Nr. 433
Die Körperlose und der Molg Leenias Mission im Univesum der Körperlichen von Horst Hoffmann
Nachdem Atlantis-...
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Nr. 433
Die Körperlose und der Molg Leenias Mission im Univesum der Körperlichen von Horst Hoffmann
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr gemeinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Während auch nach Thalias Tod für den Arkoniden die kosmische Odyssee weitergeht, wobei Atlans Situation immer verzweifelter wird, wenden wir uns jenem seltsamen Wesen zu, das im Auftrag der Höheren Welten seine Mission im Kosmos der Körperlichen zu erfüllen sucht. Wir meinen Leenia, die auf der Suche nach Atlans verschwundenem Extrasinn ist. Dabei kommt es zu der Episode: DIE KÖRPERLOSE UND DER MOLG …
Die Körperlose und der Molg
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Die Hautpersonen des Romans: Leenia - Abgesandte der Höheren Welten. Der Molg - Ein Wesen, das ein Bewußtsein erhält. Kirso Bal Taur - Ein besessener Gralle. Minko Bal Poohl - Würdenträger der Grallen. Zenbronker - Kommandant von Olmerstolm.
Prolog Cändero-Spell stand in seiner ganzen, furchtbaren Pracht auf den Schirmen der Schiffszentrale. Die NAUSIEN hatte sich dem Planetenriesen inzwischen bis zur Bahn des inneren Mondes genähert. Ununterbrochen verließen Funksprüche die Antennen des Organschiffs. Irgendwo dort unten, dachte Cesterton-Kyrl, der Kommandant der zwanzig Noots, die schweigend an ihren Plätzen saßen und zusammen mit der Galionsfigur die Landung vorbereiteten. Irgendwo unter den leuchtenden Wolkenbändern mußten sie liegen, dort, wo das Leuchten etwas schwächer war und der einzige Kontinent des Riesen lag – eine Insel im endlosen Ozean aus flüssigem Ammoniak und Wasserstoff. Sie antworteten nicht. Cesterton-Kyrl hatte auch keine Antwort erwartet. Zuviel Zeit war vergangen, seitdem die drei Schiffe den Notruf gesendet hatten. Cesterton-Kyrl maßte sich nicht an, Kritik an Chirmor Flog zu üben. Wenn der Neffe so lange gezögert hatte, ein Schiff hierher, zur Grenze des Marantroner-Reviers zu schicken, mußte er stichhaltige Gründe dafür gehabt haben. Auch über den Auftrag, der die drei Schiffe hierhergeführt hatte, machte er sich keine Gedanken. Sein Auftrag bestand darin, herauszufinden, was mit ihnen geschehen war, und zu bergen, was er noch von ihnen finden konnte. »Die Turbulenzen in der Atmosphäre sind zu stark«, meldete die Galionsfigur. »Wir werden bei dem Versuch, auf dem Kontinent zu landen, zermahlen werden.« Cesterton-Kyrl riß sich vom Anblick des Planeten los. Ein Blick auf die Monitore, auf denen die Ergebnisse der Ortungen zu lesen
waren, rundete das Bild ab. Im Innern des Giganten liefen unvorstellbare Fusionsprozesse ab. Eines Tages würde Cändero-Spell die zweite Sonne dieses Systems sein. »Wir haben den Befehl erhalten, zu landen und nach den Überresten der verschollenen Organschiffe zu suchen«, sagte der Kommandant hart. »Wir werden diesen Befehl ausführen.« Und falls es nötig sein sollte, unser Leben geben, fügte er in Gedanken hinzu. Auch Cesterton-Kyrl hatte Angst, doch er bekämpfte sie mit dem Gedanken, daß er sein Leben für Chirmor Flog gab. Er selbst übernahm die Steuerung der NAUSIEN. Die Galionsfigur lieferte die benötigten Daten, suchte die sich schnell öffnenden und nur für begrenzte Zeit stabil bleibenden Schneisen in den tobenden Luftmassen und gab unaufhörlich Korrekturimpulse. Die NAUSIEN tauchte in das Meer aus roten, braunen und grauen Schleiern hinab. Sie hatte keine Chance. Cesterton-Kyrl überließ die Steuerung der Galionsfigur allein, als er einsehen mußte, daß er mit seinen Reaktionen viel zu langsam war. Die Monitore zeigten an, wie der Außendruck schnell stieg. Die NAUSIEN war für solche Verhältnisse gerüstet. Sie würde nicht zerquetscht werden, wie die Galionsfigur befürchtete, aber einen Aufprall auf dem Kontinent konnte auch sie nicht überstehen. Die Noots machten sich für den Notfall bereit. Sie alle trugen Druckanzüge, die ihnen für begrenzte Zeit das Leben auf Cändero-Spell ermöglichen würden. Schon jetzt, als das Schiff wie ein Blatt im Wind hin und her geworfen wurde, stand fest, daß es kein Entkommen aus der Gravitationshölle des Planetenriesen mehr gab. Doch Cesterton-Ky-
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rl dachte wie eine Maschine. Alles drehte Chirmor Flog mußte es erfahren. Es zu ersich nun nur noch darum, die Landung zu gründen, solange er noch die Kraft dazu hatüberleben und herauszufinden, was aus den te, war zu Cesterton-Kyrls Lebenssinn geVerschollenen geworden war. worden. Chirmor Flog mußte es wissen. Cesterton-Ky- Sein Atemluftvorrat und die Nahrungsrl würde keinen Notruf senden, bevor er konzentrate reichten noch für knapp drei nicht die vom Neffen geforderten InformaMonate. Eine lange Zeit, und doch nicht lantionen geben konnte. ge genug, falls in diesen drei Monaten nicht das geschah, womit der Noot insgeheim rechnete. Immer wieder, wenn er vor den * Schwämmen stand, zwang er sich dazu, seiSeit dem Absturz waren gut vier Wochen ne wilden Spekulationen zurückzudrängen. vergangen. Cesterton-Kyrl stand vor dem, Doch sie trieben ihn rastlos über das was von der NAUSIEN übriggeblieben war dunkle, ewig von gelblichen Nebeln verhan– das metallene Skelett. Nun hatte sich auch gene Land. Seine Wanderungen dauerten oft der letzte Rest der organischen Hülle aufgeTage, doch nirgendwo fand er das, was ihm löst. Er war von der giftigen Atmosphäre die erlösende Gewißheit gebracht hätte, daß zersetzt worden und in den Boden eingeer sich irrte. drungen. Nur dort, wo die Organschiffe abgestürzt Cesterton-Kyrl war der einzige Überlewaren, wuchsen die Schwämme. Nur an diebende der NAUSIEN. Er allein hatte sich sen Stellen konnten sie existieren, denn nirvor dem katastrophalen Absturz aus einer gendwoanders bot der Boden die VoraussetSchleuse werfen und im Schutz seines flugzungen dafür. Nur hier war er mit organifähigen Druckanzugs sicher landen können. schen Substanzen angereichert. Cesterton-Kyrl packte das Funkgerät, das Längst hatte Cesterton-Kyrl festgestellt, er um die Schulter trug, und betrachtete es daß sie das gleiche Grundmuster wie die orlange. Sollte er jetzt den Notruf senden? ganische Hülle der Schiffe besaßen. EigentDas Gerät war stark genug, um das in eilich war kein Zweifel möglich, doch das, ner Umlaufbahn um Cändero-Spell zurückwas im Bewußtsein des Noots noch fähig gelassene Relais zu erreichen, von wo aus war, zu fühlen, Angst und Schrecken zu der Spruch weitergeleitet werden würde. empfinden, sträubte sich gegen die grauenEr schüttelte stumm den Kopf. Es war hafte Erkenntnis. Cesterton-Kyrl verbrachte noch zu früh. Er wollte die Suche fortsetzen. die letzten Tage seines Lebens an der AbEr wollte suchen, wo es für ihn nichts sturzstelle der NAUSIEN. Er hockte stupide mehr zu finden gab. Die drei verschollenen vor sich hin starrend auf dem Metallgerüst Schiffe. Er hatte vor dem gestanden, was und wartete darauf, daß die ersten Schwämvon ihnen geblieben war – das metallene me aus dem Boden kamen. Dann kam der Skelett. Zwischen schwammähnlichen GeAugenblick, auf den der Noot gewartet hatbilden, die nur an diesen Stellen wuchsen, te. Schon wurde die Atemluft knapp. Der lagen verstreut die Leichen von RaumfahTod griff nach ihm. Die ersten der schwamrern. Ihre Druckanzüge hatten sie vor der mähnlichen Gebilde begannen zu seinen FüAuflösung bewahrt. Cesterton-Kyrl hatte ßen aus dem Boden zu wachsen. Dies war einen von ihnen geöffnet, mit dem Ergebnis, der Beweis, den Cesterton-Kyrl noch gedaß sich der Leichnam seines Trägers wie braucht hatte. die organische Materie der Schiffe innerhalb Als er den Druckanzug öffnete und starb, weniger Tage aufgelöst hatte. lag er mitten unter dem Gerüst der NAUSICesterton-Kyrl spürte, daß es hier ein GeEN, zwischen Dutzenden von kopfgroßen heimnis gab. Es war zum Greifen nahe, und Gebilden. Cesterton-Kyrl starb mit der Hoff-
Die Körperlose und der Molg nung, daß irgend etwas von ihm weiterleben würde – wenn auch auf völlig andere Weise als bisher. Chirmor Flog und der Funkspruch waren vergessen – vergessen wie alles, das vergänglich war. Nach wenigen Tagen deutete nichts mehr darauf hin, daß in dem offenen Druckanzug unter dem Metallgerüst einmal ein Körper gesteckt hatte. Die Gifte in der Planetenatmosphäre hatten ihn ebenso zersetzt wie die NAUSIEN und die anderen drei Schiffe. Nichts? Jahrhunderte vergingen. Der Planet brachte eigenes Leben hervor. Sporen, Mikroorganismen, die die Raumfahrer in den abgestürzten Schiffen mitgebracht hatten, mutierten unter dem Einfluß des Giganten. Das Leben nahm monströse Formen an. Die stählernen Gerippe der Organschiffe waren längst verschwunden, als CänderoSpell zum zweitenmal Besuch aus dem Weltraum erhielt. Die Schwämme existierten nach wie vor. Sie wuchsen aus der gleichen Substanz, die überall dort den Planetenboden wie ein Pilzgeflecht durchzog, wo ein Organschiff abgestürzt war. Und manchmal war es, als flüsterte der Wind, der über sie hinwegstrich, einen Namen.
1. Leenia materialisierte mitten in der Hölle von Cändero-Spell. Sie stand zwischen einigen steil in die farbigen Nebel aufragenden Felsspitzen. Dicke gelbe Regentropfen klatschten auf ihr Haar und die Schultern. In den oberen Schichten der Atmosphäre tobten furchtbare Orkane. Rein äußerlich unterschied sie sich nicht von der jungen Frau, die einst die Wälder Pthors durchstreift und darauf gewartet hatte, daß der Ruf der Höheren Welten an sie erging. Die nassen Haare hingen bis weit über die Schultern herab und schimmerten tief kupferfarben. Leenia trug den roten Anzug, der sie mit der Ebene der Körperlosen verband. Sie wirkte zerbrechlich, doch ihr Körper war den Schwerkraft-
5 verhältnissen des Riesenplaneten optimal angepaßt. Sie atmete die Atmosphäre, die für jeden Menschen absolut tödlich gewesen wäre. Sie war in der Lage, für unbegrenzte Zeit auf Cändero-Spell zu überleben, was die mörderischen Umweltverhältnisse anging. Anders verhielt es sich, was das Leben anbetraf, das sich hier entwickelt hatte und über das selbst die Gemeinschaft der Körperlosen nicht mehr wußte, als daß es sich aus der organischen Substanz entwickelt hatte, die mit den abgestürzten Organschiffen nach Cändero-Spell gelangt war. Die Molgs bereiteten ihr dabei keine allzu großen Sorgen. Sie war hier, um einen Molg zu finden. So lautete ihr Auftrag. Vom Erfolg ihrer Suche hing es ab, ob sie eine zweite Chance bekommen würde, den aufgefangenen Extrasinn seinem rechtmäßigen Träger zurückzugeben. Aber sie würde gegen die Geschöpfe der Hölle zu kämpfen haben, um einen Molg zu bekommen – den neutralen Bewußtseinsträger für Atlans Extrasinn. Langsam setzte Leenia sich in Bewegung. Von dem wenigen abgesehen, was ihr die Gemeinschaft an Informationen mit auf den Weg gegeben hatte, wußte sie nichts über den Riesenplaneten. Sie war blind materialisiert. Irgendwo vor ihr lagen die MolgBeete, vielleicht hundert Meter, vielleicht hundert Kilometer entfernt. Wommser? Ein Impuls innerhalb des Körpers. Der Mentalpartner strahlte Ruhe aus. Mach dir keine Sorgen, Leenia. Konzentriere dich nur auf den Weg. Wir sind zu fest zusammengefügt, als daß die Gemeinschaft uns trennen könnte. Leenia antwortete nicht. Sie war davon überzeugt, daß die Körperlosen ein zweites Ziel verfolgten. Wommser war ihnen ein Dorn im Auge geworden. Ihn machten sie dafür verantwortlich, daß sie immer häufiger die Entscheidungen der Gemeinschaft kritisierte und immer mehr dazu neigte, auf eigene Faust zu handeln. Um ihn von Leenia zu trennen, waren sie sogar bereit gewesen, sie der Gefahr auszusetzen, daß sie diesen Auf-
6 trag nicht überlebte. Genau dies war Leenias Überzeugung. Von plötzlichem Zorn gepackt, bündelte Leenia die in ihr aufgestauten Energien und gab sie auf einen Schlag ab. Violette Strahlen fuhren aus ihren Augen und fraßen sich in den Nebel. Die Nebelschleier rissen auf, und Leenia gewann einen ersten Eindruck dessen, was auf Cändero-Spell auf sie lauerte. Drei smaragdgrün schimmernde Kugeln schossen auf sie zu, jede von ihnen größer als sie selbst. Sie reagierte instinktiv und zerstrahlte zwei der Angreifer. Als sie sich auf den dritten konzentrieren wollte, waren ihre Energien erschöpft. Sie riß die Arme hoch und legte sie schützend über ihr Gesicht, als sie sah, wie die Kugel sich schnell auf sie herabsenkte und dabei mehrere fingerdicke Tentakel bildete. Sie schossen auf Leenia zu und schlangen sich um ihren Körper. Panik überkam die Körperlose. Sie versuchte, die Tentakel zu packen und von sich zu reißen, doch es wurden immer mehr. Eine weitere Kugel schwebte heran. Leenia verlor den Boden unter den Füßen. Die Kugeln rissen sie mit vehementer Gewalt in die Höhe. Du mußt ruhig sein! kam es vom Mentalpartner. Wehre dich nicht, sondern versuche, neue Energien aufzubauen! Leenia nahm Wommsers Impulse kaum wahr. Sie wurde immer höher gerissen. Wir müssen … entmaterialisieren! Wenn wir unsere Energien vereinen … Wir sind zu schwach. Du hast dich verausgabt. Warte ab! In die Panik mischte sich unbändiger Zorn. Leenia erschrak über sich selbst. Schlagartig kam ihr zum Bewußtsein, wie schnell und wie sehr sie sich hatte gehenlassen. Wommsers Impulse wurden stärker. Leenia begriff und überließ dem Partner die Kontrolle über sich. Sie kapselte sich völlig ab. Wie hoch mochte sie sein? Waren die Kugeln in der Lage, die höheren Schichten der
Horst Hoffmann Atmosphäre zu erreichen? Wo lebten sie? Wohin brachten sie sie? Dann endlich – Leenia hatte jeden Sinn für oben und unten verloren – sah sie das Nest. Es war eine riesige, frei in der Atmosphäre schwebende Schale, die ganz aus weißem Schaum zu bestehen schien. Die Kugeln lockerten ihren Griff um Leenia, als sie mit ihr genau darüber schwebten. Sie ließen sie einfach fallen. Sie versank zur Hälfte ihres Körpers in der weichen Substanz, die sich sofort über ihr zu schließen begann. Wieder griff die Panik nach ihr. Leenia wollte den Schaum, der jetzt fest an ihrem Körper klebte, mit den Händen auseinanderreißen, aber sie konnte sich nicht bewegen, während die Substanz sich immer enger um sie legte. Ein einziger stummer Hilfeschrei erfüllte ihr Bewußtsein. Sie schrie nach Wommser, wußte, daß er für die Lähmung verantwortlich war. Sie versuchte, Energien aufzubauen und zu bündeln, doch auch jetzt blieb der Erfolg aus. Und obwohl sie den Tod durch Ersticken vor Augen hatte, sträubte sich alles in ihr dagegen, die Gemeinschaft um Hilfe zu bitten. Wommser mußte alle Willenskraft aufbringen, um den Schrei zu ignorieren. Er mußte durchhalten, durfte nicht daran denken, daß das, was er nun tun mußte, fehlschlagen konnte. Als Leenias Körperfunktionen fast erloschen waren, löschte Wommser sich aus. Das Wesen, das aus zwei vereinten Bewußtseinen bestand und dessen Körper nur eine Projektion war – wenn auch eine so vollkommene Projektion, daß er von Atmung und Nahrungsaufnahme abhängig war – verlor das Bewußtsein. Das Schaumnest implodierte, als die Beute der Kugeln sich in nichts auflöste.
2. Auf dem Planeten der Grallen war Ruhe eingekehrt, nachdem der unheimliche Gegner besiegt worden war, der die Kanäle und
Die Körperlose und der Molg Zisternen verwüstet hatte. Es war den Grallen ein Rätsel, wohin das Wesen mit den strahlenden Augen verschwunden war. Doch es war nicht zurückgekehrt, und so dachte niemand mehr daran. Die friedlichen Herren des Planeten Bordinfeel, Wasserbewohner mit ovalen Körpern, an denen sechs Ärmchen und zwei mit Schwimmflossen versehene Beine hingen, konzentrierten sich wieder auf den Bau der Bannisteros, wie sie ihre Kanäle nannten. Der Würdenträger Minko Bal Poohl hockte in seiner siebten Zisterne und beobachtete mit Wohlwollen und Stolz, wie die jüngeren Grallen ihrer Arbeit nachgingen. Mit einer Ausnahme. Ausgerechnet Kirso Bal Taur, den Poohl zu seinem Nachfolger auserkoren hatte, bereitete ihm von Tag zu Tag größere Sorgen. Taur war eine Ausnahmeerscheinung unter den Baumeistern. Die Geradlinigkeit, mit der er unter strengster Beachtung aller Regeln seinen Bannistero bis zur zweiten Zisterne vorangetrieben hatte, war beispiellos. Von weither waren Grallen gekommen, um Taurs Werk zu begutachten. Doch jetzt, auf dem Weg zur dritten Zisterne, schien Kirso Bal Taur von allen guten Geistern verlassen worden zu sein. Plötzlich beschrieb sein Bannistero Kurven und verlief in Schlangenlinien mitten durch das Land. Er war an vielen Stellen viel zu schmal. Taur kümmerte sich offenbar überhaupt nicht mehr um die uralten Regeln, und der Tag war abzusehen, an dem er seinen Bannistero so nahe an die benachbarten Kanäle führte, daß deren Wände einstürzen und ihre Wasser in den seinen überfließen mußten. Alles Zureden half nichts. Selbst Proteste tat Taur mit den Worten ab, daß er dabei sei, eine völlig neue Architektur zu entwickeln, die die »veralteten« Regeln endlich ablösen sollte. Als Kirso Bal Taur dann tatsächlich Balo Bal Nooks Kanal erreichte und seinen eigenen Bannistero quer durch den des Nachbarn führen wollte, erschienen Dutzende von auf-
7 gebrachten Grallen bei Minko Bal Poohl und rissen den Würdenträger aus dem Schlaf. Poohl reagierte ungehalten. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, daß sich ein Gralle nur in außerordentlich wichtigen Angelegenheiten der siebten Zisterne nähern durfte. Und eine nächtliche Störung galt als Frevel. »Der Geist sei mit dir, o Meister der Geradlinigkeit!« grüßten alle Grallen auf einmal. Minko Bal Poohl zeigte sein Befremden dadurch, daß er eine tiefblaue Färbung annahm, und wartete ab, was die nächtlichen Besucher zu sagen hatten. Als er hörte, was geschehen war, wußte er, daß er seine schützende Hand nicht länger über Taur halten konnte. »Er ist vollkommen verrückt geworden«, ereiferte sich Nokko Bal Meng, nach Taur der talentierteste unter den Jungen. »Es war uns unmöglich, ihn zu dir zu bringen. Er …« Meng zögerte, das Ungeheuerliche auszusprechen. »Er kämpft mit Balo Bal Nook!« Minko Bal Poohl verlor vor Schreck alle Farbe. »Als Nook aus seiner Zisterne kam, um seinen Bannistero zu verteidigen, stürzte Taur sich auf ihn. Er behauptete, daß nur ein runder Bannistero vollkommen sein könne, und daß er deshalb seinen Bannistero durch alle angrenzenden treiben müsse, in einem Kreis! Seine achte Zisterne soll identisch mit der ersten sein.« Das war ungeheuerlich! »Acht Zisternen?« Minko Bal Poohls Sprechorgan zwischen dem oberen Armpaar war wie gelähmt. Nur schwer waren die Worte zu verstehen. »Du sagst, daß er acht Zisternen besitzen will?« »So ist es, Meister der Geradlinigkeit.« Minko Bal Poohl kletterte mühsam an Land. Acht Zisternen! Eine mehr, als Poohl selbst besaß, und es gab, soweit die Kunde reichte, nur zwei andere Würdenträger, die es auf sieben Zisternen gebracht hatten. Für Minko Bal Poohl war jetzt klar, daß
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Taur den Verstand verloren hatte. Er mußte größenwahnsinnig geworden sein. Poohl sah die Augen der Grallen auf sich gerichtet. Sie verlangten eine Entscheidung von ihm. »Geht vor«, sagte der Würdenträger ernst. »Ich werde vor euch bei Taurs Bannistero sein. Sein Frevel muß bestraft werden, doch zuvor soll er gehört werden – in meiner Gegenwart.« »Du glaubst«, brachte Nokko Bal Meng hervor, »daß er es wagen wird … daß er die Frage stellen wird?« »Wir werden sehen.« Der Würdenträger ließ sich ins Wasser seines Kanals gleiten und schwamm davon. Laut durcheinanderredend machten die jüngeren Grallen sich wieder auf den Weg. War es tatsächlich denkbar, daß der Würdenträger die Frage akzeptieren würde, falls Taur sie stellte? Dieser furchtbare Gedanke beschäftigte sie, bis sie die Stätte der Verwüstung erreichten. Jeder Gralle hatte das Recht dazu, die Alten Regeln in Frage zu stellen. Sobald er die Frage nach dem Sinn der Linie und damit nach der Höheren Vollkommenheit gestellt hatte, stand er unter dem Zwang, beweisen zu müssen, daß er die Höhere Vollkommenheit gefunden hatte. Gelang ihm das nicht, wurde er schmählich verstoßen. Doch er mußte die Gelegenheit erhalten, seine Behauptung zu beweisen. So verlangten es die Gesetze.
