Terra Astra 94
Die kosmische Auktion von Peter Terrid
Prolog »Langsam erscheint der Tod mir verlockender als das Lebe...
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Terra Astra 94
Die kosmische Auktion von Peter Terrid
Prolog »Langsam erscheint der Tod mir verlockender als das Leben«, murmelte der Mann. Das Zimmer, in dem der Alte sich aufhielt, war nur schwach beleuchtet; die Diener hatten auf seinen Befehl hin die Pulsatorlampen an der Decke auf den kleinsten Wert eingestellt. Das Licht fiel auf eine kleine Sitzgruppe - drei Sessel und ein flacher Tisch dazwischen - und auf mehrere, hintereinander angeordnete Bücherregale. Von der Stirnseite des Raumes drang aus großen, harmonisch in die Bücherreihen eingepaßten Lautsprecherboxen Musik. Der alte Mann summte die Melodie leise mit. Bei der verwirrenden Synkope im dritten Satz des Konzerts huschte die Andeutung eines Lächelns über sein faltiges Gesicht. »Immerhin«, setzte er sein Selbstgespräch fort. »Es gibt noch allerlei, was dieses Leben zu bieten hat - und wenn es nur der witzige Einfall eines namenlosen Komponisten ist!« Der Alte nahm einen kurzen Zug aus der langstieligen Meerschaumpfeife und blies den aroma tischen Rauch langsam wieder von sich; sorgfältig achtete er darauf, daß seine Finger den matt schimmernden Kopf der wertvollen Pfeife nicht berührten. Er sah kurz auf die Digitaluhr an seinem Handgelenk, überlegte sekundenlang. Langsam glitten seine vom Alter steif gewordenen Finger über die Tastatur, die sich an der rechten Außenseite des
schweren Ledersessels befand. Nachdem er den Sensorpunkt berührt hatte, vergingen knapp zehn Sekunden, dann öffnete sich lautlos eine Tür, und eine Gestalt zeichnete sic h vor dem Hintergrund des erhellten Vierecks ab. »Danke, mein Sohn!« murmelte der Alte, ohne sich zu dem Mann im Türrahmen umzudrehen. »Suche bitte Mano Campan auf und frage ihn, ob er etwas Zeit für mich hat. Sollte er allerdings schon schlafen, wirst du ihn nicht wecken!« Der Mann verneigte sich kurz und sagte halblaut: »Ich werde nachsehen, Sir!« Ebenso geräuschlos, wie sie erschienen war, zog sich die Gestalt wieder zurück. Mit langsamen Bewegungen stand der Alte auf und machte einige Schritte auf das Regal mit den Lautsprechern zu. Ein Fach klappte unter seinen Fingern auf, und er holte das Schachbrett heraus. Dann schloß er das Fach wieder und stellte Brett und Figuren auf den flachen Tisch mit der gläsernen Platte. Umständlich stellte er die Figuren auf. Sie bestanden aus Marmor und waren von einem der besten Bildhauer des Systems entworfen und hergestellt worden; der Alte liebte die seidige Glätte des Materials und die Kühle in seiner Hand, wenn er einen Zug machte. »Schalte bitte das Licht ein wenig höher!« bat er; ein leiser Luftzug hatte ihm verraten, daß sein Gast gekommen war. »Gern, Thamur!« antwortete der Gast und kam der Bitte nach. Mit einer Handbewegung lud Thamur den Mann ein, sich ihm gegenüber niederzulassen, während er selbst zur Hausbar hinüberging und zwei Gläser füllte. »Verzeih mir, wenn ich dich einmal mehr um die abendliche Ruhe bringe!« bat Thamur mit einem angedeuteten Lächeln; er hob das Glas und nahm einen kleinen Schluck. Seit Jahrzehnten waren diese Abende ein nahezu unvermeidliches Ritual; sie kamen zusammen, spielten Schach,
tranken wenig Alkohol und wärmten die alterskühlen Glieder im Feuer angenehmer Erinnerungen. Thamur aus der Sippe der Reyin, Malagath seit seinem einundzwanzigsten Lebensjahr und damit unumschränkter Herrscher über fünfzig Welten und deren Bewohner - und Mano Campan, der sich vom draufgängerischen Studenten zum ruhigen Chef des Exotischen Korps und dann zum abgeklärten Vorsitzenden des Kronrates entwickelt hatte. Äußerlich war kaum ein größerer Gegensatz denkbar; Thamur zeigte alle Spuren, die ein langes, erfahrungsreiches Leben im Gesicht eines Menschen hinterlassen können. Die Haut spannte sich fleckig und brüchig über die Gesichtsknochen. Das fast farblos gewordene Haar bedeckte nur noch wenige Stellen des Schädels. Mano Campan saß leicht hintenübergebeugt in seinem Sessel; jede seiner Bewegungen verriet Kraft und Geschmeidigkeit. Als wolle er den Altersunterschied noch unterstreichen, trug er einen dichten Kinnbart. »Auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole«, sagte Thamur nach einem intensiven Blick auf die Gestalt vor ihm. »Du siehst noch so aus wie an dem Tag, an dem ich dich kennenlernte - nur jenes unternehmungslustige Funkeln in deinen Augen ist verschwunden!« »Ich weiß«, gab Mano zurück. »Und ich kann dir diese Bemerkung ohne Abzüge zurückgeben!« Thamur lächelte schmerzlich. »Viele Male hat sich seitdem diese Welt um ihre Sonne bewegt«, murmelte er. »Mehr als ein Jahrhundert ist seitdem vergangen. Generationen wurden gezeugt und zerfielen wieder zu Staub. Nur wir, wir leben weiter und weiter.« »Diese Überlegungen sind mir keineswegs fremd«, meinte Mano; er überlegte kurz, dann machte er einen Zug mit der Dame. »Richtig!« gestand Thamur ein, während er konzentriert auf
das Schachbrett sah. »Wir beide und einige Dutzend anderer Menschen müssen nicht sterben. Das Serum von Vallis Rantor erhält uns jung« - er lächelte schmerzlich -, »was man beispielsweise an mir sehr gut beobachten kann!« »Du warst bereits ein alter Mann, als das Serum anwendungsreif wurde«, versetzte Mano; mit einem überlegenen Lächeln sah er zu, wie Thamur einen seiner Bauern schlug. »Du Hast dich seitdem nicht verändert - ebenso wie ich.« »Trefflich beobachtet!« sagte Thamur mit mildem Spott. »Ich hatte etliche Jahrzehnte Zeit dazu!« parierte Mano; er machte einen Zug mit einem der Springer, der nach weiteren drei Zügen Thamur voraussichtlich die Dame kosten würde. Eine zeitlang sah der Malagath schweigend auf das Schachbrett hinunter; dann richtete er sich ruckhaft auf. »Du bist mein ältester Freund, Mano«, sagte er langsam. »Du allein bist mir geblieben aus der Zeit, in der Brittay mit ihrem ansteckenden Lachen die Sarkasmen Kevinhags beantwortete!« Mano wußte, daß dies die schwächste Stelle im Charakter des Malagathen war; die Frau des alten Mannes und sein mit weitem Abstand bester Freund waren vor wenig mehr als fünfzehn Jahren mit einem Gleiter abgestürzt. »Du solltest lernen, zu vergessen«, ermähnte Mano sanft. Thamur schüttelte unwillig den Kopf. »Ich weiß sehr wohl«, meinte er kühl, »daß bei den Mächtigen Freundschaft selten und Liebe schier unmöglich ist. Und ich habe mehr Macht als irgendein anderer in diesem System - dennoch haben diese Worte für mich eine Bedeutung, einen Sinn und einen Inhalt! Außerdem«, fuhr er mit einem nachsichtigen Lächeln fort, »bist du kaum geeignet, mir solche Ratschläge zu geben, nicht wahr?« Zustimmend senkte Mano den Kopf; er war ein nahezu unheilbarer Romantiker, und in seinen Erinnerungen gab es ein
Mädchen, dessen Verlust er nicht hatte verwinden können. »Worauf willst du hinaus?« fragte er rasch, um auf das Thema zurückzukommen. Thamur stand langsam auf und ging vor dem Tisch mit dem Schachbrett auf und ab. »Ich werde zurücktreten«, erklärte er dann fest und bestimmt, »mich auf irgendeines meiner zahlreichen Häuser zurückziehen, den Schatz meiner Erinnerungen sichten und dann …« Mano bemerkte das Zögern. »Was - dann ..?« wollte er wissen. »werde ich auf das Serum verzichten!« setzte Thamur den Satz fort. Impulsiv sprang Mano auf. »Das ist völlig ausgeschlossen!« protestierte er. »Willst du mich daran hindern?« erkundigte sich der Malagath sarkastisch. »Du wärest der erste Attentäter, der das Ziel hat, das Leben seines Opfers zu verlängern - eine ziemlich absurde Vorstellung!« Wider Willen mußte Mano grinsen, dann wurde sein Gesicht wieder finster. »Wenn dies der Entschluß irgendeines alten Mannes wäre«, erklärte er energisch, »würde ich keinen Gedanken darauf verschwenden. Aber du bist nicht irgendein Greis - du bist Malagath!« »Nett, daß du mich daran erinnerst«, meinte Thamur ironisch. »Fast hätte ich diese Tatsache vergessen. Vielleicht fällt dir auch ein, daß dieses Amt keineswegs das pure Vergnügen darstellt - weit eher das Gegenteil! Ich bin der Lasten müde. Ich bin dieses Leben leid!« »Ich stimme dir zu«, sagte Mano nach einigem Nachdenken. »Obwohl ich deine Auffassung keineswegs teile. Aber immerhin kenne ich dich lange genug, um zu wissen, daß du ein Starrkopf bist.
Gehen wir also logisch vor. Dein Vorhaben gliedert sich in zwei Teile« »Man merkt, daß du einmal Medizin studiert hast - jedes Ding mußt du erst einmal zerschneiden«, spöttelte Thamur. »Du willst zunächst einmal als Malagath zurücktreten. Und hier stellt sich bereits das erste große Problem. Wer wird dein Nachfolger?« Thamur zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe«, sagte er leise, »daß du mir nicht böse bist, wenn ich dich nicht vorschlage!« »Keineswegs«, versicherte ihm Mano glaubwürdig. »Für diesen Posten bin ich denkbar ungeeignet! Wer käme in Frage?« »Darum habe ich dich zu mir gebeten«, meinte Thamur nachdenklich. »Hast du einen Vorschlag?« Nach einigem Zögern nannte Mano eine Reihe von Namen; jedesmal schüttelte Thamur den Kopf und erklärte ausführlich, aus welchen Gründen er den Kandidaten für ungeeignet hielt. Dann riß Mano die Geduld. »Jeden Vorschlag lehnst du ab!« protestierte er. »Da ich deinen Informationen vertraue, kann ich deine Ablehnung nur akzeptieren - aber irgendeinen Nachfolger werden wir schließlich brauchen!« »Die heimliche Freude in deinen Worten ist mir durchaus nicht entgangen«, meinte Thamur lächelnd. »Wenn du ehrlich bist, wirst du zugeben müssen, daß dich dieses Problem freut solange ich keinen passenden Nachfolger gefunden habe, werde ich nicht zurücktreten. Und du rechnest natürlich damit, daß ich niemanden finden werde. Richtig?« »Getroffen!« bekannte Mano seufzend. »Aber was willst du nun unternehmen, um solch einen Wunderknaben aufzutreiben, der dein Amt übernehmen könnte? Willst du den Thron des Malagathen öffentlich versteigern? Oder als Preis für ein besonders schwieriges Kreuzworträtsel aussetzen?«
»Deine Vorschläge sind so töricht wie deine Stimme laut«, bemerkte Thamur gelassen. »Allerdings ...« Ohne sich um Manos erstauntes Gesicht zu kümmern, nahm er eine Schachfigur auf und wog sie nachdenklich in der Hand. Mit einem triumphierenden Lächeln sah er wieder auf und sagte: »Deine Ideen sind zeitweise recht gut. Genau das werde ich tun!« »Was?« forschte Mano mißtrauisch. »Ich werde den Thron des Malagathen als Preis aussetzen - in einem gewaltigen Preisausschreiben, wie man größer eines noch nie erlebt hat. Und der Beste in dieser systemweiten Ausschreibung wird Malagath!« »Der Beste!« echote Mano fassungslos. »Welcher Beste - der beste Faustkämpfer, der größte Trunkenbold, der beste Schachspieler?« »Du übertreibst!« wehrte der Alte ab. »Aber kann man die Eigenschaften eines Menschen nicht erfassen, nicht messen? Also werden wir für jede körperliche oder geistige Leistung Punkte vergeben - und der Punktbeste wird Malagath! Natürlich werden die Eigenschaften zueinander in Beziehung gesetzt. Für gute Leistung in den sagen wir einmal Kernfächern Verantwortungsbewußtsein, Organisationsvermögen und dergleichen gibt es wesentlich mehr Punkte als für Körperkräfte.« »Und wann«, erkundigte sich Mano vorsichtig, »soll diese Aktion starten?« »Morgen!« bestimmte Thamur. Er nahm den Turm auf und verschob ihn auf dem Schachfeld. »Matt!« 1. Volco Dehelly nahm das kleine Mikrophon des Diktaphons
zur Hand und schaltete das Gerät ein. Ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, begann er zusprechen: »Rubrik Personalien! Vidman, Pascha, Kelheis, 189, Kronrat, wurde zum Erpresser. Auf einer Tagung des ultrakonservativen. Vereins zur Pflege ausgestorbener Sprachen wurde der massive Kronrat derart ausfallend in seiner Argumentation gegen die Wiedereinführung des Barajoischen als Amtssprache, daß die Versammlung ihm mit handfesterer Argumentation drohte. Kelheis, dessen Körperumfang und Vermögen sich in den letzten Jahrzehnten gleichermaßen mehrten, zeigte sich unerschütterlich. Noch ein solcher Zwischenruf, warnte er, und ich halte meine Rede in Ihrem heißgeliebten Barajoisch - und keiner unter Ihnen wird dann auch nur ein Wort verstehen.« Volco machte eine kleine Pause, dann sprach er weiter. »Tippen Sie den Text sauber herunter, und geben Sie den Unfug in die Setzerei. Die Fahnenabzüge sehe ich mir später an. Und noch etwas - legen Sie sich eine andere Frisur zu, Mädchen. Zur Zeit sehen Sie aus, als hätten Sie den Friseur mit einem Grobschmied verwechselt!« Mit einer Fingerbewegung stoppte Volco die Bewegung des Bandes; die Spulen im Innern des zigarettenschachtelgroßen Kästchens blieben stehen. Der junge Mann war allein. In diesen ereignisarmen Sommermonaten genügte ein Mann völlig, um in der Nacht die redaktionelle Arbeit der Capital News zu übernehmen. Seine Aufgabe war es, den aus Videos und Fernschreibern unablässig hereinströmenden Informationssegen zu sichten und zu filtern. Nur wenn etwas Außergewöhnliches geschah; trommelte er die restliche Redaktion zusammen. Einstweilen war derlei nicht nötig. Routinemäßig ging Volco zu den Fernschreibern hinüber und überflog die breiten Papierstreifen, die aus den Maschinen
quollen. »Doppelmord mit anschließender Kindesentführung«; las er halblaut. »Könnte interessant sein!« Er studierte noch flüchtig die änderen Nachrichten. Der Leitartikel für die Morgenausgabe stand bereits fest - die Kommentare wanderten für spätere Zeiten in das Archiv. Ruhig griff Volco zum Hörer des Video; die Nummer der Druckerei kannte er auswendig. Der Umbruchredakteur meldete sich nach wenigen Sekunden. »Wie steht es, Haym?« wollte Volco wissen. »Seid ihr bald fertig?« »Wir umbrechen gerade noch die erste Seite«, berichtete er. »Hast du noch etwas Besonderes?« Volco gab mit wenigen Worten den Inhalt der gerade gelesenen Nachricht wieder; Haym schüttelte den Kopf. »Uninteressant«, erklärte er kategorisch. »Wir bleiben bei dem Kinderstar, der vor ein paar Stunden gestorben ist.« »Meinethalben bleibt dabei!« stimmte Volco zu. Ich hätte noch ein Kapitalverbrechen - aber derlei haben wir ja täglich. Wann geht die Titelseite endgültig in den Druck?« »Zehn Minuten, Volco!« erklärte Haym. »Du weißt Bescheid - wenn wir den Kasten auf der Titelseite jetzt noch ändern sollen, muß die Nachricht auch ohne Bild ein echter Knüller sein!« »Ich kenne den Job!« brummte Voleo und schaltete ab. Der junge Mann war seit drei Jahren Mitglied der Redaktion der Capital News, die als eine der wichtigsten Tageszeitungen des Systems galt; einstweilen wurde er noch im Innendienst beschäftigt. Volco war knapp einhundertachtzig Zentimeter groß; da er davon träumte, eines Tages in irgendwelche journalistische Abenteuer zu geraten, hielt er sieh durch intensives Körpertraining fit. Das Produkt dieser Bemühungen war ein schlanker, muskulöser Körper, der kein Gramm Fett zuviel
aufwies. Sein besonderes Kennzeichen war der pechschwarze Haarschopf, den er so lang trug, wie es die leicht konservative Chefredaktion gestattete. Die weiße Strähne allerdings, die in der Stirn begann; war sorgfältig gefärbt und frisiert. Wurde er nach der Ursache dieser merkwürdigen Haartracht gefragt, erzählte er stets andere, immer aber sehr abenteuerliche Geschichten. Keine dieser Geschichten hätte einer Überprüfung standgehalten; immerhin erfüllten sie den Zweck, den Volco damit verfolgte - anstatt ahnungslose Mitbürger mit Fragen zu überfallen, wartete er, bis man ihn auszufragen begann. Hatte er eines seiner Märchen aufgetischt, fiel es meist sehr leicht, anschließend ein Interview zu bekommen. Sein Trick verfing fast immer, wobei ihm sehr zustatten kam, daß seine dunklen Augen immer sehr sanft und treuherzig wirkten. Von der Unrast, die diesen Mann erfüllte, war in seinem Blick nichts zu spüren. Ein kurzer Blick auf die schwere Uhr am rechten Handgelenk zeigte Volco an, daß der spannendste Teil seines Nachtdienstes beendet war. Einen halben Kilometer von ihm entfernt liefen jetzt bereits die Rotationsdruckmaschinen an; sie jetzt noch einmal zu stoppen, hätte der Zeitung ein Vermögen gekostet. »Pech!« seufzte Volco. Der Tagtraum, den er in einsamen Stunden genußvoll und mit immer feineren Details ausmalte, hatte sich einmal mehr nicht erfüllt. Aber Volco wußte ganz genau - eines Tages würde ihm beim Nachtdienst eine Nachricht unter die Finger kommen, die unter allen Umständen auf die erste Seite gehörte. Dann würde er als einzig Verantwortlicher den Druck in letzter Sekunde stoppen und in Windeseile einen sensationellen Leitartikel verfassen, und diese Ausgabe der Capital News würde die höchste Auflage erleben, die es je im System Delta Ursa gegeben hatte. Und dann ...
Volco zuckte mit den Schultern. Menschen, die tagsüber träumten, waren nicht gerade das, was sich die Chefredaktion unter einem erstklassigen Journalisten vorstellte. * Seine Dienstzeit dauerte noch acht Stunden; in dieser Zeit hatte er die einlaufenden Nachrichten auf die einzelnen Ressorts des Blattes zu verteilen - die wichtigste Information lag obenauf. Was uninteressant war oder nicht in den Stil der CN paßte, wurde sofort in den Müllschlucker geschickt. Während er leise einen populären Schlager summte, stopfte Volco sich umständlich eine Pfeife. Hinter ihm begann einer der Fernschreiber zu rattern. Volco zündete sich ungerührt seine Pfeife an, dann stand er auf und beugte sich über den Papierstreifen. Die Schriftzeichen, die von der Maschine auf das Papier gehämmert wurden, enthielten die Nachricht, daß vor etwas mehr als einer halben Stunde ein prominenter Politiker tot aufgefunden war. Volco wartete ab, bis der Fernschreiber das Ende der Nachricht getippt hatte, dann riß er den Streifen ab und faltete ihn zusammen; aus einem halbgefüllten Korb neben dem Fernschreiber holte er eine Kartusche, füllte sie mit dem Papier und beförderte das Geschoß dann über die hausinterne Rohrpostanlage auf den Schreibtisch des Leitenden Redakteurs für Politik. Auf die gleiche Weise verteilte er etwa zwei Dutzend Meldungen auf die verschiedenen Abteilungen der Zeitung. Dann nahm der Zustrom von Nachrichten allmählich ab. »Pause!« sagte Volco halblaut und machte es sich in seinem Schreibtischsessel bequem; aus einem roten Aktenordner förderte er eine halbgefüllte Flasche und ein dickwandiges Glas zutage.
Er wollte gerade einschenken, als sich das Video mit einem durchdringenden Summen meldete. Volco drückte die Ein- Taste; auf dem Bildschirm erschien ein buntes Flimmern, das sich nach kurzer Zeit zu einem Bild stabilisierte. Das Gesicht von Mort Denning war zu erkennen. »Nett, daß du dich wieder einmal meldest«, begrüßte Volco seinen Freund; er und Mort waren Schulfreunde. Später hatten sie sich aus den Augen verloren und dann ein freudiges Wiedersehen gefeiert, als Volco beim Informationsamt des Malagathen seinen Antrittsbesuch machte und Mort an leitender Stelle dieses Amtes entdeckte. »Hör zu!« sagte Mort sehr schnell. »Ich habe hier eine Meldung, die dich interessieren wird. Ich kann sie für höchstens eine Stunde zurückhalten - reicht dir diese Zeit?« »Teufel auch!« knurrte Volco, der an die bereits laufenden Rotationsmaschinen dachte. »Worum handelt es sich?« Mort faßte die Nachricht in ein paar Sätzen zusammen. »Ist das wahr?« schrie Volco, als Mort geendet hatte; die Pfeife war ihm aus dem’Mund gefallen. »Thamur will zurücktreten?« »Erwill!« bestätigte Mort. »Wie gesagt - die offizielle Erklärung mit der Unterschrift von Mano Campan geht in einer Stunde heraus. Ich muß dir nicht sagen, was das bedeutet!« Volco begann fieberhaft zu rechnen. Eine Stunde Vorsprung hatte er vor allen übrigen Zeitungen des Systems - für Presseleute eine kleine Ewigkeit. Andererseits, wenn nun Mort einem Schwindel aufgesessen war ... Absolute Sicherheit gab es nur dann, wenn die Nachricht von Campan bestätigt wurde - dann aber waren die anderen, weil meist kleineren Zeitungen, wesentlich im Vorteil. »Also gut!« sagte er schließlich. War diese Nachricht eine sogenannte Ente, konnte er sich einen anderen Beruf suchen - Falschmeldungen auf der Titelseite verzeiht kein Chefredakteur.
