Alfred Bekker DIE JOSEFS-ÜBERLIEFERUNG
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Alfred Bekker DIE JOSEFS-ÜBERLIEFERUNG
1.Kontext und Aufbau der Josefsgeschichte
Die Josefs-Novelle gehört zum Komplex der Vätergeschichten von Genesis 12-50, die sich unter anderem dadurch auszeichnen, daß sie inhaltlich im Bereich der Familie oder Sippe bleiben. Darüber hinaus gehende historische oder politische Aspekte werden im Spiegel der Familiengeschichte gesehen. Die Vätergeschichten bewahren somit eine vorpolitische Epoche, was auch für die Beziehung Gott-Mensch gilt (vgl. Westermann 1990, S.12). Die Josefsnovelle schließt die Vätergeschichten ab und stellt eine Art Verbindungsglied zwischen ihnen und den Erzählungen der Exodus-Tradition beziehungsweise Familien- und Volksgeschichte dar. So wird der hebräische Begriff bne-jisrael sowohl mit 'Söhne Jakobs' als auch mit 'Volk Israel' übersetzt. Die Handlung der Josefs-Erzählung wird vor einem gesellschaftlichen Hintergrund entwickelt, in denen Großfamilie und Sippe die entscheidenden Instanzen sind, oberhalb derer
es keinerlei Autorität gibt. Das Königtum wird als Möglichkeit erwogen, stößt aber auf Widerstand: "Wie kann ein Bruder der Beherrscher seiner Brüder sein?" (vgl. Westermann 1990, S.12) Die Josefs-Novelle erzählt u.a. davon, wie die Sippe mit der "großen Welt" in Beziehung tritt (vgl. Westermann 1990, S.13). Den beiden Schauplätzen der Erzählung, dem Haus Jakobs und Ägypten, können die Abschnitte Väterzeit und Königtum in der Geschichte Israels zugeordnet werden (vgl. Westermann 1990, S.14). Der Blickwinkel ist dabei der des davididisch-salomonischen Großreichs, d.h. Jakobs Aufstieg und letztendliche Herrschaft wird bejaht. Die Paralellen zwischen den Aufstiegsgeschichten von Josef und David sind augenfällig. Coats (1976, S.8) ordnet die Endgestalt der Überlieferung folgendermaßen:
1.Exposition (Gen 37,1-4: Jakobs Vorliebe für Josef und ihre Manifestation im Geschenk des Ärmelrocks)
2.Complication (Gen 37,5-36: Josefs Träume und die Eifersucht der Brüder; der Mordplan der Brüder und Josefs Verkauf nach Ägypten; Jakobs Trauer)
3.Digression ("Abschweifung" - Gen 39-41: Josefs Anfänge in Ägypten;Josef im Gefängnis; die Träume des Pharao und Josefs Erhöhung zum Vizekönig)
4.Complication (Gen 42: Josefs erstes Wiedersehen mit seinen Brüdern)
5.Denouement ("Auflösung" - Gen 43-45: Die zweite Reise der Brüder nach Ägypten; Josef gibt sich zu erkennen und vergibt seinen Brüdern)
6.Conclusion ("Abschluß" - Gen 46-47,27: Übersiedlung Jakobs nach Ägypten; seine Audienz beim Pharao)
Nach der Exposition, die die Grundlagen des späteren Konfliktes benennt, geht der Friede (schalom = Wohlerge-
hen oder Heil auch im materiellen Sinn; vgl. van Oyen 1967,S.58) im Hause Jakobs verloren. Seine Wiederherstellung ist Ziel des göttlichen Planes und bildet den übergeordneten erzählerischen Bogen.Seitdem die Pentateuch-Kritik im allgemeinen in den Siebziger-Jahren in eine Krise ¾ kam (vgl.Otto 1977, S.82 ff.) hat sich dies auch in der Beurteilung der Josefsgeschichte niedergeschlagen. In der gegenwärtigen Forschung lassen sich im wesentlichen drei Hypothesen unterscheiden (vgl. Schweizer 1991, Bd.1, S.2): 1. Mit minimalen Ausnahmen ist der Text der Josefsgeschichte literarisch einheitlich. 