte diesen Angriffstermin nicht mehr aufschieben, weil das Schiff sonst die internationalen Gewässer verlassen würde und sie in fremden Hoheitsgewässern nicht so einfach operieren konnten. Diese zwei Stunden reichten zwar aus, um die Informationen den Amerikanern zur Verfügung zu stellen, aber kaum mehr für die Planung und das rechtzeitige Eingreifen. Das war eine gefährliche Wendung der Ereignisse, die meine nächsten Schritte nun zwingend notwendig machten. Jede Diskussion in mir verstummte, weil ich nicht einfach mit ruhigem Gewissen zusehen konnte, was möglicherweise nur wenige Kilometer von mir entfernt geschah und so fiel in mir die Entscheidung, nun weiter zu gehen, innerhalb weniger Sekunden. Wahrscheinlich hätte ich den jungen Piloten nur fragen brauchen und ich hätte einen wertvollen Mitstreiter an meiner Seite gehabt, doch er hatte mir schon genug geholfen und würde das weiter tun, indem er mich notfalls von der Insel holen konnte. Deshalb war sein Platz hier vielleicht sogar noch wichtiger, als wenn er mich begleitete. „Señor Avialo, wenn ich drüben angekommen bin und aus irgendwelchen Gründen die Lage brenzlig werden sollte, dann hauen Sie ab, haben Sie das verstanden?“ „Ja, aber ich kann Sie doch nicht alleine lassen“ „Das ist sehr großzügig von Ihnen, doch Sie sind als Pilot bei meinem Freund Juan eingestellt und haben hier schon mehr geleistet, als von Ihnen erwartet werden konnte. Alles, was jetzt passiert, muß ich verantworten und ich möchte nicht, daß Sie aus Übereifer oder Loyalität ins Gras beißen“ „Gut Señor, Sie haben hier das Kommando, aber ich werde hier warten, solange es geht!“ Noch stand der Wind günstig und die Nacht legte sich wie ein schützender Mantel um das Schlauchboot, als ich mich zur Insel aufmachte. Langsam tastete ich mich an das Land heran und die kleinen Wellen schlugen regelmäßig gegen den Schwimmkörper. Nach der Hälfte des Weges stellte ich den Motor ab und benutzte von da an das Paddel, nun war es ruhig, vielleicht zu ruhig und eine knisternde Spannung baute sich auf. Drohend zeichnete sich dunkel das Land als schwarze Masse vom sternenerfüllten Horizont ab, dem ich mich Schlag für Schlag näherte und spürte, wie es still und abweisend auf mich wartete. Mein Kurs beschrieb einen leichten Bogen, so daß ich von Nordwesten an die Insel herankam und dort landen wollte, wo das Gebiet mit den Felsklippen begann. Da ich nun wußte, wo die Wachen zu erwarten waren, wählte ich diese Stelle mit Bedacht, auch wenn ich mich auf die unbestätigten Aussagen eines Piraten stützen mußte. So kam ich bis aufs äußerste gespannt zu diesem Punkt und jede Welle brachte mich den ersten Ausläufern des weißen Strandes bei den Klippen näher. Dort gelandet hörte ich links von mir die Brandung, welche von einigen Vogellauten durchbrochen wurde, als ich das Boot an Land zog, um es zwischen den kleineren Felsbrocken zu verstecken. 297
Mein Nachtsichtgerät, das ich wie den Rest der Ausrüstung in einem Rucksack aus dem Helikopter mitnahm, hatte ich schon vor meiner Landung, genau wie eine schwarze Sturmhaube, aufgesetzt. Jetzt half es mir, mich sicher entlang der Felskante zu bewegen und die ersten Büsche zu erreichen, wo ich unabsichtlich einige der Vögel aufschreckte und mich darüber maßlos ärgerte. Gespannt horchte ich nach allen Seiten in die Nacht, aber es tat sich nichts und nun vorsichtiger setzte ich meinen Weg ins Zentrum dieses Eilandes fort. Ich hatte vor, von der Mitte aus in jede Richtung die Lage zu sondieren und gezielt zuerst bei den Wachen zuzuschlagen, die ich aus meinem Rücken beseitigen mußte, um mich sicher dem Camp zuwenden zu können. Weit entfernt auf dem flachen Strand nach Westen hin, sah ich nun mit meiner technischen Hilfe den ersten Doppelposten, der sich wenig Mühe gab, in Deckung zu bleiben und die Zeit damit verbrachte, zu rauchen, wie mir die immer wieder aufglühenden hellgrünen Punkte meines Monitors verrieten. Vorerst verschonte ich sie noch, denn ohne die genaue Position jeder Wache brauchte ich nicht zu beginnen, weil die Zeit, um später nach ihnen zu suchen, fehlen würde und diesen Fehler konnte ich mir nicht leisten. Weiter ging es, wie ein Reptil mit Wärmemangel versuchte ich, die Bewegungen zu verlangsamen und gegen den inneren Trieb anzugehen, schnell mein Ziel zu erreichen, was bei einem Kampf gegen die Uhr schwerer als erwartet war und mich einige Beherrschung kostete. Einige Minuten später hatte ich alles gesehen, was ich brauchte und wandte mich den beiden Männern zu, die am weitesten vom Camp entfernt waren, der Posten im Norden auf den Ausläufern der Felsformation. Durch das Nachtsichtgerät waren sie schon von weitem zu erkennen, denn zum spähen standen sie nicht auf den höchsten Klippen, die allerdings schroff und uneben waren, sondern viel zu weit östlich auf einer seichten Erhöhung, was ihnen wohl bequemer war. Die felsigen Ausläufer boten mir eine ideale Deckungsmöglichkeit, was das Anschleichen zu einem Kinderspiel werden ließ und mich deshalb mißtrauisch machte, weil ich glaubte, etwas übersehen zu haben. Mehrmals suchte ich deshalb den ganzen Bereich ab und griff, nachdem ich mich von der Unrichtigkeit meines Gefühls überzeugt hatte, zu meiner schallgedämpften Maschinenpistole. Wieder einmal sollte mir ein Stein helfen, den ich in hohem Bogen vor den Wachen in das Wasser platschen ließ und somit die Aufmerksamkeit meiner ersten beiden Opfer auf diesen Punkt lenkte. Der Trick war so alt, daß ich jedesmal darauf gefaßt war, durchschaut zu werden und doch überraschte ich damit auch diesmal wieder zwei ahnungslose Träumer. Sofort sprang ich hoch, die Waffe schußbereit nach vorne gerichtet, und rannte auf die Männer von hinten zu, was ihren Sinnen aber entging, weil ihr Blick immer noch suchend auf der offenen See ruhte, so daß beide mir optimal den Rücken zukehrten. Peinlich wurde es erst, als ich hinter ihnen stand und immer noch unbemerkt blieb, denn das Meeresrauschen hatte meine Schritte überdeckt und so bekamen sie die Höchststrafe, je einen Bully und mindestens zwei Minuten Auszeit. 298
Entwaffnen, fesseln und verstauen wurde langsam zur Routine, diesmal mit der kleinen Variation, daß ich die Riemen der Gewehre zum Verschnüren benutzte. Zusammengenommen dauerte die ganze Sache nicht einmal fünf Minuten. Das ließ mich optimistisch an Team Zwei heranschleichen, welches sich durch seine Nikotinsucht selbst enttarnt hatte und immer noch diesem Laster frönte. So entfleuchte mir ein sarkastisches „Rauchen schadet ihrer Gesundheit“, als beide nach dem gleichen Prinzip wie ihre Kollegen von mir behandelt wurden. Das dritte Team würden wohl eine härtere Nuß werden, nicht daß sie viel eifriger als ihre Kumpane waren, aber sie befanden sich am Weststrand, der vom Lager teilweise einsehbar war, weil er in einen weichen Bogen nach Süden einschwenkte und so einen guten Blick vom Camp zuließ. Fast dreißig Minuten waren vergangen, seitdem ich meinen Angriff im Norden begonnen hatte, und ich befand mich nun zwanzig Meter vom letzten Posten entfernt. Schaute ich nach rechts, sah ich in knapp sechshundert Metern die Lichter und einige dunkle Umrisse des Lagers, die sich vom hellen Sand abzeichneten. Ich lauerte hinter einem der vielen Büsche hier, welche die Grenze zum Strand bildeten, und schaute etwas ratlos zu den beiden schwarzen Schatten direkt am Wasser, die gelangweilt herumstanden und gelegentlich einige Schritte gingen. Worte wechselten sie kaum, höchstens ein kurzes Murmeln, wenn sie sich eine Zigarette anzündeten, oder verstohlen zu den Zelten blickten, wo sicher eine Hängematte auf sie wartete. Mir bereitete es einiges Kopfzerbrechen, wie ich die Männer ausschalten sollte, irgendwie müssen sie vom breiten Strand weg und langsam machte ich mich mit dem unangenehmen Gedanken vertraut, daß ich sie einfach wegpustete. Lagen sie ersteinmal am Strand, sah sie niemand mehr vom Camp, so schaute ich zum letzten Mal auf die Uhr und suchte angestrengt nach einem anderen Ausweg. Vor mir war eine kleine Schneise, die vegetationslos einige Meter in die Mitte der Insel hineinragte und nur mit einer Anzahl an Steinen bedeckt war. Konnte mir das helfen? Ja, das konnte es, jedenfalls bot sich eine Chance, die erfolgversprechend aussah. Schweißperlen kullerten von meiner Stirn und liefen zur Nasenspitze, wo sie juckten, als ich mich nach hinten wegdrückte und tiefer im Unterholz verschwand. Gab es hier eigentlich Schlangen, oder Skorpione? Es gibt Fragen, die sollten am besten nicht beantwortet werden. Sogleich begann ich in einer kleinen Seitentasche zu kramen, weil mein Plan etwas ganz Bestimmtes verlangte, nämlich die Rolle Angelschnur aus meinem Universal Survival Kit, ohne daß ich mich nie in die Wildnis begeben würde. In Australien hatten sie nur eine magere Version von dieser Ausrüstung angeboten, aber ich hatte es trotzdem gekauft – zu Recht, wie sich jetzt herausstellte... Lautlos kam ich zum Ende der Einbuchtung im Gebüsch und suchte mir einen passenden Zweig, an dem ich die Schnur fest verknotete und um den Stamm des nächsten Bäumchens legte. Dies wiederholte ich einige Male, bis ich fast wieder an der Ausgangsposition war und nun, über einige natürliche Ablenkvorrichtungen, den Zweig ohne Probleme bewegen konnte. 299
Liegend, die Waffe schußbereit vor mir, fing ich an zu ziehen und einige Meter von mir entfernt begann es zu rascheln. Wie beim Pilken in der Nordsee zupfte ich kurz und verharrte dann, möglichst in unregelmäßigen Abständen, was nach einigen Versuchen auch die Aufmerksamkeit der beiden weckte. Sie sollten nur neugierig werden, nicht mißtrauisch, deshalb sollte es sich so anhören als wenn ein Tier durch die Sträucher streift, das sich nachts nach etwas Eßbarem umsah. Über zwei Minuten lang schauten sie sich unschlüssig an, dann ging der Erste dicht an mir vorbei in die Schneise. Der Zweite blieb am Strand und beobachtete seinen Kompagnon genau, wie er nun vor dem Busch stand und verzweifelt nach der Ursache des Raschelns suchte. Ich war auf alles gefaßt, wenn er nun die Schnur entdecken würde, mußte ich handeln und es wäre um beide geschehen gewesen, aber seine Blindheit rettete ihm vorerst das Leben. Natürlich verkniff ich mir, etwas zu tun, als er dicht vor dem Zweig stand und fing in dem Augenblick wieder zu ziehen an, als er schulterzuckend wieder den halben Weg zu seinem Partner zurückgelegt hatte. Jetzt nervte es diesen und er ging selbst schnellen Schrittes dorthin, wo der andere so ratlos gerade wieder herkam, der sich auf dem Absatz umdrehte, so daß die Männer Augenblicke später vor dem Gehölz knieten und mit den Läufen ihrer Waffen darin herumstocherten. Bevor die beiden doch noch die Angelsehne entdeckten, stand ich auf, trat seelenruhig aus dem Dickicht und stellte mich genau hinter sie, wo ich mit zwei wuchtigen Ausholbewegungen das alte Sprichwort widerlegte, daß alles Gute von oben kam. Den Rücken hatte ich damit frei, aber noch nicht die Plunketts und dafür blieb mir auch nicht mehr viel Zeit. Also schlich ich mich durch das Unterholz am Strand entlang und näherte mich dem äußeren Rand des Lagers, indem ich mich wieder weiter in den Schutz der dichter werdenden Vegetation begab, die sich rechts von mir bis zur Mitte ausbreitete. Nach einigen Minuten sah ich etwas, daß sicher nicht natürlichen Ursprungs war, einen kleinen Verschlag aus Palmmatten, der sich nach einer kurzen Untersuchung als Latrine herausstellte. Es brauchte etwas Überwindung, um hinter die angrenzenden Sträucher bis an die Rückseite dieses „Toilettenhäuschens“ zu kriechen und von dort das sich öffnende Gelände, auf dem sich das Camp befand, zu besichtigen. Sechs Männer hatte ich hier ausgeschaltet, zwei weitere saßen gefesselt auf der Nebeninsel und Armando hatte seine gerechte Strafe bekommen, blieben noch neun Halunken, nach denen ich Ausschau halten mußte. Viel Hektik und Betriebsamkeit verbreiteten die Leute, die ich sehen konnte, was es mir erschwerte, alle im Auge zu behalten, doch sofort erfaßte ich die Anordnung der Zelte im Halbdunkel des mit einigen Laternen beleuchteten Platzes. Vor einem von ihnen, das im linken Teil etwas abseits stand, lungerten zwei Kerle herum, die mit offenbar mit wenig Elan ein Auge darauf hatten. Ein Mann saß mit dem Rücken an einer Kiste und schlief fast ein, der andere schien sichtlich nervös, denn 300
ohne erkennbaren Grund ging er auf und ab und schaute dabei mehr auf den Boden, als sich für seine Umgebung zu interessieren. Die restlichen Männer schwärmten wie Bienen um eine Plane, die zwischen einigen Bäumen und diversen Haltestangen gespannt war und so wie ein Pavillon aussah, der den Blick durch die vier offenen Seiten ins Innere freigab. Darin befanden sich einige große Transportkisten, auf denen offenbar eine Kommunikationsanlage stand, vor der zwei Männer mit dem Rücken zu mir saßen. Sie schienen nicht gerade freundlich miteinander umzugehen, wenn ich die Gesten richtig deutete, doch leider war ich zu weit entfernt, um etwas von dem Disput verstehen zu können. Besser zuhören konnten da die umstehenden Leute, die sich unauffällig in Hörweite um das Geschehen gruppiert hatten und nun so taten, als wären sie mit anderen Sachen beschäftigt. So wie ich auch, denn ich versuchte zuerst durch die Kleidung hinter die Struktur der Entführer zu kommen und das war recht aufschlußreich. Ein Teil waren zweifelsfrei die Piraten, denn bestenfalls trugen sie eine ordentliche Hose zu den diversen zusammengewürfelten Shirts und Hemden und das bestätigte auch die Menagerie der unterschiedlichsten Waffen, so daß die Uneinheitlichkeit ihre bevorzugte Uniform war. Vier Männer unterschieden sich grundlegend von ihnen, sie waren in schwarze Kampfanzüge gekleidet und trugen dazu eine Panzerweste, außerdem benutzten sie Headsets, die mich frappant an die Geräte aus dem Castello di Montana erinnerten, was mich aber nicht wirklich überraschte. Die Konstellation schien günstig, das bewachte Zelt in Augenschein zu nehmen, wo sich höchstwahrscheinlich die Gefangenen aufhielten, denn solange die Terroristen und die Piraten sich auf das Streitgespräch konzentrierten, waren meine Chance wesentlich besser, dorthin zu gelangen. Also zog ich mich langsam zurück und mußte den Weg um die Latrine herum nehmen, da ich nicht ungesehen über den Trampelpfad, den die Männer benutzten, um ihre Geschäfte zu verrichten, auf die andere Seite kommen konnte, wo ich die Plunketts vermutete. Gerade schlängelte ich mich in langsamen Bewegungen über den steinigen Untergrund an dem Verschlag vorbei, als ich zuerst dumpfe Schritte hörte und dann einen dunklen Schatten sah, der aus dem Camp auf mich zu kam. Der Schreck traf mich und nahm mir für eine Sekunde die Luft, bis meine Routine wieder die Kontrolle übernahm und ich angespannt zwischen den Sträuchern an der Rückwand abwartete. Noch ging der Mann auf dem ausgetretenen Pfad entlang, jedes Zucken hätte mich zwischen dem spärlichen Bewuchs verraten können und so verharrte ich an meinem Platz, von dem ich den Schatten jetzt als einen schwarzgekleideten Terroristen erkannte. Hatte er mich wohlmöglich entdeckt? Die Antwort darauf konnte ich schneller bekommen als mir lieb war. Jetzt verschwand der Kerl, durch die Palmmatten verdeckt, aus meinem Blickfeld und ich mußte mich entscheiden, wie meine Reaktion für die nächsten Sekunden aussehen sollte. Kam er gleich auf meiner Seite wieder hervor, mußte ich möglichst schnell und lautlos sein, aber dies geschah nicht. 301
Er hatte offenbar etwas dringenderes im dem Verschlag zu erledigen und sein größtes Problem bestand wohl im Moment in seiner Ausrüstung, die er irgendwie vom Körper bekommen mußte, da diese provisorische Konstruktion der Latrine nicht viel Platz ließ. Deshalb legte er seinen Tragegurt samt einer Umhängetasche ab und behielt einzig die Maschinenpistole in den Händen, was ihm aber sicher bei seiner jetzigen Aufgabe nicht helfen würde, die nach den Geräuschen zu urteilen etwas länger dauern würde. Das paßte mir gut ins Konzept und gab mir Gelegenheit, diesen nun doch sehr ungastlichen Ort zu verlassen, anstatt den Mann auszuschalten, denn sein Verschwinden könnte schon bemerkt werden, bevor ich den Plunketts zur Flucht verholfen hatte. So setzte ich mich gerade in Bewegung, da fiel mein Blick auf den abgelegten Tragegurt, an dem drei Handgranaten hingen, die ich eigentlich sehr gut brauchen könnte. Doch es wäre zu auffällig gewesen, alle Granaten mitzunehmen, bei einer hingegen konnte es funktionieren und ohne weiteres Zögern brachte ich sie in meinen Besitz. Die Zeit konnte knapp werden, ich rechnete jeden Moment mit der Befreiung der „Framke“ und dann würde es nicht lange dauern, bis man auch hier Bescheid wußte, was für die Geiseln im schlimmsten Fall den Tod bedeutete. Davon durfte ich mich aber nicht nervös machen lassen und riß mich noch einmal zusammen, als ich in dem dunklen Schatten, den das Zelt durch die dahinterstehenden Lampen warf, über den Strand dorthin kroch. Das kostete einige Überwindung, denn erst ganz dicht an der Rückwand war ich von den anderen Männern nicht mehr zu sehen und jederzeit konnte eine der Wachen auf die Idee kommen, um das Zelt herumzugehen. Erleichtert erreichte ich mein Ziel und machte mit meinem Messer einen kleinen Einstich in die Zeltwand, der mir einen Blick hinein gestattete und das erwartete Bild zeigte, die Plunketts gefesselt und geknebelt. Das war mir sogar recht, denn ein Aufschrei der Überraschung konnten wir uns in dieser Situation nicht leisten und schnell war ein tiefer Schnitt gemacht, der von drei Augenpaaren ängstlich, dann ungläubig verfolgt wurde. Meine Geste zum Schweigen war unmißverständlich und nacheinander befreite ich die Gefangenen, deren Überraschung ich nutzen mußte, bevor sie über ihre Flucht und deren Gefahren nachdenken konnten. So sollte Jonathan Plunkett als erster im Schatten bis zu den Büschen kriechen, weil er damit seiner Familie etwas Sicherheit für diese Aufgabe gab, die es ihm hinterher gleichtun müßte. Plunkett kroch los und auch ich begab mich wieder nach draußen, wo ich mich dicht an die Rückwand stellte und handeln würde, wenn sich jetzt jemand dem Zelt näherte. Für einen ungeübten Büromenschen hatte der Amerikaner das nicht schlecht gemacht und nur wenig bewegten sich die Zweige der ersten Buschreihe, in der er verschwunden war. Dann kam seine Frau als nächste dran, denn mit Absicht wollte ich den Sohn zum Schluß gehen lassen, der im Notfall sicher schneller rennen konnte als seine Mutter, 302
doch Misses Plunkett wollte sich zunächst weigern und natürlich zuerst ihr Kind in Sicherheit wissen. Ich beruhigte sie und gab ihr zu verstehen, daß alles so in Ordnung sei, dann machte sie sich immer noch zweifelnd entlang der Spuren ihres Mannes auf den Weg. Aber viel zu langsam ging es voran und meine Hände griffen noch fester um die Waffe, noch intensiver horchte ich in die Nacht. Sekunden wurden für mich zu Minuten und jeden Moment erwartete ich einen Aufschrei, der die Flucht verriet, doch nichts dergleichen geschah und nur zufällige Laute drangen vom Funkzelt zu uns herüber. Instinktiv half Mister Plunkett seiner Frau als sie die Büsche erreichte, aber umsonst, ein Ast, an dem sie hängen blieb, schwang zurück und peitschte dem nächsten Strauch entgegen. Wie in Zeitlupe sah ich das Unglück kommen und konnte schon erahnen, daß uns dies sicher verraten würde, als Plunkett mit einem Reflex zugriff und das Schlimmste im letzten Moment verhinderte. Trotzdem hielt ich erstmal inne und holte tief Luft, die nächsten Augenblicke war ich auf alles gefaßt, aber niemand näherte sich und bevor sich das änderte, mußte der Junge raus, der nun seinen Eltern in die Freiheit folgte. Ich schätzte ihn auf sechzehn Jahre, vielleicht noch jung genug, damit er das alles als ein Abenteuer ansah und alt genug, um nicht herumzuhampeln. Er war der schnellste und leiseste, besser konnte ich es auch nicht machen und nun zum Schluß, da der schwierigste Teil erledigt war, hatte ich noch eine kleine Überraschung vorzubereiten. Mit dem Klebeband, das man zum Fesseln benutzte und dann achtlos in die Ecke geworfen hatte, fixierte ich die Handgranate an der mittleren Zeltstange, nahm etwas von meiner Angelschnur und band sie um den Sicherungsbolzen. Das andere Ende kam an eine Öse der Zeltplane, die den Eingang verdeckte und zwangsläufig bewegt werden mußte, wenn jemand hinein wollte. Eine tödliche Alarmanlage, die mir ein untrügliches Zeichen gab, das jemand zu den Gefangenen wollte und nun sicher nicht mehr dazu kam, von ihrem Entkommen zu berichten. Nun schnell weg, ich verschwand genauso schnell hinter dem Vorhang, den Sträucher und Nacht uns boten und als ich bei der Familie ankam, wollte Plunkett gleich mit mir reden, aber ich winkte ab und erst als wir zehn Meter im Dickicht waren, konnten wir ungefährdet einige Worte wechseln, „Ist alles in Ordnung?“ „Ja, wir sind unverletzt, Mister Kronau. Ich habe gewußt, daß Sie kommen werden und ich habe Sie nicht verraten“ „So? Da wußten Sie mehr als ich selbst, aber lassen wir das, denn es gibt Wichtigeres zu tun. Übrigens, gut daß Sie nichts gesagt haben, Mister Plunkett, damit sind wir quitt“ Sein überraschtes Gesicht brachte mich zum Lächeln und als ich ihn mit seiner Familie sah, verflog mein Ärger und ich wußte, daß der ganze Aufwand sich gelohnt hatte. Aber es war noch nicht vorbei und mit kurzen Anweisungen schickte ich die drei zu dem Versteck des Schlauchbootes, damit sie sich bei Señor Avialo in Sicherheit bringen konnten. Ich hingegen wollte hier solange ausharren und ihnen notfalls mehr Zeit für die Passage verschaffen, um später mit der mitgenommenen Tauchausrüstung zu folgen. Dabei wußte ich natürlich, daß jeden Moment die Flucht entdeckt werden konnte, oder eine Nachricht von der „Framke“ kam und deshalb glaubte ich insgeheim 303
nicht daran, auf diesem Weg ungestört zurückzukommen. Aber ich zog es vor, die Terroristen lieber hier zu beschäftigen, als in einem Schlauchboot mitten im Meer von ihnen aufgebracht zu werden, also drückte ich dem Amerikaner zum Abschied eine erbeutete Pistole in die Hand und wünschte ihnen viel Glück. Hinterher sprach ich noch kurz mit Señor Avialo, um ihn auf den kommenden Besuch vorzubereiten und mit der Bitte, die Plunketts in Empfang zu nehmen. Bis jetzt ging alles erstaunlich einfach, dabei half mir sicher das Überlegenheitsgefühl der Gegner und eine Menge Glück, aber auch nicht zu vergessen die Portion Entschlossenheit, im richtigen Augenblick zu handeln. Millimeter für Millimeter schlängelte ich mich wieder näher an das Camp, bis mich nur noch einige Zweige davon trennten. Außer meinen langsamen Bewegungen verdankte ich auch sicher der künstlichen Beleuchtung, daß es mir möglich war, so dicht an den Strand zu kommen, denn die Augen der Männer dort sahen dadurch zwangsläufig den Hintergrund viel dunkler. So kam ich wirklich auf Hörweite an das Funkzelt heran und erkannte jetzt an der Stimme einen der sitzenden Männer, die ich schon vorhin gesehen hatte, Miguel Almera. „...nicht im Griff. Ihre Leute haben wohl nie etwas von Disziplin gehört, Hernando. Sie haben mich nicht über diesen Vorfall informiert, ich gebe hier die Befehle und nicht Sie, verstanden!“ „Si, Comandante Torro, ich habe es Ihnen doch schon erklärt, meine Männer waren sich nicht sicher, was sie gesehen hatten und nun suchen sie ganz genau die Insel ab“ „Bullshit, was versuchen Sie, mir zu verkaufen, Hernando. Diesen Krümel Sand suche ich in zehn Minuten ab. Ich weiß schon, was Ihre Männer da drüben machen, sie saufen und haben nur eine Ausrede gesucht, um verschwinden zu können“ „Comandante, meine Leute sind zuverlässig, sonst hätten ihr Boß und mein Boß keine Vereinbarung und Sie haben selbst gesehen, wir schnell wir dieses Schiff in unsere Hände bekommen haben. Vielleicht sollten Sie deshalb mit Ihren neuen Partnern etwas milder sein, schließlich hat doch alles, was wir gemacht haben, funktioniert und Ihr Teil ist schief gegangen, oder täusche ich mich da?“ „Was wollen Sie damit sagen?“ „Ich bitte untertänigst um Verzeihung, Comandante. Natürlich ist Ihr Plan bis zu einem gewissen Zeitpunkt hervorragend aufgegangen, wie Sie den Gringo mit dem Bild seines Sohnes dazu gebracht haben, ihn zu holen, damit wir seine gesamte Familie schnappen können, war zum Beispiel für mich ein genialer Schachzug“ „Da haben wir es wieder, Ihr Piraten habt nur einen Blick für das Vordergründige und seht nie die Wahrheit dahinter. Den Jungen hätten wir auch leicht in den Staaten entführen können, aber so wäre es ein Fall für das FBI gewesen und warum soll man die auf unsere Spur locken. So geht das hauptsächlich die venezolanischen Beamten etwas an und darüber mache ich mir keine Sorgen“ „Bewundernswert diese Voraussicht, aber wenn alles so genial durchdacht ist, warum sitzen wir noch hier und haben noch nicht das Geld und die Pläne?“ Diesem Hernando schien es, nach seinem Gesicht zu urteilen, sehr viel Spaß zu machen, Almera in Verlegenheit zu bringen, denn bei seinen Worten nickten murmelnd die umherstehenden Gefolgsmänner des Piraten. Almera machte hingegen nicht den 304
Eindruck, als ob er sehr gerne mit diesem Haufen zusammenarbeitete und schien sich nur mühsam einen härteren Ton zu verkneifen, „Sehen Sie, das ist der Vorteil einer militärischen Ausbildung, wir können eben auch auf unvorhergesehene Umstände reagieren und zetern nicht darüber, wenn es mal nicht so läuft, wie man es sich vorher gedacht hat. Diese Sache ist zwar ein bedauerlicher, aber nicht entscheidender Rückschlag und unsere Spitzel melden mir alle Maßnahmen, die gegen uns eingeleitet werden. Morgen werde ich mich einfach mit diesem Geldkurier in Verbindung setzen und so das Geschäft beenden. In der Zwischenzeit haben Ihre Leute das Schiff verschwinden lassen und wir rücken von hier ab, nachdem die Zeugen beseitigt worden sind. Es ist nichts passiert, was das Ergebnis dieses Unternehmens geschmälert hätte und die Pläne hatten sowieso immer nur eine sekundäre Bedeutung, außerdem war für Ihre Leute nur ein Anteil am Geld vereinbart und den werden Sie auch bekommen“ „Das hoffe ich in Ihrem Interesse, eigentlich ist doch schon soviel da, daß es für uns reicht. Was halten Sie davon, wenn wir verschwinden, und Sie können ja mit ihren Leuten morgen den Rest erledigen“ „Nichts würde mich mehr freuen, als diese Zusammenarbeit sofort zu beenden, aber wir haben das gemeinsam angefangen und ich dulde es nicht, wenn jemand zwischendurch aussteigen will. Außerdem sollten wir mit dem Erschießen der Amerikaner solange warten, bis wir auch wirklich das Geld haben, es wäre doch zu ärgerlich, wenn noch etwas dazwischen kommt“ Ich hatte genug gehört, daß mir übel werden konnte, und ich stellte mich darauf ein, noch einige widerliche Details von Almera zu hören, als weit hinter mir ein Motor zu hören war. Die Plunketts waren noch nicht weit genug entfernt gewesen, bevor sie den Motor starteten, und auch im Camp hörte man das Geräusch, doch noch hielt man sie für die eigenen Leute und reagierte nicht darauf. Ganz im Gegensatz zu mir, denn spätestens, wenn sich das Boot deutlich wahrnehmbar entfernte, wurde man hier aufmerksam und darauf sollte ich besser vorbereitet sein, so verließ ich meine Position und versteckte mich hinter einer der ersten Palmen. Gerade rechtzeitig kam ich dort an, als man wirklich aufgeregt wurde, und Almera den mir schon bekannten Helikopter am Strand startbereit machen ließ, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Dann überschlugen sich die Ereignisse, denn am Funkgerät kam, zweifelsfrei durch die Nachricht vom Angriff auf die „Framke“, Hektik auf und der Spanier gab dem nervösen Wachmann den verhängnisvollen Befehl, nach den Geiseln zu schauen. Die darauffolgende Explosion fegte, von einem taghellen Blitz begleitet, das Zelt auseinander und schaltete gleichzeitig auch die zweite Wache aus. Fast parallel feuerte ich eine Granate ab und ärgerte mich unbeschreiblich, als ich den Hubschrauber verfehlte und nur ein Schlauchboot versenkte, das unschuldig am Strand herumlag. Als erster hatte Hernando begriffen, daß ihr Plan stärker ins Wanken geriet, als er es vorhin noch dachte, und er begann sofort, seine Leute anzubrüllen, ohne daß er selbst aus seiner Deckung kam. Daraufhin schossen einige wahllos in die Gegend, so daß ich auch auf Tauchstation ging, um nicht aus purem Zufall getroffen zu werden. Hinter meiner Deckung kam ich vorsichtig wieder hoch und mußte nun sehen, wie Almera den 305
Helikopter bestiegen hatte und wild auf den Piloten einredete, was wohl Hernando dazu bewegte, jetzt auch dorthin zu rennen, um die Maschine im letzten Augenblick zu besteigen. Sofort wollte ich meinen Fehler wieder gut machen und diesmal besser zielen, aber jemand hatte gesehen, woher die Granate abgefeuert wurde, und begann mich mit einem schweren MG zu beschießen. Dessen Mündungsfeuer war für mich gut sichtbar zwischen einigen Kisten eingebettet, die hinter den Zelten am Strand aufgestapelt waren und machten es fast unmöglich, den Schützen zu erfassen. Die restlichen Männer erkannten auch diesen Vorteil und begannen nun ebenfalls, hinter dem MG in Stellung zu gehen, einzig einer von Almera´s Männern nutzte die Funkanlage als Deckung und tauchte mehrmals nacheinander dahinter auf, um mehrere Schüsse in meine Richtung abzugeben. Langsam war ich in der Zwickmühle, um mich herum fielen die Blätter wie beim Herbstanfang, ohne daß ich eine Antwort geben konnte. Doch dafür wurde es Zeit, mein erster Versuch mit dem Granatwerfer war die Generalprobe gewesen, jetzt kam die Premiere, so schätzte ich die ballistische Bahn zum MG und drückte ab, um mich gleich wieder flach hinzuwerfen. Abermals hatte ich das Ziel nicht getroffen und trotzdem dort alle Terroristen ausgeschaltet, als mein Geschoß die dahinter stehenden Treibstoffässer in die Luft jagte und so wie beim Billard über die Bande ins Loch getroffen hatte. Der Hubschrauber, mittlerweile in der Luft, drehte aufs offene Meer ab, aber dieser Mistkerl Almera durfte mir nicht entkommen und so mußte ich jetzt Druck machen. Mit meiner HK53 gab ich mehrere Salven in das Funkgerät ab, bis es zu brennen begann und rannte sofort auf den Strand, um mit einer Rolle neben dem Pavillon zu landen und noch eine Salve hinter die Geräte abzugeben. Doch das war unnötig, denn der Mann lag schon tödlich getroffen am Boden und ich wandte mich den brennenden Kisten zu, von denen ich unter Beschuß genommen wurde. Sicherheitshalber gab ich noch einen Feuerstoß in Richtung des lodernden Feuers, doch ich erhielt keine Antwort mehr und nur das MG mit seiner aufgeklappten Fußstütze und dem eingelegten Patronengurt lag einige Meter vom Inferno weggeschleudert im Sand. Ich hob es auf und folgte mit meinen Augen dem Hubschrauber, nur noch undeutlich konnte ich die gelben Schwimmer im Mondlicht erkennen und fluchte darüber, daß ich das nicht verhindern konnte. Langsam ließ ich die Waffen sinken und sah mich routinemäßig um, als ich am Strand unter den Tarnnetzen etwas Spitzes sah, das mich sofort wieder elektrisierte. Ohne zu überlegen rannte ich dorthin, schnitt die Plane auf und sah den Bug eines Speedbootes, daß vor mir auf dem hell erleuchteten Strand lag und auf Rollen an Land gezogen wurde. Zwei Schnitte durch die Haltetaue genügten und es glitt langsam nach hinten, dann waren die Schrauben im Wasser und dreißig Sekunden später war ich wieder im Geschäft. Nur wenig über den extrem langen Bug ragte etwas hoch, daß man gerade so als Schutzscheibe bezeichnen konnte und das aus Plexiglas bestand, das man in stabilen Kunststoff eingefaßt hatte, um genügend Stabilität zu bekommen. Kurz entschlossen 306
zückte ich die P8, schoß rechts und links in gleichem Abstand von der Mitte zwei Löcher hinein und rammte die Fußstütze des MG nun in diese Verankerung – nicht schön, aber selten und vor allem sehr praktisch. Ein Schauer jagte mir über den Rücken als der Motor hochtourte und ich zuerst den Hebel zum Rückwärtsfahren umlegte, dann fast auf der Stelle wendete und mit Vollgas der letzten Position von Torro hinterherjagte. Wie im Rausch beschleunigte ich in die Dunkelheit, auf den Feind, der sich auf die offene See absetzte, fixiert und deshalb schien es relativ sicher, nicht auf ein Riff zu laufen, doch ich täuschte mich, denn ein kurzes Knirschen war zu höhren und dann hob sich das Boot aus dem Wasser. Mit verkrampften Händen am Steuer und aufgerissenen Augen im Gesicht flog ich durch die Luft, um genauso überraschend wieder sanft im Wasser zu landen und sofort wieder die Beschleunigung zu spüren. Oh Mann, war das knapp und zum Glück waren meine Hosen nur naß, weil die Gischt ins Boot geschwappt war. Nach einigen Schrecksekunden hatte ich diese kleine Krise überstanden und sah in den Nachthimmel, aber es war mir nicht möglich, den Hubschrauber zu finden, obwohl ich förmlich spüren konnte, daß er sich in meiner Nähe befand. Irgend etwas mußte mir einfallen, sonst verlor ich ihn und da fiel mir mein Rucksack ein, in dem neben anderen Sachen auch die Munition für den Granatwerfer steckte, so kramte ich und fand den gesuchten Leuchtstern, der langsam sinkend die ganze Gegend für einige Zeit erhellen würde. Doch meine Absicht war es nicht, dadurch die Maschine zu finden, sondern sie anzulocken. Sah Almera nur das Boot mit einem Mann, konnte er vielleicht nicht widerstehen und würde mich finden, anstatt umgekehrt. Kaum hatte ich das zuende gedacht, leuchtete auch schon ein neuer Stern am Himmel und tauchte das Meer in ein künstliches Licht. Da, an meiner Steuerbordseite sah ich eine Silhouette und meine Vermutung trat ein, ich fand mein Ziel und der Hubschrauber änderte seinen Kurs direkt auf mich zu. Ich riß augenblicklich das Steuer herum, wobei das Boot beinahe kenterte und griff zum Abzug des fixierten Maschinengewehrs. Zweihundert Meter vor mir kippte der Helikopter ab und schwenkte nach links, wo nun aus der rechten, geöffneten Tür aus zwei Waffen auf mich gefeuert wurde, was dem Polster der Heckbank nicht gut tat und es nachfolgend um mich brodelte, als ob ich in einem heißen Topf mit Wasser schwamm. Mit durchgedrücktem Hebel flog ich den Terroristen entgegen und gab einige kurze Feuerstöße ab, bei denen ich bedauerte, daß ich keine Leuchtspurmunition hatte. Denn die hätte mir gezeigt, um wieviele Millimeter ich die Maschine verfehlte, die nun unbeschädigt über mich hinwegflog und dabei versuchte, mich auszumanövrieren, um wieder in Schußposition zu kommen. Fast zwei Minuten tanzten wir um uns herum, aber keiner konnte einen Vorteil erzielen. Beide waren wir wendig, er vielleicht mehr, dafür war ich schneller und mußte meine Aktion nicht mit mehreren Leuten koordinieren. Dann hatte ich von dem Spiel genug. Instinktiv, als sich die Gelegenheit bot, jagte ich auf den Helikopter zu, dessen Kanzel jetzt genau oben vor mir war und fuhr unter ihm 307
hinweg, so blieben mir nur wenige Sekunden im toten Winkel darunter. Genau dort stellte ich das MG senkrecht und schoß nun meine letzte Munition in den einige Meter über mir schwebenden Rumpf. Ohne mich umzusehen hielt ich die Richtung, sah mich dann um und tatsächlich erkannte ich erleichtert dünnen Qualm aus der Maschine kommen, die der Pilot offenbar nicht mehr ganz unter Kontrolle hatte. Schnell hatte ich meine Maschinenpistole vom Rücken genommen und wendete, um dem taumelnden Helikopter den Rest zu geben, oder einfach um zuzusehen, wie er aus der geringen Höhe abstürzte, damit ich doch noch die Chance hatte, an Gefangene zu kommen. Knapp dreißig Meter vor mir hielt sich die Maschine in der Luft und ich drosselte die Fahrt, als urplötzlich der Hubschrauber wieder kontrolliert losflog und völlig unerwartet auf die Insel zusteuerte. Meine nachfolgende Salve hinterließ keine sichtliche Wirkung und ich jagte mit Vollgas der stärker werdenden Rauchfahne hinterher. Lange konnten sich Almera mit dem beschädigten Fluggerät nicht mehr halten und mir gelang es Meter für Meter näher zu kommen, als ich im letzten Augenblick etwas Dunkles von oben knapp vor meinen Bug fallen sah. Reflexartig riß ich das Ruder herum und zog ich einen Kreis, um die Stelle wenige Sekunden später wieder zu erreichen, wo bäuchlings auf dem Wasser der Körper des toten Piloten trieb. Doch um ihn konnte ich mich jetzt nicht kümmern, denn die Maschine hatte in der Zeit einen Vorsprung bekommen und setzte gerade auf dem Strand auf, was durch das immer noch hell scheinende Feuer dort wunderbar zu erkennen war. Almera und Hernando waren beide unversehrt und sprangen aus dem Hubschrauber, vielleicht trennten mich von ihnen noch zwanzig Sekunden, als sie irgendwelche umherliegenden Waffen an sich nahmen und mich sofort angriffen. Noch zehn Sekunden und ich hatte keine andere Wahl mehr, denn jede Geschwindigkeitsreduzierung machte mich jetzt zur sicheren Zielscheibe. Deshalb drückte ich den Hebel auf volle Leistung und richtete den Bug auf den gelandeten Helikopter aus, der nur einige Meter von der Wasserlinie weg stand und den beiden Schützen als Deckung diente. Dann sprang ich im letzten möglichen Moment nach rechts über Bord und versuchte getaucht soweit wie es ging in die Richtung weiterzuschwimmen. Selbst dort unten war die Detonation ohrenbetäubend und über mir fegte ein helles Licht an der Wasseroberfläche hinweg. Solange es ging, tauchte ich weiter, aber dann mußte ich nach oben und kam hinter den brennenden Benzinfässern wieder an Land und rannte schnell hinter das Feuer, wo man mich nicht sehen konnte. Da meine Ausrüstung im Boot geblieben war und sich gerade in Rauch auflöste, blieb mir vorerst nur das Messer aus dem Futteral als Waffe, doch schnell fand ich neben einem toten Piraten eine 9mm UZI und begann nun mit der Suche nach Überlebenden. Vorsichtig schaute ich auf jede Bewegung an der Stelle, wo sich das Boot in den Hubschrauber gebohrt hatte und nun eine brennende Einheit bildete. Es war heiß, die benzinhaltige Luft schlug mir entgegen und verursachte ein leichtes Flimmern rund um den Brandherd, weshalb ich nur undeutlich etwas am Boden liegen sah, daß wie ein menschlicher Körper aussah. Davon mußte ich mich überzeugen und 308
geduckt rannte ich mit entsicherter Waffe hinüber, wo tatsächlich Miguel Almera, auch Torro genannt, am Boden lag. Gerade wollte ich mich vergewissern, ob er tot war, als mich ein dunkler Schatten irritierte, der hinter den brennenden Wracks auftauchte. Sofort rollte ich mich zur Seite und zielte in diese Richtung, als ich genau neben mir ein altvertrautes Klicken hörte. Almera war nicht wie ich vermutete tot, ganz im Gegenteil, er zielte höchst lebendig auf meinen Schädel, während mich dieser Hernando nur irritiert hatte und gleich wieder aus meiner Schußbahn verschwunden war. „Los, die Waffe weg und zeig’ dein Gesicht, du Schwein“, diese freundliche Aufforderung war an mich gerichtet und eigentlich kam sie mir recht, denn unter meiner Sturmhaube war mir sowieso zu warm, trotzdem reagierte ich vorerst nicht. „Mach schon, nicht so schüchtern“, Almera nahm mir die UZI aus den Händen, ließ mir aber noch meine Tarnung. Jetzt kam auch Hernando wieder hervor und grinste während er näherkam, „Guter Plan Comandante Torro, aber wir sollten nun verschwinden, vielleicht hat der Kerl noch Freunde“ „Die wären schon längst hier, Sie Schwachkopf, meinen Sie wirklich, wir hätten auch nur einen Schritt am Strand entlang laufen können, wenn das Schwein nicht alleine wäre?“ Jetzt war Hernando neben mir und zog auf ein Kommando von Almera selbst meine Maske vom Gesicht. Vielleicht hätte es mich freuen sollen, daß ich einen so abgebrühten Kerl noch überraschen konnte, aber meine Freude darüber hielt sich in Grenzen, „Sie?... Sie leben ja noch! Es ist unglaublich, wie zäh Sie sind, genauso wie Fliegendreck an der Windschutzscheibe. Jetzt wird mir vieles klarer, ich nehme nicht an, daß die Amerikaner unter den Toten sind, natürlich haben Sie vorher ehrenhaft für ihre Sicherheit gesorgt, oder?“ „Die Plunketts sind außer Gefahr und außerhalb ihrer Reichweite Almera, das ist wichtig, nichts anderes“ „So ist das also, Sie denken wohl immer noch, daß sie gerade gewonnen haben, doch Sie haben nur verloren und zwar alles“ „So? Das sieht für mich irgendwie anders aus, Almera. Die „Framke“ ist sicher schon befreit und von den Unterlagen über das Ölfeld werden Sie nichts bekommen, genauso wie das restliche Geld ihrer Forderung. Tja, und den Teil, den Sie schon haben, werden Sie wohl mit Ihren Freunden teilen müssen, also ich würde das ein schlechtes Geschäft nennen“ „Meinen Sie? Vielleicht nur, wenn man nach den Spielregeln spielt, aber Sie vergessen dabei, ich mache meine Spielregeln selber“, dabei entsicherte er seine Waffe, lächelte mich an und schoß dem neben mir stehenden Hernando in den Kopf. „Oh, Señor Kronau, noch jemand, der hier von Ihrer Hand umgebracht wurde, jedenfalls werde ich das erzählen und Sie werden keine Möglichkeit mehr haben, darüber zu sprechen. Ich korrigiere demnach einmal kurz ihre Einschätzung der Situation. Sie sterben gleich und wir brauchen das Geld nicht zu teilen, auch die Forschungsberichte sind 309
kein wirklicher Verlust, weil es sich um eine langangelegte Strategie handelt, um an die Förderrechte zu kommen. Es war nie die Absicht, sofort das Feld auszubeuten, weil meine Freunde und ich damit nicht in Zusammenhang gebracht werden wollen, Sie verstehen das sicher“ „Natürlich verstehe ich das, Sie hätten solange die Erschließung durch Entführungen oder ihre Piratenfreunde sabotiert, bis Plunketts Firma die Nerven verliert und verkauft. Ich schätze, daß zufällig dann ein Käufer im Namen Ihrer ‚Freunde’ parat steht, um das Geschäft zu machen, habe ich Ihren Plan ungefähr getroffen?“ „Beinahe bis ins Detail, ich habe Lo Squalo gleich gesagt, er solle Sie nicht unterschätzen, aber das dürfte für Sie nicht mehr von Bedeutung sein. Für diese Piraten, die so kläglich auf dem Schiff versagt haben, finden wir sicher Ersatz und noch als ich den Helikopter wieder hierher zurückflog, habe ich Verstärkung gerufen, die mich bald abholen wird. Es tut mir leid, daß ich Sie nicht mehr so lange am Leben lassen kann, aber ich muß noch den Geldkoffer aus meinem Zelt holen und möchte nochmal nachzählen. Adios Señor Kronau“, er hob die Waffe und ich schluckte, während ich das Bild von Anne vor meinen geschlossenen Augen sah, aber die Zeit, um Abschied zu nehmen, würde mir der Spanier nicht lassen. Jeden Augenblick erwartete ich den Schuß und als ich ihn hörte, zuckte ich zusammen, dann folgte ein zweiter. Irgendwie erwartete ich, daß etwas passierte, doch nichts veränderte sich, kein dumpfer Schlag in die Brust, kein stechender Schmerz, kein warmes Blut, daß ich als letztes spürte, nur Stille. „Mister Kronau! Mister Kronau,... leben Sie noch?“, langsam öffnete ich wieder die Augen, mir war, als flößte mir ein Wind wieder mein Leben in den Körper und ich machte mich mit dem schönen Gedanken einer neu geschenkten Zukunft vertraut, während Jonathan Plunkett aus dem Dickicht trat. „Ich glaube schon, Mister Plunkett, jedenfalls scheine ich nicht tot zu sein. Danke, daß Sie mir das Leben gerettet haben, wie kommt es, daß Sie noch hier sind?“ „Wissen Sie Mister Kronau, ich bin Texaner und wir sind eine ziemlich störrische Rasse, dazu gehört auch, daß wir schnell unsere Schulden zurückzahlen wollen, damit uns das keiner vorhalten kann. Sie haben soviel für mich und meine Familie getan, da konnte ich Sie hier einfach nicht alleine lassen und wollte ihnen helfen. Meine Frau und mein Sohn habe ich deshalb alleine hinübergeschickt und als ich wieder hier an den Strand kam, sah ich auf dem Wasser eine Schießerei. Gleich darauf landete der Helikopter und ich habe mich erstmal versteckt, um zu sehen, was passiert, den Rest kennen Sie ja selber. Nach dieser gewaltigen Explosion hat es erstmal eine Weile gedauert, bis ich mich wieder zum Strand vorgewagt hatte, doch zum Glück noch rechtzeitig, um über diesen ‚Anwalt’ das Urteil zu sprechen – Schuldig. Jetzt sind wir wirklich quitt, Mister Kronau“ „Das sind wir, Mister Plunkett und bei allem, was ich selbst mitangesehen habe, glaube ich, daß es ein gerechter Richterspruch war, aber der Ärger ist leider noch nicht vorbei. In den nächsten Minuten soll hier ein Hubschrauber dieser Verbrecher eintreffen“ 310
„Tatsächlich? Und... was jetzt?“ „Wir erwecken diesen Almera noch einmal zum Leben und versuchen so die Besatzung zu täuschen, vielleicht klappt das ja“ Jonathan suchte nach den umherliegenden Waffen und ich hatte die unangenehme Aufgabe, Señor Almera für einen letzten Auftritt zu präparieren. Im Schein des Feuers schob ich ihm ausreichend lange Stangen der umstehenden Zelte unter die Kleidung und dann mußten wir zusammen den Körper nur noch an einer gut sichtbaren Stelle am Strand hinstellen. In seinen Rücken stapelten wir noch einige verstreut liegende Kisten, so sah es aus, als lehnte er sich an, trotzdem würde bei näherer Betrachtung diese Finte sicher mißlingen, doch in der Nacht, vom Feuer beleuchtet und von einem Hubschrauber aus gesehen, konnte man mit einem Erfolg durchaus rechnen. Keine Minute zu früh wurden wir fertig und schafften es gerade noch, durchzuatmen, dann hörten wir schon die Maschine und zogen uns in die sichere Deckung der Büsche zurück, von denen man einen guten Überblick hatte. Das Flackern der Feuer schien uns zu helfen, denn es zauberte die Illusion einer Bewegung auf den toten Körper und tauchte dabei den ganzen Strand in ein Spiel von Licht und Schatten. Unschlüssig schwebte die Maschine zehn Meter über dem Boden, begann dann aber gleich damit, vorsichtig abzusinken, so daß ich schemenhaft einen Gewehrlauf aus der Tür ragen sah. Doch kurz vor dem Boden hielt der Pilot inne und gleich darauf begann das MG aus der Tür eine Salve mitten in den Strand zu schießen, natürlich reagierte niemand und sofort kippte der Hubschrauber in Richtung Wasser ab. Ohne zu überlegen eröffnete ich das Feuer und Plunkett tat es mir gleich, bevor der Helikopter zu weit entfernt wäre. Unsere beiden Maschinenpistolen entleerten ihre tödliche Ladung und lauter kleine Blitze leuchteten am dunklen Rumpf auf. Es war mein drittes Magazin in der Waffe, daß ich gerade verschoß, da stellte sich die erwünschte Folge unseres Beschusses ein, Rauch war zu sehen und nach einigen erfolglosen Versuchen, die Kontrolle über die Maschine wiederzubekommen, schlug sie wie ein Stein auf der Wasseroberfläche auf. Das geschah einen knappen Kilometer vor dem Ufer und sofort begann der Hubschrauber zu versinken, begleitet von einigem Gebrüll, der nur von den überlebenden Insassen stammen konnte, zu deren Rettung ich ohne ein Boot keine Möglichkeit sah. So blieb mir nichts weiter übrig, als an den Strand zu gehen und hinüberzurufen, daß ihr Leben verschont bliebe, wenn sie sich ergeben würden und keine Dummheiten machten. Während sich nun die Terroristen schwimmend dem Strand näherten, hatte ich endlich die Zeit, Señor Avialo zu rufen und ihn mit dem Helikopter herzubeordern, was er sogleich mit Plunketts Familie tun wollte, die offenbar gerade dort drüben eingetroffen war. In der Zwischenzeit krabbelten erschöpft zwei Männer aufs Ufer und machten keine großen Schwierigkeiten, als wir sie fesselten und ihnen die Augen verbanden, wonach ich sie etwas aushorchte und nur erfuhr, daß beide von den Terroristen angeheuerte Piloten waren, die dringend einen Job brauchten. Außer ihnen gab es noch einen Mann am MG, der selbst zu den Terroristen gehörte und auch die Befehle bekam, doch ihn 311
hatte es wohl schon vor dem Absturz erwischt und so ging er mit der Maschine unter. Das war sehr bedauerlich, schien er doch wenigstens noch einmal eine Hoffnung zu sein, an mehr Informationen zu kommen, aber das ließ sich nunmal nicht ändern. Der Helikopter landete unterdessen und natürlich war die Wiedersehensfreude der Familie Plunkett trotz der kurzen Zeit sehr groß, sicher fiel dabei auch gleichzeitig noch der Druck der Situation ab und viele Tränen wurden in den ersten Minuten vergossen. Señor Avialo und ich blieben dabei im Hintergrund und er bekam große Augen, als er die Verwüstungen hier in Augenschein nahm, noch mehr hingegen verwunderte es ihn, wie ich das überleben konnte und etwas teilte ich sogar diese Einschätzung, ohne natürlich darüber traurig zu sein. Noch am Strand sprach ich mit dem Doktor und das Wichtigste war, daß die Spezialeinheiten das Schiff in ihre Gewalt bringen und die Piraten ausschalten konnten. Einige waren tot und verletzt, allerdings glaubte ich kaum, daß ein Verhör dieser Leute etwas bringen würde. Wahrscheinlich wüßten sie gar nichts über die Hintergründe, denn schließlich waren sie nur als Ablenkung gedacht. Daß Almera tot war, gab meinem Bericht einen herben Beigeschmack, sicher hatten einige Herren gehofft, ihn unter ihre Fittiche nehmen zu können und viele wertvolle Informationen über die Lemuren zu bekommen. Nun gingen sie leer aus, aber wenigstens gab es einen bedeutenden Feind weniger, der für Angst und Schrecken sorgte, und das war auch schon etwas. Noch heute nacht würden sicher Spezialisten von der CIA herkommen, um die Leiche von Almera zu identifizieren und venezolanische Beamte sammelten meine Gefangenen ein, die vor der Küste für die mir bekannten Überfälle verantwortlich waren. Damit stand ihnen bestimmt eine lange, unangenehme Zeit bevor. Für mich hingegen würde es gar nicht so unangenehm werden, denn endlich zahlte es sich mal für mich aus, mit jemandem vom BND bekannt zu sein, der meine Verwicklung in der Sache einfach totschweigen würde und alles als eigenen Erfolg verbuchte – aber damit hatte ich nicht die geringsten Probleme. Die „Bella Donna“ würde morgen in Barbados einlaufen und ich war froh darüber, endlich an die Verwirklichung meines sehnlichsten Zieles zu gelangen. Zu lange mußte ich mich in Geduld üben und habe meine Kraft auf einem Nebenschauplatz dieser gefährlichen Geschichte eingesetzt, doch nun würde sich das ändern und das war auch nötig. Sicher konnten Lupus und Gondoni kaum eine direkte Verbindung zwischen dieser Aktion und einer möglichen Befreiung von den Frauen auf Fortunatis Schiff herstellen, zudem war ich für sie tot und stand sowieso nicht mehr auf der Liste. Aber bestimmt würden sie noch vorsichtiger werden und wer konnte schon sagen, welche Auswirkungen das auf dieses Treffen zwischen Bartholome Diaz und Paulo Fortunati haben würde. Demnach blieb ein schnelles Handeln die oberste Maxime der kommenden Tage und darauf war ich vorbereitet, was mich ungemein beruhigte und mir die Zuversicht gab, die ich dafür auch benötigte. So flogen wir in die Nacht hinein zurück nach Caracas, wo Jonathan Plunkett sofort mit seiner Familie untertauchen würde. Ich glaubte auch, aus einigen Bemerkungen von ihm herauszuhören, daß er einige Konsequenzen aus der harten Haltung seiner Firma ziehen würde. Vielleicht war das auch nicht so übel, denn wenn er seine Anteile verkaufen würde, konnten die 312
Plunketts mehrere Leben in Wohlstand verbringen und das war doch keine schlechte Perspektive. Doch man sagt auch vieles in der ersten Wut, die sich später wieder legte, und wie sich das alles entwickeln würde, dafür waren die drei nun alleine verantwortlich – so wie ich es für die kommenden Ereignisse sein würde. Die Rubios waren begeistert, alle Hoffnungen hatte ich bestätigt und dies machte es mir noch schwerer, mein altes Image zu korrigieren. Nur meine Mahnungen, nichts an die große Glocke zu hängen, damit sie nicht selber das Ziel eines Racheanschlages der Lemuren werden würden, verhinderten eine spektakuläre Siegesfeier, die auch bei aller Freude kaum angebracht wäre. Nachdem wir am Morgen angekommen waren, hatten sich die Plunketts verabschiedet und waren mit unbekanntem Ziel gen Flughafen gefahren, hoffentlich fanden sie die Ruhe, die sie nach diesem Erlebnis verdient hatten. Mir hingegen wurde diese von Doktor Martinez verordnet, obwohl ich alles andere als das im Kopf hatte. Doch mein Arzt hatte strikt etwas dagegen, solange er meine angebrochene Rippe und diverse Prellungen nicht behandelt hatte, die ich mir wohl beim Sprung aus dem Speedboot zugezogen hatte. Zwar bemerkte ich die Schmerzen auf dem Rückflug schon, aber ich nahm das nicht für voll und dachte, es würde sich schon geben. Das tat es aber nicht und nur mühsam akzeptierte ich seinen Vorschlag, nicht sofort weiterzureisen, sondern diesen Tag für die Behandlung zu nutzen und erst morgen aufzubrechen. Ich fluchte, mußte aber einsehen, daß er recht hatte, denn ohne die Schmerzmittel von Doktor Martinez hätte ich mich nur herumgequält und das mußte man ja nicht, wenn es auch anders ging. So vertraute ich mich der Pflege von Donna Elena an, die mich trotz ihres kultivierten Lebensstils mit einigen Hausmitteln überraschte und recht behielt, als es mir nach einer Hühnerbrühe gleich wieder besser ging. Der Zeitverlust war ärgerlich, aber minimal, da die Yacht erst heute ankam und für die Vorortplanung sowieso zuerst die Verhältnisse am Liegeplatz observiert werden mußten. Da vertraute ich der Erfahrung von Doktor Breitenbach und dem Elan von Lilly, die sich vielleicht durch das gemeinsame Ziel zusammenraufen würden. Mir blieb nur, abends mit ihnen zu sprechen, um die ersten Neuigkeiten zu erfahren, bevor ich morgen selbst in das Geschehen eingreifen konnte. Scheinbar konnten sich die drei Frauen ungezwungen auf dem Schiff bewegen, jedoch wurden sie dort streng von den Mafiosi bewacht und durften natürlich keinen Schritt an Land machen. Aber sie waren gesund und am Leben, das war für mich das Wichtigste, weshalb ich mich nicht darüber ärgerte, daß es das einzige Berichtenswerte aus Barbados war, da die „Bella Donna“ erst sehr spät eingelaufen war. Natürlich blieb ich den Abend über unruhig und griff mir im Bett noch einige Berichte von Valdez, die er in den letzten Tagen gesammelt hatte. Hauptsächlich Material über die Aktivitäten der U.F.S.A. mit einigen Firmen im südamerikanischen Raum, bei denen die Informanten der Rubios mit einigen Schmiergeldern die Zunge lösten oder die Archive öffneten. Besonders aktiv zeigte sich die „Terrasao“ – eine Tochterfirma von Bartholome Diaz, die offenbar Ausrüstung für Opalminen orderte und hauptsächlich nach Cascavel 313
lieferte, einer kleinen Stadt, deren Name pikanterweise die Bezeichnung für eine Klapperschlange war. Sie lag günstig im Grenzgebiet zu Paraguay und Mesopotamia, einem abgelegenen Landstrich Argentiniens, ebenso wie es von dort nur eine Stunde dauerte, bis man mit dem Flugzeug in Bolivien oder Uruguay war. Andere Waren schienen speziell für Holzfällercamps gekauft worden zu sein, die direkt nach Porto Velho gingen und wahrscheinlich von dort auf dem Rio Purus nach Canutamba gingen. Allerdings basierte das nur auf Hörensagen und war durch keinen Beweis untermauert. Doch horchte ich bei Porto Velho auf, denn die Stadt lag am Rio Madeira, dem Fluß, der später in den Amazonas mündete und vorher am Oberlauf Rio Guapore heißt, genau das Gewässer, wo das alte U-Boot von Josef Biedermann versenkt wurde. Obwohl das eine örtliche Übereinstimmung war, machte ich mir nicht die Mühe, etwas dort hinein zu interpretieren. Ich hatte das Material und könnte es morgen dem Doc übergeben, sollte er dann damit glücklich werden, so wie ich es in anderer Hinsicht auch wollte. Bis spät in die Nacht saß ich noch über diesen Unterlagen, bis ich – auch aufgrund der Medikamente – zu müde zum Lesen wurde und in einen festen Schlaf fiel. Am Morgen kam noch vor dem Frühstück Doktor Martinez zu mir und versorgte mich nach einer abschließenden Untersuchung mit diversen Pillen und Salben, gefolgt von einem festen Stützverband, dem ich ihm nicht ausreden konnte. So saß ich dann ziemlich gerade beim letzten Frühstück mit den Rubios und Juan teilte mir eine unangenehme Nachricht mit, denn meine ungewöhnliche Bestellung bei ihm konnte ich leider nicht gleich mitnehmen und würde erst mit einem Kurier nachkommen. Das war schade und ich hoffte, daß ich diese Substanz noch rechtzeitig zur Befreiung bekommen würde, weil sie ein Hauptbestandteil meines Planes dafür war. Langsam kam der Abschied immer näher und jeder aus der Familie war nun traurig, daß ich gehen mußte, und nur mein Versprechen, bald wiederzukommen, um die versäumten Fiestas nachzuholen, erleichterte uns diese Augenblicke. Señor Avialo ließ es sich nicht nehmen, mich persönlich mit dem Helikopter zum Flughafen zu bringen. Der Junge war durch unser kleines Abenteuer richtig aufgeblüht und so schwieg er kaum eine Minute des Fluges. Mir schien, als würde er nur auf ein Wort von mir warten und ich könnte meine Linienmaschine vergessen, weil er mich selbst nach Barbados bringen würde. Doch natürlich tat ich ihm diesen Gefallen nicht. Er hatte jetzt schon etwas, das er seinen Kindern später erzählen konnte, und um dies zu tun, müßte er erst einmal Vater werden – dies ging einfacher, wenn man am Leben war und nicht heißblütig die Gefahr suchte. So bestieg ich nach diesem Abenteuer endlich das Flugzeug und flog meinem ersehnten Ziel entgegen, Barbados. Steelbands und Lobster würde man sofort damit in Verbindung bringen, doch ich dachte nur an eine verzwickte Aufgabe und zuallererst natürlich an Anne, die nun von meinen Gedanken völlig Besitz ergriff, je näher ich ihr kam. Es war aber leider keine freudige Aufregung, dazu hatte ich zuviel Angst davor, etwas zu übersehen und einen verhängnisvollen Fehler zu machen, doch hatte ich bei den Leuten, die sie gefangen hielten, eine andere Wahl? 314
Das wußte ich nicht, doch ich wußte, sie war einen einem Ort, an dem sie nicht sein wollte, ausgeliefert dem Willen von Verbrechern und Terroristen und mehr brauchte ich nicht, um handeln zu müssen. Gab es keine Gelegenheit dazu, würde ich sie schaffen, gab es keine Hoffnung dazu, dann brauchte ich nur an Anne zu denken und ich faßte wieder neuen Mut. Den würde ich für die kommenden Tage brauchen und ich würde ihn auch haben, so ging ich alle Punkte meiner bisherigen Planung durch und betrat mittags den Boden der karibischen Insel. An der South Coast entlang ging es über den Highway Seven an St. Lawrence und Hastings vorbei, bis ich endlich einem ausgeruhten Doktor Breitenbach in einer Hotellobby in Bridgetown gegenüberstand, „Kronau, jedesmal wenn wir uns in letzter Zeit treffen, sehen Sie schlecht aus. Sie sollten dringend einmal an ihrem Lebenswandel arbeiten“, das war doch eine Begrüßung, wie man sie gerne nach all den Aufregungen hörte. „Doc, Sie wissen wirklich, wie man einen gestreßten Mann aufmuntert, aber Sie haben es ja auch nicht viel besser, schließlich verausgabt man sich doch ungemein, wenn man im Hafen ein Schiff beobachtet, stimmt’s?“ „Na, wenigstens haben Sie Ihren Humor nach dieser Geschichte noch nicht verloren. Willkommen auf Barbados, Kronau“ „Danke, Sie haben recht, Doc, die Sache blähte sich auf wie ein Fesselballon und ist immer größer geworden. Ich habe schon einiges Glück gebraucht, um da wieder heil rauszukommen. Vor allem, weil ich da überhaupt nicht hinein wollte“ „Ich kenne ja Ihren Bericht und für eine einfache Recherche ist wirklich eine Menge passiert. Aber das wird hier wohl nicht weniger werden. Wollen Sie es immer noch durchziehen?“ „Nichts könnte mich davon abhalten, deshalb bin ich hier, Doc. Wollen Sie mir immer noch helfen?“ „Selbstverständlich, ich habe Ihnen mein Wort gegeben und nachdem, was Sie für mich getan haben, ist es wohl das Wenigste, um sich zu revanchieren“ „Gut, dann fangen wir am besten gleich an“ „Gerne, bisher habe ich hier zwar nach Ihren Anweisungen schon einige Vorbereitungen getroffen, aber Ihr genialer Plan ist mir noch nicht ganz klar, vielleicht wird es jetzt Zeit für eine Erklärung“ „Normalerweise gerne, aber ich will mich noch mit den Details hier vor Ort beschäftigen, damit es auch Hand und Fuß hat. außerdem fehlt mir leider noch etwas Wichtiges und ich muß sehen, ob wir nicht notfalls umdisponieren müssen. Haben Sie schon den Termin für das Treffen mit Bartholome Diaz und Fortunati herausbekommen?“ Nichts Konkretes, die „Bella Donna“ scheint auf Abruf bereit zu liegen, vielleicht hat die Sache mit Almera wirklich die Reisepläne von diesem Diaz beeinflußt, das wäre auch ein stichhaltiges Indiz dafür, daß er ein Mitglied der Lemuren ist“ „Möglich ist es, aber nutzen wir die Gunst der Stunde, solange die Yacht hier ist ,und machen uns nicht von den Plänen anderer abhängig. Wo haben Sie eigentlich unser Patenkind gelassen?“ 315
„Miss Callaway ist im Hafen und beobachtet die „Bella Donna“, schließlich kann ich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Es ist schon erstaunlich mit diesem Mädchen, was sie nicht an Erfahrung hat, das macht sie mit ihrer Pfiffigkeit wett und ich glaube wirklich, daß eine ganze Menge in ihr steckt. Aber sagen Sie ihr das nicht, es ist klüger so, damit Miss Callaway vor mir den Respekt nicht verliert – dann paßt sie besser auf“ „Ach so? Ich verstehe, Doc. Wie heißt es immer so schön in den Filmen – guter Bulle und böser Bulle – mir ist das egal, denn ich habe dabei den angenehmeren Teil erwischt“ „Das paßt auch besser zu Ihnen, schließlich können Sie jetzt die Mitleidstour abziehen, so zerknittert wie Sie aussehen“ „Ach, Doc, das hebe ich mir lieber für eine Andere auf“ Lächelnd sah er mich an, „Verzeihen Sie, Kronau, ich vergaß. Bringen wir Ihr Gepäck auf das Zimmer und dann schreiten wir am besten zur Tat“ Er brachte mich auf mein Zimmer und ich machte mich erstmal ausgiebig frisch, um später etwas aufgeregt im Restaurant zu erscheinen, wo ich deshalb auch auf das Essen verzichtete und nur einen frischgepreßten Orangensaft zu mir nahm. Der Doktor traf dort einige Minuten später ein und bestellte nicht ganz so spartanisch wie ich. So sprachen wir nun über meine Vorstellung wie alles ablaufen sollte, während ich aus meinem Glas trank und er sich einen köstlichen Fisch schmecken ließ. „Wo haben Sie die Sachen für unseren heutigen Auftritt, Doc?“ „In einem Lagerhaus im Hafen, direkt an der Mole, genau so, wie Sie es haben wollten. Dort ist auch das Betäubungsgas und die Spezialbehälter. Sie können sich sicher denken ,wie schwierig es war ,an das Material heranzukommen, aber die hiesige Filiale der ‚Firma’ hat geliefert, obwohl es sie gleich mißtrauisch gemacht hat. Die waren sowieso schon sauer, daß wir Almera gefunden hatten und ihnen nur seine Leiche überlassen haben. Nur offiziell waren weder sie noch wir tätig, also können sie sich nicht beschweren. Trotzdem hielt ich es für besser, nachdem ich die Sachen bekommen hatte, zu verschwinden, bevor sie zu neugierig wurden, schließlich muß man ja den Ärger nicht provozieren“ „Sie haben das Zeug von der CIA, Doc? Ich hoffe, die spucken uns nicht in die Suppe und kümmern sich um die Terroristen, damit sollten sie genug zu tun haben“ „Hoffe ich auch, aber die Drähte auf der obersten Ebene sind schon heiß gelaufen und da wir Ergebnisse vorweisen können, wird es schwer für die Amerikaner, uns auf die Finger zu hauen. Im Moment haben wir die besten Informationen, das bringt uns in eine gute Position. Aber ich kenne sie zu gut, denn hier ist ihr Spielplatz und da werden sie nervös, wenn jemand anderes die Buddelförmchen herausholt. Deshalb sollten wir uns beeilen und so schnell es geht handeln“ „Das liegt ganz in meinem Interesse, Doc. Was ist mit dem Mann von der Zollbehörde?“ „Da genügt ein Anruf und der Beamte erledigt den Job, aber es hat eine Weile gedauert, bis ich jemanden gefunden hatte, der dazu bereit war. Ich frage mich allerdings, warum Sie die Yacht unbedingt einer Zollinspektion unterziehen wollen?“ 316
„Nun, das ist ganz einfach. Sie werden mir sicher zustimmen, daß bei den vielen Wachen an Bord weder ein Angriff von außen, noch durch Ihren Informanten von innen garantiert erfolgreich wäre. Zumal dabei die Frauen verletzt oder sogar getötet werden könnten“ „Ja, soweit kann ich Ihnen folgen und mit dieser Einschätzung liegen Sie auch sicher richtig, Kronau“ „Danke, Doc, demnach müssen wir dafür sorgen, daß man die Frauen vom Schiff bringt und deshalb legen wir die Yacht still, damit sie in eine Werft muß. Entweder verzichtet Fortunati vorläufig auf das Schiff und reist so weiter, oder er wartet, bis es repariert ist – doch in beiden Fällen werden alle von Bord müssen und in diesem Augenblick werden wir ganz elegant zuschlagen“ „Und wie machen wir das? Ich nehme an, hier wird dieses Betäubungsgas zur Anwendung kommen“, er hob mir sein Glas Weißwein entgegen und nippte leicht daran, während er nun auf meine Antwort wartete. „Genau, alles steht und fällt damit, daß wir rechtzeitig wissen, wann und mit welchem Wagen Fortunati fahren will. Dafür kommen nur Taxis oder Mietwagen in Betracht, allerdings ist das egal. Hauptsache, wir haben die halbe Minute, um die Sprühvorrichtung unter dem Sitz zu verstauen. Wenn Sie noch mal mit Ihrem Spion sprechen sollten, dann sagen Sie ihm, daß wir so früh wie möglich Bescheid wissen müssen. Doch zusätzlich brauchen wir jedes Detail von der Yacht, damit wir keine Kleinigkeit übersehen, deshalb müssen wir drei Leute rund um die Uhr dort postiert haben“ „Vier Leute! Señor Gonzales“ Der Doktor und ich zuckten beide gleichzeitig zusammen und schauten zur Seite, wo Cristobal Avialo stand und offensichtlich meine letzten Worte mitbekommen hatte. „Was machen Sie denn hier, Señor Avialo?“ „Sie werden verzeihen, Señor Gonzales. Aber Señor Rubio hat kurz nach Ihrem Abflug etwas erhalten, was Sie bei ihm bestellt haben und zusätzlich bringe ich noch ein weiteres Präsent von Mister Plunkett, wohl, um ‚Danke’ zu sagen“ Natürlich war ich erleichtert, daß meine Bestellung doch noch so schnell geliefert wurde, und nun war ich zusätzlich noch neugierig, was Mister Plunkett sich ausgedacht hatte. „Setzen Sie sich bitte, Señor Avialo. Was ist das denn für ein Präsent?“ „Offenbar besitzt Mister Plunkett einige gute Kontakte zur Air Force in den Staaten und erwarb dort, nachdem er Señor Rubio gefragt hatte, womit man ihnen eine Freude machen könnte, einen alten Huey. Im Auftrag der Firma von Mister Plunkett kam dann heute vormittag die Maschine an und ich ergriff die günstige Gelegenheit, damit herzufliegen, um Ihnen vielleicht zu helfen. Señorita Lilly wird sicher noch einige Flugstunden brauchen und ich habe extra meinen Urlaub genommen, damit ich ihr vielleicht noch einige Tricks beibringen kann“ Ein kleines Schmunzeln konnte ich nicht verbergen, „Ja, ich glaube, ich weiß, was Sie meinen, Señor Avialo. Ein überaus großzügiges Angebot von Ihnen. Leider wird Señorita Lilly die nächsten Tage nicht zum Fliegen kommen und...“ 317
Der Doc zupfte an meinem Arm und flüsterte mir ins Ohr, „Wer ist denn das überhaupt?“ „Verzeihung, wie unhöflich von mir. Das ist Señor Cristobal Avialo, einer der besten Piloten, die ich je gesehen habe, und der Mann, der mich nach Los Hermanos geflogen hat“ „Ah, angenehm“, der Doc sah ihn musternd an. „Señor Avialo, darf ich Ihnen den Doktor vorstellen. Er ist inkognito hier und mag es, wenn man ihn so anspricht“ „Aha! Freut mich, Sie kennenzulernen, Señor“ Dem jungen Piloten war anzusehen, wie verwirrt er für einen kurzen Moment war, doch dann schien er sich damit arrangiert zu haben und lächelte wieder wie vorher. Für mich wurde es Zeit, den ersten Dominostein umzulegen, dessen Kettenreaktion am Ende den Frauen die Freiheit bringen sollte, „Señor Avialo, wo befindet sich meine Lieferung?“ Da war wieder sein verschmitztes Lachen, „In einem Behälter, der wie eine Thermoskanne aussieht und nur an Sie zu übergeben ist. Er befindet sich an Bord des Helikopters sicher in einer Kühlbox“ Der Doktor wurde unruhig, weil er immer noch nicht wußte, wie ich das Schiff außer Gefecht setzen wollte, „Was wird das, planen Sie einen Angriff mit chemischen Waffen, Kronau?“ „Kronau?“, Señor Avialo wirkte nun etwas desorientiert und ich hielt nun den Zeitpunkt für richtig, ihn über meine wahre Identität aufzuklären, was er sich bestimmt auch nach den letzten Tagen verdient hatte. „Entschuldigen Sie, Señor Avialo. Mein richtiger Name ist Gabriel Kronau und es ist wichtig, daß er nicht bekannt wird. Später werde ich Ihnen sicher einmal erklären, was genau dahintersteckt, leider geht das im Moment noch nicht“ „Naturalmente, Señor G..., Kronau. Ich verstehe Sie, das ist kein Problem für mich“ „Gut, das wäre auch geklärt und nun zu Ihnen, Doc. Nein, ich plane keine chemische Kriegführung, sondern eher eine biologische, die zwar nicht tödlich für Menschen ist, aber dafür Maschinen den Garaus macht“ „Ach so? Sie werden mir unheimlich, Kronau. Sagen Sie mir endlich, was Sie vorhaben, verdammt noch mal“ Eine Sekunde überlegte ich, ob es nicht besser wäre, Señor Avialo zur Bar zu schicken, sicherlich nicht aus Mißtrauen, aber je weniger Leute informiert waren, desto besser war es, und so forderte ich ihn freundlich auf, dort auf mich zu warten, was er etwas traurig und enttäuscht auch tat. „In diesem ominösen Behälter sind ölfressende Bakterien, die sonst nur bei Tankerunfällen und bei von Umweltsündern verursachten Verschmutzungen eingesetzt werden, um den Schaden einzudämmen. Innerhalb kürzester Zeit werden die winzigen Burschen aus der Thermoskanne im Tank der „Bella Donna“ das Dieselöl zu klumpigen Flocken gemacht haben, die sämtliche Filter und Kraftstoffleitungen zusetzen. Doktor, Sie können mir glauben, das dauert Wochen, ehe die Yacht wieder eine Seemeile zurücklegen wird“ 318
„Kronau, Sie sind genial. Also soll bei der Inspektion auf der Yacht der Tank kontaminiert werden“ „Vollkommen richtig, so habe ich mir das jedenfalls vorgestellt, doch genial bin ich erst, wenn die Befreiung wirklich geklappt hat“ „Sie haben recht, Kronau. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Wann geht es los?“ „Wir haben keinen Grund mehr zu warten, da ich jetzt alles, was gebraucht wird, hier habe. Rufen Sie den Zollbeamten an und ich hole die Bakterien vom Helikopter damit es am Nachmittag losgehen kann. Dann wird morgen die ganze Aktion ins Rollen kommen, sobald die Stromgeneratoren auf dem Schiff versagen, weil kein Diesel mehr durch die verstopften Leitungen kommt“ „Gut, wir treffen uns nachher am Lagerhaus zur Übergabe des Behälters. Danach werde ich mich die nächsten Stunden nochmal um Bartholome Diaz kümmern, bis jetzt scheint er noch nicht eingetroffen zu sein, aber man erwartet ihn immer noch und ich will endlich wissen, ob meine Vermutungen stimmen“ Wir sprachen noch über einige Feinheiten, dann schnappte ich mir den jungen Piloten und wir fuhren zum Flughafen, um meine Lieferung abzuholen. Dabei konnte ich mir gleich die Maschine ansehen. Der Huey sah zwar etwas mitgenommen aus, machte aber nach Avialo´s Aussage technisch eine ganz gute Figur. Schaden würde er jedenfalls nicht, obwohl er mir hier auch nichts nutzte und nur wertvoll war, sollte morgen mein Plan mißlingen – und diese Möglichkeit schob ich weit von mir. Damit drängte sich mir aber die Frage nach dem „hinterher“ wieder in das Bewußtsein und leider war ich mir, wie auch immer die Befreiung ausging, darüber leider nicht im Klaren. Gelang mein Vorhaben, hinge für mich alles von Annes Reaktion auf die Entlarvung von Diana LeClaire ab, weshalb ich das Model um so lieber in meine Finger bekam, um die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Vergab sie mir, konnten wir vielleicht dort weitermachen, wo die Intrige uns auseinandergebracht hatte, wenn nicht... – doch diesen Gedanken konnte ich nicht zuende bringen. Blieben Lilly und der Doktor. Er hatte seine Aufgabe und wäre sicher froh, wenn ich ihm bis zum Schluß dabei helfen würde. Aber ich war mir sicher, nun, wo soviel Bewegung in die Sache mit den Lemuren gekommen war, würde er, oder die mittlerweile aufgeschreckten internationalen Geheimdienste, die Schlinge eng genug um die Terroristen ziehen, so daß meine bescheidenen Kräfte sicher nicht gebraucht wurden. Mit Lilly war es da etwas anders, denn für mein Vorhaben stellte sie hoffentlich ab morgen keine Gefahr mehr da, weil es ein Erfolg wurde und so könnte mir egal sein, was mir ihr geschah - aber das war es natürlich nicht. Vielleicht würde sie alleine nach dem Gold suchen und dem sah ich mit einiger Sorge entgegen, also mußte ich unbedingt mit ihr reden, wenn alles vorbei war, aber das war Zukunftsmusik. Jetzt galt es, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, um später überhaupt einen Grund zu haben, sich die nachfolgenden Schritte zu überlegen. 319
Nach einer Stunde kam ich mit der Kühltasche bei dem Doktor im Lagerhaus an und wir beide füllten die mit Flüssigkeit versetzten Organismen in einen hohlen Meßstab, mit dem der bestochene Zollbeamte im Tank herumstochern sollte. Für die erhaltene Summe würde ihm sicher ein triftiger Grund dafür einfallen und ein Augenblick genügte auch völlig, um die Sabotage erfolgreich durchzuführen. Der Stab war einfach, aber effektiv - An der Unterseite wurde er mit einer harmlosen Salzkruste verschlossen, die sich bei der Berührung mit dem Dieselöl im Tank auflösen würde und oben war ein kleiner Hebel, der durch einfaches zur Seite schieben eine Öffnung freigab, so daß sich der Inhalt problemlos in den Tank ergießen konnte. Alles andere erledigten dann meine kleinen Freunde von ganz alleine und sorgten über Nacht für den gewünschten Effekt. Das war erledigt und Doktor Breitenbach traf sich an einer verabredeten Stelle mit dem Mann vom Zoll, während ich nun endlich das machen konnte, was mir schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte, nämlich zum Hafen zu gehen und dabei die Yacht in Augenschein zu nehmen. Aufgeregt trennte ich mich von Señor Avialo, den ich ins Hotel schickte, wo er sich bis morgen ein Zimmer nehmen sollte, um dann mit einer Linienmaschine zurück nach Caracas zu fliegen. Mein Weg zum Hafenviertel führte mich über die Broad Street nach Süden, immer entlang der Mündung des Constitution River, wo es dann ostwärts weiterging. So gelangte ich in das Careenage, sicher die älteste Stelle von Bridgetown, in der es eng und hektisch zuging, wie man es auch auf einem riesigen kreolischen Marktplatz erwarten würde. Es dauerte etwas, bis ich mich durch das Gewühl hindurchgedrängt hatte und ich landete überraschenderweise auf dem Trafalgar Square, der wie bei seinem Vorbild in London ebenfalls mit einem Standbild von Lord Nelson geschmückt war, das mich mit gesenktem Haupt genau dorthin wies, wohin ich weitergehen mußte. Mit schnellen Schritten folgte ich dem Highway One einige Häuserblocks weit und noch bevor von diesem der Princess Alice Highway abzweigte, sah ich endlich die „Bella Donna“ in ihrer Herrlichkeit am Pier mitten in der City liegen. Sie war eine riesige weiße Yacht mit der typischen Flybridge und den stromlinienförmigen Aufbauten, die sich über zwei Decks und dem eleganten Rumpf hinwegzogen. Dieser Anblick nahm mir den Atem, doch das verursachte nicht die Kunst des Konstrukteurs, sondern einzig das Wissen, wer dort an Bord war – und daß nach den Tausenden von Kilometern, die ich von Anne getrennt war, plötzlich nur noch der Hauch einer sanften Brise zwischen uns stand. Unauffällig hielt ich einen großen Abstand zu der Yacht und hatte mir, wie fast alle um mich herum, eine Sonnenbrille besorgt, die mich zu einem Teil der bunten Masse um mich herum machte. Dazu zog ich ein Basecap tief ins Gesicht und suchte nebenbei nach Lilly, die hier irgendwo vor einem Café sitzen mußte und von dort ihrer Aufgabe nachging. Die Straße mit den Geschäften und Restaurants zog sich lang hin, so schaute ich immer abwechselnd dorthin und dann wieder verstohlen zum Pier, bis mich ein Blitz traf und ich einfach an der Hauswand abrupt stehenblieb. 320
Eigentlich hätte ich darauf vorbereitet sein müssen, doch jetzt, wo ich Anne tatsächlich an Bord sah, durchzuckte es mich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen – und wenn es nicht so überraschend gekommen wäre, hätte ich sicher über mich selbst gelacht, wie der bloße Anblick dieser Frau die Steifheit meiner Kniegelenke zum Versagen brachte. Fast eine Minute brauchte ich, um meinen Herzschlag wieder zu normalisieren und mir wieder die Situation ins Gedächtnis zu rufen, denn jede unbedachte Handlung von mir konnte einen Verdacht erwecken und das Risiko durfte ich nicht eingehen. Mühsam versuchte ich, nicht hinzusehen und wiedereinmal hielt mein Vorsatz nur wenige Sekunden, was mir zu der Erkenntnis verhalf, daß meine Erinnerungen an Anne ihrer wirklichen Schönheit niemals gerecht werden konnten. Sie saß in ihrem Rollstuhl im hinteren Teil des Schiffes mit Carmen Santiago zusammen und dicht hinter ihnen standen zwei Bewacher, die „auffällig“ unauffällig in der Gegend herumschauten. Gegen jede Vernunft drängelte ich mich auf indirektem Weg durch die vielen Leute näher heran und schaffte es nur mühsam, hinter einigen Touristen stehenzubleiben, wo mir ein Blick in Annes Gesicht genügte, um zu wissen, daß es ihr nicht gut ging. Keine Spur von ihrem bezaubernden Lachen war zu sehen und mit dieser kleinen Falte auf ihrer Stirn, die sich immer bildete, wenn sie sehr nachdenklich war, starrte sie über den Platz ins Leere und wechselte nur wenige Worte mit ihrer Freundin. Das zu sehen war schmerzhaft, beinahe unerträglich und ich mußte schleunigst weg, bevor die Wut mich zu unüberlegten Taten verleiten könnte. Der schwache Trost ihrer baldigen Freiheit half mir nur wenig, wenn man mit gebundenen Händen zuschauen mußte und so konzentrierte ich mich wieder darauf, Lilly zu finden, die ja hier irgendwo stecken mußte. Endlich, nach einigen Minuten der Suche, sah ich sie in einem Gewirr von Menschen sitzen und beobachtete in diesem Augenblick, wie zwei einheimische Jugendliche versuchten, Lilly im typisch karibischen Frontalangriff anzugraben. Scheinbar unaufgefordert setzten sich die beiden gerade zu ihr an den Tisch und gingen sofort auf Tuchfühlung, doch sie zog die Hand weg und sagte wohl einige unfreundliche Worte, ohne jedoch die erhoffte Wirkung zu erzielen. Für mich war es höchste Zeit, einzugreifen, damit diese Szene keine größere Aufmerksamkeit hervorrief, die wir jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnten. Deshalb ging ich zielsicher hinüber und setzte mich auf den noch freien Stuhl, wobei ich die Kerle einfach nur ruhig ansah, doch vermutlich stand noch zuviel Wut in meinen Augen, denn mein Blick genügte, um das Grinsen der beiden strahlendweißen Gebisse einfrieren zu lassen. Deren Besitzer verflüchtigten sich dann schneller als Wasser in der Wüste und suchten das Weite, sicher auf der Jagt nach einer anderen Dame fürs Herz, oder wenigstens fürs Bett. „Na Girl, Probleme?“ Sichtlich überrascht pustete Lilly hörbar die Luft heraus und spielte dann sofort wieder das coole Mädchen, „Überhaupt nicht Boß, ich hatte alles im Griff und du hast sie nur vor einer Abreibung von mir bewahrt“ „Das habe ich schon gemerkt, aber den Spaß wollte ich dir einfach nicht gönnen“ 321
„Spielverderber, du gönnst einem auch überhaupt nichts, aber so mußte ich mir wenigstens nicht die Finger schmutzig machen und mein neues Kleid hat auch nicht darunter gelitten, wie gefällt es dir denn?“, dabei setzte sie sich etwas in Positur und drehte den Kopf ins Profil, als ob ich sie nun in dem weißen Kleid mit den dünnen Trägern fotografieren wollte. Natürlich machte ich den Spaß mit und neigte den Kopf, um auch das zu sehen, was vom Tisch verdeckt war, und mußte feststellen, daß sie bemüht war, viel von ihren Beinen an die Sonne zu lassen, „Ja! Es steht dir sehr gut und ich glaube, die beiden Kerle waren nicht die Einzigen, die dich heute angesprochen haben“ Genau das unschuldige Lächeln, was jetzt folgte, hatte ich erwartet und es sollte mir wohl in der typischen weiblichen Art zu verstehen geben, wie sehr sie das selber wunderte und daß sie gar nichts dafür konnte, „Ach, eigentlich nicht. Ich habe mich schließlich auf die Yacht zu konzentrieren und kann keine Ablenkung gebrauchen“ Ihre Betonung lag auf „eigentlich“ und das ließ mich nun schmunzeln, doch nach diesem Zwischenspiel, das mich glücklicherweise von einem Teil meines Ärgers befreite, mußten wir zu den ernsten Angelegenheiten kommen, „Da hast du sicher recht, Lilly. Also was gibt’s von der „Bella Donna“ zu erzählen?“ „Ich habe heute schon einiges gesehen, aber das wird dir nicht gefallen“ „Hmmm,... wenn es anders wäre, würde ich mich ehrlich gesagt wundern. Na, dann schieß mal los“ „OK, aber schön locker bleiben bis ich fertig bin und alles gesagt habe, so schlimm wird es auch wieder nicht werden. Die schwarzhaarige Frau dort an der Reeling ist bestimmt deine Freundin?“ Gezwungenermaßen mußte ich wieder hinübersehen, „Ja,... das ist sie“ „Wußte ich doch, du hast einen guten Geschmack, Boß. Dann wird das daneben Carmen Santiago sein, oder?“ „Auch richtig, Lilly“, nebenbei bestellte ich einen großen Fruchtsaft bei der nun erschienenen Bedienung, um meine trockene Kehle wieder etwas geschmeidig zu bekommen. „Also...“, sie zögerte etwas, „...du wirst das nicht gerne hören, aber der Kapitän der Yacht hat ein Auge auf deine Freundin geworfen“, dabei grinste sie säuerlich und lehnte sich zurück, um aus meiner Reichweite zu kommen. „Was,...? Wenn der Typ das noch einmal macht, dann wird er blind. Was hat der Kerl gemacht?“, der Gedanke war so unvorstellbar für mich, daß ich eigenartiger Weise völlig gelassen blieb. Auch Lilly erwartete offenbar eine andere Reaktion, weshalb sie einen Moment inne hielt und dann etwas abwartend fortfuhr, „Keine Angst, Boß. Soweit ich das von hier aus beurteilen kann, und das kann ich als Frau sehr gut, hält sie nichts von diesem Typen, aber dieser schmierige Kerl verpaßt keine Gelegenheit, um in ihrer Nähe zu sein und sie anzufassen“ „Bitte?! Was hast du gesagt?“, jetzt sollte Lilly doch langsam recht bekommen und unwillkürlich suchte ich die Yacht nach einem Mann in Uniform ab. „Er versucht das so, wie die beiden Looser von eben. Haare und Schultern werden rein „zufällig“ angegrapscht, aber das hat ihm, soweit ich das gesehen habe, bisher 322
immer eine Ohrfeige eingebracht und ich glaube, der Kerl hält sich zurück, weil dieser Fortunati ihn an Deck deshalb zusammengestaucht hat“ Für einen Moment der Dunkelheit überlegte ich, wie ein Genickbruch am besten als Unfall aussehen würde und ob es für eine Kastration dieses Kapitäns mit einer Papierschere, dafür ohne Betäubung, für mich noch mildernde Umstände geben könnte. Dann jedoch schob ich ganz schnell diese wütenden Gedanken fort, aber nicht so weit, wie mir lieb gewesen wäre. „Dann müßte ich Fortunati in der Sache sogar dankbar sein, das ist ja fast genauso schlimm, aber das bin ich in dem Fall gerne. Hast du etwas von der dritten Gefangenen gesehen?“ „Diese Diana LeClaire kommt immer getrennt an Deck, ich vermute das die Leute von Fortunati immer eine Frau unten lassen, damit die anderen nicht so schnell versuchen, abzuhauen“ „Das hört sich plausibel an, was gibt es sonst noch?“ „Wie du selber sehen kannst, gibt es am Bug und am Heck eine Wache, dann noch zwei auf der Landseite an der Reeling. Wenn die Frauen an Deck kommen, dann begleitet sie immer noch ein Mann dazu, genauso ist es, wenn Fortunati erscheint. Von Bord habe ich nur zwei Männer gehen sehen, offensichtlich ein Koch und ein Schiffsjunge, denn zwei Stunden später kamen sie mit Lebensmitteln bepackt wieder. Kurz darauf fuhr noch ein Lieferwagen vor und brachte noch eine große Ladung auf Paletten, die dann verstaut wurde“ „Scheinbar bereiten sie die Abreise vor, es wird höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Du hast deinen Job ausgezeichnet gemacht und bist wirklich ein cleveres Mädchen“ „Ich weiß Boß, aber es ist schön, daß es auch jemand mal bemerkt“ „Ach Lilly, ich glaube, da gibt es noch einen bestimmten Mann außer mir, der das mitbekommen hat“ „Wieso? Wer?“ In einem beiläufigen Ton redete ich ungerührt weiter. „Ach,... Cristobal Avialo ist hergekommen und hat etwas für dich mitgebracht“ „Für mich, was denn?“ Einhundert Prozent weibliche Neugier schlug mir schlagartig entgegen. „Das mußt du dir schon selber ansehen, aber es ist nichts, was du dir um den Hals hängen oder an den Finger stecken könntest. Es würde mich jedenfalls sehr überraschen, wenn du das trotzdem schaffst“ Von diesem Zeitpunkt an bohrte sie nur noch nach und wir waren nun kaum noch beim Thema. Ich ließ mir abschließend noch einige Details vom Tagesablauf auf der „Bella Donna“ erzählen und war natürlich besonders neugierig auf die Beschreibung dieses schmierigen Kapitäns. Dann schickte ich Lilly ins Hotel zurück, damit ihre Neugier sie nicht umbrachte und fast übereilt verabschiedete sie sich von mir. So saß ich, äußerlich gelassen, nun alleine vor dem Hafencafé und schaute auf meine Uhr. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis unser Mann vom Zoll eintreffen würde und darin hatte ich mich auch nicht getäuscht. Als er kurz darauf eintraf, erschien auch der Kapitän auf der Bildfläche, was mich beinahe mehr interessierte als das Treiben des Beamten und während dieser seine 323
Aufgabe verrichtete, sah ich mir den Mann, der Anne zu nahe getreten war, einmal genauer an. Massig, mit breiten Schultern und Händen, die etwas zu groß wirkten, dazu eine dunkle Halbglatze mit einem kleinen Stummelzopf und einem gepflegten Dreitagebart. Man sah ihm an, daß er viel an der frischen Luft war, denn die freien Stellen seinen Körpers waren braungebrannt und mit reichlich Schmuck verziert, wie einer auffälligen Uhr und einer genauso ins Auge fallenden Kette. Die paar Kilo, die er zuviel auf den Rippen hatte, wirkten durch seine Größe nicht sehr auffällig, aber sie hatten in seinem Gesicht ihre Spuren hinterlassen, das deshalb wie eine Mischung aus Ferkel und Fuchs aussah und mitten darin waren zu klein geratene Augen, die jedoch eine aufmerksame Listigkeit ausstrahlten. Von hier aus sah ich nur eingeschränkt, was an Bord genau geschah, und nach einer halben Stunde verließ unser Mann breit grinsend die „Bella Donna“, so daß ich von einem Erfolg seiner Mission ausging. Mittlerweile war niemand mehr außer den Wachen an Deck zu sehen, wahrscheinlich hatten sich alle in die klimatisierten Räume zurückgezogen und nur undeutliche Bewegungen auf der Brücke verrieten dort die Anwesenheit von Menschen. So eine Klimaanlage wäre mir sicher auch gut bekommen, denn unter meinem festen Verband begann ich zu schwitzen und das Herumsitzen war auch nicht gerade eine Lieblingsbeschäftigung von mir. Trotzdem ertrug ich das, unterstützt von eiskalten Getränken, die nächsten zwei Stunden, bis sich der Doktor näherte und sich auf Lillys Stuhl setzte, „Hat alles geklappt, Kronau?“ „Ja, es sah jedenfalls so aus, jetzt müssen wir nur noch hoffen, daß alles so funktioniert, wie ich es geplant hatte“ „Ausgezeichnet, ich hatte schon einige Sorgen, daß etwas schief geht. Gerade habe ich für morgen einen Flug nach Buenos Aires gebucht, um nachzuforschen, warum Bartholome Diaz nicht eingetroffen ist. Es scheint so, als ob er wirklich kalte Füße bekommen hätte, aber es wäre auch zu schön, um wahr zu sein. Was ist mit Ihnen Kronau, wie geht es für Sie weiter?“ „Das hängt nicht von mir ab, vielleicht sollten wir morgen früh noch einmal darüber reden, Doc“ „Ich verstehe, Kronau. Aber das wird schon, denn bei soviel Herzblut, wie Sie in diese Sache gesteckt haben, da muß es doch gut ausgehen“ „Darauf sollten wir uns eine Limonade genehmigen, was halten Sie davon, Doc?“ „Eine Limonade? Sie haben recht, kein Alkohol vor dem Einsatz morgen früh – apropos morgen früh. Tatsächlich will Fortunati morgen um sechs Uhr auslaufen, das sagte mir gerade der Hafenmeister. Also wollen wir hoffen, daß Ihre Bakterien bis dahin ganze Arbeit leisten. Ich denke, wir treffen uns abends im Hotel und besprechen dann nochmal die Einzelheiten, vielleicht sollten wir einfach alle zusammen essengehen, so als Abschluß unserer Zusammenarbeit“ „Eigentlich keine schlechte Idee, Doc. Aber es ist besser, wir lassen Lilly und Señor Avialo alleine losziehen und ich würde gerne noch durch die Stadt gehen, weil mir das Rumsitzen auf die Nerven gehen würde. Wahrscheinlich bekomme ich sowieso kein Auge zu in dieser Nacht, vielleicht hilft da ein Spaziergang“ 324