War die Information hingegen echt - Volco konnte sich ausmalen, wie steil seine Karriere nach oben gehen würde. Mort redete fast eine Viertelstunde lang, während Volco seine Aussagen schriftlich festhielt. Während er den Faserschreiber über das Papier gleiten ließ, arbeitete er im Geiste bereits eine neue Schlagzeile und einen entsprechenden Leitartikel aus. Als Mort seine Rede beendete, hatte Volco bereits annähernd eine Vorstellung, was er in den nächsten Stunden machen würde. »Besten Dank, Mort!« sagte er hastig. »Ich hoffe, du wirst es mir nicht übelnehmen, wenn ich unser Gespräch abrupt abbreche - du kannst dir vorstellen, daß ich jetzt einiges zu tun haben werde!« Mort nickte verständnisvoll. Sekundenbruchteile später war der Bildschirm wieder dunkel. »Nummer eins!« murmelte Volco. »Der Druck!« Haym, der als Umbruchredakteur auch den Druck überwachte, meldete sich sofort. »Keine Diskussionen, Haym«, sagte Volco, bevor sein Kollege noch Zeit gefunden hatte, den Mund zu öffnen. »Stoppe sofort den Druck!« »Bist du übergeschnappt?« fragte Haym entsetzt. »Wie soll ich jetzt den Druck stoppen - die ersten dreißigtausend Exemplare sind schon auf dem Weg zum Versand!« »Ich sagte: Keine Diskussion!« brüllte Volco. »Was mit den dreißigtausend Exemplaren geschieht, ist mir egal - ich habe eine völlig neue Titelseite!« »Was gibt es?« fragte Haym weiter; er ließ sich durch Volcos Brüllen nicht beeinflussen. »Wenn du nicht triftige Gründe hast, geht der Druck weiter wie gehabt!« »Thamur tritt zurück!« berichtete Volco. »Reicht das?« Haym hob nur kurz die Hand, dann verschwand er aus dem Blickfeld; wenig später kehrte er atemlos zurück. »Druck ist gestoppt!« erklärte er keuchend. Er wußte, daß er sich auf Volcos Information verlassen
konnte. »Ich wecke das Archiv«, fuhr er fort. »Du willst doch sicher ein paar großformatige Fotos auf die erste Seite?« Volco nickte zustimmend. »Und mache den Leuten vom Versand klar«, riet er, »daß sich die Auslieferung verzögert - und denke auch daran, neues Papier zu besorgen. Wir werden die Auflage verdoppeln!« »Willst du nicht lieber den Chef wecken, Volco?« forschte Haym. Der Nachtredakteur winkte unwillig ab. »Keine Zeit!« erklärte er. Er unterbrach das Gespräch und wählte die Videonummer der Setzerei. Es dauerte fast fünf Minuten, bis sich endlich jemand meldete. »Seid ihr allesamt verrückt geworden!« schrie der Leiter der Setzerei, bevor Volco etwas sagen konnte. »Ich arbeite hart, und ich möchte auch in Ruhe schlafen. Wir sind schließlich ...« »... nicht im Kindergarten!« fuhr Volco dazwischen. »Ich rufe nicht zum Spaß an!« Der Leiter der Setzerei schwieg vorerst und wartete ab, was Volco ihm zu sagen hatte. »Machen Sie Ihre Leute wach«, erklärte der junge Redakteur. »Ich brauche eine Überschrift über die ganze Breite der Titelseite, fette Lettern und so groß wie möglich!« »Text?« fragte sein Gesprächspartner knapp. »Thamur tritt zurück!« antwortete Volco. »Darunter eine zweite Zeile, in der normalen Überschriftengröße. Hier lautet der Text: Der Weg ist frei für jeden. Klar?« »Ich habe verstanden!« erklärte der Mann. »Die Überschriften setze ich selbst mit der Hand. Es wird aber nicht einfach werden, einen Mann zu finden, der sich jetzt noch vor die Linotype setzt!« »Suchen Sie diesen Mann. Sobald Sie ihn gefunden haben, melden Sie sich wieder!«
»Wird gemacht!« versprach der Mann und schaltete ab. Die auf das Gespräch folgenden Minuten verbrachte Volco damit, den Text, den er bereits konzipiert hatte, noch einmal durchzugehen und zu bearbeiten. »Haben Sie jemanden gefunden?« fragte Volco, als sich der Leiter der Setzerei wieder über Video meldete. Der Mann nickte und wies mit der Hand über die Schulter; ein zweiter Mann stand dort abwartend und starrte Volco an. »Los!« befahl Volco. »Beeilen Sie sich, an die Linotype zu kommen. Legen Sie Verbindung zu diesem Raum um!« Er wartete einige Sekunden, dann zeigte das Gerät den Setzer vor seiner Maschine. »Wie schnell sind Sie?« fragte Volco kurz, bevor er mit dem Diktieren begann. Der Setzer wagte ein verächtliches Grinsen. »Ich setze mit dieser Maschine mehr als siebentausend Zeichen in der Stunde!« antwortete er stolz. »Können Sie es schneller?« »Setzen nicht«, konterte Volco trocken. »Aber reden. Hören Sie zu: Schlagzeile: Thamur tritt zurück. Unterzeile: Der Weg ist frei für jeden. Alles Folgende wird kursiv gesetzt. Vor wenigen Stunden ließ das Presse- und Informationsbüro des Malagathen bekanntgeben, daß Thamur, der zur Zeit amtierende Malagath, von seinen Pflichten entbunden zu werden wünscht. Diese Nachricht löste in Regierungskreisen große Bestürzung aus, da man am Hofe bislang nicht an das Problem gedacht hatte, für Thamur einen passenden und geeigneten Nachfolger zu ermitteln. Der Entschluß des Malagathen, von seinem Amt zurückzutreten, sei, wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautet, endgültig und unwiderruflich. Absatz!
Wie das Presseamt weiterhin bekanntgibt, soll sich der Malagath selbst bereits Gedanken zum Problem seiner Nachfolge gemacht haben. Zur Überraschung der Fünfzig Welten verlautet aber, daß nicht, wie weithin vermutet wurde, Kronrat Mano Campan, der langjährige Vertraute des Malagathen, dieses Amt übernehmen werde. Absatz! Der Thronfolger soll vielmehr, so ließ der Malagath bekanntgeben, durch ein Auswahlverfahren aus den Reihen der Bevölkerung bestimmt werden. Jeder, so betonte der Pressesprecher des Malagathen, habe die gleichen Chancen, den Thron zu übernehmen. In einer Art kosmischer Auktion soll der Thron vergeben werden - an den Kandidaten, der über die beste körperliche und geistige Beschaffenheit verfügt. Eine neutrale Jury soll jeden Bewerber testen und Punkte verteilen. Von den Kandidaten, die ein vom Malagathen vorher bestimmtes Mindestmaß an Punkten übertreffen, wird der Punktbeste Nachfolger Thamurs.« »Donnerwetter!« staunte der Setzer. Er hatte aufgehört, die Tastatur der Linotype zu betätigen und starrte ungläubig auf den Bildschirm, der Volcos Gesicht zeigte. Der Mann schluckte und fragte dann zögernd: »Heißt das, daß auch ich mich an diesem Wettbewerb beteiligen könnte?« »Genau das!« bestätigte Volco. »Aber Ihre Chancen dürften ziemlich gering sein!« Der Mann schien die Worte noch nicht restlos verdaut zu haben, er schüttelte den Kopf und murmelte etwas vor sich hin, das Volco nicht verstehen konnte. »Los, Mann!« riß Volco den Setzer aus seinen Träumen. »Wir müssen weitermachen. Nächster Absatz. Der Wettbewerb soll in exakt vier Wochen beginnen. Kandidaten können sich bei ihrem Einwohnermeldeamt in vorbereitete Listen eintragen. Zu den einzelnen Prüfungen
sollen sie später schriftlich eingeladen werden. Zum Schluß der Bekanntmachung läßt der Malagath allen Bewerbern Glück und Erfolg wünschen. Das ist das Ende des Textes!« »Fertig!« meldete der Setzer schließlich aufatmend. Ein Blick auf seine Uhr verriet Volco, daß es nur noch knapp zwanzig Minuten dauern würde, bis das Presseamt die Nachricht offiziell herausgeben würde. »Sorgen Sie dafür, daß das Material auf dem schnellsten Wege zum Umbruch kommt!« verlangte er, dann trennte er die Verbindung. Anschließend tippte er den Anschluß des Chefredakteurs in die Tastatur. Es dauerte einige Zeit, bis sich der Bildschirm erhellte; der verwuschelte Haarschopf einer Frau wurde sichtbar. »Ich muß dringend Ihren Mann sprechen!« sagte Volco schnell. »Sind Sie wahnsinnig?« fragte die Frau zurück. »Jetzt mitten in der Nacht?« »Gnädige Frau«, sagte Volco mit aller ihm zu Gebote stehenden Höflichkeit, »wäre die Angelegenheit nicht von enormer Dringlichkeit, würde ich es niemals wagen, Ihren Gatten um die wohlverdiente Nachtruhe zu bringen. Würden Sie ihn bitte an den Apparat holen?« Die Frau sah den jungen Mann eine Zeitlang unschlüssig an, dann verschwand sie aus dem Aufnahmebereich des Videos. Wenig später erschien Volcos Arbeitgeber. »Dehelly«, murmelte der Mann im Halbschlaf. »Was gibt es?« Volco berichtete kurz, was in der letzten Stunde geschehen war. »Ich hoffe«, beendete er seinen Report, »daß ich in Ihrem Sinne gehandelt habe!« Der Chefredakteur war inzwischen hellwach. »Wenn die Nachricht stimmt«, antwortete er ruhig, »wird es Ihr Nachteil nicht sein. Haben Sie uns aber eine Ente geliefert,
werfe ich Sie eigenhändig vom Dach des Druckhauses!« »Sie werden sich nicht bemühen müssen«, entgegnete Volco ungerührt. »Hoffentlich!« meinte der Chefredakteur. »Warten Sie in der Redaktion auf mich - ich komme so schnell wie möglich!« Volco verabschiedete sich mit einem kurzen Kopfnicken und ließ sich dann wieder mit der Druckerei verbinden. Haym machte ein zufriedenes Gesicht. »Der Druck geht in wenigen Minuten weiter!« berichtete er befriedigt. »In einer Viertelstunde haben Sie das erste Exemplar in der Hand!« »Fein!« lobte Volco. »Wie steht es mit dem Vertrieb?« Haym zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, gestand er. »Ich fand keine Zeit, etwas zu unternehmen - der Umbruch war nicht ganz einfach!« Volco unterdrückte eine Verwünschung und schaltete ab. In der darauffolgenden Stunde schnellten die Videogebühren der Capital News in stellare Hö hen; pausenlos telefonierte Volco kreuz und quer durch das gesamte System Delta Ursa. Gerade hatte er das letzte Gespräch mit der Verteilerzentrale auf Tautrais beendet, als sein Chef die Redaktionsräume betrat. Er warf einen flüchtigen Blick auf den Schreibblock, auf dem Volco einen neuen Verteilerschlüssel skizziert hatte, und nickte anerkennend. »Gute Arbeit!« lobte er aufrichtig, dann ging er hinüber zum Fernschreiber, der speziell für Nachrichten aus dem Presseamt des Malagathen installiert worden war. Aufmerksam verfolgte er das Hämmern der Typenhebel und las die Nachricht ab. »Die offizielle Bestätigung!« murmelte der Chefredakteur zufrieden. Er drehte sich zu Volco um, der sich eine neue Zigarette angezündet hatte. Miß trauisch sah er den jungen Mann an. »Woher haben Sie die Informationen bekommen?« fragte der Chefredakteur.
Volco zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Freunde!« sagte er kurz. »Gute, zuverlässige Freunde!« Er dachte nicht daran, seinen Informanten preiszugeben. Es hätte ihm nichts genutzt und Mort Denning nur geschadet. »Auch gut!« meinte der Chefredakteur. »Wenn Sie wollen, können Sie jetzt gehen - ich werde mich um alles Weitere kümmern!« Volco kam dieser Vorschlag sehr gelegen; ächzend stand er auf, packte seine Pfeifen und den Tabak in seine Tasche und stellte die Schnapsflasche in ihr Versteck zurück. »Wir sehen uns morgen«, meinte sein Chef. »Wenn Sie ausgeschlafen sind, kommen Sie zu mir - ich glaube, wir werden allerlei zu bereden haben!« »Einverstanden!« erklärte Volco gähnend. Wortlos verließ er die Redaktionsräume und ließ sich im Schwerkraftschacht bis zum unterirdischen Parkdeck fallen; außer seinem silbern lackierten Gleiter war nur noch das Fahrzeug des Chefredakteurs auf der geräumigen Fläche zu sehen. Volco setzte sich auf den Fahrersitz; seine Aktentasche ließ er achtlos auf die hintere Sitzbank fallen. Er gähnte durchdringend, während er das Fahrzeug zum Ausgang manövrierte, der sich automatisch öffnete und sich hinter ihm wieder lautlos schloß. In der Nähe seiner Wohnung kannte Volco einen kleinen Kiosk, der auch nachts geöffnet hatte; hier bekam man die führenden Zeitungen des Systems Delta Ursa weit eher als an anderen Orten. Volco stoppte seinen Gleiter kurz vor dem Kiosk und stieg aus. »Ist die CN schon gekommen?« fragte er den alten, weißhaarigen Mann hinter der hölzernen Theke. »Eben erst!« erklärte der Alte und bückte sich nach einem Stapel von Zeittungen.
Er warf einen flüchtigen Blick auf die Schlagzeile, während er die Zeitung über die Theke reichte und das Geld in Empfang nahm. »Humbug!« murmelte der Alte. Volco hörte das Wort nicht mehr; er warf die Zeitung zur Tasche auf den Rücksitz und fegte mit seinem Gleiter davon.
2. »Vermande Megowan!« Das junge Mädchen erschrak nicht, als die leicht blechern klingenden Lautsprecher ihren Namen durch den Raum klingen ließen; sie erhob sich in aller Ruhe und ging gemächlich hinüber zum Arbeitszimmer ihres Professors. Seit einigen Wochen hatte sie versucht, zu Professor Allan Schyder, Ordinarius für historische Kartographie an der Staatsuniversität zu Clermont-Ferrand, vorzudringen. Das stählerne Schott mit dem matten Überzug aus Kunststoff versank lautlos im Boden und gab den Blick frei auf das Sprechstundenzimmer des Wissenschaftlers. Die Möblierung war sehr einfach - ein massiger Schreibtisch mit je einem Sessel davor und dahinter. Auf der Platte war der Anschluß eines Farbvideos zu erkennen; die gesamte Wandfläche des Raumes wurde von Hunderten von dickleibigen Büchern bedeckt. »Treten Sie näher, Miß Megowan!« bat der Professor. Vermande hatte die zierliche Gestalt des Wissenschaftlers fast übersehen; sie deutete eine kurze Verbeugung an und nahm in dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz. »Sie haben also meinen Brief erhalten!« stellte das Mädchen fest. Schyder ließ sich mit der Antwort etwas Zeit; er benutzte sie, das Mädchen vor ihm gründlich anzusehen.
Knapp über zwanzig Jahre alt, schätzte er. Vermande war etwa einhundertsiebzig Zentimeter groß und sehr schlank und zierlich. Auffallend an ihr waren die langen dunklen Haare, die weit über die Schultern fielen, und die gleichfalls dunklen Augen. Interessiert stellte der Wissenschaftler fest, daß auf den ersten Blick nicht zu erkennen war, wo in den Augen des Mädchens die Iris aufhörte und die Pupille begann. »Sie haben meinen Brief erhalten?« wiederholte Vermande, die langsam ungeduldig zu werden begann. Schyder schrak etwas zusammen und sah das Mädchen mit leichtem Erstaunen an. »Ihren Brief?« fragte er interessiert. »Ich kann mich nic ht erinnern. Wollten Sie mich sprechen?« »Aus diesem Grunde sitze ich hier!« bemerkte Vermande; sie schlug die Beine übereinander und zündete sich eine Zigarette an. »Nun«, meinte Schyder lächelnd. »Dann bin ich Ihnen wohl zuvorgekommen. Ich wollte nämlich Sie einmal sprechen!« »Aha!« machte Vermande, die nicht wußte, was sie von dieser Situation halten sollte. »Und was hat Ihr Interesse erregt?« »Sie haben«, begann der Wissenschaftler umständlich, »vor einem halben Jahr Ihre Staatsexamensarbeit vorgelegt!« »Richtig!« warf das Mädchen ein. »Aber ich habe bis heute nicht erfahren, wie sie beurteilt wurde!« »Vorzüglich!« klärte Schyder sie auf. »Auf Empfehlung eines meiner Assistenten habe ich mir sogar die Zeit genommen, sie selbst zu lesen. Wirklich ausgezeichnet, muß ich sagen!« Vermande gab sich Mühe, ihre Freude nicht allzu deutlich zu zeigen; sie setzte ein nachdenkliches Gesicht auf und wartete auf die weiteren Ausführungen des Professors. »Sie haben, wenn ich mich recht erinnere«, fuhr Schyder fort, nachdem er sorgfältig seine Pfeife gestopft und in Brand gesetzt hatte, »die längst verschollen geglaubten Unterlagen
des Kartographenschiffes SUNPOWDER unter Kustos Mahanad Nehemia aufgestöbert und ausgewertet, nicht wahr?« »Richtig!« stimmte Vermande zu. »Das Schiff kehrte zur Zeit der großen Händler-Revolte zurück. Nehemia und seine Mannschaft fielen wenige Jahre später in einer Schlacht am Pferdekopfnebel - die Unterlagen vermoderten langsam in den Archiven.« »Das erklärt nicht, woher Sie die Informationen bekamen!« warf der Wissenschaftler ein. »Wollen Sie mir Ihre Quelle verraten?« Vermande errötete leicht. »Ein Bekannter von mir war der Ur-ur-ich-weiß-nicht-Enkel von Nehemia«, gestand sie. »Er zeigte mir die Familienchronik, und darin fand ich die ersten Hinweise auf die Unterlagen im Archiv. Die Angaben weckten sofort mein Interesse, und ich machte mich daran, Informationen zusammenzutragen!« Vermande lächelte verzerrt. »Leider bekam ich bei diesen Nachforschungen auch heraus, daß die Mutter meines Verlobten einen heroinsüchtigen Bruder hatte. Und in der Ahnenreihe väterlicherseits befanden sich etliche Schmuggler, vier Alkoholiker und ein Heiratsschwindler.« »Daraufhin wurde die Verlobung gelöst«, vermutete Schyder lächelnd; Vermande nickte ernst, dann stimmte sie in das Lächeln ein. »Aber Sie werden mich kaum meiner unglücklichen Liebe wegen hierhergebeten haben«, sagte sie und wartete gespannt auf das, was Schyder von ihr wollte. »Ihre Arbeit hat mich sehr beeindruckt«, meinte der Professor. »Ich bin im Ministerium vorstellig geworden und versuchte, Forschungsmittel loszueisen. Es ist mir gelungen. Die Erdregierung wird ein Forschungsfahrzeug ausrüsten und es in dieses System ...« »Delta Ursa!« half Vermande aus.
»Also Delta Ursa!« meinte Schyder. »Das Schiff soll das System anfliegen und alles versuchen, um die Isolation der Fünfzig Welten zu beenden, sofern das noch nicht geschehen ist.« »Interessant«, bemerkte Vermande. »Und was hat das mit mir zu tun?« »Ich wollte Sie bitten, diesen Flug mitzumachen!« erklärte Schyder liebenswürdig. »Ich?« fragte Vermande ungläubig. »Aber ...« »Ich weiß, was Sie einwenden wollen«, unterbrach sie der Professor. »Sie werden mir erklären, daß Sie viel zu jung und unerfahren seien, um so eine wichtige Mission zu begleiten. Aber vergessen Sie eines nicht - Sie sind derzeit die einzige Expertin zum Thema Delta Ursa. Keiner kennt wie Sie dieses System und seine Bewohner!« »Meine Informationen sind mehrere Jahrhunderte alt!« wandte Vermande ein. »Wahrscheinlich wird sich in dieser Zeit einiges geändert haben!« »Mit Sicherheit!« stimmte Schyder zu. »Aber Sie haben immerhin schon Grundkenntnisse!« Vermande dachte angestrengt nach, dann sagte sie zögernd: »Ich würde mir die Angelegenheit gern noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehe n lassen, bevor ich mich entscheide. Geht das?« »Selbstverständlich!« erklärte Schyder freundlich. »Ich werde Ihnen aber schon jetzt erklären, wie sich Ihre Aufgabe ausnehmen wird. Geplant ist, daß das Schiff Delta Ursa anfliegt und im Verborgenen landet. Die Besatzungsmitglieder sollen sich in die Bevölkerung der Fünfzig Welten eingliedern und versuchen, dort ihren wissenschaftlichen Vorsprung auszunutzen.« »Wenn wir überhaupt noch einen Vorsprung haben!« warf das Mädchen ein.
»Hoffen wir es«, meinte Schyd er. »Ihre Aufgabe wird darin bestehen, eine möglichst hohe soziale Position einzunehmen und eine Kontaktaufnahme der Erde vorzubereiten!« »Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen!« überlegte Vermande laut. »Zehn Jahre wahrscheinlich«, gestand der Professor. »Unter Umständen sogar noch mehr!« »Ich werde eine alte Frau sein, wenn ich zurückkomme«, murmelte Vermande mißmutig. »Glauben Sie«, fragte Schyder ironisch, »daß Sie diesem Schicksal auf der Erde werden entgehen können?« »Das nicht!« gestand Vermande lachend. »Aber - wird man uns nicht umbringen, wenn wir entdeckt werden?« »Große Galaxis!« seufzte Schyder. »Kind, wie stellen Sie sich das vor? Wenn - was ziemlich unwahrscheinlich ist jemand Ihre wahre Herkunft erkennt, dann wird man Sie unter keinen Umständen töten. Dafür sind Sie als Informationsquelle viel zu wichtig. Glauben Sie ernsthaft noch an das Märchen, daß zwischen zwei artverschiedenen raumfahrenden Wesen zur Begrüßung Laserschüsse getauscht werden?« »Nein!« gab Vermande zu. »Aber ich hatte mir die nächsten Jahre meines Lebens etwas anders vorgestellt!« »Wer tut das nicht?« murmelte Schyder sanft. »Sie haben die Wahl - zwischen einem in absehbaren Dimensionen verlaufenden Dasein hier und einem echten Abenteuer!« Er bemerkte die Unentschlossenhe it des Mädchens und beschieß, einen anderen Trumpf auszuspielen. »Noch etwas«, meinte er gelassen. »In der Zeit, die Sie im System Delta Ursa verbringen werden, wird Ihr Gehalt weitergezahlt. Wenn Sie von diesem Abenteuer zurückkehren, werden Sie ein kleines Vermögen vorfinden!« »Wie darf ich das wenn verstehen?« fragte Vermande. »Temporär oder konditional?«
»Als Beschreibung eines nicht festgelegten Zeitpunktes«, antwortete Schyder rasch. »Keineswegs als Bedingung!« Vermande stand langsam auf. »Ich werde es mir überlegen!« versprach sie. »Kann ich Sie morgen anrufen?« Schyder nickte kurz und schüttelte ihre schmale Hand. »Ich hoffe, daß Sie die richtige Wahl treffen werden«, wünschte er zum Abschied
3. Von allen Geräten, die ein hochtechnisiertes Zeitalt er hervorgebracht hatte, haßte Volco keines so sehr wie seinen Wecker. Selbst die Kopplung mit einem Bandgerät, das ihn mit sanfter Musik wecken sollte, konnte ihm die rücksichtslose Beendigung seines Schlafes nicht schmackhaft machen. An diesem Morgen jedoch hatte er die Maschine geschlagen; er erwachte eine Stunde früher als vorgesehen. Volco blieb noch eine halbe Stunde lang im Bett und hing diversen Tagträumen nach. Als sich sein Magen mit einem wütenden Knurren meldete, stand er auf, drehte dem Wecker eine lange Nase und tappte auf bloßen Füßen in die Naßzelle. Das heiße und kalte Wasser, das in unregelmäßigen Intervallen über seinen Körper flöß, machte ihn dann vollends wach. »Der Schlaf des Selbstgerechten ist der schönsten einer!« murmelte er und grinste sein Spiegelbild an, während er die Enthaarungscreme auftrug und einziehen ließ. Nach drei Minuten wusch er die Creme samt den aufgelösten Haarstoppeln ab. Zähneputzen, Frisieren - die übliche Routine nach dem Aufstehen, der er sich gleichmütig unterwarf. Während Volco sich anzog, arbeitete in der halbautomatischen Küche bereits die Kaffeemaschine. Langsam und in Ruhe nahm Volco sein Frühstück zu sich.
