Übergänge Texte und Studien zu Handlung, Sprache und Lebenswelt
herausgegeben von Richard Grathoff Bernhard Waldenfels
Band 16
Wolfgang Eßbach
Die Junghegelianer Soziologie einer Intellektuellengruppe
Wilhelm Fink Verlag
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Georg-August Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
ISBN 3-7705-2434-9 © 1988 Wilhelm Fink Verlag München Gesamtherstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn Umschlagentwurf; Heinz Dieter Mayer
Inhalt
Abkürzungen Einleitung ................................................................................................
11
1. 5. 6. 7. 8.
12 12 14 24 21
Fragestellung der Untersuchung............................................................. Geistige Tatsachen - gesellschaftliche Bedingungen............................. Soziologie der Intelligenz .................................................................. Übersicht über den Aufbau der Untersuchung .................................. Hinweise zum Umgang mit den Quellen...............................................
2. Zur Definition von Intellektuellengruppen im Kontext der vormärzlichen Gesellschaft ........................................................................................ 9. Publizistische Antizipationen ............................................................. 10. Hintergrund und Diskrepanzerfahrung................................................. 11. Übersicht über den junghegelianischen Gruppenzusammenhang . .
29 29 35 40
3. Methodologisch-theoretische Fragen .................................................. 12. Bemerkungen zur Gruppensoziologie.................................................... 13. Interaktionistischer und diskursanalytischer Zugang ......................... 14. Zum Problem heterologer Zugänge ....................................................
43 43 46 50
4. Forschungen zum Junghegelianismus....................................................
52
1. Philosophische Schule
.........................................................................
89
15. Zum Begriff >Schule<..............................................................................
89
16. Das Bündnis der Schule mit dem modernen Staat ..............................
99
17. Beamtete Intelligenz...............................................................................
103
18. Philosophen unter sich........................................................................... 19. Die Polemik........................................................................................... 20. Selbstdefinition der Schule.................................................................... 21. Aufgaben der Schule.............................................................................
108 110 112 116
22. Erwartungen..........................................................................................
117
23. Die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst............................
124
24. Positionenstreit und Schulspaltung ....................................................
131
5
5
II. Politische Partei .................................................................................
157
1. Politik als Schauspiel.............................................................................. a) Das Hegeische Erbe ........................................................................ b)Philosophischer Dialog als theatralische Politik..................................
157 157 161
2 Das Übergangsproblem ........................................................................
165
3. Die praktische Konsequenz bei Feuerbach und B. Bauer........................ a) Philosophie und Leben bei Feuerbach............................................... b)Philosophie ohne Fessel (Bruno Bauer) ...........................................
169 169 173
4. Zum Begriff politische Partei<..............................................................
177
5. Die Verfassungsfrage .......................................................................... a) Vom Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie ..................... b) Die Widersprüche des Konstitutionalismus....................................... c) Liberale Partei, radikale Partei........................................................... d) Demokratischer Monismus und Abschaffung des Staates..................
183 183 187 192 197
6. Die junghegelianische Partei und die liberale Opposition .................. a) Die Serenade für Theodor Welcker und das Verhältnis zum süddeutschen Liberalismus............................................. b) Berlin und Königsberg....................................................................... c) DieJungehelianerunddie>RheinischeZeitung<.................................
204 206 210 212
7. Die Spaltung der Partei ...................................................................... a) Vorspiel zur Spaltung: die >Freien<.................................................... b) Herweghs Reise .............................................................................
214 215 219
8. Stimmen von Zeitgenossen zum Scheitern der jungehegelianischen Partei.....................................................................
226
III. Journalistische Boheme ......................................................................
249
1 Beamtenkritik und Distribution der Vernunft
....................................
250
2 Pressefreiheit und Zensur........................................................................
256
3 Der Zensor als Partner Kommunikationsgemeinschaft und Politik .....................................
263
4 Theorie und Masse..................................................................................
270
5 Theorie statt Masse
.............................................................................
280
6 Das Treiben der Boheme .................................................................... a) Skandalpraxis..................................................................................... b) Literarische Darstellungen................................................................... c) Zum Begriff >Boheme< ......................................................................
290 290 295 302
6
7
Abkürzungen ADB AfS AKG ALZ An Annali Ath BM BW DJ DVjs EB EE EKZ GG GS Hg HJ HW HZ IRSH IWK
Allgemeine deutsche Biographie Archiv für Sozialgeschichte Archiv für Kulturgeschichte Allgemeine Literatur-Zeitung Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik Annali delT Istituto Giangiacomo Feltrinelli Athenäum Berliner Monatsschrift Briefwechsel Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst Deutsche Vierteljahrsschrift Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz Der Einzige und sein Eigentum von Max Stirner Evangelische Kirchen-Zeitung Geschichte und Gesellschaft Gesammelte Schriften Herausgeber Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst G.W.F. Hegel. Werke in zwanzig Bänden Historische Zeitschrift International Review of Social History Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung JG Jahrbücher der Gegenwart JWK Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik KISchr Kleinere Schriften von Max Stirner Korr Korrespondenz KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie LAZfB Leipziger Allgemeine Zeitung für Buchhandel und Bücherkunde LFB Ausgewählte Briefe von und an Ludwig Feuerbach LFW Ludwig Feuerbach Werke in sechs Bänden MEGA Karl Marx und Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe MEW Karl Marx und Friedrich Engels Werke NB Norddeutsche Blätter für Kritik, Literatur und Unterhaltung NDB Neue deutsche Biographie NZSyThRPh Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie RhZ Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe SA Sozialistische Aufsätze von Moses Heß SW Sämtliche Werke WD Das Westphälische Dampfboot
8
WVjs ZfG ZfP ZfRGG ZPsT
Wigands Vierteljahrsschrift Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie
Vorbemerkung zur Zitierweise Die Orthographie in älteren Zitaten wurde stillschweigend modernisiert. Hervorhebungen in Zitaten wurden - wenn nicht besonders vermerkt - aus dem Original übernommen. (!) ist eine Einfügung des Verfassers. Auslassungen im Zitat werden durch ( . . . ) gekennzeichnet. Zitierte Satzteile werden mit», oder «. abgeschlossen. Zitierte Sätze dagegen werden mit .« abgeschlossen. Erscheint ein Verfassername in Klammern gesetzt, so ist die entsprechende Schrift anonym erschienen. Die im Literaturverzeichnis als Primärliteratur aufgeführten Quellen und Quellensammlungen werden in den Anmerkungen zitiert: Autor, Kurztitel, ggf. Zeitschriften-Sigle und Bandangabe, Jahreszahl, Seitenangabe. Die im Literaturverzeichnis als Sekundärliteratur aufgeführten Arbeiten werden in den Anmerkungen zitiert: Autor (Jahreszahl) Seitenangabe.
9
Einleitung »L'esprit abhorre les groupements«. Für den Soziologen sind diese Worte Paul Valerys eine Herausforderung. Wem zur Gewohnheit geworden ist, menschliche Phänomene aus der Perspektive der sozialen Beziehungen zu analysieren, der fühlt sich gekränkt, ein so hoch geschätztes menschliches Vermögen wie >Fesprit< in einen unversöhnlichen Gegensatz zur Gegebenheit von sozialen Gruppen gesetzt zu sehen. Der Soziologe kann sich nun der Kränkung erwehren, indem er nachweist, daß gerade Valerys Diktum typisch sei für einen Intellektuellen, der die Beziehungen zu seiner Herkunftsschicht gelockert hat, der aber sein Credo der Unabhängigkeit von Gruppen bestimmten allgemeineren sozialen Verhältnissen verdankt, die es ihm erlauben, die Rolle eines Einzelgängers zu spielen und auszustatten. Erst dort, wo eine bestimmte soziale Form, nämlich Konkurrenz auf dem Gebiete des Geistigen, gegeben ist, hat dieser Intellektuellentyp eine Chance. Und zur Illustration dieses Sachverhaltes bedient sich auch A. v. Martin des Valéryschen Diktums.1 Es fehlte also nicht an Mitteln, den Einzelgänger Valery gleichsam soziologisch wieder einzufangen. Denn es handelt sich hier um eine Haltung, die Valery mit vielen anderen modernen Intellektuellen teilt, die ihrer Verachtung der Zwänge von Gruppen aller Art Ausdruck verleihen. Nach den sozialen Bedingungen von intellektuellen Produktionen zu fragen, diese Perspektive schließt zumindest eine Relativierung des Valeryschen Diktums ein. Aber der Dichter Valery hat seine Herausforderung durch einen eigenartigen Einsatz erhöht. Es sei daran erinnert, daß Valery nach der Publikation von »Une soiree avec Monsieur Teste« (1895), seine Position verstärkend, zwanzig Jahre als Dichter schwieg. Auch dies könnte ein Soziologe erklären und verstehen. Aber er müßte sich auf die Erfahrung einlassen, um die der Valerysche Text, der dem Schweigen vorangeht, sich zentriert: das Erschrecken vor »dieser ungeheuren Tätigkeit (. . .), die man intellektuellnennt«.2 Diese Arbeit handelt von einer Intellektuellengruppe, die gleichsam spiegelverkehrt das Valerysche Problem durchlebt hat. Auch diese Intellektuellen lösen sich von ihren Herkunftsschichten ab, aber sie wollen als Intellektuelle eine Gruppe bleiben und suchen nach einer sozialen Definition, einer Definition ihrer Beziehungen untereinander und ihrer Beziehungen >nach außen<. Im Unterschied zu Valery, der zwanzig Jahre als Dichter schwieg, haben sie mehr als sieben Jahre mit einem intellektuellen Aufwand und mit einer Intensität miteinander diskutiert, die in der Geschichte intellektueller Gruppenbildungen selten anzutreffen sind. L'esprit abhorre les groupements? Der Analyse der Intellektuellengruppe der Junghegelianer sei Valerys Diktum als Frage vorangestellt.
11
1. Fragestellung der Untersuchung a) Geistige Tatsachen - gesellschaftliche Bedingungen Soziologische Theorien halten verschiedene Möglichkeiten bereit, den Zusammenhang von >Geist< und sozialen Formen zu interpretieren. Daß ein Zusammenhang bestehen muß, steht für den Soziologen außer Frage. Er ist gleichsam professionell herausgefordert, wo ein nicht sozial vermittelter >Geist< sein Existenzrecht behaupten wollte. Gegen eine rein geisteswissenschaftliche Betrachtungsweise geistiger Tatsachen hat sich in der Soziologie - insbesondere unter dem Einfluß des Marxschen Ideologiebegriffs und der Mannheimschen Wissenssoziologie - als zentrale und spezifisch soziologische Fragestellung diejenige nach der sozio-ökonomischen und sozialen Bedingtheit geistiger Inhalte weitgehend durchgesetzt. In der Marxschen oder marxistisch inspirierten Ideologiekritik richtet sich der Blick darauf, welche sozialen Interessen sich in dem, was gedacht, gesagt und geschrieben wird, ausdrücken. Ideologiekritik hat es leicht, wenn sich das soziale Interesse unverhüllt zeigt, wenn etwa die Lebensinteressen und die Lebensformen einer Klasse verklärt, die der anderen Klasse mißachtet werden. Wo in den Ideen der Aristokratie die Verachtung bürgerlichen Geschäftssinnes, in den Ideen der Bürger die Legitimation des Privateigentums, in den Ideen der Arbeiter das Interesse an einer sozialen Reform oder Revolution sich ausspricht, hat der Ideologiekritiker keine theoretischen Probleme, weil hier seine Perspektive sich ungebrochen bewährt. Probleme entstehen in den Abweichungen. Der Adelige, der sich für die Not der Arbeiter interessiert, und der Arbeiter, dessen >objektives Interesse< in seinen Gedanken keinen Niederschlag findet, Gestalten, die ihre soziale Lage nicht erkennbar widerspiegeln - der grobschlächtige Ideologiekritiker wird sie marginalisieren, der differenziertere Ideologiekritiker wird sein Instrumentarium verfeinern müssen, um vielleicht doch Latentes zu entdecken, was auf ein soziales Interesse hinweist: vielleicht ein vorpolitisches, schüchternes Unbehagen des Arbeiters, Keime eines Klassenbewußtseins, oder eine Krise der sozialen Stellung bestimmter Adeliger, die den Horizont ihres festgefügten sozialen Interesses erweitert und sie befähigt, über ihren sozialen Schatten zu springen. Im Gegenzug zur marxistischen Ideologiekritik hat K. Mannheim in seinen wissenssoziologischen Arbeiten versucht, zwischen beiden Ebenen: soziale Trägerschaft und bestimmte Ideen, verschiedene umwegartige Vermittlungsinstanzen zu schieben. Das soziale Interesse, das Ideologiekritik entlarve, sei nicht die einzig mögliche Beziehung zwischen »geistigen Gehalten« und »sozialem Sein«. Vielmehr sei »das mittelbare Engagiertsein an bestimmte geistige Gehalte (. . .) die umfassendste Kategorie der Funktionalitätsbeziehungen zwischen geistigen Gehalten und sozialem Sein.«3 Zwischenglieder seien umfassendere Weltbilder, Denkstile, »geistige Schichten«, die eine relative Quasi-Autonomie besitzen. Der Preis der Mannheimschen Konstruktion, daraufhaben seine Kritiker hingewiesen, besteht darin, daß mit der Typisierung von Zwischengliedern beide Seiten, die es zu verbinden gilt, zunehmend verschwimmen: sozialstrukturelle Bestimmungen werden zu einer allgemeinen Seinsverbundenheit, und Ideen unterliegen einem
12
genereDen Ideologieverdacht, in dem die Differenz von Theorie und Ideologie nicht mehr auszumachen ist.4 Ideologiekritik und Wissenssoziologie, so sehr beide Ansätze sich auch befehden mögen, der Verdacht liegt nahe, daß hier theoretische Schwachstellen hin- und hergeschoben werden. Denn die Grenze der Ideologiekritik: der Fall, in dem ein soziales Interesse, das die Theorie als objektiv gegeben annimmt, nicht zu einem adäquaten bewußtseins- oder wissensmäßigen Ausdruck gelangt, - diesen Fall könnte der Wissenssoziologe erklären, indem er den Inadäquatheiten nachgehend die Brechungen und Verwerfungen von Weltbildern, Denkstilen und »geistigen Schichten« nachzeichnet. Allerdings reichte die Erklärung nur bis zur Grenze der Wissenssoziologie, eine allgemeine Seinsverbundenheit des Denkens zu umschreiben. Ideologiekritik und Wissenssoziologie gehen beide vom Gedanken einer letztinstanzlichen Homologie bzw. eines Parallelismus der sozialen Lage von Individuen und ihren geistigen Produktionen aus. Dieser Gedanke hat eine großartige Evidenz, der sich niemand leicht entziehen kann. Aber ebenso evident ist, daß die Beziehung von je spezifischer sozialer Lage, sobald sie ausdifferenzierter in den Blick gerät, und geistigen Tatsachen, sobald diese mit ihrer immanenten Mehrdimensionalität entfaltet werden, ein solches Maß an Überkomplexität gewinnt, daß sich der Gedanke einer letztinstanzlichen Homologie der sozialen Lage von Individuen und ihren geistigen Produktionen im Rahmen eines Forschungsprogramms kaum realisieren läßt. Erinnert sei an die Zweifel, die Th. Geiger gegenüber dem Homologieansatz in einem nachgelassenen Text geäußert hat. Zusammenhänge zwischen »Realbasis« und in Kollektiven vorherrschenden Denkweisen seien zwar aufweisbar, aber: »Soziologische Interpretation ist freilich vielfach gar zu flott im Aufweis von Entsprechungen. Das alles sind doch Verstehensversuche expost. Würde man - Hand aufs Herz! - ohne vorheriges Wissen um die Gleichzeitigkeit von Frühkapitalismus und Renaissance beide einander zuordnen und zusammendatieren? Würde, wenn die Kultur einer Zeit ganz anders ausgesehen hätte als es der Fall ist, unser Verständnis- und Deutungsdrang nicht auch hier plausible Entsprechungen aufdecken? Riecht das alles nicht ein bißchen nach Rationalisierung von Fakten - so etwa wie ein Historiker scherzhaft definiert hat: Geschichte ist die Wissenschaft, die hintennach beweisen kann, daß es kommen mußte, wie es wirklich kam.«3 Geigers Zweifel sind schwer von der Hand zu weisen, insbesondere wenn man daran denkt, daß die Tatsachen gesellschaftlicher und ökonomischer Abhängigkeit und Verflechtung sich so tief in das Bewußtsein des modernen Menschen eingeprägt haben, daß kaum noch eine Denkmöglichkeit zu bestehen scheint, dem Bann totaler Sozialvermitteltheit zu entgehen. Es ist allerdings die Frage zu stellen, wie lange sich die großartige Evidenz einer Homologie von sozialer Lage und geistigen Produktionen noch als tragfähig erweisen wird. F. Tenbrucks Urteil: »im ganzen hat die Soziologie niemals ein Verhältnis zu den geistigen Tatsachen des gesellschaftlichen Lebens gewonnen«6, ist sicher provokativ, aber es ist gerechtfertigt angesichts der kaum noch reflektierten Gewohnheit, die soziologische Perspektive gegenüber geistigen Tatsachen allein in der Frage nach ihrer sozialen Bedingtheit zu sehen. Für marxistische Theoretiker wie O. Negt und A. Kluge ist schon auf einer erkenntnistheoretischen Ebene der klassische Widerspiegelungsansatz nicht mehr
13
akzeptabel: »die Widerspiegelungstheorie wäre zutreffend, wenn wir davon ausgehen könnten, daß sowohl das Objekt wie das Subjekt eine fertige Gestalt gewonnen hätten. Davon aber kann geschichtlich keine Rede sein.«7 Rehabilitiert wird die »strikte Ungläubigkeit gegenüber der vorgeblichen Materialität der so beschaffenen Wirklichkeit«, und im »konsequenten Idealismus« entdecken sie ein »Protestpotential«, das es in den Marxismus einzubringen gelte.8 Das Modell eines Dualismus von sozialer Lage und Bewußtsein ist bei Negt und Kluge weitgehend aufgesprengt. Es gibt keinen zuverlässigen oder privilegierten sozialen Ort mehr für >richtiges< oder >falsches Bewußtsein^ erst in der Auflösung je definierter sozialer Lagen, d. h. an der »Konfrontationsstelle verschiedener Erfahrungsbereiche«9 besteht eine Chance für ein Ereignis von Bewußtseinsarbeit, das nicht auf Entsprechung beruht, sondern Nichtentsprechungen entspringt. Geistige Tatsachen - soziale Bedingungen, in dieser Arbeit versuche ich, mich ein Stück weit von dieser Vorlage zu entfernen. Sicherlich bleibt es eine Aufgabe, nach der sozialen Bedingtheit geistiger Tatsachen zu fragen, aber es kann sich nicht um die einzige Aufgabe handeln. Vor allem gilt es, deutlich zu machen, daß sich soziologisches Denken nicht in dieser einen Frage erschöpft, wenn es um eine Soziologie geistiger Produktionen geht. b) Soziologie der Intelligenz So relativ unangefochten sich der Homologieansatz in der Soziologie ausgebreitet hat, wo es um das Bewußtsein und die geistigen Produktionen sozialer Schichten oder Klassen geht, so kontrovers ist die Rede von der Homologie, wo es um diejenigen geht, die zur Intelligenzschicht gerechnet werden könnten. Gemäß der Entsprechungslogik ist auch der Soziologe als Teil der Intelligenz Ideenproduzent aus einer sozialen Lage heraus. Der selbstreflexiven Sogwirkung der Entsprechungslogik ist kaum zu entgehen. Wer mit Mannheim wissenssoziologisch jeder intellektuellen Äußerung qua Seinsverbundenheit Ideologiehaftigkeit zuspricht, muß dies traurige Los auch für seine eigenen Arbeiten auf sich nehmen. Wer umgekehrt auf der Trennung von Ideologie und wahrer Theorie insistiert, muß seine Wahrheit in sozialen Kontexten bewähren. Er hat zu entscheiden, wo er die Anerkennung seiner Wahrheit suchen will, und er muß einen gesellschaftlichen Kontext von Intelligenz mitreflektieren. »Es gibt keinen Selbstausweis des wahren Bewußtseins in seinem eigenen Element«, daran ist mit H. Plessner festzuhalten.10 Die selbstreflexive Sogwirkung kann gebremst werden, wenn es um die Rekonstruktion des Alltagswissens geht, an dem auch der Soziologe partizipiert. Aber auch A. Schütz trennt sorgsam zwischen der Selbstinterpretation innerhalb der sozialen Realität und der theoretischen und philosophischen Behandlung des Problems.11 Die Regeln, die innerhalb der Erkenntnisgemeinschaft wirksam sind, soziologisch zu reflektieren, ein derartiges Unternehmen bringt den, der es versucht, zwangsläufig in eine problematische Lage, weil er nicht mehr nur mit dem erwarteten ganzen Herzen Mitglied der Gemeinschaft ist, sondern diese zugleich mit ihrem Grund in Frage stellt. Die Reaktion von Teilen der Zunft auf den Mannheimschen totalen Ideologieverdacht könnte als ein soziologisches Exempel dafür dienen.
14
Mehr als die Frage nach dem Verhältnis von Ideologie und Wahrheit, die im Rahmen einer erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Debatte zu erörtern wäre, steht im Zentrum dieser Arbeit das Problem einer Soziologie der Intelligenz, die sich näher an einem abgrenzbaren historischen Phänomen orientiert. Aber auch die Soziologie der Intelligenz ist überschattet von der Frage, wie Intellektuelle in den Kontext der sozialen Interessen verschiedener größerer Gesellschaftsschichten oder Hassen zu stellen sind. Sind sie Ideologen oder Theoretiker einer Klasse oder sind sie eine eigene Schicht, deren kleine Interessen nicht in den großen sozialen Interessen aufgehen und die sich z. T. davon distanzieren? Auch diese Fragen sind von ihrem selbstreflexiven Bezug kaum zu trennen, und sie kristallisieren sich immer wieder um jene Intellektuelle, die in hohem Maße traditions- und stilbildend für die europäische Intelligenz gewesen sind. Ohne Zweifel sind hier an erster Stelle die italienischen Humanisten zu nennen. Nicht nur, weil es sich um die erste größere Gruppe gebildeter Laien seit der Antike handelt, sondern mehr noch, weil die hier ausgebildeten Formen einer intellektuellen Kultur mit dem Selbstbewußtsein der europäischen Intelligenz innig verwachsen sind. Aber die nobilitas literaria, welche sozialen Interessen könnte sie ausgedrückt haben? Ihre Verachtung zünftiger Handarbeit und der großbürgerlichen Fixierung auf den Reichtum, ihre nie ganz gesicherte Loyalität der politischen Herrschaft gegenüber - wenn sie etwas ausdrücken, war es nicht die Behauptung eines eigenen Interesses an Distanz zu sozialen Interessen?12 Oder war ihr Insistieren auf Tugend und Vernunft gegen ständische Herkunft tief verwoben mit dem Interesse der aufsteigenden bürgerlichen Klasse?13 Die ersten Intellektuellengruppe der Neuzeit, bestand sie aus Ideologen einer Klasse, oder ist sie jenem gesellschaftlichen Unort zuzurechnen, den Mannheim mit dem Begriff »freischwebend« umschrieben hat?14 Geht man den einschlägigen Forschungen in der Sache nach, so wird man Belege für beide Thesen finden. Aber es bleibt zu fragen, ob nicht trotz aller Relativierung und Abschwächungen, die die zugespitzten Thesen erfahren würden, wenn man die Ideen der humanistischen Intellektuellen genauer sozial verorten wollte, der soziologischen Analyse ein zentraler Gesichtspunkt verloren ginge. Diesen Gesichtspunkt findet man am ehesten, wenn man das berühmte Fresco von Raffael »Die Schule von Athen« (1509/10) betrachtet. (Vergleiche Abbildung)15 In unserem Zusammenhang interessiert nicht die Symbolik der 59 Gestalten, die verschiedene philosophische Orientierungen darstellen. Soziologisch bedeutsam ist zunächst, daß sie nicht als kompakte Menge dargestellt sind, sondern in einer Weise, daß einzelne Personen und Teil-Gruppen fließend ineinander übergehen. Was die Größe und Sorgfalt der Darstellung angeht, so hat jede Person ihre unvergleichlich individuellen Züge. Die Personen sind zwar symbolisch plaziert, aber ihre Bewegungen zeigen, daß sie nicht an ihre Plätze gefesselt sind, sie können einen anderen >Standpunkt< einnehmen, sich abwenden oder zuwenden. Die Skala der Tätigkeiten reicht von meditativer Versunkenheit über den beiläufigenSeitenblick, die distanzierte Beobachtung zur intensiven Lektüre und dem aufmerksamen Gespräch. Die Bewegungen der einzelnen Personen divergieren und konvergieren zugleich. Die Spannung der Szene findet keine eindeutige Auflösung, auch nicht in den bei-
15
16
den Figuren der Bildmitte, die Piaton und Aristoteles darstellen. Sie gehen Seite an Seite, harmonieren in den Gesten ihrer linken Hände, die ein Buch halten, und sie divergieren dramatisch in den Gesten ihrer rechten Hände: Piaton verweist auf den Himmel, Aristoteles über die Erde. Das Erkennen der himmlischen Vernunft und das Erkennen der Weltordnung - nicht durch hierarchische Setzung ist diese Alternative zu entscheiden, sondern nur im Dialog. Beide Protagonisten konkurrieren in einem buchstäblichen Sinne, sie gehen zusammen aus der vielleicht zeitlich zu deutenden Tiefe des Raumes in die Versammlung der Intellektuellen hinein und auf den Betrachter zu. Der Raum der Versammlung ist abgegrenzt und offen zugleich. Es ist ein eigener Raum, aber diesen Bildraum kann der Betrachter betreten, wenn er im Raum des Frescos in der Stanza della Segnatura sich der Szene zuwendet. Wenn man will, ist dieser Raum historisch und systematisch offen. Systematisch in der bildlichen Horizontalen, auf der die verschiedenen Intellektuellen synchron versammelt sind, und historisch in der bildlichen Vertikalen, die durch den Blick des Betrachters und die Schrittbewegung der Protagonisten gebildet wird. Man könnte nun ideologiekritisch die synchron versammelten Intellektuellen nach ihren unterschiedlichen Standpunkten gliedern und sie den sozialen Interessen attachieren, die außerhalb des Raumes in der städtischen Renaissancegesellschaft miteinander im Streit lagen. Man könnte auch wissenssoziologisch die verschiedenen »objektiv-geistigen Strukturzusammenhänge«, den Streit der verschiedenen »Weltwollungen« herausarbeiten, um Typen ihres »mittelbaren Engagiertseins« zu präzisieren.16 So legitim diese Perspektiven sind, es besteht die Gefahr, daß etwas soziologisch Naheliegendes übersehen wird: Raffaels Fresco zeigt schon eine soziale Situation, auch ohne daß die soziologische Perspektive erst umständlich von außen eingeführt werden müßte. Das Soziale von Intelligenz besteht nicht nur darin, daß sie eine gesellschaftliche Schicht, ob nun abhängig oder >freischwebend<, in Beziehung auf andere gesellschaftliche Schichten oder Klassen sind, sondern zuerst schon darin, daß sie gerade in ihrer für die europäische Geschichte stilbildendsten Epoche selbst >Gesellschaft< sind. Der sowjetische Historiker L. Batkin, dessen Renaissancebuch mir über die Interpretation von Raffaels >Schule von Athen< hinaus wichtige Anregungen für meine Arbeit gegeben hat, macht darauf aufmerksam, daß die humanistischen Intellektuellen schon deshalb keine »ideologische Gruppe« sein können, weil ihr Menschen unterschiedlicher ideologischer Anschauungen angehören. Batkin spricht von einer »kulturellen Gruppe«, deren soziale Leistungsfähigkeit darin bestand, daß sie die gesellschaftlichen Widersprüche »als eigene innere Widersprüche deutete«17. Sie bilden die gesellschaftlichen Interessen nicht einfach ab, wie dies Ideologiekritik und Wissenssoziologie im Kern nahelegen, sondern sie bilden eine soziale Situation, in der die gesellschaftlichen Widersprüche, die divergierenden sozialen Interessen in einer anderen Weise erscheinen und erscheinen müssen, weil die Versammlung der Intelligenz selbst eine soziale Tatsache ist. Die sozialen Interessen werden in der Gruppe nicht verdoppelt oder repräsentiert, auch nicht auf eine höhere Stufe gehoben, sondern der soziale Seite-an-Seite-Dialog der Intellektuellen mißt sich die zur Sprache kommenden Bedürfnisse, Interessen, Anschauungen und
17
Begründungen an. Als einzelne mögen sich die humanistischen Intellektuellen sozialen Interessen mehr oder weniger angepaßt haben. Aber als Gruppe haben sie soziale Interessen wie Seinsgebundenheiten aller Art ihrer spezifischen sozialen Interaktion angepaßt. Batkin formuliert treffend: die humanistische Intelligenz »versetzt die Gesellschaft in Erstaunen und in Bestürzung, weü sie nicht ihr >antwortet<, sondern sich selbst.«18 Der in dieser Arbeit gemachte Versuch einer soziologischen Analyse der Intellektuellengruppe der Junghegelianer orientiert sich methodisch in erster Linie daran, daß das >Soziale< von Intelligenz ausgehend von der Gegebenheit einer Gruppe von Intellektuellen untersucht wird. Ihren Ideen wird nicht vorab im Zusammenhang mit den großen sozialen Interessen von Gesellschaftsschichten oder Klassen nachgegangen, nicht eine makrosoziologische Perspektive bildet den Ausgangspunkt, sondern ich versuche in erster Linie, von dem kleineren sozialen Zusammenhang, den die Junghegelianer untereinander gebildet haben, auszugehen, um von dort aus zu analysieren, wie sie sich als Gruppe im Hinblick auf ihr gesellschaftliches Umfeld, auf gesellschaftliche Institutionen wie den Staat, auf soziale Bewegungen und soziale Interessen hin definiert haben. Diesen Ansatz kann man natürlich auf zahllose Intellektuellengruppen anwenden. Warum soll gerade die Gruppe der Junghegelianer zum Gegenstand einer Soziologie von Intellektuellengruppen gemacht werden? In der europäischen Geschichte sind zwar viele Intellektuellengruppen anzutreffen, aber sie sind nicht alle gleich >bedeutsam<. Ein wichtiges Auswahlkriterium ist, ob eine Intellektuellengruppe zu einem über ihre Zeit hinauswirkenden Bezugspunkt der Selbstreflexion der Intelligenz geworden ist oder sinnvollerweise gemacht werden kann. Für die italienischen Humanisten trifft dies ohne Zweifel zu. Der Stil und die Normen intellektuellen Umgangs untereinander, den sie erfunden haben, ist für die nachfolgenden Intellektuellengruppen über lange Zeit Muster und selbstreflexiver Bezugspunkt gewesen. Das humanistische Modell der intellektuellen Gruppenbildung hat Pate gestanden bei den Akademien und gelehrten Sozietäten, die im 16. und 17. Jahrhundert in Europa entstehen und die bis in das 18. Jahrhundert hinein zu den aktiven Elementen der entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit werden.19 In der revolutionären Epoche von 1789 bis 1848 verliert das humanistische Modell intellektueller Gruppenbildung seine Bindekraft. Neben der Vera-nobilitas-literaria-Idee, die noch einmal in Humboldts Universitätsreformideen ihren Ausdruck findet, macht sich auch eine breiter werdende Unzufriedenheit bei Intellektuellen mit dem traditionellen Sozietätsmodell der Intelligenz bemerkbar. Die Gruppe der Junghegelianer bewegt sich in diesem Übergangsstadium. Sie sind zunächst noch philosophische Schule, dem großen Muster von Raffaels >Schule von Athen< verpflichtet. Aber dieses Muster reicht ihnen nicht mehr, und sie beginnen, ihre soziale Situation als Gruppe umzudefinieren. In ihren Reihen kristallisieren sich die neuen Definitionen für das Verhältnis der Intelligenz zur eigenen Sozialität und der Gesellschaft >draußen<, neue Definitionen, die schon als Spektrum der modernen Intelligenz ankündigen: sei es der Typ des sich in den Massenbewegungen auflösen wollenden Intellektuellen, der Typ des randständigen, in subkulturellen Gruppen sich bewegenden Intellektuellen oder der Typ, der mit Paul Valery sagen würde: »L'esprit abhorre les groupements«. Diese >offene Lage< der Gruppe
18
der Junghegelianer in der historischen Entwicklung von Intellektuellengruppen rechtfertigt eine besondere Beschäftigung mit ihnen.20 Die Rede von der >offenen Lage< bedarf einiger Präzisierungen im Hinblick auf das Verhältnis geschichtswissenschaftlicher und soziologischer Zugangsweisen zu historischen Phänomenen. Die wissenschaftsgeschichtlich überlieferte Abgrenzung zwischen Soziologie und Geschichte, derzufolge im Sinne von Max Weber die Soziologie »Typenbegriffe« bildet und »generelle Regeln des Geschehens« sucht, die Geschichte dagegen »die kausale Analyse und Zurechnung individueller, kulturwichtiger Handlungen, Gebilde, Persönlichkeiten erstrebt«21, ist heute in mehrfacher Hinsicht kaum haltbar. Nicht nur hat die Geschichtsforschung in großem Maße, insbesondere im Bereich sozialgeschichtlicher Forschung, Typenbildung und generelle Geschehensregeln in der Weise in ihr Denken aufgenommen, daß sie mit historischen Typen arbeitet und im Hinblick auf über längere Zeiträume konstant bleibenden ökonomischen und sozialstrukturellen Gegebenheiten relativ generelle Geschehensregeln annimmt. Auf der anderen Seite ist dort, wo Soziologie über die Beschäftigung mit der Gegenwartsgesellschaft hinaus sich historischen Phänomenen zuwendet - insbesondere natürlich im Bereich mehr oder weniger marxistisch inspirierter Soziologie - die Tendenz zur Bildung von umstandslos auf alle historischen Epochen anzuwendenden Typen und Geschehensregeln insoweit gebrochen, als mit historischer Spezifität zumindest gerechnet wird. Aber trotz aller fruchtbaren Überlappungen von soziologischen Theorien der gesellschaftlichen Entwicklung und einer Geschichtsforschung, die sich als historische Sozialwissenschaft< versteht, ist das theoretische Problem, die Eigenart eines historischen Phänomens und die nur typisch zu fassende Regelhaftigkeit sozialen Geschehens in bestimmten Zeiträumen in eine Balance zu bringen, nicht verschwunden. Es ist ein Soziologie und Geschichtswissenschaft gemeinsames Problem geworden. Es muß aber auch darauf hingewiesen werden, daß insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten zwei Zugangsweisen zu historischen Phänomenen die Diskussion bestimmt haben, die beide dazu geeignet waren, den Gedanken an die Ereignisqualität historischer Phänomene an den Rand zu drängen. Zu nennen ist hier einmal die Perspektive der Kontinuität der geschichtlichen Entwicklung.22 Sie wird aus vielen Quellen gespeist: dem Entwicklungsgedanken der deutschen Klassik ebenso wie dem Bestreben, sich gerade der Kontinuität der deutschen Geschichte zu vergewissern. Auch die >kritische Geschichtswissenschaft zehrt von dieser Kontinuitätsperspektive, wenn sie sich durchhaltende obrigkeitsstaatliche und antidemokratische Traditionen freilegt. Zu nennen ist zum anderen die der Soziologie entstammende strukturanalytische Perspektive. Sie fragt vorrangig nach dem systematischen Charakter sozialen Geschehens und nach Funktionsbeziehungen zwischen ökonomischen, politischen und kulturellen Sektoren. Es ist gerade diese Perspektive gewesen, die für die Analyse historischer Phänomene bevorzugt genutzt wurde.23 Unter der doppelten Patenschaft von geschichtswissenschaftlicher Kontinuitätszentrierung und soziologischer Gesellschaftsstrukturanalyse ist wederPlatz für das Verständnis der Eigensinnigkeit historischer Phänomene noch für eine Soziologie des Ereignisses.
19
Die Rede von der >offenen Lage< zielt zum einen auf die Rehabilitierung der Eigensinnigkeit des historischen Phänomens der Junghegelianer, zum anderen verweist sie auf die in diesem Fall methodisch gegebene Chance, das Verhältnis von Typenbildung und Ereignis aus einem anderen Blickwinkel zu untersuchen. Die vorherrschende Perspektive, wonach soziologische Reflexion gerade vom historisch Einmaligen zu abstrahieren habe, mag ihren Sinn dort haben, wo es bloß darum geht, die chaotische Mannigfaltigkeit von historischem Geschehen ordnend zu bewältigen. Entscheidend für die Wahl dieses Einzelfalles, der Intellektuellengruppe der Junghegelianer, ist nun aber nicht gewesen, daß es sich um eine Erscheinung handelt, die in einem direkten Sinn repräsentativ oder exemplarisch für viele andere Intellektuellengruppen stehen könnte. Man wird auch noch einen Schritt weitergehen müssen und sagen: die Junghegelianer sind nicht nur nicht exemplarisch-repräsentativ zu betrachten, sie sind auch in einem gewissen Sinne eine untypische Intellektuellengruppe. Das Untypische der Junghegelianer ist darin zu sehen, daß diese Gruppe verschiedene Typen intellektueller Gruppenbildungen an sich selbst experimentiert. Das den Soziologen Herausfordernde an gerade dieser Gruppe ist, daß sie in untypischer Weise gleich mehrere zentrale Gruppentypen >repräsentiert<. Die Frage, um was für einen Gruppentypus es sich bei den Junghegelianern handelt, erhält in dieser Arbeit vier verschiedene Antworten: Die Junghegelianer sind eine philosophische Schule, eine politische Partei, eine journalistische Boheme und eine atheistische Sekte. Während man gemeinhin davon ausgeht, daß unter einen begrifflichen Typus verschiedene empirische Gruppen zu versammeln sind, haben wir es bei dieser Gruppe mit dem Phänomen zu tun, daß unter verschiedenen Typen eine Gruppe anzutreffen ist. Der sich anbietende verlegene Begriff >Mischtypus< ist viel zu ungenau, um den Sachverhalt zu treffen. Die Eigensinnigkeit des historischen Phänomens der Junghegelianer besteht gerade darin, daß sich in ihren Debatten und Aktionen Typisierungen herausbilden, die den spezifischen Rahmen von Selbstdefinitionsmöglichkeiten der Intelligenz in der Moderne umreißen. Die historisch >offene Lage< könnte so beschrieben werden, daß sie sich in den Zwischenräumen bewegt, die zwischen den Typisierungen liegen. Dabei sind die genannten vier Gruppentypen nicht Kategorien, die vom Forscher erst an die Gruppe herangetragen werden müßten, vielmehr hat die Gruppe selbst in ihren Diskussionen zu einem beträchtlichen Teil die Arbeit der Typendefinition geleistet. Und es handelt sich dabei um Typisierungen, die nicht zuletzt in die soziologische Begriffsbildung eingegangen sind. Soziologisch-historisch ist diese Arbeit in einem mehrfach verschränkten Sinne. Es handelt sich um die gruppensoziologische Analyse eines historischen Einzelfalles, dessen strategische Bedeutung darin besteht, daß in der Entwicklung dieser Gruppe soziologische Typen konturiert werden, denen als Definitionen für kollektive Verhaltensmöglichkeiten von Intelligenz in der Moderne eine systematische Bedeutung zukommt. Die Möglichkeiten einer kollektiven oder solitären Existenz moderner Intelligenz, die sie ausgelotet haben, das Spektrum der Konzeptuaüsierungen, das sie entworfen haben, kann als eine Enzyklopädie der Seinsweisen moderner Intelligenz
20
gelesen werden. Als eine besondere Gruppe haben die Junghegelianer Allgemeinheiten produziert, an die anzuschließen oder sie auszudifferenzieren, sie zu verwerfen oder apologetisch zu stärken sich Generationen von Intellektuellen nach 1848 bemüht haben. Die Problemlagen der staatsorientierten wie der antietatistischen Intellektuellen, der Bewegungsintellektuellen wie der einsamen Gestalten, die Problemlagen der ästhetisierenden wie der politisierenden Intelligenz von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu neuesten Linken und denen, die im Verdacht stehen, Verräter an irgendeiner guten Sache zu sein, finden sich mutatis mutandis in den Debatten der Junghegelianer wieder. Die Krise von Intelligenz in der revolutionären Epoche, die im Phänomen des Junghegelianismus gebündelt zu beobachten ist, wirkt bis in die Gegenwart hinein. Sie wird noch greifbar, wenn es darum geht, die Begriffe >Intelligenz< und >Intellektuelle< soziologisch sinnvoll zu definieren. In der Nachkriegs-Kontroverse zwischen Geiger und Schumpeter z. B. geht es im Kern darum, ob man mit Schumpeter den Begriff >Intellektueller< definiert als den eines sozialen Typus, der sich des geschriebenen und gesprochenen Wortes, ohne direkte Verantwortung für praktische Dinge, bedient, als irgendwo außerhalb stehender Zuschauer oder als ein sozialer Störfaktor,24 - oder ob man mit Geiger >Intellektuelle< definiert als jene, die im weitesten Sinne geistige Arbeit ausführen, sei es als Arzt, Ingenieur oder Richter, und hiervon kultursoziologisch jene >Intelligenz< unterscheidet, deren Angehörige zwar auch Intellektuelle sind, die aber in einem engeren Sinne »Schöpfer von Beständen der repräsentativen Kultur sind«, d. h. denen eine kreative gesellschaftliche Funktion< zukommt, die nicht in einer Rolle als >Störfaktor< aufgeht.25 Geigers Definitionsstrategie zielte darauf ab, den Begriff >Intellektueller< von seinem zweifelhaften Beigeschmack zu befreien, ein Beigeschmack, den Schumpeter ausspielt und der in der Krise der Intelligenz, die uns anhand der Gruppe der Junghegelianer beschäftigen wird, mitentstanden ist. Mit seinem Begriff von >Intelligenz< dagegen versuchte Geiger, unter dem Funktionsaspekt das Aufspringen von Dimensionen zu beruhigen, die als kreatives Potential in geistiger Arbeit liegen können. Die Ambivalenz des in der Soziologie verwendeten Intellektuellenbegriffs hat H. Schelsky auf die Formel gebracht: »Die Intellektuellen sind von den Selbstbehauptungsinteressen der Gesellschaft her gesehen funktional ebenso unentbehrlich wie gefährlich.«26 Schelskys umstrittene These von einer heute heraufziehenden priesterlichen Klassenherrschaft der Intellektuellen erinnert nicht nur in auffälliger Weise an die Ängste einiger Zeitgenossen der Junghegelianer, die von diesen ähnliches befürchteten. Die Junghegelianer selbst haben sich - wie zu zeigen sein wird am gegenseitigen Vorwurf, eine neue Religion zu verkünden, aufgetrieben. In diametralen Gegensatz zu Schelsky hat M. Foucault für die heutige Intelligenz das Verschwinden des Typs eines universellen Intellektuellen als eines allgemeinen Sinnvermittlers prognostiziert, gleichsam das Ende großer Weltdeutungen, die sich in prominenten Anwälten der Emanzipation des Menschengeschlechts verkörpern.27 Auch diese These erinnert an einen junghegelianischen Gestus, nämlich an die Rede vom Ende der Philosophie, das erreicht sei und zu neuen Orientierungen zwinge.
21
Die würdige, kreative Intelligenz im Sinne Geigers, der verdächtige Störfaktor Intelligenz im Sinne Schumpeters, die Priesterherrschaftsbestrebungen der Intellektuellen Schelskys und das Ende der universellen Intellektuellen Foucaults - sie alle reflektieren bis heute die Krise der Intelligenz, die seit der Irritation des humanistischen Modells intellektueller Selbstdefinition in der revolutionären Epoche aufgetreten ist. Die Junghegelianer, die beamtete Sinnvermittler werden wollen, aber zu Störfaktoren ihrer Gesellschaft geraten, die heute in einigen ihrer Gestalten als »Schöpfer von Beständen repräsentativer Kultur« anerkannt sind, einer Kultur freilich, die über ihr >posthistoire< rätselt, - die Junghegelianer, sie bündeln das moderne Problem der Definition von Intellektuellen und Intelligenz. Von ihnen gibt es kein Bild, das nach Maßstäben künstlerischer Qualität Raffaels >Schule von Athen< vergleichbar wäre. Überliefert ist lediglich eine karikaturistische Gelegenheitsskizze des jungen Friedrich Engels, die eine bestimmte Gruppensituation (10. 11. 1842) darstellt, auf die wir im Laufe der Arbeit noch zu sprechen kommen werden. An dieser Stelle interessiert der allgemeinere Inhalt der Szene und ihre inhaltliche Differenz zur »Schule von Athen<. (Vergleiche Abbildung)28 Der Raum ist keine feierlich-behagliche Halle, die von harmonischen Bögen begrenzt wird, sondern eine enge Weinstube in Berlin. Die Horizonte der Gruppe sind zweifach symbolisiert: das Eichhörnchen verweist auf den preußischen Kultusminister Eichhorn und damit auf den politischen Rahmen, in dem sich die Gruppe bewegen muß. Die Guillotine symbolisiert den >Terrorismus der Vernunft<, den Rahmen, den die Gruppe sich selbst gesetzt hat. Unter beiden Symbolen die Protagonisten der Szene: Arnold Rüge und Bruno Bauer. Sie gehen nicht, wie die Protagonisten bei Raffael, Seite an Seite in die Gruppe, sie gehen drohend einander entgegen. Ihre Gesten verweisen nicht sich kreuzend und ergänzend auf die himmlische Vernunft und die irdische Weltordnung, sie verweisen auch nicht auf die dargestellten Symbole, sondern ihre Gesten sind fast gleichartige Kampfgesten von Angriff und Abwehr. Ihre Schriften halten sie nicht mehr in den Händen, sie sind zu Boden gefallen, in einer Turbulenz des Aufbruchs, durch den Übergänge zu neuen Möglichkeiten der Vernunfterhaltung gewonnen werden sollen. •Zusammengefaßt lautet das Programm der vorliegenden Untersuchung: Angesichts der weithin anerkannten geistesgeschichtlichen Bedeutung der Junghegelianer und ihrer »offenen Lage< in der historischen Entwicklung von Intellektuellengruppen in Deutschland sollen soziologische Zugänge entwickelt und erprobt werden, die die traditionelle wissenssoziologische und ideologiekritische Vorlage (sozialstrukturelle Bedingtheit geistiger Tatsachen) zu überschreiten suchen. Die Junghegelianer werden als eine soziale Gruppe von Intellektuellen begriffen, die sich im Medium der Diskussion über das verständigt, was der Grund ihrer Gruppenexistenz ist. Die Diskussion wird methodisch als ein insularer Ereignisraum aufgefaßt, der Überraschungen birgt, die den Überraschungen, die die soziale Umwelt der Gruppe bereitet, in nichts nachstehen. Die Definitionen, die die Gruppe für ihre Existenz findet, verdanken sich ebenso der Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit der Umwelt wie sie Antworten auf ihre eigenen Fragen darstellen. In ihrem Streit, was es bedeutet, eine philosophische Schule, eine politische Partei, eine journalistische Boheme oder eine atheistische Sekte zu sein, entwirft und experimentiert die Gruppe mit den differenten Selbst-
22
23
deutungen zugleich differente gesellschaftliche Funktionen. Um gerade sie zu realisieren, bedarf es jedoch nicht nur günstiger sozialstruktureller und politischer Bedingungen, sondern zusätzlich des Zerfalls des insularen Ereignisraumes der Diskussion. Wo dieser Zerfall stattfindet, kann von einer kulturellen Gruppe im strengen Sinne nicht mehr gesprochen werden. c) Übersicht über den Aufbau der Untersuchung Zunächst einige Erläuterungen zu den Junghegelianern. In dieser Arbeit wird nicht das Gesamtfeld des Junghegelianismus untersucht, sondern ein bestimmter Ausschnitt. Die Untersuchung ist auf die preußischen Junghegelianer konzentriert. Auf die schwäbischen Junghegelianer,29 d. h. die Tübinger Philosophen Strauß, Vischer, Zeller, Schwegler wird nur dort eingegangen, wo ihre Beiträge für die Debatten der preußischen Junghegelianer von Bedeutung sind oder wo sie Urteile über diese abgegeben haben, die deren Probleme erhellen. Ausgeklammert werden die schweizerischen Junghegelianer,i0 d. h. radikale Intellektuelle wie Döleke, Standau und Marr, die die Diskussion der preußischen Junghegelianer rezipierten und in Fraktionskämpfe mit den schweizerischen Frühsozialisten verwickelt waren. Wenn in dieser Arbeit von den Junghegelianern gesprochen wird, so sind damit die preußischen Junghegelianer gemeint. In der Darstellung der Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit habe ich versucht, den >insularen< Aspekt der Gruppendiskussion, den Aspekt >Umwelt< der Gruppe und den Aspekt situationsübergreifender Reflexion der jeweiligen Gruppendefinitionen miteinander zu verzahnen. Die vier zentralen Gruppendefinitionen, die die Junghegelianer an sich ausprobieren: philosophische Schule, politische Partei, journalistische Boheme und atheistische Sekte werden in den Kapiteln I-FV systematisch getrennt voneinander untersucht. Innerhalb dieser vier Kapitel werden jeweils in einzelnen Abschnitten - übergreifende systematische und historische Zusammenhänge, die den jeweiligen Gruppentypus betreffen, diskutiert. - auf die die Gruppe umgebende soziale und politische >Landschaft< speziell in den Ausschnitten eingegangen, die für den Problemdruck von Bedeutung sind, der auf die Gruppe in Korrespondenz zu ihrer jeweiligen Definition zukommt, - die Verflechtung der Diskussion und die Modi der Selbstdeutung dargestellt und auf ihre sozialen Effekte für die Gruppe hin interpretiert. Für die Reihenfolge dieser Darstellungsebenen innerhalb der Kapitel waren jeweils kompositorische Gesichtspunkte ausschlaggebend, um den Leser angesichts der Verflechtung des Materials nicht mit unerquicklichen Redundanzen zu langweilen. Im zweiten Abschnitt der Einleitung erfolgt eine erste Annäherung an Probleme der junghegelianischen Gruppenbildung anhand der Frage, inwieweit in der vormärzlichen Gesellschaft in Deutschland bestimmte Gruppentypen für die Intelligenz gleichsam »in der Luft« liegen und in welchem Zusammenhang die publizistische Antizipation von Gruppenbildungen mit existierenden sozialen Verdichtungen steht. Eine orientierende Übersicht über die in diese Arbeit aufgenommenen Junghegelianer, über die lokalen Teilgruppen und aus Spaltungen hervorgegangene Brudergruppen schließt diesen Abschnitt ab.
24
Im dritten Abschnitt der Einleitung werden theoretische Präzisierungen zum Gruppenbegriff vorgenommen. Darüber hinaus werden ein interaktionistischer und ein diskursanalytischer Zugang für die Analyse diskutierender Gruppen skizziert und das theoretische Problem der Heterologie dieser beiden Ansätze erörtert. Im vierten Abschnitt der Einleitung gebe ich eine Übersicht über die bisherigen Forschungen zu einzelnen Junghegelianern und zum Gesamtkomplex des Junghegelianismus. Die Untersuchung bezieht sich - abgesehen von den Erörterungen, die soziologisch-historische Fragen zu einzelnen Gruppentypen betreffen - auf den kurzen Zeitraum von ca. sieben Jahren. Von 1838 bis 1845/46 hat ein junghegelianischer Gruppenzusammenhang bestanden, in dem die vier verschiedenen Selbstdefinitionen der Gruppe durchdiskutiert und experimentiert wurden. Die Reihenfolge der vier Kapitel dieser Untersuchung darf jedoch nicht einfach als >historische Entwicklung< mißverstanden werden. Zu diesem wichtigen Punkt sind einige Erläuterungen notwendig. Wollte man in einem klassisch historiographischen Sinne die Geschichte der Junghegelianer erzählen, so müßte man mit der philosophischen Schule und der atheistischen Sekte beginnen und die politische Partei und journalistische Boheme anschließen. Aber bei dieser Reihenfolge entstünden schon gravierende Verzerrungen. Die philosophische Schule bildet zwar einen Ausgangspunkt, auf den sich die Negationen, nicht mehr nur Philosoph sein zu wollen, sondern zur Praxis überzugehen, beziehen, aber im Übergang bleibt auch ein Kontinuum philosophischer Schulreflexion erhalten. Ebenso bildet der Streit um einen gemeinsamen Atheismus einen Ausgangspunkt, der jedoch die Gruppe nicht verlassen wird, sondern sie bis zu ihrem Ende begleitet. Die junghegelianischen Formeln von der Philosophie, die Partei ergreift, und der Philosophie, die zum blasphemischen Skandal ermutigt, weisen den Gruppendefinitionen politische Partei und journalistische Boheme jeweils eine zweite Stelle der Entwicklung zu. Aber untereinander sind sie austauschbar: sei es, daß die drohende Randständigkeit einer Bohemeexistenz den Übergang zur Partei herausfordert oder das Scheitern der Partei zur Boheme führt. Die Geschichte der Junghegelianer müßte, wollte man sie erzählen, als ein Ensemble von mehreren Entwicklungen in den Blick geraten, denn was diese Gruppe konstituiert, ist neben ihren Übergängen zugleich ein >vibrierendes< Feld von Simultaneitäten. Dieser Umstand bringt erhebliche Darstellungsprobleme mit sich, da es im Medium der Schrift nicht möglich ist, auf vier verschiedenen Monitoren vier >Gruppenprogramme< gleichzeitig abzuspielen. Mit der schließlich gewählten Reihenfolge der Darstellung der Gruppentypen wurde mehreren Gesichtspunkten Rechnung getragen. Die darin implizierten theoretischen Entscheidungen seien an dieser Stelle offengelegt. 1. Von den beiden sich anbietenden Ausgangspunkten wurde die philosophische Schule gewählt, weil sie in der Gruppe als ein unumstrittener Ausgangspunkt gilt. Auch nach dem Zerfall der Gruppe herrscht Einigkeit darüber, daß sie ihren Anfang als philosophische Schule genommen hat. 2. Der zweite Ausgangspunkt, die Frage nach einem gemeinsamen Atheismus, ist zwar ebenso wie die philosophische Schule vom Beginn bis zum Zerfall der
25
Gruppe gegenwärtig, aber es handelt sich um einen umstrittenen Ausgangspunkt. Das Problem, aus der Kritik der Religion eine gemeinsame Sache zu machen, ist der entscheidende Destabilisator der Gruppenbeziehungen. Daher steht die Darstellung der Gruppendefinition atheistische Sekte am Ende der Untersuchung. 1. Von den beiden möglichen Konsequenzen, die aus der Negation der philosophischen Schule gezogen werden, wird zuerst die politische Partei und anschließend die journalistische Boheme dargestellt. Maßgebend für diese Entscheidung ist die These, daß die kulturelle Gruppe der Junghegelianer strukturell politikunfähig gewesen ist. Sie haben zwar wichtige und traditionsbildende Szenarien von Politik entworfen, aber ihr Versuch, sich als politische Partei zu verhalten, ist nicht nur aus Gründen staatlicher Repression gescheitert. 2. Von dem Punkt des Scheiterns der Parteiversuche ausgehend wird die Gruppendefinition der journalistischen Boheme als ein Bündel von Konsequenzen diskutiert, unterhalb der politischen Ebene und in Verbindung mit einer Kritik der Politik die Verbreitung und die Existenz von >Geist< in der Gesellschaft zu sichern. Die Spaltung der Junghegelianer in sich befehdende Brudergruppen, die sich im politischen Bereich entzündet, erfährt ihre wesentlichen argumentativen Ausdeutungen im antipolitischen, politikkritischen Bereich der Frage nach einer massenhaften, minoritären oder solitären Existenz von Vernunft und Kritik in der Gesellschaft. Mit der gewählten Reihenfolge habe ich mich entschieden, aus dem Feld der Simultaneitäten einige Übergänge zu privilegieren. Zugleich stellt der Aufbau der Arbeit den Versuch dar, der eigentümlichen Kreisbewegung Rechnung zu tragen, in deren Bann die Junghegelianer trotz all ihrer »Fortschritte«, ihrer »Überwindungen« und ihrer »Konsequenzen«, die sie über alles geschätzt haben und von denen zu reden sie nicht aufhören, sich bewegten, solange sie einen Gruppenzusammenhang gebildet haben. Im Unterschied zu den vier Gruppendefinitionen bieten die zentralen geschichtlichen Erfahrungen der Gruppe eine Folge, die weniger kompliziert ist. Zu nennen sind: 3. Die Erwartung des Jahres 1840 und die Enttäuschung über die Politik des neuen Königs Friedrich Wilhelm IV., die mit der Entlassung Bruno Bauers aus der Universität 1842 besiegelt wird. Der Umgang der Gruppe mit diesen Erfahrungen ist in das Kapitel »Philosophische Schule« aufgenommen. 4. Das Scheitern der junghegelianischen Parteiversuche, das sich zur Jahreswende 1842/43 abzeichnet, bildet den Abschluß des Kapitels »Politische Partei«. 5. Die Erfahrung der Zeitungsverbote 1843, die Enttäuschung über die politischen Möglichkeiten in Deutschland und ihre Aufarbeitungsformen werden im Zusammenhang des Kapitels »Journalistische Boheme« diskutiert. 6. Die Konfrontation der Junghegelianer mit den religiösen Bewegungen des Vormärz, die in den Jahren 1844/45 kulminieren, wird im Zusammenhang des Kapitels »Atheistische Sekte« erörtert. Die Reihe der geschichtlichen Erfahrungen der Gruppe geht somit als ein erzählerisches Band in die Darstellung der Kapitel ein, die sich in der Hauptsachenach den Konturierungserfordernissen der jeweiligen Gruppendefinition richtet.
26
d) Hinweise zum Umgang mit den Quellen Aus dem bisher Gesagten ergeben sich Konsequenzen für die Vorgehensweise dieser Arbeit. Wo es etwa um die soziologische Analyse größerer historischer Zeiträume geht, kann und muß sich der Soziologe in weiten Strecken auf die historische Forschung beziehen, und nur in der geringeren Zahl der Fälle wird er historische Quellen selbst aufarbeiten. Im Falle dieser Arbeit war ein eigenes historisches Quellenstudium unersetzlich. Es galt, das zu sichern, was man den ersten soziologischen Blick auf das Material nennen kann. Wie in dieser Intellektuellengruppe interagiert wurde, wie sie ihren Diskurs entgrenzt und begrenzt haben, dies wird oft an Stellen deutlich, die für die Ideengeschichte wie für Historiographie, weil sie etwas anderes suchen, unbedeutend sind. Die Gruppendefinitionen, die in dieser Gruppe diskutiert werden, finden sich nicht schon separiert in der Weise in den Quellen, daß sie unter einer Rubrik >innere Angelegenheiten< der Gruppe aufzufinden wären. Vielmehr sind sie eng verzahnt mit dem, was man die Sachdiskussion der Gruppe nennen kann. Hauptquellen dieser Arbeit sind die junghegelianischen Schriften, ihre Bücher, Broschüren und Zeitschriften. Mit ihnen stellt sich die Gruppe nach außen dar, und zugleich markieren die einzlnen Gruppenmitglieder ihren Beitrag für die Gruppe, indem sie etwas vorlegen. Die Briefe, die sie untereinander gewechselt haben, geben darüber hinaus zusätzliche Hinweise etwa auf Weichenstellungen der Diskussion und auf Sympathien und Antipathien untereinander. Zu den Quellen, die mitherangezogen wurden, gehören auch Urteile von Zeitgenossen über die Gruppe, die dann besonders wertvoll sind, wenn sie aus einer erkennbaren Nähe heraus abgegeben werden. Von den mündlichen Diskussionen ist zum Teil überliefert, wo und wann sie regelmäßig stattgefunden haben und wie die Zeugen das >Klima< oder den >Ton< junghegelianischer Debatten erlebt haben. Noch zu Zeiten der Existenz der Gruppe sind die Junghegelianer Gegenstand zeitgenössischer literarischer Darstellungen geworden. Auf der Basis dieses Quellenmaterials wird der Versuch unternommen, die Gruppendiskussion und die Transformationen der Selbstdefinition der Gruppe zu rekonstruieren. Es handelt sich um eine von mir vorgenommene Rekonstruktion, weil Diskussionsprotokolle nicht überliefert sind. Ich behandle die junghegelianischen Texte gleichsam als archäologische Reste, aus denen die Debatte wieder zusammengesetzt wird. Die Theorien und Thesen der Junghegelianer interpretiere ich, indem ich vorrangig nach dem Diskussionswert einer argumentativen Folge frage, d. h. nach den möglichen Verwendungen im Kontext der Gruppendiskussion. Eine These z. B. über die Aufgabe der Philosophie oder über die Form des Staates oder über das Wesen der Religion analysiere ich nicht primär unter der Perspektive einer Adäquanz von Wörtern und Gegenständen, sondern unter der Perspektive, wie diese These die Gruppenbeziehungen und Gruppendefinitionen verändern oder determinieren würde, wenn sie unwidersprochen bliebe oder wenn sie eine spezifische Korrektur oder Widerlegung erfahren würde - kurz: ich frage danach, wie die Gruppe als ein soziales Phänomen mit ihren Thesen leben kann. Mein Bestreben ist, die Gruppe von einem Standort zu betrachten, der innerhalb der Gruppe liegt, weil erst von einem derartigen Punkt aus eine sinnverstehende
27
Kommunikation mit dem Gegenstand, der in den Humanwissenschaften ein Gegenspieler ist, denkbar ist. Daß solches Sichversetzen in eine vergangene Situation möglich ist, beruht auf der menschlichen Fähigkeit zur Empathie. Ob ich nun, an die phänomenologische Tradition anknüpfend, >Intersubjektivität< als kulturell und zeitlich nicht beschränkte Gegebenheit annehme, die es mir ermöglicht, die Welt »mit den Augen des andern« zu sehen, 31 oder ob ich mit Gadamer historisches Sinnverstehen als Verschmelzung von historischen Horizonten mit dem der Gegenwart begreife32 - ohne eine methodisch kontrollierte Empathie sind Aussagen über Denken und Handeln von geschichtlichen Individuen nicht möglich. Kontrolliert wird dieses >Sich-Versetzen< durch zwei Bewegungen. Einmal gilt es, die »imaginative Selbstübertragung«33 zu fördern, indem soziologische Phantasie dort dem Gegenspieler/Gegenstand zuarbeitet, wo er sich >spröde< zeigt. Zum anderen fordert die Kommunikation mit gegenspielerischem Material den Forscher auf, seine Tendenz zu überwältigenden Kommentaren zu bremsen. Er muß seinem >Partner< auch die Chance geben, selbst zu Wort zu kommen. Die Aufnahme von historischen Zeugnissen in den eigenen Text geht - darauf muß gerade im Zusammenhang dieser Arbeit hingewiesen werden - nicht auf in der Funktion, als Belege für die eigenen Thesen zu gelten. Das historische Zeugnis, so sehr es auch >herangezogen< wird, verweist immer auch noch auf andere Kommunikationsmöglichkeiten als die gerade von mir intendierten. Schon von kleineren Formulierungen, mehr noch von mittleren Sequenzen junghegelianischer Texte, die als Belege >dienen< sollen, geht eine eigenartige Wirkung aus, die zu umfassenden Antworten auffordert. Das Gefühl, zur junghegelianischen Rede nicht selbst alles dazugesagt zu haben, was nötig wäre, hat mich beim Schreiben dieser Arbeit selten verlassen. Das generelle Problem des Umgangs mit der Tendenz, das Material kommentierend zu überwältigen, stellt sich besonders scharf, wo es sich um eine intensive Gruppendiskussion handelt, die untersucht wird. Eine Arbeit über die Junghegelianer, in der nicht vom Ansatz her auch immer die Rede- und Streitlust dieser Gruppe mitdokumentiert würde, liefe Gefahr, ihren Gegenstand zu verfehlen. Auf der anderen Seite ist vermehrt soziologische Phantasie dort vonnöten, wo es um ein imaginäres Entwerfen von Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten der Gruppe angesichts eines selbsterzeugten oder von außen einwirkenden Problemdrucks geht. Die Gruppe von einem Standpunkt zu betrachten, der innerhalb der Gruppe liegt, diese Perspektive muß sich der Grenzen bewußt werden, die der >insulare< Aspekt mit sich bringt. Zwar gleicht die Gruppe einer Reisegesellschaft, die sich mit ihren Ausrüstungen auf den Weg macht, aber von dem Gelände, das sie durchquert, hat der heutige Forscher eine andere Ansicht als die historische Gruppe. Er kann zwar mitverfolgen, wie die Gruppe auf die Überraschungen reagiert, die ihnen die Geschichte bereitet hat, er kann mitempfinden, wo ihre hochfliegenden Pläne scheitern, er kann die Not ermessen, die ihnen die Modifikationen ihres Gruppenselbstverständnisses bereitet hat, aber der Forscher kann nicht davon abstrahieren, daß er den Ausgang kennt. Die Erklärungen, die er für das Geschehen findet, die strukturellen Zusammenhänge, die er beschreibt, überschreiten die Selbstreflexion der Zeitgenossen.
28
2. Zur Definition von Intellektuellengruppen im Kontext der vormärzlichen Gesellschaft a) Publizistische Antizipationen Im Juni 1842 erscheint in der >Königsberger Zeitung< eine Berliner Korrespondenz, die von der bevorstehenden Gründung eines Vereins der »Freien« in Berlin berichtet. Es habe sich eine bedeutende Anzahl von Männern zusammengefunden, »die alle mit der neuesten philosophischen Bewegung fortgeschritten« seien. Die »Freien« wollten eine ähnliche Tendenz wie der »holsteinische Philaleten-Verein« vertreten. Es handele sich darum, »die Grundüberzeugung der modernen Philosophie, einesteils, daß alle angeblichen Offenbarungen, aufweiche sich die positiven Religionen berufen, erdichtet seien, andernteils, daß der menschliche Geist allein im Stande ist, uns in Beziehung auf übersinnliche Gegenstände die richtige Belehrung zu verschaffen - diese Überzeugung aus der begrenzten Sphäre der Wissenschaft auch in die weiteren Kreise des Lebens einzuführen und daselbst geltend zu machen.« Der Verein verwerfe die Bibel als Quelle der Wahrheit, kein bestimmtes Glaubensbekenntnis werde an die Stelle der Tradition gesetzt, keine positiven Glaubenssätze aufgestellt, »einzig und allein die Autonomie des Geistes als Fahne« erhoben. Während die »Philaleten« sich bloß innerlich von der Kirche lossagen wollten, sei der Berliner Verein der »Freien« jedoch entschlossen, »von Anfang an entschiedener hervorzutreten.« Man beabsichtige als ersten Schritt, den »Austritt aus der Kirche öffentlich und mit Namensunterschrift aller seiner Mitgleider zu erklären.« Überlieferungen, »die ihnen längst fremd geworden«, seien »öffentlich zu desavouiren«. Man wolle sich Verpflichtungen entziehen, die man mit guten Gewissen nicht erfüllen könne, »bloßes passives Verhalten« nähre den »Verdacht der Heuchelei«, den man um jeden Preis vermeiden wolle, »die Parteien müßten sich jetzt bestimmt gruppieren«.34
Die Nachricht über den geplanten Verein der »Freien« gibt eine erste Auskunft über die Muster von Gruppendefinitionen, die im vormärzlichen Deutschland >in der Luft liegen<: es ist die Rede von »Bewegung«, »Verein« und »Partei«, Vergleiche zu geheimen Gesellschaften werden gezogen und dagegen öffentliche Demonstration, die in der Nähe des Skandals liegt, befürwortet, auf philosophische Zirkel wird angespielt, die sich als eine atheistische Gruppe bekennen wollen. Bevor wir jedoch diesem Problembündel nachgehen, muß daran erinnert werden, daß sich die Nachricht über den geplanten Verein der »Freien« rasch als eine Falschmeldung herausstellte. Bruno Bauer wird die »Freien« später »das Gespenst jenes Jahres« (1842) nennen.35 Wurde in Berlin tatsächlich der Versuch einer Vereinsgründung unternommen? Ist die Nachricht eine gezielte oder vorlaute Indiskretion gewesen? Die Idee eines öffentlichen Austritts aus der Kirche taucht schon Anfang des Jahres in der junghegelianischen Presse auf. 36 Wurde die Vereinsgründung wegen der heftigen Pressediskussion und aus Rücksicht auf mögliche Bündnispartner wieder abgeblasen? Oder handelte es sich um eine erfundene Denunziation, vielleicht gar nur um eine Zeitungsente? Wir wissen es bis heute nicht, die Junghegelianerforschung ist auf Spekulationen verwiesen.37 Greifbarer ist der publizistische Diskurs, der sich um die »Freien« bildet. Ein Korrespondent der >Leipziger Allgemeinen Zeitung< bestreitet die Existenz der Freien. Das >Frankfurter Journal< insistiert dagegen auf der Existenz dieses Vereins
29
und kann seinen Lesern sogar ein »Glaubensbekenntnis jener Sektierer«, die eine »neuchristliche Kirche« gründen wollten, bieten, das jedoch bald dementiert wird. Im ausufernden Streit der Korrespondenten kann auch die Interpretation aus Berlin keine Sicherheit bringen, die Max Stirner liefert: der Verein existiere zwar, »aber es ist ein Verein, dem man im materiellen Sinne diesen Namen streitig machen kann; es ist ein geistiger, kein bürgerlich konstituierter, kein statutenmäßiger, ein Verein, von dem sich nicht sagen läßt, er sei hier oder dort; seine Mitglieder sind aller Orten, und ich stehe nicht dafür, daß, wenn ich mich in die nächste beste Gesellschaft begebe, ich mich nicht in der Mitte von Vereinsmitgliedern befinde.«38 Und die »Philaleten«? Sollte es eine Verbindung zu der 1773 in Paris gegründeten Freimaurer-Loge »Les Philaletes« geben?39 Arnold Ruge, der über seinen Freund Theodor Olshausen von »Philaleten« weiß, schreibt an Marx: »die Freien und die Philaleten, beide existieren nicht.«40 Das wichtigste Resultat der zweifelhaften Meldung über die Vereinsgründung war die öffentliche Existenz des Namens der »Freien« als einer Gruppenbezeichnung. Entscheidend für einen ersten Zugang zum Problem der Gruppenbildung im Bereich des Junghegelianismus ist, daß die Definition der Gruppe der »Freien« durch die öffentliche Diskussion einer zweifelhaften Meldung gleichsam von außen zustande kommt. Es steht außer Zweifel, daß in Berlin ein Gruppenzusammenhang von Junghegelianern tatsächlich existiert hat, aber die Definition der Gruppe vollzieht sich in einem wuchernden Diskurs journalistischer Stellungnahmen, in denen über die »Freien« oder auch nur über die Möglichkeit eines Vereins, wie ihn die »Freien« gebildet haben sollen, gestritten wird, und an diesem Metadiskurs beteiligen sich auch diejenigen, die man vielleicht zu den »Freien« rechnen könnte. Von »den einen ebenso bestimmt geläugnet wie von andern bekräftigt,« schreibt R. Prutz rückblickend, »glich der Verein selbst einer jener Mythen, von denen er angeblich das religiöse Bewußtsein des Volks befreien wollte.«41 Von dem Blätterrauschen des Jahres 1842 ausgehend hat der Name der »Freien« einen festen Platz auch in der wissenschaftlichen Literatur bekommen. Die Gruppenbezeichnung hat sich als praktikabel erwiesen, obwohl es sich um einen Mythos handelt. Teils werden alle im fraglichen Zeitraum in Berlin weilenden Junghegelianer als »Freie« bezeichnet, teils nur einige und in unterschiedlichen Zusammenstellungen.42 Es bestünde auch kein Grund, an die zweifelhafte Genese des Namens zu erinnern, wenn die hier dargestellte Definition einer Gruppe über einen wuchernden journalistischen Diskurs im Bereich des Junghegelianismus ein singuläres Phänomen wäre. 1838 erscheint die Broschüre »Die Hegelingen«. Autor ist der konservative Hallenser Professor Heinrich Leo.43 Er dokumentiert eine Reihe von Auszügen aus den Schriften von Hegelschülern, die seine »Anklage gegen die junghegelsche Partei« belegen sollen. Seine Thesen lauten zusammengefaßt: 1. Diese Partei leugne jeden Gott, der eine Person ist, d. h. sie lehre den Atheismus; 2. sie lehre, daß das Evangelium Mythologie sei; 3. sie leugne die Unsterblichkeit und lehre eine Religion des alleinigen Diesseits; 4. sie verhülle ihre Lehre durch eine nicht gemeinverständliche Phraseologie und gebe sich den Anschein, eine christliche Partei zu sein.44
30
Um Belege für diese Anklage zu finden, brauche man »heut zu Tage nicht erst Philosophie zu studieren; man begegnet ihnen in jedem Kaffeehause.« Die Schriften dieser »Partei« seien zwar in jedem Buchladen zu haben und würden »auf allen Wegen und Straßen diskutiert«, aber die Stellen, in denen sich der »Frevel« offenbare, seien nicht leicht zu finden. Toleranz sei vielleicht am Platze, »wo sie allein stehen, und nur für ihre Seelen verantwortlich sind«, aber es handele sich um Lehrer auf Universitäten und Gymnasien, »die der deutschen Nation Kinder einmauern in den Grund des Turmes heidnischer Vorstellungen«. Und Leo weist präventiv schon daraufhin, daß es ihm nicht um eine »niedrige Denunziation« gehe.45
Im Kontext des vormärzlichen Deutschland handelt es sich natürlich um eine Denunziationsschrift - auf diesen Aspekt werde ich noch zu sprechen kommen -; wichtig ist zunächst, daß Leo mit dieser Schrift den Namen »junghegelsche Partei« publik macht. Geht man den Inhalten der Denunziation unter dem Gesichtspunkt der Gruppendefinition nach, so handelt es sich um ein Konglomerat von Definitionsansätzen. Einmal ist es eine »Sekte«46 von Atheisten, die aber als bestallte Philosophen und Lehrer mit unverständlich verklausulierter Phraseologie ketzerische Lehren äußern, zum anderen hat diese Philosophie ihren Ort »in jedem Kaffeehaus«, schließlich handele es sich um eine in breiter Öffentlichkeit diskutierte Angelegenheit. Philosophische Schule, Partei, Boheme, Sekte - alle Gruppendefinitionen sind präsent in dieser Denunziationsschrift, die wie die vier Jahre später kursierende Nachricht über den Verein der »Freien« zu einer Flut von publizistischen Stellungnahmen führt.47 Gemeinsam an den geschilderten Vorgängen der Jahre 1838 und 1842 ist, daß wir es mit einer für die vormärzliche Situation in Deutschland typischen publizistischen Antizipation von Gruppendefinitionen zu tun haben.48 Wie im Berlin des Jahres 1842 junghegelianische Gruppen existiert haben, so haben auch 1838 Gruppenzusammenhänge bestanden, aber als was diese Gruppen anzusehen sind, was ihr Name ist, was ihre Kontur in Abgrenzung von anderen Gruppen ausmacht, darüber entscheidet die publizistische Antizipation, sei es durch zweifelhafte Meldungen oder Denunziationen, die einen wuchernden Diskurs hervorbringen. Definitionen von außen beherrschen die Szene, und dem entziehen sich diejenigen, die damit gemeint sind, nur im ersten Moment, um dann selbst die im Außen der Gruppe erzeugten Definitionen zu übernehmen. So schreibt Ruge im August 1842: die »Freien« existieren nicht, wenige Monate später hat er den Gruppennamen für die Berliner Junghegelianer wie selbstverständlich aufgenommen.49 So weist der Berliner Junghegelianer Eduard Meyen 1838 den Titel »Junghegelianer« entschieden zurück und schreibt, »daß der ganze Unterschied zwischen Alt- und Junghegeltum ein gemachter, ein erlogener ist.«50 Meyens Schrift ist im Titel bewußt »Allen Schülern Hegels gewidmet«, und er interpretiert Leos Denunziation als Angriff auf Hegel, die Philosophie und Wissenschaft schlechthin. Aber die publizistische Antizipation setzt sich durch, die Rede von den »Junghegelianern« geht in die Sprache der Gruppe ein. 1841 nimmt Bruno Bauer den Begriff »Junghegelianer« in die zentrale junghegelianische Hegelinterpretation »Die Posaune des jüngsten Gerichts« auf, um seine revolutionäre Hegelinterpretation gegen die vermittelnde der Althegelianer abzugrenzen.51 Bauers anonym erschienene »Posaune« ist zum erheblichen Teil inhaltlich und formal der Denunziationsschrift Leos nachgebildet. 52 Sie ist eine Selbstdenunzia-
31
tionsschrift, denn Bauer versteckt sich hinter der Maske eines orthodoxen Neupietisten, um Anklagen gegen den junghegelianischen Hegel zu formulieren. Auch jene in margine gedruckten Hände, die Leo an besonders verdächtige Stellen seiner »Hegelingen«-Zitate hatte anbringen lassen und die die Zeitgenossen so ausführlich beschäftigt haben, fehlen bei Bauer nicht. Leo selbst wird in der Vorrede als »Vorgänger« besonders hervorgehoben: »Jeder, der es unternimmt, den Atheismus des Hegelschen Systems aufzudecken und anzuklagen, muß des Mannes gedenken, der zuerst den Mut hatte, gegen diese gottlose Philosophie öffentlich aufzutreten, sie förmlich anzuklagen und die christlich gesinnten Regierungen auf die dringende Gefahr aufmerksam zu machen, welche von dieser Philosophie aus dem Staat, der Kirche und aller Sittlichkeit droht. Es ist Leo! Wir geben ihm aufrichtig die Ehre und erkennen es vollkommen an, daß er uns den Weg gebahnt hat, auch dann, wenn wir weiter vorwärts dringen, und daß er uns selbst den glücklicheren Angriff, wenn wir glücklicher sind, möglich gemacht hat. Sein Name ist ehrenvoll in die Geschichte dieser schmählichen Schule verwickelt.«53 Es ist nicht leicht, die schillernde Ironie dieser Sätze aufzulösen, denn in der Tat sind die Denunziationen des Jahres 1838 drei Jahre später in der Form der Selbstdenunziation zu Selbstdefinitionen geworden. Und auch der Name »Junghegelianer«, den ich im Einklang mit der Forschung in dieser Arbeit verwende, verdankt sich der Denunziation des Jahres 1838.54 Wie kommt es nun zu den publizistischen Antizipationen? Woher stammen die Muster von Gruppendefinitionen, die antizipiert werden? Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts in Preußen sind K. Mannheim zufolge »ein soziologisches Experiment dafür, was dann geschieht, wenn Ideen, die genuin aus einem entwickelteren Gesellschaftszustande erwachsen sind, in einen sozial unentwickelten, geistig aber hochstehenden Lebensraum einfließen.«55 Es sind die »Ideen« der Französischen Revolution von 1789, die in die preußische Gesellschaft »einfließen«. Dieses »soziologische Experiment« hat verschiedene Phasen, als deren letzte die vormärzliche Zeit gelten kann. Es handelt sich bei diesem »Einfließen« um ein Geflecht äußerst komplexer Vorgänge. Zunächst könnte davon ausgegangen werden, daß die publizistische Antizipation von Gruppendefinitionen eine ihrer Quellen in der verbreiteten Revolutionsfurcht konservativer Kreise habe. So prophezeit das konservative Berliner >Politische Wochenblatt
32
vielmehr ist es zu diesem Zeitpunkt die Überzeugung der verdächtigten Junghegelianer, daß eine Revolution in Preußen nicht wünschenswert ist. So plausibel es auf den ersten Blick erscheinen mag, die publizistische Antizipation von Gruppendefinitionen auf das Drama zwischen republikanisch-revolutionären-linken und restaurativ-konservativen-rechten Kräften zu projizieren - in wichtigen Bereichen greift dieses Modell nicht. Weder die Ankläger der Junghegelianer noch diese selbst halten eine Revolution für wünschenswert. Trotzdem muß darüber debattiert werden, und dies in einer seltsam vertauschten Perspektive: die Rechte erwartet eine Revolution, die Linke sieht nicht einmal die Möglichkeit dafür. Es muß hier auch daran erinnert werden, daß die >Technik< des politischen Verdachts, der sich in sozialen Beziehungen ausbreitet und Gruppierungen konstituiert, eine Erfindung der Französischen Revolution gewesen ist. Dieser politische Verdacht ist genetisch ein revolutionäres Instrument und rührt von der jakobinischen Schreckensherrschaft her, aber es wird rasch ein gemeinsames Muster, das >Linke< wie >Rechte< handhaben.57 Um dem Phänomen der publizistischen Antizipation von Gruppendefimtionen näherzukommen, ist es nötig, sich ein Stück weit von der >Rechts-Links-Vorlage< zu lösen. So sehr sie das Denken der damaligen Zeitgenossen dominiert hat und so sehr sie auch bis heute ein machtvolles Sortierschema geblieben ist, das jedoch angesichts thermonuklearer Bedrohungen und ökologischer Krise an Überzeugungskraft zu verlieren scheint - die Rechts-Links-Bipolarität verdeckt die Tatsache, daß es sich auf beiden Seiten um einen gemeinsamen Erwartungshorizont handelt. Die »Restauration« ist nicht einfach nur der Gegenpol »radikaler« Bestrebungen, wie es die zeitgenössischen Parteibegriffe nahelegen, auf beiden >Seiten< geht es um Übernahme und Antwort auf die Resultate der >Revolution<. Sie gilt allen als das zentrale Deutungsmuster für politische, religiöse und soziale Entwicklungen. >Die Revolution^ das ist zunächst die von 1789, es ist aber auch die sich erneuernde Revolution bis 1830. Man könnte sagen, für Rechte und Linke wiederholt sich die Revolution, wie man von einem >Zeitalter der Revolutionen spricht. Präziser wäre es zu sagen, daß es sich nach dem Sturz Napoleons ineins um ein revolutionäres wie postrevolutionäres Zeitalter handelt. Denn eine Wiederholung der Revolution gibt es nur im Sinne der zyklischen Zeit der Mode-»Struktur«, wie sie J. Baudrillard charakterisiert hat.58 Postrevolutionär ist die Perspektive, weil die Zeitgenossen auf den Verlauf der Französischen Revolution zurückblicken können. Dies hat Konsequenzen für Rechte und Linke, weil nicht mehr nur die >Ideen< der Französischen Revolution in die Diskurse eingehen, sondern auch Thesen über ihren Ursprung, die Typizität ihres Verlaufs und ihr napoleonisches Ende. Auf beiden Seiten weiß man aus postrevolutionärer Perspektive um den Zusammenhang von philosophischen Zirkeln und Revolution, von atheistischen Gruppen und Revolution, von Parteien in der Revolution, von der Volksbewegung in der Revolution und von der »Tugend« und der »Frivolität« in den neuen Gruppen, die die Revolutionsszene beherrscht haben. Die Französische Revolution ist nicht das exklusive Thema der Linken, sondern das gemeinsame Wörterbuch, aus dem Rechte wie Linke zitieren. Revolutionär ist die Perspektive, weil die vergangene Französische Revolution
33
eine Dimension eröffnet hat, die auf eine europäische Revolution verweist, in deren Zentrum sich alle Beteiligten fühlen. Die gemeinsame Frage der >Radikalen< wie der >Reaktionäre< ist die nach dem Abschluß der Revolution - ein Abschluß, der von den einen als Ende der Revolution, von den anderen als Vollendung erwartet wird. Die Verschränkung von postrevolutionärer und revolutionärer Perspektive tritt besonders bei der Generation hervor, die nach der Revolution des Jahres 1830 das gesellschaftliche Leben gestaltet. Die Julirevolution 1830 hat bei vielen Zeitgenossen das Erlebnis einer Zäsur provoziert. Ein scharfsinniger Beobachter wie Hermann Marggraff spricht von der »Sonne« der Julitage, die die Literatur »blendend in die Augen« gestochen habe. »In der Tat, man fing die Dinge an zu sehen, nicht wie sie waren, sondern wie man sie sehen wollte«; Maßstab wurde die »Tendenzenelle, die kurze und lange, die aus politischem Holze geschnitten oder aus dem zarten Elfenbein sozialer Fragen gedrechselt war.«59 Die Rede von der »Tendenzenelle« signalisiert nicht nur ein erneutes Stadium, in dem das Wörterbuch der Revolution wieder aufgeschlagen wird, vielmehr wird gerade die Koexistenz von postrevolutionärer und revolutionärer Perspektive greifbarer. Das gemeinsame Kennzeichen der neuen Generation ist, wie R. Koselleck schreibt, »daß die große Revolution für sie bereits zur Geschichte gehörte, deren >Vollstreckung< und >Lenkung< sie als ihre Mission betrachteten.« 60 Die Revolution ist ein historisches Ereignis, ebenso wie ein Zeitraum, auf dessen Abschluß es sich zu konzentrieren gilt. Diese spezifische Zeiterfahrung drückt sich in bipolaren Modellen aus: Ancien Regime/moderner Staat; Fortschritt/Restauration; alt/jung etc. Das Netzwerk sozialer Handlungen wird mit Hilfe des Modells eines Prinzipienkampfes quasi neu strukturiert. Selbstdefinition und Fremddefinition erfolgt nach Maßgabe von allgemeinen Prinzipien, denen gleichsam automatisch Kollektive nachgeordnet werden. »Ideen« sind nicht einfach Gedanken oder Überlegungen, sondern »Ideen« sind virtuelle »Strömungen«, »Tendenzen«, »Bewegungen«. Hierin ist schon ein Moment der Beschleunigung von Vorgängen und Ereignissen angelegt. Das Auftreten einer »Idee« verlangt geradezu nach einer »Bewegung«, d. h. der Antizipation eines Kollektivs, das >hinter< der Idee steht. (Später wid Marx lapidar als soziales »Verhältnis« das bezeichnen, »was die Philosophen eine Idee nennen«.61) Ideenbewegung und Bewegungsideen rücken ganz nahe zusammen, im Bewußtsein der Zeitgenossen tauschen sie sich gegenseitig aus. Soziale Zusammenhänge geraten unter den Druck, Ideenzusammenhänge zu werden, und umgekehrt. Die publizistische Antizipation, die nach diesem Schema funktioniert, weiß immer schon sehr früh von dem, was auf die Gesellschaft zukommen kann. >Ihrer Zeit voraus< ist nicht nur die Linke, sondern die Rechte ebenso, denn der revolutionäre Kanon von Tendenzen ist geschlossen. 1838, vor Erscheinen der »Hegelingen«, schreibt Leo über die, die er im Auge hat: »Noch ist es gar nicht bis zu dem Punkte gekommen, wo diese liberal-revolutionäre Gattung von Leuten als irgendeine wirkliche Partei angesehen werden könnte, und ist weit eher zu fürchten, daß sich in nicht zu langer Zeit in der Form einer philosophischenSchule, in deren Terminologie die derzeitige Studiosengeneration auf einer Anzahl der bedeutendsten Universitäten, ja! schon die Gymnasiasten fast überall einexerziert werden, wirklich eine neue Partei mächtig etablieren dürfte - denn die Terminologie geht nicht ohne die Begriffe auf
34
Tausende über, und die eigentümliche Scheidung und Verbindung der Begriffe in den Köpfen ist allein schon hinreichend, eine neue Denkweise zu schaffen, die sofort als Macht im Leben auftritt, wo sie in dem gleichgebildeten Ausdruck der gebildeten Stände oder auch nur der größeren Masse in denselben eine Stütze findet.« 62
b) Hintergrund und Diskrepanzerfahrung In der Tat sind die publizistischen Antizipationen von »Bewegungen« und »Parteien« ihrer Zeit weit voraus. Getragen wird der publizistische Diskurs von einer gesamtgesellschaftlich gesehen relativ kleinen Schicht. Preußen ist noch nach der Revolution von 1848 allen Bewegungen zum Trotz ein Land, in dem der agrarische Sektor quantitativ dominiert. 73 % der 16,3 Millionen Einwohner leben auf dem Lande, der Rest lebt in 970 Städten, von denen nur 300 mehr als 3.500 Einwohner haben.63 Diese Zahlen sind jedoch schon ein Resultat der Binnenwanderungen und des demographischen Zuwachses der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von 1800-1850/51 steigt die Einwohnerzahl von Berlin von 172.000 auf 419.000, die von Köln von 50.000 auf 97.000, die von Königsberg von 55.000 (1802) auf 73.000, um drei Städte zu nennen, die im Zusammenhang des Junghegelianismus wichtig sind.64 Befragt man Dieterici, den Direktor des preußischen statistischen Büros, der 1848/49 aufgrund einer Berufsstatistik aller über 24 Jahre alten Männer steuerstatistische Schichtungsangaben gemacht hat, so stellen die »Wohlhabenden«: Rittergutsbesitzer, Rentiers, Offiziere, höhere Beamte sowie ein großer Teil des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums alle mit mehr als 500 Taler Jahresverdienst insgesamt 150.000 erwachsene Männer, mit ihren Familien 3 % der Bevölkerung. Ihnen folgt eine Mittelschicht, die im Jahr 150-500 Taler verdient und die den größten Teil der Handwerksmeister und Krämer, die Mittelbauern sowie die untere Beamtenschaft umfaßt. In dieser Schicht zählt Dieterici 1 Million Männer, mit ihren Familien etwa 30 % der Bevölkerung. Die unterste Schicht von zwei Dritteln der Bevölkerung besteht aus Handwerksgesellen, Fabrikarbeitern, Bergleuten, Kleinbauern, Handarbeitern, Dienstpersonal.65 Auch dieses Bild ist schon ein Resultat verschiedener Verschiebungen im gesellschaftlichen Schichtaufbau: der Entstehung einer kleinen Industriellenschicht, der Verarmung im Handwerk und - was im Zusammenhang dieser Arbeit hervorgehoben werden muß - des sozialen Aufstiegs durch Bildung. Die Zahl der Gymnasiasten nimmt in Preußen von 1816-1846 um 73 % zu, die Zahl der Gymnasiallehrer um 69 %. Die Zahl der Studenten im späteren Reichsgebiet steigt von 1800-1830 von etwa 6.000 auf 16.000 und pendelt sich in den 40er Jahren auf knapp 12.000 ein. Wichtig ist, daß neben den Studenten aus Akademikerfamilien, die etwa die Hälfte der Studenten ausmachen, 25-30 % Söhne von Handwerkern, kleinen Kaufleuten, kleinen Beamten und Volksschullehrern sind.66 Zahlen wie diese können nur ein grobes, unzureichendes Bild geben. Lediglich von den extremen Punkten her gesehen lassen sich zwei Beobachtungen ableiten. Einmal finden in den genannten Bereichen der Verstädterung und der Bildung in diesen Zeiträumen erhebliche Umschichtungen statt, aber zugleich bleibt das Bild einer Gesellschaft, deren bürgerlicher Anteil minoritär ist. Zwischen den vormärzlichen Antizipationen, die dem Muster der Revolution entstammen, und dem
35
gesellschaftlichen Hintergrund klafft eine beträchtliche Lücke. Allerdings erhalten die Antizipationen Nahrung von den Verschiebungen, die in den minoritären bürgerlichen Kreisen stattfinden. Die Uneindeutigkeit der Gruppendefinitionen, die abstrakte Bipolarität des Denkens resultieren zu einem erheblichen Teil aus der Diskrepanz zwischen Antizipationen, die nicht mit Realität gesättigt sind, und einer weithin sehr geringen gesellschaftlichen Organisationsdichte. Sucht man nach existierenden organisatorischen Verdichtungen im nicht-agrarischen Bereich der vormärzlichen Gesellschaft, so zeigen sich diese zunächst in einem Übergangsstadium. Die traditionellen Bindungen der ständischen Gesellschaft verlieren an Kohärenz, und strenger definierte neue Typen des sozialen und politischen Zusammenhangs sind noch in der Experimentierphase. An erster Stelle sind organisatorische Verdichtungen zu nennen, die im Bereich des Bildungsbürgertums anzutreffen sind.67 Um die Universitäten bildeten sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine Vielzahl von organisatorischen Zusammenhängen, die über die älteren korporativen Bindungen des »Gelehrtenstandes« hinausgehend den Kreis möglicher Verbindungen auf die »gebildeten Stände« ausdehnten. Freimaurerlogen und Clubs ebenso wie Lesegesellschaften können als organisatorische Verflechtungen betrachtet werden, in die kooptiert zu werden oder einzutreten Abstammung oder spezielle berufsständische Herkunft weniger wichtig waren als das allgemeine Merkmal »Bildung«.68 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ist eine kontinuierliche Ausbreitung von »Gesellschaften«, »Clubs«, »Kreisen«, »Assoziationen«, »Vereinen« aus dem bildungsbürgerlichen Milieu heraus festzustellen, in denen man mit Th. Nipperdey einen spezifischen Typus sozialer Organisation sehen kann.69 Diese Vereine entstehen durch freien Zusammenschluß von Personen, deren rechtlicher Status durch die Vereinsmitgliedschaft nicht tangiert wird. Der Vereinstypus ermöglicht eine Verdopplung der gesellschaftlichen Bindungen, die beides bedeuten kann: Ersatz für die brüchiger werdenden korporativen Bindungen und zugleich Kreation einer Verbindung, die eine Sphäre frei verfügbarer Zwecksetzungen darstellt. Die Verdopplung der gesellschaftlichen Bindungen ermöglicht den Individuen, gleichsam noch >mit einem Beim im traditionellen Bereich zu stehen, die Rechte und Begrenzungen zu erfahren, die mit Herkunft und Beruf verbunden sind. Die Teilnahme am Verein bedeutet keinen Bruch, sie ist ein Medium des Übergangs. Erst wenn die Verdopplung der gesellschaftlichen Bindungen in den Blick gerät, wird die spezifische Struktur des Vereinsmodells deutlich. Es handelt sich um eine generative Struktur, die virtuell jeden Zweck produzieren oder sich aneignen kann (vielleicht mit Ausnahme eines Zweckes: die Aufhebung der Verdopplung der gesellschaftlichen Bindungen). Die generative Struktur des Vereinstypus ermöglicht auch die Ausbildung gegenläufiger Zielsetzungen: Spezialisierungen wie Musikvereine oder Vereine, die der Differenzierung der Wissenschaften folgen, sind ebenso möglich, wie Vereine, die gerade die Überwindung der Einseitigkeit zum Zweck haben. Vom »Bau der Menschheit« bis zum Kartoffelanbau reichen die Möglichkeiten des Vereinstypus, und diese seltsame Elastizität, diese virtuelle Ubiquität von »Verein« hat insbesondere die Zeitgenossen der 40er Jahre enorm fasziniert.70
36
Der Vereinstypus, der, vom Bildungsbürgertum ausgehend, langsam, vor allem in den 40er Jahren, auch andere Schichten berührt, ist den organisatorischen Verdichtungen, die z. B. im Bereich des Handwerks existieren, schließlich überlegen. Das Handwerk verfügt über eine lange Tradition zunftmäßiger Organisationsformen. Mit dem demographischen Zuwachs und der Überfüllung der Handwerksberufe geraten die traditionellen Organisationsformen unter einen erheblichen Druck; in der Folge entsteht eine handwerkliche, teils schon frühindustrielle Unterschicht. Aus ihr rekrutieren sich die geheimen Handwerkerbünde, in die das ausgereifte Organisationswissen der Handwerkskultur Eingang findet. Zum traditionellen Bestand gehören komplexe Initiationsriten, Techniken der Esoterisierung des Berufswissens, Verfahren der Diskriminierung von Nichtdazugehörigen vor allem auch im Bereich der überregionalen Kontakte, die angesichts der hohen und ja auch institutionalisierten Mobilität den organisatorischen Bestand sichern.71 So hoch entwickelt das Organisationswissen im Bereich des Handwerks auch ist, erst in dem Maße, in dem die Handwerkerbünde eine den Zunftcharakter überschreitende Vereinsform gewinnen und sich z. B. zu verschriftlichen beginnen, entstehen Chancen, daß auch Angehörige anderer Gesellschaftsschichten, die ihre traditionellen Bindungen lockern, Zugang zu diesen Bünden gewinnen. Heß' und Marx' Kontakte zum Handwerkerkommunismus stehen beispielhaft für diese Entwicklung. Auf der anderen Seite tangiert der Vereinstypus in besonderem Maße die staatliche Organisation. Das Verhältnis von Verein und Staat ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ambivalent. Auf der einen Seite besetzen Vereine die Handlungsfelder, die gleichsam staatsfrei, privat sind, auf der anderen Seite wollen Vereine in den staatlichen Handlungsfeldern unterstützend wirken, wo sie meinen, daß etwas getan werden muß, oder der Staat selbst initiiert oder fördert Vereine. Es muß darauf hingewiesen werden, daß der Vereinstypus, bezogen auf den Dualismus von Staat und Gesellschaft, nicht quasi automatisch dem Bereich >Gesellschaft< zugeschlagen werden darf.72 Zum Bildungsbürgertum gehört auch ein großer Teil der Staatsbeamten, die ihre im Vereinswesen erlernten Formen der geselligen Kommunikation, der Erörterung von Zielen und Mitteln auch in der Verwaltung praktizieren.73 Seitdem es insbesondere zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Phase der Öffnung des Staates für das Bildungsbürgertum gegeben hatte, verschmelzen die organisatorischen Verdichtungen im Bereich des Vereinswesens zu einem Teil mit denen der Verwaltung. So ermöglicht etwa die Institutionalisierung des Kollegialitätsprinzips die Diskussion aller wichtigen Gesetzesentwürfe, eine Diskussion, von der die zur »Liberalität« angehaltenen und z. T. sehr selbstbewußten Beamten auch ausgiebig Gebrauch machten.74 Sucht man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Preußen nach dem, was J. Habermas das räsonierende Bürgertum nennt, das sich kollektiv über politische und gesellschaftliche Fragen verständigt, so wird man auch auf die preußische Verwaltung stoßen, für die eine gründliche Erörterung Vorrang vor einer schnellen Exekution hatte. »Viele Gesetze bedurften gleichsam dreier Legislaturperioden, manchmal Jahrzehnte, bevor sie durchgeführt wurden. Die Diskussion artete - auf dem Umweg über die Schriftlichkeit - allzusehr in eine ständige gegenseitige Belehrung aus. Die sich dauernd belehrende Beamtenschaft
37
brachte ein professorales Element hervor, das den Innenaspekt bietet einer Verwaltung, die nach außen den Erziehungsstaat verkörperte.«75 Erst von der ambivalenten Stellung des Vereinstypus her, einer Stellung, die teils im staatsfreien Raum, teils als Bindeglied oder Vermittlungsform zwischen den individualisierenden Tendenzen der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft und dem politischen Staat und teils als halbpolitisches Element des Staates selbst zu sehen ist, lassen sich jene Uneindeutigkeiten erklären, die für Gruppenbildungen in dieser Zeit charakteristisch sind. Vereine, die sich vereindeutigen ließen, indem man etwa auf eine Vertretung von Gruppeninteressen im modernen Sinne abstellte, wird man eher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden. Der vormärzliche Verein ist dagegen ein Amalgam von freier Geselligkeit, Bildungsdrang und Verbreitung von aufgeklärten Grundsätzen. Es ist dieses bildungsbürgerliche Netzwerk von Organisationskernen, das sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in den Städten ausgebildet hat, das nach 1819 zunehmend unter den Verdacht der Revolution gerät.76 Aus dieser Perspektive erscheinen die Vereine als präpolitische oder kryptopolitische Organisationen. Der Verdacht vereindeutigt den ambivalenten Charakter der Vereine. Zeitgenossen haben diese Tendenz aufmerksam registriert. Man redet in den »Gesellschaften« davon, »daß die Geselligkeit anfinge zu stocken, daß die kleinen Gespräche in den Fensternischen, das Geflüster zu Zweien und Dreien Mode würde«. 77 Die 40er Jahre stehen im Zeichen einer zunehmenden Politisierung der Vereine. Die junghegelianische Gruppenbildung hat ihren Ausgangspunkt im Kreuzungsbereich von akademischen Zirkelwesen und Verein, die beide auf eine Verbindung zu aufgeklärter Verwaltung hin angelegt sind. An der Politisierung dieses Komplexes nehmen die Junghegelianer regen Anteil. Es ist üblich geworden, davon zu sprechen, daß es sich beim bildungsbürgerlichen Vereinswesen des Vormärz um eine Art Ersatzpolitik gehandelt habe. Dies trifft sicher zu. Aber die Rede von der Ersatzpolitik bedarf einer wichtigen Ergänzung. Für weite Kreise des Bildungsbürgertums war der Verein ebensosehr Ersatzgemeinde. Es muß daran erinnert werden, daß es im Unterschied zur angelsächsischen Entwicklung im nachreformatorischen Deutschland nicht zur Ausbildung eines staatsunabhängigen kirchlichen Gemeindelebens gekommen ist.78 Sowohl das landesherrliche Kirchenregiment wie die inneren Auswirkungen von Luthers Kirchenbegriff, der den Akzent auf die »unsichtbare Kirche« gelegt und die äußeren Einrichtungen nur als einen Not-bau betrachtet hatte, blockierten die Entwicklung von kirchlichen Einrichtungen, in denen sich religiöse Bedürfnisse wirksam hätten artikulieren können. Auch die einzig relevante Gegenbewegung zur lutherischen Orthodoxie, der Pietismus, zielte mehr auf eine Stärkung der Frömmigkeit als auf die Ausbildung von äußeren Formen kirchlichen Lebens, obschon gerade vom Pietismus indirekt wichtige Impulse zur Gemeinschaftsbildung ausgingen. Für die bildungsbürgerliche Intelligenz um 1800 ist die protestantische Kirche wenig attraktiv. Eher schließt sich ein aufgeklärter Pfarrer einem geselligen Verein an, als daß die, die er dort trifft, in die Kirche gehen. Selbst in den Reformen, die nach 1806 begonnen wurden, kommt es - worauf H. Holborn hinweist - »nirgends ( . . . ) zu einer Ersetzung des landesherrlichen Kirchenregiments durch volkstümliche Kirchenverfassungen. (. . .) Die protestan-
38
tischen Kirchen blieben zwar Volkskirchen in dem oberflächlichen Sinne, daß jedes Volksmitglied in sie hineingeboren wurde, aber nicht in dem Sinne, daß die Kirche eine volkstümliche Leitung erhielt, noch daß sie sich der Vielzahl derjenigen Lebensprobleme des Volkes widmete, die religiös von gleicher Bedeutung waren wie die Theologie des Bekenntnisses.«79 In den 40er Jahren wird das bildungsbürgerliche Vereinswesen nicht nur von einer Welle der Politisierung, sondern ebenso von einer Welle der Religiosität erfaßt.80 Zusammengefaßt muß festgestellt werden, daß die wichtigsten organisatorischen Verdichtungen im vormärzlichen Preußen im Bereich des bildungsbürgerlichen Vereinswesens anzutreffen sind. So dramatisch es sich auch in den 40er Jahren entwickelt, es darf nicht übersehen werden, daß es sich gesamtgesellschaftlich gesehen um >minoritäre< Organisationszusammenhänge handelt. Diese Organisationskerne sind die >Basis<, von denen die publizistische Antizipation von Gruppendefinitionen, die dem Muster der Revolution folgen, ausgeht.81 Die Antizipation und imaginative Beschleunigung geht jedoch auch einher mit der Erfahrung der Diskrepanz. Die Diskrepanz von geringer gesellschaftlicher Organisationsdichte und der publizistischen Imagination von Organisiertheit, die dem Muster der Revolution abgelesen ist, durchzieht alle vormärzlichen Debatten um Gruppenbildungen. In den Texten der radikalen Zeitgenossen kommt diese Diskrepanz als ein Defiziterlebnis zum Ausdruck. Für Marx stehen die deutschen Zustände »unter dem Niveau der Geschichte«, und er vergleicht das Deutschland von 1843 mit dem Frankreich von 1789. 82 Feodor Wehl klagt in seinen >Berliner Wespen<: »Berlin hat keine Öffentlichkeit wie London und Paris, wo die Politik ihre Stimmen erheben und ihre geheimsten Tiefen offenbaren kann. (. . .) Welche Daten fehlten in der Historie, wenn Paris und London fehlten? Berlin kann man streichen und keine Jahreszahl geht ihr verloren. Berlin ist nur die Stadt, wo die Weltgeschichte sich zur Ruhe setzt.«83 R. Prutz muß sich noch 1847 mit den Zweifeln auseinandersetzen, »ob, wo und wie denn überhaupt eine Opposition bei uns existiert«. Sein Bild der Opposition ist England und Frankreich abgelesen, er denkt an Gruppierungen, die »sich keineswegs in den Kreisen der sogenannten Gebildeten, einer geringen Anzahl von Deputierten und Abgeordneten, einer Handvoll Schriftsteller abschließen: vielmehr durch alle Stände, alle Klassen der Gesellschaft, durch die ganze Nation erstrecken«. Solche Gruppierungen existieren in Deutschland nicht, denn man habe es überhaupt noch nicht mit einem »wirklichen Staat«, sondern mit einem »abstrakten, illusorischen Staat« zu tun. So seien Staat und Opposition beides »Schattengebilde«. »Wir setzen Abstraktion gegen Abstraktion, Formalismus gegen Formalismus, Schatten gegen Schatten; es ist eine Geisterschlacht«.84 Zwischen publizistischer Antizipation und der Wirklichkeit der Gruppen, zwischen der Erwartung von Tendenzen und Bewegungen, über die man schon eine genaue Vorstellung hat, und dem Defiziterleben besteht ein Gefälle, das kaum noch auszugleichen ist. »Geisterschlacht« ist ein Ausdruck, der die Auseinandersetzungen um die »junghegelsche Partei« und den Verein der »Freien« präzise trifft. Leider ist es kein soziologischer Begriff. Er könnte vielleicht eine soziologische
39
Qualität gewinnen, wenn man daran erinnert, daß es gerade der Junghegelianer Marx war, der »Geisterschlachten« in den Bereich des Überbaus verbannte, der eine theoretische Weichenstellung vollzog, die in der vormärzlichen Diskrepanzerfahrung ihren Ausgangspunkt hatte. Die Anerkennung der »Geisterschlacht« als eines Phänomens, von dem auszugehen ist, und die Depotenzierung des Phänomens als Überbau folgen einer gemeinsamen Struktur, die von der Frage nach dem Ort und Grund von >Geist< beherrscht ist. Vor den Antworten auf diese Fragen liegen aber Erfahrungen, die diese Frage zur Frage werden lassen. Auszugehen ist von der Diskrepanzerfahrung, sie läßt den Ort und den Grund von >Geist< extrem unsicher erscheinen. Orientiert am englischen und französischen Beispiel weiß man schon, daß »Ideen« für »Bewegungen« stehen, aber im eigenen Lande ist man sich nicht sicher, ob hinter den »Ideen« - das Bildungsbürgertum in Deutschland zweifelt nicht im mindesten daran, daß es selbst voller »Ideen« steckt - auch das zu finden ist, was eine »bloße Idee« zu einer »wirklichen Idee« macht. Daher sind nicht nur die »Ideen« abstrakt, sondern auch die »Wirklichkeit«. Im Verein haben zwar die »Ideen« ihren Ort und ihren Grund, aber der Vereinstyp ist ambivalent. Er steht zwischen Staat und Gesellschaft, er geht nicht auf in den Interessen der bürgerlichen Wirtschaftswelt, und er steht nur im Traum vom »Verein freier Menschen« für den Staat. Und schließlich bringt die Verdopplung der sozialen Beziehungen im Verein ein neues Moment der Unsicherheit herein. Seine generative Struktur, die Vielzahl möglicher Zwecke - macht sie nicht gerade das feste Band zu einem gefährlichen imaginären? Intellektuellengruppen im Vormärz bewegen sich in einem seltsamen Zwischenreich von »Idealität« und »Realität«. Diese Ausgangslage gilt es gegenüber voreiligen Vereindeutigungen, zu denen jede Forschung neigt, zu affirmieren. Die Diskrepanzerfahrung ist, genau genommen, nicht einfach die Erfahrung eines Gefälles zwischen dem, was erwartet wird, und dem, was ist. Die buchhalterische Sicherheit des »Soll und Haben« gewinnt die bildungsbürgerliche Intelligenz erst nach 1848.85 Diskrepanzerfahrung ist vielmehr die Erfahrung des Fallens und der Bodenlosigkeit, des Abstrakt-Seins der Geister-Schlacht. c) Übersicht über den junghegelianischen Gruppenzusammenhang An dieser Stelle möchte ich eine orientierende Übersicht über den junghegelianischen Gruppenzusammenhang geben, um die Personen, deren Handeln in dieser Arbeit untersucht wird, vorzustellen und ihren Ort im Netzwerk der Gruppenbeziehungen aufzuzeigen. Biographische Kurzinformationen werden in den Anmerkungen gegeben. Etwa um 1837 sind junghegelianische Gruppen - abgesehen von Tübingen - in Berlin und in Halle nachweisbar. Anfang der 40er Jahre haben sich in Köln sowie in Königsberg Gruppenzusammenhänge herausgebildet, die junghegelianisch genannt werden können. In Halle entsteht 1837 in einem Kreis junger Privatdozenten, Professoren und Lehrer um Arnold Ruge die Idee einer Zeitschrift, die sich als Gegenprojekt zu den von Hegel gegründeten Berliner Jahrbüchern (JWK) versteht. Wichtig für die Gruppenkonstitution ist, daß Ruge eine Werbereise unternimmt, d. h. gleich auf
40
einen überregionalen Zusammenhang zielt, den er als Herausgeber der >Hallischen Jahrbücher< (HJ) organisatorisch mit zusammenhält. - In Berlin ist in dieser Zeit ein philosophischer Schulzusammenhang von Hegelschülern vorhanden, aus dem sich eine Gruppe, der berühmte »Doktorclub«, in dem der junge Marx sich bewegte, herauslöst. Durch Wohnortswechsel bzw. Reisetätigkeit werden Gruppenzusammenhänge im Rheinland (besonders Köln) und Königsberg initiiert oder lokale Ansätze gefördert. Die Zusammenhänge an verschiedenen Orten müssen deshalb als Gruppen bezeichnet werden, weil sie über längere Zeit sich in regelmäßigen Treffen und Diskussionen über gemeinsame Ziele realisieren. Diese regionalen Teilgruppen bilden insofern miteinander einen überregionalen Zusammenhang, als durch Reisen, Briefe und persönliche Freundschaften eine Kommunikation hergestellt wird, die die fortlaufende gegenseitige Rezeption der Veröffentlichungen der Gruppenmitglieder erleichert. Im Hinblick auf die in dieser Arbeit genannten Junghegelianer stellt sich der regionale wie überregionale Gruppenzusammenhang so dar: A. Ruges86 Kreis in Halle steht in Verbindung und Differenz mit den hegelianischen Universitätsmitgliedern, insbesondere mit den Althegelianern Friedrich W. Hinrichs87 und Julius Schallet88; zum Rugekreis sind der Junghegelianer Robert Prutz89 und der Mitherausgeber der Jahrbücher Theodor Echtermeter90 zu rechnen.91 1841 übersiedelt Ruge nach Dresden und befreundet sich dort mit Michail Bakunin92, der sich zuvor in Berliner Junghegelianerkreisen bewegt hatte. Ruge sucht schon früh den Kontakt zu Feuerbach93, der gesellige Zusammenhänge meidet, dafür aber durch seine Schriften und Briefe mit der Gruppe verflochten ist. Ebenso besteht eine Verbindung zwischen Ruge und Karl Theodor Bayrhoffer94 in Marburg. Der Kontakt ins Rheinland läuft über Georg Jung95, der dort zusammen mit Moses Hess96 das Projekt der >Rheinischen Zeitung<97 initiiert, zu dem auch Karl Heinzen98 stößt. In Berlin gehören dem Doktorklub99 1837 Bruno Bauer100, Adolf Rutenberg101 Karl Friedrich Köppen102 und Marx103 an, vielleicht auch schon Edgar Bauer104 und Mitglieder, die 1841 die Zeitschrift >Athenäum<105 tragen, u. a.: Karl Riedel106, Eduard Meyen107, Karl Nauwerck108, Ludwig Buhl109 und Friedrich Engels110. Wann Stirner111 zu diesem Kreis stößt, ist unbekannt, mit Engels verband ihn eine Duzfreundschaft. Von den älteren Berliner Hegelschülern, die engere Beziehungen zu den Junghegelianern haben, sind Eduard Gans112 und Karl Ludwig Michelet113 zu nennen. - Zwischen Berlin und dem Rheinland bestehen enge Verbindungen nicht nur durch die Wohnortswechsel von Bauer, Marx und Rutenberg, sondern auch, weil die »Athenenser« zu regelmäßigen Mitarbeitern der >Rheinischen Zeitung< (RhZ) werden. In Königsberg114 lehrt der Freund Ruges und Althegelianer Karl Rosenkranz115. Zu den Königsberger Junghegelianem gehören Rudolf GottschaU116, Wilhelm Jordan117, August Witt118, Karl Reinhold Jachmann119 und Eduard Flottwell120, der sowohl engen Kontakt zu Berlin wie zum Rheinland besitzt. Ein wichtiges >Zentrum< für Gruppenverdichtungen wie für den Umschlag von Schriften und Ideen ist das Ausland gewesen: insbesondere die Orte Zürich 121, Paris122 und Brüssel123. Herwegh124und Venedey125 gehören mit zu den Emigranten, die für die Junghegelianer Bedeutung gewinnen, bevor einige von ihnen selbst Exilerfahrungen machen müssen.
41
Neben der regionalen Gliederung sind für das Entstehen von Teilgruppen Spaltungsprozesse maßgebend. Sie lassen sich am ehesten in Berlin verfolgen. In den Jahren 1843-1846 existieren, wenn man die kärglichen Quellenhinweise heranzieht und die entsprechenden theoretischen Positionen berücksichtigt, in Berlin drei Gruppenkerne, wobei Doppelnennungen die Überlappungen zeigen: - Eirr Gruppenkern um Rutenberg, Nauwerck, Meyen, der Positionen eines sozialkritisch getönten republikanischen Radikalismus vertritt;126 - ein zweiter Gruppenkern um Buhl, Stirner, Jordan, Meyen, Köppen und E. Bauer, der einen parteikritischen antiautoritären Radikalismus vertritt;127 - ein dritter Gruppenkern, der sich um die von B. Bauer herausgegebene >Allgemeine Literaturzeitung< (ALZ) und die >Norddeutschen Blätter< (NB) kristallisiert und dem neben B. Bauer u. a. Ernst Jungnitz128 Julius Taucher129, Szeliga130, E. Bauer und Karl Schmidt131 angehören. Diese Junghegelianer können mit der >reinen Kritik< in Verbindung gebracht werden. Kontakte bestehen zu der seit Beginn der 40er Jahre in Köthen existierenden >Kellergesellschaft< 132. (Erwähnt sei, daß dieser Gruppenzusammenhang mit einer Leipziger Dependance um Gustav Julius133 in Verbindung gebracht wird.) Regionale Differenzen und Gruppenspaltungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei der junghegelianischen Gruppenbildung um ein kohärentes Phänomen handelt. Der gemeinsame Ausgangspunkt ist theoretisch dieHegelsche Philosophie134 und sozial die Hegelsche Schule135. Der Junghegelianismus ist nicht einfach eine geistige Strömung, deren Ränder zerfließen, sondern ein begrenzter Gruppenzusammenhang. Zu den Junghegelianern werden in dieser Arbeit diejenigen gerechnet, die ausgehend von der Spaltung der Hegelschule sich in einem eigenständigen Gruppenzusammenhang konstituieren, indem sie ihre Ausdeutung der Hegelschen Philosophie nicht als einzelne denkerische Initiativen, sondern als einen neuen Diskussionsrahmen setzen. Wer in diesen Kreis eintritt, muß sich gleichsam auf den Boden der junghegelianischen Hegelinterpretation stellen. Das Zentrum dieser Interpretation ist die Erweiterung der philosophischen Reflexion um die Frage nach der Verwirklichung der Philosophie. Der Begriff >ideologische Gruppe< soll hier nicht verwendet werden, da er in erster Linie an modernen Erscheinungen: wie z. B. den ideologischen Eliten oder an parteipolitischen Fraktionierungen orientiert ist.136 Zwar wird man sagen können, daß in den junghegelianischen Gruppenspaltungen das moderne Phänomen ideologischer Gruppen sich auftut, daß es sich, so gesehen, um protoideologische Gruppen handelt, aber eher zutreffend ist der Begriff der >kulturellen Gruppe<. Denn die Gruppenmitglieder vertreten nicht nur divergierende >Ideologien<, vielmehr besteht gerade das >Wir< der Gruppe darin, daß sie im Medium der Sprache und des Dialogs ihre Intentionen aneinander bilden und korrigieren. Dies tun sie im Bewußtsein, mit der Hegeischen Philosophie zugleich das kulturelle Erbe des Abendlandes anzutreten. Dies kann man ihnen natürlich streitig machen, aber dazu muß man das tun, was sie auch getan haben: in einer kulturellen Gruppe diskutie-
42
3. Methodologisch-theoretische Fragen a) Bemerkungen zur Gruppensoziologie Ein für den Soziologen meist untrügliches Merkmal von Übergangszeit ist die Konjunktur von Gruppen. Dies gilt für den Vormärz ebenso wie für die Gegenwart. In Zeiten spürbareren sozialen Wandels - mag er sich nun mehr im sozialstrukturellen oder im normativ-kulturellen Bereich vollziehen - machen die Individuen in vermehrtem Maße Gebrauch von ihrer Fähigkeit, über die gegebenen sozialen Verflechtungen hinaus Gruppen zu bilden. So hat auch das Wort >Gruppe< in den Sozialwissenschaften in den letzten Jahren eine modische Konjunktur erfahren, die es erforderlich macht, den Begriff >Gruppe< präziser zu definieren.137 Der offensichtliche Nachteil des Begriffs >Gruppe< ist, daß er nahezu ubiquitär zu verwenden ist. Aber diese mißliche Unscharfe, verweist sie nicht auf Verunsicherungen, denen das Denken über Gesellschaft ebenso wie die soziale Selbstverortung der Individuen ausgesetzt ist? Von Gruppen zu reden, dies signalisiert zwar ein Gesellschaftliches, aber weniger mit der Schwerkraft, die Begriffe wie etwa >Klasse< oder »Institution mit sich führen, als vielmehr mit einer Art zukunftsgerichteter Tönung, die mehr auf die Möglichkeit von Gesellschaft sich richtet. >Gruppe< ist im doppelten Sinn ein leichtsinniger Begriff. Er zielt mehr auf die Kreation von sozialen Beziehungen, als auf >angestammte< soziale Bindungen. Um dem Begriff der sozialen Gruppe einen präzisen Sinn zu geben, ist es nicht sinnvoll, ihn als bloßes Substitut für scheinbar >unpassende< andere Begriffe zu nutzen. Wenn in dieser Arbeit von einer Intellektuellengruppe die Rede ist, so ist damit der Begriff der Intelligenzschicht nicht einfach aufgelöst, denn nur dort, wo soziale Beziehungen zwischen Intellektuellen existieren, kann überlegt werden, ob es sich um eine Gruppe handelt.138 Viele Mitglieder der Intelligenzschicht sind eben nicht zugleich Mitglieder in Intellektuellengruppen. Auch reicht das Bestehen von sozialen Beziehungen nicht aus, um von einer Intellektuellengruppe zu reden. So tritt zwar jeder Autor, der etwas publiziert, in eine soziale Beziehung zu seinen Kollegen, die seine Leser sein könnten. Dennoch wäre es verfehlt, diese eine Gruppenbeziehung zu nennen. Soziale Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern sind noch einmal von besonderer Art. J. P. Sartre hat in der Gruppe eine Negation des Kollektivs gesehen. 139 Kollektive Ansammlungen, die in oder um gegenständliche Substrate wie Fabriken, Straßen, Wohnkomplexe, Fernsehempfänger usw. anzutreffen sind, stellen Pluralitäten dar, zwischen denen der Beziehungstyp der Serie anzutreffen ist. Zwischen den einzelnen einer Serie bestehen auch soziale Beziehungen, seien es funktionelle Arbeitsteilungen oder seien es identische Interessen (etwa einen Film in einem ganz bestimmten Lokal sehen zu wollen), aber diese Beziehungen werden durch »Alteritätsverhaltensweisen« hergestellt, d. h. jeder ist für jeden nur der Andere, mit dem ich mich um einen kollektiven Gegenstand vereinigt finde.140 Die Serialitätsstruktur ist der grundlegende Typ des Sozialen. Sie ist es, die von der Gruppe negiert wird, aber zugleich ist die Gruppe auch Rückabsorptionstendenzen der Serialität ausgesetzt, denen sie als sterbende Gruppe noch vor ihrem
43
Sartre hat als entscheidende Verbindung der Glieder der Serie die Ohnmacht herausgestellt. Weil jeder für jeden der Serie ein nur Anderer ist, ist die Handlung, auch wenn sie das Gefüge der Serie verändert, doch immer nur eine isolierte Handlung.142 Erst in der Negation der Serie, d. h. in dem Moment, in dem die Vermittlungen durch Gegenstände und die Alterität der Beziehungen übersprungen werden, entsteht eine Gruppe. In ihr habe ich mich ebenso wie der vormals bloß Andere in einen Dritten verwandelt. In der Negation der Serialität konstituiert sich die Gruppe als eine Beziehung von Dritten. Jeder ist der Dritte, ich sehe nicht den Anderen zur Gruppe kommen, »ich sehe mich in ihm zur Gruppe kommen, (. . .). In der fusionierenden Gruppe ist der Dritte meine verinnerte Objektivität. Ich fasse sie in ihm nicht als Andere auf, sondern als die meine.«143 Sartres Gruppe von Dritten entspricht der Sache nach dem, was gemeinhin das >Wir< der Gruppe genannt wird, wobei Sartres Begrifflichkeit deutlich macht, daß erst durch einen Sprung, durch eine markante Verrückung des wahrgenommenen Realitätsfeldes eine Gruppe sich konstituiert. Sartres Insistieren auf dem Akt der Negation verweist auf eine Philosophie der Freiheit, die nur schwer vom Gruppenbegriff zu trennen ist. Zufallsgemeinschaften oder Zwangsverbände sind nicht notwendigerweise soziale Gruppen, sie können es werden, wenn sie aus der wie auch immer gelagerten Not ihres Zusammenseins eine wie auch immer geartete Tugend machen. Mit der Verrückung des Realitätsfeldes entsteht zugleich eine Zeitdimension, in der die Gruppe sich bewegen wird. Bloß situative Koalitionen, die nur aufblitzen, um gleich wieder in die Serialität zurückzufallen, sind keine sozialen Gruppen. Andererseits können sich, der Erfahrung nach, Gruppen nur dann dauerhaft verstetigen, wenn sie Züge von Institutionen annehmen, d. h. langsam in die Serialität eingehen. Viele Religionsgemeinschaften sind aus Gruppen hervorgegangen und zu Institutionen geworden. Die Zeitdimension von sozialen Gruppen ist begrenzt, sei es durch eine Auflösung in Form des Verschwindens oder in Form vermehrter Institutionalisierung. Wo eine mittlere Zeitdauer, die zwischen situativer Koalition und Institutionalisierung liegt, vorhanden ist, kann von sozialen Gruppen gesprochen werden. Ebenso sinnvoll wie die Begrenzung des Begriffs Gruppe in zeitlicher Hinsicht ist die quantitative Begrenzung. Bei einer Anzahl von drei bis ca. fünfundzwanzig Individuen wird man von einer >kleinen Gruppe< sprechen. Handelt es sich um Zusammenhänge größerer Art, etwa von fünfundzwanzig bis hundert Individuen, so muß von einer >großen Gruppe< gesprochen werden. Wo in noch größeren Dimensionen von Gruppe gesprochen wird, verliert der Begriff zunehmend seine Präzision bzw. muß stark formalisiert werden, um eine Abgrenzung zu Verband, Anstalt, Gemeinde etc. zu ermöglichen. Am ehesten könnte man von Gruppenverbänden sprechen, die ihre Verbindung über Delegation, aufgestockte Vertretergremien, Führungsstäbe etc. herstellen, wenn es um Größenordnungen von500-l.000 Personen geht.144 Sowohl was den Zeitraum wie, was den Umfang angeht - der Begriff der sozialen Gruppe kann nur dort sinnvoll verwandt werden, wo es sich um Zwischengrößen handelt, die durch andere Begriffe nicht abgedeckt werden. Daß ein beträchtlicher Rest von Vagheit dem Gruppenbegriff anhaftet, steht außer Frage, aber ich sehe
44
hierin keinen Mangel. Denn es sind ja nicht zuletzt die unsicheren Fragen: Wann können wir uns eine Gruppe nennen? Wie lange werden wir zusammenhalten? Was wird, wenn wir zusammenschrumpfen oder uns vergrößern?, die Gruppen beschäftigen. Diese Vagheiten definitorisch einfach tilgen zu wollen, könnte zur Folge haben, sich Erkenntniszugänge zum Phänomen sozialer Gruppen zu verbauen. Wenn im Begriff der sozialen Gruppe immer auch der Gedanke an ein auf Autonomie gerichtetes Streben mitschwingt, so ist zugleich daran zu erinnern, daß sich die Gruppe, die die Serialität negiert, zugleich in einem spezifischen Spannungsfeld von Autonomie und Zwang bewegt. Dies übersieht Ciaessens, wenn er in seiner Gruppentheorie einseitig die Zwänge herausstellt, denen sich die Gruppenmitglieder nicht entziehen können, wie etwa: »1. den Zwang zur Selbstdarstellung - für jedes einzelne Mitglied; 2. den Zwang, den anderen - eben in dessen Selbstdarstellung - registrieren zu müssen; 3. den Zwang zur Bildung eines Binnemelbstverständnisses der gesamten Gruppe; und 4. den Zwang zur Außendarstellung der Gruppe gegenüber der >Umwelt<«. 143 Betrachtet man diesen Katalog, so fällt auf, daß sich die genannten Zwänge ebensosehr als Potentialitäten reformulieren lassen. Als eine besondere Möglichkeit zur Selbstdarstellung, die anderswo nicht gegeben ist, als Chance, den anderen mehr registrieren zu können als gewöhnlich etc. Weder eine Fundamentalisierung des Aspekts gesellschaftlicher Zwangsläufigkeit noch eine Verklärung des gemeinsamen Konstitutionsaktes führt in der Diskussion um eine Theorie der Gruppe weiter. Das Mysterium von Gruppenprozessen liegt in gleichsam infinitesimalen Differenzbewegungen, die jedes Gruppenmitglied vollzieht, Differenzbewegungen, mit denen das >Hier in der Gruppe< als von anderen Lebensbereichen unterschieden bewertet wird. Jedes Gruppenmitglied differenziert fortlaufend zwischen dem, was als serielle Verstreuung erscheint, und dem, was als >Wir< der Gruppe gilt. Diese Differenzbewegungen verlaufen nicht synchron, und sie sind aller Gruppen-Programmatik zum Trotz nicht synchronisierbar. Meine Unterscheidung von Serialität und >Wir< wird - abgesehen vielleicht von euphorischen, >heißen< Gruppenzuständen, die ihrer Natur nach nur sehr kurz sind - in der Regel nicht mit der Unterscheidung von Serialität und >Wir< zusammenfallen, die du machst. Die unterschiedlichen Differenzbewegungen, die in letzter Instanz verschiedenen Antworten, die wir geben, trennen uns jedoch nicht - wie man auf den ersten Blick annehmen könnte - vielmehr verbinden sie uns. Ob wir uns nach außen darstellen müssen oder wollen, ob meine oder deine Selbstdarstellung in der Gruppe dem Druck oder der Freiheit geschuldet ist - die verschiedenen Antworten, die wir einander geben oder vor einander zurückhalten, verbinden uns, weil sie nicht zusammenfallen. In jeder Situation kann jedem die >Tugend<, die er als Gruppenmitglied wünscht und will, zur Last werden, deren Zwangscharakter er sich doch entziehen wollte. Weil die Spaltung mehr oder weniger jeden betrifft, hält die Gruppe zusammen. Erst wenn eine wechselseitige Sicherheit entsteht, im Verhalten des Anderen nur noch serielle Betriebsamkeit, einen Verrat an den Zielen, ein ungeschichtliches Festhalten am Mythos der Gruppe oder ein Erkalten des Interesses zu sehen,
45
schwindet die Bindekraft des Gruppenzusammenhangs. Alle diese negativen Elemente sind als Differenzbewegungen immer schon in der Gruppe vorhanden. Solange aber Unsicherheit darüber besteht, wo sich diese Differenzen festmachen lassen, lebt die Gruppe. Wenn dagegen die Gruppe sich einig geworden ist, wie sich Zwang und Autonomie genau verteilen, gibt es nichts mehr zu sagen. Die gemeinsamen Ziele vereinzeln sich. Entweder einzelne verlassen die Gruppe, oder die Gruppe implodiert, oder sie spaltet sich in Brudergruppen, die neue Kohärenzen ausbilden. Austritte, Auflösungen und Spaltungen gehören ebenso mit zum Gruppengeschehen wie ihre Kontinuitäten. Oft scheint in diesen Prozessen das auf, was die Gruppe zusammengehalten hat. Wo ein sozialer Zusammenhalt >sangund klanglos< verschwindet, hat es sich wahrscheinlich kaum um eine soziale Gruppe gehandelt. b) Interaktionistischer und diskursanalytischer Zugang Die Junghegelianer sind eine diskutierende Gruppe. Die Debatte, der theoretische Streit, der Austausch von Argumenten ist das Lebenselement dieser Gruppe. Wie aber läßt sich ein soziologischer Zugang zu dem auf den ersten Blick einfachen Phänomen einer diskutierenden Gruppe finden? Die Zugangsweise, der zunächst nachzugehen ist, beginnt mit der Frage, inwieweit das, was einer in der Gruppe sagt, abhängig ist, von dem, was andere zuvor gesagt haben. Offensichtlich handelt es sich bei Diskussionen um Interaktionen von Individuen, deren Meinungen, Anschauungen, Ideen aus der sozialen Interaktion entspringen und in ihr abgeändert werden. Meine Frage hat nicht allein einen Grund in mir, sondern ebenso einen Grund im anderen, den ich frage. Meine Antwort bezieht sich zwar auf die Frage des anderen, aber ebenso antworte ich mir selbst, indem ich die Frage des anderen meinem Grund zuführe. Reziprok gehe ich davon aus, daß es sich beim anderen ebenso verhält. Seine wie meine Auffassungen entspringen aus unserer Interaktion, bzw. die Auffassungen, die jeder von uns mitbringt, sind in der Vergangenheit aus im Kern verwandten Interaktionen mit anderen entsprungen. Für den interaktionistischen Zugang entspringt die Bedeutung, die ein Gegenstand gewinnt, nicht aus der >Natur der Sache< und auch nicht aus den der Sache zuströmenden Affekten, sondern eben aus der sozialen Interaktion.146 So plausibel dieser Zugang ist, es bleibt zu überlegen, auf welches Problem er antwortet. Die interaktionistische Betrachtungsweise antwortet in spezifischer Weise auf die im Hintergrund jeder Analyse von Diskussion - insbesondere natürlich bei intellektuellen Debatten - liegende Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Aussagen, die gemacht werden.147 Wo die Bedeutung, die ein Gegenstand gewinnt, nicht von der >Natur der Sache< herrührt, und diese auch nicht mehr eine richtende Funktion haben soll, wie dies in der klassischen Formel veritas est adaequatio intellectus ad rem mitgegeben ist, ist der interaktionistische Analytiker zunächst entlastet. Er hat die philosophische Wahrheitsfrage ausgeklammert, ohne in einen uferlosen Irrationalismus zu verfallen, denn ebenso wie die >Natur der Sache< sind die der Sache zuströmenden Affekte in ihrer bedeutungskonstituierenden Rolle zurückgedrängt. Pointiert gesprochen, markiert der interaktionistische Zugang
46
zwischen philosophischem Problem und psychologischem Problem eine Art soziales Territorium, von dem her gedacht wird. Aber dies ist nicht nur eine Frage der Disziplinen. Man könnte auch daran denken, daß der interaktionistische Zugang auf bestimmte Gefährdungen des Dialogs sich bezieht, wenn er sich so abgrenzt. Denn eine Gefährdung des Dialogs wäre es, wenn eine privilegierte Instanz mitspräche, deren Privileg es wäre, das >letzte Wort< zu haben. Die Instanz >Natur der Sache< hätte, würde sie anerkannt, dies Privileg. Auf der anderen Seite wäre der Dialog gefährdet, wenn ich in der Hauptsache annehmen müßte, die Bedeutungen, die mein Gesprächspartner Gegenständen gibt, resultierten aus einer im Kern unauflösbaren fetischistischen Liebe, die er ihnen entgegenbringt, einem Strom von Affekten, der mir den Eindruck vermittelte, über diese oder jene Gegenstände läßt er weder mit mir noch mit sich reden. Der interaktionistische Zugang zum Phänomen einer diskutierenden Gruppe hat dort seine Stärke, wo es darum geht, den Blick auf den Austausch von Auffassungen und Ideen zu richten. In diesem Austausch, der der Logik von Frage und Antwort folgt, leistet jeder Diskutierende etwas für die Aussagen des anderen, und er zehrt von den Beiträgen anderer. Seine Ideen sind nicht allein individual-schöpferisch seine Ideen, sie sind zwar individuell profiliert, aber zugleich Übernahmen, Entwendungen, Ausfüllungen und Verwerfungen der Ideen anderer. Reziprok gilt dies für alle, die die Kommunikationsgemeinschaft bilden. Für die Junghegelianer eignet sich ein interaktionistischer Zugang deshalb, weil die Entwicklung der Auffassungen eines jeden so sehr mit der Diskussion in der Gruppe verflochten ist, daß eine isolierende Betrachtungsweise kaum möglich ist. Diesen Sachverhalt hat der Historiker G. Mayer schon früh bemerkt, als er von der Aufgabe sprach, »das geistige Eigentum der führenden Berliner Junghegelianer deutlicher als es bisher möglich war, abzugrenzen. Das sich überstürzende Tempo, in dem die Selbstauflösung der spekulativen Philosophie sich schließlich vollzog, auch der enge persönliche Verkehr der wichtigsten Vertreter, den man als eine ständige gegenseitige Beeinflussung auslegen kann, macht diese Arbeit zu einer ungemein schwierigen«.148 In den etwa sieben Jahren intensiver Diskussion hat jeder Junghegelianer in Abhängigkeit vom kollektiven Diskussionsprozeß seine Auffassungen bisweilen im Rhythmus eines Jahres oder weniger Monate tiefgreifend verändert, er hat sie nicht einfach gradlinig ausgebaut, sondern korrigiert und teilweise verworfen. Die Argumente finden sich von einem Stadium der Diskussion zum anderen neu verteilt wieder. Die Gruppenmitglieder reagieren ständig aufeinander; ihre Schriften bilden ein Netzwerk von Aufnahme und Kritik, Gegenkritik und Anspielung. Angesichts dieses kontinuierlichen Prozesses von gegenseitiger Beeinflussung muß gefragt werden, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Aufgabe zu stellen, das geistige Eigentum< der einzelnen gegeneinander abzugrenzen. Sh. Na'aman hat in seiner Heß-Biographie ausgehend von einem speziellen Fall, bei dem die Frage des >geistigen Eigentums< von Marx bzw. Heß ungeklärt ist, grundsätzlich daraufhingewiesen, daß »das heikle Problem der >Beeinflussung<, des >Plagiats< und des intellektuellen Eigentums (. . .) bei der Arbeitsweise dieser gegenüber der Umwelt abgekapselten intellektuellen Gruppe methodisch nicht am Platze ist: was in sol-
47
chen Kreisen ausgedacht wird, wird in nicht endenwollenden Diskussionen verarbeitet, tags in Arbeitskammern und nachts in der Kneipe. Wer zusammengehörte, benutzte die gleiche Terminologie, an der die >Partei< gleich kenntlich wurde, und innerhalb der >Partei< - die Fraktion (oder Clique, wenn man so will)«. 149 Gerade der interaktionistische Zugang eröffnet die Möglichkeit, die Gruppendiskussion als einen Austauschprozeß zu begreifen, bei dem das soziale Moment von aus der Interaktion entstehenden Gruppenvorstellungen gegenüber der isolierenden, auf die Kohärenz eines Theoretikers bezogenen ideengeschichtlichen Betrachtungsweise hervorgehoben wird. Dennoch reicht der interaktionistische Zugang allein nicht aus. Er konstituiert zwar eine soziale Perspektive des Tausches, die geeignet ist, die philosophische oder psychologische Fixierung von Bedeutung zu verflüssigen, aber diese Perspektive - bei all der Wertschätzung, die sie dem Dialogischen entgegenbringt - läuft Gefahr, einen bestimmten Typ von Gefährdung des Dialogs zu übersehen. Für diese Perspektive wäre ein adäquates Verständnis von Diskussion erreicht, wenn es gelänge, die beiden bedrohlichen Gestalten: das >letzte Wort< der Sache selbst und die Verweigerung der Kommunikation, die nicht von fetischistischer Obsession ablassen will, an den Rand zu drängen. Wie aber, wenn diese beiden Gefahren blind machten für eine dritte, die nicht von den Peripherien her droht, sondern gleichsam im Innern von Diskussion auftaucht? Ich möchte diese Gefahr die sophistische nennen und einen zweiten soziologischen Zugang um sie gruppieren. Es kann mir in der Diskussion geschehen, daß in irgendeiner Weise die Beziehung zwischen meiner Intention und meiner Aussage brüchig wird, oder daß ich eine Antwort gebe, die zwar der Forderung auszutauschen gehorcht, aber quasi eine >leere< Antwort ist. Ebenso kann ich die Beiträge anderer als bloß Gesagtes, aber nicht Gemeintes oder als >leeres Gerede< erfahren. Im Sinne des Interaktionismus könnte man zwar von verzerrter oder mißglückter Interaktion reden, bei der die Reziprozitäten gestört sind. Aber warum findet >leeres Gerede< statt? Offenbar gibt es in Diskussionen nicht nur das Problem, daß Intentionen zum Ausdruck gebracht werden, verzerrt oder nicht verzerrt, sondern auch das Problem, daß geredet werden muß, daß einfach eine Rede da ist, die fortgesetzt wird. Dieses Selbstzweckhafte der Rede macht das sophistische Problem aus.150 In die Richtung eines drohenden Sophismus geht die klassische Frage: »Und auf welche Weise willst Du denn dasjenige suchen, Sokrates, wovon du überhaupt gar nicht weißt, was es ist? Denn als welches Besondere von allem, was du nicht weißt, willst du es dir denn vorlegen oder suchen? Oder wenn du es auch so gut träfest, wie willst du denn erkennen, daß es dieses ist, was du nicht wußtest?«151 In dieser Frage scheint die Möglichkeit eines >leeren Geredes< auf. Die Rede gewinnt hier einen selbständigen Ereignischarakter. Durchtrennt sind die Bindungen zwischen Intention und Handlung, sie sind in doppelter Weise durchtrennt. Eine Differenzierung, die A. Schütz gemacht hat, aufgreifend, könnte gesagt werden: weder mein »Um-zu-Motiv« noch mein »Weil-Motiv« gelangen in der sophistischen Rede zum Ausdruck.152 Sophistische Rede ist prinzipiell möglich, weil sich Gesagtes nicht auf die Intention beschränken läßt, sondern Sprache mit jedem Wort zu >abwegigen< Assoziationen ebenso wie zu Pseudologik einlädt.
48
Gadamer hat daraufhingewiesen, daß bei Piaton im Menon der 2itierte Einwand »bezeichnender Weise nicht durch eine überlegene argumentative Auflösung überwunden (wird), sondern durch die Berufung auf den Mythos der Präexistenz der Seele.«153 Nicht logisch, sondern mythisch wird der drohende Sophismus außer Kraft gesetzt. Im Medium des argumentativen Sprechens könnte ein Sophismus zu weiteren Sophismen Anlaß geben. Ein Wort gibt das andere. Eine wirksame Begrenzung des sophistischen Geredes ist interaktionistisch schwer vorstellbar. Um dieser Gefahr Herr zu werden, ist ein zweiter Zugang erforderlich. M. Foucault hat die These aufgestellt, »daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.«154 Weil in jeder Situation von Diskussion die sophistische Gefahr lauert, ist zu fragen, welche sozialen Arrangements vorliegen, um der latenten Tendenz sich verselbständigender Rede zu begegnen. Es darf nicht überall alles gesagt werden, es gibt soziale Regeln, die die Diskussion begrenzen. Solche Regeln lassen sich typisieren. Foucault nennt drei große Formen der Ausschließung: Das Verbot, das sich auf das Reden über bestimmte Dinge oder das Rederecht bestimmter Personen bezieht, die Entgegensetzung von Vernunft und Wahnsinn, mit der ein bestimmter Typ von Rede zu »sinnlosem Geräusch« wird, und schließlich eine dritte Form der Ausschließung, die in modernen Gesellschaften die beiden ersten zunehmend verdrängt: der Wille zur Wahrheit. Diese Form hat sich historisch früh um die Bewältigung der sophistischen Gefahr erstmals im Griechenland des 5. Jahrhunderts gebildet und zahlreiche Transformationen erfahren. Die Verbannung der Rede um der Rede willen, die Ermächtigung der Rede, die vom Willen zur Wahrheit geleitet ist, diese Grenzziehung ist rein diskursiv nicht zu erreichen, sie erfolgt vielmehr in Medien sozialer Macht. Die Ausscheidung der sophistischen Gefahr bedarf institutioneller Merkmale, die den Grund der Diskussion festlegen. Nur auf ihre Rede gestützt, hätten die Diskussionsteilnehmer nur wenig in der Hand, um >leeres Gerede< zu bannen. Wenn ein Teilnehmer das Wort ergreift, um der bedrohlichen Verselbständigung der Debatte zu begegnen, so wird er die Gruppe daran erinnern, wozu sie zusammengekommen sind, was ihre Aufgabe ist. Er wird auf die Existenzbedingungen der Gruppe zu sprechen kommen, mögen sie nun in selbstgesetzten sozialen Normen oder verordneten Aufgabengebieten liegen. Er wird versuchen, die Debatte auf ihren Grund zurückzuführen. Dieser Grund ist etwas, das nicht zur Disposition steht. Andernfalls ginge man in vier Himmelsrichtungen auseinander. Der Wille zur Wahrheit ist sozial nicht freischwebend, er wirkt erst in sozial definierten Zusammenhängen, deren Definitionen - in doppeltem Sinne von Begrenzung und Eindeutigkeit - das Maß dafür abgeben, was dem Willen zur Wahrheit folgt und was nicht. »Es ist immer möglich, daß man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven >Polizei< gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muß«.155 Um die diskursanalytische Perspektive von Foucault läßt sich insofern ein sozio-
49
logischer Zugang gruppieren, als hier auf den Aspekt sozialer Macht Bezug genommen wird, einer sozialen Macht, die nicht am Vermögen des einzelnen festhaftet, sondern die immer zugleich mit den Anerkennungsbewegungen gegeben ist, die Individuen für ihr gemeinsames Dasein vollziehen. Für die Junghegelianer ist dieser zweite diskursanalytische Zugang von gleichwertiger Bedeutung wie der interaktionistische. Auch diese Gruppe definiert das entscheidende Feld, in dem allein der Wille zur Wahrheit als legitimer sich zeigen kann. Von besonderer Bedeutung ist nun, daß die Junghegelianer im Prozeß der Diskussion den kollektiven Grund ihrer Existenz verändert haben. Die Junghegelianer definieren sich zunächst als eine philosophische Schule. Aber sie wollen zugleich etwas anderes werden, nämlich eine politische Partei. Sie versuchen, ihre soziale Definition gleichsam umzubauen, indem sie den Willen zur Wahrheit nicht mehr nur in dem philosophischen Gespräch verorten, sondern ihn erst im Felde parteipolitischer Praxis aufblühen sehen. In den Zwischenräumen des Übergangs von der philosophischen Schule zur politischen Partei tut sich für sie jedoch eine dritte Möglichkeit der sozialen Definition auf: sie entdecken sich als eine Gruppe journalistischer Boheme. Schließlich sind ihre Debatten auch noch von einer vierten sozialen Definition durchzogen, die ihnen teils zugemutet wird und die sie teils als ein inneres Band akzeptieren. Was sie von anderen unterscheidet ist das Band, das sie als eine atheistische Sekte umschließt. Alle vier Definitionen lösen teils einander ab, teils überlagern sie sich, teils werden Kreisbewegungen vollzogen. In den Übergängen und Doppeldefinitionen dessen, was der soziale Sinn ihrer Gruppe ist, bricht immer wieder die sophistische Gefahr durch, und sie kann nur gebändigt werden durch eine angestrengte und sichernde Debatte über das, was der Grund der Gruppe sein soll. Am Ende der junghegelianischen Debatte werden schließlich Zeitgenossen, die nicht mehr wissen, womit sie es bei den Junghegelianern zu tun haben, auf die Idee kommen, daß in ihnen »moderne Sophisten« auferstanden sind.156 c) Zum Problem heterologer Zugänge Beide Zugangsweisen, die in dieser Arbeit erprobt werden, die interaktionistische und die diskursanalytische, sind theoretisch kaum zu vereinheitlichen. Sieht man in den Zugangsweisen nur die methodische Seite, so könnte wie selbstverständlich auf die Notwendigkeit eines Methodenpluralismus verwiesen werden, ohne den kein Gegenstand von hinreichender Komplexität zu bearbeiten ist. Beide Zugangsweisen enthalten jedoch darüber hinaus grundlegende Perspektivierungen, die verfügbar zu machen leichter gesagt als getan ist. Es handelt sich um Perspektivierungen, die jede für sich und heterolog zueinander das Soziale der Diskussion mit Blick auf ein mögliches Fundament bestimmen. Der interaktionistische Zugang rückt die kommunikative Seite der Situation des Austausches ins Zentrum. Was sich dem Austausch entzieht, gefährdet die Kommunikation. Es kann gezeigt werden, wie bestimmte Theoreme im kommunikativen Austausch verwandelt werden, wie die Logik des Gesprächs, die Annahme und Abwehr von Begründungen zu neuen Definitionen führen. Die Analyse des sozia-
50
len Interaktionsprozesses der Gruppe kann Resultate aufweisen, die eine isolierte Betrachtung denkerischer Leistungen nur schwer in den Blick bekommt. Auch das >Wir< der Gruppe steht nicht außerhalb der Debatte. Die Begrenzungen des Diskurses werden thematisiert: die Begrenzungen des philosophischen Diskurses, in dem nur gesprochen, nicht praktisch gehandelt wird, die Begrenzungen des politischen Diskurses, der vor_: Realisierbaren her seine Schranken erfährt, die Begrenzungen der Diskurse subkultureller Boheme, deren Breitenwirkung in Zweifel steht, und die Begrenzung des religiösen Diskurses, dessen Dogmatismen den freien Tausch der Argumente behindern. Der interaktionistische Zugang kommt methodisch dem Phänomen einer kollektiven Selbstreflexion, die das Gesagte fortlaufend hinterfragt, entgegen. In diesem Zugang spricht sich das Ideal aus, daß Wahrheit nur dort erzeugt werden kann, wo Setzungen erkannt, Begrenzungen reflexiv überschritten, stumme Herrschaft der Kommunikation unterworfen wird.157 Heterolog dazu steht der diskursanalytische Zugang. Er rückt eine andere Erfahrung ins Zentrum: In jeder Kommunikation muß auch mit der Angst vor einer sich ausbreitenden Geschwätzigkeit umgegangen werden. Das Soziale von Kommunikation zeigt sich nicht in der Unendlichkeit der Worte, die gewechselt werden. Es geht nicht darum, Sprachlosigkeiten zur Sprache zu bringen, sondern die Unberechenbarkeit der Rede fortlaufend zu kontrollieren. Das Soziale, das sich konstituiert, wenn zusammen geredet wird, ist die gemeinsame Anstrengung, den Ereignischarakter von Rede zu bewältigen, ihre Überschüsse zu vernichten, ihren Mangel zu ertragen, ihre Unendlichkeit abzuschließen. Zugespitzt formuliert: der interaktionistische Zugang folgt einem Ideal, das gegen das sich verstockende Schweigen, in welcher Form es auch auftritt, gerichtet ist. Es gibt hier immer ein Zuviel von dem, was erst noch gesagt, gefragt, ins Spiel des Austausches gebracht werden muß. Der diskursanalytische Zugang folgt einem Ideal, das gegen die Inflation der Worte gerichtet ist. Es gibt hier immer ein Zuviel an Gerede, Berge von Sprachmüll, Assoziationsabfälle und pseudologische Ruinen, die nie vollständig beseitigt werden können, weil sie fortlaufend wieder anfallen. Beide Zugänge greifen Erfahrungsmomente auf, wie sie in Situationen von Diskussionen spontan entstehen. Im Alltag von Diskussionen in Gruppen - das kann reflektierte Selbsterfahrung und Gruppenbeobachtung zeigen - liegen beide Erfahrungen dicht beieinander, etwa als Erfahrung, daß etwas nicht zur Sprache kommt oder daß etwas zerredet wird. Auf eine methodische und theoretische Ebene lassen sich die Durchmischungen des Alltags jedoch nur schwer projizieren, weil methodisch-theoretische Reflexion programmatisch von einer geordneten, homogenen Struktur des intellektuellen Bewußtseins ausgehen muß. Theorie kann sich die Ungenauigkeiten des Alltags nicht leisten. Sie muß trennen, ausklammern, ebenso wie konstruieren, Verbindungen herstellen, die auf einen kohärenten Sinn verweisen. Der der Wirklichkeit abgerungene kohärente Sinn ist notorisch radikal, er drängt auf Entweder-Oder-Entscheidungen. Faule Kompromisse sind Sünden wider den theoretischen Geist. Als bloße methodische Varianten gefaßt ließen sich beide Zugangsweisen harmlos verbinden. Wie aber müßte eine theoretische Struktur beschaffen sein, in der die Gegensätzlichkeit beider Positionen ausgehalten und durchgeführt werden
51
könnte, eine theoretische Struktur, die den fatalen Hang zum Fundamentalen zugleich großzügig anerkennt und jene Fallen vermeidet, in die jede Fundamentalisierung gerät? - Heterologie nennt Georges Bataille ein Denken, das sich auf das richtet, was theoretische Systeme ausscheiden, um sich zu beruhigen.158 An Batailles Heterologie wäre ebenso anzuschließen wie an ein Theorem von Siegfried Kracauer: Wo bewußt geworden ist, daß theoretische Kohärenzen einen Hang zur Ausschließlichkeit haben, muß das >Entweder-oder< durch ein >Seite an Seite< ersetzt werden.159 Was sich der Maler Raffael geleistet hat, Anliegen differenter Philosophien Seite an Seite zu stellen, darf sich auch Theorie leisten. Der Bezug, in dem zwei heterologe Ansätze zueinander stehen, muß Kracauer zufolge »theoretisch undefinierbar« gehalten werden. Er plädiert für einen »Halt auf halber Strecke«, der sich die hastige Herabsetzung der je heterologen Position versagt und versagen muß, weil in letzter Instanz nicht auf die homogene Struktur des intellektuellen Universums vertraut werden darf. »Bei Annahme dieser Einsicht ist der Boden für eine theoretische Bestätigung der namenlosen Möglichkeiten bereitet, von denen anzunehmen ist, daß sie in den Zwischenräumen der vorhandenen Lehren hoher Allgemeinheit existieren und auf Anerkennung warten.«160
4. Forschungen zum Junghegelianismus Der bei weitem größte Teil der vorliegenden Forschungen zum Junghegelianismus bezieht sich auf deren weitreichende theoriegeschichtliche Bedeutung. Saß hat auf einer Tagung anläßlich des 100. Todestages von Ludwig Feuerbach für die junghegelianischen Debatten der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts die These aufgestellt: »alle Spielarten überhaupt möglicher kritischer Theorie, alle Spielarten von Anarchismus und Existentialismus sind ja doch einfach in Berlin durchgespielt worden, und alles, was später kam - um jetzt meinerseits eine These zu überspitzen -: alles, was später kam, sind Neuauflagen: Adorno, Marcuse, Habermas und Heidegger; sie sind nicht nur historisch später, sie sind auch weniger originell, zugegeben in manchem gründlicher, im Grundsätzlichen schon lange durchgespielt in jenen Jahren in den zwei, drei Stammlokalen, die man in Berlin hatte.«161 Die These ist zugegeben überspitzt, aber schon ein kurzer Überblick über einige der Wirkungen junghegelianischer Debatten mag das kaum abzuschätzende Ausmaß von Traditionssträngen verdeutlichen, das von diesen Gruppenzusammenhängen ausgegangen ist. (Eine ausführliche Darstellung der Forschungssituation zu einzelnen Junghegelianern würde die Arbeit sprengen, ich versuche im folgenden, in den Anmerkungen einige orientierende Hinweise zu geben und verweise im übrigen auf das Literaturverzeichnis.) Zunächst ist an die bekanntesten Junghegelianer Marx und Engels zu denken. Innerhalb der junghegelianischen Debatten bilden sie die zentralen theoretischen Elemente ihrer gesellschaftstheoretischen und ökonomiekritischen Auffassungen aus. Der Junghegelianismus ist so seit langem zu einem festen Bestandteil der Literatur über Marx und Engels geworden.162 Unverkennbar ist dabei in vielen Arbei-
52
ten aber auch das Bestreben, die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus aus dem Kontext der Junghegelianer herauszulösen, um ihre singuläre Stiftungsfunktion hervorzuheben.163 Die orthodox marxistische Literatur folgt bei der Darstellung der Genese der Marxschen Auffassungen zumeist der Marx-Engelsschen Selbstinterpretation ihrer junghegelianischen Phase. Den Junghegelianern wird hier eine temporäre Bedeutung im Zusammenhang der Auflösung des Hegelianismus und der politischen Radikalisierung im Vormärz zugewiesen. Ihre Auffassungen kommen unter der Perspektive der Marx-Engelsschen Polemiken zur Sprache, und diese nachvollziehend, werden ihre Positionen als mehr oder weniger ideologisch beurteilt. Ohne eine Ernstnahme der theoretischen Alternativen der junghegelianischen Mitstreiter von Marx und Engels ist jedoch ein fundiertes Marxverständnis kaum zu erreichen. Im Zusammenhang der Krise des Marxismus, die von K. Korsch bereits 1931 treffend analysiert wurde,164 sind jene Tendenzen zu sehen, die zu einer vermehrten Beschäftigung mit Sozialismus- und Anarchismuskonzeptionen geführt haben, die von der traditionellen deutschen Sozialdemokratie und dem Marxismus-Leninismus ausgegrenzt wurden. Auch hier weisen die Spuren zurück in die junghegelianischen Debatten: mit Michail Bakunin165 hat der europäische Anarchismus hier einen seiner Ausgangspunkte, und der Junghegelianer Moses Heß166 gilt heute nicht nur als einer der Begründer des Sozialismus in Deutschland; die >Philosophie der Tat<, die er und andere Junghegelianer entwickelten, verweist ebenso wie die frühsozialistischen Theorien gerade auf jene subjektiv-aktiven Dimensionen von Emanzipationstheorie, die der orthodoxe ökonomistische Diskurs erstickt.167 In der Geschichte der politischen Parteien in Deutschland haben die Junghegelianer ihren festen Platz erhalten, weil von ihnen erste Ansätze einer Theorie der Partei ausgingen. Darüber hinaus verbindet sich mit den Junghegelianern Arnold Rugel6S und dem ihm zur Seite stellenden, kaum bekannten Karl Nauwerck169 die Kontroverse, ob es vor 1848 ein Programm und organisatorische Ansätze einer demokratischen Partei gegeben hat, die gegenüber dem Liberalismus des Vormärz eine Eigenständigkeit besaß und somit beanspruchen kann, zu den Anfängen der deutschen demokratischen Bewegung gerechnet zu werden.170 Kontrovers bis in die Gegenwart hinein ist auch die Bedeutung, die dem Junghegelianer Ludwig Feuerbach171 zugemessen werden muß. Hat er sich durch seine religionskritische Transformation von Religion in Politik, wie Rohrmoser meint, »zu einem Kirchenvater des 20. Jahrhunderts« qualifiziert?172 Oder kann Feuerbachs »Wesen des Christentums« der modernen Theologie als Rettungsanker dienen? Oder ist mit Feuerbachs Politisierung der Sinnlichkeit eine Korrektur an Marx vorzunehmen, wie A. Schmidt vorschlägt, eine Korrektur, die zu einer »neuen Anthropologie« führt, wie sie H. Marcuse in Umrissen entwickelt hat? 173 Nicht nur die »neue Sensibilität« der Studentenrevolte der 60er Jahre, auch die vermehrte Reflexion auf die Folgen der Beherrschung innerer und äußerer Natur, wie sie in sog. neuen sozialen Bewegungen offenkundig ist, kommuniziert mit zentralen Motiven der Feuerbachschen »Philosophie der Zukunft«. Weitaus verdeckter dagegen ist die komplexe Wirkungsgeschichte des Junghegelianers Max Stirner174. Seine Renaissance um die Jahrhundertwende stand zunächst im Zeichen der Mackayschen Rubrizierung Stirners als »Individualanar-
53
chisten«. Aber Stirners Bedeutung reicht weit darüber hinaus. Er hat vor Nietzsche einen Typ radikaler Vernunftkritik entfaltet, der Anschlüsse nach verschiedenen Richtungen ermöglichte. Seine Konzeption des »Einzigen« hat nicht nur Nietzsche beeinflußt, sondern auch den europäischen Existentialismus und die moderne Sprachphilosophie. Trotz wichtiger Arbeiten, die in den letzten Jahren erschienen sind, steht die Erforschung des monumentalen Werks des Junghegelianers Bruno Bauer115 erst am Anfang. Ein Zeitgenosse wie der Hegelschüler und polnische Graf August von Geszkowski176, dessen geschichtsphilosophisches Hauptwerk kürzlich der philosophischen Diskussion wieder zugänglich gemacht wurde, urteilte bereits 1842 über Bruno Bauer: »Wenn man sagen wollte, daß Bruno Bauer keine bedeutende wissenschaftliche Erscheinung sei, so hieße dies eben so viel, als wenn man behauptete, die Reformation wäre kein bedeutendes Ereignis gewesen. Dies ist aber keine Frage mehr; er leuchtet bereits auf dem Horizont der Wissenschaft, ihn zu verdunkeln ist nicht mehr möglich, es kommt vielmehr jetzt darauf an, den Lauf dieses neuen Kometen zu lernen und zu berechnen.«177 Es ist wohl der irritierende Lauf dieses Kometen gewesen, der der Forschung nur schwer zu übersteigende Probleme aufgab. Daß Bauer in seiner Entwicklung mehrfach die politischen Fronten des 19. Jahrhunderts gewechselt hat und dennoch behauptete, immer derselbe zu sein und zu bleiben, hat ihn bis heute weitgehend inkommensurabel gemacht. Im folgenden möchte ich auf die Forschungen eingehen, die sich über die Beschäftigung mit einem Junghegelianer hinausgehend mit dem Gesamtkomplex des Junghegelianismus bzw. größerer Ausschnitte befassen. Ich gehe hierbei chronologisch vor, um damit auch deutlich zu machen, wann der Gesamtkomplex des Junghegelianismus und unter welchen Fragestellungen er thematisch geworden ist. Noch mit zur junghegelianischen Selbstreflexion gehören zwei Darstellungen der Entwicklung der Gruppe aus der Zeit vor 1848: Karl Schmidts »Das Verstandestum und Individuum« (1846)178 und B. Bauers »Vollständige Geschichte der Partheikämpfe in Deutschland während der Jahre 1842-1846« (1847). Gemeinsam ist ihnen die Geste des Abrechnens mit der Gruppengeschichte. Aber die Figur des Bruches mit der Gruppenvergangenheit hat in der Gruppe ihre eigene Geschichte. So stehen diese beiden Darstellungen gleichsam auf der Schneide von Abrechnung und Fortführung. Den Junghegelianismus als ein Phänomen, auf das zurückgeblickt werden kann, gibt es erst nach dem Jahr 1848, das für die Zeitgenossen einen heute kaum nachzuvollziehenden Bruch im Zeitbewußtsein darstellt. Nach 1848 ist - überspitzt formuliert - alles das diskreditiert, was vorher Geltung hatte.179 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geraten die vormärzlichen Debatten rasch in Vergessenheit, um erst um die Jahrhundertwende wieder in die Erinnerung zurückzukehren. Um so wichtiger ist es, auf die Texte hinzuweisen, die in den 50er und 60er Jahren erschienen und die auch für die heutige Forschung noch wichtige Informationen enthalten. Am bekanntesten ist die Darstellung von J. E. Erdmann (1866), die für die Erforschung des Zersetzungsprozesses der Hegeischen Schule unentbehrlich ist. Erdmann sah sich selbst angesichts der allgemeinen Hegelmüdigkeit als einen »letzten Mohikaner«, und er muß den Leser gleichsam in eine andere Welt versetzen, um
54
ihm deutlich zu machen, wie sehr die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen dreißig Jahre zuvor interessiert hat.180 Manchmal angeführt wird die anonyme Darstellung »Die deutsche Philosophie seit Hegels Tod« (1851), die von der Schwierigkeit spricht, »in dem kurzen Raum von zwei Jahrzehnten, mitten in dem Tumult kämpfender Parteien, bei dem Zusammensturz alter und der pomphaften Ankündigung neuer Systeme, bei dem philosophischen Sprachengewirr, in das sich noch die politischen und religiösen Tagesparolen mischen, den wesentlichen Gang der Entwicklung festzuhalten und einer so kurz abgegrenzten Epoche ein bestimmtes, charakteristisches Gepräge aufzudrücken.« - Hinter dem Anonymus verbirgt sich - wie ich hier erstmals mitteilen kann - der Junghegelianer Rudolf Gottschall. 181 Eingegangen ist diese Darstellung in erweiterter Form in seine Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts (1854)182 Dieses Werk ist von der Forschung kaum zur Kenntnis genommen worden, ebenso wie das Parallelunternehmen von Julian Schmidt, der sich in seiner Literaturgeschichte (21855) ausführlich mit dem »philosophischen Radikalismus« auseinandersetzt.183 Weder bei Erdmann und Gottschall, noch bei J. Schmidt findet eine positive Würdigung des Junghegelianismus statt. Die Katastrophe von 1848 wirkt nach in ihren Urteilen über die gescheiterten Emanzipationsversuche. Dafür bieten diese Arbeiten aufgrund der Vertrautheit der Autoren mit den Debatten der 40er Jahre viele Hinweise, die anderswo nicht zu finden sind. Der Junghegelianismus als ein bedeutendes Gesamtphänomen kommt erst wieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Blick. Zu nennen sind in erster Linie die klassischen Arbeiten von G. Mayer184 Nicht der philosophische Aspekt steht bei ihm und anderen im Zentrum, sondern die politische Frage nach den Quellen des Sozialismus und der Demokratie und nach der Entstehung von Parteien. Diese Problemstellung setzt sich bis in die 20er Jahre fort.185 Eine Renaissance der philosophischen Problematik des Junghegelianismus setzt Ende der 20er Jahre ein. Nicht mehr die Kontinuitäten der Weltanschauungsparteien des 19. Jahrhunderts werden diskutiert, nicht mehr die parteiprogrammistischen Differenzen von Sozialismus, Liberalismus, Anarchismus werden im Junghegelianismus entdeckt, vielmehr stehen sie für eine im Inneren des 19. Jahrhunderts aufgebrochene Krise, die den Status der aus der christlichen Tradition hervorgegangenen Philosophie zweifelhaft werden läßt.186 Unter dem Eindruck der faschistischen Bewegung und der Stalinisierung der Sowjetunion wird der philosophische Horizont des 19. Jahrhunderts, die Geschlossenheit der altbürgerlichen Welt, ein zunehmend verblassender Orientierungspunkt, für den ein Ersatz nicht bereit steht. 1939 schreibt K. Löwith: »Wer von uns könnte leugnen, daß wir noch durchaus von diesem Jahrhundert leben und eben darum Renans Frage - es ist auch die Frage von Burckhardt, Nietzsche und Tolstoi - verstehen: >de quoi vivra-t-on apres nous?«<187 Löwiths Antwort ist die entschiedene Resignation. Zwischen Hegel und Nietzsche markiert Löwith in den junghegelianischen Debatten einen geistesgeschichtlichen revolutionären Bruch, der auf die Problematik des 20. Jahrhunderts verweist: sich nicht mehr selbstgewiß in einer historischen Kontinuität zu wissen. Löwiths Arbeiten zum Junghegelianismus sind für die heutige Junghegelianerforschung nicht mehr wegzudenken. Zu denjenigen, die in den junghegelianischen Debatten einen Startpunkt für die
55
modernen politischen und philosophischen Auseinandersetzungen gesehen haben, gehört auch Carl Schmitt. Er schreibt 1947: »Wer die Tiefen des europäischen Gedankenganges von 1830-48 kennt, ist auf das meiste vorbereitet, was heute in der ganzen Welt laut wird. Das Trümmerfeld der Selbstzersetzung deutscher Theologie und idealistischer Philosophie hat sich seit 1848 in ein Kraftfeld theognonischer und kosmognonischer Ansätze verwandelt. Was heute explodiert, wurde vor 1848 präpariert. Das Feuer, das heute brennt, wurde damals gelegt. Es gibt gewisse Uran-Bergwerke der Geistesgeschichte. Dazu gehören die Vorsokratiker, einige Kirchenväter und auch einige Schriften aus der Zeit vor 1848. Der arme Max gehört durchaus dazu.«188 Nach dem zweiten Weltkrieg konzentrieren sich die Forschungen im Bereich des Junghegelianismus zunächst auf die überfällige Rezeption der Marxschen Frühschriften. Darüber hinaus interessieren religionsphilosophische189 und politischpublizistische Fragestellungen.190 Erst zu Beginn der 60er Jahre setzt eine, gemessen an der vorhergehenden Forschungslage intensivere Auseinandersetzung mit dem Gesamtkomplex des Junghegelianismus ein, die bis heute andauert. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Hans Martin Saß, Jürgen Gebhardt und Horst Stuke aus dem Jahre 1963.191 Charakteristisch ist, daß die Junghegelianer Marx und Engels teils ausgeklammert (Gebhardt, Stuke), teils gleichberechtigt neben die anderen Hegelschüler gestellt werden (Saß). Zentrierend ist der Zusammenhang der Hegelschule und damit der Bezug der Hegelschüler zur Hegeischen Philosophie. Nicht von den prominenten Ausgängen des Junghegelianismus, sondern von Hegels Religionsphilosophie her entfaltet Saß das Spektrum der philosophischen Konsequenzen, die die einzelnen Hegelschüler gezogen haben. Während sich für Saß die hegelianischen Positionen am Problem der Säkularisation ausdifferenzieren192, sieht Gebhardt in der Hegelschule eine sich verdichtende Politisierung religionsphilosophischer, insbesondere eschatologischer Vorstellungen am Werk, eine Sektenmentalität, die auf die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts verweise. 193 Bei Saß stehen die Junghegelianer für eine Entwicklung, in der die religiösmethaphysische Entfremdung überwunden werden soll in der Erfüllung menschlich-säkularer Ziele, bei Gebhardt stehen sie für die sich ausbreitende neue gnostische Weltreligion im Sinne Voegelins194, die als Heilsbringer der Massen für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts verantwortlich zu machen sei. Stuke unternimmt den Versuch, die junghegelianische »Philosophie der Tat« als einen eigenständigen geistesgeschichtlichen Vorgang darzustellen. Auch für ihn tritt der messianische Charakter der junghegelianischen Tatphilosophie deutlich hervor, aber sein Urteil differiert wesentlich von dem Gebhardts und bleibt produktiv offen. Stuke plaziert die Junghegelianer gleichsam zwischen der Hegeischen Versöhnungsphilosophie, in der die klassische Bestimmung der Philosophie qua theoria erneuert wird, und der Marxschen radikalen Verendlichung in der Kritik der politischen Ökonomie, die der Philosophie ihre Selbständigkeit aberkennt.195 Mit den Arbeiten von Saß, Gebhardt und Stuke ist ein theoriegeschichtlicher Problemhorizont abgesteckt, der einerseits auf die Hegeische Philosophie und andererseits auf Fragen verweist, die, von Löwith und Voegelin in unterschiedlicher Weise aufgeworfen, sich auf die Wirkungen eschatologischer Spekulation für das
56
moderne Politik- und Geschichtsverständnis beziehen und zugleich das Problem der Säkularisation ins Zentrum setzen. Für die Auseinandersetzung mit dem Junghegelianismus im angelsächsischen Raum stehen die Arbeiten von David McLellan (1969/1974) und William Brazill (1970). Beide sehen im Junghegelianismus Denkansätze, die für sich genommen von Bedeutung sind.196 Während McLellan die wichtigsten Junghegelianer gleichsam um Marx gruppiert, um neben ihrer Eigenständigkeit zugleich ihren Einfluß auf Marx zu charakterisieren, verzichtet Brazill auf eine Einbeziehung Marxens. Er affirmiert die These von der überragenden geistesgeschichtlichen Bedeutung der Junghegelianer, die mehr ihrem produktiven Dissens als ihrer Übereinstimmung zu verdanken sei, und verweist auf die Kreativität dieser Gruppe, deren Leistung darin bestanden hätte, daß sie auf je verschiedene Art den Übergang »from Christianity to philosophy« experimentiert hätten.197 In den 70er Jahren hat sich die Forschung zum Junghegelianismus kontinuierlich weiterentwickelt. Es erschienen nicht nur wichtige Arbeiten zu einzelnen Junghegelianern,198 auch der junghegelianische Gesamtkomplex wurde von verschiedenen Disziplinen her untersucht. In den Arbeiten von Kurt Röttgers, Johann Mader und Rudolf Ruzicka wurde die Beschäftigung mit der philosophie- und theoriegeschichtlichen Problematik des Junghegelianismus fortgesetzt. Röttgers widmet etwa die Hälfte seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung zum Begriff der >Kritik< Hegel und der Hegeischen Schule.200 Mader reflektiert die verschiedenen Varianten im Junghegelianismus, der Theorie unter dem Verwirklichungsdesiderat einen neuen Status zuzuweisen.201 Ruzicka bezieht die junghegelianischen Ideologiebegriffe auf die Hegeische >Phänomenologie des Geistes< zurück und zeigt, wie mit dem Verlust der Dialektik zugleich die Aporien eines Panideologismus entstehen.202 Aus dem literaturwissenschaftlichen Bereich sind die Arbeiten von Udo Köster (1972) und Claus Richter (1978) hervorzuheben. Unter dem Eindruck des gewachsenen literaturwissenschaftlichen Interesses an Autoren des Vormärz203 untersuchen beide die Junghegelianer im Zusammenhang mit den Dichtern des Jungen Deutschland. Köster legt den Schwerpunkt auf den politischen Gehalt der jungdeutschen Anti-Literatur und der junghegelianischen Publizistik, wobei er auf den letztendlichen Abstand hinweist, den diese Intellektuellen zu den Problemen der ökonomischen und sozialen Krise ihrer Zeit hatten. 204 Richter untersucht den Zusammenhang von jungdeutschem Emanzipationspathos und dem >Realismus< der nachmärzlichen Zeit. Er zeigt, daß die Junghegelianer in ihrer Kritik an den Jungdeutschen bereits wesentliche Programmpunkte der nachrevolutionären Realisten vorwegnehmen.205 Im historisch-politikwissenschaftlichen Bereich hat Peter Wende206 die Mayer sche Fragestellung nach der frühen demokratischen Bewegung im Vormärz erneut aufgeworfen und die programmatische Eigenständigkeit eines demokratischen Radikalismus, zu dem er die Junghegelianer Rüge und Nauwerck zählt, herausgearbeitet. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Beziehungen der Junghegelianer zu den französischen Sozialisten hat Charles Rihs (1978) vorgelegt. Er analysiert die spannungsreichen Begegnungen, die zwischen deutschen und französischen Intellektuellen in den 30er und 40er Jahren stattgefunden haben. Auf den
57
Kreis der Berliner Junghegelianer konzentriert sich die Arbeit von Robert J. Hellmann (1977). Er sieht Max Stirner im Mittelpunkt einer sozial randständigen, bohemeartigen Intellektuellengruppe, die sich, umstellt von der offiziellen Gesellschaft, einem blasphemischen Kritizismus hingibt. Hellmann versucht, die Berliner Junghegelianer ein Stück weit aus dem Dunstkreis von Skandalgeschichten herauszuholen, der die Hippeischen Weinkneipen-Intellektuellen in der Literatur umgibt. Für Ingrid Pepperle gehören diese Intellektuellen kaum noch zum Junghegelianismus.207 Sie setzt die Auflösung der junghegelianischen Bewegung um die Jahreswende 1842/43 an, d. h. mit der Trennung Marxens von dieser Gruppe. So unhaltbar und durchsichtig diese Periodisierung ist, es muß hervorgehoben werden, daß Pepperles Arbeit einen wichtigen Ansatz für die Rehabilitation des Junghegelianismus in der wissenschaftlichen Diskussion in der DDR darstellt.208 Der weit überwiegende Teil der neueren Forschung zum Junghegelianismus hat sich auf die theoriegeschichtlichen Impulse konzentriert, die von diesen Denkern ausgegangen sind.209 R. Bubner hat zurecht daraufhingewiesen, daß - so folgerichtig auch der Marxsche Ausgang aus den junghegelianischen Debatten sein mag - es die Geschichte der Marxschen Lehre und ihrer Prognosen waren, die »die vermeintlich erledigten Denker nach Hegel wieder zu Ehren«210 kommen ließen. In diese Problemlage fügt sich auch der Versuch von J. Habermas (1985). Er geht von einem Veralten des marxistischen Produktionsparadigmas aus und bestimmt die junghegelianische Hegelinterpretation als zentralen Startpunkt für den philosophischen Diskurs der Moderne: »Wir verharren bis heute in der Bewußtseinslage, die die Junghegelianer, indem sie sich von Hegel und der Philosophie überhaupt distanzierten, herbeigeführt haben. Seit damals sind auch jene auftrumpfenden Gesten wechselseitiger Überbietung in Umlauf, mit denen wir uns gerne über die Tatsache hinwegsetzen, daß wir Zeitgenossen der Junghegelianer geblieben sind.«2" Habermas geht davon aus, die Junghegelianer hätten von Hegel das Problem der geschichtlichen Selbstvergewisserung der Moderne übernommen und damit zwei Gegner herausgefordert: 1. die rechtshegelianische »Partei der Beharrung«, die er im »neukonservativen« Abschied von der Moderne, z. B. bei Gehlen, Ritter und Luhmann sich fortsetzen sieht, und 2. die an Nietzsche anschließende »Partei der Jungkonservativen«, deren »anarchistischen« Abschied von der Moderne er bei Autoren wie Heidegger und Bataille und bei den von ihm als »Neostrukturalisten« etikettierten Konkurrenten Derrida und Foucault zu erkennen glaubt. So übersichtlich dieses philosophische Dreiparteiensystem auch dargestellt ist, seiner ganzen Anlage nach dürfte es einer Überprüfung kaum standhalten. Habermas reduziert - wie in der marxistischen Junghegelianerinterpretation üblich - den Junghegelianismus auf Konzepte, die sich auf die Marxsche Theorie hin beschreiben lassen. Im Vergleich zu Löwiths differenzierter Analyse ist dies schon ein Rückschritt. Nach dieser Reduktion kann er in Nietzsche erstmals den Auftakt für eine Vernunftkritik festmachen, die zum »Jungkonservatismus« führe. Habermas ignoriert nicht nur die etatistischen, sozialdisziplinären Elemente in junghegelianischen Konzepten, die näher bei den sog. Rechtshegelianern liegen, als es seine Konstruktion zuläßt; er ignoriert auch, daß mit Stirner einige Jahrzehnte vor Nietzsche ver-
58
nunftkritische Positionen formuliert waren, aus deren Aufnahme und Abwehr heraus Marx und Engels allererst zur Ausformulierung des historischen Materialismus kamen. Gegenüber der irrigen These, daß vernunftkritische Positionen erstmals als Reaktion auf marxistische Positionen aufgetreten seien, muß daran festgehalten werden, daß die Marxsche Theorie selbst erst in der Reaktion auf die vorgängige Vernunftkritik Stirners ihre spezifische Kontur gewonnen hat.212 Was die Zeit der Junghegelianer der unsrigen näher bringt, ist neben allen geistesgeschichtlichen Entwicklungen, die von ihnen zu uns reichen, die Erfahrung, in einer Zeit des Übergangs zu leben, in der sich neue Definitionen, Zugänge und Lösungen erst bilden. In Übergangssituationen stoßen sich die nachdenkenden Individuen an der Weisheit geschlossener Konstruktionen. Es gibt kaum einen Ansatz, der befriedigt, die Probleme wachsen schneller als die Lösungen, und der »Zeitdruck«213 nimmt zu. Lernprozesse, Umorientierungen, Verwerfungen von Interessen und Entwürfe neuer Ideale - all dies vollzieht sich mit einer größeren Intensität und Geschwindigkeit. Eine Erforschung des Junghegelianismus heute brächte jedoch wenig Ertrag, wenn sie blind die Schlachten der Vergangenheit nachspielte. Sie erfolgt in einer Zeit, in der die Leitbegriffe des 19. Jahrhunderts, wie >Fortschritt< und >Reaktion< zunehmend unscharf werden, in der die vertrauten Adjektive >frei<, >human<, >sozial<, die auf den Fahnen von Bauer, Feuerbach und Heß standen, sich im Labyrinth der Sachzwänge verlaufen und in der der Massenatheismus ebenso konstatiert wird wie die Umrisse neuartiger Religiosität. Sie erfolgt schließlich in einer Zeit, die zwar Übergangszeit ist, aber doch andere Erfahrungsgehalte ins Zentrum setzt. Auf die Fragen, die uns mit der Technisierung und Ästhetisierung unserer Lebenswelt gestellt sind, geben uns die Junghegelianer keine Antworten. Ihre Erforschung als Beitrag zu einer Ethnologie des 19. Jahrhunderts kann jedoch helfen, daß wir lernen, - wo nötig - heiter von unserer Vergangenheit zu scheiden.
Anmerkungen 1 A. von Martin (1972) S. 378. 2 P. Valery (1965) S. 50, vgl. auch Valerys Beschreibung des Paris der Intellektuellen: »Es schien mir, als führen wir einer Wolke schwirrender Worte entgegen. Tausend aufsteigende Ruhmesbahnen, tausend Büchertitel pro Sekunde erschienen und verloren sich unsichtbar in diesem wachsenden Nebelfleck. Ich wußte nicht, ob ich dieses unsinnige Treiben sah oder hörte. Es gab da Schriften, die schrien, Wörter, die Menschen, und Menschen, die Namen waren . . . Kein Ort auf Erden, dachte ich, wo so viel Sprache wäre, wo diese stärkeren Widerhall, weniger Zurückhaltung hätte als in diesem Paris, wo Literatur, Wissenschaft, Künste und Politik eines großen Landes eifersüchtig konzentriert werden. (. . .) Reden, wiederholen, widersprechen, weissagen, schmähreden . . . alle diese Verben zusammen enthielten abgekürzt für mich das Gesumm dieses Wortparadieses.« (Ebd. S. 44) Aus der Literatur über Valery und das Problem der Intellektualität sei in dieser Arbeit auf die Schriften von K. Löwith hingewiesen, denn es darf vermutet werden, daß seine Durchquerung der junghegelianischen »Wortparadiese« mit seinem Interesse für Valery in einem Zusammenhang steht: K. Löwith (1970); ders., (1971). 3 K. Mannheim (1964) S. 378.
59
4 Vgl. hierzu die frühen kontroversen Diskussionen um die Mannheimsche Wissenssoziologie, dokumentiert in: V. Meja und N. Stehr (1982) und K. Lenk (1964) S. 52 ff. u. a. Einen hilfreichen problemgeschichtlichen Aufriß hat N. Abercrombie (1980) vorgelegt. Abercrombie weist darauf hin: »However, the problem is not merely to show that certain beliefs are associated with certain social classes, it is also to explain why one particular set of beliefs, rather than any other, goes together with a particular social class.« (Ebd. S. 9, vgl. auch S. 173) Zu gegenwärtigen Problemen der Klassentheorie vgl. W. Eßbach (1986). 5 Th. Geiger (1962) S. 441. 6 F. H. Tenbruck (1976) S. 51. 7 O. Negt, A. Kluge (1981) S.1221. 8 Ebd. S. 1220. 9 Ebd. S. 796. Vgl. zur neueren Diskussion M. Ewert (1982). 10 H. Plessner (1985) S. 68. 11 Alfred Schütz to Eric Voegelin (November 1952), in: PJ. Opitz, G. Sebba(1981)S. 437; A. Schütz (1981) S. 313: »Im täglichen Leben über den Mitmenschen nachdenkend, nehme ich ihm gegenüber gleichsam eine sozialwissenschaftliche Haltung ein. Wissenschaft betreibend bin ich noch immer Mensch unter Menschen, ja es gehört geradezu zum Wesen der Wissenschaft, daß sie Wissenschaft nicht nur für mich, sondern für jedermann sei. Und weiter setzt Wissenschaft bereits einen bestimmten Rückbezug meiner Erfahrungen auf die Erfahrungen einer Erkenntnisgemeinschaft voraus, auf die Erfahrungen anderer alter egos, welche gleich (!) mir, mit mir und für mich Wissenschaft betreiben.« Der Wissenschaftler unter Menschen ist mehr >ungleich<, der Wissenschaftler unter Wissenschaftlern muß sich angleichen. Trotz aller Überschneidungen bleibt eine winzige Differenz. 12 Vgl. A. v. Martin (1932) S. 58 f.; A. Hauser (1957) S. 362. 13 K. Garber (1983) S. 32. 14 K. Mannheim S. 454. Kritisch dazu: A. Neusüss (1968). 15 Bildnachweis: J. H. Beck (1981) S. 107. Zur Interpretation der >Schule von Athen< verdanke ich wichtige Hinweise: L. M. Batkin (1981) S. 483-491. 16 K. Mannheim (1964) S. 379 und 378. 17 L. Batkin (1981) S. 86. 18 Ebd. 19 Vgl. hierzu F. Hartmann, R. Vierhaus (1977); J. Voss (1980); K. Garber (1983) S. 36; O. Dann (1976); R. Vierhaus (1980). Von den älteren Arbeiten sei auf die bekannten Pionierstudien R. Koselleck (1959); J. Habermas (1965) hingewiesen. 20 Ch. P. Ludz (1976) hat darauf hingewiesen, daß der »Zusammenhang von Ideologie, Intelligenz und Organisation historisch in einer bestimmten Phase, nämlich der des Vormärz, sich selbst immer stärker und in mannigfaltigen Ausprägungen herauszukristallisieren beginnt.« (Edb. S. 124) Ludz untersucht drei Intellektuellengruppen, die er gemäß eines funktionalistisch inspirierten Ideologiebegriffs »ideologische Gruppen« nennt: Fichtes >Bund der freien Männer<, den >Bund der Geächtetem und die >Rechts- und Linkshegelianer<. Leitende Fragestellung ist bei Ludz, inwieweit soziale Integration bzw. Desintegration in die Gesellschaft intentional-utopisches Denken befördert oder nicht. Ludz' Ansatz stellt im Bereich wissenssoziologischer Forschung insofern einen wichtigen Fortschritt dar, als er für die Intelligenz die Frage der Gruppenbildung (bei ihm als Organisation begriffen) ins Zentrum rückt. Allerdings beschränkt sich seine Analyse auf den Begriff der ideologischen (intentionalen) Gruppe (Edb. S. 88 ff.), der sicherlich, was die Parteigenese betrifft, von zentraler Bedeutung ist, aber nicht das gesamte von den Junghegelianern gegebene Spektrum von Gruppendefinitionen abdeckt. 21 M.Weber (1964) S. 14.
60
22 Vgl. R. Vierhaus (1973) S. 72. 23 Vgl. in diesem Zusammenhang: W. J. Mommsen (1981). 24 J. Schumpeter (1946) S. 235 ff. Vgl. auch das Urteil über den »Intellektuellenstand(es), der nichts kann wie diskutieren und seine Bedeutung lediglich dem Umstände verdankt, daß er die Arbeit der Welt zu stören vermag«. Ders. (1952) S. 509. 25 Th. Geiger (1949) S. 12 f, 19. Vgl. in diesem Zusammenhang auch D. Bering (1978). 26 H. Schelsky (1977) S. 142. 27 M. Foucault (1978) S. 47. 28 Bildnachweis: Ruge bei den Berliner »Freien«, in: MEW Bd. 27, gegenüber S. 400. 29 Zu den schwäbischen Junghegelianern im Kontext übergreifender Gruppenzusammenhänge vgl.: W. Brazill (1970) bes. S. 97 ff, 156 ff u.a.; H. Fischer (1916); F. W. Graf (1978). Eine wichtige Orientierung über die schwäbischen Junghegelianer gibt H. Harris (1975). Im Zusammenhang dieser Arbeit sei auf die Angaben zu E. Zeller (Ebd. S. 55 ff.) und A. Schwegler (Ebd. S. 78 ff.) hingewiesen. Zu F. T. Vischer vgl.: H. Glockner (1931); F. Schlawe(1959). Aus der umfangreichen Literatur zu D. F. Strauß seien hervorgehoben: A. Hausrath (1876/78); J. F. Sandberger (1972); H. Horton (1973); F. W. Graf (1982 a). Die Arbeit von Graf enthält eine umfangreiche Strauß-Bibliographie. 30 Zu den Schweizer Junghegelianern vgl.: W. Marr, Das junge Deutschland in der Schweiz, 184 6; ( H. G eiz er), D ie ge he ime n Ve rbindu nge n in der Sch we iz , 18 47; A . B eck er , Geschichte des religiösen und atheistischen Frühsozialismus, 1932. Siehe auch die einschlägigen Dokumente bei: A. Kowalski, Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus, 1967. Zur Situation in der Schweiz: vgl.: E. Schraepler (1972) bes. S. 40. 126. Vgl. auch Anm. 121. 31 H. Spiegelberg (1953) S. 237. 32 H. G. Gadamer (1965) S. 288 f. 33 H. Spiegelberg (1964) S. 11. 34 Königsberger Zeitung Nr. 138 v. 17. 6. 1842, zit. nach: R. Prutz, Zehn Jahre, 1856, Bd. 2, S. 100-102. Die Berliner Korrespondenz wurde auch in der RhZ Nr. 176 v. 25. 6. 1842 abgedruckt, allerdings ohne den Hinweis: »die Parteien müßten sich jetzt bestimmt gruppieren«. 35 B. Bauer, Parteikämpfe, 1847, Bd. 1, S. 138. 36 anonym, Zwei Vota über das Zerwürfnis zwischen Kirche und Wissenschaft, in: DJ 1842 S. 34. Das zweite anonyme Votum ist mit »Ein Philosoph« unterzeichnet. Es wurde aufmerksam registriert von: (I. H. Fichte), Die philosophische Literatur der Gegenwart. 5. Artikel, in: ZPsP T (1842) H. 1, S. 144. Ebenso von: (L. Buhl), Die Not der Kirche, 1842, S. 9. 37 R. Prutz vermutet, die Initiatoren seien durch die heftige Pressereaktion zum Aufgeben ihres Vorhabens gebracht worden (R. Prutz, Zehn Jahre, Bd. 2, S. 102). G. Mayer denkt an einen taktischen Rückzieher (G. Mayer, (1913) S. 56 f. und 108.) R. J. Hellmann sieht die Quelle der Nachricht in einem abendlichen Kneipenulk der Berliner Junghegelianer (R.J. Hellmann, (1977) S. 112 f.). 38 M. Stirner, Kleinere Schriften, 1976, S. 130. Die Korrespondenz, auf die Stirner Bezug nimmt, erschien in der >Leipziger Allgemeinen Zeitung< Nr. 184v.3. 7. 1842. Das »Glaubensbekenntnis «, das im »Fr ankfur ter Journal« zuer st er schien, wurde in der RhZ Nr. 192 v. 11. 7. 1842 abgedruckt. Zum Dementi vgl. M. Stirner, Kl Sehr, S. 149. 39 G. Schuster, (1906) Bd. 2, S. 261. 40 A. Rüge an K. Marx, 7. 8. 1842, in: MEGA I. Abt. Bd. 1, 2 S. 279. Zu Olshausen und »Philalethen« vgl.: (Theodor Olshausen), Denkschrift des Vereins der Wahrheitsfreunde oder Philalethen, Kiel 1830. 41 R. Prutz, Zehn Jahre, Bd. 2, S. 103.
61
42 Th. Fontane nennt »Sieben Weise aus dem Hippelschen Keller«: B. Bauer, E. Bauer, L. Buhl, M. Stirner, Leutnant Saint-Paul, Leutnant Techow, J. Faucher (Th. Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig, 2 1898 S. 52-61). Bei J. H. Mackay bestehen die »Freien« aus 15 Personen des »inneren Ringes«, einem »weiteren Kreis von ca. 30 Personen und ca. 20 zeitweiligen Besuchern, (J. H. Mackay (1914) S. 55.ff.). Bis in neuere Arbeiten ist unklar, wer zu den »Freien« gehört. R. J. Hellmann orientiert sich an der Gelegenheitsskizze des jungen Engels (vgl. diese Arbeit, S. 23, R. J. Hellmann, (1977) S. 98 ff.). Ohne Angabe von Belegen weiß I. Pepperle, daß die »Freien« sich seit Ende 1841 (!) »Freie« nannten, und rechnet alle Berliner Junghegelianer dazu (I. Pepperle (1978) S. 250). G. Mayer bemerkt, daß die »Freien« rasch zu einer Art Chiffre wurden, die »im weiteren Sinne bald auf alle Kreise angewandt« wurde, die gegen die preußische Kulturpolitik öffentlich Einspruch erhoben. (G. Mayer (1913) S. 50) In dieser Arbeit wird die Bezeichnung »Freie« nur in Zusammenhang mit dem Gerücht des Juni 1842 verwandt. Zu den Berliner Junghegelianern vgl. die Übersicht S. 41 f. 43 H. Leo, Die Hegelingen, 2 1839. Zu H. Leo vgl. Ch. Freiherr von Maltzahn (1979). 44 H. Leo, Die Hegelingen, S. 2 f. 45 Ebd. S. 2,1,39 f und 3. 46 Ebd. S. 25. 47 Die wichtigsten Schriften sind: A. Ruge, Preußen und die Reaktion, 1838 (= Ruges Bei-
träge in den HJ); L. Feuerbach, Über Philosophie und Christentum (1839), in: LFW Bd. 2, S. 261-330 (Eine vollständige Veröffentlichung in den HJ wurde von der Zensur verboten); E. Meyen, Heinrich Leo, 1839; G. O. Marbach, Aufruf an das protestantische Deutschland, 1838/9; Karl Zschiesche, Die deutsche Theologie, 1838; A. Hegeling (= C. M. Wolff), Heinrich Leo vor Gericht, 1838; B. Hegeling (= K. W. Kähne), Neuentdeckte Jesuitenbriefe, 1838 (die Pseudonyme dieser beiden Schriften hat I. Pepperle (1978) S. 238 aufgelöst); hervorzuheben ist auch der hellsichtige Beitrag: (anonym), Die Voraussetzungen des Hegelschen Systems, in: ZPsT 4 (1839) S. 291 ff. Leo wird verteidigt von: K. A. Kahnis, Rüge und Hegel, 1838; zu nennen sind aus Hengstenbergs EKZ: (anonym), Die Hallischen Jahrbücher für Deutsche Wissenschaft und Kunst, EKZ 1838 Nr. 69 ff., Sp. 545-568; (anonym), Die Hegelingen, EKZ Nr. 75 ff., Sp. 596-600, 1839 Nr. 13 ff., Sp. 97-111. 48 Ausführlicher sei hier auf die denunziatorisch-publizistische Antizipation der Gruppendefinition »Junges Deutschland« eingegangen, weil sie eine Art Vorlauf für die Denunziationsstrategien, die die Junghegelianer betreffen, darstellt. Im Dezember 1835 dekretierte die Bundesversammlung in Frankfurt das Verbot »der Schriften aus der unter der Bezeichnung >das junge Deutschland< oder >die junge Literatur bekannten literarischen Schule, zu welcher namentlich Heinr. Heine, Karl Gutzkow, Heinr. Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt gehören«. Es habe sich eine »literarische Schule gebildet ( . . . ) , deren Bemühungen unverhohlen dahin gehen, in belletristischen, für alle Klassen von Lesern zugänglichen Schriften die christliche Religion auf die frechste Weise anzugreifen, die bestehenden sozialen Verhältnisse herabzuwürdigen und alle Zucht und Sittlichkeit zu zerstören«, (zit. nach: J. Hermand (1974) S. 331). Vorbereitend für den Beschluß der Bundesversammlung waren vermutlich die Angriffe Wolfgang Menzels auf Gutzkows Roman >Wally, die Zweiflerin<. Menzel stellt Gutzkow als Führer »eines sogenannten jungen Deutschland« dar. »Die Sache ist eine potenzierte Nachahmung der neufranzösischen Frechheit, und auch diese ist nur eine Wiederholung früherer Sünden. Schriften, wie die von Gutzkow, worin die sogenannte Freigeisterei und Obscönitäten Hand in Hand gehen, waren nach Voltaire sehr häufig und kamen auch nach Deutschland.« (zit. nach: A. Estermann (1972) Bd. 1, S. 42 und 46 ) Mit dem Beschluß der Bundesversammlung wurde der Begriff »das junge Deutschland« als Name einer Schriftstellergruppe aktenkundig gemacht. Dabei ist dieser Begriff in
62
Deutschland zunächst nur ein Schlagwort gewesen, das bei den betroffenen Autoren sehr verstreut und keineswegs als Gruppenbezeichnung auftaucht. So widmet Wienbarg seine 1834 erschienenen »Ästhetischen Feldzüge« im Untertitel dem »jungen Deutschland«, in dem Sinne, daß er sich an die junge Generation wendet. Zwischen den literarischen und politischen Auffassungen der betroffenen Autoren bestanden sicher eine Reihe von Gemeinsamkeiten, auch hat es einige zweiseitige Kontakte gegeben, aber von einer »literarischen Schule« oder einer Gruppe mit gegenseitigem Gedankenaustausch und einer ausreichenden Anzahl sozialer Kontakte kann nicht die Rede sein. (vgl. W. Hömberg (1975) S. 12 ff.) Es muß auch offen bleiben, ob die Bundesversammlung nicht einfach die genannten Autoren mit dem im Schweizer Exil gebildeten Geheimbund von Handwerkern verwechselte, der sich unter dem Namen »das junge Deutschland« als nationale Abteilung der von Giuseppe Mazzini im Frühjahr 1834 ins Leben gerufenen politischen Bewegung »Das junge Europa« verstand. Kontakte zwischen den deutschen Autoren und Mazzinis Geheimbund lassen sich nicht nachweisen (vgl. E. R. Huber, Bd. 2, S. 129-133 ;J. Proelß (1892) S. 650 f.; W. Hömberg (1975) S. 13. Zu Mazzini siehe: H. G. Keller (1938). Bei den Autoren, die 1835 durch den Beschluß der Bundesversammlung als das »junge Deutschland« konstituiert werden, führt die Definition von außen zu einer Zersetzung der geringen bestehenden Kontakte. »Indem sie - zu Recht - die Existenz einer Schriftstellerorganisation leugnen, schwören Laube, Mundt und Gutzkow direkt oder indirekt auch den Gemeinsamkeiten ab (. . .). Der Kampf gegen die Verbotsfolgen artet teilweise in einen Kampf gegeneinander aus.« (Hömberg (1975) S. 20) So schreibt Gutzkow an Varnhagen: »Ich werde mich hüten, für das junge Deutschland die Verantwortlichkeit einer zerhackten und geschwätzigen Schreibart (. . .) auf meine Schultern zu laden. (. . .) Von einer Partei kann um so weniger die Rede sein, da es einigen Herren jetzt plötzlich einfällt, mit ihr zu rechnen.« (Ebd.). 49 Vgl. MEGAI. Abt. Bd. 1, 2 S. 279 und 287. 50 E. Meyen, Heinrich Leo, 1839, S. 30. 51 (B. Bauer), Posaune, 1841, S. 8, vgl. auch die wichtige Rezension in den DJ: (anonym, Die Posaune, DJ 1841, S. 594-596). 52 In der junghegelianischen Presse wird auf diese Nachbildung gezielt angespielt: »Der Posaunist hat seine Sache vortrefflich gemacht. Er hat Leo übertroffen«. (E. Meyen, Die Posaune, in: Ath 1841, S. 722). 53 B. Bauer, Posaune, 1841, S. 35. 54 Die Frage, inwieweit die Begriffe »Junghegelianer« bzw. »Linkshegelianer« sinnvoll anzuwenden sind, wird weiter unten im Zusammenhang des Kapitels »Philosophische Schule« erörtert. - Leos Denunziation steht in dieser Zeit nicht allein. Zu erinnern ist, daß K. E. Schubart 1839 - vielleicht ermuntert durch Leos »Hegelingen« - seine bereits zehn Jahre zuvor versuchte Denunziation der Hegelschen Rechtsphilosophie als einer verkappten Revolutionslehre erneuert: Hegel selbst habe zwar die »Gewaltsamkeit seiner Lehre« nicht vollzogen, aber »junge Hegelsche Doktoren« glaubten »ihre demagogischen Verirrungen« aus Hegels Rechtsphilosophie rechtfertigen zu können. (K. E. Schubart, Über die Unvereinbarkeit der Hegelschen Staatslehre mit dem obersten Lebensund Entwicklungsprinzip des Preußischen Staates, Breslau 1839, abgedruckt in: M. Riedel, Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, 1975, Bd. 1, S. 249 bis 266, zit. S. 265 f. Riedels Edition enthält auch die wichtigsten Gegenschriften zur Schubartschen Denunziation.) 55 K. Mannheim (1964) S. 449. 56 A. Ruge, Die Denunziation der Hallischen Jahrbücher, in: HJ 1838 Sp. 1425-1440. Das Politische Wochenblatt wurde nach diesem Artikel zitiert. (Zit. Sp. 1435,1426,1436 f.) Zu dieser Zeitung vgl.: W. Scheel (1964).