* Minko Bal Poohl gab sich keinerlei Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Im Gegenteil. Indem er Taur offen zeigte, wie sehr er sich in ihm getäuscht sah, hoffte er, etwas anderes verbergen zu können: seine gekränkte Eitelkeit. Es hatte den Würdenträger tief getroffen, daß ein junger Gralle öffentlich davon gesprochen hatte, daß er eine Zisterne mehr bauen wollte als er. Minko Bal Poohls Entscheidung war da-
her längst gefallen. Er wartete nur noch darauf, daß Taur die Frage stellte. Nur indem er dem Verrückten die Gelegenheit gab, seine ketzerische Behauptung zu beweisen, konnte er ihn bloßstellen. Andernfalls würden sich die Grallen immer daran erinnern, daß jemand eine achte Zisterne bauen wollte. Minko Bal Poohl glaubte ebenso wenig daran wie die jungen Grallen. Erstens war es unmöglich, einen Bannistero mit mehr als vier Zisternen zu bauen, der nicht schnurgerade war, und zweitens hätte er, der Würdenträger, längst die achte Zisterne gebaut, falls dies einem Lebenden gegeben wäre. »Er muß für das büßen, was er mir zugefügt hat!« ereiferte sich Balo Bal Nook immer wieder. »Ich verlange, daß er meinen Bannistero repariert.« »So!« zirpte Taur wütend. »Es geht dir also um deinen lächerlichen Bannistero! Du kannst einfach nicht einsehen, daß du wie alle anderen dem falschen Prinzip gefolgt bist. Außerdem bist du noch gar nicht reif für ein Weib!« Nook wollte sich wieder auf ihn stürzen, doch der Würdenträger hielt ihn zurück. Tatsächlich hatte der junge Gralle kurz vor der Vollendung der dritten Zisterne gestanden, was nach den Regeln besagte, daß er sich eine Gralle zum Weib nehmen durfte. »Kirso Bal Taur«, sagte der Würdenträger nun ernst. »Du behauptest, daß alle Grallen dem falschen Prinzip gefolgt seien, also auch ich? Daß all die Tausende, die unsere Welt mit geraden Kanälen durchzogen haben, blind waren?« »Es tut mir leid, Meister der Geradlinigkeit, aber so ist es. Nur der Kreis ist vollkommen. In ihm sind Anfang und Ende vereint. Er ist die Höhere Vollkommenheit. Sieh dir Nooks Bannistero an.« »Er ist verwüstet«, stellte der Würdenträger fest. »Und warum? Weil der Kreis der Linie überlegen ist! Ist etwa mein Bannistero zerstört?« Welche Logik! dachte Minko Bal Poohl zutiefst erschrocken. Nein, Kirso Bal Taur
Die Körperlose und der Molg war längst nicht mehr Herr seiner Sinne. Schon sah Poohl eine total zerpflügte Landschaft vor seinem geistigen Auge. Zunächst ein Kreis, dann zwei, Dutzende, Hunderte. Das durfte niemals geschehen. Und nur durch Taurs Scheitern wurde gewährleistet, daß keine anderen jungen Grallen auf die Idee kamen, es doch zu versuchen. »Du stellst also die Frage nach der Höheren Vollkommenheit?« »Ich stelle sie und werde sie beantworten«, sagte Taur selbstbewußt. Die Grallen am Rand des Bannisteros, die bisher wirr durcheinandergeredet hatten, schwiegen. Kirso Bal Taur, der Wahnsinnige, hatte tatsächlich gewagt, die Geradlinigkeit in Frage zu stellen. Aller Aufmerksamkeit richtete sich nun auf den Würdenträger. Minko Bal Poohl registrierte es mit gemischten Gefühlen. So sehr er sich nach diesem Moment gesehnt hatte, so sehr erschreckte ihn die Vorstellung einer zerstörten Landschaft, falls er Taur gewähren ließ, um ihn nach seinem Scheitern zu verstoßen. Es war der Sinn der Geradlinigkeit, den Planeten nicht zu zerstören. Kein Bannistero durfte einen anderen berühren oder schneiden. Dies aber würde der Fall sein, wenn Taur in seinem Treiben fortfuhr. Doch es mußte sein, ein warnendes Beispiel für die nächsten Generationen. »Ich akzeptiere«, verkündete Minko Bal Poohl mit lauter Stimme. »Du wirst den Beweis für deine Behauptung antreten müssen. Die Frist ist dir bekannt. Ist es dir nach ihrem Ablauf nicht gelungen, eine Höhere Vollkommenheit zu schaffen, so seiest du verstoßen bis an dein Lebensende.« Bestürztes Protestgemurmel kam von allen Seiten. Der Würdenträger hatte alle Mühe, sich der Grallen zu erwehren, die ihn nun, wo es um ihre Kanäle ging, hart bedrängten. Sie beschworen ihn, seine Entscheidung zurückzunehmen. Ohne Erfolg. »Derjenige, der die Frage nach der Höheren Vollkommenheit stellt, steht solange un-
9 ter dem Schutz der Gemeinschaft, die durch den jeweiligen Würdenträger verkörpert wird«, sagte Minko Bal Poohl, »wie sein Fehlen nicht bewiesen ist. Besinnt euch und geht an eure Arbeit. Es ist Tag.« »Wozu sollen wir arbeiten, wenn Taur unsere Bannisteros doch wieder zerstört?« fragte Juuna Bal Tunk, dessen Kanal Taurs nächstes Opfer sein würde. Minko Bal Poohl hob eine Hand in die Höhe und sagte feierlich: »Ihr werdet für die Geradlinigkeit arbeiten! Ihr sollt beweisen, daß die gerade Linie dem Kreis immer überlegen war und für alle Zeiten die höchste Vollendung darstellen wird. Der Geist sei mit euch!« »Der Geist sei mit dir, Meister der Geradlinigkeit!« kam es aus Dutzenden von Sprechblasen. Der flammende Appell des Würdenträgers hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Er hatte den Stolz der Grallen angesprochen. Sie zogen von dannen und straften den Ketzer mit Verachtung. Nur Minko Bal Poohl selbst blieb zurück, um Taur bei seinem Tun zuzuschauen. Dieser machte sich auch sogleich an die Arbeit, als hätte er nicht die ganze Nacht über an seinem Bannistero gebaut. Poohl fragte sich, woher er die Kraft nahm. Taur strahlte eine Selbstsicherheit aus, die ihn erschreckte, und er ahnte die Gefahr, die von Taur ausging. Die jungen Grallen waren anfällig für ketzerische Ideen. Nur die Angst vor der Verbannung hatte viele bisher davon abgehalten, die Frage zu stellen. Deshalb mußte Taur scheitern – und wenn man nötigenfalls etwas nachhalf … Doch Taur ließ sich nicht beirren. Er durchschwamm Nooks Bannistero und schaufelte mit seinen sechs Ärmchen den Lehm, aus dem die gegenüberliegende Kanalwand bestand, ins Wasser. Nach zwei Tagen hatte er Tunks Kanal erreicht, und einen weiteren Tag später zog sich eine gekrümmte Linie durch die beiden Geraden der zerstörten Kanäle, deren Wasser sich in den Schnittpunkten sammelte. Manchmal, wenn er eine Pause einlegte,
10 waren Taurs Augen weit in die Ferne gerichtet. Dann war es ihm, als hörte er eine leise Stimme in sich, die ihm sagte, was er zu tun hatte, und die ihn immer weiter antrieb. Taur war der Überzeugung, daß ein guter Naturgeist sich in seinem Bewußtsein eingenistet hatte und ihm zur Belohnung dafür, daß er die Jäger zum Sieg über das Wesen mit den strahlenden Augen geführt hatte, die Weisheit und Kraft gab, um die Höhere Vollkommenheit zu schaffen. Taur brachte die Stimme nicht in Zusammenhang mit dem Verschwinden des unheimlichen Wesens. Wie sollte er auch wissen, daß das, was das Wesen zu den Verwüstungen getrieben hatte, nicht mit ihm von Bordinfeel gegangen war. Er hatte nie den Namen Atlan gehört, und ein Extrasinn war etwas, das jenseits seiner Vorstellungskraft lag. Es war während einer dieser Arbeitspausen – Minko Bal Poohl schwamm wieder in einem benachbarten Bannistero, um ihm bei der Arbeit zuzusehen –, als Taur die neue Eingebung hatte. Er kletterte an Land und sah, daß sein gewundener Bannistero inzwischen schon drei gerade Kanäle geschnitten hatte. Lange betrachtete er die Schnittpunkte. Dann begann er, einen nach dem anderen zu Zisternen auszubauen. Minko Bal Poohl schwamm an seine Seite. Fassungslos fragte er: »Wozu tust du das, Taur?« »Es ist ein weiterer Beweis für die Höhere Vollkommenheit des Kreises«, erwiderte der junge Gralle voller Stolz. »Jeder Schnittpunkt ist eine natürliche Zisterne. Wenn mein Werk vollendet ist, werde ich weit mehr als acht Zisternen besitzen.« Minko Bal Poohl sagte nichts darauf. Ihn konnte inzwischen nichts mehr erschüttern. Aber die Vorstellung, auf einfachste Weise zu Zisternen zu kommen, hatte etwas Faszinierendes an sich. Der Würdenträger ertappte sich dabei, bereits selbst wie ein Frevler zu denken. Nein, sagte er sich. Taur mußte scheitern. Die Naturgeister würden ihn strafen. Und so ließ der Würdenträger den Beses-
Horst Hoffmann senen gewähren. Wahrscheinlich hätte er schon jetzt versucht, Taurs Scheitern nachzuhelfen, wenn er nicht zu sehr darin vertieft gewesen wäre, ihm zuzuschauen. So aber vernachlässigte er die anderen Grallen, und er bekam nicht mit, wie die Jungen mit jeder neuen Zisterne, die Taur errichtete, etwas von ihrem Zweifel verloren und Taur insgeheim zu bewundern begannen. Als die ersten Streitereien zwischen ihnen und den älteren Grauen ausbrachen, war es schon viel zu spät, um das Desaster noch zu verhindern. Plötzlich wurde offen darüber spekuliert, ob nicht die Spiralform das Höchstmaß an gestalterischer Vollkommenheit darstellte. Doch Taur war ihnen immer ein Stück voraus. Als der erste Bannistero in Spiralform gebaut wurde, erfand er das Wasserrad. Kirso Bal Taur baute eines für jedes Teilstück seines Kanals. Zur Zierde, erklärte er, denn es gab in den Bannisteros keine Strömung, die es drehen konnte. Immer häufiger wurden die Pausen, in denen er in sich hineinlauschte. Als die innere Stimme ihm die nächste Eingebung gab und er begann, seinen ersten Springbrunnen zu bauen, erlitt Minko Bal Poohl einen Nervenzusammenbruch. Viele Tage war er krank und wagte sich nicht aus seiner siebten Zisterne, was die geschädigten Verfechter der geraden Linie dazu nutzten, Taurs Bannistero einzureißen. So kam es, wie es kommen mußte. Die Jungen kämpften gegen die »Traditionalisten«. Als der Würdenträger seine Zisterne wieder verließ, glich die Landschaft einer Seenplatte. Was immer auch Atlans Extrasinn zu seinem fatalen Wirken trieb – durch Taur war ihm das gelungen, was den Grallen durch Leenia erspart geblieben war. Und es sollte noch schlimmer kommen. Taur verkündete das Zeitalter des Wiederaufbaus. Minko Bal Poohl versuchte, die Grallen zur Besinnung zu bringen, doch sie waren wie im Rausch. Taur wurde von den »Erneuerern« als Führer und einziger Würdenträger anerkannt, und Poohl blieb
Die Körperlose und der Molg schließlich nichts anderes übrig, als in die Ferne zu ziehen und dort Hilfe zu holen. Es gab jetzt kein Pardon mehr für Taur. Der schreckliche Naturgeist, der sich in seinem Bewußtsein eingenistet hatte, mußte ausgetrieben werden.
3. Ein Blitz zerriß die Schwärze. Das Bewußtsein erwachte. Weitere Blitze, dann strahlende Helligkeit, ein Punkt zunächst, dann Licht zu allen Seiten. Das Bewußtsein sah. Ein Wirbel aus Farben und Formen, die Gestalt annahmen – die Gestalt einer jungen schlanken Frau. Das Bewußtsein fühlte, wie es davon angezogen wurde, darauf zuglitt, darin verschwand. Ein Name: Leenia. Das Bewußtsein fand seine Identität. Dies war der Funke. Das Licht verschwand. Leenia fiel. Sie spürte, wie sie mit dem Körper verschmolz und das Leben in ihm zu keimen begann. Ein neues Licht am Boden des Schachts. Es wurde größer. Leenia glitt durch eine Röhre, deren Wände nun rötlich zu wabern begannen. Das Ende kam näher. Es war nicht wirklich unten, nicht oben, keiner Richtung zugehörig. Es war die Pforte zum Sein. Leenia schloß die Augen, als die Helligkeit sie blendete, doch sie drang durch die Lider. Leenia schrie. Die Helligkeit war die Erinnerung und die Erkenntnis. Leenia schrie immer noch, als sie etwas Hartes spürte. Sie schlug die Augen auf.
* Sie befand sich auf Cändero-Spell, irgendwo auf der Festlandmasse des Riesenplaneten. Instinktiv warf sie sich zu Boden, doch es gab keine Kugeln, die sich auf sie stürzen wollten. Wommser! rief Leenia immer wieder und immer flehender. Doch Wommser meldete sich nicht. Er
11 konnte keine Antwort geben. Wommser hatte sich geopfert, seine eigenständige Existenz aufgegeben, um in ihr weiterzuleben. Leenia wußte, daß sie ihr Leben ihm zu verdanken hatte, und jetzt war ihr klar, warum er nicht auf ihre Hilferufe reagiert hatte. Die letzten Energiereserven des Partners waren der Funke gewesen, der das bereits erloschene Bewußtsein aus der Schwärze des Nichtseins gerissen hatte. In ihm waren alle Informationen gespeichert gewesen, die zur Wiederauferstehung nötig gewesen waren. Die Schablone, nach der Leenia neu entstanden war – und die Erinnerung. Leenia würde seine Stimme nie mehr hören. Sie war Wommser. Sie sah an sich herab. Sie trug nach wie vor den roten Anzug. Alles war wie vor der Auflösung – alles, was äußerlich war. Und ihre Fähigkeiten? Der Kontakt zu den Höheren Welten? Leenia unterdrückte den Drang, sich jetzt und hier zu testen. Noch einmal durfte sie nicht den Fehler machen, ihre Energien zu verschwenden. Die Kugeln konnten jeden Augenblick zurückkehren – sie und andere Ausgeburten dieser Hölle. Leenia brauchte ein Versteck, einen Ort, wo sie in Sicherheit war und von wo aus sie sich gezielt auf die Suche nach den Molg Beeten machen konnte. Sie wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war – kostbare Zeit, denn die Beschaffung eines Molgs war nur ein Teil ihrer Aufgabe. Der neutrale Bewußtseinsträger mußte nach Bordinfeel gebracht werden, um Atlans Extrasinn aufzunehmen, der dort in einem Grallen namens Kirso Bal Taur festsaß. Grallen aber waren sterblich, und die Chance, den Extrasinn im Fall von Taurs Tod noch einmal aufzuspüren, denkbar gering. Dennoch dauerte es einige Zeit, bis Leenia sich soweit unter Kontrolle hatte, daß sie sich auf den Weg machen konnte. So weit die Sicht reichte, gab es nichts als braungrauen, von feinen Schleiern überzogenen Boden. Wo waren die Felsen? Leenia marschierte viele Stunden lang, bis
12 sie ansteigendes Gelände erreichte. Kein Wesen dieser Welt war ihr begegnet. Es gab auf Bordinfeel keinen Tag und Nacht Rhythmus. Das Licht der Sonne pflanzte sich in den Wolkenbändern fort, auch wenn die betreffende Seite des Planeten der Sonne abgewandt war. So hatte Leenia keinen Anhaltspunkt und wußte nicht, wie lange sie noch marschiert war, als sie die Felswand vor ihr in die Höhe ragen sah. Und die Höhlen. Es waren drei, jede von ihnen von mehr als drei Meter Durchmesser am Eingang. Sie befanden sich etwa fünf Meter über dem Sockel der Wand. Unter ihnen waren Felsbrocken aufgetürmt, über die sie relativ gut zu erreichen waren. Diese »Treppen« ließen keinen Zweifel daran, daß die Höhlen bewohnt waren. Doch Leenia hatte schon zuviel Zeit verloren, um daran vorbeizugehen. Wer immer dort oben hauste, würde sein Heim kaum freiwillig räumen. Leenia atmete tief ein und konzentrierte sich auf die mittlere Höhle. Dann fuhren die violetten Strahlen aus ihren Augen und schmolzen das Gestein über dem Eingang. Dampfwolken fuhren zischend in die Höhe, um sofort von der ungeheuren Schwerkraft Cändero-Spells eingefangen und auf den Boden gedrückt zu werden. Zwei glühende Augen erschienen im Höhleneingang. Als Leenia noch darauf wartete, daß der Körper folgte und auch die beiden anderen Höhlen im Auge behielt, schoß etwas auf sie zu. Sie reagierte instinktiv und warf sich zur Seite. Nur knapp einen Meter neben ihr klatschte ein klebriger Klumpen auf das Felsgestein. Die gallertartige Masse, so groß wie ein Kopf, verdampfte schnell und fraß dabei einen kleinen Krater in den Boden. Ein zweites Geschoß verfehlte Leenia noch knapper. Dann schob sich ein gedrungener riesiger Leib aus der Höhle. Das Wesen glich einer an vielen Stellen eingebeulten Tonne auf sechs Beinen. Der Kopf hätte der Phantasie eines Wahnsinnigen entsprungen sein kön-
Horst Hoffmann nen. Leenia sah nur die beiden Augen und darunter die wulstigen Lippen, zwischen denen sich eine grünlich schimmernde Kugel herausschob. Leenia zögerte. Es gab einen dumpfen Laut, als die Gallertkugel auf sie abgeschossen wurde. Diesmal war sie vorbereitet. Sie duckte sich und stürmte vor, auf die Felsen zu, die ihr Deckung gaben. Der Gallertklumpen schoß über sie hinweg. Sie hörte, wie er hinter ihr auf den Boden klatschte, und richtete sich auf. Die Augen strahlten violett. Leenia hatte die aufeinander getürmten Felsbrocken erreicht und war bereit, den Gegner zu zerstrahlen. Der Höhleneingang war leer. Leenia spähte vorsichtig über den Felsen. Nichts. Es war, als hätte der Nebel das Monstrum verschlungen. War es in die Höhle zurückgekehrt oder lauerte es jetzt irgendwo hinter den Felsen auf sie? Gab es weitere Höhlenbewohner? Leenia konnte nicht stundenlang hier hockenbleiben und darauf warten, daß der Gegner sich zeigte. Sie sprang auf und begann zu klettern. Wenn das Wesen auf der Lauer lag, würde es jetzt angreifen. Sie hatte gerade den vierten großen Felsbrocken erklommen, als sie das dumpfe Geräusch wieder hörte. Sie ließ sich fallen. Der Gallertklumpen klatschte einige Meter neben ihr gegen die Felswand. Leenia war vorbereitet. Ihre Augen blitzten, als sie herumfuhr. Sie sah das Monstrum und gab die Energien frei. Der Kopf des Wesens verging in den violetten Strahlen. Langsam näherte Leenia sich dem, was von ihm übriggeblieben war. Der monströse Körper war völlig haarlos und schleimig. Die Beine wirkten unfertig, so als ob sie wie der ganze Körper aus wucherndem Plasma bestanden. Jetzt hingen sie schlaff herunter. Dieses Leben hatte sich unter den gegebenen Umweltbedingungen entwickelt. Leenia dachte wieder an die Kugeln. Auch sie hatten irgendwie unfertig gewirkt. Sie überwand ihren Widerwillen und trat gegen eines
Die Körperlose und der Molg der Beine. Es gab keinen Widerstand, keine Knochen, keinen Knorpel. Auch der Hauptkörper fiel jetzt zusehends in sich zusammen. Da waren keine Rippen, die ihn stützten. Wo Leenias Stiefel ihn traf, bildete sich ein Riß, aus dem dampfende Flüssigkeit sickerte. Wo sie auf die Felsen tropfte, löste das Gestein sich auf. Schaudernd wandte Leenia sich ab. Wieder sah sie sich um. So weit der Blick reichte, war nichts von weiteren Bewohnern des Riesenplaneten zu sehen. Leenia kletterte bis zum Höhleneingang. Es war dunkel darin. Ein Blitz aus ihren Augen erhellte die Höhle für Sekundenbruchteile. Sie war leer. Leenia hatte ihr Versteck gefunden. Von hier aus konnte sie das umgebende Gelände überblicken und sich verteidigen, falls ungebetener Besuch kam. Die Bewohner der beiden anderen Höhlen schienen sich entweder nicht für das zu interessieren, was in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft vorging, oder sie waren unterwegs. Leenia setzte sich auf einen Felsbrocken im Höhleneingang und starrte vor sich hin. Die Molg-Beete. Wo sollte sie mit der Suche beginnen. Die Körperlosen hatten sie mehr oder weniger blind auf Cändero-Spell abgesetzt. Wußten sie nicht, wo sich die Molgs befanden, oder wollten sie Leenia auf die Probe stellen? Leenia wurde sich bewußt, daß sie sich der Gemeinschaft immer mehr entfremdete. Gehörte sie überhaupt zu den Körperlosen? War nicht die Unrast, die sie im Bereich der Höheren Welten empfand, ein Zeichen dafür, daß sie sich danach sehnte, als Körperliche leben zu können? Hatten die Jahre auf Pthor sie geprägt? Doch die Frage, die sie mehr beschäftigte als alle anderen, war die, ob sie überhaupt ein Mitglied der Gemeinschaft war, das mit besonderen Fähigkeiten ausgerüstet worden war, oder ob man sie geschaffen hatte. War sie ein Kunstwesen – nicht mehr und nicht weniger als ein Werkzeug? Sie lauschte in sich hinein. Wenn Wommser in sie übergegangen war, mußte
13 sie dann nicht auch über diesen Teil seines Wissens verfügen wie über all seine anderen Erinnerungen? Sie lagen noch weitgehend verborgen in ihrem Bewußtsein – Wommsers Erlebnisse mit Kolphyr, einem Mann namens Razamon und mit Atlan. Atlan … Der Gedanke an ihn riß sie aus ihren Gedanken. Sie mußte aufbrechen. Leenia stand auf und sah noch einmal ins Dunkel der Höhle. Sie prägte sich die Umgebung des Eingangs in allen Einzelheiten ein, um jederzeit wieder hierher zurück teleportieren zu können. Dann machte sie sich auf den Weg.