2. Der biblische Text enthält eine Grunderzählung, die mit weiterem Material aufgefüllt wurde. 3. Es gibt zwei Josefsgeschichten in dem einen biblischen Text, weil nämlich zwei Versionen aus zwei verschiedenen Quellen nachträglich miteinander verbunden worden sind. In meiner Argumentation folge ich der dritten Hypothese und gehe (mit Scharbert 1986,S.237) davon aus, daß die im Vergleich zum Rest der Patriarchengeschichte größere Ähnlichkeit zwischen den Quellen J und E vor allem dadurch erklärbar ist, daß sie im wesentlichen dasselbe
Überlieferungsmaterial zu Grunde gelegt haben. Dies ergibt einen Sinn, weil alle beteiligten Quellenautoren erklären mußten, wie Jakob und seine Söhne nach Ägypten kamen, da sonst keine logische Verbindung zu ihren Darstellungen des Auszugs aus Ägypten bestanden hätte. J und E lassen sich deutlich unterscheiden und weisen auch unterschiedliche theologische Akzente auf, während P dem Pentateuch-Redaktor als chronologische Grundlage gedient hat (vgl. Scharbert ebenda).
Als Ursachen für den Ausbruch des Konflikts innerhalb der Jakob-Familie unterscheidet Frey (1964, S.19f.) menschliche Voraussetzungen des Konflikts (Gen
¾
37,2-4: Die Vorliebe Jakobs und das Geschenk des Ärmelrocks) sowie göttliche Voraussetzungen, worunter die Traumerzählungen aus Gen 37,5-11 fallen. Die Einleitung von Gen 37 läßt P zu Wort kommen. In Gen 37,2 wird über Josef gesagt, daß er 17 Jahre alt "also noch jung" war, was die Unbekümmertheit, in der er handelt, vielleicht entschuldigen soll. Die Altersangabe ist aber auch geeignet, die spätere gewalttätige Reaktion der Brüder auf Josefs
Herausgehobensein zusätzlich zu motivieren. Daß ein Erstgeborener vor dem Vater und vor Gott herausgehoben ist, hätten die Brüder vielleicht akzeptieren können, nicht aber die Erhöhung des kaum erwachsenen Zweitjüngsten, die einer Umkehr der traditionellen Geschwisterhierarchie gleichkommt. Josef hinterbringt dem Vater in Vers 2 den "schlechten Ruf" der Brüder (vgl. Ruppert 1965, S.31). Entsprechend seiner Tendenz, die Erzväter nach Möglichkeit untadelig dastehen zu lassen, läßt P den Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern nur mit den Söhnen von Jakobs Nebenfrauen Bilha und Silpa entstehen. Was den "schlechten Ruf" begründet, bleibt offen. Genauso bleibt offen, ob und inwieweit dieser "schlechte Ruf" überhaupt begründet ist und inwiefern Josef an seiner Enstehung beteiligt war (vgl. Ruppert 1965, S.31). In der Sicht von P dürfte es das zumindest unkluge Verhalten des "Jungen" Josef gewesen sein, daß die nachfolgenden Ereignisse einschließlich der Rache der Brüder nach sich zog. Mit Rücksicht auf den anderslautenden JE-Bericht wurde die P-Version vom Endredaktor jedoch ausgelassen (vgl. Ruppert 1965, S.32). In Gen 37,3 f. (aus J) erscheint dagegen der Vater als