63
57 Der irreale, imaginative Charakter des Verdachts ist au«h den Zeitgenossen aufgefallen. 1834 reflektiert ein Anonymus (Der Zeitgeist oder das Geld) über dieses Problem: »es ist nichts mit der ganzen Demagogie, es ist ein Wahn- und Schreckgebild unserer Zeit, das nur in unserer Vorstellung ein Dasein hat, und das uns bisher ganz vergeblich und umsonst geängstigt hat.« (Ebd. S. 22) Bei Lichte besehen, könne er nirgendwo in der Gesellschaft das entdecken, worauf sich der Demagogenverdacht bezieht. (Ebd. S. 15) Aber woher kommt dieser »Wahn«? »Diese Propaganda und Demagogie hat ihren Sitz nicht etwa in weitverzweigten Gesellschaften, die planmäßig wie die Jesuiten einem großen Endzweck entgegenarbeiteten, nicht etwa in geheimen Obern, die mit Frankreich, England und Belgien in Verbindung ständen, nicht etwa in einer Carbonari- oder Freimaurerschaft, die sich allmählich unter dem Begriff von Emanzipation und Zivilisation über ganz Europa ausbreitete. Nein! meine Herren! sie hat ihren Sitz in unserem eigenen Kopf, in unserem eigenen Wahn, überall die Spuren einer geheimen Demagogie zu finden, sie hat ihren Sitz in unserm eigenen früheren Klagen und Tadeln aller bestehenden Regierungen.« (Ebd. S. 28 f.) Zu den Verdacht-Strategien der Polizei im Vormärz vgl. auch die geheimen Berichte der Metternich-Agenten (H. Adler (1977). Als Quelle für Gruppenbildungen im Vormärz sind diese Berichte nur mit großer Vorsicht zu benutzen. Zur Interpretation vgl. den einführenden Aufsatz von H. Adler. Ebd. S. 1-45 und F. T. Hoefer (1981/82). 58 J. Baudrillard (1982) S. 137. Baudrillard weist daraufhin: »Mode gibt es nur im Rahmen der Moderne. Das heißt in einem Schema von Bruch, Fortschritt und Innovation. Altes und Neues alternieren in jedem beliebigen kulturellen Kontext. Aber erst für uns gibt es seit der Aufklärung und der industriellen Revolution eine historische und streitbare Struktur von Veränderung und Krise. Anscheinend erzeugt die Moderne gleichzeitig die lineare Zeit des technischen Fortschritts, der Produktion und der Geschichte und eine zyklische Zeit der Mode.« 59 H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Kulturepoche, 1839, S. 195 f. 60 L. Bergeron, F. Füret, R. Koselleck (1969), S. 296 f. 61 MEWBd. 3,S. 63. 62 H. Leo, Sendschreiben an Josef Görres, 1838, S. 129 f. 63 Angaben nach: J. Paschen (1977) S. 18. Paschen stützt sich auf C. F. W. Dietericis Mitteilungen des Statistischen Büros, Berlin 1 (1848) —3 (1850) und 7 (1854). Zum dominierenden agrarischen Sektor vgl. H. Schissler (1978). 64 Th. Nipperdey (1983), S. 113. 65 Angaben nach: J. Paschen, (1977) S. 19. Dem Modell dieser drei Schichten lag auch Dietericis Interesse zugrunde, in die Diskussion des Jahres 1849 zugunsten des Drei-KlassenWahlgesetzes einzugreifen. Zur Lebenswelt der vormärzlichen Unterschichten vgl. H. G. Husung (1983) bes. S. 134-156. 66 T. Nipperdey (1983) S. 454. Vgl. auch: K. H. Jarausch (1974). 67 Zur Entwicklung und Bedeutung des Bildungsbürgertums vgl. in diesem Zusammenhang die älteren Arbeiten: H. Weil (1930); E. Manheim (1933); H. Gerth (1935). An neueren Untersuchungen ist hervorzuheben: H. J. Henning (1977); R. S. Elkar (1979). Elkars Untersuchung ist zwar regional begrenzt, aber in ihrer Ausführlichkeit von exemplarischer Bedeutung. 8 Die Erforschung der Freimaurer- und Geheimgesellschaften hat in der jüngsten Zeit einen erheblichen Aufschwung zu verzeichnen. Hingewiesen sei auf: R. v. Dülmen (1975); E. H. Baläzs (1979); P. C. Ludz (1979); H. Reinalter (1983), mit Bibliographie. Zu Lesegesellschaften vgl.: O. Dann (1981) und die dort angegebene Literatur. Aus der Fülle zeitgenössischer Reflexionen sei besonders genannt: E. S., Über die Lesevereine in Deutschland, DVjs 1839, H. 1, S. 129-251. - Über die geselligen Formen der Berliner »Gebildeten« informiert; P. Weiglin (1942); G. Hermann (1965); E. Heilbronn (1922)
64
als Textsammlung. Eindrucksvolle Schilderungen finden sich auch bei Th. Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig, 1898, und ders., Christian Friedrich Scherenberg, 1885. 69 T. Nipperdey (1976). Diese Thesen sind reformuliert in: ders. (1983) S. 267 ff. Ergiebig ist in diesem Zusammenhang immer noch: F. Baiser (1959). Die vormärzliche Diskussion über das Verhältnis von ständischen Bindungen und »Verein« ist unter rechtsgeschichtlichem Aspekt entfaltet bei F. Müller (1969). Den Versuch einer typologischen Differenzierung des Vereinswesens in der Zeit von 1765-1819 hat O. Dann (1976) vorgelegt. Dann beschreibt anhand je eines konkreten Beispiels sieben Typen: die patriotische Gesellschaft, die Lesegesellschaft, den Geheimbund, die informelle Aktionsgruppe, den politischen Diskussionszirkel, die studentische Reformbewegung, den national-politischen Unter stützungsv er ein. Vgl. darüber hinaus G. Wurzbacher (1971); F. Kr öll, S. Bartjes, R. Wiengarn (1982); F. H. Tenbruck, W. A. Ruopp (1983). 70 So konstatieren die junghegelianischen >Norddeutschen Blätter< (NB): »Wir hören vom Lokal- und Gewerbe-Verein, vom Verein der protestantischen Freunde und dem ihrer Gegner, vom Zschokke-, Advokaten- und Gesellen-Verein, von Mäßigkeits-, von Trinkund von Bürger-Vereinen, endlich auch vom Gustav-Adolf-Verein. Die Zahl dieser Vereine mehrt sich fast täglich, und wer Lust hat, ein >Mann von Namen<, ein >Volksmann< zu werden, der ersinne nur eine neue Zusammenstellung eines Namens, in dem ein religiöses oder bürgerliches Verhältnis sich ausdrückt, mit dem Worte >Verein< - und er kann des Beifalls und der Berühmtheit gewiß sein.« (anonym, Der Gustav-Adolf-Verein, in: NB 1845, H. 9, S. 35). 71 Vgl.: K. Abraham (1955); W. Fischer (1964); W. Gimmler (1972); O. Busch, H. Herzfeld (1975). 72 T. Nipperdey (1976) S. 198. 73 Zu den geselligen Kommunikationsformen der Beamten und ihrem Einfluß auf die Definitionen von »Gemeinwohl« vgl. A. Lüdtke (1982) S. 83 ff. 74 R. Koselleck (1966) S. 66. Zur preußischen Verwaltung vgl. auch ders., (1967). Zu den Problemen marxistischer Geschichtsschreibung mit den Thesen Kosellecks über die Rolle der preußischen Bürokratie als Initiator eines Modernisierungsprozesses >von oben< siehe J. Kocka (1974). Speziell zu Vor- und Nachmärz vgl. J. R. Gülis (1971). Zur Mentalität der höheren Beamten sind Hinweise zu finden bei H. Branig (1979). Aus der Fülle der Literatur zum >Preußen-Jahr< sei hervorgehoben R. v. Thadden (1981), in unserem Zusammenhang bes. S. 60 ff. 75 R. Koselleck (1966), S. 67. 76 O. Dann (1976) weist daraufhin, daß entgegen der Absolutismusvorstellung der Liberalen des 19. Jahrhunderts davon ausgegangen werden muß, daß vermutlich »gemessen an den restriktiven Bestimmungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - im 18. Jahrhundert eine weitgehende Vereinsfreiheit bestanden hat« (S. 224). Erst der mit dem Deutungsmuster Revolution einhergehende politische Verdacht strukturiert das Feld der Vereine. 77 A. v. Ungern-Sternberg, Erinnerungsblätter, Bd. 2, 1856, S. 13. 78 G. Jellinek und M. Weber haben insbesondere im Calvinismus einen Geburtshelfer der modernen Staats- und Gesellschaftsordnung westeuropäischen Typs gesehen. Ihre Thesen sind oft reformuliert worden. Vgl. in diesem Zusammenhang: O. Hintze (1906); H. Holborn (1966) S. 85-108; H. Plessner (1982) S. 50 ff. und 69 ff.; sowie R. v. Thadden (1980) S. 146 ff. 79 H. Holborn (1966) S. 97. Auf diese Zusammenhänge gehe ich in Kapitel IV ausführlicher ein. H. Rosenberg urteilt zusammenfassend: »Die gesellschaftlichen Träger dieses geistigpolitischen Mobilisierungsprozesses waren Studenten und berufstätige Angehörige der beamteten und nicht beamteten vorindustriellen Bildungsschichten. Die intellektuelle
65
Führungsrolle lag vornehmlich in den Händen von Mitgliedern der geisteswissenschaftlichen und literarischen Leistungselite in den Universitätsstädten, die in jener Zeit als Foren der politischen Bewußtseinsklärung und der Meinungs- und Willensbildung besonders bedeutsam waren, zumal Sprecher des noch schwachen kapitalistischen Industriewirtschaftsbürgertums in der politischen Öffentlichkeit der neuständischen Gesellschaft vor den 1840er Jahren nur ganz vereinzelt hervortraten.« H. Rosenberg (1972) S. 9. 82 MEWBd. 1,S. 380 und 379. 83 F. Wehl, Berlin und seine jetzige Stellung, in: ders., Berliner Wespen, 1843, H. 1, S. 1 f. 84 R. Prutz, Über die gegenwärtige Stellung der Opposition, 1847, S. 57,53 f., 58 f., 60 f. 83 Gerade im Bereich literarischer Produktion wird deutlich, wie nach 1848 die Diskrepanzerfahrungen eingeebnet werden. Zu Gustav Freytags »Soll und Haben« vgl. C. Richter (1978) hier bes. S. 209 ff. 86 Arnold Ruge (1802-1880) stammt aus einer Pächterfamilie der Insel Rügen. 1821 bis 1824 studiert er Theologie und klassische Philologie in Halle, Jena und Heidelberg. Er wird aktives Mitglied des Geheimbundes »Bund der Jungen«. 1824 Verhaftung und Verurteilung zu 15 Jahren Festungshaft. 1825-1830 Haft in Kolberg. 1831 Lehrer am Pädagogium in Halle und Habilitation. Freundschaftliche Kontakte zu Rosenkranz, Echtermeier und Prutz, Förderung durch Hinrichs. 1838 Mitherausgeber der HJ, seit 1841 Verlegung der Redaktion von Halle nach Dresden (Umbenennung in DJ). 1843 werden die Jahrbücher verboten, Ruge geht nach Paris. 1844 Herausgabe der »Deutsch-Französischen Jahrbücher«, gemeinsam mit Marx. 1845 übersiedelt Rüge nach Zürich, wo er zusammen mit J. Fröbel die demokratische Opposition im Exil organisiert. Ruge unterstützt die freireligiöse Bewegung und kehrt 1846 nach Leipzig zurück. Ruge beteiligt sich aktiv an der Revolution von 1848 und wird Mitglied des Frankfurter Parlaments als Vertreter der Linken. 1849 wird er aus Berlin ausgewiesen, nimmt am MaiAufstand in Sachsen teil, flieht nach Karlsruhe und geht im Interesse der badischen Revolutionäre nach Paris, von dort über Brüssel nach London. Hier gründet er mit Mazzini und L. Rollin das »Europäische demokratische Komitee«. Seit 1850 ist er bis zu seinem Tode Deutschlehrer in Brighton. 1866 unterstützt er Teile der Bismarckschen Politik. 1876 wird ihm von Bismarck ein jährlicher »Ehrensold« von 3.000 Mark zugesprochen. (ADB Bd. 29, Zu A. Ruge vgl. die Literatur Anm. 168). 87 Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs (1797-1861) stammt aus einer friesischen Pfarrersfamilie. Hinrichs hört Hegel 1816 in Heidelberg und wechselt von der Jurisprudenz zur Philosophie über. Er lehrt seit 1826 als einer der ersten Hegelianer in Halle und betreibt dort eine rührige Nachwuchspolitik. Zwei Momente müssen im Hinblick auf seine Rolle für den Junghegelianismus hervorgehoben werden: er gehört zu den systemtreuesten Hegelschülern, seine Terminologie und sein spekulatives Konstruieren bieten einen gesicherten Rahmen für die Hallenser Schüler. Auf der anderen Seite bereitet Hinrichs die Wendung spekulativer Schulphilosophie zu einer Beschäftigung mit politischen Fragen vor. Er greift in die verfassungspolitischen Debatten des Vormärz mit seinen »Politischen Vorlesungen« (1843) ein und gerät in Konflikt mit der preußischen Kultusverwaltung. Er muß seine Vorlesungen für einige Wochen aussetzen und begegnet dem ministeriellen Verweis mit einer aufsehenerregenden Publikation der Vorlesungen. Er unterstützt 1845 die freireligiöse Bewegung der Deutschkatholiken. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 rückt er von den konstitutionellen Forderungen ab, die er allenfalls in einem zukünftigen Amerika für realisierbar hält. Wichtiger ist für ihn, gegenüber dem sich ausbreitenden Empirismus und Materialismus einen idealistischen Kernbestand vor der skeptizistischen Resignation zu bewahren. (ADB Bd. 12; NBD Bd. 9; H. Rosenberg (1929) S. 571-577; H. Lübbe (1960) S. 208-213 u . a . ; K. Röttgers (1975) S. 225-232).
66
88 Julius Schaller (1810-1868) stammt aus einer Magdeburgischen Predigerfamilie. Er studiert in Halle zunächst Theologie, unter dem Einfluß von Karl Rosenkranz wechselt er zur Philosophie. Schaller wird 1834 zum Privatdozenten ernannt, 1838 erhält er eine außerordentliche Professur. Er ist mit Ruge befreundet, allerdings besteht zwischen beiden ein Konkurrenzverhältnis. Schaller gelingt die Universitätskarriere, die Ruge mißlingt. Ruges Bestreben, die HJ ganz auf die Linie der Religionskritik von D. F. Strauß und der Tübinger Junghegelianer zu stellen, wird von Schaller nicht geteilt. Er nimmt überwiegend gegen Strauß Stellung (Der historische Christus und die Philosophie, 1838). In der Folgezeit löst er sich mehr und mehr von hegelianischen Positionen und verfaßt Arbeiten zur Kritik der Anthropologie und des Materialismus. (ADB Bd. 20; zum Verhältnis Rüge - Schaller siehe F. W. Graf (1978 a) S. 390,412 f.). 89 Robert Eduard Prutz (1816-1972) stammt aus einer Stettiner Kaufmannsfamilie. 18341838 studiert er in Berlin, Breslau und Halle Philologie. In Jena lebend gehört er mit zum Initiatorenkreis der HJ. Mit Ruge ist er befreundet und verschwägert. Er ist Mitarbeiter der Rh Z und schli eßt 1842 Freu ndsch aft mi t Herwegh . 1843 wi rd er wegen ein es Tischliedes auf Dahlmann aus Jena verwiesen. Er übersiedelt nach Halle und entfaltet eine breite schriftstellerische Tätigkeit. 1845 trägt ihm eine politische Komödie einen Prozeß wegen Majestätsbeleidigung ein, der jedoch von Friedrich Wilhelm IV. auf Intervention A. von Humboldts niedergeschlagen wird. 1846/7 kommt es zu einer öffentlichen Polemik zwischen Ruge und Prutz, bei der Prutz von radikalen Positionen zugungsten >realpolitischer< Überlegungen abrückt. An der Revolution von 1848 beteiligt sich Prutz als Mitglied des konstitutionellen Klubs in Berlin. 1849 wird er außerordentlicher Professor für Literaturgeschichte in Halle. Unter dem Druck nachmärzlicher Repressionen, Intrigen und Denunziationen gibt Prutz 1857 seine hallische Professur auf und kehrt in seine Geburtsstadt Stettin zurück, wo er als freier Schriftsteller tätig ist. 1866 wird er wegen seiner Terzinen »Mai 1866« zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und bald darauf amnestiert. Trotz zunehmender gesundhei tli cher Schwäche unternimmt er noch zahlrei che Vortragsreis en. (ADB Bd. 26; G. Büttner (1912); W. Spilker (1937); I. Pepperle (1978) S. 109-132, u. a.).
90 Ernst Theodor Echtermeier (1805-1844) stammt aus einer sächsischen Beamtenfamilie. Er studiert zunächst Jura in Halle, dann in Berlin unter dem Eindruck Hegels Philosophie. 1831 wird er Lehrer am Pädagogium der Franckeschen Stiftungen in Halle. Die Idee der HJ stammt wahrscheinlich von ihm. Echtermeier begeistert Rüge für die Hegel sche Philosophie und gewinnt ihn für die Herausgabe der HJ. Eine unheilbare Erkrankung zwingt ihn seit 1838, seine Aktivitäten einzuschränken. Er tritt 1841 förmlich von der Redaktion der HJ zurück. (ADB Bd. 48; NDB Bd. 4; A. Stahr, Kleine Schriften, 1871, Bd. 1, S. 395^t22; A. Rüge, SW Bd. 6, S. 137-159). 91 Zur Situation in Halle siehe H. Rosenberg (1929). Die Herausbildung von Ruges Kreis in Halle ist ausführlich dargestellt bei F. W. Graf (1978 a) bes. S. 388 ff. 92 Michail Bakunin (1814-1876) stammt aus einer russischen Adelsfamilie. Er besucht die Petersburger Artillerieschule, quittiert aber 1835 den Militärdienst. 1836-39 schließt er sich einer Moskauer Intellektuellengruppe an, in der er Hegels Philosophie rezipiert. 1840 kommt er nach Berlin und befreundet sich mit Turgenjew, der Kontakt zu Bruno Bauer hat. 1842 befreundet er sich mit Ruge in Dresden und schreibt für die Jahrbücher. Wegen seiner Aktivitäten für die Jahrbücher muß er Dresden verlassen. 1843 befreundet er sich mit Herwegh in Zürich; in der Schweiz lernt er Weitling kennen. Wegen »politischer Umtriebe« muß er die Schweiz verlassen und hält sich in Brüssel und Paris auf (1844-1848), wo er mit Proudhon und Marx zusammentrifft. In Paris und Dresden nimmt er an der Revolution von 1848 teil und gerät in Haft. Von Sachsen wird er an Österreich, von dort an Rußland ausgeliefert. 1861 flieht er aus Sibirien über Nordamerika nach London und entfaltet eine ausdauernde konspirative revolu-
67
93
94
95
96
tionäre Tätigkeit in ganz Europa. 1869 kommt es auf dem Kongreß der Internationalen Arbeiter-Assoziation zur Konfrontation zwischen Marx und Bakunin, in deren Folge sich der historische Bruch zwischen sozialrevolutionärem Anarchismus und marxistischer Sozialdemokratie entwickelt. (Literatur zu Bakunin siehe weiter unten Anm. 165). Ludwig Feuerbach (1804—1872) stammt aus Landshut, sein Vater war der Strafrechtslehrer Anselm Ritter von Feuerbach. 1823 studiert er Theologie in Heidelberg, 1825 in Berlin; er hört Hegel und wendet sich der Philosophie zu. 1825/26 naturwissenschaftliche Studien in Erlangen. 1832 gibt ef seine akademische Lehrtätigkeit als Privatdozent in Erlangen auf. 1837 heiratet er Bertha Löwe und übersiedelt nach Bruckberg bei Ansbach, wo er bis 1860 als freier philosophischer Schriftsteller lebt. Rüge gewinnt ihn 1837 zur Mitarbeit an den HJ. 1839 greift er in die Debatte um die Leosche Denunziationsschrift ein. 1841 erscheint »Das Wesen des Christentums«, 1842 die »Vorläufigen Thesen zur Reform der Philosophie« mit denen er neben D. F. Strauß und B. Bauer zu einem zentralen Bezugspunkt junghegelianischer Diskussion wird. Er sympathisiert 1848 mit der Linken im Frankfurter Parlament. Seit 1860 lebt er in Nürnberg. 1870 tritt er der SDAP bei. Feuerbach hat die engen hegelianischen Schulzusammenhänge ebenso wie die junghegelianischen Gruppentreffen sorgsam gemieden. Er korrespondierte von Bruckberg aus mit Ruge und anderen, empfing auch junghegelianische Besucher. Der Einfluß, den er auf die Gruppe hatte, vollzog sich wesentlich durch seine Schriften. (Literatur zu Feuerbach siehe Anm. 171). Karl Theordor Bayrhoffer (1812-1888) entstammt einer Marburger Buchdruckerfamilie. Er studiert Philosophie in Marburg, promoviert und habilitiert sich im selben Jahr 1834. 1838 wird er dort außerordentlicher Professor. Von Leo wird er als Mitglied der »junghegelianischen Partei« denunziert. Bayrhoffer gehört zu den regelmäßigen Mitarbeitern der HJ. 1839 nimmt er gegen Rosenkranz Stellung (HJ 1839, Sp. 1391-1416) und engagiert sich im kurhessischen Symbolstreit gegen die protestantische Orthodoxie. Er organisiert in Marburg einen protestantischen Leseverein, der sich zu einer der radikalen Gemeinden der Bewegung der Lichtfreunde entwickelt. Er hat wesentlichen Anteil an der Verbreitung junghegelianischer Philosophie in der freireligiösen Bewegung. 1846 wird er ein Jahr nach Erhalt einer Professur in Marburg vom Amt suspendiert. An der Revolution von 1848 nimmt er aktiv teil und ist Repräsentant der hessischen Demokraten. 1850 gelingt ihm die Flucht nach Zürich. Von dort wandert er in die USA aus. Seine Marburger Professur wird ihm entzogen, 1853 wird er in Abwesenheit zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aufforderungen, an den Verfassungskämpfen der 60er Jahre teilzunehmen, lehnt er ab. Spätere Rückkehrversuche scheitern. Bayrhoffer lebt bis zu seinem Tod als Farmer in Green Country und Town Jordan (Wisconsin). (Bayrhoffer ist in der ADB und NDB nicht aufgeführt. Zur Biographie vgl. Ph. Losch (1939) S.8-9). Georg ]ung (1814-1886) stammt aus einer Rotterdamer Kaufmannsfamilie. Er studiert Jura: 1834-35 in Bonn, wo er preußischer Staatsbürger wird, um 1835-36 in Berlin. Er wird Referendar und Assessor am Kölner Landgericht. Jung schreibt für die HJ und gehört zu den Mitbegründern der RhZ. Zusammen mit seinen Freunden Heß und Marx wendet er sich sozialistischen Positionen zu und finanziert das »wahrsozialistische« Kölner »Allgemeine Volksblatt«. 1846 geht er nach Berlin. Im März 1848 hält er eine bekannt gewordene Rede am Grab der Berliner Revolutionäre. Er wird Präsident des Politischen-Demokratischen Clubs, und in der preußischenkonstituierenden Versammlung engagiert er sich auf der Seite der demokratischen Linken. In den 60er Jahren tritt er politisch nicht hervor. 1863-76 gehört er dem preußischen Abgeordnetenhaus an, zunächst als Mitglied der Fortschrittspartei, ab 1867 unterstützt er als Nationalliberaler die BismarckschePolitik. (NDB Bd. 10). Moses Heß (1812-1875) stammt aus einer jüdischen Bonner Kaufmannsfamilie. Entgegen seinen späteren Selbstdeutungen kann von einer streng jüdischen Erziehung nicht
68
gesprochen werden. 1826 soll er in das Geschäft des Vaters eintreten, er beginnt jedoch 1830 in Bonn ein zielloses Studium. 1833 geht er heimlich nach Holland und Frankreich und trifft auf oppositionelle Emigranten. Finanzielle Not zwingt ihn zur Rückkehr nach Bonn, 1837 erscheint »Die heilige Geschichte der Menschheit. Von einem Jünger Spinozas« und 1841 »Die europäische Triarchie«. Im selben Jahr trifft er Marx in Bonn. Heß gehört zur Initiativgruppe der RhZ, deren Pariser Korrespondent er wird. Er unterstützt die Rezeption des französischen Sozialismus bei den Junghegelianern, arbeitet an den >Deutsch-französischen Jahrbüchern< mit. 1844 nimmt er gegen Feuerbach, B. Bauer und Stirner Stellung (»Die letzten Philosophen«) und ist maßgeblich an dem Elberfelder >Gesellschaftsspiegel< beteiligt, dem Organ der deutschen Sozialisten. 1845 betreibt er zusammen mit Marx und Engels den Aufbau einer europäischen kommunistischen Organisation in Brüssel. In der Revolution von 1848 weicht Heß der Auseinandersetzung mit Marx und seiner Fraktion im Bund der Kommunisten aus und geht nach Paris. Heß orientiert sich neu. 1862 ist er Mitglied der althegelianischen Berliner Philosophischen Gesellschaft und veröffentlicht »Rom und Jerusalem«, in dem er für die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina plädiert. In den 60er Jahren nähert sich Heß Lassalle an und wird Mitglied des »Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins«. 1867 rückt er von den Lasalleanern ab und nähert sich Liebknecht und Marx an. Bei Beginn des Krieges 1870 wird Heß aus Frankreich ausgewiesen, wohin er 1872 zurückkehrt. (Sh. Na'aman (1982) Vgl. auch die Literatur in Anm. 166). 97 Zu den organisatorischen Verdichtungen um die RhZ vgl. W. Klutentreter (1966). Neben G. Jung gehört auch Rudolf Schramm zu den Kölnern, die an den HJ mitwirken. Verbindungen zwischen den HJ und der RhZ liefen auch über Ruges Freund K. M. Fleischer. Im Sommer 1842 wird für einen Teil der Kölner Gruppe die Diskussion um die »soziale Frage« wichtig. Zu den sog. »Montagskränzchen«, das auch nach dem Verbot der RhZ 1843 weiter besteht, gehören: M. Heß, G. Jung, Bürgers, E. Mayer, W. Thome, C. d'Ester, G. Mevissen, K. Marx. (Klutentreter (1966) S. 35). 98 Karl Heinzen (1809-1880) stammt aus einer niederrheinischen Forstbeamtenfamilie. 1827 Studium der Medizin in Bonn. 1829 wird er wegen aufrührerischer Reden gegen die Universitätsbehörden für immer vom Studium ausgeschlossen. 1829 bis 1831 läßt er sich in die holländische Fremdenlegion nach Batavia anwerben. 1833-1840 tritt er in den preußischen Staatsdienst als Steuerbeamter. In dieser Zeit radikalisiert er sich und gewinnt 1840 Kontakt zum »Jungen Köln« und zu den Initiatoren der RhZ, deren eifriger Mitarbeiter er wird. 1844 flieht er nach Erscheinen seines Buches »Die preußische Bürokratie« nach Belgien, dann in die Schweiz, wo er mit Ruge und Fröbel verkehrt. 1847 überwirft er sich mit Marx und Engels. In wirtschaftlicher Not lebend, geht er 1848 in die USA, kehrt jedoch zur Revolutionszeit wieder nach Deutschland zurück und nimmt am badisch-pfälzischen Aufstand teil. Über die Schweiz und London kehrt er 1850 nach Nordamerika zurück. Dort gibt er nacheinander mehrere radikale Zeitschriften heraus. Am einflußreichsten wurde der zuletzt in Boston verlegte >Pioneer< (1859-79). Heinzens Bedeutung für die Entwicklung des amerikanischen Radikalismus und Anarchismus muß besonders hervorgehoben werden. (ADB Bd. 50; NDB Bd. 8; H. Huber (1932); C. F. Wittke (1945). 99 Die Quelle für den »Doktorclub« ist Marx' Brief an seinen Vater vom 10. 11. 1837, in: MEW EA 1, S. 10. Genannt wird hier namentlich nur Rutenberg. B. Bauers und F. K. Köppens Zugehörigkeit zum »Doktorclub« wird in der Literatur aufgrund der Freundschaften zu Marx angenommen. Vgl. S. Miller/B. Sawadzki (1956) S. 68 und 226. 100 Bruno Bauer (1809-1882) stammt aus einer thüringischen Porzellanmalerfamilie, die nach Berlin übergesiedelt ist. Er studiert 1825-1834 Theologie in Berlin und hört Hegel. 1834 habilitiert er sich, hält Vorlesungen in Berlin und greift in die theologische Diskus-
69
sion ein. Bis zum Sommer 1839 ist er radikal-orthodoxer Hegelianer und Anhänger Hengstenbergs. 1839 kritisiert B. Bauer seine Vergangenheit und greift Hengstenberg an. Er wird nach Bonn versetzt. In seiner Kritik der Evangelien versucht er, Strauß' »Leben Jesu« zu überholen. Bauer entwickelt sich zu einem radikalen Atheisten und hat maßgeblichen Einfluß auf die junghegelianischen Gruppen. Er ist vertraut mit Ruge und befreundet mit Marx, für dessen Karriere er sich verantwortlich fühlt. Er ist Mitarbeiter der HJ und der RhZ. 1842 wird ihm die Lehrerlaubnis entzogen (vgl. S. 125 ff. dieser Arbeit). 1843 beginnt B. Bauer mit einer Kritik des 18. Jahrhunderts, der Revolution und des politischen Radikalismus bürgerlicher und sozialistischer Prägung. Er entwikkelt die Theorie der »reinen Kritik«, die er in der ALZ und den NB propagiert. In der Revolution von 1848 wird B. Bauer in Charlottenburg als Abgeordneter vorgeschlagen, aber nicht gewählt. Er wird Opfer der reaktionären Schlägerkommandos des 20. August in Charlottenburg. Schon 1849 erscheint seine beißende Kritik der Revolution. 1850-1852 arbeitet er über das Urchristentum. 1852-1855 gerät er in den Verdacht, russischer Spitzel zu sein, weil er das Ende des Germanentums und den Aufstieg der großen Mächte Rußland und Nordamerika prognostiziert. Seit 1859 arbeitet B. Bauer an H. Wageners konservativem »Staats- und Gesellschafts-Lexikon« und konservativen Zeitschriften mit. Seine Spätwerke behandeln das englische Quäkertum und den deutschen Pietismus (1878), deren Bedeutung für die Säkularisation des Christentums er herausstellt, und Bismarck (1880, 1882) - Werke, in denen er unter anderem die staatssozialistischen Strategien seiner Zeit reflektiert. Von der nachmärzlichen Zeit bis zu seinem Tode lebt B. Bauer in Rixdorf bei Berlin, wo er neben seiner Schriftstellerei eine kleine Landwirtschaft betreibt. Trotz aller Rätsel, die B. Bauers Leben enthält, vergißt kein Biograph, an B. Bauers charakterliche Größe zu erinnern. (ADB Bd. 46; NDB Bd. 1. Vgl. die in Anm. 175 angegebene Literatur. 101 Adolf Rutenberg (1808-1869) stammt aus Berlin. Er studiert in Berlin Philosophie, Philologie und Theologie und wird als Burschenschaftler zeitweilig verhaftet. Er ist als Lehrer an verschiedenen Berliner Schulen beschäftigt, von 1831-40 an der Berliner Kadetten-Schule. Wegen seiner Mitarbeit an liberalen Zeitungen wird er entlassen. Er gehört mit zum »Doktorclub«, zu den »Athenensern« und den Organisatoren der >Serenade für Theodor Welcker<, für dessen Staatslexikon er mehrere Artikel schreibt (vgl. S. 206 ff. dieser Arbeit). Er ist Mitarbeiter der HJ und der RhZ, als deren Redakteur er im November 1842 auf Drängen der Regierung entlassen wird. Rutenberg kehrt nach Berlin zurück, wo er in den Gruppenspaltungen an der Seite Meyens und Nauwercks auftaucht. In der Revolution von 1848 ist er zunächst im demokratischen, dann im konstitutionellen Club tätig. Mit F. Zabel gründet er die >National-Zeitung<, zieht sich aber bald ausdem politischen Leben zurück. Später ist er Redakteur des >Preußischen Staatsanzeigers<. (Rutenberg ist in der ADB nicht berücksichtigt.) 102 Karl Friedrieb Köppen (1808-1863) stammt aus einer altmärkischen Pfarrerfamilie. 1827—1831 studiert er in Berlin Theologie. Er leistet seinen Militärdienst ab, Engels zeichnet ihn 1842 in Leutnantsuniform. Seit 1833 ist er Lehrer in Berlin. 1837 erscheint eine Arbeit über die Nordische Mythologie, deren religionskritische Intentionen parallel zu denen B. Bauers und Feuerbachs laufen. Als enger Freund von Marx in Berlin gehört er vermutlich zum »Doktorclub« des Jahres 1837. Er ist der erste Berliner Junghegelianer, der Kontakt zu Ruges HJ aufnimmt. 1839 verteidigt er Hegel gegen die Schubart sche Denunziation und initiiert vermutlich um 1840 die Fichte-Rezeption der Junghegelianer. Er gehört zu den Teilnehmern der >Serenade für Th. Welcker< (vgl. S. 206 ff. dieser Arbeit) und zieht sich den Unmut der Regierung zu. Er wird Mitarbeiter der RhZ. Seine Verortung in den Spaltungen der Berliner Junghegelianer ist nicht einfach vorzunehmen. 1843 erscheint er kurz an der Seite von Prutz, 1844 beteiligt er sich an den NB
70
der B. Bauerschen Richtung. 1845 kündigt er eine B. Bauer-Kritik an. 1847 übersetzt er mit Buhl Louis Blancs »Geschichte der Französischen Revolution«. Der »gänzlich gute Koppen« (Engels) hat offensichtlich den mit den Spaltungen einhergehenden Kommunikationsabbrüchen zu widerstehen gewußt. In der Revolution von 1848 taucht er im Umkreis von St. Borns »Arbeiterverbrüderung« auf; 1849 ist er Mitglied des Zwölf-Ausschusses der Berliner »Demokratischen Partei«. Nach der Revolution befaßt sich Köppen mit der Erforschung des Buddhismus. 185759 erscheint seine zweibändige Arbeit »Die Religion des Buddha«. (H. Hirsch (1955) S. 19-81). 103 Zur junghegelianischen Phase von Karl Marx (1818-1883) vgl. Die in Anm.162 angege bene Literatur. An dieser Stelle sei an Marx' Aufenthaltsorte erinnert: 1835 Bonn; 1836April 1841 Berlin, Kontakte im >Doktorc'ub< und mit den >Athenensern<; 1841—Ende 1843 Köln, Kontakte durch die RhZ; Ende 1843-Februar 1845 Paris; Februar 18451848 Brüssel. 104 Edgar Bauer (1820—1882), der elf Jahre jüngere Bruder Bruno Bauers studiert in Berlin zunächst Theologie, dann Jura. 1842 bricht er sein Studium ab und wird freier Schriftsteller. Er ist Mitarbeiter der DJ und der RhZ und entfaltet eine rege publizistische Tätigkeit. Er verteidigt seinen Bruder anläßlich des Entzugs der Lehrerlaubnis und initiiert die junghegelianische Kritik am Liberalismus. Seine Position in den Berliner Fraktionskämpfen darf nicht mit der seines Bruders identifiziert werden. Im Unterschied zu Bruno Bauer, an dessen ALZ und NB er zwar mitarbeitet, entfaltet Edgar Bauer eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht mehr auf die Formen traditionellen Politikverständnisses zurückgreift, sondern den Aspekt der sozialen Revolution herausstellt, die im wesentlichen vom Proletariat getragen wird. In der angestrebten »freien Gemeinschaft« ist der politische Staat aufgehoben. Die Publikation von »Der Streit der Kritik mit Kirchen und Staat« (1843) is t Anlaß für die Verhaftung und Gefangensetzung E. Bauers. Zu vierjähriger Festungshaft verurteilt, ist er seiner Einflußmöglichkeiten auf die junghegelianische Diskussion weitgehend beraubt. 1848 wird E. Bauer freigelassen. An der Revolution in Berlin beteiligt er sich aktiv. 1849 gibt er zusammen mit Theodor Ohlshausen die >Norddeutsche Freie Presse< heraus, in der die Befreiung Schleswig-Holsteins gefordert wird. Edgar Bauer lebt in Hannover und Flensburg. In den 50er Jahren geht er nach London, wo er Marx regelmäßig trifft. E. Bauer ist Redakteur der Londoner Zeitung >NeueZeit<. Nach der Amnestie von 1861 kehrt er nach Deutschland zurück. 1866 versucht er, in Hamburg und Altona Fuß zu fassen. Er wird preußischer Beamter und redigiert seit 1870 in Hannover die konservativen »Kirchlichen Blatten. (E. Bauer ist weder in der ADB noch in der NDB berücksichtigt.). 105Karl Riedel (Hg), Athenäum. Zeitschrift für das gebildete Deutschland, Berlin 1841 (50 Hefte). Zu den Beiträgern des Athenäums gehören über die Genannten hinaus u. a.: Theodor Mügge, Moritz Carriere, Wilhelm Cornelius, Ludwig Eichler, C. M. Wolf und Constantin Frantz. Aus dem Athenäer-Kreis heraus wurde die Serenade für den badischen Liberalen Theodor Welcker organisiert (vgl. S. 206 ff. dieser Arbeit). Die faktische Redaktion des Athenäum lag in den Händen von E. Meyen. 106 Karl Riedel (1804-1878) stammt aus Franken. Er studiert Theologie und ist 1826-1839 Pfarrer in verschiedenen fränkischen Städten. Er ist mit L. Feuerbach befreundet. 1839 gibt er seine Pfarrertätigkeit auf und kommt nach Berlin. Er propagiert zur Thronbesteigung 1840 entschieden die Unvereinbarkeit von freiem Staat und kirchlicher Hierarchie und eröffnet ein Jahr später die junghegelianische Polemik gegen Schelling. Über Riedels weiteren Lebensweg ist wenig bekannt. Um 1850 ist er nach Amerika ausgewandert. (Riedel ist in der ADB nicht berücksichtigt.) 107 Eduard Meyen (1812-1870) stammt aus Berlin. Er studiert in Berlin und Heidelberg und promoviert 1835. 1838/9 ist er Redakteur der Berliner »Literarischen Zeitung<. Seit 1839
71
ist er Mitarbeiter der HJ. Die faktische Redaktion des >Athenäum< liegt 1841 in seinen Händen. 1842 ist er Mitarbeiter der RhZ. In den Berliner Spaltungen vertritt er Positionen, die ihn in die Nähe von Rutenberg und Buhl rücken lassen. 1843 wendet er sich sozialistischen Positionen zu und ist seit 1844 mit Karl Grün Redakteur der wahrsozialistischen >Trierschen Zeitung<. In der Revolution von 1848 ist er u. a. mit Fröbel und Kriege Mitglied des provisorischen Zentralausschusses der demokratischen Vereine. Er gehört mit Faucher zu den Mitarbeitern der Berliner >Abendpost<. Nach dem Scheitern der Revolution emigriert er 1851 nach London, wo er in Konkurrenz zu Marx und Engels sich in der oppositionellen Szene engagiert. Ende der 50er Jahre kehrt er nach Deutschland zurück und ist mit Ruge Begründer der >Reform<. Meyen schließt sich nationalliberalen Positionen an und ist zuletzt Redakteur der >Danziger Zeitung<. (In der ADB ist Meyen nicht berücksichtigt.) 108 Karl Theodor Nauwerck (1810-1891) stammt aus Salem (Herzogtum Lauenburg). 182831 studiert er in Berlin und Bonn Theologie. 1834 promoviert er in Halle im Fach Philosophie. In Berlin, wo er die venia legendi für Arabisch und Geschichte der Philosophie erhält, ist er seit 1836 Privatdozent. Er gehört mit zum frühen Kreis der Berliner Junghegelianer. 1841 ist er Mitarbeiter der HJ und des >Athenäum<, 1842 schreibt er in der RhZ. Die Gründung eines akademischen Lesezirkels erregt den Unmut der Behörden, Nauwerck wird wegen mangelnder Aufsicht der Studenten gerügt. 1843 interveniert der König in Sachen des Privatdozenten, und 1844 wird ihm die Lehrerlaubnis entzogen, was bei den Berliner Studenten zu einer Demonstration führt. In den Fraktionskämpfen steht er an der Seite Ruges, mit dem er befreundet ist. An der Revolution von 1848 beteiligt sich Nauwerck aktiv und wird Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Hier gehört er der äußersten Linken an. Von 1849 bis zu seinem Tode lebt Nauwerck als Inhaber eines Zigarrengeschäftes in Zürich. (In der ADB ist Nauwerck nicht berücksichtigt. Vgl. Anm. 169) 109 Ludwig H. F. Buhl (1814-Anfang der 1880er Jahre) stammt aus der Berliner französischen Kolonie. Er ist Schüler Michelets und promoviert 1837 in Berlin. Im gleichen Jahr veröffentlicht er die erste junghegelianische Schrift zur Hegelschen Rechtsphilosophie (»eine Übersetzung aus der Sprache der Götter in die der übertägigen Menschen«). Buhl entfaltet im Vormärz eine umfangreiche publizistische Tätigkeit, in deren Zentrum politische Analysen stehen. Er gehört zum frühen Berliner Kreis der Junghegelianer, ist Mitarbeiter des >Athenäum< und der RhZ. In den Berliner Fraktionskämpfen taucht er an der Seite von Köppen, Meyen und Stirner auf. Seine Schriften werden häufig beschlagnahmt, und Buhl gerät mehrmals in Haft. In der Revolution von 1848 taucht Buhl in demokratischen Clubs in Berlin auf, wo er wegen seiner ironischen Witzeleien die Emphase stört. Nach der Revolution lebt er zurückgezogen. Über sein weiteres Schicksal sind genauere Angaben nicht aufzufinden. (In der ADB ist Buhl nicht berücksichtigt.) 110 Zur junghegelianskhen Phase von Engels (1820-1895) vgl. die in Anm. 162 angegebene Literatur. An dieser Stelle sei an Engels Aufenthaltsorte erinnert: 1838-1841 Bremen; 1841-1842 Berlin im Kreise der Athenenser; 1842 Barmen, Köln, Treffen mit Heß und Marx; 1842-1844 England; 1844 Paris; 1845-1847 Brüssel. 111An dieser Stelle sei an Stirners Herkunft, Aufenthaltsorte und Kontakte erinnert. Stirner (1806-1856) stammt aus Bayreuth, sein Vater war Instrumentenmacher. 1826-28 Studium der Philosophie in Berlin, dort hört er Hegels Vorlesungen. 1828 Studium in Erlangen, 1829-1832 in Königsberg immatrikuliert, lebt zeitweise in Kulm, seit 1832 bis zu seinem Tode in Berlin. 1835 Lehrerexamen (Arbeit über Schulgesetze), 1835-1836 und 1839-1844 Lehrertätigkeit in Berlin. Er stößt Anfang der 40er Jahre zu den Berliner Junghegelianern. 1842 Mitarbeit an der RhZ und der >Leipziger Allgemeinen Zeitung<. In den Beiträgen werden auch Kontakte zu Königsberg deutlich. 1843 Heirat mit der
72
Junghegelianerin Marie W. Dähnhardt (vgl. S. 292 dieser Arbeit). 1844 Mitarbeit an Buhls >Berliner Monatsschrift<. Ende 1844 erscheint >Der Einzige und sein Eigentum<. 1845 Experimente mit einer Milchwirtschaftskooperative. Stirner gerät in finanzielle Not. 1846 Trennung von M. Dähnhardt. 1848 ist kein Hervortreten Stirners überliefert. 1852 erscheint die zweibändige >Geschichte der Reaktion«. 1853 gerät Stirner in Schuldarrest. Er stirbt völlig verarmt. (ADB Bd. 36, vgl. die in Anm. 174 angegebene Literatur) 112 Eduard Gans (1798-1839) stammt aus einer jüdischen Berliner Kaufmannsfamilie. Er studiert in Berlin, Göttingen und Heidelberg, wo er vielleicht schon Hegelsche Ideen kennenlernt, Jura, Geschichte und Philosophie. 1820 kehrt Gans nach Berlin zurück, wo er 1828 eine Jura-Professur erhält. Auf seine Initiative hin kommt es zur Gründung der Berliner Jahrbücher (JWK). Als Kritiker der >historischen Rechtsschule< Savignys verteidigt er die Notwendigkeit von Rechtsschöpfungen aus den Bedingungen der Gegenwart. Gans hält an den progressiven Elementen der Hegelschen Rechtsphilosophie, wie sie vor 1820 entwickelt wurden, entschieden fest und formuliert die Hegelschen Grundsätze in einer auf tagespolitische Ereignisse offen Bezug nehmenden publizistischen, engagierten Sprache. Zu seinen zahlreichen Hörern gehört auch der junge Marx. Ruges HJ verfolgt Gans mit großer Sympathie. Auf die junghegelianische Rechts- und Staatsauffassung hat er großen Einfluß gehabt. (ADB Bd. 8; NDB Bd. 6; H. G. Reissner (1965); M. Riedel (1967). 113Carl Ludwig Michelet (1801-1893) stammt aus einer Berliner Kaufmannsfamilie französischer Calvinisten. Er studiert in Berlin Jura und wendet sich der Hegeischen Philosophie zu. Von 1825-1850 ist er Lehrer am französischen Gymnasium, seit 1826 lehrt er als Privatdozent, seit 1829 bis zu seinem Tode als außerordentlicher Professor Philosophie in Berlin. Michelet gehört seit 1827 zum Herausgeberkreis der JWK und beteiligt sich an der Herausgabe der Werke Hegels. Rosenkranz zufolge bildet Michelet »den Übergang von den Althegelianern zu den Junghegelianern«. (K. Rosenkranz, Aus einem Tagebuch, 1854, S. 140) Von Leo wird er 1839 als Vertreter der »junghegelschen Partei« angegriffen. 1843 gründet er zusammen mit dem befreundeten Cieszkowski die Philosophische Gesellschaft zu Berlins In der Revolution von 1848 tritt Michelet für ein Bündnis von Konstitutionellen und Demokraten ein. 1860-1866 redigiert er die Zeitschrift >Der Gedanke<. Bis zu seinem Tod veröffentlicht er zahlreiche philosophische Arbeiten. (ADB Bd. 55; C. L. Michelet, Wahrheit aus meinem Leben, Berlin 1884) 114 Im Zentrum der Königsberger bürgerlich-liberalen Opposition steht der Arzt Johann Jacoby (vgl. S. 205 und 211 f. dieser Arbeit). In der Konditorei Siegel trifft sich seit 1839/ 40 ein politischer Zirkel, dem neben Jacoby u.a. Julius Waldeck und Ludwig Walesrode angehören. Seit 1842 stoßen zu der »Donnerstags-Gesellschaft« weitere Teilnehmer hinzu. Unter den ca. 20 Personen sind auch: Rudolf Gottschall, F. Gregorovius, Julius Rupp, Wilhelm Jordan, E. Flottwell. Neben dem »Jacoby-Kreis« existiert eine Gruppe liberaler Junker, die sich um den Oberpräsidenten Th. v. Schön scharen. Einen eher literarischen Charakter hat der »Dichterbund« um Karl Rosenkranz, dem u. a. Gottschall, Jordan und Gregorovius angehören. Rosenkranz selbst hat zum Jacoby-Kreis wie zum Schön-Kreis eine sympathisierende Distanz gehalten. Aber seine Verbindung zu Ruge eröffnete den Königsbergern einen Zugang zur junghegelianischen Diskussion, der sich rasch von den Rosenkranzschen >Vermittlungsdiensten< emanzipierte. (E. Silberner (1976) bes. S. 66-74 u. a.; L. Esau (1935) bes. S. 70 ff.; A. Jung, Königsberg und die Königsberger, 1846) 115 Karl Rosenkranz (1805-1879) stammt aus einer Königsberger Beamtenfamilie. Er studiert in Berlin (seit 1824) und in Halle (seit 1826) zunächst Theologie, dann Philosophie. Hinrichs veranlaßt ihn zum tieferen Studium der Hegelschen Philosophie. Rosenkranz promoviert und habilitiert sich 1828. Um 1830 präsidiert er in Halle der informellen
73
hegelianischen »Gartengesellschaft« (»Gesellschaft zum ungelegten Ei«), der Hinrichs, Ritschi, Ruge, Echtermeier und Leo (damals noch Hegelianer) angehörten. Seit 1833 lehrt er bis zu seinem Tode in Königsberg. 1838 gründet Rosenkranz einen »Dichterbund« in Königsberg. R. Gottschall und W. Jordan werden seine Schüler, deren literarische Initiativen er fördert. Mit Ruge befreundet, unterstützt er anfangs die HJ und stellt so einen Kontakt zwischen den Königsbergern und den Junghegelianern der Jahrbücher her. Seit 1840 beginnt eine Entfremdung zwischen dem >radikalen< Ruge und dem >gemäßigten< Rosenkranz. Er unterhält Kontakte zu den Liberalen einerseits um den preußischen Oberpräsidenten Th. v. Schön und andererseits um den Arzt Johann Jacoby. Er unterstützt jedoch den ostpreußischen Liberalismus aus einer kritischen Distanz heraus. Die Spaltung der Königsberger Gruppe in >Liberale< und >Radikale< verfolgt er mit Skepsis. Rosenkranz bleibt ein Anhänger des preußischen Verwaltungsstaates, den er um sozialstaatliche Elemente angereichert sehen will. In der Revolution von 1848 beteiligt er sich am Königsberger Konstitutionellen Club und wird kurze Zeit vortragender Rat im preußischen Kultusministerium. 1849 ist er Mitglied des preußischen Landtags (Linkes Zentrum). Im Herbst 1849 kehrt er nach Königsberg zurück und konzentriert sich auf seine philosophisch-literaturästhetische Arbeit sowie auf ein Engagement in akademischen und kommunalen Angelegenheiten. (ADB Bd. 29; L. Esau (1935) 116 Rudolf Gottschall(1823-1909) stammt aus Breslau. Sein Vater war Artilleriehauptmann. Nach der Schulzeit in Koblenz studiert Gottschall in Königsberg und Breslau Jura. Er wird von Rosenkranz gefördert und gehört mit zum Königsberger Jacoby-Kreis. Zu den Berliner Junghegelianern hat er Kontakt während seines Militärdienstes in Berlin. Gottschall schreibt politische Lyrik (Lieder der Gegenwart, 1842; Zensurflüchtlinge, 1843). Nach der Aufführung seines Revolutionsdramas »Robesspierre« wird er aus Breslau ausgewiesen. 1846 promoviert er in Königsberg im Fach Jura. Gottschall strebt eine Universitätskarriere an, kann jedoch die vom Minister binnen Jahresfrist geforderten Beweise der Gesinnungsänderung nicht erbringen. In der Revolution von 1848 ist er 24jährig Mitglied des Königsberger Arbeitervereins. Gottschall wird Dramaturg in Königsberg und entfaltet eine breite literarische und literaturgeschichtliche Tätigkeit. Seit 1864 redigiert er die >Blätter für literarische Unterhaltung< Später wird er Mitarbeiter der >Gartenlaube<. Politisch wendet er sich mehr und mehr der Rechten zu (Kriegslieder 1870). 1877 wird er von Wilhelm I. geadelt. (Gottschall ist in der ADB und NDB nicht berücksichtigt. R. v. Gottschall, Aus meiner Jugend, 1898; J. Proelß (1901) 117 Wilhelm Jordan (1818-1904) stammt aus einer ostpreußischen-pommerschen Pfarrerfamilie. Er studiert in Königsberg zunächst Theologie, dann Philosophie und promoviert 1842. Im gleichen Jahr erscheinen seine ersten politischen Gedichte (Irdische Phantasien, 1842). Von Königsberg hält er Kontakt zu den Berliner Junghegelianern und läßt sich 1844 als freier Schriftsteller in Leipzig nieder. 1846 wird er wegen eines blasphemischen Toasts mit Gefängnis bestraft und des Landes Sachsen verwiesen. Theoretisch entwickelt Jordan sehr früh historisch-materialistische Positionen und will programmatisch die Philosophie in die Naturwissenschaften auflösen. Er geht 1846 nach Bremen und ist nach der Februarrevolution Korrespondent der »Bremer Zeitung« in Paris. Im April 1848 geht er nach Berlin und wird als Vertreter der Linken in das Frankfurter Parlament gewählt. Großes Aufsehen erregen seine Reden in der Polendebatte, weil er sich der deutschnationalen Position anschließt und zur Parlamentsrechten übergeht. Im November 1848 wird er Ministerialrat in der Marineabteilung des Reichsministeriums für Handel. Nach der Versteigerung der deutschen Flotte 1849 wird ihm eine 30jährige Pension gezahlt. Finanziell gesichert unternimmt er von Frankfurt/M ausgehend als wandernder Rezitator seiner Stabreimversepen zahlreiche Reisen durch Deutschland,
74
Österreich, die Schweiz, Rußland und Nordamerika (bis nach San Francisco). Die junghegelianischen Auseinandersetzungen werden von ihm 1852—54 in dem Versepos »Demiurgos« literarisch gestaltet. Er schreibt zahlreiche Dramen, Epen und Romane und wird in seiner Zeit als Dichter hochgeschätzt. Politisch gilt er besonders seit 1870 als Propagandist neudeutscher Größe. (NDB Bd. 10; A. Günther (1920); F. Mehring (1961a); P.Scholz (1930) 118 Friedrich August Witt studiert in Königsberg Philosophie und wird Oberlehrer am Kneiphöfschen Gymnasium zu Königsberg. Er gehört zum Jacoby-Kreis und ist maßgeblicher Redakteur der »Königsberger Zeitung<. Aufgrund seines Engagements im Prozeß gegen Jacoby wird er 1841 als Lehrer suspendiert, weil er seine Redaktionstätigkeit nicht aufgeben will. - In der Revolution von 1848 ist er Vorstandsmitglied des >Volkswehrclubs<. (F. A. Witt ist in der ADB nicht berücksichtigt.) Hingewiesen sei auf den Umstand, daß G. Mayer (1913) statt Friedrich August Witt den Königsberger Oberlehrer Carl Witt als Redakteur der >Königsberger Zeitung< anführt (S. 6). Carl Witt, der später als Pädagoge bekannt wurde (ADB Bd. 43; Sebastian Hensel, Carl Witt, Leipzig 1894), gehörte zwar auch zum Jacoby-Kreis, ist aber in dieser Zeit politisch-publizistisch nicht in dem Maße hervorgetreten wie F. A. Witt. Zu dieser Verwechslung bei G. Mayer kommt eine weitere: Mayer schreibt den wichtigen anonymen Aufsatz: >Preußen seit der Einsetzung Arndts bis zur Absetzung Bauers<, in: EB S. 1—32 ebenfalls Carl Witt zu. Nach E. Silberner (1976, S. 129) stammt dieser Aufsatz nachweislich von K. R. Jachmann. Die von Mayer festgestelte wörtliche Übereinstimmung mit Passagen einer Broschüre, die von August Witt stammen müßte, habe ich nicht überprüfen können. (Vgl. G. Mayer, Ebd. S. 6) 119 Karl Reinhold Jachmann, geb. 1810 in Jenkau bei Danzig, studiert Theologie an der Universität Königsberg. Er promoviert 1834 und wird Privatdozent. Er gehört zum JacobyKreis in Königsberg. 1841 tritt er mit einer Streitschrift zur Frage der kirchlichen Union hervor. Er ist Mitarbeiter der >Königsberger Zeitung<, hat über G. Julius Kontakte zur »Leipziger Allgemeinen Zeitung< und wird von E. Flottwell aufgefordert, für die RhZ zu schreiben. 1843 zieht der Gutsbesitzer Jachmann nach Kobulten, bleibt aber in engem Kontakt mit radikalen Gruppen, auch während der Revolution von 1848. 1862 ist er Redakteur des >Neuen Elbinger Anzeigers<, dann ab 1873 wieder Gutsbesitzer und bis 1879 Abgeordneter für Ortelsburg-Sensburg. Seit 1879 lebt er als Rentier in Königsberg. (Jachmann ist in der NDB und ADB nicht berücksichtigt.) 120Eduard Flottwell (1811-1862), ältester Sohn des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen E. H. Flottwell, studiert Jura in Königsberg. Er ist Mitglied im Jacoby-Kreis. 1841 geht er wegen seines Assessorexamens nach Berlin und schließt sich den Berliner Junghegelianern an. Er nimmt an der »Serenade für Welcker< teil, was den besonderen Unmut des Königs erregt. Er wird Mitarbeiter der RhZ und steht mit Jacoby in Königsberg in regem Briefwechsel. 1844 wird er in Elbing zum Stadtrat und Syndikus gewählt. Nach der Revolution wird er 1851 vom Amt suspendiert und wegen seiner demokratischen Haltung 1852 durch richterlichen Spruch seines Amtes entsetzt. Seit 1853 lebt er als Fotografin Danzig. (E. Flottwell ist weder in der ADB noch in der NDB berücksichtigt.) 121 Zürich ist im Vormärz ein überragendes Zentrum der radikalen Publizistik in der Emigration. Auch zahlreiche junghegelianische Schriften werden hier verlegt. Hervorzuheben ist das »Literarische Comptoir Zürich und Winterthur«, das Anfang der 40er Jahre von Julius Fröbel und August Folien gegründet wird. (Vgl. W. Näf (1929);H. G. Keller (1935); ders. (1943). J. Fröbel, ein Anhänger der Feuerbachschen Philosophie, war reger Mitarbeiter der RhZ und besaß Kontakte zu fast allen bedeutenden Radikalen seiner Zeit. A. Folien war befreundet mit Friedrich List und verstand sich als politischer Adoptiwater Georg Her-
75
weghs. Privatdozent in Zürich ist Wilhelm Schulz, Mitarbeiter der RhZ und Freund Herweghs. Schulz' wichtige Rolle für die Kontinuität in den vormärzlichen Oppositionsphasen ist dargelegt von W. Grab (1979). Zu den Schweizer Gruppenzusammenhängen siehe ebd. S. 177-210. Eine Übersicht über die radikale Publizistik in der Schweiz gibt K. Koszyk (1966) S. 8086. Zur Entwicklung der Emigrantenkultur in der Schweiz vgl. E. Schraepler (1962); W. Schieder (1963); A. Gerlach (1975); H. J. Ruckhäberle (1983). 122 In Paris halten sich in den 40er Jahren als Besucher oder Emigranten u. a. zeitweise auf: M. Bakunin, A. Cieszkowski, K. Grün, G. Herwegh, M. Heß, K. Marx, A. Ruge. Wichtige Vermittler zwischen französischen Sozialisten und Junghegelianern sind neben Heß (vgl. S. 270 ff. dieser Arbeit) Jakob Venedey, Herausgeber des »Geächteten« in Paris und Mitarbeiter der RhZ, Lorenz von Stein, der 1840 mit einem Stipendium der preußischen Regierung den französischen Sozialismus studiert und gleichzeitig für die RhZ korrespondiert, und Alexander Weill, der an französischen wie deutschen Zeitungen mitarbeitet, Kontakte zu Pariser kommunistischen Vereinen hat, sich 1843 den Berliner Junghegelianern anschließt, 1844 zur Gruppe um Herwegh, Marx und Ruge überschwenkt und ein Jahr später die freireligiöse Bewegung der Deutschkatholiken unterstützt. Zur Kontinuität der deutschen Teilnehmer an den Pariser intellektuellen Zirkeln vgl. A. Kaltenthaler (1960); für die frühe Arbeiterbewegung: W. Schieder (1963). Zum Verhältnis von Junghegelianern zu französischen Sozialisten in Paris vgl. C. Rihs (1978). 123 Brüssel entwickelt sich nach Zürich und Paris zu einem wichtigen Zentrum. Während in Paris den deutschen Intellektuellen die Verbindung mit den französischen Sozialisten mißlingt, entwickelt sich zwischen Zürich und Brüssel insbesondere nach dem Scheitern der >Deutsch-französischen Jahrbücher< eine auch politische Konkurrenz. Während für Zürich A. Rüge die integrierende Gestalt wird, bildet sich in Brüssel um K. Marx ein politisches Zentrum. (Vgl. Sh. Na'aman (1982) S. 169 f.; A. Cornu (1968) Bd. 3, S. 1416,149-155; H. v. d. Dunk (1966) 124 Georg Herwegh (1817-1875) stammt aus einer württembergischen Gastwirt- und Hofbedienstetenfamilie. 1835 wird er in das Tübinger Stift aufgenommen, das er wegen Auflehnung gegen die Stiftsordnung bald verlassen muß. Er wechselt vom Theologie- zum Jurastudium über und bricht 1837 das Studium ab, um freier Schriftsteller zu werden. Dem strafweisen Einzug zum Miltärdienst entzieht sich Herwegh 1839 durch die Flucht in die Schweiz. Hier lernt er über G. A. Wirth, J. Fröbel und A. Folien die oppositionellen Emigrantengruppen kennen. 1841 und 1842 ist Herwegh in Paris. Aufgrund seines literarischen Erfolges (Gedichte eines Lebendigen, 1841) unternimmt er 1842 eine »Triumphreise« durch Deutschland, die insbesondere von der RhZ publizistisch begleitet wird. Herwegh schließt u. a. Kontakte zu Prutz, Ruge, Bakunin und der Kölner Junghegelianergruppe. (Zu Herweghs Reise 1842 und den Ereignissen, die zu seiner Ausweisung aus Preußen führen vgl. S. 219 ff. dieser Arbeit) 1843 gibt Herwegh die Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz< heraus, seit 1843 lebt er in Paris in engem Kontakt zu Heine, Ruge und Marx. Mit Ausbruch der Februarrevolution 1848 wird er Präsident der »Pariser Deutschen Legion«, die den Versuch unternimmt, die badischen Revolutionstruppen militärisch zu unterstützen. Die Legion wird Ende April 1848 geschlagen. Herwegh und seine Frau, die engagierte Revolutionärin Emma Herwegh, fliehen in die Schweiz. Herwegh gerät in wirtschaftliche Notlagen und schreibt für Schweizer Journale. Unter dem Einfluß Lassalles schließt er sich dem »Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein« an und wird dessen Bevollmächtigter für die Schweiz. 1865 trennt er sich von den Lassalleanern und nähert sich Marx und Engels an. 1866 wird er Ehrenkorrespondent der I. Internationale. Seit dem Eisenacher Vereinigungsparteitag unterstützt er den revolutionären Flügel der SDAP. Die letzten Jahre seines Lebens verbringt Herwegh in Baden-Baden unter sehr
76
ärmlichen Lebensumständen. (ADB Bd. 12; NDBBd. 8; F. Mehring (1961 b); B. Kaiser (1948); W.Büttner (1967) 125Jakob Venedey (1805—1871) stammt aus einer Kölner Juristenfamilie. Sein Vater war überzeugter Jakobiner. Venedey studiert 1825-27 Jura in Bonn und Heidelberg und wird Rechtsanwalt. 1832 verliert er durch eine Schrift gegen die Schwurgerichte die Chance auf eine Anstellung im preußischen Staat und wird Mitarbeiter am Mannheimer >Wächter am Rhein<. Er ist Teilnehmer am Hambacher Fest und wird verhaftet. Sein zweiter Fluchtversuch gelingt, Venedey geht über Straßburg nach Paris, wo er sich niederläßt. 1833 steht er dem aus dem »Deutschen Volksverein« hervorgehenden »Bund der Geächteten« vor. 1835 wird er aus Paris ausgewiesen, und der »Bund« entwickelt unter dem Göttinger Privatdozenten Theodor Schuster eine zunehmend kommunistische Programmatik. Nach Aufenthalten in Montpellier und Le Havre kann Venedey nach Paris zurückkehren. Er hat u.a. Kontakt zu Ruge, für dessen Jahrbücher er unter dem Pseudonym Heinrich Marc schreibt. Er entwickelt sich in den 40er Jahren zu einem argwöhnischen Kr itiker der Linken, besonders wenn diese gegen seine Lehre vom gesetzlichen Widerstand verstieß. In der Revolution von 1848 wird er in den Fünfziger-Ausschuß des Vorparlaments gewählt. Er gehört zu den Begründern der Fraktion »Westendhall«, die einen Ausgleich zwischen Liberalen und Demokraten anstrebt. 1850 übernimmt er die Statthalterschaft von Schleswig-Holstein. Politisch gerät Venedey in der nachmärzlichen Zeit zwischen alle Fronten. 1852 zieht er nach Bonn, 1853 nach Zürich, wo er sich im Fach Geschichte habilitiert. 1855 lebt er in Heidelberg beim Chemiker Moleschott, schließlich erwirbt er 1858 ein altes Bauernhaus in Oberweiler, das seine Frau als Pension führt. Er schreibt über Franklin, Washington, Stein. Kurz vor seinem Tod wird ihm ein Reichstagsmandat in Aussicht gestellt, das er nicht mehr erwerben kann. (ADB Bd. 39; W. Köppen(1921); H. Venedey (1927) 126Dieser Gruppenkern wird besonders seit 1844/45 erkennbar. Vgl. die Gruppendifferenzierung, die R. Gottschall in seinen Memoiren vornimmt. Er nennt auf der einen Seite E. Meyen und A. Rutenberg, die er von der Gruppe um B. Bauer (den »Freien«) unterscheidet (R. v. Gottschall, Aus meiner Jugend S. 169). Eine ähnliche Differenzierung nimmt auch Friedrich Saß vor. Er unterscheidet zwischen einem philosophischen Radikalismus (B. Bauer, E. Bauer und L. Buhl) und einem radikalen Liberalismus. Zu dieser »Partei« zählt er Rutenberg, Zabel, Nauwerck, Mügge und Volkmar. Er bezieht sich dabei auf die gescheiterten Zeitungspr ojekte von K. Nauwerck, Monatsschrift für Politik, Berlin 1846; T. Mügge, F. Zabel, Monatsschrift für Volksbindung, Berlin 1846; A. Rutenberg, Monatsschrift für Volkswirtschaft und soziales Leben, Berlin 1846. (F. Saß, Berlin, 1846, S. 163) A. Cornu rechnet zu dieser Gruppe auch noch L. Buhl, G. Julius und K. F. Koppen (A. Cornu (1968) Bd. 3, S. 28 f.). I. Pepperle (1978) S. 104 gruppiert über Berlin hinausgehend R. Prutz, K. Nauwerck, G. Julius und A. Rüge als die Gruppe, die weder B. Bauer noch Marx und Engels zu folgen bereit ist. Die Zuordnung von Buhl, Julius und K. F. Koppen zu diesem Gruppenkern halte ich für zweifelhaft. 127Dieser Gruppenkern versammelt sich 1844 um L. Buhls >Berliner Monatsschrift«, die sich einerseits programmatisch gegen Rugesche und Nauwercksche Positionen wendet, andererseits gegenüber der Gruppe um B. Bauer Distanz hält. Diese fraktionelle >Mittellage< zeigt sich auch in anderen Schriften dieser Junghegelianer. Buhl vertritt eine Kritik der Politik, die nicht ins Konzept der politischen Radikalen paßt, und ebenso wendet er sich gegen die »Einsamkeit« der Bauerschen Kritik. Dies verbindet ihn mit Stirner, der versucht, eine Position zwischen Feuerbach und Bauer zu entfalten. E. Bauer und K. F. Koppen müssen auch diesem Gruppenkern zugeordnet werden, obwohl sie in der B. Bauerschen ALZ und den NB ihre Beiträge publizieren. E. Meyens Positionen dagegen liegen teilweise auch sehr nahe bei Ruge/Nauwerckschen Auffassungen.
77
128 Ernst Jungnitz (1818-1848) stößt nach 1842 zu den Berliner Junghegelianern und schließt sich der Gruppe um B. Bauer an. Er ist eifriger Mitarbeiter der ALZ. Seit 1843 publiziert Jungnitz zahlreiche Arbeiten über die Französische Revolution: Religion und Kirche in Frankreich bis zur Auflösung der Konstituierenden Versammlung, 1843; Religion und Kirche in Frankreich seit der Auflösung der Konstituierenden Versammlung bis zum Sturz Robespierres, 2. Bde., 1844. Zum Teil werden seine Arbeiten in die von den Brüdern Bauer herausgegebenen Denkwürdigkeiten zur Geschichte der neueren Zeit seit der Französischen Revolution, 1843/44< aufgenommen. Die Vorgeschichte der Revolution behandelt Jungnitz in: Geschichte der französischen Revolution von 1787 und 1788, 2 Theile, 1846. Hervorzuheben ist darüber hinaus: Geschichte des religiösen Lebens, 1845.1848 stirbt Jungnitz im Alter von 30 Jahren. (Inder ADB ist Jungnitz nicht berücksichtigt.) 129 Julius Faucher 1820-1878) stammt aus einer Berliner hugenottischen Hutmacherfamilie. Er studiert in Berlin Philosophie. Nach 1842 stößt er zu den Berliner Junghegelianern und wird 1844 Mitarbeiter der ALZ. 1846 gründet er mit J. Prince-Smith u. a. den ersten deutschen »Freihandelsverein«. An den Märzkämpfen der Revolution von 1848 nimmt er lebhaften Anteil. 1850 ist er Mitbegründer und Redakteur der anarchistisch-freihändlerischen >Abendpost<. 18501861 emigriert er nach London, wo er seit 1856 Redakteur des >Morning Star< ist. Faucher wird literarischer Sekretär von R. Cobden. 1861 kehrt er nach Deutschland zurück und wird Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (Fortschrittspartei). Mit Th. Fontane ist er seit der Zeit des Vormärz befreundet. (NDB Bd. 5) 130 Unter dem Pseudonym Szeliga hat der preußische Offizier Franz Zychlin von Zychlinski (1816-1900) an der ALZ und den NB mitgearbeitet. Bei den Berliner Junghegelianern hält er sich frühestens seit November 1842 auf. Seine letzte junghegelianische Schrift stammt aus dem Jahre 1846: Die Universalreform und der Egoismus. Aus seiner vormärzlichen Zeit stammt seine Freundschaft zu Th. Fontane. Zychlinski macht bei der preußischen Armee Karriere. Er veröffentlicht militärgeschichtliche Arbeiten: Geschichte des 24. Infanterieregiments. 2 Bde. (1854-1857); Anteil des 2. Magdeburgischen Infanterieregiments an dem Gefecht bei Münchengrätz und an der Schlacht von Königgrätz (1866). Zuletzt ist Zychlinski Kommandeur der 15. Infanteriedivision in Köln. (In der ADB ist Zychlinski nicht berücksichtigt.) 131 Karl Schmidt (1819—1864) stammt aus einer anhaltischen Bauernfamilie. 1841 studierter in Halle Theologie, 1843 wird er unter dem Einfluß von Erdmann und Schaller Hegelianer. 1844 geht er nach Berlin. Er vollzieht in kurzer Zeit, ausgehend von althegelianischen Positionen, den Übergang zu D. F. Strauß, zu Feuerbach, zu B. Bauer, zu Marx und zu Stirner nach, um sich 1846 selbst als Spitze der junghegelianischen Theorie zu präsentieren. Gleichzeitig vollzieht er einen dramatischen Bruch mit den Junghegelianern und wird Pfarradjunkt in Ederitz. Nach der Revolution von 1848 scheidet er aus dem Pfarrdienst aus und wird Lehrer in Köthen. K. Schmidt wird als »anthropologischer Pädagoge« durch zahlreiche Werke zur pädagogischen Theorie und Geschichte bekannt. (ADB Bd. 31; Paul Wätzel (1949) 132Über die Köthener >Kellergesellschaft< informiert P. Wätzel (1949) S. 66 ff. 133Gustav Julius (1810—1851) studiert Theologie und wird Anhänger der neupietistischen Orthodoxie. Wie B. Bauer entwickelt er sich vom Theologen zum Kritiker der Religion. 1842/43 ist er für kurze Zeit Chefredakteur der >Leipziger Allgemeinen Zeitung<, die sich unter seiner Leitung rasch radikalisiert. 1843/44 wird er >Bauerianer<, um seit 1845 zu einer Kritik der Bauerschen Richtung überzugehen, die er mit einer Kritik an Marx' und Engels' »Heilige Familie« verbindet. 1846-1849 gibt er die >Berliner ZeitungsHalle< heraus. In der Revolution von 1848 steht Julius auf der Seite der Linken und emigriert nach der
78
Niederlage nach London. In der Emigrantenszene versucht er, eine unabhängige Position zu wahren. 1851 kommt es zu einer theoretischen und praktischen Annäherung zwischen Julius und Marx und Engels. (In der ADB und NDB ist Julius nicht berücksichtigt.) Zur Leipziger Dependance der >Kellergesellschaft< vgl. J. Schmidt, Geschichte der Deutschen Literatur, 1855, Bd. 3, S. 429. 134 In dieser Arbeit wird auf Aspekte der Hegelschen Philosophie nur insoweit eingegangen, als von ihnen her Bewegungsformen und Problemzonen der junghegelianischen Debatten sich erhellen lassen. Die Frage, ob und wie die junghegelianischen Hegelinterpretationen heute Hegel gerecht werden, wird ausgeklammert. Ein Beitrag zu Hegel ist diese Arbeit allenfalls unter einem spezifischen Blickwinkel, nämlich unter dem Blick auf die >Kollektivierbarkeit< von Grundzügen seines Denkens. Dieser Blick ist >ungerecht<, weil er eine ganz andere Frage an die Philosophie stellt als diese sich selbst. Für die Kohärenz der Hegelschen Philosophie ist es eine periphere Frage, welche Elemente in einem sozialen Sinne >Schule machen< und vor allem machen können und mit welchen Elementen keine Schule zu machen ist. Es macht einen Unterschied, ob einer Geschichtsphilosophie treibt oder ob sich mehrere um eine Geschichtsphilosophie vereinen; ob die philosophische Polemik von einem Philosophen oder einer Gruppe im Namen eines Philosophen gemacht wird; ob die philosophische Gewißheit bei >mir< oder ob sie bei >uns< ist. In diesen Unterschieden liegt der Grund für die spezifisch soziologische Frage. - Zugänge zur Hegelschen Philosophie haben mir die Arbeiten von Lukács, Kojève, Marcuse und Adorno ebenso vermittelt wie Arbeiten von Ritter, Marquard, Saß, Riedel, Henrich, Theunissen und Bubner. Viel gelernt habe ich in den Diskussionen mit Kosmas Psychopedis. 133 Zur Hegelschen Schule vgl. S. 54 ff. angegebene Literatur. »Hegelschule« nenne ich den Gesamtkomplex der Schüler mit den verschiedenen Aufspaltungen und Fraktionierungen. »Hegelianisch« bezieht sich auf die Hegelschule, »hegelsch« auf Hegel selbst. Die Begriffe »Althegelianer«, »Junghegelianer«, »Rechtshegelianer« und »Linkshegelianer« werden weiter unten S. 137 ff. diskutiert. 136 Zum Begriff der »ideologischen Gruppe« vgl. A. Schweitzer (1944) S. 415, C. Mongardini (1979) sowie weiterführend P. C. Ludz (1976) S. 89 ff. Der Begriff »ideologische Gruppe« trifft das Phänomen der junghegelianischen Gruppenbildung nicht, weil er bereits eine politische und theoretische Zuspitzung enthält, die weit vorgreift. Der Gedanke, daß Ideen als Ideologien definiert werden können, entsteht zwar bei den Junghegelianern, aber er entsteht in einer spezifischen Diskussionslage. Selbst ihre Gegner haben die Junghegelianer nicht als »Ideologen« gesehen, sondern als Vertreter von »Prinzipien«, mit denen ein »geistiger Kampf« auszutragen ist. Die von Stirner erzwungene Marxsche Einführung des Ideologiebegriffs steht systematisch am Ende des Junghegelianismus, sie hat die Funktion, die Debatte zu beenden, den »Prinzipienkämpfen« einen Status zuzuweisen, der via argumenti sinique nicht mehr zu verändern ist. (Vgl. dazu W. Eßbach (1982) S. 63 ff.) Präziser als der Begriff der »ideologischen Gruppe« trifft F. W. Grafs der theologischen Diskussion entnommener Begriff der »Positionalität« und der »Positionenkonkurrenz«. Eine »Position« entsteht durch Selbstunterscheidung von geltenden Positionen, sie tritt damit in eine Konkurrenz, in der sie ihre Eigentümlichkeit behaupten muß. Die Rede von »Ideologie« wäre das Todesurteil für »Positionalität«, weil ihr die Kraft der Selbstunterscheidung abgesprochen wird. (vgl. F.W.Graf (1982 a) S. 44 ff.; ders. (1978 a)S. 383 ff.) 137 Die soziologische und sozialpsychologische Literatur zum Thema Gruppe ist unübersehbar. Einige wenige Arbeiten seien hervorgehoben. Zu einer Universalisierung des Gruppenbegriffs neigt der einflußreiche Ansatz von
79
G. C. Homans (1965).Im Gegenzug muß hingewiesen werden auf G. Lapassade(1972); Lapassade insistiert auf dem Phänomen der Bürokratisierung von Gruppen. Stark theoriegeschichtlich systematisierend ist der Ansatz von Th. M. Mills ( 4 1973). Aus dem deutschsprachigen Bereich seien genannt: D. Ciaessens (1977); F. Neidhardt (1979). Analysen zu Gruppenstrukturen in politisch motivierten Studentengruppen finden sich bei L. Binger (1974). Vor einer Überschätzung der Leistungsfähigkeit kleiner Gruppen und einer Überhöhung von Gruppen im theoretischen Bereich warnt H. P. Bahrdt (1980). B. Schäfers (1980) bietet einen einführenden Überblick. Zum Stand der Diskussion siehe F. Neidhardt (1983). 138 Forschungen zu Intellektuellengruppen, bei denen ein besonderer Aspekt auf die Gruppenbildung gelegt wird, sind noch immer spärlich. Von älteren Arbeiten sind neben vielfältigen Hinweisen bei G. Simmel theoretisch anregend immer noch: K. Mannheim, Die Bedeutung der Konkurrenz auf dem Gebiete des Geistigen, in: ders. (1964) S. 566-613; S. Kracauer (1963). Die frühen Arbeiten von H. Rosenberg stellen Ansätze für eine »geistige Gruppengeschichte« dar. (H. Rosenberg (1972) S. 10) Die erkenntnistheoretischen Zuspitzungen im Streit um die Wissenssoziologie mögen mit dazu beigetragen haben, daß eine Weiterentwicklung der wissenssoziologischen Diskussion in Richtung auf eine Analyse von Intellektuellengruppen gebremst wurde. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang immer noch die frühen Arbeiten von C. W. Mills, in denen z. B. die Auffassung, das Publikum eines Theoretikers bestehe in der »zeitlosen Schar derjenigen, die die Wahrheit suchen«, zurückgewiesen wird. Mills versucht den Begriff des Publikums in Richtung auf Gruppenzusammenhänge zu präzisieren. Es handelt sich dabei u. a. um Personen, »die so denken, daß die Bedingungen eines bestimmten Denkmodells erfüllt werden, dessen Formen ihnen mehr oder weniger bewußt sind und dem sie sich anzupassen trachten. Das ist es, was die >die Wahrheit suchen< bedeutet. ( . . . ) Die bloße Existenz einer solchen Gruppe ist bereits soziologisch bedeutsam. Der Ursprung und die Folgen solcher Gruppen in den verschiedenen Zusammenhängen haben bisher wenig ausdrückliche Beachtung gefunden.« (C.W. Mills (1964) S. 290) Richard Grathoff verdanke ich den Hinweis, daß C. W. Mills in seiner Dissertation (1943) ausgehend von der pragmatistischen Intellektuellengruppe um Peirce und James die Frage nach der Sozialität eines Intellektuellenmilieus aufwirft. Von neueren Arbeiten sind neben den Arbeiten von P. C. Ludz (1976) die Bemühungen hervorzuheben, die seit einigen Jahren vermehrt im Bereich der Erforschung der Freimaurer und geheimen Gesellschaften stattfinden (vgl. hierzu: Anm. 68). Im literaturwissenschaftlichen Bereich sind zahlreiche Arbeiten über spezielle Dichter und Schriftstellergruppen zu finden. Übergreifende Fragestellungen entwickeln: H. Kreuzer (1968); F. Krön (1976); F. Kröll (1978) Zum Stand soziologischer Analyse von historischen Intellektuellengruppen siehe insbesondere die Beiträge von K. W. Back, D. Polisar, Salons und Kaffeehäuser; H. P. Thurn, Die Sozialität der Solitären, Gruppen und Netzwerke in der Bildenden Kunst; F. Kröll, Gruppenzerfall. Versuch über die Gruppe 47, in: F. Neidhardt (1983). 139 Zum folgenden vgl. J. P. Sartre (1967) hier bes. S. 271 und 371. Auf Sartres Gruppentheorie hat mich Konrad Thomas aufmerksam gemacht. 140 Ebd. S. 375,292,307. 141 Ebd. S. 373,271. 142 »Ich fühle meine Ohnmacht im Anderen, weil ja der Andere als Anderer entscheidet, ob meine Tat eine verrückte Einzelinitiative bleibt oder mich in die abstrakte Isolierung zurückwirft oder die gemeinsame Tat einer Gruppe wird. So wartet jeder auf die Tatdes Anderen, und jeder macht sich zur Ohnmacht des Anderen, insofern der Andere seine Ohnmacht ist.« Ebd. S. 295.
80
143 Ebd. S. 399,403. 144D. Ciaessens (1967) S. V, 59 ff. 145Ebd. S. 10. 146H. Blumer (1973) S. 81 ff. 147Zur erkenntnistheoretischen Problematik vgl. K. O. Apel (1972). 148G. Mayer (1913) S. 95. 149 Sh. Na'aman (1982) S. 133. H. Hirsch (1955) spricht pointiert von einer »junghegelsche(n) Arbeitsgemeinschaft, die das System einer objektiven Begriffsgeschichte an sich zu verwirklichen suchte, indem sie auf individuelle Schreibweise verzichtete.« (S. 46) 150Ich bediene mich bei der Zusammenstellung von sophistischen Problem< und »leerem Gerede< bewußt einer konventionellen antisophistischen Redeweise. Sie wird den historischen griechischen Sophisten keineswegs gerecht. Es ist legitim, in den Sophisten die Initiatoren des Konzepts einer intellektuellen Öffentlichkeit zu sehen und sie an den Beginn der Wissenschaft zu setzen, weil sie mit den verschiedensten Geheimformen der Wissensproduktion und -Vermittlung brachen und als mobile Wanderlehrer rationales Denken und Argumentieren jedermann zugänglich machten, (vgl. F. H. Tenbruck (1967) S. 63 ff.) In dieser Perspektive wären die Sophisten ein hervorragendes Beispiel für den interaktionistischen Zugang zur Analyse von Diskussion. Aber auch die konventionelle antisophistische Redeweise hat einen sozialen Sinn, denn mit dem öffentlichen Ereignis von Diskussion sind auch die Phänomene der Kontingenz von Debatten, ihrer Verselbständigung, der Labilität ihrer Verbindlichkeit und der möglichen >Leere< des Gesagten gegeben. Auf diese Phänomene bezieht sich meine Rede vom »sophistischen Probleme 151Platon, Menon (1957) S. 21, 80 d. 132 A. Schütz (1981) S. 115 ff. Das »Um-zu-Motiv« orientiert sich am Zukunftsentwurf einer Handlung, das »Weil-Motiv« kann erst nach Ablauf eines motivierten Erlebens gesehen werden. Erst auf einer zweiten Ebene könnte sophistische Rede vom Motiv her eingefangen werden: etwas zu sagen, um überhaupt zu reden, kann zwar Motiv sein, aber in diesem Motiv verlieren sich die kommunikativ vorausgesetzten Erwartungen an Sprache. 153H. G. Gadamer (1965) S. 328. 154M. Foucault (1977) S. 7. Vgl. dazu auch W. Eßbach (1985 b). 155Ebd. S. 25. 156Vgl. K. Fischer, Moderne Sophisten, Die Epigonen 5 (1848), S. 277-316. BeiK. Fischer heißt es: »Die Philosophie hat in der Sophistik ihren höchsten Feind, ihr eigenes diabolisches Prinzip zu bekämpfen, einen Feind, der mit ihr auf gleichem Niveau steht, indem er die Waffen des Denkens gegen das Denken selbst kehrt, einen Feind, der mit der Auflösung der theoretischen Wahrheit zugleich die sittliche Praxis fundamental angreift; erst in der Überwindung dieses Feindes gewinnt die Philosophie ihre volle Konkretion und die Sicherheit der philosophischen Praxis.« (Ebd. S. 277 f.) Im Anschluß an Hegel behandelt K. Fischer: Strauß, B. Bauer, Feuerbach und insbesondere Stirner und K. Schmidt. Eine Formulierung für den junghegelianischen Sophismus, die das Empfinden vieler Zeitgenossen gut ausdrückt, hat G. G. Gervinus gefunden: er spricht von »herzloser Spekulation«. (G. G. Gervinus, Die Mission der Deutschkatholiken, 1845.S. 47). 157Im Werk von J. Habermas hat dieses Ideal eine fundierte Gestaltung erfahren. Heterolog zur Idee der »herrschaftsfreien Kommunikation« stehen die Überlegungen von M. Foucault (1977): »Man muß wohl auch einer Denktradition entsagen, die von der Vorstellung geleitet ist, daß es Wissen nur dort geben kann, wo die Machtverhältnisse suspendiert sind, daß das Wissen sich nur außerhalb der Befehle, Anforderungen, Interessen der Macht entfalten kann. Vielleicht muß man dem Glauben entsagen, daß die
81
Macht wahnsinnig macht und daß man nur unter Verzicht auf Macht ein Wissender werden kann. Eher ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert.« (S. 39) 158G. Bataille (1975) S. 308. 159S.Kracauer (1971c) S 187. 160Ebd. S. 187,198 f. 161H. Lübbe und H. M. Saß (1975) S. 146. Über Zusammenhänge zwischen Junghegelianismus und Frankfurter Schule finden sich Hinweise bei R. Bubner(1971 a)S. 160-209. 162Aus der Literatur über Marx und Engels möchte ich nur einige wenige Arbeiten anführen, die im Zusammenhang dieser Arbeit von Bedeutung sind. Unverzichtbar, weil in hohem Maße traditionsbildend, sind die beiden klassischen Biographien: F. Mehring (1960); G.Mayer (1975). Für die junghegelianische Phase von Marx und Engels grundlegend ist A. Cornu (19541968). Von älteren Arbeiten ist noch heute lesenswert H. Speier (1952) S. 142-177; S. Hook (1936). Eine wichtige bibliographische Zusammenstellung der Rezeption der Werke von Marx und Engels in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts bietet B. Andreas (1964/65) S. 353-526. Angesichts der unübersehbar gewordenen Literatur zum >jungen Marx<, die seit der Pionierstudie: H. Popitz (1967) erschienen ist, beschränke ich mich auf exemplarische Hinweise. Weitgehend orthodox wird Marx im Kontext des Junghegelianismus dargestellt bei G. Armanski (1974); N. Lapin (1974). Aus den junghegelianischen Gruppendebatten gehen Marx und Engels in dieser Literatur regelmäßig als Sieger hervor. Es hat sich auch eine Art Skala der Wertung einzelner Junghegelianer herausgebildet: Feuerbachs philosophische Leistung, Heß' sozialistische Orientierung, Ruges Organisationstalent stehen in der Wertung oben an. Ihre Beiträge werden bis zu dem Zeitpunkt verfolgt, an dem Marx und Engels sich von ihnen trennen. Die Brüder Bauer und Stirner bilden die Schlußlichter der Wertungsskala. Ihre Auffassungen sind oft bis zur Karikatur verzerrt dargestellt. Junghegelianer, denen nicht das zweifelhafte Glück widerfuhr, Opfer der Marx-Engelsschen Polemik zu werden, sind in weiten Bereichen der Literatur überhaupt in Vergessenheit geraten. Insgesamt muß festgestellt werden, daß die starke Konzentration des Forschungsinteresses auf die Marxsche Entwicklung und die Entwicklung der frühen Arbeiterbewegung, so verständlich dies angesichts der weltgeschichtlichen Bedeutung des Marxismus auch ist, den Junghegelianismus sowohl immer wieder mitthematisiert wie andererseits auch überschattet hat. Literatur zu speziellen Aspekten der junghegelianischen Phase von Marx und Engels ist im Literaturverzeichnis aufgeführt. An dieser Stelle sei auf Arbeiten hingewiesen, in denen der junghegelianische Kontext der Entwicklung des jungen Marx besonders herausgearbeitet wird: N. Lobkowicz (1967) untersucht aus antimarxistischer Perspektive die Genese der Idee der revolutionären Praxis bei Marx und behandelt dabei auch ausführlicher die Auseinandersetzung der Hegel-Schule in den 30er und 40er Jahren (bes. Ebd. S. 141-292). Während Lobkowicz bestrebt ist, die Ursprünge stalinistischer Politik beim Junghegelianer Marx nachzuweisen, bemüht sich A. Wildermuth (1970), den junghegelianischen Kontext des jungen Marx für die heutige gesellschaftstheoretische Diskussion zu aktualisieren. Wildermuths These, daß es bei Marx darum geht, die Hegelsche Geistdialektik als einen universellen menschlich-gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß aufzuschlüsseln (Ebd. S. 420 ff.), wird kenntnisreich und subtil entfaltet, und dabei werden zugleich die Leistungen der anderen Junghegelianer gewürdigt. In diesem Zusammenhang muß auch auf die kleine präzise Arbeit von R. Bubner (1971 b)
82
163
164 165
166
167
168
hingewiesen werden, die das Theorie-Praxis-Problem ausgehend von den junghegelianischen Debatten erörtert. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: S. Kratz (1979). Ohne Bezug auf die Junghegelianer, aber im Zusammenhang dieser Arbeit zu nennen, ist T. Meyer (1973). Meyer konzentriert sich auf zwei Marxsche Probleme, die für die Spaltung der Junghegelianer von besonderer Bedeutung sind: 1. das Konzept der Ideologie und 2. die Rolle des Proletariats. - Einen interessanten psychoanalytischen und familiensoziologischen Ansatz hat M. Schneider (1980) verfolgt. Exemplarisch seien hier Überlegungen von E. Bottigelli (1963) genannt. Bottigelli fragt: Liegt der »point de départ« des Marxschen Denkens im Junghegelianismus, oder hat es seine entscheidende theoretische Kontur vor der Konstituierung der Junghegelianer gewonnen? (Ebd. S. 10) Welcher Junghegelianer hat Marx maßgeblich beeinflußt, und wie ist »l'originalité de la pensée de Marx<' festzustellen? (Ebd. S. 12) Schließlich heißt es: »Si l'évolution et la radicalisation de l'idéologie jeune hégélienne est une partie intégrante de l'itineraire intellectuel de Marx, le problème essentiel reste de déterminer de façon précise les conditions dans lesquelles il a opéré le dépassement de cette idéologie. A quel moment la démarche de Marx est-elle devenue radicalement différente?« (Ebd.) Bei der Verflechtung der junghegelianischen Diskussion sind diese Fragen nur gewaltsam zu lösen. Karl Korsch (1971) S. 167-172. Zu Bakunin vgl. die Arbeiten von M. Nettlau (1901); ders. (1927). Aus der Fülle der Sekundärliteratur sei aufgeführt: E. H. Carr (1937); B.-P. Hepner (1950); P. Schreibert (1956); R. R. Bigler (1963); Institut d'Etudes Slaves (Hg), Bakounine (1979). Über Bakunins Rolle im Jungehelianismus ist wenig überliefert. Er war mit Ruge und Herwegh gut bekannt. Vgl.: A. Ruge, Erinnerungen an Michael Bakunin, Neue freie Presse, Wien 28/29. 9. 1876 und M. Herwegh, Georg Herweghs Briefwechsel mit seiner Braut, 1906. Zum Junghegelianismus Bakunins vgl. auch: D. Tschizewskij (1961) und M. Wolff (1970) S. 151-182. Aus der älteren Heß-Forschung ist zu erinnern an die Pionierarbeit von T. Zlocisti (1921). Grundlegend für die Auseinandersetzung mit Moses Heß sind die Arbeiten von E. Silberner. Im Kontext dieser Arbeit sind hervorzuheben: E. Silberner (1963) S. 387437; ders. (1964) S. 5-44; ders. (1966). In den Arbeiten von W. Mönke wird insbesondere die Rolle von Heß für die Herausbildung des Marxismus herausgearbeitet. W. Mönke (1963) S. 438-509; (1964). Von neueren Untersuchungen zur Heß-Interpretation sind zu nennen: H. Hirsch (1975); H. Lademacher (1977); S. Na'aman (1982). Insbesondere die aus post-marxistischer Perspektive geschriebene umfangreiche und erhellende Biographie von Na'aman verweist auf die bis heute nachwirkende Aktualität von Moses Heß, dessen Gebeine 1962 am 150. Geburtstag nach Israel überführt wurden. Na'aman weist auf den gegenwärtigen politischen Kontext hin, in dem gerade die Nationalitätstheorie Moses Heß' neu zu reflektieren wäre. Die Erforschung des vielfältigen Spektrums des Frühsozialismus, der in den Jahren 1842-1846 von den Junghegelianern rezipiert wird, ist inzwischen zu einer Spezialdisziplin angewachsen. Vgl. hierzu D. Dowe (1981). Statt einzelne Arbeiten hervorzuheben, sei an den Impuls erinnert, der Ende der 60er Jahre diese Forschung beflügelt hat. Es war Herbert Marcuse, der die »utopische Konzeption des Sozialismus« zunächst rehabilitierte und dazu aufforderte, von Marx zu Fourier überzugehen. H. Marcuse (1969) S. 41. Vgl. dazu auch M. Vester (1970/71) hier: Bd. 1, S. 223. Neben dem Briefwechsel und den autobiographischen Zeugnissen (s. Literaturverzeichnis) ist für die Biographie immer noch grundlegend W. Neher (1933). Eine ausführliche Ruge-Bibliographie hat A. Zanardo (1969) vorgelegt, die auch sämtliche Beiträger der HJ und DJ aufführt.
83
Außerdem sind zu nennen: F. Blaschke (1919); H. Rosenberg (1972); I. Fanto (1937); M. G. Lange (1948); H. Strauß (1954); G. Groth (1967); G. B. Vaccara (1980). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Rüge findet in zwei neueren Arbeiten zum vormärzlichen Radikalismus bzw. Junghegelianismus statt: I. Pepperle (1971), auch als: dies. (1978); P. Wende (1975). 169Über Karl Nauwerck habe ich keine Arbeit gefunden. BiographischeHinweise geben P.Wende (1975) S. 47, der sich auch mit Schriften Nauwercks auseinandersetzt, und R. J. Hellmann (1977) S. 203-222. 170Vgl. Problemstellung und Literatur bei P. Wende (1975) S. 17. Zur DDR-Diskussion in dieser Frage siehe: I. Bauer, A. Liepert (1982). 171Nach der Feuerbach-Renaissance in den 20er Jahren, die mit den Namen Karl Barth und Karl Löwith verbunden ist, konzentrierte sich die Diskussion der 50er und 60er Jahre auf das Verhältnis des jungen Marx zu Feuerbach. Exemplarisch seien genannt G. Dicke (1960); W.Schuffenhauer (1965). Inzwischen ist insbesondere in den 70er Jahren die Literatur über Feuerbach enorm angewachsen. Ein Verständnis für die Kontroversen um Feuerbach gewinnt man gut anhand des Sammelbandes: E. Thies (1976). Im Jahrgang 26 (1972), No. 101 der Revue internationale de Philosophie, Brüssel, S. 255-423 finden sich Beiträge über Feuerbach, und zwar von H.-M. Saß, E. Thies, K. Löwith, N. Rotenstreich, C. Bruaire, H. Arvon, J. Glasse, M. Henry und C. Cesa. Für die DDR-Diskussion ist zu nennen: Ludwig Feuerbach 1804-1872, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 20 (1972) Heft 9, mit Beiträgen, die sich in erster Linie mit dem Feuerbach-Marx-Problem auseinandersetzen. Siehe hierzu auch W. Bialas, K. Richter, M. Thom (1980). Ein breiteres Spektrum wird abgedeckt in H. Lübbe, H. M. Saß (1975). Der Band enthält auch eine Bibliographie der Feuerbach-Literatur der Jahre 1960-1973. Hervorgehoben seien: H. Arvon (1957); C. Ascheri (1969); A.Schmidt (1973); M. W. Wartofsky (1977). Von den größeren älteren Arbeiten ist zu erinnern an S. Rawidowicz(1931). Von neueren Arbeiten sei genannt H. H. Brandhorst (1981). 172Rohrmoser, in: Lübbe, Saß (1975) S. 10. 173A. Schmidt (1973) S. 30 ff. Zu Marcuse vgl. in diesem Zusammenhang bes.: H. Marcuse (1973) S. 72 ff. 174Von den älteren Arbeiten über Stirner ist zu nennen J. H. Mackay (1914). Diese bisher einzige Stirner-Biographie ist ebenso unentbehrlich wie unzureichend, da Mackay mit dem von ihm gesammelten Material äußerst nachlässig umgegangen ist. Während Makkays Arbeit die Stirnerrezeption maßgeblich beeinflußt hat, wurde Max Adlers noch heute diskussionswerte Stirnerinterpretation in der Literatur kaum rezipiert. M. Adler (1914). Hervorzuheben sind darüber hinaus H. Arvon (1954); H. G. Helms (1966); R. W. K. Paterson (1971); B. Käst (1979). Zum Verhältnis von Stirner und Marx vgl. aus dogmatisch marxistischer Sicht G. Herzberg (1968); J. Maruhn (1982); sowie andererseits: A. Schaefer (1968); N. Lobkowicz (1969); P. Thomas (1975). Meine Versuche einer Interpretation der Kontroverse zwischen Marx und Stirner finden sich: W. Eßbach (1982 und 1985 a). - Zu Stirner-Nietzsche vgl. J. Bergner (1973); zu Stirners Bedeutung für den Existentialismus vgl. H. Arvon (1954). Stirners Einfluß auf die moderne Sprachphilosophie erfolgte über Fritz Mauthner, dessen Bedeutung H. Wein (1968) hervorgehoben hat (Ebd. S. 309). Einen Vergleich der Auffassungen Stirners und des Semantikers A. Korzybski hat M. Whitlow (1950) vorgelegt. 175 Charakteristisch für den Stand der Forschung zu B. Bauer ist, daß immer noch eine Gesamtausgabe seines Werkes fehlt. Käme sie zustande, so dürften allein die Arbeiten zum Neuen Testament und zum Urchristentum einen Umfang von knapp 4000 Seiten haben. Eine ausführliche Bibliographie B. Bauers aus den Jahren 1837-1849 hat A. Zanardo (19651 vorgelegt.
84
Von der älteren Bauer-Forschung sind zu nennen: M. Kegel, G. Runze und G. A. van den Bergh von Eysinga (vgl. Literaturverzeichnis). Kegels Arbeiten sind heute nur noch von rezeptionsgeschichtlichem Interesse. Runze und van den Bergh van Eysinga(dessen große Arbeit über B. Bauer noch nicht vollständig veröffentlicht ist) haben als Theologen in den 30er Jahren B. Bauer auf ihre Fahnen geschrieben, was nicht ohne gravierende Umdeutungen zu bewerkstelligen war. Dagegen hat E. Barnikol (siehe Literaturverzeichnis), der sich über 50 Jahre mit B. Bauer befaßt hat, versucht, die Kontinuität der Bauerschen Entwicklung zu ergründen. Seine 31 in Frageform gehaltenen Thesen zur Entwicklung B. Bauers machen eindringlich deutlich, welche Probleme auf denjenigen zukommen, der sich mit diesem Autor eingehender auseinandersetzen will. (E. Barnikol (1972) S. 1-5) Angesichts der kaum abzuschätzenden Herausforderung, die die Bauerschen Schriften darstellen, erweisen sich vorschnelle, selektive Deutungen bzw. nicht unter Kontrolle gebrachte Voreingenommenheiten als unzureichend. So z. B. bei D. Hertz-Eichenrode (1957); C. Dannenmann (1969); L. Koch (1971). Hervorzuheben sind aus den Arbeiten der 60er Jahre C. Cesa (1960); J. von Kempski (1962); das Kapitel über Bruno Bauer in H. Stuke (1963); H.-M. Saß (1967 c); ders., Nachwort zu: Bruno Bauer (1968). Über die Rolle Bruno Bauers in der neueren theologischen Diskussion vgl. J. Mehlhausen (1965 und 1975); C. Comoth (1975); G. Lämmermann (1979). Zum Verhältnis Marx - Bruno Bauer siehe J. Gebhardt (1962); Z. Rosen (1970). Die wichtige Arbeit von Z. Rosen (1977) enthält einen guten Überblick über die Probleme der Bauer-Forschung (S. 7—16) Zur noch in den ersten Anfängen steckenden Wirkungsgeschichte B. Bauers siehe: A. K. Jelti (1981); Z. Rosen (1982). Zu Bauers Rußland-Schriften siehe: D. Groh (1965) S. 263-274. 176 Für das neuere Interesse an dem Hegelschüler und polnischen Grafen August von Cieszkowski sprechen die Neuausgaben A. v. Cieszkowski (1979). Von den älteren Arbeiten s e i h e r v o r g e h o b e n W . K ü h n e ( 1 9 3 8 , N a c h d r u c k 1 9 6 8 ) . Ü b e r C i e s z k o w s k i s i e h e : H. Stuke (1963) S.83-122; und A.Liebich(1979) 177A. v. Cieszkowski, Gott und Palingenesie, 1842, S. 93. 178 Zu K. Schmidt vgl. Anm. 131. 179 Vgl. H. Arvon: »Es kam in der deutschen Geistesgeschichte 1849 zu einem Bruch: einem Bruch, den man jetzt überwinden will, den man aber noch nicht überwunden hat. Alles, was vor 1848 geschah, verschwand eben.« In: Lübbe, Saß (1975) S. 150. Daß dieser Bruch in den Formeln der 40er Jahre antizipiert wurde, zeigt E. Redslob (1940). Redslob rechnet die 16 Jahre vor 1848 zu den »betont problematischen Zwischenepochen der Menschheit« (Ebd. S. 271) Löwiths berühmte These vom revolutionären Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts gehört mit in diesen Zusammenhang. Die ambivalenten Phantasien von schwindelerregenden totalen Verwirklichungsmöglichkeiten und ihren selbstdestruktiven Verkehrungen gehören G. Steiner zufolge zu den Struktureigentümlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Vgl. G. Steiner (1972) S. 9-34. Die Ambivalenzen, die Steiner beschreibt, kristallisieren sich in Deutschland in hohem Maße an dem Geschehen der 1848er Revolution. 180 J. E. Erdmann (1896) S. 637 ff., S. 728 und 685. 181 (R. Gottschall), Die deutsche Philosophie seit Hegel's Tod, in: Die Gegenwart. 6. Bd., 1851, S. 292-340, Zitat S. 293. Den ersten Hinweis auf R. Gottschalls Verfasserschaft erhielt ich bei: F. Kampe, Geschichte der religiösen Bewegung, Bd. 1,1852, S. 29. In der Vorrede (1854) von: R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur des 19. Jahrhunderts, 3 1872, Bd. 1, S. XIII bekennt sich der Autor zur Verfasserschaft. Rezensiert wurde Gottschalls anonymer Text von Moritz Carriere in dem Organ des Pseudohegelianers I. H. Fichte, siehe ZPsT 21 (1852) S. 153-159. Carriere kritisiert, daß der junghegelianische Radikalismus viel zu stark hervorgehoben wird: »Die negativen Richtungen (der Hegelschule, d. V.) sind auf Gassen und Märkten ausposaunt worden als die alleinige
85
182 183 184 185
186
187 188 189 190 191
192 193 194 195 196 197 198 199
200
Wahrheit und Geistesfreiheit, aber auf die Durchführung ihrer Theorien haben sie warten lassen.« (Ebd. S. 158). R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur (1872). Hier bes. Bd. 2, S. 142-190. Über die Junghegelianer im Vormärz siehe auch S. 208-242. J. Schmidt, Geschichte der Deutschen Literatur, Bd. 3. 2 1855, S. 380-449. Für die Beurteilung der Junghegelianer nach der 48er Revolution vgl. auch (anonym), Die Triarier, 1852. G. Mayer (1913 und 1920) aufgenommen in: ders. (1969). Zur Junghegelianerliteratur dieser Phase ist zu rechnen: D. Koigen(1901);B. Groethuysen (1923) ist ein Referat der Arbeiten von Koigen und Mayer; in diesen Kontext gehören auch die Arbeiten von Mackay über Stirner (Anm. 174), von Blaschke und Rosenberg über Ruge (Anm. 168), von Zlocisti über Hess (Anm. 166). Zu nennen ist auch: M. Nettlau (1925) bes. S. 169-179; H. Kobylinski (1933). Die Arbeit von W. Moog (1930) läßt davon noch nichts spüren; sie fällt an Genauigkeit hinter die Erdmannsche Darstellung zurück. Das neue Problem reflektieren die Arbeiten von Löwith über Feuerbach (1928) und ders., Die philosophische Kritik (1933); ders., Von Hegel zu Nietzsche (1941, 8 1981). Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, daß 1931 der junge T. W. Adorno in seiner Kierkegaard-Schrift über die »Selbstvernichtung des Idealismus« reflektiert. T. W. Adorno (1974), S. 190 ff. K. Löwith (1964) S. 9. C. Schmitt (1950 a) S. 81. Der »arme Max« ist Max Stirner. G. E. Müller (1948); E. Benz (1955 b). Es erschienen Dissertationen zu den wichtigsten junghegelianischen Zeitschriften: H. Kornetzki (1955); W. Klutentreter (1966). Zu Gebhardts und Stukes Arbeiten siehe auch den ausführlichen Rezensionsartikel von D. Groh ( 1964). Zur Konjunktur der Junghegelianer- Forschung zu Beginn der 60er Jahre vgl. auch die Textauswahlen, die in der BRD und DDR erschienen. K. Löwith (Hg), Die Hegelsche Linke, 1962; H. Steussloff (Hg), Die Junghegelianer, 1963. Der Band 6 (1963) der Annali enthält überwiegend Beiträge zum Junghegelianismus und Frühsozialismus, u. a. von E. Bottigelli, A. Cornu, C. Cesa, G. A. van den Bergh von Eysinga, E. Silberner , W . Mönke. Zur Diskussion der Althegel ianer vgl. H. Lübbe (1960), aufgenommen in: ders., (1963). H. M. Saß (1963) S. 221 f. Saß behandelt neben den Althegelianern aus den junghegelianischen Gruppenzusammenhängen u. a. Strauß, Feuerbach, Rüge, Bayrhoffer, B. Bauer, E. Bauer, Stirner, Marx, K. Schmidt. J. Gebhardt (1963) S. 15,18,61,152. Gebhardt behandelt neben den Althegelianern aus den junghegelianischen Gruppenzusammenhängen D. F. Strauß, Cieszkowski, Feuerbach. Ebd. S. 48, 165 f. Zu E. Voegelins Gnosisthese vgl. E. Voegelin (1958), J. Taubes (1984) sowie die Beiträge von P. J. Opitz und G. Sebba, beide in: dies. (1981) S. 21-73 und S. 190-241. Im letzten Kapitel dieser Arbeit werde ich auf diese These zurückkommen. H. Stuke (1963) S. 247 ff. D. Mc Lellan (1974) S. 7, 185; W. J. Brazill S. 16, 21. Ebd. S. 282 und 263. Zur Diskussion im angelsächsischen Raum vgl. Philosophical Forum (1978). Vgl. die entsprechenden Literaturangaben in den Anmerkungen 166 ff. K. Röttgers (1975) behandelt neben den Althegelianern: Feuerbach, D.F.Strauß, B. Bauer, E. Bauer, K. Schmidt, A. Rüge, K. Marx, J. Mader (1975) bezieht sich u. a. auf Cieszkowski, B. Bauer, Stirner, Feuerbach, Kierkegaard, Heß. R. Ruzicka (1977) konzentriert sich auf B. Bauer, Feuerbach und Stirner. K. Röttgers (1975) S. 139 ff.
86
201 vgl. J. Mader (1975) S. 140 ff. 202 R. Ruzicka (1977) S. 3 und 112 ff. 203 vgl. hierzu J. Hermand, M. Windfuhr (1970), W. W. Behrens u. a. (1973) und das monumentale Werk von F. Sengle (1971, 1972, 1980). 204 U. Köster (1972) S. 158 ff. 205 C. Richter (1978) S. 3 und 95. Obwohl Richter die Junghegelianer nur am Rande seiner Arbeit mitbehandelt, gibt diese sorgfältige und materialreiche Arbeit viele wichtige Einblicke in die vor- und nachmärzliche Intellektuellenkultur in Deutschland. 206 P.Wende (1975) untersucht Ruge und Nauwerck in Verbindung mit J. Fröbel, J. G. A. Wirth, G. Struve und K. Hagen ausgehend von der Gruppierung linker Abgeordneter in der Paulskirche. Zur Begründung der Auswahl siehe Ebd. S. 31 ff. I. Pepperle (1978). Zur Periodisierung Pepperles siehe Ebd. S. 88, 104,139. 208 Der Schwerpunkt der Arbeit I. Pepperles liegt auf der Kunsttheorie der Junghegelianer, insbesondere der Auffassungen von R. E. Prutz. Wie so oft in der wissenschaftlichen Diskussion in der DDR kündigen sich vielleicht auch hier produktive Neuorientierungen im literaturwissenschaftlich-ästhetischen Bereich an. 209 In den Jahren 1972-1976 fanden im Rahmen des Zentrums für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld unter Leitung von J. Frese mehrere Tagungen einer Arbeitsgemeinschaft »Theoriebildung und Gruppenprozeß« statt, in der anhand verschiedener theorieproduzierender Gruppen eine »wissenssoziologische Theorie der Bildung von Theorien« entwickelt werden sollte. Neben der Gruppe der »Freien« um B. Bauer in Berlin 1840—44 wurden über acht weitere Gruppen von der »Littärischen Gesellschaft der freien Männer« in Jena u. a. 1796-1801 bis zum Institut für Sozialforschung um Max Horkheimer diskutiert. (Zentrum für interdisziplinäre Forschung Universität Bielefeld, Jahresbericht 1973, S. 42 ff. Leider sind mir die Tagungsmaterialien nicht zugänglich gewesen.) 210 R. Bubner, Einleitung zu A. v. Cieszkowski (1981) S. XIX. 211 J. Habermas (1985) S. 67. 212 Vgl. dazu ausführlich W. Eßbach (1982 und 1985 a). 213 »Zeitdruck« im doppelten Sinne von knapper Zeit und belastenden Zeitumständen. Diese Formulierung verdanke ich Hans Paul Bahrdt, der sie für die Stellung der Soziologie zu den Problemen ihrer Zeit verwendet hat.
87
88
I. Philosophische Schule Übersicht Der Begriff >Schule< (1) wird typologisch im Hinblick auf externe (Verhältnis zu Kirche und Staat) und auf interne (Pietät gegenüber dem Lehrer, Verbrüderung der Schulmitglieder und der Rolle der >großen Gedanken<) historische Strukturelemente entfaltet. Im externen Bereich sieht sich die phüosophische Schule im Bündnis mit dem preußischen Staat (2) und orientiert sich als integrierter Teü des Staates an der Figur der beamteten Intelligenz (3), die reformpolitischen Zielsetzungen folgt. Im internen Bereich akademischer Schulbildung (4) steht die Schule vor dem Problem, mit konkurrierenden Auffassungen umgehen zu müssen. Sie tut dies durch eine Aufwertung der Polemik, der besonderen Legitimation von Schulbildungen und der spezifischen Definition ihrer Aufgaben. Im symbolischen Jahr 1840 steigern sich die Erwartungen (5) der Gruppe, daß sich ihr Bündniskonzept erfüllt bzw. daß ihnen eine Chance zur Verteidigung gegeben wird. Die Entlassung B. Bauers (6) bedeutet für die Gruppe das Scheitern des Bündniskonzeptes, aus dem sie als >bloße Menschen< hervorgehen. Der interne Positionenstreit (7) kann mit der brüchig werdenden Schuldefinition nicht mehr rein spekulativ gesichert werden, das politische Richtungsschema >Rechte-Mitte-Linke< indiziert nicht nur die Schulspaltung, es beruhigt auch das aufbrechende Sophismusproblem.
1. Zum Begriff >Schule< Der Ausdruck >Schule<, auf wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge angewandt, ist vieldeutig.1 Er bezeichnet >Richtungen<, >Denkweisen<, >Theoriesysteme< ebenso wie bestimmte Gruppen von Wissenschaftlern. Man kann an .kleine Zusammenhänge mit ausgeprägtem >esprit de corps< denken und an sehr große Gebilde wie den >Marxismus< als >Schule< oder an sog. >nationale Schulen<. Wenn in dieser Arbeit von >Schule< die Rede ist, so bezieht sich der Ausdruck nicht auf eine typologische Ebene derart, daß von mir aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive verschiedene Denker zu einer Schule zusammengefaßt werden, weü ich bei ihnen Gemeinsamkeiten entdecke, die den Ausdruck >Schule< rechtfertigen könnten. Auch soll >Schule< nicht einen Kreis von Denkern bezeichnen, die mehr oder weniger gemeinsame Ansichten zu bestimmten Problemen entwickeln, die jedoch sozial kaum oder wenig miteinander zu tun haben. Der Ausdruck >Schule< soll dagegen einen Typ wissenschaftlicher Gruppenbildung bezeichnen, der zahlenmäßig und lokal definiert werden kann, dessen Zugehörigkeitskriterien sowohl von Seiten der Gruppe wie von Seiten des einzelnen bewußt anerkannt werden und dem über die Zugehörigkeit zu Institutionen der Wissenschaft hinausgehend besondere Bindungen eignen. E. Tiryakian hat eine idealtypische Definition von >Schule< gegeben, die sich
89
zwar stark an den kunstgeschichtlichen Schulbegriff anlehnt, aber im Hinblick auf wissenschaftliche Schulen angelegt ist. >Schule< ist ihm zufolge eine »wissenschaftliche Gemeinschaft, die sich um eine zentrale Figur schart, einen geistigen charismatischen Führer und ein Paradigma über die vorfindliche Realität, die Gegenstand der Untersuchung ist.«2 Die paradigmatischen Kernformulierungen - oft auch solche esoterischer Art - stammen vom Gründer, die Gefolgschaft besorgt die Auslegung und Interpretation der >großen Gedanken< und kooptiert ihrerseits neue Schülergenerationen. In der Schule können neben Gründer und Schülern eine kleine Anzahl von Mitgliedern aus der Alterskohorte des Gründers sein, die, obwohl nicht seine Schüler, sich dennoch seinen Thesen aus Überzeugung angeschlossen haben. An der Peripherie der Schule sind oft >Helfer< anzutreffen, die, sei es als Verleger oder als Staatsbeamte, die Schule fördern, ihr angehören, ohne selbst im intellektuellen Bereich hervorzutreten. Tiryakian kommt bei seiner idealtypischen Definition von >Schule< nicht ohne religionssoziologische Begriffe aus. Zumindest im Stadium ihrer Entstehung sei die Schule mit einer Sekte oder Bruderschaft vergleichbar: ihr eigne ein »intellektueller Missionswille«, und anfangs werde der Schule »der Zutritt zum Tempel« verweigert. In dem Maße, wie die Schule sich etabliert, komme es wie bei Sekten zu einer Veralltäglichung des Charismas, und die Ideen der Schule werden in die Standardkonzeption der Disziplin integriert.3 So plausibel die Hereinnahme religionssoziologischer Begriff in die Schuldefinition auf den ersten Blick erscheinen mag, die bloße Analogie von >Schule< und >Sekte< verführt leicht zu einer polemischen Sicht. Sicher lassen sich zwischen Schule und Sekte vielfältige Übergangsformen ausmachen: so kann das gelehrte Wissen auf eine religiöse Heilswahrheit bezogen sein, oder die Anhänger eines Propheten oder Gottgesandten können die Verbreitung der Heilswahrheit als routinierten Schulbetrieb organisieren. Dennoch ist es sinnvoll, mit Max Weber den philosophischen Lehrer und seine Schule vom Propheten und seiner Gemeinde zu unterscheiden.4 Der philosophische Lehrer übt ein »professionelles Weisheitsgewerbe aus«, der Prophet ist definiert durch die Verkündigung einer religiösen Heilswahrheit kraft persönlicher Offenbarung. Dieser arbeitet gleichsam unentgeltlich kraft eigenem Charisma, jener lehrt professionell im Auftrag. Im Unterschied zur Sektenbildung ist die >Schule< von vornherein auf die jeweilige Weise der Institutionalisierung des philosophischen Wissens bezogen. Der Grad der Institutionalisierung mag hoch oder niedrig sein - bevor die Gruppe um einen Weisheitslehrer >Schule< genannt wurde, war >Schule< der Ort, an dem Mußezeit verbracht wurde -, entscheidend ist, daß mit der Abgrenzung von Bereichen, in denen philosophisches Wissen gelehrt wird, ein Raum für konkurrierende Weltauffassungen entsteht. Schulbüdung findet in einem Konkurrenzraum statt, der institutionalisiert ist. Der Glaubenskrieg von Sekten ist im strengen Sinne keine Konkurrenz, weil jede Sekte durch ihren Bezug zur Heilsoffenbarung außer Konkurrenz steht und weil Heilswahrheiten ihrer Natur nach der Einrichtung von Konkurrenzräumen, in denen sie >degradiert< werden könnten, widerstreiten. Im Unterschied zur >Sekte< bezieht sich >Schule< immer auf ein Forum. An dieser Differenz muß festgehalten werden, um die Selbstdefinitionsprobleme der Junghegelianer erhellen zu können,
90
die sich sowohl als philosophische Schule als auch im Kontext häretischer Sektentraditionen begreifen.3 Im folgenden werde ich einige historische Strukturelemente skizzieren, die sich auf die Genese des Konkurrenzraumes philosophischer Schulbildung und auf die innerschulischen Verhältnisse beziehen. Im Unterschied zum klassischen Altertum, auf dessen Philosophenschulen hier nicht eingegangen werden soll, vollzieht sich die mittelalterliche philosophische Schulbildung im Rahmen der theologischen Anstalten und wird gemeinhin als Prozeß der Verselbständigung der Philosophie gegenüber der Theologie begriffen.6 Die Differenz von Priesterbeamten und Philosophen entwickelt sich über das metatheoretische Grundmuster der doppelten Wahrheit. Es gibt die Wahrheit der biblischen Offenbarung, die in der kirchlichen Lehre tradiert wird, und es gibt die Wahrheit, die durch logische, spekulative oder empirische Rekonstruktion der Offenbarung entsteht. Mit diesem Grundmuster ist der Prozeß einer Freisetzung der Philosophie von der Religion in Gang gesetzt. Entscheidend ist, daß gerade dort, wo es um die intellektuelle Rekonstruktion der Offenbarung geht, ein zunächst geringer, aber im Laufe der historischen Entwicklung größer werdender Raum für konkurrierende Rekonstruktionen gegeben ist. Dieser Konkurrenzraum ist aber eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Genese konturierter philosophischer Schulbildungen, die sich zwar alle zunächst noch bei Strafe sozialer oder physischer Vernichtung dem kirchlichen Dogma unterordnen müssen, die aber doch unter sich um eine adäquate Rekonstruktion der Offenbarung konkurrieren können. Im Gefolge der Reformation und der Religionskriege wird ein zweites historisches Strukturelement wichtig, das den sozialen Raum für philosophische Schulbildung absichert. Die erstarkenden absolutistischen Staaten befördern durch Akademie-Gründungen und Einwirkung auf Universitäten nicht nur die gesellschaftliche Anerkennung wissenschaftlicher Forschung, sondern sie helfen mit, Institutionalisierungen zu schaffen, die den Wissenschaftler von den Wechselfällen größerer oder geringerer Toleranz der religiösen und politischen Herrschfat entlasten.7 Die Institutionalisierungen von neutralen Sphären der Wissenschaften geht, worauf Krohn hinweist, einher mit einer gesellschaftlichen Definition legitimer Wissenschaft. »Die neutrale Sphäre, die der Wissenschaft in ihren Institutionen geschaffen worden ist, ist zugleich ein Kompromiß, den sie gegenüber Kirche, Staat und Wirtschaft eingeht. Die gesellschaftliche Stabilisierung erreichen die Wissenschaftler um den Preis, daß ihre eigene Sicherung zugleich eine Zusicherung zu sein hat, keinen Anlaß zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung, der religiösen Orientierung und der Legitimation von Herrschaft zu geben. Es legen damit die Institutionen fest, welches Forschungsverhalten als ein wissenschaftliches auf Anerkennung und auf Schutz rechnen kann.«8 Kernpunkt dieser gesellschaftlichen Definition legitimer Wissenschaft ist, daß die Wissensbereitstellung als eine neutrale Tätigkeit definiert wird, »die als solche weder herrschaftskonform noch dysfunktional ist«.9 Eliminiert sind in dieser Definition umfassendere emanzipatorische Ansprüche, die auf eine praktische Verän-
91
derung sozialer und politischer Strukturen sich richten könnten. Das Abkappen der praktisch-emanzipatorischen Dimension verweist den Wissenschaftler auf den Modus der >Ratschläge<. Auf der anderen Seite bringt die Institutionalisierung der Wissenschaften eine Entlastung der Erkenntnisgewinnung von den Zwängen und Gefahren gesellschaftlicher Praxis. In jedem Fall führt die gesellschaftliche Legitimierung der neutralen Sphäre Wissenschaft zu einer wichtigen Stabilisierung des Konkurrenzraumes für Schulbildungen, die nunmehr relativ abgekoppelt von Verbindlichkeiten der kirchlichen Dogmatik und den Wendungen politischer Herrschaft miteinander konkurrieren können. Natürlich sind die beiden geschilderten historischen Strukturelemente nicht ungefährdet. Im Gegenteil: Verfolgt man die Geschichte der Universitäten, so sind kirchliche und staatliche Eingriffe allzu häufig anzutreffen. Auch setzen sich beide Strukturelemente in den verschiedenen Wissenszweigen unterschiedlich rasch und stabil durch. Während sich im Bereich der technisch-naturwissenschaftlichen, medizinischen und ökonomischen Wissenschaften die Verselbständigungen früher durchsetzen und sich rascher stabilisieren, dauert es im Bereich der Philosophie erheblich länger.10 Noch im 19. Jahrhundert - dies lehrt gerade die Geschichte der Hegelschule - ist die Entkoppelung philosophischer Lehre und Forschung von kirchlichen und staatlichen Imperativen nicht gesichert vollzogen. Die beiden skizzierten historischen Strukturelemente beziehen sich gleichsam auf >externe< Voraussetzungen philosophischer Schulbildung. Mit ihnen ist virtuell der Konkurrenzraum gegeben, in dem sich die Schule bewegt. Im folgenden möchte ich auf zwei weitere historische Strukturelemente eingehen, die die Beziehungen der Mitglieder einer Schule untereinander betreffen: sie beziehen sich auf den Komplex der Pietät gegenüber dem Lehrer, der Verbrüderung der Schule und die Frage der Beschaffenheit der >großen Gedanken<. M. Weber zufolge gehört die Beziehung zwischen Schüler und Weisheitslehrer »überall zu den festesten Pietätsverhältnissen, die es gibt«. n Der Begriff Pietät verweist auf Bindungsformen familialer Herkunft. Er fällt in den Bereich des traditionell Üblichen und Erwarteten, einen Bereich, der anders strukturiert ist als die besondere charismatische Beziehung.12 Es ist sinnvoll, für die Lehrer-SchülerBeziehung zunächst die Probleme, die mit einem charismatischen Lehrer gegeben sind, auszuklammern, nicht nur, weil sonst die typologische Differenz von religiöser Gemeinde und philosophischer Schule zu verschwimmen droht, sondern vor allem, weil für die genauere Bestimmung der Schulpietät ihr Verhältnis zur Familienpietät maßgebend ist. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der vom Christentum geprägten abendländischen Tradition der Lehrer-Schüler-Beziehung, daß die Frage nach dem Verhältnis von Schulpietät zu Familienpietät nicht eindeutig festgelegt ist. Während z. B. der indische >Guru< ein souveräne Gewalt über seine Schüler hat, die die Familienpietät annulliert, kennt die christliche Tradition eine zweifache Antwort: Es gibt sowohl einen Traditionsstrang, in dem die Pietas gegenüber dem christlichen Lehrer als eine die Familienbande sprengende begriffen wird. Bezugspunkte dieser Tendenz sind die bekannten Jesu-Worte: »Es werden entzweit sein der Vater mit dem Sohn und der Sohn mit dem Vater, die Mutter mit der Tochter und die Toch-
92
ter mit der Mutter«. (Lukas, 14,26) Auf der anderen Seite gibt es einen Traditionsstrang, in dem das Lehrer-Schüler-Verhältnis ganz nah an die familiale Situation angelehnt wird, so daß im Idealfall geistlicher Lehrer und Vaterschaft zusammenfallen, wie die Verbreitung der Idee einer >geistigen Vaterschaft< bezeugt.13 Schulpietät ist aufgrund dieser Ambivalenz sowohl eine Wiederholung der Familienpietät: der Vater als Lehrer wiederholt sich im Lehrer als Vater, als auch eine der Familienpietät entgegengesetzte Verbindung: der Lehrer depotenziert den Vater. Es kann hier nur daraufhingewiesen werden, daß diese Uneindeutigkeit eng verwoben ist mit dem von der psychoanalytisch orientierten Kulturtheorie entdeckten Zusammenhang von Vaterschaft, Sublimation und kultureller Produktivität. Der ödipale Vater, der sich dem Begehren des Sohnes in den Weg stellt, ist zugleich eine Gestalt, die den Prozeß der Öffnung der familiären Sozialbindungen in Gang setzt und zur Anerkennung der Person ebenso wie zur Konstitution der Realität herausfordert.14 Die Ambivalenz zwischen einer familialistischen und einer antifamilialistischen Fassung der Pietät gegenüber dem Lehrer scheint diese eher zu stärken als zu schwächen. Es ist eine fruchtbare Ambivalenz, weil sie in die Autoritätsbeziehung zugleich das Moment ihrer Auflösung einführt.15 Dies wird besonders deutlich, wenn man die der christlichen Tradition entstammende Idee einer Selbstaufhebung der Lehrer-Schüler-Beziehung in Betracht zieht. L. Schuckert hat darauf hingewiesen, daß das christliche Verständnis des Lehrers, wie es schon früh in den Benediktinischen Regeln erfaßt wird, zwar die Hierarchie von Lehrer und Schüler kennt, aber diese Hierarchie wird »nicht paternal im römischen Sinne und auch nicht als Verhältnis von Meister und Jünger aufgefaßt«.16 Im römischen Paternalismus und in der Meister-Jünger-Beziehung ist die innerschulische Hierarchie grundsätzlich unaufhebbar, lediglich die Folge der Generationen macht aus Söhnen-Schülern-Jüngern Väter-Lehrer-Meister. Dagegen kennt die christliche Lehrer-Definition nur die graduelle, nicht prinzipielle interschulische Differenz. Der Abstand zwischen Lehrer und Schüler verringert sich progressiv, bis er sich - jedenfalls der Idee nach - innerschulisch, d. h. schon vor dem generativen Platzwechsel, selbst aufhebt. Die sozialen Effekte dieser Auffassung liegen zum einen in der Möglichkeit, das Lehrer-Schüler-Verhältnis tendenziell egalitär zu definieren, zum anderen in der Möglichkeit einer Beschleunigung der Bildungsprozesse, wird doch das Abstandverringern zum gemeinsamen Bezugspunkt. Die Tendenz der Selbstaufhebung der Lehrer-Schüler-Beziehung liegt schon sehr nahe bei dem Komplex der Verbrüderung der Schule. Tiryakian hatte in seinem Idealtypus >Schule< auf die Schulmitglieder hingewiesen, die, neben dem Gründer stehend, seiner Alterskohorte entstammend, sich, obwohl sie ihre Ausbildung anderswo abgeschlossen haben, dem Schulgründer angeschlossen haben.17 Die Bedeutung dieser Mitglieder besteht darin, daß sich in ihrer Beziehung zum Lehrer gleichsam modellartig der Verbrüderungsaspekt darstellt. Denn ihr Anschluß an die Schule verdankt sich nicht einer jugendlichen Verehrung des Lehrers, die erst zu läutern wäre, sondern sie erfolgt als Zusammenschluß von virtuell Gleichen. Der Verbrüderungsaspekt in schulischen Beziehungen soll im folgenden histo-
93
risch spezifischer dargestellt werden. Religionssoziologisch betrachtet, läßt sich die Brüderlichkeitsethik weit zurückverfolgen,18 und sie ist vielleicht als Reaktion auf die immer gegebene Erfahrung von Gewalt zurückzuführen, die auch in der Schule als pädagogische Gewalt zugegen ist. Im Zusammenhang dieser Untersuchung ist spezieller auf die eigentümliche Sentimentalisierung sozialer Beziehungen hinzuweisen, die im 18. Jahrhundert aufbricht und die auch den innerschulischen Verbrüderungsaspekt in ihren Bann schlägt. Es ist hier nicht der Ort, auf die komplexe Genese dieser Bewegung einzugehen, die zum Ende des 18. Jahrhunderts nahezu alle Bereiche des sozialen Lebens erfaßt hat. Genannt seien stichwortartig: die Empfindsamkeit, die Sentimentalisierung der Familienbeziehungen, der Freundschaftskult und die Protestbewegung des >Sturm und Drang<.19 Wahrscheinlich stehen diese Bewegungen in Zusammenhang mit sozialstrukturellen Veränderungen der Sozialisationsbedingungen. Der familiäre Raum erhält eine außerordentliche Wertschätzung als ein Ort, den Liebe, Intimität, Spontaneität und gefühlhafte Verständigung beherrschen sollen - Qualitäten, die dann zum Maßstab für das Zusammenleben der >Menschheitsfamilie< erhoben werden.20 Allgemein kann man sagen, daß in dieser Bewegung das Bürgertum seinen Anspruch auf moralische Integrität und auf die Authentizität der Emotionen gegen die politische Weltklugheit< der Oberschichten geltend macht, für die Emotion und Moral strategische Elemente im verhöflichten Spiel der Macht waren. Im Bereich der Universitäten macht sich die Sentimentalisierung der sozialen Beziehungen etwa im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts geltend. Seit den 70er Jahren zeichnet sich zunächst im studentischen Bereich ein tiefgreifender Wandel in den Formen der Gruppenbildung ab.21 Die traditionellen Gruppenformen der alten Orden, Landsmannschaften und >Kränzchen<, die auf staatlichen, landschaftlichen, ständischen und Altersunterschieden basierten und die sich exklusiv definierten, werden von einer neuartigen Bewegung der Verbrüderung in Frage gestellt, für die ein gesteigertes, soziale Distanzen aufhebendes Freundschafts- und Gemeinschaftsgefühl, verbunden mit emphatisch-idealisierten Wertvorstellungen, charakteristisch ist. Man beginnt, sich über Standesschranken hinweg zu duzen, und erhebt die freundschaftliche Verbindung mit Fremden zum Programm. 22 H. Gerth verweist in diesem Zusammenhang auf die Effekte, die die Auflösung ständegesellschaftlicher Bindungen bei der Intelligenz hervorruft: »Die aus ihren Ständen ausgebrochenen Individuen ( . . . ) tasteten im exaltierten Abbau der eigenen Standestradition nach Formen für die zu neuer Gemeinschaft drängenden Gehalte.«23 Die Sentimentalisierung der sozialen Beziehungen, die an den Ausbildungsinstitutionen in der studentischen Verbrüderungsbewegung gipfelte, gehört zu den tief wirkenden geschichtlichen Erfahrungen der Vertreter der klassischen Epoche. Fichte und Goethe sind in die hochschulpolitischen Auseinandersetzungen in Sachsen-Weimar verwickelt, Schillers Räuberlied wurde von den Studenten begeistert aufgenommen, Hölderlin, Schelling und Hegel hatten in Tübingen Kontakt zu studentischen Verbrüderungen.24 So wechselvoll und uneinheitlich ihre Haltung zu den Verbrüderungen im einzelnen auch gewesen sein mag, das soziale Klima der Sentimentalisierung sozialer Beziehungen hat diese Generation entscheidend geprägt. Goethe schreibt rückblickend: »Es war überhaupt eine so allgemeine
94
Offenherzigkeit unter den Menschen, daß man mit keinem einzelnen sprechen, oder an ihn schreiben konnte, ohne es zugleich als an mehrere gerichtet zu betrachten. Man spähte sein eigen Herz aus und das Herz der anderen«. 25 Ein anschauliches Beispiel für die Wirkungen der Verbrüderungsbewegung auf die Beziehungen zwischen Hochschullehrern und Studenten liefert der Bericht eines Studenten über die Feier auf dem Picheisberge vom Mai 1819: »Eingeladen waren vornehmlich von den Burschen Prof. Schleiermacher, De Wette, Hegel, Hasse (der nicht kam) und Jahn (der kam auch nicht). Ein Trupp zog schon um 7 Uhr fort, ein anderer um 9, ein dritter um 11. Auf dem Berge dort sammelten wir uns alle, und dort war auch das Mahl gerüstet. Mit Ballspiel und Wettlaufen und andern Spielen brachten wir die Zeit hin, bis die Professoren kamen. Als nun alles bereit war und alle Plätze mit den Marken belegt, die wir von unsern Festordnern für 2 Tlr 4 Gr gelöst, zogen wir hinein in den Saal und sangen bald: Sind wir vereint zur guten Stunde! - zum Wein hatte jeder sein eigenes Glas mitgebracht, doch ist keins wieder heimgekommen. Dann ermahnte uns Schleiermacher, das Lied >Wem gebührt der höchste Preis?< zu singen, und nachdem sprach er: >Wir wollen trinken: daß der Geist, der die Helden von Görschen beseelte, nicht ersterbe! < Gläserklänge und fröhliches Jubelrufen antwortete ihm. Dann sprach Dr. Förster einiges über Kotzebues Tod und endete so: >Nicht Sands Lebehoch wollen wir trinken, sondern daß das Böse falle, auch ohne Dolchstoß !< Mir schiens, als wurde nicht ganz laut Bescheid getan. Auch Jahns ward nicht vergessen. Endlich riß der Wein überall hindurch. An die Stelle des ruhigen Gesprächs trat jauchzende Lust; auch die Professoren wurden Jünglinge. Alles Bruder und Freund! >Lieber Bruder Schleiermacher<, sagte Hermes, >Du bist ein zu herrlicher Kerl; laß uns Schmollis saufenU Und es geschah. Haake aber sprach zu demselben: >Schleiermacher, Du bist zwar sehr klein und ich sehr groß; ich bin Dir doch gar sehr gut!< Ich aber meinte: Ach wie wirst Du und alle morgen um 6 Uhr in Deine Ästhetik finden! - Selbst vor Lachen und Trunkenheit stammelnd, führte er uns salomonische Sprüche ins Gedächtnis. Alle riefen ihm zu: >Du liesest morgen nicht!<, und so gings mit allen Doktoren, die dort waren.«26
Der Bericht zeigt zum einen die sukzessive Aufhebung des Distanzverhältnisses: getrennter Anmarsch, Vereinigung bei Gesang und Wein, die Idealisierung der Situation »Alles Bruder und Freund!«, und schließlich die rauschhaften Überschreitungen der institutionellen Rollendefinitionen. Nicht weniger wichtig sind die politischen Bezüge. Beschworen wird die Zeit der Befreiungskriege, die Lehrer und Schüler im gesteigerten Patriotismus zusammen finden ließ, und es deutet sich eine Spaltung an, die Sympathisanten und Gegner von Sands Attentat auf Kotze bue trennt. Wenige Monate später werden nach den Karlsbader Beschlüssen und der einsetzenden Demagogenverfolgungen Feiern wie diese dem polizeilichen Verdacht ausgeliefert sein. Die Verbrüderungsbewegung stand auch mit Pate bei Fichtes, Schleiermachers und Humboldts Überlegungen zur Universitätsreform. Humboldt begreift, die christliche Idee einer tendenziellen Aufhebung der Lehrer-Schüler-Hierarchie radikalisierend, »die Universität als die Emanzipation vom eigentlichen Lehren, da der Universitätslehrer nur von fern das eigene Lernen (der Studenten, d. V.) leitet«.27 Es geht nicht mehr um bloßen Ausgleich des Gefälles zwischen Lehrer und Schüler, sondern um die Konstituierung einer »geisterfüllten Geselligkeit«, in der bei allen Beteiligten ein gleicher Wille zur Wahrheit vorausgesetzt wird. Der Aspekt allseitiger Kommunikation gewinnt hier einen klaren Vorrang vor dem der Belehrung.
95
Für die internen Beziehungen philosophischer Schulbildung bedeutet dies: dem philosophischen Lehrer als Mittelpunkt einer Schule gebührt zwar immer noch die traditionelle Pietas, aber diese wird zunehmend als Verpflichtung gegenüber einer Symbolsphäre begriffen, die sich im egalitären Prozeß der innerschulischen Kommunikation weiter entfalten soll. Unter diesem Aspekt werden die Debatten der Hegelschüler verständlich werden, die davon handeln, inwieweit es notwendig sei, gerade in der Treue zum Lehrer über dessen Lehren hinauszugehen. Hinzukommt, daß die Geringachtung der sozialen Distanzverhältnisse in der Tendenz dazu führen kann, auch den institutionellen Rahmen der Schulbildung, den akademischen Raum, als hinderlich für die Entwicklung der Schule zu begreifen. Denn der institutionalisierte akademische Raum besitzt mit seinen Disziplinen, Prüfungen und Graden als ein aufgefächertes Erziehungsinstitut eine eigene soziale Schwerkraft, die dem Verbrüderungsstreben der philosophischen Schule häufig entgegensteht. Das heißt, die internen Schulbeziehungen sind nicht vollständig mit den akademischen Sozialbeziehungen zur Deckung zu bringen, handelt es sich doch um zwei Stränge, die sich in der philosophischen Schulbildung des beginnenden 19. Jahrhunderts treffen: Ein sozialer Beziehungstyp, der dem akademischen Bereich Universität als einer staatlichen Ausbildungsinstitution in der Tradition des Absolutismus entspringt, mit klar definierten Lehrer- und Schülerrollen, und auf der anderen Seite ein sozialer Beziehungstyp, der dem durch die bürgerliche Gesellschaft begründeten freien Verbrüderungs- und Vereinswesen zu verdanken ist. Im Schnittpunkt beider Formen ist die Schule anzusiedeln. Sie beruht auf der Pietas gegenüber dem Lehrer ebenso wie auf der Verbrüderung der Schulmitglieder. Die Festigkeit der Pietät beruht auf der Beziehung der >geistigen Vaterschaft«:, die die mit der bloßen Lehrerschaft gegebene Hierarchie in eine Bewegungsform verwandelt, in der die Prozesse der > Abarbeitung< und Wertschätzung des so Angeeigneten ineinander greifen. In der Verbrüderung entsteht eine horizontale Kommunikationsebene, in der sich das Verpflichtungsgefühl zugleich mit der Bewältigung der persönlichen Autoritätsprobleme auf eine Symbolsphäre bezieht, deren >große Gedanken< den gemeinsamen Bezugspunkt darstellen. Diese gemeinsame Symbolsphäre entsteht, weil in einem doppelten Sinn der >Tod des Vaters< in der Schule präsent ist. Nicht nur in dem Sinne, daß von Schule nur geredet werden kann, wenn sie nach dem Tod des Gründers mindestens eine gewisse Zeit weiterlebt, sondern auch in dem Sinne, daß sie die >großen Gedanken< in eine tradierbare Struktur bringt, die ihnen Dauer und Bleiben sichert. Nicht jeder Philosoph oder Theoretiker hat >Schule< gemacht, und es wäre zu einfach, dies lediglich auf die Gunst oder Ungunst der Umstände zurückzuführen. Vielmehr ist daran zu denken, daß sich vielleicht gerade solche Theorien als >schulfähig< erweisen, in denen der >Tod des Vaters< in besonderer Weise anwesend ist. Dieser Gedanke muß nicht der Erfahrung widersprechen, daß es sich bei den Schulgründern in der Regel um außergewöhnlich selbstgewisse Persönlichkeiten handelt. Auch sind in der Regel die >großen Gedanken< so beschaffen, daß sie einen gleichsam paradigmatischen Charakter haben, der sie als verallgemeinerungsfähigen >Schlüssel<, als >Methode< oder als >Ansatz< zur Lösung zuvor verstreut erfahre-
96
ner Phänomene und Probleme erscheinen läßt. Der >Tod des Vaters< ist jedoch in schulfähigen Theorien in der Weise anwesend, daß sich die >großen Gedanken< in seltsamer Weise um eine Leerstelle gruppieren. Auf einer persönlichen Ebene mag so etwas wie die Fülle des Charismas wirken - was die Theorie angeht, die Schule macht, so muß von einer Leerstelle im Zentrum gesprochen werden. Sie kann umschrieben werden als Arkanum oder esoterischer Bereich, aber sie ist in der Hauptsache nicht positiv bestimmbar. Sie ist daher auch nicht, wie bei Sektengründern, eine Offenbarung, sondern eher umgekehrt eine Verrätselung. Ein Artikel in der RhZ, der von B. Bauer stammen könnte, macht dies deutlich.28 Wie viele große Männer sei auch Hegel nach seinem Tode ein Gegenstand der Volksmythe geworden. Es wird erzählt, kurz vor seinem Tode soll er ausgesprochen haben: »>Keiner seiner Schüler habe ihn verstanden, außer einem, dieser habe ihn aber mißverstanden — >Sie haben mich nicht verstanden< hat der große Denker geseufzt und ist gestorben.« Diese Mythe sei populär bei den Gegnern der Schule, aber sie sei natürlich eine Erfindung, sie könne auch nicht in dem Sinne stimmen, daß Hegel nicht zu verstehen sei: »Hunderte von Schülern, Tausende von Lesern haben Hegel verstanden und verstehen ihn fortwährend sehr wohl.« Was könnte aber ein Sinn der Mythe sein, der für die Schule wichtig wäre? Worauf bezieht sich das mythische Hegel-Wort: »Sie haben mich nicht verstanden?« Dem junghegelianischen Autor zufolge bezieht sich das Mißverstehen nicht auf etwas vom Lehrer Gesagtes, sondern auf etwas Nicht-Gesagtes, gleichsam auf eine Leerstelle. Das Mißverstandene seien »gewiß nicht jene Worte, welche vernehmlich in die Ohren seiner Hörer drangen, und welche der Preßbengel verewigt hat; wohl aber das, was er nicht aussprach, was der nicht verstehen konnte, der den Lehrer zu sehr beim Wort nahm.« Wirkliche Schülerschaft konstituiert sich auf der Ebene des Paradigmas um eine Leerstelle. Der Mythos drückt dies im Tod des Lehrers aus. »Erst nach seinem Tode geht das wahre Verständnis seiner Philosophie auf; und so hat Mythos uns prophezeit, was wir jetzt erfüllt sehen.«29 Beziehen wir diesen symbolischen Tod des Lehrer-Vaters auf die Situierung der Schule im Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung, so kann der soziale Sinn der Leerstelle deutlich gemacht werden. Der Konkurrenzraum kann als ein Feld gegenseitiger Herausforderungen umschrieben werden, in dem sich die Bewegungen des Bietens und Überbietens austauschen. Auf diesem Kampfplatz zählt die >Stärke<, die >Kontur<, die >Geschlossenheit<, und diesen Werten muß die Theorie sich anpassen, wenn sie sich behaupten will. Da es aber in der Natur intellektueller Arbeit liegt, daß nagender Zweifel, entmutigende Irrläufe und das kontingente Ermüden geistiger Anstrengung kaum zu bannende Begleiterinnen darstellen, besteht das soziale Problem, mit diesen Dimensionen umzugehen. Sie können individuell ausgehalten werden, aber ein Schulkollektiv muß auch eine soziale Lösung finden. Liegt es nicht nahe, daran zu denken, daß der Stärkste der Gruppe, der Gründer der Schule, die paralysierenden Elemente intellektueller Arbeit als eine symbolische Schuld auf sich nimmt und ihnen eine Stelle im Innern seines Paradigmas zuweist? Die Schule wäre so entlastet, was die Konkurrenzfähigkeit nach außen angeht, zugleich wären aber die paralysierenden Elemente nicht einfach verschwunden, sondern als symbolische Schuld des Schulvaters stellen sie eine äußerst motivierende Herausforderung dar.
97
Aus soziologischer Sicht ist anzunehmen, daß sich im Innern der >großen Gedanken< die Schule gemacht haben, eine Leerstelle befindet, die als symbolische Schuld des Vaters ihre Tilgung verlangt, wenn das Paradigma sich im Konkurrenzraum behaupten soll. Aus ideengeschichtlicher Perspektive mag es verwegen sein, im »Unbewußten« bei Freud, in der »Revolution« bei Marx, in der »societe« bei Durkheim, im »Ding an sich« bei Kant oder im »Absoluten« bei Hegel eine Leerstelle zu sehen. Meine Argumentation ist auch weit entfernt davon, die Leerstelle zum Anlaß einer schlichten Polemik gegen den >Stein der Weisen< zu nehmen. Entscheidend ist der Gedanke, daß sich die Schulbildung im Konkurrenzraum um so besser behaupten kann, je mehr es ihr gelingt, ihre Schwächen nach innen auf den Gründer zu zentrieren. Die Theorie, die in dieser Frage ein Angebot macht, indem sich ihre Aussagen um ein Rätsel gruppiert wie um ein Monopol der Abwesenheit, eignet sich für eine Schulbildung weitaus besser als eine Theorie, die auf dieses Angebot verzichtet. Die Überlegungen zum Begriff der >Schule< abschließend, möchte ich auf ein Paradox aufmerksam machen, das sich auftut, wenn man die Hegeische Philosophie mit den dargestellten Strukturelementen philosophischer Schulbildung in Beziehung setzt. Folgt man der Programmatik Hegels in bezug auf die dargestellten für die Schulbildung relevanten Strukturelemente, so kommt man zu dem Ergebnis, daß der Zielpunkt Hegeischen Denkens in der Idee einer Versöhnung zwischen der Philosophie und der Kirche, der Philosophie und dem Staat und zwischen seiner Philosophie und konkurrierenden Philosophien liegt. Im Verhältnis zur Kirche knüpft Hegel an das metatheoretische Grundmuster einer doppelten Wahrheit an, aber nicht nur oder nicht in erster Linie, um die Emanzipation der Philosophie von der Religion zu legitimieren, sondern eher, um das Zusammenfallen von philosophischem Wissen und religiösem Glauben zu affirmieren. Im Verhältnis zum Staat zielt die Versöhnung darauf, den Dualismus zwischen philosophischer Vernunft und unvernünftigem Staat zu überwinden. Im Verhältnis zum Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung zielt die Versöhnung darauf, differente Auffassungen nicht einfach als wahr-falsch einander feindlich gegenüberzustellen, sondern alle Äußerungen der Denktätigkeit als wahr und berechtigt in das philosophische System aufzunehmen. Schließlich, im Verhältnis zum Problem innerschulischer Differenz, zielt die Versöhnung auf die Legitimation innerschulischer Abweichung durch ihre Einbettung in das Modell einer Totalität, in die sich widerstreitende Momente einfinden. Paradox ist nun, daß aus diesem umfassenden Versöhnungsprogramm eine Schule erwächst, die zu den aggressivsten philosophischen Schulbildungen gehört, die wir kennen. Eine Schule, die die externen wie internen Strukturen philosophischer Schulbildung angreift, die die Balancen zwischen Schule und Kirche, zwischen Schule und Staat, zwischen Schule und akademischem Konkurrenzraum wie auch die internen Beziehungen aus dem Gleichgewicht bringt und die einzelnen Strukturelemente revolutioniert. Kann es sein, daß in dieser Philosophie der >Tod des Vaters< als eine motivierende und herausfordernde Leerstelle gleichsam im Übermaß vorhanden gewesen ist? Die Aggressivität der Junghegelianer ist nicht restlos auf externe soziale Bedingungen zurückzuführen. In der Leerstelle, die
98
»Versöhnung« heißt, ist der soziale Grund für das Drama der Schulbildung und ihres Zerfalls gegeben.
2. Das Bündnis der Schule mit dem modernen Staat Die These ist oft wiederholt worden: die Intelligenz des deutschen Idealismus habe über der Ausbildung eines apolitischen sittlichen Bewußtseins des Einzelmenschen die Aufgabe aus den Augen verloren, theoretische und praktische Entwürfe für die politische Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens einzubringen. Das Prestigebewußtsein der bildungsbürgerlichen Intelligenz habe sich an einer geistig-sittlichen Rangordnung orientiert, die gleichsam unverbunden neben politischen Machtverhältnissen aufgebaut wurde. Dabei wird Bezug genommen auf die Spaltung des Bürgertums in Besitz und Bildung und konstatiert, daß das politische Interesse des Wirtschaftsbürgertums in den Ideen der Intelligenz nur einen schwachen Ausdruck gefunden habe. Für Mannheim war dies einer der Gründe, in der bildungsbürgerlichen Intelligenz eine freischwebende Schicht auszumachen.30 Für die Junghegelianer am Ausgang des deutschen Idealismus trifft diese These kaum zu, und zwar nicht erst in dem Moment, in dem sie daran denken, daß die Philosophie Partei ergreifen soll, sondern schon zu einem Zeitpunkt, wo sie sich primär als philosophische Schule definieren. 1838 schreibt Ruge programmatisch, es sei »nicht nötig, für die Vernunft Partei zu machen, solange der Staat durch und durch auf die Verwirklichung der Vernunft gerichtet ist.«31 Nur wenn man von einem bürgerlichen Politikverständnis ausgeht, kann man Ruges Programm unpolitisch nennen. Die Jungehegelianer definieren dagegen ihr Verhältnis zur Politik als ein Bündnis von philosophischer Schule und modernem Staat. 32 Gehen wir im folgenden den wesentlichen Argumentationsfiguren weiter nach. K. Riedels Ausführungen von 1840 stützen zunächst die These vom unpolitischen Charakter der Intelligenz. »Der deutsche intellektuelle Geist scheint die Bestimmung zu haben, das innerste Wesen der geistigen Menschennatur zu ergründen und zu repräsentieren.« Er sei »nach innen« gerichtet, steige in den »Schacht des Wissens« hinab und wohne »in dem so eroberten Lande ( . . . ) mit heimatlicher Liebe«. Entscheidend aber sei, daß der preußische Staat diese Intelligenz »in sich als Lebens- und Staatsprinzip« aufgenommen habe. Die Lehre, »welche den Menschen als freies, geistiges, sich selbst aus innern Kräften bestimmendes, und aus innern Gesetzen eine Welt konstruierendes Subjekt erfaßt«, sei in das staatliche Handeln eingegangen. »Die Philosophie Deutschlands, seine Seele, gewinnt so einen Leib.« Die Zeit des »bloß theoretisch glücklich«-Seins sei vorbei, und Riedel vergißt nicht, den Thesen des industriellen Bürgertums eine klare Absage zu erteilen. Nicht »auf Rechnung materieller Interessen« ginge der moderne Staat, »so großartiger Umschwung fließt nicht aus dem Eigennutze«, es sei Absicht des Weltgeistes, »der, was er dem sinnenden Geiste vertraut hat, auch im Leben verwirklicht sehen will.«33
Das Bündnis, das Riedel vorstellt, geht schon weit über die bloße staatliche Gewährung einer Sphäre legitimer Wissenschaft hinaus, vielmehr hat der Staat ein legitimes politisches Verhältnis zur Philosophie und die Philosophie ein legitimes politisches Verhältnis zum Staat: ein Bündnis gegenseitiger Erwartungen.
99
Woher stammt dieses Bündnis? Bleiben wir bei den Selbstdeutungen der Junghegelianer. Hervorzuheben ist hier Ruges Schrift »Preußen und die Reaktion« (1838), in der der Versuch unternommen wird, die Genese des Bündnisses historisch-spekulativ zu konstruieren. Das allgemeine Charakteristikum der neueren Epoche ist für Ruge, daß sich der »Geist« als eine »Macht« erprobt. Dabei interessiert ihn nicht die »ganze Ausbreitung des modernen Geistes, sondern nur sein Mittelpunkt, der deutsche Geist, und dieser wiederum nur in seinem Kern, dem protestantischen Deutschland«,34 und d. h. in Preußen. In streng hegelianisch konstruierter Stufenfolge wird nun von Rüge dargetan, wie sich der neue Geist zunächst in der Unmittelbarkeit des subjektiven Gefühls, dann in seinen objektiven Gestalten in Staat und Kirche und schließlich - als Stufe der Aufhebung - im Bündnis von Philosophie und Staat darstellt. Der ehemalige Burschenschaftler Ruge, der wegen demagogischer Umtriebe mehrere Jahre lang im Gefängnis gesessen hat, rekonstruiert die erste Stufe der Ausbreitung des modernen Geistes als die der Begeisterung der Freiheitskriege und der burschenschaftlichen Aufbruchstimmung. Diese Stufe, gleichsam die primitive Form des modernen Geistes, basiert auf dem Gefühl des »vollkommenen Selbstbewußtseins«.35 Hegelianisch gedacht, handelt es sich dabei um eine notwendige, aber auch einseitige Entwicklung: notwendig, weil das freiheitliche Selbstgefühl erst einmal ein »erworbener Besitz«36 werden mußte, und einseitig, denn: das »Schäumen, die Phantasie und ihre Träume (. . .) könne nicht ohne weiteres staatenbildnerisch werden, wie sie es allerdings wohl gemocht hätten«.37 Interessanterweise erfährt die vom Wiener Kongreß ausgehende Restauration bei Ruge eine explizite Legitimation. Gegen die Begeisterung der Freiheitskriege »erhob sich die Gegenwirkung des besonnenen Staatslebens und seiner wirklichen Entwicklung auf den neuen im Kriege bewährten Grundlagen gegen den sich selbst verkennenden oder noch nicht begreifenden Geist der Freiheitskriege.«38 In Ruges selbstkritischer Argumentation bestand der Fehler derjenigen, die wie er auch Opfer der Demagogenverfolgungen wurden, darin: sie verlegten »törichterweise die wertvolle Sittlichkeit nicht in die Gestalten des wirklichen Lebens, sondern in den engen Kreis der vorgeblich gereinigten Jugend.« Aus diesem Freiheitsgefühl als einem »ausschließlichen Gemütsheiligtum« sei auch Sands Attentat entsprungen.39 Sinnlos sei eine Opposition aus der Zukunft, die sich an Utopiestaaten orientiere. Auf dieser neuen Stufe der Erkenntnis ist die Subjektivität des Freiheitsgefühls aufgehoben in den objektiven Institutionen. »Die Gewalt des Gedankens und die Macht des Gemütes sind in unwiderstehlichem Bunde.«40 Preußen ist in dieser Konstruktion ein moderner Staat, dem die Synthese von philosophischem Freiheitsbegriff und wirklicher Ordnung im Prinzip gelungen ist. Ruge nimmt die Hegelsche Figur von der Versöhnung zwischen Staat und Philosophie auf, wenn er fordert, das gewonnene Freiheitsgefühl in dem existierenden preußischen Staat bereits als realisiert zu betrachten. Was aber begründet die Fortschrittlichkeit des preußischen Staates 1838? Der eine moderne Faktor in Preußen, auf den Rüge setzt, ist das Militär: weil »jeder Bürger Soldat ist, so ist die Soldaten- und die Bürgerehre eine allgemeine, nur abgestuft durch Verdienst um den Staat.«41 Die egalitär-leistungsorientierten Prinzipien des preußischen Militärs bestimmen für Ruge den Charakter des gesamten Staates.
100
»Und wenn nun bei uns ein großer Teil des Beamtenstandes im Zoll-, Polizei- und sonstigen Dienst aus der Armee hervorgeht; so ist die notwendige Folge davon die Übertragung dieses höheren, sittlichen und wahrhaft freien Geistes auf diesen Stand und zwar ist dies eine Übertragung durchs Leben und durch die bestimmteste Eingewöhnung in die Formen des ehrenhaften Dienstes.«42 Und der zweite moderne Faktor in Preußen? Dem Militär zur Seite tritt das preußische Unterrichtssystem. Das Ministerium Altenstein habe es »auf eine solche Höhe erhoben, daß es sogar die Franzosen sich zum Vorbild genommen.«43 Mit einer geschickt verdeckenden Argumentation werden die historischen Zeitabschnitte belegt, in denen Preußen versucht, die Oppositionsbestrebungen in seinen Unterrichtsanstalten niederzuhalten. Jahn und das Turnwesen hätten aufgrund ihrer Fixierung auf bloß subjektive Gesinnung einen »Geist des Mißvergnügens« bereitet, und dagegen habe sich auf Seiten der Regierung der »Geist des Mißtrauens« geltend gemacht. Auch »die ganze Gelehrsamkeit und Literatur trat sodann allmählich unter den Gesichtspunkt des Mißtrauens, und es entstanden vielfältige polizeiliche, vornehmlich die Zensurmaßregeln. Sie stellen den Widerspruch im Geist der Gegenwart dar, daß einerseits die freie Wissenschaftlichkeit und die Intelligenz für das Prinzip des Staates selbst, andererseits der wissenschaftliche Geist und die Intelligenz für verdächtig gilt«.44 Aber die Teilung Deutschlands, die verschiedenen Entwicklungsstufen der deutschen Staaten, die Uneinigkeit der Zensoren hebe »diese Einrichtung (die Zensur, d. V.) in ihrer Einseitigkeit wieder auf. »Die Wissenschaft ist ohnehin über die Gesinnung hinaus«. Es bestünde, so Ruge, gegenwärtig sowieso eine »faktische Freiheit der Wissenschaft«, die auch wohl bald »in den gesetzlichen Formalismus hineingebildet werden wird«.45 Ruge resümiert: Die »Zeit des Mißvergnügens und des Mißtrauens sei »im Prinzip überwunden«.46 Besonders aber werde das Vertrauen des Staates auf die freie Wissenschaft gestärkt, wo diese sich selbst zur Vorkämpferin eines modernen Staatsverständnisses gegenüber romantisch-mittelalterlichen Oppositionsbestrebungen mache. Rüge hat eine »freie Wissenschaft« im Auge, »die nun allerdings nicht bloß im unbefangenen Gewährenlassen, sondern in der ausdrücklichen Berufung des Staates ihre Freiheit erblickt.«47 An dieser Stelle wird deutlich, daß die Junghegelianer als philosophische Schule sich nicht allein auf den institutionalisierten Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung verlassen, sondern zugleich sich im politischen Bündnis mit dem modernen Staat definieren. Wie bei Riedel wird auch bei Rüge die »liberale Opposition« aus dem Bündnis ausgeschlossen. Es handele sich um eine Opposition, »welche nur auf der einfachen Unkunde der wirklichen Staatszustände ihre Luftschlösser aufführte.«48 Das Bündnis zwischen Schule und modernem Staat ist jedoch nicht als eine konfliktfreie Beziehung anzusehen. Denn - wie B. Bauer ausführt: »Auch die Wissenschaft, das reine Denken geht über den Staat hinaus, das Denken kann und muß sogar mit seinen Gesetzen gegen die beschränkten Bestimmungen des Staates in Widerspruch geraten, es kann vermöge seiner reinen Notwendigkeit mit der vernünftigen Notwendigkeit, die im Staate durch die Verwicklung mit natürlichen Verhältnissen noch zufällige Bestimmungen an sich hat, in Kollision geraten.«49
101
Aber entscheidend sei, daß auf Grund der Bündniskonzeption der Konflikt keine prinzipielle Staatsgegnerschaft erzeugen könne. »Der Staat streitet in diesen Kollisionen mit sich selber, führt darin sein eigenes Interesse aus, denn beide streitenden Mächte gehören ihm an, er ist sie beide.« Der moderne Staat hat das philosophische Denken »zu seinen innern Angelegenheiten gemacht.«50 Zu diesen »innern Angelegenheiten« zählt insbesondere der Bereich, der in der eingangs skizzierten These als apolitischer Bezugsrahmen bildungsbürgerlicher Intelligenz gesehen wurde. B. Bauer schreibt: »Die Menschlichkeit als solche in ihrer reinen Unbestimmtheit ist die Wut, die gegen alle positiven Statute sich empört, das Ich ist der Dämon, der mit seiner listigen Dialektik alle gesetzlichen Schranken zernagt.« Aber: »Der neuere Staat kann alle diese Dämonen und Ungeheuer in sich ertragen und sie bilden, zähmen und erziehen.«51 Diese Idee vom Erziehungsstaat hat bei den Junghegelianern, wenn sie sich als Schule definieren, eine weite Verbreitung. So faßt z. B. auch Heß den Staat als »Volkserziehungsanstalt« auf, durch dessen Gesetz die »humane Bildung« gefördert werde.52 Die bildungsbürgerlichen Werte liegen nicht außerhalb der staatlichpolitischen Sphäre, sondern in ihr. Der moderne Staat ist, wie B. Bauer schreibt, »die einzige Form, in welcher die Unendlichkeit der Vernunft, der Freiheit, der höchsten Güter des menschlichen Geistes in Wirklichkeit existiert.«53 Und Marx wird noch zu einem Zeitpunkt (1843), als er bereits die soziale Frage reflektiert, daran festhalten, daß »gerade der politische Staat, auch wo er von den sozialistischen Forderungen noch nicht bewußterweise erfüllt ist, in allen seinen modernen Formen die Forderungen der Vernunft (enthält)«.54 Die philosophische Schule sieht sich bereits 1838 im Bündnis mit einem solchen Staat. Ruge schreibt über Preußen: »Das Reich der Sittlichkeit ist in Preußen zu einer bewundernswürdigen Wirklichkeit gediehen, nirgends wird man das Pflicht- und Rechtsgefühl schärfer, wirksamer und gebildeter finden, als bei uns, das Beamtenverhältnis dient nur dazu, den Gemeinsinn zu verwirklichen, man braucht nicht weit nach Süden und Osten zu reisen, um den Unterschied zu erfahren, ferner das Recht des Staates auf den einzelnen hält das Militärwesen gegenwärtig und ist eine wichtige Kur der Feigheit und Philisterei, das Familienleben endlich und das Leben des Verkehrs, wo ist es in wahrerer Gestalt, als eben jetzt bei uns?«55 Das heißt nicht, daß es keine Bereiche mehr gäbe, in denen der moderne Staat noch auszubauen wäre, aber die im modernen Staat enthaltene Vernunft kann davon nicht tangiert werden: auch »wenn ja hin und wieder noch ein drückender Punkt herausspringt, so liegt in dem ganzen Gang der bisherigen Staatsentwicklung die sicherste Bürgschaft seiner endlichen Erledigung.«56 Angesicht des Bündnisses von philosophischer Schule und modernem Staat können die Denunziationen eines Leo die Schule nicht treffen. So muß sich der Denunziant von Rüge fragen lassen, »bei wem« er die Junghegelianer denunzieren wolle: »doch wohl nicht bei dem Ministerium des Unterrichts, welches die genaueste Kenntnis nicht nur der Terminologie, sondern auch der Begriffe dieser Philosophie hat?«57 Leo könne, außerhalb des Bündnisses stehend, die Denunziation doch nur an sich selbst richten.
102
3. Beamtete Intelligenz Das Bündnis von Schule und modernem Staat, auf das die Junghegelianer setzen, ist für sie ein Modell, das sich bewährt hat. In den 30er Jahren erobern Schüler Hegels wichtige Lehrstühle in Preußen.38 Ihre Hauptstütze besitzt die Hegelschule im preußischen Kultusministerium, das, 1817 als ein selbständiges Ministerium für geistliche und Unterrichtsangelegenheiten gebildet, über 20 Jahre von dem Minister Altenstein geleitet wird. Die Verbindung zwischen dem Minister und der Hegelschule wird durch Johannes Schulze hergestellt. Schulze, der maßgeblich an der Schaffung des preußischen Gymnasial- und Hochschulsystems beteiligt war und zunehmend zur rechten Hand des Ministers wird, hatte sich ganz in den Zusammenhang der Hegelschule begeben.59 Um den Erfolg dieses Zusammenspiels zu verstehen, ist es notwendig, daran zu erinnern, daß seit den Karlsbader Beschlüssen die innere Situation der Universitäten prekärer wurde. Das Klima des Verdachts und der Bespitzelung behinderte die wissenschaftliche Arbeit ebenso wie die Prozesse der Verwaltung. In solchen sozialen Situationen besteht ein vermehrtes Bedürfnis nach direkten persönlich stabilen Kontakten, nach Loyalitäten, die eine Versicherung gegenüber wachsenden Kontingenzen darstellen. Die Loyalitätsbande der Hegelschule sind festgeknüpft gewesen, und ihr Erfolg hat sie noch mehr gefestigt. Darüber hinaus besaß das Ministerium über den Hegelianer Schulze einen verläßlichen Zugang zu den inneruniversitären Auseinandersetzungen, wie umgekehrt die Schule des Schutzes und der Protektion sicher sein konnte. Es handelt sich um ein Zusammenspiel, mit dem die Paralysierungen des Verdachts vermieden werden konnten. Über die Gründe, warum gerade die Hegelsche Philosophie und die Hegelschule diese bevorzugte Stellung an den preußischen Universitäten erhalten konnten, ist viel nachgedacht und geschrieben worden. Hat der Gründer der Schule sein System so angelegt, daß er zum >preußischen Staatsphilosophen< avancieren konnte? Hat der preußische Staat in Hegels Philosophie seine Legitimationsgrundlage gesucht?60 Hier ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, was die Privilegierung einer Schule soziologisch bedeutet. Bei dem Konkurrenzraum philsophischer Schulbildung, der universitären Institution, handelt es sich um ein Überraschungen erzeugendes Feld, das unter administrativer Perspektive schwer zu beruhigen ist, und selbst wenn dies in Richtung auf eine totale Überwachung gelingen sollte, träte der Effekt ein, daß der Betrieb kaum noch akzeptable Resultate liefern würde. Wenn die Verwaltung vom Verdacht beherrscht wird, daß die Überraschungen, die diesem Ereignisfeld der Intelligenz entspringen, sie bedrohen könnten, so bleiben ihr zwei Möglichkeiten: entweder die Schließung der Universität als eines Konkurrenzraumes oder die Kooptation einer der konkurrierenden Konfigurationen, auf die sie setzt, wie jemand, der eine Wette mit großem Einsatz abschließt. Im Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung kann die Verwaltung nicht selbst als Konkurrenz auftreten, ebensowenig kann dort eine Schule überleben, die sich nur auf Protektion verläßt.61 Wählt die Verwaltung den Weg der Privilegierung einer Schule, so >leistet< sie unter funktionalistischem Aspekt zweierlei: sie erhält eine Minimalstruktur von Konkurrenz, und sie steigert zugleich den Kampf
103
der Positionen. So ist der Aufstieg der Hegelschule untrennbar verbunden mit der Konjunktur von Hegelkritiken und Hegeldenunziationen. Die Privilegierung hat sie dem Streit nicht entzogen, im Gegenteil, sie hat sie mehr als andere Positionen in den Streit hineingezogen. 2 Die Frage, welche philosophische Schule sich für eine Privilegierung >eignet<, läßt sich nach dem Gesagten einfacher beantworten. Weder taugt dazu eine Schule, die sich als bloßes Vollzugsorgan von Regierungsabsichten darstellt, noch eine, für die die Verwaltungssphäre primär als ein formaler Rahmen in den Blick gerät, weder eine Schule, die der Staatsintelligenz konform huldigt, noch eine Schule, die den Staat aus dem Bereich der Intelligenz entläßt. Was die Hegelschule dagegen zu bieten hatte, war die ambivalente Figur einer >beamteten Intelligenz< im >auf Intelligenz sich gründenden Staat<.63 Die ambivalente Figur stützt sich auf den Topos der Zeit von der >Macht des Geistes< der Preußens Kraft begründe. Der Topos bezieht sich auf eine ganze Reihe von Elementen: die Erinnerung an den Philosophen-König, die existenznotwendige Toleranz gegenüber Konfession, die >Künstlichkeit< der Staatskonstruktion, die mangels nationalem oder ethnischem Geist immer eines besonderen staatlichen Geistes bedurfte, die Erinnerung an die Begeisterung der Freiheitskriege. Der Topos zielt Koselleck zufolge auf einen Geist, »der allein die Einheit sicherte, einem Staat, dem die konfessionelle, ethnische, sprachliche, rechtliche, ja sogar die geographische Einheit abging. Der tätige Träger dieses Geistes war nun die berufsmäßige Intelligenz, die Beamtenschaft; sie bildete - neben dem Heer - das institutionelle Substrat einer Einheit, die eben nur >im Geiste< lag.«64 Auf diesen Topos bezieht sich Karl Rosenkranz in seiner Hegelbiographie von 1844.65 Preußen, als ein »noch nicht arrondierter Staat sucht seine Nachbarn zunächst von innen aus, durch ein Übergewicht der Bildung, sich ideell zu unterwerfen. Instinktmäßig fühlt er die ihm noch fehlenden Elemente heraus und sucht sie sich anzueignen, wenn sie in bereits fertiger Gestalt außer ihm existieren.« Daher habe auch die Wissenschaft eine weit wichtigere Bedeutung »als bei Staaten, welche sich durch ihre natürliche Lage, durch die nationale und kirchliche Einheit ihrer Bevölkerung, oder durch große materielle Hilfsmittel gesichert sehen.« Die Vermittlung der Bildung sei lebensnotwendig für den preußischen Staat, und so habe ja auch Preußen aus sich die Kantische Philosophie hervorgebracht. Diese sei aber durch Hegel vollendet, und »so ergibt sich hieraus die höhere Notwendigkeit, welche Hegels Berufung nach Preußen und die schnelle Einwurzelung seiner Philosophie in demselben bewirkte. Was Manche gern nur als Befriedigung eines Lieblingswunsches des Ministers Altenstein ansahen, war im Grunde das Werk der progressiven Tendenz des preußischen Geistes.« Der Staat kann sich aber nur auf die >Macht des Geistes< stützen, wenn er ihn von den partikularen Interessen der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft und ihren repräsentativen Ausdrucksformen emanzipiert.66 Erst der >autonome Geist< kann zu einer Macht werden. Die Autonomie des >Geistes< spiegelt sich gleichsam in der Autonomie des Staates, und diese spiegelt jene zurück. Die Intelligenz ist als eine Macht erst gesichert als beamtete Intelligenz: »denn der Beamtenstaat vertritt die Intelligenz und die Bildung, während in den ständischen und repräsentativen Staaten geistig imponderable Elemente zur Geltung kommen.«67
104
Die Figur der >beamteten Intelligenz< im >auf Intelligenz gegründeten Staat< beinhaltet zwei Bewegungen. Einmal schreibt sie dem Staat die Aufgabe zu, die Autonomie von >Geist< gegen die zerspaltenen Interessen der Gesellschaft an verschiedenartigsten Funktionalisierungen der Intelligenz durchzusetzen, andererseits schreibt sie der Intelligenz die Aufgabe zu, unter Berufung auf den Staat als rechtliche Form für deren Ausbau und Sicherung Verantwortung zu übernehmen. Für die Definition des Verhältnisses der Schule zum Staat bedeutet dies ein primäres Interesse an der Begründung von Reformpolitik. Hegelianer und Junghegelianer sehen sich in der Tradition der preußischen Reformpolitik als einer Leistung der beamteten Intelligenz. Ein Konzept philosophischer Schule, die den akademischen Raum nur nutzt, ohne auf die staatlichen Bedingungen der Existenz dieses Raumes zu reflektieren, kommt für den Junghegelianer nicht in Frage. Die Figur einer beamteten Intelligenz vor Augen, begründen sie eine Reformpolitik, die sich offensiv von revolutionärer Programmatik absetzt. So würdigen die HJ Autoren wie Gervinus, in denen »nicht die geringste Sympathie mit den unruhigen hitzköpfigen Wortführern der Staatsumwälzung (ist), welche vom ersten französischen Schusse aufgescheucht, aus dem Verstecke hervorstürzen, den kahlen Freiheitsbaum aufpflanzen und die rote Mütze schwingen.«68 Und Rüge fragt: »Wer wird nun irgendeinem vernünftigen Menschen den Gedanken zumuten, der Veitstanz der Revolution sei ebenso befriedigend, als der schöne Rhythmus der Freiheitsbewegung?«69 Auch für Buhl ist ein Anknüpfen an die Revolution kaum sinnvoll vorstellbar, denn sie kann nach dem Prozeß, den sie durchgemacht hat, nicht mehr als gleichsam jungfräuliches Prinzip begriffen werden. »Eine Idee, die so viele Stadien durchlaufen hat, langt endlich an einem Ruhepunkt an. Es wäre zuviel gesagt, wenn wir ihr die bewegende Kraft absprechen wollten, aber jedenfalls sind ihr die Fangzähne ausgebrochen.«70 Die Auseinandersetzungen zwischen Revolution und Legitimität haben im Laufe der Entwicklung zu einer qualitativ neuen Konstellation geführt. »Weder die Revolution noch die Legitimität haben sich rein zu erhalten gewußt, wie das allen großen geschichtlichen Gegensätzen auf die Dauer begegnet. Beide haben aufeinander zurückgewirkt. (...) Es fanden Annäherungen und Friedensschlüsse statt, die auch die Herbigkeit der Prinzipien mäßigten. Vor allem aber wurde der Ungestüm der Revolution durch ihren eigenen Fortschritt gemildert. Sie hatten in dem Schreckens-Systeme einen Punkt erreicht, vor dem sie nur herabsteigen konnte. (. . .); damals verrrauchte die furchtbarste Wut der Revolution und es wird ihr nie gelingen, sich zu einer ähnlichen aufzustacheln, weil nie wieder dieselben Bedingungen eintreten können.«71 Die »Revolution« existiere nur noch »in den Traumgesichtern des politischen Wochenblattes< als blutbefleckte Hyäne, als furchtbare Lawine, die jeden Augenblick droht, in die Ebene niederzustürzen. In der Wirklichkeit stellt sich die Sache anders. Die Revolution hat ihre Stadien durchlaufen; sie hat die Grundlagen des modernen Staates, welche die ideale Einheit aller einseitigen Staatsformen ist, aufgerichtet. Sie hat jetzt die Aufgabe, auf diesen Grundlagen weiterzubauen, die Revolution ist zum konstitutionellen Staate gelangt, und dadurch aus ihrer angreifenden Position herausgeworfen.«72 Wie in Frankreich Revolution und Legitimität koexistieren, so auch auf dem europäischen Kontinent. »Im Westen hat die Revolution ihre Herrschaft aufgerichtet, im Osten der Absolutismus in seiner reinsten Gestalt. Aber zwischen dem revolutionären Frankreich und dem absoluten Rußland liegt
105
Deutschland, welches das Schicksal gehabt hat, wie religiös so auch politisch gespalten zu werden. Deutschland bildet den Übergang; hier sind alle Gegensätze vertreten. Hier finden sich die unbeschränkte Monarchie und der konstitutionelle Staat in ihren verschiedensten Nuancen und Abstufungen. Die politische Reform hat denselben Ausgang genommen wie die Religiöse: keine von beiden hat sich ganz durchsetzen können.«73 In diesem Übergangsfeld ist eine Revolution unwahrscheinlich. Beide Prinzipien seien in eine »so eigentümliche Stellung getreten, daß der Vorteil nicht auf Seite des angreifenden Teils, sondern des angegriffenen sein würde.«74 Auf die preußische Situation übersetzt heißt dies implizit: Bei der gegebenen Figur der beamteten Intelligenz, in der Revolution und Legitimität im Prinzip identisch sind, bleibt nur der Weg der Reformpolitik. Ihr gegenüber geraten klassisch revolutionäre wie klassisch reaktionäre Positionen quasi automatisch ins Abseits. Ausgehend vom Konzept einer Reformpolitik kann Rüge den Begriff »Revolution« auf die Bestrebung der >Rechten<, die er unter dem Begriff »Romantik« zusammenfaßt, anwenden. Sie suche »überall Pflöcke einzuschlagen, an denen sich die reformatorische Bewegung des freien Geistes brechen soll. (. . .) So fängt die Romantik die Revolution an«. Mit dieser Strategie verlasse die Romantik den für Deutschland charakteristischen Weg der Reformen. Was sie betreibe, sei das »kaprizierte Einführen der sprungweisen, gewaltsamen, aufgeregten Entwicklung in deutsche Religions- und Staatsverhältnisse.«75 Entscheidender als die Frage, wer angreift und wer sich verteidigt, ist für Rüge jedoch die Definition des Raumes, in dem Gegensätze ausgetragen werden. »Der Vorwurf des Revolutionierens läßt sich immer von der Freiheit auf die Unfreiheit und umgekehrt hinüber und herüber schieben; auch auf das Anfangen kommt es nicht an. Anfangen muß immer das nicht geltende Prinzip. Aber daraufkommt es an, ob der Prinzipienkrieg auf dem Boden des Lebens geführt wird, wo er Revolution ist und die ganze Masse des Volks in Anspruch nimmt mit seinem Für oder Wider, oder ob er, wie bisher, trotz den Versuchen der Romantik, das Schlachtfeld zu ändern, auf dem Boden der Wissenschaft und Theorie bleiben soll, wo er die Reformation ist, und nicht eher das Leben des-Sräats und der Gesellschaft umgestaltet, als bis beide freiwillig die neue Gestalt für die Wahre erkennen.«76 Reformpolitik durch einen aufgeklärten fortschrittlichen Beamtenstaat, der sich auf Vorschläge der beamteten Intelligenz sützt, die einem institutionell garantierten autonomen Konkurrenzraum entspringen und aus einem dort geführten wissenschaftlichen »Prinzipienkrieg« siegreich hervorgehen: diese junghegelianische Definition des Verhältnisses von philosophischer Schule zu modernen Staat - ist in ihr vielleicht ein Grundriß zu sehen, der nahe bei dem liegt, was Schelsky die »Herrschaft der Reflexionselite«77 nennt? Geht die Tendenz der Junghegelianer nicht in diese Richtung, wenn Meyen an Rüge schreibt, daß die Regierung in den HJ eine Macht kennenlerne, »die über ihr steht und vor der sie sich beugen muß, die Macht der nationalen Intelligenz?« 78 Die Junghegelianer greifen ja in ihren Argumentationen nicht zuletzt auf Konzepte der klassischen Kulturstaatsidee zurück, so etwa, wenn Rüge an Fichtes »Bestimmung des Gelehrtenstandes« erinnert, die »die oberste Aufsicht über den wirklichen Fortgang des Menschengeschlechts im Allgemeinen und die stete Beförderung dieses Fortgangs« sei.79 Die Kulturstaatsidee birgt auch den alten Traum einer Abschaffung des Gewaltelements der Herrschaft, wie er in Schellings Forderung
106
zum Ausdruck kommt, »den Staat, wo nicht entbehrlich zu machen und aufzuheben, doch zu bewirken, daß er selbst allmählich sich von der blinden Gewalt befreie, von der er auch regiert wird und sich zur Intelligenz verkläre«.80 Daß es um das Problem der »Herrschaft einer Reflexionselite« gehen könnte, haben philosophische Konkurrenten deutlich ausgesprochen. Der früh aus der Hegelschule ausgetretene Philosoph Hermann Christian Weiße, zunächst an einer Mitarbeit an den HJ interessiert, schreibt bald an Ruge: »Gesteht es nur, Ihr Herren, es ist Euch nicht um Denkfreiheit, sondern um Herrschaft im preußischen Staat zu tun.«81 Was den Vergleich zwischen der junghegelianischen Figur von der >beamteten Intelligenz< im >auf Intelligenz gegründeten Staat< und der »Herrschaft einer Reflexionselite« im Sinne Schelskys nagelegt, sind die historischen Bezüge, die dieser selbst anführt. Sie sind jedoch - worauf hingewiesen werden muß - in einer spezifischen Weise doppeldeutig und ungeklärt. Auf der einen Seite zählt Schelsky Fichte zu den »geistigen Ahnen« der »Klassenherrschaft der >Sinnproduzenten<«82, auf der anderen Seite rechnet er gerade die Fichte-Humboldtsche Bestimmung der Philosophie als »Kernfach« der Universität und die philosophische Begründung der Dienstleistungen als »Staatsdiener« zu den produktiven Formen, in denen eine »stabilisierte Spannung zwischen individuell-autonomer Normativität oder Sittlichkeit und der Entwicklung und gesellschaftlichen Dienstleistung der funktionalen Wissens und Erkennens« gelungen sei.83 Was die Schelskysche These von einem Zerbrechen dieser produktiven Form und einer heute für ihn bei den »Sinnproduzenten« sich abzeichnenden »politischen Herrschaftsergreifung gegenüber der sachlichen Kontrollfunktion des Staates«84 in ihren historischen Bezügen so schief macht, ist, daß er den Kernpunkt der Figur der beamteten Intelligenz: ihre Bindung an ein reformpolitisches Gesetzgebungs- und Verwaltungshandeln des Staates aus dem Blick verliert. Weder für Hegel noch für seine Schüler geht es um die Bindung an den Staat als eine faktische Evidenz, sondern an den Staat als einen Realisator von Vernunft. Daß der Staat und keine andere Institution für dieses Projekt in Frage kommt, rührt nicht allein von der Erinnerung an die preußische Reformära her, vielmehr ist die Realisation der Vernunftprinzipien Freiheit und Gleichheit weder in der Familie noch in der Wirtschaftsgesellschaft, noch in der Kirche denkbar, es sei denn, man würde staatliche Formprinzipien auf diese übertragen. Für die Verwirklichung der Vernunft gibt es überhaupt keinen anderen Ort als den des Staates, mag man sich ihn als neuen, revolutionär zu schaffenden Staat vorstellen oder den gegebenen Staat als Reformstaat anerkennen.85 Für die Junghegelianer steht die Revolution nicht auf der Tagesordnung, wo sie sich als philosophische Schule definiert, die sich von anderen dadurch unterscheidet, daß sie sich in der Berufung auf den Staat nicht übertreffen läßt. Sie orientieren sich am Bild Preußens als einem Staat, der modern ist, weil er reformfähig ist, und er ist reformfähig, weil er die Intelligenz als beamtete Intelligenz zu seinem Strukturelement gemacht hat. Die Verwirklichung der Vernunft im Medium des Staates ist Reform. So kohärent das Modell eines Bündnisses von Schule und modernem Staat und die Figur der beamteten Intelligenz auch ist, die Bindung an die Reform eröffnet
107
eine spezifische soziale Dynamik, die sich längs der Frage entfaltet, was denn eine >Reform< und was >Nicht-Reform< ist. Vor allen inhaltlichen Aspekten, die verschiedenartigster Natur sein können, verweist >Reform< auf einen Erwartungshorizont. Mit der Abweisung von Revolution als einem vorgestellten Handeln, in dem sich Ziele beschleunigt erfüllen könnten, entsteht mit >Reform< eine Art Zielhemmung. Der Horizont mag derselbe sein wie bei der Revolution, aber es muß mehr gewartet werden. Die Reformtaten verblassen regelmäßig vor der Reformerwartung, so wie umgekehrt die Revolutionstaten die Revolutionserwartungen so oder so, d. h. im >Guten< oder >Schlechten<, in den Schatten stellen.
4. Philosophen unter sich Das platonische Modell, demzufolge der Philosoph Herrscher sein müsse, so sehr es auch bei den junghegelianischen Reformerwartungen Pate gestanden haben mag, es reflektiert allzu wenig das Problem, das entsteht, wenn mehrere Philosophen bzw. eine philosophische Schule bildende Philosophen sich auf den prominenten Platz königlichen Handelns hinorientieren. Ein einzelner Denker kann für sich leicht in einer souverän handelnden Rolle imaginieren, was er tun würde, aber schon bei zwei Philosophen beginnt der Streit, denn der Platz des Königs ist nur einmal zu vergeben. Es handelt sich hier um ein soziales Problem, das die Philosophen unter sich zu lösen haben, wenn das Modell des Bündnisses von Schule und modernem Staat funktionieren soll.86 Zu den zentralen Charakteristika des Hegelschen Denkens gehört seine Umgangsweise mit dem historischen und je aktuellen Sachverhalt widerstreitender philosophischer Auffassungen. In den >Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie< wendet sich Hegel gegen zwei geläufige Deutungen der Verschiedenheit der Philosophien. Die einen sehen in der Geschichte der Philosophie lediglich einen Vorrat von differenten Meinungen, denen man sich gelehrt nacherzählend zuwenden oder die man nach dem Maß der eigenen Ansicht als eine »Galerie der Narrheiten« bewerten müsse.87 Andere zögen aus der Verschiedenheit der Philosophien den skeptischen Schluß, »daß das Bestreben der Philosophie nichtig sei«. 88 Beide Lösungen sind für Hegel nicht akzeptabel. Der Skeptizismus bedeute gleichsam eine Kapitulation vor der Aufgabe, die Eine Wahrheit darzustellen, und das Verharren im »abstrakten Gegensatze von Wahrheit und Irrtum«89 führe nicht zu einem Zustand, in dem die Gültigkeit der Einen Wahrheit mit der Tatsache der Verschiedenheit der Philosophien versöhnt sei. Hegels originelle Lösung besteht bekanntlich darin, daß die Verschiedenheit philosophischer Systeme als Entwicklungsprozeß des Geistes selbst aufgefaßt wird. Für Hegel gibt es nicht einfach einerseits philosophische Wahrheiten und andererseits Irrtümer, vielmehr gehört das, was man die Irrtümer nennt, ebenso zum Entwicklungsprozeß des Geistes wie die Wahrheiten; ja mehr noch: das Denken, das auf der Scheidung von Wahrheit und Irrtum insistiert, gehört selbst einer bestimmten Stufe der Entwicklung des Geistes an und hat dort ein notwendiges, aber relatives Existenzrecht. Das Resultat der Geschichte der Philosophie ist für Hegel:
108
»1. daß zu allerzeit nur Eine Philosophie gewesen ist, deren gleichzeitige Differenzen die notwendigen Seiten des Einen Prinzips ausmachen; 2. daß die Folge der philosophischen Systeme keine zufällige, sondern die notwendige Stufenfolge der Entwicklung dieser Wissenschaft darstellt; 3. daß die letzte Philosophie einer Zeit das Resultat dieser Entwicklung und die Wahrheit in der höchsten Gestalt ist, die sich das Selbstbewußtsein des Geistes über sich gibt. Die letzte Philosophie enthält daher die vorhergehenden, faßt alle Stufen in sich, ist Produkt und Resultat aller vorhergehenden.«90
Für unseren Zusammenhang ist nicht entscheidend, dem Hegelschen Stufengang im einzelnen zu folgen, vielmehr soll nach den sozialen Effekten gefragt werden, die Hegels Konstruktion für die Selbstdefinition der Philosophen unter sich besitzt. Zunächst handelt es sich um ein Programm der Versöhnung, es geht nicht um Ausstoßung und Abweisung von philosophischen Auffassungen, sondern um eine Totalität, die kein Außen kennt. »Die letzte Philosophie ist das Resultat aller früheren; nichts ist verloren, alle Prinzipien sind enthalten.«91 Die Versöhnung kommt jedoch um den Preis zustande, daß den konkurrierenden Philosophien gleichsam immer schon eine bestimmte Stelle im systematischen Stufengang der Entwicklung des Geistes sicher ist. So konnte die Hegeische Philosophie gerühmt werden, »den Inhalt der philosophischen Erkenntnis aller Zeiten und aller Systeme, selbst den scheinbar entgegengesetzten und widersprechenden, in sich zu vereinigen und den Gang der Entwicklung dieser Erkenntnis für alle Zeit abzuschließen«.92 So konsequent auch der Versöhnungsgedanke durchgeführt wurde, und so sehr Hegel auch forderte: »man muß sich erheben a) über die Kleinigkeiten einzelner Meinungen, Gedanken, Einwürfe, Schwierigkeiten: b) über seine eigene Eitelkeit, als ob man etwas Besonderes gedacht habe.«93 - allein schon der Anspruch einer Versöhnung führte zu einer feindlichen Polarisierung von Hegelianern und AntiHegelianern - einer Polarisierung, die den Philosophenstreit enorm verschärfte. So urteilten Zeitgenossen über die Hegelschule: »Schwerlich ist nämlich jemals eine Schule mit so gebieterischem Anspruch auf Alleinherrschaft, mit so wegwerfender Verdammung aller Andersdenkenden aufgetreten, wie die Hegelsche«.94 Der mit der Hegelschule streitende Prager Philosoph Franz Exner trifft das Problem genauer, wenn er schreibt, zwar böte die Hegelsche Philosophie »allerwärts Frieden an, und versichert, sie wolle die Gegner wohl gelten lassen: diese aber meinen, der gebotene Friede sei eben der ärgste Krieg, ein halbversteckter nämlich. Man gestehe ihnen zwar Wahrheit zu, aber eine solche, die eigentlich Unwahrheit ist; man lasse sie gelten, jedoch nur, indem man sie für aufgehoben erklärt.«95 Naheliegend ist der Gedanke, das Problem des Hegelschen Umgangs mit konkurrierenden Philosophien im Rückgriff auf religionssoziologische Kategorien zu lösen und seine Gewißheit der Versöhnung im außerphilosophischen Terrain der Heilsgewißheit anzusiedeln. So entlastend dies Verfahren auch im Moment sein mag - ich werde im letzten Kapitel darauf zurückkommen -, die philosophische Gewißheit gehört zunächst ganz dem Bereich konkurrierender Philosophien an, und auf diesem Felde wäre die Stigmatisierung einer Philosophie als dogmatisch religiös nur das umgekehrte Programm der Hegeischen Versöhnungsfigur: nicht Eingliederung der Positionen, sondern Ausstoßung. In diesem Zusammenhang interessiert vorrangig, wie sich der Hegeische
109
Umgang mit konkurrierenden Philosophien sozial für diejenigen darstellt, die als Schüler dem Schulgründer folgen und nun ihrerseits als eine Gruppe von Denkern das Problem der Konkurrenz lösen müssen. Es sind drei eng miteinander verflochtene Fragen, die die Hegelschule beschäftigen: a. Wie läßt sich der Prozeß der Anerkennung der Hegelschen Philosophie durch die existierenden Philosophen denken? b. Welchen Status innerhalb des abgeschlossenen Hegeischen Systems kann eine philosophische Schule haben? c. Wenn mit Hegel der Endpunkt der philosophischen Entwicklung erreicht ist, was sind dann noch die Aufgaben der Hegelianer? a) Die Polemik Für Bayrhoffer bedeutet das Auftreten der Hegelschen Philosophie: nun sei erkannt, »daß der Begriff und seine unendliche Zentralität, der Geist, alle Wahrheit und daß die ganze Welt nur die unendlich scheinende Idee ist. Es ist die Materie und die Weltgeschichte durchdrungen und zum reinen durchsichtigen Kristalle verklärt worden. Die Hüllen und Substanzen der religiösen und künstlerischen Formen selbst auf ihren absoluten Höhepunkten sind aufgelöst worden in die Silberklarheit der reinen Idee«.