„Eine gute Idee, machen Sie das Kronau. Ich selbst werde meine Abreise vorbereiten, dann kann ich gleich verschwinden, sobald wir morgen früh alles erledigt haben. Versuchen Sie trotz allem noch zu schlafen, es ist besser, wenn man für so eine Sache ausgeruht ist“ Wir blieben noch einen Moment sitzen und langsam legte sich die Dämmerung über den Hafen. Natürlich blieb das Thema unsere bevorstehende Aktion und deren Durchführung. Alles war vorbereitet und jeder erdenkliche Zufall wurde durch gute Planung ersetzt. Dann gingen wir zum Hotel, wo Lilly mit uns noch eine Stunde zusammensaß und nicht nur wegen des morgigen Tages, sondern auch wegen dem bevorstehenden Abend mit Cristobal Avialo aufgeregt war, mit dem sie sich später ins Nachtleben stürzen wollte. Natürlich war mir nicht nach sowas, meine Gedanken kreisten vielmehr um alles, was schief gehen konnte, und zudem meldeten sich die Schmerzen im Brustkorb wieder, die bis jetzt durch einige Pillen vertrieben wurden. Ich legte mir eine doppelte Bandage an, die es fast unmöglich machte, den Rücken irgendwie zu beugen und dann schluckte ich noch zwei Schmerztabletten. Sollten sie müde machen, um so besser, noch konnte ich einige Stunden schlafen. Aber das machten sie nicht, oder besser gesagt, sie machten es schon, trotzdem konnte ich nicht schlafen. Zu nervös war ich und zu sehr trieb es mich zum Hafen zurück, aus Angst, es könnte doch noch etwas Unvorhergesehenes geschehen. Beinahe schlenderte ich durch die Straßen, immer noch überlegend, ob ich umkehren sollte, aber im Grunde beruhigte ich nur mein Gewissen mit diesem Gedanken, denn nur zu gut wußte ich, daß es kein Zurück gab. Die Cafés waren nun nicht mehr so gut besucht und ich hielt es für besser, mich am Rand des Piers zu halten und von dort unauffällig das Schiff zu beobachten. Natürlich trieb mich auch die Hoffnung, Anne noch einmal zu sehen, aber um diese Zeit hielt ich das für sehr unwahrscheinlich und so war ich darüber zwar traurig, aber nicht allzu enttäuscht. Über eine Stunde lang passierte überhaupt nichts, ein Teil in mir war darüber froh und brachte mich fast schon wieder soweit, ins Hotel zurückzugehen, aber da war noch die andere, vom Instinkt geleitete Hälfte, die mir mit meinem ziehenden Nacken deutlich zu verstehen gab, daß ich lieber noch bleiben sollte. Einen etwas präziseren Hinweis hätte ich schon gerne gehabt, aber er genügte, um auszuharren und aufmerksam die „Bella Donna“ und die umliegenden Straßen im Auge zu behalten. Dann schien sich meine Beharrlichkeit auszuzahlen, weil sich ein dunkler Schatten verdächtig auf der anderen Seite der Straße, im Schein einer Barbeleuchtung, bewegte und nicht dem gleichen Bewegungsmuster der anderen Touristen entsprach. Eilig, beinahe hektisch, lief er an allen Leuten vorbei und hob sich so von den anderen ab. Schon wollte ich mein ganzes Interesse diesem Phänomen zuwenden, als sich auch etwas auf dem Deck der Yacht bewegte und mich nun etwas irritierte, aber da alles von der „Bella Donna“ wichtiger war, konzentrierte ich mich darauf. Nur schemenhaft war eine kleine, zierliche Gestalt auszumachen, die sich vom Heck entlang der Steuerbordseite zu dem kleinen Fallreep hin bewegte und ohne Probleme seitens der Wache von Bord gelassen wurde. 325
Mein Näschen hatte sich nicht getäuscht und es kam noch besser, denn ohne zu zögern hielt dieses merkwürdige Wesen auf genau die Stelle zu, wo ich den Schatten zuletzt gesehen hatte. Beide trafen sich genau neben einer typischen Bar, an deren linker Seite eine kleine Straße zwischen den Häusern abging, die wie ein dunkles Loch wirkte, da dort nicht der Hauch einer Beleuchtung vorhanden war. Selbstverständlich war alle Müdigkeit verflogen und ich beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen, denn jede Veränderung der Lage konnte sich verheerend auf die Befreiung auswirken. Unauffällig kam ich aus meiner Deckung und ging betont lässig über die Straße auf die Häuserfront zu, so daß die beiden hinter einem geschlossenen Souvenirstand wieder für mich zu sehen waren. Der Schatten hatte nun auch einen Körper und erleichtert ließ mich dieser Anblick schmunzeln, denn es war der Doktor und nun brauchte ich nur alles zusammenzuzählen. Das dünne Männchen konnte nur der Spion sein, über den er so sorgfältig schwieg und kein Wort über seine Identität verlor. Natürlich mußte ich nun kein Risiko mehr eingehen und lehnte mich neben dem Eingang zu der Cocktailbar an die Wand, wie einige andere Leute auch, und lauschte dem Mischmasch aus karibischer Musik und den aktuellen Charts. Denn meine Neugier war noch nicht verflogen und deshalb drehte ich meinen Kopf öfters zur Hausecke, doch der Spion stand zu sehr im Schatten, um einen klaren Umriß zu erkennen. Offenbar würde es noch ein Geheimnis bleiben und so schaute ich auch mal gelangweilt nach links, um mir einige der Touristen näher anzuschauen, die in der Mehrzahl aus den Staaten kamen und nur vereinzelt Europäer waren. Dabei sah ich auch eine Limousine in der Reihe der parkenden Wagen stehen, doch im Gegensatz zu den anderen Autos saßen vorne zwei Männer, die sich nicht von den kurzen Kleidern der Ladys ablenken ließen, sondern ebenfalls an dem Gespräch des Doktors interessiert waren. Ungerührt hatte ich augenblicklich den ganzen Sichtbereich mit einer müden Kopfbewegung überschaut, die mir jedoch kein weiteres Gefahrenpotential offenbarte – nur die zwei Silhouetten hinter dem getönten Glas gaben Anlaß zur Sorge. Alles mögliche schoß mir durch den Kopf, um wen es sich hier handeln könnte, wobei für mich zuerst natürlich eine zusätzliche Wache von Fortunati am plausibelsten war, doch es gab noch mehrere Anwärter und deshalb ließ ich das Spekulieren. Irgendwie mußte ich handeln, doch wie? Nach einer Idee suchend schaute ich in der Gegend herum und blieb an dem besonders kurzen Rock einer recht attraktiven Frau hängen, da schoß mir ein alter Spruch durch den Kopf, den ich eigenartigerweise immer nur von weiblicher Seite gehört hatte - „Wenn ein Mann nicht mehr weiter weiß, dann braucht er die Hilfe einer Frau“ Da mein Problem recht groß war, brauchte ich demzufolge zwei Frauen und die waren sicher in der Bar hinter mir zu finden. Dort herrschte die ausgelassene Stimmung, die ich erwartet hatte, doch die Zeit, sie zu genießen, hatte ich nicht, denn ich mußte zwei Damen suchen, die mir gegen eine kleine Spende einen besonderen Gefallen erwiesen. 326
Allerdings wendete sich die Geschichte schnell. Anstatt daß ich solch ein liebreizendes Wesen fand, wurde ich von ihr gefunden, denn eine mit rotem Kunsthaar verschönerte Mitarbeiterin dieses Etablissements kam auf mich zu und schlang ihre Arme um mich. Das sie für diesen Job qualifiziert war, fiel mir sofort ins Auge, so zögerte ich nicht und fragte erstmal mit sprühendem Selbstbewußtsein, ob sie nicht noch eine Freundin hätte, die mitmachen würde, was mir sofort einen abschätzenden Blick einbrachte. Eine Minute später kam noch eine Inselschönheit dazu und etwas verdutzt nahmen die Damen nun zur Kenntnis, daß es nicht auf ein Zimmer ging, sondern nur auf die Straße, wo sie alles veranstalten sollten, um die Insassen des Wagens abzulenken. Mein Griff in die Portokasse dafür war ungewöhnlich tief und so konnte man sicher einiges für das Geld erwarten. Die Ladys verließen zuerst die Bar und begannen ihre Vorstellung, indem sie direkt vor der Limousine ihre spärliche Kleidung richteten, ich selbst ging ebenfalls hinaus, aber schlenderte weiter nach rechts auf die Hausecke zu, wo die Besprechung offenbar zu Ende war und die kleine Gestalt gerade über die Straße zurück ging. Schnell schaute ich mich noch einmal um und sah grinsend die Damen an den beiden Türen des Autos stehen, so lief ich schneller, um den Doc abzufangen, „Na Doc, ein konspiratives Treffen gehabt?“ Er schoß herum und sah mich erstmal sprachlos an, dann nach einem Räuspern fand er endlich die Sprache wieder, „Kronau, was machen Sie denn hier?“ „Sie wissen doch noch, ich wollte spazierengehen, da bin ich gerade dabei“ „Kronau, Sie sollten mich nicht verschaukeln, dafür bin ich bin zu alt und habe zuviel Erfahrung“ „Das freut mich zu hören, allerdings haben Sie bei Ihrer Erfahrung zwei Typen in einem Auto übersehen und wer weiß, ob die Sie auch nur verschaukeln wollen“, ohne zu warten griff ich seinen Arm und zog ihn in die dunkle Seitengasse. Schnell erzählte ich ihm, was ich gesehen hatte, und der Doktor war sichtlich zerknirscht, daß er die Männer nicht bemerkt hatte, „Ich weiß auch nicht, wer das ist, vom Schiff sind die jedenfalls nicht, das hätte ich gerade erfahren“ „Gibt es noch irgendwas Wichtiges von der Yacht?“ Wir gingen schnell die Gasse entlang und Doktor Breitenbach zögerte etwas mit der Antwort. „Naja Kronau, nichts, was die Planung für morgen ändern würde, aber vielleicht für das, was hinterher kommt. Offenbar denkt Anne Damianski nicht nur, daß sie tot sind, sondern auch, daß in Paris noch etwas zwischen Ihnen und Diana LeClaire gelaufen ist. Dieses Model hat ihr wohl über eine Liaison erzählt, die in der Nacht, wo sie beide angeblich alleine in dem Haus waren, stattgefunden haben soll“ Damit hatten sich meine schlimmsten Vermutungen bestätigt, allerdings schaffte es dabei Diana LeClaire noch, eine Steigerung einzubauen, „Diese egozentrische, blöde Tussi! Es ist wirklich erstaunlich, wie raffiniert eine in ihrem Stolz verletzte Frau vorgehen kann. Keine Rücksicht auf andere. Hauptsache, eine Sache zerstören, wenn man sie nicht selbst bekommt, können Sie sich das vorstellen?“ 327
Der Doktor nickte nur und schlug mir beruhigend auf die Schulter, während wir die dunkle Gasse entlanggingen, „Ich habe zu viel erlebt, um noch überrascht zu sein, und menschlich ist das wirklich eine schwache Leistung von dieser Diana LeClaire. Zudem versetzen Sie sich doch mal in die Lage von Anne Damianski. Sie ist von Ihnen getrennt worden und erfährt auch noch von dem Model, daß Sie umgekommen sind. Dann wird ihr noch von diesem Verhältnis erzählt und als Krönung wird sie jeden Tag daran erinnert, weil die Frauen zusammen gefangengehalten werden. Steter Tropfen höhlt den Stein, Kronau. Sie brauchen nur immer wieder jemanden eine Lüge einzutrichtern und dann glaubt derjenige es am Ende, auch wenn man es im Grunde seines Herzens nicht will“ Ich konnte nicht behaupten, daß es mir danach besser ging, „Morgen werde ich mir diese Madame LeClaire einmal vorknöpfen, was das soll, nur aus verletzter Eitelkeit irgendwelche Lügen zu erzählen und dann auch noch über einen Toten, der sich nicht wehren kann. Aber morgen ist der Tag der Auferstehung und dann wird sich jemand mächtig wundern, Doc. Das verspreche ich Ihnen“ „Das brauchen Sie nicht zu tun, Kronau. Wenn ich Sie so ansehe, möchte ich nicht in der Nähe sein, wenn Ihnen diese Laufstegschönheit in die Hände fallt“ „Da haben Sie vollkommen recht, wenn sie jetzt vor mir stünde, dann würde ich sicher unter der Amnesie meines guten Benehmens leiden“ „Meinen Sie? Das glaube ich nicht, im Moment beherrscht Sie der erste Ärger, aber ich kenne Sie mittlerweile recht gut und im Ernstfall haben Sie sich unter Kontrolle. Doch jetzt sollten wir lieber die aufgestaute Energie nutzen und etwas über die Herrschaften in dem Auto herausbekommen, dann ist mir nämlich auch wohler wegen morgen“ „Sie haben recht, wir werden am besten diese Gasse verlassen und uns dem Wagen von hinten nähern, mal sehen, wer sich für Ihren nächtlichen Spaziergang interessiert hat“ „Ich würde vorschlagen, daß...“, an der Hausecke, wo wir abgebogen waren, tauchten Scheinwerfer auf und quietschende Reifen unterbrachen den Doktor. Sofort reagierte ich und schubste den Doktor Breitenbach in den nächsten Hauseingang, „Ich lenke sie ab und wir treffen uns im Hotel wieder“ Dann rannte ich los und mehrere Aufgänge entfernt beschleunigte der Wagen, so daß ich mich mehrmals umschaute, doch durch die blendenden Scheinwerfer war es mir nicht möglich, den Fahrer zu erkennen. Möglicherweise waren es die beiden Männer aus dem mir bekannten Wagen, die sich für die nette Gesellschaft bedanken wollten, aber es konnte auch jemand ganz anderes sein, da sich noch nicht einmal die Automarke durch das starke Gegenlicht feststellen ließ. Jedenfalls rannte ich weiter und wechselte mehrmals die Richtung, trotzdem waren es nur noch zwanzig Meter zwischen mir und dem Jäger aus Blech, als ich einen unbefestigten Weg zwischen bunten Reihenhäusern fand und dorthin in die Dunkelheit rannte. Der Wagen folgte mir und schleuderte, während er bremste, in eine neunzig Grad Drehung – dieser winzige Augenblick, als der Wagen kurz langsamer wurde, hatte genügt, um ihn zu identifizieren. Es waren die Männer von der Bar, aber besonders dankbar schienen sie nicht zu sein. 328
Jetzt begann ich zu merken, daß eine gebrochene Rippe unter bestimmten Voraussetzungen sehr hinderlich sein konnte, denn die Luft war knapper als sonst und die rechte Seite machte mir zunehmend zu schaffen. Natürlich mußte ich so irgendwie von der Straße runter, aber wie konnte ich das? Die Häuser standen wie eine Wand aneinander und das Risiko einzugehen, einfach an einer Tür stehenzubleiben, erschien mir zu groß. War diese verschlossen, hatte ich keine Gelegenheit mehr, davon zu kommen. Fast im letzten Augenblick ,bevor der Wagen mich erreichte, sah ich einen kleinen Vorgarten, der die Häuserreihe unterbrach und ohne zu zögern hob ich zum Sprung ab, schwang mich über den Holzzaun hinweg und landete kurz vor einer Pergola, die ich dabei nur knapp verfehlte. Keuchend rannte ich zwischen den Häusern hindurch und stoppte dann kurz vor einer parallel laufenden Gasse. Der Schweiß stand mir auf der Stirn, so daß ich kopfschüttelnd zurück sah und nun erleichtert feststellte, daß der Weg zu schmal für ein Fahrzeug war. Aber ich fühlte mich noch nicht in Sicherheit, denn die Männer brauchten nur einen Bogen zu fahren und würden so sehr schnell hier auftauchen. Etwas entfernt konnte ich die Saint Marys Church sehen und wußte deshalb ungefähr, wo ich war, vor mir lag die Lower Broad Street, die ich so schnell es ging überquerte und dann immer weiter nach Norden lief, bis ich hinter der Shuffle Street im Häusergewirr verschwand. Erst jetzt wurde ich langsamer und vorsichtig lief ich durch die Straßen, bis meine Lunge wieder ihren gewohnten Dienst verrichtete, aber der Schmerz in meiner Seite schien nicht verschwinden zu wollen. Doch um herauszubekommen, wer die Kerle waren, mußte ich zurück, allerdings kamen mir bei diesem Gedanken etliche Zweifel, ob ich einer Konfrontation überhaupt gewachsen war. Die Zeit verging, unbewußt steuerte ich wieder auf die Hafengegend zu, obwohl ich noch keine Entscheidung über mein weiteres Vorgehen getroffen hatte, und als mir das klar wurde, beschloß ich erst mal, in ein Café zu gehen und mir bei einer Tasse Kaffee meine weiteren Schritte zu überlegen. So betrat ich ein kleines Internetcafe, das genau auf dem Weg lag und mir als nächstes ins Auge fiel. Von hier aus rief ich das Hotel an und erfuhr vom Doc, daß er gut angekommen war, und zugleich mahnte er mich, auch den Rückweg anzutreten, aber solange ich nicht wußte, wer oder was hinter den beiden Männern steckte, gab es für morgen keine absolute Sicherheit. Er akzeptierte das, schließlich waren meine Argumente nicht aus der Luft gegriffen und ich versprach, mich sofort zu melden, sobald ich etwas herausbekommen hatte. Jetzt gab es zwei Möglichkeiten - Entweder waren die Männer wieder vor der Bar, dann galt ihr Interesse eher der „Bella Donna“ und der Doktor ist durch das Treffen mit dem Spion nur zufällig in ihr Visier geraten, oder sie hatten ihre Stellung vor unser Hotel verlegt. Das hieße dann, Doktor Breitenbach wurde observiert, möglicherweise sogar wir alle, aber das ließ sich feststellen, indem ich mit einem Taxi die beiden Orte aufsuchte. 329
Schnell war der Wagen bestellt und um die paar Minuten noch sinnvoll zu nutzen, ging ich an einen Computer und sichtete meine reichlich angeschwollene Mailbox. Zu den wichtigen Sachen gehörte auch recherchiertes Material von Conny aus dem Verlag, das inzwischen über mehrere Tage verteilt eingetroffen war, doch aus Zeitmangel überflog ich das meiste nur. Viele Zeitungsartikel über Fortunati waren dabei, dazu einiges über seinen Cousin Valerio Nostro, und zwei alte Fotos von Gondoni, auf denen ich ihn sicher nicht wiedererkannt hätte. Schon stand das Taxi vor der Tür und ich wollte gerade aus dem System gehen, als mir eine Information ins Auge fiel, die für mich schlagartig die gesamte bisherige Konstellation änderte. Ein Artikel über Fortunati war mit einem Foto versehen, das mich augenblicklich elektrisierte und meine Kehle austrocknen ließ. Es war eine drei Jahre alte Aufnahme, die ihn zusammen mit seiner damaligen Freundin zeigte, Diana LeClaire. Bis ich diese Tatsache wirklich realisierte, dauerte es sicher eine Minute, dann hatte ich auch die aufkommende Übelkeit bekämpft, die mich kurzzeitig überkommen hatte, und von einer doppelten Wut auf diese Frau abgelöst wurde. Nun erschienen einige Sachen in einem ganz anderen Licht, sehr hell und sehr schmerzhaft. Länger wollte ich den Fahrer nicht warten lassen, so bezahlte ich im Café und beschloß, trotz der gravierenden Neuigkeiten an meinem Plan festzuhalten, schließlich kam eine akute Gefahr von dort. Ein großer schwarzer Taxifahrer war so höflich, mir die hintere Tür aufzuhalten und ich stieg ein, doch dann verlief nichts mehr, wie ich es erwartete, denn in meinem rechten Oberarm spürte ich den stechenden Schmerz einer Injektion und die gegenüberliegende Tür wurde geöffnet. Ein starkes Schwindelgefühl erfaßte mich, als sich ein weißer Mann im Anzug neben mich setzte und mir die letzten Worte sagte, die ich noch hören konnte, „Corton Henley, CIA“
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Kapitel 4 Ich hatte in meinem Leben schon viele schlaflose Nächte verbracht, in denen ich ein so wirksames Mittel herbeigesehnt hatte, wie jenes, das mich innerhalb weniger Sekunden außer Gefecht gesetzt hatte. Aber wie bei den meisten Wünschen gab es auch eine zweite, unangenehme Seite und die begann mir langsam bewußt zu werden. Irgendwie lag ich auf dem Rücken, doch es war für mich nicht genau einzuordnen, denn alles schwebte und drehte sich und das einzige Körperteil, was ich bewußt wahrnahm, war meine Zunge, die meine trockene Mundhöhle nach etwas Speichel absuchte. Ich hielt es nicht für nötig, die Augen zu öffnen, warum auch? Wenn nur nicht dieser quälende Durst wäre, der einem den ganzen Spaß am Schlafen nehmen konnte. Hatte ich zuviel getrunken, oder warum ging es mir so schlecht? Natürlich mußte ich zuviel getrunken haben, denn sonst fiel mir nichts ein, das mich an so einen Zustand erinnerte, aber nein... Mühsam gestatte ich meinem Gehirn, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen, intervallweise und in ganz kleinen Portionen dämmerte es mir, was in der Nacht geschehen war. Vielleicht war es doch besser, einmal einen Blick zu riskieren - aber wollte ich mich wirklich mit den realen Tatsachen vertraut machen? Zu froh war ich schon, daß ich mich überhaupt an irgend etwas erinnerte, doch das rief unglücklicherweise sofort neue Fragen in mir hervor. Nach einigem Zaudern siegte dann die Neugier, oder vielleicht einfach die Hoffnung, etwas zu trinken zu finden, jedenfalls lag ich nun mit geöffneten Augen da und schaute in die Dunkelheit. Nichts konnte ich erkennen, meine Pupillen wollten sich einfach nicht anpassen, so daß alles verschwommen wirkte, wie mit einem wehenden Schleier versehen. Minuten später wurde ich noch mutiger, mein Kopf wanderte millimeterweise nach links und etwas kam in mein Blickfeld, worüber ich aus unerfindlichen Gründen grinste, denn jemand hatte mit Kreide einen leuchtenden, weißen Strich genau senkrecht an die Wand gemalt. Wer das auch war, er hatte sich viel Arbeit gemacht, denn der Strich machte dort, wo sich der Fußboden befand, einen rechtwinkligen Knick und lief ein Stück darauf entlang. Das war real und wirkte doch zugleich abstrakt und unpassend. Mein Durst kam mir wieder in den Sinn, aber war es so schlimm, daß ich mich dafür bewegen wollte? So richtig wußte ich es nicht. Hier zu liegen war doch gar nicht so übel, doch irgend etwas trieb mich dazu, unruhig zu werden, mir schien es, als hätte ich etwas vergessen, etwas das Wichtig war, aber mir einfach nicht einfallen wollte. Mich begann dieser Zustand zu ärgern, wieder schaute ich zu dem weißen Kreidestrich. Nanu, war der Künstler hier gewesen und hatte etwas verändert, ohne daß ich etwas davon bemerkt hatte? Die Linie auf dem Boden war kürzer geworden und der Winkel gegenüber der Wand war nun spitzer, dies war verwirrend, doch dafür mußte es 331
eine logische Erklärung geben, denn ich haßte es, wenn etwas offensichtlich auf dem Tisch lag und es trotzdem nicht zu fassen war. Jetzt begann für mich der schlimme Teil, denn ich wollte mit meinen Händen, mehr aus Gewohnheit, meinen Schlaf aus den Augen wischen, als durch die Bewegung meines rechten Armes ein Schmerz auf dieser Seite im mein Bewußtsein katapultiert wurde, der mich unvorbereitet traf und sofort zusammenzucken ließ. Doch damit fand ich schlagartig wieder in die Realität zurück und bruchstückhaft erschienen die vergangenen Ereignisse, was mich nun vollends aus meiner Gleichgültigkeit riß. Unter großen Anstrengungen rollte ich mich zur Seite und versuchte, mich aufzurichten, dabei strapazierte ich unfreiwillig mehr als einmal meinen Zahnschmelz, so daß ich beinahe erleichtert war, alleine in einem kleinen Raum zu sein, wie ich in einem diffusen Dämmerlicht feststellen konnte. Offensichtlich war man in der Zwischenzeit nicht sehr zart mit mir umgegangen und das trug nicht gerade zu einer schnelleren Heilung meiner angebrochenen Rippe bei. So saß ich minutenlang mit aufgestützten Armen und gesenktem Kopf auf einer Pritsche, dabei puckerte es in meinem Brustkorb im Takt des Herzschlages, der mir bis in die Ohren hämmerte. Nachdem ich mich wieder gesammelt hatte, wollte ich mich weiter umschauen, denn mein Sehvermögen verbesserte sich langsam, und gegenüber von der Wand, die ich schon entdeckt hatte, sah ich einen noch helleren Strich, der mir meinen Irrtum buchstäblich vor Augen führte. Dort war ein Fenster mit geschlossenen Läden, die durch einen Spalt die Sonnenstrahlen hindurchließ und nun auf die Wand trafen, wo der helle Strich auf das Holz geworfen wurde. Sonst schien der Raum leer zu sein, grobe Wände und eine massive Tür, die ohne jeglichen Griff auf dieser Seite völlig nackt aussah und einen viel zu stabilen Eindruck hinterließ. Zu sehr erinnerte mich hier alles an eine Zelle und das Bett paßte zu dem mühsam gewonnenen Eindruck, daß es eigentlich nur ein Holzgestell mit einem großen, strohgefüllten Sack war. Deshalb dauerte, selbst in meinem Zustand, diese Bestandsaufnahme nur kurze Zeit und sie trug nicht gerade zu einer Besserung meiner Laune bei. Irgendwas geisterte jedoch dafür in meinem Unterbewußtsein herum und mir schien, als müßte ich eine Erkenntnis haben, doch der Groschen fiel und fiel nicht, so sehr ich mich auch bemühte. Weiter starrte ich regungslos auf den hellen Strich an der Wand und dann kam es urplötzlich über mich – Sonne! Nach dem Einfallswinkel zu schließen stand sie schon hoch am Himmel, ich sollte jetzt mit Anne in meinem Arm in einem Flieger sitzen, doch stattdessen kauerte ich nun hier auf einer Pritsche herum und haderte mit mir selber, verdammt! Auf mich stürmten jetzt alle Gefühle der Welt wieder ein und vor allem war es die Unsicherheit, was mit Anne geschehen war. Hatte der Doc nach meinem Ausbleiben den Plan zuende geführt, oder waren er und Lilly ebenfalls Opfer des CIA geworden? Natürlich war ich wütend auf mich und überspielte damit etwas das Gefühl der aufkommenden Hilflosigkeit, das von dem Fehlen jeglicher Information begleitet wurde. So wurden die nächsten Minuten zu einem innerem Kampf, der an allen Fronten geführt wurde, die ein Mensch in sich tragen konnte. Ich kämpfte gegen meine Schmerzen, die Unsicherheit meiner Lage und die Hoffnungslosigkeit meiner Gefühle, 332
und der einzige Mensch, der die Magie in sich trug, mir über all das hinwegzuhelfen, war unerreichbarer denn je. Kopfschüttelnd lehnte ich mich zurück und selbst das Stechen in meiner Seite konnte mich nicht aus meinen Gedanken reißen, so eingenommen war ich von ihnen. Es kostete mich einige Zeit, um wieder mein seelisches Gleichgewicht zu finden und so begann ich, mich von meinen Grübeleien mit einer intensiven Nachuntersuchung der Zelle abzulenken, bei der ich einen alten, rostigen Eimer unter dem Bett fand, der nur einem ganz bestimmten Zweck dienen konnte und dem wohl auch schon gedient hatte. Sonst war nichts weiter zu entdecken und eine nähere Betrachtung des Fensters ernüchterte mich wie der Blick in einen Spiegel nach einer durchzechten Nacht, denn durch die dreckige Scheibe waren einige stabile Gitterstäbe zu erkennen, die mir diesen Weg nach draußen versperrten. Es war sogar noch schlimmer, denn die Läden schienen von außen mit einem Balken verriegelt zu sein und ohne Werkzeug war es dort hinaus nicht zu schaffen. Fast nebenbei bemerkte ich, daß man mir alle Sachen aus meinen Taschen genommen hatte, einschließlich meiner Armbanduhr, wobei ich noch zufrieden sein konnte, weil ich letzte Nacht keine Papiere bei mir trug und außer etwas Bargeld nichts weiter vermißte. Trotzdem griff ich zunächst beinahe ängstlich an meinen Hals, wo sich aber zu meiner Beruhigung noch die Kette von Anne befand und hielt sie fest, nur um sicher zu sein, daß sie noch da war. Langsam hatte ich mir ein Bild von meiner jetzigen, verzwickten Situation gemacht und ich untersuchte mühevoll zum Schluß noch die Tür, aber auch sie ließ mir keine Chance zum Verschwinden, denn weder innen liegende Scharniere, noch ein Schloß boten mir eine potentielle Schwachstelle. Die verschwindend geringe Zuversicht, daß es immer eine Möglichkeit gab, die man nur finden und nutzen mußte, löste sich auf und verschwand irgendwo in den Ritzen des stickigen Raumes. Dazu bewegten sich die Sonnenstrahlen ohne Erbarmen auf der Wand entlang und zeigten mir, wie sinnlos die kostbare Zeit verging. Irgend etwas mußte einfach passieren und in Gedanken spielte ich einige Varianten durch, warum ausgerechnet mich der CIA entführt hatte, doch dabei bewegte ich mich in einem weiten Bereich, der mehr Spekulation als Wahrheit enthielt. Der Strich an der Wand war schon verschwunden und aus meiner Zelle wurde ein dunkles Loch, das mich zu verschlucken drohte. Dieses nervige Warten war die schlimmste Folter und ich verlegte mich darauf, nicht über alles nachzudenken, damit ich mich nicht in etwas hineinsteigerte und meinen kühlen Kopf behielt, der jetzt mein einziger Trumpf war. Deshalb registrierte ich nach einigen Stunden beinahe erleichtert die dumpfen Schritte, welche sich diesem Raum näherten und dann urplötzlich vor der Tür verstummten. Nach jedem Geräusch gierend horchte ich in die Dunkelheit und quälende Sekunden lang fragte ich mich, ob das nur eine Einbildung war. Dann wurden diese durch das plötzliche Schaben eines Riegels beendet und die Tür öffnete sich, so daß durch die Beleuchtung im Hintergrund drei schwarze Schatten zu sehen waren. Auf alles Mögliche gefaßt, versuchte ich, einiges vom dahinterliegenden Raum zu erkennen, doch nur eine unverputzte Mauer mit alten Stromleitungen und noch älteren Rohren war für wenige Augenblicke zu erkennen, die auf eine Art Gang schließen ließ. 333
Gleich darauf wurde draußen ein Schalter betätigt und kurzzeitig war ich von dem Licht geblendet, das von einer Lampe an der Decke kam, welche mir bisher verborgen geblieben war, weil sie an der Seite eines alten Trägers angeschraubt war. Mit zusammengekniffenen Augen sah ich die Gestalten näher kommen und ein Mann begann, das eisige Schweigen im Raum zu brechen, „Mister Gonzales?“ Vor mir stand einen Mittvierziger in einem teuren Anzug und wartete auf meine Antwort, seine Körperhaltung zeugte von einem gewissen Selbstbewußtsein und schien mir keine andere Wahl zu lassen, als wimmernd zusammenzubrechen. Dabei schien er bedauerlicherweise nichts von meiner wahren Identität zu wissen, wovon ich eigentlich ausgegangen war, und so beschloß ich, die Fassade solange aufrechtzuerhalten, bis ich wußte, ob dies ein Vor- oder Nachteil für mich werden würde, „Ja!“ „Mein Name ist Winston Lewitt, Operationsleiter der CIA hier vor Ort. Agent Henley und Agent Johnson kennen Sie schon?“ Ich schaute hinter Mister Lewitt und erkannte die beiden Kerle von den letzten Sekunden im Taxi, „Ja, das Vergnügen hatte ich schon, auch wenn es für mich äußerst kurz war“ Besorgt stellte ich fest, daß meine Stimme meinen Gedanken kaum folgen konnte, dabei war ich besonders bemüht, durch eine kraftvolle ruhige Aussprache kein Zeichen der Schwäche zu zeigen. „Sie werden sicher die kleinen Unannehmlichkeiten entschuldigen, aber es wird Ihnen ja bekannt sein, worum es geht und dazu möchten wir Sie einfach nur befragen“ „Mister Lewitt,... ich habe nicht das geringste Verständnis dafür, in einem Taxi verschleppt zu werden und in einem dreckigen Loch aufzuwachen, und wenn Sie irgendwelche Fragen haben, dann sollten Sie sich erstmal entschuldigen und dann machen wir einen Termin in einem netten Restaurant aus. Dort können Sie mir höflich Ihr Anliegen vortragen und wenn ich Ihnen helfen kann, dann werde ich das sicher tun, aber leider habe ich nicht die geringste Ahnung, weshalb meine Person für Sie so interessant sein könnte“ „Das wissen wir um so besser, Mister Gonzales. Schließlich haben sie sich in Ihrem Hotel mit einem Mann getroffen, der als deutscher Spezialagent hier tätig ist, und gestern Nacht geschah das Gleiche im Hafen. Sie wollen doch sicher nicht von einem Zufall reden, besonders nachdem uns zwei Callgirls die Beschreibung von einem Mann gegeben haben, der zwei weitere Mitarbeiter ablenken wollte“ Aus der Nummer kam ich nur noch schwer heraus, aber ich wollte weder meinen Namen, noch die Hintergründe, preisgeben, bis ich einschätzen konnte, welche Motive dieser Lewitt hatte, „Natürlich ist das alles ein Zufall. Ich bin nur hier auf Barbados, um etwas Urlaub zu machen, und weiß überhaupt nicht, von wem Sie reden. Sicher habe ich einige Leute kennengelernt, aber einen Agenten kenne ich nicht und in den Hotels laufen Tausende von Menschen herum, was weiß ich, weshalb die alle dort sind. Wie ich schon sagte, das hier ist ein großes Mißverständnis und ich will jetzt mit Ihrem Vorgesetzten reden, damit er erfährt, was für eine Scheiße Sie und Ihre Leute hier fabrizieren“ 334
Leider entlockte ich ihm noch nicht einmal ein müdes Lächeln mit meinem Vortrag und in der gleichen Tonart wie eben fuhr er fort, „Wie kommen Sie auf den Gedanken, daß auch nur einer meiner Vorgesetzten sich dafür interessieren würde? Reden Sie lieber mit mir, das ist gesünder für Sie. Ich will Ihnen mal auf die Sprünge helfen, vielleicht leiden Sie ja noch an den Nachwirkungen der Injektion, aber berufen Sie sich nicht darauf, denn notfalls lasse ich Ihnen die Narkotika aus dem Körper prügeln. Sie wohnen auf dem gleichen Flur wie dieser Deutsche und wurden mit ihm zusammen im Restaurant gesehen, dann tauchen Sie vor einer Bar auf und decken dem Kerl den Rücken, als er sich mit einem Informanten von einer italienischen Yacht trifft, na, dämmert´s langsam bei Ihnen?“ Sagen Sie mir sofort, was sie über Breitenbach wissen, und auch über die Yacht von Paulo Fortunati, und versuchen Sie nicht, mich zu verarschen, sonst sind Sie dämlicher als mein Hund, Gonzales“ Seine Indizien gegen mich waren erdrückend und sicher wäre es einfacher, mit der Sprache herauszukommen, aber was wäre, wenn Anne immer noch auf der „Bella Donna“ war? Möglich war auch, daß der Doc und Lilly in einer Zelle neben mir waren und die CIA nun versuchte, uns gegeneinander auszuspielen. Ohne zu wissen, was draußen geschehen war, konnte ich keine Entscheidung treffen, und wenn ich danach fragte, würde ich damit zwangsläufig preisgeben, wie ich in die Sache verwickelt war und so doch noch etwas ausplaudern. Ich war in einer ganz schön beschissenen Situation und eine Aussicht, daß es sich bessern würde, schien es nicht zu geben. Auch hatte Lewitt recht, die Droge machte es mir zusätzlich schwer, darüber nachzudenken, also mußte mein Charakter einspringen – und der glänzte im Moment nur mit Sturheit, so daß ich den Mund hielt und nichts mehr sagte. „Henley!“, Lewitt nickte zu dem angesprochenen Mann, drehte sich einfach um und verließ den Raum. Scheinbar schätzte er mein Schweigen genauso ein, wie es gemeint war, und jetzt bekam ich die Quittung dafür, als Agent Johnson mich festhielt und Henley mir genau in die Seite trat, die es am allerwenigsten vertragen konnte. Selbst die Schmerzen, die ich damals in Mexiko erlitten hatte, waren im Vergleich dazu harmlos gewesen. Eine Atemnot setzte sofort bei mir ein und ich hatte schlagartig das Gefühl, einen mit Nägeln bestückten Fußball in meinem Körper zu haben, der nichts Besseres zu tun hatte, als sich immer weiter in meinem Brustkorb auszudehnen. Dabei bemerkte ich kaum noch die anderen Schläge und sank einfach in dem dunklen Raum zusammen. Was mich wieder zu Bewußtsein brachte, wußte ich nicht, allerdings hätte ich gerne darauf verzichtet, denn diesmal brauchte ich mich nicht zu bewegen, um mich sofort wieder dreckig zu fühlen. Ein Brennen durchzog meinen ganzen Körper, das parallel mit jedem Atemzug von einem unbestimmbaren, knackenden Geräusch begleitet wurde – zweifelsfrei, man hatte mich übel zugerichtet. Sicher war die Rippe nun vollends gebrochen, vielleicht hatte sie sogar Gesellschaft bekommen und ich begann mühsam, meine Extremitäten zu bewegen, um zu merken, was von mir noch übriggeblieben war. 335
Nach einer schmerzhaften Weile war ich wenigstens in der Hinsicht beruhigt, daß alles noch so funktionierte, wie ich es in Erinnerung hatte, und auch das getrocknete Blut in meinem Mundwinkel machte mir nur solange Sorgen, bis ich ausschließen konnte, irgendwo eine klaffende Wunde zu haben. So, wie es mir jetzt ging,war es sicher noch der beste Zustand, aber jede Minute, die mein Kopf klarer wurde, würde es wohl schlimmer werden. Und so bezweifelte ich doch sehr, ob meine Entscheidung, den Mund zu halten, die beste Variante gewesen war. Wenigstens schien ich immer noch zäh genug, das durchzuhalten, ohne es sein zu wollen, und ich haderte mit mir selber, obwohl ich wußte, das meine Wahl immer die Gleiche geblieben wäre. Trotzdem sollte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, etwas kooperativer zu sein, doch zögerte ich diese Entscheidung lange hinaus und lag einfach nur regungslos im Dunkeln, genauso, als wenn um vier Uhr morgens der Wecker klingelte und man sich selbst betrog, indem man noch fünf Minuten liegen blieb. Zu einem Ende kam ich damit aber nicht, weil sich nun wieder Schritte näherten und das altbekannte Geräusch des Riegels mir sagte, daß ich nicht mehr alleine war. Deshalb spielte ich einfach den toten Mann und es war erschreckend, wie wenig schauspielerische Kunst ich brauchte und wieviel Wahrheit darin steckte. Mein Atem ging sowieso sehr flach, um den Brustkorb nicht zu reizen und meine lädierten Knochen wehrten sich bei dem Hauch einer Bewegung. So lag ich teilnahmslos auf der Pritsche und wurde unvermutet zum Zeugen einer interessanten Unterhaltung zwischen Winston Lewitt und seinem Untergebenen. „Henley! Sie sollten diesen Gonzales nicht umbringen, sondern nur zum Reden bringen. Was nützt uns der Kerl, wenn er uns wegen Ihrer brutalen Handschrift einfach wegstirbt, müssen Sie denn immer übertreiben?“ „Sir, ich weiß auch nicht, warum er so schnell hinüber war. Schließlich sah der Mann so aus, als ob er mehr vertragen konnte, und dann verlor er das Bewußtsein“ „Sie Idiot, Henley. Das ist nicht das erste Mal, daß Sie über das Ziel hinausschießen. Gnade Ihnen Gott, daß wir die Terroristen auch ohne sein Wissen bekommen, sonst mache ich Sie so fertig, daß sie sich nicht mehr wiedererkennen. Was hat sich nur die Zentrale dabei gedacht, Sie mir zuzuteilen?“ „Sir, meine Qualitäten sind bekannt und die Zentrale in Langley weiß sicher genau, was sie tut, denn diese einmalige Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Es ist das erste Mal, daß wir eine verläßliche Information über Bartolome Diaz und diesen Fortunati haben – und wenn wir zuschlagen, werden nur die besten Männer gebraucht, deshalb bin ich hier“ „Zuschlagen ist bei Ihnen wohl das richtige Wort, aber leider bekommen wir so aus Gonzales, wenn er stirbt, nichts heraus und die Zeit wird knapp. Solche Verluste sind nicht zu tolerieren, weil sie uns die Arbeit erschweren, Henley“ „Die ganze Operation wird auch so garantiert ein voller Erfolg, was fällt da schon ein Toter mehr ins Gewicht, Sir“ „Ich hoffe für Sie, daß Ihre Einschätzung stimmt, sonst wird es unangenehm für Sie werden, darauf haben Sie mein Wort. Sind die anderen Räume fertig?“ 336
„Ja, Sir. Beide Zellen sind fertig, damit wir Diaz und Fortunati sicher unterbringen können. Sie können sie sich gleich ansehen“ „Vergessen Sie Fortunati, der ist nicht wichtig und kommt, wenn es nötig ist, hier herein. Die zweite Zelle ist für Gondoni, der rechten Hand von Diaz, denn mir ist das viel zu gefährlich, die beiden zusammenzulassen. Ich freue mich schon, diesen Abschaum vor mir zu sehen und sie in den Staaten abzuliefern. Und für die paar Stunden bis dahin werden die Hotelzimmer hier unten schon ausreichen“ „Sicher Sir, was machen wir aber nun mit diesem Gonzales?“ „Das scheint sich doch von selbst zu erledigen, fast einen ganzen Tag lang hat er sich nicht mehr bewegt und wird es wohl auch kaum noch machen. Ich will keine Zeugen, wie das abgelaufen ist, denn das macht keinen guten Eindruck in Langley, denn schließlich rechne ich endlich mit meiner Beförderung, wenn das hier klappt und da stört so ein unschönes Detail. Versuchen Sie ihn nochmal munter zu bekommen und befragen Sie ihn, danach lassen Sie ihn verschwinden, wir haben uns doch verstanden Henley?“ „Selbstverständlich, ich werde mich darum kümmern, Sir“ „Dafür sind Sie ja bekannt, aber versauen Sie das nicht auch noch“ „Nein Sir! In einer Stunde beginnt der Einsatz gegen die Terroristen und ich bin dann hier alleine, das ist die beste Gelegenheit, Gonzales verschwinden zu lassen. Ich verspreche Ihnen, es wird keine lästigen Mitwisser geben, Sir“ „Erzählen Sie mir nicht mehr, ich will keine Einzelheiten wissen, vielleicht fragt mich einmal jemand danach und dann muß ich nicht lügen. So, jetzt muß ich nach Hause, denn meine Frau wartet mit dem Abendessen. Sie wissen, was Sie zu tun haben“ „Ja, Sir“ Offensichtlich hatte man vor, sich meiner zu entledigen, und ich konnte nur rätseln, ob sich die Einstellung der CIA-Leute ändern würde, wenn ich verriet, daß ich Deutscher wäre. Aber nach der Lage der Dinge sollte ich mich nicht darauf verlassen, denn wer wußte schon, inwieweit es ihnen egal war, woher die Leiche kam, über die sie gehen wollten. Nein, ich mußte etwas unternehmen, ein beinahe lächerlicher Gedanke und doch war ich fest entschlossen dazu. Wer nichts zu verlieren hat, kann nur noch alles gewinnen und ich wollte mich nicht einem Schicksal beugen, das andere für mich ausgesucht hatten. Fast eine Minute lang lag ich mit geschlossenen Augen auf dem Bett und konzentrierte mich darauf, allen Willen in mir zu bündeln, bis ich mich schweißgebadet und ohne einen Laut von mir zu geben, erhob. Das erste, was mir nun ins Auge fiel, war endlich mal etwas Erfreuliches, nämlich eine große Plastikflasche mit Mineralwasser, die ich in einem Zug leerte und das mich trotz des abgestandenen Geschmacks erfrischte. Ich schätzte deshalb, daß sie schon einige Stunde dort gestanden hatte und da die Flasche bisher unversehrt war, mußten meine Kidnapper annehmen, daß ich noch nicht bei Bewußtsein war. Doch jetzt war ich es und schaute beinahe resignierend in mein Gefängnis, was konnte mir ein Holzgestell mit einem Strohsack, die Flasche und ein alter Eimer nutzen, um hier herauszukommen? 337
Nicht sehr viel! – das war mein ernüchterndes Fazit. Ohne einen Schimmer zu haben, schaute ich in die Luft und schüttelte dabei den Kopf - Wenn ich wenigstens mehr sehen könnte! Denn die Sonne war schon wieder dabei, im Meer zu versinken, so würde bald das einzige Licht hier verschwunden sein und nur draußen war der Schalter für die Lampe an der Decke,... Moment! Urplötzlich schoß mir eine Eingebung durch den Kopf, die mich durchaus der Lösung meines Problems näherbringen konnte, denn sobald der Schalter betätigt wurde, floß bekanntlich der elektrische Strom durch die marode Leitung und das konnte man durchaus als Waffe verwenden. Kurz dachte ich die Sache durch, dann war meine Entscheidung getroffen und ich begann ohne zu zögern, im Rahmen der zunehmenden Schmerzen, meine Vorbereitungen. Die Strohmatratze war schnell entfernt und das Bettgestell stellte ich mühsam hochkant unter die Decke. Dabei wünschte ich mir die Meditationskünste eines Shaolin-Mönches, der den Schmerz sicher abschalten konnte. Mir gelang das leider nicht und ich atmete in der Frequenz einer schnaufenden Lokomotive, was ich schon mal bei einen Mann wahrgenommen hatte, der vor meinen Augen hyperventilierte. Als ich das endlich geschafft hatte, brauchte ich erstmal eine kleine Pause, um meinen nächsten Schritt zu machen, auch wenn mir die Zeit im Nacken saß. Gleich darauf legte ich den Sack auf die unteren Füße und gab der Sache dadurch mehr Stabilität. Nun folgte der schwierige Teil, denn es ging über die Querstreben des Gestells nach oben, wo ich mit letzter Kraft das Kabel aus der Fassung riß, die mit angerosteten Schrauben an dem Querbalken in der Mitte angebracht war. Dabei hatte ich wohl etwas zuviel Schwung genommen und konnte mit einer schmerzhaften Ausgleichsbewegung gerade noch einen Absturz verhindern, indem ich absprang und sicher auf meinen wackligen Beinen landete. Glücklicherweise lag das gesamte Kabel nur lose auf einigen alten Nägeln an der Innenseite des Deckenbalkens, welches dann durch ein Loch hinter der Holzwand zur anderen Seite verschwand. So war es ausreichend lang, um ohne Probleme bis zur Tür zu reichen, wo aus dem vorderen Ende zwei blanke Drähte hervorschauten, die handbreit auseinanderstanden. Fertig war mein karibischer Elektroschocker, der mir den kleinen taktischen Vorteil verschaffen sollte, mit dem ich hoffte, mein Leben zu erhalten und meine Freiheit zu erlangen. Mir war natürlich klar, daß ich mit den hier üblichen einhundertzehn Volt keinen übermäßigen Eindruck auf Henley machen würden, aber ich setzte auf die Schrecksekunde und mußte sie nutzen, um ihn anschließend irgendwie kampfunfähig zu machen. Fast eine ganze Stunde hatte ich für die Aktion gebraucht und sehnte mich dabei unablässig nach einem Glas eiskaltem Wasser, denn die Luft hier drin war schwül und feucht, was jede Bewegung doppelt anstrengend machte. Allerdings wurde mir weder dieser Wusch erfüllt, noch eine kurze Ruhepause gewährt, denn von weitem hörte ich schon die Gefahr näherkommen und das Adrenalin drückte den Schmerz in den Hintergrund. Nochmals ging ich meinen Plan durch, denn in den nächsten Sekunden mußte ich flink wie ein Wiesel sein und jeder Handgriff sollte sitzen. Wenn alles beim gleichen 338
Muster wie bisher blieb, dann betrat Henley den Raum und würde gleichzeitig den Schalter betätigen, so mußte ich genau diesen Zeitpunkt abpassen, bevor er merkte, daß es nicht an der Decke hell, sondern in seinem Kopf dunkel wurde. Der Riegel wurde zurückgeschoben und die Tür schwenkte mir entgegen, so daß ich nun leicht versetzt genau dahinter stand – Klick! Das war mein Stichwort und ich trat einen Schritt seitwärts, sah den Schatten von Henley und zielte mit meiner linken Hand genau, so daß die beiden Drähte ihn genau an der Halsschlagader trafen. Gleichzeitig holte ich mit der rechten Hand, die fest den alten Eimer umschloß, aus und einen Lidschlag später erklang ein blecherner, hohler Ton, dem ein Bauchklatscher meines Opfers folgte. Pumpend wie ein Maikäfer stand ich daneben und hätte mich am liebsten gleich dazu gelegt, doch stattdessen nahm ich Agent Henley ersteinmal seine Waffe ab und revanchierte mich, indem er seine Brieftasche an mich verlor. Der verbeulte Eimer kam währenddessen in die Ecke und mit der Smith & Wesson im Anschlag verkrümelte ich mich aus der Zelle, um nach weiteren möglichen Gefangenen zu suchen, aber die Räume nebenan waren leer. Ich befand mich in einem Keller, von dem eine Treppe nach oben führte, und vorsichtig ging ich diesen Weg entlang. Zwar hatte ich dem mitgehörten Gespräch zufolge nichts zu befürchten, aber darauf wollte ich mich nicht unbedingt verlassen. Oben mündete die Treppe in eine alten Werkhalle, die mit Maschinen und langen Transportbändern vollgestellt war, was das Mondlicht durch die oben in den Wänden befindlichen riesigen Fenster nur unzureichend beleuchtete. Die Halle war ausgesprochen groß und eine auffällige breite Metalltreppe führte zu einer quadratischen, verglasten Empore, die wohl früher ein Büro war, in der sich das wenige Licht spiegelte. Dazu roch es nach altem Öl und unablässig knarrte es in den Wellblechwänden. Ich blieb plötzlich stehen und horchte, als irgendwo vor mir eine Kette rasselte, die nun langsam auspendelte und in immer größer werdenden Abständen einen Ton von sich gab. Das Geräusch kam von unterhalb des Büros, wo alles tiefschwarz vor mir lag und kaum noch Umrisse wahrzunehmen waren. Die Waffe einsatzbereit, nutzte ich jede Versteckmöglichkeit und schob mich leise dorthin vor. Möglicherweise war meine Vorsicht berechtigt und jeden Moment konnte es zu einem Kampf kommen, dem ich nur sehr schwer entkommen konnte. Das Adrenalin half mir über meine angeschlagene Verfassung hinweg, aber ich wußte, daß ich mich nicht allzulange darauf verlassen sollte. Angespannt ging ich der Dunkelheit entgegen, als auf einmal links von mir eine Blechdose auf dem Boden aufschlug und einige Meter davonrollte, bis sie etwas entfernt zum Stillstand kam. Aufs Äußerste gefaßt schaute ich sofort hinter meiner Deckung hervor und sah einen kleinen Schatten durch die Halle huschen, vor dessen Besitzer ich mich kaum fürchten mußte, denn eine Katze sprang auf eine Werkbank und verschwand durch ein kleines Loch in der Blechwand nach draußen. Meine Pistole sank nach unten und ich konnte mir ein Schmunzeln über diesen Gegner nicht verkneifen, während ich erleichtert durchatmete und nun in diesem unübersichtlichen Labyrinth nach dem Ausgang suchen konnte. Zuerst ging ich einige 339
Schritte unter das Büro und mußte feststellen, daß man hier nicht weiterkam, und so blieb mir nur übrig, die gegenüberliegende Seite abzusuchen, um hier irgendwo die Halle verlassen zu können, doch ich sollte nicht weit kommen. Eine schwere Metalltür wurde auf der anderen Seite aufgezogen und sofort hallten Schritte zu mir herüber. Ich ging hinter einem alten Generator in Deckung und zog mich dann wieder unter die breite Metalltreppe zurück, wo einige Kartons wohl schon Ewigkeiten übereinander standen, denn von der ursprünglich eckigen Form waren kaum noch die Konturen zu erkennen. Hinter diesen Kisten fand ich ein akzeptables Versteck, auch wenn ich kaum Bewegungsfreiheit bis zur Rückwand hatte – und wenn sich jemand die Mühe machen würde, an der Seite dahinter zu schauen, dann wäre es um mich geschehen. Der Generator sprang an, hoch über mir erstrahlten mehrere Lampen, die glücklicherweise meinen Bereich durch das darüberliegende Büro kaum erfassten, trotzdem kauerte ich mich zusammen und sah nur sehr zaghaft an den Kisten vorbei in die Halle. An der rechten Seit konnte ich durch die Treppenstufen sehen, doch kam ich durch die Bodenpfeiler der Empore und deren Querstreben nicht weiter vorwärts und mußte mich damit begnügen, von hier aus das weitere Geschehen zu beobachten. Die Leute kamen näher und nun waren auch vereinzelt Stimmen zu hören, die langsam verständlicher wurden, als sich einige Männer genau vor der Treppe versammelten „...herüber, aber schnell und macht das Tor zu. Wo ist dieser Henley?“ „Don Paulo, er ist nirgends zu finden“ „Dann sucht weiter, pronto! Er muß hier sein, wenn nicht, dann wird er bald feststellen, was es heißt, eine Verabredung mit mir nicht einzuhalten. Los schafft mir diesen Kerl heran“ Nach allen Richtungen schwärmten die sechs Begleiter von dem Mann aus, dessen Anblick mich doch etwas überraschte, Paulo Fortunati. Ausgerechnet ihn hier zu treffen, hatte ich nun überhaupt nicht erwartet, aber vorerst machte er mir weniger Sorgen, vielmehr seine eifrigen Helfer, die auf der Suche nach Agent Henley sehr schnell etwas anderes finden konnten, nämlich mich. Aber diese Gefahr verschwand in dem Augenblick, als ein großer Tumult vom Aufgang der Treppe herkam, dessen Ursache mir schon klar war, bevor ich auch nur ein Wort verstehen konnte, denn man brachte den Amerikaner zur Treppe. „..., ich weiß nicht, wie lange er weg ist, Mister Fortunati“ „Das ist sehr bedauerlich, Mister Henley. Der Deal war, daß Sie uns den Mann ausliefern, und nun stehen Sie hier mit leeren Händen vor mir. Ich empfinde das als äußerst unbefriedigend, aber ich möchte mir nicht vorstellen, was Signore di Gondoni dazu sagen wird. Schließlich arbeiten Sie für den Mann und ich dagegen erledige für ihn nur einen kleinen Gefallen, weil er beschäftigt ist, wie Sie sich sicher denken können. Also ich weiß wirklich nicht, wie ich ihm das erklären soll“ „Mister Fortunati, dieser Gonzales war durch die Drogen, die ich ihm verabreicht habe, betäubt, damit er so aussieht, als wäre er kurz vor dem Verrecken. Wie sonst 340
konnte ich meinen Boß dazu bringen, daß der Kerl verschwinden soll. Aber ich konnte doch nicht ahnen, daß er sich nur verstellt hatte und schon wieder bei Bewußtsein war. Der Mann ist mit allen Wassern gewaschen und hat mich einfach ausgetrickst, glauben Sie mir. Ich würde doch nie mit Ihnen ein Geschäft machen, wenn ich nicht bereit wäre, auch meine Zusagen einzuhalten. Schließlich haben Sie doch auch die Informationen über die Falle des CIA von mir bekommen, sonst hätten sie alle jetzt eine Menge Ärger am Hals“ Offenbar war Henley nicht nur ein brutaler Schläger, sondern auch ein skrupelloser Verräter, der seine Leute verkauft hatte, und bei der Gelegenheit mich auch gleich den Lemuren ans Messer liefern wollte. Ich war gespannt, was noch alles ans Tageslicht kommen würde, vielleicht erhaschte ich sogar ein Wort über die Frauen von der Yacht oder über die Aktion der Doktors. „Damit haben Sie vollkommen recht, Mister Henley und das ist auch der Grund, warum Sie noch am Leben sind. Allerdings haben Sie doch damit vorrangig Ihr kleines Problem mit den vielen Vergehen im Dienst gelöst, das sollten wir doch dabei nicht vergessen. Es ist auf jeden Fall sehr schade, daß wir diesen Mann nicht in die Hände bekommen haben, denn er hat uns schon in Paris und Florenz einigen Ärger bereitet, und wenn ich etwas nicht schätze, dann sind das Menschen, die meine Pläne durchkreuzen“ „Sie kennen diesen Gonzales also schon länger, Mister Fortunati?“ „Was heiß kennen? Er ist ein Nichts, der sich unaufhörlich in Sachen eingemischt hat, die ihn nichts angehen, außerdem heißt er nicht Gonzales, sondern Kronau und ist ein Deutscher. Doch das ist egal, wenn wir ihn hier nicht bekommen, dann gibt es auch noch andere Möglichkeiten und lange wird er sich jedenfalls nicht mehr vor uns verstecken können. Wann haben Sie Kronau eigentlich aus der Zelle holen wollen?“ „Ich wollte ihn vor einer halben Stunde holen, doch der Kerl hat mich einfach überrumpelt“ „Vor einer halben Stunde sagen Sie? Das ist interessant, denn ich habe seit über einer Stunde das Gelände beobachten lassen, damit ich hier keine Überraschungen erlebe und außer ihren Freunden von der CIA ist hier niemand herausgekommen“ „Niemand?! Das heißt also...“ „Genau! Die Ratte hat sich irgendwo verkrochen und meine Männer werden ihn sicher gleich finden“ Er stand mit den Rücken zu mir, aber ich war davon überzeugt, daß jetzt ein arrogantes Grinsen in seinem Gesicht war, allerdings war das nicht unberechtigt, wenn ich so an meine Lage dachte. Zudem irritierte es mich noch mehr, daß er wußte, daß ich hier war und konnte mir dies beim besten Willen nicht erklären. Das alles war es natürlich wert, darüber nachzudenken, jedoch stand ich nicht nur real, sondern auch sinngemäß, mit dem Rücken zur Wand und müßte mir schleunigst etwas einfallen lassen, um nicht wieder als Gefangener zu enden und das hatte im Moment oberste Priorität. Dabei machte ich mir keine Hoffnung, einen langen Kampf, in welcher Form auch immer er ausgetragen wurde, durchhalten zu können und schon jetzt bemerkte ich das zunehmende Schwindelgefühl, begleitet vom Schweiß, der mir über den Körper 341
rann. Einzig, daß ich mich nicht bewegen durfte, brachte mir etwas Linderung, aber nur mit dem ruhigen Herumstehen konnte ich mich kaum aus diesen Dilemma befreien. Wenigstens war mein Versteck relativ günstig gelegen, denn scheinbar konnte sich niemand vorstellen, daß ich nur einige Meter hinter Fortunati zu finden war. Dafür wurden zunächst wohl das Dach und der Keller untersucht, so daß von den sechs Mafiosi, die mich suchten, niemand zu sehen war. Mich schreckte der Gedanke, selber anzugreifen, weil jede Bewegung von mir nur verzögert durchgeführt werden konnte und jede blitzschnelle Handlung damit unmöglich erschien, doch sah mich hier jemand, war es um mich geschehen, also blieb mir nur dieser Weg. Dazu kam, daß ich schnell handeln mußte, denn wenn Fortunati wieder seine Männer um sich hatte, war jede minimale Chance, die ich mir ausrechnete, nur noch das Hirngespinst eines mit Drogen vollgepumpten Idioten. Mein Plan bestand darin, mich vor allem nicht schnappen zu lassen, und – nachdem ich um die Kartons herumgeschlichen war – Fortunati in meine Gewalt zu bringen. Hatte ich ihn, hatte ich auch seine Leute und wenn Henley herumzicken sollte, gab es immer noch die Pistole. Insgeheim sponn ich sogar weiter, denn hatte ich den Mafiaboß, dann wäre ein wundervolles Druckmittel, um gegebenenfalls die Frauen einzutauschen, doch erstmal mußte man den Vogel haben, bevor man ihn auf den Grill legen konnte. Es ging um alles oder nichts! Mein Körper befand sich nun auf einer Linie mit der Außenkante der Kisten und noch sah ich niemanden von Fortunatis Leuten. Luftlinie waren die beiden Männer vielleicht drei Meter von mir entfernt, normalerweise eine Kleinigkeit, die mit dem Überraschungseffekt sicher zu schaffen war, bevor sie reagieren konnten. Letztmalig überprüfte ich die Lage des Sicherungshebels an der Waffe oben links direkt neben dem Griff, dabei war ich heilfroh, daß Henley keine popelige 38er gehabt hatte, sondern diese 9mm Pistole mit ihren zehn Schuß, auf deren schwarzen Lauf in großen Buchstaben „Smith & Wesson, Springfield, MA U.S.A“ zu lesen war. Ich stand auf und lief los, hielt die Waffe dabei nach vorne und erkannte kaum eine Sekunde, nachdem ich hervorgetreten war, einige Meter entfernt einen von Fortunatis Männern, der hinter einigen Regalen hervorkam, jetzt gab es kein Zurück mehr. Henley und Fortunati redeten noch miteinander und sahen dabei nicht in meine Richtung, das brachte mich, von ihnen unbemerkt, schon fast an sie heran, bis beide fast gleichzeitig auf die Bewegung in ihren Augenwinkeln reagierten und sich zu mir umdrehten. Fortunati faßte sich als Erster und röchelte etwas Unverständliches, gleichzeitig hatte der Mann an den Regalen die Situation erfaßt und erstarrte – für mich überraschend – neben einem alten Holzschrank. Offenbar war er sich nicht sicher, ob er mit seinem Revolver auf mich schießen sollte oder nicht, um nicht die beiden anderen zu treffen. Kaum zwei Schritte vor dem Italiener kippte dann mein Plan, als er etwas Unvorhergesehenes tat. Denn Fortunati stieß mir Henley in meine Arme und drehte sich geduckt weg, so daß nun sein Mann an dem Schrank eine freie Schußbahn hatte. Wie in Zeitlupe griff ich den völlig verdutzten amerikanischen Agenten mit dem linken Arm und umklammerte ihn, dabei drehte ich mich so, daß ich am Fuß der Treppe 342
stand, wo ich ihn nach hinten zog und, begleitet von einem fürchterlichen Schmerz, mit dem Rücken auf den Stufen zum liegen kam. Der erste Schuß peitschte durch die Halle und knapp neben uns sprühten Funken am Metallgeländer auf, was nun Henley die Lebensgeister wiedergab, der versuchte, sich loszureißen und nur mir Mühe konnte ich ihn vor mir halten. Dann schoß auch ich und meine Kugel riß den Mann von seinen Beinen, wo er vor dem Schrank regungslos liegen blieb. Allerdings verbessert das meine Lage nicht entscheidend, denn inzwischen hatte auch Fortunati seine Pistole gezogen und feuerte sie halb im knien ab. Die dumpfen Aufschläge mehrerer Projektile war zu hören, deren Auswirkungen ich sofort merkte als sich der Körper von Henley verkrampfte und schlagartig ganz starr wurde. Das von mir wahllos in Paulo Fortunatis Richtung abgegebene Sperrfeuer ließ ihn augenblicklich hinter einer Drehmaschiene verschwinden und ich befreite mich von dem getroffenen Henley über mir. Ohne zu überlegen krabbelte ich die zehn Stufen hinauf und warf mich flach auf den Metallboden des ehemaligen Büros auf der Empore, wo mir nach dem Aufprall fast das Bewußtsein schwand. Doch keine Sekunde zu spät hatte ich die Deckung erreicht, denn über mir zersprangen die Glasscheiben wie auf Kommando, als das Feuer aus mindestens zwei Maschinenpistolen auf mich eröffnet wurde. Überall lagen die Glassplitter herum und ich rührte mich kaum, was nicht zuletzt daran lag, daß mir jede Bewegung nun zuviel wurde. Die sechs verbliebenen Patronen würden mir bei dieser Übermacht wohl kaum weiterhelfen und auf ein Unentschieden zu hoffen, war wohl illusorisch bei dieser Konstellation. Fortunati trieb seine Leute an und scheinbar dirigierte er einen seiner Männer auf das Dach, von wo man mich sehr leicht durch die Fensterluken unter Beschuß nehmen konnte. Vorerst jedoch entleerten sich wenigstens zwei weitere Magazine in das Büro, dessen Scheiben nun völlig herausgeschossen waren und das mir nur deshalb etwas Schutz bot, weil in Fußhöhe ein Rahmen aus Metallplatten von einem halben Meter Höhe eingebaut war, der mich vor jedem direkten Treffer aus der Halle bewahrte. Doch zwang mich das gleichzeitig zur Passivität, denn ich brauchte sicher nur den Kopf zu heben, um danach sofort in eine andere Welt befördert zu werden. So blieb mir nichts weiter übrig, als geduckt den oberen Teil der Treppe im Auge zu behalten. Mir war klar, daß es nicht ewig so weitergehen konnte, und ich erwartete, daß jeden Moment etwas geschah. Das tat es auch, weil überraschend die Waffen verstummten und eine drückende Stille sich über die Szenerie legte. „Signore Kronau... Signore Kronau?“, ich konnte mir nicht vorstellen, daß Fortunati aufgeben wollte und schätze eher, daß er Zeit schindete, damit seine Leute in Position gehen konnten. Allerdings dürfte mir mein Schweigen auch nicht weiterhelfen, deshalb antwortete ich ihm nach kurzem Zögern, „Ich höre Sie, Fortunati. Was kann ich für Sie tun?“ „Kommen Sie heraus und ergeben Sie sich, das erspart uns eine Menge Zeit und Sie bleiben am Leben. Ihnen sollte doch klar sein, daß Sie keine andere Wahl haben, also machen Sie es uns allen nicht so schwer“ 343
„Vielleicht haben Sie recht, aber ich mache Ihnen gerne das Leben schwer, und irgendwie traue ich Ihnen auch nicht über den Weg, daß Sie mich einfach so gehen lassen wollen“ „Ihr Mangel an dem Wort eines Ehrenmannes enttäuscht mich schon etwas und außerdem habe ich vom „gehen lassen“ auch nichts gesagt. Sie werden sich denken können, wer gerne mit Ihnen reden möchte, alles Weitere liegt dann nicht in meiner Hand“ Während wir redeten, schaute ich intensiv nach oben, um nach Fortunatis Männern zu suchen, dich ich dort vermutete, „So? Wissen Sie, ich habe kein großes Interesse mit Gondoni zu sprechen und auch nicht mit Ihnen, wie wäre es, wenn Sie abziehen und mich meiner Wege ziehen lassen, dann können wir hier auch ein unnötiges Blutvergießen vermeiden“ Mit diesem Vorschlag erntete ich ein schallendes Gelächter, natürlich nicht unerwartet und, ehrlich gesagt, hatte ich nicht daran geglaubt, daß er darauf eingehen würde, „Signore Kronau, für solche Vorschläge sind Sie leider in der falschen Position, aber möglicherweise haben Sie mehr Interesse eine bestimmte Frau von meiner Yacht zu sprechen, die Gast darauf war und immer noch ist. Ihr Plan, die Frauen zu befreien, ist mißlungen, also werfen Sie Ihre Waffen weg und im Gegenzug verspreche ich Ihnen, daß Signora Damianski nichts geschehen wird. Zudem ist sie auch nicht mehr wichtig, wenn meine Partner das gefunden haben, wonach sie suchen, und ich weiß, daß sie danach freigelassen werden soll. Riskieren Sie nicht das Leben dieser Frau, indem Sie hier den starken Mann spielen, ich bin mir sicher, Sie verstehen, was ich meine“ Ich verstand nur, daß ich diesem Kerl gerne das Maul gestopft hätte und mußte natürlich davon ausgehen, daß er die Wahrheit sagte, denn dafür schien er zuviel zu wissen. Es sah so aus, als wäre genau der Fall eingetreten, den ich die ganze Zeit verhindern wollte, nämlich Anne als Druckmittel gegen mich zu haben. Außerdem hatte ich mich zu sehr der Hoffnung hingegeben, daß sie frei war und weil das nicht stimmte, versetzte es mir noch einen zusätzlichen Schlag ins Genick. Trotzdem machte ich noch einen letzten Versuch, mehr aus ihm herauszuholen, um noch etwas zu erfahren, was seine Aussage bestätigte oder widerlegte, „Mit dem, was Sie sagen, haben Sie durchaus recht, aber halten Sie mich für so naiv oder für einen kompletten Idioten, daß ich Ihnen Ihre unbewiesenen Behauptungen einfach so glaube?“ „Signore Kronau, Ihnen wird kaum etwas anderes übrigbleiben, als mir zu vertrauen“ „Fortunati, jetzt weiß ich, daß Sie mich wirklich für einen Idioten halten. Würden Sie mir im umgekehrten Fall vertrauen?“ Noch als ich auf seine Antwort wartete, fiel mir an einem der Dachfenster etwas auf, das mich sofort mehr als das Geschwafel dieses Mafiosi interessierte. Ein dunkler Schatten huschte entlang der ganzen Fensterfront vorbei, wie ich gegen das Mondlicht gut erkennen konnte. Zweifelsfrei konnte das nur zu einer List des Italieners gehören, allerdings war der Kerl auf dem Dach ein Trottel, denn er bewegte sich von den guten Schußpositionen weg und verschwand in Richtung der gegenüberliegenden Seite, wo sich die Eingangstür befand. Von dort war der Mann jedenfalls keine Gefahr und ich 344
konnte mich wieder Fortunati zuwenden, der nun doch die Sprache wiedergefunden hatte und in barschem Ton weitersprach, „Wahrscheinlich nicht, aber ich bin zum Glück nicht an Ihrer Stelle. Jetzt sollten wir langsam aufhören zu reden und Sie geben einfach auf. Vielleicht hilft Ihnen bei Ihrer Entscheidung noch eine Minute Bedenkzeit, die Sie gründlich nutzen sollten und sollte ich Ihre Intelligenz in dieser Sache wirklich überschätzen, dann werden Sie einfach in zwei Minuten tot sein und kein Mensch interessiert das. Die Zeit beginnt!“ Ich konnte davon ausgehen, daß Fortunati meine Intelligenz höchstens unterschätzte, denn weiterhin gingen seine restlichen Leute in Stellung hinter einem Laufband, wo sie seelenruhig ihre Magazine auswechselten. Zwar konnte ich nicht weiter nach links schauen, weil die Metallplatten dazwischen lagen, doch vermutete ich, daß ich dort ein ähnliches Bild zu sehen bekommen würde. Den Rest gab mir allerdings einer der Männer mit den MP´s, in dessen Hände sich nun deutlich eine Handgranate befand. Tja, ich sah keine Chance mehr, das Unvermeidliche herauszuzögern und langsam ließ ich noch die letzten Sekunden der Freiheit an mir vorbeiziehen, dann meldete sich Fortunati schon wieder, „Was ist nun, Signore Kronau?“ „Gut Fortunati, nehmen Sie die Waffen runter, ich ergebe mich“ „Es geht doch, wenn man Ihnen gut zuredet. Stehen Sie jetzt mit erhobenen Händen auf“ Ich legte die Waffe zur Seite und suchte zwischen den Glassplittern eine freie Stelle zum abstützen, um mich unter beträchtlichen Schmerzen und einer ungerührten Miene zu erheben, wonach ich tatsächlich vier Mafiosi und Fortunati sah, die auf mich angelegt hatten. So stimmte die Zahl, wenn ich den einen am Boden und den Typen vom Dach mitrechnete, „Sagen Sie Fortunati, warum ist eigentlich die Befreiung fehlgeschlagen?“ Er sah mich etwas irritiert an, „Ihre beiden Freunde haben einfach versagt und sind mit eingezogenem Schwanz wieder in das Haus auf der Isla Margerita geflogen, denn...“ Gerade wollte ich zur Treppe gehen, als Fortunati mir das sagte und sich damit selbst einen Bärendienst erwies. Denn blitzschnell schoß es mir durch den Kopf, daß der Italiener nur in zwei Fällen von Juan´s Ferienhaus auf Margarita wissen konnte. Entweder man hatte den Doc und Lilly gefangen und anschließend verhört, doch das hätte mir Fortunati sicher nicht verschwiegen, oder die Befreiung war doch erfolgreich verlaufen, dann konnte nur Diana LeClaire, die ja mitgenommen werden sollte, ihrem Liebhaber diese Information zukommen lassen. Anne mußte demnach in Sicherheit sein und nun spekulierten die Lemuren und Fortunati damit, mich im Gegenzug als Geisel zu benutzen. Das war eine Erkenntnis, die mich so glücklich machte, daß ein kurzes Lächeln auf meinem Gesicht erschien, als ich mich schlagartig wieder fallen ließ und die Smith & Wesson griff. Es erschien mir sogar wahrscheinlich, daß die Mafiosi nur blufften, um mich lebend zu bekommen und überhaupt nicht vorhatten, bis zum Äußersten zu gehen, aber da hatte ich mich gründlich getäuscht. 345
Einer der Männer, die ich sehen konnte, holte schon zum Wurf aus und bekam sofort eine Kugel von mir in den Arm, wodurch er die Granate ungezielt nach hinten fallen ließ und eine Explosion gleich darauf folgte. Das brachte schlagartig eine Unordnung in den Haufen und wilde Rufe drangen durch die ganze Halle, verbunden mit dem sofortigen Beschuß von allen Seiten. Über mir schlugen die Kugeln pausen los ein und der Raum verstärkte die Geräusche, so daß es sich anhörte, als ob eine ganze Kompanie mir gerade den Krieg erklärt hätte. Hinter meiner Deckung abwartend entdeckte ich nun einige leichte Schnittwunden von den auf dem Boden liegenden Glassplittern, als etwas Blut durch das Hemd drang und mir zusätzlich warm an meiner Seite herunterlief, was mir vorher in der Hektik nicht aufgefallen war. Allerdings blieb mir kaum Zeit, mich darum zu kümmern, denn nun sah ich durch die Lücke, in der hier oben die Treppe mündete, zwei weitere Kerle genau auf mich zustürzen. Der erste blieb stehen und ging in die Hocke, um Deckung zu geben, während der andere die Stufen hinaufstürmte und jetzt schon fast vor mir stand. Drei Schuß gab ich in einem Reflex im Liegen ab, sofort sackte vor mir der Mann zusammen und rollte wieder hinunter. Nun feuerte auch wieder der verbliebene Schütze und hielt mich mit einigen Salven in Schach, als ich auf einer Feuerleiter einen weiteren Mann sah, der in wenigen Sekunden eine Position erreichen würde, von der er mich bequem über die Metallplatten hinweg von oben abknallen konnte. Das ließ mir keine Wahl, denn ich mußte die primäre Gefahr eliminieren und verbrauchte meine letzten beiden Patronen, um damit den Mann von der Feuerleiter zu holen. Das war es dann endgültig, ich war wehrlos und scheinbar hatten auch alle anderen mitgezählt, denn schon fast arrogant stand der Mann vor der Treppe auf und rannte nach einer kurzen Salve aus seiner Uzi bis zur obersten Stufe. Jedoch kam er nicht weiter, denn mitten in der Bewegung verkrümmte sich sein Körper, ohne daß ich eine Ursache dafür ausmachen konnte und sank dann genau vor mir zusammen. Dadurch erkannte ich ohne große Schwierigkeiten den stichhaltigen Grund dafür, denn in seinem Rücken steckte ein schwarzglänzender Metallpfeil. Verblüffung und Überraschung begleiteten mich einige Sekunden, in denen ich dem Toten die UZI aus der Hand nahm und mich nun wieder mutiger vorwagte. Irgend jemand schien mir zu helfen, und wenn auch mit antiquierten Methoden, so doch effektiv genug, damit ich nicht hier enden mußte. Angestrengt suchte ich nach dem geheimnisvollen Helfer, aber vorerst war nichts weiter zu entdecken. Natürlich beschäftigte mich der Absender des Pfeiles, doch bei all dem, was ich schon in dieser ganzen Geschichte erlebt hatte, rätselte ich erst gar nicht lange herum und akzeptierte das einfach, bis die Gefahr gebannt war. Auch Fortunatis Männern schien meine Verstärkung aufgefallen zu sein, denn der Beschuß wurde eingestellt und wieder hörte ich aufgeregte Stimmen. Wahrscheinlich schauten sie genauso wie ich nach oben zu den Dachluken und konzentrierten sich dabei nicht mehr so auf mich. So beschloß ich, etwas mutiger zu werden, und schob mich weiter nach vorne zu obersten Stufe. Wenn ich richtig mitgezählt hatte, waren vier von den sechs Begleitern Fortunatis tot oder schwer verwundet, und demnach dürften mir jetzt nur noch drei Männer gegenüberstehen. 346
Lange dauerte diese Pause jedoch nicht an. Aus der Halle zwangen mich wieder vereinzelte Schüsse zurück hinter meine Deckung, doch der Blick nach oben zum Dach war noch frei und dort, ganz hinten auf der anderen Seite, erkannte ich eine dunkle Gestalt. Sie versuchte gerade, die alten Drahtseile eines Krans zu erreichen, wohl um sich daran herunterzulassen, dabei sah ich auch einen Bogen und den Köcher, demnach war es zweifelsfrei die Person, der ich mein Leben verdankte. Eine Hand wusch bekanntlich die andere und ich wollte nun für etwas Ablenkung sorgen, damit Fortunatis Männer nicht auf die Idee kamen, nach hinten zu schauen. So hob ich immer für einen Augenblick die Maschinenpistole über die Metallplatten und gab eine Salve wahllos in den Raum ab. Das wirkte, zwar bekam ich wieder die entsprechende Antwort zurück, aber niemand von denen schien den Schatten zu bemerken, der nun lautlos an den Drähten herunterglitt. Ich unterließ es nun, weiterzuschießen und versuchte, wieder ein Stück nach vorne zu kriechen, bis mir der erste Mafiosi vor die Augen kam, gerade rechtzeitig, um zu sehen wie ihn der schwarze Bogenschütze von hinten angriff und innerhalb weniger Sekunden kampfunfähig machte. Dann sah ich von ihm nichts mehr, ruhig, wie mit einem Leichentuch bedeckt, lag alles bewegungslos vor mir, bis eine Minute später das Gleiche mit dem verbliebenen Begleiter von Fortunati, nur ein Stück entfernt, wieder geschah. Das war eine der beeindruckendsten Demonstrationen von asiatischer Kampftechnik, die mir je untergekommen war. Neben einigen Kung-Fu Elementen, die ich erkannte, weil ich selbst vor Jahren daran gescheitert war, sah ich etwas klassisches Karate und dazu noch harmonisch eingebautes Aikido, mit dem er im letzten Fall den Mann an einen Stützpfeiler befördert hatte. So war auf einmal Fortunati alleine und trotzdem, aus einer guten Deckung war er immer noch gefährlich. Auch mein schwarzer Freund wußte das, denn geschickt nutzte er jede Deckung und man sah ihm förmlich an, wie exzellent er seinen gut durchtrainierten Körper unter Kontrolle hatte. Doch diese Fähigkeiten würde er auch brauchen, denn als ich mich mit meiner Waffe im Anschlag mühsam hingekniet hatte, sah ich vier weitere Mafiosi durch das Flügeltor stürzen. Allerdings zögerten sie einen Moment, weil sich ihre Augen offenbar an das Licht gewöhnen mußten und das gab mir die Gelegenheit meine Schulden zurückzuzahlen und meine letzte Munition zu verbrauchen. Unten begann der Kampf aufs Neue, diesmal bediente sich aber der schwarze Kämpfer auch moderner Mittel und lieferte sich ein kurzes Feuergefecht, um sofort abzutauchen und überraschend das an anderer Stelle zu wiederholen. Dieser Feind erschien wohl Fortunati gefährlicher und man fokussierte die ganze Aufmerksamkeit offensichtlich auf ihn, was mir die Gelegenheit gab, endlich ungesehen die Empore verlassen zu können und mich zu dem toten Mann an den Regalen zu schleichen. Ihm nahm ich seinen 45er Revolver ab, was keinen Augenblick zu früh geschah, denn scheinbar hatte man mich nicht so vergessen, wie ich es gewünscht hätte. Jemand am Kellereingang schoß auf mich und gerade rechtzeitig schaffte ich es, hinter den Regalen zu verschwinden, was aber immer schwerer wurde, da ich nur noch mit Mühe Luft bekam und über die restlichen Schmerzen gar nicht erst nachdenken 347
wollte. Deshalb brauchte ich auch fast eine Minute, um immer entlang der alten Maschinen bis an das Zentrum des Geschehens zu kommen. Normalerweise hätte ich mich in eine dunkle Ecke verkriechen sollen, aber jede Faser meines Körpers sträubte sich dagegen, einfach nur zuzusehen, und mit zusammengebissenen Zähnen tastete ich mich deshalb vor. Je näher ich der Mitte der Halle kam, desto größer wurden die Abstände der aus den verschiedensten Richtungen kommenden Schüsse, bis mich nur noch eine bedrohliche Stille umgab. Gespannt schaute ich um jede Ecke und nicht nur, weil ich gar nicht anders konnte, ging es nur langsam voran, sondern auch weil ich Angst hatte, daß ich an diesem unübersichtlichen Ort aus Unachtsamkeit einen tödlichen Fehler machen könnte. Vor mir auf dem Boden lag der Mann, den der Bogenschütze als ersten überwältigt hatte und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und dem altbekannten Ziehen im Nacken versuchte ich, mich zu orientieren, als vor mir plötzlich zwei Beine auftauchten und noch bevor ich den Revolver hochreißen konnte, knickten sie ein, denn unübersehbar steckte ein Pfeil in der Brust des Mannes. Sofort sah ich mich um und wirklich, der geheimnisvolle Fremde mit seiner schwarzen Maske stand direkt hinter mir und nickte nur wortlos herüber. Ich pustete erstmal durch und nickte auch, aber bevor meine Danksagungen noch intensiver werden konnten, begann schlagartig erneut der Beschuß, bei dem ich die restliche Munition ohne sichtbaren Erfolg verbrauchte. Offenbar ging es uns aber nicht alleine so, denn hinter mir entbrannte auf einmal ein wildes Handgemenge, bei dem sich drei Mafiosi mit Knüppeln und Eisenstangen auf den Mann stürzten, der mir mittlerweile zum zweiten Mal das Leben gerettet hatte. Zu gerne hätte ich mich jetzt gedrückt, nicht aus Feigheit, sondern weil ich wußte, daß ich nur den kürzeren bei einem Kampf Mann gegen Mann ziehen konnte, und ich schämte mich sogar meines Gedankens. Allerdings hatte mein Verstand völlig recht mit seiner Einschätzung, schade nur, daß ich mit dem Kampf vor meinen Augen nicht auf ihn hören konnte. Mit dem Griff des Revolvers schlug ich einem der Männer mit voller Wucht über den Schädel und wollte ihm die Eisenstange aus der Hand reißen, als er mir mit dem Fuß in meine Seite trat und mich damit sofort zusammensacken ließ. Trotzdem war es mir gelungen, die Stange immer noch in der Hand zu behalten und er drückte mich auf den Rücken, so daß sie mittlerweile dicht an meiner Kehle war. Mit einer letzten Willensanstrengung holte ich mit dem linken Bein nach oben aus und brachte es zwischen mir und den Kopf des Mannes, der über mir lag und dabei versuchte, mir seinem ganzen Gewicht auf die Stange zu drücken. So gelang es mir, den Oberkörper meines Gegners nach hinten wegzudrücken und seinen Hals in meiner Kniekehle zusammenzupressen, was ihn endlich dazu brachte, das Metallstück loszulassen. Erschreckt merkte ich, daß es mir kaum mehr gelang, hochzukommen, deshalb wirbelte ich im Liegen die Stange durch die Luft und plazierte sie auf dem Brustkorb des Mafiosi, den ich im Schwitzkasten hatte, wonach sein Widerstand und auch wohl auch einige Knochen brachen. Doch das brachte mir nur eine kleine Verschnaufpause, die ich nutzte, um mühsam wieder aufzustehen, denn hinter mir vernahm ich nun deutlich Schritte auf dem harten Boden. 348
Fortunati erschien dort mit zwei weiteren Leuten, die ihn auf beiden Seiten flankierten und alle blieben unvermittelt stehen, als sie mich sahen. So ein Elend, mußte ich nun wirklich gegen drei Männer antreten? Mir erschien das im Moment dermaßen lächerlich und ich verlegte mich darauf, nicht zu laut zu keuchen und etwas Zeit zu schinden, indem ich mir mit der rotierenden Eisenstange einigen Respekt zu verschaffen suchte, allerdings gingen die drei nicht darauf ein und begannen, mich einzukreisen. Noch schwang ich das Eisen über meinem Kopf und nutzte den verbliebenen Schwung, um den Kerl, der mir mittlerweile am nächsten gekommen war, die Stange direkt unter das Kinn zu schlagen – der daraufhin wie an ein Gummiband genagelt mit ausgestreckten Armen zurückkippte und einfach umfiel. Jedoch war das ein Pyrrhussieg, denn der zweite Kerl hatte dadurch genug Zeit und konnte mich von der Seite umklammern, so daß es mir noch nicht einmal mehr gelang, nach hinten ausweichen zu können. Das war nun endgültig der Zeitpunkt, wo ich alles gegeben hatte, was ich noch aufbieten konnte, und an eine Gegenwehr war kaum mehr zu denken. Noch einmal stemmte ich mich mit dem Mut der Verzweiflung gegen den Mann und versuchte, ihn gegen das in der Nähe verlaufende Transportband zu drücken, doch dann passierte es. Ein nicht zuvor gekanntes Gefühl im Rücken durchlief meinen Körper, es war kein Schmerz im eigentlichen Sinn, eher verkrampfte sich alles und mir war, als würde ich zu Stein werden, als ich auf die Knie ging. Dann überflutete mich ein unbeschreibliches Brennen und alles begann sich zu drehen, aber eines sah ich noch ganz deutlich, bevor alles schwarz um mich wurde – Fortunati, der mit einem triumphierenden Lachen und mit einem blutverschmierten Messer über mir stand. Gott hatte einen Spitzbart! Irgendwie war ich mir sicher, daß er es war und nicht sein Pendant aus der unteren Etage. Man hörte des öfteren von den Seelen, die über dem toten Körper schweben und sanft in einen Tunnel des Lichts zur ewigen Ruhe gleiten und so fühlte ich mich ein wenig enttäuscht, daß ich wohl diese Reise verpaßt hatte. Vielleicht ging es doch in die andere Richtung, wo Hölle und Fegefeuer auf mich warteten, so daß dieses merkwürdig hagere Gesicht zu Mephisto gehörte, der mir gleich meine Missetaten aufzählen würde, die ich leider nicht verleugnen konnte. Aber lange genug konnte ich diesen Gedanken nicht festhalten, denn nichts wirkte real um mich herum und wie bei einen kaputten Fernseher versuchte ich, einen Sender in meinem Kopf einzustellen, um ein klares Bild zu bekommen, doch ich schaffte es nicht. Kaum schien ich nämlich darin Erfolg zu haben, entschwand es schon wieder und ich glitt in eine Welt aus Dunkelheit und zusammenhangslosen Fragmenten meines Lebens. Immer wieder tauchte Annes Gesicht vor mir auf und ich versuchte ihr zu erzählen, was geschehen war. Wie leid es mir tat, daß ich ihr nun nicht mehr helfen konnte, jedoch bevor auch nur eine Silbe meine Lippen verließ, war auch sie wieder verschwunden und ließ mich nur mit einem quälenden Gefühl der Ohnmacht zurück. War der Tod eine ewige Qual? 349
Gleich einem Schiff in schwerem Sturm, das ohne Kompaß durch eine ewig andauernde Nacht fuhr, nur erhellt durch die Irrfeuer der Erinnerung, die kamen und gleich wieder erloschen. Mein Verstand glitt ab, tauchte wieder auf und verschwand sofort wieder, mühsam suchte ich einen Fixpunkt in all dem Chaos und wollte mich daran festklammern, doch ich fand ihn nicht. Mehrmals wiederholte sich dieser Zustand zwischen Vision und Wirklichkeit, immer gleich und doch auch immer in Variationen, die Zeit und Raum aufhoben und mich in den Zustand eines ewigen Flusses versetzten. Irgendwann jedoch begannen meine Wahrnehmungen präziser zu werden und die wirren Eindrücke meiner Sinne schienen wieder einen Sinn zu bekommen. Abermals sah ich den Mann vor mir stehen und auch diesmal fiel mir sein Bart besonders auf, der grau und würdevoll zu seiner Gestalt paßte. Ich war mir dabei ganz sicher und schon alleine diese bewußte Feststellung machte mich irgendwie froh, denn es schien etwas zu sein, das Bestand hatte und woran ich mich festklammern konnte. Sein ernstes Gesicht, das halb von einer Hand bedeckt wurde, die gedankenabwesend den Spitzbart kraulte, wendete sich ab und verschwand wieder aus meinem Sichtfeld. An etwas erinnerte es mich, doch um irgendwann darauf zu kommen, würde ich wohl hinterherschauen müssen. Meine Augen reagierten träge, beinahe wie in Zeitlupe und ich fand einfach nicht das Gesicht wieder, dafür blieb ich an einem Wandbild hängen, Kandinsky! Immer weiter ging mein Blick unter den fast verschlossenen Lidern nach links und dort drang blendende Helligkeit durch ein Fenster in meine Pupillen, vor der ich endlich den Mann wieder erblickte, der mir mit der Zeit merkwürdig vertraut vorkam. Er wirkte jetzt wie von einer gleißenden Korona umgeben – hatte ich mit meiner Vermutung doch recht und Gott stand auf die Bilder von Kandinsky? Doch diesmal war es anders, denn ich war mir ziemlich sicher, daß mir dieser Mann schon mal über den Weg gelaufen war, und damals handelte es sich um ein Wesen aus Fleisch und Blut. Ich wußte sogar mehr über ihn, er war nicht sehr groß und trug eine rahmenlose Brille, erschien ausgesprochen höflich, was manchmal sogar ins Überkorrekte ging und für den oberflächlichen Betrachter meistens arrogant wirkte. Wenn ich mich nur an den Namen erinnern könnte, es mußte natürlich einen geben und irgendwo in meinem Kopf war er auch versteckt. Vielleicht ging ich die Sache von der falschen Seite an, möglicherweise war es besser, erst einmal das Naheliegendste zu untersuchen und zu überlegen, wer ich selbst war, nämlich... nein, das klappte auch nicht. Aber ich sah nun Bilder eines Kampfes vor mir und wußte, daß sie die Erklärung für meine jetzige Lage waren, dann dämmerte es mir immer mehr. Der Mann war Javier Martinez, ein ausgezeichneter Arzt und festes Inventar bei den Rubios. Rubios,... ? Das Erste, was ich bewußt wahrnahm, war etwas Weiches in meiner rechten Hand, das angenehm warm darin lag und ein beruhigendes Gefühl auslöste, dem ich mich nicht entziehen wollte. Allerdings überlagerten das schnell die Schmerzen und mit aller Macht drangen sie in mein Gehirn – solange, bis eine unerklärliche Mattheit von mir Besitz ergriff, die alles in mir lähmte. Natürlich bekam ich nun, wo immer mehr von 350
meinen Erinnerungen aus den Tiefen aufstiegen, einen Schreck, da ich mich wieder in der Zelle des CIA wähnte, und so öffnete ich willenlos die Augen, um mich von der Richtigkeit meiner Vermutung zu überzeugen. Doch ich sah alles andere als die kahlen Wände des düsteren Loches vor mir, sondern befand mich in einem sorgsam eingerichteten Raum, dessen genaue Ausstattung mir aber größtenteils verborgen blieb, weil nur der schwache Schein eines Nachtlichtes etwas die Konturen erhellte. Ein großes Fenster stand halb offen, draußen herrschte offensichtlich Dunkelheit und ich beobachtete gedankenverloren wie der Vorhang mit leichten fließenden Bewegungen in den Raum getragen wurde, bis ihn die Schwere des Stoffes wieder zurückpendeln ließ. Es war von mir aus gesehen die linke Seite eines Zimmers, die ich betrachtete, einige kleine Vasen, deren schwarze Schatten auf geheimnisvolle Weise mit der dunklen Wand im Hintergrund verschmolzen. Aus dem weichen Kissen, auf dem mein Kopf ruhte und das sich durch den Schweiß im Nacken etwas unangenehm anfühlte, entströmte der Duft von Jasmin, den ich so intensiv wahrnahm, als läge ich inmitten einer Blumenwiese. Allerdings drang dann etwas anderes in meine Nase und auch das kam mir bekannt vor, doch diesmal freute ich mich weniger über diesen typischen Geruch von Desinfektionsmittel, der mir sofort die Assoziation an ein Krankenhaus in meinen Kopf katapultierte. Nein, lieber wollte ich mehr aus dem Kissen aufnehmen und von meiner Wiese träumen, so drehte ich den Kopf weiter nach links, wo ich einen Zipfel erspäht hatte und jetzt mühsam versuchte, die Nase dichter heranzubringen, ein Unterfangen, das mir von früher leichter in Erinnerung war. Um mich herrschte Ruhe, das hieß bis auf das monotone Piepsen einer Uhr, die jemand einfach nicht abschalten wollte, und jetzt sah ich auch einen Schlauch in meinem linken Arm, der mit einem Pflaster fixiert war und bei mir sofort den Drang auslöste, diesen Fremdkörper zu entfernen. Der ganze Unterarm begann sich zu verkrampfen, bis ich mir selbst einredete, daß es schon seinen Grund haben würde und ich wohlmöglich darauf angewiesen war, denn warum sollte er sonst da sein. Deshalb erinnerte ich mich auch wieder ganz genau an Doktor Martinez und wenn es real war, was ich gesehen hatte, mußte es eine sehr interessante Erklärung dafür geben. Aber darüber nachzudenken erschien mir im Moment zu einfach, zu schwierig, und vielmehr schoben sich meine alten Sorgen um Anne wieder in den Vordergrund. Nur einige schwache Indizien sprachen für ihre Rettung vor den Lemuren und für eine definitive Bestätigung hätte ich viel gegeben, aber das erschien mir genauso unerreichbar wie sie jemals wieder in meinen Armen zu halten. Die Uhr begann schneller zu gehen... warum? Moment, das war überhaupt keine Uhr, sondern es war so eine Maschine, die diesen berühmten Dauerton abgab, wenn es im Kino dramatisch werden sollte – Exitus. Bei meinen Gedanken trat wohl das Gegenteil ein, so ein Gerät konnte ganz schön verräterisch sein und in dem Fall war es ein Glück, daß Anne nicht hier war. Allerdings hätte sie dabei erraten müssen, woran ich dachte, doch Frauen haben manchmal einen sechsten Sinn dafür und ich würde sicher nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, daß 351
sie es nicht schafften. Jedenfalls war mir sofort wieder wohler, als ich den Ton wieder im altgewohnten Rhythmus vernahm und lächelte dabei über mich selber. Selbst jetzt machte ich mir weniger Sorgen um mich, als um sie und fand das ganz schön erschreckend - trotzdem war jeder Gedanke an sie auch erschreckend schön und gab mir die Zuversicht, daß irgendwann und irgendwie alles schon wieder gut werden würde. Das war sehr optimistisch gedacht, gerade jetzt, wo meine Knochen bei der minimalsten Bewegung sofort eine schmerzhafte Rückmeldung gaben. Dabei war das kein schlechtes Zeichen, schließlich war es immer noch besser, als wenn ich meine Beine nicht mehr fühlen würde, aber es tat trotzdem zum Heulen weh und ich rettete mich darüber hinweg, indem ich der Sache das einzig Positive abgewann - ich lebte. Vielleicht konnte ich etwas auf der anderen Seite des Zimmers entdecken, das mir einen Hinweis gab, in wessen Hände ich gefallen war, schließlich hatte ich es wohl kaum alleine in dieses Bett geschafft. Doch dazu war es nötig, den Kopf und nicht nur die Augen zu bewegen, aber der Mensch wächst an seinen Herausforderungen und mit einem eisernen Willen brachte ich es nach einiger Zeit zustande. Noch bevor ich bewußt realisierte, was ich nun sah, begann der Piepser über mir zu rotieren und gleich darauf erstarrte ich in einem Zustand eines alles paralysierenden Schocks. Anne saß neben mir am Bett, oder besser gesagt, lag sie mit ihrem Kopf darauf und schlief, während sie meine rechte Hand fest umschlossen hatte. Es kam viel zu unvorbereitet, als daß ich mich im ersten Augenblick darüber freuen konnte, und die ersten Sekunden glaubte ich, daß mir mein Gehirn einen üblen Streich spielte, aber für eine Einbildung fühlte sich ihre Haut zu gut an. Dann wurde ich ruhig und spürte weder Schmerzen, noch die restlichen Probleme und nur ihre Anwesenheit war für mich präsent, auch wenn ich das nicht lange genießen konnte, weil über mir der Kardiograph immer noch verrückt spielte. Deshalb begann ich, regelmäßig durchzuatmen und meinen Puls wieder unter Kontrolle zu bringen, doch bekam ich dabei kaum Luft und jedesmal durchzog ein unangenehmes Stechen meinen Brustkorb. Endlich hatte ich es wieder geschafft und ich fühlte mich so fertig wie nach einem Marathonlauf, aber im Moment gab es für mich keine Anstrengung, die ich als Last empfinden würde. Anne schlief weiter, ein Glück, denn jetzt hatte ich die Ruhe, mich an diese schöne Tatsache zu gewöhnen, und nun erst bemerkte ich, wie ich schon einige Zeit unbewußt ihre Hand streichelte. Alle Sorgen waren im Moment verflogen und eine unbeschreibliche Euphorie erfaßte mich – das bißchen Ziehen im Rücken würde bald wieder verschwinden und ein Pfefferminzbonbon hilft mir sicher gegen die lächerlichen Atembeschwerden. Selbstverständlich begann ich trotzdem, über einige nun aufkommende Fragen nachzudenken, die mir diese Situation erklären konnten, doch ernsthafte Überlegungen über die Befreiung der Frauen von der Yacht und die offensichtliche Änderung von Annes Meinung über mich, konnte und wollte ich jetzt noch nicht anstellen. 352
