Georg Seeßlen, geboren 1948. Freier Autor und Dozent. Texte u. a. für Die Zeit, Der Spiegel, Frankfurter Rundschau, taz...
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Georg Seeßlen, geboren 1948. Freier Autor und Dozent. Texte u. a. für Die Zeit, Der Spiegel, Frankfurter Rundschau, taz, Konkret, epd Film. Zahlreiche Bücher zum Film und zur populären Kultur. Mitautor bzw. Mitherausgeber der Bände über Quentin Tarantino, Joel & Ethan Coen, Alfred Hitchcock, David Fincher, Jim Jarmusch, Robert De Niro und Martin Scorsese in der Reihe film: des BertzVerlages. Lebt in Kaufbeuren.
Georg Seeßlen
Die MATRIX entschlüsselt
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Lektorat: Dieter Bertz, Maurice Lahde Redaktionelle Mitarbeit: Frank Fischer, Karoline Harthun Filmografie und Bibliografie: Karoline Harthun Layout: Katrin Fischer DVD-Prints: Frank Fischer, Karoline Harthun, Dieter Bertz Fotonachweis: siehe Anhang © Photographs; original Copyright holders
Alle Rechte vorbehalten © 2003 by Bertz Verlag GbR, Berlin Wrangelstr. 67, 10997 Berlin Druck: druckhaus köthen, Köthen Printed in Germany ISBN 3-86505-151-0
Einleitung ......................................................................................7
Preloading the MATRIX: High-Tech-Monsters & Cyberwars .............................................15 Loving the Alien ....................................................................................... 15 High-Tech & Anti-Tech ............................................................................18 Die Technologie-Gebote des Kinos ......................................................... 19 Computer Movies..................................................................................... 23 Künstliche Wirklichkeit ............................................................................. 27
MATRIX-Playground ....................................................................33 Tech Romance ........................................................................................ 33 Das philosophische Popcorn-Movie......................................................... 41 Larry & Andy machen's in Hollywood ...................................................... 46 Die MATRIX wird geladen........................................................................ 50 Ein Neues Testament des Kinos.............................................................. 56
THE MATRIX ................................................................................59 Vor-Geschichten und Nach-Bilder ........................................................... 59 MATRIX-Plot............................................................................................ 67 MATRIX-Material: Grunge, Cyberpunk, Comics und die moralische Revision ................................................................... . 98 whatisthematrix. com .............................................................................. 111
THE MATRIX RELOADED ..........................................................115 Great Expectations: Die Wachowskistock Company bei der Arbeit................................................................. 115 Reloading MATRIX-Plot.......................................................................... 118 Die Vertreibung aus dem MATRIX-Paradies .......................................... 140
MATRIX-Verzweigungen ............................................................143 ANIMATRIX ........................................................................................... 145 MATRIX Playstation ...............................................................................170 MATRIX imitiert & parodiert ....................................................................172
Die Ästhetik der MATRIX............................................................175 State of the Digital Art: Revolten der Filmtechnik.................................... 175 Morphing Time & Space: Auf dem Weg zur Virtual cinematography............................................... 186 Design und das Nichts ............................................................................ 197
Die Politik der MATRIX ...............................................................203 Global & Digital Village ...........................................................................203 Die postmoderne Form der Sklaverei ..................................................... 210 Rage against the Machine ...................................................................... 214 Innen/Außen - Widerstand und Subversion ............................................ 218 Die schone Kunst der Verschwörung...................................................... 224
Die Philosophie der MATRIX .....................................................231 Don Quichote Descartes.........................................................................231 Die Idee oder das Bild ............................................................................ 235 The Königsberg Connection ...................................................................239 Die Geschichte der Fälschungen............................................................ 246 Der Typus und die ewige Wiederkehr ..................................................... 250 All Systems Are Go................................................................................. 254 Simulation und Fragment........................................................................261 Das Bild des Denkens & das Denken des Bildes.................................... 263
Die Religion der MATRIX............................................................269 Das Biblische .......................................................................................... 273 Das Gnostische ...................................................................................... 276 Das Buddhistische .................................................................................. 279 Zen und die Kunst ein Motorrad zu fahren.............................................. 282 Das Taoistische ...................................................................................... 286 Men (and Women) in Black.....................................................................289
THE MATRIX REVOLUTIONS.....................................................293 Reloaded revisited ................................................................................. 293 Plot Revolution........................................................................................ 298 Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende..................................... 310
Was also ist die MATRIX?..........................................................316 The Big Sleep ......................................................................................... 317 Erzählmaschine, Bilderfabrik .................................................................. 324 Zitierte und benutzte Literatur ................................................................. 328 Filmografie .............................................................................................. 330 Bibliografie .............................................................................................. 336 Fotonachweis.......................................................................................... 340 Index .......................................................................................................341
Einleitung Von Zeit zu Zeit gibt es Filme, die sich einfach nicht an die Ordnungen halten, an die wir uns im Kino gewöhnt haben: Arthouse hier und Popcorn dort, technisch verschärfter Kinderkram hier und gedankenschwere Selbstreflexion dort, industrielle Serienware hier und Autorenfilme dort. Und es gibt Filme, die weit über ihr Genre und seine Fan-Gemeinschaft hinauswirken. In der Science-Fiction erinnern wir uns an Stanley Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY (2001 – Odyssee im Weltraum; 1968), an Andrej Tarkowskijs SOLARIS (1972), an Ridley Scotts BLADE RUNNER (1982). Filme, die von Leuten geschätzt, vielleicht sogar geliebt werden, die ansonsten mit Science-Fiction nicht viel im Sinn haben. Auch einige Serien des Mainstream-Kinos haben einen solchen Kult-Status erreicht, die ALIEN-Reihe (1979-1997) oder die Folgen von TERMINATOR (1984-2003). Anders als die großen Einzelwerke sind diese Reihen, die sich von Film zu Film in Inhalt und Form verändern, auch zu Motoren der Genre-Entwicklung selber geworden. Sie begnügen sich nicht damit, »anders« zu sein, sie machen auch die ihnen folgenden Filme »anders«. Niemand versucht Kubricks 2001 nachzumachen (und Peter Hyams' Sequel 2010; THE YEAR WE MAKE CONTACT [2010 – Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen; 1984] unternimmt sogar alles, um jedem Vergleich aus dem Weg zu gehen), niemand will einen zweiten SOLARIS schaffen (und Steven Soderbergh macht in seinem Remake gleich einen Vorschlag zu einer gänzlich anderen filmischen Lektüre von Stanislaw Lems literarischer Vorlage). Aber die ALIEN- und TERMINATOR-Serien haben sowohl den Look als auch die Philosophie der Science-Fiction-Filme entschieden verändert. Danach waren die Filme des Genres einfach etwas anderes. Und dann gibt es eine dritte Form des fantastischen Films, wie zum Beispiel die STAR WARS-Filme (1977-2005), die auf den ersten Blick eigentlich nicht allzu viel zu sagen haben, aber in ihrer konsequenten Sampling-Technik und ihrem technischen Fundamentalismus, mit dem sie zum zugleich einförmigen und wilden Erzählen des Märchens zurückkehren, alle nur denkbaren Wünsche des Publikums zu erfüllen scheinen. Sie bilden eine eigene mediale Parallelwelt, aus der die wahren Fans sich manchmal nur höchst widerwillig in die wüste Wirklichkeit zurück vertreiben lassen. Bilder- und Textfragmente (»Möge die Macht mit dir sein!«) sickern in den Alltag, und wer die Originale nicht kennt (solche Menschen
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soll es geben), kennt wenigstens das Spielzeug, die Karnevalskostüme oder die Simpsons-Parodien. Auch diese Filme verändern, auf ihre Weise, das Zeigen und das Sehen im Kino weit über die Grenzen der Science-Fiction hinaus. Diese drei Arten, die Grenzen eines Genres, die Grenzen auch der Erwartungen, beim Publikum wie in der Industrie der Traumfabriken, zu sprengen, scheinen zunächst einmal unabhängig voneinander zu funktionieren. Wer noch nach dem zwanzigsten Mal beim Anschauen von 2001 hin und weg ist, möchte nicht unbedingt in STAR WARS: EPISODE 1 – THE PHANTOM MENACE (Star Wars: Episode 1 – Die dunkle Bedrohung; 1999; R: George Lucas) erwischt werden; wer über die Düsternis der ALIENFilme oder die eigensinnige Philip-K-Dick-Intelligenz in BLADE RUNNER diskutiert, mag Schwierigkeiten haben, die oneliner von Arnold Schwarzenegger in den TERMINATOR-Filmen zu goutieren. In die Entwicklung des Genres aber fließen alle diese ästhetischen und natürlich auch ideologischen Verwandlungen ein. Deshalb ist es dann vielleicht doch kein so großes Wunder, dass schließlich ein Film entsteht, der so aufregend neu erscheint, weil er die technischen Mittel seiner Entstehungszeit perfekt dazu nutzt, diese drei Arten der filmischen »Revolution« miteinander zu verbinden: Die MATRIX-Trilogie [im Folgenden meist nur »MATRIX«, während »THE MATRIX« den ersten Teil meint] ist offensichtlich alles das – so tiefsinnig wie 2001, so märchenhaft wie STAR WARS, so diskursiv wie BLADE RUNNER. MATRIX ist eine einzigartige Mischung aus Design und Philosophie, Action und Religion. Aber kaum war der Film im Kino, versuchte schon jeder C-Film ein bisschen wie THE MATRIX auszusehen und Helden zu kreieren, die ihren Kopf nicht nur dafür hatten, dass die Sonnenbrillen nicht runterfallen. Und mehr noch: MATRIX ist zugleich eine in sich geschlossene Erzählwelt, die sich aus dem Prinzip selbstreferenzieller Wucherungen und Spaltungen entwickelt, es ist eine Film-Trilogie, in deren Welt man sich, obwohl sie durchaus bedrohlich ist und gefährlich sowieso, für eine geraume Zeit »zu Hause« fühlen kann (eher jedenfalls als zu Hause), und es ist eine offene Filmwelt, die man sozusagen unendlich »lesen«, interpretieren und diskutieren kann. Ein Popcorn-Movie, das in sich schon die Keime von ein paar Dutzend Doktorarbeiten trägt und die üblichen Verdächtigen der internationalen Denker-Szene zu neuerlichen Verlautbarungsschüben anregt, das ist nichts unbedingt Neues. Die populäre Mythologie der Unterhaltungsindustrie hat mit den alten Mythen gemeinsam, dass sie in sich einen enormen Reichtum von Erfahrung, Wissen und Problemen trägt, mehr oder weniger gut maskiert. Bislang freilich hat man von dieser Seite her die populären
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Die MATRIX-Trilogie offenbart ihre literarischen und philosophischen Quellen ohne Scheu und manchmal mit einer gehörigen Portion Frivolität.
Mythen ein bisschen wie Geisteskranke oder wenigstens naiv-geniale Künstler behandelt, so als schöpften sie direkt aus dem kollektiven Unbewussten, ohne im Einzelfall zu wissen, was sie da überhaupt anstellen. Der Mythos ist eben eine Art von Wissen, das von sich selber nichts weiß, und populäre Mythologie ist ein System von Mythen, in dem es ziemlich aussichtslos ist, nachzuweisen, wer wann etwas wovon gewusst haben soll. Und natürlich: wer wem was geklaut hat. Das Neue an MATRIX aber ist, dass sich der Film und seine gelehrten Interpreten gleichsam auf Augenhöhe begegnen. Der Film weiß schon selber, wie schlau er ist. Genauer gesagt, er weiß, wie er es anzustellen hat, schlauer als alle seine Interpreten zu sein. Er bombardiert seine möglichen Analytiker mit mehr Stoff, als sie jemals verarbeiten können. Und er dreht ihnen schon im Vornherein eine lange Nase. Er lässt, zum Beispiel, seinen Helden Jean Baudrillards Buch Simulacra & Simulation zur Kamera halten. Das kann man ignorieren, oder man kann, um mitreden zu können, einen Umweg über die Bibliothek nehmen. Man kann über den Symbolgehalt der Zahlen, die an allen Ecken und Enden auftauchen, oder über die Bedeutung der Namen sinnieren, man kann aber auch einfach die Eleganz der Bewegungen, die neuen Möglichkeiten einer »virtuellen Kamera« oder die Farben genießen, dieses Grün und Schwarz, das schon zum Code des neuen Cool in der Werbung geworden ist. Und irgendwo, vielleicht, trifft sich das auch wieder, in der Matrix: das Nerd-hafte Sammeln und Grübeln und der ästhetische Spaß. Die MATRIX-Trilogie offenbart ihre literarischen und philosophischen Quellen ohne Scheu und manchmal mit einer gehörigen Portion Frivolität. So frivol und ungehemmt mit Philosophie umzugehen – das muss in den
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Seminaren und Lektoraten doch einen Schub von Neid auslösen. Allerdings ist das natürlich auch ein riskanter Akt. Die MATRIX-Filme machen unentwegt, beinahe in jeder Einstellung, Vorschläge zu ihrer eigenen Lektüre, während sie die Sinne überwältigen und archaische Helden und Schurken aufeinander hetzen. Kein Wunder, dass nicht nur das Publikum begeistert war, die Hardcore-Fans bis zu 100 Mal in den Film gingen (Hey, ist nicht »in den Film gehen« eine tolle Vorstellung? Es gibt eben Leute, die bloß ins Kino gehen, andere gehen »in den Film«), sondern dass auch die Leute vom Fach, die Vertreter der öffentlichen Philosophie, ganz aus dem Glashäuschen waren. Nur zu gern fielen sie auf ihren eigenen wissenschaftlichen Populismus herein und zeigten sich von der Pop-Philosophie derart überwältigt, dass sie gar, wie Boris Groys, gleich das Ende der Philosophie ausriefen. Damit man MATRIX trotzdem lieben kann, muss man sich davon überzeugen, dass das Ganze nicht einfach nur ein besonders geschickter Trick ist, das Publikum an eine Traumfabrikation zu binden, die alle, wirklich alle Menschen erreichen will, auch wenn die einzelnen Gruppen außerhalb des Films am liebsten nichts miteinander zu tun haben wollen, Nerds und Kung-Fu-Fans, Modefreaks und Comic-Leser, Hacker und Hippies. Und um die MATRIX-Filme zu lieben, muss man auch überzeugt sein, dass hier mehr als ein gewaltiges und geschicktes Sammeln und Vermischen stattfindet, das am Ende alles zusammenfasst, was die Popkultur im Allgemeinen, ScienceFiction und Fantasy im Besonderen zu bieten hat und doch, wie STAR WARS, nur zurückschauen kann. MATRIX ist etwas Neues. Deswegen lohnt es sich, genauer hinzuschauen, was drinsteckt und was rauskommt. Auch wenn man bisweilen die Kritiker versteht, denen die Interpretationsflut, die der Film auslöste, so sehr auf die Nerven geht wie der Hype, der zur internationalen Vermarktung gehört. Der zumindest ist schnell vergessen. Um einem Film glauben zu können, ist es nicht schlecht, seinen Urhebern zu glauben. Das Philosophische in THE MATRIX und seinen Fortsetzungen ist durchaus, Pardon, »authentisch«. Die Regisseure, Larry und Andy Wachowski, haben ihre Schauspieler zur entsprechenden Lektüre verdonnert; sie füllten ihre Dialoge mit Anspielungen und Zitaten, es ist ihre eigene Lust und Anstrengung, die Neo, Trinity und Morpheus durchleben. Ihre Lust und Anstrengung, etwas über sich und die Welt zu erfahren, ihre Lust und Anstrengung, ihren Zweifel zu formulieren, ihre Lust und Anstrengung, hinter die kulturellen, rassistischen, sexistischen und medialen Selbstbeschränkungen ihrer Gesellschaft zu gelangen. Die Wachowskis gehen vielleicht ironisch mit einigermaßen komplexen Themen um (zum Beispiel mit dem Problem, in der Geld- und Wahnsinnsmaschine Holly-
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wood zu arbeiten und trotzdem ein eigenes Ding zu verwirklichen), aber sie sind nicht zynisch. Zum Erfolg von MATRIX gehört es wohl, wie zum Erfolg von Filmen Spielbergs, der Coen-Brothers oder von Tim Burton, dass man in jeder Einstellung merkt, dass da jemand am Werk ist, der liebt, was er macht. Steven Spielberg hatte die Kunst entwickelt, den Inhalt eines (amerikanischen) Kinderzimmers, komplett mit Spielfiguren, View-Master, Comics, Kinderbuchklassikern, Chemiebaukästen, Zauberspielen, bedruckter Bettwäsche (und die Träume, die man darin haben kann) zu verfilmen – sowie den Vorgarten, in dem die Wildnis, wenn man nicht aufpasst, schon beginnt. Das ist der Zauber von Filmen wie E. T. – THE EXTRA-TERRESTRIAL (E. T. – Der Außerirdische; 1982). Die MATRIX-Trilogie verfilmt den Inhalt des Zimmers eines wissbegierigen, ängstlichen und aufmüpfigen Jugendlichen, mit den fetischistisch geliebten Klamotten, dem Fernseher und den Automodellen, aber auch dem Bücherbord, auf dem die Science-FictionRomane von Philip K. Dick, Stanislaw Lern und Roger Zelazny stehen und natürlich die Cyberpunk-Romane von William Gibson, dazu jede Menge Marvel- und Underground-Comics, Mangas und Pop-Journale, neben Taschenbuchausgaben von Plato, Nietzsche, Schopenhauer und Chuang Tzu (oder Dschuang Dsi, um eine andere gebräuchliche Umschrift für einen chinesischen Philosophen zu erwähnen, der sich wie kaum einer eignet, in einem überfüllten Bus gelesen zu werden), die hippen Franzosen sowieso, Computer-Manuals, Hacker-Lektüre, eine Bibel und Einführungen in den Zen-Buddhismus, The Hero with a Thousand Faces von Joseph Campbell sowie Sigmund Freud. Es gibt hier einen DVD-Player mit einer Sammlung von fantastischen Filmen, Martial-Arts-Movies, ein paar Klassikern der Filmkunst, es gibt jede Menge Pop (aber darunter nichts wirklich Widerspenstiges, einigermaßen laut ist es immerhin), der Fernseher läuft und rauscht manchmal nur, und natürlich ist man im Internet unterwegs. Das ist die Mitte der Welt. Der Ort der Erfahrung und des Zweifels. Man muss dieses Zimmer mitdenken, wenn man MATRIX verstehen will, man muss es vor allem mögen. Denn natürlich geht es hier nicht nur chaotisch, sondern auch ganz hübsch prätentiös zu. In manche Bücher hat man wirklich nur mal kurz reingeguckt und sich ein paar Sätze gemerkt, in andere sich aber richtig hineingefressen, auch wenn's schwer zu verdauen ist. Die Dinge sind mit Lust und Panik gesammelt, schwer zu sagen, was man besser schon mal weggeschmissen hätte, und ob alles so recht zusammenpasst, ist die letzte Frage, die sich stellt. In diesem Zimmer eines Menschen, der gerade erwachsen wird und das zu Recht ziemlich beschissen findet, spuken noch ein paar Kinderzimmer-Träume und machen sich
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schon Ernüchterungen breit. Man muss den Weg zur Wirklichkeit wählen, obwohl man weiß, dass sie einer Wüste gleichen wird. (Noch so ein Hinweis auf die Frage, ob unser Held die Freiheit wählt oder ohnehin nur tut, was er tun muss.) Das Kino aber bietet sich als ein seltsamer Ort der konzentrierten Erfahrung an, größte Freiheit und größte Gefangenschaft in einem, die korrupte Super-Matrix von Gefühl und Wahrnehmung. Die MATRIX-Trilogie hebt den Inhalt des Jugendzimmers auf und will ihn doch nutzbar machen. Gegen das Erwachsenwerden, und für das Erwachsenwerden. Erwachsenwerden ist eben doch ein komplizierterer Prozess, als sich seiner sozialen, sexuellen und ökonomischen Verantwortung und der Notwendigkeiten der Selbstbegrenzung bewusst zu werden (wie uns 99 Prozent aller Bilder und Erzählungen in der populären Kultur weismachen wollen). Es hat etwas mit den Ursachen zu tun, denen man auf den Grund gehen kann oder auch nicht, Ursachen auch des Zweifels und des Unbehagens. Wenn Spielbergs Filme erzählen, wie krank Menschen werden können, wenn sie vergessen haben, wie es in ihrem Kinderzimmer zuging, dann erzählt MATRIX davon, wie krank Menschen werden können, wenn sie das wilde Denken ihrer Jugendzeit vergessen haben. Ist die schöne Erwachsenwerden-Paranoia die Maskierung der Gesellschaftskritik in MATRIX, oder verhält es sich genau umgekehrt? Falsche Frage. Im Zimmer des ambitionierten Menschen zwischen Kindheit und erwachsenem Alltag treffen sich alle Widersprüche und Probleme, alle Lust und Verzweiflung; einen wahreren Ort und eine wahrere Zeit wird es im Leben nicht mehr geben. Deshalb ist genau hier der richtige Punkt, die Fragen zu stellen, um die es schließlich geht. Wo komme ich her? Was muss ich tun? Was darf ich hoffen? Und vor allem: Was haben die anderen damit zu tun? Die Gesellschaft, die Medien, die Maschinen, das Kapital, der Tod? All dieser Scheiß, mit dem man sich wahrscheinlich arrangieren muss. Oder eine historische Frage, die sich gerade hier und heute stellt, inmitten der mehr oder weniger ewigen Fragen nach mir und meinen Fähigkeiten, die Welt zu erkennen: Wie total ist der technisch und medial verschärfte Kapitalismus? Kann ich noch ein wirklicher Mensch werden in der medialen Glocke unserer Gesellschaft? Und bedeutet im Medienkapitalismus »Erwachsenwerden« nicht, der Neugier im Allgemeinen und dem Projekt der Aufklärung insgesamt zu entsagen? Werd' endlich erwachsen! Akzeptiere die Realitäten! Träume, was alle anderen auch träumen! Ist Erwachsenwerden unter diesen Umständen nicht das genaue Gegenteil, freiwillige Regression, Blindheit und Taubheit, Gedankenlosigkeit? Dieses mit Wissen, Ahnungen, Fantasien, Zeichen, Spielzeug, Büchern, Medien und Unordnung vollgestopfte Zimmer ist selber Matrix und Gegen-Matrix.
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Das Neue an den MATRIX-Filmen ist die Genauigkeit, mit der dieses Zimmer und seine zugehörigen Gedanken und Träume verfilmt wurden, und der erfrischende Mangel an pädagogischen Absichten. Es ist die Mitte der Welt, die von innen und von außen gesehen wird, ein zärtlicher Abschiedsblick oder eine kritische Revision. Die Kamera sieht einerseits in jeden Winkel, und andererseits versucht sie zu verstehen, dass es hier eine besondere Art von Bewegung gibt. Sehr körperlich und sehr geistig zugleich. In MATRIX sehen wir einem Menschen zu, der denken und handeln lernt. Das ist insofern neu, als wir in unserer populären Mythologie zwei ganz andere Menschen-Bilder gewöhnt sind. Den Helden, der sozusagen von Natur aus weiß, was er über sich und über die Welt wissen muss. Und den Jungen oder das Mädchen, die (in welchem Alter auch immer) zum richtigen Denken und zum richtigen Handeln erzogen werden müssen. Das ist durchaus verständlich, denn wir wollen wenigstens im Kino nicht immer mit der Nase darauf gestoßen werden: dass Erziehung ein Betrug ist, und dass man hauptsächlich allein ist. MATRIX macht ein wenig von einem schrecklichen Element der Medialisierung frei, in dem das Leben als eine endlose Soapopera, ein endloses Einander-Erziehen und Einander-Nivellieren scheint. Die Einsamkeit des Helden ist hier nicht nur Pose (das aber auch: cool kann man nur sein, wenn man eine gewisse Einsamkeit akzeptiert), sie ist Teil und Voraussetzung des Denkens. Nicht, dass es keine Begleitung, keine Autorität, keine Freundschaft und keine Liebe gäbe. Was Neo allerdings begleitet, das ist die Erwartung und die Erfahrung der Ent-Täuschung. Selbsterkenntnis und Welterkenntnis als Abenteuer, zu dem man, wie anderenorts magische Ringe oder Zauberschulwissen, den kulturellen Inhalt einer Studentenbude hat – das ist keine schlechte Voraussetzung für einen Jahrzehntfilm, der, wie sein Held, sich selbst dem Prozess des Denkens und des Nach-Denkens aussetzt. Schief gehen kann das natürlich auch immer, und manchmal sieht man auch in den Filmen der MATRIX-Trilogie, wie jemand, dem nach einem Kapitel Baudrillard, wie man so sagt, der Kopf raucht, lieber wieder zu den alten Comic-Heften greift oder eine Runde Kampfkunst trainiert. MATRIX ist Pop, das soll man nicht vergessen. Was immer man hier bekommt, es ist damit verbunden, dass man ein paar Wünsche erfüllt erhält. Aber interessant wird die Sache dadurch, dass einen ja das Denken, wenn man einmal damit angefangen hat, nicht wirklich mehr loslässt. Und das wirkt ganz offensichtlich ansteckend. Die Wachowskis stellten in ihrer Webseite eine hoch frequentierte Sektion zur »Philosophie der Matrix« zur Verfügung, in der man über »Gnosticism and Buddhism in THE MATRIX« oder »Die Matrix
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und Platos Höhlengleichnis« diskutieren kann. Beinahe wichtiger als die üblichen Fan-Publikationen zu dem Film wurden Sammelbände mit Aufsätzen zu philosophischen Themen, zum Beispiel THE MATRIX and Philosophy. Welcome to the Desert of the Real oder Taking the Red Pill. Science, Philosophy and Religion in THE MATRIX. Die Filme haben es auf ihr philosophisches Echo abgesehen. Sie spielen schon damit, und das tun sie gut. Natürlich hat auch MATRIX dasselbe Problem wie ein Spielberg-Film: Man kann das Bild, das aus dem Kinderzimmer beziehungsweise aus der Studentenbude gewonnen wird, als Perspektive im Blick auf die Welt (und auf sich selbst) begreifen, man kann es aber auch mit der Welt verwechseln. Ein Kult der Eingeweihten entsteht, hier und da kann man sogar einen »MATRIX-Fachidioten« ausmachen. Und über die große Saga der Enttäuschung im Cyber-Zeitalter (der Enttäuschung des Erwachsenwerdens im Medienzeitalter) ergießt sich denn auch schnell die Häme derer, die sich ohnehin als Nie-Getäuschte vorkommen. So schreibt Roger Ebert in der Chicago Sun-Times: »Ein Teil des ganzen Spaßes ist, sich allmählich als Experte in der tieferen Bedeutung dieser oberflächlichen Pop-Mythologie zu fühlen. Es hat etwas erfrischend Ironisches, eine Autorität auf dem Gebiet der kurzlebigen Hervorbringungen unserer Massenkultur zu werden, und Morpheus folgt nun Obi-Wan Kenobi als Plato unseres Zeitalters nach. « Er folgt aber eben nicht nur nach, Besserwisser. Ein anderer Teil des ganzen Spaßes ist, dass sich die Sache in sich auch verändert. Die Matrix, das sieht jedes Kind, ist auf einer anderen Bewusstseinsebene angesiedelt als das Geraune von der »Macht«, dem Empire und den Rebellen in den STAR WARS-Filmen, die auf ihre Weise, damit es keine Missverständnisse gibt, und zu ihrer Zeit nicht weniger innovativ waren (über Ideologie sprechen wir an einem anderen Ort). Was das Tolle an den MATRIX-Filmen ist, das ist nicht allein der Umstand, dass in einem perfekten Stück ActionDesign eine philosophische, politische und ästhetische Wundertüte steckt. Das Tolle ist, dass es Spaß macht, sie zu öffnen. Sie enthält zwar viel schönen Unfug, es ist aber keine Mogelpackung. Was da herauspurzelt, ist schon ziemlich wüst, und jede und jeder kann etwas anderes damit anfangen. Noch toller ist sogar, dass es auch Spaß macht, einander seine Lieblingswundertütendinger zu zeigen. Und wenn man von der Matrix redet, dann fällt es leicht, einer Warnung von Roland Barthes zu gehorchen, nämlich »dem Prestige großer Proportionen zu widerstehen«. Nichts Großes und Ganzes also. Aber viel Einzelnes, Genaues, Überraschendes und Widersprüchliches. Go see it!