Erreicht sei ein Zustand »der sich wissenden Wahrheit«, d. h. konkurrierende Philosophien sind darin in allen ihren Möglichkeiten enthalten. Auf dieser Versöhnungsbasis muß die Frage kommen: »Warum denn haben nicht sogleich alle diese Philosophie, welche sich als die Sophia selbst zu wissen behauptet, ja sich als solche mit immanenter Auflösung aller anderen Gestalten beweiset, anerkannt?«96 Der eigentümliche Zugzwang der Versöhnungsfigur erlaubt nur zwei Antworten: entweder stimmt die Versöhnung nicht, sie erweist sich als Schein, als eine fehlerhafte Konstruktion, oder es handelt sich um ein Problem von der Art der Zeitverschiebung. Die erste Antwort kommt für die Schule nicht in Frage: der Gründer hat die Versöhnung der konkurrierenden Philosophien vollbracht, sie ist auch kein Schein, sondern eine wesentliche Grundlage. Was bleibt, ist die zweite Antwort: die Versöhnung ist eine Frage der Zeit. Die Sicherheit, daß die Versöhnung bereits als Grundlage vorliegt, könnte zu einer abwartenden Haltung führen, aber die Gelassenheit, die ein Philosoph der »sich wissenden Wahrheit« an den Tag legen könnte, kommt für eine soziale Gruppe, qua Gruppe, nicht in Frage. Sie bedarf der Legitimation für Aktivitäten. Wie aber kann eine Philosophie, die sich versöhnt hat, dafür herhalten? Die Philosophie der Versöhnung ist Bayrhoffer zufolge zugleich »eine neue Gestalt der Philosopie«, und sie hat »den Kampf gegen die anderen unmittelbaren Formen zu bestehen, gegen das Leben wie die Wissenschaft«.97 Man müsse einsehen, »daß der Weltgeist in den Momenten seiner neuen tiefsten Ausgeburten allerdings in dem Kampfe der bestehenden mit den neuen Gestaltungen sich entwickelt, und daß so jede neue geistige weltgeschichdiche Geburt, wie die physische, nur der Phönix ist, welcher aus den Weltwehen und Weltschmerzen emporsteigt, insofern er sich als neue Gestalt gegen alle früheren vorausgesetzten Formen nicht nur positiv, sondern zugleich auch negativ wendet, so daß er nun, indem jene Formen gleichfalls ihn zu negieren streben, sich in den Kampf mit denselben verwickelt.«98
110
Implizit wird damit die Versöhnungsfigur auf den Kopf gestellt, indem sie zeitlich anders lokalisiert wird. Hervortritt eine Metaphorik des Kampfes, die einer schließlichen Versöhnung dienen soll, aber ebenso >unversöhnend< ist wie die Kriege, die gegen den Krieg geführt werden. Wo aber bleiben in dieser Konstruktion die anderen Philosophien, deren Recht doch immer noch im Rahmen der Versöhnungsfigur zu begründen wäre, auch wenn die Versöhnung zeitlich anders lokalisiert wird? Eine bloße Abweisung oder Verfemung der Konkurrenz würde die Idee desavouieren, daß die >neue< Philosophie in der Tendenz doch versöhnen kann. Es gilt, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem die Kritik an der >neuen< Philosophie als zu dieser schon mit dazugehörig betrachtet wird. Diese Verwandlung der Feinde in unfreiwillige Helfer ist die »Ironie des Weltgeistes und der absoluten Idee«, sie besteht darin, »daß die Richtungen, welche die Philosophie über den Haufen zu werfen vermeinen, doch im letzten Resultate ihr den Thron bereiten müssen.«99 Diese seltsame Figur ist nicht leicht zu erklären. Warum »müssen« die der neuen Philosophie der Versöhnung entgegenstehenden Philosophien dieser einen zum Siege verhelfen, in der sie enthalten sind? Man könnte diese argumentative Figur durchaus mit der psychoanalytischen Deutung des Widerstands vergleichen, derzufolge die Heftigkeit des Widerstandes nicht etwa die Erkenntnis, der der Widerstand gilt, widerlegt, sondern vielmehr bestätigt. Die Verwandlung der Feinde in unfreiwillige Helfer erfolgt über eine Reflexion der unbeabsichtigten Folgen philosophischen Handelns<. Jede Positionalität gibt in ihrer Richtung als unbeabsichtigten Effekt zugleich die Gegenrichtung mit an. Sie steht nicht nur für sich, sondern zugleich für das, wogegen sie sich richtet. Diesem Zwang entgeht keine Philosophie. Aber eine Philosophie, die dies weiß, kann die unbeabsichtigten Folgen philosophischen Handelns< für sich und gegen andere besser nutzen. Sie tut dies, indem sie sich selbst polemisch macht, sich auf die Ebene ihrer Gegner stellt, sie zum Streit herausfordert, um den Widerstand, den sie hervorruft, als Zeichen ihrer Kraft sich anzueignen. Diese Zauberei kann für sie funktionieren, weil sie weiß, daß im polemischen Kampf mit den Richtungen zugleich die Gegenrichtungen wachsen. Der beabsichtigte Effekt dieses Verfahrens ist eine Steigerung der Polemik, die keineswegs von der Versöhnung wegführt, sondern gleichsam den Königsweg zur Versöhnung darstellt. So eröffnet J. Schaller eine Rezension in den JWK: »Jede wissenschaftliche Zeitschrift hat schon dadurch eine polemische Tendenz, daß sie ein bestimmtes Prinzip vertritt, und dies als ein wesentliches und für den geistigen Standpunkt der Zeit bedeutsames nach außen hin geltend macht. Und sollte auch die Tendenz einer Zeitschrift vorzugsweise die Vermittlung und Versöhnung der Gegensätze sein, so kann sie doch diesen Zweck nur durch den Besitz eines Prinzipes erreichen, welches jene Gegensätze als solche aufhebt und als einseitig nachweist; denn das bloße Nebeneinanderstellen und Geltenlassen der Gegensätze oder die freundschaftliche Behandlung, welche sich dieselben gegenseitig zukommen lassen, und die Behutsamkeit oder auch Mutlosigkeit, ihre Differenz in aller Schärfe herauszustellen, kann so wenig für eine wirkliche Versöhnung angesehen werden, daß es vielmehr nur ein Abstumpfen und Verflachen der Gegensätze und somit das kräftigste Mittel gegen die Versöhnung ist.«100 Was Schaller macht, ist ein virtuoses Ausspielen der unbeabsichtigten Folgen >philosophischen Handelns< gegenüber seinem Gegner - ein Ausspielen, dessen
111
Pointe auch darin besteht, daß er in den von Hegel gegründeten JWK101 durch Eröffung einer Polemik, die auch auf ihn und diese Zeitschrift umkehrbar ist, eine andere hegelianische Konkurrenzzeitschrift, die sich auf die Versöhnungsfigur beruft, auf die unbeabsichtigten Effekte dieser Figur verweist, um so durch die Polemik hindurch gerade diese Figur zu retten. Für Schaller ist »die Polemik ein notwendiges Moment in der philosophischen Entwicklung und wird mit dieser bestehen und aufhören.«102 Um so wichtiger ist es für ihn, Kriterien für ihre Form zu erörtern. Seine Überlegungen zu Verhaltensregeln für Beurteilungen und zur Abfassung von Polemiken können als paradigmatisch für die Standards der Schule in dieser Frage gelten. Insgesamt zielen sie auf eine Enttabuierung polemischen Verhaltens. So zählt für ihn die Versicherung, daß es einem Verfasser allein um die Sache gehe, wenig, da »dieses Versichern des sich von selbst Verstehenden unwillkürlich zur Vermutung des Gegenteils auffordert.« Auch in diesem Bereich wirke der unbeabsichtigte Gegensinn. Die Berufung auf »gewisse Gesetze des Anstands«, die »jeder Gebildete des neunzehnten Jahrhunderts für heilig achten müsse«, greife kaum, da doch jeder die Erfahrung mache, »daß entweder diese Gesetze sehr vage sein müssen oder daß man sich eine Übertretung derselben so sehr hoch gerade nicht anzurechnen geneigt ist.« Die Forderung, in der Polemik die Person von der Sache zu trennen, sei eine »seltsame Prätention«, denn wenn es erlaubt ist, »die Sache platt, dürftig, schal zu nennen, so sind natürlich die Inhaber der Sache, wenigstens in diesem Falle, auch wenn man es nicht sagt, schale, dürftige Köpfe«.103 Auch für B. Bauer ist die Polemik gegen die »wissenschaftliche Persönlichkeit« gerechtfertigt, denn in der Person hat es der Polemiker »zugleich mit einer Form des allgemeinen Bewußtseins zu tun«. Und weitergehend: »Rein persönlich müßte der Kritiker in dem Falle werden, wenn die wissenschaftliche Persönlichkeit, die er charakterisiert, durch eigene Schuld, weil sie nur eine Meinung repräsentiert, keine allgemeinere Bedeutung hat und nur Gegenstand der Kritik werden kann, um in ihrer Bedeutungslosigkeit dargestellt zu werden.«104 Festzuhalten ist, daß im Bereich des Hegelianismus die Polemik nicht als eine bloße Randerscheinung philosophischer Arbeit gilt, vielmehr erfährt sie eine bedeutende Aufwertung: Die Polemik stellt als Kritik gleichsam die Seite philosophischer Arbeit dar, bei der es um den Kampf um die Anerkennung der Resultate der Philosophie geht. Diese Anerkennung kann die Philosophie fordern, weil sie nicht jenseits der Polemik steht, sondern weil, wie Schaller formuliert: »jedes philosophische System nicht nur nach außen, sondern in sich selbst polemisch (ist), indem es nicht nur ein abstraktes Resultat, eine einfache Versicherung aufstellt, sondern ein konkretes, sich selbst beweisendes Ganzes ist.«105 Die Polemik ist in dieser Zuspitzung eine Bewegung, die das gesamte Feld der konkurrierenden Philosophien durchzieht. Sie macht weder halt an der Grenze einer Person, noch an der Grenze einer Lehre. b) Selbstdefinition der Schule So sehr auch die Existenz philosophischer Schulen eine geschichtliche und soziale Tatsache ist, nicht selbstverständlich ist, daß Philosophien zur Schulbildung ein
112
positiv begründetes Verhältnis entwickeln. Wo die Hegelianer dies tun, haben sie sich zunächst damit auseinanderzusetzen, die Schulbildung vom Geruch einer bornierten akademischen Cliquenwirtschaft zu befreien. Die landläufige Karikatur einer Schule skizziert Schaller: »Zu einer Schule gehört einmal, daß die Schüler nicht Anhänger des Systems sind, sondern Anhänger des Lehrers, daß sie also seine Worte auf Treu und Glauben annehmen und darauf schwören, daß sie lernen nicht etwa das System verstehen, sondern in den Formeln desselben sich bewegen und diese bestmöglich streng und ohne Abweichung nachschwatzen. Ferner gehört dazu, daß der Lehrer nicht bloß diese Stockblindheit duldet und erträgt, sondern er muß selbst stockblind sein, und in süßer Eitelkeit von seiner Infallibilität überzeugt, keinen Zweifel und Widerspruch dulden, sondern auf diese Ketzereien ein für alle Mal einen Bann legen. Drittens ist aber nötig, daß der Meister öffentlich Lob gegen die Schüler ausspricht, und die Schüler wieder den Meister mit begeisterter Salbung loben, und unter sich selbst, sich an den Schlagwörtern kennen, sich jubelnd empfangen und die Hände reichen und zur Teilnahme an der geoffenbarten Weisheit Glück wünschen. Endlich aber haben Meister und Schüler zusammenzutreten und allen anders Denkenden einen Kampf auf Leben und Tod anzukündigen. Jeder, der nicht die Schuluniform trägt, ist ein Feind und der Kampf ist nicht schwer, denn die Feinde sind - a priori - insgesamt blessiert, hinkend und krank.«106 In dieser Karikatur sind eine Reihe von Elementen versammelt, die wir schon aus Tiryakians moderner idealtypischer Schuldefinition kennen und die auch in Schopenhauers Kritik der »Philosophieprofessoren« eingegangen sind. 107 In Schallers Entkräftung der Karikatur sind für uns zwei Komplexe von besonderer Bedeutung, die einer Aufwertung des Phänomens philosophischer Schulbildung in der Regel im Wege liegen und die reflektiert werden müssen, wenn eine befriedigende Selbstdefinition der Schule vorgeschlagen werden soll. Es ist dies das Problem der Uniformität und das der Hierarchie, die, wo sie auftreten, die Produktion von Wahrheit behindern oder verknappen könnten. Schaller verteidigt die Notwendigkeit der Schule, indem er sich zunächst dagegen wendet, das Streben nach einer »Einheit in der Sache für leere gedankenlose Nachbetung« zu halten.108 Die kollektive Orientierung hat einen klaren Vorrang vor dem Streben nach Originalität. »Die Forderung der Originalität macht die Philosophie zur subjektiven Meinung des einzelnen Individuums. Indem jeder lernt, um nur fortzuwerfen, treibt jeder für sich ein besonderes Geschäft; die Wahrheit als der allgemeine Inhalt jedes Bewußtseins ist dann ein ganz leeres Wort, und nicht nur das Fleisch, sondern der Geist selbst ist durch und durch Egoist und die Zersplitterung in lauter inhaltslose Punkte sein Wesen und seine Bestimmung.«109 Ebenso weist Ruge den Vorwurf zurück, die HJ hätten keine »philosophische Berühmtheit gemacht, sondern alles nur der Schule, der Innung zu Gute kommen lassen<«, es sei dies gerade »das größte Lob«: keine Berühmtheiten zu machen, sondern nur »das freie philosophische Prinzip, die Methode und den Begriff der historischen und logischen Dialektik« vorauszusetzen, Dinge, die für Ruge den Begriff Schule ausmachen.110 Die Kollektivität der Schule ist jedoch erst dann adäquat begründet und vom Geruch der Uniformität befreit, wenn sie in eine notwendige Verbindung mit der Tätigkeit des Philosophierens selbst gebracht werden kann. So schreibt Schaller:
113
»Wäre die Philosophie, wie sie zunächst ein einsames Geschäft des einzelnen Individuums ist, weiter nichts als die Meinung eines einzelnen, so könnte man allerdings fordern, daß jeder Philosoph eine solche Meinung für sich haben solle; daran könnte sich aber zugleich die andere Forderung anschließen, daß er diese Meinung für sich behalten und die anderen, die auch eine solche hätten, oder sie bald erwerben könnten, nicht weiter damit inkommodieren möchte.«111 In der philosophischen Tätigkeit liegt aber eine Orientierung auf eine Kommunikationsgemeinschaft, die nicht mit der »Trivialität« zu beruhigen ist, »daß in allen philosophischen Systemen doch etwas Wahres sei.« 112 Philosophischer Fortschritt bedarf der Definition. Dies >tut< in der Hegelschen Philosophie bekanntlich der Weltgeist, und »nicht Jeden kann das Glück treffen, der vom Weltgeist Auserwählte zu sein, die philosophische Erkenntnis in wesentlichen Punkten weiterzuführen, und einen neuen höheren Standpunkt des Wissens zu erreichen.«113 Bei dem »Glück«, einen wissenschaftlichen Fortschritt zu tun, handelt es sich um ein kontingentes Ereignis. Aber es ist notwendig, auf dieses kontingente »Glück« zu vertrauen. Ohne das Bewußtsein, einen wissenschaftlichen Fortschritt errungen zu haben, entfiele der Grund für die Aufstellung von Thesen, das Schreiben philosophischer Bücher usw. »Wenn nun ein Philosoph mit dem Bewußtsein auftritt, einen Fortschritt errungen zu haben, so knüpft sich notwendig an dieses Bedürfnis sogleich die Forderung, daß sich andere ihm anschließen, und zwar nicht an ihn als das einzelne Individuum, sondern vielmehr an die Sache (. . .). Und zwar ist die Sache ein ganz bestimmter Inhalt, und das Anschließen an dieselbe hat nicht die leere Bedeutung, daß andere nur mitphilosophieren, zur Erkenntnis der Wahrheit auch das Ihrige beitragen; ebensowenig wie einem Philosophen einfallen kann, durch sein System weiter nichts als anregen zu wollen, sondern er gibt vielmehr ein positives Resultat - dies behauptet er als die Wahrheit, und nicht bloß, daß es mit der Philosophie im allgemeinen eine schöne Sache ist.«114 Die »schöne Sache« der Philosophie im allgemeinen, das »Anregen« und »Mitphilosophieren« bezieht sich indifferent auf alle im Konkurrenzraum der Philosophie Versammelten. Schule dagegen ist ein Medium zur Verstärkung der Konkurrenz, indem von dem vorgetragenen Paradigma eine Aufforderung ausgeht, sich entweder als Konkurrent zu verhalten oder sich das Paradigma anzueignen. Von daher ist es für Schaller ein unproduktives philosophisches Verhalten, wenn Philosophen, wie der Pseudohegelianer Fichte, bei der Ankündigung seines Systems erklären, »daß es ihm nicht einfalle, dadurch auch eine neue Schule stiften zu wollen, sondern daß er sich diese Art Anhang geradezu verbitte.« Im Widerspruch stünde dazu, daß »jede philosophische Darstellung zugleich den Zweck habe, den Leser zum Verständnis zu zwingen, und ihn für jetzt wenigstens zu seinem Anhänger zu machen.«115 Die Schulbildung uniformiert die Positionen nicht, sie formiert die Positionen, die sonst uniform, d. h. bloß vereinzelt indifferent und streitlos nebeneinander bestünden. Daher sei »die philosophische Schule als ein notwendiges Moment in der Entwicklung der Philosophie anzuerkennen.«116 Die Karikatur der Hierarchie zwischen einem Lehrer und nachplappernden Schülern entkräftet Schaller, indem er zunächst gegenüber einem aschulischen, »geistreichen« Philosophieren darauf insistiert, daß die Philosophie wie die anderen Wissenschaften auch gelernt werden müsse.117 Auf schulisches Lernen sei nicht
114
zu verzichten. Erst von diesem Ausgangspunkt aus entfaltet sich die Spannung zwischen der Forderung selbständigen Denkens und der Notwendigkeit des Lernens. Die Schule ist eine Institutionalisierung dieser Spannung. Die Lehrer-SchülerHierarchie soll entsprechend der oben skizzierten Idee des christlichen Lehrers sukzessiv aufgehoben werden. Wie ist aber eine Schuldefinition aufrecht zu erhalten, wenn die Emanzipation vom Lehrer mit zum Schulprogramm zählt? Für Michelet ist im Bezug auf die Arbeiten der Schüler selbstverständlich: »Ohne Abweichungen von Hegeischen Sätzen wird es dabei nicht abgehen können, ja in manchen Punkten ist ein Teil der Schule über dergleichen schon einig; und sie werden sich immer noch häufen.«118 Die Einheit der Schule sieht Michelet im Festhalten an der »absoluten Methode« gesichert. »Solche fortschreitende Entwicklung der Philosophie ist aber keine Aufstellung eines neuen Prinzips; der Hegeische Standpunkt, da er alles preisgibt außer der Methode, enthält vielmehr in sich die Möglichkeit weiterer Ausbildung nicht bloß als Geduldetes, sondern scheint sogar dazu aufzufordern. Und die Änderungen im einzelnen, weit entfernt, den ganzen Standpunkt zu gefährden, werden nur dazu dienen, ihn immer mehr zu bestätigen; denn die Quelle, aus der sie hervorgehen, die Methode, ist unversiegbar und in ewiger Jugendfrische stets dieselbige.«119 Löst Michelet das Problem des Schülerfortschritts gegenüber dem Lehrer durch die, nebenbei bemerkt, wenig hegelianische Trennung von Methode und Anwendung (Hegel: »die Methode ist nichts anderes als der Bau des Ganzen in seiner reinen Wesenheit aufgestellt«120), so kommt Schaller zu der Auffassung: »Indem aber die Philosophie ihrem ganzen Wesen nach produktiv ist, so treibt die durch die Zucht des Lernens und durch die Besitznahme der Sache errungene Selbständigkeit notwendig über die Reproduktion des Gegebenen hinaus. Man kann so allerdings sagen, daß jeder wahre Schüler darauf bedacht sei, über das System seines Meisters hinauszugehen; allein dies ist kein äußerlicher Vorsatz, der ohne weiteres mit dem Fortwerfen der Lehre der Schule beginnen könnte, sondern fällt mit dem freien Besitz der Sache zusammen.«121 Dieses »notwendige Hinaustreiben« ist ein konfliktreicher Prozeß, bei dem die Konfigurationen der Schule im Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung innerschulisch sich wiederholen. Wenn ein Lehrer die Auffassung seines Schülers mißbilligt, so liegt darin »zunächst weiter nichts, als daß die Systeme beider wirklich verschieden voneinander sind; der Prozeß der Scheidung liegt jedem vor Augen«.122 Wollte man »dem Richterspruche des Meisters eine unbedingte Autorität zugestehen, sicherlich wäre die Entwicklung der Philosophie mit einem Male gehemmt.«123 Die Voraussetzung für eine Anerkennung der Abweichung der Schüler als progressive ist lediglich »die vollständige Besitznahme des schon errungenen Resultats«.124 Aber jeder freie Besitz der Sache ist schon ein Darüber-hinausgehen. So, wie die Philosophie der Versöhnung die konkurrierenden Philosophien in sich aufnimmt und >aufhebt<, so hat der Schüler, der sich das System seines Lehrers angeeignet hat, zugleich dieses System für sich >aufgehoben<. Zur Schule selbst gehört daher konstitutiv der Fall, »daß es gerade die eifrigsten Schüler und Anhänger der Lehrer und Meister sind, welche die Erkenntnis zu einem höheren Standpunkt fortführen, und somit als Gegner ihres Lehrers auftreten.«125 Die Konflikttoleranz ist in der Hegelschule enorm ausgeweitet. Die Argumenta-
115
tionsfiguren laufen darauf hinaus, in einer äußersten dialektischen Anspannung das, was als Zerfall der Schule gelten könnte, zum Integrationspunkt umzubiegen. So sehr die Schule gefeiert wird als unverzichtbares Moment philosophischen Fortschritts, dem Paradigma der »absoluten Philosophie« nach, auf das auch die Schule sich bezieht, ist >Schule<: »eine Beschränktheit, welche sie selbst als zugleich aufgelöst weiß und beständig auflöst.«126 c) Aufgaben der Schule Das Problem, die Aufgaben der Schule zu definieren, stellt sich für die Hegelianer radikal mit dem Tod des Lehrers. »Dies so plötzliche Ereignis ist allerdings ein Moment der Scheidung und der Krise für die Schule gewesen«, schreibt Michelet.127 Zu Hegels Lebzeiten war die Aufgabenstellung durch die Anwesenheit des Lehrers gesichert: »In kompakter Masse um den Meister gedrängt, verfocht sie (die Schule, d. V.) die Absolutheit des Erkennens«.128 Das Problem der Aufgaben nach Hegels Tod ist für die Hegelianer deshalb so gravierend, weil es ja der Anspruch Hegels war, das Ende und den versöhnenden Abschluß des philosophischen Streits darzustellen. Der Logik dieses Anspruchs folgend, war die erste Aufgabe der Schule, sich um die Edition der Schriften des Lehrers zu kümmern, ein Projekt, das 1832 beginnt und 1845 abgeschlossen ist. Was aber soll ein Fortschritt über Hegel hinaus sein? Sicher blieb der Schule die Aufgabe, den Prozeß einer Anerkennung Hegels mit den Mitteln der Polemik und der Kritik weiterzufördern, und diese Aufgabe wird auch immer wieder hervorgehoben. Es handelt sich hierbei gewissermaßen um eine Art Daueraufgabe, es können nämlich »immer noch, nach Aufstellung desselben (des wahren Systems, d. V.), Philosophien mit einseitigen Prinzipien auftauchen, die aber nur ein Stehenbleiben auf irgend einer untergeordneten Stufe in ihm sind.«129 Dennoch bleibt die Frage, wie ein Fortschritt über Hegel hinaus aussehen könnte. Es wäre verwunderlich, wenn Dialektiker aus dieser Verlegenheit keinen Ausweg fänden. Michelet, einer der ergiebigsten Chronisten der Schule, glaubt, daß ein Hinausgehen über das »absolute System« Hegels nicht möglich sei, aber daraus folge »doch noch keineswegs, daß darum alles wahrhafte Leben aus der Geschichte der Philosophie verschwunden, oder ein Kampf um Prinzipien nicht mehr ausgefochten werden könne. Nicht also aufgehört hat die Geschichte der Philosophie mit Hegel; sie hat nur eine andere Gestalt angenommen«.130 Michelet denkt an einen qualitativen Sprung. Die »andere Gestalt« setzt gleichsam voraus, daß die »negative Aufgabe« der Schule, die Polemik, den Erfolg zeitigt, »daß allmählich der Prinzipienstreit auf dem Boden der Wissenschaft verschwinde«, um Raum zu schaffen für »die positive Entwicklung der Wissenschaft (. . .), indem sie nicht mehr in neue Prinzipien auseinanderzufallen braucht.«131 Zur Aufgabe wird auf dieser Stufe eine die Philosophie überschreitende »Ausbildung des Systems der Wissenschaft«.132 »Weit entfernt, daß es mit der Philosophie zu Ende geht, fängt sie, können wir sagen, erst jetzt recht an.«133 Und: »Die Aufgabe der Hegelschen Schüler ist daher vorzugsweise, daß jeder in seiner Wissenschaft die Bahn, die Hegel in allen gebrochen, weiter verfolge und den spekulativen Gedanken immer tiefer in die Wirklichkeit versenke, oder vielmehr aus ihrem Schachte zu Tage fördere.«134
116
Die Aufgabenformulierung ist doppeldeutig. Sie kann so aufgefaßt werden, daß die Hegeischen Prinzipien in den verschiedenen universitären Disziplinen zur Anwendung gelangen sollen, es handelte sich dabei um eine Überschreitung der Disziplin der Philosophie in die anderen Wissensbereiche. Und Michelet selbst tendiert sicherlich in diese Richtung. Aber die Forderung, den spekulativen Gedanken immer tiefer in die Wirklichkeit zu versenken, kann auch interpretiert werden als eine Überschreitung des gesamten universitären Bereichs hin zu einer Ausbreitung Hegelscher Prinzipien in andere Sektoren der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Bei Bayrhoffer wird diese Interpretation der Aufgaben der Hegeischen Schule deutlicher. Es geht ihm um »ein konkretes Durcharbeiten der in Hegel gegebenen Grundlage der absoluten Idee durch alle Wirklichkeit der Natur wie des Geistes, ein Sichselbstbestimmen und Konkreszieren der Idee bis zu den Einzelmomenten des Begriffs und seiner Verwirklichung. Dadurch wird die Philosophie, der Gedanke vollends die Macht des Lebens und damit der Drang der Zeit befriedigt.«135 Der Jungehegelianer Bayrhoffer stellt der spezialwissenschaftlichen Aufgabenstellung: »Einzelmomente des Begriffs« das Desiderat der Verwirklichung der Philosophie zur Seite. Die Doppeldeutigkeit der »Durchführung«: Durchführung der Philosophie im Ensemble universitärer Disziplinen oder Durchführung der Philosophie im gesellschaftlichen Leben, deutet eine Bruchstelle in der Aufgabenstellung der Schule an, die Althegelianer und Junghegelianer trennen wird. Aber für die Schule im Bündnis mit dem modernen Staat ist diese Doppeldeutigkeit kein Problem, denn sie kann sich in die reformpolitische Aufgabenstellung der beamteten Intelligenz ohne Irritationen einschmiegen. Die »gedankenvolle Bearbeitung des Stoffes«, die E. Gans in seinem Hegel-Nekrolog zur Aufgabe der Schule erklärt hatte,136 entspricht den Tätigkeitsmerkmalen der beamteten Intelligenz, die die >Macht des Geistes< im Staatsleben durchführt.
5. Erwartungen Will man den Erwartungshorizont der philosophischen Schule präziser fassen, so ist zunächst an die beruflichen Erwartungen zu denken. Die Junghegelianer erwarten für sich Karrieren als Teile der beamteten Intelligenz: Koppen, Rutenberg, Stirner, Witt haben Lehrerexamen abgelegt; Bayrhoffer, B. Bauer, Feuerbach, Gottschall, Marx, Nauwerck, Prutz, Rüge erwarten für sich eine Karriere als Universitätsprofessoren. Für eine ganze Reihe von Junghegelianern handelt es sich bei dieser beruflichen Orientierung zudem um die Erwartung eines sozialen Aufstiegs durch Bildung. Rückenwind erhält diese Erwartung durch die Erfahrung des rapiden Ausbaus des preußischen Unterrichtssystems vor allem in den 20er und 30er Jahren. Von 1816bis 1846 steigt die Zahl der Volksschüler um 108 %. 137 Die Berliner Universität zählt im Sommer 1820 910 Studenten, im Winter 1833/34 sind es 2001. Seit dieser Zeit geht zwar die Gesamtzahl kontinuierlich zurück, aber die Entwicklungen sind in einzelnen Fächern unterschiedlich. Während die Zahl der Theologen bis
117
1830/31 dramatisch steigt (641), um dann kontinuierlich abzufallen (1835: 509/ 1840: 396/1845: 267), ist die Zahl der Philosophen durch ein stetiges Wachstum gekennzeichnet. (1830: 241/1835: 291/1840: 360/1845: 425)138 Mit ihrer beruflichen Orientierung auf die Beamtenkarriere sind die Junghegelianer Teil einer umfassenden Entwicklung, die auch von den Zeitgenossen bemerkt und zum Teil skeptisch betrachtet wurde. So schreibt Wessenberg 1833: »Nicht ohne Grund hat man, besonders in den neuesten Zeiten, über zu großen Zudrang von minderfähigen Jünglingen an den Universitäten geklagt. Die Hauptursache dieses Zudrangs liegt nicht in dem Reize der Wissenschaft, sondern in dem Reize des bequemeren, behaglicheren Lebens, in einer mit Staatsbesoldung verbundenen Anstellung. Dieser Reiz wurde durch die ausnehmende Vervielfältigung der Werkzeuge der Staatsregierung sehr vermehrt. Jeder möchte nun lieber an der reich besetzten Tafel der Bürokratie mitgenießen«.139 In liberalen Kreisen wird diese Entwicklung sorgsam registriert. Der Altonaer >Freihafen< bemerkt 1840, daß die große Zahl der Studenten unmöglich in den Staatsdienst aufgenommen werden könne. »Auf der einen Seite wird der Drang der Jugend nach Bildung immer größer und auf der andern nehmen die Mittel zu einer ehrenvollen Stellung für gebildete Stände im Staate immer mehr ab. Um diesen künstlichen Zustand so wenig gefährlich als möglich zu machen, bleibt nichts anderes übrig, als nicht nur alle Nahrungsquellen der Gewerbe und der Industrie ohne irgendeine Ängstlichkeit freizugeben, sondern auch den Industriellen einen ebenso hohen Rang, als den Staatsbeamten und dem Adel einzuräumen.«140 Für die Mehrheit der Junghegelianer liegen diese Überlegungen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Für sie ist entscheidend, daß das Bündnis von Schule und modernem Staat erhalten bleibt. Die große Erwartung richtet sich auf das Jahr 1840. Es handelt sich für die Gruppe um ein symbolisches Jahr in mehrfacher Hinsicht. Es hat seine Bedeutung schon im Voraus durch eine zahlenmystische Erwartung, es gewinnt eine zusätzliche Bedeutung durch die Ereignisse, die in dieses Jahr fallen, und schließlich werden die Erwartungen des Jahres 1840 in die Gruppengeschichte so inseriert, daß sie die Qualität eines Mythos erhalten. Auf das Jahr 1840 wird als ein bedeutendes Jahr gewartet. Die 400-Jahrfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst, die als Beginn der modernen Zeit gilt, spielt dabei eine geringere Rolle als die wachgehaltene Erinnerung daran, daß mit der Jahreszahl 40 entscheidende Wendepunkte der preußischen Geschichte verbunden sind. 1440 das Todesjahr des ersten Kurfürsten von Brandenburg, 1540 die Reformation in Preußen durch Joachim II., 1640 der Regierungsantritt des großen Kurfürsten, und 1740 die Thronbesteigung Friedrich des Großen.141 Drei Jahre später, 1843, wird K. R. Jachmann die zahlenmystische Fixierung auf das Jahr 1840 in Zweifel ziehen und fragen: »Aber was weiß der Weltgeist, vor dem die Weltgeschichte von Anfang bis zu Ende oder besser von Ewigkeit zu Ewigkeit wie ein Gemälde aufgerollt daliegt, von den Jahreszahlen, von den Zeichen und Abschnitten, die wir erfunden haben, um unserem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen?«142 Die Junghegelianer dagegen beginnen schon 1838, sich auf die Wiederkehr der Zahl 40 vorzubereiten.143 Im Zentrum steht dabei das Jubiläum der Thronbesteigung Friedrichs II.
118
In einer dem Freunde Karl Marx aus Trier gewidmeten »Jubelschrift«: »Friedrich der Große und seine Widersacher« feiert K. F. Köppen den Philosophenkönig als den »freiesten Diener des Weltgeistes, der je gelebt und geherrscht hat«. 144 Ein Diktum Hegels abwandelnd, heißt es von Friedrich II: »Seine Zeit, seine Stellung in derselben, seine weltgeschichtliche Aufgabe, das Wesen und der Zweck seines Staates, des Staates überhaupt, des Gesetzes, der Verwaltung und Verfassung, der Religion und Kirche usw. hat er im Gedanken erfaßt und diesem Gedanken nach regiert.«145
Wiederkehrender Bezugspunkt der Schrift ist die Staatsauffassung des Königs: »Was ist der Zweck des Staates? Das öffentliche Wohl. Was ist der Fürst? Der erste Diener des Staats; diese beiden Sätze, die an der Spitze von Friedrichs philosophischer Staatstheorie stehen, sind auch die Basis seines königlichen Tuns.«146 Der Absolutismus Friedrichs wird von Koppen entschieden verteidigt. Für ihn ist Friedrich kein Despot. »Er hatte sein Ich rein und ganz hingegeben, damit es eben die Ichheit des Staats sei. Und so konnte er denn wie Ludwig der XIV, obwohl im entgegengesetzten Sinn sagen: l'etat c'est moi. Sein Ich war der Staat, aber nicht sein empirisches (car tel est notre plaisir), sondern sein transzendentes, in den Staatszweck aufgegangenes und mit diesem identisch gewordenes Ich.«147 Das Ideal des rationalen Verwaltungsstaats hat bei Koppen Vorrang vor der Frage der Repräsentativverfassung. Die Garantien liegen in der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und in der Rechtspflege. Die Offenheit gegenüber Beschwerden, die Friedrich seinen Beamten als Pflichterfüllung abverlangt, wird besonders hervorgehoben: Friedrich habe geduldet, »daß Winkeladvokaten, Aufhetzer und Rabulisten ihn bis zur Ungebühr mit Klagen und anderen Vorstellungen heimsuchten. >Die Leute<, sagte er, >haben zwar sehr oft Unrecht, aber ich muß sie doch anhören, denn dazu bin ich da.<«14S Die Junghegelianer des Jahres 1840 stehen in Preußen an der Spitze der Friedrichverehrung. In diesem König symbolisiert sich für sie der >Geist< als eine souveräne >Macht<. Die Widersacher Friedrichs II. sind »die Feinde der Vernunft und des Menschengeschlechts überhaupt«. Es sind Feinde, die »sein Wesen, sein Prinzip hassen und bekämpfen, die ihm von Anfang an gegenüberstanden, die ihm noch gegenüberstehen und gegenüberstehen werden bis zur Götterdämmerung.« 149 Das Pathos der Köppenschen Schrift wird noch überboten durch Ruges Rezension in den HJ. Ruge will »die Begeisterung nicht unterdrücken, zu der uns Köppens herrliche Jubelschrift aufgeregt. Allerdings, hier ist Stoff zu jubeln, hier ist aber auch Kraft niederzuwerfen und in die Hölle zu stürzen, wo sie hingehören, die Schänder seines Ruhms und die Feinde unserer Zukunft; und beides ist geschehen mit erschütternder Beredsamkeit, mit freiem Geist und mit tiefster Kenntnis der Aufklärer sowohl, als des feindlichen Lagers der Romantik. Das Buch ist ein frisches Produkt des neuen, des befreiten Geistes der ecclesia militans, wie sie diese Blätter mit vollem Bewußtsein und mit unabwendbarer Entschlossenheit auf sich genommen haben. Wer sich fühlt als freier Mann, als Protestant, als Philosoph, - und das wäre wahrlich das rechte Gefühl eines jeden, der Anteil hat an den Ehren Friedrich II. und seines Staates, -jeder gebildete Preuße sollte diese Jubelschrift, wie einen teuren Schatz, wie ein heiliges Buch, welches die Fundamente seiner Freiheit, die Grundlage seiner Nationalehre, den Kern seines religiösen und politischen Bewußtseins enthält, nicht lesen, nein studieren und liebgewinnen, aufbewahren, und in ihm ein teures Familiengut auf Kind und Kindeskinder vererben.«150
119
Überschwengliche Erwartungen haben ihre eigene Dialektik. Wie magische Beschwörungen versuchen sie, die kontingente Geschichte zu verpflichten: Preußen muß die Grundsätze Friedrich II. weiterentwickeln, und dieses Muß versuchen die Junghegelianer mit allen Mitteln darzustellen. So endet Köppens Schrift mit dem Verweis auf den alten Volksglauben, »daß nach 100 Jahren die Leute wiedergeboren werden. Die Zeit ist erfüllet. Möge sein (Friedrich II., d. V.) wiedergeborener Geist über uns kommen und alle Widersacher, die den Eintritt ins Land der Verheißung uns wehren, mit Flammen im Schwerte vertilgen! Wir aber schwören, in diesem, seinem Geiste zu leben und zu sterben!«151 Die Dialektik überschwenglicher Erwartungen erfordert normalerweise ihre Enttäuschung. Aber die Zahlenmystik des Jahres 40 wird nicht enttäuscht, und die plötzlich eintretende Bestätigung der überschwenglichen Erwartung führt zu einer sich steigernden gegenseitigen Konnotation von Erwartung und Ereignis. Im Mai 1840 stirbt der Minister Altenstein, und im Juni stirbt Friedrich Wilhelm II. Und daß der Tod des Königs während des Pfingstfestes eintritt, steigert die zahlenmystische Erwartung noch einmal für alle, die sich in der chiliastischen Tradition auskennen. In der häretischen Pfingstdeutung steht dieses Fest für den Beginn des Gottesreiches auf Erden. Prutz schreibt rückblickend: »Und jetzt nun endlich mit dem zweiten Pfingsttage des Jahres vierzig war der Moment gekommen, diese Hoffnungen zu erfüllen, diese Erwartungen zu befriedigen. Des Jahres vierzig! Dieses geheimnisvollen, dieses weltgeschichtlichen Jahres, auf welches die Sehnsucht der Völker schon solange gelauert, das die Stimme der Weissagung schon zum Voraus bezeichnet hatte! Bedurfte es für den jungen Regenten noch eines glänzenderen Zeugnisses, als dieses rätselhaften, dieses überraschenden Zusammentreffens? Jetzt erst war die Verheißung eingetroffen, jetzt erst hatte die dämonische Macht des Jahres vierzig sich bewährt. Mit stolzer Freude zählte man die Reihe der Jahrhunderte zurück und überzeugte sich, daß jedesmal mit dem Jahre vierzig ein großer, glorwürdiger Name in die Reihe der preußischen Regenten eingetreten war; mit Entzücken erinnerte man sich, wie gerade hundert Jahre zuvor, beinahe an demselben Tage, Friedrich der Große den Thron seiner Väter bestiegen hatte. Ja es war kein Zweifel mehr: das tausendjährige Reich war gekommen, alle Hoffnungen, alle Träume sollten Wahrheit werden, eine neue, glänzende Zeit begann und ihr Held hieß Friedrich Wilhelm der Vierte! «132 Erwartung ist ein äußerst komplexes soziales Phänomen. Soziologisches Denken, das sich auf Zusammenhänge richtet, tut sich schwer damit, die eigentümliche Öffnung zu beschreiben, die gar mit einer erfüllt geglaubten Erwartung einhergeht. Angesichts der sich aufdrängenden voreiligen Geste, mit der auf die Enttäuschung, die Desillusionierung, die derart gesteigerten Momenten folgen wird, in der Regel verwiesen wird, ist es notwendig, sich den erfüllten Erwartungsraum genauer anzusehen. Die Erwartung des Jahres 1840 ist von Zeitgenossen immer wieder als eine Verwandlung der sozialen Situation beschrieben worden: »Frühling in jeder Brust, längst zu Grabe getragene Wünsche erwachen wieder, erstarrte Hoffnungen brechen wieder hervor. Die Menschen schauen sich wieder an, freier, frischer, das gebückte Haupt hebt sich wieder an, man sieht sich ins Auge, man fühlt sich. Alles, alles sieht anders aus. Es sind nicht mehr dieselben Menschen, die uns begegnen; man geht rascher, fröhlicher, der Morgenschein der Hoffnung liegt auf allen Antlitzen, strahlt auf
120
allen Blicken; es ist, als wenn jeden Augenblick unendlicher Jubel aus allgemeiner Brust hervorbrechen wollte.« Dies ist die Wirkung des Thronwechsels 1840, wie sie Flourencourt beschrieben hat, Formulierungen, die B. Bauer in seine >Geschichte der Parteikämpfe< aufgenommen hat.153 Der kollektiv >irrationale< Charakter dieser Verwandlung der sozialen Situation steht außer Frage, aber für die Zeitgenossen ist das Erlebthaben dieser Verwandlung ein gemeinsamer Bezugspunkt, der nicht so rasch vergessen wird. Die Verwandlung der sozialen Situation ist prägend durch die Entzauberung hindurch. Im strengen Sinne ist die erfüllt geglaubte Erwartung gar nicht zu enttäuschen, sofern ihr ein kollektives Erfahrungsbruchstück von auch nur kürzester Dauer zugrunde liegt. Was sich Pfingsten 1840 an Verwandlung der sozialen Situation für einen Moment ergeben hatte: »Alles, alles sieht anders aus«, bleibt ein Muster, das den Horizont bis zum Jahre 1848 bestimmt. 1843, zu einem Zeitpunkt, da beträchtliche desillusionierende Erfahrungen mit dem neuen König vorliegen, die auch ausgiebig reflektiert werden, ist das Muster dennoch präsent, wenn z. B. F. Wehl schreibt: »Friedrich Wilhelm der Dritte starb und Friedrich Wilhelm der Vierte folgte. Wie ein Wetterleuchten zuckte dies Leuchten empor. Die alte Zeit ging mit dem alten König zu Grabe und die neue Zeit hob den neuen König auf ihren Schild. Friedrich Wilhelm der Vierte mußte ein anderer sein, als sein Vater; es lag dieses weniger an seinem Willen, als an der Notwendigkeit der zeitlichen Zustände. Wie er ein anderer sein wird, wird uns die Zukunft lehren. Hoffen wollen wir das Beste, wir haben Grund dazu.«154 Den Moment der Verwandlung in ein Kontinuum zu transformieren, dieser Strategie folgen die Argumentationen der Junghegelianer, wenn sie, wie K. Riedel, auf den neuen König setzen. Die Erwartung verpflichtet den König, die Kette der erfüllten Weissagungen reißt nicht ab: »Was wir seit Friedrich Wilhelm des Vierten Thronbesteigung unter glückbedeutenden Zeichen kommen und erstehen sahen, weissagt uns, daß die Zeit, deren geistigen Inhalt wir andeuteten, auch vom Throne herab erstrebt und in Wirklichkeit gerufen werde, durch einen Willen, der nur im Trefflichsten seine Aufgabe gelöst sieht.155 Natürlich nährt sich das Muster von Anhaltspunkten, die im Verhalten des neuen Königs liegen. Seine Amnestie für politische Untersuchungshäftlinge, die Wiedereinsetzung Arndts, seine schwankende Haltung in der Frage der Einlösung des >Verfassungsversprechens< von 1815, schließlich seine Pressepolitik schienen die in ihn gesetzten Erwartungen immer auch zu einem Teil zu bestätigen. Selbst in den schärfsten junghegelianischen Kritiken Friedrich Wilhelms IV., wie z. B. in der von Marx 1843, reproduziert sich das Muster der Thronwechselerwartung: »Der alte König wollte nichts Extravagantes, er war ein Philister und machte keinen Anspruch auf Geist. Er wußte, daß der Dienerstaat und sein Besitz nur der prosaischen, ruhigen Existenz bedurfte. Der junge König war munterer und aufgeweckter, von der Allmacht des Monarchen, der nur durch sein Herz und seinen Verstand beschränkt ist, dachte er viel größer. Der alte verknöcherte Diener- und Sklavenstaat widerte ihn an. Er wollte ihn lebendig machen und ganz und gar mit seinen Wünschen, Gefühlen und Gedanken durchdringen; und er konnte das verlangen, er in seinem Staate, wenn es nur gelingen wollte.
121
Daher seine liberalen Reden und Herzensergießungen. Nicht das tote Gesetz, das volle lebendige Herz des Königs sollte alle seine Untertanen regieren. Er wollte alle Herzen und Geister für seine Herzenswünsche und langgenährten Pläne in Bewegung setzen. Eine Bewegung ist erfolgt; aber die übrigen Herzen schlugen nicht wie das seinige, und die Beherrschten konnten den Mund nicht auftun, ohne von der Aufhebung der alten Herrschaft zu reden.«156
Marx projiziert hier das Erwartungsmuster auf den König als von ihm ausgehende Erwartungen, eine Umstellung, die legitim ist, denn Erwartung ist kein Phänomen, das sich getrennt entfaltet, die Verwandlung der sozialen Situation betrifft alle. Erst die Desillusionierung trennt und kann Versagen einer Seite zuschlagen. So ist im schließlichen Resultat der König vom Volk enttäuscht und das Volk von ihm. Der Wechsel an der Spitze des preußischen Staates tangiert die Junghegelianer in dramatischer Weise, weil ihre Konstruktion: das Bündnis von Schule und modernem Staat auf dem Spiel steht. B. Bauer schreibt 1840: »die Wissenschaft wird mit unerschöpflicher Pietät das Andenken Friedrich Wilhelms III. feiern, der sie in ihrer ruhigen Entwicklung nicht stören ließ. Der Schutzgeist der Wissenschaft saß auf dem Thron und verhinderte es, daß das Zeichen zum Kampfe gegeben würde.«157 Der Kampf, den Bruno Bauer im Auge hat, ist der Kampf um die Stellung der Schule im preußischen Staat unter der Regierung Friedrich Wilhelms IV. Die Prozesse der Destabilisierung des Bündnismodells lassen sich nur oberflächlich auf einen Konflikt zwischen den progressivem Junghegelianern und dem reaktionärem Verhalten der neuen Regierung beziehen. Die DeStabilisierungen finden auf beiden Seiten statt, und in ihnen wirkt das Erwartungsmuster vielfach gebrochen weiter. Im Unterschied zu seinem Vorgänger betreibt der neue König eine aktive Universitätspolitik, was schon ganz unabhängig von den Zielen eine Destabilisierung bedeutet, weil die Bürokratie kaum in der Lage ist, die Flut der Initiativen zu verarbeiten. Selbst diejenigen, die dem König seit seiner Kronprinzenzeit nahestehen wie die konservativen Brüder v. Gerlach, sehen in den Initiativen »absolutistische Exzesse«.158 Sie wirken um so destabüisierender, als der König seine Absichten, Ziele, Erwartungen öffentlich proklamiert und sich somit über die Bürokratie hinweg als Dialogpartner gesellschaftlicher Ansprüche präsentiert. Vor diesem Hintergrund ist auch der oft zitierte Ausspruch zu sehen, der König wolle die »Drachensaat des Hegelschen Pantheismus« aus den Geistern der Jugend ausrotten.159 In der Art, in der der neue König die Altensteinsche Politik der Protektion der Hegelschule revidiert, destabilisiert er zugleich einen gesellschaftlichen Funktionszusammenhang. Denn Friedrich Wilhelm IV. ersetzt nicht die Hegelschule durch eine andere, vielmehr betreibt er eine Berufungspolitik, die zwar konsequent antihegelianisch, aber in ihren positiven Aspekten nicht mehr vom Konzept der Privilegierung einer Schule ausgeht, die sich in besonderer Weise auf die >beamtete Intelligenz< beruft. Die neuen Berufungen, die auf die Initiative des Königs zurückgehen: z. B. den Theoretiker des christlichen Staates< Julius Stahl, der den Stuhl des verstorbenen Hegelianers E. Gans einnimmt, die Brüder Grimm, deren Protest im hannoverschen Verfassungsstreit sie zu Symbolgestalten liberalen Professorenmutes hatte werden lassen, den gelehrten Poeten Friedrich Rücken, der neben dem vom König verehrten Malerprofessor Cornelius und Musikprofes-
122
sor Mendelssohn den künstlerischen Ruhm der Universität vergrößern sollte diese Berufungen folgen eher arbiträren Impulsen als einem überlegten Konzept. K. A. Varnhagen von Ense befürchtet angesichts der Vielzahl von Berufungen vergangener Berühmtheiten die Entstehung einer »verfluchten Rumpelkammer«.160 Die Erwartungen, die der König mit der spektakulären Berufung Schellings nach Berlin verbindet: mit diesem Philosophen jemanden zu gewinnen, der ein Gegengewicht gegen die Hegelschule darstellen könnte, werden ebenso enttäuscht wie die Erwartungen der Hegelianer, einem Kontrahenten gegenüberzustehen, mit dem gestritten werden kann. Es sind insbesondere die Junghegelianer, die sich intensiv auf die Ankunft Schellings in Berlin vorbereiten. Sie tun dies in dem Erwartungshorizont, daß mit dem von König protegierten Schelling gleichsam eine Alternative zum Bündnis der Hegelschule mit dem Staat aufgebaut werden soll. Im Juli 1841 eröffnete das >Athenäum< die Vorbereitungen mit einer Stellungnahme gegen einen Korrespondenten der >Augsburger Zeitung<, der davon schreibt: »Er höre, >die Hegelsche Schule (. .. ) über Rückschritte der Intelligenz in Preußen<, sowie darüber sich >ärgern und seufzen, daß sie, die bisher im Staat als die erste herrschende Richtung bevorzugt worden sei, jetzt andere nicht nur unter, sondern auch neben sich dulden solle.<«161 Diese Nachricht wird entschieden zurückgewiesen: »Leider hat jedoch dieser seufzende Ärger nirgends Realität als in dem frommen Wunsche des auf den Genuß der Schadenfreude vergeblich sich spitzenden edlen Berichterstatters. Die Hegelsche Schule ist niemals im preußischen Staate so bevorzugt worden, daß andere Richtungen neben ihr gar keine Berücksichtigung gefunden hätten. Die von unserem Gegner gehoffte Neuerung ist daher keine Neuerung. Ob anderes Philosophieren in der Republik der Wissenschaft mit der Hegeischen Philosophie zu gleicher Geltung kommen soll, das hängt nirgends vom Belieben der Regierung ab. Die Hegelsche Philosophie hat sich bisher gegen alle ihre Gegner durch ihre eigene alleinige Kraft als die herrschende behauptet«.162 Die Hegelianer würden auch unter den veränderten Bedingungen keineswegs »an Wirklichkeit des Vernünftigen zu verzweifeln anfangen«, vor Schellings Ankunft in Berlin habe »ausschließlich er selber und die Seinigen« sich zu fürchten.163 »Der Kampf mit einem so hochstehenden Gegner wird die Hegelschule zu noch lebendigerer Tätigkeit anspornen.«164 Das Kompromißangebot eines Anhängers Schellings, der in der >Augsburger Zeitung< den Vorschlag macht, Schellingianer und Junghegelianer sollten sich vereinigen und eine »dritte« Philosophie entwerfen, »welche dem preußischen Staat in der patriarchalischen Stellung, die er heute bekleidet, die politisch-kritische und ideale Kraft einzuflößen vermögen werde«165 - diese sollte von Ruge, jene vom neuen Schelling stammen -, dieses Kompromißangebot lehnen die Junghegelianer ab. Stattdessen publiziert K. Riedel eine Kampfschrift gegen Schelling, die von E. Meyen begeistert rezensiert wird.166 Als Zeichen der Schwäche werten es die Junghegelianer, daß Schelling häufig diejenigen, die sich ihm anschließen, desavouiere, und besonders kosten sie seine Desavouierung Stahls aus.167 Die junghegelianischen Vorbereitungen für einen Kampf der Schulen gehen jedoch ins Leere. Die mit Spannung erwartete erste Vorlesung Schellings im dicht besetzten Auditorium Maximum verläuft ebenso enttäuschend wie die folgenden. Schelling vermeidet eine direkte Auseinandersetzung mit Hegel und der Hegel-
123
schule, im Gegenteil, er zitiert sogar anerkennend den verstorbenen Gans. Im übrigen sei er gekommen, um zu versöhnen, Schwächen sollten nicht schadenfroh aufgedeckt werden, sondern womöglich vergessen gemacht werden.168 Schelling will, wie er anläßlich eines verspäteten mit ministerieller Unterstützung zustande gekommenen dürftigen Fackelzuges kundgab, eine Philosophie, die »nicht bloß innerhalb der vier Pfähle einer engen Schule oder in einem beschränkten Kreis von Schülern sich behauptet.«169 Es kommt in Berlin trotz aller Protektion, die Schelling genießt, nicht zum Kampf der Schulen. Die antihegelianische Koalition findet nicht nur keinen gemeinsamen Nenner, die ganze Figur einer >beamteten Intelligenz< im >auf Intelligenz sich gründenden Staat< zerfließt. Diejenigen, die an der Figur festhalten wollen, finden nicht nur keinen Bündnispartner in der Regierung, auch das Gegenbild einer anderen Schule erweist sich als Illusion. Schelling wird nicht als neuer >Staatsphilosoph<, sondern als >Hofphilosoph< gehandelt. Das Konzept einer philosophischen Schule, die mit anderen um eine adäquatere Wahrnehmung der mit dem Konkurrenzraum philosophischer Schulbildungen gegebenen Möglichkeiten konkurriert, indem sie die Progression der Intelligenz im Staate zum Maßstab erhebt, dieses Konzept fällt nicht einfach der Repression des Staates zum Opfer, sondern es implodiert, weil die Mitspieler gleichsam ausfallen. Mit anderen Worten: die Bindekraft des Modells, die darauf beruhte, daß die verschiedenen Interessen in eine Struktur eingelassen waren, die auf Herausforderungen abzielte und so immer mehr >verlangte<, als vorhanden war, schwand zugleich mit den Herausforderungen. Die arbiträre Selbstgenügsamkeit des Königs, Schellings Vermeidungsverhalten und die Irritationen der Verwaltung boten für eine philosophische Schule keine Herausforderungen, an denen sie ihre Kontur bewähren konnte.
6. Die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst »An dieser Täuschung, an der Hoffnung auf eine, vom Thron ausgehende politische Reform haben sie sich verblutet.« So urteilt der schwäbische Junghegelianer A. Schwegler über seine preußischen Mitstreiter.170 Die Metapher verweist auf einen wichtigen Aspekt: die Enttäuschung greift nur langsam in den Erwartungshorizont ein und erzwingt gegen große Widerstände eine Umorientierung. Ginge es allein nach den Karriereerwartungen, so hätte die Enttäuschung früher Platz greifen müssen. Ruge erfährt 1837, daß er nicht mit einer Professur rechnen könne. Sein Eintreten für das Bündnis von Schule und Staat erreicht erst danach seinen Höhepunkt. Feuerbach sucht 1836 zum letzten Mal um eine Professur nach, eine Erwartung, die scheitert, da ihm seine »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit« von 1830 noch immer >angerechnet< werden, obwohl er bereit ist, sich von dieser Schrift als »Jugendschrift« zu distanzieren.171 Noch 1842/43 ist ihm der Staat »der Inbegriff aller Realitäten - der Staat die Vorsehung des Menschen«. 172 Das berufliche Schicksal dieser beiden wäre für die anderen Anlaß genug gewesen, die Karriereorientierung zu überdenken. Aber Marx will noch 1841 Professor werden, Prutz' Gesuch um eine Professur wird in dieser Zeit abgelehnt, Bayrhoffer wartet
124
bis 1846 auf eine ordentliche Professur, Nauwerck bleibt Privatdozent, bis ihm 1844 die Lehrerlaubnis entzogen wird. Gottschall wiederholt die Rugeschen Erfahrungen fast 10 Jahre später. Das Karrieremuster der Junghegelianer hält sich trotz der Enttäuschungen relativ konstant durch. Widerstrebend wird es aufgegeben und die freie Schriftstellerexistenz gewählt, die für eine Reihe der Mitstreiter schon gegeben ist.173 Will man die kaum von der Hand zu weisende Tendenz, sich am Erwartungshorizont, der mit dem Jahre 1840 symbolisiert ist, festzuklammern, genauer untersuchen, so bietet es sich an, die Entlassung B. Bauers in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen.174 Der >Fall B. Bauer< kann exemplarisch gemacht werden, weil im Unterschied zum Scheitern der anderen junghegelianischen Karrieren die Gruppe selbst diesen Fall für sich exemplarisch gemacht hat. In der Entlassung B. Bauers spiegelt sich für sie die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst. Auf Initiative Altensteins war B. Bauer an die Universität Bonn übersiedelt, teils weil an der Theologischen Fakultät in Berlin kein Platz war, und teils, weil in die Bonner Fakultät der Hegelianismus noch keinen Einzug gehalten hatte. Darüber hinaus hatte sich B. Bauer in Berlin durch seine Streitschrift gegen Hengstenberg die Gunst der Fakultätsmehrheit verscherzt. Die Finanzierung der Bauerschen Tätigkeit in Bonn, die er nach langer Zeit ärmlichster Verhältnisse erhält, ging jedoch zu Lasten zweier älterer Bonner Privatdozenten - eine Querele, die Bauers Stellung in Bonn nicht gerade verstärkte. Über diesen Auseinandersetzungen starb Altenstein. Der neue Minister, der von der Bonner Universität sogleich ersucht wurde, die Finanzierungslösung für B. Bauer rückgängig zu machen, versuchte zunächst, einen Kompromiß durchzusetzen: Dieser sollte sich mit einer Gehaltskürzung nach Charlottenburg zurückziehen, um dort auf dem neutralen Gebiet der Kirchengeschichte zu forschen. Mit Hilfe der Fürsprache seines Lehrers Marheineke gelingt es B. Bauer jedoch, wieder nach Bonn zurückzukehren. Der Bruch mit dem Ministerium erfolgt, als B. Bauer statt wenig brisanter kirchengeschichtlicher Forschung dem Minister am 20. Juni 1841 den ersten Band seiner >Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker< mit der Bitte um einen theologischen Lehrstuhl übersendet.175 Hervorzuheben am Verlauf der Auseinandersetzung um die Entlassung B. Bauers sind zunächst Irritationen, die die Verhaltenskohärenz von Verwaltung und Ministerium betreffen. Für Entlassungen von mißliebigen Hochschullehrern hat es in Deutschland insbesondere während der Demagogenverfolgung eine Reihe von Präzedenzfällen gegeben (z. B. die Verfolgung De Wettes und die Gewaltsprüche gegen die Göttinger Sieben). Aber während damals Entlassungen relativ >problemlos< vollzogen wurden, eröffnet der Minister im Fall B. Bauers ein Verfahren, das den Liberalisierungserwartungen im Gefolge des Thronwechsels mehr zu entsprechen schien. Eichhorn legt zunächst den theologischen Fakultäten Preußens die Fragen vor: »1. welchen Standpunkt der Verfasser nach dieser seiner Schrift im Verhältnis zum Christentum einnimmt, und 2. ob ihm nach Bestimmung unserer Universitäten, besonders aber der theologischen Fakultäten auf denselben, die licentia docendi verstattet werden kann?«176
125
B. Bauers Haltungen dem Prozeß, der mit seiner Entlassung endet, ist schwer zu rekonstruieren. Zwei Interpretationsmuster, die beide wenig befriedigen, drängen sich auf: die Rede vom >pathologischen Bauer<, der extrem überreizbar sich launenhaft und verworren in eine ausweglose Lage hineinmanövriert, und die Rede vom >Opfer staatlicher Repression< in der B. Bauer als Held der freien Wissenschaft gefeiert wird. Der >pathologische Bauer< findet sich prägnant in dem Ministerialgutachten von J. Schulze.181 Er schreibt seinem Minister, nach mündlichen Unterredungen und nach der Lektüre der »Posaune« habe er von B. Bauer die Überzeugung gewonnen, »daß er sich in einer leidenschaftlichen krankhaften Aufregung befindet«, solange diese »fieberhafte Stimmung« andauere, »kann ich den B. Bauer nur als einen geistig Kranken betrachten, welcher um so gerechteren Anspruch auf meine Teilnahme hat, je größer die Gefahr ist, worin er mir zu schweben scheint und je bedeutender die Talente sind, welche ihm Gott verliehen hat.« Man kann dieses starke Urteil relativieren: der alte Protege der Schule will B. Bauer helfen, er rät dazu, B. Bauer »eine rettende Hand zu bieten«, ihn vielleicht an einer größeren Bibliothek anzustellen. Aber auch der Hegelianer Marheineke, der in seinem Separatvotum vorschlägt, B. Bauer aus der theologischen in die philosophische Fakultät überzuleiten, geht auf die Pathologie ein. Er spricht von der »schmerzlichen Erfahrung« B. Bauers, »sich stets und ohne Unterlaß zurückgesetzt zu sehen«, und erklärt sich so, »wie die Säure des Unmuts und die Bitterkeit, von der in seiner letzten Schrift (der erste Band der >Synoptiker<, d. V.) deutliche Spuren sind, sich in seiner Seele ansetzen muß.«182 Der pathologische Verdacht ist aber auch verbreitet in den Berliner junghegelianischen Kreisen. So schreibt Edgar an seinen Bruder Bruno Bauer: »Den Ernst deiner Sache einzusehen ist man hier noch weit entfernt. (. . .) Es sei eine >Verrückheit< von dir, so zu handeln, wie du handelst: was du denn nachher anzufangen dächtest; freilich das müßtest du am besten wissen.«183 Der >pathologische B. Bauer< ist zunächst zu dechiffrieren als der B. Bauer, der nicht verstanden wird, der also ein abweichendes Verhalten zeigt, dessen Sinn sich verrätselt. Die Paradoxie des B. Bauerschen Verhaltens läßt sich zugespitzt auf die Formel bringen: Es insistiert darauf, in der theologischen Fakultät als beamteter Lehrer zu wirken, und baut gleichzeitig eine Konfliktstrategie auf, die absehbar mit seiner Remotion enden muß. B. Bauer testet mit einem lebensgeschichtlichen Einsatz die »politische Frage unserer Zeit«, die Ruge darin sieht: »ob der Staat in einer bestimmten Verfassung die Bewegungen des Geistes, welche über diese Bestimmtheit hinausgehen, unterdrücken, oder ob er Formen erfinden solle, welche die unendliche Bewegung ausdrücklich zu seiner eigenen Angelegenheit machen.«184 B. Bauer testet diese Frage, d. h. er läßt der Geschichte nicht ihre Evidenz, sondern fordert sie heraus. Er weiß spätestens seit dem Tode Altensteins, daß er kaum eine Chance hat, Theologieprofessor zu werden, aber diese Evidenz macht er zu einem historischen Experiment, in dem die Grenzen zwischen >gespieltem< Verhalten und >ernsthaftem< Einsatz verschwimmen. Daher ist B. Bauer auch nicht einfach >Opfer der Repression< Als >Opfer< müßte er die Evidenz der Repression in dem Sinne anerkennen, daß er aufhört mitzuspielen, um den Gegensinn authen-
126
tisch zu entfalten. Aber in dieser Art will B. Bauer nicht >unschuldig< sein an dem, was ihm >passiert<, er will in seinem historischen Experiment mitwirken, d. h. eben nicht Opfer sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang B. Bauers Brief vom 6. Dezember 1841 an Ruge, der in dieser Zeit zu seinen wichtigsten Vertrauten gehört. B. Bauer fordert Ruge auf, in nichtpreußischen Zeitungen Denunziationen gegen ihn in Gang zu setzen, um den Konflikt zu forcieren: »Da die Regierung nichts gegen mich zu wagen scheint, so wäre es sehr gut, wenn Sie Mittel und Wege fänden, mich in der Leipziger Allgemeinen Zeitung und in der Augsburger öffentlich anzuklagen.« Und B. Bauer signalisiert Ruge auch schon den Tenor, den die Denunziation haben soll: »Sagen Sie es den hohen Herren, daß man es sehr bedenklich fände, daß einem so bösen Dämon Raum gegeben werde. Freiwillig werde ich mich nicht in die philosophische Fakultät begeben. Mein Lästergeist würde sich nur zufrieden geben, wenn man mich als Professor autorisierte, öffentlich das System des Atheismus zu predigen. Hoffentlich aber wird man für das Heil der Seelen mehr bedacht sein. Werde ich removiert, dann allerdings eventualiter bin ich dabei.«185 Festklammern am akademischen Raum und gleichzeitig Verstärkung der Konfliktstrategie, dieser Widersinn löst sich nur, wenn der Experimentcharakter des Verhaltens im Auge behalten wird. B. Bauer inszeniert gleichsam eine Art Gerichtsprozeß, in dem er seine wissenschaftlichen Kontrahenten ebenso wie die Regierung aktiv herausfordert. Über eine Unterredung mit Eichhorn, dem er seinen ersten Band der >Synoptiker< mit dem Gesuch um einen Lehrstuhl übersandt hatte, berichtet er Ruge: »Eichhorn ist außer sich gegen mich. Ich war bei ihm, weil ich seine gegenwärtigen Absichten kennenlernen wollte, d.h. bestätigt haben wollte. Es war eine starke Expektoration. Wir sind aber Sieger. Die Ruhe, Selbstgewißheit, alles ist unser, den anderen nur die Unsicherheit, Unklarheit und dumpfe Leidenschaftlichkeit. Es war köstlich.«186 Angesichts der Erfolgsaussichten seines Prozesses ist das »Wir sind aber Sieger« eine völlige Verkehrung der Kräfteverhältnisse. Aber B. Bauers historisches Experiment zielt auf anderes als auf die Evidenz von Gewaltverhältnissen. Im Monat vor seiner Entlassung schreibt er Ruge: Jetzt habe er die Theologische Fakultät »vor Gericht geladen und die Sachen zwischen ihr und mir, da ich diese Leute nicht anders zu Wort bringen kann, vor das Ministerium in dem Sinne gebracht, daß dieses entscheiden soll, ob die Fakultät ein haltbares Argument vorbringen kann, welches mich für den Staat totmachen müßte. Ich will sie so gut wie den Staat zur Sprache und zur Entscheidung bringen, ob die Kritik vom Staate ausgeschlossen werden soll. Natürlich hoffe ich von diesem Prozeß nichts, aber er muß auch einmal entschieden werden. Indessen wanke und weiche ich nicht, sie mögen machen, was sie wollen, - es ist mir gleich.«187 Getestet werden soll mit B. Bauers Experiment die Fähigkeit von Staat und Universität, wissenschaftliche Kritik in sich aufzunehmen, d. h. es steht die Bündniskonzeption der Junghegelianer auf dem Prüfstand. In der RhZ macht B. Bauer deutlich, daß es in seinem Prozeß nicht primär um »Gewissensfreiheit« geht. Sie sei »in der neueren Zeit so stark und sicher geworden, daß sie nicht erst noch garantiert zu werden braucht.«188 Wenn aber »das Gewissen und das Bestehende nicht mehr
127
schlechthin harmonieren«, so muß der Staat dafür sorgen, daß beide »nicht endlich zu weit auseinander treten.« Er tue dies durch die Garantie der »Druckfreiheit«. Aber auch um diese geht es B. Bauer nicht primär in seinem Prozeß. »Die Druckfreiheit läßt immer noch den Schein stehen, daß dieser einzelne Mensch, dieser Autor, dieser Schriftsteller, obwohl er eine allgemeine Idee präsentiert, nur als diese einzelne Person dastehe; dieser Schein kann bei aller Druckfreiheit geltend gemacht und diese Ansicht am Ende sehr nachteilig werden.« Die Druckfreiheit ist keineswegs ausreichend, um den Konflikt zwischen dem »Gewissen« und dem »Bestehenden« zu lösen. Denn trotz des Scheins, es handele sich um bloß einzelne Ideen, hätten zwar »alle tüchtigen Überzeugungen sich endlich Eingang, Anerkennung und Einfluß auf das Bestehende verschafft«, aber sie hätten dies in der Vergangenheit auf eine sehr unwürdige, inhumane Weise tun müssen. Bauer fragt: »Aber soll und darf der Mensch immer nur wie ein Tier durch die unorganischen, ungeordneten Massen hindurcharbeiten?« An Anspielung auf prominente Hegelsche Tiervergleiche schreibt B. Bauer, dies müsse zwar ein Hund, ein Wurm und ein Maulwurf tun, aber zu fragen sei: »Soll die Geschichte nur ein Gewühl sein? Sollen die Bewegungen der Geschichte nur dadurch herbeigeführt werden, daß die neuen Ideen sich wie ein Maulwurf durchwühlen und endlich die Rinde durchbrechen? Der Mensch ist mehr als ein Wurm. Sein Adel ist die Form. Und diese Form gibt ihm der Staat.« Auf dieser Ebene liegt für B. Bauer der Testpunkt seines Prozesses: »An dem Staat ist es, das Formlose, Gewühlartige, Unorganische und scheinbar Zufällige, was in den Bewegungen der Presse liegt, dadurch aufzuheben, daß er zur Druckfreiheit die Lehrfreiheit hinzufügt, d. h. für eine öffentliche, zum Staatsorganismus selbst gehörende Form, sorgt, in welcher sich die neuen Überzeugungen aussprechen können.«189 In der Schere, die sich zwischen der Öffentlichkeit und der beamteten Intelligenz auftut, steht B. Bauer bis zum Ende theoretisch auf der Seite der beamteten Intelligenz als einer der Wissenschaft angemessenen Form, die nicht in ein wildes Außen abgedrängt werden will. Zugleich tut er praktisch alles, um den Test für sich zu verlieren. Woher bezieht B. Bauer seine Energie für dieses Experiment? An zwei mögliche Quellen kann gedacht werden: er ist in dieser Zeit ein Symbol für die Junghegelianer, die sein Experiment mittragen, und er definiert den Prozeß zugleich als eine Selbstfindung. Für die Gruppe gewinnt B. Bauers Konzept der sich in den Staat verklammernden Kritik zunehmend an Bedeutung und wird zu einem intellektuellen Instrument, das auch über die Evangelienkritik hinausgehend Verwendung findet. Er selbst bleibt dagegen in eigentümlicher Weise sich selbst beschränkend bei der Durchführung seines Tests, so wie er es 1840 seinem Bruder annonciert. B. Bauer beglückwünscht ihn, daß er sein Theologiestudium abgebrochen hat, sagt aber über sich: »Ich stecke einmal darin und der Kampf hat sich zu tief in mich eingefressen, als daß ich mich davon abtrennen könnte. (Ich werde erst dann ein Ende machen können, wenn ich alle Wendungen durchgemacht habe.) Ich bin so fest mit der Theologie verwachsen, daß ich nur
128
mir tue, was ich in der Theologie tue, d. h. ich wasche mich vom Unrat rein, indem ich dieTheologie aufräume. Wenn ich fertig bin, werde ich rein sein.«190 Diese durchhaltende und ausharrende Selbstfindung ist gebunden an das Bündnismodell von Schule und modernem Staat, und zwar auch über den Moment hinaus, wo dieses Bündnis zweifelhaft wird. Im Februar 1840, noch vor dem Tode Altensteins, schreibt B. Bauer: »Der Staat muß an sich selber ein religiöses Interesse nehmen und die Fortentwicklung der Philosophie beschränken. Sie war bisher durch ihre Verbindung mit dem Staate consolidarisch verpflichtet, also auch eingeengt; sie hatte sich, da sie scheinbar freigelassen und ohnehin begünstigt war, d. h. an den Vorteilen der Regierung teilnahm, selbst ihre Grenze gesetzt. Indem sie aber gefesselt wird, wird sie über alle Fesseln und Grenzen hinausgetrieben. Der gefesselte Prometheus war als solcher freier als damals, da er noch frei umherging und die Menschen opfern lehrte. Der freie Pometheus war bekanntlich in seiner Opferlehre ein Sophist, aber im Schmerz seiner Fesseln war er über alle Mächte erhaben.«191 Das Bewußtsein der heraufziehenden Fesselung kann aber nur zu einer intellektuellen Kraft werden, wenn die Philosophie es ablehnt, sich als >Opfer< zu definieren. Das ist der Sinn der Anspielung auf den Prometheus-Mythos. So antizipiert B. Bauer 1840 seine Entlassung auch nicht als einseitig repressiven Akt, dessen Opfer er sein würde. Im Gegenteil: »Indem die Wissenschaft verstoßen wird, ist sie sich selbst überlassen. Man will sie nicht mehr, gut! so ist sie emanzipiert und ich bin auch frei, soweit ich der Verstoßenen diene. Ich habe mich noch nie so glücklich, so frei gefühlt.«192 Die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst ist ein mehrschichtiger Vorgang: Die Karrieremuster, die sich auf die beamtete Intelligenz beziehen, werden brüchig. »Sich als Hegelianer bekennen, ist so gut, als sich für ewige Zeiten das Fortkommen versperren«, konstatiert ein Anonymus in den DJ.193 Aber auch die beamtete Intelligenz hat ihr Intelligenzmonopol verloren, für Intellektuelle verliert diese Figur an Anziehungskraft. Und mit ihr gerät die Selbstdefinition als eine philosophische Schule ins Wanken. Jetzt kann Rüge schreiben: »Diese eigentlich ungeschulte und andere schulende Schule kann nicht produktiv sein, das liegt in ihrem Begriff.« Ihr »Vorteil, mit dem fertigen Reiche Gottes, zu dem die Staatsregierung, eben weil es fertig vorlag und sein Urheber (Hegel, d. V.) dafür Bürgschaft leistete, das beste Zutrauen hatte, sehr schnell zum Guten dieser Welt und in den Staatsdienst zu gelangen« - dieser Vorteil zählt nicht mehr.194 B. Bauers historisches Experiment bringt für die Junghegelianer an den Tag, daß die Universitäten »sich nicht mehr für die Herde der Wissenschaft hielten, auf welchen das reine Feuer der freien Kritik brennen, auf denen jede Richtung ein Asyl finden könne; da konnte auch Bruno Bauer gar nicht mehr daran denken, auf einer Universität lehren und seinen Platz ausfüllen zu wollen. Da war die freie weite Welt sein würdigster Platz, sein großartigster Katheder.«195 Der moderne Staat, der seine Intelligenz entlassen hat, regrediert E. Bauer zufolge zum »Polizeistaat«, und die »Wissenschaft, die er lehren läßt, wird keine echte sein, weil sie stets unter Aufsicht und gezwungen ist, eine offizielle zu sein«.196 Die »offizielle« Wissenschaft ist hier zum negativen Bezugspunkt geworden. Die
129
Gruppe muß sich umorientieren. Die entlassenen Philosophen bewegen sich gleichsam in einem definitorischen Vakuum, und sie feiern dies als eine Befreiung. Feuerbach, der zu denen gehört, dessen Karriere früh scheiterte, schreibt: »Es ist allerdings eine Tatsache, daß es bereits so weit gekommen ist bei uns, daß Philosophie und Professur der Philosophie absolute Widersprüche sind, daß es ein spezifisches Kennzeichen eines Philosophen ist, kein Professor der Philosophie zu sein, umgekehrt ein spezifisches Kennzeichen eines Professors der Philosophie, kein Philosoph zu sein. Aber der Philosophie gereicht diese humoristische Tatsache nur zum Vorteil.«197 Der philosophische Schulzusammenhang setzt sich nicht in der Aufhebung der Lehrer-Schüler-Hierarchie fort, vielmehr wird die Differenz bei Feuerbach am Konkurrenzraum philosophischer Schulbildung selbst festgemacht. »Ein wesendicher Unterschied endlich zwischen Hegel und meiner Wenigkeit besteht darin, daß Hegel Professor der Philosophie war, ich aber kein Professor, kein Doktor bin, Hegel also in einer akademischen Schranke und Qualität, ich aber als Mensch, als purer blanker Mensch lebe, denke und schreibe.« Die Philosophie ist so »nicht mehr zu einer bloßen Professoralangelegenheit, sondern zur Sache des Menschen, des ganzen, freien Menschen gemacht. Mit dem Austritt der Philosophie aus der Fakultät beginnt daher eine neue Periode der Philosophie.«198
Die Philosophie hat in den akademischen Schranken ihre Heimat verloren, und die entlassenen Philosophen definieren sich als pur-blanke Menschen, die weite Welt ist ihr Katheder. Die Rhetorik des Austritts und der Entlassung, sie bezieht sich nicht nur auf einen philosophiegeschichtlichen Sachverhalt, der auf das Problem von akademischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis verweist, sie reflektiert zugleich eine der zentralen lebensgeschichtlichen Erfahrungen der Junghegelianer. Es sind dies nicht nur Momente der je einzelnen Biographie, sondern die Philosophen sehen in der Entlassung eine Emanzipation im wörtlichen Sinne, ein Geschehen, das sie als Gruppe betrifft. Und sie bleiben eine Gruppe. Aber eine Gruppe pur-blanker Menschen in der weiten Welt ist dem Soziologen nur schwer vorstellbar. Die »neue Periode der Philosophie« bedarf neuer sozialer Definitionen für die, die die Philosophie aus der »offiziellen« Wissenschaft ihrem Verständnis nach herausgerettet haben. Diese neuen Definitionen sind zu einem gewissen Teil noch an die alte Sei Dstdefinition als philosophische Schule gebunden, und zwar in den Bereichen, die die erlernten Umgangsweisen mit Phänomenen der Fraktionierung und der Spaltung betreffen.
7. Positionenstreit und Schulspaltung Das Hegelsche Paradigma eint die Schule. Aber wer in der Schule interpretiert das Paradigma angemessen? Wer macht philosophische Fortschritte, wer nicht? Wessen Gedanken offenbaren so große Abweichungen, daß sein Bezug zum Paradigma bezweifelt werden darf? Was kann als Lösung eines Streits angesehen werden, und was ist ein Grund für die Aufkündigung des Konsenses, für die Spaltung? Es gehört zu den Charakteristika der Hegelschule, daß sie für den innerschulischen Positionstreit und noch für ihre Zerfallsprozesse positive Interpretationen
130
bereithält. So schreibt Michelet: Der »Kampf in der Schule selbst ist nichts Schlimmes, sondern das Zeichen ihres vollendeten Sieges, indem nun alles Interesse innerhalb ihrer fällt.«199 Weit entfernt davon, ein Indiz der Schwäche zu sein, bedeuten die Schulkämpfe, daß sich auf der mit der Hegelschule erreichten höheren Stufe der Entwicklung ein Lebensprozeß auf erweiterter Stufenleiter entfaltet. Die Hegelschule, als sich entwickelnde Totalität einer neuen Gestalt der Philosophie vorgestellt, kennt auch wieder Trennungen und Auseinandersetzungen, aber es handelt sich der Selbstdeutung zufolge nicht mehr um den alten Kampf der Philosophien untereinander, sondern um die >Eine Philosophie< die es auf der Höhe ihrer Zeit zwar immer gegeben hat, die aber nun - und das ist der qualitative Sprung - als >Eine Philosophie< erkannt, sich selbstbewußt entfalten, und d. h. eben auch in Momente auseinander treten kann. Es ist eine zentrale Figur der Hegelschen Dialektik, daß jede Einheit sich dadurch entfaltet, daß sie das Anderswerden aus sich heraus bewirkt. In der Einheit liegt ein latenter Widerspruch, der mit der Entwicklung manifest wird. Auf diesen anti-identischen Zug der Hegelschen Dialektik hat besonders Adorno hingewiesen: »Dialektik ist das konsequente Bewußtsein von Nichtidentität«.200 Das Insistieren auf dem Widerspruch, auf der Negativität ist zugleich das Eingedenken einer stets drohenden und anfallenden Ohnmacht des Begriffs gegenüber dem Anderswerden der Sachen. Der Dialektiker sucht nicht schlicht andere Begriffe, wenn Sachen sich ändern, er möchte den Widerspruch im Begriff selbst darstellen. Im Rahmen philosophischer Reflexion, den ein einzelner Philosoph entwirft, mag diese Dialektik auszuhalten sein - aber die sich dem Paradigma Hegels verpflichtende Schule, wie kann sie als soziale Figuration mit dieser Dialektik leben? Es entsteht ein gravierendes Gruppenproblem, wenn sich Philosophen unter der Vorstellung versammeln: »Die Dialektik, die sie am Begriffe aufweist, hat demnach diese Philosophie an sich selbst zu vollziehen, und dieser Prozeß, diese Bewegung zur eigenen Gegenständlichkeit und Aktualität ist ihre Geschichte.«201 Das Schulproblem lautet: Wie kann Einheit der Schule als ein Streit von Positionen definiert werden? Das Problem wird deutlicher, wenn man sich einen der verschiedenen Versuche ansieht, den Kampf der Positionen als dialektische Einheit geschichtlich zu konkretisieren. Für Bayrhoffer ist die Schule - für ihn das »Geisterreich der Idee« - im Jahre 1838 »im allgemeinen schon zahlreich«, und er versucht, die wesentlichen Schulmitglieder in ihren Streitpunkten dialektisch zu plazieren.202 Die »Idee« stellt sich in der Schule für ihn in »weltgeschichtlichen Momenten« dar, die als »besondere Totalitäten« anzutreffen sind. Es gibt zusammen mit »der gediegenen Fortbildung« auch »extreme Richtungen«, und durch die Entfaltung der Extreme kommt es überhaupt erst zu vermittelnden Bewegungen. Ohne Zerfall in extreme Positionen ist die Arbeit der Vermittlung nicht möglich. »So zeigt sich das, was man auf den ersten Blick für eine Entartung und Entstellung halten möchte, doch in der Vernunft und Notwendigkeit des Ganzen gegründet«.203 Es ist nur der >erste Blick<, der ein chaotisches Bild des Positionstreites entdeckt, der >zweite Blick< übersieht die Topographie der Positionen, für die das Ordnungsraster vorgegeben ist: die Vermittlung der Extreme der Negation und der Bewahrung. Das eine Extrem, »die negative Freiheit der Idee«, eine Richtung, die sich »kri-
131
tisch gegen alle Unmittelbarkeit« verhält, sieht Bayrhoffer repräsentiert in Richter, Strauß und Vatke.204 Gerechtfertigt wird dies für Strauß und Vatke wegen ihrer religionskritischen Arbeit und für Richter wegen seiner positiven Religionsstiftungsversuche (das ist konsequent dialektisch: auch auf der negativen Seite gibt es wieder ein Zerfallen in kritisch und positiv). Der negativen Seite wird auch das junge Deutschland locker assoziiert, »welches Saft, Fleisch und Leben in die Idee bringen will«.205 Das andere Extrem ist die »Bewahrung der positiven konkreten Wirklichkeit«, die in »das Befangensein in der positiven Unmittelbarkeit« umgeschlagen ist.206 Zwar sei hier der »denkende Geist« in der »Tiefe des Gemüts offenbart«, aber er ist »gefesselt«, weil diese Richtung die positive Wirklichkeit ebenso wie die Form der Idee nur bewahren will und sich gegen das negative Moment der Freiheit stellt. In dieser Reihe finden sich Göschel, B. Bauer, Erdmann, Leo, Billroth und andere zusammen. B. Bauer wird dem positiven Extrem offensichtlich aufgrund seiner Polemik gegen Strauß zugeschlagen und gerät in eine Reihe mit Leo, der im gleichen Jahr seinen Angriff auf die »Hegelingen« startet. Gleichsam kontrapunktisch zum >jungen Deutschland< auf der negativen Seite erscheinen am Rande des positiven Extrems die Pseudohegelianer Fichte und Weiße.207 Schließlich definiert Bayrhoffer die Reihe derer, »welche die Idee wahrhaft, in der spekulativen Vermittlung von Form und Inhalt, denkender und seiender Vernunft fortzubilden strebten und streben, und so das wahre freie Reich der Idee bilden.«208 Die Liste der auf Vermittlung Zielenden, zu der sich auch Bayrhoffer selbst rechnen möchte, umfaßt 20 Personen. Neben den Herausgebern der Werke Hegels sind unter anderen Gabler, Hinrichs, Rosenkranz ebenso genannt wie Ruge und Feuerbach. Bayrhoffer konzediert, daß unter den Genannten »manche speziellere Gegensätze« herrschen, aber entscheidend sei, »daß die in die besonderen Gebiete eindringende Idee wie eine in denselben aufgehende Sonne die einseitigen Gegensätze, Extreme und Voraussetzungen in diesen Sphären auflöst, sie in den Begriff erhebt und in seinem konkreten Elemente entfaltet«.209 Die Bayrhoffersche Topographie der Positionen versucht zu balancieren. Negation und Bewahrung sind die Flügelmächte, die sich wieder in sich in Gegensätze aufspalten, um sich durch ihre Bewegung mit der vermittelnden Arbeit der dritten Reihe auszutauschen. Es handelt sich um ein dialogisches Modell, in dem die kontroversen Positionen im Hinblick auf ihren möglichen Dialog geordnet werden. Der >erste Blick< sieht das Trennende des Streits, der >zweite Blick< sieht eine Ordnung möglichen Fortschreitens, eine Ordnung, die dialogischen Austausch antizipiert. Negation ist eine Frage an die Bewahrung und umgekehrt. Die dritte vermittelnde Reihe ist die umfangreichste. Es ist heikel, diesen Ort personell allzu sehr auszudünnen. Zunächst ist es vom Modell her heikel, denn zwar ließe sich gedanklich auch diese Reihe noch positionalistisch in Dialoge aufspalten, in die unendlichen Verfeinerungen des Positiv/Kritisch zerteilen, aber da auf der Ebene geschichtlicher Konkretion Namen genannt werden müssen, wer bliebe dann in dieser Reihe übrig? Zum zweiten ist es heikel, hier nur wenige zu nennen, weil die Gefahr bestünde, daß die ganze Positionstopographie für die Genannten nicht akzeptabel wird. »Ob wohl alle hier von Herrn Dr. Bayrhoffer aufgezählten sich die Rubrizierung
132
gefallen lassen werden, oder doch ihrer geistigen Stellung nach gefallen zu lassen brauchen?« fragt Leo und hält Bayrhoffer jene Reihungen vor, die Michelet im selben Jahr den Zeitgenossen darbietet.210 Und in der Tat besteht soziologisch das Problem darin, daß es zur personalen Bestimmung der Momente der sich entfaltenden Totalität Hegelschule einer innerschulischen Autorität bedürfte, die in der Lage wäre, die Definitionen durchzusetzen. Da eine solche Definitionsmacht in der Selbstdefinition der Schule nicht vorhanden ist, kommt es zu den differentesten spekulativen Deutungen der Spaltungssystematik, nicht nur in der Weise, daß zu einem gegebenen Zeitpunkt Uneinigkeit herrscht, wer wo anzusiedeln wäre, sondern auch dergestalt, daß die neuen hegelianischen Publikationen, die Fortschritte in der »Durchführung der absoluten Idee«, die personale Bestimmung der Momente der sich entfaltenden Totalität Hegelschule durcheinander bringen. So vorsichtig auch die Topographie der Positionen angelegt wird, auf der schwankenden Basis der Hegeischen Dialektik gerät die Topographie selbst zur Position. Wer der wahren vermittelnd aufhebenden Spur folgt, die dem Denken des Schulgründers gerecht wird, und wer im >abstrakt Negativem oder im >abstrakt Positivem sich verfängt - die Geschichte der Hegelschule und die Geschichte der Hegelinterpretation bis heute zeigt, daß diese Frage nicht einigungsfähig ist. Könnte diese Frage deshalb nicht einigungsfähig sein, weil die Topographie der Positionen immer nur auf den zweiten Blick erfolgt, weil sie Vermittlungen antizipieren muß, die die Unversöhnlichkeiten des ersten Blicks auf den Streit transzendieren? Wird die Topographie der Positionen selbst positionell, weil kein Intellektueller sich gern das Ereignis des Denkens vorsehen lassen will? Gadamer bemerkt: »Hegels Dialektik ist ein Monolog des Denkens, der vorgängig leisten möchte, was in jedem echten Gespräch nach und nach reift.«211 Für die Positionstafeln der Hegelschüler trifft dies zu, sie sind Vorgriff, auch wenn sie sich auf Positionen beziehen, die vorliegen. Am konsequentesten hat vielleicht Rosenkranz das Problem begriffen, indem er dem biederen Ernst, mit dem etwa Michelet eine komplizierte dialektische Schulsystematik entfaltet, den Charakter der Spiels entgegen hält. Rosenkranz publiziert 1840 die Komödie »Das Centrum der Speculation.«21"1 In der ersten Szene trauert der Chor der Eulen auf dem Berliner Kirchhof vor dem Oranienburger Tor an den Gräbern Fichtes, Solgers und Hegels: »Ringsum schauen wir aus, doch nirgends sehen wir Hilfe, / In das Zentrum (der Spekulation, d. V.) trifft keiner der Lebenden mehr.«21' Ein Herold überbringt den Hegelianern einen Vorschlag der um das Schicksal der Philosophie ebenso besorgten Göttin Athene, auf der Berliner Hasenheide ein Wettschießen zu veranstalten, um zu ermitteln, wer in der Lage sei, »den Punkt, / Zu treffen in der Scheibe, welchen Hegel traf, / Das Punctum saliens. Drauf kommt es jetzo an. / Es tret' ein jeder kampfgerüstet vor, /Je nach der Reihe schieße jeder los, / Denn also hat Minerva es befohlen mir«.214 Auf dem Schießplatz kommt es zum lärmenden Streit der Schüler, bei dem Rosenkranz die einzelnen Positionsbestimmungen des Zentrums in Szene setzt. Schließlich treten, durch den Streit aufmerksam geworden, zwei Polizisten auf, denen es gelingt, die Philosophenversammlung ohne Schwierigkeiten aufzulösen. Die anwesende George Sand, die beim Erscheinen der Polizei gleich an Aufstand und Barrikadenbau denkt, wird von Franz von Baader beruhigt: »Madame, restez transquille. Nous sommes en Prusse. Le gouvernement y est trop eclaire et se rejouit d'une trop grande Sympathie avec toutes les classes de la societe, pour craindre une revolte. (. . .) Vous verrez bientot, que ce n'est,
133
qu'une comedie.«215 Sie reist nach Paris ab, »où l'on possède l'art, de composer des erneutes et des barricades, d'une manière si admirable.«216
Für den Soziologen ist Rosenkranz' Komödie sehr hilfreich, weil er den kontingenten Charakter des Positionenstreits deutlich macht. Seine Pointe - die Philosophen streiten sich, bis die Polizei kommt, und keiner ist zu einem Schuß gekommen - verweist darauf, daß im Zentrum des Paradigmas, das zur Debatte steht, sich eine Leerstelle befindet. Daher ist der Positionenstreit kaum zu beruhigen, im Gegenteil, er wird durch diese Leerstelle immer wieder genährt. Will die soziologische Analyse von Intellektuellengruppen nicht bei der Betrachtung >äußerer< Bedingtheiten geistiger Tätigkeiten stehenbleiben, sondern einen Schritt in Richtung auf ein soziologisches Verständnis des Phänomens >Positionenstreit< tun, so darf sie nicht das >Warum< des Streits als ein schon Gegebenes voraussetzen. Sie muß auf der Offenheit des Positionenstreites, die sich in einer philosophischen Schule als Leerstelle des Paradigmas zu erkennen gibt, insistieren. Wenn die Hegelschüler versuchen, ihren Streit als dialektische Einheit zu definieren und ihre Position in einer dialogischen Struktur vorgreifend zu plazieren, so dient dieses Verfahren einmal dazu, die Bedrohlichkeit des Streits zu bannen, denn einige werden sich vielleicht ihre Einordnung und die anderer gefallen lassen, zugleich aber entfesselt dieses Verfahren den Streit erneut, wenn die Positionalität des Verfahrens thematisch wird. Das Moment einer dialektischen Einheit der streitenden Positionen birgt aber über das Gesagte hinaus noch weitere Probleme. Auf der Ebene des Modells lassen sich bei jeder gegebenen Anzahl von Schulmitgliedern dialogische Ordnungen des Positiv/Kritisch antizipieren - zu fragen ist jedoch, wie gesichert werden kann, daß auch alle wesentlichen Positionen berücksichtigt werden. Für Bayrhoffer gibt es zwar in der Schule so etwas wie »Abfälle von der Idee«, aber diese Erscheinungen beträfen immer nur eine »Beschränktheit im Individium«. Dies seien »daher aber nicht eigentlich Abfälle von der Idee, sondern von ihrem Formalismus in einem Individuum«. Das bedeutet: »von der Idee selbst ist Abfall ohnmöglich«, weil sie »die Auflösung aller Standpunkte und aller Widersprüche ist«.217 Ins Soziologische übersetzt lautet Bayrhoffers Schulregel: wenn eine Position als ein Abfall vom Paradigma verdächtigt wird, so ist davon auszugehen, daß es sich nur um Störungen handelt, deren Grund in äußerlich-schematischen Dimensionen liegt, z. B. in einer ungewohnten Art zu formulieren, einer irritierenden Art der Systematik u.a.m. Von diesen Eindrücken her darf nicht darauf geschlossen werden, daß ein Abfall stattgefunden habe, sondern es ist ein Gebot der Gruppe, diese verdächtige Position als ein Moment der Entwicklung der Idee anzuerkennen. Überspitzt formuliert: der Schulregel zufolge kann kein Hegelianer der Schule verlorengehen. Natürlich ist dies eine prekäre Regel, denn sie ist kaum durchzuhalten. Dies zeigen besonders deutlich die Konstellationen, die zur Gründung der HJ geführt haben. Der Idee der Schule nach wäre diese Zeitschrift nicht nötig gewesen, denn die Schule besaß in den von Hegel begründeten Jahrbüchern JWK) ein Organ, das die Momente der Totalität Schule zur Darstellung bringen sollte. Aber in dem Augenblick, wo die Berliner Redaktion nicht mehr alle Positionen in die Zeitschrift aufnimmt, entsteht für die Abgewiesenen ein gravierendes Problem. Anlaß für
134
Ruge, an die Gründung einer eigenen Zeitschrift zu denken, ist konkret gewesen, daß seine kritische Rezension von Erdmanns »Leib und Seele« (Halle 1837) von der Berliner Redaktion der JWK abgelehnt wird.218 Der Positionenstreit zwischen dem hegelianischen Ordinarius Erdmann und dem hegelianischen Privatdozenten Ruge, beide in Halle, drohte innerschulisch unentfaltet zu bleiben. Wichtig an diesem Vorgang ist in unserem Zusammenhang, daß das dialogische Positionenmodell durchkreuzt wird von einer anders gelagerten Ordnung, die diejenigen, die ganz dazugehören, von denen trennt, die noch nicht ganz dazu gehören. Das heißt, das dialogische Positionenmodell bedarf gleichsam adialogischer Begrenzungen, die hier nach Maßgabe des Universitätsranges erfolgen. F. W. Graf hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Spaltung der Hegelschule überwiegend zwischen denen verläuft, die keine akademische Laufbahn einschlagen können, und denen, die sich an der Universität durchsetzen.219 Die Entlassung der Philosophie aus dem Staatsdienst und die Spaltung der Schule greifen ineinander. Für die Selbstdefinition der Junghegelianer entscheidend ist, daß sie ihre Zeitung, die HJ, nicht positioneil bestimmen, sondern gleichsam das Modell der JWK wiederholen wollen. Ruge anerkennt, daß ohne die JWK und ohne den durch sie »gelegten Grund wir selbst nach keiner Seite hin mit diesen Jahrbüchern (den HJ, d. V.) den Erfolg und die Wirksamkeit gewonnen hätten«, deren sie sich rühmen könnten.220 Allerdings hätten die JWK »in der letzten Zeit nicht völlig dem Geiste entsprochen, aus dem sie hervorgegangen,« sie seien zu ängstlich bestrebt gewesen, »die Philosophie in dem von Hegel gegebenen Bestand zu erhalten und in verknöcherten Phrasen fortzupflanzen, anstatt das unsterbliche Prinzip, das er der Zeit zum Bewußtsein gebracht, sich frei entwickeln und zu neuen Konsequenzen und zu immer reineren Formen sich fortbilden zu lassen.«221 Mit der Wiederholung des dialogischen Positionsmodells wiederholen sich in der junghegelianischen Schule die Probleme, ihren Streit in einer binären Struktur von positiv/kritisch zu ordnen. Wenn der Althegelianer Hinrichs auf die Zerstrittenheit der Junghegelianer verweist, so wird ihm der Junghegelianer G. Julius dasselbe hegelianische Argument vorhalten, das Michelet zur Interpretation der Schulkämpfe gebrauchte: der junghegelianische »Streit der Stimmführer« könne nicht als ein »Zeichen der Zerrüttung und des Untergangs« angesehen wreden. »Als ob es nicht gerade ein Zeichen des regsten Lebens wäre! Im Denken stehen bleiben wäre ja Tod! Denken, Prüfen ist eine Parteisache, keine Sache, die sich durch die kompakte Masse ihrer Anhänger anempfehlen und durchsetzen müßte. Der Gedanke des einen setzt sich durch, indem er vom anderen erwogen, aufgenommen, weiter verarbeitet, umgebildet wird; nichts natürlicher, als daß unter strebenden, denkenden Menschen der eine immer wieder über den anderen hinausgeht oder hinauszugehen glaubt: es ist ein Wettlauf, der nie endet, und dessen Ende Tod und Fäulnis wäre.«222 Der Dialog der Positionen ist unendlich. Dies macht das Ungeheure intellektueller Tätigkeit aus, vor dem man wie Paul Valery erschrecken kann: »Intellektuell. . . Jedermann an meiner Stelle hätte begriffen. Aber ich! . . .Ä223 Für den Junghegelianer G. Julius wird die unendliche dialogische Binarität von positiv/kritisch »zu einem Spiele des Verstandes mit sich selbst«. 224 Es ist dies ein Spiel, an dem teilzunehmen die kulturelle Gruppe sich zur Pflicht machen muß, wenn sie Kultur begründen will. Gegen den Vorwurf von Zeitgenossen: »Vielrednerei ist Geschwätz!« setzt Rüge:
135
»Die Rede ist die Tat des Menschen, nur die Rede ist rein menschliche Tat, die Tat eines geistigen Wesens. Nicht reden dürfen heißt, nicht Mensch sein dürfen, nicht reden wollen, heißt, das Bedürfnis, Mensch zu sein, noch nicht empfinden.«225 Der Wissenssoziologe kann sich zwar angesichts dieses Phänomens auf den Weg machen und hinter den Gründen, die in der Rede vorgebracht werden, andere Gründe ausmachen, Gründe, die nicht gesagt worden sind, weil sie einer >stummen< Basis entstammen, Gründe, die er nun sagt. Aber woher nimmt er sein Recht, dies zu tun? Nimmt er so nicht auch teil am »Spiele des Verstandes mit sich selbst«? Der Begriff der Ideologie führt hier nicht weiter, weil er das Ungeheure intellektueller Tätigkeit nur zu beruhigen, aber den leeren Grund der Beunruhigung nicht auszuhalten vermag. Wo der Positionenstreit entbrennt, passiert allerorts ähnliches. Nicht nur den preußischen Junghegelianern geht es so, sondern auch der Moskauer Intellektuellengruppe, an die sich Alexander Herzen erinnert: »Man sprach fortwährend über die Hegelsche Philosophie. Die drei Teile der Logik und die zwei der Ästhetik und Enzyklopädie enthalten keinen einzigen Paragraphen, der von uns nicht im Sturme und im verzweifelten Kampfe schwerer Nächte genommen wurde. Menschen, die sich schätzten und lieb hatten, sahen sich wochenlang nicht an, weil sie sich über die Definition des übergreifenden Bewußtseins< nicht einigen konnten, und faßten eine entgegengesetzte Ansicht über die >absolute Person und ihr An-sich-Sein< als persönliche Beleidigung auf.«226 Anerkennt man die Existenz eines leeren Grundes, der im Dialog der Positionen, wo er dem Strickmuster des Positiv/Kritisch bis zur Erschöpfung folgt, sich auftut, so kann das dringliche Bestreben der Individuen verständlich werden, nach Definitionsmerkmalen für den Positionenstreit zu greifen, mit denen der leere Grund gefüllt werden kann. Das »Spiel des Verstandes mit sich selbst« ist sozial nicht akzeptabel. Die sophistische Gefahr des Selbstzweckhaften der Rede, von der ich in der Einleitung gesprochen habe, fordert soziale Vorkehrungen heraus.227 Der dialektischen Selbstdefinition der Schule als einer produktiv in bewahrende Positivität, kritische Negation und Vermittlungsarbeit zerfallenden Totalität kam ein beiläufiger Einfall von D. F. Strauß zu Hilfe: die Definition der Hegeischen Rechten, Linken und des Zentrums. Man kann den Einfall getrost das Ei des Kolumbus für die Definition des Positionenstreites nennen. Der Einfall konnotierte die spekulative Ebene mit einer Ebene, die auf anderes verwies, auf ein weites Terrain unerschöpflicher Gründe, die bereit standen, dem autophagischen Dialog in den Rachen geworfen zu werden. Zugleich war es eine Ebene, die als >Notbremse< in Betracht kommen konnte, wenn das verräterische Überlaufen der Gedanken von der einen Seite zur anderen allzu große Turbulenzen zu erzeugen drohte. Mit der Rechten, Mitte oder Linken waren Orte bezeichnet, in denen für kürzere oder längere Momente Ruhe gefunden werden konnte. In dieser Arbeit wird nicht von Rechts- oder Linkshegelianern gesprochen. Das politische Richtungsschema war und ist dort, wo versucht wurde, es für die Definition der Schulspaltungen durchzuführen, auf der Ebene philosophischer Diskussion nicht einigungsfähig.228 Die Beschränkung auf die von W. R. Beyer vorge-
136
schlagenen alten Oberbegriffe »Alt-« und »Junghegelianismus«229 bringt nicht nur pragmatisch gesehen erheblich weniger Einordnungsprobleme, sie reflektieren darüber hinaus als zunächst denunziatorisch von außen an die Schule herangetragene Begriffe, die dann z. T. als Selbstdefinition übernommen wurden,230 die Tatsache, daß das, was diese »Junghegelianer« sind, in ihren Diskussionen gerade zur Klärung ansteht. Der Straußsche Einfall bezieht sich zunächst nur auf ein spezielles Problem der spekulativen Deutung der Evangelien. Ob nun die Evangelien mit dem philosophischen Begriff des Gottmenschentums entweder ganz oder nur teilweise, schließlich weder ganz noch teilweise als historisch wahre Berichte zu erhärten seien, diese drei Antworten könne man »nach der herkömmlichen Vergleichung« als rechte Seite, Zentrum oder linke Seite bezeichnen.231 Zur Rechten zählt Strauß die überwiegende Zahl der Mitglieder der Hegelschule, für das Zentrum weiß Strauß eigentlich nur einen (Rosenkranz) zu nennen. Während er die Rechte ausgiebig über 24 Seiten charakterisiert, dem Zentrum 6 Seiten widmet, so ist die Linke mit einem vierzeiligen Halbsatz repräsentiert: Strauß würde »auf die linke Seite der Hegelschen Schule treten, wenn es diese Schule nicht vorzöge, mich aus ihrem Bereiche ganz auszuschließen, und anderen Geistesrichtungen zuzuwerfen; - freilich nur, um mich von diesen, wie einen Ball, wieder zurück geworfen zu bekommen«.232 Strauß steht vor demselben Problem wie Ruge, auch seine Positionen der Evangelienkritik werden in den JWK nicht publiziert. Für die Hegelschule ergeben sich zwei Probleme: 1. Ist die »herkömmliche Vergleichung«, die Strauß einbringt, d. h. die politische Richtungsebene, philosophisch überhaupt akzeptabel? 2. Wie soll sie sich auswirken? Michelet, der das politische Richtungsschema rasch aufgreift, muß sich von einem Rezensenten sagen lassen, die Analogie zur »französischen Kammer« sei kaum akzeptabel, denn in den politischen Begebenheiten träten die »Individuen mit ihren aufs Endliche gerichteten Leidenschaften auf den Schauplatz«. Philosophisch korrekt müsse man sich auf die »Weltgeschichte im Ganzen« und die »Philosophie der Geschichte« beziehen, es dürfe »nicht einem einseitigen politischen Treiben dieser hohe Wert beigelegt werden (. ..). Was sollen auch Kategorien, wie Rechts, Links und Zentrum, einer Schule dienen, die sich im Besitze der absoluten Wahrheit weiß?«233 Auch Michelet müßte sich eingestehen, wie ungenügend die politischen Kategorien seien, »da immer nur in Rücksicht auf einige Sätze des einen oder anderen die Klassifikation vorgenommen werden kann, die durch andere Behauptungen wiederum umgestoßen wird.«234 Der Einwand trifft ein Kernproblem der Versuche, eine politische Bezeichnungsebene für philosophische Positionen einzuführen. Denn die Attribute >rechts< und >links< können auf der spekulativen Ebene sich jeweils nur in einer Sache auf verschiedene Momente der Sache selbst beziehen, d. h. es geht hier allenfalls um eine dialektische Systematik von >rechten< bzw. >linken< Argumenten. Auf der politischen Ebene jedoch bezeichnen die Attribute jeweils die letztlich auf die ganze Person zielende Kohärenz eines in sich stimmigen Ensembles von Argumenten. Die möglichen Auswirkungen des politischen Richtungsschemas werden rasch deutlich, wenn Michelet 1838 schreibt:
137
»So schlage ich die Koalition des Zentrums mit der linken Seite vor: was eine kompakte Majorität bilden würde, deren Leiter der Abgeschiedene (d. i. Hegel, d. V.) selber bleiben würde. Wenn dann Strauß in Berlin sich zu meinen Vorträgen hielt, so will auch ich mich jetzt meinerseits unter obiger Klausel zu ihm halten. Als diejenigen, die unbedenklich mit auf diese Seite treten, nenne ich, ihrer Zustimmung gewiß, Gans, Vatke, Benary: und dränge eine Menge sich mir darbietender Namen nur darum zurück, weil ich ihrer Erklärung nicht vorgreifen will.«235 Da Michelet den Tod des Lehrers nicht rückgängig machen kann, bedeutet sein Vorschlag nichts weniger, als eine Art demokratisches Abstimmungsverfahren in Fragen der Christologie. Entscheidend für die Zuordnung einzelner Hegelschüler bzw. einzelner Argumentationen im Rahmen einer spekulativen Totalität ist hier nicht mehr die systematische Interpretationsleistung eines Philosophen - so noch bei Strauß und Bayrhoffer -, sondern vielmehr das vereinsmäßige Abstimmungsverhalten selbst. Michelet will den Selbsterklärungen durch Interpretation nicht »vorgreifen«. Daß dieser Vorschlag jedoch dem Hegelschen Begriff der »Einen Philosophie«, die produktiv in ihre Momente zerfällt, zutiefst entgegenläuft, macht Hinrichs in den HJ deutlich.236 Ihm ist schon die Definition der Hegelschule bei Michelet nichts als eine »lächerliche Cliquenmacherei«. »Die Philosophie kann aber von niemand einer so komischen Frage bloßgestellt werden, als von einem Philosophen, der die Schule über sie zur Abstimmung aufruft.« Für Hinrichs sind gegen dies Verfahren selbst alle unphilosophischen Äußerungen, in denen sich die »Besorgnis um den Glauben, mit seiner Frage nach der Unsterblichkeit, der Persönlichkeit Gottes« ausspricht, vorzuziehen, weil sie »doch immer ein Anstoß zum Philosophieren, während die Parteimacherei irgend einer Koalition mit dem Philosophieren ein für allemal fertig ist.« Michelets Vorschlag ist aus Not geboren. Wenn die Positionstafeln, die ein Schulmitglied aufstellt, aus den oben genannten Gründen nicht einigungsfähig sind, wenn Gefahr besteht, daß der stille Ausschluß von Positionen nicht mehr funktioniert, weil sie wie ein »Ball wieder zurück geworfen« werden, was bleibt da übrig, als abzustimmen? >Schluß der Debatte - Abstimmung<: für eine philosophische Schule ist dies Verfahren inakzeptabel, sofern es um den positiv-kritischen Dialog geht. Aber die »Parteimacherei«, dieser Zwischenraum, in dem die dialogischen Überraschungen der Dialektik ein bißchen »nach herkömmlicher Vergleichung« kontrolliert werden können, ohne daß sie ganz getilgt werden - er eignet sich hervorragend für die Selbstdefinition des Positionenstreits. Hinrichs' grundsätzlicher Widerstand gegen die politische Bezeichnungsebene in philosophischen Fragen hat nicht lange gehalten. 1842, in seiner Rezension von B. Bauers >Posaune<, unternimmt er selbst den Versuch, sich im politischen Richtungsschema zu verorten.237 Die Rechte - die Mitte - die Linke: es handelt sich um ein großartiges soziales Sortierschema. Welche Klarheit der Beschränkung und welche Unendlichkeit der Möglichkeiten! Keine Stillegung des Dialogs, vielmehr eine permanente Anreizung des Dialogs, aber auch keine Überreizung des Dialogs, sondern seine fortwährende Zähmung. Der wilde Tausch der Argumente kann zum geordneten Spiel werden, und das ängstliche Schweigen, das die Situation der Abstimmung mit sich bringt, ist aus dem Positionenstreit vertrieben. Die Rechte - die Mitte - die Linke: sie ist
138
geschichtlich konkret und das »Spiel des Verstandes mit sich selbst«, in ihr hat die Schule »die Dialektik, die sie am Begriffe aufweist«, »an sich selbst« vollzogen. 238 Den Siegeszug dieses Sortierschemas, das die Hegelforschung bis heute nicht in Ruhe läßt, kann eine Soziologie der Intelligenz aufhellen helfen, wenn sie auf die sozial wohltätigen Folgen verweist, die eine Selbstdefinitionsformel bietet, die so klug der Not des Denkens gehorcht und zugleich der Gefahr begegnet, im Dialog sein Gesicht zu verlieren.
Anmerkungen 1 Soziologische Überlegungen, die für eine Erörterung des Phänomens >Schule< relevant gemacht werden können, finden sich oft verstreut in wissenschaftssoziologischen Arbeiten. Hervorgehoben seien: H. P. Bahrdt (1971); P. Weingart (1973/74). Bei Th. S. Kuhn (1967) finden sich nur wenige Hinweise auf >Schulen<. Erst im >Postskrzpt— 1969< (in: P. Weingart (1973) Bd. 1, S. 287-319) geht Kuhn auf Gemeinschaftsstrukturen und Gruppenbildungen von Wissenschaftlern ein und versucht, sie mit seinen Thesen zum Paradigmenwechsel in Verbindung zu bringen. Verstreute Hinweise zum Schulproblem finden sich in den Beiträgen des Bandes v. N. Stehr, R. König (1975). - Anregend ist immer noch das Kapitel über Schulen in: F. Znaniecki (1940) S. 91—163. Wichtiges Material bietet S. R. Mikulinsky (1977). Gegenüber dem oftmals anzutreffenden abwertenden Unterton, mit dem über >Schulen< gesprochen wird, heben sich die Beiträge in: W. Lepenies (1981) Bd. 2, Teil 3, Theoriegruppen, Schulen und Institutionalisierungsprozesse, deutlich ab. Überlegungen zur Definition von >Schule< finden sich inbesondere in den Beiträgen: J. Szacki und E. A. Tiryakian. 2 E. A. Tiryakian, in: W. Lepenies (1981) S. 43-45, Zitat 43. 3 Ebd. S. 40-42. 4 M. Weber (1964) S. 350 f. Zitat 351. 5 Siehe hierzu meine Ausführungen im Kapitel IV dieser Arbeit. 6 Vgl. W. Krohn (1976) S. 28. 7 Vgl. Ebd. S. 19. 8 Ebd. S. 20. 9 Ebd. S. 21. Weitergehende Folgerungen in Richtung auf eine »Finalisierung« der Wissenschaften sind jedoch m. E. hieraus nicht abzuleiten. 10 Zum Problem der Trennung des >Wissenschaftlers< vom >Philosophen< im Hinblick auf die neutrale Sphäre Wissenschaft vgl. W. van den Daele (1977) S. 129-182, hier S. 164 ff. 11 M. Weber (1964) S. 350. 12 Ebd. S. 837. 13 Vgl. A. Schindler (1978) S. 70 ff. 14 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Arbeiten von J. Lacan, der die Position des Vaters in seiner psychoanalytischen Kulturtheorie besonders prägnant akzentuiert hat. Eine auf gesellschaftstheoretische Probleme bezogene Interpretation Lacans hat A. Lipowatz (1982) vorgelegt. Vgl. auch J. Storck (1974). 15 Wie dies geschehen soll, macht die >Ratschlagliteratur< für Studenten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so deutlich: Über den »Umgang mit Professoren und öffentlichen Lehrern« heißt es: »Sie stehen hoch, er ist nur Anfänger; jene sind fortgeschritten in Weisheit und Lehre; und sind, auch wenn z.T. noch jung an Jahren, doch alt in gesammelter Erfahrung. Von selbst also tritt eine Art Scheidewand zwischen den Studierenden und den Lehrer, welche durch die Achtung noch höher gezogen wird, und welche nur die
139
16 17 18 19 20 21 22
23 24
25 26 27
28 29 30
Liebe durchschauen und gleichsam durchbrechen läßt.« (anonym, Brief über das ökonomische und wissenschaftliche Leben eines Studierenden, 1828, S. 98 f.) L. Schlickert (1978) S. 126. Siehe Anm. 2. M. Weber (1964) S. 458. Zur>Empfindsamkeit< vgl. insbesondereG. Sauder (1974); W. Doktor (1975); R. MeyerKalkus (1977). Diese These ist subtil entwickelt von M. Schneider (1980) S. 11 ff., u. a. Vgl. H. Gerth (1935) S. 62 ff.; C. Brinkmann (1932). Der spätere Turnvater Jahn kritisiert die alten Verbindungen: »Da die Kränzchen bloß aus Leuten einer Gegend sich rekrutieren, so kann ein Hauptzweck des akademischen Lebens, die Abschleifung durch den Umgang mit Fremden, nicht erreicht werden. Der Kränzchen-Geist macht ungesellig gegen jeden, der nicht aus einer Gegend ist: weil ihren Gesetzen zufolge ein Kränzianer mit keinem fremden Landsmann als Stubenbursch zusammen wohnen, viel weniger vertraute Freundschaft mit ihm schließen darf. Kein Freundschafts-Band knüpft die Mitglieder aneinander, sondern das Schwert. Wer das Kränzchen verlassen will, muß mit dem Senior und den Vier Conseniores sich duellieren.« (Zit. nach C. Brinkmann (1932) S. 10) Zur sozial en Be deu tun g von Freu nds chaftsbez ie hun gen vgl. A. Salomo n (1 921 ); W. Rasch (1936); F. H. Tenbruck (1964). Hilfreich ist auch K. Lankheit (1952). Anregungen sind zu finden bei H. Kern (1932); S. Kracauer (1972). H. Gerth (1935) S. 63. Vieles an den neuen Verbrüderungen der Amicisten, Konstantisten und Unitisten verweist auf einen Zusammenhang mit den geheimen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts, den norddeutschen Freimaurerlogen und den süddeutschen Illuminaten. Die egalitär demokratische Tendenz und das humanistische Menschheitsideal sind hier zu nennen. Auf den komplizierten Verselbständigungsprozeß der studentischen Verbrüderungen soll hier nicht ausführlich eingegangen werden. Wichtig ist, daß im Zuge der Revolutionszeit die Hochschulregierungen gegenüber der neuen Bewegung »in eine eigentümlich doppelseitige Stellung« gerieten: »Als aufklärerische Gegner der althergebrachten Universitäts-Sonderrechte mußten sie dem aufgeklärten Absolutismus willkommen, als Träger liberal-demokratischer und (was im damaligen zerrissenen Deutschland den Regierungen gleich gefährlich war) je nach dem nationalen oder internationalen Ideale aber mußten sie diesem Absolutismus wieder ebenso bedenklich sein.« (C. Brinkmann (1932) S. 12). J. W. v. Goethe, Dichtung und Wahrheit, 5 1964, S. 558. Zit. nach M. Lenz (1910-1918) Bd. 4 S. 357 f. W. v. Humboldt, Der königsberger und der litauische Schulplan, 1920, Bd. 13, S. 278. Vgl. H. Schelsky (1963) S. 91 ff. Humboldts Begründung des sozialen Aspekts wissenschaftlicher Arbeit lautet: »Da aber auch das geistige Wirken in der Menschheit nur als Zusammenwirken gedeiht, und zwar nicht bloß, damit einer ersetze, was dem anderen mangelt, sondern damit die gelingende Tätigkeit des einen den anderen begeistere und allen die allgemeine, ursprüngliche, in den einzelnen nur einzeln oder abgeleitet hervorstrahlende Kraft sichtbar werde, so muß die innere Organisation dieser Anstalten ein ununterbrochenes, sich immer selbst wieder belebendes, aber ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken hervorbringen und unterhalten.« (W. v. Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin (1810), zit. nach H. Schelsky (1963) S. 93). (B. Bauer?), Die Mythe von Hegel, RhZ 167 16. 6. 1842. Ebd. K. Mannheim (1952) S. 136 f.; vgl. auch H. Weil (1967) S. 9.
140
141
das Prinzip der Revolution nach Preußen übertragen, ihre Resultate zum Segen des Staates dorthin verpflanzt.« (S. 322) Stein habe sich hier eben im »Widerspruch mit sich selbst« befunden. Ebenso wird mit Steins nicht in die junghegelianische Argumentation passender liberalistisch gefärbter Kritik an der Bürokratie umgegangen. Gerade die Steinschen Passagen, in denen auf den parasitären Charakter der Bürokratie und ihre in der Eigentumslosigkeit begründete Verantwortungslosigkeit verwiesen wird, - Passagen also, die am ehesten geeignet wären, ein bürgerlich revolutionäres Bewußtsein zu signalisieren, werden von Meyen als »abstrakte Vorstellung« abgetan. Für ihn gehört die Bürokratie zum unverzichtbaren Inventar des fortschrittlichen preußischen Staates. Der »Übelstand der Bürokratie«, den Meyen sieht, »beruht in der Abgeschlossenheit von der Nation, in dem Mangel an korrespondierender Öffentlichkeit, welche die Beamten in stets lebendigem Verkehr mit dem Publikum erhält, und ein freieres, humaneres Verhältnis beider zueinander begründet. Das Verdienst der ausgezeichneten Männer würde dadurch bei weitem mehr hervorgehoben, ihr Einfluß erhöht, und die Rohheit der übrigen paralysiert werden.« (S. 338) Daß Steins Parteinahme für die Pietisten Meyen nicht ins Konzept paßt, sei nur am Rande erwähnt. E. Bauer verteidigt 1842 den Patriotismus der Jungehegelianer: »Wir wissen aus der Geschichte, daß der preußische Staat eine Idee vertritt - die des Fortschritts. ( . . . ) Sind wir keine Patrioten, wenn wir die Interessen der Idee verfechten, da wir wissen, daß sie allein es sind, welche einem Staate seine Macht, sein Ansehen geben? Sind wir es wirklich nicht? Ja, wir sind echte Preußen.« (E. Bauer, Wer ist Preuße? RhZ 66, 7. 3. 1842) Zur Konstanz der Argumentation vgl. E. Meyen, Blick auf den Anstoß und die Richtung der deutschen Bewegung, BM 1844, S. 215 f., 234. 58 So z. B. in Berlin: P. K. Marheineke (1780-1846), G. A. Gabler (1786-1853). L. v. Henning (1791-1866), E. Gans (1798-1839), C. L. Michelet (1801-1893), W. Vatke (18061882), H. G. Hotho (1802-1873). In Haue: F. W. Hinrichs (1794-1861), J. Schaller (1810-1*868), J. E. Erdmann (1805-1892). In Königsberg: K. Rosenkranz (1805-1879). Vgl. J. E. Erdmann (1896) Bd. 2, S. 630 ff. 39 vgl. K. Varrentrapp, Johannes Schulze und das höhere preußische Unterrichtswesen in seiner Zeit, Leipzig 1889, bes. S. 431 ff; M. Jacobson (1905). 60 Das Verhältnis Hegels zu Preußen und die Interpretation seiner Rechtsphilosophie gehört bis heute zu den umstrittensten Fragen der Hegeldeutung. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die die Hegelsche Philosophie der >Staatsvergottung< bezichtigen und sie als Vorläufer des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts ansehen; auf der anderen Seite gilt Hegels Philosophie als ein Denken, das durchgehend der Emanzipation und der Freiheit verpflichtet ist. Die Thesen vom >Staatsphilosophen< und vom verkappten >Revolutionsphilosophen< sind seit dem Erscheinen der Rechtsphilosophie im Herbst 1820 in zahlreichen Versionen und Schattierungen über 150 Jahre lang hin- und herdiskutiert worden. Seit der Entdeckung der Wannenmannschen Mitschrift der Rechtsphilosophie (Heidelberg 1817/18) im Jahre 1982 hat sich eine neue Quellenlage ergeben, (vgl. G. W. F. Hege], Die Philosophie des Rechts (1983). Nach der neuen Quellenlage muß anerkannt werden, daß die junghegelianische Version der sog. >Akkomodationsthese<, derzufolge Hegel die relativen »geschichtlichen Existenzen« des preußischen Staates zu »metaphysischen« Bestimmungen erhoben habe (A. Rüge, Die Hegelsche Rechtsphilosophie, DJ 1842, S. 763), um so mehr für die Berliner Zeit zutrifft, als er bereits in Heidelberg einen geschichtlich zukunftsoriemierten Konstitutionalismus begründet vertreten hatte. Ebenso darf mit größerer Sicherheit vermutet werden, daß in Berlin dieser Sachverhalt bekannt war und vielleicht auch noch alte Heidelberger Mitschriften in der Schule kursierten oder in den Händen von E. Gans sich befunden haben. Das »Schulgeheimnis« der Hegelschule, daß Hegels Philosophie zwar exoterisch sich dem Bestehenden anpasse, aber esoterisch revolutionär sei, ist nun überprüfbar geworden.
142
Zur Diskussion um die Hegelinterpretation vgl. H. Ottmann (1979 a); ders. (1977) und die dort aufgeführten Interpretationsrichtungen. Vgl. auch D. Henrich, R. P. Horstmann (1982). 61 So bemerkt J. E. Erdmann, daß im damaligen Deutschland »die gouvermentale Protektion dem System (Hegels, d. V.) gewiß nicht in weiteren Kreisen zur Empfehlung gedient hätte.« feit, nach K. Varrentrapp (1889) S. 435) 62 Ihren eindrucksvollen Niederschlag hat diese Situation der staatlichen Protektion einer philosophischen Schule in Texten von Arthur Schopenhauer gefunden. Seine an Haßtiraden grenzenden Ausführungen über die »Philosophieprofessoren« sind insofern für eine soziologische Betrachtungsweise von Bedeutung, als hier Interpretationsfiguren vorliegen, in denen eine Philosophie nicht allein auf dem Wege immanenter Kritik widerlegt wird, sondern durch Verweis auf ihre institutionellen Voraussetzungen. In seinen Manuskript-Büchern definiert Schopenhauer: »Ich bin der Kaspas Hauser der Philosophieprofessoren: sie haben mich von Luft und Licht abgesperrt; - damit meine angeborenen Ansprüche nicht zur Geltung kämen.« (A. Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß (1974) Bd. 4/1, S. 292) Aus diesem Gefühl des Ausgeschlossenseins und der Mißachtung entwickelt Schopenhauer eine Sensibilität für die institutionellen Restriktionen, denen die Idee der Wahrheitssuche unterworfen ist. Das »öffentliche Geheimnis« der Universitätsphilosophie bestehe darin, daß im Unterschied zu allen anderen Wissenschaften diese vor dem Problem stehe, mit der »Landesreligion« zu harmonieren.« Den unter diesen Beschränkungen Lehrenden bleibt sonach nichts anderes übrig, als nach neuen Wendungen und Formen zu suchen, unter welchen sie den in abstrakten Ausdrücke verkleideten und dadurch fade gemachten Inhalt der Landesreligion aufstellen, der als dann Philosophie heißt.«(A. Schopenhauer, SW (1946) Bd. 5, S. 151) Die Aufgabe der Philosophie besteht hier darin, »daß die künftigen Referendarien, Advokaten, Ärzte, Kandidaten und Schulmänner auch im Innersten ihrer Überzeugungen diejenige Richtung erhalten, welche den Absichten, die der Staat und seine Regierung mit ihnen haben, angemessen ist.« (Ebd. S. 157) In dieser Ausbildungsfunktion sieht Schopenhauer die Ursache für das Bündnis zwischen Hegelianismus und Unterrichtsverwaltung. »Konnte es eine bessere Zurichtung für künftige Referendarien und demnächst Staatsbeamte geben, als diese, in Folge welcher ihr ganzes Wesen und Sein, mit Leib und Seele, völlig dem Staat verfiel, wie das der Biene dem Bienenstock und sie auf nichts anderes, weder in dieser, noch in einer anderen Welt hinzuarbeiten hatten, als daß sie taugliche Räder würden, mitzuwirken, um die große Staatsmaschine, diesen ultimus finis bonorum, im Gange zu erhalten? Der Referendar und der Mensch war danach Eins und das Selbe.« (Ebd. S. 157 f.) Schopenhauer verweist auf eine typische berufliche Sozialisation der »Philosophieprofessoren«. Die »nachteilige Vorschule« seien die Hauslehrerstellen gewesen, in denen die künftigen Professoren zur Fügsamkeit erzogen wurden. »Diese, früh angenommene Gewohnheit wurzelt ein und wird zur zweiten Natur; so daß man nachher, als Philosophieprofessor, nichts natürlicher findet, als auch die Philosophie ebenso den Wünschen des die Professuren besetzenden Ministeriums gemäß zuzuschneiden und zu modeln; woraus denn am Ende philosophische Ansichten, oder gar Systeme, wie auf Bestellung gemacht, hervorgehen.« (Ebd. S.206) Sicherlich sind die Ausführungen Schopenhauers durchtränkt von einem tiefen Ressentiment, und in ihnen spricht sich der Haß auf den gesellschaftlich erfolgreichen Philosophen aus. In unserem Zusammenhang ist jedoch entscheidender, daß sich hier ein Typus von zwar nicht deklassierter, aber doch randständiger Intelligenz zeigt, ein Typ, der ein modernes Phänomen bezeichnet. Schopenhauers Kritik an den institutionellen Zwängen der wissenschaftlichen Wahrheitssuche, die sich gegen die Hegelschule richtet, werden
143
144
Interessen wird deutlich in J. Frauenstädts Rezension der Biedermannschen Broschüre »Wissenschaft und Universität« in HJ 1839, Sp. 2273 ff. 67 R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur, 1872, Bd. 2, S. 212. 68 Anonym, G. G. Gervinus. Eine Charakteristik, HJ 1838, Sp. 1343. 69 A. Ruge, Ein nachträgliches Wort über bonner Kritik und Apologetik, HJ 1841, S. 423. 70 L. Buhl, Die Weltstellung der Revolution, Ath 1841, S. 464. Vgl. hierzu: (L. Buhl), Hegels Lehre vom Staat und seine Philosophie der Geschichte in ihren Hauptresultaten, 1837, bes. S. 99. Diese Schrift kann als die erste junghegelianische Interpretation von Hegels Rechtsphilosophie gelten. 71 Ebd. S. 466. 72 Ebd. S. 481. 73 Ebd. 74 Ebd. S. 481. 75 A. Ruge, Konsequenz der Reaktion, HJ 1840 Sp. 279 u. 280. 76 Ebd. Sp. 280. - Die dargestellte reformpolitische Orientierung der Junghegelianer ist keine taktische Verlegenheit, sie darf auch nicht angesichts späterer revolutionärer Positionen als bloßes Vorspiel abgetan werden. Vielmehr folgt diese Orientierung einer geschichtsphilosophischen Perspektive, wie sie Hegel in den »Vorlesungen über die Phi2 losophie der Geschichte< (Hegel, Werke Bd. 9, Berlin 1840) entwickelt hat. Hier stellt Hegel die Reformation als die »Alles verklärende Sonne« (S. 497) dar, mit der die dritte Periode des germanischen Reiches - Hegel konstruiert nach der Zeitalterlehre des Joachim v. Fiore - beginnt. Hegel faßt Luthers Lehre dahingehend zusammen, »daß das Dieses, die unendliche Subjektivität d. i. die wahrhafte Geistigkeit, Christus, auf keine Art in äußerlicher Weise gegenwärtig und wirklich ist, sondern als Geistiges überhaupt nur in der Versöhnung mit Gott erlangt wird - im Glauben und im Genüsse.«(S. 500) Der Mensch hat zu Gott »ein unmittelbares Verhältnis im Geiste.« (S. 501) Mit der Reformation fällt die »Sklaverei der Autorität« (S. 498) ebenso wie der Wunderglaube, »es ist das Herz, die empfindende Geistigkeit des Menschen, die in den Besitz der Wahrheit kommen kann und kommen soll, und diese Subjektivität ist die aller Menschen. Jeder hat an sich selbst das Werk der Versöhnung zu vollbringen.« (S. 501) Bei Hegel erhält - und dies ist im Zusammenhang dieses Kapitels von Bedeutung - die Reformation den Charakter eines politischen Wendepunkts: Mit der Reformation »ist das neue, das letzte (!) Panier aufgetan, um welches die Völker sich sammeln, die Fahne des freien Geistes, der bei sich selbst, und zwar in der Wahrheit ist, und nur in ihr bei sich selbst ist. Dies ist die Fahne, unter der wir dienen, und die wir tragen. Die Zeit von da bis zu uns hat kein anderes Werk zu tun gehabt und zu tun, als dieses Prinzip in die Welt hinein zu bilden, indem die Versöhnung an sich und die Wahrheit auch objektiv wird, der Form nach. (. . .) Recht, Eigentum, Sittlichkeit, Regierung, Verfassung usw. müssen nun auf allgemeine Weise bestimmt werden, damit sie dem Begriffe des freien Willens gemäß und vernünftig seien.« (S. 502) Geht man den einzelnen Bestimmungen der Reformation in Hegels Argumentation weiter nach, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Reformation als bürgerliche Revolution konstruiert wird. Alle entscheidenden Charakteristika der bürgerlichen Revolution werden von Hegel in die Reformation projiziert. Wenn Luther seinen Mönchsstatus aufgibt und heiratet, so begründet er die Familie als bürgerliche Institution. »Der Mensch tritt durch die Familie in die Gemeinsamkeit, in die Wechselbeziehung der Abhängigkeit in der Gesellschaft, und dieser Verband ist ein sittlicher; wogegen die Mönche, getrennt aus der sittlichen Gesellschaft, gleichsam das stehende Heer des Papstes ausmachten« (S. 508 f.). Indem die Reformation gegen den Bettel Front macht, etabliert sie das System von Bedürfnis und Arbeit: Die bürgerliche Gesellschaft, in der gilt, »daß der Mensch in der Abhängigkeit durch Tätigkeit und Verstand und Fleiß sich selber unabhängig macht. Es
145
77 78 79 80 81 82 83 84 85
ist rechtschaffener, daß wer Geld hat, kauft, wenn auch für überflüssige Bedürfnisse, statt es an Faulenzer und Bettler zu verschenken; denn er gibt es an eine gleiche Anzahl von Menschen, und die Bedingung ist wenigstens, daß sie tätig gearbeitet haben. Die Industrie, die Gewerbe sind nunmehr sittlich geworden, und die Hindernisse verschwunden, die ihnen von Seiten der Kirchen entgegengesetzt wurden. Die Kirche nämlich hatte es für eine Sünde erklärt, Geld gegen Interessen auszuleihen: die Notwendigkeit der Sache aber führte gerade zum Gegenteil.« (S. 509) Schließlich überwindet die Reformation den »blinden Gehorsam« gegenüber der Kirche und führt zu einer Anerkennung des Staates. »Es wurde jetzt der Gehorsam gegen die Staatsgesetze als die Vernunft des Wollens und Tuns zum Prinzipe gemacht. In diesem Gehorsam ist der Mensch frei, denn die Besonderheit gehorcht dem Allgemeinen.« (S. 509) Diese drei Elemente, die mit der Reformation gegeben sind, entsprechen genau der Systematik des dritten Teils der Rechtsphilosophie, der die Strukturen der modernen bürgerlichen Welt darstellt. Selbst bis ins Detail hinein parallelisiert Hegel Reformation und bürgerliche Revolution. So besitzt z. B. die protestantische Hexenverfolgung, in der das Prinzip des »Verdachts« regierte, für die Reformation die gleiche Funktion wie Robesspierres Schreckensherrschaft für die Französische Revolution. Und wie aus dieser ein moderner Verfassungsstaat entstand, so entstand aus der Reformation Preußen als eine »protestantische Macht« (S. 526). Wird die Reformation als bürgerliche Revolution gedeutet, so folgt daraus eine Argumentation, wonach eine Revolution in Deutschland, die nach dem Bilde der Französischen Revolution erfolgen soll, unnötig erscheint. Auf die sich seinen Zeitgenossen stellende Frage: »Warum sind nur die Franzosen und nicht auch die Deutschen auf das Realisieren (des formellen Freiheitsprinzips, d. V.) losgegangen?« antwortet Hegel, der Grund liege tiefer als darin, daß die Franzosen »Hitzköpfe« seien. »Dem formellen Prinzipe der Philosophie in Deutschland nämlich steht die konkrete Welt und Wirklichkeit mit innerlich befriedigtem Bedürfnis des Geistes und mit beruhigtem Gewissen gegenüber.« (S. 532) Und dies sei eine Leistung der Reformation. »In Deutschland war in Ansehung der Weltlichkeit schon Alles durch die Reformation gebessert worden, jene verderblichen Institute der Ehelosigkeit, der Armut und Faulheit waren schon abgeschafft, es war kein toter Reichtum der Kirche und kein Zwang gegen das Sittliche, welche die Quelle und Veranlassung von Lastern ist, nicht jenes unsägliche Unrecht, daß aus der Einmischung der geistlichen Gewalt in das weltliche Recht entsteht, noch jenes andere der gesalbten Legitimität der Könige«. (S. 533) Weil Deutschland qua Reformation in einer gleichsam postrevolutionären Stufe der Geschichte lebt, steht die Revolution nicht mehr auf der Tagesordnung, sondern nur die Vertiefung und Ausbildung der Reformation, d. h. Reformpolitik. H. Schelsky(1977)S. 97 ff. Brief E. Meyens an A. Rüge vom 20. 11. 1839 (Sachs. Landesbibliothek Dresden, h 46, Bd. II, Nr. 52) zit. nach I. Pepperle (1978) S. 237. A. Ruge, Bruno Bauer und die Lehrfreiheit, An Bd. 1 1843, S. 122. Schelling, Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, 1926, S. 720. Br ief H. C. Weißes an A. Rüge vom 25. 12. 1838 (Sachs. Landesbibliothek Dr esden, h. 46, Bd. II, Nr. 110) zit. nach I. Pepperle (1978) S. 235. Vgl. auch Anm. 100. H. Schelsky (1977) S. 297. Ebd. S. 153 f. Ebd. S. 257. Hegel zufolge hat die Philosophie in der Moderne »eine öffentliche, das Publikum berührende Existenz, vornehmlich oder allein im Staatsdienste« (Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, (1972) S. 8). Dies ist eine qualitative Differenz gegenüber den Exi-
146
stenzweisen der Philosophie in der Geschichte (Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, 1971, S. 196 ff.). Die griechischen Philosophen waren »Privatleute«, ihr Zusammenhang mit der Welt vollzog sich nach Maßgabe ihrer Individualität. »Sie ließen sich nicht in Dinge ein, die nicht das Interesse ihres Denkes waren.« (S. 197) Im Mittelalter treiben vornehmlich Geistliche, Doktoren der Theologie das philosophische Geschäft, und in der Übergangsperiode »haben die Philosophen im Kampf, im inneren Kampf mit sich und im äußerlichen Kampf mit den Verhältnissen sich gezeigt, haben sich auf wilde, unstete Weise im Leben herumgetrieben.« (S. 197) Dies haben die modernen Philosophen nicht mehr nötig, weil sich die »äußerliche Welt beruhigt, in Ordnung gebracht« hat (S. 198). Philosophische Tätigkeit ist zu einem Beruf geworden, und dieser hat seinen Ort in einem »verständigen Zusammenhang«. Damit ist schon ein Stück Philosophie verwirklicht, um das nicht mehr gekämpft zu werden braucht. »Dieser allgemeine, verständige Zusammenhang ist von solcher Macht, daß jedes Individuum ihm angehört und doch zugleich eine innere Welt sich erbauen kann.« (S. 198) Auch die kühnsten Kritiken können nun nicht mehr von dem »verständigen Zusammenhang« absehen, sie können ihn als sich reformierenden Zusammenhang begreifen, oder von einem zu schaffenden revolutionären Zusammenhang her sich definieren: die Macht des Zusammenhangs selbst steht nicht mehr zur Disposition. 86 H. Schelsky übersieht das Problem bei seiner Kritik der »Priesterherrschaft der Intellektuellen«. Er faßt die »Reflexionselite« als eine im wesentlichen homogene Klasse. Zu einem soziologischen Zugang zum Streit innerhalb der Intelligenz kommt er in sehr verkürzter Form, indem er die »Wissenschaftler« gegen die »neuen Heilslehrer« ausspielt. (H. Schelsky (1977) S. 212) Einmal abgesehen von der politischen Stoßrichtung seiner Thesen - was es soziologisch zu erklären gilt: das Phänomen differenter Positionen innerhalb beider Gruppen, die sich ja beide auf den Staat berufen, bleibt bei Schelsky ausgespart.
87 88 89 90 91 92
G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 1, 1971, S. 98. Ebd. S. 105. Ebd. S. 107. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, 1971, S. 628. Ebd. S. 622. Ch. H. Weiße, Die philosophische Literatur der Gegenwart. 2. Artikel, ZPsP 7/NF 3 (1841) H. 1, S. 104. 93 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, 1971, S. 628. 94 Anonym, Der Streit des Diesseits und Jenseits in der deutschen Philosophie, in: DVjs 1843, H. 2, S. 7. 95 F. Exner, Psychologie der Hegeischen Schule, 1842, H. 1, S. 1. 96 K. T. Bayrhoffer, Die Idee und Geschichte der Philosophie, 1838, Zitate S. 425 und 430. 97 Ebd. S. 430. 98 Ebd.S. 431. 99 Ebd. S. 433. 100 J. Schaller, Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie — hg. v. Dr. J. H. Fichte etc. (= ZPsT), in: JWK Nr. 115 Dezember 1837, Sp. 913. Immanuel Hermann Fichte (1796-1879) und Christian Hermann Weiße (1801-1866), diese« 1837 die ZPsT herausgeben, gelten in der Hegelschule als »Pseudohegelianer«, weil sie die dialektische Methode von ihren religionsphilosophischen Implikationen trennen und sie quasi formalisiert als Hilfsmittel zum Begreifen der Wirklichkeit gebrauchen. Vgl. J. Gebhardt(1963)S. 66 ff. 101 Zu den Selbstverständlichkeiten der Hegelianer gehört in diesem Zusammenhang, immer wieder an die von Hegel mitbegründeten >Jahrbücher für wissenschaftliche Kri-
148
147
148
149
150
151
152
153
154
155
II. Politische Partei Übersicht Die junghegelianische Selbstdefinition als politische Partei wird zunächst ausgehend von Ambivalenzen des Hegeischen Parteibegriffs (1 a) im Hinblick auf die Tranformation des philosophischen Dialogs in eine politische Theatralik (1 b) entfaltet, bei der Prinzipienparteien auf der öffentlichen >Bühne< auftreten. Im Übergang von der Theorie zur Praxis kann >Partei< mehr positiv auf Zukunft gerichtet oder mehr eliminatorisch-negativ auf die Gegenwart bezogen werden, in jedem Fall erfordert die politisch-pragmatische Dimension neue Grenzziehungen für die Diskussion (2). Anhand der Beiträge von Feuerbach (3 a) und B. Bauer (3 b) werden zwei Weisen vorgestellt, das Übergangsfeld zu definieren. Erörtert wird, wann der Begriff politische Partei< (4) auf historische Gruppen angewandt werden kann. Erst wenn ein Bezug zur Parteienkonkurrenz und zum Problem der Organisation der >Vielen< gegeben ist, ist die Rede von >Partei< gerechtfertigt. In ihrer großen Debatte um die Verfassungsfrage gehen die Junghegelianer von einer Absolutismusdefinition aus (5 a) und gelangen über die Erörterung der konstitutionellen Monarchie (5 b) und die Differenzierung von liberal/radikal (5 c) zu Entwürfen einer freien anarchistischen Gemeinschaft (6 d). Im praktischen Verhältnis der junghegelianischen Partei zur liberalen Opposition in Süddeutschland (6 a), Ostpreußen (6 b) und Rheinpreußen (6 c) werden differente lokale Erfahrungshorizonte der Teilgruppen in Berlin, Königsberg und Köln deutlich, die die Parteikohärenz belasten. Die Spaltung der junghegelianischen Partei entzündet sich an der Debatte um die Nachricht über den Verein der »Freien« (7 a) und wird manifest in den Konflikten um die Reise Herweghs (7 b), dessen von der Kölner Teilgruppe und Rüge geförderte Parteiagitation in Berlin auf einen Kontext von Intellektuellen stößt, der >unter aller Partei< ist. Kommentare von Zeitgenossen zum Scheitern der junghegelianischen Partei (8), in denen auf die Politikunfähigkeit von Intellektuellen verwiesen wird, schließen das Kapitel ab.
1. Politik als Schauspiel a) Das Hegeische Erbe Von der >linken Seite< der Hegeischen Schule zur politischen Partei überzugehen, dies scheint nur ein kleiner Schritt zu sein, zumal zu Beginn der 40er Jahre das Wort >Partei< unaufhaltsam in den Diskussionen zu wuchern beginnt. 1843 schreibt Karl Rosenkranz: »Die Sprache, als die treueste Darstellerin des Geistes, läßt uns in ihren Wandlungen die Geschichte desselben wie in einem unbestechlichen Spiegel erblicken. Wir haben nur auf sie zu merken, um der Veränderungen, zu welchen der Geist mit sich fortgeschritten, recht inne
156
zu werden. Wenn uns nun epochenweise aus dem Wortvorrat, der im täglichen Verkehr umgesetzt wird, ein Wort häufiger als sonst begegnet; wenn es in allen grammatischen Formen, als Substantiv, Adjektiv und Verbum, bald hier, bald da erscheint; wenn es sich ungesucht einstellt; wenn es im Hin und Her der gewöhnlichen Debatte ein unentbehrliches Schlagwort, ein notwendiger Gedankenhebel wird: dann dürfen wir uns auch darauf verlassen, daß dies stereotypierte Wort einen Begriff bezeichnet, der für die Bewegung des Geistes charakteristisch ist. Ein solches Wort ist jetzt das Wort Partei.«1
Der kleine Schritt zur politischen Partei, zu dem »die Bewegung des Geistes« einlädt, stellt jedoch die Gruppe der Junghegelianer vor äußerst schwierige Probleme der Umdefinition ihres Gruppen-Wir. Sie müssen mit dem Erbe der Schuldefinition fertig werden, an das sie Marheineke anläßlich einer Serenade erinnert, die zu seinen Ehren von Studenten organisiert wird. Er ruft ihnen zu: »die Wissenschaft, der wir angehören, und die nicht ausschließend, sondern einschließend zu Werke geht, und auch dem Irrtum Gerechtigkeit widerfahren lassen kann, - sie ist keine Partei, sie hat nur alles, was Partei heißt, außer sich, und freilich eben darum auch gegen sich.«2 Zwischen der Totalität der Schule, die im Progreß der Reflexion die streitenden Positionen versöhnt, und der Doktrin der Partei - wo sollte dort eine Transformationschance bestehen, zumal wenn die Lehre der Schule sich den Vorwurf einer »Geheimlehre« gefallen lassen muß? Es wird behauptet, daß »ein System, das dem menschlichen Denken so hartes und widerstrebendes zumutet, wie nach seinem eigenen Geständnis das Hegeische, nie die herrschende Lehre und der allgemeine Glaube der Menschheit werden« kann.3 In der Tat ist das Hegeische Erbe in Sachen >Partei< sehr zwiespältig. Grob gesprochen kennt Hegel zwei Parteibegriffe: einen abgewerteten und einen aufgewerteten. Der abgewertete Parteibegriff hat seinen Ort in der Rechtsphilosophie von 1820, der aufgewertete ist dort zu finden, wo vom geschichtlichen Werden der wahren Philosophie die Rede ist. Die »Parteisucht um bloß subjektives Interesse, etwa um die höheren Staatsstellen«4, ist Hegel ebenso suspekt gewesen wie die allgemeine Wahl von Repräsentanten. Sie führe bei Massenwahlen notwendig zur Gleichgültigkeit des einzelnen Wählers, der nicht mehr zur Stimmabgabe erscheint, »so daß aus solcher Institution vielmehr das Gegenteil ihrer Bestimmung erfolgt und die Wahl in die Gewalt weniger, einer Partei, somit des besonderen zufälligen Interesses fällt, das gerade neutralisiert werden sollte.«5 Innerhalb der Rechtsphilosophie ist >Partei< im gleichsam vorpolitischen Raum des bloßen Meinens und der Willkür angesiedelt, und wo von diesem Raum ausgehend sich Parteikräfte unvermittelt in politischen Ebenen durchsetzen, wirken sie destruierend gegenüber der Verfassung, die für Hegel »wesentlich ein System der Vermittlung« ist.6 Die politische Partei wird der öffentlichen Meinung vergleichbar gewertet. Öffentliche Meinung ist »die Befriedigung jenes prickelnden Triebes, seine Meinung zu sagen und gesagt zu haben«.7 Dieser Trieb wird ernst genommen, denn: »Das Prinzip der modernen Welt fordert, daß, was jeder anerkennen soll, sich ihm als ein Berechtigtes zeige. Außerdem aber will jeder noch mitgesprochen und beraten haben. Hat er seine Schuldigkeit, d.h. sein Wort dazu getan, so läßt er sich nach dieser Befriedigung seiner Subjektivität gar vieles gefallen.«8
157
Öffentliche Meinung ist nicht der Gipfelpunkt politischen Lebens, sondern wie Parteien auch - das Rohmaterial der Politik. »Die öffentliche Meinung ist die unorganische Weise, wie sich das, was ein Volk will und meint, zu erkennen gibt. Was sich wirklich im Staate geltend macht, muß sich freilich auf organische Weise betätigen, und dies ist in der Verfassung der Fall.«9 Kommt dagegen die »unorganische Weise« zur Herrschaft, so ergibt sich für Hegel die absurde Bewegung: »Der Wille der Vielen stürzt das Ministerium, und die bisherige Opposition tritt nunmehr ein; aber diese, insofern sie jetzt Regierung ist, hat wieder die Vielen gegen sich.«10" Die Junghegelianer sind als philosophische Schule in weiten Strecken der Hegelschen Abwertung des politischen Parteibegriffs gefolgt. Für Ruge ist es ein »besonderes Glück«, daß die Redaktion der HJ den Rücksichten »gar einer praktischen Partei nicht unterworfen war«.11 Und noch 1842 ist es nicht zu akzeptieren: »Wenn z. B. die Regierungspartei diejenigen bedeutet, welche die Ämter haben, und die Opposition die, welche danach haschen«.12 Das Interesse, das in Parteien zum Ausdruck kommen könnte, ist für die philosophische Schule allenfalls ein Interesse, das dem Hegeischen System der Bedürfnisse entspringt. Es hat seinen systematischen Ort gleichsam unterhalb der politisch-staatlichen Sphäre. Als es 1839 über Streckfuß' »Garantien der preußischen Zustände« zu einer breiteren Diskussion der Verfassungsfrage kommt, drucken die HJ den Beitrag des liberalen K. Biedermann nur mit einer distanzierenden Redaktionsbemerkung ab: »Die Redaktion und die ganze Richtung dieser Zeitschrift ist nun zwar so wenig mit dem Prinzip der praktischen und industriellen Interessen als der vollen und genügenden Grundlage der Staatsfreiheit einverstanden, daß die nächsten Blätter mit einer ausführlichen Kritik dagegen aufgetreten werden«.1' Die hegelianische Abrechnung mit den »industriellen Interessen« übernimmt im November 1839 Frauenstädt, der Biedermanns liberales Prinzip »eines unendlichen Strebens und steten Fortschritts« ad absurdum führt.14 Aus dem »praktischen Standpunkt« sei überhaupt nichts abzuleiten. »Warum hat er nicht lieber gleich ein Dampfwerk angelegt oder eine neue Maschine erfunden u. dgl. ? Ist es nicht ein Widerspruch, die Theorie theoretisch vernichten, den praktischen Standpunkt theoretisch geltend machen zu wollen? Der praktische Standpunkt, wo er sich feindlich gegen den theoretischen verhält, läßt sich nur praktisch behaupten; denn sonst nimmt er ja den Feind in seinen eigenen Busen auf. Taugt die Theorie überhaupt nichts, so taugt ja auch des Verf. Theorie nichts; und so ist es wirklich.« 15 Völlig widersinnig erscheint dem Hegelianer die Fixierung aufs industrielle Interesse. »Warum legt er immer wieder den Akzent auf die materielle Betriebsamkeit, die industriellen Bestrebungen, und will so dem ganzen Geschlechte die praktischen Tendenzen aufdringen?«16
1842 hat sich die Haltung der Junghegelianer ein Stück verschoben. Für Heß zählt Biedermann jetzt zu den »sogenannten >Praktischen<«.17 Umakzentuierungen werden zwar deutlich, aber die »materiellen Interessen ihrer selbst wegen« zum Ausgangspunkt für eine Partei zu nehmen, ist weiterhin undenkbar. Diese Interessenpartei begreife nicht, »daß die Fortschritte in den Werkstätten der Industrie und jene in den Werkstätten des Geistes Kinder ein und desselben Vaters sind, des freien Selbstbewußtseins, der männlichen Selbständigkeit, die sich nur in ihren
158
eigenen Schöpfungen genießen will.«18 Es bleibt bei der Abwertung eines liberalen Interessenbegriffs, aber zugleich zeichnet sich eine Kontur ab, die an die Stelle des Bündnisses von philosophischer Schule und modernem Staat treten könnte: eine politische Partei unter der Regie der »Werkstätten des Geistes«. Aber die »Werkstätten des Geistes«, sie kennen auch >Parteien<, und auf dieser Ebene liegt der aufgewertete Hegelsche Parteibegriff, mit dessen Erbe umzugehen für die Gruppe nicht minder schwierig ist. »Wenn die Kritik selbst einen einseitigen Gesichtspunkt gegen andere ebenso einseitige geltend machen will, so ist sie Polemik und Parteisache«,19 hatte Hegel geschrieben, und an diesem philosophischen Parteibegriff haben sich die Argumentationsfiguren orientiert, mit denen der innerschulische Positionenstreit begriffen werden konnte.20 Lagen hier nicht günstigere Voraussetzungen vor, ein Konzept politischer Partei zu begründen? Man muß schon Hegel zuhören, um zu ermessen, in welche Dilemmata die Junghegelianer geraten, wenn sie sich auf Hegels philosophischen Parteibegriff stützen wollen. So heißt es beim Schulgründer: »Weil aber, wenn eine Menge eine andere Menge sich gegenüberstehen hat, jede von beiden eine Partei heißt, aber wie die eine aufhört, etwas zu scheinen, auch die andere aufhört, Partei zu sein, so muß einesteils jede Seite es unerträglich finden, nur als eine Partei zu erscheinen und den augenblicklichen, von selbst verschwindenden Schein, den sie sich im Streit gibt, nicht vermeiden, sondern sich in Kampf (...) einlassen. Andernteils, wenn eine Menge sich gegen die Gefahr des Kampfes und der Manifestation ihres inneren Nichts damit retten wollte, daß sie die andere nur für eine Partei erklärte, so hätte sie diese eben damit für etwas anerkannt und sich selbst diejenige Allgemeingültigkeit abgesprochen, für welche das, was wirkliche Partei ist, nicht Partei, sondern vielmehr gar nichts sein muß, und damit zugleich sich selbst als Partei, d. h. als Nichts für die wahre Philosophie, bekannt.«21 Diese Parteilogik heißt nichts weniger, als daß im Kampf der Parteien zwei sich gemeinhin paralysierende Bewegungen vollziehen: eine Bewegung der Erzwingung des Parteicharakters, und eine Bewegung, die eben diesen Charakter inakzeptabel macht. Wer seinen Parteicharakter aufheben will, muß erst recht ganz Partei werden, und wer den anderen für Partei erklärt, hat sich selbst der Chance begeben, seinen Parteicharakter aufzuheben. In seinen Aphorismen definierte Hegel lakonisch: »Eine Partei ist dann, wenn sie in sich zerfällt.«22 Kann mit diesem Diktum auch eine politische Partei begründet werden? Und wie steht es mit den berühmten Sätzen aus der »Phänomenologie«, die praktikabel zu machen sich die Gruppe abmüht? Es heißt dort: »Eine Partei bewährt sich erst dadurch als die siegende, daß sie in zwei Parteien zerfällt; denn darin zeigt sie das Prinzip, das sie bekämpfte, an ihr selbst zu besitzen, und hiermit die Einseitigkeit aufgehoben zu haben, in der sie vorher auftrat. Das Interesse, das sich zwischen ihr und der anderen teilte, fällt nun ganz in sie und vergißt der anderen, weil es in ihr selbst den Gegensatz findet, der es beschäftigt. Zugleich aber ist er in das höhere siegende Element erhoben worden, worin er geläutert sich darstellt. So daß also die in einer Partei entstehende Zwietracht, welche ein Unglück scheint, vielmehr ihr Glück beweist.«23 Die Rede von der »rechten« und der »linken« Seite der Hegelschule schließt zwar an die Aufwertung der Polemik und des dialektischen Positionenstreits an, sie scheint sanft auf das Feld der Parteidefinition hinüberzugleiten, auch dient 1838
159
das Hegel-Zitat der »Phänomenologie« Michelet zur Explikation der innerschulischen Differenzen,24 und 1843 dient es Rosenkranz zur Explikation des Begriffs der politischen Partei,25 - aber jener Anschluß und diese Umfunktionierung bringen erhebliche Folgeprobleme mit sich, gerade dann, wenn auf der anderen Seite des Hegelschen Erbes in Sachen >Partei< die »Werkstätten der Industrie« und die »Werkstätten des Geistes« nach denselben Regeln arbeiten sollen. Die Lösung, in die dieser Übergang schließlich münden wird, ist bekannt: es ist der für Deutschland charakteristische Typ der Weltanschauungspartei.26 Es ist weithin anerkannt, daß die Junghegelianer an der Profilierung der Definition von »Weltanschauungspartei« maßgeblich mitgewirkt haben.27 Für sie ist »das Freigeben und Konstituieren der Parteibewegung in der Politik ganz das, was das Freigeben der geistigen Gegensätze in der Wissenschaft« ist.28 Parteien sind berechtigt nur, »wenn ihre Träger eben Träger eines Prinzips sind; bloße Personen sind allemal ekelhaft, wenn sie als Partei hypostasiert werden.«29 b) Philosophischer Dialog als theatralische Politik Die politische Ideengeschichte hat den Typ der Weltanschauungspartei ausgiebig thematisiert und den Zusammenhang mit Religionsparteien, die inhaltliche Profilierung der Prinzipien und politischen Ideale in ihren Mutationen, ihren Anpassungsschwierigkeiten an die geschichtliche Wirklichkeit und ihren Bezug zu verborgenen Interessenlagen gründlich untersucht. In unserem Zusammenhang soll ein anderer Aspekt hervorgehoben werden, der oft vergessen wird, weil er die feierliche Aura, die politische Ideale mit sich führen, tangiert, nämlich die Darstellung des philosophischen Dialogs als theatralische Politik. D. Blackbourn und G. Ely weisen im Anschluß an R. Sennett darauf hin, daß bürgerliche Politik insbesondere in der Mitte des 19. Jahrhunderts stark von der Auffassung der »Politik als Bühne, politisches Handeln als Schauspiel«30 beeinflußt wurde. Für die junghegelianische Selbstdefinition als politische Partei ist dieser Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen. Der dialogische Positionenstreit der philosophischen Schule wird bei ihnen zum Kampf der politischen Parteiprinzipien auf der Ebene politischer Theatralik. Nicht nur maskiert sich z. B. Bauer als reaktionärer Pietist in der »Posaune«, M. Stirner und L. Buhl folgen ihm in ihren Maskeraden zur »Sonntagsfeier«, 31 das große Schauspiel des Prinzipienkampfes, das die Junghegelianer aufführen, ist das Drama der Parteien der französischen Revolution. 32 Für Cieszkowski ist D. F. Strauß Girondist und B. Bauer Montagnard.33 Ruge rechnet sich ebenfalls zur »Bergpartei« und die Tübinger Junghegelianer zur »Gironde«. »Bruno Bauer (und Marx und Christiansen) und Feuerbach haben schon die montagne proklamiert«, schreibt Ruge an Stahr.34 In der politischen Theatralik spielt B. Bauer den Robesspierre, A. Ruge den Danton, Feuerbach gilt als Marat und E. Bauer als Desmoulins.35 Diese Maskerade ist nicht einfach seltsames Beiwerk theoretischer Reflexion, vielmehr eignet sich die theatralische Ebene in besonderem Maße dazu, die zwiespältige Problematik des Hegelschen Parteibegriffs aufzulösen. Für E. Bauer sind Parteien »die Pole, welche das vorher gleichgültige, regellose Treiben einer chaotischen Masse in einen geregelten Gang, in eine gesetzmäßige
160
Bewegung zwingen.«36 E. Bauer kombiniert die beiden Seiten des Hegelschen Parteibegriffs. Auch er setzt hier nicht auf die »Vielen« mit ihren zersplitterten, je subjektiven Interessen. Sie gilt es vielmehr in »geregelten Gang« zu zwingen. Aber dieser Zwang erfolgt nicht über ein beruhigendes System der Verfassung wie bei Hegel, sondern über eine aufreizende polarisierende Parteidramaturgie. Die polare Struktur leistet die Organisation der »Vielen«, aber sie kann dies nur, wenn die Parteien sich in ihren Prinzipien selbst entdecken. »Nur dann werden sie (die Parteien, d. V.) sich mit vollständigem Bewußtsein einander gegenüberstehen können, nur dann wird ihr Kampf, werden ihre Reibungen zu einem ergiebigen Ende führen können.«37 Es handelt sich hier um eine theatralische Ebene, die Prinzipien treten als Parteien verkleidet auf der politischen Bühne auf. Darum trifft auch der Begriff »Fanatismus« die Prinzipienpartei nur ungenau. Die Junghegelianer wollen »keine wilde, polternde, drauflosstürmende Gesellen werden«.38 Sie konzedieren, daß zwar »alles Große und Herrliche und oft freilich furchtbar Erhabene (!), was die Geschichte aufzuweisen hat, ( . . . ) mit feindlicher Nebenbezeichnung Fanatismus« genannt werden mag, aber sie fordern: »Halten wir den Fanatismus von seiner poetischen Seite genommen also dreist fest.«39 Poetisch genommen, gehört die Kollision der Prinzipien in die Äthetik des Dramas, das für Hegel wie für die Junghegelianer zur höchsten Stufe der Kunst zählt und »das Produkt eines schon in sich ausgebildeten nationalen Lebens« ist.40 Das Drama zeigt »die zu lebendigen Charakteren und konfliktreichen Situationen individualisierten Zwecke, in ihrem Sichzeigen und -behaupten, Einwirken und Bestimmen gegeneinander.«41 Im Drama treten die »geistigen Mächte« als »Pathos von Individuen gegeneinander auf«.42 Was die Junghegelianer auf der politischen Bühne darstellen, ist das »Pathos für die Freiheit«, zu dem die Theorie umgebildet werden muß.43 Ruge definiert: »Wer ist aber Partei? Wer sich klarmacht, wo die Sache hinaus will und die allgemeine Sache zu der seinigen macht, d. h. wer denkt und als denkender Mensch sich für oder wider bestimmt. Also heißt Partei sein nichts anderes, als einen vernünftigen entschiedenen Willen haben.«44 Dieser individualisierte Zweck< bedarf, wenn er sich politisch darstellt, der dramatischen Form, der leidenschaftlichen Sprache. Die Forderung der Zensur, Erörterungen sollen »anständig und wohlmeinend« sein, ist für E. Bauer inakzeptabel. »Man glaube also nicht, daß man, indem man sich gegen die Form wendet, sich nicht auch gegen den Gedanken wende. Anders ausgesprochen wird auch der Gedanke ein anderer und verliert seine Wirkung. (. . .) Jede neue Wahrheit spricht sich leidenschaftlich aus.«45 Zum politischen Leben gehört eine »leidenschaftliche, radikale Schreibweise«.46 Radikalismus ist in diesem dramatischen Sinne ein Merkmal der politischen Partei. Der Radikalismus »sollte von Rechts wegen bei allen Parteien in Gunst stehen (. . .). Radikale Tätigkeit von jeder Art bringt uns lediglich weiter«, heißt es bei Nauwerck.47 Radikal ist jemand, »dessen Worte und Handlungen die getreuen Abdrücke seiner Gedanken sind.« Als solche Gestalten müßten sich alle Individuen »über dem Altar des Radikalismus die Hände reichen, und sollten sie sich auch gleich nachher auf Leben und Tod bekämpfen.«48 Persönlichkeit wird zur öffentlichen Persönlichkeit dramatisiert.
161
Natürlich kann man mit H. Stuke davon sprechen, daß die Junghegelianer, wie er am Beispiel B. Bauer zeigt, die Hegelsche Dialektik in eine »revolutionäre Antithetik« verwandelt hätten.49 Berechtigt ist diese These dort, wo man die Junghegelianer nur als eine philosophische Schule begreift. Als politische Partei beziehen sie sich aber darüber hinaus auf ein Szenario dramatischer Kollisionen, dessen Spannung sich erst entfaltet, wenn der intime Versöhnungsaspekt der Dialektik zugunsten öffentlicher Polaritäten außer Kraft gesetzt wird. Deutlich werden diese Effekte der Selbstdefinition als politische Partei bei Bakunin. Die politischen Gegner, die als Parteien von Prinzipien erscheinen, werden als für einander unverzichtbare Mitspieler auf der politischen Bühne behandelt. »Ihrem Wesen, ihrem Prinzipe nach ist die demokratische Partei das Allgemeine, das Allumfassende, ihrer Existenz nach aber, als Partei, ist sie nur ein besonderes, das Negative, dem ein anderes Besonderes, das Positive gegenübersteht.«30 Diese Einseitigkeit ist nicht einfach aufzuheben, wie die Partei der »vermittelnden Reaktionäre« meint, weil dies zur »praktischen Gesinnungslosigkeit« führe." Dieser Vorwurf sei kein persönlicher: »das Innere eines Individuums ist mir ein unantastbares Heiligtum, ein Inkommensurables, über welches ich mir niemals ein Urteil erlauben werde; - dieses Innere kann für das Individuum selbst einen unendlichen Wert haben; — für die Welt, in der Wirklichkeit ist es aber nur insofern, als es sich äußert, und nur ein solches, als welches es sich äußert«.52 Die entscheidende Wirklichkeitsebene ist die des öffentlich auftretenden Individuums. Auf dieser Bühne der Öffentlichkeit wollen Bakunin zufolge die auf dialektischer Vermittlung Beharrenden nicht auftreten, da sie »in ihrer Leblosigkeit kein anderes Geschäft so gern übernehmen als das Bemeistern der Geschichte« und sich nicht von »ihrem theoretischen Hochmut« befreien könnten.53 Der »theoretische Hochmut« läßt keine politische Dramatik entstehen. Für E. Bauer zählt die Partei der Mitte, das »Juste-Milieu«, kaum. »Freilich, es gibt eigentlich nur zwei wahre Parteien; die eine steht ganz links, die andere ganz rechts. Wenn wir nämlich Partei nur die nennen dürfen, welche ein konsequent durchgeführtes Prinzip hat.«54 Auf der Ebene politischer Theatralik gilt: »Jedes Prinzip ist extra. Das Juste milieu hat kein Prinzip, sondern droht mit zwei Prinzipien, die ihm rechts und links stehen. Es sagt: bei mir allein findet ihr Frieden und süße Ruhe; wenn ihr aber nicht artig seid - da seht zu meinen beiden Seiten zwei Ausartungen, zwei Fatalitäten, denen ihr unrettbar anheim fallt, wenn es euch in meinem Schöße nicht mehr gefällt.«55 Aber wenn nun diese vermittelnden Gestalten in die politische Theatralik hineingezogen werden - die junghegelianische Rhetorik verfolgt dieses Ziel unablässig -, werden es tragische oder komische Figuren sein? Und die, die den ernsten Willen der Extreme darstellen, werden sie in einer politischen Tragödie oder einer politischen Komödie auftreten? Politik als Schauspiel und die Dramaturgie des Parteienkampfes als einer Kollision von Prinzipien - beide Bestimmungen reichen noch nicht aus. Für die Junghegelianer gilt die Komödie als die dramatische Gattung, die dem politischen Leben entspricht. Sie schließen an Hegels Ästhetik an, in der die Komö-
162
die einer Welt zugerechnet wird, »in welcher sich der Mensch zum vollständigen Meister alles dessen gemacht hat, was ihm sonst als der wesentliche Gehalt seines Wissens und Vollbringens gilt«.56 Der Mensch hat die schicksalhaften Mächte, die in der Tragödie ihren Ort haben, durchschaut, er ist über seinen eigenen Widerspruch erhaben. Zum Komischen gehört »die Seligkeit und Wohligkeit der Subjektivität, die; ihrer selbst gewiß, die Auflösung ihrer Zwecke und Realisationen ertragen kann.«37 E. Bauer zufolge müßten es schon die politischen und staatlichen Fragen sein, die den Gegenstand eines deutschen Lustspiels abgeben.58 Aber er antizipiert die Reaktion seiner Zeitgenossen, die es frevelhaft finden, »den Staat mit seinen gewaltigen Interessen zum Gegenstand einer Komödie« zu machen, und er antwortet ihnen: »Nun ja, ich gebe Euch vollkommen Recht. Eben weil wir in unserem ehrlichen theoretischen Wesen stets einen Schauer der Pietät fühlen, wenn wir nur das Wort Staat nennen hören, eben weil wir bei jenen gefährlichen Schwankungen, die Deutschland in Bezug auf staatliche Fragen schon seit Dezennien erschüttern, oft genug den gottlosen Zweifel erhoben sehen, ob auch Recht und Wahrheit endlich siegen werden, eben weil wir unsere Kräfte mehr zu tragischem Streit als zu komischen Satyrtänzen zu sammeln haben - weil das alles ist, sage ich - ist für jetzt ein deutsches Lustspiel unmöglich.«59 Im Bereich des Staates sei die Art Kampf noch nicht möglich, »der in seiner Würde und Bedeutung von beiden Seiten anerkannt ist und in dem jede Partei als gleichberechtigt auftritt«. Wo dies - wie im politischen Leben Frankreichs - der Fall ist, dort »gedeiht das Lustspiel«. Für Deutschland gilt: »unser ganzes Leben ist kein komisches. Wir sind geborne Tragiker.«60 Die junghegelianische Prinzipienpartei hat so auf der Bühne der Politik eine prekäre Stellung. Sie folgt einer Theatralisierung des philosophischen Dialogs, aber der parteiliche Mensch verfällt in eine tragische Rolle, die dem Stück, das er spielen soll, nicht angemessen ist. Rüge löst dieses Dilemma in einer historischen Perspektive. »Der komische Sieg ist ein theoretischer und kann dem praktischen um viele Jahre in der Entwicklung vorgreifen.«61 Die Komödie antizipiert eine Form politischen Lebens, in dem der »Geist in vollkommenster Heiterkeit und Macht sich frei bewegen könnte«.62 In diesem Sinne feiert Ruge die Maskeraden B. Bauers und die Schellingpolemiken von Engels als die sich abzeichnende »Wiedergeburt der historischen Komödie«.63 Im Unterschied zu Aristophanes, dessen Komödien »unmittelbar aus dem politisch-ästhetischen Leben des Volkes« hervorgegangen seien, entspringe die neue Komödie aus dem philosophischen Bereich.64 Sie ist politische Theatralik gewordener philosophischer Positionenstreit. Trotz aller geschichtsphilosophischer Vergewisserung, auf die in der Forschung häufig der Hauptakzent gelegt wird, ist das Drama, in dem die junghegelianische Partei ihren Part spielt, offen. 65 Es kann als Tragödie enden, wenn die Seite der Schicksalhaftigkeit des Geschehens und die Fatalität der Motive Oberhand erhält, oder es kann Komödie werden, wenn es gelingt, zu den eigenen Prinzipien eine Distanz zu wahren, bei der das Handeln auf der Bühne des politischen Lebens von den versöhnten Eindimensionalitäten aller Art verschont bleibt.
163
2. Das Übergangsproblem Die Hegelsche »Rechte«, die »Linke«, die zwei »wahren« Prinzipienparteien: diese Rede, die philosophische Positionen politisiert und politische Termini philosophisch auflädt, verweist auf das komplizierte Problem des Übergangs. Die junghegelianische Rhetorik selbst ist randvoll mit Formeln des Übergangs: Von der Schule zur Partei, von der Philosophie zur Politik, von der Wissenschaft zum Leben, von der Theorie zur Praxis.66 Die Rhetorik des Übergangs spricht sich leicht aus. Aber was ist ein >Übergang Sehr gut läßt sich in der Regel der Zustand erfassen, von dem aus ein Übergang stattfindet, und ebenso klar mag der Zustand erscheinen, der als Resultat der Entwicklung greifbar ist. Auf unseren Fall bezogen: Die Junghegelianer als philosophische Schule sind typologisch ebenso gut darstellbar wie die Intellektuellengruppe, die sich als Partei definiert. Die wissenschaftliche Arbeitsteilung reflektiert dies, wenn die Junghegelianer philosophiegeschichtlich als philosophische Schule untersucht, sozialgeschichtlich oder politikwissenschaftlich dagegen in den Kontext der Genese der politischen Parteien gestellt werden. Das Problem, vor dem wir stehen, liegt darin, den Zustand des Übergangs selbst zu fassen. Wir stehen hier schon vor sprachlichen Nöten, die sich im Vorherrschen negativer Benennungen kenntlich machen. Die Junghegelianer sind nicht mehr eine philosophische Schule, aber noch nicht eine politische Organisation oder Partei. Dennoch ist zu vermuten, daß in diesem >nicht mehr< und >noch nicht< gerade der auch soziologisch relevante Eigenwert des Phänomens liegt. Um es mit einem Wortspiel zu verdeutlichen: Einen Übergang zu analysieren, heißt nicht nur, sich dessen bewußt zu werden, daß übergegangen wird, sondern auch zu verhindern wissen, daß der Zustand des Übergangs übergangen wird. Diese Bemerkungen bleiben der Sache selbst nicht äußerlich, wenn man daran erinnert, daß jener geheimnisvolle Begriff des >Aufhebens< in der Hegelschen Dialektik mit dem Problem des Übergangs zusammenfällt. Die Mehrdeutigkeit und Ambivalenz, die sich im Raum, den der Übergang darstellt, auftut, ist ebenso entscheidend wie Anfang und Ende des Übergangsprozesses. »Die Philosophie macht Partei«, schreiben Ruge und Echtermeyer 1840, und sie denken dabei an einen Übergang von der »theoretischen Faulheit der Althegelianer« zur »Praxis der Arbeit«.67 Die Durchführung der Idee ist nicht als eine Durchführung zu verstehen, die sich auf universitäre Spezialdisziplinen bezieht, wie dies in der Aufgabenstellung als philosophische Schule gegeben war,68 sondern als eine »unbedingte Praxis«, die sich »polemisch auch gegen ihren eigenen Vater«, d. h. gegen Hegel, wendet. Diese Praxis ist »die absolute Tatenlust des befreiten Geistes«, sie »begnügt sich nicht mit der Hegelschen Beschaulichkeit, welche in theoretischer Selbstzufriedenheit dem Prozesse bloß zusieht, und jede Absurdität konstruiert, sondern handelt, fordert, gestaltet«.69 Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Rhetorik des Übergangs, in der Kontemplation gegen Aktion, Denken gegen Handeln ausgespielt wird, eine Rhetorik, die das Fichtesche Sollen gegen die Hegelsche post festum Betrachtung der vollzogenen Selbstbewegung des Seins rehabilitiert,70 eine Rhetorik, die in der endlos zitierten Marxschen 11. These über Feuerbach sich wiederholt. Diese Rhetorik
164
kann als junghegelianische >Allzweckwaffe< bezeichnet werden. Sie ist jedoch, obwohl sie nur einen Punkt des Übergangs zu signalisieren scheint, enorm ausdehnungsfähig, sie kann weite Räume besetzen und ausfüllen, denn es geht nicht um bloße »Tatenlust«, sondern um »absolute Tatenlust«; »diese Praxis ist ein neues System«, schreiben Ruge und Echtermeyer.71 Die Formel von der Philosophie, die Partei macht, bezieht sich nicht auf einen einfachen Wechsel, so sehr sie auch emphatisch auf den Augenblick des Übergangs sich zuzuspitzen scheint, vielmehr umreißt die Formel gleichsam topographisch ein neues diskursives Feld, in dem die Philosophie nach ihrer Parteifähigkeit und parteiliches Handeln nach seinem philosophischen Systemwert befragt werden. Die Übergangsformeln sind an ihren Rändern in einer aufdringlichen Weise monoton: die Forderung, überzugehen, wird unablässig wiederholt. Im Innern des neuen diskursiven Feldes dagegen entwerfen die Junghegelianer verschiedene Versionen der Vermittlung von Theorie und Praxis, die bis heute die Forschung nicht in Ruhe lassen.72 Im Zusammenhang dieses Kapitels ist zu fragen: worin liegt aus der Perspektive der Gruppengeschichte das Neue des diskursiven Feldes einer Philosophie, die Partei macht? Das Desiderat einer Verwirklichung der Philosophie ist ja nicht an die Forderung, Partei zu machen, gebunden. Denn als philosophische Schule, die sich der Figur der beamteten Intelligenz verpflichtete, hatten die Junghegelianer bereits ihre Philosophie auf die Reformpiaxis des Staates bezogen. Aber für die entlassenen Philosophen kommt diese Praxis nun nicht mehr in Frage. Das Neue einer Philosophie, die Partei macht, liegt daher jetzt auf einem Gelände, das es erst zu sichern bzw. erst zu bereinigen gilt: es liegt in der Zukunft und in der Destruktion des Bestehenden. Zwischen diesen beiden Definitionen entfaltet sich die junghegelianische Debatte über den Übergang zur Partei. Den Gedanken, daß der Hegelschen Philosophie die Reflexion auf die Zukunft fehle, hat der polnische Graf und Hegelschüler Cieszkowski 1838 entwickelt. Die »Erkennbarkeit der Zukunft« aus der philosophischen Reflexion auszusparen, sei eine »Anomalie« des Hegelschen Systems, zur Totalität der Weltgeschichte gehöre die Zukunft.73 Diese Hegel überschreitende »Teleologie der Weltgeschichte« kennt drei einander ablösende Stadien: 1. die Kunst, in der es »auf die Darstellung des Inneren, d. h. auf die Objektivierung der Bedeutung« ankommt, 2. die Philosophie, die sich umgekehrt auf die » Bedeutung der Objektivität« richtet, und 3. das »absolut Praktische«, das den Widerspruch und die Einseitigkeit der beiden vorhergehenden teleologischen Ansichten auflöst auf der Ebene »des höchsten, praktischen sozialen Lebens, welches die untergegangene Kunst einerseits und die in besonderer Hinsicht erstarrte Philosophie andererseits selbst neu beleben wird.«74 Die besondere Eignung der Kunst für das Parteimachen der Philosophie wurde im vorhergehenden Abschnitt dargestellt. Das »absolute Tun« Cieszkowskis, das sich der Zukunft bemächtigt, wird nicht nur in Ruges Formulierung von der »absoluten Tatenlust« aufgegriffen, auch M. Heß bezieht sich auf den polnischen Grafen, und er nutzt dessen Thesen als Erklärungsraster für die Spaltung der Hegelschule. Weil die Hegeische Philosophie nicht so absolut gewesen ist, sich »auch die Zukunft zu vindizieren«, mußten sich trotz aller Vermittlungsversuche die Hegelschüler »in zwei Feldlager« teilen. »Die sogenannte >linke Seite< der Hegelschen
165
Schule bildet schon den Übergang aus der Philosophie der Vergangenheit zur Philosophie der Tat«.75 Wichtig ist, daß Heß sich in diesem Übergang in spezifischer Weise verortet. Heß will nämlich kein >Junghegelianer< sein, er nimmt Cieszkowski und sich selbst aus dem Hegelianismus heraus, weil im Übergang der von ihm gruppierten >linken< Hegelianer noch »eine dunkle Seite« liegt.76 Ihr Übergang sei ein negativer, zur Tat führe jedoch nur ein »positiver Übergang«. Nicht nur herrsche bei ihnen eine »polemische Befangenheit (. ..), welche verhindert, positiv weiterzukommen«, vielmehr: »Anstatt die ganze Weltgeschichte zu heiligen, gibt sich jene Tendenz wieder viele Mühe, auch der Vergangenheit ihre Heiligkeit zu rauben.«77 Es ist das negative, auf das Geschehene bezogene Verhalten, das für Heß nicht praxisfähig ist. Die kritische Negation ist, weil an die Auflösung der Philosophie gebunden, nicht für die Tat zu gebrauchen. »Das Positive muß jetzt in einem anderen Gebiete, als der theoria gesucht werden. Das freie Denken verträgt sich mit keinem Dogmatismus. — Kann aber die Philosophie nicht mehr zum Dogmatismus zurückkehren, so muß sie, um Positives zu erringen, über sich selbst hinaus zur Tat fortschreiten.«78 Was passiert, wenn die Philosophie Partei macht? Wird sie »positiv«, indem sie zur Tat schreitet, weil sie sich teleologisch auf Zukunft hin definiert? Oder macht die Philosophie praktisch negativ Front gegen die aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragenden unvernünftigen Formen des Lebens? Vollzieht die Partei eine eliminatorische Geste, die eine freiere Zukunft ermöglicht, weil sie sich praktisch negativ auf ihre Hemmnisse bezieht, oder ist diese Eliminationslogik nicht notwendigerweise der Verzicht auf Praxis als gestaltender Tätigkeit? Die junghegelianische Partei ist in dieser Frage zerstritten. Gegen den Vorwurf »destruktiver Tendenzen« macht Echtermeyer geltend, »daß alle wahre Philosophie als solche kritisch, und insofern negativ, oder, wenn man will, destruktiv ist.« Wer an »dem Geiste und der Freiheit Teil haben will, muß ( . . . ) für die Negativität und Dialektik der Idee gegen die sogenannten Realitäten und Wirklichkeiten, gegen die Objektwelt als solche entschlossen Partei ergreifen.«79 Für E. Bauer ist gewiß, »daß jedes Prinzip, welches neu auftritt in der Weltgeschichte, vandalisch ist.«80 Die »Partei der Menschheit« vertritt ein Prinzip, das »sansculottisch« ist. Ihre Praxis ist eine eliminatorische, revolutionäre Praxis, sie »bringt Nichts, und das ist ihr Vorzug, welcher ihren Vandalismus wieder gut, oder vielmehr welcher ihn vollkommen macht. Was sollen Eure Fragen nach dem, was wir Euch Neues bringen? Wir bringen Euch keine neue Fessel, keinen neuen Koran, wir bringen Euch nur Euch selber.«81 Aber ist diese negative Praxis überhaupt denkbar? Ein Korrespondent der RhZ bemerkt: »Der Zertrümmerer hat einen Boden nötig, auf dem er steht; er hat einen Arm nötig, um seine Waffen zu führen«, er brauche Waffen, Mut und Willen, alles »Dinge, die er somit in seinem eigenen Interesse nicht wird zertrümmern wollen.« 82 Außerdem habe er ein Herz, Sympathien und Freundschaften, »auch diese wird der Destruktive nicht zertrümmert wissen wollen, ja er wird sie sogar aufs Äußerste zu verteidigen und zu erhalten suchen.« Die Begriffe »revolutionär«, »destruktiv«, »negativ« seien nur »luftige Schlagworte«.83
166
Die positive Partei der Zukunft und die negative Partei der Kritik des Bestehenden, wo liegt hier ein möglicher Verbindungspunkt? Auf einer theoretischen Ebene ist er schwer kollektiv vorstellbar, und dieser Streit durchzieht die junghegelianische Parteidiskussion bis zu ihrem Ende. Aber auf der Ebene kollektiver Praxis, d. h. im zu schaffenden Selbstverständnis einer politischen Handlungsgemeinschaft, gibt es noch die pragmatische Dimension, den internen Streit zu beenden. Wie dies geschehen kann, zeigt Buhl in seiner Rezension der Heßschen »Triarchie«.84 Buhl apostrophiert Heß seiner Erstlingsschrift entsprechend als »Spinozist«.85 Aber dessen Kritik der Junghegelianer spielt er geschickt herunter. Heß stehe »auch im Grunde auf keinem anderen Standpunkt als die jüngeren Hegelianer, welche die linke Seite der Schule bilden.«86 Buhl akzeptiert das Heßsche Programm der Philosophie der Tat, er kritisiert kurz einige philosophische Aussagen von Heß: seine Gleichsetzung von poetischen, philosophischen, prophetischen und mystischen Ausdrucksformen des spekulativen Geistes und seine Rehabilitation der Natur als »ebenbürtiges Weib« des Geistes, um rasch abzubrechen: »Doch lassen wir diese Polemik gegen die falschen Konsequenzen des Spinozismus fallen, um uns mit dem Verfasser (d. h. Heß, d. V.) über seine politischen Ideen zu unterhalten, die uns mehr interessieren.«87 Für die philosophische Schule wären die »falschen Konsequenzen des Spinozismus« ein Thema ersten Ranges gewesen, jetzt muß der Philosophienstreit gebremst werden. Es geht um eine Begrenzung des Diskurses für einen neuen Sinn der Gruppe. Wichtiger sind die politischen Aussagen, insbesondere Heß' Definition des Parteienspektrums. Für Heß existieren drei Fraktionen, die der Reaktion gegenüberstehen.88 Entsprechend seiner triarchischen Konstruktion (Deutschland: Geistfreiheit, Frankreich: Revolution der Sitte, England: politisch-soziale Revolution)89 gruppiert er die rechte Fraktion als >deutsche Deutsche< mit D. F. Strauß und den HJ, das Zentrum als französische Deutsche< mit Heine, Laube, Bettina v. Arnim u. a., die Linke als >englische Deutsche< mit Börne, Gutzkow, Wienbarg. Auf den Streit innerhalb des Jungen Deutschland anspielend fordert Heß, »man sollte endlich aufhören, mit vergifteten Waffen zu kämpfen.«90 Buhl stimmt dem Aufruf zur Einigkeit zu, auch für ihn ist es an der Zeit, daß »die Kraft der Einzelnen für das gemeinsame National-Interesse konzentriert würde.«91 Einigkeit herrscht in dem Wunsch nach der Begrenzung des Diskurses. Was Buhl nicht akzeptieren kann, ist die Heßsche »Stellung der Parteien«. Die Junghegelianer lassen sich nicht ins Abseits der Theorie stellen, schon gar nicht auf die >rechte Seite< des Fortschritts. Buhl antwortet Heß: »Die Hegelianer der linken Seite sind nicht bloß theoretisch, sondern wesentlich praktisch, und sie bilden für die gesamte Nation die Linke, sowohl den Orthodoxen und den Absolutisten als auch den Althegelianern gegenüber. Die englischen Deutschen, zu denen der Spinozist sich rechnet, sowie Börnes schon erloschenes Wirken, dem er dann noch Gutzkow und Wienbarg beigezählt, können wir nicht als besondere Parteibildung anerkennen. Wienbarg und Gutzkow bewegen sich da, wo sie wahrhaft tüchtig sind, in demselben Anschauungskreis, wie die Hegelianer der linken Seite, und auch der Spinozist wird von dieser Richtung vollkommen absorbiert.«92
167
Und der »Spinozist« hat sich absorbieren lassen. Ein halbes Jahr später verteidigt er im >Athenäum<, das Buhls Rezension publiziert hatte, zusammen mit dem Übergang der Philosophie zur Tat auch die negative Praxis.93 Die politische Handlungsgemeinschaft muß die Grenzziehung für den Streit neu bestimmen. Den Streit, den sie als philosophische Schule sich erlaubt hat, muß sie sich ein Stück weit versagen, wenn sie zur politischen Partei übergehen will. Heß' Abgrenzung gegen die von ihm gruppierten Junghegelianer ist dafür noch viel zu spekulativ. Gegen die Buhlsche Definition der Junghegelianer als Repräsentanten der Linken für die gesamte Nation hat sie keine Chance. Aber welche Einigungsformel wäre in der Lage, eine neue Begrenzung des Diskurses zu signalisieren, in dem die beiden strittigen Seiten des Parteibegriffs beruhigt werden könnten? Die Formel, auf die der absorbierte »Spinozist« Heß setzt, heißt: »Konsequenz«. Die positive Philosophie der Tat ist ebenso »konsequent« wie die negative Kritik des Bestehenden. Unter der Parteifahne der »Konsequenz« kann sich der »Vandalismus des neuen Prinzips« mit der positiven Gestaltung der Zukunft vereinen. Wenn »Vermittlung« und »Aufhebung« die Zauberworte der Hegelschen Philosophie sind, so ist das junghegelianische Zauberwort »Konsequenz«. In ihm bündeln sich die wichtigsten Elemente, die den Parteibegriff ausmachen. >Konsequenz< führt zum Parteiergreifen, der Inhalt der Partei ist ein >konsequentes< Prinzip, es gilt praktische >Konsequenzen< aus der Philosophie zu ziehen, die praktische Anwendung der Kritik ist >konsequent<. Der politische Radikalismus ist für Nauwerck schlicht das »System der Konsequenz«.94 Die Formel bündelt die Probleme des Übergangs, liegt sie doch ganz nahe am Begriff des Übergangs selbst. Sie begrenzt den Schulstreit und eröffnet einen neuen Rahmen, in dem die Stellung der philosophischen Politiker auf der Bühne des öffentlichen Lebens definiert werden kann.
3. Die praktische Konsequenz bei Feuerbach und B. Bauer Die Philosophie, die ins Leben übergeht und dort Partei macht, steht vor zwei Problemen: sie muß im Innern ihrer Sätze erhebliche Umbauten vornehmen, und sie muß in irgendeiner Weise mit den pragmatisch-taktischen Dimensionen umgehen, die politisches Handeln mit sich bringt. In diesem Abschnitt sollen die Lösungen vorgestellt werden, die Feuerbach und B. Bauer entwickelt haben. Sie stellen für die Gruppe wichtige Orientierungen für ihren Versuch dar, als politische Partei die Philosophie praktisch werden zu lassen.95 a) Philosophie und Leben beiVeuerbach Eine Programmatik des Übergangs der Philosophie zum Leben findet sich bei Feuerbach schon früh in einem Brief an Hegel, dem er 1828 seine Dissertation schickt. Er stellt sich als Hegelschüler vor, bringt die besonderen Pietätspflichten gegenüber dem Lehrer zur Sprache, die durch »Werke, die im Geiste seines Lehrers gearbeitet sind«, erfüllt werden.96
168
Feuerbach geht jedoch über die traditionelle Schülerformel von >Studium und freier Aneignung< hinaus und unterlegt seine Weise der Aneignung der Hegelschen Philosophie mit einem ungewöhnlichen existentiellen Sinn. Die Ideen, die der Lehrer geweckt habe, hielten sich »nicht oben im Allgemeinen über dem Sinnlichen und der Erscheinung«, sondern sie wirkten »schaffend in mir« fort, und dieses quasi Persönlichwerden der Ideen korrespondiere mit einer Art des Philosophierens, »welche man die Verwirklichung und Verweltlichung der Idee, die Ensarkosis oder Inkarnation des reinen Logos nennen könnte.«97 Die Unsicherheit des neuen Gedankens wird spürbar, wenn Feuerbach am Rande zu »Verwirklichung« bemerkt: »keineswegs aber Popularisierung oder Verwandlung des Denkens in ein anstierendes Anschauen oder etwa der Gedanken in Bildchen und Zeichen«98. Diese abweisende Geste enthält im Kern schon das Problem, das entsteht, wenn die politisch-pragmatische Dimension der »Popularisierung« sich ankündigt. Das Problem bleibt an dieser Stelle ungelöst, denn es gibt eine Koinzidenz, die darin besteht, daß die umrissene neue »Art des Philosophierens ( . . . ) an der Zeit ist oder (was eins ist) im Geiste selbst der neuern oder neuesten Philosophie begründet ist, aus ihm selbst hervorgeht.«99 Bei Hegels Philosophie handele es sich »nicht um eine Sache der Schule, sondern der Menschheit«, es sei der Geist der neuesten Philosophie, der »dahin drängt, die Schranken einer Schule zu durchbrechen und allgemeine, weltgeschichtliche, offenbare Anschauung zu werden«; es liege hier »nicht bloß der Same zu einem bessern literarischen Treiben und Schreiben, sondern zu einem in der Wirklichkeit sich aussprechenden, allgemeinen Geiste, gleichsam zu einer neuern Weltperiode«. Es gelte ein »Reich zu stiften, (. . .) auf daß die Idee wirklich sei und herrsche«.100 Will man die Entwicklung des Topos von der Verwirklichung der Philosophie bei Feuerbach weiterverfolgen, so bietet sich an, seinen Brief an Riedel von 1839 zu untersuchen, in dem Feuerbach etwa ein Jahrzehnt später, bereits in den Streit um Leos >Hegelingen< verwickelt, über seine Bestimmung des Übergangs von der Philosophie zum Leben Auskunft gibt.101 Der existentielle Sinn des Topos hat zu dieser Zeit eine lebensgeschichtliche Dimension hinzugewonnen, die es zu verarbeiten gilt: Feuerbachs Karriere ist gescheitert, er lebt als philosophischer Schriftsteller auf dem Lande. Der Junghegelianer Riedel fordert Feuerbach öffentlich auf, seine Einsiedelei aufzugeben: »Es wäre gar sehr zu wünschen, daß F. recht bald in eine bestimmte Wirksamkeit einträte. In Sphären, welche dem Leben und der Kunst näher stehen, würde sein Talent glänzen«.102 Feuerbach antwortet mit einer Verteidigung seiner Lebensumstände in Bruckberg. »Nicht ein widriges, sondern ein günstiges Lebensgeschick, mein eigener Genius hat mich daher auf diesen Boden versetzt.«103 Er definiert seine Existenzweise in Differenz zu der universitärer Wissenschaftler, indem er seine Nähe zur Natur und die Naturfeme der akademischen Welt doppeldeutig zum Kriterium für die »geistige Qualität des Orts« macht. »Reine, gesunde Luft weht hier, aber wie wichtig ist für das wichtigste Organ des Menschen, das Denkorgan, die reine, frische Luft! Die spekulative Philosophie Deutschlands, wie sie sich bisher entwickelt hat, ist ein Beispiel von den schädlichen Einflüssen der verpesteten Stadtluft. Wer kann leugnen, daß ihr Denkorgan, namentlich in Hegel, vortrefflich organi-
169
siert war, aber wer auch übersehen, daß die Funktion des Zentralorgans von den Sinnenfunktionen zu sehr abgesondert, daß namentlich der Kanal bei ihr verstopft war, durch welchen die Natur ihren heilbringenden Odem uns zuströmt?«104 Einer Philosophie, die das »Denkorgan« von der Erkenntnisfunktion der Sinne abgesondert entwickelt, ist die Einsicht verstellt: »Nicht nur die wesentliche Eigenschaft des Geistes, Denken, sondern auch die wesentliche Eigenschaft der Materie, die Ausdehnung gehört zur Wesenheit des absoluten Wesens.«105 Feuerbach parallelisiert seinen Übergang vom »Dozentenstand« zum »Stand eines bloßen Privatmanns«106 mit einer Bewegung, die die Zerrissenheit von Philosophie und Leben überwindet. Es ist dieser erreichte, neue Standpunkt, der ihm nun die Möglichkeit gibt, in die Debatte um die Verwirklichung der Philosophie kritisch einzugreifen. Feuerbach macht für sich geltend, daß er »nie - auch nicht auf den steilsten Höhen der Philosophie, auch nicht in den entlegensten Tälern der Historie - die Beziehung auf das Leben, die praktische Tendenz, aus dem Auge verloren« habe. Er wendet sich jedoch entschieden gegen eine aktivistische Position, bei der »die Wissenschaften und Künste nur nach ihrer Beziehung auf das Leben geschätzt werden.« Die Aktivisten des Übergangs zum Leben übersehen nämlich: »Das Wesen dessen, was man eigentlich Leben nennt, ist genau besehen, immer nur der Egoismus«. 107 Darüber hinaus überließe man »die Gelehrsamkeit - eine gewaltige Waffe, wenn sie der Geist führt - dem Pedantismus und religiösen Fanatismus oder politischen Absolutismus.«108 Entscheidend aber ist: »Die wissenschaftlichen Ideen können überhaupt da erst in das Leben übergehen — ein Übergang, der immer durch die Ästhetik vermittelt ist -, wo sie durch und durch wissenschaftlich ausgebildet sind — daher es viel zu voreilig ist, wenn bereits jüngere Talente die Ideen der neuern Philosophie ins Leben übertragen wollen, da diese selbst noch mannigfacher Modifikationen und selbst kritischer Berichtigungen bedürfen.«109 Der Verwirklichungstopos wird hier an mehrere Voraussetzungen gebunden: 1. Es bedarf gleichsam einer existenziell vorgängigen Veränderung der Lebensweise, um die praktische Tendenz der Philosophie zur Wirkung zu bringen. Der »Philosoph« darf sich selbst nicht als »übergehend« definieren, er muß schon »übergegangen sein«. 1842 heißt es kategorisch: »Wolle nicht Philosoph sein im Unterschied vom Menschen, sei nichts weiter als ein denkender Mensch; (. . .) denke in der Existenz, in der Welt als ein Mitglied derselben«. 110 Ohne diese vorgängige existentielle Veränderung bleiben der »Egoismus« und »Utilitismus« 111 des Lebens ungebrochen bestehen, und die Gelehrsamkeit geht mit diesen Elementen eine Art >unheiliger Allianz< ein. 2. Ein Übergang der Ideen ins Leben setzt ihre Vollendung voraus, denn ohne eine vollkommene Ausbildung der Philosophie würde wohl alles Mögliche verwirklicht, nur keine Philosophie, die diesen Namen verdient. Was sind aber dieKriterien einer vollkommenen Ausbildung? Die Philosophie muß anerkennen, daß Kopf und Herz die »wesentlichen Werkzeuge, Organe der Philosophie sind«, 112 d. h. ihre Ausbildung besteht in der Aufnahme nichtintellektuellerWahrnehmungsformen. »Dem Denken geht das Leiden voran.«113 Die ausgebildete Philosophie setzt auf ein »passives Prinzip«, das mit der Denkaktivität zusammengenommen werden muß.