Es mochten bestimmt inzwischen zwei Stunden vergangen sein, keinen Millimeter hatte ich mich in der Zeit bewegt und immer nur in ihr Gesicht gesehen, um lächelnd ihre bebenden Nasenflügel zu beobachten. Dabei kämpfte ich die ganze Zeit mit meiner Angst, daß ich wieder einschlafen würde und sich alles nur als Fata Morgana herausstellen würde. Kurzzeitig, wenn die Erschöpfung zu stark wurde, nickte ich weg, um sofort wieder mit klopfenden Herzen aufzuwachen und mich erst wieder zu beruhigen, wenn ich alles unverändert vorfand. So mischten sich Traum und Wirklichkeit in umherirrenden Gedanken solange, bis die wachen Phasen länger wurden und mein Kopf klar blieb. Langsam erkannte ich auch den Raum wieder, denn mit der Zeit dämmerte es mir, daß es mein altes Zimmer in der Hazienda der Rubios in Caracas war, ohne daß ich mich aufraffen konnte, allzu verwundert darüber zu sein. Ungeduldig ersehnte ich vielmehr den Augenblick, in dem Anne aufwachen würde, jedoch mußte ich darauf noch warten bis die steigende Sonne den kommenden Tag zu erhellen begann. Verschlafen hob sie den Kopf, noch nicht wissend, daß jede ihrer Bewegungen von mir beobachtet wurde und ich sah, wie sie mit sich selbst haderte, weil diese Schlafhaltung für sie denkbar unbequem gewesen war. Natürlich konnte ich mir es nicht verkneifen, weiterhin den Schlafenden zu spielen und mir das weitere Prozedere durch einen winzigen Spalt meiner Augenlider anzusehen, wobei es mir unglaublich schwer fiel, mein Lächeln zu unterdrücken. Ihre Haare waren etwas durcheinander, was ihrer Schönheit nicht im geringsten schadete, ganz im Gegenteil, wild und aufregend sah sie aus und das morgenmufflige Gesicht gab ihr eine Spur Aggressivität. Langsam ging sie zum Fenster und zog den Vorhang beiseite. Der Raum wurde hell und ihre tiefen Atemzüge hauchten ihr neues Leben ein, während sie sich streckte. Die Vorsicht, mit der sie das machte, war sicher nicht nur der letzten Nacht geschuldet, natürlich mußte sie immer noch Probleme haben, aber schon jetzt sahen ihre Bewegungen sicherer und geschmeidiger aus. Mehrmals mußte ich mir auf die Zunge beißen, um nicht voreilig meine Überraschung zu verraten, allerdings war mir bewußt, daß ich meine Zurückhaltung nicht länger als einige Sekunden aufrechterhalten konnte und suchte nach einer passenden Gelegenheit, die sogleich zu kommen schien. Sie ging zu einem kleinen Tisch direkt unterhalb des mir schon bekannten Kandinskys und schaute denkbar desillusioniert in eine Kanne, aus der mit einiger Mühe noch ein Rest Kaffe hervorkam und ich beschloß, mich nun in ihrem Rücken bemerkbar zu machen, „Guten Morgen, mein Schatz, hast du auch noch etwas Kaffee für mich?“ Meine Stimme war hörbar belegt, doch das fiel nicht mehr so auf, weil es durch das Zerspringen der Kaffeetasse auf dem Boden überlagert wurde, und ich befürchtete, daß meine Überraschung nach hinten los ging. Doch die nächste Sekunde überzeugte mich vom Gegenteil, denn fast in einer Bewegung drehte sie sich zu mir um und war schon an meinem Bett, doch anstatt sich zu freuen, oder mich wegen meines dummen Scherzes mit einer Rüge abzufertigen, fing sie an zu weinen und nahm meinen Kopf sanft in ihre Arme. 353
Dies nahm mich mehr mit als alles, was ich die letzten Tage erlebt hatte, und gerne hätte ich diese Zeit nochmal durchgemacht, wenn ich sie nur nicht weinen sehen müßte. Einzig meine rechte Hand war frei und mit dieser streichelte ich sanft über ihr Gesicht, um die Tränen beiseite zu wischen, die immer in der gleichen Bahn herunterliefen. Es fiel kein Wort und das war auch überhaupt nicht nötig in diesen Sekunden, wo eine sanfte Berührung mehr ausdrücken konnte, als bloße Worte. Für mich war es nun keine Frage mehr, inwiefern Diana LeClaires Lügen bei ihr verfangen waren und ob sie überhaupt noch einen Gedanken am mich verlor, alles was hinter uns lag, schien vergessen und ich bekam eine Ahnung davon, wie schwer es auch für sie gewesen sein mußte. Ich zählte nicht die Minuten und auch nicht die beschleunigten Schläge meines Herzens, beinahe war mir, als wenn ich selber die Fassung verlieren würde, und dessen hätte ich mich auch nicht geschämt, aber ich war einfach zu glücklich dazu. So floß die Zeit dahin, bis Anne irgendwann mit leiser Stimme zu sprechen anfing, „Endlich,... ich dachte schon, daß ich dich zum zweiten Mal verliere. Versprich mir, daß du mir sowas nicht noch einmal antust, sonst bekommst du eine Menge Ärger, hast du das verstanden?“ „Sicher habe ich das verstanden und du darfst mir glauben, ich will keinen Ärger mit dir haben, ganz fest versprochen“ „Das will ich dir auch geraten haben, einfach den toten Mann zu spielen und was war das eigentlich mit dieser Diana, sag schon“, es war zu niedlich, wie sie diesen strengen Ton anschlug, aber die Vibration ihrer Stimme sagte mir, was wirklich in ihr vorging. „Also den toten Mann habe ich wirklich gespielt, aber...“ Jetzt lächelte sie mich an und legte ihre Hand auf meinen Mund, „Keine Angst, ich weiß schon Bescheid, dein Freund Doktor Breitenbach hat mich aufgeklärt und ich ärgere mich selber, daß ich auf sie hereingefallen bin. Allerdings haltet ihr Männer ja immer zusammen und wenn du wieder gesund bist, dann werde ich dich noch einmal intensiv dazu verhören, um herauszubekommen, ob er mir wirklich die Wahrheit gesagt hat!" Es war klar, daß sie den letzten Satz nicht ernst meinte und mich nur zum Lachen bringen wollte, was ihr auch gelang, obwohl ich schon die ganze Zeit lächelte, „Ein Verhör? Oh, bitte nicht, davon hatte ich in den letzten Tagen genug und ich glaube, das gefällt mir nicht“ „Vielleicht doch, ich habe so meine eigenen Methoden, aber ich werde damit noch warten, bis Doktor Martinez dich wieder gesund gemacht hat und deshalb werde ich ihn gleich holen, das mußte ich nämlich versprechen, damit ich hier auf dich aufpassen durfte. Sonst darf niemand in das Zimmer und ich glaube, er ist ganz schön streng, wenn es um seine Anweisungen geht“ Sie stand auf und ging langsam zur Tür, während ich ihr sehnsüchtig nachsah, „Ja, das ist er, ich kenne seine Behandlung noch von früher. Übrigens!..., wenn du mich verhören möchtest, dann mach das. Was sein muß, das muß nunmal sein“
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Ihre Augen blitzten mich an, „Blödmann!,... jetzt hole ich Doktor Martinez und wenn er mit dir gesprochen hat, dann gehörst du nur noch mir – keine Widerrede, sonst schließe ich die Tür ab und lasse keinen zu uns rein“ Mit diesen Zukunftsaussichten konnte ich mich gut anfreunden, als sie mich alleine gelassen hatte – allerdings dürfte sie in nächster Zeit keine großen Ansprüche an mich stellen. Endlich, nach all dem Chaos, schien sich diese Geschichte zum Guten zu wenden und ich mußte mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, daß es Wirklichkeit war und kein Traum, der mit einem enttäuschenden Erwachen endete. Jetzt wurde es langsam tatsächlich nötig, daß ein Arzt mal nach dem Rechten sah, zwar hielten sich die Schmerzen in Grenzen, aber mir wurde immer wieder schwindelig und einen leichte Übelkeit machte sich breit, vielleicht war es doch etwas zuviel Aufregung gewesen. Deshalb war ich ganz froh, als sich wieder die Tür öffnete und ein noch verschlafener, aber sichtlich erfreuter Doktor Martinez hereinkam, der wohl einige weitere Besucher von dort wegschob, die ebenfalls in mein Zimmer wollten, „...zugestehen, ich bin hier verantwortlich und nicht sie alle zusammen. Das ist mein letztes Wort, Señoras y Señores“ Natürlich setzte er sich mit seiner Autorität durch, obwohl für einen Moment die Lautstärke des Protestes von der anderen Seite recht hoch erschien und nur wenig mit der Rücksichtnahme auf einen Rekonvaleszenten zu tun hatte, aber nachdem das Zimmer wieder geschlossen war, legte sich wieder eine andachtsvolle Stille in den Raum. „Señor Kronau, Sie machen mir von Zeit zu Zeit große Sorgen, das muß ich Ihnen schon vorwerfen, allerdings möchte ich betonen, wie erfreut ich trotzdem bin, Sie noch unter den Lebenden zu sehen“ „Danke, Señor Martinez, das geht mir genauso und auch ich bin erfreut, Sie hier zu sehen, denn dann weiß ich, daß mir die beste medizinische Hilfe zuteil wird. Allerdings bin ich am Verdursten und wenn Sie mir was zu trinken bringen könnten, dann hätten Sie mir schon sehr geholfen“ „So? Hier ist etwas Wasser und später gibt es einen von mir speziell entwickelten Heiltee aus Urwaldpflanzen, der wird sie schon wieder auf die Beine bringen, außerdem sollten Sie nicht so schamlos übertreiben, Señor Kronau. Obwohl Sie natürlich mein exzellentes fachliches Wissen genau richtig einschätzen, aber das habe ich auch benötigt, bei den Auswirkungen Ihrer jüngsten Eskapaden“ Jetzt folgte das allseits bekannte Arzt – wehrloser Patient-Gespräch, bei dem alle Körperfunktionen eingehend überprüft wurden, im Rahmen dessen, was der Señor Médico jetzt für notwendig hielt. Schon von damals wußte ich, daß Javier Martinez ein äußerst gründlicher Doktor war, der lieber zweimal fragte und sich dreimal vergewisserte, ohne daß nur der geringste Hauch einer Unsicherheit in seiner Diagnose auftauchte. Das war mir natürlich wesentlich lieber, als einen Schussel im weißen Kittel neben mir am Bett stehen zu haben, der mit einem Schnellschuß auch völlig danebenliegen konnte. Während der ganzen Prozedur versuchte ich ihn zu überzeugen, daß Doktor Breitenbach, den ich hinter der Tür vermutete, hereinkommen sollte, um mit ihm nebenbei einige wichtige Sachen zu besprechen. Denn mittlerweile war mein Kopf 355
wieder so funktionsfähig, daß ich die entstandene Lücke im Ablauf der Ereignisse so schnell wie möglich schließen wollte, und außerdem gab es noch die Sache mit dem Model zu klären. Aber gegen den kleinen Mann, der sich sein Jackett jetzt ausgezogen hatte und nun im strahlendweißen Hemd vor mir stand, war kein Ankommen. Zwar trieb das meinen Blutdruck in ungewohnte Höhen, doch wenigstens beantwortete er mir eine wichtige Frage, die sowieso ein schnelles Handeln nicht mehr nötig machte, denn Diana LeClaires Wege hatten sich gleich nach der Ankunft im Ferienhaus der Rubios, das als Zwischenstation genutzt wurde, vom Rest der Gruppe getrennt. Angeblich wollte sie unbedingt zu Freunden, weil sie sich dort nicht sicher fühlte, aber jeder vermutete wohl hinterher, daß ihr die Vorwürfe des Doc´s in Bezug auf die angebliche Affäre zu heikel wurden, weil das Model sie nicht widerlegen konnte und daß sie deshalb das Weite suchte. Demnach war sie auch schon verschwunden, bevor Anne das ganze Ausmaß ihrer Lügen erfahren hatte und sie deshalb zur Rede stellen konnte, doch ihr Abgang war der beste Beweis für die Wahrheit meiner Geschichte, so daß ich vollständig rehabilitiert war und deshalb wohl diese wunderschöne Begrüßung erleben durfte. Philosophisch betrachtet trug die gleiche Person zum Guten, wie zum Bösen bei, doch welch ein gefährlicher Weg lag dazwischen und eine Absicht, zum Beweis meiner Unschuld, hatte Diana LeClaire keineswegs. Vielleicht war das einmal der seltene Fall, daß aus einer hinterhältigen Tat etwas Positiveres entspringt, allerdings hätte ich es lieber gesehen, wenn die Energien dieser Intrige lieber gleich der Ehrlichkeit zugute gekommen wären, doch das hatte jemand anderes mit seinem Charakter auszumachen. „Sie haben sehr großes Glück gehabt, Señor Kronau. Offensichtlich haben Sie sich zu sehr bewegt und derjenige, dem Sie diese Verwundung zu verdanken haben, konnte nicht genau die Renes anvisieren“ „Renes!? Über was reden Sie denn da, Doktor Martinez?“ „Selbstverständlich rede ich von Ihren Nieren und natürlich darüber, daß weder die Nierenkapsel, noch die Fettkapsel beschädigt wurde. Wenn ich es einfacher ausdrücken sollte, würde ich bei Ihnen eine einfache Stichwunde diagnostizieren, die weniger für ihren angeschlagenen Zustand verantwortlich ist, als die Frakturen mehrerer Costa“ „Ähhh,...?“ Er schob leicht seine Brille auf die Nasenspitze und schaute mich über den Rand hinweg an, „Rippenbrüche, Señor Kronau. Ein Serienbruch auf der rechten Seite des Thorax,... ich meine des Brustkorbes“ „Ach so, das erklärt natürlich, warum ich mich fühle, wie durch den Fleischwolf gedreht“ „Sicher ist es das und natürlich Ihr Lebenswandel. Sie werden zudem auch nicht jünger und einige neue Narben an Ihrem Körper sagen mir ganz deutlich, daß Sie sich in der Zwischenzeit kaum geschont haben. Fitness zu machen oder zu versuchen, sich regelmäßig umbringen zu lassen, darin besteht immer noch ein kleiner Unterschied und vielleicht sollten Sie zukünftig auf allzu gefährliche Abenteuer verzichten“ 356
Ich mußte leise lachen, „Genau das habe ich vor und Sie werden es mir nicht glauben, aber ich wollte überhaupt nicht wieder in solch eine Sache verwickelt werden, doch die Umstände haben mich förmlich dazu gezwungen“ „Das ist ja sehr interessant, Señor Kronau, und ich widerspreche Ihnen auch nur im Geiste eines gewissen Respektes vor Ihren Taten, aber ich glaube kaum, daß es irgendwelche Umstände waren, die Sie zu etwas getrieben haben. Höchstens, und das wäre sehr despektierlich, Sie würden eine gewisse junge Señorita vor der Tür als einen ‚Umstand’ bezeichnen, aber das kann ich mir bei Ihnen kaum vorstellen. Señorita Anne scheint sehr viel Wert darauf zu legen, daß Sie gesund werden und wenn ich da noch so an meine Frau denke, Gott habe sie selig, dann sollte man unbedingt das tun, was die Frauen von einem wollen, sonst wird man seines Lebens nicht mehr froh“ „Damit könnten Sie sogar recht haben und in dem Fall habe ich auch keinen Grund, eine andere Meinung zu vertreten, allerdings sollten wir Männer gelegentlich unseren eigenen Kopf behalten, sonst wird es zu langweilig“ „Señor Kronau, ich wußte, Sie leben gerne gefährlich, aber vielleicht sind für Ihre Meinung auch die Schmerzmittel verantwortlich, unter denen Sie stehen. Deshalb werde ich Sie auch noch nicht mit einer umfassenden Diagnose konfrontieren, das können wir später in aller Ruhe erledigen, wenn Sie etwas Zeit zur Erholung hatten. Die Stichwunde und auch die Fraktur hatten wir schon erwähnt, daher der ausstrahlende Schmerz im Brustkorb, dagegen sind die restlichen Prellungen und Hämatome eine zu vernachlässigende Größe. Innere Blutungen schließe ich aus und zuerst dachte ich, daß Ihr Brustbein ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde, aber das konnten meine Untersuchungen nicht bestätigen. Allerdings hätte es wegen der Infektionsgefahr für Sie weitaus schlimmer aussehen können, wenn Sie offensichtlich nicht gleich nach Ihrer Verletzung behandelt worden wären. Dabei hat es sich zweifelsfrei um einen versierten Arzt gehandelt, denn es war eine ordentliche Arbeit, wie ich eingestehen muß“ „Hmmm,... ich kann mich leider an nichts mehr erinnern, Doktor Martinez. Demnach haben Sie mich also nicht zusammengeflickt, aber wer könnte das gewesen sein?“ „Fragen Sie einfach Señor Breitenbach, der hat Sie vor zwei Tagen am Flughafen in Empfang genommen und hierhergebracht“ „Zwei Tage! Wissen Sie, wie lange ich insgesamt weg war?“ „Nun, nicht genau, aber nach einem Gespräch mit Señorita Lilly waren sie vor vier Tagen auf Barbados verschwunden“ „So lange ist das schon her? Unglaublich, ich muß unbedingt mit Señor Breitenbach sprechen!“ „Dagegen habe ich jetzt nichts mehr einzuwenden, denn wir sind vorerst miteinander fertig und ich brauche endlich einen starken Kaffee. Solange haben Sie die Zeit zum Reden, doch danach werden Sie schlafen und ich werde das kontrollieren. Also, in einer halben Stunde bin ich wieder da. Adios Señor Kronau“ Knappe zwei Stunden war er bei mir gewesen und mittlerweile stand die Sonne schon hoch am Himmel. Jetzt nahm ich auch durch die weit geöffnete Balkontür das typische 357
Meeresrauschen wieder wahr und ich glaubte auch, die Papageien mit einer Begrüßung für mich zu hören. Markus Breitenbach betrat beinahe übervorsichtig den Raum und schien bemüht, so leise wie möglich zu sein. Offenbar hatte er sich das lange Haar schneiden lassen und von der ehemaligen Pracht blieb nur noch ein grauer Vorhang, der bis zu den Schultern reichte. Dazu trug er einen lässig sitzenden Schlapphut mit breiter Krempe, die leicht nach unten hing und so auf Augenhöhe saß, was ihm beinahe etwas Verwegenes gab, jedenfalls bis er ihn abnahm und dann fest in seiner Hand hielt, „Kronau,... wie geht es Ihnen?“ „Hi Doc,... sicher nicht so schlecht, wie ich aussehe, aber um ehrlich zu sein habe ich bestimmt schon bessere Zeiten erlebt und was ist mit Ihnen?“ „Ich will wirklich nicht vor einem Mann, der dem Tode entronnen ist, klagen, aber es gibt eine Menge Ärger und nur wenig Positives zu berichten, doch mit den Einzelheiten will ich Sie nicht quälen, solange Sie sich noch erholen müssen“ „Machen Sie das ruhig, denn ich glaube nicht, daß wir den Luxus haben solange zu warten, bis ich wieder durch die Gegend rennen kann, und mir liegt auch einiges auf dem Herzen über was wir reden müssen. Aber fangen Sie lieber an, mit dem langen Sprechen geht es bei mir noch nicht so gut und ich höre lieber zu, denn mich würde natürlich interessieren, was in der Zwischenzeit passiert ist, Doc“ Er zog sich einen Stuhl an das Bett und begann für mich erfreulich in kurzen Sätzen zu berichten, wie die Ereignisse der letzten vier Tage aus seiner Sicht abgelaufen waren. Demnach erreichte er, wie mir noch bekannt war, unser Hotel in Bridgetown und machte sich verständlicherweise zunehmend Sorgen, weil ich mich nach unserem Telefonat nicht mehr meldete. Es selbst blieb dort unbehelligt und hatte für die Verfolgung zunächst keine weitere Erklärung, doch wie ich es erhofft hatte, rang er sich dazu durch, den Befreiungsplan alleine auszuführen, obwohl er es für sehr riskant hielt. Allerdings wußte er auch, daß es wohlmöglich die einzige Chance war, etwas zu unternehmen, und zwischen seinen Worten schien ich auch noch ein weiteres Motiv zu hören, denn er wollte mich wohl einfach nach diesen ganzen Vorbereitung nicht hängen lassen. Ich war sehr dankbar darüber und hörte dann weiter wie Señor Avialo die durch mich entstandene Lücke mit großem Elan schloß, wodurch alles genau bis auf die Sekunde so ablief, wie es von mir geplant war. In einem passenden Augenblick wurden die Druckbehälter im Taxi deponiert und dann erledigte das Betäubungsgas bei Wachen und Geiseln den Rest. Der Doc mußte nur noch die bewußtlosen Frauen einsammeln und dann ging es sofort in das Ferienhaus von Juan. Dort verschwand dann, wie ich schon wußte, Diana LeClaire sehr schnell, weshalb ich meine bisherige Vermutung, daß durch sie Fortunati von diesem Versteck erfuhr, nun als Tatsache annahm. Auch der Doktor war über diese Tatsache sehr überrascht und wollte der Sache nochmal zur Überprüfung nachgehen, denn obwohl man ihn kaltgestellt hatte, schien er nicht in Untätigkeit verfallen zu wollen. Kurz nachdem das Model abgereist war, drängte dann Lilly darauf, nach Caracas zu fliegen und dort auf ein Lebenszeichen von mir zu warten, und so war die kleine 358
Gruppe unwissentlich dem Zugriff von Fortunati entronnen, der möglicherweise diese Schlappe nicht auf sich sitzen lassen wollte, „Das war eine gefährliche Situation und nach meiner Meinung mußten auch hier einige Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden, bis sich unsere Wege trennten, denn es war zu leicht, über Juan als Besitzer des Ferienhauses bis zum Hauptwohnsitz hier in Caracas eine Verbindung herzustellen und bevor jemand diese Idee haben sollte, mußten wir verschwunden sein“ Das wollte ich sogleich mit Doktor Breitenbach besprechen, als die Tür aufging und Anne mit einem neckischen Blinzeln in ihren Augen hereinkam, „Mit schönen Grüßen von Doktor Martinez für dich, damit du bald wieder zu Kräften kommst“ Ohne mich dagegen wehren zu können, mußte ich zusehen wie eine Schale mit dampfender braungrüner Brühe meinem Mund gefährlich nahe kam, die selbst aus der Entfernung einen unvergeßlich abstoßenden Geruch abgab. „Das ist lieb von dir, Anne, aber sag mir bitte sofort, daß dieses Gebräu zum Einreiben ist“, ein mildes Lächeln sollte mein Flehen unterstreichen. „Nein, ist es nicht! Ich mußte dem Arzt versprechen, daß du diesen Sud trinkst, sonst kommt er selber und flößt ihn dir ein“, ich sah ihr nur zu gut an, wieviel Spaß ihr dieses Spiel machte. „Ähhh... kann ich dich irgendwie... bestechen, damit du deine Pflichten vernachlässigst und mir diesen bitteren Kelch ersparst?“ „Ich weiß nicht, ob du das kannst, aber mach doch einfach einen Vorschlag und wenn du dir Mühe dabei gibst, dann lasse ich vielleicht sogar mit mir handeln“, langsam begann ein leicht lasziver Unterton in ihrer Stimme durchzubrechen. Ich setzte ein sehr nachdenkliches Gesicht auf und sah, wie Doktor Breitenbach langsam auf der Terrasse verschwand, was ich als sehr diskret und anständig von ihm empfand. So bereitete ich nun ungestört das vor, was ich schon die ganze Zeit im Sinn gehabt hatte, „Stell doch bitte mal die Schale weg und komm näher, damit ich nicht so laut reden muß“ Schneller als erwartet stand das Gefäß dann auf dem Nachttisch und der Duft von frisch gewaschenem Haar näherte sich mir verführerisch, „Gut so?“ „Bitte noch ein Stück näher“, meine Stimme wurde dabei immer leiser. Die funkelnden braunen Augen waren jetzt genau über mir, ich spürte ihren Atem in meinem Gesicht und obwohl wir uns nicht berührten, hätte kaum ein Blatt Papier mehr unsere Lippen trennen können, „Ist das dicht genug?“ „Ich glaube schon, mal sehen“, flüsterte ich und gab ihr einen langen zärtlichen Kuß, der definitiv ganz oben auf meinem Wunschzettel stand, und um auch sicherzugehen, daß meine Bemühungen erfolgreich waren, wiederholte ich das nochmal. Es waren magische Sekunden, in denen Zeit und Raum verschmolzen, angefüllt mit Leidenschaft und Liebe. Allerdings war Anne schneller auf den Boden der Realität zurückgekehrt, als ich es mir gewünscht hatte, denn sie hegte überhaupt nicht die Absicht diesen „Tee“ wegzukippen, „Wenn Doktor Martinez sagt, daß der Sud dir hilft, dann solltest du ihn auch nehmen, mir hast du schließlich in Paris auch einen Arzt auf den Hals gehetzt und ich habe das auch durchgehalten“ „Äh… Moment mal! Die beiden Sachen kannst du doch überhaupt nicht miteinander vergleichen und außerdem habe ich es doch nur gut gemeint, weil...“ 359
„Ja, genauso wie ich es jetzt mit dir gut meine, also trink das Zeug. Ich würde ja sowas nie runterkriegen, aber das muß ich zum Glück auch nicht, und je schneller du trinkst, desto schneller wirst du auch wieder gesund“ „Bist du dir da vollkommen sicher?“, das Konsumieren dieses Gebräus verlangte alles von mir ab und Anne ließ mich mit zwei Dingen alleine im Zimmer - einem bitteren Nachgeschmack und der Erkenntnis, daß ich an meiner Bestechung noch üben müßte. „Doc?“, ich würde wohl lauter rufen müssen, aber die Mandeln zu lüften, konnte im Moment nicht schaden, „Dooooc?“ Der Vorgang schob sich zur Seite und ein prüfender Blick von Doktor Breitenbach ging durch das Zimmer, „Alleine?“ „Ja, entschuldigen Sie, ...“, mein Blick ging etwas verlegen zur Decke. „Aber nicht doch, es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen. Sie ist eine bezaubernde Frau und ich verstehe Sie jetzt erst richtig, Kronau. Perlentaucher gibt es viele und genau so verhält sich das auch mit den Muscheln, aber mit den Perlen ist es schon etwas anderes, also halten Sie das Mädchen fest“, er meinte es ehrlich, doch irgendwie schwang auch etwas Wehmut in seiner Stimme, als ob er damit nicht Anne und mich meinte. „Sie reden jetzt bestimmt von der Frau, die Sie heiraten wollten, oder?“ „Tut mir leid, gelegentlich überkommt mich eine gewisse Sentimentalität und das läßt mich immer wieder an die Vergangenheit denken“ „Dafür brauchen Sie sich wiederum nicht zu entschuldigen, Doc. Ich halte das für völlig normal, denn ob es nun Freunde sind, oder eine große Liebe war, für das eigene Leben haben diese Menschen eben eine große Bedeutung“ „Sie haben recht, Kronau. Es ist über zwanzig Jahre her, daß ich Sie das letzte Mal gesehen habe und wie ich es Ihnen schon erzählt habe, kann ich mit meiner Entscheidung von damals immer noch gut leben. Trotzdem ist seither kein Tag vergangen, an dem ich nicht an Sie gedacht hätte. Ich habe hinterher noch viele Frauen getroffen, aber keine andere konnte die Lücke in meinem Herzen schließen, die sie bei mir hinterlassen hatte. So ist das eben im Leben, wenn man von dem einen viel bekommt, hat man von dem anderen zuwenig, es ist eben nur eine Illusion zu denken, daß man alles zusammen bekommen kann, und glücklich ist der, der weiß, was er will. Ich habe jedenfalls meine Wahl getroffen“ „Da spricht die Weisheit des Alters aus Ihnen und vielleicht schaffe ich es auch einmal dorthin, allerdings müssen wir einige wichtige Sachen klären, bevor Doktor Martinez durch die Tür marschiert und mich mit seinen Medikamenten wieder lahmlegt. Wir brauchen Gewißheit, ob Fortunati unsere Spur bis hierhin verfolgt, das ist wohl die wichtigste Aufgabe, die wir haben“ Der Doktor nickte zu mir herüber und kratzte nachdenklich seinen Bart, „Ich habe noch meinen Mann auf der Yacht und werde veranlassen, daß er uns warnt, wenn er etwas erfahren sollte. Trotzdem wären hier einige Sicherheitsleute auf dem Grundstück sicher nicht verkehrt und Sie sollten mit Ihrem Freund Juan Rubio sprechen, auch in seinem eigenen Interesse, jedenfalls solange, bis sich unsere Wege trennen. 360
Wahrscheinlich ist das besser, je früher es passiert, vielleicht reden wir später nochmal darüber. Sie wollten mir aber noch von Ihrer Gefangenschaft erzählen, war es wirklich der CIA?“ Das bestätigte ich ihm nochmals und auch er hatte keine Erklärung für dieses Verhalten, deshalb wollte er ebenfalls Erkundigungen darüber einziehen, auch wenn ich nicht glaubte, daß die ganze Wahrheit ans Tageslicht kommen würde. Schließlich hatte Winston Lewitt mit Einverständnis seiner Vorgesetzten gehandelt, für ihn lief es erst dann gegen den Baum, als sich herausstellte, daß Corton Henley sein eigenes Spiel machte und die Aktion des CIA verriet. Bei dieser Gelegenheit erwähnte ich auch den geheimnisvollen schwarzen Mann, der mir geholfen hatte und dem ich wohl aller Wahrscheinlichkeit nach mein Leben verdankte. Doch auch der Doc konnte sich keinen Reim darauf machen und sah mich genauso fragend an wie ich ihn. Sehr viel aufschlußreicher und auch wesentlich bedeutender war die Erwähnung der CIA-Agenten von Bartholome Diaz gewesen. Der Boß der U.F.S.A. schien auch bei den Amerikanern auf einer Liste ganz oben zu stehen und, genau wie Doktor Breitenbach, hatten sie gehofft, ihn in Barbados zu überführen. Diaz war aber nie auf der Insel angekommen und mein erster Gedanke war eine Falle der Terroristen, um die Geheimdienste aus der Reserve zu locken, denn dafür sprach einiges. Möglicherweise sollte deshalb der Doktor seine Ermittlungen einstellen und solange warten, bis sich für die Politiker zu Hause ein klares Bild ergibt – allerdings konnte zu langes Warten für seine Mission schädlich sein, und somit schienen die Lemuren ihr Ziel erreicht zu haben. Bevor wir uns noch eingehender darüber unterhalten konnten, kam mein Arzt wieder in das Zimmer zurück und überprüfte meinen Zustand sehr genau, worauf er den vor der Tür wartenden Besuch hereinließ, der den Raum sehr schnell füllte. Anne kam mit Carmen Santiago und Lilly zusammen herein, gefolgt von der Familie Rubio und dem sich im Hintergrund haltenden Butler Randall. Dieser blieb genauso an der Tür stehen wie Cristobal Avialo, der von dort herübernickte und nicht so recht wußte, wie er sich verhalten sollte, bis Lilly dann zu ihm ging. Jeder versuchte natürlich, auf der einen Seite viel zu erzählen und andererseits spürte man auch die Zurückhaltung, damit man mich nicht zu sehr mit den vielen Fragen überfiel. Trotzdem freute ich mich ungemein, alle gesund um mich zu sehen, und ich registrierte das alles eher als harmonisches Gesamtbild, als daß ich mich konkret mit jedem Einzelnen beschäftigen konnte. Leider gestattete Doktor Martinez nur einen kurzen Besuch und schaute sowieso schon böse, weil ich garantiert die Zeit überzogen hatte. Deshalb kam Lilly gerade noch dazu, mir einen selbstgepflückten Blumenstrauß neben das Bett zu stellen und mir dabei zuzuraunen, daß der neue Hubschrauber jetzt einen Namen hatte und „Betsy“ hieß. Dann bat ich mir noch fünf Minuten, wegen meiner Sicherheitsbedenken hier in der Hazienda, mit Juan aus und besprach dieses ernste Thema mit ihm, bevor ich nach dem Verabreichen einer Spritze in die Obhut von Anne gegeben wurde. Gleich darauf versank ich in einen Halbschlaf, gegen den ich mich lange zu wehren versuchte, weil mir kein Traum etwas Besseres bieten konnte als die Anwesenheit 361
dieser Frau neben mir. Doch mein Widerstand nützte nicht viel und trotzdem nahm ich ein Stück von ihr mit, denn etwas Warmes und Weiches lag in meiner Hand. Es war irgendwann in der Nacht ,als ich langsam wieder zu vollem Bewußtsein kam und mit einem knurrenden Magen aufwachte. Dabei war es eigentlich kein Hunger, sondern vielmehr eine Mischung aus einem großen Loch im Bauch und dem Verlangen nach einer Schale Walnußeis, dessen Geschmack ich schon förmlich auf meiner Zunge spürte. Nach einigen mühsamen Untersuchungen im Dunkeln bemerkte ich einen erneuerten Stützverband und das Fehlen jeglicher Infusionschläuche, die mich hätten irgendwie stören können. So versuchte ich mich aufzurichten, um der Küche einen kleinen Besuch abzustatten, aber wie aus dem Nichts erschien eine Hand und drückte mich wieder sanft in mein Kissen, „Scheinbar brauchst du wirklich jemanden, der dich davon abhält, irgendwelche Dummheiten zu machen, Gabriel“ Anne gähnte dabei und sprach sehr langsam, dabei merkte ich, daß sie nicht böse war, aber es wäre ihr sicher lieber gewesen, wenn ich zu einer humaneren Zeit wach geworden wäre. „Ähhh...Entschuldigung! Ich konnte nicht ahnen, daß du hier bist, sonst wäre ich natürlich liegengeblieben und hätte dich gleich geweckt“, glücklicherweise war es zu dunkel, als daß sie mein Gesicht sehen konnte und das war auch gut so. „Schau an, dir scheint es wohl wieder besser zu gehen. Vielleicht sollte ich mal mit meinem Ellenbogen in deine Seite hauen, mal sehen, was passiert“ „Bitte tue das nicht! Du wirst doch nicht wirklich einen wehrlosen Mann schlagen wollen, oder?“ „Ach! Du bist also wehrlos? Das finde ich gar nicht so übel“ Sie beugte sich zu mir herüber und gab mir einen zärtlichen Kuß, der viel besser als Walnußeis war. „Gabriel, wo wolltest du eigentlich gerade hin?“ „Die Küche hat mich magisch angezogen, ich verspüre ein wenig Hunger und wollte den Kühlschrank plündern“ „Da hast du dir einiges vorgenommen, aber scheinbar bist du auf dem Weg der Besserung und ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Allerdings wärst du nicht weit aus dem Zimmer herausgekommen, denn Randall sitzt mit einem großen Revolver unter dem Jackett vor der Tür und ließ es sich nicht nehmen, den Wachposten zu spielen“ „Randall? Hoffentlich verletzt sich Randall nicht selber mit dem Ding, denn ich glaube, im Ernstfall würde er damit nicht viel ausrichten können. Trotzdem finde ich das sehr aufmerksam von ihm und vielleicht hätte er mir ja auch was aus der Küche gebracht, wenn ich ihn gefragt hätte“ „Tja, vielleicht! So bleibt das an mir hängen, aber ich mache das gerne für dich, solange du hier wartest und keinen Blödsinn machst“ „Versuchen kann ich es ja mal, aber...“ „Kein aber! Du bleibst schön liegen und hörst, was die Schwester sagt“ „Keine Chance, ich bin ein Einzelkind, aber auf dich höre ich sicher“ 362
„Wer es glaubt, ...“, sie verschwand aus dem Zimmer und ich vernahm noch etwas Gemurmel auf dem Flur. Da ich jetzt ungestört war, konnte ich es natürlich nicht lassen, doch aufzustehen und ins Badezimmer zu gehen, denn das sollte ich wirklich schon alleine schaffen. Dabei stellte ich beruhigt fest, daß meine Beine wieder recht passabel ihren Dienst versahen, so blieb der Wundschmerz und ein leichtes Frösteln, aber das war nur unangenehm und beherrschte nicht mehr meinen ganzen Körper. Deshalb hatte ich alles schon erledigt und stand in einen Morgenmantel eingewickelt auf dem Balkon, als Anne wieder zurück ins Zimmer kam. Die frische Seeluft sollte etwas meinen Kopf frei machen, der von den Medikamenten träge und fast wie in Watte gepackt reagierte. Obstsaft und einige Früchte ersetzten das ersehnte Eis, doch sie erfrischten mich ebenso und ich begann, mich wieder richtig gut zu fühlen, wobei meine „Schwester“ ohne Zweifel den größten Anteil daran hatte. Während ich aß, saßen wir draußen auf den Rattanmöbeln und lauschten den Wellen in der Mondnacht, dabei wollten wir nur einige Minuten dort bleiben, doch ein Wort gab das andere und jeder von uns beiden sprach über die Zeit unserer Trennung. Dabei blieb es natürlich nicht aus, auf Paris zurückzukommen und obwohl wir keine Schuld an der Situation trugen, war es uns doch unangenehm und so dauerte es eine Weile, bis das Thema darauf kam. „Gabriel, wenn ich mir vorstelle, wie glaubwürdig Diana alles erzählt hatte und was Sie damit bezweckte, dann läuft mit jetzt noch ein Schauer über den Rücken. Doch am meisten ärgere ich mich aber darüber, daß ich Ihr alles so schnell geglaubt habe und mich mit Carmen von ihrer Geschichte in ein Ferienhaus nach Marbella locken ließ. Von dort haben uns die Leute dieses Italieners entführt und auf die „Bella Donna“ verschleppt, um uns zusammen mit Diana LeClaire einzusperren, damit wir denken sollten, diese Frau teilt mit uns das gleiche Schicksal. Ein schöner Plan, auf den wir voll und ganz hereingefallen sind, und dann hat mir diese falsche Schlange jeden Tag immer ein wenig mehr von dir und eurem Verhältnis erzählt, bis ich überzeugt war, du bist nicht besser als die anderen. Die letzten Tage hatte ich genug Zeit darüber nachzudenken und mir ist da klar geworden, weshalb es so einfach damit war, nämlich, weil ich es im Unterbewußtsein unbedingt glauben wollte. Was Diana LeClaire erzählt hatte, paßte ganz genau in mein Bild von den Männern und bestätigte viel zu gut meine Vorurteile, um falsch sein zu können und was konnte ich da noch für Zweifel haben. Ich möchte, daß du das weißt, daß ich an dir gezweifelt habe, und wenn du mir deshalb böse bist, dann kann ich das verstehen“ Lächelnd griff ich ihre Hand, „Es ist nicht deine Schuld und selbst wenn, würde ich sie dir nicht geben, denn ich könnte dir niemals wegen irgend etwas böse sein. Auch ich habe viel über alles nachgedacht, deshalb glaube ich einfach, daß du ein gebranntes Kind in dieser Hinsicht warst und sofort kam dir dann deine Verlobung wieder in den Sinn. Dazu kam, daß wir uns noch nicht so lange kannten, um solch ein Vertrauen zu haben, das über jeden Zweifel erhaben ist. Es ist also eine völlig verständliche Reaktion und gerade deshalb konnte Diana LeClaire damit rechnen, erfolgreich zu sein“ 363
Sie schaute weit über den dunklen Horizont, „So haben wir wohl alle unsere schwachen Seiten und es ist gut, daß wir sie gelegentlich aus den Augen des anderen betrachten, dann wird vieles verständlicher. Doch eines weiß ich aber heute schon sicher, mein Vertrauen zu dir ist so groß, daß ich keiner Lüge mehr glauben würde“ „Du weiß gar nicht, wie glücklich du mich mit deinen Worten machst, und ich verspreche dir, ich werde dich nicht enttäuschen und auch nicht mehr zulassen, daß du sowas noch einmal glauben mußt“ „Es ist schön ,wenn du sowas sagst, und genau wie in Paris, bringst du mich mit deinen Worten zum Nachdenken, über mich und was ich will. Dort hast du mich wegen meiner Pläne schon zum Zweifeln gebracht und jetzt bin ich mir ganz sicher, daß ich so nicht mehr weitermachen möchte. Vielleicht habe ich mein fotografisches Gedächtnis nur als Ausrede vorgeschoben, weil ich so unsicher über meine eigenen Ziele war und das nicht zugeben wollte. Doch nun weiß ich, daß die Zeit einfach vorbei ist, um in der Vergangenheit zu leben. Ich möchte nach vorne schauen, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie sich alles entwickeln wird. Ich kann es nicht ändern, wenn diese Leute mich weiter wegen meines Wissens suchen, aber ich kann etwas gegen die Angst davor machen und nicht mehr dieses Spiel mitmachen, besonders dann, wenn du mir dabei hilfst“ „Natürlich, wir schaffen das schon und ich bin mir sicher, daß deine Entscheidung die Richtige ist. Die letzten Tage haben doch bewiesen, wie schnell einem der Zipfel vom Glück aus der Hand gerissen werden kann, und das hat mir gezeigt, wie kostbar du mir bist. Niemand weiß, was einem die Zukunft bringt, aber es gibt etwas, das bis dahin Bestand haben wird – meine Liebe zu dir“ Anne sah ungerührt in die Ferne und nur der Druck ihrer Hand verstärkte sich, so entstand für mich eine quälend lange Pause, in der ich schon befürchtete, zu voreilig meinem Herz erlaubt zu haben zu sprechen. Dann, als es beinahe unerträglich für mich geworden war, fuhr sie mit leiser Stimme fort, „Ich habe Angst, dir das Gleiche zu sagen, bitte versteh mich. Alle, für die ich jemals etwas empfunden hatte, sind nicht bei mir geblieben, meine Eltern starben und der Mann, den ich heiraten wollte, hat mich verlassen. Als ich dachte, du wärst auch tot, begann alles wieder von Neuem und ich fürchte mich so sehr, daß mir wieder das Gleiche passiert. Bitte gib mir etwas Zeit, in mir dreht sich alles wie in einer Achterbahn und ich will niemanden verletzen, so wie ich auch nicht mehr verletzt werden will“ Es tat mir weh, so ansehen zu müssen, wie sie litt und ich bedauerte es, überhaupt das Thema darauf gebracht zu haben, „Du bekommst alle Zeit der Welt von mir, denn mir ist klar geworden, daß ich in tausend Leben um die ganze Welt reisen könnte und dabei sicher niemals mehr einen Menschen wie dich treffen würde, weil du für mich etwas ganz Besonderes bist. Ich habe nicht vor, dich je wieder zu verlieren und werde für dich da sein, wann immer du mich brauchst“ Die ganze Zeit hatte ich sie angesehen und bemerkte nun, wie ein paar Tränen an ihrer Wange herunterliefen, „Manchmal glaube ich, du existierst nur in meiner Einbildung, und vielleicht gibt es dich überhaupt nicht, so lieb, wie du bist“ 364
„Dann warte mal bis wir eine Weile zusammen verbracht haben und ich dir meine schlechten Seiten zeigen kann, da wirst du sehr schnell deine Meinung ändern“ „So? Ich glaube nicht, daß ich mich in dir täusche, und würde mir gerne die Zeit nehmen, um auch deine schlechten Seiten kennenzulernen, weil außer deinem nächtlichen Appetit auf Walnußeis mir noch nichts Verwerfliches aufgefallen ist. Vielleicht in dem abgelegenen Ferienhaus, von dem du erzählt hast, da könnte ich dich sicher in aller Ruhe beobachten und sehen, wieviel Schlechtes in dir steckt“ „Eine ausgezeichnete Idee von dir, mein Schatz. Wir sollten uns alle morgen früh sowieso zusammensetzen und darüber sprechen, wie es weitergeht, schließlich hat jeder andere Pläne. Was Carmen anbetrifft weißt du sicher besser Bescheid und mit Lilly werde ich selbst reden. Es bleibt nur noch Doktor Breitenbach, der aber seine Aufgabe hat und ganz bestimmt weiter die Terroristen jagen wird. Möglicherweise kannst du ihm helfen, indem du aus dem Gedächtnis eine Karte für ihn anfertigst, dann kann er den Leuten eine Falle stellen, oder sonst etwas machen. Schließlich würde es uns beiden auch helfen, wenn er die Lemuren zur Strecke bringt“ „Ich hoffe wirklich, daß es für ihn so einfach wird, denn so versessen ich früher hinter den Kisten und diesem Gondoni hergewesen bin, so versessen bin ich jetzt darauf, alles zu vergessen und hinter mir zu lassen. Manchmal wachte ich in der Nacht auf und wußte nicht, wo ich gerade war, alles kam mir dann fremd vor und nichts Vertrautes entdeckte ich um mich herum, dann hatte ich nur noch Angst, kennst du das?“ „Ja, das kenne ich, aber wenn du jetzt aufwachst und Angst haben solltest, dann werde ich da sein und du wirst etwas Vertrautes neben dir haben“ Nun lachte Anne wieder, „Du hast recht und wenn du aufwachen solltest, dann werde ich für dich da sein“ Es ging zu schnell, als daß ich noch reagieren konnte, denn fast gleichzeitig drangen die maskierten Männer über den Balkon und durch die Zimmertür in den Raum. Aus dem Garten waren vereinzelte Schüsse zu hören, die dann ganz verstummten und nur von den Sicherheitsleuten der Rubios gestammt haben konnten. Das Licht wurde angeschaltet und blendete uns, trotzdem fielen mir sofort die mit Schalldämpfern bestückten Waffen der in schwarzen Uniformen gekleideten Angreifer auf. Mein erster Gedanke galt natürlich Anne, die nach dem ersten Schreck erstaunlich gefaßt war und mir, ohne etwas zu sagen, in die Augen schaute und unter der Bettdecke nach meiner Hand griff. Wer die insgesamt sechs Männer geschickt hatte, verriet die Ausführung der Aktion und überraschte mich nicht weiter, mehr stieg in mir der Ärger auf, nicht auf ein so schnelles Handeln der Lemuren vorbereitet zu sein. Sicher hatte ich durch die Medikamente und meine Verletzung eine gute Ausrede dafür, doch trösten konnte mich das im Moment wohl kaum. Einige Schreie und laute Geräusche waren durch die noch offenstehende Tür aus dem gesamten Haus zu hören, während Anne und ich offenbar das wohl am besten bewachte Liebespaar waren, denn sechs Gewehrläufe zielten aus einigen Metern Entfernung auf unser Bett. Dann, genauso plötzlich, wie das Unheil über uns hereingebrochen war, wurde es überall still und mitten in diesem akustischen Vakuum näherten sich nun bedrohlich harte Schritte über den Steinfußboden. 365
Es war Gondoni höchstpersönlich, der in das Zimmer kam und vor dem Bett stehenblieb, was mich trotz des Ernstes der Lage an das Jugendcamp erinnerte, wo ich von einer Lehrerin mit meiner ersten Freundin erwischt worden war. Der Gedanke an diese Situation, die damals an Peinlichkeit nicht zu übertreffen war, brachte überraschenderweise meine Fassung wieder, die mir in brenzligen Situationen schon mehrmals den Hals gerettet hatte. „Signore Kronau, für einen Toten lassen Sie es sich aber recht gut gehen“ „Sie haben recht Gondoni, wenn Sie sich jetzt eine Kugel in Ihren Schädel jagen und es auch ausprobieren wollen, dann werde ich Sie nicht aufhalten“ „Zu gütig, aber ich verzichte lieber darauf und lasse Ihnen den Vortritt. Scheinbar sind Sie ein zäher Bursche, doch letztendlich hat es Ihnen nicht das Geringste eingebracht und ich bin mir ehrlich gesagt noch nicht schlüssig, was man mit Ihnen machen sollte. Dagegen habe ich mit Ihrer Geliebten schon sehr konkrete Pläne. Signora Damianski, stehen Sie auf und ziehen Sie sich an, wir haben es eilig und ich habe nicht vor, länger als nötig hier zu verweilen“ Anne schaute zunächst mich an und wendete sich dann zu Gondoni, dem Mann, der den Tod ihres Vaters verschuldete und den sie wohl zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht sah, „Ich weiß, wer Sie sind, ein feiges Schwein, das die Drecksarbeit von gedungenen Mördern erledigen läßt und unschuldige Menschen auf dem Gewissen hat. Wenn Sie wirklich denken, daß ich mit Ihnen mitgehe, dann sind Sie nicht nur gewissenlos, sondern auch noch verrückt“ Ich fand das unheimlich mutig von Anne und strich über ihre Hand, um sie etwas zu beruhigen. Leider war es das einzige, was ich tun konnte, denn weder fühlte ich mich in der Lage, noch sah ich dergleichen, um dem Spuk ein Ende zu machen. So blieb mir jetzt nur, dafür zu sorgen, daß sie sich nicht um Kopf und Kragen redete und das tat, was Gondoni von ihr wollte, denn es würde sicher Tage dauern, bis Anne sie zu den Schatzkisten geführt hätte. Wertvolle Zeit, um sie wieder zu retten, falls ich es schaffen sollte, selbst aus dieser Situation zu entkommen. Es war zwar nur eine vage Hoffnung, doch nach dem Stand der Dinge kam mir im Moment nichts anderes in den Sinn. „Signora, Sie sollten sich mäßigen, ich habe es nie verstanden, daß aus dem Mund von schönen Frauen solche Worte kommen können, und ich habe nicht vor, das zu dulden. Also tun Sie das, was ich Ihnen gesagt habe, sonst werden Ihnen meine Männer dabei helfen, und wenn Sie einen weiteren Grund brauchen, dann bin ich gerne bereit, ihn zu liefern“, damit entsicherte er seine Pistole und richtete sie auf mich. Jeder Widerstand war zwecklos und auch Anne ergab sich jetzt dieser Erkenntnis, sie wickelte sich leidlich die Decke um den Körper und stand auf, um an den Männern vorbei zu ihren Sachen zu gehen. Als sie dann an Gondoni vorbeikam, hörte ich nur ein Wort aus ihrem Mund, das alles ausdrückte, was sie gerade empfand – „Schwein!“ Sie hatte recht und sicher wußte das auch Benedetto di Gondoni, denn nur getroffene Hunde bellen und mit der flachen Hand schlug er ihr ins Gesicht, so daß sie vor dem Schrank hinfiel und kurz benommen liegenblieb. Reflexartig saß ich im Bett, ohne auch nur einen Schmerz zu spüren, stoppte aber die Bewegung zwangsläufig, als ich an einer Schläfe plötzlich einen Schalldämpfer spürte und fünf weitere kurz vor meiner Nase 366
sah. So blieb mir nur, mich zurückzulehnen und zuzusehen, wie Anne nach dem Anziehen noch ihre Tasche packen mußte. Während der ganzen Zeit beachtete mich Gondoni nicht und sprach mit einem inzwischen dazu gekommenen Mann, der offenbar sein Stellvertreter war und den Einsatz unten in der Halle koordiniert hatte. Leider war nichts von dem zu verstehen, was die beiden besprachen, aber ich war sowieso nur halb bei der Sache, denn immer wieder schaute ich in Annes Augen, die nun wohl aus Wut und Ohnmacht mit Tränen gefüllt waren, ohne dabei den Terroristen den Triumph zu gönnen, einfach so loszuweinen, und das machte mich unheimlich stolz auf sie. Wenig später war ihr Gepäck fertig und Anne sollte weggebracht werden, doch sie blieb stehen, ging seelenruhig an Gondoni vorbei und kam zu mir ans Bett, „Soviel Zeit, um mich zu verabschieden, werden Sie mir doch wohl noch geben und wenn nicht, dann interessiert es mich auch nicht weiter“ Er ließ es geschehen und gab seinen Männern einen Wink, die daraufhin nicht eingriffen, und als sie mich umarmte, kamen mir all die Gründe in den Sinn, warum ich mich in diese Frau verliebt hatte. Natürlich ihr Humor, die Schlagfertigkeit und ganz bestimmt auch, weil sie das bezauberndste Wesen war, das ich je gesehen hatte, aber gerade jetzt zeigte sich ihr hervorragendster Wesenszug – sie war clever! Noch bevor sich unsere Lippen zum Abschiedskuß berührten, schob sie mit der rechten Hand etwas unter meinen Rücken und ohne nur ein Wort zu sprechen, sagten unsere Augen alles, was für uns in diesem Moment Bedeutung hatte. Dann wurde sie hinausgeführt, sah sich aber dabei noch einmal mit einem letzten Blick um, der mir beinahe das Herz brach. Mir war danach, als hätte jemand die Sonne herausgetragen und es wurde düster im Raum durch die überhebliche Anwesenheit von Gondoni, der sich scheinbar bewußt Zeit nahm, bevor er wieder mit mir redete und vorerst das Schauspiel der aufgehenden Sonne von der geöffneten Balkontür aus genoß. So konzentrierte ich mich darauf, unauffällig festzustellen, was mir Anne zugesteckt hatte und mit den Ellenbogen stürzte ich mich gut sichtbar von der Matratze ab, als ob meine Verletzung mir zu schaffen machen würde. Dadurch brachte ich meinen Arm hinter meinen Rücken und lehnte mich wieder zurück, diesmal jedoch mit dem Griff des verborgenen Brieföffners in meiner Hand. Ich hatte gesehen, wie Anne beim Packen ihrer Sachen die Tasche auf den kleinen Tisch stellte, wo sie wohl in einem unbeobachteten Augenblick den Gegenstand in ihrem Ärmel verschwinden ließ und mir dann gut inszeniert zuschieben konnte, was mich dazu hinreißen ließ, ein kleines Lächeln auf meinen Lippen zu haben. „Was ist so komisch, Signore Kronau?“, Gondoni hatte sich mir wieder zugewendet und sah mich fragend an. „Komisch? Nichts an dieser Situation ist komisch! Vielleicht habe ich noch zuviel Medikamente im Blut, die meine Wahrnehmung etwas stören, aber sicher nicht soviel, daß ich über Sie lachen könnte“ „Oh ja, Sie sind im Kampf verletzt worden, Paulo Fortunati hatte sich vor mir schon gerühmt, Sie erledigt zu haben, ein, wie ich nun sehe, sehr voreiliges Verhalten, aber es hat genügt, Sie auszuschalten. Nicht, daß Sie jemals ein übermäßiges Problem waren, 367
doch Ihre ewigen unbedeutenden Störversuche sind schädlich für jede bis ins kleinste Detail geplante Aktion und so etwas ärgert mich ungemein. Mein alter Freund Miguel war immer mißtrauisch Ihnen gegenüber gewesen und wie zum Hohn fiel er trotzdem durch Ihre Hand. Das war eine bedauerliche Wendung der Ereignisse, die nicht eingeplant war, und für die Sie die Verantwortung tragen müssen“, er befand sich in der irrigen Annahme, daß ich den tödlichen Schuß abgegeben hatte und ich sah keinen Grund, den Italiener darüber aufzuklären, um mein Leben damit gegen ein anderes zu tauschen. „Sie wollen mich für Dinge verantwortlich machen, an denen Sie selbst schuld sind? Signore Gondoni, der Ordnung halber würde ich Ihnen gerne in Erinnerung rufen, daß Sie es waren, der den Anfang machte und mich mit hinterhältigen Mitteln in die ganze Geschichte mit hineingezogen hat. In Florenz wollten Sie mich doch umbringen lassen und haben später dann unschuldige Menschen wie Walter Lüttjens und seine Frau getötet. Damit sind Sie weit über die Grenze des Menschlichen geschritten und tausend Tode von Miguel Almera könnten nicht ein einiges Mal dieses sinnlose Sterben aufwiegen“ „Es ist nett von Ihnen, daß Sie mir die kausalen Zusammenhänge erläutern wollen, aber Ihre kleinlichen Versuche, an mein Gewissen zu appellieren, sind zum Scheitern verurteilt. Mein Gewissen hat etwas mit der Gewißheit zu tun, das Richtige zu tun, denn davon bin ich fest überzeugt. Deshalb ist es zwar bedauerlich, wenn Menschen sterben, aber wenn es zum Ziel führt, dann ist das eben unvermeidlich“ „Tja, dann haben wir wohl eine Kleinigkeit gemeinsam und nur in dem gewaltigen Rest unterscheiden wir uns, weil auch ich aus dem Gefühl heraus, das Richtige zu tun, handle, allerdings differieren wir wohl grundsätzlich in der Beurteilung dessen, was das ist. Mich würde zum Beispiel wirklich brennend interessieren, welches Ziel für Sie dermaßen wichtig ist, um so skrupellos zu sein“ Sein Gesicht nahm einen gelangweilten Ausdruck an, „Ihre Neugierde ist zu anstrengend für mich, denn sie bringt weder Ihnen, noch mir etwas. Doch ich spüre förmlich, daß Sie etwas anderes hinter diesem Interesse vermuten, als der bloße materielle Wert einiger Goldbarren und sonstiger Preziösen und möglicherweise haben Sie damit sogar recht. Aber Sie werden jetzt nicht ernsthaft von mir erwarten, das ich ein Geheimnis preisgebe, damit Sie ruhig schlafen können, denn Sie sollten froh sein, überhaupt noch zu leben“ „Möchten Sie jetzt, daß ich mich bei Ihnen bedanke, Gondoni? Wenn Sie mich beseitigen wollen, dann machen Sie das so oder so und wenn das bisher nicht geschehen ist, hat das garantiert seinen Grund, oder täusche ich mich da in Ihnen?“ In sein Lachen stimmten die verbliebenen vier maskierten Männer mit ein, „Wirklich gut kombiniert, manchmal finde ich es richtig schade, daß wir auf verschiedenen Seiten stehen und möglicherweise war es damals ein Fehler, Sie gleich mit der harten Methode zu behandeln. Das ist allerdings nicht mehr rückgängig zu machen und im Endeffekt ziehen Sie sowieso den Kürzeren, also wenden wir uns der Rolle zu, die ich Ihnen zugedacht habe. Nach der Ankunft Ihrer Gespielin in Brasilien werde ich sie beide nochmal miteinander telefonieren lassen, damit Anne Damianski glaubt, daß ich Sie im 368
Gegenzug für ihre Kooperation am Leben lasse. Die Möglichkeit ist mir zu riskant, daß sie die Sture spielt, Sie wissen ja, wie Frauen so sein können, und jetzt, so kurz vor unserem Erfolg, will ich nichts mehr dem Zufall überlassen. Sollten Sie dabei auf den glorreichen Gedanken kommen, nicht mitspielen zu wollen, dann habe ich unten im Salon genug Geiseln, die wegen Ihres Starrsinns dann sterben müssen. Bis heute Abend haben Sie genug Zeit, sich das zu überlegen, und ich bin mir sicher, daß Sie kein fremdes Leben riskieren wollen“ „Ein nett durchdachter Plan, aber Sie brauchen keine Angst zu haben, ich weigere mich schon nicht, Gondoni. Lassen Sie nur diese unschuldigen Menschen aus dem Spiel, die haben Ihnen nichts getan und sind in die Sache nicht verwickelt“ Der Italiener lacht kurz auf, „Ich sehe das etwas anders, denn mir ist genau bekannt, wer Sie mit Material und Informationen versorgt hat, um Miguel Almera aufzuspüren. Die Familie Rubio steckt da genauso mit drin wie Sie selbst, und deshalb werde ich mir eine kleine Entschädigung von ihnen holen. Schließlich ist uns bei Mister Plunkett und der North American Oil and Gas einiges entgangen und die Familie Rubio scheint mir genau die richtige Quelle zu sein, um diesen Verlust auszugleichen“ Als er das sagte, horchte ich überrascht auf, schon ahnend, daß Diana LeClaire sicher jede Einzelheit, die sie nach ihrer „Befreiung“ erfahren hatte, an Fortunati und damit auch an Gondoni weitergegeben hatte. Diese Frau, mit dem Gesicht eines Engels, hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, um uns alle in die Hölle zu schicken. „Jawohl, Signore Kronau, uns bleibt nichts verborgen und langsam sollten Sie doch wirklich erkannt haben, daß wir nicht nur Ihnen, sondern auch jeder Regierung dieser Erde weitaus überlegen sind und demnach können Sie sich ausrechnen, wie zwecklos jeglicher Widerstand ist. Um unseren Forderungen den entsprechenden Nachdruck zu verleihen, werden wir die Frau Ihres Freundes Juan Rubio mitnehmen und sie später bei der Übergabe wieder freilassen, genau wie Ihre kleine Freundin, Signore Kronau. Deshalb lassen Sie uns die Sache rein geschäftlich sehen und je reibungsloser alles verläuft, desto schneller sehen Sie die beiden Frauen wieder“ „Ich nehme an, daß wir uns auf Ihr Wort verlassen müssen, oder können Sie uns garantieren, daß den Geiseln nichts geschieht?“ „Signore Kronau, für mich ist es nur wichtig, unseren Vorteil zu sichern, und das übernehmen die Männer, die ich solange zurücklasse, bis das Geld hier ist und das Telefongespräch beendet wurde. Alles andere interessiert mich nicht sonderlich. Sollten Sie sich dadurch etwas unwohl fühlen, dann ist das voll und ganz Ihr Problem“ „Gondoni, Sie können mir glauben, daß ich ein Problem damit habe, aber früher oder später werden Sie für Ihre Taten bezahlen und ich würde gerne dabei sein, wenn es soweit ist“ „Manche Wünsche gehen nie in Erfüllung, Signore Kronau. Ich muß wohl kein großer Hellseher sein, um Ihnen zu versichern, daß Sie niemals bei solch einem Anlaß dabei sein werden. Vielleicht spekulieren Sie auch damit, daß mir jemand anderes auf den Fersen bleibt, vielleicht sogar ein deutscher Geheimagent, der unten gefesselt sitzt und einen ziemlich zerknirschten Eindruck macht. 369
Wir nehmen ihn mit, denn sein Wissen kann uns noch nützlich sein und so schalten wir außerdem eine potentielle Gefahrenquelle aus. Also Sie sehen, das es für Sie keinen Anlaß zur Hoffnung gibt. Verhalten Sie sich ruhig, Signore Kronau, daß ist das einzige was ihnen noch bleibt“ Gondoni gab zwei von den Männern kurze Befehle, die besagten, daß sie mich hier bewachen sollten, danach schickte er sich an, das Zimmer mit den beiden anderen Terroristen zu verlassen. Doch bevor er die Tür erreichte, blieb er nochmal stehen und drehte sich um, „Es war schön, sich mal mit einem gebildeten Mann zu unterhalten, leben Sie wohl, Signore Kronau“ Der Ton seiner Worte sagte mir alles, schon wenn ich bedachte, wie die Lemuren das Problem mit Plunketts Familie auf der Insel lösen wollten, machte dies es wahrscheinlich, daß ich den heutigen Abend nicht mehr erleben sollte und dieser letzte Satz machte mich dessen sicher. Ob ich wollte oder nicht mußte ich mir spätestens bis zum Nachmittag etwas einfallen lassen, um meinen Hals zu retten und da ich hier isoliert von den anderen Gefangenen im Haus mit einer Sonderbewachung war, hatte diese Aufgabe nichts mit einem Kinderspiel zu tun. Doch ich würde einige Geduld aufbringen müssen, bis die beiden Männer in meinem Zimmer nicht mehr so aufmerksam waren und zudem brauchte ich eine geniale Idee, um nicht in ein Handgemenge zu geraten, das ich kaum überstehen konnte. Natürlich war ein Teil meiner Gedanken bei Anne, die sicher nicht in unmittelbarer Gefahr steckte und erst dann für Gondoni zur Belastung werden würde, wenn er mit Ihr vor den Goldkisten stand. Es war irgendwie deprimierend für mich, daß alles von vorne begann und besonders nagte es an meinem Selbstbewußtsein, daß mir Gondoni einfach etwas, das ich liebte, weggenommen hatte, ohne daß ich mich dagegen wehren konnte. Wie schnell stand ich nun wieder da, wo alles begann, schlimmer noch, denn ich war weder frei, noch unverletzt und meine ganze Hoffnung ruhte auf einem Stück verchromten Stahl hinter meinem Rücken. Mehrere Hubschrauber starteten nun in der Nähe und in einem davon saß Anne, mit ihr schwebten meine Gedanken davon, doch hatte ich die Gewißheit, daß auch sie an mich denken würde und aus dieser Tatsache schöpfte ich die nötige Kraft für alles, was mir bevorstand. Gondoni hatte schon seinen ersten Fehler gemacht, denn er unterschätzte meine Motivation und das würde sein Verhängnis werden, was auch immer seine Beweggründe waren – ich war ihm tausendfach überlegen! Zwei Stunden waren seither vergangen und von den anderen Bewohnern war nichts zu hören gewesen, genauso wie von den Terroristen, so daß ich über die Anzahl der Gegner nur Vermutungen anstellen konnte. Eine merkwürdige Stille war inzwischen eingekehrt und sie wurde nur alle halbe Stunde von immer dem gleichen Mann unterbrochen, der mit zwei Begleitern offensichtlich nach dem Rechten sah. Dies war nun schon zum dritten Mal passiert und ich konnte mittlerweile ein genaues Muster darin erkennen, so daß ich jetzt, wo die drei Männer wieder gegangen waren, eine mögliche Chance zum Handeln sah. 370
Wie meine Anne vorher, hatte ich den Brieföffner in den Ärmel gesteckt und war nun dabei, mich besonders theatralisch zum Bad zu schleppen, natürlich unter den mitleidigen Blicken der Wachen, die mit einem kleinen Funkgerät an der offenen Balkontür saßen und mir herzlich wenig Beachtung schenkten. Einer der beiden überlegte es sich dann doch noch anders und tat lieblos seine Pflicht, indem er mich die letzten Meter dorthin begleitete und dabei nicht sonderlich schonend mit mir umging. Das Badezimmer ging im hinteren Teil des Raumes ab und ich richtete es so ein, daß der Kerl vorging und mir dabei die Tür aufhalten mußte, worauf ich so „ungeschickt“ hindurchschlurfte und ihn nicht vorbei ließ, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als einige Schritte nach hinten zu treten. Natürlich kam das aus der Situation heraus und er sah sich erschrocken um, als er gegen den Marmortisch mit den beiden Waschbecken stieß, doch darauf hatte ich nur gewartet. Im selben Augenblick hatte ich nämlich der Tür soviel Schwung gegeben, daß sie fast geschlossen war und nur noch ein kleiner Spalt zum Zimmer blieb. Der Rest bestand alleine aus dem Überraschungsmoment, denn als er wieder nach vorn sah, drückte ihm schon die Spitze meiner Waffe recht schmerzhaft gegen die Halsschlagader, um keine Mißverständnisse über meine Entschlossenheit aufkommen zu lassen. Meine Geste zum Schweigen verstand er und hielt sich auch daran, worüber ich sehr froh war, denn insgeheim hielt ich das für den entscheidenden Schwachpunkt meines Planes. So war ich aber nicht gezwungen, ihn zu töten und nahm ihm erleichtert sein SIG 552 Sturmgewehr, das Messer und die Pistole aus dem Holster ab, um ihn dann an den Armen zu fesseln und vor mich hinzustellen. Gleich darauf betrat ich das Zimmer mit dem Sturmgewehr im Anschlag und trieb mein menschliches Schutzschild vor mich her, wo ich den zweiten Mann so überraschte, daß nun innerhalb von fünf Minuten beide entwaffnet und von ihren Kampfoveralls befreit vor mir standen. Das ging schon mal ganz gut und ich konnte schon ein wenig Lächeln, als sich die beiden halbnackten Männer in mein Bett legen mußten und mit einigen Kordeln der schweren Seitenvorhänge des Fensters am Bettgestell verschnürt wurden, um hinterher noch durch einen Knebel jegliche Möglichkeit zu verlieren, sich bemerkbar zu machen. In einem Overall und mit der schwarze Tarnfarbe aus der Ausrüstung der beiden in meinem Gesicht, konnte ich nun auf den ersten Blick als Terrorist durchgehen, obwohl meine Stehhaltung einiges zu wünschen übrig ließ, denn leicht gebeugt hielt ich mir die Seite, wo sich immer stärker der stechende Schmerz zurückmeldete. Solange es noch ging, sollte ich schleunigst die Geiseln aus dem Salon befreien und mit der Unterstützung von Carmen Santiago, Juan und Señor Avialo konnte man es dann wagen, die Situation auf dem gesamten Anwesen in Augenschein zu nehmen. Doch vorerst mußte ich hier im Haus hinter jeder Ecke auf einen Terroristen gefaßt sein –und das erfolgreich zu beenden, würde nochmal all meine Energien erfordern. Vorsichtig öffnete ich die Tür zum langen Flur, mir blieben knapp fünfzehn Minuten bis der nächste Rundgang erfolgen würde, und bis dahin mußte ich die obere Etage gesichert haben, was schwierig genug war, wenn man nicht wußte, wer sich in den vielen Zimmern hier oben aufhielt. Kam dann die Patrouille, mußte mir nur noch das Kunststück gelingen, auch diese drei Männer lautlos unschädlich zu machen, damit niemand unten einen Verdacht schöpfte. Das hörte sich einfacher an, als es war und 371
würde ich eine Wahl haben, hätte ich mich auch eingehend mit meinen Zweifeln beschäftigt, doch so registrierte ich sie nur und betrat entschlossen den Flur. Er war leer und ich sah den langen Gang mit den vielen geschlossenen Türen zu den Gästezimmern und den zwei Kammern, in denen sich die Reinigungsgeräte für das Personal befanden. Da ich nicht wußte, ob sich hier noch andere Terroristen befanden, blieb mir nichts anderes übrig, als die zeitaufwendige Variante zu wählen und jedes Zimmer einzeln zu kontrollieren. Dies geschah immer nach dem gleichen Muster und war mir in der Ausführung viel zu riskant, doch die Uhr bestimmte momentan mein Handeln und es war entscheidend, mir schnellstens den Rücken freizuhalten. Zuerst horchte ich an der Tür und öffnete sie sehr leise, dann stürmte ich herein und inspizierte es, immer gefaßt, eine Salve abfeuern zu müssen, doch das brauchte ich bisher nicht zu tun. Als ich das letzte Zimmer hinter mir hatte, schlich ich mich wieder auf dem langen Flur zurück und passierte gerade die kleine Tür einer Besenkammer, da tippte mir jemand plötzlich auf die Schulter. Verdammt! – alles vorbei, die Hoffnung in mir verschwand und resigniert hob ich die Arme, als eine sehr junge und sehr vertraute Stimme zu reden begann, „He Boß, du hast keine Schweißflecken unter den Armen. Na los, rein hier in das Penthouse!“ „Lilly?!“ „Ja doch, los!“, durch die halb geöffnete Tür zog mich ihre Hand in den dunklen Raum. „Was machst du denn hier, ich denke alle sind...“ Ich hatte gerade die Tür hinter mir geschlossen, da ging in der hintersten Ecke der Kammer eine Taschenlampe an, die das Gesicht von Cristobal Avialo anstrahlte, „Buenos Dias, Señor Kronau“ „Äh, Boß, das ist so...also...“, Lillys Stimme überschlug sich fast. „Señor Kronau, eigentlich war es eher so, daß...“ Da ich nicht aus dem Mustopf kam, war mir schon klar, „wie das so war“ und ich verkürzte die Erklärungsversuche, nicht ohne darüber zufrieden zu sein, daß es hier so dunkel war. Denn trotz der ernsten Umstände konnte ich mir ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen, „Ich bin nicht der Papst, also bitte keine Beichte“ „Klar, Boß“ „Entschuldigen Sie, Señor Kronau“ „Schon gut, ihr beiden, es besteht kein Grund, sich zu entschuldigen. Was ist denn überhaupt passiert, möglichst in Kurzform, wenn es geht“ Lilly ergriff sofort das Wort und ich mußte sie erst mit Gesten ermahnen, etwas leiser dabei zu sein, „Wir... Wir waren die Nacht lange auf, Chris hat mich auf meinem Zimmer besucht, der Mondschein und so, du verstehst das sicher. Er hatte aber Angst, das sein Chef was sagen könnte, wenn er sich hier aufhält, und deshalb eben diese Heimlichkeiten. Als es wieder hell wurde, gingen wir auf den Balkon, da haben wir einige merkwürdige Gestalten im Garten bemerkt und gleich darauf hörte man schon die Helikopter anfliegen. Chris hat sofort reagiert und wollte hinunter, aber auf dem Flur hörten wir schon die Schritte von vielen Leuten auf der Treppe, die uns 372
entgegenkamen. So sind wir im letzten Augenblick in diese Kammer gestürzt und seitdem sitzen wir hier herum. Die leisen Geräusche auf dem Gang haben uns natürlich immer aufmerksam gemacht und durch den Spalt in der Tür waren bisher immer nur einige Männer in schwarzen Klamotten zu sehen. Zuerst hast du mich in deinem Outfit auch getäuscht, aber dein Gang kam mir etwas merkwürdig verkrampft vor, da habe ich einfach genauer hingesehen und dich erkannt, den Rest kennst du ja selbst, Boß“ „Es freut mich, daß mein kleines Leiden nicht ganz sinnlos ist, jedenfalls hattet ihr verdammtes Glück, daß diese Typen hier nicht nachgesehen haben, aber ich bin ja auch an der Tür blind vorbeigelaufen“ „Glück gehört wohl immer mit dazu, aber was ist überhaupt passiert? Wir wissen schließlich nichts Genaues, seitdem wir hier drin stecken, allerdings lassen die vielen Uniformen und das Geschrei nichts Gutes erahnen und deshalb bin ich auch so froh, daß du hier bist“ „Tja, ihr beiden, es sieht nicht sehr gut aus, denn Gondoni war mit seinen Leuten hier. Die Einzelheiten erkläre ich euch später, aber in fünf Minuten kommt die nächste Patrouille durch und wenn wir nichts unternehmen, dann bemerken die garantiert, daß hier etwas nicht stimmt. Señor Avialo, die Zeit der Ruhe ist vorbei, ich brauche Ihre Hilfe“, dabei reichte ich ihm schon die MP herüber und griff zu der Pistole. „Bueno, selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung. Ich bin lieber dabe,i wenn ausgeteilt wird, als mich hier weiter zu verstecken“ „Und ich? Boß! Warum fragst du mich nicht auch, ich bin doch nicht die Dekoration von euch beiden Kerlen und notfalls mache ich die Schwarzmänner alleine fertig“, Lilly schien nicht sehr versessen darauf zu sein, sich im Hintergrund zu halten. „Ganz ruhig Girl, die Reihenfolge wird im Moment von der Erfahrung bestimmt und wenn du dich an meine Anweisungen hältst, werde ich dich sicher auch gut gebrauchen können. Vorerst wird aber nicht mehr diskutiert, los raus und ab in mein Zimmer mit euch beiden“ Die wenigen Meter waren schnell zurückgelegt und dort angekommen stieg der Pilot in den zweiten Overall, während Lilly die Gunst der Stunde nutzte und sich nach den Stunden in der Kammer ins Bad begab. Viel länger hätten unsere Vorbereitung auch nicht dauern dürfen, denn in dem Moment, als ich mich am Bett über meine gefesselten Gefangenen beugte, die gut mit dem Deckbett unkenntlich gemacht wurden, hörte ich schon die Patrouille kommen. Alles war vorbereitet, Cristobal Avialo saß lässig in dem Stuhl am Balkon mit seiner entsicherten Waffe im Schoß und Lilly wartete hinter der Badezimmertür mit einer Pistole, dann betraten die drei Männer in gewohnter Manier den Raum. Der Pilot und ich hatten beide die Mützen tief in das Gesicht gezogen, um nicht gleich erkannt zu werden, dabei war ich mit ihm im Blickkontakt und hörte, wie direkt hinter meinem Rücken die Schritte verstummten, „Corporal Guterrez, sehen Sie mich gefälligst an, und wo bleibt Ihre Meldung?“ Der Führer der Patrouille schien auf seine Meldung ganz versessen zu sein, jedenfalls deutete sein Ton das an und was der Mensch brauchte, sollte er auch bekommen. Ich drehte mich um und hatte blitzschnell den Lauf meiner Pistole auf den Ansatz seiner 373
Nasenwurzel gelegt, „Gefangener Kronau meldet, daß ihr Pfeifen gerade in eine Falle gelaufen seid – rührt euch und die Hände nach oben“ Gleichzeitig hatte Cristobal Avialo die Maschinenpistole in Anschlag gebracht, während Lilly die Tür aufdrückte und die verblüfften Männer von der dritten Seite in Schach hielt. Es dauerte nur wenige Minuten, dann lagen auch diese drei Kerle in ihrer Unterwäsche vor uns. Die Overalls hatten bisher gehalten, was ich erhofft hatte, und Lilly war nun auch optisch eine von uns, der es besonderen Spaß machte, sich die schwarzgrüne Tarnpaste ins Gesicht zu schmieren. Cristobal Avialo hingegen wechselte noch einmal die Kleidung, weil er nun etwas in seiner Größe gefunden hatte und ich begann, mich mit Capitán Jamotte zu unterhalten, dem übereifrigen Mann, der meine ungewöhnliche Meldung erhalten hatte. Nach dem Namen und seiner Aussprache hielt ich ihn für einen Franzosen, der irgendwann einmal seinen Dienst bei der Fremdenlegion tat, was mir eine eindeutige Tätowierung auf dem Oberarm verriet. Das war eine interessante Beobachtung am Rande, doch mehr war ich an der Stärke seiner Truppe interessiert und besonders natürlich, welche Sicherheitsvorkehrungen man bei den Gefangenen getroffen hatte. Jamotte schien zu ahnen, daß ich schnell zu Ergebnissen kommen wollte, da das Verschwinden der Patrouille nicht lange verborgen bleiben konnte, und deshalb stellte er sich starrsinnig an, um es mir so schwer wie möglich zu machen. Immer wieder verwies er mich an Oberst Gusmao, der im Salon zu finden sei, und das Kommando von Gondoni über die Terroristen bekommen hatte. So kam ich nicht weiter und bevor uns das zuviel Zeit kosten würde, brach ich das Verhör ab und wir fesselten die drei Männer mit aus den Laken geschnittenen Stoffstreifen. Danach untersuchte ich ergebnislos mit Lilly die Taschen und Cristobal Avialo ging für einen Moment auf den Balkon, um von dort aus die Lage auf dieser Seite des Hauses zu erkunden. Dabei sah er zwei Wachen, die unten entlang gingen, und es schienen insgesamt weitaus mehr Männer dort zu sein, die man bei der Ausdehnung des Anwesens kaum alle erwischen konnte. Also gab es nur einen Weg, um zu handeln, und der hatte sich in der Kriegsgeschichte meistens bewährt, denn schlug man dem Drachen den Kopf ab, spielte die Größe seines Körpers keine Rolle mehr. Oberst Gusmao war demnach das Ziel, hatten wir ihn in der Hand, gab es seine Leute als Zugabe und vielleicht war er auch redseliger, was Gondonis Pläne betraf, als dieser verstockte Capitán. Wir waren bereit und weil Lilly der schmächtigen Statur von Jamotte am ehesten entsprach, ging sie in seiner Uniform vor und wir folgten ihr mit entsicherten Waffen. Mir war nicht sehr wohl, sie vor mir laufen zu sehen, auch wenn Lilly selbst darauf bestanden hatte, doch das geschah ohne eine Ahnung, was ihr bevorstehen konnte, und ich hoffte, daß weder sie noch ich diese Entscheidung bereuen würden. Bereuen tat ich schon dagegen die ganze Zeit, daß ich mir wirklich die schlechtmöglichste Gelegenheit gesucht hatte, um mich verwunden zu lassen. Schon seit dem Zwischenspiel mit Jamottes Patrouille hatte ich wieder Atemnot und merkte, wie sich meine Knie immer weicher anfühlten. Doch kein falscher Stolz trieb mich dazu, mir nichts anmerken zu lassen, sondern ich mußte dafür sorgen, daß die beiden 374
sich auf ihre Aufgabe konzentrierten und sich nicht mit mir beschäftigten, denn mit ersterem hatten sie genug zu tun. Entlang der kleinen Tischchen mit den Blumenvasen vom Vortag ging es auf dem Flur entlang zur ersten Stufe der Treppe. Sie verlief in einem leichten Bogen nach unten, wo sie von hier aus gesehen um neunzig Grad versetzt in der großen Vorhalle ankam. Wir setzten uns in Bewegung, jetzt gab es kein Zurück mehr und in normaler Geschwindigkeit ging es Stufe für Stufe immer weiter nach unten. Da! Zwei Männer standen auf dem Marmorboden mit dem Schachbrettmuster direkt an der Eingangstür und bewachten den Zugang, indem sie nervös durch die kleinen Seitenfenster nach draußen schauten. Natürlich wurden wir sofort bemerkt, doch bis zum Ende der Treppe schafften wir es noch dank unserer Maskerade, bis einer der Männer einen längeren Blick riskierte. Allerdings waren beiden keine Helden, die sich drei Gewehrläufen aus zehn Metern Entfernung widersetzten und so ließen sie sich sofort von unseren Argumenten zum Aufgeben überreden. Danach landeten ihre Waffen im Garderobenschrank und Cristobal Avialo brachte mit Lilly die Gefangenen in mein Zimmer zu den anderen, wo sie weitaus besser aufgehoben waren. Mir tat die kleine Pause mehr als gut, jedoch sollte ich nicht lange in den Genuß einer Erholung kommen. Denn keine zwei Minuten später öffnete sich die Tür zum großen Salon und ein Terrorist kam heraus, der Randall quer durch die Halle bis zum Eingang in die Küche begleitete. Ich wandte mich ab und schaute betont aufmerksam nach draußen, natürlich immer mit den Ohren zur Seite gerichtet, ob die Männer auf mich zukamen, doch das passierte nicht, und ich stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Als Randall mit dem Mann hinter der Tür verschwunden war, kamen gleich darauf Lilly und Cristobal wieder zurück und es dauerte nur wenige Sekunden, um sie über die neue Lage zu informieren. Dabei erklärte ich ihnen nebenbei, wie ich aus dieser zufälligen Begegnung eine handfeste Gelegenheit machen wollte, was allerdings sehr schnell ablaufen mußte. Die Vorhalle ohne eine Wache zu lassen, war zu auffällig, doch Lilly konnte ich nicht alleine an der Eingangstür lassen und Cristobal wollte ich ohne meine Hilfe diese riskante Aktion nicht zumuten, also ging ich ohne Begleitung zur Küchentür. War nur der eine Mann bei Randall in der Küche, machte ich mir wegen ihm keine Sorgen, sollten allerdings gerade einige Terroristen dort eine Frühstückspause machen, dürfte es wohl kaum noch ohne eine Schießerei abgehen. Gespannt lauschte ich an der Tür und sah dabei noch einmal zu Lilly herüber, die mit erhobenem Daumen und einem verkniffenen Lächeln zu mir schaute. Was sollte da eigentlich noch schiefgehen und entschlossen betrat ich die Küche. Mir fiel ein Gebirge vom Herzen, denn meine Befürchtungen bestätigten sich nicht, nach dem ersten Blick in den Raum. Randall machte einige Sandwiches auf der Anrichte und ihm gegenüber saß der Mann, der ihm eigentlich auf die Finger schauen sollte, doch dieser stopfte sich gerade etwas zu essen in den Mund und verschluckte sich, als er mich plötzlich bemerkte. 375
Sein nun folgender starker Husten setzte ihn besser außer Gefecht als der Anblick meiner Waffe und so war es keine große Kunst, ihn blitzschnell zu entwaffnen. „Sir?“, der Butler schien erstaunlich gelassen meine Anwesenheit hinzunehmen. „Ja, Randall, ich bin es. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“ „Danke der Nachfrage, Sir. Sie werden sicher bemerkt haben, daß wir mit einigen Unannehmlichkeiten konfrontiert sind. Dessen ungeachtet freue ich mich aber, daß es Ihnen offensichtlich besser geht. Sie werden sicher verzeihen, Sir. Ich würde gerne noch diesem Gentlemen bei seinen Atemproblemen helfen“ Etwas erstaunt schaute ich zu dem Butler in seinem dunkelgrauen Anzug, „Bitte Randall, tun sie sich keinen Zwang an“ „Danke sehr, Sir“, er begann dem hustenden Terroristen auf den Rücken zu schlagen, bis dieser den Arm hob und langsam verstummte. „Geht es Ihnen wieder gut, Sir?“ Der Mann nickte nur und freute sich über die unerwartete Hilfe des Engländers, „Si, gracias“ „Es war mir ein Vergnügen, Sir“, mit diesen Worten riß der Butler sein Knie hoch und sofort brach Gondonis Mann vor seinen Füßen zusammen. „Sir, Sie werden sicher mein Benehmen verzeihen, aber ich glaube, dieses Verhalten war jetzt angemessen“, dabei ordnete der Engländer betont sorgfältig seine Kleidung und würdigte den bewußtlosen Mann am Boden keines Blickes. „Ähhh,... Randall, ich könnte es nicht besser sagen. Wie geht es den Gefangenen?“ Präzise und ohne Schnörkel erzählte er seine Beobachtungen und verschnürte unterdessen seine Beute, während ich nicht widerstehen konnte und mir eines der belegten Brote nahm, so daß sich mir kurz darauf ein brauchbares Bild von der Lage im Salon bot. Oberst Gusmao war noch mit drei Wachen im Raum, wo Donna Elena mit Carmen Santiago auf einer Couch in der linken Ecke saß, während davor Carlos Rubio mit seinem Sohn und Doktor Martinez gefesselt auf dem Boden hockte. Randall selbst war das einzige Mitglied des Personals, das im Haus verbleiben mußte und alle so gut es ging versorgte, während der Rest schon vor Stunden in den Stallungen eingesperrt wurde und dort ebenfalls von einigen Männern bewacht wurde. Hinter dem Haus standen auf der großen Wiese offensichtlich zwei Helikopter der Terroristen, was eine maximale Stärke von vierundzwanzig Mann ohne die Besatzungen erahnen ließ. Sieben Kerle machten es sich in meinem Zimmer gemütlich und seinem Bewacher hatte Randall gerade deutlich die Meinung gesagt. Dazu kamen noch die vier verbliebenen Leute im Salon. Demnach konnten sich höchstens noch zwölf Männer im Gelände aufhalten, aber das war vielleicht irrelevant, wenn wir diesen Gusmao in unsere Gewalt bringen konnten und so den Anführer in den Händen hatten. Langsam sah ich etwas optimistischer in die nähere Zukunft, denn die Aufmerksamkeit der Geiselnehmer war sicher nach außen gerichtet und gegen unsere Infiltration von innen, gepaart mit etwas Glück, viel Entschlossenheit und dem Überraschungseffekt, hatten sie bis jetzt keine Chance gehabt. 376
Nach dem hastigen Essen war mir etwas mulmig im Bauch, aber wohl eher schlug mir die Nachricht auf den Magen, daß Juan völlig fertig mit seinen Nerven war, weil ihn die Sorge um seine entführte Francesca zerfraß. Natürlich konnte ich ihm nachfühlen und wußte, was er durchmachte, vielleicht war es nur für mich einfacher zu ertragen, weil ich mich schon vorher tagelang in der gleichen Situation befunden hatte und nun an diesen schrecklichen Zustand gewöhnt war. Schade war nur, daß mich das nicht tröstete und ich selbst kaum die Kraft fand, um hoffnungsvoll nach vorne zu sehen. Diese Kraft strömte mir nur zu, wenn ich an die geliebte Frau dachte, und verschwand sogleich wieder durch ihr ungewisses Schicksal – so blieb nur mein erbarmungsloser Wille, um daran etwas zu ändern. „Sir, ich würde Ihnen bei Ihrem Vorhaben gerne behilflich sein, soweit es in meinen Kräften steht und ich von Nutzen für Sie sein kann“ „Danke Randall, aber das kann extrem gefährlich werden und ich bin mir nicht sicher, ob Sie in dieser Situation bestehen“ Wenn ich nun befürchtete, den Butler damit gekränkt zu haben, so war das nicht der Fall, denn mit seiner Gestik stimmte er meiner Verhaltensweise sogar zu, „Das ist sehr vorausschauend, Sir. Ich würde Sie aber gerne in Kenntnis setzen, daß ich vor meiner Berufung, die Laufbahn eines Butlers einzuschlagen, im glorreichen ‚The Duke of Wellington`s Regiment’ Ihrer Majestät diente und dort wurde ich in mehr als dem Cricketspielen ausgebildet. Unser Wappen zierte der Ausspruch ‚Fortune Favours the Brave’ - dieser Tradition bin ich bis heute noch verbunden“ Ich mußte zugeben, daß mich solch ein Lebenslauf doch beeindruckte und war über diese Verstärkung sehr erfreut, auch wenn ich insgeheim etwas über seine vornehme Art schmunzelte. „Wenn das so ist, dann können sie sicher mit diesem Ding hier umgehen“, ich hielt ihm die Pistole des bewußtlosen Mannes entgegen. „Selbstverständlich, Sir. Das ist eine Beretta, Modell Zweiundneunzig Brigadier und die bevorzugte Ordonanzwaffe der U.S. Armee mit fünfzehn Schuß 9mm Munition. Die effektive Reichweite beträgt fünfzig Meter und diese Pistole gilt als sehr zuverlässig“ „Ähhh,... das kann schon so hinkommen, Randall. Kommen Sie bitte mit – und vergessen Sie das Tablett mit den Sandwiches nicht“ „Sehr wohl, Sir“ Kaum waren wir wieder in der Halle angekommen, da begannen sich die Ereignisse schon zu überschlagen, denn Cristobal Avialo lief mir schon auf halben Weg entgegen, „Oberst Gusmao wird langsam nervös, er ruft andauernd nach Jamotte und wir können das alles am erbeuteten Sprechfunkgerät mithören“ „Sowas habe ich befürchtet, wir müssen schnell handeln, bevor er mißtrauisch wird und seine Männer von draußen hier ins Haus holt“ Dreißig Sekunden später wußte jeder, was er zu tun hatte. Lilly blieb nun doch an der Eingangstür stehen und beobachtete, was draußen vor sich ging, denn momentan war das für sie sicherer, als in den Salon zu gehen. Mir hingegen blieb es vorbehalten, als Stimmenimitator zu agieren und mit dem Akzent von Capitán Jamotte eine kurze Meldung durchzugeben, daß etwas Verdächtiges auf der Rückseite bei den Helikoptern zu sehen sei. Da auch Oberst Gusmao das über sein Funkgerät hörte und durch die 377
Fenster des Salons direkt auf den Landeplatz sehen konnte, spekulierte ich auf die normale menschliche Reaktion der Neugier, welche die gesamte Aufmerksamkeit von der Zimmertür ablenkte. Genau in diesem Moment öffnete Randall die Tür und betrat mit seinem Tablett in der Hand den Raum, wobei ich sofort folgte, so daß meine schwarze Uniform im Hintergrund zu sehen war, „Verzeihung, die Sandwiches...“ Alle Konzentration kulminierte in diesem Augenblick und mit der Waffe im Anschlag schwenkte ich nach links, vorbei an den drei Uniformierten an den Fenstern, um die Wache der Geiseln ins Visier zu nehmen, „Hände hoch“ Randall war inzwischen vor mir nach rechts weggegangen und ließ einfach seine Schnittchen fallen, worauf direkt unter dem Silbertablett seine Pistole zum Vorschein kam, die er beidhändig auf die Gruppe vor uns anlegte. Den endgültigen Knockout brachte dann Señor Avialo, der aus der Halle genau zwischen uns trat und nun ebenfalls den Oberst mit einer MP aufs Korn nahm. Wir hatten vorher abgemacht, zur Sicherheit der Geiseln bei der kleinsten Bewegung keine Sekunde zu zögern und sofort zu schießen. Doch bevor der Oberst und seine Männer überhaupt begriffen hatten, was geschehen war, erkannten sie schon die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage. In mir machte sich ein gewisser Stolz breit, auch ohne nur einen Schuß abzufeuern, das Haus völlig unter Kontrolle zu bekommen und gleichzeitig den wichtigsten Mann der Terroristen vor Ort lebend gefangen zu haben. Der junge Kerl, der die Geiseln bewacht hatte, stand immer noch völlig überrascht an der Couch und ließ jetzt kraftlos seine Maschinenpistole nach unten sinken. Darauf reagierte Carmen Santiago als erste, griff nach der Waffe und stieß den Mann damit in die Mitte des Raumes, so daß er auf seinen Knien liegen blieb, womit sie nun auch von dieser Seite die Terroristen bedrohte. „Oberst! Hände hoch und keine Dummheiten. Sie wollen doch nicht noch den Helden spielen, wenn alles schon vorbei ist“ Die Sinnlosigkeit einer Gegenwehr begreifend folgte Gusmao meiner Aufforderung, wobei seine Adjutanten ihm folgten und er die Sprache langsam wiederfand, „Kronau?! Wie...? Das wird Ihnen noch leid tun, meine Männer sind hier überall und wir sind Ihnen und Ihrer Bagage weitaus überlegen“ „Das mag schon sein, aber ich sehe sie im Moment nicht, Sie etwa Oberst?“, ich winkte zu Randall herüber, der daraufhin sofort die Waffen einsammelte, während Carmen sich schon nach einigen Stricken erkundigte, um die Männer zu binden. Endlich konnte ich zu den Geiseln zur Couch gehen und jeden kurz umarmen, wobei sich Freude und Sorge die Waage hielten, denn niemand konnte natürlich die Entführung der beiden Frauen vergessen. Ich persönlich müßte meine Hoffnung dazu vergessen, daß mein Adrenalin ewig die Schmerzen in den Hintergrund drücken würde, denn mir fing an, schwindelig zu werden, doch das sollten der Oberst und seine Männer nicht zu sehen bekommen. Deshalb führten Juan und Cristobal die Gefangenen in die Bibliothek, wohin auch die anderen unschädlich gemachten Terroristen gebracht wurden. Carmen ging unterdessen zu Lilly und Randall inspizierte das ganze Haus vom Dach bis zum Keller, während ich mich keinen Meter mehr von der Couch rühren konnte. Doktor Martinez 378
konnte man zusehen, wie er einen hochroten Kopf bekam, weil er sich nur mühsam verkniff das loszuwerden, was er als Arzt zu meinem Verhalten sagen mußte, denn die Mißachtung seiner Anwesungen hatte ihm das Leben gerettet. Donna Elena kümmerte sich rührend um mich und auch Carlos Rubio wollte sich nützlich machen, indem er trotz der großen Auswahl an modernen Waffen seine alte doppelläufige Schrotflinte aus einem Schrank nahm und an der Terrassentür zum Garten seinen Posten einnahm. Die Sorgen um Juan schienen mir berechtigt, er sprach wenig, doch die Gedanken konnte jeder in seinem Gesicht ablesen und mir fiel es selbst schwer, ihm Mut zu machen, gerade jetzt, wo ich noch zusätzlich mit mir selber zu tun hatte. Zwanzig Minuten brauchte ich bestimmt, um mit der Hilfe des Doktors meinen kleinen Schwächeanfall zu überwinden, dann wurde es auch höchste Zei,t die nächsten Schritte einzuleiten, weil die Anfragen der verbliebenen Terroristen im Gelände sich über Funk häuften. Wir hatten zwar die Kontrolle gewonnen, doch diese beschränkte sich auf das Haus und wenn Gondonis Männer zu stur oder zu blöd waren, konnte es doch noch zu einem Angriff kommen. Dazu hatte der Oberst auch noch einen Trumpf im Ärmel, nämlich das eingesperrte Personal in den Stallungen, das wir nur über freies Gelände erreichten und somit kaum mit einer erfolgreichen Überrumpelung befreien konnten. Der junge Tag hatte noch keinen Toten gesehen und so sollte es bleiben, ich war weder Willens, noch in der Lage, die restlichen Gefangenen mit Gewalt zu befreien und alles lief auf ein Unentschieden hinaus, jedoch eines, dessen Bedingungen ich bestimmen konnte, weil meine Position etwas besser war. Ich hatte den Anführer der Terroristen und die Möglichkeit, jederzeit eine Anzahl von Behörden einzuschalten, vorrangig den BND und die CIA, die sicher ein offenes Ohr dafür haben würden. Allerdings hatte ich das bis jetzt noch nicht erwogen, denn nur so konnte ich Oberst Gusmao eine goldene Brücke bauen, um von hier ungehindert verschwinden zu können. Natürlich war das nur ein Entgegenkommen für den Fall, daß er mir dafür wichtige Informationen über Gondonis spezielle Absichten anbieten konnte. Das war es, was ich dringend mit diesem Mann klären mußte und so bekam ich von Doktor Martinez noch eine Spritze zur Stärkung und von Randall einen Tee, „Gut gemacht, Randall, Sie haben ausgezeichnet reagiert, mein Kompliment“ „Danke Sir, ich bin hoch erfreut, daß ich Ihnen helfen konnte, allerdings sollten wir nicht vergessen ‚Fortes fortuna adiuvat‘ – die Tapferen unterstützt das Glück’“ Ein kleines Lächeln ging über mein Gesicht, „Dem kann ich mich nur anschließen, ich hoffe nur, daß es uns nicht verläßt, sonst gehen wir trüben Zeiten entgegen, Randall“ So mit moralischen Beistand und guter Medizin gestärkt, holte ich mir Gusmao in den Salon, „Eine Tasse Tee? Lassen Sie uns reden, Oberst...“
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Kapitel 5 Die Verhandlungen liefen erfolgreich, eigentlich sogar mehr als erhofft, und doch etwas anders als ich ursprünglich erwartet hatte. Das war jetzt schon zwei Tage her, nun lag ich in einem heruntergekommenen Hotelzimmer in La Esmeralda und war schon zufrieden, daß es eine altersschwache Klimaanlage gab, die uns mühsam die schwüle Hitze des Dschungels vom Leib hielt. Den ganzen Tag hatte Doktor Martinez noch Zeit, sich über mich aufzuregen, weil ich hierher gekommen war und dazu, daß er mich begleitet hatte. Doch das war sein eigener Entschluß und mehr als einmal hatte ich ihn davor gewarnt, aber der kleine, gepflegte Mann wollte unbedingt seinen Anzug gegen eine Leinenkluft mit Strohhut eintauschen und weiter für mich sorgen. Trotz seiner veränderten Garderobe strahlte er weiterhin einen gewissen Respekt aus, als ob er nicht den Ort, sondern die Zeit gewechselt hatte und die dünne Brille verstärkte diesen Eindruck noch – jetzt, wo er aussah wie ein Don des neunzehnten Jahrhunderts, der seine Plantagen inspizierte. Also mußte ich nach seinen Anweisungen bis zwanzig Uhr hier warten und durfte solange das Bett nicht verlassen, bis ein bestimmtes Flugzeug angekommen war, das einen wichtigen Besucher brachte. Natürlich gingen mir pausenlos die vergangenen Tage durch den Kopf und ich fragte mich, ob ich alles Richtig gemacht hatte. Richtig – wer wußte schon, was das war, aber alle hatten den Angriff der Lemuren überlebt und das konnte nicht verkehrt sein. Falsch und Richtig, Gewonnen und Verloren – Nur Begriffe? Nein, denn so grübelnd hatten sie doch einen Sinn für mich, ich hatte das Leben gewonnen und Anne wieder verloren, der Stern, der meinen Himmel zum Leuchten brachte, damit war ich der haushohe Verlierer und auch wenn mir die Hoffnung blieb, fühlte ich mich einsam und schuldig. Der Gewinner war eindeutig Oberst Gusmao, jedoch bestimmt nicht lange, denn Gondonis Arm war lang und ich würde ihn irgendwann erreichen, aber im Augenblick konnte man ihn so nennen. Bald würde er es sich vielleicht an einem Südseestrand gemütlich machen und sich von einem Hulamädchen den Bauch eincremen lassen, schöne Aussichten für einen Verräter. Er war zu schlau und ich wußte, daß Gondoni diese Schlappe ihm persönlich ankreiden würde, spätestens dann, wenn ich wieder auf der Bildfläche auftauchen würde. So hielt er es für besser, einfach unterzutauchen und der Organisation, die ihn bisher so gut entlohnt hatte, den Rücken zu kehren. Ebenso Jamotte und seine Männer, alles Söldner, die nach dem Nennen einer beträchtlichen Summe nur zu gerne das schnelle Geld nahmen und bereit waren, mit uns zu reden. Die Verhandlungen waren eine Mischung aus Diplomatie und dem Feilschen auf einem Bazar, in der die Rollen schwebend waren und jede Seite versuchte, das Beste herauszuholen.