derjenige, der handelt und dessen Handeln für das nachfolgende Zerwürfnis in der Familie verantwortlich ist. In Vers 3 heißt es: "Israel liebte Josef unter allen ¾ seinen Söhnen am meisten, weil er ihm noch im hohen Alter geboren worden war. Er ließ ihm einen Ärmelrock machen." Nicht die erwähnte Eltern-Vorliebe an sich, für die es im Alten Testament zahlreiche Paralellen gibt, bringt die Ereignisse ins Rollen, sondern erst deren Manifestierung in Form des Ärmelrocks. J sieht Josef als am entstehenden Konflikt unschuldiges Opfer an. Der Grund für den Haß der Brüder ist demnach einzig und allein im unklugen Verhalten Jakobs zu suchen, der durch das Geschenk des Ärmelrocks an seinen Lieblingssohn den kleinen Schritt "von der Vorliebe zum Vorziehen" (Westermann 1990,S.21) vollzieht. Die Konfliktlinie verläuft zwischen den Brüdern und Josef, der anstelle des für die Brüder unerreichbaren Vaters ihren Haß zu spüren bekommt. Geht man nach 2 Sam 13,18, so ist ein Ärmelrock das Gewand eines Königskindes (vgl. dazu auch Scharbert 1986, S.238). Josef bekommt damit die Rolle eines Prinzen, der sichtbar aus der Schar der anderen Söhne Jakobs herausgehoben und bevorzugt wird. Die Königsthematik,
die in den Träumen wieder aufgegriffen wird, ist hier bereits angedeutet. Es ist typisch für J, daß der Anlaß der Eltern-Vorliebe rein äußerlicher Art ist (so Ruppert 1965, S.33) und nicht "in den sittlichen Eigenschaften" desjenigen begründet liegt, dem diese Vorliebe zuteil wird. So wie Isaak Esau mehr liebt wegen dessen Wildpret (Gen 25,28 J), liebt Jakob Josef mehr, weil er ein "Sohn des Alters" ist (Gen 37,3). Ruppert (1965,S.33) erkennt das Motiv des prächtigen Gewandes als von J besonders beachtet. Der Ärmelrock wird in Vers 23,31-33 (aus J) von den Brüdern zerrissen, um anschließend im Blut eines Ziegenbocks getränkt zu werden. Und später berichtet J in Gen 41,42, wie Josef vom Pharao einen kostbaren Ersatz für den Ärmelrock bekommt.
¾
3.Die Träume (Gen 37,5-11)
Mit Gen 37,5, beginnt für Coats (1976,S.12) ein Strukturelement, daß er "Complication" nennt und das für ihn bis einschließlich Gen 37,36 reicht:"Die Midianiter aber verkauften Josef nach Ägypten an Potifar, einen Hofbeamten des Pharao, den Obersten der Leibwache."
Als Subelemente erkennt Coats (ebd.): 1.Zwei Traumberichte (Gen 37,5-11) 2.Eine Erzählung von Ereignissen, die zu einer grundlegenden Krise führen ( Gen 37,12-33) 3.Ein abschließendes Zwiegespräch, das Jakobs Klage einschließt (37,34-36). Josefs Traumerzählungen bilden neben dem Geschenk des Ärmelrocks eine zweite, selbständige Begründung für den Konflikt mit den Brüdern. Beide Begründungen sind durch einen redaktionellen Zusatz verklammert, der vom Haß der Brüder spricht und der sowohl am Ende von Vers 5 als auch von Vers 8 auftaucht (vgl. Westermann 1990, S.23). In der Josefsgeschichte spielen Träume eine zentrale Rolle. Sie sind dabei jeweils zu zweien angeordnet. Ruppert (1965, S.35) erkennt hier eine Vorliebe von E, dem auch die anderen Traumberichte der Josefsgeschichte zuzuordnen sind. Zwar wird nicht ausdrücklich gesagt, daß die Träume Offenbahrungen Gottes sind, aber der Blick auf den Gesamtzusammenhang der Josefs-Geschichte läßt den Schluß zu, daß sie von den Verfassern als von Gott kommend gesehen wurden (vgl. Ehrlich 1953, S.122). Bei den (späteren) Träumen des Pharaos ist dies zumindest in der