Dann zündete er sich die erste von vierzig Zigaretten an. Das Video meldete sich. Ärgerlich ging Volco zu dem Gerät hinüber und schaltete es ein. Mort Denning befand sich am anderen Ende der Leitung und begrüßte Volco mit einem anerkennenden Grinsen. »Meine Gratulation«, sagte er heiter. »Dein Artikel ist gut!« »Besten Dank!« meinte Volco. »Wie ist die Re aktion?« »Es hat Ärger gegeben!« berichtete Mort. »Sämtliche Verlage Delta Ursas haben angerufen und sich bitterlich beschwert wie wir dazu kämen, die CN bevorzugt zu behandeln und derlei Anwürfe mehr!« »Und?« fragte Volco lakonisch. »Mano Campan weiß, daß ich dich zuerst angerufen habe!« gestand Mort unfroh. Volco unterdrückte - einen Fluch und fragte weiter: »Hat er etwas gesagt?« Mort schüttelte den Kopf. »Nein! Er bedachte mich nur mit bezeichnenden Seitenblicken. Aber in Zukunft werden wir etwas vorsichtiger arbeiten müssen - ich will meinen Posten nicht verlieren!« »Ich verstehe dich vollkommen!« sagte Volco. »Allerdings brauche ich noch ein paar Informationen. Wie hat sich Thamur diesen Wettkampf eigentlich vorgestellt? Im System leben etliche Milliarden von Menschen - und ein gewaltiger Prozentsatz wird sich an dem Wettkampf beteiligen wollen. Wer wird dann noch arbeiten wollen?« »Viele!« erklärte Mort. »Schon bei den ersten Tests wird der weitaus größte Teil der Bewerber ausfallen!« »Und wie sieht dieser Test aus?« wollte Volco wissen. »Eine ganz normale Intelligenzprüfung«, antwortete Mort. »Wer nicht mindestens einen Durchschnitt von einhundertfünfunddreißig Punkten erreicht, ist durchgefallen!« »Wie viele erreichen normalerweise solche Werte?« forschte
Volco weiter. »Ich schätze den Prozentsatz auf zwei bis drei, höchstens vier von Hundert!« meinte Mort. »Das hört sich schon besser an«, überlegte Volco. »Wie werden eigentlich die verschiedenen Eigenschaften bewertet, die während des Wettkampfes ge testet werden sollen?« »Tut mir leid«, sagte Mort. »Der Schlüssel für die Endberechnung ist Geheimsache. Ich hoffe, du hast dafür Verständnis!« »Sicher«, stimmte Volco zu. »Wenn es irgendwelche Neuigkeiten gibt - du weißt, wo du mich erreichen kannst!« Er hob grüßend die Hand, dann schaltete er das Gerät aus. »Und jetzt auf ins Drachenloch!« murmelte er grinsend. * »Nehmen Sie bitte Platz!« bat der Chefredakteur. Mit gespielter Gleichgültigkeit setzte sich Volco in den schweren Sessel vor dem Schreibtisch seines Chefs; die anderen Mitglieder der Redaktionskonferenz sahen ihn an, als habe er mehrere Köpfe. »Sie haben heute nacht viel für die Zeitung getan«, erklärte der Chefredakteur feierlich. »Dies ist einer der größten Tage für die CN«, fuhr der Mann hinter dem Schreibtisch fort. »Die Auflage ist gestiegen, und mehr noch - auch das Vertrauen der Leserschaft in unsere Zeitung! Zunächst einmal soll der Dank des Hauses in dieser Form seinen Niederschlag finden!« Der Chefredakteur nahm ein schmales Blatt vom Tisch auf und reichte es Volco; die Redakteure klatschten Beifall, während Volco den Scheck in der Brusttasche seines Seidenhemdes verschwinden ließ, ohne einen Blick auf die Zahlen zu werfen. »Besten Dank!« sagte er schließlich und schüttelte seinem Chef herablassend die Hand; er konnte der Versuchung nicht
widerstehen, diesen Triumph voll auszukosten. »Des weiteren«, fuhr der Chef fort, »werden Sie vom Nachtdienst befreit - ich weiß, daß Sie diese Aufgabe ohnehin nicht übermäßig schätzen!« »Wie wahr!« bestätigte Volco befriedigt und überlegte, wozu man ihn nun abstellen würde. Die nächsten Sätze des Chefredakteurs brachten die gewünschte Aufklärung. »Natürlich werden wir auch in Zukunft über diesen gigantischen Wettkampf berichten, nach Möglichkeit sogar aus dem Kreis der Teilnehmer. Diese Aufgabe sollen Sie übernehmen!« »Sie meinen, ich soll mich in aller Form um den Thron des Malagathen bemühen?« fragte Volco ungläubig. »Genau das!« wurde ihm gesagt. »Schreiben Sie sich in die Teilnehmerlisten ein, tun Sie Ihr möglichstes, und vor allem schreiben Sie darüber!« »Viel wird’s nicht sein!« brummte Volco. »Der erste Test besteht in einer Intelligenzprüfung - wer weniger als hundertfünfunddreißig Punkte erreicht, ist ausgeschieden!« »Woher wissen Sie das schon wieder?« fragte der Chefredakteur verblüfft. Volco zuckte mit den Schultern. »Geheimnis!« erklärte er lakonisch »Aber die Information ist zutreffend!« »Versuchen Sie es wenigstens!« bestimmte der Chefredakteur. »Von heute an sind Sie von allen anderen Aufgaben freigestellt - und ich habe mir außerdem gestattet, Ihre Bezüge um zehn Prozent heraufzusetzen!« Volco bedankte sich mit einer höflichen Verbeugung, dann stand er auf. »Wir wünschen Ihnen viel Glück!« rief man ihm nach, als er die Tür zum Chefzimmer hinter sich ins Schloß schnappen ließ. Volco fühlte sich alles andere als wohl. Man würde von den
Kandidaten in jeglicher Beziehung das Letzte fordern - und wenn er nicht bei seinem Chefredakteur in Ungnade fallen wollte, mußte er sich gewaltig anstrengen. Seine Befürchtungen nahmen noch zu, als er die lokale Registrierstelle erreicht hatte. Eine schier endlose Schlange zog sich rund um das Gebäude. Während er langsam an den Menschen vorbeiging, um sich hinten anzustellen, musterte Volco flüchtig die Gesichter. Frauen, stellte er sofort fest, waren recht spärlich gesät; Männer hingegen gab es in allen möglichen Ausgaben. Der größte Teil der Versammlung würde mit Sicherheit bereits bei den ersten Prüfungen ausscheiden; insgeheim rechnete sich auch Volco zu dieser Gruppe. Zwar war er sicher, über überdurchschnittliche Intelligenz zu verfügen, und er war auch körperlich ziemlich leistungsfähig aber er hielt sich nicht für fähig, dieses System samt seinen fünfzig Welten zu regieren, ganz abgesehen davo n, daß er dazu auch keine Lust hatte. Nur sehr langsam bewegte sich die Menschenschlange in das Gebäude hinein. Es war schon dunkel geworden, als Volco endlich den Aufnahmeschalter erreichte. »Name?« fragte das rothaarige Mädchen hinter der hölzernen Barriere. Volco zuckte mit den Schultern und präsentierte seinen Presseausweis. »Da steht alles drin!« sagte er gleichmütig. »Man achte auf den Familienstand!« »Ledig!« murmelte das Mädchen, während es die Daten auf eine Lochkarte übertrug. Dann fütterte es mit den Lochkarten einen Computer, der die Daten ablas, speicherte und wenig später eine schmale Plastikkarte ausspuckte. »Dies ist Ihr Wettkampfausweis!« erklärte das Mädchen, während es die Karte an Volco weitergab. »Außerdem finden
Sie dort die Adressen und die genauen Datumsangaben für die ersten Tests und Prüfungen. Wenn Sie durch Krankheit verhindert sein sollten, müssen Sie bei uns eine amtsärztliche Bescheinigung hinterlegen, sonst werden Sie aus der Liste gestrichen. Haben Sie das verstanden?« »Mit Mühe!« versicherte Volco. Er zog einen imaginären Hut, schwenkte ihn mit einer tiefen Verbeugung und zog sich zurück; das einfältige Lächeln des Mädchens erheiterte ihn, bis er die Straße wieder erreicht hatte. Er wollte gerade den breiten Boulevard überqueren, als mit leicht überhöhter Geschwindigkeit ein feuerroter Gleiter angerast kam. Die Fahrerin versuchte das Fahrzeug zu stoppen und ließ die Turbinen mit höchster Kraft arbeiten. Volco sah die Gefahr erst im letzten Augenblick. Er machte einen Satz in die Luft, um nicht unter den Gleiter zu geraten und von den Schwerkraftfeldern zerdrückt zu werden. Er prallte auf die Fronthaube, rollte über die Windschutzscheibe und verschwand mit einem lauten Schrei in dem glücklicherweise offenen Kabriolett. Als sich der junge Mann langsam am Rand der vorderen Sitzbank in die Höhe zog, war der Gleiter bereits zur Ruhe gekommen, und zwei dunkle Mädchenaugen sahen ängstlich auf Volco herab, dessen Stirn von einer gewaltigen Beule geziert wurde. »Teuerste!« ächzte Volco. »Machen Sie Ihre Männerbekanntschaften immer auf diese Art?« »Normalerweise nicht!« sagte das Mädchen mit einem zaghaften Lächeln. »Sind Sie verletzt?« Volco überprüfte seinen Zustand und fand heraus, daß er abgesehen von einigen kleineren Prellungen - den Zwische nfall ohne größere Blessuren überstanden hatte. Ohne sich um die Menschenmenge zu kümmern, die sich um den Gleiter geschart hatte und neugierig gaffte, holte er die zerknautschte
Zigarettenpackung aus der Tasche. Während er sich und dem Mädchen Feuer gab, betrachtete er interessiert die Fahrerin. Lange dunkle Haare, Augen in der gleichen Farbe, schlank, fast zierlich - das Mädchen gefiel dem jungen Mann. »Sie haben mich fast auf dem Gewissen!« erklärte er schließlich mit finsterer Miene. »Ich fordere Revanche!« »Wollen Sie jetzt mich über den Haufen fahren?« wollte das Mädchen wissen. Volco grinste leicht und antwortete: »Keineswegs. Aber Sie werden mir heute abend das Vergnügen Ihrer Gesellschaft machen müssen!« Offensichtlich froh, daß nichts Ärgeres geschehen war, stimmte das Mädchen mit einem Kopfnicken zu. »Allerdings«, bemerkte Volco, »werde ich mich ans Steuer setzen!« Das Mädchen sah ihn kurz an, lachte und machte dann den Fahrersitz frei. Während Volco den Gleiter beschleunigte und sich in den Abendverkehr der Hauptstadt einfädelte, erkundigte er sich: »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Vermande«, gab das Mädchen bereitwillig Auskunft.
Volco überlegte einen Augenblick lang, dann tippte er:
»Sie kommen von Barajo, genauer ge sagt, aus der Provinz
Aurillac!« »Woher wissen Sie das?« fragte Vermande mit plötzlich erwachtem Mißtrauen. Volco lachte unterdrückt. »Ihr Akzent, Teuerste!« erklärte Volco bereitwillig. »Er verrät Sie unfehlbar - ich hatte einmal eine Bekannte, die aus dieser Gegend kam. Die hatte den gleichen Akzent!« »Aha!« meinte Vermande. »Wo wollen Sie eigentlich hin?« fragte sie. »Kennen Sie das Stammlokal von Diamanten-Joe?« fragte Volco, und als sie den Kopf schüttelte, erklärte er: »Der
Schuppen gehört einem ehemaligen Shenga. Nachdem er seine Strafe verbüßt hatte, machte er dieses Lokal auf, und es wurde eine der verrücktesten Kneipen, die Sie in Malagath finden werden!« Er deutete auf eine Lichtreklame und bremste den Gleiter ab. »Wir sind schon am Ziel!« sagte er frohgemut und beeilte sich, dem Mädchen die Gleitertür zu öffnen. Das Innere des Lokals war derart mit Rauch gefüllt, daß die beiden sekundenlang überhaupt nichts sehen konnten; dazu dröhnte der Lärm eines auf höchste Kraft gestellten Bandgerätes. Mühsam bahnten sie sich einen Weg durch die Menschenmenge. »Glück gehabt!« murmelte Volco, als er endlich die Theke erreicht hatte. Hinter dem hölzernen Tresen mit den ziselierten Kupferbeschlägen wurde eine Gestalt sichtbar, bei der als erstes eine üppige, völlig verfilzt aussehende Haarmähne und ein arg mitgenommen wirkender Bart auffielen. Der Wirt schüttelte Volco die Hand, grinste zweideutig und sagte etwas, das in dem allgemeinen Lärm völlig unterging. Mit einer Handbewegung forderte er dann die beiden auf, ihm zu folgen. Sie erreichten einen fleckigen Tisch, auf dem ein weißes Kärtchen stand; ziemlich ungelenk war das Wort »Reserviert« auf das Papier gemalt worden. Der Wirt entfernte den Hinweis, und Vermande und Volco nahmen Platz. Die Getränke wurden bestellt, indem Volco auf die entsprechenden Nummern der Getränkekarte tippte und dazu nickte; mit dem gleichen Zeichen erklärte der Wirt sein Verstehen und verschwand. An den Wänden der kleinen Nische, die höchstens für zwei Personen zugeschnitten war, hingen zwei Paar Kopfhörer. Volco nahm sie herunter und setzte einen auf; das andere Paar war für Vermande bestimmt.
»So!« sagte Volco erleichtert. »Jetzt können wir uns wieder unterhalten! Der Knopf am rechten Hörer reguliert übrigens die Lautstärke - wenn Sie wollen, können Sie auch die Bandmusik und mein Geschwätz hören!« »Reichlich kompliziert!« bemerkte das Mädchen. »Könnte man nicht denselben Effekt erzielen, wenn man die Musik etwas leiser drehte?« Volco schüttelte den Kopf. »Auf diese Weise sind wir völlig ungestört«, erklärte er; die im Kehlkopf erzeugten Klänge wurden über das Knochengerüst des Gesichtsschädels an ein Spezialmikrophon weitergegeben. Von dort aus lief der Klang über Verstärker weiter bis in die Kopfhörer. »Probieren Sie diesen Drink!« empfahl Volco, als der Wirt zwei randvoll gefüllte Gläser gebracht hatte. »Phantastisch!« lobte Vermande, nachdem sie gekostet hatte. »Spezialität des Hauses?« »Genau«, bestätigte Volco. »Und noch etwas macht diesen Schuppen so berühmt - wenn zwei nette Menschen hier zusammenkommen, um festzustellen, ob sie zueinander passen, dann setzen sie die Hörer ab und versuchen, sich nur noch mit den Augen zu unterhalten!« »Und wenn das gelingt«, vermutete Vermande, »dann verlieben sie sich ineinander. Und wenn es mißlingt, heiraten sie?« Volco lachte laut. Langsam nahm er die Kopfhörer ab und sah das Mädchen an. Als er Vermande Stunden später nach Hause brachte, wußte er nicht recht, ob er nun verliebt war oder so gut wie verlobt. Erst in den nächsten Wochen sollte er erfahren, daß es noch schlimmere Alternativen gab. *
»Immerhin!« lobte Thamur, während er die letzte Ausgabe der Capital News zusammenfaltete und wieder beiseite legte. »Der junge Mann hat es verstanden, sich Freunde zu verschaffen, die einiges für ihn riskieren!« »Das ist kein Argument!« widersprach Mano Campan, der mit langen Schritten im Arbeitszimmer des Malagathen auf und ab lief. »Ständig werden Informationen von der CN gedruckt, die sie eigentlich noch gar nicht haben dürften!« »Was machen die paar Stunden Unterschied schon aus!« wandte der Malagath ein. »Wie du dich erinnern wirst, ist in der Informationsabteilung auch bekannt, daß es einen Spezialschlüssel für die Bewertung gibt - davon aber steht einstweilen nichts in den Zeitungen. Der geheime Informant der Capital News scheint also genau zu wissen, was er sich erlauben darf.« »Schon das ist zuviel!« knurrte Mano; mit leichtem Grimm zündete er sich eine Zigarette an und machte ein paar Züge. »Ich habe schon einen Mann im Verdacht!« »Wen?« erkundigte sich Thamur knapp. »Mort Denning!« gab Mano Auskunft. »Aus den Personalakten habe ich erfahren, daß er ein alter Studienkollege dieses Volco ist!« »Und?« fragte Thamur schulterzuckend. »Das beweist gar nichts!« »Ich könnte Mort probeweise in eine andere Abteilung versetzen«, überlegte Mano laut. »Ich bin gespannt, ob die CN dann noch immer so schnell weiß, was im Palast besprochen und entschieden wird!« »Derlei ist einstweilen nebensächlich«, murmelte Thamur. »Berichte mir lieber, was es an Neuigkeiten gibt!« Mano holte eine Plastikkarte aus der Jackentasche seiner Uniform und las ein paar Daten ab. In den ersten drei Monaten nach Bekanntwerden deiner Absichten«, berichtete er, »haben sich rund einhundertfünfzig
Millionen Teilnehmer registrieren lassen. Die Ziffer erfüllt ziemlich genau unsere Erwartungen und Vorkalkulationen. In zehn Tagen werden die Ausscheidungen beginnen. Das wichtigste Kriterium für den künftigen Malagathen«, stellte Mano fest, »dürfte wohl seine Fähigkeit sein, Zusammenhänge zu durchschauen und Probleme zu lösen - wir können uns eine Menge Arbeit ersparen, wenn wir zunächst alle Schwachköpfe aussortieren!« »Wenn derlei immer möglich wäre«, bemerkte Thamur lächelnd, »wäre die Politik ein Kinderspiel! Wie lange werden die gesamten Wettkämpfe dauern?« »Zirka zwei Jahre!« bekannte Mano. »Dann werden wir die ersten Endergebnisse vorliegen haben. Zugegeben, es ist eine ziemlich lange Zeit - aber das Ziel ist auch entsprechend hochgesteckt!« »Gut!« stimmte Thamur zu. »Die erste Prüfung wird in einem Intelligenztest bestehen. Wie lange wird jeder Teilnehmer für diese Prüfung benötigen?« »Etwa vier Stunden! »erläuterte Mano Campan. »Das macht mindestens sechshundert Millionen Stunden aus, die in einem Jahr nicht gearbeitet werden«, rechnete Thamur vor. »Kann die Wirtschaft diese Belastung verkraften?« Mano lachte spöttisch. »Die Wirtschaft der Fünfzig Welten kann noch ganz andere Dinge ertragen«, beruhigte er den Malagathen. »Schließlich macht ein Produktionsstop bekanntermaßen den Arbeitnehmer pleite, während die Besitzer lediglich aufhören, ihr Vermögen zu mehren. Den Konzern möchte ich sehen, der bei Stillegung nicht genügend Kapital besäße, um seine Besitzer für ein paar Jahre durchaus annehmbar zu ernähren!« »Keine überflüssige Gesellschaftskritik!« warnte Thamur lächelnd. »Auch gut!« stimmte Mano lachend zu. »Im übrigen werden die Tests an den Wochenenden stattfinden - zumindest die
Ermittlung geistiger Eigenschaften. Sportliche Übungen und dergleichen sind erst geplant, wenn die Teilnehmerzahl derartig geschrumpft ist, daß wir den Kandidaten Urlaub auf Staatskosten gewähren können, ohne uns zu übernehmen!« »Vorzüglich!« lobte Thamur. »Ist diese Planung von dir?« Mano nickte stumm, während Thamur angelegentlich den Leitartikel der Capital News betrachtete. »Wie weit, glaubst du«, fragte der Malagath seinen Freund, »wird es dieser Volco Dehelly bringen?« »Mit sehr viel Glück kommt er unter die erste Million«, schätzte Mano ab; er schien seiner Sache sehr sicher zu sein. »Weiter schafft er es bestimmt nicht - dazu hat der junge Mann nicht das nötige Format!« * »Fünf zu Null!« verkündete der Kampfrichter. »Aufschlagwechsel. Null zu Fünf!« Die große Sporthalle war erfüllt von den Geräuschen, die ein Tischtennis-Turnier mit mehreren hundert Teilnehmern mit sich brachte - überall klackten Bälle, stampften Spielerfüße auf den plastiküberzogenen Boden und verkündeten die Schiedsrichter Resultate. Gelegentlich machte sich ein siegreicher Spieler mit einem lauten Schrei Luft. Volco schwitzte unablässig; sein Haar war völlig durchnäßt, fiel ab in die Stirn und bedeckte gelegentlich das rechte Auge. Die Handbewegung, mit der er die feuchte Strähne zurückwarf, nutzte sein Gegenüber zum Aufschlag. Nur um Millimeter verfehlte der weiße, zweieinhalb Gramm schwere Plastikball die Netzoberkante, dann flog das Geschoß weiter, prallte auf die weiße Umrandung der Platte und flog wieder in die Höhe. Volco machte einen raschen Schritt rückwärts und zog seinen Schläger schräg unter dem Ball durch, der in einem flachen
Bogen auf die Platte des Gegners zurückflog. Die Hohlkugel traf auf das Holz und sprang dann in einem Winkel von fast neunzig Grad zur bisherigen Flugbahn zur Seite. Volcos Spielpartner sprang, um den Ball noch zu erreichen, und rannte dabei mit Wucht gegen eine Kante des Tisches. »Null zu Sechs!« verkündete der Kampfrichter. Tischtennis, so war vom Organisationskomitee verkündet worden, sei besser geeignet, die Schnelligkeit und die Reflexe der Teilnehmer zu prüfen als andere Sportarten, wie man sie in früheren Jahrhunderten anzuwenden pflegte, und die nicht selten einen Teilnehmer das Leben kosteten. Volco konnte sich dieser Ansicht nur anschließen. Während sein Gegner rein zufällig ein Topspin zuwege brachte - der Ball flog von seinem Schläger auf Volcos Platte und hüpfte sofort über das Netz zurück -, überlegte er, wie sich dieser Schlag wohl in einem der antiken Duelle ausgenommen hätte. »Zwanzig beide!« sagte der Kampfrichter laut. »Aufschlagwechsel!« Volco wog den federleichten Ball in der Hand und starrte seinen Gegner an; die Zuschauer im Hintergrund seines Blickfeldes verschwammen zu einer bunten, zuckenden Masse. Aufschlag. Volco hatte sich etwas Neues einfallen lassen; das seitliche Wegziehen des gummierten Schlägers versetzte den Ball in eine wilde Drehung, die dem Gegner entging. Prompt schlug er den Ball nach rechts an der grünen Platte vorbei. Den nächsten Punkt verlor wieder Volco. Sein Gegenüber spielte mit höchster Konzentration; er war gewarnt, und diesmal brachte er den Aufschlag auf Volcos Plattenhälfte zurückallerdings derart hoch, daß Volco die Plastikkugel mit einem harten Schmetterball präzise auf eine Kantenumrandung landen konnte. Erneuter Matchball. Beide Spieler waren ziemlich genau gleichstark; was der
andere an Schnelligkeit und Beweglichkeit mehr hatte, machte Volco durch Einfallsreichtum und Präzision wieder wett. Der Sieger dieses Spiels würde dem anderen nur an Stabilität der Nerven überlegen sein. In der Anspannung ging das Lärmen der Zuschauer völlig unter und wurde zu einem leisen Brummen, das Volco kaum wahrnahm. Wie hypnotisiert starrte der junge Mann auf den Ball in der Hand seines Gegenübers. Aufschlag. »Netz!« rief der Kampfrichter schrill; die Spannung zerrte offenkundig auch an seinen Nerven. »Fehler!« Erneuter Aufschlag. »Netz!« schrien die Zuschauer. »Spiel, Satz und Sieg für Dehelly!« verkündete der Schiedsrichter, der langsam von seinem leicht erhöhten Sitzplatz herabstieg und den beiden Kontrahenten die Hände schüttelte. Die beiden jungen Männer, die fast eine Stunde lang erbittert um jeden Ball gekämpft hatten, reichten sich die Hand und grinsten einander an. Während Volco langsam zu den Umkleidekabinen ging, warf er noch einen Blick auf die elektronische Anzeigentafel. Nach den ersten drei Tagen des Wettkampfes auf diesem Gebiet lag er an fünfzehnter Stelle. Insgesamt dreihundertvierzehn Teilnehmer waren aus dem Millionenaufgebot noch verblieben; unter ihnen sollte der künftige Malagath ermittelt werden. Nach dem Tischtennisturnier sollte eine offene Schachmeisterschaft ausgetragen werden. Was sich daran anschloß, war den Kandidaten unbekannt; viel allerdings konnte es nicht mehr sein - in einem halben Jahr waren die Ausscheidungen endgültig zu Ende. Dann sollte der neue Malagath bekanntgegeben werden - vorausgesetzt, einer der Kandidaten überschritt die von Thamur geheimgehaltene
Mindestpunktzahl. »Humbug!« murmelte Volco verdrießlich. »Alles Humbug!« Seine Worte gingen im Plätschern des heißen Wassers unter, das in eng gebündelten Strahlen auf seinen Körper herunterströmte. Volco duschte, trocknete sich ab und schlüpfte dann in seine Kleidung. Auf dem Weg zu seinem Gleiter wurde er von ein paar Jugendlichen angehalten, die ihn um Autogramme baten. Innerlich grinsend erfüllte Volco den Wunsch und setzte seine Unterschrift auf die Hochglanzfotografien, mit denen unter anderem die Capital News einen recht schwunghaften Handel betrieb. Es dunkelte bereits, als er seinen Gleiter über die Fernleitspur vom Sportzentrum zurück in die Innenstadt lenkte; vor sich erkannte er den grünen Lack eines anderen Fahrzeugs. Das Kennzeichen verriet, das sich darin sein vorheriger Gegner aufhielt. Aus einer Nebenstraße kam ein drittes Fahrzeug; während der Gleiter den Scheinwerferkegel von Volcos Fahrzeug durchquerte, konnte der junge Mann für Sekundenbruchteile ein kantiges Männergesicht erkennen auf der rechten Wange leuchtete tief rot eine fingerbreite Narbe. Volco achtete nicht weiter auf das Gefährt; als ihm auffiel, daß sein Vordermann kein Kennzeichen besaß, war es bereits zu spät. Der Fremde beschleunigte mit irrsinnigen Werten, schob sich auf gleiche Höhe mit dem grünen Gleiter und ruckte dann unvermittelt nach rechts. Volco konnte den Aufprall nicht hören, aber er sah, wie der grüne Gleiter von der Fahrbahn abkam. Das Fahrzeug scheuerte die Begrenzungsplanken entlang, blieb an einem Pfosten hängen und überschlug sich. Während Volco die Bremsen mit aller Kraft betätigte, jagte der Attentäter mit Höchstgeschwindigkeit davon. Der grüne Gleiter überschlug sich noch mehrere Male; er beendete die
Bewegung wenige Sekunden, bevor auch Volcos Gleiter zum Stillstand kam. Der junge Mann sprang förmlich aus dem Sitz, riß aus der Sicherung an der hinteren Sitzbank die Warnleuchte heraus und stellte sie fünfzig Meter hinter seinem Gleiter auf. Dann rannte er zu dem Unfallfahrzeug hinüber. Während der verunglückte Gleiter in Flammen aufging, suchte Volco nach dem Fahrer. Der Mann war aus dem Fahrzeug geschleudert worden und lag etwa fünfzig Meter vor dem brennenden Gleiter. Im Licht der Flammen und der mitgebrachten Handleuchte erkannte Volco, daß er nicht viel Zeit hatte. Der Mann war nicht unerheblich verletzt; aus einer großen Wunde am rechten Unterarm strömte Blut. Das linke Bein stand in unnatürlichem Winkel vom Körper ab, und das Gesicht war mit Blut verschmiert. Der Verletzte war noch bei Bewußtsein; vom Schock unfähig, zu sprechen, sah er Volco aus starren, weit aufgerissenen Augen an. Volco kümmerte sich als erstes um die Armverletzung. Er riß sich das seidene Halstuch ab und wickelte es zusammen. Den Knoten der Schlinge, die er vorsichtig um den Oberarm legte, setzte er genau auf die Hauptarterie des Oberarmes. Ein kräftiger Ruck schnürte den Arm zusammen; Volco sah kurz nach der Wunde und seufzte erleichtert - das Blut hatte aufgehört zu fließen. Mit großer Erleichterung dachte Volco an die zahlreichen Stunden, die er mit Erste-Hilfe-Kursen verbracht hatte - jetzt erwies sich, wie wichtig diese gesetzliche Vorausbedingung für eine Fahrerlizenz war. Langsam öffnete der Verletzte den Mund und lächelte schwach. »Danke!« flüsterte er dann. Volco hielt ihm den Mund zu.