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Ich war mir anfangs über meine Strategie nicht sicher, vielleicht hätte ich Gusmao eine Pistole an den Schädel halten sollen, damit er einfach seinen Leuten die Kapitulation befehlen würde, doch was dann? Ihn den Behörden übergeben oder selbst verhören, um an die gleichen Informationen zu kommen, die ich nun wesentlich eleganter in kürzerer Zeit erhalten hatte. Das hätte wohl kaum funktioniert, jedenfalls nicht ohne das Risiko, von dem Oberst belogen zu werden und mehr Zeit zu verlieren als Anne, Francesca und der Doc hatten. So flog Oberst Gusmao mit seinen Männern und zwei Koffern voller Dollars an einen unbekannten Ort und einzig ihre Ausrüstung blieb vorsorglich hier, denn wenn jemand so schnell seine Seite wechselte, konnte das immer wieder passieren. Was ich im Gegenzug erfuhr, schien meine Handlungsweise zu rechtfertigen, denn die Lemuren waren nun nicht nur ein Wort, das ständig bedrohlich im Raum hing, sondern es bekam Konturen. In dem Sinne war Gusmao wirklich ein Glücksfall gewesen, weil er schon einige Aktionen für sie durchführte und dabei immer die Augen und Ohren offen gehalten hatte. Benedetto di Gondoni war oft dabei die Kontaktperson gewesen, der verhandelte, die Ziele bekannt gab und auch die Ausrüstung besorgte. Die Abwicklung der Finanzen für den Oberst lief über eine Stiftung auf den Kanalinseln und einem Konto auf den Cayman Islands, von wo dann das Geld weitergeleitet wurde. Dieser neue Auftrag schien besonders wichtig für Lo Squalo und Lupus gewesen zu sein, weil der Kopf der Terroristen ungewöhnlicherweise persönlich die Gespräche in einer alten Kirche nahe Pauini, am Zusammenfluß vom Rio Pauini und dem Rio Purus überwachte. Allerdings hielt er sich dabei im Hintergrund und sorgte dafür, daß ihn niemand erkennen konnte, so war er anwesend, überließ das Reden jedoch weiterhin Gondoni. Wie in einem Bienenstock soll es dort diesmal zugegangen sein und Oberst Gusmao hatte selbst gesehen, daß mehrere Anführer anderer Söldnereinheiten sich ebenfalls in der Stadt aufgehalten haben, um möglichst einen großen Auftrag abzubekommen. Was sie machen sollten, wußte Gusmao nicht und er stellte auch nie Fragen darüber, weil er es für zu gefährlich hielt, einen engen Kontakt mit seinen Kollegen zu pflegen, denn viel zu schnell stand man in diesem Beruf auf verschiedenen Seiten. Seine Aufgabe war jedenfalls klar und schon in Juans Ferienhaus auf Margarita sollte er zuschlagen, was nur der überstürzte Aufbruch von dort vereitelte und einzig bedeuten konnte, daß Fortunati die Information an die Lemuren sofort weitergegeben hatte. Doch dieser Rückschlag brachte ihn nur kurz aus dem Konzept, weil eine zweite Gruppe von Terroristen unabhängig von ihm das Haus der Rubios beobachtete, um die Entführung eines Familienmitgliedes vorzubereiten. Diese exzellente Observierung ermöglichte es dem Oberst, ohne größere Zeitverzögerung nun beide Aufgaben vorzubereiten, zu deren präziser Durchführung Gondoni persönlich nach Caracas gekommen war. Alles weitere lief dann planmäßig ab, jedenfalls solange, bis meine Freunde und ich eingegriffen hatten und die ganze schändliche Arbeit von Oberst Gusmao zunichte machten. 382
Gondoni wußte zwar als einziger, was genau mit den Gefangenen geschehen sollte, aber der Oberst hatte mehr mitbekommen als er sollte. Nach seinen spärlichen Informationen blieben Anne, Francesca und Doktor Breitenbach vorerst zusammen und würden genau in die Kirche gebracht werden, in der auch Gusmao seinen Auftrag bekommen hatte. Dort übernahmen die Lemuren selbst die Gefangenen von den Söldnern, so daß der Oberst ab jetzt nur noch spekulieren konnte, an welchen Ort sie danach verschleppt wurden. Einige Gerüchte, die in den letzten Monaten entstanden waren, besagten, das dieses Hauptquartier der Terroristen ein altes Bergwerk in den Ausläufern der Anden sei. Andere wiederum erzählten von einer großen Klosteranlage, der „Fortaleza d´este“, aber niemand von ihnen hatte sie je gesehen und ungebetene Gäste würden sicher ihr Wissen nicht mehr weitergeben können. So blieb dieser geheime Unterschlupf ein Hirngespinst, um das sich diese wilden Geschichten der Söldner rankten, ohne daß ich dadurch auch nur einen handfesten Hinweis darüber bekam. Aber wenigstens begann sich das Gebiet einzuschränken und dazu wußte ich, daß Anne solange noch in Sicherheit war, bis sie die Terroristen zu dem Versteck führen konnte. Somit würde sie sicher von der Kirche direkt zum Rio Guapore gebracht werden, wo irgendwo in der Weite des Dschungels der Schatz auf seine Entdeckung wartete. Doch nur Annes Spur ließ sich so verfolgen, denn was mit Francesca und dem Doktor geschah, lag weiterhin im Dunkeln, weil es fraglich war, ob Lupus die Gefangenen zusammenlassen würde und das machte mir in Anbetracht von Juans angeschlagener Verfassung ebenfalls große Sorgen. Diese gesamten Verhandlungen wurden vom Oberst mit harten Bandagen geführt, aber das Schwerste stand mir noch mit diesem ominösen Anruf von Anne bevor, der sie in Sicherheit wiegen und gefügig machen sollte. Ihr ging es zum Glück gut und ich versuchte sie zu ermutigen, ohne mich zu verquatschen und Zweideutigkeiten zu verwenden. Einzig blieb mir ein kleiner Wink, als ich mich für ihr letztes Geschenk bedankte und davon sprach, daß es mir Glück gebracht hatte. Sie war eine kluge Frau und wußte sicher, was ich damit andeutete, aber trotzdem ging es bei mir an die äußersten Grenzen, ihr nicht all die Worte zu sagen, die mir in der Seele brannten. Mir war es egal, daß mir während dieses Gespräches die Tränen in den Augen standen, zu hilflos und zu zornig fühlte ich mich und konnte das nur sehr schwer verbergen. Jeder wußte, daß Gondoni mithören würde und so spielte, wir uns gegenseitig etwas vor, auch Gusmao, der die Illusion aufrechterhielt, daß er alles unter Kontrolle hatte und auch seine letzte Anweisung durchführen würde. Diese bestand ganz einfach in der Liquidierung meiner Person, so daß die Lemuren ihre Rache erfüllt hatten. Ich beruhigte mich nur langsam wieder nach diesem Gespräch und brauchte wegen der Schmerzen eine Pause auf der Couch, in der mich Carlos Rubio nach meiner Meinung über sein weiteres Verhalten fragte und ich versuchte, ihm nach einigem Grübeln das wahrscheinliche Szenario der kommenden Tage aufzuzeigen. Irgendwann würden sicher die Lemuren wegen des fehlenden Lösegeldes mit ihm Kontakt aufnehmen wollen und da ich es für besser hielt, wenn Donna Elena mit ihrem 383
Mann auf eine verschwiegene Reise gehen würde, mußten die Terroristen am besten mit dem Anwalt Mister Birnbaum vorlieb nehmen. Dieser sollte dann nur die Geschichte von einer erfolgten Zahlung an Oberst Gusmao erzählen und auf die sofortige Rückkehr von Francesca drängen. Einem Anwalt traute ich in diesem Fall mehr schauspielerische Fähigkeiten zu, als einem mondänen Ehrenmann, der in der spanischen Tradition stand. Das war dazu gedacht, damit Benedetto di Gondoni annehmen mußte, daß sein treuer Oberst sich mit der Beute verdrückt hatte. Was es aber auch immer auslöste, er würde sich damit befassen müssen, wahrscheinlich sogar eine neue Forderung stellen und ganz bestimmt parallel jemanden hinter Gusmao hinterherschicken. Natürlich blieb die Stimmung nach dem Ende der Verhandlungen in der Hazienda gedrückt und keiner wußte so recht, was wir nun tun konnten. Es war möglich, bei einer neuangesetzten Geldübergabe die Spur des Kuriers aufzunehmen, oder einfach mit den wenigen Informationen auf gut Glück loszuziehen, wobei mir Doktor Martinez dazu niemals ernsthaft die Erlaubnis gegeben hätte. Der Dominostein, welcher das Problem löste und der gleichzeitig eine Lawine von Aktivitäten auslöste, wurde jedoch von ganz unerwarteter Seite angestoßen. Lilly kam zu mir und wollte unter vier Augen mit mir sprechen, dann, ganz ohne Einleitung, erklärte sie mir kurzerhand, daß sie ganz genau wüßte, wo Anne zu finden wäre. Nachdem ich meinen Mund wieder geschlossen hatte, hört ich von einer zweiten Karte, die Lillys Großvater nach dem Diebstahl des Kompaß angefertigt hatte, um seiner Enkelin doch noch ihren sehnlichsten Traum zu erfüllen. Diese war wohl etwas unpräzise, weil sie aus dem Gedächtnis des alten Mannes angefertigt wurde, aber immer noch genau genug, um in das Zielgebiet zu gelangen. Jetzt kam der Punkt, wo sie ein schlechtes Gewissen zeigte, aber irgendwie konnte ich ihre Handlungsweise nachvollziehen. Schließlich hatte sie anfangs genauso wenig Vertrauen zu uns, wie wir zu ihr, und da sie eine intelligente junge Frau war, wußte sie ganz genau, wie schwer es für sie alleine war, die Kisten zu bergen. Das beruhte natürlich auf ihrer Annahme, daß wir ebenfalls nur Schatzsucher waren, später hatten die Ereignisse dann eine Eigendynamik entwickelt und sie wußte wohl nicht mehr so recht, wie sich verhalten sollte. Jedenfalls behielt Lilly vorerst das Dokument als eine Art Versicherung, wenn wir doch versuchen sollten, sie irgendwie übers Ohr zu hauen. Nun hielt sie aber den Zeitpunkt für gekommen, mit der Wahrheit herauszurücken und so vielleicht dazu beizutragen, unsere Freunde zu retten, weil sie sonst an dem Gold sowieso keine Freude haben würde. Mich beeindruckte ihre Einstellung und war froh, daß der Egoismus, der jedem Menschen zu eigen war, bei ihr nicht den Charakter prägte und ließ mir von ihr die Karte geben. Dazu holte ich Carmen, die schließlich genauso ein Interesse wie ich an dem Schicksal von Anne hatte und wir stellten gemeinsam fest, daß einzig ein Anfangspunkt relativ genau beschrieben war. Danach mußte man vor Ort nach den beschriebenen Wegmarkierungen suchen und ihnen folgen, was uns für eine genauere Planung nicht weiterhalf. Also dauerte es nicht sehr lange, bis feststand, daß Carmen und Lilly zum 384
Oberlauf des Rio Guapore aufbrechen würden, um an dem besagten Punkt mit der Suche nach Anne zu beginnen und mir sofort alles mitzuteilen, was dort unten geschah. Viel zu gerne hätte ich mich angeschlossen, aber ein Blick zu meinem Arzt genügte, um mir das vorerst aus dem Kopf zu schlagen, und wer mich mit schmerzverzerrten Gesicht am Tisch stehen sah, würde dem sicher zustimmen. Auch Carmen redete mir das sofort aus und wenn die beiden eine Spur von Gondoni gefunden hatten, konnte ich direkt ohne langes Suchen in den Dschungel nachkommen, ohne mich jetzt dort herumzuquälen. Juan war jetzt ebenfalls nicht mehr zu halten, als er hörte, daß die beiden Frauen etwas unternahmen, denn die Entführung seiner Frau nahm ihn so sehr mit, daß er kurz davor stand, die Wände hochzugehen. Es war zeitweise kein vernünftiges Wort mit ihm zu reden und er war wild entschlossen, dem Beispiel von Lilly und Carmen zu folgen, auch wenn er ein anderes geographisches Ziel im Auge hatte. Juan war sicher sehr entschlossen und ich traute ihm eine Menge zu, weil auch er damals aus unserer Flucht in Kolumbien gelernt hatte, aber trotzdem besaß er ein großes Manko - seine mangelnde Erfahrung und das gefährliche südamerikanische Temperament. Schnell konnte er sich dadurch selber in Gefahr bringen und damit alles nur noch schlimmer machen. Wie bei einem schnaufenden Dampfroß brauchte ich mich seinem Entschluß nicht in den Weg zu stellen, das wäre nur eine sinnlose Zeitverschwendung, doch schaffte ich es vielleicht, einige Weichen zu stellen, um seiner Kraft etwas Richtung und Linie zu geben. So drängte ich darauf, ihn nicht alleine reisen zu lassen und bei Señor Avialo fand ich ein weit geöffnetes Ohr für meinen Vorschlag, der nun endlich die ersehnte Chance sah, sich selber ins Abenteuer zu stürzten. Zwar hatte Cristobal insgeheim darauf spekuliert, eher Lilly zu Diensten zu sein, aber Juan brauchte den Mann eben als Piloten und bevor er überhaupt nicht dabei war, flog er mit seinem Boß. Weniger euphorisch, dafür aber so ruhig, als würde er die Zeitung bringen, sagte Randall ebenfalls zu. Juans Eltern baten ihn inständig, auf ihren Jungen aufzupassen. Seine Qualitäten konnte ich schon erahnen und sicher war es kein Fehler, diesen besonnenen und erfahrenen Mann auf meinen Freund Juan ein wenig aufpassen zu lassen. So wollten die drei schnell nach Pauini, um dort nach dem Verbleib von Francesca zu fahnden, vielleicht gelang es ihnen sogar, die Spur weiterzuverfolgen, und man traf sich dann am Rio Guapore wieder, wenn alle Geiseln zusammenblieben, oder eben nicht – das würden die nächsten Tage erweisen. Ausgerechnet mir blieb nur übrig, im Bett zu liegen und abzuwarten, aber wem konnte es schon nützen, wenn sich im Dschungel meine Wunde entzünden würde, oder meine gebrochenen Rippen mir im entscheidenden Augenblick hinderlich waren und so mußte ich das tun, was ich am meisten haßte – warten. Doch so, wie ich es mir vorgestellt hatte, kam es nicht, denn schnell war die Polizei vor Ort. Die Schießerei und die toten Sicherheitsleute waren nicht zu verschweigen, so daß Juan und seine Eltern alle Hände mit den Behörden zu tun hatten und wir uns den 385
Vernehmungen über die Entführung stellen mußten, die bei der Bedeutung der Familie mit besonderer Sorgfalt durchgeführt wurden. Wir hatten uns vorher alle abgesprochen und blieben bei den offensichtlichen Fakten, der nächtliche Überfall und die Entführung von Francesca zusammen mit den anderen beiden, worauf auch schon das Lösegeld gezahlt wurde. Demnach erschöpften sich bald die Fragen der Polizei und es blieb ein unter Polizeischutz stehendes Haus zurück, das auf eine Reaktion der Entführer wartete. Lilly und Carmen konnten nach ihrer Aussage sofort abreisen, dabei spielten sie beinahe zu gut die von den Ereignissen mitgenommenen zarten Frauen, die schnellstens das Weite suchen wollten und niemand, der nicht die wahren Hintergrüne kannte, wäre wohl dahintergekommen, was ihre wahren Absichten waren. Nur Juan blieb traurig, denn er konnte sich vorerst nicht vor den Behörden wegstehlen und versuchte, sich mit sehr viel Arbeit von seinem Kummer abzulenken. Insgeheim fragte ich mich, ob die Rubios immer noch so glücklich waren, mich zu kennen, und mir verzeihen konnten, daß ich ihre ganze Welt aus den Angeln gehoben hatte, denn ich konnte es kaum selber. Sicher geschah das unabsichtlich, aber ich hatte sie mit hineingezogen und nun hatte es möglicherweise todernste Auswirkungen und das einzige, was ich überhaupt tun konnte, war zu versuchen, den Schaden zu begrenzen. Nur waren mir gerade dafür die Hände im Moment gebunden und ich fühlte mich beinahe wie ein Zuschauer, der alles im Fernseher mit ansehen mußte. Señor Avialo und Mister Randall standen trotzdem vor ihrer Abreise, weil die beiden eine Art Vorhut bildeten und Pauini etwas unter die Lupe nehmen wollten. Ich hielt das für eine gute Idee, nicht weil ich ein Ergebnis erhoffte, sondern vielmehr wegen der Tatsache, daß Juan dadurch das Gefühl bekam, es würde etwas passieren, was ihm hoffentlich den Druck nahm, der ihn beinahe innerlich zerriß. Innerhalb weniger Stunden dezimierte sich die Personenanzahl im Haus rapide und völlig unerwartet gehörte ich mit dazu, denn eine Nachricht, die ich über das Satellitentelefon von Doktor Breitenbach nach Berlin abgesetzt hatte, um über seine Gefangennahmen zu berichten, löste kurze Zeit später eine Reaktion aus. Ich wurde angewiesen, mich nach La Esmeralda im venezolanischen Süden inmitten der Ausläufer des Amazonasgebietes zu begeben und dort auf die Ankunft eines Kontaktmannes zu warten. Dazu war ich sowieso verurteilt, also sprach nichts dagegen, das in La Esmeralda zu tun und deshalb trafen Doktor Martinez und ich über Umwege, welche die Reiseroute verschleiern sollten, gestern hier ein. Doch schnell merkte ich, daß mir damit ein Wachhund gefolgt war, denn der Doktor hatte einen Hang zur Übervorsicht, genau wie jetzt, wo er mich an meiner Zimmertür erwischte, „Wo wollen Sie hin, Señor Kronau? Als Ihr Arzt muß ich darauf bestehen...“ „Doktor, bitte! Ich liege hier schon einen ganzen Tag herum und brauche etwas Bewegung für meine lädierten Knochen. Sicher würde mir ein kleiner Spaziergang nicht schaden und das Essen schmeckt auch schon wieder, außerdem beginnt diese Wunde wie verrückt zu jucken. Lassen Sie mich einfach etwas frische Luft schnappen“ 386
„Das ist viel zu früh für Sie. Aber bitte, es ist doch Ihre Entscheidung, ich bin ja nur der Arzt und verstehe nichts von solchen Sachen“ „Doktor Martinez! Das würde ich nie von Ihnen denken, Sie schafften es, mich zweimal zusammenzuflicken und das auch noch sehr gut. Jetzt haben Sie mir noch alle Spritzen verpaßt, die Ihr Koffer hergegeben hat, von Tetanus bis Hepathitis und die Malariaprophylaxe, auf die Sie so streng achten, ist ja auch jeden Tag dabei, was soll mir denn da noch passieren?“ „Bei Ihnen kann ich mir sicher sein, daß etwas passiert, aber tun Sie ruhig, was Sie nicht lassen können. Nur wenn Sie einen Schwächeanfall bekommen, dann geben Sie bitte nicht mir die Schuld, denn ich habe Sie ja gewarnt“, damit verließ er leicht echauffiert das Zimmer und ich folgte ihm sehr langsam. Vorsichtig ging ich über die nicht befestigten Straßen in Richtung einer bewaldeten Anhöhe, die es hier reichlich um die Stadt herum gab. La Esmeralda lag in dem breiten Tal, das der Rio Orinoco in die südlichen Ausläufer der Guiana Highlands geschnitten hatte, die er an ihrer westlichen Seite nach Norden hin in einen gewaltigen Bogen bis zur Mündung in die Karibik umschloß, wo der Fluß ein gewaltiges Delta bildete. Die Häuser standen im Schatten des Cerro Marahuaca, eines Gipfels, der aus den umliegenden Bergzügen im Nordosten herausragte, aber bei schlechtem Wetter wohl kaum zu erkennen war. Ich allerdings wollte nicht so hoch hinaus, denn mein Weg mit der leichten Steigung war beschwerlich genug, entlang der Piste, die zu den nächstgelegenen Dörfern führte. Irgendwie schien die Zeit hier in verschiedenen Epochen parallel zu laufen, denn neben Frauen, die ihre Wäsche zum Fluß trugen, waren Kinder auf Mountainbikes zu sehen und einige Jungs mit zerrissener Kleidung spielten auf einer holprigen Fläche mit einen Markenfußball, auf dem das Logo der letzten Weltmeisterschaft zu erkennen war. Die Vegetation wurde dichter, aber ich hatte einige Leute oben auf einer offenen Lichtung gesehen, auf die ich nun auch in Gedanken zusteuerte. Dabei ging ich in Ruhe, damit der Doktor nicht doch noch recht behalten sollte, doch tat mir das sehr gut und beinahe spürte ich, wie mir die Kraft aus dem satten Grün der Bäume um mich herum zufloß. Der Ausblick von oben war schöner als erwartet, wie eine große polierte Sichel aus brüniertem Stahl lag der Rio Orinoco eingerahmt in einen dunkelgrünen Streifen des dichten Regenwaldes. Direkt am Fluß war deutlich die zweieinhalb Kilometer lange Landebahn des Flugplatzes als Schneise zu erkennen, deren Beleuchtung in der Dämmerung sicher eine grandiose Wirkung haben würde. Mehr Dschungel konnte man sicher nicht auf einem Flecken haben und ich wunderte mich nun nicht mehr, daß die beiden angekündigten Männer aus Deutschland als Mitarbeiter eines botanischen Institutes herkommen würden, da eine Station in La Esmeralda war, die solche Forschungen betrieb und einige Projekte in der Umgebung betreute. Dabei war ich mir sicher, daß die beiden wohl kaum Bohnenkraut vom Kümmel unterscheiden konnten und nur die perfekte Tarnung benutzten, weil hier öfters europäische Wissenschaftler eintrafen. Einige Wolken zogen über den Himmel, doch noch brauchte ich vor der Regenzeit keine Angst zu haben. Ich suchte mir lieber eine Stelle zum Sitzen, die ich auf einem 387
liegenden Baumstamm auch fand. Die Stunde an der frischen Luft hatte mich wirklich etwas angestrengt und so nahm ich erstmal aus meinem Rucksack eine Thermosflasche mit dem gewöhnungsbedürftigen Gesundheitstee, der jedoch ganz erträglich war, wenn man richtig Durst hatte. So erholte ich mich wieder recht schnell und genoß währenddessen das beeindruckende Panorama, welches sich mir trotz des wechselhaften Wetters bot. Danach kehrte ich auf dem gleichen Weg zurück und machte dann bis in den Nachmittag hinein einen tiefen Erholungsschlaf. Gerade als ich wieder so richtig munter wurde, klopfte Doktor Martinez an meine Tür und ich ließ ihn eintreten, den kleinen Disput von vorhin hatte ich dabei schon längst wieder vergessen, aber er scheinbar noch nicht, „Señor Kronau,... verzeihen Sie mir bitte den Fauxpas von vorhin. Ich schieße manchmal über das Ziel hinaus und Sie sind schließlich alt genug, um in solch einer Ausnahmesituation zu wissen, was Sie zu tun und zu lassen haben“ „Das bin ich wohl tatsächlich, Doktor Martinez, aber machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Sie sind schließlich der Arzt und ich bin Ihr Patient, auch wenn das wirklich nicht die normalen Bedingungen sind, um gesund zu werden. Zugegeben, ich habe meinen Dickschädel und mußte so oft in den vergangenen Jahren meine Verletzungen selber behandeln, da bildet man sich eben ein, auch etwas davon zu verstehen. Aber auf alle Fälle ist es mir lieber, daß Ihnen etwas an meiner Gesundheit liegt und nur deshalb habe ich auch Vertrauen zu Ihnen“ Er wirkte etwas bedächtig und sehr nachdenklich im Gegensatz zum heutigen Vormittag, „Danke für Ihr Kompliment, Señor Kronau. Als sie unterwegs waren, habe ich etwas über diesen Vorfall nachgedacht und weiß nun, warum ich so gereizt war, denn das ist sonst sicher nicht meine Art. Wissen Sie, jahrelang hat man als Arzt alles unter Kontrolle, wenn man Anweisungen gibt und versucht, ein Gebrechen zu heilen. Dabei muß man sein wie das Auge in einem Tornado, alles um einen herum tobt, aber der ruhige Pol, an dem alles zusammenläuft, ist man selber. Leider habe ich das nur erreicht, weil ich eine gewisse Distanz aufgebaut hatte, denn sonst wäre ich sicher nach einigen Patienten, denen ich nicht helfen konnte, mit den Nerven am Ende gewesen. Im Laufe der Zeit hatte ich mich viel zu gut daran gewöhnt und deshalb merkte ich selbst kaum, wie perfekt diese Barriere funktionierte“ Er machte eine kurze Pause und holte zwei billige Gläser mit zwei winzigen Flaschen Rum aus der spärlichen Minibar, wovon ich nur etwas nippte und nun begriff, daß wir für einen Moment die Rollen getauscht hatten. So sprach er nach einem kräftigen Schluck nun etwas ruhiger weiter, „Vorgestern als mich diese Männer mit vorgehaltener Waffe aus dem Bett zerrten, da verschwand meine sichere Distanz und es war, als wenn jemand einen Vorhang zur Seite riß. Man hat viel Zeit, wenn man gefesselt auf dem Boden sitzen muß und jederzeit damit rechnet, erschossen zu werden. Es war dabei nicht die Situation an sich so bedrohlich, vielmehr das Gefühl der Ohnmacht und die aufkommende Hoffnungslosigkeit, wenn einem der geringste Strohhalm fehlte, an den man sich klammern konnte. 388
Trotz meines zugegeben etwas fortgeschrittenen Alters hatte ich zum ersten Mal richtig Angst in meinem Leben und das war kein Gefühl, das ich bisher vermißt habe, wie schaffen Sie das eigentlich, damit umzugehen?“ Da hatte mir Doktor Martinez wirklich eine schwierige Frage gestellt, „Glauben Sie nicht, lieber Doktor, daß ich noch nie in meinem Leben gegen die Angst verloren habe. Auch ich habe bei einigen Gelegenheiten den Schwanz eingekniffen und mich irgendwo verkrochen. Allerdings war das ein mieses Gefühl und wenn ich es mir aussuchen kann, ob ich mich so fühle, oder mich der Sache stelle, egal was daraus wird, dann wähle ich sicher das Letztere. Diese Lektion mußte ich selbst erst einmal im Laufe der Jahre lernen, weil es der schwierigere Weg ist, bei dem man Handeln muß und nicht versucht, allem Übel aus dem Wege zu gehen, was manchmal einfach nur bequemer wäre. Dazu gehört eine Portion Überwindung und die muß man eben im richtigen Augenblick haben, mein Vorteil ist nur, daß ich schon oft genug vor dieser Situation stand und eine gewisse Routine darin erworben habe, die es für mich einfacher macht, eine Entscheidung zu treffen“ „Das erscheint mir logisch, also nach Ihrer Theorie würde ich beim nächsten Überfall nicht mehr so ängstlich sein?“ „Nicht ganz, die Angst bleibt sicher immer gleich, denn sie hat ja auch eine positive Seite und warnt uns vor Gefahren, aber Sie kennen nun dieses Gefühl und haben aufgrund der Erfahrungen vom letzten Mal schon irgendeinen Weg parat, wie Sie damit umgehen können“ „Señor Kronau, was ist aber, wenn mir das nicht geholfen hat?“ „Ganz einfach, dann wissen Sie wenigstens, wie es nicht geht und können etwas anderes probieren“ „Es hört sich so einfach an, wenn Sie das sagen, aber man braucht eine Menge Kraft, um sich dadurch nicht entmutigen zu lassen und einfach aufzugeben. Sie scheinen ja niemals aufgeben zu wollen, Señor Kronau“ Nun mußte ich doch ein wenig Schmunzeln, „Auch das täuscht, lieber Doktor, aber im Moment bin ich bis unter die Haarspitzen motiviert und deshalb lasse ich mich durch nichts aufhalten“ „Ah! Natürlich die Liebe, Sie folgen Amor und stellen sich unter den Schutz seiner Flügel. Das gibt Ihnen natürlich die Kraft, das alles durchzustehen“ „Sehr romantisch gesagt, aber eigentlich schließt sich nun der Bogen unseres Gespräches wieder, denn ich habe Angst, diese Frau zu verlieren, und nun kann ich zusehen oder handeln. Wie ich mich entschieden habe, sehen Sie ja selber“ Wir beschlossen, unsere Unterhaltung bei einem leichten Abendessen weiterzuführen, was jedoch auf Initiative von Doktor Martinez im Zimmer eingenommen wurde, damit ich mich nicht überanstrengte. So nahm ich ihm etwas von seinen Ängsten und auch mir half es ein wenig, mit meinen etwas besser umzugehen, bis es langsam Zeit wurde, sich auf den Besuch aus Berlin vorzubereiten. Die beiden Männer waren auf dem Weg zu mir und würden jede Minute vor meiner Tür stehen, der Portier hatte sich mit seiner Vorwarnung damit das Trinkgeld redlich verdient und ich konnte so in aller Ruhe aus dem Bett aufstehen. Hinterher schloß ich 389
noch die Vorhänge vor den Gazefenstern, die leidlich als erste Front der Moskitoabwehr dienten, und dann klopfte es schon, „Ja bitte, es ist offen“ Die beiden Besucher betraten zügig den Raum, von denen überraschenderweise einer nicht unbekannt war, denn es handelte sich um Herrn Krause, dem ich in Berlin die Unterlagen von Walter Lüttjens übergeben hatte. Er hielt sich jedoch gleich nach einem kurzen Nicken im Hintergrund, denn der Wortführer war eindeutig der Mann, der ihn begleitete, und dieser begann sofort in einem eher nüchternen Ton das Gespräch zu eröffnen, „Herr Kronau?“ „Das ist richtig, bitte setzten Sie sich“ „Danke sehr Herr Kronau, ich denke, die Höflichkeit gebietet es zuerst, daß ich mich vorstelle, mein Name ist Adrian Hofmeyer und wie Sie sicher schon aus Berlin gehört haben, bin ich der zuständige Referent für besondere Aufgaben im Innenministerium, Abteilung IS 2. Meinen Begleiter müßten Sie nach Aktenlage schon kennen und ich möchte gleich darauf hinweisen, daß dies hier kein Freundschaftsbesuch ist“ Hofmeyer hatte mir gegenüber auf einem Sessel Platz genommen, während Herr Krause nun an dem Tisch saß, wo noch einige Zettel für Notizen wirr herumlagen. „Angenehm Herr Hofmeyer, ich mag es auch nicht, wenn man um den heißen Brei herumredet und glauben Sie mir, ich suche mir meine Freunde gründlich aus. Was ist denn so wichtig, daß Sie extra aus Deutschland angereist sind?“ Er stutzte etwas, ließ sich aber von seiner Linie nicht abbringen, „Nun Herr Kronau, glauben Sie nicht, das Treffen mit Ihnen hier wäre der einzige Grund für meine Reise. Ich habe noch Wichtigeres in der Region zu erledigen und nutze diesen Zwischenstopp nur deshalb, um aus erster Hand einen Bericht zu bekommen und das Chaos zu beseitigen, für das Sie verantwortlich sind“ „Chaos? Das einzige Chaos, was ich verursache, ist meistens in meiner Wohnung und ich glaube nicht, daß Sie sich zum Zimmermädchen eignen. Wir sollten lieber über die entführten Leute sprechen, davon sind zwei Deutsche, darunter der Mitarbeiter einer Behörde, für die ihr Ministerium zuständig ist. Ich glaube, das ist im Moment wichtiger“ Scheinbar machte es ihn etwas sauer, daß ich mich nicht einschüchtern ließ und so verfinsterte sich seine überlegene Miene, „Was wichtiger ist, das entscheide ich. Sie sollten nicht vergessen, auf welch dünnem Eis Sie mit Ihren Handlungen stehen und nur, weil das sich teilweise mit unseren Interessen deckte, brauchen Sie nicht zu denken, daß wir Ihnen alles durchgehen lassen. Beginnen Sie lieber mit Ihrem Bericht, beginnend mit den Ereignissen auf Barbados, und ich hoffe dann für Sie und auch im Interesse von Doktor Breitenbach, daß ich dort keine dienstlichen Verfehlungen entdecken kann“ Fast eine Stunde langweilte ich diesen arroganten Schnösel mit sehr groben Ausführungen der Ereignisse in Bridgetown und hielt den Namen des Doktors so weit wie möglich dabei heraus. Zudem hielt ich es erstmal für unklug, etwas von meinen Freunden zu erzählen, da er mir nicht den Eindruck machte, sehr kooperativ zu sein, und außerdem warnte mich eine innere Stimme vor diesem Mann. Deshalb beschwerte ich mich lieber ausgiebig über das Verhalten des CIA und hoffte, wenigstens so eine 390
plausible Erklärung dafür zu erhalten, doch darin täuschte ich mich. Die Laune des Mannes, der in seinem Anzug eher wie ein Geschäftsmann als wie ein Botaniker aussah, wurde immer schlechter, was er kaum verbergen konnte, und so sicher nicht die erste Wahl für einen Politiker war. Außerdem erschien er mir für seinen Posten noch zu jung, entweder hatte er viel Zeit, sich zu pflegen, oder der Mann war wirklich erst Ende zwanzig, dann allerdings hatte er es schon weit gebracht. Seine gelegentlichen Einwürfe zeigten mir, daß er zwar mit der Materie vertraut war, jedoch alles aus der nüchternen Perspektive eines Schreibtisches sah und keineswegs dabei die praktische Komponente beachtete, „Sie haben Oberst Gusmao in Ihren Händen gehabt und ihn einfach so laufen lassen?“ „Selbstverständlich, ich habe Ihnen doch eingehend die Gründe genannt, oder wollen Sie das nicht verstehen. Die Informationen habe ich nur bekommen, weil wir ein Geschäft gemacht haben, so etwas nennt man auch Kompromiß und Sie als Politiker sollten das doch kennen“ „Kommen Sie mir nicht so, Herr Kronau! Davon haben Sie doch keine Ahnung, denn dieser Gusmao stand auf einer Liste der meistgesuchten Terroristen und es wäre viel ergiebiger gewesen, ihn von den entsprechenden Leuten verhören zu lassen“ Unwillkürlich mußte ich mit dem Kopf schütteln, „Gusmao ist nicht mein Problem und wenn es eines für Sie sein sollte, dann fahren Sie los und holen ihn sich selber“ Hofmeyer lehnte sich zurück, „Mit Ihren Spitzfindigkeiten kommen Sie hier nicht weiter und nicht Sie werden mir sagen, wie ich mich verhalten soll, sondern ich werde ihnen nun sagen, was sie zu tun haben. Ab jetzt halten Sie sich aus allem heraus und ziehen den Kopf ein, bis alles vorbei ist, denn es sind in diesem Augenblick Spezialisten an der Sache dran, denen Sie noch nicht einmal das Wasser reichen können. Ich will Ihnen das nur sagen, damit Sie nicht wieder auf dumme Gedanken kommen und diesen Leuten die Tour versauen, dann ist nämlich das Geschäft, was wir mit Ihnen gemacht haben, geplatzt und wir treffen uns in einem Justizgebäude wieder. Ich denke, das war verständlich genug, um zu wissen, was ich meine“ Natürlich war ich stocksauer über seine Art und nur mühsam konnte ich eine gewisse Gelassenheit dagegensetzen, die aus der Überzeugung stammte, daß er wohl der einzige Mensch war, der sich wirklich ernst nahm, „Ist es, Herr Referent und wenn Sie mir sagen, wann ich die drei Geiseln wieder munter und quicklebendig vor mir sehe, dann bin ich zufrieden und werde auch keinen Ärger mehr machen“ „Sie haben mit diesen Vorgängen nichts mehr zu schaffen, begnügen Sie sich damit, die Ergebnisse zu sehen und warten Sie ab, so wie wir alle das machen müssen. Aber vorher möchte ich noch die Ausrüstung von Ihnen zurückbekommen, die wir Ihnen ausgehändigt haben, auch das sollte Ihren Aktivitäten einen Riegel vorschieben“ „Welche Ausrüstung?“, ich stellte mich erstmal dumm, eigentlich eine Sprache, die der Mann mir gegenüber glänzend verstehen mußte, aber dieses Vorurteil traf nun auch wieder nicht ganz zu, denn er hielt mir die Quittung von ‚“Paul“ unter die Nase. „Ist das Ihre Unterschrift?“, jetzt sah ich ihn wohl zu ersten Mal wirklich lächeln. Ein leichtes Nicken bestätigte das, eigentlich hätte ich mir denken könne, daß ein Beamter nicht ohne seine Unterlagen aus dem Haus geht. 391
„Selbstverständlich haben Sie das quittiert. Die Ausrüstung, die Sie bekommen haben, ist Staatseigentum, alles vom Steuerzahler bezahlt und nicht für Leute bestimmt, die denken, einen kleinen Privatkrieg anfangen zu können“ „Wenn Sie mir richtig zugehört hätten, Herr Referent, dann würden Sie sicher noch wissen, daß ein Teil der Sachen auf Los Hermanos in die Luft geflogen ist und den Rest hat Doktor Breitenbach zur eigenen Verwendung in Verwahrung genommen. Vielleicht ist es auf dem Weg nach Uruguay, oder Brasilien, aber das Beste ist, wenn Sie ihn selber fragen, sobald Ihre sogenannten ‚Profis’ ihn befreit haben“ „Hören Sie auf, polemisch zu werden. Sie haben sich das ganz schön raffiniert ausgedacht, Herr Kronau. Aber spielen Sie lieber keine Spiele mit mir, denn selbst Ihnen, mit ihrer lockeren Art, sollte doch klar sein, daß ich am längeren Hebel sitze“ „Ach, meinen Sie? Vielleicht sollten Sie sich nicht so überschätzen in dieser Angelegenheit, schließlich habe ich unserer Regierung geholfen und bin schon längst rehabilitiert worden. Außerdem sollte Ihnen bei Ihrer Intelligenz klar sein, daß ich irgendwo Aufzeichnungen deponiert habe, falls mich die Lemuren, Fortunati oder von mir aus auch Sie kaltstellen wollen. Demnach ist mein Hebel auch nicht so kurz und vielleicht sogar viel länger, als sie denken. Also sparen wir uns die Höflichkeiten und kommen endlich mal zum Thema, was ist in diesen gottverdammten alten Kisten drin, daß sich jedermann auf einmal dafür interessiert?“ Ein eisiges Schweigen verbreitete sich in der schwülen Luft des Zimmers - überlegte er, oder wollte er pokern? Sein Gesicht schien regungslos zu sein und die Augen kniff er leicht zusammen, als ob jemand darin die Antwort lesen konnte. Ich schätzte, nun hatte ich ihn wirklich aus dem Konzept gebracht. Härte beantwortete ich gerne mit demselben Mittel und das kam für ihn offenbar unerwartet, aber für mich stand nach dieser Unterhaltung fest, daß ich mit einer Unterstützung von dieser Seite kaum rechnen konnte. Die hätte ich allerdings gerne gehabt, denn seine Worte haben mir nichts gesagt, was mich die Pantoffeln anziehen und beruhigt warten ließ, bis Anne wieder gesund in meinen Armen lag. „Wir haben hier nichts mehr zu bereden, Herr Kronau. Sie haben alles von mir gehört, was Sie wissen müssen, also halten Sie sich fern und wir erledigen den Rest. Ich kann Ihnen nur zwei Sachen versichern, erstens werden sich nun Leute mit Erfahrung der Sache annehmen und zweitens, wenn irgendwo die Ausrüstung auftauchen sollte und es stellt sich heraus, daß sie damit zu tun haben, dann mache ich Sie persönlich fertig“ „Danke, ich habe schon verstanden, was Sie mir sagen wollten“ Er schlug sich unnötigerweise seinen leichten Trenchcoat um die Schulter und beide Männer wollten gerade wortlos mein Zimmer verlassen, als mir doch noch etwas einfiel, „Herr Hofmeyer!“ „Ja, Herr Kronau?“ „Ich kann Ihnen auch zwei Sachen versichern. Zuerst einmal, wenn sich herausstellt, daß Sie hier gerade nur Schaum geschlagen haben, dann werde ich es sein, der Sie fertigmacht, und abschließend,... wünsche ich Ihnen hier noch einen angenehmen Aufenthalt“ 392
Damit irritierte ich ihn vollends und ohne darauf zu reagieren, verschwand Hofmeyer mir seinem Begleiter durch die Tür. Einige Minuten brauchte ich natürlich, um dieses Gespräch zu analysieren und zu versuchen, mir einen Reim darauf zu machen, doch wenn ich die harschen Worte beiseite ließ, blieb nicht viel übrig, womit ich etwas anfangen konnte. Irgendwie schien sich die ganze Situation zu verschärfen, die Amerikaner mischten nun mit und der deutsche Referent war betont aggressiv, also grübelte ich, was man aus seinem Verhalten schließen konnte und nahm mit diesen Gedanken im Kopf nochmal meine Notizzettel vom Tisch zur Hand. Vielleicht hatte ich ja etwas übersehen und das hatte ich auch, weil es nämlich vorher noch nicht dort gestanden hatte – „Mitternacht, Cantina Esmeralda“ Die Straßen waren verlassen und das schummrige Licht einiger Laternen erhellte nur spärlich den Weg, der zum Zentrum führte. Ab und zu bellte ein Hund, oder der Schatten einer Katze huschte über die Mauern, aufgeschreckt durch die Lichter des Wagens, während der laue Nachtwind die Schwüle des Tages aus der Stadt wehte. Im Hotel hatte man mir vorhin ein Taxi bestellt und bevor ich losfuhr versäumte ich es nicht, Doktor Martinez darüber zu informieren, der sich sonst sicher Sorgen machen würde, die ich dem alten Mann nicht zumuten mochte. Wer die Nachricht geschrieben hatte, lag auf der Hand, doch der Zweck ließ mich vorerst nur rätseln und damit hatte ich bisher schon die ganze Fahrt verbracht. Wenn ich auch selten ins Schwarze traf, so kam ich doch oft dicht heran, in die Grauzone zwischen Wahrheit und Spekulation, durch die mich die folgenden Ereignisse weniger überraschten. Kurzzeitig dachte ich sogar an eine Falle, geschuldet meinem in letzter Zeit sehr ausgeprägten notorischen Mißtrauen, doch ich hielt das eher für unwahrscheinlich. Trotzdem ging ich natürlich auf Nummer Sicher und steckte mir eine Pistole in die Jackentasche, unter der schon ein Messer im Gürtel meiner Hose steckte. Es wurde langsam belebter auf den Straßen und obwohl La Esmeralda mitten im tiefsten Dschungel lag, hatte ich es hier mit einer recht großen Stadt zu tun, die diesen Namen langsam zu verdienen begann. Die Stille wurde durch rhythmische Musik durchbrochen, die aus den vielen Bars in der Straße durch die offenen Fenster dröhnte und auch aus der Cantina Esmeralda empfing mich eine ansteckende Mischung aus Salsa und Samba. Mühsam ergatterte ich einen Platz an der Bar und es wunderte mich nicht, daß man mich mehr oder weniger auffällig von den vollbesetzten Tischen der Einheimischen musterte. Aber das störte mich nicht weiter, ich bestellte ein Bier und sah der angeheizten Stimmung auf der Tanzfläche zu, wo die Pärchen aufregend ihre Hüften schwangen und größtenteils extrem dicht ihre Körper aneinanderschmiegten. Dieses Bild fesselte mich mehr, als ich dachte, denn obwohl mein Blick immer wieder zur Tür wanderte, hörte ich ganz unvorbereitet einen mir altvertrauten Dialekt, „Ey Mann,... da stecken Sie. Ick habe Sie schon überall jesucht“
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Als ich mich umdrehte, mußte ich mir das Grinsen ganz schön verkneifen, denn Krause zappelte sichtlich nervös hinter meinem Hocker herum und sah sich ängstlich nach allen Seiten in der Bar um. „Buenas Noches, Señor Krause! Was...“ „Nicht hier, Herr Kronau, det sind zuviel Leute in der Location, lassen sie uns lieber raus jehen, wo det ruhiger ist“ Ich zögerte einen Moment und merkte nun, daß er sich wirklich nicht sehr wohl in seiner Haut fühlte, „Erwarten wir denn noch Besuch?“ „Wa? Achso Sie meinen... Nee, keene Angst, det ist det letzte, worauf ick scharf bin. Nur wenn mich hier jemand mit Ihnen sieht, dann werde ick nicht mal mehr Pächter vom Hundeklo, die machen mich alle und ick kann sehen, wo ick bleibe, verstehen Sie?“ „Ich glaube schon, also gehen wir vor die Tür und reden“, ich folgte ihm und hinter dem Lokal in einer kleinen Seitengasse schien er endlich die Ruhe zu haben, um mit dem Reden zu beginnen. „Vorab erst mal, Herr Kronau, nennen Sie mich bloß nich Herr Krause, denn jedesmal denke ick, hinter mir steht ein alter Greis mit meinem Namen. Ick bin Björn, OK?“ „Alles klar, Björn, und du kannst mich ruhig Gabriel nennen, also was war das vorhin für eine Aktion mit diesem Lackaffen?“ „Ick kann den Lutscher och nicht leiden, der gelt sich doch nur die Haare nach hinten, damit det nicht so kitzelt, wenn er einem in den Arsch kriecht“ „Nette Beschreibung von dem Typen, er scheint ja einen tollen Ruf in der Firma zu haben“ „Det Stimmt, den haben sie von janz oben jeschickt, denn sein Daddy ist och in der Politik und der ebnet dem Söhnchen wohl reichlich den Weg, damit der Kleene och ja nich uff´s Maul fällt. Aber die Bulettenfresse ist nicht blöde, der kommt schon mit dem Arsch an die Wand und hat sich wohl beinahe nach dem Job jerissen, sicher, weil er denkt, det hilft für die Karriere. Da hat er sich aber selber ein Ei ins Nest jelegt, denn so einfach scheint det jetzt, wo die Amerikaner mitmischen, och nich mehr zu sein und da kriegt er natürlich von allen Seiten Druck, aber ick denke, det braucht er. Angefangen hat det alles, als der letzte Bericht von meinem Chef angekommen ist und Hofmeyer in Pulach ein Date mit den janzen Bonzen und einem Typen vom CIA hatte, der die Geschichte von deiner Entführung auf Barbados wohl richtigstellen wollte. Da scheinen dann die Amerikaner die Katze aus dem Sack jelassen zu haben. Also, wat ick dir jetzt sage, ist absolut geheim, wenn die rausbekommen, det ick jequatscht habe, dann ist Sense, dann kann ick mich einsargen lassen, verstehst du?“ „Klar, ich schweige wie ein Grab, aber so neugierig ich auch bin, wenn du dafür einen mächtigen Ärger bekommen kannst, solltest du dir das nochmal überlegen“ Björn schaute sich sicherheitshalber noch einmal um, „Det habe ick schon überlegt und wenn ick dir alles erzählt habe, dann weiß du och, das ick recht damit habe. Dann spitz mal die Ohren, als nämlich unser sauberer Referent wieder nach Berlin jekommen ist, habe ick ‚zufällig’ mitbekommen, was wirklich in den Kisten ist, und das ist eine echt krasse Geschichte. Also,...“ 394
Er hatte recht, denn was er mir erzählte war wirklich so kraß, daß es mich beinahe aus den Socken haute und gerade, weil es so unfaßbar war, hegte ich keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit, denn alles begann nun langsam wirklich einen Sinn zu ergeben. Schon lange wüßte der CIA über den brisanten Inhalt der Kisten Bescheid, denn bei Kriegsende sind den Amerikanern während der Besetzung von Thüringen einige wertvolle Dokumente in die Hände gefallen, die eigentlich von den Deutschen noch vernichtet werden sollten. Diese Unterlagen stammten aus einer kleinen Forschungseinrichtung in der Gegend, die neben einer alten Pechblendengrube ein Laboratorium unterhielt, das dem Nuklearprojekt um Heisenberg zuarbeitete, der mit der Entwicklung eines Kernreaktors beschäftigt war. Dort machte man spezielle medizinische Untersuchungen über einige Krankheiten, die beim Uranbergbau auftraten, darunter das Schneeberger Syndrom, einer ungeklärten Häufung von Lungenkrebsfällen. Das war während des Krieges die Hauptaufgabe der deutschen Wissenschaftler, bis etwas Unvorhersehbares geschah. Denn während einiger Testreihen entdeckte man eine unbekannte Bakterienart, die Radioaktivität zum Überleben brauchte und selbst die harte Gammastrahlung zu absorbieren schien, ohne daß der Zellkern im geringsten zerstört wurde. Nach der Weitergabe dieser Entdeckung beschloß die Naziführung, die Bakterien zur möglichen Verwendung zu erforschen, doch dazu kam es durch die Befreiung durch die Alliierten nicht mehr und die einzige vorhandene Probe sollte nach Südamerika gebracht werden, um dort im geheimen dieses Projekt weiterzuführen. So kam ein verlöteter Bleibehälter und zwei als Ärzte getarnte Wissenschaftler an Bord von U-113, die auf der letzten Reise dafür sorgten, daß niemand ihrer Kiste zu nahe kam. „Eine unglaubliche Geschichte! Allerdings verstehe ich nicht, warum niemand schon vor Jahren auf die Idee gekommen ist, aus dem alten Bergwerk eine neue Probe der Bakterien zu holen“ Der kleine Berliner zuckte nur mit den Schultern, „Det ist richtig, aber so schlau waren die Brüder vom CIA och schon, als sie damals die gefundenen Dokumente jelesen haben. Ick habe mir aus dem Computer den Bericht von dem Treffen mit Hofmeyer jeholt und da stand drin, daß schon kurz nach dem Krieg die Amerikaner in dem Stollen waren und det trotz des eisernen Vorhangs, ohne daß die Sowjets was spitzgekriegt haben. Sogar in Südamerika waren sie jewesen, um die Spur von dem Zeug zu finden, aber det ist nichts bei rausgekommen. Die janzen Fachleute von der amerikanischen Regierung vermuten, daß es sich um eine Mutation der Bakterien handelt, die damals ebenfalls im Labor waren. Det läßt sich zwar mit den heutigen Mitteln feststellen, aber solange niemand das Zeug in den Händen hat, wird det nichts“ „Vielleicht wäre es auch besser, wenn das nicht geschehen würde, jedenfalls sollte man nicht wegen ein paar Bakterien so viele Menschen töten“ „Det habe ick mir och gedacht, als mir der janze Umfang der Geschichte langsam klar jeworden ist, aber dann habe ich in dem Bericht eine Studie des CIA über das mögliche Potential gefunden und da dämmerte es mir langsam. Gabriel, denk mal an den größten Nachteil, wenn du gerade etwas mit einer Atombombe eingeäschert hast?“ 395
„Du meinst wohl kaum das nie mehr zu beruhigende Gewissen und die Schuldgefühle, sicher willst du auf das verstrahlte Gebiet heraus und... Aha! ich glaube ich verstehe jetzt“ „Ja genau, Strahlungsabsorption! Aber es gibt noch eine weitaus perversere Verwendung dafür – bakteriologische Kriegführung. Man braucht nur die Bakterien von damals mit den genetischen Möglichkeiten von heute zu kombinieren und schon hat man einen Alptraum geschaffen“ „Verdammt! Das ist ein beschissenes Szenario, das unbedingt verhindert werden muß und ich hoffe nur, daß Hofmeyer das gemeint hatte, als er sagte, daß sich nun Spezialisten darum kümmern würden“ „Darauf kannst du Gift nehmen, deshalb müssen wir uns vom BND auch raushalten, weil die CIA die Kontrolle über diese Aktion übernommen hat. Allerdings sehen die jetzt ihre Chance, an die Lemuren heranzukommen, und ich fürchte, diese Gelegenheit und der Besitz der Bakterien ist das einzige, was diese Brüder interessiert“ Ich stutzte, „Wie meinst du das, wollen die sich nicht um die Gefangenen kümmern?“ „Det hast du jetzt völlig richtig erkannt, die werden nich nach den Entführten suchen, sondern sich uff die anderen Sachen konzentrieren. Natürlich glaube ick nicht, daß der CIA wegsieht, wenn die drei Leute ihnen über den Weg rennen, aber wann passiert schon solch ein Zufall und det ist auch der Grund, warum ick dich unbedingt treffen wollte, weil det nicht meine Art ist, meinen Chef einfach so in der Scheiße sitzen zu lassen. Doktor Breitenbach war immer gut zu mir und ick habe ihm och meinen Job zu verdanken, als er mich von der Uni jeholt hat, also schulde ick ihm was. Du scheinst doch der einzige zu sein, der sich um die Entführten Sorgen macht, und ick wollte unbedingt, daß du det weißt, weil ick selber keine Ahnung habe, wat ick machen soll. Schließlich sitze ick normalerweise in einem Büro und arbeite nur mit meinem Computer für den BND, daß mich der Doktor für diese Außenaktion auf Fortunatis Yacht holte, hat mich selber überrascht“ Jetzt horchte ich richtig auf, „Fortunatis Yacht? Dann warst du also die geheime Quelle, von der mir der Doktor immer erzählt hatte“ „Geheime Quelle ist gut, man könnte sagen, ick sprudelte bis Barbados wie Mineralwasser und du wirst es mir nicht glauben, wieviel Schiß ick gehabt habe. Det habe ick nur der Tatsache zu verdanken, daß meine Großeltern jedes Jahr mit mir zum Campen nach Italien gefahren sind und ick die Sprache beherrsche. Der Doktor bekam nämlich noch bei Fortunati in Florenz mit, daß auf dem Kahn was vorgeht und hatte das richtige Feeling, mich dort unter die Besatzung zu schmuggeln“ „Na, dann war es wohl ein glücklicher Zufall, daß auch jemand auf der Yacht gebraucht wurde“, ich lächelte, weil ich mir schon dachte, wie die Antwort ausfallen würde. „Zufall würde ick det nicht nennen, was dem Bordmechaniker passiert ist, aber war ja nich so schlimm. Schlimmer war eher, daß ick dann feststellte, daß dieser miese Italiener eine Bleikammer in den Rumpf einbauen ließ. Bevor ick det mit den Bakterien hörte, dachte ick an Plutoniumschmuggel, aber nun könnte sogar beides in einem Zusammenhang stehen. 396
Mit der Yacht war det wahrscheinlich der unauffälligste Weg über den Atlantik nach Südamerika, wo wir mittlerweile ja die Lemuren vermuten können“ Seine Theorie hatte was für sich, „Jedenfalls würde es ins Bild passen, wenn Paulo Fortunati mit radioaktivem Material Lupus belieferte, um damit die Forschungen mit den Bakterien in Gang zu bringen. Eines mußt du mir aber verraten, Björn. Wie bist du eigentlich an die ganzen Informationen herangekommen?“ Selbst im Halbdunkel der Gasse konnte ich erkennen, wie er grinste, „Na, auf dem Kahn habe ick nur meinen Job gemacht, aber man konnte einiges herausbekommen, wenn man mit den anderen viel redete. Mit den Unterlagen aus Berlin war det nicht ganz so einfach, aber hier half mir, daß man den Maulwurf aus dem Ministerium endlich gefunden hatte, und nun alle Paßwörter änderte, damit die alten Codes wertlos wurden. Da ick normalerweise in der Softwarentwicklung arbeitete, war det kein Problem für mich, in das System zu kommen und mir anzusehen, wat der CIA an Material rübergeschickt hatte. Denn nachdem die Amerikaner zugeben mußten, daß sie alleine scharf auf die Bakterienprobe waren, haben sie mit den verbündeten Ländern einen Deal gemacht und teilen nun ihr Wissen, damit wir wenigstens die Füße stillhalten“ „Ich verstehe, deshalb will auch dieser Referent Hofmeyer, daß ich mich raushalte und bloß nichts unternehme. Diese Ratte scheint es noch nicht einmal zu interessieren, was mit dem Doc geschieht, von den beiden Frauen ganz zu schweigen“ „Genau det kotzt mich auch an, Gabriel. Wat wirst du nun unternehmen?“ „Gute Frage. Die Dinge sind schon in Bewegung, aber solange ich nicht weiß, wo sich die Geiseln befinden, kann ich nicht viel machen. Trotzdem werde ich mich sicher bald nach Brasilien begeben, auch wenn ich auf blauen Dunst kaum eine Erfolgsaussicht habe, doch vielleicht haben die Amerikaner mehr Glück dabei“, dabei klang meine Stimme jedoch nicht sehr zuversichtlich. „Ick würde dir ja gerne helfen, aber det fällt sicher uff, wenn ick hier einfach verschwinde“ „Ganz bestimmt, außerdem sitzt du doch an der Quelle und da wäre es blöd, einfach diesen Vorteil aufzugeben. Ich habe noch das Satelitentelefon vom Doktor und darüber sollten wir in Verbindung bleiben, falls es wichtige Neuigkeiten gibt“ „Det Teil ist Schrott, kannst du uff den Müll werfen, denn der Hofmeyer hat vor unserem Abflug den Zugang sperren lassen und selbst ick kann da nich mehr tricksen“ „Verdammt! Aber kann man wohl nichts machen, ich versuche, mich irgendwie zu melden, aber im Moment weiß ich auch nicht, was wir da machen können, denn das normale Telefon erscheint mir zu unsicher“ „Würde auch nichts bringen, da ick ja im Schlepptau von Hofmeyer auf dem Weg nach Langley bin. Da verhandelt er nochmal mit dem CIA und ick habe die Ehre, nun in seinem Stab zu sitzen, weil ick so ziemlich der einzige bin, der über die wahren Hintergründe dieser Sache vertraut ist“ „Da hast du ja sowas wie Karriere gemacht, Björn“ „Danke! Ick würde aber gerne drauf verzichten, wenn dafür mein Chef wieder auftaucht. So nun muß ick aber los, sonst wird die Bulettenfresse noch mißtrauisch“ Wir wendeten uns zum Gehen und ich war froh, daß mir dieses Treffen endlich die Wahrheit beschert hatte, die ich einzig der mutigen Entscheidung eines jungen Mannes 397
zu verdanken hatte, der einfach nur nach seinem eigenen Gewissen handelte. Ich kann nicht gerade behaupten, daß mich diese Wahrheit nun ruhiger machte, ganz im Gegenteil, denn da ich nun den Preis kannte, wußte ich auch, wie verbissen jede Seite um den Besitz dieser Bakterien kämpfen würde. Mehr und mehr ähnelte diese Situation zwei Mühlsteinen, in deren Mitte ich saß, und die natürliche Reaktion wäre nunmal die Flucht davor gewesen. Doch ich wußte, daß ich nicht alleine dort war, wenigstens noch drei weitere Leben saßen da in der Mitte und ich konnte doch nicht daneben stehen und zusehen, wie sie zerquetscht wurden. Gerade wollten wir die dunkle Gasse verlassen, da tauchten vor uns im schummrigen Licht zwei Gestalten auf, was so schnell geschah, daß ich überrascht stehenblieb und meinen Begleiter sogar am Arm festhalten mußte, damit er den beiden nicht direkt in die Arme lief. Da sie nicht die geringste Anstalt machten, uns vorbeizulassen, war ich sofort auf das Schlimmste gefaßt und das sollte sich leider sogleich bestätigen, denn augenblicklich sahen wir uns zwei blitzenden Messern gegenüber. Eine vom Alkohol getrübte Stimme wies uns an, das Bargeld herauszurücken und keine Dummheiten zu machen, was ich beinahe erleichtert aufnahm, und es belustigte mich sogar in gewisser Weise, daß ich nun bei all den tödlichen Bedrohungen um mich herum ausgerechnet in einen Überfall von zwei Strauchdieben geraten mußte. „Vamos Gringos, das Geld her – schnell“, aus dem Dunkel kam nochmals nachdrücklich eine Aufforderung. Björn stand neben mir, als ob er einen Stock verschluckt hätte, und nicht die geringste Bewegung ging von seiner hageren Gestalt aus. Ich hingegen war bemüht, diese unangenehme Belästigung so schnell es ging zu beenden, natürlich auf meine ganz persönliche Art, „Einen Moment Señores, ich gebe ihnen jetzt meine Brieftasche“ Dabei griff ich unter die Jacke, wo aber anstatt eines Portmonnaies meine Pistole zum Vorschein kam und ich diese mit einem breiten Grinsen den Gaunern zeigte, „Adios, Señores“ Trotz unterschiedlicher Fallhöhe schlugen beide Messer fast gleichzeitig auf dem Boden auf und nach einem kurzen Wink mit der Waffe waren die Männer genauso schnell wieder verschwunden, wie sie erschienen waren. Jetzt kam auch wieder etwas Leben in meinen Nebenmann, der mühsam etwas von einem Überfall stammelte, und ich hielt es für besser, ihn erstmal in eine Bar mitzunehmen, wo er auf den Schreck einen großen Drink nehmen konnte. Jedoch erschien mir die Cantina Esmeralda nicht der geeignete Ort dafür zu sein, da ich annahm, daß diese Gauner erst dort auf uns aufmerksam geworden sind und so gingen wir über die Straße etwas abseits in ein Lokal, dessen Fassade einen gehobenen Service versprach. Der Name „Frenchy´s“ assoziierte dazu auch noch europäische Lebensart, die ich zwar nicht erwartete, mich aber dennoch neugierig genug machte, um es einmal auszuprobieren. Das „Frenchy´s“ stellte sich als billiges Bordell heraus, dessen Angestellte in den seltensten Fällen wohl französisch sprachen, aber dafür sofort, als wir den Plüschvorhang beiseite schoben, ein Geschäft rochen. Sicher hatte zu den Zeiten, als die Einrichtung noch modern war, ein Franzose dieses Etablissement besessen, wie 398
einige Schwarzweißfotos an den alten Holzwänden vermuten ließen, doch im Laufe der letzten hundert Jahre hatte der einstige Charme einiges verloren. Die Polster waren staubig geworden und das Messing glänzte nicht mehr, aber wenigstens hatte das Personal gewechselt, was dem eigentlichen Geschäft nur zuträglich sein konnte. Drei Ladys näherten sich uns unaufhaltsam mit eindeutigen Absichten und ich hatte schon Angst, daß sie meinem jungen Begleiter den zweiten Schock des heutigen Abends verpassen würden. So wollte ich eigentlich schon wieder gehen, als ich plötzlich den Entschluß fassen mußte, doch noch hier zu bleiben, um an der Bar viel zu teure Getränke zu bestellen. Das kam jedoch nicht aus einer Laune heraus, sondern ein markantes Kleidungsstück, das über einem roten, mehrmals ausgebesserten Sessel lag, war schuld daran – ein heller Trenchcoat, den ich heute schon einmal gesehen hatte. Nach zwei Tequila und einem netten Trinkgeld hatte ich die Bestätigung meiner Vermutung von dem viel zu alten Barkeeper bekommen, der möglicherweise schon bei der Geschäftseröffnung die Gläser poliert hatte. Denn nach der Beschreibung des Mannes handelte es sich eindeutig um Referent Hofmeyer, der sich gerade mit zwei Frauen in der oberen Etage vergnügte. Ich reagierte sofort, denn etwas Munition gegen diesen hochgradig „begabten“ Beamten konnte nur von Nutzen sein und würde uns notfalls sicher den Rücken freihalten können, auch wenn solche Methoden nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Allerdings hatte er sich heute kaum als Friedensengel gezeigt und so hielten sich meine Gewissensbisse in Grenzen, doch wo sollte ich schnell eine Fotokamera herbekommen, die uns das Material liefern konnte. Auch Björn wußte keinen Rat, als sich grinsend der Mann von der Bar in das Gespräch einmischte, der einige Brocken deutsch verstanden hatte und unter den Tresen griff, von wo er eine moderne japanische Kamera nahm und sie mit eingelegtem Film vor uns aufstellte. Dann erzählte er uns, daß gegen eine Ausleihgebühr von fünfzig Dollar unser Notfall beseitigt werden könnte und gab uns die Visitenkarte eines Fotogeschäftes noch mit dazu, um die Filme diskret entwickeln zu lassen. Alt war der Kerl ganz bestimmt, aber er wußte sehr genau wie man Geld machen konnte. Jetzt kam der delikate Teil unseres Vorhabens und mir schien nichts weiter übrig zu bleiben, als in das Zimmer zu stürzen und den so überraschten Referenten in einer eindeutigen Pose aufzunehmen. Alternativ gab es sicher die Möglichkeit, einer der Zimmerdamen das Gerät anzuvertrauen und ich favorisierte dies schon, als uns Gustavo, so hieß der alte Barkeeper mit dem verschlagenen Blick, mit dem Zeigefinger in ein Nebenzimmer brachte. Dort zeigte er uns ein verstecktes Loch in der Wand und bot uns nach einer nochmaligen Zahlung von einhundert Dollar dessen Benutzung an, worauf ich zähneknirschend auch einging. Verdächtigerweise hatte diese Öffnung genau die Größe des Objektivs und ich brauchte nicht viel Phantasie, um mir auszumalen, daß es genau für den gleichen Zweck benutzt wurde, wie wir es gerade taten. Aber dieser heiligte ja bekanntlich in gewissen Fällen immer die Mittel und nachdem ich das letzte Bild mit der Kamera gemacht hatte, wußte ich auch beim Betrachten des Treibens nebenan, warum der Laden „Frenchy´s“ hieß. 399
Kaum eine halbe Stunde hatten wir dort verbracht und ich gab Björn den Film mit, um ihn in Deutschland entwickeln zu lassen und dann sicher zu verwahren, da ich hier sowieso nichts damit anfangen konnte. Dann trennten sich unsere Wege vorerst und ich fuhr mit einem Taxi zurück in mein Hotel. Noch konnte ich mich entscheiden, wie es weitergehen sollte, doch konnte ich das wirklich? Wenn das Bestreben aller beteiligten Behörden, Regierungen, oder auch Geheimdiensten darauf gerichtet gewesen wäre, das Leben der Geisel zu retten, wäre ich sicher ins Wanken gekommen. Aber so blieb mir kaum eine andere Wahl, als selbst im Rahmen meiner Möglichkeiten weiterzusuchen. Natürlich sah ich die Gefahr, die von diesen Bakterien ausgehen konnte, und in gewisser Weise verstand ich auch das Verhalten von Referent Hofmeyer, jedoch machte es das nur noch notwendiger, mich um meine eigenen Interessen zu kümmern. Zudem war der Ball schon im rollen, Juan war sicher nicht zu beruhigen und auch Carmen würde kaum die kommenden Ereignisse einfach abwarten. So konnte ich eigentlich nur hoffen, daß der CIA schnell handeln würde, oder daß eine gute Nachricht aus Brasilien eintraf, die mir selbst die Gelegenheit gab, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Der Abschied von Doktor Martinez fiel mir jetzt, wo es notwendig wurde, richtig schwer, aber wir beide wußten, daß es in Anbetracht der kommenden Strapazen das Beste für ihn war. Er würde sicher die vor mir liegende Reise nicht durchhalten können, auch wenn er ernsthaft das Gegenteil beteuerte, doch meine Erfahrung überzeugte ihn letztendlich, von seinem Vorhaben abzulassen. Das, was er für mich getan hatte, war mehr als genug und auch, daß er mich bis hier in den Dschungel begleitet hatte, ging weit über die normale ärztliche Fürsorge hinaus. Unsere Trennung wurde notwendig, als sich zwei Tage nach der Abreise von Referent Hofmeyer und Björn Krause eine Nachricht in meiner Internetmailbox befand. Sie war von Lilly und Carmen, die eine Spur von Gondoni gefunden hatten, dessen Boote sich noch auf dem Rio Guapore stromaufwärts nach Südosten bewegten, wo die beiden mit „Betsy“ offenbar den Fluß abgesucht hatten. Das war zwar überraschend, jedoch nicht verwunderlich, da Lillys Plan ihnen das Suchgebiet vorgab. Mir blieben nun drei Tage, um mich mit den beiden Frauen in Brasilien zu treffen, denn wenn Carmens Berechnungen stimmten, wäre die letze Wegemarkierung am Fluß eine alte portugiesische Festung am Ufer, die Ruinen des Forts Principe de Baira. Dort würden sie mich erwarten, oder aber bei meinem Ausbleiben selber die Initiative ergreifen. Das glich beinahe einem Ultimatum, doch angesichts der Lage schien mir das verständlich, schließlich waren sie die einzige Hilfe vor Ort und Carmens Sorge um Anne sollte man dabei nicht unterschätzen. So flog ich mit Doktor Martinez gemeinsam zurück nach Caracas, wo er den Rubios sofort nach Europa folgte, während ich mit Juan sprach und wir uns austauschten. Bei ihm war das eingetreten, was ich erwartet hatte, denn die Entführer hatten sich telefonisch gemeldet und forderten erneut das Lösegeld. Leider hatten sie noch keine 400
genauen Anweisungen dazu gegeben und Juan saß deshalb immer noch fest, weil die Polizei keinen Millimeter von seiner Seite wich und er genervt auf einen neuen Anruf wartete. Was ich meinem Freund von meinen Neuigkeiten erzählte, war sehr milde formuliert, um ihm nicht jede Hoffnung zu nehmen, da ich ihm nichts verschweigen wollte. Ich merkte, wie sehr er darauf angewiesen war, und redete so von den guten Chancen, die Francesca durch das Eingreifen der Geheimdienste haben würde, auch wenn ich insgeheim anders darüber dachte. Mitten in unserer Unterhaltung klingelte das Telefon und bescherte uns eine Neuigkeit, denn Randall meldete sich aus Pauini und erzählte von einem Mann, der etwas über den Verbleib der Entführten wußte. Demnach war eine Frau mit mehreren Begleitern sofort weggefahren worden, während man einen alten Mann mit einer weiteren Frau erst einen Tag später aus der Stadt brachte. Das war die Bestätigung für den ungünstigsten Fall, denn Anne war sicher auf den Booten, die Carmen und Lilly im Auge hatten, während Juans Frau mit dem Doktor irgendwo versteckt wurde. Randall versprach, sofort mit dem Piloten weiterzusuchen und mir blieb nichts weiter übrig, als zur Vorsicht zu mahnen. Irgendwie hatte ich schon die ganze Zeit ein ungutes Gefühl, wenn ich an die zwei Männer in Pauini dachte, und hoffte, sie würden in blindem Eifer nicht zuviel Staub aufwirbeln. Sie waren bemüht, aber es fehlte ihnen an der nötigen Erfahrung und deshalb versuchte ich, sie aus einer möglichen Gefahr zu holen, indem ich um ihre Hilfe bat, wenn sie bis morgen keine weiteren Hinweise gefunden hatten. Dann war es nämlich unwahrscheinlich, überhaupt noch etwas zu erfahren und ihre Fragerei würde sicher mit der Zeit einige Aufmerksamkeit verursachen, die sie in Bedrängnis bringen konnte. So veranlaßte ich sie, in drei Tagen ebenfalls zur Festung zu kommen, was ihnen sicher leichter fallen würde, schließlich hatten die beiden nur sechshundert Kilometer vor sich und keine zweitausend, so wie sie mir bevorstanden. Juan wäre es lieber gewesen, wenn Randall und Cristobal Avialo vor Ort geblieben wären, aber auch er mußte einsehen, daß es kein Gewinn wäre, wenn auch die beiden von den Lemuren geschnappt würden. Außerdem gab es natürlich die Möglichkeit, bei der Übergabe des Lösegeldes die Spur zu Francesca und damit auch zum Doktor durch die Polizei aufzunehmen. Auch wenn ich dabei gerne Juan zur Seite gestanden hätte, gab es für mich in Wahrheit keine Wah,l wo ich gebraucht wurde, denn seine Freundschaft war mir zwar wichtig, aber die Liebe zu Anne konnte sie nicht im geringsten erreichen und so überlegte ich nicht einmal, ob ich dort bleiben würde. Der logische Weg nach Principe de Baira würde mich direkt über Manaus und Porto Velho führen, immer dem Lauf des Rio Guapore folgend, doch das erschien mir zu gefährlich. Gondoni wußte wahrscheinlich jetzt bereits, daß sein Plan mit Francescas Entführung und meiner Ermordung nicht so ablief, wie erwartet. Und das würde ihn bestimmt veranlassen, seine Spitzel nach mir suchen zu lassen. Sicher konnte er sich denken, daß ich in Brasilien nach Anne suchen würde und ließ wahrscheinlich die Wege zum Rio Guapore überwachen. Also zog ich den Schluß daraus, die „Hintertür“ zu benutzen und diese stand in Bolivien, was niemanden verwundern würde, der wußte, 401
daß der Rio Guapore das brasilianische und bolivianische Ufer voneinander trennte. So fand ich es wesentlich einleuchtender, von dieser Seite zu kommen, anstatt mich über das überwachte Flußsystem dem Treffpunkt zu nähern. Während meines Fluges von Caracas nach La Paz hatte ich genug Zeit, die günstigste und für meinen Rücken bequemste Route herauszusuchen, so daß ich nach der Landung nur kurz auf dem Aeropuerto blieb, um nach Trinidad, einer Stadt an den Ufern des Rio Marmore, weiterzufliegen. Dabei erinnerte ich mich beim Abflug an meine Zeit in Peru, denn die Stadt lag mitten in den Bergen der Cordilliera Oriental, das noch zu dem Gebirgsmassiv der Anden gehörte. Die Nacht kam schnell und im letzen Licht erkannte ich noch, wie die Landschaft langsam wechselte – von den felsigen Gebirgszügen in ein bewachsenes Hochland, das von zahlreichen Wasserläufen durchzogen war. Nur eine gute Stunde dauerte der Flug und ich bedauerte es, von diesem Land mit seiner rauhen Schönheit so wenig mitzubekommen. Aber das sollte sich ändern, denn obwohl mich nur noch fünfhundert Kilometer von meinem Ziel trennten, hatte ich das schwerste Stück der Strecke noch vor mir, als ich den alten klapprigen Bus bestieg und hinten am Gang noch einen Sitzplatz ergattern konnte. Um mich herum war die gesamte Palette an Völkergruppen vertreten, die man hier erwarten konnte. Indios, die teilweise in bunten Trachten oder in abgerissener westlicher Kleidung mitfuhren und überall Bündel neben sich verstaut hatten. Dabei saßen sie schweigend und mit ungerührter Miene oder in einigen Dialekten sprechend in den Gängen, um sich die neuesten Geschichten zu erzählen und dabei gelegentlich in ein Lachen zu verfallen, das für meine Ohren zunächst sehr gewöhnungsbedürftig war. Die Dunkelheit verschluckte die Welt da draußen, die nur von den kleinen Lichtkegeln des Busses erhellt wurde, und ich versuchte mühsam, die Stelle dort zu finden, wo der Himmel aufhörte und das Land begann. Städte und Dörfer lagen auf dem Weg und ihre Namen zogen an mir vorbei, damit ich sie auf einer Liste in meinem Kopf durchstreichen konnte. Von San Javier ging es nach Porto Leigue und Carneval, dann kam San Ramón, wo sich der Weg teilte und wir nordöstlich auf dem schlechter werdenden Weg weiterfuhren. Kleine Bäche, die von wackligen Brücken überbaut waren, kamen oft vor, dazu war die Straße mehr eine Piste, die sich an den natürlichen Gegebenheiten der Landschaft orientierte, was manchmal einem Zickzackkurs glich. Dann kamen wieder einige Passagen, bei denen der Fahrer das Lenkrad festbinden konnte, weil es wie an der Schnur gezogen geradeaus bis zum Horizont ging. Nach Baurecito kam die Kreuzung von San Joaquín und dann ging es über Montevideo an Pampitas vorbei, wo ich mich mit einigen Maisfladen und etwas zum Trinken versorgte. Der neue Tag hatte schon seine Mitte überschritten, ich war froh, daß sich diese lange Fahrt langsam dem Ende zuneigte, als wir endlich Winsor erreichten, dem letzten Haltepunkt mitten im Nichts. Jetzt waren es noch knapp fünfzig Kilometer bis zur Festung und es gab nur einen Weg, diese zurückzulegen, nämlich den kleinen Nebenfluß des Rio San Miguel, an dem die Ansiedlung lag. 402
Hier war schon Amazonien, der südlichste Ausläufer des riesigen Flußgebietes, wo sich das Wasser in einem breiten Streifen seine Vorherrschaft von den umgebenen Hügeln abgetrotzt hatte. Im Westen das ansteigende Plateau zur Cordilliera Oriental, im Osten die Sierra dos Pacaas Novos, einem Ausläufer des gewaltigen Planalto do Mato Grosso, welches das gesamte Zentralgebiet Brasiliens bis zur Küste beherrschte. Dichte Vegetation überall, auf den Hügeln viele Gummibäume und einige Palisander, dazu am Ufer Mangroven und Schlingpflanzen mit vereinzelten Jupatipalmen, die alle einen dichten grünen Vorhang bildeten. Nach den ersten Schritten auf dem kleinen Dorfplatz hatte ich mich auch schon an das unaufhörliche Krächzen der Papageien gewöhnt, die kaum übertönt wurden, denn Autos fuhren hier nur sehr selten. Eher mischte sich mal ein Esel mit in das Konzert, oder der Warnruf eines Brüllaffen hallte durch die dichten Baumkronen am Rand der Siedlung. Das alles nahm mich sofort gefangen, ich war in einer anderen Welt, hier rührten die Gefahren nicht nur von Strauchdieben, windigen Barbesitzern oder eiskalten Terroristen her, hier war das Reich des Pumas, des Jaguars, oder der Boa Constrictor – hier war ich mitten im Kreislauf der Natur und dabei ihren Gesetzen unterworfen. Nach einer kleinen Stärkung in einer Cantina, die eher einem heruntergekommenen Stehimbiß an der Autobahn glich, aber dafür ein überraschend gutes Essen anbot, machte ich mich zum Wasser über die festgestampfte Straße auf. Ein Fremder, dazu noch ein weißer Mann, wird hier doppelt begutachtet und einige vorwitzige Indiokinder machten sich einen Spaß mit mir, indem sie an meinen Hosenbeinen zogen und dann schnell das Weite suchten, um gleich wieder einen neuen Versuch zu starten. Weitaus unangenehmer empfand ich ihre Bettelei und ließ mich nicht darauf ein, keineswegs, weil ich ihnen ein paar Münzen nicht gönnte, sondern weil ich den Kindern nicht die Erfahrung vermitteln wollte, daß man jedem Besucher so einfach das Geld aus der Tasche ziehen konnte. Welche Auswirkungen das hatte, sah man an einigen Touristenorten, wo sich diese Praxis eingebürgert hatte und manchmal sogar eine Plage wurde, die einige Touristen, denen es sicher an Selbstbewußtsein oder auch an Respekt fehlte, ausnutzten, um wenigstens einmal das Gefühl der Überlegenheit zu spüren. Dafür ließ ich mich von den Kindern zu einem alten Fischer bringen und suchte mir mit ihrer Hilfe weitere Ausrüstungsstücke zusammen, denn außer meinem Messer, den Karten und dem codierten Funkgerät aus dem Bestand des Doktors hatte ich nichts weiter in meinem Rucksack. So kamen die Kinder doch noch zu ihrem Geld und diesmal hatten sie es sich redlich verdient. Ich gab es ihnen gerne und mit einem gutem Gewissen. Dem Indio konnte ich schnell sein recht betagtes Kanu abkaufen, er brauchte es nicht mehr und war froh, solch eine Gelegenheit zu bekommen. Dann belud ich es mit einem Korb voll Früchten und einigen Flaschen Wasser und machte mich auf, um mit dem Strom flußabwärts zu treiben. Die Strömung kam mir sehr entgegen, denn jede übertriebene Steuerbewegung nahm mir mein Rücken übel und so versuchte ich, es so ruhig wie möglich angehen zu lassen. Die Konstruktion meines schmalen Gefährtes war anfangs von mir mit Skepsis betrachtet worden, doch wie so oft hatte die jahrhundertealte Erfahrung der ansässigen 403