* Als Leenia zum wiederholten Male Rast machen mußte, sah sie ein, daß sie so wie bisher nicht weiterkam. Die Strapazen des Marsches machten sich bemerkbar. Immer noch befand sie sich auf steinigem Gelände. Doch die Molg-Beete brauchten feuchten, weichen Boden. Und auf Steinen wuchsen keine Pflanzen, von denen sie sich ernähren konnte. Über das Problem, sich auf Cändero-Spell Nahrung zu beschaffen, hatte Leenia bisher nicht nachgedacht. Jetzt argwöhnte sie bereits wieder, daß der Hunger eine weitere Lektion der Körperlosen sein sollte, denen ihr Wunsch, unter Körperlichen zu leben, nicht entgangen war. Ihr jetziger Körper war so beschaffen, daß er das aufnehmen konnte, was der Planet hervorgebracht hatte – falls es auf Cändero-Spell eine Flora gab. Die Molgs waren weder rein pflanzlich noch rein tierisch. Sie waren Zwitterwesen. Wovon ernährten sich die Wesen, denen Leenia bisher begegnet war? Sie beschloß, ihr Glück durch kurze Sprünge zu versuchen. Auch die erste Teleportation war ein Test. Sie glückte, und Leenia stellte zu ihrem Erstaunen fest, daß sie dazu weitaus weniger Energie aufbringen mußte als vor ihrer »Wiedergeburt«. Dadurch, daß Wommser in ihr aufgegangen
14 war, schienen sich ihre Kräfte potenziert zu haben. Leenia geriet in einen Rausch und führte weitere Sprünge aus, bis sie mitten im Ozean materialisierte. Sie konnte nicht bestimmen, ob sie sich in einem flüssigen oder »nur« einem dicht komprimiertem gasförmigen Medium befand. Schnell entmaterialisierte sie wieder, und diesmal sah sie nach der Verstofflichung einen Wald vor sich. Auf den ersten Blick handelte es sich um riesige Pilze, die aus tiefem, weichen Boden herauswuchsen. Als Leenia einen von ihnen mit der Stiefelspitze antrat, platzte er auf, und die gleiche grünliche Flüssigkeit trat zum Vorschein, die aus dem toten Höhlenbewohner gesickert war. Leenia hatte nun die Gewißheit. Das Leben auf Cändero-Spell wirkte nicht nur unfertig. Es war jung und auf dem gleichen Grundmuster aufgebaut. Alle Geschöpfe dieser Welt waren nichts anderes als ins Riesenhafte angewachsene primitivste Lebensformen – Amöben, Polypen, niedere Organismen, die sich in einer rasenden Evolution den Umweltbedingungen angepaßt und spezialisiert hatten, um überleben zu können. Sie kratzte mit dem Stiefel den dunklen Boden auf und war nicht überrascht, nach wenigen Zentimetern auf Felsgestein zu stoßen. Mit einem Schlag wurde ihr alles klar. Cändero-Spell selbst hatte niemals Leben hervorgebracht. Es war von außen gekommen, aus dem Weltraum. Es war die organische Substanz der abgestürzten Organschiffe gewesen, die den Grundstoff geliefert und den Anstoß gegeben hatte. Von der Atmosphäre zersetzt, war sie in die winzigen Ritzen der Felsen eingedrungen und hatte die unterste Schicht gebildet, aus der zunächst die Molgs gewachsen waren. Als diese abstarben und verwitterten, bildeten sie neuen Nährboden, auf dem weitere Molgs und schließlich andere zunächst pflanzliche Formen wuchsen, die sich im Lauf von nur Jahrhunderten vom Boden lös-
Horst Hoffmann ten. Der Gedanke daran war faszinierend, doch Leenia interessierten nur die Molgs. Sie wußte jetzt, wo sie nach ihnen zu suchen hatte. Sie wuchsen hier, zwischen den Pilzgewächsen, irgendwo in der Nähe. Leenia würde nicht mehr lange zu suchen haben. Und tatsächlich fand sie nach wenigen Minuten das erste Beet. Doch es sah so aus, als wäre sie zu spät gekommen. Die Riesen, die die schwammähnlichen Gebilde abweideten, sahen auf, als sie sich näherte. Leenia warf sich zu Boden, als die ersten Gallertgeschosse heranflogen.
* Wo die Plasmaklumpen gegen die Stämme der Riesenpilze klatschten, spritzte die grünliche Flüssigkeit in dicken Strahlen heraus. Gleichzeitig zogen sich die Hüte zusammen, und dichte Wolken von Sporen ergossen sich auf den Boden und schienen sich mit den treibenden Nebeln zu vereinen. Leenia wartete ab, bis die erste Salve vorüber war. Dann sprang sie auf und rannte hinter den nächsten Pilzen in Deckung. Sie war immer noch nahe genug am MolgBeet, um zwar außer Reichweite der Geschosse zu sein, andererseits aber die Riesen gerade noch sehen zu können, bevor sie in den Nebeln verschwanden. Ihre Augen blitzten auf, und bevor die Monstren sich auf sie stürzen konnten, starben drei von ihnen in den violetten Strahlen. Leenia konnte noch zwei andere erkennen, die jetzt jedoch herumfuhren und im Nebel verschwanden, bevor Leenia die neuen Ziele erfassen konnte. Vorsichtig verließ sie ihre Deckung. Dabei sah sie, daß an den Stellen, an denen die grüne Flüssigkeit aus den Pilzgewächsen gesickert und in den Boden eingedrungen war, bereits etwas Neues zu wachsen begann. Es jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Leenia sehnte den Moment herbei, in dem sie Cändero-Spell verlassen konnte. Der Molg! Sie näherte sich langsam dem Beet und
Die Körperlose und der Molg fand das bestätigt, was sie befürchtet hatte. Kein einziger Molg war für ihre Zwecke geeignet. Alle waren etwa zur Hälfte abgefressen – porige schwammige Massen, völlig zertrampelt. Von einigen waren nur noch die winzigen wurzelähnlichen Extremitäten vorhanden. Zwar wuchsen schnell neue nach, doch Leenia hatte nicht die Zeit, darauf zu warten. Es mußte weitere Beete in der Nähe geben. Nach kurzer Suche fand sie das zweite Beet. Diesmal hatte sie mehr Glück. Auch hier waren einige der sechsbeinigen Riesen dabei, die Schwämme abzuweiden, doch es sah so aus, als hätten sie mit ihrer Mahlzeit erst begonnen. Mehr als die Hälfte der Molgs war noch unversehrt. Die Riesen sahen auf. Leenia warf sich in Deckung, doch der erwartete Beschuß blieb aus. Eines der Wesen stieß einen langgezogenen, schrillen Pfiff aus. Augenblicklich verschwanden die Tiere in den Nebeln. Offenbar gehörte das, das die Warnung gegeben hatte, zu denen, die mit Leenia schon beim ersten Beet Bekanntschaft gemacht hatten. Sie betrat das Beet und suchte sich den größten Molg aus, den sie finden konnte. Das schwammige Gebilde war völlig rund und hatte einen Durchmesser von knapp dreißig Zentimetern. Vorsichtig, sich immer wieder nach möglichen Angreifern umsehend, löste Leenia den Molg aus dem weichen Boden. Die feinen wurzelähnlichen Extremitäten zogen sich sofort in den MolgKörper zurück, wenn sie keinen Halt mehr hatten. Leenia war überrascht von der Schwere des Molgs. Sein Gewicht deutete auf einen harten Kern hin. Damit aber unterschied er sich von den Lebensformen, denen sie bisher begegnet war. Leenia hielt den Molg in beiden Händen und betrachtete das gelbgrüne Gebilde lange. Sie atmete auf. Nun hielt sie nichts mehr auf Cändero-Spell. Sie blickte sich noch einmal um. Außer den ewig treibenden Nebeln war nichts zu sehen. Leenia schloß die Augen, den Molg fest in den Händen.
15 Ihr Auftrag lautete, einen Molg zu beschaffen und damit zu den Höheren Welten zurückzukehren. Von dort aus erst sollte sie sich nach Bordinfeel begeben. Wozu der Umweg? fragte sie sich. Sie brauchte sich bloß auf den Planeten der Grallen zu konzentrieren, um ohne Zeitverlust dort zu materialisieren. Wieder erwachte der Trotz in ihr. Dies war die Gelegenheit, den Mitgliedern der Gemeinschaft zu beweisen, daß sie mündig war und selbst handeln konnte, ohne bei jedem Schritt kontrolliert zu werden. Und sie sah nicht ein, daß sie wieder ihre Zeit damit verschwenden sollte, auf Bordinfeel darauf zu warten, daß Atlan ihre Impulse empfing und zu ihr kam. Diesmal würde sie ihn suchen. Leenia konzentrierte sich auf Bordinfeel, bündelte ihre Energien, ließ das Bild der von Hunderten schnurgeraden Kanäle durchzogenen Planetenlandschaft in sich entstehen – und gab den Impuls. Im nächsten Augenblick schrie sie auf. Ein furchtbarer Schmerz durchzog ihren Körper und schien sie auseinanderreißen zu wollen. Leenia riß die Augen auf und erkannte die Höhle am Felshang – ihr Versteck, das nicht mehr leer war …
4. Keiner der Grallen, die sich im See versammelt hatten, um den herum Kanäle in allen möglichen Formen in die Landschaft getrieben wurden, dachte mehr daran, daß Kirso Bal Taur eigentlich längst hätte vertrieben werden müssen, weil er alles andere getan hatte, als den Beweis für die Höhere Vollkommenheit des Kreises zu liefern. Der Kreis war längst vergessen, ebenso wie die Alten Gesetze, die jahrhundertelang das Wirken der tüchtigsten Baumeister bestimmt hatten. Für Taurs Anhänger war Minko Bal Poohls »Flucht« gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß die Lehre von der geraden Linie eine Irrlehre gewesen war. Mochte
16 er anderswo einen neuen, geraden Bannistero bauen, falls er noch die Kraft dazu hatte. Hier galt das Gesetz der Permanenten Erneuerung. Und der Anführer der »Erneuerer« hockte in einem kleinen von einem Lehmwall umgebenen Tümpel in der Mitte des Sees, in dem sich das Wasser aus siebenundzwanzig Bannisteros vereinigt hatte. Kirso Bal Taur hatte verfügt, daß alle geraden Kanäle zerstört werden sollten. Jeder hatte so gebaut, wie es ihm gerade in den Sinn kam. Kirso Bal Taur hatte seine Anhänger zu sich gerufen, um ein Resümee über das bisher Geleistete zu ziehen. Auch fast alle »Traditionalisten« hatten sich bekehren lassen, als sie sahen, wie ihre Arbeit zerstört wurde und daher offensichtlich doch minderwertig war. Nur wenige Grallen schwammen in der Nähe des Seeufers und machten sich bereit, Taurs Rede durch Zwischenrufe zu unterbrechen. »Der Geist sei mit euch, die ihr gekommen seid, meine Stimme zu hören!« rief Taur. »Der Geist sei mit dir, Meister der Erneuerung!« schallte es über den See. »Der Geist soll dich verdammen!« war es vom Ufer her zu hören. »Es lebe die Gerade Linie!« Kirso Bal Taur würdigte die Störer keines Blickes. »Der Tag ist gekommen«, verkündete er so laut, daß seine Sprechblase zu platzen drohte, »an dem wir die Vergangenheit besiegeln und die Weichen für die Zukunft stellen wollen. Seht, was von der Geraden Linie geblieben ist!« »Nichts!« kam es aus Dutzenden von Sprechblasen. »Nichts«, bestätigte Taur. »Die Gesetze unserer Väter waren falsche Gesetze. Wenn nur die Gerade Linie das Wohlgefallen der Naturgeister findet, wieso haben die Geister uns dann nicht bestraft? Ich will es euch sagen: Sie denken nicht daran, zu strafen, wo ihre Augen nur Vollendung erblicken!« »Das nennst du Vollendung?« kam es von
Horst Hoffmann den Ufern. »Wo noch vor kurzem herrliche Linien die blühende Landschaft durchzogen, ist jetzt nur Schlamm und Unordnung. Ein See und aufgetürmte Erde um ihn herum. Das ist Frevel!« »Es ist der See der Vollendung!« rief Taur mit pathetischer Geste. »Aus ihm werden wir die Wasser schöpfen, die unsere neuen Bannisteros füllen werden, die von hier aus sternförmig und in ihrer Gesamtheit die riesige Spirale der Vollendung bildend den ganzen Planeten umspannen werden. Unsere Zisternen werden den Naturgeistern zum Wohlgefallen sein. Die Naturgeister selbst waren es, die uns leiteten und den See durch uns schufen!« Taur glaubte an das, was er sagte. Die innere Stimme legte ihm die Worte regelrecht in den Mund. Der Gralle war der festen Überzeugung, daß es sich um den höchsten aller guten Naturgeister selbst handelte. »Warte nur!« rief ein alter Gralle vom Ufer her. »Der Würdenträger ist längst wieder hierher unterwegs, und zwar mit Hunderten von Grallen, die nicht verblendet sind. Sie werden dir die bösen Geister austreiben, Taur!« »Minko Bal Poohl wird nicht an den Ort seiner Niederlage zurückkehren. Ihr Uneinsichtigen tätet gut daran, ihm zu folgen, um unser Werk nicht zu stören.« Die Grallen im See klatschten begeistert mit den Ärmchen auf das Wasser. Sie waren nicht wiederzuerkennen. Aus den besonnenen Denkern waren Abenteurer geworden. Noch nie hatte es etwas Ähnliches auf ganz Bordinfeel gegeben. Doch auch noch nie hatte jemand mit solcher Ausstrahlungskraft unter ihnen geweilt wie Kirso Bal Taur. Einige junge Grallen nannten ihn bereits einen Propheten. »Und sollte Poohl hierher zurückkehren, so haben wir nicht die geistige Auseinandersetzung mit ihm zu fürchten!« fuhr Taur fort. »Mit der Kraft der Erneuerung werden wir ihm gegenübertreten und ihm sagen, daß …« »Was wirst du ihm sagen, Kirso Bal
Die Körperlose und der Molg Taur?« Der Ruf war von einem der wenigen Bannisteros gekommen, die zwischen den Erdhügeln in den See mündeten. Die Köpfe der Grallen im See fuhren herum. Taur zuckte zusammen und verlor alle Farbe. Jeder kannte diese Stimme. »Der Würdenträger!« rief einer der älteren am Ufer. »Er ist zurückgekommen!« Jetzt erschien Minko Bal Poohl. Er kletterte aus dem Wasser und bestieg einen der Hügel. Hinter ihm waren andere, fremde Grallen zu erkennen. »Du magst die geistige Auseinandersetzung mit mir nicht fürchten, Kirso Bal Taur!« rief Poohl. »Sie wird fürchterlich werden. Sage deinen Anhängern, daß sie sich besinnen sollen. Für sie ist es noch nicht zu spät, zu erkennen, was sie angerichtet haben. Du aber wirst für deinen Frevel büßen, bis die bösen Geister in dir dich verlassen haben. Wir werden sie austreiben. Jeder soll sehen, wie die Dämonen um den Besitz deiner Seele kämpfen werden. Es wird eine Warnung an alle sein, die leichten Glaubens sind!« »Niemals!« rief Taur. »Hört nicht auf ihn. Er ist mit fremden Grallen gekommen, die voller Neid auf unser Werk sind, weil in ihnen nicht der Geist der Vollendung wohnt!« »Niemals!« kam es aus den Sprechblasen der Jungen. Minko Bal Poohl gab keine Antwort mehr. Er hob zwei Ärmchen und winkte den hinter ihm wartenden Grallen zu. Sofort ergossen sich Scharen von ihnen in den See. Die am Ufer wartenden Verfechter der Geraden Linie schlossen sich ihnen begeistert an. Immer mehr Grallen erschienen. Sie kamen jetzt von allen Seiten. Kirso Bal Taur begann zu zittern, als ihm klar wurde, daß Poohl und seine Helfer schon seit dem Beginn seiner Rede auf der Lauer gelegen haben mußten. Der See war eingekreist. Taur wollte seinen Anhängern etwas zurufen, doch er brachte keinen Laut hervor. Er bekam Angst. Aus der Angst wurde Panik, und sie kam direkt aus seinem Bewußtsein her-
17 aus, von dort, wo die Stimme saß. Er hatte nur noch einen Gedanken. Er mußte fliehen, bevor man ihn fangen konnte. Die Stimme meldete sich nicht, doch Taur konnte spüren, wie sie ihn zu verlassen versuchte. Enttäuschung durchströmte ihn, Bestürzung darüber, daß alles, was sie gesagt hatte, möglicherweise doch falsch gewesen war. Plötzlich glaubte Taur, ein fremdes Wesen sitze in ihm, das lange geschlummert hatte und sich erst jetzt seiner Existenz bewußt wurde. Der Druck in seinem Kopf wurde unerträglich. Er sah schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen und begann zu taumeln. Er wollte tauchen, über den Lehmwall in den See springen und fortschwimmen, doch seine Glieder gehorchten ihm nicht mehr. Zwischen seinen Anhängern und Poohls Grallen war eine wüste Prügelei ausgebrochen. Der Würdenträger selbst war im See und kam mit einem halben Dutzend Grallen auf Taur zugeschwommen. Mehrere Arme packten ihn. Taurs Körper war schlaff. Er leistete keinen Widerstand. Und immer schlimmer wurde der Schmerz in seinem Kopf. Es war, als ob kochendes Wasser durch seine Gehirnwindungen und die Adern gepumpt würde. Und nun hörte er, wie die Stimme in ihm schrie. Sie wollte aus ihm heraus, aber sie hing fest. Der Geist, der in Kirso Bal Taur gefahren war, kam nicht mehr von ihm los. Der Kampf im See dauerte nicht lange. Die von Minko Bal Poohl mitgebrachten fremden Grallen überwältigten diejenigen von Taurs Anhängern, die nicht von selbst aufgaben und ihrem Anführer abschworen. Es war ein Kampf, wie es ihn noch nie gegeben hatte, solange die Grallen sich zurückerinnern konnten – sie, die sich schon überwinden mußten, wenn es galt, die wilden Tiere der Wälder zu jagen und zu töten, wenn diese ihre Bannisteros zerstörten. Dann war es völlig still. Dort, wo vor kurzem noch Kirso Bal Taur gethront hatte, stand nun der alte Würdenträger auf dem Lehmwall. Neben ihm hielten
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zwei Grallen den Frevler fest. »Noch heute nacht«, verkündete Minko Bal Poohl, »werden wir Taur die Dämonen austreiben, die von seinem Geist Besitz ergriffen haben. Ihr alle werdet Zeugen sein. Allein die guten Geister der Natur haben es in der Hand, ob Taur leben oder sterben wird.« Plötzlich war aller Streit vergessen. Es ging nicht mehr um die Höhere Vollkommenheit, es ging um das Leben eines Grallen, so sehr er auch gefrevelt hatte. Trotz der Verwüstungen, für die Taur verantwortlich war, hatte Minko Bal Poohl wieder Mitleid mit ihm. Doch er machte sich keine Hoffnungen. Ein Dämon, der einen so besonnenen jungen Grallen wie Taur zum größten Frevler seit Grallengedenken gemacht hatte, würde nicht weichen, solange sein Opfer lebte. »Bereust du, Kirso Bal Taur?« fragte der Würdenträger. Er erhielt keine Antwort. Taurs Augen waren leer.
5. Leenia war viel zu verwirrt, um rechtzeitig reagieren zu können. Sie sah die beiden glühenden Augen und hörte das dumpfe Geräusch, als der Gallertklumpen aus dem Mund des Monstrums abgeschossen wurde. Er flog genau auf sie zu, traf ihre Brust – und klatschte gegen die Wand in ihrem Rücken. Ungläubig sah Leenia an sich herab. Das Geschoß war durch ihren Körper hindurchgefahren. Leenia vergaß das Wesen, das sich jetzt langsam auf sie zuschob, und führte ihre Hand an ihre Brust. Sie verschwand darin. Leenia war nur halbstofflich! Der Schock brachte sie zur Besinnung. Irgend etwas hatte verhindert, daß sie so wieder verstofflichte, wie sie entmaterialisiert war – das gleiche, das dafür verantwortlich war, daß sie nicht auf Bordinfeel war, sondern immer noch auf Cändero-Spell. Die glühenden Augen! Das Wesen befand sich zwischen Leenia und dem Ausgang der
Höhle. Sie konnte nicht an ihm vorbei, und es war viel zu gefährlich, in der Höhle von ihrer einzigen Waffe Gebrauch zu machen. Der Energie und Hitzestau würde sie selbst umbringen. Leenia wich langsam zurück. Und erst jetzt sah sie den Molg am Boden liegen. Sie hatte ihn völlig vergessen. Sie bückte sich schnell, um ihn aufzuheben, doch ihre Hände fuhren durch ihn hindurch. Er war im gleichen Augenblick zu Boden gefallen, in dem sie halb stofflich materialisiert war und ihre Hände ihn nicht halten konnten. Das Wesen schob sich näher. Leenia wich weiter zurück, Schritt für Schritt, bis sie das Ende der Höhle erreichte. Doch das Tier blieb vor dem Molg stehen. Leenia wollte aufschreien, als sie sah, wie es den Gallertklumpen, der sich zwischen seinen Lippen gebildet hatte, auf sie abschoß und die Lippen über den Molg schob. Das Geschoß fuhr durch sie hindurch wie das erste und zerplatzte an der Wand. Von ungestümem Zorn gepackt, stürzte Leenia sich auf das Monstrum. Sie trat mit aller Kraft nach dem riesigen Schädel. Ihr Fuß fuhr hindurch, und der eigene Schwung wirbelte sie haltlos durch die Höhle. Durch das Wesen, durch die zähe Haut und die Körperflüssigkeit! Leenia erkannte ihren Irrtum. Sie konnte aus der Höhle heraus. Sie konnte durch das Monstrum gehen, selbst durch die Felswände. Und sie hätte den Molg nie wieder aufnehmen können, selbst wenn das Tier ihn sich nicht schon halb einverleibt hätte. Enttäuschung und Zorn dominierten. Wieder ließ Leenia sich hinreißen. Sie konzentrierte sich und schloß die Augen. Sie gab den Impuls und nichts geschah. Kein Blitz, keine Strahlen. Leenia war waffenlos. Von Angst gepackt, überwand sie den Ekel und rannte durch das Tier zum Höhleneingang. Draußen war es ruhig. Sie stellte fest, daß sie schwebte. Ihre Füße sanken in die vor dem Eingang aufgetürmten Felsen ein, um dann wieder in der Luft zu zappeln. Leenia glaubte, den Verstand zu verlieren.