»Keine überflüssigen Anstrengungen!« warnte er. Er legte die Hand auf die Stirn des Verletzten; die Stirn war warm, wenn auch blutbeschmiert. Doch das war unwichtig - es kam darauf an, den lebensgefährlichen Unfallschock weitestgehend zu verhindern, der selbst bei eigentlich geringfügigen Verwundungen tödlich sein konnte. Um weitere Hilfsmaßnahmen mußte Volco sich nicht kümmern; im Innern eines jeden Gleiters befand sich ein Sender, der bei einem Aufprall in Tätigkeit gesetzt Wurde und selbsttätig Polizei und Rettungswagen herbeirief. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hörte Volco das durchdringende Heulen der Sirenen, mit denen die Rettungsmannschaften ihre Ankunft signalisierten. Mit aufheulenden Pulsatoren stoppten zwei größere Fahrzeuge unmittelbar am Straßenrand neben der Unfallstelle. Uniformierte sprangen aus den Gleitern und kamen im Laufschritt näher. Während andere sich um die Absicherung der Unfallstelle kümmerten, beschäftigten sich zwei Sanitäter mit dem Verletzten. »Gute Arbeit!« lobte einer der beiden Männer und nickte Volco anerkennend zu. »Er wird durchkommen!« »Helikopter nötig?« erkundigte sich ein Polizist, der ein Funksprechgerät in der Hand hielt. »Überflüssig!« antwortete der Sanitäter. »Offensichtlich keine inneren Verletzungen - der Junge hat unglaubliches Glück gehabt! Es reicht, wenn wir ihn mit unserem Gleiter ins Hospital bringen!« »Auch gut!« meinte der Polizist, dann schaltete er sein Gerät ein und sprach schnell ein paar Sätze. »Im Planquadrat achtundvierzig sind die nächsten freien Betten!« berichtete er anschließend dem Fahrer des Rettungswagens. »Bringen Sie den Verletzten dorthin!« »Wird gemacht!« erklärte der Fahrer. Volcos Mitkandidat wurde auf eine Bahre gehoben und
abtransportiert. Der Polizist sah der Gruppe nach, bis sich die Kunstglasverschalung des Rettungswagens hinter den Menschen geschlossen hatte, dann richtete er sein Interesse auf Volco. »Berichten Sie bitte den Hergang!« forderte er Volco auf. Volco beschränkte sich auf das Wesentliche; als er den Mann mit der Narbe erwähnte, sah der Polizist auf. »Sie denken, dies ist ein Attentat?« fragte er ungläubig. »Ja!« erklärte ihm Volco schlicht. »Schließlich sind wir beide jn der Gruppe der letzten vierhundert - allmählich wird es interessant und lohnend, gefährliche Mitbewerber aus dem Geschäft zu bringen!« »Lohnend«, wiederholte der Uniformierte; mit einem lauernden Seitenblick auf Volco fuhr er fort: »Für Sie auch?« »Sicher!« gab Volco zu. »Der Mann ist ausgezeichnet und ein ernst zu nehmender Rivale!« Der Blick des Polizisten wurde intensiver und reservierter. »Der Mann hat die Wahrheit gesagt!« erklärte ein Polizist, der sich von hinten den beiden Männern genähert hatte. »An seinem Gleiter sind nicht die geringsten Spuren zu erkennen, die auf einen Zusammenprall schließen lassen!« »Glück für Sie!« erklärte der Uniformierte grimmig. »Kann ich mein Fahrzeug wieder besteigen?« erkundigte sich Volcp; der Polizist nickte, dann grinste er leicht und zog eine Fotografie aus der Brusttasche. »Bitte!« sagte er lächelnd; Volco grinste zurück und setzte seinen Namenszug auf das Bild. Er ließ die Polizisten stehen und ging zu seinem Gleiter zurück; unterwegs nahm er die Warnleuchte wieder mit und verstaute sie auf dem Rücksitz. Dort lag auch die großformatige Kamera, mit der er ein halbes Dutzend Bilder von der Unfallstelle schoß. »Noch mehr Arbeit!« seufzte er, als er seinen Gleiter wieder
anfahren ließ. Er machte einen Umweg, um die Kamera zur Redaktion zu bringen; dort lieferte er auc h das vollgesprochene Band des Kassettengerätes ab. Den Text hatte er im Laufe des Tages und auch während der Fahrt besprochen - eine neue Sensation für die Lesergemeinde der CN. Als er end lich seine Wohnung erreichte, war er ziemlich erschöpft. »Das Abendessen wartet auf dich!« erklärte Vermande nach einem flüchtigen Kuß zur Begrüßung. »Du siehst aus, als hättest du es dringend nötig!« »Sehr richtig beobachtet«, stimmte Volco zu. Während er aß, berichtete er kurz, was er an diesem Tag erlebt hatte. Vermande zeigte sich beeindruckt. »Wie ist deine Position auf der Rangliste?« erkundigte sie sich. Volco zuckte mit den Schultern. »Im Tischtennis belege ich Platz fünfzehn«, sagte er. »Wie ich mich auf der allgemeinen Piste placiert habe, weiß ich nicht - aber es wird irgendwo im oberen Drittel sein!« »Das heißt«, stellte Vermande fest, »daß auch du in den nächsten Monaten in Gefahr schwebst!« »Möglich!« räumte Volco ein. »Aber trotzdem ziemlich unwahrscheinlich - ich habe die anderen Teilnehmer sorgfältig beobachtet, und ich bin der Meinung, daß ich in diesem erstklassigen Feld kaum eine Chance habe, unter die ersten fünfzig zu kommen!« »Abwarten!« empfahl Vermande. Sie hatte sich bei den Frauen und Mädchen in die Spitzengruppe vorgearbeitet; allerdings hinkte der Frauenwettkampf um ein halbes Jahr hinter den Ausscheidungen der Männer zurück. Erst nach dieser Frist hatte Thamur dem vehementen Druck der Öffentlichkeit nachgegeben und einen zweiten Wettkampf für den weiblichen
Teil der Bevölkerung Delta Ursas ausgeschrieben. Die Wertung in diesem parallelen Wettbewerb unterschied sich nur geringfügig von der der Männer; allerdings glaubte niemand ernsthaft, daß das Unmögliche Wahrheit werden und eine Frau als Siegerin aus dem Wettbewerb hervorgehen würde. Nicht zuletzt des Mädchens wegen hatte Volco sich in diesem Wettbewerb ernsthaft angestrengt; sein ursprüngliches Konzept war gewesen, etwa ein Jahr lang mitzumachen und dann absichtlich auszuscheiden. Die Tatsache, daß Vermande ihre Bemühungen sehr ernst nahm, hatte ihn bisher dazu getrieben, sich ebenfalls anzustrengen - zum Vergnügen seiner Zeitung. Denn Redakteure von anderen Blättern waren schon in den Vorrunden ausgefallen - die Capital News war die einzige Zeitung, die noch pausenlos mit brandheißen Informationen vom Wettkampfgeschehen aufwarten konnte. Seit dem Beginn des großen Wettstreits lebten Vermande und Volcp zusammen; nach Ansicht ihrer Freunde waren sie ein angeblich ideales Paar, was teilweise sogar stimmte. Sie verstanden sich hervorragend und besaßen ein derart vorzügliches Einfühlungsvermögen für die Stimmungen und Launen des Partners, daß außenstehende Beobachter geneigt waren, an Telepathie zu glauben. Nur ein Geheimnis gab es zwischen den beiden Menschen, das bislang in keiner Diskussion angesprochen war. Es war der unerklärliche Eifer, mit dem Vermande ihr Training für den Wettkampf betrieb; dieser fanatische Ehrgeiz paßte nach Volcos Meinung überhaupt nicht zu ihr. Indes hütete er sich, danach zu fragen. »Was hast du für heute abend vor?« fragte Vermande, während sie das Geschirr abräumte. Volco zuckte mit den Schultern. »Alles und nichts«, antwortete er unschlüssig. »Theater?« schlug Vermande vor.
»Warum nicht?« gab Volco zurück. Er wollte nach dem Spielplan der Kaiserlichen Bühnen greifen, als sich das Video meldete. »Polizei oder die Redaktion!« tippte Volco, nachdem er eine Taste gedrückt hatte. Er hatte sich geirrt. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht von Henry Farmer, Chef und Besitzer des größten Zeitungsimperiums in der Geschichte der Fünfzig Welten; er lächelte Volco mit einer Freundlichkeit an, die das Schlimmste befürchten ließ. »Sieh an!« brummte Volco. »Die Konkurrenz!« »Es freut mich, daß Sie mich kennen!« begann Farmer das Gespräch. Volco nickte lediglich. »Ich verfolge mit großem Interesse Ihren Fortschritt bei den Wettkämpfen«, fuhr der Verleger fort. »Die CN quillt förmlich über von Lobeshymnen über Ihre Person, und ich kann dem nur beipflichten! Sie haben eine ausgezeichnete Position auf der Teilnehmerliste. Allerdings - ich hoffe, Sie nehmen mir diese Bemerkung nicht übel - glaube ich nicht, daß Sie sich dort noch wesentlich werden steigern können!« »Ich bin beeindruckt!« offenbarte Volco. »Ihre Einschätzung stimmt ziemlich genau mit meiner eigenen Auffassung überein!« »Das freut mich!« meinte Farmer sehr liebenswürdig. »Auch die Art und Weise, wie Sie über die Wettkämpfe berichten, hat mir sehr imponiert - ich möchte Sie für meinen Verlag werben!« Volco war für einen Augenblick sprachlos. »Sie haben mich durchaus richtig verstanden«, sagte Farmer, der Volcos Verblüffung bemerkte. »Ich habe für Sie eine führende Position bei einer meiner Illustrierten!« »Welcher, bitte?« erkundigte sich Volco, um Zeit zu gewinnen; er hatte das Angebot noch nicht ganz verarbeitet.
»konfekt!« offe nbarte Farmer lächelnd. Diese Angabe reichte aus, um Volcos Geduld endgültig zu erschöpfen; aus der Brusttasche seiner Jacke holte er ein schmales, in blaues Plastik eingebundenes Buch hervor. »Wissen Sie, was dies ist?« fragte er mit falscher Liebenswürdigkeit. Farmer verneinte. »Dies«, erklärte Volco mit Nachdruck, »ist mein Mitgliedsbuch der Volkspartei! Bezirk Hyrth, Mitgliedsnummer 3873! Und Sie erwarten allen Ernstes von mir, daß ich künftig für eine Zeitschrift arbeiten soll, die an journalistischer Niedertracht ihresgleichen sucht? Ich kann das, was Ihre Druckmaschinen produzieren, nicht ausstehen. Ich werde niemals für Sie arbeiten. Eher schlage ich mich als Tagelöhner durch!« In Farmers Gesicht verzog sich kein Muskel; nach wie vor lächelte er Volco an. »Schade«, meinte er nach einigem Zögern. »Ich fürchte, Sie werden diesen Entschluß noch einmal bereuen!« »Schwerlich«, meinte Volco sarkastisch und griff nach dem Knopf, der das Gerät ausschaltete. Er hatte die Bewegung noch nicht vollendet, als im Hintergrund des Bildes ein Gesicht auftauchte; deutlich war eine fingerbreite, rotleuchtende Narbe auf der rechten Gesichtshälfte zu sehen. Volco war zu überrascht, um reagieren zu können; wie hypnotisiert schaltete er das Video aus, während sich sein Gesic ht förmlich versteinerte. »Volco, was ist?« fragte Vermande erschrocken. Volco holte tief Luft, dann erklärte er dem Mädchen kurz, wen er gerade wiedererkannt hatte. »Du mußt sofort die Polizei verständigen!« bestimmte Vermande, nachdem Volco seinen Bericht beendet hatte.
Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Das wäre genau das Falsche«, murmelte er nachdenklich. »Stelle dir vor, die Polizei stürmt Farmers Verlagsgebäude und findet das Narbengesicht nicht! Das wäre für ihn ein gefundenes Fressen! Außerdem bin ich meiner Sache nicht hundertprozentig sicher - es gibt viele Menschen auf Malagath, und darunter einige, die Narben im Gesicht haben.« Volco überlegte einige Sekunden, dann suchte er im Verzeichnis der Video-Anschlüsse der Hauptstadt. Sobald er die Nummer gefunden hatte, tippte er die Zahlen in die Tastatur. »Hospital des Planquadrats achtundvierzig!« meldete sich ein junges Mädchen. »Vor etwa« - Volco warf einen Blick auf seine Uhr - »zwei Stunden muß bei Ihnen ein Verletzter eingeliefert worden sein. Ein junger Mann, der mit seinem Gleiter verunglückte!« »Das stimmt«, bestätigte das Mädchen, nachdem sie kurz in ihren Unterlagen geblättert hatte. »Was kann ich für Sie tun?« »Wie geht es dem Patienten?« wollte Volco wissen. »Warten Sie bitte!« bat das Mädchen; der Bildschirm verdunkelte sich für drei Minuten, dann wurde das Gesicht wieder deutlich. »Der Patient wurde nur leicht verletzt«, berichtete das Mädchen. »Wollen Sie mit ihm verbunden werden?« »Sie ahnen es«, bestätigte Volco lächelnd. »Vielen Dank!« Eine halbe Minute später wurde ein in weiße Bandagen gewickelter Kopf sichtbar. »Volco!« sagte der Bandagierte lächelnd. »Ich verdanke Ihnen etwas!« »Falls Sie Ihr Leben meinen«, meinte Volco sarkastisch, »sprechen wir nicht von Kleinigkeiten. Mich treibt etwas anderes ans Video. Haben Sie vor ein paar Tagen ein recht großzügiges Angebot bekommen? Für den Fall, daß Sie Ihre
Kandidatur aufgeben?« »Ja!« staunte der Mann. »Woher wissen Sie das?« »Vermutung!« antwortete Volco. Wer machte Ihnen dieses Angebot?« »Die Farmer-TV-Corporation!« berichtete sein Gesprächspartner. »Ich studierte bis zu den Wettkämpfen Theaterwissenschaft, und man bot mir eine ausgezeichnet bezahlte Stellung als Regisseur!« »Das war alles, was ich wissen wollte«, erklärte Volco zufrieden. »Werden Sie weitermachen?« Der Mann schüttelte den bandagierten Kopf. »Ich habe genug!« stellte er grimmig fest. »Außerdem - Sie sind besser als ich. Für einen der vorderen Plätze komme ich nicht in Frage - ich gehe zurück an die Universität.« »Viel Spaß!« wünschte Volco; er hob grüßend die Hand, dann unterbrach er die Verbindung. »Recht gehabt!« murmelte er. »Es liegt etwas in der Luft!« Vermande trat hinter ihn und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Was hast du jetzt vor?« fragte sie leise. Sie spürte unter ihren Händen das Zucken seiner Schultern. »Keine Ahnung!« gestand Volco. Er stand auf, zündete sich eine Zigarette an und ging unruhig im Zimmer auf und ab; nachlässig wanderte sein Blick über Tanzmasken und antike Waffen, die an den Wänden hingen. »Was sollte ich deiner Meinung nach tun?« fragte er. »Weitermachen!« erklärte Vermande. Volco zog fragend die Brauen hoch. »Ich sehe dir an«, erklärte das Mädchen, »daß du herausbekommen möchtest, wer sich auf diese Weise in die Wettkämpfe einmischt. Je länger du teilnimmst, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß man auch dich auszuschalten versucht. Das Risiko ist zwar sehr groß - aber das wird dich kaum abhalten können, nicht wahr?«
Volco konnte nur zustimmend nicken. »Du hast zwar keine Ambitionen, Malagath zu werden«, sprach das Mädchen weiter, »aber du bist einer von diesen Wahnsinnigen, die noch glauben, daß sich Ehrlichkeit und Gerechtigkeit durchsetzen werden.« »Du scheinst eine sehr hohe Meinung von mir zu haben«, bemerkte Volco grinsend. »Wäre ich sonst hier?« fragte das Mädchen lachend. »Treffer!« meinte Volco; dann wurde er wieder ernst. »Ich sehe nicht ein, daß du ebenfalls dieses Risiko eingehen sollst!« erklärte er mit Bestimmtheit. »Ich bitte dich, deine Bewerbung zurückzuziehen!« »Nein!« sagte Vermande entschlossen. »Unter keinen Umständen!« Volco preßte die Kiefer zusammen; er überlegte, ob er das bisher ausgeklammerte Thema anschneiden sollte. »Gut!« sagte er schließlich ernst. »Ich respektiere selbstverständlich deinen Entschluß. Aber ich möchte eines wissen!« »Nur zu!« ermunterte Vermande ihn. »Frage!«, »Ich verstehe deinen Ehrgeiz nicht!« gestand Volco. »Ich weiß, daß du nichts lieber ißt als Kohlsalate und ähnliches - gleichzeitig aber rackerst du dich ab, als seiest du verrückt nach den erlesensten Delikatessen. Zwischen deinen Ansprüchen und dem Eifer, mit dem du nach Höherem greifst, ist ein Widerspruch, den ich nicht verstehe!« Vermande biß sich auf die Lippen. Unbarmherzig bohrte Volco weiter: »Und mir ist auch nicht entga ngen, daß du alle zehn Tage für einen Abend in der Stadt verschwindest - allerdings weiß ich nicht, was du dort suchst, oder mit wem du dich an diesen Abenden triffst. Du bist mir selbstverständlich keine Erklärung schuldig - aber dennoch wüßte ich gern mehr!« Während Volco sprach, war Vermande unablässig im Zimmer
auf und ab gegangen; man sah ihr an, daß sie nicht wußte, was sie sagen sollte. Nach einem Schweigen, das fast beängstigend wurde, sagte sie mit einigem Zögern: »Ich kann es dir nicht erklären, Volco! Ich darf es nicht! Nur eines kann ich dir mit Sicherheit erklären - nichts von diesen Dingen richtet sich gegen dich!« »Das freut mich zu hören«, meinte Volco brummend. »Um was handelt es sich sonst - ein kleines Attentat auf den Malagathen vielleicht? Oder Anschläge auf die Teilnehmer des Wettbewerbs?« »Nichts davon«, protestierte Vermande. »Eines Tages wird die Zeit für Erklärungen gekommen sein - und dann wirst du auch verstehen, warum ich schweigen mußte!« »Und wann, bitte, wird dieser Zeitpunkt sein?« wollte der junge Mann wissen. Vermande zuckte mit den Schultern. »Das hängt nicht nur von uns ab«, meinte sie ratlos. »Uns!« wiederholte Volco nachdenklich. Er griff nach dem zerknautschten Zigarettenpäckchen; es war leer. Vermande benutzte die günstige Gelegenheit, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. »Ich hole dir eine neue Packung!« sagte sie schnell; bevor Volco Einspruch erheben konnte, hatte das Mädchen sich bereits eine Jacke angezogen und die Tür hinter sich zufallen lassen. Nachdenklich ging Volco zum Fenster hinüber. Die Nacht war sehr klar; deutlich zeichneten sich die weißen Schleier des Kugelnebels ab, in dessen Mittelpunkt sich die Sonne Delta Ursa befand. Bislang war es noch niemandem gelungen, diesen Nebel zu durchstoßen - die vollautomatisch hergestellten Raumschiffe ließen solche Experimente gar nicht erst zu; wer versuchte, die elektronischen Sperren zu durchbrechen, flog mitsamt seinem Schiff in die Luft.