Bevölkerung die beste Lösung hervorgebracht. Ich saß hinten und es war normal, daß sich der Bug nach oben neigte, doch zuerst hatte ich die Verpflegung viel zu weit nach vorne gestellt, um den Schwerpunkt etwas auszugleichen, aber es zeigte sich, daß mit dem höher gestellten Vorderteil besser zu manövrieren war. Nach einer Stunde hatte ich mich an das Boot gewöhnt und nach einer weiteren machte ich schon keine Bewegung mehr zuviel. Die ganze Zeit auf dem Wasser fuhr die Unbehaglichkeit mit, daß ein ungebetener Gast in Form einer Boa Constrictor sich von den überhängenden Bäumen auf mich herablassen könnte, denn für solche Gefahren hatte ich noch nicht das „Auge“ entwickelt und hielt mich deshalb vom Ufer so fern wie möglich. Bis zum Nachmittag hatte ich fast die ganze Strecke hinter mich gebracht, bei der das hochstehende Wasser eine willkommene Hilfe war, aber jetzt mußte ich aufpassen, als sich dieser Strom mit dem Rio San Miguel verband. Denn nun konnte aus meiner gemütlichen Flußfahrt schnell eine Raftingtour werden, die in Anbetracht der hier lebenden Piranhas und Zitterale ein unerfreuliches Ende nehmen konnte. Tatsächlich wurde es vor mir unruhig und noch bevor ich es sah, hörte ich schon ein tiefes dunkles Rauschen, dessen Herkunft mir klar wurde, als sich auf der rechten Seite die grüne Wand lichtete. Dort war der Rio San Miguel, der mit höherer Geschwindigkeit noch eine ganze Strecke parallel lief, um dann in der Mündung das Wasser, auf dem ich mich befand, mitzureißen. Es galt, einen klaren Kopf zu bewahren und meine Rettung bestand nun darin, nicht langsamer zu werden, sondern das Kanu schneller anzutreiben. Ich ruderte um mein Leben, um in der Mitte noch einmal genügend Schwung zu bekommen, so hatte mein Boot fast die Geschwindigkeit wie der Rio San Miguel und mir blieb nur übrig, im richtigen Moment den „Hintern“ in die neue Richtung zu bekommen, damit sich das Boot nicht querstellte. Geschafft! Befriedigt stellte ich fest, daß die erste Hürde von mir genommen wurde, was mich nun optimistischer an den noch kommenden großen Zusammenfluß mit dem Rio Guapore herangehen ließ, doch wie so oft im Leben waren die kleinen Dinge viel schlimmer als die großen Sachen. Beinahe unmerklich vereinigten sich die Wasserläufe und ich war davon angenehm überrascht, daß es so unproblematisch geschehen war, so daß ich mich nun ganz auf das vor mir liegende alte Gemäuer konzentrieren konnte. Vom Wasser aus waren schon von weitem die rotbraunen Mauern der Festungsanlage zu sehen, weil um die Anlage ein freier Grasstreifen angelegt war, so daß der Blick darauf nicht versperrt wurde. Am Ufer befand sich gleich davor eine freie Stelle mit rötlichem Sand, die offenbar zum Anlegen benutzt wurde und mit Schwung ließ ich dort mein Kanu hinaufgleiten, das sich sogleich etwas zur Seite neigte und in dieser Position verharrte. Nach dem Erklimmen der Uferböschung entdeckte ich einen Trampelpfad, der zu den Mauern führte und im Hintergrund waren einige Hütten zu sehen, die wohl zu einem kleinen Dorf gehörten, das versuchte, mit den hier ankommenden Touristen ein Geschäft zu machen. Die kleinen Häuschen standen in einer Reihe wie an einer Schnur aufgefädelt und wirkten etwas verloren vor dem Wald, der gleich hinter ihnen begann und um mich herum eine gleichförmig grüne Kulisse bildete. 404
Auf dem Weg dorthin hielt ich schon nach den Frauen Ausschau, aber weder vor den Mauern, noch an den Häusern waren sie zu entdecken und ich stand einige Sekunden unschlüssig vor dem großen Tor der Festung, durch das ich dann hindurchtrat, um auch hier einmal nachzusehen. Die Form des Bauwerkes schien in das achtzehnte Jahrhundert zu weisen, denn es sah wie ein Kleeblatt mit spitz zulaufenden Blättern aus, die an jeder Seite die einzelnen Bastionen bildeten. Sonst wirkte der Bau eher schlicht, hatte aber mit seinen zehn Meter hohen Mauern nicht an seiner Abschreckung verloren und ich konnte mir gut vorstellen, wie früher dieser mit Kanonen gespickte Posten den ganzen Fluß kontrollierte. Keine Menschenseele war hier im Hof zu entdecken und etwas unheimlich war es schon, so alleine und nur umgeben von meterdicken Mauern, die mitten im Urwald standen. Auf einer steinernen Treppe gelangte ich zu einer der beiden Bastionen, die nach Westen zeigten und dem Ufer des Rio Guapore am nächsten war, von hier aus hatte ich einen grandiosen Blick über den Fluß mit dem angrenzenden Gewirr der Baumkronen. Von dort oben konnte ich endlich einige Leute bei ihren Hütten erkennen, die gelangweilt herumsaßen oder sehr gemächlich ihre Alltagsarbeiten verrichteten. Offensichtlich hatte man mich noch nicht bemerkt und so schaute ich beeindruckt über das Panorama mit der bevorstehenden Abenddämmerung und machte mich dann zum Dorf auf. Dort war die Überraschung der Leute nur von kurzer Dauer und schnell kamen Händler, die jedoch unsicher immer hinter mich schauten und offensichtlich eine größere Gruppe von Touristen erwarteten. Allerdings passierte nichts dergleichen und halb enttäuscht, halb fragend versuchten nun alle bei mir ihr Glück, bis ihnen klar wurde, daß mit mir keine Geschäfte zu machen waren. Mich zog es nun dorthin, wo ich am besten einige Fragen loswerden konnte und auf der anderen, spanischsprechenden Flußseite Boliviens hätte man sicher das Lokal als eine Cantina bezeichnen können, hier jedoch stand „Rodizios“ auf dem Holzschild und man sprach das portugiesische Brasilianisch. Anfangs war es für mich sehr schwierig zu verstehen und ich mußte aufpassen, daß ich nicht ins Spanische verfiel, einen Fehler, der mir in Portugal einmal böse Blicke eingebracht hatte. Aber die Leute waren nett und schnell hatte ich mitbekommen, daß man hier gegen einen festen Preis soviel essen konnte, wie man wollte und so schaute ich mich um, was die Kunst der Köchin alles zauberte. Allerdings schien es, daß man nicht mit Gästen gerechnet hatte und eine Art Eintopf oder frischer Fisch waren die einzigen verfügbaren Speisen. Ich war nach der anstrengenden Fahrt im Kanu nicht wählerisch und neugierig favorisierte ich den Fisch, der auf einem großen Holztablett lag und den ich zunächst für einen Thunfisch hielt, doch ich mußte mich eines besseren belehren lassen, denn es war ein Pirarucu von wenigstens anderthalb Meter Länge. Mir genügte ein kleines Stück davon, das kurze Zeit später vor meinen Augen auf den Grill kam und in der Zwischenzeit entdeckte ich etwas, das mich hier im Dschungel sehr überraschte. Eine funktionierende Kühltruhe, die von einem Aggregat hinter dem Haus gespeist wurde 405
und deren Inhalt mich sofort verführte. Denn wer kennt das nicht, wenn draußen fast dreißig Grad und drückende Schwüle herrschen und man wird von einem unstillbaren Durst gequält - was kann da gelegener kommen als eine eiskalte, mit einer dünnen Schicht Reif bedeckte Bierflasche. Ob es nun stimmte oder nur pure Einbildung war, jedenfalls war dieses „AntarcticaBier“ das beste, was ich in der letzten Zeit getrunken hatte, nur leider passierte genau das, was ich danach erwartete, ich begann sofort alles wieder auszuschwitzen und da half nur eine zweite Flasche, um diesen Verlust zu kompensieren. Während ich dieses nun langsamer genoß, fragte ich dezent die Besitzerin des Lokals, eine nette Frau namens Paulina, deren gekräuselte Haare sich schon langsam in ein Grau färbten, nach den Besuchern der letzten Tage und tatsächlich gab sie mir eine Auskunft, die für mich interessant war. Gestern waren drei große Boote mit lauter „Touristen“ hier vorbeigekommen, was ihr deshalb so genau im Gedächtnis blieb, weil alle Besucher eigentlich nur bis hierher kamen, da die Festung die einzige Sehenswürdigkeit in der Gegend war, doch diese Leute fuhren stromaufwärts weiter. Ich kramte in meinem Beutel und wollte die Landkarten herausholen, um mir das einmal auf der Karte anzuschauen, als mir dabei das Funkgerät in die Hand fiel und ich auf eine Idee kam. Waren die beiden Frauen hier in der Reichweite meines Gerätes, konnten sie mich vielleicht hören und das mußte ich unbedingt gleich ausprobieren. Tatsächlich, trotz einiger Störungen und dem Dröhnen eines Motors im Hintergrund, konnte ich Lilly verstehen, „HEUTE?...sind...auf dem Weg...zehn Minuten landen wir..., Over“ „Verstanden! Fisch oder Eintopf?“ „Was,... Boß? Ich habe Fisch und Eintopf verstanden?“ „Habe ich auch gesagt, ich bestelle hier schon mal das Essen“ „Äh...Moment... zweimal Fisch“ „Danke die Damen, bis gleich, Over“ „Wer ist denn auf diese Idee gekommen?“ Ich blickte in die Gesichter der beiden Frauen, die nun mit mir an einem der vielen freien Holztische saßen. „Schuldig im Sinne der Anklage, Señor Kronau“, Carmen hob kurz die Hand und sezierte dann weiter ihren Fisch. Ich schaute mich noch einmal zu dem freien Platz vor der Festung um, der nun mit einigen neugierigen Leuten gefüllt war, welche unsere „Betsy“ bestaunten, die nun etwas anders aussah, als ich sie in Erinnerung hatte, denn schön gleichmäßig stand jetzt mit weißen Buchstaben UNESCO an jeder Seite. „Schließlich mußten wir uns doch etwas einfallen lassen. Das sieht offiziell aus und bei den vielen Regenwaldprojekten hat sicher auch der letzte Indio schon mal was von den internationalen Organisationen mitbekommen. Ich denke, das hat uns schon einige lästige Fragen erspart, warum ausgerechnet zwei Frauen die Gegend so intensiv beobachten“, Carmen sah das offensichtlich nur als Mittel zum Zweck, während Lilly sich das schelmische Grinsen die ganze Zeit nicht verkneifen konnte. „Raffiniert ausgedacht, das muß ich schon zugeben. Was habt ihr denn nun herausbekommen?“ 406
Lilly war schneller mit der Antwort, weil Carmen gerade mit ihrem Essen zu tun hatte, „Also Boß, da war eine Menge Glück im Spiel, wir gondelten hier schon einige Stunden herum und brauchten natürlich irgendwann Treibstoff für meine Betsy. Nach den Karten war ein kleiner Flugplatz nicht weit von der nächsten Ortschaft in Costa Marques und da sind wir dann hin, um aufzutanken. Wenn man fast dort ist, sieht man, daß genau wie hier aus den Bergen ein Wasserlauf namens Rio Cautario kommt, der dort in den Rio Guapore fließt und beim Anflug entdeckten wir beide am Zusammenfluß einen großen Stein, der ganz besonders geformt war...“, sie holte aus ihrer Umhängetasche die Kopie der Wegbeschreibung heraus und sprach schnell weiter, „...Hier hat mein Großvater geschrieben, daß man am Haus der Eroberer vorbeifahren sollte und dann an der Schildkröte der aufgehenden Sonne entgegengehen muß“ Dieser Stein sah wie eine riesige Schildkröte aus und als man uns dann von der Festung hier erzählte, da paßte alles auf einmal. Also ich halte das für keinen Zufall, Boß“ Auch Carmen nickte, „Natürlich war ich etwas vorsichtiger als Lilly, denn mit solch einem Zufallstreffer hatte ich nicht gerechnet, aber das ließ sich überprüfen. Wir wollten den Hinweisen des alten Kapitäns einfach entgegengesetzt zum Anfangspunkt folgen und haben vermutet, daß irgendwo dazwischen dieser Benedetto di Gondoni mit Anne stecken mußte. Deshalb unsere Tarnung, falls es ein unvorhergesehenes Zusammentreffen geben würde. Und die Vorsicht war berechtigt, denn nach einigen Stunden sahen wir...“ „... drei Boote, die wie an einer Perlenschnur aufgefädelt waren, stimmt’s?“ „Genau, Señor Kronau?! Manchmal sind Sie mir richtig unheimlich, woher wissen Sie denn das nun wieder?“ „Das kann ich doch nicht erzählen, sonst verliere ich noch diesen unheimlichen Ruf“ Selbstverständlich erzählte ich den beiden doch von Paulinas Beobachtung und ich sah mir nochmal die Karte mit der Wegbeschreibung an, die durchaus die Vermutung der Frauen stützte. Wenn Costa Marques tatsächlich der Endpunkt auf dem Rio Guapore war, ging es ab hier nur auf dem Landweg weiter und es war die Frage, wie Gondoni von dort weiterziehen würde, doch Carmen hatte schon eine Antwort darauf, „Wir haben seit gestern auf das Erscheinen der Boote in Costa Marques gewartet und heute Mittag sind sie dann wirklich eingetroffen. Kurze Zeit darauf landete auf dem Flugplatz ein Transporthubschrauber und bunkerte Treibstoff in großen Mengen, der in mitgebrachte Fässer eingefüllt wurde“ Ich horchte auf, „Treibstoff? Das kann kein Zufall sein, sicher gehörte die Maschine zu den Lemuren“ „Nein, es war auch kein Zufall, denn einer der Männer von den Booten kam zum Flugplatz und hat mit dem Piloten geredet“ „Das bestätigt ihre Vermutung. Hmmm... Die haben also Treibstoff gebunkert, was denken Sie, Carmen?“ „Ich nehme an, das Gleiche wie Sie, Señor Kronau. Irgendwo auf einer Lichtung oder auf einem trockenen Flußstreifen stehen Hubschrauber bereit, die möglichst verborgen operieren sollen“ 407
„Ja, genau das hatte ich auch im Sinn, sicher braucht Gondoni sie zur Deckung und für den Abtransport der Kisten, denn ich nehme nicht an, daß er das Gold liegen lassen wird. Für die Suche sind die Maschinen denkbar ungeeignet, da den Hinweisen nur am Boden nachzugehen ist, deshalb werden sie sicher im Moment nur zur Versorgung dienen“ „So denkt der Mistkerl sicher auch, denn seine Leute haben begonnen, soviele Pferde zu besorgen, wie der Ort hergibt, aber da ist nicht viel Auswahl, denn das weiß ich, weil es schwierig war, für uns zwei gute Tiere zu bekommen“, dabei grinste Carmen mich an. „Mein Kompliment für diese weise Voraussicht, allerdings – hättet ihr euch nicht einen Jeep besorgen können?“ „Sicher, das wäre auch einfacher gewesen, aber damit kommt man nicht weit, denn die Straßen führen am Guapore entlang und nicht in Richtung der Berge. Außerdem ist der Cautario eine Art Reservat, ein riesiges Naturschutzgebiet durch das es keine Straßen oder Pisten gibt, nur einige Pfade und an die müssen wir uns halten, genauso wie Gondoni, wenn er ins Hinterland will“ „So!? Tja, dann eben auf die altmodische Tour. Wo ist jetzt überhaupt Gondonis Karawane?“ „Sie sind vor zwei Stunden losgezogen, wir sollten überlegen, ob wir sie mit „Betsy“ überholen, oder ihnen mit unseren Pferden folgen, Señor Kronau“ „Vielleicht sollte wir beides machen, aber solange sich hier eventuell einige bewaffnete Hubschrauber in der Gegend aufhalten, möchte ich nicht, daß unsere Maschine zur Tontaube wird. Wir holen erstmal die Pferde und sehen dann weiter, wo sind denn die Tiere?“ „Naja,... der Mann, der diesen Flugplatz leitet, fand uns beide sehr sympathisch...“ hierbei richtete sie demonstrativ ihre Haare, „...und da durften wir die Tiere bei seinem Haus in einem Stall unterstellen. Ich weiß auch nicht, warum er das so schnell gemacht hat, Señor Kronau“ Beim letzten Teil merkte ich schon, wie gerade spaßhaft versucht wurde, mir die Unschuld vom Lande zu verkaufen. „Aha, weibliche Raffinesse führt dort zum Ziel, wo männliche Argumente nicht mehr ziehen, ich bin beeindruckt und wenn es uns hilft, dann soll es mir recht sein“ Lilly freute sich, als sie mein Kompliment hörte, und nutzte die Pause, um sich auch wieder am Gespräch zu beteiligen, „Du bist aber auch nicht ohne, Boß. Schließlich haben wir dich erst morgen hier erwartet, weil dann das planmäßige Versorgungsboot aus Porto Velho kommt. Wie bist du denn so schnell hergekommen?“ In komprimierter Form erzählte ich, wie meine Reiseroute verlief, und daß morgen Mister Randall und Señor Avialo hier eintreffen sollten, was ein nicht zu übersehendes Rot auf die Wangen von Lilly zauberte und mich dazu zwang, das ungerührt zu übersehen und dann das Thema zu wechseln. „Habt Ihr hier noch andere Leute gesehen, die irgendwie nicht so richtig ins Bild passen?“ 408
„Nein, außer den Booten der Terroristen ist uns nichts weiter aufgefallen, Boß. Meinst du jemand bestimmten, vielleicht Fortunati?“ „Nein, den meine ich eigentlich nicht, denn der dürfte entweder schon in Handschellen sein, oder etliche Geheimagenten benutzen ihn, damit er sie zu Lupus führt. Ich dachte da eher an die Leute vom CIA“ „Stimmt Señor Kronau, wie Ihr Erlebnis in Barbados bewiesen hat, sind die auch in die Sache verwickelt, wissen Sie denn schon Näheres?“ Carmens Frage brachte mich in Schwierigkeiten, weil ich schließlich Björn Krause versprochen hatte, darüber Stillschweigen zu bewahren und das tat ich auch, denn nichts würde es ändern, wenn Carmen und Lilly etwas von den eigentlichen Grund des Interesses der Terroristen wüßten. Also verneinte ich die Frage und wir beschlossen, nun zum Flugplatz zu fliegen und dort alles für unseren Aufbruch vorzubereiten, damit wir schnellstens den Terroristen folgen konnten. Die Aufteilung dabei ergab sich nun fast von selbst, denn Carmen und ich würden zu Pferd hinter den Lemuren her sein, während Lilly am Helikopter bliebe und auf unsere Verstärkung wartete, mit denen wir uns dann irgendwo treffen konnten. Soweit stimmte die Theorie noch, während wir auf unseren Hubschrauber zugingen, allerdings hatte die Praxis diesen Plan schon über den Haufen geworfen, als wir dann kurz vor „Betsy“ standen und hinter der Maschine ein großer Mann im Tarnanzug und mit passendem Schlapphut vor mir Aufstellung nahm, „Ladys! Mister Kronau! Man hat mir gesagt, daß ich hier irgendwo auf Sie stoßen würde und ich finde es immer wieder erfreulich, wenn etwas stimmt, das man mir erzählt“ Irgendwie verwunderte mich diese Begegnung überhaupt nicht, so blieb ich vollkommen ruhig, da ich nicht glaubte, daß einer der Terroristen überhaupt mit uns reden würde, „So? Sie bevorzugen also gute Gesellschaft, das spricht für Sie. Darf man auch erfahren, wer Sie sind?“ Er lachte und schüttele nur verneinend den Kopf, „Es tut mit ehrlich leid, aber mein Name spielt hier keine Rolle, Mister Kronau. Wissen Sie, daß Sie mich an den ‚Duke’ erinnern?“ „An den Duke?“ „Ja, der Duke, ich meine damit John Wayne, den kennen Sie doch sicher, Mister Kronau?“ „Ich habe schon mal einen Film mit ihm gesehen, wieso erinnere ich Sie an John Wayne?“ „Auf dem Weg hierher habe ich eine dicke Akte von Ihnen bekommen und es ist beeindruckend, was Sie in den letzten Wochen alles veranstaltet haben. Der Duke hatte dieselbe Einstellung wie Sie, solange sauber kämpfen, wie es geht, aber dabei keine Angst vor schmutzigen Händen zu haben. Ich mag solche Leute, unter anderen Umständen würde ich Sie gerne mal auf ein Bier einladen und meiner Frau vorstellen, natürlich gilt das auch für die Ladys“ Wenigstens konnte ich aus dem Rangabzeichen an seiner Uniform schließen, daß ich einen amerikanischen Major vor mir hatte, doch der Zweck seines Besuches interessierte mich viel mehr, „Es ist ein weiter Weg, um jemanden einzuladen, Major. 409
Vielleicht sollten wir unter diesen Umständen erstmal die Freundlichkeiten weglassen und Klartext reden, bevor Sie mir noch sympathisch werden“ Er lachte, aber das, was er sagte, verlor seine Freundlichkeit, „Ja, so habe ich sie mir wirklich vorgestellt, Mister Kronau, und Sie haben sicher recht, es ist nicht die Zeit und auch nicht der Ort, um Höflichkeiten auszutauschen. Seit zehn Minuten hat mein Sniper ihren Dickschädel im Visier und wenn Sie auch nur eine Dummheit machen, dann pustet er Ihnen den Kopf weg. Ich glaube, das war eindeutig genug, um Ihnen den Ernst der Lage begreiflich zu machen. Offensichtlich hat es Ihre Regierung nicht geschafft, Sie zurückzuhalten, dann muß ich das eben machen. Wir spielen auf derselben Seite, aber ich stehe auf dem Spielfeld und Sie halten die Schläger, wenn Sie alle das begriffen haben, dann kommen wir gut miteinander aus. Sie werden hierbleiben, bis wir unseren Job getan haben, und weil ich Ihnen nicht über den Weg traue, werde ich dafür sorgen, daß sie nicht von hier wegkommen – Sergeant!“, er brüllte in sein Headset und hinter der Mauer der Festung kam ein Soldat hervor, der nun auf uns zurannte. Nur ein Wink genügte und wir mußten zusehen, wie sich dieser Sergeant am Motor von „Betsy“ zu schaffen machte, dann drehte er sich mit einem herausgeschnittenen Kabelbaum wieder zu uns und wartete auf weitere Anweisungen. Als Lilly das sah, hörte ich in meinem Rücken einen unterdrückten Schrei, doch sie bewahrte schnell wieder ihre Fassung und zeigte keine Blöße mehr. „So Mister Kronau, das wird Sie einige Zeit lahmlegen und wenn wir unseren Job erledigt haben, dann schicken wir sogar jemanden für die Reparatur vorbei. Machen Sie sich keine Sorgen, wir finden schon die Terroristen und werden auch die Gefangene befreien, das verspreche ich Ihnen allen. Ladys, bitte entschuldigen Sie die Störung“, er faßte sich höflich an den Schlapphut und nickte leicht. Wir verzichteten darauf, höflich zu sein und den Gruß zu erwidern, doch das hätte er auch kaum mehr mitbekommen, denn ohne weitere Worte drehte sich der Major um und rannte mit seinem Sergeant zum Ufer. Gleichzeitig kamen noch zwei weitere Leute hinter der Mauer hervor und wiederum zwei andere erschienen in dicken Tarnumhänge verhüllt aus dem Dickicht. Unten am Fluß sprangen Motoren an und kaum zwanzig Sekunden später erschienen zwei große Schlauchboote am Ufer, nahmen die Gruppe auf und verschwanden mit insgesamt zwölf Männern an Bord in der Dämmerung. „Shit, Boß! Das darf doch alles nicht wahr sein“, sie stemmte beide Fäuste in ihre Seiten dabei und warf feurige Blicke den abziehenden Soldaten zu. „Lilly, du hast meine Gedanken erraten. Damit hat man uns im wahrsten Sinne des Wortes die Flügel gestutzt und wir stehen schon blöd da“ Carmen drehte sich zu mir, „Das hört sich so an, als ob Sie resignieren, Señor Kronau. Ich für meinen Teil glaube nicht ernsthaft, daß diese Leute daran interessiert sind, Anne da rauszuholen und deshalb werde ich hier nicht sitzenbleiben, was ist mit Ihnen?“ Nachdenklich schaute ich sie an, „Mir würde es sicher auch besser gehen, wenn wir mal nachsehen, wie sich die Amerikaner so anstellen, außerdem war ich nie ein Sitzenbleiber gewesen“ 410
Eine Bootsfahrt, die ist lustig – jedenfalls könnte sie es sein, wenn man nicht des Nachts in einem alten Kanu sitzen würde und gerade angestrengt dabei war, über zwanzig Kilometer stromaufwärts zu paddeln. Dabei saß vor einem auch noch eine Frau, so daß es für das männliche Ego nicht vorteilhaft war, bei jeder unbeholfenen Bewegung einen Laut des Schmerzes auszustoßen und eine Narbe am Körper, die nichts anderes im Sinn hatte, als höllisch zu jucken – ja, eine Bootsfahrt, die ist lustig. Carmen paddelte vorne in meinem „neuen“ alten Boot und hatte dabei das Nachtsichtgerät aufgesetzt, um die Uferzone zu kontrollieren, während ich mich mit meinem Paddel in der Hand meinen Gedanken über die christliche Seefahrt hingab. Die wenigen Worte der letzten Stunden hatten hauptsächlich den Fehler der Amerikaner zum Thema, die uns wirklich hätten ärgern können, wenn nur einer von ihnen auf die Idee gekommen wäre, die Seitentür unseres Hubschraubers zu öffnen und unsere gesamte Ausrüstung zu konfiszieren. So lag jetzt das Nötigste in der Mitte des Kanus und eigentlich blieb nur ich der einzig richtig Geschädigte dieser rüden Sabotage, denn anstatt eines kurzen Fluges nach Costa Marques, trieb ich mit zusammengebissenen Zähnen das Boot dorthin voran. Als reißend konnte man das Wasser nicht bezeichnen, aber es holte seine Kraft aus der Masse, die nur durch unsere gleichbleibende Mühe überwunden werden konnte und das war anstrengender als meine Fahrt stromabwärts, die ich einige Stunden zuvor alleine absolviert hatte. Dabei spiegelten sich jetzt im Fluß die Sterne wieder und spannten von Ufer zu Ufer einen glitzernden Bogen, der dazu verführte, seinen Gedanken nachzugehen. „Carmen?“, meine Stimme klang leise durch die Stille der Nacht. Es dauerte erst einen Moment, bis ich eine Antwort bekam, „Ja?“ „Was machen Sie eigentlich, wenn alles vorbei sein sollte?“ „So wie es aussieht, wollen Sie ja den Schutz von Anne persönlich übernehmen, und das macht meine Anwesenheit überflüssig. Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht, was hinterher kommt, aber irgendwas findet sich immer in meinem Job, da mache ich mir keine Sorgen“ „Also Carmen, ich glaube nicht, daß ‚überflüssig’ das richtige Wort ist, vielleicht hat jeder nur wieder die Zeit, sich auf seine privaten Bedürfnisse zu konzentrieren“ Wieder entstand eine kleine Pause, „Ach so! Sie meinen sicher, ob ich Urlaub mache und meine Familie besuche, oder mich ganz zur Ruhe setzte und solchen Jobs aus dem Weg gehe?“ „Irgend was in der Art schwebte mir da vor, da haben Sie recht“ „Vielleicht mache ich das wirklich, doch wer weiß schon, was der nächste Tag bringt. Ich plane nichts vor und lasse lieber alles auf mich zukommen. Sie sehen doch selber, daß immer etwas Unvorhergesehenes passieren kann, und dann nutzt einem die beste Planung nichts mehr“ „Stimmt,... und was ist mit ihrer Familie, ich meine, haben Sie noch Eltern, die Sie vielleicht dann besuchen?“ „Jetzt kommt wohl wieder Ihre journalistische Neugier durch, Señor Kronau. Ja, die Eltern gibt es noch und drei Schwestern dazu, aber wir haben keinen Kontakt mehr. Sie müssen wissen, daß ich nicht gerade mit dem Segen meines Vaters aus dem Haus 411
gegangen bin, nur um das zu verstehen müßten Sie die Verhältnisse in Mexiko kennen“ Jetzt kam ich das erste Mal während des Paddelns zum Schmunzeln, „Die Verhältnisse kenne zwar nicht perfekt, aber es genügt, um einen guten Einblick zu haben“ „Wirklich? Sie haben sich wohl schon überall herumgetrieben, es scheint mir, daß Sie kaum zu überraschen sind“ „Oh doch, das bin ich ganz bestimmt, aber da ich einige Zeit in Mexiko verbracht habe und sogar Freunde dort kenne, haben Sie diesmal mit Ihrer Bemerkung recht“ „Santa Maria! Wenn das so ist, wie wäre es mit einem Geschäft zwischen uns beiden. Sie erzählen mir was von sich und ich erzähle Ihnen von meiner Familie, aber erwarten Sie nicht zuviel davon, denn eigentlich bin ich nur auf Ihre Erlebnisse neugierig, Señor Kronau“ „Eine gute Idee, allerdings sollten Sie kein Heldenepos erwarten, denn damit kann ich wirklich nicht dienen“ In den nächsten zwei Stunden öffnete sich mir ein Bild von Carmen Santiago, das nun endlich Farbe bekam und nicht nur die Schwarzweißzeichnung war, die ich bisher mit ihr verband. Sicher, jeder Mensch hat seine Art, nach außen zu wirken, mal denkt man, ein offenes Buch vor sich zu haben, mal ist ein Charakter wie Sand zwischen den Händen und es bietet sich keine Möglichkeit, ihn zu fassen. Am schwierigsten sind Menschen einzuordnen, die mit Absicht nur wenig an die Oberfläche dringen lassen, und gerade damit das Interesse von Leuten wecken, die ein waches Auge für ihr Gegenüber haben und sich nicht vom ersten Anschein täuschen lassen. Carmens Vater war ein kleiner Provinzbeamter aus der Nähe von Guadalajara, der immer etwas mehr von Leben wollte, als ihm das Schicksal zugestand und wohl im Laufe der Zeit sehr enttäuscht war, daß ihm das Schicksal nur Mädchen beschert hatte. Scheinbar hatte er es immer als Makel empfunden, keine männlichen Nachkommen in die Welt gesetzt zu haben, und der Gram steigerte sich, je mehr die Jahre vergingen. Die kleine Carmen war als erste Tochter der Familie dieser Situation am längsten ausgesetzt und entwickelte wohl schon im frühen Alter ein Verantwortungsgefühl ihren Schwestern gegenüber. Dann als siebzehnjähriges Mädchen sollte sie mit dem Vorgesetzten ihres Vater verheiratet werden, wogegen sie energisch rebellierte, denn weder liebte sie ihn, noch trugen die zwanzig Jahre Altersunterschied dazu bei, daß sich das irgendwann ändern würde, und so sah sie nur einen Ausweg aus dieser Situation. Eines Nachts verschwand sie mit dem Wissen der Mutter und unter den Tränen der Schwestern, um in Mexiko City ein neues Leben anzufangen, was sehr gefährlich für eine auf sich allein gestellte junge Frau sein konnte. Kurze Zeit, nachdem sie sich mit einem Job bei einem Schnellimbiß über Wasser halten konnte, begann sie deshalb, Kampfsport zu trainieren, wo sich sehr schnell ein ausgesprochenes Talent bei ihr zeigte. Ein Mann wurde damals dort aufmerksam auf sie und bot ihr einen Job in seiner Sicherheitsfirma an, denn weibliches qualifiziertes Personal war schwer zu bekommen und nun bekam sie eine komplette Ausbildung und arbeitete einige Jahre lang sehr 412
erfolgreich im ganzen Land. Später hatte Carmen schon so einen professionellen Ruf, daß sie sogar nach Asien ging und auch in Europa tätig war, bis sie jetzt in die gleiche Geschichte verwickelt wurde, in die auch ich hineingestolpert war. Mehrmals lachte sie zwischendurch beim Sprechen über ihre Naivität von damals und schüttelte nur ihren Kopf, so daß ihr langer Zopf vor mir des öfteren pendelte. Ich war mir sicher, daß sie mir nicht alles erzählte, genau wie ich das anschließend auch nicht tat, aber es genügte, um nun einschätzen zu können „wer“ dort vor mir saß und vielleicht korrigierte sich ihr Bild von mir auch ein wenig. So schnell wie die Nacht hereingebrochen war, überfiel uns auch die Dämmerung des Morgens, beides ein sehr kurzlebiges Schauspiel der Natur in diesen Breiten. Mehrmals in den letzten Stunden hatte ich das Gefühl, die Geräusche von Helikoptern zu hören, die irgendwo weit entfernt hinter dem Gewirr der Vegetation ihre Bahnen zogen, doch ich war mir dessen nicht sicher und auch wenn mich mein Eindruck nicht täuschen sollte, konnte man nur spekulieren, um wen es sich dabei handeln konnte. Schließlich war die Auswahl derer, die sich hier herumtrieben, recht groß und genauso vielfältig waren auch ihre verschiedenen Ziele. Terroristen und ihre Helfershelfer, gesucht von ihren Jägern und unserer kleinen Gruppe, die sicher im Konzert der Interessen den profansten Grund für dieses Wagnis hatten und doch war schließlich Freundschaft und Liebe fast alles, um das es sich im Leben der meisten Menschen drehte. Dabei versuchte ich immer wieder zu verdrängen, in welcher Gefahr Anne schwebte, denn wenn sie nicht von Gondoni als lästige Zeugin beseitigt werden würde, dann konnte es sein, daß sie bei einem möglichen Angriff der Amerikaner auf die Terroristen in die Schußlinie kommen könnte. Etwas anderes würde wohl kaum geschehen, weil die Lemuren sie kaum mehr als Druckmittel gegen mich brauchen würden, da Lupus durch die CIA mittlerweile andere Sorgen als meine Person hatte, auch wenn es ihnen gelingen sollte, dem energischen Major mit seinen Männern zu entkommen. Das war der Grund, weshalb ich nicht irgendwo ruhig sitzen konnte und in gewisser Weise saß ich hier im Kanu nicht für Anne, sondern für mich, um meine Angst zu bekämpfen und mir ein winziges Stück Hoffnung zu erhalten. Was mit Francesca und dem Doc geschehen war wußte niemand und das zerriß mich innerlich, denn ich wollte auch ihnen helfen und gleichzeitig nahm es mir eine schwierige Entscheidung ab, was mich paradoxerweise auch froh machte. Denn es stand für mich fest, daß ich trotz einer verläßlichen Nachricht vom Verbleib der beiden Gefangenen hier sein würde und mich sicher mit großen Schuldgefühlen ihnen gegenüber auseinanderzusetzen hätte. Mein Weg führte mich ohne die Spur eines Zweifels zu Anne, aber es war keine Erkenntnis, die nur strahlend in meinem Herzen saß, denn dort spürte ich durch Juans Frau und den Doktor auch dessen bittere Seite. So gingen mir viele Dinge durch den Kopf und ich hoffte, wenn der Major tatsächlich seine Aufgabe durchführen würde, daß er dann auf der ganzen Linie Erfolg hatte und Anne dabei in Sicherheit brachte. Die Hähne gaben schon ein Begrüßungskonzert, als wir am Morgen unter dem ersten Licht der Sonne unser Boot auf das Ufer zogen und, ohne auf die verwunderten Blicke der schon sichtbaren Bewohner zu achten, uns auf den Weg zum Flugplatz machten. Vorher hatten wir uns sehr langsam dem Landungsplatz genähert und hielten nach 413
Gondonis Booten Ausschau, aber die waren nicht mehr dort und folgten nun sicher seiner Marschkolonne stromaufwärts dem Rio Cautario, um seine rechte Flanke zu decken. Carmen und ich trugen jetzt jeder wieder unseren Rucksack, wobei ich meinen auf der Schulter trug, damit er beim Gehen nicht gegen den Rücken schlagen konnte und jeder von uns verbarg seine Waffe in einer eingerollten Jacke vor neugierigen Blicken. Auf dem Weg vom Fluß zeigte sich der Gegensatz dieses Landes gerade hier besonders, denn wenn man bedachte, daß ich gerade noch in einem urzeitlichen Kanu gesessen hatte, öffnete sich nun vor mir ein Städtchen, das einer ausgedehnten Bungalowsiedlung glich und dessen asphaltierte Straßen uns bequem in das Zentrum führten. Allerdings wechselte der Baustil hier an der Peripherie noch sehr schnell, von weiß gestrichenen Holzhäusern hin zu rostigbrauner Slumarchitektur in Wellblech. Einige Hunde bellten und der erste Verkehr regte sich, darunter befand sich ein Taxi, das Carmen und mir einen weiteren Marsch ersparte und uns schnell nach Norden zum Flugplatz brachte. Dabei schätzte ich im Vorbeifahren den Ort auf zehntausend Bewohner, in dessen Mitte einige Verwaltungsgebäude um den obligatorischen Platz lagen und angepflanzte Ziersträucher einen nicht ganz gelungenen Versuch unternahmen, den allzu künstlichen Charakter des Ensembles zu verwischen. Wenig später waren wir kurz vor der Landebahn auf einer Zufahrt, von der ein Weg zum Haus des Flugplatzmanagers abging, der freundlicherweise die Pferde in seine Obhut genommen hatte. Es war ein kleines Anwesen, wo etwas abseits neben dem Wohnhaus der Stall zu sehen war und dort angekommen, ließ ich Carmen den Vortritt, damit sie alles weitere regeln konnte. Das geschah sehr schnell und unter den düsteren Blicken des Mannes machten wir die beiden Pferde fertig, dabei sah ich ihm förmlich an, daß er jetzt schon seine Großzügigkeit bereute, aber so ist nun mal das Leben, mal gewinnt man und mal verliert man. Sicher hatte er sich mehr von den beiden Frauen versprochen, als einen Händedruck und einen Typen wie mir im Schlepptau. Wir hingegen bedankten uns freundlich und ritten mit einem letzten Blick auf das Panorama der entfernten Häuser an der Stadt vorbei, um dann laut unserer Landkarte auf einem alten Pfad wieder in die Natur einzutauchen. Die Spuren unter uns beruhigten mich, denn sie waren ein deutliches Zeichen, daß Gondoni ebenfalls hier entlang gekommen war, da es so viele Möglichkeiten, den grünen Gürtel ostwärts zu durchstoßen, kaum gab. Doch die Strecke erwies sich als sehr beschwerlich und wir waren froh, ab und zu einige Meter vorausschauen zu können, was uns kleine Biegungen und das üppige Blattwerk sehr erschwerte. Je länger der Ritt dauerte, desto heißer wurde es und die schwüle Luft machte das Atmen zu einer unangenehmen Pflicht. Allerdings hätte man das ohne zu klagen noch gerne ertragen, wenn nicht unzählige Moskitos unsere ständigen Begleiter gewesen wären, die es nicht nur auf uns abgesehen hatten, sondern auch den Pferden das Leben erschwerten, indem sie permanent die Augen und Ohren der Tiere attackierten. Inzwischen war es Mittag geworden und die Fährte des aufgewühlten Bodens wies uns immer noch den Weg, der nun immer schmaler wurde und nur noch einem 414
Trampelpfad glich. Trotzdem hatte das auch seine guten Seiten, denn Gondoni beseitigte damit für uns auch die gröbsten Hindernisse, wie überhängende Äste und dichtes Gestrüpp. So hielt uns das nicht weiter auf und wir verkürzten bei jedem Schritt, den unsere Pferde taten, die Distanz zu den Terroristen. Die Hitze und die monotone Bewegung ließ unsere Aufmerksamkeit schwinden, es wurde jede Stunde zunehmend schwieriger mit der nötigen Vorsicht voranzukommen. So erreichten wir, kurz nachdem die Sonne ihren Zenit überschritten hatte, beinahe überrascht eine Lichtung, die Gondoni als Lagerplatz gedient haben mußte. Das erinnerte uns daran, daß auch die Tiere unter diesen Bedingungen zu leiden hatten, und es würde uns kaum nützen, wenn wir sie bis zur Erschöpfung vorantrieben, also beschlossen wir, hier eine Stunde zu rasten, und holten aus den Rucksäcken das Wasser, zuerst für die Pferde und dann für uns. Meine innere Unruhe machte es mir schwer, einfach so wie Carmen mit dem Kopf auf dem Sattel innerhalb weniger Minuten einzunicken und deshalb übernahm ich gerne die Wache. Zudem schaute ich mir die Reste der Feuerstelle an und fand daneben ein frisches Erdloch, das nur sparsam mit Erde bedeckt war und einige leere Blechdosen enthielt, die mir aber keine eindeutigen Hinweise auf die Stärke der vor uns reitenden Gruppe lieferte. Dabei wurde ich aufmerksam von einer Gruppe Kapuzineräffchen beobachtet, die sichtlich neugierig an dem Treiben am Boden waren und sicher insgeheim auf einen Leckerbissen hofften. Gut verteilt saßen sie in den umliegenden hohen Bäumen und als ich sie etwas näher betrachten wollte, bekam ich plötzlich einen gehörigen Schreck, als ich eine leicht grünlich schimmernde Masse an einem dicken Ast hängen sah. Doch zu meiner Beruhigung war es nur ein Faultier, das sich regungslos mit seinen Klauen dort festhielt, und dessen ungewöhnliche Färbung von einigen Algen herrührte, die sich manchmal im Fell des Tieres festsetzten. Nach dieser kleinen Aufregung nutzte ich den Rest der Zeit, um unsere genaue Position mit dem GPS-Gerät zu bestimmen und diese mit der Landkarte zu vergleichen. Die Satelliten am Himmel sagten mit dabei, daß wir bis zum Abend den Dschungel verlassen und die Ausläufer der Berge erreichen würden, was dann einen Vorteil und einen Nachteil für uns bedeutete. Einmal verloren wir die schützende Deckung, doch andererseits konnte Anne nur die Wegmarkierungen bei Tageslicht finden und so würde Gondoni nichts anderes übrigbleiben als zu Rasten. So konnten Carmen und ich in der Dunkelheit dicht an das Lager kommen und wir schafften es vielleicht, etwas zu unternehmen. Dabei war nur die entscheidende Frage, wie sich die Amerikaner verhalten würden. Blieben sie ruhig bis die Terroristen die Kisten geborgen hatten, um alles mit einem Schlag zu erledigen, oder versuchten sie gleich, Gondoni zu schnappen und suchten hinterher selber? Was auch geschah, ich konnte es sowieso nicht ändern und hoffte nur, daß alles gut ging. Kurz vor unserem erneuten Aufbruch versuchte ich mit Lilly am Helikopter zu sprechen, doch ich konnte keine Verbindung mit ihr herstellen, was mich ärgerte, weil ich so nicht wußte, ob Randall und Señor Avialo schon eingetroffen waren. Aber es 415
bereitete mir vorerst keine großen Sorgen, schließlich dämpfte die Vegetation unser Funksignal und heute Abend in der höher liegenden Bergregion sollte es besser gehen. Mein brauner Hengst mit seiner weißen asymmetrischen Blässe hatte sich gut erholt und auch der etwas zierlich wirkende Rappe von Carmen, dessen spanische Vorfahren sicher reichlich arabisches Blut in sich trugen, wirkte wieder frisch. Sie hatte wirklich gut daran getan, rechtzeitig die besten Pferde zu besorgen, denn es war jetzt ein nicht zu unterschätzender Vorteil, der sich auszuzahlen begann. Denn noch vor dem Einsetzen der Dämmerung begann sich die Umgebung, wie mit einem scharfen Strich gezogen, zu ändern. Das Unterholz wurde immer weniger und nur noch Bäume standen überall, deren Abstände sich jedoch immer weiter auf dem ansteigenden Terrain vergrößerten. Der Pfad schlängelte sich nun in sanften Bögen um die Baumriesen herum und das Fernglas wurde zu dem wichtigsten Instrument für unsere Sicherheit, bis es ganz dunkel wurde, so da0 man uns aus der Entfernung nur schwer erkennen konnte. Dann würde man auch nicht erkennen, wie ich gebeugt schon einige Zeit im Sattel saß und mich darin zunehmend kaum mehr hielt, denn irgendwann hatte ich einfach den Punkt überschritten, wo ich die Schmerzen ignorieren konnte, und so war es mir sehr recht, daß wir halten mußten. Das Mondlicht reichte kaum aus, um die Hände vor dem Gesicht zu sehen, geschweige denn, daß man mit dem Restlichtverstärker des Nachtsichtgerätes die aufgewühlten Spuren auf dem Boden erkennen konnte. Zudem hatten sich die Pferde durch das Klima verausgabt und aus diesem Grund verließen wir den Pfad, um etwas abseits in einer dichteren Ansammlung von Araukarien ein Lager aufzuschlagen. Natürlich gab es kein Feuer, das man sicher bis zum Horizont hätte sehen können und um meiner Enttäuschung über diese Pause Herr zu werden, lenkte ich mich ab, indem ich noch einmal versuchte, mit dem Funkgerät eine Verbindung mit Lilly zu bekommen, aber auch diesmal gelang es mir nicht. Das machte mich nun doch etwas stutzig und gerade wollte ich es weitererzählen, als schnell und ohne jede Vorwarnung mehrere Hubschrauber in der Nähe zu hören waren, die direkt in unsere Richtung kamen. Carmen und ich griffen fast gleichzeitig zu unseren Waffen und wir versteckten uns am Rand der Baumgruppe hinter den großen Stämmen, um von dort aus nach den Maschinen zu suchen. Es dauerte nicht lange, da sahen wir auch schon zwei dunkle Schatten, die sich vom sternenbedeckten Himmel abhoben und in ungefähr zweihundert Meter Abstand parallel flogen, wobei sie verdächtig genau der Fährte von Gondoni folgten. Es war unmöglich, daß sie auf der Erde etwas erkennen konnten, also mußten sie den Weg kennen und ihn anhand einer Karte verfolgen, doch was führten sie im Schilde? Es blieb mir nur, den schlimmsten Fall anzunehmen und das bedeutete, daß man hinter uns her war. Glücklicherweise hatten wir die Helikopter rechtzeitig entdeckt und durch einen Geistesblitz griff ich unsere Wolldecken, rannte zu den Pferden und warf sie ihnen ausgebreitet über den Rücken, in der Hoffnung, damit etwas ihre Körperwärme zu kaschieren, sollten diese Maschinen mit Infrarotgeräten ausgestattet sein. Das half natürlich nur solange, bis sich das Material durch die Tiere aufgeheizt hatte, aber es konnte uns wenige Minuten vor der Entdeckung schützen. 416
Ob es nun wirklich die Decken waren, oder der Grund darin lag, daß die Bäume zu weit entfernt vom Pfad standen, wußte ich nicht, jedenfalls fand man uns nicht, und ohne jegliche Reaktion zogen die Helikopter an uns vorbei. „Könnten das Gondonis Leute gewesen sein?“, ich sah Carmens Gesicht kaum, aber ihre Stimme formulierte die Frage eher als eine Feststellung. „Es spricht viel dafür, aber wir können nicht die Amerikaner außer acht lassen und eventuell ist das brasilianische Militär mittlerweile auch eingeweiht, also haben wir im Moment die freie Auswahl“ „Das ist wohl kaum ein Grund, sich zu freuen, Señor Kronau. Vielleicht haben sie uns doch gesehen und kommen wieder mit Verstärkung zurück“ „Möglich wäre es, auch wenn ich nicht recht daran glaube, denn sonst hätten sie sicher gleich erkannt, daß wir nur zwei Leute sind und uns gleich angegriffen. Trotzdem erscheint es mir merkwürdig und deshalb werde ich mal der Sache auf den Grund gehen. Schließlich könnte ich nicht richtig liegen, weil mir der Rücken wehtut und zusätzlich geht mir das Schweigen von Lilly durch den Kopf, also kann ich die Zeit auch sinnvoller verbringen, als mich hier herumzuwälzen“ Carmen sah mich etwas überrascht an, „Ich will nur nicht hoffen, daß Sie morgen zu müde sein werden und dann einen Fehler machen, wenn es ernst wird“ Ihr Einwand war berechtigt, doch wußte ich auch, daß ich diese Nacht kaum schlafen würde und so galt es, das Beste daraus zu machen, „Anders wäre es mir auch lieber, aber ich glaube nicht, daß es eine andere Lösung gibt, Carmen. Sie können sich ausruhen und kommen morgen früh mit den Pferden nach, dann habe ich inzwischen den hinter mir liegenden Weg schon kontrolliert und wir haben wieder etwas Zeit gewonnen, wenn es mit erholten Tieren weitergeht. Erwischt man mich in der Zwischenzeit, dann werden Sie nichts von mir hören und müssen alleine versuchen, Anne zu helfen, aber so bleibt dann wenigsten einer von uns übrig. Das gilt auch für den umgekehrten Fall, wenn man Sie erwischt, aber die Pferde brauchen nunmal eine Pause und jemand muß doch bei ihnen bleiben“ „Ich hätte mich für so einen Marsch nicht freiwillig gemeldet, weil es in meinen Augen sinnlos ist, aber tun Sie, was Sie nicht lassen können, Señor Kronau. Allerdings, was auch passiert, ich werde ihnen kaum schnell helfen können“, sie zuckte dabei mit den Schultern und hatte offenbar damit ihren Versuch beendet, mich von meinem Vorhaben abzubringen, was auch reine Zeitverschwendung gewesen wäre. Ich suchte mir meine Ausrüstung zusammen, installierte an der HK 53 den Schalldämpfer und machte mich auf in die Dunkelheit. Trotzdem mich Carmens Gesellschaft in keiner Weise störte, war ich froh, wieder alleine loszuziehen und spürte dabei sofort ein vertrautes Gefühl, das mir schnell die nötige Ruhe brachte, so daß ich gemächlichen Schrittes den Spuren weiter folgte, die ich dank des Nachtsichtgerätes und meiner geringen Laufgeschwindigkeit wieder leidlich erkennen konnte. Stunde um Stunde verging, wäre ich im dichten Regenwald losgezogen, hätte mich sicher die schwüle Luft und die dichte Vegetation sehr langsam gemacht, doch hier, wo sich die Bäume mit Gras und Steinbrocken abwechselten, ging es gut auf dem ausgetretenen Pfad voran. Manchmal schauten mich leuchtende Augen aus einem 417
Gebüsch an, die mir die nicht zu unterschätzende Gefahr durch Bergpumas oder dem „Onca Pintada“, dem Jaguar, ins Gedächtnis riefen. Aber kein Angriff erfolgte und vielleicht war ich auch nur einem umherstreifenden Ozelot begegnet, der sich scheu wieder ins Dickicht verzogen hatte. Mit der Zeit nutzte es mir nichts mehr meine Müdigkeit zu leugnen. Ohne groß nachzudenken setze ich mittlerweile einen Fuß vor den anderen und schaffte es gerade so, die Gegend im Auge zu behalten. Carmen schien doch eine Spur realistischer von uns beiden zu sein, denn ich brachte mich dadurch nur selber in Gefahr, weil hinter jedem Hügel eine Überraschung lauern konnte, die mir nicht viel Zeit zum Handeln lassen würde. So suchte ich mir, als Mitternacht schon längst vorbei war, eine Stelle aus, an der ich einen Moment Rast machen konnte und diese fand ich in Form einiger großer Steine, die mich einigermaßen bequem sitzen ließen, weil ich gleichzeitig dadurch eine Rückenlehne hatte. Anstatt nach fünf Minuten wieder weiterzuziehen, hatte ich über eine Stunde deshalb verschlafen und ich wurde erst wieder wach, als mich ein Ruf von Carmen über das Funkgerät erreichte, die sich mit ernster Stimme nach meinem Befinden erkundigen wollte. Allein dadurch, daß ich mich bei ihr meldete, wurde sie schon freundlicher und ich schaffte es sogar, durch meine zurückgelegte Strecke von zwanzig Kilometern, in ihr einige Überraschung hervorzulocken. Anschließend machte ich mich gleich wieder auf und fast eine weitere Stunde brauchte ich, um den höchsten Punkt des gesamten Anstiegs zu erreichen. Die Vegetation wurde langsam immer spärlicher und nur noch vereinzelt standen einige kleinere Bäume in der Gegend, die nun vollständig von Büschen und hohen Gräsern abgelöst wurden. Bis jetzt ging alles erstaunlich glatt, was mich eher mißtrauischer als sicherer machte und auch von meiner neu gefundenen Ruhe war nicht mehr viel zu spüren, seitdem mir bewußt war, daß ich mich mit jedem Schritt Anne näherte. Wie muß sie gelitten haben, voller Angst und auch wegen der Unsicherheit, was mit uns allen geschehen war. Natürlich gab es die berechtigte Hoffnung, daß die Amerikaner sie schon befreit hatten, doch ich spürte zwei Dinge, die das widerlegten, als ob es mir ins Fleisch gebrannt war - Anne lebte und sie befand sich in Gefahr. Durch diese Gedanken angetrieben ging es auf der anderen Seite der Anhöhe wieder bergab. Links von mir stiegen die Bergrücken in noch größere Höhen an, von denen einige Rinnsale dem entfernten Tal des Rio Cautario zustrebten, das irgendwo rechts am Horizont lag. Ich kämpfte mich inzwischen durch ein altes Bachbett, wo sich viel Geröll abgelagert hatte, das nun an der flachsten Stelle vor meinen Füßen herumlag. Hier war es unmöglich, die Spur auf dem felsigen Untergrund zu erkennen und nur durch einen Zufall fand ich am Rand eine Senke mit feinem Kies, in der die Tiere von Gondoni den Untergrund deutlich aufgerissen hatten. Das bewahrte mich vor einen großen Irrtum, denn ich wollte schon dem trockenen Wasserlauf nach Südwesten folgen, aber nun ging mein Weg weiter nach Norden direkt in die Berge. Die morgendliche Dämmerung setzte unterdessen ein, als sich vor mir die Ausläufer einer Schlucht auftaten, die nach beiden Seiten hin breiter wurde, in der Ferne offenbar wieder zusammenkam, so daß ich es für einen vom Wasser geschnittenen Talkessel 418
hielt, dessen gesamte Ausmaße aber noch nicht zu erkennen waren. Doch das erschien mir nach einigen Minuten auch nicht mehr so wichtig, denn in einigen hundert Metern Entfernung, an der breitesten Stelle der Schlucht, sah ich einen hellen Punkt auf dem Bildschirm meines Nachtsichtgerätes. Mit bloßen Auge konnte ich von hier aus nur deshalb dort etwas erkennen, weil ich wußte, daß dort etwas sein mußte und so begann ich, mich vorsichtig dem Phänomen unter Ausnutzung der reichlichen Deckung oben am Rand des Kessels zu nähern. Mir war es vorerst wichtig zu klären, mit wem ich es zu tun hatte, obwohl natürlich die Terroristen da als erste auf meiner Liste standen, aber durch einen voreiligen Schluß wollte ich mich nicht festlegen und so möglicherweise einen Fehler begehen. Eigenartigerweise spürte ich seit dieser Entdeckung keinen Schmerz mehr und ich registrierte das so bewußt, daß es mir beinahe unheimlicher vorkam als das Licht dort unten zwischen den Felsen. So ging ich immer geduckt oberhalb der linken Kante des Einschnittes entlang und versuchte dabei, weder meinen Orientierungspunkt dort unten aus dem Auge zu verlieren, noch alles, was vor mir lag, denn hier war es durchaus möglich, jederzeit auf einen Wachposten zu stoßen. Langsam erkannte ich die Umrisse von Zelten im letzten Schein des heruntergebrannten Feuers und im hinteren Teil der Schlucht hörte ich nun auch wiehernde Pferde, was mir die erste Bestätigung gab, wessen Lager ich gefunden hatte. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag, doch ich hatte nicht viel Möglichkeiten, etwas zu unternehmen, solange ich nicht wußte, wo überall die Wachen versteckt waren, die es sicher geben mußte. Es war jedenfalls unvorstellbar, daß Gondoni mit seiner militärischen Ausbildung sein Lager unbewacht ließ und deshalb beschränkte ich mich vorerst darauf, nach den Posten zu suchen, während ich auf das Eintreffen von Carmen wartete. Von hier aus hatte ich aber dafür noch nicht den idealen Punkt gefunden und schlich weiter vorwärts an der näherkommenden Felswand zu meiner linken und dem Schluchtrand rechts von mir entlang. Dabei fand ich einen kleinen abgehenden Aufstieg zwischen den Felsen nach oben, wo ich zu meiner Überraschung auf ein winziges Plateau stieß, von dem ich nun eingeklemmt zwischen zwei großen Steinbrocken einen besseren Überblick nach unten hatte. Jetzt entdeckte ich auch die erste Wache im Lager, einen Mann, der angelehnt an einen Baum nur wenige Schritte von den zwei großen Zelten entfernt stand, vor denen ich nun zehn volle Schlafsäcke liegen sah. Das ließ mich vermuten, daß es auf der anderen Seite genauso aussehen würde, obwohl ich dort jetzt nur die Pferde erkannte, die zwischen zwei alten knorrigen Bäumen an einem gespannten Seil festgebunden waren. Keine Bewegung war unten zu erkennen und ich wunderte mich etwas über die Lahmheit von Gondoni, der es doch sicher kaum erwarten konnte, an die Uranidbakterien zu kommen – ich an seiner Stelle wäre jedenfalls beim ersten Anzeichen des neuen Tages schon abmarschbereit gewesen. Allerdings war ich darüber nicht traurig und so suchte ich schon nach einer guten Idee, die ich dringend brauchte, da die Zelte, wo ich auch Anne vermutete, von Gondonis schlafenden Männern buchstäblich umlagert waren. Während meiner 419
Grübelei beschloß ich erst mal, mit Carmen Verbindung aufzunehmen, die sich jetzt nach unserer Ansprache schon auf dem Weg befinden müßte, was stimmte, denn sie war nur noch eine halbe Stunde von mir entfernt. Dabei hatte sie sich wieder vor zwei Hubschraubern verstecken müssen, die jedoch diesmal nicht in ihrer Nähe vorbeiflogen und deshalb keine Gefahr darstellten. Sie hatte aber dadurch die Gelegenheit, die Maschinen zu beobachten und identifizierte sie als zwei unmarkierte Hunges 500, die im Tiefflug kurz am Himmel erschienen sind und sich in Richtung des Lagers bewegten. Das war eine Nachricht, die meinen Nacken sofort veranlaßte, sich zu verspannen, und besorgt, weil ich nicht wußte, zu wem die Piloten gehörten, schaute ich zum Horizont. Doch die einzige Bewegung war in meinem Rücken, wo die Sonne gleich über den östlichen Hügelspitzen hervorkommen würde und das beendete vorerst meine Ambitionen, etwas zu unternehmen, denn selbst, wenn Carmen schon hier wäre und wir die beste Ausrüstung zur Verfügung hätten, konnte man in dieses Lager nicht unbemerkt eindringen. Waren dann noch die Helikopter im Spiel und mir fehlte dazu noch jede Information, wo sich Anne befand, war schon der Versuch einer Befreiung unter diesen Umständen nur die Tat eines Wahnsinnigen. Dazu zählte ich mich noch nicht und deshalb verlegte ich mich schweren Herzens darauf, alles im Lager zu beobachten und dann mit diesen Erkenntnissen eine etwas vielversprechendere Aktion mit Carmen zusammen zu starten. Die ersten Strahlen flossen über den entfernten grünen Teppich des Dschungels im Tal des Rio Cautario. Unten hatte sich immer noch nichts getan und langsam kam mir die Sache recht merkwürdig vor, so daß ich alles zum wiederholten Male durch das Fernglas betrachtete und nun erkannte ich, nur einige Schritte vom ersten Posten entfernt, einen weiteren Mann, der angelehnt dicht an einem Felsen stand. Die beiden schienen wirklich zu schlafen, oder waren kurz davor, jedenfalls hatten sie sich noch nicht einmal mehr um das Lagerfeuer gekümmert und ich bedauerte es fast, daß es nicht noch eine weitere Stunde dunkel war. Dasselbe Bild bot sich mir nun auch links am anderen Ende des Camps, wo der Pfad weiterging und verdeckt von Sträuchern hinter einem Felsvorsprung nicht mehr einsehbar war. Auch hier bemerkte ich nun zwei Wachen, die sich einzig darin von ihren Kumpanen unterschieden, daß beide Männer im Schutz jeweils eines Baumstammes standen und dabei nicht ihren Pflichten nachgingen. Ich war schon versucht, einem der Männer einen Kieselstein an den Kopf zu werfen, um überhaupt mal eine Reaktion festzustellen, als sich plötzlich die Ereignisse zu überschlagen begannen. Lichtpunkte auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht leuchtete kurz auf, gleichzeitig fielen von dort an beiden Enden des Lagers Seile bis auf den Boden und Gestalten in Tarnanzügen sausten mich unglaublicher Geschwindigkeit daran hinunter. Außergewöhnlich leise tauchten dazu gleichzeitig zwei Kampfhubschrauber auf, die ebenfalls beidseitig der Zelte in Stellung gingen. Schon war ich dabei, durchzuatmen und mich darüber zu freuen, daß ich in Bezug auf die Amerikaner zu pessimistisch gewesen war, die ich zweifelsfrei gerade in Aktion sah, als sich dramatisch das Blatt wendete. 420
Die Zeltplanen fielen wie von Geisterhand um und hinter Sandsäcken wurden zwei gut geschützte MG´s sichtbar, hinter denen jeweils noch zwei Männer mit „Stinger“ Boden-Luft-Raketen auftauchten, die zeitgleich mit dem Rattern der Waffen abgefeuert wurden. Das folgende Chaos war unbeschreiblich, im Abstand von hundert Metern krachten die Trümmer der beiden Helikopter auf den Boden und erfaßten teilweise die eigenen Männer, die zudem gegen die schweren MG´s keine Chance hatten. Männer stürzten von den Seilen und es gab kaum mehr eine Gegenwehr, von der mir gegenüberliegenden Felskante. Wieviele Sekunden mein Schreck dauerte, konnte ich nicht sagen, doch als er verschwunden war, hatte ich schon ohne zu zögern meine MP in Anschlag gebracht und begann die schweren Maschinengewehre auf dem Boden unter Beschuß zu nehmen. Dabei verwundete ich zwar einen der Raketenschützen, aber hinter den Sandsäcken hatten Gondonis Männer nicht viel zu befürchten, dafür bekam ich allerdings sofort eine Antwort zurück und sogar von zwei Seiten, denn man hatte natürlich mein Mündungsfeuer gesehen und jeder dachte nun, ich gehörte zum jeweiligen Feind. Von unten bearbeiten die Projektile der Terroristen den Felsbrocken hinter dem ich noch schnell verschwunden war, dazu ließen sich die Amerikaner mir gegenüber auch nicht lange bitten und entluden den Haß über ihre gefallenen Kammeraden, indem sie meine Stellung unter Feuer nahmen. Doch diese Situation sollte nicht lange anhalten, denn von Westen her kamen nun schnell zwei Hunges 500 über die Schlucht und ließen die Waffen der Amerikaner durch mehrere Detonationen verstummen. Das hielt ich nun für meine Chance, mich aus dem Staub zu machen, als sich mir ein Pfeifen näherte, das nichts Gutes verhieß. Ohne zu überlegen zwängte ich mich dicht unter einen flachen Felsvorsprung, dann krachte es schon um mich herum und mir war, als stürze die Welt ein. Ich hustete und bekam kaum Luft, nachdem ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, dazu hatte mir die Druckwelle feinen Staub in die Augen gedrückt, die nun brannten und unaufhörlich zu tränen begannen, so daß ich nichts mehr sehen konnte. Nach der Explosion hatten sich Geröll und Erde gelöst, die mich halb verschüttet hatten und mühsam begann ich mich zu befreien. Dabei hörte ich schon in der Nähe laute Rufe von Männern, die mich offensichtlich suchten und wenn ich die Lage richtig beurteilte, waren sie schneller bei mir, als ich wieder auf den Beinen stand. Also war das einzige, was ich noch tun konnte, Carmen mit dem Funkgerät zu warnen, obwohl ich davon ausging, daß sie schon so nah war, um etwas mitbekommen zu haben. Vielleicht tat ich das aber auch nur, um zu hören, ob sie sich rechtzeitig verstecken konnte, dann schaffte sie es möglicherweise sogar, unentdeckt zu verschwinden. Glücklicherweise hatte auch mein Funkgerät am Gürtel alles heil überstanden, besser jedenfalls als mein Rücken, der mir mein Treiben nun endgültig übel nahm, und mit ihm erreichte ich Carmen sofort beim ersten Versuch. Mit wenigen Worten erklärte ich ihr die Situation und sie versprach, irgendwie in der Nähe zu bleiben, um sich solange 421
verborgen zu halten, bis sich die Wogen geglättet hatten und sie möglicherweise etwas unternehmen konnte. Gleich darauf brach ich die Verbindung ab, denn trotz des Lärms der Helikopter und des Geschreis in der Schlucht hörte ich schon Schritte in der Nähe, weshalb ich als letztes das Funkgerät zwischen zwei Steinblöcken verschwinden ließ. Carmen war beruhigenderweise noch in Freiheit, ganz im Gegensatz zu mir, als mich drei Terroristen in meinem Schutthaufen fanden und ausgruben. Gleich darauf wurde ich gründlich durchsucht und recht unsanft an den Armen gefesselt, um ihnen dann über den Pfad bis hinunter zu den Zelten folgen zu müssen. Dort waren die brennenden Wracks der amerikanischen Helikopter waren gerade gelöscht worden und mehrere Männer legten gerade die Leichen der Kommandoeinheit auf einen Haufen. Es war ein scheußlicher Anblick und ich empfand es am schlimmsten, daß diese toten Männer nicht einmal eine Chance hatten, sich zu wehren. Das also war der klassische Unterschied zwischen einer Kriegslist und einem Hinterhalt, denn eine List dient dazu, ohne eigene Verluste sich des Gegners zu bemächtigen, während bei einem Hinterhalt nur ohne Verluste der Gegner dezimiert wurde. Man führte mich zu einer Gruppe von sieben überlebenden Amerikanern, die an der Wand hinter den MG´s in einer Reihe aufgestellt waren, und das erinnerte mich alles fatal an eine bevorstehende Hinrichtung. Es war nicht so, daß mich das gleichgültig ließ, aber in den letzten Tagen hat man mich so oft beschossen und geschlagen, daß mein Vorrat an Angst offenbar im Moment aufgebraucht war und nur noch aus Sorge um Anne bestand. Sie suchte ich verzweifelt in jeder Ecke der Schlucht, doch ich konnte sie nirgends entdecken, wo mir doch jetzt ein Blick in ihr Gesicht soviel Trost gewesen wäre, doch das schien mir zum Schluß auch nicht vergönnt zu sein. Aber es war nicht so schlimm, denn ich hatte sie in meinem Herzen und dort war sie doch bei mir, als ob sie mir wieder die Hand hielt. Im Abstand von einem Meter standen wir alle mit dem Rücken an der Felswand und warteten auf das Unvermeidliche, was kommen würde. Jetzt erkannte ich auch ganz am Anfang der Reihe die staubverschmierte Uniform des Majors, der mich wohl die ganze Zeit schon beobachtete. Jedenfalls sah er mir kurz in die Augen, wobei keine Regung bei ihm zu bemerken war und auch ich sah keine Veranlassung zu zeigen, daß wir uns kannten. Minutenlang geschah nichts mit uns, obwohl es so aussah, daß sich niemand mehr in unsere Reihe stellen würde und ich begann, wieder neuen Mut zu schöpfen, ohne jedoch allzu euphorisch zu werden. Gondoni war es durchaus zuzutrauen, daß er vorher noch alle Überlebenden verhören wollte, vielleicht sogar foltern, da schien es mir fraglich, welches Schicksal wohl besser wäre. Trotzdem begann ich, intensiv das Treiben in der Schlucht zu beobachten und entdeckte nun das schaurige Geheimnis um die vier schläfrigen Wachposten des Lagers, die als erstes von den Amerikanern ausgeschaltet wurden. Die Männer waren allesamt an Bäume und Pfähle um Rücken gefesselt worden und nach genauerer Betrachtung hielt ich sie für einfache Indios, die Gondoni als Köder benutzt hatte, demnach mußte er schon eine Weile vor dem Angriff 422
darüber Bescheid gewußt haben. Offensichtlich arbeiteten noch genügend Spitzel im Dienst der Lemuren, die dieses Fiasko möglich gemacht hatten, und auch der Major sah so aus, als ob er daraus die gleichen Schlüsse gezogen hatte. Mittlerweile hatten Gondonis Männer das umliegende Gebiet abgesucht und noch fünf schwerverletzte Soldaten gefunden, die wenige Schritte neben dem Major hingelegt wurden. Kein Mensch kümmerte sich um sie, wir durften uns nicht rühren und von den Terroristen wurden sie einfach ignoriert. Das jedoch sah sich der Major nicht lange an und er machte einige Schritte auf seine Männer zu, doch bis dorthin kam er nicht und wurde mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen, wodurch er allerdings die Aufmerksamkeit eines der Terroristen weckte, der bisher in seiner schwarzen Uniform nicht weiter in Erscheinung getreten war. Er schien hier das Kommando zu führen und stellte sich nicht nur vor dem Major hin, vielmehr produzierte er sich in der Art eines Generalissimus mit auf dem Rücken gekreuzten Armen, „Was ist Major, sind Sie schon zu schwach, um sich auf Ihren Füßen halten zu können? “ Ich konnte als Zuschauer dieser widerwärtigen Provokation genau in den Augen des Amerikaners sehen, was er sagen wollte, aber zu hören bekam ich etwas anderes, „Mein Name ist Major John G. Pope, ich bin der befehlshabende Offizier dieser Männer und ersuche Sie dringend darum, meine Verwundeten zu versorgen“ Betont lange brauchte die Antwort, „So, warum sollte ‚Ich’, Comandante Senedo, so etwas machen und einem geschlagenen Feind Pardon gewähren? Hätten diese Bastarde besser gekämpft, würden sie jetzt nicht im sterben liegen, aber so eine Bande von Feiglingen hat das auch nicht anders verdient“ Dieser Sarkasmus stand ganz im Gegensatz zu der gepflegten Erscheinung des Mannes, der recht groß gewachsen war und augenscheinlich sehr viel Wert auf ein tadelloses Äußeres legte. Anfang Dreißig schätzte ich ihn und sein Gehabe ließ jedem geübten Beobachter eine untrügliche Feststellung machen - Rücksichtslosigkeit und Arroganz waren sicher seine hervorragendsten charakterlichen Attribute. So schien ihm dieses Gespräch sogar viel Spaß zu machen, denn er lächelte dabei und für mich war dies jedenfalls kein gutes Zeichen. „Meine Männer sind keine Feiglinge! Um Gottes Willen, sehen Sie denn nicht, daß sie einfach verrecken werden, wenn man ihnen nicht hilft?“ „Also, Sie wollen, daß ich Ihren Männern helfe, warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt. Das kann ich veranlassen, Major“, der Comandante nickte zu den Wachen und die erschossen augenblicklich die fünf verletzten Amerikaner. „Jetzt sind Ihre Männer versorgt, ich nehme an, das war es doch, was sie wollten, aber Sie sollten sich nicht grämen, ich habe so eine Ahnung, daß Sie sehr bald wieder mit ihnen vereint sein werden, und damit meine ich sie alle“ Es schien berechtigt gewesen zu sein, nicht allzu optimistisch in die Zukunft zu schauen, und so zerrte ich zwar weiterhin an meinen Fesseln, aber im Grunde wußte ich genau, daß sie zu gut angelegt waren, um sie selbst zu entfernen. Das war eigentlich nur eine Beschäftigungstherapie, die mir vorgaukelte, daß ich nicht untätig das Ende akzeptierte. 423
Lange sollte ich jedoch nicht meinen Gedanken nachhängen können, denn aus dem hinteren Teil der Schlucht, die nicht einsehbar war, kamen einige Leute, darunter auch Benedetto di Gondoni, die offensichtlich durch die Schießerei aufgeschreckt wurden. Auch Comandante Senedo sah sie und begann zu lachen, „So Major, jetzt sollten Sie langsam Ihr letztes Gebet sprechen, bevor Sie Ihre Männer wiedersehen“ Anne schien nicht bei Gondoni sein und trotz der bevorstehenden Exekution trieb mir einzig diese Tatsache den Angstschweiß auf die Stirn. Schon bei der bloßen Vermutung, daß Anne nicht mehr leben würde, spürte ich diesen Schmerz und eine Leere, die mich lähmte und beinahe panisch werden ließ. Mein Puls stieg und ich begann, mich trotz aller inneren Mahnungen in die Sache hineinzusteigern, so daß mir nur einige Atemübungen wieder die vollständige Kontrolle brachten. Verzweifelt suchte ich nach einem Indiz, daß Anne noch lebte, an dem ich mich festklammern konnte, und ich glaubte, es auch gefunden zu haben, denn vielleicht waren die Kisten noch nicht gefunden worden und man brauchte Anne noch. Andererseits konnten die Kisten schon in der hinteren Schlucht liegen und Anne wurde mit ihnen zusammen bewacht. Solange es eine Hoffnung für sie gab, konnte ich damit leben, und wohl in diesem Fall auch sterben. Carmen war schließlich in der Nähe und sie würde sicher nicht aufgeben. Der Comandante hatte unterdessen seinem Herren eine Meldung gemacht und nun kam Gondoni direkt auf mich zu, „Signore Kronau, langsam glaube ich wirklich, daß Sie ein Alptraum sind, den man einfach nicht abschütteln kann und dessen einziges Ziel es ist, mich zu ärgern“ „Danke für das Kompliment, aber ehrlich gesagt ist mir das völlig egal, was Sie denken, Gondoni. Normalerweise würde ich einem Mann mit Ihrer Intelligenz zugestehen, daß er sich denken kann, weshalb ich hier bin und das sind ganz sicher nicht Sie“ Senedo schaute mich wütend an, während Gondoni sich köstlich über mich amüsierte, „Ihr Ton gefällt mir, Signore Kronau. Er negiert so gänzlich die Möglichkeit, daß Ihr Leben wieder einmal in meinen Händen liegt, was für mich langsam zu einem ermüdenden Gedanken wird, aber damit ist jetzt Schluß. Ich habe das Gold gefunden und Ihre Geliebte ist meine Gefangene, da wird es langsam Zeit, sich damit abzufinden, daß sie auf der ganzen Linie verloren haben. Ihre gesamten Bemühungen waren sehr amüsant, bleiben aber immer nur Versuche, mit denen Sie am Ende gescheitert sind, wie Ihr Leben, das nun enden wird. Ich habe keine Lust, nochmal von Ihnen überrascht zu werden, und möchte mich diesmal persönlich davon überzeugen, daß Sie nicht mehr unter uns weilen. Deshalb schaue ich mir jetzt an wie Sie und diese törichten SEALS erschossen werden, und dann werde ich auf Ihre Abreise und meinen Sieg eine Tasse Tee trinken, damit...“ Während Gondoni so erfreut über meinen Tod sprach, kam einer seiner Männer und holte ihn zu einem Funkgerät. Die Eile, mit der er dem nachkam, ließ mich vermuten, daß es sehr dringend war, oder Lupus persönlich wollte mit ihm sprechen. Das ich sogar mit beidem Recht hatte, bekam ich dann einige Minuten später mit, als er wieder mit weniger guter Laune zu mir zurückkam, „Kommen Sie mit, wir machen einen kleinen Spaziergang“ 424
Gefolgt von zwei Leibwächtern gingen wir an dem Leichenhaufen vorbei und kurzzeitig glaubte ich, daß er mich persönlich umbringen wollte, doch das etwas geschwundene Lachen, von dem nur noch ein zufriedenes Lächeln übriggeblieben war, schien nicht dazu zu passen. „Signore Kronau, der einzige Erfolg, den Sie seit Ihrer ersten Einmischung hatten, bestand lediglich darin, nicht nach meinen Vorstellungen zu sterben, und wie ich leider feststellen muß, geschieht das auch heute nicht, weil unsere Organisation andere Pläne mit Ihnen hat“ Natürlich war ich überrascht und sogar erleichtert, doch solange ich nicht wußte, worauf die Sache hinauslief, traute ich dem Frieden nicht, „Also, wenn Sie glauben, daß ich in Ihren Verein eintrete, dann sind Sie schief gewickelt, Gondoni“ „Soweit würde wohl niemand von uns gehen, Ihnen so zu vertrauen, auch wenn wir Sie mit Ihrer Freundin ausreichend unter Druck setzten könnten und in gewisser Weise machen wir das auch, denn Signora Damianski wird der Preis in einem Spiel werden“ Ich dachte, ich hörte nicht richtig, und nur weil Gondoni keine Überraschung bei mir feststellen sollte, fragte ich nicht nochmal nach, „Mich können Sie beleidigen, verspotten oder erschießen, das juckt mich nicht im geringsten, aber lassen Sie Anne da heraus“ „Sehen Sie, es funktioniert schon. Jeder Mann hat seine schwache Stelle und Ihre ist allzu offensichtlich, deshalb werden Sie sich dabei auch besonders gut anstrengen. Gelegentlich lassen wir nämlich unsere Männer zum Training gegen reale Gegner antreten und Sie scheinen alle Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Schließlich haben Sie immer wieder genügend Raffinesse bewiesen und wenn es Ihnen schon gelungen ist, sich trotz unserer Bemühungen bis hierher durchzuschlagen, dann soll diese Anstrengung auch belohnt werden“ „Das ist eine seltsame Belohnung in meinen Augen, aber vielleicht sagen Sie mir lieber, was das für ein Spiel ist, Gondoni“ „Ich möchte da unserem Anführer nicht vorgreifen, er wird sie persönlich in unserem Stützpunkt informieren, nur soviel kann ich sagen, daß SEALS mit Ihnen in einer Gruppe sind, damit es für Sie einfacher wird, und für uns ein wenig schwerer, der Fairness halber“ Kein Mensch hätte ihm das abgenommen und ich tat es auch nicht, „Gondoni, nichts, was Ihre Organisation ausgeheckt hat, war fair und wenn ich eines ganz genau weiß, dann ist es die Tatsache, daß dieses ‚Spiel’ auch nicht fair sein wird. Aber ich nehme an, daß die Regeln so sein müssen, weil ich nur mit unfairen Mitteln zu stoppen bin. Ich hoffe, Sie spielen da auch mit, dann würde ich Ihnen gerne zeigen, was ich meine“ „Ausgezeichnet, Signore Kronau, die Motivation scheint bei Ihnen schon da zu sein. Es wird sicher ein aufregender Kampf werden, doch jetzt haben wir genug geplaudert, irgendwann werden die SEALS nämlich von ihren Vorgesetzten vermißt und ich möchte nicht mit einigen Suchmaschinen zusammentreffen“ Man brachte mich zurück in die Reihe, wo wir auf unseren Abtransport warten mußten, und meine Gedanken beschäftigten sich mit dieser weiteren Wendung meines Lebens. Anne ging es soweit gut und auch mich verschonte man vorerst, wenn auch aus 425
fragwürdigen Gründen, das konnte man durchaus als positiv bezeichnen und wenigstens eine Spur der alten Zuversicht verirrte sich wieder in meinen Kopf. Trotzdem kam mir das alles sehr merkwürdig vor – besonders, weil der Plan mit diesem Spiel Gondoni gerade erst mitgeteilt wurde, was steckte dahinter? Blieben die weiter bestehenden Sorgen um Francesca und den Doc, vielleicht waren sie auch in diesem Stützpunkt, zu dem wir gebracht werden würden, denn wenn die Lemuren dort trainierten, konnte es durchaus sogar das Hauptquartier der Terroristen sein. Warum sollten so wichtige Gefangene nicht dort festgehalten werden? Bei allem, was jedoch geschehen war, hatte ich mir meine jetzige Situation durch den ungestümen Drang nach Anne zu suchen selber eingebrockt. Weder meiner angeschlagenen Konstitution, noch den Medikamenten, oder der Unmöglichkeit meines Vorhabens konnte ich einen Teil der Schuld geben, denn das waren nur Faktoren und es gab allein eine wirkliche Ursache dafür - meine Liebe. So mußte ich mir insgeheim die Frage stellen, ob ich mich heute auf ihre gefährliche Seite eingelassen hatte und nun dabei war, den Preis dafür zu bezahlen.