170
»Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel nur zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen. Nur so wird die Philosophie zu einer universalen, gegensatzlosen, unwiderleglichen, unwiderstehlichen Macht.«114
In den Text der Philosophie aufgenommen werden sollen aber nicht nur die Leidenschaften des Herzens, die Gemütskräfte, sondern auch die äußeren räumlichen und zeitlichen Existenzbedingungen: »Negation von Raum und Zeit in der Metaphysik, im Wesen der Dinge hat die verderblichsten praktischen Folgen. Nur wer überall auf dem Standpunkt der Zeit und des Raums steht, hat auch im Leben Takt und praktischen Verstand. Raum und Zeit sind die ersten Kriterien der Praxis. Ein Volk, welches aus seiner Metaphysik die Zeit ausschließt, die ewige, d. h. abstrakte, von der Zeit abgesonderte Existenz vergöttert, das schließt konsequent auch aus seiner Politik die Zeit aus, vergöttert das rechts- und vernunftwidrige, antigeschichtliche Stabilitätsprinzip.« 115
3. Der Übergang ist für Feuerbach ästhetisch vermittelt. Hier schließen seine Überlegungen an die junghegelianischen Thesen zur Komödie an. Es ist der Humor, der die Wissenschaft mit dem Leben verknüpft. 116 Er ist »der Privatdozent der Philosophie«.117 An Riedel schreibt er über die Methode seiner »(im höheren Sinne) praktischen Tendenz«: »Die humoristische Bildertätigkeit ist bei mir Methode des seiner selbst vollkommen mächtigen und bewußten Gedankens«.118 Der Humor als Medium des Übergangs verhindert den »politischen Absolutismus«, der bei einem direkten Bezug der Philosophie auf das Leben entstehen könnte, und er verhindert ebenso, daß der Philosoph sich als ein »absoluter Monarch« denkt.119 Die genannten drei Voraussetzungen des Verwirklichungstopos sind so angelegt, daß, von ihnen ausgehend, sich die pragmatisch-taktische Ebene politischen Handelns ohne große Brüche einfügen kann. Feuerbach hält daran fest: »Rein und wahrhaft menschlich zu denken, zu reden und zu handeln ist aber erst den kommenden Geschlechtern vergönnt.«120 Die Ausbildung der praktischen Philosophie, mit der der Philosoph, der sich als existierender Mensch denkt, angefangen hat, ist noch nicht abgeschlossen. »Wir sind noch nicht auf dem Übergange von der Theorie zur Praxis, denn es fehlt uns noch die Theorie, wenigstens in ausgebildeter und allseitig durchgeführter Gestalt. Die Doktrin ist noch immer die Hauptsache.« 121 Daher fordert er Ruge auf, »bis zu einem gewissen Grade politisch im gemeinen Sinne des Wortes« zu sein. 122 Über den revolutionären Charakter des Übergangs der Philosophie zum Leben ist sich Feuerbach im klaren: »Diejenigen Schriften, die Wahrheit enthalten, sind keine wissenschaftlichen, sondern aufrührerische Schriften«, aber gerade darum mahnt Feuerbach: »Wir hätten vorsichtiger, klüger sein sollen - nicht um unserer, sondern um der Sache willen. List, Klugheit gehören auch zur Strategie. Aber nur muß man sie sich nicht aufnötigen lassen. Man muß dem Feind zuvorkommen.«123 Diesen taktischen Vorsprung besitzt die Feuerbachsche Philosophie, weil sie ihren Standpunkt schon vorgängig verschoben hat. Der Philosophie, der es gelingt, die empirischen Sinne als mit dem theoretischen Sinn zusammenfallend zu antizipieren, hat schon in sich einen taktischen Vorsprung, weil sie nicht erst ein Gefälle zwi-
171
sehen getrennter Theorie und getrennter Praxis aufbaut. Feuerbachs Strategie zielt darauf: »Dazu müssen wir es noch bringen, nicht daß wir dozieren, sondern daß nach uns doziert wird, allen Prohibitivmaßregeln zum Trotze, und dazu bringen wir es. Einen anderen Weg von der Lehre zum Leben weiß ich nicht.«124 Hier wird ein hohes Maß an politischer Reflexion deutlich, das geeignet ist, das verbreitete Bild vom bloß Anschauenden, in Naturbewunderungen sich ergehenden kontemplativen Philosophen Feuerbach zu korrigieren. Daß die politische Reflexion mehr ist als ein abgespaltenes tagespolitisches Räsonnement, zeigt eine Äußerung an Ruge aus dem Jahre 1844: »Ich werde meine Lebensaufgabe treu und beharrlich bis zum letzten Atemzug durchführen und einst wird man vielleicht erkennen, daß der Bruckberger Philosoph und Anachoret ein guter Praktiker, aber vielleicht ein tiefgründiger war.«125 Diese >tiefgründige Praxis< beruht darauf, daß Feuerbach den Versuch unternimmt, den Zwiespalt zwischen einer vorlaufenden Praxis und der Theorie aufzuheben.126 Das Handeln, die empirisch sinnliche Ebene, geht dem Denken immer voran, aber eine Philosophie, die dies in sich aufnimmt, zieht virtuell mit der Praxis gleich. Dieser Ansatz Feuerbachs, den »praktischen Trieb«, der für ihn nicht zuletzt ein politischer Trieb »nach aktiver Teilnahme an den Staatsangelegenheiten«127 ist, theoretisch einzuholen, ist von ihm nicht schriftlich ausgeführt worden, und es ist zu fragen, ob er, sich selbst treu bleibend, überhaupt als ein theoretisches Werk auszuführen ist. Eher ist zu vermuten, daß dieser Ansatz eine Art Wegweiser darstellt, der von jemandem aufgestellt wird, der für sich geltend macht, den Übergang von der Lehre zum Leben im Kern verwirklicht zu haben. Dies ist allerdings die Herausforderung, die Feuerbach für die Gruppe der Junghegelianer darstellt. Der Ansatz fordert dazu auf, Existenzweisen zu entwerfen, die als individuelle oder kollektive praktisch möglich sind. b) Philosophie ohne Fessel (Bruno Bauer) Während bei Feuerbach die Formeln der Übergangs aus dem Geltendmachen einer außerphilosophischen Standpunktes gewonnen werden, ein Geltendmachen, das den Charakter des Spiels nicht verleugnet, finden wir bei B. Bauer die Idee einer Entfesselung der Philosophie, die ihr schließliches Zusammenfallen mit dem geschichtlichen Prozeß vorbereiten soll. Feuerbach hat seine Differenz zu B. Bauer selbst deutlich gemacht, indem er darauf hinweist, daß B. Bauer methodisch an Hegel gebunden gleichsam eine immanente »Explikation« gebe, während seine Auffassung nur »aus der Opposition« gegen Hegel zu begreifen sei.128 In der Tat geht es einmal um ein Denken des Übergangs, das mit beiden Positionen, der der Philosophie und der des Lebens, spielt; das andere Mal um ein Denken, das die Ruhe der Philosophie von innen her stört, um sie so umzubauen, daß sie ihren geschichtlichen Aufgaben gerecht wird. Im Zusammenhang des ersten Kapitels habe ich darauf hingewiesen, wie sehr B. Bauer in seinem historischen Experiment sich am akademischen Raum festklammert und zugleich eine ausgreifende Konfliktstrategie praktiziert.129 Auf den ersten Blick geht es ihm darum, das Recht der Wissenschaftsfreiheit zur Geltung zu bringen. Das ist sicher richtig, aber genau genommen geht es B. Bauer nicht lediglich
172
um die Erkämpfung eines bestimmten Ortes, an dem Wissenschaftsfreiheit gesichert ist, sondern umgekehrt um die Auflösung der bestimmten Orte der institutionalisierten Wissenschaft, eine Auflösung, die Theorie erst praxisfähig macht. »Warum bin ich nicht freiwillig aus einer Fakultät getreten, mit deren illusorischem und sophistischem Benehmen ich gebrochen habe?«130 fragt B. Bauer und antwortet: »Nur dann trete ich freiwillig aus dem Verbande und der Fakultät, wenn sie sich freiwillig aufgibt; nur wenn sie sich auflöst, gehe ich nach Hause, für jetzt bin ich nur beiseite gegangen, um nicht die Gewalt gegen mich aufgeboten zu sehen«.131 Für Feuerbach ist das freiwillige Verlassen der Universitätsphilosophie, die vorgängige Anerkennung des >denkenden Menschen< vor dem akademischen Schulbetrieb zentraler Bezugspunkt der Aufnahme praktischer Elemente in die Theorie. B. Bauer dagegen entfaltet die praktische Dimension gerade im Konflikt mit den bestehenden Institutionalisierungen der Theorie. Wie für Feuerbach eine Existenz im Draußen dessen, was kritisiert wird, notwendig ist, so ist umgekehrt für Bauer die Existenz im Innern dessen, was kritisiert wird, unabdingbar. In diesem Sinne sind auch Bauers Ratschläge von 1841 an Marx zu verstehen, seine Dissertation zu entschärfen. Marx solle »jetzt auf keinen Fall« etwas in die Dissertation aufnehmen, »was die philosophische Entwicklung überschreitet. (. . .) Nachher, bist Du einmal auf dem Katheder und mit einer philosophischen Entwicklung aufgetreten, kannst Du ja sagen, was Du willst und in welcher Form Du willst.«132 Wie aber muß die Theorie umgebaut werden, damit sie praxisfähig im Sinne einer Auflösung der je bestehenden Institutionalisierungen wird? Für Bauer ist diese Frage nicht generell zu beantworten. Bei ihm geht es nicht um den Enwurf einer »Philosophie der Zukunft« wie bei Feuerbach, sondern um je geschichtliche Anwendungen der Kritik auf ein sich veränderndes historisches Feld. Drei Etappen, in denen die B. Bauersche Theorie von innen heraus sich auf die Veränderung der Institutionalisierungen, in denen sie existiert, bezieht, die Etappen der Jahre 1840,1842,1844, seien hier kurz skizziert. Rückblickend auf den Zustand der Hegelschule in den 30er Jahren schreibt Bauer 1840: »Mit ihrem jetzigen Standpunkt verglichen war damals ihr (der Hegelschen Schule, d. V.) Gesichtskreis in jene Unbefangenheit eingeengt, welche gewöhnlich eintritt, wenn der erste Jüngerkreis um einen Meister sich gesammelt hat und in dessen System sich einhaust. Wie die seligen Götter wohnten die Jünger mit patriarchalischer Ruhe in dem Reiche der Idee, das ihnen der Meister zum Vermächtnis hinterlassen hatte, und die Träume der Chiliasten von der Zeit der Vollendung schienen bereits in Erfüllung getreten zu sein, als der Blitz der Reflexion in das Reich der Seligkeit einschlug und den Traum beunruhigte.«133 Mit diesem »Blitz der Reflexion« ist Strauß' >Leben Jesu< gemeint; und Bauer fährt fort: »So wenig war man auf den Schlag gefaßt, daß die Berliner wissenschaftliche Kritik dem Straußischen Buche einen Rezensenten entgegenstellte, der noch im seligsten Traume von Einheit der Idee und der unmittelbaren Wirklichkeit oder vielmehr der Welt des empirischen Bewußtseins redete und seinen Traum sogar in einer besonderen Zeitschrift durchaus noch fortsetzen wollte.«134 Dieser Rezensent, von dem B. Bauer 1840 so distanzierend schreibt, ist er selbst.
173
Was hier zum Ausdruck kommt, sind zwei Elemente der B. Bauerschen Theorie: die Selbstkritik und die Bindung der Selbstkritik an die Formation, der der Kritiker selbst angehört. Die Philosophie ist gebunden an ihre Existenzweisen, aber sie hat mit dem »Blitz der Reflexion« zu rechnen, ein »Blitz«, der in den je geschichtlichen »Boden« einschlägt und den Philosophen zu einer Selbstkritik zwingt, die seinen Traum vom Einklang der Reflexion mit der Wirklichkeit, d. h. von einer adäquaten Existenz der Theorie, aufstört und ihn zu praktischen Überschreitung auffordert. Zwei Jahre später, 1842 - die Junghegelianer sind auf dem Höhepunkt ihrer Versuche, sich als politische Partei zu konstituieren -, schlägt der »Blitz der Reflexion« erneut ein. B. Bauer schreibt: »Allen Leidenden und Unglücklichen überhaupt, sagt man, ist der Schlaf und der Traum zum Troste gesandt. In ähnlicher Weise könnte man sagen, daß den Schwärmern und den Parteien, die sich für mit Unrecht Unterdrückte halten, von einem gütigen Geschick eine völlige Bewußtlosigkeit über öffentliche Verhältnisse und eine unbegrenzte Einbildung auf ihre eigene Wichtigkeit geschenkt sei. Die Opposition hält sich immer für den Mittelpunkt des Kreises, in dem sie sich irgendein Plätzchen anzueignen gewußt hat, ja in den sie vielleicht noch nicht einmal eingedrungen ist; alles bezieht sie auf sich, alles, meint sie, bezieht und richtet sich auf sie«.135 Es ist dieselbe Metaphorik wie die von 1840. Damals galt es, den Schlaf der Schule, die sich in Hegels System häuslich eingerichtet hatte, zu stören; jetzt geht es darum, die Selbstgenügsamkeit der Parteidiskussion aufzubrechen. Auch dies ist für B. Bauer Selbstkritik. Er attackiert nicht von außen, vielmehr ist es selbstkritische Ironie, wenn er schreibt, die »deutsche Opposition« sei »so weit fortgeschritten, daß sie aus einer deutschen Opposition eine französische, aus einer germanischen eine romanische, aus einer wissenschaftlichen eine politische, aus einer >Denk-Revolution< eine kritische Tat zu werden drohte. Es war die höchste Zeit, daß eine eingebildete Macht zum Gefühl ihrer Ohnmacht und eine Richtung, die das Wesen des Bestehenden für eine Illusion erklärte, dahingebracht würde, daß sie sich selbst als die nichtigste Illusion erkannte. Wer von Siegen und gelungenen Gewalttaten träumt, mag vielleicht nicht gern erwachen. (. . .) Unser Erwachen war schrecklich, aber es ist gut, daß wir nicht mehr träumen.«136 Es sind die überzogenen Hoffnungen, die sich an das Projekt der Partei knüpfen, die zu diesem Zeitpunkt kritisiert werden müssen. Die »kritische Tat« als politische Partei ist die Illusion, die es zu destruieren gilt. Die Verwirklichung der Philosophie ist für B. Bauer nicht zu entkoppeln vom Prozeß der Selbstkritik. Wo sich die Opposition als ein lokalisierbares Lager, als eine positive Größe einrichtet, dort träumt sie von der Praxis, so wie die philosophische Schule davon geträumt hatte, Idee und unmittelbare Wirklichkeit seien versöhnt. Praxisfähig im B. Bauerschen Sinne wird die Theorie jedoch erst dort, wo sie sich selbstkritisch auf ihre Existenzformen bezieht, mögen sie Schule oder Partei heißen. Im Jahre 1844 ist wiederum eine Illusion aufzugeben. Es schien »hinreichend, daß die Literatur mit einem neuen Werke bereichert wurde, daß eine Zeitschrift mit einem gediegenem und originellen Aufsatz auftrat, um alle Enthusiasten mit der Hoffnung zu erfüllen, daß das Alte vor der Macht des Neuen sich unmöglich mehr lange halten könne. Lest, lest, rief man, gebt es allen zu lesen, und ihr werdet sehen, daß wir gewon-
174
nen haben.«137 Aber: »Die literarische Teilnahme gab einer Menge von Leuten nur einen Anflug von neuen Ideen, deren wahrer Inhalt nicht ins Innere drang, draußen stehen blieb und in der Form von Stichworten und Phrasen der Gegenstand einer gutgemeinten Verehrung wurde.«138 War zwei Jahre zuvor die Illusion zu bekämpfen, in der Existenzform der Partei als eines selbstgenügsamen Mittelpunktes sei die adäquate Form der Verwirklichung der Philosophie gefunden, so geht es jetzt darum, die revolutionäre Intelligenz aus dem Traum zu wecken, daß die Masse der natürliche Partner der Philosophie sei.139 Im Zusammenhang dieses Kapitels soll es nicht um eine inhaltliche Diskussion der einzelnen Bauerschen Wendungen gehen, sondern vielmehr darum, Bauers spezifische Fassung des überschreitenden Denkens zu charakterisieren. Die Wissenschaft führt gleichsam ein nomadisches Dasein; sie ist: »Die ewige, unermüdete Wanderin.«140 Das ist keine Bewegung der Flucht, wie die marxistische Bauerkritik glauben machen will: So wenig die Wissenschaft »sterben kann, so wenig ist es ihr möglich zu fliehen: wo sie einmal Hausrecht gewonnen hat, da bricht sie nicht eher auf, als bis sie den letzten Kampf mit ihrem Gegensatz bestanden hat. Denn so ist es ihre Gewohnheit, daß sie Nichts unentschieden läßt, - fliehen hieße aber den Streit nicht entscheiden wollen. Müßte sie wirklich wieder zum Wanderstab greifen, so kann und tut sie es nicht anders, als wenn sie ihre Kraft durch die Entscheidung des Kampfes gestärkt hat und ihren Gegensatz als ein entkräftetes, geistloses Phlegma zurücklassen kann.«141 Die Verwirklichung der Philosophie ist für B. Bauer kein einmaliger Akt des Parteiergreifens, sondern ein ausgedehnter Prozeß, in dem Kritik und Selbstkritik die Existenzweisen der Philosophie dort unterminieren, wo sie diese begrenzen. Kritik ist gleichsam der Moment des Praktischwerdens der Philosophie, den es immer wieder zu gewinnen gilt, weil eine realisierte Idee, die positiv geworden ist, keine kritische Potenz mehr besitzt. Die Kritik liegt gleichsam zwischen den Polen Denken und Handeln, es ist die Philosophie im Sprung und zugleich der nicht gedachte Rest eines jeden Handelns. Der Einwand, die B. Bauersche Kritik sei praxisunfähig, weil sie ihre positiven >Taten< immer gleich wieder selbstkritisch in das Selbstbewußtsein zurücknehme, trifft nur bedingt. Ebenso vehement, wie Bauer sich dagegen wehrt, sich in der positiven Tat zu beruhigen, so entschieden lehnt er es ab, das kritische Selbstbewußtsein als eine »absolute Instanz« zu begreifen. Man kann zwar im Sinne einer Analogie davon sprechen, daß das menschliche Selbstbewußtsein bei B. Bauer dem Hegeischen Weltgeist nachgebildet ist, und mit Carl Schmitt Bauer einen »Partisanen des Weltgeistes«142 nennen, entscheidend bleibt aber, daß B. Bauer für das Selbstbewußtsein den Titel »absolut« zurückweist. Das Selbstbewußtsein »will nicht das Absolute sein, weil die Annahme dieses Titels nichts anderes als die Unterschrift zu dem Dekret seiner Pensionierung wäre; es ist nicht das Absolute, kann und darf sich nicht in Ruhestand versetzen lassen, da es nur als unendliche Bewegung durch alle Formen und Gegensäße seiner Schöpfung, nur als Entwicklung seiner selbst ist.«143 B. Bauers Selbstbewußtsein ist insofern nicht mit Hegels Weltgeist vergleichbar, als mit ihm sich die Offenheit der Geschichte wieder auftut. Der Weltgeist ist eine
175
Konstruktion, die in der komtemplativen Haltung des Philosophen ihr Gegenstück findet. Für B. Bauer ist der Eingriff der Kritik in die Geschichte selbstverständlich. »Reine und wahre Theorie ist nur möglich zwischen Gleichen und Freien. In einem Zustand z. B., wo die Stände, die Geburtsunterschiede und Privilegien herrschen oder mit Gewalt restauriert werden sollen, ist die Theorie ein Verbrechen, weil sie sich zunächst als Kritik gegen diese natürlichen Unterschiede richten und die Gleichheit, die noch nicht vorhanden ist und im Gegenteil als ein Übel abgewehrt werden soll, wiederherstellen würde.«144 Feuerbach und B. Bauer markieren die Spannbreite junghegelianischer Entwürfe zur Praxis der Philosophie: auf der einen Seite ein Heraustreten der Philosophie aus ihren akademischen Schranken durch die Aufhebung der Trennung zwischen sinnlichen und theoretischen Erkenntnisformen, die Andeutung eines neuen Terrains, auf dem die alte hochmütige Spekulation nun depotenziert ihr Daseinsrecht mit anderen menschlichen Lebensäußerungen teilen muß - auf der anderen Seite eine Philosophie, die sich gebunden sieht an die Fesseln, die ihre immer verschiedenen Existenzweisen ihr aufzwingen, Fesseln, derer sie nicht eher ledig wird, als bis sie die Kritik des sie umgebenden Zusammenhanges durchgeführt hat. Beide Entwürfe eröffnen einen Raum des Übergangs ebenso wie ein neues diskursives Feld. Die Gestalt, die diese Entwürfe zunächst befriedigen soll, ist die politische Partei. Aber schon in den Entwürfen ist angelegt, daß es sich bei den Übergängen um keine einmaligen, sondern um sich wiederholende Prozesse handelt. Trotz der unermüdlich wiederkehrenden Forderungen, doch endlich die Philosophie aufzuheben, zur Praxis überzugehen, das wirkliche Leben anzuerkennen, die Schranken zu durchbrechen - und wie die Formeln auch sonst heißen mögen -, hat man bisweilen den Eindruck, daß es weniger um eine Erfüllung der Forderungen geht, als vielmehr um ihre Formulierung. Auch Marx und Engels machen hier keine Ausnahme. Schon wenige Monate nach der Niederschrift der 11. These über Feuerbach, in der das Verändern der Welt dem Interpretieren der Welt gegenübergestellt wird, bezeichnen sie sich angesichts der beginnenden Arbeiterbewegung explizit als »theoretische Kommunisten«.145 Vielleicht liegt aber auch gerade der Reiz der junghegelianischen Rhetorik des Übergangs darin, im Medium der Sprache Übergänge und Durchbrüche zu vollziehen, die als geschichtliche Fakten einem die Sprache verschlagen würden.
4. Zum Begriff »politische Partei« »Um 1840, so kann man überpointiert, aber griffig sagen, bilden sich die modernen deutschen Parteien aus«, schreibt Th. Nipperdey, und er bezieht sich auf das deutsche Fünf-Parteien-System, das über fast 100 Jahre für die deutsche Geschichte prägend gewesen sei.146 In diesem Parteisystem von Konservativen, Katholiken, Liberalen, Demokraten und Sozialisten sind die Junghegelianer gleich zweimal zu lokalisieren: im Kontext der Ausdifferenzierung von Liberalen und Demokraten und von Demokraten und Sozialisten. Dies ist die griffige Seite, aber warum ist die Nipperdeysche Formulierung »überpointiert«? Das analytische Problem besteht darin, Kriterien zu entwickeln, ab wann die Rede von Parteien gerechtfertigt ist.
176
Nipperdey schreibt über die 40er Jahre: »Überall gibt es Kryptopolitik und deren Umschlag in wirkliche Politik.«147 Was aber entscheidet den Umschlag? Wie sind die beiden Seiten »Kryptopolitik« und »wirkliche Politik« zu definieren? Das analytische Problem trifft den gesamten Bereich der Entstehung der Parteien, ihrer genetischen Vorläufer oder strukturellen Vorformen.148 Je nach dem, welches Element für die Parteidefinition als zentral definiert wird, lassen sich Vorläufer und Vorformen ausfindig machen. Greift man das Element der Prinzipien oder >Weltanschauung< heraus, so lassen sich ideengeschichtlich die vielfältigen Äußerungen politischer Denker zu einem beeindruckenden Traditionsstrang zusammenknüpfen, wobei z. B. die Frage, in welchen sozialen und organisatorischen Zusammenhängen die Prinzipien diskutiert wurden, weniger Gewicht erhält. Versucht man dagegen, bestimmte historische Gruppen als Frühformen politischer Parteien zu identifizieren, so ergeben sich erhebliche Definitionsprobleme. So hat z. B. A. Kuhn den Versuch unternommen, die deutschen JakobinerGesellschaften am Ausgang des 18. Jahrhunderts als Frühformen politischer Parteibildung zu interpretieren. Die Verfasser ihrer Satzungen und Entwürfe hätten danach gestrebt, »eine öffentliche und demokratisch aufgebaute Massenpartei zu begründen.«149 Diese These ist in der Diskussion umstritten: Handelt es sich um eine falsche Aktualisierung? Handelt es sich nicht um Vorformen, sondern eher um Voraussetzungen des späteren Parteiwesens? Ist Opposition mit Partei zu identifizieren? Kann man ein Modell der Entwicklungsstufen entwerfen? Ähnliche Probleme ergeben sich bei dem Versuch, die geheimen Gesellschaften des 18. und frühen 19. Jahrhunderts als Vorläufer politischer Parteien zu interpretieren.130 Kann man z. B. den Illuminatenorden »tendenziell - modisch gesagt - als eine systemüberwindende Weltanschauungspartei«151 ansprechen? Auch hier sind dieselben Fragen zu stellen wie bei den deutschen Jakobinern. Der Schlüssel für die Frage, wann »Kryptopolitik« in »wirkliche Politik« umschlägt, wann von Vorläufern oder Vorformen, wann von »richtigen« Parteien gesprochen werden kann, liegt zunächst auf der Ebene sinnvoller Definitionen. Diese Definitionen müssen sich der Tatsache bewußt sein, daß es zwar eine geschichtliche Kontinuität der Selbstdeutungen politischer Bestrebungen gibt, daß aber diese Tatsache noch nicht ausreichend für die Rede von Vorformen bzw. von Vorläufern von politischen Parteien ist. So hat z. B. W. Grab anhand der politischen Biographie von Wilhelm Schulz die Kontinuität demokratischer Bestrebungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts exemplarisch nachgewiesen.152 Der 22jährige Schulz nimmt 1819 die jakobinischen Forderungen der 90er Jahre wieder auf, und er nimmt teil an den entscheidenden revolutionären Bewegungen bis zum Jahre 1848/49. Auch die Junghegelianer sind in dieser Kontunität zu verorten, nicht nur, weil sie über ihre Kontakte zum Schweizer Exilzentrum in Zürich mit den Kreisen kommunizieren, in denen sich u. a. auch Schulz bewegt,153 sondern auch, weil sie in ihren Diskussionen die gesamte Tradition demokratischer Bewegungen reflektieren. Zu nennen sind hier z. B. B. Bauers und E. Bauers Schriften zu Adam Weishaupt und den Iluminaten154 und E. Bauers »Geschichte der konstitutionellen und revolutionären Bewegungen im südlichen Deutschland in den Jahren 1831-34«.155 Gegenüber dieser historischen Kontinuität politischer Bestrebungen muß die
177
Rede von der politischen Partei< sorgfältiger bestimmt werden. Das bürgerliche Vereinswesen tendenziell in Richtung auf politische Parteien zu interpretieren, ist wenig sinnvoll, da es sich um einen allgemeineren sozialen Typ handelt, dessen entscheidende Leistungen gerade in der virtuellen Unendlichkeit der Vereinszwecke besteht. Zwar kann man sagen, daß das Vereinswesen »indirekt politisch«156 sei, aber in diesem Sinne ist sehr vieles »indirekt politisch«: technische Erfindungen ebenso wie die Entstehung neuer Familienideale. Die Differenzierung zwischen einem Vereinstypus, »der keine direkten, über seinen Binnenraum hinausweisenden gesellschaftlichen Zielsetzungen hat«, und einem Vereinstypus, »der eindeutig als ein mit aufklärerisch-pädagogischen und staatspolitischen Zielsetzungen verbundener Willens- und Zweckverband anzusprechen ist und der sich wie jede politische Partei definitionsgemäß als Kampfverband versteht und demzufolge straff organisiert ist«157 - diese Differenzierung v. Biebersteins bringt nur einen kurzreichenden analytischen Vorteil. Zwar wird hier ein politisches Kriterium eingeführt, aber es gilt zu bedenken, daß politische Gruppen nicht notwendigerweise Parteien sein müssen. Die von O. Dann exemplarisch skizzierten politischen Vereine der Zeit von 1765-1819 kennen zwar vielfältige politische Zwecke - sie tendenziell als politische Parteien anzusprechen, wäre aber ebenso verfehlt, wie heutige politische Gruppenbildungen von Bürgerinitiativen bis zu konspirativen Zirkeln als Parteien zu titulieren.138 Politische Vereine und politische Gruppenbildungen entstehen historisch dort, wo die politische Ordnung als eine Sphäre sichtbar wird, die als Reflexionsgegenstand und virtuelles Handlungsfeld in die Verfügung von sich assoziierenden Menschen geraten könnte.159 Die Figur des politischen Engagements kann zwar als Voraussetzung für politische Parteibildung betrachtet werden, aber sie muß weder unter absolutistisch-monarchistischen, noch unter konstitutionell-demokratischen Formen der Staatsgewalt notwendig zur politischen Parteibildung führen. Soll der Parteibegriff historisch und systematisch aussagekräftig gemacht werden, so ist an zwei Komplexe zu denken, in denen er sich zu bewähren hat: 1. den Komplex der Parteikonkurrenz, 2, den Komplex der Organisationsleistung der>Vielen<. Wo eine politische Gruppe sich in Richtung auf eine Partei definiert, definiert sie nicht nur ihre politischen Ziele, sondern auch die Ziele anderer politischer Parteien. Indem sie dies tut, definiert sie darüber hinaus ein Terrain, das sie mit ihren Konkurrenten teilen muß oder teilen will. Parteipolitische Formierung setzt dort ein, wo nicht bloß die politische Eigenbewegung auf die staatliche Sphäre in den Blick gerät, sondern wesentlich dort, wo die politische Konkurrenz und der Konkurrenzboden thematisch werden.160 Nicht, daß Bürger auf staatliches Handeln Einfluß nehmen wollen, sondern daß konkurrierende Bürger dies wollen, ist der Anfang der Parteibildung. Revolutionäre Bewegungen müssen dies Problem nicht notwendig reflektieren. In der Menschenrechtserklärung von 1789 fehlt z. B. die Freiheit, sich zu Parteien zusammenzuschließen. Für Marx dagegen ist es selbstverständlich, daß die revolutionäre politische Partei der Arbeiterklasse auf der Basis des allgemeinen Wahlrechts mit anderen Parteien konkurriert und nicht nur sich selbst, sondern auch die Konkurrenz definiert. Nach Rosa Luxemburg sind politische Parteien auch auf rätesozialistischer Basis unverzichtbar.161
178
Ein soziologisch brauchbarer Begriff der politischen Partei muß nicht an bestimmte Staats- oder Wirtschaftsverfassungen gekettet werden; er ist auch nicht auf die Fragen zu reduzieren, die sich mit revolutionären Bewegungen stellen. Politische Partei ist eine Form, in der Gesellschaftsmitglieder ein Mittel finden, die Verschiedenheit ihrer Ideale, Ziele, Interessen, soweit sie die politische Sphäre betreffen, als konkurrierende darzustellen. Politische Parteien können existieren, ob ihnen nun kein, ein begrenzter oder ein großer Einfluß auf das Handeln des politischen Gesamtverbandes eingeräumt wird, ob in den Bereich des politisch Verfügbaren nur im engeren Sinne >politische< Handlungsfelder fallen, oder ob sie im weiteren Sinne sozialpolitische Bereiche betreffen, oder ob sie auch den Bereich der Produktionsentscheidungen und des Konsumrahmens umfassen. Politische Parteien können existieren, auch wenn sie verboten sind. Dies ist gerade im Vormärz der Fall. Nur darf nicht umgekehrt geschlossen werden, daß alle Gruppen, die verboten werden, auch politische Parteien sind. Was verboten wird, welches Handeln mit staatlichen Sanktionen belegt wird, folgt einer >Logik<, die für die Definition der politischen Partei nur am Rande von Bedeutung ist. Daß etwas für den Staat >politisch gefährlich< ist, verleiht der Gefahrenquelle noch nicht den Titel der politischen Partei. Im Vormärz können nur die verbotenen politischen Bestrebungen als politische Partei begriffen werden, die den Versuch machen, sich und andere als Konkurrenten auf einem antizipierten Konkurrenzfeld politischer Handlungsmöglichkeiten zu definieren. Wenn politische Partei< hier nicht an bestimmte Staats- oder Wirtschaftsverfassungen gekettet definiert wird, so bedeutet dies nicht, daß sie hierzu keinen Bezug hat. Im Gegenteil: als konkurrierende soziale Figuration muß jede Partei die allgemeinen Grundlagen der Konkurrenz und ihre Grenzen mit definieren. In der Parteienkonkurrenz reproduziert sich zugleich der Konkurrenzrahmen. Dieser kann von einzelnen Parteien in den verschiedensten Hinsichten als unzureichend betrachtet werden. Parteien können versuchen, den verfassungsmäßigen Konkurrenzrahmen zu vergrößern oder zu verringern. Erst dort, wo sie aufhören, sich auf die staatliche Sphäre als einen Konkurrenzraum von Parteien zu beziehen, verlieren Parteien ihren Parteicharakter, sei es, daß sie sich auflösen, sei es, daß sie mit den staatlichen Institutionen verschmelzen, sei es, daß sie die Form der Partei nicht mehr als relevantes Organisationsmedium für Bürgerkonkurrenzen anerkennen können und sich auf andere Medien verlegen. Dem Komplex der Parteikonkurrenz ist der Komplex der Organisation der>Vielen< zur Seite stellen.162 Erst beide Komplexe zusammengenommen führen zu einer aussagekräftigen Definition der politischen Partei. Das Problem der Organisation der >Vielen< entsteht mit der Auflösung der ständischen Bindungen. Das bürgerliche Vereinswesen kann als ein Lösungsversuch für die aus ihren ständischen Bindungen freigesetzten Individuen betrachtet werden, sich auf einer anderen Ebene wieder zusammenzuschließen. Der Vereinstypus läßt sich jedoch in seiner faszinierenden Elastizität die Fragen offen: Wieviele bilden den Verein? In wieviel Vereinen kann der einzelne Mitglied werden? Das bürgerlische Vereinswesen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennt sowohl den lokalen Verein als auch den überregionalen Zusammenschluß lokaler
179
Vereine. Die Frage der Menge ist auf der Basis der Vereinsstruktur nicht entscheidbar. Von politischer Partei ist dagegen erst zu sprechen, wenn Festlegungen erfolgen, die auf die Organisation möglichst Vieler zielen. Politische Partei hat den Anspruch, jeweils >alle< in ihren Kreis zu ziehen: alle, die einem definierten Prinzip folgen, alle, die diese Interessen haben, alle, die sich im Programm wiedererkennen, alle, die dem Parteiführer ihr Vertrauen schenken usw. Die winzige Differenz ist leicht zu übersehen: politische Parteien erzeugen strukturell einen Erwartungsdruck, ihre Organisationsansprüche zu erfüllen, der weitaus dringlicher gemacht werden kann als die Einladung, sich einem Verein anzuschließen. Für einen Verein, der sich überlokal orientiert, ist es >schön<, wenn ihm dies organisatorisch gelingt. Gelingt es ihm nicht, so hält das Vereinsmodell immer noch die lokale Alternative bereit, auf die umgeschwenkt werden kann. Gelingt es einer politischen Partei nicht, sich überlokal zu organisieren, so ist dies ein dramatisches Problem, das an die Wurzeln der Existenz geht. Worauf beruht diese Angewiesenheit der politischen Partei, daß ihrer Definition eines >Alle, die . . .< Folge geleistet wird? Zunächst ist an die Konkurrenzsituation zu denken, die zur Partei gehört. Ebenso wichtig ist aber auch, daß der Modus der Organisation der >Vielen< an das Modell der Repräsentation dessen gebunden ist, was als je relevante und >wahre< Einheit der >Vielen< propagiert wird. Zu erinnern ist hier an die Überlegungen zur Politik als Schauspiel. Politische Parteien stehen unter dem Druck, ihre Darstellungsfunktion sichern zu müssen. Vereine mögen sich Zwecke und Ziele setzen, politische Parteien müssen darüber hinaus ihre Zwecke und Ziele darstellungsfähig machen, sei es mehr programmatisch oder mehr personell. Sie organisieren die >Vielen< in den Formen von Mitgliedern und Anhängern. Sie benötigen dafür eine zusätzliche mediale Ebene, auf die Vereine im Prinzip verzichten können. Die mediale Ebene kann eine Doktrin sein oder ein politischer Führer. Während Vereine besonders in den Zusammenhang mit der Lockerung und Verunsicherung ständischer Bindungen zu stellen sind, so können politische Parteien besonders in den Zusammenhang mit dem In-Erscheinung-Treten von >Volksmassen< gestellt werden. Die Organisation der >Vielen< als einer Masse - dies Problem wird in Deutschland gerade in den 40er Jahren virulent.163 Der oppositionelle politische Verein, so revolutionär seine Zielsetzung sein mag, kann die >Volksmassen< doch immer nur für einen Moment in Szene setzen, ihnen einen dauerhaften sozialen Sinn zu verleihen, wird ihm erst möglich sein, wenn er sich als politische Partei definiert. Das Auftreten der Massen in einen »geregelten Gang« 164 zu bringen, bedeutet, sie zu interpretieren und zu versuchen, den Interpretationen eine kontinuierliche Form zu geben. Politische Parteien können in dieser Hinsicht als Versuche angesprochen werden, dem Erscheinen der Masse eine Präsenz zu geben, die ihre Riskanz mildert und ihr zugleich Dauer verleiht. Riskant ist die gefürchtete Wankelmütigkeit der Menge, ihr kurzsichtiger Opportunismus, ihre schwer zugänglichen Erregungen, ihr Murren und ihre Panik, ihre notorische Undankbarkeit, über die politische Parteien so beredt zu klagen wissen. Der »geregelte Gang« erfordert auch, daß darauf verzichtet werden muß, mehr als einer politischen Partei anzugehören, eine Notwendigkeit, die im Vereinswesen, selbst im politischen Vereinswesen, nicht besteht.
180
Die Frage nach dem Umschlag von »Kryptopolitik« in »wirkliche Politik« läßt sich mit Hilfe der genannten Kriterien präziser beantworten. Der Übergang der Junghegelianer von der Philosophie zur Partei kann durchaus als Versuch gewertet werden, sich als politische Partei im hier definierten Sinne zu konstituieren.163 Die Junghegelianer definieren nicht nur sich selbst als Repräsentanten der »nationalen Linken«, sie definieren andere politische Bestrebungen als Parteien, mit denen sie konkurrieren, und sie definieren die öffentliche Sphäre im Hinblick auf einen Raum, in dem alternative Politiken möglich sind. Sie streben danach, Anhänger zu gewinnen, indem sie versuchen, die Bewegungen der Menge interpretatorisch zu gliedern. Daß die politische Partei der Junghegelianer scheitert, kann nicht vergessen machen, daß sie den Versuch unternommen haben. Für Buhl ist Partei »eine inkorporierte, gesetzlich repräsentierte politische Ansicht. Parteien finden wir in allen vollkommeneren politischen Organismen, und in den vollkommensten gerade am entschiedensten ausgeprägt; sie scheinen also einen notwendigen Bestandteil jedes ausgebildeten Staatswesens zu bilden.« 166 Fragen der inneren Staatsverwaltung seien nicht »an sich für interessant« zu halten, das politische Interesse entstehe nur dort, wo »eine Frage nicht bloß an sich, wie der bürokratische Standpunkt es tut, sondern im Zusammenhang mit dem Gesamtinteresse betrachtet wird.«167 Dieses Zusammensehen ist notwendig politisch perspektivisch, weil das »Gesamtinteresse« nicht von der Zeitdimension abzukoppeln ist. So verwandelt sich Buhl zufolge eine sachliche Frage in eine politische »Tagesfrage«. In diese Tagesfragen teilen sich die politischen Parteien. »Die eine Partei vertritt das Recht der Vergangenheit, die andere das Recht der Zukunft, und der parlamentarische Kampf gestaltet sich zu einem Abschleifungs- und Vermittlungsprozeß. Wo die Parteien nicht vertreten sind, wo sie sich nicht gegeneinander abreiben können, da ist immer eine gewaltsame Explosion des unterdrückten Gegensatzes zu fürchDie Reflexion auf die »Explosion« signalisiert die Funktion, die Parteien gegenüber der Riskanz der Masse haben. Aber wo sind Parteien in Preußen? Buhl gibt die Frage zurück: »Und ist es denn so ganz ausgemacht, daß wir keine Parteien haben? Gesetzlich vertreten sind sie allerdings nicht; darum sind sie aber doch vorhanden. Auch bei uns existiert eine Vergangenheit, die sich festzuhalten sucht, und eine Zukunft, die zur Gegenwart zu werden strebt. Hat doch China seine Parteien, arbeitet doch in der Türkei der Gegensatz des Alten und Neuen; wie sollten wir keine Parteien haben?« Auch hätten sich die Partei der Vergangenheit und die der Zukunft »bei verschiedenen Gelegenheiten manifestiert, obwohl nicht in der Art wie in Frankreich und England, weil ihnen das Terrain fehlt. Wo die Gegensätze einmal da sind, da lassen sie sich - das liegt in der Natur der Sache - nicht so leicht abfertigen; wird ihnen ein Gebiet verschlossen, so werfen sie sich auf ein anderes. Das sehen wir auch bei uns.«169 Nur weil die existierenden Parteien in Preußen noch nicht gesetzlich vertreten sind, bewege sich der Parteienstreit auf dem Felde der Philosophie und der Theologie. Die Philosophie macht Partei? Bei Buhl hat sich die Definition schon verschoben: die Partei existiert und tarnt sich durch die Philosophie, weil sie gesetzlich noch keine Politik machen darf. Es handelt sich bei diesen Tarnungen um
181
»keine abstrusen, scholastischen Wortgefechte, sondern um Kämpfe, die in der unmittelbarsten Beziehung zum Leben stehen. Und aus diesem Kampfgewühle sollten keine Tagesfragen hervorgehen? Alles ist jetzt Tagesfrage. Schelling oder Hegel, Alt- und Neu-Hegeltum sind Tages-, sind Lebensfragen geworden.«170
5. Die Verfassungsfrage Wie muß die staatliche Sphäre organisiert sein, damit Parteien in ihr konkurrieren können? In den Jahren 1839 bis 1843 diskutieren die Junghegelianer den Staat. Genauer gesagt, handelt es sich um ein Durchdiskutieren des Staates. Die Verteidigung der absolutistischen Monarchie Preußens und der Entwurf einer anarchistischen freien Gemeinschaft bilden die Eckpunkte der Debatte, die, langsam beginnend und sich dann enorm beschleunigend, eine Staatsdefinition nach der anderen entwirft, kritisiert und verwirft und im selben Prozeß das Spektrum der Parteien fortlaufend definitorisch differenziert und präzisiert. a) Vom Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie Eine philosophische Schule kann sich im Bündnis mit dem Absolutismus definieren, aber eine politische Partei muß auf einen innerstaatlichen Konkurrenzraum reflektieren. Die Verfassungsdebatte wird von Ruge 1839 in den HJ, und zwar in der Form der Politik als Schauspiel, eröffnet. Anlaß bot der Aufsatz »Garantien der preußischen Zustände«, den der preußische Oberregierungsrat Streckfuß 1839 veröffentlichte.171 Aufsehen erregte, daß hier ein höherer Beamter, das alte königliche Verfassungsversprechen von 1815 einfach übergehend, behauptete, in der existierenden preußischen Verwaltung seien genügend >Garantien< gegeben. Ruge antwortet nicht als Repräsentant der HJ, die Preußen als modernen Staat feiern, er maskiert sich als »Württemberger«, der offen eine konstitutionelle Monarchie fordert.172 Der Text wurde gezielt in Szene gesetzt, Ruge erinnert sich später an die sorgfältigen Vorbereitungen: »Ich hab' ihn in verschiedenen Tonarten, erst so, dann so begonnen, ich habe die Wirkung dieser Anfänge auf Echtermeyer und andere Freunde versucht und nicht eher die wirkliche Durchführung des kleinen Musikstückes begonnen, als bis ich fand, daß der richtige Ton getroffen war.«173 Die Rollen sind genau verteilt: Ruge begründet in einer Anmerkung das Auftretens des »Württembergers« in den HJ damit, daß Streckfuß mit seiner Schrift die Diskussion über »die politische Theorie tatsächlich freigibt«, nun erhebe sich Widerspruch »von einem geist- und kenntnisreichen Süddeutschen«, und Ruge bemerkt, dessen mögliche Irrtümer könnten »in Preußen, dem Lande der Intelligenz, leicht die genügende Widerlegung finden.« Auf der anderen Seite läßt Ruge den »Württemberger« die HJ selbst angreifen, sie hätten »bis zum Überdruß borussiert«.174Es handelte sich um ein gelungenes politisches Schauspiel, denn für einige Jahre hielt man D. F. Strauß für den Verfasser. Der maskierte Ruge würdigt die Errungenschaften der preußischen Reformzeit,
182
die Städteordnung, das Militär- und Schulwesen, die Förderung der Wissenschaft etc., aber mit Blick auf die HJ schreibt der »Württemberger«: »Während der Preuße an alle diese Dinge, wie an dogmatische Heiligtümer, mit blinder Hingebung glaubt, während der Preuße nichts dagegen hat, daß der Absolutismus das Absolute, welches sich im Staat darstellt, ( . . . ) für sich behält, wie weiland der Papst und die Kirche den Gott und die Wahrheit: so sind wir nicht-preußischen Deutschen auch im Staate Protestanten, ( . . . ) wir kennen keinen Staat, der nicht vollkommen unser wäre, bei dem wir nicht durch und durch mit dabei wären; ( . . . ) Darum können wir den absoluten Staat nicht vertragen, denn wir können es nicht aushalten, daß uns der Staat das Absolute, welches er selber in sich begreift, vorenthält. An ihm müssen wir theoretisch mit vollem öffentlichem 175 Selbstbewußtsein und praktisch mit freiester Vertretung teilhaben.« Die konstitutionelle Monarchie wird von Ruge mit einer Argumentation gefordert, die weit von den traditionellen liberalen Mustern entfernt ist. Es geht nicht um eine Begrenzung der Macht des Königs durch Vertretungsorgane, nicht um eine Zähmung des Absolutismus. Sondern umgekehrt: »Man könnte also sagen, der absolute Staat hätte nur den Fehler, daß er nicht absolut sei. Denn wie sollte der Staat absolut sein, der nur in einem Teile, nämlich in der Regierung, lebendig ist. Ebensowenig als Gott absolut wäre, wenn er die Welt nicht durchdränge, ist der Staat absolut, wenn er nicht das ganze Leben der Menschen mit seinem Selbstbewußt176 sein erfüllt und durchdringt.« Es handelt sich um mehr als nur ein Wortspiel, wenn Rüge den »Absolutismus« im politischen Sinne mit dem »Absoluten« im religionsphilosophischen Sinne parallelisiert. Rüge führt die Verfassung im Rahmen einer politischen Theologie ein. Die wahre Fassung des »Absoluten« sei im preußischen Staat erst erreicht, wenn es im protestantischen Sinne »den ganzen Staat durchdrungen und im konstitutionellen Leben seine weltliche Realität gewonnen« habe. 177 Ruges politische Theologie ist zentriert um die spekulative Ausdeutung der Souveränität des Monarchen. 1840 ist sie für Rüge erst gegeben, wenn das »Absolute« sich als Einheit von Staats- und Volkssouveränität darstelle. Ohne Konstitution sei diese Einheit nicht zu erreichen. Denn im »sogenannten absoluten oder Beamtenstaat ( . . . ) kommt es vor, daß das empirische Subjekt des Herrschers sich selbst für den Zweck des Staates nimmt; die ganze Beamtenwelt hat nur die Richtung nach dieser Spitze der Majestät des Staates; und je länger diese Staatsform in ihrer Abstraktion von den rein geistigen Zwecken und der selbstbewußten Beteiligung des Ganzen bei den öffentlichen Angelegenheiten beharrt, desto unwahrer, ohnmächtiger und geistloser wird ihre begriffswidrige Existenz.« Nur der Monarch, der alle Momente der »Idealität des Staats«, also auch den Inhalt »der öffentlichen Vertretung der gesetzgebenden Gewalt, in sich vereinigt, erst der konstitutionelle König ist die vollkommene Staatsper-
Ein Gesichtspunkt muß hervorgehoben werden, wenn der spezifische Modus der Junghegelianer, den Staat durchzudiskutieren, in den Blick geraten soll. Als politische Partei können sie sich nur definieren, wenn sie den Staat als Konkurrenzraum bestimmen. Die Forderung nach der konstitutionellen Monarchie entspricht diesem Zwang. Aber im Kontext der Parteien rücken sie damit zugleich an die Seite derer, die gleichfalls und schon viel länger als sie eine Verfassung fordern. Die Mas-
183
kerade des »Württembergers« hatte dies Problem noch verdeckt. In dem Maße, in dem die Junghegelianer eine konstitutionelle Monarchie offen fordern, sehen sie sich gezwungen, den Liberalismus, den sie als philosophische Schule entschieden ablehnten, ein Stück weit zu rehabilitieren.179 Der Begriff »Liberalismus«, den Ruge im Unterschied zur früheren Abwertung erstmals 1841 positiv einführt, ist der Sache nach immer noch streng im Sinne von Hegels Rechtsphilosophie von 1820 gegen die liberale Tradition selbst gerichtet. Ruges »Liberalismus« will weder verwechselt werden mit dem »Begriff formeller Garantien, welcher sich nur auf den Polizeistaat bezieht und die Voraussetzung der Unsittlichkeit nur herumdreht, indem er sie der obersten Gewalt zurückgibt«, noch mit den »Abstraktionen des Republikaners«180. Es finden sich zwar vorsichtige Anknüpfungen an das liberale Erbe, wenn davon die Rede ist, »daß die Formen der Vertretung, der Öffentlichkeit, der Pressefreiheit, der GeschworenenGerichte, der Nationalverteidigung etc., welche der Liberalismus einführt oder aufgenommen hat, keine zufälligen, sondern Begriffsformen entsprechende Bildungen der Freiheit oder des freien Geistes sind«,181 - entscheidend ist aber auch hier, daß die Rehabilitation des Liberalismus an die politische Theologie argumentativ gebunden bleibt. Diese erfährt 1841, dem Stand der junghegelianischen Diskussion entsprechend, eine erneute Umdeutung. An die Stelle des »Absoluten« tritt das B. Bauersche »Selbstbewußtsein«. Der Staat ist nun für Ruge »dieprozessierende Existenz unseres Selbstbewußtseins oder, wenn das deutlicher wäre, das geordnete und in allgemeinen oder vernünftigen Formen steh selbst bestimmende Volk. «182 >Deutlicher< wird in dieser Formulierung das Problem, vor dem die junghegelianische Partei steht: eine Verbindung ihrer politischen Theologie (»prozessierende Existenz des Selbstbewußtseins«) mit liberalen Begründungsformen (Selbstbestimmung des Volkes) herzustellen. Die Formulierung zielt auf eine Koalition zwischen der Partei der Liberalen und der junghegelianischen Partei, auf eine Annäherung liberaler und junghegelianischer Positionen. Man sieht es den Rugeschen Formulierungen an, wie er beide Seiten in immer neuen Anläufen zu koalieren sucht: »Der Staat ist keine res privata, sondern res publica; er ist aber nach unseren Begriffen, genau genommen, gar kein res, kein Ding, höchstens eine Angelegenheit, aber auch nicht eine oder irgendeine Angelegenheit, sondern der Geist, die Freiheit, der Alles an sich selbst, 183 an ihrem Wissen und ihrem Tun gelegen ist. Der Staat ist sich selbst Zweck.«
Der Satz führt von der »res publica«, die einen Liberalen erfreuen könnte, zum Staat als Selbstzweck im Sinne der politischen Theologie, ein Schreckbild für den Liberalismus. Offensichtlich hat Ruge dies beim Niederschreiben bemerkt, denn er fährt, die andere Seite erinnernd, besänftigend fort: »Staat ist ein schlechtes, totes Wort, besser ist öffentliches Leben<, Geschichte, Reich des Geistes, Freiheit. Aus diesen Namen sieht man sogleich, das Subjektive ist hier das Wesen und der Zweck. Unsere Zeit verlangt nun dieses Reich der Freiheit in seiner selbstbewußten und sich selbst bestimmenden Bewegung, oder die öffentlich und objektiv realisierte Vernunft des Volkes.«184
184
Die Not des Philosophen, der Partei macht, ist nicht zu überhören. Formulierungen in Richtung auf den Liberalismus (öffentliches Leben, Selbstbestimmung des Volkes) werden kettenhaft mit Formulierungen der politischen Theologie des Absoluten (Reich des Geistes, objektiv realisierte Vernunft) in eine zwanghafte begriffliche Reihe gebracht. Dieselben Probleme ergeben sich, wenn Ruge versucht, seine sich dem Liberalismus zuwendende politische Theologie historisch abzuleiten. Dieser Versuch wird breit ausgeführt in »Der protestantische Absolutismus und seine Entwicklung«, der ebenfalls 1841 erscheint.185 Ruge gliedert die preußische Geschichte in drei Phasen: »1) die Entstehung der protestantischen Macht, 2) die protestantische Weltmacht als absolutes Königtum, 3) dieselbe als absoluten Staat oder als republikanische Monarchie seit 1808.« Im Mittelpunkt der ersten Phase steht der große Kurfürst, »der pulsierende Punkt, um den die neue Bildung des modernen zentralen Staates sich ansetzt, dessen eigentliche Seele aber der protestantische Geist ist.« Die zweite Phase gipfelt in dem Philosophen-König, Friedrich II., der ganz in Köppenscher Manier gefeiert wird. Wichtig in unserem Zusammenhang ist die dritte Phase, die Ruge mit den Worten einführt: »Die neue Monarchie, in deren Entwicklung wir noch heute begriffen sind, und welche man füglich die republikanische nennen kann, entsteht in der Folge der Niederlage von 1806.«186 Eine eigentümlich zweideutige Bestimmung, deren Strategie sich jedoch rasch deutlich macht. Wie Ruge 1838 im Streit mit Leo den modernen Staat Preußen unter Abweisung des Liberalismus ab 1806 datiert, so datiert er nun für Preußen ab 1806: »Der Staat des Liberalismus oder die republikanische Monarchie, war jetzt nicht erst zu gründen, sondern nur zu vollenden und zu bekennen.«187 Ruge spielt hier mit Rousseaus Definition eines monarchischen Staates, der >Republik< genannt werden kann, wenn er im Unterschied zur Tyrannis sittlichen Mindestanforderungen genügt. Diese Definition identifiziert Ruge umstandslos mit dem »Staat des Liberalismus«. Das ist, korrekt betrachtet, eine horrende Verdrehung geschichtlicher Tatsachen. Preußen mag ein noch so »fortschrittlicher« Verwaltungsstaat gewesen sein, aber von einem »Staat des Liberalismus« kann wohl kaum die Rede sein. Das Problem, das hier gelöst werden soll, liegt auf einer anderen Ebene. Ruge möchte um jeden Preis zur Einführung des Liberalismus kommen, aber diese Einführung soll nicht revolutionär erfolgen. Er braucht eine liberale Definition der konstitutionellen Monarchie für die Philosophie, die Partei macht, aber die politische Theologie des »Absoluten« kann nicht davon ablassen, von der Seite des Souveräns her zu denken. So muß Ruge immer wieder Vorgriffe machen. Der Widerspruch des »Württembergers«, daß der preußische König der »politische Papst« im »protestantischen Staat« sei, dieser Widerspruch ist »mit dem Pfingsten 1840« in der Auflösung inbegriffen.188 Was fehlt, ist die Anerkennung des Souveräns, daß dem auch tatsächlich so sei: Der republikanische Inhalt müsse »anerkannt und gesetzt, das Prinzip mit Bewußtsein ausgesprochen und zum System ausgeführt werden.« Ruge adaptiert die liberale Position: »Man drückt dies ganz richtig aus, wenn man sagt, es ist keine Verfassung vorhanden« - und er übersetzt dies sogleich politisch theologisch: »weil der Staat als ganzes noch kein Forum der freien Vermittlung seiner Elemente in sich
185
hat.« Es sei zwar anzuerkennen, daß »die Elemente der staatsbürgerlichen und publizistischen Freiheit vorhanden sind«, aber sie sind nicht »lebendig und wirksam« und sie können »es nicht eher werden (. . .), als bis der letzte rückhaltlos liberale Schritt der Konstituierung geschieht, der Staat also in seiner Spitze selbst mit der Freiheit ernst macht«.189 In die monarchische Perspektive soll schließlich auch der Liberalismus Eingang finden. »Für die zentrale Monarchie und den Beamtenstaat ist nichts zu fürchten, diese, sowie die Macht, welche in den vorhandenen liberalen Institutionen liegt, sind jedem System unentbehrlich, bei jeder ernstlichen europäischen Bewegung wird aber ebenso unentbehrlich
sein: die wirkliche lebendige Nationalmacht des absolut freien Staates, die Weltmacht des Liberalismus.^ 0
Um 1841 sind die Junghegelianer auf die Position des Liberalismus, der eine konstitutionelle Monarchie fordert, eingeschwenkt. Ihr praktisches Verhalten gegenüber den Liberalen wird weiter unten zur Sprache kommen. m In diesem Abschnitt geht es um den Prozeß des Durchdiskutieren des Staates, und dieser Prozeß hat mit dem Einschwenken auf die konstitutionelle Linie gerade erst begonnen. Für die politischen Parteien bedeutet die Verfassungsfrage in dieser Zeit zweierlei: Verfassung soll zum einen den Rahmen für Parteienkonkurrenz bieten, zum anderen sind Differenzen in der Verfassungsfrage zugleich Differenzen zwischen den politischen Parteien. Der junghegelianische Konstitutionalismus ist der erste Schritt, sich als Partei zu definieren. Als Gruppe von Intellektuellen können sie sich damit nicht beruhigen. Sie bleiben nicht auf dieser Position, so lange, bis sie in Preußen praktisch realisiert ist, um dann weiter zu sehen. Sie gehen über den Konstitutionalismus hinaus, auch ohne daß er in Preußen anerkannt ist. Sie treiben die Verfassungsdebatte, ebenso wie die Parteidefinition voran, indem sie in einem zweiten Schritt den Konstitutionalismus als Konkurrenzraum für politische Parteien intellektuell durchspielen. b) Die Widersprüche des Konstitutionalismus In der ersten Hälfte des Jahres 1842 stehen im Zentrum der Gruppendiskussion die Widersprüche des Konstitutionalismus. Theoretisch führend in dieser Frage ist B. Bauer, der in einer Reihe von Artikeln in der RhZ insbesondere an der Entwicklung der konstitutionellen Monarchie in Frankreich den Funktionsmechanismus dieser Staatsform reflektiert und zur Diskussion stellt. Warum Frankreich? Was begründet die »deutschen Sympathien für Frankreich«? England scheidet für B. Bauer aus, diese Nation sei »viel zu egoistisch auf ihre Parteikämpfe gerichtet, und wenn sie etwas an uns wie an andern Völkern interessiert, so ist es unser Gold«. 192 Solch »besondere Parteiinteressen«, die sich »in dieser beschränkten Form hin und her bekämpfen«, sind für B. Bauer uninteressant, »uns kann es fast gleichgültig sein, ob die Whigs oder Tory's das Staatsruder führen«.193 Allenfalls die Kämpfe unter Karl und Cromwell verdienten Beachtung, »allein die dumpfe, religiöse Schwärmerei, der kirchliche Fanatismus und die Heuchelei, welche hier die politischen Kämpfe beherrscht, geleitet und bestimmt hat, stößt uns zurück«.194
186
Daß politische Parteien historisch mit den englischen Konfessionskämpfen zusammenhängen, ist den Junghegelianern bekannt. Rutenberg läßt im Rotteck Welckerschen >Staatslexikon< den »eigentlichen Radikalismus« zuerst in England, »in der kirchlichen Opposition der Sekten gegen die Staatskirche« beginnen, und er verbindet diesen Radikalismus mit den englischen Chartisten, mit dem Thema der sozialen Frage. Rutenberg kann sich hierbei auf Heß berufen, der in seiner »europäischen Triarchie« ebenfalls auf den englischen Radikalismus setzt.195 Wo sich die Gruppe als journalistische Boheme oder als atheistische Sekte definiert, werden diese Bezüge wieder auftauchen, aber als politische Partei den Konstitutionalismus durchzudiskutieren, für dieses Projekt gilt Frankreich als zentraler Bezugspunkt. Warum Frankreich? Weil - so B. Bauer - hier die »politischen Fragen rein als solche im Sonnenlicht der Vernunft, der Menschlichkeit und der Sache selbst verhandelt« werden. Hier muß die Philosophie, die Partei macht, in die Schule gehen. »Wenn die Träumereien unserer Philosophen, zumal unserer philosophischen Politiker für Europa wirklich Bedeutung bekommen sollen, so müssen sie doch erst in eine menschlichere Sprache übersetzt werden. Und wo haben wir diese zu lernen? Bei den Franzosen, bei einem Montesquieu! Bei einem Mirabeau! Also bei einem Volke, welches auch noch in der letztern Zeit in Tocqueville's Schrift über Nordamerika ein Werk hervorgebracht hat, dem wir kein gleiches an die Seite zu setzen haben.«196 In Frankreich »sind die Ideen immer sogleich, wenn sie zur Sprache und zur Verhandlung kommen, auf ihren reinen, allgemeinen Ausdruck gebracht, also auf einen Ausdruck, in welchem sie (. . .) durch ihre Dialektik, sei es auch durch ihre inneren Widersprüche, hindurchgeführt werden.«197 Ideen in menschlicher Sprache zur Verhandlung gebracht, als politisch sichtbar gemachte Dialektik - das ist es, was die politische Partei der Junghegelianer interessiert. Und es ist zugleich das, was ihnen in Deutschland noch viel zu ungenügend ausgebildet ist. Daher B. Bauers Angriffe auf die deutschen Zeitungskorrespondenten, die »verächtlich auf die Menge der parlamentarischen Parteien hierselbst (in Frankreich, d. V.) und ihrer Unter- und Unterabteilungen hinweisen.« Sie verstehen den Sinn der Zersplitterung der Parteien in Frankreich nicht, sie beschreiben den Konstitutionalismus nur im Hinblick auf seine Dysfunktionalitäten. »Aber seht doch, sagen die deutschen Korrespondenten, welch ein Getreibe ist das, dieser Kampf der konstitutionellen Gewalten, wie beargwöhnt eine die andere; hört doch, wie die Staatsmaschine knarrt, wie die Räder krachen, wenn diese Gewalten ineinander greifen.« 198 Für B. Bauer jedoch reicht es nicht aus, Räsonnements »über das Zwecklose, Resultatlose und Unfruchtbare der politischen Reibungen und Verhandlungen, welche nun schon länger als zehn Jahre Frankreich in Spannung versetzt, seine besten Kräfte aufgerieben und ihm die Kraft der inneren Einheit geraubt haben, ohne daß es trotz aller Anstrengungen zu einem erklecklichen Ergebnis gekommen wäre«, anzustellen.199 Auch sei größte Vorsicht geboten, wenn berichtet würde, »den meisten Führern der jetzigen Parteien in Frankreich fehle der Charakter oder alles dasjenige, was wir zur Sittlichkeit der Überzeugung, zur Basis alles Wollens und Handelns rechnen«. Sicher würde in den französischen Zeitungen auch der Charakter der Parteiführer in den Streit hineingezogen, aber dieser Kampf um - modern gesprochen - die
187
Glaubwürdigkeit der Parteien in Frankreich hätte eine ganz andere Qualität als die moralischen Entrüstungen deutscher Korrespondenten über die Parteiführer in Frankreich. »In der französischen Oppositions-Sprache hat (. . .) jene Anklage (gegen den Charakter der Parteiführer, d. V.) allein den würdigen, männlichen und politischen Sinn, daß die Gegenwart und Zukunft größerer und tieferer Anschauungen, umfassenderer Pläne und einer begeisterten Resignation auf die jetzigen beschränkten Interessen bedürfe. In der Sprache der deutschen Korrespondenten ist dieselbe Anklage nur der Ausdruck einer leeren und zwecklosen Klugheit, die sich über jene Kämpfe zu erheben dünkt, ohne zu wissen warum, ohne einen höheren Zweck dagegen zu setzen.«200 Die Konkurrenz der politischen Grundsätze und Ziele - sie ist der Bezugspunkt, von dem aus die gegenseitigen Angriffe, die Zersplitterung der Parteien und Meinungen zu betrachten sind. Nebenbei bemerkt: B. Bauers Artikel könnten noch heute einen sinnvollen Platz in deutschen Schulbüchern erhalten, wenn es darum gehen soll, die emotionale Abwehr gegen das >Parteiengezänk<, das gegenseitige Herabsetzen der konkurrierenden Parteipositionen, die Parteienvielfalt samt ihrer Flügelkämpfe, aufzuklären. Die »jetzigen parlamentarischen Arbeiten Frankreichs« sind für B. Bauer keineswegs als »lächerliche Zersplitterung der Meinungen« abzutun: »Die spätere Geschichte wird aber gerade die Menge der Parteien als einen Beweis der Gründlichkeit betrachten, mit welcher das Prinzip, mit dem sich Frankreich gegenwärtig beschäftigt, behandelt und nach allen Seiten bearbeitet hat.«201 Was für B. Bauer in Frankreich geschieht, ist die Durchführung der konstitutionellen Verfassung als historisches Experiment: »Die Franzosen haben in den konstitutionellen Kämpfen der letzten Zeit experimentiert, aber sie haben für uns alle, für die ganze Geschichte experimentiert.«202 Bei Ruge wurde die konstitutionelle Monarchie als erster Schritt eindeutig gefordert, sie war eine Konsequenz des politischen Absolutismus. Bei B. Bauer kommt ein neues Moment herein: die Verfassungsfrage wird historisch weit geöffnet. Die konstitutionelle Monarchie ist eine Möglichkeit, nicht eine bloß zukünftige, sondern mit Blick auf Frankreich eine schon gegenwärtige, deren Funktionieren untersucht werden kann wie in einem Experiment. Hier begegnet uns eine theoretische Figur, die Schule machen wird. Es gibt nicht nur die Konsequenz der Evolution der Staatsformen, es gibt auch das historische Experiment, das man beobachten und abwarten kann, weil andere es vorexerzieren, und das frei macht für die Frage, ob man es wiederholen, modifizieren oder aus dem Horizont politischer Ziele ausscheiden will. So wird später Lenin die deutsche Sozialdemokratie und Mao Tsetung den Stalinismus als ein historisches Experiment definieren. Und heute definieren z. B. Länder der Dritten Welt das, was andere im Bereich der Politik tun oder getan haben, als historische Experimente, die für die Wahlmöglichkeiten verschiedener Politiken Bedeutung gewinnen. Die Rede vom historischen Experiment nimmt Geschichte nicht einfach als Verlauf von Konsequenzen, in dem Ereignisketten zu Wirkungsketten werden, sondern sie privilegiert den Entwurf charakter geschichtlichen Handelns, dessen Realisierung einem historischen Kalkül unterworfen werden kann.203 Historische Experimente sind aufwendig, und der historische Kalkül rechnet kaum damit, daß iden-
188
tische Wiederholungen den Aufwand lohnen. Als Reihe historischer Experimente wird Geschichte so zum kollektiven Lernprozeß. Für Bauer gilt: »wir wollen nicht dasselbe Experiment wiederholen, zur Experimental-Politik ist immer nur Ein Volk bestimmt, jedes hat andere Experimente zu machen, — wir wollen sehen, welches Experiment uns vorbehalten ist, wenn dasjenige in Frankreich vollendet ist.« 204 B. Bauer vertritt nicht die Auffassung, daß das konstitutionelle System »über alle Völker und Staaten ausgedehnt werden müsse; es ist nicht die notwendige Form jedes Staates, sondern nur eine bestimmte Form der Staats-Idee überhaupt«. Es ist eine Form, die in Frankreich »in allen Konsequenzen durchgearbeitet wird, die aber nicht verspottet, als kläglich verhöhnt, sondern verstanden werden will.«205
Und was ist der »Widerspruch im französischen Experiment«? 206 Die Antwort: »Der Widerspruch dieser Verfassung und ihre für sie selbst tödliche Schwierigkeit liegt darin, daß die gesetzgebende und exekutive Gewalt immerfort, in jedem Augenblick ihrer Ausübung und notwendig miteinander in Kollision kommen müssen.« Wenn die Legislative den »Willen« und die Exekutive die »Aktion« darstelle, so sei die Kollision unvermeidlich, »da der Wille und die Aktion nie mechanisch, äußerlich auseinander gehalten werden können«.207 Jeder Wille richte sich auf Aktion, und jede Aktion fuße auf einem Willen. Dies sei nicht nur eine auftretende praktische Kollision, weil jede Seite auf dem Felde des Handelns die andere zu annektieren trachten müsse; die Theorie des Konstitutionalismus, namentlich die Hegeische Rechtsphilosophie, irre, wenn sie annehme, in der konstitutionellen Monarchie sei »der Konflikt der konstitutionellen Gewalten zu vermeiden«. 208 B. Bauer zufolge verfehlt Hegels Theorie der konstitutionellen Monarchie schon theoretisch ihren Versöhnungsanspruch, den Anspruch, organisches System der Vermittlung zu sein. Die französischen Parteikämpfe zwischen Guizot und Thiers stehen für diese Kollision. Guizot wolle die agierende Exekutive gegen die »Übergriffe der Gesetzgebenden sicher stellen.« Guizots Polemik sei vergleichbar mit der absoluten Prädestinationslehre Calvins: »der Unterschied der Gewalten soll absolut prädestiniert und ein solcher sein, der fest, bestimmt und unveränderlich ist.« Thiers dagegen verteidige die »Rechte des Willens«, der Legislative, die sich nicht mit der Prädestination abfinden will, sondern eine ihrem Willen entsprechende Aktion, d. h. »eine parlamentarische Regierung« wolle.209 Die Kollision der Gewalten in der konstitutionellen Monarchie zeige auch, daß Hegel sich geirrt habe in der Annahme, daß »die Verfassung durch ihren vollendeten Mechanismus sich selbst tragen soll«.210 Die Ausbildung der »Gesinnung« in der »Form«, auf der die Konstruktion beruhe, sei keineswegs gesichert, vielmehr breche der Widerspruch von Form und Gesinnung wieder hervor. Exemplarisch zeige sich dieser Widerspruch in der Frage: »muß der Fürst unbedingt und ohne Rücksicht auf seine eigene Überzeugung alle Akte des gesetzgebenden Korps bestätigen?« Der konstitutionellen Theorie zufolge erhalten die Akte der Legislative erst Gesetzeskraft durch die Unterschrift des Fürsten, für Hegel ein rein formeller Akt, bei dem nur einer da sein müsse, der den berühmten Punkt auf das >i< setzt. B. Bauer greift dagegen auf Mirabeau zurück, der den Konflikt von Form und Gesinnung weitaus realistischer entfaltet und an dessen Darstellungen
189
abzulesen sei: »Eine Bestätigung durch ein willenloses Organ ist ein Unding, ist eine Absurdität.« Die französische Entwicklung zeige gerade, wie sehr »der Fürst« allen Scharfsinn seines Geistes, alle mögliche List anwenden muß, um seine persönliche Gesinnung durchzusetzen.«211 Im Zentrum der Analyse steht dabei Louis Philippe, dessen Politik für B. Bauer deutlich macht, wie unhaltbar Hegels konstitutionelle Theorie ist. Seit 1830 streite man sich darüber, »ob Louis Philippe aufrichtig an der Chatte festgehalten oder seinen Verstand (...) nur dazu angewandt habe, um die Verfassung zu einem Schein zu machen«. Diese Frage ist für B. Bauer gleichbedeutend mit der, »ob die Durchführung der konstitutionellen Verfassung selbst eine solche sein müsse, welche das Prinzip zum Teil zu einem Scheine macht.«212 B. Bauer bejaht diese Frage. In den letzten zwölf Jahren habe sich die Ansicht durchgesetzt, daß die Politik Louis Philippes »der vollendetste Ausdruck des Machiavellismus sei, nämlich der Kunst, die Parteien auf den Punkt zu bringen, wo sie sich selbst und jedermann anwidern, wo sie den Glauben an sich selbst verlieren, sich selbst aufgeben und in der allgemeinen Gleichgültigkeit untergehen.« Louis Philippe, »Meister in der Kunst, die Partei-Häupter abzunutzen«, habe sich »zum absoluten Herrn über sie gemacht«. Für B. Bauer ist dies eine Konsequenz des Konstitutionalismus, der daher keine adäquate staatliche Form für die Konkurrenz politischer Parteien ist. Für die Junghegelianer steht nun zur Debatte, »ob die konstitutionelle Verfassung selbst diese Luftpumpe ist, welche den Partei-Häuptern die Lebensluft nimmt.«213 Dem konstitutionell nicht zu verhindernden Machiavellismus des Fürsten entspricht auf der anderen Seite die »Gährung der Massen«. Sie betrachten die konstitutionellen Kämpfe »als ein lächerliches Spiel«.214 Noch habe das >Prinzip< der Massen »nicht die Klarheit, Reinheit und Bestimmtheit gewonnen, in der es schon geschichtlich werden könnte«, auch seien noch keine »plastischen« Führer der Massen in Sicht, aber B. Bauer ist sicher, daß es sich um eine »Gährung« handelt, die die Auflösung der Widersprüche des Konstitutionalismus ankündigt. Wenn »das Volk gegen die bisherigen Parteien gleichgültig zu werden anfängt, so liegt der Grund nur darin, weil es eine neue Macht ahndet, eine einfachere und faßlichere Parole erwartet und der nahen Zukunft im Voraus sich zuwendet.«213 Wo finden sich in Deutschland Entsprechungen für das französische historische Experiment des Konstitutionalismus? B. Bauer nennt zum einen den Streit in der Hegelschule. Hier hätten die älteren Schüler Hegels »die zwei Gewalten des Glaubens und Wissens, der Offenbarung und der Vernunft, der göttlichen Macht und der menschlichen Freiheit ( . . . ) in konstitutioneller Weise zu lösen, zu vermitteln und in Einheit zu setzen gesucht«, und wie in Frankreich hätten sie sich in der Durchführung dieses Projekts »in eine fast unendliche Menge von Sekten, Parteien und Fraktionen zersplittert.«216 Zum anderen könne man die Widersprüche des Konstitutionalismus anhand der Konflikte studieren, die in Baden und in Hannover stattgefunden hätten. Und B. Bauer mahnt auch hier: »Redet nicht so verächtlich von den Verwicklungen, die sich in den deutschen konstitutionellen Staaten gebildet haben«.217 Vom neuen Standpunkt der politischen Partei aus werden die Probleme der konstitutionellen Monarchie und die Probleme der konstitutionellen Philosophie< zusammengedeutet.
190
Geschichtlich maßgeblich aber bleibt für B. Bauer das historische Experiment Frankreich, dessen Ausgang 1842 »noch im Schoß der Geschichte verborgen« liegt. Dennoch geht B. Bauer einen Schritt weiter; aus den Widersprüchen des Konstitutionalismus sei »die Existenz derjenigen Partei in Frankreich zu erklären (. . .), die daran verzweifelt, daß aus dem Iconstitutioneüen Prinzip ihr Heil hervorgehen könne und die deshalb ihr Auge nach Nordamerika gerichtet hat. Dort, meint sie, sei der konstitutionelle Widerspruch zwischen Form und Gesinnung aufgehoben, weil der Chef der exekutiven Gewalt je nach dem herrschenden System wechselt, also nicht beständig mit dem allgemeinen Willen in Kollision zu kommen braucht.«218 Wäre das eine Lösung? Wenn in der konstitutionellen Monarchie die politischen Parteien zwischen dem Machiavellismus der Exekutive und der Gleichgültigkeit der Massen aufgerieben werden, ist ihre Wirksamkeit und Lebensfähigkeit, die Konkurrenz der Prinzipien, dann nicht besser garantiert, wenn die parlamentarische Mehrheit ihren Willen, ihr »System« als Aktion ihrer Regierung realisiert? Können so die Massen an »Prinzipien« gebunden werden? Vor die Alternative gestellt, ob die Exekutive die Legislative »zur Illusion« herabwürdigt, oder ob die »exekutive Gewalt (. . .) der parlamentarischen als Beute«219 anheimfällt, entscheiden sich die Junghegelianer für die letztere. Sie gehen im Laufe des Jahres 1842 zur Diskussion der parlamentarischen Demokratie über. c) Liberale Partei, radikale Partei Ruges »Selbtskritik des Liberalismus«, mit der er 1843 die DJ eröffnet, kann als Abschluß der Phase gewertet werden, in der die Junghegelianer aus den Widersprüchen des Konstitutionalismus die Konsequenz ziehen, sich als radikale Partei der Demokratie zu definieren. Die konstitutionelle Monarchie ist Rüge zufolge »ein hölzernes Eisen«, denn: »Der liberale Souverän wünscht, daß seine Untertanen frei sind, ihm aber natürlich die Souveränität lassen; die liberalen Untertanen wünschen, daß der König sie frei macht, aber die Souveränität natürlich für sich behält.« Rüge fordert jetzt die »Auflösung des Liberalismus in Demokratismus«.220 Was aber bedeutet »Demokratismus«, was »Liberalismus«, den Rüge zwei Jahre zuvor als »Weltmacht« gefeiert hatte? Die Verfassungsdiskussion der Junghegelianer ist - daran muß erinnert werden - eine Diskussion, in der sie ihr Selbstverständnis als politische Partei klären. »Liberalismus« und »Demokratismus« bezeichnen nicht lediglich Verfassungssysteme, es sind zugleich Parteinamen, die die Gruppe programmatisch einen sollen und mit denen sie sich von anderen Parteien unterscheiden will. Der Begriff »Liberalismus«, auf den die Junghegelianer zunächst eingeschwenkt waren, erweist sich jedoch im Zusammenhang der Verfassungsdebatte als zu ungenau, er muß kritisiert werden. Ruges »Selbstkritik« nennt zunächst historische Bezüge. Als Konstitutionalisten, die sich auf das Verfassungsversprechen des Königs von 1815 bezogen, haben die Junghegelianer sich in den Rahmen einer Kontinuität liberaler Bestrebungen gestellt; jetzt bricht Rüge diese Kontinuität auf. Er bezieht sich auf die »radikalen Demokraten« der Freiheitskriege und geht davon aus, daß mit der Reaktionspe-
191
riode »der Keim der demokratischen Partei in Deutschland erstickt« worden sei. Besiegt worden seien hier die »Demokratie und die Menschenrechte der Revolution. Noch mehr, die demokratische Partei ist vernichtet.« Das neue historische Schema geht davon aus: »Die Entwicklung Deutschlands in politischer Hinsicht bricht da ab, wo die Demokratie der Regenerationsperiode vernichtet wird.«221 Der »Liberalismus« wird historisch zu einem sekundären Phänomen, er ist herabgesetzt zu einem »theoretischen Sohn der früh verstorbenen demokratischen Partei«. »Liberalismus« ist »die Freiheit eines Volkes, welches in der Theorie stekkengeblieben.«222 Der Begriff signalisiere verschwommene Haltungen, bei denen mangels praktischer Bestimmtheit nur der »gute Wille« zur Freiheit zu erkennen sei. Ob eine liberale Partei überhaupt existiere, sei zweifelhaft. Die RhZ ergänzt die Rugesche »Selbstkritik«. Historisch sei der Liberalismus »eine sehr komplizierte Erscheinung« gewesen, »er war keineswegs eine Phase des Demokratismus«, er »war nichts als das Gegenteil, der contre-coup einer systematischen Reaktion«. Der Integrationsnenner des Liberalismus sei die Reaktion gewesen, sie »sammelte oder zwang alles, was sie gegen sich in den Kampf rief, in eine künstliche Partei, sie schuf ein künstliches Produkt, in dem die verschiedensten Elemente und Richtungen sich zusammenfanden und das etwa den Anblick einer Masse darbot, die sich unter einem dauernden, schweren Drucke kristallisiert hat«. So sei das Gemeinsame des Liberalismus nur negativ gegen die Reaktion zu bestimmen gewesen, aber dieser »alte Liberalismus«, »diese Partei mußte natürlich jede Antwort auf die Frage: was nach dem Siege geschehen solle, ablehnen, sie mußte und konnte dies lediglich >der Zukunft anheimstellen^«223 Jetzt stehe zur Diskussion, wie die positiven Zielvorstellungen einzelner Tendenzen aussehen und ob es gemeinsame Grundlagen gibt. Der positive Differenzierungsprozeß setzt 1842 ein, zunächst noch als Differenzierung verschiedener Liberalismen. Die Sprachregelungen setzen sich erst langsam durch. »Was bezeichnet man heutzutage nicht alles mit dem Worte liberal!«, ruft E. Bauer aus, und er muß feststellen: »Es ist wirklich beinahe so, daß, wenn man die verschiedenen Arten von Liberalität durchnehmen wollte, die es in Berlin gibt, man die Meinung jedes einzelnen, welcher sich liberal nennt, anführen müßte.«224 Es fehlten Zeitungen für die »Aufklärung und Läuterung« der Positionen, daher sei die Gefahr gegeben, daß bloß »eine große Menge kleiner Geister« durch die »glänzende Außenseite« des Wortes >liberal< angezogen würden. Nimmt man diese Gruppe hinzu, so kommt E. Bauer auf drei Typen von Liberalen: die »Ziffern-Liberalen«, die »sich mit flachen Räsonnements aufblähen«, die »vermittelnden oder juste-milieu-Liberalen«, und die, »welche allein mit Recht Liberale genannt werden können.« Letztere sind die »wahren Liberalen«, »welche die hohe Macht der Wissenschaft und die Würde der menschlichen Vernunft als die einzigen Potenzen ansehen, welche dem Staatsorganismus wahres Leben mitzuteilen« vermögen.225 Die definitorische Offensive für das, was wahrhaft >liberal< genannt werden kann, liegt seit 1842 bei der junghegelianischen Partei, d. h. bei denen, die auch die Verfassungsdiskussion vorantreiben. Wie die definitorische Offensive vorangetrieben wird, zeigt die anonyme junghegelianische Schrift »Staat, Religion, Partei« (1843), die vielleicht von E. Bauer stammen könnte. Hier heißt es:
192
»Es gibt einen Liberalismus der ungründlichen Bequemlichkeit, und es gibt einen Liberalismus der unbequemen Gründlichkeit. ( . . . ) Der erstere ist der Liberalismus par excellence, für den anderen gibt es keinen hervorstechenden Namen, weil er eben nichts Besonderes, sondern etwas Allgemeines, Wissenschaftliches ist: die einen nennen ihn Demokratismus, die einen Schwärmerei, die einen Radikalismus, die einen gar Nihilismus.«226
Präziser sind die Verfassungstheorien zu differenzieren. Insgesamt sind es drei, auf die sich die Debatte zu konzentrieren hat: auf »den Staat des gesunden Menschenverstandes (die Liberalen), den Staat der Individualität (die Legitimisten), den Staat der Prinzipien und der Theorie (die Radikalen).« Mit den Legitimisten sei keine Diskussion zu führen, »denn nicht der Vemunftsatz, sondern das rohe Faktum ist ihnen das Höchste.« Kernpunkt der Kritik an der liberalen Auffassung ist, »daß dieser Staat des gesunden Menschenverstandes eine ganz abstrakte Macht ist, die, weil sie nicht in den Gemütern, nicht im Geiste der Menschen existiert, sondern ihnen äußerlich und tyrannisch gegenübersteht, die Persönlichkeiten nicht zu ihrem Recht, nicht zur freien Entwicklung ihres Willens und ihrer Einsicht gelangen läßt.« Im Unterschied dazu betont der Radikale: Die »Staatsformen hängen ganz genau mit dem politischen Bewußtsein der Staatsangehörigen zusammen; sie sind Ausdrucksweisen desselben«. Präzisiert wird diese Bestimmung: »Freilich, jede Regierung basiert auf dem Bewußtsein des Volkes, aber nicht jede Regierung ist eine bewußte Schöpfung desselben.« Dies sei nur möglich, wenn die Scheidung des Liberalismus »zwischen privater und politischer Überzeugung« aufgehoben werde. Das »philosophisch-politische Bewußtsein« der Radikalen will »in seiner Regierung den Ausdruck seiner selbst sehen; es verlangt eine Selbstregierung.227 Bei seinem Versuch, eine kohärente politische Theorie des vormärzlichen Radikalismus, die vom Liberalismus der Zeit klar unterschieden ist, zu rekonstruieren, macht P. Wende deutlich, daß die Differenz von liberal und radikal wohl in der Frage der konstitutionellen Monarchie ihren Ausgangspunkt nimmt, daß sich jedoch mit dieser Frage zugleich eine tiefergehende Differenz abzeichnet. Entscheidend für den Liberalismus ist, daß er der Erfahrung des Auseinandertretens von Staat und Gesellschaft im Vormärz in spezifischer Weise begegnet. Es geht um Versuche, einen innerstaatlichen Ausgleich zu erzielen, sei es als Versuch der »organisch-konstitutionellen Liberalen«, an die historisch gegebene Bipolarität von Fürst und Ständen anzuknüpfen, oder als Versuch des »naturrechtlich-parlamentarischen Liberalismus«, zwischen Regierung und Volk, Staat und Gesellschaft: Formen der Kräftebalance anzustreben. In beiden Versuchen gehe es nicht um eine Aufhebung dieser Dualismen, die Liberalen streben stattdessen »ganz bewußt lediglich den Ausgleich der widerstreitenden Kräfte durch die kunstvolle Etablierung eines innerstaatlichen Gleichgewichts an, das im harmonischen Miteinander von Regierungsgewalt und Volksvertretung gewährleistet sein soll.«228 Im Unterschied zu diesen Auffassungen, die etwa bei Dahlmann wie auch bei Rotteck anzutreffen sind, ist Wende zufolge die Tendenz zu einer monistischen Fassung von Staat und Gesellschaft für den vormärzlichen Radikalismus bestimmend. Monistisch ist z. B. die These: »Jede Gesellschaft, die sich vollkommen auf sich stützt und nach eigenem Willen bewegt, jede souveräne Gesellschaft, ist Staat«. 229 Für die These, Strukturmerkmal des vormärzlichen Radikalismus sei eine monisti-
193
sehe Fassung von Staat und Gesellschaft, sprechen nicht nur die Auffassungen von Rüge und Nauwerck, die Wende untersucht hat, vielmehr tendieren alle Junghegelianer, wo sie sich als politische Partei des Radikalismus definieren, zu monistischen Lösungen. Allerdings geraten die monistischen Ansätze im Prozeß des Durchdiskutierens des Staates noch einmal in Bedrängnis. Die Junghegelianer beruhigen sich nicht mit der Differenzierung von liberal-radikal; in dem Maße, in dem sie die Abgrenzung gegen den liberalen Dualismus vertiefen und monistische Lösungen imaginieren, wird die politische Sphäre insgesamt zur Diskussion gestellt. Drei Streitpunkte der Debatte seien hervorgehoben: 1. die Frage der Selbstregierung und der Repräsentation, 2. die Frage nach den Grundlagen des Staates (das Verhältnis privat/öffentlich) und 3. die Frage nach der politischen Qualität des Radikalismus. Für den Übergang von der Verteidigung des Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie ist Rüge theoretisch führend gewesen, die Widersprüche des Konstitutionalismus wurden in der Gruppe zunächst von B. Bauer prägnant entfaltet, in der Diskussion des politischen Radikalismus ergreift E. Bauer die Initiative. Seine Thesen sind in der Forschung kaum gewürdigt worden, teils wurde er kurzerhand mit seinem Bruder Bruno in theoretische Sippenhaft< genommen, teils gilt er als epigonaler Schriftsteller.230 Auch die Anarchismusforschung hat E. Bauer weitgehend vergessen, obwohl er noch vor Stirner und mit mehr Recht in die Ahnenreihe des Anarchismus aufzunehmen wäre.231 Im Sommer 1842 eröffnet E. Bauer in der RhZ die Debatte um den politischen Radikalismus, indem er zunächst die monistische Kritik am liberalen Dualismus entfaltet.232 Er trifft dabei nicht nur die >organisch-konstitutionellen Liberalem<, sondern seine Thesen sind schon entschieden auf die >naturrechtlich-parlamentarisehen Liberalen< zugespitzt. Er kritisiert wiederholt die durchgängige Tendenz der Liberalen: »man teilt den Staat in zwei Heerlager. Man macht aus der Deputierten-Kammer eine Versammlung, die dazu da isi, die Regierung argwöhnisch zu belauern, zu bekämpfen, ihr Konzessionen zu machen oder sich solche machen zu lassen.« Aus dem Dualismus folge notwendigerweise »der Kreistanz der Garantien«.233 Der Liberalismus gelange überhaupt nicht zur Ausbildung freier Institutionen. Der Liberale erblicke »in der Einherrschaft kein Prinzip, sonst würde er wissen, daß man mit einem Prinzip nicht unterhandeln kann, er erblickt in ihr nur eine Gefahr. Und ebenso sieht er die Volksherrschaft an. Nun ist schon das unbegreiflich, wie sich zwei Gefahren aufheben sollen, dadurch, daß man sie zusammenbringt, und, das ist vor allem hervorzuheben, das ganze Wesen des Staates wird durch diese Anschauung verdreht und korrumpiert. Nämlich so: Alle Staatsinstitutionen werden angesehen als Einrichtungen, die nur der Sicherheit wegen da sind. Nicht aus dem Volksgeiste sind sie hervorgegangen, sie sind nur, um zwei feindselige Mächte, die ewig im Kriege liegen, zu beschränken.«234 In dieser Perspektive verwandle sich alles in ein Kontrollsystem: »Die Volksrepräsentation wird eine Kontrolle, die Pressefreiheit wird eine Kontrolle, die Öffentlichkeit wird eine Kontrolle. Dies alles müsse eingeführt werden, meint das JusteMilieu. Aber es leitet die Notwendigkeit hiervon nicht aus dem Prinzip ab, nicht daraus, weil
194
das Volk zum Bewußtsein seiner Rechte und der Vernünftigkeit jener Institutionen gelangt sei, sondern weil es die Einherrschaft kontrollieren müsse.« Der Dualismus im liberalen Denken zeigt sich E. Bauer zufolge auch in der konstitutionellen Fassung der Vertragstheorie. »Das konstitutionelle Staatsrecht gründet sich auf den Vertrag zwischen Fürst und Bürger. Dieser Vertrag wird geschlossen, um die natürlichen Rechte des Menschen durch den Rechtsstaat zu sichern; und diese Sicherheit erhält man durch Garantien.« Dieses Vertragsmodell ist für E. Bauer nicht akzeptabel. Wie ein Vergleich von Hobbes und Rousseau zeige, könnten auf Vertragstheorien die »verschiedensten und widersprechendsten Systeme gebaut werden.« Außerdem sei die naturrechtliche Argumentation an sich zweifelhaft. »Eben so wenig, wie wir sagen können, daß die Menschen sich die Sprache durch Übereinkunft, Vertrag gegeben haben, eben so wenig dürfen wir behaupten, daß sie durch Vertrag in Gesellschaft getreten sind. So wie sie dachten, sprachen sie, und so wie sie dachten und sprachen, sahen sie sich in Gesellschaft.« Der Rekurs auf Naturzustand und Naturrecht habe nur einen Sinn, wenn man nicht von den >ersten< Menschen, sondern von der entwickelten Gesellschaft ausgeht. »Im wahrhaften Naturzustande, d. h. in dem, welcher seinem Wesen angemessen ist, befindet sich der Mensch nur dann, wenn er sich in der möglichst komplizierten und zivilisierten Gesellschaft befindet. Und somit hat er nicht seine Rechte als Zugabe, als etwas unmittelbar an ihm Haftendes, er entwickelt sie sich erst und macht sie sich in der Gesellschaft.« Was die >Naturrechte< meinen, ist das Resultat eines historischen Prozesses. »Die Bildung der Gesellschaft bringt erst die Rechte hervor, und je höher diese Bildung ist, je mehr sich diese Gesellschaft dem Staate nähert, desto größer, desto erhabener werden die Rechte des Menschen. Recht und Staat hängen also ihrem Wesen nach unmittelbar zusammen; kein Staat ohne Rechte, keine Rechte ohne Staat, und daher gibt es keine Naturrechte. Schon hieraus sehen wir, daß eine Gesellschaft, welche zusammentretend ihre Rechte schon fertig mitbringt, und sich dieselben vertragsmäßig garantiert, ein Unsinn ist.« Wenn von >Naturrechten< sinnvoll geredet werden soll, so können sie allenfalls auf einer späteren Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung erscheinen. Gesellschaft sei auf allen Stufen, dem archaischen Eroberungsdespotismus, dem Königtum von Gottes Gnaden, dem aufgeklärten Despotismus und dem »freien Staat«, gegeben, aber sie »entwickelt sich, sie bringt sich hierdurch alle Stufen, die sie zu durchlaufen hat, zu Bewußtsein; sie lernt. Und indem sie lernt, so wird sie berechtigt, bildet sie ihre Rechte immer mehr aus, was nichts anderes sagen will, als daß sie immer vernünftiger wird. So macht sie die Vernunft immer mehr zur Grundlage ihrer Institutionen, lernt sich in ihrer Kraft und Machtquelle kennen; sie wird - souverän. Und nur dann, wenn sie das vernünftige Bewußtsein zu ihrem heiligsten Eigentum gemacht hat, in welchem Alle gleich sind, weil sie Alle gleichen Teil daran haben, nur dann hat sie auch das Bewußtsein des Vertrages, nur dann bildet sie einen auf Vertrag gegründeten Staat.« Es handelt sich bei E. Bauer nicht einfach um eine historische Begründung des Naturrechts und der Vertragstheorie, vielmehr führt er die historische Perspektive
195
weiter. Man dürfe den Vertrag der entwickelten Gesellschaft »nicht falsch auffassen. Eine Gesellschaft, die so vernünftig ist, ihre Rechte zu erkennen, wird auch so vernünftig sein, sie zu behalten und sie nicht in demselben Augenblick, wo sie sie erkannt hat, wieder verschenken.« Im Innern der Vertragstheorie ist das Problem der Repräsentation verborgen, auf das E. Bauers Argumentation zielt. Die Frage, ob das demokratische System der Selbstregierung mit dem Institut der Repräsentation vereinbar ist, wird von E. Bauer verneint. Seine These, die an Rousseau anschließt, lautet: »Der Wille kann nicht repräsentiert werden.«235 Selbst unter den Bedingungen eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts, sei eine Willensrepräsentation sachlich unmöglich. »Auf welche Weise soll eine Gemeinde ihrem Vertreter ihren Willen kund geben? Sie muß ihm denselben schriftlich in einem Hefte oder mündlich mitteilen. Will er nun der wirkliche Vertreter des Willens seiner Gemeinde sein, so darf er selbst keinen Willen, keine Macht, selbständig sich zu entscheiden, haben, er darf keine Gegengründe anhören, sich nicht überzeugen lassen, er muß selbst willenlos sein.« Der Vertreter brauchte an seinen Abgeordnetenplatz lediglich »sein Heft zu legen, weil er in der Tat nichts sein dürfte, als ein lebendiges, atmendes Heft.« Die Repräsentation des Volkswillens schlösse so die Diskussion der Abgeordneten aus. Da aber niemand sich so herabwürdigen lassen dürfe, als bloßes Instrument zu gelten, entsteht eine Diskussionsnotwendigkeit. Die Konsequenz ist: »dadurch, daß man in einer Deputiertenversammlung spricht, erklärt man sogleich, daß man selbst etwas sein will, d. h. daß man nicht mehr Vertreter ist, nicht >Repräsentant<.« Sobald der Abgeordnete zu diskutieren beginnt, Argumente und Gegenargumente entfaltet, vertritt er »nicht mehr den Willen, man vertritt nur noch die Intelligenz.« Das heißt, der Sache nach haben die Abgeordneten die Funktion von Beratern. »Und so sollten sie auch bloße Berater bleiben und dem Volke das Recht lassen, in seinen Gemeindeversammlungen seine Gesetze anzunehmen oder zu verwerfen. Denn nur dann wären diese - dem Prinzipe nach - wahrhafte Volksgesetze.« Was E. Bauer ins Spiel bringt, ist eine Form direkter Basisdemokratie. Repräsentation und Selbstregierung schließen einander aus, denn: »sowie die Repräsentanten gewählt sind, sind diejenigen, welche stets Staatsbürger sein sollten, nichts als Privatpersonen.« Die Form der Repräsentation hat daher auch Konsequenzen für die Entwicklung der Parteien, die nur noch als Dualismus von Regierungspartei und Oppositionspartei auftreten, ein Dualismus, in dem sich die Bipolarität von Volk und Fürst wiederholt. »Parteien soll es zwar immer in einem Staate geben, aber eben in einem Staate. Nicht soll eine Partei dem Staate gegenüberstehen, oder was dasselbe ist, sich allein für den Staat betrachten.« Daß Parteien im Staate existieren, ist im strengen Sinne nur möglich, wenn der mit der Repräsentation einhergehende >Rückfall< der Staatsbürger in den Privatpersonenstatus aufgelöst wird. d) Demokratischer Monismus und Abschaffung des Staates Um die Jahreswende 1842/43 konzentriert sich die Staatsdiskussion der Junghegelianer auf die Spaltung von privat und öffentlich, die den monistischen Lösungsversuchen widerstreitet. Der Artikel »Betrachtungen über Liberalismus und Zensur«,
196
der im Januar 1843 in der RhZ erscheint, greift die E. Bauersche Argumentation auf. Der Artikel ist mit S. unterzeichnet; inhaltliche und stilistische Eigenheiten rechtfertigen es, Stirner als möglichen Verfasser ins Auge zu fassen.236 Stirner greift Ruges Diktum von der Auflösung des Liberalismus in Demokratismus auf und versucht, die Parteidifferenz zu präzisieren. »Wir Liberalen, spricht Michel Liberalis, sind wackere, vortreffliche Leute, wenn wir nur könnten wie wir wollten, was würden wir nicht alles wollen.« Der Liberale brächte es immer nur zu der Versicherung, »daß er überhaupt wolle, diesen Willen aber nie auf ein bestimmtes fixiert.« Er setze »sich auf einen Isolierstuhl, die Regierung (. . .) auf den anderen, den anderen nicht liberalen Rest auf den dritten.« Es handelt sich um »die vollkommenste Atomistik, der pure politische Tod«, weil zwischen dem Gemeinwesen und der privaten Existenz, zwischen dem allgemeinen Wollen und dem bestimmten Wollen eine Spaltung vorhanden sei. Stirner fragt: »Wofür mühen wir uns ab, was ist unser Dichten und Trachten, was ist das summum bonum, der Götze, dem wir opfern? Antwort: Die Behaglichkeit des Privatlebens und seine Genüsse. In dem großen Strome der bürgerlichen Gesellschaft, in diesem Systeme der Bedürfnisse kommt es vor allem darauf an, daß Nahrung und Kleidung, Wohnung und Kindererzeugung bestehen.« Diese Orientierung bestimme das Verhältnis zum Staat. Er sei dann »eben nichts weiter, als der große Rahmen der Möglichkeiten und Chancen, um zu dem Vollgenuß dieser isolierten Existenz zu kommen«. Die Regierung, die dieser Liberalismus aus sich entlasse, entspreche dem, »was er selbst ist. Sie ist nicht aus dem Monde her, sie ist seine eigene Regierung«. Auch die Regierung folge dem atomistischen Prinzip, hier lägen die Wurzeln einer isolierten Bürokratie, die zentralisieren und zensieren müsse, um parallel dazu zu versichern, daß sie das Allgemeine wolle. »Das Verhältnis dieser egoistischen Isolierung, wonach jeder nur an sich denkt und an sein privates, profitables Bestehen und danebenher versichert, die Freiheit zu wollen, ist unseres Erachtens das charakteristische Merkmal des Liberalismus, den die Jahrbücher nicht wollten, und der fortan nicht sein soll.« Stirner interpretiert Ruges Forderung in Frageform dahingehend, »daß man diesen so beschaffenenen Liberalismus geradezu umzukehren habe, und diese seine Umkehrung, der Demokratismus sei, wonach der Liberale zum Demokraten, d. h. aus einem unpolitischen in ein politisches Tier< umzuwandeln sei?« Stirner übersetzt zu diesem Zeitpunkt die ökonomischen Schriften von Smith und Say; die Spaltung von isolierender wirtschaftlicher Orientierung und einer allgemeinen politischen Sphäre der bürgerlichen Freiheit ist ihm vertraut, und er bringt dies in die Debatte ein. Die liberale Partei wäre also diejenige, die diese Spaltung affirmiert, die vom isoliert wirtschaftenden »unpolitischen Tier« ausgeht, die demokratische Partei politisiert dagegen die Sphäre der isolierten Bedürfnisse. Marx greift in seinem unveröffentlichten Manuskript zur Kritik des Hegeischen Staatsrechts, geschrieben März bis August 1843, die in der Debatte entwickelten Positionen auf. Wie B. Bauer kritisiert er am Konstitutionalismus die »Transaktionen zweier gegensätzlicher Willen«:,237 und er reflektiert die von E. Bauer aufgeworfene Frage der Repräsentation ebenso wie die von Stirner akzentuierten Thesen zur Spaltung von privat und öffentlich.
197
Der bürgerliche Staat habe »die sonderbare Erfindung gemacht, die »allgemeine Angelegenheit als eine bloße Form sich anzueignen«. Dagegen sei die »Demokratie das aufgelöste Rätsel aller Verfassungen.« Demokratie ist nicht bloß Form. »In der Demokratie ist das formelle Prinzip zugleich das materielle Prinzip. Sie ist daher erst die wahre Einheit des Allgemeinen und Besonderen. In der Monarchie z. B., in der Republik als einer nur besonderen Staatsform, hat der politische Mensch sein besonderes Dasein neben dem unpolitischen, dem Privatmenschen.« Die Aufhebung der Trennung von bürgerlicher Gesellschaft und politischem Staat sei erst in der Demokratie gegeben, weil erst hier der »abstrakte Staat aufgehört (hat), das herrschende Moment zu sein«. Die bloß »politische Republik«, wie Marx den Konstitutionalismus und Liberalismus nennt, ist bloß eine unvollendete Demokratie, sie ist »die Demokratie innerhalb der abstrakten Staatsform«.238 Die Aufhebung der Spaltung von privat und öffentlich hat Konsequenzen für die Frage der Repräsentation. Findet eine »Trennung des politischen Staats und der bürgerlichen Gesellschaft statt, dann können nicht Alle einzeln an der gesetzgebenden Gewalt teilnehmen; der politische Staat ist eine von der bürgerlichen Gesellschaft getrennte Existenz.« Dieser könne die Bürger als Gesetzgeber »nur in einer Form ertragen, die seinem Maßstab angemessen ist.« Das Institut der Abgeordneten folge dieser Notwendigkeit. Wäre die bürgerliche Gesellschaft eine »wirkliche politische Gesellschaft«, dann »verschwindet die Bedeutung der gesetzgebenden Gewalt als einer repräsentativen Gewalt gänzlich. Die gesetzgebende Gewalt ist hier Repräsentation in dem Sinne, wie jede Funktion repräsentativ ist, wie z. B. der Schuster, insofern er ein soziales Bedürfnis verrichtet, mein Repräsentant ist, wie jede bestimmte soziale Tätigkeit als Gattungstätigkeit nur die Gattung, d. h. eine Bestimmung meines eigenen Wesens repräsentiert, wie jeder Mensch der Repräsentant des andern ist. Er ist hier Repräsentant nicht durch ein anderes, was er vorstellt, sondern durch das, was er ist und tut.239
Marx bricht das Manuskript im August 1843 ab. Marxsche Abbrüche sind herausfordernd. Dies gilt nicht nur für das Kapitel über die Klassen am Ende des dritten Bandes des >Kapital<,240 sondern auch hier. Mit dem § 313, bei dem Marx abbricht, ist das innere Staatsrecht bei Hegel noch nicht zu Ende. Es werden von Marx nicht kritisiert die Ausführungen zur Öffentlichkeit als bildendem Schauspiel, das Verhältnis von Wissenschaft und öffentlicher Meinung, also genau die Fragen, die für die Parteidiskussion von Bedeutung sind.241 Stieß die Fortsetzung des Manuskripts auf unüberwindliche theoretische Schwierigkeiten? Ich möchte dies Problem der Marx-Forschung überlassen. Sicher ist, daß in dem August, als Marx abbricht, E. Bauers Hauptwerk »Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat« erscheint.242 Hier wird der Prozeß des Durchdiskutierens des Staates einen solch beachtlichen Schritt weitergebracht, daß sich für Marx sein eigener Ansatz als diskussionsmäßig überholt hätte darstellen können.243 E. Bauer bringt die Frage ins Spiel: »Ist es möglich, einen freien Staat zu erlangen, wenn noch die Unterschiede des Besitzes, des Standes, des Ranges dem Einen ein Vorrecht vor dem Anderen geben sollen?« Und er antwortet: »Jeder Staat wird durch die sogenannten Oberen die sogenannten Unteren beaufsichtigen, bevormunden, beherrschen wollen: auch eine sogenannte republikanische Regie-
198
rung wird sich, da sie nun einmal Regierung ist, nicht von Unterdrückungssucht fernhalten können!«244 E. Bauer treibt nicht nur die Verfassungsfrage voran, er kritisiert die ganze bisherige Haltung der Gruppe in ihren politischen Debatten. Seine Diagnose: »Die Politik, wie wir sie trieben, war noch zu abstrakt: darum war sie bald erschöpft. Denn um was handelte es sich in ihr? Um den Staat, die Regierung, das Recht, das Gesetz! Der Politiker fragt nur: welches ist der wahre Staat? Welches die richtige Regierung? Welches das höchste Recht? Diese Mächte selbst aber: Staat, Regierung, Recht und Gesetz stehen ihm als ewig wahre Abstraktionen, als eine Aristokratie unantastbarer Heiligkeiten da! Die Politik, wenn sie klar werden soll, muß über sich selbst hinausgehen, muß sich selber kritisieren.«245 E. Bauer thematisiert das Durchdiskutieren des Staates, das die Gruppe, indem sie sich als politische Partei konstituierte, in den letzten Jahren betrieben hatte, in einer grundsätzlichen Weise. Er bezweifelt den Sinn der Debatte. E. Bauer greift implizit den Orientierungspunkt der politischen Partei an, wenn er zur Diskussion stellt, »ob nicht der Ausdruck >freier Staat< überhaupt einen Widerspruch enthalte, ob nicht die Redensarten von >gesetzlicher Freiheit< usw. in sich falsch sind.« E. Bauer fragt weiter, »ob Selbstregierung nicht ein Widerspruch ist«. Der Staat der Radikalen fordere, »daß der ganze Mensch, mit all seinen Kräften und Leidenschaften, mit all seinem Denken und Tun in ihm aufgehe.« Aber dieser Staat sei »um so tyrannischer, als er ein >freier Staat< zu sein behauptet.« Auch die Regierung des Volkes würde »sich mit dem Ansehen und der Würde des Staates bekleiden müssen. Könnt Ihr also die Freiheit des Menschen gegen sie wahren? Auf keinen Fall! Wollt Ihr aber eine ewig wechselnde Regierung, so hebt Ihr das Wesen derselben auf, Ihr fordert eine Inkonsequenz, eine Unmöglichkeit, und wißt dabei nicht, daß Ihr über das Charakteristische des Staates schon hinausgeht.«246 Das Marxsche Zusammenfallen des Allgemeinen und Besonderen, des formellen und materiellen Prinzips, das in der Demokratie gewährleistet sein soll, ist aus E. Bauers Perspektive immer noch viel zu etatistisch. Er schreibt: »das gesellschaftliche Leben, wo wirklich Alles gemeinsam ist, (. ..) ist kein staatliches mehr.«247 Diese Konsequenz zeichnet sich zwar bei Marx ab, wenn er die »neueren Franzosen« erwähnt, die die Auffassung vertreten, »daß in der wahren Demokratie der politische Staat untergehe«, aber wieder stark zurücknehmend ist die interpretierende Auskunft, daß er »qua politischer Staat, als Verfassung, nicht mehr für das Ganze gilt«248, d. h. harmlos als eine Gattungsäußerung neben andere Gattungsäußerungen tritt. War für Marx die allgemeine Wahl quasi automatisch »innerhalb des abstrakten politischen Staats die Forderung seiner Auflösung«™, so ist für E, Bauer die allgemeine Wahl nur ein »Scheinmittel«, denn »kein Staat ist ohne Zentralisation«, die allgemeine Wahl taste diese Zentralisation nicht im geringsten an.250 Mit dem allgemeinen Wahlrecht, das der politische Radikalismus fordere, wage er sich zwar »schon über das Gebiet des Staates hinaus, denn heißt seine Forderung etwas anderes, als es solle bei Staatshandlungen der Unterschied des Besitzes verschwinden?« Aber der politische Radikalismus übersehe, daß er hier schon auf
199
einer Ebene argumentiere, die jenseits der politischen Sphäre liegt: »bei einem Staatsleben ist jene Forderung nie zu erfüllen oder, erfüllt, ohne Nutzen.« Für E. Bauer gilt: »Der Staat gründet seine Institutionen auf den Privatbesitz«, daher hätte ein allgemeines Wahlrecht ohne Aufhebung des Privatbesitzes zur Folge, daß mit ihm auch »die Bildungslosigkeit der Besitzlosen bleiben« würde, »Der Radikale würde also nur eine Herrschaft der Dummheit einrichten«.251 Es ist unbestritten, daß in den junghegelianischen Diskussionskontext die sozialistische Thematik in ihren frühesten prägnanten Formulierungen von M. Heß eingebracht wird. Aber was die Rezeption und Verarbeitung dieser Thematik in der Gruppe angeht, so arbeiten Marx und E. Bauer zumindest zeitlich parallel. Anerkannt werden muß auch, daß, Monate bevor Marx die berühmte Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie schreibt, in der das Hauptproblem der modernen Zeit als Verhältnis der »Welt des Reichtums« und »politischen Welt« herausgearbeitet wird und dem Proletariat die historische Mission der »Auflösung der bisherigen Weltordnung« zugewiesen wird, sein Konkurrent E. Bauer bereits offen Sozialrevolutionäre Thesen publiziert hatte.253 So heißt es im August 1843 bei E. Bauer: »Kurz und gut: bei bestehendem Privatbesitz ist an keine Freiheit zu denken, weil der Besitz in direktem Widerspruch gegen sie steht. Er widerspricht der Freiheit des Einzelnen: denn ich bin nicht frei, wenn ich durch das, was ich habe, die Freiheit des Anderen beeinträchtige: er widerspricht der Freiheit der Gesellschaft, weil diese nur auf Gemeinsamkeit gegründet sein darf. Ich bin noch kein echter Gesellschaftsmensch, ich fühle die Gattung noch nicht vollständig in mir, wenn ich noch etwas für mich haben, und durch das, was ich für mich habe, eines Vorteils genießen will. Wo alles gemeinsam sein soll, wo die Güter des Geistes sich gleich verteilen sollen, da muß auch der Besitz gemeinsam sein.«253 Eingehend kritisiert wird die nur politische Revolution: »Soll die Revolution sich erfüllen, so muß die Freiheit weiter gefaßt werden, sie muß ihren ausschließlich politischen Charakter ablegen.« Denn: »Erst mit der Revolution, welche die Zerstörung staatlicher Formen beginnt, fängt die wahre Geschichte an, weil sie hier bewußt wird.« Galt die Geschichte zuvor als »Walten eines göttlichen Geistes«, so »wissen wir jetzt, daß die Menschen allein es sind, welche die Geschichte machen.« Zu diesem Bewußtsein gehört die Reflexion auf die sozialen Formen. »Freilich, für euch sind die Formen nur etwas Äußerliches, weil ihr sie oberflächlich betrachtet.« Dagegen hält E. Bauer: »Formen, die aus dem Egoismus hervorgegangen, werden, solange sie bestehen, wiederum egoistische Menschen schaffen. (. ..) Der verbrecherische Hang der Menschen! Ihr müßt wissen, daß Verbrechen stets eine Folge, ein Erzeugnis dieser bestimmten Zustände sind: die Verbrechen sind die Ergänzungen der Institutionen, sind ihr umgekehrtes Bild.«254 Diese These wird ausgeführt an den Beispielen Privatbesitz/Diebstahl, christliche Sittlichkeit/Immoralität, Ehe/Prostitution. Zwei Fragen schließen sich an: Wie sehen die freien gesellschaftlichen Formen aus? Wie sind sie herbeizuführen? Die heikle Frage nach der Utopie wird von E. Bauer im Abschnitt »Die freie Gemeinschaft« gestellt, eine Formulierung, die den nur politischen Begriff »Volk« ablösen soll.255 »Kannst Du uns eine Lebensform sagen, welche nach dem Untergange staatlicher Institutionen der Freiheit angemessener sein wird? Kannst Du
200
uns eine Gesellschaft konstruieren, in welcher der Privatbesitz aufgehoben? (. . .) Zeige uns eine freie gesicherte Lebensform auf, und wir wollen dir gern beistimmen ! «256 Die Antwort, die Marx257 auf diese heikle Frage finden wird: das Utopieverbot, sie findet sich bei E. Bauer prägnant vorformuliert: »Da antworte ich ganz einfach, daß es nicht unser Amt ist, zu konstruieren. Kann doch keine neue Saat emporschießen, solange das alte Unkraut üppig wuchert!« Vorrang hat die Kritik des Bestehenden in eine kontingente Zukunft hinein. Aber, so lautet die Gegenfrage: »Was ist das für ein Leben, an dessen Ende ihr euch gestehen müßt, ihr habt in ihm doch nichts Rechtes vor euch gebracht? (...) Was ist das für eine Freiheit, die nie auf Erden einkehren soll?« Ist das Utopieverbot überhaupt auszuhalten? E. Bauer: »Ich antworte dir, daß die Freiheit keine Zustände schafft, sondern nur aufhebt, daß sie den Menschen nicht zufrieden, sondern unzufrieden macht (...) Die Freiheit wird also so lange in der Geschichte wirken, als es eben Geschichte gibt, (. . .). Wer übrigens eine sichere Wahrheit haben will, der gehe doch zur Religion: sie predigt ewige Wahrheiten.«258 Auch diese Antwort hat ihre Gegenthese: »eure Negation läuft doch am Ende auf Träumereien hinaus, die aller reellen Basis entbehren.«239 Es dürfte kaum abzuschätzen sein, wie oft in der Geschichte von Intellektuellengruppen, deren Theorien Praxis werden sollten, diese Gegenthese auf den Plan der Debatte gerufen wurde. Das Durchdiskutieren des Staates nähert sich seinem Ende. Die neuen Formen der »freien Gemeinschaft« sind nicht dogmatisch zu antizipieren, hier gibt es keinen Verfassungsentwurf mehr, in dem die politische Partei einen Platz hätte. E. Bauers Thesen gehen schon über die Form der politischen Partei hinaus. »Mit einer politischen Opposition lassen sich Unterhandlungen anknüpfen, Transaktionen anstellen, zumal da man nur selten selber klar und über das Mehr oder Minder mit sich im Reinen ist.« Die politische Partei bringt immer auch »Abfall von einer Partei zu anderen«, das Problem der »schwankenden Partei« mit sich.260 Und die >reelle Basis< für die Träumereien der >freien Gemeinschaft? E. Bauer nennt zwei Kräfte, die uns im dritten Kapitel dieser Arbeit noch weiter beschäftigen werden: die theoretische Kritik und das Proletariat. Die Kritik zieht ihre Kraft daraus, »daß wir uns nicht auf das Bestehende gründen«, und »den praktischen Anknüpfungspunkt, die praktischen Streiter für das Neue haben wir an denen, welche durch das Alte am meisten litten: an den Besitzlosen.«261 E. Bauers Schrift von 1843, die ihm eine vierjährige Festungshaft einbrachte, mündet in eine leidenschaftliche Apotheose des Proletariats: »Keine Vandalen, keine barbarischen Haufen gleich denen, welche der alten Welt ein Ende machten, sind nötig, um den jetzigen Weltzustand zu zerstören. Unbekannte Waldungen brauchen nicht halbnackte Eroberer auszusenden, um auf den Trümmern einer abgelebten und desto stolzeren Bildung eine neue Lebensform zu begründen. Wir haben unsere nackten Wilden unter uns selbst, wir brauchen nicht weit zu suchen nach den Barbaren, an denen unsere aristokratische Bildung spurlos vorübergegangen. Im Innern der Staaten wird sich ein Schlund auftun, der bisher verachtete Flammen ausspeit; mit einer Erschütterung, vor der unsere aristokratischen Bauwerke erzittern und in sich zusammensinken, wird er die Scharen der Unterdrückten gegen den rechtlich und gesetzlich geschützten Egoismus aus-
201
senden. Es sind die Besitzlosen, welche dem hochmütigen Vorrechte ein Ende zu machen berufen sind.«262
Die historische Mission des Proletariats, das als reeller Träger der emanzipatorischen Disiderate der Philosophie entdeckt wird, - dieser Ansatz kann, wenn man die Position E. Bauers von 1843 zur Kenntnis nimmt, ebensowenig als ein exklusiv Marxscher Ansatz bezeichnet werden wie das Utopieverbot, das bekanntlich den utopischen Frühsozialismus vom Marxismus, der sich auf die je stattfindende Klassenbewegung bezieht, trennt. Systematisch betrachtet vertritt E. Bauer einen antiutopischen Sozialrevolutionären Anarchismus, der auf das Proletariat setzt und seine relevante Bewegung jenseits der Form der politischen Partei zu definieren sucht. Programmatisch heißt es: »Wir gehören zur Partei der Menschheit, darum stehen wir auf Seiten der Ausgeschlossenen.«263 Die Partei, die die Philosophie hier macht, darf gerade nicht politisch sein, weil in der Sphäre des Politischen Ausschließungsformen zum Zuge kommen, die den philosophischen Emanzipationsansprüchen notwendigerweise Abbruch tun. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Verfassungstheorien und Parteiprogrammen mag die traditionelle Wissenssoziologie oder Ideologiekritik in Korrespondenz zu sozialen Lagen oder als Ausdruck von Klasseninteressen deuten, für die Gruppe der Junghegelianer vermag dieser Ansatz nicht zu erklären, warum diese Gruppe von der Affirmation des politischen Absolutismus zum Entwurf einer konstitutionellen Monarchie, vom Konstitutionalismus zur parlamentarischen Demokratie und schließlich zu einem antipolitischen Typ anarchistischer Gemeinschaft kommt. Zwar kann man sagen, daß die Entlassung der Philosophen aus dem Staatsdienst den Prozeß des Durchdiskutierens des Staates in Gang setzt, aber dieser Prozeß folgt im Kern dann mehr seiner eigenen >Logik< als der möglicher >dahinterliegender< sozialer Kräfte. Diese >Diskussionslogik< ist eine soziale Kraft, weil im Ereignisraum der Debatte creatio continua stattfindet. Es handelt sich um einen von der Gruppe selbst definierten Raum, dessen Definition hier nach zwei Seiten begrenzt ist: alles, was noch Phüosophie ist, und alles, was noch in den Bereich des Politischen fällt, darf sich in diesem Raum ereignen. Nicht jeder Rede ist gestattet aufzutauchen, aber zu all den Reden, die in den Bereich der Philosophie, die Partei macht, fallen könnten, fordern sich die Diskutanten gegenseitig heraus. Sie bringen sich, d. h. virtuell jeder den anderen, dazu, den Grund der Debatte, der zunächst mit wenigen Worten ins Spiel gebracht wird, mit immer mehr Worten zu belegen, d. h. ihn dem sozialen Tausch von Frage und Antwort auszuliefern. Dieser soziale Tausch bezieht sich wesentlich nicht auf >Güter<, die die Diskutanten schon sicher haben, etwa in dem Sinne, daß sie sich mit Säcken von Argumenten beladen in der Debatte treffen. Zwar werden auch Argumente >mitgebracht<, aber eine Soziologie von Intellektuellengruppen träfe ihren Gegenstand nur unzureichend, wenn sie nur das Rezeptive des Tauschs ohne seine konzeptiven Effekte betrachten würde. Im sozialen Tausch von Argumenten ereignet sich Theorie nicht bloß als Beeinflussung, sondern auch als Konzept, als erste Versprachlichung einer Idee. Daher ist die Debatte nicht nur ein Tausch von Hergebrachtem, sondern ebenso eine >Brutstätte< neuer Ideen. Das schließt nicht aus, daß es auch andere >Brutstätten<
202
gibt -, aber indem hier vom sozialen Tausch von Argumenten, wie er sich im Durchdiskutieren des Staates darstellt, ausgegangen wird, kann erklärt werden, wie es der sich als politische Partei definierenden Intellektuellengruppe möglich ist, über Rezeptionen hinaus verschiedene Konzepte zu erfinden, ohne daß sich ihre >Klassenlage< von Diskussion zu Diskussion nennenswert verändert hätte.
6. Die junghegelianische Partei und die liberale Opposition Geht man nur vom Prozeß des Durchdiskutierens des Staates aus, den die politische Partei der Junghegelianer vollzieht, so läßt sich die Kohärenz ihres Radikalismus, trotz der fortlaufenden selbstkritischen Überwindungen, relativ gut beschreiben als das Verfolgen einer monistischen Strategie, die sich deutlich vom liberalen Dualismus abhebt. Betrachtet man dagegen die junghegelianische Partei in ihrem praktisch-politischen Verhalten im Rahmen der liberalen Oppositionsbewegung, so ergibt sich ein komplizierteres Bild. Sucht man im vormärzlichen Preußen nach Kristallisationen liberaler Opposition, so wird man in der Hauptstadt Berlin nur wenig finden. Preußen kennt in dieser Zeit zwei wichtige Zentren des Liberalismus: Ostpreußen und das Rheinland. Für F. Wehl ist Berlin »weder das Haupt noch das Herz des preußischen Staates, sondern nur der Magen.« Das »Haupt« Preußens sei Königsberg, und sein »Herz« schlage am Rhein, so die politische Anatomie des preußischen Staates, die nicht nur für F. Wehl selbstverständlich ist.264 Der ostpreußische Liberalismus263 fußt auf zwei Traditionssträngen. Da ist einmal der überragende Einfluß Kants, dessen Ideal vom mündigen Bürger das Selbstbewußtsein weiter Kreise der städtischen Ober- und Mittelschichten prägt; zum anderen leben bei einer Reihe von Grundbesitzern noch altständisch-libertäre Haltungen weiter, wie sie in den Auseinandersetzungen zwischen dem Großen Kurfürsten und den ostpreußischen Ständen zum Ausdruck gekommen waren. In Königsberg hat denn auch die preußische Verfassungsdiskussion ihren Startpunkt. Wenige Monate nach seiner Thronbesteigung wollte Friedrich Wilhelm IV. in Königsberg die traditionelle Huldigung des Landtages entgegennehmen (Sept. 1840). Aus dem repräsentativen Fest machten die Königsberger ein politisches Ereignis, indem sie den neuen König selbstbewußt baten, das Verfassungsversprechen der Krone von 1815 einzulösen. Die unsichere Antwort des Königs auf dem Landtag war derart vieldeutig, daß die Königsberger und mit ihnen alles, was in Preußen sich nach politischem Fortschritt sehnte, zunächst einmal den König mißverstanden und den Durchbruch in der Verfassungsfrage bejubelten, bis Wochen später mit der Kabinettsorder vom 4. Oktober der König den Verfassungsforderungen eine rohe Absage erteilte.266 Der Erfolg der Königsberger bestand für K. R. Jachmann jedoch vor allem darin, daß ihr Antrag »das in lethargische Ruhe versunkene Volk aus seinem totenähnlichen Schlafe weckte.«267 Der Petition von 1840 folgten ein Jahr später zwei Veröffentlichungen, die den ostpreußischen Liberalismus in ganz Deutschland bekannt machten: einmal die Denkschrift des Oberpräsidenten Th. von Schön: »Woher und wohin«, in der der
203
Reformer von 1807 vehement für Verwaltung und Regierung kontrollierende Generalstände eintritt,268 und J. Jacobys »Vier Fragen«, in der die »Teilnahme der Bürger am Staat« im konstitutionellen Sinne gefordert wird.269 Galt der in Ostpreußen tiefverehrte Beamte v. Schön der preußischen Regierung gleichsam als unantastbar, so setzte sie gegen den Arzt J. Jacoby einen Hochverratsprozeß und ein Majestätsbeleidigungsverfahren in Gang. Jacoby, der standhaft bei seinen Überzeugungen bleibt, und schließlich nach dem Durchgang durch alle Instanzen freigesprochen werden muß, wird in diesem Prozeß »der Repräsentant der konstitutionellen Partei«,270 und wie die Königsberger 1840 bereit waren, die vieldeutige Königsantwort sogleich zu ihren Gunsten auszulegen, ergreift die >Königsberger Zeitung< nach Bekanntwerden der Zensurlockerung vom Dezember 1841 die Initiative und eröffnet eine innenpolitische Berichterstattung, deren Gründlichkeit und Wagemut in Preußen bis dahin unbekannt waren.271 Im Unterschied zum stark intellektuell und bildungsbürgerlich geprägten ostpreußischen Liberalismus hat der rheinische Liberalismus212 seine Basis in den Interessen von Kaufleuten und Unternehmern. Die ökonomische Spitzenstellung des Rheinlands verdankt sich nicht unwesentlich der längeren französischen Besatzungszeit von 1794 bis 1815, deren bürgerliche Reformen die Entfaltung kapitalistischen Wirtschaftslebens begünstigte. Die Westorientierung der rheinländischen Liberalen wurde verstärkt durch die hohen steuerlichen Belastungen, die ihnen der Anschluß an Preußen einbrachte. Erst die Einrichtung des Zollvereins schafft der rheinländischen Wirtschaft einen genügend großen Markt, der die französischen Absatzgebiete zu kompensieren in der Lage ist. Im Zentrum der Forderungen der rheinischen Liberalen steht denn auch immer wieder der Ausbau des Zollvereins, der Bau von Eisenbahnen, niedrigere steuerliche Belastungen und die Beseitigung von traditionellen Formen, die dem >Fortschritt< entgegenstehen. Rheinische Liberale sind es auch gewesen, die die RhZ in Form einer Kommandit-Gesellschaft gründeten, um ihre Forderungen publizistisch zu verbreiten. Auf die berühmte Rolle der Junghegelianer bei der inhaltlichen Gestaltung dieser Zeitschrift komme ich zurück. Zunächst soll jedoch an den süddeutschen Liberalismus273 erinnert werden, der außerhalb Preußens zu einem wichtigen Bezugspunkt der Junghegelianer wird. In Süddeutschland, insbesondere in Baden, hatte sich im Rahmen der Verfassung von 1818 ein bescheidenes konstitutionelles politisches Leben entwickelt, dessen Bedeutung vor allem darin lag, daß es für die deutschen Oppositionellen gleichsam ein Anschauungsunterricht in Sachen konstitutioneller Monarchie bedeutete. Seinen theoretischen Ausdruck hat der süddeutsche Liberalismus im von Rotteck und Welcker herausgegebenen >Staatslexikon<, das für jeden, der sich in dieser Zeit mit liberalen Verfassungsideen auseinandersetzt, ein notwendiges Bildungsmittel geworden ist.274 Baden, Ostpreußen und das Rheinland haben in dieser Zeit Verdichtungen liberaler Opposition aufzuweisen, die für das praktische Verhalten der junghegelianischen Partei bedeutsam sind. Im Überblick wird man sagen können, daß die junghegelianische Partei zunächst eine Anlehnung an die liberale Opposition versucht, mit ihr Bündnisse eingeht, um dann im Zuge des Durchdiskutierens des Staates in ein konfliktreiches Spannungsverhältnis zum Liberalismus zu geraten, in dem die
204
Fragen nach prinzipieller Abgrenzung bzw.. taktischen Kompromissen dringlich werden. Wie die Entscheidungen im einzelnen fallen, hängt aber wesentlich von den lokalen Bedingungen ab, d. h. die örtlichen Teilgruppen der Junghegelianer sind in unterschiedlicher Weise kompromißfähig gegenüber dem Liberalismus und schätzen auch das politische Verhalten ihrer Brudergruppen unterschiedlich ein. Die Spannungen, die sich aus den praktischen Verhaltensnotwendigkeiten ergeben, führen am Ende zur Spaltung der Junghegelianer. a) Die Serenade für Theodor Welcher und das Verhältnis zum süddeutschen Liberalismus Vielleicht hat der verbreitete Topos von dem lediglich literarischen Heldentum der Berliner Junghegelianer die Forschung dazu verleitet, einem Ereignis, wie der Serenade für Welcker, nicht weiter nachzugehen. Obwohl H. Hirsch bereits 1961 in einem Aufsatz die Bedeutung dieser frühen Volksdemonstrationen herausgearbeitet hat, findet sich in der Literatur über den Junghegelianismus kaum eine angemessene Berücksichtigung dieses Ereignisses.275 Über die Berliner Ereignisse vom 28. Sept. 1841 berichtet die Augsburger >A11gemeine Zeitung< am 5. Okt.: »Der Empfang, den der Abgeordnete der Badischen Ständeversammlung, Welcker, in Leipzig und Dresden gefunden, ist ihm nun auch hier (d. h. in Berlin, d. V.) geworden. Kaum wurde seine Ankunft hier bekannt, als ein Verein wissenschaftlich gebildeter Männer, vorzüglich Literaten, zusammentrat, um dem berühmten Deputierten ihre Verehrung durch eine Nachtmusik auszudrücken. Gegen Abend um 10 Uhr, beim schönsten Mondschein, sammelte sich ein dichter Kreis von Menschen vor dem Hotel zum Kronprinzen, wo Welkker wohnt. Es ertönte eine Ouvertüre zur Stummen von Portici, von dem Musikkorps der Gardeartillerie ausgeführt. Sogleich wuchs der Knäuel der Volksmenge immer dichter und dichter an, bis sich die beiden Straßen, welche das Eckhaus umgeben, Kopf an Kopf gefüllt hatten. Als die Musik schwieg und Welcker sich oben am Fenster zeigte, erhob ein hiesiger geachteter Literat, Dr. Rutenberg, die Stimme kräftig und rief: >dem kühnen, unermüdlichen Vorfechter für deutsche Volksrechte, dem Abgeordneten der badischen Kammer, Welcker, bringen wir ein donnerndes Lebehoch! < Er konnte kaum das Wort vollenden, als schon der tausendstimmige Ruf der ganzen versammelten Volksmenge in dem Toast einstimmte, und ihm unter schmetternden Fanfahren vielfach wiederholte. Als der Jubel endlich schwieg, nahm Welcker das Wort.«276 Welckers Rede gipfelte in dem Aufruf, Preußen möge »in dem Kampf um bürgerliche Freiheit« vorangehen. Andere Quellen berichten, daß die Demonstranten die Lieder »Was ist des Deutschen Vaterland?« und »Freiheit, die ich meine« anstimmten, und während Welcker zusammen mit den Organisatoren in einer Berliner Weinhandlung speiste und diskutierte, demonstrierte die Menge zwei volle Stunden weiter. Am folgenden Abend wiederholten sich die Kundgebungen, dann schritt die Regierung ein: sie verfügte Welckers Ausweisung und begann, die Organisatoren zur Rechenschaft zu ziehen. - Nach vormärzlichen Maßstäben handelt es sich um eine herausragende Massendemonstration. »Daß dies alles geschehen konnte, ist ein Wunder«,277 schreibt K. A. Varnhagen von Ense in sein Tagebuch. Welcker besucht nicht nur Berlin, er bereist mehrere Städte in Norddeutschland. Seine Route führt von Freiburg nach Leipzig, Dresden, Berlin, Hamburg-
205
Altona, einige kleinere Orte im Herzogtum Braunschweig und Bonn. Es handelt sich um eine politische Reise, die durch die mehrmonatige Vertagung der für einen Protest bestraften badischen Kammer möglich wurde und mit der die politische Prominenz des süddeutschen Liberalismus überregional sich ihrer Anhänger vergewissern will. Diese Form wird ein Jahr später G. Herwegh nachahmen. 278 Die Berliner Welcker-Serenade bildet zweifellos den Höhepunkt der Reise. Zwar kommt es auch in anderen Orten zu Kundgebungen, aber etwa gegenüber der Leipziger Serenade, bei der Metternichsche Geheimagenten »höchstens 25 bis 28 Stundenten und 6 andere Leute« mit »höchstens 10 Fackeln« zählten, 279 handelte es sich in Berlin um eine äußerst erfolgreich durchgeführte Massenkundgebung. Bei dem »Verein wissenschaftlich gebildeter Männer«, der als Initiator der Demonstration auftritt, handelt es sich zweifellos um die Berliner Gruppe der Junghegelianer. Überliefert sind die Namen B. Bauer, der Buchändler Cornelius, L. Eichler, E. Flottwell, F. Koeppen, E. Meyen, Th. Mügge, A. Rutenberg, K. Riedel, R. Wenzel, F. W. Zabel.280 Der ganzen Anlage nach handelt es sich nicht um eine spontane, sondern um eine sorgfältig organisierte Kundgebung. Vielleicht war es Rutenberg - er ist im Rotteck-Welckerschen Staatslexikon mit dem Artikel über >Radikalismus< vertreten281 -, der den Kontakt zu Welcker knüpfte. Die Genehmigung für ein Ständchen hatten die Organisatoren bei der Polizei eingeholt, nur hatten sie - wie sich später herausstellte - dem Polizeikommissar nichts von dem badischen Abgeordneten Welcker gesagt. Für ein genehmigtes Ständchen konnte denn auch eine Kapelle des Garde-Fuß-Artillerie-Regiments gewonnen werden. Unter den Bedingungen der Pressezensur sollte die Musik dazu dienen, rasch einen Volksauflauf zu provozieren. Das Musikstück >Die Stumme von Portick war gezielt ausgesucht: in dieser Oper symbolisiert ein einfaches stummes Mädchen das unterdrückte Volk, und es ist bekannt, daß es bei Aufführungen dieses Revolutionsstücks wiederholt zu Bekundungen des Freiheitswillens gekommen ist. Wichtig ist die Welcker-Serenade nicht nur als Zeugnis für den Organisationsgrad der Berliner Gruppe der Junghegelianer. Sie gibt uns darüber hinaus einige wichtige Anhaltspunkte für ihr praktisches Verhalten gegenüber dem Liberalismus. Festzuhalten ist zunächst, daß die Junghegelianer gemeinsam mit den Liberalen auftreten, und weiter, daß sie mit originellen Aktionsformen Steigerungseffekte der Opposition zu erzielen versuchen. Aber schon bei der Welcker-Serenade scheuen sie nicht davon zurück, ihre Differenz zum Liberalismus öffentlich kundzutun. B. Bauer, Mitveranstalter der Kundgebung, überrascht Welcker bei dem anschließenden Treffen im Walburgischen Weinhaus mit einem Toast auf Hegel, »namentlich auf seine Auffassung des Staats, über die in Süddeutschland noch manche irrige Vorstellungen verbreitet« seien. Hegel überrage weit »die dortigen Ansichten vom Staatswesen durch Kühnheit, Liberalität und Entschiedenheit.« Das war eine gezielte Provokation Welckers, wie Bauer später Ruge mitteilt.282 Sie zeigt auch schon die Richtung an, in der die Frontstellung der Junghegelianer zum Süddeutschen Liberalismus sich entfaltet. Im April 1842 veröffentlicht Friedrich Engels in der RhZ seinen Beitrag >Nordund süddeutscher Liberalismus^283 Seine Hauptthese lautet: Die politische Bewegung des Liberalismus habe sich von Süden nach Norden verschoben. Noch vor kurzem hätten die süddeutschen konstitutionellen Monarchien als die »einzigen
206
Altäre« gelten können, »auf denen das Feuer des allein würdigen, unabhängigen Patriotismus aufflammen könnte.« Jetzt sei die »Bewegung des Südens« eingeschlummert, »ein Mund verstummt nach dem anderen und die jüngere Generation hat nicht Lust, auf dem Pfade ihrer Vorgänger zu gehen.« Dagegen habe der Norden »seit mehreren Jahren einen Fonds von gediegener, politischer Gesinnung, von charakterfester, lebendiger Energie, von Talent und publizistischer Tätigkeit aufzuweisen, wie ihn der Süden in seiner schönsten Blütezeit nicht zusammenbrachte. Dazu kommt, daß der norddeutsche Liberalismus unbestreitbar einen höheren Grad von Durchbildung und Allseitigkeit, eine festere historische wie nationale Basis besitzt, als der Freisinn des Südens jemals sich erringen konnte. Der Standpunkt des ersteren ist weit über den des letzteren hinaus.« Wo liegen für Engels die Ursachen dieser Entwicklung? Kennzeichen des süddeutschen Liberalismus sei es gewesen, aus der unmittelbaren Praxis heraus Politik zu machen, ohne tiefere theoretische Orientierung. »Die Praxis aber, aus der er sich die Theorie konstruierte, war bekanntlich eine sehr weitschichtige, französische, deutsche, englische, spanische usw. Daher kam es, daß auch die Theorie, der eigentliche Inhalt dieser Richtung, sehr ins Allgemeine, Vage, Blaue hinauslief, daß sie weder deutsch, noch französisch, weder national, noch entschieden kosmopolitisch, sondern eben eine Abstraktion und Halbheit war.« Die überlegene norddeutsche Richtung besitzt demgegenüber für Engels ganz andere Qualitäten: »Sie knüpfte von vornherein ihr Dasein nicht an ein einzelnes Faktum, sondern an die ganze Weltgeschichte und namentlich an die deutsche; die Quelle, aus der sie floß, war nicht in Paris, sie war im Herzen Deutschlands entsprungen; es war die neuere deutsche Philosophie.« Ähnlich wie Engels argumentiert auch ein Beiträger in den EB von 1843; er nimmt seine Rezension eines Buches des ehemaligen württembergischen Abgeordneten Pfizer zum Anlaß, den Fragen nachzugehen: »Ist der Liberalismus von 1840 wirklich ein anderer, als der von 1830? Sind wir in unseren Freiheitsansprüchen bescheidener oder kecker geworden? Hat sich vielleicht nur die Form verändert? Oder ist unser ganzes Bewußtsein ein anderes geworden?« Der Forderungskatalog der alten Liberalen habe auch jetzt noch Gültigkeit: »Was man damals wollte, war entweder ein konsequent durchgeführtes Repräsentativsystem in den einzelnen deutschen Bundesstaaten oder, wo man exzentrischer dachte, eine allgemeine deutsche oder wenigstens süddeutsche Republik. Verwandlung des Fürstenbundes in einen Völkerbund, Teilnahme aller Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten, allgemeine Volksbewaffnung, Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, freie Presse usw. sind Dinge, die, wenn im 19. Jahrhundert überhaupt von Freiheit die Rede ist, sich von selbst verstehen, die also auch der jüngsten Epoche mit der frühern gemeinsam sein müssen.« Es geht dem Autor nicht um eine Differenz zu den liberalen Selbstverständlichkeiten^ vielmehr läge der Unterschied im Verhältnis von Form und Inhalt. Der alte Liberalismus »wollte nur eine andere Form, ohne sich um den Inhalt, der diese Form füllen sollte, näher zu bekümmern. Diesen hatte man größtenteils von außen her, teils von England, hauptsächlich aber von Frankreich entlehnt, dessen Erschütterungen in Deutschland nachzitterten.« Der neue Liberalismus, den
207
der junghegelianische Autor im Auge hat, wolle zwar auch andere Formen - den alten Forderungskatalog -, aber das inhaltliche Prinzip sei doch von den »Nachahmungen« des alten Liberalismus verschieden, weil es als Resultat eigenen philosophischen Denkens betrachtet werden müsse. »Man ergründete im Stillen das Prinzip der Freiheit tiefer, man fand, daß man die Fragen, die gelöst werden sollten, zu äußerlich, zu oberflächlich gefaßt hatte. Man ging wieder an seinen Hegel, der sich ja auch der Bewegungspartei abgewandt hatte und seine Gründe gehabt haben mußte, warum -. Und in ihm, den die Liberalen den preußischen Hofphilosophen gescholten hatten, in ihm fand man den wahren, den wissenschaftlichen Liberalismus, die Freiheit des Geistes.« Im Prozeß des Durchdiskutierens des Staates grenzen sich die Junghegelianer immer deutlicher vom süddeutschen Liberalismus ab. Schon im Februar 1842 hatte E. Bauer eine umfangreiche Schrift über das Rotteck-Welckersche Staatslexikon geplant und seinem Bruder geschrieben: »Gegen diese Konstitutionellen müßte mal ein furchtbares und kräftiges Bombardement eröffnet werden.«285 Die geplante Arbeit kommt nicht zustande. Als ein Jahr später E. Bauer eine Kritik des süddeutschen Liberalismus vorlegt, hat sich der politische Bezugsrahmen schon verschoben. »Die Badische Opposition« erscheint 1843 als zweites Heft der Serie »Die liberalen Bestrebungen Deutschlands«, deren erstes Heft der ostpreußischen Opposition gewidmet ist.286 Im Zentrum der Kritik des süddeutschen Liberalismus steht auch nicht mehr das Staatslexikon, sondern E. Bauer legt hier eine »Kritik der Verhandlungen der badischen Abgeordnetenkammer« vor, in der er längs einer Analyse der praktischen Parlamentsarbeit zeigen will, »daß die konstitutionelle Verfassung weit entfernt ist, die vernünftigste zu sein, daß eine Opposition, deren Gesichtskreis nicht über den Konstitutionalismus hinaus ist, zu nichts kommen kann, und daß Deutschland auf dem Wege einer konstitutionellen Opposition nicht das wird, was es werden soll.«287 Zusammenfassend kann gesagt werden: Wie Ruge die verfassungspolitische Diskussion 1839 unter der Maske eines >Württembergers< in den HJ beginnt, nutzen die Berliner Junghegelianer den Besuch des badischen Abgeordneten Welcker 1841 zur Organisation einer Massendemonstration, um aber zugleich auf die spezifische Differenz von nord- und süddeutschem Liberalismus hinzuweisen. Geht es dabei zunächst nur um die Herausstellung der entschiedenen >Wissenschaftlichkeit< und theoretischen Reife des neuen Liberalismus, so wird der süddeutsche Liberalismus zunehmend in der junghegelianischen Argumentation zur Projektionsfläche für die Kritik des Konstitutionalismus schlechthin. Wichtig ist, daß die Ablehnung des süddeutschen Liberalismus unter den Junghegelianern relativ einhellig vollzogen wird. Die staatlichen Grenzen spielen hier eine große Rolle. Als mögliche Bündnispartner der junghegelianischen Partei sind die süddeutschen Liberalen kaum je ernsthaft im Blick gewesen. Abgesehen von der Welcker-Serenade sind sie für die Junghegelianer ein ferner Orientierungspunkt, dessen Glanz zunehmend verblaßt. Hier besteht kein Grund zu tieferen Differenzen in der Gruppe. Anders ist die Situation beim preußischen Liberalismus in Ostpreußen und im Rheinland.
208
b) Berlin und Königsberg Für das Verhältnis der Junghegelianer zum ostpreußischen Liberalismus sind zwei Momente entscheidend: Einmal die latente Konkurrenz um die Position eines geistigen und politischen Zentrums und zum anderen die engen wechselseitigen Verflechtungen und Bindungen der Berliner Gruppe mit dem ostpreußischen Zirkel. Der Aspekt der Konkurrenz wird deutlich in einem Beitrag des Berliner E. Meyen von 1841. Königsberg wird charakterisiert »als eine Stadt ersten Ranges«. »Seine Stellung ist eine isolierte, aber diese Isoliertheit ist eine solche, welche die Energie in sich trägt; die Gegensätze des Nationallebens so entschieden und stark in sich zu erzeugen, wie es die individuelle Kraft des Menschen bedingt. In Königsberg zeigen sich die Extreme der deutschen Nationalität straffer als irgendwo. ( . . . ) Berlin erscheint dagegen weit universaler, mannigfaltiger, reicher, aber weniger entschieden und charakteristisch. Das Allgemeine drängt die Energie des Individuellen zurück.« Zwar kenne auch Berlin Gegensätze, aber, »wer nicht die Kraft und den Mut hat, eben dieser Allgemeinheit anzugehören und sein subjektives Interesse, namentlich jede Eitelkeit des Individuellen zum Opfer zu bringen, dem kann es nicht wohl in Berlin sein. Das Prinzip des Staates ist hier bereits wie in Frankreichs und Englands Hauptstadt das Herrschende, allein Entscheidende geworden. Berlin trägt wesentlich den Charakter der Zentralisation.«
Nachdem Meyen so das >Allgemeine< in Berlin mit dem >Individuellen< in Königsberg in Konkurrenz gesetzt hat, sieht er die Aufgabe der Königsberger darin, »ergänzend aufzutreten, und Berlin selbst die Spitze zu bieten, wenn es sich in zu abstrakter Allgemeinheit verliert.«288 Solche Versuche einer Balancierung des intellektuellen und politischen Prestiges der beiden Universitätsstädte sind für den Berliner Junghegelianer Meyen nötig, weil seine Königsberger Kampfgefährten, wie z. B. der Redakteur der >Königsberger Zeitung< K. R. Jachmann, den Vorsprung seiner Landsleute an politischem Bewußtsein selbstbewußt zur Geltung bringen. Rückblickend schreibt Jachmann: Im Jahre 1840 habe man im übrigen Preußen - und hier spielt er auf das hegelianische Zentrum in Berlin an - nicht viel mehr von Verfassungen gewußt, »als daß sie häufig die Minister wechseln.« Forderungen nach einer Legislative, freier Presse, Öffentlichkeit der Verhandlungen und Verantwortlichkeit der Minister und die Forderung, »daß es endlich eine Macht im Staate geben müsse, der jeder, auch der Höchstgestellte, unbedingten Gehorsam schuldig sei, und diese Macht das Gesetz sei, der Ausdruck der Idee des Rechts und der Freiheit - diese Ansichten wurden nur in Ostpreußen laut geäußert.«289 Deutlich spürbar in Jachmanns Charakterisierung des ostpreußischen Liberalismus ist der Einfluß Kants. Im Kern bedeutet Liberalismus für ihn »die Vernunfterkenntnis angewandt auf unsere bestehenden Verhältnisse«. Dies bedeutet zugleich, »in gänzlicher Abstraktion von allem Historischen nach dem alleinigen Maßstabe des Vernünftigen das Gewordene, das Daseiende zu beurteilen«.290 Solche Formulierungen haben Berliner Junghegelianer, wie E. Bauer, herausgefordert, den Hegeischen Vernunftbegriff gegen Einflüsse aus der Tradition Kants zu verteidigen. »Alles in der Welt ist nur dadurch, daß es wird, und es hat die einzige Garantie seines Bestehens in seiner Entwicklung. Es gibt nichts absolutes, was von Anfang an war, was immer das-
209
selbe bleiben könnte und ewig wäre. So ist auch die Vernunft nichts Feststehendes, nichts Ausgemachtes; auch sie, da sie in einer ewigen Entwicklung begriffen ist, ist fortwährend eine andere. Darum kann man wohl sagen: die Vernunft ist und herrscht immer, und mit demselben Rechte: die Vernunft ist und herrscht nie. (. . .) Als etwas Absolutes, als eine Kategorie, die einen bestimmten, für ewige Zeiten unantastbaren Inhalt haben will, ist sie eine bloße Schwärmerei.«291
Die Konkurrenz um die intellektuelle Führung der Opposition darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß zwischen den Berliner und den Königsberger Intellektuellen enge, z. T. persönliche Beziehungen bestehen. So ist z. B. E. Flottwell mit Jacoby in Königsberg befreundet und mit Berlinern wie Engels, Meyen und L. Eichler gut bekannt. Die Briefe, die Flottwell und auch J. Waldeck mit Jacoby wechseln, zeugen von der engen Verzahnung beider Gruppen. 292 Hinzuzunehmen ist, daß die >Königsberger Zeitung< den Berlinern die Chance gibt, sich zu Wort zu melden. Allerdings gelingt es den Berliner Junghegelianern nicht, wie kurze Zeit später bei der RhZ, die Hegemonie in der Redaktion zu erreichen, dazu waren die Königsberger Liberalen im Unterschied zu den rheinischen Kaufleuten und Industriellen viel zu sehr intellektuell interessiert. Zu den Berliner Junghegelianern, die regelmäßig über Königsberger Vorgänge berichten, gehört M. Stirner, der als Student einige Zeit in Kulm und Königsberg verbracht hatte.293 Seine Korrespondenzen enthalten überwiegend Zustimmung gegenüber »Freimut und Hochherzigkeit« der Königsberger. Die >Königsberger Skizzen< von Karl Rosenkranz werden gleich zweimal den Lesern der RhZ annonciert. Die Kritik an dem ostpreußischen Hegelianer ist vorsichtig formuliert. Stirner weist lediglich Rosenkranz' positive Bewertung des »Eklektizismus« zurück: »Solange das Wesen unserer Zeit eklektisch war, galt Rosenkranz unbestritten als einer ihrer Vordermänner; seitdem aber nur ihr trügerischer Schein eklektisch geblieben ist, müßte er kühner ausschreiten, als er es tut, um nicht zu einem Nachzügler zu werden.«294
Ungeteilte Zustimmung dagegen finden bei Stirner die öffentlichen Vorlesungen des Liberalen L. Walesrode. Sie sind für Stirner vor allem deshalb von Bedeutung, »weil mehr als 400 Personen in der zweiten Residenz des Landes an dem Ausdrucke der darin niedergelegten Gesinnung gleichsam mitgearbeitet haben«. Stirners Annonce gilt dem Zweck, »dem übrigen Deutschland zu zeigen, wo es seine Sympathien zu suchen hat.«295 Von Stirner wie auch von dem Berliner K. Nauwerck wird die Denkschrift des ostpreußischen Oberpräsidenten Th. v. Schön »Woher und Wohin« als Schritt in die richtige Richtung gewürdigt. Während Nauwerck jedoch v. Schöns Diktum »ein jeder nicht konstitutionelle Staat ist ein interimistischer« hervorhebt,296 kann Stirner seine Ironie nicht zurückhalten, wenn er von Schöns Denkschrift sagt: »und da die Weltgeschichte schrittweise wandelt, so ist sie einstweilen auch genügend.«297 Im Oktober 1841 planen die Berliner Junghegelianer, den Erfolg der Serenade für Welcker zu wiederholen, indem sie v. Schön ebenfalls ein »Ständchen« bringen wollen. Allerdings erhalten sie keine polizeiliche Erlaubnis, da v. Schön selbst die >Ehrenbezeugung< eindeutig ablehnt.298 Entschiedener verteidigen Nauwerck und Stirner J. Jacoby. Nauwerck widerspricht den Kritikern des ostpreußischen Liberalismus, daß es sich hier um ein »iso-
210
liertes Phänomen« handele. »Vier Wochen freier Presse - und die, welche es angeht, würden erstaunen, wie allgemein verbreitet gewisse Überzeugungen nicht bloß in Ostpreußen, sondern im ganzen Reiche sind.«299 Stirner schreibt für die >Leipziger Allgemeine Zeitung< zwei umfangreiche Korrespondenzen, in denen er ausführlich über den Prozeß gegen Jacoby berichtet. Jacoby wird uneingeschränkt als Vorbild hingestellt: »Was den seit anderthalb Jahren schwebenden Prozeß des Doktor Jacoby betrifft, so lernen wir an ihm, wie der einzelne Mensch ein allgemeiner ist. Wer kennt den Doktor im fernen Osten, diese Ziffer unter Millionen? Und doch bekümmert ihr euch um dieses unscheinbare Wesen, fragt nach seinem Schicksale, nach seinem Tun und Denken. Es ist nicht der Doktor, der so und so viele Menschen gesund gemacht und andere an das Grab geleitet hat; es ist der >Mensch<, der eine — Idee in sich >persönlich< werden ließ und nun die zeitlichen Leiden der Idee an seinem Leibe zu tragen hat: es ist der >Mensch<, der ihr auch seid oder werden wollt.«300 Daß hier schon begrifflich Anklänge an Stirners Hauptwerk zu hören sind, sei am Rande vermerkt. Überblickt man die Stellungnahmen der Junghegelianer zum ostpreußischen Liberalismus, so ist bis zum Sommer 1842 eine einhellige Sympathie und Zustimmung festzustellen. Auch mit spektakulären Aktionen halten sich die Junghegelianer nicht zurück. So organisieren sie z. B. einen Spendenaufruf, dem verfolgten J. Jacoby eine Bürgerkrone zu stiften.301 Die Krise, die sich zwischen Teilen der Junghegelianer und dem ostpreußischen Liberalismus im Herbst 1842 abzeichnet, kann deutlicher werden, wenn wir uns zunächst dem andern liberalen Zentrum Preußens, dem Rheinland, zuwenden. c) Die Junghegelianer und die >Rheinische Zeitung< Ist die Königsberger Situation davon bestimmt, daß die Junghegelianer mit einem politisch interessierten liberalen Bürgertum, das sich selbst zu Wort meldet, kooperieren und konkurrieren müssen, so gewinnen die Junghegelianer im Rheinland rasch eine intellektuelle Hegemonie. Denn die liberalen Geldgeber der RhZ, die dieses Blatt zunächst mit Unterstützung der Regierung in Berlin - diese erhoffte sich ein Gegengewicht gegen die Monopolstellung der katholischen >Kölner Zeitung< - gründeten, sind an der journalistischen Tendenz des neuen Blattes nur insoweit interessiert, als ihre ökonomischen Interessen nicht tangiert werden. Da die neue Zeitung mit den Redakteuren Jung und Oppenheim, die beide den Kreisen der Geldgeber entstammten, rasch auf dem Lesermarkt Abonnenten gewinnt, lassen sie die Redaktion gewähren, obwohl es sich bei Jung und Oppenheim um radikale Junghegelianer handelt. Die liberalen Geldgeber lassen auch zu, daß der Junghegelianer Rutenberg, der als Mitorganisator der Welcker-Serenade unter besonderer Polizei-Aufsicht steht, Chefredakteur wird.302 Diese differente Situation zwischen Ostpreußen und Rheinpreußen wird in der RhZ kaum verhüllt dargestellt. So schreibt der Korrespondent >vom Rhein<: »Immer (. .. ) wird sich unser Liberalismus in den Kreisen des praktischen Lebens bewegen und erhalten; wir sind liberal, so weit es unser gesunder Sinn und so weit es die Beziehungen und Verhältnisse unseres Lebens, unserer kommerziellen, industriellen und gewerblichen Tätigkeit mit sich bringen.«
211
Dies sei eine »Gabe der Natur und eine Gabe der Geschichte«, wobei auf den landsmännischen Charakter und auf die Napoleonische Herrschaft verwiesen wird. Daher lasse der Rheinische Liberalismus im Unterschied zum ostpreußischen »sich's auch nicht gern sauer werden und scheut jene tiefere und gründlichere Selbstbefreiung durch die Wissenschaft, wo der Mensch verzichtend auf die goldenen Früchte materieller Tätigkeit tief in die Schächte seines Geistes hinabsteigt, um sich Selbsterkenntnis zu erobern, in welcher jeder Liberalismus erst seinen wahren Halt und seine Läuterung gewinnt.«303
Unter diesen Bedingungen konnte sich die RhZ zu einer überwiegend junghegelianischen Plattform entwickeln. Während man in Königsberg eher von einem wenn auch komplizierten Bündnis von Junghegelianern und Liberalismus sprechen kann, so trifft der Begriff Bündnis für die rheinische Situation nur ungenau. Hier muß mehr betont werden, daß die rheinischen Liberalen den Junghegelianern einen weitgehenden Freiraum überlassen, einen Freiraum, der die Gefahr in sich birgt, daß über die zugrundeliegenden Machtverhältnisse und Interessenkonstellationen Illusionen entstehen. Die Initiativen des Königsberger Landtages sind in den Augen der Junghegelianer würdige Anknüpfungspunkte für ein Bündnis, die Debatten des Rheinischen Landtags über die Pressefreiheit, die der Redakteur der RhZ Karl Marx einer beißenden Kritik unterzieht, dagegen nicht. Ausgehend von der These: »Die liberale Opposition zeigt uns den Höhestand einer politischen Versammlung«, kommt Marx zu dem Ergebnis: »daß die landständischen Verteidiger der Pressefreiheit sich keineswegs auf der Höhe ihres Gegenstandes bewegen«.304 Ein Vertreter des Bürgertums hatte in den Debatten die Pressefreiheit im Namen der Gewerbefreiheit verlangt. Marx' Kritik ist aufschlußreich für das Verhältnis der Junghegelianer zum rheinischen Liberalismus. Marx geht zunächst auf den Vergleich ein: »So originell die Betrachtungsweise des Redners auf den ersten Anblick erscheinen mag, so müssen wir ihr doch einen unbedingten Vorzug vor den haltungslosen, nebelnden und schwebelnden Räsonnements jener deutschen Liberalen zuschreiben, welche die Freiheit zu ehren meinen, wenn sie dieselbe in den Sternenhimmel der Einbildung, statt auf den soliden Boden der Wirklichkeit versetzen.« Im Verlauf der Argumentation wandelt sich jedoch die Zustimmung in eine Kritik der Ableitung der Pressefreiheit aus der Gewerbefreiheit. Letztere sei als eine Sphäre für sich zu begreifen: »Jede bestimmte Sphäre der Freiheit ist die Freiheit einer bestimmten Sphäre«, und: »Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit, ruft die Presse dem Gewerbe zu.«305 Sicher kann man Marx' Argumente als rein theoretische Ausführungen lesen, lohnend ist aber auch, sie in den Zusammenhang des Verhältnisses von rheinischem Liberalismus und junghegelianischer Partei zu rükken. So gelesen, erweist Marx zunächst den liberalen Rheinländern seine Anerkennung für deren Wirklichkeitssinn, indem Marx die bildungsbürgerliche, materielle Voraussetzungen gering schätzende Haltung >Ideen< gegenüber zurückweist. Diese Anerkennung weicht jedoch sogleich dem Versuch einer strikten Abgrenzung der Einflußbereiche gegeneinander. »Wie du den Gesetzen deiner Sphäre, so will ich
212
den Gesetzen meiner Sphäre gehorchen.« Dies markiert exakt die Haltung der junghegelianischen Redaktion zu den Kreisen ihrer Geldgeber. Es geht um den Aufbau von Argumenten, die den Freiraum der Redaktion als Kristallisationspunkt für parteiliche Eigenständigkeit begründen: »Um die Freiheit einer Sphäre zu verteidigen und selbst zu begreifen, muß ich sie in ihrem wesentlichen Charakter, nicht in äußerlichen Beziehungen fassen.« Das ist deutlich gegen den Einfluß der Geldgeber gerichtet. Und trotz der anfänglichen Abwehr einer von materiellen Voraussetzungen abgehobenen Behandlung der Pressefrage mündet die Argumentation in Topoi, die auf die >Prinzipienpartei< zugeschnitten sind. »Ist aber die Presse ihrem Charakter treu, handelt sie dem Adel ihrer Natur gemäß, ist die Presse frei, die sich zum Gewerbe herabwürdigt?« Der Schriftsteller betrachte seine Arbeiten nicht »als Mittel. Sie sind Selbstzwecke, sie sind so wenig Mittel für ihn selbst und für andere, daß er ihrer Existenz seine Existenz aufopfert, wenn's not tut, (...). Dagegen sollte mir ein Schneider kommen, bei dem ich einen Pariser Frack bestellt, und er brächte mir eine römische Toga, weil sie angemessener sei dem ewigen Gesetz des Schönen! Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.«'01'
Man kann die Situation im Rheinland paradox nennen. Obwohl die rheinischen Liberalen die Junghegelianer weit mehr begünstigen als die ostpreußischen Liberalen, finden sie bei den Junghegelianern weit weniger Anerkennung. »Werfen wir nun einen Blick auf die Preßdebatten im ganzen zurück, können wir nicht Herr werden über den öden und unbehaglichen Eindruck, den eine Versammlung von Vertretern der Rheinprovinz hervorbringt, die nur zwischen der absichtlichen Verstocktheit des Privilegiums und der natürlichen Ohnmacht eines halben Liberalismus hin- und herschwanken,« faßt Marx sein Urteil zusammen.307 Die Unterschiede der lokalen Situationen in Köln, für die junghegelianische Partei zu unterschiedlich lungserfordernissen. So kohärent sich ihr politischer tieren des Staates erweist, in ihrer politischen Praxis die zur Spaltung der Partei führen.
Königsberg und Berlin führen pragmatisch-taktischen HandRadikalismus im Durchdiskuwerden Unterschiede deutlich,
7. Die Spaltung der Partei Die Spaltung der Junghegelianer, die seit 1842 die Gruppenbeziehungen verändert, hat nicht mehr viel gemein mit den philosophischen Fraktionen des Schulzusammenhangs. Vielmehr spielt sich die Spaltung hier auf einer anderen Ebene ab. Gingen die philosophischen Fraktionen des Schulzusammenhangs vom akademischen Raum aus und operierten nach Maßgabe einer Dialektik der Extreme, so beziehen sich die neuen Spaltungen auf differierende pragmatisch-politische Erfahrungshorizonte. Sicher hat die staatliche Repressionspolitik, die im Verbot der Zeitungen gipfelte, die den Junghegelianern als Plattform dienten, die Spaltung der Gruppe beschleunigt. Tiefergehend war jedoch die Frage, inwieweit sich die Partei der Junghegelianer im praktischen Bündnis mit der liberalen Opposition kompromißbereit zeigen konnte und ein taktisch-politisches Verhalten hinzuzugewinnen vermochte.
213
Rückblickend schreibt Bruno Bauer über das Bündnisproblem: »Das Volk war in seiner Indolenz undankbar: es vergaß, daß gerade die großen Tagesblätter des Jahres 1842 durch ihr Räsonnement und durch die Unruhe ihrer Forderungen (. . .) seine Auflösung und Ablösung von den alten Lebensformen befördert und gleichsam zu einer Art von unklarem Bewußtsein gebracht haben, was es selbst nur noch zum Faktum zu machen hatte.« Aber der in Gang gekommene Aufklärungsprozeß entwickelte seine eigene Dynamik. Das Volk »wollte in seiner eigenen Weise etwas sein; also mußte es auch die vornehmen Wendungen der gelehrten Herren, ihre weitausgesponnenen Belehrungen, ihre rückhaltigen Prinzipien, die vielleicht zu weit führten, (. . .) zurückweisen (. . .). Fort also mit den Radikalen, den Weltverbesserern: wir werden schon durch unsere eigene Macht durchkommen, dachte der Bürger: wir sind, was sie nur besprachen; wir besitzen den festen Kern, auf den sie nur hinzeigten; wir werden die Teilnahme am Staat besitzen, die sie nur forderten: wir werden herrschen, während sie nur bitten konnten.«308
Die junghegelianische Partei steht vor der Frage, wie sie mit ihrem politischen Erfolg umgehen soll. Soll sie sich dem nicht zuletzt durch ihre Initiativen gewachsenen Selbstbewußtsein der liberalen Opposition anpassen, sich angesichts des selbständigeren Auftretens der Liberalen zurückhalten, oder soll sie das, was sich im Prozeß des Durchdiskutierens des Staates als Vorsprung abzeichnet, auch gegen die möglichen Bündnispartner offensiv vertreten? Hinzu kommt die oben dargestellte regionale Situation. Von den drei junghegelianischen Kristallisationspunkten: Berlin, Königsberg und dem Rheinland, stellt sich die Anpassungsfrage am wenigsten in Berlin, weil es hier keine nennenswerte liberale Opposition gibt. So ist es wohl kein Zufall, daß in Berlin sowohl der erste Versuch einer eigenständigen, sich auch formell abgrenzenden junghegelianischen Opposition abzuzeichnen scheint, als auch, daß in der Berliner Gruppe eine Fraktion auftritt, die eine kompromißlose Taktik einschlägt. a) Vorspiel zur Spaltung: die »Freien« Unabhängig davon, ob die Nachricht von der Gründung eines »Vereins der Freien« in Berlin im Sommer 1842 einen realen Hintergrund hatte, ob es sich um einen >Versuchsballon<, um eine Denunziation oder um eine Zeitungsente gehandelt hat,309 die Bedeutungen, die der Nachricht zugemessen werden, konzentrieren sich um das Problem einer autonomen junghegelianischen Organisation, ein Problem, das die Bündnisfrage vorrangig tangiert. Die Nachricht vom Versuch einer selbständigen, radikalen Organisation der »Freien« in Berlin stößt in Königsberg und im Rheinland auf eine Situation, in der die Frage der Kooperation von Junghegelianern und Liberalen eine andere Dringlichkeit besitzt als in Berlin selbst. Über die Königsberger Reaktionen auf die annoncierte Gründung der »Freien« können Stirners Korrespondenzen einige Aufklärung geben. Mag sein, daß die geplante Vereinsgründung in Ostpreußen teilweise auf Sympathie gestoßen ist. Dafür spräche nicht nur, daß die >Königsberger Zeitung< als erste die Nachricht verbreitet hat, Stirner berichtet auch, daß auf diese Nachricht hin eine Reihe von ostpreußischen Grundbesitzern »nach den genaueren Umständen sich eifrigst erkundigte und ihre Bereitwilligkeit erklärte, dem Vereine beizutreten.«310 Es han-
214
delt sich um Grundbesitzer, von denen Rosenkranz rühmend zu berichten wußte, daß sie »einen ganzen Winter konsequent Seite für Seite von Strauß durchgelesen, durchgesprochen haben, ja nachher für ihre abweichenden Ansichten miteinander in Briefwechsel getreten sind.«311 Offensichtlich reichte diese Sympathie für Stirner nicht aus, um das Vereinsprojekt mit in die Kooperation zwischen Junghegelianern und Liberalen einzubringen. Seine Korrepondenzen sprechen bei aller Sympathie für die Sache der Berliner »Freien« mehr von Vorbehalten, die sich aus der Befürchtung nähren, das Berliner Unternehmen könnte das Bündnis mit den Liberalen negativ tangieren. Stirner kritisiert »die abgerissene und eilfertige Darstellung, welche die Königsberger Zeitung« von den »Freien« gegeben habe. Gegen das Programm selbst, »die Grundüberzeugung der modernen Philosophie aus der begrenzten Sphäre der Wissenschaft auch in die weiteren Kreise des Lebens einzuführen und daselbst geltend zu machen«, sei nichts einzuwenden. »Ob den Freien oder ein > Verein< zu diesem Zwecke förderlich oder wenigstens nötig ist, das wäre eine andere Frage. Mit welchem Schrecken man sie jetzt aufgenommen hat, davon haben sie sich sattsam überzeugen können; wer also unter diesem Namen auftrete, der würde sich, wenigstens für den Augenblick, die Zugänge verstellen und aus Gespensterfurcht abgewiesen werden. Von dieser Seite betrachtet, was soll da ein Verein? Ungesetzlich wäre er nicht, wohl aber unklug.« Stirner begrüßt es denn auch, daß »die Freien wohl jenen Plan aufgegeben haben, um vor der Hand ihre Wirksamkeit nicht durch förmliche Konstituierung zu hemmen und eine geistige Macht vor der Gefahr zu bewahren, durch Voreiligkeit zu einer materiellen Ohnmacht herabzusinken.«312 Insbesondere kritisiert Stirner, daß die »Freien« den öffentlichen Austritt aus der Kirche als zentrierenden Programmpunkt ansehen. Gerade dies war dazu geeignet, das liberale, gläubige Lager zu verschrecken. Stirners auf Kompromiß zielender Organisationshinweis zielt dagegen in eine andere Richtung: »Was nun schließlich die Freien betrifft, so haben sie ihre reelle Bedeutung nicht der Kirche, sondern dem Staate gegenüber, und ihre Opposition gegen eine seiner Institutionen ist eine loyale, so loyal als z. B. die Opposition derer, welche gegen die Zensur sprechen und diese Überzeugung geltend zu machen suchen: es ist eine »gesetzliche Opposition^«313 Daß es ihm um eine Verhinderung der Spaltung der Oppositionsbewegung geht, macht eine Anspielung deutlich, die er im Rahmen einer anderen Korrespondenz macht. Er wehrt sich dagegen, daß »die Professoren und Akademiker, gewisse Beamte und die Graduierten zusammen, den > Verein der Freiem bilden; das übrige Volk die >große Masse<, bevormundet durch die >Freien<.«314 Selbst wenn Stirner zunächst an der Idee oder dem Gerücht um die Vereinsgründung der Freien beteiligt gewesen sein sollte, seine Korrespondenzen zu diesem Thema sind eher geprägt von dem Bemühen, eine Spaltung der Opposition zu verhindern. Insbesondere nehmen seine Beiträge Rücksicht auf die Empfindungen und Vorstellungen der ostpreußischen Liberalen um J. Jacoby, auf die wohl die Formulierung von der »gesetzlichen Opposition« gemünzt ist.315 Nicht minder kritisch gegenüber der Nachricht von der Vereinsgründung der »Freien« ist die Reaktion aus dem Rheinland. So schreibt Marx besorgt an Ruge:
215
»Wissen Sie was Näheres von den sogenannten >Freien Der Artikel in der Königsberger war mindestens nicht diplomatisch. Ein anderes ist, seine Emanzipation erklären, was Gewissenhaftigkeit ist, ein anderes sich im voraus als Propaganda ausschreien, was nach Renommisterei klingt und Philister aufbringt. Und dann, bedenken Sie diese >Freien<, ein Meyen etc. Doch allerdings wenn eine Stadt, ist Berlin zu dergleichen Unternehmungen geeignet.« Marx befürchtet, »daß die Berliner Fadheit irgendwie ihre gute Sache lächerlich macht und diverse >Dummheiten< bei dem Ernst nicht entbehren kann. Wer so lang unter diesen Leuten war wie ich, wird diese Besorgnis nicht unbegründet finden.«
Für Marx gilt es, Rücksicht zu nehmen auf die religiösen Empfindungen der liberalen Opposition im Rheinland, die leicht mobilisiert werden könnten, wenn sich etwa die konservative >Kölnische Zeitung< des Themas der »Freien« annähme: »Hermes (Redakteur der >Kölmschen Zeitung<, d. V.) wird mir auch mit den >Freien< auf den Hals rücken, von denen ich leider auch nicht das geringste Sichere weiß.«316 Die Schwierigkeiten, die die rheinischen Junghegelianer mit der Nachricht über die »Freien« haben, werden in Heß' Artikel vom 30. Juni 42 deutlich. 317 Heß verweist zunächst auf die Stellungnahme der liberalen >Aachener Zeitung< und nimmt den gesamten Aachener Text in seine Korrespondenz auf. In der Stellungnahme aus Aachen heißt es, bei den »Freien« handele es sich um »etwas höchst Unkluges, Unpolitisches, Unrechtes«. Für den liberalen Korrespondenten ist jede Religion »abgesehen von ihrer inneren Heiligkeit, etwas Unantastbares, weil wir noch nichts kennen, was ihre Stelle vertreten kann«, und er fragt mit Blick auf die »Freien«: »Aber was will man dem Volke geben, wenn man ihm die Stützen des Positiven durchschlägt?« Man wünsche zwar nicht, daß die Regierung die »Freien« verbieten solle, »aber ebenso müssen wir dagegen protestieren, wenn man mit den Tendenzen jenes Vereins die liberalen Richtungen zusammenwerfen wollte. Wenn liberale Blätter jenen freien Verein ankündigen, so würde doch die große Majorität der politisch-liberal Denkenden die Richtung jener Assoziation von sich weisen. ( . . . ) Jener Verein hat nichts mit dem Liberalismus in Preußen gemein, er ist eine isolierte Erscheinung«.
Heß' umfangreiche Aufnahme dieser Aachener Korrespondenz macht das Dilemma der Kölner Junghegelianer deutlich: sie wollen den Bruch mit dem Liberalismus vermeiden, stehen jedoch auch in Loyalitäten gegenüber den Berliner Kampfgefährten. Daher lassen sie andere sagen, was sie denken. Heß' eigene Formulierungen sind entsprechend akrobatisch. Er hofiert die Aachener Korrespondenz als einen »in ernster, würdiger Weise geschriebenen Artikel«, er halte sich »rein an den Gegenstand, ohne dabei versteckte oder offenbare Insinuationen mit einfließen zu lassen«. Die aktuelle parteipolitische Brisanz wird von Heß heruntergespielt. Seine Differenz zu dem Aachener Liberalen entwickelt Heß auf einer sehr allgemeinen Ebene der Diskussion des Verhältnisses von Kirche und Staat. Hier insistiert er auf der Trennung von Kirche und Staat und gibt den »Freien« indirekt Recht, wenn er sich gegen den »materiellen Schutz« einer Glaubensgemeinschaft durch den Staat wendet.318 Mit dem Heßschen Manöver ist die entstandene Situation nicht lange zu beruhigen gewesen. Die Junghegelianer der RhZ geraten unter publizistischen Druck,
216
sich gegenüber den »Freien« eindeutig zu erklären. Knapp zwei Wochen später unternimmt die RhZ einen neuen Anlauf. Die Reduktion der »Freien« auf ein religiöses Phänomen, die Heß versucht hatte, wird von dem Autor aufgegeben. Das Projekt der »Freien« berührt die Organisationsfrage, bei der generell gilt: »es gibt keine sittliche Macht im Staate, wenn ihr die äußerlich, d. h. durch bestimmte Gesetze festgestellte Existenz fehlt«. Allerdings sei »in unseren Tagen der Name Opposition auf jede mögliche Weise entstellt und gefälscht worden; sie (die Opposition, d. V.) wurde gleichsam von der Reaktion zu dem bequemen Gefäß gestempelt, in das diese ihren gesamten Unrat hineingoß.« So habe sich die Meinung verbreitet, »Opposition in Deutschland ( . . . ) sei eine im Finstern schleichende geheime Gesellschaft.« Die Nachricht über die »Freien« werde nun in einer Weise benutzt, die geeignet sei, die Bestrebungen der RhZ und der >Königsberger Zeitung< zu disqualifizieren, weil diese Zeitungen »als Hintergrund und Tummelplatz der jener Erklärung (Nachricht über den »Verein der Freien«, d. V.) unterlegten Bestrebungen« erscheinen.319 Die RhZ weist nur noch die Gerüchte über die »Freien« zurück, an ihrer Distanzierung läßt sie keinen Zweifel. Schon Wochen später ist die »Freien«-Problematik ausgestanden, die Nachricht über die geplante Gründung erfüllt sich nicht. Nicht ausgestanden sind die Spannungen zwischen den rheinischen Junghegelianern und der kompromißlosen Berliner Fraktion. Im Gegenteil, E. Bauers Artikel über das Juste-Milieu320 vom August 1842 provoziert Marx zu einer Kritik, die er in einem Brief an D. Oppenheim, Bruder des kölnischen Bankiers Oppenheim, mitverantwortlicher Gerant der RhZ, formuliert. Die Kritik ist von Bedeutung, weil hier deutlich wird, wie die theoretische Kohärenz des junghegelianischen Radikalismus und das praktische Problem der Kooperation mit dem Liberalismus gegeneinander stehen. Marx schreibt Oppenheim zu E. Bauers Artikel: »Eine so deutliche Demonstration gegen die Grundpfeiler der jetzigen Staatszustände kann Schärfung der Zensur, selbst Unterdrückung des Blatts zur Folge haben.« Wichtiger ist jedoch für Marx das Bündnis mit den Liberalen: »Jedenfalls aber verstimmen wir eine große, und zwar die größte Menge freigesinnter praktischer Männer, welche die mühsame Rolle übernommen haben, Stufe vor Stufe, innerhalb der konstitutionellen Schranken, die Freiheit zu erkämpfen, während wir von dem bequemen Sessel der Abstraktion ihre Widersprüche ihnen vordemonstrieren.« Die RhZ sei für einen solchen Artikel kaum das »gehörige Terrain (. . .). Zeitungen fangen erst dann an, das passende Terrain für solche Fragen zu sein, wenn diese Fragen Fragen des wirklichen Staates, praktische Fragen geworden sind.« Überhaupt seien »ganz allgemeine theoretische Erörterungen über Staatsverfassung eher passend für rein wissenschaftliche Organe als für Zeitungen. Die wahre Theorie muß innerhalb konkreter Zustände und an bestehenden Verhältnissen klar gemacht und entwickelt werden.«321 Was hier als Verhältnis von Theorie und praktischen Fragen bestimmt wird, ist ein Modus, mit dem Bündnisproblem umzugehen. Marx will den praktischen Zusammenhang mit der liberalen Opposition erhalten wissen und eine theoretische Radikalität, die keine Rücksicht auf Bündnisse nimmt, zurückdrängen. Diese Frage der Zurücknahme theoretischer Radikalität zugunsten der Bündnisfähigkeit der Junghegelianer muß zur Spaltung einer Partei führen, die von der politischen Theatralisierung des philosophischen Dialogs ausgeht. Dabei ist daran zu erinnern,
217
daß die Aufforderung zur Mäßigung hier nicht einmal von den rheinischen Liberalen ausgeht. Nicht der verantwortliche Gerant der RhZ aus der Bankiersfamilie Oppenheim fordert Rücksichtnahme, sondern der radikale Junghegelianer Marx ergreift die Initiative und fordert Oppenheim auf, von der bisherigen Handhabung bei der Aufnahme von Artikeln abzugehen: »Ich halte es für unumgänglich, daß die Rh. Zeitung nicht sowohl von ihren Mitarbeitern geleitet wird, als daß sie vielmehr umgekehrt ihre Mitarbeiter leitet. Aufsätze wie der berührte geben die beste Gelegenheit, einen bestimmten Operationsplan den Mitarbeitern anzudeuten. Der einzelne Schriftsteller kann nicht in der Weise das Ganze vor Augen haben als die Zeitung.«322
Während in Königsberg die Balance von junghegelianischem Radikalismus und liberaler Opposition durch das politische Engagement der Liberalen geprägt ist, wird im Rheinland angesichts der laissez-faire-Haltung der Liberalen gegenüber ihrer Zeitung aus dem Kreis der Junghegelianer selbst eine Gegenposition formuliert. Dieses Verhalten tangiert jedoch im hohen Maße die innerparteiliche junghegelianische Loyalität. Denn hier ist das Spannungsverhältnis zwischen radikalen und liberalen Positionen nicht mehr ein Außenverhältnis, sondern hat sich zum Innenverhältnis gewendet. Das erklärt, warum die Spaltung der Junghegelianer nicht im Verhältnis der Berliner zu den Königsbergern, sondern im Verhältnis der Rheinländer zu den Berlinern ihren Ursprung hat.323 b) Herweghs Reise Will man eine Momentaufnahme der Beziehungen von Junghegelianern und Liberalen im Herbst 1842 geben, so bietet es sich an, der Reise des Dichters Georg Herwegh zu folgen, deren Höhepunkte in Köln, Berlin und Königsberg stattfanden. Herwegh, in Württemberg geboren, von dort wegen eines Disziplinarvergehens während seiner Militärzeit in die Schweiz geflüchtet, wurde berühmt durch seine »Gedichte eines Lebendigen« vom Sommer 1841, über deren Wirkung R. Prutz schreibt: »Es war wie ein Rausch, der das ganze Publikum ergriffen hatte; selbst Männer, bejahrte Männer, die ihrer politischen Überzeugung nach einer ganz anderen Richtung angehörten, vermochten sich dem Wohllaut dieser Verse, der Pracht dieser Rhythmen, der Glut dieser Begeisterung nicht zu entziehen.« 324 Für die Oppositionellen war Herwegh aufgrund seines jugendlichen Pathos eine noch wirksamere Integrationsfigur als der Professor Welcker, dessen Demonstrationsreise vermutlich bei Herweghs Plänen Pate gestanden hatte.325 Herweghs Reise darf nicht als kulturelle Veranstaltungstournee mißverstanden werden, der Lyriker reist in Sachen Partei. Die Kunst bildet auch hier den ästhetisch vermittelten Übergang von der Philosophie zur politischen Praxis. Herwegh hat dies in seiner Dichterfehde mit Freiligrath, die große Popularität erlangt, deutlich gemacht, indem er gegen die Verse Freiligraths: »Der Dichter steht auf höherer Warte / Als auf den Zinnen der Partei« zurückdichtete: »Partei, Partei! Wer sollte sie nicht nehmen, / Die doch die Mutter aller Siege war?«326 Dieser Aufruf zur Partei wird in der radikalen Publizistik unablässig wiederholt; ab 1843 erscheint er bis zur Revolution als Motto auf jeder Ausgabe des Blum-Stegerschen »Vorwärts«.327 Wer ist die Partei, zu der Herwegh aufruft und für die er seine Reise unternimmt?