Gedankenlos sah Volco zu, wie Vermande das Haus verließ und die Straße überquerte; der Verkehr war mäßig. Nur vereinzelt fegten Gleiter über die feuchte Fahrbahn. Eines der vorbeikommenden Fahrzeuge verlangsamte seine Fahrt und hielt vor dem Haus an, an dem der klobige Zigarettenautomat hing. Vermande nahm die Packung aus dem Aus gabefach und drehte sich um. »Verdammt!« fauchte Volco. Die Tür des Gleiters wurde aufgerissen, und zwei Männer sprangen aus dem Fahrzeug; bevor das Mädchen Zeit fand, sich zu wehren, war es schon in das Innere des Gleiters gezerrt worden, der sich Sekunden später mit höchster Beschleunigung in Bewegung setzte und die Straße entlangraste. Volco unterdrückte einen Fluch. Die wenigen Sekundenbruchteile, in denen einer der beiden Männer in den Lichtkegel der Straßenlaterne geraten war, hatte ausgereicht; deutlich hatte Volco die Narbe erkennen können, die für ihn langsam zum Symbol drohender Gefahr wurde. Fieberhaft überlegte Volco, was er unternehmen sollte. Polizei? Er hatte nur wenige Anhaltspunkte zu liefern, und kein Beamter mit Ambitionen würde es wagen, auf solch dürftige Indizien gestützt, gegen Farmer und seine Helfer vorzugehen. Auch die CN konnte nur wenig helfen; ein Leitartikel hätte schwerlich ausgereicht, um Vermande wieder in Freiheit zu setzen - weit eher hätten die Gangster ihre nun gefährlich gewordene Geisel ermordet. Volco ging zum Video hinüber und wählte das Presseamt des Malagathen an; es dauerte nur eine halbe Minute, bis sich Mort meldete. »Was, zum Teufel, gibt es?« fragte der Mann leicht gereizt. »Ich brauche sofort eine Verbindung mit Campan!« sagte Volco hastig. »Ich sagte sofort - ich habe keine Zeit zu
verlieren!« Mort gähnte und zog dabei die Brauen hoch; dann zuckte er mit den Schultern. Für einige Minuten waren auf dem Bildschirm nur farbige Schleier zu erkennen, dann stabilisierte sich das Gesicht von Mano Campan. »Dehelly!« murmelte er unwillig. »Konnten Sie sich nicht einen anderen Zeitpunkt aussuchen?« »Nein!« antwortete Volco kühl, dann erzählte er knapp, was sich in den letzten Stunden zugetragen hatte. Schlagartig wurde Campan wach. »Sie sind sich Ihrer Sache völlig sicher?« erkundigte er sich; es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Volco nickte kurz. »Was wollen Sie unternehmen?« fragte Mano weiter. »Ich werde Farmer aufsuchen!« erklärte Volco gelassen. »In Begleitung eines Mini-Rekorders - vielleicht gelingt es mir, aus dem Mann eine unvorsichtige Bemerkung herauszuholen!« »Das kann ziemlich gefährlich werden«, warnte Campan. »Soll ich einen meiner Leute zu Ihrem Schutz abstellen?« Volco schüttelte nachdenklich den Kopf. »Besten Dank!« meinte er entschlossen. »Ich habe nicht vor, mich auf Schlägereien oder Ähnliches einzulassen. Und was gedenken Sie zu tun?« »Nun, wir werden Farmer beschatten lassen und versuchen, den Mann mit der Narbe ausfindig zu machen. Haben wir ihn erst einmal, dann dürfte der Weg zu Ihrer Freundin nicht mehr allzu weit sein!« »Einverstanden«, sagte Volco und schaltete aus. Unmittelbar danach holte er aus seiner Schreibtischschublade seine Waffe, einen langläufigen Laser mit hoher Durchschlagskraft. Das zugehörige Schulterhalfter lag im Kleiderschrank. »Gut geschossen ist besser als schlecht gestorben«, murmelte er, während er eine zweite Waffe mit einem elastischen Band
am rechten Unterschenkel befestigte. Falls man ihn durchsuchen würde, hatte er vielleicht eine Chance, diese Waffe zu behalten. Unter der weitgeschnittenen Jacke, die er an der Garderobe überzog, war der Laser nur mit großer Mühe zu erkennen, wie Volco nach einem raschen Blick in den Spiegel befriedigt feststellte. Er schloß seine Wohnung hinter sich ab und schwebte im Schwerkraftschacht zum Parkdeck hinunter. Volco kannte die Privatadresse seines Gegenspielers, und um diese Tageszeit war es ziemlich unwahrscheinlich, daß Farmer noch im Verlagshaus anzutreffen war. Die kühle Berührung des Fahrtwindes beruhigte Volco etwas, während er seinen Gleiter in das Prominentenviertel der Hauptstadt lenkte. Farmers Haus war leicht zu finden - ein Bungalow, der zum größten Teil aus Kristallglas bestand und von einigen hundert beweglichen Scheinwerfern angestrahlt wurde. Die Aureole, von schillernden Reflexen gebildet, war kilometerweit zu sehen. Der private Parkplatz, der zum Grundstück gehörte, war fast belegt - offensichtlich gab Farmer eine Party. Aus dem Haus drangen moderne Rhythmen. »Sind Sie geladen?« wollte ein livrierter Diener am Eingang wissen; mit provozierender Arroganz sah der Mann auf Volcos leicht angestaubte Lederjacke. »Wo ich hinkomme, bin ich immer geladen!« bemerkte Volco doppeldeutig und schob den Mann zur Seite. Das Innere des Hauses kam Volco merkwürdig bekannt vor; wahrscheinlich waren die Gäste verantwortlich für diesen Eindruck - sie standen in den gleichen Gruppen herum und redeten den gleichen Unsinn, den Volco schon von einigen hundert anderen Empfängen her kannte. Im Hintergrund war Farmer zu erkennen, umkreist von einem Schwarm ausnehmend hübscher Mädchen, deren Intelligenz in Punkten wahrscheinlich ebenso groß war wie ihr Hüftumfang
in Dezimetern. »Störe ich?« fragte Volco heiter, nachdem er sich einen Weg durch den Ring um Farmer gebahnt hatte. »Ah, sieh an«, bemerkte der Verleger überrascht. »Unser Freund Dehelly!« Er machte eine Handbewegung, die einen der schweigsamen Kellner herbeirief. »Meine Damen, ich darf Ihnen einen der besten Journalisten vorstellen, über den das System Delta Ursa verfügt - Mister Volco Dehelly!« »Diese lustigen Bildergeschichten in der CN«, erkundigte sich eines der Mädchen mit heller Stimme, »sind die von Ihnen?« »Glücklicherweise nicht«, antwortete Volco kalt. »Im Gegensatz zu den Angestellten Ihres Gönners schreibe ich nicht für Analphabeten!« Farmer nahm diese Dreistigkeit ohne jeden Kommentar hin; das Mädchen zwinkerte Volco erstaunt an - sie schien ihn nicht verstanden zu haben. »Sie tippen eine gar giftige Taste, mein Freund!« meinte Farmer lächelnd. »Und Ihre Rede steht Ihren Artikeln in nichts nach - ein Grund mehr, Sie für uns zu gewinnen!« »Deswegen bin ich hier!« erklärte Volco. Er deutete mit einer weit ausholenden Handbewegung auf die Schar der Gäste; auf den ersten Blick schätzte er die Zahl der Versammelten auf knapp dreihundert. »Geben Sie einen Empfang für die Insassen des staatlichen Debilenheims oder handelt es sich um eine Redaktionssitzung?« wollte Volco wissen. Farmer kniff die Augen zusammen. »Wenn Sie sich mit mir schlagen wollen, mein Freund«, bemerkte er, »dann folgen Sie mir bitte - ich möchte unnötiges Aufsehen vermeiden!« »Mit Vergnügen!« antwortete Volco und folgte dem Verleger
in einen angenehm kühlen Raum, der neben einem Schreibtisch mit mehreren wuchtigen Sesseln ausgestattet war. »Was kann ich für Sie tun, mein Freund?« erkundigte sich Farmer. Er hatte in einem der lederüberzogenen Sessel Platz genommen und bot Volco aus einer gut gefüllten Kiste Zigarren an. »Zunächst einmal«, sagte Volco, der die Zigarren dankend ablehnte, »nennen Sie mich nicht fortwährend mein Freund ich bin es keineswegs!« »Bedauerlich«, murmelte Farmer, während er sich umständlich die Zigarre anzündete. »Liegt es an Ihnen oder an mir, daß wir uns nicht so recht verstehen?« »Ich spare mir die Antwort!« gab Volco zurück. »Oder sollte ich Sie dazu herausgefordert haben, meine Freundin zu entführen?« »Ts, ts!« machte der Verleger; seine wasserhellen Augen blinzelten Volco mit dem Ausdruck höchsten Erstaunens an. »Hat man das?« »Man hat!« bestätigte Volco. »Mehr noch - Sie haben!« Farmer zog die Brauen in die Höhe. »Allerhand, was Sie mir da vorwerfen«, bemerkte er, während er sich in seinem Sessel weit zurücklehnte. »Warum sollte ich Ihre Freundin entführen wollen - ich kann mich der Damen ohnehin nicht erwehren. Vielleicht ist Sie Ihnen durchgebrannt - mit dem Zeitungsboten von nebenan!« »Sie wissen ebensogut wie ich, daß einer Ihrer Büttel vor knapp einer Stunde meine Freundin Vermande auf offener Straße überfallen und entführt hat!« rief Vo lco. »Auf offener Straße!« meinte der Verleger erstaunt. »Und einer meiner Angestellten, sagen Sie?« Volco verspürte einen nahezu unbezähmbaren Drang, sein Gegenüber nach Kräften zu verprügeln; gewaltsam beherrschte er sich und sagte: »Es war einer von Ihren Leuten - er trägt eine
auffällige Narbe im Gesicht!« »Nicht doch!« wehrte Farmer ab. »Der Mann ist absolut vertrauenswürdig. Er raucht nicht, er trinkt nicht, spielt nicht …« »Es gibt auch enthaltsame Kidnapper«,« entgegnete Volco. »Ich habe den Mann gesehen, und ich sehe ausgezeichnet!« Farmer zuckte mit den Schultern. »Wie Sie wollen!« Er drückte einen Knopf nieder, der sich an der Seite eines flachen Kastens auf dem Schreibtisch befand. »Srulik zu mir!« sagte der Verleger, dann drehte er sich wieder zu seinem Gast um. »Er wird in wenigen Augenblicken kommen«, erklärte er freundlich. »Sie können ihn selbst fragen!« Es dauerte nur zwei Minuten, dann öffnete sich die Tür, und im Rahmen erschien der Narbige; der Mann deutete eine leichte Verbeugung an und grinste Volco impertinent an. »Der Herr hier« - Farmer deutete nachlässig auf Volco »behauptet, du hättest ihm seine Freundin entführt!« »So wie ich den Herrn einschätze«, erklärte Srulik, »hat er schwerlich eine Freundin, die mich interessieren könnte! Ich weiß nichts von der Dame!« »Wo warst du vor etwa einer Stunde, Srulik?« forschte der Verleger. »Im Bett!« sagte der Mann und grinste Volco an. Volco preßte die Kiefer zusammen; er wußte, daß er dieses Spiel verloren hatte. Eigentlich, überlegte er, hätte er sich dieses Ergebnis ausrechnen können. »Ich sehe, daß Sie ziemlich niedergeschlagen sind, mein Freund«, bemerkte Farmer. »Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?« Volco, zu sehr mit anderen Gedanken beschäftigt, nickte mechanisch. Srulik ging auf eine Handbewegung des Verlegers hin zur Bar hinüber und kam mit einem halbgefüllten Glas
zurück, das er vor Volco auf dem Tisch absetzte. Volco nahm einen kräftigen Schluck, während der Verleger sagte: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag! Schreiben Sie einen Artikel über die Entführung Ihrer Freundin, und ich werde ihn in meiner größten Zeitung als Leitartikel bringen. Wenn ich meine gesamte publizistische Macht einsetze, wird Ihre Freundin wohl wieder zu finden sein. Ich bin sicher, daß Sie sie bald wieder in die Arme nehmen können!« Volco knirschte unmerklich mit den Zähnen; zu allem Überfluß mußte er sich von dem aalglatten Verleger auch noch verhöhnen lassen. »Auffüllen!« befahl Farmer, als Volco sein geleertes Glas absetzte und auf den Tisch stellte; wortlos kam Srulik der Aufforderung nach. Der Schnaps schmeckt satanisch gut, dachte Volco; außerdem hatte er plötzlich einen unerträglichen Durst. Er leerte das neue Glas in einem Zug und spürte zufrieden, wie der brennende Alkohol durch seine Kehle rann. Erst als Srulik das Glas zum vierten Male auffüllte und Farmer zu grinsen begann, merkte Volco, was mit ihm gespielt wurde. Bereits im ersten Drink war eine Droge gewesen, die einen akuten Anfall von Alkoholismus auslöste; er wußte, daß er jetzt bis zur völligen Besinnungslosigkeit weitertrinken würde - er war zu keiner Willensanstrengung mehr fähig. Noch hatte das teuflische Gebräu den Höhepunkt seiner Wirkung nicht erreicht; Volco konzentrierte sich mit aller Kraft auf einen Plan. Langsam stand er auf und fuhr mit der Hand an das Schulterhalfter. »Sie ...«, stammelte er unsicher und zog zeitlupenhaft langsam den Laser aus der Halfter. »Meine Hochachtung!« erklärte Farmer spöttisch. Er schnippte kurz mit den Fingern; Srulik schlug einmal kurz zu, und die Waffe polterte zu Boden.
Wie durch dichten Nebel hörte Volco den Verleger höhnisch fragen: »Noch ein Drink gefallig?« Was dann weiter geschah, entzog sich seiner Bewußtseinskontrolle.
4. »Mein Kopf!« stöhnte Volco. Als er erwachte, lag er in seinem Bett; wie er dorthin gekommen war, wußte er nicht mehr. Es interessierte ihn auch nicht - was ihn mehr beschäftigt hielt, waren der rasende Kopfschmerz und ein mörderisches Leibschneiden. »Kater!« diagnostizierte Volco sachkundig. »Und zwar in geradezu monströsem Ausmaß!« Während er sich langsam in seinem Bett aufrichtete, versuchte er sich zu erinnern, was am letzten Abend vorgefallen war. Seine Bemühungen blieben ohne Ergebnis - in seinem Gedächtnis klaffte eine Lücke von mindestens dreizehn Stunden. »Vermande!« stöhnte Volco. »Bringe mir bitte eine Tablette gegen diesen infernalischen Kopfschmerz!« Er wartete eine halbe Minute lang auf eine Antwort des Mädchens, dann bequemte er sich zu einem Blick auf die Uhr es war Mittagszeit, und Vermande war wahrscheinlich in irgendeinem Hörsaal. Volco setzte behutsam die Füße auf den Teppichboden und stand unsicher auf. »Wenn man sie braucht, ist sie nicht zu finden!« schimpfte er. Schwankend ging der junge Mann hinüber zur Tür des Badezimmers; seine Muskeln versagten teilweise den Dienst, und er mußte sich an der Klinke festhalten, um nicht umzukippen.
Das eiskalte Wasser aus der Dusche hätte ihn fast zusammenbrechen lassen. Volco stöhnte unterdrückt und schob den Mischhebel ruckartig auf die andere Seite. Sekunden später stöhnte er ein zweites Mal - diesmal war das Wasser zu heiß. Während er sich umständlich damit befaßte, die Temperatur des Duschwassers halbwegs erträglich zu gestalten, kehrten seine Lebensgeister langsam zurück. Die farbigen Ringe, die vor seinen Augen einen Ta nz aufführten, wurden allmählich dünner und schwächer, und auch seine Bewegungen gewannen an Sicherheit. Volco blieb eine halbe Stunde unter der Dusche, dann spülte er die letzten Seifenreste eisig kalt ab und griff nach dem Handtuch. Eingewickelt in einen dezent gemusterten Morgenmantel verließ er die Duschkabine und tappte auf bloßen Füßen in die Küche hinüber. Dort wartete eine weitere Überraschung auf ihn. Das Frühstück fehlte - Vermande hatte die liebenswerte Angewohnheit, beim Verlassen der gemeinsamen Wohnung schon das Morgenmahl für Volco bereitzustellen; sie stand ohnedies stets einige Stunden vor Volco auf. Diesmal suchte Volco vergebens die vier Brötchen, die sorgfältig warmgehaltenen Eier und die bis an den Rand mit Kaffee gefüllte Thermoskanne. »Schlamperei!« schimpfte Volco ungehalten. Er war noch zu benommen, um darüber nachdenken zu können, warum Vermande an diesem Tag so nachlässig gewesen war. Mißmutig machte er sich daran, sein Frühstück selbst zuzubereiten. Das Ergebnis seiner Anstrengunge n waren steinharte Eier, etwas zerbrochenes Geschirr und ein schlechter Kaffee. Trotzdem kehrte Volcos Erinnerungsvermögen langsam zurück - allmählich entsann er sich wieder des Verkehrsunfalls und seiner kurzen Diskussion mit dem Mädchen. »Langsam ...«, murmelte er mit halbgeschlossenen Augen.
»Der Wagen ... der Mann mit der Narbe … Farmer ...!« Langsam füllten sich die Lücken; die Droge fiel ihm ein, mit der man ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Das Summen des Videos störte den Gedankengang. Volco ging zu dem Gerät hinüber und schaltete es ein. Mano Campans Gesicht erschien auf dem Bildschirm; er grinste, als er Volcos ramponierten Zustand bemerkte., »Sie scheinen eine ziemlich strapaziöse Nacht hinter sich zu haben«, sagte er. Volco murmelte etwas Unverständliches. »So ungefähr kann man es ausdrücken«, erwiderte er schließlich. »Ich war bei Farmer - ohne Erfolg!« »Hat er Sie zusammenschlagen lassen?« erkundigte sich Mano besorgt. Volco schüttelte mit einem bitteren Lächeln den Kopf. »Es geht auch anders«, berichtete er. »Er bot mir einen Drink an - und in dem Glas war eine dieser teuflischen Pillen, die einen Mann binnen Sekunden zu einem Schnapssüchtigen umfunktionieren. Ich weiß nicht, wie lange er gebraucht hat, um mich mit einer kräftigen Alkoholvergiftung versehen abtransportieren zu lassen - sehr viel Zeit wird es jedenfalls nicht gekostet haben!« »Und?« fragte Campan weiter. »Konnten Sie irgend etwas aus ihm herausholen?« »Kein Wort!« sagte Volco bitter. »Wir wußten beide genau, wovon die Rede war, aber außer spöttischen Andeutungen war nichts aus ihm herauszubekommen. Den Mann mit der Narbe habe ich allerdings gesehen - Farmer nannte ihn Srulik!« »Srulik!« wiederholte Campan erstaunt. »Den Burschen kenne ich!« »Woher, wenn ich fragen darf?« erkundigte sich Volco. »Sie dürfen«, antwortete Mano Campan. »Er war vor einigen Jahren Waffenmeister in der Leibgarde des Malagathen. Er wurde entlassen, da er in ziemlich unsaubere Geschäfte
verwickelt war!« Campan grinste Volco spitzbübisch an. »Er gab nämlich streng geheime Informationen an Farmers Leute weiter!« fuhr er sarkastisch fort. »Derlei können wir natürlich nicht dulden!« »Das kommt auf den Einzelfall an!« konterte Volco unbeeindruckt. »Meinethalben!« gestand Campan zu. »Immerhin versuchte Farmer mit Hilfe dieser Geheiminformationen verschiedene Hofbeamte zu erpressen!« »Derlei habe ich nie versucht!« gab Volco zu bedenken, der die Anspielungen Campans sehr wohl verstand. »Und ich nicht behauptet!« beruhigte ihn Mano. »Wissen Sie inzwischen, wo Ihre Freundin zu finden ist?« Volco zuckte die Schultern. Deutlicher konnte er seine völlige Ratlosigkeit nicht zum Ausdruck bringen. »Ich habe nicht einmal die Spur eines Verdachtes«, gestand er. »Vielleicht in Farmers Bungalow, vielleicht in irgendeinem seiner vie len Landhäuser, vielleicht im Verlagsgebäude ... Was weiß ich! Fünfzig Planeten bieten allerhand Möglichkeiten, eine Frau zu verstecken!« »Wir haben einige der Möglichkeiten überprüft, die Sie gerade aufgezählt haben«, berichtete Campan. »Farmer hat beachtliche Mengen von Grundbesitz - aber auf keinem seiner vielen Grundstücke war Ihre Freundin aufzutreiben. Bei Fremden wird er sie schwerlich einquartiert haben, und im Verlag laufen zu viele Neugierige herum. Es gibt also nur noch zwei Möglichkeiten!« »Und wie sehen diese Möglichkeiten aus?« fragte Volco besorgt. »Entweder hält er sie tatsächlich in seinem Bungalow versteckt«, zählte Mano auf, »was allerdings ziemlich unvorsichtig wäre«.« »Oder?« fragte Volco mit unsicherer Stimme.
»Er hat sie bereits aus dem Wege geräumt.« Volco schluckte; irgendwo in seinem Kopf begann Vermande zu sprechen, mit ihrem merkwürdigen Akzent, der ihn immer aufheiterte, wenn er zerschlagen nach Hause zurückkehrte; ihr langes Haar, das im Fahrtwind umherflog; ihre unglaublich schmalen Handgelenke, an denen die Armbandanhänger klimperten ... »He, fallen Sie nicht gleich um!« rief Mano über das Video. »Ganz so schlimm ist die Sache nun wieder nicht«, versuchte er Volco zu beruhigen. »Als Leiche ist Vermande für Farmer ohne Wert - nur lebend kann er sie als Druckmittel benutzen!« »Auch ein Trost!« meinte Volco grimmig. »Was werden Sie in den nächsten Tagen unternehmen?« »Wir lassen Farmer überwacher«, berichtete Campan. »Viel Sinn wird diese Maßnahme nicht haben - es wird außerordentlich schwer sein, Srulik zu täuschen. Schließlich kennt der Bursche unsere Methoden! Sobald wir irgend etwas über den Verbleib Ihrer Freundin wissen, werden wir uns melden! Einverstanden?« »Was bleibt mir anderes übrig«, seufzte Volco; Campan hob grüßend die Hand, dann wurde der Bildschirm wieder dunkel. »Was gibt es nun schon wieder«, fragte Volco halblaut, als sich eine halbe Minute später das Video erneut meldete. »Dehelly!« stellte er sich kurz vor, als das Gesicht eines ihm unbekannten Mannes sichtbar wurde. »Joras Scarff«, sagte sein Gesprächspartner. »Ich suche Vermande - sie erschien heute nicht am gewohnten Treffpunkt. Ist sie krank?« »So kann man es auch nennen«, murmelte Volco bitter. »Sie wurde gestern abend entführt!« Die Augen des Mannes auf dem Bildschirm zogen sich schnell zusammen, dann sah er Volco wieder voll an. Ruhig fragte er: »Wer hat Sie entführt? Haben Sie irgendwelche
Hinweise, Spuren oder Ähnliches?« »Selbst wenn ich welche hätte«, meinte Volco mißtrauisch, »dächte ich nicht daran, sie Ihnen mitzuteilen. Wer sind Sie?« Zwei Minuten lang sah der Fremde Volco an, als könne er ihn auf diesem Wege psychisch sezieren, dann drehte er sich um; da er den Lautstärkerregler auf den Nullpunkt gedreht hatte, blieb die Unterhaltung für Volco unverständlich. Immerhin konnte Volco der lebhaften Gestik des Anrufers entnehmen, daß es sich um etwas sehr Wichtiges handeln mußte. Als der Fremde sein Gesicht wieder der Kamera zuwandte, machte er einen zufriedenen Eindruck. Er befahl: »Bleiben Sie in Ihrer Wohnung - wir kommen in etwa zehn Minuten!« Joras grinste unverschämt, als er fortfuhr: »Und stellen Sie schon einmal ein paar Drinks kalt!« Bevor Volco antworten konnte, war der Bildschirm bereits dunkel. »Alle Wetter!« murmelte Volco, sich nachdenklich das Kinn reibend, »Vermande scheint ziemlich merkwürdige Freunde zu haben! Die Sache wird zunehmend mysteriöser.« Eingedenk der Bitte des Fremden mixte Volco ein paar Drinks; er war gerade damit beschäftigt, ein paar Spritzer Angostura in den Mixbecher zu geben, als es an der Wohnungstür summte. »Kommen Sie herein!« rief Voloo über die Schulter hinweg. »Die Tür ist nur angelehnt!« Als er sich umdrehte, erkannte er, daß Joras nicht allein gekommen war - drei weitere Männer befanden sich in seinem Gefolge. »Ich darf Ihnen meine Freunde vorstellen!« meinte Joras liebenswürdig und deutete nacheinander mit der Hand auf die Männer. »Professor Schyder!« Der weißhaarige, zierliche Mann deutete eine Verbeugung an.