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Kapitel 6 Mit mir wurden die sieben überlebenden Amerikaner in einen Transporthubschrauber verfrachtet und uns wurden alte Säcke als Kapuzen über den Kopf gezogen, bevor eine wahre Odyssee begann. Das hatte sich wohl schon vor einigen Stunden ereignet, doch die erste Zeit bekam ich nichts davon mit, weil Erschöpfung und Müdigkeit mich schnell gegen meinen Willen einschlafen ließen. Irgendwann, als die Hitze des vollen Tages schon brannte, wurde eine Pause gemacht, in der man uns getrennt zum Rand des Landeplatzes führte, damit wir uns erleichtern konnten. Das war allerdings keine reine Freundlichkeit, sondern diente wohl hauptsächlich als Tankstopp, was ich durch den typischen Geruch in der Luft vermutete. Anschließend gab man uns noch etwas Wasser, dann wurde unsere Reise zu dem unbekannten Ort fortgesetzt und wieder erwartete uns die quälend stickige Luft im Helikopter. Die Kapuzen und Fesseln löste man erst nach der Landung, nachdem man uns zuvor mehrere Treppen hinabgeführt hatte und wir in eine schwül-feuchte Umgebung kamen, wie sie nunmal große Kellergewölbe an sich haben. Eisengitter, die in großen Halbbögen verankert waren, trennten einzelne Abteilungen wie Käfige zum Mittelgang ab und die anderen Wände waren offenbar dicke Außenmauern, was diesen Ort nicht gerade zu einem lauschigen Plätzchen machte. „Hey, Duke“, gleich nachdem uns einige Männer hier eingeschlossen und dann verlassen hatten, kam der Major auf mich zu. „Major Pope?“ „Sie haben ja leider alles mitangesehen, Mister Kronau. Das war kein Tag, wie ich ihn nochmal erleben möchte, und es tut mir leid, daß ich mein Versprechen nicht halten konnte“ „Mir tut es auch leid, aber Sie und ihre Männer trifft keine Schuld, ich habe das Camp auch beobachtet und auch kein Anzeichen für eine Falle entdecken können, man hat sie erwartet und mich bei der Gelegenheit gleich miteingesammelt“ Er klopfte mir auf die Schulter, „Richtig, allerdings hätten sie nur den Hintern zusammenkneifen brauchen und in Deckung bleiben müssen, dann hätten sie diese Scheißterroristen überhaupt nicht bemerkt. Danke, daß Sie uns helfen wollten, auch wenn meine Jungs sich dafür recht merkwürdig bedankt haben“ „Das können sie laut sagen, ihr Dankeschön ist mir reichlich um die Ohren geflogen – Schwamm drüber. Jetzt sitzen wir alle im gleichen Boot und sollten zusehen, daß wir hier herauskommen. Was ist mit Ihren Vorgesetzten, die müßten doch langsam mitbekommen haben, daß sie verschwunden sind, haben wir da Hilfe zu erwarten?“ „Gute Frage, Mister Kronau. Ich bin mir sicher, daß jemand nach uns sucht, aber wir könnten über tausend Meilen von unserer letzten Position weg sein und wer weiß, wie lange es dauert, bis man uns hier findet. Ausgerechnet vor dem Angriff brach unsere Verbindung zur Einsatzzentrale zusammen und alle Satellitenkanäle wurden 427
unterbrochen, was ich zunächst für eine technische Fehlfunktion hielt, aber nun bin ich fest der Meinung, daß da manipuliert wurde. Demnach weiß wohl niemand zu Hause, was geschehen ist“ „Verdammt! So etwas ähnliches habe ich in Paris auch erlebt, Ihre Leute aus dem Pentagon sollten schnellstens nach einer undichten Stelle suchen, es sieht doch wohl ganz danach aus, daß Gondoni wußte, wann Sie angreifen wollten“ „Schon in Arbeit, aber wohl nicht mit dem gewünschten Erfolg und wir mußten diesen Bullshit ausbaden, Mister Kronau. Was mich aber viel brennender interessiert ist ihr Gespräch mit diesem Verräter Gondoni, wenn ich mir vorstelle, daß so ein Kerl mal Uniform getragen hat, dann dreht sich mir der Magen um. Es sah so aus, als ob Sie ihn kennen würden“ Ich schaute den Major nur kopfschüttelnd an, „Kennen? Wohl kaum, er hat versucht, mich einige Male ins Jenseits zu befördern, aber ich glaube, damit kenne ich ihn noch nicht. Einzig kann ich mir mittlerweile vorstellen, was man dem Kerl hinter seiner umgänglichen Fassade zutrauen kann und das ist sicher nichts Anständiges“ „Das trifft es genau, aber er hat Ihnen doch was gesagt und damit unsere Erschießung abgeblasen, es würde mich schon interessieren, welchem Umstand wir das zu verdanken haben“ Ich erzählte dem Major das, was ich wußte, und wir sprachen auch mit seinen Männern darüber, die schließlich das gleiche Recht hatten, etwas von diesem Spiel zu erfahren. Dann untersuchten wir erst einmal unsere Zelle, in der Hoffnung, eine Schwachstelle zu entdecken, die uns eine Flucht ermöglichen könnte. Zweifellos war das Gemäuer alt und nach der Ausführung der Arbeiten eindeutig ein nachkolumbianischer Baustil. Dies nahm uns jede Hoffnung auf diesen Weg. Zu massiv waren die Wände und darin hatte man sehr sorgfältig die Gitter im Inneren verankert. Zudem verzichtete man nicht auf moderne Sicherheitstechnik, von der in den Ecken einige Kameras eine Wache unnötig machten. Allerdings konnte ich nicht lange meinen neuen amerikanischen Freunden helfen, denn kurze Zeit später holten mich drei Männer ab, die mit mir durch das Gewölbe zurückgingen. Entlang düsterer Gänge und schmaler Treppen ging es langsam besserer Luft entgegen und durch einen breiten Ausgang, der inmitten einer hohen Steinmauer war, trat ich ins letzte Licht dieses Tages, der soviel Blutvergießen gebracht hatte. Vor mir sah ich einen kleinen Weg, von dem eine weite Ebene nach Osten zu erkennen war, die in der Entfernung einen jetzt grünschwarzen Streifen dichter Vegetation zeigte. Rechts ging es nun an der Mauer entlang und dort benutzten wir eine breite Treppe zum Kopf der Mauer, wo sich eine planierte Fläche auftat, die eine sorgfältig angelegte Gartenanlage verschönerte und als Rahmen für die dahinter erkennbaren Gebäuden diente. Breite Wege führten außen entlang und in der Mitte war ein kleines Wasserspiel zu erkennen, das friedvoll plätscherte und so überhaupt nicht zu meinen letzten Erlebnissen paßte. Um das Gebäude jetzt zu erreichen ging es nochmals über eine Treppe zu einer Art Terrasse, die in der Mitte eines U-förmigen großen Komplexes lag, um den sich auf allen drei Seiten ein Säulengang anschloß, der eindeutig auf einen maurisch-iberischen Baustil hinwies. Irgendwie erinnerte mich das alles an ein altes Kloster, zu spezifisch waren die Dachkonstruktionen und auch die kleinen Türme, in denen sich früher die 428
Glocken befunden haben konnten. Das alles erinnerte mich an die Andeutungen von Oberst Gusmao über das geheimnisvolle Versteck der Lemuren. Das überzeugte mich jetzt schon, wo ich mich befand und es bestätigte mir auch das was in Bezug auf dieses Spiel gesagt wurde, hier kam niemand wieder lebend heraus, um etwas zu erzählen. Schon aus einiger Entfernung sah ich zwei Männer in schwarzen Anzügen, die auf mich zu warten schienen und tatsächlich wurde ich nun von diesen durch den rechten Flügel der Hofanlage weitergeführt, während meine bisherigen Begleiter wieder den gleichen Weg zurückgingen. Ich mußte durch ein großes Tor gehen und kam in einen kleineren Hof, der jedoch sehr schön anzusehen war, weil man hier einige Citrusbäume in die Mitte gesetzt hatte. Allerdings blieb mein Auge nicht sehr lange daran hängen, denn dort traf ich zwei alte Bekannte, die mir trotz des Ernstes der Lage ein verstecktes Grinsen entlockten, Mario und Emilio, die ich zuletzt gefesselt in der Obhut von Madame Regina in Paris gesehen hatte. Ihre Gesichter zeigte dagegen keine Wiedersehensfreude, eher ein unbestimmtes Grinsen, aber gerade ihr Erscheinen ließ mich optimistischer in die Welt schauen, als ob ich einen alten Glücksbringer wiedergefunden hätte. Die Zurückhaltung, die sie in Anbetracht ihrer Demütigung an den Tag legten, verdankte ich sicher nur der Anwesenheit von Paulo Fortunati, der die beiden sicher mitgebracht hatte. Einzig, daß der Mafiosi hier auftauchen konnte, wunderte mich, gab mir aber auch die Hoffnung, daß man ihn beschattet hatte und so nun jemand von der Position des Verstecks wußte, was eine mögliche Befreiung für uns bedeuten konnte. Das gab mir Zuversicht und ließ mich etwas gelassener das Kommende erwarten. Weniger gelassen wirkten hingegen die Sarden, denn auf dem Weg entlang der Hofmauern konnte Mario nicht an sich halten und so vernahm ich einige unwiederholbare Ausdrücke, die mit wüsten Drohungen bezüglich meiner noch verbleibenden Lebenszeit gespickt waren. Das interessierte mich genauso wie die Uhrzeit in Honolulu, allerdings hätten sie nicht damit anfangen sollen, das Gleiche über Anne zu erzählen und dabei einige ihrer anatomischen Merkmale zu erwähnen, so hielt ich nun den Zeitpunkt für gekommen, etwas dagegen zu unternehmen, „Sagt mal, Ihr beiden Süßen, habt Ihr denn auch ein paar Abzüge von euren Bildern bekommen? Es wäre doch zu schade, wenn Ihr sie als Letzte seht und wieso seid Ihr eigentlich nicht in Sardinen, anstatt hier die Luft mit Eurer Gegenwart zu verpesten?“ Mario war der erste, der darauf reagierte, „Bastard, das wirst du uns noch büßen. Du willst wissen weshalb wir hier sind, weshalb wir in dieser Scheißgegend verrotten? Weil du uns hierher gebracht hast, denn bevor wir aus Paris verschwinden konnten, hat uns Don Paulo erwischt und zu seinem Cousin Don Valerio hierher geschickt. Jetzt fressen uns die Moskitos auf und müssen hier die Drecksarbeit machen, alles wegen dir, aber wir beide werden dich ganz sicher zuerst in unsere Finger bekommen und dann bekommst du alles zurück, das versprechen wir dir“ Darüber mußte ich mir jetzt noch keine Sorgen machen, vielmehr sorgte ich dafür, daß sie noch wütender wurden, damit ich mit meinen gefesselten Händen die Gelegenheit bekam, für die diversen Beleidigungen das Konto etwas auszugleichen, „Warum wartet ihr beiden Schwachköpfe denn, schließlich habt ihr mich doch schon in euren Händen, oder traut ihr euch nicht zu zweit?“ 429
„Weil...weil...“, Emilio hatte doch mehr Muskeln als Hirn und stand kurz davor auszurasten. Doch noch beherrschte er sich, weil sein Bruder ihm am Arm festhielt, „Emilio, bleib ruhig, Don Paulo hat es verboten“ Jetzt genügte schon ein kleiner Tropfen, der das Faß zum überlaufen brachte, „Also seid ihr doch Feiglinge, die Angst vor einem gefesselten Mann haben“ Das reichte, Emilio konnte sich nun nicht mehr beherrschen und schlug mich von hinten, worauf ich gehofft hatte, denn ich ließ mich nach vorne fallen und kam leider zu schmerzhaft auf dem Rücken zu liegen. Der große Sarde war inzwischen fast über mir und wollte mir scheinbar den Rest geben, aber da ich ihm ohne zu zögern seine Weichteile demolierte, kam er nicht mehr dazu. Bruchteile von Sekunden später traf mein Bein nochmal seinen gekrümmten Körper, der beim Schwung nach hinten Mario erfaßte, worauf sie lang hinfielen. Währenddessen war ich schon wieder auf den Füßen und kam bei ihnen an, als Mario sich schon wieder aufgerappelt hatte, doch noch bevor er wußte, wie ihm geschah, bekam er von mir einen Tritt, der ihn über die steinerne Brüstung des Kreuzganges in den Hof beförderte. Emilio litt noch immer an den Folgen meines Schlages, aber er war auch stärker und bäumte sich nochmal auf, was ihm bei einem Nachschlag verging, so daß er nun ausgestreckt auf dem Boden lag. Vielleicht dauerte die Angelegenheit zehn Sekunden, ich war mit mir zufrieden, aber auch ratlos, weil ich ja nicht wußte, wo es jetzt lang ging, doch das Problem löste sich schnell, denn entfernt hörte ich schon die schnellen Schritte einiger Männer. Als dann die Wachen, die sicher alles durch die installierten Kameras gesehen hatten, mit angelegten Waffen im Hof erschienen, stand ich nur lächelnd vor ihnen, „So ein Mißgeschick aber auch, die beiden sind einfach ausgerutscht“ Niemand lachte darüber, aber ich ging nun zufrieden mit anderer Begleitung durch eine Seitentür, bis zu einer großen Tür aus schwarzem Holz, die von zwei Männern bewacht wurde. Es wurde geöffnet und ich betrat einen großen Saal, der zwar spärlich ausgefüllt war, aber durch seine Bögen und Fresken doch imposant wirkte. Vorerst blieben wir allein und ich versuchte, mich hier zu orientieren, was durch die übersichtliche Möblierung auch kein Problem war. Insgesamt gab es hier drei Türen und außer derjenigen, durch die ich eingetreten war, gab es noch ein Pendant auf der Gegenseite, die beide trotz ihrer respektablen Größe recht armselig gegen das Hauptportal wirkten. Es war an der linken Stirnseite und beeindruckte durch seine gewaltigen Beschläge, sowie den reichhaltigen Verzierungen, die aus mehreren alten Wappen bestanden und das Auge sofort auf sich zogen. Ihm gegenüber war in diesem Raum ein breites Podest, das von schweren Vorhängen begrenzt wurde, die sich am unteren Saum leicht bewegten, was mich zu der Vermutung veranlaßte, daß dort irgendwo noch ein weiterer Zugang sein mußte, und dort stand auch ein pompöser Sessel, der mich sofort an einen Thron erinnerte. Sonst gab es einige Kommoden und Regale, die mit allerlei wertvollen Kleinodien geschmückt waren und dadurch etwas von der leeren Mitte ablenkten. 430
Kaum war ich fertig mit meiner Besichtigung, da bekam ich auch schon eine Bestätigung meiner Vermutung, denn hinter dem Vorhang trat ein Mann hervor, der sich in Begleitung von zwei Leibwächtern befand, die sich auf beiden Seiten des Podestes plazierten. Er war groß, vielleicht vierzig Jahre alt, mit schwarzen Haaren und markanten hellen Augen, die sofort jedem auffallen mußten, der ihn sah. Seine Garderobe war zudem exklusiv, denn der hellgraue Anzug mit dem blütenweißen Hemd und der passenden Krawatte schien beste englische Ware zu sein, wie mir der Schnitt verriet. Bruchteile von Sekunden sahen wir uns an und es schien mir, als wollte er sich ebenfalls einen ersten Eindruck von mir verschaffen. Dazu gehörte wohl auch sein langes Schweigen, das ihm die Gelegenheit geben sollte, mein Nervenkostüm zu begutachten, doch das war intakt, denn ich wußte ja, daß keine unmittelbare Gefahr bestand, und meine Anwesenheit hier mußte auch einen Grund haben, der wohl kaum eine Exekution war. Deshalb war ich recht neugierig, was mir dieser Mann mitteilen würde, der nur Lupus, das Oberhaupt der Lemuren sein konnte. Allerdings sagte er zunächst gar nichts und ging um mich herum, so als wenn man eine Statue ganz genau in Augenschein nahm und dabei nach einem Makel suchte, der das Kunstwerk als Fälschung brandmarkte. Dann schien er aber endlich genug davon zu haben und nahm sich von einer Anrichte ein Glas Sherry, „Für jemanden, der soviel Ärger verursacht hat, geben Sie eine ziemlich traurige Gestalt ab, haben Sie schon mal Cervantes gelesen?“ Seine Stimme klang unangenehm kalt und erinnerte mich an einen Oberlehrer, „Don Quichote? Sicher, aber ich glaube nicht, daß Sie mich hergeholt haben, um sich über Literatur zu unterhalten. Sie machen mir eher den Eindruck, als hätten sie hier generell was zu sagen, also kann ich bestimmt einige Fragen bei Ihnen loswerden“ „Tatsächlich habe ich hier etwas zu sagen, denn ich bin der Mann an der Spitze dieser Organisation und wenn mich Ihre Fragen interessieren sollten, dann gebe ich Ihnen Bescheid. Solange das aber nicht geschieht, sollten Sie einfach zuhören und dankbar sein, das Sie überhaupt noch leben. Ich denke, auch Ihnen gegenüber ist ein gewisser Grad an Höflichkeit angebracht, mein Name ist Bartholome Diaz und Sie befinden sich auf meine Anordnung hier in meinem abgelegenen Refugium. Wie es aussah, stand Lo Squalo schon kurz davor, sie exekutieren zu lassen und nur eine kleine Änderung meines Planes ermöglicht Ihnen noch das Ambiente dieses Klosters zu genießen, also sollten Sie einfach zuhören, damit Sie von mir erfahren, welche Rolle ich Ihnen zugedacht habe“ Das er sich mir so einfach zeigte und zudem noch ohne Scheu seinen Namen preisgab, ließ keine Zweifel in mir, daß er kaum vorhatte, mich jemals wieder auf freien Fuß zu setzen. Zu leicht konnte ich ihn identifizieren und damit hatten die Behörden den Beweis, um ihn von seinem Schreibtisch bei der U.F.S.A. in Buenos Aires zu verhaften. Er war sicher nicht so naiv, um das nicht zu wissen, allerdings machte gerade dieser Umstand mich sehr neugierig, denn was war so wichtig, um mir noch diesen Aufschub zu gewähren und mich zu dieser Klosteranlage zu bringen, die nach den 431
Ornamenten und dem Baustil sicher von jesuitischen Baumeistern errichtet worden war. „Ich habe wohl keine andere Wahl, aber meine Konzentration wäre sicher besser, wenn ich wüßte,wie es Anne Damianski und meinen anderen entführten Freunden geht“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und schien etwas zu überlegen, aber ich glaubte, das war genau solch eine Show wie der ganze Auftritt hier in diesem Saal. „Sie versuchen immer, die Spielregeln selber zu bestimmen, das scheint ein eingebrannter Charakterzug bei Ihnen zu sein. und wenn Sie das nicht können, dann schalten sie auf stur, aber ich bin kein Unmensch, so wie Sie es gerne glauben möchten. Meine Gäste sind alle am Leben und ich denke, das ist das Wichtigste für Sie, habe ich nun Ihre ungeteile Aufmerksamkeit?“ „Im Prinzip schon, allerdings glaube ich selten Leuten, die mich umbringen wollen, das ist auch ein Charakterfehler von mir und deshalb traue ich Ihnen weiterhin nicht über den Weg“ Er lachte mit einem rauhen gespielten Unterton, „Sie werden uns bestimmt gut die nächsten Tage unterhalten, beinahe finde ich es schade, daß Sie das kaum überstehen werden, aber so ist das nun mal, wenn man sich in Dinge einmischt, die einen nichts angehen. Ich werde es arrangieren, daß Sie die Frauen nach unserem Gespräch sehen können, und der deutsche Spitzel wird Sie morgen persönlich begleiten, damit Sie aber bis dahin nicht andauernd an meinen Worten zweifeln, bekommen Sie schon eine Anzahlung darauf“ Zuerst wußte ich nicht recht, was er meinte, das änderte sich jedoch erschreckend schnell, als die Tür auf der anderen Seite geöffnet wurde. Denn Lilly wurde mit Juan und Cristobal Avialo, sowie Mister Randall gefesselt und geknebelt in den Raum geführt und alle sahen mich mit den gleichen großen Augen an, so wie ich es wahrscheinlich auch tat. Einzig die Bestätigung, daß Anne und die anderen am Leben waren, ließ den Schock über dieses unverhoffte Wiedersehen nicht zu groß ausfallen. „’Never change a winning Team’ würden die Engländer sagen und niemand weiß doch, ob die SEALS dort unten genau so äquivalent mit Ihnen zusammenarbeiten wie Ihre Freunde. Deshalb habe ich mir gedacht, daß wir sie in unser kleines Spiel mit einbeziehen werden und damit für alle noch ein wenig mehr Spannung hereinbringen“ „Diaz, Sie...“ „Bitte, Señor Kronau, es besteht kein Grund, um ausfallend zu werden, oder würden Sie es bevorzugen, wenn ich Ihnen Leichensäcke vor die Füße lege?“ Nachdem ich mich etwas gefaßt hatte und sich nun meine Hoffnung auf eine Befreiung von außen nur noch auf die Amerikaner und die Geheimdienste beschränkte, begann ich wieder, die gewohnte Ruhe auszustrahlen, obwohl mir innerlich ganz anders zumute war. Das machte ich weniger für mich, sondern vielmehr, um meinen Freunden noch etwas Zuversicht zu vermitteln, die ich gerne im gleichen Umfang selber gehabt hätte. Carmen schien sich hingegen noch auf freiem Fuß zu befinden, jedoch konnte ihr alles mögliche in der Zwischenzeit geschehen sein und vielleicht war sie auch von den 432
Terroristen gestellt worden, dann allerdings zweifelte ich nicht daran, daß sie sich mit ihnen einen letzten Kampf geliefert hatte. Bartholome Diaz schien seine Inszenierung zu genießen und mich wunderte es etwas, daß Gondoni nicht auf der Bildfläche erschien, um sich ebenfalls an diesem Triumph zu laben. Auch Fortunati war das mit Sicherheit zuzutrauen, aber scheinbar war es im Moment das Vorrecht des Anführers, dies allein zu genießen. Nachdem er nochmal sein Glas gefüllt hatte, sprach er nun in Englisch weiter, damit ihn auch alle Anwesenden verstehen konnten, „Señor Kronau, natürlich werden wir es der jungen Lady ersparen, das gleiche Schicksal mit den Männern zu teilen, sie wird solange bei den anderen Frauen bleiben, bis Ihre Aufgabe erfüllt ist. Ich möchte es meinen Männern nicht zumuten, gegen eine Frau zu kämpfen und...,“ weiter kam er vorerst nicht, denn Lilly hatte sich aus der Reihe gelöst und war schon auf Lupus zugestürzt, bevor sie zwei Bodyguards festhalten konnten, die nun fragend zu ihm schauten. Diaz kam die paar Schritte auf sie zu und betrachtete sie beinahe genauso eingehend wie mich zuvor, dann zog er mit einer Hand ihren Knebel vom Mund, was er sich vielleicht überlegt hätte, wenn er den Wortschwall vorhergesehen hätte, der nun den Saal erfüllte. „Mister, ich weiß ja nicht, wer Sie sind und was Sie von uns wollen, aber wo meine Freunde hingehen, da gehe auch ich hin, verstehen Sie das? Ich will keine Sonderbehandlung und außerdem, was fällt ihnen überhaupt ein, uns zu entführen, wenn...“ Auf einen Wink ihres Anführers schob einer der Wachen Lilly wieder den Knebel in den Mund und brachte sie zurück in die Reihe, wo dann nur noch ein gedämpftes Nuscheln von ihr zu vernehmen war. „Die Lady ist offensichtlich alt genug, um sich ihr eigenes Grab zu schaufeln, aber wenn sie es so will, dann soll sie es so haben. Es ist schade für sie, aber vielleicht bringt das ja meinen Männern einen besonderen Anreiz, sie zu fassen, allerdings kann ich dann nicht mehr für die Konsequenzen einstehen. Bringt sie raus und gebt ihnen was zu essen, ich will nicht, daß alle vor Schwäche umfallen, dann macht die Sache keinen Spaß mehr“ Lillys Intervention gefiel mir überhaupt nicht, denn was auch geschah, es würde sicher kein Spaziergang werden. So hätte ich Lilly lieber bei Anne und Francesca gesehen, aber in einem Punkt mußte ich Lupus recht geben, sie war alt genug, um ihre Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie offensichtlich keine Ahnung von ihrer Reichweite hatte. Man hatte meine Freunde wieder hinausgeführt und Lupus stand mir immer noch kopfschüttelnd gegenüber, „Ist es nicht das Größte für einen Anführer, wenn seine Leute solch eine Treue an den Tag legen und so für ihn in den Tod gehen?“ „Wenn sie Lilly damit meinen, haben Sie kaum begriffen, was gerade passiert ist, denn das war keine Treue, oder blinder Gehorsam, es war ihre freie Entscheidung und damit mehr als je einer ihrer Männer für Sie tun wird. Das hat sie nicht für mich getan, sondern für sich selbst, denn ich bin kein Anführer der sich wie Gott fühlt und denkt, er ist unfehlbar. Meine Erfahrung gestattet es nur, den besten Weg etwas eher zu 433
erkennen, und damit habe ich mir ein gewisses Vertrauen unter meinen Freunden erworben. Aber das macht mich nicht besser oder schlechter, es birgt nur eine Verantwortung in sich und die kann schwerer wiegen als Sie es sich wahrscheinlich vorstellen können“ „Wahrscheinlich, aber Freundschaft vergeht wie Schnee in der Sonne, kein großer Mann verläßt sich auf so etwas unzuverlässiges. Auf der einen Seite sind Angst und Schrecken bessere Verbündete, genauso wie andererseits Geld und Macht, es ist schon immer so gewesen und nicht umsonst redet man von Zuckerbrot und Peitsche. Das wird auch der Grund sein, weshalb ich hier mit einem Glas Sherry stehe und Sie Ihre Arme auf dem Rücken gebunden haben. Meine Philosophie ist weitaus effektiver, jedoch hat Sie Ihre Einstellung unberechenbarer gemacht und darin sehe ich auch den Grund für Ihre kleinen Erfolge. Sie merken, ich weiß genau, wen ich vor mir habe, und mir ist auch bewußt, daß Sie mich durchschaut haben, sonst würden Sie nicht so ungerührt hier stehen. Ihnen ist klar, daß ich Sie noch brauche und nur ungern jetzt schon zum Teufel schicken würde, obwohl es in Ihrem kleinen Hirn noch arbeitet, warum das so ist, aber vorerst klammern Sie sich an dieses Stück Sicherheit. Sie wundern sich auch, warum ich mit Ihnen solange rede und hoffen, etwas Brauchbares dadurch zu erfahren, doch das ist sehr einfach zu erklären, denn auch unter den Schafen gibt es einen Leithammel, der aus der Meute heraussticht, und mich interessiert es nur, wie weit ihre Fähigkeiten darin gehen. Ich weiß genau, welche Meinung Sie von mir haben, und dabei fühlen Sie sich auch noch überlegen, weil Sie sich für ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft halten, das immer auf Recht und Ordnung bedacht ist und dabei spielen Sie nur das Spiel der Reichen und Mächtigen mit. Davon habe ich mich zum Glück selbst sehr schnell freigemacht und im Laufe der Zeit erkannt, daß man nur die Regeln bestimmen muß, um die Macht zu bekommen. Die meisten Menschen sind wie Vieh, ohne Führung stehen sie nur dumm in der Gegend herum und warten sehnsüchtig auf jemanden, der ihnen die Richtung sagt, in die sie zu laufen haben und nur wenige sind dazu auserkoren diese Rolle zu übernehmen“ „Ich nehme an, Sie halten sich für solch einen Menschen“ „Es überrascht mich nicht, daß ein Mann mit Ihrem Charakter das sofort erkannt hat, schließlich neigen Sie selbst dazu, gelegentlich die Ordnung zu durchbrechen, wenn auch nur in bescheidenen Rahmen. Aber noch ist die Zeit dafür nicht reif, es muß noch der Boden mit Chaos bereitet werden, um leicht die Positionen einzunehmen, von denen alles beherrscht werden kann“ Langsam drängte sich mir der Eindruck auf, daß ich es mit einem an Überschätzung leidenden Wahnsinnigen zu tun hatte, der leider in der Lage war, seine wirren Phantasien in die Tat umzusetzen, „Ich weiß zwar, daß ich hier Ihr ‚Gast’ bin, aber hat ihnen schon mal jemand gesagt, daß Sie größenwahnsinnig sind?“ Er war etwas überrascht und schaute mich an, „Schade! Sie scheinen auch einer der Menschen zu sein, die ihre Ziele selbst beschränken und alles, was darüber liegt, für unmöglich erklären, weil sie Angst davor haben, bis dorthin zu gelangen. Sicher kann dieser Eindruck aus Ihrer Sicht entstehen, doch Politik ist doch im eigentlichen Sinn 434
nur Zeitverschwendung. Wahre Macht zeichnet sich dadurch aus, daß niemand weiß, wer sie ausübt und das gibt allem einen Hauch von Mystik, denn in Wahrheit bedeutet es eigentlich nicht den Thron zu besitzen, sondern ihn zu besetzen. Es gibt kein willfährigeres Werkzeug als jemand, der an einem Zipfel seiner Macht hängt, solche Leute tun buchstäblich alles, um das zu erhalten und spielen mir somit in die Hände“ „Ich verstehe, demnach besteht Ihr Vorhaben darin, irgendwann hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen, ohne daß die Menschen etwas davon merken“ „Das stimmt, ich habe Sie offenbar doch nicht unterschätzt, Señor Kronau. Die Menschen neigen im allgemeinen dazu, sich an die Umstände, in denen Sie leben, zu gewöhnen. Ich respektiere das und außerdem kann zuviel Unruhe nur meinen Plänen schaden. Die Regierungen verschweigen der Bevölkerung diese Gefahr und tun damit genau das, was ich möchte, jedenfalls solange, bis es für sie zu spät ist und ich die Kontrolle ausüben kann“ Es blieb für mich schwer zu erkennen, inwiefern er an seine Ideen wirklich glaubte, jedoch hatte er bald die Mittel, um seine abstrusen Vorstellungen in die Tat umzusetzen, obwohl ich mir kaum vorstellen konnte, daß dies jemals so realisierbar war, doch darum ging es im Moment auch nicht. Mit den Uranidbakterien hatte er ein Druckmittel in der Hand, welches wirksam genug war, um schwere Schäden zu verursachen und es mußte alles getan werden, um das zu verhindern. „Ich nehme an, Sie wollen der Welt nur Glück und Frieden bringen und müssen dazu eine nicht zu vermeidende Phase der Gewalt durchstehen, damit Sie Ihre Pläne durchsetzen können. Es ist doch eigenartig, daß jedem Usupator, Tyrann oder Diktator immer nur das Gleiche einfällt“ „Da haben Sie möglicherweise sogar recht, allerdings ist es die beste Entschuldigung für alles, was man tut und die eigenen Leute glauben sehr gerne daran, um ihr kleines Gewissen zu beruhigen. Möglicherweise bin ich für solche Ideen in meiner Jugend geprägt worden, denn es wird Sie überraschen, aber auch ich habe deutsche Wurzeln. Mein Vater kam nach dem Krieg hierher und leitete bis zu seinem Tod eine Untergrundorganisation der Nazis in Südamerika. Zwar habe ich seinen fanatischen Glauben an diesen ideologischen Schwachsinn nie verstanden, aber als ich die Chance hatte, sein Erbe zu übernehmen, waren mir die aufgebauten Strukturen sehr hilfreich, meine eigenen Interessen durchzusetzen. So entstand im Laufe der Jahre meine Organisation, verstärkt durch unzufriedene Militärs und gierige Beamte auf der ganzen Welt, die dachten, sie könnten ihren Vorteil daraus ziehen, und die zu beschränkt im Denken waren, um zu erkennen, daß sie nur benutzt wurden“ Langsam begannen sich die letzen weißen Flecken in dieser Geschichte für mich zu schließen, Bartholome Diaz dürfte sicher von seinem Vater etwas über die verschwundenen Kisten gehört haben und nutzte sein Spitzelnetzwerk, um überall nach ihnen zu suchen. Dabei erfuhren sie von der Entdeckung des Restaurateurs Pasquini und das Unheil begann seinen Lauf zu nehmen. „Aber lassen wir das, Señor Kronau. Ich habe noch einiges zu erledigen und wir haben noch nicht über Ihre morgige Vorstellung gesprochen“ „Ja, es wird Zeit über Ihren geplanten Gladiatorenkampf zu sprechen“ 435
Sein Gesicht zeigte nun einen unverkennbaren Ausdruck der Überlegenheit, „Sie irren sich, das was Sie erleben werden, hat nichts mit einem Gladiatorenkampf zu tun, es ist eher vergleichbar mit einer spanischen Corrida. Hunderte von Kilometern um dieses Anwesen gibt es nur Dschungel, einige Felsen und etliche unangenehme Tiere. Die einzigen Menschen darin gehören zu uns und patrouillieren an den Grenzen dieses Gebietes, damit niemand hinein kommt und erst recht nicht hinaus gelangt. Damit wird Ihnen die Möglichkeit genommen, einfach das Spielfeld zu verlassen, denn es macht schließlich keinem Jäger Spaß, wenn sich die Beute so einfach aus dem Staub macht. Allerdings glaube ich nicht, das Sie das in Erwägung ziehen würden, weil es die Aufgabe Ihrer Gruppe sein wird, hier in einer Woche den Glockenturm zu erreichen. Sollten Sie das nicht schaffen, werden das die Frauen büßen müssen, und das dürfte nicht angenehm werden, ich habe mich doch verständlich ausgedrückt, oder?“ „Ich glaube schon, allerdings hat das wohl wenig mit einer Jagd zu tun, denn Sie brauchen doch nur hier auf uns zu warten, da können Sie uns eigentlich gleich umlegen“ „Eine glänzende Idee, aber sehr nüchtern und es verspricht kaum, Spaß zu machen. Seien Sie also nicht so pessimistisch, Señor Kronau. Es gibt zwei konkurrierende Gruppen von Jägern, einmal meine Leute und dann noch die Männer von Paulo Fortunati, beide wollen natürlich so viele wie möglich von Ihnen erlegen und da ergibt es sich beinahe von selbst, daß es nötig sein wird, nach Ihnen zu suchen, anstatt hier nur abzuwarten. Morgen früh bringt man Sie alle zu einem abgelegenen Teil im Nordosten knapp einhundertfünfzig Kilometer von hier entfernt und von dort müssen Sie einfach nur zurückkommen. Das ist nur für die Orientierung wichtig, damit Sie nicht zufällig in die falsche Richtung gehen. Es wäre doch schade, wenn Sie und Ihre Freunde gleich am Anfang meinen Patrouillen in die Arme laufen würden, denn sie alle haben den Befehl, ohne Rücksicht zu schießen“ Das es auf sowas hinauslaufen würde, hatte ich mir beinahe gedacht, es war eine Art Aufschub, um diesen Leuten noch eine gute Show zu liefern, aber irgendwie wunderte es mich doch, daß ein rational denkender Geist wie der von Diaz solch eine infantile Freude an einer Hetzjagd haben konnte. Sowas brauchte zuviel Zeit und dazu bedeutete es noch einen gewissen Aufwand an Vorbereitung, der gerade jetzt, wo sich die Amerikaner schon im Land befanden, für mich völlig unpassend erschien. „Das ist ja eine reizende Idee von Ihnen und ich nehme mal an, Sie werden uns auch keine Waffen mitgeben“ Eigentlich hätte er nicht zu antworten brauchen, denn sein Gesicht verriet sowieso schon alles, „Natürlich nicht! Ihre einzige Verteidigung wird die Flucht sein, denn damit werden Sie alle immer in Bewegung sein und das ist für die Jäger wesentlich interessanter, als wenn Sie sich irgendwo verschanzen würden. Dies ist auch der Grund, weshalb man auch nicht gleich morgen nach Ihnen sucht, sondern erst übermorgen damit beginnen wird, weil es für alle zu einfach wäre, wenn man Sie schon im Umkreis des Absetzpunktes zu fassen bekommt“ „Sie scheinen ja an alles gedacht zu haben und was passiert, wenn man jemanden von uns erwischt?“ 436
Diaz machte ein erstauntes Gesicht, „Für den ist die Jagd vorbei, genau wie alles andere auch und ich nehme an, das war deutlich genug für Sie. Sollten Sie alle doch auf die Idee kommen, fliehen zu wollen, werden die Frauen sterben, einzig wenn jemand den Turm erreicht, oder alle ehrenvoll während dieser Jagd umkommen, bleiben sie am Leben, es ist eigentlich ganz einfach“ „Sehr einfach! Vor allem, weil es niemand kontrollieren kann und wie ich vorhin schon erwähnte, mißtraue ich dem, was Sie sagen. Was geschieht mit den Leuten, die den Glockenturm erreichen?“ Damit schaffte ich es doch tatsächlich, ihn in Erstaunen zu versetzen, denn offenbar hatte er nicht ernsthaft über diese Möglichkeit nachgedacht. „Nun,... genau das Gleiche wie mit den Frauen. Wir halten sie noch eine Weile fest und dann lasse ich sie frei, denn sie sind zu dem Zeitpunkt keine Gefahr mehr für uns. Wir stehen nämlich kurz davor eine... eine globale Garantie für unser ungestörtes Handeln zu entwickeln. Ich erwarte nicht, daß Sie das verstehen, aber es ist so und wenn wir in einigen Tagen darüber verfügen, simd irgendwelche Aussagen völlig irrelevant. Ich verspreche Ihnen sogar, daß sämtliche Regierungen die Frauen selbst zum Schweigen bringen würden, um keine Unruhe durch sie aufkommen zu lassen und damit hätten wir noch nicht einmal etwas damit zu tun“ Zweifelsfrei spielte er auf die Bakterien an, von deren Existenz ich normalerweise nichts wissen durfte, so war zwar seine Aussage plausibel, deshalb glaubte ich ihm trotzdem kein Wort und es war auch nicht meine Absicht, es darauf ankommen zu lassen. Wenn er eine Beute für sein perverses Spiel suchte, hatte er die denkbar schlechteste Wahl getroffen, und morgen im Dschungel war ich in vertrautem Gebiet, diesen Vorteil konnte er mir nicht nehmen. Bei diesen Andeutungen wurde mir nun auch verständlich, warum Diaz sich nicht scheute, seinen Namen zu nennen und Gondoni nicht mehr in sein bürgerliches Leben zurückgekehrt war. Sie alle glaubten an den Erfolg mit den Bakterien und wußten, daß damit jede Regierung zu erpressen war, so lohnte es sich für die Lemuren nicht mehr, das Versteckspiel aufrechtzuerhalten. Dieser Mann war wirklich gefährlich, denn er hatte keine moralische Grenze, nichts was ihn im Innersten aufhalten konnte und vor der Durchführung seiner mörderischen Pläne bewahrte. Es machte ihn unberechenbar, doch gleichzeitig wurde er dadurch auch einfach auszurechnen, weil ihm nur das Schlimmste zuzutrauen war und das war kein beruhigender Gedanke. Diaz schien genug von meiner Gegenwart zu haben und bemerkte, das wir uns morgen wiedersehen würden, dann brachte man mich nach draußen, allerdings ging es nicht zurück in den Keller, sondern man brachte mich über verschiedene Flure in ein gesichertes Zimmer, auf dessen Tisch sogar eine Vase mit Blumen stand. Wahrscheinlich wollte er mich separat unter Kontrolle halten und an seiner Stelle war das eine gute Idee, denn natürlich hatte ich mir schon Hoffnungen gemacht, in der Nacht etwas mit den Amerikanern zu unternehmen. Doch so stand ich nun an einem vergitterten Fenster und schaute in den Hof mit seinen blühenden Sträuchern, der mittlerweile von einigen Strahlern erleuchtet wurde, die die Dunkelheit der angebrochenen Nacht durchbrachen. 437
Im Mondlicht konnte man über die Dächer nach Westen schauen und dort erkannte ich die dunkle Masse eines hohen Felsmassivs, auf dem ganz oben ein Lichterkranz erstrahlte. Natürlich grübelte ich nach, was das sein konnte, aber das plötzliche Entriegeln der Tür ließ mich sofort davon abkommen und mein Herz begann erwartungsvoll zu pochen, weil ich hoffte, Anne wiederzusehen. Meine Freude war jedoch unbegründet und sicher war die Enttäuschung darüber deutlich in meinem Gesicht zu sehen als Diana LeClaire den Raum betrat. Mehr noch, meine Mine verfinsterte sich, ich hatte für einen kurzen Moment das Bedürfnis, einfach zu vergessen, daß mir eine Frau gegenüberstand und war versucht, sie nur nach ihren Taten zu behandeln. Sie trug letztendlich einen Hauptteil der Schuld, daß wir überhaupt alle hier waren und nun besaß sie sogar die Frechheit, alleine in diesem Zimmer aufzutauchen. Das ich in diesem winzigen Augenblick nichts unternahm, verdankte sie sicher nicht meiner guten Kinderstube, die sie überhaupt nicht verdient hätte, sondern vielmehr meiner Einsicht, daß es nichts mehr ändern würde und ich dabei noch einen Grund für diesen Besuch vermutete, außerdem konnte sie wohl kaum noch unsere Situation verschlimmern und ich beschloß, nun nicht voreilig zu handeln, obwohl sich das bei passender Gelegenheit ändern konnte. Ihre offensichtlichen Absichten fielen mir dann recht schnell ins Auge, denn den Begriff Kampfanzug schien sie ganz anders zu interpretieren als es gedacht war. Der viel zu eng sitzende Overall an ihrem Körper war soweit geöffnet, daß ich jederzeit darauf gefaßt war, durch eine bedachte, oder auch unbedachte Bewegung von ihr, einen Blick auf den Bauchnabel werfen zu können. Aufmerksam musterte sie meine Reaktion und kam dabei wortlos näher, um ein Tablett mit etwas Eßbarem auf dem Tisch abzustellen, das aber sicher nicht der Grund für dieses nächtliche Intermezzos war. „So sehen wir uns wieder, Gabriel. Du siehst schlecht aus, dir scheint es an einer zarten Hand zu fehlen, die dich pflegt und umsorgt, wie es ein Mann mit deinen Qualitäten verdient hat“ Ich antwortete vorerst überhaupt nicht, weil ich fürchtete, mich doch im Ton zu vergreifen, und sah mir ohne den geringsten Hunger zu haben, lieber den Maisbrei auf dem Teller an, um so mein Desinteresse ohne ein Wort auszudrücken. „Wie ich sehe scheinst du Appetit zu haben und ich hätte auch noch ein aufregendes Dessert für dich, wenn du magst“, ihre Finger spielten dabei aufreizend mit ihren Haaren und nachdem sie so ihre Frisur durcheinandergebracht hatte, fuhr ihre Hand in gerader Linie von ihrem Hals den geöffneten Overall hinab. Dieses sehr einseitig geführte Gespräch begann nun in eine Richtung zu gehen, die mir nicht sonderlich gefiel und ich hielt es nun doch für besser, etwas zu sagen, „Du hast sicher nicht das, auf was ich Appetit habe, also kannst du das kalte Buffet wieder zudecken, bevor du dich erkältest. Ich war nur neugierig, ob du einen Apfel mitgebracht hast, den dir eine Schlange gegeben hat“ Meine Worte hinterließen vorerst bei ihr jedoch nicht die gewünschte Reaktion, „Ich erfülle dir jeden Wunsch und wenn du es willst, dann besorge ich dir auch einen Apfel. Vielleicht bist du dann auch nicht mehr so abweisend wie in Paris, aber eigentlich wäre 438
es doch Zeitverschwendung, wenn ich jetzt nochmal in die Küche gehe, laß uns die Zeit besser nutzen. Ich verspreche dir, daß es sich lohnen wird, und dann könnte ich dir sogar noch wichtige Informationen für morgen geben. Du bekommst, was du willst, und ich bekomme, was ich will, das ist einfach nur ein Geschäft und dabei können wir noch eine Menge Spaß haben“ Das war in der Tat ein außergewöhnliches Angebot und ich konnte mir gut vorstellen, daß viele Männer, die ihre Definition von Spaß etwas großzügiger auslegten, jetzt gerne mit mir getauscht hätten, „Wie ich feststellen muß, willst ‚du’ dort weitermachen, wo ‚ich’ in Paris aufgehört habe, aber das läuft nicht so. Also ersparen wir uns die Peinlichkeiten und du verschwindest einfach dorthin, wo du hergekommen bist, ich erwarte nämlich noch Besuch. Du hast mich in Paris nicht interessiert und meinst du wirklich, daß sich das nach den Lügen und den Spitzeldiensten für Fortunati irgendwie geändert hätte? Draußen vor der Tür stehen sicher einige Kerle, die bestimmt auf deine hübsche Fassade reinfallen und dir gerne zu Diensten sind, aber ich kenne deinen häßlichen Charakter und wenn ich in dein Gesicht schaue, dann ist es genau das, was ich dann vor mir sehe“ Ihre Miene versteinerte vor meinen Augen, offensichtlich hatte ich sie da getroffen, wo es ihr wehtat, „Ich,... ich hasse dich, ich hasse euch Männer alle, immer soll alles nach eurem Willen gehen und wir sollen schön brav‚ ja danke’ sagen, aber darauf habe ich keine Lust. Es ist nichts schlimmes daran, wenn ich mir meine Spielregeln selber mache und mir das hole, was ich will und wann ich es will“ „Vollkommen richtig, aber dann solltest du einfach auch ein ‚nein’ respektieren, man bekommt eben nicht alles im Leben, was man will und solltest du das bisher nicht gelernt haben, dann wird es jetzt höchste Zeit dafür – Bye Bye“ Einen Moment war es ruhig im Zimmer und ich hoffte, sie würde nun verschwinden, doch da sollte ich mich täuschen. „In meinem Leben habe ich mehr gelernt als du dir vorstellen kannst, halte dich nur nicht für so unglaublich schlau, sonst erlebst du noch eine Überraschung. Denkst du denn wirklich, daß ich für Paulo arbeite? Wenn das so ist, dann irrst du dich nämlich gewaltig, denn ich habe mir den ganzen Plan ausgedacht und Paulo hat alles getan, was ich von ihm verlangt habe“ Als ich das hörte, schenkte ich ihr keinen Glauben und das sah man mir auch an, sicher versuchte sie nur wieder, Aufmerksamkeit zu erregen, „Ach so! Du hast also die Fäden in der Hand, dann nehme ich an, daß du Fortunati beauftragt hast, mich in Barbados umzubringen, was mich eigentlich etwas wundert, wenn ich bedenke, wie du dich benommen hast, als du in das Zimmer hereingekommen bist – das ist doch alles Unsinn, was du sagst, also höre auf zu lügen! Du konntest deinen Willen in Paris nicht durchsetzten und dann hast du nach der besten Chance gesucht, wie du dich rächen konntest und ich gratuliere dir, denn die hast du auch gefunden. Ich hoffe, es hat dich glücklich gemacht, das Leben so vieler Menschen mit Füßen getreten zu haben, aber es ist schließlich auch ein Weg, um den anderen Leuten näher zu kommen, denn anstatt selber nach Glück zu streben, zieht man die anderen hinunter auf die gleiche Ebene und dann fühlt man sich nicht so verlassen, stimmt’s Diana?“ 439
Langsam kam der aggressive Unterton immer mehr bei mir durch und ich wußte, daß ich mich etwas bremsen sollte, damit der Haß nicht siegte, was mich dann nicht besser als Diana machen würde. Schon dachte ich, daß sich das Problem von alleine regeln würde, als sie sich wegdrehte und zur Tür ging, wo sie aber abgewandt von mir stehen blieb und dann in einer veränderten Tonart wieder zu reden begann, „Es tut mir leid,... verdammt, es tut mir wirklich leid, was ich getan habe, Gabriel. Du verstehst das einfach nicht, es ist... es ist doch alles ganz anders geplant gewesen“ Ihre schauspielerischen Fähigkeiten waren mir bewußt und im Moment gab ich keinen Pfifferling auf das, was sie sagte, allerdings konnte ich hoffen, daß sie nun, wo ihr Improvisationstalent gefragt war, einen Fehler machte und etwas zuviel erzählte. Ich wollte das so gut es ging provozieren, „Es tut dir leid? Das kann man hinterher leicht sagen und besonders gut geht es, wenn man es jemanden erzählt, der morgen wahrscheinlich tot ist“ „Nein! Du mußt mir das bitte glauben, niemals wollte ich deinen Tod und genauso wenig sollte sich Paulo mit diesen Leuten einlassen. Aber er denkt auf einmal, wenn er auf Dauer mit diesem Señor Diaz zusammenarbeitet, wird es das Geschäft seines Lebens, und ich habe die Kontrolle über ihn verloren. Mein Gefühl sagt mir, daß diese Sache ein großer Fehler ist, aber er will nicht mehr auf mich hören und nun kann ich meine eigenen Pläne vergessen. Auf einmal muß ich zusehen, wie alles, was ich mir gewünscht habe, unerreichbar bleibt, mein Freund nimmt das Geld wichtiger als mich und du, der alles verkörpert, was ich mir von einem Mann erträumt habe, will nichts von mir wissen. Dazu kommt noch, daß die ganze Arbeit, um das Gold zu finden, umsonst war, nichts geschieht so, wie ich es vom Leben erwartet habe!“ Wenn ihre Aufregung gespielt war, dann hatte sie einen Preis dafür verdient, doch ohne mich davon beeindrucken zu lassen, versuchte ich, mein Vorhaben weiterzuverfolgen, „So bitter die Tatsachen auch für dich sein mögen, ich bin fest davon überzeugt, daß es schlimmere Schicksale als deines gibt. Wenn der Grund, weshalb du dich zu mir hingezogen fühlst, darin besteht, daß du dein Leben ändern willst, dann ist das die falsche Methode, es muß aus dir selbst kommen und niemand anderes kann das für dich machen. Also solltest du dir eine ruhige Minute nehmen und überlegen, wohin dich dein Weg führt, denn eines Tages rührt sich vielleicht sowas wie ein Gewissen in dir und wenn du dich mit dem auseinanderzusetzen hast, dann wirst du sicher eine Menge Entscheidungen bedauern. Egoismus ist bis zu einem gewissen Grad menschlich, Rücksichtslosigkeit sicher nicht“ Mit gesenktem Haupt stand sie da und ich war schon versucht, ihr noch mehr ins Gewissen zu reden, da es nicht zu übersehen war, daß ich sie erreichte, aber letztendlich beließ ich es dabei, denn nicht die Quantität meiner Worte würde hier entscheidend sein. Sie sagte nichts mehr und verließ wortlos den Raum, ohne sich nochmal umzudrehen. Es war schwierig für mich, die letzen Minuten richtig einzuschätzen, und irgendwie hatte es etwas von einer verkehrten Welt, daß ich, der in einer Zelle saß, jemanden, dem ich das mit zu verdanken hatte, ins Gewissen redete. Mir war sowieso nicht ganz klar, worin ihre wahren Absichten bestanden hatten, und ich überlegte, ob man mehr 440
Informationen daraus hätte gewinnen können, aber wer wußte schon, wieviel Wahrheit darin gesteckt hätte und es war im Grunde genommen jetzt sowieso müßig, darüber nachzudenken. Alles war genau wie vorher, nichts hatte meine Lage geändert und langsam holte mich wieder die alte Unsicherheit, ob ich das Antlitz meiner Geliebten wirklich nochmal sehen konnte, in unendlich langen Minuten ein. Die Zeit konnte eine machtvolle Verbündete sein, doch hier war sie eine erbitterte Feindin, die mich jede Sekunde mit einem Stich im Herzen an ihre Anwesenheit erinnerte und scheinbar daran ihre Freude hatte, mich zu quälen. Langsam gab ich meine Hoffnung schon auf, als endlich nochmals Geräusche vor der Tür zu hören waren, die mich abermals erwartungsvoll dorthin schauen ließen. Doch noch bevor Anne und Francesca hereingebracht wurden, drängten mich zwei Wachen bis zum Fenster zurück und hielten mich dort fest, wobei sie mir zu verstehen gaben, daß nach der Anordnung von Bartholome Diaz kein Wort fallen dürfte. Auch das war eine Demütigung, allerdings saß der Stachel nicht tief, denn mir war nur wichtig, die beiden Frauen lebend und unversehrt zu sehen. Dann wurden sie in das Zimmer geführt und mußten schweigend an der Tür stehenbleiben. Unwillkürlich machte ich einen Schritt nach vorne, jedoch wurde ich sofort festgehalten und wieder nach hinten gezogen, so blieb Anne und mir nur übrig, den kurzen Moment des Wiedersehens stumm zu verbringen und dabei die Gedanken über ein Unsichtbares der Liebe herüberzuschicken. Die Frauen sahen müde aus und mir begann mein Herz schwer zu werden, als ich den Glanz in Annes Augen sah, der sich in Tränen wandelte, die entlang ihrer Wangen einzeln über das Gesicht rannen. Mir ging es ähnlich, doch jetzt mußte ich die Stärke ausstrahlen, die ihr den morgigen Tag erleichterte und es mir so selbst einfacher machte, alles durchzustehen, was dann kommen mochte. Trotzdem war es eine Folter, sie auch nur den Flügelschlag eines Kolibris leiden zu sehen, während ich zur Untätigkeit verdammt war, und ich war mir sicher, daß genau das von Bartholome Diaz beabsichtigt war. Schneller als ich befürchtet hatte schien die Zeit abgelaufen zu sein und einer der Lemuren gab ein Zeichen, die Frauen hinauszubringen, als ich mich zu ihm umdrehte und anlächelte, denn ich hatte noch etwas vor. Gleichzeitig war ich einen Schritt zurückgegangen und blieb genau neben dem Tisch stehen, von wo ich in einer schnellen Bewegung aus der Vase eine Orchidee griff und in einer eleganten Drehung Anne in die Hände warf. Es mochte Leute geben, die mir die Regeln vorgeschrieben hatten, aber wie ich sie auslegte, war meine Sache. Annes Verblüffung, die sie mit dem Rest der Anwesenden teilte, veränderte sich in ein unbeschreibliches Lächeln, das ich nie mehr in meinem ganzen Leben vergessen würde, und ich konnte nicht umhin, mich mit einem breiten Grinsen den Wachen wieder zuzuwenden. Irgendwie erwartete ich jetzt dafür einen Schlag mit dem Gewehrkolben, was mir die Sache auch wert gewesen wäre, aber ich schien damit soviel Eindruck gemacht zu haben, daß sie nur abwinkten und, ohne mich das büßen zu lassen, die Frauen hinausbrachten. So war ich wieder allein und abermals verfluchte ich die Unbarmherzigkeit der Zeit, die diesmal viel zu schnell verstrichen war und so ihr böses Spiel mit mir fortsetzte. 441
Lange sah ich durch das Fenster dem weit entfernten Mond bei seiner Wanderung zu und war mit meinen Gedanken doch ganz in der Nähe. Langsam drängte sich mir ins Bewußtsein, daß ich am Morgen wieder einmal unausgeschlafen sein würde und wieder einmal wußte ich, daß mir trotzdem kaum Ruhe vergönnt sein würde. Ich hatte zwar die Frauen gesehen, doch bedeutete das kaum, daß sie auch in Zukunft noch in Sicherheit waren. Bei allem Optimismus, den zu verlieren sicher das Ende jeder Hoffnung gewesen wäre, standen unsere Sterne schlecht, das mußte selbst ich zugeben und ich haßte es, das machen zu müssen. Natürlich verschwendete ich keinen Gedanken an eine Kapitulation, doch in dieser Lage sich keine Sorgen über die anstehenden Probleme zu machen, hieße nur, den Vogel Strauß zu imitieren. Wenn es stimmte, was Diaz gesagt hatte, würde der Doc wieder zu uns stoßen, damit befanden sich nur noch Anne und Francesca in der Hand der Terroristen, aber das machte alles auch nicht leichter. Außerdem war nichts weniger zu erledigen als etwas gegen die Bakterien zu unternehmen und beinahe vergaß man darüber, daß noch ein paar mordlüsternde Terroristen und einige Mafiosi mit den gleichen Absichten hinter uns her sein würden. Alles zusammen wäre eigentlich angedacht gewesen, mir auf den Magen zu schlagen, und es war auch an dem, denn nur aus Vernunftgründen stocherte ich nebenbei etwas im Essen herum. So dachte ich schon, es würde mit dem Nachgrübeln bis zum Morgengrauen weitergehen, aber mitten in der Nacht öffnete sich wieder unerwartet die Tür und riß mich davon weg. Es war Diana LeClaire, die nun vergleichsweise hochgeschlossen den Raum betrat und mich mit diesem erneuten Besuch wirklich etwas überraschte, was ich mir aber nicht anmerken ließ. Sie sah erleichtert aus, als sie mich noch wach sah und setzte sich einfach ohne ein Wort zu sprechen an den Tisch, wobei ihre Augen es vermieden, mich lange anzusehen. Beinahe wirkte sie wie ein verschüchtertes junges Ding, das zum ersten Mal mit einem Mann alleine war und das spiegelte sicher nicht das Bild wieder, was ich von ihr hatte. Es irritierte mich sogar, aber nur insofern, daß ich auf alles gefaßt war, was mir diesen erneuten Besuch bescherte und vorerst war mein Mißtrauen ihr gegenüber größer den je. Also hörte ich genau zu, als sie mit einer dünnen, leisen Stimme zu reden begann, „Über zweihundert schwerbewaffnete Männer sind hier überall verteilt, es gibt nur die beste Technik und ein ausgefeilter Plan garantiert einen sicheren Erfolg für uns. Ich müßte nur wortlos mitmachen, um reich zu werden und hätte damit wenigstens ein Ziel in meinem Leben erreicht, mit dem ich sicher zufrieden alle Annehmlichkeiten genießen könnte. Bis jetzt dachte ich, dem steht nichts im Wege, aber das ist nicht ganz richtig, denn ein Mann in einer Zelle, mit einer Zunge, die treffsicherer als alle Gewehre dort draußen ist, hat es geschafft, daß ich meine Zweifel nicht mehr ignorieren kann. Er hat mir etwas wieder in Erinnerung gerufen, von dem ich nicht gedacht hätte, daß es so wichtig ist – mein Gewissen“ Ich konnte nicht sagen, daß meine Irritierungen nachließen, nachdem ich das gehört hatte, und obwohl das Mißtrauen seinen Sinn hatte, indem es die angeborene Naivität unter Kontrolle hielt, begann sie langsam bei mir abzubröckeln. 442
Trotzdem blieb ich ihr gegenüber neutral, meine Erinnerungen an das, was sie getan hatte, ließen sich nicht wegwischen und so mußte ich mir erst darüber klar werden. ob sie wieder spielte, oder es tatsächlich ernst mit ihrer Reue meinte, „Das Wort ist mächtiger als das Schwert, heutzutage vergißt man das leider viel zu oft, aber es ist schön, wenn sich alte Wahrheiten doch noch bestätigen. Ich weiß nicht, wie ernst du es meinst, aber das spielt im Moment auch keine Rolle, weil du durch irgendwelche Intrigen keinen Vorteil mehr erzielen könntest. Wir sind schon in den Händen der Terroristen und der Schatz ist gehoben, also scheint mir ein kalkulierbares Risiko zu sein, dir wenigstens zuzuhören“ Sie senkte den Kopf, „Danke, es ist schwer für mich, weil ich es nicht gewohnt bin, mich zu entschuldigen und ich weiß auch nicht, ob ich damit überhaupt etwas wiedergutmachen kann. Möglicherweise bin ich auch überhaupt nicht so einsichtig, wie es den Anschein hat, aber nichts, was ich getan habe, hat mich glücklich gemacht, vielleicht wird es einfach Zeit, mal etwas Neues zu probieren. Ich will nicht mehr dort anfangen wo ‚du’ aufgehört hast und wenn ich jetzt schon am beichten bin, muß ich dir sagen, daß es nicht sehr schmeichelhaft für eine Frau wie mich ist, so zurückgewiesen zu werden“ Mit einer dezenten Bewegung deutete ich auf das Bett, damit Diana sich setzten konnte, während ich am Fenster stehenblieb, „Sicher wäre es besser gewesen, gleich in Paris miteinander zu reden, als das durchzumachen, was dann folgte, und wenn es dir hilft, dann solltest du dir klarmachen, daß wir niemals hätten zusammenkommen können, denn mich gibt es nur mit meinem Herzen und das trägt schon jemand anderes in seinen Händen. Daran hättest weder du, noch eine andere Frau jemals etwas ändern können und so war es eigentlich keine Zurückweisung, sondern wohl eher das Schicksal“ „Schicksal? Bisher hatte ich immer alles bekommen, was ich wollte und habe so mein Schicksal selbst bestimmt, es ist keine sehr angenehme Erfahrung, wenn man feststellt, daß es nicht mehr funktioniert, aber wahrscheinlich hatte ich bisher nur Glück gehabt, um sowas noch nicht zu erleben. Doch das spielt wohl keine Rolle mehr, ich kann mir eben die Wirklichkeit nicht mehr hinbiegen und muß wenigstens für mich versuchen, den von mir verursachten Schaden wieder zu beseitigen, auch wenn es möglicherweise zu spät dafür ist. Es tut mir leid und wenn es geht, dann will ich neu beginnen, vielleicht schaffst du es ja, alles, was ich getan habe, zu vergessen und wir können irgendwann Freunde werden“ Irgendwie war es schwierig, sich nicht von ihren Worten beeindrucken zu lassen, denn Ehrlichkeit, jedenfalls wenn sie aufrichtig war, hatte manchmal eine unwiderstehliche Kraft in sich, der man sich nur schwer entziehen konnte. Dazu kam mein Bauchgefühl, das andere Leute als Instinkt, oder Intuition bezeichnen würden, aber ich fand Bauchgefühl schon immer sehr passend dafür, weil man sehr schnell bei einer Entscheidung merkte, ob einem deshalb schlecht wurde. Mir passierte das im Moment nicht, obwohl ich nicht an eine wundersame Bekehrung von Diana glauben wollte, aber das brauchte ich auch gar nicht, denn bei dieser Sache bestand in meiner Lage kein Risiko, sondern es bot sich für mich nur eine Chance. 443
Natürlich bestanden noch erhebliche Zweifel und einzig aus opportunistischen Gründen ihr Freundschaftsangebot anzunehmen, brachte nun wiederum mein Gewissen in Bedrängnis, allerdings hatte ich auch keine Wahl, diese Gelegenheit verstreichen zu lassen und so schob ich alles, was geschehen war, in den Hintergrund, um mich auf die Zukunft zu konzentrieren, „Ob wir Freunde werden können wird sich zeigen, wenn wir es schaffen hier unversehrt herauszukommen, denn dafür werden wir bestimmt etwas Zeit benötigen. Ich für meinen Teil kann das, was du getan hast sicher nicht so schnell vergessen, aber ich kann jemandem, der es ernst meint, seine Fehler verzeihen und ich sehe keinen Grund, warum das bei dir anders sein sollte, das ist mein Angebot!“ Diana hatte die ganze Zeit ihren Kopf nicht gehoben und nickte nun kaum wahrnehmbar, „Ich verstehe,... vielleicht war es auch zu einfach von mir gedacht, daß alles mit einer Entschuldigung abgetan ist, aber ich will dir beweisen, daß ich es ehrlich meine und dir keine Geschichten erzählen, um dich doch noch rumzukriegen. Die Wache vor der Tür ist bestechlich und ich könnte dir sicher zur Flucht verhelfen. Um diese Zeit ist es dann kein Problem bis nach draußen zu kommen und du kannst Hilfe holen, solange bleibe ich hier und werde aufpassen, was geschieht“ Es war ein verlockendes Angebot, das nur einen Haken hatte, „Können wir alle Geiseln hier herausholen?“ „Ich glaube, das ist unwahrscheinlich, die beiden Frauen sind getrennt untergebracht und von Doktor Breitenbach habe ich seit seiner Ankunft nichts mehr gesehen. Wo sich die gefangenen Amerikaner aufhalten, weißt du selber und dazu sind überall die Männer von diesem Diaz verteilt, es wäre schon schwierig, dich hier herauszubekommen, aber die ganze Anlage unbemerkt zu durchsuchen, halte ich für ausgeschlossen“ „Dazu würde wohl auch beim besten Willen nicht mehr die Zeit ausreichen, also müssen wir das vergessen. Wenn die Terroristen merken, daß ich verschwunden wäre, würden sie sicher ihren Ärger an jemand anderem auslassen und ich wüßte schon, wen sie sich dazu aussuchen. Nein, das Risiko ist zu groß und außerdem muß ich meinen Freunden morgen helfen, ich kann sie nicht im Stich lassen und schon gar nicht, wenn es fraglich wäre, ob ich noch rechtzeitig Hilfe herbeiholen könnte“ Dianas Enttäuschung darüber schien daher zu kommen, daß ich ihren ersten Freundschaftsdienst ablehnen mußte, aber sie legte sich bald, als ich ihr einige Fragen stellte, von denen ich nicht nur die direkten Antworten erhoffte, sondern dadurch auch mehr Klarheit über ihre Aufrichtigkeit erwartete. Zuerst wollte ich natürlich alles erfahren, was sie über die Uranidbakterien wußte, denn jede Information darüber konnte überlebenswichtig sein, obwohl ich damit über den Tellerrand meines aktuellen Schicksals hinaussah. Doch vielleicht konnten wir morgen das Blatt wenden und somit würde mein Wissen darüber wieder von Bedeutung sein. Auch interessierte es mich zusätzlich, woher Diana überhaupt etwas über die Schatzkisten erfahren hatte, denn nach ihren eigenen Aussagen hatte sie ja Fortunati davon erzählt und ihn erst so auf die Spur des Goldes gebracht. Das dies nicht in einem Traum geschehen war, lag wohl auf der Hand und so war ich auch auf diese Antwort gespannt, doch sie begann natürlich mit dem wichtigsten – den Bakterien. 444
Ihre Bewegungsfreiheit, die sie als „Gast“ von Bartholome Diaz zusammen mit Paulo Fortunati besaß, reichte nicht aus, um konkrete Hinweise auf den Verbleib der brisanten Organismen zu bekommen, doch es gab genügend Gerüchte, die alle auf das gleiche Objekt hinwiesen, ein Labor tief im Bergmassiv hinter dem Kloster eingegraben. Es war die gleiche Felsformation, die ich vom Fenster aus sehen konnte und dessen Lichter oben zu so etwas wie einer Sendeanlage gehörten. Bei einer geheimen Unterhaltung zwischen Diaz und Fortunati, die Diana belauschen konnte, hatte sie gehört, daß dort überwiegend entführte Wissenschaftler auf den Gebieten der Gentechnik und medizinischen Forschung zum Arbeiten gezwungen wurden. Das Ziel der Lemuren war, eine offensive Bakterienart vom Typ A und den defensiven Typ B zu erzeugen, die dann selbst verwendet werden würden, oder an den meistbietenden Kunden verkauft werden sollten. Der offensive Bakterienstamm sollte dazu dienen, bei Aufnahme in den menschlichen Körper einen Strahlungsherd durch die gespeicherte radioaktive Energie zu bilden, der das Immunsystem schwächen würde und nachfolgend Krebs auslösen sollte. Typ B hingegen mit seinen speziellen Fähigkeiten würde dazu bestimmt sein, nach dem Einsatz von Kernwaffen das verstrahlte Gebiet zu dekontaminieren, was in seiner Konsequenz die nukleare Abschreckung aushebelte und so die Gefahr für die Menschheit ins Unendliche steigerte. Schon vom Zuhören merkte ich, wie mir übel wurde, es ging kaum mehr darum, die eigene Haut zu retten, Anne und meine Freunde zu befreien, um anschließend eine große Party zu feiern. Mit diesem Wissen würde jedenfalls keine Freude aufkommen und was auch am Morgen geschehen würde, dieses Damoklesschwert mußte Bartholome Diaz aus der Hand genommen werden. Während ich mich von dieser Erkenntnis erholte, berichtete mir Diana, was sie von der Gefangennahme meiner Freunde wußte. Juan hatte es bei der Übergabe des Lösegeldes in Venezuela erwischt, als alle Beamten auf das Geld fixiert waren und er sich, nachdem von ihm die Dollars in einem Bananenkarton auf dem Großmarkt deponiert wurden, auf Anweisung der Polizei zur Hazienda begeben sollte. Das Geld hatte niemand angerührt und wahrscheinlich beobachtete die Polizei den Übergabeort noch immer, als mein Freund schon längst unterwegs gestoppt wurde und man ihn betäubt in einen Jet verfrachtete. Lilly, Mister Randall und Señor Avialo wurden zusammen bei unserem Treffpunkt am Rio Guapore geschnappt. Man hatte die beiden Männer, wie ich schon befürchtet hatte, schon in Pauini beobachtet und war ihnen einfach gefolgt. Demnach war es ein Glück, daß Carmen und ich so zeitig aufgebrochen waren, denn keine zwei Stunden später erschien unsere Verstärkung, um kurz darauf gefesselt in einem Flußboot zu liegen, mit dem sie dann zu einem Hubschrauber der Lemuren gebracht wurden. Hilfe von außen konnte eigentlich nur Carmen bringen, die weder von den Terroristen gefangen noch getötet worden war, doch sie hatte sicher keinen Anhaltspunkt, wohin wir von den Terroristen gebracht wurden. Das Kloster lag knapp tausend Kilometer nordwestlich unserer letzten Position in der Amazonasregion westlich von Pauini, somit hatten Cristobal Avialo und Mister Randall beinahe eine sinnlose Reise gemacht, weil sie fast genau dorthin 445
zurückgebracht wurden. Die Berge mit dem Felsmassiv im Hintergrund gehörten zu den letzten Ausläufern der La Montana des Andengebietes und vor uns hatte ein kleiner Nebenfluß, wahrscheinlich ein Zufluß des Rio Juruba, das Tal ausgeschnitten, auf das ich vorhin sehen konnte, als man mich aus den Kellergewölben geholt hatte. So befanden sich in einem Umkreis von sechshundert Kilometern die Grenzen zu Kolumbien, Peru und Bolivien, welche bei Bedarf leicht mit dem Hubschrauber erreicht werden konnten und irgendwo hier in der Nähe sollte es sogar eine Landepiste für Flugzeuge geben. Doch damit waren Diana und Paulo Fortunati nicht hergekommen, sie fuhren nach der Reparatur der Yacht den Fluß aufwärts bis Pauini und wurden dann mit dem Helikopter abgeholt. Schon vorher hatte man die amerikanischen Agenten, die dem Mafiosi auf den Fersen waren, gezielt durch die Information eines Spitzels ausgeschaltet und so zerplatze in mir eine weitere Hoffnung auf Hilfe. Über den genauen Ablauf des morgigen Tages konnte Diana nichts weiter sagen, nur daß Bartholome Diaz beinahe schon aufdringlich daran interessiert schien, seine Männer gegen Fortunatis Leute bei der Suche nach uns antreten zu lassen. Das bestätigte meine Verwunderung über diese Sache und immer noch suchte ich nach einer plausiblen Erklärung dafür. In anderer Hinsicht bekam ich dafür eine geliefert und zwar, wie Diana von der Existenz des Goldes erfahren hatte, was hinterher zur Tilgung der wenigen weißen Flecken des Puzzles beitrug. Diana LeClaire war eigentlich ein Künstlername, den ein junges Mädchen angenommen hatte, als sie vor einigen Jahren, aus der Ukraine kommend, über Deutschland nach Frankreich gefahren war, um auf dem Laufsteg eine Karriere zu beginnen. Geboren wurde sie als Dana Vadimova in Kiew, wo sie in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs und schon immer davon träumte, ein Model zu werden. Nun führten diese Voraussetzungen nicht zwangsläufig in den brasilianischen Dschungel zu Terroristen, aber die kleine Dana hatte natürlich eine Mutter, deren Onkel der Auslöser der späteren Ereignisse wurde. Er verstarb noch vor ihrer Geburt alleinstehend und hinterließ nur einen alten Koffer, der außer einer Uniform und einigen Orden nichts Wertvolles weiter enthielt, so daß er lange Jahre auf dem Dachboden der Eltern einstaubte. Irgendwann spielte das Mädchen aber damit und stieß in einem versteckten Fach auf einige zusammengefaltete Papierblätter. Natürlich wußte sie nichts damit anzufangen und hatte diesen Vorfall nach Jahren schon beinahe wieder vergessen, bis sie eines Tages auf dem Boden wieder den alten staubigen Lederkoffer erblickte und nun neugieriger wurde. Beim Lesen stellte sie nun fest, daß der Onkel ein hochdekorierter Offizier des NKWD und späteren KGB war, der kurz nach Kriegsende einige amerikanische Agenten observierte, die sich sehr für einen alten Stollen in dem sowjetisch besetzten Gebiet Deutschlands interessierten. Er war ein fähiger Mann und fand schnell eine Spur in einigen erbeuteten Dokumenten der Reichsregierung, die diese Vorgänge mit einem geheimnisvollen Transport von Gold und Kunstgegenständen in die Alpen in Verbindung brachten. 446
Doch noch bevor er seinen Bericht beenden konnte wendete sich das Blatt, er stand auf der schwarzen Liste einer Säuberungsaktion Stalins, der er vergeblich durch Flucht zu entkommen suchte. Wie zum Hohn bekamen seine einzigen Verwandten den Koffer mit den persönlichen Gegenständen und einer Lüge über die wahren Umstände seines Todes zugeschickt, ohne daß jemand ahnte, welch wertvolle Aufzeichnungen darin verborgen waren. Die Lage von Dana´s Familie war nicht rosig und nachdem die Sowjetunion mittlerweile zusammengebrochen war, hatte sie die Chance, in den Westen zu gehen und kam zuerst nach Hamburg. Dort mußte sie sich mit Gelegenheitsjobs durchbeißen, genau wie das erste Jahr in Paris, denn zuerst lief es überhaupt nicht gut bei ihrer Modellagentur und da fügte es sich ausgezeichnet, daß sie auf einer Party einen Italiener kennengelernt hatte. Dieser Mann schien genau der richtige Typ zu sein, um ihr bei der Suche nach dem alten Gold zu helfen, denn seitdem sie davon wußte, ließ ihr der Schatz keine Ruhe mehr. Vielleicht hätte Diana damals trotzdem nicht weitergesucht, wenn sie geahnt hätte, daß kurz nachdem sie Paulo Fortunati davon erzählte, ihre Karriere auf dem Laufsteg steil nach oben gehen würde. Aber als die Kugel erstmal ins Rollen gekommen war, konnte sie niemand mehr aufhalten und Fortunati begann, seine gierige Seite zu zeigen. Er schnüffelte jahrelang herum, bis sich die Gelegenheit bot, aus einem Geheimarchiv in Deutschland einige Unterlagen zu bekommen, die endlich die entscheidenden Hinweise auf den Verbleib der Goldkisten liefern sollten. Dadurch wurden auch sie auf die dort verzeichnete Vase in Florenz aufmerksam und hörten ebenfalls von einem Interessenten namens Gondoni. Um mehr über ihn zu erfahren, inszenierte Fortunati ein zufälliges Treffen mit Diana, in der Absicht, daß der Mann ihrem Charme erliegen würde und man so an weitere Informationen kommen würde. Den weiteren Verlauf kannte ich selber und schüttelte nur den Kopf über die vielen Lebenslinien, die sich damals in Florenz getroffen hatten. Ich schaute kurz aus dem Fenster und mir wurde klar, daß ich wohl nicht mehr zum Schlafen kommen würde, denn draußen begann es schon langsam hell zu werden, „Wie soll ich dich eigentlich nennen, Diana oder Dana?“ Sie mußte etwas lächeln, „Niemand kennt hier eine Dana und ich beinahe auch nicht mehr, also belassen wir es erstmal bei Diana und schauen mal, ob irgendwann das kleine Mädchen wieder zum Vorschein kommt“ „Ich denke nicht, daß du sie vergessen hast, vielleicht hat sie sich nur gut versteckt. Es wird Zeit, daß du von hier verschwindest, bevor man mich holt, der Tag bricht schon an“ Auch sie sah kurz hoch, „Mist, du hast recht, es wird schon wieder hell und ich habe beim Erzählen gar nicht mitbekommen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Zum Glück habe ich ein eigenes Zimmer, so wird es Paulo nicht aufgefallen sein“ Zweifelnd warf ich einen Blick herüber, „Was ist aber, wenn er an deine Tür geklopft hat?“ „Bei Migräne höre ich das nie und die hatte ich heute Nacht zufällig bekommen, sowas passiert eben“ 447
„Hmmm... scheint so“ Schon war sie aufgesprungen und stand an der Tür, „Noch was, das hätte ich beinahe vergessen. Bartholome Diaz und Paulo haben eine Wette abgeschlossen, wessen Leute die meisten von euch erwischen. Paulo ist sogar so sehr darauf versessen zu gewinnen, daß er selbst mit in den Dschungel geht, um den größten Ruhm abzubekommen. Deshalb trinkt nicht aus den Wasserflaschen, die euch mitgegeben werden, denn Paulo läßt darin ein Schlafmittel auflösen, damit ihr eine leichte Beute für ihn werdet“ „Was? Dein Freund ist ein ziemlich linker Vogel, auf so eine Idee muß man erstmal kommen. Danke für den Tip, aber um uns zu erwischen, muß er uns erstmal finden, und das wird ihm schwerfallen“ „Paulo ist nicht mehr mein Freund, auch wenn er es noch nicht mitbekommen hat. Sei vorsichtig, er verliert nicht gerne und ich glaube, er wird auch das nicht dem Zufall überlassen, also paßt auf“ „Das ist ein guter Rat, den wir sowieso beherzigen müssen, vielleicht hast du gerade noch rechtzeitig die richtige Wahl zwischen Gut und Böse getroffen. Jedenfalls hoffe ich das und zwar nicht in unserem, sondern in deinem Interesse, und wenn du es wirklich ehrlich meinst, dann könntest du mir einen großen Gefallen erweisen, der mich etwas beruhigter in die nächsten Stunden gehen läßt“ „Es ist schön, daß du mich um einen Gefallen bittest, ich würde dir gerne helfen, sag mir um was es geht“ „Du mußt dafür sorgen, daß in der Zwischenzeit Anne und Francesca nichts zustößt, auch wenn du es bei den beiden sicher schwer haben wirst. Sie werden dir am Anfang bestimmt nicht trauen, aber wenn wir dort draußen tatsächlich einigen Ärger verursachen können, dann sind die Frauen möglicherweise in Gefahr und mir wäre es wichtig zu wissen, daß jemand aufpaßt. Vielleicht ergibt sich auch die Möglichkeit, daß du mit ihnen verschwinden kannst, dann mach das und bringe sie in Sicherheit“ Diana nickte, „Ich werde es versuchen, das verspreche ich dir“ Dann verschwand sie wieder so leise durch die Tür, wie sie gekommen war, und ich stand wieder alleine am Fenster. Im tiefsten Inneren schwankte ich noch, was ich von ihr halten sollte, doch sie selbst konnte durch das, was sie tat, bestimmen, wohin das Pendel sich bewegen würde. Mir fiel trotzdem ein Stück der Last von den Schultern, ich hatte das Gefühl, etwas unternommen zu haben und nicht machtlos vom Willen eines anderen abhängig zu sein – allerdings, was das wert war, würde sich erst in den kommenden Stunden zeigen. Jeder Tag fängt irgendwie gleich an und doch kann niemand beim Aufstehen wissen, was er alles bringen wird. Es ist die seltsame Zeit, in der die Sonne zusieht, welche Schicksalsschläge uns ereilen, wo Pläne zunichte gemacht werden und neue Ideen Gestalt annehmen, oder ungenutzt verrinnen, ohne eine Spur in uns zu hinterlassen. Ich war mir ziemlich sicher, daß der Tag seine ungleiche Schwester in der Dunkelheit beneidete, weil dort alles direkter und tiefer geschah. Die Nacht, wo der Schlaf der Gerechten neben dem Gemeinen und Hinterhältigen existierte, wo bedingungslose Liebe und hemmungslose Lust sich gegenüberstanden und ineinander übergingen. 448
Noch regierte diese Schwester die letzten Minuten ihrer Zeit, als man mich aus dem Raum holte, und ich wußte, mir stand einer dieser Tage, die alles entschieden, bevor. Es war der gleiche Saal, in dem ich mit Diaz gesprochen hatte, und doch verbreitete er nun eine ganz andere Atmosphäre mit den vielen Menschen, die hier herumstanden und zuerst nur eine Masse bildeten, die sich aber dann schnell in ein wirres Gemenge auflöste. Der Anführer der Lemuren war von seinen Männern umgeben, neben ihm stand Paulo Fortunati und etwas abseits dahinter Mario und Emilio, die zu einer Gruppe von Leuten gehörten, bei denen auch der Kapitän der „Bella Donna“ war. So schätzte ich, daß die übrigen Männer zu der Besatzung der Yacht gehörten und nun ihrem Boß bei der Jagd etwas zu Hand gegen sollten. Knisternde Spannung umgab den Raum, der von gedämpften Stimmen durchdrungen wurde, das hatte beinahe etwas Musikalisches an sich, wie eine Ouvertüre, die den Rahmen für ein großes Konzert bildete, dem dann ein tödlicher Abgesang folgen sollte. Weder Anne und Francesca, noch Diana konnte ich in dem Pulk der Menschen erkennen, ebensowenig schien Gondoni anwesend zu sein, dafür erkannte ich aber nun auch Comandante Senedo an der Spitze mehrerer Terroristen in schwarzen Uniformen. Er warf mir abschätzende Blicke zu, als ich langsam zur anderen Seite des Saales gebracht wurde, wo mich viele vertraute Gesichter erwarteten. Zuerst sah ich Lilly, die also wirklich ihren Willen bekommen hatte, und ich verkniff mir nur mühsam, ein finsteres Gesicht darüber zu machen. Doch das wurde nebensächlich, denn mein Blick blieb am Körper vom Doktor hängen und ich erschrak fürchterlich, denn was ich dort sah, hatte ich wirklich nicht erwartet. Nur mühsam hielt er sich eingehakt zwischen Mister Randall und Juan auf den Beinen, überall waren die Spuren schlimmster Folterungen zu sehen und sein Gesicht war unnatürlich angeschwollen. Sofort war ich vor Ihm, aber er erkannte mich nicht und schwebte zwischen der Realität und einer anderen Welt. Solch einen Zustand hatte ich schon einmal gesehen und so gerne ich es wollte, konnte ich die Augen nicht vor der Wahrheit verschließen, denn es würde mehr als ärztliche Kunst vonnöten sein, um den Doktor Breitenbach zu retten. Auch die amerikanischen Soldaten hielten sich bei meiner Ankunft zurück, jeder hatte den Ernst der Lage vor Augen und spürte die Gefahr, die nun fast mit den Händen wie ein dicker Nebel zu greifen war. Es war gut, daß ich noch gefesselt war, denn einige Sekunden lang hätte ich sogar meine Sorge um Anne vergessen und wäre bestimmt nicht zu halten gewesen, doch so kämpfte ich nur gegen meine Wut, die aus meiner Brust kommend schon den Hals erreicht hatte. Sicher konnte mir jeder im Raum ansehen, was in mir vorging, und es herrschte sogar eine bedrückende Stille dabei, bis Paulo Fortunati auf mich zutrat und verachtend zu Doktor Breitenbach schaute, „Wollen Sie den alten Mann wirklich mitnehmen? Da er kaum noch in der Lage ist, selbst zu entscheiden, können Sie es sich aussuchen, ob Sie diesen Ballast herumschleppen wollen. Ich an Ihrer Stelle würde ihn hier lassen, Ihre Chancen können sich dadurch nur verbessern und er muß sich nicht mehr lange quälen. Sie verstehen doch, was ich meine, eine Kugel ist doch für ihn die reinste Erlösung“ 449
Mir drehte sich der Magen um und ich wünschte mir schon jetzt, diesem Kerl draußen gegenüberzustehen, um ihm meine Entscheidung in seine miese Visage zu drücken, „Fortunati, ich an Ihrer Stelle würde keinen Fuß in den Dschungel setzen, denn so große Bäume gibt es nämlich nicht, daß Sie sich vor mir dahinter verstecken könnten. Wir nehmen den Doktor mit und wenn er wirklich sterben sollte, dann wenigstens als freier Mann und nicht hier, Sie Dreckschwein“ Der Italiener wendete sich lächelnd ab und nickte kurz zu Diaz hinüber, um so meine Entscheidung weiterzugeben. Fast im selben Augenblick öffnete sich eine der Seitentüren und ich sah einen Mann, den ich nicht kannte, der mich jedoch fixierte, als hätten wir schon einmal miteinander zu tun gehabt. Das war so offensichtlich, daß es mir sogar über meinen Ärger hinweg auffiel, und ich begann mich über das Grübeln nach seiner Identität wieder etwas zu beruhigen. Eine kühlere Gemütsverfassung war auch nötig, denn kaum war dieser Mann in den Saal getreten, da wurden Anne und Francesca unter dem Gejohle einiger Männer von Comandante Senedo hereingeführt, die sich aber schnell wieder beruhigten, als er seine Reitpeitsche schwang. Trotz dieser Demütigung und der Provokation war ich dankbar, Anne noch einmal zu sehen und hatte ich auch für einige Augenblicke Angst und Zweifel verspürt, war dies, nachdem ich ihre Augen sah, wie weggewischt. Unsere Blicke hatten sich gesucht und gefunden, wenig genug, was wir tun konnten, und doch war es soviel für mich, der ich einzig wußte, was die Orchidee in ihrer Hand bedeutete. Doch die Realität rückte viel zu schnell wieder in den Vordergrund, denn in der Zwischenzeit war der mir unbekannte Mann an mich herangetreten und griff unter dem Aufschrei von Anne ohne Vorwarnung fest an meine Kehle. Dann zog er mich dicht vor sein Gesicht und begann leise zu sprechen, wobei ich feststellen mußte, daß er gestern reichlich Knoblauch verzehrt hatte, „Du Hurensohn bist der größte Abschaum, der mir je untergekommen ist. Wir werden uns bald wiedersehen und dann werde ich dich zerquetschen wie eine Laus zwischen meinen Fingern. Weißt du, wer ich bin, du Schwein?“ Röchelnd, weil seine Hand und der Knoblauch mir den Atem nahmen, kam meine Antwort heraus, „Nein...Nein, das weiß ich nicht. An so eine häßliche Type wie dich würde ich mich bestimmt erinnern“ Unerwarteterweise lachte ein Teil von Fortunatis Männern sogleich los und er sah mich nur wild an, schubste mich rücklings zwischen meine Freunde, die mühsam meinen Sturz aufhielten und dann kam er noch mal ganz dicht vor mein Gesicht, „Was, du Bastard? Über Valerio Nostro hat noch niemand gesagt, daß er häßlich ist, aber ich brauche auch nicht gut auszusehen, wenn ich diese zwei Chicas kaufen werde und damit den Schaden, den du verursacht hast, wieder ausgleiche. Die beiden Täubchen sind viel zu schad,e um einfach ins Gras zu beißen, aber vorher werde ich noch persönlich mit dir abrechnen, denn ich werde dich als erster finden“ „Da solltest du aber eine Nummer ziehen und dich anstellen, ich glaube, das wollen einige hier, nur bei denen weiß ich, warum sie so sauer sind, - zu deiner Visage fällt mir rein gar nichts ein“ „Das wird sich ändern, auch wenn dir dann die Erinnerung nicht lange bleiben wird. Du warst auf der Insel in der Karibik und hast meine Leute erledigt, jetzt bin ich hier, 450
um dich zu erledigen. Ich will dich vor mir im Staub um Gnade winseln sehen und wenn ich großzügig bin, werde ich dich nicht allzulange leiden lassen – aber da ich das noch nie war, sieht es schlecht für dich aus“ Zweifelsfrei hatte ich Paulo Fortunatis Cousin vor mir, der offenbar das Oberhaupt der Piraten war, die Miguel Almera bei dem Überfall auf die „Framke“ geholfen hatten. Daß die Liste meiner Gegner scheinbar immer länger wurde, verblüffte mich unterdessen mehr als Valerio Nostros Ankündigung. Denn anstatt mich damit zu reizen, hatte er mir eine Art Lebensversicherung für die Frauen gegeben, weil es kaum anzunehmen war, daß er sein Eigentum opfern würde. Aber solange dieses Spiel nicht vorbei war, brauchte Diaz die beiden noch als Druckmittel und so war dieser Menschenhandel nichts weiter als eine eklige Drohung. Natürlich reichte das schon, damit meine Sorgen nicht weniger wurden, doch vielleicht hatte ich in Diana das As im Ärmel, mit dem niemand rechnete. Deshalb schaute ich auch aufmerksam, ob ich sie nun sah, doch vergeblich, sie war weiterhin nicht im Saal zu sehen. Gesprochen wurde nicht mehr viel, bis man uns abführte, mir blieb nur übrig, mich noch einmal zu Anne umzudrehen und Juan tat das Gleiche mit Francesca. Ich sah ihm an, wie bleich und wütend er war, und machte mir schon Sorgen, daß er hier eine Dummheit begehen könnte, aber das täuschte mich zum Glück. Wir wurden zu den bereitstehenden Hubschraubern gebracht, die auf einem schmalen Landestreifen zwischen den Gebäuden und den steil ansteigenden Felsen standen, wo ich nach kurzem Suchen auch den Zugang zu den Laboratorien sah. Den kurzen Weg dorthin begann ich mir alles genau einzuprägen, doch ich wurde gestört ,als der speckige Kapitän der „Bella Donna“ alleine an meine Seite trat. Nun konnte ich nicht behaupten, daß er mir wegen seiner Art Anne gegenüber sehr sympathisch war, und so hatte er Glück, daß Juan und ich den Doktor trugen, denn sonst hätte ich ihm schon langst meinen Ellenbogen in sein feistes Gesicht gedrückt, als er mich ansprach, „Ich bin Luis Chilardo, der Kapitän von Señor Fortunatis Yacht und will mit ihnen reden“ „Tun Sie sich keinen Zwang an, denn ich kann das leider nicht verhindern, aber wenn Sie mir den alten Kahn andrehen wollen, dann sind Sie hier an der falschen Adresse“ Er gluckste wie ein altes Huhn und das paßte nicht zu seiner üppigen Gestalt, „Natürlich nicht, aber Sie sollen wissen, daß ich Sie morgen töten werde und danach Señora Anne heirate. Sie wird mich sicher nehmen, wenn ich erfolgreich war, dann kann Sie doch meinen Antrag nicht mehr ablehnen“ Wenn die Situation nicht zu ernst gewesen wäre, hätte ich mich genau umgesehen, ob ich nicht irgendwo eine versteckte Kamera stand, „Chilardo, naschen Sie heimlich von Ihrer Bordapotheke, oder sind Sie generell auf Drogen?“ Langsam bekam ich den Eindruck, daß er von dem, was er sagte, vollkommen überzeugt war, „Nein, da täuschen Sie sich, ich weiß genau, was ich sage. Wir waren lange zusammen auf der Yacht und sicher hat Sie Ihnen verschwiegen, daß sie mich dort unwiderstehlich fand“ Langsam glaubte ich wirklich, daß er meinte, was er sagte, „Was soll das alles, wollen Sie mich schon jetzt umbringen, indem Sie mich jetzt mit Ihren Geschichten zu Tode 451
langweilen? Wenn das so ist, dann verschwinden Sie lieber, weil Sie nämlich Erfolg haben könnten und das wird Ihrem Boß nicht sehr gefallen“ Mit einer Geschicklichkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, steckte er mir etwas in die Tasche meiner Weste, „Das ist ein kleines Jagdmesser für Sie. Wenn wir uns morgen dort draußen treffen, dann will ich, daß Sie eine Waffe haben, damit ich der süßen Señora Anne erzählen kann, daß ich Sie in einem fairen Kampf getötet habe. Natürlich wissen wir beide, daß es nicht so sein wird, aber ich will die Ehe nicht gleich mit einer kompletten Lüge beginnen“ Kaum war der Satz verklungen, verschwand er schon hinter unserer Gruppe und lief zur Klosteranlage zurück, ohne daß ich noch antworten konnte. Dieses ganze Gespräch war an Merkwürdigkeit kaum zu übertreffen, im Grunde stimmte nichts an der Geschichte und ich wußte ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten sollte. Eigentlich war es absurd, allerdings hielten sich im Moment meine Fragen darüber in Grenzen, denn ich verdankte diesem Vorfall ein Messer, was in unserer Situation der kleine Unterschied zwischen Leben und Tod sein konnte. Die Wahrheit würde ich sicher bald herausbekommen, doch eines stand durch mein festes Vertrauen zu Anne fest - es war sicher nicht so, wie es der Kapitän von sich gegeben hatte. Vor dem Einsteigen in die Helikopter mußten wir warten, weil ein weiterer Mann zum Landeplatz gebracht wurde, der eindeutig indianischer Herkunft war und nun mit den Amerikanern zusammen die gleiche Maschine besteigen mußte. Danach folgte der zweite Hubschrauber mit meinen Freunden und mir. Niemand redete ein Wort während des Fluges und Mister Randall, der offensichtlich einige Erfahrung als Sanitäter hatte, kümmerte sich so gut es ging um den Doktor, ohne daß die mitfliegenden Terroristen etwas dagegen unternahmen. Mir blieb nur, dem Verletzten die Hand zu halten und wortlos in die angespannten Gesichter um mich herum zu sehen. Besonders augenfällig wurde dieser Zustand bei Juan, der mir völlig verändert vorkam und abgewandt an der Tür saß, wobei er mir nicht den Eindruck machte, daß er die Topographie studierte, sondern alles desinteressiert an sich vorbeiziehen ließ. Für jeden hier spürte ich die Verantwortung, eine Bürde, die ich gerne gemieden hätte, und beinahe sehnte ich mich nach den Abenteuern, wo nur ich allein die Last meiner Entscheidungen getragen hatte. Doch das war hier anders und ich konnte mich nicht davonstehlen, vielleicht würde meine Zuversicht den Menschen um mich herum auch neuen Mut geben und das war sicher genauso wichtig wie eine gute Ausrüstung. Lilly und Cristobal Avialo kauerten zusammen in der hintersten Ecke im Rücken der beiden mitfliegenden Terroristen. Dort wurde gelegentlich ein Satz geflüstert, was ich nur durch die Bewegung der Lippen bemerkte und nicht als so wichtig nahm, bis mich ein dezentes Zwinkern aus meinen Grübeleien riß. Beide hatten etwas vor, jedoch worauf sie hinauswollten, konnte ich erst nach einigen Minuten erfassen und stimmte dann mit einem unmerklichen Nicken zu, das durch zwei glänzende Augenpaare quittiert wurde. Es war riskant, aber der Preis schien akzeptabel und ich begann, zur Ablenkung mit Randall ein besorgtes Gespräch über den Zustand des Doktors anzufangen. Dabei kontrollierten wir seine Herztöne und den Puls und von uns beiden brauchte sich niemand zu verstellen, um ein ernstes Gesicht zu haben. 452
Dadurch ließen sich unsere Wachen einige Sekunden ablenken, in denen Lilly und Cristobal mir gegenüber ihren Plan ungestört durchführen konnten, um gleich danach wieder regungslos in der Ecke weiterzudösen. Als ich das sah, zuckte um meinen Mund sogar ein winziges Lächeln, das ich hinüberschickte und von beiden sogleich zurückbekam. Wir setzten zur Landung an, neben unserer Maschine stand schon der zweite Hubschrauber und entledigte sich seiner Fracht. Bei uns dauerte es durch unseren kranken Freund etwas länger, außerdem war es mein Job, mit viel gespielter Hektik und lauten Kommandos nochmals die beiden Terroristen zu beschäftigen, bis Cristobal und Lilly aus der Maschine geklettert waren. Fast hatten sie es geschafft, als einer der „Flugbegleiter“ Cristobal zurückrief und da ich natürlich auf ihn geachtet hatte, entging mir nicht, wie er sich verkrampfte als er langsam wieder auf die Maschine zuging. Keiner von uns konnte irgendwie eingreifen und mir blieb, nur die Nerven zu behalten und gespannt zu sehen, was passieren würde – doch schnell entspannte sich die Situation, denn man warf ihm nur unsere Wasserflaschen zu. Gleich darauf starteten die Hubschrauber von der kleinen Lichtung mitten im dunkelgrün leuchtenden Regenwald und hinterließen hier, wo die vormittägliche Sonne schon die Luft aufheizte, eine trügerische Stille. Wir waren endlich alleine und konnten nun ungestört die ersten Worte wechseln, bei denen man mich von meinen Fesseln befreite, die man den anderen schon im Kloster abgenommen hatte. Kurze Zeit konnte die Freude über unser Wiedersehen auch die Sorge um den Doktor überdecken, aber das hielt nicht lange an und als erstes suchten wir für ihn einen bequemen Platz im Schatten der Bäume. Während wir das taten, hatte Lilly schon unter ihrer Jacke das Beil hervorgezogen, dem unsere Aktion im Hubschrauber diente, denn beide hatten dort mit dem Rücken in der Nähe der Rettungsausrüstung gesessen und das Werkzeug im geeigneten Augenblick versteckt. Zusammen mit dem Messer des Kapitäns, verursachten die beiden Gegenstände ein ungläubiges Staunen, das sowas wie Optimismus hervorzauberte und sichtlich die Stimmung bei allen besserte, mit Ausnahme von Juan und als mir das auffiel drehte mich zu ihm, um ihn darauf anzusprechen. Sein Schlag traf mich dennoch unvorbereitet, denn er hatte alles hineingelegt, was er konnte und das schien im Moment nicht von schlechten Eltern zu sein. Einen Moment später stand er mit geballten Fäusten über mir, „Wärst du bloß nicht zu uns gekommen, Gabriel. Was haben wir dir getan, daß du solch ein Unglück über unsere Familie gebracht hast?“ Daß er mir eine verpaßt hatte, traf mich nicht annähernd so wie das, was er sagte. Ich hatte schon die ganze Zeit sowas befürchtet und fand auch schon da kein Argument, was dagegen sprach, schließlich hatte ich gegen meine eigenen Prinzipien verstoßen und andere Menschen einer Gefahr ausgesetzt. Sicher, jeder hatte es freiwillig getan und ich hatte immer versucht, das Risiko zu verringern, doch war das eine Entschuldigung? In Juans Augen wohl nicht und wahrscheinlich hätte ich im umgekehrten Falle die gleichen Gefühle wie er. 453
Blitzschnell stellte sich Lilly vor Juan, während die Amerikaner etwas verdutzt die Szenerie beobachteten und ich mich benommen vom Boden wieder aufraffte und sofort wieder die Schmerzen im Rücken spürte. „Juan, es tut mir leid, wenn ich geahnt hätte, was hinter der Sache steckt, wäre ich doch nie so einfach bei euch aufgetaucht, das mußt du mir wirklich glauben. Denkst du denn im Ernst, ich würde etwas tun, was euch gefährdet?“ „Hör doch auf, mich interessiert nicht, was gewesen wäre. Es ist passiert und wenn Francesca nur ein Haar gekrümmt wird, dann bringe ich dich persönlich um, das schwöre ich bei allen Heiligen“ „Juan, überlege doch, was du da sagst. Ich weiß, wie du dich fühlst und wenn es dir hilft, dann hau mir noch eine rein, aber...“ „Laß mich mit deinem Geschwätz in Ruhe, das macht mich krank“, er griff sich eine Wasserflasche und ging ohne sich umzusehen auf das Ende der Lichtung zu. Für einige Sekunden war ich noch zu beeindruckt, um etwas zu antworten, dann konnte ich aber doch wieder reagieren, „Trink nicht aus der Flasche! Du darfst nicht von dem Wasser trinken, da ist etwas...“ Doch er hörte mich nicht mehr und war schon hinter den ersten Büschen verschwunden, ich wollte gerade hinterherlaufen, als Mister Randall mich mit einer dezenten Geste aufhielt, „Sir, ich mische mich natürlich nur ungern in diese private Unterhaltung ein, jedoch kenne ich aus meinem Dienst die Wesensart von Señor Rubio und ich bin davon überzeugt, daß er es vorziehen würde, für eine Weile allein zu sein. Ganz bestimmt wird er sich dann wieder beruhigt haben, lassen Sie ihm die Zeit, es ist sicher für uns alle nicht einfach. Inzwischen wäre es allerdings angebracht, uns wegen Ihrer letzten Andeutung aufzuklären, die doch eine gewisse Unruhe bei den Herrschaften ausgelöst hat“ Nach kurzem Zögern ging ich darauf ein und teilte allen mit, was ich über Fortunatis Plan wußte, während Cristobal Avialo sich bereit erklärte nach Juan zu suchen, um eventuell Schlimmeres zu verhindern. Major Pope ließ seine Leute in die nähere Umgebung ausschwärmen und wir hielten zusammen Kriegsrat, um die nächsten Schritte zu besprechen. Mister Randall versorgte dabei nach besten Kräften den Doktor und ich bemerkte, wie der Indianer sich etwas unsicher dem Kranken näherte, doch als ich ihn daraufhin ansprach, um etwas mehr über ihn zu erfahren, reagierte der Mann sichtlich verstört und zog sich wieder zurück. „Major, Sie haben sicher von uns allen die größte Erfahrung, was schlagen Sie vor?“, langsam wendete ich mich wieder dem Amerikaner zu. Er schaute mit gerunzelter Stirn in die Runde und hätte sicher mit einer Zigarre im Mundwinkel das Klischee eines beinharten Befehlshaber erfüllt, „Shit, wenn nicht eine Lady anwesend wäre, würde ich Ihnen ganz deutlich sagen, wie die Lage ist. Aber ich lasse mir nicht von so ein paar abgewichsten Terroristen mein gutes Benehmen ruinieren, Sir“ „Das ist ein galanter Zug von Ihnen, aber ich glaube, Lilly ist keine tropische Zierpflanze und sie verträgt einiges, also nehmen Sie kein Blatt vor den Mund, Major“ Prüfend schaute er zu ihr hinüber, ob meine Worte stimmten, und ein Nicken des Lockenkopfes bestätigte das sofort, „OK Duke, mit dem Tomahawk und Ihrem Käsemesser erschrecken wir nicht einmal einen Kindergarten, das Zeug reicht allemal, 454