Die Körperlose und der Molg Wie hatte sie sich dann überhaupt bewegen können, wenn ihr Körper nicht mehr als eine Projektion war, ohne jede Möglichkeit, kinetische Energie zu produzieren. Wenn der Körper dies nicht vermochte … Leenia konzentrierte sich auf den Wunsch, über die Felstreppe nach unten zu gelangen. Und ihre Füße trugen sie. Was war geschehen? fragte sie sich, als sie sah, daß sie nicht verfolgt wurde. Ihr war klar, daß sie sich einen neuen Molg beschaffen mußte, aber wie sollte sie ihn greifen und festhalten? Die körperliche Stabilität. Leenia versuchte sich zu erinnern. Was konnte die Ursache für die fehlgeschlagene Teleportation sein? Wo befand sich die andere »Hälfte« ihres Körpers? In einem übergeordneten Kontinuum, vielleicht gar im Bereich der Höheren Welten? Oder auf Bordinfeel? Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Dies war die einzige einleuchtende Erklärung. Im Augenblick des Entmaterialisierens mußte sich ein Teil ihres Bewußtseins auf die Höhle gerichtet haben. Sie hatte sich geteilt. Ihre andere Hälfte befand sich auf Bordinfeel. Leenia sah nur eine Möglichkeit, ihre volle Stofflichkeit wiederzuerlangen. Sie wußte, welches hohe Risiko sie einging, aber sie hatte keine andere Wahl, als den Versuch zu wagen. So versuchte sie, Ruhe in ihre Gedanken zu bringen. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich ein zweitesmal auf Bordinfeel. Diesmal wartete sie solange mit dem Entstofflichungsimpuls, bis sie den Planeten der Grallen und die Stelle, die sie schon beim ersten Versuch vor Augen gehabt hatte, so plastisch sah, daß sie glaubte, schon dort zu sein. Ihr Körper löste sich auf. Leenia spürte ein Ziehen in den Lungen, als sie keine Luft mehr bekam. Sie riß die Augen auf und sah sich von Grallen umringt. Sie spürte Schmerzen!
19 Unter anderen Umständen hätte sie triumphiert. Sie war wieder körperlich. Ihre Vermutung war richtig gewesen. Aber der Körper, den sie jetzt besaß, war für die Verhältnisse auf Cändero-Spell geschaffen. Sie würde ersticken, falls sie länger als Sekunden auf Bordinfeel blieb. Außerdem hatte sie keinen Molg. Leenia sah, wie einige der Grallen sich auf sie stürzen wollten. Nur unbewußt nahm sie wahr, daß eines der Wesen an einen Pfahl gebunden war. Sie konzentrierte sich auf Cändero-Spell und entmaterialisierte. Wieder die Felswand und die drei Höhlen. Leenia fühlte, wie ihre Beine nachgaben. Sie sank zu Boden. Die beiden schnell aufeinanderfolgenden Sprünge über viele Lichtjahre hinweg hatten zuviel Kraft gekostet. Sie hatte recht gehabt. Durch die zweite Teleportation hatte sie ihre »zweite Hälfte«, in welchem Kontinuum oder wo auf Bordinfeel sich diese auch immer befunden hatte, wieder an sich gerissen. Doch der Molg war verloren. Sie mußte noch einmal von vorne beginnen. Die Grallen … Das, was sie nur am Rand wahrgenommen hatte, wurde an die Oberfläche ihres Bewußtseins gespült. Der Gralle am Pfahl. Es gab keinen Zweifel, das war Kirso Bal Taur, der augenblickliche Träger von Atlans Extrasinn. Die Impulse, die dieser ausstrahlte, waren eindeutig gewesen. Und über die Absicht der anderen Grallen konnten kaum Zweifel bestehen. Und jetzt hatte sie wirklich keine Sekunde Zeit mehr zu verlieren. Leenia hatte kaum die Kraft, sich aufzurichten, aber sie konzentrierte sich auf das Molg-Beet, das sie zuletzt besucht hatte. Sie entmaterialisierte mit offenen Augen. Einen kurzen Moment lang war es schwarz um sie herum. Dann sah sie die schwammähnlichen Gebilde. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Doch dieser dritte Sprung in kurzer Folge hatte endgültig ihre letzten Energiereserven aufgezehrt. Leenia brach kraftlos zusammen.
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Horst Hoffmann
* Zwischenspiel In jenen Überräumen, in denen die körperlosen Intelligenzwesen existierten, die Leenia ausgeschickt hatten, um in der Daseinsebene der Körperlichen einen neutralen Bewußtseinsträger für Atlans Extrasinn zu beschaffen, herrschten Verwirrung und tiefste Verärgerung. Längst hätte Leenia zurückkehren müssen. Die Stimmen mehrten sich, die davon sprachen, daß man mit ihr ein viel zu großes Risiko eingegangen war. Der Zeitpunkt, an dem Leenia sich nicht mehr an die Beschlüsse der Gemeinschaft halten würde, sei abzusehen gewesen, warfen sie Leenias Verteidigern vor. Leenia schade der Sache der Körperlosen nur. Wenn sie sich unkontrolliert in der Daseinsebene der Körperlichen herumtrieb, war der Tag nicht mehr fern, an dem sie die Aufmerksamkeit der Dunklen Mächte auf sich zog und damit auf die vergessenen Geistwesen lenkte, die einst die Geschicke der Schwarzen Galaxis mitbestimmt hatten. Leenias Fürsprecher sahen ein, daß sie die Schuld für die Veränderung, die mit ihr vorging, nicht länger allein bei Wommser, jenem Wesen, das sich unvorhergesehenerweise mit ihr vereinigt hatte, suchen durften. Sie gerieten zusehends in die Minderheit und mußten sich schließlich dem Beschluß der Gemeinschaft beugen, daß Leenia unverzüglich zurückgeholt werden sollte. Dies war möglich über den roten Anzug, den sie trug. Er diente nicht nur als Instrument zur Energieübertragung auf Leenia, falls diese in Not geriet oder sich verausgabt hatte, sondern in erster Linie als Instrument direkter Einflußnahme auf sie durch die Gemeinschaft. Doch alle Versuche, Leenia durch ihn zurückzuholen, scheiterten. Es gab keine Verbindung mehr zu ihr. Der Schock verbreitete sich durch die Hö-
heren Welten. Zorn, Bestürzung, Trauer und grenzenlose Enttäuschung trafen aufeinander. Wie lange hatte man warten müssen, bis es endlich gelungen war, ein Mitglied der Gemeinschaft der Vergeistigten im Bereich der Schwarzen Galaxis stofflich werden zu lassen, ohne daß es durch die furchtbare Aura des Bösen binnen kürzester Zeit getötet wurde. Wie viele Hoffnungen hatte man an Leenia geknüpft! Nun schien es, als seien alle diese Hoffnungen, alle Bemühungen umsonst gewesen, wieder Einfluß auf das Geschehen in der Schwarzen Galaxis nehmen zu können, um irgendwann einmal die Macht des Dunklen Oheims zu brechen. Schweigen breitete sich in den Höheren Welten aus. Man wartete. Die Körperlosen kapselten sich voneinander ab. Nur die wenigen, die noch an Leenia glaubten, machten sich Vorwürfe. Vielleicht hatte sie sich so entwickeln müssen, wie sie es getan hatte, weil ihre Fragen unbeantwortet geblieben waren. Die Körperlosen konnten für Sekunden innerhalb der Aura existieren, indem sie ein Feld projizierten, das einen bestimmten Ausschnitt des Weltraums in ein übergeordneten Kontinuum versetzte. Eine kleine Gruppe von ihnen erhielt nach langem Ringen die Erlaubnis der Gemeinschaft, ein solches Feld für die Dauer von wenigen Sekunden zu errichten. Sie projizierten es über Cändero-Spell.
* Leenia wußte, daß es viel zu lange dauern würde, bis sich in ihrem Körper genügend neue Energie aufgebaut hatte, um mit einem Molg den Planeten der Grallen zu erreichen – zu lange, um zu verhindern, daß Kirso Bal Taur umgebracht wurde. Warum die Grallen ihn töten wollten, ahnte sie. Sie selbst hatte erfahren, was Atlans Extrasinn aus seinem Träger zu machen vermochte. Sie hatte er in einen wahren Zerstörungswahn getrieben, weil er sich in ihrem Bewußtsein wie in ei-
Die Körperlose und der Molg nem Gefängnis gefühlt hatte und ausbrechen wollte. Ähnlich mußte er in seinem jetzigen Träger wirken. Vielleicht war er sogar darauf aus, daß Taur getötet wurde, damit er entweichen konnte. Es war alles umsonst gewesen. Leenia geriet in einen Zustand tiefer Apathie. Sie konnte nichts tun. Was sie getan hatte, hatte sie falsch gemacht. Das Wissen um die eigene Fehlbarkeit verstärkte die Depression. Leenia mußte einsehen, daß die Gemeinschaft recht gehabt hatte. Sie war noch nicht ausgereift genug, um ohne Kontrolle handeln zu können. Und doch fühlte sie wieder den Trotz. Wie konnte man von ihr verlangen, effizient zu handeln, wenn man ihr mißtraute und sie nicht zur Entfaltung kommen ließ? Nicht sie allein war schuld! So lag sie zwischen den Molgs, kraft und willenlos, als sie die Veränderung ihrer Umgebung wahrnahm. Zunächst sah sie nur ein leichtes Flimmern. Dann aber spürte sie, wie artverwandtes Leben sie umgab und neue Energien in sie überflossen. Die Depression verschwand schlagartig. Leenias erster Gedanke war: Sie sind gekommen, um mich zu holen! Sie ziehen mich zu sich herauf. Sie werden mich bestrafen! Doch die Nebel blieben, und sie lag immer noch zwischen den Molgs. Leenia begriff, was geschah, und sie wußte, daß jene, die sich im Schutz des Neutralisationsfelds in die Aura der Schwarzen Galaxis begeben hatten, nur für kurze Zeit bei ihr sein konnten. Leenia, vernahm sie. Es waren nur wenige aus der Gemeinschaft, die sich im Schutz des Feldes befanden. Bevor sie Fragen stellen konnten, übermittelte sie ihnen in einem einzigen Impuls alles, was sie erlebt hatte. Dann mußt du unverzüglich nach Bordinfeel! vernahm sie. Gleichzeitig verstärkte sich der Energiefluß. Leenia konnte aufstehen und fühlte sich nach wenigen Augenblicken wieder völlig frisch. Ihr seid also nicht gekommen, um mich zurückzuholen? fragte sie erstaunt. Es ist keine Zeit für Erklärungen. Wir
21 versuchten, dich zu uns zu holen. Doch es war nicht möglich. Du allein kannst zu uns zurückkehren – aus eigener Kraft. Nimm einen Molg und begib dich nach Bordinfeel, bevor der Extrasinn frei werden kann. Leenia gab sich keine Mühe, ihre Überraschung zu verbergen. Ist dies der Wille der Gemeinschaft? Nein, Leenia. Wir werden uns vor ihr verantworten müssen, ebenso wie du. Doch die Umstände lassen keine Wahl. Die Gemeinschaft wird über dich zu Gericht zu sitzen haben, denn du hast gefehlt. Sieh zu, daß der Molg den Extrasinn aufnimmt, und versuche, mit Atlan Kontakt aufzunehmen. Dann kehre zu uns zurück. Leenia schwieg. Sie spürte, wie das Feld schwächer wurde. Die Zeit war abgelaufen. Ich verspreche es! sendete sie schnell. Leenia löste den größten Molg des Beetes aus dem Boden und nahm ihn. Wieder konzentrierte sie sich auf den Planeten der Grallen, auf jene Stelle, an der die Grallen um Kirso Bal Taur versammelt waren. Diesmal gab es keine Panne.
6. Kirso Bal Taur hatte die Erscheinung ebenso gesehen wie die anderen, nur wußte er im Gegensatz zu ihnen, daß es sich nicht um den Dämon gehandelt hatte, der in ihm stecken sollte. Die Stimme war nach wie vor in ihm und peinigte ihn. Doch ohne es zu wissen, hatte Leenia ihm einen wertvollen Aufschub verschafft. Die Grallen hatten von Taur abgelassen, als sie sie in ihrer Mitte erscheinen sahen. Zwar hatten sie sie wieder nicht fangen können, weil sie viel zu schnell wieder entmaterialisiert war, aber für sie stand so gut wie fest, daß ihre Geisteraustreibung Erfolg gehabt hatte. Minko Bal Poohl verkündete laut, daß das fremde Wesen mit den strahlenden Augen nach seiner Überwältigung nicht einfach verschwunden sei, sondern von Taurs Geist Besitz ergriffen und ihn in seinen Wahn getrieben hätte. Die Grallen triumphierten und
22 führten Freudentänze im See auf. Minko Bal Poohl schwamm auf Taur zu und redete beruhigend auf ihn ein. Er trug die Farbe der Freude und redete von der Gnade der guten Naturgeister, die Taur verziehen und ihm das Leben geschenkt hätten. Bis Kirso Bal Taur zirpte: »Und ihr habt doch unrecht! Es lebe die Höhere Vollkommenheit!« Taur sah, wie der Würdenträger zurückwich und die Farbe verlor. Er wollte schnell etwas hinzufügen, sagen, daß nicht er der Ketzer war, daß die Stimme in ihm ihn dazu gezwungen hatte, seine Worte zu sprechen, doch seine Sprechblase war wie gelähmt. Taur glaubte nicht mehr an das, was die Stimme ihm eingab. Zu sehr quälte sie ihn jetzt. Und er wußte, daß sie seinen Tod wollte, gleichzeitig aber furchtbare Angst davor hatte. Taur hätte sich selbst der Besessenheit bezichtigt, wenn er die Worte hätte hervorbringen können. Die eben noch feiernden Grallen näherten sich wieder drohend und warteten darauf, daß Minko Bal Poohl erneut das Zeichen zur Geisteraustreibung gab. Das Wesen mit den strahlenden Augen war wieder vergessen. Der Dämon steckte noch oder wieder in Taur. Entweder gab es mehrere böse Naturgeister in ihm, oder das Wesen mit den strahlenden Augen war in ihn zurückgekehrt, als es sich auflöste. Schweren Herzens gab der Würdenträger den Befehl, mit der Prozedur fortzufahren. Die Dämonenaustreibung verlief nach einem denkbar einfachen Prinzip. Taur war an einen Holzpflock gefesselt, der im Grund des Sees festgespießt war. Das Wasser reichte ihm jetzt bis zum zweiten Armpaar. Die Fesseln saßen so locker, daß Taurs Körper ohne große Mühe von den Grallen an dem Pflock entlang nach oben und unten geschoben werden konnte. »Unten« bedeutete, daß er sich mit dem Kopf unter Wasser befand. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, waren ihm die Kiemenöffnungen verschlossen worden, so daß er nur durch die kleinen Nasenöffnungen atmen konnte – über der Wassero-
Horst Hoffmann berfläche. Jetzt wurde er wieder untergetaucht. Der Würdenträger drückte Taurs Kopf mit einer Hand so lange unter Wasser, bis er kurz vor dem Ersticken war. Minko Bal Poohl zwang sich dazu, Taurs Kopf festzuhalten, bis er das Zeichen gab, daß der Ketzer nach oben geholt wurde. Taur spuckte Wasser aus und rang nach Luft, wie schon ein halbes Dutzend Male zuvor. »Bist du reinen Geistes?« stellte der Würdenträger die immer gleiche Frage, als Taur wieder aufnahmefähig war. »Nein!« zirpte Taur, und es war der Dämon, der aus ihm sprach. Minko Bal Poohl erschauerte und gab wieder das Zeichen. Bei jedem Untertauchen mußte der Frevler einige Atemzüge länger unter Wasser bleiben. Auf diese Weise würde er früher oder später doch sterben, wenn der Dämon ihn nicht vorher verließ – und diesmal für immer. Der Dämon mußte Taurs Todesangst noch stärker empfinden als beim ersten Entweichen. So ging es weiter. Kirso Bal Taur wurde untergetaucht, aus dem Wasser gezogen, befragt, ob er reinen Geistes sei. Er antwortete »Nein« und kam wieder unter Wasser. Und endlich, als der Ketzer halbtot nach oben gezogen wurde, schien der Dämon aufzugeben, obwohl Taur immer noch verneinte, reinen Geistes zu sein. Die Erscheinung stand am Ufer. Wieder hatte der vermeintliche böse Naturgeist die Gestalt des hochgewachsenen Wesens mit den strahlenden Augen angenommen. So dachten die Grallen. Kirso Bal Taur war für den Augenblick vergessen. Die Grallen wollten sich auf den vermeintlichen Dämon stürzen. Doch bevor sie zu nahe heran waren, hob Leenia eine Hand. Die Grallen blieben im Wasser des Sees und sahen den Würdenträger fragend an. Plötzlich hörten sie die Stimme des Wesens: »Halt! Der Geist sei mit euch!«
Die Körperlose und der Molg Die Grallen verloren die Farbe. Sie alle vernahmen die Botschaft. Die Stimme des Wesens schien von überallher zu kommen, ja, mitten in ihren Köpfen zu sein. Es besaß keine Sprechblase. Die Grallen scharten sich um den Würdenträger, der nun alle Verantwortung auf sich geladen sah. Da stand der Dämon und sprach zu den Grallen. Minko Bal Poohl war völlig verwirrt. Für einen bösen Geist gehörte es sich, daß er nach der Austreibung entwich, sich auflöste, wie es beim erstenmal geschehen war. Alles andere paßte nicht zum Bild eines Dämons. Minko Bal Poohl sah sich plötzlich mit der Frage konfrontiert, wie man einem Dämon, der nicht gleich die Flucht ergriff, begegnete. Durfte man überhaupt mit ihm reden? Leenia indes wartete. Taur lebte noch, und nur das zählte. Aus den Gedanken der Grallen hatte sie sich alles Wissen geholt, das sie brauchte. Sie mußte sie dazu bringen, daß sie ihr Taur überließen. Leenia wollte einen Kampf mit allen Mitteln verhindern. Diese armen Geschöpfe hatten genug mitgemacht. Leenia trug den Molg in beiden Händen. Taur mußte in eine psychische Streßsituation gebracht werden, in der sich der Extrasinn von ihm löste und in den Molg überglitt. Leenia selbst blockierte ihr Bewußtsein, um nicht noch einmal Träger des Extrasinns werden zu können. Sie machte sich keine Illusionen über die Schwierigkeiten, die ihr bevorstanden, wenn der Extrasinn sich selbst in höchster Todesangst seines Trägers nicht von diesem löste. Doch sie hatte Zeit. Diesmal hatte sie ihren Körper während des Sprunges transformiert. Er war den Lebensbedingungen auf Bordinfeel optimal angepaßt. Endlich rührte sich der Gralle, den seine Artgenossen »Würdenträger« nannten. »Weiche!« zirpte Minko Bal Poohl. »Verlasse unsere Welt, Dämon! Kehre zurück in die tiefsten Abgründe der Verdammnis, aus denen du entstiegen bist!« »Du irrst dich, oh Meister der Geradlinigkeit«, sendete Leenia. »Der Dämon steckt
23 nach wie vor in Kirso Bal Taur. Nur ich kann ihn vertreiben. Deshalb bin ich hier.« »Du täuschst uns nicht!« entgegnete Poohl. »Du warst es, die unsere Bannisteros zerstörte.« »Ich tat dies im Kampf mit dem Dämon, der in Kirso Bal Taur steckt. Dafür bitte ich euch um Vergebung. Um meinen guten Willen zu beweisen, werde ich euch dabei helfen, neue gerade Bannisteros zu errichten. Wie viele von euch wurden durch den Besessenen geschädigt?« Bevor Minko Bal Poohl antworten konnte, meldeten sich mehr als ein Dutzend Grallen. Leenia war überrascht davon, wie schnell sie ihr Mißtrauen aufgaben, als es um ihre verwüsteten Kanäle ging. »Ich mache euch einen Vorschlag. Ihr gebt mir Taur, damit ich den Dämon von ihm nehmen kann, und ich grabe euch neue Bannisteros.« »Du willst Taur nur haben, um ihn …« »Ich werde ihn unversehrt und reinen Geistes zu euch zurückschicken«, schnitt Leenia Poohl das Wort ab. »Wir haben keine Garantie dafür, daß du die Wahrheit sprichst und dein Wort halten wirst.« Leenia zuckte die Schultern, eine Geste, mit der die Grallen nicht viel anfangen konnten. »Zeigt mir, wo ihr eure neuen Bannisteros errichten wollt.« Sofort schwammen einige Grallen auf sie zu und kletterten neben ihr an Land. Sie blieben in respektvoller Entfernung, forderten sie aber auf, ihr zu folgen. Die kleine Gruppe kam nur langsam vorwärts, weil die Grallen sich auf dem festem Land nur schwerfällig bewegen konnten. Leenia sah über die Schulter nach Taur, der schwer atmete und ihrem Blick begegnete. Die Grallen führten sie zwischen aufgetürmter Erde und einigen Tümpeln hindurch, bis sie flaches, unzerstörtes Gelände erreichten, das nur durch wenige schnurgerade Kanäle zerschnitten war, zwischen denen noch Platz für ein gutes Dutzend weiterer
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Bannisteros war. »Hier wollen wir unsere neuen Bannisteros bauen«, erklärte einer von ihnen. Der Würdenträger war weit zurückgeblieben und blickte mißtrauisch. »Wo genau?« fragte Leenia nun den ihr am nächsten stehenden Grallen. Das Wesen mit den Schwimmfüßen und den sechs Ärmchen zeigte ihr den gedachten Verlauf seines Kanals. »Tretet zurück«, sagte Leenia. Dann blitzten ihre Augen auf. Violette Strahlen schossen daraus hervor und brannten innerhalb weniger Minuten eine dreißig Meter lange, schnurgerade Furche von anderthalb Meter Breite in das Erdreich. Die Grallen, die in Panik geflüchtet waren, kamen staunend zurück. Als sie begriffen, daß sie nur noch eine Verbindung zum See schaffen mußten, um dessen Wasser in die neuen Kanäle fließen zu lassen, nachdem sie sie ausgebaut und ihre Wände stabil gemacht hatten, zeigte einer nach dem anderen Leenia, wo sie nun für ihn »graben« sollte. Leenia erfüllte alle Wünsche. »Ihr seht, daß ich meine Versprechen halten kann«, sagte sie dann. Es gelang ihr nach einigem weiteren Hin und Her, auch Minko Bal Poohl zu überzeugen. Der Würdenträger ließ Kirso Bal Taur losbinden und an Land bringen. Taur wehrte sich mit Ärmchen und Schwimmfüßen. Er zirpte verzweifelt, daß man ihn nicht ausliefern dürfe. Die Fremde würde ihn töten. Leenia wußte, daß es Atlans Extrasinn war, der durch ihn sprach und offensichtlich Angst hatte, wieder im Gefängnis von Leenias Bewußtsein zu landen. Bevor die Grallen es sich anders überlegen konnten, packte sie den zappelnden Taur mit einer Hand und entmaterialisierte mit ihm.
* Taur lag flach auf dem Rücken im hohen Gras in der Nähe eines verlassenen Bannisteros, der Molg neben ihm. Leenia stand über ihn gebeugt und hatte die Augen geschlossen.