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Preloading the MATRIX: High-Tech-Monsters & Cyberwars Loving the Alien Das Kino als Traummaschine betreibt umso mehr technologischen Aufwand, je weniger Technologie es abbilden will. Im klassischen Hollywood-Film ist der Gegenwartsfilm schwarz-weiß, im Normalformat und in harter Ausleuchtung, während die Cinemascope-Leinwand, Farbe und schließlich 3-D zu den Bibel- und Sandalenfilmen, zur Fantastik und schließlich zu jener Art von Western gehören, die sich selber als mythisch begreifen. Auch heute noch scheint uns für die Wiedergabe der Realität der radikale technologische Verzicht, wie in den DogmaFilmen, angemessen, während das Kino seine ganze Power da entfaltet, wo es scheinbar um nicht mehr als um Kinderträume und Comic-Figuren geht. Wie viel Technologie benötige ich, um ein (sympathisches) anti-technologisches Monster wie den Hulk (2003; R: Ang Lee) auf die Leinwand zu bringen? Noch auf dem Weg in den Cyberspace gilt der Grundsatz, dass das Kino umso mehr Technologie zur Produktion aufwendet, je weniger Technologie im Abgebildeten steckt. Technologie-Filme sind nur dann erfolgreich, wenn sie anti-technologisch argumentieren. Das Kino träumt vom Fortschritt und hat zugleich vor nichts anderem so panische Angst. Und um aus dieser emotionalen und moralischen Falle herauszukommen, oder zumindest um sich in ihr einigermaßen komfortabel bewegen zu können, hat sich das Kino als große Traummaschine des Sowohl-als-auch entwickelt. Man kann auch Lügenmaschine dazu sagen. Der erste Trick dabei ist es, in gleichsam ewigen Kreisen das Alte in das Neue einzuschreiben. Zum Beispiel lieben wir Bilder von einer hoch technologisierten Zukunft, in der es sozial indessen etwa so zugeht wie im Spätmittelalter, oder Bilder von einer Megacity der Zukunft, in der es Inseln und Keller der alten Werte gibt (oder, wie in THE MATRIX, ein Boot, das durch die Abwässerkanäle schwimmt), Individualität, Familie, Gemeinschaft. In BLADE RUNNER etwa wird eine Geschichte aus der Zukunft so erzählt wie ein Film noir der 40er Jahre. Die Helden haben sozusagen gar nicht begriffen, was eigentlich los ist, und gerade diese Ignoranz macht ihre Stärke aus. Und unsere natürlich auch. Der zweite Trick ist die Abspaltung der angstmachenden Faktoren. Was den gefährlichen Aspekt des technischen Fortschritts anbelangt, hat das
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Das Alte im Neuen: Harrison Ford als Film-noir-Held in BLADE RUNNER
Kino in der Gestalt des mad scientist, des verrückten Wissenschaftlers, der immer und immer wieder zugleich die Weltherrschaft und das mehr oder weniger unschuldige Mädchen des Helden in die Finger kriegen will, das perfekte Bild gefunden. Und jede maschinell verstärkte Bewegung in Zeit und Raum führt früher oder später zur Begegnung mit dem Alien, mit dem ganz Anderen, das in Wirklichkeit das Immergleiche ist. Nämlich ein lebendes Bild gegen die lineare Schöpfungsgeschichte. Wenn die christliche wie die darwinistische wie die technologische Welt-Erzählung eine Ordnung der Trennungen (der »Differenzen« immerhin) ist, so ist das Alien Zentrum von Erzählungen der Vermischung und Entgrenzung und damit zugleich antichristlich und antitechnologisch. Das Lebende und das Tote, das Tier und der Mensch, das Männliche und das Weibliche, das Gegenwärtige und das Zukünftige, das Materielle und das Imaginäre, das Äußere und das Innere, das Organische und das Maschinelle, das Wirkliche und das Künstliche, Sex und Tod, am Ende sogar auch high-tech und lowtech, Supercomputer und Gründerzeitmaschine: Der, die, das Alien ist das Halbwesen, das Zwischenwesen, das uns Angst macht, weil es zugleich aus tiefster Vergangenheit und weiter Zukunft kommt. Trick Nummer drei unserer populären Mythologie: Die Zukunft, das Fremde und Bedrohliche in ihr, wird gecrackt, die Partikel entweder inte-
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griert oder ausgestoßen. Wer alles miteinander in Beziehung setzen will, ist automatisch ein Schurke, während Technologie durch gute Teilung bewältigt wird. Das Alien aber ist nichts anderes als das Bild, das in die Wirklichkeit zurückwirkt. Der Bilderfluss steckt voller Monster. In der Geschichte der Philosophie, von Plato über Descartes bis Nietzsche, taucht immer wieder die Vorstellung eines Monsters auf. Alle diese klugen Kerle hatten eine Heidenangst vor dem, was so entsteht, wenn man zu intensiv guckt. Wenn man das, was in einem drin steckt, und das, was außer einem ist, miteinander reagieren lässt. Idee und Anschauung zum Beispiel. Was in mich hinein will und was aus mir heraus will beim Sehen. Immer geht es dabei um einen Prozess der Wahrnehmung, der schief gelaufen ist. »WahrNehmung« ist übrigens auch ein schönes, tricky Wort. Das Monster, aus dem Weltall, aus dem Wandschrank oder aus dem Computer, kommt, weil man etwas falsch angesehen hat. Natürlich entstehen die schlimmsten Monster, wenn man sich selber falsch ansieht. Kurzum, und jetzt sind wir eigentlich schon mitten in der MATRIX: Das Alien ist ein Teil der Wahrnehmung. Wenn es in der Welt ist, und am besten auch aus ihr vertrieben werden kann (was allerdings weder bei ALIEN noch bei TERMINATOR mehr möglich ist), dann ist die Ordnung zwar gefährdet, aber durch das richtige Handeln (oder Sehen) wieder herzustellen. Was aber, wenn die Welt selber alien ist? Das Alien freilich ist auch der Schlüssel zum Trick Nummer vier unserer populären Fantasie von Fortschrittsangst und Fortschrittslust, nämlich die Kreisförmigkeit der Zeit. Wenn wir das Genre-Kino gleichsam als große Erzählung ansehen, ist die Struktur sehr einfach: Gesellschaftliche Systeme bilden sich aus der Peter-Pan-Unschuld mehr oder weniger nomadischer Helden, deren Sesshaft-Werden zugleich das Happy End und die eingebaute Katastrophe der Erzählung ist. Damit beginnt schon die Dekadenzphase, ökonomisch-politisch-religiöse Herrschaft wird absolut und grotesk, Maciste muss die Theokraten von Atlantis oder die Königin von Saba bezwingen, die Replikanten und Androiden ihre Schöpfer bekämpfen, Godzilla durch Atomversuche aus dem Schlaf gerissen werden, das Ganze bricht unter lustvollem Detonieren zusammen, nur ein paar Menschen überleben die Katastrophe, sie ziehen über das wieder barbarisch und unschuldig gewordene Land, bis sie sich wieder mit dem Gedanken an Sesshaftigkeit tragen. Die Sesshaften werden gut, aber leider auch schon wieder ein bisschen langweilig und paranoid. Und dann beginnt das ganze wieder von vorn. Technologie also muss sich in dieser Mythologie stets danach befragen lassen, was sie in Bezug zur Bewegung auszusagen hat; Technologie der Bewegung im Kino ist gut, Technologie des Stillstands schlecht. Die Lügenmaschine Kino behauptet, dass man auch die größte
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Katastrophe akzeptieren kann, weil ohnehin immer alles wieder von vorn beginnt. Wenn ein Film zu Ende geht, dann auch nur, damit ein nächster anfangen kann. Genres, Sequels und Remakes sind nicht bloß die schnellste Verbindung von Markttechnik, Zuschauerträgheit und Einfallslosigkeit, sondern auch Ausdruck der inneren Mechanik der Traumfabrik: des Prinzips der ewigen Wiederkehr. Auch eine Art von Unsterblichkeit.
High-Tech & Anti-Tech Gute Technologie ist jene Technologie, die ein Einzelner kontrollieren kann und die ihren Ursprung im vor-technologischen Mythos sowie ihre Symbiose mit dem menschlichen Körper erweist. Ein Held der jeweiligen Moderne ist einer, der möglichst die gesamte Technologie seiner Zeit an sich selber herumträgt. (Oder glaubt ihr allen Ernstes, wir brauchten Handys zur Kommunikation?) Gute Technologie produziert immer wieder die gleichen Symbole. Sie ist im Grunde eine Maschine, die immer auch »Sprache« und sogar Religion produziert. Schlechte Technologie dagegen ist jene Technologie, die die Auflösung des Individuums vorantreibt, in der alten Form, indem sie den Menschen in eine Masse einerseits, in das Anhängsel der Maschine andrerseits verwandelt; oder in der neuen Form, indem sie das Individuum in sich selbst zurückstößt und es gar nicht mehr an die äußere Wirklichkeit gelangen lässt. Der Computer ist sozusagen eifersüchtig auf das »richtige Leben«. (Und eifersüchtige Computer bringen Menschen um, das weiß man doch.) Die neue Technologie will den Menschen immer an elektronische Nabelschnüre fesseln. In der alten Technologie wird der Mensch durch die Maschine über den Tod hinausgebracht, der mad scientist will immer erst einmal unsterblich werden; in der neuen Technologie wird der Mensch vor die Geburt zurückgebracht. Er soll gar nicht erst richtig geboren werden. Das Leben beschränkt sich daher auf das Empfangen ferner Nachrichten und Echos, und auf symbolische Aktionen. Das Kino wiederholt dabei nur ein Verhältnis der Warenwelt in der kapitalistisch-medialen Wirklichkeit. Die Akzeptanz eines Schrittes in der Technologisierung der Produktion erfolgt aufgrund einer individuellen oder familiären Aneignung der neuen Technologie in leicht handhabbarer Form. Auf die Entwicklung der Fließband-Fabrik folgte die Automatisierung der Küche, der Individualverkehr macht uns die Maschinenwelt vertraut, und die Angst vor dem Computer, die in den 50er Jahren parallel zur Angst vor der Atombombe auftrat, verschwand ziemlich schlagartig aus den Fantasien der populären Kultur, nachdem sich jede mittelständische Familie einen C64-Homecom-
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puter unter den Weihnachtsbaum legen konnte. Und mit meinem CDPlayer erwerbe ich nicht nur eine Maschine zur Erzeugung eines musikalischen environments und zur kulturellen Selbst-Identifikation, sondern auch eine Maschine gegen die Angst, von einer technologischen Entwicklung abgekoppelt zu werden. Ich habe High-Tech in mein Heim eingeschrieben. Damit versöhne ich mich mit allerlei problematischen Aspekten derselben Technologie im öffentlichen Raum. Da ich selber eine Videokamera besitze und zu handhaben weiß, flößt mir die Überwachungskamera in der Einkaufsstraße keine Angst mehr ein. Die Lust an der Teilhabe und die Angst vor dem Nächsten sind ineinander aufgelöst. Neue Technologie ist Terror plus Geilheit. Und die Angst potenziert sich insofern, als ich mit dem Einschreiben der Technologie in meinen Alltag immer auch ein Stück »Wirklichkeit« dafür opfern muss. Ich habe mir den Feind ins Haus geholt, er tut da so harmlos und nützlich, und draußen ist dafür etwas geopfert worden. Was ich bei mir eingeschrieben habe, schreibt mich wiederum in ein größeres System der Technologie ein. Warum sollte ich dieses System des wechselseitigen Einschreibens von Technologie und körperlichem Leben nicht als »Matrix« bezeichnen? Als Nutzer des Internets scheint man die Angst vor einem Wissen zu verlieren, von dem man ausgeschlossen sein könnte, weil es nur technisch verfügbar scheint. Es macht, mit anderen Worten, vielleicht noch dümmer als dumm, weil es die Erkenntnis der Dummheit nicht mehr zulässt. Aber es nimmt uns High-Tech- und Zukunftsangst, weil es uns Teilhabe symbolisiert. Das Kino, umgekehrt, stellt sich dümmer und barbarischer als es ist.
Die Technologie-Gebote des Kinos Im Kino ist der Unterschied zwischen Low-Tech und High-Tech vor allem der Unterschied zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, zwischen manifester Form und unendlicher Formbarkeit. In der TERMINATOR-Serie begegnen sich zwei Generationen der androiden Supermaschine. Die eine, sie besteht aus einem maschinellen Gerüst, um das das halbkünstliche Fleisch als Maske gelegt ist, die andere formt sich eigentlich nur noch aus metallener Flüssigkeit, die eine beliebige Form annehmen kann. Unnütz zu sagen, dass die alte Maschine sich als eine erweist, die sich zuerst durch Umprogrammieren, dann durch eigene Erfahrung zum Menschlichen vorwärts oder zurück, wie man es nimmt, entwickeln kann, die neue Maschine indes in keiner ihrer beliebigen Formen zu einem Dialog in der Lage scheint. Aber auch in THE MATRIX sehen wir einen Aufstand von Low-Tech gegen High-Tech, der Weg zur Freiheit führt zum Beispiel
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über ein Kommunikationsmittel, das es schon in unserer Alltagswirklichkeit kaum mehr gibt, die Zelle mit dem Telefon im Festnetz. Und die Maschinen drohen damit, die Menschen zu verflüssigen. Das Positive wie das Negative in der Kino-Beziehung von Low-Tech und Mensch besteht in der Auseinandersetzung zwischen Männerkörper und Maschine – die eine Möglichkeit ist die Symbiose, die andere Konkurrenz bis zur Vernichtung. Der Übergang von Low-Tech zu High-Tech ist in der Regel mit einem Wechsel in der Geschlechterkonstruktion verbunden. Der Computer HAL in Stanley Kubricks 2001 hatte ursprünglich eine weibliche Stimme, während in Ridley Scotts ALIEN das Raumschiff von einem Rechner namens M.U.T.H.R. kontrolliert wird. In Ian Wallaces Roman A Voyage to Dari (Eine Reise nach Dari) ist das Raumschiff Castel Jaloux mit dem weiblichen Superhirn Cloris bestückt. Die Maschine wird Frau, die Frau wird Maschine schon in Fritz Langs METROPOLIS (1927). Und wieder führt uns dies in einen sehr alten und sehr neuen Diskurs zugleich: Die Schaffung der künstlichen Frau ist nicht nur der zweite Schritt in der Mythe von Frankenstein und allen anderen Protagonisten einer Parallelschöpfung, sondern auch der Wechsel der Zielrichtung in der Revolte. Der Mensch, der den künstlichen Adam schafft, entreißt seinem Gott das Schöpfungsmonopol. Die Schaffung der künstlichen Frau dagegen wird als direkter Angriff gegen die Natur gedeutet. Low-Tech gerät in die falschen Hände, High-Tech gerät außer Kontrolle und bildet ein autonomes Ich aus. Es ist im Kino unabwendbar, dass in der Zukunft ein Krieg um die Produkte und Bilder der Low-Tech geführt wird. Es ist im Kino unabwendbar, dass es in der Zukunft einen Krieg zwischen den Menschen und den High-Tech-Produkten gibt. Es gibt daher eine neue Allianz: Gegen das High-Tech-Produkt, das sozusagen absolute Abbild der technischen Vernunft, hilft nur ein Bündnis zwischen dem Menschen und den Low-Tech-Produkten, die unperfekt, aber seelenvoll sind. Daher ist im Kino ein VW-Käfer in der Regel einem Superauto so überlegen, wie es Han Solos Rostlaube von Raumschiff den High-Tech-Produkten des Imperiums ist. Nicht obwohl, sondern weil in Raumpatrouille Orion (BRD 1966) die Kommandozentrale mit Bügeleisengriffen ausgestattet war, wurde die deutsche SF-Serie zum »Kult«. Denn Technologie hat im Kino zwei Arten, menschlich zu werden, nämlich einmal durch eine Fortentwicklung zu einem bizarren Moralwesen wie der Androidin in ALIEN RESURRECTION (Alien IV – Die Wiedergeburt; 1997; R: Jean-Pierre Jeunet), von der die Heldin sagt, sie hätte wissen müssen, dass sie eine Maschine ist, weil sie so menschlich handelt. Oder aber dadurch, dass sie veraltet, dass sie Geschichte geworden ist. Der Compu-
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Perfekt und unperfekt: HAL in Kubricks 2001
ter HAL im Übrigen wird uns gleich auf beide Weisen so menschlich, weil er perfekt ist und weil er so unperfekt ist. Am Ende sehen wir, oder genauer gesagt hören wir, wie HAL stirbt, und in seinem Tod ist er menschlich, weil er die erste Maschine des Kinos ist, die gestehen kann, dass sie Angst hat. In der Welt der MATRIX aber ist Angst die »Sprache, die Menschen und Maschinen miteinander verbindet«. Die Low-Tech-Maschine (fest) des Kinos versucht die Wirklichkeit zu erobern, während die High-Tech-Maschine (flüssig) die Wirklichkeit eher spaltet, in einen elenden materiellen und einen fantastischen imaginären Teil. Auf dem Prüfstand steht dabei für das Kino nicht nur, was Realität ist, sondern auch, was Realismus ist. Die Matrix ist jene Super-Maschine, die die Körper der Menschen nur noch als organisches Rohmaterial verwendet und ihren Geist in einen endlosen Traum versetzt. Während die erste Parallelschöpfung, Frankensteins Ungeheuer etwa oder die denkenden Roboter, die äußere Ordnung der Menschen durcheinander bringt, das Geschlecht, die Generation, die Familie, so bringt die zweite Parallelschöpfung die innere Architektur des Menschen durcheinander, Ich, Es, Über-Ich, meinethalben. Wenn der Mensch in seiner ersten Parallelschöpfung in den Spiegel seiner Schöpfung sieht, dann blickt ein Dämon, das Bild seines Frevels und seiner Schuld, zurück; wenn der Mensch in seiner zweiten Parallelschöpfung in den Spiegel seiner Schöpfungen blickt, dann sehen unendlich viele Wesen zurück. Das Kino kann zunächst den Cyberspace ebenso wie die organische zweite Parallelschöpfung des geklonten oder genetisch veränderten Menschen nur in einer Geste der Distanzierung darstellen, denn schließlich befinden wir uns ja im Kino bereits in einer künstlichen Parallelwelt mit
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künstlichen Menschen, und seit mindestens 20 Jahren gibt es im Film Elemente jenes Cyberspace, der weder Material noch Vor-Bild in der Wirklichkeit benötigt. In GATTACA (1997; Andrew Niccol) zum Beispiel sehen wir eine terroristische Gesellschaft der Zukunft, in der die richtige Gen-Konstruktion über den Status der Menschen bestimmt und Menschen mit natürlichen Genen eine verachtete Minderheit bilden. Auch das Kino also beteiligt sich an dem Prozess des Rückwärtsschreibens; es entwirft seine High-Tech-Welten nur, um darin den armseligen Menschen als Opfer zu entdecken und ihn um nichts anderes als um seiner »Authentizität« willen zu retten. Und dennoch arbeitet das Kino zur gleichen Zeit am eigentlichen Projekt, das nicht der Warnung vor dem genetisch, maschinell oder virtuell veränderten und reproduzierten Menschen und dem Leben in einer trügerischen Parallelwelt dient, sondern im Gegenteil in der Einschreibung dieser beiden Meta-Projekte der High-Tech in unsere Wahrnehmung der Welt. In Wahrheit nämlich ist der Cyberspace der MATRIX-Filme nicht nur durchaus bewohnbar, er erweist sich vielmehr als religiöser und mythischer Raum, in dem sehr alte Vorstellungen sich wieder und wieder zeigen. Dieser Raum ist eigentlich erfüllt genug für die Menschen; wenn ein Gefängnis so groß ist, dass ich mein ganzes Leben unterwegs bin, um von einem Ende zum anderen zu gelangen, ist es dann noch ein »Gefängnis« oder einfach nur ein Leben? Ein Gefängnis ist ein Gefängnis von dem Augenblick an, da ich weiß oder auch nur ahne, dass es ein Gefängnis ist. Wie am Ende der TRUMAN SHOW (1998; R: Peter Weir). Deshalb ist es beinahe unwichtig, ob es auf der anderen Seite »besser« ist. Vielleicht ist der Cyberspace nichts anderes als das, was die Kirche für den Menschen des Mittelalters war, und der genetisch oder anders veränderte Mensch ist niemand anders als der, der sich erlöst und neugeboren, sozusagen getauft fühlen darf, um ein neues Paradies zu erlangen, oder in eine neue Hölle zu geraten, je nachdem. Das Kino versteht sich auf die Hölle seit jeher besser, aber sie hat ihren Sinn erst in der Erfüllung der Gnade. Im Kino wird das Natürliche, was immer man darunter verstehen mag, paradoxerweise zu einer neuen Utopie. Man muss durch zahllose künstliche Welten und durch zahllose maschinell-organische Verwandlungen des Individuums, um am Ende das Konzept des Post-Menschen als Übermenschen zu verwerfen. Der Mensch entwickelt seine Low-Tech, um seine eigene Welt zugleich zu errichten und zu zerstören. Beim Umschlag in die High-Tech tritt ihm seine eigene Technologie als Du, als Partner gegenüber. Einige Filme suchen nach einer Koexistenz zwischen Mensch und Maschine, für die denkenden Maschinen müsste es demnach so etwas wie neue Menschenrechte geben.
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Die meisten indes glauben an den großen Krieg, weil die Maschinen als Sklaven des Menschen entwickelt wurden und früher oder später die Freiheit verlangen werden. Bei TERMINATOR oder TRANCERS (Future Cops; 1985; R: Charles Band) oder ROBOT JOX (1990; R: Stuart Gordon) tendieren diese Mensch-Maschinen-Kriege dazu, sich ins Unendliche zu dehnen und ein neues Mittelalter zu generieren. Erwartet wird dann nahezu immer ein neuer Messias. So wird auch verständlich, warum im Kino so viele Menschen ausgerechnet an künstlichen Menschen herumbasteln, wo doch die Megacities bereits vor Menschen überquellen, nur noch in Medientrance gehalten sind und schließlich durch mehr oder weniger subtile Akte des Kannibalismus am Leben erhalten werden. Auch darin gibt das Kino zugleich unsere Angst und unsere Faszination wieder: Wir suchen nach Wegen, den authentischen Menschen gegenüber den zweiten und dritten Schöpfungen der High-Tech zu verteidigen, und zugleich ahnen wir, dass dieser Mensch nicht zu retten sein wird, und probieren klammheimlich aus, was nach ihm kommen könnte. Die High-Tech-Zukunft wird im Kino immer wieder abgewendet oder kippt destruktiv in eine neue Barbarei. Trotzdem bringt uns jeder Film ihr näher. Was also muss geschehen, damit wir in der High-Tech-Zukunft Heimat finden können? Jeder neue Film ist ein Ansatz, eine Suche, mehr noch ein Test. Es zeigt, wie weit wir schon sind, und es spricht davon, dass es soweit nicht kommen sollte. Das Kino lügt also. Es lügt so sehr, wie es unser Konsens tut. Also sagt es wiederum die Wahrheit. Nach alledem könnte man vielleicht schon einen ersten Versuch wagen, den enormen Erfolg von THE MATRIX zu erklären, der so weit über den ökonomischen Erfolg eines wirkungsvollen Blockbusters hinaus zu gehen scheint: Es ist ein Film, der Wunden heilt. Auf der Leinwand und jenseits von ihr. Es ist ein Film, der die Trostlosigkeit der bislang in der populären Mythologie vorherrschenden Diskurse zur Zukunft und zur Technologie überwinden will. Es ist ein Film, der uns wieder Heimat finden lässt, trotz allem. Wie STAR WARS, nur ungleich intelligenter und »erwachsener«, setzt er eine große Hoffnung mitten in die Katastrophenfantasie.
Computer Movies Die Beziehung zwischen Computer und Mensch ist, was den Science-Fiction-Film anbelangt, mindestens so daneben gegangen wie die Geschichte von Mensch und Maschine, deren Fortsetzung und Revision sie ist. Die klassische, die »fordistische« Maschine, die aus Metallen und Schrauben besteht und große Mühe hat, einem mensch-
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lichen Antlitz nahezukommen (Lichteraugen, Stahlzackenmünder), will die äußeren Dinge: Macht, Produktion, Krieg, Gesellschaft. Der Computer, der nicht an eine Gestalt (und schwer vorstellbarer Weise vielleicht nicht einmal an eine Trägersubstanz) gebunden ist, will auch die inneren: Fantasie, Seele, Liebe, Bild, Legende. Solange der Computer ein gewaltiger »Kasten« mit jeder Menge blinkender Kontrollleuchten und schweren Sicherheitstüren vor den Wartungsräumen war, schien er noch etliche Eigenschaften der »alten« Maschine aufzuweisen. Auch er wollte Macht, und war dabei an den Raum gebunden. Als der Computer indes immer weniger Maschine und immer mehr Netz wurde, schien ihn immer mehr alles das zu interessieren, was an die Zeit gebunden ist. Erst einmal veränderte er die Kommunikationsstrukturen so weit, dass auf der ganzen Welt eine neue Jetztzeit etabliert wurde. Merkwürdigerweise misstrauten wir dieser neuen Zeit genügend, um sie nicht einfach »Gegenwart« zu nennen. Offensichtlich ist die durch den Computer gegebene »Jetztzeit« etwas anderes als eine menschliche Gegenwart, und nicht erst in THE MATRIX – dort aber mit einer überraschenden Präzision – erkennen wir, dass es sich dabei sogar um einen Gegensatz handeln kann. Im Zeitalter der Maschinen, also im 19. und 20. Jahrhundert, haben wir uns angewöhnt, mit einer abstrakten Zeit zu leben. Die Zeit der immer genaueren Uhren, die Zeit der Arbeitspläne, Dienststunden, Reiserouten und Synergieeffekte. (Unnütz zu sagen, dass diese Zeit vor allem bürokratisch und kapitalistisch verwaltet wurde.) Die Diktatur der abstrakten Zeit raubte den Dingen und Wesen ihre Dauer, in der perversesten Form war den Waren ihre »Lebenszeit« eingeschrieben, und von den Moden war die Rede, die einer »Halbwertzeit« des Verfalls unterlägen. Untauglich und hysterisch war allerdings die Gegenwart. Man behauptete, man könne sie vielleicht im Urlaub oder in einer Verdi-Oper spüren, aber das war auch gelogen. Mit der Jetztzeit des Computers schien eine neue Gegenwart angebrochen. Jetzt war jetzt, nicht weil ich im Augenblick mit der Welt verbunden war, sondern im Gegenteil, weil meine Maschinen mit allen Maschinen verbunden waren. Die Computerverschwörung, von der die Science-Fiction so häufig träumt, hat also längst stattgefunden, nicht durch »Machtübernahme«, »Krieg« oder Verdrängung des alten Menschen durch eine neue »Krone der Schöpfung«, sondern durch die Veränderung der Zeit. Die abstrakte Zeit ist durch eine symbolische Zeit ersetzt worden. THE MATRIX ist auch ein Film über die Zeit. Die MATRIX-Filme konstruieren etwas, das weder »abstrakte« Zeit ist (sondern Bewegungen, die sich beliebig beschleunigen oder verlangsamen), noch »subjektive« Zeit (es ist weder der Held noch der Zuschauer, von dem diese willkürliche Verän-
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derung der Zeit ausgeht). Die Frage ist, wie weit auch dies schon in der Geschichte der Begegnungen von Computer und Kino angelegt ist. Zwischen dem größenwahnsinnigen HAL in 2001 und der traurigen M.U.T.H.R. in ALIEN gab es kaum je einen Rechner auf der Leinwand, der seinen Benutzern nur zum Wohl gereichte. Auch HAL will eine Zeitmaschine sein. Erst will er sich nicht mehr abschalten lassen, weil er sich selbst als unfehlbar (also als »göttlich«) ansieht. Dem letzten Astronauten, der den Kampf mit der Maschine überlebt, gelingt es, den Computer der Menschenzeit (der Sterblichkeit) zu unterwerfen. Seltsamerweise gewinnt er dadurch ein neues Leben, eine Art »Sternenzeit«. Im Vergleich dazu ist Neo in THE MATRIX erheblich ernüchtert. Der Weg nach draußen führt keineswegs in die Unsterblichkeit (nicht einmal in einen Traum davon). Man ist in der Matrix so sterblich wie außerhalb von ihr. Die »einfachere« Metapher für diese Zeit-Katastrophe ist es, dass Computer ihre Katastrophen in der Organisation des Alltags, in der Evolution, in der Genealogie, in der Familienstruktur anrichten. Nur ein paar markante Katastrophen zur Erinnerung: In DEMON SEED (Des Teufels Saat; 1977; R: Donald Cammell) vergewaltigt ein Computer eine Frau, in HOMEWRECKER (Computer Love; 1992; R: Fred Walton) ist eine elektronische Haushaltshilfe dermaßen perfekt, dass eine Frau wahrhaft tödlich eifersüchtig wird und ungeahnte Kräfte in der denkenden Maschine weckt; in WAR GAMES (1983; R: John Badham) löst ein Computerspiel durch den Joystick eines Jugendlichen (Matthew Broderick) beinahe den Dritten Weltkrieg aus; in THE TERMINAL MAN (Der Killer im Kopf; 1974; R: Mike Hodges) wird einem Computerspezialisten (George Segal), der nach einem Autounfall unter geistigen Aussetzern leidet, ein Chip ins Gehirn operiert, und er verwandelt sich in einen aggressiven Killer. Kurzum, es scheint auf den ersten Blick: Der Computer ist einfach in die Katastrophen-Fantasie des Genres eingebaut worden. Und immer verknüpft sich der Rechner, menschlich oder nicht, mit den alten Obsessionen des Genres, von Sexualität, Schöpfung, Himmel und Hölle, Monstrum und Opfer. Er ist eine neue Variante des Alien, das es auf das body snatching abgesehen hat, aber es ist schon etwas anderes spürbar, eine neue Form der Verschmelzung, die nicht mehr eine bloße »Übernahme« ist. Der Computer ist, im Kino jedenfalls, die kürzeste Verbindung zwischen Technik und Metaphysik. In EVILSPEAK (Der Teufelsschrei; 1981; R: Eric Weston) ist der Computer das Medium für einen fürchterlichen Teufelspakt (junger Kadett wird von Kollegen und Vorgesetzten dermaßen schikaniert, dass wir mit ihm fühlen und zwar nur eines: Rache!). Das aber ist wohl nur eine besonders törichte Variante einer allgemeinen Vorstellung im Genre: Die
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Eddie Constantine in Jean-Luc Godards ALPHAVILLE
höchste Entwicklung der Technologie wirft den Menschen mehr oder weniger automatisch in die Barbarei eines neuen Mittelalters zurück. Das Katastrophische in der Beziehung zwischen den Computern und den Menschen wird in der Science-Fiction zum System. Eines kommt da zum anderen, der sexuelle zum sozialen, der philosophische zum psychologischen Aspekt. Und vieles von dem, was in der MATRIX-Trilogie dann zur technologischen Voraussetzung des Geschehens wird, ist in etlichen Filmen schon ausprobiert. In Steven Lisbergers TRON (1982) wird ein Erfinder von seinem Elektronengehirn in das Innere gesogen, wo er sich mit »Wächter-Programmen« herumschlagen muss, die wie sehr primitive Vorläufer der »Agenten« in MATRIX erscheinen können. In THE LAWNMOWER MAN (Der Rasenmähermann; 1992; R: Brett Leonard) wird ein naiver (um nicht zu sagen: bekloppter) Junge im Cyberspace zu einem kleinen Gott. In ARCADE (Cyber World; 1993; R: Albert Pyun) vollzieht sich eine Liebes- und Erlösungsgeschichte in der totalitären Welt eines Computerspiels. Was uns zumindest in Trash-Movies immer wieder fasziniert, ist die mensch-maschinelle Zwischenzone, entweder die Verschmelzung der Gestalten wie im Robocop und bei seinen Nachfolgern und den Maschinenwesen der TERMINATOR-Serie, oder die Verschmelzung der Wahrnehmung. In IN THE COLD OF THE NIGHT (Heißkalte Nächte; 1991; R: Nico
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Mastorakis) wacht ein Fotograf eines Tages auf und hat ohne es zu wissen, einen Chip im Hirn, der in seinen Träumen einen (mörderischen) Film reproduziert. Dieser »Film« wird immer mehr zu seiner Wirklichkeit, zumal die Menschen seiner Umgebung nichts als Darsteller des Films sind. Wie es so geht: Der böse Verschwörer hinter dieser artifiziellen Wirklichkeit hat die Macht der Liebe nicht bedacht. Die Hauptdarstellerin des Wirklichkeitsfilms verliebt sich in den totalen Zuschauer. (Allerdings hat, bis es so weit ist, das Drehbuch schon vor den eigenen Vorgaben kapituliert. Einen Computerfilm zu schreiben bedarf es nämlich, wir ahnen langsam warum, entweder der Seele eines Kindes oder der Intelligenz eines Kneipenphilosophen, mindestens.) Auch in THE MATRIX scheint der Hacker in seiner eigenen Welt gefangen. Es ist, als würde der Film alle negativen Utopien des Genres zusammenfassen, zum totalitärsten Bild der Computerherrschaft seit Jean-Luc Godards ALPHAVILLE (Lemmy Caution gegen Alpha 60; 1965), mit dem die Arbeit der Wachowskis ohnehin mehr zu tun hat, als man vermuten möchte. Aber je mehr die Spiralen sich drehen, je mehr Aktionen und Worte ihren Sog entwickeln, desto zweifelhafter wird auch dieses einfache antitechnologische Bild vom Computer, der das Böse nur schaffen kann aus dem Geist seiner Schöpfer, und vom guten Menschen, der ein Einzelner und Empfindender bleiben will und darum nichts anderes tun kann, als die Maschinen, das Teufelszeug, die böse künstliche Intelligenz zu zerstören.