um die Kreuze für unsere Gräber zu schnitzen. Wir besitzen keine richtigen Waffen und keine Vorräte, aber dafür wissen wir, daß morgen die Schonzeit vorbei ist und hier der Teufel los sein wird. Dazu haben wir einen Schwerverletzten, der uns nur aufhalten wird und bei allem Respekt für Ihre menschliche Entscheidung, Mister Kronau, militärisch gesehen haben Sie damit die Chancen von uns allen halbiert. Irgendeine Verstärkung können wir vergessen, weil ich nicht weiß, wie ich sie anfordern sollte und wenn doch, wüßte ich immer noch nicht, wo wir sind. Also wäre ich sicher lieber in Grönland und würde mir den Arsch abfrieren, als hier zu sein“ „Ich denke. präziser könnte man es kaum ausdrücken, allerdings versuchen Sie mal eine Null zu halbieren, dann wissen Sie, wie sich unsere Chancen durch den Doktor verändert haben. Moral ist schon immer ein Privileg der Guten gewesen und das sollte auch so bleiben, worin würden wir uns denn sonst von den Terroristen unterscheiden. Es ist wirklich bedauerlich, daß wir keine Möglichkeit haben, eine Nachricht abzusetzen, denn mit dem ‚Wo’ könnte Ihnen geholfen werden, vielleicht...“ „Darf ich mal die Fachsimpelei der beiden Herren unterbrechen und was Konstruktives beitragen, bevor der Tag vorbei ist...“, Lilly hantierte mühsam an ihrem Stiefel herum, bis sie ihn mit einem kräftigen Atemzug vom Fuß streifte, „...und nichts weiter passiert. Ich war nämlich nicht umsonst so scharf drauf, mich hier im Urwald, wo es überall Schlangen, Raubtiere und wer weiß was sonst noch gibt, mit euch Kerlen rumzutreiben“ Sie griff in den Stiefel und holte zuerst zerknülltes Papier hervor, dann kam ein kleines Plastikteil, in Form einer winzigen Pyramide zum Vorschein, das sie zu mir hinüber warf, „Fang auf, Boß, schöne Grüße von Carmen“ „Carmen? Äh,... was ist denn das?“ Lilly kostete diesen Moment, der ihr die volle Aufmerksamkeit aller Versammelten einbrachte, voll aus, „Carmen hatte immer die Sorge, als wir vor einigen Tagen am Rio Guapore angekommen sind, daß ich mich im Dschungel verlaufen würde. Deshalb mußte ich mir diesen Sender einstecken, damit sie mich damit wiederfinden konnte, allerdings hat er wohl nur eine Reichweite von zwanzig Meilen und ich glaube, so nahe wird Carmen nicht sein. Wenn ich in Schwierigkeiten käme, sollte ich nur das Gerät aktivieren und warten, vielleicht nützt es uns ja trotzdem was“ Natürlich war ich erstaunt, „Carmen ist wirklich auf alles vorbereitet, das muß man ihr lassen, aber trotzdem wird sie leider nicht in der Nähe sein, um das Signal aufzufangen“ „Nicht so voreilig, Mister Kronau“, der Major kratzte sich am Kinn und sah auf den kleinen Sender, „Wie funktioniert das eigentlich, Miss?“ „Einfach die Seiten mit den Solarzellen herunterklappen und dann an der Spitze die Antenne herausziehen, schon sendet das Teil pausenlos am Tag und sogar noch einige Zeit in der Nacht“, Lilly sah nach ihrer Antwort erwartungsvoll zu dem Major. „Danke Miss Lilly, das Signal ist zwar schwach und die Aussichten auf Erfolg stehen schlecht, aber es wäre möglich, daß meine Vorgesetzten im Pentagon alle Hebel in Bewegung setzen und die Satelliten auf ein größeres Suchgebiet ausrichten. Mit viel Glück könnten sie dann das Signal auffangen“ 455
Ich schaute die beiden an und begann, den Sender in meinen Händen funktionstüchtig zu machen, „Mir scheint, einen Versuch ist es wert. Lilly, dir haben wir vielleicht unser Leben zu verdanken, du hast clever reagiert und wenn wir alle her herauskommen, dann wird dir der Major bestimmt einen Drink ausgeben“ „Sicher nicht nur für Miss Lilly, sondern für alle,... einen Moment, Mister Kronau“, der Major schaute sich um und winkte zu der ersten Patrouille herüber, die gerade wieder auf die Lichtung zurückkam. „Sergant Ortiz“, ein kleiner Latino, kam mit seinem Kameraden im Laufschritt auf seinen Vorgesetzten zu und bremste abrupt ab, um seine Meldung zu machen. „Sir, wir haben einige verlassene Ruinen südöstlich an einem kleinen Flußlauf gefunden. Ein überwucherter Pfad geht von dort westlich ins Landesinnere. Bancroft und Edwards suchen dort weiter, Si.r“ „Danke, Sergant Ortiz, Sie werden jemanden auf den großen Baum am Rand der Lichtung hochschicken, der die Luftlage im Auge behält und...“, dabei schaute er fragend zu mir rüber, „...den Sender so hoch wie möglich in der Krone plaziert“ Natürlich hatte ich keine Einwände und gab das kleine Wunderwerk Sergant Ortiz. Lilly, die nun wieder beide Stiefel an den Füßen hatte, schaute abwechselnd besorgt zum Doc und dorthin, wo Señor Avialo hinter dem Dickicht verschwunden war, um Juan zu suchen, „Was wird nun? Wir müssen uns langsam entscheiden, was zu tun ist“ „Du hast recht Lilly. Also Major Pope, wie wollen wir nun vorgehen?“ „Ich kann sie alle unmöglich mit meinen Männern beschützen, wenn wir hierbleiben und auf eine noch so unwahrscheinliche Reaktion auf unser Signal warten, aber das wäre notwendig, weil der kranke Mann keinen langen Transport überstehen würde. Die Terroristen beginnen morgen ihre Suche sicher hier, um Spuren von uns zu finden und dann wären wir eine leichte Beute. Die einzige Möglichkeit scheint mir, irgendwo abseits einen Hinterhalt zu legen, um möglichst an einzelne Verfolger heranzukommen und ihre Waffen zu erbeuten. Dann haben wir wenigstens eine Chance, uns bis zum Kloster durchzukämpfen und doch noch unseren Auftrag zu erfüllen“ „Grundsätzlich haben Sie sicher recht, Major. Aber ich weiß, was ich dem Doktor schuldig bin und bin mir ziemlich sicher, Sie würden für Ihre Männer das Gleiche tun. Trotzdem sollten wir einfach mal Klartext reden, denn wir sitzen im gleichen Boot, allerdings haben wir unterschiedliche Ziele und ich denke, so ehrlich sollten wir miteinander schon sein. Für meine Freunde und mich geht es zuerst um die gefangenen Frauen, während Sie verständlicherweise Ihre Befehle haben und hinter den Uranidbakterien her sind“ Das hatte er nicht erwartet und seine militärische Ausstrahlung verschwand für einen Moment, „Sie wissen davon? Zuerst sind Sie über die Terroristen informiert und nun kennen Sie auch die Bakterien, jetzt können Sie nicht mehr leugnen, daß Sie ein Geheimagent sind“ „Sie lassen sich von der Oberflächlichkeit Ihrer Vermutung täuschen, Major. Ich bin kein Agent und selbst wenn ich einer wäre, würde es uns im Moment kaum weiterhelfen. Wir sollten lieber versuchen, unser Wissen über die Terroristen zusammenzukratzen, um eine Schwachstelle in den Plänen unserer Gegner zu finden und ich glaube, das ist mir schon gelungen. Sie wissen schon von mir, daß sich nach 456
meinen Informationen Paulo Fortunati einen Vorteil gegenüber Bartholome Diaz verschaffen will, indem er uns das präparierte Wasser untergeschoben hat. Demnach wird er ganz sicher hier auftauchen, weil er denkt, daß wir nicht weit gekommen sind. Nachdem, was mir Diana LeClaire erzählt hat, wird...“ Bevor ich weiterreden konnte, sprang Lilly auf und sah mich mit großen Augen an, „Du traust doch nicht ernsthaft dieser blonden Schlampe, die lügt doch, wenn sie den Mund aufmacht, und liefert uns damit doch wieder ans Messer“ Lillys Zweifel waren natürlich berechtigt und ich stimmte ihrem Protest sogar zu, aber noch bevor ich ihr das näher erklären konnte, hatte sich Mister Randall erhoben und hockte sich neben uns, „Sir, erlauben Sie bitte die Störung, aber der Zustand von Mister Breitenbach verschlechtert sich zusehends. Mein bescheidenes Wissen ist erschöpft und ich fürchte das Schlimmste in den nächsten Stunden, wenn kein Wunder geschieht“ Das Gefühl der Hilflosigkeit stieg in mir auf und ich sah zu dem bewußtlosen Mann am Boden, während Lilly hinüberging und die Pflege übernahm, „Sie haben recht, Mister Randall, wir brauchen zuerst sauberes Wasser und Nahrung, dazu sicher auch... Was macht denn der Mann da?“, spontan rief ich das aus, als der Indianer sich zu uns wandte und gestikulierte. Mister Randall konnte darauf sofort eine Antwort geben, „Ich hatte gerade die Gelegenheit genutzt und versucht, mich mit ihm zu verständigen, aber er scheint nur seine Indiosprache zu beherrschen, was es schwierig macht zu kommunizieren, Sir. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, daß er uns aufrichtig helfen will“ Als Militär war Major Pope automatisch mißtrauisch und ich mußte zugeben, daß seine Meinung etwas einleuchtendes hatte, „Mister Kronau, ich traue dem Indianer nicht über den Weg, schließlich hat ihn niemand vorher im Kerker gesehen und es könnte gut sein, daß er ein Spitzel ist, der unseren Standort verrät. In unserer Lage können wir es uns nicht leisten, jemanden zu vertrauen, den wir nicht kennen. Wir sollten ihn immer im Auge behalten und am besten wäre es, wenn wir etwas zum Fesseln für ihn finden würden“ „Sie werden verzeihen, Sir. Aber ich erlaube mir anzumerken, daß es keine Beweise für solche Verdächtigungen gibt und plädiere in diesem Fall mit ‚in dubio pro reo’ auf einen Freispruch“ Mister Randall schien Sympathien für den Mann in seinen zerlumpten Kleidern zu haben, der dem ganzen Treiben forschend zusah und scheinbar zunehmend begriff, daß es dabei um ihn ging. Mir schien es jetzt wichtig, einen akzeptablen Kompromiß zu finden, „Natürlich Mister Randall, wir sollten nicht paranoid auf die Sache reagieren – in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. Allerdings sind wir uns wohl einig, vorsichtig zu sein und die Argumente des Majors sind nicht aus der Luft gegriffen. Also wenn Sie sich bereit erklären, ein wachsames Auge auf den Mann zu haben, dann hoffe ich, daß wir uns keine Sorgen mehr zu machen brauchen“ „Sir, ich denke, das ist eine akzeptable Lösung“ Trotz Randalls Fürsprache wollte ich selbst mit dem Mann reden, um mir über ihn klar zu werden, doch weder auf mein mangelndes Portugiesisch, noch auf die spanischen Laute konnte ich die geringste Reaktion feststellen. Jedoch ging es mir 457
umgekehrt nicht besser, als er etwas völlig Unverständliches zu mir sagte und so blieb die Ratlosigkeit auf beiden Seiten. Erst die von Mister Randall angewandte Zeichensprache brachte überraschend schnell einige Fortschritte, was sicher daran lag, daß beide Seiten eine Verständigung wünschten, und so erfuhr ich nun, daß er Lame hieß. Offenbar war er ein Aruaque-Indio, der uns wohl sehr dankbar war, weil er fälschlicherweise annahm, daß wir ihn aus dem Kerker befreit hatten und nun mit in die Freiheit nahmen. So schien er uns deshalb seine Dankbarkeit beweisen zu wollen, indem er dem Doktor half. Es überstieg bei weitem meine Möglichkeiten, Lame seinen Irrtum begreiflich zu machen, doch ich mußte auch gestehen, daß ich es nicht lange versuchte, weil er vielleicht die einzige Hoffnung für den todkranken Mann war. Der Indio deutete auf den Wald und zeigte dann auf sich, immer mit dem Ausruf, „Pajes“, was ich überhaupt nicht deuten konnte, bis Lilly mehr nebenbei meinte, daß er ein Häuptling sei und seinen Titel rufen würde. Das brachte mich auf den richtigen Weg, denn im Zusammenhang mit seinem offensichtlichen Wissen um die Pflanzen im Dschungel, hielt ich ihn nun für einen Medizinmann, dem heiligen Mann seines Stammes, oder einer Mischung aus beidem, und so nickte ich zu ihm hinüber, wonach er mit Mister Randall im Dickicht verschwand. Der Major war zwar immer noch skeptisch, aber ein Rascheln in den Büschen auf der anderen Seite ließ ihn das vergessen und sofort dorthin schauen, wo Cristobal Avialo mit Juan über der Schulter aus dem Dschungel trat. Man sah dem Piloten an, daß er den Körper schon eine Weile mit sich herumgetragen hatte und deshalb brauchte er einen Moment, bis er zu Atem kam, „Señor Rubio hat nicht auf mich gehört, er sagte, es wäre alles eine Lüge von Señor Kronau und hat dann darauf die halbe Flasche Wasser vor meinen Augen getrunken. Dann stelle sich ziemlich schnell heraus, daß es doch keine Lüge war, und nun schläft er wie ein Baby“ Ich war beruhigt, daß er nun wieder hier war und nur schlief, auch wenn das Thema damit noch nicht ausgestanden war, „Legen Sie ihn bitte neben den Doktor, Cristobal. Hoffentlich war es wirklich nur ein Schlafmittel und nichts Schlimmeres“ „Jeder von uns hat gehört, daß du ihn gewarnt hast, Boß. Ich hoffe, daß er sich wieder beruhigt hat, wenn er aufwacht, denn wir können es uns nicht leisten, uns gegenseitig anzugreifen, schließlich ist der Feind woanders“, man konnte nicht behaupten, daß Lilly keinen Realitätsinn besaß. „Ausgezeichnet Miss, aber etwas Gutes hat die Sache trotzdem, denn Ihr Freund hat auf diese Art bewiesen, daß Ihre Information mit dem Wasser stimmt“ „Sie haben vollkommen recht Major, damit wird auch meine Quelle glaubwürdiger und das gibt mir auch die Hoffnung, daß im Notfall jemand den Frauen im Kloster hilft“ Natürlich kannte Major Pope nicht die Rolle von Diana LeClaire während der letzten Wochen und als ich Lilly nun etwas ihre Sorgen deshalb nahm, bekam auch der Amerikaner mit, warum man ihr bisher nicht trauen konnte. Es würde bald Mittag werden und langsam wurde es Zeit, daß die ausgeschickten Patrouillen Trinkwasser fanden, denn der Durst machte sich quälend bemerkbar. So leerte ich zwei Plasikflaschen und wollte zu den verfallenen Ruinen, in der Hoffnung, dort einen Brunnen zu finden, der irgendwann einmal die Leute versorgt hatte. Das 458
Rumsitzen und Abwarten ging mir auf die Nerven, aber ich wußte, die Amerikaner konnten nicht aufbrechen, ohne vorher genügend Wasser zu haben, dann wäre es für sie sicher ein kurzer Marsch. Wir hatten beschlossen, uns in aller Freundschaft zu trennen, einmal, um den Gegner zu verwirren, und dann standen uns doch unsere gegensätzlichen Meinungen im Wege. Der Major setzte mehr auf eine Guerillataktik im dichten Dschungel, während ich in meinem Hinterkopf schon längst den Plan hatte, meine Freunde mit einem Floß über den entdeckten Fluß in Sicherheit zu bringen und mich dann alleine den Terroristen zu stellen. Das hörte sich zwar wie ein Selbstmordkommando an, aber nichts lag mir ferner, denn ohne Zweifel hatte ich ausgiebige Erfahrungen im Dschungel und konnte den Jägern leicht eine größere Gruppe vorspielen. Damit lenkte ich sie von den Amerikanern ab und gleichzeitig von dem Floß, mit dem es vielleicht sogar gelang, den Doktor zu einem Arzt zu schaffen, aber das wurde erst möglich mit einem Vorrat an Wasser. Ein von Tieren ausgetretener Pfad führte zu dem träge fließenden Wasserlauf, an dem entlang ich nach zehn Minuten Fußweg zu den überwucherten Resten einer Anlegestelle kam. Ein Kahn moderte dort halb abgesoffen vor sich hin und wurde ausgiebig von einigen Vögeln als Landeplatz benutzt. Überall quakten Frösche und die Moskitos nahmen meine Einladung zum Essen dankbar an, was etwas erträglicher wurde, als ich der frischen Spur der Amerikaner im Gras folgte und nach wenigen Minuten landeinwärts auf mehrere verfallende Hütten stieß. Nach meiner Schätzung hatten sie schon vor mehreren Jahrzehnten ihre besten Zeiten gesehen, genau wie das ausgeschlachtete Wrack eines alten Ford-Lasters, der eingewachsen in einem der vielen Sträucher wie moderne Kunst aussah. Die Natur würde sicher nicht mehr lange brauchen, um jegliche Erinnerung an das hiesige Intermezzo des Menschen zu tilgen, doch noch hielten die morschen Holzwände stand und trotzten der alles verschlingenden Flora. Deutlich sah ich vor mir, wie die Fährte zwischen den Resten der drei Häuser hindurchging und auf eine mit Gras bedeckte Schneise zuführte, die immer noch die zwei Rinnen zeigte, welche wohl der Laster mit seinen Rädern im Waldboden hinterlassen hatte. Soweit wollte ich aber nicht ins Dickicht vorstoßen und schaute mich lieber nach meinem eigentlichen Ziel um, denn das Wasser des Flusses war für uns nur mit Entkeimungstabletten zu genießen, die wir aber nicht hatten. Würden wir es ohne sie probieren, hätten wir alle in kürzester Zeit unter Durchfall und Magenkrämpfen zu leiden und damit war jeder Gedanke an einen erfolgreichen Widerstand nur eine Illusion. Obwohl die Sonne in ihrem Zenit stand, wirkte dieser Ort düster und unheimlich, ich schaute durch eines der kaputten Fenster in eine Hütte, die durch die Löcher im Dach und einigen Ritzen in den Wänden mit Sonnenlicht erhellt wurde. Dort sah ich aber nur faulende Bodenbretter mit ihrem typischen Geruch von nassem Holz und einige leere Regale als Rudimente der ehemaligen Einrichtung. Vorsichtig ging ich durch die Türöffnung hinein, immer probierend, ob der Boden mich tragen konnte, aber dort war nichts Brauchbares zu finden und so wiederholte ich das bei den anderen Ruinen, leider mit dem gleichen Ergebnis. Jemand mußte wohl sehr gründlich aufgeräumt haben, 459
bevor er dieses Gehöft dem Verfall preisgab, und einzig übrig blieb in der letzen Hütte eine alte eingerostete Winde, die offenbar zu schwer für den Abtransport war. Gerade als ich enttäuscht wieder ins Freie treten wollte, hörte ich draußen ein Geräusch und zog blitzschnell das kleine Messer, um mich so neben den offen stehenden Eingang zu stellen und vorsichtig hinauszuschauen. Zwei Männer gingen mit einem rostigen Metallteil in der Hand den Weg zum Fluß zurück und kamen dabei genau an mir vorbei, „Nun Gentlemen, haben Sie etwas gefunden?“ Die beiden Soldaten schreckten zusammen, reagierten aber sofort und standen mir angriffsbereit gegenüber, bis sie mich erkannten, „Sie sind es, Sir. Bei allem Respekt, aber es ist gefährlich, sich hier herumzutreiben“ Ich verkniff mir mein Schmunzeln, „Da haben Sie vollkommen recht, also sollten Sie beide vorsichtig sein. Wohin führt der Weg weiter?“ Die Männer schauten sich kurz an, als ob es um ein Staatsgeheimnis ging, aber dann bekam ich doch noch meine Antwort, „Direkt hinter der Biegung an den hohen Bäumen ist ein großes Loch in der Erde, dort haben wir die abgebrochene Hacke gefunden, mit einem neuen Stil läßt sich sicher etwas damit anfangen, Sir“ „Das ist eine gute Idee, haben Sie irgendwo Trinkwasser entdeckt?“ „Nein Sir, die Grube ist zwar am Boden mit Wasser gefüllt, aber das ist ein Motel für die Moskitos der Gegend und stinkt bestialisch“ „Ich verstehe, danke für die Auskunft. Trotzdem schaue ich mir das mal genauer an und komme dann gleich zum Lager zurück, machen Sie dem Major eine Meldung“ „Aye, Aye, Sir“, die SEALS setzten ihren Weg fort und ich folgte ihren Spuren in umgekehrter Richtung. Kaum fünf Minuten später stand ich vor einem Krater von dreißig Metern Durchmesser, auf dessen Grund das Sonnenlicht durch eine braungraue Brühe reflektiert wurde. Offenbar hatte man hier nach Opalen gesucht und irgendwann die Sache aufgegeben, jedenfalls blieb diese häßliche Narbe in der Oberfläche bis zum heutigen Tage bestehen, obwohl die Natur schon bis dicht an die Ränder wieder alles in Besitz genommen hatte. Die Kanten waren schon lange verwittert und Reste einer Holzleiter standen zerfallen an einer Seite, wo man sie mit Pfosten und einigen Balken in der Wand fixiert hatte. Dieses riesige Brutloch für Moskitos gab wirklich nichts mehr her und so beendete ich erfolglos meinen Erkundungsgang und begab mich enttäuscht wieder zurück. Der Wassermangel konnte wirklich zu einem bedrohlichen Problem werden und als erstes würde das unser schwächstes Glied der Kette zu spüren bekommen, der Doktor. Mit dieser Überlegung im Kopf kam ich fast genau zur gleichen Zeit auf die Lichtung zurück, in der die Sonne am höchsten stand und völlig überraschend bot sich mit ein verändertes Bild. Jeder hielt eine Flasche in der Hand, trank sich hemmungslos satt, ohne scheinbar den geringsten Gedanken an das Schlafmittel zu verschwenden. Sprachlose Verblüffung, oder verblüffte Sprachlosigkeit, auf jeden Fall traute ich meinen Augen kaum und brachte zuerst keinen Ton heraus. „Gabriel, komm und trink was, das ist besser als eine Nacht mit der angesagtesten Boygroup in einer Hotelsuite in Hawaii“ Es war zwar etwas schwer für mich, Lillys Vergleich nachzuvollziehen, aber wie mein Großvater schon sagte, ‚Durst ist schlimmer 460
als Heimweh’ und ich vermutete, daß alle gleichzeitig einen Hitzschlag bekommen hatten, der ihr Urteilsvermögen trübte. „Ich halte mich lieber im Moment zurück, habt ihr alle denn vergessen, was in dem Wasser drin ist?“ „Nonsens Boß, das ist Lianenwasser, kühl und frisch geerntet. Genau das Richtige für eine trockene, rauhe Kehle, wie du sie haben mußt, und das alles haben wir Lame zu verdanken. Er schlug einfach die langen Lianen ab und es kam Wasser heraus, außerdem hat er dem Doktor einen Pflanzenumschlag gemacht und ist gerade mit dem Major und Benedikt unterwegs, um die Vorräte weiter aufzufüllen“ Wie aus dem Nichts hatte sich meine dringlichste Sorge in Luft aufgelöst und es dauerte trotz der guten Nachricht einen Augenblick, bis ich das wirklich begriff und wieder zur Tagesordnung übergehen konnte, „Äh,... ich kenne keinen Benedikt!“ Lilly war da ganz anderer Meinung, „Also wirklich Boß, glaubst du denn, daß Mister Randall nur einen Nachnamen hat? Schließlich ist er hier kein Butler, sondern sitzt mit uns in der selben Sch...“ „Danke, ich weiß was du meinst, Lilly. Komm mit, ich habe mit dir und Cristobal etwas Wichtiges zu besprechen“, schnell hatte ich auch den Piloten zu mir herangewunken und konnte nun, da wir Wasser hatten, mit den beiden meinen Plan besprechen. Im Grunde mußte ich nur sie überzeugen, da Juan noch fest schlief und Mister Randall ihm überallhin folgen würde. Zuerst wollten sie überhaupt nichts davon hören, aber als ich sagte, daß damit möglicherweise das Leben des Doktors zu retten war, fiel es ihnen schwer, ein Argument dagegen zu finden. Natürlich verschwieg ich auch nicht die Risiken, es gab sicher Posten, die das Ufer kontrollieren würden, zudem war man auf dem Wasser leichter zu entdecken und es gab vielleicht sogar Boote, mit denen man eine Passage sperrte. Allerdings wenn sie dort durchkamen, konnten sie einfach in die Freiheit treiben und die nächste Siedlung erreichen. Es war riskant, hier zu bleiben, genauso wie den Fluß zu benutzen – doch dort gab es eine Chance hinauszukommen. Trotz meiner Bemühungen konnte ich die beiden nicht sofort überzeugen und so gab ich ihnen einige Minuten Bedenkzeit, um sich mit meinem Vorschlag vertraut zu machen. Das gab mir die Gelegenheit, mich um meine beiden bewußtlosen Freunde zu kümmern, von denen mir der eine Sorgen wegen seiner Gesundheit bereitete und der andere, weil er böse auf mich war. Der Doktor schwitzte und unmerklich zuckten seine Lippen, so als wolle er im Schlaf sprechen. In Gedanken sah ich ihn flüchtig vor mir in all den Episoden von Italien bis nach Barbados, ernst und mit zunehmender Zeit auch mit einem versteckten Humor. Welch ein anderes Bild bot sich mir jetzt von ihm und ich fühlte mich hilflos, weil keine Idee von mir, keine List und kein waghalsiger Angriff seinen Zustand verbessern konnten, einzig blieb nur Hoffnung auf die Künste eines Aruaque-Indios und eine schnelle Reise auf dem Fluß. Die Zeit, welche Lilly und Cristobal zum Nachdenken von mir erhielten, würde länger werden als ich angenommen hatte, denn Major Pope kam mit Mister Randall und Lame aus dem Dschungel zurück. Sie glichen mehr einer orientalischen Händlerkarawane, weil von den Maniokwurzeln bis zu den Früchte der Acaipalme alles an Eßbarem vertreten war, was man hier erwarten konnte. Mehr noch, teilweise waren 461
in ihren Kleidungsstücken Früchte eingewickelt, die mir völlig unbekannt waren, und so bepackt blieben die drei vor mir stehen, „Major ,ich bin überrascht, sind Sie unter die Jäger und Sammler gegangen?“ „Well, im Moment unter die Sammler und bald wird das Jagen dazukommen, allerdings auf diese verdammte Terroristenbrut. Wir haben unterwegs dem Indio endlich begreiflich machen können, daß es noch nicht vorbei ist, und er will uns nun zu seinen Leuten führen. Es sieht so aus, als ob sein Dorf von Bartholome Diaz verwüstet wurde, weil er sie von ihrem Land vertreiben wollte und einige Männer haben daraufhin beschlossen, daß nicht einfach so hinzunehmen. Das würden wertvolle Verbündete sein, noch können Sie sich mit Ihren Freunden anschließen, allerdings ist das Lager zwei Tagesmärsche nordwestlich von hier und ich denke, daß ihr kranker Freund den Weg nicht schaffen wird“ „Leider muß ich weiterhin Ihr Angebot ablehnen, ich denke, es ist besser, wenn wir zweigleisig fahren und dabei hoffen, daß wenigstens einer durchkommt. Wie ich sehe, haben Sie ihr Mißtrauen gegen Lame verloren – ich denke, daß es berechtigt ist, denn nichts würde dafür sprechen, daß uns ein Spitzel von Diaz erst so entscheidend hilft und dann verrät“ „Wenn man es nüchtern betrachtet, haben Sie sicher recht, doch was ist schon einleuchtend an der Sache mit dieser Jagd im Dschungel. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin zufrieden, daß wir noch leben, aber wenn ich Diaz wäre und unliebsame Zeugen loswerden möchte, dann verpasse ich jedem eine Kugel und verscharre die Leichen, wo sie niemand mehr finden kann“ Zustimmend nickte ich ihm zu, „Das ist genau meine Meinung, alles ist viel zu theatralisch für einen rational denkenden Menschen wie diesen Bartholome Diaz. Bis jetzt bin ich jedenfalls nicht hinter seine Gründe gekommen, vielleicht gelingt mir das ja noch, aber im Moment haben wir wohl alle etwas Wichtigeres zu erledigen – nämlich zu überleben“ Für weitere Diskussionen blieb auch keine Zeit mehr, da nunmehr unser weiteres Vorgehen feststand und auch Lilly mit Cristobal Avialo ihre Entscheidung für das Floß getroffen hatte. Allerdings waren sie nicht sehr glücklich damit und fühlten sich von mir abgeschoben, was sogar ein Quentchen Wahrheit in sich trug, doch das geschah nur zu ihrem besten und mir ging es hauptsächlich darum, alle so heil wie möglich aus der Sache herauszubekommen. Die Amerikaner würden sich mit Lame´s Hilfe zu den Indios durchschlagen, die sicher wüßten, wo der nächste Posten der Lemuren war. Dort war es dann sicher möglich sich mit Waffen zu versorgen und vielleicht sogar, an ein Funkgerät zu kommen, um die Verstärkung zu rufen. Sollte das geschehen, dann konnte es für die Terroristen eng werden, allerdings auch für Anne und Francesca. Ich schwankte noch zwischen einer südlichen Route zum Kloster, was mich weit von den Amerikanern wegführen würde, oder dem riskanten Plan, selbst die Jäger im Dschungel zu jagen, bei dem ich mir allerdings keinen Fehler erlauben durfte und noch einiges durchdenken mußte. Doch dazu hatte ich die nächsten Stunden ausgiebig Zeit, weil sich alle Leute auf den Bau des Floßes stürzten, einzig Lame blieb noch abseits, weil er Feuer gemacht hatte. 462
Dazu baute er innerhalb kürzester Zeit aus einer Baumfaser und einem kleinen Ast einen Bogen, in dessen Sehne er einen Stock eindrehte und durch die Bewegung soviel Reibungswärme erzeugte, daß sich etwas trockenes Gras auf einer Holzunterlage entzündete. Zuerst wunderte ich mich über das Feuer, da wir nichts zu Essen hatten, was man kochen müßte, doch dann sah ich, wie er einige Pfeile herstellte, deren vorderen Enden er in den Flammen härtete. Unterdessen kamen auch wir schnell voran und hatten bald den Floßkörper aus drei mittleren Baumstämmen und einigen noch brauchbaren Holzbrettern der Ruinen hergestellt. Lilly suchte inzwischen mit Mister Randall nach geeigneten Fasern und flocht sie zu einem Seil, um dann alle Teile fest zu verbinden. Bis zum Nachmittag ließ der Major seine Soldaten noch mitarbeiten, dann zog er sie ab und ließ sie sich etwas für den bevorstehenden Marsch ausruhen. Mehr Hilfe konnten wir von ihm nicht erwarten und ich wußte genau, ohne seine Männer hätten wir kaum eine Chance gehabt, noch heute fertig zu werden, um die Nacht für die Abfahrt zu benutzen. Einige Zeit verging noch mit den letzten Vorbereitungen, dann wurde es Zeit für den Abschied, „Wir müssen jetzt leider abziehen, Mister Kronau. Der Indio deutete an, daß es vom Fluß weg einige freie Geländeabschnitte gibt und die will ich morgen früh durchquert haben, damit man uns bei dem Tageslicht nicht so schnell entdecken kann. Mein Angebot für Sie steht immer noch, ich würde sie gerne bei meinen Leuten haben“ „Danke für Ihre Hilfe und auch für das Angebot, aber ich denke, wir machen alles so wie geplant, zwei Routen – doppelte Chancen. Es wir sicher alles gut gehen, ich hoffe Sie haben Erfolg und können Verstärkung holen und dann sehen wir uns spätestens am Kloster wieder“ „Natürlich, ich habe keine Zweifel deswegen und denken Sie daran, daß Sie bei uns eingeladen sind. Meine Frau macht den besten Apfelkuchen der Staaten, das werden Sie sich doch nicht entgehen lassen?“ „Wenn das so ist, dann sehen wir uns ganz bestimmt wieder, ich kann doch sicher noch ein paar Freunde mitbringen?“ Er schaute in die Runde, „Selbstverständlich, jeder mit dem ich zusammen im Dreck gesessen habe, ist mir willkommen, viel Glück und Gott stehe Ihnen bei, Mister Kronau“ Wir verabschiedeten uns alle von jedem Mann einzeln und als ich zu Lame an sein Feuer trat, tippte er mir an den Arm und zeigte mir ein kleines Stück ausgehöhltes Holz, in dessen Vertiefung eine dunkle Paste war. Ich hatte zwar den ganzen Nachmittag mitbekommen, wie er an einem großen Bogen für seine Pfeile gebaut hatte, doch was er dazu fabrizierte, war mir während des Floßbaues entgangen. Zuerst war ich etwas ratlos, was das sein sollte, doch dann hielt er mir seine gehärteten Pfeilspitzen vor die Augen, die mit dieser Masse bedeckt waren. Jetzt schien alles klar zu sein und ich vermutete, daß er Curare hergestellt hatte, den Saft einer Pflanze, die ins Blut gebracht den Tod verursachte, doch nach kurzem Austausch von vielen Gesten wußte ich, daß ich nur zur Hälfte richtig lag. Denn Lame hatte zwar seine Pfeile vergiftet, doch nicht mit dem Sud der Curarepflanze, sondern dem Sekret einer bestimmten Froschart, was einige abseits liegende Kadaver bezeugten und mir in Erinnerung rief, daß ich 463
tatsächlich schon einmal etwas über Pfeilgiftfrösche gelesen hatte. Das Hintergrundgequake beruhigte mein ökologisches Bewußtsein in der Hinsicht, daß die Population trotzdem noch gesichert schien und die intensiven Zeichen des Indios warnten mich eindringlich, dieser Paste zu nahe zu kommen. Ich hätte mich gerne ausführlicher mit dem Mann verständigt, denn ich spürte eine Faszination in dieser Situation, wo Menschen unterschiedlichster Kulturkreise, die kaum miteinander sprechen konnten, gemeinsam an einem Ziel arbeiteten. Dabei waren sicher wir „zivilisierten“ Menschen diejenigen, die am meisten in dieser Umgebung davon profitierten und insgeheim fragte ich mich, ob ein Stadtmensch die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft haben würde, einem Indianer auf dem Potsdamer Platz die Geheimnisse des städtischen Nahverkehrs zu erklären. Aber vielleicht sollte ich mir wirklich nicht wünschen, darauf eine Antwort zu bekommen. So verschwanden kurz darauf die SEALS mit Lame hinter den Bäumen und wanderten nun auf einem Pfad nach Norden, den sonst Tapire und Raubkatzen benutzten. Die grünen Blätter schlossen sich wieder hinter ihnen und es kam mir so vor, als wären sie alle vom Urwald verschlungen worden, während dazu unaufhörlich die Stimmen der Papageien krächzten. „Madre de Dios, oh mein Kopf,... mir ist schwindelig“, Juan hatte das Bewußtsein wiedererlangt, jedoch schien er einige Probleme damit zu haben und brauchte eine ganze Weile, um wieder richtig klar zu werden. „Hier trink das, danach wirst du dich bestimmt besser fühlen“, ich reichte ihm eine Flasche hinüber, die er zwar nahm, jedoch nur wortlos anstarrte. „Wasser? Du willst doch bloß, daß ich den Mund halte, deshalb soll ich noch was von dem Teufelszeug trinken und wieder ruhig einschlafen“ Ich merkte schon, daß er durch den Schlaf nicht verträglicher geworden war, „Hör doch auf, Juan. Da ist kein Schlafmittel drin und wenn du mir nicht glaubst, dann trinke ich zuerst davon. Wir kennen uns jetzt schon so viele Jahre und haben damals einiges zusammen durchgemacht, meinst du nicht, daß ich dich sehr gut verstehe und mir selber schon Vorwürfe gemacht habe. Ich sorge mich genauso um Francesca wie du und es tut mir leid, was geschehen ist – könnte ich das rückgängig machen, würde ich es tun, aber das kann ich nicht. Mir bleibt nur übrig, nach vorne zu schauen und zu sehen, daß ich meinen Fehler korrigieren kann, das wird nicht einfach werden, aber es wäre leichter für mich, wenn du mir verzeihen könntest. Ich verspreche dir, daß du bald deine Frau lebend wiedersiehst und in den Arm nehmen kannst“ Lange saß er ungerührt neben mir, bis endlich ein wenig Bewegung in ihn kam, „Das ist doch alles verrückt,... kann man das Wasser wirklich trinken?“ „Sicher, soll ich es dir zeigen?“ „Gib schon her, ich glaube dir auch so. Bei all dem, was diese Schweine schon angerichtet haben, will ich ihnen nicht auch noch helfen und unsere Freundschaft aufs Spiel setzen. Als du Hilfe brauchtest, bist du zu uns gekommen, und damals in Kolumbien hast du auch keine Rücksicht auf dein eigenes Leben genommen. Wenn einem Freund zu helfen bedeutet, nie ein eigenes Risiko einzugehen, was sagt das dann über die Freundschaft aus? 464
Ich hatte nur Angst um meine Frau und suchte jemanden, an dem ich das auslassen konnte, weil ich mich so hilflos fühlte, schließlich will ich sie nicht verlieren, genauso wie ich meinen Freund nicht verlieren will“ Natürlich konnte ich ihn gut verstehen und war ihm auch nicht böse, als ich meine Hand auf seine Schulter legte, „Du wirst beide nicht verlieren, versprochen“ Kurze Zeit saßen wir schweigend beieinander, während die Sonne versuchte, ihre letzten Strahlen durch die Kronen der hohen Bäume zu schicken. Zögernd begann ich, von den Ereignissen, die er verschlafen hatte, zu erzählen und beinahe war ich froh, daß er noch nicht ganz munter war, um sich gegen die Fahrt auf dem Fluß zu wehren. Irgendwie hatte ich befürchtet, daß er sich nicht abschieben lassen würde, und deshalb war ich froh, daß es bis zum Abend nicht mehr lange hin war. Nach Sonnenuntergang sollte die Reise beginnen und ich ging langsam mit Juan zum Floß, wo alle erleichtert waren, daß die Unstimmigkeiten beseitigt waren, so auch Mister Randall, der dabei war, das Floß zu beladen, „Sir, wir haben unsere Vorräte verstaut und alle Vorbereitungen getroffen. Mister Avialo baute noch mit Astgaben und kleineren Brettern zwei Paddel, die sicher hilfreich sein dürften, und wir haben für Mister Breitenbach eine weiche Unterlage aus Laub in die Mitte gelegt. Wenn ich noch etwas Privates anmerken darf Jeder der Anwesenden ist recht betrübt über diese Entwicklung, jedoch darf ich versichern, daß niemand an Ihren ehrenvollen Absichten zweifelt, auch wenn das Temperament der jungen Lady etwas anderes vermuten läßt“ Damit spielte er auf Lillys zunehmend schlechtere Laune an, die nun langsam zweifelte, mit der Flußreise die richtige Wahl getroffen zu haben. „Danke Mister Randall, es ist wohl das Recht der Jugend, zuerst den Bauch und dann erst den Kopf zu befragen, doch solange jemand in der Nähe ist, der das andersherum macht, sollte uns für die nächsten Stunden nicht bange werden, ich zähle da besonders auf Sie“ „Ich hoffe, Ihren Ansprüchen zu genügen, Sir“ Unterdessen waren alle wieder auf der Lichtung erschienen und wir mußten nur noch im letzen Licht den Doktor bis zum Floß zu tragen, damit war dann alles für die Abfahrt bereit. Doch noch bevor wir damit begannen, stellte sich Juan vor allen auf und hob kurz die Hand, um etwas zu sagen, „Hallo,... hört mal alle her. Ich bin absolut der gleichen Meinung wie Gabriel, das Floß zu benutzen, um die meisten von uns in Sicherheit zu bringen, aber ich werde hier bleiben. Randall, ich entbinde Sie von Ihrem Wort, mich ständig zu begleiten, es ist meine Entscheidung und ich lasse mich nicht davon abbringen“ „Juan,...“, noch bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, redete jeder dazwischen und schlagartig bröckelte mein ganzer Plan in sich zusammen. Lilly nahm das zum Anlaß, sich sofort auf Juans Seite zu stellen, während Cristobal Avialo nun schwankend der Diskussion zuhörte. Einzig Mister Randall blieb ruhig und hörte ungerührt jeder Meinung zu. Das wäre sicher noch einige Minuten so weitergegangen, wenn nicht doch eine leichte Bewegung in seinem Körper meine Aufmerksamkeit erregt hätte, denn er wendete sich mir zu und hob leicht den Arm, „Sir, ich befürchte wir sind heute Abend mehr Personen zum Dinner“ 465
Ich drehte sofort den Kopf in die gezeigte Richtung, wo zwei maskierte Gestalten in schwarzen Overalls und Hauben auf die Lichtung getreten waren und sich nun langsam in Bewegung setzten. Beide hatten ihre MP´s im Anschlag und drehten mehrmals die Köpfe, um das Terrain zu sondieren. Mein Ärger war grenzenlos, eine Stunde später und sie hätten nur Juan und mich erwischt, vielleicht sogar niemanden, wenn wir schon im Dickicht verschwunden wären. Offensichtlich hatte Diaz den Spielplan geändert und unsere gesamten Vorbereitungen waren umsonst gewesen. Dann standen die beiden vor uns und überraschenderweise erklang unter der Maske eine bekannte Stimme, „Señor Kronau, Sie gehören wohl auch zu den Männern, die nur schnell etwas erledigen wollen und dann einfach verschwinden. Aber keine Angst, wir finden euch immer wieder!“ „Carmen? Carmen Santiago?“, ich mußte das erstmal verdauen, ganz im Gegensatz zu Lilly, die Carmen sofort umarmte. Sie nahm ihre Haube ab, „Richtig geraten, ich hätte es beinahe nicht für möglich gehalten, diesen trüben Haufen noch einmal wiederzusehen, aber deshalb freut es mich doppelt. Meinen Begleiter kennen Sie ja schon, Señor Kronau“ „Hmmm, wirklich?“, neugierige dunkle Augen sahen mich aus dem asiatischen Gesicht eines Mannes an. Sein Alter war schlecht zu schätzen, er wirkte jugendlich, aber einige Fältchen um die Augen zeugten von der Erfahrung, die er auch ausstrahlte. „Ja, Señor Kronau, ich würde doch nicht lügen, darf ich Ihnen Mister Jeffrey Chong von der CIB aus Hongkong vorstellen. Er war der Mann in dem Lagerhaus auf Barbados und hat dafür gesorgt, daß sie nach Venezuela gebracht wurden“ „Ach?! Äh,... angenehm Sie kennenzulernen, Mister Chong. Danke, daß Sie mir das Leben gerettet haben, ich war schon am Zweifeln, ob Sie wirklich existieren, oder ob mir ein Geist geholfen hat. Zwar haben wir im Moment reichlich andere Probleme, aber wie bin ich eigentlich zu dieser Ehre gekommen?“ „Gerne geschehen, Sir. Ich freue mich über Ihr Wohlergehen und auch wenn ich nur kurzzeitig in den Vordergrund des Geschehens treten mußte, erfüllt es mich mit Zufriedenheit, daß damit ein Erfolg verbunden war. Doch lassen Sie uns später darüber reden, denn ich habe bemerkt, daß sie einen Verletzten haben und vielleicht ist es mir möglich, zu helfen“ Diese Bemerkung heilte mich schnell von meiner Neugier, „Ja,... ja natürlich, es wäre sehr gut, wenn Sie etwas für ihn tun können, denn sein Zustand scheint sich zu verschlechtern“ Während Mister Chong sich vorerst um den Doktor kümmerte, hatten wir alle ein wenig Zeit, um Carmen mit unseren Fragen zu überfallen, wobei Lilly wieder die Erste war, „Es ist schön, dich zu sehen, man hat uns ganz schön eingeseift, aber ich wußte, daß es mit dem Sender klappen wird. Gib es ruhig zu, daß er euch hergeführt hat, oder?“ „Ja, du hast recht und ich wußte dabei genau, daß man sich auf dich verlassen kann. Allerdings muß ich sagen, daß es eher nur eine schwache Hoffnung bei mir gab, schließlich sendet das Gerät nicht viel weiter, wie ich werfen kann und ohne die technische Unterstützung von Mister Chong wäre eine Nadel im Heuhaufen einfacher zu finden gewesen. Als ich dann aber das Signal geortet hatte, konnte uns niemand 466
mehr halten. Ein Privatjet hat uns in die Nähe gebracht und dann sind wir mit Gleitfallschirmen abgesprungen, um vom Radar unentdeckt etwas dichter an den Sender zu kommen, ohne gleich bemerkt zu werden. Man weiß ja nicht, was einen am Boden so erwartet, es hätte auch eine Falle sein können, jedenfalls bin ich froh, euch zu sehen“ Lilly war noch immer die aufgeregteste von allen und zupfte mir etwas aufgedreht am Ärmel, „Boß, ich hoffe, du hast genau zugehört, ohne mich würde die Sache ganz trübe aussehen. Ich wußte zwar, daß ich gut bin, aber daß ich so gut bin, das hätte ich selber nicht gedacht“ Damit schaffte sie es tatsächlich, uns alle trotz der angespannten Lage zum Lachen zu bringen und ich ging kurz im gleichen Ton darauf ein, „Na klar, Girl, du bist sogar supergut, aber jetzt geh’ mal in die Küche und nimm dir ein Eis. Der Onkel muß mal mit der Tante reden und du darfst mit den anderen Kindern spielen“ „Ein Eis? Ich rette euren Hintern und bekomme ein Eis? Was gibt es denn, wenn ich die ganze Welt rette, eine Tüte Gummibärchen? Aber ich habe schon verstanden und werde jetzt ganz artig den Mund halten“ Das Lächeln verschwand allmählich wieder auf den Gesichtern und auch Carmen kam zu den ernsten Themen, „Was ist mit Señor Breitenbach passiert, ist das bei eurer Flucht geschehen?“ „Ich verstehe, du denkst, wir sind geflohen und stecken deshalb jetzt hier im Dschungel? Nein, das stimmt beides nicht, die Terroristen haben den Doktor während seiner Gefangenschaft so zugerichtet, ich habe ihn erst heute morgen in diesen Zustand wiedergesehen. Außerdem hat uns keine Flucht hierher verschlagen, wir sind eine Art Unterhaltungsprogramm für Bartholome Diaz und...“, sehr komprimiert berichtete ich Carmen, was sich inzwischen abgespielt hatte, und auch sie mußte uns natürlich erklären, wie es ihr ergangen war und was es mit dem Chinesen auf sich hatte. Nach meiner letzen Warnung über Funk hatte sie sich erstmal zwischen mehreren Felsbrocken versteckt und ritt dann so schnell es ging zurück, um Lilly wiedertreffen. Weil sie sehr vorsichtig war, dauerte es länger als erwartet und endlich angekommen mußte sie feststellen, daß „Betsy“ verschwunden war und das Gleiche auch auf unsere Leute zutraf. Einen Tag hielt sie sich in Costa Marques am Flugplatz auf, aber dort wartete sie vergeblich auf ein Lebenszeichen und tauchte erstmal in Porto Velho unter, um mit Juan in Caracas Kontakt aufzunehmen, in der Hoffnung, dort einige Neuigkeiten von uns zu bekommen. Doch das einzige, was Carmen erfuhr, war die Nachricht von dem Verschwinden Juans nach der Lösegeldübergabe und das brachte sie dazu, sich mit Jeffrey Chong vom Criminal Intelligence Bureau in Verbindung zu setzen. Er war der Partner von Lao Puh und beide spielten, wie ich jetzt merkte, keine unwesentliche Rolle, besonders deshalb, weil sie „Geschäftspartner“ von Carmen waren. Die Männer arbeiteten im Dezernat für organisiertes Verbrechen in der chinesischen Metropole und waren spezialisiert auf Undercoveraktionen. Vor einigen Monaten verschwand ein hervorragender Wissenschaftler aus Peking von einer Konferenz über Genforschung in Hongkong und brachte damit die ansässigen Behörden gegenüber dem chinesischen Mutterland in beträchtliche Schwierigkeiten. 467
Der Commissioner der Abteilung beauftragte seine besten Leute mit der Suche nach dem Vermißten, um diesen peinlichen Vorfall so schnell es ging aufzuklären, doch das erwies sich als schwieriger wie erhofft. Da die Ermittlungen auf ehemalige NATOOffiziere hinwiesen, versuchte man, über Kontakte zu alten Informanten etwas über ihn herauszufinden und nicht zufällig stand auch der Name von Carmen Santiago auf dieser Liste. Sie hatte bekanntlich einige Zeit dort gearbeitet und unter anderem dabei auch mit einflußreichen Persönlichkeiten zu tun, weshalb es eine Akte bei den Behörden über sie gab. Als sie in krumme Geschäfte ihrer Auftraggeber verwickelt wurde, traten Mister Chong und Mister Puh an sie heran und handelten mit ihr einen Deal aus, der für Sie Straffreiheit bedeutete und die Verbrecher hinter Gitter brachte. Auch als Carmen schon in Europa war, blieb der Kontakt bestehen, und nachdem sie durch den Mordanschlag auf Anne und ihren Vater langsam merkte, aus welcher Richtung die Sache geplant wurde, brachte sie die Urheber miteinander in Zusammenhang. Mister Puh kam inkognito nach Deutschland und verpflichtete Carmen zur Geheimhaltung, während Mister Chong die Ermittlungen in Hongkong weiterführte. Nach dem Mord an seinem Kollegen und der Entführung von Carmen auf die Yacht von Fortunati hatte er jedoch keinen Kontakt mehr und war nun auf sich allein gestellt. Durch Carmens Bericht war ihm mein Name bekannt und schnell hatte sich durch diplomatische Kanäle herausgestellt, daß ich etwas mit Doktor Breitenbach zu tun hatte, der auf dem Weg nach Barbados war. Der Rest war einfache Observation und ein überraschendes Eingreifen des chinesischen Beamten, mit dem sich Carmen traf, als sie nun nicht wußte, was mit uns geschehen war. Mister Chong war da besser informiert, denn er blieb nach dem Abend in Bridgetown an Fortunati dran und teilte nicht das Schicksal der amerikanischen Agenten, da niemand seine Anwesenheit vermutete. Ich war natürlich sehr verblüfft über Carmen, die ihr kleines Geheimnis selbst Anne nicht verraten hatte, „Wie ich feststelle haben Sie mir eine Kleinigkeit bei unserer Paddeltour vorenthalten, Carmen“ Sie zuckte etwas mit den Schultern, „Señor Kronau, die Chinesen sind ein eigenartiger Menschenschlag, ich mag ihre Freundlichkeit, aber das macht es einem schwerer zu sehen, wann sie richtig sauer werden. Allerdings gibt es da auch einen unübertroffenen Ehrenkodex und ich war den Behörden verpflichtet, weil sie mir die Gelegenheit gaben, einen Fehler wiedergutzumachen, sowas verjährt eben nicht. Damals in Hongkong mußte ich zwei Kerle umlegen, die den Mann, den ich beschützte, entführen wollten. Wie sich später herausstellte, waren das verdeckte Ermittler, die dabei waren, ihn festzunehmen. Sie haben einige Fehler gemacht und ich tat nur meinen Job, doch das sah die Justiz anders und das hätte für mich beinahe lebenslänglich bedeutet. Das es nicht so ist, verdanke ich meinem Deal mit Mister Chong und deshalb tut es mir zwar leid. daß ich nichts gesagt habe, aber so waren eben die Regeln“ „Kein Problem Carmen, wir haben alle unsere Verpflichtungen und das Wichtige ist doch, daß sie beide hier sind. Haben Sie eigentlich noch die chinesische Armee in Rücken, oder sonst jemanden, der uns hilft, diesen Alptraum zu beenden?“ 468
„Soweit ich das weiß wohl nicht, aber um Gewißheit zu haben, müssen Sie Mister Chong fragen, das ist die Party der Chinesen und ich bin froh, daß er mich mitgenommen hat, nachdem ihre Satelliten das Signal empfingen. Ich glaube sogar, die Leute in Peking oder Hongkong, oder wer weiß wo sonst, waren selbst überrascht, nachdem sie gehört hatten, was ich Mister Chong bei unserem Treffen über die Hintermänner der Entführung erzählt habe. Aber glauben Sie mir, Señor Kronau, weder er noch seine Vorgesetzten würden das jemals freiwillig zugeben. So wie ich das sehe will er nur Professor Huyong Chi wieder lebend zurückbringen und mehr nicht, also sollen wir über das froh sein, was sie bisher schon getan haben“ „Das kann man so sagen, schließlich wurde er zweimal als Hilfe gebraucht, auf Barbados und hier, das macht ihn mir sehr sympathisch und vielleicht sollten wir uns jetzt mit ihm unterhalten, um festzustellen, was seine Pläne sind. Ach, da fällt mir was Wichtiges ein - Sie beide werden doch sicher nicht ohne Funkgerät abgesprungen sein, oder?“ „Besser, Señor Kronau, ein Notebook und eine zusammenfaltbare Satellitenschüssel, sobald ich das aufgebaut habe, können Mails rausgehen, allerdings nur zu den Chinesen. Ich werde sofort mit dem Aufbau beginnen und Sie reden am besten gleich mit Mister Chong“ Lilly und meine anderen Freunde sprachen weiter mit Carmen, während sie die Technik klar machte und ich unterdessen zum Lager des Doktors ging, wo der Chinese noch immer über ihn gebeugt kniete. Beim Näherkommen erhob er sich, ohne daß ich aus seinem Gesicht etwas über den Zustand des Patienten lesen konnte. Allerdings begann mich die kleine Pause, bevor er etwas sagte, zu beunruhigen, denn es war schließlich für jeden Menschen wesentlich schwerer, etwas schlechtes zu sagen als gute Neuigkeiten zu verbreiten, „Mister Kronau, es gibt bei uns in China ein Sprichwort – ‚Der Tod ist gewiß, nur die Stunde des Todes ist ungewiß’. Ich bin leider kein Arzt, sondern habe nur eine Ausbildung in der Erstversorgung und das sind nur Grundkenntnisse, die in diesem Fall nicht ausreichend sind. Es tut mir leid, daß ich nichts weiter tun kann als ihm ein Medikament aus meiner Ausrüstung gegen seine Schmerzen zu geben, aber so wird er wenigstens die nächsten Stunden nicht leiden müssen“ „Also doch so schlimm, ich verstehe Mister Chong, danke, daß Sie es trotzdem versucht haben, und ich glaube, dem Doktor ist schon geholfen, wenn er nicht leiden muß. Trotzdem habe ich die Hoffnung auf seine Rettung noch nicht aufgegeben und das bringt mich gleich dazu, nach Ihren Leuten zu fragen, denn wir haben leider keine Zeit für Höflichkeiten“ „Nun, das nehme ich Ihnen nicht übel, Sie vergessen bestimmt, das ich aus Hongkong komme und sehr viel von der westlichen Lebensart in mir habe. Das gibt mir eine gewisse nüchterne Sicht der Dinge und wie sie am praktikabelsten zu handhaben sind, sozusagen eine Mischung zwischen chinesischer Tradition und der Gelassenheit des britischen Empire. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich bin hier alleine und das wird auch so bleiben. Ich bin Polizist, kein Soldat oder Agent, meine Vorgesetzten haben mir eine Aufgabe erteilt und diese werde ich erfüllen. Offenbar haben Mistreß Santiago, Sie und ich gemeinsame Interessen und ich denke, wir sollten das beste 469
daraus machen und uns gegenseitig helfen. Ich habe die Technik und Sie haben Informationen, beides kann dem jeweils anderen nützen, was halten Sie davon Mister Kronau?“ „Sicher, es wäre wohl völliger Unsinn, wenn wir nicht zusammenarbeiten würden. Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen alles über den Aufenthaltsort der Wissenschaftler erzählen und sie schicken eine Nachricht nach Washington, denn die Amerikaner sind sicher hier irgendwo in der Gegend und wir bekommen dann unsere Unterstützung von dieser Seite“ „Es hört sich vernünftig an, allerdings kann ich darüber nicht entscheiden, denn meine Nachrichten gehen nur an die Einsatzzentrale in Hongkong und meine Vorgesetzen haben das letzte Wort darüber, ob sie es weiterleiten werden. Sie müssen aber verstehen, daß wir mit meiner Anwesenheit hier in einer delikaten Lage sind und alles möglichst diskret handhaben wollen, was jedoch die Aussichten auf die Übermittlung von Informationen an die Amerikaner minimiert. Wir wollen uns nicht in diese Polizeiaktion der westlichen Geheimdienste gegen diese Verbrecher hineinziehen lassen, sondern nur unseren Mann wiederhaben. Es ist sowieso unverständlich, weshalb sich alle um ein paar Kisten Gold streiten, so wie es mir Mistreß Santiago berichtet hatte“ „Ach so?! Natürlich, Sie sind noch auf dem alten Stand, woher sollten Sie auch wissen, worum es wirklich geht. Ich bin überzeugt, wenn Ihre Leute mitbekommen, was der Grund für diese ‚Aufregung’ ist, dann werden Sie ganz bestimmt unsere Nachricht zu den Amerikanern senden, denn das ist ein globales Problem. Passen Sie auf Mister Chong, haben Sie sich nicht gewundert weshalb Terroristen einen Genforscher entführt haben...“
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Kapitel 7 Ich war wieder auf dem Weg zu den alten Hütten, den ich ohne die Taschenlampe aus Carmens Rucksack in der Dunkelheit kaum gefunden hätte. Die letzten zwei Stunden hatten meine gesamte bisherige Planung über den Haufen geworfen und gleichzeitig eine modifizierte Variante hervorgebracht. Ungewöhnlicherweise waren nur zum Teil einige unterdessen eingetroffene Infrarotbilder chinesischer Satelliten daran Schuld, sondern vielmehr das mir zugesteckte Messer von Kapitän Chilardo und der Spieltrieb von Lilly. Sie war neugierig und ließ sich von Carmen den Empfänger zeigen, der normalerweise für die Ortung ihres Minisenders gedacht war. Als dabei Carmen ein zweites Signal lokalisierte und nach einigen Tests mich als Ursache angab, waren wir alle ratlos, bis ich mich aller Gegenstände entledigt hatte und wir nun wußten, daß im Griff des Messers ein Peilsender versteckt war. Sofort fielen mir wieder Dianas Worte ein, daß Fortunati nichts dem Zufall überlassen würde, offensichtlich tat er das wirklich nicht und schickte seinen Kapitän, um mir mit einer haarsträubenden Geschichte den Sender unterzuschieben. Das war nur ein Nachteil, wenn man es nicht wußte, das hatte sich nun geändert und ich brannte darauf mich zu revanchieren. Während Carmen und Mister Chong ihre Fallschirme aus der Absprungzone holten, weil sie nach unserem Plan über dem Kloster erneut verwendet werden sollten, war ich nun bei den Ruinen angekommen, um für Fortunatis Männern eine kleine Überraschung vorzubereiten. Dazu brauchte ich natürlich das Messer, die giftige Paste der Pfeilgiftfrösche und den winzigen Vorrat an chinesischem Sprengstoff, der eigentlich nur dazu gedacht war, ein widerspenstiges Schloß zu knacken. Das restliche Material fand ich vor Ort, so schlug ich eines der Fenster ein, tauchte die vielen kleinen Splitter in die Giftmasse und füllte diese in eine der Wasserflaschen, wo genau in der Mitte der Sprengsatz steckte. Der war mit einer Sprengkapsel samt elektronischer Zündvorrichtung versehen, die nur darauf wartete, durch einen winzigen Kontakt mit dem Minisender ausgelöst zu werden. Den hatte ich zwischen einigen Brettern angebracht, die den Türrahmen der Hütte versperrten, wo ich in den Fußboden das Messer hineingestckt hatte. Würde Fortunati nun versuchen, so sein Ziel zu erreichen, fände er sich als erster auf dem Weg zur Hölle wieder. Trotz der positiven Wendung durch die Ankunft von Carmen und Mister Chong, gab es aber auch schlechte Neuigkeiten. Wir alle wußten nicht, ob Hilfe kommen würde und einigten uns darauf, solange nicht davon auszugehen, bis das Gegenteil eintrat. Also verhielten wir uns weiterhin als wären wir auf uns gestellt, obwohl wir die Bestätigung bekamen, daß die Chinesen unsere Nachricht nach Washington weitergeleitet hatten, als sie über das wahre Ausmaß der Gefahr informiert wurden. Wahrscheinlich übergab sich jetzt im Pentagon die gesamte Generalität, weil die Bakterien langsam kein Geheimnis mehr waren, ich hingegen war wenigstens darüber zufrieden und hielt dieses Unwohlsein auch für den Grund der bisher ausgebliebenen Antwort. 471
Weiterhin hatten uns die gesendeten Aufklärungsfotos eine schlimme Gewißheit gebracht, denn zwanzig Kilometer stromabwärts befanden sich tatsächlich auf beiden Uferseiten Terroristenposten, die sich genau gegenüberlagen und lückenlos den Fluß abriegelten. Es machte mich zwar froh, daß ich meine Freunde nicht blind ins Verderben geschickt hatte, doch damit sanken auch die Chancen für den Doktor, lebend einen Arzt zu erreichen. So begann ein gefährlicher Spagat, indem wir zunächst die Posten unschädlich machen mußten, um das Floß in die Freiheit zu bringen, und dann galt es, Fortunati abzufangen, damit wir nichts weniger tun konnten, als den Helikopter bei seiner Ankunft zu kapern. Der Sender würde ihm die Sicherheit geben, daß wir in der Nähe waren, und so würde sein erstes Ziel am Morgen sicher die Lichtung sein, um dort zu landen. Unser Floß konnte gerade noch alle Personen tragen, dicht gedrängt saß jeder auf seinem Platz, um den in der Mitte liegenden Doktor herum. Wenige Worte wurden gewechselt als wir mehr treibend als paddelnd stromabwärts schnell vorankamen. Vielleicht war das sogar zu schnell für einige meiner Freunde, um sich auf die kommende Aufgabe vorzubereiten, doch jeder wußte, worum es ging und jedem stand es frei, mitzumachen. Es war immer etwas anderes, wenn es wirklich ernst wurde, wenn die Gefahr real vor einem stand und das Adrenalin den Körper überflutete. Alle Gesichter um mich herum drückten verschiedene Empfindungen aus - Angst, Zuversicht, Zweifel und Entschlossenheit, doch nichts in seiner reinen Form, sondern je nach Charakter durcheinandergewirbelt. Eine Stunde später waren wir an einer Flußbiegung kurz vor dem Doppelposten, so daß man uns auch bei Tageslicht noch nicht hätte sehen können. Wir legten zunächst am rechten Ufer an, wo sich das kleinere Lager befand, damit Mister Chong mit Cristobal Avialo und Mister Randall an Land gehen konnten. Unsere nun geteilten Kräfte hatten jeweils eine Pistole und eine MP, dazu kam noch ein Headset, was alles zur Ausrüstung unserer Verstärkung gehörte, dazu verzichtete der Chinese auch hier nicht auf seinen zusammengesetzten Bogen. Die drei verschwanden nun schnell im Unterholz, während die Verbliebenen mit mir zur gegenüberliegenden Seite paddelten, was nun wesentlich anstrengender war, weil wir den Druck der Strömung ausgleichen mußten. Obwohl dadurch schon etwas erschöpft gelang uns trotzdem das Anlegen auf der linken Seite ohne Probleme und ich ging mit Carmen vorsichtig an Land, während Juan das Floß sicherte und Lilly weiterhin auf den Doktor aufpaßte. Unglücklicherweise hatten wir uns eine unzugängliche Stelle ausgesucht, denn nach einigen Schritten durch die Ufervegetation machte uns dicht stehendes Buschwerk ein tieferes Eindringen in den Dschungel unmöglich und so mußten wir einsehen, daß hier ein weiterer Versuch keinen Sinn machte. Deshalb ließen wir uns direkt am Ufer weitertreiben, bis fast die Flußbiegung hinter uns lag und man schon die entfernten Lichter der Posten auf beiden Seiten sehen konnte. Lilly ließen wir wieder bei dem Doktor zurück, doch ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, alleine auf dem Floß zu bleiben, und ich sah ihr an, wie sie die Zähne zusammenbiß und dabei versprach, das durchzuhalten, obwohl ihr alles andere lieber gewesen wäre. Juan und ich bahnten den Weg vorwärts, hinter uns sicherte Carmen die 472
Gegend mit der schußbereiten Maschinenpistole im Anschlag. Lautlos bogen wir die Äste weg und es blieb das mulmige Gefühl, dabei unerwartet die Bekanntschaft einer Schlange zu machen. Doch wir hatten Glück und das sogar in zweierlei Hinsicht, denn es begegnete uns unterwegs kein Reptil, dafür stießen wir etwas vom Ufer weg auf einen kleinen Pfad, der genau auf das Lager zuführte und sicher von den dortigen Wachen ausgetreten wurde. „Das erleichtert uns die Aufgabe ungemein“, Juan schien sich nun wieder endgültig im Griff zu haben, was mich von einer meiner vielen Sorgen befreite. Ich nickte, „Ja, du hast recht Juan, wenn es weiter so geht könnte es wirklich klappen“ „Aber Señor Kronau, seien Sie nicht so pessimistisch, das bin ich überhaupt nicht von Ihnen gewohnt“, dabei stieß mich Carmen von hinten leicht an. „Das war doch nicht pessimistisch, es war purer Realismus mit einem Schuß Hoffnung garniert“ „Señor Kronau, hören Sie auf, realistisch zu sein, sonst wären wir doch alle nicht hier. Denken Sie nur an das Unmögliche, was vor uns liegt, doch wie heißt es so schön hilf dir selbst, dann hilft dir auch Gott - also erfüllen wir gerade unseren Teil für ein Wunder“ Lächelnd drehte ich mich zu ihr, „Also ich für meinen Teil bin über jede Hilfe dankbar, außerdem wollte ich immer schon mal an einem Wunder mitarbeiten, das ist dann wohl meine Chance“ „Si Conforme, Señor Kronau“ Zuerst ging ich alleine voraus, um die Lage am Ende des Pfades zu sondieren, doch noch bevor er zuende war, mußte ich nach rechts hinter einem Gebüsch verschwinden, weil der Weg genau auf eine Hütte zuführte, wo im Licht von Petroleumlampen einige Männer zu erkennen waren. Geduckt kroch ich im Unterholz weiter vorwärts, jedes Geräusch konnte nun unser Untergang sein und nicht nur wegen der schwülen Luft stand mir der Schweiß auf der Stirn. Endlich trennten mich nur noch wenige Meter und einige Zweige von der Holzwand der Hütte und ich prägte mir alles ein, was wir brauchten, um eine erfolgversprechende Überrumpelung durchführen zu können. Mehrere Minuten verharrte ich angespannt an meiner Position, dann zog ich mich lautlos zurück, was rückwärts mehr als schwierig war und ich wurde schon ungeduldig erwartet, „Gabriel, wie sieht es aus?“ „Nicht schlecht, Juan, aber es könnte auch besser sein, jedenfalls hätte mich gefreut, wenn ein Helikopter auf der Landefläche hinter der Hütte stehen würde. Offenbar hat man dort ein Stück Land gerodet, um so den Nachschub einzufliegen. Drei Kerle konnte ich draußen erkennen, aber sicher beobachten von drinnen noch andere den Fluß“ „Das ist leider immer noch eine Menge Feuerkraft gegen unsere beiden Waffen, Gabriel“, Juan sah ins Dickicht, als ob er die Männer von hier erkennen konnte. „Stimmt, wenn wir uns auf ein Gefecht einlassen würden, hättest du recht, aber ich glaube, wir sollten uns lieber an Carmens Theorie mit dem Wunder halten und wie die Erzengel über die Bande herfallen. Hat sich Mister Chong schon von der anderen Seite gemeldet?“ 473
Carmen schaute sich noch einmal um, bevor sie antwortete, „Ja, Señor Kronau, drüben sitzen drei Terroristen in einer MG-Stellung und suchen den Fluß mit einem Nachtsichtgerät ab. Es sieht so aus, als wären sie besonders wachsam dabei“ „Ich verstehe, alles andere hätte mich auch gewundert, denn unserer Landepunkt ist ja nur einige Kilometer entfernt, da hat man ihnen sicher eingeschärft, das sie aufpassen sollen. Allerdings schauen sie sicher nur auf den Fluß und rechnen mit keiner Gefahr vom Land her, denn niemand von denen kann ahnen, das wir die Position des Postens kennen – das wird unser Vorteil sein. Wir werden das Floß als Ablenkung benutzen und damit endgültig die gesamte Aufmerksamkeit auf das Wasser ziehen, dann greifen wir gleichzeitig an“ Meine beiden Mitstreiter stimmten mir zu und wir verständigten uns mit der Gruppe am anderen Ufer. Dann ging es zurück zum Floß, wo wir die Ausrüstung und den Doktor an das Ufer brachten. Sein Zustand hatte sich verschlechtert, das Fieber mußte gestiegen sein und Schweißperlen standen in seinem Gesicht. Ohne Bewußtsein drehte er sich öfters auf dem Boden, um gleich darauf wieder ohne eine Bewegung dazuliegen. Dieser Anblick mahnte mich zur Eile, doch ich durfte mich nicht davon treiben lassen, um niemanden unnötig zu gefährden, denn das Risiko für uns alle war auch so schon hoch genug. Juan schlug vorsichtig mit der Axt einige Stauden ab, um sie hoch auf das Floß legten, damit es auch ja niemand übersah, dann banden wir die beiden Paddel am Heck fest, die somit wie ein Ruder wirkten und übergaben das Gefährt der Strömung. Lilly blieb wieder zurück, während wir anderen uns auf dem alten Weg der Hütte näherten. Juan behielt die Pistole von Carmen und sie hatte die MP in den Händen, so blieb mir das Beil und der Wunsch, nach den bisherigen Anstrengungen mit meinem Rücken in keinen Nahkampf zu geraten. Kurz schaute ich hinüber zu Juan, der angespannt mit der Waffe in der Hand neben mir lief, „Alles klar bei dir, Juan? Wenn du denkst, es gibt Probleme, dann sag es, niemand wird dir einen Vorwurf machen und jeder wird es verstehen“ Er blieb kurz stehen, „Meinst du ich schlage dich vor Wut zu Boden und werde bei diesen Kerlen weich? Du mußt keine Angst haben, ich werde nicht sinnlos Leute abknallen, wenn ich schießen muß, dann werde ich nicht zögern, und wenn sie sich ergeben sollten, dann ist es mir genauso recht“ „Gut Señor Rubio, das muß nur vorher klar sein, denn manchmal lassen einem die Umstände keine Wahl und dann muß man hart und präzise zuschlagen, um dem Gegner keine Chance zu lassen, das Gleiche zu tun“, Carmen wußte, was sie sagte und wir waren uns darin einig. Vor uns war schon der Schein der Lampen zu erkennen, Carmen ging nach rechts ins Unterholz, um von meinem vorherigen Beobachtungspunkt den Eingang hinter der Hütte und die gesamte Flußfront von der Seite unter Feuer nehmen zu können. Juan und ich hingegen schlugen uns nach links ins Gebüsch, von wo man über die Landefläche direkt in den Eingang sehen konnte. Der einzige tote Winkel war die linke Seite des Gebäudes, aber wir hatten keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, den nun ging alles ganz schnell. Das Floß mußte wohl schon auf gleicher Höhe mit uns sein, denn von der anderen Uferseite ratterte das MG los, während die Männer vor dem 474
Eingang nach vorne liefen. Irgendwer rief laute Kommandos durch die Hütte und auch von dort begann man nun, mit einem schweren Maschinengewehr das Feuer zu eröffnen, dies war unser Signal. Wir beide rannten über die freie Fläche zum nun leeren Eingang und stellten uns beidseitig davor auf. Carmen hingegen verhielt sich vorerst ruhig und sollte erst dann eingreifen, wenn jemand um die Hütte ging und uns somit in den Rücken fallen würde. Doch die Männer kamen überhaupt nicht auf diesen Gedanken, denn ein Bootsmotor wurde angeworfen und offensichtlich versuchte jemand nachzusehen, wer sich auf dem Floß befand. Ich inspizierte mit einem Blick unterdessen ergebnislos den toten Bereich auf der linken Seite, dann gingen Juan und ich hinein. Drei Männer hielten sich in der Hütte auf, zwei davon bedienten die schwere Waffe, während der letzte mit einem Nachtsichtgerät das Ziel im Auge behielt. Unglücklicherweise hatten die MG-Schützen ihre Maschinenpistolen auf einem Tisch in der Mitte des Raumes gelegt und wir konnten uns so in aller Ruhe selber bedienen, bevor man auf uns aufmerksam wurde. Das geschah viel zu spät und sofort hörte das Bellen des M60 auf, während drei ungläubige Augenpaare in den Lauf ihrer eigenen Waffen sahen. Wenige Sekunden später erschien Carmen mit einem Gefangenen, der wieder zum Eingang wollte und der Bemerkung, daß die beiden übrigen Männer in einem Boot auf den Fluß gefahren sind. Das war nur dann bedrohlich, wenn sie auf dem Wasser entkommen würden und während Juan die Kerle endgültig entwaffnete, versuchte Carmen mit dem Headset unsere Leute auf der anderen Seite deswegen zu erreichen. Nach einigen Augenblicken wußten wir, daß auch dort alles nach Plan gelaufen war und drei Terroristen mittlerweile gefesselt in der Gegend herumlagen. Das Boot blieb im Visier des MG´s auf der anderen Seite, dazu beschlossen wir, ruhig zu bleiben und abzuwarten, ob die beiden Männer wieder zurückkamen, denn noch konnten sie nichts von der veränderten Lage an Land mitbekommen haben. So geschah es dann auch, nachdem sie festgestellt hatten, daß es sich nur um ein leeres Floß handelte, und ohne reagieren zu können, fielen sie am Ufer in unsere Hände. Juan übernahm es, mit dem erbeuteten Boot alle von der anderen Seite zu holen, während Carmen im Haus blieb und ich mich zu Lilly und dem Doktor aufmachte. Sie war erleichtert, nach der Schießerei zu hören, das wir alles gut überstanden hatten, und drückte mich erstmal ganz fest, um mir dann zu sagen, daß sie es künftig vorziehen würde, nicht mehr alleine im Dschungel sitzen zu müssen. Vielleicht war das sogar schwieriger als mitten im Geschehen zu stehen, wo man sich währenddessen weniger Gedanken machte und nur auf die Aufgabe konzentriert war. Doch länger brauchten wir uns dort auch nicht aufzuhalten, denn das Boot näherte sich dem Ufer, da der Transport des Doktors durch das Gestrüpp viel zu beschwerlich gewesen wäre und so brachten wir ihn auf dem Fluß zur Hütte. Sein Fieber fraß ihn förmlich auf, ohne es auszusprechen wußte doch jeder, daß er keinen Tag mehr auf dem Wasser durchhalten würde, was es sinnlos machte, ihn der glutheißen Sonne des Tages im Boot auszusetzen. Niemand hielt es mehr ernsthaft für sinnvoll, ihn diesen Qualen auszusetzen, vielmehr hofften wir alle auf eine Nachricht von den Amerikanern, die vielleicht rechtzeitig eintreffen würden, um ihn auszufliegen. 475
So baute Mister Chong als erstes sein Notebook wieder auf, während sich die anderen um die Gefangenen kümmerten und ich mich in der Hütte umschaute. Das nahm nicht viel Zeit in Anspruch, aber mein Auge blieb an dem Funkgerät der Terroristen hängen und ich grübelte nach, was man machen könne, sollte doch keine Unterstützung von außen kommen – allerdings nicht lange, „Keine Nachricht von den Amerikanern, Mister Kronau. Zudem wurde ich angewiesen, unseren Wissenschaftler unbedingt in Sicherheit zu bringen und zwar so schnell es geht. Deshalb sollten wir uns schnell verständigen, um eine gemeinsame Linie zu finden, oder ich muß meinen Weg allein fortsetzen“ „Ich verstehe, da Sie uns schon so geholfen haben, will ich sie gar nicht um mehr Entgegenkommen bitten, aber jetzt, mitten in der Nacht, kommen Sie sowieso nicht weit, also geben Sie mir bis zum Sonnenaufgang die Gelegenheit, mich mit meinen Freunden zu beraten“ „Machen Sie das, Mister Kronau. Ihre Einschätzung klingt einleuchtend und ich werde inzwischen versuchen, noch mehr Informationen zu bekommen. Sicher werden Sie eine Lösung finden, denn nach meinen Beobachtungen sind Sie ein Mann der Tat mit dem nötigen Weitblick, haben Sie zufällig einmal ‚Die Kunst des Krieges’ von Sunzi gelesen?“ „Nein, ich kenne es nur vom Hörensagen“ „Wirklich nicht? Das überrascht mich etwas, schließlich handeln Sie nach diesen Prinzipien, denn Sunzi schreibt: ‚Wer das Geschick besitzt, den Feind in Atem zu halten, baut Täuschungen auf, die den Feind zum Handeln veranlassen. Er opfert etwas, damit der Feind danach greift, und indem er Köder auslegt, hält er ihn in Bewegung’ Ihre intuitive Idee, diesen Posten auf diese Weise anzugreifen, hat mich doch stark daran erinnert“ Ich mußte etwas lächeln, „Hmmm,... ich denke, es liegt einfach nur daran, daß es allgemeingültige Regeln sind, die sich immer bewährt haben. Wollen wir trotzdem hoffen, daß bald alles vorbei ist und wir auf solche alten Weisheiten nicht mehr zurückgreifen brauchen“ Der Chinese ging wieder an sein Notebook, inzwischen waren Carmen und Juan in die Hütte gekommen und erzählten mir, was sie aus den Gefangenen herausbekommen hatten. Die neun gefesselten Männern draußen in ihren schwarzen Uniformen waren gut bezahlte Söldner, die ähnlich wie Oberst Gusmao oder Capitan Jamotte zu ihrem Job bei den Terroristen gekommen waren und deshalb etwas sagten, anstatt wie Fanatiker bis zum Tod zu schweigen. Allerdings waren sie nur ein zusammengewürfelter Haufen, bei denen ein Mann namens Clementes das Wort führte und die kaum in der Lage waren, eine präzise Kommandoaktion durchzuführen, weshalb man sie wahrscheinlich wie viele andere auf diesen Posten gesetzt hatte. Zwei Dinge, die Clementes preisgab, waren sehr interessant und gaben mir gleichzeitig zu denken. Offensichtlich war im Kloster der Großteil der Lemuren versammelt, allerdings überschritt ihre Anzahl kaum an die fünfzig Mann, da sie sich immer bezahlter Helfer bedienten. So auch jetzt, denn an die zweihundert Söldner und rekrutierte 476
Einheimische waren an der Rändern des riesigen Gebietes um das Hauptquartier postiert und sicherten es dort vor Eindringlichen und „Ausbrechern“ wie uns. Noch bedeutender war die Erklärung der Lichter auf dem Felsmassiv, in denen sich die geheimen Laboratorien befanden, denn es handelte sich um eine Luftüberwachungsanlage, die auf einer Anhöhe im Dschungel noch ein Pendant hatte. Es gab also zwei voneinander unabhängige und mit Luftabwehrraketen verbundene Augen am Himmel, die jeden überraschenden Angriff unmöglich machten. Das sprengte vorerst meine Vorstellung, mit dem noch zu erbeutenden Helikopter von Fortunati direkt das Kloster anzufliegen, um dort die Frauen zu befreien, und möglicherweise etwas gegen die Bakterien zu unternehmen, denn so schnell würde der Mafiosi nicht zurückkehren und das fiele sicher auf. Demnach brauchte man eine Situation, wo ein Helikopter planmäßig zum Kloster zurückkehrte und jetzt begann es, bei mir Klick zu machen. Einige Minuten später hatten wir Clementes massiv dazu überredet, einen Funkspruch zum Kloster abzusetzen, indem er fast der Wahrheit entsprechend mitteilte, daß ein Floß gesichtet und unter Feuer genommen wurde. Dabei hatte man zwei Männer erschossen, bei denen man nicht wußte, ob sie zu den „Flüchtlingen“ gehörten, auf die man besonders achten sollte, was Diaz sicher dazu bringen würde, jemanden zur Identifizierung vorbeizuschicken. Es war klar, daß dies nicht warten konnte, denn bei den hiesigen klimatischen Bedingungen hatte man keine Zeit, eine Leiche lange irgendwo liegen zu lassen. Außerdem wiesen wir Clementes an, von einem verletzten Mann aus den eigenen Reihen zu berichten, der dringend ärztliche Hilfe benötigte, das würde im besten Fall schnellstens einen Arzt zum Doktor bringen, oder aber für einen schnellen Transport sorgen. Wir brauchten dann nur den Doktor in den Helikopter zu legen und Señor Avialo flog alle im Tiefflug dem Fluß folgend aus, während ich mit Carmen, Juan und Mister Chong mit dem Boot zu unserer Landestelle gelangte und dort Fortunati abpaßte. Dann gaben wir uns einfach als der erste Hubschrauber aus und näherten uns so dem Kloster, wobei die Fallschirme noch eine bedeutende Rolle spielen konnten. Nun ergab sich alles fast von selbst und das erste Mal seit einiger Zeit war ich wieder richtig optimistisch. Kurz darauf folgte die erhoffte Antwort, in einer Stunde würde hier eine Maschine landen, allerdings kamen noch mehr Anweisungen, die mich und alle Anwesenden doch erheblich überraschten. Offenbar schickte Diaz einige Männer von Fortunati her, was noch nicht allzu ungewöhnlich wäre, doch Clementes sollte, nachdem die Identität der Toten feststand, die Mafiosi einfach liquidieren und verschwinden lassen. Daß Fair Play hier nicht groß geschrieben wurde, war keine Neuigkeit, aber daß Bartholome Diaz seine neuen Verbündeten einfach umbringen ließ, schien doch keinen Sinn zu ergeben. Irgendwas steckte dahinter, aber ich hatte keine Idee, was es war. Natürlich nahm es mich nicht großartig mit, wenn sich die Bösen gegenseitig zerfleischten, aber da ich diese Situation nicht fassen konnte, wußte ich auch nicht, ob für Anne im Kloster eine weitere Gefahr bestand, und das machte mich nervös. Ich hätte sicher viel besser nachdenken können, wenn sie neben mir stehen gestanden hätte und ich dabei ihre Hand festhalten konnte, doch so schwirrten nur meine Freunde wie in einem 477
Bienenschwarm um mich herum und bereiteten sich auf die Ankunft des Helikopters vor. Juans Stimme klang abgehetzt, als er mich am anderen Ende des Landeplatzes erreichte, wo ich gerade einen günstige Platz für den Hinterhalt suchte, „Gabriel komm schnell, Señor Breitenbach hat das Bewußtsein wiedererlangt und will mit dir sprechen“ Wir rannten sofort zurück zur Hütte, wovor sich schon Lilly und Cristobal Avialo versammelt hatten und besorgt ins Innere schauten, um Carmen zuzusehen, wie sie dem Doktor ein Schmerzmittel spritzte. Ich wartete solange bei den beiden vor dem Eingang, bis das getan war und Carmen gleich darauf die Hütte verließ. Sie sah mich an und schüttelte nur leicht den Kopf im Vorübergehen, es war so, als wenn mir erst jetzt jemand mitteilte, wie es um den Mann wirklich stand und das traf mich unvorbereitet. Vielleicht hatte ich es mit Absicht verdrängt, möglicherweise war das sogar nötig, um überhaupt einen klaren Kopf in unserer Situation zu haben, und doch begann ich mich schuldig zu fühlen. Hatte ich alles getan was mir möglich gewesen wäre, oder gab es irgendwo einen Punkt, wo mein Handeln von anderen Interessen bestimmt wurde? Jedoch jetzt, wo ich an das Lager des Sterbenden trat, hatte eine Antwort darauf sowieso keine Bedeutung mehr, denn sie würde nichts ändern, einzig mußte ich mit ihr leben, wie sie auch ausfiel. „Doktor, können Sie mich hören?“, mein Mund war trocken und ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Orientierungslos suchte mich seine Hand und durch einen winzigen Spalt seiner Augen sah er mich fiebrig an, „Kronau... sind Sie das?“ „Ja, ich bin direkt neben Ihnen. Trinken Sie etwas, dann wir es Ihnen sicher gleich besser gehen“, vorsichtig ließ ich das Wasser zwischen seine angeschwollenen Lippen laufen und sah besorgt, wie er sich mühte, es durch seine Kehle rinnen zu lassen. „Besser Doktor?“, er nickte kaum wahrnehmbar und ich wischte ihm mit einem Tuch den Fieberschweiß von der Stirn. „Kronau,... Sie trifft man wohl überall“ „Ach, eigentlich nicht, ich bin nur ein anhänglicher Typ“ Für ein Lächeln reichte seine Kraft nicht mehr, doch seine Augenlieder stimmten mir zu und erfolglos versuchte er meine Hand fester zu drücken, „Hartnäckig trifft es wohl eher,... Kronau. Wo,... wo sind wir?“ „Noch mitten im Dschungel und die Terroristen sind hinter uns her, aber wir haben ihnen eine Falle gestellt. In einer halben Stunde wird ein Helikopter mit einem Arzt kommen, halten Sie solange durch, Doktor“ „Wie in alten Zeiten,... was? Danke, daß Sie mich rausgeholt haben,... das war kein Ende, wie ich es mir vorgestellt hatte und...“, sein Kopf neigte sich zur Seite und nur noch unverständliche Laute konnte ich hören. Unaufhörlich redete ich auf ihn ein, dann nach einigen Minuten kam er nochmal zu Bewußtsein, „... das Gold ist unwichtig, Kronau. Etwas anderes...“ „Ich weiß schon Doktor, die Uranidbakterien“
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Der Atem des Doktors ging schwer und doch nickte er jetzt stärker, „Genau,... warum bin ich nicht überrascht, daß Sie es wissen. Machen Sie,... machen Sie das Zeug unschädlich, ich kann das nicht mehr tun. Ich will nicht den letzten Auftrag un... unerledigt... Post,... wenn Sie... Zuhause... Brief...“ Seine Hand lag nur noch schwach in meinen Händen, dann erschlaffte sie endgültig und unwiderruflich. Er hatte einen Kampf, dem er nichts mehr entgegensetzen konnte, verloren und glitt nun dahin hinüber, wo seine Leiden zuende waren. Ich dachte in diesen Sekunden an nichts und kniete noch immer stumm neben dem toten Mann, bedauernd, daß uns das Schicksal keine Zeit ließ, uns näher kennenzulernen. Doch vielleicht hatten wir schon alles voneinander erfahren was wir wissen mußten – Mors ultima linea rerum est – Der Tod steht am Ende aller Dinge. Wenn eine Flamme erlischt merkt man, wie es im Raum dunkler wurde und diese Dunkelheit trugen alle, die den Doktor kannten in sich, als jeder in den nächsten Minuten Abschied nahm. Man sprach ein Gebet oder verabschiedete sich im Stillen und nur für Lilly wurde ihre Betroffenheit zuviel. Weinend saß sie draußen hinter der Hütte und hatte ihr Gesicht mit den Händen bedeckt, womit sie stellvertretend ausdrückte, wie es in den meisten von uns aussah. Leicht strich ich über ihre Haare, selbst sprachlos und beinahe paralysiert bis Cristobal nun auch zu ihr trat und hoffentlich den Schmerz etwas mildern konnte. Sicher mußte man sich nicht lange kennen, um die entstandene Lücke zu empfinden und jeder Mensch stand zuerst alleine mit dieser Empfindung da, bis man merkte, daß um einen herum viele genauso fühlten. Auch ich mußte mich fangen und dabei half die Betriebsamkeit von Mister Chong, der einzig den Doktor nicht persönlich kannte und somit im Moment etwas im Hintergrund blieb und auf die Gefangenen aufpaßte. Ich dachte an Anne, wie ich sie jetzt gebraucht hätte, um mit einer einfachen Umarmung Trost und Stärke zu bekommen, doch ich spürte jetzt nur die Angst, auch sie zu verlieren. Das konnte schnell gehen und wie beim Doktor hatte ich vielleicht keine Chance, dagegen etwas zu tun. Für diese wenigen Sekunden war ich mir nicht mehr sicher, was richtig und falsch war, bis dann doch meine Erfahrung mir den nötigen Halt gab, um wieder nach vorne zu schauen. Bald würde der Helikopter landen und wir mußten unseren Plan weiterverfolgen, ob wir nun wollten oder nicht. Und so begann jeder wieder seiner zugewiesenen Aufgabe nachzugehen. Schweigend ging alles vor sich und wenige nüchterne Worte drangen von uns durch die Nacht als wir alle Gefangenen, bis auf zwei Lockvögel, gefesselt und geknebelt hinter die Hütte brachten, wo Carmen auf sie aufpaßte und dabei mit Cristobal Avialo noch ein Auge auf Lilly hatte, die sich langsam wieder fing. Wir hatten ihnen vorher ihre schwarzen Uniformen abgenommen, genauso wie die sonstige Ausrüstung mit den Waffen und alles verteilt, so daß wir in dieser Hinsicht bestens vorbereitet waren. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die Maschine eintreffen würde, Clementes blieb unter meiner Beobachtung am Funkgerät und ein zweiter Söldner wurde nach der gleichen Art, wie Gondoni die armen Indios benutzt hatte, an einem Pfosten des Vordaches angebunden, wo er mit einer ungeladenen Waffe in der Hand stehen mußte. Sollten die ankommenden Piloten die Männer von hier schon einmal gesehen haben, wollte ich, daß sie ein bekanntes Gesicht sahen, damit sie keinen Verdacht schöpften. 479
Juan blieb bei mir in der Hütte, während Mister Randall mit Mister Chong auf die gegenüberliegende Seite des Landeplatzes ihre Position hinter einigen Büschen einnahmen. Was wir vorhatten, war denkbar einfach, und ob es funktionieren würde, zeigte sich gleich, denn durch die Nacht hörte man schon von weitem die Maschine, wie sie sich dem durch den mit Petroleumlampen markierten Landeplatz näherte. Dazu meldete sich der Pilot über Funk und Clementes wußte, was er zu tun hatte, als er den kalten Stahl meiner Waffe in seinem Nacken spürte. Danach stellten wir ihn im Schein des Lichtes genau in den offenen Türrahmen, so daß Juan und ich ihn im Visier hatten, als wir uns auf beiden Seiten von ihm postierten. Man sah ihn gut von draußen, doch niemand ahnte von unserer Anwesenheit in der Hütte und Clemetes schien das auch nicht verraten zu wollen, weil er offensichtlich keine Lust verspürte, für seine Auftraggeber zu sterben. Gespannt warteten wir auf die Landung, „Gabriel?“ „Ja, Juan“, ich sah fragend zu ihm herüber. „Es tut mir leid, das Señor Breitenbach es nicht geschafft hat. Wir sollten uns schnellstens um die Schweine kümmern, die ihn umgebracht haben, damit sie keine Gelegenheit mehr haben, den Frauen etwas anzutun“ „Das werden wir ganz bestimmt tun, Juan. Wenn uns niemand hilft, dann machen wir es alleine, aber wir tun es, versprochen“ „Danke Gabriel, ich werde dich auch nie wieder schlagen“ Ich mußte etwas lächeln, „Na, dann geht es mir gleich besser, denn für einen Bürohengst hast du einen verdammt harten Schlag“ „Danke, das hat mir früher ein Freund in Kolumbien beigebracht“ Draußen setzte gerade wippend die Transportmaschine auf und die Rotoren verloren langsam ihren Schwung. Wir warteten bis die Seitentür entriegelt wurde und mehrere Gestalten dem Rumpf entstiegen, die nun auf die Hütte zukamen, dann ging es los. Gerade hatten sich die drei Männer dem Eingang bis auf wenige Meter genähert, als sie abrupt stehenblieben, weil in ihrem Rücken am Hubschrauber Unruhe aufkam. Denn inzwischen hatten der Chinese und Mister Randall die Maschine von hinten umgangen und in einem kurzen Handgemenge die Piloten in ihre Gewalt gebracht. Noch bevor die drei vor uns reagieren konnten, stießen wir Clementes von der Tür weg und gingen mit angelegten Waffen nach draußen, „Hands up!“ Das war auch das Signal für Carmen und Cristobal Avialo, die nun von beiden Seiten der Hütte dazukamen und damit jeden Gedanken an einen Widerstand brachen. Schockiert war wohl das richtige Wort für den nun sichtbaren Gesichtsausdruck von Emilio und Mario, deren Augen mich ungläubig mit einem versteinerten Blick ansahen, ganz im Gegensatz zu dem Mann dahinter, der sich immer wieder umsah und dabei den Mund nicht schließen konnte. Ohne Probleme entwaffneten wir die Männer und dann fand auch Mario fand seine Sprache wieder, „Signore Kronau...Sie...Ahhh... ich verstehe nicht...wie?“ „Überrascht uns zu sehen? Ich werde euch Zeit geben, euch daran zu gewöhnen, denn wir haben noch wichtige Sachen zu erledigen, aber ich verspreche euch, wir werden uns sehr bald ausgiebig unterhalten. Vielleicht erinnert ihr euch in der Zwischenzeit, wie ungehalten ich werden kann, wenn man mir nicht die Wahrheit sagt, 480
und im Moment bin ich auch nicht in der Stimmung, um viel Nachsicht zu üben. Also könnt ihr euch schon mal überlegen, ob ihr lügen wollt, oder es lieber mit der Wahrheit versucht. Wen habt ihr beiden denn da mitgebracht, ist es ein Arzt?“ „Nein Signore, er ist kein Arzt, der Mann heißt Vargas und gehört zu den anderen Männern im Kloster, aber wir kennen ihn nicht weiter. Bitte verschonen Sie uns, wir führen doch nur Anweisungen von Don Paulo aus“, Mario schien langsam seinen Schreck überwunden zu haben, während sein Bruder mich schon wieder so ansah, als ob er mich zerquetschen wollte. Das kein Arzt mit an Bord war, hatte ich beinahe erwartet, der angeblich Verletzte sollte im Kloster versorgt werden und ich wußte nun auch, daß den Doktor eine halbe Stunde mehr Leiden nicht mehr geholfen hätte. Vorerst verzichtete ich jedoch auf ein weiteres Verhör, weil ich selbst noch zu aufgewühlt war und sicher nicht mit der Überlegung meine Fragen stellen konnte, wie es notwendig sein würde. So brachten wir die beiden Piloten mit diesem Vargas und den Brüdern zu den Gefangenen und ließen dort auf eigenen Wunsch Mister Chong als Wache, damit wir anderen uns nun entscheiden konnten, wie es nach dem Tod des Doktors weitergehen sollte. Nachdem es zuerst sehr ruhig war, weil jeder noch mit seinen Gedanken beschäftigt war, entwickelte sich eine beinahe hitzige Diskussion draußen am Helikopter, um nicht die Ruhe des Toten in der Hütte zu stören, worüber ein stillschweigendes Einverständnis herrschte. Daß Juan nicht zu überreden war, sich in Sicherheit zu begeben, stand schon vorher fest, genauso unumstößlich wie Carmens Entscheidung, ihre Freundin Anne nicht im Stich zu lassen. Aber es blieb noch der Rest, der sich eigentlich schon für den Rückflug bereiterklärt hatte, doch Lilly in ihrer emotionalen Aufregung schwenkte nun vollends über und war nun wild entschlossen, mit uns mitzukommen. Dadurch blieb selbstverständlich Cristobal Avialo an ihrer Seite und Mister Randall wollte sowieso lieber sein Versprechen erfüllen. Dies war so eine Situation, wo ich mir gewünscht hätte, eine Armee zu führen, um ihnen einfach zu befehlen, mit dem Hubschrauber zu verschwinden, aber ich war nur einer unter gleichen und sah vorerst keine Möglichkeit, die Meinung der drei zu beeinflussen. Wahrscheinlich wäre mir auch weiterhin nichts eingefallen, wenn nicht über das Funkgerät im Helikopter eine Nachricht für diesen Vargas eingetroffen wäre, die ein sofortiges Handeln nötig machte und das ursprüngliche Thema in den Hintergrund drängte. Wir ließen ihn mit der Zentrale sprechen und erfuhren so, daß Major Pope´s Männer weiter nördlich am Fluß von einer Patrouille aufgegriffen wurden und nun, nachdem Vargas bestätigte, daß Fortunatis Leute tot waren, mit dem leeren Helikopter zurück zum Kloster gebracht werden sollten. Ich vermutete, daß Diaz diese Männer nun lieber als Faustpfand in Reserve halten wolle, falls die Amerikaner doch sein Versteck fanden, denn sonst würde es wohl keinen Grund geben, sie zu verschonen. Dieses Indiz gab mir Hoffnung, das doch endlich die Amerikaner in der Nähe waren und daß Diaz dies durch seine Spitzel erfahren hatte. Doch das war kein Beweis und so konnte man sich nicht darauf verlassen. Also bereiteten wir alles vor, um tatsächlich den Major abzuholen und ihn zum Kloster zu schaffen, allerdings bewaffnet und bereit, seinen Auftrag durchzuführen. Mister Chong versuchte weiterhin, eine Bestätigung 481
über die Amerikaner zu bekommen, und ich wollte nun die beiden Sarden und diesen Vargas noch vorher verhören, um zu erfahren, was im Kloster inzwischen geschehen war. Juan und Mister Randall holten die Männer von den Gefangenen hinter der Hütte und Carmen checkte mit Cristobal Avialo den Helikopter durch, als Lilly hinter mir stand und an meiner Jacke zupfte, „Boß, es tut mir leid, daß ich mich so zickig anstelle, aber ich kann nicht anders. So hilflos zusehen zu müssen, wie der Doktor einfach gestorben ist, und seine Mörder laufen ungeschoren durch die Gegend – das kann ich einfach nicht ertragen und das will ich auch nicht. Du darfst mir nicht böse sein, es ist eben so meine Art und damit kann ich nicht hinter dem Berg halten“ Natürlich war ich ihr nicht böse, trotzdem versuchte ich, streng in ihre grünen Augen zu sehen, „Ich verstehe dich schon, Girl. Aber auch wenn du von hier wegfliegst, sind wir doch noch da, um diese Mörder zu finden und zu bestrafen, oder traust du uns das nicht zu?“ „Naja, was wärt ihr denn alle ohne mich, doch natürlich weiß ich schon, auf was du hinauswillst, aber wenn ich euch helfe, dann habe ich das Gefühl, daß ich etwas unternehmen kann und nicht nur abwarten muß, bis andere etwas machen“ „Das kann ich gut verstehen, aber du hast einiges in den letzten Tagen durchgemacht und vielleicht hat dich der Tod des Doktors auch an deinen Großvater erinnert. Darüber bist du sicher auch noch nicht hinweg und es ist bestimmt schwer für dich, das zu verarbeiten. Deshalb solltest du jetzt nicht den Fehler machen und aus einem inneren Zwiespalt heraus eine Entscheidung treffen. Wenn wir die amerikanischen Soldaten hergebracht haben, dann reden wir nochmal darüber, einverstanden?“ „Gut Boß, aber ich kann dir nicht versprechen, daß ich mich dann anders entscheide. Du bist doch in der Welt viel herumgekommen, kannst du mir sagen, warum immer die guten Menschen sterben und so etwas wie diese Terroristen am Leben bleiben?“ Etwas ratlos sah ich sie an, „Hmmm,... für diese Antwort müßte ich tausend Leben haben und würde sie wahrscheinlich immer noch nicht kennen. Ein weiser Padre hat einmal zu mir gesagt, daß Gott die besten Menschen ganz schnell bei sich haben möchte und sie deshalb zu sich holt. Ob das stimmt, weiß ich natürlich nicht, aber wenn es so sein sollte, dann wäre es eine Erklärung, mit der ich leben könnte“ Lilly mußte lächeln und schlug mir leicht auf den Arm, „Ach, hör auf, du willst mich doch nur trösten“ „Kann schon möglich sein, aber vielleicht sage ich ja auch die Wahrheit“ „Versprichst du mir was, Boß?“ „Klar, was denn Lilly?“ „Laß’ dich nicht so schnell holen“ Trotz der Erschöpfung kam niemand zum Schlafen, aber wenigstens sorgte das Adrenalin dafür, daß die Müdigkeit sich verkriechen mußte. Mittlerweile hielt ich ein richtiges Bett für puren Luxus und assoziierte damit nur, lange ausschlafen zu können, anstatt eine prickelnde Liebesnacht darin zu erleben. Meine Pistole lag locker in der Hand, ich sah keinen Grund, sie die ganze Zeit an den Schädel des gefesselten Piloten zu halten, der auf eventuell ankommende Funksprüche antworten sollte. Er saß neben 482
Señor Avialo, der den Helikopter durch die Dunkelheit steuerte, um den nördlichen Wachposten anzufliegen. Noch immer ging mir das Verhör der beiden Sarden durch den Kopf, die sehr überrascht waren, daß sie im Grund genommen uns ihr Leben verdankten. Doch blieben sie mißtrauisch und sagten nicht viel, weil sie glaubten, wir logen sie an, aber wenigstens erfuhr ich von ihnen neben dem genauen Versteck von Anne und Francesca im Kloster, wer den Doktor zu Tode gefoltert hatte – es war dieser Comandante Senedo gewesen. So wie ich den Mann in Erinnerung hatte, konnte ich mir gut vorstellen, wieviel Spaß er dabei empfunden haben mußte, und ich wußte nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn sich unsere Wege nochmal kreuzen würden. Jedoch war das noch nicht die wichtigste Neuigkeit der letzten Stunde, denn die wurde von einem schwitzenden kleinen Mann mit einer runden Brille geliefert – Vargas. Er war ein enger Vertrauter von Bartholome Diaz, der mitflog, um die Exekution von Fortunatis Leuten zu überwachen, und natürlich über dessen Absichten gut unterrichtet war. Seine panische Angst vor Schmerzen jeder Art ließen ihn mehr erzählen, als wir überhaupt gefragt hatten, und ohne es ernsthaft vorzuhaben, verstärkten wir mit einigen Andeutungen seine Phobie. Ernesto Vargas schien ein typischer Krämer mit einem brillanten Organisationstalent zu sein, jedenfalls verkaufte er uns so seine Geschichte und stellte sich dar, als ob ihn nur der reine Zufall zu den Lemuren geführt hatte. Sein Mund stand nicht still und ich glaubte schon, daß er uns mit den vielen Nebensächlichkeiten von den wichtigen Fakten ablenken wollte, aber dann war ich mir ziemlich sicher, daß er nur jede Pause vermeiden wollte, damit wir ihm währenddessen nichts antun konnten. Wahrscheinlich hatte er wirklich seine Qualitäten, denn sonst würde Diaz wohl kaum solch einen Mann in seiner Nähe dulden, aber ich hielt ihn nur für einen gefährlichen Mitläufer und eine Nervensäge. Trotzdem ertrugen wir diesen Mann, sonst hätten wir neben dem genauen Aufenthaltsort von Major Pope nicht erfahren, was er sonst noch wußte und das ließ dieses „Spiel“ in einem ganz anderen Licht erscheinen. Wie ich es schon vermutet hatte, steckte ein Plan von Diaz dahinter, doch der diente nicht einer perversen Unterhaltungslust, sondern war rein geschäftlich, denn er wollte mit einem Schlag die Mafiaorganisation der Fortunatis übernehmen. Damit verbesserten die Lemuren ihre Möglichkeiten, um beispielsweise durch den Drogenhandel Druck auf einige Regierungen auszuüben und nebenbei versprach es, eine zusätzliche Einnahmequelle zu sein, um ihre Machenschaften zu finanzieren. Allerdings stand dieser Übernahme noch eine Kleinigkeit im Wege, nämlich die Fortunatis und ihre engsten Vertrauten. Normalerweise wäre das Problem für die Terroristen mit einer Kugel erledigt gewesen, aber solange nicht das Oberhaupt der Mafiafamilie, der Vater von Paulo Fortunati, in seinem Ruhesitz gefunden war, konnte es keinen widerstandslosen Wechsel an der Spitze geben. So brauchte Diaz genügend Zeit, um durch seinen erfahrensten Mann, Benedetto di Gondoni, den alten Fortunati zu finden und ihn dann zu liquidieren. Währenddessen mußte man den Sohn und seine Leute hier solange beschäftigen bis die Vollzugsmeldung aus Europa eintraf und wir waren unbewußt das Mittel dazu. 483