218
Aufschluß gibt ein Artikel in der RhZ vom 30. Sept. 1842. 328 Herwegh hat die Redaktion des >deutschen Boten aus der Schweiz<, eines radikalen Blattes von Emigranten in der Schweiz, übernommen und will mit seiner Reise Mitarbeiter in Deutschland gewinnen. Die Zeitung soll ein »Parteiblatt« werden: »wer am Leben Teil nimmt, wird notwendigerweise zum Anschluß an Gleichgesinnte hingetrieben "und nur dadurch kann die Tätigkeit des einzelnen Gewicht und Einfluß erhalten. Je größer die Partei, desto größer müssen natürlich auch die Resultate ihrer Tätigkeit sein.« Es geht also um die Integration der verschiedenen oppositionellen Gruppierungen, um einen breiten Zusammenschluß von radikalen Emigranten, liberaler Opposition und der junghegelianischen Partei, der Herwegh als Mitarbeiter der RhZ besonders verpflichtet ist. Die Unbestimmtheit der Programmatik ist angesichts des entwickelten Standes der Verfassungsdiskussion kaum noch zu überbieten, wenn Herwegh als »Vertreter der jetzigen Jugend« annonciert wird, »in ihm finden wir alle Sympathien, welche dieselbe empfindet, alle Bestrebungen, in welchen sie tätig ist, allen jenen Enthusiasmus, in welchem sie erglüht.« Wichtig ist darüber hinaus eine neuartige Abgrenzung. Partei ergreifen heißt nicht nur, die Position aufzugeben, die glaubt, »über allen Parteien« zu stehen, sondern es wird versichert, es bestünde keine Gefahr, daß sich Herwegh »unter die Partei stellen, daß er für irgend eine literarische Clique oder Coterie sein Blatt hergeben werde.« Diese neuartige Abgrenzung verweist auf Gruppendefinitionen oppositioneller Intelligenz, die uns im dritten Kapitel weiter beschäftigen werden, Gruppendefinitionen, die sich im Kontext der Spaltung der Junghegelianer anläßlich der Reise Herweghs abzeichnen. Am 1, Okt. 1842 meldet die RhZ die Ankunft des Dichters in Köln mit den Begrüßungsversen: »Im Gewand lebendger Blitze / Flammten deine Blitze nieder, / Von der Alpen Höhenpracht / Nieder in die deutsche Nacht\« Der Berichterstatter versichert dazu, daß der Dichter »hier, in Köln, wie im ganzen Vaterlande die Bestätigung finden wird, daß seine Lieder im Herzen des Volkes wurzeln.« 329 Die Mitarbeiter der RhZ veranstalten zu Ehren Herweghs ein »glänzendes Festmahl«, und in den nächsten Wochen berichtet die Zeitung regelmäßig über die Huldigungen, die der Dichter in Jena und Leipzig erfährt.330 Im November kommt Herwegh nach Berlin, um die Berliner Gruppe für eine Mitarbeit an seinem Zeitungsprojekt zu gewinnen. Hier kommt es jedoch zu schweren Zerwürfnissen zwischen einerseits Herwegh und Rüge, der den Dichter nach Berlin begleitet hatte, und andererseits den Berliner Junghegelianern. Ehe ich hierauf im einzelnen eingehe, sei der weitere Verlauf der Reise skizziert. Herwegh meidet ein Zusammentreffen mit den Berliner Radikalen, stattdessen wird Herwegh durch die aufsehenerregende Einladung zum Vortrag vor dem preußischen König entschädigt (19. Nov. 1842). Spekulationen darüber, was ein radikaler Dichter und Parteiführer einem König sagen sollte, und was ein König dem entgegnen könnte, füllten die Zeitungen. Der König soll schließlich Herwegh mit den Worten »inzwischen wollen wir ehrliche Feinde bleiben« verabschiedet haben.331 Einige Tage darauf trifft Herwegh in Königsberg ein. Wie in Köln wird er mit einem »glänzenden Festmahl bewillkommnet«.332 Der ostpreußische liberale Oberlandesgerichtsrat Crelinger feiert Herwegh als unerschrockenen Freiheitskämpfer:
219
»Es seien manche aufgetreten, sagte er, die gesprochen, was sie gedacht, die ohne Furcht das freie Wort verkündet hätten, indes sei ihnen statt des Lohnes Kerker und Kette zuteil geworden: die Jugend aber, die die Freiheit ehren und erhalten soll, darf sich hierum nicht kümmern, sie muß der Gefahr trotzen.« Herwegh bringt einen Toast auf Jacoby aus, und dieser erklärt unter Beifall: »Während wir den Dichter feiern, der mit den kräftigen Worten die Jugend zu kühnen Taten ermutigt, wollen wir auch derer nicht vergessen, die mit der Kraft des Wortes für das Wohl des Vaterlandes sorgen - der Badischen Landstände.«333 Zusammengefaßt kann zu den Höhepunkten der Herwegh-Reise festgestellt werden: in Königsberg ist das breite Spektrum der Opposition versammelt, in Köln bestimmen die Radikalen der RhZ das Bild, und in Berlin kommt es zur Spaltung der Junghegelianer. - Zum Abschluß der Reise muß noch nachgetragen werden: Mitten in die Königsberger Feierlichkeiten trifft die Nachricht vom Verbot des noch gar nicht erschienenen Herweghschen »deutschen Boten aus der Schweiz« ein. Herwegh schreibt aus Königsberg direkt an den König und beruft sich auf die »ehrliche Feindschaft«. Der ungeschickt abgefaßte Brief gelangt durch eine Indiskretion in die >Leipziger Allgemeine Zeitung<. Folge dieser Veröffentlichung ist nicht nur, daß die oppositionelle Presse an der Integrität Herweghs zu zweifeln beginnt. Er selbst wird aus Preußen ausgewiesen, und die >Leipziger Allgemeine Zeitung< wird in Preußen verboten. Dies ist der erste Schlag gegen die gerade erst vor kurzer Zeit möglich gewordene freiere Berichterstattung. Wenige Monate später folgt das Verbot der RhZ.334 Soweit der Rahmen, innerhalb dessen sich die Spaltung der junghegelianischen Partei vollzieht. Das Zerwürfnis Herweghs und Ruges mit Teilen der Berliner Junghegelianer ist von den Zeitgenossen unterschiedlich charakterisiert worden. Prutz schreibt über den Empfang Herweghs in Berlin: »Der Empfang war hier nicht so glänzend wie bisher; schon die Größe der Stadt, die Mannigfaltigkeit der Richtungen und Coterien verhinderte solche einstimmige (!) Kundgebungen der öffentlichen Teilnahme, wie sie anderwärts stattgefunden hatten und auch an inneren Widersprüchen fehlte es nicht. Jene Berliner >Freien<, (. . .), die seit ihrem verunglückten Versuch, sich als radikale Gemeinschaft zu konstituieren, so ziemlich in Vergessenheit geraten waren, trotz der zahlreichen Zeitungsartikel, durch die sie selbst täglich an sich und ihr wunderliches Treiben erinnerten - diese Berliner Freien, ein unerquickliches Gemisch von philosophischem Radikalismus, sittlicher Zerfahrenheit und politischem Indifferentismus, wollten Herweghs Anwesenheit in Berlin benutzen, ihre oft bezweifelte Existenz durch eine geräuschvolle Manifestation zu dokumentieren. Schlechte Kritiker wie sie waren, obwohl sie sich selbst als der wahre Gipfel der Kritik, die eigentliche kritische Kritik verkündeten, hielten sie den Dichter völlig für einen der ihren und rüsteten sich, diese innerliche Gemeinschaft auf lärmende Weise an den Tag zu legen. Allein sie täuschten sich; (. . .). Herwegh, der in Arnold Ruge's Gesellschaft nach Berlin gekommen war, lehnte die angebotene Gemeinschaft mit den Freien ab.«335 Anders lautet das Urteil eines Briefschreibers, der mit B. Bauer korrespondierte. Er schreibt rückblickend über seine Berliner Erlebnisse: »Ich erinnere mich immer noch mit Freude des Sommers von anno 42; was war das unter uns >Radikalen< für ein einträchtig (!) Leben, trotz aller Debatten über Atheismus und Popu-
220
larität und Jacoby und Königsberg; wir waren durch die Rheinische Zeitung verbunden kurz wir fühlten uns fast als Partei. Dann brachte uns im Herbst die Anhaltsche Eisenbahn jene beiden >Freiheitsmänner<, die eigens gekommen schienen, um nach Berlin, das ihnen zu frei und frivol war, ein gediegenes sittliches Prinzip und den Anker der Religion der Freiheit zu bringen. Aber dieser Anker wollte gar nicht in dem bodenlosen >Sumpfe< der Frivolität haften und die >Straßenjungen< verspottejten sie, als sie das neue Evangelium auf den Gassen predigten. Sie wollten sich nicht weiter beschmutzen, der eine wendete sich ganz malcontent nach Hause, der andere reiste in den Norden, um begeisterte Reden zu hören und zu halten. Einige Zeit daraufmachte auch ich nach Hause zurück, wo ich mit der Nachricht der unterdeß eingetretenen Verbote eintraf.«336 Unterschiedlich ist schon die Situationsbeschreibung der Gruppen in Berlin. Für Prutz bietet Berlin ein Bild widersprüchlicher Gruppenbildungen, der Briefpartner B. Bauers erinnert sich an eine homogene Szene, die dem, was Partei in dieser Zeit heißen konnte, schon sehr nahe kam. Für ihn sind Herwegh und Rüge philiströse Gestalten, die mit der Berliner Radikalität nichts anfangen können. Umgekehrt hat für Prutz das Treiben der Berliner jeden ernsthaften politischen Sinn verloren. »Frivolität« versus »politische Ernsthaftigkeit«, diese beiden Bezeichnungen tauchen häufig in den Beurteilungen von seiten der Kritiker der Berliner Gruppe auf, während die Berliner das politische Pathos anderer Junghegelianer als quasi religiös und somit als den Ideen der Aufklärung und der Freiheit zuwiderlaufend darstellen. Was sich in der Spaltung abzeichnet, ist die Kontur eines anderen Typus junghegelianischer Gruppenzusammenhänge, als die, die bisher dargestellt wurden. Dieser Typ ist verschieden vom Schulzusammenhang im Rahmen akademischer Teilkulturen. Er ist auch nicht mehr zu verstehen im Rahmen der Formeln des Übergangs von der Philosophie zum Leben. Und so sehr hier noch der Begriff >Partei< im Spiele ist, das >Treiben< der Berliner gilt denen, die auf eine breite Oppositionspartei hinarbeiten als unpolitisch oder, als modern gesprochen, »parteischädigend«. Zum Prozeß der Spaltung im einzelnen: Wahrscheinlich hat Herwegh sich auf Ruges Rat hin gar nicht erst mit den Berlinern getroffen.337 Rüge hatte die Absicht, die Berliner für das Projekt einer freien Universität zu gewinnen,338 über seine negativen Erfahrungen beim Treffen vom 10. November 42 hat er vermutlich mit Herwegh gesprochen, zunächst aber nichts unternommen. Aktiv wurden Herwegh und von seiten der Berliner E. Meyen. Sie wandten sich an Marx in Köln, wohl nicht, »damit er ihren Streit schlichte«, wie Cornu die Rolle Marxens überhöht darstellt,339 sondern, um das Verhalten der RhZ zu erkunden und zu beeinflussen. Marx stellt sich auf die Seite von Herwegh und schreibt am 29. Nov. 1842 unter Verwendung Herweghscher Formulierungen in der RhZ: »Die >Elberfelder Zeitung< und aus ihr die >Didaskalia< enthalten die Nachricht, daß Herwegh die Gesellschaft der >Freien< besucht, dieselbe aber unter aller Kritik befunden habe. Herwegh hat diese Gesellschaft nicht besucht, sie also weder unter noch über der Kritik finden können. Herwegh und Rüge fanden, daß die >Freien< durch ihre politische Romantik, Geniesucht und Renommage die Sache und die Partei der Freiheit kompromittieren, was auch offen erklärt wurde und vielleicht Anstoß gegeben haben mag. Wenn Herwegh also die Gesellschaft der >Freien<, die einzeln meist treffliche Leute sind, nicht besucht hat, so
221
geschah es nicht, weil er etwa eine andere Sache verficht, sondern es geschah lediglich darum, weil er die Frivolität, die Berlinerei in der Art des Auftretens, die platte Nachäfferei der franz. Klubs, als ein Mann, der auch von franz. Autoritäten« sein will, haßt und lächerlich findet. Der Skandal, die Polissonnerie müssen laut und entschlossen in einer Zeit desavouiert werden, die ernste, männliche und gehaltene Charaktere für die Erkämpfung ihrer erhabenen Zwecke verlangt.«340
Einige Formulierungen dieser Korrespondenz, mit der die Spaltung der Junghegelianer öffentlich dokumentiert wird, verdienen es, hervorgehoben zu werden. Die Berliner werden als »Freie« tituliert, obwohl die Nachricht der Vereinsgründung schon seit Monaten als erledigt gelten muß. Die »Freien« existieren nicht mehr, trotzdem hält sich der Titel, und er wird zusätzlich konnotiert in Richtung einer Gruppierung, die >unter aller Partei< steht. Es ist keine Gruppierung, die andere Ziele verfolgt als die Herweghsche Partei, es handelt sich auch nicht um eine andere Partei; im Zentrum steht die »Art des Auftretens«, ein Kriterium, das innerhalb der philosophischen Schulstreitigkeiten allenfalls als eine Differenz der Prinzipien zur Geltung hätte kommen können. Jetzt, als politische Partei, wird >Glaubwürdigkeit< gefordert, die auf Anhänger zielt. Als einzelne sind die Berliner »meist treffliche Leute«, d. h. sie wären jeder schon parteifähig, aber es gibt einen Typ von Verbindung unter ihnen, ein spezifisches Gruppenphänomen, das verhindert, daß ihre einzelnen parteifähigen Kräfte adäquat zur Geltung kommen können. Einen Tag nach Erscheinen der Korrespondenz informiert Marx Ruge über seinen Briefwechsel mit Meyen, in dem er seine Haltung erläutert.341 Neben der Kritik an der Form, in der die Berliner auftreten, spielt eine entscheidende Rolle die Frage, welchen Einfjuß die Berliner Gruppe auf die RhZ haben sollte. Marx bemängelt die lasche Redaktionsführung Rutenbergs, bei der sich die Berliner daran »gewöhnt hatten, die RhZ als ihr willenloses Organ zu betrachten, ich aber nicht weiter dies Wasserabschlagen in alter Weise gestatten zu dürfen glaubte.« Die Berliner interpretierten die von der preußischen Regierung verlangte Entfernung Rutenbergs aus der Redaktionsleitung und die Nachfolge von Marx als grundlegenden Gesinnungswandel der Zeitung und verlangten nun von Marx Auskunft »über das neue Redaktionsprinzip und die Stellung zur Regierung«. Marx wird der Vorwurf des »Konservatismus« gemacht, »die Zeitung dürfe nicht temperieren, sondern müsse das Äußerste tun«. Marx übersetzt diese Forderung: »d. h. ruhig der Polizei und der Zensur weichen, statt in einem dem Publico unsichtbaren, aber nichts desto weniger hartnäckigen und pflichtmäßigen Kampf ihren Posten behaupten.« Ruge zeigt sich in seiner Antwort überrascht, daß Marx es durch die Veröffentlichung in der RhZ und seinem Briefwechsel mit Meyen auf die Spaltung habe ankommen lassen. Er hatte daraufgebaut, daß »die Geschichte sich ( . . . ) der Publizität entziehen würde.«342 Gegenüber Fleischer erklärt er: »Ich hatte dabei anfangs die sehr unbefangene Absicht, sie (die »Freien«, d. V.) zur Auflösung ihrer Sozietät zu bewegen, damit sie die gute Sache nicht kompromittieren und sich selbst nach Gelegenheit blamierten.«343 Dies ist ihm nicht gelungen. »Nun also ist der Würfel gefallen«, schreibt er Marx. Allerdings macht er noch den Versuch, B. Bauer in der Spaltungsfrage umzustimmen. Er schließt sich der Marxschen Kritik der Berliner Gruppe an, besteht aber darauf: »Die Hauptsache wäre aber, Bauer selbst von dem
222
Plane abzubringen, die Freien und ihre hohle Renommage zu beschützen und als etwas Vernünftiges hinzustellen.« Ruge mahnt Marx: »Aber noch einmal: ich hoffe, daß Sie Bauer aus dieser Atmosphäre retten - vielleicht schon durch ihre Briefe an Meyen, die der natürlich mitteilt, und wenn sie noch so stark wären besser aber noch, wenn Sie sich bei ihm selbst über das Unwesen der Freien ernstlich beschwerten. Bauer darf nicht publice in diese Suppe mit verwickelt werden, und er traut sich viel zu viel zu, wenn er meint, daß er das vertragen könnte. Ohne sittlichen Ernst ist in Deutschland auch die beste Sache verloren, (. . .). Ich mag es mir nicht gestehen, daß Bauer uns den Streich spielen und sich mit den Freien isolieren könnte, und ich wünschte um seinetwillen — um der guten Sache willen — diesen Tollhausstreich zu vermeiden. - Tun Sie dazu, was Sie können. Ist er aber nicht zu vermeiden, und zerren die Freien sich und ihr abgeschmacktes Prinzip (!) ins Publikum - so bin ich der erste, der alles daran setzt, sie gründlich totzuschlagen und die Sache der Freiheit von dieser wüsten Willkür, die es dahin gebracht hat, daß der herrscht, der am lautesten schreit, am stärksten dreinschlägt, zu 544 befreien.« B. Bauer jedoch distanziert sich nicht von der Berliner Gruppe. Sein letzter Brief an Marx vom 13. 12. 1842, der mit einem »Lebe wohl« endet, geht von der vollzogenen Spaltung aus. Bauer weigert sich angesichts des Briefwechsels zwischen Köln und Berlin, »eine Berichtigungsbude« aufzuschlagen. In zurückhaltender Form weist er Marx auf dessen Anteil an der Spaltung hin: »Alle und jegliche Briefe, die von hier aus nach Köln kamen, hättest Du doch nach Deiner Kenntnis der Person und Verhältnisse kritisieren sollen. Und Deine Briefe, die Du hierher geschickt hast, hättest Du, ehe Du sie abschicktest, einen Tag in Deinem Pulte liegen lassen sollen.« Marx' Artikel vom 29. Nov., der die Spaltung öffentlich dokumentiert hatte, schreibt Bauer allein Herwegh selbst zu und bemerkt dazu: »Endlich habt Ihr durch die Aufnahme von Herweghs Korrespondenz offenbar Partei genommen, und Ihr müßt umso triftigere Gründe dazu gehabt haben, da Ihr den Widerspruch in jener Korrespondenz übersaht, daß derselbe, der die hiesigen schildert, selbst sagt, daß er sie nicht in corpore gesehen habe, und da Ihr nicht in Betracht zöget, daß das gereizte Wesen dieser Korrespondenz das Zeichen einer kleinen Seele ist.« Für Bauer haben sich die Berliner nichts vorzuwerfen: »Das Recht der Hiesigen ist unbestreitbar. Darum haben sie trotz aller Reizungen geschwiegen. Lieber Marx, das Recht Berlins ist so groß, die Berliner haben so wenig durch falsche Schritte die Übereilungen anderer hervorgerufen, daß ich über diese Sache gar nicht weiter sprechen mag, da ich zuviel Unangenehmes, woran hier niemand schuldig ist, berühren 345 müßte.«
Gruppenspaltungen sind nicht nur ein organisatorisches Problem. Sie spielen sich auch auf der Ebene persönlicher Bindungen ab. Davon zeugt der erregte Briefwechsel, den die Beteiligten miteinander führen. Aber es wäre unzureichend, die Spaltung der Junghegelianer lediglich auf der Ebene persönlicher Streitereien im Bereich des allzu Menschlichen anzusiedeln. Soziologisch bedeutender ist, daß sich für die Gruppen in Köln, Berlin und Königsberg unterschiedliche Erfahrungsräume darboten, die ihre vermeintlichen Handlungszwänge und Handlungsfreihei-
223
ten beeinflußten. Ein wesentlicher Faktor dieser Erfahrungsräume war extrem different: die Präsenz einer liberalen Opposition, mit der sich die Radikalen je nach den Orten mehr oder weniger praktisch alltäglich auseinandersetzen mußten, vor allem dann, wenn sie ihrem Postulat, politische Partei zu sein, gerecht werden wollten.346 Verwundert es, daß die Junghegelianer als politische Partei von Hegels Diktum: »Eine Partei ist dann, wenn sie in sich zerfällt«347 eingeholt wurden? In der Tat: Dort, wo sie daran gehen, sich in der Oppositionsbewegung des Vormärz zu verorten, spalten sie sich in der Frage der Kompromißbereitschaft gegenüber den Liberalen. Natürlich spielt die staatliche Repressionspolitik eine wichtige Rolle bei der Spaltung, aber der Druck von oben reicht als Erklärung des Geschehens nicht aus. Faßt man allein ihn ins Auge, so wäre auch ein Zusammenrücken der Oppositionellen denkbar gewesen. Lassen sich über den Gedanken an die unterschiedlichen lokalen Erfahrungsräume hinaus noch andere Momente benennen, die für die Kompromißunfähigkeit der Junghegelianer verantwortlich zu machen sind? Diese Frage muß gestellt werden, denn auch die rheinische Gruppe, die um eines Kompromisses mit den Liberalen willen die Spaltung in Kauf genommen hatte, wird nicht in den Liberalismus eingehen. Im Gegenteil: einige Monate später nehmen diese Junghegelianer den Kampf gegen den Liberalismus im Namen des Sozialismus auf. U. Köster hat die These aufgestellt, daß das »Strukturideal des radikalen Liberalismus« der Junghegelianer »dem Liberalismus selbst im Grunde feindlich« war. Der Grund hierfür läge in dem Widerspruch zwischen dem Festhalten an den romantischen Mustern einer politisierten Theologie und der darauf aufgesetzten Forderung nach liberalen Institutionen. »Das romantische Strukturideal des radikalen Liberalismus steht so im Widerspruch zu den konkreten Forderungen, die er verwirklichen wollte, und es scheint, als liege ihm gar keine durchdachte politische Konzeption zugrunde.«348 Bezogen auf die Differenz eines monistischen Lösungsversuchs des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft und einer dualistischen Konzeption der Balance beider Sektoren mag die These zutreffen. Und in der Tat ist ja auch die Mangelhaftigkeit des »Absoluten« der theoretische Ausgangspunkt der Verfassungsdiskussion gewesen. Aber hat die junghegelianische Partei »keine durchdachte politische Konzeption« ihrem Handeln zugrunde gelegt? Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Im Prozeß des Durchdiskutierens des Staates hat sie eher zu viele durchdachte politische Konzeptionen hervorgebracht. Dieser Überschuß an politischer Konzeption, der Überschuß am Durchdenken des Politischen hat sich in seltsamer Weise als dysfunktional erwiesen. Es wäre auch voreilig anzunehmen, diese Überschüsse hätten sie daran gehindert, >praktisch< zu werden. Eher das Gegenteil ist der Fall: es gibt kein politisches Geschehen der fraglichen Zeit, in das sich die Gruppe nicht eingemischt hätte, ja, sie hat den Bereich des Politischen, den Horizont möglicher Praxen erweitert und Fragen zu politischen Tagesfragen erhoben, die diesen Sinn im Bewußtsein der Zeitgenossen bisher nicht gehabt hatten. Auch hier könnte man eher sagen, daß die Gruppe ein Zuviel an >Praxis< aufzuweisen hat. Die Frage nach den inneren Ursachen der hervorbrechenden Kompromißunfähigkeit der Gruppe gegenüber den Liberalen läßt sich am prägnantesten damit
224
beantworten, daß die Junghegelianer zwar eine politische Partei konstituiert haben, die im Kontext der vormärzlichen Verhältnisse alle Elemente enthielt, die diese Definition rechtfertigen, daß sie aber neben dieser veritablen politischen Partei auch noch mit anderen Gruppendefinitionen experimentiert haben. Hier liegt der Quellpunkt des Überschüssigen, das dysfunktional wird. Im Übergangsfeld der Philosophie, die Partei macht, erhält sich noch vieles, was dem Typ der philosophischen Schule angehört, und zugleich taucht das Bild einer Gruppe auf, die >unter allen Parteien< steht. - Bevor wir uns den weiteren Gruppendefinitionen der Junghegelianer zuwenden, sollen, dies Kapitel abschließend, Zeitgenossen zu Wort kommen, die das Scheitern der junghegelianischen Partei von außen kommentie-
8. Stimmen von Zeitgenossen zum Scheitern der junghegelianischen Partei 1841, zu einem Zeitpunkt, als die Parolen der Junghegelianer von der Philosophie, die Partei macht, schon ein konturiertes Profil erhalten haben, setzt sich Karl Biedermann, ein Liberaler, der über bildungsbürgerliche Orientierungen hinausgehend einen offenen Blick für die Probleme der sich abzeichnenden bürgerlichindustriellen Gesellschaft hat, in der Altonaer Zeitschrift >Der Freihafen< mit der Stellung der deutschen Philosophie »zum öffentlichen Leben und zur modernen Gesellschaft« auseinander.349 In seinen Ausführungen kommt der skeptische Grundtenor vieler Zeitgenossen zum Ausdruck, die das junghegelianische Parteiprojekt verfolgen. Seine Zweifel richten sich darauf, ob denn die deutsche Philosophie in ihren avantgardistischen junghegelianischen Vertretern überhaupt in der Lage sei, eine Partei zu machen, die den Bedingungen der modernen Gesellschaft gerecht wird. Biedermann rühmt zwar die Leistungen der deutschen Philosophie von Kant bis Hegel, indem er besonders auf die Elemente verweist, die ihm gesellschaftlichpraktisch relevant erscheinen - so heißt es von Kant: »Das letzte Wort der Kant'schen Kritik war: Erfahrung, die letzte Tendenz seines Systems war eine rein praktische.« Und wichtig an der Hegelschen Philosophie ist für ihn: »nicht die in sich selbst verschlossene, ruhende Allgemeinheit oder Idee, sondern die einzelne, reelle, tatsächliche Erscheinung ist der höchste Ausdruck und Zweck des Lebens.«350 Aber dies ist für Biedermann noch nicht ausreichend. Die deutsche Philosophie habe sich zwar von ihren spirituellen, religiösen Voraussetzungen ein Stück weit gelöst, aber es sei ihr nicht gelungen, sich ganz auf die >Objektivität< der praktischen Beziehungen der Menschen einzulassen. »Während sie (die philosophischen Systeme, d. V.) nämlich nicht umhin können, für die rechtlichen und politischen Beziehungen der Menschen untereinander eine materielle Basis aufzusuchen, gehen sie, in Bestimmung des allgemeinen und letzten Zwecks des menschlichen Lebens, wieder ganz ihren ideologischen Neigungen nach und verweisen das Individuum in eine Sphäre, welche weit über dem gemeinen, irdischen Treiben der Gesellschaft, weit über den Bedürfnissen und Interessen des natürlichen Lebens, in den luftigen Regionen des Ideals, des reinen Gedankens oder des sublimsten Gefühls gelegen ist.«351
225
Auffällig an Biedermanns Begrifflichkeit ist schon, mit welcher Sicherheit er Begriffe wie »materielle Basis«, »rechtliche und politische Beziehungen« und »ideologische Neigungen« verwendet, Begriffe, die heute, aus postmarxistischer Perspektive, selbstverständlich klingen, die aber 1841 in Deutschland selten zu finden sind. Biedermanns These lautet: Die Stellung der Philosophie ist eine zwiespältige, sie muß die gesellschaftlichen Tatsachen anerkennen, kann jedoch andererseits auf ihre spekulativ spirituellen Traditionen nicht verzichten. Angesichts der Alternative, zu der die moderne Gesellschaft die Philosophie herausfordert: entweder als Ziel »eine innere, ideale Vollendung« des Menschen anzustreben, oder den Akzent auf »die Erwerbung und Benutzung« von »äußeren Gütern, die Entwicklung seiner (des Menschen, d. V.) natürlichen Kräfte und Talente, die Beherrschung und Behandlung der Körperwelt« zu legen, sei die deutsche Philosophie unentschieden.352 Diese Unentschiedenheit habe sich - so die Pointe der Argumentation zunächst sehr vorteilhaft für die Philosophie ausgewirkt, der Vorteil schwinde aber zunehmend. Die strategisch vorteilhafte Situation habe darin bestanden, daß die Philosophen einerseits im Rückgriff auf Elemente der modernen Welt einen überzogenen Spiritualismus religiöser Herkunft abwehren und zugleich umgekehrt im Namen des Idealen die freie Entfaltung der praktischen Interessen begrenzen konnten.353 Aus dieser Stellung der Philosophie resultiert denn auch für Biedermann die besondere Rolle, die der Hegelianismus in Preußen spielte. »Konnte es für sie (die Philosophen, d. V.) irgendwo eine günstigere Stellung geben, als in einem Staate, wo zwar die Notwendigkeit gewisser sozialer Verbesserungen und eines gewissen Fortschritts im liberalen Sinne anerkannt, aber die Initiative dieser Bewegung ausschließlich der Regierung vorbehalten war? Wo man sich mit den Bedürfnissen der Zeit, den Anforderungen der öffentlichen Meinung auszugleichen wünschte, ohne doch dieser öffentlichen Meinung eine entscheidende Stimme in den Angelegenheiten des Staats zuzugestehen ? Mit einem Worte, wo man Reformen wollte, aber nur begrenzte, eine Freiheit, aber nur eii.e bedingte? Hier war die Philosophie mit ihren Konzessionen und Reservationen, mit ihrem dialektischen Aussichherausgehen und Insichzurückschlagen, recht am Platze. Hier konnte der Philosoph durch die Universitäten und die Beamteten entscheidend auf den Gang der Regierung einwirken und die praktische Probe auf seine theoretischen Ideen machen. Daher ist auch stets zwischen der modernen deutschen Philosophie und dem preußischen Staate eine auffallende Sympathie bemerkbar gewesen.«354 Diese »günstige Stellung« ist weniger durch den Regierungswechsel des Jahres 1840 verloren gegangen, sondern durch einen fundamentaleren geschichtlichen Prozeß: »Die Initiative des Kulturfortschritts ist an die große Masse der praktischen Leute, der Geschäftsmänner, der Industriellen übergegangen; die Kenntnisse und die Ideen sind demokratisiert; die Presse, mit ihren raschen, für das praktische Bedürfnis des Tages berechneten, Mitteilungen, hat die schwerfälligen Theorien der Gelehrten überflügelt. Der Nationalgeist gehorcht instinktartig den Interessen des Verkehrs, und tritt durch seine industriellen und kommerziellen Verbesserungen gegen die mächtigsten Rivalen furchtlos in die Schranken. (...) Die Sache der Spekulation ist verloren; die Prärogative des Systems ist vernichtet.«355
226
Angesichts dieser neuen Situation kommen für Biedermann die »Philosophen« als politische Bündnispartner kaum in Frage. Auch wo sie Partei ergreifen wollen, bilden sie »eine undisziplinierte Masse, welche weder ihre Führer, noch ihre Fahnen kennt.« Dieselbe »Fraktion, ja derselbe einzelne Philosoph dieser Partei vereinigt in sich die divergierendsten Ansichten; jeder ist ein verkörperter Widerspruch. Das ist das Einzige, worin sie alle das Grundprinzip ihres Meisters repräsentieren.«356 Biedermann beschließt seine Ausführungen mit einer eindrucksvollen Charakterisierung der Lage jener Philosophen, die das Terrain des Übergangs von der Philosophie zur Partei, von der Wissenschaft zum Leben, von der Theorie zur Praxis bevölkern. Sie sind für ihn die »Märtyrer« der »sozialen Wiedergeburt«. Er schreibt: »In der Verehrung von Idealen und in der Verachtung des Materiellen erzogen, müssen sie (die Philosophen, d. V.) die faktische Übermacht des Letzteren und die Ohnmacht des Ersteren erfahren. Gewöhnt, von ihrem erhabenen Standpunkte der Wissenschaft und des Geistes mit Stolz auf die gemeinen Beschäftigungen und die beschränkten Ansichten der Praktiker herabzublicken, sehen sie eben diese verachteten Praktiker in allen Lebensverhältnissen vorgezogen, geehrt, im Genüsse aller reellen Macht und alles reellen Glücks, sich selbst aber überall zurückgestoßen, durch das Mißtrauen der anderen, wie durch die eigenen nicht zu überwindenden Idiosynkrasien von aller wirksamen Teilnahme an den Angelegenheiten der Gesellschaft ausgeschlossen, und auf die mißlichen Tröstungen poetischer Erregung und logischer Begeisterung verwiesen. Sie wollen an das praktische Leben heran, und es zieht sich vor ihrer ausgestreckten Hand, vor ihrem aufgehobenen Fuße zurück, wie Trank und Speise vor den Lippen des Tantalus. (. . .) Die freie, rasch entschlossene und wirksam treffende Tat, welche bei den Männern des praktischen Lebens sich aus dem sicheren Instinkt des Bedürfnisses erzeugt, diese wollen sie durch einen dialektischen Gedankenprozeß vermitteln, wenn sie aber, durch tausend Verschlingungen und Lösungen ihrer Begriffe, an dem Punkt angelangt sind, auf den sie hinzielten, so haben sie nur die Möglichkeit dessen bewiesen, was schon ist, und die Erfahrung weiß ihnen für diese verspätete Weisheit wenig Dank. Sie haben das traurige und undankbare Geschäft, angewohnte und liebgewordene Illusionen zu zerstören, ohne doch einen positiven Einsatz dafür aus ihren Mitteln gewähren zu können; sie wehren die Geister der alten Zeit von dem neu erbauten Boden ab; aber die Urbarmachung und den Genuß dieses Bodens müssen sie andern überlassen; sie sehen das gelobte Land vor sich ausgebreitet und deuten die rechten Pfade an, aber ihnen ist nicht vergönnt, in dasselbe einzuziehen und sich darin anzusiedeln. Durch solche Wirren und Leiden büßen die Philosophen die Schuld der Gesellschaft und ihre eigene Schuld. Widerstrebend oder freiwillig, sie müssen ihr Geschick erfüllen.«357 Passagen wie diese machen die Differenz der sozialen Erfahrung zwischen dem wachsenden Selbstbewußtsein der bürgerlichen »Praktiker« und den angestrengten Gesten der junghegelianischen Intellektuellen deutlich, in den heraufziehenden modernen Verhältnissen als Partei Fuß zu fassen. Anerkannt wird allenfalls die Arbeit der Kritik und das Aufgeben der »günstigen Stellung«, aber die junghegelianische Partei ist für Biedermann bereits 1841 eine Ansammlung tragischer Gestalten.358 Mit Gelassenheit beobachtet auch ein Jahr später Ch. Feldman im Altonaer >Freihafen< die Aktivitäten der Junghegelianer.359
227
»Diese Schule tritt so ganz unbedingt und rücksichtslos allem entgegen, was bisher die schönste Eigentümlichkeit des Deutschen nicht nur, sondern auch des menschlichen Gemüts überhaupt ausmachte, daß, würden die Grundsätze allgemein, allerdings ein neues Volk, die Hegelianer, an die Stelle unserer Vaterlandsgenossen treten müßte. Da hätten wir denn buchstäblich den Himmel auf Erden, aber auch nicht minder gewiß die Hölle daneben.« Ein vernünftiger Fortschritt sei in den junghegelianischen Parteibestrebungen nicht zu entdecken, und der Autor dreht den Spieß geradezu um: ein Sieg der Junghegelianer bedeute: »Das monarchische Prinzip hätte nun wirklich dem republikanischen Platz gemacht, und die Machtvollkommenheit des höchsten Gottes wäre unter so viele Millionen irdischer Götter verteilt.« Ohnehin könne es sich bei der junghegelianischen Bewegung nur um eine Scheinblüte handeln. »Wie ist es doch gekommen, daß die mit Impotenz und Tatenlosigkeit geschlagene Hegelsche Schule, für den Augenblick, sich so bemerklich zu machen imstande war? Es ist eben nur erklärlich durch allzu freies Walten der Bücherverbote und der Zensur, durch unbefugte staatliche Einmischung in die unabhängige Glaubenssphäre, und durch die fixe Idee, vermittels theologischer Formen den Fortbestand des politischen Status quo zu sichern!« Die liberale Lösung des Problems lautet für Feldmann: »Tut nichts, und ihr werdet eben alles getan haben. Gebt der Forschung und Untersuchung in religiösen Dingen eine allgemeine und unbeschränkte Freiheit; gestattet den Rationalisten, eben wie den Hegelianern, die volle, unumwundene Rede; den Hirten der Herde mag die Herde selber wählen, und unabhängig und friedlich mögen die Herden mit und neben einander wandeln!«
Außerdem habe die moderne Zeit den »großen Vorteil« der »Druckerpresse; sollen wir denselben nicht, seinem ganzen Umfang nach, benutzen?« Kurz gesagt: Mit liberaler Pressepolitik würde das Phänomen der Junghegelianer von selbst unattraktiv werden und auf den Status einer Sekte reduziert sein. Eine große Hilfe für den Fortschritt, auf den Feldmann setzt, sind die Junghegelianer nicht. Daß sich gerade aus der HegeLschen Philosophie heraus eine praktische Bewegung bilden sollte, ist für viele Zeitgenossen schwer verständlich gewesen. 1843 veröffentlicht ein Anonymus in der >Deutschen Vierteljahrsschrifu einen umfangreichen Beitrag, in dem Hegels Philosophie gleichsam auf ihre Praxisfähigkeit hin geprüft wird.360 Die denkerische Leistung Hegels wird vom Autor gern anerkannt, jedoch mit dem Nachsatz, diese Philosophie sei »ganz im Geist und Sinne einer Zeit, die ohne Tat und Anstrengung, wie ohne Selbstverleugnung den höchsten Preis gewinnen will, und mußte so Glück bei einem Volke machen, dessen fast einzige Macht der Gedanke ist und das sich über seine Tatenarmut und Unmacht im Handeln damit trösten will, die Welt durch den Gedanken zu erobern oder zu vollenden.« Die Dimension der Praxis sei bei Hegel verschwunden. »Hegels Grundfehler, wie wir glauben, nach anderen freilich ein unsterbliches Verdienst, ist die starre Einseitigkeit, mit welcher er bloß die Interessen und Ansprüche des Denkenden, wissenschaftlichen Menschen zu Rate zieht.« Darüber hinaus ist der Hegelianismus schon seiner Form wegen nicht verallgemeinerungsfähig.
228
»Nun wird zwar ein System, das dem menschlichen Denken so hartes und widerstrebendes zumutet, wie nach seinem eigenen Geständnis das Hegeische, nie die herrschende Lehre und der allgemeine Glaube der Menschheit werden, und Hegel selbst hat über die Kluft, welche den natürlichen Menschen von dem spekulativen (d. h. von dem im hegelschen Sinne spekulativen) trennt, sich nie getäuscht. ( . . . ) Hegel erkannte, daß die Männer, deren Religion das Wissen ist, immer nur eine kleine Minderheit bilden werden, und besonnener als diejenigen seiner Schüler, welche das Hegeltum zum Volksglauben machen möchten, schonte er sorgsam die nach seiner Ansicht freilich auf einer weit niedrigeren Stufe stehenden Vorstellungen der geoffenbarten Religion.«
Der »Charakter der Geheimlehre« sei dem Hegelschen System »wesentlich«. Überhaupt sei die HegeLsche Intention in der Grundfigur ihres Denkens den pragmatischen, nicht systematischen Bereichen geradezu gegenläufig. »Je strenger, konsequenter überhaupt das System des absoluten Wissens durchgeführt wird, desto trostloser sind die praktischen Resultate, desto deutlicher zeigt es sich, daß der Absolutismus des Wissens ein ebenso zerstörender, verneinender, unduldsamer ist als der politische.« Bei diesen Voraussetzungen ist es für den Autor schlechterdings unmöglich, mit einem Hegelianischen Instrumentarium in der Praxis zurechtzukommen. Und so stellt der Autor mit Befriedigung fest, daß die HegeLsche Philosophie bei den Erben, »dem praktischen Zuge unserer Tage folgend, sich entschließen mußte, den beschaulichen Gleichmut ihres Meisters, der an den Dingen dieser Welt bloß einen kontemplativen Anteil nahm und der Philosophie die Fähigkeit für praktische Schöpfungen ausdrücklich absprach, aufzugeben, um praktisch zu werden. Hat aber die Schule in ihren energischsten und frischesten Vertretern den Haß gegen alle philosophische Weltverbesserungen abgetan, und sicher nur zu ihrem Vorteil abgetan, so ist dies jedenfalls schon eine radikale Änderung.« Die Bestrebungen eines A. RUge sind für den Autor schon solche, die jenseits des Hegelianismus liegen, »als dessen immanente eigene Negation«. Praktisches Engagement und Hegelei - so könnte man den Autor resümieren, schließen einander aus. Und die Lehre, die hier den Junghegelianern von außen gegeben wird, lautet: Folgt nur dem Zug der Zeit, werdet praktisch, auch als Partei, aber dann werdet ihr nichts besonderes und schon gar keine Hegelianer mehr sein.361 Rückblickend auf die deutsche Journalistik im Jahr 1843 beschreibt W. H. Riehl den »Abklärungsprozeß des deutschen Liberalismus.«362 Herweghs Audienz beim König ist für ihn der »Wendepunkt«, mit dem »die vernichtende Katastrophe« über den gesamten deutschen Liberalismus hereinbricht. Wichtig ist seine Einschätzung der staatlichen Repressionspolitik und der Position der Radikalen. »Wir möchten es übrigens eben für kein Zeichen politischen Scharfblickes halten, daß es unsere Staatsmänner für nötig erachteten, jenen exzentrischen Liberalismus mit Gewalt auszurotten, was doch noch zu feindseliger Erbitterung reizte, während die gefährlich erfundene Richtung, sich bereits zu überleben begonnen und einen großen Teil ihrer wärmsten Anhänger verloren hatte.« Die Ministerien hätten den Liberalismus nicht ausgerottet, »nein!, sie haben ihn gekräftigt, geläutert, sie haben wesentlich dazu beigetragen, das frühere, in der Luft schwebende Gebäude niederzureißen, so daß wir nachgehends die Funda-
229
mente eines neuen Hauses auf festen Grund zu legen vermochten. (...) Die Richtung (der Radikalen, d. V.) hatte sich überlebt, darum vermochte sie den Angriffen von außen keinen genügenden Widerstand entgegenzusetzen«.363 Riehl beruft sich dabei auf Ruges »Selbstkritik des Liberalismus«; dieser hatte 1843 geschrieben, »daß alles Philosophieren und alle Systeme ohne praktische Anwendung gar keinen Wert hätten, mithin auch eigentlich keine wahre Philosophie seien«, und Riehl betont, »daß man vielmehr auf das Vorhandene in scharfer Bestimmtheit eingehen müsse, damit die materielle Basis des Volks erst stark werde«. Riehl geht es nicht um weite politisch-theoretische Konzeptionen, er stellt fest, daß »der Deutsche Zoll- und Handelsverein, nicht von Philosophen erfunden und verwirklicht, das finanzielle Gleichgewicht unter den Nationen einigermaßen wiederhergestellt habe und mehr als alle literarischen Diskussionen beigetragen zur Erhebung des Gemeingeistes und Nationalgefühls.« Im Mittelpunkt stünden nun Fragen von Industrie, Landwirtschaft und Handel. Das Projekt einer deutschen Flotte wird diskutiert, die Frage nach deutschen Kolonien aufgeworfen. »Die Teilnahme des Publikums, durch die vorhergehende Periode des pikanten kosmopolitischen Liberalismus einmal gereizt, aber auch endlich übersättigt, fand hier neue Themen, der höchsten Aufmerksamkeit wert.«364 Auch die Tübinger Junghegelianer, die beharrlich am Konstitutionalismus festhielten, unterscheiden sich in ihren Beurteilungen des Scheiterns der preußischen Radikalen nur geringfügig von den bisher dargestellten Kommentaren. 1844 schreibt A. Schwegler: »Die Partei der Deutschen Jahrbücher hat, es ist unleugbar, große Fehler gemacht. Zuerst in der Weise ihres politischen Theoretisierens. Sie haben die heilsame Wirkung, die sie anfangs ausgeübt, zum Teil dadurch wieder verscherzt, daß sie die Brücke zwischen sich und der einmal vorliegenden Wirklichkeit abbrachen, daß sie, statt ihre politischen Ideen im Bestehenden Wurzel fassen zu lassen, statt an die überlieferten Zustände, die gegebenen Interessen, die öffentlichen Vorurteile, sich pädagogisch zu akkomodieren, und damit auf allgemeine Verständigung, auf die Bildung einer wirklichen politischen Partei von praktischer Bedeutung hinzuwirken, - so manches noch Bildungs- und Entwicklungsfähige in Eine Verdammnis warfen mit dem Unfruchtbaren und Abgelebten, daß sie am Faden abstrakter Kategorien fortrechnend die konkreten Verhältnisse des gegebenen Staatslebens aus dem Auge verloren.«365 Eine Ursache für diese Entwicklung liegt für Schwegler darin, daß die junghegelianische Partei nach den enttäuschten Hoffnungen auf den Thronwechsel sich nur schwer von einer etatistischen Orientierung und vom Primat der Theorie gelöst habe. Die theoretische und etatistische Orientierung übersieht jedoch die langsamere Zeitstruktur demokratischer Lernprozesse. »Bis eine politische Idee zum Vorurteil der Masse wird - und dies ist die erste Voraussetzung einer von unten ausgehenden staatlichen Reform - dauert es lang. Dies haben die Männer der Jahrbücher so wenig begriffen, daß sie dem Deutschen Volke zu seiner radikalen Besserung nur einige Jahre Frist gaben.«366 Woran ist die junghegelianische Partei gescheitert? An der Mißachtung der sozialen und politischen Realitäten und am überstürzten Intellektualismus ihrer
230
Debatten - so könnte man die Antworten der Zeitgenossen zusammenfassen. Es ist dies eine Antwort, die sich bis heute auf allen Seiten wiederholt. Für Th. Nipperdey handelt es sich um »ein höchst eigentümliches Phänomen, wie sich hier eine revolutionäre Intelligenz - ganz jenseits der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Zeit - mit dem ungeheuren Anspruch etabliere, gesellschaftlich-politische Macht zu sein.«367 Und für. die DDR-Forscherin I. Pepperle war es die »Loslösung von einer tragenden gesellschaftlichen und politischen Schicht«, die den Junghegelianern »zum Verhängnis« werden sollte, die nicht »auf neue Klassenpositionen« vorstießen. 368 Solch breitem Konsens ist schwerlich etwas entgegenzusetzen. Allenfalls dies, daß er auffällig in seiner rhetorischen Dringlichkeit ist, mit der auf ein politisches Realitätsprinzip verwiesen wird. Die dramatische Ungeheuerlichkeit der Ansprüche und das schließliche Verhängnis, von dem die Urteile sprechen, sie gehören aber auch zur Gattung der Tragödie, in der das politische Realitätsprinzip als Schicksalsmacht auftritt. Haben wir es hier mit Eigentümlichkeiten politischer Kultur in Deutschland zu tun, in der das Scheitern der Zwecke und Realisationen nicht wie in der Komödie mit schallendem Gelächter ertragen werden kann? Die junghegelianische Partei wäre dann auch an der »Unmöglichkeit eines deutschen Lustspiels« gescheitert, über das E. Bauer reflektiert hat: »Du bist ein Schwärmer, meint Ihr, du, der du ein politisches Lustspiel auf die deutsche Bühne bringen willst.«369
231
232
233
234
235
236
237
238
239
240
241
242
243
244
245
246
247
III. Journalistische Boheme Die Gruppendefinitionen der philosophischen Schule und der politischen Partei sind für die Junghegelianer überwiegend positiv besetzte Selbstdefinitionen gewesen. Ihre Gruppenexistenz als journalistische Boheme und ebenso ihre Gruppenexistenz als atheistische Sekte dagegen sind intern zu einem Teil umstritten. Es geht nicht mehr um einen Streit, der die Profilierungsweise der Definition betrifft, sondern i m einen Streit, ob die Definition überhaupt zutrifft. Diesem Umstand trage ich Rechnung, indem ich diese beiden Typen so bezeichne, daß der mehr strittige und der mehr unstrittige Aspekt zusammengezogen sind. So sehr die Junghegelianer - wie ich im Kapitel IV zeigen werde - einen gemeinsamen Atheismus propagieren wollen, so unsicher sind sie, ob sie den Begriff Sekte für sich gelten lassen sollen. Und so sehr die Gruppe versucht, ihre Existenz als Journalisten mit positiven Attributen auszustatten, über die Bohemeartigkeit ihrer Lebens- und Denkweise werden sie sich zerstreiten. Mehr als bei den Gruppendefinitionen der philosophischen Schule und der politischen Partei geht es bei der journalistischen Boheme und der atheistischen Sekte um definitorische Bündelungen, deren Elemente widersprüchlich erfahren werden.
Übersicht Die Widersprüchlichkeit der Gruppendefinition einer journalistischen Boheme führe ich aus, indem ich mit der journalistischen Seite beginne und mit den bohemehaften Zügen das Kapitel abschließe. - Die Bedeutung, die die Junghegelianer der Presse zuweisen, wird zunächst von der Kritik der Bürokratie her entfaltet, die den junghegelianischen Journalisten als ein defizienter Modus der >Distribution der Vernunft< erscheint (1). Überlegungen zu allgemeineren Aspekten des Verhältnisses von Pressefreiheit und Zensur führen zu Grundproblemen des Projekts bürgerlicher Öffentlichkeit: Imperative der Kommunikation und Strategien zu ihrer Begrenzung. Im Überblick über die preußische Zensurgeschichte wird der Hintergrund der junghegelianischen Debatten zur Pressefrage skizziert (2). Anhand der >Kämpfe< der Gruppe mit dem Zensor wird deutlich, wie politisch-dezisionistische Elemente von der Idee einer universellen Kommunikationsgemeinschaft verdrängt werden. Wo Presse nicht im parlamentarischen Bereich verankert wird, erfolgt die sichernde Selbstdefinition der Korrespondenten-Existenzen mit Hilfe geschichtsphilosophischer Spekulation (3). Sie kann zweifach eingesetzt werden. Am Beispiel von M. Heß wird der Zusammenhang geschichtsphilosophischer Selbstvergewisserung und der schwierigen Definition eines in den proletarischen Massen aufgelösten Intellektuellen entwickelt (4). Spiegelbildlich dazu steht B. Bauers Entwurf eines Intellektuellen, der seiner vernünftigen Selbstvergewisserung in der Geschichte nur in Frontstellung gegen die Masse und gegen soziale Zusammenhänge sicher sein kann (5). Sozial auftretend 248wird der einsame Kritiker nicht mehr
verstanden, und auf der Ebene der Gruppe liegt der Handlungstypus des >Skandalmachens< nahe (6 a). Literarische Darstellungen des Auftretens der >Genies< enthalten typisierende Elemente, die zur Konturierung des Bildes einer Boheme beitragen (6 b). In Überlegungen zum Begriff >Boheme< wird über die Erörterung sozialgeschichtlicher Zusammenhänge hinausgehend auf das Spannungsverhältnis zwischen soziologischer Denkweise und dem Phänomen Boheme eingegangen (6 c). Ihr Selbstverständnis als Avantgarde bringt die Gruppe nicht nur in eine >schiefe Stellung< gegenüber den Zeitgenossen, auch untereinander grassiert der Verdacht, ob das jeweilige Auftreten >frivol< oder >authentisch< ist (7). In der großen Stadt wird eine kohärente geschichtsphilosophische Selbstvergewisserung der Intellektuellen extrem problematisch. Das Projekt der >Distribution der Vernunft< verläuft sich mit den umherschweifenden Flaneuren, die ihre Langeweile vertreiben müssen (8).
1. Beamtenkritik und Distribution der Vernunft Schon für die aus dem Staatsdienst entlassenen Philosophen, aber mehr noch für die gescheiterten Parteipolitiker stellt sich das Problem, nach Formen zu suchen, die ihrer Existenz als »purer blanker Mensch«1 einen sozialen Sinn verleihen könnten. Der neue soziale Sinn, den sie entdecken, läßt sich gut ausgehend von der Thematik der Kritik der Bürokratie entfalten, weil sich hier die Brüche und die Kontinuitäten im Selbstverständnis der Gruppe prägnant darstellen. Im Zusammenhang mit dem Versuch, sich als politische Partei zu konstituieren, kommen die Junghegelianer auch zunehmend in Kontakt mit radikal-demokratischen Emigrantenkreisen. Hier, etwa im »Bund der Geächteten«, ist eine radikale Bürokratiekritik weit verbreitet gewesen. Auch der Anteil der Hegelianer an der preußischen Politik wurde von den Radikaldemokraten klar gesehen. So schreibt z. BJ.Venedeyl839: »Die Politik Preußens besteht darin, dem redenden Teile des Volkes einen Anteil an der Ausbeutung der großen Masse zu gestatten, und ihm so Schweigen als Pflicht der Selbstliebe, oder Lobeserhebungen als Mittel der Gewinnsucht aufzubürden. Eine Unmasse von Beamtenstellen knüpft den ganzen Gelehrtenstand in Preußen an das Interesse der Regierung.« Für Venedey ist die preußische Verwaltung reine >Willkürherrschaft<. Die Beamten sind besessen vom »Geist der Kriecherei«. »Wie geschmeidig, wie willenlos ergeben und kriechend dieselben gegen ihre Vorgesetzten sind, desto stolzer und hochtrabender sind sie gegen das Volk.« Die Beamten gelten als »zweites stehendes Heer«. »Viele Tausende von Beamten zehren in Preußen von dem Marke des Volkes.«2 Im Vergleich zu den älteren radikaldemokratischen Positionen, wie sie von Venedey artikuliert werden, beginnt die junghegelianische Bürokratiekritik sehr bescheiden. 1839 nennt Rüge im Zusammenhang der Diskussion um den Konstitutionalismus den Beamten Streckfuß einen »Zahn in dem großen Kammrade der Beamtenhierarchie, welches, auch nur leidlich geölt, nicht knarrt, und in dieser sanften Rundbewegung die Weltbewegung, in seinem geregelten Rundlauf das einzige Geistesbedürfnis der Zeit erblickt, in die Garantie dieser Zustände also die vollste Befriedigung des Geistes, d. h. eine genügende Freiheit setzt.«3
249
Und 1841 schreibt Rüge über die Zeit vor dem Thronwechsel: »so lag doch die Macht des Königs nicht im Nationalem/ und dessen konstituierter freier Entfaltung, sondern in der geheimen Beamtenhierarchie, die den Staatskörper verwaltet und bewegt. (Die Beamtenhierarchie ist allerdings erst der geist- und willenlose Staatskörper.)«4
So sehr es richtig ist zu sagen, daß die ältere radikaldemokratische Bürokratiekritik, die den despotischen Charakter der Verwaltung hervorhebt, zunehmend in der junghegelianischen Argumentation an Raum gewinnt - es muß auf eine besondere Färbung der junghegelianischen Beamtenkritik hingewiesen werden: Die Bürokratie ist nämlich nicht in erster Linie repressiv, sie ist wesentlich »geistlos«, und die Geistlosigkeit der Bürokratie ist die Wurzel aller ihrer sonstigen negativen Seiten. Der Topos von der Geistlosigkeit der Bürokratie meint: Die Bürokratie ist dysfunktional, weil sie nicht in der Lage ist, das Bedürfnis nach Rationalität bei den Gesellschaftsmitgliedern zu befriedigen. »Die Laien da draußen sind viel zu neugierig und nach Gründen durstig, als daß sie nicht die geheimnisreichen Priester der Staatsverwaltung, welche im Lapidarstil Geld und Leistung verlangen, häufig belagern sollten«, schreibt Nauwerck.5 Es geht um ein Defizit an Vernunft. Die RhZ präzisiert das Problem: Warum nimmt die Arbeit der höheren Staatsbeamten »auf eine erschreckende Weise Überhand«? Es ist nicht nur die »Raschheit eines jungendlich rüstigen Königs« und die neue »errungene Bildung« des Volkes, »es ist nicht ein Kampf zwischen Volk und Regierung, sondern zwischen System und System«, zwischen einem System der »bürokratischen Zentralisation« und einem System »der selbständigen Mündigkeit, des freien Staatsbürgertums«.6 Die Bürokratie muß sich beschränken, weil ihre Rationalität nicht mehr glaubhaft ist. Die »Macht des Geistes« hat einen Platzwechsel vollzogen. Jetzt muß der Beamte E. Bauer zufolge »die Unmacht seiner Geheimnisse« anerkennen.7 Auch für Nauwerck ist das Rationalitätsdefizit der Bürokratie kaum noch aufzuhalten: »Eine Menge Spezialfragen, welche der Antwort dringend bedürfen, haben schon das äußerlich glänzende Kartenhaus, welches sich die Büromenschen konstruiert hatten, umgestürzt. Die Fragezeichen sind zwar nicht jedermann bequem; sie drücken Zweifel, Unruhe, Verlangen, Ungestüm aus. Aber desto heilsamer sind sie der Gesamtheit; ja sie sind schlechterdings notwendig. Ein Staat muß ebensogut, wie der einzelne Mensch; tagtäglich sich fragen und antworten; sonst wird aus beiden nichts.« Und Nauwerck setzt vorsichtig der defizienten Rationalität der Bürokratie eine andere leistungsfähigere Rationalität entgegen: »Wie würde erst gar das naturgetreue Bild von Preußen ausfallen, wenn die Pressefreiheit es malte?«8 Wie kommt es zu dieser Profilierung der Beamtenkritik, bei der die radikaldemokratischen Topoi von einer Perspektive überlagert werden, derzufolge die Kritik der Herrschaft hinter der Kritik des Rationalitätsdefizits zurücktritt? Warum erscheint gerade die Forderung nach Pressefreiheit als der privilegierte Gegenpol zur preußischen Beamtenverwaltung? In der Formel von der Geistlosigkeit der Bürokratie schwingt noch die Erinnerung an eine andere Idee der Bürokratie mit: die >geistvolle Bürokratien Das heißt die Formel ist bezogen auf das Modell der >beamteten Intelligenz<, bei dem die Verwaltung der zentrale Mechanismus ist, durch den >Geist< in die sozialen Beziehungen gebracht wird. Es ist die Distribution der Vernunft per Bürokratie, die für die Junghegelianer defizient geworden ist.
250
Für Koselleck liegt hier ein zentraler Aspekt der Entwicklung Preußens in der Restaurationszeit im Vormärz. Auf den Topos von der >Macht des Geistes< bezogen handelt es sich um »eine schleppende Geschichte des schwindenden Geistes. Genauer gesagt: Der Geist als integrierendes Moment des preußischen Staates ließ sich nicht administrativ austeilen. ( . . . ) Je mehr sich die Ständegesellschaft entgliederte, entzündeten sich mit den neuen Vereinigungsformen auch eine Fülle geistig divergierender Kräfte, deren Rückbindung an den Staat keineswegs über den Stand der Beamten erfolgte. Die Verwaltung wurde stattdessen auf eine Funktion verwiesen, die ihr von Anfang an auch innewohnte, auf die Technizität ihrer Tätigkeit.9 Die Junghegelianer steigen relativ spät und in spezifischer Weise in diesen Prozeß ein. Spät, weil sie im Vergleich zu den älteren liberalen Gruppen lange an das Modell einer Geistdistribution per Bürokratie fixiert sind, und in spezifischer Weise, weil sie den liberalen Dualismus von Gesellschaft und Staat nicht akzeptieren und dem Monismus der Verwaltungsrationalität einen anders gelagerten Monismus des Geistes entgegensetzen wollen. Der Geist der Verwaltung hatte sein materielles Substrat in der Beamtenmaschine. Das Problem der Junghegelianerist, ein materielles Substrat für >Geist< ausfindig zu machen, das gleich weit entfernt ist von der Hierarchie der Verwaltung und pragmatischen Zwängen der politischen Partei. Was ist die >Macht des Geistes< in den Händen der >pur-blanken< Junghegelianer? Zunächst ist es eine demonstrativ erklärte Siegesgewißheit. 1840 erklärt Rüge: »Unterdessen steigt die Flut des unsichtbaren Geistes über alle Dämme, Deiche und Nachtwächterposten, fließt über das Land und quer durch die eigenen Köpfe der Schreier ohne daß sie es gewahr werden bis zu dem Augenblick, wo dieses Fluidum die ganze Welt neu baut und nach sich gestaltet.«10 Die Figur eines »unsichtbaren Geistes«, der stärker sei als der in der Administration sichtbar gewordene >Geist<, gehört zu den Standardargumenten der Junghegelianer in dieser Frage. So heißt es 1842 in den DJ: »Es bedarf aber keines scharfen Blickes, um zu gewahren, daß in dem Staatskörper noch andere Tätigkeiten und Kräfte wirksam sind, die den rohen Mechanismus des Kriegswesens und der Administration« bei weitem überwiegen, »unsichtbare Kräfte, aber von der gewaltigsten Energie, die in der Stille, aber in immer gesteigerter Potenz fortwirken«, und diese »geistigen Mächte« lassen sich »ebensowenig durch Regierungsdekret abschaffen, als einführen, sie bemächtigen sich des Staates auch gegen seinen Willen«.11 Aber wo kommen die »geistigen Mächte« zum Vorschein? Das Modell eines Bündnisses von Schule und Staat ist zerfallen, und angesichts der Begrenzungen des parteipolitischen Diskurses ist es zweifelhaft, ob diese »Dämme« die »Flut« halten werden. Die Formen der Distribution der Vernunft müssen weiter gefaßt werden. So heißt es programmatisch bei B. Bauer: »wenn die Geschichte mit allen bisherigen philosophischen Arbeiten und mit aller Aufregung, welche die Philosophie in den letzten beiden Jahrhunderten verursacht hat, kein höheres Ziel im Auge hat, als die Stiftung einer >Kirche der Vernunftgläubigen< oder einer >Gemeinde der Wissenden^ so kann das Volk ruhig zusehen, daß einige Auserwählte sich
251
daran ergötzen, die Vermittlung, welche >das göttliche Lebern durchläuft, in Gedanken zu rekapitulieren. ( . . . ) Dann dürften wir die Frage, ob die Resultate der Philosophie Gemeingut werden können, nicht nur nicht unbeantwortet lassen, dann ist es sogar gewiß, daß das Volk und die gesamte Geschichte in die philosophische Bewegung hineingezogen, über ihren Sinn aufgeklärt werden und an ihrer Dialektik einen außerordentlichen Anteil nehmen werden.«12 Die Vernunft bedarf einer sozialen und geschichtlichen Existenzform, die ihrem Charakter gemäß ist. Ihre Existenz in einem »exklusiven, aristokratischen Selbstbewußtsein« ist auch für Rüge inadäquat, sie muß »gemeines Bewußtsein der Welt« werden. Aber wie kann es geschehen, wo doch gilt: »die geistigen Mächte sind absolut«, d. h. jede technisch-administrative Institutionalisierung wäre ihnen inadäquat? »Es ist hier ein Reich freier und souveräner Mächte, in dem keine anderen Aufseher und Kampfrichter entscheiden können als die freie Gewalt des Geistes selbst.« Für diesen Vorgang gibt es daher nur eine einzige Möglichkeit der >Institutionalisierung<: »Dies der wahre Grund, auf dem die Vernünftigkeit und schließlich Notwendigkeit der unbedingtesten Preßfreiheit beruht.« Die freie Presse ist der alternative Modus der Distribution des Geistes, der an die Stelle der geistlos gewordenen Bürokratie treten soll. In der Presse entdecken die Junghegelianer die soziale Form, die sowohl an ihre alte Definition als >beamtete Intelligenz< anschließt, die aber zugleich im dramatischen Bruch mit der Bürokratie ein unendliches neues Terrain von Aktivitäten bietet. Deutlich ist dieser Zusammenhang von Kontinuität und Bruch von Buhl formuliert worden: »Die Presse unterzieht sich der Aufgabe, welche das Beamtentum zwar vorschützt, der es aber nicht gewachsen ist; sie ist wirklich, was das Beamtentum nur scheint, die Lehrerin und Bildnerin der Völker, die Verkünderin der Freiheit, die Missionarin der Vernunft, welche mit der Fackel der Wahrheit und der Kritik in die dumpfen Schlupfwinkel des Vorurteils ( . . . ) eindringt ( . . . ) ; sie ist zugleich die demokratische Macht, die jedem zugänglich ist, jeden in ihren Reihen willkommen heißt, aber auch über jeden ihr Scherbengericht übt, die keine Autorität, keine Macht des Bestehenden, keine höhere Instanz anerkennt - also in allen Stücken das Gegenteil des Beamtentums.«14 Es bleibt in diesem virtuosen Übergang zwischen beiden Systemen der Distribution der Vernunft offen, wie mit jenem Widerspruch umgegangen werden kann, daß die Presse einmal das ist, was die Bürokratie zu sein scheint, und die Presse doch zugleich das »Gegenteil« der Bürokratie sein soll. Für die Gruppe der Junghegelianer gibt es nicht nur einen Übergang von der philosophischen Schule zur polititschen Partei, sondern ebenso einen Übergang von der philosophischen Schule zum Journalismus. Und die >Absolutheit< der Vernunft, kommt sie in der freien Presse nicht noch mehr zur Geltung als in der politischen Partei, wo - sei es als dramaturgische Stilisierung, sei es als >gemeine< Taktik - Diskursbegrenzungen unumgänglich sind? Aber auch Zweifel müssen ausgeräumt werden: Gehört die Philosophie überhaupt in die Zeitung? Diese Frage kann man Marx zufolge »nur beantworten, indem man sie kritisiert.« Er besteht darauf: »Die Philosophie hat, ihrem Charakter gemäß, nie den ersten Schritt dazu getan, das asketische Priestergewand mit der leichten Konventionstracht der Zeitungen zu vertauschen.« Die Philosophie sei gezwungen worden, »ihr Schweigen zu brechen, sie wurde Zeitungskorrespondent«. Es gibt eine geheime Verwandtschaft
252
zwischen der Philosophie, den »Fragen der Zeit« und den »Zeitungsfragen«, eine Verwandtschaft, die Verpflichtungsverhältnisse birgt: »Weil jede wahre Philosophie die geistige Quintessenz ihrer Zeit ist, muß die Zeit kommen, wo die Philosophie nicht nur innerlich durch ihren Gehalt, sondern äußerlich durch ihre Erscheinung mit der wirklichen Welt ihrer Zeit in Berührung und Wechselwirkung tritt.«15 Diese äußerliche Seite ist nun nicht mehr die Verwaltung, sondern die Presse. Im ersten System >war< die Zeit gekommen, von der Marx spricht, im zweiten System >muß< die Zeit kommen. Diese Zeitdifferenz markiert ein geschichtsphilosophisches Problem, das in den Komplex der Distribution der Vernunft eingelassen ist. Was die Junghegelianer, wo sie sich als eine Gruppe von Journalisten definieren, betreiben, ist zunächst eine heute kaum nachvollziehbare Befrachtung der Pressefrage mit dem gesamten Erbe des philosophischen Diskurses. »Was ist die Presse?« fragt Rüge. Sie ist nichts weniger als das »Reden des allgemeinen Geistes mit sich selbst.« »Wir haben in der Presse nicht die Rede des Einzelnen an den Einzelnen, nicht die Besprechung von Privaten und solchen, die im Verborgenen ihren zu verbergenden Gedankengang verfolgen; wir haben in ihr den öffentlichen Ausdruck des Gesamtdenkens, und was das wahre Denken sein soll, das wirklich Allgemeine, die explizierte und sich selbst durchsichtige menschliche Gattung, das ist die Presse reell.« - »Sie ist also das Element des Allgemeinen, der Ort, wo die Gattung sich selbst objektiviert.«16 Es ist dies eine kühne Umdeutung des Hegeischen Begriffs der »Einen Philosophie«, die immer geherrscht habe und die Ausdruck des wahren Denkens sei. Für die Hegeische Philosophie selbst mag dies vorstellbar sein, aber Presse ist nur denkbar als ein Ensemble der vielen Stimmen. Wie kann sich in diesem Chaos der öffentlichen Meinung - Hegels verächtliche Worte darüber seien in Erinnerung gerufen -, wie kann sich hier das wahre Denken überhaupt darstellen? Noch schwieriger wird die Situation, wenn man sich Hegels Staatsbegriff, den »objektiven Geist« als Presse denken will. Rüge löst dieses Problem, indem er zunächst eine Gerichtsinstanz einführt. »Allerdings machen erst die vielen Stimmen diese Eine Stimmung; aber indem sie dies tun, bleiben sie nicht die einzelnen, zufälligen Schreier, vielmehr entscheidet das Gericht der Öffentlichkeit und das sich erklärende Zeitbewußtsein über die Achtbarkeit oder Veräcntlichkeit der einzelnen. Wer den Prozeß der Geschichte wesentlich zu bestimmen die Kraft hat, ist nicht zu verachten; für was er aber zu achten sei, das lehrt die Zeit.«17 Man stelle sich diese Konstruktion als Selbstbild einer Gruppe von Journalisten vor! Die wichtigen Standards, die ihrem Verhalten Sicherheit geben könnten, sind konzentriert im »Gericht der Öffentlichkeit«, das, obwohl sie als Journalisten an diesem Gericht partizipieren, ebenso kontingent ist wie die >Lehren der Zeit< es sind. Und man darf bei dem »Gericht«, das Rüge im Auge hat, getrost an das Jüngste Gericht denken, dem das Bild sich verdankt.18 Um wieviel greifbarer sind im Vergleich dazu die Standards der Schule oder der Partei gewesen! Die Gefahr, ein »zufälliger Schreier« zu bleiben oder zu werden, wie könnte sie zu bannen sein? Rüge kennt seine junghegelianischen Journalistenkollegen und ihre Not, die wahre Philosophie im vielstimmigen Chor der Presse zur Geltung zu bringen.
253
»Die Eitelkeit, ein besseres Wort, als das geltende, sagen zu können, sobald man es nur der Mühe Wert hielte, - eine sehr gewöhnliche Erscheinung - beruht daher auf dem Irrtume, die bloße Möglichkeit ebenso hoch und sogar höher anzuschlagen, als die Wirklichkeit, oder das zufällige Subjekt, wie es unmittelbar sich findet, über das historische Subjekt zu setzen.«19
In der Figur des »historischen Subjekts« könnte eine Gestalt gedacht werden, die verhindert, daß der philosophische Zeitungskorrespondent mit seinem wahren Denken am Gericht der öffentlichen Presse scheitert. Aber widerspricht nicht das »historische Subjekt« mit seinen Privilegien der Demokratie der Vielen, die doch gerade den Kern der freien Presse ausmacht? So muß denn das »historische Subjekt« wiederum gezügelt werden: »Freilich ist die Vernunft republikanisch; sie macht das historische Subjekt, aber das historische Subjekt ist nicht der Zweck. Alle Subjekte und ihr Zusammenwirken zu der Vernunft der Gattung sind der Zweck; das historische Subjekt hat nur die Ehre, hervorstechendes Mittel zu diesem Zweck zu sein; ein hervorstechendes Mittel der Vernunftrealisierung können aber nicht die Vielen und nicht Jeder, der sich gescheit dünkt, sein. Die eitlen Subjekte verkennen, daß es auch darum sich gar nicht handelt. Der Zweck ist ja der republikanische, daß das Organ der Gattung die Funktion ihrer Selbstverwirklichung ausübe, nicht der persönliche, daß einzelne Subjekte hervorstechen und historische Ehren empfangen, weshalb denn auch der wahre Stolz der freien Menschen darin besteht, daß er fortdauernd sich als Tribunen jenes republikanischen Gemeinsinns betrachtet und das historische Subjekt in seiner allgemeinen Bedeutung (aber auch nur in dieser) neidlos anerkennt.20
Eine prekäre Argumentation, die deutlich macht, wie schwer es für die Junghegelianer ist, das am Beamtenstaat gebildete Modell einer Distribution der Vernunft auf die Presse umzumünzen. Intentional »historisches Subjekt« sein zu wollen, diese Rolle anzustreben, untersagt Rüge seinen Korrespondenten ebenso wie Calvin in seiner Prädestinationslehre die Gläubigen im Ungewissen ließ, ob sie von Gott angenommen oder verworfen sind. Der Zweck ist nur republikanisch, das »historische Subjekt« bleibt ebenso denknotwendig wie verborgen. Wie anders sollte die Alternative entschieden werden, die im System der Distribution der Vernunft durch die Presse enthalten ist: »Geht nun Wahrheit von allen Köpfen aus? Oder haben einige Köpfe das Vorrecht, untrügliche Wahrheitsspender zu sein?« Ohne Geschichtsphilosophie, die über einen möglichen Ausgang des »öffentlichen Gerichts« spekuliert, werden diese Nauwerckschen Fragen nicht zu beantworten sein.21 Eine erste Annäherung an diesen Komplex stellt Ruges spekulative Konstruktion einer stufenweisen Entwicklung der Formen, »worin die Vernunft der Gattung ausgesprochen und vernommen wird«, dar. Die gesprochene Sprache ist die erste Stufe, und die Freiheit der Sprache bildet quasi die »erste Pressefreiheit«, die jedoch durch Ortsgebundenheit und Dialekt beschränkt wird. Auf der Stufe der Schrift beginnt Geschichte, Gesetz und Geistesbildung, man »weiß, daß Sprache und Schrift unmittelbar freie Elemente der Selbstverständigung der menschlichen Gattung sind«, man kennt den »Mißbrauch der Schrift« und das Problem der »Schreibfreiheit«. Entscheidend ist: »die Schrift führt schon eine Entwicklung des Geistes in seinem eignen Elemente, eine Überwältigung seiner selbstgesetzten Schranken herbei. Sie schafft in ihm ein Material, worin er sich selbst sicher vor Augen hat und das erreicht, daß er durch die Bildung desselben nur
254
sich selbst bildet: die Künste, die Wissenschaften, die Staatsverfassungen in den gesetzlich fixierten Bestimmungen sind dies Material und dieser Gegenstand, der selbst Geist ist.22
Von der letzten Stufe schließlich heißt es: »Aber erst die Form der Presse gibt dies Material in die Gewalt Aller und dehnt den Ort, das Element des Gesamtbewußtseins, oder der Selbstverständigung der Gattung, aus — für den Staat über Ortschaft und Stadt, für Kunst und Wissenschaft über den Kreis weniger Bevorzugter und Begüterter hinaus. Die Quantität ändert hier wesentlich die Qualität. Zur Hervorbringung des wahrhaft Menschlichen ist der ganze Kreis der wahrhaft zu humanisierenden Menschheit nötig.«
Gerade durch die Fixierung und Reproduktion von Gedanken und Informationen in der Presse ist die Selbstverständigung des Geistes im Maßstab der empirischen Gattung selbst möglich geworden. »Durch das Herbeiziehen der größten Versammlung mittätiger Menschen ist nun aber in der Tat ein höheres Element und ein vergeistigter Ort für die allgemeinen Angelegenheiten errungen; weshalb denn auch die Literaturbewegung den republikanischen Zweck und den Ostracismus sogar in sich selbst gesichert hat.« Diese Stufe der Entwicklung verändert auch das Verhältnis von Büchern und Zeitungen. »Zeitungen schreiben die Völker, und lebendige Menschen mit ihrem besten Herzblut sind ihre Lettern; Bücher schreiben die einzelnen. Sklaven haben sie geschrieben, Sklaven können sie auch heut noch schreiben«. Nur sehr wenige Bücher können »Keime der Zukunft« enthalten, »Zeitungen sind die Zeit selbst«.23 Die Auseinandersetzungen um die Presse und Pressefreiheit machen einen Hauptteil der junghegelianischen Publizistik aus. Allein die >Rheinische Zeitung< hat in den fünfzehn Monaten ihres Bestehens in über dreihundert Beiträgen Pressefragen erörtert. Die Pressefreiheit gilt schlechthin als »die eigentliche Lebensfrage der Epoche«.24 Das Phänomen Presse bedeutet in dieser Zeit eine neue soziale Erfahrung. Es ist eine nicht alltägliche Erfahrung, der Einbruch schwindelerregender Möglichkeiten der Kommunikation. Wie dem begegnen? Nauwerck schreibt: »Die Stunde, in der man Zeitungen liest oder für sie schreibt, ist (...) eine von denen, in welchen wir uns in das Objektive tauchen und der privaten Beengtheit entrückt mit dem ganzen Menschengeschlechte der Gegenwart in magnetische Berührung, in die vertrauteste Gemeinschaft treten. Man könnte sich, wollte man ein Übriges tun, zu dieser Stunde schmücken, wie der Spartaner vor der Schlacht, oder die Hände waschen, wie der Muhamedaner zum Gebet.«25
2. Pressefreiheit und Zensur Der Kampf der Junghegelianer für die Pressefreiheit findet in einem Zeitraum statt, der am Ende des grundlegenden Auseinandersetzungsprozesses zwischen staatlicher Zensur und bürgerlicher Öffentlichkeit steht. 1848 geht in Deutschland eine Zensurtradition zuende, die 350 Jahre lang bestimmend gewesen ist.26 Historisch gesehen entstammt die Praxis der Zensur dem kirchlichen Bereich. Mit ihr sollte die Orthodoxie der Lehre gegen häretische Abweichungen gesichert werden. Um 1500 wird die Frage von Zensur und Pressefreiheit zu einem akuten
255
Problem, als mit der Entwicklung der Drucktechnik die Zahl der gedruckten Schriften und Flugblätter sprunghaft ansteigt und zugleich den kirchlichen und weltlichen Autoritäten im Gefolge von Reformation und Religionskriegen die Kontrolle über das publizierte Wort zu entgleiten droht. 1515 wird durch die päpstliche Bulle Leo's X. die Präventivzensur systematisch eingeführt, und 1529 beschließt der Reichstagsabschied von Speyer die erste staatliche Zensurverordnung, mit der das kirchliche Verfahren in die weltliche Gesetzgebung eingeht. Präventivzensur meint, daß alle zum Druck bestimmten Schriften zuvor der Obrigkeit bzw. legitimierten Personen vorgelegt werden müssen, um das >Imprimatur< zu erhalten. Im wesentlichen hatte dieses System in Deutschland bis 1848 Geltung. Über den Gegenpol der Zensur, die Pressefreiheit, ist naturgemäß viel geschrieben worden. Sie gehört zusammen mit der Meinungsfreiheit zu den ehrwürdigsten Gütern der demokratischen Traditionen Europas. Für den Staatsrechtslehrer Ridder legen sich Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Lehrfreiheit, Pressefreiheit in ihrem Verhältnis zur Gedankenfreiheit als konzentrische Ringe um die als Mittelpunkt zu denkende subjektive Geistesfreiheit.27 Und man kann die Geschichte des Kampfes gegen Zensur gut in die Geschichte des bürgerlichen Freiheitsstrebens einbetten. Darüber darf jedoch nicht die soziologische Erkenntnis vergessen werden, daß keine Gesellschaftsform - auch diejenige nicht, die sich in ihren Normen dem bürgerlichen Freiheitsbegriff verschrieben hat — eine nicht reglementierte, >freie< Weise des publizierten Ausdrucks erlaubt. Und so sehr man auch von einer Anthropologie der Neugier ausgehend in der Befriedigung des »sozialen Bedürfnisses nach Information« für den modernen Menschen eine »Lebensnotwendigkeit« sehen kann, wie dies R. Clausse tut, es bleiben Restbereiche von Einschränkungen bestehen: »Aber wenn es auch wahr sein sollte, daß alles allen gesagt werden muß, so dürfen dabei doch nicht gewisse legitime Grenzen außer acht gelassen werden«. Die Grenzen, die Clausse aufführt, beziehen sich auf die Rechte der Person, auf die Sicherheit des Staates und auf die relative »Empfindlichkeit« des Publikums.28 Was Clausse aufführt, sind moderne Fortentwicklungen der klassischen Indizierungsgründe der absolutistischen Zensur. Im Kern geht es um drei Bereiche: 1. die Staatsrücksichten (und mit ihnen hängt auch der Ehrenschutz historisch eng zusammen), 2. die >guten Sitten< und 3. der staatliche Glaubensschutz. Sicher kann man mit U. Otto sagen, daß im »Prozeß der Lösung der Zensurmaßnahmen von konfessionellen Motiven und Hintergründen« der Problembereich »Staatsraison« in den Vordergrund rückt und daß »das glaubensmäßige Moment dagegen oft zum reinen Requisit« erstarrt. Unter allgemeinerer Perspektive kann man jedoch Schneider darin zustimmen, daß die Bereiche »Glaube und religiöses Gefühl, Moral und Sittlichkeit, Ehre, Staatsrücksichten bzw. Staatsgeheimnisse ( . . . ) auch heute noch die Themen für die Diskussion um die Kommunikationsfreiheit (darstellen). Sie sind keine Tagesfragen, sondern Grundsatzfragen, die sich an bestimmten Fällen stets neu aktualisieren und variieren.«30 Die erstaunlich hohe Konstanz der Indizierungsgründe über einen langen Zeitraum hinweg verweist auf übergreifende kulturelle Deutungsmuster. Zu den »großen Mythen der europäischen Kultur« gehört 256 Foucault zufolge:
»Dem monopolisierten und geheimen Wissen der orientalischen Tyrannei setzt Europa die universale Kommunikation der Erkenntnis, den unbegrenzten und freien Austausch der Diskurse entgegen. Doch hält dieser Gedanke einer Prüfung nicht stand. Der Austausch und die Kommunikation sind positive Figuren innerhalb komplexer Systeme der Einschränkung; und sie können nicht unabhängig von diesen funktionieren.«31
Auszugehen ist von Verschränkungen, die den kulturellen Imperativ der Kommunikation in Begrenzungen einlassen, aus denen er seine Kraft beziehen kann. Neben der universalen Kommunikation stehen immer auch die Schatten wuchernder Mißverständnisse. Wo Botschaften frei ausgetauscht werden, gibt es keine Garantie für gelingendes Verstehen. Zensur, wo sie sich legitimiert, zielt auf eine Begrenzung von Kommunikationsunfällen, die unerträgliche >Verletzungen< verursachen könnten. Für die Gruppe der Junghegelianer stellt die preußische Zensurgeschichte den kleinlichen Rahmen dar, in dem sie ihre Definition der großen Mission der Presse vollziehen. Einige Grundzüge dieser Zensurgeschichte seien hier aufgeführt, um das Feld abzustecken, in dem sich die Debatten der Gruppe bewegen.32 Der berühmte Ausspruch des aufgeklärten Friedrich II. von den »nicht zu genierenden Gazetten« kann bekanntlich nicht für die Zensurpolitik unter dem >Philosophenkönig< stehen, bezog sich dieser Ausspruch ohnehin nur auf die Lokalberichterstattung des Berliner Buchhändlers Haude. 1743 wurde dies Privileg wieder zurückgenommen, weil gedruckte Falschmeldungen »auswärtigen Puissancen so empfindlich als anstößig sein können«. Zu solchen »Staatsrücksichten« kommen im Zensuredikt von 1749 Religionsschutz und »gute Sitten« als Zensurgründe für die wieder hergestellte Präventivzensur. Dafür, daß die Aufklärung selbst keinen Schaden nimmt, wurde durch Bestimmungen Sorge getragen, denen zufolge die Schriften der königlichen Akademie der Wissenschaften generell von der Zensur ausgenommen wurden und Universitätsschriften nur einer selbstverantworteten Fakultätszensur unterlagen. 1788 wurde die Zensur unter dem Eindruck der Revolutions-Prognosen durch das berümte Wöllnersche Zensuredikt erheblich verschärft (die Untersuchung der Wahrheit mußte eine »anständige, ernsthafte und bescheidene« sein); während der Revolutionszeit mußte der Zeitungszensor Renfner so viele Überstunden machen, daß die Berliner Zeitungsverleger ihrem Zensor ein jährliches 100-Taler-Honorar extra bewilligten; unter napoleonischer Herrschaft und in den Befreiungskriegen brach das preußische Zensursystem schließlich zusammen. Die Entstehung eines selbständigen politischen Journalismus in Deutschland ist eng mit der Revolutionszeit und den Befreiungskriegen verbunden. Für die deutschen Jacobiner wie für den >Rheinischen Merkur< von Josef Görres gehört Pressefreiheit zu den zentralen politischen Forderungen. Im Kern sind hier bereits alle Argumentationsfiguren ausgebildet, die bis 1848 immer wieder vorgebracht werden. Aber die Reformversuche Hardenbergs, die Zensur zugunsten eines Pressegesetzes aufzuheben, kommen zu spät. Die von ihm initiierte Reformkommission beschloß zwar einstimmig die Präventivzensur als Ausnahme von der als Regel geltenden Pressefreiheit, aber einen Monat zuvor war schon das preußische Zensurgesetz vom 19. Okt. 1819 erlassen, mit dem die Karlsbader Beschlüsse des Bundes auf Preußen übertragen wurden.
257
Hatten die Karlsbader Beschlüsse immerhin noch für Schriften über 20 Bogen Umfang eine Zensurfreiheit als möglich statuiert, unterlagen jetzt in Preußen unterschiedslos alle Publikationen der Zensur. Selbst die von Wöllner nicht angetastete Zensurfreiheit der Königlichen Akademie und die universitäre Selbstzensur wurden aufgehoben. Der Karlsbader >20 Bogenfreiheit< lag die Kalkulation zugrunde, daß das einfache Publikum weniger zu umfänglichen Schriften greifen würde. Die zensurtechnische Unterscheidung von Volksschrift und gelehrter Literatur ist Ausdruck der dilematischen Situation, >Lesenutzen< und >Leseschaden< überhaupt kontrollierbar zu machen. Sie findet sich schon im Edikt von Friedrich dem Großen, und sie wird auch in der Reformzeit nicht aufgegeben, wie die Denkschrift von Raumer 1817 zeigt.33 Die generelle preußische Zensur von 1819 ruft zunächst den Widerstand der Königlichen Akademie hervor. Der Philologe F. A. Wolff fordert seine Kollegen auf, öffentlich zu erklären: »Binnen fünf Jahren, solange das Zensurgesetz bestehe, nichts drucken zu lassen!«34 Dieser >Wissenschaftlerstreik< kommt nicht zustande, die Akademie erreicht 1820 durch ein Gesuch, daß wenigstens die Akademieschriften zensurfrei seien; was sie dagegen als einzelne publizierten, fiel ebenso unter das neue Gesetz wie die übrigen Universitätsschriften. Das preußische Zensurgesetz bestimmte, daß praktisch jedes gedruckte Stück Papier vom Aktienformular bis zum Buch der Vorzensur unterworfen werden mußte. Das eingerichtete Oberzensurkollegium war hier kaum in der Lage, für die vage gefaßten gesetzlichen Indizierungsgründe präzise Ausführungsbestimmungen zu geben. So lag die Zensur praktisch in den Händen der unteren Stellen, wobei es nicht ausbleiben konnte, daß gravierende regionale Differenzen auftraten. Was ein Zensor verbot, erlaubte ein anderer. Dieses Zensursystem wurde in Preußen über zwanzig Jahre praktiziert und durch Verschärfungen den politischen Bewegungen angepaßt. 1824, mit den auslaufenden, aber sogleich auf unbestimmte Zeit verlängerten Karlsbader Beschlüssen, wurde in Preußen nicht nur wie 1788 eine »bescheidene« Erörterung religiöser Fragen gefordert, sondern jede »lieblose« Untersuchung verboten. Die Bundesversammlung tat ein übriges, sie mahnte 1830,1831 und 1832 mehrfach zur strengen Anwendung der Zensur. Die Mahnungen finden nach dem Frankfurter Revolutionsversuch von 1834 im geheimen Schlußprotokoll der Wiener Ministerkonferenzen ihren Höhepunkt in der Forderung, nicht nur keine »Zensurlücken« zu dulden, sondern überhaupt die »übermäßige Anzahl politischer Tagesblätter« zu vermindern.33 Gerüchte über eine Lockerung der Zensur tauchen seit 1838 auf. So berichtet die Leipziger Buchhändlerzeitung über die Vorbereitung eines preußischen Pressegesetzes. »Wenn man Gerüchten glauben soll, so würden durch dasselbe die bekannten Karlsbader Beschlüsse annuliert werden, und die Pressefreiheit bei allen wissenschaftlichen Werken, deren Durchsicht dem Senate der Universitäten anheim gestellt würde, ausgesprochen sein. Ebenso sollen Werke jeder Art über 20 Bogen der Zensur nicht bedürfen, und nur die Tagesliteratur eine eigentliche, aber gemilderte Beaufsichtigung erfahren.«36 Ein knappes Jahr später weiß ein Berliner Korrespondent dieser Zeitung zu berichten: »Unsere Zensur ist seit einiger Zeit merklich nachsichtiger geworden; sowohl über politische, als über rein literarische Gegenstände gibt sich in hiesigen
258
und in Provinzblättern eine Freiheit der Besprechung kund, wie sie seit dem Jahre 1829 nicht vorgekommen.«37 Der neue König Friedrich Wilhelm IV., vom Ideal eines romantischen Volkskönigs geleitet, hoffte, durch eine Zensurlockerung die Sympathie seiner Untertanen zu gewinnen. Mit seiner Zensurinstruktion vom 24. 12. 1841 verfügte er eine »mildere Ausübung der Zensur«, und er ermunterte geradezu die »freimütige Besprechung vaterländischer Angelegenheiten, insofern sie wohlmeinend und anständig sei.«38 Dies »Weihnachtsgeschenk« löste bei den Zeitgenossen große Verblüffung aus. Neben der begeisterten Zustimmung liefen sogleich Gerüchte um, »daß die Zensoren im geheimen mit Instruktionen entgegengesetzten Inhalts versehen worden seien«39. In den nächsten Monaten kam es jedoch in der Tat zu einer für Preußen ungewohnt milden Zensurpraxis. Am 28. 5. 1842 wurde die Zensurfreiheit für Bilder eingeführt, was eine Flut von Karikaturen zur Folge hatte, die um so aggressiver sich gestalteten, als die Bildunterschrift weiterhin der Zensur unterlag. Am 4. 10. 1842 schließlich wurde in Preußen die Zensurfreiheit über 20 Bogen eingeführt. Die Rheinische Zeitung kommentiert dies mit dem Distichon: »Willst Du frei sein, so schwitz' über zwanzig Bogen zu schreiben, Neunzehn, da wirst Du zensiert wie ein unmündiges Kind.«40 Und R. Prutz veröffentlicht dazu in der Schweiz das Gedicht »Preußens freie Presse«: »Zwanzig Bogen, zwanzig Bogen! Nun gereckt und nun gezogen, An den Federn nun gesogen, Bis die zwanzig Bogen voll! Ja zumal in diesen Tagen, Wo die dampfbeschwingten Wagen Sausend durch die Länder jagen, Und es doch an Zeit gebricht: Zwanzig Bogen — welche Menge! Zwanzig Bogen - welche Länge! Zwanzig Bogen liest man nicht.«41
Dennoch reichten die wenigen Monate gemilderter Zensur aus, um einen Vorgeschmack zu geben, was öffentliche Meinung sein könnte. Der König gab dieser Tendenz noch Nahrung, wenn er dazu überging, unter offenem Himmel Reden an tausendköpfige Massen zu richten. Aber seine Vorstellungen gingen in eine ganz andere Richtung als die derer, die Pressefreiheit forderten. Koselleck weist darauf hin, daß die Zensurlockerung »weniger liberal (war), als sie schien und zunächst verstanden wurde; sie suchte der Presse, statt sie wie bisher zu verbieten oder kurz zu halten, eine Richtung zu weisen, die sie - in ihrer parteilichen Streuung - gar nicht einschlagen konnte.«42 Der versuchte Übergang von der absolutistischen Zensur zur aktiven Gesinnungssteuerung durch die Regierung scheiterte. Eine Distribution des >rechten Geistes< warmodern gesprochen - nicht mehr glaubwürdig, weil der >Staatsapparat< zunehmend bloß technisch-administrativ wahrgenommen wurde. Gesinnungen waren auch nicht durch die angestrengteste Verwaltungstätigkeit zu erzeugen. Die freige-
259
lassene Öffentlichkeit diskutierte in eine andere Richtung, und die Kabinettsorder vom 12. 10. 1842 leitete bereits die Kehrtwendung ein. Den Oberpräsidenten wurde es zur Pflicht gemacht, »den schlechten Teil der Presse zu zügeln und deren Ausartung vorzubeugen«.43 Die Zensurinstruktion des Königs vom 31.1. 1843 bündelt exemplarisch die Dilemmata der preußischen Zensurpolitik. Der König erklärte: die meisten Zensoren hätten seine früheren Befehle »gänzlich mißverstanden und durch ungeschickte Behandlung die Sache völlig verfehlt (. . .). Was Ich durch die genannten Verordnungen (vom Januar 1843, d. V.) gewollt, das will Ich unveränderlich noch: die Wissenschaft und die Literatur von jeder sie hemmenden Fessel befreien und ihr dadurch den vollen Einfluß auf das geistige Leben sichern, der ihrer Natur und ihrer Würde entspricht; der Tagespresse aber innerhalb des Gebietes, in welchem sie auch Heilsames in reichem Maße wirken kann, wenn sie ihren wahren Beruf nicht verkennt, alle zulässige Freiheit dazu gestatten. Was Ich nicht will, ist: die Auflösung der Wissenschaft und Literatur in Zeitungsschreiberei, die Gleichstellung beider in Würde und Ansprüchen, das Übel schrankenloser Verbreitung verführerischer Irrtümer und verderbter Theorien über die heiligsten und ehrwürdigsten Angelegenheiten der Gesellschaft auf dem leichtesten Wege und in der flüchtigsten Form unter einer Klasse der Bevölkerung, welcher diese Form lockender und Zeitungsblätter zugänglicher sind, als die Produkte ernstlicher Prüfung und gründlicher Wissenschaft.«44 Am 3. 2. 1843 wird die Bilderfreiheit zurückgenommen; am 24. 2. 1843 werden die Zensurbehörden im Sinne der Januarinstruktionen reorganisiert. Auffällig an der königlichen Argumentation ist, wie stark schon bürgerliche Topoi wie der von der »hemmenden Fessel« Selbstverständlichkeit geworden sind. Die Abwehr der »Auflösung der Wissenschaft und Literatur in Zeitungsschreiberei« bezieht sich zweifellos auf die Junghegelianer, die mit ihren Übergangsformeln von der Philosophie zum Leben zum entscheidenden »Katalysator des deutschen Pressewesens geworden« waren.45 Friedrich Wilhelms IV. Versuch, zu einer ständisch abgestuften Gesinnungsaktivierung zu gelangen, die nicht nur die Zensur technische Teilung in gelehrte Schriften und Volkslesestoff wiederholte, sondern sie für die Steuerung der Meinungen zur aktiven Loyalität zu benutzen trachtete, scheiterte. Die weitgehend regierungstreue >Vossische Zeitung< hat denn auch Schwierigkeiten, die Reaktionen einiger Zeitungen auf die Zensurinstruktionen zu deuten. Manche Schriftsteller hätten »sich jeder Äußerung der Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten entzogen, sei es, daß ihre Meinung mit den gesetzlichen Vorschriften in zu grellem Widerspruche stand, um sich mit der Zensur verständigen zu können; oder sei es, daß sie der Ansicht waren, unter den gegenwärtigen Umständen Nützliches nicht mehr wirken zu können.« Hier könne die >Vossische Zeitung< nicht mitmachen: »Wir werden uns also weder durch die Vorwürfe, noch durch das übermütige Stillschweigen einzelner Journale irre machen lassen«.46 Die Formulierung vom »übermütigen«, d. h. hochmütigen Stillschweigen kennzeichnet die Situation treffend. Unter absolutistischen Bedingungen ist Schweigen kein gravierender Sachverhalt, erst wenn man von einer autoritativ hergestellten Gesinnungsaktivierung, die sich beweisen muß, her denkt, bekommt die Formulierung einen Sinn. F. Wehl läßt sich die Paradoxien der Situation nicht entgehen, wenn er schreibt:
260
»Arme Vossische, ich bin neugierig, ob du das übermütige Stillschweigen demütig machen wirst. Schwerer ist's, das ist sicher, als bei dem Reden. Schweigen hat auch eine Stimme und es gibt manchmal sehr schlagende Antworten. Und das Schlimmste ist, es kann nicht zensiert werden, es läuft ohne Zensur durch die Welt. Es kann auch nicht verboten werden und die Post kann seine Versendung nicht verhindern. Oh, das Schweigen ist oft die beredteste und gefährlichste Sprache der Welt!«47 Die Paradoxien dieser Formulierung verweisen auf jene Verschränkungen zwischen dem Imperativ der Kommunikation und der Begrenzung der Kommunikationsunfälle zurück, von denen ich oben gesprochen habe, und sie erinnern daran, daß der Prozeß der Durchsetzung der Pressefreiheit und »des Prinzips, öffentlich Widerspruch geltend zu machen«,48 weitaus komplexer ist, als es die Formel vom Kampf bürgerlichen Freiheitsstrebens gegen staatliche Repression suggeriert. Koselleck hat in »Kritik und Krise« herausgearbeitet, wie die Konstitution bürgerlicher Öffentlichkeit mit der spezifischen Situation des Absolutismus verbunden ist. Aufklärung hat ihren Einsatzpunkt »in jener Lücke (...), die der absolutistische Staat ausgespart hat, um den Bürgerkrieg überhaupt zu beenden. Die Notwendigkeit, einen dauerhaften Frieden herbeizuführen, veranlaßt den Staat, dem Individuum einen Binnenraum zu konzedieren, der die souveräne Entscheidung so wenig beeinträchtigt, daß er vielmehr unabdingbar wird für sie. Daß der Binnenraum politisch indifferent sein muß, ist konstitutiv für den Staat, wenn er seine politische Form wahren will.«49 Diese Konstruktion ist der Preis für die Beendigung des religiösen Bürgerkriegs. In den politisch unschuldigen privaten Innenräumen der Untertanen beginnt die >freie< Kommunikation zu wuchern und zwar, gerade weil sie absichtlich aus dem Staat ausgespart war, in geheimer Form. »Der Mensch im geheimen ist frei; nur im geheimen ist der Mensch Mensch. Der Mensch als Bürger ist dem Souverän unterworfen; nur als Untertan ist der Mensch Bürger.«50 So entspricht dem Arkanum der moralisch neutralen Politik des Fürsten das Arkanum der politisch neutralen Moral des privaten >Gewissens< der Untertanen, die sich nicht-öffentlich als Gesellschaft konstituieren. >Öffentlichkeit< und >Geheimnis< schließen zunächst einander nicht aus, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sie schließen einander eher ein, indem Öffentlichkeit auf Räume verweist, in denen die Grenzziehungen zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was verschwiegen wird, sich überhaupt erst ausbilden können.51 Ruges Formulierung vom »unsichtbaren Geist«-eine Formulierung, die nahe bei der Figur der »unsichtbaren Kirche« liegt, die uns in Kapitel IV beschäftigen wird - zielt auf diesen Zusammenhang, denn der »unsichtbare Geist« ist eben das, was sich in der als Gattungsgeist interpretierten Presse ausdrückt. Und noch 1847 finden sich die Formeln der Konstitutionsphase bürgerlicher Öffentlichkeit mit ihrer Verschränkung von geheim/öffentlich in den Diskursen präsent. In dem Bestreben, einen Staat der Freiheit und Gleichheit zu errichten, heben sich J. Schmidt zufolge zwar die Differenzen der Religion und Nationalität auf: »Verbrüdert dehnt sich die Partei der Freiheit über alle Nationen aus.« Aber was ist der Grund dieser kommunikativen Transparenz? »Ein jeder hat einen geheimen Ort
261
seines Herzens, in dem er sein Göttliches einschließt.« Diese geheimen Orte werden bleiben, »solange es freie Menschen gibt.«52 Die Junghegelianer partizipieren in spezifischer Weise an den Verschränkungen des geheim/öffentlich, wo sie sich als Gruppe von Journalisten definieren. Einmal setzten sie auf die »unsichtbaren Kräfte«, die sich in den Räumen kommunikativen Austausche offenbaren und die keine staatliche Institution zu kontrollieren vermag, andererseits kommt für sie das klassische Projekt einer Geheimgesellschaft nicht mehr in Frage. Die Kritiken der Brüder Bauer an Adam Weishaupt und den Illuminaten lassen in dieser Frage keine Zweifel aufkommen. 53 Aber der Bruch mit der Geheimgesellschaft bringt eine Reihe von Folgeproblemen mit sich. Sie betreffen einmal das Verhältnis des Binnenraums der Gesinnungen zu staatlichen Formen, ein Folgeproblem, das sich im Vormärz um das Verhalten gegenüber dem Zensor kristallisiert, und sie betreffen zum anderen das geschichtsphilosophische Problem, das sich verschärft, wenn nicht mehr die strengen Gesetze freimaurerischer Kooptation gelten sollen, sondern die Distribution der Vernunft sich unterschiedslos an alle Gesellschaftsmitglieder richtet.
3. Der Zensor als Partner - Kommunikationsgemeinschaft und Politik Sie hat sich nicht durchgesetzt, die 1842 auftauchende Idee, den Bedrohlichkeiten ungeregelter Distribution der Vernunft dadurch zu begegnen, daß man die Zeitungsredakteure einem Staatsexamen unterwirft. Für E. Bauer ist dieser Vorschlag »doch zu arg«. Bei staatlichen Bildungsanstalten »mag sich der Staat durch eine Prüfung der Tüchtigkeit seiner Angestellten versichern. Aber ein Zeitungsredakteur ist kein Staatsbeamter, er steht an der Spitze einer Privatunternehmung«. Und überhaupt, was sollte der Inhalt der Staatsprüfung sein? Historische, sprachliche Kenntnisse? Ob der Redakteur »solche hat, wird sich bald genug in seiner Zeitung beurkunden. Und ist er unwissend, ist er unfähig, nun so wird sich sein Unternehmen nicht lange halten. Denn das Publikum ist in solchen Sachen der einzig legitime Richter.« Und außerdem läge die wichtigste Befähigung des Redakteurs in seiner »Gesinnung«, d. h. in jenem staatlich kaum erreichbaren Arkanum, das sich zwar offenbaren soll, aber gemäß einem >Soll< nicht-staatlicher Natur.54 Im Vormärz ist es bei der Dualität von staatlicher Zensur und privatem Zeitungsredakteur geblieben. Der Zensor im Vormärz ist eine prominente Figur, die von den Zeitgenossen unablässig diskutiert, kommentiert und karikiert wird. Dieser Sachverhalt bedeutet nicht, daß die Zensur einem Gipfelpunkt der Repression entgegengeschritten wäre, vielmehr rückt der Zensor in dem Maße ins Zentrum, wie seine Macht sich als brüchig erweist und Lockerungen der Zensur spürbar werden." Wichtiges Indiz für diese Situation sind die zahllosen Zensuranekdoten, die mehr als alle frontale Kritik geeignet gewesen sind, die Schwäche der Zensurpraxis zu offenbaren. Es handelt sich dabei um Anekdoten wie diese: »Die Kölner Zeitung brachte eine einfache Annonce der göttlichen Komödie, übersetzt vom Prinzen Johann von Sachsen;
262
diese wurde mit dem Bemerken gestrichen, daß man mit göttlichen Dingen keine Komödie spielen dürfe.«56 Die Pointe zielt auf die Dummheit des Zensors. Aber warum funktioniert die Pointe? Warum darf ein Zensor bei Strafe des Gelächters nicht der Dummheit überführt werden? Offensichtlich geht es um Fragen der Legitimation von Herrschaftsausübung. Wo es sich um Machtsprüche auf dem Gebiete des Wissens handelt, macht sich die Herrschaft lächerlich, die die Standards des Wissens verletzt. Die Legitimitätskrise entsteht, weil der Zensor von der entscheidenden >Kraftquelle< der Herrschaftslegitimation abgekoppelt ist. Auch Zensur als Teil der Verwaltung bedeutet »Herrschaft kraft Wissen«. (M. Weber). Daher ist Zensur paradoxerweise gerade für jede >rationale< Herrschaft ein heikles Unternehmen. Aber nicht nur von Seiten der Zensierten wird die Kompetenz des Zensors in Frage gestellt, auch die Regierenden sind sich in diesem Punkt nicht ganz sicher. So enthielt das preußische Zensurgesetz im § 13 die Regelung, daß der Schriftsteller haftbar blieb, auch wenn es ihm gelungen war »des Zensors Aufmerksamkeit zu hintergehen (z. B. durch eingestreute strafwürdige Anspielungen oder Zweideutigkeiten, deren beabsichtigter Sinn dem Zensor verborgen bleiben konnte)«.57 Die präsumptive Dummheit der Zensoren war damit gesetzlich festgeschrieben. Der Zensor konnte sich aufgrund dieses Paragraphen immer noch auf seine mangelnde Kenntnis oder auf stilistische Fallgruben berufen, denen er zum Opfer gefallen sei. Die Schriftsteller reagierten auf diese Lage, indem sie einen ausgeklügelten Zensurstil entwickelten, der darauf abzielte, die Aufmerksamkeit des Zensors nachhaltig zu überlisten. Heine und Börne sind auf diesem Felde die unbestrittenen Sieger geworden.58 Für die Junghegelianer ist nun das jungdeutsche Spiel mit dem Zensor nicht mehr akzeptabel. Eine der vielen »demoralisierenden Wirkungen« der Zensur ist für Heß, daß die Autoren aus der Not der Repression eine Tugend gemacht hätten, sie »hielten am Ende die Konzessionen, die sie notgedrungen machen mußten, für eine freiwillige Tat«. Jetzt gilt: »wir halten es für besser, nützlicher und ehrenhafter, zu schweigen - als mehr oder weniger gegen unsere Überzeugung zu schreiben.«59 Auffällig an der junghegelianischen Kritik der Zensur ist, wie sehr Zensor und Publizist auf eine gleiche Ebene gezogen werden. Die Junghegelianer verstehen sich latent als Konkurrenz zur Zensur. Konkurrenz in einem doppelten Sinne: sie konkurrieren um die Aufgabe der Distribution des Geistes, und sie konkurrieren um die Maßstäbe, nach denen der distributionsweite Geist bestimmt werden soll. Die Konkurrenz macht sie in gewisser Weise zu Partnern einer Kommunikationsgemeinschaft. Diese gleiche Ebene kann aber nur konstruiert werden, wenn die politisch-dezisionistischen Elemente des Komplexes Zensur ausgeklammert werden. Angesichts des Verbots der DJ entwickelt Stirner eine Argumentation, in der er Verbot und Zensur so geschickt gegeneinander ausspielt, daß im Zeitungsverbot sich gerade die Ohnmacht der Zensur erweisen muß. Zeitungsverbote zeigten, »daß die Aufgabe der Zensur eine Unmöglichkeit ist.« Denn wenn eine Zeitung wegen eines Textes verboten wird, warum hat die Zensur den Text dann überhaupt passieren lassen?
263
»Warum hat dann die Zensur dem Scharfsinn nicht den Scharfsinn, der Arbeit nicht die Arbeit, der Pfiffigkeit nicht die Pfiffigkeit entgegengesetzt?« Stirner gibt zu: »jene Zeitschrift (die DJ, d. V.) entfernte sich immer weiter von dem Wege >der reinen Wissenschaft^ war leider immer praktischer, destruktiver, revolutionärer, unchristlicher. Gut! Wir sagen immer wieder: Zensur, wir geben dich zu, wir räumen einmal ein, daß du für alle Interessen des Lebens, für alle Güter diesseits und jenseits, oben und unten, die höchste und absolut notwendigste Macht bist. Macht? Nun, wer Macht hat, der ist mächtig. Warum hat die Zensur jene Zeitschrift immer destruktiver, revolutionärer, praktischer, unchristlicher werden lassen? Warum?«60 Das Verbot beweist, daß die politisch-dezisionistischen Elemente erst im Verbot selbst, aber nicht in der Zensur wirksam sein können. Wenn aber der Zensor so notwendigerweise >machtlos< ist, so bleibt für ihn nur noch der Status eines Kommunikationspartners. Diese Kommunikationspartner werden herausgefordert, so z. B. von Marx, wenn er fragt: »Lebt in Preußen eine solche Schar der Regierung bekannter Universalgenies - jede Stadt hat wenigstens einen Zensor -, warum treten diese enzyklopädischen Köpfe nicht als Schriftsteller auf? Besser als durch die Zensur könnte den Verwirrungen der Presse ein Ende gemacht werden, wenn diese Beamten, übermächtig durch ihre Anzahl, mächtiger durch ihre Wissenschaft und ihr Genie, auf einmal sich erhöben und mit ihrem Gewicht jene elenden Schriftsteller erdrückten, (...). Warum schweigen diese gewiegten Männer, die wie die römischen Gänse durch ihr Geschnatter das Kapitol retten könnten?«61 Der Zensor soll Teil der Kommunikationsgemeinschaft werden, weil seine Handlungen sich strukturell nicht von denen der Schriftsteller unterscheiden. Zensor und Publizist haben beide die Aufgabe der Distribution der Vernunft. Die Zensur insgesamt wird de facto entpolitisiert und zu einem defizienten Kommunikationsverhalten umgedeutet. »Die Zensur ist die offizielle Kritik, ihre Normen sind kritische Normen, die also am wenigsten der Kritik, mit der sie sich in ein Feld (!) stellen, entzogen werden dürfen.« Der Zensor als Kommunikationspartner, der sich verweigert, hat im Kern nicht mehr aufzubieten als seine Subjektivität. »Wir sind auf die Temperamente des Zensors angewiesen. Es wäre ebenso unrecht, dem Zensor das Temperament, als dem Schriftsteller den Stil vorzuschreiben.« Auch für Ludwig Buhl ist an »eine Gleichartigkeit der Entscheidung, an eine feste Norm derselben ( . . . ) auch unter den jetzigen Verhältnissen gar nicht zu denken. Was hier dem einen Zensor ganz unschuldig erscheint, kann von dem anderen verboten werden oder sagen wir lieber, wird verboten, ist verboten worden.« Dieser Sachverhalt kann aber gar nicht dem politischen Zensor angelastet werden, »denn seine Einwilligung oder Verweigerung ist Gewissenssache.« Die Inhomogenitäten der Herrschaftsausübung bedeuten in dieser Perspektive: »Also ein Zensor kann einen anderen zensieren, und was der eine für unverfänglich gehalten hat, für gefährlich und übelwollend erklären.«62 Zensoren untereinander und Zensoren gemeinsam mit den Redakteuren stellen eine große Kommunikationsgemeinschaft dar, in der die privaten Gesinnungen sich austauschen. Es ist nur konsequent, wenn Buhl in diese Kommunikationsgemeinschaft auch noch den Monarchen selbst hineinzieht. Nicht die administrativen Verfügungen zur Zensurlockerung seien die Hauptsache, »weniger aus den positiven Bestim-
264
mungen« der Zensurverfügung, »als aus der darin ausgesprochenen Königlichen Gesinnung« ergäbe sich Anerkennenswertes. In der Kommunikationsgemeinschaft sind alle Elemente, die auf Fragen nach der Institutionalisierung oder Dezision verweisen könnten, getilgt. Nach dem Verbot der RhZ bemerkt Karl Mager, dessen Redaktionsmitarbeit 1841 am Widerstand der Junghegelianer gescheitert war, treffehcl: »Die Herren Hegelianer haben die Administration mit einer mißliebigen literarischen Koterie, gegen die man in einem Journal Krieg führt, verwechselt«.63 Systematisch gesehen gibt es im Vormärz zwei mögliche Positionen, aus der Kritik der Zensur das Verhältnis von Presse und Politik zu bestimmen. Entweder wird die freie Presse politisch fundiert in antizipierten repräsentativen parlamentarischen Institutionen, oder man überantwortet die politische Fundierung einer weiteren Zukunft, um am Ende vielleicht ganz auf sie zu verzichten. Bevor wir der zweiten Alternative und ihren Verzweigungen nachgehen, sei die erste Lösungsform dargestellt. Das Modell einer Fundierung der Presse in repräsentativen Vertretungsorganen wird 1843 von einem Korrespondenten der RhZ in Umrissen entwickelt. 64 Warum droht eine Kollision zwischen Regierung und Presse? Warum ist die Regierung der Gegenpol der Presse? Die Antwort: weil das Volk »mit seinem politischen Denken über die vorhandenen Staatsformen schon weit hinaus« sei; daher habe sich die Presse hauptsächlich an die Regierung wenden müssen. Die Presse »ging wohl davon aus, daß die öffentliche Meinung hinlänglich bestimmt, bewußt und entschieden sei; daß es auch nicht lohne, sich mit unermüdlichen, fortgesetzten Erörterungen an das Volk zu wenden«. Aber die Mündigkeit des Volkes habe ihr nicht geholfen, »weil es keine Staatsformen vorfand, in denen es sich unverfälscht und sicher, mit der inneren Gewalt, die ihm etwa gebühren mochte, geltend machen konnte«. Es ist das Defizit demokratischer Volksvertretung, das dazu führte, daß die Presse in Opposition zum Staat geriet; »die Presse und die Regierung finden sich daher wie zwei Leute gegenüber, die gern miteinander reden möchten, die aber nichts weiter tun als - monologisieren«. Dies aber sei nicht die wahre Bedeutung der Presse, denn: »ohne eine wahre Volksvertretung, ohne eine volle, gesicherte, mitwollende und mithandelnde Teilnahme am gesamten Staatswesen hat eine mehr oder weniger freie Presse keinen Sinn und daher auch immer nur eine sehr prekäre Existenz.« Von Seiten der Bürokratie sei für die Presse wenig zu erwarten, jene »muß dieselbe vielmehr notwendig verachten. «65 Der Grund liege darin, daß die Bürokratie sich auf ein routinisiertes Wissen - »in aufgehäuften Akten, angesammelten Traditionen, in sehr ausgebildeten Systemen der Wissenschaft und des Geschäfts« stütze, die Presse dagegen operiere »mit ihrem fragmentarischen Wissen, mit ihrem raschen und daher oft unvollkommenen Ausdruck dessen, was sie sagen will, mit ihrem anscheinend launenhaften, oft wunderlichen Wollen.« Die Presse ist nicht nur »wesentlich anderer Natur« als die Bürokratie, entscheidend ist, daß die Presse einen Bezug zum Souverän braucht, um zur Geltung zu kommen. »Bei einer solchen Natur der Presse kann man nun sicher behaupten, daß dieselbe wohl dem Staatsmann mit tief dringendem und weitherrschendem Blicke, nicht aber den
265
Geschäftsmännern einer eigentlichen, isolierten Bürokratie von irgendeinem erheblichen Nutzen sein werde.« Angesichts der Wesensverschiedenheit von Bürokratie und Presse bleibe der letzteren nur der Schutz des Königs als Existenzgarantie, und Friedrich Wilhelm IV. wird auch zensurtaktisch gefeiert als ein König, dessen Absicht »bei allen seinen politischen Plänen eben die eigene Befreiung von der zähen, aufdringlichen und sich selbst nicht überwindenden Gewalt der Bürokratie ist.« Im Kern geht es dem Verfasser jedoch schon um einen Austausch der Souveräne. »Sprechen wir kurz aus, was immer mehr allgemeine Meinung wird: die Presse kann nicht zur Achtung, Anerkennung und zu unverkümmertem Bestände kommen, ohne eine freie, kräftige Volksvertretung, d.h. denn, ohne daß die Bürokratie wenigstens in ihrer Spitze gebrochen wird.« Diese Argumentation wird am 9. 2. 1843 noch einmal ausführlich wiederholt. 66 Presse und öffentliche Meinung werden gleichgesetzt, die Presse ist »das laute Denken des Volkes«. - »Die Presse, die öffentliche Meinung ist notwendig in sich ungleichartig und ebenso notwendig drängt sie fort und fort zum Abschluß, ohne je in sich zu einem wahrhaften Abschluß zu gelangen, ohne in sich und aus sich heraus je fixiert werden zu können.« Aber gerade diese unabgeschlossene Kommunikationsgemeinschaft bedarf der Formen, in denen sich souveränes Handeln realisiert: »die Presse, die öffentliche Meinung bedarf eines verfassungsgemäßen Organes, das sie für den wirklichen Staat abschließt, für einen gegebenen Vall fixiert, und je mehr positive Fälle die Presse, die öffentliche Meinung in sich trägt und in sich tragen soll, um so mannigfaltiger und zahlreicher müssen diese Organe in einem Staatswesen sein, und nicht etwa z. B. auf eine Volksvertretung in dem höchsten Kreise des Staates sich beschränken, sondern die mannigfaltigste Teilnahme des Volkes am ganzen Staatsleben möglich machen.« Presse und Vertretungsorgane sind in diesem Modell eng miteinander verkoppelt. Die Presse ist gleichsam der weitgefächerte Vorlauf des Parlaments, sie initiiert geradezu weitere Vertretungskörperschaften, indem sie Fälle des zu Beredenden und damit im Zugzwang zu Entscheidenden vervielfältigt. Die politischen Organe dagegen schließen den Diskurs ab, sie »fixieren« ihn, und es ist auch vorgesehen, daß »die konstituierten Organe bestimmend und läuternd auf die öffentliche Meinung und somit auf die Presse zurückwirken«. Publizistisches Verhalten steht hier eindeutig unter dem Primat der Politik, Presse ist der Vorhof der parlamentarisierten Gesellschaft.67 Dieses Modell liegt jedoch in der Zukunft, und E. Bauer fragt: »Wer kann absehen, welchen Lauf die Kritik noch nehmen wird? ( . . . ) Wehe dem, der sie aufhalten will!«68 Ist der Prozeß, der sich in der Kommunikationsgemeinschaft entfaltet, überhaupt politisch abschließbar? Läßt sich die Unendlichkeit der dem Arkanum des Gewissens entspringenden Reden gewaltfrei in politisches Handeln überführen? »Jeder Staat hat (. . .) das Bedürfnis, wirklicher Begriffsstaat zu werden«, schreibt ein Junghegelianer. Wenn dies einen Sinn haben soll, so muß gelten: »Er kann seine Institutionen nie abschließen.« Eine permanente Revolution ist vorprogrammiert. Denn »jedes Mal hingegen, wenn der Staat seine Einrichtungen als vollkommen hinstellt und sie der Diskussion entzieht, tritt ( . . . ) Verknöcherung ein.«69
266
Die Presse bewegt sich auf einem »Geistesgebiet, welches über den Staat hinausliegt und stets (!) erhabener als er ist«. 70 Also kein Primat der Politik, sondern umgekehrt ein Primat der unabschließbaren Kommunikationsgemeinschaft, die den Staat schließlich aufhebt, weil er die Diskussion stört? Muß in dieser Konstellation die Presse nicht unter den Verdacht geraten, daß sie, indem sie^sich auf die Ebene bloßer Diskussion zurückzieht, gerade sich selbst zur mächtigsten politischen Kraft aufschwingt? Ist die Trennung der Sphären der Politik und der Presse durchzuhalten? Schafft sich politisches Verhalten in der Presse seinen Ausdruck oder induziert Presse überhaupt erst Politik? Die Journalisten sind über die Beziehungen beider Sphären zueinander zerstritten. So kann G. F. König das Verbot der >Leipziger Allgemeinen Zeitung< kommentieren: »Die Vorwürfe, die in letzten Tagen in einem Atem der jungen >Presse< gemacht wurden, hoben sich wechselseitig auf. Seht, sagte man, welche feste, gehaltene, bestimmte Politik haben englische und französische Blätter. Sie basieren auf dem wirklichen Leben, ihre Ansicht ist die Ansicht einer vorhandenen fertigen Macht, sie doktrinieren das Volk nicht, sie sind die wirklichen Doktrinen des Volkes und seiner Parteien. Ihr aber sprecht nicht die Gedanken, die Interessen des Volkes aus, ihr macht sie erst oder schiebt sie ihm vielmehr unter. Ihr schafft den Parteigeist. Ihr seid nicht seine Schöpfungen. So wird es der Presse zum Vorwurf gemacht, bald daß keine politischen Parteien bestehen, bald daß sie diesem Mangel abhelfen und politische Parteien schaffen will.«71 Die Rettung aus dieser verworrenen Lage erfolgt schließlich durch den Einsatz einer geschichtsphilosophischen Perspektive. Sie ist der zentrale Reflexionsmodus, in dem sich die Dilemmata einer Distribution der Vernunft durch die Presse auflösen. Nicht nur entlehnt sich die Figur des öffentlichen Gerichts< der des >Jüngsten Gerichts<, nicht nur kann sich mit ihrer Hilfe der >zufälligen Schreier< in der Nähe eines historischen Subjekts< wissen, auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Politik und Presse erhält eine geschichtsphilosophische Antwort. König schreibt zu den gegen die Presse gerichteten Vorwürfen: »Aber es versteht sich von selbst. Wo die Presse jung ist, ist der Volksgeist jung und das tägliche laute politische Denken eines eben erst erwachenden Volksgeistes wird unfertiger, formloser, übereilter sein, als das eines Volksgeistes, der in politischen Kämpfen groß und stark und selbstgewiß geworden ist. Vor allem das Volk, dessen politischer Sinn erst erwacht, fragt weniger nach der faktischen Richtigkeit dieser oder jener Begebenheit, als nach ihrer sittlichen Seele, mit welcher sie wirkt; Tatsache oder Fabel, sie bleibt eine Verkörperung der Gedanken, Befürchtungen, Hoffnungen des Volks, ein wahres Märchen. Das Volk sieht dies sein Wesen in dem Wesen seiner Presse abgespiegelt und wo es dies nicht sähe, würde es sie als ein Unwesentliches keiner Teilnahme würdigen, denn ein Volk läßt sich nicht betrügen. Mag sich daher die junge Presse täglich kompromittieren, mögen schlechte Leidenschaften in sie eindringen, das Volk erblickt in ihr seinen eigenen Zustand, und weiß, daß trotz allem Gift, was die Bosheit oder der Unverstand herbeischleppt, ihr Wesen immer wahr und rein bleibt und das Gift in ihrem immer bewegten, immer vollen Strome zur Wahrheit und zur heilsamen Arznei wird. Es weiß, daß seine Presse seine Sünden trägt, sich für es erniedrigt und zu seinem Ruhme, auf Vornehmheit, Süffisance und Unwiderleglichkeit verzichtend, die Rose des sittlichen Geistes innerhalb der Dornen der Gegenwart darstellt.«72 Die Passage ist ein Exempel angewandter Geschichtsphilosophie. Die Frage der Verantwortung der Presse, die Frage nach ihrem politischen Sinn wird virtuos
267
umgangen. Die »junge« Presse ist wie selbstverständlich unschuldig, daher kann sie nur entschuldigt werden. Sie ist der reine Beginn einer Lerngeschichte des historischen Subjekts »Volk«, das sie untrüglich spiegelt. Und wer wollte einen Spiegel schelten? Das »wahre Märchen«, das die Presse bietet, wie sollte es zu widerlegen sein? Ihre Entlastungsfunktion gewinnt die angewandte Geschichtsphilosophie, weil sie die Aporien der Gegenwart in die Zukunft verlagert, wo sie sie lösen kann, um dann die Lösungen in die Gegenwart zu reinserieren. Das geschichtsphilosophische Wissen hat seinen Ort im historischen Subjekt< selbst, es ist das »Volk«, das »weiß«. Daß die Presse abschließend mit quasi christologischen Funktionen eingeführt wird, verdient an dieser Passage ebenso hervorgehoben zu werden wie die Anspielung auf die theologisch-philosophische Rosensymbolik.73 Warum wird die geschichtsphilosophische Thematik gerade dort virulent, wo sich die Junghegelianer als Gruppe von Korrespondenten definieren? So sehr man davon ausgehen kann, daß geschichtsphilosophische Reflexionen alle Debatten der Gruppe durchziehen, im Bereich der Presse, die als Distributionsmedium von Vernunft gelten soll, stellt sich in besonderem Maße die Frage, wie die Existenz von Vernunft in der Zeit zu sichern ist. Als philosophische Schule haben die Junghegelianer zwar auch dem preußischen Staat eine geschichtsphilosophische Rolle zugeschrieben, ebenso haben sie als politische Partei die Prinzipienkämpfe geschichtsphilosophisch gedeutet, aber die soziale Wahrnehmung des Staates, mit dem sie sich verbündeten, und auch die soziale Wahrnehmung der Verschiedenheit parteipolitischer Positionen hat bei diesen Gruppendefinitionen weitaus mehr sichernde >Nahrung< erhalten als im unüberschaubaren Feld der Presse und ihrer Leser. Nicht ohne Ironie sieht ein Korrespondent der RhZ selbstkritisch die Zeitungskorrespondenten »unter den hin und her gehetzten Wesen auf unserem hügeligen Erdglobus«, als »die Wächter der Zeit, die eilenden Berichterstatter der hochwichtigsten sowie der geringfügigsten Einfälle des Weltgeistes ( . . . ) überall im Vordertreffen«. Sie sind gleichsam Spezialisten in Sachen Zukunft: »so träumen (!) sie gewiß den ganzen Tag von den wichtigen Veränderungen, die sie durch ihre Berichte in der Weltgeschichte hervorbringen, und haben keine Ruhe bei Nacht, weil der Morgen die Anzeige von evenements bringen könnte, von deren Ursachen sie ihren Anteil abwägen müßten, um denn doch einmal mit Hochgefühl die Brust, still in der Ecke einer Konditorei oder Restauration schlagen zu können, mit dem leise verhaltenen Ausruf: zur Hälfte oder zum Drittel oder Zehntel mein Werk! Solche würdige Männer also haben ihre liebe Not.«74 Diese Not lindert Geschichtsphilosophie, weil sie die Zukunft ein Stück weit beruhigen kann, indem sie aufs >historische Subjekt< den Blick richtet, ein Subjekt, dem sich der Korrespondent nahe weiß, das er aber der Gruppennorm entsprechend nicht voll und nicht offen für sich reklamieren darf, sondern nur in Bruchteilen »still in der Ecke« als sein Werk genießen darf. Denn was Marx gegen den Zensor geltend macht, kann auch gegen den Korrespondenten gewendet werden: die »eigentliche Unbescheidenheit besteht darin, die Vollendung der Gattung besonderen Individuen zuzuschreiben. Der Zensor ist ein besonderes Individuum, aber die Presse ergänzt sich zur Gattung.«75 Auf der antizipierten Basis der vollendeten universellen Kommunikationsgemeinschaft, in der »die göttliche Selbstkritik der öffentlichen Vernunft« herrscht,
268
ist mit dem Zensor zugleich die Verantwortlichkeit der Korrespondenten entschwunden. Denn Zensur kann in diesem Denken nur den Zweck haben: »die Berechtigung und Selbstgewißheit der Vernunft nicht nur nicht anzuerkennen, sondern ihren Prozeß sogar mit frevelnder Hand zu stören und an die Stelle seines notwendigen Verlaufs die Willkür der zufälligen Subjekte zu setzen.«76 Die Selbstgewißheit der Vernunft ist subjektlos, sie darf nicht »gestört« werden, weder durch eine Zensur noch durch einen Korrespondenten, der allenfalls »still in der Ecke« seinen tätigen Anteil reflektieren darf. Geschichtsphilosophie sichert der Presse ihre politische Unschuld.
4. Theorie und Masse Im Juni 1842 vergleicht M. Heß die Tagespresse in Deutschland und Frankreich.77 Ein solcher Vergleich sei erst möglich nach der »freisinnigen Zensurinstruktion« vom Dezember 1841, denn zuvor hätte man gar nicht von einem »Charakter der deutschen Journalistik« reden können. Heß' These lautet: »Das Eigentümliche, wodurch sich die deutsche Presse von der französischen unterscheidet, besteht darin, daß jene die Wahrheit, ganz abgesehen von der unmittelbaren Ausführbarkeit oder Anwendbarkeit derselben, theoretisch fordert, während diese umgekehrt, mehr die Ausfuhrung, die Verwirklichung dessen, was sie für zweckmäßig erachtet, denn die Wahrheit, erstrebt.« Die französische Presse stünde im Einklang mit der politischen Praxis, dort würden die theoretischen Aussagen der Praxis folgen, bzw. aus ihr »abstrahiert« werden. »Von jener Presse, die mit Recht eine Macht genannt wird, kann eine neue Theorie nur dann gepredigt werden, wenn ihr eine neue Praxis vorher gegangen ist. ( . . . ) Weil die bestehenden Institutionen der Ausdruck der öffentlichen Meinung sind, kann die öffentliche Meinung keinem anderen Prinzip, als dem der bestehenden Institution huldigen«. Was Heß in Frankreich sieht, liegt nahe bei dem Modell einer Presse, deren Diskurse, eingebettet in vielfältige politische Institutionen, von diesen begrenzt und gezügelt werden. Für die deutsche Presse ist dies Modell Heß zufolge untauglich. Die deutsche Tagespresse kann »nicht von der Praxis, sondern nur von der Theorie ausgehen«. In Deutschland fehlt nicht nur ein differenziertes parlamentarisches Leben, um das sich die Presse gruppieren könnte, vielmehr hat positiv die Theorie in Deutschland einen besonderen Status. »Nur die ausgewirkte Idee, nicht die verwirklichte Tat, ist hier der von den Geistern erkannten Wahrheit entsprechend. Niemand, der die deutschen Verhältnisse kennt, wird bestreiten, daß die Deutschen in der Theorie konsequent, wahr und klar, konsequenter als irgendeine andere Nation, daß sie dagegen in der Praxis sehr inkonsequent, irr und wirr sind.« Heß greift hier einen weitverbreiteten Topos auf und versucht, Argumentationsstrategien zu entfalten, um die Dichotomie aufzulösen. Das Problem ist, einen Modus der Distribution der Vernunft zu finden, der dem deutschen Praxisdefizit gerecht wird. Pragmatische Parteipolitik kann immer nur an vorgegebene Praxisräume anknüpfen, aber was ist zu tun, wenn die ausgebildete
269
Theorie sich nicht über politisch institutionelle Medien verbreiten läßt? Zunächst verkehrt sich das Theorie-Praxis-Verhältnis in dem Sinne, »daß das sogenannte Praktische in Deutschland gerade das Unpraktischste von der Welt, das Theoretische dagegen hier das wahrhaft Praktische ist.« Marx greift diesen Gedanken auf. Gegen diejenigen, die auf einer politischen Praxis insistieren, von der Theorie auszugehen habe, ist die Formulierung gerichtet: »Ihr verlangt, daß man an wirkliche Lebenskeime anknüpfen soll, aber ihr vergeßt, daß der wirkliche Lebenskeim des deutschen Volkes bisher nur unter seinem Hirnschädel gewuchert hat.«78 Die These von der Existenz einer ausgebildeten Theorie in Deutschland - die philosophische Schule konnte sich in dieser These uneingeschränkt selbst bespiegeln, die politische Partei mußte schon um der Handlungsfähigkeit willen auf einige allzu ausladende Verzierungen der Theorie verzichten - den junghegelianischen Zeitungskorrespondenten wird sie zur Last. Denn wo ist der ebenbürtige Leserkreis für das, was sie schreiben? Eine schrittweise Reform der staatlichen Institutionen, eine Demokratisierung und Parlamentarisierung der Ständeversammlung hätte ihnen publizistische Möglichkeiten eröffnet, aber mit dem Verbot der Zeitungen sind sie Publizisten ohne Publikum, Distributeure der Vernunft ohne Adressaten. Der Vergleich zwischen der Tagespresse in Deutschland und Frankreich, den M. Heß vornimmt, ist keine bloß kontrastierende Illustration, vielmehr ist er Teil einer umfassenden geschichtsphilosophischen Konstruktion, die an die Thesen seiner Schrift >Die europäische Triarchie< (1841) anschließt. Deutschland und Frankreich treten hier als weltgeschichtliche Repräsentanten zweier revolutionärer Prinzipien auf: der Revolution des Geistes und der Revolution des politisch-sittlichen Bereichs. »Deutschland ist der eine Arm der Vorsehung, welcher das innerste Wesen, den Geist erfaßt und fördert, Frankreich der andere, der in die äußere Gestaltung des Lebens eingreift, um diese zeitgemäß zu reformieren.«79 Die Ursprünge dieses Dualismus werden weit zurück verlegt. Die ursprüngliche Einheit der Menschheit im Orient zerbricht, weil sie sich vermehrt, und es setzt ein geschichtsbegründender Wanderungsprozeß von Osten nach Westen ein, bei dem die >negativ unruhigem Charaktere nach Westen wandern, sich von den kontemplativen östlichem Charakteren trennen. So habe nur die westliche Welt eine bewegte Geschichte, im Gegensatz zur in sich gekehrten Ruhe des Ostens. Mit der Entdeckung Amerikas sei nun Europa gleichsam in die Mitte gerückt, eine Mitte, in der sich der Ost-West-Dualismus am stärksten reibe. Die deutsche Reformation gilt dabei als mehr dem Osten verpflichtete Innerlichkeit, die Französische Revolution repräsentiert den westlichen Bewegungstypus.80 Für einen geschichtsphilosophischen Dialektiker liegt es auf der Hand, daß hier eine Vermittlung stattfinden muß. Deutschland und Frankreich müssen sich ergänzen. Und das dritte Prinzip, das entsteht, hat auch schon einen nationalen Repräsentanten. Für Heß ist England der Träger der Vermittlung. Hier soll nach der deutschen Emanzipation des Geistes und der französischen Emanzipation der Sitten die dritte künftige Emanzipation, die der sozialen Freiheit, stattfinden, die den »Gegensatz von Pauperismus und Geldaristokratie« aufhebt.81 In England steht die letzte, abschließende, die soziale Revolution auf der geschichtsphilosophischen Tagesordnung, die die »europäische Triarchie« vervollständigt.
270
Spekulative Ost-West-Symboliken und ihre zentristischen Auflösungen haben eine lange Tradition.82 Aber nicht sie interessiert uns hier, sondern die Funktion, die sie bei Heß für die Lösung der Distributionsprobleme der Vernunft hat. Geschichtsphilosophie vergewissert sich der Zukunft. Sie bietet sozialem Handeln, das sich in der Zeit vergewissern will, einen Erwartungshorizont. Aber sie zielt nicht nur auf Zukunft, sondern definiert auch die geographischen Orte, an denen relevantes Geschehen stattgefunden hat, stattfindet und stattfinden wird. Sie gibt Antwort auf die Frage, wohin die Distributeure der Vernunft ihre Aktivitäten richten sollen. Sosehr die Heßsche Konstruktion buchstäblich richtungsweisend ist: in England wäre das ideale Publikum für die Presse zu finden - man kann die Konstruktion auch mißverstehen. Denn die drei nationalen Emanzipationen sollen sich zwar weltgeschichtlich vereinen, auch kann man sich vorstellen, daß ein einzelner Intellektueller zur kulminierenden Emanzipation nach England geht, aber einen Exodus der deutschen Intelligenz nach England als Gruppenregel aufzustellen, eine solche Konsequenz wäre wohl kaum akzeptabel. Es muß also dabei bleiben, daß das reelle Handeln »jedes an seinem Orte« 83 stattfindet, also auch an Orten eines vielleicht minderen geschichtsphilosophischen Ranges. Für Heß in Köln heißt das: »Allein wir dürfen, um die Früchte der englischen oder französischen Revolution zu ernten, nicht indifferent zusehen, wie sich unsere Nachbarn in blinder Wut zerfleischen; wir dürfen das Licht, womit uns die Vorsehung begnadigt hat, nicht untern Scheffel halten, — sonst möchte sich unser Egoismus gar bald an uns selbst rächen! Es ist, wie gesagt, noch immer unser Beruf, an der Grundlage der Neuzeit, an der Geistesfreiheit weiter zu bauen. Die Idee der einigen, freien Menschheit, die Idee der Humanität müssen wir immer weiter, immer konkreter ausbilden.«84 Im Europa der >Triarchie< bleibt Theorie eine deutsche Aufgabe, aber es ist eine Aufgabe, die partiell ist. Falsch wäre der Schluß, sich fatalistisch nur auf die Spitze der Emanzipationsgeschichte zu fixieren, falsch der Schluß, die Theorie aufzugeben, sie ist »noch immer unser Beruf«, aber es ist ein Beruf, dessen Sinn an die Gesamtkonstruktion gebunden ist. Heß' Zentrierung auf England als die Synthese dauert bis Mitte 1842. Im Beitrag über die Tagespresse wird noch entsprechend der triarchischen Konstruktion die deutsche Presse der englischen nahegerückt. Was das Verhältnis zur Theorie angeht, gilt ihm »der Engländer (.. .) theoretischer, deutscher« als der Franzose.85 In einer Korrespondenz vom Juni 42 erwartet Heß in England eine soziale Revolution.86 Heß' Naherwartungen werden enttäuscht. Die Bewegung der Chartisten, die politische Petitionen ins Parlament einbringen, kann er nicht theoretisch als soziale Revolutionen identifizieren, zumal der politische Sektor seiner Konstruktion für Frankreich reserviert ist. So wird die Triarchie »geräuschlos auf die Diarchie reduziert«87, wie Na'aman schreibt. Der Dualismus von deutscher Theorie und französischer Praxis wird nunmehr zur entscheidenden Denkfigur. Bedeutete »französische Praxis« in der triarchischen Konstruktion nur die politische Revolution der Sitten, so ordnet Heß in der Rest-Diarchie den Inhalt der sozialen Revolution auch der französischen Seite zu. »Französische Praxis« meint nun die sozialistische und kommunistische Bewegung in Frankreich. Über sie berichtet
271
Heß als Redakteur der >Rheinischen Zeitung<, und nach deren Verbot geht er selbst nach Paris. Die Existenz einer blühenden Pressekultur in Paris, die sich ganz der sozialen Frage widmet, muß auf den Junghegelianer Heß, der nach dem Scheitern seiner Orientierung auf den preußischen Reformstaat, die in der >Triarchie< noch ungebrochen zum Ausdruck kommt, ohne Handlungsperspektive ist, einen nachhaltig faszinierenden Eindruck gemacht haben. Hatte der Geschichtsphilosoph Heß die Lösung des sozialen Widerspruchs von »Geldaristokratie und Pauperismus« als krönenden Abschluß der modernen Emanzipation gefordert, so führte ihm die kommunistische Presse Frankreichs ein intellektuelles Tätigkeitsfeld vor, das die Chance bot, sich im Zentrum der geschichtlichen Entwicklung zu wissen. Der geschichtsphilosophische Dualismus der nunmehr neugefaßten französischen Praxis< und der >deutschen Theorie< läßt sich jedoch nicht umstandslos auf die Realitäten anwenden, denn die Handwerker- und frühe Arbeiterbewegung in Frankreich besteht nicht nur aus >Praxis<, sondern hat eigene Theoretiker, und sie hat eine eigene Literatur, eine eigene Tagespresse. Wie kann Heß dieses Problem lösen? An der kommunistischen Presse Frankreichs interessiert zunächst das Modell: die Distribution der Vernunft durch kommunistische Publizisten. Heß spricht zwar noch von »Parteien«, aber es geht schon nicht mehr um die dramatische Darstellung von Prizipien, sondern um das Problem von Masse und Theorie. Jedoch konfrontiert mit dem, was in der kommunistischen Presse Frankreichs zu lesen steht, muß Heß feststellen, daß es sich dort nicht um den >Geist< handelt, der es wert ist, verbreitet zu werden. So wolle zum Beispiel eine fourieristische Zeitung Dinge vereinigen, »die entweder ihrer inneren Natur nach nicht zu vereinigen sind, oder deren Natur ihm (dem Blatt der Fourieristen, d. V.) ganz unbekannt ist. (. . .) Z. B. den Absolutismus mit der Freiheit, das Bourgeoisieregiment mit der Gleichheit«. Zwar sähen die Fourieristen ein, »daß ihnen eine Beschäftigung mit Deutschland nottut«, aber ihre intellektuelle Potenz reiche dazu nicht aus, sie würden »alles ohne Kritik loben, was Deutschland angehört, namentlich die deutschen Professoren und Potentaten - als ob solche wohlmeinenden Urteile allein hinreichten, Deutschlands und Frankreichs Geschichte dauerhaft zu verschmelzen! Ist es nicht zum Lachen, in einem und demselben Blatte einen deutschen Fürsten und Arnold Rüge, den >Begründer der neuhegelschen Schule< (!) auf die freundlichste Weise, die man sich nur denken kann, behandelt zu sehen?«88 Theorie und Praxis, ausgehend von ihren geschichtsphilosophischen Orten Deutschland und Frankreich, zu verbinden, heißt für Heß, daß nur das deutsche, philosophisch geschulte, kritisch gewordene Denken in der Lage ist, die französische Praxis vor Fehlern zu bewahren. Darum muß die deutsche Theorie Einfluß auf die kommunistische Presse Frankreichs gewinnen. Der Konkurrenzkampf mit den französischen Theoretikern ist so unausweichlich. Es sind zwei widersprüchliche Ebenen der Argumentation, die Heß zusammenbringen muß. Einmal gilt es, die französische Praxis< der >deutschen Theorie< unterzuordnen, zum anderen müssen die französischen Theoretiker irgendwie depotenziert werden, ein Unternehmen, das viel Takt erfordert, das getarnt werden muß, weil anders ein reeller Einfluß auf die Presse Frankreichs nicht zustande käme. Die Offenheit, mit der über die geschichtsphilosophisch definierte nationale
272
>Arbeitsteilung< gesprochen wurde, weicht sukzessiv einer auf Empfindlichkeiten Rücksicht nehmenden Balanceargumentation. In Sozialismus und Kommunismus< (1843) wird die Arbeitsteilung bald geschickt zu einem Problem des 18. Jahrhunderts antiquiert. Damals ging es um »eine >vernünftige< Religion und >rechtliche< Politik«. »Wie die Aufgabe des vorigen Jahrhunderts eine doppelte war, sich einem doppelten Zweck zuwandte, einem religiösen und einem politischen, so teilen sich auch zwei Nationen in diese Arbeit: die deutsche warf sich hauptsächlich auf das religiöse, die französische vorzüglich auf das politische Gebiet. Dort bildete Kant, hier die Revolution das Ziel und Ende des vorigen Jahrhunderts.« Seitdem beginnt die »Neuzeit, eine neue Periode«, die für das aktuelle Handeln bestimmend ist. Hier müssen für beide Nationen vorsichtigere Formulierungen gefunden werden, denn Heß will ja Einfluß auf die kommunistische Presse gewinnen. So avancieren die praktischen Franzosen< zunächst zu >Theoretikern<. Stand der Denker Kant noch der tätigen Revolution gegenüber, so wird Fichte Babeuf zugeordnet. »In Deutschland sprach Fichte zuerst, freilich noch etwas roh und wild, die Autonomie des Geistes aus; in Frankreich sehen wir in Babeuf die erste und daher ebenfalls noch rohe Gestalt eines einheitlichen Soziallebens auftauchen. Oder populär ausgedrückt: Von Fichte datiert in Deutschland der Atheismus - von Babeuf in Frankreich der Kommunismus,«89 Atheismus und Kommunismus sind für Heß zwei Bewegungen, die sich auf die neuen Grundprinzipien beziehen, die das 19. Jahrhundert verwirklichen soll: die Freiheit und die Gleichheit als eine Einheit. Bei Fichte und Babeuf werden diese Grundprinzipien in »roher« Form entwickelt. Das nächste Paar, Schelling und Saint-Simon »gelangen als Gefühlsmenschen durch unmittelbare Anschauung zu ihren Resultaten und geben sie als solche, ohne sie zuerst durch die Dialektik der Spekulation zu vergeistigen, der erstaunten Welt preis, welche mehr durch Überredung, als durch Überzeugung für dieselben gewonnen wird.« Den Abschluß der Trias von Paaren bilden Hegel und Fourier, die Freiheit und Gleichheit auf eine wissenschaftliche Höhe bringen. »Durch Fourier und Hegel wurde der französische und deutsche Geist zu dem absoluten Standpunkte erhoben, auf welchem die unendliche Berechtigung des Subjekts, die persönliche Freiheit oder die absolut freie Persönlichkeit, und das Gesetz der nicht minder berechtigten objektiven Welt, die absolute Gleichheit aller Personen in der Gesellschaft, keine Gegensätze mehr, sondern die beiden sich gegenseitig ergänzenden Momente eines und desselben Prinzips sind, des Prinzips der absoluten Einheit alles Lebens.«90 Die Konstruktion verspricht die Gleichrangigkeit von deutscher und französischer Theorie. Die alte >Arbeitsteilung< scheint darin aufgelöst zu sein. Es handelt sich auch, bezogen auf die inhaltlichen Aspekte, nicht um eine willkürliche Gruppierung. Fichte/Babeuf, Schelling/Saint-Simon, Hegel/Fourier - diese Paare könnte man noch heute theoriegeschichtlich in dieser Zusammenstellung diskutieren. Im Kontext der sozialen Auseinandersetzungen von Intellektuellen liegt der neuralgische Punkt in diesem Heßschen Verfahren nahe bei dem Problem, das uns im ersten Kapitel dieser Arbeit bei der Analyse der innerschulischen Positionstafeln
273
beschäftigt hat. Heß definiert die Gleichrangigkeiten im Rahmen eines hegelianischen Stufenmodells, und hier ist entscheidend, wer »das Prinzip der absoluten Einheit alles Lebens« formuliert. Die Formulierung selbst ist schon der Anspruch einer intellektuellen Hegemonie. Heß' Unsicherheit darüber, ob er eine Konstruktion gefunden hat, die seinen intellektuellen Konkurrenten und Mitstreitern akzeptabel ist, wird dem Leser nicht entgehen, wenn er liest: »Es ist eine wesentlich gleiche Arbeit, die der deutsche und französische Geist über sich genommen, und wem noch ein Zweifel über das einige Grundprinzip übrig bleibt, aus dem in Deutschland die Lehre von der absoluten Geistesfreiheit, in Frankreich jene der absoluten sozialen Gleichheit mit allen ihren Konsequenzen entstanden, der gehe einen Schritt weiter, als diese Theorien, der verfolge noch die praktischen Wirkungen derselben, wie sie sich eben jetzt und gerade hier auf der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich manifestieren - und auch der letzte Zweifel über die gleichen Bestrebungen Deutschlands und Frankreichs, muß, wie Nebel vor der Sonne dahinschwinden.«91 Bleiben wir einen Moment beim »Nebel« dieser Sätze. Auf der Ebene des >Geistes< ist eine >gleiche Arbeit< zu verrichten, d.h. französische theoretische Kommunisten stehen deutschen Philosophen nicht nach. Aber diese theoretische Gleichrangigkeit, die im »einigen Grundprinzip« begründet ist, wird »einen Schritt weiter« herabgesetzt zugunsten einer Praxis, die ihren Ort »gerade hier auf der Grenze«, d. h. bei den Kölner Junghegelianern hat. Heß' Argumentationen bewegen sich in der Tat »auf der Grenze«. Die Ergänzung von Deutschland und Frankreich bedeutet für Heß zweierlei: einmal ist die kommunistische Presse Frankreichs ein publizistisches Modell, das sich für die Distribution der Vernunft deshalb so hervorragend eignet, weil es sich auf den geschichtsphilosophisch relevanten Kern, die soziale Frage, bezieht; diese Form der Publizistik führt den Philosophen ins Zentrum der Geschichte. Zum anderen ist die kommunistische Bewegung Frankreichs das ideale Objekt der Aufklärung durch die deutsche Theorie. Störend sind nur die konkurrierenden Theoretiker. Wie sie entkräften, ohne daß der in der Konkurrenz liegende Machtanspruch sich verrät? Denn die Forderung eines bloßen Austauschs der intellektuellen Führungsgruppen wäre allzu durchsichtig. Die Lösung lautet: in einer argumentativen Figur die französische Theorie der deutschen zu assimilieren und gleichzeitig das Distributionsverhältnis von Theorie und Masse umzubauen. Wenn es gelänge, einen Typ von theoretischer Führung zu erfinden, dessen Führung nicht sichtbar wäre, eine gleichsam antiautoritäre Führung, könnte das den Erfolg bringen. In >Die Eine und die ganze Freiheit< (1843) werden in der Auseinandersetzung mit den bisherigen Distributionsvorstellungen die ersten Umrisse der Zauberformel einer antiautoritären Führung sichtbar. Zwei gegenläufige Bewegungen müssen vollzogen werden: Die Depotenzierung der Theorie allgemein und die Potenzierung besonders der Theorie, die die Depotenzierung betreibt. Das liest sich so: »Das philosophische Deutschland hat in den letzten Jahren eine jener großen Umwandlungen erfahren, welche nicht nur in der Geschichte der Philosophie, sondern auch in der Weltgeschichte Epoche machen. Die Philosophie als solche ist sogar an dieser Umwandlung weniger beteiligt, als die Geschichte der Menschheit überhaupt, und wie der Fortschritt, von dem wir sprechen, weniger ein philosophischer als ein weltgeschichtlicher, so ist er auch
274
weniger von der Philosophie oder deren Repräsentanten, also nicht so, wie die bisherigen Fortschritte in der Philosophie, von bestimmten Personen oder gar von einem einzigen philosophischen Genie, als vielmehr von Völkern und zwar näher vom Genius des deutschen und französischen Volkes ausgegangen.«92 Damit ist auf einer allgemeinen Ebene der Theorie ihre geschichtsmächtige Kraft abgesprochen. Heß redet schon nicht mehr als >Philosoph<, sondern aus der Perspektive der Massen, der >Völker<, die zwar einen >Genius< haben, aber dies ist ein Platz, der nicht besetzt werden soll. Er stimmt seinen junghegelianischen Kampfgefährten zu, daß die Freiheit kein »Monopol der Philosophen« sei, »daß sie allgemeines Gut werden muß.« Aber das reiche nicht aus. »Ihr ganzer Fortschritt, den sie bisher gemacht haben, beschränkt sich auf das Bestreben, der Philosophie beim Volke Eingang zu verschaffen. Wollen sie aber wirklich das Volk gewinnen, so müssen sie vor allen Dingen auch den Volkswünschen bei sich selber Eingang verschaffen.« Die alte Distributionsvorstellung, die Theorie in der Masse zu verbreiten, genügt nicht, es muß sich auch aus der Masse heraus etwas in der Theorie verbreitern. Das heißt, die junghegelianischen Korrespondenten werden auf die sozialistische Thematik verwiesen, die genuin von den Massen ausgehe. »Es ist ein nutz- und fruchtloses Unternehmen, das Volk geistig freimachen zu wollen, ohne ihm zugleich die wirkliche, soziale Freiheit zu geben«. Diese Kritik läßt sich aber auch wie ein Handschuh umkrempeln, und dann wird daraus eine Kritik der französischen Kommunisten. »Die dem Volke die soziale Freiheit ohne die geistige geben wollen, unternehmen ein ebenso unmögliches Werk, wie die Philosophen, die die Geistesfreiheit allein vorbereiten möchten. Indem sie neben der sozialen Freiheit die geistige Knechtschaft, die Religion, bestehen lassen, heben sie mit dieser Knechtschaft jene Freiheit in dem Augenblicke selbst wieder auf, wo sie dieselbe als wirklich setzen.«93 Den französischen Sozialisten wird vorgeworfen, sie propagierten religiös-dogmatische Systeme, sie machten den Versuch, »die Lücken im Dictionnaire philosophique und Contract social durch Bibelstellen zu ergänzen, (. . .) die Besten fürchten sich vor einer >Anarchie der Meinungen<, die sie nur durch den Autoritätsglauben besiegen zu können sich einbilden.«94 In der Kritik nach zwei Seiten zeichnet sich der Typ einer antiautoritären Führung ab. Die allgemeine Philosophie wird depotenziert, das ist gegen die deutschen Kampfgefährten gerichtet, die nicht sozialistische Praxis in ihr Denken hinein lassen, aber diese Depotenzierung führt zu Potenzierung der Theorie, die auf dem Boden sozialistischer Praxis für die Geistesfreiheit eintritt. Marx greift diese Formel auf.95 Auch ihm geht es um die beiden Seiten: der »Existenz der leidenden Menschheit, die denkt, und der denkenden Menschheit, die unterdrückt wird«. Eine Theorie, die sich nicht auf die Existenz des Leidens bezieht, kommt nicht in Frage. Aufgabe der Theorie ist, »an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und (uns) mit ihnen zu identifizieren«. Diese Identifikation wird dann abgesetzt gegen jeden Versuch, »dogmatisch die Welt (zu) antizipieren«. Das ist in erster Linie gegen die französischen Kommunisten gerichtet. »Ich bin (. . .) nicht dafür, daß wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. Wir müssen den Dogmatikern nachzuhelfen suchen, daß sie ihre Sätze sich klarmachen.«
275
Diese Wendung kann generalisiert werden: gegen jeden Theoretiker, der sich zum Lehrer der Massen aufwirft. Ihre klassische Formulierung hat die Zauberformel über das neue Verhältnis von Theorie und Masse in den Worten gefunden: »Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen Prinzip entgegen: hier ist die Wahrheit, hier knie nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will.« Es ist nicht einfach, die Paradoxie dieser Position zu beschreiben. Theorie und Masse stehen sich nicht schlicht gegenüber, sondern die Theorie als selbständiger Bereich wird depotenziert. Sie taucht in den praktischen Kämpfen gleichsam unter. Sie hat sich in einem gewissen Sinne aufgegeben. Und diese Selbstaufgabe wird zu einer Kampfformel gemünzt gegen alle, die auf der Theorie für sich insistieren. Aber die Theorie, die so untergegangen ist, feiert ihre Auferstehung in potenzierter Form, nämlich als konkurrenzlose Theorie. Sie ist konkurrenzlos, weil sie sich schon aufgelöst hatte in einem Opfergang. Bleiben wir zunächst beim ersten Schritt. Der in der Masse aufgelöste Intellektuelle definiert sich als organischer Bestandteil des historischen Subjekts. »Kopf« und »Herz« der Emanzipation sind »Philosophie« und »Proletariat« als eine Einheit.96 Weder eine unintelligente Masse, noch eine herzlose Spekulation kommen als Bezugspunkt in Frage. Die Formel vom Bündnis der Intellektuellen mit dem Proletariat, die bekanntlich aus diesen Debatten erwachsen wird, ist viel zu grob, weil sie den Kernpunkt: die Auflösung des Intellektuellen, übersieht. Es ist ein Aspekt des Feuerbachschen Übergangs von der Philosophie zum Leben, der hier besonders akzentuiert für die Begründung der Auflösungsbewegung, die der Intellektuelle vollziehen soll, eingebracht wird. Auch in einem theoretischen Sinne >wahres< Denken entspringt nur einer Existenz, die in sich die Zerrissenheiten, Entfremdungen und Abspaltungen als tendenziell überwundene voraussetzt. Nur dort, wo der Intellektuelle nicht mehr als Intellektueller, möge er nun noch so sinnvolle Ideen verbreiten wollen, sondern als »Gattungswesen« sich begreift, ereignet sich »Wahrheit«. Der Wille zur Wahrheit wird hier paradoxerweise in eine Richtung gelenkt, die am anderen Ende dessen liegt, was dem Streben der Intelligenz vor Augen ist. Die Maxime lautet: je mehr der Intellektuelle ein Intellektueller sein will, um so mehr gerät er mit seinem Streben ins Abseits; und umgekehrt: je weniger der Intellektuelle sich als Intellektueller definiert, um so mehr wächst zusammen mit den Qualitäten des »Gattungswesens« auch seine Potenz, »Wahrheit« zu sagen.97 Distribution der Vernunft ist in dieser Selbstdeutung schon nicht mehr bloße Aufgabe, ein Sollen, sondern bereits eine geschichtsphilosophisch angenommene Selbstläufigkeit, ein Sein. Daher sind auch besondere Darstellungsebenen von Prinzipien wie Parteien im Kern entbehrlich, weil sie in das >totale Gattungswesen< Spaltungen einführen, die es gerade zu vermeiden gilt. Ebensowenig, wie in dieser vorausgesetzten Identität von Masse und Theorie der Intellektuellenstatus etwas
276
besonderes darstellt, so wenig ist Platz für eine besondere politische Führerfunktion. Parteien haben Doktrinen, sie verbreiten die »wahre Parole des Kampfes«, der in der Masse aufgelöste Intellektuelle zeigt »nur« Gründe auf, die ihrer Bewegung nie äußerlich sein können, weil der Intellektuelle selbst Teil der Masse ist. In der Geschichte der Arbeiterbewegung ließen sich viele Beispiele dafür finden, welch große Faszinationskraft von der Figur des in der Bewegung der Masse aufgelösten Intellektuellen ausgegangen ist.98 Die hier untersuchten Zusammenhänge können diese Faszinationskraft ein Stück weit aufhellen. Indem der Intellektuelle auf eine aparte Existenz verzichtet, entgeht er seiner Selbstdeutung nach dem Geschick der Ohnmacht seiner Ideen. Als Teil der Massenbewegung haben seine Ideen schon virtuell eine gesicherte Existenz im Leben außer ihm. Sie sind in den Massen >verankert<, erhalten >Gewicht< und >Substanz<. Die Massen bieten der Lust des Denkens ein >Realitätsprinzip<, mit dem der gefährliche Überschwang der Spekulation begrenzt werden kann. Die Träume von der Wirklichkeit der Vernunft sind so keine Träume mehr. Das Gericht der Öffentlichkeit, dem sich der kommunistische Publizist aussetzt, ist ein wohlwollendes Gericht, weil gemäß der identitätslogischen Verschmelzung des Intellektuellen mit der Masse die Kontingenz des möglichen Urteils ein Stück weit gebannt ist. Aber es gibt auch Schattenseiten bei diesem Modell. Was den in der Masse aufgelösten Intellektuellen gravierend irritieren muß, ist die Erinnerung an seine Herkunft, an das, was davon noch nicht >aufgelöst< ist. Sei es, daß die Massen selbst ihm dies in Erinnerung rufen, ihn nicht voll als einen der Ihren akzeptieren, oder sei es, daß andere Intellektuelle, die nicht diesen Weg gehen, ihn dazu zwingen, die Selbstverleugnung des eigenen Status noch weiter zu treiben und sich in immer erneuerten Anläufen von der aparten Intelligenz abzusetzen. Auflösung der Intelligenz in der Masse oder aparte ohnmächtige Existenz, diese beiden Bilder gehören zusammen, sei tauschen einander aus in dem Schrecken, den sie füreinander darstellen. Der Begriff der journalistischen Boheme verweist auf diese Intimität. Wo die Junghegelianer ihre Korrespondentenexistenz geschichtsphilosophisch absichern, beziehen sie sich auf das »historische Subjekt«, sei es als allgemeines Gattungswesen oder sei es als konkretes Gattungswesen in der Gestalt der Massen, des Proletariats. Der Preis dieser Sicherung ist die Auflösung der aparten Intellektuellenexistenz, die jedoch als bedrohlicher Schatten der Auflösung folgt, eine aparte Existenz, die als randständige, subkulturelle Boheme zum Gegenbild sich verdichtet. Was den Erfolg der Bemühungen von Heß angeht, in der kommunistischen Bewegung Frankreichs Fuß zu fassen, so sei das Urteil von Na'aman zitiert: »Heß mußte es erfahren - und andere Radikale deutscher Herkunft mußten die gleiche Erfahrung machen: die Franzosen waren nicht bereit, ihre hausbackenen menschenrechtlichen Begriffe von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durch spekulative Begriffe, bei denen der moralische Gehalt oft sehr schwankend war, abzulösen; sie wollten sich auch nie zum Atheismus bekehren. Heß hat zeitlebens wenig Kontakt mit Franzosen gehabt, aber soweit er ihn hatte, haben die Franzosen sich ihm nie genähert; sie haben ihm nur gestattet, sich ihre Ziele zurecht zu legen, wie es ihm paßte. Aber Marx ist es nicht anders gegangen; es ist deshalb verständlich, wenn er vom Krieg 1870 die Ablösung der französischen Hegemonie durch die deutsche innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung erwartete.«99
277
Aber die am deutsch-französischen Projekt gewonnenen Formeln von Theorie und Masse konnten auch unabhängig von ihren geschichtsphilosophischen Orten wirksam werden. Wenn auch die Verbindung mit der kommunistischen Presse Frankreichs scheiterte, das Modell ist überall anwendbar, wo Massen entstehen. Heß und den Junghegelianern, die ihm folgen, gelingt es ein Stück weit, als kommunistische Publizisten in Verschmelzung mit den Handwerkerkommunisten Räume einer proletarischen Öffentlichkeit in Deutschland zu etablieren. Zeitschriften, wie das >Westfälische Dampfboot<, der >Gesellschaftsspiegel<, das >Deutsche Bürgerbuch<, die >Rheinischen Jahrbücher für gesellschaftliche Reform< stehen für diesen Typus proletarischer Öffentlichkeit. Für einen Moment, und vielleicht ist das Jahr 1845 dieser Moment, sieht es so aus, als ob sich Heß und Marx mit einer proletarischen Öffentlichkeit zufrieden geben könnten. Es sieht so aus, als ob die Theorie untergetaucht sei in einem großen Konzert proletarischer Stimmen, und als sei die Hoffnung in Erfüllung gegangen, daß es dieser proletarischen Öffentlichkeit gelänge, die politischen Begrenzungen bürgerlicher Öffentlichkeit und ihres Parteiwesens zugunsten einer noch umfassenderen Kommunikationsgemeinschaft aufzuheben. Umfassender der Sache nach, weil das Thema der sozialen Frage an die erste Stelle rückt, und umfassender der Zahl nach, weil hier das immense Gattungswesen sein Gespräch mit sich selbst führt. »Selbstverständigung ( . . . ) der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche«, schreibt Marx, und er faßt dies ganz bescheiden: »Es handelt sich um eine Beichte, um weiter nichts. Um sich ihre Sünden vergeben zu lassen, braucht die Menschheit sie nur für das zu erklären, was sie sind.«100 Aber im Moment des Untertauchens geschieht schon die Wiederauferstehung der Theorie als einer besonderen Einrichtung. Auch bei einer Kollektivbeichte gibt es größere und kleinere Sünder, und wer sollte sie unterscheiden? Seit 1845 bildet sich in Brüssel ein Exilzentrum heraus, zu dem sich Marx, Heß und Engels zusammenschließen. Das kommunistische >Korrespondenz-Komitee<, das die drei Anfang 1846 in Brüssel gründen, es bedeutet nichts weniger als die Keimform einer politischen Partei neuen Typus. Die Form ist in dieser Zeit noch ganz geheimbündlerisch. Das >Korrespondenz-Komitee< arbeitet Anweisungen aus, die jeder Kommunist zu befolgen hat, und er selbst hat die Aufgabe, Lageberichte zu erstatten und an die Zentrale zu senden.101 Ziel des Komitees ist die Gesinnungssteuerung in der internationalen kommunistischen Bewegung. Es geht jetzt nicht mehr nur um die Distribution des Geistes über die bloße Teilnahme an der proletarischen Öffentlichkeit, sondern um die Distribution des Geistes über eine Machtstruktur hinter der Öffentlichkeit. Das politisch-dezisionistische Arkanum, das der bürgerlichen Öffentlichkeit ihre politische Unschuld sichern sollte, taucht hier noch einmal wieder auf. Ein Beispiel für die Kommunikation innerhalb der Führungsspitze des Korrespondenz-Komitees mag genügen. Anfang 1845, anläßlich der Entstehung der >Rheinischen Jahrbücher<, schreibt Heß an Marx: »Püttmann, der als Herausgeber >unter Mitwirkung< von uns auf dem Titel figurieren wird, ist eigentlich eine stumme Person in diesem neuen Drama und wird uns diejenigen Sachen, die nicht von uns ihm zugeschickt werden, zur Durchsicht resp. Zensur vorlegen.«102 In der proletarischen Öffentlichkeit ist die Schere des Zensors wieder auferstanden. Das von dem Brüsseler »Trio der autoritären Sichter«, wie Na'aman Marx,
278
Engels und Heß in dieser Zeit nennt,103 entwickelte Modell des Verhältnisses von Theorie und Masse wird bekanntlich in der Geschichte der Arbeiterbewegung einen prominenten Platz einnehmen. Es handelt sich um ein zweideutiges Modell. Theoretisch wird der in der Masse aufgelöste Intellektuelle vorausgesetzt, und diese Figur kann gegen jeden gewendet werden, der auf der Selbständigkeit der Theorie, d. h. einer speziellen Aufgabe der Intelligenz insistiert. Der auferstandene Intellektuelle dagegen steht schon auf einem anderen Boden, konkurrenzlos. Die Zauberformel einer antiautoritären Führung, die »Eine und die ganze Freiheit«, erweist sich jedoch als Illusion. Der Atheismus des Kopfes und die soziale Frage des Herzens, sie gehen im 19. Jahrhundert nicht zusammen ohne eine politische Machtstruktur, die der Distribution der Vernunft diskret nachhilft.
5. Theorie statt Masse Im Dezember 1843, ein Jahr nach der Spaltung der Redaktion der RhZ, erscheint das erste Heft der von B. Bauer herausgegebenen Allgemeinen Literatur-Zeitung< (ALZ). Das Heft beginnt: »In einer Zeit, in welcher unter allen Völkern eine Menge gescheiterter Existenzen von der Schwäche menschlicher Vorsätze und Absichten Zeugnis ablegen und die Armut der bisherigen Weltbildung sich in aufgespreizten Worten und in Vorschlägen verrät, die überall anders nur nicht in dieser Welt ihre Ausführung finden können, muß man sich fast schämen, mit dem Bewußtsein eines soliden Willens aufzutreten, oder gar ein ausgeführtes Werk in die Öffentlichkeit hinzustellen. Eine der ausgebreitetsten jener gescheiterten Existenzen ist die Masse - die Masse in jenem Sinne, in welchem das Wort auch die sogenannte gebildete Welt umfaßt.«104 Die »Masse«, unter diesen Terminus fallen: 1. die politischen Parteibestrebungen, sowohl die der Liberalen wie die der Junghegelianer, und 2. die Intellektuellen, die dem Heßschen Modell von Theorie und Masse folgen, wie auch die Masse, in die sie sich aufgelöst haben. Sie alle sind »gescheiterte Existenzen«. »Noch vor wenigen Monaten glaubte sich die Masse riesenstark und zu einer Weltherrschaft bestimmt, deren Nähe sie an den Fingern abzählen zu können meinte. War sie doch im Besitz so vieler Wahrheiten, die sich ihr so sehr von selbst verstanden, daß sie keines Beweises, keiner Prüfung, keines Studiums zu bedürfen schienen.« Wo liegen die Ursachen des Scheiterns? War die Distribution der Vernunft noch nicht weit genug fortgeschritten? Handelte es sich um eine >falsche< Wahrheit? B. Bauer dreht die Argumente derer, die dem Heßschen Modell von Theorie und Masse folgen, geradezu um. Nicht eine defizitäre Distribution des Geistes, eine nicht weit genug reichende Verbreitung der Theorie in den Massen habe zum Scheitern geführt, sondern das ganze Konzept der Vermassung der Theorie sei im Ansatz falsch. »Wahrheiten aber, die der Masse so sonnenklar zu sein scheinen, daß sie sich von vornherein von selber verstehen, Wahrheiten, die der Masse in dem Grade einleuchten, daß sie den Beweis für überflüssig hält, sind nicht wert, daß die Geschichte noch ausdrücklich ihren Beweis liefert; sie bilden überhaupt keinen Teil der Aufgabe, mit deren Lösung sich die
279
Geschichte beschäftigt.« Und: »Das schlimmste Zeugnis gegen ein Werk ist der Enthusiasmus, den ihm diese Masse schenkt«. Modern gesprochen, ist das Maß der Akzeptanz einer Theorie durch die Massen ein Beweis für die Falschheit der Theorie. Wahre Theorie kann nicht »vermasst« werden. Theorie und Masse schließen einander aus. Diese Antinomie ist nicht durch einen Austausch der Theorien zu lösen. Auch mit einer >besseren< Theorie wäre das Distributionsmodell nicht zu realisieren, weil in der Form der Masse jede Vernunft nur zu einer unvernünftigen Existenzweise gelangen kann. Für die Gruppe sind B. Bauers Thesen ungeheuerlich. Lag es nicht offen zu Tage, daß zwischen Ideen und Bewegungen ein unzertrennliches Band besteht? Sind nicht Ideen daraufhin angelegt, daß sich die Vielen ihnen anschließen, sie zu ihrer Sache machen und so einen wirklichen Fortschritt erzielen können? Und wenn die parteipolitischen Formen nicht ausreichen, um die Ideen allgemein zu machen, ist nicht in der aufgelösten Intelligenz eine substantielle Garantie gegeben, daß Vernunft eine allgemeine Existenz gewinnt? Von >rechts< bis >links< ist die Vermassung von Ideen im Vormärz eine gefürchtete oder erhoffte, aber in jedem Fall eine reelle Möglichkeit. Diese Selbstverständlichkeit des Vormärz, vielleicht auch eine Selbstverständlichkeit des 19. Jahrhunderts, stellt B. Bauer in Frage, wenn er schreibt: »In der Masse - nicht anderwärts, wie ihre früheren liberalen Wortführer meinen — ist der wahre Feind des Geistes zu suchen. Alle großen Aktionen der bisherigen Geschichte waren deshalb von vornherein verfehlt und ohne eingreifenden Erfolg, weil die Masse sich für sie interessiert und enthusiasmiert hatte — oder sie mußten ein klägliches Ende nehmen, weil die Idee, um die es sich in ihnen handelte, von der Art war,daß sie sich mit einer oberflächlichen Auffassung begnügen, also auch auf den Beifall der Masse rechnen mußte. Sie scheiterten, weil ihr Prinzip oberflächlich, also auch nicht gegen die Oberflächlichkeit der Masse gerichtet war. Der Geist weiß jetzt, wo er seinen einzigen Widersacher zu suchen hat - in den Phrasen, in den Selbsttäuschungen und in der Kernlosigkeit der Masse.«105 Die Junghegelianer haben sich zu entscheiden: entweder tauchen sie mit Moses Heß und dem deutsch-französischen Projekt in der Masse unter, wissend, daß hier eine Grundlage gegeben ist, ein gleichsam fruchtbar leidender Boden, der empfänglich ist für Theorie, weil der Theoretiker aus dem gleichen Boden gewachsen ist, oder sie verteidigen mit B. Bauer die Theorie selbst, dann müssen sie wissen, daß jede Verbindung mit der Masse die Theorie in ihrer Härte aufweicht, sie dem Beifall ausliefert und die Kapitulation einleitet. Denn woher sollten sie ein Recht ableiten, zur Masse eine legitime Differenz geltend zu machen? Wichtig für die Diskussionssituation in der Gruppe ist, daß die Heßsche Position größere Kontinuität mit der Gruppenvergangenheit besitzt als die B. Bauersche Position. Parallel zum Projekt der politischen Partei und verstärkt nach ihrem Scheitern lag es nahe, das Distributionsmodell nun weiter zu fassen. Der in der Masse aufgelöste Intellektuelle steht am Ende dieser >Konsequenz<. B. Bauers Positionen in der ALZ markieren dagegen einen Bruch.106 In einigen Aspekten deckt sich die Spaltung der Junghegelianer, die im Herbst 1842 anläßlich der Reise Herweghs aufbricht, mit der Alternative, die sich zwischen B. Bauer und Heß für die Junghegelianer auftut. Aber nicht alle Berliner Junghege-
280
lianer schließen sich der Massen-Kritik von B. Bauer an. E. Meyen z. B., der 1842 im Streit um die politisch-taktischen Rücksichten der politischen Partei gegen Marx Stellung nimmt, ist bei der Alternative in der Massenfrage auf der Seite von Heß und Marx. Der Streit, ob dem deutsch-französischen Projekt von Heß, Marx und Ruge u. a. zu folgen ist oder der »neuen Wendung« B. Bauers, die nach dem Verlagsort der ALZ als »Charlottenburger Kritik« debattiert wird, zieht sich durch alle regionalen Teilgruppen.107 In diesem Streit liegt die Rechtfertigungsschuld bei B. Bauer. Seine Kritik der Masse bedeutet gegenüber den Positionen des Jahres 1842 eine völlige Kehrtwendung. Er und die sich ihm Anschließenden geraten unter den Verdacht des Verrats an der gemeinsamen Sache. Bei der Spaltung des Jahres 1842 ging es um die Frage, ob auf parteipolitische Taktik verzichtet werden kann oder nicht. Die gemeinsamen >Grundsätze< waren davon nicht tangiert. Jetzt, mit dem Streit um das Verhältnis von Theorie und Masse, ist die vitale Frage der Existenzmöglichkeit von >Geist< in der Gesellschaft in einer schroffen Alternative formuliert. In »Was ist jetzt Gegenstand der Kritik?« vom Juni 1844 rechtfertigt B. Bauer seine »Wendung«. Seine junghegelianischen Kampfgefährten, die der Heßschen Position folgen, nimmt er so, wie sie sich definieren: als in der Masse aufgelöste Intellektuelle, die seit Ende 1842 die Theorieentwicklung als besondere Tätigkeit nicht mehr verfolgen. »Wie die Menge, deren Organ zu sein ihre tägliche Bemühung ist, mit der Entwicklung der letzten Jahre unbekannt, fühlen sie sich durch die neue Wendung der Dinge einfach nur befremdet: - sie sind also auch nur imstande, diese für sie befremdende Überraschung mehr oder weniger naiv oder indolent oder mit einigem Poltern auszusprechen. >Wunderliche Richtung !< >Ein Standpunkt, bei dessen Gedanken es einem schon fröstelt !< >Hochmut, vor dessen Anblick die ganze Nation sich mit Widerwillen abwenden muß!< - das ist die ganze Skala von Redensarten, aufweicher diese Redner der Menge auf- und niedersteigen.« Woher stammt diese »tiefe Kluft, die ein >paar hochmütige Egoisten< von der Menge scheidet«? Der Grund liegt darin, daß die, die die Verbreitung von Ideen sich um Ziel gesetzt hätten, »in einzelnen literarischen Produkten, also auch in einem einzelnen Werke, in einer Zeitung, in einer Zeitschrift - also auch wohl in einem einzelnen Aufsatze eine Entscheidung sehen, die unumstößlich, für alle Zeit ausreichend, also unfehlbar von einem nahen Siege begleitet sein müsse.« Der Irrtum war, die Entwicklung der Kritik für beendet zu erklären und das Defizit lediglich in der Verbreitung zu sehen. »Lest, lest, rief man, gebt es allen zu lesen, und ihr werdet sehen, daß wir gewonnen haben.« Man hoffte, »durch das praktische Verhältnis der Freude, des Enthusiasmus und der Approbation der Resultate vom Studium und der eingehenden theoretischen Beschäftigung sich loskaufen zu können«. Aber hatte B. Bauer selbst nicht auch an diesen Bestrebungen teilgenommen? Handelt es sich nicht um einen Verrat an den gemeinsamen Prinzipien? Die Kritik der Masse tritt ja nicht im Außen der Gruppe auf, es ist einer der Ihren, der sie formuliert. Wie kann B. Bauer die neue Wendung der Kritik gegen die Masse in die Kontinuität der Gruppenentwicklung einbetten? Er erklärt: »Diese Wendung war aber nicht einmal eigentlich neu. Die Theorie hatte beständig an der Kritik ihrer selbst gearbeitet und sich immer bemüht, keine Stichworte aufkommen zu las-
281
sen — sie hatte der Masse nie geschmeichelt und über ihren Beifall sich keine Illusionen gemacht - sie hatte sich immer davor gehütet, sich in die Voraussetzungen ihres Gegners zu verstricken. Man hatte ihr Bemühen nur nicht bemerkt, und es gab außerdem ein Stadium ihrer Entwicklung, wo sie gezwungen war, sich auf die Voraussetzungen ihres Gegners aufrichtig einzulassen und sie für einen Augenblick ernstzunehmen, kurz, wo sie noch nicht vollständig die Fähigkeit hatte, der Masse die Überzeugung zu nehmen, daß sie mit ihr eine Sache und ein Interesse habe. Trotzdem, daß sie den Liberalismus selbst einer auflösenden Kritik unterwarf, durfte man sie noch für eine besondere Art desselben, vielleicht für seine extreme Durchführung halten: trotzdem, daß ihre wahren entscheidenden Entwicklungen über die Politik hinausgingen, mußte sie doch noch dem Schein verfallen, daß sie politisiere, und dieser unvollkommene Schein hatte ihr die meisten der oben bezeichneten Freunde gewonnen.«108
Es handelt sich um eine komplexe Reinterpretation der Gruppengeschichte, die B. Bauer vornimmt. Der Übergang der Theorie zur Praxis, d. h. von der philosophischen Schule zur politischen Partei, und die Auflösung des Theoretikers in den Massen werden gerechtfertigt, aber nicht in dem Sinne, daß hier ein dauerhaft abgeschlossenes Konzept der Selbstdefinition der Gruppe vorgelegen hätte. Vielmehr war der Gegensatz von Theorie und Masse latent in der Weise vorhanden, daß eine Schwäche der Theorie gegeben war. B. Bauer reinterpretiert das, was 1842 gerade als die Stärke der Theorie gegolten hatte, als Mangel. Wo sich die Theorie auf dem Sprung zur Verwirklichung befindet, läuft sie Gefahr, das Moment der Selbstkritik zu vergessen. Es kann immer nur zu einem momentanen Einklang von Theorie und Masse kommen, einem Einklang, der »Schein« ist. Daher bleibt dem Intellektuellen nichts anders übrig, als sich als einzelner immer wieder auf seine selbstkritische Reflexion zurückzuziehen, wenn er die Existenz kritischen und vernünftigen Denkens sicherstellen will. Es gibt niemanden, der ihm diese Aufgabe abnehmen kann. Für Heß liegt die Sicherheit der Existenz der Theorie in der geschichtsphilosophischen Garantie der Ergänzung von französischer Praxis und deutscher Theorie. Das Aufgehen der Intelligenz in der Masse verbürgt die Verbreitung und letztlich Verwirklichung der Philosophie. Für die Junghegelianer der B. Bauerschen Richtung ist dies ein Modell von Tarnungen. Das deutsch-französische Projekt wird in den >Norddeutschen Blättern< (NB) hart kritisiert, wobei auch Gegenstimmen zu Wort kommen.109 Bezugspunkt der Kritik ist Rüge, der in dieser Zeit in den Gruppenkontexten mehr Prominenz besitzt als Heß und Marx. Ruge hatte formuliert, die Erfahrung der Zeitungsverbote habe »gezeigt, wie weit in Deutschland die Philosophie noch davon entfernt ist, Nationalsache zu sein. Sie muß es werden.« Ein Autor der NB fragt dagegen: »Was ist denn in Deutschland Nationalsache? Es ist Nationalsache, d. h. Sache der Regierung, der Volksvertreter und des Volks, die Kategorien des Bestehenden, des Staats, des Gesetzes, der Religion als absolut und von vornherein feststehend zu betrachten«. Mit dieser Auffassung harmoniere aber auch Ruge, denn er wie die bestehenden Mächte »stimmen vollkommen darin überein, daß dem konkreten Bestehenden erst dann eine wirkliche und begriffsmäßige Existenz zu vindizieren sei, wenn solche auf dem Fundament der Vernunft, Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit basiert werde.«110 Aber Ruge meine ja wohl nicht diese Philosophie, die mit dem Bestehenden im Einklang sei. Wenn er aber die Kritik meine, so sei zu fragen: »Aber muß die Kritik,
282
kann die Kritik eine Nationalsache werden?« Auch hier gibt der Autor einen negativen Bescheid, denn die Kritik an den bestehenden Mächten und ihrer Philosophie überwand »die nationalen Unterschiede, indem sie es nicht zur Nationalsache der Deutschen machte, als einen Nationalruhm bezeichnete, daß sie die Freiheit - die ja die allgemein menschliche ist - als Deutsche durch die Kritik eroberten. Das wäre auch eine schöne Kritik, die von den nationalen Interessen der Deutschen ausginge, die bornierte Bildung eines einzelnen Volkes zum Modell nähme, eine Angelegenheit des nationalen Egoismus, der nationalen Absonderung und Verschlossenheit wäre. Die Kritik ist die gemeinsame Sache der Menschheit, aber nicht eine besondere Nationalangelegenheit.« Das Konzept der Deutsch-französischen Jahrbücher komme über den Standpunkt der Nationen nicht hinaus, und die Vorstellung sei zu simpel: »dadurch, daß Herr Ruge nach Paris geht und dort die Deutsch-französischen Jahrbücher herausgibt, geht eine >Fraternisierung der Prinzipien< vor sich«.111 Der »Standpunkt der Nationen«, der hier kritisiert wird, hat - wie oben dargestellt - einen geschichtsphilosophischen Hintergrund: er diente zur Absicherung der Existenz der Vernunft im geographisch-historischen Raum. Diese Sehnsucht nach einer Absicherung erweist sich für den Autor der NB als ein illusionäres Unternehmen. Ruge suche zwar eine »neue Grundlage«, aber der Autor fragt: »Worin besteht nun diese >neue Grundlage^ Das Überschreiten der deutsch-französischen Grenze, der »plötzliche Eintritt in die wahre Pressefreiheit^ die Gelangung zur vollkommenen Freiheit^ die wirkliche Vereinigung des deutschen und französischen Geistes im Prinzipe des Humanismus<, die Fortentwicklung des >Nationalismus< zum deutsch-französischen Kosmopolitismus -: dies alles zusammen begreift er unter dem Ausdruck >neue Grundlagen Aber ist das auch >wirklich< eine >neue Grundlage« Die Pressefreiheit als »NichtVorhandensein der Zensur« könne doch höchstens ein »äußerliches Mittel« sein, aber keine Grundlage, und die französische »Freiheit« sei doch »eine monarchisch-konstitutionelle Freiheit mit Chatte, Kammern, Wahlzensus, Septembergesetzen, Jurys, Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichtsverfassung, Theaterzensur usw.: ist das keine >neue Grundlage< ? Vielleicht für die bürgerliche Existenz des Herrn Ruge, aber nicht für seine unterbrochene Arbeit.«112 Die Anspielung auf die »bürgerliche Existenz« trifft den vitalen Kern der Kontroverse. Der Autor der NB enttarnt die Parole von der wirklichen Existenz der Vernunft als eine Camouflage der »bürgerlichen Existenz«, die weit hinter den Stand des Durchdiskutierens des Staates zurückgefallen ist. Darüber hinaus spricht der Autor aus der Perspektive einer Radikalität, für die »bürgerliche Existenz« schlechthin zum Makel geworden ist. Der Angriff auf das deutsch-französische Projekt führt zu einer Leserdiskussion in den NB, in deren Zentrum die Frage steht, welchen Stellenwert die Zensur für die selbstkritische Entwicklung bzw. Distribution der Theorie hat, d.h. implizit für die Existenz der Publizisten und ihr Verhältnis zur Masse. Anstoß hatte die Passage erregt: »Herr Ruge kennt eben nur jenen äußerlichen Kampf gegen Zensur und Regierung, jene äußerlichen Fesseln, die des Zensors Rotstift durch seine Manuskripte gemalt hat: diesen
283
Kampf nennt er eine >Verhöhnung des Gefesselten<, während es ihm doch freistand, die innerlich Gefesselten zu verhöhnen, vorausgesetzt, daß er vorher mit sich selber einen Kampf bestanden, seine Selbstfesselung verhöhnt hätte und daß es ihm gelungen wäre, auch ohne äußerliche Pressfreiheit den kritischen Gedanken so ruhig und klar zu entwickeln, daß er durch die majestätische Ruhe, Klarheit und Einfachheit seines Stils den Zensor zwingen 11 konnte, ihn reden zu lassen.« ' Solch eine Position ist für einen Kölner Radikalen unzumutbar. Ruge »mußte nach Frankreich emigrieren, wollte er nicht für immer schweigen, er mußte zur Veröffentlichung von Gedanken, an deren Aussprache ihn die deutsche Zensur hinderte, sich der französischen Presse bedienen, und mit der letztern folglich die deutsche Presse ergänzen. Durch diese Verschmelzung allein konnte es ihm gelingen, auch die letzten Resultate, welche aus den jüngsten Literaturbewegungen dies- und jenseits des Rheins hervorgegangen sind, zu amalgieren, und hiermit eine neue auf den kombinierten Kräften zweier Literaturen begründete organische Schöpfung vorzubereiten.« Die Position des Autors der NB sei eine »Apologie der Zensur, die mir noch widerlicher geworden ist, seitdem ich erfahren habe, welche Kämpfe Ihre Blätter (die NB, d. V.) mit der Zensur zu bestehen haben. Ich muß daher dem Berliner Korrespondenten der Weser- und der Trierschen Zeitung beistimmen, die es für nötig erachten, den zitierten Passus des Aufsatzes über die Deutsch-französischen Jahrbücher den liberalen und radikalen Zeitungslesern zu denunziern und ich halte es auch meinerseits für Pflicht und Schuldigkeit, der gleichen unfruchtbaren Abstraktionen, wo ich ihnen begegne, kräftig entgegenzutreten.«114 Köppen verteidigt die Position der NB. Deutlich wird, daß es in der Kontroverse um die Autonomie der Intellektuellen gegenüber der politischen und sozialen Massenbewegung geht. Koppen wirft dem Kölner vor: »Jedes neue Buch soll ein Gliedermann sein, den der Radikale nach seiner Pfeife hüpfen, tanzen, stampfen, springen, Männerchen machen und Gesichter schneiden lassen kann: dann ist es gut, gediegen, gründlich. Jeder kritische Aufsatz soll ein Echo sein, das die praktischen, weltbewegenden« Worte, die >gesinnungsreichen< Phrasen des Radikalen getreu nachspricht: dann >trifft er den Geist der Zeit und der wahren kritischen Bildung und ist dem Radikalen willkommene« Dagegen müsse die Arbeit der Kritik Vorrang haben vor einem diffusen >Streben< nach Pressfreiheit. Politische Forderungen ersetzen nicht die Notwendigkeit einer Selbstkritik des Radikalismus. »Über sein >Streben< hat er (der Radikale, d. V.) gänzlich vergessen, über sich und sein Geschwätz nachzudenken und das anstrengende Streben nach Pressfreiheit, Lehrfreiheit, Öffentlichkeit und Mündlichkeit usw. erfüllt und erschöpft ihn so sehr, daß er Leute, die nicht bloß streben wie er, sondern arbeiten und etwas Neues leisten, gar nicht begreifen kann und mit dem Zorn des strebenden Biedermanns anschnauzt.« Und: »Der Radikale versteht es, den schweren Klumpen unklarer Vorstellungen, welcher die Masse überall drückt, belästigt, behinderlich ist und im Wege steht, durch einige kurz abgebrochene Phrasen zu erleichtern, als da sind: Pressfreiheit! Öffentlichkeit und Mündlichkeit! Geschworenengerichte! Justizreform! Assoziation! Organisation der Arbeit! Wahre Bildung! Harmonie! soziale Ideen! - Dabei braucht niemand etwas zu denken: und doch kann sich jeder, der diese Phrasen in den Mund nimmt, mit leichter Mühe überreden, er wisse nun ganz gründlich, was er wolle: er strebe nach Pressfreiheit usw. Aber z. B. nur über die Voraussetzungen und Bedingungen nachzudenken, unter denen Pressfreiheit möglich ist und vernünftigerweise gedacht werden kann: das fällt ihm ebensowenig ein, wie der Masse. Dagegen ist er so
284
kindisch anmaßend, der Kritik, die an den literarischen Erscheinungen nachgewiesen hat, welche Art von Pressfreiheit bei den bestehenden Verhältnissen möglich ist und wie die Pressfreiheit beschaffen ist, welche die unfreiesten Vorstellungen zu ihren Voraussetzungen hat, den Vorwurf zu machen, sie verteidige das Schreiben unter der Zensur.«113
Ahnlich argumentiert E. Bauer. Für ihn gilt die These Nauwercks »Die Zeitung macht frei und gleich« nicht mehr. In Auseinandersetzung mit der Tätigkeit des Berliner Korrespondenten der >Mannheimer Abendzeitung< zeigt E. Bauer die Phrasenhaftigkeit der Intellektuellen, die Zeitungsschreiber geworden sind. E. Bauer will »in den Zeitungsproduktionen nur die Gedankenlosigkeit der öffentlichen Meinung und das traurige Schicksal desjenigen darstellen, den seine eigene Schwäche, sein eigener Anteil an der öffentlichen Meinung dazu treibt, sich ihr zu opfern (!), indem er sich zu ihrem Ausdruck macht.«116 Die Fixierung auf den Zensor verleite den Zeitungsschreiber, anzunehmen, in der Zensur läge das Haupthindernis für eine Emanzipation. »Diese öffentliche Meinung, die sich nur auf eine Weise ausdrücken kann und aufs Maul geschlagen ist, so wie sie ihre Schlagwörter nicht gebrauchen darf, fühlt sich natürlich fortwährend durch die Zensur geniert: ewig steht der Zensor hinter ihr und sieht ihr auf die Finger, unfähig, einen schlußfesten Gedanken zu produzieren, ist sie aufgebracht gegen denjenigen, der dem rauschenden Quell ihrer Redensarten das Fließen verbieten will.« Die polemische Zusammenstellung von Zeitungszitaten des Berliner radikalen Korrespondenten mündet bei E. Bauer in den Ausruf: »Himmel, was könnten wir >radikalen< Korrespondenten alles mit Preßfreiheit machen! Wir haben so viele Gedanken in petto!« Demgegenüber sei es nötig, kritische intellektuelle Arbeit zu tun, ohne positive oder negative Rücksicht auf Pressefreiheit oder Zensur. Die >Masse< sei nicht per se das kritische Moment, dem nur Pressefreiheit gegeben werden müsse. Es ist auch Kritik unter den Bedingungen der Zensur möglich: »Der Korrespondent sollte lieber seinem Schöpfer danken, daß es Zensur gibt: hat er an ihr doch ein kritisches Maß gewonnen, überhebt sie ihn doch der Mühe, einen Aufsatz zu studieren, weil sie ihn mit der fixen Idee beschenkt hat, daß unter ihr doch nichts Rechtes zustande komme.« Zwei Monate später muß sich E. Bauer gegen den Vorwurf verteidigen, es handele sich um eine persönliche Querele mit dem angegriffenen Korrespondenten. E. Bauer wiederholt daraufhin seine Kritik, indem er sie ausschließlich an den Texten expliziert, die er selbst 1842 in der RhZ publiziert hatte.117 Autonomie der Kritik, auf diesen Zielpunkt laufen alle Thesen und Auseinandersetzungen der Berliner Teilgruppe um B. Bauer zu. Die Frage der Distribution von Ideen ist dabei seltsam unbeantwortet. Die intellektuelle Tätigkeit ist zwar bezogen auf die Vorstellungen, die die Kritik zerstört, aber dieser Bezug ist nicht das Entscheidende. Denn der Kritiker will sich nicht abhängig machen von seinem kritisierten Gegenstand. Die Autonomie der Kritik ist sowohl ohne bestimmten gesellschaftlichen Ort, wie sie zugleich in alle möglichen gesellschaftlichen Orte sich einnistet, um sie dann zu verlassen, wenn sie sie kritisiert hat. Selten ist in der Geschichte der Intelligenz der Versuch unternommen worden, Kritik als Selbstzweck auch dort zu denken, wo die Existenz der Zensur das unübersteigbare Szenario intellektueller Tätigkeit zu sein scheint.
285
In den NB heißt es: »Die Kritik erklärt sich weder für, noch gegen die Zensur. Sie dialogisiert nicht freundschaftlich mit der Zensur: aber ebenso wenig schimpft und schmäht sie diese. Kritik ist über Affekt und Empfindung erhaben. Sie kennt weder Vorliebe für, noch Haß gegen eine Sache. Daher stellt sie sich nicht der Zensur gegenüber, um mit dieser zu ringen, daher kämpft sie nicht persönlich mit rohen Fäusten oder blanken Schwertern, wie der Faustkämpfer, der Gladiator, der bald jählings mit der Waffe niederfährt, um den Gegner zu erschrecken, bald diplomatisch schlau unbedeutende Seitenhiebe führt, um ihn einzuschläfern, bald aber plötzlich wieder einhaut, um ihm den Garaus zu machen. Die Kritik steht nicht auf demselben Boden mit der Zensur; daher kann sie gegen diese nicht kämpfen, aber auch von dieser nicht bekämpft werden. Dadurch, daß sie alle jene Voraussetzungen, denen die Zensur ihr Bestehen verdankt, auf den Grund untersucht und das Wesen derselben rein und unvermischt dargestellt hat, ist sie mit der Zensur für immer fertig geworden: sie hat sie theoretisch überwunden und wird von ihr bei ihrem Schaffen und Arbeiten nicht mehr gestört. Die Kritik verfährt nicht praktisch und kann ihrer Natur nach nicht praktisch verfahren; daher ist es widersinnig von ihr zu verlangen, sie solle die Zensur praktisch vernichten und der Presse die ihr gebührende Freiheit verschaffen. Pressfreiheitsbestrebungen bewegen sich innerhalb einer Schranke; denn sie sind eine bloße nationale Angelegenheit und sind nur auf Erweiterung dieser Schranke gerichtet. Darum hat die Kritik, welche von vornherein über den beschränkt nationalen Standpunkt hinaus ist, nichts mit ihnen gemein.«118
Der Gleichgültigkeit der Kritik gegenüber der Zensur entspricht ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der >Masse<. Die Zensur lenkt ebenso wie die Masse den Intellektuellen von seiner selbstgesetzten Aufgabe ab. Einmal wird er zu einer konfrontativen Haltung gezwungen, weil die Zensur den Schriftsteller mit einschränkenden Drohungen umgibt, das andere Mal sieht er sich Zustimmungen ausgesetzt, die die Kraft zur Differenz schwächen. Die negative Fixierung auf die Zensur ist ebenso wie die positive Fixierung auf die Massen dazu geeignet, den Fortschritt der sich kritisierenden Kritik zu bremsen. Was die Junghegelianer um B. Bauer mit ihrem Konzept eines Gegensatzes zwischen Theorie und Masse entwickeln, ist auf den ersten Blick gesehen das genaue Gegenteil des Konzepts von Heß, Marx und Engels. Während bei diesen die Auflösung des Intellektuellen in die soziale Bewegung gefordert wird, insistiert B. Bauer auf einer prinzipiellen Asozialität der Kritik. Aber trotz dieser zentralen Differenz der Begründung der Intellektuellenexistenz darf nicht übersehen werden, daß in beiden Fällen die Intellektuellenexistenz äußerst prekär geworden ist. Denn mit beiden Definitionen ist schwer eine kollektive Perspektive zu entwickeln. Beide Positionen sind in hohem Maße dazu geeignet, Gruppenzusammenhalt überhaupt zu zerstören. Ein in den Massen aufgelöster Intellektueller kann ebenso wenig Formen einer Intellektuellengruppe begründen, wie ein Intellektueller, dem die Menge der Intellektuellen schon ein Massenproblem ist. Die Lösungsformen, die der sich in der Masse auflösende Intellektuelle für das Gruppenproblem der Intelligenz, die Konkurrenz auf dem Gebiete des Geistigen, gefunden hat, wurden im letzten Abschnitt im Zusammenhang mit Heß' Argumentation dargestellt. Aber auch für den Intellektuellen, der B. Bauer folgt, ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten. Wie sehr die B. Bauersche >neue Wendung< das Gruppen-Wir belastet, zeigt die Korrespondenz B. Bauers mit einem Tübinger Junghegelianer, die in der ALZ abgedruckt ist.119
286
Der Tübinger berichtet B. Bauer von einem Berliner Junghegelianer, der sich über das Berliner Gruppenklima beklagt, das ihn so demoralisiert habe, daß er nach Amerika auswandern wolle. »Sind Euch die Gedanken ausgegangen, daß ihr vor eurer Deutschen Gedankenlosigkeit nach Amerika fliehen müßt, so fahre ich ihn an, nun fängt er an zu erzählen. An die Stelle des alten Zusammenhaltens sei eine gegenseitige Unzufriedenheit, an die Stelle der Partei, in welcher man sich gegenseitig zu tragen und zu ertragen habe, die Ausschließlichkeit getreten. Gar keine Gesellschaft mehr, gar kein Gespräch mehr, gar keine Diskussion mehr! Er könne gar nicht begreifen, wie Leute, wie ihr beide (die Brüder Bauer, d. V.), die doch dem Humanitätsprinzip huldigten, sich so abschließend, so abstoßend, ja hochmütig benehmen könnten. Er habe fast alle Lust verloren, etwas zu schreiben, denn er wisse gar nicht mehr, für wen er schreibe, nirgends finde er Anklang: man werde gar noch von seinesgleichen verhöhnt; übrigens habe er selber das drückende Bewußtsein, lange nichts Rechtes zustande gebracht zu haben. Ich weiß gar nicht, fuhr er fort, warum es einige unter uns gibt, die, wie es scheint, absichtlich eine Spaltung hervorrufen. Wir stehen doch alle auf demselben Standpunkt, wir huldigen alle dem Extrem, der Kritik, sind alle fähig, einen extremen Gedanken, wenn auch nicht zu erzeugen, so doch aufzufassen und anzuwenden. Wie gesagt, ich finde bei dieser Spaltung kein anderes leitendes Prinzip als Egoismus und Hochmut.«120 Der Tübinger will sich nun bei B. Bauer vergewissern, was an diesen Eindrücken stimmt. Er fragt: »Ich will nichts von der Notwendigkeit des Zusammenhaltens sagen - das ist ein hinlänglich abgedroschenes Thema. Aber sage mir, behauptest du denn nicht auch, daß der Mensch zum gesellschaftlichen Leben geschaffen sei und du willst die Gesellschaft derer, mit denen du früher zusammenarbeitetest, meiden? - daß er zum Gedankenaustausch geschaffen sei, und du willst in anderen keinen Gedanken anerkennen? - daß er sich nicht aristokratisch abschließen dürfe, und du willst nicht einmal durch die Gedanken, welche du schärfer zu haben glaubst, gesprächsweise belehren? Ich begreife das nicht.«121 Eine heikle Frage. Was sollen Ideen, wenn sie sich nicht austauschen? Eine ganze Anthropologie der Rede und der Kommunikation gerät ins Wanken. Intelligenz ist auf Austausch angewiesen, wenigstens auf ein soziales Minimum, auf den Einen Dialogpartner. Wenn dieser Dialog abreißt, kann dann überhaupt noch von Intelligenz gesprochen werden? Was unterscheidet den Monolog, der keine Hörer haben will, von sinnlosen Geräuschen? Der absolute Kommunikationsabbruch, nicht der zeitweise Rückzug in die Einsamkeit, steht zur Debatte. B.Bauer weicht in seiner Antwort nicht aus. Er wolle von zwei »Standpunkten der Kritik sprechen, oder vielmehr von Denen, welche die Kritik in der Tasche zu haben glauben, und von Denen, welche wirklich die Macht der Kritik kennen und sie anwenden.« Wer die Kritik »in der Tasche« zu haben glaubt, beziehe sich nur auf die Form der Kritik. Er hantiere mit Begriffen wie >unfrei, beschränkt, unmenschlich, er fordere zum >Extrem<, zum >Weitergehen< auf, aber all diese Formulierungen seien für ihn >Redensarten<, ein formalisierter Habitus, der auf alles Mögliche anwendbar ist. Die »Macht der Kritik« lerne dagegen nur der kennen, der sich nur auf den Inhalt konzentriere, der »den Inhalt, den Grund, das Wesen der Dinge studiert, kennenlernt, im Menschen und in der Geschichte auffindet und ihn so erst wahrhaftig besiegt. Die erstere (Weise der Kritik, d. V.) ist unwissend, >klug<, die zweite ist lernend.« Die Schuld der Spaltung läge bei denen, die nicht bereit waren, die »Stichworte, wie Freiheit, Volk, Volkssouveränität, Öffentlichkeit, Pressfreiheit« kritisch zu untersuchen. In »diesen Stichworten war es leicht sich zu einigen; jene Begriffe waren absolut, waren verehrt, man untersuchte sie nicht.«
287
Diese Untersuchung der lernenden Kritik gerät notorisch in Kollision mit dem formalisierten Gestus des Kritischen, weil dieser ein Effekt der Gruppensituation ist. Die kritische Gruppe kann nur auf der Basis eines formalisierten kritischen Gruppen-Wir existieren. B. Bauer kommt zu dem Resultat, daß zwischen beiden Weisen der Kritik »keine Beziehung, kein Gedankenaustausch, keine Diskussion, keine Geselligkeit möglich ist und daß die wahre Kritik höchstens das Geschäft des >olympischen Gelächters< auf sich nehmen kann. Denn wer ist der Egoistische? Derjenige, der zurückgeblieben und alle Weisheit zu haben glaubt, oder derjenige, welcher der Lernbegierde der Kritik nachgegeben? Übrigens sage ich dir, daß der Terrorismus des kritischen Auslachens und Auf-das-Maulschlagens wirklich notwendig ist, wo man sieht, daß die boshaft-gemütliche Unfähigkeit sich in sich selbst verstockt hat. Dieses Auslachen ist kein Hochmut, es ist nur der Prozeß, den der Kritiker mit Behagen und Seelenruhe gegen einen untergeordneten Standpunkt, der sich ihm gleich dünkt, anwenden muß«.122 Bei diesem »kritischen Auslachen« geht es nicht mehr um Polemik, wie sie für die philosophische Schule bestimmend war. Bei der Polemik wurde ein Gegner herausgefordert, in einen Streit verwickelt, gezwungen, seine Argumente mit gegnerischen zu messen. Das >Auslachen< ist dagegen mehr ein Kommunikationsabbruch, der mit »Behagen und Seelenruhe« einhergeht. Ebensowenig wie die Kommunikationsregeln der philosophischen Schule noch Gültigkeit haben, so wenig kann die B. Bauersche lernende Kritik für politische Parteibildung herhalten. »Die Kritik macht keine Partei, will keine Partei für sich haben, sie ist einsam - einsam, indem sie sich in ihren Gegenstand vertieft, einsam, indem sie sich ihm gegenüberstellt. Sie löst sich von allem ab. Jede gemeinsame Voraussetzung, die zur Bildung einer Partei immer notwendig ist, würde sie als feindseliges Dogma betrachten, wenn sie, wie es innerhalb der Parteien nötig ist, sich gehindert sehen sollte, dieselbe zu kritisieren und aufzulösen. Jedes Band ist ihr eine Fessel, jede verbindende Voraussetzung gilt ihr als die Sirene, die sie auf ihrer Fahrt aufhalten wollte, als die schmeichlerische Täuschung: >nun sind wir fertig, wir haben das Verständnis gewonnen, wir wissen nun, woran wir sind.<«123 Aber die heikle Frage des Tübingers ist noch nicht ganz beantwortet. Gibt es nicht unterhalb der politischen Partei mit ihren doktrinären und pragmatischen Zwängen eine soziale Form für die Kritik? Wäre es nicht möglich, die Diskriminierung beider Weisen von Kritik dergestalt sozial wirksam werden zu lassen, daß sich der Kritiker nur mit denen bespricht, die auch lernende Kritik betreiben? Es geht um das alltägliche soziale Minimum. Das Wort gesellschaftliches Leben< aufgreifend, antwortet B. Bauer: »Ja, der Mensch ist dafür geschaffen; aber kann der Kritiker in derjenigen Gesellschaft leben, die er kritisiert? Müßte er dann nicht auch ihre Vorstellungen, ihre Kategorien, ihre Gesetze zu den seinigen machen? Ebensowenig kann er mit einer Clique leben, denn so würde er, sich selbst zu einem Mitglied einer Gesellschaft machend, der Gesellschaft ein Recht des Krieges über sich geben, während er selbst sein Recht der unbefangenen Kritik über sie aufgeben würde. ( . . . ) So entbehrt der Kritiker aller Freuden der Gesellschaft; aber auch ihre Leiden bleiben ihm fern. Er kennt weder Freundschaft noch Liebe; dafür aber prallt die Verleumdung machtlos an ihm ab: nichts kann ihn beleidigen; ihn berührt kein Haß, kein Neid; Mißgunst, Ärger und Grimm sind ihm unbekannte Affekte.«124
288
Ist diese Position auszuhalten? Ein Ideal, das noch die stoische Ataraxie zu überbieten sucht! L'esprit abhorre les groupements? Ich möchte nicht diskutieren, inwieweit es dem Einsiedler von Rixdorf gelungen ist, diesen Entwurf einer Intellektuellenexistenz lebensgeschichtlich zu realisieren, ich möchte darauf hinweisen, wie sehr an beiden Enden der Theorie-Masse-Debatte hybride Entwürfe stehen.125 Denn der in der Masse aufgelöste Intellektuelle ist ebenso hybrid wie die absolute Ablösung der Intelligenz vom Sozialen. Im Heßschen Entwurf kann sich der mit der Masse verschmolzene Intellektuelle auch nur einen Moment halten, einen Moment der Aufopferung, um dann mit Hilfe einer arkanen, politischen Machtorganisation als überlegener Theoretiker wieder aufzuerstehen. Auflösung im Sozialen und Ablösung von ihm, die Intimität der Bewegungen verweist bei aller Dramatik der Kontroverse auf ein gemeinsames Problem: die Existenz von Intelligenz zu sichern, im Angriff auf oder in der Flucht vor jenen Geistlosigkeiten, die gesellschaftliches Leben mit sich führt.
