Die Macht von Zins und Zinseszins von Prof. Winfried Radtke Schon in der Schule lernt man vom wundersamen Wachstum des G...
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Die Macht von Zins und Zinseszins von Prof. Winfried Radtke Schon in der Schule lernt man vom wundersamen Wachstum des Geldes, sobald man es ausleiht. Und da wir alle gerne etwas dazubekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen, sind wir alle damit einverstanden, daß uns die Bank für unser Spargeld Zinsen zahlt - und das möglichst nicht zu knapp. Nur vor diesem etwas selbstgefälligen Hintergrund ist es verständlich, daß sich so wenige kritische Stimmen zum Thema "Zins und Zinseszins" erheben. Natürlich liest man als gebildeter Mensch seine Zeitung und sieht seine 8 - Uhr - Nachrichten im Fernsehen und weiß Bescheid über die große Weltwirtschaft, man weiß von den großen Konjunkturkrisen, man weiß von der Zahlungsunfähigkeit verschiedener Schwellenländer, von den Milliardenschulden verschiedener Entwicklungsländer und akzeptiert stillschweigend, daß diese ihre Kredite niemals werden zurückzahlen können. Man fügt sich stillschweigend in diese scheinbar unabwendbare Situation und hofft im Stillen, selbst möglichst ungeschoren davonkommen zu können. Wie wäre es, wenn man die wirkliche Ursache aller unserer schwereren Wirtschaftskrisen erkennen könnte? Oh ja, dann würde man sofort etwas dagegen tun, lautet die spontane Antwort. Oder vielleicht doch nicht? Ein Raucher weiß ja auch, daß das Rauchen ihm nicht gut tut, aber trotzdem hört er nicht auf zu rauchen. Und jedem Leser fallen da vielleicht eigene Gewohnheiten ein, von denen er weiß, daß sie ihm eher schädlich als nützlich sind - und er diese Gewohnheiten dennoch nicht für immer verabschiedet. Aber immerhin dran arbeiten, seine schädlichen Gewohnheiten aufzugeben, das kann und will man ja. Und so soll auch diese folgende Betrachtung über die (schädliche) Wirkung von Zins und Zinseszins dazu beitragen, uns anzuregen, etwas gegen die schädliche Wirkung zu tun. Nur wenn auch derjenige, der scheinbar nur Vorteile von Zins und Zinseszins hat, erkennt, daß auch er, wenn auch mit einiger Zeitverzögerung, letztendlich nur draufzahlt, so wird sich etwas ändern im heutigen Zinssystem. Um den letzten Satz beweisen zu können, sollen hier einige Beispielsrechnungen zum Thema Zinseszins vorgeführt werden: Schon auf der Schule lernt man die Formel für den Zinseszins: Kapital nach n Jahren kn ist gleich Anfangskapital k 0 mal 1 plus Zinssatz in % in Klammern, hoch n. n
In Formeln: kn = k0 (1 + p/100) . 1. Beispiel Ein Kapital von 1000. - DM wächst bei 8% Zins nach 7 Jahren Zinseszins auf 1714.- DM an. n
[k n = k0 (1 + p/100) 7 k 7 = 1000 (1 + 0,08) = 1000 * 1,714 = 1714] Ein Kapital von 1000. - DM wächst bei 8% Zins nach 10 Jahren Zinseszins auf 2159.- DM an. n
[k n = k0 (1 + p/100) 10 k 10 = 1000 (1 + 0,08) = 1000 * 2,159 = 2159] Ein Kapital von 1000. - DM wächst bei 8% Zins nach 20 Jahren Zinseszins auf 4661.- DM an. n
[k n = k0 (1 + p/100) 20 k 20 = 1000 (1 + 0,08) = 1000 * 4,661 = 4661] Ein Kapital von 1000. - DM wächst bei 8% Zins nach 30 Jahren Zinseszins auf 10063.- DM an. n