Sicht von E eindeutig (Gen 41,25.28.32 E; Zuschreibung nach Ruppert 1965, S.34). Die Träume Pharaos erfüllen sich ebenso, wie die Josefs. Auch sie sind daher als von Gott kommend zu interpretieren. Ruppert schreibt ¾ (1965, S.12): "Ebenso wie Ägypten nicht gerettet worden wäre, wenn Pharao seine Träume verschwiegen hätte, so wäre auch Josef nicht nach Ägypten gekommen und die Rettung der Brüder in Frage gestellt worden." Dies ist jedoch eine Sicht, die sich erst im Rückblick ergibt. Zunächst wird die Frage, inwieweit die Träume von Gott kommen, offengelassen (vgl.Westermann 1990, S.23), woraus die Erzählung einen Teil ihrer Spannung erhält. Der erste Traum, den Josef in Gen 37,6-7 in der Ich-Form erzählt, womit die Unmittelbarkeit des Traumerlebnisses unterstrichen wird, beschreibt Josef folgendermaßen: "Wir banden Garben mitten auf dem Feld. Meine Garbe richtete sich auf und blieb auch stehen, eure Garben umringten sie und neigten sich tief vor meiner Garbe." Die Deutung ist einleuchtend und liegt so sehr auf der Hand, daß sie keines Traumdeuters (wie z.B. die späteren Träume des Pharao) bedarf. Die sich neigenden Garben stehen für die Brüder, die hochaufgerichtete
Garbe in der Mitte für Josef. Das Kornmotiv soll möglicherweise bereits auf Josefs Agrarpolitik in Ägypten und den Grund für das erste Wiedersehen zwischen Josef und seinen Brüdern hinweisen. Der Bezug zu Gen 42,6 ist überdeutlich: "Josef verwaltete das Land. Er war es, der allen Leuten im Land Getreide verkaufte. So kamen Josefs Brüder und warfen sich vor ihm mit dem Gesicht zur Erde nieder." Die Brüder reagieren halb empört, halb ironisch. In Vers 8 heißt es: "Willst du etwa König über uns werden oder dich als Herr über uns aufspielen?" Der Paralellismus aus mlk (= König sein) und mschl (= herrschen) läßt diese Gegenfrage der Brüder aus dem Erzählfluß heraustreten und verdichtet sie zu einem "Ruf" (vgl. Westermann 1990, S.24). Das Ende von Vers 8 ("Und sie haßten ihn noch mehr
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wegen seiner Träume und seiner Worte.") knüpft dann an das Ende von Vers 4 an. Der zweite Traum (Gen 37,9) stellt gegenüber dem ersten eine Steigerung dar: "Er erzählte ihn seinen Brüdern und sagte: Ich träumte noch einmal: Die Sonne, der Mond und elf Sterne verneigten sich tief vor mir." Auch hier ist die Bedeutung unmittelbar erfaßbar. Außer den
Brüdern unterwerfen sich in diesem Traum auch Vater und Mutter Josef, womit die gesamte Familienhierarchie auf den Kopf gestellt wird. Jakob reagiert entsprechend empört in Gen 37,10: "Sollen wir vielleicht, ich, deine Mutter und deine Brüder, kommen und uns vor dir zur Erde niederwerfen?" Da die Träume als von Gott kommend interpretierbar sind (so z.B.Frey 1964, S.21 und Ruppert 1965, S.34) ist festzuhalten, daß der E-Erzähler Josef nicht für das Erzählen seiner Träume verantwortlich macht. Der eigentlich Verantwortliche für das, was den Brüdern wie Hochmut erscheinen muß, ist in der Gesamtperspektive der Josefserzählung gesehen, Gott. Jakob ist sich der Möglichkeit, daß Josefs Träume göttlicher Herkunft sind, offenbar bewußt. So heißt es in Gen 37,11: "Sein Vater aber vergaß die Sache nicht." Nach der damaligen Auffassung von der Bedeutung, die Träume haben, müssen jedoch auch die Brüder die Träume in ihrer Bedeutung erfaßt haben. In der Theologie von E hätten die Brüder das Erfaßte als Gottesspruch anerkennen müssen. Da sie darin aber nur verkappte Herrschsucht ihres Bruders sehen, handeln sie gegen besseres Wissen (vgl. Ruppert 1965, S. 34).