Niemand war in der Nähe, der sie bei dem stören konnte, was sie zu tun hatte. Sie war nicht so sicher, wie sie sich gegeben hatte, daß der junge Gralle die Austreibung des Extrasinns überleben würde. Dazu wußte sie zu wenig über diese Wesen. Es hing letztlich vom Extrasinn ab. Leenia hatte den ursprünglichen Gedanken, Taur in eine Streßsituation zu bringen, aufgegeben. Es hätte nur unnötige Qualen für den Grallen bedeutet, und im See hatte sich ja gezeigt, wie wenig dies genutzt hatte. Taur war nur Statist. Leenia griff den Extrasinn direkt an. Sie konnte sich nicht mit ihm »unterhalten«. Jeder Kontaktversuch auf telepathischer Basis war fehlgeschlagen, als er in ihr weilte. Sie konnte ihn nur spüren – und in die Enge treiben. Paranormale Impulse flossen in jenen Teil von Taurs Bewußtsein über, in dem der Extrasinn festsaß. Leenia spürte, wie er in Panik geriet, und verstärkte den Druck. Taurs Körper zuckte heftig, was sie immer wieder zu Pausen zwang. Leenia drang immer tiefer in Taurs Bewußtsein ein. Manchmal war sie nahe daran, Taur zu sein. Sie spürte den Extrasinn jedesmal wieder von neuem auf, drängte ihn zurück in die Tiefen von Taurs Unterbewußtsein, folgte ihm in die Abgründe jenseits des Bewußten, jagte ihn weiter, bis es keinen Halt mehr für ihn gab. Die plötzliche Leere wirkte wie ein Schock auf Leenia. Sofort zog sie sich aus Taur zurück. Ihr erster Blick galt dem Grallen. Taur lebte, wenn er auch kaum noch atmete. Der Molg. Das schwammige Gebilde strahlte nur für einen ganz kurzen Augenblick, schwach, aber stark genug, um Leenia Gewißheit zu geben. Er hatte den Extrasinn im gleichen Augenblick wie ein Magnet in sich aufgesogen, in dem dieser Taur verließ. Leenia wußte, daß er nicht aus ihm entfliehen konnte, und kümmerte sich zunächst um den Grallen. Sie hob ihn auf und brachte ihn zum Kanal, wo sie ihn vorsichtig ins Wasser gleiten ließ. In seinem gewohnten
Die Körperlose und der Molg Element erholte er sich schnell. »Die … Stimme«, sagte er. »Sie … sie ist weg. Ich bin … frei.« »Ja, Taur. Du wirst zu den Deinen zurückkehren und einen neuen Bannistero bauen. Sie wissen, daß du unter fremdem Zwang handeltest.« »Dann ist alles vorbei? Der … Geist wird nicht zurückkehren? Es war schrecklich. Die Stimme wollte mich umbringen, aber dann wieder hatte sie Angst. Und ich habe so sehr gefrevelt!« »Du wirst sie nie mehr hören, und niemand wird dich verurteilen.« Leenia nahm den Molg und reichte Taur die freie Hand. Er ergriff sie. Sekunden später waren sie wieder am See. Als die Grallen sich davon überzeugt hatten, daß Taur gesund und »reinen Geistes« war, veranstalteten sie ein wahres Konzert mit ihren Sprechblasen. Leenia wußte, daß sie gefeiert wurde. Minko Bal Poohl kam zu ihr und entschuldigte sich für das Unrecht, das er ihr angetan hatte und lud sie ein, Gast der Grallen zu sein. »Es geht nicht«, wehrte sie dankend ab. »Ich muß euch verlassen.« »Ich verstehe. Du willst weitere Dämonen jagen.« »So ist es.« Leenia lächelte. »Der Geist sei mit euch.« »Der Geist sei mit dir!« Leenia sah, wie einige Grallen bereits dabei waren, das Wasser aus dem See in die neuen Kanäle zu leiten. Sie waren mehr als fleißig, und bald schon würde von der Verwüstung nichts mehr zu sehen sein. Leenia packte den Molg fest und entmaterialisierte mit ihm. Weit genug von den Grallen entfernt wurde sie wieder stofflich. Sie hatte den Extrasinn. Sie hatte den Auftrag, Atlan herbeizulocken, um ihm den Extrasinn zurückzugeben. Und sie hatte versprochen, zu den Höheren Welten zurückzukehren. Schon einmal hatte sie auf Bordinfeel gehockt und versucht, Atlan durch Konzentra-
25 tionsübungen herbeizulocken. Der Versuch war gescheitert. Alles in ihr drängte danach, sich nun selbst auf die Suche nach ihm zu machen. Sie kämpfte mit sich. Sie versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen, ihre Entscheidung diesmal frei von Emotionen zu treffen. Noch mehr als ohnehin schon durfte sie die Gemeinschaft, der sie angehörte, nicht verärgern. Sie konnte nicht ahnen, daß der Molg andere Pläne hatte.
7. Der Planet Olmerstolm war eine relativ unbedeutende Basiswelt für Organschiffe. Hier gab es Reparaturwerften, hier wurden neue Schiffe, bisher nur mit einer Galionsfigur versehen, mit Mannschaften ausgerüstet und andere, deren Beschädigungen nicht mehr repariert werden konnten, verschrottet beziehungsweise neu aufbereitet, was die organischen Teile betraf. An Olmerstolm lief das große Geschehen innerhalb des Marantroner-Reviers vorbei. Zwar wußte man, was sich draußen im Weltraum tat, aber das war auch schon fast alles. Wenn die Scuddamoren-Flotte neue Schiffe brauchte, rief man sie von Olmerstolm ab. Die Besatzungen kehrten in der Regel nie zurück, und jene, die mit beschädigten Organschiffen kamen, gingen bald an Bord neuer Einheiten und verschwanden wieder zwischen den dunklen Sternen. So herrschte zwar ein ständiges Kommen und Gehen, aber noch nie hatte Olmerstolm im Brennpunkt wichtiger Geschehnisse gestanden. Die Scuddamoren, die hier lebten und ihren Dienst taten, waren meist strafversetzt worden oder hatten sich als raumuntüchtig erwiesen. Sie waren mit ihrem Los zufrieden. Nur jene, die nach Olmerstolm abkommandiert worden waren, um die Arbeiten zu überwachen, litten unter der Langeweile und sehnten sich danach, eines Tages abgelöst und wieder in den Raum geschickt zu werden.
26 So auch Zenbronker, der Kommandant des Stützpunkts. Als er nach Olmerstolm kam, war er voller Tatendrang gewesen. Die Monotonie des Lebens auf der Basiswelt hatte ihn bald geprägt. Die Illusion, daß eines Tages doch etwas Ungewöhnliches auf Olmerstolm geschehen könnte, hatte er längst verloren. Er dachte an den Tag seiner Ablösung und machte seine Arbeit. So schenkte er der Nachricht, daß an Bord der FRAULPIEN eine Fremde gesehen worden war, zunächst keine Beachtung. Erst vor kurzem war ein Verband überholungsbedürftiger Schiffe gelandet, und es war oft genug vorgekommen, daß die Besatzung des Stützpunkts angebliche Eindringlinge gesehen hatte, die in Wirklichkeit nur Angehörige der vielen Hilfsvölker im Marantroner-Revier waren, die mit den Schiffen gekommen waren und sich die Zeit bis zum erneuten Start damit vertrieben, sich auf Olmerstolm umzusehen. Zenbronker ließ sie gewähren, wenn er es auch nicht besonders gerne sah, daß sie sich an Bord der Schiffe herumtrieben und für Unordnung sorgten. Wahrscheinlich gehörte die »Fremde« zu den mit dem Verband gelandeten Raumfahrern, sagte er sich. Und außerdem – wie sollte jemand, der auf Olmerstolm nichts zu suchen hatte, von der Raumüberwachung und den Kontrollen bei der Landung eines jeden Schiffes unbemerkt hierher gelangt sein? Um die Scuddamoren an Bord der FRAULPIEN zu beruhigen, befahl er jedoch, daß zwei von ihnen die »Fremde« beobachten und ihn auf dem laufenden halten sollten. Wenn er glaubte, jetzt seine Ruhe zu haben, sah er sich getäuscht. Nur wenige Minuten vergingen, bis er erneut einen Anruf aus der FRAULPIEN erhielt. Gereizt schaltete er eine Bildverbindung zur Zentrale des Organschiffs, das in wenigen Stunden mit elf anderen zusammen in den Weltraum starten sollte. Der Kommandant, ein Scuddamore namens Bilnerstung, war selbst an Bord, um die letzten Arbeiten der Monteure zu überwachen. Er befand sich nur zu einem Zwischenaufenthalt auf Ol-
Horst Hoffmann merstolm. »Ich habe lange genug in der Flotte Dienst getan«, sagte Bilnerstung, »um zu wissen, wer zu den Hilfsvölkern des Neffen gehört und wer nicht. Diese Fremde gehört nicht dazu, Zenbronker! Sie bewegt sich durch die Korridore des Schiffes wie in Trance und scheint etwas zu suchen, von dem sie selbst nicht weiß, was es ist. Ich verlange, daß sie von Bord geschafft wird. Wenn ihr sie auf Olmerstolm frei herumlaufen lassen wollt, ist das eure Sache. Ich will sie nicht auf meinem Schiff haben.« Die Dreistigkeit, mit der der Raumfahrer redete, verschlug Zenbronker für einen Augenblick die Sprache. Als er zu einer heftigen Entgegnung ansetzen wollte, war Bilnerstungs Gesicht vom Bildschirm verschwunden. Statt dessen sah der Kommandant der Basiswelt eine hochgewachsene Gestalt ganz in Rot und hinter ihr zwei Scuddamoren, die ihr in wenigen Metern Abstand folgten. Schlagartig verschwand das Desinteresse. Zenbronker beugte sich vor und sah, wie die Fremde sich jetzt bückte und anscheinend in einer Nische etwas suchte. Als sie sich wieder aufrichtete, taumelte sie leicht. Sie drehte sich um und blickte für einen Augenblick direkt in die versteckte Kamera. Zenbronker zuckte zusammen, als er ihr Gesicht sah. Diese Augen! Sie waren leer, ausdruckslos, und doch schlug ihm ein Feuer aus ihnen entgegen, das ein tiefes Gefühl des Unbehagens in ihm hervorrief. Jetzt verstand Zenbronker die Aufregung der Scuddamoren an Bord der FRAULPIEN. Und er ahnte, daß die Zeit der Ruhe vorbei war. Er wartete ab, beobachtete die Fremde noch eine Zeitlang und wurde immer sicherer, daß sie tatsächlich nach etwas suchte. Die beiden Scuddamoren hinter ihr schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Die Raumfahrer hielten ihre Strahler auf sie gerichtet. Sie hatten Angst.
Die Körperlose und der Molg Das Bild verblaßte, und Bilnerstung blickte Zenbronker wieder entgegen. »Genügt das?« fragte er nur. »Ich lasse sie abholen«, antwortete Zenbronker knapp. »Nehmt sie fest.«
* Zenbronker wartete mit gemischten Gefühlen im Hauptkontrollturm des Raumhafens, auf dem die FRAULPIEN stand. Wie lange hatte er darauf gewartet, daß endlich einmal etwas geschah, das die Monotonie des Alltags auf Olmerstolm zerriß? Nun wußte er kaum, wie er sich zu verhalten hatte. Er glaubte längst nicht mehr daran, es bei der Fremden mit einer Angehörigen eines Hilfsvolks zu tun zu haben. Aber wie hatte sie dann unbemerkt hierher gelangen können? Wie lange war sie schon auf Olmerstolm? Und wonach suchte sie? Wer hatte sie geschickt? Hatte sie etwas mit jenem Mann zu tun, der seit einiger Zeit das Marantroner-Revier unsicher machte? War sie am Ende eine Agentin des Neffen Duuhl Larx? Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten den Scuddamoren, als er beobachtete, wie die Fremde über das Hafengelände zum Kontrollturm gebracht wurde. Sie leistete keinen Widerstand. Zenbronker hatte einige seiner wichtigsten Mitarbeiter um sich versammelt. Er gab es ihnen gegenüber nicht zu, aber er hatte sie in erster Linie kommen lassen, um der Fremden nicht allein gegenübertreten zu müssen. Alle Scuddamoren im Raum waren bewaffnet. Dann wurde sie hereingeführt. Zenbronker blickte in die violetten Augen und hatte das Gefühl, in der Leere, die aus ihnen sprach, versinken zu müssen. Er mußte sich zusammenreißen. Wie eine Idiotin ließ die Fremde sich zu einem Stuhl führen und hineinfallen. Sie blickte starr vor sich hin und sah erst auf, als Zenbronker sich direkt vor ihr aufbaute.
27 »Wer bist du?« fragte er direkt. »Du gehörst nicht zu jenen, die mit dem letzten Verband hier gelandet sind.« Sie gab keine Antwort und blickte sich jetzt verwirrt um. Sie sah die Anwesenden der Reihe nach an, dann wieder den Kommandanten. Der wiederholte seine Frage. »Ihr … ihr habt ihn gefunden?« fragte die Fremde dann. Die Worte klangen so, als benutzte sie die Einheitssprache der raumfahrenden Völker der Schwarzen Galaxis zum erstenmal. Zenbronker unterdrückte einen Fluch und sah sich hilfesuchend um. »Wen sollen wir gefunden haben?« fragte er unwirsch und erhielt wieder eine Gegenfrage zur Antwort: »Wo bin ich hier?« Die Augen der Fremden waren wieder in die Ferne gerichtet, als lauschte sie in sich hinein. »Du befindest dich auf Olmerstolm, und das weißt du sehr gut«, herrschte der Scuddamore sie an. »Du hast indirekt zugegeben, daß du etwas an Bord der FRAULPIEN gesucht hast. Also weißt du, warum du hier bist und was du suchst. In wessen Auftrag handelst du? Wir haben die Möglichkeit, es herauszufinden, auch wenn du dich weiterhin dumm stellst. Wie kommst du hierher? Wer bist du?« Zenbronker gab sich alle Mühe, einschüchternd und entschlossen zu wirken. Er war es nicht. »Ich bin Leenia«, antwortete die Fremde diesmal, doch ihre Worte schienen nicht an die Scuddamoren gerichtet zu sein. »Ich weiß nicht, wie ich hierherkam. Aber der Molg … Ich muß den Molg finden.« Die Scuddamoren sahen sich verwirrt an. Mit dem Namen »Leenia« konnten sie nichts anfangen, und von einem Molg hatten sie noch nie gehört. Was war es? »Sie macht uns etwas vor«, sagte Kerrengorm, Zenbronkers Stellvertreter. »Eine Gehirnwäsche wird sie schnell gefügig machen.«
28 Zenbronker winkte unwirsch ab. Irgend etwas an der Fremden faszinierte ihn. Sie bedeutete Gefahr, das spürte er, aber da war noch etwas anderes. Etwas, das sie sehr wertvoll machen konnte. Er versuchte, sie zum Sprechen zu bringen, indem er zum Schein erst einmal auf ihre wirren Worte einging. »Du bist also Leenia. Und du suchst … den Molg. Was ist der Molg, Leenia?« »Ich habe ihn gefunden«, flüsterte sie. »Ich war mit ihm auf Bordinfeel. Ich … ich muß ihn wiederfinden, meinen Auftrag ausführen.« Auftrag! Zenbronker zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Er ignorierte die alarmierten Blicke der anderen und gab den Befehl, daß ein Verband von Organschiffen sofort in eine Umlaufbahn gehen sollte. Vielleicht war die Fremde auf Olmerstolm, um einen Angriff aus dem All vorzubereiten. Er mußte mit allem rechnen. »Der Molg, Leenia!« drang er dann weiter in sie. »Du hast ihn hierhergebracht?« Sie hatte ausgesagt, mit diesem »Molg«, worum immer es sich dabei auch handelte, auf Bordinfeel gewesen zu sein. Zenbronker hatte von dieser Welt gehört. Sie war völlig unbedeutend. Aber sie befand sich am Rand des Marantroner-Reviers! Und von dort war sie gekommen. »Ich weiß es nicht«, sagte Leenia leise. Dann nickte sie. Für einen Moment leuchtete es in den leeren Augen auf. »Ja, ich war mit ihm bei den Organschiffen …« »Du hast ihn verloren?« »Ich habe ihn … versteckt. Ich mußte es tun, weil …« Sie zuckte die Schultern. Es sah so aus, als versuchte sie krampfhaft, sich an etwas zu erinnern. Je länger Zenbronker sie beobachtete, desto weniger glaubte er daran, daß sie schauspielerte. »Was ist es?« fragte Kerrengorm scharf. Er trat vor, griff in Leenias lange Haare
Horst Hoffmann und riß ihr den Kopf in den Nacken. »Sie hat zugegeben, etwas hierhergebracht und versteckt zu haben, wahrscheinlich an Bord der FRAULPIEN, denn dort suchte sie danach. Sie sagte, daß sie in jemandes Auftrag handelt. Komm zu dir, Zenbronker! Sie gehört nicht zu uns und hat sich hier eingeschlichen. Niemand hat uns über ihr Kommen informiert. Sie will Zeit gewinnen und uns mit dummem Gefasel in die Irre führen. Ich sage dir, dieser Molg ist nichts anderes als eine Bombe!« Zenbronker stand wie versteinert vor seinem Stellvertreter. Er sah Leenia an, doch diese zeigte nicht die geringste Reaktion. Zenbronker erkannte, daß er sich zu sehr von der Begeisterung hatte leiten lassen, endlich etwas tun zu können, und dabei die Realitäten vernachlässigt hatte. Kerrengorm hatte recht. Der Kommandant der Basiswelt gab Alarm. Er befahl die Durchsuchung der FRAULPIEN mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Die in der Nähe der FRAULPIEN stehenden Schiffe starteten, soweit sie dazu schon in der Lage waren, und landeten wieder auf anderen Teilen des riesigen Hafengeländes. Dann gab er den Wachen, die die Fremde gebracht hatten, den Befehl, sie abzuführen und in eine durch energetische Schirme ausbruchsicher gemachte Zelle zu bringen, bis er sich weiter um sie kümmern konnte. Als die Wachen sie packen wollten, sprang sie auf. »Nein!« schrie sie. »Laßt mich! Ich muß ihn finden! Ich muß ihn haben!« Sie stieß die Wachen zur Seite. Ihre Augen begannen zu strahlen.
* Leenia sah den Scuddamoren vor sich. Sein Name – ja, ein anderer hatte ihn Zenbronker genannt. Vermutlich war Zenbronker der Kommandant dieser … Station? Welt? Zentrale …? Leenia wußte es nicht. Der kurze Augenblick, in dem sie einen Teil der Erinnerung zurückerlangt hatte, war schon wieder vor-
Die Körperlose und der Molg bei. Neben ihr richteten sich zwei Scuddamoren auf und packten ihre Arme, nachdem Zenbronker ihnen einen Befehl gegeben hatte. Zenbronker war kurz vorher erschreckt zurückgesprungen. Warum? Leenia erinnerte sich an nichts mehr. Sie spürte nur den Drang in sich, etwas wiederfinden zu müssen, das ihr verlorengegangen war. Molg … Sie leistete jetzt keinen Widerstand, als die beiden Scuddamoren sie abführten. Sie ließ sich in die Zelle bringen, viele Stockwerke unter dem Raum, in dem sie Zenbronker gegenübergestanden hatte, und sah zu, wie die Wachen sich zurückzogen und die Luft zwischen ihr und ihnen zu flimmern begann. Ein Gefängnis, registrierte sie. Aber sie mußte beweglich bleiben, den Molg finden. Sie rief den Wachen etwas nach, doch diese reagierten nicht und verschwanden durch eine Tür. Leenia ging auf die sie umgebenden strahlenden Wände zu und blieb nur wenige Zentimeter davor stehen. Sie wußte nicht, warum, aber sie hatte Angst davor, sie zu berühren. Lange stand sie so da – bewegungslos, mit hängenden Schultern und geschlossenen Augen. Bilder tanzten in ihrem Bewußtsein, Bilder von Menschen, von Wesen mit sechs Armen und kleinen stämmigen Schwimmfüßen und von Raumschiffen auf einem riesigen Landefeld. Sie ergaben keinen Sinn. Dann wieder der Molg – eine schwammähnliche Kugel, die sich aufzublähen und in ihrem Gehirn zu explodieren schien. Staub. Eine dichte Wolke von blauem Staub. Er trieb auf sie zu. Leenia schrie und riß die Augen auf. Nur die flimmernden Wände. Kein Staub, kein Molg, kein Schiff … Wo waren die Grallen? Eine Erinnerung brach durch: Bordinfeel, die Welt der Kanalbauer. Sie allein mit dem Molg, mit … Atlans Extrasinn!
29 Leenia zuckte zusammen. Sie taumelte zurück und ließ sich in den einzigen Stuhl fallen, der in der Zelle stand. Sie sah sich allein auf Bordinfeel, den Molg fest in den Händen, ihre Gedanken auf Atlan gerichtet, den sie finden mußte. Dann der Staub. Er kam aus dem Molg. Und plötzlich die Korridore eines Organschiffs. Die FRAULPIEN. Leenia stand mit leeren Händen da und wußte, daß sie den Molg verloren hatte. Nein, nicht verloren – er hatte sie gezwungen, ihn zu verstecken, irgendwo an Bord. Leenia atmete tief durch und versuchte verzweifelt, das, was ihr wie ein Traum vorkam, festzuhalten. Doch je mehr sie sich konzentrierte, desto schneller verschwanden die Bilder wieder. Nur das Wissen blieb, daß sie an Bord der FRAULPIEN gelangen mußte, um den Molg zu finden, bevor er … Bevor er was tun konnte? Er hatte eine ganz bestimmte Absicht. Leenia wußte nur, daß ihm das, was er vorhatte, auf keinen Fall gelingen durfte. Der Wunsch, aus ihrem Gefängnis auszubrechen, wurde übermächtig. Es bereitete Leenia fast körperliche Qualen, zu wissen, daß sie hilflos war. Auch dies war etwas, das sie nur spürte: sie konnte die Energiebarrieren nicht überwinden. Sie mußte warten. Irgendwann würde man sie wieder holen. Vielleicht hatte sie bis dahin die volle Erinnerung wiedererlangt. Eben waren die Bilder deutlicher gewesen als beim Verhör durch Zenbronker. Auch der Druck im Kopf war nicht mehr ganz so stark. Leenia zwang sich dazu, logisch zu denken, was in ihrer augenblicklichen Verfassung fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Sie mußte wieder zu klarem Verstand kommen, gegen das kämpfen, was von ihr Besitz ergriffen hatte und ihre Sinne lähmte. Es war schwer, so furchtbar schwer … Nach einer Weile kamen die Bilder wieder, diesmal wieder etwas deutlicher, doch
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immer noch ohne das Maß an Zusammenhang, das sie erkennen lassen konnte, warum sie jetzt hier saß. All ihre Gedanken kreisten um die eine Frage: Was war auf Bordinfeel geschehen, als sie mit dem Molg allein war? Wieder verblaßte die Erinnerung. Der Gedanke daran, daß in diesen Augenblicken draußen bei den Raumschiffen etwas vorging, das sie unbedingt verhindern mußte, von dem sie aber nicht wußte, was es war, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie mußte handeln und konnte es nicht. Sie hatte versagt.