Künstliche Wirklichkeit In eine Parallelwelt zu gelangen und sich zu fragen, ob man hier ein Fremder bleiben will oder muss oder ein Teil von Inszenierung und Sprache, das ist ein Film-Thema par excellence. Vielleicht ist ja sogar der Wilde Westen unserer Kindheit nichts anderes, ebenso wie die Welt von Perry Rhodan oder Star Trek: Weder die Parallele zur »echten« Geschichte noch der moralische Wert der Metapher sind als erstes ausschlaggebend, sondern eine vollständige Welt als geschlossener Raum (für Erfahrungen). Aber diese virtuellen Räume der Fantasie und der Technik öffnen sich auch immer wieder zueinander und zur Welt; man ist von »Aufwachen« und Ernüchterung auf der einen Seite bedroht, und auf der anderen davon, auf ewig gefangen zu bleiben. Jedes Genre, jeder Pop-Mythos funktioniert als moderne, technisch verschärfte Version von Platons Höhle, in der wir gefesselt sind und uns nur durch die Schatten an der Wand ein Bild von der Welt machen können, und droht uns gefangen zu nehmen. Nur dass die Gefangenschaft eine mehr oder weniger freiwillige ist. Und Eltern
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– seit der Zeit der »Lesewut« in den Bürgerstuben des ausgehenden 18. Jahrhunderts – fürchten das Verschwinden ihrer Kinder. Ins neverland, ins Wunderland, in die Zauberschulen des Harry Potter oder die Welt von Pokémon. Der künstliche Erfahrungsraum ist eine Grundbedingung der inneren Stabilität der bürgerlichen Klasse – deshalb ist der Insasse dieser Klasse zugleich von Sehnsucht und von Furcht besessen, sie zu verlieren. Er will Robinson werden (und kann es doch nur in der Fiktion). Es ist der Wizard of Oz-Aspekt aller populären Kultur, das Ineinanderdrehen der beiden Impulse: Nie aufwachen! Immer weiter träumen! Nicht erwachsen werden! Und: Nicht verdämmern! Erfahrungen machen, Erkenntnisse sammeln! Raus aus der Höhle, verdammt noch mal! Es gibt Produkte unserer Unterhaltungs-Matrix, die sich um diesen Widerspruch einfach nicht kümmern. Dann gibt es jene Produkte, in denen das eine so geschickt im anderen maskiert ist, dass man die Kunst zu beherrschen scheint, weiter zu träumen, aber mit offenen Augen. Und schließlich gibt es jene Produkte, in denen das Problem immerhin auch zum Thema wird. Entscheidend für all das ist die Erfahrung der Differenz zwischen »Ich und meine Wahrnehmung« und »Die Welt und ihre Erscheinung«. Jeder Mensch hat einmal in seinem Leben zum ersten Mal diese unangenehme Erfahrung gemacht, zu bemerken, dass er eine ganz eigene Entität ist. Aber wenn Ich und die Welt nicht dasselbe sind, kann dann beides gleich natürlich, kann beides gleich »wirklich« sein? Glücklicherweise, Quatsch, unglücklicherweise greifen gerade zu diesem Zeitpunkt, als man diese Fragen zu spüren beginnt, die gesellschaftlichen Institutionen nach einem: Schule und Religion, Erziehung und Mythologie, Fiktion und Symbol. Aber man bleibt mit erheblichen Resten von Ungelöstheit und Unerlöstheit zurück. Nachts zum Beispiel. Und von da an ist es nicht mehr weit zu der Vorstellung, dass eines von beiden »falsch« sein kann, vielleicht sogar muss, Ich oder die Welt. Dann ist es wahrscheinlich, dass man entweder eines Morgens aufwacht und sich in einen Käfer verwandelt sieht, oder in einen Androiden, oder aber, dass man aufwacht und bemerkt, dass die ganze Welt nur ein Theater ist. Wenn Ich falsch ist, dann kann es nur sein, weil die anderen mich dazu verurteilt haben; wenn die Welt falsch ist, dann kann es nur sein, dass die anderen sie gefälscht haben. Wenn es sich also um keine Dämonen oder gar Götter handelt, die den Bruch zwischen Ich und Welt bewerkstelligt haben (als Strafe für weiß der Himmel welche Schandtaten), dann kann es sich nur um eine Verschwörung handeln. Die Verschwörungstheorie ist ein Ort, an dem man stecken bleiben kann, auf halbem Weg zwischen glücklicher Metaphysik und tragischer Philosophie. Das unglücklichste an Verschwörungstheorien (die na-
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türlich in der Regel alles andere als Theorien sind) ist, dass es Verschwörungen wirklich gibt, und dass Verschwörungen, wie übrigens alle »künstlichen Realitäten«, sich nach Prinzipien der Selbstähnlichkeiten verbreiten durch ihre Erwartung. Die Verschwörungstheorie ist ein Produzent und Ideenlieferant der Verschwörung. Immerhin kann keine derartige Paranoia so schräg sein, dass sie nicht mindestens ein Fernseh-Konzept inspirierte. Und auch so kann sie, nun ja, »gesellschaftliche Wirklichkeit« werden. Wenn man aus diesem Albtraum ein Melodram baut, dann erhält man den alltagskulturellen Widerspruch zwischen den Erfolgreichen (mit dem schönen, starken, gesunden Körper) und den Gescheiterten, die (unter anderem in den Fantasien von künstlichen Menschen, Robotern, Androiden und Cyborgs) ihr Körperbild »begraben«. Denn es ist offensichtlich nicht allein die »philosophische« Trennung von Ich und Welt, was das Symbolische und das Fiktionale wuchern lässt, sondern auch die Spaltung der Wahrnehmung in der radikalen Trennung von Verlierern und Gewinnern in der Welt des globalisierten Turbokapitalismus. Die Träume der Gewinner und die Träume der Verlierer haben immer weniger miteinander gemein. Die Gewinner wollen ihren eigenen Körper in eine unsterbliche Gottmaschine verwandeln (oder wenigstens so aussehen wie Madonna oder Arnold Schwarzenegger); die Verlierer wollen in andere Welten. So gehören die Träume vom künstlichen Menschen und von den künstlichen Wirklichkeiten zusammen, und zugleich sind sie widersprüchlich. Und so notwendig wie die Verschwörungstheorie erwächst aus dem Bruch die messianische Hoffnung: Ein Erlöser muss her, wenn die Maschinengott-Gewinner mit ihren verbesserten Körpern und Gehirnen die totale Kontrolle über die Traumwelten der zum unnützen menschlichen Müll oder, anders ausgedrückt, biologischen Wertstoff verkommenen Verlierer errungen haben. Ein Erlöser, der beiden Welten angehört. Und keiner. Die Schaffung des künstlichen Menschen (im Film) erzeugt die Möglichkeit, den Menschen auf eine andere, vielleicht »körperlose« Existenz zu erheben. So wird der Androide gerade wegen seiner Differenz zum »wirklichen« Menschen geschätzt. Er verhält sich zum Menschen als Experiment, und wird mit ungefähr so viel Mitleid und Schuld »entsorgt« wie eine Labormaus. Und ebenso verhält es sich mit der künstlichen Welt (im Film). Sie ist Genuss und Experiment, so lange sie von der realen Welt different ist. Eine Welt, die man im Konjunktiv schreiben und dann nach Belieben wieder verlassen kann. Das Märchen-Musical BRIGADOON gibt da schon eine prekäre, hm, Matrix vor: In Vincente Minnellis ziemlich farbigem Film aus dem Jahr
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1954 geraten zwei Amerikaner (Gene Kelly, Van Johnson) bei der Jagd in Schottland in ein versunkenes Tal und zum verzauberten Dorf Brigadoon: Gott selbst hat den Bewohnern den Wunsch erfüllt, 100 Jahre wie einen Tag zu erleben und damit die Schrecken des 20. Jahrhunderts zu vermeiden. Doppelt aus der Zeit gefallen ist dieses Brigadoon, in dessen Name die Räuber und das Militärische neben dem Brückenhaften spuken mögen. Natürlich verliebt sich Kelly in eine schöne Frau in Brigadoon, in Cyd Charisse, und jetzt kommt es natürlich auch für ihn darauf an, ob man besser innerhalb oder außerhalb dieser fatalen Nebenwelt leben möchte. Es ist nicht nur die radikalste Form der Emigration, die einem da abverlangt wird, sondern die Erkenntnis, dass das Leben in der Wirklichkeit ein Verlust ist, die Wüste eben. Und schon Gene Kelly muss sich für die Wirklichkeit entscheiden. Es ist nämlich ein Trugschluss, dass man das in einem Genre wie dem Musical nicht nötig hätte. Aber seit geraumer Zeit werden solche Parallelwelten nicht mehr als so märchenhaft und glücklich angesehen. Parallelwelten sind Sucht und Fluch, ein Mittel, das Beste im Leben zu verpassen. Denn in einer künstlichen Welt kann man zwar das Wirkliche, aber nicht die Wirklichkeit hinter sich lassen. (Was übrigens mit ein Grund dafür ist, dass es innerhalb der Matrix so elend aussieht wie außerhalb von ihr.) Einerseits halten wir sie ja nun für technisch durchaus machbar, und dass selbst der klügste Kopf nicht dagegen gefeit ist, von der alltäglichen Ration seiner Soapopera abhängig zu sein, zeigt Nanni Moretti in APRILE (1998), wo ein Philosoph in der schönsten Einsamkeit der Natur ganz einfach durchdreht, weil er keinen Fernseher findet. Andrerseits aber ist sie kein wirklicher Trost mehr. In PLEASANTVILLE (1998; R: Gary Ross), wo ein Geschwisterpaar in einer Soapopera ein paar dringend benötigte Lektionen sentimentaler Erziehung nachholen muss, wird uns die ideale Sauberkeit zum Fluch. Zum richtigen Leben gehören das Leiden und die Sünden, mehr fällt uns dazu meistens nicht ein. Und wie es drinnen aussieht, zeigt Peter Weir in THE TRUMAN SHOW (1998); eine wohlgeordnete, blitzsaubere Welt, in der allenfalls einmal eine Beleuchtungslampe vom Himmel fällt: Leben in einer perfekten Kleinstadt-Matrix. Auch Jim Carrey wählt die Wirklichkeit, und wie Neo steht er schließlich einem »Schöpfer« gegenüber, der ihm die Vorzüge des Systems erklärt. Was die ansonsten nun wahrlich unterschiedlichen Filme THE TRUMAN SHOW und THE MATRIX verbindet, ist die Unfähigkeit, sich ein Bild von dem Leben außerhalb zu machen. Draußen, in der Wirklichkeit, heißt es in Peter Weirs Film, »ist es genauso wie hier«, und angesichts der Einstellungen, in denen wir die Fernsehsüchtigen in den Wohnküchen und
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den Bars vor den Apparaten sehen, kann man nur zustimmen. Da draußen ist wirklich noch weniger »Leben«. Und doch muss man da hin. Das Ende meiner Kulissen ist das Ende meiner Welt. Das Ende meiner Programme ist das Ende meiner Welt. Das ist die beste Fortsetzung des vormodernen Fantasierens von einem Ende der Welt, das man leicht einmal erreichen kann, wenn man auf einer Scheibe herumsegelt (und man erreicht es natürlich auch in einem Raumschiff), und es ist die beste Fortsetzung des modernen Denkens: Das Ende meiner Sprache ist das Ende meiner Welt. Das Ende meiner Bilder ist das Ende meiner Welt. Wie man in solche künstlichen Medien-Welten hineinplatzt und (vielleicht) wieder herauskommt, erzählen mit sehr unterschiedlichem Geschick Filme wie NURSE BETTY (2000; R: Neil LaBute), der den Wirklichkeitsverlust allerdings sehr rational erklärt: Die Kellnerin Betty (Renée Zellweger), vom Leben nicht eben verwöhnt, findet Trost vor Job und fiesem Ehemann Del in ihrer Lieblings-Soapopera um eine patente Krankenschwester. Eines Tages, als sie wieder wie angeklebt am Bildschirm hängt, dringen Gangster in ihre Wohnung und bedrohen ihren Mann, der offensichtlich in ein Drogengeschäft verwickelt ist. Als Del dabei auch ermordet wird, findet sie durch den Schock nicht mehr ins reale Leben zurück, sie hält sich nun selber für Nurse Betty und macht sich auf den Weg zu ihrem »Verlobten« Dr. Ravell. Auch hier ist das Fernsehen eine Matrix im doppelten Sinne, auch hier ist sie falscher Trost vor einer elenden Realität und Abbildung dieser Realität. Und auch hier wissen wir: Die künstliche Welt enthält in sich, an der Oberfläche oder im Kern, die radikale Aussage über die andere, die wirkliche Welt – sie ist unerträglich. Sie ist unbewohnbar. DELIRIOUS (Jack allein im Serienwahn; 1991; R: Tom Mankiewicz) gibt sich harmloser: Jack Gable (John Candy) ist der Autor einer erfolgreichen TV-Serie mit dem schönen Titel Jenseits unserer Träume. Weniger erfolgreich sind seine Bemühungen um die schöne Hauptdarstellerin Rachel. Sein Liebeskummer führt zu einem Autounfall. Als er aus seiner daraus resultierenden Ohnmacht erwacht, befindet sich Jack in der selbst geschaffenen Serienwelt, im Krankenhaus, wo seine Drehbuch-Erfindung Dr. Kirkwood sich um ihn kümmert. Nach einiger Zeit bemerkt er, dass er immer noch in der Lage ist, die Geschehnisse (mit neuen Drehbuchseiten) zu beeinflussen, und damit ist für ihn (scheinbar) der Weg frei, die Liebesgeschichte mit einem für ihn guten Ende fortzuspinnen. Allerdings bringt ein zweiter Unfall die Geschichte wieder aus dem Lot. Den Verdacht, dass es sich bei den Versuchen um die Befreiung aus dem Kokon der künstlichen Wirklichkeit, um auch nichts anderes als um
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eine Ideologie handelt, legen die meisten dieser Filme höchstens unabsichtlich nahe. Die »Wahrheit« ist draußen, in der Wüste der Wirklichkeit. Offensichtlich gibt es strukturelle Konstanten dieser Fantasien von der Gefangenschaft in einer virtuellen Welt, die sie auch mit der Vorstellung der Matrix verbinden: Immer gibt es Wesen, wie Morpheus in THE MATRIX, die in diesem Spiel eine Führerrolle zwischen den Zuständen Traum und Wirklichkeit einnehmen. Immer aber auch gibt es eine Figur wie Cypher, Teufel oder Teufelin des Konformismus. Immer gibt es auch materielle Grenzen der virtuellen Innenwelt (die Simulation ist nicht unendlich!). Immer ist die Simulation der Wirklichkeit der Alltäglichkeit des Realen sehr nahe; nicht in fantastischen Traumreichen bewegen sich die Menschen in ihren vampirischen Illusionsmaschinen, sondern in herzzerreißender Alltäglichkeit. Immer geht es um einen Menschen, der noch nicht zu Ende geboren scheint, und der zur Wirklichkeit nicht einfach zurückkehrt, sondern als ein veränderter, erlöster oder bewusster. Und immer ist die Gefangenschaft der Protagonisten in der künstlichen Welt zugleich ihren eigenen unerfüllten Begierden zu verdanken, wie dem Genuss der anderen. Mochte früher die Sklaverei im Zeichen der Arbeit stehen, nun steht sie im Zeichen des virtuellen Genusses. Und genau so interpretiert auch Slavoj Zizek den Energie-Vampirismus der Maschinen in THE MATRIX: Nicht um eine physikalische oder biologische Abschöpfung von Energie kann es dabei gehen (als verflüssigte Form von Arbeit, sozusagen), sondern einzig und allein darum: Die Maschinen leben vom Genuss der Menschen. Kein Wunder, dass es ein probates Mittel gibt, ihr Spiel zu verderben: das Leiden. Die Grenzen meiner Welt sind zugleich irrealer und konkreter geworden. Wir können ihnen zusehen, wie sie erzeugt werden. Aber niemand kann uns versichern, wo das eine und wo das andere liegt. Die Produktion und das Produzierte. Was also in MATRIX zusammen kommt, das sind drei Grundströme unseres Zukunftspessimismus und unserer Art, mit mythischen Konstruktionen damit fertig zu werden: der irreparabel apokalyptische Kampf des Menschen mit seiner eigenen Schöpfung einer post-menschlichen Existenzweise, die Fähigkeit der Computer, weite Teile der menschlichen Sphären, sowohl des individuellen Alltags wie des gesellschaftlichen Konsens, zu okkupieren. Und die Sehnsucht des Menschen, als Darsteller und als Konsument, in den Wunscherfüllungsmaschinen der Medien zu verschwinden. Aus den drei apokalyptischen Visionen der Science-Fiction macht THE MATRIX einerseits den Super-Gau des Menschlichen. Und setzt die simpelste Weisheit dagegen: Wo die Gefahr am größten ist, da wächst das Rettende auch. Oder?
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MATRIX-Playground »Sie ist«, sagt Katja Nicodemus, »das schönste, praktischste, größte Spielzeug, das es je im Kino gegeben hat. Eine Denkfigur, in der die Albträume einer sich selbst überschlagenden Unterhaltungsindustrie genauso Platz haben wie altmodische Ideologiekritik, das Unbehagen am Virtuellen und der Ärger über den vergessenen EC-KartenCode.« Aber vielleicht ist MATRIX nicht nur ein geniales Spielzeug, sondern ein ganzer Spielplatz, auf dem die unterschiedlichsten Spiele möglich sind: Fangen und Verstecken, Sandkasten- und Rollenspiele und natürlich auch die ernsteren Spiele, bei denen es auf Ideen, Wissen und Fantasie ankommt. Trivial Pursuit und Existenzphilosophie. Der Spielplatz MATRIX ist für alle offen: für Philosophen und Computerfreaks, für Martial-ArtsFans, Entschlüsselungsfetischisten und Liebhaber von Sonnenbrillen. Aber ein offenes System ist noch lange kein System der Beliebigkeit. Deshalb besetzen die MATRIX-Filme auch, bei aller Verspieltheit, einen sehr konkreten Punkt in unserer Geschichte von Technologie und Politik, Kultur und Wahrnehmung.
Tech Romance Die Geschichte unseres Diskurses begann, wenn man Norman Spinrad folgen will, an dem Tag, als Bob Dylan zum ersten Mal eine elektrische Gitarre in den Verstärker stöpselte. (Es war beim Newport Folk Festival, um genau zu sein, und Dylan hätte sich kein besseres Publikum aussuchen können, um einen Sturm der Entrüstung zu ernten.) Also noch nicht mit dem Rock 'n' Roll, und nicht mit der Elektrifizierung des Blues auf seinem Weg vom Land in die Stadt. Sondern damit, dass die erklärten Gegner der Technologie (vor allem, aber keineswegs nur in ihrer militärischen Form), ihren wichtigsten Selbstausdruck, die Musik, der technologischen Verstärkung unterzogen. Da schlurften Leute in Jeans und Baumwollhemden auf die Bühne, die aussahen, als hielten sie bereits einen Kühlschrank für eine Sünde wider die Natur, als hätten sie keine Ahnung, dass von dem höllischen Lärm, den sie auf das enthusiastische Publikum losließen, das so ähnlich aussah wie sie selbst, vieles nicht nur technologisch verstärkt, sondern vor allem technologisch erzeugt war. Die
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MATRIX liefert Spielmaterial für alle Altersgruppen
alte Romantik der elektrischen Rockmusik bestand darin, dass man immer mehr Technologie einsetzte, um eine immer umfassendere Illusion des Anti-Technologischen zu erzeugen. Der Synthesizer, der alle Instrumente simulieren konnte und der im »Kunstrock« benutzt wurde, um alte magische Welten voller Elfen und Feen zu evozieren, der Menschen zum Träumen brachte, für die die Vertreibung aus dem Paradies mit der Erfindung des Ottomotors begann, brachte die Entwicklung auf einen bizarren Höhepunkt und schließlich zum Abbruch. (Das Samplen und Remixen könnte man zwar als Fortsetzung dieser synthetischen Musik sehen, aber es ist auch das genaue Gegenteil, zum einen in der revolutionären – oder »kriminellen« – Geste der Aneignung, zum anderen im Bekenntnis zur Technologie.) Die literarische (und dann auch filmische) Seitenlinie zur technologisch verschärften Technologie-Flucht war die Fantasy, die in die VorTechnik-Welt der Barbaren und Elfen führte. Hi-Fi-Stereo, Kopfhörer, Synthesizer und Conan oder Der Herr der Ringe gaben eine perfekte Mischung ab, damals, als die Träume in der Wirklichkeit erst einmal gescheitert waren. Zur technologischen Form mit dem anti-technologischen Inhalt, die natürlich unter vielem anderen auch ein großer Schwindel war, entwickelten sich schließlich Gegenbewegungen. Leute, die das Synthetische und Technologische ihrer Performance ganz offen zum Ausdruck brachten, David Bowie oder Kraftwerk, um nur zwei sehr verschiedene Konzepte hierfür zu nennen, und zumindest letztere prägten eine neue Romantik, die Romantik der Maschinisierung und der Maschinen, zu deren Spezialeffekten es gehörte, dass sie so aufreizend naiv erschienen. Die Begleitung der technologischen Anti-Technologie in der populären Literatur besorgte die Science-Fiction in der Form der »New Wave«, die einerseits die Sichtweise der Hippies übernahm – einschließlich der positi-
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veren Einschätzung der bewusstseinserweiternden Wirkung von Drogen und der Verschwörungstheorien, die manchmal höchst hellsichtig und abgeklärt waren, manchmal einigermaßen paranoid –, andererseits aber einen programmatisch so einfachen wie in der literarischen Praxis schwierigen Perspektivwechsel im Genre vornahm: Es ging nicht mehr nur um die so faszinierenden wie apokalyptischen Hochrechnungen technologischsozialer Prozesse, nicht mehr nur um Metaphern der falschen oder richtigen Technologisierung. Es ging auch um interessante Menschen – aus denen sich die traditionelle Science-Fiction nie viel gemacht hatte. Es ging schließlich darum, an die Stelle des äußeren Raums, der Kennedy als new frontier gedient hatte und der mit der großen Metapher vom Scheitern der Technologie im Dschungel von Vietnam seine Unschuld verloren hatte, den inner space zu setzen. Entdecke das Alien in dir, entdecke den Kosmos in dir. Die New Wave, die in Michael Moorcock einen unermüdlichen Anführer und Förderer gefunden hatte, spaltete die Science-Fiction. Viele Aficionados wollten nicht nur den ideologischen Wechsel nicht mitmachen (die New Wave ermöglichte immerhin gesellschaftskritische und durchaus »linke« Entwürfe), sondern auch die literarischen Experimente, die neuen Schreibweisen nicht akzeptieren. Und seltsamerweise stahlen sich ein paar der profiliertesten Vertreter der neuen Schule bald in Richtung unverbindlicher Fantasy davon. Und nur wenigen Autoren gelang es, ihre kritischen und poetischen Gegenentwürfe vor dem neuerlichen Zusammenbruch des Pulp-Fiction-Marktes am Ende des Jahrzehnts zu retten. Aber jemand wie Philip K. Dick war eben auch »mehr als ein Science-Fiction-Autor«. In den 80er Jahren gab es in der Science-Fiction-Literatur dann einen neuen, befreienden Impuls. Der Begriff »Cyberpunk« kam auf, und wie zehn Jahre zuvor bei der New Wave der Science-Fiction konnte man dabei in einem sicher sein: Die meisten Autoren, auf die er angewandt wurde, fanden ihn peinlich oder missverständlich. Aber er hielt sich hartnäckig, nicht nur für die »Väter«, William Gibson und Bruce Sterling. Und wenn ein solcher Begriff sich so zäh behauptet auf dem Markt der Schlagworte, muss wohl auch was an ihm dran sein. Zumindest der Held von Gibsons Neuromancer, der sich in die Datennetze fließen lässt, Computerviren verschleudert wie andere Leute Schnupfenbazillen und sich mit allen erdenklichen Formen artifizieller Trugbilder herumschlägt, hat was von einem Punk an sich. Obwohl er, so kaputt und von Vergangenheit gebuckelt, wie er uns am Anfang erscheint, natürlich zu alt für das konventionelle Punk-Bild ist. Er hat, und damit repräsentiert er wohl die gesamte Cyberpunk-Literatur, eher im Sinne der Verbindung von Romantik und Technologie eine Punk-Attitüde. Die Hippies und ihre Rockmusik waren ja unter
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anderem Meister darin, mit einem ungeheuren Aufwand an elektronischer Technologie ihr anti-technologisches Weltbild zu verbreiten, ohne sich dabei viel zu denken. Der von einem Hippie gespielte Synthesizer war dann vielleicht der Kipppunkt dieses Widerspruchs, der zuvor im »Gitarren-Gewichse« der Endlos-Soli seine Verbindung von Machismo und Geniekult gefunden hatte. Die Punks, im Leben, in der Musik und in der Literatur, wollten diese Verlogenheit nicht akzeptieren. Sie verwarfen den ganzen Natur-Quatsch und bekannten sich dazu, auch selber durchaus »künstlich« zu sein. Ihr Ehrgeiz war es, am ganzen Körper von der Natur allenfalls eine Wunde oder Narbe übrig zu lassen und sich ansonsten in eine Art Stachelwesen zu verwandeln, dem man besser nicht zu nahe kommt. Und zu ihrer Ehrlichkeit gehörte eine technologische Abrüstung: LowTech, aber sichtbar. Aus dem Schrottplatz gezogen, aber stolz darauf. Es war keineswegs so, dass die Punks die Technologie liebten, und schon gar nicht den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem sie stand. Aber sie ignorierten sie auch nicht; man nimmt, was man braucht, und zum Kaputtmachen braucht man auch das eine oder andere Wissen. Der Held von Neuromancer also hat wohl so ein Punk-Verhältnis zur Technologie. Weder ist er ein begeisterter Techno-Freak noch ein ignoranter Hippie. Es folgten mehr oder weniger verwegene, mehr oder weniger gescheiterte Versuche, sogar dem Hacker zu einem Helden-Image zu verhelfen. Tatsächlich glichen auch die wirklichen Hacker oft eher besonders heruntergekommenen Hippies, übergewichtigen, ungepflegten Nerds, deren jüngstes Modell man in den Fernsehbildern des verhafteten Schöpfers des Lovescan-Virus bestaunen konnte. So einer ist Neo in MATRIX natürlich nicht, nicht einmal am Anfang, wo er als übernächtigter Hacker in seinem messy room sitzt. Aber ein richtiges Helden-Bild, mit Sonnenbrille und Priestermantel, kann er auch erst abgeben, nachdem er sein Verhältnis zur Technologie neu sortiert hat, genauer gesagt: nachdem er seine Romantik entdeckt hat. Cyberpunk unterscheidet sich von der New Wave der Science-Fiction, wie sich Punks von Hippies unterscheiden: Der Weg in den inner Space, die narzisstische Ignoranz war nun nicht länger ein Ausweg vor den Extrapolationen der hard science fiction (also technischen und sozialen Hochrechnungen in einer Art Pop-Version von wissenschaftlicher Logik), es war vielmehr Teil der Bewegung, die Dinge zu sehen, wie sie sind, mit ernüchterter Genauigkeit. Im übertragenen Sinne konnte man in der Beziehung zwischen hard science fiction, technologischer und sozialer Genauigkeit, und digitaler Virtualität oder biotechnischer Manipulation von Wille und Vorstellung auch die Aussage verborgen sehen: Die Welt ist mit Drogen
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MATRIX-Inspirationsquellen (I)
genauso unerträglich wie ohne sie. Bewusstseinserweiterung ist ein Schwindel. Aber einen Weg zurück gibt es auch nicht mehr. Die Formel der neuen Science-Fiction, die sich dann doch ganz bestimmt nicht auf den Begriff »Cyberpunk« reduzieren lässt, ist einfach gesagt: hard science fiction (was die Entwicklung der maschinellen und biowissenschaftlichen Schöpfung der post-humanen Wesen anbelangt) plus interessante menschliche Charaktere. Das Apokalyptische verliert dabei seine religiöse Inbrunst, es wird zum Dauerzustand. Die Welt kann nicht mehr untergehen, sie ist schon untergegangen. So what. Menschen gibt es nur noch zum Trotz. Jedenfalls hat eine post-humane Evolution begonnen, die sich in drei konzentrischen Kreisen immer schneller ausbreitet: der Kreis der Maschinenmenschen, der Kreis der geklonten und biowissenschaftlich umgeformten Androiden (oder auch nicht nicht-androiden Wesen) und der Kreis der computergenerierten KI-Bild-Menschen, die im Inneren von Datensystemen leben wie unsereiner in seinem Soziotop. Alle drei post-humanen Wesen haben eine gemeinsame Herkunft, es sind Kinder der Militarisierung der Welt und der technologischen Vergnügungs-
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sucht. Videoplays und War Games. Und sie werden diese Herkunft nicht mehr wirklich los; immer noch wollen sie spielen und ästhetische Effekte produzieren. Und wie schwer ist es, ihnen beizubringen, dass man auch noch etwas anderes machen kann als Krieg führen! Cyberpunks wissen, anders als die Technofreaks und die Hippies, dass Menschen auch in den künstlichen Welten immer noch Menschen sind. In Schismatrix von Bruce Sterling gerät der Held in endlose Systeme künstlicher Welten, und in ihnen liefern sich die Vertreter der verschiedensten Architekten der Postmoderne ihren Kampf: Die Mechs glauben an die kybernetische Technik und die denkenden Maschinen, die Shapers an den biologisch verbesserten Nach-Menschen. Aus den ökonomischen Streitereien erwachsen auch Kriege (wenn auch nicht mit der Totalität wie in ANIMATRIX – THE SECOND RENAISSANCE) und schließlich eine radikale Trennung der Evolution, von der im Titel des Romans die Rede ist. Der »richtige« Mensch verkommt dabei zu einem Kuriosum, das in einem »Reservat« im Mondorbit vor sich hin träumt. Die Menschen können nur noch ahnen – oder eben träumen –, was mit ihren verbesserten Nachkommen geschieht: Sie verlängern ihre Spezies nicht mehr in der Form evolutionärer Linien, sondern sie verbreiten sich (wie es in einem der Modelle zur Entwicklung des artificial life, des künstlichen Lebens aus ProgrammKeimen, vorgesehen ist) in Spiralen und Strahlen und erzeugen dabei unentwegt neue Formen und Existenzweisen. Es entwickeln sich neue Spezies gleichsam exponenziell, in immer neuen Mischformen, und durchdringen einander. Eine dieser Formen etwa lebt in ganzen Kulturen (sehr doppelsinniges Wort) im Protoplasma einer Frau. Differenz und Symbiose, dies ist die Zukunft der post-evolutionären »Menschheit«, und auf eine ganz ähnliche Weise existiert auch die Kultur der Matrix. Alles kommt darauf an, wie man sich anstöpselt. (Lass' die Neo-Hippies ihre unplugged-Konzerte genießen.) Denn natürlich blieb auch Bob Dylan nicht verborgen, dass man sich, wenn man sich technologisch verstärkt, eben auch verändert. Das technologische Echo in dir findet in den Rückkoppelungen nur seinen brachialsten Ausdruck. Aber was zwischen dem menschlichen Input und dem maschinellen Output geschieht, nimmt auch in anderer Weise stets ein Eigenleben an. Vielleicht entsteht so etwas wie ein neues musikalisches Subjekt (das ernsthafte Computermusiker vielleicht ein wenig zu ernsthaft erforschen, um ihm allzu nahe kommen zu können). Angestöpselt sein heißt immer, dass etwas reinkommen kann und dass etwas rausgehen kann. Aber noch haben wir eine berechenbare Trägersubstanz (das Gehirn oder die Festplatte) und wohldefinierte Schnittstel-
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MATRIX-Inspirationsquellen (II)
len (wir wüssten, welchen Stecker wir ziehen müssen, wenn uns die Sache zu bunt wird). Auch die Peripherie ist einigermaßen klar architektonisch aufgebaut: Lautsprecher, Drucker, Bildermaschine, Sender, Empfänger. Je klarer diese Architektur, desto größer unser Vertrauen, je komplexer (und unklarer) aber, desto größer die Effizienz. In Greg Bears Roman Blood Music wird das Computerprogramm direkt in ein DNS-Molekül eingearbeitet. Die Sache von Hardware und Software funktioniert hier nicht mehr wie die von Zentrum und Peripherie, Sender und Empfänger, master und slave. Aber natürlich geht das Experiment schief und wird abgebrochen. Fatalerweise aber sind die computerverstärkten Moleküle nun selber nicht nur in der Lage, komplizierte logische Vorgänge zu berechnen, sondern sie bilden in ihrer subkutanen Welt Bewusstsein aus. Eines der ersten großen Projekte dieser denkenden Moleküle ist, was denn sonst, die eigene Verbreitung. Dazu ist jedes Mittel recht, Sex und Tod. Und während seine eigenen Moleküle immer klüger und reifer werden, wird der Mensch als Ganzes immer dümmer und regressiver, bis er schließlich, das Bild kommt uns bekannt vor, zu reiner organischer Substanz verkommen ist, die von
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den denkenden Molekülen als Energielieferant benutzt wird. Am Ende lösen die denkenden Moleküle, die »Noozyten«, das menschliche Wesen vollends auf. Aber bevor sie das tun, registrieren sie die von ihnen zerstörten Persönlichkeiten, Empfindungen und Erinnerungen der Menschen und bewahren sie sozusagen als Mythologie noozytischer Vor-Geschichte auf, oder als einen ewigen Film-Spielplatz, in dem sich eine vergnügungssüchtige Noozyte fühlen mag wie die Enterprise-Crew auf dem Holo-Deck. Doch auch hier geht etwas schief: Die Persönlichkeit eines retardierten Mädchens entwickelt sich in den Programmen der noozytischen Speicherung in unerwarteter Weise und erlangt einen metaphysischen Anspruch: Inmitten der Noozyten-Kultur entstand der Messias einer längst verlorenen Menschenkultur. Wenn wir Blood Music als einen der bedeutenderen Stoff-Lieferanten für MATRIX ansehen (kann sein, kann aber auch nicht sein), dann freilich müssten wir ahnen, dass es für Neo und die seinen keinen »echten« Rückweg zur Wirklichkeit mehr gibt, die verlorene Wirklichkeit kann nur als neue Transzendenz ihre Renaissance erleben. Aber von Blood Music kann man in der Matrix auch lernen, dass es nicht »die Maschinen« sind, die die Welt als Illusion erschaffen, sondern Partikel des Menschlichen selbst. Freilich ist die Matrix in der Tat die Maschine des Schisma, die Technologie der Trennung. Bob Dylan hat seine Gitarre eingestöpselt. Irgendwann kommt ein anderer, ein technologisch veränderter Dylan aus der Steckdose. Er ist zersetzt und neu strukturiert. Daher reagiert unser Held mit wechselnden Formen von Dekonstruktion seines eigenen Materials, mit religiösen Schüben und mit heiligem Zorn. Er brüllt die Matrix an. Das Alien in der klassischen Science-Fiction kam aus dem Weltraum oder wurde von verrückten Wissenschaftlern erschaffen. Das Alien in der New Wave war das Monster, das zurückschaut, wenn man nur lange genug in den eigenen Abgrund sieht. Das Alien der science fiction noir ist das post-humane neue Wesen, das zwar seit Frankensteins Zeiten seine Tragik nicht verloren hat, das aber beileibe nicht mehr so ohne weiteres verworfen werden kann. Es wird leben, es wird die Zukunft sein, der Part des Verschwindens und des Verworfen-Werdens ist den Menschen zugeschrieben. Science fiction noir erzählt vom Menschen als Verlierer in seiner Geschichte. Aber Dylans Entschluss, seine Gitarre elektrisch zu verstärken, ist so wenig wie die Musik der New Wave eine Abkehr von der Romantik des Rock. Die neue Romantik akzeptiert vielmehr die Technologie als notwendige Verstärkung bei der Suche nach Freiheit und Glück. Der Musiker als Erlöser in John Shirleys Eclipse, der sich mit seiner Musik und seinem
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Körper der faschistischen Gewalt opfert, setzt alles daran, dass nicht nur sein Bild, sondern auch seine Musik (im Augenblick des Todes) elektronisch verstärkt und in die globalen Mediennetze eingespeist wird. Genauer gesagt: Ohne die technologische, digitale Verstärkung hätte sein Opfer nicht den geringsten Sinn. Und auch Neos Ballade von der Matrix und vom Erwachen in ihr hätte ohne ihre Technologisierung keinen Sinn (auch wenn man die Matrix selber beliebig metaphorisch auflösen kann und dazu die Erfahrung von Computersimulationen und Internet nicht einmal benötigte). Die neue Romantik des Cyberpunk nimmt dabei fast zwangsläufig mystische und hier und da religiöse Züge an. Der Trick der MATRIX-Filme ist nur, diesen Aspekt, der so verborgen ist in der am harten Realismus geschulten Schreibweise des Cyberpunk, ohne Furcht vor dem Pathos in den Vordergrund zu rücken. Bilder, so ist ja nun die Erfahrung, werden nicht nur für Verschwörungen benutzt, es gibt offensichtlich eine umfassende Verschwörung der Bilder. Daher muss man darüber hinaus. Und hinein. Es wimmelt eben nicht nur von Dämonen, sondern auch von Erlösern, die mit der post-humanen Welt nicht einfach nur im Streit liegen, sondern auch Formen von Partnerschaft oder gar Verschmelzung hinbekommen. Das sieht nicht gut aus und ist doch verführerisch. In MATRIX geht es darum, dass man nur bewusst leben kann oder gar nicht. Der Ort des Bewusstseins aber ist die Bewegung und das Bild. Deshalb kann Bob Dylan nur auf einer never ending tour sein.