6. Das Treiben der Bohème a) Skandalpraxis Weit mehr als der Heßsche in der Masse aufgelöste Intellektuelle ist die Einsamkeit der B. Bauerschen Kritik Zielscheibe des Spotts geworden. Vielleicht liegt ein Grund dafür darin, daß die Einsamkeit der Kritik, so sehr sie sich auf die Würde des Eremiten berufen kann, schnell tragisch und, gemessen am Anspruch des einsamen Kritikers, noch schneller tragikomisch interpretiert werden kann. B. Bauer hat dies überdeutlich gesehen: »Ja, der Kritiker darf es nicht einmal wagen, sich persönlich in die Gesellschaft einzulassen; denn, sie auslachend, sich an ihre Gesetze nicht kehrend, und von ihr nicht verstanden, würde sein Betragen nur zu demjenigen ausarten, was gewöhnlich >Unsinn machen< heißt.«126 Dies ist eine Passage, die viel aufschlüsselt. Die Entfernung fortgeschrittener Kritik vom allgemeinen Bewußtsein der Gesellschaft ist so groß, daß schon der Kontakt mit, aber mehr noch das Handeln in der Gesellschaft äußerst problematisch wird. Die Treue zur rücksichtslosen Kritik hat den Preis, daß ihr Handeln »Unsinnmachen« wird. 1842 schreibt E. Bauer an seinen Bruder über die Reaktionen der Kollegen und Bekannten auf B. Bauers Verhalten: »Es ist ihnen unbequem und ein Mirakel, wenn jemand einen höheren Standpunkt einnehmen will als sie, wenn jemand sich über ihre Lebensfragen erheben will. Das nennen sie denn Skandal. Was du willst, ist nichts als Skandal machen, du willst zeigen, daß jemand auch selbständig existieren kann, und solche Umwälzer muß eine hohe Policey sehr in Obacht nehmen.«127 Für einen einzelnen Intellektuellen mag es noch durchzuhalten sein, zum Schütze der fortgeschrittenen Theorie nicht allzu viel sozial aufzutreten und das unausweichliche »Unsinn machen« zu verhindern. Aber für eine Gruppe ist das Praxisverbot der Kritik kaum durchzuhalten. Gruppensituationen erzeugen einen spezifischen Handlungsdruck. In einer Gruppe muß gehandelt werden, sei es im Medium des Sprachhandelns, in der Gruppendiskussion, oder im Auftreten der
289
Gruppe gegenüber Außenstehenden. Wenn die avantgardistische Position der Entfernung von Gesellschaftlichkeit schlechthin trotzdem als Gruppenhandeln sichtbar werden soll, kann nur »Unsinnmachen« daraus werden. Handeln wird zum Skandalmachen, Die Praxis des Skandals hat der Berliner Gruppe eine zweifelhafte Berühmtheit eingebracht. Die Informationen über diese Skandale sind spärlich, aber was überliefert ist, gibt schon einen exemplarischen Eindruck. Ihre Differenz zu Außenstehenden lassen die Junghegelianer um B. Bauer hemmungslos all jene spüren, die sie besuchsweise aufsuchen. An dies >Foppen< von Besuchern erinnert sich G. Weiß: »Hatte sich zufällig ein Fremdling aus der Provinz dort eingefunden, der in seinem Heimatstädtchen als ein Erzradikaler galt und der auf diesen Titel hin glaubte, den Herren in höchst lehrhaftem Tone seine neuen Ideen und Vorschläge vortragen zu müssen, so erwachte der Berliner in all seiner drolligen Bösartigkeit und stürzte sich über den Unglücklichen her. Der eine bewies ihm im vornehmsten Professorenstil aus echten, gefälschten oder erfundenen Zitaten in den verschiedensten alten Sprachen, daß die Griechen und Römer schon diese sogenannten neuen Vorschläge gekannt, erprobt und für Unsinn erklärt hätten. Der andere spielte den begeisterten Anhänger des Fremdlings und entwickelte die weltbewegenden Folgen, die die neue Entwicklung haben müsse, in so abenteuerlicher Weise, daß der entsetzte Urheber sich jede solche Ausdeutung seiner Idee feierlich verbat. Ein Dritter sprach ihm vertraulich zu, er möge doch seine Idee sofort schriftlich aufsetzen und an die >Staatszeitung< schicken, da kämen sie vor das Auge des Ministers, und der sei gar nicht so schlimm, als man ihn male. Zwar sei das, was dabei herauskomme, bisweilen etwas anderes, als was man gemeint habe, aber die neue Idee sei und bleibe doch immer die immanente Urheberin. Wenn der so gefoppte Mann dann über diesen Abend nach Hause schrieb, so war es wohl kein Wunder, wenn er geneigt war, die ganze Gesellschaft für Gassenjungen zu erklären.«128
Ähnliche Erfahrungen machte Hoffmann von Fallersleben, der mit einigen Freunden und Bekannten die Gruppe besuchte: »Als wir eintreten, finden wir die beiden Bauer, Bruno und Edgar, in einem unzurechnungsfähigen Zustande. Bei ihren rohen, gemeinen Äußerungen wird uns so unbehaglich, daß wir bald auswandem.«129 Die Aktivitäten der Gruppe nach außen standen dem Verhalten Besuchern gegenüber nicht nach. Mit von der Partie war die Gruppe bei dem Skandal um den Fackelzug für den konservativen Theologen Neander, »als die Berliner Studenten zur Feier seines Geburtstages die Wissenschaft ins Leben führten und ihren Fackelzug durch eine Schlacht mit der Berliner Straßenjugend belebten.«130 Opfer wurden auch die Berliner >Lichtfreunde<, eine protestantische Reformbewegung, die weiter unten zur Sprache kommen wird. Unter einer öffentlichen Erklärung zugunsten der >Lichtfreunde< konnte man die Namen der prominenten junghegelianischen Berliner Atheisten finden, die unterschrieben hatten, um die Erklärung lächerlich zu machen.131 Skandalös für das protestantische Berlin war die unverfrorene Praxis, in Gruppen auszuschwärmen und Passanten direkt um Geld für alkoholische Getränke anzubetteln.132 Nicht verschont wurden die Berliner Bordelle der alten Königsmauer, wohin die Gruppe spätabendlich ging, »um dann so lange den größten Ulk zu treiben, bis man hinaus geworfen wurde.«133 Besonders entsetzt muß es die Zeitgenossen haben, daß an diesen Ausflügen auch Junghegelianerinnen wie Marie
290
Dähnhardt teilnahmen, die sich zu diesem Zweck Männerkleider angezogen hatten. Vielleicht stand bei dieser Idee der von der Gruppe intensiv diskutierte Roman Sues >Die Geheimnisse von Paris< Pate, in dem der Held Rudolf, von Szeliga in einer Rezension als Protagonist der Kritik behandelt, die Pariser Unterwelt aufsucht, um das »Geheimnis der Verwilderung inmitten der Zivilisation« zu enthüllen.134 Die Junghegelianerinnen galten als »gefeit und gepanzert gegen die schlimmsten Waffen des Zynismus«.135 Der Wahrsozialist O. Lüning charakterisiert sie als Frauen, »welche man in diesen Kreisen >emanzipierte< nennt, welche ihr Vergnügen daran haben, mit ihren Freunden, Liebhabern und Männern die Wirtshäuser zu besuchen, Bier zu trinken, Zigarren zu rauchen, und die sich gern in männlicher Kleidung mit Sporen und Reitpeitschte bewegen.« Louise Aston, Tochter eines magdeburgischen Geistlichen, geschieden von einem Engländer, von Freunden die deutsche >George Sand< genannt, wurde 1846 polizeilich aus Berlin ausgewiesen, »weil ihre Ansichten über die Ehe die bürgerliche Ordnung der Residenz gefährdeten«. Für den Wahrsozialisten Lüning handelt es sich bei dem Treiben von Frauen wie Louise Aston um »Geschmacksachen, um die sich die Polizei keinesfalls zu kümmern hat (. . .). Wenn die Männer und Liebhaber Bedenken dabei hätten, so würden wir das eher in Ordnung finden.«136 Als Gipfelpunkt des >Treibens< der Gruppe gilt die blasphemische Inszenierung der Trauung zwischen Marie Dähnhardt und Max Stirner. Um dies Geschehen, das der Stirnerbiograph Mackay herunterspielt und andere - wie Dronke - dramatisieren, ranken sich zahllose Gerüchte und Legenden.137 Nicht in der Kirche, sondern in Stirners Privatwohnung wurde die Trauung vollzogen. Inmitten der demonstrativen Teilnahmslosigkeit der Anwesenden, teils kartenspielenden, teils zum Fenster heraussehenden Gruppe, vollzog der herbeigeholte Geistliche die Trauung. Als Trauringe dienten zwei Messingringe, die Bruno Bauer in der Situation von seiner gehäkelten Geldbörse abzog. Als »abgeschmacktes Hänseln eines wehrlosen Geistlichen«138 ist diese Episode zur Kennmarke der Praxis des Skandals der Berliner Gruppe geworden. Eine wichtige Quelle für die Freude am Skandalmachen und an tumultarischer Selbstparodie sind K. Schmidts unter dem Pseudonym Karl Bürger erschienene »Liebesbriefe ohne Liebe«.139 Von den Texten, die vermutlich aus der Zeit bis l845 stammen und verschiedene Autoren haben können, sei eine Passage wiedergegeben. Der Text könnte im Kreise der Berliner Gruppe, vielleicht auch der Köthener Kellergesellschaft, entstanden sein. Die Überschrift »Wigands Kuhstall« bezieht sich auf den Leipziger Verleger Otto Wigand, in dessen Verlag eine Vielzahl der jungehegelianischen Schriften erschienen sind und der selbst in engstem Kontakt zu den Junghegelianern stand. »Wigands Kuhstall. (Mel. Ich hab ihn gesehn, ich ihn gesehn, ich habe den göttlichen Kuhstall gesehn.) Ich David Strauß, ich habs heraus, Das Genie ist unser Gott, mit dem Glauben ists aus. Chor (der Rütligesellschaft). Ohi ohu! Ohi ohu! Ohi ohu! hu! hu! (durch die Nase)
291
A. Genius? Nein B. Gattung ist Leben nach der Religion derZukunft des Feuerbach. Chor (der Nachtwächter). Tuttu - Tuttutu - Tutututuuuu. Und Bauer heißt, der Dir beweist, Die Gattung sei Masse ohne den Geist. Chor (der Emanzipierten). Bier her! Bier her! Oder ich fall' um -Juchhe! Geist? Gattung? Gespenst! Als Einziger tritt Mit Füßen alles der Stirner-Schmidt. Chor (brennender Damen-Cigarren). Wir nehmen, was wir brauchen Und sollts vom Blute rauchen. Weicht, nicht-Vieh-Dumme, Pfui da bumm, bumm, Dem Letzten, dem Dümmsten, dem Individuum! (Es öffnen sich die Salons eines >begüterten Literaten<. Alle Kuhstallbewohner bilden einen Halbkreis. Fräulein von H. singt mit Gefühl Solo:) Und wers weiter treibt und sich drunter schreibt, Der jedenfalls dann der Dümmste bleibt. Chor (der Ochsen im Hintergrunde). Reißt aus, Kameraden, reißt aus, reißt aus! Dort kommt ein preußisches Irrenhaus. (Alle reißen aus. Bengalische Flammen, welche die Hinterteile der Ausreißenden magisch beleuchten. -)«140 Geselligkeiten, aus denen heraus Texte wie dieser entstehen, sind schon sehr
weit entfernt von anderen Manifestationen, die in dieser Arbeit zur Sprache gekommen sind. Die Feier auf dem Picheisberg war getragen vom burschenschaftlichen Freiheitspathos, Lehrer und Schüler vereinten sich unter der Parole »Alles Bruder, alles Mensch«. Der festliche Rausch diente der Überwindung der Statusgrenzen, die ein verbrüdertes Freiheitsstreben behinderten. Die Serenade für Welcker, die die politische Partei organisiert, findet nicht außerhalb der Stadt, sondern in ihrem Zentrum statt. Auch hier, wie auf dem Picheisberg, Gesang und Festgelage, aber nicht auf den akademischen Kreis beschränkt, sondern als öffentliche Massendemonstration, auf Verbreitung von Doktrinen berechnet. Was in »Wigands Kuhstall« passiert, ist außerhalb nicht mehr kommunizierbar. Wird es bekannt, ist es Skandal, »Unsinn-machen«. Die ersten Reaktionen innerhalb der Junghegelianer auf die Skandalpraxis zeichnen sich bei dem Berlin-Besuch Ruges anläßlich der Reise Herweghs ab. Hier wurde deutlich, daß sich in Berlin Verhaltensweisen ausgebildet haben, die >unter aller Partei< sind. Über die Reaktion Ruges berichtet sein Bruder, daß die Diskussion in der Gruppe zunächst ganz »stille« begonnen hätte. Mit der Zeit sei es jedoch den Jüngeren zu langweilig geworden, sie opponierten »und verfielen in ihren alten gewohnten Ton. Die freie Stimmung steigerte sich bis ins Unglaubliche. Ich sah wie Arnold (Rüge, d. V.) stumm und wie versteinert dasaß. Ein Sturm mußte ausbrechen, denn es kochte und siedete in ihm. Mit einem Male sprang er auf und rief
292
mit lauter Stimme: >Ihr wollt frei sein und merkt nicht, daß ihr bis über die Ohren in einem stinkenden Schlamm steckt! Mit Schweinereien befreit man keine Menschen und Völker! 141 Reinigt Euch zuerst selbst, bevor Ihr an eine so große Aufgabe geht!<« Ruge faßt sein Urteil in einem Brief an Marx zusammen: »Trinken, Schreien, ja, ich sage es, selbst PRugeleien könnte man Leuten hingehen lassen, die das alles trieben, abgesehen von einem ernsten Inhalt, und ohne ihn zu besudeln.« Was er in Berlin erlebt hat, ist für ihn »das ganze tobende, mit Atheismus, Kommunismus, Ausschweifung, Köpfen und Guillotinieren um sich werfende, gesellige und schriftstellerische Unwe142 sen.«
Ähnliche Urteile lassen sich noch vermehren. Der Tübinger Junghegelianer A. Schwegler schreibt über »das abschreckende Treiben namentlich der beiden Bauer (. . .): aus dem Parteimachen wird ein Rottenmachen, aus einem besonnenen, stetigen, die Möglichkeit einer praktischen Verwirklichung nie aus den Augen verlierenden Wirken für wissenschaftlichen politischen Fortschritt wird ein nutzloses, die Freiheitsbestrebungen überhaupt verdächtigendes und selbst die Bessergesinnten anwiderndes Spektakel.«14' Und für den Königsberger L. Walesrode haben sich die Berliner um B. Bauer »selbst zu einer literarischen Pariakaste konstituiert und scheinen nicht wenig eitel darauf zu sein. So wollen die Leute auf die Gegenwart 144 wirken!«
»Schriftstellerisches Unwesen«, »anwiderndes Spektakel«, »literarische Pariakaste« - Umrisse einer Boheme zeichnen sich ab. Es handelt sich aber nicht nur um ein auf die Berliner Gruppe beschränktes Phänomen. Heß' >wilde Ehe< entsprach in dieser Zeit durchaus den Maßstäben der Berliner.145 Und im April 1842 mieteten sich Marx und Bauer in Godesberg »ein paar Esel und galoppierten auf ihnen wie rasend um den Berg herum und durch das Dorf. Die Bonner Gesellschaft sah uns verwunderter wie je an. Wir jubelten, die Esel schrien.«146 Auch kann man den Angaben von F. Saß vertrauen, daß Rutenberg nach »dem Tode der Rheinischen Zeitung von Köln wieder nach Berlin zurückgekommen ist und vom Rheine eine große Lust am dortigen Narrentume und Faschingstreiben herübergeholt hat.«147 Und wie wurde die >Beerdigung< der RhZ in Köln begangen? Die Redaktion lud den Zensor Saint-Paul zu einem »Totenmal« ein. Die Feier geriet zu einem skandalösen Happening: ein mit Trauerflor umwundener Band der Zeitung wurde mit Ketten an den Stuhl des Zensors gefesselt, und unter Pereat-Rufen auf die Zensur schnitt man dem Zensor eine Locke ab. Die Presseberichterstattungen ebenso wie die öffentlichen Richtigstellungen Saint-Pauls zu diesem Ereignis zeugen von der Kölner Skandalpraxis.148 Den Zensor Saint-Paul schließlich, wir finden ihn - welch eine Wendung! - wieder als prominentes Mitglied der »literarischen Pariakaste« in Berlin.149 In diesem Fall hat sich die politikfreie Kommunikationsgemeinschaft mit dem Zensor zumindest in der Hippeischen Weinstube in Berlin realisiert. Versucht man, die Skandalpraxis, das »Unsinnmachen«, aus dem Bannkreis des Anekdotenhaften herauszulösen, so kann der inszenierte Skandal als eine Handlungsweise verstanden werden, die sich in spezifischer Weise auf die öffentliche Kommunikation richtet. Der Skandalpraktiker rechnet mit der Reaktion der Öffentlichkeit, aber er tut dies nicht wie jemand, der an der öffentlichen Kommunikation problemlos teilnimmt. Vielmehr agiert er von einer Position aus, die gleich-
293
sam schon außerhalb der Kommunikationsgemeinschaft liegt. Er stellt sich bloß, um Bloßstellungen zu provozieren. Im Skandal wird etwas schockartig zur Schau gestellt, was im >normalen< Kommunikationsreglement tabu ist. Das Laborieren an den Tabugrenzen kann nun funktional reinterpretiert werden als ein Mittel, auf Probleme aufmerksam zu machen, die öffentlich zu diskutieren nötig wäre. Die Skandalpraxis wäre dann ein unschön lärmendes Präludium für eine vernünftige öffentliche Debatte. Aber die funktionale Reinterpretation, kann sie der Skandalpraktiker selbst noch leisten? Er müßte sich, wollte er dies tun, in irgendeiner Form für den Skandal entschuldigen: >Glaubt mir, ich habe diese Tabuverletzung nur begangen um dieser vernünftigen Sache willen.< Was aber, wenn der Skandalpraktiker sich nicht entschuldigt? Wenn er die Frage, ob es eine funktionale Reinterpretation des Skandals gibt, selbst offen läßt? Wenn er darüber hinaus sogar bestrebt ist, den Skandal zu perpetuieren, gleichgültig, ob es einen sozialen Sinn dafür geben könnte oder nicht? Wenn sich die Skandalpraxis verstetigt zu einer kontinuierlich skandalösen Art des Auftretens? Es sind dies Fragen, die auf die Schwierigkeiten verweisen, dem Pänomen der Bohème gerecht zu werden. b) Literarische Darstellungen Das Treiben der Bohème ist ein prominentes Thema zahlreicher literarischer Darstellungen, die ihr Auftreten nicht nur begleiten, sondern verstärkend dazu beigetragen haben, ihr Bild auszustatten. Man kann von einer spezifischen Affinität literarischer Produktion und Boheme sprechen, nicht nur, weil Boheme selbst zu einem großen Teil aus Literaten besteht, sondern auch, weil die Distanz der Boheme zu unsicher gewordenen Lebensformen ebenso wie der überhöhte avantgardistische Anspruch ihrer Gestalten, ihr luxurierendes Herausfallen aus der Ordnung des Sozialen auf Probleme künstlerischer Existenz verweisen, die sich am Thema Boheme besonders gut darstellen lassen. Mehr noch als wissenschaftliche Untersuchungen sind es Romane und Erzählungen gewesen, die das, was Boheme sein kann, konturiert haben. Dies gilt nicht nur für Frankreich, wo die Werke Murgers und Valles' den Typus Bohème definiert haben, sondern gerade auch für Deutschland, wo seit den 40er Jahren nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Treibens der junghegelianischen Bohème zahlreiche Werke erscheinen, die sich dieses Motivs zentral oder in Nebenepisoden annehmen. Die wichtigsten literarischen Darstellungen seien kurz skizziert.150 In W. Elias' Novelle »Söhne der Zeit« (1840) gerät der Student Leopold unter den Einfluß der Hegelschen Philosophie und entwirrt grandiose Programme für eine welterschütternde literarische Bewegung. Die Existenzbedingungen der >Lohnliteraten< sind Thema des Romans »Alfred« von A. v. Sternberg (1841). Kontrastierend werden zwei Verlegertypen dargestellt: Nehrmann, ein >solider< Geschäftsmann, der im alten Stil mit seinen Autoren umgeht, und Potter, der die Schriftsteller skrupellos in seine Abhängigkeit bringt und sie zwingt, entgegen ihren Überzeugungen zu schreiben, was finanzkräftige Interessenten lesen wollen und was sich auf dem Markt verkaufen läßt. In S. Brunners »Des Genies Malheur und Glück« (1843) treten junghegelianische Intellektuelle auf, die zunächst mit
294
einem blasphemischen Atheismus Skandal machen, um dann zum Katholizismus zu konvertieren. Die späteren biographischen Entwicklungen E. Bauers und Marie Dähnhardts sind hier literarisch antizipiert. Das Spektrum der intellektuellen Positionen zwischen dem Radikalismus und Frühsozialismus der 40er Jahre wird in Klenckes Roman »Das deutsche Gespenst« (1846) dargestellt. In besonderer Weise stilbildend für die literarische Verarbeitung des Bohememotivs wurde Marcards »Ein Literatenleben« (1847). In dieser Erzählung verdirbt sich der Held Wilhelm durch das Studium von Hegel und Feuerbach seine gesicherte bürgerliche Existenz und wird Journalist. Er gerät in notorische Geldnot und wird als lumpenproletarische, moralisch unzuverlässige Existenz dargestellt. Wilhelms Literatenleben endet mit Krankheit und Hungertod. Diese Motive finden sich auch in H. Raus Roman »Genial« (1844). Nach der Revolution setzt zu Beginn der 50er Jahre eine zweite Konjunktur von literarischen Produktionen ein, in denen Motive der junghegelianischen Boheme thematisiert werden. In seinem Roman »Der Tannhäuser« (1850) stellt der preußische Ministerialbeamte A. Widmann, der sich nach 1849 ganz der Romanschreiberei widmete, in seinen Helden Friedrich und Muhr zwei gegensätzliche Bohemetypen dar. Friedrich, der sich selbst den Titel »Ich, als der Vollzieher des Weltgeistes« zulegt, tritt als prophetischer Sektengründer auf, der kraft seines Geistes zur Weltherrschaft strebt, aber schließlich scheitert, weil die Bürger an der Verwirklichung seiner Theorien über die freie Liebe Anstoß nehmen. Dagegen setzt der Literat Muhr ganz auf das Negative: »An der Auflösung der Welt arbeiten, heißt Frommes tun« und: »Vernichtung aller herrschenden Begriffe von Staat und Gesellschaft, so heißt die Parole«.151 Friedrich ist der genialische Weltverbesserer, der wie ein König Hofhält und sich von seinen Jüngern kritiklos verehren läßt. Muhr dagegen repräsentiert einen rückhaltlosen Nihilismus, dessen Skandalpraxis allein der Erzeugung chaotischer Unruhe dient. In positionellen Abschattierungen gruppieren sich noch weitere Intellektuellenfiguren um die beiden Protagonisten, die ihre Konturen verstärken helfen. Als gezielte Polemik gegen die Tübinger Junghegelianer hat Wilhelmine Canz ihren dreibändigen Roman »Eritis sicut deus« (1854) geschrieben. Hinter der Romanfigur Robert Schärtel steht der Junghegelianer F. Th. Vischer. Die Endekkung, »daß der menschliche Geist der Göttliche ist: daß es außer dem Menschen keinen weiteren göttlichen Geist gibt«, führt bei Schärtel zu einem übersteigerten Geniekult, in dessen Zentrum er sich selbst setzt. An Schärtels Ehe zeigt die Autorin die destruktiven Folgen der hegelianischen Spekulation auf. Schärtels Ehefrau wird schließlich wahnsinnig angesichts einer Philosophie, die »die zum tollen Tanze des Widerspruchs verkehrte Welt« reflektiert. 152 Schärtel geht von der Philosophie zur Politik über und beteiligt sich mit Gleichgesinnten an konspirativen Aktivitäten. Die politische Phraseologie dieser Gruppe wird von Canz dem herablassenden Verhalten gegenübergestellt, das diese >Anwälte des Volkes< den unteren Gesellschaftsschichten alltäglich entgegenbringen. Aus dem Kreise der Junghegelianer hat W. Jordan 1851-53 in seinem dreibändigen Versepos »Demiurgos« zahlreiche Motive der junghegelianischen Szene der 40er Jahre verarbeitet. In einer heute schwer lesbaren philosophischen Lyrik entfaltet Jordan weniger das pittoreske Bild der Boheme als vielmehr das Spektrum der
295
spekulativen und kritischen Positionen der Gruppendebatten. Den Rahmen der spärlichen Handlung bildet das Theodizeeproblem, dargestellt in allegorischen Gestalten: Luzifer schließt als Demiurgos mit seinem Gegenpart, dem absolut guten Prinzip Agathodämon, eine Wette über die Möglichkeit der Verwirklichung des Guten ab. Agathodämon nimmt Menschengestalt an und beginnt, als idealistischer Jüngling Heinrich der Reihe nach alle möglichen Entwürfe eines vollkommenen Lebenslaufs durchzuexperimentieren. Vom Entwurf hellenistischer Liebe über soziale Philanthropie, die verschiedensten frühsozialistischen und junghegelianischen Positionen, den Versuch eines politischen Pragmatismus im Kampf für ein Parlament bis hin zur Vertiefung in die Naturwissenschaften reichen die Experimente Heinrichs, der in jedem Entwurf nach anfänglichem Aufschwung rasch wieder weit- und lebensmüde wird. Auch in der vollkommenen Utopie »Nirgendheim« verliert er seine Wette gegen den luziferischen Demiurgos, den Jordan der gnostischen Tradition entnommen hat.153 Die skizzierten literarischen Darstellungen von Motiven der junghegelianischen Boheme sind sowohl, was ihre literarische Qualität, wie auch, was ihre mehr oder weniger bohemekritische Intention angeht, sehr heterogen. Aber mag es sich um eine moralisierende Warnliteratur wie bei Marcard, um eine neupietistische Polemik wie bei Canz oder um ein spekulativ allegorisches Gemälde wie bei Jordan handeln - was zur literarischen Darstellung reizt, ist das Don Quichottehafte der Genies, ihr Behaupten von Möglichkeiten, ihre Exzentrik. Die literarische Darstellung kann es sich auf der fiktionalen Ebene leisten, diesen Dimensionen weit mehr Raum zu geben als dies auf anderen Aussageebenen möglich ist. Soziologisch relevant gemacht werden können dabei in besonderer Weise literarische Darstellungen, die mit den Mitteln der Satire arbeiten. Die satirische Zeichnung von Charakteren selbst liegt nahe bei dem Verfahren soziologischer Typenbildung. Hier wie in der Satire werden Verkürzungen und Stilisierungen vorgenommen, quasi idealtypische Bündelungen von Phänomenen, die nicht als abgebildete Wirklichkeit behauptet werden, sondern von denen gewußt wird, daß sie so >rein< nicht in der Wirklichkeit vorkommen. Wie die Satire übertreibt soziologische Typenbildung bestimmte Phänomene, um sie begrifflich abgrenzbar zu machen. Es handelt sich in beiden Fällen um ein konstruktivistisches Verfahren.154 Geht man den soziologischen Typendefinitionen gerade der Boheme nach, so wird man zahlreiche Affinitäten zu satirischen Bohemedarstellungen finden. Ein Grund hierfür könnte auch darin liegen, daß beide Verfahren, auf den Gegenstand Boheme angewandt, dem Auftreten dieses Phänomens insoweit entgegenkommen, als der Bohemien im Versuch, seinen Entwurf auch gegen die >Realität< zu leben, selbst einen Großteil der Stilisierungsarbeit leistet. Wo Satire wie Soziologie andere Lebensformen wie z.B. die bestimmter Proletariergruppen oder bürgerlicher Schichten typisieren, beziehen sie sich auf Gestalten, die in der Regel kein derart bewußt entwurfhaftes Verhältnis zu ihrer Existenzweise haben wie die Boheme. Die literarischen Darstellungen der junghegelianischen Boheme abschließend möchte ich auf zwei Romane ausführlicher eingehen, in denen satirische Elemente besonders präsent sind. Klara Mundt, an die sich R. Gottschall später als »eine etwas verwilderte George
296
Sand« erinnert,1'5 veröffentlicht 1844 unter dem Pseudonym Luise Mühlbach »Eva. Ein Roman aus Berlins Gegenwart«. Verflochten mit der vormärzlichen >Emanzipations-Story< der Hauptfigur Eva wird das Schicksal ihres Bruders, des Buchdruckergesellen Fritz Wendt, dargestellt, der sich entscheidet, Literat zu werden: »Nein, statt Bücher zu drucken, lasse ich jetzt die Eingebungen meines Genius drucken (. . .). Die goldene Zeit der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Macht des Volkes mit heraufzubeschwören, dazu hat mich das Schicksal berufen, das Volk hat mich zu einem seiner Vertreter aufgerufen und ich bin seinem Ruf nicht taub gewesen!» Nach dem Vorbild G. Herweghs schickt er sich an »zu einer jener Triumphreisen, wie sie die glorreichen Dichter unserer Tage durch ganz Deutschland machen, nachdem ihre Lieder mit Enthusiasmus überall aufgenommen werden.«156 In Berlin trifft er, der das wohlklingende Pseudonym Bonaventura von Ottersheim angenommen hat, auf die Junghegelianer Weinherr und Rautenweg (letzterer spielt wohl auf Rutenberg an). In zahlreichen satirisch gestalteten Szenen macht Klara Mundt die Phrasenhaftigkeit der politischen Bekenntnisse deutlich, hinter denen nur das selbstzweckhafte Karussel einer sich gegenseitig bespiegelnden intellektuellen Gruppe steht. So stellt sich Weinherr mit den Worten vor: »Ich widme mein Leben, meine Zeit, dem einzigen hohen Ziel, der Befreiung Deutschlands, und wenn ich morgens mindestens drei Stunden Zeitungsartikel geschrieben, finde ich noch Kraft und Mut in mir, nachmittags mehrere Stunden hintereinander in den Kaffeehäusern und Lesekabinetten zu sein, um durch lebendiges Wort und eifernde Rede den Mut meiner Freunde zu beleben und ihre Kraft anzufachen.«157 Die Kommunikation der Gruppe handelt entweder von einem einträchtigen gegenseitigen Rezensieren, oder es geht um ein Überbieten der Schreibleistung des anderen. »Je extravaganter und ausschweifender seine (d. h. Bonaventuras, d. V.) Gedichte waren, desto mehr wurden sie erhoben und gepriesen, und desto mehr beeiferte sich Herr Weinherr, dieselben in lobenden Zeitungsartikeln zu preisen, und solches Lob pflegte dann Bonaventura wieder mit einem Lobgedicht auf Herrn Weinherr zu erwidern. Dann sorgte Rautenweg, daß dies in einem andern Journal abgedruckt ward, wofür Herr Weinherr dann wieder zum Lobe Rautenwegs anderswo einen >Artikel< verfaßte. Es war ein stetes Hin- und Wieder-Loben, bei dem jeder gewann, und sich den anderen verpflichtete, und wobei jeder doch wohl nur zum Wohl des Landes, zur endlichen Befreiung Deutschlands zu wirken vorDie Satire akzentuiert die Bewegungsformen einer Intellektuellengruppe, deren einzige Praxismöglichkeit die politische Schriftstellerei ist. Im Verlauf der Erzählung treten politische Sinngebung und kollektive Abhängigkeit von der Schriftstellerei zunehmend auseinander. Zum Gruppenkonflikt kommt es, als der Literat Sylvius den Literaten Weinherr in einem Artikel angreift, er sei »nichts als ein aufgeblasener Schreier, ein kleiner unbedeutender Hegeling, der sich nur der heiligen Sache der Freiheit hingegeben mit hohlem Wortgeklingel und müßigen Redensarten, und um eine Art Bedeutung dadurch zu erlangen.«159 Sylvius verteidigt seine Auffassung in der Gruppe und fragt:
297
»Was sind eure Artikel, mit denen ihr euch brüstet, denn weiter anders als grelle Aushängeschilder eures Gewerbes? und weil euch denn das Erhabenste, weil euch die Freiheit nur ein Gewerbe ist, darum werdet ihr mit Recht verspottet und verschmäht, und darum wendet sich jeder Mann ab von eurem hohlen Wortgeklingel und euren hochtönenden Phrasen, jeder Mann, dessen Wahlspruch ist: nicht sprechen, sondern handeln! Hier schwieg Sylvius und noch einen glühenden stolzen Blick auf die Versammlung werfend, verließ er hochaufgerichtet das Gemach. - Man hatte geschwiegen, wie erstarrt vor Schreck über solch unerhörte Frechheit. Jetzt aber brach der Sturm los, und man hörte ihre Flüche und Verwünschungen, Rachegeschrei und Verachtung gegen Sylvius. Er ist ein Legitimer! Ein Überläufer! Wer nicht für uns ist, ist wider uns! Schande über diesen Abtrünnigen, der die heilige Sache der Freiheit verlassen und ein Knecht der Tyrannei geworden ist!«160
Vorlage für diese Szene ist vermutlich Ruges Besuch bei den Berliner Junghegelianern im November 1842 gewesen. Die Sympathien der Autorin liegen deutlich bei der Figur des Sylvius, den sie - eine politische Ortsbestimmung - nach Königsberg abreisen läßt. Was der Satire entgeht, ist der Umstand, daß die Reden des Sylvius mit ihrem glühenden politischen Pathos sich nur wenig von den Reden der anderen unterscheiden, allein die Thematisierung des Gewerbecharakters der politischen Schriftstellerei der Gruppe gibt ihm die Sonderstellung dessen, der das Geheimnis der Gruppe lüftet. In der Gruppe kommt es zu einem makaberen Ausstoßungsritual: an der Tafel steht mit Kreide >Sylvius, Ausgestoßener !< geschrieben, und Weinherr fordert die Gruppenmitglieder auf, einzeln diesen Spruch mit einem Kreidekreuz an der Tafel zu besiegeln. Mit dem Ausschluß von Sylvius geht die Gruppe zu einem gesteigerten Radikalismus über. »Die Freiheit darf nichts gemein haben mit dem Gesetz, die Freiheit muß gesetzlos sein, eine gesetzliche Freiheit ist schon wieder eine bedingte, beschränkte, eine in sich gefesselte, die Freiheit muß aber eine absolute, über das Gesetz erhabene sein!«162 Die Geschichte der radikalen Protagonisten endet damit, daß Polizei und Regierung Weinherrs journalistisches Talent entdecken und ihm einen einträglichen Posten bei einer regierungstreuen Zeitung verschaffen. Rautenberg dagegen wird aus Berlin ausgewiesen. Gegen Weinherr fühlt er sich jedoch ungerecht behandelt: »Mich, der ich bedeutend mehr Talent habe, mich verbannt man und ihm (Weinherr, d. V.) gibt man so bedeutendes Gehalt! Ich würde diese Artikel viel besser geschrieben haben! Aber so sind die Regierungen, sie machen beständig Mißgriffe!«163 Bonaventura schließlich gerät an eine polnische Gräfin, die von seinen Freiheitsliedern begeistert ist, vor allem aber seinem aristokratischen Pseudonym vertraut. Als der Namensschwindel auffliegt, will sich die Fürstin mit der Knute rächen. Dem entgeht der Freiheitsdichter nur dadurch, daß er sich darauf einläßt, eine Hymne an die Knute zu dichten. Nach dieser Demütigung schlägt er die angebotene Pistole aus und flieht aus Berlin, um sich in Hamburg als Inhaber einer Leihbibliothek unter seinem bürgerlichen Namen niederzulassen. Ihre Spannung bezieht die Satire aus der Gegenläufigkeit zweier Profilierungsweisen der Intellektuellenexistenz: einmal sind die politisierenden Literaten opportunistische Gestalten, die ihre Schreibtätigkeit >gesinnungslos< ausüben, verfügbar für alle möglichen sich widersprechenden Ziele, zum anderen sind es >authentische< Charaktere wie Sylvius, die glaubwürdig profiliert werden. Indem beide in
298
eine dramatische Kollision gebracht werden, entfaltet die Satirikerin eine Binarität von bedeutungloser, selbstzweckhafter Phraseologie und bedeutungsvoller >authentischer< Rede. Es handelt sich um eine heikle Binarität, die herzustellen nicht einfach ist. So gilt z. B. in einem Fall das Broschürenverbot durch die Regierung als ein künstlich provoziertes Geschehen, das dem Ziel, bloßes Aufsehen zu erregen,- dient, im Falle des Verbots der Broschüre des Sylvius handelt es sich dagegen um ein Geschehen, das auf eine >echte< Oppositionshaltung verweist. Zur Diskriminierung beider Intellektuellentypen ist eine sorgfältig kalkulierte Zufuhr von Motivation nötig. Diese Psychologisierung der Charaktere behindert jedoch, wenn sie zu stark erfolgt, die satirische Intention der Darstellung. Denn um typisieren zu können, muß die Satire Psychologisierungen zurückdrängen. Weitaus gelungener als K. Mundts Satire ist der dreibändige Roman »Moderne Titanen. Kleine Leute aus großer Zeit«, den der 23jährige Robert Giseke 1850 veröffentlicht.164 Giseke verzichtet auf die Hereinnahme zur Identifikation einladender Gegengestalten, alle Figuren, die er auftreten läßt, erscheinen im Lichte der Satire. Held des Romans ist Ernst Wagner, der, als Theologiestudent von den religionskritischen Debatten angesteckt, sich nicht in die provinzielle Enge einer Landpfarrei eingliedern läßt. Er gerät in Konflikt mit seinen Amtsbrüdern, nachdem er ein religionskritisches Buch publiziert hat. Aus der Provinz flieht er nach Berlin, wo er sich der junghegelianischen Boheme anschließt. Die »Berliner Genies«, die Giseke im zweiten Band seines Romans auftreten läßt, treffen sich in der Hippelschen Weinstube. »Die Philosophen der absoluten Kritik bildeten den Kern, Zeitungskorrespondenten, Künstler, emanzipierte Frauen, ältere Studenten und eine Anzahl bummelnder und verbummelter Individuen - das Gros dieser Gesellschaft. (. . .) Es war das der freie Berliner Geist, in seiner reinsten Abklärung, ungetrübt vom Bodensatze des Besitzes oder Amtes, ungetrübt von Glauben oder Grundsatz, ohne von sich selbst abgezogen zu sein durch die Teilnahme am öffentlichen Leben, nur sich selbst angehörend und der fortschreitenden Dialektik seiner Entwicklung. Es war derselbe >Geist<, der in der christlichen Religion vor noch nicht zehn Jahren die Offenbarung der absoluten Vernunft sich rühmte begriffen zu haben; dann dieselbe als einen poetischen Mythos des Menschengeistes belächelte, dann als eine Verrücktheit verhöhnte und durch die kritische Tätigkeit alle Verrücktheiten, Religion, Staat, Recht, Wissenschaft, Sittlichkeit, in ihr Nichts aufzulösen vermocht hatte, bis er diese Kritik selbst als eine Verrücktheit entdeckte, das menschliche Denken für beendet erklärte, und nichts mehr behielt als den Grundsatz: leben und leben lassen!«165 Die Passage verweist auf zentrale Probleme, Boheme literarisch darzustellen. Die pittoreske Vielfalt der versammelten Gestalten kann aufgezählt werden, aber handelt es sich bei dem Abriß der intellektuellen Odyssee der Gruppe um »denselben Geist«? Dies kann nur gelten, wenn Boheme gleichsam als eine >Endstation< stilisiert wird, als ein Zustand, von dem aus keine Entwicklungen möglich sind. Auch die einzelnen Gestalten der junghegelianischen Boheme, die Giseke auftreten läßt, sind in je verschiedener Weise als Figuren profiliert, in deren Verhältnis zur Zeit Geschichte problematisch geworden ist. In der Weinstube tritt an jedem Samstag der »große Kritiker« auf, eine Figur, deren Züge auf B. Bauer hinweisen. Der »Prophet dieser gottlosen Sekte (!) pflegte an diesem Abend die Zusammenkunft seiner
299
ungläubigen Gläubigen durch seine Gegenwart zu verherrlichen. Die ganze Woche hindurch lebte er, fast ohne auszugehen, der Kritik; erst des Sonnabends machte er Feierabend, begab sich unter seine Jünger und erfüllte seine geselligen Bedürfnisse; des Sonntags verschwand er und verweilte im Kreise seiner Familie, um in heimlicher Sünde gegen den Geist auch seinem Gemüte Rechnung zu tragen.« Nach der Rede B. Bauers, in der er zwischen zwei Zügen auf dem Schachbrett eine abschließende weltgeschichtliche Einschätzung der deutsch-katholischen Bewegung gibt, kommt E. Bauer kurz zu Wort. »>Pereat Gott! < bramarbasierte der burschikose Bruder des Großen, indem er auf den Tisch schlug, tiefsinnig in sein Seidel starrte und es dann zur Hälfte leerte.«166 Zu den »Berliner Genies« gehört auch der reiche französische Maler Caesar, der »in kurzem Sammetrocke, einen roten Schal malerisch um den Hals geschlungen«, auftritt. Caesar bemüht sich ebenso wie Ernst um die Schauspielerin Delphine, die unter »Weltschmerz-Langeweile« leidet. Für Doktor Horn, eine Romangestalt, hinter der sich Max Stirner verbirgt, ist Langeweile und Weltschmerz »das Leiden des Zeitalters. Die Ehe und die Polizei sind daran schuld. Kuriert die Welt von diesen beiden Epidemien, und wir werden glücklich sein, wie die Götter.« Caesar hingegen will nicht so lange warten, »bis die Welt aus lauter Junghegelianern besteht (. . .). Ich dächte, Delphinchen, wir kümmern uns um das Prinzip und um die Welt nicht, sondern wir lieben das Leben, und - leben, wie wirs lieben.« Und Caesar fragt gelangweilt zurück: »>Sagen Sie, Doktor (Horn, d. V.), wie weit ist die Menschheit heute? Wieviele Standpunkte sind seit vorgestern überwunden?<«167 Ob es sich um B. Bauers redundanten Wochenrhythmus, um E. Bauers letztes >Pereat<, um die Langeweile Delphines oder den Hedonismus Caesars handelt, die Figuren stehen gleichsam am Ende der Zeit, eine Position, die Giseke auch dadurch symbolisiert, daß er seinen Dr. Horn (Stirner) mit dem Selbstmord enden läßt. Diese >Endstation< erscheint als Konsequenz der Philosophie. In Horns Abschiedsbrief heißt es: »Ich erklärte im Leben die Selbstbestimmung, die Selbständigkeit, die Selbstliebe für mein Prinzip; ich bin konsequent im Tode, wie ich's im Leben war: ich sterbe durch Selbstmord.« Sein ganzes Leben stellt sich ihm dar als »ein einziger schlechter Witz, der niemandem Spaß gemacht hat, am wenigsten mir selbst. Ein schlechter Witz und doch die Wahrheit selbst.« 168 Was er durchlebt hat, ist die »Tragödie der Narrheit«, wie er sie in einer gerafften Hamletinterpretation in der Hippeischen Weinstube vorgetragen hatte. Die »Narrheit« ist der allgemeine Weltzustand. »Nur Hamlet, der Denker, der Philosoph, erkennt diese allgemeine Narrheit und will kein Narr sein. Er denkt und denkt, will besser und gescheiter sein als alle die Andern, will nur handeln aus Gründen der Vernunft, und - was wird er anders als wieder ein Narr? Von dem Gedanken, kein Narr sein zu wollen, läßt er sich zum Narren haben. Der Narr seines Denkens ! weiß er doch nicht, daß der Mensch kein Gott sein kann, und, wenn er kein Narr sein will, entweder ein Teufel, oder - ein Toller sein muß.« Zum Teufel fehle ihm der Mut, gereizt von den anderen »Narren« wird er »Narr seiner Wut und Rachsucht. Und so ist er der ärgste Narr von Allen. Die Andern sind simple Narren und wissen nicht anders zu sein, er wird Narr in der zweiten Potenz. (. . .) Und die Moral von der Geschichte ist: die menschliche Weisheit besteht darin, Tor zu sein mit Bewußtsein, und die größte Torheit der Welt ist das Bewußtsein, kein Tor sein zu wollen.«169
300
Für die Narren der »zweiten Potenz« gibt es keine Steigerungsmöglichkeit mehr. Ihr >Unsinnmachen< ist die Einholung der geschichtsphilosophisch entworfenen Endzeit im Jetzt der Gegenwart. Was zur Satire reizt, ist, daß hier eine letzte Position behauptet wird, die dem Prinzip satirischer Übertreibung selbst entgegenkommt. »Seiner Natur nach ist das Genie geduldig, je unsterblicher es ist, desto besser versteht es zu warten«, schreibt Rosenkranz im Zusammenhang seiner Theorie der Karikatur.170 Für die in der Satire erscheinenden Genies gibt es allenfalls ein leeres Warten, die Langeweile. c) Zum Begriff >Bohème<
Die erste Arbeit zur Bohème in Deutschland stammt von Julius Bab. Er kündigt sie 1904 als eine »Vorstudie zu einer großen historischen Arbeit«, an, »in der das Kultur-Zigeunertum, d. i. die zentrifugalen Elemente der Menschheit eine Betrachtung finden sollen, die sich zum Grundriß einer neuen Wissenschaft auswachsen dürfte: der Asoziologie.«171 Die annoncierte Arbeit ist nie erschienen, und auch die neue Wissenschaft hat ihre Stimme im Konzert der Disziplinen noch nicht erhoben. Dennoch, die Bezeichnung »Asoziologie« verweist auf eine eigenartige Spannung zwischen dem Phänomen Bohème und soziologischer Denkweise. Zu nennen sind hier zunächst die klassentheoretischen Probleme. Sie finden sich schon in der Marxschen Auskunft von 1852: »Neben zerrütteten Roues mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Herkunft, neben verkommenen und abenteuernden Ablegern der Bourgeoisie Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Lazaronis, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Maquereaus, Bordellhalter, Lastträger, Tagelöhner, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Franzosen la Bohème nennen.«172 Berufsbezeichnungen, lebensgeschichtliche Krisensituationen, die Situation der Armut, die fahrende Künstlerexistenz, kriminelles und halbkriminelles Verhalten aller Arten - keine Bestimmung reicht allein aus, lediglich die Summation: »Auswurf(e), Abfall, Abhub aller Klassen« führt zu einer Kategorie: das »Lumpenproletariat«. Als >Abfall aller Klassen< genau besehen eine >Unklasse<, die im Kontext der Marxschen Argumentation dann aber wieder »die einzige Klasse« ausmacht, auf die sich der bonapartistische Staatsstreich von 1851 stützt.173 Uns interessiert in diesem Zusammenhang nicht das aufschlußreiche Zusammentreffen zweier Schwachstellen der Marxschen Theorie (der Staatstheorie einerseits und der zweifelhaften Differenz eines geschichtsmächtigen »Proletariats« und geschichtsohnmächtigen »Lumpenproletariats« andererseits), festzuhalten ist: unter klassentheoretischen Gesichtspuntken ist Bohème eine zweifelhafte Residualkategorie, die auch schichtungstheoretisch kaum zu vereindeutigen ist. Immer bleibt ein >Bodensatz<, eine Restkategorie, in der sich seltsame Vermischungen, Symbiosen, bizarre Kombinationen von alter Armut und Kriminalität mit extremem sozialem Abstieg und >Aussteigern< aller Art finden. Bohème als ein konturiertes Phänomen gibt es erst seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in Paris. Die französischen Romantiker Petrus Borel, Theophile
301
Gautier und Gerard de Nerval definierten sich als Bohemiens. Mit Henry Murgers >Scenes de la Vie de Bohème (1851) wird der Name Bohème popularisiert. Aber >Bohème< ist nicht auf die literarisch-ästhetische Komponente hin zu vereindeutigen. Mit Jules Valles >Les Refractaires< (1865) verbindet sich eine Bohème, die sich aus widerspenstigen Arbeitsverweigerern aller Schichten zusammensetzt, vorrangig aus einem intellektuellen Proletariat^ das keine Chance und keinen Willen hat, sich den Standards der >Normalgesellschaft< anzupassen. Für Deutschland mag man sich streiten, inwieweit romantische Künstlerverbindungen wie die zwischen E. T. A. Hoffmann und dem Schauspieler Devrient oder das provokative Auftreten Grabbes in Berlin zur Bohème zu rechnen sind, unstrittig in der Forschung ist die Feststellung Babs, daß es sich bei den junghegelianischen »>Freien< bei Hippel« um eine Gruppe gehandelt hat, »die einen echten und rechten Bohèmecharakter trug«.174 Die naturalistische Berliner Bohème des ausgehenden 19. Jahrhunderts um die Brüder Hart, Bruno Wille und J. H. Mackay entdeckt in den Junghegelianern ihre legitimen Vorgänger. Die Stirner-Renaissance der 90er Jahre steht nicht zuletzt im Zeichen der Bohème; Stirners Formulierungen von den »extravaganten Vagabonden«, deren »vagabundierende Lebensart« dem Bürger mißfalle, werden enthusiastisch aufgenommen.173 Sofern man nicht ahistorisch den soziologischen Begriff des abweichenden Verhaltens< als einer sehr groben Ordnungskategorie überstrapazieren will, bietet es sich an, Bohème näheren abgrenzbaren historischen Phänomenen festzumachen. H. Kreuzer hat in seiner gründlichen Untersuchung zur Bohème übereinstimmend mit anderen Autoren darauf aufmerksam gemacht, daß die >Geburt< der Bohème im Zusammenhang mit den Auswirkungen der kapitalistischen Wirtschaftsform auf die literarische Produktion zu sehen ist.176 Bei der Herausbildung eines Marktes für Literatur handelt es sich zwar um einen Prozeß, der schon im 16. Jahrhundert einsetzt, aber die dem Markt korrespondierende Figur eines Schriftstellers, der seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch den Verkauf von literarischen Produktionen bestreitet, ist in Deutschland erst mit der Generation der Schriftsteller des Jungen Deutschland greifbar.177 Zwar haben z. B. Gottsched, Klopstock, Goethe, Novalis und Eichendorff auch für einen Markt produziert, aber sie sind nicht in ihrer wirtschaftlichen Existenz vom Markt abhängig gewesen. Die Entstehung der Idee eines »freien Schriftstellers«, die im 18. Jahrhundert anzusiedeln ist, reicht für die Konstituierung der Bohème nicht aus. Entscheidend ist die Entstehung eines »Lohnliteratur«.178 Sie steht im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Massenpresse, die einen kontinuierlichen Zufluß von Texten benötigt und entsprechend der stückweise abgelieferten Artikel auch einen kontinuierlichen Rückfluß von Geld an die Autoren ermöglicht. Auch größere Romanwerke erscheinen in der Erstveröffentlichung nicht geschlossen als Buch, was bei den Produktionszeiten eines Romans zu gravierenden Kreditproblemen bei den marktabhängigen Autoren führt, sondern als Fortsetzungsroman in Zeitungen. Die in den 30er und 40er Jahren entstehende »Lohnliteratur« verschärft das Problem der Diskriminierung von >anspruchsvoller< und >einfacher< Literatur. Zwar hat es von den Zeitgenossen entsprechend klassifizerte >Trivialliteratur< schon zuvor mit der Entstehung des Literaturmarktes gegeben, aber mit der Abhängigkeit der schriftstellerischen Existenz vom Markt tritt auch für Autoren, die zu
302
anspruchsvollen Leistungen von ihren schriftstellerischen Fähigkeiten her in der Lage sind, mitunter die ökonomische Notwendigkeit ein, Texte schneller zu produzieren, was zu Qualitätsminderungen führen kann. Die Form der Zeilenentlohnung hat darüber hinaus einen wichtigen Einfluß auf die ästhetischen Formprinzipien gehabt. Sainte-Beuve berichtet: »Es gibt Schriftsteller, die ihre Romane in Feuilletons nurin Dialogform schreiben, weil auf diese Weise bei jedem Gedanken, oft schon bei einem Worte, eine neue Zeile angefangen werden muß.«179 Die »Lohnliteratur« ist in dieser Zeit ein neu auftauchendes Massenproblem. So schätzt die Leipziger Buchhändlerzeitung die Zahl derer, die in London nur vom »literarischen Erwerbe« leben, auf 4.000 Personen. »Daß von diesen viele die halbe Woche Hunger leiden müssen, brauchen wir nicht hinzuzusetzen.« Wollte man »die noch dazu rechnen, welche davon (vom literarischen Erwerb, d. V.) zu leben den Versuch gemacht haben, ihn aber wieder aufgeben mußten, weil sie dabei nicht soviel verdienten, um Leib und Seele zusammenzuhalten, so könnten wir die Summe verdoppeln.« Angesichts des Elends der Literaten - auch denen weiblichen Geschlechts, wie der Autor betont - und angesichts der Unberechenbarkeit des Marktes mahnt der Autor: »Es ist gut, wenn junge Leute sich zum Vergnügen mit literarischen Arbeiten beschäftigen; allein wer einem jungen Freunde den Rat gibt, sich ganz darauf zu legen, übernimmt wahrlich keine geringe Verantwortlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit ist wie tausend gegen eins, daß, wer diesen Rat befolgt, sich ein Leben voller Elend bereiten wird.«180 Aber woher kommen die vielen Literaten? Daß es allein die größere Nachfrage nach Literatur gewesen sein sollte, die zur Vermehrung schriftstellernder Existenzen geführt hat, ist schon Zeitgenossen zweifelhaft gewesen. Auf den Vorschlag, die Schrifsteller »sollen künftig im Leben einen besonderen unabhängigen Stand« einnehmen, die »freie Kunst« solle »zu der Würde eines Berufs erhoben« werden, antwortet die Redaktion der Leipziger Buchhändlerzeitung mit einem charakteristischen Hinweis auf die Ursachen des Massenproblems: »Vor dreißig Jahren wurden die meisten Studenten, die auf Universitäten nichts gelernt hatten und im Examen verunglückten, Soldaten; zehn Jahre später Komödianten, dann Demagogen und jetzt Schriftsteller, vorzüglich Journalisten. -Vor dreißig Jahren fiel von zwanzig Einer durch im Examen, jetzt von zwanzig wenigstens fünf, und fünf Andere machen es lieber gar nicht, sondern werden gleich Autoren. - Daher die furchtbare Masse in unserer Journalistik, die jeden redlichen Mann zum Erröten zwingt.«181 Diesem durchaus glaubwürdigen Hinweis zufolge ist die Schriftstellerexistenz massenhaft geworden, weil sie zu einer Art modischem Ausweichberuf für diejenigen geraten ist, die innerhalb der Ausbildungsinstitutionen scheitern oder keine Anstellung erhalten haben, d. h. die Masse der Schriftsteller verweist auf das Problem des intellektuellen Proletariats. Es wäre jedoch unzulässig, >Bohème< mit dem intellektuellen Proletariat einach zu identifizieren. R. Michels hat bereits Anfang der 30er Jahre beide Begriffe gegeneinander abgesetzt.182 Bei der Bohème< mag es sich zwar zum Teil um Angehörige des intellektuellen Proletariats handeln, aber auch wirtschaftlich relativ erfolgreiche Literaten oder Künstler können Bohèmiens sein. Was den armen Bohèmien
303
und den reicheren >Edel-Bohèmien< zusammenschließt, ist nicht mit rein ökonomischen Kriterien zu bestimmen. Es handelt sich vielmehr um einen kulturellen Habitus, einen selbstgewählten Lebensstil, der für die Bohème charakteristisch ist. Die Beziehungen zwischen intellektuellem Proletariat und Bohème sind nicht leicht zu klären. So sehr man darauf insistieren muß, daß zur Bohème gehört, ihre Existenz nicht nur als eine unbürgerliche, sondern auch als eine von alter oder neuer >Normalarmut< differente zu entwerfen, der selbstgewählte Lebensstil, auch der exzentrischste, ist immer bedroht, ein Massenphänomen im Bereich des intellektuellen Proletariats zu werden. Der Zusammenhang zwischen einem betont Bohèmehaften Auftreten und den skizzierten sozialstrukturellen Entwicklungen hin zu einer marktabhängigen schriftstellerischen Existenz und ihrem massenhaften Auftreten besteht gerade darin, daß die sozial wahrgenommene Vielzahl >gescheiterter< oder randständiger Intellektueller das Bedürfnis nach gruppenmäßiger und kultureller Differenzierung bei den Betroffenen herausfordert. Wer Bohème und wer intellektuelles Proletariat ist, ist daher sowohl unter denen, die jeweils dazu gerechnet werden könnten, wie bei denen, die von außen die Szene betrachten, in hohem Maße umstritten. Gerade in diesem Bereich ist der Abgrund zwischen Selbstdefinition und Fremddefinition kaum zu überbrücken. So weist z.B. Ruge den Vorwurf, die Junghegelianer seien »nur wenige prolatäre Individuen, besitzlose übelwollende Unruhestifter«, ebenso entschieden zurück wie die Meinung, »als seien die freien Schriftsteller darum so frei, weil sie nur bürgerliche Proletarier wären«, oder »als seien die zensurwidrigen Schriftsteller wissenschaftliche Proletarier«. Nur der Intellektuelle sei »solide«, der seine »geistige Zahlungsfähigkeit (!), das Liquidmachen des Gewußten« beweisen könne, und das seien »nur die prinzipiellen und fundamentalen Neuerer, eben jene Verachteten.«183 - Dennoch, so sehr sich Ruge auch bemüht, seinen Entwurf für eine freie Schriftstellerexistenz gegenüber stigmatisierenden Zuschreibungen zu immunisieren, und versucht, dem verachteten Neuerer geschichtsphilosophisch eine prominente Rolle zuzuschreiben, allein die Menge der Intellektuellen, die Ähnliches versuchen, gibt der Bohèmekritik immer neue Nahrung. Für die Tübinger Jahrbücher steht fest: »Das Heer der Literaten, das seine Leerheit und Unbedeutendheit hinter dem Interesse und dem Feldgeschrei für eine große Sache verbergen wollte, zog jene Philosophie (die Hegelsche, d. V.) auf die Stufe seiner Bildung herab.«184 Zwischen Ruges Selbstdefinition und den Angriffen des Tübinger Junghegelianers ist keine Vermittlung denkbar. Der Positionenstreit der philosophischen Schule war trotz aller Labilitäten gegenseitig noch kohärent >verstehbar<, ebenso ist im Übergangsfeld zur politischen Partei immer noch eine Kommunizierbarkeit zwischen radikaleren, weniger radikalen, nicht ganz gemäßigten und gemäßigten Positionen denkbar gewesen und hat sich auch den lokalen Diskussionsspektren entsprechend z. T. hergestellt. Der Streit um den Wert der Bohème dagegen verweist auf eine Kommunikationsgrenze und markiert in der Tat ein Phänomen, das mit J. Bab »asoziologisch« genannt werden könnte. Zwei Versuche über die Bohème mögen das Phänomen verdeutlichen. 1846 gibt E. Dronke in seinem Berlin-Buch eine Charakteristik der Bohème, die
304
sich aus verschiedenen Gruppen zusammensetzt. Von der Gruppe der »Freien« oder »Emanzipierten« schreibt er: »Sie begnügen sich nicht damit, die Unsittlichkeit der heutigen Moralitätsbegriffe erkannt zu haben, und die veranlassenden Verhältnisse derselben in der ihnen zustehenden Weise zu bekämpfen: sie wollen vielmehr im öffentlichen Leben beweisen, daß sie darüber >hinaus< sind.« Über die adäquate Erkenntnis mag man streiten wie in einer philosophischen Schule, für die Veränderung der Verhältnisse im Rahmen einer Partei sich praktisch engagieren, aber die Bohème tut etwas anderes, sie »beweist«, daß sie in spezifischer Weise nicht dazu gehört. »Das, was sie in sich, in der Kritik durchgemacht und erkannt haben, gilt ihnen für überwunden; es >existiert< nicht mehr für sie. Dies Negieren einer Existenz, welche, wenn auch verwerflich, doch noch in der Gesellschaft vorhanden ist, muß in dem tatsächlichen Ausdruck des Lebens kindisch und lächerlich erscheinen. Allein die Emanzipierten kehren sich nicht daran, wenn sie mit Philister- und Polizeiwelt in Konflikt kommen, ja es ist ihnen vielmehr ein erhebender Beweis ihres eigenen »fertigem Bewußtseins.«185 Es ist, als ob man es mit Wahnsinnigen zu tun hätte, die jeden Realitätsbezug verloren haben. Sie erklären Normen für nicht existierend und beweisen dies durch ihr Auftreten. Dies mag vielleicht angehen, wenn ein Philosoph auf dem Katheder die menschliche Willensfreiheit damit »beweist«, daß er nach ausführlichen Erörterungen, er werde jetzt aus freiem Willen seinen Bleistift fallen lassen, dies auch wirklich tut und erklärt, es stehe ihm frei, dies jetzt gleich zu wiederholen. Aber das »Beweisen« der Bohème spielt sich nicht an einem Orte ab, der für »Beweise« eingerichtet ist, sondern an einem Ort, wo zweifelhaft ist, ob hier überhaupt ein Terrain für Beweise dieser Art gegeben ist. So rätselt Dronke, was denn jene Zigarren rauchenden, Bier trinkenden »emanzipierten Frauen«, die wie Marie Dähnhardt und Louise Aston auftreten, wollen: »Sie wollen damit keineswegs gegen eine Sitte, welche sie als borniert und philisterhaft erkannt, mit der allgemeinen Waffe des heutigen, friedlichen Bewußtseins der >Demonstration< zu Felde ziehen; es fällt ihnen nicht ein etwas zu bekämpfen, was für sie nicht existiert. Sie wollen nur ihre innere überlegene >Fertigkeit< zur Schau tragen.«186 Der soziale Sinn, dem Dronke nachrätselt, ist kaum kommunizierbar. Für ihn ist der Sinn ein »Zur-Schau-tragen«, ein Sinn, der eben keinen Sinn machen kann, wenn die Demonstration, wie er auch weiß, gerade nicht beabsichtigt ist. Der Begriff Skandalpraxis, den wir im letzten Abschnitt benutzt haben, wäre, so gesehen, ein AntiBohèmebegriff, der nicht mit der Intention derer, die so auftreten, zur Deckung zu bringen ist, oder bei dem zumindest nicht sicher ist, ob er der Intention entspricht oder nicht. Diesen Bohèmetyp nennt Dronke die »philosophischen Possenreißer« und die »philosophischen Übermenschen«, zu denen er namentlich M. Stirner und B. Bauer rechnet.187 Die zweite Gruppe, die Dronke anführt, ist der »literarische Troß«, der sich überall »als Anhängsel zu den politischen Parteien findet«. Dieser wisse »nicht, um was es sich handelt, sondern greift nur vom Hörensagen die Stichwörter des Tages auf und rasselt hiermit über das geistige Schlachtfeld. (...) In allen Parteien, in allen Blättern, den kleinsten und den größten, und in den letzteren noch am meisten treibt der
305
literarische Troß sein Wesen. (. . .) In der Sicherheit der Borniertheit urteilt die Ignoranz des literarischen Trosses mit der größten Keckheit die Hauptfragen des Lebens ab, indem sie sich die philosophische Possenreißerei zum Vorbild nimmt, welche alles >überwunden< und >aufgelöst< hat.«188
Zum »literarischen Troß« rechnet Dronke Mitarbeiter der ALZ, wie Faucher und Reichhard, und er würdigt Marx' und Engels' »Heilige Familie« als eine angemessene Verspottung dieses Literatentyps. Hinzuweisen ist auf eine Nuance der Differenzierung: die »philosophischen Possenreißer« werden als singuläre Gestalten eingeführt, die etwas »beweisen« oder »zur Schau tragen«, der »literarische Troß« ist ein Massenphänomen. Dronke ist gezwungen, die Bohème doppelt darzustellen: als singuläre Absurditäten und als kollektive Ignoranz. Die Doppelung des verachteten »fundamentalen Neuerers« bei Rüge und des »Heeres der Literaten« in der Tübinger Kritik wiederholt sich hier. Schließlich führt Dronke eine dritte Gruppe an: die »Literaten des Müßiggangs«. »Die abstrakten Literaten, welche nichts gelernt haben und nichts lernen wollen, bezeichnen zum Zweck ihrer sog. Literatur den Stil und die Unterhaltung. Da sie mit ernsten Dingen sich zu beschäftigen keine Kraft und keine Erkenntnis haben, so suchen sie den Ernst und das höhere Bestreben in Mißkredit zu bringen, indem sie offen aussprechen, daß die Literatur des Müßiggangs, die sog. Belletristik, keinen höheren Zweck und keinen tieferen Grund haben dürfe.« Dronke macht deutlich, daß es bei dieser Gruppe um Autoren geht, die vom literarischen Markt abhängig sind. »Ihr ganzes Dasein ist eine literarische Spekulation: sie sehen nur dahin, wo sie Geschäfte machen können, und streben nach dem allerdings >höheren< Ziel, sich einen Namen zu verschaffen. Sie betrachten die Presse nicht als ein Mittel zum Ziel, sondern als das Ziel selbst. Sie wollen >Literaten<, Schriftsteller sein.« Hierzu rechnet Dronke wiederum in der charakteristischen Doppelung »alle berühmten >Schriftsteller<, deren Werke man von vorn bis hinten durchlesen kann, ohne daß man sich zu sagen vermöchte, weshalb der Mann überhaupt schreibt, ohne ein bestimmtes Streben daran zu finden, ohne Interesse dafür zu fühlen«; und ebenso »die ganze Horde der Schleppenträger dieser Gesinnungslosigkeit, jene dummen Jungen, welche in belletristischen Blättern und Feuilletons ihr Wesen treiben und gleich der Gaminsliteratur des literarischen Trosses über alles urteilen, von dem sie ihrem Bildungsstand nach nichts verstehen können.«189 Das Dronkesche Bohèmebild ist aus Gruppen und Figuren komponiert, die soziale Dysfunktionalitäten bezeichnen, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen und zu einem Bild zusammengefügt werden: die singuläre Dysfunktionalität eines übersteigerten Intellektualismus, die kollektive Dysfunktionalität einer viel zu wenig durchdachten modischen Akklamation politischer Parolen, die singulär erfolgreiche wirtschaftliche Spekulation auf dem Literaturmarkt und die Lohnliteratur, die beide dysfunktional sind, weil sie Literatur als Selbstzweck, ohne andere Referenz als die der Konjunktur, produzieren. Es handelt sich um Dysfunktionalitäten, die bei aller Verschiedenheit im Bereich der öffentlichen Kommunikation anzusiedeln sind.
306
Nicht abweichendes Verhalten schlechthin liegt dem Bohèmebild Dronkes zugrunde, sondern Störungen der Kommunikation, die entweder durch ein Zuviel oder durch ein Zuwenig an >Intelligenz< hervorgerufen werden, die entweder durch eine zu starke Bindung des kommunikativen Ausdrucks an die Überzeugungen oder durch ein viel zu schwaches Band zwischen »Gesinnung« und kommunikativer Tätigkeit gekennzeichnet sind. Wenn öffentliche Kommunikation auf der Idee der Wirksamkeit von Aussagen beruht, so strapaziert der »philosophische Possenreißer« den Wirkungszusammenhang, weil er Selbstverständlichkeiten voraussetzt, die erst noch zu erklären wären. Der »literarische Troß« dagegen strapaziert den Wirkungszusammenhang von öffentlicher Kommunikation, weil er ihn mit seinen massenhaften und redundanten Akklamationen und Aburteilungen überschwemmt. Die wenigen erfolgreichen und die vielen sich an diese anhängenden Schriftsteller der »Literatur des Müßiggangs« strapazieren die öffentliche Kommunikation, weil sie diese nicht mehr als Mittel für kommunikative Zwecke, sondern als Erwerbsquelle >mißbrauchen<. Angesichts dieser Strapazierungen der öffentlichen Kommunikation als eines >Hauptnervs< der Gesellschaft wird die Spannung zwischen soziologischem Verstehen und asoziologischem Phänomen deutlich. In der Bohème kristallisieren sich unter diesem Blickwinkel all jene extremen Dysfunktionalitäten, die dem Projekt der Distribution der Vernunft inhärent sind. Sowohl die geschichtsphilosophische Thematik des avantgardistischen »Darüber-hinaus-Seins«, die rasch in ein Nachhinken (»Troß«) umschlagen kann, wie auch die sich verschränkenden Thematiken der >Existenz von Vernunft< in der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Existenzprobleme der >Vernunftträger< finden sich in den Stücken wieder, aus denen das Bohèmebild zusammengesetzt ist. Der Beitrag zur Bohème, den der Soziologe P. Honigsheim 1923 veröffentlicht hat, unterscheidet sich nicht nur in Bezug auf die Professionalität von den Ausführungen Dronkes.190 Dieser hatte in den 40er Jahren die Berliner junghegelianische journalistische Bohème vor Augen, Honigsheim kann sich schon auf die entfaltete Vorkriegs-Bohème beziehen. Honigsheim hat seine Primärbeobachtungen im berühmten Heidelberger >Cafe Häberlein< in dem Aufsatz mitverarbeitet. Während Dronke die Bohème gleichsam als Summation verschiedener Dysfunktionalitäten zusammensetzt, versucht Honigsheim, Bohème als reinen Typus im Sinne Webers zu beschreiben, in dem sorgfältig Mischformen und Sonderfälle aussortiert werden. Zur Bohème reinen Typs gehören Honigsheim zufolge keine Angehörigen von Pariaklassen, auch nicht wandernde Unterhaltungskünstler. Die Form der Bohème wird abgesetzt vom »weinseligen Philologen- und Historikerkreis« ebenso wie von Stammtischen, Klubs, Salons, Künstlerzeitschriften, Fünfuhrtees etc. Auch die »esoterische Gemeinde« von Dichtern und Gemeinschaften der Jugendbewegung sind von der Bohème zu sondern. Für Honigsheim stellt Bohème »einen Gegenschlag gegen Formen dar, die als typischer Ausdruck des Gemeinschaftsdaseins angesehen werden, z. B. gegen die Familie, privilegierte Stände usw. Andererseits erscheinen uns diese als Gebilde, die in den Zeiten, in denen wir es mit Bohème zu tun haben, zwar tatsächlich weitgehend zweckrational und vergesellschaftet worden sind, die
307
aber noch mit dem Anspruch auf absolute Gültigkeit und auf verpflichtende Bindung des Individuums auftreten. Gegen diesen Rest von Gemeinschaft oder gegen diese Pseudogemeinschaft wendet sich die Bohème.«191
Die bei Honigsheim dahinterstehende Tönniessche Unterscheidung von >Gemeinschaft< und Gesellschaft< wird man heute nicht unbesehen übernehmen können; wichtig an seinen Ausführungen ist die Beobachtung, daß sich Bohème kritisch gegen soziale Formen richtet, die als »Pseudogemeinschaft« erlebt werden. Das >asoziale< Moment von Bohème, die Abwehr von gesellschaftlichen Bindungen, richtet sich in erster Linie gegen >hochgehaltene< Formen des Sozialen. Wo es im Prozeß der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme und der >Rationalisierung< gesellschaftlicher Beziehungen zu Reaktionsbildungen kommt, die Rückbesinnungen auf bedrohte, stark werthaft erlebte soziale Formen fordern, Reaktionsbildungen, die einen sozialen Zusammenhalt >einklagen<, ergreift die Bohème Partei gegen derartige Rettungsversuche. Für Honigsheim besteht unter religionssoziologischer Perspektive eine »Kausalrelation« zwischen Katholizismus und Bohème. Bohème habe sich zunächst außerhalb des protestantischen Kulturkreises entwickelt und sei mit zunehmender Internationalisierung und Interkonfessionalisierung auch in protestantischen Städten aufgetreten. Diese These kann hier nicht ausführlich erörtert werden. Aber die von Honigsheim bemerkte Bindung des Auftretens der Bohème an gegenreformatorische Bestrebungen trifft für die junghegelianische Bohème in Berlin durchaus zu, wenn man bedenkt, daß es gerade die katholisierenden Tendenzen im preußischen Protestantismus gewesen sind, auf die die junghegelianische Bohème mit ihrer blasphemischen Verspottung reagiert. Die Debatte um den »christlichen Staat«, die Einführung einer strengeren »Sonntagsfeier«, wird von den Junghegelianern nicht nur theoretisch als Gegenreformation eingestuft, sondern auch als Etablierung von >Pseudogemeinschaft<, deren Unglaubwürdigkeit bloßgestellt wird. Mit Hilfe der Honigsheimschen Überlegungen läßt sich auch das Spannungsverhältnis zwischen einer Bohèmekritischen >Soziologie< und Bohèmeaffirmativen >Asoziologie< erhellen. Wo die Bohème sich von existierenden sozialen Formen absetzt, sie nicht aus der Not eines intellektuellen Proletarierdaseins, sondern mit Bewußtsein >negiert<, korrespondiert sie mit Tendenzen, die sich der sozialen Formen, die als bedrohte unverzichtbare Sinnreservoire erscheinen, besonders vergewissern wollen. Bohème reagiert auf eine besondere Betonung des Sozialen, auf diskursive Zudringlichkeiten, die entstehen, wenn im Prozeß der Modernisierung das soziale Feld sich umstrukturiert. Die Bohème >beweist<, daß man auch anders leben kann. Sie negiert den Zwangsaspekt sozialen Lebens. Insofern erscheint sie als Gegenstand einer >Asoziologie<. Wo der Soziologe auf der prinzipiellen Unübersteigbarkeit der Tatsache >Gesellschaft< insistiert, gerät ihm die Bohème zu einem schwer greifbaren asozialen Rest. Um dem zu entgehen, müßte der Soziologe einsehen, daß es nicht zuletzt vielleicht auch sein eigener Diskurs ist, der, weil er das Soziale besonders dringlich herausstellt, weil er auf die Absolutheit von Gesellschaft und ihrer unentrinnbaren Immanenz pocht, gerade den asoziologischen Schatten mitbewirkt. Eine Soziologie der Bohème gelingt nur, wenn sich der Soziologe zumindest einmal gedankenspiele-
308
risch darauf einlassen könnte, daß er mit seinem professionellen Gegenstand auch einem Phantasma folgt, das Konterphantasmen auf den Plan ruft. Der Vorwurf der »Pseudogemeinschaft« läßt sich vom Soziologen auf die Bohème und von dieser auf soziologisch hervorgehobene soziale Formen hin- und herschieben. Honigsheim, der von der Bohème ebenso angezogen wie abgestoßen ist, kommt zum Schluß seines Aufsatzes zu einer charakteristischen Formulierung. Wo es für ihn um die Entwicklung neuer sozialer Formen geht, die er sich als »Synthese aus Gesellschaft und Gemeinschaft« vorstellt, muß die Bohème, d. h. bei ihm »jedes Sichheraussondern aus der Kampffront (!), jedes Esoteriertum, ja sogar infolge der Dringlichkeit und Unaufschiebbarkeit der Aufgabe, zu der es sonst rettungslos zu spät sein könnte, eine Hervorhebung des Privatlebens als eines Eigenwertes und Selbstzwecks abgelehnt werden. Mag also für vergangene Kulturperioden, mag ferner, von einem anderen Blickpunkte aus betrachtet, Bohème und so manche angrenzende (...) esoterische Lebensform, die vielleicht etwas eminent Geistiges an sich hat, als besonders sinnvoll erscheinen, von dem oben skizzierten Standorte (der Notwendigkeit einer »Synthese aus Gesellschaft und Gemeinschaft«, d. V.) aus geschaut, muß sie als Kraftentziehung bedauert werden.«192 Trotz aller sozialen Einfühlung, die Honigsheims Text kennzeichnet, sein Urteil ist eindeutig: die Bohème ist dort nicht zu gebrauchen, wo noch gesellschaftliche Probleme gelöst werden müssen. Bohème entzieht sich nicht bloß Bestimmungen eines gesellschaftlichen Funktionszusammenhangs, sie widersetzt sich auch der Rede von historischen Aufgaben. Was sich in der Analyse der literarischen Darstellungen abzeichnete, wird auch hier deutlich. Die Bohème reinen Typs bricht mit der geschichtsphilosophischen Thematik, in deren Auffaltungen sich die Korrespondenten des >Weltgeistes< zu verorten suchten. Für die Bohème steht die Zeit still, und die Existenz der Vernunft in der Gesellschaft ist mit ihrem Auftreten je schon gesichert. Diese luxurierende Selbstgenügsamkeit fällt ihrem Selbstverständnis nach aus der Geschichte und der Gesellschaft heraus, weil sie als Pseudogeschichte und Pseudogesellschaft erlebt, was anderen - und gerade auch Soziologen - unverzichtbare Referenzen eigener intellektueller Selbstvergewisserung sind.
7. Die »schiefe Stellung« der Intelligenz Das Treiben der Berliner Teilgruppe um B. Bauer ist in den Augen der Zeitgenossen wie auch der Junghegelianer, die Heß oder Ruge folgen, »frivol«. Was heißt »frivol«? In der junghegelianischen Polemik hat das Wort bis 1842 eine klar umrissene Bedeutung. Frivolität meint zunächst die aristokratische Geselligkeit des 18. Jahrhunderts. Für Heß ist das 18. Jahrhundert gekennzeichnet durch die »Nüchternheit« der Aufklärung und die »Frivolität« der Aristokratie. »Die >Nüchternheit< war es gerade, die der >Frivolität< Ende des 18. Jahrhunderts heilbringend entgegentrat. Die verständige, menschliche Besonnenheit setzte der alles Maß überschreitenden Frivolität Schranken.« Eine Wiederauferstehung der Frivolität sieht Heß in der romantischen »mittelalterlich-reaktionären Partei«, die sich »wieder rücklings in jene maßlose Frivolität, in jene tierische Willkür stürzen« möchte.193
309
Heß greift hier die Analyse der Romantik auf, die Ruge 1839/1840 zusammen mit Echtermeyer in einem umfangreichen Artikel in den HJ dargelegt hatte. Die »romantische Praxis des raffinierten Kitzels (der für nichts erglühenden und nie bei der wahren Sache beteiligten ironischen Subjekte)« ist für Ruge »das frivole Bewußtsein, welches nur >Spaßes halber< und des Egoismus halber stilisierte und Bulletins schrieb«. Die Form, in der diese »Frivolität« ins Leben tritt, ist der Salon, »eine Aristokratie der Geistreichen, eine exclusive Geselligkeit mit stereotypen Formen ästhetischer Convenienzen«. Die Beschäftigung mit literarischer Tradition ist hier »nur ein konventionelles und soziales Phänomen. (. . .) Sie ist ein Rezept, in 24 Stunden geistreich zu werden.« Motor der Gruppenbildung sei der »Reiz der Eitelkeit«, durch ihn »erreicht es die exklusive hochmütige Genialität, anstatt die Menschen, wie man vermuten sollte, abzustoßen, sie vielmehr anzuziehen und einen ansehnlichen Kreis von Nachtretern und Anbetern um sich zu versammeln.« Diese »Gemeinde der Rezeptiven« widersetze sich aber trotz aller Hierarchie und »Unfreiheit dennoch keineswegs gegen das Neue; nur ist das Neue in ihrem Sinne vielmehr das Aparte, das ganz Besondere, das Exklusive«.194 In Ruges Perspektive gerät diese Geselligkeit notwendigerweise in eine realitätsinadäquate, fiktive Position.
»Nicht an die wirkliche Substanz des jetzt mächtigen Geistes, sondern an die fingierte und vorgebliche Substanz des jetzt bereits ohnmächtigen Geistes geben diese feinen, nur auf das freie Spiel ihres genialen Ich bedachten, nach aparter und ganz besonders pikanter Speise lüsternen Subjekts sich hin.« Außer der fiktiven Ebene zählt nichts. So bestehe die Gesellschaft von Tiecks »Phantasus« nur aus »Dichtern (. . .), aus lauter Leuten, die ihr Gedicht, ihr Märchen, ihr Drama machen können, sodann aus bloß Setenden; keiner hat eine Stellung, ein objektives Verhältnis, ein Geschäft; sie sind sämtlich Diletanten des Lebens. Dieser Theodor, Friedrich, Lothar usw., blasse Namen ohne Charaktere tragen uns ihre Räsonnements und Schrullen vor; alles bleibt dabei im Dämmer und in der Schwebe; es wird viel Anstalt gemacht, aber nur um vorübergehender psychologischer Pointen willen; kein einziger der Sprechenden hat eine Geschichte, nicht einmal eine Physiognomie«. "5
Nach diesem Muster seien auch die romantischen Salons eingerichtet. Die »Frivolität« des 18. Jahrhunderts kehrt für Ruge in der romantischen Ironie wieder, nicht nur bei Tieck, auch bei Heine, dessen Dichtung »Poesie des Indifferentismus« ist.196 Geschichtslosigkeit, Oberflächlichkeit, mangelnde Fundierung, lockerer Umgang mit sittlichen Moralgeboten, Apartheiten - diese Charakteristika der »Diletanten des Lebens« gehen schließlich über in die Typisierung der Berliner junghegelianischen Boheme. Nicht übersehen werden darf jedoch, daß der Vorwurf der »Frivolität«, so sehr er auch, zunächst von der Debatte um das Verhältnis von Theorie und Masse ausgehend, von den Junghegelianern um Heß und Rüge den Berlinern gemacht wird, sich rasch in den Debatten ausbreitet. Züge einer geschichtslosen, oberflächlichen »Frivolität« werfen die Berliner auch den Kölnern vor. So wehrt sich z. B. Koppen in einer Korrespondenz in den NB gegen das Schreiben eines Kölners, der »die sterile Weise der Bauerschen Abstraktion« angreift. Dem Kölner wird erwidert:
310
»Du hast keine Ahnung davon, wieviele Stimmen bei einem Worte, einer Phrase laut werden und wie ganze Chöre radikaler Korrespondenten, die, während ich dieses schreibe, irgendwo in einer Wein- oder Bierstube >hausen<, Bier von Potsdam trinken und Zigarren von Havanna rauchen, plötzlich emportaumeln und in wüstem Auf- und Niederwogen feier197 lich durcheinander murmeln: Bauersche Abstraktion!« Der Berliner Köppen macht den Kölner darauf aufmerksam, daß dessen Formulierungen auch nicht dagegen zu immunisieren sind, von einer »frivolen« Bohème oberflächlich aufgegriffen zu werden. Oberflächlichkeit und >Frivolität< sind umstrittene Zonen auch in der Korrespondenz, die B. Bauer von einem Sympathisanten erhält, der Bauer von seiner Auseinandersetzung mit einem Bauer-Gegner berichtet: »>Auch sind, fuhr er (der Bauer-Gegner, d. V.) fort, die Bauers zu frivol; ein bißchen mehr Ernst in der Behandlung der so wichtigen Fragen könnte ihnen nicht schaden.< - Siehe Deutsche Jahrbücher, erwiderte ich, letzter Jahrgang, eine der letzten Nummern. >Jawohl, antwortete er, nur hat Ruge die Sache noch nicht tief genug aufgefaßte Wie tief er selber sie einfasse, konnte ich nicht herausbekommen: Denn natürlich ist ihm die Frivolität nur noch mehr zur Redensart geworden, als dem Rüge, dem es damals noch wenigstens ernst mit der Sache war. Mein Freund aber, damals selbst einer von den >Frivolen< und jetzt natürlich, weil seine Frivolität nur eine selbstgemachte Götzin war, auf den Standpunkt des gesinnungsreichen Ernstes herabgesunken, hat auch den Ausdruck >Frivolität< sich nur angeschafft, um sich vor dem Denken zu wahren: es wäre ja frivol, den Sachen auf den Grund zu sehen, man muß immer mit einer gewissen heiligen Scheu sich ihrer Betrachtung überlassen, d. h. sich mit ihrem Namen und ihrer Außenseite begnügen und betrügen, die man dann auch nicht einmal hat, weil man ihren Inhalt nicht durchdenkt. Frivolität scheint ihm an Euch (die Brüder Bauer, d. V.) die die Sache beherrschende und durchdringende Leichtigkeit der Behandlung, die Beherrschung der Kategorien, die durch Studium gewonnene Einsicht, kurz und gut, die Herrschaft über die Gegenstände; er macht es sich mit den Sachen leicht, ihr macht die Sachen leicht. Bei all seinem Es-Sich-Leicht-Machen drückt ihn doch das dunkle Gefühl, daß ihm die Sachen ebenso schwer und undurchgeistet bleiben, wie vorher, daß sie ihm undurchdrungen, unüberwunden gegenüberstehen: Da tröstet er sich aber mit dem Worte >Gesinnung<, diese Phrase hat ihn über die kindische Art, sich über Sachen 198 zu setzen, hinweggeholfen.«
Der Diskurs hat sich verdoppelt. Der Vorwurf der Frivolität wird selbst oberflächlich, zur >selbstgemachten Götzku. Und das ganze wird noch einmal verdoppelt, indem dieser Brief in der ALZ abgedruckt wird. Die Phrase der >Gesinnung< ist auch nur ein oberflächlicher Übersprung, ein Übersprung über den anderen Übersprung, sich >kindisch< über Sachen hin-wegzusetzen.199 Woher rührt diese Ubiquität des Frivolitätsverdachts in den junghegelianischen Debatten? Mit den Positionen in der Debatte um das Verhältnis von Theorie und Masse schien eine eindeutige Verteilung der Attribute gesichert: >emsthaft<, >authentisch< sind jene Intellektuelle, die sich im geschichtsphilosophisch ausgemachten historischen Subjekt< verankern, hier ihren Boden haben, der sie vor den tückischen Verselbständigungen des Intellektualismus bewahrt; >frivol<, >oberflächlich< sind jene Intellektuelle, die die Einsamkeit der Kritik notgedrungen wenigstens zeitweise aufgeben müssen und deren gruppenmäßiges Auftreten zum Skandalmachen führt. Was diese eindeutige Verteilung der Attribute, die in der Literatur häufig wiederholt wird, verdeckt: in beiden Versionen, der Heßschen
311
>Theorie und Masse< und der B. Bauerschen >Theorie statt Masse< handelt es sich um eine Verarbeitung der Aporien eines geschichtsphilosophisch definierten Selbstverständnisses als Avantgarde. Ein Anonymus >aus Berlin< hat in den >Anekdota< die Aporien so beschrieben: »Die Männer der kritischen Bewegung werden wohl darauf resigniert haben, daß sie auf jedem Schritt und Tritt von dem Beifall der Masse werden begleitet werden. Die Masse ( . . . ) schenkt zwar anfangs, wenn etwas Neues auftaucht, demselben eine augenblickliche Aufmerksamkeit, aber wenn der Ernst der Bewegung größer wird, tritt sie zurück, wird sie schwankend, oft irre, und erst wenn das Resultat fertig auftritt, wird ihre Teilnahme wieder lebhafter erregt, weil sie sich nun für oder gegen entscheiden muß. Es gehört daher ein großer sittlicher Ernst dazu, wenn Männer eine Aufgabe übernehmen sollen, deren Durchführung sie so vielen Gefahren und selbst der Gefahr, daß sie für längere Zeit allein dastehen, aussetzt. Diese Sittlichkeit ist durchaus anzuerkennen. Die größte Prüfung, die sie bestehen müssen, besteht darin, daß selbst Leute, die mit ihnen anfangs gemeinsam arbeiteten, aus Indolenz, Schwäche, Klugheit oder Berechnung zurücktreten - ja wohl gar auf die andere Seite hinübergeworfen werden.«200
Jeder Intellektuelle, der sein Denken in irgendeiner Weise als geschichtlich bedeutsam ansieht, steht vor dem Problem der Anpassung bzw. des Aushaltens der Nichtangepaßtheit seiner Ideen im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft. Es liegt im Begriff der Avantgarde, daß zwischen ihren Vorstellungen und denen der Massen ein Abstand liegt. Streitpunkt innerhalb einer avantgardistischen Intellektuellengruppe wird daher immer das Maß des Abstands sein. Es geht um die Fragen: Wie stark darf oder soll die Avantgarde ihre Lernprozesse gegenüber denen der Massen beschleunigen? Ist sie verpflichtet, sich pädagogisch zu assimilieren und die Weiterentwicklung der Kritik sich zeitweise zu versagen, bis die geschichtliche Nachhut< sich weiterbewegt hat? Was heißt Stärke und Schwäche in diesem Zusammenhang? Ist die größere Entfernung von der Masse ein Zeichen der Stärke der Avantgarde, wie die Gruppe um B. Bauer annimmt, eine Stärke, die geschwächt würde, wenn pädagogische Kompromisse gemacht würden? Oder ist die Nähe zu den Vorstellungen der Massen ein Zeichen der Stärke, weil der Intellektuelle sich die harte Probe der Überwindung auch noch der rückständigsten Ansichten auferlegt? Für geschichtsphilosophisch orientierte Intellektuelle ist dies Problem besonders gravierend. Der Geschichtsphilosoph weiß um das Ziel der Geschichte, aber er kann dies Wissen nur in der von ihm identifizierten >Vorstufe< an den Mann bringen. Heß muß für die Theorie jetzt eintreten, obwohl er weiß, daß Theorieproduktion als abspaltender Sektor >in letzter Instanz< falsch ist, Marx muß für die Entwicklung des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft eintreten, obwohl er weiß, daß diese Politik nicht seinem Bewußtsein entspricht. Bauer dagegen muß umgekehrt die Kritik asozial werden lassen, um sein Wissen über den Ausgang der Geschichte sicherzustellen. Individuell mögen diese Dilemmata noch auszuhalten sein, aber eine Gruppe muß an ihnen zerbrechen, weil eine diskutierende und Entscheidungen fällende Gruppe sich nicht nur über die jeweilige Stufe, auf der man sich befindet, einigen muß. Das wäre vielleicht noch kollektiv möglich, aber sie muß sich gleichzeitig auch noch gegenseitig des Arkanums versichern, das das Ziel der Geschichte ist. Die Gruppe steht so vor dem Problem der doppelten Loyalitä-
312
ten. Geschichtsphilosophisch gesprochen: Der Loyalität der Stufe gegenüber und der Loyalität dem letzten Ziel gegenüber. Und weil die Gruppe beide Loyalitäten nur gemeinsam besprechen kann, ist der Verdacht der Illoyalität unausweichlich. Engels hat später in >Der deutsche Bauernkrieg< am Beispiel Thomas Münzers das Problem der Avantgarde rückblickend beschrieben. »Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert.« Dieser Intellektuelle befindet sich »notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: Was er tun kann, widerspricht seinem ganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Interessen seiner Partei; und was er tun soll, ist nicht durchzuführen. Er ist, mit einem Wort gezwungen, nicht seine Partei, seine Klasse, sondern die Klasse zu vertreten, für deren Herrschaft die Bewegung gerade reif ist. Er muß im Interesse der Bewegung selbst die Interessen einer ihm fremden Klasse durchführen und seine eigene Klasse mit Phrasen und Versprechungen, mit der Beteuerung abfertigen, daß die Interessen jener fremden Klasse ihre eigenen Interessen sind. Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren.«201 In eine »schiefe Stellung« geriet aber auch Marx mit seiner Forderung nach einer bürgerlichen Revolution gegenüber den Junghegelianern um B. Bauer, für die das bürgerliche Parteiwesen schon mit dem 18. Brumaire bankrott gemacht hatte. In eine »schiefe Stellung« geriet B. Bauer mit seinen Thesen über die Einsamkeit der Kritik gegenüber den Kölnern, die darin einen Verrat an der geschichtlichen Praxis sahen. Der latente Vorwurf des Verrats aus Schwäche, Schwäche der Anpassung an die Massen, Schwäche der Einsamkeit des Theoretikers, weist auf ein der Gruppe gemeinsames Muster hin, das durch die gegenseitige Polemik verdeckt wird. >Schwäche< ist ein gemeinsamer Ausgangspunkt und Erfahrungshorizont der Gruppe. Die Massen, auf die Heß und Marx zur Stärkung der Theorie reflektieren, sind lediglich virtuell starke Mächte. 1843/44 sind es arme, elende, hilflose Proletarier. Ebenso ist bei Bauer die Schwäche der Kritik der Ausgangspunkt. Der Kritiker offenbart »die Bekenntnis einer schwachen Seele«, der er selbst ist.202 Kritik wie Proletariat sind jedes für sich bloß virtuelle Stärken, es handelt sich um Imaginationen der Stärke. Auch ihr mögliches Zusammenfallen ist eine geschichtsphilosophische Konstruktion, die ihre Wirklichkeit zunächst nur in dem hat, der sie entwirft. Nach herkömmlicher Weise wird man sagen können: Der gemeinsame Boden, auf dem solche Imaginationen wachsen können, ist die soziale Lage einer deklassierten Intelligenz. Wenn Heß das Eintauchen des Intellektuellen in die Massen fordert, so ist die Form der Auflösung des Status der Intelligenz nicht weit entfernt von der »Einsamkeit« der Bauerschen Kritik. Es handelt sich um parallele Bewegungen der Definition eines Deklassiertenstatus. Das Heßsche Extrem der Selbstaufgabe in den Massen und das Bauersche Extrem der Ablösung von allem Sozialen fällt zusammen in der auf die Spitze getriebenen Selbstkritik der Intelligenz. Dem entspricht, daß der Vorwurf des >Bankrotts< gegenseitig ist. Ebenso wie Bauer Selbstkritik der Gruppe fordert, heißt es bei Heß: »Der Junghegelianismus hat alles kritisiert, nur sich selber nicht.«203 Die »schiefe Stellung« der junghegelianischen Intelligenz ist verantwortlich für den von allen Seiten aufbrechenden Vorwurf der »Frivolität«. Als Avantgarde
313
nimmt jede Teilgruppe qua geschichtsphilosophischer Selbstvergewisserung bestimmte Elemente der Realität nicht mehr so ernst, sie setzt sich darüber hinweg, aber dies kann ihr ebenso als »Frivolität« ausgelegt werden. Umgekehrt kann jeder Bezug zu Elementen der Realität, der vorgenommen wird, als rückständiges Verharren in Konventionalismen kritisiert werden, das einer Avantgarde unwürdig ist. Die Bewegungen der Auflösung des Intellektuellenstatus sind in diesem Zusammenhang als Immunisierungstechniken verstehbar, die mithelfen, die geschichtsphilosophische Selbstverortung dem Strudel der Diskussion zu entziehen. Die Aporien der junghegelianischen Avantgarde sind von E. Bauer in einer Romanszene literarisch gestaltet. Es handelt sich um einen fiktiven Dialog »über Bequemlichkeit«, in dem die Unsicherheit über das, was authentische >Gesinnung< und was >Frivolität< ist, im Austausch der Argumente exemplarisch entfaltet wird.204 Cäcilie und Ernst streiten sich darüber, ob Bequemlichkeit eine Konsequenz der Gesinnung oder der Frivolität sei. Cäcilie mißtraut dem >frivolen< Treiben, weil aus ihm heraus keine zuverlässige Bindung entstehen kann. Sie befürchtet, eines Tages mit dem Spruch: »Alles auf der Welt ist Illusion« verlassen zu werden. Für Cäcilie ist die DesillusionierungsStrategie eine Bequemlichkeit. »Es gehört Kraft dazu, zu lieben, da mußt Du Ausdauer in Freud und Leid, da muß Deine Seele die Kraft besitzen, in einen Himmel voll Seligkeit hinanzusteigen, da muß Dein Geist fähig sein, durch die Hölle der Mutlosigkeit und des Verzagens hindurchzuwandern. (. . .) Siehst Du, mein Freund, diese Kraft, diese Ausdauer, dies Nachdenken der Liebe, scheuest Du und Deine Frivolität ist nichts als feige Bequemlichkeit.« Ernst antwortet: »Du hast nicht die Erfahrungen gemacht, welche ich machte, ich habe die Menschen kennengelernt. Du wirfst mir Bequemlichkeit vor: Nun gut ich habe gefunden, daß alle jene Prinzipien, mit denen man großtut, nichts als die Erfindungen bequemer Phantasie sind. Sie alle schienen mir Vorspielungen, spanische Wände, hinter denen sich die Leidenschaften des niedrigsten Egoismus, der beschränktesten Sinnlichkeit verbergen.« Cäcilie gibt sich nicht geschlagen und erwidert: »Wenn alles so wäre, wie es Dein von so bequemen Zweifeln angesäuerter Verstand zu sehen glaubte, hast Du nicht einen Trugschluß getan? (...) Tor, Du glaubtest Dich im Kampfe, im Gegensatz zu der Gesellschaft; und Du würdest doch weiter nichts getan haben, als daß Du in erhöhter Steigerung ihren Charakter Dir angeeignet hättest.« Cäcilies Gegenargument entspricht der Position, die z. B. Heß in den »Letzten Philosophen« gegenüber B. Bauer und Stirner ausführen wird. Einen Ausweg findet Ernst, indem er sich auf das B. Bauersche Selbstbewußtsein zurückzieht: »Nicht doch (. . .), glaube nicht, daß ich ganz ohne Stütze, ganz sonder Prinzip durch das Leben dahintaumele. An mir selbst habe ich meinen Halt. Nachdem ich die Menschen kennen gelernt, nachdem ich gesehen, wie sie, gleichsam berauscht, von einem Interesse in das andere taumeln, ohne einen Mittelpunkt finden zu können, habe ich in mich selbst mich zurückgezogen, an meinem Ich habe ich mir einen Kern gebildet; an meinem Ich habe ich das Orakel gefunden, welches mir alle Fragen beantwortet, alle Kollisionen löset, über alle
314
Kämpfe mich hinwegsetzt; mein Ich würde mir Absolution geben, wenn ich deren bedürfte.« Cäcilie dreht den Spieß um und greift Argumente auf, wie sie Marx und Engels in der »Heiligen Familie« formuliert haben: »Ei wie, der Frivole entdeckt sich ja mit einem Male als ein Schwärmer, als ein Fanatiker, ja als der schlimmste Fanatiker, als Ich-Fanatiker. Dieser Ungläubige, wie gläubig ist er, wie hat er an seinem Ich den Gott, vor dem alles Endliche nicht besteht, vor dem alles Feste sich auflöset, vor dem alles menschliche Interesse unbedeutend ist. O, wieviel widerlicher ist dies Ich als alle Frivolität, wieviel widerlicher dieser Kern als die taube Nuß. Mein Lieber, Du glaubst einen Zepter in der Hand zu haben und Du hast doch nichts, als eine Narrenpritsche.« Der Streit setzt sich anhand des Themas »Menschenliebe« fort, die für Ernst »nichts anderes ist, als Bequemlichkeit. Du wagst es nicht, das Leiden in seiner ganzen schrecklichen Gestalt zu erkennen und zu untersuchen; durch Dein phantastisches Wirken willst Du dich über dasselbe hinwegsetzen, zufrieden, hie und da geholfen, befriedigt, aus dem Gesichtskreise deiner Augen den schwärenden Lazarus vertrieben zu haben.« Die Auseinandersetzung gewinnt eine neue Qualität, als Cäcilie darauf insistiert: »Und doch hast Du nicht das Recht, mir diese Menschenliebe zu nehmen.« Cäcilies humanistischer Glaube an die Entwicklungsmöglichkeiten der Gattung ist eine ebenso unanfechtbare Position, wie Ernsts freies Selbstbewußtsein. Der Erzähler E. Bauer kommentiert die Situation: »Cäcilie hatte Ernst bei seiner schwachen Seite getroffen. Die Unsicherheit seiner Frivolität fühlte sich augenblicklich gereizt, sowie ihr ein Glaube, wie der Cäciliens in seiner ganzen Reinheit und Kraft gegenübertrat; er ahnte es, daß er keine Waffen habe, um diesem Glauben auf irgend einer Seite anzukommen, sein Spott prallte machtlos ab, seine Gleichgültigkeit wurde bemitleidet.« Eine neue Runde der Auseinandersetzung beginnt. Ernst gibt zu, wie sehr er Cäcilie beneide: »Du brauchst Dir nicht die Aufgabe zu stellen, den Grund eines Übels zu untersuchen, denn Dein Glaube hat Dir ein allgemeines Mittel gegen alles Übel an die Hand gegeben.« Cäcilie merkt die Zweideutigkeit dieser Klage. »Du täuschest mich nicht durch diesen Ton. Auch meine Lebensansicht willst Du als eine solche schildern, welcher der Ernst des Bestehenden, der Grund der Dinge unbekannt und die Untersuchung ein Gegenstand feiger Flucht ist. Du meinst ich suchte mich durch einen bequemen Glauben über die Furchtbarkeit vorhandener Gebrechen hinwegzusetzen.« Cäcilie insistiert auf den humanen Wirksamkeiten, die ihre Auffassung hervorbringen kann. Sie fordert Ernst auf, sich als schiffbrüchigen Robinson zu denken. »Nun hast Du aber Werkzeuge und Unglücksgefährten bei Dir. Wärst Du nicht ein Tor, wenn Du, statt diese Werkzeuge anzuwenden, statt diese Gefährten zu gemeinsamer Arbeit aufzumuntern, Dich hinsetzen und nur Deinem Hohn über jene Wildnis Luft machen wolltest.« Notwendig sei doch vielmehr, eine zivilisierende Praxis zu entfalten, die mit >Gesinnung< einhergeht. Geschichtsphilosophische Gewißheit sei kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, wie Phantasie und Zivilisation.
315
Cäcilie erläutert ihr Robinson-Beispiel: »Merktest Du, was ich mit diesem Vergleiche sagen will? Für Dich ist das Leben diese wüste Insel und bleibt es; Deinem verzweifelnden Auge, Deinen höhnischen Blicken zeigen sich Abgründe und Moräste und Klippen und Wildnisse, ist es mir aber zu verdenken, wenn ich die Werkzeuge anwende, welche mir gegeben sind, um den Aufenthalt in diesem Leben annehmlich zu machen? Und diese Werkzeuge sind der Glaube, die Phantasie und die Zivilisation: Du mit Deiner bequemen Frivolität wirst die Welt nicht anders machen, als sie ist: ich mit meiner Religion, meiner Poesie und meiner Bildung mache sie vielleicht nicht anders, aber ich bringe es doch wenigstens dahin, sie anders zu sehen.« Hier bahnt sich die 11. These über Feuerbach von Marx an: Aus Cäcilies »die Welt vielleicht nicht anders machen« aber »wenigstens anders sehen« wird Marx' sicheres Diktum vorn »nur verschieden Interpretieren«, das zu Gunsten des Veränderns der Welt aufzugeben sei. Aber Robinsons Insel ist nicht die Welt. Hier setzt Ernst ein und wirft Cäcilie vor, sie würde sich nur abschirmen, räumlich und zeitlich, indem sie eine geschichtliche Zielbestimmung fixiere. »Ist es die Bestimmung des Menschen, für sich und abgeschlossen ein bequemes Leben zu führen, so hast Du Deine Bestimmung erfüllt, ist er allein mit seiner verächtlichen Glückseligkeit nicht das Ziel der Schöpfung, so bist Du auch nicht weiter gekommen als ich.« Cäcilie läßt sich nicht beirren. E. Bauer gibt ihr das letzte Wort, indem sie, gleichsam die Argumente der Kölner Gruppe zusammenfassend, die absolute Haltlosigkeit und Unglaubwürdigkeit der Auffassung ihres Kontrahenten zum Ausdruck bringt. »Das wußte ich schon, antwortete Cäcilie, daß Du auf Dein gewöhnliches Steckenpferd, auf die Zivilisation zurückkommen würdest. Das sind so Eure Redensarten von nicht allgemein genug, von Egoismus, von Ausschließlichkeit, aber einleuchtend könnt Ihr die Sachen niemanden machen, Ihr könnt nicht weiter als bis zu jenen ganz bequemen und geläufigen Redensarten. Ich dächte, Ihr müßtet nachgerade der Sache müde sein, abgesehen davon, daß es wirklich schimpflich bequem ist, mit ein paar Worten, wie Freiheit, Gleichheit, Humanität, Gesinnung, Deine ganze Gesellschaft umstürzen zu wollen. Doch, was sage ich denn, Du bist ja auch, wie Du Dich rühmst, schon längst über diese Dinge hinaus und ungeheures Ergebnis! - Du verstehst es jetzt, über dieselben ebenso gut zu spotten und ihre Beschränktheit nachzuweisen, wie Du früher durch sie die Nichtigkeit des Bestehenden demonstriertest. Jetzt bist Du ein bloßer Schwätzer geworden, über die geringste Kleinigkeit weißt Du Auskunft zu geben, das heißt, über sie mit einem Schwall von Worten abzusprechen; und ich gestehe es Dir zu, Du hast den Gipfel der Bequemlichkeit erstiegen. - Und Du stehst neben mir. Kennst Du denn die Menschen?« In eine »schiefe Stellung« gerät Avantgarde nicht nur in ihrem Verhältnis zur Majorität der Gesellschaftsmitglieder. Nicht weniger gravierend ist, daß sie auch untereinander einem rotierenden Verdacht ausgeliefert sind, in dem sich die Vorwürfe, es sich zu leicht machen und »frivol« den Sinn von Avantgarde zu verspielen, austauschen. Was in der philosophischen Schule und der politischen Partei noch mit Anstrengung gelang, nämlich Positionalität sich gegenseitig zuzuschreiben und >ernst< zu nehmen, in der journalistischen Boheme steht der Sinn von Positionalität überhaupt in Frage.
316
8. Intelligenz in der großen Stadt Für die politische Partei der Junghegelianer ist Berlin ein defizitärer Ort gewesen. »Berlin hat bis jetzt noch nicht gewagt, einen scharfen Gedanken zu haben; es hat vielmehr dies Geschäft den Provinzen überlassen«, schreibt E. Bauer über den »politischen Charakter der Hauptstadt«.205 Für die junghegelianische Bohème gewinnt dagegen die Erfahrung der großen Stadt überragende Bedeutung. Um sie aufzufalten, bietet es sich an, zunächst auf R. Gisekes »Moderne Titanen« zurückzukommen. Die letzten zehn Tage vor dem geplanten Antritt seines Predigeramtes läßt der Autor seinen junghegelianischen Helden Ernst in Berlin verbringen. »Wie nach einer alten Sitte der Todeskandidat vor der Hinrichtung sich an Speis und Trank etwas zu Gute tun darf, so wollte der Predigtamtskandidat vor seiner Weihe sich Kenntnis des großen Lebens und Einsicht in die Zustände des Tages erwerben, um dann wenigstens mit Recht in seinem einsamen Dasein sich darüber erhaben zu fühlen. Das Leben einer großen Stadt, das Treiben so unzähliger Menschen, gleicht dem weiten, wüsten Ozean. Nirgends kommt sich der Mensch verlassener vor als hier. Wer zu vergessen oder vergessen zu werden sucht, hier kann er es so leicht wie nirgends.«206 Der Widerspruch ist leicht zu überlesen: Kenntnis und Einsicht sollen gerade dort gefunden werden, wo das Vergessen leicht gemacht wird. Was diese Passage signalisiert, das ist das seltsame Doppelgesicht der großen Stadt: sie lädt zur Zerstreuung ein und fordert zugleich die angestrengteste Aufmerksamkeit heraus. Gisekes Romanstelle mag durch den Briefwechsel in den NB angeregt sein, in dem die Erfahrung der großen Stadt, die ein Junghegelianer aus der Provinz in Berlin macht, thematisiert wird. »Ich sah auch in den ersten Tagen (des Berlin-Aufenthalts, d. V.) schon mit Freude den Sturm und Drang in Dir aufsteigen, sah Dich wild und gierig in den ganzen Rausch der großstädtischen Bewegung stürzen«, schreibt ein Berliner Junghegelianer seinem in die Provinz zurückgekehrten Freund, und er fordert ihn auf, über die Eindrücke zu schreiben, »die die großstädtischen Zustände überhaupt auf Dich gemacht haben. Du bist ja stundenlang ganz einsam durch Berlin gewandert und mußt da viel Interessantes beobachtet und erfahren haben.«207 Auch hier widersprüchliche Haltungen: sich in den »Rausch der großstädtischen Bewegung« stürzen, einsames Umherwandern, Aufforderungen zu distanzierter Beobachtung. Das Schreiben über die große Stadt hat in den 40er Jahren Konjunktur.208 Noch bevor die Junghegelianer selbst zur Feder greifen, erscheinen Glaßbrenners »Schilderungen aus dem Berliner Volksleben« (1841). Exemplarisch sei auf seine Beschreibung der Königsstraße verwiesen: »In diesem schlangenartig sich windenden, von hohen Häusern gebildeten Engpaß hört das Gewühl von Menschen, das Toben der Wagen vom frühen Morgen bis späten Abend nicht auf. In dieser Repräsentantin desjenigen Stadtteils, welchen ich den Magen Berlins nannte, und in ihrer nächsten Nähe, liegt alles, was die Leute herbeizieht und zusammendrängt, was das Leben der Residenz bedingt, ihre Nahrung und ihre Verdauung. Hier ist die Post, - das Land- und Stadtgericht (welches täglich seine Tausende fordert), - Rathaus, das Vormundschaftsgericht, das Kriminalgericht, die Polizei, die brillanten Katakomben der Nüchternheit, die frequentesten Destillationsanstalten von Eulner und Kröcher, die Sparkasse, das
317
Gewerbeinstitut, Faust's Wintergarten, die Königsmauer (das Asyl der Freudenmädchen) und das Königsstädtische Theater. Hier ist Gewölbe an Gewölbe, Boutique an Boutique, und in bunt wechselnder Folge Hotels erster und zweiter Klasse, Restaurationen, Konditoreien, Bierstuben, Ausspannungen und Viktualienkeller! Hier laufen die Menschenameisen durcheinander und Gott lächelt ob der ernsten Miene, welche sie machen, ob der Eile, die sie haben. - Alles ist lächerlich und Alles wichtig in dieser Welt, und das eben ist ihr Humor.«209 Die große Stadt - wie kann sie adäquat beschrieben werden? Mit dieser Frage verbindet sich zugleich diejenige nach den möglichen Weisen des Begreifens dieses Phänomens. Welches könnte der integrierende Sinn einer großen Stadt sein, ein Sinn, der über die bloße Reihung von Eindrücken hinausginge? Wie kann sich begreifende Tätigkeit in der großstädtischen Welt verorten, in der alles lächerlich und zugleich wichtig ist? Was Glaßbrenner beschreibt, ist ein Panorama, dessen Einzelheiten jede für sich >interessant< sind, deren Zusammenschau er aber nur noch einem verblassenden Gott zuweisen kann. Die beiden Möglichkeiten: Renaturalisierung der großen Stadt als urtümliche Wildnis, als »weiter, wüster Ozean«, und die faszinierte Zuwendung, die ein oder eine Reihe >interessanter< Details, es mag sich um aparte Perspektiven oder auffallende Gestalten handeln, erfahren beide Möglichkeiten gehören in vielfältigen Variationen zum rhetorischen Standardrepertoire, mit denen seit dem 19. Jahrhundert die große Stadt der Sprache zugänglich gemacht wird. Was dagegen nur schwer zu gelingen scheint, ist die Vermittlung beider Möglichkeiten. Legt man die Intellektuellengruppendefinitionen der philosophischen Schule und der politischen Partei zugrunde, so wird man sagen müssen, daß an der großen Stadt dasjenige philosophische Bemühen, das auf eine Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem, von Wesen und Erscheinung sich richtet, in eigentümlicher Koinzidenz ebenso scheitert, wie eine Perspektive der politischen Partei, die in der großen Stadt allzu Vieles >unter aller Partei«:, d. h. in einem politischen Sinne nicht Repräsentierbares, finden wird. Die Ohnmacht dialektischer Philosophie und Politik gegenüber der großen Stadt zeigt sich nicht zuletzt bei einem Autor, dessen monumentales Fragment über das Paris des 19. Jahrhunderts den unabgeschlossenen Versuch darstellt, die große Stadt begreifbar zu machen. W. Benjamins erste Ausarbeitungen zum Komplex des sog. >Passagen-Werks< (ein überarbeiteter Teil erschien 1940 in der Zeitschrift für Sozialforschung<) führten zu einem aufschlußreichen Briefwechsel zwischen Adorno und Benjamin.210 In unserem Zusammenhang ist jene Kritik von Bedeutung, die Adorno an Benjamins erster Fassung geübt hat. Adorno wirft Benjamin vor, dieser habe »Motive versammelt, aber nicht durchgeführt.« Und er fragt: »Panorama und >Spur<, Flaneur und Passagen, Moderne und immer Gleiches, ohne theoretische Interpretation - ist das ein >Material<, das geduldig auf Deutung warten kann, ohne daß es von der eigenen Aura verzehrt würde? Verschwört sich nicht vielmehr der pragmatische Gehalt jener Gegenstände, wenn er isoliert wird, in einer fast dämonischen Weise gegen die Möglichkeit seiner Deutung?«211 Die »Vermaurung hinter undurchdringlichen Stoffschichten«, die Adorno kritisiert, mag man im Benjaminschen Text durchaus finden, aber umgekehrt betrach-
318
tet sind es gerade die stofflichen Vielheiten, alle gleich belanglos und gleich wichtig, die die große Stadt versammelt. Sie drohen eine kohärente theoretische Durchdringung zu verunmöglichen. Bei den faszinierenden Details und Motiven, die in der großen Stadt zu finden sind, handelt es sich für den Dialektiker um Phantasmagorien. Adorno geht nicht so weit, Benjamin vorzuwerfen, daß dessen Arbeit selbst »phantasmagorischen Charakter annehme«. Aber er fordert, »die Liquidation kann in ihrer wahren Tiefe nur dann gelingen, wenn die Phantasmagorie als objektiv geschichtsphilosophische Kategorie und nicht als >Ansicht< von Sozialcharakteren geleistet wird.«212 Was das Begreifen der großen Stadt gerade Intellektuellen, die dialektischer Denkweise verpflichtet sind, so enorm schwer macht, ist der Umstand, daß geschichtsphilosophische Vergewisserung in den >Phantasmagorien< der großen Stadt sich buchstäblich verläuft. Für Marx entspringen gerade dem Milieu der großstädtischen Bohème jene zweifelhaften Gestalten, die es als ihre Aufgabe ansehen, »dem revolutionären Entwicklungsprozeß vorzugreifen, ihn künstlich zur Krise zu treiben, eine Revolution aus dem Stegreif, ohne Bedingungen einer Revolution zu machen.«213 Das heißt, sie handeln ohne geschichtsphilosophische Vergewisserung, aufs Geratewohl. Wo es Rezepte gibt, »in 24 Stunden geistreich zu werden« (A. Rüge), welche Chancen haben da geschichtsphilosophische Bildungsprogramme mit ihren wohldefinierten Stufen? Über Baudelaire schreibt Benjamin: »Die Stereotypen in Baudelaires Erfahrungen, der Mangel an Vermittlung zwischen seinen Ideen, die erstarrte Unruhe in seinen Zügen deuten daraufhin, daß die Reserven, die großes Wissen und umfassender geschichtlicher Überblick (!) dem Menschen eröffnen, ihm nicht zu Gebote standen.«214 Nicht einmal der Minimalvoraussetzungen geistiger Arbeit - Benjamin nennt Bibliothek und Wohnung kann Baudelaire sicher ein. Ohne Bibliothek und Wohnung ist aber Geschichtsphilosophie nicht zu entwerfen. Jene eröffnet den Zugang zur Geschichte, diese symbolisiert die Sicherheit eines Ortes, von dem aus über die Bewegung der Geschichte gedacht wird. Der Flaneur dagegen liefert sich der Bewegung der Straße aus. »Auf dem Boulevard hielt er sich dem nächstbesten Zwischenfall, Witzwort oder Gerücht zur Verfügung.«215 Das Schlendern auf der Straße folgt einer Zeitstruktur, die geschichtsphilosophisch kaum bestimmbar ist. Bezeichnend ist die Schildkrötenmode, die in Paris um 1840 zeitweise sich verbreitet, an die Benjamin erinnert: »Der Flaneur ließ sich gern sein Tempo von ihnen vorschreiben. Wäre es nach ihm gegangen, so hätte der Fortschritt diesen pas lernen müssen.« Bezeichnend auch die Mode des noctambulisme, derzufolge den Flaneurs zwar »Haltepunkte und Stationen« erlaubt sind; »aber er hat nicht das Recht zu schlafen.«216 Flanieren ist zu allererst Zeitvertreib, eine Kategorie, die für Geschichtsphilosophie, weil sie der geschichtlichen Zeit einen prägnanten Sinn gibt, nicht zu gebrauchen ist. Das Reich der Zeit wird in der Bohèmeerfahrung der großen Stadt ebenso erweitert wie verknappt: es gibt koexistent ein Zuwenig an Zeit, das Geschwindigkeiten hervorruft, und ein Zuviel an Zeit, das Langeweile anfallen läßt. Für die junghegelianische Bohème ist die Schere, die sich zwischen dem Streben nach geschichtsphilosophischer Selbstvergewisserung und der Erfahrung der großen Stadt auftut, besonders gravierend, weil sie sich als Korrespondenten des
319
Weltgeistes< dazu berufen fühlen, die Existenz von Vernunft in der Geschichte sicherzustellen. So streiten sie sich, ob in Sues intensiv diskutiertem Roman die geschichtlich wirksame Macht der Intelligenz bei dem Helden Rudolf liegt, wie Szeliga ausführt, oder ob es das arme Mädchen Fleur de Marie ist, an die man seine emanzipatorischen Hoffnungen knüpfen sollte, wie dies Stirner und Marx vorschlagen.217 Unsicherheit besteht auch, ob »la flânerie« in Berlin möglich ist. »Flâneur! Es liegt ein gewisser Stolz in dem Wort;« schreibt F. Wehl 1843, »ich möchte gern einer sein, ich fühle ein gewisses Talent dazu, aber leider ist Berlin kein >vaste théâtre< dafür; es hat keine rechten Kulissen dazu, die Häuser, die Straßen, die Plätze, es ist Alles so langweilig darin. Man findet keine historischen Daten, keine historische Physiognomien. Man kann den ganzen Tag durch die langen, graden Straßen laufen, ohne daß sich einem von außen her ein Gedanke aufdrängt, der von einer innern, geschichtlichen Bedeutung wäre.« Zwar fange Berlin »erst jetzt an, sich ein wenig herauszuputzen«, aber das »Auge wird zu wenig gelockt«.218 Und: »Sie hat so viel Stille die Stadt, so viel Einsamkeit, so viel Langeweile, die Weltgeschichte geht auf Krücken durch ihre Straßen.«219 Der Mangel an Flânerie hat Konsequenzen für die intellektuelle Tätigkeit: »Die Kunst zu denken ist eine schwierige Kunst; in Deutschland lernt man sie nur in der Stube, hinter vier Wänden, an Tischen und Bänken, aus Büchern und Pergamenten; in Paris lernt man sie auf der Straße, mitten im Lärm des Gewühls, im Wagengerassel, an Gebäuden und Menschen.« Was als Differenz von deutschen und französischen »Gedanken« bei Wehl entwickelt wird, markiert wortspielerisch nicht nur die Differenz des Philosophen und des Bohemiens, sondern zugleich auch die Differenz in der Stellung zur Geschichtsphilosophie. »Der Deutsche kann nur in Gedanken gehen, der Franzose aber im Gehen denken. Es ist das ein gewichtiger Unterschied, man muß es nicht verwechseln. Bei dem Franzosen hängen die Gedanken vom Gehen ab, bei dem Deutschen das Gehen von den Gedanken. Ein Deutscher geht, was er denkt, ein Franzose denkt, was er geht. Ein Franzose denkt sein Laufen ab, ein Deutscher läuft sein Denken ab.«220 Für den Junghegelianer L. Eichler ist Berlin schon eine Stadt, die wie Paris zum Schreiben von »Physiologien« herausgefordert.221 Die »Putzmacherin«, der »Executor« und der »Bankier«, sie führen den Leser in die heterogenen räumlichgesellschaftlichen Sektoren der Stadt, in den Tanzsaal des »Collosseums«, wo erfolgreiche Bekanntschaften geknüpft werden, in die Häuser derer, die vor dem finanziellen Ruin stehen, in die Salons und Soireen der Reichen, wo Geiz und Verschwendungssucht oszillieren. Für E. Meyen ist es beunruhigend, »daß in unserer Zeit, die so große Erfahrungen als ihre Vorfahren anerkennt und so unmittelbar auf der Revolution fußt, der ganze Trödelkram der vergangenen Jahrhunderte sich noch einmal breit machen will.« Es handelt sich um eine den Geschichtsphilosophen irritierende Gleichzeitigkeit historischer Stufen. E. Meyen versucht, der Lage Herr zu werden, wenn er die »Physiologie« als »eine gewaltige Revolutionärin« bezeichnet; »sie macht alles gleich, indem sie alles auf die Gleichheit der Nichtigkeit reduziert«.222 Aber es ist nur ein kleiner Schritt, in die Reihe der >Ansichten< von Sozialcharakteren auch den Literaten Meyen aufzunehmen. Im Berlin-Buch des Junghegelianers F. Saß findet sich denn auch neben denen
320
anderer Junghegelianer die »Physiologie« E. Meyens als einer Literatengestalt, die mit der Konditorei Stehely »innig verwachsen« ist. Auch Saß' Urteil über Berlin ist kaum zu vereindeutigen. Angesichts von Bestrebungen, an überkommenen ständischen Schranken festzuhalten, schreibt er: »Berlin ist dagegen gottlob eine große Stadt«, d. h. sie bietet »in den verschiedensten Lebensrichtungen einen glücklichen Ersatz«. Dennoch ist das gesellschaftliche Leben in der großen Stadt »falsche Zivilisation«. Für Saß »zerreißt immer mehr das Band, welches zwischen Geist und Gesellschaft bestehen soll.« Die Konsequenz ist: »in Berlin vermehren sich die modernen Anachoreten; denn die Einsamkeit in Lybiens Wüste kann nicht größer sein, als für den, der sie sucht, in den großen tobenden Städten.« Die geschichtsphilosophische Hoffnung auf »neue geschichtliche Fluten (. . .), welche den ganzen Bau der alten Pyramide (!) durchbrechen«, wird schon vom literarischen Bild her desavouiert.223 Die große Stadt könnte fast eine verwirklichte Utopie, ein neues Jerusalem, sein: »Ein vielseitiges, allgemeines Gesellschaftsleben, - dies ist der Eindruck, welchen das bewegte Treiben der Hauptstadt auf den Fremden macht«, schreibt E. Dronke in seinem Berlin-Buch. Die »Ungezwungenheit, die Selbstständigkeit des Einzelnen, der nicht nötig hat, sich vor kleinstädtischen, philosophischen Vorurteilen in Acht zu nehmen«, sie wird ermöglicht durch das Heraustreten der Individuen aus ihren Verhältnissen. Aber die »Sicherheit, mit welcher dies allenthalben geschieht, hat etwas Unheimliches, fast Grauenhaftes. Sie löst die Bande ruhig und geräuschlos, ohne daß man von außen sie doch gelöst sehen könnte.« 224 Es ist die Stille der städtischen >Revolution<, ihre Unmerklichkeit, die den Sozialisten Dronke irritiert. Die Stadt verweist auf Umwälzungen größten Ausmaßes, aber es ist dies nicht der Typ von Revolution, wie ihn Geschichtsphilosphie vorsieht. Dronkes Blick richtet sich daher auf jene städtischen Randbezirke, wo »das Elend in seiner letzten furchtbaren Gestalt« anzutreffen ist. »Diese Parias hören nichts von dem Branden und Brausen des inneren Lebens der Hauptstadt, und wenn sie hineinkommen, so bezeichnet das Blut der Wachen und Polizeisoldaten und die Angriffe gegen das Eigentum und Leben der Inwohner die Spuren ihres Weges.«225 Die Erfahrung der großen Stadt zwingt die junghegelianische Intelligenz, das geschichtsphilosophische Muster zu modifizieren. Im städtischen Raum, wo die Gleichzeitigkeit der verschiedenen historischen Stufen präsent ist, wo Möglichkeiten und Blockierungen ganz nahe zusammengerückt sind, bedarf es einer besonders gelagerten Aktivität, um Emanzipationschancen ausfindig zu machen. Die geschichtlich relevante Geographie kann nicht mehr spekulativ entworfen werden, wie dies bei Heß' europäischer Triarchie< der Fall gewesen ist. Vielmehr wird der geschichtlich relevante Ort zu einem Fund dessen, der die Straßen durchwandert. So wenden sich die NB gegen die Mißachtung des Schriftstellers, »der das mühevolle Geschäft unternimmt, durch alle gesellschaftlichen Kothaufen und Sümpfe hindurch zu waten, um sie zu studieren und die Quellen ihrer Existenz aufzusuchen.«226 Der Intellektuellentyp, der sich hier abzeichnet, entspricht der Figur des Detektivs, wie sie von Kracauer beschrieben wurde. »Der Detektiv schweift in dem Leerraum zwischen den Figuren als entspannter Darsteller der ratio (. . .). Er richtet sich
321
nicht auf die ratio, sondern ist ihre Personifikation«. Die ratio ist hier nicht die vorgegebene Ordnung der Geschichte, nach der der Akteur sich zu richten hätte, sondern der Detektiv nimmt den »Anspruch der ratio auf Autonomie« ernst, seine umherschweifende Bewegung ist die Bewegung der Vernunft.227 Der Sache nach ist es eine detektivische Haltung, die den »Berliner Skizzen« von Fränkel und Köppen zugrunde liegt.228 In Heß' >Gesellschaftsspiegel< wird dies Buch den Lesern ausdrücklich zur Lektüre empfohlen. Es handele sich nicht um »triviale Geheimnisliteratur« oder »moderne Kriminal- und Polizeiromantik«, vielmehr würden in »einer bunten Reihe der mannigfaltigsten Bilder ( . . . ) die verschiedensten Seiten und Sphären des großstädtisch-modernen Gesellschaftslebens vorgeführt ( . . . ) in lebensvollen wirklichen Gestalten und Verhältnissen.«229 In der ersten Novelle der »Berliner Skizzen« werden die »Flâneurs«, »geschäftslosen Umhertreiber und Pflastertreter«, das »ausgebildete Müßiggängertum« Berlins gewürdigt. Für die junghegelianischen Autoren handelt es sich dabei um Mitglieder einer »ebenso nützlichen als interessanten Gesellschaftsklasse«. »Denn ein tüchtiger und unermüdlicher Pflastertreter zu sein, ist eine gar große Kunst, und nur die großen Städte haben den Vorzug, solche Künstler zu erzeugen und zu bilden. Sie müssen einen weiten Raum haben, auf dem sie sich ausbreiten können, sie müssen Geist, Gewandtheit, Erfindungsgabe, und besonders eine beinahe fabelhafte Uneigennützigkeit besitzen, sich gerade um all die Dinge zu bekümmern, die sie am wenigsten angehn.«23 Diese detektivischen Künstler bewegen sich im Szenarium von Gestalten, die »nur einen bestimmten Stadtteil, eine bestimmte Straße, ein bestimmtes Lokal zum Schauplatz ihres öffentlichen Lebens gemacht haben. (. . .) Sie sind gleichsam die stereotypen Figuren der Straße oder des Ortes, an dem sie sich aufhalten, sie gehören ihm an, wie seine Häuser und Steine, oder seine Tische und Bänke.« Diese »zweite Klasse« von Menschen fordert das entspannte Interesse der detektivischen Künstler heraus. Diese »Menschenklasse« gehört zwar zum Interieur der Stadt, aber es handelt sich um ein geheimnisvolles Interieur, das es zu entziffern gilt. »Mit einer erstaunenswerten Sicherheit gehen sie über das Pflaster, dessen Steine sie schon unendliche Male gezählt haben (...). Kommen und verschwinden aber sieht man sie niemals - man weiß wenigstens nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen - man findet sie nur hier und morgen wieder hier, und in einem Jahr wieder nur hier.«231 Die große Stadt ist für den detektivischen Künstler ein geschichtsloser Raum, ein Perpetuum mobile von Kommen und Gehen, dessen >Ursache< und >Ziel< Geheimnis bleibt. Haltepunkte für den Flaneur sind Konditoreien, Weinstuben, Kneipen. Hier ruhen sich die »Pflastertreter« aus, »denen der Boden unter den Füßen brennt, wenn sie zu hause kaum den Morgenkaffee eingenommen haben.« 232 Es gibt geschichtlich bedeutsame< Lokale, die in keiner Stadtbeschreibung Berlins fehlen. An erster Stelle steht die »rothe Stube« der Konditorei Stehely, von der Saß schreibt: »eine Geschichte der Stehely'schen Konditorei schreiben, hieße nichts anderes, als die Geschichte der Berliner Literaturzustände geben. (. . .) Hier war es, von wo aus die eine Partei im jungen Deutschland die andere zu bekämpfen suchte, hier war es, wo der >Standpunkt des jungen Deutschlands< zuerst überwunden wurde, hier war es, von wo aus die >Hallischen
322
Jahrbücher< und die »Rheinische Zeitung< ihr Geschütz bezogen, und hier eben waltet der Kreis, von dem Deutschlands Zeitungen die Berliner Korrespondenzen erhalten. (. . .) Man kann es ohne Anmaßung sagen, das junge Volk, die neue Zeit hat gesiegt bei Stehely.«233
Die »rothe Stube« ist ein >geschichtsträchtiger< Ort, weil sich hier die personifizierte Vernunft trifft. Aber dieser besondere Raum ist nicht vor der ansteckenden Krankheit der Zeit: der Langeweile geschützt: »Daß ihr lauter Mirabeaus, Dantons, Marats und Robesspierres seid, wenn ihr einen Fingerhut voll getrunken - das ist auch schon in der ganzen Welt bekannt«, schreibt Köppen. 234 >Interessanter< sind für ihn andere Kneipen. »Hier kehren auf Augenblicke jene namenlosen Frauenzimmer ein, welche die Straße, in der sich der Schnapsladen befindet, zu ihrem Jagdrevier erkoren. Alte abgedankte Schreiber, vierzehnjährige Laufburschen, aus dem Arbeitshause endassene Sträflinge, durch die Konkurrenz ruinierte Handwerker und Kaufleute seht ihr hier neben schäbigen, plebejischen Dandys und leichenblassen, spindeldürren Ex-Schulmeistern.« Der >Geist<, der diese Orte beherrscht, ist nicht philosophischer Natur. Ins Zentrum rückt bei Köppen die Gestalt des »Schenkmädchens«. Ihre >Distributionen< halten diese »kunterbunte Gesellschaft« zusammen. Bruchstücke ihrer Geschichte erzählt der Autor. Es handelt sich um Szenen von Möglichkeiten und Ungewißheiten: beinahe hätte sie Baronin werden können, »von allen Seiten eilte man herbei, um sie zu sehen. Alle Welt buhlte um ihre Gunst«. Auch »eine kleine Rolle in der Geschichte des Berliner Liberalismus« ist ihr zugedacht. »Wo sie jetzt sein mag! Vielleicht ist sie die Geliebte eines Geheimraths, Assessors, Lieutenants, Malers, Studenten oder aller fünf zusammen. (. . .) Vielleicht hat sie das Zündhölzchen geschnitten, an dem ich soeben die Zigarre anzündete; oder vielleicht gar die Feder gesotten, die ihren Lebenslauf flüchtig skizzierte.«233 Wo liegt der integrierende Sinn der großen Stadt? Daß der Konsum das allgemeine Band ist, das die Individuen hier zusammenbindet, ist nicht nur von Benjamin und Adorno herausgestellt worden. Auch den Junghegelianern ist bewußt gewesen: »In unserer Gesellschaft muß sich jeder prostituieren: das ist die Regel!«236 Das Problem besteht darin, in der Welt des Konsums die >Destribution der Vernunft< zu sichern. Der Flaneur ist eine Lösung dieses Problems, er gleicht sich selbst der Bewegung der Ware an, hoffend, daß seine Zirkulation wenigstens ein Minimum von Vernunftexistenz garantiert. Was in dieser Bewegung schwindet, ist die geschichtsphilosophische Ortsbestimmung. Sein Fortschreiten ist kein Fortschritt, Auf einer belebten Straße ist Avantgarde unmöglich. Für Prutz ist »das eigentliche Charakteristische, (...) zugleich das Bedenkliche, das wahrhaft Gefährliche unserer gegenwärtigen Epoche, daß die Interessen bei uns, so rasch sie sich entzünden, ebenso rasch auslöschen und verschwinden; wie lebhaft sie sind, so flüchtig, wie zahlreich, so unfruchtbar.« Alle Metaphorik, die Prutz aufbietet, um diesem Unbehagen zu begegnen: das Bild vom hervorbrechenden Quell, der »zuerst Blasen treibt«, das Bild von der Krankheit, die der Gesundung vorausgeht, das Bild von der »prickelnden Gärung aller Säfte, wenn der Baum blüht, die Frucht reifen soll«, kurz alle Metaphorik der »Krise«, die auf eine glückliche Wendung hindeutet, nimmt sich in der großen Stadt verloren aus.237 Der Intellektuelle wird zum Beschwörer eines geschichtsphilosophischen Sinnes, der sich dem Auf- und Abflackern der Moderne entziehen soll.
323
Diese Aporie wiederholt sich im Benjaminschen Passagen-Werk: »Langeweile haben wir, wenn wir nicht wissen, worauf wir warten. Daß wir es wissen oder zu wissen glauben, das ist fast immer nichts als der Ausdruck unserer Seichtheit oder Zerfahrenheit. Die Langeweile ist die Schwelle zu großen Taten. - Nun wäre zu wissen wichtig: der dialektische Gegensatz zur Langeweile?«238 Die Frage trifft den Kern der Aporie: zur Langeweile gibt es keinen dialektischen Gegensatz. Die »großen Taten«, die die Langeweile abbrechen, sind eher ganz undialektische Kurzschlüsse. Wartezeiten können mit geschichtsphilosophischer Gewißheit erträglich gestaltet werden, aber sie steht in der großen Stadt »fast immer« unter dem Verdacht der Seichtigkeit oder Zerfahrenheit. Langeweile dagegen entsichert den Zeitsinn. Skandal, schockhaftes Erleben, Katastrophe und Krieg können zu Antworten auf die Langeweile werden - aber auch dies ist nicht sicher.239 Die Benjaminsche Hilfskonstruktion vom messianischen Aufsprengen des Kontinuums der Geschichte mag ein Ausweg sein, aber er fällt aus dem Problembereich der in diesem Kapitel diskutierten Intellektuellendefinition journalistischer Boheme heraus und verweist in den Kontext des letzten Kapitels dieser Arbeit. Wo ihr der Glaube nicht zu Hilfe kommt, bleibt der journalistischen Boheme nichts übrig, als sich der Zeit zu vertreiben. Sie kann die Sensationen, die ihr begegnen, verkaufen oder sich der allgemeinen Prostitution, für Geld zu arbeiten, verweigern und Skandal machen, oder beides tun. Ihr Glaubensbekenntnis wird sich wie das des Dr. Horn in Gisekes »Moderne Titanen« anhören: »Kann der Mensch etwas Besseres tun, als dumme Streiche machen? Sieh nur, ich besitze schon lange keinen roten Heller mehr und existiere doch immer noch ganz menschlich, mache feine Toilette und trinke ein gutes Glas Wein. Wie kann sich ein großer Geist um die Lappalien von Schulden bekümmern! Paff, das Gold ist nur Chimäre! Setz dich darüber hinweg, und die Schranke ist für dich nicht da. Ja, wenn der liebe Gott selbst zu mir käme, und mir sagte: lieber Doktor, Sie tun mir leid, ich will mich Ihrer erbarmen und Ihre Schuld bezahlen, aber machen Sie mir keine dummen Streiche mehr — bei Gott, ich müßte ihm antworten: lieber Herr Gott, Sie sind sehr gütig. Aber — du Heber Gott, du hast nun einmal den Menschen und die Zeit geschaffen, die sich gegenseitig vertreiben wollen. Wenn ich durch meine dummen Streiche mir nicht mehr die Zeit vertreiben darf, dann wird sie mich mit ihrer fürchterlichen Tochter, der Langeweile, vertreiben von dieser schönen Erde. Darum bezahle meine Schulden, aber laß mir meine dummen Streiche! Amen!«240
Anmerkungen 1 Vgl. Seite 131 dieser Arbeit. 2 J. Venedey, Preußen und Preußentum, 1839, S. 2, 88 f. und 73. - Venedey schrieb auch in den HJ. Seine Distanzierung vom »Bund der Geächteten« wurde in der RhZ 332 v. 28. 11. 1842 abgedruckt. (Vgl. J. Hansen, Rheinische Briefe, 1919, S. 386) K. Mager zufolge haben die Junghegelianer von K. Heinzen gelernt, »auf die Bürokratie zu schelten«. (Ebd. S. 480) Heinzen, dessen Vater jakobinischen Ideen anhing, war selbst einige Zeit in der peußischen Steuerverwaltung tätig gewesen und begann 1842, seine Erfahrungen als Beamter publizistisch auszuwerten. In >Die geheimen Konduitenlisten der Beamten< (1842) griff er das Beförderungswesen an, und 1843 veröffentlichte er einen Aufruf, in dem er eine Recherche ankündigt, »ob Preußen im ganzen wie im einzelnen
324
325
ü
326
327
328
329
330
331
332
333
334
335
336
337
IV. Atheistische Sekte Übersicht An Luthers Kirchenlehre anschließend verstehen sich die Junghegelianer als >unsichtbare Kirche<. Sie kann als Hohlform begriffen werden, die entweder säkular aufgelöst oder mit Inhalten religiöser Unterströmungen aufgefüllt wird (1). Gnostischen und chiliastischen Traditionen werden zwei intellektuelle Haltungen zugeordnet, die als Muster religiöser Selbstdeutung für die Gruppe in Frage kommen. Der chüiastische Habitus verweist zurück auf die geschichtsphilosophische Problematik der journalistischen Boheme (2). Die gnostische >Erlösung durch Wissen< bildet das zentrale Element der junghegelianischen >neuen Religion<. Aber die Gruppe kann sich dieser - ohne charismatischen Führer - nur vergewissern, wenn sie Denkformen ausbildet, mit denen archaisch unvermischste Gläubigkeit und Wissensreligion gegeneinander ausgespielt werden können (3). In Überlegungen zum ambivalenten Charakter der religiösen Erneuerungsbewegungen der 40er Jahre und zum Verhältnis von Intelligenz und Kirche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird die These von dem folgenreichen Defizit eines staatsunabhängigen kirchlichen Gemeindelebens als Konsequenz von Luthers unsichtbarer Kirche< aufgegriffen. In diesen Zusammenhang wird auch der Neupietismus gestellt, mit dessen Vordringen die Gruppe zunächst konfrontiert ist (4). Die Ablehnung kirchlicher Selbstverwaltung bildet den Ausgangspunkt für die Debatte über den christlichen Staat<, in der B. Bauer, über das liberale Modell einer Trennung von Staat und Kirche hinausgehend, in kirchlichen Oppositionen ein Indiz für die Mangelhaftigkeit des Staates entdeckt. Mit dem Übergang zur Diskussion der >Judenfrage< konzentriert sich das Interesse auf die in bestimmten religiösen Inhalten >repräsentierten< Mängel des Gemeinwesens (5). Angesichts des Auftretens der freireligiösen Bewegungen der Lichtfreunde und Deutschkatholiken (6 a) versuchen >immanente< Junghegelianer wie Bayrhoffer, die freien Gemeinden in >unsichtbare Kirchen< bzw. sozialistische Vereine zu transformieren (6 b), während die >atheistischen< Junghegelianer um B. Bauer in der sich verweltlichenden freireligiösen Massenbewegung einen Typ von informeller Religion ausmachen, die sich in der Willkür letzter Werte verbarrikadiert (6 c). Die Unsicherheit, ob es sich um religiöse oder politisch-soziale Bewegungen handelt, verschärft den Gruppenstreit, ob die die Gruppe integrierende Religionskritik beendet oder weitergetrieben werden soll. Der Verdacht, daß der andere noch Reste religiöser Befangenheit hüte, die der >Konfession des Atheismus< widersprechen, ist kommunikativ nicht mehr zu bewältigen (7). Die Gruppe zerfällt, weil der soziale Zusammenhang von Gewißheit und Gruppe< weder auf der Ebene der Glaubensgewißheit, noch auf der der Gewißheit des Wissens, noch auf der der geschichtsphilosophischen Gewißheit erträglich stabil gehalten werden kann (8).
338
1. Die »unsichtbare Kirche« Es ist üblich geworden, Arbeiten über die Junghegelianer mit einer Analyse der Auseinandersetzungen der Schule mit der Hegelschen Religionsphilosophie zu beginnen. Diese stillschweigende Konvention hat gute Gründe. Inhaltlich stellt der Schulstreit um die von Hegel vorausgesetzte Identität von Religion und Philosophie, bei der die Religion die Wahrheit auf der Ebene der Symbole, die Philosophie die Wahrheit auf der Ebene der Begriffe ausspricht, den Ausgangspunkt der Fraktionierungsprozesse der Schule dar.1 Die Hegelsche >Rechte<, >Linke< und das >Zentrum< differenzieren sich zunächst längs der unterschiedlichen Auffassungen in Fragen der Christologie. Und auch innerhalb der sich konstituierenden >Linken< dreht sich der Schulstreit um die von der Evangelienkritik ausgehende Frage, ob mit D. F. Strauß die »Substanz« oder mit B. Bauer das »Selbstbewußtsein« das entscheidende Agens der Weltgeschichte sei.2 Mit der junghegelianischen Religionskritik zu beginnen, hat darüber hinaus auch seinen guten Sinn, wenn der intellektuelle Politisierungsprozeß der Gruppe dargestellt werden soll als ein Prozeß, in dem das religionskritische Instrumentarium von der Religion ausgehend auf die Bereiche Politik, Gesellschaft und Ökonomie angewandt wird. Unter dieser Fragestellung kann man mit Marx für die Interpretation der junghegelianischen Entwicklung davon ausgehen, daß die Kritik der Religion »die Voraussetzung aller Kritik« sei. Diese geschichtliche Aufgabe ist für Marx Ende 1843 »im wesentlichen beendigt«. Erforderlich sei jetzt der Übergang zur Kritik der »unheiligen Gestalten« auf der Ebene von Politik, Gesellschaft und Ökonomie.3 Wo diesem Ansatz gefolgt wird, gilt denn auch jenes Marxsche Diktum über die Junghegelianer, die nicht von der Religionskritik loskommen, sie seien darauf aus, »in die Kategorie der Theologie zurückzuwerfen, was aus der Theologie hervorgegangen war«.4 In dieser Arbeit werden die philosophiegeschichtlichen Aspekte ebenso wie die Fragen nach der Entwicklung gesellschaftskritischer Kategorien in den Zusammenhang von Gruppendeutungen gestellt. Für die Analyse der bisher behandelten Gruppentypen und ihre Zwischen- und Übergangsformen war der Rekurs auf die junghegelianische Religionskritik entbehrlich. Im Kontext von philosophischer Schule, politischer Partei und journalistischer Boheme ist die Religionskritik zwar auch immer Thema der Auseinandersetzung, aber in strengem Sinne nicht gruppenkonstituierend. Aber vielleicht sind hier doch Zweifel angebracht. Suchte man auf religionssoziologischer Ebene nach einem entsprechenden Gruppentypus, so stellt sich die Frage, inwieweit die Junghegelianer Züge einer Sekte besitzen. Diese Frage wird in meiner Arbeit im Zusammenhang des letzten Kapitels behandelt, weil die Gruppe selbst schließlich an der Aporie einer atheistischen Sekte< zerbricht. Der Sektenverdacht gegenüber den Junghegelianern ist nicht neu. Er wird schon früh von außen an die Gruppe herangetragen. So handelt es sich für Leo 1838 um »übelberatene Jünglinge der Sekte«, die darauf aus seien, ihre radikale Hegelinterpretation« »als eine neue Religion vorzutragen und dennoch zugleich mittels einer betrügerischen Redeweise der bisher geltenden Religion unterzuschieben.«5 Ähnlich äußert sich H. Marggraff, für den 1839 die Hegelianer begonnen haben, »eine
339
Sekte, eine Partei zu bilden, die überall, wo sie es vermag, unterkriecht und auf öffentlicher Straße ihre Bekehrungspredigten hält.« Charakteristisch für die »Hegelsche Sekte« sei »ihre Anmaßlichkeit und Ausschließlichkeit, womit sie alles mißachten, was ihrer Sekte nicht angehört.«6 Der
Die Pointe der Hegelschen Interpretation besteht darin, die unmittelbare Glaubensgewißheit in eins mit der Freiheit des Geistes zu setzen. Dieses Konstrukt ist für die Junghegelianer der erste Interpretationsrahmen. Bei Rüge heißt es 1838: »Das liegt in der Reformation, daß es von nun an schlechterdings keine andere Autorität als die Autorität des Geistes gibt, und keine andere Beglaubigung als die seines eigenen Zeugnisses«. 9 Protestantismus ist für die Junghegelianer identisch mit der Autonomie >des Geistes<. »Das Licht des Protestantismus ist das Licht der Welt, sein Geist ihr Herr und ihre Zukunft, sein Genuß noch erhöhter und bewußter, als schon die Gegenwart ihn genießt.«10 Entscheidend für unseren Zusammenhang ist nun, welche möglichen Gruppendefinitionen aus dieser Interpretation hervorgehen. Religionssoziologisch zentral ist, daß die als Geistesfreiheit gedeutete Glaubensgewißheit für die Spaltung von Priestern und Laien kaum Raum läßt. Die protestantische Gemeinde wird radikal begriffen als eine Gemeinde, »die nicht polizeilich ist und die nicht in Satzung und
340
Regiment, sondern im Geiste und seiner gemeinsamen Erhebung begründet ist.«11 Im Anschluß an Hegel radikalisieren die Junghegelianer die Luthersche Mißachtung der äußeren Einrichtungen der Kirche, die für Luther lediglich einen Notbau darstellten. Vorrangig für ihn war die Gemeinschaft der Heiligen, die unsichtbare Kirche. Sie wird zum zentralen Bezugspunkt der Diskussion. 1838 gibt Vatke in den HJ noch eine balancierte hegelianische Interpretation des Verhältnisses von sichtbarer und unsichtbarer Kirche: »Die wahrhaft allgemeine und als solche über die Erscheinung erhabene (unsichtbare) Kirche existiert in der partikularisierten und empirisch gegebenen (sichtbaren) Kirchengemeinschaft, negiert aber zugleich die bloß äußerliche Existenz als Schein, als unwahres Moment in der Bewegung des absoluten Selbstbewußtseins, und ist daher auch in der Existenz, der wahren Wirklichkeit nach, in sich verborgen. Die wahrhaft Gläubigen können nicht bloß ein rein innerliches religiöses Leben führen, was so für sich gesetzt, eine leere Abstraktion und etwas Unwirkliches wäre, sie leben vielmehr auch in äußerer Kirchengemeinschaft und ihr Zusammenhang untereinander ist vermittelt durch den Zusammenhang mit der äußeren Kirche; aber nicht umgekehrt haben alle Mitglieder der letzteren auch am innern Wesen der Kirche teil«.12 Für Ruge hat sich 1839 schon der Akzent verschoben. »Die wahre Wirklichkeit der Gemeinde ist die geistige, darum die unsichtbare.«13 Im protestantischen Kontext definieren sich die Junghegelianer zunächst als Teil der unsichtbaren Kirche. So feiert Ruge Köppens Jubelschrift über Friedrich II. als eine Schrift, die »tief in die Herzen aller Patrioten dringen und eine unüberwindliche unsichtbare Kirche gründen« wird.14 Dieses Projekt richtet sich explizit gegen die zeitgenössischen Versuche neupietistischer Kreise, der institutionellen Seite der Kirche mehr Gewicht zu geben. So heißt es in der EKZ bezogen auf die Aufgaben der Gegenwart: »Es gilt nicht mehr, allein das Innere der christlichen Wahrheit zu suchen und zu beleben, es gilt, ihren äußeren, schön gegliederten Organismus wieder herzustellen«.. Für die HJ ist dies »nichts geringeres als die Zerstörung des echten, innerlichen Christentums.«15 Auf die Stellung der Junghegelianer im Kontext der religiösen Strömungen der 40er Jahre wird noch weiter unten einzugehen sein. Hier soll zunächst auf die Herausforderung aufmerksam gemacht werden, die die >unsichtbare Kirche< für den Soziologen darstellt. Zu fragen ist, ob diese Selbstbezeichnung überhaupt sinnvoll übernommen werden kann, wenn es um die Analyse von Gruppenformen geht. Wie könnte ein religiöser Gemeinschaftstyp nachgewiesen werden, der seinem Selbstverständnis nach auf äußere Formen der Bekundung von Religiosität verzichtet? Bei der philosophischen Schule, der politischen Partei, der journalistischen Boheme kann man sich an sichtbarem sozialen Handeln orientieren. Für die unsichtbare Kirche fehlen solche Bezugspunkte. Das Problem stellt sich aber nicht nur für den Soziologen. Sofern es sich um eine Selbstdefinition der Gruppe handelt, müssen ja auch für die einzelnen Gruppenmitglieder Kriterien vorhanden sein, die es ihnen ermöglichen, sich als Dazugehörige zu erkennen. Da eine spezielle, Sakramente verwaltende Priesterorganisation nicht in Frage kommt, bleibt nur der Weg, die unsichtbare Kirche in anderen Sozialbeziehungen verankert zu sehen, deren äußere Zeichen gleichsam zur Kenntlichmachung der unsichtbaren Kirche mitbenutzt werden.
341
Die Junghegelianer haben diesen Weg, der bei Hegel vorgezeichnet ist, beschritten. In den >Anekdota< von 1843 stellt Ruge anläßlich der Auseinandersetzungen um die Entlassung B. Bauers das Dilemma der unsichtbaren Kirche dar und gibt den Ort an, wo sie zu finden sei. Ruge greift hier eine Definition der unsichtbaren Kirche auf, wie sie von einem Autor der >Minerva< 1842 gegeben wurde: Die Kirche solle existieren, aber nicht in staatlich-hierarchischen Formen. »Die Kirche ist also die unsichtbare, das geistige Reich des Glaubens, der Glaube an Christus ihr Symbol, die Schrift seine Quelle, die jeder selbst auslegt, jeder ist sein eigener Priester, und Christus das unsichtbare Oberhaupt der Kirche.« Ruge stimmt dem zu und treibt die Argumentation weiter: »Wir haben hier also eine Gemeinschaft, die unsichtbar, ein Oberhaupt derselben, welches ebenfalls unsichtbar, und ein Gesetzbuch, welches nur ganz im allgemeinen heilig ist. Das Gesetz, welches im einzelnen kein Gesetz ist, überläßt alle Menschen frei sich selbst. Die Religion ist hier eine Sache der Innerlichkeit, jeder einzelne hat sie für sich, und da im Protestantismus keine Gemeinschaft vorhanden ist, der sich der einzelne zu widmen hätte, da es nur auf sein egoistisches >Seelenheil< ankommt, so gibt es im Protestantismus nur einzelne, nur Privatleute und keine andere Freiheit als die Gewissensfreiheit, d. h. innerliche Privatfreiheit.« Die durch die Seelsorger repräsentierte Gemeinschaft zählt für Ruge wenig, denn die Seelsorger »gehören der Staatsverfassung an«. Sie bilden daher keine Gemeinschaft im Protestantismus. Wie ist das Dilemma der unsichtbaren Kirche zu lösen? Ruge fährt fort: »Die einzige reelle Organisation, zu der es gekommen, ist die Wissenschaft (. . .). Statt des Kirchenstaates, den der Protestantismus auflöst und in den weltlichen Staat aufgehen läßt, drängt er also zu einer Organisation des unsichtbaren Reiches, und dies ist das der Wissenschaft, dargestellt durch die Universitäten und die Literatur.«16 Hier also wird die unsichtbare Kirche ein Stück sichtbar als eine reelle Organisation. An anderer Stelle wird die unsichtbare Kirche als die »Begriffskirche der Wissenschaft« bezeichnet.17 Es kommt zu einer Überlagerung des Selbstverständnisses als philosophischer Schule durch den Interpretationsrahmen der unsichtbaren Kirche, eine Überlagerung, die ihren philosophischen Ausgangspunkt in der von Hegel gesetzten Identität von Glauben und Wissen hat. Allerdings bleibt die Binarität sichtbar/unsichtbar in eigentümlicher Weise unbestimmt, denn in den Wissenschaften hat zwar die unsichtbare Kirche ihren Ort, aber sie fällt nicht mit ihnen zusammen. Die unsichtbare Kirche ist dem Selbstverständnis der Junghegelianer nach nicht eine sektenartige Randgruppe, sondern virtuell die zentrale Kirche. Das heißt, sie ist durch ein imaginäres Band an die jeweils als entscheidend begriffene Zentralität gebunden. 1839 ist dies für Ruge der Staat. Er »ist die einzige Sichtbarkeit für alle Unsichtbarkeit des Geistes, die sichtbare Kirche ist er selbst in seinen Anstalten für den Kultus und für das Göttliche in Wissenschaft und Kunst.«18 Daß gerade diese Sichtbarkeit eine neue unsichtbare Kirche herausfordert, liegt für die Dialektiker auf der Hand. Der Topos der unsichtbaren Kirche begleitet die junghegelianischen Debatten. Er bietet immer wieder die Möglichkeit, gegenüber als äußerlich und erstarrt erscheinenden sozialen Zusammenhängen eine neue Lokalisierung der Gewißheit
342
der Freiheit des Geistes vorzunehmen. Schließlich kann er auch noch für die Spaltung der Junghegelianer mit herangezogen werden, wie dies G. Julius im Hinblick auf die Marxsche Kritik an B. Bauer 1845 tut. Der Streit zwischen Marx und B. Bauer ist für ihn der »Streit der sichtbaren mit der unsichtbaren Menschenkirche«. So heißt es bei Julius: »Während Bauer, in protestantischer Weise, die schlechte Welt, er hat dafür den Ausdruck >die Masse<, die (wie Herr Marx es ihm vorrückt) >noch nicht kritisch wiedergeborene Welt< aus Herzensgrunde verachtet, aber sie bestehen läßt und zu dem gebraucht, wozu sie gut ist, sich in sie schickt, indem er an ihr und für sie arbeitet, um sie der Zukunft, der >neuen Geschichte< an deren Schwelle die Kritik noch einsam steht, entgegenzuführen und selbst einstweilen sich selig fühlt im Hinblick auf diese neue Welt - alles, wie gesagt ganz protestantisch, - versetzt Marx den Himmel, das Reich >der vollbrachten Emanzipation der Menschheit< die neue Welt der Gattungswesen, in römisch-katholischer Weise, auf den Boden der irdischen, materiellen Welt, als eine an die forces propres als Gesellschaftskräfte glaubende, den bösen Geist des Egoismus durch den guten Geist des Gattungslebens (der Liebe) aufhebende und die Freiheit der >Menschenkinder< (die humanistische Emanzipation) vollendende, allein selig machende, wohlorganisierte Kirche auf Erden , Auf diese Art verwandelt Herr Marx >die theologischen Fragen in weltlichem Er glaubt nicht an die unsichtbare, im Herzen, im Geiste wirkliche Kirche des Humanismus, er will eine organisierte sichtbare Kirche des Humanismus haben.«19
Die sichtbare Kirche ist in dieser Diskussion ein gleichsam katholisches Prinzip, dem die Vollendung der Reformation fehlt. Julius sieht bei Marx einen Abfall vom protestantischen Prinzip. Daß Marx umgekehrt B. Bauer zum katholischen Heiligen stilisiert, ist bekannt. Die unsichtbare Kirche ist ein durchgängier Modus der Junghegelianer, sich in der religiösen Tradition zu verorten. Allerdings hat dieser Modus den Charakter einer Hohlform. Denn in dem Maße, in dem das sichtbare kirchliche Moment zum Verschwinden gebracht wird, ist auf dieser Ebene kaum mehr an spezifischen Kriterien herauszubringen, als daß die Integration der unsichtbaren Kirche über eine radikal gefaßte Autonomie des Geistes in der Gruppe gefaßt wird. Zwei Interpretationen bieten sich an: Einmal könnte man davon ausgehen, daß die Radikalisierung der Idee der unsichtbaren Kirche letztendlich zu einer Auflösung der religiösen Momente geführt hat. Hiernach böte die unsichtbare Kirche gleichsam den Startpunkt für eine Bahn, an dessen Ende säkulare Positionen ständen. Wird die Hohlform der unsichtbaren Kirche nicht mit weiteren Elementen der religiösen Tradition ausgestattet, so würde sie zunehmend bedeutungslos werden. Und eine ganze Reihe von Indizien spricht für diese Interpretation. Die Junghegelianer emanzipieren sich mit der Entfaltung ihrer Religionskritik zunehmend von religiösen Gruppendefinitionen. Sie wollen aus der religiösen Sphäre heraus, und sie formulieren schließlich radikal atheistische Positionen. Eine andere Interpretation könnte annehmen, daß die Hohlform der unsichtbaren Kirche, die im Bereich des Protestantismus dem Prinzip nach anerkannt ist, gerade dazu eingeladen hat, sie mit weiterem Definitionsmaterial aus verschiedenen religiösen Unterströmungen aufzufüllen. Auch für diese Interpretation sprechen eine ganze Reihe von Indizien. Wer die Texte der Junghegelianer aufmerksam
343
liest, findet in ihnen eine Vielzahl von Gedankenfiguren und Symboliken, die sich als dem weit verzweigten religiösen Unterstrom von Schwärmertum und spiritualen Gruppen angehörig zu erkennen geben. Diese interpretatorische Alternative stellt sich nicht nur für die Junghegelianer, sie steht in Zusammenhang mit der älteren Kontroverse, »ob die Weltanschauung des deutschen Idealismus als eine natürliche moderne Umwandlung des Protestantismus betrachtet werden muß oder vielmehr als eine Verkehrung in eine moderngriechische Gnostik«.20 Und sie steht ebenso im Zusammenhang mit den Kontroversen, inwieweit heutige emanzipationstheoretische Bemühungen mit dem Hinweis auf ihre religiöse, namentlich schwärmerisch-chiliastische >Abstammung< desavouiert werden können. Die Junghegelianer stehen ideengeschichtlich am Ausgang des deutschen Idealismus, und aus ihrem Kreise gehen theoretische Umrisse hervor, die bis in unsere Gegenwart hinein Bezugspunkte der theoretischen Diskussion sind. Die Frage, welche der beiden Interpretationen mehr zutrifft, ist von daher unausweichlich in eine latente polemische Frontstellung eingebunden. Denn im Rahmen der neuzeitlichen Wissenschartstradition gelten weithin religiöse Voraussetzungen wenigstens in den säkularen Fakultäten als Abfall von der Wissenschaftlichkeit. Den Nachweis, daß es sich z. B. bei der dialektischen Methode um ein bestimmten religiösen Traditionen verhaftetes Denkmodell handle, wird innerhalb der latenten Frontstellung derjenige Wissenschaftler bestreiten wollen, der sich dieser Methode bedient. Vielleicht hat diese Frontstellung mit dazu beigetragen, daß wichtige Partien des religiösen Lebens in der Zeit des Ausgangs des klassischen Idealismus in Deutschland viel zu wenig untersucht wurden. H. Stuke weist zu Recht darauf hin, daß es, um »der starken Lebendigkeit und tiefgreifenden Wirksamkeit biblisch-christlicher Glaubensinhalte und Heilserwartungen« in den 30er und 40er Jahren gewahr zu werden, nicht ausreiche, sich an der protestantischen Orthodoxie und der junghegelianischen Religionskritik zu orientieren. »Vielmehr muß man vor allem den religiösen Spiritualismus und das religiöse Schwärmertum dieser Jahre in den Blick nehmen.«21 J. Gebhardt hat im Anschluß an F. Heer auf die häufig mißachtete schwärmerische Unterströmung aufmerksam gemacht. »Es gilt zu erkennen, daß der aufsteigende Dritte Stand auch in Deutschland sein politisches Bewußtsein neben dem >Umweg< über fremde Vorbilder gewinnt durch soziale und geistige Kommunikation mit der Welt der Schwärmer, die latent vorhanden sind als eine >zweite Nation<, die seit den Religionskriegen von den politischen und geistlichen Orthodoxien lutherischer und katholischer Observanz nach unten abgedrängt wurde.«22 Dieser These von der »zweiten Nation« im Untergrund ist zuzustimmen. Allerdings sind Zweifel angebracht, wenn Gebhardt diese Strömungen verantwortlich macht für die sozialen und politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. In seiner Betrachtung werden die Schwärmer umstandslos zu Vorläufern totalitärer Massenbewegungen. Polemische Frontstellungen dieser Art erschweren eine Analyse der Zusammenhänge. In unserem Kontext geht es nicht darum, die religiöse Unterströmung verantwortlich für einen >deutschen Irrationalismus< zu machen. Dem Soziologen fällt
344
es vielleicht auch leichter, sich diesen Fragen zuzuwenden, weil er sich Urteilen über die Dignität von religiösen Glaubensinhalten und von wissenschaftlichen Gruppennormen ein gutes Stück weit enthalten kann und auch enthalten muß, um die sozialen Situationen der Individuen im Blick halten zu können. Wo er diese Zurückhaltung lockert, wird er daraufhinweisen müssen, daß im Bereich mythologischer Bilderwelten und religiöser Deutungssysteme häufig eine weitaus komplexere geistige Anstrengung anzutreffen ist, als in wissenschaftlichen Arbeiten, die sich auf dem Gegensatz von wissenschaftlicher Rationalität und Irrational-Religiösem ausruhen.
2. Gnostischer und chiliastischer Habitus Wenn man der Interpretation nachgeht, derzufolge sich die Hohlform der unsichtbaren Kirche mit Definitionen aus verschiedenen religiösen Traditionen auffüllt, so ergibt sich das Problem, den Charakter der einfließenden Traditionen soziologisch genauer zu fassen. Zunächst muß anerkannt werden, daß sich dieser Bereich einem direkten Zugriff sperrt. Denn wir haben es hier mit vielfältig verzweigten, mehr oder weniger esoterischen Glaubensformen zu tun, die sich insgesamt als abweichendes religiöses Verhalten kennzeichnen lassen. Der gemeinsame Nenner ist zunächst, daß diese Haltungen aus dem Raster formell organisierter Gläubigkeit herausfallen und nur selten sich in konturierten Glaubensgemeinschaften offenbaren. Das abweichende religiöse Verhalten steht jedoch in spezifischen Spannungen zu den hegemonialen religiösen Verhaltensweisen. Und aus der Spezifität der Spannungen ergeben sich Chancen, sinnvolle Kategorien zu bilden. Für unseren Bereich sind zwei Haltungen von Bedeutung, die ich den gnostischen und den chiliastischen Habitus nennen möchte. Der gnostische Habitus23 entwickelt sich an der spezifischen Spannung, die zwischen der hegemonialen Lehre und ihren anerkannten Repräsentanten und gleichsam inoffiziellen systematischen intellektuellen Bemühungen besteht. Historisch entstand Gnosis vermutlich als religiöser Laienintellektualismus, worauf Rudolph im Anschluß an Weber hingewiesen hat. 24 Entscheidendes Merkmal des Laienintellektualismus ist, daß in diesem Bereich das Bestreben anzutreffen ist, über die anerkannten religiösen Deutungen hinausgehende Abstraktionen komplizierterer Art zu entwickeln. Der gnostische Habitus enthält somit einen »Überschuß« an Intellektualität. Es werden dort Probleme gesehen und virtuose Konstruktionen entfaltet, wo die Vertreter anerkannter Lehre keine Notwendigkeit sehen, sich Gedanken zu machen. Die sozialen Ursachen für die Entstehung von Laienintellektualismus können vielfältig sein, durchgängig aber dürfte die Situation einer tendenziell randständigen Intelligenz gegeben sein, was Weber mit dem Begriff »Kleinbürgerintellektualismus« andeutet. Hinzu kommt, daß sich im gnostischen Habitus gemeinsam mit dem »Überschuß« an Intellektualität eine schwer begrenzbare Entfremdungserfahrung ausbreitet. Weil die religiöse Wahrheit nicht so leicht gefunden werden kann, wie dies bei den offiziellen Vertretern der Fall ist, weil also der Intellekt kompliziertere
345
Umwege machen muß, entfernt sich mit der religiösen Wahrheit zugleich die Fähigkeit zur harmlosen Teilnahme an der je gegebenen >Welt<. Weltverachtung, vertiefte Spekulation über das >Böse<, Leiden an Entfremdung und die Ausbildung schroffer Dualismen sind weit verbreitet. Der chiliastische Habitus25 entwickelt sich an der spezifischen Spannung, die zwischen dem heilsgeschichtlichen Wissen um die Endzeit und dem Versuch besteht, dies Wissen auf die jeweilige Jetztzeit anzuwenden, um den heilsgeschichtlichen Ort der Gegenwart zu bestimmen. Ausgehend von Auslegungen der jüdischen und christlichen Apokalypsen und der Weissagungsliteratur bildeten sich heilsgeschichtliche Modelle heraus, in denen zunächst der zu erwartende Ablauf des endzeitlichen Geschehens und schließlich die gesamte Geschichte als eine erkennbare Sequenz von Ereignissen bzw. heilsgeschichtlichen Stufen bestimmt wurden. Die Konjunkturen eines deutlichen Auftretens chiliastischer Vorstellungen sind wahrscheinlich abhängig von sozialen und kulturellen Krisen, in denen ein vermehrtes Bedürfnis nach heilsgeschichtlicher Vergewisserung der beteiligten Individuen besteht. Die Pointe des Chiliasmus gegenüber diffuseren Endzeit- und Weltuntergangs erwartungen besteht darin, daß in chiliastischen Entwürfen vor dem Ende der Welt ein letztes Zeitalter auf Erden erwartet wird, in dem sich utopische Hoffnungen von Frieden und Glück realisieren werden. Seine geschichtlich wirksamste Fassung hat der Chiliasmus in der Geschichtstheorie des calabresischen Abtes Joachim von Fiore gefunden.26 Bei ihm ist auch schon der soziologisch wichtige Unterschied angelegt, der die Frage betrifft, ob das letzte Zeitalter lediglich zu erwarten sei, oder ob Kräfte in der Gegenwart bestehen, die seine Heraufkunft aktiv befördern helfen können. Gnostischer und chiliastischer Habitus sind hier nur holzschnittartig vorgestellt. In der langen Geschichte dieser untergründigen religiösen Traditionen existieren vielfältige Nuancierungen und Überschneidungen. Beide Haltungen beziehen sich zwar auf zentrale Inhalte der hegemonialen religiösen Kultur, gemeinsam ist ihnen jedoch, daß sie die Mysterien des Glaubens nicht einfach verwalten und tradieren, sondern zum Problem machen. Der gnostische Habitus betont die Notwendigkeit, den Glauben durch intellektuelle Abstraktionen zu vertiefen, um im Wissen Erlösung zu finden, der chiliastische Habitus betont die Notwendigkeit, sich zu vergewissern, in welchem Zusammenhang die eigene geschichtliche Existenz mit dem göttlichen Heilsplan steht. Historisch betrachtet, begründet die Kontinuität der hegemonialen Religion zugleich auch die Kontinuität der abweichenden religiösen Haltungen. Dabei ist es unter systematischem Gesichtspunkt nicht von entscheidender Bedeutung, ob die Kontinuität der abweichenden religiösen Haltungen durch faktische Überlieferungen zustande kommt, oder ob auch ohne Überlieferung die Eigenart der inhaltlichen Struktur unter den gegebenen Umständen immer wieder zur >Neuerfindung< derselben Abweichungen geführt hat. Wahrscheinlich ist, daß beides stattgefunden hat. Im Bereich des Hegelianismus sind beide Haltungen weit verbreitet. Es sei hier an zwei Hegeische Formulierungen erinnert, an denen sich der gnostische und chiliastische Habitus verdeutlichen lassen.
346
In der >Phänomenologie< schreibt Hegel: »Das Leben Gottes und das göttliche Erkennen mag also wohl als ein Spielen der Liebe mit sich selbst ausgesprochen werden; diese Idee sinkt zur Erbaulichkeit und selbst zur Fadheit herab, wenn der Ernst, der Schmerz, die Geduld und Arbeit des Negativen darin fehlt.«27 Das Absolute geradewegs in den Blick zu nehmen, reicht nicht aus. Zwar trifft die Formulierung »Spielen der Liebe mit sich selbst« das Wesen des Absoluten, aber diese Vorstellung, an der sich Gläubige zu rasch beruhigen könnten, ist gnostisch defizitär. Sie wird entwertet. Zur Erkenntnis Gottes sind kompliziertere Umwege nötig, eine mühevolle Reise durch nicht enden wollende Entfremdungen hindurch, an deren Ende erst das Absolute als gesichertes Resultat erscheint. Als Indiz für einen chiliastischen Habitus in Hegels Denken wird man nicht nur an das berühmte Jugendwort an den Studienfreund Schelling erinnern müssen: »Das Reich Gottes komme, und unsere Hände seien nicht müßig im Schöße.«28 Vielmehr sind gerade Ausgangspunkt und Aufbau der Hegelschen Geschichtsphilosophie von chiliastischen Motiven durchtränkt. Von der als zerrissen erlebten geschichtlichen Krisensituation her ergibt sich die Notwendigkeit, sich der Sinnhaftigkeit der eigenen geschichtlichen Existenz in einer umfassenderen Deutung der Geschehnisse zu vergewissern. Auf den ersten Blick stellt sich die Weltgeschichte als ein »Schauspiel der Leidenschaften«, der »Gewalttätigkeit« und des »Unverstandes« dar, dessen Betrachtung nur »mit einer moralischen Betrübnis, mit einer Empörung des guten Geistes, wenn ein solcher in uns ist, über solches Schauspiel enden« kann. Man brauche nicht einmal »rednerische Übertreibung«, sondern allein »mit richtiger Zusammenstellung des Unglücks« ließe sich die Geschichte »zu dem furchtbarsten Gemälde erheben und ebenso damit die Empfindung zur tiefsten, ratlosesten Trauer steigern«. Diese Ausgangslage bildet den Einstiegspunkt für eine chiliastische Figur. »Aber auch indem wir die Geschichte als diese Schlachtbank betrachten, aufweicher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden, so entsteht dem Gedanken notwendig auch die Frage, wem, welchem Endzwecke diese ungeheuersten Opfer gebracht worden sind.«29 Die Entfremdungserfahrung zwingt zu geschichtsphilosophischen Sinngebungen. Der »Endzweck« ist zweifellos ein chiliastisches Erbe, aber die Pointe der Hegelschen Konstruktion besteht darin, daß er den heilsgeschichtlichen Bruch, an dem der »Endzweck« sich zeigt, ambivalent historisiert. Man kann Hegel lesen und finden, daß mit der Reformation bereits das dritte Zeitalter begonnen hat. Aber dazu muß man in der Lage sein, den »Endzweck« in bestehenden Gestaltungen der Welt realisiert zu sehen. Es wäre dies die Stelle, an der die gnostische Erlösung durch Wissen gleichsam die chiliastische Erwartung annullieren könnte. B. Bauer bemerkt über die Hegelschule nach Hegels Tod, daß für die Althegelianer »die Träume der Chiliasten von der Zeit der Vollendung (. .. ) bereits in Erfüllung getreten zu sein« schienen.30 Für die Hegelianer gehören gnostischer und chiliastischer Habitus zu vertrauten Instrumentarien der Weltdeutung, und sie ordnen sich selbst den entsprechenden untergründigen Traditionen zu. Für Rosenkranz sind der Sache nach die gnostische und die chiliastische Thematik die beiden entscheidenden theologischen Stränge, die sich aus der Reformation heraus entwickeln. Die Protestanten hätten bewiesen,
347
»daß man für die Vermittlung der Gewißheit bei der Heiligen Schrift als solcher nicht stehen bleiben könne; man müsse die Religion von dem freien Gedanken durch Auslegung ihrer eigenen, immanenten Vernunft sich rechtfertigen lassen. So entstanden nun Systeme der sogenannten natürlichen Religion und Auseinandersetzungen vom Unterschied des Meinens, Fürwahrhaltens, Glaubens und Wissens. - Auf der anderen Seite gaben sich viele dem Studium der Weltgeschichte hin, um -wie Lessing, Herder, Iselin u. a. - aus dem Begriff des Endzweckes unserer Geschichte die einzelnen Erscheinungen derselben und deren Notwendigkeit verstehen zu lernen.«31
Die vertiefte Spekulation über das Verhältnis von Glauben und Wissen ist für den gnostischen Habitus zentral, weil Gnosis ja gerade voraussetzt, daß intellektuelle Erkenntnis und göttliche Erlösung identisch sind. Auf der anderen Seite steht die geschichtsphilosophische Spekulation gerade auch bei Lessing, den Rosenkranz anführt, in enger Kommunikation mit chiliastischen Traditionen.32 Gnostischer und chiliastischer Habitus sind die beiden positiven Traditionen, an die gedacht werden muß, wenn man nach Elementen sucht, die in jenem Hohlraum der unsichtbaren Kirche sich eingelagert haben.33 Die Probleme geschichtsphilosophischer Selbstverortung habe ich im Zusammenhang der Diskussion der Entwürfe für eine journalistische Boheme bereits erörtert. Auf religionssoziologischer Ebene spiegelt sich die Blockierung geschichtsphilosophischer Lösungen angesichts der großen Stadt in der Frage, ob die chiliastische Hoffnung sich schon erfüllt hat oder ob die Erfüllung noch bevorsteht. Auch dort, wo die Junghegelianer sich als unsichtbare Kirche definieren, ist diese Frage umstritten. Die unsichtbare Kirche hat für Ruge eine doppelte Seite. Einmal ist es die informelle »Gemeinschaft des Geistes«, die sich »in der Andacht verwirklicht«, bezogen auf das Bibelwort: »Wo drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen«. Die andere Seite der unsichtbaren Kirche bezieht sich auf ihre Funktion für den letzten Weltzustand. »Die Andacht des Gottesdienstes ist nicht die einzige Form der Erscheinung des christlichen Geistes. Er durchdringt das ganze Leben, die Erlösung und Vergötdichung der Welt ist wirklich und das Himmelreich ist zu uns gekommen; wehe denen, die es antasten, theoretisch antasten oder praktisch - sie sind aussätzig unter den Gesunden!«34 Diesem Status quo einer im Kern erfüllten Endzeit setzt B. Bauer die chiliastische Weissagung entgegen: »es werden Staaten kommen, die sich zuversichtlich auf die Freiheit des Selbstbewußtseins gründen werden. Sie werden die Sache des kirchlichen Bewußtseins vollends entscheiden. Es gibt viele Weissagungen der letzten fünfzig Jahre, die ihrer Erfüllung harren. Heil den Staaten, die sich nicht fürchten werden vor diesen Weissagungen.«35 Bauers Metaphorik der »Posaune des jüngsten Gerichts« gehört ebenso in diesen Zusammenhang wie Marx' Rede vom »deutschen Auferstehungstag«.36 Die Ambivalenzen der Historierung der Endzeit werden in den Debatten nicht offen ausgetragen. Deutlicher ist der chiliastische Habitus dort greifbar, wo die Junghegelianer ihre neue »Religion des Diesseits« der alten, nur auf das Jenseits bezogenen Religion gegenüberstellen. Die »Religion des Diesseits« entspricht des-
348
halb dem chiliastischen Geschichtsmodell, weil eine Phase angenommen wird, in der sich die auf das Jenseits gerichteten Heilserwartungen in der weltlichen Geschichte realisieren. Für Ruge ist die alte Religion »der Kultus oder die Verehrung eines schlechthin jenseitigen Heiligen, dessen Offenbarung wohl in die Zeit fällt, aber immer auch in dieser noch das Unerreichbare, das Überschwengliche und Unbegreifliche, also nach wie vor sie jenseitig bleibt.« Dagegen fällt die neue Religion vollständig in die Zeit, sie wird zur »Praxis«. »Diese beiden Formen der Religion bekämpfen sich jetzt, oder richtiger geredet, sie stehen sich gegenüber, wie die alte und die neue Zeit«.37 Was ist an der junghegelianischen »Religion des Diesseits« noch religiös? Wie grenzen sich die Junghegelianer, die zuerst noch nicht offen atheistische Positionen vertreten, gegenüber dem Atheismusvorwurf ab? Ein anonymer Berliner Junghegelianer argumentiert: »Das Christentum selbst gibt das Kriterium an die Hand, woran ihr erkennen könnt, ob eine neue religiöse Theorie der Menschheit gefährlich oder heilbringend sei. Wiedergeburt durch den Geist - ist die Kategorie, die in keiner wahren, das Heil der Menschheit fördernden, religiösen Doktrin fehlen darf. Wäre das Diesseits, auf welches die modernen Kritiker dringen, das empirische, die Huldigung des krassen Materialismus, dann würde auch ich mit euch ein Anathema über sie ausrufen: aber es ist das durch den Geist wiedergeborene Diesseits, was sie anerkannt wissen wollen; - ihre Tendenz ist also gerade die echt christliche.«?1 Die »Wiedergeburt durch den Geist« entspricht dem Dritten Zeitalter des Heiligen Geistes in der fioritischen Konstruktion, in dem die göttliche Wahrheit sich nicht mehr über priesterliche Vermittlung verbreitet, sondern quasi spontan in den Individuen entsteht. Ruge weiß, daß es sich bei solchen Auffassungen um »Ketzerisches« handelt. . »Das Aufgeben des Christentums und der alten dualistischen Religion (d. h. die Spaltung von Diesseits und Jenseits, d. V.) ist die erste Ketzerei (. . .). Die zweite Ketzerei ist die der alten entgegengesetzte neue Religion, die Religion der Sittlichkeit, die Religion des Diesseits, und der Grund von allen beiden ist der Gott, welcher der Geist und nicht transmundan, sondern die ewiggegenwärtige als das geistige und natürliche Universum ausgelegte Idee (Subjekt, Begriff) ist.«39 Die Religion eines innerweltlichen Gottes ist jedoch ein labiles Deutungsmuster, vor allem, weil in ihr das Verhältnis von säkularer Geschichte und Heilsgeschichte oszilliert. Was passiert, wenn die säkulare Eigengesetzlichkeit des Diesseits die Konturen des Reiches Gottes auf Erden zu irritieren beginnt? An dieser Frage zerbricht der chiliastische Habitus der Junghegelianer. Sei es, daß die große Stadt die Unerschöpflichkeiten eines neuen Jerusalem übertrifft, oder daß die Herausforderungen des innerweltlichen Gottes, - daß die Geschichte anfängt, die chiliastischen Träume zu korrigieren. In diesem Übergangsfeld zerbrechender chiliastischer Erwartungen hat die Vergewisserung der religiösen Erfahrung Konjunktur. Mag gesteigerte Religiosität oder militanter Atheismus dabei herauskommen, diese Alternative ist weniger dringlich als eine haltbare Gewißheit, mit der das Oszillieren von säkularer Geschichte und Heilsgeschichte beendet werden kann.
349
3. Erlösung durch Wissen Im gnostischen Habitus wird der verbreitete Glaube defizitär erlebt. Die religiöse Lehre wird nicht als selbstverständlich hingenommen, sondern sie muß umständlicher spekulativ begründet werden. Die intellektuelle Gotteserkenntnis erhält den Vorrang vor dem bloßen Glauben. Ihm wird die Erlösung durch Wissen entgegengestellt. Durchgängig ist der gnostische Habitus der Junghegelianer dort zu greifen, wo sie die Differenz von Glauben und Wissen systematisch ausbauen und radikalisieren. Dabei erscheint das Wissen zunächst im Anschluß an Hegel nicht als eine dem Glauben widersprechende Haltung, sondern als die gleichsam höhere Form des Glaubens. Für Rugeist die gläubige Frömmigkeit der Gegenpol, bei dem anzusetzen ist. »Die Kategorie der Frömmigkeit ist jetzt veraltet, denn sie ist die gute, gehorsame, sanfte Unterwürfigkeit unter den heiligen Willen des jenseitigen Gottes, sie ist Tugend aus Religion, denn in der alten Form der Religion ist Tugend und Religion zweierlei, weil es einen doppelten Willen gibt, den Willen Gottes, zu dem sich die Religiosität gehorsam verhält, und den Willen des Menschen, dessen Tugend in diesem Gehorsam besteht und dann Frömmigkeit genannt wird.« Die Frömmigkeit, dieser »Rest einer unmündigen Vorzeit (. . .), darf von ihrer Negation nichts wissen, sie darf nicht gebildet, sie muß wirklich noch kindlich« sein. Die höhere Form des Glaubens dagegen geht nicht vom Kindverhältnis aus, sondern von der »Gemeinschaft; freier Menschen«. Es handelt sich um »Bildung des Charakters und des Geistes, um den Kampf der Freiheit mit der Endlichkeit, und dieser Kampf ist der Kampf und das Leben des absoluten Wesens selbst. Wer den Freiheitskampf in geistiger Weise versteht und treu die Folgen seines Verständnisses auf sich nimmt, den kann man im wahren Sinne religiös nennen.«40 L. Buhl zufolge will »auch der extremste Kritizismus (. . .) die Religion nicht überhaupt negieren, sondern nur an die Stelle der positiven Religion die des Geistes setzen.«41 Auch bei Feuerbach tritt die neue Philosophie »an die Stelle der Religion, sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in Wahrheit selbst Religion.«42 Und Rugedefiniert emphatisch: »Der neue Glaube aber, nach dem mit Recht alles fragt und strebt, die ganze Gesinnung dieser neu entdeckten Welt, ist keine andere, als der Glaube an die alles durchdringende Seele des Wissens oder an die Wahrheit.^ Uns interessieren die sozialen Formen, in denen sich der >neue Glaube< zeigen könnte. Da das Gottkindschaftsverhältnis, das sich in einer Hierarchie darstellen ließe, nicht mehr gilt, sondern »die innere Gewißheit der stetigen Entwicklung des Einen Geistes« den Ausgangspunkt bildet, stellt sich die Frage nach Formen für den >neuen Glauben< besonders dringlich. Nach außen tritt der >neue Glaube< bei Rugeals »Herrschaft der wahrhaft Wissenden« auf. Eine kontemplative, spekulative Versenkung in ein göttliches Wissen steht nicht zur Debatte, sondern der >neue Glaube< wird kämpferisch nach außen gewendet. »Gott liebt es, sich den Menschen in einem brennenden Busche zu offenbaren; der Feuerbrand, in dem er sich uns gezeigt hat, ist die Revolution«, schreibt E. Bauer44, und für die Jetztzeit gilt nach Rüge: »auch der Gebildetste gebraucht das Gefühl der todesverachtenden Idealität, das Fieber der rücksichtslo-
350
sen Begeisterung, den reellen Gottesdienst der Freiheit; keine Theorie ersetzt diese Praxis.«45 Bezeichnend die Analogie, die Jachmann beschwört: »Aber ohne Märtyrer wäre die Religion Christi nicht zur Weltreligion geworden; ohne die blutigen Taufzeugen derer, die ihr Leben für ihre Überzeugung ließen, hat noch kein Kind der Wahrheit seinen Namen erhalten. Auch der Liberalismus erfordert solche Opfer«.46 Eine spezielle soziale Form ist in diesem gläubigen Pathos selbst nicht mitgegeben, vielmehr wird die Form der Partei oder der Schule mit religionskriegerischen Elementen aufgeladen.47 Der gnostische Habitus wirft für die Innenseite der Gruppentypen erhebliche Probleme auf. Die Referenz dem >Wissen< gegenüber mag die einzelnen noch so sehr zusammenhalten, die Bindung des Erlösungsglaubens an das Wissen ist schwer kollektivierbar. Schon für die philosophische Schule ist die kollektive Integrationsebene »wissenschaftliche Wahrheit« schwierig gewesen. Nun tritt mit dem gnostischen Habitus noch das Moment religiöser Gewißheit hinzu. Man könnte von der spiegelverkehrten Innenseite des charismatischen Dilemmas sprechen, das darin besteht, daß Charisma immer nur einzelnen anhaften kann. Die reine und unvermischte Gläubigkeit als ein theoretisches Konstrukt entnehmen die Junghegelianer der Hegeischen Religionsphilosophie. Religion ist hier, wie Rosenkranz schreibt, »von Gott unmittelbar zu wissen.«48 Die Struktur dieser Definition hat sich bis in M. Webers Begriff des Charisma erhalten, mit dem eine »schlechthin an dem Objekt oder der Person, die es nun einmal von Natur besitzt, haftende, durch nichts zu gewinnende Gabe« gemeint ist.49 Der unmittelbare Bezug ist aber nur ein konstruierter Ausgangspunkt, der empirisch erst greifbar wird in der Bewährung des Charisma. Auf diese Bewährung und auf ihre sozialen Voraussetzungen und Chancen usw. hat sich Webers soziologisches Interesse konzentriert. Im gnostischen Habitus liegen nun zwei Möglichkeiten, mit der Annahme eines reinen, unvermischten Glaubens umzugehen. Hegel vollzieht einen gigantischen Zirkel, um den unmittelbaren Bezug des Glaubens durch differierende Bewußtseinsformen, den Stufen des Geistes, die sich als Vermittlung darstellen, aufzufächern, und schließlich am Ende seines Systems im absoluten Wissen die Versöhnung von Glauben und Wissen zu feiern. Im Weberschen Sinne könnte man sagen, daß Hegel spekulativ die Bewährungen so angelegt hat, daß sie erfolgreich durchgestanden werden. Die Junghegelianer weichen hier ab, und sie müssen abweichen, weil die Hegeische Versöhnung von Glauben und Wissen nur individuell haltbar ist. Bei Ruge stellt sich dies Problem so dar: »Wer die Mission erfüllt, das Wort des neuen Geistes auszusprechen, das heißt, den geschichtlichen Ruck und Bruch mit der Vorzeit auszuführen, der sitzt mit hohen Ehren am Webstuhl der Zeit, er schafft, wie im Denken das Erkennen des Vorliegenden die neue Bestimmung schafft; es wird aber ebenso der Idee, dem wahren Sein des Begriffs, zugestanden werden müssen, daß sie im Reich des Geistes am wahrsten und völlig, überall zu Tage liegend, nirgends >zu Grunde liegen bleibend< sein müsse.« Die göttliche Erkenntnis muß »überall zu Tage liegen«, weil dies die Voraussetzung ist, über göttliche Erkenntnis in der Gruppe kommunizieren zu können. Die
351
einzelnen »sind keine prometheischen Feuerbringer, welche die Wahrheit aus dem jenseitigen Himmel zu holen bevorzugt wären«. Eine kollektive Erleuchtung wäre zwar spekulativ zu entwerfen, aber die Junghegelianer sind gnostisch genug, um sich mit dem Wunder eines Pfingstens der Gruppe nicht beruhigen zu können. So kommt Ruge zu dem Schluß: »Das wirklich Zeugende ist hier allerdings der Einzelne, der Genius, der aber aus dem allgemeinen Geist hervorgeht, und, indem er seinerseits das Selbstbewußtsein des allgemeinen Geistes ausspricht (!), in Wort und Tat nichts tut, als die Mission der sich selbst (!) einführenden Freiheit erfüllen. Er ist der Gottgesandte, nicht der Gott.« Die soziale Form, die hier antipiziert wird, nennt Ruge die »geistige Demokratie, die im Besitz des Göttlichen die Genien nicht verehrt, denn sie sind von ihr bestellt, sondern sie nur ehrt, indem sie sie bestellt, in der Verehrung aber, die sie wirklich ausübt, in ihrem wirklichen Kultus, eben den Genuß ihrer Würde und die Ehre des besten Seins besitzt.«50 Wie kann so eine prekäre Situation in der Gruppe ausgehalten werden? Das Geheimnis besteht darin, daß zur Lösung dieses Knotens der gnostische Habitus den Dualismus von Glauben und Wissen entgegen der Intention, beides zusammenfallen zu lassen, fortlaufend neu reproduzieren muß. Da die Hierarchie als eine Konsequenz des Charismas vermieden werden soll, bleibt nur die Chance, in einer Interaktion den Glauben durch die Erkenntnis und die Erkenntnis durch den Glauben in Schach zu halten. Wer den Verlockungen einer zu hervorragenden gläubigen Selbstgewißheit zu unterliegen droht, kann durch eine Verkomplizierung der Erkenntniswege zur >geistigen Demokratie< gezwungen werden. Umgekehrt dient das Insistieren auf der Existenz eines agnostischen unvermischten Glaubens dazu, denjenigen, der aus der Binarität ausbrechen will, wieder in eine Beziehung zur Gewißheit zu bringen. Erst wenn es gelingt, das Moment der Gewißheit generell zu antiquieren, ist der Bann des gnostischen Habitus gebrochen. In diesem Zusammenhang erscheint der eigenartige Zug der Junghegelianer, sich immer wieder auf strenge altchristliche Glaubenselemente zu beziehen, in einem neuen Licht. Zeitgenossen wie der deutsch-katholische Pfarrer Hieronymi urteilen über diese Tendenz: »Daß einmal die Kirche in mönchischer Asketik das gegenwärtige Leben mißachtet, und nur nach dem jenseitigen getrachtet hat, ist wahr, aber daß man der Gegenwart diesen Vorwurf machen könne, will mir nicht einleuchten.« So hatte Bayrhoffer die Taufe in dem Sinne altchristlich gedeutet, »daß der Geistliche das Kind durch die Taufe in eine jenseitige Welt aufnehme« und mit Feuerbachschem Pathos auf der Mutterliebe insistiert, der es zuwider sei, »daß ihr Kind der wirklichen Welt soll entrissen werden«. Für den erfahrenen Geistlichen ist diese altchristliche Radikalisierung unverständlich. »Wären diese Worte nicht so ernst gehalten, ich müßte lachen, das nenne ich in Hyperbeln reden! Solche Wunderkraft, das Kind in eine jenseitige Welt aufzunehmen, hat selbst die orthodoxeste Kirchenlehre der Taufe niemals zugeschrieben, sie meinte nur, das Kind werde durch die Taufe von Erbsünde und Teufel frei, wollte das Kind also gerade von der jenseitigen Welt freimachen. Eine Mutter, die da gedacht habe, man wolle ihr Kind der wirklichen Menschheit entreißen, ist mir nie vorgekommen. Die Taufe ist bei allen vernünftigen Leuten schon lange nichts weiter als ein Symbol der Aufnahme in den Christenbund.«51
352
Der Pseudohegelianer Fichte wirft den Junghegelianern vor: »Aber auch das Christentum müßt ihr zur entstellten Karikatur herabsetzen, um mit eurer Polemik gegen desselbe gerecht zu werden.«32 Fichte bezieht sich dabei auf Feuerbach, bei dem in der Tat die Tendenz zur Identifizierung des Christentums mit altchristlichen Auffassungen extrem deutlich wird. Der Verfänglichkeit des gnostischen Habitus in diesem Punkt ist schwer zu entgehen. Aschen nimmt z. B. Feuerbachs »Wiederaufwertung der dem Christentum ursprünglichen Prinzipien auf moralischer Ebene« ernst und sieht bei Feuerbach eine »Rückkehr und Suche nach dem wahren ursprünglichen Christentum«.53 So eindeutig läßt sich die Ambivalenz des gnostischen Habitus aber nicht auflösen. So wendet sich Feuerbach z. B. gegen den »christlichen Arzt«, der zwar auf das Gebet für die Heilung des Kranken nicht verzichtet, aber dieses religiöse Mittel mit profanen Mitteln der ärztlichen Kunst unterstützen will. Er »räumt also dem Gebete, überhaupt den geistlichen Mitteln, eine entsündigende Kraft ein; aber warum nicht auch eine entkrankheitende? Er beginnt also nur die Heilung mit dem Gebet, aber vollbringt sie nicht mit ihm? Erst läuft der Herr Obermedizinalrat in die Kirche und dann in die Apotheke? (...) Wenn nun aber das Gebet der unmittelbare Kontakt mit dem Urquell aller Macht, alles Lebens ist, wenn wir uns durch dasselbe in ein richtigeres Verhältnis zu Gott und Natur setzen, wenn es gegenwärtige Übel heilt, ja, die Quelle alles Übels, die Trennung von Gott, aufhebt, (...): Warum macht er denn nicht das Gebet zum Prinzip seiner Therapie?« Dem christlichen Arzt< hält Feuerbach die Heilungen entgegen, die der Hl. Bernhard und der Hl. Malachias aus ihrem Glauben heraus vollbracht haben. »Haben sie bei ihren Kuren zugleich die Hostie und die Klistierspritze, das Kruzifix und den Blutegel appliziert?«54 Die polemische Ironie, mit der Wunderglaube und altchristliche Demut ins Spiel gebracht werden, ist nicht zu überhören. Jedoch ist zu bezweifeln, ob damit das Phänomen erklärt ist. Die polemische Ironie ist seltsam schwankend. In der Rhetorik Feuerbachs, wie auch in der anderer Junghegelianer spricht sich auch eine Bewunderung des Berge versetzenden altchristlichen Glaubens aus. Diese Glaubenskraft ist der prominente Bezugspunkt Feuerbachs: »Wenn daher der Verfasser vom Christentum redet, so redet er nicht von dem charakterlosen, laxen, schlappigen Christentum der neueren Zeit, dessen Glaube ein durchaus erlogener, sich selbst widersprechender, willkürlicher, ungläubig-gläubiger Glaube ist, nicht vom Christentum in einem unbestimmten Sinne, in jenem Sinne, in welchem es nur noch ein inhaltsloser Name ist und heutigentags von so vielen genommen wird, sondern vom Christentum in seinem eigenen, schlechtweg determinierten Sinne.« Der altchristliche Glaube verfällt gerade nicht der Kritik. »Gegen den stillen, unmittelbaren, lebendigen, einfachen, in Handlungen sich betätigenden Glauben, wer sollte sich da kehren? Wer sollte ihn, sein Inhalt sei auch welcher er wolle, nicht schonen, nicht anerkennen, nicht ehren?«53 Die Hervorkehrung des altchristlichen Glaubens ist nach zwei Seiten gewendet: einmal wird die Kraft dieses Glaubens bewundert, ausgehend von bestimmten Glaubensinhalten Wirklichkeitsdeutung und menschüliches Verhalten in überragender Weise zu bestimmen, zum andern muß auf dieser Folie das moderne aufge-
353
klärte Christentum als ein kaum wirkungsvolles Unternehmen erscheinen, demgegenüber vielleicht erst auf einer höheren Stufe die >neue Religion< jene Durchschlagskraft wieder erringen könnte, die der altchristliche Glaube besessen hat. Entsprechend werden der Erlösung durch Wissen jene Attribute zugeschrieben, die dem göttlichen Wirken angehören. Die Kritik »verleiht dem menschlichen Bewußtseins alle Gewalt, alle Macht zu binden und zu lösen, alle Schlüssel zum Himmelreich der Freiheit«, heißt es bei E. Bauer.56 Wenn es im gnostischen Habitus darum geht, den Dualismus von Glauben und Wissen immer wieder als sich verstärkende Binarität zu entfalten, um durch vertiefte Spekulation den Spannungsrahmen aufrechtzuerhalten, so bietet sich gerade der altchristliche Glaube dazu an, verweist er doch die Vertreter des hegemonialen Christentums, die sich für die Junghegelianer in der offiziellen Theologie der Zeit zeigen, auf die Fragwürdigkeiten einer Vermittlung von Glauben und Wissen, die ohne komplizierte Umwege auszukommen glaubt. Den Theologen der Zeit wirft Feuerbach vor: »Die Strenge der alten Christen, d. h. ihre Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, ist euch nur Übertreibung oder gar Mißverstand der christlichen Wahrheit und Tugend. Natürlich, man muß, wie theoretisch ein Mittel zwischen Glauben und Unglauben, so auch praktisch ein schönes juste-milieu zwischen der christlichen Moral und dem Epikureismus der modernen Welt innehalten. (...) Während die alten Christen auf den Knien über dornige und steinige Pfade zum Himmel emporklimmten, wollt ihr, auf den Lorbeeren des Unglaubens ausruhend, auf Eisenbahnen und Dampfwagen ins himmlische Jerusalem hineingleiten.«57 Während für Feuerbach das alte vorreformatorische Christentum der entscheidende Bezugspunkt ist, von dem aus die gnostische Spannung von Glauben und Wissen angelegt wird, reproduziert B. Bauer die Position einer ins Extrem gesteigerten neupietistischen Orthodoxie, um den gnostischen Habitus zu sichern. Wahren Glauben findet B. Bauer nicht in der zeitgenössischen, vom Rationalismus gefärbten Theologie, sondern im strengsten Pietismus, dessen Strenge er noch zu überbieten sucht. »Der wahrhaft Gläubige ist gewiß, daß es nur Eines Wortes bedarf, da die Kraft des Göttlichen, der Wille und die Allmacht Gottes mit ihm ist. So wie der wahrhaft Gläubige will, so steht es da, wie er verneint, so ist es ein vernichtendes Nein, er ist ein Zauberer: Ein Blick seines Auges hat es dem Gegner angetan! Der rationalistische Gläubige dagegen hat keinen Glauben mehr: Ihm scheint es Vermessenheit, wenn ein Mensch glauben wollte, sein Wille könne so weit mit dem Göttlichen eins sein, daß er lösen und binden könne. Sein Gott hat nicht mehr die Kraft, das Gottlose zu vernichten.«58 Zu den wahrhaft Gläubigen gehören für B. Bauer Gestalten wie der Bremer Neupietist Krummacher. Ihn versucht B. Bauer in »Hegels Lehre von der Religion und Kunst vom Standpunkt des Glaubens aus betrachtet« (1842) noch zu übertreffen. Man kann diese Schrift als eine Karikatur lesen und diese Seite noch verstärken, wie Rüge es in seiner Rezension tut: Krummacher müsse als Autorität anerkannt werden, »und man muß gestehen, daß ihn im Bekenntnis des Christentums mit allen seinen Konsequenzen keiner der jetzt lebenden Menschen, selbst der Heilige Vater in Rom nicht übertrifft. Krummacher ist klassisch in seiner Art und verdiente allgemein gekannt zu sein. An
354
ihm würde sich jeder sogleich orientieren; denn er handelt und feilscht mit nichts und mit niemand, er ist radikal und das schönste, entscheidenste Extrem, das man nur wünschen kann.«59 Dieser Wunsch ist auf den ersten Blick natürlich ironisch, wie das ganze Spiel der neupietistischen Maskeraden, das die Junghegelianer treiben. Aber der Wunsch nach dem »schönsten, entscheidensten Extrem« hat nicht die säkulare Leichtigkeit, mit der etwa das Junge Deutschland, namentlich Heinrich Heine, die Religion persifliert haben. Wie bei Feuerbachs Apotheose der alten Christen, so ist auch bei B. Bauers Hervorkehrung des radikalen Neupietismus eine andere Tendenz spürbar. Es geht um die beharrliche Konstruktion einer reinen und unvermischten Gläubigkeit, die so pur in keiner Realität aufzufinden ist, die aber für den gnostischen Habitus eine bewußtseinsmäßige Voraussetzung ist. Die reine und unvermischte Gläubigkeit ist als theoretisches Konstrukt unverzichtbar. Sie muß immer wieder ins Spiel gebracht werden, weil sie als Extrem hilft, die andere Seite, nämlich die reine und unvermischte Vernunft, darzustellen. Die Gewißheit der >neuen Religion nährt sich untergründig von der strukturnotwendigen Beschwörung einer alten reinen und unvermischten Gläubigkeit. So gerüstet tritt die unsichtbare Kirche der Junghegelianer auf das Schlachtfeld der religiösen Bewegungen des Vormärz.