8. Wie sollte eine Suche Erfolg haben, wenn niemand wußte, wie das Gesuchte überhaupt aussah? Zenbronker befand sich an Bord der FRAULPIEN. Von der Zentrale aus beobachtete er über eine Vielzahl von Monitoren, wie Scuddamoren, Roboter und Angehörige von Hilfsvölkern jeden Korridor, jede Nische, jeden Raum und jeden Schacht absuchten. Sie gingen mit den modernsten Spürgeräten vor. Selbst der Teil des Schiffes, in dem der Antrieb untergebracht war, und die transparente Bugkuppel mit der Galionsfigur wurden nicht ausgelassen. Nichts. Nach etwa einer Stunde wollte Zenbronker die Suche abbrechen lassen. »Und wenn diese Fremde uns nur vorgespielt hat, etwas an Bord geschmuggelt zu haben?« fragte Bilnerstung. »Ich habe ihr Gesicht beobachtet«, sagte Zenbronker. »Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber was meinst du?« »Sie könnte von etwas anderem ablenken wollen.« »Was sollen wir noch tun? Ich habe einen Verband in den Weltraum geschickt. Kein Gegner kann sich uns nähern, ohne sofort erkannt zu werden. Die Schiffe auf den Landefeldern stehen alle unter Bewachung. Soll ich auch sie durchsuchen lassen? Es steht
fest, daß diese Leenia nur an Bord der FRAULPIEN war.« »Hier wurde sie entdeckt«, antwortete Bilnerstung. Er war entschlossen, keinen Augenblick länger als unbedingt nötig auf Olmerstolm zu bleiben. Für ihn schien festzustehen, daß es keinen Fremdkörper an Bord gab. »Du meinst«, fragte Zenbronker ungehalten über die Wortkargheit seines Gegenübers, »daß sie vorher schon auf anderen Schiffen gewesen sein könnte und nur nicht entdeckt wurde? Daß sie diesen Molg vielleicht dort versteckte?« »Falls es ihn wirklich gibt. Ich habe mir die Mühe gemacht, vom Zentralcomputer alle Daten über Bordinfeel abzurufen. Es gibt dort weder eine Lebensform noch sonst etwas, das man ›Molg‹ nennt.« »Unterstellen wir, daß es ihn gibt.« »Wenn ein fremdes Wesen unbemerkt von euren Außenstationen und den Ortern auf Olmerstolm hierhergelangen konnte, könnten auch weitere Fremde eingesickert sein. Fremde, die jetzt, wo sich alles auf diese Leenia und das, was sie angeblich versteckte, konzentriert, ungestört arbeiten können.« Zenbronker schwieg lange. Falls es weitere Fremde gab, wo sollten sie sich befinden? Was konnte ihr Ziel sein? »Nur sie kann dir die Antwort geben«, sagte Bilnerstung. »Es ist dein Problem, Zenbronker. Du mußt die Entscheidung treffen. Du trägst die Verantwortung.« Ja, dachte der Kommandant der Basiswelt. Und er wußte, daß andere, allen voran Kerrengorm, nur darauf warteten, seinen Platz einnehmen zu können. Sie waren dazu verdammt, für ungewisse Zeit auf Olmerstolm zu leben, und wenn sie schon keinen Sinn in ihrem Leben sehen konnten, dann wollten sie zumindest soviel Macht wie möglich. Zenbronker sah ein, daß er nicht daran vorbeikam, Leenia einer Gehirnwäsche auszusetzen. Er war bereits entschlossen, den Befehl zu geben und in die Kommandozentrale im
Die Körperlose und der Molg Kontrollturm zurückzukehren, als sein Blick auf einen der Schirme fiel, die die immer in Gruppen zu zweit gehenden Scuddamoren zeigten, die nach dem suchten, was es nicht zu geben schien. Zeigen sollten… Zenbronker stieß einen Schrei aus und deutete auf den Schirm. Ein Scuddamore lag reglos am Boden in der Mitte eines Korridors, genau dort, wo einige zentimeterdicke Kabelstränge in der Wand verschwanden. Die Abdeckplatte war heruntergerissen worden. Eine Nische von etwa einem halben Meter Tiefe war zu sehen. Keine Spur von dem Begleiter des Bewußtlosen oder Toten. Bilnerstung stieß eine Reihe von Verwünschungen aus. »Bist du immer noch der Meinung«, preßte Zenbronker hervor, »daß sie uns angelogen hat?«
* Jaksbärler hieß der Scuddamore, der mit dem verschwundenen Brexanark zusammen den unteren Teil der FRAULPIEN durchsucht hatte. Nun saß Jaksbärler mit stumpfem Blick vor Zenbronker, unfähig, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Er konnte nur lallen, und wenn es ihm einmal gelang, ein Wort deutlich auszusprechen, ergab es keinen Sinn. Er sprach von einem blauen Staub und nannte immer wieder gleich darauf den Namen Brexanark. Mehr war ihm nicht zu entlocken. Blauer Staub und Brexanark, der unauffindbar war. Ein zweites Mal hatte Bilnerstung es sich gefallen lassen müssen, daß sein Schiff auf den Kopf gestellt und damit der Start weiter verzögert wurde. Er hatte sich grollend in eine Ecke der Zentrale zurückgezogen und gab nur dann und wann bissige Kommentare. Der Start der FRAULPIEN war nicht nur verzögert, sondern bis auf weiteres untersagt worden.
31 Etwas befand sich also tatsächlich an Bord, dachte Zenbronker. Und nach dem, was er bisher wußte, mußte er annehmen, daß es sich bei dem mysteriösen Molg um nichts anderes handelte als um den Staub, von dem Jaksbärler redete. Was war dann aus Brexanark geworden? Hatte der Staub ihn getötet und möglicherweise sogar in sich aufgenommen? Die Idee war nicht so abwegig, wie sie dem nun ebenfalls an Bord gekommenen Kerrengorm erschien, der sie als Hirngespinst abtat. Zenbronker selbst hatte auf einem Planeten, der wichtige Rohstoffe für die raumfahrenden Völker des Marantroner-Reviers lieferte, von jenen, die auf ihm arbeiten mußten, eine solche monströse Lebensform beschrieben bekommen. Intelligente Staubwolken, aus Milliarden kleinster Kristalle bestehend, die sich von Organischem ernährten und mehr als einen Scuddamoren das Leben gekostet hatten. War dies die Waffe, die die Fremde nach Olmerstolm gebracht hatte? Waren Gegner des Neffen am Werk, die Stützpunkte Chirmor Flogs vernichten wollten? Die Staubwolken, an die Zenbronker denken mußte, vermehrten sich so schnell, daß nichts sie aufhalten konnte, wenn sie nur genügend Nahrung fanden. Und es gab eine Menge Nahrung für sie auf Olmerstolm. Vielleicht irrte Zenbronker sich. Aber allein die Möglichkeit, es beim Molg mit einer solchen Lebensform zu tun zu haben, brachte ihn an den Rand der Panik. Jetzt konnte es kein Zögern mehr geben. Zenbronker ließ Schirmfeldprojektoren heran fahren und eine Energieglocke über die FRAULPIEN legen, nachdem sie völlig evakuiert worden war. Der Kommandant der Basiswelt hatte die Suche nach Brexanark schnell abbrechen lassen, bevor weitere Scuddamoren oder Angehörige der Hilfsvölker »verschwinden« konnten. Während Bilnerstung sich mit seiner Mannschaft laut fluchend in die Wartehallen begab, machten er und Kerrengorm sich auf den Weg zu jenen Kammern, in denen schon
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mehr als einer, der nicht reden wollte, gesprochen hatte. Jaksbärler befand sich bereits dort, und fünf schwerbewaffnete Scuddamoren holten die Fremde.
* Als Leenia die Scuddamoren kommen sah, war der Druck in ihrem Kopf fast völlig verschwunden. Sie wußte wieder, wer sie war, worin ihr Auftrag bestand, daß sie auf Cändero-Spell einen Molg gefunden und diesen auf Bordinfeel mit Atlans Extrasinn versehen hatte. Dann hatte sie sich in den Korridoren der FRAULPIEN befunden und nach dem Molg gesucht, der sie gezwungen hatte, sie an Bord zu verstecken. Warum, das wußte sie ebensowenig wie den Ort, an dem sie ihn abgelegt hatte, oder wie sie ausgerechnet hierhergekommen war, wo sie keinesfalls Atlan finden konnte. Als sie die Scuddamoren nun sah, wußte sie, was ihr bevorstand. Einer hatte beim Verhör von Gehirnwäsche gesprochen. Sie aber mußte zur FRAULPIEN, den Molg suchen, herausfinden, was zwischen Bordinfeel und dieser Welt, von der sie nur den Namen wußte, geschehen war. Die Energiebarrieren um sie herum fielen. Leenia wartete nicht ab, bis die Scuddamoren bei ihr waren. Sie schloß die Augen, konzentrierte sich auf die FRAULPIEN und versuchte zu entmaterialisieren. Nichts geschah. Nur die Stimme eines Scuddamoren war zu hören, der sie aufforderte, keinen Widerstand zu leisten und mitzukommen. Leenia hatte es befürchtet. Sie konnte die notwendige Konzentration für einen Sprung noch nicht aufbringen, und sie hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis sich der letzte Rest dessen, was ihr Bewußtsein vernebelt hatte, aufgelöst hatte. Sie machte einen Sprung zurück, öffnete die Augen und sah die schweren Energiewaffen auf sich gerichtet. Trotz und Ver-
zweiflung übermannten sie, und sie versuchte, ihre Energien aus den Augen abzugeben, obwohl sie wissen mußte, daß es noch zu früh war. Der Versuch schlug fehl. Die Scuddamoren waren heran und packten sie an den Armen. Hilflos mußte sie sich fügen – zumindest für den Augenblick. Sie mußte Zeit gewinnen. Sie erkannte Teile des Weges jetzt wieder, als sie durch Gänge und über freies Gelände geführt wurde, bis sie schließlich in einen Lift im Sockel eines schlanken Turmes gestoßen wurde. Es ging abwärts. Alle fünf Wachen blieben bei ihr und nahmen die Waffen nicht herunter, bis der Lift zum Stillstand kam und sich eine der Wände vor ihren Augen zur Seite schob. Helligkeit schlug ihr entgegen. Leenias Augen gewöhnten sich schnell daran. Sie ließ sich bis in die Mitte des länglichen, niedrigen Raumes führen, wo der Scuddamore sie erwartete, der sie verhört hatte. Inzwischen hatte sie gelernt, diese Wesen an ihren Ausstrahlungen zu unterscheiden. Doch nicht ihn sah sie an. Ein anderer Scuddamore saß in einem Alptraum von Sessel. Stählerne Klammern lagen um seine Fuß und Handgelenke. Mehrere dünne Drähte schienen an verschiedenen Stellen seines Kopfes in dem dunklen Wallen, das ihn umgab, zu verschwinden. Angehörige eines Leenia nicht bekannten Volkes standen neben den massiven Lehnen, in denen sich verschiedene Anzeigeinstrumente befanden, und nahmen Einstellungen vor. Es sah fast so aus, als wollten die Scuddamoren selbst nichts mit dem zu tun haben, was mit ihrem Artgenossen vorging. Über dessen Kopf schwebte ein Projektor, aus dem in bestimmten Abständen schwache Blitze auf den Unglücklichen herniederfuhren. Der Scuddamore lallte, schrie, versuchte sich aufzubäumen und loszureißen. Das also war das, was man hier unter einer Gehirnwäsche verstand, dachte Leenia erschüttert. Von dem armen Teufel im Foltersessel würde niemand etwas erfahren. Er war ein
Die Körperlose und der Molg Wrack. Doch das schien die Scuddamoren wenig zu stören. Zwei von ihnen, die bei Zenbronker gestanden hatten, bauten sich vor ihm auf und stellten Fragen. Die Antworten waren wieder nur Schreie. Leenia glaubte, das Wort »Staub« zu verstehen. Sie ließ sich ihren Schrecken nicht anmerken. Sie mußte sich so gelassen wie möglich geben. Mit ziemlicher Sicherheit ließ man sie Zeuge des »Verhörs« sein, damit sie schon jetzt weich wurde. Auf ein Zeichen der Scuddamoren nahmen die Fremden an den Lehnen neue Schaltungen vor. Die Intensität der Blitze aus dem Projektor wurde stärker. Der Körper des Scuddamoren bebte immer heftiger. Leenia zwang sich dazu, hinzusehen. Vielleicht konnte der Haß auf die Bestien, die einen der Ihren zu Tode quälten, ihr die Kraft geben, das aus ihrem Bewußtsein zu spülen, was sie immer noch hemmte. Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Vielleicht konnte sie die Scuddamoren mit Worten einige Minuten lang hinhalten – dann aber würde sie dort sitzen, wo der Unglückliche in diesem Augenblick starb. Zum erstenmal, seitdem Leenia den Raum betreten hatte, sprach Zenbronker. Er rief die Fragesteller zurück und ordnete an, daß der Tote aus dem Sessel geschafft wurde. »Du wirst uns die Antworten geben, die wir von ihm nicht bekommen konnten«, wandte er sich dann an Leenia. »Wer war er?« fragte sie und gab sich Mühe, so unbeteiligt wie möglich zu klingen. »Du scheinst dich gut erholt zu haben«, stellte der Kommandant fest. »Jaksbärler war dabei, als sein Begleiter vom Molg getötet wurde.« Leenia zuckte zusammen. Sie hatte vermutet, daß der Scuddamore zumindest mit dem vom Molg abgesonderten Staub in Berührung gekommen war, genau wie sie, und dadurch zum Idioten geworden war. Er hätte sich mit der Zeit ebenso wie sie erholt. Für einen Augenblick schweiften Leenias Gedanken ab. Sie schickte einen stummen Vor-
33 wurf an die Adresse der Körperlosen, die sie von der Eigenschaft der Molgs, diesen willenlos machenden Staub abzusondern, warnen müssen. Aber der Molg konnte nicht töten! Zwar lebte er nach der Loslösung aus dem Boden des Beetes noch Jahre weiter, aber er war unfähig, sich von alleine fortzubewegen, geschweige denn mit seinen schwachen Extremitäten jemanden umzubringen. Schon gar nicht verfügte er über paranormale Kräfte. Offensichtlich unterlagen die Scuddamoren einem Irrtum. Sie hatten also nach dem Molg suchen lassen, und Jaksbärler war, zusammen mit seinem Begleiter, auf ihn gestoßen. Anders waren seine Worte vom Staub nicht zu deuten. Bedeutete dies, daß die Scuddamoren den Molg besaßen und – noch – vor ihr versteckten, um zu erfahren, was da in ihre Hände gefallen war? Atlans Extrasinn! Der Gedanke an ihn ließ Leenia plötzlich zweifeln. Ein Molg konnte nicht töten, sich nicht von selbst fortbewegen. Aber was war, wenn der Extrasinn sich in ihm auf die gleiche fatale Weise bemerkbar machte wie schon in ihr und in Kirso Bal Taur? War es möglich, daß er dem Molg eine Art Intelligenz verliehen hatte? Daß beide sich auf phantastische Art und Weise vereint hatten? Der Tote wurde aus dem Raum getragen. Der Sessel war nun leer. Die Fremden warteten auf Leenia. »Ich verstehe nicht«, sagte sie, als Zenbronker sie abwartend ansah. »Du glaubst gar nicht, was du alles verstehen wirst, wenn du erst dort sitzt.« Der Scuddamore deutete auf den Sessel. »Ihr habt den Molg also gefunden?« fragte Leenia schnell. Irgend etwas mußte ihr einfallen. Sie war noch zu schwach. »Gefunden!« Zenbronker lachte rauh. »Du wirst uns sagen, wo und wie wir ihn finden können. Hast du deine Meinung geändert? Willst du uns freiwillig sagen, was du weißt?« »Ich erinnere mich jetzt an vieles«, sagte
34 sie schnell. Fast hatte sie das Gefühl, daß Zenbronker ihr eine Brücke baute, damit sie nicht auf den stählernen Sessel mußte, wo die Folterknechte bereits ungeduldig zu werden begannen. »Er zwang mich, ihn an Bord eines der Schiffe zu verstecken. Er ist unbedeutend und ungefährlich für euch.« Sie mußte sich jedes Wort gut überlegen, wenn sie nicht zuviel verraten wollte. »Er … er ist mein Partner.« »Dein Partner!« Zenbronker schrie es heraus, und das Gefühl, von ihm könne sie Gnade erwarten, war sofort wie weggeblasen. »Ein fressender Nebel, der mindestens einen meiner Leute auf dem Gewissen hat! Das ist dein Partner?« Leenia begriff, daß die Scuddamoren den Staub tatsächlich für den Molg hielten, was aber hieß, daß der Molg selbst noch nicht gefunden worden war. Doch – gefunden schon, und die Scuddamoren, die ihn entdeckt hatten, hatten einen hohen Preis dafür bezahlt. Leenia war noch dabei, die Konsequenz daraus zu »verdauen«, als Zenbronker den Scuddamoren, die sie gebracht hatten, ein Zeichen gab, worauf diese sie wieder packten und zum Sessel führten. Sie hatte abermals richtig vermutet. Der Molg hatte ein Eigenbewußtsein entwickelt. Atlans Extrasinn setzte sein fatales Wirken nun in ihm fort. Schon daraus, daß der Molg sie gezwungen hatte, ihn hierherzubringen und zu verstecken, hätte sie es erkennen müssen. Welches Ziel verfolgte er – verfolgte der Extrasinn? »Aufhören!« schrie Leenia in Panik, als sie in den Sessel gedrückt wurde und sich die stählernen Klammern um ihre Gelenke schlossen. Sie paßten sich völlig an und ließen keinen Millimeter Raum. Behandschuhte Hände näherten sich ihrem Kopf. Zwischen den Fingern der Fremden befanden sich Haftscheiben mit Drähten daran. »Nein!« schrie sie. »Ihr macht einen Fehler! Ich will euch helfen, den Molg zu finden! Er ist nicht das, was ihr glaubt. Allein
Horst Hoffmann bekommt ihr ihn nie. Ich allein …« »Schweig!« herrschte Zenbronker sie an. »Du hast uns genug vorgelogen. Ja, du wirst uns helfen, ihn zu finden und unschädlich zu machen. Jetzt gleich!« Er gab den Gestalten an den Lehnen ein Zeichen. »Fangt an.« Nein! dachte Leenia. Wenn sie erst einmal an die Drähte angeschlossen war und die Blitze aus dem Projektor auf sie überflossen, war es zu spät für sie. Sie mußte jetzt zu entfliehen versuchen, auf die Gefahr hin, daß ihre Konzentrationsfähigkeit noch immer nicht hundertprozentig wiederhergestellt war. War das nicht der Fall, dann war sie ohnehin verloren. Sie konnte nur noch den Kopf bewegen, drehte ihn so, daß sie diejenigen sehen konnte, die gerade die Haftscheiben an ihrer Stirn befestigen wollten, und bündelte die Energien ihres Körpers. Ihre Augen blitzten auf. Die violetten Strahlen töteten die Fremden auf der Stelle. Tumult brach los. Die Scuddamoren standen wie versteinert um sie herum. Sie durfte nicht warten, bis sie sich von ihrer Überraschung erholten. Leenia schloß die Augen, dachte so intensiv wie nur möglich an den Korridor in der FRAULPIEN, in dem sie zuletzt nach dem Molg gesucht hatte – und entmaterialisierte. Die Energieglocke über dem Organschiff bedeutete für sie kein Hindernis. Sie war untergeordneter Natur und hielt sie nicht auf. So fand sie sich an Bord der FRAULPIEN wieder. Es dauerte Augenblicke, bis sie begriff, daß sie es tatsächlich geschafft hatte und wieder im vollen Besitz ihrer Kräfte war. Doch die Zeit drängte. Die Scuddamoren würden eine Weile fassungslos sein, dann aber nach ihr zu suchen beginnen. Und sie wußten, wo sie sie finden würden. Plötzlich war es, als risse Leenias Bewußtsein auf. Vielleicht war es die Folge der Teleportation, vielleicht wäre die volle Erinnerung auch so durchgebrochen. Leenia sah sich wieder mit dem Molg auf Bordinfeel stehen, wie sie die Augen schloß,
Die Körperlose und der Molg um sich ganz auf Atlan zu konzentrieren – und wie sie die Stimme des Molgs hörte …
* In dem Augenblick, in dem der Extrasinn in den Molg überglitt, wußte er, daß diesmal alles ganz anders sein würde. Dieses seltsame Wesen war aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit ein idealer Träger für ein heimatloses Bewußtsein, war kein Gefängnis aus fremden Gedanken, Wünschen und Trieben, in dem der Extrasinn immer nur »Gast« sein durfte. Diesen Molg besaß der Extrasinn. Er war das Wesen. Die Hülle diente ihm nur als Herberge, als Körper, den er benutzen konnte. Kein fremder Geist schränkte ihn ein. Doch um sich völlig anzupassen und eins mit seinem Träger zu werden, mußte der Extrasinn dennoch Konzessionen an den Molg machen, dessen Natur als »Nachkomme« eines Organschiffs er schnell erkannte. Obwohl der Molg über kein Bewußtsein im herkömmlichen Sinn verfügte, steckten in ihm Erinnerungen an die Zeit vor der Metamorphose. Der Extrasinn erkannte, daß es ihm nur von Nutzen sein konnte, wenn er diese Erinnerungen bewußt machte und somit dem Molg ein Stück Intelligenz verlieh. Stark vereinfacht ausgedrückt, verlieh er dem Molg ein Bewußtsein, indem er einen Teil seines Bewußtseins an ihn abgab. Der Molg erwachte. Er wurde zu einem eigenständigen Wesen mit eigenen Sehnsüchten, Zielen und Plänen. Durch den Extrasinn wurde er in die Lage versetzt, zu fühlen und zu denken. Und sein ganzes Denken und Streben war durch die Erinnerungen an jene Zeiten bestimmt, in denen er als Organschiff durch das Weltall flog – und als Cesterton-Kyrl. Ein winziger Teil des auf phantastische Art und Weise nie erloschenen Bewußtseins des Noots hatte sich in allen Molgs des Beetes manifestiert, das dort entstanden war, wo die NAUSIEN abgestürzt war. Der Molg begriff sich als Wesen. Seine
35 bisherige Existenz erschien ihm als im höchsten Grade unbefriedigend. Der Extrasinn unterstützte diesen Bewußtwerdungsprozeß, denn er konnte nur davon profitieren. Noch dachte er dies. Er wußte, daß Leenia versuchen wollte, Atlan zu finden, doch ihre Bemühungen erschienen ihm als zum Scheitern verurteilt. Sie hatte nicht die nötige Bewegungsfreiheit und war zu labil. Mit Hilfe des Molgs konnte er selbst auf die Suche gehen. Er mußte die Raumfahrtbesessenheit des Molgs, die Sehnsucht, wie in der früheren, weit zurückliegenden Existenz wieder zwischen den dunklen Sternen der Schwarzen Galaxis zu sein, ausnutzen und in die richtigen Bahnen lenken. Die Unbeweglichkeit des Molgs stellte zwar ein Problem dar, aber auch dies ließ sich lösen. Der willenslähmend wirkende Staub war das Mittel, um sich Träger zu beschaffen. So war es bei Leenia geschehen. Als sie sich konzentrierte, um eventuelle psionische Impulse Atlans aufzufangen, hatte der Molg zum erstenmal zugeschlagen. Leenia war so in ihre Konzentration vertieft gewesen, daß sie nicht einmal merkte, was mit ihr geschah. Als ihr Wille erloschen war, trat der Extrasinn selbst in Aktion. Er wirkte telepathisch derart auf sie ein, daß sie zur nächsten Welt sprang, die über einen Raumhafen und Organschiffe verfügte. Von dort aus, an Bord eines Schiffes, sollte die Suche beginnen – für das aus Erinnerungen und bisher brachliegenden Sehnsüchten geborene Bewußtsein des Molgs die Erfüllung dieser Sehnsüchte, für den Extrasinn der lange Weg zurück zu Atlan. Er war nicht an ein Schiff gebunden. Überall, wo es landete und sich lebende Wesen in der Nähe befanden, konnte er sie durch den Staub dazu bringen, ihn in ein anderes Schiff mit neuem Ziel zu bringen …
* Die Erkenntnis lähmte Leenia für Sekun-
36 den. Unbewußt mußte sie die Absichten des Molgs – sie sah in erster Linie ihn und nicht den Extrasinn, der ihn mehr oder weniger steuerte – während des Sprunges von Bordinfeel nach Olmerstolm in sich aufgenommen haben, als sie und der Molg eine energetische Einheit bildeten. Jetzt wurde ihr ein Weiteres klar. Mittels des Staubes, einer natürlichen Waffe der Molgs gegen Feinde, konnte der Molg nicht nur Raumfahrer dazu bewegen, ihn unbemerkt von Schiff zu Schiff zu bringen, wenn dem Extrasinn die Route desjenigen, auf dem er sich gerade befand, als nicht vielversprechend erschien – er konnte auf die gleiche Weise von einem Schiff verschwinden, auf dem er gesucht wurde. Leenia dachte daran, daß ein Scuddamore, der mit dem Staub in Berührung gekommen war, tot sein sollte. Sie begriff, daß er lediglich verschwunden war und die Scuddamoren seinen Tod nur vermuteten. Befand sich der Molg noch in der FRAULPIEN? Wie viele startbereite Organschiffe mochte es gegenwärtig auf Olmerstolm geben? Hundert? Tausend? Wie viele Verstecke, in die der Molg sich von Brexanark bringen lassen konnte, um abzuwarten, bis sich die Wogen geglättet hatten? Leenia erkannte die ganze Ausweglosigkeit ihrer Situation, falls ihre Befürchtung sich als zutreffend erwies. Sie mußte suchen, hier an Bord der FRAULPIEN solange die Scuddamoren noch nicht auf der Bildfläche erschienen. Nur so konnte sie Gewißheit bekommen. Leenia zwang sich dazu, einen Schritt vor den anderen zu setzen. Endlos erscheinende Korridore, Schächte, Nischen. Sie lauschte in sich hinein, versuchte den Extrasinn paranormal aufzuspüren – vergeblich. Endlich fand sie die Stelle, an der der blaue Staub millimeterdick in der Mitte eines Korridors auf dem Boden lag. Fußabdrücke waren hineingetreten. Leenia bückte sich und sah, wie eine feine Spur von der
Horst Hoffmann Stelle, an der der Molg die Scuddamoren überrascht hatte, wegführte. Sie verlor sich nach wenigen Metern. Brexanark mußte etwas von dem Staub an den Stiefelsohlen gehabt haben. Aber wie sollte er unbemerkt aus der FRAULPIEN gelangt sein? Hatte er die Sicherheitsvorkehrungen umgehen können, bevor der Energieschirm aufgebaut wurde? Weiter! Leenia gab die Hoffnung nicht auf, den Molg an Bord der FRAULPIEN zu finden. Sie zwang sich dazu, an die Möglichkeit zu glauben. Sie erreichte die Zentrale des Organschiffs und sah auf einem Monitor, wie drei Gruppen von Scuddamoren aus verschiedenen Richtungen auf die FRAULPIEN zukamen. Sie hatten ihre Überraschung also überwunden. In wenigen Minuten würden sie an Bord sein. Leenia aktivierte weitere Schirme. Sie sah die Organschiffe jenseits der geräumten Fläche auf dem Landefeld stehen. In jedem konnte der Molg stecken. Leenia versuchte, sich in ihn hineinzuversetzen. Was hätte sie an seiner Stelle getan, wäre ihr die Flucht aus der FRAULPIEN gelungen? Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Ständig starteten und landeten weiterhin Organschiffe auf Olmerstolm. Für jene, die sich auf diesem Teil des Raumhafens befanden, herrschte ganz offensichtlich Startverbot. Aber das galt nicht für die anderen Landefelder, die ein Scuddamore mit einem geeigneten Fahrzeug in wenigen Minuten erreichen konnte. Dies mußte das Ziel des Molgs gewesen sein. An Bord der FRAULPIEN konnte Leenia die Suche jetzt, wo die Scuddamoren kamen, nicht mehr fortsetzen. Außerdem glaubte sie jetzt immer weniger daran, daß der Molg sich noch hier befand. Sie mußte wissen, welche Schiffe von Olmerstolm gestartet waren, nachdem er entdeckt worden und Brexanark mit ihm verschwunden war.