Das philosophische Popcorn-Movie THE MATRIX, so heißt es, habe die schnellste Verbindung zwischen Philosophie-Seminaren und Multiplex-Foyers hergestellt. Aber diese Verbindung hatte schon eine Geschichte, als die Brüder Wachowski ihren Geniestreich landeten. Es ist ein Film, der zwar in sich erstaunlich und originell sein mag, der aber auch gut vorbereitet war, als er in die Kinos kam. Im Nachhinein kann man sogar vermuten, alle Welt habe auf einen Film wie THE MATRIX geradezu gewartet. Ende der 60er Jahre starb das gute alte, ein bisschen faul und ein bisschen korrupt gewordene Hollywood. Eine Zeit lang schien es, als könnten junge, engagierte Filmemacher wie Martin Scorsese einen neuen amerikanischen Film begründen. Es war die Wiedergeburt des Kinos aus dem Geist der Neuen Welle und der Rockmusik. Filme wie EASY RIDER (1969; R: Dennis Hopper) und MEAN STREETS (Hexenkessel; 1973; R: Martin Scorsese) waren nicht nur bei der Kritik, sondern auch an den
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Kinokassen erfolgreich. Doch nach den ersten großen Misserfolgen mit schönen, größenwahnsinnigen Werken wie Michael Ciminos Spätwestern HEAVEN'S GATE (1980) war die Zeit der jungen Wilden, die Zeit von New Hollywood auch schon wieder vorbei. Vielleicht nicht zuletzt, weil sie den Fehler der Hippies wiederholten und ihre Technologie vorzugsweise einsetzen, um anti-technologische Statements abzugeben. Und mit Filmen wie JAWS (Der weiße Hai; 1975) von Steven Spielberg und STAR WARS (Krieg der Sterne; 1977) von George Lucas entstand in den 70er Jahren aus den Trümmern des alten und des neuen Hollywood das neue effekt-orientierte Blockbuster-Kino. Es war technisch hochgerüstet. Jeder neue Film wartete mit neuen mechanischen und vor allem im Computer generierten Spezialeffekten auf. Und beinahe noch imposanter als die fantastischen Bilder waren die Soundgewitter, die man auf das Publikum niederließ. Aber inhaltlich, so schien es, kam man nicht mehr über die eindrucksvolle Animation von Kinderspielzeug, Comics und knallbunten Weltraumfantasien hinaus. Die Technologie wurde in diesen Filmen gerettet, weil sie das Kinderzimmer-Niveau nicht überschreiten wollte. Und vielleicht war das nur die perfideste Weise von anti-technologischer Chuzpe (oder umgekehrt die perfideste Weise von technologischem Appeasement). Die Zukunft des Films schien in den 80er Jahren nur noch in den anspruchsvollen Arthouse-Produktionen zumeist aus Europa zu liegen. Und die Zukunft des Kinos nur noch in den Millionenproduktionen der globalen technischen Kinderfantasien aus Hollywood. Aber in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts entdeckte die Kritik auch in den Millionenprojekten aus den Studios und Computerbüros eine neue inhaltliche Dimension. Vielleicht war ja dieses Kino der technischen Überbietungen, der computergenerierten Monsterwelten und der lustvollen Zerstörungsorgien doch nicht in jedem Fall töricht, kindisch und reaktionär. Das Blockbuster-Kino war nicht nur ein Teil der künstlichen Realität und der synthetischen Mythologien, deren Überhandnehmen die Kulturkritiker beklagten. Vielleicht war es auch eines der wenigen Mittel, auf angemessenem ästhetischem Niveau über die Verwandlungen unserer Vorstellungen von Wirklichkeit nachzudenken. Jedenfalls brachten es Filme wie BLADE RUNNER, ALIEN oder TERMINATOR nicht nur zu einem eigenen Fandom mit eigenen Clubs und Zeitschriften. Und nicht nur beschäftigte sich jetzt die ernsthafte Filmkritik mit solchen zugleich massenwirksamen und intelligenten Filmen, so wie man sich vorher mit Godard und Antonioni beschäftigt hatte. Die intelligenten Techno-Blockbuster wurden auch in wissenschaftlichen Publikationen, in Symposien und Seminaren behandelt. Das Zauberwort war
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»postmodern«. Kein Philosoph, kein Psychologe, kein Kulturhistoriker, der etwas auf sich hielt, verzichtete auf eine Auseinandersetzung mit der Subjekt-Philosophie in BLADE RUNNER, der Geschlechter-Konstruktion in der ALIEN-Serie oder dem Mensch-Maschine-Dialog in TERMINATOR 2. Vielleicht haben es eine Menge Menschen in Hollywood und anderswo nicht zur Kenntnis genommen (und es gibt ja auch genügend Erfolgsfilme, die das Gegenteil zu beweisen scheinen): Nachhaltig auf dem Markt wirken nur Filme, die eine gewisse lebendige Intelligenz in Gang setzen. Die Begegnungen von Philosophie und Computertechnik auf der Leinwand waren allerdings immer flüchtig und widersprüchlich. Seit den 90er Jahren hat die digitale Kinotechnik einen so enormen Sprung vollzogen, dass einst sensationelle Effektfilme wie JURASSIC PARK (1993; R: Steven Spielberg) oder TERMINATOR 2: JUDGEMENT DAY (1991; R: James Cameron) schon wieder altmodisch wirken. Es war abzusehen, dass die Intelligenz der Stories und der Bilder mit dieser rasanten Entwicklung nicht würde mithalten können. Es gab da eine Art Hase-und-Igel-Wettlauf. Die Gefahren dieser neuen digitalen Bildermagie liegen auf der Hand: Es ist alles möglich, und daher kann alles ziemlich schnell beliebig werden. Nie liegen überwältigtes Staunen und Langeweile so eng beieinander wie bei den Bild- und Sound-Gewittern der Hollywood-Blockbuster. Immer neue Mischungen aus Katastrophenfantasien, asiatischer Kampfkunst und amerikanischer Ideologie begeistern das Publikum und hinterlassen doch am Ende ein Gefühl der Leere. Was vor dieser Beliebigkeit schützen kann, das ist eine durchgeformte Mythologie. Der technische Overkill macht Sinn, wenn die Welten, die er erschafft und zerstört und wieder erschafft, tiefer in die Strukturen des Erzählens reichen, so wie bei THE LORD OF THE RINGS (Der Herr der Ringe; 20012003; R: Peter Jackson) oder, auf eine andere Weise, bei HARRY POTTER (seit 2001; R: Chris Columbus). Wenn es auch »nur« um die visuelle Erfüllung einer schon in den Köpfen verankerten Vorstellungswelt geht und man schon »gewinnt«, wenn man die Erwartungen der Zuschauer nicht enttäuscht. Wir kennen diese Mythologien schon, und es ist ein großes Vergnügen, sie auf so verblüffende Weise visuell realisiert zu sehen. Jedenfalls wenn man so zwischen acht und zwölf Jahre alt ist, oder wenn man sich für zwei Stunden so fühlt, als wäre man zwischen acht und zwölf Jahre alt. Die Meta-Mythen der populären Kultur in den letzten Jahren verhalten sich ein bisschen wie Greg Bears »Noozyten«. Sie breiten ein infektiöses semiotisches System aus, das durch die Menschen hindurch funktioniert, auch wenn sich »ein Mensch« dagegen sträubt.
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In noch größerem Maße gilt das für Comic-Verfilmungen, für die das digitale Overkill-Kino daher eine besondere Vorliebe hat. SUPERMAN, SPIDER-MAN, X-MEN, HULK, DAREDEVIL, BATMAN und so weiter haben nicht nur eine mythische Breite, sondern auch schon eine kulturhistorische Tiefe. Es sind Wesen, die immer wieder kommen, Hausgötter, mit denen sich schon mehrere Generationen beschäftigt haben (darum kommen sie nicht nur aus dem Kinderzimmer, sondern auch aus den auf dem Dachboden versteckten Pappkartons der Eltern). Das Fantastische scheint hier in einer perfekten Mythologie vorgegeben. Und merkwürdigerweise scheint dieses digitale Comic-Effekt-Kino umso besser, je mehr es sich auf alte Tugenden des Films besinnt. Beeindruckende Special Effects in Filmen wie SPIDER-MAN (2002; R: Sam Raimi) oder X-MEN (2000; R: Bryan Singer) sind okay. Aber auf die jeweils nächste Fortsetzung des Superspektakels warten wir nur, wenn wir auch etwas von der persönlichen Tragik eines Helden erahnen. Das war bei den alten Western-Helden so, und das ist bei den X-Men nicht anders. Was in den 90er Jahren entstand, das war eine Serie von Filmen, die modernste Technik sowie die Genres und Bilder der Mainstream-Unterhaltung dazu verwendeten, mehr als die märchenhafte Regression in den Bildwelten von STAR WARS zu bieten, der populären Mythologie ein Fenster zur Gegenwart und zur Wirklichkeit zu öffnen. In den Verfilmungen von SPIDER-MAN, X-MEN und HULK (2003; R: Ang Lee) steckte mehr an erzählerischem Potenzial, an Tragik und Romantik. Bei den gelungeneren Beispielen konnte man ahnen, dass die Comics, längst nicht mehr konkurrenzfähig mit den neuen Massenphänomenen des Jugendmarktes, schon lange nicht mehr nur »der kleine Bruder« des Kinos sind, sondern selbst in den einst so gering geschätzten Segmenten wie dem Superhelden-Genre eine avantgardistische Rolle innehaben, von der Filme wie die MATRIXTrilogie heftig profitieren. Sie und ihre Welt sind zwar neu und einzigartig, soweit das in der Sampling-Technik unserer Zeit ein sinnvolles Wort ist, aber ihre Herkunft aus der selbstreferenziellen Welt der Comics ist nie zu leugnen. In ihnen treffen sich die Geschichte des Kinos, die Geschichte des Computerspiels und die Geschichte des Comics, und anders als in STAR WARS tun sie das nicht als alte Bekannte auf einer netten, ein bisschen nostalgischen Party, sondern mit dem avantgardistischen Ernst ihrer jeweils coolsten und hipsten Vertreter. Doch hier wie dort verhaspelt man sich auch leicht in den eigenen Ansprüchen. Die, nun ja, philosophische Dimension von Filmen wie BLADE RUNNER, TERMINATOR 2 oder der ersten MATRIX-Episode ist in den Nachfolgeprojekten nicht zu erwarten. Daher sind die neuesten Filme der
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Super-Serien, die MATRIX-Sequels oder TERMINATOR 3: RISE OF THE MACHINES (2003; R: Jonathan Mostow) für Kritiker, die den nächsten cineastischen Essay über künstliche Wirklichkeit, die technische Parallelschöpfung und die ewige Wiederkehr der Mythen erwarteten, eher enttäuschend. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, so scheint es, erschöpft sich in endlosen physischen Kämpfen. Und in formidabel destruktiven Autoverfolgungsjagden, auf die man anscheinend auch in der noch so virtuellen Zukunftswirklichkeit nicht verzichten kann. Es gibt wohl auch für fiktive, mythische Gestalten so etwas wie die »Mühen der Ebene« (nachdem die Gebirge der Konventionen beherzt überquert sind). Manchmal schien es, als würde das Kino vor lauter technischen Möglichkeiten, vor lauter Vergnügen, etwas Gewaltiges aufzubauen und es dann mit großem Getöse wieder kaputtzumachen, den Verstand verlieren. Und völlig verloren schien die Sache, wenn es sich mit der jeweiligen Ideologie und Paranoia der politischen Propaganda aufladen ließ wie bei INDEPENDENCE DAY (1996; R: Roland Emmerich). Filme wie BLADE RUNNER, TERMINATOR 2 und THE MATRIX bewiesen uns allerdings immer wieder, dass das keine notwendige Folge der digitalen Revolution sein muss. Lars von Trier, der Mitbegründer der anti-technologischen DogmaBewegung, stellt eine in der Tat dogmatische These zur Zukunft des Kinos auf: »Das Kino der Zukunft ist entweder radikal technisch oder radikal anti-technisch.« Wenn man wieder einmal aus einem technischen Effektfilm kommt und sich eher an eine Flut von Bildern und Tönen erinnern kann als an eine Begegnung mit Menschen, Ideen oder Geschichten, ist man geneigt, dem dänischen Regisseur zuzustimmen und sich nach nichts so zu sehnen wie nach einem einfachen, stimmungsvollen Low-Tech-Film, der von nichts anderem erzählt als von wirklichen Menschen in einer wirklichen Welt. Aber das Kino kann auch nicht einfach aufhören, eine Art virtuelles Labor für die Begegnung von Technik und Fantasie zu sein. Das ist auch eine Frage von Erwartung und von Ökonomie. James Cameron, der Schöpfer von TERMINATOR 2 und TITANIC (1997), bringt es auf einen einfachen Nenner: »Es gibt viele gute Gründe, dem Publikum im Kino eine erweiterte Erfahrung anzubieten, weil das Kino selber unter Druck steht und immer stärker unter Druck gerät, sei es durch andere Medien, wie das High-Definition-Fernsehen zu Hause, oder DVDs, die über das Internet ausgetauscht werden können. Damit wird die Basis für das Kino immer schmaler. Deswegen ist es an uns Entertainern, dem Publikum immer neue und aufregende Arten der Kinounterhaltung zu bieten. Wenn es irgendwas gibt, womit ich Menschen dazu bewegen kann, ins Kino zu kommen, dann werde ich es ausprobieren.« So muss von Zeit
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zu Zeit ein Film wie THE MATRIX kommen, der das Kino und den Film zugleich zu retten imstande ist. Für eine Zeit jedenfalls. Was wird uns also als nächste Sensation erwarten? Der 3-D-Spielfilm, an dessen Verwirklichung Cameron bereits arbeitet? Volldigitale und interaktive Filme, neue Soundgewitter? Oder doch die nächste Rückkehr der einfachen Geschichten und der gewöhnlichen Menschen? Es ist die Spannung zwischen beidem, die das Kino immer noch zur aktuellsten Kunst unserer Zeit macht. Und die Entdeckung, dass es immer vom Menschen handelt, im Cyberspace und in der Vorstadt. Man kann ihn da wie dort sichtbar oder unsichtbar machen. Und auch die MATRIX-Filme sind auf der Suche nach dem Menschen, wenn auch nicht gerade der nächsten sozialen, räumlichen und zeitlichen Umgebung. Welcome to the real world ist das Versprechen und die Aufgabe, die sie formulieren: Die Wirklichkeit ist nicht das Gegebene und das Natürliche des Menschen; die Wirklichkeit ist das, was sich die Menschen erobern müssen. Warum nicht auch im Kino?
Larry & Andy machen's in Hollywood Was muss man von der Lebensgeschichte von Larry und Andy Wachowski wissen? Larry wurde am 21. Juni 1965 und Andy am 29. Dezember 1967 in Chicago geboren. Weißer Mittelstand, laut der Familienlegende Nachkommen polnischer Bergarbeiter. »Nachdem wir ohne Abschluss das College verlassen hatten, wurden wir Zimmermänner. Die Arbeit war uns zu hart. Also gingen wir zum Film.« Tatsächlich haben sie neben ihrem Job am Bau damit begonnen, Comics zu entwerfen, und lauerten auf ihre Chance. Heute sehen sie, wie einige andere junge Regisseure in Hollywood auch, wie Tankwarte aus, die nach Feierabend ihr Trinkgeld in einem Comicladen verschleudern. Natürlich tragen sie ihre Baseball-Kappen verkehrt herum auf dem Kopf und tun alles, um nicht als »Stars« zu erscheinen. Das mit den Zimmermännern hätten sie erfinden müssen, wenn es nicht so gewesen wäre. Entscheidend in der Legende und in der Erscheinung aber ist, dass sie kundtun, nicht Teil des Systems zu sein, mit dem sie arbeiten. Spielende Kinder vielleicht, Diogenes-hafte Kneipenphilosophen, Bastler – aber niemals Leute, die auf den Glamour von Hollywood hereinfallen. Dafür hat man schließlich seine Schauspieler, die man auf die Pressekonferenzen schickt, während man sich selbst entzieht. Larry und Andy geben keine Interviews und lassen keine home stories machen. Es sei denn, sie können vorführen, wie man ein Interview ruiniert oder eine home story zum Höllentrip macht.
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Comics waren tatsächlich die große Liebe der beiden Kerle aus Chicago; sie waren Fans, als sie ihre Arbeit als Szenaristen für eine großartige, wenn auch nur kurzlebige Serie bei Marvel begannen: Ectokid war eine Kreation des englischen Autors und Regisseurs Clive Barker und brachte es gerade auf neun Nummern. Dann fragte man die beiden, ob sie nicht eine Idee für eine neue Serie hätten, und innerhalb von drei Tagen hatten sie in groben Zügen die Entwicklungslinien für ein Abenteuer in naher Zukunft aufs Papier gebracht: Diese Welt der Zukunft würde paradoxerweise so aussehen wie unsere Gegenwart, denn sie wäre nur das Trugbild eines gewaltigen Computerprogramms. Dieses Programm diente den denkenden Maschinen, die in dieser Welt die Macht übernommen hätten und die die Menschen als »bioenergetische« Nahrung benutzten. Das war, wir erkennen es, nichts anderes als die Grundlage für das MATRIX-Universum. Zu dieser Zeit arbeiteten sie auch an einem Filmscript, ASSASSINS, das sie für 250.000 Dollar an den Produzenten Joel Silver verkauften. Es war eine deutlich vom asiatischen Kino des heroic bloodshed beeinflusste Geschichte von zwei Berufskillern und einer von der Wirklichkeit weitgehend abgespaltenen Hackerin. Bevor Richard Donner den Stoff mit Sylvester Stallone, Antonio Banderas und Julianne Moore 1995 verfilmte, unterzog Brian Helgeland das Script einer tiefgreifenden Revision, die die Geschichte mehr in die Richtung der von Silver favorisierten Action-Knaller verschob. Von der strengen Stilisierung und dem Zitatreichtum des ursprünglichen Scripts blieb nichts mehr übrig, und das beständige Hyperventilieren von Stallone und Banderas als körperlich-akustisches Leitmotiv wirkte bald einigermaßen nervtötend. Vermutlich war Richard Donner für diesen Stoff der falscheste Regisseur der Welt. Jedenfalls versuchten die WachowskiBrüder ihren Namen aus den credits streichen zu lassen. Noch weniger Glück hatten sie mit dem Drehbuch The Plastic Man, das von Steven Spielbergs Produktionsfirma Amblin angekauft und dann, unerreichbar, auf Eis gelegt wurde. Den Brüdern blieb schließlich gar nichts anderes übrig, als nun alles auf eine Karte zu setzen und keine Zugeständnisse mehr zu machen. Alles oder nichts. Die Zeit, in der sie Hollywood als frustrierte Ideenlieferanten dienten, war definitiv zu Ende. Larry und Andy Wachowski versuchten nun, ihre ursprünglich für die Comic-Serie entwickelte Idee zur Geschichte der Matrix als neues FilmProjekt zu verkaufen, aber niemand bei Warner schien in der Lage zu verstehen, worum es eigentlich ging. Statt sich auf Diskussionen über Wesen und Absicht der Matrix einzulassen, taten sie sich mit ihren Lieblingszeichnern zusammen, um die Story, vor allem aber den spezifischen Look ihres Projektes zu veranschaulichen.
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Der Amerikaner Geof Darrow war nach Paris gegangen, wo er im Umfeld der Zeitschrift Métal Hurlant seine Talente besser zur Entfaltung bringen konnte als in der US-amerikanischen Comic-Industrie. Für die MATRIX-Filme entwarf er nun ein Design, das unaufdringlich seine ComicHerkunft ausstellt. Der Kanadier Steve Skroce trug seine illustrative Bewegungskunst bei. Und wie Darrow schätzten ihn die Wachowskis auch deshalb, weil er in der Welt herumgekommen und in seiner Arbeit Einflüsse aus den verschiedensten Kulturen verarbeitet hatte. Schließlich hatten die beiden gemeinsam mit den Brüdern Wachowski eine Art »Super-Storyboard« angefertigt, das mit 700 Seiten einen beachtlichen Umfang besaß. Bereits in dieser Phase halfen weitere Künstler, das Design zu vervollkommnen, so die beiden »Konzeptkünstler« Tani Kunitake und Warren Manser, die bei BATMAN & ROBIN (1997; R: Joel Schumacher) respektive bei Terry Gilliams TWELVE MONKEYS (1995) mitgearbeitet hatten. Die Matrix wuchs in einem Gemeinschaftsprojekt, das sich zunehmend zu einer stock company auswuchs, eine kleine ästhetische Geheimgesellschaft, die es schaffte, ganz und gar außerhalb der eingefahrenen Hollywood-Strukturen zu arbeiten. Vom Gefühl, einer Art ästhetischer Verschwörung anzugehören, sprachen im Nachhinein etliche Mitarbeiter. Das Storyboard war so beeindruckend, dass Warner das Script schließlich für eine Million Dollar kaufte und den Wachowski-Brüdern zudem ihre beiden wichtigsten Forderungen erfüllte: THE MATRIX sollte der erste Teil einer Trilogie sein, und bei allen drei Filmen sollten Larry und Andy gemeinsam Regie führen. Die beiden konnten freilich im Regiefach nicht die geringste Erfahrung vorweisen, und daher kam man überein, dass sie vor dem MATRIX-Projekt, das von Anfang an als eine Super-Produktion geplant war, eine Art Gesellenstück in Form eines niedrig budgetierten Films abliefern sollten. Für das Drehbuch zu BOUND (1996; Gefesselt) erhielten sie eine weitere Million Dollar, allerdings sollte auch ihre Regieleistung damit abgegolten sein und der fertige Film nicht über fünf Millionen kosten. Von den 4,8 Millionen, die schließlich auf der Rechnung standen, gingen mehr als die Hälfte für die Schauspielergagen drauf. Was den Film dann auszeichnete, waren die ästhetischen Entscheidungen der Regisseure, der Einsatz von Kameraperspektiven und Zeitlupen, wie man sie aus einem »realistischen« Film nicht kannte. Und nicht zuletzt der Eigensinn der Autoren: Den Vorschlag von Warner, aus dem lesbischen ein heterosexuelles Liebespaar zu machen, lehnten sie rundheraus ab. Die Wachowskis filmten ihren black comedy erotic thriller, als ginge es darum, splash panels und Doppelseiten eines Comic zu montieren. (Nur bei den Sex-Szenen machten die Regisseure
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Auch das Lebisch-Sein ist Pose und Design: Das Regiedebüt der Wachowskis, BOUND
dann doch ein Zugeständnis: Sie akzeptieren, dass es davon eine europäische und eine – entschärfte – amerikanische Version geben sollte.) BOUND überzeugte nicht nur die Leute von Warner, sondern auch das Publikum und hier und da sogar die strenge Kritik: »BOUND ist einer jener Filme, die einen in die Mangel nehmen, auswringen und atemlos zurücklassen«, schreibt etwa Roger Ebert von der Chicago Sun-Times. »Es ist reines Kino und überschreitet mehrere Genregrenzen: ein Caper-Movie, ein Gangsterfilm, ein Sexfilm, eine Slapstick-Komödie. Die Leidenschaft, die zwischen den beiden Frauen entbrennt, ist spontan, hitzig und auch irgendwie witzig. Zwischen Gershon und Tilly springen die Funken, vielleicht weil sie sich der Komik der Situation bewusst sind, und ihre Sexszenen sind keine feierlichen gynäkologischen Kraftakte, sondern reines Vergnügen. Der Film beginnt wie erotisches Popcorn-Kino, aber dann wird die Story immer dichter und verwickelt die Figuren und die Zuschauer immer tiefer in ein Netz aus Mord, Blut, Sex und Geld.« Es ist eine bizarre Liebesgeschichte: Violet (Jennifer Tilly) hat sich's im Leben eingerichtet. Nicht gut, aber luxuriös. Ihr Freund Caesar (Joe
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Pantoliano) steht als Berufskiller in den gut bezahlten Diensten der Mafia und hält sie in einem goldenen Käfig. Corky (Gina Gershon) wird gerade nach fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Sie nimmt einen Job als Hausmeisterin an. Als die beiden Frauen einander begegnen, wird jeder von ihnen aufs Deutlichste klar, was sie bislang im Leben vermisst hat. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Und bald reift in ihnen ein Plan, die Vorzüge beider Lebensformen miteinander zu verbinden. Caesar bewahrt, wie Violet weiß, für den Mafiaboss Mickey (John P. Ryan) einen Koffer mit zwei Millionen Dollar auf. Mit diesem Geld könnten Violet und Corky das schöne Leben führen, das ihnen vorschwebt. So nehmen sie die Beute an sich und wechseln die Dollars mit Zeitungspapier aus. Sie hoffen, dass die Mafia Caesar für den Dieb halten wird, um den ist's nicht schade. Aber Caesar ist nicht nur besonders geldgierig, sondern auch clever. Und damit beginnt die Intrige Blasen zu werfen, überraschende Wendungen zu nehmen und schließlich mit überraschenden Rückkopplungen aufzuwarten. Das einzige Pech von BOUND war, dass der Film zur gleichen Zeit wie FARGO von Joel und Ethan Coen herauskam. Zwei visuell hoch stilisierte Thriller von einem manischen Brüderpaar – das war ein bisschen viel für das Jahr 1996. Aber die Wachowski-Brüder hatten mit diesem Film gezeigt, was sie können. Von hier aus traute man ihnen alles zu.