»Eliud, Abram!« Die beiden Männer gaben Volco die Hand; Volco konnte förmlich hören, wie seine Handgelenke knackten, als die Männer zufaßten. »Wie sieht die Fortsetzung des Abendprogramms aus?« erkundigte sich Volco. Während er die Drinks verteilte, machten es sich die Männer im Wohnzimmer bequem. »Haben Sie die Kleiderschränke mitgebracht, um hier eine Schlägerei zu veranstalten? Oder wollen Sie mich aus dem Fenster werfen?« Die beiden hochgewachsenen Männer mit dem militärisch kurzen Haarschnitt schwiegen; der Professor lächelte nachsichtig, während Joras erklärte: »Es gibt eine Zeit für Schlägereien und eine Zeit für Informationsaustausch. Ich glaube, daß es so weit ist, daß wir Sie informieren müssen!« »Nur zu!« ermunterte ihn Volco; er hockte sich auf die Kante des flachen Tisches und machte ein interessiertes Gesicht. »Woher, glauben Sie, kommen wir?« fragte Joras herausfordernd. Volco breitete die Arme leicht aus und zuckte mit den Schultern. »Dem Akzent nach zu schließen - Chia, vielleicht Basan!« schätzte er. »Irrtum!« erklärte Joras sanft. »Von der Erde!« »Aha!« machte Volco. Um Delta Ursa, das Zentralgestirn, bewegten sich achtzehn Planeten mit insgesamt zweiunddreißig Monden unterschiedlicher Größe; Volco hatte nicht alle fünfzig Namen im Kopf, außerdem hielt er die Frage nicht für wichtig. »Wissen Sie, wo dieser Planet liegt?« fragte Joras weiter. Volco seufzte leicht und antwortete gleichgültig: »Meinethalben im Innern von Delta Ursa - wollen Sie nicht endlich zur Sache kommen?« »Die Erde«, eröffnete ihm Professor Schyder, »liegt
überhaupt nicht im System Delta Ursa!« Volco grinste impertinent; er hatte mit verblüffenden Nachrichten gerechnet, nicht aber mit schlechten Witzen. Schließlich wußte jedes Schulkind, daß hinter dem Nebel, in den das System der Fünfzig Welten eingebettet war, das Nichts begann und daß es völlig unmöglich war, außerhalb des Nebels zu existieren. »Und wo ist diese Erde?« fragte er höflich, um seine Gäste nicht zu verletzen. Jetzt wußte er auch, warum Vermande über ihre Zusammenkünfte mit diesen Männern so hartnäckig schwieg; Volco hätte sie wahrscheinlich lauthals ausgelacht, hätte sie ihm von ihrer Mitgliedschaft in einem Spiritistenzirkel erzählt. Seine Besucher deuteten seine Reaktion völlig richtig; sogar einer der scheinbar stummen Männer öffnete den Mund. »Für einen Journalisten«, sagte er mit einer prachtvollen Baßstimme, »ist er reichlich begriff stutzig!« Volco nahm die Beleidigung ohne Widerrede zur Kenntnis. Jetzt ergriff Schyder das Wort; er hielt Volco eine kleine Privatvorlesung über Astronomie, und langsam begann der junge Mann die Zusammenhänge zu begreifen. »Zehntausend Planeten, sagten Sie?« fragte er, als Schyder geendet hatte. Joras nickte. »Das sind nur die Mitglieder der Galaktischen Union«, schränkte er ein. »Es gibt noch andere Welten, die nicht Mitglied sind. Und noch wesentlich mehr, die wir überhaupt nicht kennen!« »Raumschiffe haben Sie auch?« forschte Volco weiter. »Selbstverständlich!« beteuerte Joras. »Sie sind allerdings wesentlich größer, schneller und sicherer als die Modelle, die hier verwendet werden!« »Wie viele?« bohrte Volco. Zögernd erwiderte Joras: »Ich weiß es nicht - ein paar
Millionen vielleicht?« »Wahrscheinlich auch solche, die Geschütze tragen?« schätzte Volco. »Mit denen man ohne große Mühe Delta Ursa dieser Galaktischen Union eingliedern kann?« Joras und Schyder tauschten belustigte Blicke aus. »Ja«, bestätigte der Wissenschaftler endlich. »Wir verfügen auch über eine starke Raumflotte! Glauben Sie, daß wir planen, Delta Ursa zu überfallen?« »Nach allem, was ich gerade gehört habe«, verkündete Volco finster, »bin ich sogar ziemlich sicher, daß Sie derlei vorhaben!« Seine rechte Hand hing am Tisch herunter, und Volco bewegte sie vorsichtig in Richtung auf den kleinen Laser, den er noch immer am rechten Unterschenkel mit sich trug. Die Waffe reichte zwar nur für wenige Schüsse, aber er wollte es zumindest versuchen, diese Fremden zu überwältigen. »Sie irren sich!« beteuerte Joras lebhaft, während Volcos Fingerspitzen den Griff der Waffe erreichten. Mit einem Ruck riß Volco den kleinen Laser in die Höhe und richtete ihn auf die Männer vor ihm; er drückte nicht ab - seine Waffe zeigte noch auf den Teppichboden, da sah er schon in die Mündungen von zwei Waffen. Die schweigsamen Männer hatten mit unglaublicher Schnelligkeit reagiert. Joras läche lte nachsichtig. »Sie sehen, wir sind auf alles vorbereitet. Aber wenn Sie großen Wert darauf legen - ziehen Sie den Abzug durch!« Volco starrte den Mann mißtrauisch an, dann kam erder Aufforderung nach. Fünfmal ließ er einen grellroten Laserstrahl zu dem Mann hinüberzucken, dann war das Magazin leer. Joras stand unversehrt vor Volco und grinste. »Sie sehen, Ihre Waffe bleibt ohne Wirkung. Das ist nicht weiter verwunderlich - um meinen Körper spannt sich ein Interferenzfeld, das Ihren Laserstrahl in harmloses Streulicht
umwandelt! So können Sie uns nicht bezwingen!« »Volco!« fuhr der Professor eindringlich fort. »Wir haben keine unfreundlichen Absichten - was wir wollen, ist die Eingliederung des Systems Delta Ursa in die Galaktische Union. Schließlich wurden die Fünfzig Welten von geflüchteten Terranern besiedelt - damals, nach dem großen Krieg. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei! Wir wollen nur Delta Ursa auf friedlichem Wege in unsere galaxisumspannende Union integrieren - zum beiderseitigen Vorteil!« »Wo sind diese Vorteile?« erkundigte sich Volco. »Überall«, meinte Schyder lakonisch. »Denken Sie nur an die Möglichkeiten, die Ihnen als Unionsbürger offenstehen - mehr als zehntausend Planeten, auf denen Sie leben und arbeiten können. Neue Technologien für das System der Fünfzig Welten, Anstöße in der Kultur - Sie ahnen nicht, was sich hier alles ändern wird, wenn Delta Ursa Unionsmitglied ist!« »Und wo liegt der Vorteil für die Union?« wollte der mißtrauische junge Mann wissen. »Ich denke, Sie haben schon alles, was überhaupt zu haben ist?« Schyder schüttelte den Kopf. »Beispielsweise die Pulsatoren, die in diesem System gebaut werden - Aggregate dieser Perfektion und Winzigkeit sind in der Galaxis unbekannt. Die Dinger sind bei uns völlig veraltet, weil sie zu störanfällig und zu klotzig waren. Wenn alle Einwohner der Fünfzig Welten sich von jetzt ab mit dem Bau von Pulsatoren beschäftigen würden, könnten sie dennoch nicht alle Wünsche befriedigen. Ist das ein gutes Geschäft für beide Parteien oder nicht?« »Hört sich ausgezeichnet an!« gab Volco zu. »Es fragt sich nur, ob Ihre Angaben stimmen!« »Das ist völlig nebensächlich«, erklärte Joras. »An der Entwicklung werden Sie nichts ändern können. Wenn Sie wirklich annehmen, wir seien hier, das System
auszuspionieren und anschließend mit Schlachtschiffen zurückzukommen - könnten Sie uns aufhalten?« »Schwerlich«, gestand Volco. »Stimmen unsere Absichten, dann können Sie uns und sich nur helfen - und den Menschen auf den Fünfzig Welten!« »Einverstanden!« sagte Volco nach einigen Minuten Pause; er hatte eingesehen, daß er keine echte Möglichkeit zur Entscheidung mehr hatte. »Das freut mich«, meinte Schyder und hob sein halbgefülltes Glas. »Darauf sollten wir anstoßen!« Nachdem das Klirren der Gläser verklungen war, nahm Joras das Gespräch wieder auf. »Kehren wir zum Grund unserer Anwesenheit zurück - was ist aus Vermande geworden?« Noch einmal mußte Volco seinen Bericht wiederholen. »Ziemlich übel«, kommentierte Joras schließlich; er drehte sich zu Schyder um und sah ihn aufmerksam an. »Ich glaube, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist!« »Zeitpunkt wofür?« forschte Volco neugierig. Joras erläuterte: »Wir haben uns hier auf Malagath mit gefälschten Dokumenten eingeschlichen und versucht, einen gesellschaftlich möglichst hohen Status einzunehmen. Das ist uns auch gelungen. Eliud und Abram gehören zur Leibgarde eines Gouverneurs, ich selbst bin Raumschiffskapitän, und Professor Schyder hat es geschafft, einen Lehrstuhl zu bekommen! Wir haben natürlich alles getan, die große Enthüllung des Geheimnisses so gut wie möglich vorzubereiten und abzusichern. Professor Schyder wird anläßlich einer kleinen Forschungsreise auf einem der Monde Creons ein halbverfallenes Raumschiffswrack entdecken, das wir natürlich sorgfältig präpariert haben. In diesem Raumschiff wird er die Unterlagen und Beweise finden, die er braucht, um seine Abstammungstheorie zu untermauern. Wenig später wird dann - rein zufällig - ein Kontaktschiff von der Erde hier eintreffen
und den Malagathen höflich bitten, doch der Galaktischen Union beizutreten!« »Kein schlechter Plan!« gab Volco zu. »Indes löst er nicht das Problem, wie wir Vermande wieder herbeischaffen! Was für eine Aufgabe hat sie eigentlich?« Joras grinste spitzbübisch. »Wird nicht verraten«, erklärte er ge heimnisvoll. »Ein paar Überraschungen werden Sie uns wohl noch gönnen, oder?« »Meinethalben!« stimmte Volco zu. »Was unternehmen wir jetzt?« »Packen Sie Ihre Sachen und kommen Sie mit uns«, bestimmte Joras. »Ich werde Sie zu unserer Zentrale führen!« Eliud und Abram halfen ihm dabei, seine Kleidung in ein paar Vakuum-Koffern zu verstauen, dann verließ die Gruppe das Haus. Auf der Straße stand der Gleiter, mit dem Joras und die anderen vorgefahren waren. Das Fahrzeug ruckte an und jagte dann die breite Straße hinunter. Die Fahrt ging über die Fernleitspuren bis zum Raumhafen; Eliud bremste den Gleiter ab, fegte über den öffentlichen Teil des Areals und passierte die scharfen Kontrollen am Eingang zum Privathafen des Kaiserlichen Raumschiff-Clubs, einer Vereinigung passionierter Raumfahrer von höchster Exklusivität. »Donnerwetter!« staunte Volco. »Wieso haben Sie hier Zutritt - selbst mein hochverehrter Herr Chefredakteur darf diese Sperren nur mit Sondererlaubnis passieren!« Joras deutete kurz auf Schyder. »Er darf auch ohne Sonderpaß«, erklärte er knapp. »Auf diesem Hafen steht sein privates Forschungsschiff - die Universität hat ihren ganzen Einfluß geltend gemacht!« Das Forschungsschiff erwies sich als ein stumpfnasiger Zylinder von etwas mehr als dreißig Meter Länge; der Rumpf trug das schimmernde Emblem der Kaiserlichen Universität zu Malagath auf Malagath, darunter waren die Initialen des
Professors und die eingebrannte Seriennummer zu erkennen. Volco warf einen flüchtigen Blick auf die Za hl; sie wies aus, daß die SKOLOPENDER, wie Schyder die Jacht getauft hatte, aus allerneuester Fertigung stammte. Am Kontrollturm stellten sie den schweren Gleiter ab; ein Angestellter des Clubs beförderte die Gruppe dann mit einem clubeigenen Fahrzeug bis an das Heck der Jacht. »Das Schiff ist vollkommen startklar!« meldete der Mann. »Danke!« Das letzte Wort bezog sich auf den Geldschein, den der Professor dem Fahrer in die Hand gedrückt hatte. Das Innere der Jacht machte einen Eindruck kultivierten Luxus. »Ihre Kabine!« erklärte Joras, während er das Schott öffnete. Als der Stahl zur Seite glitt, erkannte Volco eine genaue Nachahmung seines eigenen Wohnzimmers; verblüfft trat er einen Schritt zurück. »Woher, zum Teufel«.«, begann er. »Keine Flüche, mein Bester!« warnte Joras heiter. »Das Zimmer wurde auf Bitte von Vermande so eingerichtet - für den Fall, daß wir sehr rasch fliehen müssen, ist hier eine Kabine für Sie reserviert!« Sein impertinentes Lächeln trieb Volco das Blut ins Gesicht, dann mußte er wider Willen lachen. »Hat Sie viel über mich berichtet?« fragte er interessiert. »Genug«, meinte Joras. »Andernfalls hätten wir Sie kaum in unsere Geheimnisse eingeweiht!« Nachdem sie alles Mitgebrachte verstaut hatten, ging Volco mit Joras hinauf ins Cockpit. Hier war von Luxus nichts mehr zu sehen - die Einrichtung verriet äußerste Sachlichkeit. »Können Sie eine Jacht lenken?« fragte Joras; Volco nickte knapp. »Bitte«, meinte der Mann von der Erde und deutete auf den Pilotensitz; er selbst setzte sich auf den Platz des Kopiloten.
»Vorsichtig!« warnte Joras, als Volcos Hand beim Checken der Listen für die Startbereitschaft einem rotlackierten Knopf zu nahe kam. »Was ist mit dem Schalter?« wollte der junge Mann wissen. »Er aktiviert den Überlichtantrieb«, verkündete Joras. »Es wäre peinlich, würden wir jetzt das System verlassen!« Beim Abheben von dem blankpolierten Beton des Raumhafens machte Volco eine neue Entdeckung; die SKOLOPENDER stieg ohne das Rattern und Schütteln auf, die normalerweise zu den üblichen Begleitumständen eines jeden Raumschiff starts gehörten. »Eine kleine Erfindung aus der irdischen Produktion!« erläuterte Joras lakonisch. »Beachtlich!« murmelte Volco anerkennend. »Haben Sie davon noch mehr auf Lager?« »Sie werden es erleben!« versprach Joras. * »Was also ist geschehen?« Thamurs Stimme verriet etwas von der Unruhe, die den alten Mann befallen hatte, seit er wußte, daß eine der besten Kandidatinnen entführt worden war. Mano Campan stand mit leicht schuldbewußtem Gesicht vor ihm und seufzte leise. »Dieser Dehelly ist auch verschwunden!« berichtete er leise. »Was aus ihm geworden ist, wissen wir nicht!« »Warum wurde er nicht überwacht?« erkundigte sich Thamur scharf. Mano zuckte hilflos mit den Schultern. »Wir sahen dazu keine Veranlassung!« sagte er zögernd. »Wir nahmen nicht an, daß sich Farmers Leute auch an ihm vergreifen würden. Das Mädchen hatten sie ja bereits - das war als Druckmittel ausreichend!«
»Farmer!« wiederholte Thamur; der Alte ging mit schleppenden Schritten in seiner Bibliothek auf und ab. »Es hat den Anschein, als habe dieser Mann seine Finger in fast jedem Geschäft, das auch nur halbwegs anrüchig ist! Was ergab seine Beschattung?« »Mit großer Wahrscheinlichkeit hält er das Mädchen in seinem Bungalow fest«, meldete Mano Campan. »Aber es ist ihm natürlich nicht nachzuweisen!« »Warum sind nicht einige Waffenmeister in das Haus eingedrungen und haben das Mädchen befreit?« »Srulik, der Mann mit der Narbe, hätte unsere Leute ziemlich schnell entdeckt«, gestand Mano schüchtern. »Farmer wäre also vorbereitet - das gäbe eine mörderische Aufregung im Blätterwald. Waffenmeister erobern Verlegerbungalow - so ungefähr würden die Schlagzeilen lauten. Das Mädchen ist dann natürlich unauffindbar, und das Korps der Waffenmeister steht als friedensbrecherische Rüpelbande da! Das wollten wir vermeiden!« »Mit anderen Worten«, faßte Thamur energisch zusammen. »Niederlage auf der ganzen Linie!« »Ungefähr!« mußte Mano eingestehen. »Keine Beschönigungen!« warnte Thamur; Mano konnte sich nicht erinnern, den Malagathen je so gereizt erlebt zu haben. »Ein anderes Thema!« forderte Thamur nach einem beängstigenden Schweigen. »Wie steht es im Wettbewerb?« »Noch einhundert Kandidaten bei den Männern«, berichtete Mano erleichtert. »Etwa zehn Personen mehr sind es bei den Mädchen.« Thamur machte ein erstaunes Gesicht. »Wieso das?« fragte er neugierig, »ich dachte immer«.« »... daß Frauen von Natur aus dümmer sind als Männer?« unterbrach ihn Mano. »So ungefähr«, gab der Malagath verlegen zu. Mano lachte unterdrückt.
»Beides ist richtig und wieder falsch!« erklärte er genießerisch. »Die durchschnittlichen Intelligenzwerte sind bei Mädchen etwas höher als bei Männern - dafür aber sind die extremen Werte bei den Männern besser besetzt!« »Mit anderen Worten, Frauen sind im Durchschnitt intelligenter, aber die Männer liefern mehr Genies?« erkundigte sich der Malagath. »Nicht nur das«, bemerkte Mano spöttisch. »Die Männer liefern auch wesentlich mehr Schwachsinnige!« »... die sich zuweilen bis in die höchsten Regierungsämter verirren«, ergänzte Thamur anzüglich. »Ich nehme an, du meinst jetzt die Genies?« versuchte Mano zu retten; Thamur lächelte nur. »Was können wir nun unternehmen?« brachte er das Gespräch auf das alte Thema zurück. »Nichts!« offenbarte Mano niedergeschlagen. »Was heißt nichts?« bohrte Thamur weiter. »Es muß doch irgendeine Möglichkeit geben, etwas zu unternehmen?« »Ich wüßte nur eine, und die ist nicht gangbar!« erklärte Mano. »Wir müßten den Wettbewerb aussetzen, bis sich die beiden wieder gefunden haben - beziehungsweise Farmer sie wieder freigelassen hat!« »Es gibt mehr als hundert Methoden für einen reichen Mann, einen Menschen so töten zu lassen, daß niemand den Mord bemerkt«, murmelte Thamur. »Wir würden auf diese Weise Farmer nur dazu herausfordern, sich der beiden schnellstens und risikolos zu entledigen! Können wir uns das leisten?« »Selbstverständlich nicht!« sagte Mano. »Wie stehen die beiden in der Konkurrenz?« fragte Thamur weiter. »Ganz oben!« berichtete Mano Campan. »Genaues kann ich jetzt noch nicht sagen, aber sie werden mit großer Wahrscheinlichkeit unter den ersten Fünfzig sein - wenn nicht gar die Gewinner!«
»Beide über der Mindestgrenze?« lautete Thamurs nächste Frage. »Beide!« bestätigte Mano. »Was würdest du zu einem Malagathen Volco sagen, Mano?« wollte der Alte wissen. Mano schüttelte den Kopf; mit diesem Problem hatte er sich noch nicht auseinandergesetzt - zumal er hoffte, den Entschluß des Malagathen, auf das Lebensserum zu verzichten, rückgängig machen zu können. »Ich weiß es nicht«, gab er offen zu. »Vielleicht werde ich aus dem Dienst ausscheiden - es ist möglich, daß ich die Umkehrung der Verhältnisse nicht ertrage.« »Oder könntest du dir eine Frau als deine Chefin vorstellen?« erkundigte sich der Malagath mit leisem Spott. Manos Gesic ht verzog sich zu einer eindeutigen Grimasse, die Thamur ein leises Lachen abnötigte - es klang wie ein ersticktes Husten. »Laß dich untersuchen!« empfahl Mano leicht erschreckt. »Du wirst ...« »Alt«, setzte Thamur den Satz fort. »Das ist das Schlimmste nicht. Alt werden kann jeder - alt sein für lange Zeit, das strengt an!« »Immerhin«, kommentierte Mano. »Man lernt dabei das Philosophieren!« * Das Versteck der Terraner befand sich auf einem der vier Monde, die Creon umkreisten; Eos, Ares, Thetis und Saphor hatte man die Himmelskörper genannt, von denen drei besiedelt waren. Auf Eos und Thetis wurde in drucksicheren Bergwerken Erz abgebaut, und auf Ares gab es sehr reichhaltige Vorkommen von radioaktiven Schwermetallen. Nur auf Saphor hatten sich keine Bodenschätze finden lassen,
die es gelohnt hätten, daß man dort mit enormen technischen und finanziellen Aufwand Stationen errichtete. Aus diesem Grund hatte die Gruppe um Joras diese Welt zu ihrem Stützpunkt gemacht. »Sie sind unvorsichtig!« warnte Volco, als Joras den Mond ansteuerte. »Man wird uns auf Creon oder einem der drei anderen Monde anpeilen - dann ist es mit dem Geheimnis aus!« »Man kann uns nur dann orten, wenn wir das zulassen!« erklärte er gelassen, während die SKOLOPENDER sich mit starker Schub verzögerung dem Mond näherte. Eliud hatte auf dem Sessel des Navigators Platz genommen und überwachte seine Instrumente; jetzt tippte er Joras auf die Schulter. »Die Station liegt genau unter uns!« sagte er. »Fein!« brummte Joras und schaltete die Schwerkraftaggregate eine Stufe niedriger; die ohnedies geringe Anziehung des Mondes ließ die Jacht sehr langsam auf den Boden zuschweben, bis eine rote Lampe Kontakt mit dem Boden signalisierte. »Wir sind angekommen!« verkündete Joras überflüssigerweise. »Kommen Sie!« Die Aufforderung galt Volco, der sich nur mühsam ein Grinsen verbiß; in den drei Tagen, die der Flug in Anspruch genommen hatte, waren die Menschen an Bord längst zum vertraulicheren »Du« übergegangen - der einzige, der gelegentlich in alte Gewohnheiten verfiel, war Joras. Wahrscheinlich habe ich in ihm einen starken Konkurrenten in dem Kampf um Vermandes Gunst, überlegte der junge Mann amüsiert. Während er dem Piloten in die Mannschleuse folgte, bemühte er sich, seine Gedanken nicht allzu deutlich zu zeigen. »Wir müssen Raumanzüge anlegen«, bestimmte Joras, als sie die Schleuse erreicht hatten. Volco stieß einen Laut des Erstaunens aus, als er den ersten Anzug irdischer Herkunft in der Hand hielt.
Es war nichts weiter als eine federleichte Kombination aus Hose und Jacke mit einer Kapuze; die Rückentornister, die die Batterien, den Treibstoff für die Fortbewegungspulsatoren und den Sauerstoff enthielten, waren so klein, daß er sofort mißtrauisch wurde. »Wie lange reicht die Atemluft?« wollte er wissen und zeigte auf den zigarrenkastengroßen Behälter mit dem eingravierten O für Sauerstoff. »Vierundzwanzig Stunden«, gab Joras an. »Wenn die Regenerationsanlage ausfällt, reicht der Sauerstoff immer noch für drei Stunden!« Er hatte inzwischen seinen Anzug übergestreift und griff nun nach einem der kleinen Metallstifte, die an verschiedenen Stellen von der Decke herabhingen und an Fäden hin und her pendelten. Mit dem grün eingefärbten Ende des Stiftes strich er scheinbar gedankenlos über die Säume seines Anzugs, die sich augenblicklich schlossen. »Probieren Sie es aus!« forderte er den mißtrauisch dreinblickenden Volco auf; der junge Mann faßte auf beiden Seiten des Saumes fest in den Stoff des Anzugs und riß ruckhaft die Hände auseinander - der Saum blieb geschlossen. »Mühen Sie sich nicht ab!« schlug Eliud erheitert vor. »Die diamagnetischen Säume öffnen sich erst bei einer Belastung von mindestens drei Tonnen! Oder mit einem dieser Stifte!« Volco gab auf; wortlos folgte er dem Beispiel der anderen und ging hinter Abram her. Mit einem kleinen Sender, kaum größer als eine Streichholzschachtel, befahl Joras, der das Schiff als letzter verließ, den Türen, sich zu schließen. Auch diese Fernsteuerung war auf Malagath nahezu unbekannt. Etwas länger als eine halbe Stunde marschierte die Gruppe über den Boden des Mondes Saphor. Vor einem besonders auffälligen Felsen mit einer dreifach gezackten Spitze blieb Joras stehen; wieder holte er den Sender hervor, und eine halbe Minute später klappte der gesamte Fels
langsam nach hinten. Darunter wurde eine Öffnung sichtbar; aus dem kreisförmigen Loch drang schwacher Lichtschein, der nur durch den aufgewirbelten Staub des Mondes sichtbar wurde - Saphor war atmosphärelos. Etwas unsicher sprang Volco in den Schwerkraftschacht hinein; als er den Kopf nach oben drehte, konnte er gerade noch sehen, wie sich der Fels wieder über die Öffnung legte und sie hermetisch abschloß. Eine perfekte Mausefalle, dachte der junge Mann. Sobald die Gruppe das Ende des Schachtes erreicht hatte, schloß sich knapp über ihren Köpfen ein stählernes Schott; wenig später strömte Luft in die enge Schleuse. »Willkommen daheim, Freunde!« sagte eine freundliche Mädchenstimme, während sich in der Wand der Schleuse ein Spalt bildete, der rasch größer wurde. Ein junges Mädchen erschien, mit he llbraunen Augen und schulterlangern, mattrotem Haar; strahlend sah sie Volco an. »Nanu, wie kommen denn Sie hierher?« fragte sie heiter. »Ihre Freunde meinten, ich müsse Sie unbedingt kennenlernen«, sagte er höflich. »Also bin ic h ihnen gefolgt. »Keine Flirts, mein Teuerster!« warnte Joras und sah Volco grimmig an. Volco verbeugte sich ironisch und reichte dem Mädchen den Arm. »Hätten Sie die Güte, mir meine Unterkunft zu zeigen?« bat er liebenswürdig. Das Mädchen hakte sich bei Volco ein, sah Joras kurz an und warf den Kopf leicht zurück; dann ging sie voran. Den Abschluß der kleinen Parade bildete Professor Schyder, der still lächelte und mit seinen Gedanken offenbar weit weg war. * »Einstimmig!« stellte der Professor fest.