Bartholome Diaz hatte seine Fäden gezogen und alle bewegten sich bisher nach seinen Anweisungen, nur wir begannen immer mehr, aus unserer Rolle zu fallen und versuchten nun unsererseits, ein eigenes Spiel aufzuziehen. Dafür kam es uns ganz recht, daß der Helikopter erst nach dem Abflug von Fortunati am Morgen im Kloster eintreffen sollte. Wahrscheinlich wollte man bei ihm kein Mißtrauen erwecken, wenn er mitbekam, daß der Hubschrauber mit Mario und Emilio ohne sie, doch dafür mit den Amerikanern, dorthin zurückkehrte. Das paßte uns ausgezeichnet ins Konzept, denn so kamen wir beim ersten Tageslicht am Kloster an und würden Carmen und Mister Chong über der Radarstellung auf dem Felsen abspringen lassen, wo sie sich dann nach unten zu den Laboratorien begeben konnten und die Wachen am Eingang ausschalteten. Inzwischen landete der Helikopter auf dem Platz zwischen dem Kloster und dem Felsen, wo die Amerikaner durch den nun offenen Zugang die Bakterien sichern konnten und der Chinese seinen Landsmann befreite. Juan, Carmen und ich begaben uns unterdessen zu den Gebäuden in unseren schwarzen Uniformen und suchten Anne und Francesca und holten sie raus, bevor noch jemand merkte, was eigentlich geschah. Waren wir dann auf dem Rückweg, konnten uns, wenn nötig die inzwischen erfolgreichen SEALS Deckung geben und wir verschwanden im Tiefflug mit dem Helikopter. Es war ein durchführbarer Plan und das beste daran war, daß es keinen Platz mehr für Lilly und Mister Randall dabei gab, um wenigstens sie keiner unnötigen Gefahr auszusetzen. Einzig Señor Avialo war nicht zu ersetzen, weil er die Maschine fliegen mußte. So stellten wir uns die nächsten entscheidenden Stunden vor, allerdings war mir klar, daß es ein Wunder wäre, wenn alles auch so glatt ablaufen würde, doch es bestand eine tausendmal bessere Chance als noch am Tag zuvor. Inzwischen schwebte der Helikopter über unserem Ziel und auch hier war es eine gerodete Fläche, auf der kreisförmig aufgestellte Lampen uns den Weg weisen sollten. Die acht Söldner kamen überhaupt nicht auf die Idee, daß ein Feind mit der Maschine gelandet war, sie begrüßten Juan und mich und brachten uns zu einem Zelt, das ihnen als Quartier diente. Davor saßen die Amerikaner gefesselt und konnten uns noch nicht wegen der vorsorglich getragenen Masken erkennen. Dann war alles sehr einfach, denn wir hielten die überraschten Terroristen mit unseren Waffen ruhig, während Señor Avialo draußen mittlerweile schon die Fesseln durchschnitt. Es war bedauerlich, daß dabei ein junger Kerl im Zelt nervös wurde und nach einem Hocker griff, um uns damit anzugreifen, so daß es notwendig wurde, bevor sich die acht Männer auf uns stürzten, ihn mit einem Schuß ins Bein kampfunfähig zu machen, was nun endgültig die Situation klärte. Ich selbst kümmerte mich um den Burschen und versorgte die Wunde, als dann kurz darauf Major Pope absolut überrascht dazukam und es nicht fassen konnte, wie wir uns unterdessen in den Besitz von Waffen und eines Helikopters bringen konnten. Natürlich dämpfte der Tod des Doktors auch bei dem Major die große Euphorie, weil er sich denken konnte, wie es in uns aussah, aber da ich ihm schnellstens unseren Plan für den Angriff auf das Kloster erklären mußte, blieb leider keine Zeit für lange Sentimentalitäten. 484
Unglücklicherweise war das nicht die einzige traurige Nachricht, denn wir erfuhren unterdessen vom Major, daß einer der Söldner ohne zu Zögern Lame erschossen hatte. Dieser hilfsbereite Indio hatte es sicher genauso wenig verdient wie der Doktor und zuerst wollte ich mir den Mörder, der teilnahmslos gefesselt vor uns stand, vorknöpfen, doch dieser Mann würde seiner gerechten Strafe bei den Amerikanern sicher nicht entgehen und so beließ ich es dabei. Nach kurzer Zeit der Beratung stimmte Major Pope unserer Idee begeistert zu und wir vereinbarten, meine Freunde und die Gefangenen innerhalb von einer Stunde abzuholen, um von hier aus die Aktion zu starten. So ging es im Tiefflug zuerst direkt einen Kilometer nach Osten zum Fluß und dann folgten wir der breiten Schneise des Wassers, auf dem die Reflexionen des Mondes deutlich den Untergrund markierten, um nach zehn Minuten bei der Hütte angekommen, wieder auf der vertrauten Lichtung zu landen. Hier erreichte uns endlich die sehnlichst erwartete Nachricht über Mister Chong, daß sich amerikanische Spezialeinheiten in unmittelbarer Nähe befanden und wir gaben sofort die Position ihrer Leute durch, damit sie ebenfalls dort eintreffen konnten. Bei allen fiel etwas der Druck ab, obwohl eigentlich noch nichts geschehen war, aber schließlich war jedem klar, was es bedeutete, denn nun hatten wir keinen Einfluß mehr auf die Angelegenheit. Von einer Sekunde zur anderen war unser Eingreifen nicht mehr erforderlich und so sehr sich auch jeder darüber freute, war auch eine gewisse Enttäuschung zu spüren, weil sich alle schon auf ihre Aufgabe voll konzentriert hatten. Es war für einen Moment so, als hätte jemand die Luft aus einem Ballon gelassen und nun mußte man sich erst neu orientieren. Aber schnell fingen uns die noch zu erledigenden Aufgaben wieder ein und ein logistisches Problem tat sich auf, das wir erstmal lösen mußten. Denn für alle war der Hubschrauber natürlich zu klein und es gab nun die Möglichkeit zweimal zu fliegen, oder das Boot zu benutzen und so in zwei Gruppen den anderen Posten zu erreichen. Wir entschieden uns für letzteres, denn nun waren wir nicht mehr unter Zeitdruck und außerdem barg diese andauernde Pendelei zwischen den Posten die Gefahr in sich, doch irgendwann von der Radarstation erfaßt zu werden. Es wäre ein fataler Fehler, wenn man dadurch die Terroristen mißtrauisch machen würde. So kamen alle Gefangenen an Bord der Maschine und wurden von mir und Mister Chong, der darum bat mitzukommen, während des Fluges bewacht, während Cristobal Avialo steuerte. Juan und Carmen bereiteten unterdessen mit Mister Randall und Lilly das Boot vor, um darin den toten Körper des Doktors und einen Teil der Ausrüstung stromabwärts zu fahren. Wenn man die Zeit für einen doppelten Hin- und Rückflug rechnete, dauerte es auf dem Wasser sicher auch nur eine Viertelstunde länger und das fiel nun nicht mehr ins Gewicht. Während das Boot gerade ablegte, sah ich ihm noch einen Moment zu und begab mich dann zur Maschine, um unseren letzten Flug zu absolvieren. Erstaunlicherweise waren bei unserer Ankunft die amerikanischen Platoons schon eingetroffen und eine rege Betriebsamkeit war an den Rändern der Rodung zu erkennen. Doch in die anfängliche Freude darüber mischten sich einige Fragen, denn unser Zusammentreffen hatte deutlich an Herzlichkeit verloren, obwohl Major Pope versuchte, den diesen 485
Anschein zu wahren, „Mister Kronau, darf ich Ihnen Colonel Freemont von den Special Forces vorstellen. Er hat ab jetzt das Kommando vor Ort und möchte sofort die Gefangenen übernehmen, um sie zu verhören. Ich denke, Sie werden froh sein, wenn Sie diese Verantwortung los sind“ Neben Major Pope tauchte ein Mann mit markanten Gesichtszügen und angegrauten Haaren auf, dessen Jugendlichkeit noch zu erahnen war, die aber schon lange von Härte ersetzt wurde. Ich mußte nur in seine Augen sehen, um mir sicher zu sein, daß noch etwas kam, was mir nicht gefallen würde und ich sollte damit recht behalten, „Mister Kronau, wie mir der Major soeben berichtet hat, haben Sie einen gewissen Anteil daran, das wir nun wissen, wo sich diese Terroristen verkrochen haben, eine reife Leistung, die von einigem Weitblick zeugt. Allerdings hätten Sie den auch beweisen können, bevor Sie den Kommunisten etwas von irgendwelchen Bakterien erzählen. Verdammter Bullshit, auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?“ „Danke für die nette Begrüßung, Colonel Freemont. Ich stehe auf der Seite, die Sie herbrachte und Ihnen das Versteck der Lemuren mitgeteilt hat, also gehe ich davon aus, das wir auf der gleichen Seite stehen. Wie Ihnen Major Pope sicher schon mitgeteilt hat, waren wir in der Klemme und konnten uns leider nicht aussuchen, wie wir uns bemerkbar machen konnten, es tut mir leid, wenn wir dadurch Ihre Pläne gestört haben“, mein Ton war deutlich vom Sarkasmus geprägt und wäre dieser Mann nun nicht verantwortlich für die Befreiung von Anne und Francesca, hätte mich seine Meinung wenig interessiert. „Jetzt läßt es sich sowieso nicht mehr ändern, Mister Kronau. Jedenfalls sind wir jetzt hier und versuchen das irgendwie wieder auszubügeln. Sie werden sicher verstehen, daß meine Männer heute einen schweren Tag vor sich haben und deshalb halte ich mich hier nicht länger mit Höflichkeiten auf. Räumen sie den Helikopter von ihren persönlichen Sachen, wir brauchen die Maschine und vergessen Sie nicht, ihre Waffen abzugeben, die werden Sie jetzt nicht mehr benötigen“ Er kam wirklich gleich zur Sache und gab sich noch nicht mal die Mühe, seine Forderungen nett zu verpacken, trotzdem hätte er etwas freundlicher sein können, denn nicht nur seine Männer hatten den Mut ihr Leben zu riskieren, „Natürlich Colonel Freemont, darauf waren wir schon vorbereitet und das Material steht Ihnen zu Ihrer Verfügung. Aber Sie werden vielleicht verstehen, daß meine Freunde und ich gerne wissen möchten, was Sie unternehmen, schließlich werden noch zwei Frauen im Kloster gefangengehalten, die wir gerne lebend zurückhaben möchten“ „Major Pope wird Ihre Entwaffnung durchführen, ich bin mir sicher, daß er während dieser Zeit ihre Fragen beantworten kann und sie dann zufrieden sein werden, denn ich kann mich um solche Nebensächlichkeiten nicht kümmern. Mich interessiert nur noch eines, unter Ihren Begleitern war doch noch ein Chinese, ist das richtig?“ Zuerst stutzte ich ein wenig, „Ja, das stimmt“ „Wo befinden sich jetzt alle?“ „Mister Chong und unser Pilot sind im Helikopter und passen solange auf die Terroristen auf bis Ihre Männer sie abgeführt haben und die anderen sind mit einem Boot hierher unterwegs“ 486
Colonel Freemont nickte mit seinem Kopf, „Gut,... sehr gut, dann brauche ich Sie jetzt nicht mehr, Mister Kronau. Major Pope wird auf das Boot warten und dann die Waffen entgegennehmen. Er wird Ihnen auch erklären, wie sie alle sich dann zu verhalten haben, entschuldigen Sie mich jetzt, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“ Da stand ich nun abgefertigt wie an einem Bahnschalter und fühlte mich wie auf einem Abstellgleis, während der Colonel nicht bei seinen Männern verschwand, sondern zu meiner Überraschung direkt auf den Helikopter zusteuerte und ein intensives Gespräch mit Mister Chong begann. Dabei setzte er für jemanden, der sich über meine Nachricht an die Chinesen so aufgeregt hatte, sogar ein ziemlich freundliches Gesicht auf, „Major, jetzt verstehe ich langsam die Welt nicht mehr. Was passiert denn da?“ „Nichts Besonderes in der Army, nur Lächeln auf Befehl, Mister Kronau. Der Colonel ist ein harter Hund, der aus Gewohnheit bei allem, was nur annähernd mit dem Kommunismus zu tun hatte, zu bellen anfängt. Doch wenn er von oben die Order bekommt, nett zu sein, dann ist er es eben. Ich weiß zwar auch nicht, was die sich in Washington denken, aber nachdem die Chinesen Ihre Mitteilungen weitergeleitet haben und nun auch von den Bakterien wissen, da versuchen sich wohl beide Seiten zu verständigen“ „Das hört sich doch nicht schlecht an, da scheinen wir auf jeden Fall auf der richtigen Seite zu stehen. Also Major, was wird jetzt geschehen?“ „Nun, das Pentagon hat sich aus Geheimhaltungsgründen erst so spät gemeldet und Ihre Nachrichten beantwortet, doch sie waren in dieser Zeit nicht untätig. Es wurde inzwischen die zweite Radarstation im Dschungel ausfindig gemacht und eine Einheit ist schon vor Ort, um sie auszuschalten. Ansonsten können Sie sich geehrt fühlen, denn im Grunde hat man Ihre Idee übernommen und wird mit dem Helikopter SEALS absetzten, die sich um die zweite Station kümmern und danach haben dann unsere Transportmaschinen mit ihren Airborneeinheiten freie Bahn, um das Kloster zu besetzten. Dazu wurden rund um dieses riesige Gebiet schon Truppen zusammengezogen, denn das, was Sie hier sehen, ist nur ein kleiner Bruchteil davon. Unsere Special Forces und brasilianisches Militär mit Policía Civil ist schon dabei, alles abzuriegeln. Die Stützpunkte in Reichweite sind alarmiert und Jets stehen bereit, außerdem werden Kampfhubschrauber für die Luftüberwachung herangeführt. Es ist eine große Aktion, auf die wir schon lange gewartet haben, und Sie können stolz sein, daß Ihre Informationen der Auftakt dazu waren“ Verkniffen preßte ich mir ein Lächeln heraus, „Schade, daß Doktor Breitenbach das nicht mehr erlebt, es hätte ihn sicher gefreut zu erfahren, daß sein Auftrag nun doch zuende geführt wird. Ich bin froh, wenn das alles vorbei ist, und für mich ist nur noch wichtig, daß Ihre Leute die Gefangenen unversehrt befreien“ Der Major zögerte etwas, sprach aber dann im gleichen optimistischen Ton weiter, „Natürlich, Mister Kronau, sobald die Radarstation zerstört wurde und das Labor in unseren Händen ist, werden wir ohne Verzögerung alle Entführten in Sicherheit bringen, Sie dürfen selbstverständlich nicht vergessen, daß auch einige internationale Wissenschaftler dort sind und...“ 487
„Was? ...und die sind wichtiger, oder wie? Läuft das nach Wichtigkeit, oder muß man vorher eine Nummer ziehen, vielleicht wird auch gewürfelt, ist doch auch lustig, oder Major Pope?“ „Nein... nein, Sie mißverstehen das vollkommen Mister Kronau. Die Priorität liegt nur darin, nacheinander das unterschiedliche Gefahrenpotential auszuschalten, die Gefangenen sind uns alle gleich wichtig, doch zuvor müssen wir die Terroristen schnappen und die Bakterien sichern. Auch wenn sich das herzlos anhört, haben wir es mit einer einfachen Rechnung zu tun, eine Handvoll Leben gegen eine tausendfache Bedrohung“ „Major Pope, ich bin diesen Dingen gegenüber nicht blind, nur wenn das so ist, dann nehmen Sie mich einfach mit und ich erledige das mit den Gefangenen, dann haben Ihre Männer alle Zeit der Welt, sich um den Rest zu kümmern“ Der Major schüttele nur mit dem Kopf, „Ich bin hier der einzige Offizier, der Ihnen das auch zutrauen würde, aber wenn ich dem Colonel damit komme, dann stellt er mich an die Wand, es tut mir leid für Sie. Das einzige, was ich für Sie tun kann, ist mich im Kloster selbst um die Befreiung zu kümmern und ich verspreche Ihnen, sobald wir unsere Aufgabe erfüllt haben, werde ich nicht ruhen, bis wir alle Gefangenen befreit haben, das bin ich Ihnen schuldig, Mister Kronau“ „Danke, Major Pope, ich weiß, daß Sie es ehrlich meinen“, die aufkommende Freude war wieder verschwunden und ich begann, mir die gleichen Sorgen wie vorher zu machen. Langsam drängte der Major zu Eile und ich ging mit ihm zum Helikopter, wo inzwischen Mister Chong wieder alleine war und mit Cristobal Avialo sprach, nachdem man inzwischen die Gefangenen zu einem Platz etwas abseits gebracht hatte. Da man dem Chinesen seine Waffen gelassen hatte ging ich, noch bevor wir ein Wort gesprochen hatten, davon aus, daß er mit den Amerikanern mitfliegen würde und so war es auch. Beinahe entschuldigte er sich dafür und machte mir das gleiche Angebot wie der Major, was mich etwas beruhigte, da er ja sowieso den chinesischen Professor suchte und so wohl bessere Chancen hatte, dort die Frauen rechtzeitig zu finden. Denn schließlich bestand ja jederzeit die Gefahr, daß Diaz sie aus Wut töten lassen würde, und dem galt es, zuvorzukommen. Doch in meinem tiefsten Inneren fluchte ich ohne Pause, daß ich zum Zuschauen verdammt war und konnte mich nur schwer damit abfinden. Um mich etwas abzulenken, ließ ich mir von Mister Chong sein Headset geben, um mit Carmen auf dem Boot, das nicht mehr weit entfernt war, zu sprechen, damit sie nicht die Soldaten am Ufer für Terroristen hielten. Der Major sah großzügig darüber hinweg als ich mich einige Schritte abseits stellte und war wahrscheinlich froh, daß ich mich ruhig in mein Schicksal ergab. Während ich mit langem Gesicht über den nur spärlich beleuchteten Platz schaute und mir dabei ansah, wie sich die SEALS auf ihren Einsatz vorbereiteten, blieb mein Auge bei den Gefangenen hängen. Vargas nickte andauernd mir dem Kopf zu mir herüber und forderte mich damit auf, zu ihm zu kommen. Ich schaute mich um und schlenderte langsam auf ihn zu, bis mir zwei Soldaten plötzlich den Weg versperrten und der Major dazukam. Es dauerte eine Weile bis ich ihn überzeugen konnte, mich mit dem Mann sprechen zu lassen, jedoch wollte er dabei sein und so brachten wir ihn 488
ein Stück von den anderen Terroristen weg. Ich dachte mir schon, daß der Mann uns etwas verkaufen wollte, sein Problem war allerdings, daß es außer mir niemand hören wollte und ich hier nichts zu sagen hatte. Jetzt jedoch schaltete Major Pope und tat interessiert, nicht übertrieben, gerade so, daß Vargas denken mußte, er würde mit Milde behandelt werden und so erfuhr ich zu meinem Schreck, daß Anne und Francesca schon diese Nacht in die Obhut von Valerio Nostro gegeben wurden, um irgendwann danach abzureisen. Dieser hatte nämlich heimlich die Seiten gewechselt und sollte nach dem Tod der Fortunatis stellvertretend für die Terroristen die Geschäfte führen, was eine Übernahme sehr vereinfachte und deshalb bekam er als Bonus die Frauen zum Geschenk. Mit der Ausrede, daß dringende Geschäfte ihn wieder in Anspruch nahmen, entschuldigte er sich bei Fortunati und sorgte so mit seiner Abreise für ein Alibi, daß ihn nicht in Verbindung mit den kommenden Todesfällen in seiner Familie brachte. Sofort rotierte alles in meinem Kopf und ich fragte den Major, was er dagegen unternehmen wollte, doch der konnte nichts machen und für den Colonel stand die Wichtigkeit der Mafiosi noch weit hinter der Befreiung der Gefangenen. Wahrscheinlich war Valerio Nostro mit ihnen schon längst unterwegs und niemand wußte wohin,... außer wohlmöglich Paulo Fortunati. Moment! Die Special Forces griffen das Kloster erst an, wenn der Helikopter mit den SEALS gelandet war und diese ihre Aufgabe in der Radarstation erfüllt hatten. Doch nach der Planung von Diaz, an die sich der Colonel halten mußte, um sich dem Kloster überhaupt unauffällig nähern zu können, durfte die Maschine erst eintreffen, wenn Fortunati schon auf der Spur des Signals aus dem Messer unterwegs war. Demnach erreichte Fortunati noch die Lichtung bei der alten Opalmine, bevor alles losging, denn man konnte ihn vorher nicht abfangen, weil sonst Bartholome mißtrauisch würde. Das konnte dann die Terroristen vor einem Angriff warnen und dieses Risiko gingen die Amerikaner nicht ein, wie mir der Major bestätigte. Ich wußte jetzt, was zu tun war, und sprach kurz mit Cristobal Avialo darüber, während wir zusammen mit dem Major und Mister Chong, den die Anweisung seiner Vorgesetzten in Hongkong auch überrascht hatte und der sich bei uns sichtlich wohler fühlte, zum Ufer gingen. Ohne zu zögern hätte ich dem Major niedergeschlagen, wenn er versuchen würde, uns aufzuhalten, doch ich spürte diese Gefahr bei ihm nicht und das rechnete ich dem Mann hoch an. Unten am Fluß lagen einige hochmotorisierte Schlauchboote, mit denen die Amerikaner hier eingetroffen waren, und wir machten etwas Platz, um unser Boot, das in der Entfernung schon zu hören war, anlegen zu lassen. Sichtlich war Major Pope zwischen seiner Pflicht und seinem Gewissen zerrissen, „Mister Kronau, was haben Sie jetzt vor?“ „Ich werde versuchen, noch vor Sonnenaufgang an der Stelle zu sein, wo Fortunati landen wird und dann schnappe ich mir den Kerl, um herauszubekommen, wohin sein Cousin abgereist ist. Fortunati wird sicher überrascht sein zu hören, daß er von ihm verraten wurde, und das sollte doch seine Zunge lösen. Allerdings wird ihn wohl mehr interessieren, daß es seine Geschäftspartner auch auf seinen Vater abgesehen haben und das sollte ihn nun wirklich gesprächig machen, oder?“ 489
„Ja,... sicher, aber ich kann Sie nicht einfach abfahren lassen, ich habe meine Befehle und die besagen, daß Sie sich flußabwärts nach Carauari am Rio Jurua begeben sollen, wo von den Behörden die Einsatzleitung errichte wurde. Dort will man Sie in aller Ruhe verhören und dann entscheiden, ob Sie sich strafbar gemacht haben“ „Das habe ich ganz sicher in den letzten Tagen und von mir aus fahre ich auch gerne nach Carauari, aber vorher mache ich einen kleinen Umweg und bringe dann vielleicht noch jemanden mit, der richtig was auf dem Kerbholz hat, wollen Sie mich tatsächlich aufhalten?“ Der Major sah erstmal weg und schaute dann beinahe fragend auf Mister Chong, der mit seinem neutralen Gesichtsausdruck jeden erstmal so ansah, so als wollte er sich vergewissern, daß man auch wirklich ihn meinte, „Äh,... also ich habe nichts gesehen, Sir“ Anstatt noch zu warten, nickte nun Major Pope zu einem der Armyschlauchboote, „Nehmen Sie das, es ist sicher doppelt so schnell wie Ihr Kahn und genügend Treibstoff ist auch an Bord“ „Danke Major, aber was sagen Sie dem Colonel?“ „Hmmm, das Boot ist abgetrieben,... Scheiß Strömung“, niemand konnte sich nun ein Grinsen verkneifen. „Und wegen uns?“ „Sie sind auf dem Weg nach Carauari, niemand hat mir gesagt, daß Sie keine Umwege fahren dürfen“, er war wirklich ein feiner Kerl und vielleicht sollte man irgendwann tatsächlich den Apfelkuchen seiner Frau kosten. Wie ich es erwartet – oder befürchtet – hatte, saßen alle mit mir in einem Boot und rasten stromaufwärts in der Mitte des Flusses dem wahrscheinlichen Landeplatz von Fortunati entgegen. Die Stimmung an Bord war gedrückt, noch hatten wir die Bilder im Kopf, wie wir schweigend den Körper von Doktor Breitenbach den Amerikanern übergaben, die ihn überführen würden, sobald die außerhalb bereitstehenden Helikopter gefahrlos landen konnten. Es war nun ein Abschied für immer und niemand konnte sich diesem Gefühl entziehen, doch für meinen Teil hatte er eine Spur in meinem Herzen hinterlassen und würde deshalb nie ganz vergessen sein. Vielleicht war es auch gut, daß die geänderten Umstände weder eine lange Diskussion noch eine lähmende Trauer zuließen und alle beschäftigten sich zunehmend weg von den Ereignissen, die waren, hin zu dem, was noch kommen würde. Dabei wurde ich selbst von der nun hereinbrechenden Unsicherheit beherrscht, wohin man Anne mit Francesca gebracht hatte, denn bisher war es eigenartigerweise beruhigend zu wissen, wo sie war und nun zerplatzte das wie eine Seifenblase. Ich haßte es und hatte nach den Wochen der emotionalen Wechselbäder gehofft, daß dies endlich vorbei war, aber das Schicksal im Allgemeinen und Valerio Nostro im Besonderen, hatten anders entschieden. Allerdings konnte man Entscheidungen akzeptieren oder korrigieren, und wir alle waren auch jetzt wieder bereit, das letztere zu tun. Um mich davon zu überzeugen, brauchte ich nur in die Gesichter meiner Gefährten zu schauen und mir wurde klar, daß ich weder mit meinen Ängsten, noch mit meiner Entschlossenheit alleine war und auch wenn Anne das nicht 490
wissen konnte, hoffte ich doch, daß sie dies durch das unsichtbare Band der Liebe spürte. Der Sonnenaufgang kündigte sich an und wir passierten auf dem Wasser die Stelle, wo der Doppelposten stand. Jeder sah dorthin hinüber und Juan am Steuer drosselte die Geschwindigkeit, damit wir noch einmal dort anlegen konnten, um das Funkgerät aus der Hütte mitzunehmen. Es hatte eine wesentlich größerer Reichweite und wir alle hielten es für wichtig, am Morgen jede mögliche Information zu bekommen. Danach ging es endgültig vorwärts, das Schwarz des Firmamentes wandelte sich langsam in ein dunkles Blau und wäre der Motor nicht so laut, hätte man sicher das morgendliche Konzert der Vögel vernehmen können. So dröhnte es aber nur über den Fluß und alles, was wir sehen konnten, war die weiße Gischtspur, die unser Heck im Wasser zog. Irgendwann jetzt mußte es losgehen und Fortunati würde sich in einen Hubschrauber schwingen, um uns zu jagen, dabei hatte der Mann keine Ahnung, daß er schon längst selbst zur Beute wurde und von Jägern umringt war. Wir landeten mit den ersten Sonnenstrahlen am verfallenen Steg der Opalmine hinter den Resten des gesunkenen Kahns und ich inspizierte erstmal den Zustand meiner Falle, die noch so unberührt war, wie ich sie verlassen hatte. Dann, nachdem wir das Schlauchboot getarnt hatten, ging es hintereinander den Pfad zur Lichtung entlang, wo wir gespannt auf das Eintreffen des Mafiosi warten wollten. Alle hatten ihre Waffen überprüft und trugen sie schußbereit in den Händen, es war doch zu dumm, daß der Major „vergaß“, sie zu konfiszieren und so näherten wir uns der Stelle, wo wir in den Dschungel gebracht wurden. Ehrlich gesagt hätte ich es mir nicht träumen lassen, so schnell wieder hier zu sein, was wohl auch Lilly scherzhaft durch den Kopf ging, „He Boß, du hättest mir ruhig sagen können, daß wir wieder herkommen, dann wäre ich für ein Nickerchen hier geblieben und hätte mir die schlimmen Sachen der letzten Nacht erspart“ „Ach so?! Du wärst also lieber ganz alleine hier geblieben?“ „Äh,... alleine?... ja,... aber ging ja nicht, ich mußte euch schließlich helfen“ Ein Schmunzeln zog sich nach hinten durch die Reihe, „Da hast du recht, Girl. Was würden wir nur ohne dich machen?“ „Du nimmst mir die Worte aus dem Mund, Boß. Wie geht es auf der Lichtung weiter?“ „Nichts Aufregendes, wir schnappen uns Fortunati und quetschen ihn aus, dann werden wir hoffentlich etwas schlauer sein und werden seinem Cousin einen Besuch abstatten“ „Hmmm,... das hört sich ja langweilig an“, inzwischen hörte ich hinter mir des öfteren ein unterdrücktes Kichern. „Wenn das so ist, dann könnten wir zur Abwechslung auch auf uns schießen lassen, Lilly“ „Schießen? Wenn ich es mir recht überlege, mag ich langweilige Dinge sehr gerne“ Das wiederum hatte Cristobal Avialo noch ein Stück hinter uns gehört, „Lilly! So kenne ich dich überhaupt nicht“, nun brachen doch einige Dämme und das Lachen vertrieb für einige Augenblicke die nachdenklichen Wolken über unseren Köpfen. 491
Die Lichtung war erreicht und bei Tageslicht betrachtet wurde mir klar, daß es hier schwerer war, eine Falle zu stellen. Die freie Fläche war zu groß, um sich am Rand zu verstecken, und dann auf die Maschine zuzustürzen, das gab nur ein Blutbad im Kugelhagel. Einziges Plus war die Tatsache, das sich Fortunati sicher auf den Peilsender verlassen würde, der ihn in Richtung der Ruinen lockte, „Hat jemand eine Idee?“ Zuerst herrschte Stille, dann reagierte Cristobal Avialo als erster, „Señor Kronau, ich glaube nicht, daß wir den Helikopter und diesen Señor Fortunati gleichzeitig bekommen, er wird sicher nicht alleine sein und wir werden alle Hände voll zu tun haben, ihn lebend zu fangen, sonst nutzt er uns nichts. Doch dadurch hat der Pilot alle Zeit der Welt, einfach abzuhauen. Andersherum bringt es nichts, sich zunächst auf die Maschine zu konzentrieren, weil sie ohne Señor Fortunatis Wissen wertlos ist“ „Sie haben recht, Señor Avialo, unser primäres Ziel bleibt Fortunati, aber ich würde ungern auf den Helikopter verzichten, denn wir müssen Valerio Nostro unbedingt erreichen, bevor er etwas von dem amerikanischen Angriff erfährt“ Juan räusperte sich, „Ja, auf jeden Fall und das wir schwer genug. Gabriel,... weißt du noch damals in den Sümpfen, wo wir die Kolonne der Verfolger in den Hinterhalt gelockt hatten, da...“ „Richtig! Ich weiß, was du meinst, aber ob das hier geht?“ Der Rest sah uns natürlich verständnislos an und wir beeilten uns zu erklären, was damals geschehen war. Keine fünf Minuten später standen wir über die Lichtung verteilt und suchten den Boden nach einer Senke ab, allein Carmen blieb an dem nun aufgebauten Funkgerät und lauschte nach jeder Neuigkeit, die zu hören war. „Sir, ich glaube hier wäre eine Stelle, die Ihren Anforderungen entspräche“, Mister Randall hob dabei leicht die Hand winkte zu mir hinüber. „Sie haben recht, wir müssen das nur etwas erweitern, dann geht es“ Während der nächsten Viertelstunde kamen wir mächtig ins Schwitzen, dann war alles bereit und ich hatte riesige Bauchschmerzen, weil Lilly nun tatsächlich den gefährlichsten Teil unseres Planes durchführen mußte. Carmen hörte die Frequenz der Helikopterpiloten ab und so wußten wir schon fünf Minuten vorher, daß es jetzt ernst wurde. Mein Ziehen im Nacken machte sich bemerkbar, der Kreislauf meldete sich auch und die trockene, lederne Zunge lag wie ein Fremdkörper in meinem Mund herum. Cristobal Avialo und ich trugen die Headsets von Mister Chong, der sie uns mit einem Lächeln überlassen hatte, und Carmen hatte das Funkgerät, wobei der Pilot im Moment nur zum Hören verdammt war und Carmen unser aller Auge war. Sie saß immer noch am hinteren Rand der Lichtung und hatte die gesamte Fläche im Visier, während sein Job härter war, denn er wartete auf Anweisungen mitten auf der Lichtung in der ausgehobenen Senke. Dort verharrte er getarnt mit einer Plane aus dem Schlauchboot, die mit etwas Erde und Laub abgedeckt war und gleich daneben hatten wir einen dicken Stamm hingelegt, der verhindern sollte, daß man direkt auf ihm landete. Wenn alles klappte, würde er nach Carmens Meldung aufspringen und wäre so in der unmittelbaren Nähe des Hubschraubers, der nur irgendwo in der Mitte landen 492
konnte und dann nutze Cristobal Avialo einfach seine Position für eine Überraschung aus. Mister Randall hockte neunzig Grad versetzt links von Carmen in den Büschen, um die Gegner notfalls mit ihr ins Kreuzfeuer zu nehmen, während Juan und ich planmäßig am weitesten vom Geschehen weg waren und schon fast die Ruinen sehen konnten. Geschützt lagen wir hinter einigen kleinen Palmen beidseitig des Trampelpfades zur Opalmine, an einer Stelle, wo er einen leichten Bogen machte und so von der Lichtung nicht mehr einzusehen war. Es blieb nur noch Lilly, die darauf bestanden hatte, am Anfang des Weges zu warten bis die Maschine gelandet war, um gleich darauf unsere Aktion beginnen zu lassen. „Gabriel?“, Carmens Stimme kam ruhig durch das Funkgerät. „Si?“ „Sie sind im Anflug,... Moment!,...“, einen unerträglich langen Augenblick war nichts zu hören, „... OK! Fortunati und vier seiner Männer sind ausgestiegen. Ah,... wen haben wir denn da, Kapitän Chilardo steht blöd rum und sucht wohl etwas, er wir wohl... Warte...ich bekomme ein weiteres Signal auf der Pilotenfrequenz. Santa Maria... gleich kommt noch eine Maschine her!“ „Verdammt! Wer ist denn das, Special Forces, oder Terroristen?“ „Eindeutig Terroristen, hoffentlich bleibt Lilly noch ruhig, sonst...zu spät,... es geht los“ „Sch... ade! OK, ich habe verstanden“ Lilly hatte sich planmäßig am Rand der Lichtung gezeigt, um auf sich aufmerksam zu machen, das war ihr jetzt gelungen und nun rannte sie wie der Teufel den Pfad entlang, genau auf uns zu. „Fortunati hat den Kapitän mit den beiden Männern hinterhergeschickt, aber er selbst bleibt beim Helikopter, so ein Mist“ „Macht nichts Carmen, Cristobal schafft auch zwei, notfalls schießt Mister Randall Fortunati ins Bein um ihn...“ „Was ist denn da los?“, Carmen war jetzt doch etwas aufgeregt, „Der Copilot hat Fortunati von der Maschine weggestoßen und jetzt starten sie, was nun?“ „Ganz ruhig Carmen, den Hubschrauber bekommen wir nicht mehr, aber was ist mit der zweiten Maschine?“ „Sie schwebt jetzt ein und... und man schießt auf Fortunati... tatsächlich sie schießen auf ihn aus den Seitentüren“ „Verdammt lebt er?“ „Ja, er rennt jetzt zu dem Pfad, wenn er das Tempo hält, dann überholt er noch Lilly“ „OK,... OK,... alles klar. Ihr kümmert euch um den Helikopter, wir machen den Rest, bis dann“, unser Plan lief nicht so ab, wie wir es erwartet hatten, dennoch war noch nichts verloren. Bartholome Diaz schien sein Killerkommando gleich hinter dem Mafiosi hinterhergeschickt zu haben, offenbar wollte er nicht mehr warten und Fortunati in der Abgeschiedenheit sofort erledigen. Sicher würde die zweite Maschine landen, damit die Terroristen ihm folgen konnten, denn aus der Luft würden sie ihn im Dschungel nicht finden und das war unsere Chance, doch noch zu einem Transportmittel zu kommen. 493
Fortunatis Abstand zu dem Kapitän, der Lilly verfolgte, waren vielleicht dreißig Sekunden, das mußte uns reichen und für lange Berechnungen blieb sowieso keine Zeit mehr, denn trotz Lilly´s zierlicher Figur waren die dumpfen Schläge ihres Laufes immer deutlicher zu vernehmen. Sie erschien nun auf dem Weg und ich hielt nur die Hand heraus, als Zeichen, sich in die Büsche zu schlagen, gleich darauf lag sie keuchend neben mir, bemüht jeden Laut durch das heftige Atmen zu unterdrücken. Nur wenige Sekunden verstrichen und nun schon deutlich durch das Rennen gezeichnet, kamen der Kapitän und seine zwei Kumpane an uns vorbei und rannten weiter auf das alte Minengelände zu. Ich schnalzte kurz mit der Zunge und signalisierte Juan damit, daß der nächste Jogger unser Mann war. Dann griffen wir beide die Enden einer Leine aus dem Schlauchboot, die wir schon vorher gut getarnt quer über den Weg gelegt hatten und gleich nur einige Zentimeter anzuheben brauchten, um einen bedeutenden Mafiaboß ins Straucheln zu bringen. Alles weitere mußte nun präzise ablaufen, da wir höchstens zwanzig Sekunden dahinter seine Verfolger erwarteten. Wieder hörten wir die Schritte und nach dem Spannen der Leine kam ein kurzer Aufschrei und ein harter Aufschlag, dem ein beherzter Schlag von Juan folgte, der Fortunati bewußtlos machte, um ihn ohne Widerstand vom Weg wegzuziehen. Das dauerte nur zehn Sekunden und wir waren selbst überrascht, wie gut das alles trotz unserer Improvisation funktioniert hatte. Da wir im Moment keinen Kontakt zu Carmen hatten, wußte niemand von uns, wieviele Terroristen Bartholome Diaz geschickt hatte, also blieben wir in Deckung und warteten vorerst ab. Doch diese Anzahl blieb nicht lange ein Geheimnis für uns, denn vier Männer in schwarzen Uniformen rannten nun ebenfalls an uns vorbei und verschwanden in Richtung der Ruinen. Um abzuklären, ob es keine Nachzügler gab, die uns möglicherweise in die Zange nehmen konnten, brauchte ich sofort eine Bestätigung von der Lichtung, „Carmen... Carmen?“ Zuerst kam keine Antwort, dann endlich hörte ich ihre Stimme, „Señor Kronau, wir haben die Maschine gesichert“ „Ausgezeichnet! Wieviele Terroristen sind Fortunati gefolgt?“ „Es waren vier von diesen schwarzen Kerlen, Señor Kronau“ „OK, verstanden Carmen“ „Was ist mit Fortunati, Señor Kronau?“ „Der liegt neben uns und schläft, wir sondieren jetzt die Lage bei der Mine und melden uns dann“ „OK“ Lilly bekam eine Pistole von mir und sollte auf unseren Gefangenen aufpassen, wenn er wach werden würde und auf dumme Gedanken käme, konnte sie überall hinschießen, die Hauptsache war, er redete noch. Gleich darauf traten wir aus dem Dschungel und gingen geduckt etwas versetzt hintereinander vorwärts, und ohne daß wir es abgesprochen hätten, fielen wir in den alten, längst vergessenen Rhythmus unserer Flucht in Kolumbien zurück. Ein beinahe vertrautes Gefühl wollte mich überkommen, doch einige Schüsse vor uns rissen mich aus dieser oberflächlichen Sentimentalität. Schon war der Steg vor uns zu 494
erkennen und wir gingen erstmal in Deckung, um von dort ein Bild der Lage zu bekommen. Es schien, daß der Kapitän und seine Leute keine Chance gehabt hätten und von hinten niedergemacht wurden, denn vor den morschen Häusern lagen alle drei Körper auf den Bauch. Natürlich wußten sie nichts von der Ankunft der Terroristen und konzentrierten sich auf die vermeintlich flüchtende Beute, das hatte sie ihr Leben gekostet. Bezeichnenderweise hatten wir jetzt eine Duplizität der Ereignisse, denn die Männer mit den schwarzen Uniformen standen mit dem Rücken zu uns und begutachteten, was sie geleistet hatten, allerdings fiel ihnen sehr schnell auf, wer noch fehlte und sie begannen, nach Fortunati zu suchen. Trotzdem was es schon zu spät, denn Juan und ich hatten die Zeit genutzt und waren aus der Deckung ins Freie getreten. Als uns der erste bemerkte, ließ der sich jedoch nicht von den schußbereiten Waffen einschüchtern, sondern sprang in einem hohen Bogen zur Seite ins Gras und begann zu feuern. Die drei anderen Terroristen suchten ebenfalls eine günstige Position und verließen geduckt rennend den Platz vor den Ruinen. Einem gelang es nicht mehr ganz, die Reste des Ford-Lasters zu erreichen, um sich dort zu verstecken, denn wenigstens zwei Treffer in die Oberschenkel holten ihn von den Beinen und ließen ihn im Gras liegen. Noch schlimmer traf es die beiden letzten Männer mit ihrer Idee, sich in einer der Ruinen zu verschanzen, bei der sie jedoch die falsche Wahl trafen und genau in meine Falle liefen. Eine dumpfe Detonation ging durch den Dschungel und ich sah wie in Zeitlupe, wie ein Zittern durch die Wände ging, dann knirsche es nur noch und alles, was vom morschen Dach noch übrig war, fiel mit einer Staubwolke in das Haus. Nach dem ersten Schreck über die Wirkung dieser kleinen Sprengstoffladung mußten wir zuerst den verbliebenen Terroristen im Gras ausschalten, um in dem Schutthaufen nach Überlebenden zu suchen, die ich aber kaum mehr darin vermutete. Deshalb rief ich etwas von Handgranaten zu dem Mann herüber, der nichts von der wahren Ursache der Explosion wissen konnte und sich nun alleine gegen uns sah. Jedenfalls überzeugte ihn das, aufzugeben und wir entwaffneten ihn sofort, genau wie seinen Freund mit den Schußwunden, der nun notdürftig versorgt wurde. Während der nächsten Minuten schafften wir zusammen die Gefangenen zur Lichtung und verschnürten sie dort mit der Bootsleine, die man in genügend Stücke zerschneiden konnte. Fortunati blieb benommen an einer separaten Stelle und wir begannen dort mit ihm zu reden, allerdings glaubte er uns weder den Verrat seines Cousins, noch die Geschichte mit dem Mordanschlag von Bartholome Diaz. Einzig die Tatsache, daß seine Verbündeten auf ihn geschossen hatten, ließ ihn zweifeln, doch das genügte nicht, um seine Meinung zu ändern. So versuchte ich einen Deal auszuhandeln, weil mir die Zeit für lange Diskussionen weglief, und auch Fortunati kam eine Einigung entgegen, weil er trotz aller Ignoranz unbedingt erfahren wollte, wie es seinem Vater ging, und vielleicht spürte er doch, daß wir nicht die Unwahrheit sagten. Aber ich glaubte eher, daß er uns zu Valerio Nostro bringen wollte, weil er hoffte, uns mit seiner Hilfe dann überrumpeln zu können, und deshalb erfuhren wir nun ohne 495
weiteres Zögern, daß dieser sich mit den Frauen auf die Yacht von Fortunati begeben hatte. „Sehen Sie, Signore Fortunati, das war doch gar nicht so schwer. Wohin ist jetzt die ‚Bella Donna’ unterwegs?“ Er ließ sich eine Karte aus dem Helikopter geben und studierte sie einen Moment. „Heute Nacht sind sie in Pauini eingetroffen, denn meine Männer haben sich bestätigen lassen, daß Valerio wirklich die Yacht benutzen darf. Danach wollte er gleich los uns müßte jetzt... nein... in Labrea können sie noch nicht sein, ich denke hier auf der Karte, wo dieser Nebenfluß einmündet“, seine Augen leuchteten dabei und zeigten mir, daß er dabei die Hoffnung hatte, dort seine Freiheit wiederzufinden. „Gut, wir werden dorthin fliegen, welche Frequenz hat die Yacht?“ Er nannte sie uns und nachdem wir über das Funkgerät eine Verbindung hergestellt hatten, redete der Mafiosi unter unserer Aufsicht mit seinem Cousin, allerdings war es ein von beiden Seiten sehr abgehackter Dialog, da die Antworten von der Yacht sehr kurz und nüchtern waren. Ich schob das auf die Überraschung und Nervosität von Valerio Nostro, der das Oberhaupt der Familie schon unter den Toten wähnte und nun wohl völlig verunsichert war. Das konnte man ausnutzen und so ließ ich von Fortunati sein Ankunfte ankündigen, wonach wir die genaue Position der Yacht bekamen. Um nun nicht vom amerikanischen AWACS für Terroristen gehalten zu werden, versuchten wir, Major Pope zu erreichen um ihn über den bevorstehenden Flug zum Rio Pauini zu informieren und ihm noch von den Gefangenen hier zu erzählen, damit auch diese später von den Amerikanern eingesammelt werden konnten. Erst nach größten Schwierigkeiten gelang uns das, aber dafür erhielten wir auch die gute Nachricht, daß offenbar die Aktion ein Erfolg zu werden schien, obwohl noch einiger Widerstand vorhanden war und Bartholome Diaz sich bis jetzt versteckt hielt. Major Pope war nach unserer Erfolgsmeldung sogar bereit, uns weiterhelfen, doch das Gebiet, wohin wir nun mußten, lag außerhalb der Zone, in der die Amerikaner operieren durften, aber nach einigen Minuten Pause teilte er uns mit, daß die brasilianische Policía Civil ein Flußboot von Labrea aus der Yacht entgegen schicken würden, um uns zu unterstützen. Das war eine nette Geste, jedoch wußte ich gleich nach einem Blick auf die Karte, daß es noch einige Stunden dauerte, bis die Beamten dort eintrafen und soviel Zeit durften wir Valerio Nostro nicht mehr geben. Jederzeit konnte man dort vom Eingreifen der Amerikaner Wind bekommen und dann war nicht abzusehen, wie sich Fortunatis Cousin gegenüber Anne und Francesca verhielt. Möglicherweise brachte er beide einfach um und verschwand in den Weiten des Landes, dieses Risiko war zu hoch, um es weiter bestehen zu lassen. Fortunati selbst hatte natürlich unser Gespräch mit dem Major mitbekommen und merkte, daß wir kaum einen Grund hatten, zu lügen, da sich für uns alles zum Besten entwickelte. So schien er plötzlich die Gefahr für seinen Vater ernstzunehmen und ich merkte, wie er immer blasser wurde und nun Schweißperlen auf seiner Stirn standen. Beinahe drängte er uns nun selbst zum Abflug, um an Bord seiner Yacht endlich eine Verbindung über Satellit mit Italien herzustellen. Dabei schien ihm nun völlig egal zu sein, daß er sich in unserer Hand befand und sicher damit rechen mußte, an die 496
Behörden übergeben zu werden, denn nun zweifelte er langsam auch an der Loyalität von Nostro und das steigerte sich, während wir zusammen im Helikopter unterwegs waren. Allerdings war er nicht der Einzige, der dem Rendezvous mit der „Bella Donna“ gespannt entgegensah und so suchen alle intensiv den Rio Pauini ab, als er unter uns sichtbar wurde. Zwei Kanus und ein alter, qualmender Flußkahn waren bisher die einzigen Fahrzeuge gewesen, die wir auf dem Wasser erkennen konnten, und dabei war es sicher unmöglich, diese Yacht zu übersehen. So versuchten wir noch mal, über Funk Valerio Nostro zu erreichen, doch zunächst antwortete niemand und ich konnte nicht sagen, daß mich das ruhiger machte, bis sich der erste Offizier meldete und uns eine Position viel weiter flußaufwärts angab, bei der die „Bella Donna“ mit einem Maschinenschaden liegen sollte. Seine Stimme klang nicht so, als ob er uns alles gesagt hatte und Señor Avialo holte alles aus der Maschine heraus, um die Distanz zur Yacht schnellstens zu verringern. Ich renkte mir nun fast den Hals aus, um durch die Scheiben etwas zu erkennen, aber das war sicher nicht der Grund, warum mir mein Nacken wehtat, und meine flauen Gefühle schienen berechtigt zu sein, denn die Yacht lag mit dem Bug stromaufwärts in der verkehrten Richtung. Carmen vorne auf dem Copilotenplatz versuchte noch mal, mit dem ersten Offizier zu sprechen, aber die Antwort blieb endgültig aus. Niemand war oben auf der Flybridge zu sehen, es war unter uns nur ein weißer Koloß, der schweigend im Wasser lag. Obwohl ich dort die Gefahr roch, war es mir jetzt egal, denn ich wollte nur Gewißheit haben, was geschehen war, und dafür ging ich gerne jedes Risiko ein, „Ich weiß nicht, was da unten los ist, aber das werden wir gleich herausbekommen. Wir machen alles so wie abgesprochen und wenn es schief läuft, dann verschwindet ihr mit dem Hubschrauber“ Alle bestätigten das in der Maschine und Juan neben mir legte seinen Arm auf meine Schulter, „Jetzt wir es ernst, Compañero, eigentlich erwarten die da unten Fortunati, ich hoffe, wir sind schnell genug, um sie zu überraschen“ „Ganz sicher schaffen wir das Juan und viel Glück, wir sehen uns auf dem Deck“ „Für dich auch viel Glück, bis gleich Gabriel“ Während Cristobal Avialo einen Bogen flog, um über das Heck an die „Bella Donna“ heranzukommen, gingen Juan und ich jeweils an die offenen Luken zu beiden Seiten des Helikopters. Mir war es nicht geheuer, daß dort unten überhaupt nichts geschah und die Yacht das Flair eines Geisterschiffes ausstrahlte, zudem konnte es auch eine teuflische Falle sein, doch um das herauszubekommen, gab es nur eine Möglichkeit. So schob sich unser Helikopter in knapp zwei Meter Höher über das Heck, bis er fast perfekt über dem breiten Oberdeck zu schweben schien. Das ausgerechnet hier ein runder Whirlpool sein mußte, störte mich etwas, denn wenn ich beim Sprung nicht aufpassen würde, konnte es gut sein, das ich mich darin wiederfand und so war ein gutes Timing doppelt wichtig. Cristobal Avialo ging noch etwas tiefer, das war unser Zeichen und noch während ich in der Luft war, sah ich schon wie Juan neben der Reeling aufkam und nicht unelegant abrollte. Gleich darauf spürte ich den Boden unter meinen Füßen, aber ich hatte mich so darauf konzentriert nicht mit dem Whirlpool Bekanntschaft zu machen, daß ich die 497
einfache Landung auf dem Deck versaute und im nächsten Augenblick wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag. Ein nicht zu ignorierender Schmerz durchfuhr meinen Körper, weshalb ich auch nicht gleich wieder auf den Beinen war und es so versäumte mich rechtzeitig umzusehen. Das hätte ich aber lieber tun sollen, denn meine Waffe wurde mir aus der Hand geschlagen und ein dunkler Umriß zeichnete sich plötzlich vor mir gegen die blendende Sonne ab. Mich wunderte es etwas, daß weder Juan, noch Mister Randall über mir im Helikopter mit ihren Waffen eingriffen und mich so auslieferten, bis ich über mir eine bekannte Stimme vernahm und so schlagartig eine sehr einleuchtende Erklärung dafür bekam. Schön das du mich besuchen kommst mein Schatz, aber bitte rufe doch vorher das nächste Mal an, denn ich hatte keine Zeit mehr, um mich für dich hübsch zu machen. „Anne? Anne! Ähhh... macht doch nichts, so wie du bist, ist es genau perfekt. Aber...“, weiter kam ich nicht, denn ich konnte mich sofort von meiner Aussage überzeugen, als sie zu mir hinunterkam und sich unsere Lippen berührten. Es war so ein Kuß, bei dem alles um dich herum versinkt und du keinen klaren Gedanken mehr fassen kannst, höchstens, daß er niemals aufhören sollte. Zeit war ein Begriff, der im Moment nicht existierte, irgendwann sah ich in ihre dunklen Augen und schob die Haarsträhne sanft aus ihrem Gesicht, womit ich mich noch stundenlang hätte beschäftigen können. Natürlich setzte sporadisch doch wieder das rationale Denken ein und ich drehte etwas den Kopf zur Seite, wo Juan stand und seine Francesca gerade mit der 9mm umarmte, das wäre sicher ein Bild für die Klatschkolumnen in Caracas. „Was ist hier überhaupt passiert, Anne?“ „Tja, eigentlich eine ganze Menge, willst du Einzelheiten?“ „Das wäre aber ganz reizend von dir, ich bin doch so schrecklich neugierig“ „Na gut, aber nur, weil du es bist. Dieser Valerio Nostro hat uns gestern hierher gebracht und eingesperrt. Auch Diana LeClaire hatte die Gelegenheit genutzt, aus diesem Kloster zu verschwinden, angeblich wollte sie nach Paris, um etwas zu erledigen, aber du kannst dir dann sicher unsere Überraschung vorstellen, als sie einige Stunden später mit Waffen in unsere Kabinen kam und uns die Fesseln durchschnitt. Dann hat sie uns erzählt, daß du mit ihr lange geredet hast, äh... bei der Gelegenheit, was war denn das für eine Art Gespräch?“ Ich setzte mein schönstes Grinsen auf, „Nichts besonderes, ich habe nur meinen Charme spielen lassen“ „Ach,... das ist ja interessant! Diana ist auf der Brücke und hält alle Besatzungsmitglieder, die wir nicht unter Deck eingesperrt haben, in Schach, da kann ich ja gleich mal mit ihr darüber reden“, bei dem Feuer in ihren Augen war es schwer für mich, festzustellen, ob es ernst gemeint war. „Anne, lassen wir doch einfach das Thema, deine Geschichte war doch viel spannender“ „Das will ich für dich aber auch hoffen,... also weiter, jedenfalls habe ich in den letzten Wochen mitbekommen, was du so alles für Unsinn machst, und da dachte ich 498
mir, es wäre ganz gut, wenn ich deinen Lebensstil mal ausprobieren würde. So haben wir drei Frauen nacheinander die Besatzung überrumpelt und das Kommando übernommen, um die Yacht zu wenden und euch zu helfen“ „Wow! Ich liebe Frauen, die Initiative zeigen und dich ganz besonders. Wolltet ihr uns wirklich da rausholen?“ „Sicher, du wirst dich wohl daran gewöhnen müssen, daß ich meinen eigenen Kopf habe“ „Da habe ich kein Problem mit und...“ Aus dem Funkgerät war ziemlich laut die Stimme von Carmen zu hören, „Könntet ihr da unten mal eine Pause einlegen, damit wir auch an Bord kommen können, es ist ja schlimm, euch von hier oben aus zuzusehen“ „Ähhh... sorry, wir haben hier nur gerade die allgemeine Lage besprochen. Cristobal, fliegen Sie doch bitte flußabwärts und suchen eine Stelle am Ufer zum Landen. Inzwischen wenden wir die Yacht und holen euch dann mit dem Beiboot an Bord“ „Verstanden, Señor Kronau, und stellen Sie schon mal etwas Anständiges in den Kühlschrank, das da unten sieht nämlich nach einer Party aus“ Cristobal drehte ab und ich hatte endlich die Gelegenheit, aufzustehen um Francesca zu begrüßen, die allerdings nur Augen für ihren Helden hatte und sicher mit ihrem Mann unter Deck verschwunden wäre, wenn wir nicht auf der gekaperten Yacht eines Mafiosi gewesen wären. So galt es, den Kurs zu ändern und in einer ruhigen Minute Anne vom Schicksal des Doktors zu erzählen, für mich war lange noch keine Zeit für eine Party. Eine Stunde später lagen wir wieder vor Anker, allerdings diesmal gegenüber einem erhöhten Uferstreifen, wo nur der Rotor des Helikopters hinter einigem Buschwerk hervorschaute. Hier hatte sich für Señor Avialo ein günstiger Platz zum Landen geboten, den wir erst vor einigen Minuten erreicht hatten. Anne hatte inzwischen erfahren, wie der Doktor sein Ende gefunden hatte und ihre Hand lag dabei in meiner, als sie dabei stumm zuhörte. Doch es war nicht so, daß ich allein über etwas reden wollte, denn sie erzählte mir nun ausführlicher, wie sich die Kaperung der Yacht abgespielt hatte und daß sie dabei Valerio Nostro erschießen mußte. Er hatte eine Waffe gezogen und schon auf Francesca angelegt, als Anne gerade noch rechtzeitig reagieren konnte und ihn vorher ausschaltete. Oberflächlich war ihr die Notwendigkeit dessen, was sie getan hatte bewußt, aber während sie sprach, merkte ich an ihrer Stimme, daß sie im Unterbewußtsein noch immer damit zu kämpfen hatte. Trotzdem milderte das alles nicht unsere Freude, denn viel zu lange hatten wir auf diesen Moment gewartet und um mich herum sah ich nur lächelnde Gesichter, vielleicht mit Ausnahme der Besatzung. Nachdem wir während der Fahrt geredet hatten und nun die Maschinen standen, zogen sich die drei Frauen von der Brücke zurück, vielleicht um sich von ihrem Piratenakt auszuruhen, während Juan mir half, dem ersten Offizier auf die Finger zu schauen. Dazu holten wir das jüngste Besatzungsmitglied, den völlig verschüchterten 499
Küchensteward, der ernsthaft dachte, daß er nun erschossen würde, damit er mit dem Beiboot zum Ufer fuhr und dort unsere Gefährten abholte. Da das einige Zeit in Anspruch nahm, war die Gelegenheit günstig, mit Major Pope zu sprechen, um ihm die Erfolgsmeldung durchzugeben und gleichzeitig unsere Position zu nennen, da ich mir nicht vorstellen konnte, daß man uns ohne Befragung gehen lassen würde. Das bestätigte auch der Major, aber er hatte im Moment noch andere Sorgen und mußte sich um die ersten „Aufräumarbeiten“ kümmern. Beinahe hätten die Amerikaner eine gewaltige Schlappe einstecken mußten, denn Diaz schien kurz vor dem Angriff von der Aktion erfahren zu haben und wollte sich nach Peru absetzen. Als Ablenkung ließ er seinen Helikopter starten und machte sich mit einem Jeep aus dem Staub in Richtung der Grenze. Daß er ausgerechnet durch einen neunzehnjährigen Polizisten auf der Straße nach Feijo angehalten und kontrolliert wurde, konnte er sicher nicht vorausahnen. Ebenso, daß ihn patrouillierendes Militär nach dem Durchbruch der Straßensperre keine zehn Minuten später stellen würde, dies war das Ende eines der meistgesuchten Männer der Welt, unspektakulär und zufällig. Mister Chong war wohl ebenfalls erfolgreich, denn nicht nur Professor Huyong Chi, sondern auch weitere vermißte Wissenschaftler konnten aus dem Laboratorium befreit werden. Natürlich verlor der Major kein Wort über die Bakterien, aber ich war mir sicher, daß bereits jetzt hinter den Kulissen die diplomatischen Kanäle heiß laufen würden. Wer auch zukünftig mit diesen Organismen arbeitete, oder sie einfach in einen Tresor verbannte, ich hoffte nur, das würde mit der nötigen Verantwortung geschehen. Ich fand auch, genauso verantwortungsvoll sollte man mit dem Gold und den Kunstwerken, die im Kloster sichergestellt wurden, umgehen. Es gab bestimmt viele gute Zwecke, für die man diese Werte verwenden konnte, allerdings, wer die menschliche Natur kannte, konnte schon jetzt die Streiterei darum vorahnen. Ganz bestimmt würde wohl Lilly mit ihrem Jugendtraum leer ausgehen, doch vielleicht war das gar nicht so schlimm, denn ich war mir sicher, sie hatte jetzt andere Träume – die einer jungen Frau. Major Pope deutete auch an, daß Colonel Freemont vor Wut schäumte, als er erfuhr, daß wir nicht nur seine Anweisungen mißachtet hatten, sondern sogar Paulo Fortunati dingfest machten. Wahrscheinlich würde er explodieren, wenn er auch die Rettung der Frauen nicht für sich verbuchen konnte und ich hätte viel darum gegeben, das sehen zu können. Der Major wußte nun, wo wir waren und riet uns, dem brasilianischen Polizeiboot entgegenzufahren damit wir Fortunati dort abliefern konnten. Der war im Moment noch im Beiboot, aber er würde sicher keine Ruhe geben, solange er nichts von seinem Vater hörte. Darüber konnte mir Major Pope keine Auskunft geben, aber in Italien waren einige CIA-Agenten und italienische Spezialisten alarmiert, um Gondoni abzufangen. So hoffte ich auch von dort bald etwas Positives zu hören und der Major versprach mir, daß wir uns sicher bald wieder sehen würden, da irgendwann ein nettes Gespräch mit dem CIA nicht ausbleiben würde. Das störte mich wenig, weil wir nichts zu verbergen, aber viel zu erzählen hatten und so freute ich mich jetzt schon darauf, ein 500
hohes Tier aus Langley zu sprechen, dem ich wegen der Methoden seiner Leute auf Barbados die Hölle heiß machen konnte. Mittlerweile waren alle an Bord der Yacht und wir ließen die Maschinen starten, um stromabwärts weiterzufahren. Fortunati bekam gleich darauf die Gelegenheit, mit seinem Vater Kontakt aufzunehmen, aber es gelang ihm nicht und er begann zu toben, so daß wir ihn unter Deck in einem Stauraum einsperren mußten. Irgendwie konnte ich das natürlich verstehen und gab ihm mein Wort, mich regelmäßig nach Neuigkeiten aus Italien zu erkundigen. Anstatt nun auf dem Sonnendeck endlich alles abfallen zu lassen, waren wir alle auf der Brücke versammelt und ich wußte nun, weshalb sich die Frauen für eine halbe Stunde nach unten verzogen hatten. Offenbar hatten sie sich aus Dianas Bestand etwas für das Make-up und die Frisur geborgt und erschienen nun so strahlend, daß man ihnen kaum zutraute, mit Waffengewalt eine Yacht zu übernehmen. Sofort entstand natürlich ein wildes Durcheinander von Fragen und Antworten, bei denen ich mich aber nur zögerlich beteiligte und lieber nur Anne ansah, was ich leider nicht die ganze Zeit tun konnte, da noch jemand auf den ersten Offizier aufpassen mußte. Mister Randall konnte dabei auch nicht aus seiner Rolle heraus und hatte inzwischen Champagner gefunden, den er auf einem silbernen Tablett servierte. Mir war es beinahe unangenehm, von ihm mit einer leichten Verbeugung das Glas zu erhalten, schließlich sah ich in ihm durch die gemeinsamen Erlebnisse inzwischen mehr als einen Angestellten meines Freundes. Aber er schien das als völlig normal zu empfinden, es war eben seine Art und solange es ihn nicht störte, brauchte ich mir wohl keine weiteren Gedanken darum zu machen. Als wir alle auf das glückliche Ende angestoßen hatten, berichtete ich in Ruhe die Neuigkeiten von Major Pope, die mit Erleichterung vernommen wurden und auch meine Einschätzung von Lilly schien sich zu bestätigen, „Also Boß, wie ich das sehe, wird es wohl nichts mit dem Finderlohn für das Gold, was hältst du davon, wenn ich mir dieses schwimmende Traumhaus unter den Nagel reiße, so als Trostpflaster?“ „Du kannst ja zu ihm gehen und fragen, Girl. Aber ich glaube, der Kerl wird sein ganzes Vermögen für gute Anwälte brauchen und da kann er auf dieses Kleinod sicher nicht verzichten“ Diana war bisher am ruhigsten, vielleicht empfand sie sich nicht zugehörig wegen ihres erheblichen Anteils an unseren Problemen und blieb so ungewöhnlicherweise im Hintergrund. Es gab eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch eine Menge Grau dazwischen und irgendwie bewegten wir uns alle darin. Jedenfalls behandelte sie niemand schlecht und jeder konnte sich selbst seine Meinung über sie bilden, weshalb auch die entspannte Atmosphäre nicht darunter litt. Das begann sich aber für mich zu ändern, als Mister Randall dicht an mich herantrat, so daß niemand weiter hören konnte, was er sagte, „Sir, ich hätte gerne eine Frage an Sie gerichtet. Gibt es auf diesem Fluß eine behördliche Geschwindigkeitsbeschränkung?“ Zuerst mußte ich natürlich stutzen, „Bitte? Ich weiß nicht auf was Sie hinauswollen, Mister Randall?“
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„Wenn Sie mir bitte folgen würden, um Ihren Blick nach achtern auszurichten, dann wäre es Ihnen sicher ein leichtes zu erkennen, daß sich uns zwei Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit auf dem Wasser nähern“ „Was...?!“, sofort griff ich das Fernglas aus der Halterung an der Wand und ging auf das Deck hinaus, worauf ich mich von Mister Randalls Beobachtung überzeugte. Kein Wort war mehr zu hören und ich merkte förmlich die Spannung in meinem Rücken, nur Anne folgte mir zögernd und hielt sich an meinem Arm fest, „Was ist überhaupt los, siehst du etwas?“ Zwar waren die beiden Schnellboote noch zuweit entfernt, um irgendwelche Gesichter deutlich zu erkennen, aber die schwarzen Uniformen waren ausgezeichnet zu sehen, „Ärger, ich sehe eine ganze Menge Ärger. Komm mit hinein, mein Schatz, es ist noch nicht vorbei“ Blitzschnell hatten wir alle die Gläser gegen unsere Waffen getauscht und sicherheitshalber den ersten Offizier abgelöst, um ihn unter Deck zu der restlichen Besatzung zu bringen. Juan übernahm währenddessen das Ruder und erhöhte die Geschwindigkeit auf das Maximum, gleichzeitig setzte Carmen einen Notruf ab, in der Hoffnung, daß dieses erwartete Polizeiboot doch schon näher war als angenommen. Trotzdem unsere Maschinen nun volle Fahrt machten, mußte ich mit ansehen, wie die beiden Boote immer näher kamen und dann erkannte ich auch jemanden dort, Comandante Senedo. Warum hatte man ihn im Kloster nicht erwischt? War er wohlmöglich nicht dort und konnte sich so dem Zugriff der Truppen entziehen? Ich wußte es nicht und diese unnütze Frage konnte mir auch nicht weiterhelfen, viel effektiver wäre es, schnell über die Abwehr seines Angriffes nachzudenken, denn daß er sich bei uns nicht ergeben wollte, lag wohl auf der Hand. So überlegte ich angestrengt, während ein zweites Magazin für die Maschinenpistole in meine Tasche wanderte und ich auch Anne so etwas mit einem Kuß in ihre Hand drückte, „Nimm,... und benutze es, der Kerl ist eiskalt und hat den Doktor auf dem Gewissen, solche Typen geben nicht auf und er will sicher nur siegen, oder sterben“ „Hört denn das nie auf? Das letztere kann er von mir aus gerne haben, vielleicht kann man ihn überreden sich selbst zu erschießen, aber... Moment? RUNTER!“ Anne und ich landeten nach ihrer Warnung unsanft auf dem Boden und mir blieb gerade noch Zeit mich über sie zu werfen, als die Geschosse eines schweren Maschinengewehres über das Deck jagten und in der Wand zur Brücke einschlugen. Auch die Flybridge wurde getroffen und das Radar bekam einige Treffer ab, „Verdammt Anne, die haben uns gesehen, du solltest langsam zur Tür kriechen und nach unten verschwinden“ „Vergiß das ganz schnell, du glaubst doch wohl nicht, daß ich dich hier alleine lasse. Da drüben ist der Whirlpool und die gesamte Reeling hier oben steht auf dieser umlaufenden Metallkante, dahinter können wir diese Kerle beschäftigen. Wir dürfen nur nicht den Kopf heben, bitte merk dir das“ Noch bevor ich etwas sagen konnte, war sie auf dem Weg und mir blieb nichts weiter übrig, als zu folgen, doch durch die MG´s kamen wir nur bis zum Whirlpool. Durch die Tür zur Brücke hörte ich nun Carmen, „Die Funkanlage hat es erwischt, sie ist völlig 502
tot. Ich gehe jetzt runter in den Salon, mal sehen, ob ich die Schweine von dort erwische“ Nur wenige Sekunden später schoß jemand vom Unterdeck, so daß eines der beiden Schnellboote zur Seite ausweichen mußte und einen leichten Bogen fuhr, um von dort zurückzufeuern. Ich hatte gerade genug Zeit, entgegen Annes Rat doch den Kopf zu heben und in jedem Boot vier Männer zu zählen, die sich offenbar darauf vorbereiteten, über des Heck auf die Yacht zu gelangen. Mehr war nicht zu entdecken, weil einige Salven der MG´s und ein Schlag von Anne auf meinen Oberarm mich wieder abtauchen ließ. Die Terroristen hatten noch zwanzig Meter und einen guten Plan, denn während ein Schnellboot immer näher kam, gab das andere ihnen Deckung und wir kamen von hier oben in keine Schußposition. Jetzt feuerte auch eine zweite MP aus dem Salon, jedoch brachte das nur eine kurze Entlastung, weil beide Boote auswichen und nun rechts und links versetzt hinter der Yacht herfuhren, während Carmen aus der Deckung unten nur gerade herausschießen konnte und so im Augenblick einzig das Wasser treffen würde. Alles in allem war die gesamte Situation nicht sehr befriedigend, allerdings mußte Senedo direkt vor das Heck fahren, um über die Badeplattform einzudringen, denn von der Seite ging das natürlich nicht und das wiederum war ein Vorteil für uns. Irgendwas mußte mir doch einfallen, das tat es aber nicht so schnell und ich war schon entschossen, auch nach unten zu gehen, als ich ganz unerwartetet einen Kuß auf die Wange bekam und fragend zu Anne hinüber sah, die nur hinter sich auf die andere Seite des Whirlpools zeigte. Nach einer Sekunde hatte ich begriffen, was sie wollte – es war unfaßbar, sie war nicht nur schön, sondern hatte auch noch reichlich was im Köpfchen. Ich gab Anne meine Waffe, dann zog ich eine der am Boden liegenden, zusammengefalteten Sonnenliegen vor meine Füße und legte mich auf den schmerzenden Rücken, um das Plastikpaket beim ersten Schuß aus dem Salon über die Reeling zu treten. Geschah das, mußte das erste Schnellboot genau unter uns sein, da es für Carmen dort wieder sichtbar war. So geschah es auch wenige Sekunden später und ich beförderte mit einem kräftigen Tritt die Liege über Bord. Gleichzeitig hielt Anne die MP über ihrem Kopf und schoß wahllos nach unten, bis die Antwort von dem zweiten Boot erfolgte und wir uns wieder ganz klein machten. Der Erfolg war größer als erwartet, denn unten hörte ich ein Krachen mit einigen Schreien vermengt und darauf folgte das bekannte Geräusch, wenn es mehrere Leute nicht mehr schafften, an Bord zu bleiben. Der Beschuß wurde erst einmal eingestellt und ein weiterer mutiger Blick ließ mich beide Boote nebeneinander sehen, bei dem Versuch einige Leute aus dem Wasser zu ziehen. Durch diese Ablenkung vergrößerte sich der Abstand wieder und ich nahm meine Waffe und feuerte mein Magazin auf dieses zusammengeballte Ziel leer, was wenigstens zwei Terroristen nicht überlebten. Der darauf folgende Dauerbeschuß galt nun hauptsächlich uns auf dem Oberdeck und hinterließ unzählige Einschüsse rund um die ehemalige Glastür zur Brücke. Mir wurde diese Position für Anne zu unsicher und da sie ohne mich nicht verschwinden 503
würde, krochen wir immer auf die Splitter achtend wieder zurück und räumten die Position. Hier am Steuerstand wieder angekommen navigierte Juan immer noch relativ unbehelligt, da zwischen dem Sonnendeck und der Brücke noch der Navigationsraum lag, einzig zwei verirrte Projektile hatten einen Schaltkasten getroffen, aus dem jetzt kleine Qualmwölkchen aufstiegen. Francesca war deshalb schon aktiv geworden und kam über die Wendeltreppe vom Salon mit einem kleinen Feuerlöscher in der Hand nach oben, „Gut Sie hier zu sehen, unten hat Señora Santiago etwas abbekommen“ Anne sagte kein Wort, lief aber sofort zur Treppe und verschwand nach unten. Ich wollte ihr folgen, doch mir kam Mister Randall entgegen und hatte dabei den ganzen Arm voller verschiedener Schnapsflaschen, deren Inhalt jedoch völlig gleich aussah und durch ein Stück Stoff vom auslaufen gehindert wurde. „Mister Randall, ich glaube das ist der falsche Zeitpunkt, um sich abzufüllen“ „Sir, ich trinke nicht während der Arbeit und diese Mixtur ist auch nicht zum Verzehr geeignet. In den Flaschen befindet ein Gemisch aus zwölf Jahre altem Whiskey und einem hervorragenden französischen Cognac, dazu etwas Spiritus mit Waschbenzin und Dieselöl, das alles ist die freie Interpretation eines Cocktails, der dem ehemaligen sowjetischen Außenminister Molotov gewidmet ist“ „Nastrovje Mister Randall, aber werfen sie das Zeug bitte da draußen... WO JETZT DIE HANDGRANATE LIEGT!“ Zum Glück war die Glastür schon kaputt und wir hatten schnell reagiert, sonst hätten uns nach der Detonation unzählige tödliche Geschosse erwischen können, doch so war die schlimmste Auswirkung eine Druckwelle, mit der einige lose Teile der Aufbauten durch die Gegend flogen. Sofort sprang ich auf und rannte die Treppe nach unten, wo der Qualm sich nun langsam verzog und ich hinter den letzten Stufen Anne entdeckte, die ihre verletze Freundin dorthin in Sicherheit gezogen hatte. Ich beugte mich kurz hinunter und erkannte bei Carmen eine Schußwunde neben dem Schultergelenk und einige kleinere Kratzer in ihrem Gesicht, „Wie geht es ihr, Anne?“ „Die Kugel hat sie nicht umgebracht, aber sie verliert Blut und ich brauche etwas zu Abbinden“ „OK, alles klar! Wo ist eigentlich Lilly?“ „Sie schon unterwegs und sucht einen Verbandskasten“ „Das ist gut, aber solange können wir nicht warten“, ich rannte in den Salon, in dessen Decke ein Loch von der Explosion über uns war und schaute durch die ebenfalls zerschossene breite Glastür zur Badeplattform, wo ich jetzt hinter dem abziehenden Dunst den Bug eines der Boote erkannte. Wenn es den Männern gelang, an Bord zu kommen, mußten sie durch diesen Salon und dieses Nadelöhr war eine perfekte Verteidigungsstellung, jedenfalls wenn man genügend Munition hatte. Schnell riß ich einen kleinen Vorhang des Seitenfensters ab und zog Cristobal Avialo mit zur Treppe zurück, um dort Anne den Stoff zu reichen, „Schatz, ist dein Magazin noch voll?“ „Ja, aber es ist mein letztes, Gabriel“, ich nahm ihre Waffe und gab sie dem Piloten. 504
„Cristobal nehmen Sie die MP und lassen sie keinen durch den Salon, sollten Sie diese Stellung nicht mehr halten können, dann kommen Sie hoch zur Brücke. Wenn Senedo uns wirklich haben will, dann muß er über die Wendeltreppe kommen und ich habe vor, ihm das schwer zu machen. Wir bringen jetzt Carmen aus der Schußlinie“ „Si, Señor, verlassen Sie sich auf mich“ „Ich weiß, daß Sie das schaffen werden“ Gerade als ich Carmen in den Armen hatte und auf den ersten Stufen nach oben war, zuckte ein Lichtblitz hinter der Badeplattform auf, der abermals von einigen Schreien begleitet wurde. Mister Randall hatte offenbar seine erste Runde spendiert und dabei einen Volltreffer gelandet, dann oben angekommen folgte eine erschütternde Explosion, deren Wucht im ganzen Schiffskörper zu spüren war. Das Feuer hatte offenbar den Weg zum Treibstoff des Speedbootes gefunden und dafür gesorgt, daß über die ganze Breite des Wassers brennende Wrackteile verteilt waren, die kleine lodernde Inseln darin bildeten. Nach dem ersten Schock setzte jedoch wieder das schwere MG der verbliebenen Terroristen ein, die sich aber vorerst aus der Wurfweite von Mister Randall hielten, der sie ausdauernd immer wieder versuchte, zu erreichen. Von der Brücke aus sah ich ihn neben dem Whirlpool liegen und nun zögern, da er offenbar nur noch zwei Flaschen von seiner Spezialmischung hatte und durch den Beschuß nicht mehr nach seinem Ziel suchen konnte. Anne verband Carmen und als jetzt Lilly mit leeren Händen erschien, begann ich auf das Deck zu kriechen, „He Boß, Fortunati kann das Wrack behalten, jetzt will ich es auch nicht mehr“ Lilly hatte wirklich Nerven, ich schüttelte nur mit dem Kopf und schob mich am Rand des Loches vorbei, „Ausgezeichneter Wurf, Mister Randall“ „Danke Sir, ich hoffe, das war für die Gentlemen da unten eine Erleuchtung“ Meine Mundwinkel gingen leicht nach oben, trockener englischer Humor im feuchten brasilianischen Dschungel, was es nicht alles gab, „Heben Sie sich die übrigen Flaschen gut auf, Mister Randall. Wenn die Kerle auf die Yacht wollen, dann kommen sie wieder von ganz alleine in ihre Nähe“ „Sir, ich werde diesen zutreffenden Gedanken bestimmt berücksichtigen“ Noch bevor ich den Rückweg antrat, sah ich, wie er schnell über die Bordwand sah und sich gleich wieder duckte, was sofort diese typischen, metallisch klingenden Geräusche von auftreffenden Geschossen nach sich zog, „Sehr mutig, Mister Randall“ „Fortes fortuna adiuvat – Die Tapferen unterstützt das Glück, Sir“ „Man sollte sich aber nicht nur auf sein Glück verlassen, jedenfalls nicht zu oft, Mister Randall“ Langsam kroch ich wieder auf die Brücke zu und hielt es für eine gute Idee, mit Absicht das Speedboot an das Heck herankommen zu lassen und in dem Moment, wo es genau an der Badeplattform war, dort mit unserer restlichen Munition festzunageln bis Mister Randall seine Bar mit der letzten Flasche schloß. Allerdings spielten die Terroristen dabei nicht mit, denn nun wurde das Sonnendeck hinter mir durch eine weitere Detonation erschüttert. Ich zuckte zusammen und begab mich sofort geduckt zurück und sah nun ein doppelt so großes Loch im Boden als zuvor, wodurch man nun 505
ohne Probleme eine zweite Treppe in den Salon einbauen konnte. Doch diese innenarchitektonische Frage interessierte mich nicht, vielmehr suchte ich nach unserem englischen Freund, der nicht mehr zu sehen war, „Mister Randall...? Randall?“ Keine Antwort, der waghalsige Mann schien seinen Mut teuer bezahlt zu haben. Eine weitere Granate explodierte unten im Salon und ich mußte mich abwenden, um dort nach dem rechten zu schauen. Hoffentlich war Cristobal vorher in Deckung gegangen, aber das Aufbellen seiner Waffe gab mir darauf eine Antwort, jedoch damit verschoß er auch die letzte Munition. Durch die neuentstandene Öffnung waren jetzt unten zwei Schatten im aufgewirbelten Staub zu sehen, von denen ich einen als Senedo identifizierte. Um sich ohne unsere Waffen überhaupt noch zur Wehr setzen zu können, gab es nur noch eine Möglichkeit, ich mußte im entscheidenden Augenblick durch das Loch springen und die beiden Männer solange in ein Handgemenge verwickeln bis Cristobal Avialo dazukommen konnte. So wartete ich und in dem Moment, wo beide Terroristen genau unter mir waren, sah ich neben mir in meinen Augenwinkeln etwas Helles vorbeifliegen und eine Stimme erklang aus dem Whirlpool, „Sir, verzeihen Sie meine kurzzeitige, mentale Abwesenheit, habe ich das Boot erwischt?“ Am Heck leuchtete es lodernd auf und ein Schrei erklang, „Ich glaube schon, Mister Randall“ Darauf sprang ich nach unten und riß beide Männer, die selbst noch durch das Feuer abgelenkt waren, in dem Moment bei meiner Landung mit um und für einige Sekunden waren wir alle ineinander verkeilt. Wie erwartet ließ das Eingreifen des Piloten nicht lange auf sich warten und er rammte mit voller Wucht den zweiten Mann, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte. Dabei bekamen beide soviel Schwung, daß sie über den Tresen der kleinen Schiffsbar flogen und komplett das Regal mit den Flaschen und Gläsern mit zu sich auf den Boden beförderten. Mir blieb Senedo, der gerade versuchte, an seine auf dem Boden liegende Waffe zu kommen, was aber meinerseits von einem Tritt in die Seite bestraft wurde. Er war ausgeruht und zu allem entschlossen, ich war müde und keuchte vor Anstrengung mit meinem schmerzverzerrten Gesicht, trotzdem spürte ich davon in diesem Augenblick nichts. Senedo rollte sich ab, bekam die Reste eines Stuhls in die Hand und fuchtelte damit vor mir herum. Offenbar wollte er mich nach hinten drängen, um so wieder seine MP in Reichweite zu bekommen, ich hingegen kam auch nicht heran ohne vorher von seinem Stuhlbein erwischt zu werden. Sein Angriff kam also nicht überraschend und ich wehrte den Schlag mit den Unterarmen ab, bekam aber dafür nun auch einen Tritt mit seinem Fuß, der aber durch die Verletzung ganz anders wirkte. Mir war nach einem Timeout, aber ich konnte jetzt nicht nachlassen, denn das wäre das Ende, also rappelte ich mich irgendwie wieder auf, jedoch reichte inzwischen die Zeit für ihn, um die Waffe zu greifen. Ich warf mich mit letzter Kraft gegen ihn, so daß wir draußen halb auf der Badeplattform landeten, wo die Holzteile schon teilweise brannten.
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Beide versuchten wir den anderen in die Flammen zu drücken, während unsere Hände zusammen die Maschinenpistole umklammerten, „Senedo... gib auf. Diaz ist tot, du hast keine Chance mehr“ „Ich weiß das, Idiot... der Smalltalk mit diesem Amyschwein über Funk war ja nicht zu überhören“ „Na also,... dann hast du doch alles mitbekommen“ „Das interessiert mich nicht, ich war im Dschungel unterwegs, um dich zu finden und... wo ich dich kalt mache, ist doch egal. So ein Schwein wie du... hat es verdient zu sterben“ Zu Bekräftigung seiner Worte schlug er mit seiner Faust in die Seite und rollte sich auf den Rücken, so daß ich jetzt über ihm, durch das gemeinsame Festhalten an der Waffe, zu liegen kam. Mühsam schaffte ich es zwar, damit seiner Bewegung zu folgen, jedoch reichte es nicht mehr, um selbst aktiv zu werden, so konnte ich auch nur noch registrieren, wie er die Beine anwinkelte, um mich jeden Moment über sich hinwegzuschleudern. Es war mir klar, daß ich dem Schwung nichts mehr entgegenzusetzen hatte und kaum mehr meine Hände an der MP festhalten konnte und plötzlich sah ich die Lösung. In den Sekundenbruchteilen, wo ich schon über Senedo schwebte, griff ich mit einer Hand zu seinem Kampfmesser am Schultergurt und zog es ohne Probleme durch die Bewegung nach hinten hinaus. Dann rollte ich ohne auf den Schmerz des Aufpralls zu achten ab und drehte mich sofort als meine Füße wieder den Boden zu spüren bekamen. Dort sah ich, wie Senedo schon dabei war, die Waffe nach oben zu reißen und genau in diesem Augenblick warf ich das Messer. Ich traf ihn unterhalb des Halses und geschockt stand er vor mir, doch die Verletzung war nicht tödlich und ich raffte mich noch einmal auf, um ein letztes Mal mit voller Wucht meinen Körper gegen ihn zu werfen. Er taumelte nach hinten auf die brennenden Plattform und stürzte rücklings ins Wasser. Völlig fertig kniete ich nun am Boden, hinter mir war es inzwischen ruhig und als ich mich umdrehte sah ich Cristobal Avialo, der offensichtlich weniger Probleme mit seinem Gegner hatte, wie er mit dessen angelegter Waffe auf die Plattform zielte. Allerdings fiel auch ihm das Sprechen etwas schwerer als sonst, „Entschuldigung,... Señor Kronau, ich war leider nicht schnell genug... um Ihnen zu helfen“ „Schon gut, Cristobal, machen Sie sich deshalb keine Sorgen, ich hatte doch alles im Griff“, dabei begann sich alles um mich zu drehen und ich fiel ohnmächtig nach vorne über. „Schatz, kannst du mir bitte den Reißverschluß zumachen“, Anne kam aus dem Schlafzimmer zu mir an den Schreibtisch in einem halboffen Kleid, das mich nicht unbedingt ans Anziehen denken ließ. „Sicher, wo haben wir denn das Problem?“ Sie drehte sich um und ich sah das Stück widerspenstige Technik, „Fertig“ „Ich danke dir vielmals. Sag mal, wann ziehst du dich eigentlich um, wir kommen sonst zu spät“, etwas unruhig sah sie nochmal auf die Uhr.
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„Keine Panik, wir sind erst in einer Stunde bei Stefano verabredet und Bernd hat auch schon angerufen, daß es bei den beiden noch etwas dauern wird, also sind wir ganz bestimmt nicht die letzten Gäste“ „Das wäre ja auch noch schöner, schließlich ist es deine Party und da verspätet man sich doch wirklich nicht. Irgendwie bin ich etwas nervös wegen deiner Freunde, in Caracas hatte ich vor der Fiesta nicht so ein mulmiges Gefühl“ „Kein Wunder, da hattest du auch noch Carmen bei dir und ihr habt auch die meiste Zeit miteinander verbracht. Ich war schon froh, daß du mich überhaupt noch erkannt hast“ „Ohhh,... das ist jetzt unfair, schließlich ist sie ja am nächsten Tag nach Mexiko zu ihrer Familie abgeflogen und da mußten wir eben noch miteinander sprechen, das verstehst du doch sicher. Außerdem haben wir hinterher noch ausgiebig geredet“ „Da verwechselst du etwas, mein Schatz, das war etwas anderes“, mein Grinsen sollte ihr Gedächtnis etwas auffrischen. „So? Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern“, dabei grinste sie nun. „Aua, das tat weh, du bist ein böses Mädchen“ „Ich weiß, so, nun muß ich mich fertigmachen“, schon war sie wieder verschwunden und ich fragte mich, wie sie Perfektion noch steigern wollte. Allerdings mußte ich das Nachdenken darüber einstellen als unerwarteterweise das Telefon klingelte und ich nur widerwillig nach dem Gerät griff, „Ja bitte?“ „Juten Abend, Krause hier“ „Mensch Björn, endlich meldest du dich auf meinen Anruf, ich wollte nur Bescheid sagen, daß wir wieder zurück sind“ „Zu spät für deine Vorsorge, bei mir liegt ein Memo von den Flughafenbehörden uff dem Schreibtisch von dreizehn Uhr, drei Minuten und zweiundzwanzig Sekunden, du verstehst?“ „Hmmm,... drei Minuten nach unserer Landung hier in Berlin, der ist aber ganz schön langsam, euer Verein. Sind zufällig auch die Telefone angezapft?“ „Nö, so wichtig bist du auch nicht mehr, außerdem würde ick kaum uff einer abjehörten Leitung anrufen“ „Das gefällt mir, aber solchen Typen wie dem Hofmeyer ist doch alles zuzutrauen, was macht eigentlich unser Aktmodell?“ „Det ist gut, det merke ick mir. In Gedanken heißt er bei mir nur Mister Löffelchen, du verstehst?“ „Ich kann mir schon denken, wie du darauf gekommen bist, und hat er Schwierigkeiten gemacht?“ „Arsch bleibt eben Arsch, da kannste wischen wie du willst. Er hat doch tatsächlich versucht, Doktor Breitenbach die Probleme mit den Amerikanern in die Schuhe zu schieben und stellte es so dar, als wenn er sich bei seinen Ermittlungen nicht an seine Anweisungen gehalten hätte. Zum Glück sind nur wenige Leute über die wahren Vorgänge eingeweiht und dem Minister wäre es wohl am liebsten, wenn die das nach dem Schließen der Akten auch noch vergessen würden, niemand möchte eben der CIA ihre Jubelfeiern durch schlechte Publicity versauen lassen. Deshalb interessiert es auch keinen Menschen, was Hofmeyer von sich gibt, sonst müßte ick unsere Trumpfkarte 508
ausspielen, was wahr ist, muß auch wahr bleiben. Außerdem muß ick dich noch vor ihm warnen, denn sicher wirst du in den nächsten Tagen noch mal Besuch von einigen Regierungsbeamten bekommen und die werden an dein Gedächtnis apellieren, den Speicher zu löschen, du verstehst?““ „Danke für den Tip, ich habe mir schon gedacht, daß die Angelegenheit mit den Befragungen in Brasilien noch nicht abgeschlossen ist, schließlich habe ich dort keinen deutschen Beamten gesehen, nur die CIA und jemanden aus Brasilia. Aber ich erzähle gerne noch ein letztes Mal von meinem versteckten Bericht über die Sache und dessen Veröffentlichung, wenn man uns irgendwie Schwierigkeiten machen will“ „Ick glaube, die Betonung liegt wirklich auf ‚letztes Mal’, denn hinterher soll niemand mehr etwas über die wahren Hintergrunde der Operation in Brasilien erfahren, also wird der Deal von Doktor Breitenbach bestehenbleiben, Tilgung der schwarzen Flecken in den Akten, gegen dein Schweigen. Das gleiche wird man auch deiner neuen ‚Mitbewohnerin’ anbieten und sie sollte auch darauf eingehen. Aber deshalb habe ick eigentlich nicht angerufen, hast du einen Moment Zeit damit ick vorbeikommen kann?“ „Hmmm,... sonst gerne, aber das paßt jetzt ganz schlecht, denn wir müssen in einer halben Stunde weg“ „Schon klar, ick bin auch in Eile, aber det wäre kein Problem, weil ick schon vor deiner Tür stehe“ „Was?! Na, wenn das so ist, dann komm doch hoch, du hättest ruhig gleich klingeln können – bis gleich“ Ich drückte den Knopf für den Türöffner und hörte wie der Fahrstuhl zuerst nach unten fahren mußte. „Gabriel, war das Lilly am Telefon gewesen?“, Anne rief aus dem Schlafzimmer und um nicht so laut antworten zu müssen, ging ich von der Eingangstür weg wieder ein Stück in den Flur. „Nein, sie hat nicht angerufen. In Australien ist es jetzt mitten in der Nacht und um die Zeit wird sie sicher mit Cristobal unterwegs sein, aber sie meldet sich ganz bestimmt, schließlich wollte sie ja nochmal herkommen, bevor sie sich in der Universität einschreibt“ „Hoffentlich weiß Lilly, was auf sie zukommt, ich frage mich gerade, wie sie überhaupt auf den Journalismus gekommen ist“ Glücklicherweise konnte Anne im Moment nicht mein Gesicht sehen, „Ich weiß das auch nicht!“ „He du dummer Kerl, nicht schwindeln,... ich finde es unheimlich nett, daß sich deine Freunde in Sydney ein wenig um sie kümmern und ihr dort eine kleine Wohnung besorgt haben. Ewig wird Cristobal dort auch keinen Urlaub machen können und dann wird man sehen, ob das mit den beiden hält“ „In ihrem Alter kann das auch schnell wechseln, aber solange sie zusammen glücklich sind, ist es doch in Ordnung“ „Ich hoffe, daß du aus dem Alter raus bist, sonst würde ich mir nach dieser Bemerkung einige Sorgen machen“ 509
„Das brauchst du nicht, es ist ganz selten, daß ich in eine infantile Phase zurückfalle und dann beschäftige ich mich lieber mit... warte es klopft. Das ist der Assistent von Doktor Breitenbach, ich habe dir doch von ihm erzählt, es dauert nur einen Moment“ Der Kopf von Björn Krause schaute schon etwas verunsichert durch die angelehnte Tür in den Flur, was verflog, als er mich sah, „Hi, ick will auch nicht lange stören“ „Komm ruhig herein, du störst nicht, willst du etwas trinken?“ „Nein danke, ick will lieber gleich zur Sache kommen. Diesen Brief hat Doktor Breitenbach an meine Privatadresse geschickt und mit der Anweisung versehen, ihn dir zu geben, wenn du heil wieder nach Hause kommst, anderenfalls sollte ick ihn ungelesen vernichten. Also werde ick jetzt seinen letzten Auftrag erfüllen, bitte!“, ich nahm den Brief entgegen und mir fielen sein letzten verstümmelten Worte wieder ein. „Danke, ich lese ihn morgen in aller Ruhe, wahrscheinlich würde sonst meine Stimmung heute leiden und das will ich niemanden antun“ „Ick verstehe, das würde ick wohl auch machen und ‚eilig’ steht ja auch nicht drauf, allerdings könnte ick wohl meine Neugier nicht zügeln, doch det ist ja zum Glück nicht mein Brief“ „Das ist richtig, aber weil du gerade hier bist, stimmt das wirklich mit Gondoni?“ „Ja leider, offensichtlich haben ihn die italienischen Behörden nicht mehr erwischt, nachdem er seinen Auftrag erledigt hatte. Nun wird er irgendwie untergetaucht sein, aber es sind genügend Geheimdienste auf ihn angesetzt, um den Mann doch noch zu schnappen. Jetzt wo die Lemuren zerschlagen worden sind, fehlt es ihm sowieso an Unterstützung und ick denke, er wird entweder bald gestellt werden, oder in einem Loch verkrochen, irgendwo auf seinen Tod warten“ „Das wäre sicher für alle Beteiligten die eleganteste Lösung und Anne könnte dieses Kapitel mit ihrem Vater endgültig abschließen. Ich hoffe nur sie schafft es auch so, obwohl dieses Thema für sie zum Glück erledigt scheint. Wie weit sind die Vorbereitungen für Paulo Fortunatis Prozeß?“ Björn Krause zuckte nur mit den Schultern, „Ick weiß det nicht genau, aber der Tod seines Vater hat ihn total fertiggemacht und es sieht so aus, als wenn er mehrmalig lebenslänglich bekommt. Dazu trägt auch sicher dieses blonde Modell bei, die als Kronzeugin aussagen wird und so selbst mit einem blauen Auge davonkommt“ „Wollen wir hoffen, daß Diana LeClaire ihre Lektion gelernt hat und mit Fortunatis Verurteilung ein großes Übel beseitigt wird“ Der junge Mann mit gegenüber begann zu grinsen, „Weil wir gerade bei einem großen Übel sind, muß ick dir noch etwas sagen, das wird sicher deine Stimmung heben wird. Du erinnerst dich doch sicher noch an die Uranidbakterien?“ „Natürlich erinnere ich mich daran, aber es hebt meine Stimmung nicht im geringsten, wenn ich an das Teufelszeug denke“ „Das wird es aber vielleicht noch, wenn du das erfährst, wat ick heute ‚zufällig’ aus dem uns übermittelten Dateien des CIA gezogen habe“ „Da bin ich aber gespannt, bei deiner Heimlichtuerei muß es wirklich etwas Gutes sein“ „Die Bakterien sind wertlos, das heißt die ganze Aufregung war völlig umsonst“, dabei stellte er sich vor mir auf, als wenn er persönlich dafür verantwortlich war. 510
„Wirklich?! Ich dachte, die Bakterien halten sich so lange Zeit in der Nähe einer Strahlungsquelle“, mich überraschte, was ich hörte. „Das ist richtig, aber der chinesische Professor dachte sich wohl, det er sowieso nicht lebend aus der Hand der Terroristen käme und da züchtete er irgendwelche harmlosen Erreger und vernichtete die Probe einfach“ Ich war erstaunt und beeindruckt zugleich, daß Professor Huyong Chi soviel Charakter zeigte und im Angesicht seines eigenen Schicksals so handelte, „Unglaublich und da sagt man immer, Wissenschaftler sind weltfremde Leute“ Björn begann zu lächeln, „Er gehört wohl nicht dazu und bei mir ist det auch so, denn ick bin noch verabredet, du verstehst! Nachher treffe ick mich mit einer süßen Schnecke und wir machen die Clubs unsicher, es ist auch ein wenig Ablenkung wegen Mittwoch, da sehen wir uns doch sicher?“, er wandte sich schon zur Tür und öffnete sie. „Natürlich werden wir zur Beisetzung des Doktors kommen, auch wenn der Anlaß nicht schön ist, um sich zu treffen, bis dann Björn“ Björn hob kurz die Hand und war dann schon im Fahrschstuhl verschwunden. „Gabriel, ist er schon wieder weg?“, Anne schaute aus dem Schlafzimmer und sah mich fragend an. „Ja, er mußte gleich wieder weg. Sieh mal, ich habe gerade den Brief vom Doc bekommen“ Sie zögerte etwas, „Und? Willst du ihn nicht öffnen“ „Ich weiß nicht, nachher steht etwas drin, was mich den ganzen Abend beschäftigt und dann denke ich immer daran. So wird das dann sicher kein schöner Abend“ „Ach hör doch auf, wenn du ihn nicht liest, dann denkst du eben deswegen an den Brief, dafür kenne ich dich schon zu gut. Komm, wir setzen uns auf die Couch“, dort lehnte sich Anne an mich und ich umfaßte sie, so daß wir beide die Zeilen lesen konnten. Lieber Kronau, ich sitze hier noch Nachts im Hause Ihres Freundes Juan Rubio und wir alle haben uns gerade gefreut, als der tüchtige Doktor Martinez mitteilte, daß sie bald wieder auf den Beinen sein werden. Nun ich weiß nicht, wie lange es noch dauert, bis sie wieder vollständig bei Bewußtsein sind und mich rufen meine Pflichten bald wieder, deshalb wende ich mich mit einer Bitte an Sie persönlich, für den Fall, daß ich nicht mehr lebend zurückkehren werde. Nicht, daß ich das vorhabe, aber die letzten Wochen haben gezeigt, wie unberechenbar die Wendungen des Lebens sein können und ich habe nun das Gefühl, in einem Punkt vorsorgen zu müssen, der mir am Herzen liegt. In einer ruhigen Minute habe ich ihnen von der Beziehung zu einer ganz besonderen Frau in meinem Leben erzählt und daß es leider nicht funktioniert hatte, wie wir uns das wünschten. Trotzdem wir nicht geheiratet hatten, blieb diese Verbindung nicht ganz ergebnislos und wie Sie sich sicher denken können, spreche ich von einem Kind, meinem Sohn Björn. Nun, da Sie die beeindruckende Kombinationsgabe haben, vermuten Sie auch jetzt richtig Kronau, es ist mein Assistent Herr Krause. Er weiß nichts von mir und nur durch Zufall habe ich erfahren, daß ihn seine Mutter in der Behörde untergebracht hat, 511
so nutzte ich die Chance, ihn etwas kennenzulernen ohne die Peinlichkeiten, die sich aus der Situation ergeben. Wenn dieser Brief Sie erreicht, habe ich keine Gelegenheit ihn selbst darüber aufzuklären und vielleicht ist es auch gar nicht so gut, aber ich würde Sie bitten, wenn er eines Tages fragen sollte, dann erzählen Sie ihm meine Sicht auf das, was damals geschehen war. Das bringt mich dann auch zum eigentlichen Kern meines Anliegens, denn ich würde es gerne sehen, wenn Sie vielleicht ein Auge auf ihn werfen, so daß er von jemanden lernen kann, dessen Mischung aus Mut und Besonnenheit, Wissen und Risiko mich sehr beeindruckt hat. Viele Leute reden nur und wenige sind in der Lage zu handeln, doch das ist es, was im Leben zählt und was einen anständigen Charakter von einem unanständigen unterscheidet. Ich möchte für meinen Sohn nur, daß er durch Sie den Unterschied erkennt, vielleicht eine Chance, die zuwenig Kinder durch das Vorbild ihrer Eltern bekommen und auch wenn ich selbst dafür nicht sorgen konnte, so will ich diese Schuld ein wenig damit abtragen. Für Ihr eigenes Leben hoffe ich, daß alles so eintrifft, wie Sie es sich wünschen, und es freut mich, daß ich dabei sein konnte wie ein Teil davon schon in Erfüllung ging, es ist schön Träume zu haben und noch schöner dafür zu kämpfen. Ihr Doktor Breitenbach Nach dem Lesen saßen wir stumm beieinander und mir war so, als hatte ich seine Stimme nochmal gehört, natürlich würde ich ihm seinen letzten Wunsch nicht abschlagen und ein wachsames Auge auf den jungen Mann werfen. Es war bestimmt schon mehr als eine halbe Stunde vergangen, bevor uns langsam wieder die Zeit ins Bewußtsein kam und ich war froh, mich nun unbelastet meinen Freunden widmen zu können. Anne hatte letztendlich doch recht behalten und ich war froh, daß ich auf ihren Rat gehört hatte. So half ich ihr in den Mantel und nahm die Schlüssel, als sie plötzlich an der Tür stehenblieb und sich zu mir umdrehte, um mir tief in die Augen zu schauen, „Ich wollte dir noch etwas wichtiges sagen – Ich liebe dich“
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