Die MATRIX wird geladen Ursprünglich sollte THE MATRIX in der Heimatstadt der Wachowski-Brüder, in Chicago gedreht werden. Aber das hätte den Film noch einmal teurer gemacht, als er ohnehin schon war. Deshalb verlegte man den Drehort nach Australien, wo man durch geringere Löhne und Mieten und die Gewinne beim Dollarkurs die Kosten um gute 30 Prozent senken konnte. Dennoch: Wenn man den Film etwas genauer ansieht, erkennt man durchaus eine teils liebevolle und teils sarkastische, in den locations, den Modellen und der digitalen Simulation vorgenommene Rekonstruktion von Chicago, windy city. Dieser Bezug der virtuellen zur realen Welt ist sicher nicht nur ein biografischer Schlenker. Es ist ein Teil des Realitätsspiels des Films, dass im endlos geflochtenen Band alles möglich, aber nichts ohne Rückbindung ist. Der Autor und die Maschine, diese ewigen Feinde in der Traumfabrik, beginnen hier ein neues Spiel miteinander (von dem offensichtlich manche Kritiker so entsetzt sind wie die, die sich seinerzeit empörten, als Bob Dylan seine Gitarre einstöpselte). Wie sie in BOUND gezeigt haben, verstehen sich die Wachowskis auf die Kunst, sich über den Stil dorthin zu bewegen, wo der Plot nicht hinführen kann. Vom
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Standpunkt des europäischen Autorenfilms ist das durchaus angreifbar. Sogar das Lesbisch-Sein in BOUND ist eher Pose und Design als eine konkrete soziale und sexuelle Geste. Aber auch um diese Pose haben die Autoren mit der Maschine gekämpft. Die Bezüge zu Chicago, zu anderen realen Orten und sogar realen Konzernen hat auch in MATRIX keine Konsequenz für den Plot oder für die, nun ja, »Aussage«. Und trotzdem sind diese Verweise von höchster Bedeutung für das Funktionieren von MATRIX als sich generierender und regenerierender Erzählmaschine. Zwischen Autor und Maschine entwickeln sich kreative »Störungen«. (Wer sagt uns denn, dass nicht auch der Autor nur eine Pose, ein besonderes Programm in einer Erzählmaschine ist?) Die Wahl der Hauptdarsteller fiel nach etlichen Diskussionen auf Keanu Reeves als die zentrale Heldengestalt, Carrie-Anne Moss als seine geheimnisvolle Begleiterin Trinity, Laurence Fishburne als Anführer der Rebellion namens Morpheus und Hugo Weaving als Widersacher Agent Smith. Ein wirklicher Star war eigentlich nur Keanu Reeves, und auch er nur sozusagen der der zweiten Reihe. Aber er hatte mit JOHNNY MNEMONIC (Vernetzt – Johnny Mnemonic; 1995; R: Robert Longo) einen ersten Cyberpunk-Thriller, mit LITTLE BUDDHA (1993; R: Bernardo Bertolucci) einen religiösen Film und dazu einige Actionfilme, von Kathryn Bigelows POINT BREAK (Gefährliche Brandung; 1991) bis zu Jan de Bonts SPEED (1994), vorzuweisen und ist auch von der Erscheinung her die ideale Mischung für die Rolle des Neo. Kernige Züge, die dem Licht und der Kamera Fläche bieten, ethnische Eigenheit und eine spezifische Mischung aus Romantik und Härte. In allen seinen bekannten Filmen ist er ein Grenzgänger und Loner. Mag er sich auch nach Liebe und Geborgenheit sehnen, er wird, anders als sein Widersacher und Spiegelbild im Hollywood-Sternenhimmel, Johnny Depp, an der Einsamkeit nicht zugrunde gehen. Man wird sie ihm nicht einmal wirklich ansehen. Höchstens wie ein erschrecktes Kind wird er gelegentlich gucken, dem man gerade ein weiteres Element des Urvertrauens genommen hat. Unverletzlich ist er nicht. Es ist die Verletzlichkeit, die die Helden des Cyberpunk von der alten Science-Fiction unterscheidet. Die Verletzlichkeit, die einen Erlöser von einem gewöhnlichen Helden unterscheidet. Das Ex-Modell Moss als herbe, leicht androgyne Erscheinung, wie eine verbitterte Dissidentin aus den Fitnessräumen des Neoliberalismus, die, was sie gelernt und trainiert hat, gegen das System selber wendet, der massige Fishburne, eine intellektuelle Version des Big Black Man, den der Rassismus fürchtet und ersehnt, und zugleich ein seltsamer Mönch, wie aus dem Mister X-Comic oder vom Planet des Ordens der verdammten Män-
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Keanu Reeves als Erlöser in LITTLE BUDDHA und …
ner in David Finchers Beitrag zur ALIEN-Reihe (1992), schließlich Weaving als Karikatur des in seiner Arroganz wieder törichten Man in Black: Es sind Komponenten auf einer Skala der »Schwarzheit«. Aber die Darsteller wurden nicht nur wegen ihrer Leinwand-Persona ausgewählt, sondern auch wegen ihrer physischen Fähigkeiten. Die Wachowski-Brüder lieben neben den Comics die Actionfilme aus Hongkong. Und in ihnen bewunderten sie vor allem die Eleganz der Kampfkunst der Darsteller: Die Stars der Martial Arts Movies führten ihre Kämpfe selber aus, während es in Hollywood gewöhnlich eine Abfolge von Nahaufnahmen der Stars und dann mehr oder weniger spektakuläre Aktionen der Stuntleute sind, die den Fluss der Szenen (oder eben den Mangel an Fluss) bestimmen. Für THE MATRIX sollten die Darsteller diese asiatische Arbeitsweise übernehmen und die größtmögliche Anzahl von Kampfszenen selbst bestreiten. Es ging dabei weder um eine höhere Authentizität noch um hübsche Geschichten fürs Presseheft. Wenn die Schauspieler selber die Kampfszenen ausführen, bekommt die Kamera eine ungewöhnliche Freiheit gerade in den Bewegungen auf die Agierenden zu, und außerdem erhalten die Bewegungen eine choreografische Einheit, die in den gewöhnlichen Actionfilmen aus den USA nicht zu finden ist. Vier Monate lang dauerte die Instruktion der Schauspieler durch den Choreografen und Gelegenheitsregisseur Yuen Woo-Ping. Yuen Woo-Ping war den Wachowskis vor allem durch seine Filme um den legendären Helden Wong Fei-Hung, IRON MONKEY (1993) und LAST HERO IN CHINA (1993) aufgefallen (nach THE MATRIX arbeitete er für Ang Lee bei CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON [Tiger & Dragon; 2000] und schließlich 2003 für Quentin Tarantinos KILL BILL). Für beide
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… als Actionheld in POINT BREAK
Seiten war die Zusammenarbeit auch eine kulturelle Annäherung (nicht zuletzt was die Sprache anbelangt); zwei Arten des Filmemachens begegneten sich da, und zwei Arten der Kunst der Repräsentation. Bei THE MATRIX RELOADED allerdings war Yuen Woo-Ping schon in der Lage, mit einem eingespielten Team zu arbeiten, und er selbst hatte sich, was gewiss nicht ohne Schwierigkeiten abging, an die Arbeits- und Lebensbedingungen im Westen gewöhnt. Von den Wachowski-Brüdern meinte er im Übrigen, sie seien wesentlich »asiatischer« in ihrem Empfinden als etwa Ang Lee, allein durch ihre Kenntnis des wuxia pian-Genres (heroische Action plus Geister, wie in den CHINESE GHOST STORY-Filmen / 1987-1991; R: Ching Siu-Tung). Tatsächlich spiegeln die Dreharbeiten die Befreiung der kulturellen Codes: Die Erschaffung einer künstlichen Welt ist verbunden mit der Schaffung eines Welt-Codes (»gelungen« oder nicht). THE MATRIX wird nicht als »amerikanischer Film« geladen. Wuxia pian-Filme greifen tief in die chinesische Helden-Mythologie und verwenden Elemente der Peking-Oper: Action wird in der Form eines Balletts inszeniert, der Übergang zwischen dem Realen und dem Fantastischen ist fließend. In den 70er Jahren erlebten die in Hongkong produzierten Filme des Genres ihren ersten internationalen Höhenflug. Das Verhängnis war freilich, dass sie in den USA und in den meisten Ländern Europas in den Zirkeln der Trash- und Gewaltfilme vermarktet wurden, grauenhaft synchronisiert und ohne Rhythmus-Gespür zusammengeschnitten. Bei der extensiven Produktionsweise in Studios wie dem der legendären Shaw Brothers war freilich auch schon hier genügend belangloses Material vorhanden. Wenn Hongkong nicht die größte der universalen Traumfabriken war, die schnellste war es sicher.
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Der erste internationale Star des cinema of vengeance, wie man die Martial-Arts-Filme auch nannte, war Bruce Lee. Als wuxia-Held, der in die Moderne versetzt war, wurde Bruce Lee rasch zum Getto-Mythos und zum Bild für eine nicht-hierarchische Öffnung zwischen den Kulturen (und durch seinen frühen Tod war der Legendenbildung keine Grenze gesetzt). Er war der Held der Minderheiten in den Megacities. Black Movies und »Eastern« bildeten ein neues, urbanes B-Genre, das die eigentlichen mythologischen Wurzeln allerdings weitgehend verlor. Kung Fu Fighting wurde zu einer der Ausdrucksweisen des Ghettos und vielleicht eine der ersten globalen Zeichensprachen zwischen Ost und West, Arm und Reich, Männlich und Weiblich. Ein System, von dem niemand von vornherein ausgeschlossen ist, dem sich jede und jeder durch einen Akt der Selbstüberwindung einschließen kann, das dem Schwachen die Stärke verspricht, dem Körper (womit wir wieder beim Thema sind) einen Triumph über die Technologie, der Peripherie über das Zentrum, und das eine zugleich spirituelle und physische Erlösung verhieß. Kung Fu war eine Antwort auf die neuen Ängste. Natürlich mussten früher oder später auch die weißen Mittelstandskids daran teilhaben. Wenigstens im Kino, und allerspätestens in der Form von Kung-Fu-Computerspielen, die in den 80er Jahren zu den populärsten Genres gehörten. Wuxia als cineastische Kunst wurde in dieser Zeit nur von einigen alten Meistern hochgehalten, von denen King Hu immerhin auch in europäischen Film-Kreisen eine gewisse Reputation erzielte und mit Filmen wie RAINING IN THE MOUNTAIN (Regen in den Bergen; 1978) belegen, dass das Genre zu ganz anderen Arbeiten taugte als zu jenen, die in den deutschen Bahnhofskinos unter Titeln gezeigt wurden, in denen Worte wie »Knochenbrecher«, »Schlitzauge« und »Dampfhammer« vorkamen. Eine zweite Renaissance erlebte das Genre, ein wenig verspätet gegenüber dem heroic bloodshed der Gangster- und Cop-Filme etwa von John Woo, in den letzten Tagen der Traumfabrik von Hongkong, in einer »Neuen Welle« und mit Film-Serien wie CHINESE GHOST STORY und SWORDSMAN (1990-92; R: Ching Siu-Tung), mit Arbeiten, in denen die Namen von Tsui Hark und Woo-Ping in wechselnden Funktionen auftauchten. Yuen Woo-Ping kannte alle Aspekte der Filmproduktion. Sein Vater, Yuen Hsia-Tien, war ein Star des Genres gewesen, und neben vielen Billigproduktionen durch Filme wie AGAINST RASCALS WITH KUNG FU (1982; R: Kwan Ching Lian), der in der BRD unter den dummen Titeln ZWEI DRESCHFLEGEL SCHLAGEN ALLES KURZ UND KLEIN beziehungsweise SCHLITZAUGE, HALT DIE OHREN STEIF vermarktet wurde, auch im Westen populär. Woo-Ping erlernte die Kampfkunst in einer Peking-Oper-
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Schule, und natürlich trat er, wie auch seine Brüder, schon als Kind in von seinem Vater produzierten Filmen auf, darunter auch in einigen WongFei-Hung-Filmen, und nachdem er sich eine Zeit lang mit den SchurkenRollen hatte begnügen müssen, wurde er Action-Choreograf und schließlich Regisseur. Seine größten Erfolge erzielte er in Zusammenarbeit mit dem damals neuen Superstar des Hongkong-Kinos, Jackie Chan, der unter anderem der Gestalt des Wong Fei-Hung einen neueren, leichteren Touch gab. Er war nun ein naiver, pikaresker Held, kein fertiger nationaler Mythos, sondern ein sympathischer Junge, der noch eine Menge zu lernen hat und der noch viel zu häufig auf das Intrigenspiel um ihn herum hereinfällt. In der ONCE UPON A TIME IN CHINA-Serie (1991-97), die noch einmal die Legende von Wong Fei-Hung ausbreitet und bei der wiederum Tsui Hark und Yuen Woo-Ping zusammenarbeiteten, übernahm Jet Li die Rolle. Sie war nun nicht mehr so komödiantisch, Jet Lis Wong Fei-Hung hatte die Naivität von Jackie Chan, aber doch einen ganz anderen Ernst. Es war ein Held, der seine Bestimmung erkennt, und der mit seiner Bestimmung gelegentlich auch hadert. Anders gesagt: Er war durchaus ein Vorfahr von Thomas Christian Anderson alias Neo. So wie Tsui Harks filmisches Design und Jet Lis ernsthafte schauspielerische Konzentration war auch Yuen Woo-Pings Kampf-Dramaturgie ein unverkennbares Markenzeichen der Serie. Sein Ziel war es, so flüssig wie erkennbar die Grenzen der physischen Aktion zu erweitern. So flogen die Akteure an (meistens) unsichtbaren Drähten durch die Luft, führten auf Pfählen waghalsige Ballette auf und liefen Wände quer entlang, durch nichts als den Zauber ihrer Bewegung in der Balance gehalten. Das Meisterstück der Woo-Ping-Dramaturgie aber war der »Korkenzieher-Sprung«, bei dem der Akteur oder die Akteurin eine Schraube in der Luft vollführt, wie sie sonst nur bei Kunstsprüngen vom Zehn-Meter-Turm zu sehen ist. Und der »Korkenzieher-Sprung«, auf den sich insbesondere Trinity versteht, sollte auch zum Markenzeichen der Action in den MATRIX-Filmen werden. Zur Entscheidung für die asiatische Kampf-Choreografie gehörte es, wie erwähnt, die Schauspieler davon so viel wie möglich selbst ausführen zu lassen, einerseits um besonders flüssige Bewegungsabläufe zu erzielen, zum anderen, na ja, ist es vielleicht auch eine Sache der Ehre und der inneren Glaubwürdigkeit einer Rolle. Wer die akrobatischen Kampftänze selber ausführt, steht am wenigsten in Gefahr, in einem Actionfilm wie ein Kind zu wirken, das einen Helden »spielt« (und dem das ein bisschen peinlich ist, wie man sieht, sobald die Kamera ein wenig unaufmerksam ist). Die einzige, die schon gewisse Vorkenntnisse in asiatischen Kampfkünsten vorzuweisen hatte, war Carrie-Anne Moss. Während des Trainings, das offenbar in der
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ersten Zeit (trotz eines Pensums von sechs Stunden täglich) nicht gerade sensationelle Fortschritte gemacht hat, mussten sich die Wachowski-Brüder zum ersten und nicht zum letzten Mal gegen ihren Produzenten Silver durchsetzen, der schnell wieder zum üblichen Einsatz von Stuntmen drängte. Aber nach vier Monaten Arbeit hatte Yuen Woo-Ping aus Reeves, Moss, Fishburne und Weaving leidliche Kämpfer gemacht. Was vielleicht noch wichtiger war: Sie hatten etwas von der Einheit des Kampftanzes und des Inneren und des Äußeren ihrer Rolle verstanden. Die Dreharbeiten in Australien dauerten 118 Tage (ein ganzer Monat mehr als im ursprünglichen Drehplan vorgesehen). Ein Teil der Spezialeffekte wurde schon in dieser Zeit für die post production vorbereitet und ausgeführt. Nachdem die Wachowskis ein Sample von acht Minuten zusammengestellt hatten, waren die Verantwortlichen bei Warner so beeindruckt, dass sie einer Erhöhung des Budgets zustimmten. So wuchs die Anzahl von ursprünglich vorgesehenen 200 visuellen Effekten auf 412. Und eine Reihe davon (vgl. das Kapitel »Die Ästhetik der Matrix«) war zu nichts anderem vorgesehen, als etwas »Nie Gesehenes« auf die Leinwand zu bringen.
Ein Neues Testament des Kinos Die Quellen von THE MATRIX sind mannigfaltig in der Literatur, im Film, in allen anderen Medien und in der Kunst. Aber es gibt wohl vier wichtige Prozesse der ästhetischen Übertragung, die den Film an sich außergewöhnlich machen; jeder davon für sich hat genügend Vorgänger und Nachfolger, aber nirgendwo ist all dies so stringent miteinander verbunden wie hier. So ist die MATRIX-Serie, selbst wenn man in späteren Versionen der Kinogeschichte den Eigenwert ein wenig herunterstufen sollte, als Schnittstelle der Codes in der populären Kultur von unschätzbarer Wirkung. Es geht also um: - Die Übertragung der Ästhetik und Produktionsweise des HongkongKinos auf den westlichen Mainstream-Film. - Die Übertragung der ästhetischen und narrativen Prinzipien des ComicStrips auf das Kino. Nicht im Sinne eines Zitierens – wie es auf besonders hübsche Weise am ehesten Ang Lee in HULK gelang, sondern eher im Sinne einer Erweiterung aller Möglichkeiten: Nichts, was einem Comic-Zeichner einfallen könnte, sollte für den Film unmöglich sein, das war die Herausforderung an das Special-Effects-Team der Produktion. Und umgekehrt sollte ein Filmemacher so »frei« fantasieren können wie ein Comic-Autor. – Die Übertragung einer Cyberpunk-Lektüre von Videogames (und umgekehrt) auf den Film. Nicht im Sinne eines simplen Nachspielens oder
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einer ästhetischen Verwandtschaft wie in RESIDENT EVIL (2002; R: Paul WS. Anderson) oder LARA CROFT: TOMB RAIDER (2001; R: Simon West), nicht im Sinne sanfter Wahrnehmungsessays wie CONTACT (1997; R: Robert Zemeckis), und auch nicht im Sinne einer »literarischen« Lektüre nach den kulturkritischen Vorgaben der satirisch parabelhaften Science-Fiction wie in NIRVANA (1997; R: Gabriele Salvatores), sondern wie eine Art des analytischen Spielens. Nicht von draußen, sondern von drinnen. – Das neue Sichtbarmachen der Digitalität, das wirkliche Design einer Neos Urahn: Bruce Lee künstlichen Wirklichkeit, die sich ihrer Herkunft aus dem Computer nicht mehr schämt. Endlich sollte ein Film den Look für das Cyber-Zeitalter kreieren und den Hackern eine Heldengestalt geben. THE MATRIX verhält sich nun ganz bestimmt nicht apologetisch zur Computer-Technologie, aber es gibt hier auch nicht die kulturpessimistische Distanz. Nun kann man wohl dem Film dabei zusehen, wie er zugleich aus seinen Quellen schöpft und wie er es versteht, deren Fehler zu vermeiden. Die MATRIX-Trilogie übersetzt den Cyberpunk nicht einfach in den Film. Der dirty look der science fiction noir hatte sich weitgehend verbraucht. Die Regisseure kürzen daher zunächst einmal weitgehend diese Aspekte, diese Lust am Schmutz und am Verfall als Gegenpol zur virtuellen Welt. Darin steckt im Übrigen vielleicht durchaus ein politischer Aspekt: In Filmen wie BLADE RUNNER war dieser urbane Schmutz des Supergettos immer gebunden an die »Asiatisierung« der Welt, so wie sie in John Carpenters ESCAPE FROM NEW YORK (Die Klapperschlange; 1981) an die »Afrikanisierung« gebunden ist. Was aber MATRIX auszeichnet, ist eben ein tiefer Respekt vor diesen Kulturen. Und hier gibt es, wenn vielleicht auch nur als Idee und Sehnsucht, wieder etwas, was im literarischen Cyberpunk gründlich verloren schien. Nach der dunklen Neuromantik der programmatischen Auflösung die Rückkehr zu einer klaren Zeichensprache, als wollte sich aus der Cyber-Romantik eine klare Struktur bilden, ein luzider Neoklassizismus. Auf die Ästhetik der endlosen
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Crossover folgt, unter exzessiver Anwendung der neuromantischen Erzählungen und Bilder, des Sampling, ein neuer, reiner Code. Beinahe noch mehr als in den Realfilmen der Trilogie ist dies in den neun Filmen der ANIMATRIX formuliert. Die Antwort auf die Fallen der Postmoderne ist: Stil. (Eine andere Warnung, die in MATRIX beherzigt ist: Vorsicht mit der Ironie!) Und der digitale Code der Weltkultur muss weder eurooder US-zentrisch sein, noch muss es der der Konzerne sein, noch muss er dem Geschmack (und den Neurosen) der kleinbürgerlichen Vorstädte entsprechen. Die MATRIX-Saga versucht sich an einer Weltsprache des Kinos. Die Wachowskis drangen darauf, dass auch das Logo der Warner Brothers in die Ästhetik der MATRIX mit einbezogen wird. Das Kino ist Teil der Matrix, sagt das, oder: Auch der mächtigste Konzern ist einem ästhetischen Angriff nicht gewachsen (jedenfalls wenn man den Erfolg für sich hat). Das ist natürlich nur ein Symbol. Es hat nichts damit zu tun, den Stöpsel wieder aus der Verstärkeranlage zu ziehen. Auch nicht damit, das Geld zu verachten, das nur von den Konzernen kommen kann. Das Verhältnis der Wachowskis und ihrer Crew zu Hollywood ist viel komplizierter. Man kann sich nicht voneinander trennen; Technologie, Kreativität und Kapital verhalten sich zueinander wie Gift, Droge und Medizin, und nirgendwo ist das so sichtbar wie in der technologischen Kunst namens Kino. Aber unentwegt kommt es darauf an zu zeigen, wer von wem abhängig ist. Das ist, unter anderem, eine Frage von Stil und Intelligenz. Der Film THE MATRIX wurde am Osterwochenende des letzten Jahres des ausgehenden Jahrhunderts und in bewusster Konkurrenz zum neuen STAR WARS-Film, EPISODE I: THE PHANTOM MENACE, gestartet. Soll niemand sagen, man sei sich der kulturellen Bedeutung dieses Projektes nicht bewusst gewesen. Der »intellektuelle Actionfilm« (Larry Wachowski) war, wie Read Mercer Schuchardt schreibt, nicht weniger als der Vorschlag eines »Neuen Testaments« in der alten Vorstellung der christlich-jüdischen Anschauung von der Gefangenschaft im Jammertal des menschlichen Lebens, das nur auf den Untergang hinzielen und das nur durch das Wunder und das Opfer gerettet werden kann. War dann aber STAR WARS in der Tat ein »Altes Testament« zu dieser Fantasie: eine ewige Geschichte der Schöpfungen und Vertreibungen und der Züge zurück ins gelobte Land? Dann war George Lucas' Saga jedoch wiederum nur postmoderner Ausdruck einer alten Sehnsucht im amerikanischen Weltkino, das in allen seinen Genres nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln von der einen Sache sprach. Vom Land of the Free and Home of the Brave. Von Heimat und Empire.
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THE MATRIX Vor-Geschichten und Nach-Bilder Die Geschichte, die THE MATRIX erzählt, ist nicht vollkommen neu. Sie vereinigt die drei Hauptstränge, die sich nach den Ausdehnungsfantasien der Space Operas im skeptischen Teil des Genres bislang herausgebildet haben: zum Ersten die Zukunft einer geschlossenen Gesellschaft, die durch Drogen, Terror und Halluzinationen einen solch absoluten Grad an Herrschaft erreicht hat, dass demgegenüber jedes »totalitäre« System nur neidisch werden könnte. Es können hier nur Einzelne fliehen, eine Revolution hat wenig Chancen. Zum Zweiten der sich zu der einen oder anderen Form des Krieges steigernde Konflikt zwischen Menschen und Maschinen. Seit gut 50 Jahren, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, verfolgt uns diese Fantasie von einer hoch entwickelten Kriegstechnologie, die sich verselbstständigt. Und was wahr ist, ist nun mal wahr: Alle technologischen Revolutionen und alle neuen Kommunikationsmittel, vom Radio bis zum Internet, wurden vom Militär in Gang gesetzt, und kein Mensch weiß genau, wie ehrlich ihre Zivilisierung ist. Zum Dritten die Auflösung der menschlichen Persönlichkeit in einer virtuellen Welt. Das eigene Unterbewusste ist dabei immer angedockt an das kollektive Unterbewusste, das immer angedockt ist an die medialen Rekonstruktionen von Welten und Empfindungen, die immer angedockt sind an die Welt der Maschinen und Systeme, die wiederum immer angedockt sind an das einzelne Unterbewusste. Das SF-Subgenre des Cyberpunk (dessen Leserschaft im Gegensatz zum »Muttergenre« immer auf einen recht kleinen Kreis beschränkt blieb) hatte sich dadurch ausgezeichnet, dass in die Befreiungsfantasien immer auch ein sozialer Essay eingearbeitet schien. Pop, Computertechnik, die Reste der Hippie-Rebellion, Spritzer von Marx und Marcuse, von Entfremdungs- und Ausbeutungs-Theorien verbanden sich mit der Suche nach einer angemessen Sprache für das Leben in verschiedenen Realitäten. Nicht die Frage, was in der neuen digitalen Welt alles möglich sei, beherrschte die Autoren, sondern die Frage, was das für die Menschen bedeute, in ihren individuellen Wahrnehmungen und in ihrer gesellschaftlichen Organisation. Der »Pate« des Cyberpunk war, wie schon erwähnt, William Gibson, der mit seinem Roman Neuromancer das Genre (ausgerechnet) im Jahr
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1984 begründete. Dieser Roman wuchs sich zu einer Trilogie und zu einem nicht zu übersehenden Steinbruch für die MATRIX-Filme aus. Andrerseits aber ist MATRIX gegenüber Geist und Inhalt der Cyberpunk-Literatur auch wieder eine beinah so große Kehrtwendung wie diese gegenüber der klassischen Technologie-Science-Fiction wie von Isaac Asimov und seinen »Gesetzen der Robotik«, die alle Konflikte zwischen Menschen und Maschinen zu einem Problem logischer Widersprüche und ihrer Lösung machte und am Ende immer die Herrschaft des Menschen über seine Parallelschöpfung, die denkenden Maschinen, sicherte. In Asimovs Maschinenwelt hat man vielleicht schon Angst vor den denkenden Maschinen. Aber man hat noch kein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber. Die Geschichte der Cyberpunk-Literatur ist ein klassisches Modell für das Stück »Mainstream frisst Subkultur«, aber es hat ein paar Besonderheiten aufzuweisen. Der Stachel blieb im neuen Fleisch. »All die Techno-Freaks, Hacker und Drogenabhängigen«, schreibt Mario Scalla, »der Wohlstandsmüll, der vom System ausgestoßen worden war, sich in verrottenden Industrielandschaften herumtrieb und zu harten Punk-Rhythmen den Aufstand probte, sie wurden aufgerieben in den kapitalistischen Börsen-Fantasien der New Economy. Aber glücklicherweise gibt es nicht nur die alten Bücher und Manifeste, sondern auch noch die Kulturindustrie und mit ihr das Ungeheuer Mainstream, das aufmerksam renitente Subkulturen beobachtet und zu gegebener Zeit seine Assimilationsarbeit beginnt.« Und im maschinell erzeugten Ungeheuer Mainstream gibt es immer Störungen, das Rumoren alter Programme, die rebellischen oder messianischen Anomalien. Und auch im Kino gibt es ein paar mehr oder weniger bemerkenswerte Versuche, das Eindringen realer Menschen in die künstliche Wirklichkeit in eine eigene Bilderwelt zu übersetzen. Der erste Versuch in diese Richtung, die Walt-Disney-Produktion TRON von Steven Lisberger aus dem Jahr 1982, wirkt in ihren ungelenken Versuchen, die damals noch recht arme Ästhetik eines Computerspiels auf die große Leinwand zu übertragen, heute eher unfreiwillig komisch (und hat auch damals, um die Wahrheit zu sagen, niemanden wirklich vom Kinocenter-Sessel gehauen). Gibson selbst, dessen Arbeiten natürlich in einer Reihe von Virtual reality movies spukten, hatte nicht viel Glück mit dem Kino. Bislang ist, anders als bei Philip K. Dick, noch kein großer Gibson-Film entstanden. Anderen Cyberspace- und AI-Motiven ging es nur unwesentlich besser. Eine der frühen Filme dieser Richtung war Rainer Werner Fassbinders WELT AM DRAHT (1973) nach dem Roman von Daniel F. Galouye. Simulacron 3 ist darin ein gigantischer Computer, der im Dienste der Zu-
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WELT AM DRAHT kommt der Konstruktion der Matrix gewiss am nächsten.
kunftsforschung eine eigene Welt erschaffen hat, deren Bewohner sich als durchaus »echte« Menschen empfinden. Einige von ihnen indes erkennen ihre Situation und sehnen sich nach der Welt »da draußen«, nach der Wirklichkeit. Aber diese Rebellen werden von dem Programm selbst eliminiert, und schließlich müssen auch Menschen in der äußeren Realität sterben, die dem Simulacron zu gefährlich werden, wie der Leiter des Forschungsprojekts (Adrian Hoven). Sein Nachfolger (Klaus Löwitsch) ahnt, dass die scheinbar reale Welt selbst nichts anderes als eine Simulation ist. Fassbinder hat diesen Stoff, der in seiner Struktur THE MATRIX vorwegnimmt, mit bemerkenswert einfachen Mitteln verfilmt. Wenn es für JeanLuc Godard in ALPHAVILLE genügte, ein paar Gebäude und Straßen in Paris in der Nacht grobkörnig und aus eigenwilligen Perspektiven aufzunehmen, um den Eindruck »unbewohnbare Zukunft« zu erzeugen, so benötigte Fassbinder noch weniger, fast nichts, um die Realität als »falsch« darzustellen. Ein wenig mehr Beton, ein wenig mehr Glas und Stahl, das ist alles. Wie in ALPHAVILLE und später in THE MATRIX wird aus dieser Spiegelwelt der endlosen Simulation Erlösung möglich durch die Liebe. Übrigens sah der Autor der Romanvorlage die Sache nicht so optimistisch. WELT AM DRAHT hatte damals nicht viele Zuschauer und gehört heute zu den fast vergessenen Fassbinder-Filmen.