4. Religiöse Erneuerungsbewegungen Bei den religiösen Erneuerungsbewegungen des Vormärz handelt es sich um ein komplexes Geflecht religiöser Gemeinschaftsbildungen, dessen Erforschung gerade erst begonnen hat.60 Die überwiegende Zahl der Arbeiten zum Junghegelianismus geht nur beiläufig darauf ein, obwohl es an sich sehr nahe läge, die religionskritische Debatte der Junghegelianer auf dem Hintergrund dieses Phänomens zu untersuchen. Was den Blick auf die religiösen Bewegungen im Vormärz verstellt, ist eine seltsame Verschränkung der möglichen Perspektiven. Aus der Perspektive der Revolution von 1848 erscheinen die religiösen Bewegungen als parapolitischer Vorlauf des Kampfes um Restauration oder Demokratie. Den Zeitgenossen wird ein säkulares Bewußtsein unterstellt zu einem Zeitpunkt, an dem ein Säkularisationsschub einsetzt. Aber war es ein Säkulatisationsschub, oder war es eine Transformation des religiösen Bewußtseins? Ging es unter der Hülle der Religion um etwas ganz anderes, oder war die Religion der Kern, der sich politisch-säkular verhüllte? Nach 1848 scheint diese Alternative geklärt zu sein. »In dem Anfang der 40er Jahre schien es fast, als solle sich die erregte Teilnahme der Laien an den theologischen Händeln, die im siebzehnten Jahrhundert Deutschland in seiner Entwicklung so sehr aufgehalten hat (!), noch einmal erneuern. Wir sind sehr damit zufrieden, daß diese Gefahr von unserer Bildung abgewandt ist, daß die politische Aufregung die religiöse verdrängt hat.«61
355
Dies nachmärzliche Urteil J. Schmidts ist für den Religionssoziologen herausfordernd, weil er darauf aufmerksam gemacht wird, daß es selbst für einen dezidiert konservativen Intellektuellen eine größere Gefahr als die einer Revolution gegeben hat, eine Gefahr, im Vergleich zu der die »politische Aufregung« nachgerade als Beruhigung erscheinen muß. Die Erleichterung darüber, daß die politische Thematik die religiöse verdrängt hat - ist sie in der Forschung habitualisiert worden, die die religiösen Bewegungen des Vormärz nur noch in politischen Horizonten zu deuten vermag? Die Gruppe der Junghegelianer steht noch inmitten der Alternative, ob die Religion die Politik substituiert oder die Politik die Religion. Sie sind sich nicht sicher, ob sie es mit dem Ende oder der Vollendung der Religion zu tun haben. Weder gnostischer noch chiliastischer Habitus machen dieses Problem entscheidungsfähig, weil von ihnen auch gesagt werden könnte: entweder sie verenden in diesem Säkularisierungsschub, oder sie vollenden sich in einer Transformation des religiösen Bewußtseins. Da diese Frage nicht im direkten Zugriff zu lösen ist, ist ein Umweg nötig. Halten wir uns zunächst an Beobachtungen von Zeitgenossen. Durchgängig ist der Topos der Orientierungslosigkeit. Bereits 1838, anläßlich des Kölner Kirchenstreits, bemerkt Th. Mundt: »Wir haben gesehen, wie in dem gegenwärtigen Moment auf keiner Seite (der protestantischen und der katholischen, d. V.) eine reine und ungetrübte Weltanschauung besteht, sondern die ehemals schneidensten Gegensätze waren vielmehr bis jetzt im Begriff, fast tumultuarisch ineinander überzulaufen.«62 1841 klagt H. Merz: »So ist denn jetzt die Verwirrung, die Ungewißheit und Unklarheit größer als je. Der Glaube und das Wissen, die Freiheit und die Knechtschaft, die Duldung und die Verfolgung, die Bildung und die Barbarei durchkreuzen sich in allen Richtungen und Punkten - man könnte irre werden an der Zukunft, wenn man nicht zu der Urkraft des deutschen und reformatorischen Geistes den zuversichtlichsten Glauben halten dürfte.«63 Ein dänischer Prediger schreibt: »Die eisige Gleichgültigkeit gegen Religion, welche, durch Spott und Zweifel erzeugt, so viele Gemüter gefangen genommen hatte, schmilzt immer mehr vor den Eindrücken eines lebendigen Glaubensbekenntnisses hinweg.« Und so sehr die religiöse Erneuerung begrüßt wird, der geschulte Prediger sieht sich schon genötigt, den religiösen Überschwang zu dämpfen: »Doch voreilig würde die Hoffnung auf eine alsbald sich vollendende Darstellung des Gottesreiches auf Erden sein. Die Geschichte lehrt vielmehr: Daß gerade in solchen Zeiten der Erneuerung, gegenüber dem Durchdringen evangelischer Wahrheit auch die Macht des Wahns sich mehrt.« Er erinnert an die >Auswüchse< der Reformation und der Zeit Speners und der Pietisten.64 Der Junghegelianer F. Saß, der über die Glaubenskonflikte seiner Zeitgenossen >hinaus< ist, will sich in seinem Berlin-Buch gar nicht erst auf eine detaillierte Darstellung der religiösen Bewegungen einlassen; »mit welchem unerquicklichen Material hätten wir uns hier zu beschäftigen, wenn wir alle die einzelnen religiösen Parteien Berlins, die muckerhaften, die orthodoxen, die halbatheistischen und die pietistischen, die ultramontanen und die deutsch-katholischen, die talmu-
356
dischen und die reformjüdischen, die Hengstenbergianer bis zu den Atheisten, welche unter die Lichtfreunde gegangen sind, genau darstellen wollten! In dem Lande der ausgebreitetsten Sektenfreiheit, in Nordamerika, kann der religiöse Parteikampf zwar wohl äußerlich freier, aber nicht intensiver geführt werden, als bei uns.«65 Wie für Saß ist auch für Prutz' mundanen Blick die religiöse Bewegung der 40er Jahre ein gespenstisches Unternehmen: »Wir disputieren über die Dreieinigkeit, erörtern die Glaubhaftigkeit des Evangelisten Lukas und schreiben dicke Bücher darüber, ob der Weg in den Himmel links geht oder rechts, ob man zu Pferde oder zu Esel sicherer dahin gelangt, und ob die Hölle eine Treppe tief liegt oder zwei. Da haben wir in Summa die Nationalinteressen des deutschen Volkes Anno vierzig bis sechsundvierzig: der rote Faden, der sich durch das Gewirre dieser Jahre hinzieht, er ist aus geistlicher Wolle gezupft, die Dogmatik ist unser contract social, Geistliche sind unsere Volkshelden, theologische Streitfragen die Fragen der Gegenwart, die Fragen der Nation! - ( . . . ) So auch, wohin einer jetzt in Deutschland fliehen möchte, von Königsberg bis Konstanz, von Breslau bis Cleve, überall, aus allen Gesellschaften, allen Wirtshäusern, allen Dampfwagen tönt ihm die kirchliche Melodie unserer Tage entgegen; ( . . . ) du kannst keine Zeitung in die Hand nehmen: Das erste, worauf dein Auge fällt, ist eine theologische Kontroverse, kein Beefsteak essen: dein Nachbar unterhält dich von Uhlich und fragt, ob dir Ronge oder Czerski besser gefällt - keine Zigarre anzünden: man reicht dir einen Fidibus aus der >evangelischen Kirchenzeitung<.« Deutschland gleiche »nur noch einem großen kirchlichen Konzile«.6* Und Jacoby stellt fest: »Wahrhaftig! Religion ist die epidemische Krankheit unserer Zeit; niemand ist vor Ansteckung sicher.« 67 Die Reihe der Aussagen von Zeitgenossen ließe sich beliebig vermehren. Ob nun emphatisch teilnehmend oder distanziert beobachtend: der Vergleich der 40er Jahre mit der Reformationszeit drängt sich allen Zeitgenossen auf. 68 Diese religiöse Bewegung mündet in die Revolution von 1848. Nach ihrer Niederlage ist die »Reformation des 19. Jahrhunderts« weitgehend vergessen. Es ist wenig nützlich, diese Bewegungen aus einer nachmärzlichen Perspektive zu betrachten, weil damit die Frage nach der Säkularisierung bzw. der Transformation der Religion vorab entschieden würde. Vielmehr gilt es, die religiöse Bewegung der 40er Jahre als einen Prozeß zu begreifen, in dem paradoxerweise religiöse Erneuerung und Säkularisierung miteinander verschränkt sind. Für diese Verschränkung hat der zitierte dänische Prediger einige treffende Formulierungen gefunden. Er sieht zwei Richtungen, die geeignet sind, die »ruhige« Entwicklung des Christentums zu stören. »Die Anhänger der einen dieser Richtungen gehen vorzugsweise darauf aus, das Christentum und seinen Inhalt ihrem menschlichen Bewußtsein möglichst nahe zu bringen, indem sie dasselbe mehr oder weniger seiner göttlichen Erhabenheit entkleiden, es gewaltsam völlig in die Sphäre des natürlichen Denkens nach der menschlichen Ordnung hinabzuziehen suchen. Die von der anderen Richtung dagegen betrachten es vielmehr als ein himmlisches, heiliges, von allen irdischen Wesen fernzuhaltendes Gotteserbe, das an sich allem rein menschlichen Wissen und Wirken fremd sei; (...). Die einen verkündigen eine Weltreligion, welche der Erkenntnis des Menschengeistes überhaupt verwandt sein, mit dieser im völligen Einklang stehen müsse«, und sie seien bemüht, »eine dereinstige Auflösung der Religion in Philosophie und der Kirche in Staat als das notwendige Ziel des geistigen Fortschrittes darzustellen. Dagegen dringen die anderen auf eine innerliche im Gemüte wur-
357
zelnde Frömmigkeit, welche, unbekümmert um Formen und Bewegungen des Weltlebens, in ihrer ursprünglichen eigentümlichen Selbständigkeit und Unmittelbarkeit zu verharren habe«.69
Es wäre voreilig, wollte man diese erste Richtung als Motor der Säkularisierung und die zweite als religiösen Widerstand dagegen vereindeutigen. Denn beide Richtungen wirken säkularisierend: die eine, indem sie die religiöse Thematik mehr als zuvor in profane Zusammenhänge einbringt, sie im doppelten Sinne darin >aufgehen< läßt; die andere, indem sie die religiöse Thematik mehr als zuvor den Gestaltungen des profanen Lebens entzieht und sich nur noch eines arkanen >Restes< versichert. Aber beide Bewegungen befördern auch eine Intensivierung des religiösen Erlebens: die eine, indem sie das Handeln in profanen Zusammenhängen zum entscheidenden Gottesdienst macht; die andere, indem sie das religiöse Erleben einem unangreifbaren individuellen Bereich zuweist, in dem die Berufung auf letzte Werte sich einnistet. Diese Verschränkung von Säkularisierung und Intensivierung religiösen Erlebens ist ein Erbe der Aufkärung und ihres »Doppelgängers«, des aus der spiritualistischen Tradition hervorgehenden Pietismus. 70 Beide bedrängen im 17. und 18. Jahrhundert die protestantische Orthodoxie, die sich unter den Bedingungen einer im hohen Maße staatsabhängigen Kirche schwer tut, Kultus und Dogmatik dem sozialen Wandel anzupassen. Entscheidend für die Entwicklung des Protestantismus in Deutschland ist bekanntlich, daß das absolutistische Landeskirchenregiment die Entfaltung eines staatsunabhängigen kirchlichen Gemeindelebens, in dem die religiösen Gegensätze sich hätten ausdrücken und so sozial verarbeitet werden können, stark behinderte. F. Fischer weist im Anschluß an Jellinek, Weber und Troeltsch daraufhin, daß »zu dem westeuropäischen Verfassungsstaat eine Linie von der kalvinistischen Reformation und vom Täufertum hin führt«, eine Linie, die entsprechend den Resultaten der Reformation (trotz nicht zu unterschätzender Einflüsse des Calvinismus auf Verhaltensmuster preußischer Oberschichten) in Deutschland vergleichsweise schwach ausgebildet war. Der Effekt dieser Ausgangslage auf die geringe Verwurzelung demokratischer Tradition und auf die Dominanz obrigkeitsstaatlicher Haltungen in Deutschland ist oft erörtert worden.71 Für die deutschen Intellektuellen des 17. und 18. Jahrhunderts bestand die trotz aller differenten Haltungen und Wandlungen strukturell relativ konstante Situation, daß sie sich in einem segmentierten religiösen Terrain bewegen mußten, wenn sie über die offizielle Orthodoxie hinausgehende Intentionen verfolgten. Entweder versuchten sie, als Rationalisten in die Kirchen das Licht der Aufklärung hineinzutragen, indem sie etwa den altprotestantischen Teufels- und Hexenglauben bekämpften und die religiösen Mysterien Vernunftgründen zugänglich machten, oder sie zehrten von den religiösen Unterströmungen spiritualer und mystischer Frömmigkeit, die unter dem weiten Mantel des Pietismus72 fortlebten, oder sie bewegten sich alternierend in beiden Segmenten. Der Unzufriedenheit mit dem herrschenden Kirchenleben sind sie selten entgangen. Diese strukturelle Lage trifft auch für die Vertreter des deutschen Idealismus zu.73 Häufig hatten sie von der Mutter in der Familie eine intensive religiöse Erzie-
358
hung erhalten, Bibellesen und häusliche Andachtstunden waren die Regel, in der Schule wurde der Katechismus gewissenhaft gelernt, aber die kirchlich bestimmte Religiosität endete oft mit der Konfirmation. Als Steffens 1799 nach Berlin kam, erzählte er: »Die Kirchen waren leer und verdienten es zu sein, die Theater waren gedrängt voll und mit Recht.« Schleiermacher, der es wissen mußte, urteilt: »Der protestantische Gottesdienst hat zu wenig Fülle und Konsequenz, als daß er die Gemeinde zusammenhalten könnte.«74 Die Liturgie entsprach nicht dem künstlerischen Bedürfnis vor allem der >Gebildeten<, und die Predigt mit ihren erstarrten Konventionalismen taugte schon gar nicht. Die Segmentierung, in der sich die Intelligenz bewegte, wurde verstärkt durch eine schichtenspezifische Komponente. Kirchliche Religiosität galt als ausreichend und notwendig für das einfache Volk, für die Intelligenz war sie entbehrlich. Aber diese >Entkirchlichung< der Intelligenz hat nichts mit einer Abkehr vom Christentum schlechthin zu tun, wie dies in den 20er Jahren Lütgert und andere darstellten, die im deutschen Idealismus eine Bedrohung für das Christentum sahen, die der einstigen gnostischen Bedrohung vergleichbar gewesen wäre. 75 Entscheidend ist, daß Kirche und Religion im Bewußtsein der Intelligenz auseinandertreten und daß diese Spaltung zugleich als Spaltung zwischen >Gebildeten< und >Volk< affirmiert wird. Vielleicht ist es gerade diese Spaltung, auf deren Hintergrund die zahlreichen Suchbewegungen der Intelligenz erklärt werden könnten, doch noch in Teilen des Volkes eine Religiosität zu finden, die mit der Religion der Intelligenz kompatibel ist. So gilt für eine ganze Reihe von Vertretern des Idealismus die Herrenhuter Brüdergemeine als ein beeindruckendes Muster christlichen Lebens. So z. B. für Goethe, der in »Dichtung und Wahrheit« schreibt: »Seit meiner Annäherung an die Brüdergemeine, hatte meine Neigung zu dieser Gesellschaft, die sich unter der Siegesfahne Christi versammelte, immer zugenommen. Jede positive Religion hat ihren größten Reiz, wenn sie im Werden begriffen ist; deswegen ist es so angenehm, sich in die Zeiten der Apostel zu denken, wo sich alles noch frisch und unmittelbar geistig darstellt, und die Brüdergemeine hatte hierin etwas Magisches, daß sie jenen ersten Zustand fortzusetzen, ja zu verewigen schien. Sie knüpfte ihren Ursprung an die frühesten Zeiten an, sie war niemals fertig geworden, sie hatte sich nur in unbemerkten Ranken durch die rohe Welt hindurchgewunden«.76 Die deutsche Intelligenz um 1800 ist fasziniert von Sekten wie den Herrenhutern, die »Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie« des radikalen Pietisten Gottfried Arnold gehört zur Standardlektüre, im Idealismus soll wie im Urchristentum oder der Reformation eine neue Religion auferstehen. Aber dieses gesteigerte religiöse Interesse sieht kaum eine Chance, sich in einem breiteren kirchlichen Gemeindeleben zu artikulieren. Die Ausgangslage für die religiösen Bewegungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wäre unzureichend skizziert, wenn die eigentümliche Erwekkungsbewegung, die sich vielleicht ausgehend vom Kampf der katholischen Kirche in Frankreich gegen Atheismus und antikirchlichen Geist der Revolution über ganz Europa ausbreitet, ausgespart bliebe.77 Unter einem politischen Blickwinkel mag es gerechtfertigt sein zu versuchen, Idealismus und Erweckungsbewegung auseinanderzudividieren, religionssoziologisch betrachtet handelt es sich um Vermischun-
359
gen, in denen religiös gesteigertes humanistisches Pathos vom Neubau der Welt und alte Glaubensinhalte wie Buße und Gnade, Sündenfall und Erlösung ineinanderfließen. Paradigmatisch für diesen >erweckten Idealismus< ist das Pathos der Befreiungskriege, für das bezeichnend ist, »daß Worte wie Erlösung, Wiedergeburt, Auferstehung, Offenbarung umgedeutet werden aus dem genuin religiösen in einen politischen und nationalen Sinn.«78 Fischers Formulierung verweist auf das Problem, das bis zu den religiösen Bewegungen der 40er Jahre bestimmend sein wird. Handelt es sich um eine Sakralisierung der Politik oder um eine Politisierung religiöser Glaubensinhalte? Das Problem wäre leichter zu lösen, wenn die politische und die religiöse Ebene sich in greifbareren Institutionalisierungen dargestellt hätten, in einem leistungsfähigem Gemeindeleben und in politischen Vereinen. Auch konnte es so erscheinen, daß in den Befreiungskriegen für einen Moment die Spaltung zwischen dem Bildungsbürgertum und den >Volksmassen< aufgehoben wäre, aber Schleiermachers vaterländische Predigten und Fichtes patriotische Reden konnten ein kontinuierlich von unten gewachsenes Gemeindeleben nicht ersetzen. Die Bindung der Erweckungsbewegung an den Krieg stempelt sie ohnehin schon zu einer Ausnahmesituation. Die politisch-religiösen Hoffnungen, die an die Befreiungskriege geheftet waren, wurden enttäuscht. Grob gesprochen kristallisierten sich drei Haltungen heraus, mit denen auf das Scheitern reagiert wurde. Nach der Ermordung Kotzebues blieb für diejenigen, die an den jakobinisch-patriotischen Wiedergeburtsidealen festhielten, nur die Illegalität der Konspiration. Eine zweite Möglichkeit war, sich dem Idealismus in der Hegeischen Fassung zuzuwenden, der genügend Zweideutigkeiten besaß, um mit ihm in der Restaurationszeit überleben zu können.79 Die dritte Möglichkeit schließlich war, sich auf die religiöse Erweckung zu konzentrieren und auf alle politischen Reformversuche zu verzichten. Den dritten Weg gingen die sog. Neupietisten, Männer wie z.B. Tholuk, Harms, Perthes, Below, Kottwitz und Hengstenberg. Über sie distanziert zu schreiben, fällt nicht leicht. W. Nigg urteilt: »Man kann sich diese Reaktionstheologie nicht unsympathisch genug vorstellen.«80 Dabei ist ihr Ausgangspunkt nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Die Befreiungskriege waren ja auch eine religiöse Bewegung und das hieß, auch ohne die ersehnten politischen Resultate ging die Erweckung weiter. »Hunderte von Jünglingen werden an allen Orten durch den Geist Gottes geweckt. In allen Orten treten die Bekehrten in genauere Verbindungen. Selbst die Wissenschaft wird Dienerin und Freundin des Gekreuzigten«, schreibt Kottwitz.81 Und F. Fischer weist daraufhin: »Selbst ein glühender Enthusiast wie Arndt unterwirft sich in lutherischer Demut der Zerstörung seiner höchsten Hoffnungen: >Das müssen wir aber Gott anheimstellen, er hat es so gewollt; denn er hat die Herrscher und Fürsten sein lassen wie sie sind< (1815)«.82 Nicht von der Hand zu weisen ist der Ausgangspunkt der Neupietisten, weil sie deutlich das Defizit eines freien kirchlichen Gemeinschaftslebens spüren, ein Defizit, das zu den strukturellen Problemen der Intelligenz seit der Reformation in Deutschland gehörte. Steffens erklärt, nachdem er sich der Erweckungsbewegung angeschlossen hatte: »Ich habe die Auferstehung des Herrn innerlich erlebt, ich habe ihn erschüttert sterben und begraben sehen.« Aber das reicht nicht, er fügt
360
hinzu: »Ich sehnte mich nach einer Gemeinde.«83 Gegen diese Sehnsucht nach einer Kirche mit einem funktionsfähigen Gemeindeleben stand der lutherische Kirchenbegriff, den vor allen Neander verteidigte. In diesem Sinne schrieb ein Freund an Perthes: »Die Protestanten haben keine Kirche und können keine haben, und das ist kein Unglück, denn lieber keine Kirche, als den freien Geist des Christentums aufgeben.«84 Jahre später werden Ruge und B. Bauer dies Argument aufgreifen und gegen die Neupietisten wenden, die Einfluß auf die staatliche Kirchenpolitik gewinnen wollen. Der Erweckungsbewegung und dem Neupietismus ist die Ausbildung eines staatsunabhängigen Gemeindelebens entgegen ihren ursprünglichen Ansätzen letztendlich nicht nur nicht gelungen, vielmehr gerieten sie unter dem Einfluß Hengstenbergs und seiner 1827 gegründeten aggressiven >Evangelischen Kirchenzeitung< (EKZ) mehr und mehr zu einem Kirchenbegriff, der sich nur administrativ realisieren ließ. Hengstenberg tilgte die mystischen Elemente der Erweckungsbewegung und gelangte zu einem vollendet orthodoxen Kirchenbegriff. Die Kirche wurde für ihn eine auf Einheit der Lehre begründete äußere Gemeinschaft, diese Kirche war nur möglich als Polizeikirche.85 Trotz aller begründeten Kritik an dem unerquicklichen Fanatismus der neupietistischen Orthodoxie und ohne Abstriche zu machen an der Erkenntnis, wie sehr diese Bewegung mit dazu beigetragen hat, demokratisches Bewußtsein in Deutschland zu blockieren, muß hier auch an die Überlegung R. Wittrams erinnert werden, der darauf aufmerksam gemacht hat, daß es die Erweckungsbewegung gewesen ist, die das Überleben des Protestantismus in Deutschland als einer Glaubensgemeinschaft erst ermöglicht habe. Es sei ihr erbitterter Widerstand gewesen, der den Protestantismus vor dem Aufgehen in eine säkularisierte Nationalreligion bewahrt habe.86 Sicherlich ist dies nur ein innerreligiöser Aspekt. Aber der Haß auf die Revolution und die Demokratie, der die Neupietisten beseelte, hatte auch seine religiösen Motive, die nicht auf politische Klasseninteressen reduzierbar sind. Die Revolution bedroht nicht nur Privilegien, sie ist in einem religiösen Sinne auch der Versuch, einen Zustand der Vollendung herzustellen, indem der Mensch sich der Geschichte bemächtigt, einer Geschichte, die dem religiösen Bewußtsein immer Heilsgeschichte ist. Auch die neupietistische Orthodoxie orientiert sich an der Verheißung eines Reiches der Gerechtigkeit und Liebe, aber im Unterschied zum chiliastischen Habitus ist für sie dies Reich nicht >machbar<, weder von Auserwählten noch durch humanistische Anstrengung. Revolution ist hier Sünde, weil sie virtuell gegen das Verbot der Selbstvergottung verstößt. Auf den Nenner >Selbstvergottung< läßt sich nicht nur der neupietistische Vorwurf des Pantheismus gegenüber Hegel reduzieren, auch Leos Anklagen gegen die Junghegelianer finden ihre Spitze in dem Verweis: »sunt et erunt sicut Deus«.87 Das verstärkte Auftreten der Neupietisten zu Beginn der 40er Jahre und ihre Forderung nach einem christlichen Staat< zwingt die Gruppe der Junghegelianer, ihren Platz in der religiösen Bewegung präziser zu bestimmen.
361
5. Der christliche Staat Auf dem Hintergrund der exkursartig skizzierten Entwicklung ist vielleicht schon abschätzbar, was das Thema der religiösen Bewegungen der 40er Jahre ist: es geht um die Alternative eines staatsabhängigen oder staatsunabhängigen Gemeindelebens. In der »Reformation des 19. Jahrhunderts« kulminieren die Ambivalenzen des Protestantismus, insbesondere die Ambivalenz der Idee der unsichtbaren Kirche< und der >Landeskirche<, die seit 1808 als äußere Kultus- und Sakralgemeinschaft, als >Union< von Lutheranern und Reformierten installiert war. 1840 verteidigt B. Bauer die >Union<: »Die Kirche als solche, die Kirche, die notwendig bis zur Sichtbarkeit fortgehen muß, ist in der Union untergegangen.« Das heißt, mit der Aufgabe konfessioneller Kirchlichkeit ist Religion Angelegenheit des Staates, der sich mit der unsichtbaren Kirche< gut verträgt. Damit wird jede Auseinandersetzung um eine kirchliche Selbstverwaltung für B. Bauer zur »Täuschung«, denn Synoden unterhielten »in der Gemeinde eine beständige Unruhe«, sie nährten »die Einbildung, daß die Kirche vollkommen unabhängig vom Staat ihre Angelegenheiten leiten und durch Gesetze ordnen müsse«, und sie »entfremden (...) die besten Kräfte des Geistes den vernünftigen und sittlichen Mächten der Wirklichkeit.«88 Es muß daran erinnert werden, daß die Presbyterial-Verfassung ein Erbe der Reformierten ist, die weit mehr als Luther einen Sinn für die Institutionen des Gemeindelebens besaßen. Diese reformierte Tradition, die ihren Hauptstützpunkt in den niederrheinischen Gebieten hatte, wo eine Presbyterial- und Synodalverfassung nach dem Muster der Niederlande lebendig war, hat für B. Bauer nur schädliche Folgen. Aus seiner Perspektive führt diese Tradition nicht zum modernen Staat, sondern gerade umgekehrt entzieht sie diesem »die besten Kräfte des Geistes«. Um den Startpunkt zu markieren, von dem aus die Junghegelianer den religiösen Bewegungen der 40er Jahre begegnen, ist es wichtig, B. Bauers Angriffe auf die sich verstärkende Forderung nach einem selbstverwalteten »kirchlichen Leben« kennenzulernen. »Kirchliches Leben« ist für ihn »die ungeheuer dürftige, bestimmungslose und durch ihre Leerheit fast zur Verzweiflung bringende Abstraktion«. Solch eine Forderung »ist nichts als die schwindsüchtige Scheu dessen, der mit der nicht nur lebensvollen, sondern bestimmt und großartig gestalteten Wirklichkeit nicht mehr harmonieren kann, ist der Haß gegen die Vernunft, die im Staat nicht nur lebt und vegetiert, sondern denkt, will, handelt und entscheidet, (. . .), ja es ist der letzte Angriff der Hierarchie eines leergewordenen Jenseits gegen die Göttlichkeit und vollendete Organisation des Diesseits, das ja die Kräfte des Jenseits in sich aufgenommen und verzehrt hat.«89 B. Bauer insistiert darauf, »daß die Gemeinde der Gläubigen die unsichtbare Kirche ist, die nichts mit Presbyterien und Synoden zu tun hat, die dieser Formen nicht bedarf, und wenn sie erscheint, in der Sitte des Staates erscheint.« Mit beißendem Hohn ergießt sich B. Bauers Polemik, wenn die kirchliche Selbstverwaltung damit begründet wird, daß in der Gemeinde Arbeiten, wie etwa Kirchenreinigung und Friedhofspflege, anfallen, deren Erledigung eigener Verwaltung bedürfe.
362
»Nun wissen doch Presbyterien und Synoden, was sie zu tun, und worüber sie Gesetze zu geben haben. Fegt die Kirchen, reinigt die Kirchenstühle, gebt Gesetze über die Verzierung der Gräber >durch Bäume, Blumen< und vergesset die >Sträucher< nicht. Wie rächt sich die Vernunft! Was der Staat seinen untersten Polizeidienern überläßt, ist jetzt der wichtige Gegenstand der kirchlichen >Gesetzgebung<.«90
Ruge feiert in seiner Rezension die B. Bauerschen Thesen zur evangelischen Landeskirche. Wie B. Bauer geißelt Ruge »die Beschränktheit des leeren Synodal- und Presbyterial Getreibes«, die Union sei »die eigentliche Vollendung der Reformation durch die definitive Konstituierung der unsichtbaren Kirche«.91 Es handelt sich hier um einen folgenreichen Startpunkt, von dem aus die Gruppe ihre Auseinandersetzungen mit den religiösen Bewegungen beginnt. Die Junghegelianer bringen nämlich keine Voraussetzungen mit, an die demokratischen Potentiale, die in der Idee einer formell selbstverwalteten Gemeinde liegen, anzuschließen. Da jedoch die Frage eines staatsunabhängigen kirchlichen Lebens in allen Fraktionen der religiösen Bewegung der Zeit implizit oder explizit an erster Stelle steht, bleibt die Haltung der Gruppe, trotz aller Entschiedenheit, die ihr Pathos zeigt, in der Hauptsache unsicher. In den 40er Jahren ist die Gruppe zunächst mit dem Vordringen des neupietischen Zirkel- und Vereinswesens konfrontiert. Dronke berichtet, die »Propaganda der Pietisten« ziehe »unter der Hefe der Massen einher und nistet versteckt in dem Schoß des innersten Familienlebens. Durch die Hefe des Volks zieht sie zumeist in dem Schafspelz von Traktätchen und kleinen Broschüren über öffentliche Fragen, welche die Zeit bewegen.« Und: »In den Häusern der Armen zeigt sich ein günstiger Boden für die Berührungen der Pietisten. Sie verkehren hier still und geräuschlos, da niemand sonst in diese Regionen dringt; sie säen hier unbemerkt den Samen der Lebensverzweifelung der Religion aus, sie stellen Betübungen, Erbauungsgespräche und fromme Betrachtungen an, und wo sich der Erfolg im Glauben scheinbar günstig gestaltet, geben sie Unterstützung, um das Elend des Erdenlebens nicht zur Auflösung kommen zu lassen.»92
Wo liegt für die Junghegelianer die Bedrohung, die von dieser religiösen Bewegung ausgeht? Unter dem Mantel der >unsichtbaren Kirche< wäre für diese Erscheinung doch Platz genug gewesen, zumal die Junghegelianer auch wissen, daß mit einem volkstümlichen Pietismus nicht notwendig das Interesse verbunden ist, eine neue Kirche zu stiften. Der Tübinger Hegelianer E. Zeller, dem der schwäbische Pietismus vertraut ist, macht jedoch deutlich, daß die pietistischen Gemeinschaften, aufgrund ihrer Tätigkeit, entgegen ihrer Intention auf die Bahn geraten, sich formell als Kirche zu konstituieren. Zunächst ginge es - so Zeller - den Pietisten nur um »gemeinschaftliche Erbauung«, darum, jene lebendige Frömmigkeit zu erfahren, die sie in der Kirche vermißten: »deswegen sind Erbauungsstunden, collegia pietatis, Konventikel immer das erste, wodurch sich das Vorhandensein einer pietistischen Richtung betätigt.« Aber im Ansatzpunkt der Frömmigkeit liege schon ein weiterer Zweck: »das fromme Leben«, die »Sittenzucht«. Da schon die Erbauung an der »besonderen religiösen Eigentümlichkeit« des Pietisten orientiert gewesen sei, so müsse es um so mehr die Sittenzucht sein.
363
»Hiermit ist nun aber der Pietismus mit der Welt nicht nur im innern Gegensatz, sondern auch in äußere Spannung gekommen, und wenn schon in seinem ursprünglichen Streben nach Frömmigkeit zugleich die Aufforderung gesetzt war, diese, als das allein Wesentliche im menschlichen Leben, in aller Welt auszubreiten, so fühlt er sich auch äußerlich hierzu gedrängt. So ist die dritte Haupttätigkeit der pietistischen Gemeinschaft die für die Ausbreitung des Reichs Gottes«.
Zeller kommt zu dem Schluß: »Durch diese Tätigkeit hat der Pietismus, welcher davon ausging, von allem Weltlichen zu abstrahieren, die Weltlichkeit nun selbst in sich aufgenommen und in seinen Dienst gezogen; er hat seine eigentümliche Organisation in religiösen Gemeinschaften, Vereinen und Instituten, eine eigentümliche Beaufsichtigung seiner Mitglieder, eine eigentümliche Erbauung. Hiermit ist er in der Tat nicht mehr die ecclesiola in ecclesia, sondern er ist selbst eine äußere Kirche, welche der bestehenden feindlich gegenübertritt, er wird separatistisch.«93
Der Gedankengang Zellers läßt sich fortsetzen: wenn die Frömmigkeit, sobald sie tätig wird, ihre Weltflüchtigkeit aufgibt und wirksam wird, so ist sie zu einer Art Überstieg gezwungen. In ähnlicher Weise hat M. Weber den Zusammenhang von innerweltlicher Askese und dem Geist des Kapitalismus gesehen. Für den pietistischen Ansatz der Frömmigkeit gestaltet sich dieser Überstieg jedoch so, daß er zu einer rigoristischen Affirmation des Lehrbegriffs führt, der eben >frommer< erfahren werden soll. Der Weg des Neupietismus zu einer Orthodoxie der Lehre und des Kultus, wie er in Hengstenbergs Kirchenbegriff greifbar wird, kann so ein Stück weit erklärt werden.94 Aus der Perspektive der Junghegelianer sind die Pietisten geradezu strukturell unfähig, die Idee der unsichtbaren Kirche< zu fassen. Was die Junghegelianer jedoch vorrangig beunruhigt, ist die Tatsache, daß es diesen Zirkeln unter dem neuen König Friedrich Wilhelm IV. gelingt, Einfluß auf die staatliche Kirchenpolitik zu gewinnen. Friedrich Wilhelm IV. war schon als Kronprinz für die schlesischen Altlutheraner eingetreten, die gegen die Union opponiert hatten und die landeskirchliche Staatsgewalt zu spüren bekamen, als das Militär ihre Kirche aufbrach und ihr Pfarrer vom Altar weg verhaftet wurde. Das landeskirchliche Kirchenregiment entsprach nicht seiner von der Erweckungsbewegung bestimmten Idee einer Kirche, der nur wirklich Gläubige angehören sollten. Ihm schwebte eine Art Rückkehr zur Verfassung der Urkirche vor, das Kirchenregiment sollte in den Händen einer großen Zahl von Bischöfen liegen, an deren Spitze der Erzbischof von Magdeburg als Primas Germaniae stehen sollte. Anglikanische oder schwedische Bischöfe sollten die Bischofsweihe vornehmen und so die authentische apostolische Suksession garantieren. Das presbyteriale Element sollte verschwinden zugunsten bischöflich bestellter Kirchendiener. Seine Rolle als Landesherr wollte Friedrich Wilhelm IV. beschränkt wissen als advocatus ecclesiae, der die Beschlüsse der Bischofssynode bestätigt. Nach Hintze war es »ein Phantasiegebilde, das keine Aussicht auf Verwirklichung hatte.«95 Dennoch kommt in diesen Träumen auch der Wunsch nach einer Emanzipation der Kirche aus dem staatlichen Zwangsverband zum Ausdruck, ein Wunsch, den kurze Zeit später Lichtfreunde und Deutschkatholiken gegen den Willen des Königs -uf andere Weise zu realisieren versuchen werden.
364
Weniger Staat und mehr Unabhängigkeit für die Kirche - aufgrund der landeskirchlichen Verfassung konnten staatliche Aktivitäten kaum zu diesem Ziele führen. Die Doppelstellung, in der die Neupietisten sich befanden, wird deutlich in den Initiativen zur Neugestaltung der >Sonntagsfeier<. Einmal wird Kirchenbesuchem am Neujahrstag 1842 eine Schrift von Geistlichen überreicht, in der die Entweihung der kirchlichen Feiertage beklagt wird, auch ein Verein zur Förderung einer würdigeren Sonntagsfeier konstituiert sich, zum andern taucht das Gerücht auf, die Regierung bereite ein neues Religionsedikt vor, mit dem eine strengere Kirchendisziplin von oben verordnet werden sollte.96 Für die Junghegelianer, die davon ausgehen, daß mit der Union die >sichtbare Kirche< im Staat schon aufgegangen ist, stellt sich der Streit um die >Sonntagsfeier< doppelt dar. Den >Basisinitiativen< aus den neupietistischen Zirkeln gegenüber affirmieren sie als Frömmler maskiert die Diagnose eines >Verfalls der Kirche<. Gleichzeitig verschärfen sie parodistisch die Forderungen nach einer >Wiederherstellung< äußerer kirchlicher Formen, um den Nachweis zu führen, daß dies nur unter Zuhilfenahme der Staatsgewalt Erfolg haben könnte.97 Möglichkeiten eines staatsunabhängigen kirchlichen Lebens kommen den Junghegelianern ebensowenig in den Blick wie ihren neupietistischen Kontrahenten. Auf beiden Seiten ist die Vorstellung einer Insertion der religiösen Gehalte in die staatliche Sphäre beherrschend. Für die Junghegelianer als >Aufgehen< der Religion im Staat, und für die Neupietisten als Idee eines »christlichen Staates«.98 Liberale Positionen einer entschiedenen Trennung von Staat und Kirche finden sich zwar auch in den junghegelianischen Debatten, wie z. B. bei Heß und Jachmann", aber sie werden nicht bestimmend, weil der verbreitete gnostische Habitus, in dem Wissen und Glauben gegeneinander ausgespielt werden, kaum dazu geeignet ist, haltbare Trennungen herzustellen. Wo von einer Trennung von Staat und Kirche ausgegangen wird, kann der je besondere Inhalt der Religion gleichgültig sein. In der Debatte über den neupietistischen christlichen Staat< können die Junghegelianer aber nicht auf eine Qualifizierung der religiösen Gehalte verzichten, weil von ihrem Konzept eines >Aufgehens< der Religion im Staat her gesehen - gerade für eine Gruppe - bestimmbar gemacht werden muß, um welche religiöse Qualitäten es sich handelt. Bahnbrechend für die junghegelianische Debatte ist B. Bauers Schrift: »Der christliche Staat und unsere Zeit« von 1841, deren Analyse Marx noch 1844 mit den Worten würdigt: Bauer »verständigt über das Wesen des christlichen Staates, alles dies mit Kühnheit, Schärfe, Geist, Gründlichkeit in einer ebenso präzisen als kernigen und energievollen Schreibweise.«100 Von Bedeutung ist B. Bauers Kritik des christlichen Staates< - darauf sei hier schon hingewiesen - für die spätere Transformation der Kritik des christlichen Staates< in eine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft, die Marx vornehmen wird. Der ausufernden Diskussion um den christlichen Staat< zum Beginn der 40er Jahre begegnet B. Bauer mit den Worten: »Geschichtliche Kategorien werden gewöhnlich erst Stichworte einzelner Parteien, wenn die Sache, die sie bezeichnen, längst untergegangen ist.« Den christlichen Staat<, den die neupietistische Orthodoxie fordere, habe es nur zweimal gegeben: in Byzanz und im Rom des Mittelal-
365
ters. Hier sei der Staat nach religiösen Prizipien gestaltet worden. In der Reformation dagegen habe der Staat die Landeshoheit in den kirchlichen Angelegenheiten gewonnen. Der Kampf zwischen Staat und Kirche sei jedoch damit nicht beendet gewesen: »Byzanz und Rom wurden von neuem im protestantischen Staate aufgebaut, und dieser kämpfte nun als theologischer und hierarchischer Staat mit sich selbst als wahrhaftem, freiem Staate«.101 Der Widerspruch zwischen Staat und Kirche sei so in den Bereich des Staates selber gefallen. Und B. Bauer zufolge kann es »nur eine Wohltat genannt werden, daß die Reformation in diese Widersprüche fiel, den christlichen Staat, indem sie ihm die oberste Kirchengewalt gab, zerspaltete und ihn als den christlichen und geistlosen in inneren Zwiespalt setzte.« Die Alternative eines »identischen Ganzen« hätte die Wiederholung aller »Greuel von Byzanz« bedeutet. Aber die Gefahr einer Wiederkehr des christlichen Staates< sei nicht gebannt. In den Bestrebungen der Reformierten nach selbständiger Vertretung der Kirche gegenüber dem Staate, in Stahls Theorie des protestantischen Kirchenrechts und in den unionsfeindlichen separatistischen Bestrebungen der Altlutheraner sieht Bauer »die neue Restauration des christlichen Staates«.102 Marx schließt sich dieser Seite der Kritik des christlichen Staates< an, er geißelt die »Konfusion des politischen und christlich-religiösen Prinzips«, die »offizielle Konfession geworden« sei.103 Er greift B. Bauers These auf: »Der byzantinische Staat war der eigentliche religiöse Staat, denn die Dogmen waren hier Staatsfragen, aber der byzantinische Staat war der schlechteste Staat.« Der Akzent liegt bei Marx 1842 auf der Forderung einer Trennung von Kirche und Staat. »Sobald ein Staat mehrere gleichberechtigte Konfessionen einschließt, kann er nicht mehr religiöser Staat sein, ohne eine Verletzung der besonderen Religionskonfessionen zu sein«. 104 Die liberale Lösung gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, welche Bedeutung die Existenz von Glaubensgemeinschaften haben könnte. Für B. Bauer stößt die neue Restauration des christlichen Staates< auf andere Bedingungen, als sie vor der Reformation existiert haben. Im politischen Absolutismus seien die hierarchischen Elemente der Kirche vom Staat aufgesogen und die Aufklärung habe sich der Kernstücke des Glaubens bemächtigt, denn sie »mußte endlich dahinterkommen, daß sie sich nicht mehr als vergleichendes Bewußtsein auf den Glauben zu beziehen brauche. Sie war der Glaube an ihr selbst«. Absolutismus und Aufklärung sind zwei historische Prozesse, die unumkehrbar sind und die Restauration des christlichen Staates< prinzipiell verhindern. »Das Territorialsystem, die absolute Monarchie und die Aufklärung sind es, die die Kirche gestürzt und ihren Inhalt in sich aufgenommen haben. Sie haben das Positive der Kirche in sich verdaut; wer also die Kirche wiederhaben wollte, würde nicht einmal, was er sucht, finden, wenn er die Wissenschaft totschlüge und aus ihrem Leibe das verschlungene Allerheiligste, das Positive herausschneiden wollte.«105 Aber der je existierende Staat, wie die jeweils erreichte Stufe der Aufklärung sind für B. Bauer nicht Fixpunkte, auf denen sich geschichtliche Entwicklung stillstellen ließe. Solange der existierende Staat noch nicht zum >freien Staat< umgebildet sei, trete die Opposition »in einer zweifachen Form des Bewußtseins« auf: »als wissenschaftliche Theorie und als das Postulat der Kirche«.
366
Hervorzuheben ist, daß B. Bauer trotz aller Gegnerschaft zur neupietistischen Orthodoxie einräumt: »Tritt nun das Postulat der Kirche und ihrer Selbständigkeit gegen die Regierung auf, so ist es als berechtigt anzuerkennen, solange es seine Opposition nur gegen die bestimmte Form des Bestehenden richtet und dagegen den Überschuß an Inhalt (!), den es noch für sich besitzt und im Staat noch nicht wiederfindet, geltend macht.« Dieses Recht der Kirche werde aber weit überzogen, wenn das Politische des Staats vollends dem je überschüssigen speziellen religiösen Gehalt untergeordnet würde. »Die Kirche versieht sich also in ihrer Opposition, wenn sie in einem Punkte das Ganze bekämpft.« Analog existiere auch noch eine Berechtigung der Kirche gegenüber der Wissenschaft, wo diese noch nicht die Unendlichkeit religiöser Inhalte >verdaut< habe. Aber diesen Rückstand könne die Kritik aufholen, »wenn sie sich als dialektische Theorie vollendet hat.«106 B. Bauers Thesen gehen weit über die Idee einer Trennung von Staat und Kirche hinaus. Nicht eine kirchliche Bevormundung des staatlichen Handelns ist das Problem des christlichen Staates<, sondern die Defizienz des Staates zeigt sich darin, daß noch Kirchen existieren. Wo kirchliche Opposition vorkommt, wo religiöse Bewegungen sich zeigen, ist der Staat gerade im Hinblick auf die Inhalte >geistlos<, die im religiösen Bereich thematisiert werden. Gegen diese Oppositionen vorzugehen hat der Staat ein Recht, wenn sie die Idee des >freien Staates< schlechthin über Bord werfen, aber gegenüber dem existierenden Staat haben die religiösen Oppositionen so lange ein Widerstandsrecht, wie ihr Überschuß noch keine säkulare Gestaltung gefunden hat. An dieser Konstruktion ist zweierlei hervorzuheben, was die Haltung gegenüber der religiösen Bewegung der 40er Jahre betrifft. Einmal wird die Erweckungs- und Bekenntnistheologie nicht einfach beiseite geschoben, sondern ihre Inhalte werden zum Prüfstein für den existierenden Staat gemacht. Zum anderen bleibt der Zielpunkt eines >säkularisierten< Staates unangefochten, der keiner Kirche mehr bedarf, weil die dialektische Theorie dann die Funktion erfüllt, die dem Christentum in entfremdeter Form eignete: den unendlichen Inhalt des menschlichen Selbstbewußtseins zur Geltung zu bringen. Eine entscheidende Wendung erhält die Debatte um den christlichen Staat< in dem Augenblick, wo die Emanzipation der Juden Thema wird. Nach der Auseinandersetzung mit den Neupietisten entzünden sich die junghegelianischen Debatten an der >Judenfrage<. Auch hier versuchen sie, über die liberalen Forderungen nach einer bürgerlichen Gleichstellung der Juden hinauszugehen.107 Für B. Bauer ist diese Frage von besonderer Bedeutung, weil er sich nicht damit beruhigen kann, Religion als eine Beliebigkeit aufzufassen, die nur vom Staat toleriert werden müßte. Da die Existenz von Religion für ihn ein Mangel des existierenden Staates ist, stellt sich ihm die implizite Frage, welchen Mangel denn die jüdische Religion repräsentiere. In »Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden« geht B. Bauer zunächst von der Idee des >freien Staates< aus und definiert die Emanzipationsfrage als »eine allgemeine: Juden wie Christen wollen emanzipiert werden«. Von Emanzipation könne erst gesprochen werden, »wenn allgemein anerkannt ist, daß das Wesen des Menschen nicht die Beschneidung, nicht die Taufe, sondern, die
367
Freiheit ist.« Aber in diese allgemeine Fassung der Emanzipationsfrage führt B. Bauer eine Differenz ein, die sich auf die inhaltliche Bestimmtheit beider Religionen bezieht. Er fragt nach den Emanzipationschancen, bzw. den Hindernissen, die sich aus den Glaubensgehalten selbst ergeben. Das Ergebnis lautet: »Der Christ und der Jude müssen mit ihrem ganzen Wesen brechen: aber dieser Bruch liegt dem Christen näher, da er aus der Entwicklung seines bisherigen Wesens unmittelbar als seine Aufgabe hervorgeht; der Jude dagegen hat nicht nur mit seinem jüdischen Wesen, sondern auch mit der Entwicklung der Vollendung seiner Religion zu brechen, mit einer Entwicklung, die ihm fremd geblieben ist und zu der er nichts beigetragen hat, so wie er auch die Vollendung seiner Religion als Jude weder herbeigeführt noch anerkannt hat. Der Christ hat nur eine Stufe, nämlich seine Religion zu übersteigen, um die Religion überhaupt aufzugeben; der Jude hat es schwerer, wenn er zur Freiheit sich erheben will. Vor dem Menschen ist aber nichts unmöglich.«108 Man stelle sich diese Konstruktion in einer Intellektuellengruppe vor, der auch jüdische Intellektuelle angehören. Ihnen wird damit praktisch eine konstitutionelle Behinderung in Sachen Emanzipation zugeschrieben. Die komplizierten ambivalenten Haltungen, die z. B. Heß und Marx gegenüber der >Judenfrage< eingenommen haben, sind von Na'aman für Heß und von Hirsch für Marx prägnant herausgearbeitet worden. Während für Heß B. Bauers Thesen inakzeptabel gewesen sind109, ist Marx' Postition äußerst brüchig.110 Dabei ist die B. Bauersche Konstruktion im Rahmen hegelianischer Spekulation durchaus naheliegend. Denn eine spekulative Stufengeschichte religiösen Bewußtseins vorausgesetzt, liegt das Christentum näher an den antizipierten zukünftigen Bewußtseinsformen als die jüdische Religion. Dies ist in der Gruppe eine spekulative Selbstverständlichkeit. Dennoch treibt B. Bauer seine Thesen auf die Spitze, wenn er behauptet, selbst die Vertreter der neupietistischen Orthodoxie, die gegen die Kritik auftreten, seien engagierter als die Vertreter der jüdischen Religion, denn: »diese christlichen Eiferer« glaubten, gegen die Kritik »kämpfen zu müssen, weil sie fühlen, daß es sich in diesem Kampfe um die Sache der Menschheit handelt; der Jude aber glaubt sich in seinem Egoismus geborgen, denkt nur an seinen Feind, das Christentum, und hat doch noch nie etwas Entscheidendes gegen ihn vollbracht.«111 Warum aber bringen Juden im Kampf mit den christlichen Staat< nicht die erforderliche >Energie< auf? Die Antwort ist in der strukturell anderen Problemlage ihrer Religion zu suchen. B. Bauer schließt hier implizit an die Hegelsche Deutung der jüdischen Religion an, derzufolge im jüdischen Monotheismus »das Geistige« sich »vollkommen gereinigt« gegenüber der Natur zeige. Natur »wird jetzt herabgedrückt zum Geschöpf; und der Geist ist nun das Erste.« Spezifisch für die jüdische Religion ist Hegel zufolge: »das reine Produkt des Denkens, das Sichdenken kommt zum Bewußtsein, und das Geistige entwickelt sich in seiner extremen Bestimmtheit gegen die Natur und gegen die Einheit mit derselben.«112 Während sich die Christen für B. Bauer im Kampf um die Emanzipation auf ihre eigene Religion stützen können, »weil es (das Christentum, d. V.) den allgemeinen Begriff des menschlichen Wesens, also seinen eigenen Feind, wenn auch allerdings in religiöser Form, enthält«, fehle den gläubigen Juden dieser Bezugspunkt.
368
»Das Christentum sagt: der Mensch ist Alles, ist Gott, ist das Allumfassende und Allmächtige, und drückt diese Wahrheit nur noch religiös aus, wenn es sagt: Nur Einer, Christus ist der Mensch, der Alles ist. Das Judentum befriedigt dagegen nur den Menschen, der es immer mit einer Außenwelt, mit der Natur, zu tun hat, und befriedigt eben in religiöser Form sein Bedürfnis, wenn es sagt, die Außenwelt sei dem Bewußtsein untenan, d. h. Gott hat die Welt geschaffen. Das Christentum befriedigt den Menschen, der sich in allem, im allgemeinen Wesen aller Dinge - religiös ausgedrückt - auch in Gott, wieder sehen will; das Judentum will den Menschen, der sich nur von der Natur unabhängig sehen will.«113
B. Bauers Analyse ist hegelianisch gesehen durchaus korrekt - 1843, zu einem Zeitpunkt, da, wie wir oben gezeigt haben, der Streit um den Anschluß der Junghegelianer an das liberale Lager auf seinem Höhepunkt ist, für die Gruppe jedoch politisch äußerst unpassend. Aber genau in der Frage des Bündnisses mit den Liberalen wirkt die Diskussion um die >Judenfrage< als ein nachhaltiges Ferment. Marx nimmt in den »Deutsch-französischen Jahrbüchern« eine eigenartige Umdeutung der Bauerschen Thesen vor, eine Umdeutung, die einerseits den liberalen Ideen der Trennung von Staat und Kirche entgegenkommt, die aber andererseits auf die Frage nach der Bedeutung von bestimmten religiösen Gehalten neuartige Antworten findet. Für Marx besteht »Bauers Fehler darin, daß er nur den christlichen Staat<, nicht den >Staat schlechthin< der Kritik unterwirft, daß er das Verhältnis der politischen Emanzipation zur menschlichen Emanzipation nicht untersucht.«114 Genau betrachtet trifft dies nicht zu, denn B. Bauer kennt die Differenz zwischen dem existierenden« und dem >freien< Staat, d. h. im Hegelschen Sinne überhaupt erst >wirklichen< Staat. Marx annulliert diese Differenz und nimmt B. Bauers Ideal des >freien< Staates als ein reduziert politisches Phänomen, das die Frage der menschlichen Emanzipation unberücksichtigt lasse. Für B. Bauer war jene Differenz entscheidend, weil erst im >freien< Staat die Spaltung von Religion und Staat auf einer menschlichen Basis aufgehoben sein sollte. In Marx' Augen überfrachtet er damit die politische Ebene. »Er stellt Bedingungen, die nicht im Wesen der politischen Emanzipation selbst begründet sind.«115 Aber B. Bauer geht es ja auch nicht um die politische Emanzipation, seine »Bedingungen« sind andere; trotzdem reduziert Marx ihn auf dieses Thema. In einer ersten Bewegung erhebt Marx liberale Einwände: Man müsse sich den entwickelten politischen Staat schlechthin vorstellen, hier, wie z. B. in Teilen der nordamerikanischen Freistaaten, »verliert die Judenfrage ihre theologische Bedeutung und wird zu einer wirklich weltlichen Frage. Nur wo der Staat in seiner vollständigen Ausbildung existiert, kann das Verhältnis des Juden, überhaupt des religiösen Menschen, zum politischen Staat, also das Verhältnis der Religion zum Staat, in seiner Eigentümlichkeit, in seiner Reinheit heraustreten.«116 Diese Argumentationsstrategie führt zur Annullierung der theologischen Frage. Der Unterschied der Religionen spielt keine Rolle mehr. Daß dieser politische Staat »in seiner vollständigen Ausbildung« nichts mit B. Bauers >freiem< Staat zu tun hat, liegt auf der Hand. Auch Marx muß konstatie-
369
p»Dennoch ist Nordamerika vorzugsweise das Land der Religiosität«. Aber Marx zieht wenigstens terminologisch - den umgekehrten Schluß: »Finden wir selbst im Lande der vollendeten politischen Emanzipation nicht nur die Existenz, sondern die lebensfrische, die lebenskräftige Existenz der Religion, so ist der Beweis geführt, daß das Dasein der Religion der Vollendung des Staats nicht widerspricht.«117 B. Bauer wäre widerlegt, wenn diese »vollendete politische Emanzipation« sein Ideal wäre. Aber wie Marx selbst Bauer referiert, denkt dieser ganz anders, nämlich: »Der Staat, welcher die Religion voraussetzt, ist noch kein wahrer, kein wirklicher Staat.«118 Die erste Argumentationsstrategie von Marx, die die Spezifität der Religionen aufhob, wird jedoch von einer zweiten Argumentationskette abgelöst, in der das, was zuvor eskamotiert wurde, in verwandelter Form wieder herein kommt. Zunächst heißt es: »Da aber das Dasein der Religion das Dasein eines Mangels ist, so kann die Quelle dieses Mangels nur noch im Wesen des Staats selbst gesucht werden. Die Religion gilt uns nicht mehr als der Grund, sondern nur noch als das Phänomen der weltlichen Beschränktheit.«119 Genau besehen handelt es sich um eine einfache Umkehrung der B. Bauerschen Thesen zum >christlichen Staat<. Ein Gemeinwesen mit Religion ist ein defizientes Gemeinwesen. Die Religion behält ihren Indizcharakter. Ist damit die >Judenfrage< enttheologisiert, wie Marx behauptet? Sie wäre es sicherlich, wenn der Text hier abbräche, aber es bleibt ein zu klärender Rest, der sich auf die Spezifität der religiösen Gehalte bezieht. Indiziert jede Religion den gleichen Mangel? Marx steht vor dem Problem, seine Enttheologisierungsstrategie durchzuführen und gleichzeitig die Besonderheit religiöser Gehalte zu erklären. Die folgenreiche wie fatale Lösung, zu der Marx greift, ist bekannt: »Den Widerspruch des Staats mit einer bestimmten Religion, etwa dem Judentum, vermenschlichen wir in den Widerspruch des Staats mit bestimmten weltlichen Elementen«, schreibt Marx, d. h.: »Die Frage nach der Emanzipationsfähigkeit des Juden verwandelt sich uns in die Frage, welches besondere gesellschaftliche Element zu überwinden sei, um das Judentum aufzuheben?«120 Für einen geschulten Hegelianer - daran muß erinnert werden - kann es kein besonderes weltliches Element geben, das mit der jüdischen Religion zusammen aufgehoben werden kann. Der religiöse Gehalt einer rigorosen monotheistischen Transzendenz, womit sollte er korrespondieren? Dennoch muß nach den Gesetzen der Gruppendiskussion der Junghegelianer Marx den Junghegelianer B. Bauer überbieten, und er tut dies, indem er zu einem antisemitischen Topos greift: >Der Jude treibt Schacher, sein weltlicher Gott in das Gekk H. Hirsch bemerkt treffend: »Marx, glauben wir, schlägt, ja zerfetzt den jüdischen Sack, meint jedoch den bürgerlichen Esel«.121 Diese Marxsche Quidproquo-Technik122 mag die Diskussionssituation für den Moment gerettet haben. Es mag sich hier auch um eine Schaltstelle handeln, an der sich die Kritik der Religion und die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft platzwechselnd austauschen; aber ein sichernder Sinn für eine kohärente Position der Gruppe in der >Judenfrage< ist nicht gelungen.
370
Aus der junghegelianischen Kritik des christlichen Staates<, der von der neupietistischen Orthodoxie propagiert wird, geht über die >Judenfrage< von B. Bauer und Marx die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft hervor. Was beide Themen verbindet, ist mehr als der situative Zusammenhang. Ausgangspunkt der Debatte um den christlichen Staat< war die Frage nach einem staatsunabhängigen kirchlichen Leben. Alle junghegelianischen Kritiken des christlichen Staates< variieren das Thema der Staatsunabhängigkeit von Kirche, Gemeinde und Religion, sie greifen im Kern das Thema der neupietistischen Orthodoxie auf. Sei es mit der liberalen Wendung, bei der durch strikte Trennung von Staat und Kirche das Religiöse einfach freigelassen werden soll, oder sei es mit der weitergehenden Frage nach dem säkularen Sinn der Existenz von Glaubensgemeinschaften. Bei B. Bauer ist die Religion ein anerkannter Indikator für die Mangelhaftigkeit des Staates, bei Marx ist die Religion ein anerkannter Indikator für die unvollendete menschliche Emanzipation. Beiden geht es nicht einfach um Beliebigkeit von Religion und um Religionsfreiheit, sondern um die besonderen Inhalte, auf die spezielle Religionen hinweisen. In der >Judenfrage< sind alle Probleme für einen Moment der junghegelianischen Debatten gebündelt. Die jüdische Religion ist für die Junghegelianer einmal der klassische Fall einer besonderen Religion, die zu Liberalität herausfordert. Sie ist zugleich in der hegelianischen Interpretation die Stufe der Religionsentwicklung, auf der Geist und Natur unvermittelt auseinandertreten, d. h. mit dem Inhalt dieser Religion wird das Verhältnis von göttlichem Gesetz und irdischen Bedürfnissen thematisch. Dieser religiöse Inhalt verhält sich zur neupietistischen Orthodoxie geradezu spiegelverkehrt, geht es dieser doch um das Verhältnis von religiösen Bedürfnissen und weltlichem Staat. Können diese Spiegelverkehrtheiten aufgelöst werden? Solange die Gruppe sich nicht sicher ist, ob es sich um theologische oder um weltliche Fragen handelt, hat ihre >unsichtbare Kirche< in den religiösen Bewegungen der Zeit noch keinen Platz gefunden. 1843 hat sie auch noch nicht ihre letzte Probe bestanden: nach Neupietismus und >Judenfrage< werden sie mit einer anderen religiösen Bewegung konfrontiert.
6. Junghegelianer und freireligiöse Massenbewegung a) Lichtfreunde und Deutschkatholiken Mitte der 40er Jahre sieht sich die Gruppe der Junghegelianer, in deren unsichtbarer Kirche< die Frage nach dem Verhältnis und den Verkehrungen religiöser und profaner Perspektive hin- und herdebattiert wird, mit dem Aufbruch der Parallelbewegungen der protestantischen Lichtfreunde und der Deutschkatholiken konfrontiert.123 Die Lichtfreunde verdanken ihre Entstehung dem Skandal um den Magdeburger Pfarrer Sintenis, der öffentlich die Anbetung Christi als Aberglaube anprangerte und deswegen vom Konsistorium einen Verweis wegen Glaubensabweichung erhielt. Der Pfarrer Uhlich organisierte daraufhin im Juni 1841 ein Treffen von 16 Theologen in Gnadau, die mit Sintenis sympathisierten. Aus diesem Treffen ent-
371
stand die Bewegung der Lichtfreunde, deren Wachstum sich an den Teilnehmerzahlen der halbjährlichen Treffen ablesen läßt. Im September 1841 waren es bereits 56 Theologen, im Frühjahr 1842 kamen 200 Personen, die Hälfte davon Laien, zusammen, zur Pfingstversammlung in Köthen 1844 kamen 600, im Herbst waren es 800. Mitte der 40er Jahre waren die Lichtfreunde nach vormärzlichen Maßstäben eine religiöse Massenbewegung, die an zahlreichen Orten Fuß gefaßt hatte. Die Lichtfreunde waren theologische Rationalisten. Sie standen in der Tradition der Wolffschen Philosophie des 18. Jahrhunderts, die zwar nicht die göttliche Offenbarung bestritt, aber die Religion dem Urteil und der Auslegung durch die menschliche Vernunft unterstellte. Der theologische Rationalismus erreichte seine Breitenwirkung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert und ist verbunden mit den theologischen Auffassungen von Paulus, Brettschneider, Roehr und Wegschneider. Der theologische Rationalismus beherrschte den Religionsunterricht an den Schulen, die weitgehend von der Erweckungsbewegung unberührt geblieben waren. Es handelte sich um eine bürgerliche Massenbildung, die auf die Bedürfnisse von Beamten, Kaufleuten und Handwerkern zugeschnitten war. Der theologische Rationalismus war dazu geeignet, auf immer wieder auftretende religiöse Übersteigerungen von Wunder- und Teufelsglauben mäßigend zu wirken, er bot für Fortschrittshoffnungen genügend Raum, ohne zu chiliastischen Abenteuern zu verführen, und schließlich war es auf seiner Grundlage auch möglich, nicht nur die Religion, sondern auch den Staat und die Politik der prüfenden Vernunft zugänglich zu machen. In diesem Sinn hat H. Rosenberg vom theologischen Rationalismus als dem vormärzlichen »Vulgärliberalismus« gesprochen.124 Gegenüber dem kontinuierlichen Wachstum der Lichtfreunde erreichte der Deutschkatholizismus schon innerhalb eines Jahres eine die Zeitgenossen überraschende Popularität. Im Sommer 1844 wurde in einem imposanten Festakt auf dem Hochaltar der Domkirche in Trier die Reliquie des sog. heiligen ungenähten Rokkes Jesu ausgestellt. Der Bischof Arnoldi stellte denen, die in den sechs Wochen der Rockausstellung zur Verehrung des Rockes nach Trier wallfahrten würden, kraft sakramentaler Gewalt den vollkommenen Ablaß ihrer Sünden in Aussicht, den Papst Leo X. 1514 für die Rockwallfahrten verliehen hatte. Dem Aufruf des Bischofs wurde in einer Weise Folge geleistet, daß die >Vossische Zeitung< »an der Vernunft des 19. Jahrhunderts verzweifelte«. Allein in der Nacht vom 22. zum 23. August 1844 waren 20.000 Pilger in Trier.123 Als historischer Vergleich fielen Bayrhoffer nur die mittelalterlichen Kreuzzüge ein. »Da zogen sie hin, die Hunderttausende, und suchten Christum, wie einst in Kreuzzügen in seinem Grabe, so jetzt in einem toten Gewände, welches Betrug und Aberglaube untergeschoben hatte.«126 Die >Mannheimer Abend-Zeitung< versucht, den staunenden Zeitgenossen das Phänomen von Trier zu erklären, und schreibt: »Zu einer Zeit, wo die Kritik auch die Kirche angreift, muß diese sich auf ihren ursprünglichen Begriff zurückziehen, sie darf die Zugeständnisse nicht berücksichtigen, die sie im Laufe der Zeit dem Zeitgeiste gemacht, und so ist es erklärlich, daß Strauß, Feuerbach und der wundertätige Rock zu Trier fast zu gleicher Zeit existieren.«127 Die Reaktion auf diese >Provokation< ließ nicht lange auf sich warten. »Gegen
372
diese tetzelsche Ablaßkrämerei tritt ein zweiter Luther auf«, schreibt der deutschkatholische Pfarrer Eduin Bauer.128 Der zweite Luther hieß Johannes Ronge, ein schlesischer Priester, der bereits zwei Jahre zuvor in Konflikt mit dem Breslauer Domkapitel geraten war. Ronge forderte den Bischof Arnoldi öffentlich auf, die Rockausstellung zu beenden. Der Protest Ronges führte zur Trennung vieler Gläubiger voit der römischen Kirche und zu Gründungen freier deutschkatholischer Gemeinden. Ronge schloß sich mit dem Schneidemühler Kaplan Czerski zusammen, der seinen Abfall vom römischen Katholizismus durch eine Hochzeit besiegelt hatte. Ronge und die Schneidemühler Dissidenten sind überzeugt, die >Reformation des 19. Jahrhunderts< eingeläutet zu haben, eine Reformation, die sich nicht nur auf theologische Fragen bezieht, sondern auch politische Dimensionen im Blick hat. So predigt Ronge: »Die Reformation des 19. Jahrhunderts, die Reformation, die vom Volke ausgeht, muß nicht bloß das geistige und sittliche Wohl, sie muß auch das äußere Wohl der Menschheit ins Auge fassen und die Kluft zwischen Arm und Reich durch die Hand der Liebe ausgleichen.«129 Das Pathos der reformatorischen Erweckung erreicht in den Jahren 1844/1845 seinen Höhepunkt. Gegenseitige Ermutigungs- und Jubelbotschaften werden von Gemeinde zu Gemeinde gesandt. So feiert K. E. Theodul die Schneidemühler Gemeinde: »Ja, mit weithin tönendem Jubel mußte sie begrüßt werden als eine echt-christliche, segensverheißende Tat allüberall da, wohin das noch zur Zeit unsichtbare Licht-Zentrum, der durch Christi Geist von aller Beknechtung des Glaubens bereits frei gewordenen Gotteskinder seine beseligenden Strahlen ergossen hatte.«130 Ostern 1845 kommt es in Leipzig zum ersten deutschkatholischen Konzil, auf dem sich die Dissidenten in dem Bewußtsein treffen, »eine reformatorische Tat« getan zu haben, die der des 16. Jahrhundert vergleichbar ist: »Freilich ist eine jede Reformation längst vorbereitet und angelegt, und derjenige, welcher das kühne Wort ausspricht, darf wohl auf eine Anzahl Gleichgesinnter rechnen; aber wer vermag es, vorher zu sagen, ob die Zeit reif ist, ob der Funke zündet, ob wirklich eine neue Gemeinschaft zusammentreten, oder ob die treulose Zeit den einzelnen preisgeben wird? Eine Reformation ist immer etwas schlechthin Unberechenbares, die reformatorische Tat immer eine rücksichtslose Kühnheit. - Aber dafür wird sie auch, wenn sie durchschlägt, getragen und begleitet von den ganzen Sympathien des Volkes. So war es ja zur Zeit unserer Reformation vor 300 Jahren. Welche Kräfte strömten ihr zu von unten her aus dem Volke? und wie erstarkten die Führer an dem jubelnden Zuruf der Massen!«131 Verglichen mit der junghegelianischen Avantgarde sind die deutsch-katholischen Pfarrer nicht in eine >schiefe Stellung< geraten. Der Deutschkatholizismus entwickelt sich rasch zu einer Massenbewegung. 1848, vier Jahre nach dem ersten Konzil, hat die Kirche etwa 80.000 Mitglieder in 259 Gemeinden. Es kommt zwar zu vielfältiger Kooperation zwischen Deutschkatholiken und Lichtfreunden, aber die organisatorische Selbständigkeit der Parallelbewegungen bleibt gewahrt, bis sich 1859 Deutschkatholiken und freie protestantische Gemeinden zum >Bund frei religiöser Gemeinden Deutschlands< zusammenschließen. 132
373
Die Ziele des Deutschkatholizismus sind weitgehend mit denen der Lichtfreunde identisch. Beide fußen auf dem theologischen Rationalismus. Roehr, Brettschneider und Paulus verteidigen die Lichtfreunde ebenso, wie sie für Forderungen der Deutschkatholiken eintreten. Freie Wahl der Seelsorger und die Abkehr von jeder Art >Glaubenszwang< sind für beide Bewegungen charakteristisch. In den inneren Auseinandersetzungen der freireligiösen Bewegung kommen noch einmal die Themen zur Sprache, die insgesamt die religiöse Erneuerung seit der Erwekkungsbewegung bestimmt haben. Es geht um zwei widersprüchliche Ansprüche, die abgegolten werden sollen. Die Freireligiösen wollen eine staatsunabhängige Kirche, bzw. eine Kirche, die nicht mehr unter der Kontrolle der römischen Hierarchie steht. Wert gelegt wird auf organisatorische Selbständigkeit und die Ausbildung von Institutionen, die Selbstverwaltung ermöglichen sollen. In dieser Hinsicht trägt die freireligiöse Bewegung durchaus jene Züge nachreformatorischer Kirchen- und Sektenbildung, die in Westeuropa die Ausbildung des modernen Verfassungsstaates mit möglich gemacht haben. Den Zeitgenossen ist dieser Zusammenhang durchaus bewußt, wie R. Blums Leiziger >Vorwärts< beweist: »Die Stifter der freien Gemeinde hofften durch dieselbe, wie einstens das englische Independententum, das gesamte Staatsleben umzugestalten.«133 Auf der anderen Seite ist das Erbe von Luthers unsichtbarer Kirche< nicht so einfach abzuschütteln, und die antiinstitutionelle Tendenz, die die neue Religion als eine frei schwebende Menschheitsreligion gemäß idealistischer Tradition verstehen will, lebt in den Reihen der Dissidenten wieder auf. Deutlich werden diese Spannungen im Bereich des Deutschkatholizismus schon bei der Frage, ob die neue Kirche ein Glaubensbekenntnis brauche und wie verbindlich dies sein sollte. Ronge selbst ist unsicher, ob es überhaupt sinnvoll ist, ein Glaubensbekenntnis zu fixieren, er gibt schließlich dem Druck der Gemeinden nach Selbstvergewisserung nach. Das Ergebnis ist ein Glaubensbekenntnis, in dem verzweifelt versucht wird, »das Undogmatische selbst dogmatisch zu formulieren«.134 Auch bei den Lichtfreunden bricht diese Spannung auf, als auf der Köthener Pfingstversammlung 1844 der Pastor Wislicenus die Frage aufwirft, ob die Heilige Schrift oder der Heilige Geist als Norm des protestantischen Glaubens zu betrachten sei, und sich für das letztere entscheidet.135 Eine staatsunabhängige Kirche, ohne ein verbindliches Glaubensbekenntnis und ohne die verpflichtende Bindung an die Heilige Schrift, wäre aber kaum zu institutionalisieren. Die >institutio religionis< (Calvin) steht auf dem Spiel, wenn soziologisch gesehen die Launen des Heiligen Geistes Vorrang vor schriftlich fixierten Offenbarungen erhalten sollen. In diesen Spannungen tritt wenige Jahre vor der Revolution von 1848 noch einmal das Muster der politisch-religiösen Konstellationen hervor, das für die deutsche Geschichte seit der Reformation bestimmend gewesen ist. b) Die Immanenten »Damals war die Zeit gekommen, in welcher der wissenschaftlich-religiöse Geist, die Schranken gelehrter Werke und akademischer Hörsäle durchbrechend, sich über das Volk ergoß«, schreibt der Aktivist und Historiker der freireligiösen Bewe-
374
gung Kampe und erinnert an die Bedeutung, die die junghegelianische Religionskritik für das Entstehen der freireligiösen Bewegung hatte.136 Insgesamt trifft Gottschall den Sachverhalt, wenn er schreibt: »Die zahlreiche Uhlich-Ronge-RuppLiteratur war nun der in weitesten Kreisen sich ausbreitende Wogenschlag, den Kritik (gemeint ist Bruno Bauer, d. V.) und Anthropologie (gemeint ist Feuerbach und Stirner, d. V.) hervorgerufen.«137 Eine ganze Reihe von freireligiösen Predigern bekannte sich insbesondere zu Feuerbachschen Grundsätzen. Wie hoch die junghegelianische Evangelienkritik auf dem Konzil zu Leipzig geschätzt wurde, läßt sich daran ablesen, daß z. B. die Frage der Gottheit Christi nicht zur Entscheidung gebracht werden konnte, weil »die wissenschaftliche Forschung« in dieser Frage noch nicht gesicherte Ergebnisse gezeitigt habe.138 Aber auch umgekehrt schließt sich ein Teil der Gruppe der Junghegelianer der freireligiösen Bewegung an. Nauwerck, Bayrhoffer und Ruge sind hier ebenso zu nennen wie der Hegelianer Hinrichs, der am Leipziger Konzil teilnimmt und die Sache der Dissidenten engagiert verteidigt.139 Ruge erklärt programmatisch: »Die Bildung und die Philosophie des Jahrhunderts ist durch diese Bewegung zur Herzenssache des Volkes, d. h. zur Religion geworden.«140 Nach dem Übergang der philosophischen Schule zur politischen Partei, nachdem der Philosoph Zeitungskorrespondent geworden war, nun noch ein Übergang: die >unsichtbare Kirche< der Junghegelianer geht in die freireligiöse Massenbewegung ein. Dieser Übergang ist nicht ohne Probleme, denn von ihrer Genese und von ihrer Haupttendenz her gesehen, sind Lichtfreunde und Deutschkatholiken eben jenem theologischen Rationalismus verbunden, den Hegel heftig bekämpft hatte. Für den theologischen Rationalismus ist Christus das Urbild einer autonomen Sittlichkeit, und seine von den Evangelisten überlieferten Worte sind Anleitungen für eine sittliche Lebensführung. Spekulative Fragen nach der Immanenz Gottes in seiner Schöpfung, das Problem der Theodizee und das heilsgeschichtliche Werden des Reiches Gottes nehmen dagegen weniger Raum ein. Gerade diese Fragen sind es jedoch, die die Junghegelianer in die freireligiöse Bewegung einbringen. Mit Kampe kann man daher von zwei differierenden Fraktionen der Freireligiösen sprechen: dem »populär-rationalistischen Standpunkt« und dem »immanentchristlich-religiösen Standpunkt«.141 Die Junghegelianer, die sich der Bewegung anschließen, verstärken die Fraktion der >Immanenten<. Als Beispiel für das Eindringen der Junghegelianer in die freireligiöse Bewegung sei das Engagement von Bayrhoffer in Marburg genannt. Die dortige deutschkatholische Gemeinde wird zunächst von der staatlichen Verwaltung verboten, aber im Herbst 1845 gründet Bayrhoffer, der entschieden für die Deutschkatholiken eintritt, einen protestantischen Leseverein, deren Mitglieder sich im Streit zwischen Uhlich und Wislicenus über die Frage, ob die Heilige Schrift oder der Heilige Geist für die Gemeinde maßgeblich sein sollte, auf die Seite von Wislicenus stellen.142 Bayrhoffer identifiziert die religionskritischen Inhalte der junghegelianischen Debatten mit dem >wahren Wesen< der religiösen Bewegung. Zum einen sei die Kritik von Strauß über B. Bauer zu Feuerbach zu der Erkenntnis gelangt, daß der Mensch der verborgene Inhalt der Religion sei, zum anderen sei
375
»auch nicht zu verkennen, daß die deutsch-katholischen und die freien protestantischen Gemeinden, welche in der Bildung begriffen sind, von dem Prinzip jener reinen Menschlichkeit im innersten getrieben werden. Aber noch ist dieses Prinzip in seiner Erscheinung verhüllt, und es ist Zeit, daß das eigendiche Wesen der jetzigen religiösen Gährung unverhüllt vor die Welt hintrete. Die Bekenner dieses Wesens könnten es dann ruhig erwarten, ob die Kirche sie als ihre eigene letzte Frucht anerkennen und begrüßen, oder als feindliches Element ausscheiden will.«143 Die Reaktion auf diese >immanente< Herausforderung kommt von dem deutschkatholischen Pfarrer Hieronymi, der Bayrhoffer und den Marburger Lichtfreunden vorwirft, was sie »eigentlich wollen ist: gar keine Kirche. Denn nach ihren Prinzipien gehört der ganze gegenwärtige Kultus mit allen seinen Formen, vernünftigen oder unvernünftigen, einer überwundenen Stufe des Kinderglaubens an. Sie wollen die Kirche in einen Disputiersaal der Wissenschaft verwandeln, d. h. sie aufheben; denn wissenschaftliche Disputier- und Experimentier-Institute haben wir schon anderweitig.« Versuche, diese Ideen zu realisieren, »werden nichts ergeben als etwa eine philosophische Quäkergemeinde.« Hieronymi erklärt, die Mehrheit der Lichtfreunde »wollen keine Philosophenschule gründen, sondern eine religiöse Gemeinschaft, und das protestantische Volk ist aus bekannten Ursachen nur zu sehr von dem Wunsche nach einer besseren kirchlichen Gestaltung erfüllt.« Das Programm der unsichtbaren Kirche< sei für diese Bedürfnisse ungeeignet. »Auch die freie Gemeinde wird genötigt sein, sich eine besondere Form zu geben, wo nicht, so existiert sie nicht, sondern nur Menschen, welche den Gedanken einer freien Gemeinde im Kopfe tragen; also die ecclesia invisibilis (unsichtbare Kirche der protestantischen Symbole), an welche sich aber niemand kehrt, eben weil er sie nicht sieht und kennt, während dem die sichtbare Kirche (als) eine Macht dasteht, fühlbar genug für Freie und Unfreie. Selbst der Freimaurerorden hat seine Symbole, und würde ohne diese gar nicht existieren«. Die Marburger könnten ja ihren spekulativen Neigungen frönen, aber »so macht wenigstens kein unnötiges scandalum in ecclesia, setzt euch in euren Saal, wo Rede und Gegenrede gebräuchlich ist, denn nur auf solche Weise kann die verborgene Wahrheit ans Licht kommen. Aber vor allem richtet euer Augenmerk nicht auf die Dogmen, sondern auf eine notwendige freie Kirchenverfassung, worin das Volk ein Organ gefunden, nicht den toten Glauben der alten Bücher, sondern den lebendigen Glauben seines Herzens auszusprechen.«144 Die Kontroverse zwischen Bayrhoffer und Hieronymi trifft das Kernproblem der freireligiösen Bewegung. Junghegelianer wie Bayrhoffer sind >immanent< in einem doppelten Sinne: einmal beziehen sie sich auf die Feuerbachsche Immanenzphilosophie, die die religiösen Gehalte vermenschlicht, und zum anderen drängen sie innerhalb der freireligiösen Bewegung auf eine radikale Entkirchlichung, die jede Erinnerung an Transzendenz verblassen läßt. Hieronymi macht dagegen die >institutio religionis< zum Prüfstein. Aber ist für die >Immanenten< das Institutionalisierungsproblem zu umgehen? Ihre vermenschlichte Religion, in welchen Formen und Symbolen könnte sie sich ausdrücken? Die Vorschläge für den Kultus der neuen Religion reichen vom gegenseitigen Vortrag selbstgedichteter Stücke über sozialpädagogische Initiativen bis zu erbaulichen philosophischen und politischen Debatten.145
376
Das Problem, vor dem die >Immanenten< wie ihre theologisch-rationalistischen Gegner stehen, ist, ob das, was sich in einer vermenschlichten Religion ausdrückt, noch Religion genannt werden kann, ob der vom Gottesdienst in den Menschendienst transformierte Kultus noch Unterscheidungsmerkmale aufzuweisen hat, die Profanes und Heiliges trennen. Von zentraler Bedeutung ist, daß innerhalb der freireligiösen Bewegung nicht zuletzt durch die Aktivitäten der >Immanenten< sozialistische Programme sich herausbilden. In Breslau propagiert Nees von Esenbeck einen urchristlichen Gemeinde-Sozialismus.146 Der Prediger Julius Rupp, der zu den eigenartigsten Gestalten der freireligiösen Bewegung gehört und dem ein eigener Exkurs gewidmet werden müßte, schockiert die bürgerlichen Mitglieder der Königsberger freien Gemeinde durch seine Vorschläge zur Umgestaltung der sozialen Verhältnisse und durch die Einführung des sozialistisch-brüderlichen >Duzkomments<.w Es kommt zu zahlreichen Verschmelzungen wahrsozialistischer und freireligiöser Initiativen. Rückblickend kann R. Gottschall 1851 von der freireligiösen Bewegung sagen: »Die freien Gemeinden sind die einzige tatsächliche Existenz des Sozialismus auf deutschem Boden«.148 Das sozialistische Vereinswesen als Realisierung der Idee der unsichtbaren Kirche Handelt es sich hier nicht um einen Verrat an den Prinzipien der Gruppe, nicht um eine Rekatholisierung, den Aufbau einer >sichtbaren Kirche<, die man bei den Neupietisten erbittert bekämpft hatte? Eine Neigung zur sichtbaren Kirche< glaubt 1845 G. Julius bei Marx und Engels feststellen zu können. Bevor wir uns dem Streit in der Gruppe zuwenden, sei noch die Position der >Atheisten< um B. Bauer dargestellt. c) Die Atheisten Zunächst stehen die Junghegelianer um B. Bauer vor dem Problem zu erklären, warum den Aufrufen des Priesters Ronge so viele folgten, während zwei Jahre zuvor ihre eigenen Parteiaufrufe keinen derartigen Widerhall fanden. »Für den Ronge'schen Brief kann weder der Inhalt, noch die Kühnheit, noch der ansprechende Stil die laute umfangreiche Sympathie hervorgerufen haben. Wo blieb sie, als Werke erschienen, deren Wert durch jene Eigenschaften bei weitem nicht erschöpft wird?«, fragt ein Autor der NB, und er kommt zu dem Ergebnis: »Daß Ronge seine Stellung als katholischer Priester aufs Spiel setzte, das imponierte der Menge. Ein anderer hätte immerhin denselben Brief an den Bischof Arnoldi schreiben können, er wäre unbeachtet geblieben, aber der geweihte Rock des Priesters erregte Aufsehen.« Unverkennbar schwingt die Erinnerung mit, daß 1842 die Entlassung B. Bauers nicht zu einer derartigen Volksbewegung geführt hat. Aber B. Bauer wäre damals auch im Nachteil gewesen, denn er konnte keinen >heiligen Rock< anbieten, wie Ronge, der sich deshalb als »wahrer Gegner der Trierschen Ausstellung« zeigen konnte, weil er selbst einen entsprechenden Rock besessen habe.149 Diese Konkurrenz mit den Führern der freireligiösen Bewegung kommt noch rückblickend bei B. Bauer zum Ausdruck, wenn er 1849 schreibt: »Als die Radikalen des Jahres 1842 am Ende ihrer Weisheit standen und mit ihren Forderungen an der Sprödigkeit des Bestehenden abprallten, träumten sie davon, wie schön es doch
377
sein müßte, wenn Philosophie und Bildung zur Gemüts- und Willenssache, zur Religion und weltbewegenden Leidenschaft geworden wären - die Forderung zur reformatorischen Tat, das Sollen zur lebendigen Leidenschaft, die sich der Welt unwiderstehlich mitteilt und sie in neue Bahnen mit sich fortreißt. Es war einer jener Jugendträume, deren Erfüllung nur dem reifen Alter gewährt wird. Nachdem die Radikalen sich vergeblich abgemüht hatten, das zündende Wort zu finden, stand auf einmal der Mann (Ronge, d. V.) da, in welchem die Forderung Fleisch und Blut geworden und eine Macht der Leidenschaft entwickelte, die alle bisherigen Eroberungen der Bildung und >Philosophie< in Einen Willensakt zusammenballte und in Ein Wort zusammenfaßte.«130 Die freireligiöse Bewegung ist ein Erbe des junghegelianischen Radikalismus von 1842. Aber indem B. Bauer dies konstatiert, nimmt er zugleich eine Umwertung vor. 1844 äußert er seine Zweifel in einem Artikel über die >Lichtfreunde in Köthen<. Er analysiert die inneren Konflikte der Lichtfreunde, den Streit zwischen Uhlich und Wislicenus und die Auseinandersetzung der Lichtfreunde mit offiziellen Theologen und kommt zu dem Ergebnis, daß »die Innigkeit des Verhältnisses zwischen den Lichtfreunden und den Anhängern der gläubigen Theologie außer Zweifel« stehe. Gemeinsam sei den streitenden Parteien, daß ihre Positionen Positionen der »Unbestimmtheit« seien. »Der Unbestimmtheit, die den Verein der Lichtfreunde gestiftet hat, mag ein Ende gemacht werden, wenn der Bund der Freunde durch den Kampf gegen seine Widersacher nur gezwungen wird, sich auf einer tieferen Grundlage neu zu konstituieren! Allein er kann nur mit Widersachern kämpfen, die selbst so arm an Leben sind, daß der Streit mit ihnen kein Lebensfeuer entzünden kann«.151 >Unbestimmtheit< ist der Hauptvorwurf der Gruppe um B. Bauer gegenüber der freireligiösen Bewegung, eine >Unbestimmtheit<, die sie auf mehreren Ebenen finden: politisch ist es die Unbestimmtheit des Liberalismus, des juste-milieu, gesellschaftlich ist es die Unbestimmtheit der »Masse«, und auf der religiösen Ebene ist Unbestimmtheit Zeichen einer vollendeten Religion. Die politische Ebene wird in Terminis kritisiert, wie sie E. Bauer in seinen JusteMilieu-Artikeln in der RhZ entwickelt hatte.132 Der theologische Rationalismus wolle »zweien Herren dienen, dem Gott in der jenseitigen und dem Leben in der diesseitigen Welt.« So seien die Lichtfreunde »dazu verdammt, sich stets zu widersprechen«, heißt es in den NB153, und für Jordan gehört der freireligiöse Prediger Rupp zu den »Janusköpfigen, welche die Wirksamkeit der absoluten Kritik am stärksten paralysieren, die Herkulesarbeiten des modernen Geistes zur Hälfte wieder ungetan machen«.154 Wo liegen die Ursachen für den massenhaften Erfolg des Pastors Uhlich? Den NB zufolge gelingt ihm eine eigentümliche Mischung von »Entschiedenheit und Milde«. »Man sieht es auf jedem Punkte seiner >Entschiedenheit< an, daß sie an der >Milde< ihre Grenze hat, und der >Milde<, daß sie >entschieden< ist.« So konnte Uhlich »Stifter einer Versammlung von 600 Menschen werden (. . .). Wäre er »entschiedene er hätte es nicht vermocht. Wäre er bloß >milde<: sein Dorf Pömmelte nennte allein seinen Namen. Aber seine Entschiedenheit und Milde< macht ihn zum Volksmann.« Uhlich wird mit O'Connell verglichen, jenem charismatischen Volksführer der
378
national-katholischen irischen Volksbewegung, der die Zeitgenossen enorm fasziniert.155 Aber ist die freireligiöse Bewegung überhaupt mit politischen Kategorien zu fassen? Religiöse Massenbewegungen beginnen sich für einen Teil der Junghegelianer als ein selbständiges, neuartiges Phänomen abzuzeichnen, das Reflexionen herausfordert. A. "Fränkel versucht in den NB B. Bauers Kritik der Masse auf die religiösen Bewegungen anzuwenden. Er thematisiert die Auflösung der ständischen Bindungen und der herkömmlichen Lebenskreise, aus denen die Individuen als »unverbundene Privatexistenzen« heraustreten. Was als »Gesamtbewegung« der Masse erscheine, »ist nur die Bewegung der vereinzelten Atome mit ihren besonderen Interessen und Bedürfnissen, das, was innerhalb ihrer kämpft, ist nur der Kampf und die Konkurrenz dieser Unendlichkeit von Einzelinteressen«. 156 Handelt es sich bei den Massenbewegungen überhaupt um ein einheitliches Phänomen? Fränkel schließt an die B. Bauersche These von 1844 vom »unausbleiblichen Krieg der Menge gegen den Geist und das Selbstbewußtsein« an und konstatiert bei der freireligiösen Bewegung einen »gemeinschaftlichen Gegensatz« gegen »alle Taten der Forschung und Wissenschaft, überhaupt gegen alles Bestimmte.« Dieser Gegensatz werde gespeist aus der Bewegung der Auflösung aller bestimmten Formen, eine Bewegung der Unbestimmtheit, die schließlich in der Wissenschaft ihren letzten Gegner finden werde, weil diese auf dem spezifischen Unterschied von Kritik und Nichtkritik insistiere. Und als eine Art >Vorformulierung< von Paul Valerys Diktum »L'esprit abhorre les groupements« könnte man Fränkels Satz lesen: »Es gibt keinen bestimmten Gedanken, der sich in der Form einer tausendköpfigen Massenhaftigkeit entwickeln, gestalten und darstellen könnte.« Aber dies ist nur der negative Aspekt. Gemeinsam ist der Massenbewegung auch die »allgemeine Verschwommenheit der geschichtlichen Schranken«, die »ihre Vollendung noch nicht erreicht (hat), solange sie sich innerhalb der bisher so scharf gesonderten Gebiete nur als Mißfallen an der Trennung, als Wunsch der Versöhnung und des friedlichen Nebeneinanderstehens, als gegenseitige Sympathie und Anerkennung, als gleiches oder ähnliches Streben zeigt.« Entscheidend ist jedoch, daß die atomisierten Individuen selbst zu einer positiven Haltung ihrer Massenexistenz gegenüber kommen müssen, d. h. sie bedürfen einer Art Ideologie, deren charakteristisches Merkmal es ist, keine charakteristischen Merkmale aufweisen zu können. »Wie aber der Punkt, in dem die sonst vereinzelten und getrennten Individuen zusammenstimmen und einig sind, nur immer der allgemeinste und unbestimmteste sein kann, stellt sich diese Übereinstimmung auch nur in der allgemeinen unbestimmten Form des Gefühls, und zwar in dem gesteigerten Gefühl eines allgemeinen Enthusiasmus, oder einer allgemeinen Empörung dar. Diese Gefühle - deren Inhalt umso unbestimmter sein muß, je ausgebreiteter und ansteckender sie sind — sind die einzigen Kräfte, mit denen die Masse als solche agiert und reagiert — Kräfte, die eben nur dann von Gewicht sind, wenn sie in massenhafter Weise auftreten«.157 Diese Unbestimmbarkeit des Gefühls identifiziert Fränkel als Religion. »Die Einstimmigkeit des Bekenntnisses ist es, welche eine Masse von Individuen zu Bekennern einer und derselben Religion macht: ein einzelner kann für sich keine Religion bilden,
379
(. . .). Während alle die anderen Interessen die Individuen auseinanderreißen und vereinzeln, ist ihre Religion ( . . . ) dasjenige Interesse, in dem sie sich als ein Allgemeines darstellen. Die Berührung des religiösen Interesses berührt und bewegt daher auch nicht bloß den einzelnen, sondern das gemeinsame Interesse vieler einzelnen. Darum sind alle religiösen Bewegungen — wenn sie als solche geschichtlich hervortreten — notwendig immer massenhafte Bewegungen.«158
Was in Fränkels durchaus noch heute diskutablen Thesen aufscheint, ist eine Korrespondenz zwischen der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft und einer eigenartigen Formlosigkeit der Religion. In ihr sind die konfessionellen Unterschiede, die Bestimmtheiten der Bekenntnisse aufgelöst. In der unbestimmten Religion ist die Frage: »warum zerschlagen die heutigen Christen die heidnischen Götterbilder nicht mehr?«159 unsinnig geworden. Die Unbestimmtheit der Religion gibt keinen Anlaß mehr. Wenn man will, entdecken die Junghegelianer um B. Bauer in der religiösen Massenbewegung die unsichtbar gewordene Religion. Was den >Immanenten< fehlt, das Gespür für den geschichtlichen Form- und Funktionswandel von Religion in einem Säkularisierungsschub, ist bei den >Atheisten< besonders stark ausgebildet. Für B. Bauer ist die Auflösung bestimmter Dogmen und Symbole, soziologisch gesprochen, die Informalisierung von Religion zu einem unkenntlichen Restbereich des Gemüts, kein Ende der Religion, sondern »die Vollendung der Religion, die reine und vollendete, d. h. beziehungs- und gegenstandslose Abhängigkeit - das reine, dumpfe Erzittern des Innern«. Die »moderne Religiosität« ist überhaupt erst als Massenreligion denkbar, sie ist für B. Bauer das »Resultat einer Bewegung, die sie nicht geleitet hat und die sie nicht aufhalten konnte.« Denn paradoxerweise ist die moderne Massenreligiosität ein Resultat von Aufklärung, Philosophie und Kritik, weil diese Bewegungen das zersetzt haben, was in der modernen Religiosität »in eine breiartige Masse ausgegossene Auflösung des geschichtlichen Stoffes« ist.160 Der Konflikt zwischen theologischen Rationalisten und >Immanenten< verliert unter dieser Perspektive seine Bedeutung. Beide Tendenzen gehen in eine gemeinsame Richtung. Der theologische Rationalismus führt zur »Vollendung des Christentums«, weil er das Christentum von aller speziellen, lokalen und temporären »Verwicklung mit dem Volkswesen« entlastet hat, um »reine und abstrakte Religion zu werden«. Darum ist »auch der Widerwille des Rationalismus gegen die inhaltsvollsten Dogmen ( . . . ) echt religiös.«161 Aber auch die >Immanenten< befördern die Vollendung der Religion. »Je mehr die Gottheit sich vollendet, je mehr sie nämlich menschlich wird und die Menschheit in ihr sich selbst wieder findet, um so reiner wird der Ausdruck ihrer Willkür. Die Vollendung der Religion ist der absolute Sieg der Willkür.«162 Eine Religion, die Dogmen kennt, ist eine sich bestimmende Religion, die Unbestimmtheit der vollendeten Religion kennt keine Dogmen, sondern nur Willkür. Auf gesellschaftlicher Ebene entspricht die dogmatische Bestimmtheit den gefügten und bornierten Lebenskreisen der traditionellen Gesellschaft, der Auflösung dieser Schranken und der Entlassung der Individuen in die arbeitsteilige bürgerliche Gesellschaft entspricht die äußerste Unbestimmtheit und Willkür der Religion, (nebenbei bemerkt, eine Unbestimmtheit und Willkür, die Marx später auf das Medium des Geldes projezieren wird). An dieser Form moderner Religiosität, die
380
von dem unbestimmten letzten Rest, der letzten Willkür regiert wird, entzündet sich der Atheismus B. Bauers. Was heute als Massenatheismus erscheint, nämlich die verbreitete Auffassung, daß über die letzten Werte keine bestimmten Aussagen gemacht werden können, wäre für B. Bauer das sicherste Indiz einer vollendeten Religion.163 Auf die von Deutschkatholiken und Lichtfreunden erneut aufgeworfene Frage nach einer staatsunabhängigen, selbstverwalteten Kirche haben weder >Immanente< noch >Atheisten< eine Antwort gefunden, die dem Problem gerecht geworden wäre. Den >Immanenten< ging es darum, möglichst rasch die theologisch-kirchlichen Formen und Inhalte abzustreifen, den Gottesdienst in Menschendienst zu transformieren, die religiösen Bedürfnisse umzubiegen, um die verschwenderische Sehnsucht nach einer Transzendenz zur Antriebskraft für ein philanthropisches oder sozialistisches Vereinsleben zu nutzen. Den >Atheisten< kam die Institutionalisierungsproblematik überhaupt nicht in den Blick. Sie diagnostizierten zwar die Transformation der Religion, ihren eigentümlichen Rückzug in das immer unsichtbarer werdende »dumpfe Erzittern des Inneren«,aber dieser letzten Formlosigkeit der Religion wußten sie nur die heroische Tat einsamer Forschung entgegenzusetzen.
7. Vollendung der Religion, Ende der Religion? Was ist nun die religiöse Bewegung der 40er Jahre? Erfüllt sich in ihr der Traum von der >neuen Religion des Geistes<, ist sie die wahre Gestalt des Sozialismus, die Wiedergeburt urchristlicher Gemeinden, oder ist sie die Vollendung der alten Religion, die letzte Stufe der Entfremdung des Menschen? Oder handelt es sich, trotz des Eindruckes, daß Deutschland einem großen Konzil gleicht, schon gar nicht mehr um Religion, sondern um Politik und Wirtschaft? Deutungsprobleme bestehen auf allen Seiten. Aber wie hängen sie zusammen: Religion, Politik, Wirtschaft und Industrie? Zweifel, daß es sich bei der religiösen Bewegung überhaupt um eine religiöse handele, hat R. Prutz. Er fragt, »wer es denn eigentlich gewesen, der diese ganze Angelegenheit zuerst in Gang gebracht, wer es ferner ist, der sie gegenwärtig am meisten in Gang erhält, wer das meiste Leben, die meiste Tätigkeit zeigt, ja wer recht eigentlich Seele und Kern der ganzen Bewegung ist: die Gläubigen oder die Ungläubigen? die Kirchlichen oder die Unkirchlichen? die Frommen oder Ketzer?« Das »(wie man es so gern nennt) >religiöse Leben der Gegenwart« sei »gar nicht so tief aus der Mitte des Volks hervorgewachsen, gar kein solch ursprüngliches, autochthonisches Element unseres Volkslebens ( . . . ) , wie man uns wohl überreden möchte.« Vielmehr sei es »erst von außen hinein getragen worden«. Es seien die Ungläubigen gewesen, »welche diese religiöse Bewegung veranlaßt haben; nicht in majorem, vielmehr in minorem ecclesiae gloriam ist der Kampf entbrannt, nicht den Glauben schützen will man - nein, man möchte gern das bißchen, das man noch etwa hat, sich mit guter Manier völlig entledigen.«164
381
Aber wie steht es mit dem Einwand, der Kampf gegen religiöse Traditionen sei »an sich schon eine Religion, ein Gottesdienst, der höchste, edelste sogar, den es gibt: ein Gottesdienst der Freiheit?« Prutz' Antwort ist zwiespältig. Was ihn »versöhnen könnte mit diesen theologischen Trivalitäten« der religiösen Bewegung, wäre ein unerschrockenes »Wahrheitsbekenntnis«. Aber den Titel »Gottesdienst der Freiheit« mag er der freireligiösen Bewegung nicht zusprechen. »Uhlich und Wislicenus, Ronge und Czerski, preßt sie aus, miteinander, destilliert sie in eins und schüttet noch alle Lügen, alle Verdrehungen, alle Entstellungen dazu, welche die Hengstenberg und Gerlach, die Philipp's und Ritter über sie ausgegossen: ihr kriegt doch aus der ganzen Gesellschaft noch nicht den zehnten, nicht den hundersten, den tausendsten Teil heraus von dem Freimut, der Aufklärung, der (wenn es doch einmal (!) so heißen soll) >freien Religion<, welche seit hundert Jahren alle größten Geister unseres Volkes, einen Kant und Fichte, einen Lessing und Schüler erfüllt haben!«165 Die Anschlüsse an die nur noch zögernd als >freie Religion< bezeichnete klassische Periode sind zweifelhaft geworden. Gibt es überhaupt »rein religiöse Angelegenheiten«? Es gäbe sie zwar, aber nur in den »inneren Krisen des Individuums selber«, für die gelte, »ein jeder macht sie mit sich selber ab«. Solche - so könnte man Prutz modern übersetzen - existenziellen psychischen Krisen sind für die Konstitution sozialen Sinnes unerheblich. Und heute könnte hinzugefügt werden, wer sie nicht mit sich selber abmachen kann, dem steht der Weg zum Psychiater offen.166 Die >rein religiöse Angelegenheit« im Innern des Individuum kommt für Prutz überhaupt erst zu einer tatsächlichen Existenz, wo sie als »plastisches Gebilde, lebendig in die Welt schreitet, da erst ist sie wirklich vorhanden, da erst kommt sie in Betracht, da erst zwingt sie uns auf, auf sie zu achten«. Und: »es gibt, im Bereich des Menschen, keine andere wahrhafte Existenz, als allein die Existenz im Staate, es gibt kein anderes lebendiges Dasein, als allein politisches Dasein. Was nicht im Staate zu existieren weiß, existiert überhaupt nicht; was sich nicht politisches Dasein verschafft, ist überhaupt nicht da.«167 Prutz' Sicherheit der Gedankenführung bricht sich dort, wo er nach Worten sucht, die politische Daseinsebene zu umschreiben: »Diese Welt des Wirklichen nun aber, diese allgemeine Verkörperung der Idee, dies (um es recht eigentlich zu bezeichnen) Reich Gottes auf der Erde ist nun eben - der Staat] die bürgerliche Welt, die Welt des Rechten, als der verwirklichten Freiheit!« 168 Vollendung der Religion, weil das Reich Gottes auf Erden >recht eigentlich< da ist, oder Ende der Religion, weil es nur eine politische Daseinsebene gibt? Und wie sind die religiösen Bewegungen in dieser Alternative unterzubringen? Prutz konstatiert: Alle religiösen Bewegungen »von den Altlutheranern bis zu den Neukatholiken, von den Pietisten zu den Lichtfreunden, allesamt stimmen sie darin zusammen, daß sie freie Religions«&«jg haben, daß sie unabhängig religiöse Körperschaften, mit einem Worte: daß sie freie selbstberechtigte Gemeinden bilden wollen.« Der Kern ihrer Forderungen sei ein politischer: »diese vermeintliche religiöse
Bewegung der Gegenwart ist gar keine religiöse, sie ist eine politische Bewegung.« Daraus folgt: »Politik treiben wir, auch indem wir lichtfreundliche und pietistische und deutschkatholische Versammlungen halten: warum nicht auch die Politik treiben als Politik? warum, nicht die theologische Kapuze abwerfen«?169
382
Aber wie soll die »Kapuze« abgeworfen werden, wenn die in der religiösen Bewegung Engagierten die Hülle für den Kern nehmen? Was Prutz schließlich übrig bleibt, ist ein Appell, der wieder dementiert, daß die Bewegung politisch ist: »führt Eure Kriege wenigstens im Stillen, beschränkt Euch, wie es geschrieben steht, auf Euer Kämmerlein, tragt Euern innerlichen Wirrwarr nicht auf Gassen und Märkte, pumpt Eure kleinen quakenden theologischen Frösche nicht auf zu Riesen -: wenn nicht um der Freiheit, nicht um des Vaterlandes, nicht um Eures Vorteils - o so wenigstens um des guten Geschmacks willen!! — Denn sonst verschlingt diese theologische Barbarei uns alle.«170 Offensichtlich muß die Analyse anders angelegt werden, um jenes Versteckspiel auflösen zu können. Auch für Jordan steht fest, daß es sich unter der Maske der Religion um Politik handelt, daß hinter dem Schild der Glaubensfreiheit der Unglaube sich verbirgt. Aber die Angelegenheit sei komplizierter, nämlich so, »daß jene Maske zugleich eine Maske für den Maskierten ist und daß dieser Schild zugleich auf die, die ihn führen, wie eine Tarnkappe wirkt, d. h. daß sie selbst es nicht einsehen, wie die Glaubensfreiheit, die sie meinen, nicht eine Freiheit im Glauben, sondern eine Freiheit vom Glauben ist; wie sie zwar unter dem Zeichen des Kreuzes zu siegen trachten, aber in Wahrheit gegen das Kreuz selbst.«171 Angesichts der rückwirkenden Maskierungen muß das Phänomen Religion genauer erklärt werden. Woher kommt die gedoppelte Tarnung? Zur selben Zeit, als Marx und Engels in der >Deutschen Ideologie< die Grundlinien des historischen Materialismus fixieren, schreibt Jordan über die objektiven Kräfte, die der Religion ein Ende bereiten: »Man verkennt immer noch viel zu sehr die Leiblichkeit und Sinnlichkeit, die materiellen Grundmotive der Geschichte. Nicht aus dem Hirn einsamer Denker blüht ungezeugt und durch ein mystisches Wunder dasjenige hervor, was einen neuen Umschwung in die Menschheitsschicksale bringt, und nicht allgemeine, erst zum Bewußtsein kommende und dann umgestaltend in die Wirklichkeit eingreifende Prinzipien sind die Hebel neuen Geschehens, sondern umgekehrt: erst nachdem naturgemäß und allmählich enstandene neue Bedürfnisse die Völker in eine neue Tätigkeitsrichtung hineingezogen und so andere Zustände erzeugt haben, bewirkt der Überblick derselben das Bewußtsein, welchem dann alles zufällt, so bald es ausgesprochen wird.«172 Schon die Naturgeschichte kenne Revolutionen, aber die praktische Tätigkeit der Menschen habe zu einer weit größeren Umgestaltung der Welt geführt. Der Mensch »vernichtet, indem er die Naturgegenstände und seine eigenen Verhältnisse zu ihr (der Natur, d. V.) umbildet, nicht allein d;e handgreiflichen Wesen und Dinge der Welt, sondern unvermerkt auch die ganze frühere Welt seiner eigenen Gedanken, denn diese ist ja nichts, als das zusammenfassende Spiegelbild von jenen, das notwendig mit ihnen zugleich aus seiner Vorstellung verwischt werden muß.« Aus dieser Perspektive legitimiert sich die Rede vom Ende der Religion, denn es müßte einsichtig sein, daß »die Geistesform, Sitte, Gesetz, Religion vergehen müsse, wenn die äußeren Verhältnisse, wenn der Wohnort, die Bedürfnisse, die Tätigkeit des Volks durch seine eigene Arbeit oder durch die Macht anderer Völker verwandelt sind.« 173
383
Was Jordan 1845 entwirft, ist ein veritabler historischer Materialismus. Zwei Fragen schließen sich an: 1. welchen äußeren Verhältnissen entsprach die Religion? Antwort: »Der Boden, auf dem das Christentum erwachsen, und die Bedingung, unter der allein es noch gedeihen konnte, war das menschliche Elend und die Unwissenheit über die Natur.« 2. Sind diese Bedingungen heute noch gegeben? Die Antwort lautet: perspektivisch gesehen nein. An Wunder glaube niemand mehr so recht, die Verbreitung der Ergebnisse der Naturforschung sei nicht aufzuhalten. Und das Elend? Mitten in den Auseinandersetzungen um den >Pauperismus< diagnostiziert Jordan: es gäbe zwar »noch genug Elend in der Welt. Aber ich meine, doch lange nicht mehr genug zum guten Fortgedeihen des Christentums.« Er verweist auf die Aufhebung der Leibeigenschaft und auf »die ins unglaubliche gestiegene Industrie«. Sie habe »mit wohltätiger Hand eine Menge von Bedarfsbefriedigungen und Genüssen, die früher nur den Mächtigen der Erde zu Gebote standen, der großen Masse zugänglich gemacht und wieviel Jammer und Not auch noch ungestillt bleibt, das kann niemand bestreiten: die Summe des allgemeinen Wohlseins ist nicht bloß gegen frühere Jahrhunderte, sondern selbst gegen eine weit jüngere Zeit unermeßlich gewachsen und die Zahl derer um ein beträchtliches zusammengeschmolzen, welche die Erde mit Fug und Recht ein Jammertal nennen dürfen.«174 Was die Gegenwart als religiöse Bewegung erlebe, sei der »Todeskampf des Christentums«. Dies sei ein verdeckter Prozeß, weil fast alle den Todeskampf leugnen, »obgleich sie alle unbewußt mit Hand anlegen, es desto schneller unter die Erde zu bringen.« Politisch betrachtet sei der Deutschkatholizismus »nichts weiter als Liberalismus unter religiöser Vermummung«, und angesichts der Forderung von Teilen der Lichtfreunde, »die Erde zum Himmelreich zu machen, was man nur durch Vereine erreichen könne«, stellt Jordan fest: »Glaubt man nicht französische Sozialisten sprechen zu hören, die bekanntlich aufs klarste nachweisen, daß das Christentum weiter nichts sei, als reiner Sozialismus und Kommunismus?«175 Religion, Politik, Industrie - wie ist dies magische Dreieck aufzulösen? B. Bauers Vollendung der Religion ist für Prutz und Jordan ihr Ende. Für Prutz, weil jeder Glaube unter dem Gesetz des öffentlichen Lebens steht, für Jordan, weil Industrie und Naturerkenntnis den Wurzeln der Religion, Elend und Unwissenheit, keine Nahrung mehr geben. Für Jordan stirbt die Religion geradeso in der Industrie, wie sie bei Prutz in der Politik verendete. Der Streit wäre zu lösen, wenn die >Atheisten< um B. Bauer sich damit zufrieden gäben, die Vollendung der Religion nur als Informalisierung, als Unbestimmtheit letzter Werte zu diagnostizieren. Aber der religiöse unkenntliche Rest, läßt er sich einsperren in das Prutzsche »Kämmerlein«? Muß er nicht wieder herhalten für die Lösung der säkularen Probleme? B. Bauer schreibt: »Man hat in der neuern Zeit selbst unter denen, die für den Fortschritt kämpfen, das Wort >Religion< gehört - entweder so, daß gesagt wird, jedem sei der Beruf und das Geschäft, dem er sich widme, seine Religion, müsse wenigstens seine Religion sein, oder so, daß gefordert wird, die Begeisterung für die allgemeinen Ideen, Staat, Freiheit, Kunst, Wissenschaft, müsse die Form der Religion annehmen oder die Religion der Menschen bilden.«176
384
Der religiöse Rest wird wieder bestimmend für die »Formfrage«. Auf den Staat bezogen fragt B. Bauer: »Soll die Hingabe und Begeisterung als Religion wieder das Verdunsten des wirklichen bestimmten Gedankens sein?« Und was die Industrie angeht, fragt er: »Soll der Mensch darin seine Religion finden, daß er zeitlebens nichts anders tut, als diese bestimmte Maschine für die Zubereitung einer bestimmten Schraube zu beaufsichtigen?«177 Ende der Religion? Vollendung der Religion? Ein Streit um Worte, ganz ohne Zweifel. Und dieser Streit um Worte dauert an. Er ist das zentrale Problem religionssoziologischer Theoriebildung.178 Haben wir es im Zusammenhang der Herausbildung der modernen Gesellschaft mit einem irreversiblen Prozeß der Säkularisierung zu tun, oder täuschen wir uns, wenn wir die greifbaren Erscheinungen von Entkirchlichung mit Entchristlichung gleichsetzen179, oder gibt es gar keine Säkularisierung, weil sich eine unabdingbare Religiosität heute in anderen symbolischen Wirklichkeiten zeigt, die die Leistungen religiöser Sinngebung übernommen haben180, oder ist gar in gegenwärtigen Gesellschaften ein Überschuß an religiösen Glaubenssystemen vorhanden, denen nur »sozialwirksame Vermittlungsformen« fehlen?181 Und was soll bei alledem noch Religion genannt werden? Diese Arbeit ist nicht der Ort, detailliert auf die heutige Debatte einzugehen, sie ist gleichwohl der Ort, nach dem sozialen Sinn des Streits um Worte und gerade der Worte in dieser Sache zu fragen. Wenn wissenssoziologische Bemühungen über die traditionelle Vorlage, der Frage nach sozialer Lage und Bewußtseinsformen, hinauskommen sollen, so darf der Streit um Worte gerade nicht als belanglos abgetan werden. Jede diskutierende Intellektuellengruppe steht vor dem Problem, Modi auszubilden, mit denen der Unterschied zwischen einem Streit mit Worten über Sachen und einem Streit, der mit Worten bloß über Worte geführt wird, fundamentalisiert werden kann. Daß dieser Unterschied in der Diskussionspraxis fortlaufend unterminiert wird, daß die Rufe »Zurück zur Sache!« und »Zurück zu den Worten!« nicht enden wollen, gehört ebenso zum Alltag von Intellektuellengruppen. Wo es jedoch darum geht, festzustellen, was noch Religion genannt werden kann, geraten auch jene Regulative in Bedrängnis, die den genannten Unterschied fundamental sichern sollten. Die Gruppe muß entscheiden, ob sie sich noch weiter über die Sache oder das Wort >Religion< streiten will. Für die Gruppe der Junghegelianer stellt sich die dramatische Frage, ob die Religionskritik vertieft fortzusetzen ist oder ob das bisher geleistete ausreicht. Diese Weichenstellung ist gravierender als alle Entscheidungen, die zuvor getroffen werden mußten. Der Übergang von der Schule zur Partei wurde einhellig gefordert. Die Differenzen in der Einschätzung des Liberalismus führten zwar zur Spaltung der Gruppe, aber weil es hier auch um pragmatische Dimensionen und taktische Bündnisfragen ging, enthielt dieses Problem noch Spielräume eines verdeckteren oder offeneren Radikalismus. Die Alternative >Theorie und Masse< versus >Theorie statt Masse< riß tiefere Gräben auf, aber es handelte sich hier noch um Suchbewegungen nach einem gesellschaftlichen Ort der Intelligenz, der auf beiden Seiten, der Seite des in der Masse aufgelösten Intellektuellen und der Seite des einsamen Kritikers, kein gesicherter Ort war. Die Kritik der Religion war jedoch das geheime Band der Gruppe, sie war ja überhaupt, angefangen mit Strauß' >Leben Jesu<, das Konstitutionsmerkmal der Gruppe.
385
Ende 1843 beginnt Marx die >Einleitung zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophien »Für Deutschland-ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.« Jetzt geht es um anderes, jetzt, »nachdem das jenseits der Wahrheit verschwunden ist« und »nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist«. Es geht um eine Transformation: »Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.«1*2 Ebenso urteilt Rüge im selben Jahr in seiner Rezension von Feuerbachs >Wesen des Christentums^ Für Rüge steht fest, »daß die Kritik und Phänomenologie des bestimmten und entschiedenen, d. h. des wirklichen und inhaltsvollen christlichen Glaubens, hiermit vollendet ist.« Feuerbach beende einen Prozeß der Religionskritik, der mit der Aufklärung begonnen habe. Die Aufklärung sei ein Kampf gegen die Religion gewesen, ohne »das Wesen der Religion« zu ergründen, mit Feuerbach sei dagegen die Religion endgültig erklärt. Der Kampf der Aufklärung habe sich nur auf das »böse Wesen« der Religion gerichtet. »Feuerbachs Darstellung ist gerecht, denn sie behandelt beide Seiten, das gute und das böse Wesen der Religion, mit gleicher Gründlichkeit.« Feuerbachs Kritik »ist das begriffene Wesen, während die Kritik der Aufklärung nur das begriffene Unwesen darstellt«.183 Gegen die Rede vom Ende der Religionskritik erhebt sich Widerspruch. Feuerbach habe keineswegs die Religionskritik vollendet, meint Stirner, und bemerkt, »daß die Religion noch bei weitem nicht in ihrem Innersten verletzt wird, solange man ihr nur ihr übermenschliches Wesen zum Vorwurfe macht«. Und die voreiligen Gruppenmitglieder weist er darauf hin: »Das Heilige läßt sich keineswegs so leicht beseitigen, als gegenwärtig Manche behaupten, die dies >ungehörige< Wort nicht mehr in den Mund nehmen. Werde Ich auch nur in Einer Beziehung noch >Egoist< gescholten, so bleibt der Gedanke an ein Anderes übrig, dem Ich mehr dienen sollte als Mir, und das Mir wichtiger sein müßte als Alles, kurz ein Etwas, worin Ich Mein wahres Heil zu suchen hätte, - ein >Heiliges<. Mag dies Heilige noch so menschlich aussehen, mag es das Menschliche selber sein, das nimmt ihm die Heiligkeit nicht ab, sondern macht es höchstens aus einem überirdischen zu einem irdischen Heiligen, aus einem Göttlichen zu einem Menschlichen.«184 Auf die Anmerkung der Redaktion der EB zu B. Bauers religionskritischen Schriften, »die kommende Generation« würde »es lächerlich finden ( . . . ) , gegen solche Lächerlichkeiten (gemeint sind die Prinzipien der Theologie, d. V.) noch mit Ernst und Pathos zu protestieren«, reagiert B. Bauer: »diese Zukunft war für die Radikalen schon längst vorhanden: sie fanden die Ausführung der Kritik, d. h. die wirkliche Kritik selbst schon überflüssig und lästig«. Aber: »Diejenigen Radikalen, die das Ende der Religion und Kirche schon erlebt zu haben glaubten, hatten sich allerdings geirrt und zu früh auf die Sympathien eines glaubenslosen Volkes gerechnet«.185 Warum tangiert die Frage, ob Religionskritik weiterhin an erster Stelle stehen soll oder ob sie überflüssig ist, die Gruppe in besonderem Maße? Eine mögliche Antwort wäre: die tief erliegende soziale Identität der Junghegelianer, die einige Metamorphosen der Gruppenidentität mitgemacht hatte, kommuniziert durch
386
ihre Wandlungen hindurch mit der religionskritischen Thematik. So wäre der Widerspruch zu erklären, daß auf allen Seiten, auch jenseits des Streits über das Ende der Religionskritik, der Vorwurf, noch an Resten der Religion festzuhalten, die Auseinandersetzung dominiert. B. Bauer sagt von Strauß: »Das Werk von Strauß ist nicht das Äußerste, weil es noch theologisch, noch orthodox, also auch noch gegen die Geschichte gewalttätig und noch nicht die reine Erkenntnis der Geschichte war.«186 Und B. Bauer wirft Feuerbach vor: »Die Gattung Feuerbachs ist das Absolute Hegels, die Indifferenz Schellings, das Fichtische Ich, das Kantische Ding an sich, die Urmonade des Leibniz', die Substanz Spinozas der Gott des Christentums - Religion, Philosophie. Auch die Gattung Feuerbachs existiert nirgends und nimmer als nur im Himmel des Gemüts und auf dem bestirnten Wolkengrunde der Phantasie.« Feuerbach »begeht und hegt und pflegt den Grundirrtum der Religion und das Unheil und Unglück aller religiösen Anschauung, nämlich, daß der Mensch nicht Er selber ist«. Gelangte Feuerbachs Gattung »irgendeinmal zur Wirklichkeit, käme der Feuerbachsche Gattungsmensch in irgendeinem Individuum zur Existenz, so wäre der jüngste Tag, die Vollendung, das Ende des Menschengeschlechts erschienen.« Und nicht fehlen darf die klassische Frage: »Hat er die Religion aus einem anderen Grunde vernichten wollen, als nur daß er seine Religion an ihre Stelle setze?«187 Marx und Engels dagegen verteidigen Feuerbachs Auflösung der Religion; für sie bilden umgekehrt B. Bauer und seine Anhänger »die Heilige Familie«. Der Vorwurf religiöser Befangenheit kann hin und her geschoben werden. Für G. Julius hat jedoch gerade B. Bauer die Leistung vollbracht, »die in nichts geringerem besteht, als in der Verweltlichung der Theologie, (. . .). Was Feuerbach für den einzelnen Menschen getan hat, indem er ihm sein wahres Wesen wiedergegeben, das hat Bauer für die menschliche Gemeinschaft, für die Geschichte getan; in der Entfremdung, die Feuerbach in der religiösen Anschauung des Menschen erkannt hat, sieht Bauer das gemeinsame Prinzip der Zustände, der Institutionen, des ganzen Lebens in der christlichen Welt; während die Theologie bei Feuerbach sich in Anthropologie auflöst, löst sie sich bei Bauer in der Erkenntnis des gesamten menschlichen Wesens in seinen verschiedensten Erscheinungen, also vornehmlich in Geschichte auf.« Marx habe das »Bauersche Prinzip, in dessen Anwendung auf den Staat noch konsequenter ausgeführt und dazu noch gründlicher von der theologischen Fassung befreit, als Bauer selbst getan hat.«188 B. Bauer wird dem nicht zustimmen. Marx sei ein »Feuerbachscher Dogmatiker«. »Er muß die Kritik verdrehen, er muß sie zu einer kristallinischen Formation umgestalten, er muß sie versteinern, aus ihrer flüssigen Form heraus und den Kritiker aus seiner Menschlichkeit weg in den Himmel der Substanz erheben, die Kritik zum Blauen, zum Himmel, und den Kritiker zum Schaume und Traume, zum Gott machen, also er muß eine Kritik in seinem Kopfe aushecken und einen Kritiker aus seinem Gehirne zusammenkneten, um gegen diese und diesen, d. h. gegen seinen eigenen Schatten und gegen sein eigenes Gespenst zu Felde zu ziehen.«189 Stirner entdeckt bei Feuerbach, B. Bauer und Marx imposante Reste religiöser Befangenheit und muß sich im Gegenzug dafür von Feuerbach sagen lassen, sein »Einziger« sei ein »unverdauter Rest des alten christlichen Supranaturalismus«.190 B. Bauer schilt Stirner einen »Dogmatiker«, der »nicht weiter und nicht vom
387
Flecke kommt«. »Der Einzige ist der letzte Zufluchtsort in der alten Welt, der letzte Schlupfwinkel, von wo aus sie ihre Angriffe auf eine von ihr ganz verschiedene, und darum von ihr unverkennbare Gestaltung machen kann. Der Einzige ist die Substanz, fortgeführt zu ihrer abstraktesten Abstraktheit.«191 Und für Marx ist Stirner, »Sankt Max«, derjenige unter den Religionskritikern, der die Welt »en bloc heiligsprechen und sie damit ein für allemal abfertigen konnte.«192 Die gegenseitigen Vorwürfe, noch religiös zu sein, durchziehen alle Kontroversen, niemand bleibt verschont, selbst gesicherte Lager zerreiben sich in diesem veritablen Intellektuellenkrieg aller gegen alle. Handelt es sich bei diesem Gruppengeschehen um die Aufrechterhaltung einer »Konfession des Atheismus«, von der B. Bauer an Rüge schreibt?193 Aber der Begriff >Atheismus< entzweit, selbst die Brüder Edgar und Bruno Bauer. Für Edgar ist »>Atheist< noch ein viel zu religiöser Ausdruck (...). Der Kritiker will aber nicht bloß immer in Gegensatz, im Kampf mit dem religiösen Bewußtsein bleiben: er will siegen, jenes ganz von sich abwerfen: er will Mensch sein; sagen wir also fortan nicht mehr: der Kritiker ist ein Atheist, sondern: der Kritiker ist ein freier Mensch.«194 Umgekehrt ist für Bruno Bauer im gleichen Jahr der Name >Atheismus< unverzichtbar. »Wir nennen uns Atheisten; solange wenigstens müssen wir uns auch diesen Namen der Verneinung beilegen, als es nottut, gegen die Aufdringlichkeit der Religion uns zu wehren, und als es noch nicht lächerlich geworden ist, gegen die Vergangenheit und die Gefangenschaft, die bisher als die Bestimmung der Menschheit galt, zu protestieren.«195
Die mikroskopische Suche nach Resten von Religion hat soziologisch betrachtet den Auflösungsprozeß der Gruppe zur Folge. Das Verfahren erinnert zwar an die gesteigerte Aufmerksamkeit gläubiger Sekten, die überall, auch in feinsten Spuren, das Wirken böser Mächte vermuten, aber der junghegelianische Kampf gegen die Religion hat nichts Einigendes, im Gegenteil: er ist der wuchernde Spaltpilz der Gruppe. Der religiöse Rest wird gleichsam von Hand zu Hand gereicht, ausgestoßen und hereingeholt. Er kursiert in einer geschlossenen Kette von Tauschakten. In diesem gegenseitigen Tausch, in dem der eine seine befreite Position gegen die Unfreiheit des anderen austauscht, verdampfen die gnostischen und chiliastischen Muster. Die Erlösung durch Wissen wird zur leidenschaftlichen Sophistik, und das Jüngste Gericht ist nur noch ein komisches Motiv.196 Wenn K. Korsch später von der Marxschen Theorie sagen wird, daß die Überwindung der Religion selbst noch die Form einer Religion habe197, so trifft er damit sicherlich einen Aspekt, der gerade für die Junghegelianer zutrifft, die relativ früh die religionskritische Debatte für beendet erklären. Der Vorwurf des Nihilismus bzw. des Sophismus wird die treffen, die nicht auf die Extermination auch der nachwachsenden Götter verzichten wollen. Dies ist aber eine Frage der Wirkungsgeschichte. Für den Gruppenzusammenhang liegen die Probleme noch etwas anders. Die Frage stellt sich: wie ist Säkularisierung in dieser Gruppe möglich? Wer einer religiösen Gemeinschaft angehört und spürt, daß seine Einstellungen sich verweltlichen, wird aus der Kirche oder der Gemeinde austreten. Und der »Austritt aus der
388
Kirche« war ja auch - wie erinnerlich - das große provokative Thema der >Freien<. Kann aber eine Gruppe, die Religionskritik treibt, deren Mitglieder mit der Konfession des Atheismus< umhergehen, sich säkularisieren? Brüche der Selbstdeutung der Gruppenmitglieder sind hier unvermeidlich. Denn für die >konsequenten Junghegelianer< bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder war die Gruppe immer und von Anfang an ein säkulares Unternehmen, dann ist die Härte der Religionskritik in den eigenen Reihen schwer verständlich, oder die Gruppe war doch so etwas wie eine »unsichtbare Kirche«, dann hatte die Religionskritik die Funktion, sie noch unsichtbarer zu machen. Die eine Deutung wächst sich aus zu der These, auf einer tieferen Ebene sei es den Junghegelianern gar nicht um die Kritik der Religion gegangen, sondern diese sei nur ein der Gruppe verfügbares Substitut für säkulare Probleme gewesen. Die andere Deutung entdeckt gerade in der Verlagerung und im Austausch des religiösen Restes< die Kontinuität eines sich transformierenden, neu verkleidenden Gottes, eine Kontinuität, die es zu erkennen gelte, um die Kritik der Religion zu vollenden. Entweder es bleibt ein >Rest< als gespensterhafter Schatten, der das Bewußtsein vernebelt, oder unter diesem Rest liegt eine säkulare >letzte Instanz<, die das Maß der Verhaltensmöglichkeiten bestimmt. Alle Typen junghegelianischer Gruppenbildung sind Übergangsformen. Daher wäre diese Alternative nur dann zu entscheiden, wenn man die Spezifität einer Übergangssituation außer acht ließe. Im Moment des Übergangs jedoch sind beide Alternativen kopräsent, durchkreuzen sich und tauschen einander aus. Dieser Gruppenzustand ist weit entfernt von einer lähmenden Paralyse, im Gegenteil führt gerade die Nichtentscheidbarkeit zu einer Vertiefung und Anreicherung der gegensätzlichen Positionen, die ohne diese spezifischen Übergangszustände der Gruppe gar nicht denkbar gewesen wäre.
8. Gewißheit und Gruppe Wenn es eine >Konsequenz< in der Gruppe der Junghegelianer gibt, in einer Intellektuellengruppe, für die Konsequenz ein zentraler Wert ist, so ist es die Konsequenz der Auflösung. Konsequent ist die Forderung Herweghs, »man müsse die Freiheit bis zum Wahnsinn lieben« 198, und konsequent ist die Einsicht B. Bauers, »daß die Verrücktheit des Geistes wissenschaftlich nicht widerlegt werden kann«.199 An der Forderung wie an der Einsicht haben mehr oder weniger je nach Temperament alle Junghegelianer festgehalten. Jeder stand vor dem Problem der wie es Rüge hegelianisch formuliert - »Aufnahme der absoluten Mächte des Geistes ins Gemütsinteresse und in den Willen«, und Rüge nannte dies eine »intensivere und höhere« Religiosität.200 Ich möchte dies >Gewißheit< nennen - ein Terminus, der für den Soziologen mehr aufschließen kann, wenn er sich an L. Wittgensteins Bemerkung hält: »Die Gewißheit ist gleichsam ein Ton, in dem man den Tatbestand feststellt, aber man schließt nicht aus dem Ton darauf, daß er berechtigt ist.«201 Der Ton der Gewißheit ist in der junghegelianischen Rhetorik kaum zu überhören. Wer in der Gruppe erfolgreich mitmusizieren will, muß diesen Ton anschlagen.
389
Die Gewißheit der Junghegelianer ist mehrdimensional. Zunächst weist sie auf einen >religiösen Unterbaue ein Erbe Hegels, der die Gewißheit des Glaubens mit der Gewißheit des Geistes identifizierte. Die Gewißheit der Junghegelianer hat aber zugleich auch eine rationale Seite, wenn es um die Gewißheit des Wissens geht. Sie verschaffen sich durch intellektuelle Arbeit eine Gewißheit der Kompetenz, die sie nach außen und gegeneinander offensiv zur Schau stellen. Verzicht auf Analyse, die gläubige Hinnahme der Wahrheiten ist »der Selbstmord des Geistes«. Die >Waffe der Gelehrsamkeit gibt Sicherheit.202 Die Gewißheit bezieht sich aber auch noch auf eine dritte Seite. Es ist die Gewißheit, in einem Bunde mit der geschichtlichen Entwicklung zu stehen, sei es >objektiv<, indem Wandlungen der Gesellschaft ihren Thesen bestätigend entgegenkommen, oder >subjektiv<, daß sie selbst relevante Geschichte machen oder sie doch wenigstens entscheidend vorbereiten. Wie aber funktioniert Gewißheit, wenn sie nicht als Gewißheit eines einzelnen in den Blick genommen wird, sondern wenn mehrere Individuen mit einer ähnlich strukturierten mehrdimensionalen Gewißheit eine Gruppe bilden? In diesem Sachverhalt liegen viele Geheimnisse des Junghegelianismus beschlossen. Die gegenseitige beredte oder schweigende Versicherung, daß die sich kenntlich machende subjektive Gewißheit akzeptabel ist, möchte ich >Sozialisierung von Gewißheit< nennen. Gehen wir den einzelnen Dimensionen nach. Wir hatten oben daraufhingewiesen, daß unter religionssoziologischem Aspekt die religiöse Unmittelbarkeit eine Seite des gnostischen Habitus darstellt, gleichsam den Gegenpol zur systematischintellektualistischen Gotterkenntnis. Eine gegenseitige Versicherung von Heilsgewißheit und Glaubensgewißheit durch sakramentale Formen oder solche, die daran erinnern, scheidet aus. Ohne diese Formen ist diese Ebene der Gewißheit aber schwer zu sozialisieren, weil sie nur als eine je situative gegenseitige Anerkennung realisierbar ist. In den pathetischen Formulierungen, die gerade der Organisator Rüge gefunden hat, mögen für die Gruppenmitglieder vielleicht kurze Momente eines Gefühls von Integration der Gewißheiten auf dieser Ebene stattgefunden haben. Um von Dauer zu sein, hätten diese Augenblicke auch einer tiefergehenden Anerkennung bedurft. Aber der Gedanke einer »Gemeinde der Wissenden« ist in der Gruppe nicht unangefochten, denn es lauert hier der junghegelianische Erzfeind: die Dogmatik. »Wozu noch denken? Die absolute Wahrheit ist ja gefunden, jetzt gilt es daher, begeistert von ihr, das tausendjährige Reich zu begründen.« 203 Und daß gerade die religiöse Gewißheit der Gruppenbildung entgegen kommen könnte, ist zweifelhaft, denn: »Religions-Differenzen - und zwar die reinen, wahren Religions-Differenzen, die Differenzen in dem reinen, geoffenbarten Religions-Glauben - sind ewig und unausgleichbar. Jede Partei glaubt, der wahre Ausdruck des menschlichen Wesens zu sein, jede muß daher die andere verleugnen, für unmenschlich erklären und in der Entfremdung gegen sie so weit gehen, bis sie ihr so fremd ist, wie eine Tiergattung der anderen.«204 Kann die Gewißheit des Wissens in einer Gruppe sozialisiert werden? Betrach-
390
ten die Junghegelianer das religiöse Bewußtsein in erster Linie als ein individuelles, gemütvolles Phänomen, so ist für sie Vernunft und Kritik ein kollektives Phänomen. Gewißheit des Wissens ist von vornherein eine Gruppenangelegenheit. Hier könnte Ruges Idee von der »geistigen Demokratie« wirksam werden. Besser als situative gläubige Unmittelbarkeit können die Prozesse der Kritik gruppenförderlich sein, zumal hier Formen der Versachlichung möglich sind. Sozialisierbar wäre die kritisch sich vergewissernde Gewißheit des Wissens, wenn in der Gruppe gilt: »Willkür - ( . . . ) solch eine tyrannische Macht würde bald aus der Republik der Wissenschaft hinausgeworfen werden. Es ist vielmehr das Charakteristische der Kritik, daß sie sich ganz genau - sie allein ganz genau - auf das Wesen der Gegenstände einläßt und dasselbe erklärt.«205 Welchen Modus der Kritik setzen die Junghegelianer voraus? Die Kritik erkenne »nichts, nichts von vornherein als wahr an, ja, sie richtet sich gerade gegen alles das, was darum weil es ist, heilig, unverletzlich und der Vergänglichkeit entzogen sein will.«206 Dieser Modus der Kritik richtet sich nicht nur nach außen, sondern wird auch innerhalb der Gruppe praktiziert, denn es besteht die Gewißheit, daß - wie B. Bauer schreibt - »eine Unternehmung deshalb nicht glücklicher wird, wenn zufällig zu ihr zusammenkommende für einen Augenblick ihre Differenzen vergessen«.207 Die Kritik richtet sich »gegen sich selbst und ihre eigenen Anhänger«, denn »um Verbündete ist es der Philosophie nicht zu tun«.208 Dieser Modus der Kritik führt zu dem, was man >Narzißmus der kleinsten Differenz< nennen könnte. Versachlichung beruhigt das Gruppenfeld keineswegs. Die Genauigkeit der Kritik entdeckt fortlaufend Widersprüche und Risse, die zur Sprache gebracht werden müssen, um nicht sachlich ungenau zu werden. Das soziologische Problem der Gewißheit des Wissens besteht darin, daß sie sich nur in einer sachlich argumentierenden Gruppe einstellen kann, daß aber die diskutierte Sache, als symbolische Wirklichkeit, der Zeit entrissen werden muß. Es sind endlose Diskussionen, die die Junghegelianer führen. Die Zeit, die sich die Gruppe nimmt, hält die Individuen zusammen, auch wenn sie, dem Narzißmus der kleinsten Differenz folgend, heillos zerstritten sind. Wie wir oben im Zusammenhang der philosophischen Schule erörtert haben, verhindert jedoch die dialektische Logik, die jeder praktiziert, (die Logik, differierende Standpunkte als Einheit zu begreifen, weü sie hegelianisch nur Momente einer Sache sind), eine rasche Ausstoßung von Positionen. Sich-in-Widerspruch-setzen ist der >Moral< der Gruppe nicht abträglich, sondern geradezu gruppenkonform. Der Begriff >Toleranz< wäre hier zu ungenau, denn in der junghegelianischen Argumentation erscheint Toleranz nur als ein zeitweilig akzeptables Verhalten. Toleranz beläßt die differenten Positionen im Kern, wie sie sind, und zügelt nur die Leidenschaftlichkeit der Äußerung. Was B. Bauer in anderem Zusammenhang formuliert hat, kann auch für die Gruppe gelten: »Wir nennen es nicht mehr Toleranz, sondern: die aus dem Haß, aus zänkischer Tobsucht und aus der Verfolgung in den Begriff erhobene Dialektik der Gegensätze, die innerlich zusammengehören und innerlich sich verständigen müssen.«209 Warum funktioniert dieses Konzept nicht? Einen wichtigen Hinweis gibt G. Julius in seiner Charakteristik B. Bauers. Julius spricht psychologisch bei Bauer von einem »Vereinzelungstrieb«. Dieser habe sich »zunächst nur als negative Beziehung auf Gegensätze« dargestellt, aber er
391
»mußte endlich die positive Voraussetzung hervorkehren, nämlich daß dieses bestimmte Individuum das wahrhaft Allgemeine vertrete, daß seine Ansichten Entscheidungen des geschichtlichen Geistes seien. Mit dieser ungeheueren Zuversicht wächst auch die Härte gegen andere, die sich nicht unbedingt unterwerfen wollen, ihr Widerstand wird als in Verfinsterung und Beschränktheit gegründet, angesehen.« So erklärt sich für Julius die Genauigkeit der Kritik, der Narzißmus der kleinsten Differenz: »Diese Weise hat sich immer bei Bauer erhalten, daß er, um seine Selbständigkeit, seine Einzigkeit zu wahren, den ihm am nächsten stehenden Standpunkt zum Gegner hinüberschiebt und als die eigentliche Vollendung des Gegensatzes ansieht; die nächste Nähe wird solcherweise zur ungeheuersten Ferne«.210 Dasselbe kann man auch von anderen Gruppenmitgliedern sagen. Feuerbach und Marx, Heß und E. Bauer, Stirner und B. Bauer, und wie immer man die Paare zusammenstellen mag, sie trennen nicht ganze Welten, sondern sie trennt eine winzige Differenz. Ihre gegenseitige Polemik ist notorisch haarspalterisch. In der Gewißheit des Wissens liegt ein abgründiges Paradox, auf das Julius aufmerksam macht: »Man würde hier allerdings mit Recht von Selbstvergötterung reden können, nie scheint sie entschiedener, zuversichtlicher hervorgetreten zu sein, denn nicht nur die allgemeine Ansicht, sondern jede einzelne Äußerung derselben wird als untrüglich gestempelt. Aber andererseits ist diese Selbsterhebung auch Selbstverleugnung, die nichts wissen will, als was der Gegenstand selbst gibt, nichts Apartes, nichts Besonderes.«211 Wo die Gewißheit des Wissens sozialisiert wird, entstehen zwei gegenläufige Bewegungen. Eine Bewegung der >Entindividualisierung<: nur die Sache zählt, versachlicht wird alles, nicht zuletzt die Wandlungen in den Auffassungen, die zur >Identität< gehören. Es kann vergessen werden, wer da jeweils spricht. Wert hat, was an den Sätzen, die fallen, mit der symbolischen Wirklichkeit der Sache harmonieren könnte. Die >Selbstverleugnung< hört auf, wo ich mich erinnere, daß ich es war, der diese Sätze sagte, die - wie mir die Zeichen der anderen signalisieren - mit der symbolischen Wirklichkeit der Sache für einen Augenblick harmonierten. Diese Erinnerung erfüllt mich mit einer erhebenden subjektiven Gewißheit, die um so größer ist, je mehr ich mich zuvor, mich selbst verleugnend, der Sache >hingegeben< hatte. Diese Gegenläufigkeit von >Selbsterhebung< und >Selbstverleugnung< passiert allen in der Gruppe, sofern sie angespannt diskutieren. Wer aussteigt, muß sich sofern er nicht glaubhaft machen kann, daß er zu müde zum Weiterdiskutieren ist - den Vorwurf der Nichtauflösungswilligkeit von Bornierungen gefallen lassen, den er nur entkräften kann, wenn er wieder in den Prozeß einer Extermination aller Bestimmtheiten an sich selber einsteigt. Da ich aber nicht genau weiß, wann in der Ewigkeit der Debatte der andere sich >erhebt< oder sich >verleugnet<, ist die Gewißheit des Wissens in ihren eigenen Bewegungsformen nicht sozialisierbar. Andere soziale Einrichtungen müssen hier zu Hilfe kommen, die der sachlichen Debatte entzogen sind. Ist die dritte Ebene der Gewißheit, die geschichtsphilosophisch fundierte
392
Gewißheit, eher dazu geeignet, die Gruppe zusammenzuhalten? Auf den ersten Blick könnte man dies annehmen. Im Bunde mit dem Fortschritt, dem Weltgeist zu sein, in dieser Gewißheit können Gruppenspannungen auf die, Zukunft verlagert werden. Und in ihren letzten utopischen Träumen finden sich kaum Differenzen in der Gruppe. Bei allen ist das Ziel die Emanzipation der Menschheit, deren geschichtliche Notwendigkeit außer Frage steht. Sie sind sicher, in einer revolutionären Zeit zu leben, die ihren Gedanken entgegenkommt, und sie sind sicher, Avantgarde zu sein. Dennoch bleibt die Frage, ob die Umgangsweisen mit der Kontingenz der Zukunft kollektivierbar sind. Für Rüge »gehört die ganze Stärke der Philosophie dazu, an die Realisierung der Vernunft mitten in der Unvernunft zu glauben«. Um diese im religionskritischen Terrain des Jahres 1843 etwas unpassende Formulierung zu bestärken, setzt Rüge hinzu: »Wir meinen dies ernstlieh.«212 Woher kommt die >Kraft< für die geschichtsphilosophische Gewißheit vom schließlichen Sieg der Vernunft? Sie zehrt von einem Widerspruch: »Es ist offenbart, aber es ist verborgen nach wie vor. Dieser Widerspruch ist der Trieb der Geschichte, diese Not die Lust des Kampfes, seine Phasen die Probleme der Zeiten, ihre Lösung die Jubelperioden großer Siege, und das Mitgefühl dieser Kämpfe, dieser Zweifel und dieser Siege die Religion und die höchste Befriedigung des Menschen.«213 Die geschichtsphilosophische Gewißheit allein wäre kaum durchzuhalten, wenn nicht die Befriedigung im »Mitgefühl« der geschichtlichen Kämpfe hinzutritt. Anders geht E. Bauer mit dem Problem um. Er schließt sein Hauptwerk mit den Worten: »Und wenn Ihr sagt, unsere Theorien möchten sich vielleicht in zweitausend Jahren, wenn die Menschheit eine ganz andere geworden ist, verwirklichen, so antworten wir: geschichtliche Ereignisse lassen sich nicht nach Jahreszahlen berechnen: und wenn manchmal hundert Jahre der Tyrannei und Stumpfheit die Menschheit kaum merkbar vorwärts brachten, so ist oft ein Jahr hinlänglich, durch neue Gedanken einen Umschwung anzuregen und hervorzubringen. Die Tage wiegen, aber zählen nicht - das ist der Trost des freien Mannes.«214 Mit diesen beiden Positionen ist die Spannbreite der Möglichkeiten geschichtsphilosophischer Gewißheit angegeben. Entweder kontinuierliche Teilnahme an der Geschichte, dauerndes »Mitgefühl«, oder qualitative Zeitwahrnehmung von Tagen, die zählen, und solchen, die nicht zählen. In dieser Spannbreite ist geschichtsphilosophische Gewißheit eher gruppenzersetzend als einheitsstiftend. Denn der, für den sich diese Gewißheit im kontinuierlich mitgefühlten Tageskampf realisiert, muß dem, für den es eine qualitative geschichtsphilosophische Zeiterfahrung gibt, als ein nur zeitweilig Mitbeteiligter erscheinen. Umgekehrt kann letzterem die »höchste Befriedigung« in der Kontinuität des Kampfes geradezu als eine Form von geschichtsphilosophischer Ungewißheit erscheinen, weil die Differenz zwischen geschichtsphilosophisch relevantem Handeln und diffuser Betriebsamkeit verwischt ist. Der Flaneur hält sich bereit in der Langeweile seiner Tage, von denen nicht gewiß ist, ob sie zählen oder nicht. Der kommunistische Agitator hat jeden Tag etwas-zu tun. Auf allen drei Ebenen von Gewißheit entwickeln die Junghegelianer Selbst- und
393
Gruppendeutungen, die Gruppenkohärenzen fortlaufend unterminieren. Dennoch stehen wir vor einem Paradox, wenn wir anerkennen müssen, daß im Vergleich zu anderen Gruppenbildungen sich die Junghegelianer gerade durch die Intensität und Dichte ihres Zusammenhangs auszeichnen. Sich aus diesem Zusammenhang zu lösen, hat allen enorme Anstrengungen abverlangt, Anstrengungen, von denen bemerkenswerte Partien noch heute für diskutabel gehalten werden können. Das Beispiel Marx ist sicher das bekannteste. Sein stufenweiser Lösungsprozeß: die Trennungen von B. Bauer, von Feuerbach, von E. Bauer und Stirner, von Heß und Rüge haben maßgeblich das profiliert, was als seine Leistung in die Geschichte eingegangen ist. - B. Bauers Trennung von den Junghegelianern, die 1844 mit der Forderung nach der >Einsamkeit der Kritik< beginnt, erforderte nicht weniger Anstrengung. Das Resultat der Trennung ist ein anderes als bei Marx, aber nicht weniger beeindruckend. Die Figur des >Einsamen Kritikers< ist für spätere Generationen, für Nietzsche ebenso wie für Adorno, stilbildend geworden. - Stirners Abrechnung mit den Junghegelianern in >Der Einzige und sein Eigentum< gab nicht nur Marx und Engels den entscheidenen Anstoß zur Konturierung ihres historischen Materialismus, seine Denkfiguren, nach 1848 vergessen, sind von existentialistischen Philosophen des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen worden, nachdem die literarische Boheme zu Beginn dieses Jahrhunderts in ihm ihren Apostel gefunden hatte. Die Reihe ließe sich fortsetzen, aber die Wirkungsgeschichte junghegelianischer Ideen ist nicht das Thema dieser Arbeit. Bleibt zu fragen, warum die Lösung von der Gruppe so schwer war, warum solche intellektuellen Leistungen vollbracht werden konnten und mußten, um mit den Verbindlichkeiten der Gruppe zu brechen oder sie zu überwinden. Vielleicht kann einer der späten Junghegelianer, Karl Schmidt, hierüber Auskunft geben. K. Schmidt schließt sich als Student den Junghegelianem zu einem Zeitpunkt an, da die Gruppenaktivitäten schon ihre ersten Höhepunkte hinter sich hatten. 1843 ist ihm »Hegel der Gott des Denkens«, er stürzt sich in die Lektüre: »Fast Tag und Nacht habe ich seit einem halben Jahre Hegel studiert und - ich glaube jetzt einen Schritt in's Heiligtum getan zu haben.« 1844 wird seine Gewißheit gebrochen, er schreibt in sein Tagebuch, daß Strauß gegen Hegel Recht habe. Er geht über zu Feuerbach, kritisiert ihn und verfolgt intensiv die Wendungen der Debatte.215 Das Resultat erscheint 1846 anonym unter dem Titel »Das Verstandestum und das Individuum«. K. Schmidt zeichnet die Logik der Gruppenauseinandersetzungen akribisch nach: Der Lehrer der Schule, Hegel, sei der Gipfelpunkt der Philosophie, aber er habe auch »die Schlange am Busen erwärmt und genährt, die ihn und mit ihm alle Philosophie mit giftigem Todeshauche treffen mußte. Er war als der absolute Philosoph zugleich die Negation der Philosophie.«216 In der Konsequenz der Kritik überwinden sich alle Standpunkte sukzessiv: Strauß'>Leben Jesu<, B. Bauers Evangelienkritik, Feuerbachs Religionskritik, die Debatte um die Judenfrage, E. Bauers Kritik des Staates, die reine Kritik der ALZ, Marx' und Engels' Kritik der kritischen Kritik, Feuerbachs Humanismus, Stirners >Einziger<, - sie alle bilden eine Kette von Überwindungen. Die junghegelianische Kritik ist für K. Schmidt ein
394
nicht enden wollender Prozeß. Wie aber kann mit ihm selbstgewiß abgerechnet werden? Was K. Schmidt aufzeigen will, ist die Logik des »Verstandestums«. Der Kritiker »darf sich nie irren und nie geirrt haben, weil er nichts Apartes, nicht Selbständiges, nichts Besonderes, nichts Einzelnes ist, weil er sich selbst verleugnet und in seinem Sprechen nicht mitspricht, weil er alle Endlichkeit und Beschränktheit aufgegeben und sich ergeben und hingegeben hat an die heilige Göttin >Kritik<. >Der Kritiker< war der Totengräber der alten Zeit, der Totenanzeiger von dem, was kein Leben mehr hatte. Er ward von dem allgemeinen Tode, der über den Erdkreis ging, nicht erwürgt, bis der Tod Alles erfaßt hatte und der Kritiker gestorben war, weil er nichts mehr zu begraben hatte. - Die Kritik ist der Tod, der alles alte und morschgewordene Leben verzehrt; hat er's verzehrt, dann ist er selbst nicht mehr. Sie ist der Weg, der passiert werden mußte, um den siebenten Himmel, die Geistigkeit in Person, die Heiligkeit in ihrem vollen Pathos, das Geister- und Verstandestum in seinem ganzen Umfange und damit und dadurch die ebene Erde zu erreichen: wer aber immer passiert, kommt nimmer an! — Halt! . . .«?11 »Halt!«, d. h. Gewißheit ist für K. Schmidt nur im Bruch mit der Gruppe zu erreichen, in einer Gewißheit, die sich den Gruppenzumutungen der Kritik verweigert. Im Bruch wiederholt er noch einmal die Geste Stirners: »Ein Ruck tut Mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der Glieder schüttelt die Qual der Gedanken ab, ein Aufspringen schleudert den Alp der religiösen Welt von der Brust, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Lasten ab. Aber die ungeheure Bedeutung des gedankenlosen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht 218 erkannt werden.« Aber konstitutiert der Bruch nicht doch wieder einen Zusammenhang? Ist nicht auch Stirners gedankenloser >Einziger< wieder nur eine Fortsetzung des >Verstandestums Und ist das >Individuum<, das K. Schmidt nach seinem »Halt!« im zweiten Teil seines Werkes all dem entgegensetzt, nicht auch eine Verlängerung des kritischen Prozesses? Wie aus den >Gesetzen< der Gruppenkommunikation herauskommen? K. Schmidt hat dies Problem in einer Weise gelöst, die deutlich macht, welche Dramatik das Verhältnis von Gewißheit und Gruppe bei den Junghegelianern erreicht hatte. Sein Bruch endet mit einer Wendung an die perspektivischen junghegelianischen Kritiker: »Du meinst, ich habe nun >erklärt<, was das Individuum sei, und Du wollest mich nun wie einen Dogmatiker oder Kritiker zerledern und zerfleischen. Nimm Dir die Mühe nicht. Oder ich will Dir die Mühe nehmen, wenn ich sage, daß das Individuum nicht Individualität ist, weil >Individualität< das Extrakt aus dem Individuum, der Geist ist, sondern daß das Individuum nur die Beschreibung und Charakteristik eines, dieses ganz bestimmten Individuums war und auch nicht war. Ich nehme meine Charakteristik zurück, weil sie wahr und falsch ist, weil ich in der Sprache und mit >der Sprache< eine Charakteristik dieses Individuums nicht geben konnte, weil ich darin die absolute Fülle und die absolute Leere des Individuums nicht erschöpft, und weil mir nichts daran liegt, daß Du >weißt<, oder vielmehr viel daran liegt, daß Du >nicht weißt<, ob ich bin und wer ich bin und wer ich nicht bin. Das Individuum ist die Kritik, nicht reine, nicht kritische, nicht historische, sondern individuelle,
395
eigene, einzige Kritik. Das Individuum ist nicht zu fassen und nicht zu haben, steht keine Rede und keinem Rede. >Ich bin ich selbst allein.< —«219
Der auf mehrdimensionaler Gewißheit aufgebaute Gruppenzusammenhang kann erst ohne Abstriche am erreichten Niveau der Sprachspiele verlassen werden, wenn der Autor sich weigert, überhaupt noch Rede und Antwort zu stehen, wenn er die Spannungen zwischen sozialisierbaren und nicht sozialisierbaren Elementen der Gewißheiten annulliert. Und um das Maß voll zu machen und keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Annullierung aufkommen zu lassen, veröffentlicht K. Schmidt in der von den Junghegelianern erbittert angefeindeten EKZ Hengstenbergs eine Rezension seines Buches.220 K. Schmidt bezeichnet sein eigenes Buch als »einen Beitrag zur Geschichte menschlicher Narrheit«. Es sei »an sich allerdings nicht wert, daß man auch nur ein Wort darum verlieren sollte, geschweige denn die Durchlesung desselben zu empfehlen.« Höchstens sei es ein »Kompendium für die Geschichte der neuesten Philosophie«, die eine »philosophische Komödie von 1835 bis 1845« darstelle. »Das haltungslose Subjekt schuf Hirngespinste und zerstörte diese ebenso schnell wieder. Endlich wird es an sich selbst und seinem Geist irre.« Die Selbstrezension schließt mit den Worten: »Die Philosophen würden sich künftighin einen Wald zum Aufenthalte wählen, und da mit Gebärdenspiel (!) eine Unterhaltung führen, wenn auch dies nicht Inkonsequenz wäre.«221 Selten hat ein Autor sein Werk zugleich mit seinem Erscheinen wieder annulliert. Von Verrat gegenüber der Gruppe zu sprechen wäre viel zu ungenau. Der Verrat an den Gruppenprinzipien ist in allen Übergängen und Überlagerungen der Gruppendefinitionen präsent und manifest gewesen. Diese >absurde< Tat hat auch wenig mit dem >Unsinn machen< der Boheme gemein, die >über alles hinaus< ist. Eher ist an eine Konversion zu denken. Jedenfalls sprechen K. Schmidts nachfolgende Arbeiten davon.222 Kann das Phänomen >Konversion< in einen sinnvollen Zusammenhang mit den erörterten Problemen, mehrdimensionale Gewißheiten zu sozialisieren, gebracht werden? Nötig wäre, zunächst angesichts der Konversion den Blick nicht in erster Linie auf den neuen Glauben zu richten und ihn in Korrespondenz mit der neuen sozialen Figuration, in der der Konvertit sich bewegt, zu betrachten, sondern den Blick auf das verlassene Gelände zu richten. Für die Intellektuellengruppe, in der Argumente getauscht und zugleich Definitionen entworfen werden, mit denen der Tausch begrenzt werden kann, stellt Konversion sich als ein Abbruch des Austausches und als ein Abbruch der Anstrengungen dar, Begrenzungsregeln für den Tausch zu finden und aufrechtzuerhalten. Bezogen auf die Gewißheitsfrage vereinfacht der Konvertit die Mehrdimensionalitäten, es scheint, als ob er vor dem Sozialisierungsproblem mit einer dramatischen Geste kapituliert. Aber diese Kapitulation - kann sie nicht auch als eine letzte Herausforderung interpretiert werden, eine Herausforderung, mit der eine Entgrenzung des Tausches erzwungen werden soll? Unser Erschrecken angesichts plötzlicher Konversion, die mit einem >Identitätswechsel< einhergeht, den wir auch aus der Nähe nicht haben heraufziehen sehen, verweist vielleicht auf die dunkle Ahnung, daß sich der Tausch von Argumenten, die Begrenzungen der Diskurse, die gegenseitigen Befrie-
396
digungen der Gewißheit - daß sich diese sozialen Formen und Prozesse um die gegebene Unvorhersehbarkeit von Ereignissen lagern, die, gleich wie eine unerwartete Konversion, nicht geheuer sind. Eine Soziologie von Intellektuellengruppen hat nicht zuletzt dies Erschrecken der entspannten Vernunft zugänglich zu machen.
Anmerkungen 1 Die einschlägige Literatur zu den religionsphilosophischen Debatten ist in der Einleitung dieser Arbeit aufgeführt. An dieser Stelle sei hingewiesen auf F. W. Graf, F. Wagner (1982 b). Die Edition enthält eine ausführliche Bibliographie. Aus der neueren theologischen Diskussion ist zu nennen: F. Wagner (1976 a). 2 Bekanntlich wies Strauß auf den Widerspruch in der Hegelschen Religionsphilosophie hin, der mit der orthodoxen Deutung der Christologie gegeben sei. Auf der einen Seite würde Hegel behaupten, daß sich das Wesen Gottes im Prozeß der Weltgeschichte überhaupt erst offenbare, auf der anderen Seite hielte Hegel aber an der Figur Christus als Gott-Mensch und Verkünder der absoluten Wahrheit fest. Strauß folgerte nun aus diesem Widerspruch, daß, wenn sich das Wesen Gottes im Laufe der gesamten Geschichte sukzessiv prozeßhaft offenbare, der historische Christus logischerweise nur einen Teil dieser Gesamtoffenbarung bilden könne. Die Konsequenz dieser Interpretation war, daß das, was in den Evangelientexten über Christus gesagt worden ist, was als Konstituens der christlichen Religion galt, eben keinen ewigen absoluten Wert mehr haben konnte. Strauß' Überlegungen gingen aber noch weiter. Wenn die Texte, in denen über Christus berichtet wird, nur ein vorübergehendes Moment der Gesamtoffenbarung waren, wie stand es dann überhaupt mit der Figur Jesus Christus? Strauß kam schließlich zu dem Schluß, daß es ein Irrtum sei, zu glauben, Jesus habe als Mensch tatsächlich existiert. Die Evangelien waren für Strauß gleichsam Schilderungen von Phantasie-Geschehnissen, die aus einer Art Kollektivbewußtsein hervorgegangen waren. Gott war für Strauß nicht mehr der persönliche Jesus Christus, sondern ein quasi unpersönlicher Gott, philosophisch gesprochen: die Substanz der gesamten Weltgeschichte, die sich hier im Christentum vorübergehend Mythen gebildet hatte. Strauß bestritt überhaupt die Möglichkeit, daß sich Gott als Substanz in einer einzelnen Person offenbaren könne. Den Christuskult interpretierte Strauß als ein Symbol der Idee der Menschheit, der Idee der Gattung. In vielen Punkten finden wir Gemeinsamkeiten zwischen Strauß und Feuerbach: der Straußsche Substanzbegriff hat mit Pate gestanden beim Feuerbachschen Materialismus ebenso wie Strauß' Christologie (Christus als Menschheitssymbol) für den Feuerbachschen Begriff der Gattung und der Anthropologie. B. Bauer greift Strauß' Thesen auf, legt aber gegenüber der Idee einer kollektiven mythenbildenden Substanz mehr den Akzent auf die Verfasser der Evangelien als einzelne Autoren. Nach umfangreichen Studien, die er in den Arbeiten >Kritik des Johannes< 1840 und >Kritik der Synoptiker< 1841—42 veröffentlichte, kam B. Bauer zu dem Resultat, die Evangelien seien nur der jeweilige freie Ausdruck der Verfasser, also Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Hinter den einzelnen Evangelien ständen jeweils deutlich unterscheidbare Einzelpersonen. Die Evangelisten seien aber nicht einfach nur Chronisten, die etwas aufgeschrieben hätten, was ihnen erzählt worden wäre, sondern die Evangelisten seien gleichsam Schriftsteller oder Theoretiker, die das Christentum schöpferisch erfunden hätten. Die Urchristen selbst hätten nur ganz vage Vorstellungen
397
von Leben und Tod und Auferstehung Christi gehabt, die als kollektive Mythen existierten, aber es sei die gedankliche Leistung des einzelnen Evangelisten gewesen, für die Gemeinden ein System von Aussagen zu produzieren, das ihren Intentionen und zugleich der gesamten Situation der Zeit entsprach. Der einzelne Schriftsteller ist dabei zugleich ein Moment des allgemeinen menschlichen Selbstbewußtseins, das sich B. Bauer zufolge in der Geschichte schrittweise entfaltet. Treffend hat R. Gottschall formuliert: B. Bauer »kritisiert die Evangelien wie Produktionen schriftstellerischer Kollegen in einer Literaturzeitung«. (R. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur, 1872, Bd. 2, S. 168) In der religionsphilosophischen Differenz, Gott mehr als >Substanz< oder mehr als >Selbstbewußtsein< zu begreifen, liegt theoriegeschichtlich gesehen schon die Spaltung der Gruppe in mehr auf Kollektivität, >Gattung< und >Masse< bauende Emanzipationstheoretiker und solche, die dem einzelnen produktiven kritischen Bewußtsein den Vorzug geben. Zum theologiegeschichtlichen Kontext vgl. A. Schweitzer (61951); H. Weinel (1914); E. Barnikol (1958). Wie sehr die christologische Thematik heute wieder ins Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Theologie und Soziologie rückt, zeigt der Beitrag von F. Wagner (1976 b). 3 MEW Bd. 1, S. 378 und 379. 4 MEWBd. 3,S. 159. 5 H. Leo, Die Hegelingen, S. 43 und 5. 6 H. Marggraff, Deutschlands jüngste Literatur- und Culturepoche, 1839, S. 355 und 424. 7 Ch. H. Weiße, Die philosophische Literatur der Gegenwart. 2. Artikel, in: ZPsT 7 (1841) S. 108. 8 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 171 f. Vgl. K. Löwith (1964) S. 33. 9 A. Ruge, Sendschreiben anj. Görres, in: HJ 1838 Sp. 1195. 10 A. Ruge, Der Pietismus und die Jesuiten, in: HJ 1839 Sp. 287. U. Otto (1968) weist zu recht darauf hin, daß es sich bei der schlichten Gleichsetzung von Reformation und Gedankenfreiheit um eine historische Illusion handelt (S. 36). Zu den vormärzlichen Reformationsdeutungen siehe H. H. Brandhorst (1981). 11 A. Rüge, SenschreibenanJ. Görres, Sp. 1199. 12 W. Vatke, Rezension: R. Rothe, Die Anfänge der christlichen Kirche, in: HJ 1838 Sp. 1147. 13 A. Ruge, Der Pietismus und die Jesuiten, in: HJ 1839 Sp. 275. 14 A. Ruge, Rezension: Friedrich der Große und seine Widersacher, in: HJ 1840 Sp. 999. 15 EKZ 1840 Nr. 75 zit. nach: anonym, Der Jesuitismus der evangelischen Kirchenzeitung, in: HJ 1840 Sp. 1967. 16 Alle Zitate, einschließlich des Autors der >Minerva<: A. Ruge, Bruno Bauer und die Lehrfreiheit, in: An 1843, Bd. 1, S. 135 und 136. 17 anonym, Kritik und Partei, in: DJ 1842, S. 1177. — Die Unsicherheit der Lokalisierung der unsichtbaren Kirche im Felde der Philosophie wird deutlich bei Bayrhoffer: »Die bestehende Gemeinde der Idee, dieses Geisterreich, nennt man nun die Hegeische Schule, welcher mithin jene Arbeit der allseitigen Offenbarung und Verwirklichung der Idee obliegt. Auf den Ausdruck >Schule< ist kein Gewicht zu legen, da sich die Glieder der Idee vielmehr als deren lebendiges Dasein, wenn auch mit individueller Beschränktheit wissen. So wie vielmehr die christliche Gemeinde und die Gemeinschaft der Geister keine christliche Schule ist, so auch nicht die Gemeinschaft und Gemeinde der absoluten Idee, da sie ihrem Wesen nach der Beschränktheit der Schule entnommen ist, obschon allerdings jeder auch hier eine Schule durchzumachen hat und viele nie über die Schülerschaft hinauskommen. Die freien Männer der absoluten Philosophie in ihrer Gemeinschaft mögen
398
18
19 20 21
22 23
und wollen lieber genannt sein als >Geisterreich der Idee<.« (Bayrhoffer, Die Idee und Geschichte der Philosophie, 1838, S. 487 f.). Das »Geisterreich« ist bei Hegel der historisch »lange Zug von Geistern«, wie er sich in der Geschichte der Philosophie darstellt. (G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, S. 629) Mit »Gemeinde der Idee« versucht Bayrhöffer, eine synchrone Perspektive dem Hegeischen Begriff anzunähern. Für die Rezensenten handelt es sich dabei um eine neuralgische Stelle. Pfannkuch stößt sich am »unpassenden Ausdruck >Gemeinde der Idee<« (in: JWK 1841, Nr. 51, Sp. 402), und der Erfurter Schmidt urteilt: »Hiermit haben wir ihm (Bayrhoffer, d. V.) zugleich unsere Ansicht ausgesprochen über das >Geisterreich der Idee<, welches, so glänzend auch der Ausdruck gewählt ist, so ängstlich auch das Prädikat der Gemeinde und der Schule zurückgewiesen wird, doch zuletzt nichts anderes als Schule, ja nach der tiefern Eigentümlichkeit unseres Verfassers zu urteilen, sogar Gemeinde bedeutet. Allein die Bahn der Philosophie liegt hoch über Gemeinden und Gemeinde, und schreitet geistesfrei und geistesfroh über die Häupter der Schulen weg.« (in: HJ 1840, Sp. 560). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die von Price (1963) gewählte Formulierung »invisible College« für eine informelle Gruppe von Wissenschaftlern, die sich wechselseitig konsultieren. A.Ruge, Der christliche Positivismus und das Leben, in: HJ 1839 Sp. 2184. - Bezogen auf die protestantische Kirche schreibt B. Bauer: »wir werden nie die Mutter, die uns geboren, gesäugt und zuerst aufgezogen hat, vergessen, aber erwachsen sind wir in eine höhere Schule übergegangen, in die Gemeinde der Wissenschaft und der Religion, die sich über die Beschränktheit der besonderen Kirche und Konfession erhoben hat. Nicht die lutherische Kirche, auch nicht die reformierte ist untergegangen, sondern nur die Schranke, die sie zu dieser besonderen Kirche macht, ist aufgehoben ( . . . ) . Das Unsterbliche beider Kirchen ist in uns auferstanden«. (B. Bauer, >Landeskirche<, S. 14). G. Julius, Der Streit der sichtbaren mit der unsichtbaren Menschenkirche oder Kritik der Kritik der kritischen Kritik, in: WVjs 1845 Bd. 2, S. 330 f. H. Holborn (1966) S. 94. H. Stuke (1963) S. 74.-Seit dem Ende der 70erJahre zeichnet sich ein verstärktes Interesse von Historikern an religionsgeschichtlichen Fragestellungen ab, das deutlich an die religionssoziologische Forschung und Theoriebildung anschließt. Exemplarisch seien zwei methodologisch-theoretische Arbeiten genannt: W. Schieder (1977): R. v. Dülmen (1980). Eine historische Arbeit, die sich ausführlicher gerade mit den religiösen >Intellektuellensekten< in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befaßt, steht für Deutschland noch aus. Für Frankreich vgl. B. Viatte (1928). J. Gebhardt (1963) S. 14. Bei der Profilierung des gnostischen Habitus stütze ich mich auf: H.Jonas (1934); G. Quispel (1951); C. Colpe (1961); K. Rudolph (1978). Der Schwerpunkt dieser Arbeiten liegt auf der Erforschung der Gnosis als einer spätantiken Religion. Das Ende der Gnosis kann historisch in das 4. Jahrhundert gelegt werden. Die Wirkungsgeschichte der Gnosis ist äußerst komplex, teils finden Assimilierungen mit christlichem Gedankengut statt, teils gehen gnostische Elemente in die freigeistige oder häretische Spekulation ein. K. Rudolph (1978) bemerkt: »Im einzelnen ist der Nachweis historischer Kontiuität schwierig zu führen, da es sich vielfach um >unterirdische< Kanäle handelt oder um einfache ideengeschichtliche Konstruktionen von Zusammenhängen, wie sie auf philosophisch-historischem Gebiet häufig vorgenommen worden sind.« (S. 392) Gnostische Züge finden sich bei den Bogomilen, deren Lehre seit dem 8. Jahrhundert zunehmend auch auf westeuropäische Länder ausstrahlt und die Ketzerbewegungen des Mittelalters beeinflußt. Hier finden komplexe Vermischungen von gnostischen, mystischen und chiliastischen Systemelementen statt, die es erschweren, in jedem
399
24 25
26 27 28 29
Fall eine eindeutige Diskriminierung von gnostischen und chiliastischen Elementen vorzunehmen. Weniger im Zeichen einer religionsgeschichtlichen Erforschung der Gnosis, als vielmehr im Zeichen einer Kritik moderner Emanzipationsphilosophie stehen die Arbeiten von E. Voegelin. Er greift ein allerdings zentrales gnostisches Systemelement heraus: die Erlösung durch das Wissen. Dieser Aspekt der gnostischen Soteriologie setzt auf die zu erkennende Identität von realem Prozeß des Seins und der Erlösungsbewegung selbst. Diese Bindung führt Voegelin zufolge zu einem nicht mehr auflösbaren Willen zur Beherrschung des Seins. »Philosophie entspringt der Liebe zum Sein; sie ist das liebende Bemühen des Menschen, die Ordnung des Seins zu erkennen und sich auf sie einzustimmen. Gnosis will Herrschaft über das Sein; um sich des Seins zu bemächtigen, konstruiert der Gnostiker sein System. Das System ist eine gnostische Denkform, nicht eine philosophische.« (E. Voegelin (1958) S. 54) Die Erlösung durch das Wissen wird bei Voegelin abgesetzt gegen das liebende Tun, das sich in der agnostischen christlichen Tradition verortet. Vgl. auch: G. Sebba (1981) Gegen die Thesen Voegelins hat H. Blumenberg (1974) neuzeitliches Denken als endgültige Überwindung der Gnosis dargestellt, nachdem der erste Versuch ihrer Überwindung am Anfang des Mittelalters mißlungen war. Die humane Selbstbehauptung der Neuzeit gründet Blumenberg zufolge nicht in einer Säkularisierung religiöser Gehalte, sondern wird als »absoluter Anfang« (S. 88) gefaßt. - Daß die Gnosis-Diskussion keineswegs einfach zu beenden ist, zeigen erneut die Beiträge in J. Taubes (1984). K. Rudolph (1978) S. 310; M. Weber (1964) S. 399; H. Kippenberg (1981). Bei der Profilierung des chiliastischen Habitus stütze ich mich auf folgende Arbeiten: Zum mittelalterlichen Chiliasmus: B. Töpfer (1964); E. Benz (1934); A. Dempf ( 2 1954). Zum Gesamtkomplex: W. Nigg (1944); J. Taubes (1947); K. Löwith ( 4 1961); E. Benz (1973). Für die Rezeption chiliastischer Elemente im deutschen Idealismus vgl. darüber hinaus: E.v. Sydow(1914); W. Christian (1961); E. Benz(1955 a). Zur neueren theologischen Diskussion vgl. G. F. Borne (1979). H. Grundmann (1950); H. Mottu (1980). G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 20. Hegel an Schelling, Brief v. Jan. 1975, in: J. Hoffmeister (Hg), Briefe von und an Hegel, Bd. 1, S. 18. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 26 uznd 27. In diesem Bestreben, den Endzweck der Geschichte zu erkennen, sind zwei religiöse Fragen verflochten. Einmal geht es darum, »die Einsicht zu gewinnen, daß das von der ewigen Weisheit Bezweckte wie auf dem Boden der Natur so auf dem Boden des in der Welt wirklich tätigen Geistes herausgekommen ist.« (Ebd. S. 20) Es handelt sich hier um das Problem der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes im Hinblick auf »das Übel in der Welt«, das geschehen ist. Im strengen Sinne ist der Theodizeegedanke nicht notwendig mit dem chiliastischen Habitus verbunden, weil jener sich auf die Befriedung mit der Vergangenheit, dieser darüber hinausgehend mit der Projektion des zukünftigen Endzwecks der Geschichte befaßt. Bei Hegel erscheint nun in eigenartiger Weise der chiliastische Habitus zunächst nicht als Verlängerung des Theodizeeproblems, sondern als dessen Voraussetzung., »Wenn man nämlich nicht den Gedanken, die Erkenntnis der Vernunft, schon mit zur Weltgeschichte bringt, so sollte man wenigstens den festen, unüberwindlichen Glauben haben, daß Vernunft in derselben ist, und auch den, daß die Welt der Intelligenz und des selbstbewußten Wollens nicht dem Zufall anheim gegeben sei, sondern im Licht der Sivu «rissenden Idee sich zeigen müsse.« (Ebd. S. 14) Dieser Glaube kann chiliastisch oder gnostisch verstanden werden, als >Sich-zeigen< in der künftigen Geschichte oder im erlösenden Wissen. Daß dieser Glaube im Widerstreit mit der säkularen Form des Wissens steht, hat Hegel
400
30 31 32
33
deutlich gemacht, indem er sich selbst als Philosophen von diesem Glauben ausnimmt und ihn zu einer motivationalen Quelle herabsetzt. Hegel fährt unmittelbar fort: »In der Tat aber habe ich solchen Glauben nicht zum voraus in Anspruch zu nehmen. Was ich vorläufig gesagt habe und noch sagen werde, ist nicht bloß, auch in Rücksicht unserer Wissenschaft, als Voraussetzung, sondern als Übersicht des Ganzen zu nehmen, als das Resultat der von uns anzustellenden Betrachtung, ein Resultat, das mir bekannt ist, weil ich bereits das Ganze kenne.« (Ebd.) Hier hat die philosophische Lösung des TheodizeeProblems den chiliastischen Glauben gleichsam aufgesogen. Aber wie prekär diese Situation ist, zeigt der Fortgang der Argumentation, in der beide Stränge erneut auseinandertreten: »Es hat sich also erst aus der Betrachtung der Weltgeschichte selbst zu ergeben, daß es vernünftig in ihr zugegangen ist, daß sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen, des Geistes, dessen Natur zwar immer eine und dieselbe ist, der aber in dem Weltdasein diese seine eine Natur expliziert. Dies muß, wie gesagt, das Ergebnis der Geschichte sein. Die Geschichte aber haben wir zu nehmen, wie sie ist; wir haben historisch, empirisch zu verfahren«. (Ebd.) Zwischen dem »Müssen« des Endzwecks der Geschichte und ihrer hinzunehmenden Faktizität, zwischen chiliastischem Habitus und Rechtfertigung in einer Theodizee versucht Hegel eine riskante Balance herzustellen. B. Bauer, >Landeskirche<, S. 2. K. Rosenkranz, Rezension: G. W. F. Hegel's Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: JWK April 1833 Sp. 566. Erinnert sei hier nur daran, daß in Lessings »Erziehung des Menschengeschlechts« das fioritische Geschichtsmodell in die zentralen Aussagen Eingang gefunden hat. Lessings Kritik der revolutionären Ungeduld< steht in einer langen Tradition. Charakteristisch sein Hinweis: »Vielleicht, daß selbst gewisse Schwärmer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten, und nur darin irrten, daß sie den Ausbruch desselben so nahe verkündigten.« (G. E. Lessing, Gesammelte Werke, Bd. 9, 1856, S. 423) Der Tübinger Hegelianer F. Ch. Baur verbindet in seinem Werk, Die christliche Gnosis, 1835, nicht nur Religionsphilosophie und Gnosis, für ihn sind Schelling und Hegel gleichsam die zeitgenössischen Repräsentanten einer kontinuierlichen gnostischen Spekulation seit der hellenistischen Zeit. Zuvor erschien von Baur: Das manichäische Religionssystem, 1831. Ob Jakob Böhme zu den Gnostikern zu rechnen ist, wie dies Baur tat (vgl.: Die christliche Gnosis, S. 557 ff.), ist in den HJ umstritten. Für einen Rezensenten zeitgenössischer Böhme-Literatur ist Böhme »Philosoph«, die Gnostiker dagegen sind »Theologen«. »Die Gnostiker bemächtigen sich des Positiven als eines an sich unwahren, verstandlosen Körpers, dem sie die Seele erst einhauchen (. . .), während Böhme seine aus dem eigenen Innern entsprossenen Gedanken in die gegebenen Formen einer geoffenbarten Religion hineingießt« (Schnitzer, Rezension: W. L. Wullen, Jakob Böhmes Leben und Lehre, in: HJ 1839 Sp. 2119). Die Differenz bezieht sich auf den Unterschied zwischen freigeistiger und häretischer Spekulation, der sozial bedeutsam ist, weil mit ihm unsichtbare Kirche< verschieden lokalisiert wird. Einen interessanten rezeptionsgeschichtlichen Hinweis gibt Schnitzer, wenn er schreibt, Böhme werde »kaum erst seit 2 Jahrzehnten in dem Bereiche der Wissenschaft mit Achtung genannt.« Vorher sei er »nur in asketischen Vereinen der niederen Klasse gekannt und gelesen (. . .). Ref(erent) erinnert sich noch aus seinen Schuljahren, wie er als Lateiner von zwei Verehrern Böhmescher Geheimnisse, beide Damastweber (!), um Erklärung der fremden Ausdrücke in Böhmes Schriften angegangen wurde.« (Ebd. S. 2108) Bekanntlich war die Ketzerei bereits im Hochmittelalter gerade unter Webern weit verbreitet. Aus der Fülle von Aufnahmen chiliastischer Traditionselemente seien hier einige Zeilen
401
aus R. Gottschalls Gedicht »Lehrfreiheit« wiedergegeben. Auf die Gruppe der Junghegelianer bezogen heißt es: »Auf dem Tabor der Geschichte, Mit verklärtem Angesichte, Stehn die echten Gottgesandten, Die Verjagten, die Verbannten, Stehn in brünstigem Gebete Hingewandt zur Morgenröte (. . .)« (R. Gottschall, Censur-Flüchtlinge, S. 35) Über die Arbeiten von Stuke und Gebhardt hinaus sei zu diesem Komplex hingewiesen auf: P. Cornehl (1971); L. Kröner (1979). 34 A. Ruge, Sendschreiben an J. Görres, in: HJ 1839, Sp. 1198 ff. 35 B. Bauer, Rezension: Th. Kliefoth, Einleitung in die Dogmengeschichte, in: An 1843, Bd. 2, S. 150. 36 MEW Bd. 1, S. 391. - Wie aber könnte die Endzeit aussehen? In spekulativer Terminologie beschreibt sie Bayrhoffer: »Ist die Vollendung im Ganzen erreicht, so entläßt sich die ganze Idee nur noch in die Unmittelbarkeit der Welt, hat Alles im Begriffe verklärt, aber mit dem höchsten Losreißen der Idee von der Welt hat sich auch der Erd- und Menschheitsgeist allmählich losgerissen von der Materie oder ist im Extreme dazu versenkt in sie - und so hat sich die Weltgeschichte in dieser Bestimmtheit vollendet, die produktive Kraft erlischt, der Greis — stirbt - aber Gott lebt unendlich, und offenbart sich in ewigunendlicher Herrlichkeit stets von Neuem.« Die Vollendung ist: »Der Untergang der Menschheit und der Erde als Durchgang zu einem neuen Reiche der Entwicklung.« (K. Th. Bayrhoffer, Die Idee, 1838, S. 495 und 494). Konkreter ist die Vision von G. Maurer. Seine »Weltversöhnung« spielt in Paris, auf das der erzürnte Gott als »unmäßigste(n) aller Sammelplätze des Lasters« herabblickt. Er hört die Stimmen der Staatsmänner, Weltweisen und »reichen Lüstlinge«, die die Stimmen der Armen übertönen. Eines Morgens erlischt die Sonne in einer völligen Sonnenfinsternis. »Das Entsetzen stieg von Minute zu Minute. Straßen, Ufer und Spaziergänge füllten sich mit Menschen an, die sich befragten, umarmten, sich ermutigten, oder miteinander weinten. Der Starke lieh dem Schwachen seine Kraft; der verzweifelte Gelehrte bat den Unwissenden um sein Dafürhalten. Jeder fühlte das Bedürfnis, sich an ein anderes Wesen anzulehnen. Alles drückte sich die Hände, Reiche und Arme ohne Unterschied versammelten sich in dem großen Bruderkreis.« Damit begann die »erste Frage« der »Einigkeit und Gleichheit« sich zu lösen. In den folgenden Tagen der katastrophischen Dunkelheit lösen die Pariser sukzessive alle Konflikte und Spannungen untereinander auf, »und ein junger Morgen läche lte herab auf die wi edergeborene Menschheit.« (G. Maurer, Gedichte und Gedanken eines Deutschen in Paris, 1844, Bd. 2, S. 48-63, ZitateS. 58 und 63).
37 A. Rüge, Die Restauration des Christentums, in: DJ 1841, S. 609. 38 anonym, Zwei Vota über das Zerwürfnis zwischen Kirche und Wissenschaft, in: DJ 1842, S. 29. Der Anonymus führt aus: »Was unsere Vorväter, was die ganze bisherige Kirche für ein Äußeres, Fremdes, Jenseitiges, Zukünftiges, Überweltliches, Übernatürliches und Übermenschliches gehalten, ist seiner Wahrheit nach ein Inneres, Eigenes, diesseitiges, Gegenwärtiges, Innerweltliches, Natürliches und Menschliches; ihr habt nicht zu warten, bis es euch von außen eingegossen, bis die Wahrheit euch geoffenbart und die Sittlichkeit als Gnadengeschenk eingeflößt werden wird; vielmehr habt ihr in euch zu gehen, in die eigene Menschenbrust zu greifen, in Vernunft und Gewissen das Göttliche zu ergreifen und von innen heraus zu gestalten -: fürwahr, wenn diese Ansicht allgemein wird, dann wird erst ein neues, freudiges, tatkräftiges Leben sich regen, und der Mensch wird über den Himmel nicht die Erde, über der Zukunft nicht die Gegenwart verlieren, sondern das
402
Himmelreich wird Gewalt leiden, es wird auf die Erde herabgezogen und eben damit die Erde zum Himmel erhoben werden; die Seligkeit wird gegenwärtiger Genuß werden.« (Ebd.) 39 A. Ruge, die Restauration des Christentums, in: DJ 1841, S. 619. 40 Ebd. S. 610. 41 L. Buhl, Der Beruf der preußischen Presse, 1842, S. 5. 42 LFW Bd. 3,S. 322. 43 A. Ruge, Rezension: D. F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, in: HJ 1840, Sp. 2494. Die folgenden Zitate Ebd. 44 (E. Bauer), Das Juste-Milieu. Erster Artikel, in: RhZ 156 v. 5. 6. 1842 (Beiblatt). 45 A. Rüge, Wer ist und wer ist nicht Partei?, in: DJ 1842, S. 192. 46 (K. R. Jachmann), Preußen, in: EB 1843, S. 14. 47 Daß den Junghegelianern der historische Zusammenhang zwischen den nachreformatorischen Religionskriegen und den Anfängen der Parteibildung in England durchaus vertraut ist, zeigt Rutenbergs Artikel über »Radikalismus« im Rotteck-Welckerschen Staatslexikon. 48 K. Rosenkranz, Rezension: G. W. F. Hegel's Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: JWK 1833, Sp. 568. 49 M. Weber (1964) S. 318, auch S. 179. 50 A. Ruge, Rezension: D. F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre, in: HJ 1840 Sp. 1000 und 1001. 51 W. Hieronymi, Die Hegelianer als Lichtfreunde, 1847, S. 12 und S. 33, Bayrhoffer zit. Ebd. 32 (I. H. Fichte), Die philosophische Literatur der Gegenwart. 5. Artikel, in: ZPsT 9 (1842) H. 1, S. 137. 53 C. Ascheri (1969) S. 77 f., auch S. 102. - Wie sich Feuerbach in der gnostischen Tradition verortet, zeigt sein Verweis auf den spanischen GnostikerPriscillianin der Auseinandersetzung mit Leo (LFW, Bd. 2, S. 270 f.). Auf dem >Leipziger Konzil<, das Marx und Engels entwerfen, muß sich Feuerbach »wegen einer schweren Anklage des Gnostizismus« verantworten. (MEW, Bd. 3, S. 79) 54 LFW Bd. 3, S. 118, 119 und 121. - Beispiele für diese Hervorkehrung altchristlicher Prinzipien finden sich bei Feuerbach zuhauf. Von christlichen Mineralogen fordert er: »Wie würdig eines christlichen Mineralogen, nur in der Anschauung der Steine des himmlischen Jerusalems oder des Tempels Salomonis zu leben! - In der Tat, warum sollte der christliche Mineralog, wenn auch nicht alle Steine unserer lieben Erde in der Bibel enthalten sind, sich nicht demütig auf die Steine beschränken, welche in der Bibel enthalten sind, aber dadurch allein schon einen unendlichen Wert in den Augen des christlichen Mineralogen haben?« (LFW, Bd. 2, S. 280 f.) 55 LFW Bd. 2, S. 266 und 267. - H. Blumenberg (1974) faßt Ambivalenzen, wie die hier behandelten, als rhetorischen Stilwillen auf, der ganz in den Bereich ästhetischer Selbstartikulation des neuzeitlichen Bewußtseins falle. (S. 199 ff.) Den Streit, ob es sich um echte Gläubigkeit oder um ein ästhetisches Spiel handelt, kann der Soziologe ein Stück weit erhellen, wenn er die Selbstdefinitionsanstrengungen einer interagierenden Gruppe in den Blick nimmt. 36 E. Bauer, Der Streit der Kritik, 1843, S. 63. 57 LFW Bd. 2, S. 317. 58 B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin für evangelische Wahrheit gegenüber dem modernen Pietismus, in: An 1843 Bd. 2, S. 114. 59 A. Ruge, Das Selbstbewußtsein des Glaubens oder die Offenbarung unserer Zeit, in: DJ 1842, S. 580. 60 Auf das gravierende Forschungsdefizit im Bereich der Fragen des Verhältnisses von Kir-
403
ehe, Gemeinde und Gesellschaft im Vormärz hat R. v. Thadden (1983) aufmerksam gemacht. So habe sich z. B. die Erforschung des Liberalismus überwiegend auf dessen verfassungs- und gesellschaftspolitische Vorstellungen konzentriert und kirchenpolitische Fragen kaum berücksichtigt (S. 95). Wichtige Anregungen für meine Problemstellung verdanke ich R. v. Thadden (1980). 61 J. Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur, 1855, Bd. 3, S. 383. 62 Th. Mundt, Görres und die katholische Weltanschauung, in: Der Freihafen 1 (1838)
H. 2, S. 193.
63 H. Merz, Philosophie, Christentum und Kirche, in: Der Freihafen 4 (1841) H. 4, S. 18. Merz sympathisierte zunächst mit junghegelianischen Ideen und konvertierte dann zum Neupietismus. Zwischen ihm und den Tübinger Junghegelianern kam es zu einer öffentlichen Fehde. Vgl. E. Zeller, Zur Charakteristik der modernen Bekehrungen, in: JG 3 (1845), S. 14-32. Weitere Beiträge zu dieser Affäre, die typisch für die Konversionsproblematik und ihre Bewältigung in Intellektuellengruppen ist, finden sich im gleichen Jahrgang der JG. 64 P. F. Anderson, Die neuesten anabaptistischen Bewegungen in Dänemark, 1845. Zitate S. 139 und 140. Die »neue Ära« des Dombaus zu Köln beschäftigt die Gemüter. Nicht nur der preußische König sagt seine Unterstützung zu, auch die RhZ beschäftigt sich intensiv mit dem Dombau, der zu den differentesten Deutungen Anlaß gibt: »Da will der eine den Dom zum Tempel der Vernunft eingeweiht wissen; ein anderer, nachdem er kurz zuvor auf die Franzosen weidlich losgeschimpft, stiehlt ihnen ihre Pantheonsidee und läßt sodann die 58 freitragenden Pfeiler im Innern des Domes, eben so viel großen Geistern, als ihm z. B. sind Reuchlin, boehme, Novalis, Spee, Franz von Sickingen u. dgl. m. dedizieren, während ein dritter, der sich schon mehr zu mäßigen weiß, ihn bloß für die demnächst zu gründende deutsche Nationalkirche als Kathedrale in Vorschlag bringt, wo denn natürlich, im Geiste einer aufgeklärten Toleranz, neben Winfried auch Hermann der Cherusker und seine Thusnelda ihre Altäre bekommen würden, und immer so weiter.« (anonym, der Dom zu Köln, in: RhZ 9 v. 9. 1. 1842 (Beiblatt); vgl. auch Th. Nipperdey (1979) sowie weiterführend H. C. Seeba (1983). 63 F. Saß, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung. S. 178. 66 R. Prutz, Theologie oder Politik?, S. 14 f. und 19. 67 J. Jacoby an L. Walesrode, Brief v. 26. 3. 1846, in: Jacoby BW 1816-1849, S. 334. 68 Zu R ef or ma tio nsver gle ich e n un d der Ge sc hichte der Th e se vo n d er >u nv olle nd eten Reformation< vgl. H. H. Brandhorst (1981) S. 28 ff.; siehe auch Hegels Identifizierung von Reformation und bürgerlicher Revolution S. 146 Anm. 76 dieser Arbeit. Eine Parallelisierung von B. Bauer und Thomas Münzer findet sich bei Th. Mundt, Über die Vergleichung unserer Zeit mit der Zeit der Reformation, in: Der Freihafen 7 (1844), H. 1, S. 5. 69 P. F. Anderson, Die neuesten anabaptistischen Bewegungen, 1845, S. 141 und 142. 70 W. Nigg(1937)S. 93. Hingewiesen sei auf das Urteil Adornos (1955), »daß der Pietismus selber, wie alle Gestalten von Restauration, die Kräfte derselben Aufklärung in sich enthielt, der er sich entgegensetzte«. (S. 134) 71 F.Fischer (1951) S. 473. Vgl. auch G. Oestreich (1981) S. 1270; H. Plessner (1982) S. 50 ff. und 73 ff. 72 Das grundlegende Werk über den Pietismus stammt von einem Mitglied der Tübinger Schule: A. Ritschi (1880-1886). Eine »Krisenreligion« nennt M. Scharfe (1980) den Pietismus in seiner auf viele offene Probleme hinweisenden Arbeit. (S. 134) Von einem weiten Mantel< des Pietismus muß gesprochen werden, weil es sich um eine aus vielen verschiedenen Richtungen, sowohl >schwärmerischer< als auch >realistischer< Haltungen, zusammengesetzte Erscheinung handelt, die kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen ist.
404
73 Als informative und materialreiche Arbeit ist mir hilfreich gewesen: W. Lütgert (19231930), zum folgenden vgl. bes. Bd. 1, S. 221 f. 74 H. Steffens und F. D. E. Schleiermacher, zit. nach: W. Lütgert (1923) Bd. 1, S. 227 und S. 235. 73 Zu dieser Debatte um W. Lütgert und andere vgl. W. Nigg (1937) S. 116 f. 76 J. W. v.. Goethe, Dichtung und Wahrheit, in: Goethes Werke, Bd. 10, 51964, S. 42. Was hindert Goethe, Herrenhuter zu werden? Goethe spürt, daß die Brüder ihn nicht als Christen gelten lassen wollen. »Was mich nämlich von der Brüdergemeine, so wie von andern werten Christenseelen absonderte, war dasselbige, worüber die Kirche schon mehr als einmal in Spaltung geraten war. Ein Teil behauptete, daß die menschliche Natur nur durch den Sündenfall dergestalt gestorben sei, daß auch bis in ihren innersten Kern nicht das mindeste Gute an ihr zu finden, deshalb der Mensch auf seine eigenen Kräfte durchaus Verzicht zu tun, und alles von der Gnade und ihrer Einwirkung zu erwarten habe. Der andere Teil gab zwar die erheblichen Mängel der Menschen gern zu, wollte aber der Natur inwendig noch einen gewissen Keim zugestehen, welcher, durch göttliche Gnade belebt, zu einem frohen Baume geistiger Glückseligkeit emporwachsen könne.« (Ebd. S. 43 f.) Letzeres war Goethes Überzeugung, die er als »Christentum zu meinem Privatgebrauch« (Ebd. S. 45) ausbildete; Privatgebrauch, weil innerhalb der kirchlichen Orthodoxie diese Überzeugung keinen Raum fand. Mußte es Goethe doch erleben, daß er in einem geistlichen Gespräch »eine große Strafpredigt erdulden mußte. Dies sei eben, behauptete man mir entgegen, der wahre Pelagianismus, und gerade zum Unglück der neueren Zeit wolle diese verderbliche Lehre wieder um sich greifen. Ich war hierüber erstaunt, ja erschrokken. Ich ging in die Kirchengeschichte zurück, betrachtete die Lehre und die Schicksale des Pelagius näher und sah nun deutlich, wie diese beiden unvereinbaren Meinungen durch Jahrhunderte hin und her gewogt, und von den Menschen, je nachdem sie mehr tätiger oder leidender Natur gewesen, aufgenommen und bekannt wurden.« (Ebd. S. 44) »Allerdings könnten jetzt die bekehrten Wilden uns selber wieder Heidenbekehrer zuschicken« schreibt Jean Paul 1809, und er weist auf die kleinen Quäkergemeinden hin, in denen sich die Religiosität konzentriere. Besorgten Lesern hält er entgegen: »Übrigens wird man doch nicht in Zeiten religiöse Rasereien fürchten, wo es nur noch irreligiöse gibt.« (J. Paul, Über die jetzige Sonnenwende der Religion (1809), in: Jean Paul Werke, Bd. 10,1975, S. 1025 und 1031) 77 Zu diesem Komplex vgl. H. Hermelink (1951); Bd. 1; W. O. Shanahan (1954). 78 F. Fischer (1951) S. 474. Vgl. auch G. Kaiser (1961). 79 Daß auch die Rezeption der Hegelschen Philosophie mit erweckungsähnlichen Konversionserlebnissen verbunden gewesen ist, stellt J. Gebhardt (1963) S. 49 ff. heraus. Gebhardts Intention, hier speziell den Hegelianismus disqualifizieren zu wollen, trifft kaum: Konversionen und Bekehrungserlebnisse sind in dieser Zeit kein spezielles nur die Hegelschule umfassendes religiöses Erfahrungsmuster. 80 Zum Neupietismus vgl. K. Barth (1947) S. 462 ff.; R. M. Bigler (1972) S. 47 ff., 128 ff. u. a. Zitat; W. Nigg (1937) S. 144. 81 H. E. Frhr. v. Kottwitz, zit. nach: W. Lütgert (1925) Bd. 3, S. 124. 82 F. Fischer, Der deutsche Protestantismus . . . S. 478. 83 H. Steffens, zit. nach: W. Lütgert (1925) Bd. 3, S. 133. 84 zit. nach: W. Lütgert (1925) Bd. 3, S. 133. 85 Zu Hengstenberg vgl. R. M. Bigler (1972) S. 88 ff. In der EKZ wird der alte Pietismus kritisiert als »die abstrakt praktische, vom Kirchentum abgewendete Richtung des Pietismus«, die »zur Gleichgültigkeit gegen die Bestimmtheit und gegen die Tiefen der christlichen Glaubenslehren verleitet und dem Rationalismus den Weg gebahnt« habe. Dagegen versteht sich die EKZ als »die Partei des Fortschritts, des Fortschritts nämlich vom Pietis-
405
mus zum evangelischen Kirchentume.« (anonym, Die Partei der Evangelischen KirchenZeitung, in: EKZ 1846 Sp. 167) 86 R. Wittram (1949) S. 49. 87 H. Leo, Die Hegelingen, S. 25. Wilhelmine Canz hat >Eritis sicut deus< zum Titel ihres im Kapitel III, S. 296 dieser Arbeit aufgeführten Romans gemacht. Das Problem ist auch in unserer Zeit nicht verschwunden. F. W. Grafs 1982 erschienene umfangreiche Arbeit über D. F. Strauß mündet in eine Straußkritik, die im Vorwurf der Selbstvergottung gipfelt. An Strauß exemplifiziert Graf: »Der christologische Subjektentausch stellt somit ein Paradigma von Emanzipation überhaupt dar« (Ebd. S. 601). Aber in dieser durch den christologischen Subjektentausch eröffneten Emanzipation werde »das Freiheitsbewußtsein notwendig unterbestimmt. Denn für die Realisierung von Freiheit durch Emanzipation muß das Vermögen zur Freiheit als gegeben (!) in Anspruch genommen werden.« (Ebd. S. 604) Wo Freiheit nicht als »gegeben« anerkannt werde, komme es zu einer fragwürdigen »Erschleichung von Autonomie« (Ebd. S. 605). Die Abkehr von dieser Selbstvergottung ist Graf zufolge nur durch einen Rücktausch möglich: »Das Interesse der Freiheit aller gebietet es, das neue christologische Subjekt gegen das >alte< rückzutauschen.« (Ebd. S. 606) Grafs Arbeit schließt mit einer nachgerade klassischen Bekenntnisformel ab, die mich dazu verleitet, an eine Auferstehung neupietistischer Orthodoxie zu glauben. Hinweise dazu, daß es sich bei dem »Eritis sicut deus« um eine Bibelstelle handelt, die gerade auch von Gnostikern immer wieder ausgelegt wurde, finden sich bei E. Benz (1961) S. 49. 88 B. Bauer, >Landeskirche<, S. 47 und 68. 89 Ebd. S. 79. 90 Ebd. S. 91 und 84. - Daß B. Bauer nicht nur mit der calvinistisch-synodalen Tradition >abrechnen< will, sondern zugleich auch mit zentralen Gruppentraditionen der Intelligenz bricht, zeigt sein Vergleich: »Da der wesentliche Gehalt des kirchlichen Lebens unbekannt bleibt, kommt diese ganze >psychologisch-moralische Einwirkung< auf jene Idee der Aufklärung hinaus, welche Verbindungen stiftete, den Mitgliedern die Einbildung gab, sie wirkten für große Zwecke mit, — aber eben dieser Zweck war unbekannt, war ein Geheimnis, natürlich, weil er selbst Nichts war, Nichts sein konnte, da alle vernünftigen Interessen draußen in der Wissenschaft lagen und hier öffentlich genug verhandelt wurden.« (Ebd. S. 83) 91 A. Ruge, Rezension: Die evangelische Landeskirche, in: HJ 1840 Sp. 1829 und 1827. 92 E. Dronke, Berlin, 1846, Bd. 2, S. 131 f. und 133. 93 E. Zeller, Rezension: Chr. Märklin, Darstellung und Kritik des modernen Pietismus, in: HJ 1839 Sp. 1878 f. 94 Zu den junghegelianischen Pietismusinterpretationen vgl.: J. A. Massey (1978). 95 Vgl. die Darstellung bei O. Hintze (1906) S. 108 ff. 96 Zur »Sonntagsfeier« vgl. die Darstellung bei G. Mayer (1913) S. 52 f. Die prominenteste junghegelianische Schrift zu dieser Frage stammt von Stirner: Gegenwort eines Mitgliedes der Berliner Gemeinde wider die Schrift der siebenundfünfzig Berliner Geistlichen: Die christliche Sonntagsfeier. Ein Wort der Liebe an unsere Gemeinden, in: ders., KISchr, S. 26—47; siehe auch die kommentierte Edition des »Gegenwort« von B. Käst (1977). Anonym erschien (L. Buhl), Die Not der Kirche und die christliche Sonntagsfeier. Ein Wort des Ernstes an die Frivolität der Zeit, 1842. Aus Königsberg meldete sich Jachmann zu Wort: Sabbath und Sonntag oder die christliche Sonntagsfeier, 1842. Eine bisher unbekannte Rezension dieser Schrift von Stirner hat B. Käst gefunden (M. Stirner, Gegenwort, 1977, S. 43-44). R. Prutz dichtete in der RhZ 17 v. 17. 1. 1842 über die >Sonntagsfeier<. Vgl. darüber hinaus: (W. Bötticher), Worte eines Laien über die christliche Sonntagsfeier an ihre Gegner und Verächter, 1842; anonym, Ein Wort gegen Wort
406
und Gegenwort in der Berliner Sonntagsfeier-Angelegenheit. Von einem prakt. Geistlichen, 1842. 97 So z. B. (L. Buhl), Die Not der Kirche, 1842, S. 20. - Exemplarisch ist auch die Affaire um den neupietistischen »Bund für den historischen Christus« in Berlin, weil dieser Verein in engem Zusammenhang mit der Nachricht über den »Verein der Freien« steht. (Vgl. RhZ 227 v. 15. & 1842; E. Dronke, Berlin, Bd. 1, S. 217) Aufgeschreckt durch die Ankündigung eines »Vereins der Freien« im Sommer 1842 ersuchten Berliner Theologie-Studenten den akademischen Senat, einen »theologischwissenschaftlichen Verein« zuzulassen, der sich zum Ziel gesetzt hatte, den »Glauben an den geschichtlichen Erlöser« zu festigen. Es handelte sich bei dieser Initiative um eine neupietistische Reaktion auf die junghegelianische Evangelienkritik. Der akademische Senat der Berliner Universität anerkannte wohl die »Löblichkeit des Zweckes«, verweigerte aber die Zulassung des Vereins, »weil bei dem Zwiespalt, der gegenwärtig in Hinsicht theologischer Ansichten stattfinde, ein solcher Verein unter anders denkenden Studierenden voraussichtlich die Bildung eines Vereins mit entgegengesetzter Tendenz hervorrufen möchte, dem alsdann die Erlaubnis des Bestehens ebenfalls nicht füglich werde versagt werden können.« Eichhorn jedoch mißbilligte die Haltung des Senats und drängte die Universitätsverwaltung, den »Bund für den historischen Christus« zuzulassen. Der Glaube an den historischen Christus sei wesentlicher Lehrstoff der evangelisch-theologischen Fakultäten, daher könne man einen formlosen wissenschaftlichen Verein, der nichts anderes sich zum Ziel gesetzt habe, nicht verbieten. Dagegen könne ein Verein mit entgegengesetzter Tendenz nicht geduldet werden, (anonym, Der Minister Eichhorn, in: EB 1843, S. 200) Charakteristisch ist die Reaktion der Junghegelianer in der RhZ 232 v. 20. 8. 1842. Senat und Ministerium werden sorgsam abgestuft kritisiert: »Der Senat handelte wie ein Vater, welcher dem Sohne etwas abschlägt, damit er es dem Stiefsohne nicht auch gewähren müsse.« Obwohl es sich um eine Angelegenheit der theologischen Fakultät handele, habe der gesamte Senat »auf theologischem Sessel« gesessen, als er sich von der Furcht vor einer Gegengründung habe bestimmen lassen. »Haben wir in Berlin eine oder vier theologische Fakultäten?« fragt der Korrespondent. Die Haltung Eichhorns, die partielle Freigabe religiöser Vereinsaktivitäten, wird als unzulässige Parteinahme gewertet. »In der Antwort des Ministeriums ist aber geradeheraus gesagt, in welches Verhältnis sich das Ministerium der geistlichen etc. etc. Angelegenheiten zur Kirche, zur Theologie und zur Wissenschaft überhaupt stelle. Es nimmt Partei, und wendet seine Amtsgewalt gegen eine andere Partei an. Die Staatsregierung ist aber verpflichtet, alle Parteien in ihren Rechten zu schützen.« (Ebd.)