Die Körperlose und der Molg Sie selbst konnte es nicht in Erfahrung bringen. Dazu fehlte ihr das zur Bedienung der scuddamorischen Technik notwendige Wissen. Ein Scuddamore mußte für sie die Computer befragen. Leenia dachte an die Höheren Welten. Lange durfte sie die Rückkehr dorthin nun nicht mehr hinauszögern. Sie wußte, daß sie dabei war, sich noch einmal in Gefahr zu begeben, doch es mußte sein, wenn sie eine Chance haben wollte, den Molg mit dem Extrasinn wieder in ihre Hände zu bekommen. Sie wagte sich die Reaktion der Körperlosen auf einen neuerlichen Fehlschlag nicht vorzustellen. Leenia suchte ein Versteck und fand es in einem offenstehenden leeren Wandschrank. Sie stieg hinein und zog die Tür zu. Der Energieschirm um die FRAULPIEN fiel, die ersten Scuddamoren kamen durch die Schleusen.
9. Sie versammelten sich in der Zentrale, schwärmten auf die Korridore aus, suchten überall – nur nicht in der Zentrale selbst. Leenia konnte hören, wie sie sich unterhielten. Sie erkannte Zenbronkers Stimme. So erfuhr sie, daß Brexanark noch nicht gefunden worden war. Die Scuddamoren sprachen weiterhin von ihm wie von einem Toten. Leenia bedachten sie mit allen möglichen Bezeichnungen, aus denen hervorging, daß sie mit ihr auch nicht das geringste anfangen konnten. Sie gelangten schließlich zu der Überzeugung, daß sie, gerade weil sie damit rechnen mußte, dort am ehesten gesucht zu werden, nicht an Bord der FRAULPIEN war. Die Suche wurde abgeblasen. Falls sie sich überhaupt noch auf Olmerstolm befand, so argumentierte Zenbronker, würde sie versuchen, die wichtigsten Nervenzentren der Basiswelt zu sabotieren, während »ihr« Nebel bald irgendwo erscheinen und für ein Chaos sorgen würde. Zenbronker erntete heftigen Widerspruch,
37 doch seine Befehle galten. Leenia konnte die Angst vor dem »fressenden Staub« spüren. Zenbronker gab die Anweisung, daß alle Scuddamoren sich in die wichtigsten Anlagen zurückzogen, um nach Leenia zu suchen. Natürlich waren sie dort auch am besten gegen den Staub geschützt. Immerhin bewies Zenbronker Verantwortungsbewußtsein, als er sich dagegen wehrte, Unterstützung von anderen Welten der Scuddamoren herbeizurufen. Jedes landende Schiff konnte zum Träger des Nebels werden und ihn zu anderen Planeten schleppen. Das Startverbot wurde mit sofortiger Wirkung auf alle auf Olmerstolm befindlichen Schiffe ausgeweitet. Leenia wurde klar, daß sie, wenn sie von hier verschwand, für einen spektakulären Abgang sorgen mußte. Die Scuddamoren mußten zu der Überzeugung gebracht werden, daß sie den Nebel mit sich nahm, wenn sich die Verhältnisse auf Olmerstolm bald wieder normalisieren und der Planet keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte. Fragen und Untersuchungen bargen die Gefahr in sich, daß man höheren Ortes die Vorkommnisse auf der Basiswelt mit den »vergessenen« Körperlosen in Verbindung brachte und nach Mitteln suchte, diese potentielle Gefahr unschädlich zu machen. Zwar konnte Leenia sich nicht vorstellen, wie Körperliche in den Bereich der Höheren Welten vordringen wollten, aber sie hütete sich davor, die Möglichkeiten des Dunklen Oheims zu unterschätzen. Bei dem Gedanken an eine Bedrohung ihrer Artverwandten erkannte Leenia, wie sehr sie bei allem Sträuben doch zu ihnen gehörte. Die Scuddamoren verließen die FRAULPIEN. Leenia erschrak. Ohne sie war sie hilflos. Sie atmete auf, als sie wieder Stimmen hörte. Der Kommandant des Organschiffs hatte durchgesetzt, daß er mit einem Begleiter in der Zentrale bleiben konnte. Leenia hörte, wie sie sich setzten, und warteten, bis sie sich über den Rückzug der
38 anderen Scuddamoren unterhielten, der nur auf den Monitoren zu sehen war. Sie mußten ihr jetzt den Rücken zukehren. Vorsichtig öffnete sie die Schranktür einen Spalt breit, bis sie die beiden sehen konnte. Bilnerstung, der Kommandant der FRAULPIEN, zog böse über Zenbronker her. Er wollte starten, koste es, was es wolle. Der andere stimmte ihm zu. In ihrer Rage bemerkten beide Scuddamoren nicht, wie Leenia ihr Versteck verließ. Mit gezielten Handkantenschlägen beförderte sie Bilnerstung und den anderen zu Boden, wobei sie Bilnerstung die Waffe entriß. »Keine Dummheiten«, sagte sie und richtete den Strahler auf sie. Sie trat ein paar Schritte zurück. »Die Fremde«, keuchte Bilnerstungs Begleiter. »Ich brauche nur einen von euch«, sagte Leenia ruhig. Sie zeigte mit der freien Hand auf den Strahler. »Kann er paralysieren?« »Sie weiß nicht, wie man damit umgeht, und will uns drohen!« dröhnte Bilnerstungs Stimme durch die Zentrale. »Los, wir packen sie!« Leenias Augen blitzten auf. Der tödliche Strahl fuhr dicht vor den Füßen des Scuddamoren in den Boden. »Ich könnte euch beide auf der Stelle töten. Ihr habt die Wahl. Einer von euch muß mir helfen, von diesem Planeten zu entkommen. Auch er wird paralysiert werden, wenn ich ihn nicht mehr brauche – oder sterben, wenn er sich weigert.« »Entkommen?« fragte Bilnerstung, blieb aber in respektvoller Entfernung. »Du willst … aufgeben?« Leenia hatte sich jedes Wort gründlich überlegt. Wenn ihr Plan gelang, würden diese beiden die letzten Scuddamoren sein, die sie zu Gesicht bekämen. Von ihrer späteren Aussage hing es ab, ob es zu einer unter Umständen folgenschweren Untersuchung kommen oder ob die Ereignisse auf Olmerstolm bald nur noch Raumfahrergarn sein würde, das kaum jemand ernst nahm.
Horst Hoffmann »Von Aufgeben kann nicht die Rede sein. Ich suchte den Nebel und habe ihn gefunden. Allerdings brauche ich eure Hilfe, um ihn von hier fortzubringen.« Leenia ging auf die Annahme, beim Molg handle es sich um »fressenden Staub«, ein. »Wie ich schon einmal sagte, ist der Molg mein Partner. Wir wurden durch Zufall hierher verschlagen. Wir wollen nichts von euch.« »Beweise es! Einer von uns wurde durch ihn getötet.« »Ihr irrt euch. Aber ihr werdet den Beweis haben, wenn kein Scuddamore mehr durch den Molg zu Schaden kommt. Ihr werdet alle sehen können, wie ich ihn mit mir nehme. Genug der Worte. Ihr habt noch nicht geantwortet.« Wieder ließ Leenia es in ihren Augen aufblitzen. Der Scuddamore neben dem Raumschiffskommandanten rief schnell: »Der Schalter links über dem Abzug! Stell ihn auf Weiß!« »Verräter!« schrie Bilnerstung auf und wollte sich auf ihn stürzen. Leenia schaltete und schoß fast gleichzeitig. Bilnerstung brach paralysiert zusammen. »Nun zu dir«, sagte die Körperlose.
* Knapp eine halbe Stunde später wußte Leenia, was sie hatte wissen wollen. Es schien fast aussichtslos, den Molg noch einzuholen, falls er an Bord eines der sieben Schiffe gewesen war, die nach der Entdeckung von Brexanarks Verschwinden von Olmerstolm gestartet waren. Brexanark hätte Zeit genug gehabt, jedes von ihnen zu erreichen. Sie waren im Weltraum. Leenia kannte ihre Routen, doch vier von ihnen flogen nahegelegene Welten an, wo der Molg, einmal gelandet, nicht lange brauchen würde, um ein neues Versteck zu finden. Dennoch mußte sie es versuchen. Leenia paralysierte auch den zweiten Scuddamoren und sprang an Bord der JA-
Die Körperlose und der Molg GUSIENG, die zu diesem Zeitpunkt schon mehr als dreißig Lichtjahre von Olmerstolm entfernt war. Leenia wußte, daß sie maximal noch vier Sprünge ausführen konnte. Dann würden ihre Energien erschöpft sein. Sollte sie hier nichts finden, blieben ihr noch zwei weitere der gestarteten Schiffe. Der dritte Sprung mußte sie nach Olmerstolm zurück führen, damit sie dort ihre Abschiedsvorstellung geben konnte – der vierte in die Höheren Welten. Sie hatte Glück. Der Korridor, in dem sie materialisierte, war verlassen. Die erbeutete Waffe schußbereit im Anschlag, ging sie den Korridor entlang, blieb immer wieder stehen und lauschte, ob sich nicht von irgendwoher Schritte näherten, und durchsuchte jede Nische, jede Ablage und die kleinen Schächte des Lebenserhaltungssystems. Wenn es irgendwie ging, mußte sie vermeiden, daß man sie sah. Leenia konnte nur hoffen, daß nicht gerade jetzt ein Scuddamore in der Zentrale zufällig auf den Monitor blickte, der den Teil des Schiffes zeigte, in dem sie sich aufhielt. Immerhin schien es keine automatischen Alarmanlagen zu geben, sonst hätten die Sirenen längst losgeheult. Leenia durchsuchte Deck für Deck. Zweimal mußte sie sich verstecken und Scuddamoren vorbeilassen. Sie fand nichts. Dann und wann blieb sie stehen und versuchte, die Impulse des Extrasinns aufzufangen. Vergeblich. Als sie sicher war, in der JAGUSIENG nichts zu finden, konzentrierte sie sich auf die Koordinaten, die sie von dem zweiten Schiff, der BARIEL, bekommen hatte. In Sekundenschnelle stellte sie Berechnungen an und fand die augenblickliche Position des Organschiffs. Sie sprang. Wieder hatte sie Glück, noch größeres als beim erstenmal. Sie materialisierte in der Zentrale – direkt hinter den einzigen beiden Raumfahrern, die sich darin aufhielten. Es waren keine Scuddamoren, sondern Angehörige eines Hilfsvolks, etwa anderthalb Meter große untersetzte Wesen mit hellblauer Schuppenhaut.
39 Leenia begegnete Wesen dieser Art zum erstenmal, aber sie wußte, daß es sich bei ihnen um Noots handelte. Sie paralysierte sie, bevor sie sie sehen konnten. Diesmal stand ihr die ganze Ausrüstung der Zentrale zur Verfügung. Mittlerweile wußte sie, wie die Monitore bedient wurden, und konnte somit von einer Stelle aus das gesamte Schiff absuchen. Die optischen Informationen nützten ihr wenig. Der Molg würde sich nicht mitten auf einem Korridor befinden. Aber jetzt standen ihr die Möglichkeiten der Infrarotortung zur Verfügung. Wo immer der Molg sich auch versteckt hielte – sie hätte ihn damit aufgespürt, denn er lebte und gab Wärme ab. Nichts. Noch ein Sprung. Ein Schiff von zweien, die sich bereits ganz nahe bei ihren Zielen befanden. Es gab keinen Anhaltspunkt mehr, der ihr die Wahl erleichtert hätte. Die NYNGENT. Leenia sah auf einem der Schirme, wie gleich fünf Noots, die anscheinend von einem Inspektionsgang zurückkamen, den Mittellift der BARIEL, auf dem Zentraldeck verließen und näher kamen. Sie mußte verschwunden sein, wenn sie sie betraten. Leenia konzentrierte sich erneut. Schon jetzt merkte sie, daß es ihr schwerer fiel als beim letzten Sprung. Der Kurs der NYNGENT, ihre Geschwindigkeit, die Koordinaten … Leenia entmaterialisierte wenige Sekunden, bevor die fünf Noots ihre beiden reglos am Boden liegenden Artgenossen in der Zentrale fanden. Und diesmal wurde sie erwartet. Das erste, was sie nach der Wiederverstofflichung an Bord der NYNGENT sah, waren die Mündungen der auf sie gerichteten Waffen. Wieder befand sie sich in der Zentrale des Schiffes. Vier Scuddamoren standen ihr gegenüber. Einer von ihnen machte einen Schritt auf sie zu. »Zenbronker hatte also recht«, sagte er. »Sein Befehl lautete, dich lebend zu fan-
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gen.« Kaum hatte der Scuddamore ausgesprochen, als er abdrückte. Leenia wurde paralysiert. Zwar hatte der Strahl bei ihr nicht die gleiche Wirkung wie auf einen Körperlichen, doch sie spürte, wie ihre Glieder schwer wie Blei wurden. Sie sank in die Knie, versuchte sich wieder aufzurichten und kippte zu Boden. Zenbronker! Sie war zu leichtsinnig gewesen. Sie hätte die beiden Scuddamoren in der Zentrale der FRAULPIEN töten sollen, durchfuhr es sie. Sie waren zu früh erwacht.
10. Zenbronker triumphierte. Bilnerstung stand neben ihm vor dem Bildschirm, auf dem die Zentrale der NYNGENT zu sehen war. Für beide stand fest, daß Leenia an Bord eines der Schiffe, über die sie sich Auskunft erzwungen hatte, fliehen wollte. Ihre Macht hatte also Grenzen. Der Kommandant der NYNGENT hatte Befehl, nach Olmerstolm zurückzukehren. Nach seiner Schilderung war die Fremde nicht mehr in der Lage, von ihren geheimnisvollen Fähigkeiten Gebrauch zu machen. Zenbronker ordnete an, daß sie in regelmäßigen Abständen mit Paralysestrahlen beschossen werden sollte. Sie mußte hierher zurückgebracht werden, um den Nebel unschädlich zu machen oder wenigstens damit herauszurücken, wo er sich befand. Die Scuddamoren lebten nach wie vor in der Angst, daß dieser fressende Staub sich irgendwo auf Olmerstolm verbarg, um im geeigneten Moment aufzutauchen. »Sie wird sich eher töten lassen, als uns etwas über den Nebel zu verraten«, warnte Bilnerstung. Zenbronker winkte ab. »Diesmal wird sie nicht einfach verschwinden können, wenn sie auf dem Stuhl sitzt. Sie wird uns alles verraten, was sie
weiß – auch ihre Auftraggeber.« »Sollten wir nicht doch jetzt eine Nachricht an die Nachbarbasen senden? Es wäre …« »Es ist längst zu spät«, kam ausgerechnet Kerrengorm Zenbronkers Ablehnung zuvor. »Es hätte viel früher geschehen müssen. Man würde fragen, weshalb wir so lange zögerten und zuließen, daß sich eine allgemeine Gefahr entwickeln konnte.« Kerrengorm vermied es, Zenbronker direkt zu beschuldigen. »Wir alle würden uns zu verantworten haben, selbst wenn es uns gelingt, die Gefahr aus eigener Kraft zu bannen.« »So ist es«, stimmte Zenbronker dem Rivalen um die Macht zu. »Und wir werden sie bannen.« Er las die Zeit ab, die seit der Nachricht von der NYNGENT vergangen war. Nur noch Stunden bis zur Landung des Organschiffs. »Falls es uns gelingt, etwas über die Auftraggeber dieses Wesens zu erfahren, müssen wir Meldung machen«, stellte Bilnerstung nüchtern fest.