Die Brüder begehren gewissermaßen gegen den göttlichen Plan auf. Hier sieht E die eigentliche Konfliktlinie. Sie verläuft nicht so sehr zwischen Josef und den Brüdern, als vielmehr zwischen den Brüdern und Gott. Ursache des Konflikts ist damit in der Sicht von E das Aufbegehren der Brüder gegen Gottes Plan. Josef wird -ähnlich wie bei J - als unschuldig angesehen.
3.Josef wird von seinen Brüdern verkauft und steigt in Ägypten zum Hausverwalter des Potifar auf (Gen 37,12-36 und 39,1-6)
Mit Gen 37,12-17 folgt eine Überleitung mit der erzählerischen Funktion, Josef aus dem geschützten Bereich des Hauses Jakob herauszuholen, denn nur außerhalb von Jakobs schützendem Einfluß können sich Haß (J) und Eifersucht (E) der Brüder bahnbrechen und in eine Tat umgesetzt werden. In Gen 37,18-22 verabreden sich die Brüder zu ihrem geplanten Verbrechen. Die Gedanken der Brüder werden in einem Gespräch offenbahrt, das sie führen, während Josef sich nähert. Gen 37,20 läßt sie sagen: "Jetzt
aber auf! Erschlagen wir ihn, und werfen wir ihn in eine der Zisternen. Sagen wir, ein wildes Tier habe ihn gefressen. Dann werden wir ja sehen, was aus seinen Träumen wird." Ab Gen 37,21 (bis einschließlich 30) liegen zwei einander wiedersprechende Paralell-Überlieferungen vor (vgl. Scharbert 1986, S.240 und Ruppert 1965, S.37). Nach E wollen die Brüder Josef töten, aber Ruben kann dies dahingehend abmildern, daß man Josef nur in eine Zisterne wirft, aus der Ruben ihn später herauszuziehen hofft. Dann kommen midianitische Kaufleute, die aber ohne Wissen der Brüder Josef aus der Zisterne ziehen und nach Ägypten bringen. J berichtet anders. Auch nach dieser Quelle wollen die Brüder Josef töten, jedoch macht Juda den Vorschlag, ihn lieber einer Karawane von ismaelitischen Händlern, die auf dem Weg nach Ägypten sind, zu verkaufen.