[k n = k0 (1 + p/100) 30 k 30 = 1000 (1 + 0,08) = 1000 * 10,063 = 10063] Die gute Verdoppelung des Kapitals nach 10 Jahren mag noch tragbar sein für eine kreditnehmende Wirtschaft. Auch ist der Unterschied zum einfachen Zins erträglich (800. - DM Zins nach 10 Jahren, d.h. Kapital plus einfacher Zins nach 10 Jahren ergibt 1800.- DM). Die mehr als Vervierfachung des Kapitals nach 20 Jahren dürfte aber schon größte Anstrengungen der kreditnehmenden Wirtschaft abverlangen, jedoch die Verzehnfachung des ursprünglichen Kredits nach 30 Jahren könnte derart gravierend in die Wirtschaft eingreifen, daß es nicht erst eines Karl Marx bedarf, um regelmäßige
Wirtschaftskatastrophen vorauszusagen. Doch gehen wir zu einem utopischen, aber deutlicheren Beispiel über: 2. Beispiel Nehmen wir an, Jesus hätte zu seiner Zeit eine damalige Geldeinheit im Werte einer heutigen DM zu 3% Zinseszins angelegt. Auf welchen Wert wäre sein Sparguthaben in 2000 Jahren angewachsen? 25 Hier die Antwort: Eine DM wächst in 2000 Jahren bei 3% Zinseszins auf 4,726 * l0 DM an. n
[k n = k0 (1 + p/ 100) 2000 25 k 2000 = 1 * (1 + 0,03) = 1 * 4,726 * l0 ] Zur Veranschaulichung dieser unvorstellbar großen Zahl soll der Wert in einen Goldwürfel 3 umgerechnet werden. Dabei setzen wir 1 kg Gold mit 20000. - DM an und berücksichtigen, daß 1 m 3 17 Gold 19300 kg wiegt, woraus man errechnet, daß 1 km Gold 3,86 * 10 DM kosten würde. Daraus 8 3 errechnet man, daß der Wert des Sparguthabens nach 2000 Jahren 1,224 * 10 km Gold gleichkäme, was einem Goldwürfel von 496,6 km Kantenlänge entspräche. Nur zur Illustration seien hier noch andere Zinseszinssätze aufgelistet: 1 DM bei 1/2% Zinseszins nach 2000 Jahren ergeben 21483.- DM 8
1 DM bei 1 % Zinseszins nach 2000 Jahren ergeben 4,393 * 10 DM 17
DM
25
DM
1 DM bei 2% Zinseszins nach 2000 Jahren ergeben 1,586 * 10 1 DM bei 3% Zinseszins nach 2000 Jahren ergeben 4,726 * 10 1 DM bei 4% Zinseszins nach 2000 Jahren ergeben 1,l66 * l0
34
DM
42
1 DM bei 5% Zinseszins nach 2000 Jahren ergeben 2,391 * 10
DM
(Eine Frau Kennedy hat in Ihrem Buch zum Thema Zinseszins für ein dem letzten ähnlichen Beispiel, glaube ich, 131 Weltkugeln aus Gold herausbekommen.) Wie kann man sich bei solchen Hochrechnungen vorstellen, daß es auf Dauer so etwas wie Zinseszins geben kann? Wer den Zins "erfunden" hat, hat automatisch auch den Zinseszins miterfunden, da der Zins nach Jahresende zum Kapital dazugeschlagen wird. Da es aber den Zinseszins auf Dauer nicht gibt, hat der Erfinder des Zinses auch gleich sein Heilmittel miterfunden, nämlich Krieg (d.h. den Gläubiger beseitigen) und Inflation (die humanere Form der Korrektur). Eine änderung der Einstellung zum Zins und damit eine änderung unserer so tragischen Abhängigkeit vom Joch des Zinses kann es nur geben, wenn sich jeder klar darüber wird (und nicht nur die Verantwortlichen "da oben"), daß "Heilen" einer Wirtschaft z.B. durch Erhöhung des Zinssatzes so etwas ist wie Heilen mit Arsen. In kleinsten Dosen mag es vielleicht ein Heilmittel sein, in größeren Dosen ist es aber ein tödliches Gift. Und wenn die wirklich Reichen und Mächtigen dieser Welt, die allem Anschein nach wirklich vom Zinseszins profitieren, wenn auch die anfangen zu erkennen, daß auch sie die Giftwirkung des Zinseszinses letztendlich nicht ungeschoren überstehen, daß auch sie das sich verselbständigende Zinseszinssystem auf Dauer nicht im Griff behalten können und selbst wie Goethes Zauberlehrling dastehen, ja dann haben wir die Hoffnung, auf Zinsen über 1% oder 2% verzichten zu können.
Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift Treff-Räume espacio time Nr. 2/96.