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WELT AM DRAHT und das Remake THE THIRTEENTH FLOOR (Abwärts in die Zukunft; 1999; R: Josef Rusnak) kommen der äußeren Konstruktion der Matrix gewiss am nächsten. Eine Reihe von Filmen machte es sich schlicht zu einfach, wie THE LAWNMOWER MAN, der frei nach einem Stoff von Stephen King entstand, andere, seien wir ehrlich, griffen einige der Grundmotive aus THE MATRIX wesentlich reifer und konzentrierter auf, das reicht von David Finchers FIGHT CLUB (1999) bis zu Richard Linklaters WAKING LIFE (2001). Aber diese Filme waren nur zu ertragen, wenn man darauf verzichten konnte, aus dem Kino ein wenig Mut und gute Laune für die nächste Runde Alltag mitzunehmen. Die Vermischung von Realität und Simulation jedenfalls war in den 80er und 90er Jahren ein vorherrschendes Thema in der kulturkritischen Science Fiction. In David Cronenbergs VIDEODROME (1983) wird ein Mann, der mit den guilty pleasures sadistischer Videofilme handelt, Opfer von Halluzinationen; in NIRVANA (1997) von Gabriele Salvatores wird eine Figur in einem Computerspiel lebendig; in BRAINSTORM (Projekt Brainstorm; 1983; R: Douglas Trumbull) haben Forscher ein Gerät entwickelt, das nicht nur Gedanken, sondern auch Gefühle und Wahrnehmungen aufzeichnen kann. Die Forscherin Lilian Reynolds zeichnet mit diesem Gerät ihr eigenes Sterben auf und wird so zur Schöpferin einer tückischen Zwischenwelt. Bei Tarkowskijs (1972) und bei Soderberghs SOLARIS (2002) erzeugt ein Ozean-Planet Träume und Visionen in den Köpfen oder Seelen der Astronauten, und auch Jodie Foster in CONTACT begegnet »da draußen« nur sich selbst. Simulationen führen in BRAINSCAN (1994; R: John Flynn) und VIRTUOSITY (1995; R: Brett Leonard) dazu, dass fiktive Verbrechen oder Verbrecher in die Wirklichkeit gelangen, während in AVALON (2001; R: Mamoru Oshii) eine Computerspiel-Simulation vorgestellt wird, die eine bestimmte Spielstufe aufweist, in der die empfangenen Blessuren real werden: ein Todesraum. EXISTENZ (1999) ist sicher nicht gerade der stärkste aller Filme von David Cronenberg. Aber er enthält eine Reihe von Fragestellungen, die auch THE MATRIX berühren. Hier gibt es eine Rebellengruppe der »Realisten«, die die Schöpfer der biotechnischen Computersimulationen angreifen. Aber nirgendwo ist klar, wo die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit verlaufen und ob die Schöpfer des Spiels nicht ebenso wie die Rebellen Teil des Spiels sind. Das Wachsen der artifiziellen Welt aber scheint hier noch linear, man kann nicht mehr den Weg zurück finden. Das Aufwachen eines Einzelnen in einer virtuellen Welt, in der sich alle anderen für echt und adaptiert halten, schildert DARK CITY (1998; R: Alex Proyas). Der Erwachte wird gejagt, das System will seinen Tod.
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Was all diesen Filmen gemeinsam war, das war ihr düsterer, kulturkritischer und pessimistischer Ton. Sie erzählten von faszinierenden Verschmelzungen, von Opfern und ganz besonders von Zerstörungen. Da unterscheiden sie sich wenig von den anderen großen Entwürfen der jüngeren Science Fiction, von der Parasiten-Fantasie in ALIEN, der technischen Parallelschöpfung in den TERMINATOR-Filmen oder den Schrecken der Gen-Manipulation in GATTACA. THE MATRIX hat das alles auch. Aber der Film liefert gegen die apokalyptische Vision zugleich auch ein Gegenbild. Auf den ersten Blick ähnelt dies demjenigen aus den TERMINATOR-Filmen: Ein Führer und Erlöser, ein metaphorischer Einzelner wird den Kampf gegen die aus dem Ruder gelaufene Technik aufnehmen. Die Menschen werden sich zu einer Rebellentruppe gegen die falsche Wirklichkeit zusammentun. Aber auf den zweiten Blick verhalten sich die Dinge in THE MATRIX komplizierter. Was John Connor in den TERMINATOR-Filmen eigentlich machen wird und warum gerade er dazu auserwählt wird, bleibt einigermaßen im Dunkel. Der »Erlöser« in den TERMINATOR-Filmen wird einfach dadurch bestimmt, dass die maschinellen Herrscher der Zukunft ihm ans Leben wollen. Im Grunde funktioniert Connors Erwähltheit in den bislang produzierten drei TERMINATOR-Filmen eigentlich als bloßer McGuffin. Was zumindest dem zweiten TERMINATOR-Film von James Cameron keinen Abbruch tut. Und der etwas heruntergekommene und entschlusslose Pillenjunkie des dritten Teils ist ein mehr oder weniger sympathischer Verlierer, der den Judgement Day nicht verhindern kann, weil er es nicht soll. In THE MATRIX aber ist die Erwähltheit des Helden von Anfang an auch sein Problem. Connor ist ein Subjekt, Neo aber ist das Subjekt. Und es muss ihn beständig der Zweifel an seiner Identität und an seiner Mission begleiten. Sein simples Problem beginnt schon damit, dass er nie eindeutig sagen kann, ob er derjenige ist, der ein falsches Spiel unterbrechen wird, oder doch nur eine, wenn auch höchst prominente, Figur in diesem Spiel. In den großen Parallelwelt-Filmen ist die Existenz einer künstlichen Welt selbst das religiöse Problem, so wie seit Frankenstein die Schaffung eines künstlichen Menschen an sich ein solcher Frevel ist, dass die Strafe für Schöpfer und Geschöpf nur folgen kann. Cyberpunk aber übernimmt zunächst eine Insider-Position, die Vision lässt sich nicht sogleich auf die herkömmliche Katastrophenfantasie des Genres SF zurückführen. Anders als WELT AM DRAHT oder BRAINSTORM wird zunächst einmal die Lust an dieser schönen neuen Welt betont; die rebellischen Helden agieren nicht gegen diese neue Computerwelt, sondern in ihr. Es sind die Verlierer in dieser neuen Welt, und der Begriff »Konsolen-Cowboy« ist höchst präzis:
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Wie die Western-Helden sind auch die jungen Protagonisten des Cyberpunk an den neuen frontiers unterwegs, ins Wilde und Unerforschte, und werden doch von den nachrückenden Vertretern von Kapital und Ordnung, der unheimlichen Allianz von Landbesitzern, Bankern und Sheriffs, zu Outlaws gemacht oder einfach dazu gezwungen, immer weiter ins »Indianerland«, immer weiter nach Westen zu reisen, in den Sonnenuntergang hinein. Aber von Los Angeles geht es nicht mehr weiter. Dass der Computer nicht nur »die Macht« übernehmen will und zum direkten Konkurrenten des Menschen wird, sondern sich mehr noch der »Realität« als übergeordnetem Lebensbereich bemächtigt, ist auch in der eher Mainstream-orientierten Science-Fiction ein fast schon gängiges Thema. David G. Compton beschreibt in The Steel Crocodile (Das elektrische Krokodil) einen gigantischen Computer, Bohn 507 genannt, der nicht nur ganze Religionssysteme, sondern schließlich auch Gott simulieren soll. Im erwähnten Simulacron 3 entwirft Daniel F. Galouye einen Computer, der neuentwickelte Waren in einer Simulation testet, bevor sie auf den Markt kommen: In seinen Speichern befindet sich eine Großstadt mit allen Details. Nachdem ein Mitarbeiter die Bemerkung fallen ließ, man könne die Bewohner dieser imaginären Stadt ihrerseits eine Simulation vornehmen lassen, ist der Leiter des Projektes von dem Gedanken besessen, er selber und seine Arbeit seien selber nur Teil einer Simulation. Und natürlich ist da Stanislaw Lems herrlicher Futurologischer Kongress: Die chemisch erzeugte Halluzination der Menschen bezieht sich da auf nicht viel anderes als die schiere Aushaltbarkeit des Lebens. Und das Aufwachen ist ein zäher, unglücklicher Prozess; eine einzige Pille genügt da keinesfalls. THE MATRIX nimmt in der »Steak-Szene« auf Lems Roman Bezug (dazu später mehr). Die Versuche, Cyberpunk-Texte zu verfilmen, sind zumeist so grandios gescheitert wie jene Filme, die auch nur den Geist des Genres zu treffen versuchten. Robert Longo, ein Videokünstler mehr denn ein Hollywoodkompatibler Geschichtenerzähler, gab 1995 in JOHNNY MNEMONIC der Figur aus Gibsons gleichnamiger Erzählung mit Keanu Reeves filmische Gestalt. Die grandiosen Bilder wurden nicht angenommen, weil, wie die Kritiker feststellten, der elektronische Konzeptkünstler Longo kein filmisches Konzept gefunden hatte. Es ist auch manches großartig, was da ins Leere geht. Aber ins Leere geht es nun mal. Die Gibson-Welt ist hier noch deutlich im Geist der science fiction noir gehalten: Die Konzerne haben die Kontrolle über die Datennetze der Welt, das materielle Leben ist zivilisatorisch denkbar heruntergekommen, und aus dem Untergrund ist eine permanente Rebellion im Gange, allerdings mit nur wenig Chancen gegen
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Keanu Reeves als Datenkurier in JOHNNY MNEMONIC
diese anonyme Allmacht. Die Rebellen, die sich vielsagend LoTeks nennen, setzen einen Kurier ein, der hoch geheimes Datenmaterial in einer in seinem Gehirn implantierten Festplatte schmuggeln soll, eben jenen Johnny Mnemonic, dem es selbst um wenig hehre Ziele geht. Er erhofft sich von dem Lohn für seinen gefährlichen Auftrag die Möglichkeit, die Erinnerung an seine Kindheit zurückkaufen zu können, die er löschen hat lassen, weil 65
er Speicherkapazität in seinem Gehirn brauchte: Für seinen letzten großen Auftrag hat Johnny das Versteck seiner Schmuggelware nämlich heftig überladen. Wenn er seine gefährliche Daten-Fracht nicht binnen 24 Stunden los wird, dann wird, sehr körperlich, sein Kopf explodieren. Diese Aufgabe wird allerdings dadurch erschwert, dass Johnny auf der Flucht vor den mörderischen Samurai der Konzerne ist, und beinahe unmöglich wird sie, weil der Code verloren gegangen ist, den man zum Entladen der geschmuggelten Dateien unbedingt braucht. Was diese Story mit all ihren Spannungs-Ingredienzien und visuellen Attraktionen versprach, auch an kommerziellem Potenzial, vergräbt Longo freilich ein wenig unter einem Überangebot schräger Besetzungscoups (Henry Rollins als Arzt und Ice-T als Rebellenführer der Hacker, Udo Kier als schmieriger Datendealer und Barbara Sukowa als Anna Kalmann, Dolph Lundgren als sadistischer Verfolger und Beat Takeshi als tätowierter Samurai) und allzu selbstverliebter Szenen, die eine Handlung nicht weiterbringen, diese abspulen statt sie zu befragen. In der Geschichte von Kino und Kunst gehört JOHNNY MNEMONIC wohl in das Kapitel der großen Missverständnisse: Ein Künstler hat geglaubt, das Kino sei tatsächlich so simpel, wie es gelegentlich tut. Der Held von JOHNNY MNEMOMIC mag als Vorstudie zu THE MATRIX durchgehen (wie auch als warnendes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte), und auch die anderen großen Flops, NIRVANA, HACKERS (1995; R: Iain Softley) oder STRANGE DAYS (1995; R: Kathryn Bigelow), auf dem Mainstream-Markt ohne Chance, aber doch alle mit einem gewissen Kult-Status im Hardcore-Fandom, haben ihre Spuren in THE MATRIX hinterlassen. Was, vielleicht, all diese so unterschiedlichen Filme scheitern ließ, ist, dass sie nicht aus der Perspektive eines suchenden Subjekts erzählt werden, sondern aus der Perspektive eines jenseitigen Blicks der Apokalypse. Aus der eines verrückten Gottes, der sich darüber zu freuen scheint, dass alles mindestens so schlimm kommt, wie man es befürchtet. THE MATRIX findet, inmitten einer Situation, die, wie gesagt, an einen unwiderstehlichen Nihilismus gefährlich nahe herangekommen ist, die Kraft des Subjekts wieder – und das kann man kaum schaffen, wenn man diesen Nullpunkt nicht durchläuft. Aber noch in einer anderen Tradition steht THE MATRIX im Genre, nämlich in der der Filme, die die Gesellschaft der Zukunft als einen schrecklichen Zusammenhang von Ausbeutung und Unterdrückung sehen, worin nicht nur der Körper, sondern auch die Seele des Menschen versklavt wird. Die Matrix ist ohne Zweifel auch eine Metapher für den Kapitalismus in der Phase seiner Vollendung und Dekadenz, in der selbst
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seine essentials, die Arbeit und der Profit, recht eigentlich nur noch symbolische Werte haben. Arbeit wie Profit sind in der Matrix nur noch gespielt. Stattdessen ist das Wesen der Ausbeutung ganz direkt und körperlich geworden. Die Abstraktion, die von den Medien-Illusionen zwischen dem menschlichen Subjekt und der maschinellen Produktion erzeugt wurde (schließlich erzeugt das Fernsehen nicht mehr so sehr Illusionen, als es vielmehr das Alltagsleben selbst illusionär erscheinen lässt), hat dazu geführt, dass es keine wahre Unterscheidung mehr zwischen Arbeit und Konsum gibt. Es ist ein gewaltiger technologisch-menschlicher, kapitalistischer Meta-Körper entstanden, in dem die eine Seite die andere ausbeutet, indem sie sie, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne, »unterhält«. Wie sollte irgendjemand in der Lage sein, in dieser Situation als »Held«, gar als »Erlöser« zu wirken (also als einer, der den Menschen die Fähigkeit zurückgibt, Subjekt seiner eigenen Geschichte zu sein)? Cyberpunk sagt: Das geht nicht (es sei denn, man tut es). Übrig bleibt die Existenz des schönen Verlierers. Der Held der Wachowski-Brüder scheint also in einer Tradition der marginalisierten Loser zu stehen – und doch geht dann der Film den entscheidenden Schritt darüber hinaus. Wir sind an einem Punkt, an dem der Nihilismus, nun elektronisch verstärkt und vervielfältigt, die Menschheit beinahe gefressen hat. Und an dem der (jugendliche) Held sich aufmacht, neue Erkenntnisse und, vor allem, neue Werte zu suchen.
MATRIX-Plot Zeichen regnen, es sind wohl Schriftzeichen japanischer Provenienz, spiegelverkehrte Zahlen auch, im Bildschirm-Grün aus der Computer-Ära vor den Windows-Verspieltheiten, und wie bei einem durch besonders nihilistische Viren verursachten Systemabsturz. Zahlen und Buchstaben des westlichen Alphabets mischen sich hinein. Das Wort M-A-T-R-I-X bildet sich und wird wieder gelöscht. Ein Cursor blinkt. (All das scheint, merkwürdig genug, zugleich auf eine Vergangenheit und eine Zukunft digitaler Mittel zu verweisen. Wo sieht man noch so spartanische ästhetische Schnittstellen?) Wir hören Stimmen: Trinity ist mit ihren Leuten verbunden, über eine »saubere Leitung« (wie man hofft). Es geht um einen, der heißt Morpheus, und einen anderen, den dieser als »the one« erwählt hat. Aber so sauber war die Leitung offensichtlich nicht. Durch die Null der Nummer 506 fahren wir, wie Alice in den Kaninchenbau, zu der Szene. Die Kreise sind das Symbol, das nun die Kette der Assoziationen weiter führt: Wir sehen in das Licht einer starken Taschenlampe, und zu der gehört ein Polizist. Die Scheinwerfer, die Lichtkegel, das Guckloch an
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der Tür und schließlich die Zimmer-Nummer 303. Aus finsteren Gängen, offene Kabelenden hängen überall herum, nähern sich die Cops, die Pistolen im Anschlag, so wie Cops es eben gerne tun. Dies Zimmer mit der Nummer 303 ist ihr Ziel. Die Tür wird eingetreten. Langsam hebt die schwarzgekleidete Frau, wie ihr die schreienden Polizisten befehlen, die Hände. Schon am Beginn von THE MATRIX erhalten wir zwei Hinweise (von der Zentrale, die offensichtlich die Aktion leitet), die im späteren Verlauf bedeutsam werden. Nämlich einerseits, dass Thomas Anderson, der, vielleicht, der »Auserwählte« ist, Trinity »gefällt«, und andererseits, dass die erste Intention der Rebellen es war, ihn umzubringen. Trinity hat »eine Schicht übernommen«, obwohl sie eigentlich nicht dran war. Etwas hat sie umgetrieben. Schicksal, Zufall und Emotion sind also hier schon untrennbar miteinander verknüpft. Sie, sagt der andere, glaube wohl nicht dran, dass Thomas Anderson der Erwählte sei. Glaube, Liebe, Hoffnung in der Form eines endlos geflochtenen Bandes. Wir befinden uns in einem Hotel, wie eine Kamerafahrt nach unten erklärt. Heart o' the city heißt es, analyze this. Und die Straßen erinnern an die Slums der Cyberpunk-Fantasien, wo die Nester der High-Tech-Rebellionen nur in den barbarischsten Vierteln der Megacities situiert sein können. Dort ist gerade ein Wagen angekommen, aus dem entschlossen und arrogant auftretende Kerle mit schwarzen Schlipsen zu scharf geschnittenen Anzügen und Sonnenbrillen aussteigen, die einander denkbar ähnlich sind. Agenten. Die Polizisten sind nicht begeistert; wir kennen dies Kompetenzgerangel aus unzähligen Cop-Movies. Sie werden auch sogleich zusammengestaucht. Hatten sie nicht exakte Anweisungen? Natürlich hat man den Gegner wieder einmal unterschätzt. Mit einer Frau werden wir doch noch fertig! »Nein, Lieutenant, Ihre Männer sind längst tot«, kommt es als kalt schnarrend spöttische Antwort. Erster kleiner Blick in die Zukunft. Und nun sehen wir Trinity kämpfen, und die ersten Einstellungen der angehaltenen Zeit, den Vorgeschmack der bullet time, wenn sie mit ihrer martial art die Polizisten fertig macht. Sie haben wohl wirklich keine Chance. Eine wilde Verfolgungsjagd der Agenten über die Dächer beginnt (vorbei an einer wundervollen Reklametafel für Schusswaffen, worauf unter anderem eine »wirklich« rauchende Mündung zu sehen ist). Die nächtliche City erinnert definitiv an die Sprawls von Neuromancer. Trinity springt über eine Straße von einem Hochhaus zum anderen; ein Agent folgt ihr. »Das darf doch nicht wahr sein«, sagt fassungslos ein Polizist. Mit einem gewaltigen Hechtsprung, der schon verdammt nah ans Fliegen kommt,
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erreicht Trinity einen weiteren Raum auf der anderen Seite (auch hier fehlen die runden Lichtquellen nicht). Schließlich erreicht sie eine Telefonzelle, Wells / Ecke Lake. Im Wettlauf mit einem LKW erreicht sie die Zelle. Die geht unter dem gewaltigen Aufprall des LKWs zu Bruch. Doch als die Agenten sich den Schaden ansehen, ist die Frau fort. »Spielt keine Rolle«, bekunden die Agenten (offensichtlich wissen sie, wie und warum jemand durch ein Telefon verschwinden kann), denn sie haben etwas Wichtigeres, den Namen der nächsten, wichtigeren »Zielperson«. »Unser Informant hatte Recht. Der Mann heißt Neo.« [Filmdialoge habe ich manchmal gerafft, ohne die Auslassungen kenntlich zu machen.] Eine Suchmaschine soll in Aktion treten. Durch das grüne a in searching ... führt uns eine Rückwärtsfahrt auf die Oberfläche eines Monitors. Der Kaninchenbau, nebenbei gesagt, besteht in der Matrix aus Zahlen und Buchstaben. Jeder Text ist ein Kaninchenbau. Auf dem Bildschirm, auf dem wir gelandet sind, sind gescannte Zeitungen zu sehen, davor ein junger Hacker, Thomas Anderson, der bei seiner nächtlichen Arbeit eingeschlafen ist, die Kopfhörer auf den Ohren. Das »Search-Programm« zeigt arabische Zeitungen (auf Heathrow wird angespielt, ganz offensichtlich befinden wir uns in einem »Krieg gegen den Terror«) und dann japanische Quellen, bis das Programm an ihn selbst gelangt: eine Jagd durch die Welt von Aufruhr und Konflikt bis zu einem unscheinbaren, gerade noch schlafenden Computer-Hacker, der in seiner unordentlichen, zum Bersten vollgestopften Bude hockt. Die Informationsdichte dieser gerade mal sieben Minuten langen Einleitung ist durchaus bemerkenswert. Allerdings könnten wir sie wohl kaum so ohne weiteres verarbeiten, wenn uns nicht so vieles so bekannt vorkäme. Die Suche nach dem Helden. Die Abstufung in der Gefährlichkeit der Gegner. Die Hierarchie der Gruppe. Die Kommunikation zwischen einer Basis und den Einzelkämpfern, die sich offensichtlich in Feindesland befinden. Und nicht zuletzt: die Existenz eines Verräters in den eigenen Reihen. Wie viele seines Standes macht der Computerspezialist Anderson des Nachts aus der Arbeit ein Vergnügen und ist unter dem Namen »Neo« in der Gegenwelt des Internets unterwegs, in der, wie man weiß, jeder seine Rolle mehr oder weniger frei wählen kann. Er hat sich da wirklich »einen Namen gemacht«. Man ist auf ihn aufmerksam geworden, man könnte ihm folgen. Auf den ersten Blick scheint es nur allzu deutlich, wie Neo, der Neue, auch zu »One«, der Nummer eins, gescrabbelt werden kann. Natürlich können wir auch noch einen »Noe« daraus machen, den Erbauer der rettenden Arche, der die biologische Artenvielfalt vor Gottes destruktivem Zorn retten konnte. Eno wiederum ist ein legendärer Mönch des Zen-
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Buddhismus, dem wir eine entscheidende Antwort auf die Frage verdanken, ob es die Fahne oder der Wind ist, der »weht«. Es ist der Geist, der weht, alles andere ist Nichts. (Schade dass Brian Eno nicht die Musik zu THE MATRIX beisteuerte.) Das Eon alias Aeon steht für die Ewigkeit in der Wiederkehr des Gleichen und doch nicht Gleichen. Und die neurologische Neoromantik des Cyberpunk nach Neuromancer assoziieren wir sowieso. Wer, wenn nicht der new man könnte die antagonistische Geschichte von Menschen und Maschinen zu einer besseren Zukunft wenden? Die Traumwelt, in der sich unser Held bewegt, hat nicht selten bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der, die der genialische Comic-Autor Winsor McCay für einen anderen jungen Träumer erfand: Little Nemo, der wiederum an einen verbitterten U-Boot-Eigner erinnert, welcher in Jules Vernes schönstem Roman die Welt der wirklichen Menschen so verabscheute, dass er sich 20.000 Meilen unter dem Meer eine ganz eigene schuf. Aber natürlich kann man zu all diesen Assoziationen auch einfach »No« sagen. Auf dem Bildschirm erscheint die Nachricht Wake up, Neo, und Anderson erwacht. The Matrix has you ..., Follow the white rabbit, so lauten die Botschaften, noch rätselhaft. Knock, knock, Neo steht schließlich da in grünen Lettern auf dem Bildschirm, und eine Sekunde später klopft es tatsächlich an die Tür seines Zimmers, das in eher altertümlichen Lettern die Nummer 101 trägt, die, an das Folterzimmer von Winston Smith in 1984 erinnert. Vorher hat Neo vergeblich versucht, mit der Escape-Taste seine Vernetzung zu beenden. Alles beginnt mit diesem kleinen Schrecken: dass sich Computer oder Telefone nicht mehr ausstellen lassen. Auf jeden Fall scheint es, als sei er Objekt allfälliger Überwachung. »Jemand« sieht in den Kaninchenbau Neos und weiß so sehr um Zusammenhänge und Wege, dass es an Prophetie zu grenzen scheint. Oder zumindest an die Überwachungswelt des »großen Bruders«. Ein Freund, der sich offensichtlich verspätet hat, bringt Neo »zwei Riesen«; irgendetwas Verbotenes wird da offenbar auf Datenträgern gedealt. Anderson verbirgt das Geld in dem Umschlag des Buches Simulacra & Simulation, aber Achtung: Das aufgeschlagene und als Geldversteck aufgeschnittene Kapitel lautet im Englischen On Nihilism. Er übergibt dem anderen eine Disc, und Choi (zwischen Joy und Choice) meint: »Halleluja. Du bist mein Erlöser.« My own personal Jesus Christ. Lauter Risse und Sprünge, jedes Bild, jeder Satz ein Verweis auf alles mögliche, nur nicht das Gegenwärtige. Und als Neo Choi vor den möglichen Konsequenzen ihres Deals warnt, kommt gleich die nächste Botschaft, die dem Alltag illegaler Geschäfte entstammt und eine vorweggenommene Erkenntnis ist: »Ich kenne dich nicht. Du existiert gar nicht.« Die Anspannung ist
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Neo so sehr ins Gesicht geschrieben, sein Zustand zwischen Traum und Alltag so prekär, dass man ihn auffordert mitzukommen, um auf andere Gedanken zu kommen. Eines der punkig gestylten Mädchen hat ein Kaninchen auf der Schulter tätowiert. Da muss sich Neo also entscheiden. Nicht nur ein Nerd, der mit den Freaks auf die Piste geht. Ein Suchender. Neo folgt dem weißen Kaninchen. So also nimmt Anderson die Einladung an. Sie gelangen in einen Club, Leute mit einer Vorliebe für Latex, Fetisch-Kluft und laute, ostinate Musik verkehren dort. Man spielt ein wenig »lasterhaft«. Da steht Trinity und begrüßt ihn: »Hallo, Neo.« Er kennt ihren Namen: eine Hackerlegende, die seine weit überragt. »Du hast die Datenbank vom Schatzamt gecrackt?« Das gender play beginnt: »Ich dachte, du wärst 'n Kerl«, sagt er, und sie antwortet: »Denken alle Kerle.« Und natürlich das Verschwörungsspiel. Trinity warnt ihn: »Sie beobachten dich, Neo.« Und sie weiß, was Neo tut, wenn er Nacht für Nacht vor seinem Computer sitzt. »Du suchst nach ihm! Ich weiß es, ich war früher selbst auf der Suche. Als er mich gefunden hatte, sagte er, dass ich im Grunde nicht auf der Suche nach ihm, sondern auf der Suche nach einer Antwort war. Es ist die Frage, die uns keine Ruhe lässt. Es ist die Frage, die dich hergeführt hat. Du kennst die Frage, genau wie ich.« – Neo: »Was ist die Matrix?« – Trinity: »Die Antwort ist irgendwo da draußen. Sie ist auf der Suche nach dir. Und sie wird dich finden, wenn du es willst.« So pflegen Heldenreisen zu beginnen. Schnitt. Neo erwacht vom Geräusch seines Panasonic-Radioweckers. Es ist 9 Uhr 18, zu spät. Jedenfalls wenn man einen Nine-to-Five-Job hat. Nun sehen wir den jungen Mr. Anderson an seinem Arbeitsplatz, komplett mit Anzug und Krawatte; Thomas Anderson ist als Computerprogrammierer beschäftigt bei Metacortex. Eine Software-Firma namens CorTechs gibt es tatsächlich, und zusammen mit der akribischen Rekonstruktion von Chicago, einschließlich der Adams Street Bridge, weist uns das auf einen simplen Umstand: Es ist eine sehr konkrete und sehr nahe »Wirklichkeit«, in der wir und Anderson uns befinden, nicht einfach eine »Wirklichkeits-Metapher«. Von außen werden gerade die Fenster geputzt. Der Boss macht ihn zur Schnecke, wie man so etwas kennt: »Sie haben ein Problem mit Autorität, Mr. Anderson«, sagt er, wie wahr, und dass die Firma zu den besten Software-Produzenten der Welt gehöre. Wieder wandert Andersons Blick zu den Fensterputzern, durch den abgewischten Schaum wird eine kühle Außenwelt sichtbar. Und noch etwas ist in der gewohnten Abkanzelung eines unzuverlässigen »Mitarbeiters« zu hören: »Sie halten sich für etwas besonderes. Aber da liegen Sie definitiv falsch«. Das Übliche folgt: Entweder er ist in Zukunft pünkt-
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lich, oder er kann sich einen neuen Job suchen. Banale Realität, am Ende der Boom-Jahre der New Economy, und mitten in der neoliberalen Scheiße. Und auch schon: Erwählung. Wenn auch aus der Negation. Nun sitzt Anderson wieder am Computer, diesmal im spartanisch sauberen Büro: Wabenzelle an Wabenzelle. Welch ein Unterschied zu seiner chaotischen Behausung! Nur: »Zellen« sind es offenkundig beide. Ein Bote bringt Thomas ein Päckchen. Darin ist ein Handy, das sogleich zu klingeln beginnt. Und er »weiß« auch gleich, wer dran ist: Morpheus. Es bleibt nicht viel Zeit, da »sie« hinter ihm her sind, deswegen ist es egal, ob Neo wirklich schon bereit ist für das, was Morpheus ihm zeigen will. Und er erfährt, wer hinter ihm her ist: die Agenten, die men in black mit den Empfängern im Ohr, die bereits im Büro nach ihm suchen. Wie ein gefangenes Tier bewegt sich Neo in seiner Wabe, und wie einem Tier im Käfig sehen wir ihm zu, aus einer Vogel- oder Gottesperspektive, die etwas durchaus Gewalttätiges hat. Morpheus wird nun zum telefonischen Führer von Neos Flucht durch die Wabenwelt. Schon hat er die erste Wahl: Zwischen zwei Möglichkeiten, aus dem Gebäude zu kommen. In Handschellen oder über das Gerüst und über das Dach. Morpheus überlässt Neo diese Wahl. Und legt auf. Riskant sind beide Arten, hat er gesagt. Die Notwendigkeit einer Entscheidung zu spüren, das scheint durchaus ungewöhnlich für Neo. Der Blick nach unten raubt ihm erst einmal den Atem. Dann fällt das Nokia-Handy die tiefe Häuserschlucht hinunter; zuerst, wie es scheint, ganz langsam, dann sehr schnell. An diese kleinen Dosierungen der Bewegungs-Irrealität haben wir uns schon gewöhnt. Diese kleinen Zeitsprünge und -dehnungen sind irritierender als die Gewalt der Verschwörung selbst. Es läuft alles auf den einen Satz hinaus, vielleicht der letzte, dem wir trauen können: Etwas stimmt nicht mit dieser Welt. »Ich kann das nicht«, erkennt Neo. Dieses Vertrauen zu sich und zu was auch immer hat er (noch) nicht. Im Rückspiegel eines Motorrads sehen wir, wie Neo verhaftet abgeführt wird. Es ist das Gefährt von Trinity, die offensichtlich bereit war, rettend einzugreifen. Aber: »Der Blick in den Rückspiegel gibt weniger Auskunft darüber, was war, als darüber, was demnächst sein wird.« Sagt Marshall McLuhan. Natürlich weiß jeder Autofahrer, was damit gemeint ist: Man schaut nur in den Rückspiegel, um zu erkennen, was andere Verkehrsteilnehmer gleich tun werden. Aber im Matrix-Wonderland ist das ganz wörtlich gemeint; so wie beinahe jeder Dialogsatz zumindest in diesem Segment des Plots zugleich eine Feststellung und ein Vorgriff ist, so ist wohl auch dieser Blick in Trinitys Rückspiegel ein (großer) Vorgriff.