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Nach E liegt die Begründung für den Mordplan darin, daß die Brüder Josef wegen seiner Träume hassen (Vers 5-11 E) Für sie ist Josef der 'Herr der Träume' (Vers 19), ein Ausdruck, der ironisch aufgefaßt werden kann, aber auch als Hinweis darauf, daß sie Josef in Wahrheit als einen erkennen, der dazu ermächtigt ist, weissagende
Träume zu empfangen und auszusprechen. Die Gegnerschaft der Brüder richtet sich in E nicht so sehr gegen Josef selbst, sondern gegen den Zukunftsentwurf Gottes, der in den Träumen sichtbar wird. Die Brüder lehnen sich gegen den göttlichen Plan auf, indem sie ihren eigenen dagegensetzen, der vorsieht, den "Herrn der Träume" umzubringen und in einer Zisterne verschwinden zu lassen, sowie dem Vater Josefs Tod durch ein wildes Tier zu erklären. "Es geht also weniger um die Brüder und Josef, als um die Brüder und Gott" (Ruppert 1965 S.37). In Vers 22 läßt E sich dem Plan der Brüder entgegenstellen. Er tut dies möglicherweise aus Menschlichkeit, vielleicht aber auch, weil er ein strenges göttliches Verbot vor Augen hat. (Als Indiz dafür wertet Ruppert 1965, S.38 die Unbedingtheit der Formulierung mit verneintem Imperativ). Nach dem Bundesbuch von E steht auf Mord die Todesstrafe (Ex 21,14). Anders dagegen bei dem J-Erzähler, der vermutlich nur einen kultischen Dekalog kennt (Ex 34,17-26). Daher läßt J Juda "wohl kaum aus Furcht vor der göttlichen Strafe" (Ruppert 1965, S.37) für Josef eintreten. Sein Beweggrund ist vielmehr das Erkennen eines Vorteils (Gen 37,26f.). Da der Haß der Brüder sich bei J stärker auf die Person richtet, wird
dieser stellvertretend an Josefs Ärmelrock ausgelassen (Vers 23). Das Prachtgewand wird in Ziegenblut getränkt und "zerrissen." Auch an einem weiteren Punkt setzen J und E unterschiedliche Akzente. J läßt die Brüder von sich aus so handeln, daß zumindest Josefs Leben gerettet wird. Dies¾ tun sie allerdings nicht um Josefs, sondern um ihrer selbst willen (siehe oben). Erst im Gesamtzusammenhang der Josefsgeschichte stellt sich dies als Teil göttlicher Führung dar. Anders bei E. Sowohl der Mordplan der Brüder als auch der Rettungsplan Rubens, der Josef später aus der Zisterne wieder herausziehen will, werden durch die 'zufällig' vorbeiziehenden Midianiter durchkreuzt. E versucht schon an dieser Stelle deutlich zu machen, daß "eine höhere Weisheit nicht nur durch die durch Ruben abgebogene Bosheit der Brüder, sondern auch die barmherzige Klugheit Rubens" in Dienst stellt (Ruppert 1965, S.39). So deutet der E-Erzähler mit Gen 37,36 ("Die Midianiter aber verkauften Josef nach Ägypten an Potifar, einen Hofbeamten des Pharao, den obersten der Leibwache.") an, daß es sich genau umgekehrt verhält, als die Ereignisse es zunächst vermuten lassen. Es
ist nicht der Plan der Brüder, Josef zu beseitigen, der geglückt ist, so wie diese glauben. (Zuschreibungen nach Ruppert 1965,S.40. Scharbert 1986,S.242 sieht in Vers 36 eine aus J und E kombinierte Überleitung des Redaktors zu Gen 39). In dem JE-Bericht aus Vers 31-36, der davon spricht, wie die Brüder Jakob gegenüber ihre mit Hilfe des zerrissenen und blutbefleckten Ärmelrocks verbergen und Jakob um seinen Sohn trauert, wird das Leitmotiv des Kleides (aus J) wieder aufgenommen. Im Verlauf der Überlieferung ist der Ärmelrock "das Geschenk der Vorliebe des Vaters - Zeichen des Darüber-Seins - der erste Gegenstand des tätlich werdenden Hasses - das vorgetäuschte Indiz" (vgl. Westermann 1990, S.31) und nimmt damit eine zentrale Rolle ein. In Vers 31 nehmen die Brüder Josefs Gewand und tauchen es in das Blut eines Ziegenbocks. Die Brüder täuschen mit einem gefälschten Beweisstück ihre Unschuld vor und so "scheint menschliche Weisheit die Ge-¾ rechtigkeit ausgeschaltet zu haben" (vgl. Ruppert 1965, S.40). Dies ist jedoch nur vorläufig der Fall.