Volco atmete erleichtert auf; er hatte nicht geahnt, daß im Innern des Mondes so viele Menschen lebten, die über seine Integration in die Gruppe mit zu entscheiden hatten. Annähernd einhundertfünfzig Männer und Frauen hatten sich im größten Raum der sublunaren Station eingefunden und über die Lage diskutiert. Im Hintergrund des Saales erhob sich ein Mann in einem weißen Kittel. Langsam sagte er: »Ich nehme an, daß über einen Punkt allgemeine Klarheit besteht - wir können Vermande nicht in den Händen dieser Gangster lassen. Die Frage ist nur - wie holen wir sie heraus?« »Ein Stoßtrupp«, rief eine Frau. »Zehn, zwanzig Mann - das müßte eigentlich reichen. Wenn wir unseren technologischen Vorsprung voll ausspielen, wird man nicht einmal etwas merken!« »Eine ziemlich unsichere Prognose«, warf Joras ein. »Farmer hält sich als Leibwache ein Dutzend abgehalfterter Waffenmeister, und diese Männer verstehen ihr Handwerk. Wenn auch nur das geringste fehlschlägt, wird man Nachforschungen anstellen, die letztlich hier enden werden. Und was geschehen wird, wenn man uns unvorbereitet findet, muß ich wohl nicht erklären!« »Zeit und Gelegenheit zur Flucht werden wir immer haben!« widersprach der Mann im weißen Kittel - er war Chirurg. »Mag sein!« räumte Joras ein. »Aber die gesamte Arbeit von vier Jahren ist dann hinfällig - wir müßten zur Erde zurückfliegen, ein neues Expeditionsschiff ausrüsten und noch einmal ganz von vorne beginnen!« »Wenn du eine Möglichkeit kennst, durch vierjährige Arbeit eine neue Vermande züsammenzubasteln, dann trifft dein Argument«, konterte der Chirurg. »Sonst nicht!« »Keine Mißverständnisse«, bat Joras. »Mein Einwand bezog sich nicht auf die Frage ob, sondern auf das Problem, wie wir
Vermande befreien. Daß wir sie zurückholen, steht außer Frage - scho n damit Volco wieder zu seiner Freundin kommt!« Er bedachte den Journalisten mit einem giftigen Blick, den Volco beantwortete, indem er das rothaarige Mädchen mit aller ihm zu Gebote stehenden Zärtlichkeit anlächelte. »Ich gebe zu«, machte die Frau sich wieder bemerkbar, »daß wir die Früchte unserer Anstrengungen aufs Spiel setzen - aber weiß jemand einen anderen Weg? Ich sehe nur eine gewaltsame Befreiung! Das soll natürlich nicht heißen, daß es zu einem Blutvergießen kommen soll.« Ein beifälliges Murmeln zeigte, daß die Frau die Stimmung der Versammelten richtig wiedergegeben hatte. »Also gut«, schloß Schyder die Diskussion ab. »Wer meldet sich freiwillig für ein solches Unternehmen?« Erstaunt bemerkte Volco, daß selbst die Arme ziemlich betagter Männer und Frauen schlagartig in die Höhe gingen. »Das sind mindestens einhundert Meldungen zuviel!« entschied Joras, »Ich möchte diejenigen um ein Handzeichen bitten, die bisher noch nicht die Station verlassen konnten!« Diesmal meldeten sich genau vierunddreißig Personen; Joras sortierte per Los zwanzig davon aus - darunter eine Frau, deren weißgraues Haar Volco schon aufgefallen war. »Beim Malagathen!« staunte der junge Mann; er stand hinter Eliud und flüsterte in dessen Ohr: »Was hat die Großmutter bei einem Stoßtrupp zu suchen - gebt ihr ein paar Bündel Wolle und laßt sie Pullover stricken oder häkeln!« Eliud grinste leicht. »Warum soll Haray nicht mitkommen?« fragte er zurück. »Sie hat die volle Beherrschung ihres Körpers, sie ist geschickt, kaltblütig und sehr kräftig.« »Aber ...«, stammelte Volco. »Sie ist eine ...« »Frau«, ergänzte das rothaarige Mädchen, das den geflüsterten Dialog mitgehört hatte. »Na und?« Volco gab sich geschlagen; allmählich keimte in ihm der
Gedanke, daß eine Eingliederung Delta Ursas in die Galaktische Union nicht nur wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen nach sich ziehen würde. * Das Wetter schien Volco mehr als ungünstig; der Himmel war fast wolkenfrei, und der Mond der Hauptwelt des Systems überschüttete die Landschaft mit einem weißblauen Licht. »Keine Sorge«, flüsterte Haray neben Volco. »Man kann uns nicht sehen - aber wir können die anderen sehr gut sehen!« Daß sie mit ihrer Meinung recht hatte, bewiesen die Silhouetten, die sich am Rande des Gartens abzeichneten, der zu Farmers Bungalow gehörte. Sechs Männer patrouillierten im Garten auf und ab. »Volco!« Joras hatte gerufen; Volco verließ seinen Standort und robbte vorsichtig rückwärts, bis er den Anführer des Stoßtrupps erreicht hatte. »Erstens«, erklärte Joras mit Nachdruck, »bleiben Sie bei Vermande, oder es gibt Ärger!« Volco war für eine Minute sprachlos; daß Joras ausgerechnet in einem solchen Augenblick seiner latenten Eifersucht nachgab, verblüffte ihn sehr. »Sie haben einen eigenartigen Humor, mein Freund«, brummte Volco zurück, nachdem er sich wieder gefaßt hatte. Für einen kurzen Augenblick sah Volco, wie Joras Zähne aufblitzten; der Mann lachte lautlos. »Zweitens«, fuhr Joras fort. »Der Bungalow wird nicht nur von Farmers Leuten bewacht - meine Leute haben mindestens dreißig andere Männer gezählt, die das Gebäude pausenlos im Auge behalten!« »Verdammt!« sagte Volco; damit hatte er nicht gerechnet. »Wahrscheinlich sind die Männer Mano Campan unterstellt«,
überlegte er laut. »Er unternimmt also auch etwas zur Rettung von Vermande!« »Das Mädchen hatte schon immer viele Verehrer«, murmelte Joras, der mit dieser Bemerkung Zeit gewinnen wollte. Als ihm etwas eingefallen war, stieß er Volco leicht an und flüsterte ihm seinen Vorschlag ins Ohr. Volco nickte kurz und zog sich vorsichtig zurück. Sobald er die nähere Umgebung des Bungalows verlassen hatte, gab er das Robben auf und rannte auf die nächste Video-Zelle zu; er schaltete das Gerät ein und begann nach einer Münze zu suchen. Wie zu erwarten war, trug er in seinem Kampfanzug keinen Geldbetrag mit sich; glücklicherweise kam gerade ein Pärchen die Straße entlang. »Können Sie mir ein paar Malath leihen?« wollte der junge Mann wissen; erst als das Mädchen entsetzt die Augen aufriß, erkannte er seinen Fehler. Volco trug einen blauschwarzen Kampfanzug, der nur die Augen freiließ; zudem war er über und über mit sehr gefährlich aussehenden Waffen behangen. Der Begleiter des Mädchens wurde bleich und zog seine Gefährtin an sich heran. »Was wollen Sie?« fragte das Mädchen stotternd. »Ein paar Malath, zum Telefonieren«, wiederholte Volco geduldig. Mit bebenden Händen holte der junge Mann seine Brieftasche hervor und reichte sie Volco, der das Lederetui öffnete und nur Scheine fand; eine Handbewegung genügte, und er hielt auch die Börse des Mädchens in der Hand. Während Volco eilig ein paar Münzen in den Schlitz warf, hörte er hinter sich, wie das Paar sich mit Höchstgeschwindigkeit entfernte. »Kaiserpalast«, meldete sich eine junge Frau, die Volcos merkwürdige Bekleidung nicht zu bemerken schien. »Verbinden Sie mich mit Mano Campan«, forderte Volco. »Es eilt sehr!«
Die junge Frau sah ihn sekundenlang prüfend an, dann schaltete sie um; eine halbe Minute später wurde Campan sichtbar. »Dehelly hier. Hören Sie - ziehen Sie sofort Ihre Männer um Farmers Haus zurück!« »Wo, zum Teufel, haben Sie gesteckt?« wollte Mano wissen, aber Volco schnitt ihm das Wort ab. »Ich habe jetzt keine Zeit für langatmige Erklärungen«, sprudelte er hervor. »Tun Sie, was ich Ihnen sage, und zwar sofort!« »Einve rstanden!« brummte Campan. »Aber eines sage ich Ihnen - wenn Sie es nicht schaffen, der neue Malagath zu werden, dann beziehen Sie Prügel - von mir persönlich!« »Auch gut!« erwiderte Volco unbeeindruckt und schaltete ab. Fünf Minuten später hatte er wieder seinen alten Platz neben Joras erreicht; im Mondlicht war deutlich zu erkennen, wie Joras ihn fragend ansah. Volco nickte nur kurz, und Joras schlug ihm anerkennend auf die Schulter. Wenige Minuten danach kam einer der Posten näher und flüsterte Joras zu, daß sich die Waffenmeister aus Manos Mannschaft zurückgezogen hätten. »Ausgezeichnet!« brummte Joras. »Es kann losgehen!« Völlig geräuschlos schlich sich die Gruppe an die sechs Wachen heran; als sie den Männern bis auf zwei Schritte nahe gekommen waren, gab Joras ein Zeichen. Sekunden später detonierten neben den Wachen sechs Narkobomben; ein Atemzug des rötlichen Gases genügte, um einen Menschen für Stunden bewußtlos zu halten. Fünf der Männer sackten langsam in sich zusammen, ohne einen Laut auszustoßen. Der sechste hatte im Augenblick der Detonation einen Schritt nach vorn gemacht und geriet nicht sofort in den Wirkungsbereich der Bomben. Er stieß einen lauten Warnruf aus, bevor er ebenfalls das Bevußtsein verlor und zu Boden ging; im Innern des
Bungalo ws flammten Lichter auf - man hatte den Schrei gehört. »Vorwärts!« rief Joras halblaut. Die Männer und Frauen drangen rasch bis zur Tür des Bungalows vor; andere postierten sich an den Fenstern. Glas zersprang, und wenig später befanden sich alle Teilnehmer des Trupps im Innern des Bungalows. Volco war zusammen mit Haray und Joras durch den Haupteingang in das Gebäude eingedrungen. Ein Flur wurde sichtbar, in dem zwei Männer mit entsicherten Lasern standen und sofort das Feuer eröffneten; instinktiv versuchte Volco, den Strahlen auszuweichen, was angesichts der Geschwindigkeit eines Lichtstrahls ein hoffnungsloses Unterfangen war. Haray kümmerte sich nicht um den Beschuß; sie stürmte vorwärts und rammte einem der Waffenmeister ihren Kopf in den Bauch. Der Mann knickte unter dem Aufprall etwas zusammen, holte dann aber mit beiden Händen aus, um der Frau in den Nacken zu schlagen. Volco schrie unwillkürlich auf, als er die Fäuste auf die Frau heruntersausen sah; Sekundenbruchteile später schrie der Waffenmeister. Beim Aufprall auf das Prallfeld - das in entsprechend vergrößerter Ausführung als Meteorabwehr diente - hatte er sich beide Handgelenke verstaucht, wenn nicht gar gebrochen. Ein wohlgezielter Handkantenschlag von Haray, der den Mann genau hinter dem rechten Ohr traf, setzte ihn vollends außer Gefecht. Langsam ging er zu Boden, wo bereits Joras Gegenspieler lag. »Weiter!« schrie Joras, der an diesem Kampf Gefallen zu finden schien. Als sie im großen Saal eintrafen, war der Kampf bereits beendet; alle Mitglieder des Stoßtrupps befanden sich im Raum, dazu einige Angestellte und Farmer selbst. Während sich die Angestellten, meist junge Mädchen, verschüchtert in die entfernteste Ecke des Raumes drängten,
versuchte Farmer, Haltung zu bewahren. Mit gespielter Selbstsicherheit ging er auf Joras zu und versuchte ihm die Kapuze vom Kopf zu ziehen, aber die Magnetsäume hielten. »Was hat dieser Überfall zu bedeuten? Wer schickt Sie? Sind Sie sich eigentlich darüber klar, daß dieser Abend ein Nachspiel haben wird, ein sehr unangenehmes Nachspiel für Sie, meine He ...« Er stockte einen Augenblick, als er sah, wie Volco seine Kapuze öffnete. »Sie stecken also dahinter!« schrie Farmer entrüstet. »Sind Sie vollkommen übergeschnappt, hier mit dieser Mordbande einzubrechen?« »Halten Sie den Mund!« befahl Joras energisch; mit einer Hand schob er Farmer auf einen Sessel zu. »Wo ist Vermande?« fragte Volco, sich gewaltsam beherrschend. Er warf Joras einen fragenden Blick zu; der Mann antwortete, indem er mit den Fingern die Zahl zwölf andeutete - das hieß, daß alle Bewacher ausgeschaltet waren. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden!« protestierte Farmer; der Verleger schwitzte vor Aufregung. »Ich verlange, daß Sie augenblicklich mein Haus verlassen!« »Wenn einer verlangt, dann wir!« erklärte Volco entschieden. »Hören Sie Farmer! Ich bin kein Freund von Gewalttätigkeit, aber wenn ich nicht innerhalb von einer Minute weiß, wo Sie meine Freundin versteckt halten dann ....« Energisch schüttelte der Verleger der Kopf. »Von mir werden Sie nichts erfahren Dehelly!« sagte er mit gespielter Entschlossenheit. »Und wenn Sie mich etwa foltern wollen - derlei läßt sich vor Gericht nachweisen!« »Das wußten wir!« mischte sich Joras in die Unterhaltung. »Machen Sie Ihren rechten Oberarm frei!« Farmer produzierte ein verzerrtes Lächeln, aber er folgte dem
Befehl. »Wollen Sie eine Wahrheitsdroge anwenden?« fragte er höhnisch. »Sie wissen, daß es so etwas noch nicht gibt! Auf diesen alten Psycho-Trick falle ich nicht herein!« »Wir werden es erleben!« bemerkte Joras; er winkte Haray zu sich. Die Frau reichte ihm eine Injektionspistole, die Joras am Oberarm des Verlegers ansetzte und betätigte; anschließend betupfte er die Injektionsstelle mit reinem Alkohol. »Wir haben Zeit, Farmer!« sagte er freundlich. »Macht es euch bequem, Freunde!« Ohne sich um die verängstigten Angestellten zu kümmern, machten es sich die Männer und Frauen in dem Raum bequem. Volco und Joras gingen zur Bar hinüber und überprüften die Bestände; das Sortiment umfaßte ziemlich alles, was im System Delta Ursa überhaupt an Spirituosen hergestellt wurde. »Beachtlich!« lobte Joras nach einem Schluck eines stark konzentrierten Weines. »Aber all das hält keinen Vergleich aus mit echtem Whisky!« Die Männer und Frauen mußten nur knapp acht Minuten warten, dann sackte Farmer in seinem Sitz zusammen; Joras ging zu ihm und sah kurz in seine Augen. »Er ist reif!« erklärte er dann befriedigt. »Nehmen Sie ihn sich vor, Volco!« »Wo ist Vermande?« Farmer antwortete leise und kaum verständlich: »Im Keller!« »Wo dort?« fragte Volco scharf. »Unmittelbar neben der Treppe ist eine Geheimtür«, berichtete der Verleger. »Auf der Wand ist ein Wappen - wird es zur Seite gedreht, dann öffnet sich die Tür!« »Das reicht!« meinte Volco befriedigt. Er brauchte nur wenig Zeit, um die Treppe zu finden, die in den Keller hinabführte; auch das Wappen war kaum zu
übersehen. Mit einer Handbewegung schob Volco das Metall nach rechts. Geräuschlos schwang die Tür zur Seite; ein massiver Steinblock, der sich fast fugenlos in die Wand fügte. Dahinter wurde ein kleiner Raum sichtbar, der nur ein ziemlich mitgenommen aussehendes Bett aus Stahlrohren enthielt. Auf der zerschlissenen Matratze lag Vermande und schlief. »Guten Morgen!« wünschte Volco laut. Das Mädchen bewegte sich, drehte sich langsam herum und öffnete zögernd die Augen; als sie Volco erkannte, lächelte sie schwach. »Bist du freiwillig hier?« fragte sie leise. »Freiwillig!« beruhigte Volco sie. »Mach schnell - wir können hier nicht übernachten!« Vermande stand rasch auf; sie warf einen kurzen Blick zurück, als sie zusammen mit Volco die Treppe hinaufstieg. Vermande machte ein erstauntes Gesicht, als sie die Versammlung im Saal sah und von ihren Freunden mit lautem Beifall begrüßt wurde. »Wie kommt ihr hierher?« wollte sie wissen. »Später!« wehrte Joras ab; er deutete auf Farmer, der inzwischen eingeschlafen war. »Wir haben noch einige recht aufschlußreiche Informationen aus ihm herausgeholt - für einen der nächsten Tage war ein kleiner Überfall auf dich geplant, Volco!« »Mit welchem Zweck?« erkundigte sich der junge Mann. »Srulik sollte dich so herrichten, daß du aus dem Wettkampf ausscheiden mußt«, berichtete Joras sachlich. »Für den Fall, daß du zur Polizei gehen würdest, hatte er vor, dich ein wenig zu erpressen - mit Vermande!« »Sauber!« sagte Volco mit einem grimmigen Kopfnicken. »Habt ihr seine Aussage mitgeschnitten?« Haray nickte kurz und hielt für einen Augenblick den kleinen Rekorder in die Höhe.
Joras brummte zufrieden; er sah sich kurz um und gab dann das Zeichen zum Rückzug. * Mano Campan genoß seinen Triumph in vollen Zügen. »Als meine Männer in den Bungalow vorstießen, fanden sie zwölf säuberlich verpackte Waffenmeister und einen laut schnarchenden Farmer. Unter dem Eindruck der Aussagen, die die Mädchen bei der Polizei machten, hat er sofort ein umfassendes Geständnis abgelegt! Er wird uns nicht wieder stören!« Thamur lächelte. »Du hast ein paar Kleinigkeiten vergessen«, sagte der Malagath sanft. »Du hast mir beispielsweise nicht verraten, wer Farmers Leibgarde außer Gefecht gesetzt hat. Und wer über ein Wahrheitsserum verfügt, das man auf Malagath noch nicht kennt!« »Auch das werden wir noch ermitteln«, versprach Campan zuversichtlich. »Hoffentlich!« wünschte Thamur. »Was wurde aus unseren vermißten Kandidaten?« »Volco Dehelly und Vermande Megowan sind heute morgen pünktlich zu den Wettkämpfen erschienen!« berichtete Mano mit sichtlichem Stolz. »Wo sich Vermande aufgehalten hat«, überlegte Thamur halblaut, »wissen wir nun. Wo aber hat Dehelly in den letzten Tagen gesteckt?« »Unbekannt!« gab Mano zu. »Aber«.« »Wir werden es noch ermitteln!« ergänzte der Malagath den Satz. »Was war eigentlich das Ziel von Farmers Anschlägen?« »Unter den Kandidaten befanden sich etliche Männer und Frauen, die er aus verschiedenen Gründen in der Hand hatte«, erzählte Campan. »Er konnte sich ausrechnen, daß er diesen
Wettkampf persönlich niemals gewinnen konnte - also versuchte er, eine Marionette auf den Thron zu bekommen. Die gefährlichsten Konkurrenten für seine Kandidaten wollte er auf bekannte Weise ausschalten - ich erinnere an den angeblichen Unfall und an verschiedene Versuche, Teilnehmer zu kaufen!« Mano nickte, als ein Page den Raum betrat und zu den beiden Männern trat. »Was gibt es?« fragte Thamur freundlich. »Ein Besucher«, berichtete der Page, »der um eine Audienz bittet!« »Wer?« fragte Mano schnell. »Professor Schyder. Und er sagt, was er vorzutragen habe, sei sehr bedeutungsvoll!« »Schyder!« murmelte Mano nachdenklich. »Professor für Systemgeschichte an der Kaiserlichen Universität«, erinnerte ihn der Page. »Soll ich ihn einlassen?« »Meinethalben!« stimmte Thamur zu. »Ich bin neugierig, was er will.« Mano wollte sich diskret entfernen, aber eine Handbewegung des Malagathen rief ihn zurück. »Willkommen!« begrüßte Thamur den eintretenden Wissenschaftler. »Welches weltbewegende Ereignis führt Sie her?« »Weltbewegend ist genau das richtige Wort«, erklärte Schyder, nachdem er sich auf Thamurs Handzeichen hin in einem bequemen Sessel niedergelassen hatte. »Wir haben ein Raumschiffswrack entdeckt!« »Es gibt im System Delta Ursa mehr als hunderttausend Raumschiffe und dementsprechend viele Wracks«, erinnerte Mano. »Und wer verbirgt sich hinter dem Wort, wir?« »Wir, das heißt meine Forschungsgruppe und ich«, gab der Professor bereitwillig Auskunft. »An dem Raumschiff ist nur eines bedeutungsvoll - sein Alter. Nach unseren Berechnungen liegt das Wrack seit etwas mehr als zweitausend Jahren auf
Saphor, dem vierten Mond Creons« Thamur zog zweifelnd die Brauen hoch, während Mano erregt von seinem Sitz aufsprang. »Aber das System selbst ist erst zweitausend Jahre alt!« rief er aufgeregt. »Soll das heißen ...?« »Genau das«, stimmte der Wissenschaftler ein. »Es ist eines der wahrscheinlich recht zahlreichen Schiffe, mit denen die Menschen in dieses Sonnensystem eingewandert sind!« »Eingewandert«, wiederholte Mano stockend. »Das wirft unsere gesamte Geschichtsvorstellung über den Haufen!« »Berichten Sie bitte Einzelheiten!« bat Thamur freundlich; offensichtlich schienen ihn die Neuigkeiten des Professors nicht sonderlich zu verblüffen. »Wir fanden das Wrack rein zufällig vor zwei Monaten«, erzählte Schyder, nachdem er seine Pfeife sorgsam gestopft und in Brand gesetzt hatte. »Ein technisch interessierter Mitarbeiter meines Stabes bemerkte, daß das Antriebssystem des Schiffes sich erheblich von den jetzt üblichen unterscheidet - so sind zum Beispiel die Pulsatoren von einer geradezu abnormen Größe und Massigkeit. Wir haben uns daraufhin das Wrack sehr genau angesehen!« »Und?« fragte Mano atemlos. »Metallurgische Untersuchungen ergaben ein Alter von mindestens zweitausend Jahren«, berichtete der Professor weiter. »Das bedeutet, daß dieses Schiff aus der Gründungszeit des Kaiserreiches stammt - seine Piloten müssen den Großen Malagathen noch persönlich erlebt haben!« »Woher wollen Sie das wissen?« erkundigte sich Thamur liebenswürdig. »An der Tür der Kapitänskajüte befand sich ein Namensschild«, erklärte Schyder gelassen. »Der Kapitän hieß Roger Malagath!« »Ein Verwandter von Bargheer Malagath?« Mano ze igte offen, daß er diese Nachricht nicht glaubte;
Schyder lächelte nachsichtig. »Ich kann mir vorstellen, was diese Information für Sie bedeutet«, meinte er mitfühlend. »Aber Sie können unsere Arbeit überprüfen lassen - die Ergebnisse unserer Forschung sind korrekt!« »Daran zweifle ich nicht«, mischte sich Thamur ein. »Was konnten Sie sonst noch feststellen?« »Das Schiff wurde nicht im System Delta Ursa gebaut!« sagte Schyder schlicht, ohne sich um Manos protestierenden Ausruf zu kümmern. »Die Isotopenzusammensetzung in den Metallen weicht erheblich von den Werten ab, die wir üblicherweise ermitteln können. Aus Tagebuchfragmenten, einem halbzerstörten Kursschreiber und ähnlichen Indizien konnten wir folgendes ablesen: Dieses Schiff hat einmal mehrere tausend Menschen von einer anderen Welt - besser gesagt, von einem anderen Sonnensystem - in das System Delta Ursa transportiert!« »Anders ausgedrückt«, überlegte Thamur laut, »die berühmte Barriere, die zu durchstoßen vom Ersten Prinzip des Großen Malagathen verboten wird, ist keineswegs undurchdringlich, wie wir es bisher glaubten!« »Aber warum hat Bargheer Malagath, der doch davon wußte«, sinnierte Mano, »dieses Erste Prinzip erlassen?« »Nach unseren Forschungen«, erläuterte Schyder, »hat es kurz vor der Einwanderung in dieses System einen gewaltigen Krieg gegeben, in dem die Menschen zu verlieren drohten. Um wenigstens ein paar von Menschen bewohnte Planeten vor dem Gegner zu retten - und das für möglichst lange Zeiten -, hielt er die Position der Sonne Delta Ursa geheim. Außerdem trug er dafür Sorge, daß kein Einwohner des Kugelnebels leichtfertig die Position verraten konnte. Und seine Maßnahmen haben immerhin zweitausend Jahre lang gewirkt - denken Sie nur daran, daß Raumschiffe nur in der vollrobotisierten Staatswerft gebaut werden können. Keines dieser Schiffe ist fähig, den
Nebel zu durchdringen, weil es von unbestechlichen Automaten daran gehindert wird!« »Eine überzeugende Erklärung!« gab Mano zu. Thamur stand langsam auf und schritt im Zimmer auf und ab. »Sehr viel Neues konnten Sie mir nicht berichten, Professor«, sagte er gedämpft. »Den größten Teil dieser Informationen kenne ich schon seit fast einem Jahrhundert - mein alter Freund Kevinhag Gaunt hat ähnliche Erkenntnisse gesammelt, als er damals die Kaiserliche Privatbibliothek des Großen Malagathen durchstöberte!« »Warum weiß ich nichts davon?« erkundigte sich Mano empört. Thamur bat ihn mit einem schwachen Lächeln um Verzeihung. »Es hätte weder dir noch mir, noch der Bevölkerung etwas geholfen«, erwiderte er, »Wir wußten nicht, ob sich Bargheer Malagaths Befürchtungen erfüllt hatten oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit lag bei fünfzig zu fünfzig. Nur: Wenn die ungünstigere Möglichkeit eintraf, dann war bei einer Expedition außerhalb des Nebels zu befürchten, daß jener Feind der Menschen auch Delta Ursa fand und vernichtete. Dieses Risiko erschien uns zu groß. Ich hoffe, du hast dafür Verständnis!« »Was bleibt mir übrig?« meinte Mano spöttisch, dann lächelte er zurück. Thamur wandte sich wieder dem Historiker zu. »Was gedenken Sie zu unternehmen?« erkundigte er sich. »Ich beabsichtige, die Ergebnisse dieser Untersuchungen zu veröffentlichen«, schlug der Professor vor. »Allerdings wollte ich hierzu erst Ihre Erlaubnis einholen - schließlich ist dies nicht nur ein Thema für Wissenschaftler. Die Publikation wird auch politische Konsequenzen haben!« »Ist Ihre Forschung schon bekanntgeworden?« fragte Thamur weiter.
»Abgesehen von einigen kurzen Notizen in Fachzeitschriften - nein«, erklärte Schyder. »Ausgezeichnet!« murmelte Thamur; er dachte einige Zeit konzentriert nach, dann schlug er vor: »Was halten Sie von dieser Vorgehensweise - Sie geben Ihren Lehrstuhl für einige Zeit auf und bringen in diesen Monaten Ihre Forschungsergebnisse zu Papier. Einmal für die Kollegen vom Fach, also hübsch und unverständlich, und einmal für die breite Masse. Findet das Ihre Billigung?« Schyder zog die Stirn in Falten. »Wozu die Wartezeit?« wollte er wissen. »In wenigen Wochen wird der Regierungswechsel stattfinden«, gab Thamur zu bedenken. »Ich möchte dem neuen Malagathen ein paar Monate Schonfrist zugestehen, bevor er mit der Aufgabe konfrontiert wird, dem Volk zu erklären, woher es kommt!« »Einverstanden!« sagte Schyder. »Falls sich inzwischen irgendwelche Neuigkeiten ergeben, werde ich Sie vorher informieren!« Der Professor stand auf, schüttelte Thamur und Mano die Hand und ging dann zur Tür, die der Page rechtzeitig geöffnet hatte. »Professor!« rief Thamur, als der Wissenschaftler gerade über die Schwelle schreiten wollte. »Wie sieht es auf der Erde aus?« * Schyder zuckte zusammen, als habe er einen Hieb auf den Kopf bekommen; er drehte sich um und blickte Thamur mit weit aufgerissenen Augen und dem Ausdruck fassungslosen Entsetzens an. »Wo ... woher ...?« Thamur deutete mit der rechten Hand auf einen freien Sessel und lächelte mitleidig.
»Setzen Sie sich erst einmal, Professor«, bat er. »Ich kann Ihre Verblüffung durchaus verstehen. Sie wollen natürlich wissen, wie ich darauf kam, Sie seien kein Bewohner des Systems Delta Ursa, nicht wahr?« »Ich wäre Ihnen dankbar, könnten Sie mir das erklären«, stammelte Schyder. »Sehen Sie«, erläuterte Thamur. »Ich selbst bin eine Art von Kollege - mein Hobby ist die Systemgeschichte. Ich hatte mehr als ein Jahrhundert Zeit, nach Spuren der Einwanderung zu suchen - Ihr Wrack hätte ich mit Sicherheit gefunden, hätte es schon vor einigen Jahren existiert! Dieses Wrack stammt selbstverständlich aus Ihrer eigenen Produktion!« Schyder nickte stumm. »Und außer mir«, fuhr Thamur unnachsichtig fort, »hat niemand Zugang zu der Privatbücherei des Großen Malagathen - die Informationen, die Sie vor wenigen Minuten an mich weitergeben wollten, waren nur mir allein bekannt. Niemand, außer dem amtierenden Malagathen, weiß, daß die Einwohner des Systems von der Erde stammen. Außer natürlich den Erdbewohnern selbst!« Schyder schüttelte pausenlos den Kopf, als könne er nicht begreifen, was ihm da gesagt wurde. Thamur fuhr fort: »Es war also nur logisch, Sie als Erdmensch zu verdächtigen - und Ihre Reaktion war Beweis genug! Würden Sie mir jetzt erklären, was Sie hier wirklich zu suchen haben?« Schyder schluckte, dann straffte sich seine Gestalt wieder; er begann stockend, wurde aber von Wort zu Wort sicherer. »Wir kommen im Auftrag der Galaktischen Union, deren Mitglied die Erde ist. Unser Ziel ist es, die Eingliederung Delta Ursas in diesen Bund vorzubereiten. Das heißt, wir sollten die erforderlichen Informationen ausstreuen, die die Abkunft der Menschen von Delta Ursa von den Erdbewohnern beweisen.