11. Leenia konnte klar und logisch denken. Sie lag auf einer Art Liege in der Zentrale. Zwei Waffen waren ständig auf sie gerichtet. Sie konnte sehen und hören, sich sogar bewegen, doch nur unter Schmerzen und wie in Zeitlupe. Sie verzichtete darauf, nachdem der Versuch, sich zu erheben, ihr eine weitere Berieselung mit Paralysestrahlen eingebracht hatte. Sie konnte weder teleportieren noch ihre Energien voll gegen die Scuddamoren einsetzen. Durch die Unterhaltung des Kommandanten mit Zenbronker war sie über die Rückkehr der NYNGENT nach Olmerstolm informiert. Es durfte nicht soweit kommen. Sie mußte einen Weg finden, die Scuddamoren in der Zentrale zu überraschen. Dies aber hatte erst einen Sinn, wenn die Paralyse
Die Körperlose und der Molg nachließ. Leenia wartete und verhielt sich absolut ruhig. Sie beobachtete nur und gab sich ihren quälenden Gedanken hin. Sie würde den Molg nicht finden. An Bord der NYNGENT befand er sich nicht, sonst hätte sie die Ausstrahlung des Extrasinns wahrnehmen müssen. Außerdem hatte der Kommandant sein Schiff nach ihrem Auftauchen durchsuchen lassen – ohne Erfolg. Olmerstolm. Sie mußte ihre Abschiedsvorstellung geben, aber dazu würde sie nicht auf den Planeten selbst springen. Sie hatte sich einen Plan zurechtgelegt, einen gefährlichen Plan, doch unter den gegebenen Umständen das einzige, was sie tun konnte. Doch vorerst ging es darum, sich zu befreien. Leenia kannte inzwischen jeden Winkel der Zentrale. Die Scuddamoren hatten Angst vor dem »fressenden Staub«. Obwohl die Durchsuchung des Schiffes nichts ergeben hatte, befürchteten doch zumindest einige von ihnen insgeheim, daß er sich irgendwo versteckt an Bord befinden könnte. Diese Angst mußte sie ausnutzen. Die Zentrale war nur schwach erleuchtet. Das meiste Licht kam von den Kontrollen in der ihr gegenüberliegenden Wand und den Bildschirmen. Beides befand sich etwa in Brusthöhe der Scuddamoren. Darunter war nur glatte Wand, vor der einige Behälter aufgestapelt waren, einige aus Metall, andere aus Holz. Wie diese primitiven Kisten hierherkamen und was sich in ihnen befand, konnte ihr jetzt egal sein. Wichtig war allein, daß sich momentan niemand um sie kümmerte. Sie lagen im Halbdunkel. Langsam richteten sich Leenias Pupillen auf die Kisten. Alles hing nun davon ab, daß die beiden Wachen den leichten violetten Schimmer in ihren Augen nicht bemerkten und daß sie genügend Energie abgeben konnte, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Als sie fühlte, daß die Paralyse allmählich nachließ, wagte sie es. Ein leichter Glanz
41 trat in ihre Augen, und unsichtbare energetische Ströme flossen hinüber zu den Behältern. Die Scuddamoren zeigten keine Reaktion. In Gedanken mochten sie schon auf Olmerstolm sein – und in Sicherheit. Es dauerte Minuten, bis der erste Rauch von den Kisten hochstieg. Sie durften nicht zu brennen beginnen. Leenia benötigte ihre ganze Konzentration, um die Energieabgabe genau zu dosieren. Der Rauch wurde dichter, stieg hoch, erreichte die Zone des Lichts. Einer der Scuddamoren vor den Kontrollen schrie auf, als er die feinen, im Licht der Instrumente silbern schimmernden Wölkchen sah. Er zog die Waffe und schoß in Panik. Der Strahl fuhr in eine Konsole. Heißer Dampf schoß aus der aus organischer Materie bestehenden Wand dahinter. Als Leenias Wachen herumfuhren, sahen sie strahlenden Nebel. Das genügte. Augenblicklich brach Panik aus. Die Scuddamoren schrien durcheinander. Weitere Schüsse fuhren durch den »fressenden Staub« in die Instrumentenbänke und Wände. Niemand kam auf den Gedanken, es mit einer Täuschung zu tun zu haben. Die Angst lähmte jedes logische Denken. Augenblicklich verwandelte die Zentrale sich in ein Tollhaus. Niemand nahm mehr von Leenia Notiz. Die Scuddamoren rannten schreiend auf die tiefer ins Schiff führenden Korridore hinaus. Leenia war allein. Sie versuchte, sich aufzurichten. Es gelang nur unter Schmerzen. Bestürzt mußte sie erkennen, daß sie noch nicht in der Lage war, zu springen. Flammen schlugen aus den Instrumentenbänken. Es wurde unerträglich heiß. Bildschirme implodierten. Giftige Dämpfe wurden frei. Leenia mußte hier weg! Sie sah einen fallengelassenen Strahler, hob ihn auf und taumelte aus der Zentrale. Die NYNGENT jagte steuerlos durch das All. Das Feuer fraß sich weiter in ihren Leib hinein. Drähte schmorten durch. Es kam zu Kurzschlüssen. Es war nur eine Frage von
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Minuten, bis die NYNGENT explodierte. Ein Korridor. Leenia lehnte sich an die Wand und atmete tief. Immer noch spürte sie bei jeder Bewegung Schmerzen, aber das Laufen schien ihr zu helfen, die Paralyse schneller abzuschütteln. Eine Explosion. Der Boden erzitterte unter ihren Füßen. Sie lief weiter, tiefer in den Gang hinein. Jeden Augenblick konnte sie Scuddamoren begegnen. Leenia blieb stehen, als sie eine Nische fand, und zwängte sich hinein. Sie schloß die Augen, mußte das Risiko eingehen, daß man sie hilflos fand und erschoß. Konzentration … Olmerstolm! Leenia verdrängte alle anderen Gedanken. Das Risiko, daß sie einzugehen hatte, sollte ihr Plan gelingen, war um ein Vielfaches größer als das, dem sie sich bislang ausgesetzt hatte. Sie mußte etwas tun, für dessen Gelingen es keine Garantie gab. Es war ein Sprung ins Ungewisse. Irgendwo über dem Raumhafen von Olmerstolm. Sie mußte ihren Körper ohne Unterstützung aus den Höheren Welten umformen. In an unterschiedliche Umweltverhältnisse wie etwa die auf Cändero-Spell oder Bordinfeel anzupassen, war nicht schwierig. Aber was sie nun zu tun hatte … Sie hörte den Schrei eines Scuddamoren. Mit geschlossenen Augen schoß sie in die Richtung, aus der er gekommen war. Nicht sicher, ob sie den Gegner ausgeschaltet hatte, gab sie den Entstofflichungsimpuls. Dabei hatte sie nicht nur Olmerstolm vor Augen, sondern auch die Form, in der sie am Himmel über dem Planeten erscheinen mußte.
* Als der Bildschirm, auf dem eben noch die Zentrale der NYNGENT zu sehen gewesen war, mit einem Schlag dunkel wurde, hatte Bilnerstung genug gesehen. Er zog seine Waffe und richtete sie auf Zenbronker.
»Ich würde dir raten, dich ruhig zu verhalten«, warnte er Kerrengorm, der außer ihm und dem Kommandanten der Basiswelt als einziger im Raum war. »Ich werde jetzt meine Mannschaft zusammenrufen und mit ihr an Bord der FRAULPIEN gehen. Wir haben zu lange auf dein Geschwätz gehört, Zenbronker. Mit dem, was uns diese Fremde gebracht hat, werden wir nicht fertig. Ich werde starten und die nächste Basis verständigen. Chirmor Flog muß erfahren, was hier vorgeht.« »Nein!« schrie Zenbronker. »Du machst einen Fehler! Die Fremde ist machtlos! Sie wird überwältigt werden!« »Du denkst nicht an sie, sondern an dich und an die Strafe für dein Versagen!« schrie Bilnerstung zurück. »Du bist ein Schwächling, Zenbronker.« Er sah Kerrengorm an. »Es wird Zeit, daß jemand anders das Kommando über Olmerstolm übernimmt.« Langsam zog der Raumfahrer sich zum Ausgang des Kontrollraums zurück. »Er hat recht«, sagte Kerrengorm. Auch er zog den Strahler und richtete ihn auf seinen Vorgesetzten. Bilnerstung hinderte ihn nicht. »Aber ihr … ihr seid verrückt geworden!« Zenbronker machte zwei Schritte zurück, bis er mit dem Rücken gegen eine Konsole stieß. »Ihr vergeßt den Staub! Ihr könnt nicht einfach …« »Wir können«, sagte Kerrengorm. »Wir haben viel zu lange gewartet.« »Aber …« Zenbronker blieben die weiteren Worte im Halse stecken, als er sah, wie sich hinter Bilnerstung die Tür öffnete. Der Kommandant der FRAULPIEN drehte sich um, überzeugt davon, daß Kerrengorm Zenbronker in Schach halten würde. Doch Kerrengorm hatte eigene Pläne. Er erschoß Bilnerstung. Der Scuddamore, der in den Kontrollraum stürzte, blieb wie angewurzelt stehen. Zenbronker beachtete ihn nicht. Völlig überrascht sah er Kerrengorm an, als dieser die Waffe wieder auf ihn richtete.
Die Körperlose und der Molg »Was soll das?« fragte er leise. »Du hast mir geholfen. Steck die Waffe weg.« »Ich habe nur mir geholfen, und ich werde mir noch einmal helfen, Zenbronker. Du bist mir im Weg, ebenso wie Bilnerstung es war. Ich werde den Neffen benachrichtigen. Und er wird keinen Mann bestrafen, der von seinem Kommandanten daran gehindert wurde, seine Pflicht zu tun.« »Worauf wartest du?« schrie Zenbronker den Eingetretenen an. »Töte ihn!« »Eine falsche Bewegung von ihm, und ihr seid beide tot«, sagte Kerrengorm. »Du wirst nicht sterben, Zenbronker, sondern dich für dein Handeln zu verantworten haben. Niemand wird dir deine Phantasien von einem Staub abnehmen, der den Planeten bedroht. Ich habe keinen Augenblick lang daran geglaubt.« Der Scuddamore im Eingang rührte sich nicht. »Aber es gibt ihn! Brexanark wurde von ihm getötet. Jaksbärler war Zeuge! Und Leenia gab zu, daß sie den Molg hierherbrachte!« »Den Molg, Zenbronker. Ja, irgend etwas hat sie gebracht und gesucht. Wir werden es finden.« »Aber Brexanark!« »Er wurde vor einer halben Stunde gefunden. Natürlich weißt du nichts davon. Du hast nicht mehr viele Freunde auf Olmerstolm, Zenbronker. Brexanark lebt. Es gibt keinen Nebel.« »Es gibt ihn«, sagte der eingetretene Scuddamore leise. Kerrengorm trat zurück, so daß er ihn und den Kommandanten gleichzeitig sehen konnte. »Du willst Zenbronker retten? Rede keinen Unsinn. Ihr werdet beide …« »Aber er ist da!« schrie der Scuddamore jetzt. »Am Himmel! Die Fremde ist zurückgekehrt!« Kerrengorm wurde nur für einen Augenblick aus der Fassung gebracht. Dieser Moment genügte Zenbronker. Er zog blitzschnell die eigene Waffe und paralysierte
43 den Rivalen. »Was sagst du da?« fragte er tonlos. Der Scuddamore schien nicht fassen zu können, was sich vor seinen Augen tat. Er sah den toten Bilnerstung an, dann Kerrengorm, endlich wieder seinen Kommandanten. »Dort«, sagte er nur und zeigte auf eines der Fenster des Kontrollturms. »Dort ist sie … und der Nebel …« Zenbronker trat an das Fenster heran und sah die Erscheinung.
* Leenia schwebte als flammende Sphäre am Nachthimmel über Olmerstolm. Ihre Gedanken waren wirr. Noch immer konnte sie kaum fassen, daß sie von Bord der NYNGENT entkommen war. Mehr noch. Was sie gehofft, aber insgeheim nicht für möglich gehalten hatte, durch Wommsers Eingehen in sie noch phantastischere Fähigkeiten erlangt zu haben – es war vollbracht. Leenia schwebte als Sphäre aus reiner Energie im Raum. Es war, als ob sie aus den höheren Daseinsebenen direkt und ohne Vorbereitungen in die Ebene der Körperlichen herabgetropft wäre. Das Bewußtsein hielt sie zusammen und gab ihr die ungefähre Form der Leenia, als die sie körperlich in diesem Kontinuum existieren konnte. Ihre energetische Ausstrahlung war so gewaltig, daß die Staubpartikel in der Atmosphäre Olmerstolms um sie herum in weitem Umkreis glühten. Von der Planetenoberfläche aus gesehen, mußte es so wirken, als schwebte Leenia inmitten eines Nebels aus Staub. Dies war ihr Abschied von Olmerstolm, von Zenbronker und allen, die sie jetzt sehen konnten. Wenn sie verschwand, nahm sie für diese den »Molg« mit. Den wirklichen Molg ließ sie zurück, entweder auf Olmerstolm oder in einem der Schiffe, die sie nicht mehr hatte betreten können. Noch einmal konzentrierte sie sich. Ihr
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strahlender »Körper«, eine Sphäre von fast hundert Metern Größe, zog sich zusammen. Energien, die nicht von dieser Welt waren, ballten sich und schufen einen Riß im Raum-Zeit-Gefüge. Es hätte dieses Spektakels nicht bedurft, um in den Bereich der Höheren Welten zurückzukehren, doch Leenia wollte den Bewohnern dieses Universums noch einmal etwas bieten, das sie nie vergessen würden. Sie verschwand von einem Augenblick zum anderen in einem blutroten Wabern, das den ganzen Nachthimmel überzog. Das Wabern erlosch. Es war dunkel am Himmel. Nur einmal noch blitzte es zwischen den schwach leuchtenden Sternen für einen kurzen Moment auf. Es war das Licht der explodierten NYNGENT, das Olmerstolm erreichte.
12. Die Ablehnung, die ihr entgegenschlug, die stummen, noch unartikulierten Vorwürfe, das Gefühl, wie eine Fremde angesehen zu werden, die Kälte, die von allen Seiten auf sie einströmte – all das traf Leenia wie ein körperlicher Schlag. Sie war zurück, dort, wohin sie gehörte, doch nicht als das Wesen, als das sie die Höheren Welten verlassen hatte. Das Mißtrauen, das sie fast vergessen hatte, kehrte schlagartig zurück. Egal, als was Leenia einmal auf die Reise geschickt worden war – nun war sie ein Wesen, das ohne jeden Zweifel mit den anderen Körperlosen auf gleicher Stufe stand. Wommser hatte sich geopfert, um sie dazu zu machen. Und in ihr lebte er weiter. Wie würde die Reaktion der Artverwandten darauf aussehen? Doch jetzt erfüllte nur eine Frage den Raum jenseits der Dimensionen: Wo ist Atlans Extrasinn? Leenia spürte, wie alle anderen Impulse verschwanden. Die Mitglieder der Gemeinschaft zogen sich um sie herum zusammen.
Sie bildeten die Frage und verlangten eine Antwort. Wo ist der Molg? Leenia wußte, daß es keinen Sinn hatte, irgend etwas zu beschönigen. Sie wußte, daß sie schlimme Fehler gemacht hatte und dafür geradestehen mußte. Ich weiß es nicht, begann sie. Ich habe ihn verloren. Ich gebe zu, daß ich die Absicht hatte, selbst auf die Suche nach Atlan zu gehen, statt auf Bordinfeel auf ihn zu warten. Trotz trat in ihre Gedanken. Es wäre sinnlos gewesen! Selbst wenn er meine Signale empfangen hätte – wissen wir, wo er sich befindet? In welcher Situation? Möglicherweise kann er gar nicht kommen, und der Extrasinn muß zu ihm gebracht werden. Das steht nicht zur Debatte! kam es von überall. Nein, gab Leenia zu. Doch selbst, wenn ich bereit gewesen wäre, auf Bordinfeel auszuharren, wäre ich in die Gewalt des Molgs geraten. Ich wußte nichts von seiner Fähigkeit, den willenslähmenden Staub abzusondern. Dies war ein Vorwurf an die Gemeinschaft. Leenia gab ein Bild dessen, was geschehen war, nachdem Atlans Extrasinn in den Molg übergeglitten war. Sie ließ nichts aus. Die Körperlosen erlebten mit, wie sie sich auf Olmerstolm wiedergefunden hatte, wie sie gejagt wurde und den Molg suchte, bis sie zu ihnen zurückkehrte. Obwohl sie gewußt hatte, daß die Verbindung zwischen ihr und den Höheren Welten durch die Veränderung, die durch Wommsers Opfer mit ihr vorgegangen war, gerissen war, überraschte es sie, daß die Mitglieder der Gemeinschaft gar nichts über ihre Erlebnisse in der Daseinsebene der Körperlichen wußten. Leenia hatte das Gefühl, etwas sehr Wertvolles – ihre Bewegungsfreiheit – gefunden und etwas ebenso Kostbares dafür eingebüßt zu haben. Sie fühlte die Kluft zwischen ihr und den anderen und litt darunter. Du hättest damit rechnen müssen, daß der Extrasinn die Initiative an sich zu reißen versuchen würde, genauso, wie er es in dir
Die Körperlose und der Molg und dem Grallen tat! Ja, antwortete Leenia, die sich diesen Gedanken bereits selbst gemacht hatte. Wieder der Trotz: Doch wie hätte ich mich wehren sollen? Indem du unverzüglich hierher zurückkehrtest – mit dem Molg! Leenia schwieg. Die anderen kapselten sich ihr gegenüber ab. Sie berieten. Was zu ihrer Verteidigung vorzubringen war, hatte sie gesagt. Sie hatte unter Einsatz ihres Lebens versucht, die Gefahr von den Höheren Welten abzuwenden, die sie durch ihre spektakulären Auftritte zuvor und durch die im Zustand der geistigen Verwirrung gegebenen Auskünfte an die Scuddamoren heraufbeschworen hatte. Dies war in ihren Augen auch Rechtfertigung für das Risiko, das sie durch ihren letzten Auftritt über Olmerstolm auf sich genommen hatte. Vom Urteil der Gemeinschaft hing es ab, ob und wann sie die Höheren Welten wieder verlassen durfte. Doch schon jetzt ertappte Leenia sich dabei, wie sie überlegte, wie sie der Gemeinschaft ein Schnippchen schlagen konnte, um zurück zu den Körperlichen gehen zu können. Endlich wandten sich die Artverwandten ihr wieder zu. Durch dein Verhalten hast du unserer Sache alles andere als gedient, vernahm sie. Wir werden dich nicht einsetzen, um den Extrasinn noch einmal aufzuspüren. Ob und unter welchen Umständen Atlan ihn zurückerlangen kann, müssen wir den Körperlichen überlassen. Wir werden dich beobachten und zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden, ob du eine neue Chance zur Bewährung erhalten darfst. Stille. Leenia blieb allein mit sich, als die Artverwandten sich von ihr zurückzogen. Der Spruch war endgültig und kam für Leenia, die sich ihm bedingungslos zu fügen hatte, dem Todesurteil für Atlan gleich. Ohne seinen Extrasinn würde er über kurz oder lang scheitern müssen. Ohne ihn war er nur ein halber Mensch.
45 Leenia hatte das Urteil erwartet, doch erst jetzt begriff sie seine Bedeutung in ihrem ganzen Ausmaß. Wie sollte Atlan ohne sie jemals wieder zu seinem Extrasinn gelangen? Überschätzte sie sich nicht, wenn sie nicht glauben konnte, daß dies ohne ihr Eingreifen möglich war? Bereiteten die Körperlosen bereits andere Maßnahmen vor, um doch noch in die Entwicklung einzugreifen? Übergingen sie sie? Wo waren jene, die auf Cändero-Spell erschienen waren, um sie zu retten? Konnte sie mit Fürsprechern rechnen, wenn sie sich nochmals an die Gemeinschaft wandte? Nein, erkannte sie bitter. Ihre Gegner waren in der Überzahl. Und die Mehrheit entschied. Das Wissen, daß dies so sein mußte, verstärkte ihre Verzweiflung noch. Doch sie war nicht bereit, untätig abzuwarten. Irgendwann würde sie eine Möglichkeit finden, in die Daseinsebene der Körperlichen zurückzukehren – mit oder ohne Zustimmung der Gemeinschaft. Ihre Ziele waren die gleichen. Bei aller Aufsässigkeit war Leenia in keinem Augenblick gegen die Gemeinschaft und das, was sie vertrat. Doch sie war nicht dazu geschaffen, untätig zu verharren … Sie kapselte sich ab, versuchte, wenigstens für gewisse Zeit zur Ruhe zu kommen und neue Kräfte zu schöpfen. Doch die quälenden Fragen blieben. Wo befanden sich der Molg und der Extrasinn? Existierten sie überhaupt noch?
Epilog Fast eine Stunde war vergangen, seitdem die Erscheinung am Himmel verblaßt war, doch immer noch stand Zenbronker schweigend am Fenster des Kontrollturms und starrte in die Nacht hinaus. Er war für niemanden zu sprechen. Ein Vertrauter – einer von jenen Mitarbeitern, von denen er hun-
46 dertprozentig sicher sein konnte, daß sie nicht mit Kerrengorm sympathisierten – hatte den Scuddamoren und den Angehörigen der verschiedenen Hilfsvölker einige beruhigende Erklärungen gegeben. Das mußte reichen, bis Zenbronker selbst zu ihnen sprechen würde. Was sollte er sagen? Hatte Kerrengorm recht gehabt mit seinen Vorwürfen? War er wirklich nur zu feige gewesen, um dafür zu sorgen, daß der Neffe über das, was auf Olmerstolm vorgefallen war, informiert wurde? Er schüttelte den Kopf und sah auf den noch paralysiert am Boden liegenden Rivalen hinab. Kerrengorm hatte ausgespielt. Der Nebel war kein Produkt seiner Phantasie gewesen, sagte sich Zenbronker. Alle hatten ihn am Himmel gesehen und miterlebt, wie die Fremde ihn mitgenommen hatte. Zenbronker war entschlossen, über ihr Erscheinen zu schweigen. Die Raumfahrer, die sich zur Zeit auf Olmerstolm aufhielten, würden bald die verrücktesten Geschichten erzählen. Niemand würde ihnen glauben. Doch er selbst mußte wissen, was wirklich geschehen war. Er löste sich vom Fenster und befahl, daß man Brexanark zu ihm brachte. Wenige Minuten später betrat der Totgeglaubte den Kontrollraum. Zwei Scuddamoren mußten ihn stützen. Er war noch schwach. Zenbronker gab den Scuddamoren ein Zeichen, ihn mit Brexanark allein zu lassen und Kerrengorm und Bilnerstungs Leiche mitzunehmen. Dann sorgte er dafür, daß niemand das mithören konnte, was zwischen ihm und Brexanark gesprochen wurde. »Der Staub«, sagte der Kommandant der Basiswelt. »Ich will alles über ihn wissen, vor allem, wie es kommt, daß du noch lebst.« »Wir fanden ihn«, berichtete Brexanark. Er redete langsam. Jedes Wort bereitete ihm Schwierigkeiten. »Ich … sah ihn zuerst. Ich wollte ihn aus der Wandvertiefung ziehen
Horst Hoffmann …« »Ziehen?« fragte Zenbronker überrascht. »Einen Nebel?« Brexanark blickte seinen Kommandanten verständnislos an. »Kein Nebel. Der Staub kam erst später. Es war etwas anderes …« Zenbronker holte tief Luft und fluchte. »Hör zu, Brexanark. Ich will keine Märchen hören und weiß sehr wohl, daß du Herr deiner Sinne bist. Du willst behaupten, daß ihr etwas in der Wandvertiefung fandet, das …« »Wir fanden den Molg. Das heißt – nur ich sah ihn. Jaksbärler konnte nur den Staub sehen.« »Aber der Staub ist der Molg!« »Nein, Zenbronker. Der Staub kam aus dem Molg und zwang mich …« Brexanark machte eine Geste der Hilflosigkeit. »Ich mußte irgend etwas tun. Was es war … ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, daß ich etwas fand und dann der Staub da war.« »Was?« Zenbronker packte sein Gegenüber an den Schultern. »Was ist der Molg, wenn nicht der Staub?« »Ich weiß es nicht! Ich sah ihn, aber die Erinnerung … ist verschwunden.« Zenbronker sah ein, daß er so nicht weiterkam. »Man fand dich am Rand des Hafengeländes. Weißt du wenigstens, wie du dorthin kamst?« Brexanark schüttelte den Kopf. Nach einigen weiteren Fragen, die nichts einbrachten, entließ Zenbronker ihn. Er war nicht schlauer als zuvor – im Gegenteil. Was auch immer die Fremde nach Olmerstolm gebracht hatte, redete er sich schließlich ein, sie hatte es wieder mit sich genommen. Und es blieb ruhig auf Olmerstolm. Nichts deutete darauf hin, daß Leenia etwas zurückgelassen hatte. Doch irgendwo, an Bord eines der vielen Organschiffe auf den Landefeldern der Basiswelt, steckte der Molg mit Atlans Extrasinn, der sehnsüchtig darauf wartete, daß das
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Schiff starten konnte und ihn in den Weltraum hinaustrug. Beide, der Extrasinn und der Molg, fieberten den Sternen entgegen, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Der Molg befand sich in einem Rauschzustand und riß den Extrasinn mit. Sein Weg hatte gerade erst begonnen. Es war fraglich, wie lange der Extrasinn noch Einfluß auf das neuerwachte Bewußt-
sein des Molgs nehmen konnte – falls er diesen nicht schon längst verloren hatte. Irgendwo zwischen den dunklen Sternen der Schwarzen Galaxis wartete Atlan – ein halber Mensch am Rand der Hoffnungslosigkeit.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 434 von König von Atlantis mit: Impulse des Verderbens von H. G. Ewers