Bei J ist gegenüber E die Trauer des Vaters stärker hervorgehoben (vgl. Ruppert 1965, S.40). Jakob läßt
sich nach J (Vers 34-35) auch nach langer Zeit nicht trösten und sagt in Vers 35b: "Ich will trauernd zu meinem Sohn in die Unterwelt hinabsteigen. So beweinte ihn sein Vater." Die besondere Trauer Jakobs entspricht der zuvor berichteten besonderen Vorliebe für seinen zweitjüngsten Sohn. Ruppert (ebd.) vermutet hier das Walten der Vergeltung und führt dafür folgende Argumente ins Feld: 1.besitzt die Josefsgeschichte starke Beziehungen zur Weisheit, in der der zweiseitige Vergeltungsglaube charakteristisch ist und 2. sah J als Ursache des Konfliktes ja auch das unbedachte Verhalten Vaters an, den er als mitschuldig betrachtet. So bezahlt Josef, indem er nicht mehr von seiner Trauer loskommt, für sein Verhalten, während J in den Versen 39,1-6 berichtet, wie Josef zur gleichen Zeit nach Ägypten gebracht und dort im Haus des Hofbeamten Potifar zum Hausverwalter aufsteigt. Vers 6: "Er ließ seinen ganzen Besitz in Josefs Hand und kümmerte sich, wenn Josef da war um nichts als nur um sein Essen." Josef ist wieder in eine realtiv bevorzugte Position gekommen, wenn diese auch nicht ganz vergleichbar ist mit
jener, die er im Hause Jakobs innegehabt hat. In Vers 2 wird eindeutig gesagt, daß göttliche Führung für Josefs Aufstieg verantlich ist: "Der Herr war mit Josef und so glückte ihm alles." Gottes Führung ist an dieser Stelle (gerade im Licht der Aufstiegsgeschichte Josefs in Ägypten) im Sinne eines Mit-Seins von Gott zu verstehen, das Voraussetzung¾ für Erfolg, Aufstieg, Glück und Versöhnung ist. Der übergeordnete Heilsplan der Erhaltung des Volkes Israel wird dagegen erst im Licht von Gen 50,20 deutlich: "Ihr habt Böses gegen mich im Sinn gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes im Sinn, um zu erreichen, was heute geschieht: viel Volk am Leben zu erhalten." Betrachtet man die Josefs-Novelle als Ganzheit, so ist Gen 39,1-6 so etwas wie die Mitte der Überlieferung. Die Dynamik aus Erhöhung (durch den Ärmelrock und die Verheißung in den Träumen), Erniedrigung (durch die Tat der Brüder) und erneuter Erhöhung (durch den Aufstieg im Hause Potifars) ist zum erstenmal abgeschlossen, um sich im folgenden noch einmal zu wiederholen, wobei sowohl Erniedrigung (Josef im Gefängnis) als auch Erhöhung (Josef als Vizekönig Ägyptens) gegenüber der ersten Sequenz eine
qualitative Steigerung darstellen.
COATS, George W.: From Canaan to Egypt - Structural and Theological Context for the Joseph Story; Washington,D.C. 1976 EHRLICH, E.L.: Der Traum im Alten Testament; BZAW 71 Berlin 1953 FREY, Hellmuth: Das Buch der Führung - Kapitel 36-50 des erstem Buches Mose; 4. Auflage Stuttgart 1964 NEUE JERUSALEMER BIBEL, 3.Auflage Freiburg i.Br.1985 OTTO, Eckart: Stehen wir vor einem Umbruch in der Pentateuchkritik? - in: Verkündigung und Forschung, Jahrgang 22, Heft 1/1977, S.82-97 RUPPERT, Lothar: Die Josephserzählung der Genesis - Ein Beitrag zur Theologie der Pentateuchquellen; München 1965 SCHARBERT, Josef: Genesis 12-50, Neue Echter Bibel Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung, 16.Lieferung; Würzburg 1986 VAN OYEN, Hendrik: Ethik des Alten Testaments; 1.Auflage Gütersloh 1967 WESTERMANN, Claus: Die Joseph-Erzählung - Elf Bibelarbeiten zu Genesis 37-50; Stuttgart 1990
(c) Alfred Bekker, Oktober 2000