98 Vgl. in diesem Zusammenhang: W. Jaeschke (1979) S. 368 ff. und 373 f. 99 Heß zufolge soll die RhZ Philosophie und Religion, Staat und Kirche entschieden auseinanderhalten. »Die »Rheinische Zeitung< ist ein politisches Journal und jede religiöse und theologische Frage liegt als solche gewiß außerhalb ihres Bereiches.« (RhZ 196 v. 15. 7. 1842) Diese Trennung sei zuerst von den Gegnern der Zeitung aufgegeben, und »die Polemik, die hierdurch zwischen diesen und uns entstanden ist, hat unsererseits keine andere Bedeutung, als eine unselige Vermengung der Begriffe abzuwehren«. Es waren die Gegner, die »den Staat mit der Religion identifizieren« wollten. »Je mehr diese Theorie vom >christlichen< Staate gegenwärtig en vogue ist, desto mehr ist es Beruf der Presse, derselben jene der Vernunft entgegenzustellen. Das haben wir getan. Wir haben gezeigt, daß der Staat so wenig als die Weltweisheit mit der Religion, die nicht von >dieser Welt< ist, etwas zu schaffen habe. Und wer wollte uns deshalb tadeln? (.. .) Die >christlichen< Staatsphilosophen berufen sich auf die allgemeine Religion. Hat es aber bis jetzt eine allgemeine Religion außer der Philosophie (!) gegeben? Gibt es überhaupt, außer dem Vernünftigen und Reinmenschlichen etwas Allgemeines? Entkleidet die Reli-
407
gion ihrer Mysterien, so bleibt eben nichts übrig, als das allgemein Erkannte und Anerkannte. Ihr habt also zu wählen, ob ihr den Staat auf Mysterien oder auf Öffentlichkeit gründen wollt. Wollt ihr das Erstere, so gründet ihn auf Religion; wollt ihr aber das Letztere, so müßt ihr ihn auf Vernunft gründen.« (Ebd.) Aber diese »Vernunft« ist von anderer Art, als die Verwaltungsrationalität eines Polizeistaates, es handelt sich um eine »Vernunft«, die dem Staat einen religiös-sittlichen Wert verleiht. So heißt es bei Jachmann: »Die Ansicht, die den Staat für nichts anderes als eine Art polizeiliche Anstalt hält, und, seine sittliche Grundlage verkennend, seine durchaus ideelle, alles umfassende Bestimmung leugnet, wird in jeder Zeit in die schlimmsten Verwicklungen mit den verschiedenartigsten geistigen Erscheinungen führen, die sich notwendigerweise geltend machen müssen.« (K. R. Jachmann, Preußen seit der Einsetzung, in: EB 1843, S. 21) Zu den Aufgaben des Staates, gehört in dieser Argumentation ein direktiver Einfluß auf die Gesinnungen, nämlich die Aufgabe, »alles was die Interessen des Geistes nach den verschiedensten Richtungen hin berührt, zu ordnen, zu leiten und zum Zweck einer höheren sittlichen Entwicklung des Menschengeschlechts zu durchdringen.« (Ebd.) Das »große Rätsel« der Staatsphilosophie ist für Jachmann gelöst, wenn es gelänge, zwei Extreme zu vermeiden. »Zwischen zwei Extremen, von denen das eine die Religion ganz und gar in den Staat und zu dessen Zwecke aufgehen läßt, wie das in dem alten Rom der Fall war, das andere umgekehrt, wie in der jüdischen Theokratie, den Staat in eine religiöse Anstalt verwandelt, muß er (der Staatsphilosoph, d. V.) sein Staatsgebäude aufführen, in welchem unbeschadet der religiösen Überzeugung jedes einzelnen die Religion dem sittlichen Staatszwecke folgt. Daher gelte der Grundsatz der größten Freiheit auf dem religiösen Gebiet im Glauben und im Worte, der unbeschränktesten Mannigfaltigkeit des religiösen Vereinslebens, aber des unbedingtesten Gehorsams gegen das Gesetz des Staates.« (Ebd.) Ähnliche Auffassungen vertritt auch K. Nauwerck in: Vorlesungen über Geschichte der philosophischen Staatslehre, in: WVjs 1845, Bd. 1, S. 67 ff. 100 MEW Bd. 1, S. 348. - B. Bauer, Der chrisdiche Staat und unsere Zeit, in: HJ 1841, S. 537-558. Hier zit. nach B. Bauer, >Feldzüge<, S. 7^3. 101 B. Bauer, Der christliche Staat, S. 7 und 13. 102 Ebd. S. 14 und 17. 103 MEWBd. 1,S. 12. 104 MEWBd. 1,S. 102und 101. 105 B. Bauer, Der christliche Staat, S. 23 und 27. 106 Ebd. S. 32,33,34 und 35. 107 Zur >Judenfrage< bei den Junghegelianern vgl. vor allem H. Hirsch (1980) und Sh. Na'aman (1982). Zur Kontroverse zwischen B.Bauer und Marx siehe Z.Rosen (1977) S. 229 ff. Darüber hinaus seien genannt: R. Rürup (1975); S. S. Prawer (1983) bes. S. 47 ff.; W. Grab, J. H. Schoeps (1983); hervorzuheben in diesem Band ist der Beitrag von H. Hirsch, Karl Marx zur >Judenfrage< und zu Juden - Eine weiterführende Metakritik, S. 199-213. 108 B. Bauer, Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden, in: EB 1843, S. 56-71. Hier zit. nach B. Bauer >Feldzüge< S. 175 und S. 195. 109 Sh. Na'aman(1982)S.93. 110 H. Hirsch (1983) S. 200 ff. Für andere Radikale wiej. Waldeck istB. Bauers Schrift »für jeden, der sie versteht, von entschiedenem Werte«, jedenfalls der Kritik G. Riesseners überlegen, der primär für bürgerliche Gleichstellung der Juden eintritt. (Jacoby BW 1816-1849, S. 211) 111 B. Bauer, Die Fähigkeit der heutigen Juden, S. 178. 112 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 238. 113 G. Bauer, Die Fähigkeit der heutigen Juden, S. 179. - G. Steiner (1972) hat die These
408
aufgestellt, daß die jüdische Religion einer radikalen Transzendenz Gottes für die europäische Kultur eine permanente Überforderung gewesen sei. »Die an den Geist gestellten Anforderungen sind, ebenso wie der Name Gottes, unaussprechlich« (S. 45). Die Forderungen des Monotheismus hätten sich historisch als nahezu untragbar erwiesen. Wo nicht, wie bei Nietzsche, der Gottesmord individuell durchgestanden sei, habe es »eine leichter vollziehbare Rache« gegeben, nämlich: »durch Tötung der Juden würde die westliche Kultur diejenigen austilgen, die da Gott >erfunden< hatten und, bei aller Unvollkommenheit und Auflehnung gegen Sein Gebot, doch die Verkünder Seiner unerträglichen Absenz gewesen waren.« (Ebd. S. 48 f.) MEWBd. 1.S.350. Ebd. Ebd. S. 351. Ebd. S. 352. Ebd. S. 350. Ebd. S. 352. Ebd. S. 352. H. Hirsch (1983) S. 202. Zur Quidproquo-Technik vgl. MEW Bd. 23, S. 86. Ich stütze mich bei der Darstellung dieser Bewegungen auf: J. Brederlow (1976); F. W. Graf (1978 b). Die Arbeit von Graf enthält ausgewählte Dokumente und eine umfangreiche Bibliographie. Siehe auch: W. Nigg (1937) S. 176-202; J. Gebhardt (1964); G. Kolbe (1972); R. M. Bigler (1972) S. 187 ff. u. a. Als klassische Darstellung ist immer noch unverzichtbar F. Kampe, (1852-1860). Zum theologischen Rationalismus vgl. H. Rosenberg (1972) S. 18—50, sowie die Ausführungen von Graf (1978 b) S. 69 ff. Vgl. F. Kampe (1852) Bd. 1, S. 46 ff.; W. Schieder (1974); R. Lill (1978). Die>Vossische Zeitung< zit. nach: B. Bauer, Die bürgerliche Revolution in Deutschland, 1849, S. 2. 2 K. Th. Bayrhoffer, Über den Deutsch-Katholizismus, 1845, S. 7. Mannheimer Abend-Zeitung v. 12. 9. 1844, zit. nach: F. Kampe (1852) Bd. 1, S. 52. Eduin Bauer, Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-katholischen Kirche, 1845, S. 12. J. Ronge, Rede, gehalten den 23. 9. 1845, in der Münsterkirche zu Ulm, 1845, S. 9. K. F. Theodul, Die christlich-apostolisch-katholische Gemeinde Schneidemühl, 1845, S.5. R. Blum, F. Wigard (Hg), Die erste allgemeine Kirchenversammlung der deutsch-katholischen Kirche 1845, S. 200 f. Vgl. K. Algermissen (1959) S. 182-221; Zur weiteren Entwicklung vgl. H. Wunderer (1980). anonym, Lebensbeschreibung freisinniger Männer. Julius Rupp, in: Vorwärts!, 1847, S. 198. F. W. Graf (1978 b) S. 44. 2 Vgl. G. A. Wislicenus, Ob Schrift? Ob Geist?, 1843. Zur Wislicenus-Debatte vgl. R. M. Bigler (1972) S. 202 ff, 233 ff., 256 ff. u. a. F. Kampe (1856) Bd. 3, S. 204. (R. Gottschall), Die deutsche Philosophie seit Hegel's Tod, 1851, S. 339. R. Blum, F. Wigard (Hg), Die erste allgemeine Kirchenversammlung, 1845 S. 121 ff. Zu Nauwercks Engagement vgl. B. Bauer, Die bürgerliche Revolution, S. 48 und 60. Zu Hinrichs vgl. R. Blum, F. Wigard (Hg), Die erste allgemeine Kirchenversammlung, S. 201 u. a.; siehe auch die Schriften: H. F. W. Hinrichs, Trier-Ronge-Schneidemühl, 1845; ders., Trutz-Rom-und-Jesuiten, 1845.
409
A. Rüge, Drei Briefe über die deutsche religiös-politische Bewegung von 1845, in: ders., SW Bd. 9, S. 337. Vgl. die Gliederung des 1. Bd. von F. Kampe (1852 ff.) sowie Bd. 2, S. 209 ff. Ebd. Bd. 2, S. 209 ff. K. Th. Bayrhoffer, Das wahre Wesen der gegenwärtigen religiösen Reformation in Deutschland, 1846, S. 12. W. Hiernoymi, Die Hegelianer als Lichtfreunde, 1846, S. 6 f., 17, 33 f. und 35 f. - Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: K. Th. Bayrhoffer, Der praktische Verstand und die marburger Lichtfreunde, 1846. Vgl. die Darstellung bei J. Schmidt, 1855, Bd. 3, S. 410 ff. Zu G. D. Nees von Esenbeck vgl. F. W. Graf (1978 b) S. 79 ff. u. a. Nees von Esenbeck ist auch in den EB mit einem Beitrag vertreten. Zu J. Rupp vgl. R. M. Bigler (1972) S. 233 ff.; C. Schieler (1903). (R. Gottschall), Die deutsche Philosophie seit Hegel's Tod, 1851, S. 337. - Diese Einschätzung verwundert heute. Aber der auch aus der junghegelianischen Religionskritik hervorgegangene Sozialismus war für die Zeitgenossen in erster Linie ein religiöses Phänomen. Der Humanismus, den die freie religiöse Bewegung predigte, wurde als innerster Kern der christlichen Religion verstanden, der dann hervortreten könne, wenn die >Äußerlichkeit< der alten hierarchischen Religion abgestreift werde. Auf diesen Zusammenhang zielt die >Adresse der deutschen Arbeiter in London an Johannes Ronge< (in: Rheinische Jahrbücher, Bd. 1,1845, S. 326-9). Der Deutschkatholik Eduin Bauer soll an Heß' >Gesellschaftsspiegel< mitarbeiten (vgl. Moses Heß BW, 1959, S. 118 f.). Aus dem wahrsozialistischen WD sind in diesem Zusammenhang folgende anonyme Beiträge hervorzuheben: Wislicenus und seine Gegner, in: WD 1845, S. 321-326; Die freie Gemeinde in Halle, in: WD 1846, S. 502-506; Die freie Gemeinde zu Marburg, in: WD 1847, S. 196-200. Es kommt aber auch zu Auseinandersetzungen zwischen Wahrsozialisten und Freireligiösen. Vgl. (anonym), Die religiöse Bewegung und der Sozialismus, in: Triersche Zeitung 21. 5. 1847, S. 2; R. M. Bigler (1972) S. 257 ff. Ähnliche Kontroversen finden im >Bund der Gerechtem statt. Vgl. J. Grandjonc (1975) S. 90 ff. Als Beispiel für die sozialistische Programmatik der >Immanenten< könnenBayrhoffers Ausführungen gelten. Er schreibt: »Die hauptsächliche Beziehung aber ist die des Menschen zu den Menseben, die Sozialität und Assoziation der einzelnen.« Sie herzustellen, ist das Ziel. »An dieser Aufgabe arbeitet jetzt die Menschheit: Alle politischen, sozialistischen, kommunistischen, religiösen Erscheinungen haben dieses Ziel. Die wesentlichen besonderen Aufgaben, welche ihre Lösung verlangen, sind folgende: 1) die materielle Zerrissenheit, den Gegensatz des Reichtums und der Armut der einzelnen, des Kapitals und der Arbeit auszugleichen, das kommunistische Problem, welches jedenfalls eine Gesamtgarantie des freudigen und materiellen Daseins aller einzelnen fordert; 2) die Entgegensetzung in Wissende und Unwissende durch Gesamt-Intelligenz, namentlich durch Hervorbringung der einheitlichen Weltanschauung, in allen einzelnen zu vernichten, das Problem der allgemeinen Schule und Bildung, welches mit dem ersteren durchaus ineinandergreift, in dem keins ohne das andere realisiert werden kann. Denn nur der materiell sicher gestellte Mensch kann zu gründlicher Bildung, nur der gebildete Mensch zu wahrer Gesamtgarantie gelangen. Der so materiell und geistig befreite Mensch wird dann aus sich selbst einen wahren, schönen Organismus menschlichen Gemeinlebens entfalten, und dadurch jenen beiden Momenten Sicherheit und Dauer verschaffen. Er wird 3) die Familie in schöner Menschlichkeit verwirklichen, sie wird sich nur durch ihre eigene Harmonie erhalten, er wird
410
4)ein freies sich selbstbestimmendes Gemeindeleben, und 5)einen freien, sich selbstbestimmenden Staat, wie 6)einen wahren wahrhaften Völker- und Staatenbund gründen, welcher immer mehr eine freie Gesamt-Menschheit darstellen wird. Diese Tendenz der gegenwärtigen Menschheit ist nun zwar überall in den gebildeten Völkern wirksam; doch nimmt sie in verschiedenen Völkern und Individuen verschiedene Ausgangspunkte. In Deutschland ist ihr originaler Ausgangspunkt die religiöse Bewegung. Von dieser geistigen Tiefe der Weltanschauung aus beginnt hier eine Umwälzung der bisherigen beschränkten Ideen und Formen. Wir sehen in diesen Tagen dieBildung freier Gemeinden; wir sehen, daß dieselben in friedlicher, intelligenter Weise das freie Menschentum erstreben und beginnen.« (Bayrhoffer, Wesen, Geschichte und Kritik der Religion, in: Jahrbücher f. spekulative Philosophie u. d. philosophische Bearbeitung der empirischen Wissenschaften, hg. v. L .Noack 2(1847), S. 1133 und 1335 f.) Bei Bayrhoffer sind noch freie Gemeinden das entscheidende Organisationsprinzip der sozialistischen Bewegung. Mit der Hegemonie der politischen Form der Arbeiterpartei, die sich nach 1848 sukzessiv herausbildet, >verschwinden< religiös-kirchliche Ausdrucksformen. Daß die Ablösung des christlichen Liebeskommunismus durch einen szientifischen Sozialismus keineswegs geeignet war, Sozialformen und Verhaltensweisen zu fördern, die den Anforderungen, denen sich die deutsche Arbeiterbewegung gegenüber sah, genügten, zeigt eindringlich E. Lucas (1983) S. 71 ff. Im Übergangsfeld zwischen Freireligiösen, >immanenten< Junghegelianern und Wahrsozialisten werden Positionen formuliert, die die Idee der »Volksreligion«, wie sie der junge Hegel entwickelt hat, aufgreifen. J. Habermas' Projekt der »kommunikativen Vernunft« schließt an diese Idee an. Habermas (1985) ist zuzustimmen, daß der junge Hegel, der junge Marx und später der Heidegger von »Sein und Zeit« und J. Derrida in der Auseinandersetzung mit Husserl die mögliche Alternative, die in einer Sakralisierung kommunikativer Vernunft gelegen hätte, nicht aufgegriffen haben. (S. 345, siehe auch S. 35 ff., 54, 94 u. a.) Dies haben jedoch andere, wie die hier untersuchte Fraktion der >immanenten< Junghegelianer so ausgiebig getan, daß Intellektuelle, wie die im folgenden zu behandelnden >Atheisten<, durchaus Erfahrungsgründe hatten, sich von der Sakralisierung des ausgelaugten Verständigungsparadigmas abzuwenden anonym, Ronge, in: NB H. 6, S. 71 f. B. Bauer, Die bürgerliche Revolution in Deutschland, 1849, S. 9. B. Bauer, Die Lichtfreunde in Köthen, in: NB H. 5, S. 66 und 75. Vgl. S. 195 ff. dieser Arbeit. E. Sander, Die protestantischen Freunde und ihre Gegner, in: NB H. 7, S. 42 und 37. W. Jordan, Die unbewußte Heuchelei und Dr. Rupp, in: BM 1844, S. 56. anonym, Uhlich, in: NB H 9, S. 75, 80 und 74. Zur Bedeutung O'Conells vgl. E. Hobsbawn (1962) S. 275 ff. A. Fränkel, Die religiösen Bewegungen, in: NB H. 7, S. 61 und 62. Ebd. S. 62 f. und 64. - Auf der Basis der arbeitsteiligen bürgerlichen Gesellschaft entsteht für Fränkel unausweichlich eine Art Ideologie. »Bei einer bestimmten Tätigkeit es sei die gewöhnlichste Handarbeit - muß der Mensch auch notwendig seine produktiven Kräfte auf eine bestimmte Weise wirken lassen, er muß die bestimmte Sache, mit der er sich beschäftigt, eben erst machen und schaffen, muß also denken und arbeiten, während er die allgemeinen, als fertig überkommenen Güter, die nicht erst erarbeitet, nicht produziert und expliziert zu werden brauchen, als ein vorausgesetztes, nur in seinen unbestimmten Gefühlen hat. Gehen nun die Individuen, aus denen sich zufällig eine Masse zusammengehäuft hat, mit aller ihrer bestimmten, d. h. mit ihrer wirklichen, produktiven Tätigkeit, in ihre auseinanderlaufenden, vereinzelten Interessen auf, so wird das, was bei derselben nicht mitwirken kann und zurücktreten muß, das unproduktive
411
Gefühl eben, als die Macht, die alles Unwirkliche und Unbewiesene in sich trägt, allein dasjenige sein, das, eben seiner Unbestimmtheit wegen, leicht ineinander fließen und sich als ein Gemeinsames äußern kann. So aber ist die bestimmte und wirkliche Existenz der Individuen in der Tat nur ihre vereinzelte, während ihre unbestimmte und illusorische Existenz eben die als Masse ist.« (Ebd. S. 66) Der Inhalt des Massenbewußtseins ist strukturell nicht greifbar. Es sind »unbestimmte Phrasen (...), in denen die Masse ihre allgemeinen Wahrheiten aufbewahrt. Sie sind der eigentliche Ausdruck, die einzig mögliche Schöpfung der Masse, ihre Lieblingskinder, an die sich jeder einzelne mit seinen unbestimmten Gefühlen hängen kann, die Worte, die ihren Inhalt nicht darzustellen, auseinanderzusetzen und bestimmt zu gestalten haben, deren Ton vielmehr nur gehört zu werden braucht, um überall anzuschlagen und Sympathien zu erwecken. Die Masse hat über einen ganzen Schatz solcher alten und neuen Substantive und Adjektive mit allen ihren Komparativen und Superlativen zu gebieten, in denen sie das ausdrückt, was sie, trotz der Vereinzelung ihrer Elemente, noch als ein Gemeinsames (? hat, d. V.), in denen sie sich also so recht als Masse fühlt.« (Ebd. S. 67 f.) Ebd. S. 70. anonym, Ein Wort über die Regierungen und die protestantischen Freunde, in: WVjs 1845, Bd. 4, S. 326. B. Bauer, >Parteikämpfe<, Bd. 2, S. 66. - In der Perspektive B. Bauers von 1847 schließen sich der Neupietismus, der Radikalismus von 1842, die freireligiöse Bewegung und die sozialistische Bewegung zu einer amorphen Massenbewegung zusammen. Neupietisten und Radikale seien sich darin einig geworden, daß allein auf politisch-staatlicher Ebene die Probleme nicht zu lösen seien. Der »Kirchlich-Gesinnte ( . . . ) flüchtete sich in den Schoß der Mutter, die für die Leidenden immer das Wort des Trostes bereit hat. Die Bewegungsmänner, die den Staat zur einzigen Gemütsangelegenheit machen wollten, erweiterten ihn zu einer Art Gottesreich, berechtigten also auch den Gläubigen, um so mehr auf das geschichtliche Reich Gottes zu vertrauen.« (B. Bauer, >Parteikämpfe<, Bd. 2, S. 27) In der freireligiösen Bewegung feierte »das religiöse Gefühl ( . . . ) seine Auferstehung in einem Schamanentum, welches sich durch das einförmige Aussprechen der Phrase betäubte, in einem ewigen Lebehoch auf >Geisteslicht und Geistesfreiheit, auf Recht und Wahrheit, auf alle Helden des Geistes und der Kraft<« (Ebd. S. 39 f.). Der Übergang der Radikalen zum Sozialismus passe ebenfalls zur Vollendung der Religion. »Die Mutlosigkeit und Schwäche kommt bei dem Anblick der Armen, die sich selbst nicht helfen können, wieder zu sich selbst. Endlich, endlich also kann der Radikale >mit dem lang verhaltenen Wünschen seines Herzens ernstmachen< — >die Armen, die Gequälten, die Zertretenen, die Arbeiter, die alles schaffen und nichts erhalten, die nichts sind und alles werden müssen< ruft er zu sich heran: >kommt zu mir, wer ihr auch seid, zeigt mir eure Wunden, ich will euch sagen, wie ihr sie heilen könnt< - den Armen, den Mut- und Hoffnungslosen bringt er sein >Evangeüum der Freiheit, welches die eigennützige Welt verschmäht hatte: >kommt alle her, die ihr arbeitet, die ihr mähselig, beladen, arm, verachtet, verspottet und unterdrückt seid - dies Evangelium wird euren Mut von neuem stählen und eure Hoffnung frische Blüten treiben.<« (Ebd. S. 80 f.) Die religiöse Bewegung, die in vielfältigsten Formen zum Ausdruck kommt, ist kein deutsches Spezialproblem. B. Bauer stellt sie in den Zusammenhang mit religiösen Bewegungen, wie sie sich parallel z. B. in Polen, Rußland, Großbritannien und Frankreich entwickeln. (Ebd. S. 28-31) Ihm rückt 1847 das in den Blick, was nach 1848 zunehmend in Vergessenheit geriet, nämlich: die 30er ebenso wie die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts erlebten keineswegs ein kontinuierliches Abflachen religiösen Interesses, es handelte sich nicht allein um sanfte Schritte der Säkularisierung und Dechristianisie-
412
rung. Vielmehr ist diese Zeit ebenso gekennzeichnet durch Wellen von sich erneuernden >Erweckungen<, in denen sich ein stark gefühlsbetontes, individualisiertes und sektiererisches Verhältnis zum Glauben ausspricht. Hobsbawn (1962) spricht von einem »Zusammentreffen zunehmender Säkularisierung und religiöser Gleichgültigkeit mit einem Wiedererwachen der Religiosität in ihren extremsten emotionalen Formen«. (S. 445 f.). B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin für evangelische Wahrheit, in: An 1843, Bd. 2, S. 121 und 122. B. Bauer, Das entdeckte Christentum, 1843; Neuausgabe hg. v. E. Barnikol, 1927, S. 103. »Das Postulat der Irrationalität« bildet für G. Dux (1982) den Ausgangspunkt für seinen soziologischen Versuch, Weltbilder einsichts- und begründungsfähig zu machen und sie der heute verbreiteten »absolutistischen Begründungslosigkeit« zu entziehen. (S. 13-15) Am Schluß seiner Darstellung der Evolution der Weltbilder bricht die Frage nach dem Ende der Religion oder der Möglichkeit eines letzten »Überstiegs über alles Wißbare«, der Religion genannt werden könnte, auf. (Ebd. S. 304 ff.) Im Hinblick auf seine mundane und >immanente< Argumentation trifft Dux die Feststellung, daß die Frage »Ist die Religion am Ende?« »zu einem Streit um Worte zu werden« droht. (Ebd. S. 306) Das Phänomen ist nicht neu, wie die Debatte der Gruppe zeigen wird. Herausfordernd ist die Frage, warum droht gerade in diesem Punkt der >Streit um Worte< zu entbrennen? R. Prutz, Theologie oder Politik? Staat oder Kirche?, 1847, S. 21 f. 24 f. und 25. Ebd. S. 31,32 und 33. Vgl. die Bemerkungen von I. Fetscher (1980) S. 86 f. R. Prutz, Theologie oder Politik?, S. 36 f. und 37. Ebd. S. 37. Ebd. S. 37 f., 40 und50. Ebd. S. 51. W. Jordan, Die religiöse Bewegung der Gegenwart, in: WVjs 1845, Bd. 4, S. 156. Ebd. S. 161. Ebd. S. 157. Ebd. S. 159 und 160. Ebd. S. 171 und 188. B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 111. Ebd. S. 112 und 111. Vgl. die Problemstellungen bei: J. Matthes (1967); P. Berger (1973). Darüber hinaus: H. Lübbe (1965); H. Blumenberg (1974); A. Baruzzi (1978); J. Taubes (1983). z. B.T. Rendtorff(1966). z. B. T. Luckmann (1963). A.Hahn (1974). Vgl. in diesem Zusammenhang auch W. Oelmüller (1984) sowie W. Eßbach (1985 c). MEW Bd. 1, S. 378 und 379. - Sensationell für die Gruppe ist diese Forderung nicht gewesen. Monote zuvor hatte E. Bauer erklärt: »Die Kritik hat sich bis jetzt hauptsächlich auf dem Felde der Religion und Theologie bewegt. Sie hat mit der Hauptsache angefangen. Denn in der Religion ist gleichsam die Theorie der menschlichen Schwäche und Abhängigkeit enthalten.« (E. Bauer, Der Streit, S. 8 f.) Jetzt gehe es darum, »die Heiligkeit politischer Einrichtungen als nichtig« nachzuweisen. (Ebd. S. 9 f.) E. Bauer erläutert sein Vorgehen: »Vor allem habe ich mich bestrebt, in der Kritik der bestehenden Staatsverhältnisse genauer zu sein, weil ich überzeugt bin, daß die Kritik überhaupt sich mehr und mehr von den theologischen, den politischen und gesellschaftlichen Fragen zuwenden wird.« (Ebd. S. 12) A. Ruge, Neue Wendung der deutschen Philosophie, in: An 1843 Bd. 2, S. 42, 44, 45 und 46. 1
413
M. Stirner, EE S. 50 und 38 f. anonym, Der Minister Eichhorn, in: EB 1843, S. 200 und B. Bauer, >Parteikämpfe< Bd. 2, S. 72 und 58. B. Bauer, Rezension: Th. Kliefoth, Einleitung in die Dogmengeschichte, in: An 1843 Bd. 2, S. 155. (B. Bauer), Charakteristik Feuerbachs, in: WVjs 1845 Bd. 3, S. 105, 111, 106 und 115. (G. Julius), Bruno Bauer und die Entwicklung des theologischen Humanismus unserer Tage, in: WVjs 1845 Bd. 3, S. 55 und 75. (B. Bauer), Charakteristik Feuerbachs, S. 139. LFWBd. 4, S. 74. (B. Bauer), Charakteristik Feuerbachs, S. 138 und 124. MEWBd. 3, S. 19. B. Bauer an A. Rüge, Brief v. 6. 12. 1841, in: MEGAI. Abt. Bd. 1/2, S. 263. E. Bauer, Der Streit, S. 31 f. B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 125. Vgl. MEWBd. 2, S. 222 f. K. Korsch (1966) S. 161. 2 G. Herweghs BW mit seiner Braut, 1906, S. 34. B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin, S. 126. A. Rüge, Neue Wendung der deutschen Philosophie, S. 29. L. Wittgenstein (1970) S. 17. Viel über das, was >Gewißheit< sein könnte, habe ich bei H. P. Duerr (1974) gelernt. B. Bauer, Rezension: v. Ammon, Die Geschichte des Lebens Jesu, in: An 1843, Bd. 2, S. 182 und LFW Bd. 2, S. 212. anonym, Rezension: Leben und Wirken Friedrich von Sallet's, in: ALZ H. 8, S. 27 und 28. B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 89. E. Bauer, Der Streit, S. 26 f. Ebd. S. 27. B. Bauer, Rezension: D. Schulz, Das Wesen und Treiben der Berliner ev. Kirchen-Zeitung, in: JWK 1839 Nr. 31 Sp. 247. B. Bauer, Rezension: Bremisches Magazin, S. 134. B. Bauer, >Landeskirche<, S. 135. (G. Julius), Bruno Bauer und die Entwicklung, in: WVjs 1845 Bd. 3, S. 78 und 71. Ebd. S. 56. A. Rüge, Neue Wendung der deutschen Philosophie, S. 60 f. Ebd. S. 61. E. Bauer, Der Streit, S. 324. Karl Schmidt, Eine Weltanschauung, 1850, S. 198 und 199 f. (Karl Schmidt), Das Verstandestum und das Individuum, 1846, S. 60. Ebd. S. 244 f. M. Stirner, EE, S. 164. (K. Schmidt), Das Verstandestum und das Individuum, S. 307 f. (Karl Schmidt), Die neueste Gestaltung der Philosophie, in: EKZ 1846 Sp. 854-864. Die Verfasserschaft K. Schmidts kann als gesichert gelten. So schreibt Stirner in seiner Antikritik gegen K. Fischer: »wir hoffen, daß man so.honett sein wird, uns nicht zuzumuten, von einem Buche, wie >Verstandestum und Individuum< mehr als Eine Seite zu lesen, geschweige denn noch eine Kritik desselben anzuhören. Doch wollen wir Herrn Kuno Fischer zur gefälligen Kenntnisnahme mitteilen, daß der Verfasser von >Verstandestum und Individuum< eine Kritik in der evangelischen Kirchenzeitung gegen sich selbst geschrieben. Vielleicht aber ist Kuno Fischer dieses burleske Handeln eines Mannes, der
414
ä tout prix berühmt werden will, besser bekannt, als uns.« (M. Stirner, KISchr S. 415) Zur Frage der Verfasserschaft vgl. auch B. Bauer, Das entdeckte Christentum, S. 40 (Ausführungen von Barnikol) und P. Wätzel, Karl Schmidt als Theologe, S. 174 ff. Ebd. Sp. 855, 861 und 864. Vgl. K. Schmidt, Uhlich und die Kirche, 1847. Zur Konversion siehe die Ausführungen der Vorrede S. III ff.
415
V. Thesen zu einer Soziologie von Intellektuellengruppen 1. Nach der sozialen Lage von Intelligenz, ihrer Stellung im Schichtaufbau der Gesellschaft oder der Nähe ihrer Auffassungen zu Klasseninteressen zu fragen, heißt, einen Untersuchungsrahmen abzustecken, der au fond einen soziologischen Zugang zum Phänomen >Intelligenz< blockiert. Die Veränderungen in den Auffassungen, die Intellektuelle von den Gegenständen, mit denen sie sich befassen, oder von ihrer Stellung in der Gesellschaft haben - Veränderungen von kleinen inhaltlichen Verlagerungen bis zu großen Konversionen - Veränderungen also, die das betreffen, was an intellektueller Produktion kulturell relevant ist, können erst dann ins soziologische Blickfeld geraten, wenn man sich auf die Stelle konzentriert, an der geistige Arbeit und Sozialität einen untersuchungsfähigen Zusammenhang bilden. Einer dieser untersuchungsfähigen Zusammenhänge ist die Intellektuellengruppe. 2. Intellektuelle, die behaupten, nur der Sache zu folgen, sind soziologisch ernstzunehmen, weil die Sache selbst - als der untrügliche Referent der Wahrheit - ein soziales Phänomen bestimmter Art ist. Die Sache selbst, auf die sich Intellektuelle beziehen, ist keine Illusion, die durch den redundanten Topos von der Sozialvermitteltheit von Wahrheit zu verscheuchen wäre. Nicht die >soziale Bedingtheit< der Wahrheit, sondern ihre soziale Unbedingtheit, ihre im Prinzip uneinholbare soziale Ereignishaftigkeit ist zum Leitfaden der Geschichte der Wahrheit zu machen. Der Anfall wahrer, sachhaltiger Erkenntnis ist ein soziales Ereignis. Ob allein oder in der Gruppe: Intellektuelle hocken sich um die Sache herum wie um einen Gegenstand, dessen Nichtgeheuerlichkeit zum sozialen Ereignis wird. 3. Beim Tausch von Argumenten, beim Reden und Gegenreden, in der Auseinandersetzung, im Streit mit Worten und um Worte passiert Unvorhersehbares. Kein Satz kann so genau gesagt oder geschrieben werden, als daß nicht doch noch eine unvorhersehbare Bedeutung anfällt. Damit müssen Intellektuelle leben, und diese Not macht sie erfinderisch. Die Umgangsweisen, die Intellektuelle ausbilden, um den unvorhersehbaren Anfall von Bedeutungen zu bewältigen, gehören zur Eigenkultur der Intelligenz. Diese Eigenkultur muß zunächst in ihrer eigensinnigen Regelhaftigkeit begriffen werden und darf nicht je schon vorab gesamtgesellschaftlich abgeleitet werden. Zur Eigenkultur der Intelligenz gehören Modi der Ermächtigung der Wahrheitsereignisse und der Verständigung in Interaktionen, Ermächtigungen, die nach Maßgabe von Selbstdefinitionen der Intelligenz erfolgen. 4. Die eigenkulturellen Umgangsweisen der Intelligenz, mit denen sie das intellektuelle Geschehen bewältigt, sind greifbar in den Definitionen, mit denen sie ihrem Tun einen Sinn geben. Diese Gruppendefinitionen reizen den Austausch an
416
und begrenzen ihn. Sie legen fest, was gesagt werden muß und was nicht gesagt werden darf, in welchem Sinn etwas verstanden werden soll und welche Bedeutung keinen Sinn gibt. Dennoch bleibt die eigenkulturelle Formbestimmung im praktischen Vollzug labil. Soziale Ereignisse - auch das Ereignis einer nichtgeheuren Qualität der Sache, um die es geht - sind attraktiv, und Attraktivität ist nur sehr schwer in einer Gruppe zu bannen. Die Suche nach Ritzen und Spalten in den Gruppendefinitionen beginnt. Vor aller >Ableitung< der Funktion der Intelligenz aus den >Interessen der Gesamtgesellschaft < ist methodisch gesehen der Zwang von Intellektuellengruppen zu setzen, ihre Überschüsse in andere gesellschaftliche Bereiche ableiten zu müssen. Wie könnte man übersehen, daß Intelligenz sich für andere gesellschaftliche Bereiche unentbehrlich machen will! 5. Sind Gruppendefinitionen nach innen Mittel, den Bedeutungsanfall im intellektuellen Arbeitsprozeß zu steuern, so falten sie nach außen vorzeigbare Symbolwelten auf, die die Ereignisqualität intellektueller Arbeit soweit vereindeutigen, daß sie einen Platz erhalten kann. Gruppendefinitionen ermöglichen die Seßhaftigkeit von Intelligenz in der Gesellschaft. Auf die vorzeigbare Symbolwelt können sich Zumutungen, die von anderen gesellschaftlichen Gruppen ausgehen, beziehen. Aber zwischen den berühmten Erfordernissen der Gesellschaft und den Seßhaftigkeitsbestrebungen der Intelligenz besteht kein Zusammenhang, der irgendwo fundamental garantiert wäre. Mißverständnisse und Illusionen sind auf beiden Seiten ebenso die Regel wie mehr oder weniger haltbare Kompromisse und Notlösungen. 6. Sowohl der Umgang mit den gesellschaftlichen Zumutungen, denen eine Intellektuellengruppe ausgesetzt ist, als auch der Umgang mit den Wahrheitsereignissen finden ihren Ausdruck in der Profilierung der Gruppendefinition. Gruppendefinitionen sind umkämpfte Grenzziehungen, weil sie unter dem Doppelaspekt von Innen und Außen sowohl der Gruppe wie auch denen angehören, die der Gruppe etwas zumuten. Daher die wache Sorge, Gruppendefinitionen wie ein Gesicht zu wahren und ihnen eine wie auch immer gelagerte Evidenz zuzuschreiben. 7. So sehr Intellektuellengruppen bemüht sein mögen, die »Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft* mit dem Schleier der Selbstverständlichkeit zu umgeben, in historischen Übergangszeiten, in der Konfrontation mit neuartigen, verwirrenden Erfahrungen wird es schwer, die Symbolwelt ihrer Gruppendefinition heil zu halten. Gelingt dies einer Gruppe nicht, laufen gar noch verschiedene Gruppendefinitionen tumultuarisch ineinander über, so stellt sich auf allen Seiten die Frage nach den Möglichkeiten der Vernunfterhaltung. Es kommt zu einer ungefilterten Konfrontation zwischen dem intellektuellen Geschehen, den Wahrheitsereignissen in der Gruppe und ihrem Außen. Andere soziale Gruppen können nun, vermöge der eröffneten Transparenz, auch die Entbehrlichkeit dieser Intellektuellengruppe ins Auge fassen, und die Intellektuellengruppe wird Vernunfterhaltung nur um den Preis des Wagnisses ihrer eigenen Nichtigkeit durchführen können. Die Geschichte der Junghegelianer ist dafür ein Beispiel.
417
8. Die Geschichte der Junghegelianer ist für uns das Beispiel einer Intellektuellengruppe, die, an der Schwelle zu unserer modernen Gesellschaft, in wenigen Jahren intensiver Diskussion eine Enzyklopädie möglicher Entwürfe für die Definition von Intelligenz erarbeitet hat. Daher ist es kein beliebig substituierbares Beispiel. Die Frage, ob die Junghegelianer repräsentativ für andere Intellektuellengruppen stehen können, verkennt in ihrer Naivität den Sachverhalt, daß uns erreichbare Typisierungen, die als repräsentative Kandidaten in Frage kommen, allererst der Fremdheit verwirrender Erfahrungen abgerungen werden müssen, bevor sie als repräsentative erscheinen können. Die Junghegelianer sind in diesem Sinne keine repräsentative Intellektuellengruppe, wohl aber - und dies ist weitaus relevanter sind die Definitionen von Intelligenz, die sie entworfen, diskutiert und praktiziert haben, als repräsentativ für die nachfolgenden Intellektuellengruppen anzusprechen. Die Junghegelianer haben Verallgemeinerungen produziert, von denen die Intelligenz selbst, wie nicht zuletzt die Soziologie der Intelligenz, bis heute zehren. 9. Die junghegelianische Enzyklopädie der Intelligenz enthält nicht weniger als die Gestalten - des Intellektuellen, der sich dem modernen Staat bereit hält und die Rationalität der Herrschaft in den verschiedenen Zweigen des Wissens befördert, - des Intellektuellen-Politikers, der auf dem Felde parteipolitischen Handelns Vernunft ansässig macht, - des Publizisten-Intellektuellen, der das gesellschaftliche Kommunikationsdefinzit abarbeitet, - des in Massenbewegungen untertauchenden revolutionären Intellektuellen, - des einsamen Kritikers, der Gruppen schlechthin verachtet, - des schockproduzierenden Intellektuellen - des detektivisch-wachen oder blasiert-indifferent umherschweifenden Intellektuellen, - des mit Sektengründung liebäugelnden Intellektuellen, - des im Wissen Erlösung suchenden Intellektuellen, - des die nachwachsenden Götter exterminierenden Intellektuellen, - des konvertierenden Intellektuellen. Die junghegelianische Enzyklopädie der Intelligenz enthält diese Definitionen samt ihren Abschattierungen und Zwischenformen. Sie enthält zugleich die Apologien und die Kritiken zu den einzelnen Konzeptualisierungen in seltener Transpa10. Die Junghegelianer haben für lange Zeit die Diskussion um Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der modernen Gesellschaft präfiguriert. Ob man nun nach 1848 in den unangreifbaren Stellungen des Spezialistentums seine Zuflucht suchte oder aus der Enzyklopädie einige Artikel herausriß, um sie weiterzuschreiben, in der Abwehr oder Aufnahme junghegelianischer Konzepte war eine Zeitgenossenschaft mit dieser Intellektuellengruppe gegeben, die bis weit in unser Jahrhundert hineinreicht. - Heute sind wir dessen nicht mehr ganz sicher. Wir sind ungewiß, ob wir in den tiefgreifend technisierten und ästhetisierten Lebenswelten ein Verschwinden des universellen Intellektuellen zu diagnostizieren haben oder
418
ob die Machtübernahme einer intellektuellen Priesterherrschart ansteht. Wir sind ungewiß, ob wir die überkommenen Grenzen der wissenschaftlichen, politischen, ästhetischen und religiösen Intelligenz, die gegebenen Weisen der Vernunfterhaltung erneuern oder dekonstruieren sollen. Das heißt, wir sind ungewiß, ob wir noch Zeitgenossen der Junghegelianer sind. Diese Ungewißheiten sind Anlaß genug, sich gelassen jener Transparenz zu erinnern, die nur in Übergängen und Zwischenräumen sich einstellt.
419
Literaturverzeichnis Übersicht A Primärliteratur 1 Zeitschriften und Zeitungen 2 Werkausgaben, Bücher, Broschüren, Aufsatze, Artikel, Memoirenliteratur, Textsammlungen B Sekundärliteratur (Die vorliegende Arbeit wurde Anfang 1984 fertiggestellt Zu einem späteren Zeitpunkt erschienene Sekundärliteratur wurde nur punktuell berücksichtigt)
A. Primärliteratur 1 Zeitschriften und Zeitungen Allgemeine Literatur Zeitung Monatsschrift Hg v Bruno Bauer, Charlottenburg, Dezem ber 1843 bis Oktober 1844, H 1-12, Zit ALZ Andekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Pubhcistik Hg v Arnold Ruge 2 Bde, Zürich und Winterthur 1843, Zit An Athenäum Zeitschrift für das gebildete Deutschland Redigiert von Karl Riedel, Berlin 1841, Zit Ath Berliner Blatter Von Karl Nauwerck, Berlin 1844, H 1-6 Berliner Monatsschrift Hg v Ludwig Buhl, Mannheim 1844, Zit BM Berliner Wespen Von Feodor Wehl, Leipzig 1843, H 1-5 Das Westphahsche Dampfboot Redigiert von Dr Otto Luning, Bielefeld 1845-1846, Paderborn 1847-1848, Zit WD Der Freihafen Galerie von Unterhaltungsbildern aus den Kreisen der Literatur, Gesell Schaft und Wissenschaft Altona 1 (1838)-7(1844) Deutsche Jahrbucher für Wissenschaft und Kunst Hg v Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer, Leipzig 1841-1843, Zit DJ Deutsche Viertelsjahrschrift Stuttgart Tubingen 1838-1847, Zit DVjs Deutsch franzosische Jahrbucher Hg v Arnold Rüge und Karl Marx, Paris 1844 Deutsches Bürgerbuch Hg v Hermann Puttmann, Bd 1 Darmstadt 1845, Bd 2 Mannheim 1846 Die Epigonen Leipzig 1846-1848 Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz Hg v Georg Herwegh Zürich und Winterthur 1843, Zit EB Evangelische Kirchen Zeitung Hg v Ernst Wilhelm Hengstenberg, Berlin 1838-1846, Zit EKZ Gesellschaftsspiegel Organ zur Vertretung der besitzlosen Volksklassen und zur Beleuch tung der gesellschaftlichen Zustande der Gegenwart Redigiert von Moses Heß, Eiber feld 1845-1846, H 1-12
420
Grenzboten Eine deutsche Revue Redigiert von Ignaz Kuranda, Leipzig 2(1843)-6(1847) Hallische Jahrbucher für deutsche Wissenschaft und Kunst Hg v Arnold Rüge und Theo dor Echtermeyer, Leipzig 1838-1841, Zit HJ Jahrbucher der Gegenwart Hg v Albert Schwegler, Stuttgart 1(1843), Tubingen 2(1844)5(1847), Zit JG Jahrbucher für spekulative Philosophie und die philosophische Bearbeitung der empin sehen Wissenschaften Hg v Ludwig Noack, Darmstadt 1(1846)—2(1847) Jahrbucher für wissenschaftliche Kritik Hg v der Societat für wiss Kritik zu Berlin, 1836— 1842, Zit JWK Leipziger Allgemeine Zeitung für Buchhandel und Bucherkunde, Leipzig 1(1838)—2(1839), Zit LAZfB Norddeutsche Blatter für Kritik, Literatur und Unterhaltung, Berlin 1844-1845, H 1-11, (= Beitrage zum Feldzuge der Kritik Norddeutsche Blatter für 1844 und 1845 Mit Bei tragen von Bruno und Edgar Bauer, A Frankel, L Koppen, Szeliga u a , 2 Bde, Berlin 1846) Zit NB Rheinische Jahrbucher zur gesellschaftlichen Reform Hg unter Mitwirkung Mehrerer von Hermann Puttmann, Bd 1 Darmstadt 1845, Bd 2 Belle Vue bei Constanz 1846 Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe, Köln (vom 1 Januar 1842 bis Ende März 1843), Zit RhZ Theologische Jahrbucher In Verbindung mit mehreren Gelehrten Hg v Eduard Zeller, Tübingen 1(1842)-3(1844) Vorwärts' Volkstaschenbuch Hg v Robert Blum und Friedrich Steger, Leipzig 1843— 1845 Hg v Robert Blum 1846-1847 Wigands Vierteljahrsschrift, Leipzig 1844-1845, Zit WVjs Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie Hg v Immanuel Hermann Fichte, Bonn 1(1837)-16(1846), Zit ZPsT Zeitschrift für spekulative Theologie, in Gemeinschaft mit einem Verein von Gelehrten hg v Bruno Bauer, Berlin 1(1836)-3(1838) 2 Werkausgaben, Bucher, Broschüren, Aufsatze, Artikel, Memoiren, Textsammlungen (Kleine Korrespondenzen, Notizen u a sowie nicht mehrfach zitierte Rezensio nen sind nur in den Anmerkungen aufgeführt) ANONYM Adresse der deutschen Arbeiter in London an Johannes Ronge, in Rheinische Jahrbucher, Bd 1, 1845, S 326-329 -, Allgemeine publizistische Übersicht der neuesten Zeitereignisse und sozialen Zustande, in Der Freihafen 3(1840) H 2, S 240-279 -, Briefe aus Berlin, in NB August 1844, Heft 2, S 20-27 -, Briefe über das ökonomische und wissenschaftliche Leben eines Studierenden mit besonderer Rucksicht auf die theologischen Vorlesungen in Halle von einem Freunde der Wahrheit und des Lichtes, Braunschweig 1828 -, Bucher und Literaten in London, in LAZfB 1(1838) Sp 28-29 -, Correspondenzen, in NB August 1844, H 2, S 79-94 -, Das Glaubensbekenntnis der »Norddeutschen Blatter«, in Die Epigonen 1846, Bd 1, S 303-311 -, Das System der Bevormundung gegenüber der freien Staatsentwicklung, in RhZ 160 v 9 6 1842 -, Der Dom zu Köln, in RhZ 9 v 9 1 1842 (Beiblatt) -, Der Jesuitismus der evangelischen Kirchenzeitung, in HJ 1840 Sp 1966-1967
421
Der Liberalismus Rheinpreußens und Ostpreußen, in RhZ 163 v 12 6 1842 (Beiblatt) Der Minister Eichhorn, in EB 1843, S 197-206 Der Posaunist und das Centrum der Hegeischen Philosophie, in DJ 1842, S 542-550 Der Streit des Diesseits und des Jenseits in der deutschen Philosophie (oder vom kritischen und vom absoluten Wissen), in DVjs 1843, H 2,S 1-73 Der Zeitgeist oder das Geld, Dortmund 1834 Deutschlands politische Zeitungen, Zürich und Winterthur 1842 Die destruktiven Tendenzen, in RhZ 123 v 3 5 1842 (Beiblatt) Die deutsche Presse im Jahre 1842, in Vorwärts1 Volkstaschenbuch für das Jahr 1843, Leipzig 1843, S 100-112 Die freie Gemeinde in Halle, in WD 1846, S 502-506 Die freie Gemeinde in Marburg, in WD 1847, S 196-200 Die literarische Zeitung über Preßfreiheit, in RhZ 40 v 9 2 1843 (Beiblatt) Die Jiteransche Zeitung< und der >Liberalismus<, in RhZ 1 v 1 1 1843 Die Partei der Evangelischen Kirchen-Zeitung, in EKZ 1846, Sp 129-274 Die philosophische Kritik und die deutschen Jahrbucher, in An 1843,Bd 2,S 209-214 Die preußische Presse, in RhZ 6 v 6 1 1843 Die religiöse Bewegung und der Sozialismus, in Tnersche Zeitung v 215 1847 Die Schamhaftigkeit der deutschen Journale, in NB Dezember 1844, H 6, S 77-80 Die Stellung der Bürokratie zur Presse, in RhZ 19 u 22 v 19 u 22 1 1843 Die Trianer, D F Strauß, L Feuerbach und A Rüge und ihr Kampf für die moderne Geistesfreiheit Ein Beitrag zur letztvergangenen deutschen Geistesbewegung Von einem Epigonen, Kassel 1852 Die Voraussetzungen des Hegeischen Systems, in ZPsT4(1839)H 2, S 291-306 Edgar Bauer über die liberalen Bestrebungen in Deutschland, in JG 1(1843), S 261266 Ein Wort gegen Wort und Gegenwort in der Berliner Sonntagsfeier Angelegenheit Von einem praktischen Geistlichen, Glogau 1842 Ein Wort über die Regierung und die protestantischen Freunde, in WVjs 1845, Bd 4, S 325-326 Fanatismus, in RhZ 116 v 26 4 1842 G G Gervinus Eine Charakteristik, in HJ 1838 Sp 1329-1349 Kritik und Partei - Der Vorwurf gegen die neueste Geistesentwicklung, in DJ 1842, S 1175-1182 Lebensbeschreibung freisinniger Manner Julius Rupp, in Vorwärts1 Volkstaschen buch, Leipzig 1847, S 191-200 Neue kritische Zeitschriften, in NB Juli 1844, H 1, S 1-21 Notiz zum »wahren« philosophischen Styl, in Grenzboten 3(1844) 1 Sem, No 26, S 834 Opposition und Reaktion, in RhZ 191 v 10 7 1842 Politische Schlagworter, in Grenzboten 6(1847) 2 Sem Bd 3,No 33, S 276-79 Pressprozeß Edgar Bauers über das von ihm verfaßte Werk Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat Aktenstucke, Bern 1844 Ronge, in NB Dezember 1844, H 6, S 71-75 Über die Hegeische Philosophie und Hegeische Schule, in Ath 1841, S 447-453 Über die jetzige Stellung des Schriftstellers zum Buchhändler in Deutschland, nament lieh in materiellen Beziehungen, m LAZfB 1(1838) Sp 588-608 Über die Lesevereine in Deutschland, in DVjs 1839, H 1, S 239-251 Über Stellung und Verhältnis der Gymnasiallehrer in Preußen, in DJ 1842, S 708-719 Uhhch.in NB März 1845, H 9, S 73-80 Wislicenus und seine Gegner, in WD 1845, S 321-326
422
-, Zeitungs-Korrespondenten, in: RhZ 42 v. 11.2.1842 -, Zwei Vota über das Zerwürfnis zwischen Kirche und Wissenschaft, in: DJ 1842, S. 2535 ADLER, HANS (Hg): Literarische Geheimberichte. Protokolle der Metternich-Agenten, 1840-1848, 2 Bde, Köln 1977 ANDERSEN,. PETER FRIEDRICH: Die neuesten anabaptistischen Bewegungen in Dänemark, Leipzig 1845 ANHALT, EMIL: Die deutsche Einheit und die religiösen Bewegungen der Gegenwart, in: Vorwärts! Volkstaschenbuch, Leipzig 1846, S. 99-108 (BAKUNIN, MICHAIL): Die Reaktion in Deutschland. Ein Fragment von einem Franzosen, in DJ 1842, S. 985-1002 BAUER, BRUNO: Feldzüge der reinen Kritik, hg. v. HANS-MARTIN SASS, Frankfurt/M 1968. Zit.: >Feldzüge< -, Kritik der Geschichte der Offenbarung, 2 Bde, Berlin 1838 -, Rezension: D.F. Strauß: Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie, Tübingen 1837, in: JWK 1838 Sp. 817-838 -, Herr Dr. Hengstenberg. Kritische Briefe über den Gegensatz des Gesetzes und des Evangeliums. Ein Beitrag zur Kritik des religiösen Bewußtseins, Berlin 1839 -, Rezension: D. Schulz, Das Wesen und Treiben der Berliner evangelischen Kirchenzeitung, Breslau 1839, in: JWK 1839 Sp. 247-259 —, Die evangelische Landeskirche Preußens und die Wissenschaft, Leipzig 1840, Zit.: >Landeskirche< -, Der christliche Staat und unsere Zeit, in: HJ 1841, S. 537-558, auch: >Feldzüge<, S. 7-43 -, Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen. Ein Ultimatum, Leipzig 1841, Zit.: >Posaune< -, Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker und des Johannes, 3 Bde, Leipzig 1841/1842 -, Die Parteien im jetzigen Frankreich, in: RhZ 23 v. 23.1.1842 (Beiblatt) -, Die deutschen Sympathien für Frankreich, in RhZ 37 v. 6.2. 1842 (Beiblatt) -, Die Zersplitterung der Parteien in Frankreich, in: RhZ 41 v. 10.2.1842 (Beiblatt) -, Rezension: Lebensbilder aus den Befreiungskriegen, 2 Abteilungen, Jena 1841, in: RhZ 60, 65, 72, 90 v. 1.-31.3.1842 (Beiblätter) -, Die Kollisionen in den konstitutionellen Staaten, in: RhZ 86 v. 27.3.1842 (Beiblatt) -, Was ist Lehrfreiheit?, in: RhZ 102 v. 12.4.1842 (Beiblatt) -, Hegels Lehre von der Religion und Kunst von dem Standpunkte des Glaubens aus beurteilt, Leipzig 1842 -, Die Mythe von Hegel, in: RhZ 167 v. 16.6.1842 (B. Bauer zugeschrieben) -, Louis Philippe und die Juli-Regierung, in: RhZ 170, 172, 174 v. 19.-23.6.1842 (Beiblätter) -, Johann Christian Edelmann oder Spinoza unter den Theologen, in: DJ 1842, S. 12051212 -, Die gute Sache der Freiheit und meine eigene Angelegenheit, Zürich und Winterthur 1842 (Auszüge in: >Feldzüge<, S. 91-152) -, Rezension: D.F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft, 2 Bde, 1840-41, in: DJ 1843, S. 81-95 -, Rezension: Bremisches Magazin für evangelische Wahrheit gegenüber dem modernen Pietismus, Bremen 1841, in: An 1843, Bd. 2, S. 113-134 -, Rezension: Th. Kliefoth, Einleitung in die Dogmengeschichte, Parchim und Ludwigslust 1839, in: An 1843, Bd. 2, S. 135-159
423
—, Rezension: v. Ammon, Die Geschichte des Lebens Jesu mit steter Rücksicht auf die vorhandenen Quellen, Leipzig 1842, in: An 1843, Bd. 2, S. 160-185 —, Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden, in: EB 1843, S. 56-71 (auch: >Feldzüge< S. 175-195) -, Die Judenfrage, Braunschweig 1843 -, Das entdeckte Christenum. Eine Erinnerung an das 18. Jahrhundert und ein Beitrag zur Krisis des neunzehnten, Zürich und Winterthur 1843. Neuausgabe: E. BARNIKOL, Das entdeckte Christentum im Vormärz, Jena 1927 -, Geschichte der Politik, Cultur und Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts, 2 Bde, Charlottenburg 1843/45 -, Rezension: Neueste Schriften zur Judenfrage, in: ALZ Dezember 1843, H. 1, S. 1-17 -, Korrespondenz aus der Provinz, in: ALZ Mai 1844, H. 6, S. 20-38 —, Briefwechsel zwischen Bruno Bauer und Edgar Bauer während der Jahre 1839-1842 aus Bonn und Berlin, Charlottenburg 1844, Zit.: >Bauer-Briefwechsel 39—42< -, Was ist jetzt Gegenstand der Kritik?, in: ALZ Juli 1844, H., S. 18-26 (auch: >Feldzüge< S. 200-212) -, Die Gattung und die Masse, in: ALZ Sept. 1844, H. 10, S. 42-48 (auch: >Feldzüge<, S. 213-23) -, Innere Geschichte des Illuminaten-Ordens, in: ALZ Oktober 1844, H. 11/12, S. 1-25 -, Ludwig Feuerbach, in: NB Oktober 1844, H. 4, S. 1-13 -, Der Sturz des Illuminaten-Ordens, in: NB November 1844, H. 5, S. 35-49 -, Die Lichtfreunde in Köthen, in: NB November 1844, H. 5, S. 50-75 -, Charakteristik Ludwig Feuerbachs, in: WVjs 1845, Bd. 3, S. 86-146 -, EDGAR BAUER, ERNST JUNGNITZ: Geschichte der französischen Revolution bis zur Stiftung der Republik, 3 Bde, Charlottenburg 21847 —, Vollständige Geschichte der Parteikämpfe in Deutschland während der Jahre 18421846, 3 Bde, Charlottenburg 1847, Zit. als: >Parteikämpfe< —, Die bürgerliche Revolution in Deutschland seit dem Anfang der deutsch-katholischen Bewegung bis zur Gegenwart, Berlin 1849 BAUER, EDGAR: Wer ist ein Preuße?, in: RhZ 66 v. 7.3.1842 —, Über die Unmöglichkeit eines deutschen Lustspiels, in: RhZ 70 v. 11.3.1842 —, Kommentare zur Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts. I. Adam Weishaupt und die Illuminaten, in: RhZ 125 v. 5.5.1842 -, Das Juste-Milieu. Erster Artikel, in: RhZ 156 v. 5.6.1842; Zweiter Artikel, in: RhZ 228, 230,233,235 v. 16., 18., 21., 28.8.1842 —, Die Parteiungen in politischen Ansichten, in: RhZ 165 v. 14.6.1842 -, Fraktionen des Liberalismus, in: RhZ 170 v. 19.6.1842 -, Die wahren Liberalen, in: RhZ 171 v. 20.6.1842 -, Wechselwirkung zwischen dem politischen Leben und den Zeitungen, in: RhZ 175 v. 24.6.1842 -, Politischer Charakter der Hauptstadt, in: RhZ 191 v. 10.7.1842 -, Die Zeitungsredakteure, einem Staatsexamen unterworfen, in: RhZ 67 v. 8.3.1842 -, Anständig und wohlmeinend, in: RhZ 269 v. 26.9.1842 -, Bruno Bauer und seine Gegner, Berlin 1842 -, Geschichte Europas seit der ersten französischen Revolution von Archibald Alison (Rezension), in: DJ 1842, S. 1185-1195 —, Staat, Religion und Partei, Leipzig 1843 (E. Bauer zugeschrieben) —, Die liberalen Bestrebungen in Deutschland, 1. Heft: Die Ostpreußische Opposition, 2. Heft: Die Badische Opposition, Zürich und Winterthur 1843 -, Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat, Charlottenburg 1843 -, Über Sentimentalität, in: BM 1844, S. 195-211
424
-, Die Zeitung macht frei und gleich, in: ALZ Mai 1844, H. 6, S. 41-49 -, »1842«, in: ALZ Juli 1844, H. 8, S. 1-8 -, Über Bequemlichkeit. Ein Bruchstück aus einem Roman: Cäcilie, in: NB August 1844, H. 2, S. 27-33 -, Geschichte der konstitutionellen und revolutionären Bewegungen im südlichen Deutschland in den Jahren 1831-1834,3 Bde, Charlottenburg 1845 -, Die Reise auf öffentliche Kosten, in: Die Epigonen, Leipzig 1848, Bd. 5, S. 9-113 BAUER, EDUIN: Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutsch-katholischen Kirche, Meißen 1845 BAUR, FERDINAND CHRISTIAN: Die christliche Gnosis oder die Geschichte der christlichen Religionsphilosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Tübingen 1835 -, Das manichäische Religionssystem nach den Quellen neu untersucht und entwickelt, Tübingen 1831 BAYRHOFFER, KARL THEODOR: Die Idee und Geschichte der Philosophie, Marburg 1838 -, Über den Deutsch-Katholizismus, Marburg 21845 -, Der praktische Verstand und die marburger Lichtfreunde. Eine Antwort auf die Schrift des Herrn Pfarrer Hieronymi in Darmstadt: Die Hegelianer als Lichtfreunde, Darmstadt 1846 -, Das wahre Wesen der gegenwärtigen religiösen Reformation in Deutschland, Mannheim 1846 -, Wesen, Geschichte und Kritik der Religion, in: Jahrbücher für spekulative Philosophie und die philosophische Bearbeitung der empirischen Wissenschaften, hg. v. LUDWIG NOACK2(1847), S. 315-326; S. 563-579; S. 877-893; S. 1101-1136 BECKER, AUGUST: Geschichte des religiösen und atheistischen Frühsozialismus. Eingeleitet und hg. v. ERNST BARNIKOL, Kiel 1932 BIEDERMANN, KARL: Das preußische Staatsprincip kritisch beleuchtet, in: HJ 1839 Sp. 2177-2216 -, Die deutsche Philosophie in ihrer Stellung zum öffentlichen Leben und zur modernen Gesellschaft, in: Der Freihafen 4(1841) H. 1, S. 217-251 BLUM, ROBERT; WIGARD, FRANZ (Hg): Die erste allgemeine Kirchenversammlung der deutsch-katholischen Kirche, abgehalten zu Leipzig, Ostern 1845. Authentischer Bericht. Leipzig 1845 (BÖTTICHER, W.): Worte eines Laien über die christliche Sonntagsfeier an ihre Gegner und Verächter, Berlin 1842 BRUNNER, SEBASTIAN: Des Genies Malheur und Glück, Leipzig 1843 (BUHL, LUDWIG): Hegels Lehre vom Staat und seine Philosophie der Geschichte in ihren Hauptresultaten, Berlin 1837 -, Die europäische Triarchie, in: Ath 1841, S. 161-165 -, Die Weltstellung der Revolution, in: Ath 1841, S. 463-482 -, Die Verfassungsfrage in Preußen nach ihrem geschichtlichen Verlaufe, Zürich und Winterthur 1842 -, Der Beruf der preußischen Presse, Berlin 1842 —, Die Noth der Kirche und die christliche Sonntagsfeier. Ein Wort des Ernstes an die Frivolität der Zeit, Berlin 1842 -, Offenes Bekenntnis, in: BM 1844, S. 1-14 -, Die Herrschaft des Geburts- und Boden-Privilegiums in Preußen, Mannheim 1844 -, Andeutungen über die Noth der arbeitenden Klassen und über die Aufgaben der Vereine zum Wohl derselben, Berlin 1845 CANZ, WILHELMINE: Eritis sicut deus, 3 Bde, Hamburg 1854 CAROVE, FRIEDRICH WILHELM: Die Pressefreiheit und die Historisch-Politischen Blätter von Görres und Philipps, in: RhZ 209 v. 28.7.1842 (Beiblatt)
425
CIESZKOWSKI, AUGUST von: Prolegomena zur Historiosophie. Mit einer Einleitung von RÜDIGER BUBNER und einem Anhang v. JAN GAREWICZ, Hamburg 1981 -, Selected Writings. Essay by ANDRE LIEBICH: August Cieszkowski: Praxis and messianism as reform, Cambridge 1979 -, Gott und Palingenesie, Berlin 1842 COLLMANN: Quellen, Materialien und Commentar des gemein deutschen Preßrechts, Berlin 1844 KONER; WILHELM DAVID: Gelehrtes Berlin im Jahre 1845. Verzeichnis im Jahre 1845 in Berlin lebender Schriftsteller, Berlin 1846 DRONKE, ERNST: Berlin. 2 Bde, Frankfurt 1846 ECHTERMEYER, THEODOR: Der Vorwurf destruktiver Tendenzen^ in: HJ 1840 Sp. 763-766 -, RÜGE, ARNOLD, Der Protestantismus und die Romantik. Zur Verständigung über die Zeit und ihre Gegensätze. Ein Manifest, in: HJ 1839: Erster Artikel Sp. 1953-2004; Zweiter Artikel Sp. 2113-2164; Dritter Artikel Sp. 2401-2480; in: HJ 1840: Vierter Artikel Sp. 417-512 EICHLER, LUDWIG: Berlin und die Berliner, Berlin 1840-1842, Folge 1-5 EGIDIUS, H.L.: Emigranten und Märtyrer. Ein Beitrag zur Charakteristik der »deutschfranzösischen Jahrbücher«, in: Konstitutionelle Jahrbücher. Hg. v. KARL WEILL, Stuttgart 1844, S. 110-171 ELIAS, WILHELM: Söhne der Zeit. Eine Novelle, Halle 1840 ENGELS, FRIEDRICH: Schriften der Frühzeit. Aufsätze, Briefe, Dichtungen aus den Jahren 1838-1844 nebst einigen Karikaturen und einem unbekannten Jugendbildnis des Verfassers. Gesammelt und hg. v. GUSTAV MAYER, Berlin 1920 ESTERMANN, ALFRED (Hg): Politische Avantgarde 1830-1840. Eine Dokumentation zum »Jungen Deutschland«, 2 Bde, Frankfurt/M 1972 EXNER, FRANZ: Psychologie der Hegeischen Schule, 2 Hefte, Leipzig 1842/1844 FELDMANN, CHR.: Die materiellen Interessen und die Bildung der Zeit, zunächst in Beziehung auf Deutschland, in: Der Freihafen5(1842) H. 2, S. 60-75 FEUERBACH, LUDWIG: Werke in sechs Bänden, hg. v. ERICHTHIES, Frankfurt 19751976. Schriften von Ludwig Feuerbach werden nach dieser Ausgabe zitiert: LFW —, Ausgewählte Briefe von und an Ludwig Feuerbach, aufgrund der von WILHELM BOLIN besorgten Ausgabe neu hg. und erweitert von HANS-MARTIN SASS (= Bd. 12/13 der 2. Aufl. der Sämtlichen Werke L. Feuerbachs, hg. v. W. BOLIN, F. JODL) Stuttgart 1964, Zit.: LFB FICHTE, IMMANUEL HERMANN: Die philosophische Literatur der Gegenwart. 5. Artikel, in: ZPsT 9 (NF 5) (1842) H. 1, S. 93-149 -, Die philosophische Literatur der Gegenwart. 9. Artikel, in: ZPsT 13 (1844) H. 2, S. 298-334 FISCHER, KUNO: Moderne Sophisten, in: Die Epigonen 5(1848) S. 277-316 (FLEISCHER, MORITZ): Staat und Censur, in: RhZ 79 v. 20.3.1842 (Beiblatt) FONTANE, THEODOR: Christian Friedrich Scherenberg und das literarische Berlin von 1840 bis 1860, Berlin 1885 -, Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Berlin 21898 FRÄNKEL, ALBERT: Skizzen aus Berlin, in: Grenzboten 3(1844) 1. Sem., No 26, S. 13-25 -, Die religiösen Bewegungen, in: NB Januar 1845, H. 7, S. 60-71 -, KOPPEN, LUDWIG (= KARL FRIEDRICH KOPPEN): Berliner Skizzen. Bilder und Charakteristiken aus dem Leben der Gesellschaft, 3 Bde, Berlin 1846 FRAUENSTÄDT, JULIUS: Rezension: 1. F.K. Biedermann, Fundamental-Philosophie, Leipzig 1838. 2. K. Biedermann, Wissenschaft und Universität in ihrer Stellung zu den praktischen Interessen der Gegenwart. Eine Gegenschrift gegen »Prof. K.H. Scheidler:
426
Über die Idee der Universität in ihrer Stellung zur Staatsgewalt«,, Leipzig 1839, in: HJ 1839 Sp. 2225-2280 FREY, ARTHUR: Lebensbeschreibungen freisinniger Männer. Karl Heinzen, in: Vorwärts! Volkstaschenbuch, Leipzig 1847, S. 240-258 FRIEDENSBURG, W.: Bemerkungen über Hegel'sche Philosophie, von einem Apostaten, in: Grenzboten 3(1844) 2. Sem, No. 1, S. 34-39; No. 3 S. 108-114; No. 20, S. 296-307 -, Die Fortschrittstheorie in Deutschland, in: Grenzboten 3 (1844) 2. Sem., No. 22, S. 411— 414 GANS, EDUARD: Vermischte Schriften, 2 Bde, Berlin 1834 -, Rückblicke auf Personen und Zustände, Berlin 1836 (GELZER, HEINRICH): Die geheimen deutschen Verbindungen in der Schweiz seit 1833. Ein Beitrag zur Geschichte des modernen Radikalismus und Communismus, Basel 1847 GERVINUS, GEORG GOTTFRIED: Die Mission der Deutsch-Katholiken, Heidelberg 1845 GISEKE, ROBERT: Moderne Titanen oder kleine Leute in großer Zeit, 3 Bde, Leipzig 2 1853 GLASSBRENNER, ADOLPH: Schilderungen aus dem Berliner Volksleben, Berlin 1841 GOETHE, JOHANN WOLFGANG von: Dichtung und Wahrheit, in: Goethes Werke (Hamburger Ausgabe) Bd. 9 und 10 Hamburg51964 GOTTSCHALL, RUDOLF: Lieder der Gegenwart, Königsberg 1842 -, Censur-Flüchtlinge. Zwölf Freiheitslieder, Zürich und Winterthur 1843 -, Die deutsche Philosophie seit Hegel's Tod, in: Die Gegenwart. Eine encyclopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, Bd. 6, Leipzig 1851, S. 292-340 -, Die deutsche Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhundert. Literarhistorisch und kritisch dargestellt, 4 Bde, Breslau 31872 -, Aus meiner Jugend. Erinnerungen, Berlin 1898 GUTACHTEN der Ev.-theolog. Fakultäten der Kgl. Preuß. Universitäten über den Lic. Bruno Bauer in Beziehung auf dessen Kritik der ev. Geschichte der Synoptiker. Im Auftrage des vorgesetzten hohen Ministeriums hg. v. der ev. theolog. Fakultät der Rhein.Friedrich-Wilhelm-Universität, Berlin 1842 HANSEN, JOSEPH (Hg): Rheinische Briefe und Akten aus der Geschichte der politischen Bewegung 1830-1850, Bd. 1, Essen 1919 HEGEL, GEORG WILHELM FRIEDRICH: Werke in zwanzig Bänden, hg. v. EVA MOLDENHAUER und KARL MARKUS MICHEL (= Theorie Werkausgabe) Frankfurt/M 1970 (die nachfolgend aufgeführten Ausgaben ausgenommen, werden G.W.F. Hegels Schriften nach dieser Ausgabe zitiert: HW) -, Phänomenologie des Geistes, hg. v. JOHANNES HOFFMEISTER, in: Hegel, Sämtliche Werke, Neue kritische Ausgabe, Bd. 5, Hamburg 61952 -, Die Philosophie des Rechts. Die Mitschriften Wannenmann (Heidelberg 1817/1818) und Homeyer (Berlin 1818/1819) hg. v. KARL-HEINZ ILTING, Stuttgart 1893 —, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen in seinem Handexemplar und den mündlichen Zusätzen. Hg. v. HELMUT REICHELT, Frankfurt/M 1972 -, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, hg. GERD IRRLITZ, 3 Bde, Leipzig 1971 -, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: G.W.F. Hegel's Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. 9, Berlin 21840 -, Briefe von und an Hegel, hg. v. JOHANNES HOFMEISTER, 3 Bde, Hamburg 19521954 HEILBRONN, ERNST: Die gute Stube. Berliner Geselligkeit im 19. Jahrhundert, Wien München Leipzig 1922
427
HEINZEN, KARL: Die geheimen Konduitenlisten der Beamten, Köln 1842 -, Die preußische Büreaukatie, Darmstadt 1845 HERMAND, JOST (Hg): Das junge Deutschland. Texte und Dokumente, Stuttgart 1974 HERWEGH, GEORG: Gedichte eines Lebendigen, Zürich und Winterthur 1841 -, Georg Herweghs Briefwechsel mit seiner Braut, hg. v. MARCEL HERWEGH, Stutt2 gart 1906 -, »1848«, Briefe von und an Georg Herwegh, hg. v. MARCEL HERWEGH, München 1896 HERZEN, ALEXANDER: Erinnerungen. Aus dem Russischen übertragen, hg. und eingeleitet von OTTO BUEK, 2 Bde, Berlin 1907 HESS, MOSES: Sozialistische Aufsätze 1841-1847, hg. v. THEODOR ZLOCISTI, Berlin 1921,Zit.:SA -, Philosophische und sozialistische Schriften 1837-1850. Eine Auswahl, hg. und eingeleitet v. AUGUSTE CORNU u. WOLFGANG MÖNKE, Berlin (Ost) 1961 -, Die heilige Geschichte der Menschheit. Von einem Jünger Spinozas, Stuttgart 1837 -, Die europäische Triarchie, Leipzig 1841 -, Gegenwärtige Krise der deutschen Philosophie, in: Ath 1841, S. 623-625 -, Die Tagespresse in Deutschland und Frankreich, in: RhZ 163 v. 12.6.1842 (Beiblatt) -, Über den Verein der »Freien« in Berlin, in: RhZ 181 v. 30.6.1842 -, Tendenz der Rheinischen Zeitung, in: RhZ 196 v. 15.7.1842 -, Religion und Sittlichkeit, in: RhZ 216 v. 4.8.1842 (Beiblatt) -, Die politischen Parteien in Deutschland, in: RhZ 254 v. 11.9.1842 (Beiblatt) -, Sozialismus und Kommunismus, in: EB 1843, S. 74-91 -, Die Eine und ganze Freiheit, in: EB 1843, S. 92-97 -, Philosophie der Tat, in: EB 1843, S. 309-331 -, Die letzten Philosophen, Darmstadt 1845 -, Briefwechsel, hg. v. EDMUND SILBERNER, 's-Gravenhage 1959 HIERONYMI, WILHELM: Die Hegelianer als Lichtfreunde oder zwei Dokumente der neuesten marburger Kirchenphilosophie beleuchtet mit dem Lichte des praktischen Verstandes und aus der hegelschen Sprache in die gewöhnliche deutsche übersetzt, Darmstadt 1846 HINRICHS, HERMANN FRIEDRICH WILHELM: Die Fragen der Gegenwart und Prof. Michelet's Geschichte der letzten Systeme, in: HJ 1839 Sp. 457-476 —, Rezension: Die Posaune des jüngsten Gerichts wider Hegel den Atheisten und Antichristen, 1841, in: JWK 1842 Sp. 409-438 -, Politische Vorlesungen. Unser Zeitalter und wie es geworden, nach seinen politischen, kirchlichen und wissenschaftlichen Zuständen, mit besonderem Bezüge auf Deutschland und namentlich Preußen, 2 Bde, Halle 1843 -, Trutz — Rom - und - Jesuiten. Ein Gedenkblatt für römisch- und deutsch-katholische Christen, Halle 1845 -, Trier - Ronge - Schneidemühl. Ein fliegendes Blatt, Halle 1845 HOFFMANN von FALLERSLEBEN, AUGUST HEINRICH: Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 4, Hannover 1868 HUMBOLDT, WILHELM von: Der königsberger und der litauische Schulplan, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 13, Berlin 1920, S. 259-283 JACHMANN, KARL REINHOLD: Sabbath und Sonntag oder die christliche Sonntagsfeier. Eine Zeitfrage erörtert, Königsberg 1842 -, Preußen seit der Einsetzung Arndt's bis zur Absetzung Bauers, in: EB 1843, S. 1-32 JACOBY, JOHANN: Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen, Straßburg 1841 -, Briefwechsel 1816-1849, Hg. v.EDMUND SILBERNER, Hannover 1974 JEAN PAUL: Über die jetzige Sonnenwende der Religion, in: Jean Paul Werke, hg. v. W. MILLER, W. HÖLLERER, Bd. 10, München Wien 1975, S. 1025-1033
428
JORDAN, WILHELM: Irdische Phantasien, Königsberg 1842 -, Die unbewußte Heuchelei und Dr. Rupp, in: BM 1844, S. 50-81 -, Ihr träumt! Weckruf an das Rongeberauschte Deutschland, Leipzig 1845 -, Die religiöse Bewegung der Gegenwart, in: WVjs 1845, Bd. 4, S. 155-220 -, Demiurgos. Ein Mysterium, 3 Theile, Leipzig 1854 JULIUS, GUSTAV: Verteidigung der Leipziger Allgemeinen Zeitung, Braunschweig 1843 -, Theorie und Praxis, in: WVjs 1844, Bd. 1, S. 61-131 -, B. Bauer und die Judenfrage, in: WVjs 1844, Bd. 1, S. 278-286 -, Herr Hinrichs und die moderne Kritik, in: WVjs 1845, Bd. 1, S. 314-323 -, Der Streit der sichtbaren mit der unsichtbaren Menschenkirche oder Kritik der Kritik der kritischen Kritik, in: WVjs 1845, Bd. 2, S. 326-333 -, Bruno Bauer und die Entwicklung des theologischen Humanismus unserer Tage. Eine Kritik und Charakteristik, in: WVjs 1845, Bd. 3, S. 52-85 -, Arnold Ruge, in: Grenzboten 5(1846) 1. Sem, 2. Bd., No. 19, S. 221-234; No. 20, S. 275-286 JUNG, ALEXANDER: Die Kritik in Charlottenburg oder die Gebrüder Bauer, in: Königsberger Literaturblatt v. 17., 20. und 24.7.1844 Sp. 449^168 -, Königsberg und die Königsberger, Leipzig 1846 JUNGNITZ, ERNST: Religion und Kirche in Frankreich bis zur Auflösung der Konstituierenden Versammlung, Charlottenburg 1843 -, Religion und Kirche in Frankreich seit der Auflösung der Konstituierenden Versammlung bis zum Sturz Robespierres, 2 Bde, Charlottenburg 1844 —, Rezension: Über die Teilnahme am Staat, v. Karl Nauwerck, Leipzig 1844, in: ALZ 1844, H. 4, S. 21-22 -, Geschichte des religiösen Lebens in Deutschland während des 18. Jahrhunderts, Charlottenburg 1845 —, Geschichte der französischen Revolution von 1787 und 1788, 2 Theile, Charlottenburg 1846 (KÄHNE, K.W.): Neuentdeckte Jesuitenbriefe. Beantwortet durch ein Sendschreiben an Dr. Heinrich Leo, von B. HEGELING, Leipzig 1838 KAHNIS, KARL FRIEDRICH AUGUST: Ruge und Hegel. Ein Beitrag zur Würdigung Hegelscher Tendenzen, Quedlinburg 1838 KLENCKE: Das deutsche Gespenst, 3 Bde, Leipzig 1846 KÖNIG, GEORG FRIEDRICH: Das Verbot der LAZ für den Preußischen Staat, in: RhZ 1 v. 1.1.1843 KOEPPEN, KARL FRIEDRICH: Friedrich der Große und seine Widersacher, Leipzig 1840 -, Zur Feier der Thronbesteigung Friedrich's II, in: H 1840 Sp. 1169-1197 -, Fichte und die Revolution, in: An 1843, Bd. 1, S. 153-196 -, Broschüren über die Judenfrage, in: NB März 1845, H. 9, S. 53-72 -, Die Religion des Buddha, 2 Bde, Berlin 1857/59 KOWALSKI, WERNER (Hg): Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus. Zeitschriften aus der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung (1834-1847), Berlin 1967 KOSZYK, KURT und OBERMANN, KARL (Hg): Zeitgenossen von Marx und Engels. Ausgewählte Briefe aus den Jahren 1844-1852, Assen Amsterdam 1975 LEO, HEINRICH: Sendschreiben an Josef Görres, Halle 1838 -, Die Hegelingen, Halle 21839 LESSING, GOTTHOLD EPHRAIM: Die Erziehung des Menschengeschlechts, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 9, Leipzig 1856, S. 399-425 LÖSER, W.: Die reine Kritik und ihre Bewegung. Zur Charakteristik der von Bruno Bauer und seinen Anhängern in jüngster Zeit eingeschlagenen Richtung, Leipzig 1845
429
LÖWITH, KARL (Hg): Die Hegelsche Linke. Texte aus Werken von Heine, Ruge, Hess, Stirner, Bauer, Feuerbach, Marx und Kierkegaard ausgewählt und eingeleitet v. K. LÖWITH, Stuttgart Bad Cannstatt 1962 LÜBBE, HERMANN (Hg): Die Hegelsche Rechte. Texte aus den Werken von. F.W. Carove, J.F. Erdmann, K. Fischer, E. Gans, H.F.W. Hinrichs, C.L. Michelet, H.B. Oppenheim, K. Rosenkranz und C. Rössler. Ausgew, und eingel. von H. LÜBBE, Stuttgart Bad Cannstatt 1962 MARBACH, GOTTHARD OSWALD: Universitäten und Hochschulen im auf Intelligenz sich gründenden Staate, Leipzig 1834 -, Aufruf an das protestantische Deutschland wider unprotestantische Umtriebe und Wahrung der Geistesfreiheit gegen Dr. H. Leo's Verketzerungen. 2 Artikel, Leipzig 1838/39 MARCARD, H.E.: Ein Literatenleben. Eine Erzählung, Halle 1847 MARGGRAFF, HERRMANN: Deutschlands jüngste Literatur- und Culturepoche. Charakteristiken, Leipzig 1839 MARR, WILHELM: Das junge Deutschland in der Schweiz. Ein Beitrag zur Geschichte der geheimen Verbindungen unserer Tage, Leipzig 1846 MARX, KARL und ENGELS, FRIEDRICH: Historisch-kritische Gesamtausgabe, hg. v. D. RJASANOV, Frankfurt/M 1927 ff. und Berlin 1930 ff.; hg. v. VLADIMIR ADORATSKI1933 ff., Tit.: MEGA -, Werke. Hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (nach der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten 2. russischen Ausgabe) 39 Bde, (Bd. 27-39: Briefe) und ein Ergänzungsband (>Schriften, Manuskripte, Briefe bis 1844<; 2 Halbbände) Berlin 1961-1968, Zit.: MEW MAURER, FRIEDRICH WILHELM GERMAN: Gedichte und Gedanken eines Deutschen in Paris, 2 Bde, Zürich und Winterthur 1844 MEISSNER, ALFRED: Geschichte meines Lebens, 2 Bde, Wien Teschen 1884 MELZER, FRIEDRICH E.: Denkschrift über die wissenschaftlich notwendige Umgestaltung der weltlichen Fakultäten auf den deutschen Universitäten, Leipzig 1841 MERZ, HEINRICH: Philosophie, Christentum und Kirche, in: Der Freihafen 4(1841), H. 4, S. 1-22 MEYEN, EDUARD: Heinrich Leo. Der verhauene Pietist, Leipzig 1839 -, Königsberg in Preußen, in: Ath 1841, S. 209-212; S. 225-229 —, Rezension: v. Schellings religionsgeschichtliche Ansicht. Nach Briefen aus München, Berlin 1841, in: Ath 1841, S. 511-513 -, Die Stellung der deutschen Journalistik, in: Ath 1841, S. 631-633 -, Rezension: Die Posaune des jüngsten Gerichts, in: Ath 1841, S. 719-722 -, Rezension: Berlin und die Berliner von Ludwig Eichler, in: RhZ 58 v. 27.2.1842 -, Blick auf den Anstoß und die Richtung der deutschen Bewegung, in: BM 1844, S. 212239 MICHELET, CARL LUDWIG: Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel, 2 Bde, Berlin 1837-1838 -, Entwicklungsgeschichte der neuesten deutschen Philosophie mit besonderer Rücksicht auf den gegenwärtigen Kampf Schellings mit der Hegeischen Schule, Berlin 1843 -, Wahrheit aus meinem Leben, Berlin 1884 MÜHLBACH, LUISE (= KLARA MUNDT): Eva. Ein Roman aus Berlins Gegenwart, 2 Bde, Berlin 1844 MÜGLICH, JOHANN KARL AUGUST: die Hegelweisheit und ihre Früchte, oder Arnold Rüge mit seinen Genossen in den Hallischen Jahrbüchern und in der Paulskirche, Regensburg 1849 MUNDT, THEODOR: Görres und die Katholische Weltanschauung, in: Der Freihafen 1 (1838) H. 2, S. 182-197
430
-, Über die Vergleichung unserer Zeit mit der Zeit der Reformation, in: Der Freihafen 7(1844) H. 1, S. 1-13 MURGER, HENRY: Scenes de la Vie de Boheme, Paris 1883 NAUWERCK, KARL: Ein Wort über freie Staatsverfassung, Hamburg 1841 -, Conservatismus und Radicalismus. - Beitrag zur Philologie, in: DJ 1842, S. 787-788 -, Zur Verfassungsfrage, in: DJ 1842, S. 1126-1131 -, Rezension: Ein Blick in die inneren Zustäne des preußischen Staates nebst einer Analyse der »Vier Fragen« eines Ostpreußen und kurzer Kritik vier seiner Gegner, Berlin 1841, in: An 1843, Bd. 1, S. 212-227 -, Woher und wohin? oder Der preußische Landtag im Jahre 1840, in: An 1843, Bd. 1, S. 197-211 -, Über die Teilnahme am Staate, Leipzig 1844 -, Vorlesungen über Geschichte der philosophischen Staatslehre, in: WVjs 1844, Bd. 1, S. 1-17; Bd. 2, S. 91-133; Bd. 3, S. 178-215; Bd. 4, S. 268-302; 1845, Bd. 1, S. 9-73 OPITZ, THEODOR: Bruno Bauer und seine Gegner. Vier kritische Artikel, Breslau 1846 -, Die Helden der Masse, Charakteristiken, Grünberg 1847 PFEILSCHMIDT, ERNST HEINRICH: Der Prozeß der halleschen und deutschen Jahrbücher vor Regierung und Ständeversammlung des Königreichs Sachsen. Ein actenmäßiger Beitrag zur Geschichte des Kampfs zwischen dem Christenthume und der neuesten Philosophie, Grimma 1843 PIETSCH, LUDWIG: Wie ich Schriftsteller geworden bin. Bd. 1. Erinnerungen aus den Fünfziger Jahren, Berlin 1893 PRUTZ, ROBERT EDUARD: Herwegh und das deutsche Publikum, in: RhZ 80 v. 21.3.1843 (Beiblatt) -, Gedichte. Neue Sammlung, Zürich und Winterthur 1843 —, Theologie oder Politik? Staat oder Kirche? in: Kleine Schriften. Zur Politik und Literatur, Merseburg 1847, Bd. 2, S. 3-51 -, Über die gegenwärtige Stellung der Opposition in Deutschland, in: Kleine Schriften. Zur Politik und Literatur, Merseburg 1847, Bd. 2, S. 52-88 -, Geschichte des deutschen Journalismus, Hannover 1845 -, Zehn Jahre. Geschichte der neuesten Zeit, 1840-1850, 2 Bde, Leipzig 1850/1856 RAU, HERIBERT: Genial, Frankfurt/M 1844 RIEDEL, KARL: Staat und Kirche. Manuskript aus Norddeutschland, als Antwort an Rom und seine Freunde. Beitrag zur Gedächtnisfeier der Thronbesteigung Friedrichs des Großen, Berlin 1840 -, v. Schellings religionsgeschichtliche Ansicht. Nach Briefen aus München, Berlin 1841 RIEDEL, MANFRED (Hg): Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, 2 Bde, Frankfurt/M 1975 RIEHL, WILHELM HEINRICH: Ein Blick auf die deutsche Journalistik im Jahr 1843, in: Grenzboten 3(1844) 2. Sem., No. 5, S. 208-218 RONGE, JOHANNES: Rede, gehalten den 23.9.1845 in der Münsterkirche zu Ulm, Ulm 1845 ROSENKRANZ, KARL: Rezension: G.W.F. Hegel's Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: JWK 1833, Sp. 561-581; Sp. 641-656 -, Das Centrum der Speculation. Eine Komödie, Königsberg 1840 -, Über den Begriff der politischen Partei, Königsberg 1843 -, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Berlin 1844 -, Aus einem Tagebuch. Königsberg Herbst 1833 bis Frühjahr 1846, Leipzig 1854 -, Ästhetik des Häßlichen, Königsberg 1853 -, Politische Briefe und Aufsätze, hg. v. PAUL HERRE, Leipzig 1919 -, ROTTECK, KARL WENZESLAUS RODECKER von / WELCKER, KARL THEO-
431
DOR: Das Staatslexikon oder Enzyklopädie der Staatswissenscharten, 15 Bde, Altona 1834-1843 RUGE, ARNOLD: Sämtliche Werke, 10 Bde, Mannheim 21847-48, Zit.: Ruge SW -, Rezension: Sendschreiben an J. Görres von Heinrich Leo, in: HJ 1838 Sp. 1169-1204 -, Die Denunciation der Hallischen Jahrbücher, in: HJ 1838 Sp. 1425-1440 -, Preußen und die Reaktion. Zur Geschichte unserer Zeit, Leipzig 1838 -, Der Pietismus und die Jesuiten, in: HJ 1839 Sp. 241-288 -, Karl Streckfuß und das Preußenthum. Von einem Württemberger, in: HJ 1839 Sp. 2089-2107 -, Der christliche Positivismus und das Leben, in: HJ 1839 Sp. 2169-2184 -, Rezension: K.F. Koeppen, Friedrich der Große und seine Widersacher. Eine Jubelschrift, Leipzig 1840, in: HJ 1840 Sp. 999-1000 -, Zur Kritik des gegenwärtigen Staats- und Völkerrechts, in: HJ 1840 Sp. 1201-1244 -, Die abstracten Litteraten unserer Zeit, in: HJ 1840 Sp. 1230-1232 -, Das Manifest der Philosophie und seine Gegner, in: HJ 1840 Sp. 1420-1424 —, Rezension: Karl Rosenkranz, Das Centrum der Speculation. Eine Komödie, Königsberg 1840, in: HJ 1840 Sp. 1486-1488 —, Rezension: Die evangelische Landeskirche Preußens und die Wissenschaft, Leipzig 1840, in: HJ 1840 Sp. 1825-1832 -, Politik und Philosophie. - Noch ein Wort mit den literarischen und kritischen Blättern der Börsenhalle, in: HJ 1840 Sp. 2329-2344 -, Rezension: D.F. Strauß, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft, in: HJ 1840 Sp. 2489-2494 -, Die Hegel'sche Philosophie und der X Philosoph in der Augsburger Zeitung vom 11. Juni 1841, in: DJ 1841, S. 129-143 -, Die Restauration des Christentums, in: DJ 1841, S. 609-620 -, Der protestantische Absolutismus und seine Entwicklung, in: DJ 1841, S. 481-526 -, Wer ist und wer ist nicht Partei? - Das Morgenblatt und die sächsischen Vaterlandsblätter, in: DJ 1842, S. 190-192 -, Das Selbstbewußtsein des Glaubens oder die Offenbarung unserer Zeit, in: DJ 1842, S. 571-598 -, Die Hegeische Rechtsphilosophie und die Politik unserer Zeit, in: DJ 1842, S. 755-768 -, Der christliche Staat - Gegen den Würtemberger über das Preußentum, in: DJ 1842, S. 1065-1072 -, Eine Selbstkritik des Liberalismus, in: DJ 1842, S. 1-12 -, Die Presse und die Freiheit, in: An 1843, Bd. 1, S. 93-116 -, Bruno Bauer und die Lehrfreiheit, in: An 1843, Bd. 1, S. 119-142 -, Neue Wendung der deutschen Philosophie, in: An 1843, Bd. 2, S. 3-61 -, Die historische Komödie unserer Zeit, in: An 1843, Bd. 2, S. 194-205 —, Zwei Jahre in Paris, 2 Bde, Leipzig 1846 -, Politische Bilder aus der Zeit, 2 Bde, Leipzig 1847/1848 -, Aus früherer Zeit, Bd. 4, Berlin 1867 —, Erinnerung an Michael Bakunin, in: Neue Freie Presse, Wien 28. u. 29.9.1876 -, Briefwechsel und Tagebuchblätter aus den Jahren 1825-1880. Hg. v. PAUL NERRLICH, 2 Bde, Berlin 1886, Zit.; >Ruge BW< RUTENBERG, ADOLF: Zur Charakteristik von Rottecks, in: HJ 1841, S. 408-410 -, Radical, Radicalismus, in: K. v. ROTTECK, TH. WELCKER, Das Staatslexikon oder Enzyklopädie der Staatswissenschaften, Bd. 13, Altona 1843, S. 408-420 SAINTE-BEUVE: Die Lohn-Literatur der Franzosen, in: LAZfB 2(1839) No. 130, S. 518519 SANDER, E.: Die protestantischen Freunde und ihre Gegner, in: NB Januar 1845, H.7, S. 20-42
432
SASS, FRIEDRICH: Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung, Leipzig 1846 SCHALLER, JULIUS: Die Philosophie unserer Zeit. Zur Apologie und Erläuterung des Hegelschen Systems, Leipzig 1837 —, Rezension: Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, hg. v. J.H. Fichte. Ersten Bandes, erstes Heft, in: JWK 1837 Sp. 913-917 -, Der historische Christus und die Philosophie, Leipzig 1838 SCHEIDLER, KARL HERMANN: Karl v. Rotteck über Wesen und Studium des Vernunftrechts, Jena 1841 SCHELLING, FRIEDRICH WILHELM JOSEPH: Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, hg. v. M. SCHRÖTER, Jena 1926 SCHMIDT, FRANZ (= FRIEDRICH HERMANN SEMMIG?): Die deutsche Philosophie in ihrer Entwicklung zum Sozialismus, in: Deutsches Bürgerbuch für 1846. Hg. v. HERMANN PÜTTMANN, Mannheim 2 (1846) S. 57-81 SCHMIDT, JULIAN: Die gute Sache der Freiheit, in: Grenzboten 6 (1847) 1. Sem., Bd. 2, S. 206-210 -, Geschichte der Deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 3, Die Gegenwart, London Leipzig Paris 21855 (SCHMIDT, KARL) BÜRGER, KARL: Liebesbriefe ohne Liebe, Leipzig 1847 (SCHMIDT, KARL): Das Verstandestum und das Individuum, Leipzig 1846 -, Die neueste Gestaltung der Philosophie, in: EKZ 1846 Sp. 854-864 -, Uhlich und die Kirche. Eine Kritik, Potsdam 1847 -, Eine Weltanschauung. Wahrheiten und Irrthümer, Dessau 1850 SCHNITZER, KARL FRIEDRICH: Rezension: 1. W.L. Wullen, Dr., Jacob Böhme's Leben und Lehre, Stuttgart 1836; 2. W.L. Wullen, Dr., Blüthen aus Jacob Böhme's Mystik, in: HJ 1839 Sp. 2108-2120 SCHÖN, THEODOR von: Woher und wohin?, Gumbinnen 1864 SCHOPENHAUER, ARTUR: Sämtliche Werke. Nach der ersten, von JULIUS FRAUENSTÄDT besorgten Gesamtausgabe neu bearbeitet und hg. v. ARTHUR HÜBSCHER, Bd. 5, Wiesbach 1946 -, Der handschriftliche Nachlaß, hg. v. ARTHUR HÜBSCHER, Bd. 4/1 Die Manuskriptbücher der Jahre 1830-52, Frankfurt/M 1974 SCHWEGLER, ALBERT: Die >Revue de deux mondes< über die junghegelsche Schule, in: JG 2(1844) S. 466-489 -, Das preußische Cultministerium und die Hegel'sche Schule, in: JG 3(1845) S. 1-13 SPRINGER, ROBERT: Berlin's Straßen, Kneipen und Clubs im Jahre 1848, Berlin 1850 STAHR, ADOLF: Kleine Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1, Berlin 1871 (STEINMANN, FRIEDRICH): Bureaukratie und Beamtentum in Deutschland, Hamburg 1844 STEPELEVICH, LAWRENCE S. (Hg): The Young Hegelians. An Anthology, Cambridge 1983 STERNBERG, ALEXANDER von: Alfred, Dessau 1841 STEUSSLOFF, HANS (Hg): Die Junghegelianer. Ausgewählte Texte. Zusammengest. und eingel. von HANS STEUSSLOFF, Berlin 1963 STIRNER, MAX (= JOHANN CASPAR SCHMIDT): Kleinere Schriften und seine Entgegnungen auf die Kritik seines Werkes >Der Einzige und sein Eigentums hg. v. JOHN HENRY MACKAY, Stuttgart Bad Cannstatt 1976, Zit: M. Stirner, >KlSchr< -, Gegenwort. Mit Anmerkungen und einem Nachwort von BERND KÄST, Telgte-Westbevern 1977 -, Betrachtungen über Liberalismus und Zensur, in: RhZ 24 v. 24.1.1843 (Beiblatt) -, Der Einzige und sein Eigentum. Mit einem Nachwort hg. v. AHLRICH MEYER, Stuttgart 1972, Zit.: M. Stirner EE
433
STRAUSS, DAVID FRIEDRICH: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, 2 Bde, Tübingen 1835-36 -, Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der gegenwärtigen Theologie, 3 Hefte, Tübingen 1837 -, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft, 2 Bde, Tübingen Stuttgart 1840/1841 SUE, EUGENE: Die Geheimnisse von Paris. Mit einem Nachwort von NORBERT MILLER und KARL RIHA, Hamburg 1970 SZELIGA (= FRANZ SZELIGA ZYCHLIN VON ZYCHLINSKI): Die Geheimnisse von Paris, in: ALZ Juni 1844, H. 7, S. 8-48 -, Die Kritik, in: ALZ Oktober 1844, H. 11/12, S. 25-46 -, Die Langeweile in Allerwelt oder: Der ewige Narr. Lustspiel, in: NB Oktober 1844, H. 4, S. 65-133 -, Die Universalreform und der Egoismus. Eine Übersicht über den Gang der Entwickelung der neuesten Philosophie, Charlottenburg 1846 -, Die Organisation der Arbeit der Menschheit und die Kunst der Geschichtsschreibung Schlossers, Gervninus', Dahlmanns und Bruno Bauers, Charlottenburg 1846 TAILLANDIER, SAINT-RENE: De la crise actuelle de la philosophie Hegelienne. Les parties extremes en Allemagne, in: Revue des deux mondes, Tome XLX, Paris 15.7.1847, S. 238-268 THEODUL, KARL FRIEDRICH: Die christlich-apostolisch-katholische Gemeinde Schneidemühl und >die mit ihr sind< oder die Neukatholischen vor dem Richterstuhle der heiligen Schrift, Erfurt 1845 TITTMANN, FRIEDRICH WILHELM: Über die Bestimmung des Gelehrten und seine Bildung durch Schule und Universität, Berlin 1833 UNGERN-STERNBERG, ALEXANDER von: Erinnerungsblätter, 4 Bde, Berlin 18551858 VALLES, JULES: Die Abwegigen (Les refractaires), Hamburg 1946 VARNHAGEN VON ENSE, KARL AUGUST: Tagebücher, Bd. 1-3, Leipzig 1861-62 VATKE, JOHANN KARL WILHELM: Rezension: R. Rothe, Die Anfänge der christlichen Kirche und ihrer Verfassung, Wittenberg 1837, in: HJ 1838 Sp. 1049-1166 VENDEDEY, JACOB: Preussen und Preussentum, Mannheim 1839 VESTER, MICHAEL (Hg): Die Frühsozialisten 1789-1848,2 Bde, Reinbek 1971 WALESRODE, LUDWIG: Glossen und Randzeichnungen zu Texten unserer Zeit, Königsberg 1842 WEDEMEYER, JOSEPH: Bruno Bauer und sein Apologet, in: WD 1846, S. 178-181 WEHL, FEODOR: Berlin und seine jetzige Stellung, in: Berliner Wespen, Leipzig 1843, H. 1, S. 1-3 -, Das übermütige Stillschweigen, in: Berliner Wespen, Leipzig 1843, H. 1, S. 7-10 -, Wir Radikalen in Preußen, in: Berliner Wespen, Leipzig 1843, H. 3, S. 1-6 -, Flänerie, in: Berliner Wespen, Leipzig 1843, H. 5, S. 36-42 WEILL, ALEXANDER und BAUER, EDGAR: Berliner Novellen, Berlin 1843 WEISS, GUIDO: Die >Freien<, in: Vossische Zeitung, Nr. 293, 295, 297, 299, 301, Berlin 25.-30.6.1896 WEISSE, CHRISTIAN HERMANN: Die philosophische Literatur der Gegenwart. 2. Artikel, in: ZPsT, Bd. 7(NF 3), (1841) H. 1, S. 103-150 (WESSENBERG, J.H. von): Die Reform der deutschen Universitäten, Konstanz 1833 WIDMANN, ADOLPH: Der Tännhäuser, Berlin 1850 WISLICENUS, GUSTAV ADOLF: Ob Schrift? Ob Geist? Verantwortung gegen meine Ankläger, Leipzig 21843 (WOLFF, CM.): Heinrich Leo vor Gericht. Dramatische Scene, von A. HEGELING, Leipzig 1838
434
ZELLER, EDUARD: Rezension: Chr. Märklin, Dr., Darstellung und Kritik des modernen Pietismus, Stuttgart 1839, in: HJ 1839 Sp. 1845-1880 -, Zur Charakteristik der modernen Bekehrungen, in: JG3(1845), S. 14-32 ZSCHIESCHE, KARL: Die deutsche Theologie. Ein polemisches Votum gegen Prof. Dr. Heinrich Leo in Halle, Leipzig 1838
B. Sekundärliteratur ABERCROMBIE, NICHOLAS (1980): Class, Structure and Knowledge. Problems in the Sociology of Knowledge, Oxford ABRAHAM, KARL (1955): Der Strukturwandel im Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Köln ADLER, MAX (1914): Max Stirner, in: ders., Wegweiser. Studien zur Geistesgeschichte des Sozialismus, Stuttgart, S. 173-199 ADORNO, THEODOR W (1955): Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft, Frankfurt/M -, (1966): Negative Dialektik, Frankfurt/M -, (1974): Kierkegaard, Frankfurt/M ALGERMISSEN, KONRAD (1959): Konfessionskunde, Hannover ANDREAS, BERT (1964/65): Marx et Engels et la gauche hegelienne, in: Annali 7, S. 353526 ANDREAS, BERT/WOLFGANG MÖNKE (1968): Neue Daten zur »Deutschen Ideologie«. Mit einem unbekannten Brief von Karl Marx und anderen Dokumenten, in: AfS 8 S. 5-159 APEL, KARL-OTTO (1972): Die Kommunikationsgemeinschaft als transzendentale Voraussetzung der Sozialwissenschaften, in: Neue Hefte für Philosophie H. 2/3, Göttingen, S. 1-40 ARMANSKI, GERHARD (1974): Die Entstehung des wissenschaftlichen Sozialismus, Darmstadt Neuwied ARVON, HENRI (1951): Une polemique inconnue: Marx et Stirner, in: Les Temps Modernes 7, S. 509-536 -, (1954): Aux sources de l'existentialisme: Max Stirner, Paris -, (1957): Ludwig Feuerbach ou k transformation de sacre, Paris ASCHERI, CARLO (1969): Feuerbachs Bruch mit der Spekulation. Kritische Einleitung zu: Feuerbach, Die Notwendigkeit einer Veränderung (1842), Frankfurt/M ASMUS, HELMUT (1977): Die >Rheinische Zeitung< und die Genesis des rheinpreußischen Bourgeoisliberalismus, in: BLEIBER, HELMUT (Hg), Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland 1789-1871, Berlin (Ost), S. 135-168 BAB, JULIUS (1904): Die Berliner Boheme, Berlin Leipzig, 3. AuB. BACK KURT W./DONNA POLISAR (1983): Salons und Kaffeehäuser, in: KZfSS Sonderheft 25, S. 276-286 BAHRDT, HANS PAUL (1971): Wissenschaftssoziologie - ad hoc, Beiträge zur Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftspolitik aus den letzten 10 Jahren, Düsseldorf —, (1980): Gruppenseligkeit und Gruppenideologie, in: Merkur 34, H. 2, S. 122-136 BALAZS, EVA H. u.a. (Hg) (1979): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa Freimaurer, Gesellschaften, Clubs, Berlin BALSER, FROLINDE (1959): Die Anfänge der Erwachsenenbildung in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Stuttgart
435
BARNIKOL, ERNST (1928): Bruno Bauers Kampf gegen Religion und Christentum und die Spaltung der vormärzlichen preußischen Opposition, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 46 (N.F. 9), H. 1, S. 1-34 -, (1958): Das Leben Jesu der Heilsgeschichte, Halle (Saale) -, (1961): Das ideengeschichtliche Erbe Hegels bei und seit Strauß und Bauer im W.Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 10, S. 281-328 -, (1972): Bruno Bauer. Studien und Materialien. Aus. d. Nachlaß ausgewählt und zusammengestellt v. PETER REIMER u. HANS-MARTIN SASS, Assen BARTH, KARL (1947): Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, Zürich BARTH, PAUL (1890): Die Geschichtsphüosophie Hegels und der Hegelianer, bis auf Marx und Hartmann, Leipzig BARUZZI, ARNO (1978): Säkularisierung. Ein Problem von Enteignung und Besitz, in: Philosophisches Jahrbuch 85, S. 301-316 BATAILLE, GEORGES (1975): Die Aufhebung der Ökonomie. Das theoretische Werk Bd. 1, hg. v. GERD BERGFLETH, München BATKIN, LEONID M. (1981): Die italienische Renaissance. Versuch einer Charakterisierung eines Kulturtyps, Frankfurt/M BAUDRILLARD JEAN (1982): Der symbolische Tausch und der Tod, München -, (1984): Das Jahr 2000 wird nicht stattfinden. Nach der Geschichte: Herrschaft der Simulation, Vorlesung an der FU Berlin vom 24.1.1984 (Masch.Schr.) BAUER, ILENA/ANITA LIEPERT (1982): Zum Differenzierungsprozeß im Liberalismus des deutschen Vormärz. Das Verhältnis zwischen den Junghegelianern und dem >Staatslexikon<; in: ZfG 30, H. 5, S. 413^125 BAUMERT, DIETER PAUL (1928): Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine soziologische Studie, München Leipzig BECKJAMES H. (1981): Raffael, Köln BEHRENS, WOLFGANG W./BOTT, GERHARD u.a. (1973): Der literarische Vormärz 1830-1847, München BELOW, ANDREAS ANTON von (1978): Der soziale Status der Akademiker in der preußischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Zur Entstehung und zum Wandel einer privilegierten Berufsschicht, Diss Bonn BENJAMIN, WALTER (1974): Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, in: ders., GS hg. v. ROLF TIEDEMANN und HERMANN SCHWEPPENHÄUSER, Bd. I, Frankfurt, S. 509-690 -, (1982): Das Passagen-Werk, in: ders., GS, hg. v. ROLF TIEDEMANN und HERMANN SCHWEPPENHÄUSER, Bd. V, Frankfurt/M BENNE, KENNETH D./SHEATS, PAUL (1948): Functional roles of group members, in: The Journal of Social Issues 4, S. 41—49 BENZ, ERNST (1934): Ecclesia Spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart -, (1955a): Schellings theologische Geistesahnen, Mainz -, (1955b): Hegels Religionsphilosophie und die Linkshegelianer, in: ZfRGG 7, H. 3, S. 247-270 —, (1961): Das Bild des Übermenschen in der europäischen Geistesgeschichte, in: ders. (Hg), Der Übermensch, Eine Diskussion, Zürich Stuttgart, S. 19-161 -, (1973): Endzeiterwartung zwischen Ost und West. Studien zur christlichen Eschatologie, Freiburg BERGER, PETER L. (1973): Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie, Frankfurt/M
436
BERGERON, LOUIS/FURET, FRANCOIS/KOSELLECK, REINHART (1969): Das Zeitalter der europäischen Revolution, Frankfurt/M BERGH VAN EYSINGA, GUSTAV ADOLF van den (1947-55): Godsdienst-Wetenschappelijke Studien, II, VII, VIII, IX, XII, XIV, XVII, Haarlem 1947, 1950-1953, 1955 -, (1963): Aus einer unveröffentlichten Biographie von Bruno Bauer. Bruno Bauer in Bonn in: Annali 6, S. 329-386 BERGNER, JEFFREY (1973): Stirner, Nietzsche, and the Critique of Truth, in: Journal of the History of Philosophy, University of California San Diego, Vol. 11, S. 523-534 BERING, DIETZ (1978) Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes, Stuttgart BEYER, WILHELM R. (1967): Hegel-Bilder. Kritik der Hegel-Deutungen, Berlin, 2. Aufl. BIALAS, WOLFGANG/KLAUS RICHTER/MARTINA THOMI (1980): Marx - Hegel Feuerbach. Zur Quellenrezeption in der Herausbildungsphase des Marxismus, in: Zeitschrift für Philosophie 28, S. 331-345 BIEBERSTEIN, JOHANNES ROGALLA von (1979): Geheime Gesellschaften als Vorläufer politischer Parteien, in: P.C. LUDZ (Hg), Geheime Gesellschaften, Heidelberg, S. 429^460 BIGLER, ROBERT M. (1972): The Politics of German Protestantism. The Rise of the Protestant Church Elite in Prussia 1815-1848, Berkeley -, (1974): The Social Status and Political Role of the Protestant Clergy in Pre-March-Prussia, in: Sozialgeschichte heute. Festschrift für HANS ROSENBERG zum 70. Geburtstag, hg. v. HANS-ULRICH WEHLER, Göttingen, S. 175-190 BINGER, LOTHAR (1974): Kritisches Plädoyer für die Gruppe, in: Kursbuch 37, S. 1-25 BLACKBOURN, DAVID/GEOFF ELY (1980): Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte Bürgerliche Revolution von 1848, Frankfurt/M Berlin Wien BLASCHKE, FRIEDRICH (1919): Das Verhältnis Arnold Ruges zu Hegel, Diss Leipzig (Masch.schr.) BLUMENBERG, HANS (1974): Säkularisierung und Selbstbehauptung (Erw. Neuausgabe v. >Die Legitimität der Neuzeit<, erster und zweiter Teil) Frankfurt/M BLUMER, HERBERT (1973): Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus, in: AG Bielefelder Soziologen (Hg), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek, S. 80-146 BOCK, HANS MANFRED (1976): Geschichte des >linken Radikalismus< in Deutschland. Ein Versuch, Frankfurt/M BOLDT, WERNER (1971): Die Anfänge des deutschen Parteiwesens. Fraktionen, politische Vereine und Parteien in der Revolution 1848, Paderborn BOTTIGELLI, EMILE (1963): Karl Marx et la gauche hegelienne. Contribution ä l'etude de leurs rapports, in: Annali 6, S. 9-33 BRADSHAW, STEVE (1978): Cafe Society: Bohemian Life from Swift to Bob Dylan, London BRANDENBERG, ALEXANDER (1977): Theoriebildungsprozesse in der deutschen Arbeiterbewegung 1835—50, Hannover BRANDHORST, HEINZ-HERMANN (1981): Lutherrezeption und bürgerliche Emanzipation. Studien zum Luther- und Reformationsverständnis im deutschen Vormärz (1815-1848) unter besonderer Berücksichtigung Ludwig Feuerbachs, Göttingen BRANDT, HARTWIG (1974): Gesellschaft, Parlament, Regierung in Württemberg 18301840, in: GERHARD ALBERT RITTER (Hg), Gesellschaft, Parlament, Regierung zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf, S. 101-118 BRANIG, HANS (1979): Wesen und Geist der höheren Verwaltungsbeamten in Preußen in der Zeit des Vormärz, in: Neue Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Bd. 1, Köln Wien, S. 161-171
437
BRAZILL, WILLIAM J. (1970): The Young Hegelians, New Haven BREDERLOW, JÖRN (1976): »Lichtfreunde« und »Freie Gemeinden«. Religiöser Protest und Freiheitsbewegung im Vormärz und in der Revolution von 1848/49, München Wien BRINKMANN, CARL (1932): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung, Heidelberg BORNE, GERHARD F. (1979): Christlicher Atheismus und radikales Christentum. Studien zur Theologie von Thomas Altizer im Zusammenhang mit Ketzereien der Kirchengeschichte, der Dichtung von Wiliam Blake und der Philosophie von G.F.W. Hegel, München BUBNER, RÜDIGER (1970): »Philosophie ist ihre Zeit, in Gedanken gefaßt«, in: ders. u.a. (Hg), Hermeneutik und Dialektik I, Tübingen, S. 317-342 -, (1971a): Was ist kritische Theorie? in: Hermeneutik und Ideologiekritik. Mit Beiträgen von K.O. APEL u.a., Frankfurt/M, S. 160-209 -, (197 lb): Theorie und Praxis - eine nachhegelsche Abstraktion, Frankfurt/M BUCHBINDER, REINHARD (1976): Bibelzitate, Bibelanspielungen, Bibelparodien, theologische Vergleiche und Analogien bei Marx und Engels, Berlin BUSCH, OTTO/HERZFELD, HANS (Hg) (1975): Die frühsozialisitschen Bünde in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin BÜTTNER, GEORG (1912): Robert Prutz. Ein Beitrag zu seinem Leben und Schaffen von 1816-1842, Greifswald BÜTTNER, WOLFGANG (1967): Georg Herwegh und die deutsche Arbeiterbewegung, in: ZfG 15, S. 801-821 CARR, EDWARD HALLET (1937): Michael Bakunin, London CARROLL, JOHN (1974): Break-Out from the Crystal Palace. The anarcho-psychological critique: Stirner, Nietzsche, Dostojevsky, London Boston CESA, CLAUDIO (1960): Bruno Bauer e la filosofia dell'autocoscienza (1841-1843), in: Giornale Critico della Filosofia Italiana 39, S. 73-93 -, (1963): Figureeproblemidella storiografiafilosofica dellasinistrahegeliana 1831-1848, in: Annali 6, S. 62-104 CLAESSENS, DIETER (1977): Gruppe und Gruppenverbände. Systematische Einführung in die Folgen von Vergesellschaftung, Darmstadt CLAUSSE, ROGER (1962): Publikum und Information. Entwurf einer ereignisbezogenen Soziologie des Nachrichtenwesens, Köln Opladen COLPE, CARSTEN (1961): Die religionsgeschichtliche Schule, Göttingen COMOTH, KATHARINA (1975): Die Verwirklichung der Philosophien Subjektivität und Verobjektivierung im Denken des jungen Marx, Bonn -, (1975): Zur Negation des »religiösen Bewußtseins« in der Kritik Bruno Bauers, in: NZSyThRPh 17, S. 214-24 COMSTOCK, RICHARD W. (1977): Young Hegelians and Radical Theologians Revisited, in: Religion in Life 66, S. 343-356 CONZE, WERNER (Hg) (1962): Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 18151848, Stuttgart CORNEHL, PETER (1971): Die Zukunft der Versöhnung. Eschatologie und Emanzipation in der Aufklärung, bei Hegel und in der Hegeischen Schule, Göttingen CORNU, AUGUSTE (1954-1968): Karl Marx und Friedrich Engels. Leben und Werk, 3 Bde, Berlin (Ost) CRANE, DIANA (1972): Invisible Colleges; Diffusion of Knowledge in Scientific Communities, Chicago DAELE, WOLFGANG van den (1977): Die soziale Konstruktion der Wissenschaft - Institutionalisierung und Definition der positiven Wissenschaft in der zweiten Hälfte des
438
17. Jahrhunderts, in: G. BÖHME u.a., Experimentelle Philosophie, Frankfurt/M, S. 129-182 DANN, OTTO (1976): Die Anfänge politischer Vereinsbildung in Deutschland, in: ENGELHARDT, ULRICH u.a. (Hg), Soziale Bewegung und politische Verfassung, Stuttgart, S. 197-232 DANN, OTTO (Hg) (1981): Lesegesellschaft und bürgerliche Emanzipation. Ein europäischer Vergleich, München DANNENMANN, CHRISTOPHER (1969): Bruno Bauer. Eine monographische Untersuchung, Phil Diss Erlangen Nürnberg DEMPF, ALOIS (1954): Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt, 2. Aufl. Deutsche Zeitschrift für Philosophie (1972) 20, H. 9: Ludwig Feuerbach 1804-1872. Beiträge von FRIEDRICH RICHTER, ALFRED KOSING, OTTO FINGER, GOTTFRIED STIEHLER DICKE, GERD (1960): Der Identitätsgedanke bei Feuerbach und Marx, Köln Opladen DIEDERICH, WERNER (Hg) (1974): Theorien der Wissenschaftsgeschichte. Beiträge zur diachronen Wissenschaftstheorie, Frankfurt/M DIEFENDORF, JEFFRY M. (1980): Businessmen and Politics in the Rhineland, 17891834, Princeton DOKTOR, WOLFGANG (1975): Die Kritik der Empfindsamkeit, Bern Frankfurt/M DOWE, DIETER (1981): Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, sozialistischen und kommunistischen Bewegungen von den Anfängen bis 1863, Bonn BadGodesberg,3.Aufl. DROZ, JAQUES (1940): Le liberalisme rhenan. 1815-1848. Contribution ä l'histoire du liberalisme allemand, Paris DROZ, JAQUES/PIERREAYgOBERRY (1963): Structuressocialeset courantes ideologiques dans l'Allemagne prerevolutionnaire 1835-1847, in: Annali, Mailand 6, S. 164-236 DUNK, HERMANN von der (1966): Der deutsche Vormärz und Belgien, Wiesbaden DUERR, HANS PETER (1974): Ni Dieu - ni metre. Anarchische Bemerkungen zur Bewußtseins- und Erkenntnistheorie, Frankfurt/M DÜLMEN, RICHARD van (1975): Der Geheimbund der Illuminaten. Darstellung, Analyse, Dokumentation, Stuttgart Bad Cannstatt -, (1980): Religionsgeschichte in der Historischen Sozialforschung, in: GG 6, S. 36-59 DUVERGER, MAURICE (1959): Die politischen Parteien, Tübingen DUX, GÜNTER (1982): Die Logik der Weltbilder. Sinnstrukturen im Wandel der Geschichte, Frankfurt/M ECK, ELSE von (1925): Die Literaturkritik in den Hallischen und Deutschen Jahrbüchern 1838-1842, München EDLER, ERICH (1932): Eugene Sue und die deutsche Mysterienliteratur, Diss Berlin ELKAR, RAINER SIEGBERT (1979): Junges Deutschland im polemischen Zeitalter. Das schleswig-holsteinische Bildungsbürgertum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zur Bildungsrekrutierung und politischen Sozialisation, Düsseldorf ENGELSING, ROLF (1966): Massenpublikum und Journalistentum im 19. Jahrhundert in Nordwestdeutschland, Berlin ERDMANN, JOHANN EDUARD (1896): Grundriß der Geschichte der PhÜosophie Bd. 2, Philosophie, der Neuzeit, Halle, 4. Aufl. ESAU, LOTTE (1935): Karl Rosenkranz als Politiker. Studien über den Zusammenhang der geistigen und politischen Bewegung in Ostpreußen, Halle ESSBACH, WOLFGANG (1982): Gegenzüge. Der Materialismus des Selbst und seine Ausgrenzung aus dem Marxismus - eine Studie über die Kontroverse zwischen Max Stirner und Karl Marx, Frankfurt/M
439
-, (1985a): Der Anteil des Einzigen am Verschwinden des subjektiven Faktors. Eine Fortsetzung zu Marxismus und Subjektivität, in: Concordia. Internationale Zeitschrift für Philosophie, Frankfurt/M, Nr. 7, S. 2-22 -, (1985b): Materialität des Diskurses, in: GESA DANE, WOLFGANG ESSBACH, CHRISTA KARPENSTEIN-ESSBACH, MICHAEL MAKROPOULOS (Hg), Anschlüsse. Versuche nach Michel Foucault, Tübingen, S. 207-214 -, (1985c): Der Umzug der Götter. Auf den Spuren der Religionskritik, in: Ästhetik und Kommunikation, Jg. 16, H. 60, Berlin, S. 101-111 -, (1986): Kompakte Klassen und Klasseneffekte. Überlegungen zur Klassentheorie, in: SOG. Konvergenz und Peripherie der Systeme, hg. v. REINER MATZKER, H. 2, Berlin, S. 5-15 EUCHNER, WALTER (1982a): Karl Marx, München -, (1982b): Über das Altern revolutionärer Ideen. Materialien zum Übergang des Herzklopfens für das Wohl der Menschheit in den Weltlauf und der Versuch eines Resümees, in: Das Parlament v. 14.8.1982, Beilage: Aus Politik und Zeitgeschichte, S. 24-40 EVERKE, KARL FRIEDRICH (1974): Zur Funktionsgeschichte der politischen Parteien, Baden-Baden EWERT, MICHAEL (1982): Die problematische Kritik der Ideologie. Spekulativer Schein (Kant, Fichte, Hegel, Marx) und seine politische Auflösung (die sozialdemokratische Erbengemeinschaft), Frankfurt/M New York FABER, KARL GEORG (1975): Strukturprobleme des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: Der Staat 14, S. 201-227 FAISAL, FARIS FANNER AL (1976): Max Stirner und die pluralistische Wirtschaftsgesellschaft, Diss, Graz FANTO, IRENE (1937): Karl Marx und sein demokratischer Gegner Arnold Ruge, Diss Wien FAST, HEINOLD (Hg) (1962): Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier, Bremen FEHRENBACH, ELISABETH (1983): Rheinischer Liberalismus und gesellschaftliche Verfassung, in: W. SCHIEDER (Hg), Liberalismus in der Gesellschaft des Vormärz, Göttingen, S. 272-294 FETSCHER, IRING (1980): Nihilismus, in: Probleme des Nihilismus. Dokumente der Triester Konferenz 1980 (= Berliner Hefte 17) S. 86-96 FISCHER, FRITZ (1951): Der deutsche Protestantismus und die Politik im 19. Jahrhundert, in: HZ 171, S. 473-518 FISCHER, HERMANN (1916): Die Hallischen Jahrbücher und die Schwaben, in: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 25, S. 558-571 FISCHER, WOLFRAM (1964): Das deutsche Handwerk in den Frühphasen der Industrialisierung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 120, S. 686-712 FOUCAULT, MICHEL (1977a): Die Ordnung des Diskurses, München -, (1977b): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M -, (1978): Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin FRANK, MANFRED (1975): Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, Frankfurt/M FRANKE, RICHARD WALTER (1930): Zensur und Preßaufsicht in Leipzig 1830-1848. Mit einem Überblick über die gleichzeitige sächsische Preßgesetzgebung, Diss Leipzig GADAMER, HANS GEORG (1965): Wahrheit und Methode, Tübingen, 2. Aufl. GALL, LOTHAR (Hg) (1976): Liberalismus, Köln GAMM, GERHARD (1981): Der Wahnsinn in der Vernunft. Historische und erkenntniskritische Studien zur Dimension des Anders-Seins in der Philosophie Hegels, Bonn
440
GARBER, KLAUS (1983): Gelehrtenadel und feudalabsolutistischer Staat, in: JUTTA HELD (Hg), Kultur zwischen Bürgertum und Volk, Berlin, S. 31-43 GAREWICZ, JAN (1967): August Cieszkowskis Einschätzung bei den Deutschen in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in: Der Streit um Hegel bei den Slawen, Prag GEBHARDT, JÜRGEN (1962): Karl Marx und Bruno Bauer, in: Politische Ordnung und menschliche Existenz, Festgabe für ERIC VOEGELIN, München -, (1963): Politik und Eschatologie. Studien zur Geschichte der Hegeischen Schule in den Jahren 1830-1840, München -, (1964): Die pädagogischen Anschauungen der Lichtfreunde und Freien Gemeinden. Ein Beitrag zur Einschätzung der kleinbürgerlich-demokratischen Bewegungen in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Jahrbücher für Erziehungs- und Schulgeschichte 4, S. 71-113 GEIGER, THEODOR (1949): Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft, Stuttgart -, (1962): Arbeiten zur Soziologie, Neuwied Berlin GERLACH, ANTJE (1975): Deutsche Literatur im Schweizer Exil. Die politische Propaganda der Vereine deutscher Flüchtlinge und Handwerksgesellen in der Schweiz von 1833-1845, Frankfurt/M GERTH, HANS (1935): Die sozialgeschichtliche Lage der bürgerlichen Intelligenz um die Wende des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Soziologie des deutschen Frühliberalismus, Diss Frankfurt/M (Göttingen 1976) GILLIS, JOHN R. (1971): The Prussian Bureaucracy in Crisis 1840-1860. Origins of an Administrative Ethos, Stanford GLOCKNER, HERMANN (1931): Friedrich Theodor Vischer und das 19. Jahrhundert, Berlin GOLDFRIEDRICH, JOHANN (1909): Geschichte des Deutschen Buchhandels, Bd. 3, Leipzig GRAB, WALTER (1979): Ein Mann, der Marx Ideen gab. Wilhelm Schulz (1797-1860) Weggefährte Georg Büchners, Demokrat der Paulskirche. Eine politische Biographie, Düsseldorf -, (1980): Die Kontinuität der demokratischen Bestrebungen 1792-1848, in: OTTO BUSCH (Hg), Die demokratische Bewegung in Mitteleuropa im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Ein Tagungsbericht, Berlin, S. 439-452 GRAB, WALTER/JULIUS SCHOEPS (Hg) (1983): Juden im Vormärz und in der Revolution von 1848, Stuttgart Bonn GRÄFE, GERHARD (1936): Die Gestalt des Literaten im Zeitroman des 19. Jahrhunderts, Diss Berlin GRAF, FRIEDRICH WILHELM (1978a): D.F. Strauß und die Hallischen Jahrbücher. Ein Beitrag zur positioneilen Bestimmtheit der theologischen Publizistik im 19. Jahrhundert, in: AKG 60, S. 383-430 -, (1978b): Die Politisierung des religiösen Bewußtseins. Die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz: Das Beispiel des Deutschkatholizismus, Stuttgart -, (1982a): Kritik und Pseudo-Spekulation. David Friedrich Strauß als Dogmatiker im Kontext der positioneilen Theologie seiner Zeit, München GRAF, FRIEDRICH WILHELM/FALK WAGNER (1982b): Die Flucht in den Begriff. Materialien zu Hegels Religionsphilosophie, Stuttgart GRANDJONC, JAQUES (1975): Ideologische Auseinandersetzungen im >Bund der Gerechter«, in: O. BUSCH, H. HERZFELD (Hg), Die frühsozialistischen Bünde in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin, S. 81-94 -, (1978): Les rapports des socialistes et neo-hegeliens de l'emigration avec les socialistes
441
francais 1840-1847. Aspects de relations franco-allemands 1830-1848. Actes du Colloque d'Otzenhausen 3.-5.10.1977, Metz, S. 73-86 GREBING, HELGA (1962): Geschichte der deutschen Parteien, Wiesbaden GRIEWANK, KARL (1924): Vulgärer Radikalismus und demokratische Bewegung in Berlin 1842-1848, in: Forschungen zur brandenburgisch-preußichen Geschichte 36, S. 1437 GROH, DIETER (1961): Rußland und das Selbstverständnis Europas. Ein Beitrag zur europäischen Geistesgeschichte, Neuwied -, (1964): Junghegelianer und noch kein Ende, in: Der Staat 3, S. 346-357 GROTH, GÜNTHER (1967): Arnold Ruges Philosophie unter besonderer Berücksichtigung seiner Ästhetik. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte Hegels, Diss Hamburg GRUNDMANN, HERBERT (1950): Neue Forschungen über Joachim de Fiore, Marburg GÜNTHER, ALFRED (1920): Wilhelm Jordan als Freiheitssänger und Politiker. Neue Beiträge zur Geschichte seines dichterischen Schaffens und seiner politischen Betätigung bis 1849 unter Benutzung des handschriftlichen Nachlasses, Diss Münster GUERIN, DANIEL (1967): Anarchismus. Begriff und Praxis, Frankfurt/M HAACKE, WILMONT (1968): Die politische Zeitschrift 1665-1965, Stuttgart HABERMAS, JÜRGEN (1965): Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied u.a. 2. AuO. -, (1985): Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt/M HAFERKORN, HANS JÜRGEN (1964). Der freie Schriftsteller. Eine literatur-soziologische Studie über seine Entstehung und Lage in Deutschland zwischen 1750 und 1800, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 5, Sp 523-712 HAHN, ALOIS (1974): Religion und der Verlust der Sinngebung. Identitätsprobleme in der modernen Gesellschaft, Frankfurt/M HANSEN, JOSEPH (1906): Gustav von Mevissen. Ein rheinisches Lebensbild, Berlin HARRIS, HORTON (1973): David Friedrich Strauß and his Theology, London -, (1975): The Tübingen School, Oxford HARTMANN, FRITZ/RUDOLF VIERHAUS (Hg) (1972): Der Akademiegedanke im 17. und 18. Jahrhundert, Bremen Wolfenbüttel HAUSER, ARNOLD (1957): Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, München HAUSRATH, ADOLF (1876-78): D.F. Strauss und die Theologie seiner Zeit, 2 Bde, Heidelberg HELLMANN, ROBERT JAMES (1977): Die Freien: The Young Hegelians of Berlin and the Religious Politics of 1840 Prussia, Columbia University PhD HELMS, HANS G. (1966): Die Ideologie der anonymen Gesellschaft. Max Stirners Einzigen und der Fortschritt des demokratischen Selbstbewußtseins im Vormärz bis zur Bundesrepublik, Köln HENDERSON, WILLIAM OTTO (1976): The Life of Friedrich Engels, 2 Bde, London HENNING, HANS JOACHIM (1977): Sozialgeschichtliche Entwicklungen in Deutschland 1815—1860.1. Das Bildungsbürgertum, Paderborn HENRICH, DIETER (1971): Hegel im Kontext, Frankfurt/M HENRICH, DIETER/ROLF-PETER HORSTMANN (1982): Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, Stuttgart HENRY, MICHEL (1972): La critique de la religion et le concept de genre dans l'essence du christianisme, in: Revue internationale de philosophie 26 No. 101, S. 386-404 HEPNER, BENOLT-P. (1950): Bakounine et le panslavisme revolutionnaire. Cinq essais sur l'histoire des idees en Russie et en Europe, Paris HERMAND, JOST/MANFRED WINDFUHR (Hg) (1970): Zur Literatur der Restaurationsepoche 1815-1848, Stuttgart HERMANN, GEORG (1965): Das Biedermeier im Spiegel seiner Zeit, Oldenburg Hamburg
442
HERMELINK, HEINRICH (1951-1955): Das Christentum in der Menschheitsgeschichte, 3 Bde, Tübingen HERTZ-EICHENRODE, DIETER (1957): Der Junghegelianer Bruno Bauer im Vormärz, Diss Berlin —, (1962): >Massenpsychologie< bei den Junghegelianern, in: IRSH 7, S. 231—259 HERZBERG, GUNTOLF (1968): Die Bedeutung der Kritik von Marx und Engels an Max Stirner, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 16, H. 12, S. 1454-1471 HEYDORN, HANS JOACHIM (1971/72): »Vom Hegeischen Staat zur permanenten Revolution«. Einleitung zur Neuherausgabe der »Hallischen« und »Deutschen Jahrbücher« (10 Bde) Glashütten in Ts HILDEBRANDT, GÜNTHER (1973): Programme und Bewegung des süddeutschen Liberalismus nach 1830, in: Jahrbuch für Geschichte 9, S. 7-45 HINTZE, OTTO (1906): Die Epochen des evangelischen Kirchenregiments in Preußen, in: HZ 97, S. 67-118 HIRSCH, HELMUT (1955): Karl Friedrich Koeppen, der intimste Berliner Freund Marxens, in: ders., Denker und Kämpfer. Gesammelte Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Frankfurt/M, S. 19-81 —, (1961): Die Berliner Welcker-Kundgebung. Zur Frühgeschichte der Volksdemonstrationen, in: AfS 1, S. 27-42 -, (1975): Moses Heß: Vorkämpfer der Freiheit, Köln -, (1980): Marx und Moses: Karl Marx zur >Judenfrage< und zu Juden, Frankfurt/M Bern Cirencester -, (1983): Karl Marx zur »Judenfrage« und zu Juden - Eine weiterführende Metakritik? in: WALTER GRAB, JULIUS H. SCHOEPS (Hg), Juden im Vormärz und in der Revolution von 1848, Stuttgart Bonn, S. 199-213 HOBSBAWN, ERIC (1962): Europäische Revolutionen, Zürich HOEFER, FRANK THOMAS (1981/82): Pressepolitik und Polizeistaat Mettemichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nachbarstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833-1848), Diss Tübingen HÖLSCHER, LUCIAN (1979): Öffentlichkeit und Geheimnis. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit, Stuttgart HÖMBERG, WALTER (1975): Zeitgeist und Ideenschmuggel. Die Kommunikationsstrategie des Jungen Deutschland, Stuttgart HOLBORN, HAJO (1966): Der deutsche Idealismus in sozialgeschichtlicher Beleuchtung, in: HANS ULLRICH WEHLER (Hg), Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln Berlin, S. 85-108 HOMANS, GEORGE CASPAR (1965): Theorie der sozialen Gruppe, Köln Opladen HONIGSHEIM, PAUL (1923): Die Boheme, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 3, H.1,S. 60-71 HOOK, SIDNEY (1936): From Hegel to Marx. Studies in the IntellectualDevelopment of Karl Marx, New York HORKHEIMER, MAX / THEODOR W. ADORNO (1956): Soziologische Exkurse, Frankfurt/M HOUBEN, HEINRICH HUBERTUS (1918): Hier Zensur - Wer dort? Antworten von gestern auf Fragen von heute, Leipzig -, (1924): Der gefesselte Biedermeier, Leipzig -, (1978): Der ewige Zensor. Längs- und Querschnitte durch die Geschichte der Buchund Theaterzensur. Mit einem Nachwort von CLAUS RICHTER u. WOLFGANG LABUHN, Kronberg HUBER, ERNST RUDOLF (1967/68): Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1 u. 2, Stuttgart, 2. Aufl.
443
HUBER, HANS (1932): Karl Heinzen (1809-1880). Seine politische Entwicklung und publizistische Wirksamkeit, Bern Leipzig HUSUNG, HANS G. (1983): Protest und Repression im Vormärz. Norddeutschland zwischen Restauration und Revolution, Göttingen HUTH, ARMIN (1975): Preßfreiheit oder Censur. Staatliche Pressepolitik und politische Schriften in Würzburg und Unterfranken zwischen Revolution und Reaktion 1847— 1850, Würzburg IM HOF, ULRICH (1982): Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, München Institut d'Etudes Slaves (Hg) (1979): Bakounine, Combats et debats, Paris JACOBSON, MAX (1905): Zur Geschichte der Hegelschen Philosophie und der preußischen Universitätsverwaltung in der Zeit von 1830-1860, in: Deutsche Revue 30/2, S. 118-123 JAECK, HANS-PETER (1979): Die französische bürgerliche Revolution von 1789 imFrühwerk von Karl Marx. (1843-1846). Geschichtsmethodologische Studien, Berlin (Ost) JAESCHKE, WALTER (1979): Staat aus christlichem Prinzip und christlicher Staat. Zur Ambivalenz der Berufung auf das Christentum in der Rechtsphilosophie und der Restauration, in: Der Staat 18, S. 349-74 JARAUSCH, KONRAD H. (1974): The Sources of German Student Unrest 1815-1848, in: L. STONE (Hg), The University in Society, Bd. 2, Princeton, S. 533-569 JELTI, ARUN KUMAR (1981): The Role of the Critic and the Logic of Criticism in Hegel, Bruno Bauer, and the Frankfurt School, The American University PhD JOLL JAMES (1966): Die Anarchisten, Frankfurt/M Berlin JONAS, HANS (1934): Gnosis und spätantiker Geist, Göttingen KADUSHIN, CHARLES (1976): Networks and Circles in the Production of Culture, in: American Behavioural Scientist 19, No. 6, S. 769-784 KAISER, BERND (Hg) (1948): Der Freiheit eine Gasse. Aus dem Leben und Werk Georg Herweghs, Berlin KAISER, GERHARD (1961): Pietismus und Patriotismus im literarischen Deutschland. Ein Beitrag zum Problem der Säkularisation, Wiesbaden KALTENTHALER, ALBERT (1960): Die Pariser Salons als europäische Kulturzentren unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Besucher während der Zeit von 1815-1848, Diss Nürnberg KAMPE, FERDINAND (1852-1860): Geschichte der religiösen Bewegung der neueren Zeit, 4 Bde, Leipzig KAUFMANN, WALTER (1974): Hegel, Frankfurt/M KÄST, BERND (1979): Die Thematik des »Eigners« in der Philosophie Max Stirners. Sein Beitrag zur Radikalisierung der ajithropolischen Fragestellung, Bonn KEGEL, MAX (1908a): Bruno Bauer und seine Theorien über die Entstehung des Christentums, Leipzig -, (1908b): Bruno Bauers Übergang von der Hegeischen Rechten zum Radikalismus, Erlangen KEINEMANN, FRIEDRICH (1975): Preußen auf dem Wege zur Revolution. Die Provinziallandtags- und Verfassungspolitik Friedrich Wilhelms IV von der Thronbesteigung bis zum Erlaß des Patents vom 3. Februar 1847, Hamm KELLER, HANS GUSTAV (1935): Die politischen Verlagsanstalten und Druckereien in der Schweiz 1840-1848. Ihre Bedeutung für die Vorgeschichte der deutschen Revolution von 1848, Bern Leipzig -, (1938): Das »Junge Europa« 1834—1836. Eine Studie zur Geschichte der Völkerbundsidee und des nationalen Gedankens, Zürich Leipzig
444
-, (1943): Das literarische Comptoir in Zürich und Winterthur. Der Bericht eines Preußischen Geheimagenten aus dem Jahr 1844, Aarau KEMPSKI, JÜRGEN von (1962): Über Bruno Bauer. Eine Studie zum Ausgang des Hegelianismus, in: Archiv für Philosophie 11, S. 223-245 KERN, HANS (Hg) (1932): Schöpferische Freundschaft jena KIPPENBERG, HANS G. (1981): Intellektualismus und antike Gnosis, in: Max Webers Studien über das antike Judentum, hg. v. WOLFGANG SCHLUCHTER, Frankfurt/ M, S. 201-218 KLOSSOWSKI, PIERRE (1981): Sade und Fourier, in: B. DIEKMANN, F. PESCATORE (Hg), Lektüre zu de Sade, Frankfurt/M, S. 213-234 KLUTENTRETER, WILHELM (1966): Die Rheinische Zeitung 1842/43 in der geistigen und politischen Bewegung des Vormärz, 2 Bde, Dortmund KOCKA, JÜRGEN (1974): Preußischer Staat und Modernisierung im Vormärz. Marxistisch-leninistische Interpretationen und ihre Probleme, in: Sozialgeschichte heute. Festschrift für HANS ROSENBERG zum 70. Geburtstag, hg. v. HANS ULLRICH WEHLER, Göttingen, S. 211-227 KOBYLINSKI, HANNA (1933): Die französische Revolution als Problem in Deutschland 1840 bis 1848, Berlin KOCH, LOTHAR (1971): Humanistischer Atheismus und gesellschaftliches Engagement. Bruno Bauers >Kritische Kritik<, Stuttgart KÖNIG, RENE (1983): Die analytisch-praktische Doppelbedeutung des Gruppentheorems. Ein Blick in die Hintergründe, in: KZfSS Sonderheft 25, S. 36-64 KÖSTER, UDO (1972): Literarischer Radikalismus. Zeitbewußtsein und Geschichtsphilosophie in der Entwicklung vom Jungen Deutschland zur Hegeischen Linken, Frankfurt/M KOIGEN, DAVID (1901): Zur Vorgeschichte des modernen philosophischen Socialismus in Deutschland. Zur Geschichte der Philosophie und Socialphilosophie des Junghegelianismus, Bern KOLBE, GÜNTER (1972): Demokratische Opposition im religiösen Gewände, in: ZfG 20, S. 1102-1112 KONRAD, GYÖRGY/IVAN SZELENYI (1981): Die Intelligenz auf dem Weg zur Klassenmacht, Frankfurt/M KOPPEN, WILHELM (1921): J. Venedey. Ein Beitrag zur Geschichte des demokratischen Gedankens in Deutschland, Diss Frankfurt/M KORNETZKI, HEINZ (1955): Die revolutionär-dialektische Entwicklung in den Hallischen Jahrbüchern. Eine Untersuchung der Quellen des Sozialismus in der linkshegelianischen Zeitschrift des 19. Jahrhunderts, Phil Diss München (Masch.schr.) KORSCH, KARL (1966): Marxismus und Philosophie, hg. v. ERICH GERLACH, Frankfurt/M -, (1971): Krise des Marxismus, in: ders., Die materialistische Geschichtsauffassung und andere Schriften, hg. v. ERICH GERLACH, Frankfurt/M, S. 167-172 KOSELLECK, REINHART (1959): Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg München -, (1966): Staat und Gesellschaft in Preußen, 1815-1848, in: HANS ULLRICH WEHLER (Hg), Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln Berlin, S. 55-84 -, (1967): Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart -, (1979): Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M KOSZYK, KURT (1966): Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, Berlin -, (1972): Vorläufer der Massenpresse, München KRACAUER, SIEGFRIED (1963): Die Gruppe als Ideenträger, in: ders., Das Ornament der Masse, Frankfurt/M, S. 123-156
445
-, (1971a): Soziologie als Wissenschaft. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung, in: ders. Schriften, Bd. 1, Frankfurt/M, S. 7-101 -, (1971b): Der Detektiv-Roman. Ein philosophischer Traktat, in: ders., Schriften Bd. 1, Frankfurt/M, S. 103-204 -, (1971c): Geschichte - Vor den letzten Dingen, als: ders., Schriften Bd. 4, Frankfurt/M -, (1972): Über die Freundschaft. Essay, Frankfurt/M KRAHL, HANS-JÜRGEN (1971): Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt/M KRATZ, STEFFEN (1979): Philosophie und Wirklichkeit. Die junghegelianische Programmatik einer Verwirklichung der Philosophie und ihre Bedeutung für die Konstituierung der Marxschen Theorie, Diss Bielefeld KREUZER, HELMUT (1968): Die Boheme. Beiträge zu ihrer Beschreibung, Stuttgart KRIEGER, LEONARD (1972): The German Idea of Freedom. History of a Political Tradition, Chicago, 2. Aufl. KRÖLL, FRIEDHELM (1978): Die Eigengruppe als Ort sozialer Identitätsbildung. Motive des Gruppenanschlusses bei Schriftstellern, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literatur und Geistesgeschichte 52, S. 652-672 KRÖLL, FRIEDHELM/STEPHAN BATJES/RUDI WIENGARN (1982): Vereine. Geschichte, Politik, Kultur, Frankfurt/M KRÖNER, LUDWIG (1979): Eschatologie bei Karl Marx? Untersuchungen zum Begriff »Eschatologie« und seiner Verwendung in der Interpretation des Werkes von Karl Marx, Erlangen KROHN, WOLFGANG (1976): Zur soziologischen Interpretation der neuzeitlichen Wissenschaft, in: E. ZILSEL, Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft, hg. v. WOLFGANG KROHN, Frankfurt/M, S. 7-43 KRÖN, FRIEDHELM (1976): Schriftstellerund Schriftstellerverbände. Schriftstellerberuf und Interessenpolitik 1842-1973, Stuttgart KRÜGER, MARLIS (1981): Wissenssoziologie, Stuttgart KRUCHEN, KARL (1922): Die Zensur und deren praktische Anwendung bei rheinischen Zeitungen in der vormärzlichen Zeit (1814-1848) Diss Köln KÜHNE, WALTER (1938): Graf August Cieszkowski, ein Schüler Hegels und des deutschen Geistes, Leipzig KUHN, AXEL (1980): Die Stellung der deutschen Jakobinerklubs in der Frühgeschichte deutscher Parteien, in: OTTO BUSCH (Hg), Die demokratische Bewegung in Mitteleuropa im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Ein Tagungsbericht, Berlin, S. 73-82 KUHN, THOMAS S. (1967): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt/M KUPISCH, KARL (1953): Vom Pietismus zum Kommunismus, Berlin LADEMACHER, HORST (1976): Die nördlichen Rheinlande von der Rheinprovinz bis zur Bildung des Landschaftsverbandes Rheinland (1815-1953), in: F. PETRI, G. DROEGE, Rheinische Geschichte Bd. 2, Düsseldorf, S. 475-866 -, (1977): Moses Heß in seiner Zeit, Bonn LAKATOS, IMRE/ALAN MUSGRAVE (1974): Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig LÄMMERMANN, GODWIN (1979): Kritische Theologie und Theologiekritik: die Genese der Religions- und Selbstbewußtseinstheorie Bruno Bauers, München LANGE, MAX (1946): Der Junghegelianismus und die Anfänge des Marxismus. Diss Jena —, (1948): Arnold Rüge und die Entwicklung des Parteilebens im Vormärz, in: Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus 3, H. 7, S. 636644 LANKHEIT, KLAUS (1952): Das Freundschaftsbild der Romantik, Heidelberg
446
LAPASSADE, GEORGES (1972): Gruppen - Organisationen - Institutionen, Stuttgart LAPIN, NIKOLAI (1974): Der junge Marx, Berlin (Ost) LENK, KURT (1964): Ideologie. Ideologiekritik und Wissenssoziologie, Neuwied Berlin, 2. Aufl. LENK, KURT/FRANZ NEUMANN (1968): Theorie und Soziologie der politischen Parteien, Neuwied Berlin LENZ, MAX (1910-1918): Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 4 Bde, Halle LEPENIES, WOLF (Hg) (1981): Geschichte der Soziologie. Bd: 2: Theoriegruppen, Schulen und Institutionalisierungsprozesse, Frankfurt/M LEPSIUS, M. RAINER (1964): Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen, in: KZfSS 16, S. 75-90 LIEBICH, ANDRE (1979): Between Ideology und Utopia. The politics and Philosophy of August Cieszkowski, Dordrecht LILL, RUDOLF (1978): Kirche und Revolution. Zu den Anfängen der katholischen Bewegung im Jahrzehnt vor 1848, in: AfS 18, S. 565-575 LIPOWATZ, ATHANASIOS (1982): Diskurs und Macht. Jacques Lacan's Begriff des Diskurses. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Marburg LOBKOWICZ, NICHOLAS (1967): Theory and Practice: History of a Concept from Aristotle to Marx, Notre Dame London —, Karl Marx and Max Stirner, (1969) in: Demythologizing Marxism, A Series of Studies onMarxism. hg. v. FREDERICK J. ADELMANN, Chestnut Hill: Boston College LÖWITH, KARL (1933): Die philosophische Kritik der christlichen Religion im 19. Jahrhundert (I), in: Theologische Rundschau NF 5, H. 3, S. 131-172 -, (1961): Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart, 4. Aufl. -, (1964): Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts. Marx und Kierkegaard, Stuttgart, 4. Aufl. -, (1970): P. Valerys Reflexionen zur Sprache, in: R. BUBNER, K. CRAMER, R. WIEHL (Hg), Hermeneutik und Dialektik, Bd. 2, Tübingen, S. 115-144 -, (1971): Paul Valery. Grundzüge seines philosophischen Denkens, Göttingen LOSCH, PH. (1939): Karl Bayrhoffer, in: J. SCHNACK (Hg), Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck, Bd. 1, Marburg, S. 8-9 LUCAS, ERHARD (1983): Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt/M LUCKMANN, THOMAS (1963): Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft, Freiburg LUDZ, PETER CHRISTIAN (1976): Ideologiebegriff und marxistische Theorie. Ansätze zu einer immanenten Kritik, Opladen -, (Hg) (1979): Geheime Gesellschaften, Heidelberg LÜBBE, HERMANN (1960): Die politische Theorie der Hegeischen Rechten, in: Archiv für Philosophie 10, S. 175-227 -, (1965): Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg LÜBBE, HERMANN/HANS-MARTIN SASS (Hg) (1975): Atheismus in der Diskussion. Kontroversen um Ludwig Feuerbach, München Mainz LÜDTKE, ALF (1980): Genesis und Durchsetzung des »modernen Staates«. Zur Analyse von Herrschaft und Verwaltung, in: AfS 20, S. 470-491 —, (1982):.»Gemeinwohl«, Polizei und »Festungspraxis«. Staatliche Gewaltsamkeit und innere Verwaltung in Preußen, 1815-1850, Göttingen LÜTGERT, WILHELM (1923-1930): Die Religion des deutschen Idealismus und ihr Ende, 4 Bde, Gütersloh
447
LUKACS, GEORG (1926): Moses Hess und die Probleme der idealistischen Dialektik, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung 12, S. 105—155 LUXEMBURG, ROSA (1968): Die russische Revolution, in: dies., Politische Schriften Bd. 3, hg. v. O:K. FLECHTHEIM, Frankfurt/M, S. 106-141 MACHACKOVA, VERA (1961): Der junge Engels und die Literatur (1838-1844), Berlin -, (1963): Einige Bemerkungen zur literarischen Seite der »Anti-Schellingiana« des jungen Engels, in: Annali 6, S. 289-309 MACKAY, JOHN HENRY (1914): Max Stirner. Sein Leben und sein Werk, Berlin-Charlottenburg, 3. Aufl. MADER, JOHANN (1968): Fichte, Feuerbach, Marx. Leib, Dialog, Gesellschaft, Wien -, (1975): Zwischen Hegel und Marx. Zur Verwirklichung der Philosophie, Wien München MAKROPOULOS, MICHAIL (1986): Modernität als ontologischer Ausnahmezustand? Studien zur Theorie der Moderne in den Schriften Walter Benjamins, Göttingen, Diss. (Masch.schr.) MALTZAHN, CHRISTOPH FREIHERR von (1979): Heinrich Leo (1799-1878). Ein politisches Gelehrtenleben zwischen romantischem Konservatismus und Realpolitik, Göttingen MANHEIM, ERNST (1933): Die Träger der öffentlichen Meinung. Studien zur Soziologie der Öffentlichkeit, Brunn MANNHEIM, KARL (1952): Ideologie und Utopie, Frankfurt/M, 3. Aufl. -, (1964): Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, hg. v. K.H. WOLFF, Berlin Neuwied MARCUSE, HERBERT (1965): Ethik und Revolution, in: ders., Kultur und Gesellschaft, Bd. 2, Frankfurt/M, S. 130-146 -, (1962): Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. Neuwied Berlin -, (1969): Versuch über die Befreiung, Frankfurt/M -, (1973). Konterrevolution und Revolte, Frankfurt/M MARTIN, ALFRED von (1932): Soziologie der Renaissance. Zur Physiognomie und Rhythmik bürgerlicher Kultur, Stuttgart -, (1972): Intelligenzschicht, in: Wörterbuch der Soziologie, hg. v. WILHELM BERNSDORF, Bd. 2, Frankfurt/M, 2. Aufl. S. 377-380 MARUHN, JÜRGEN (1982): Die Kritik an der Stirnerschen Ideologie im Werk von Karl Marx und Friedrich Engels. Max Stirners »Einziger« als Dokument des kleinbürgerlichen Radikalismus, Frankfurt/M MASSEY, JAMES A. (1978): The Hegelians, the Pietist, and the Nature of Religion, in: Journal of Religion 58, No. 2, S. 108-129 MATTHES, JOACHIM (1967/69): Religion und Gesellschaft. Einführung in die Religionssoziologie, 2 Bde, Reinbek MAYER, GUSTAV (1913): Die Anfänge des politischen Radikalismus im vormärzlichen Preußen, in: ZfP 6, S. 1-113 -, (1920): Die Junghegelianer und der preußische Staat, in: HZ 121, S. 413-440 -, (1969): Radikalismus, Sozialismus und bürgerliche Demokratie, Frankfurt/M -, (1975): Friedrich Engels. Eine Biographie, 2 Bde, Frankfurt Berlin Wien McLELLAN, DAVID (1974): Die Junghegelianer und Karl Marx, München MEHLHAUSEN, JOACHIM (1965): Dialektik, Selbstbewußtsein und Offenbarung, Diss Bonn -, (1975): Der Umschlag in der theologischen Hegel-Interpretation dargetan an Bruno Bauer, in: Kirche und Theologie im 19. Jahrhundert, hg. v. G. SCHWAIGER, Göttingen, S. 175-197
448
MEHRING, FRANZ (1960): Karl Marx. Geschichte seines Lebens, als: GS Bd. 3, Berlin -, (1961a): Ein vormärzlicher Literat, in, ders., GS Bd. 10, Berlin, S. 390-394 -, (1961b): Sozialistische Lyrik. G. Herwegh - F. Freiligrath - H. Heine, in: ders., GS Bd. 10, Berlin, S. 395-414 -, (1961c): Herwegh, Marx und die »Freien«, in: ders., GS Bd. 10, Berlin, S. 507-511 MEJA, VOLKER/NICO STEHR (Hg) (1982): Der Streit um die Wissenssoziologie, Frankfurt/M MESSMER-STRUPP, BEATRIX (1963): Arnold Ruges Plan einer alliance inteUectuelle zwischen Deutschen und Franzosen, Bern, Phil. Diss. MEYER, THOMAS (1973): Der Zwiespalt in der Marx'schen Emanzipationstheorie. Studie zur Rolle des proletarischen Subjekts, Kronberg/Ts MEYER-KALKUS, REINHART (1977): Werthers Krankheit zum Tode. Pathologie und Familie in der Empfindsamkeit, in: Urszenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik, hg. v. F.A. KITTLER, H. TURK, Frankfurt/M MICHELS, ROBERT (1932): Zur Soziologie der Boheme und ihrer Zusammenhänge mit dem geistigen Proletariat, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik 136, S. 801826 MIELKE, HELLMUTH (1898): Der deutsche Roman, Berlin, 3. Aufl. MIKULINSKIJ, SEMEN R. (Hg) (1977): Wissenschaftliche Schulen, Berlin MILLER, SEPP/BRUNO SAWADZKI (ca. 1956): Karl Marx in Berlin, Berlin oj. MILLS, CHARLES WRIGHT (1943): Sociological Account of Pragmatism, The University of Wisconsin, PhD -, (1964): Methodologische Konsequenzen der Soziologie des Wissens, in: KURT LENK (Hg) Ideologie. Ideologiekritik und Wissenssoziologie, Neuwied und Berlin, S. 281-296 MILLS, THEODORE M. (1973): Soziologie der Gruppe, München, 4. Aufl. MÖNKE, WOLFGANG (1963): Über die Mitarbeit von Moses Heß an der »Deutschen Ideologien in Annali 6, S. 438-509 -, (1964): Neue Quellen zur Heß-Forschung. Mit Auszügen aus einem Tagebuch, aus Manuskripten und Briefen aus der Korrespondenz mit Marx, Engels, Weitling, Ewerbeck u.a., Berlin MÖRTH, INGO (1979): Religiöse Sinnstiftung und gesellschaftliches Bewußtsein, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 4, H. 1, S. 16-30 MOMMSEN, WOLFGANG J. (1981): Gegenwärtige Tendenzen in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik, in: GG 7, S. 149-188 MONGARDINI, CARLO (1979): Die Dynamik des ideologischen Phänomens in der Beziehung zwischen Gruppe und Klasse, in: KURT SALAMUN (Hg), Sozialphilosophie als Aufklärung. Festschrift für ERNST TOPITSCH, Tübingen, S. 89-107 MOOG, WILLY (1930): Hegel und die Hegeische Schule, München MÜLLER, FRIEDRICH (1969): Korporation und Assoziation. Eine Problemgeschichte der Vereinigungsfreiheit im deutschen Vormärz, Berlin MÜLLER, GUSTAV E. (1948): Die Entwicklung der Religionsphilosophie in der Hegelschen Schule, in: Schweizerische Theologische Umschau 18, S. 49-68 MÜLLER, LOTHAR (1981): Zur Soziologie ideologischer Organisationen, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 6, H. 4, S. 67-72 NA'AMAN, SHLOMO (1978): Zur Entstehung der deutschen Arbeiterbewegung. Lernprozesse und Vergesellschaftung 1830-1868, Hannover -, (1979) u.a.: Gibt es einen wissenschaftlichen Sozialismus Marx, Engels und das Verhältnis zwischen sozialistischen Intellektuellen und den Lernprozessen der Arbeiterbewegung, hg. v. M. VESTER, Hannover -, (1982): Emanzipation und Messianismus: Leben und Werk des Moses Heß, Frankfurt/ M New York
449
NÄF, WERNER (1929): Das Literarische Comptoir Zürich und Winterthur, Bern NEGT, OSKAR/ALEXANDER KLUGE (1972): Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt/M -, (1981): Geschichte und Eigensinn, Frankfurt/M NEHER, WALTER (1933): Arnold Ruge als Politiker und politischer Schriftsteller. Ein Beitrag zur deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts, Heidelberg NEIDHART, FRIEDHELM (1979): Das innere System sozialer Gruppen, in: KZfSS 31 H. 4, S. 639-660 —, (Hg) (1983): Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, als: KZfSS Sonderheft 25 NETTLAU, MAX (1901): Michael Bakunin. Eine biographische Skizze. Mit Auszügen aus seinen Schriften. Nachwort von GUSTAV LANDAUER, Berlin -, (1925): Der Vorfrühling der Anarchie. Ihre historische Entwicklung von den Anfängen bis zum Jahre 1864, Berlin -, (1927): Der Anarchismus von Proudhon zu Kropotkin. Seine historische Entwicklung in den Jahren 1859-1880, Berlin NEUSÜSS, ARNHELM (1968): Utopisches Bewußtsein und freischwebende Intelligenz, zur Struktur der Wissenssoziologie Karl Mannheims, Meisenheim/Glan NIGG, WALTER (1937): Geschichte des religiösen Liberalismus, Zürich Leipzig -, (1944): Das ewige Reich. Geschichte einer Sehnsucht und einer Enttäuschung, Erlenbach bei Zürich NIPPERDEY, THOMAS (1965): Über einige Grundzüge der deutschen Parteigeschichte, in: ROLF DIETZ, HEINZ HÜBNER (Hg), Festschrift für HANS CARL NIPPERDEY zum 70. Geburtstag, München, S. 815-841 -, (1976): Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung I, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen, S. 174-205 —, (1979): Kirche und Nationaldenkmal. Der Kölner Dom in den vierziger Jahren, in: WERNER POLS (Hg), Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt, Stuttgart, S, 175-202 -, (1983): Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München OBERMANN, KARL (1977): Zur Genese der bürgerlichen Klasse in Deutschland von der Julirevolution 1830 bis zum Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Geschichte 16, S. 33-69 OELMÜLLER, WILLI (Hg) (1984): Wiederkehr von Religion? Perspektiven, Argumente, Fragen, Kolloquium Religion und Philosophie Bd. 1, Paderborn München Wien Zürich OESTREICH, GERHARD (1981): Calvinismus, Neustoizismus, Preußentum, in: OTTO BUSCH, WOLFGANG NEUGEBAUER, Moderne preußische Geschichte 16481947, Bd. 3, Berlin, S. 1268-1293 OPITZ, PETER J./GREGOR SEBBA (Hg) (1981): The Philosophy of Order. Essays on History, Consciousness and Politics (For ERIC VOEGELIN on His Eightieth Birthday, Jan 3, Stuttgart OSBORN, ALEXANDER F. (1953): Creative Imagination: Principles and Procedures of Creative Thinking, New York OTTMANN, HENNING (1977): Individuum und Gemeinschaft bei Hegel. Bd. 1 Hegel im Spiegel der Interpretationen, Berlin New York -, (1979a): Hegel und die Politik. Zur Kritik der politischen Hegellegenden, in: ZfP 25, S. 235-253 (1979b): Hegels Rechtsphilosophie und das Problem der Akkomodation, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 33, S. 227-243 OTTO, ULLA (1968): Die literarische Zensur als Problem der Soziologie der Politik, Stutt-
450
PASCHEN, JOACHIM (1977): Demokratische Vereine und preußischer Staat. Entwicklung und Unterdrückung der demokratischen Bewegung während der Revolution von 1848/49, München Wien PATERSON, ROBERT WILLIAM KEITH (1971). The nihilistic egoist Max Stirner, London PEPPERLE, INGRID (1971): Arnold Rüge und Robert Eduard Prutz. Ihre ideologiegeschichtliche Bedeutung innerhalb des Junghegelianismus. Die philosophischen Anschauungen von Arnold Rüge und Robert Eduard Prutz, Diss Berlin (Ost) -, (1978): Junghegelianische Geschichtsphilosophie und Kunsttheorie, Berlin (Ost) Philosophical Forum (1978): Feuerbach, Marx and the Left Hegelians, Vol 8, n. 2-4, Boston (Mass.) PLATON (1957): Menon, in: ders., SW Bd. 2. In der Übersetzung v. F. SCHLEIERMACHER, hg. v. W.F. OTTO u.a., Hamburg PLESSNER, HELMUTH (1982): Die verspätete Nation. Über die Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. v. GÜNTER DUX, ODO MARQUARD und ELISABETH STRÖKER, Bd. VI, Frankfurt/M, S. 7-223 -, (1985): Abwandlungen des Ideologiegedankens, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. v. GÜNTER DUX, ODO MARQUARD und ELISABETH STRÖKER, Bd. X, Frankfurt/M, S. 41-70 POPITZ, HEINRICH (1967): Der entfremdete Mensch. Zeitkritik und Geschichtsphilosophie des jungen Marx, Frankfurt/M, 2. Aufl. -, (1968): Prozesse der Machtbildung, Tübingen PRAWER, SIEGBERT SALOMAN (1983): Heine's Jewish Comedy. A Study of his Portraits of Jews and Judaism, Oxford PRICE, DEREKJOHN de SOLLA (1963): Little Science, Big Science, New York PROELSS JOHANNES (1892): Das junge Deutschland. Ein Buch deutscher Geistesgeschichte, Stuttgart -, (1909): Rudolf von Gottschall, der Letzte vom »Jungen Deutschland«, in: Gartenlaube, Nr. 16, S. 343-344 PSYCHOPEDIS, KOSMAS (1984): Geschichte und Methode. Begründungstypen und Interpretationskriterien der Gesellschaftstheorie: Kant, Hegel, Marx und Weber, Frankfurt/M New York QUISPEL, GILLES (1951): Gnosis als Weltreligion, Zürich RAMBALDI, ENRICO (1966): Le Origini della Sinistra Hegeliana, H. Heine, D.F. Strauß, L. Feuerbach, B. Bauer, Florenz RASCH, WOLFDIETRICH (1936) Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifftum des 18. Jahrhunderts, Halle RAWIDOWICZ, SIMON (1931): Ludwig Feuerbachs Philosophie. Ursprung und Schicksal, Berlin REDSLOB, ERWIN (1940): Die Welt vor hundert Jahren. Menschen und Kultur der Zeitenwende um 1840, Leipzig REINALTER, HELMUT (Hg) (1983): Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, Frankfurt/M REISSNER, HANNS GÜNTHER (1965): Eduard Gans. Ein Leben im Vormärz, Tübingen RENDTORFF, TRUTZ (1966): Zur Säkularisierungsproblematik. Über die Weiterentwicklung der Kirchensoziologie zur Religionssoziologie, in: Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie 2, S. 51-72 -, (1969): Christentum außerhalb der Kirche, Hamburg RICHTER, CLAUS (1978): Leiden an der Gesellschaft. Vom literarischen Liberalismus zum poetischen Realismus, Kronberg/Ts.
451
RIDDER, HELMUT K.J. (1954): Meinungsfreiheit, in: F. L. NEUMANN, H. C. NIPPERDEY, U. SCHEUNER (Hg), Die Grundrechte Bd. II, 2, Berlin, S. 243-290 RIEDEL, MANFRED (1967): Hegel und Gans, in: Natur und Geschichte. KARL LÖWITH zum 70. Geburtstag, Stuttgart, S. 257-273 -, (1973): System und Geschichte. Studien zum historischen Standort von Hegels Philosophie, Frankfurt/M RIHA, KARL (1970): Die Beschreibung der >großen Stadt<. Zur Entstehung des Großstadtmotivs in der deutschen Literatur (ca. 1750- ca. 1850), Bad Homburg Berlin Zürich RIHS, CHARLES (1978): L'ecole des jeunes hegeliens et les penseurs socialistes francais, Paris RITSCHL, ALBRECHT (1880-1886): Geschichte des Pietismus, 3 Bde, Bonn RITTER, GERHARD ALBERT (1973): Die deutschen Parteien vor 1918, Köln RITTER, JOACHIM (1965): Hegel und die französische Revolution, Frankfurt/M RÖTTGERS, KURT (1975): Kritik und Praxis. Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx, Berlin -, (1982): Kritik, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. v. O. BRUNNER, W. CONZE, R. KOSELLECK, Bd. 3, Stuttgart, S. 651-675 ROSEN, ZVI (1970): The Influence of Bruno Bauer on Marx's Concept of Alienation, in: Social Theory and Practice 1, S. 50-69 -, (1971): The Radicalism of a Young Hegelian: Bruno Bauer, in: The Review of Politics 33, S. 377-404 -, (1977): Bruno Bauer und Karl Marx; the Influence of Bruno Bauer on Marx's Thought, Den Haag -, (1982): Bruno Bauers und Friedrich Nietzsches Destruktion der bürgerlich-christlichen Welt, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Tel Aviv 11, S. 151-172 -, (1983): Moses Hess' Einfluß auf die Entfremdungstheorie von Karl Marx, in: W. GRAB/J. H. SCHOEPS (Hg), Juden im Vormärz und in der Revolution von 1848, Stuttgart Bonn, S. 169-198 ROSENBERG, HANS (1929): Geistige und politische Strömungen an der Universität Halle in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Dt. Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 7, S. 560-586 -, (1972): Politische Denkströmungen im deutschen Vormärz, Göttingen ROSENZWEIG, FRANZ (1920): Hegel und der Staat, 2 Bde, München Berlin ROTHFELS, HANS (1930): Ideengeschichte und Parteigeschichte, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 8, S. 753—786 RUBEL, MAXIMILIEN (1957): Karl Marx. Essai de biographie intellectuelle, Paris RUCKHÄBERLE, HANS-JOACHIM (Hg) (1983): BÜdung und Organisation in den deutschen Handwerksgesellen- und Arbeitervereinen in der Schweiz, Tübingen RUDOLPH, KURT (1978): Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion, Göttingen RÜRUP, REINHARD (1975): Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur >Judenfrage< der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen RUNZE, GEORG (1931): Bruno Bauer, der Meister der theologischen Kritik, Neu Finkenburg b. Berlin RUZICKA, RUDOLF (1977): Selbstentfremdung und Ideologie. Zum Ideologieproblem bei Hegel und den Junghegelianern, Bonn SALOMON, ALBERT (1921): Der Freundschaftskult im 18. Jahrhundert in Deutschland, Diss Heidelberg SANDBERGER, JÖRG F. (1972): David Friedrich Strauß als theologischer Hegelianer, Göttingen
452
SARTRE, JEAN-PAUL (1967): Kritik der dialektischen Vernunft, Bd. 1 Theorie der gesellschaftlichen Praxis, Reinbek SASS, HANS-MARTIN (1963): Untersuchungen zur Religionsphilosophie in der Hegelschen Schule 1830-50, Diss Münster -, (1967a): Emanzipation der Freiheit. Hegels Rechtsphilosophie als Strategie pragmatischer Politik- und Rechtskritik, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 53, S. 257276 -, (1967b): Feuerbach statt Marx. Zur Verfasserschaft des Aufsatzes »Luther als Schiedsrichter zwischen Strauß und Feuerbach«, in: IRSH 13, S. 108 ff-119 -, (1967c): Bruno Bauers Idee der »Rheinischen Zeitung«, in: ZfRGG 19, S. 321-276 -, (1968): Nachwort zu: Bruno Bauer. Feldzüge der reinen Kritik, Frankfurt/M -, (1972): Feuerbachs Prospekt einer neuen Philosophie, in: Revue internationale de philosophie 26, No. 101, S. 255-274 -, (1976): Die Emanzipation des Dialektikbegriffes von Karl Marx aus der Interpretation, die Bruno Bauer und die »Freien« der hegelschen Dialektik gaben, in: Referate des X. Internationalen Hegel-Kongresses in Moskau, Hegel Jahrbuch 1975, Köln, S. 554560 -, (1983): The >transition< from Feuerbach to Marx. A re-interpretation, in: Studies in Soviet Thought, Vol 26, S. 123-142 SAUDER, GERHARD (1974): Empfindsamkeit. Bd. 1. Voraussetzungen und Elemente, Stuttgart SCHAEFER, ALFRED (1968): Macht und Protest, Meisenheim SCHÄFERS, BERNHARD (Hg) (1980): Einführung in die Gruppensoziologie, Heidelberg SCHARFE, MARTIN (1980): Die Religion des Volkes. Kleine Kultur- und Sozialgeschichte des Pietismus, Gütersloh SCHEEL, WOLFGANG (1964): Das »Berliner Politische Wochenblatt« und die politische und soziale Revolution in Frankreich und England. Ein Beitrag zur konservativen Zeitkritik in Deutschland, Göttingen SCHEIBERT, PETER (1956): Von Bakunin zu Lenin. Geschichte der russischen revolutionären Ideologien 1840-1895, Bd. 1, Leiden SCHELSKY, HELMUT (1959): Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? Zum Thema einer modernen Religionssoziologie, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 3, S. 153-174 -, (1963): Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, Reinbek -, (1977): Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München SCHIEDER, THEODOR (1954): Die Theorie der Partei im älteren deutschen Liberalismus, in: Aus Geschichte und Politik. Festschrift für L. BERGSTRÄSSER, Düsseldorf, S. 183-196 SCHIEDER, WOLFGANG (1963): Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution von 1830, Stuttgart -, (1974): Kirche und Revolution. Sozialgeschichtliche Aspekte der Trierer Wallfahrt von 1844, in: AfS 14, S. 419-455 -, (1977): Religionsgeschichte als Sozialgeschichte. Einleitende Bemerkungen zur Forschungsproblematik, in: GG 3, S. 291—298 -, (Hg) (1983): Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz, als: GG Sonderheft 9, Göttingen SCHIELER, CARL (1903): Dr. Julius Rupp, ehemaliger Privatdozent, Oberlehrer und Divisionsprediger zu Königsberg in Preußen und die freie religiöse Bewegung in der katholischen und evangelischen Kirche Deutschlands im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts, Dresden
453
SCHINDLER, ALFRED (1978): Geistliche Väter und Hausväter in der christlichen Antike, in: HUBERTUS TELLENBACH (Hg), Das Vaterbild im Abendland I, Stuttgart, 5. 70-82 SCHISSLER, HANNA (1978): Preußische Agrargesellschaft im Wandel, Göttingen SCHLAWE, FRITZ (1959a): Friedrich Theodor Vischer, Stuttgart -, (1959b): Die Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Ein Beitrag zur Geschichte des Hegelianismus, in: ZfRGG 11, S. 240-258; 343-356 - (1960): Die junghegelianische Publizistik, in: Die Welt als Geschichte 20, S. 30-50 SCHMIDT, ALFRED (1973): Emanzipatorische Sinnlichkeit. Ludwig Feuerbachs anthropologischer Materialismus, München SCHMITT, EBERHARD (1979): Element einer Theorie der politischen Konspiration im 18. Jahrhundert. Einige typologische Bemerkungen, in: P.CH. LUDZ (Hg), Geheime Gesellschaften, Heidelberg, S. 65-88 SCHMITT, CARL (1950a): Ex Captivitate Salus, Köln -, (1950b): Donoso Cortes in gesamteuropäischer Interpretation, Köln SCHNABEL, FRANZ (1947-51): Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 4 Bde, Freiburg, 2. Aufl. SCHNEIDER, ERICH (1972): Die Theologie und Feuerbachs Religionskritik. Die Reaktion der Theologie des 19. Jahrhunderts auf Ludwig Feuerbachs Religionskritik, Göttingen SCHNEIDER, FRANZ (1966): Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied Berlin -, (1967): Politik und Kommunikation, Drei Versuche, Mainz SCHNEIDER, MANFRED (1980): Die kranke schöne Seele der Revolution. Heine, Börne, das »Junge Deutschland«, Marx und Engels, Frankfurt/M SCHOLZ, PAUL (1930): Wilhelm Jordans Reden in der Paulskirche. Studien zur parlamentarischen Beredsamkeit, Königsberg SCHRAEPLER, ERNST (1962): Geheimbündelei und soziale Bewegung. Zur Geschichte des »jungen Deutschland« in der Schweiz, in: IRSH 7, S. 61-92 -, (1972): Handwerkerbünde und Arbeitervereine 1830-1853. Die politische Tätigkeit deutscher Sozialisten von Wilhelm Weitling bis Karl Marx, Berlin New York SCHUCKERT, LOTHAR (1978): Geistige Väter und Söhne. Beobachtungen zum Wandel pädagogischer Autorität, in: H. TELLENBACH (Hg), Das Vaterbild im Abendland I, Stuttgart, S. 124-148 SCHÜTZ, ALFRED (1981): Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Frankfurt/M SCHUFFENHAUER, WERNER (1965): Feuerbach und der junge Marx. Zur Entstehungsgeschichte der marxistischen Weltanschauung, Berlin (Ost) SCHUMPETER, JOSEF (1946): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern -, (1952): Aufsätze zur ökonomischen Theorie, Tübingen SCHWEITZER, ALBERT (1951): Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen, 6. Aufl. SCHWEITZER, ARTHUR (1944): Ideological Groups, in: American Sociological Review 9, S. 415^(26 SCHUSTER, GEORG (1906): Die Geheimen Gesellschaften, Verbindungen und Orden, 2 Bde, Leipzig SEBBA, GREGOR (1981): History, Modernity and Gnosticism, in: P.J.OPITZ, G. SEBBA (Hg), The Philosophy of Order. Essays on History, Consciousness and Politics, Stuttgart, S. 190-241 SEDATIS, HELMUT (1979): Liberalismus und Handwerk in Südwestdeutschland. Wirtschafts- und Gesellschaftskonzeptionen des Liberalismus und die Krise des Handwerks im 19. Jahrhundert, Stuttgart
454
SEEBA, HINRICH C. (1983): Der Kölner Dom: Bastion des Mittelalters und Nationaldenkmal. Zur Kategorie der Geschichtlichkeit in den Kontroversen des Vormärz, in: JAMES F. POAG, GERHILD SCHOLZ-WILLIAMS, Das Weiterleben des Mittelalters in der deutschen Literatur, Königstein/Ts., S. 87-105 SEEGER, REINHART (1935): Friedrich Engels. Die religiöse Entwicklung des Spätpietisten und Erühsozialisten, Halle SENGLE, FRIEDRICH (1971-1980): Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815-1848, 3 Bde, Stuttgart SENNETT, RICHARD (1983): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt/M SHANAHAN, WILLIAM O. (1954): German Protestants Face the Social Question, Vol 1, The Conservative Phase 1815—71, Notre Dame Indiana SILBERNER, EDMUND (1958): The works of Moses Hess. An inventory of his signed and anonymous publications, manuscripts and correspondence, Leiden -, (1963): Beiträge zur literarischen und politischen Tätigkeit von Moses Heß 1841-1843, in: Annali 6, S. 387^37 -, (1964): Moses Heß als Begründer und Redakteur der »Rheinischen Zeitung«, in: AfS 4, S. 5-44 -, (1966): Moses Hess. Geschichte seines Lebens. Leiden —, (1969): Zur Jugendbiografie von Johann Jacoby, in: AfS 9, S. 5-112 -, (1976): Johann Jacoby. Politiker und Mensch, Bonn-Bad Godesberg SIMON, ULRICH (1982): Zur Kritik der Philosophie Max Stirners, Diss Frankfurt/M SPEIER, HANS (1929): Zur Soziologie der bürgerlichen Intelligenz in Deutschland, in: Die Gesellschaft. Internationale Revue für Sozialismus und Politik, hg. v. R. HILFERDING 6, S. 58-72 -, (1952): From Hegel to Marx: the Left Hegelians, Feuerbach and >True Socialism<, in: ders., Social Order and the Risks of War. Papers in Political Sociology, New York, S. 142-177 SPIEGELBERG, HERBERT (1953): Toward a Phenomenology of Imaginative Understanding of others, in: Proceedings of Xlth International Congress of Philosophy, Brüssel, Vol VIII, S. 235-239 -, (1964): Phenomenology Through Vicarious Experience, in: E. STRAUSS, Phenomenology: Pure and Applied, Pittsburg, S. 11-120 SPILKER, WERNER (1937): Robert Prutz als Zeitungswissenschaftler, Diss Leipzig SPINNER, HELMUT F. (1985): Wissenschaft kommt nicht von Wissen, und Kunst kommt nicht von Können, aber Wissenschaft ist trotzdem keine Kunst. Über die Wissenschaftswissenschaft und die Kochkunst, die Kriegskunst und die Zeit, als Feyerabend noch recht hatte, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 39, H. 9/10 (439/ 440), Stuttgart, S. 859-878 STEHR, NICO/RENE KÖNIG (Hg) (1975): Wissenschaftssoziologie, als: KZfSS Sonderheft 18 STEHR, NICO/VOKERMEJA (Hg) (1980): Wissenssoziologie, als: KZfSS Sonderheft 22 STEINER, GEORGE (1972): In Blaubarts Burg. Anmerkungen zur Neudefinition der Kultur, Frankfurt/M STEPELEVICH, LAWRENCES. (1976): Hegel and Stirner: thesis and antithesis, in: Idealistic Studies 6, S. 263-78 STEUSSLOFF, HANS (1963): Bruno Bauer als Jungehegelianer und Kritiker der christlichen Religion, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin (Ost), H. 9, S. 1122-1137 STORCK, JOCHEN (Hg) (1974): Fragen nach dem Vater. Französische Beiträge zu einer psychoanalytischen Anthropologie, Freiburg
455
STRAUSS, HERBERT (1954): Zur sozial- und ideengeschichtlichen Einordnung Arnold Ruges, in: Schweizer Beitrage zur Allgemeinen Geschichte 12, S. 162-173 STUKE, HORST (1963): Philosophie der Tat. Studien zur »Verwirklichung der Philosophie« bei den Junghegelianern und den Wahren Sozialisten, Stuttgart SYDOW, ECKARDT v. (1914): Der Gedanke des Ideal-Reichs in der idealistischen Philosophie von Kant bis Hegel im Zusammenhang der geschichtsphilosophischen Entwicklung, Leipzig TAUBERT, INGE/WERNER SCHUFFENHAUER (1975): Marx oder Feuerbach? Zur Verfasserschaft von >Luther als Schiedsrichter zwischen Strauß und Feuerbach<, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Nr. 20, Berlin (Ost), S. 3254 TAUBERT, INGE (1975): Karl Marx und die »Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe<. Einleitung zum Reprint und Bibliographie der Artikel von Marx in der >Rheinischen Zeitung<, Leipzig TAUBES JACOB (1947): Abendländische Eschatologie, Bern -, (Hg) (1983): Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen. Religionstheorie und politische Theologie Bd. 1, München Paderborn Wien Zürich -, (Hg) (1984): Gnosis und Politik. Religionstheorie und politische Theologie Bd. 2, München Paderborn Wien Zürich TENBRUCK, FRIEDRICH H. (1964): Freundschaft - Ein Beitrag zur Soziologie der persönlichen Beziehungen, in: KZfSS 16, S. 431—456 —, (1976): Zur Soziologie der Sophistik, in: Neue Hefte für Philosophie, H. 10, Göttingen, S. 51-77 TENBRUCK, FRIEDRICH H./RUOPP, WILHELM A. (1983): Modernisierung - Vergesellschaftung — Gruppenbildung - Vereinswesen, in: KZfSS Sonderheft 25, S. 65-74 THADDEN, RUDOLF von (1980): Kirche im Schatten des Staates, in: J. PUHLE, H. U. WEHLER (Hg), Preußen im Rückblick (GG, Sonderheft 6) Göttingen, S. 146175 -, (1981): Fragen an Preußen - Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates, München -, (1983): Protestantismus und Liberalismus zur Zeit des Hambacher Festes 1832, in: W. SCHIEDER (Hg), Liberalismus in der Gesellschaft des Vormärz, GG Sonderheft 9, Göttingen, S. 95-114 THEUNISSEN, MANFRED (1970): Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologischpolitischer Traktat, Berlin THIES, ERICH (Hg) (1976): Ludwig Feuerbach, Darmstadt THOMAS, PAUL (1975): Karl Marx und Max Stirner, in: Political Theory 3, H. 2, S. 159179 THURN, HANS PETER (1983): Die Sozialität der Solitären. Gruppen und Netzwerke in der Bildenden Kunst, in: KZfSS Sonderheft 25, S. 287-318 TIRYAKIAN, EDWARD A. (1981): Die Bedeutung von Schulen für die Entwicklung der Soziologie, in: WOLF LEPENIES (Hg), Geschichte der Soziologie, Bd. 2, Frankfurt/ M,S. 31-68 TÖPFER, BERNHARD (1964): Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter, Berlin (Ost) TOEWS, JOHN EDWARD (1981): Hegelianism. The Path Toward Dialectical Humanism, 1805-1841, Cambridge University Press TOPITSCH, ERNST (Hg) (1960): Probleme der Wissenschaftstheorie. Festschrift für VICTOR KRAFT, Wien -, (1966): Logik der Sozialwissenschaften, Köln TRAN VAN TOAN (1980): Theologie ou atheisme. La lecon de Ludwig Feuerbach, in: Melanges de Science Religieuse 37, S. 239-252
456
TSCHIZEWSKIJ, DIMITRIJ (1961): Hegel bei den Slaven, Darmstadt, 2. Aufl. VACCARO, G. BATTISTA (1980): Arnold Ruge e la lotta traprogresso e reazione in Germania (1838-1839), in: Annali dell'Istituto di Filosofia 2, Firenze, S. 243-87 VALERY, PAUL (1965): Herr Teste, Frankfurt/M VALJAVEC, FRITZ (1951): Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland, München . „ VALLAS, STEVEN P. (1979): The Lesson of Mannheim's Historicism, in: Sociology 13, S. 459-474 VARRENTRAPP, CONRAD (1889): Johannes Schulze und das höhere preußische Unterrichtswesen in seiner Zeit, Leipzig VENEDEY, HERMANN (1930): Jacob Venedey. Darstellung seines Lebens und seiner politischen Entwicklung bis zur Auflösung der ersten deutschen Nationalversammlung, (Diss Freiburg 1930), Stockach VIATTE, AUGUSTE (1928): Les Sources Occultes du Romantisme. Illuminisme - Theosophie 1770-1820, 2 Bde, Paris VIERHAUS, RUDOLF (1973) Geschichtswissenchaft und Soziologie, in: GERHARD SCHULZ (Hg), Geschichte heute. Positionen, Tendenzen und Probleme, Göttingen, S. 69-83 -, (Hg) (1980): Deutsche patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, München -, (1982): Liberalismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. v. O. BRUNNER, W. CONZE, R. KOSELLECK, Bd. 3, Stuttgart, S. 741-785 -, (1983a): Aufklärung und Freimaurerei in Deutschland, in: H. REINALTER (Hg), Freimaurer und Geheimbünde, im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, Frankfurt/M, S. 115139 -, (1983b): Liberalismus, Beamtenstand und konstitutionelles System, in: W. SCHIEDER (Hg), Liberalismus in der Gesellschaft des Vormärz, Göttingen, S. 39—54 VOEGELIN, ERIC (1958): Wissenschaft, Politik und Gnosis, München VOSS, JÜRGEN (1980): Die Akademien als Organisationsträger der Wissenschaften im 18. Jahrhundert, in: HZ 231, S. 43-74 VOSS, REINHARD (1977): Der deutsche Vormärz in der französischen »öffentlichen Meinung«, Frankfurt/M Bern Las Vegas WÄTZEL, PAUL (1949): Karl Schmidt als Theologe, Diss Halle Wittenberg (Masch. Sehr.) WAGNER, FALK (1976a): Die Aufhebung der religiösen Vorstellung in den philosophischen Begriff, in: NZSyThRPh 18, S. 44-73 -, (1976b): Systemtheorie und Subjektivität. Ein Beitrag zur interdisziplinären theologischen Forschung, in: Internationales Jahrbuch für Wissens- und Religionssoziologie 10, S. 151-177 WALTHER, CHRISTIAN (1961): Typen des Reich-Gottes-Verständnisses. Studien zur Eschatologie und Ethik im 19. Jahrhundert, München WARTOFSKY, MARX WILLIAM (1977): Feuerbach, Cambridge WEBER, MAX (1964) Wirtschaft und Gesellschaft, Köln Berlin WEIGLIN, PAUL (1942): Berliner Biedermeier. Leben, Kunst und Kultur in Alt-Berlin zwischen 1815 und 1848, Bielefeld Leipzig WEIL, HANS (1967): Die Entstehung des deutschen Bildungsprinzips, Bonn, 2. Aufl. WEIN, HERMANN (1968): Kentaurische Philosophie. Vorträge und Abhandlungen, München WEINEL, HEINRICH (1914): Jesus im 19. Jahrhundert, Tübingen WEINGART, PETER (Hg) (1973/74): Wissenschaftssoziologie, 2 Bde., Frankfurt/M WENDE, PETER (1975): Radikalismus im Vormärz. Untersuchungen zur politischen Theorie der frühen deutschen Demokratie, Wiesbaden WENKE, ARTUR (1907): Junghegeltum und Pietismus in Schwaben, (Diss Bern) Dresden
457
WHITLOW, MAYNARD (1950): Max Stirner and the Heresy of Seif Abundance, in: ETC; a reviewof general semantics, Chicago, Vol. 7, no. 4, S. 277-286 WIEGEL, KARL (1965): Otto Wigand, in: Leben und Werk deutscher Buchhändler, hg. v. K. H. KALHÖFER, Leipzig, S. 76-81 WIEHL, RAINER (1972) Dialog und philosophische Reflexion, in: Neue Hefte für Philosophie, H. 2/3, Göttingen, S. 41-94 WILDERMUTH, ARMIN (1970): Marx und die Verwirklichung der Philosophie, Den Haag WILDT, ANDREAS (1970): Hegels Kritik des Jacobinismus, in: OSKAR NEGT (Hg), Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels, Frankfurt/M, S. 265-292 WITTGENSTEIN, LUDWIG (1970): Über Gewißheit, Frankfurt/M WITTKE, CARL FREDERICK (1945): Against the current. The life of Karl Heinzen, Chicago WITTKOP, JUSTUS FRANZ (1928): Jordans >Demiurgos<, Diss München -, (1965): Der Boulevard oder Das vergnügliche Leben des Bürgers, Zürich Stuttgart WITTRAM, REINHARD (1949): Kirche und Nationalismus in der Geschichte des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert, in: ders., Nationalismus und Säkularisation. Beiträge zur Geschichte und Problematik des Nationalgeistes, Lüneburg, S. 30-72 WOLFF, KURT H. (1968): Versuch zu einer Wissenssoziologie, Berlin Neuwied WOLFF, MICHAEL (1970): Hegel im vorrevolutionären Rußland, in: OSKAR NEGT (Hg), Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels, Frankfurt/M, S. 151-182 WOODCOCK, GEORGE (1963): Anarchism. A History of Libertarian Ideas and Movements, Harmondsworth Middlesex WRIGHT,EDMOND(1978): SociologyandthelronyModel.in: Sociology 12,S. 523-543 WUNDERER, HORTMANN (1980): Freidenkertum und Arbeiterbewegung. Ein Überblick, in: IWK 16, H. 1, S. 1-33 WURZBACHER, GERHARD (1971): Die öffentliche freie Vereinigung als Faktor soziokulturellen, insbesondere emanzipatorischen Wandels im 19. Jahrhundert, in: W. RUEGG, O. NEULOH (Hg), Zur soziologischen Theorie und Analyse des 19. Jahrhunderts, Göttingen, S. 103-122 WYKOWSKI, IRMENTRAUD (1950): Die Kritik der deutschen Radikalen an den Begriffen Nation, Nationalität und Patriotismus, 'Diss Göttingen XHAUFFLAIRE, MARCEL (1972): Feuerbach und die Theologie der Säkularisation, München ZANARDO, ALDO (1965): Bruno Bauer hegeliano e giovane hegeliano. Estratto dalla »Rivista Critica di Storia della Filosofia«, Firenze -, (1969): Arnold Rüge, giovane hegeliano 1824-1849, in: Annali 11, S. 189-382 ZEHNTER, HANS (1929): Das Staatslexikon von Rotteck und Welcker, Jena ZELENY, JINDRICH (1968): Die Wissenschaftslogik und >Das Kapitals Frankfurt/M ZIEGLER, THEOBALD (1899): Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts, Berlin ZLOCISTI, THEODOR (1921): Moses Hess. Der Vorkämpfer des Sozialismus und Zionismus 1812-1875, Berlin, 2. Aufl. ZNANIECKI, FLORJAN (1940): The Social Role of the Man of Knowledge, New York ZOCCOLI, HEKTOR (1909): Die Anarchie. Ihre Verkünder - Ihre Ideen - Ihre Taten. Versuch einer systematischen und kritischen Übersicht, sowie einer ethischen Beurteilung, Amsterdam
458
459
460
Edler, Erich 337,440 Eichendorff, Joseph von 303 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 22, 125 f., 128, 408 Eichler, Ludwig 71,207,211, 321, 427 Elias, Wilhelm 295,427 Elkar, Rainer Siegbert 64, 440 Ely.Geoff 161,438 Engels, Friedrich 22 f., 41,52 f., 69, 72, 76,78 f., 82,150 f., 164,177,207 f., 211, 234,245 f., 279,287,307,314,316,331, 335 f., 378,384,388,395,404,427,431 Engelsing, Rolf 327,336,440 Erdmann, Johann Eduard 54 f., 78,86, 133,136,143 f., 155,440 Esau, Lotte 74,232, 440 D'Ester, Karl 69 Estermann, Alfred 427 Euchner, Walter 441 Everke, Karl Friedrich 238,441 Ewert, Michael 60,441 Exner, Franz 109,427 Faber, Karl Georg 240,441 Faisal, Faris Fanner al 441 Fanto, Irene 84,441 Fast, Heinhold 441 Faucher, Julius 42, 62, 72, 78, 307 Fehrenbach, Elisabeth 244, 441 Fein, Georg 245 Feldmann, Christian 228 f., 427 Fetscher, Iring 414,441 Feuerbach, Amselm Ritter von 68 Feuerbach, Ludwig 41,53,59, 62, 68-71, 77 f., 81 f., 84, 86,117,124,131,133, 155,161,169-174,177,236 f., 277,293, 330,335,351,354-356,376,387 f., 393, 395,404,427 Fichte, Immanuel Hermann 61, 85, 114, 133,148,331,354,422,427 Fichte, Johann Gottlieb 60, 70, 94 f., 106 f., 134,165,274,328,361,383,388 Finger, Otto 440 Fiore, Joachim von 146,347, 350 Fischer, Fritz 359,361,405,441 Fischer, Hermann 61,441 Fischer, Kuno 81, 415, 427 Fischer, Wolfram 65, 441 Fleischer, Karl Moritz 69, 223,333, 427 Flottwell, Eduard 41,73,75,207,211, 244,333
Flottwell, Eduard Heinrich 75 Florencourt, Franz von 121 Förster, Friedrich Christian 95 Folien, August 75 f. Fontane, Theodor 30, 65, 78, 333 f., 427 Foucault, Michel 21 f., 49 f., 58, 81 f., 257 f., 441 Fourier, Charles 83, 274, 327 Fränkel, Albert 323,380 f., 412 f., 422, 427 Frank, Manfred 151,441 Franke, Richard Walter 441 Frantz, Constantin 71 Frauenstädt, Julius 146,159,427 Freiligrath, Ferdinand 219 Frese, Jürgen 87 Freud, Sigmund 98 Frey, Arthur 326,428 Freytag, Gustav 66 Friedensburg, W. 154, 248, 428 Friedrich II., König von Preußen 118-120,142,150,186,258 f., Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 121 f., 192 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 26, 67, 120-123, 150, 152, 204,220 f., 246,260 f., 267,365 Fröbel, Julius 66,69,72,75 f., 87 Füret, Francois 64, 438 Gabler, Georg Andreas 133,143 Gadamer, Hans Georg 28, 49,134,441 Gall, Lothar 240,441 Gamm, Gerhard 441 Gans, Eduard 41, 73, 117,122, 124,143, 149,155,428 Garber, Klaus 60,442 Garewiczjan 427,442 Gauthier, Theophile 302 f. Gebhardt, Jürgen 56,85 f., 148,345,403, 406,410,442 Gehlen, Arnold 58 Geiger, Theodor 13,21 f., 442 Geizer, Heinrich 61, 428 Gerlach, Antje 76, 442 Gerlach, Ernst Ludwig von 122 Gerlach, Leopold von 122 Gerth, Hans 64, 94, 141, 442 Gervinus, Georg Gottfried 81, 105, 428 GillisJohnR. 65,150,442 Giseke, Robert 300 f., 318, 325, 335, 428
461
462
463
464
465
466
467
468
469
Über diese Reihe Die Bände der Reihe »Übergänge« bewegen sich in einem Zwischenbereich, in dem philosophische Überlegung und sozialwissenschaftliche Forschung aufeinander stoßen und sich verschränken. Das thematische Schwergewicht sind Prozesse desgemeinsamen Handelns, Sprechens und leiblichen Verhaltens, die sich in einer sozialen Lebenswelt abspielen und deren Strukturen bereichern und verändern. Die Frage nach der Ordnung der Welt und Gesellschaft und nach den Übergängen von einer Ordnung zur andern stellt sich auf neue Weise, sobald man- von einer Zwischensphäre ausgeht, die auf die Dauer von keiner Einzelinstanz zu steuern und durch keine bestimmte Ordnung zu erschöpfen ist. In dieser Begrenzung liegt das Potential zu einer Kritik, die nicht aufs Ganze geht. In der Abfolge der Reihe, die der phänomenologischen Tradition verbunden, aber nicht auf sie beschränkt ist, soll die Erörterung theoretischer und methodischer Grundfragen abwechseln mit der Präsentation spezifischer Forschungsansätze und geschichtsvariahler Untersuchungen. Bevorzugte Themen sind etwa die leibliche Verankerung von Handeln und Erkennen, die Ausbildung und Ausgrenzung von Milieus, Prozesse der Normalisierung und Typisierung, der Kontrast von Alltagsund Forschungspraktiken, die Divergenz von Erkenntnis- und Rationalitätsstilen, der Austausch zwischen fremden Kulturen, Krisen der abendländischen Lebensund Vernunftordnung u.a. Um diesen Studien ein historisches Relief zu verleihen, werden thematisch relevante Traditionsbestände in repräsentativen Texten vergegenwärtigt. Diesem internationalen Programm entspricht auf deutscher Seite der Versuch, an die Forschungslage vor 1933 wiederanzuknüpfen und Vergessenes wie Verdrängtes zurückzuholen.
Erschienen sind: Bandl Richard Grathoff / Bernhard Waldenfels (Hrsg.) Sozialität und Intersubjektivität Phänomenologische Perspektiven der Sozialwissenschaften im Umkreis von Aron Gurwitsch und Alfred Schütz. 1983.410 S. ISBN 3-7705-2187-0 Band 2 UlfMatthiesen Das Dickicht der Lebenswelt und die Theorie des kommunikativen Handelns 2. Aufl. 1985. 186 S. ISBN 3-7705-2188-9
Band 3 Maurice Merleau-Ponty Die Prosa der Welt Hrsg. v. Claude Lefort. Einl. z. dt. Ausg. v. Bernhard Waidenfels. Aus d. Franz. v. Regula Giuliani. 1984. 168 S. ISBN 3-7705-2189-7 Band 4 Alfred Schütz, Aron Gurwitsch Briefwechsel 1939-1959 Hrsg. v. Richard Grathoff. Mit ein. Einl. v. Ludwig Landgrebe. 1985. XXXX, 544 S. mit Frontispiz. ISBN 3-7705-2260-5
470
471