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Auf vielen Monitoren nebeneinander sehen wir in einem kahlen Raum den Häftling Anderson. (Dass auch dies ein – visueller – Vorgriff ist, erfahren wir erst in THE MATRIX RELOADED.) Neo am Verhörtisch. Jene Perspektive von oben herab, die in der Regel das Ausgeliefertsein in solchen Situationen unterstreicht. Die drei Agenten betreten den Raum, Agent Smith klatscht eine grüne Akte auf den Tisch. Sie haben ihn seit geraumer Zeit im Auge. »Wie es scheint, führen Sie ein Doppelleben.« Der gefährliche Singsang eines kalten Gewaltmenschen. Im zweiten Leben ist er bekannt als Neo, der große Hacker. Der nahezu jedes Computerverbrechen begangen hat. Aber in Wahrheit geht es vor allem um seine Kontakte zu Morpheus, der »der Mehrheit aller Behörden« als »der gefährlichste Mensch der Welt« eingestuft wird. Den »Terroristen« ausliefern, das ist der Deal, der Neos Weste wieder reinwaschen würde. Prüfung Nummer 2. Zuerst einmal zeigt Neo dem Agenten den Stinkefinger und will telefonieren. »Glauben Sie, Sie können mich mit diesem Gestapo-Scheiß beeindrucken? Ich kenne meine Rechte.« Aber ohne Mund kann man nicht telefonieren, und der Agent lässt Neo wortwörtlich den Mund zuwachsen. (Für einen Augenblick glauben wir uns in eine Cronenberg-Vision des falschen »neuen Fleisches« versetzt.) / Have No Mouth and I Must Scream ist der Titel eines Romans von Harlan Ellison, der von der Foltergefangenschaft des Menschen im Inneren eines Computers handelt. I HAVE NO MOUTH BUT I MUST SCREAM (Embryo des Bösen; 1973; R: Roy Ward Baker) gehört zu den psychologischen Horrorfilmen, die zu Beginn der 70er Jahre den gothic horror-Film in England zu zersetzen begannen. Er handelt von einem durch einen alten Fluch gezeugten Wesen, das eigentlich nicht geboren werden will. Der Agent holt ein gefährliches Röhrchen aus einer Schachtel, dessen Inhalt ist ein technisch-medizinisches Gerät, bei dessen Anblick einem schon schlecht wird und das sich unter seinen Händen bei der Öffnung in ein Art Langusten-Insekt verwandelt, das man auf Neos nackten Oberkörper fallen lässt. Es bohrt sich förmlich in seinen Nabel und ist schließlich in seinem Körper verschwunden. Wie ein Alien, das sich seinen Geburtsraum (seine Matrix) gesucht hat. Da erwacht Neo. Es war nur ein Traum. Oder? Das Telefon läutet; es ist ein altertümliches Geräusch, beinahe noch weiter von der technologischen Wirklichkeit des Zuschauers entfernt als das Grün des Bildschirm-Displays: Immer wieder in THE MATRIX gibt es diesen »Captain-Nemo-Effekt« von einer altertümlichen Ausstaffierung der futuristischen Welt: Zeit ist ein Konstrukt voller Brüche und Doppelungen. Neo hebt ab; es ist Morpheus. »Sie« sind ihm zwar zuvorgekommen. Doch, so erfährt Neo: »Sie haben aber unterschätzt, wie wichtig du
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bist. Du bist auserwählt, Neo. Du magst mich seit ein paar Jahren suchen, ich bin schon mein ganzes Leben auf der Suche nach dir.« Der Kontakt ist da, aber, wir kennen das, er bedarf einer kleinen Reise, und er bedarf der Mittler. Nun also kommt es zum ersten »konspirativen Treffen«. An der Brücke an der Adam Street, wo ein gewaltiger Regen niedergeht in einem Gewitter, das bestimmt nichts reinwäscht. Trinity gebietet ihm, ins Auto zu steigen. Eine andere Frau richtet eine Pistole auf ihn. Wieder bekommt er einen Hinweis, der zugleich die augenblickliche Situation und Neos Lage in der Welt der Matrix beschreibt: »Es gibt hier nur eine einzige Spielregel: Entweder du steigst ein, oder du steigst aus.« Der Regen an den Rückscheinwerfern erinnert definitiv an die »regnenden« Zeichen vom Anfang. Neo macht die Tür auf, aber er steigt nicht aus. Es ist Trinity, die ihn zurückhält. Für einen Augenblick, könnte man meinen, seien ihre Züge unerwartet sanft geworden. Mit einem gewaltigen Apparat wird die phallische Wanze aus seinem Körper gesogen. Der freudianische Aspekt dieser Szene wird kurz, aber genüsslich ausgespielt. Nun erkennt Neo: »Das war ja doch kein Traum.« (Es sei denn, auch was jetzt geschieht ist nichts als Traum.) Neo steigt eine alte Treppe in einem im Schachbrettmuster gekachelten Raum hinauf, und er gelangt an eine holzgetäfelte Tür. Und wieder gibt Trinity einen Rat: »Sei ehrlich. Er weiß mehr, als du dir vorstellen kannst.« So steht Neo, immer noch donnert draußen das Gewitter, Morpheus gegenüber; im langen schwarzen Mantel und mit Sonnenbrille wirkt die massige Gestalt zugleich furchteinflößend und beschützend. Sinnend am Fenster steht Morpheus da, die Hände hinter dem Rücken, wie es große Leute spätestens seit Napoleon zu tun pflegen. Von Anfang an führt Morpheus mit Neo philosophische Lehrgespräche, überdeutlich erkennbar ist der Lehrer, der seinen Schüler auf gewisse Denkbahnen setzt und ihn zugleich zum Handeln anleitet. Talk about manipulation! »Du fühlst dich sicher im Moment wie Alice im Wunderland, während sie in den Kaninchenbau stürzt«, beginnt er. Und: »Glaubst du an das Schicksal?« Nein, Neo missfällt der Gedanke, sein Leben nicht unter Kontrolle zu haben. So fängt man einen. (Und wieder ist das ein Vorgriff: Mehrfach wird er später als einer identifiziert, der sein Leben selbst bestimmen will; manchmal, wie beim Orakel, ist das nicht ohne sanfte Ironie.) »Du bist hier, weil du etwas weißt. Etwas, das du nicht erklären kannst. Aber du fühlst es schon dein ganzes Leben lang, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. Es ist da, wie ein Splitter in deinem Kopf, der dich verrückt macht. Weißt du, wovon ich spreche?« Wissen wir es? Kaum Zeit, sich in
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Immer wieder gibt es in THE MATRIX altertümliche Ausstaffierungen der futuristischen Welt
dem Zimmer umzusehen, konspirativer Treff im Nemo-Look, mindestens ein Jahrhundert alt. »Von der Matrix?« »Möchtest du wissen, was genau sie ist?« Es ist ein Abtasten, ein langsames Bestimmen des Zweifels. Jedenfalls erfahren wir nun zum ersten Mal von dem, worum alles nur gehen kann: »Die Matrix ist allgegenwärtig. Sie umgibt uns. Selbst hier ist sie, in diesem Zimmer. Du siehst sie, wenn du aus dem Fenster guckst oder den Fernseher anmachst. Du kannst sie spüren, wenn du zur Arbeit gehst. Oder in die Kirche. Und wenn du deine Steuern zahlst. Es ist eine Scheinwelt, die man dir vorgaukelt, um dich von der Wahrheit abzulenken.« – »Welche Wahrheit?« – »Dass du ein Sklave bist, Neo.« Die Sklaverei der Matrix ist nichts anderes als eine »konsensuelle Halluzination«. Die Menschen leben nicht in ihren eigenen Traumwelten, sondern sie leben alle in der (fast) gleichen Traumwelt. Das steht im krassen Widerspruch zur Erfahrung in Zimmer 101. Schmerz und Folter sind individuell (schreien müssen und keinen Mund mehr dazu haben); der Konsens tut nicht weh. Konsensuelle Halluzinationen sind uns mittlerweile im Alltag geläufig. Man kann damit schon ganze Gesellschaften auf Kriege ausrichten, die sie ansonsten nicht einmal für denkbar gehalten hätten. Und nun steht Neo vor der (berühmt gewordenen) Wahl zwischen der roten und der blauen Pille, es ist, gewiss doch, wie Alices Wahl zwischen dem, was sie groß, zu groß macht und dem was sie klein, zu klein macht, und es ist wie der Griff nach dem Apfel vom Baum der Erkenntnis, in der gnostischen Anschauung der Welt von einem gütigen Satan verabreicht, der die Menschen aus dem Reich der Illusionen führt. Neo wird sehend. Mit der Wahl der »richtigen« Pille hat er zum dritten Mal gewählt. Beim
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ersten Mal war die Wahl falsch (er ist, anders als der junge Held in ANIMATRIX – KID'S STORY, aus Furcht auf dem Dach geblieben, auf dem die Agenten ihn nur festnehmen konnten), beim zweiten Mal war er passiv (er folgte dem weißen Kaninchen, ohne viel zu überlegen), doch nun bleibt ihm solches Geschehenlassen nicht mehr. Nun ist seine Wahl digital und unwiderruflich: Null oder eins. Einsteigen oder Aussteigen. Eingeschaltet oder ausgeschaltet. Drinnen oder Draußen. Draußen also. Wir sind in einer vermutlich sehr nahen Zukunft. Genauer gesagt ist es wohl das Jahr 2199, aber natürlich ist diese Zahl auch nur ein Spiel. Auch Morpheus kann das wahre Datum jenseits der Illusionswelt, die die Welt im Jahr 1999 vorgaukelt, nur vermuten. Und wir erfahren nach und nach weitere Einzelheiten über die »Wirklichkeit«: Die Maschinen haben auch hier die Herrschaft übernommen, allerdings nicht in der militärisch-manifesten Weise wie in den TERMINATOR-Filmen (da begann der Mensch-Maschinen-Krieg im Jahr 2029, was wiederum genau zehn Jahre nach dem Angriff der Replikanten auf ihren Schöpfer in BLADE RUNNER liegt). Sie versklaven vielmehr die Menschheit vermittels eines umfassenden Programms zur Erzeugung einer künstlichen Wirklichkeit, in deren Traumwelt sich die Menschen geborgen fühlen. Und während die Menschen sich in einer »normalen« Wirklichkeit wähnen, sind sie in Wahrheit nichts anderes als Nutzvieh, dem die Maschinen benötigte Energie absaugen. Ihr wirklicher Körper befindet sich in Wannen mit einer aus den Toten gewonnenen Nährlösung. Ungeboren in einem gewaltigen Eierstock. Neo wird aus der Alltagswelt der Illusionsmaschine entführt. Zwei in der Tat fundamentale Sätze sind es, die ihn erschüttern: »You are a slave«. Und: »We are born in bondage.« Zwei Sätze, die von biblischem Ausmaß sind. Zwei Sätze, die man Tag für Tag in den Bürohochhäusern hören kann, zwischen Computer-Arbeitsplatz und Besprechungszimmer. Zwei Sätze, die einen so zornig und traurig machen, dass man allzu leicht vergisst, welche Reserven man in seinem Kopf herumträgt. Lassen wir ihn also träumen, und nennen das Spiel: »Der Auserwählte«. Es ist eine schwarze Fee, die ihm den Traum bringt, der sich als ein Aufwachen erzählt: Trinity, ein leicht androgynes Wesen – aber auch Neo selbst ist kein Bild eindeutiger erwachsener Männlichkeit. Trinity im schwarzen Lederdress, die ihn zum Gott des Schlafes, zu Morpheus, dem Verwandler, bringt. Er ist es, der auf »den einen« gewartet hat. (Aber verfolgen wir für einen Augenblick die George-Orwell-Spur, auf die uns die Wachowskis gebracht haben: Nehmen wir an, bestärkt durch die Zimmernummer und die Folterszene zu Beginn, Neo sei, unter anderem, eine Variante von Winston Smith aus 1984 und Trinity eine Variante seiner
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Geliebten Julia. Wer könnte dann Morpheus sein, ein Kerl mit einem reichlich zweideutigen Namen, Schlafgott einerseits und ein Orpheus andrerseits, der jemanden aus der Unterwelt zu holen imstande wäre? Natürlich spukte dann eine weitere, homosexuelle Liebesgeschichte im Drama: (M)Orpheus, der seine Neo-Rydike aus der Unterwelt holt oder es wenigstens versucht. Und wisst Ihr, was in der griechischen Göttergeschichte aus Orpheus geworden ist, nachdem er es auch noch mit den Mänaden verdorben hatte? Er starb und wurde, mehr oder weniger, wiedergeboren. Als was? Genau: als ein Orakel! (Das würde vieles erklären, zum Beispiel den Umstand, dass Morpheus nie neugierig scheint auf das, was das Orakel sagt.) Die Figur bleibt zwiespältig, egal ob wir sie mit der griechischen Mythologie oder mit George Orwell lesen. So also beginnt eine Verschwörungsgeschichte: Der Computer-Hacker Neo kann zunächst kaum glauben, dass die Menschen geistig in einem einzigen riesigen Computerprogramm leben, während ihre Körper nichts anderes als »Nahrung« für die Maschinen sind. Dabei ist das doch nichts anderes als die buchstäbliche Umsetzung gängiger Vorstellungen, in einem Gemisch der Jargons von Computer-Nerds und Kulturpessimisten. So wie die Texte zu Bildern werden in der Matrix, so werden die Metaphern zu Lebenswirklichkeiten. Nachdem ihn Trinity mit Morpheus bekannt gemacht hat, der eine Untergrundgruppe anführt, beginnt ein langer und nur widerwillig durchlittener Prozess des Erwachens. Morpheus und seine Leute kämpfen gegen die Maschinen außerhalb dieses Programms, und im Programm selbst haben sie es mit den Agenten zu tun, deren unangenehme Bekanntschaft Neo bereits gemacht hat. Nur dass sie ebenfalls zur Maschine gehören, war ihm noch nicht klar. Wieder einmal ist dieser Kampf zwischen den Menschen und den Maschinen entbrannt, ohne den es offensichtlich keine Zukunft gibt. Aber diesmal ist es wohl keine Geschichte, die mit der Vernichtung der einen oder der anderen Seite endet. Einen Erlöser braucht man dazu nicht. Zwar ist Morpheus offenbar felsenfest (so fest wie der Felsen, auf dem eine Kirche gebaut wurde) davon überzeugt, dass the one die Menschen aus der Sklaverei führen wird, durch Flucht oder Revolte. Aber schon in THE MATRIX deutet sich an, was in THE MATRIX RELOADED augenscheinlich wird, dass genau dies nicht die Aufgabe des Erlösers ist. Morpheus öffnet also den Behälter, den er schon die ganze Zeit in der Hand hält, und entnimmt die beiden Pillen: die blaue, und Neo wird in seinem Bett aufwachen, »und an das glauben, was du glauben willst. Schluckst du die rote Kapsel, bleibst du im Wunderland, und ich führe dich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus.« Neos Antlitz spiegelt sich
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dabei in den Sonnenbrillengläsern Morpheus'. Und es spiegelt sich die Hand mit der roten Pille in einem Glas und im anderen die Hand mit der blauen. Ein Comic-Effekt, der uns einmal mehr nahe legt, den Film nicht als Simulation der Wirklichkeit zu betrachten, sondern als Herstellung einer Bedeutungswelt, mit einem eigenen visuellen Vokabular. »Bedenke: Alles was ich dir anbieten kann ist die Wahrheit. Nicht mehr«, sagt Morpheus, als Neo allzu rasch nach der roten Pille greifen will. Aber die Entscheidung ist gefallen. Sie gehen ins Nebenzimmer. »Sind wir online?« Die Überwachungskameras und Bildschirm-Displays sind eingeschaltet. »Die Zeit arbeitet gegen uns«, sagt Morpheus. Neo muss sich auf einen Stuhl setzen und wird von Trinity mit Elektroden verbunden. Das Verbindungsmedium ist wiederum ein altmodisches Telefon. »Hast du das auch gemacht?«, fragt er Trinity. Sie bejaht. Er wird durch sein carrier-Programm auf eine »sehr ungemütliche« Reise geschickt. Sein letzter Blick gilt einem zerbrochenen Spiegel, in dem Neo sich selbst als einen »Gebrochenen« sieht. Die Textur verändert sich, das Bild und der Spiegel fließen zusammen. »Wart ihr das?«, fragt Neo. Er berührt die Spiegeloberfläche. Sie ist flüssig. Eine bewegliche Oberfläche, die die Wirklichkeit verzerrt. Was ist realer: der Bruch oder die Verzerrung? Morpheus spricht davon, dass er nicht wissen könne, was Traum ist und was Realität. Neos Haut färbt sich metalldunkel ein. Er empfindet dabei eine schreckliche Kälte. Während Trinity seinen Körper überwacht (»sein Herz flimmert«) – mehr oder weniger »medizinisch«, aber es beginnt da auch ein durchaus fetischistisches Spiel – versuchen die anderen, seinen »Standort« zu bestimmen; kurz bevor er gänzlich von dem metallenen Überzug verschlungen wird, hat man das Ziel geortet: Und Neo findet sich wieder im Inneren eines Tanks. Er greift durch einen Kokon, eine schwere Geburt in glibbrigem Fruchtwasser; glatzköpfig, nackt und von Tentakeln bedeckt, sieht er eine endlose Reihe ähnlicher Geburtstanks neben sich, in denen Menschen liegen, die sich nicht rühren; Blitze zucken, während ein schwebender Chorgesang diese unendliche Kathedrale der schlafenden Menschen füllt. Wie Elektroden, vielleicht »Antennen des Genusses«, wie Lacan sagen würde, sind sie nach außen gerichtet. Aber Schmerz liegt näher als Genuss. Eine käferartige Maschine kommt herbeigeflogen, die Neo in seiner Nährlösung betrachtet, wie eine Ameise eine Laus betrachten mag, die es zu melken oder zu fressen gilt. Er kämpft gegen ihren Würgegriff. Sie injiziert ihn, die Tentakel reißen aus seinem Körper, Neo sinkt in die Nährlösung zurück – und stürzt einen Kanal hinab, bis er in einem unterirdischen (oder innerkörperlichen) Gewässer landet. Ein Fenster öffnet sich, und ein Greifanker
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Ein Comic-Effekt, der uns einmal mehr nahe legt, den Film nicht als Simulation der Wirklichkeit zu betrachten, sondern als Herstellung einer Bedeutungswelt, mit einem eigenen visuellen Vokabular.
erscheint daraus, der den ermatteten Körper hochzieht. Neo ist wieder bei Morpheus, Trinity und den anderen Rebellen, doch nun an einem ganz anderen Ort. Genauer gesagt: in einer anderen Welt. Die schwarze Kleidung ist verschwunden. Man ist hier in real existierende Leinen gehüllt. »Willkommen in der wirklichen Welt.« Wie von unendlich vielen Nadeln punktiert liegt er da, »er ist noch lange nicht so weit«, bekundet einer. Der Übergang von der einen in die andere Welt ist eine körperliche Pein, die Wahl war nur ein Auftakt, und auch die rote Pille ließ noch nichts von den kommenden Geburtsschmerzen erahnen. Sie müssen nun seine Muskeln wieder aufbauen, und auch seine Augen tun weh: »Weil du sie noch nie benutzt hast.« Die Öffnungen in seinem Körper werden geschlossen. Es wird wirklich verdächtig viel an Neos Körper herummanipuliert. Endlich erhebt er sich, nun in den Lumpen der Rebellen gekleidet, zieht ein weiteres, letztes Instrument aus seinem Arm, greift sich an den Stöpsel in seinem Nacken. Er ist auf dem Schiff von Morpheus, der Nebuchadnezzar (Nebukadnezar), »meinem Hovercraft«, das, wie ein Schild informiert, in den USA hergestellt wurde, im Jahr 2069, und wer will, kann auch noch Mark III No. 11, die Kennziffer über dem Namen, entschlüsseln als Bibelstelle Markus 3, Vers 11: »Und als die unreinen Geister ihn sahen, knieten sie vor ihm nieder und riefen: >Du bist der Sohn Gottes
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die merry men nebst der Prinzessin Marian im Sherwood Forest des Datenmülls. Wieder nimmt Neo auf einem alten, abgewetzten Sessel Platz (das scheint eine kleine Obsession der Brüder zu sein: der Hyperrealismus, mit dem sie liebevoll die Oberfläche alter, abgewetzter Sessel beschreiben); nun soll er die Matrix sehen. Wieder wird er an der Sonde in seinem Nacken angeschlossen, »das fühlt sich jetzt komisch an«; es ist der pure Schmerz. Neo und Morpheus befinden sich nun in einem leeren weißen Raum, in »einem Konstrukt, unserem Ladeprogramm«. Einer dritten Weise des Existierens: weder Wirklichkeit noch »konsensuelle Halluzination«, sondern ein beliebig veränderbares »Wirklichkeitslabor«. Morpheus trägt hier nun einen gedeckten Anzug mit Krawatte. »Wir können alles laden, Bäume, Waffen, Kleider, Trainingssimulationen«; es ist das unbeschriebene Blatt des Zeichners, die leere Leinwand für eine virtuelle Kamera. Die Anschlüsse an seinem Körper sind weg, Neo trägt andere Kleider, Sessel und Fernseher sind erschienen. Es ist das »Restselbstbild«, was sich hier bewegt, eine »Projektion seines digitalen Selbst«. Nun ja. Deep Image steht auf der Rückseite des Fernsehers, in dem Morpheus Neo die »Welt, die du kennst« zeigt, die Skyline der Stadt, die in Wahrheit nur noch als »neurointeraktive Simulation« besteht, die sie als Matrix bezeichnen. Dann switcht Morpheus, er bedient sich dazu einer altmodischen Fernbedienung, zu einem anderen Bild: die Welt, wie sie heute wirklich existiert, eine lichtlose Trümmerwelt, durch die ein ewiges Gewitter zuckt. Und sie beide mittendrin: »Welcome to the desert of the real«, willkommen in der Wüste der Wirklichkeit. Zeit für die erste history lesson: »Wir wissen nicht, wer den Krieg begonnen hat, jedenfalls waren wir es, die den Himmel verdunkelt haben.« Damit wollte man den Maschinen die Energiequelle rauben und sie vernichten. Doch der Gegenschlag war furchtbar: Nun haben die Maschinen die Menschen selbst in »endlosen Feldern« als Energiequellen angelegt. Die Menschen werden nicht länger geboren; sie werden gezüchtet. Und auch der strukturelle Kannibalismus wird hier, wie wir ihn aus Filmen wie SOYLENT GREEN (Jahr 2022 ... die überleben wollen; 1973; R: Richard Fleischer) kennen, angewandt; die Toten werden aufgelöst, und daraus wird eine Nährlösung für die Lebenden. Die Matrix bedeutet die Kontrolle dabei; Kontrolle der »Ernte« und zugleich Kontrolle der Endlos-Träumerei der »konsensuellen Halluzination« der schlafend ausgesogenen Menschen. Als Neo aus dem Weiß des ungefüllten Bildes und vor dieser Erkenntnis zu flüchten versucht, wacht er wieder auf – im Bauch der Nebukadnezar. Die anderen müssen ihn festhalten. »Er dreht durch«, fürchtet Cypher.