Anschließend sollen wir Sie auffordern, unserer Allianz beizutreten!« »Aha«, brummte Mano, der dem Dialog der beiden Männer mit größter Aufmerksamkeit gefolgt war. »Und was geschieht, wenn wir uns weigern?« »Nichts!« erklärte Schyder. Mano stieß ein spöttisches, kurzes Lachen aus. »Das sollen wir glauben?« fragte er. »Keine Erpressungsversuche, keine Schlachtflotten, keine Invasion?« »Wozu, bitte?« fragte Schyder zurück. »Diese Raumkriege tragen nicht einmal ein Millionstel ihrer Unkosten ein - halten Sie uns für Bankrotteure? Es wird ohnehin reichlich schwierig werden, eine Raumverbindung zwischen Delta Ursa und der Galaxis herzustellen und aufrechtzuerhalten - der Kugelnebel liegt ziemlich abseits aller üblichen Routen!« »Sehr erfreulich!« kommentierte Mano. »Wer außer Ihnen weiß von diesen Plänen?« Schyder zählte eine Reihe von Namen auf, die Mano ein erstauntes Pfeifen abnötigten. »Sieh an, unser gemeinsamer Freund Dehelly!« murmelte er, als Schyder seine Aufzählung beendet hatte« Thamur wollte sich in das Gespräch einschalten, wurde aber daran gehindert; atemlos vom schnellen Laufen stürzte ein Waffenmeister ins Zimmer. »Sir!« stieß er hervor. »Die Peilstation auf Creon hat ein paar Schiffe angepeilt, die angeblich nicht aus dem System stammen. Die Männer in der Station schwören, sie hätten gesehen, wie die Schiffe aus der Barriere gekommen seien!« »Es ist gut«, antwortete Thamur rasch. »Geben Sie der Station auf Creon durch, sie soll weiter beobachten, aber nichts unternehmen. Wie viele Schiffe sind es, die angeblich durch die Barriere gebrochen sind?« »Mehr als hundert!« meldete der Waffenmeister. »Alle
wesentlich größer als irgendeines unserer Schiffe!« »Mano!« rief Thamur scharf. Campan, der gerade den Professor anspringen wollte, trat zurück. »Wir sind keine Bankrotteure, wie?« fauchte der Mann wütend. »Und was, bitte, sind das für Schiffe - WeltraumKinos?« »Kontaktschiffe!« antwortete Schyder, sichtlich verlegen. »Aber Sie sollten erst hier eintreffen, wenn wir sie benachrichtigt haben. Und das sollte erst nach dem Beitrittsangebot erfolgen!« Thamur sah den Professor zweifelnd an. »Ich müßte mich in meiner Menschenkenntnis sehr täuschen«, sagte er kaum hörbar, »wenn Sie ein Spion sind. Ich vertraue Ihnen!« Schärfer fuhr er fort: »Aber ich fürchte, daß die Besatzungen dieser Schiffe nicht ganz so vertrauenswürdig sein werden!« Wieder erschien der Waffenmeister. »Die fremden Schiffe nähern sich mit rasender Geschwindigkeit Malagath«, meldete er. »Sie werden wahrscheinlich in zehn Minuten über der Hauptstadt sein - und Creon berichtet, daß pausenlos weitere Schiffe in das System eindringen. Bis jetzt haben sie über vierhundert Einheiten gezählt!« »Ich ... ich ...!« Schyder war völlig verwirrt. »Ich verstehe das nicht!« »Trösten Sie sich!« spottete Mano bitter. »Wir verstehen diesen Überfall für Sie mit!« »Nicht übereilen!« warnte Thamur. »Fahren wir zur Palastspitze hoch!« Drei Minuten später standen die drei Männer auf dem höchsten Punkt des Kaiserlichen Palastes. In unregelmäßigen Abständen erschienen Waffenmeister auf der kleinen Plattform und lieferten Lageberichte.
»Dort sind sie!« Mano deutete nach oben. »Ich sehe!« murmelte Thamur. Schon auf den ersten Blick war zu erkennen, daß diese Schiffe nicht im System gebaut worden waren; Zylinder mit spitzen Nasen und breiten Heckflossen, mehr als hundert Meter lang - solche Konstruktionen waren bisher unbekannt gewesen. »GUI« entzifferte Mano die Buchstaben auf den Flossen, die im Sonnenlicht gefährlich blitzten. »Galaktische Union«, bemerkte Schyder. »Diese Schiffe stammen von Terra!« Das Geschwader ging in einen Orbit über; in vierzig Kilometern Höhe umkreisten die Schiffe die Zentralwelt des Systems Delta Ursa. Eines der Schiffe ging langsam tiefer; am Endpunkt der Bewegung, kalkulierte Mano, befand sich der große Raumhafen von Malagath. »Panik in der Hauptstadt!« berichtete ein Waffenmeister. »Im Zentralgefängnis gab es einen Aufstand der Häftlinge. Er wurde nach zehn Minuten niedergeschlagen, aber Farmer und Srulik konnten entkommen!« »Auch das noch!« fauchte Mano. Tha mur stand scheinbar ungerührt an der Brüstung und verfolgte das Landemanöver. »Saubere Arbeit!« lobte er, als das fremde Schiff aufsetzte. »Der Kapitän versteht sein Handwerk!« Er drehte sich um. Vor ihm stand ein Page mit einer Notiz. »Das Schiff schleust Fahrzeuge aus«, las Thamur laut vor. »Die Kolonne bewegt sich auf den Palast zu!« Thamur knüllte den Kunststoff zusammen und warf ihn über die Brüstung. »Wir wollen die neuen Herren von Delta Ursa begrüßen!« bestimmte er mit brüchiger Stimme. »Meinen persönlichen Stil sollen sie mir nicht nehmen!«
Während die Männer im Schwerkraftschacht hinabschwebten, sagte der Malagath leise in Manos Ohr: »Setze dich ab, Mano. Du bist noch relativ jung!« Campan knurrte verächtlich. »Niemals!« Thamur schüttelte den Kopf und seufzte leise. Der große Audienzsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt; neben zahlreichen Hofbeamten hatte sich die gesamte Leibgarde eingefunden - die muskulösen Gestalten der Männer und Frauen, die über und über mit Waffen behangen waren, bildeten einen eigentümlichen Kontrast zu den farbenfrohen Gestalten der Zofen und Pagen. Sobald Thamur auf dem Sessel Platz genommen hatte, auf dem schon Bargheer Malagath gesessen hatte, bildete sich um den alten Mann ein vierfacher Ring von schwarzgekleideten Gardisten. Mano stellte sich hinter dem Thronsessel auf; seine rechte Hand fuhr in kurzen Abständen zu seiner Waffe, obwohl er sehr genau wußte, daß er mit einem zerbrechlichen Zeremonienschwert keinen Angreifer würde in Schwierigkeiten bringen können. Schyder, der von allen Seiten mit wütenden Blicken bedacht wurde - offenbar hatte der Page geplaudert -, suchte ebenfalls in Thamurs Nähe Schutz. Auf der anderen Seite der vierflügligen Eingangstür wurden Schritte hörbar. Eine Lichtsperre ließ die Tür aufschwingen, sobald der vorderste Mann nahe genug vor dem Portal stand. Ein uniformierter Mann erschien, hochgewachsen und schlank, mit einem Trupp von zehn weiteren, ebenfalls uniformierten Männern. Er sah sich kurz um und ging dann auf Thamur zu. Widerwillig machten die Mensehen im Audienzsaal Platz. Der Uniformierte, dessen Kleidung keinerlei Rangabzeichen aufwies, ging unbeeindruckt durch die Menge; zehn Meter von
Thamur entfernt blieb er stehen und salutierte. »Eliot Howard!« stellte er sich höflich vor. »Oberbefehlshaber der achten Schlachtflotte des Galaktischen Bundes! Ich nehme an, ich spreche mit Thamur von Reyin, amtierender Malagath des Systems Delta Ursa?« »Sie irren nicht!« bestätigte Thamur abwartend. »Bitte verzeihen Sie unser Eindringen!« bat Howard. »Uns blieb leider keine andere Wahl!« Im Hintergrund machte sich Professor Schyder mit einem Räuspern bemerkbar. »Ach Professor!« rief der Uniformierte erfreut. »Schön; Sie hier zu treffen - das vereinfacht meine Aufgabe!« »Was haben Sie hier zu suche n!« schrie der Wissenschaftler. »Von einem Überfall war nie die Rede - ich werde mich beim Galaktischen Rat über Sie beschweren, Sie ... Sie ...!« Eliot Howard hob abwehrend die Hände. »Sie verkennen die Situation, Professor!« sagte er beschwörend. »Wir sind keineswegs mit der Absicht gekommen, Delta Ursa zu überfallen!« Zu Thamur gewandt, fuhr er fort: »Ich möchte Sie um Ihre Hilfe bitten - wir brauchen jeden verfügbaren Arzt, Hospitalbetten, medizinisches Material - kurz alles, was zur Versorgung von einigen tausend Schwerverletzten nötig ist!« Mano rang nach Luft. »Glauben Sie nicht; daß wir Ihnen Vorschub leisten. Bei tausend Verwundeten wird es nicht bleiben - ganz Delta Ursa wird aufstehen und sie hinauswerfen, koste es, was es wolle!« Der Offizier starrte Mano verwundert an. »Wie bitte?« fragte er verblüfft; dann erhellte sich sein Gesicht. »Ich verstehe! Sie sind natürlich über die jüngsten Entwicklungen ebensowenig informiert wie der Professor. Ich muß Ihnen erklären ...« Thamur, der während der gesamten Zeit den Mann unausgesetzt beobachtet hatte, winkte ab.
»Sorgen Sie dafür, daß der Wunsch des Herrn erfüllt wird!« befahl er einem der Waffenmeister. »So schnell wie möglich!« Der Waffenmeister bedachte Howard mit einem vernichtenden Blick, dann zuckte er die Schultern und zog sich mit knallenden Schritten zurück. »Danke!« sagte Howard; auf einen Wink Thamurs hin wurde ihm ein Stuhl angeboten, auf dem er Platz nahm. »Was Sie nicht wissen konnten«, berichtete der Mann, »ist die Tatsache, daß sich ein kleinerer Flottenverband seit einigen Monaten in der Nähe des Kugelnebels herumtreibt. Die Zeit, in der der Professor Sie vorbereiten sollte, nutzte dieser Verband, die Umgebung Delta Ursas zu erforschen - wir sollten Ihnen das Verlassen des Nebels ein wenig schmackhafter machen. Dann allerdings machten wir eine erstaunliche Entdeckung!« Howard grinste. »Der gute Malagath würde im Grabe rotieren, wüßte er, daß sich die Invasoren, vor denen er sich so fürchtete, in knapp zweihundert Lichtjahren Entfernung von Delta Ursa einen ähnlichen Schlupfwinkel zugelegt hatten. Als eines unserer Forschungsschiffe dieses System anflog, wurde es sofort angegriffen. Offenbar hatten die Freeks - wie die Invasoren auf der Erde genannt wurden - noch nicht vergessen, daß sie vor zweitausend Jahren einen gewaltigen Krieg verloren hatten. Daraufhin wurde meine Flotte eingesetzt - die Freeks werden in Zukunft keine Schwierigkeiten mehr machen!« Entgeistert fragte Mano: »Soll das heißen, daß Sie das ganze System ...?« Die Ungeheuerlichkeit allein des Gedankens verschlug ihm die Sprache. »Aber!« tadelte der Terraner. »Ich bitte Sie. Wir kennen ein paar wunderschöne Tricks, bewaffnete Raumschiffe in Schrott zu verwandeln, ohne dabei die Insassen zu beschädigen. Die Freeks hatten keine Verluste - nicht einmal Verletzte gab es auf
ihrer Seite. Leider ist unsere Defensivbewaffnung nicht ganz so fortgeschritten; etwa viertausend Männer der Flotte wurden verletzt. Für sie bat ich um Ihre Hilfe - ein paar Fälle waren so kritisch, daß ich die la nge Heimreise nicht wagen wollte. Aus diesem Grund blieb mir nichts anderes übrig, als vorzeitig den Kontakt mit Ihnen aufzunehmen!« Aus dem Audienzsaal kam ein lauter Seufzer der Erleichterung; auch Manos Hand hörte auf, nach der Waffe zu tasten. »Sie sind mit all Ihrer Besatzung herzlich willkommen.« »Übrigens«, mischte sich Mano ein. »Sind Sie sicher, daß die - wie nannten Sie sie doch ...« »Freeks!« half Schyder aus. »Die Freeks also - sind wir vor ihnen sicher? Vielleicht fallen sie in ein paar Jahrzehnten über Delta Ursa her!« Howard schüttelte energisch den Kopf. »Wir haben sie derart gründlich mit dem demokratischen Bazillus infiziert«, meinte er zuversichtlich, »daß sie für ein paar Jahrhunderte beschäftigt sind, ihre verkrusteten Hierarchien abzuschaffen. Und außerdem - ein Volk, das sich in freier, gleicher und vor allem geheimer Wahl für einen Krieg entscheidet, solch ein Volk gibt es gar nicht!« Er erkannte Manos Zweifel und setzte hinzu: »Im äußersten Notfall gibt es immer noch die Flotte - wir leiden ohnedies schon unter Kurzarbeit!« »Aus der Sicht eines Pazifisten ein erfreulicher Tatbestand!« bemerkte Thamur lächelnd. »Sind Sie nur Soldat?« »Das wäre grauenvoll«, wehrte Howard ab. »Hauptberuflich bin ich Musiker. Aus der Mannschaft des Flaggschiffs haben wir ein ganz passables Orchester zusammengestellt - wenn es Ihnen Spaß macht, geben wir irgendwann einmal ein Konzert!« »Falls Sie noch einen Mann brauchen, der in ein Flügelhorn blasen kann«, bemerkte Thamur mit einem anzüglichen
Seitenblick auf Mano Campan, »dann wenden Sie sich an mich!« »Ich werde mich dieses Angebotes erinnern!« versprach Howard grinsend; er hatte den Seitenblick wohl bemerkt. »Aber jetzt werden Sie mich entschuldigen müssen - es gibt noch einiges zu tun, bis alle Verletzten versorgt sind. Terra hat in den letzten zwanzig Jahren nicht einen einzigen Soldaten durch Kampf verloren - ich würde diese Tradition gern beibehalten!« Er stand auf und salutierte. * Die großen, einmaligen Spiele waren abgeschlossen. Jeder der Teilnehmer hatte alles eingesetzt, was er einzusetzen hatte; es war eine Auktion kosmischen Ausmaßes nur, daß anstatt mit Geld mit Eigenschaften geboten wurde. Unklar war nur noch, wer letztlich den Zuschlag erhalten würde. Seit der Ankunft der Terraner waren zwei Monate vergangen; die Bürger des Systems hatten sich sehr schnell mit der Anwesenheit der Erdbewohner abgefunden. Allmählich hatte sich die Aufregung gelegt, und teilweise wurden die Terraner mit aufrichtiger Begeisterung aufgenommen. Eine förmliche Armee hatte sich um die verletzten Raumsoldaten gekümmert, und die Ergebnisse waren entsprechend. Als durchsickerte, wieso die Soldaten verletzt worden waren, kannte die allgemeine Begeisterung keine Grenzen mehr. Eine transplantationsreife Niere wurde gebraucht - innerhalb von zwei Stunden hatten sich mehr als achtzig Spender gefunden. Auch die verblüffenden Erkenntnisse von Professor Schyder, der seine Rolle getreu weiterspielte, hatten sich allmählich herumgesprochen; die Diskussionen waren lebhaft, aber
sachlich - die Bewohner des Systems im Kugelnebel nahmen die Angelegenheit von der leichten Seite. Zudem waren andere Dinge für sie interessanter; die Wetten beispielsweise wer aus der letzten Kandidatentruppe letztlich der Beste sein würde. Die Steuereinna hmen aus Buchmachergeschäften erreichten Rekordhöhen. Um so gespannter war die Bevölkerung der Hauptstadt an jenem Tage, an dem der Sieger offiziell bekanntgegeben werden sollte. Eine unüberschaubare Menschenmenge hatte sich rings um den Palast des Malagathen gedrängt; das einzige, was für die Beobachter erkennbar war, waren die Masten mit den daran hängenden Lautsprechern. Aus dieser Quelle sollte die Menge den Namen des Siegers erfahren. Vor dem Hauptportal des Palastes war eine gigantische Leinwand aufgerichtet worden; auf das einhundert Meter im Quadrat messende Viereck wurde die laufende Sendung des staatlichen Video-Kanals projiziert. In mehrtägiger Arbeit war es Howard gelungen, sein Flaggschiff-Orchester auf diesen feierlichen Tag vorzubereiten; einhundert Männer und Frauen aus der Besatzung saßen mit ihren Instrumenten im großen Audienzsaal, der mit hochempfindlichen Mikrophonen gespickt war. Mano Campan, der für die Regie verantwortlich zeichnete, sah auf seine Uhr. Die Zeiger wiesen präzise auf Mittag; Mano hob die Hand. Howard nickte und gab den Einsatz; das Orchester spielte Musik, wie sie auf den Fünfzig Welten noch nie gehört worden war. Ergriffen lauschten die Menschen den ungewohnten Klängen. In einiger Entfernung vom Portal des Palastes war eine große Tribüne aus Stahlrohren und Kunststoffflächen errichtet worden; außer Thamur und hohen Hofschranzen befanden sich noch einige Waffenmeister auf der Fläche. Außerdem hatten sich alle Kandidaten eingefunden, die die geforderte
Mindestpunktzahl überschritten hatten - insgesamt mehr als dreihundert Personen. Als die Musik geendet hatte, erhob sich Thamur langsam. »Ich will es kurz machen!« sagte er. Die Mikrophone nahmen seine Worte auf; Verstärker trugen sie über den Platz. Auf allen Planeten des Systems Delta Ursa waren seine Worte zu hören - mit der zeitlichen Verzögerung, die sich aus den interplanetarischen Entfernungen ergaben. »Bei verschiedenen Anlässen«, erklärte der Malagath, »habe ich versucht zu erklären, warum ich mein Amt aufgeben will. Ich will dies heute einmal mehr tun, wenn auch nur sehr knapp. Alter ist eine Sache, die einen Menschen dazu bringt, umzudenken; die Werte verschieben sich, nach denen man seine Vorstellungen vom Glück in die Tat umzusetzen versucht. Es besteht aber die Gefahr, zumindest habe ich sie bei mir selbst gespürt, daß man den Zusammenhalt mit der Gegenwart verliert. Ich bin heute nicht mehr imstande, gewisse Urteile und Ansichten zu akzeptieren, wie sie wesentlich jüngere Menschen haben. Aber ich weiß, daß ich selbst als jüngerer Mann von der Richtigkeit meiner Anschauungen überzeugt war - als Malagath habe ich diese Anschauungen vertreten und in die Wirklichkeit übertragen. Meist habe ich dabei recht behalten. Und weil ich den Jüngeren auch das Recht geben will, ihre Pläne zu verwirklichen, werde ich den Platz räumen, den ich bislang einnahm! Da ich selbst, als unmittelbar Betroffener, keine Trauer oder gar Niedergeschlagenheit spüre, glaube ich, daß auch meine Zuhörer keinen Grund zu solchen Gefühlen haben. Meinen Entschluß faßte ich vor mehr als zwei Jahren; seither ist vieles geschehen. Sie alle haben erfahren, warum Menschen in dieses Sonnensystem auswanderten; der Grund dafür ist hinfällig geworden. Nichts mehr hindert uns daran, der Galaktischen Union beizutreten.
Dieser Beitritt wird mein letzter Regierungsakt sein!« Aus dem Publikum klang lauter Beifall; Howard im Audienzsaal machte ein zufriedenes Gesicht, und Schyder lächelte mit sich selbst und der Welt vollkommen zufrieden. Thamur sprach weiter: »Natürlich wollen Sie alle jetzt wissen, wer mein Nachfolger sein wird. Vielleicht wird es für einige eine Enttäuschung sein aber es wird keinen Nachfolger geben. Der Kandidat mit der absolut höchsten Wertung ist nämlich eine Frau. Vermande Megowan!« Volco traute seinen Ohren nicht; er sah Vermande an, die in raschem Wechsel rot und bleich wurde. Mano faßte ihr Handgelenk und zerrte sie vorwärts, bis sie unmittelbar neben Thamur stand; der ausscheidende Malagath sah das Mädchen an, als bedaure er ihr Schicksal. »Dieses junge Mädchen, das Sie jetzt alle sehen können, hat in allen Tests und Wettbewerben hervorragende Ergebnisse gehabt. Was die Kampfrichter und auch mich besonders beeindruckt hat, ist ihr unglaublich gut ausgeprägtes Gefühl für Recht und Unrecht!« Die Menge gab einen ohrenbetäubenden Beifall von sich. Vermande stand völlig verschüchtert neben Thamur und glaubte offenbar nicht, was sie vor wenigen Sekunden gehört hatte. »Aber ...«, stammelte das junge Mädchen, von diesen Informationen mehr erschreckt als begeistert. Ein Zeremonienmeister näherte sich den beiden unauffällig; auf einem Samtkissen transportierte er die diamantenbesetzte Krone, die die Malagathen bei besonderen Anlässen zu tragen pflegten. Eine Frau als oberste Spitze des Staatswesens war etwas völlig Neues für Delta Ursa; doch das Publikum war zu begeistert, als daß sie auf diesen Traditionsbruch achtete.
Begeisterte Pfiffe erklangen, als die Videokameras Vermande in Großaufnahme zeigten. Mit betont langsamen Bewegungen nahm Thamur die Krone vom Kissen und hielt sie in die Höhe. Dieses Schmuckstück war der letzte der vielen Tricks, mit denen Bargheer Malagath den Flüchtlingen für alle Zeit eine gerechte Regierung sichern wollte; im Innern des scheinbar dünnwandigen Reifes befand sich ein Psycho-Spürer. Sollte jemals ein Unbefugter versuchen, sich diese Krone aufzusetzen, so war dies seine letzte Handlung. Ein Malagath, der nicht wirklich das Beste für die Bevölkerung des Systems wollte, wäre von der Krone getötet worden. Thamur hob den schimmernden Reif in die Höhe, dann senkte er ihn langsam auf Vermandes Kopf; das Mädchen stand still, unfähig sich zu rühren. Trotz des einmaligen Vorgangs, daß ein Malagath nicht nach den alten Erbfolgegesetzen bestimmt wurde, geschah nichts wenigstens für eine halbe Minute. Begleitet von einem entsetzten Aufschrei des Publikums, begann die Krone plötzlich zu glühen; ein feuriger Ring bildete sich um Vermandes Kopf. Der Kreis wuchs, dehnte sich aus und stieg dabei unaufhaltsam in die Höhe. Als die Bewegung aufhörte, stand ein fünfzig Meter durchmessender Ring über den Köpfen der Menschen; im Innern des Ringes zuckte es, dann begann sich ein Bild zu formen »Der Große Malagath!« schrie die Menge Ein Mann, alt und mit weißem Haar, erschien in dem Kreis und begann zu sprechen: »Ich bin Bargheer Malagath, der Entdecker und Gründer des Systems Delta Ursa. Ich weiss nicht, wieviel Zeit verstrichen ist, seit ich diese Krone trug. Ich weiß nur eines - daß ich mit aller mir zu Gebote stehenden Macht versucht habe, jede Erinnerung daran zu tilgen, daß die Menschen dieses Planetenreiches von der
Erde stammen. Aber dies, hoffe ich, ist mir gelungen. Gleichzeitig aber hat der verborgene Automat dieser Krone gerade ein Signal aufgefangen, auf das ich inbrünstig hoffte«. Der neue Träger dieser Krone stammt unzweifelhaft von der Erde; nicht wie alle anderen hier - dieser Mensch wurde auf der Erde geboren. Damit ist mein Traum erfüllt. Die Erde wurde nicht, wie ich es befürchtete, vernichtet; ihre Bewohner haben vielmehr so viel geleistet, daß sie selbst dieses völlig abgelegene Sonnensystem aufgespürt haben. Die Isolation des Systems Delta Ursa ist beendet; es gibt, so hoffe ich, keinen Grund mehr, die Invasoren zu fürchten, die Terra zu vernichten drohten. Von diesem Tage an ist das Erste Prinzip außer Kraft gesetzt. Von heute an können alle Bewohner dieses Systems das tun, was ich selbst jahrzehntelang getan habe - die Galaxis in ihrer ganzen, unermeßlichen Größe und Mannigfaltigkeit durchstreifen. Ich wünsche allen, die dies wagen wollen, das, was es in der Galaxis gibt: Für jeden seinen Stern des Glücks!« Der Ring verblaßte und verschwand dann völlig.
ENDE
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