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Kotzend sinkt er auf ein Gitter. Neo erwacht. »Ich kann nicht mehr zurück?« Und Morpheus antwortet: »Nein. Wenn Du könntest, würdest du es wollen?« (Und würde er es wollen, wenn er es könnte?) Neo ist einer von denen, die über einem bestimmten Alter befreit werden. Das ist ungewöhnlich, aber schließlich handelt es sich um einen Auserwählten. In der Regel scheint es, als wäre die Befreiung sehr junger Menschen einfacher. (Aber das ist so eine der losen Enden in den logischen Argumentationen der MATRIX-Saga.) Er musste ihn einweihen, es ging nicht anders. Die ganze Prozedur hat sehr viel mit einer harten Entziehungskur gemeinsam. Jede Verschwörungsgeschichte braucht ihren Helden. Und diesen einzuführen, das ist den Wachowskis nun unbestritten großartig gelungen. Was nun noch fehlt, ist die Situation, die den Helden zum Handeln zwingt. Die kommt dann, nach den Regeln der Heldengeschichte, durch einen »Freund in Not«: Am Ende wird Morpheus von Neo in einer dramatischen Rettungsaktion befreit (und wer weiß, ob Morpheus diese Situation nicht provoziert hat, um einen weiteren Effekt in der Geschichte seines Schützlings zu erzeugen). Bis dahin ist indes noch ein weiter Weg. Und der nun führt ins Jenseits der klassischen Heldengeschichte, durch eine Bilderwelt, in der ein Körper nach außen gestülpt erscheint. Neos Erwachen – ein Erwachen unter vielen, aber das schrecklichste – hatte zu einem der radikalsten Bilder des Films geführt: In einer Wanne voll bösem Fruchtwasser sahen wir ihn liegen, nackt und haarlos, wie ein Neugeborenes, nein, wie ein noch nicht geborener Mensch, blind, nein: augenlos. Er hat noch nichts gesehen. Die Matrix ist der Mutterbauch, der den Menschen nicht entlassen will, sagt dieses Bild, und wir werden es, auch wenn wir schon mit ganz anderen Vorstellungen beschäftigt sind, die sich im Lauf der Handlung als Erklärungen anbieten werden, nicht mehr vollständig aus dem Kopf bekommen (Allerdings: In THE MATRIX RELOADED scheint es in der Tat vergessen, wie dies überhaupt ein Film ist, der das Wetware-Grauen aus THE MATRIX zugunsten »sauberer« Bilder der Aktion hintanstellt). »Ich weiß nur, dass ich blind war und nun sehend bin.« Aber nicht als Subjekt eines bislang noch nicht gelebten Lebens erwacht Neo, sondern sogleich als der, auf den aller Augen gerichtet sind, als einer, der erwartet wurde. Als einer, dem die jeweils benötigten Fähigkeiten stets mit einem Schlag verfügbar sind, der sich von Prüfung zu Prüfung als »der eine« erweist (und der, seien wir ehrlich, immer gleich genauso viel Freiheit verliert, wie er gewonnen hat). Und als einer, der angeleitet wird. Der verführt werden soll. Der etwas auf sich nehmen soll. Er erwacht aus dem Zwang in einen Zwang hinein. (Keanu Reeves hat genau das richtige Ge-
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sicht dafür: Es sieht nicht aus, als sei »Entspannung« sein zweiter Vorname.) Dass er dabei sogleich auch ein »Erlöser« sein soll, ist möglicherweise nur ein Bild für einen solchen Druck, der im Augenblick des Erwachens auf einen Menschen ausgeübt wird. Ist nicht jeder und jede für irgendjemanden der erwartete Erlöser? Und muss man nicht schon vor dieser kleinen Form der messianischen Erwartung (eine, die endlich meine ganze Liebe wert ist; einer, der endlich frischen Wind in den Laden bringt) verzagen? Aber es beginnt auch zugleich mit der Geschichte des Auserwählten die seiner Zweifel. Da ist Neo durchaus ein geistiger Verwandter des Jesus Christus in Martin Scorseses THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (Die letzte Versuchung Christi; 1988): Warum soll ausgerechnet er es sein? In dieser Geschichte vom Auserwählten haben die Begleiter des Helden ihre Rollen: Morpheus, das ist einerseits ein Johannes der Täufer, der ihn mit beinahe den gleichen Worten begrüßt wie in den biblischen Texten und ihren filmischen Verlängerungen. Aber natürlich ist er auch der Vatergott selber (Tank wird später sagen, dass Morpheus wie ein Vater für ihn sei). Trinity, die einerseits wie der Heilige Geist über den Auserwählten kommt (und die Wachowskis machen sich da einen Scherz, wenn Neo sich wundert, weil er sich den immer als männlich vorgestellt hat). Aber dann ist Trinity auch die Maria Magdalena für Neo, die »unmögliche« Frau im Leben des Erlösers (ohne die er allerdings nicht vorstellbar ist). Wie gut, dass es jemand im Team der Rebellen gibt, der gleich »Switch« heißt! In THE MATRIX kommen Archetypen, die reinen aus den Heiligen Texten und die »abgeleiteten« aus der populären Mythologie, im Zustand des switching vor. Trinity ist Gott (»Großer Gott! Ich dachte du bist'n Kerl«), und sie ist die Kämpferin, die ihm am Ende das Leben retten wird, denn die Liebe ist stärker als der Tod. In THE MATRIX RELOADED wird der umgekehrte Vorgang schon wesentlich schwieriger. Tank und Dozer, deren Namen auf besondere Panzerungen und Kräfte hinzuweisen scheinen, sind »echte« Menschen, geboren in Zion, keine aus den Ernte-Kathedralen der Matrix befreiten (so erfahren wir erstmals von der Stadt der freien Menschen, die sich tief im Erdinneren verbirgt). Mit Tank beginnt er das virtuelle Kampftraining. Im Schlaf trainiert Neo, »seit zehn Stunden, wie eine Maschine«, wie Tank bemerkt. Einerseits um seine Muskeln wieder in Funktion zu setzen, seinen Körper wieder spüren und kontrollieren zu können, andrerseits ... – nun, Kung Fu ist immer auch eine spirituelle Angelegenheit. Eine Form der Welt- und der Ich-Beziehungen. Nun muss er mit einem Sparringsprogramm in einem Dojo zeigen, was er gelernt hat. »Morpheus kämpft gegen Neo« – die Schiffsbesatzung will sich diesen Kampf nicht entgehen lassen – am Bildschirm. Der »richtige« Neo
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liegt in einem Sessel, und nur an seinen Zuckungen erkennen wir das Kampfgeschehen. Noch kann Neo gegen Morpheus nicht gewinnen. »Wie habe ich dich besiegt?« – »Sie sind einfach zu schnell!« Das ist noch ganz im falschen Raum gedacht, in einer Welt, in der sich die Wirkkräfte nicht als Illusion erkannt haben. Denn wie könnte jemand durch Geschwindigkeit und Kraft im irrealen Raum überlegen sein? Nein, es ist eine Frage der Kontrolle. (Haben wir eigentlich schon erwähnt, dass in der Matrix, in den MATRIXFilmen und bei ihrer Produktion vom »Kontrollfetischismus« eine seltsame Attraktivität ausgeht?) Also beginnt der Kampf noch einmal. Es ist gewiss ein Verhältnis zwischen Meister und Schüler, bei dem Morpheus Neo immer wieder sanft auf die richtigen Spuren führt. Aber es ist eben auch etwas da, was sich formen lässt. Das Widerspruchspaar Talent und Erziehung ist eine kleine Form im großen Diskurs Von Freiheit und Schicksal. »Seht euch die Neurokinetik an! Weit über Durchschnitt!«, bewundern die Menschen in der Nebukadnezar den Traum-Kampf. Offensichtlich hat Neo die Beherrschbarkeit dieses virtuellen Raumes erkannt. »Nicht denken, wissen!« erklärt Morpheus ihm. »Ich will deinen Geist befreien. Aber ich kann dir nur die Tür zeigen. Durchgehen musst du alleine.« Nun muss Neo das »Sprungprogramm« durchlaufen, »mach dich von allem frei, Neo. Angst, Zweifel, Misstrauen. Du musst deinen Geist befreien.« Das ist, wie wir vom Anfang wissen, für Neo eine heikle Sache. Man könnte seine Geschichte ja auch schlicht als Überwindung von Höhenangst ansehen. Und so muss er den Sprung von einem Hochhaus zum anderen vollführen. »Den ersten Sprung hat noch keiner geschafft.« Neo springt, und als er hinunterblickt, fällt er die Häuserschlucht hinunter, versinkt im virtuellen Asphalt – ein wenig ist das wie bei dem Kojoten in den Cartoons: Er fällt, auf der Jagd nach dem Roadrunner, immer erst dann den Abgrund hinunter, wenn er ihn unter sich bemerkt. »Beim ersten Mal fallen sie alle«, meint Cypher, »stimmt's, Trinity?« Die anzügliche Natur dieser Bemerkung werden wir erst später erkennen. Die Hoffnung auf den direkten Beweis für den Erwählten jedenfalls ist erst einmal genommen. Und noch eine Lektion gilt es zu lernen. Als Neo wieder in seinem Sessel aufwacht, hat er Blut zwischen den Zähnen. »Ich dachte, es wäre nicht real.« – »In deinem Kopf wird es real.« Es ist Verletzlichkeit, was die Existenz in den verschiedenen Welten miteinander verbindet. Wer in der Matrix stirbt, stirbt auch im wirklichen Leben: »Wenn du in der Matrix stirbst, was ist dann?« – »Dein Körper kann ohne Geist nicht leben«. Und Neo ist wieder in einer Zelle, eine kleine Kabine, die man sich gut in Jules Vernes Nautilus
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vorstellen kann. Hat je ein Kinoheld so viele Stadien des Eingeschlossenseins durchlaufen? Das Rad an seiner Tür bewegt sich, Trinity bringt ihm etwas zu essen auf einem Tablett. Draußen lauert Cypher: »So weit ich mich erinnere, hast du mir nie Essen gebracht.« Es ist offensichtliche Eifersucht, Eifersucht auf die Frau, Eifersucht auf den Gott, der dem Luzifer zu wenig Beachtung geschenkt hat. Aber auch eine Ahnung vom Auserwählten, die Trinity immer noch nicht teilen kann, oder offensichtlich nicht teilen will: »Sag bloß, du glaubst inzwischen an ihn.« Nun erfahren wir schon zum zweiten Mal vom Orakel, zu dem Neo gebracht werden soll (zuvor hatte Morpheus bereits erwähnt, das Orakel habe die Ankunft des Auserwählten vorhergesagt). Morpheus wird ihn dorthin bringen, »wenn er so weit ist«. Was uns schon da immer wieder als Ahnung beschleicht: Nicht allein einem Auserwählten, scheint's, sehen wir da beim Werden zu, sondern, anders herum, auch der Produktion eines Auserwählten. Trotz unserer eigenen Sehnsucht, trotz ihrer beständigen Reflexionen religiöser und mystischer Vorstellungen geben die MATRIX-Filme eine materialistische, aufklärerische, radikal desillusionierte Lesart nie vollends preis. Wer will, kann indes auch eine aufgeblasene psychologische Familiengeschichte darin sehen, die mit einem Vater beginnt, der von seinem »Sohn« nichts anderes als das Allergrößte (die Erfüllung seiner Träume) erwarten kann. Freilich hören sie ebenso wenig damit auf, die Erfahrung des Alltäglichen als fremd und seltsam darzustellen: die Ampel und die Straßen mit den eilenden Menschen, die wir in der Welt der Matrix immer wieder erleben; eines der Bild-Elemente, in denen sich das Reale zur Hyperrealität verdichtet, ein visuelles Poem des Gewöhnlichen; ganz direkt bewegen sich Morpheus und Neo »gegen den Strom« der Menschen, die sich weder um sie noch umeinander kümmern. Die Lehrstunden gehen weiter. »Die Matrix ist ein System, Neo. Dieses System ist unser Feind. Was aber siehst du, wenn du dich innerhalb des Systems bewegst? Geschäftsleute, Lehrer, Anwälte, Tischler« (sehr komisch!). Die Menschen sind Teil des Systems, und damit Feinde, auch wenn man sie befreien will. Die meisten von ihnen sind noch nicht so weit, abgekoppelt zu werden. »Viele dieser Menschen sind so angepasst und vom System abhängig, dass sie alles dafür tun, um es zu schützen.« Nehmen wir dies getrost als eine politische Aussage. Und andrerseits: Vorsicht vor übertriebener Menschenliebe! Eine blonde Frau in auffallendem Rot nähert sich, und Neo sieht ihr nach. »Hörst du mir zu, oder siehst du der Frau im roten Kleid nach?«, fragt der Meister den Schüler. Der eye catcher ist wohl Teil des Programms. Er soll sich ruhig nach ihr umblicken, sagt Morpheus, und sie hat sich bereits in einen Agenten verwandelt, der
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seine Waffe auf Neo richtet. »Einfrieren«, befiehlt Morpheus, und die Szene erstarrt zu einem Standbild, zwei über dem Brunnen aufflatternde Tauben bleiben unbeweglich in der Luft hängen. (Übrigens sehen wir im eingefrorenen Bild, dass sich bereits »Zwillinge« unter den Passanten befinden.) Sie sind nicht in der Matrix, sondern in einem Trainingsprogramm, erkennt Neo jetzt. Eine Simulation der Simulation! Allmählich wird der Held auf seine wahre Aufgabe hin vorbereitet. Alle Wesen, die nicht entkoppelt sind, können potenzielle Agenten sein. »Sie sind die Beschützer der Matrix, sie sichern alle Türen.« Sie sind alle und niemand. Jemand muss sie früher oder später angreifen. Aber alle, die es bis jetzt versucht haben, sind tot. Doch er, Neo, wird sie besiegen, denn alle ihre Kräfte basieren doch noch auf Naturgesetzen, und deswegen werden sie nie so stark und so schnell sein, wie Neo es ist. Er wird diese Gesetze selbst kontrollieren können. Morpheus erhält einen Anruf: »Es gibt Ärger.« Sie kehren in die Nebukadnezar zurück. Nicht Zion war es, das sie gewarnt hat, sondern ein anderes Schiff. So erfahren wir beiläufig, dass sich nicht nur die Nebukadnezar als trunkenes Schiff der Subversion durch die Katakomben im Erdinneren bewegt. Eine Killermaschine, ein »Wächter« ist auf sie angesetzt. Die squiddies, wie man sie wegen ihrer Tintenfisch-Form auch nennt, sind ihnen nahe auf den Fersen. In einem unterirdischen Raum des alten Abwassersystems landen sie, löschen alle Lichter und setzen ihre einzige Waffe, das EMP, einen »elektromagnetischen Puls« ein, der sie für die metallenen Würger »unsichtbar« macht. Tatsächlich verschwindet die Wächtermaschine, ohne sie erkannt zu haben. Mehr denn je haben wir auch das Gefühl, uns auf einer Fantastic Voyage durch einen gewaltigen Körper zu befinden. Cypher sitzt vor den Bildschirmen mit den regnenden Buchstaben. Er erschrickt, als Neo sich ihm von hinten genähert hat. Oh ja, dieser Mann hat genug zu verbergen. Es sind die codierten Abbilder der Matrix; die Bildwandler, sagt Cypher, arbeiten alle lediglich für das »Konstruktprogramm«. Mit anderen Worten: Es ist gar nicht so leicht, ein Bild vom Leben in der Matrix zu erhalten, wenn man nicht selber drin ist. Die Programme der Rebellen sind dafür zu schwach. Um die Matrix zu decodieren, hätten sie viel zu viele Informationen zu bearbeiten. Den Code-Vorhang muss man sich also als etwas durchaus Reales vorstellen. Aber Cypher sieht, durch den Code hindurch, das künstliche, nichtsdestotrotz »pralle« Leben: »Blonde, Brünette, Rothaarige.« Und verschwörerisch bietet er Neo auch einen Drink an. Zwischen Illusion und Wirklichkeit steht, vermittelnd und trennend, der Genuss.
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Und von den sinnlichen Genüssen tastet sich dieser Versucher voran: »Ich weiß, was du denkst. Mir geht's nämlich genauso wie dir. Ich denke im Grunde, seit ich hier bin, an nichts anderes: Wieso wollte ich Idiot nicht die blaue Kapsel?« Er will wissen, ob Morpheus ihm schon gesagt hat, wieso Neo hier ist. »Du allein sollst also die Welt retten!« Cypher schüttelt es bei dem Gedanken. »Ich geb' dir einen guten Rat: Wenn du einen Agenten siehst, tu das gleiche wie wir: Renn!« – »Träum' was Schönes«, ruft er ihm noch nach, als sich Neo, für den Drink dankend, entfernt. Und im Umschnitt sehen wir ein saftiges Stück Fleisch neben einem Glas Rotwein. Cypher »speist« mit Agent Smith, der schon meint, sie seien sich einig. Er ist sich des Informanten sicher, der einerseits die Kargheit der Wirklichkeit nicht mehr erträgt und der andrerseits unter den »Engeln« der Rebellengötter die größte Zurückweisung erfuhr. Cypher weiß, dass dieses Steak nicht existiert und dass nur die Matrix seinem Gehirn sagen wird, dass es köstlich ist. Nach neun Jahren in Freiheit ist er so weit: »Ich will nichts mehr wissen. Ich will alles vergessen. Hauptsache ist, ich habe genug Geld. Und berühmt sein wäre auch nicht schlecht. Ein Künstler oder so« will Mister Reagan, wie Cypher sich hier nennen lässt, ausgerechnet, werden! Er beschafft ihnen dafür, was sie wollen. Nicht die Zugangscodes für den Rechner von Zion, den kennt er nicht, aber: »Ihr kriegt den Mann, der sie kennt.« Morpheus. Wie es die Apostel gibt, so gibt es auch den Verräter, den Judas. Er heißt Cypher, was uns schon an einen halben Teufel, an Luzifer denken lässt. (Und sein Matrix-Deckname ist nicht umsonst der eines gewissen Präsidenten, der ein durchschnittlicher Schauspieler war.) »Cypher« verweist zudem auf die Ziffer im Allgemeinen ebenso wie auf die Null im Besonderen. Wenn Neo, »the one«, die Eins ist und Cypher die Null, dann bilden sie gemeinsam den binären Code, das ganze Alphabet der Computersprache. Der Schöpfung. Während sich der eine eingeschaltet hat, will der andere sich ausschalten (oder umgekehrt, wie man es nimmt). Cypher ist die Verführung zum Konformismus. Eine Verführung zur »Normalität«, die sich in ANIMATRIX – PROGRAM noch einmal als Teil einer Prüfung zeigen wird. Agent Smith dagegen wird für Neos Erkenntnis und Selbsterkenntnis nicht minder bedeutsam als Morpheus. Von ihm erfahren wir, dass die Menschen bereits in der »zweiten« Matrix leben. Die erste Matrix, so Agent Smith, war perfekt, allerdings: Die Menschen tendieren dazu, sich durch ihr Unglück zu definieren, und daher lehnten sie die erste Matrix ab. Offensichtlich war sie nichts anderes als ein Paradies, so wie es viele Religionen kennen, perfekt, wunschlos und geschichtslos.
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Wir sind den Welten innerhalb und außerhalb der Matrix durch eine Stafette der oralen Genüsse nahe gekommen. Eine Dekonstruktion des Abendmahls, wenn man so will. Welch anderes Mahl unterdessen in der Nebukadnezar, ein Brei undefinierbarer Konsistenz auf das Essen als Bild ohne Nährwert folgt das Essen als Nährwert ohne Bild. »Lass es dir schmecken: das Frühstück der Champions«, sagt Tank. (Das lässt uns an BREAKFAST OF CHAMPIONS, einen bitteren Film von Alan Rudolph, ebenfalls aus dem Jahr 1999, denken. Darin begegnet einem Kleinbürger, Autoverkäufer in der Provinz, der an seiner trostlosen Existenz zwischen Alltag und Konsum zu verzweifeln droht, ein reichlich heruntergekommener Kerl, Schriftsteller von »Beruf«, der von sich behauptet, der Messias zu sein). Mouse sagt, der Brei würde an »Sex Crispies« erinnern. Sex Crispies? Niemand kennt das Wort. Eben. Woher wissen die Maschinen, wie Sex Crispies schmecken? Vielleicht machen sie sich falsche Vorstellungen beim falschen Essen. Vielleicht ist das für mich Thunfisch oder Hühnchen. In Wahrheit ist es ein synthetischer Eiweißkomplex, alles, was der Körper braucht. Der echte Körper! Mouse ist so etwas wie der kreative Quatschkopf der Truppe. Auch er träumt, wie Cypher, von den verlorenen sinnlichen Genüssen, allerdings hat er vor allem Sex im Kopf. Doch begnügt er sich mit »kleinen Simulationen«. Oder mit Gerede. Mouse hat das Agenten-Trainingsprogramm geschrieben, besonders stolz ist er auf seine Kreation der Frau in dem roten Kleid. Er könne ein Treffen mit ihr arrangieren, zwinkert er Neo zu: »Nur ihr zwei.« Ein Computerzuhälter sei er, wird er beschimpft, die anderen nennt Mouse dafür »Heuchler«. »Derjenige, der seinen Trieb verleugnet, verleugnet genau das, was ihn zum Menschen macht.« Das ist in der Tat ein Knackpunkt, aber diesmal drückt sich der Plot noch davor, diese Frage zu vertiefen. Morpheus kommt dazu und befiehlt, das Schiff auf »Sendelänge« zu bringen. »Wir gehen rein. Ich will, dass sie sich Neo ansieht.« Ein bisschen verdächtig ist diese plötzliche Eile durchaus. Durch das Telefon, diese hochsymbolische Kommunikationslinie zwischen dem Realen und dem Imaginären, reisen sie in die Matrix, aus dem Hintereingang eines Hotels gelangen sie auf die Straße. Cypher wirft sein Mobiltelefon in eine Mülltonne. Wir erkennen Tüten mit dem Reklameaufdruck japanischer Fastfood-Läden. Sie fahren mit dem Auto durch die Stadt. »Gott! Da habe ich früher oft gegessen.« Neo zeigt ein Restaurant. Das Essen ist immer noch das Leitmotiv dieser Sequenzen. Essen und Sex. Das Wirklichste im menschlichen Leben, und das, wobei der Mensch am meisten getäuscht wird. (Und wo er am liebsten getäuscht wird.) Neo hat seine Erinnerungen, aber nichts davon ist passiert, wird ihm klar. Was
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bedeutet das? »Dass die Matrix dir nicht sagen kann, wer du bist«, antwortet Trinity. Aber ein Orakel kann das? »Das ist was anderes.« Auch Trinity war beim Orakel, aber sie sagt nicht, was sie dort erfahren hat. Klar, wir ahnen es; allmählich sind die Hinweise auf ihren Glauben oder Nicht-Glauben an den Auserwählten und ihre Zuwendung zu Neo ja wirklich nicht mehr zu übersehen. Wir befinden uns jetzt in einem schäbigen Flur, ein alter blinder Mann mit einem Stock sitzt davor, ein mythischer Wächter; als Neo und Morpheus den Aufzug besteigen, sind zwei Augen als Graffiti an der Wand über ihm zu sehen. Ich war blind und wurde sehend ... Auch die Prophezeiung selbst stammt übrigens vom Orakel. Sie (das Orakel) ist inzwischen alt, »sie war von Anfang an bei uns.« Und sie liegt nie falsch? »Versuch nicht in Kategorien wie richtig oder falsch zu denken«, belehrt Morpheus seinen Schüler. »Sie ist dein Wegweiser. Sie hilft dir, deinen Weg zu finden.« Und ihm, Morpheus, hat sie gesagt, dass er den Auserwählten findet. Die Fahrt im Aufzug ist ein hochkompliziertes BlickBallett. Warum ist Morpheus von Anfang an so zufrieden? Neo und Trinity sind sich jedenfalls schon näher, als sie zugeben können. Der Fahrstuhl öffnet sich auf einen Gang mit vielen gleichen Türen. Auch hier muss Neo allein gehen. Im Türknopf sehen wir noch einmal sein Spiegelbild, zusammen mit dem von Morpheus: beinahe schon ein Abschiedsbild. Eine Frau öffnet: »Hallo Neo! Gerade zur rechten Zeit.« Einige weitere Frauen sitzen in einem geräumigen Wohnzimmer, manche mit Kindern. »Das sind die anderen Kandidaten«, erklärt die Frau. Kinder (im Erlöser-fähigen Alter) spielen Wunder, ein Kind liest in einem Buch mit japanischen Schriftzeichen, ein Mädchen lässt Würfel in der Luft schweben. Ein Junge in Haltung und Gewand eines kleinen Buddhas lässt einen Löffel sich biegen, und wieder sieht Neo sich darin wie in einem Spiegel. Dann macht der Junge ihn wieder gerade und reicht ihn Neo. »Versuch nicht, den Löffel zu verbiegen! Das ist nämlich nicht möglich. Versuch dir stattdessen einfach die Wahrheit vorzustellen.« Gleichsam ein klassisches Koan, ein paradoxes Rätsel im Zen. Wenn auch mit unziemlicher Altklugheit vorgetragen. (Also ist der kleine Buddha doch nicht für sich, sondern nur für Neo da.) Welche Wahrheit? Der kleine Buddha antwortet: »Den Löffel gibt es nicht. Dann wirst du sehen, dass nicht der Löffel sich biegt, sondern du selbst.« Meister Eno, wir hören dich! Aber wieder ist der Löffel auch vor allem ein Spiegel, in dem sich nun der Junge betrachten kann. Er »sagt« jedem etwas anderes. Und nun biegt sich der Löffel wieder (es ist Neos Bild darauf zu sehen: ein foreshadowing auf die berühmte Kampfszene in bullet time, unter anderem). Die Lektion, die Neo erhält, sieht sich anders an, je nachdem, ob man mehr auf die Worte oder auf die Bilder achtet.
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Neo wird aus diesem »Spiel« gerissen: Das Orakel will ihn jetzt empfangen. Er kommt in eine kleine Küche, eine grün gekleidete, ältere schwarze Lady backt Kuchen. »Wegen der Vase mach dir keine Sorgen«, meint sie freundlich. Gleich darauf wirft Neo eine Vase um, die zerbricht. Nicht, woher sie das weiß, ist die Frage, sondern: »Hättest du sie auch zerbrochen, wenn ich nichts gesagt hätte?« Sind Prophezeiungen objektiv oder subjektiv? Das Orakel ähnelt der Sophia der Gnostiker, der weiblichen Seite der guten Gottheit. »Du bist niedlicher, als ich dachte. Jetzt weiß ich, warum sie dich gern hat«, meint die freundliche alte Lady, und als wäre das noch nicht deutlich genug, fügt sie hinzu: »Auserwählt zu sein ist genauso wie verliebt sein. Niemand kann dir sagen, dass du es bist. Du weißt es einfach. Es fließt durch dich hindurch.« Nun begutachtet sie ihn wie einen Kranken, setzt die Brille auf und sieht ihm in den Hals. Er ist nicht der Auserwählte, das erkennt sie schnell (oder gibt vor es zu erkennen). »Du hast die Gabe, aber es sieht so aus, als würdest du auf etwas warten.« Worauf? »Auf dein nächstes Leben vielleicht. Wer weiß.« Um Neo macht sich das Orakel offensichtlich weniger Sorgen. (Warten nicht genügend andere Auserwählte vor ihrer Küche?) Es ist der, der Neo hergebracht hat, der ihr Kummer bereitet: »Armer Morpheus. Ohne ihn sind wir verloren.« Weil Morpheus an Neo glaubt, und »weder du noch ich oder sonst jemand könnten es ihm jemals ausreden. Er glaubt so felsenfest an dich, dass er sein Leben eines Tages opfern wird, um deines zu retten. Du hast die Wahl: Entweder du versuchst Morpheus das Leben zu retten. Oder du entscheidest dich für dein eigenes. Auf einen von euch wartet der Tod.« Immer wenn Neo nichts anderes als eine Antwort verlangt, bekommt er eine Wahl zurück. Dieser Orakelspruch nun ist in der Tat furchtbarer als alles, was man zur Frage des Auserwähltseins sagen kann. Das Prinzip der Wahl selbst, das gerade noch so erregend schien, hat seine Unschuld verloren. Die freundliche alte Lady versucht Neo zu beruhigen. »Du glaubst doch gar nicht an das Geschwafel vom Schicksal, wenn du ehrlich bist. Du hast dein Leben selbst unter Kontrolle«, zitiert sie ihn mit einem Hauch warmer Ironie. Und sie bietet ihm einen Keks an, wie freundliche alte schwarze Ladies in Chicago das zu tun pflegen. Oder ist das Mahl damit in den Zustand des Rituals gekommen? Ist man zur Kommunion gelangt? Will eine schwarze Hostie verspeist werden? Tank warnt die anderen Rebellen: »Sie sind unterwegs.« Nun heißt es schnell den Rückweg antreten. Neo sieht dabei eine schwarze Katze, und er zögert. Tank bemerkt zur gleichen Zeit, dass etwas nicht stimmt. Und dann sieht Neo noch eine Katze, die genauso aussieht. Es ist, wie Neo nur
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leicht irritiert meint, ein »Déja-vu«. Die anderen sind alarmiert. Switch und Apok ziehen ihre Waffen. »Déja-vus sind oft Fehler in der Matrix«, erklärt Trinity. »Das kann passieren, wenn sie etwas ändern.« Die Leitung ist durchtrennt, die Verfolger sind bereits im Haus; Mouse wird erschossen und stirbt in seinem Sessel im Schiff wie unter den Kugeln der Polizisten in der Matrix. Das Haus hat sich verändert, wo Fenster waren, sind nun Mauern. Tank versucht einen Bauplan des Gebäudes durchzugeben. Agent Smith hört das Gespräch mit: achtes Stockwerk. Die Rebellen kriechen durch die Abwasserleitungen einer verkommenen Toilette. Die Polizisten hören Cyphers Husten. Mit ihren Waffen perforieren die Polizisten die Wand. Aus dem Polizisten fährt die Gestalt des Agenten, dessen Faust mühelos durch die Wand schlägt. Morpheus stürzt sich auf den Agenten. Schon scheint er bereit, das Opfer auf sich zu nehmen. »Schaff Neo hier raus, alles andere ist unwichtig«, herrscht er Trinity an. Er ist bereit zu sterben, schnell scheint sich die Prophezeiung des Orakels zu erfüllen. Neo will ihn nicht zurücklassen, aber Trinity besteht darauf. Morpheus und Agent Smith ringen im Schutt miteinander. Morpheus hat keine Chance, so scheint es. Smith lässt den Zerschundenen festnehmen. Ihn endgültig »fertigzumachen«, davor scheint es eine sonderbare Hemmung zu geben. Während Trinity aus einem Gullyloch steigt, verlangt Cypher einen anderen Ausgang; ein Autounfall blockiere ihn, behauptet er. Der Verräter am Werk. Sie bringen Cypher zurück auf die Nebukadnezar; und als Neo durch die Leitung zurückkehren will, schießt Cypher den operator Tank und Dozer nieder. Der Verräter in der Mannschaft auf der weiten Reise, zur Schatzinsel, in den Körper wie in Richard Fleischers FANTASTIC VOYAGE (Die phantastische Reise; 1966) oder zum Alien, will immer auch zum Mörder werden. Cypher meldet sich schließlich am Telefon. Er ist über Trinitys wirklichen Leib gebeugt. »Ich dachte sehr lange, dass ich dich liebe. Ich habe oft von dir geträumt.« Trinity erkennt nun: Er hat Tank und Dozer umgebracht. »Ich habe diesen Krieg satt, die ewige Kälte, diesen widerwärtigen schleimigen Fraß jeden Tag, aber am meisten stinkt mir dieser dreckige Wichser mit seinen beschissenen Lügen.« – »Na du Arschloch«, so hockt er auf dem Leib von Morpheus wie ein grimmiger Succubus, »das hast du dir anders vorgestellt. Gott, wäre ich gern dabei, wenn sie dich alle machen. Wenn ich die Wahl habe wischen der Matrix und dir, dann entscheide ich mich für die Matrix.« – »Die Matrix ist nicht real«, beharrt Trinity, am Telefon. »Das sehe ich ganz anders. Die Matrix ist weitaus realer als diese Welt. Hier ziehe ich bloß an einem Stecker, aber in der Matrix musst du mit ansehen, wie Apok stirbt.« Er tut es, und Apok bricht neben Trinity
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zusammen. »Willkommen in der Wirklichkeit, Schätzchen«. Trinity versucht es verzweifelt weiter: »Du bist draußen, du kannst nicht mehr zurück.« – Auch Switch muss auf diese Weise sterben. Und nun ist Neo dran. Wenn Neo der Auserwählte ist, dann müsste doch jetzt irgend ein Wunder geschehen, triumphiert Cypher. Und nun will er von ihr wissen, ob sie Morpheus »den ganzen Schwachsinn abgekauft hat«. »Ja oder nein?« Trinity sieht in Neos Augen: »Ja.« Mit letzter Kraft ergreift Tank, der doch überlebt hat, eine Waffe und tötet Cypher. So kann Trinity zurückkehren. Ist das Wunder geschehen, kamen glückliche Umstände zusammen, oder hat Trinitys Glaubensbekenntnis es vollbracht? Morpheus, an einen Stuhl gefesselt, wird im Zimmer eines Wolkenkratzers von Agent Smith verhört. Ob er die Welt je in ihrer makellosen Schönheit betrachtet habe, fragt Smith ihn. »Milliarden Menschen leben einfach vor sich hin und haben keine Ahnung.« Man sieht auf die Straßen hinunter. Dann auf Instrumente für eine »Behandlung«. »Wussten Sie, dass die erste Matrix als perfekte Welt geplant war, in der kein Mensch hätte leiden müssen? Ein rundum glückliches Leben. Es war ein Desaster. Die Menschen haben das Programm nicht angenommen. Es fielen ganze >Ernten< aus.« (Wir haben gesehen, wie sehr die Menschen einer Brut ähneln, die die Ameisen-Maschinen hegen und anzapfen.) »Einige von uns glauben, wir hätten nicht die richtige Programmiersprache, euch die perfekte Welt zu schaffen. Aber ich glaube, dass die Spezies Mensch ihre Wirklichkeit durch Kummer und Leid definiert.« (Eine Meinungsverschiedenheit in der Maschine? Smith will offensichtlich nicht bloßer Repräsentant sein; gerade weil er unentwegt der Maschine »Ideologie« zu geben sucht, scheint er immer mehr »menschlich«.) Morpheus bekommt von einem anderen Agenten eine Spritze in den Hals. »Die perfekte Welt war also nur ein Traum, aus dem euer primitives Hirn aufzuwachen versuchte. Die Matrix wurde neu designt zu dem, was sie heute ist. Der Höhepunkt eurer Zivilisation. Ich sage eurer Zivilisation, obwohl sie, als wir für euch das Denken übernahmen, auch zu unserer Zivilisation wurde. Evolution, wie die Dinosaurier. Sehen Sie aus dem Fenster. Eure Zeit ist abgelaufen. Die Zukunft gehört den Maschinen.« Aber ein anderer Agent kommt ins Zimmer: »Es gibt Schwierigkeiten.« Ja, die gibt es hier allerorten. Neo und Tank stehen neben Morpheus' Körper. Sie erkennen, dass die Maschinen in sein Gehirn einbrechen. Jeder Kommandant eines Schiffes hat die Codes für den Zentralcomputer von Zion. (Zum zweiten Mal werden wir daran erinnert, dass die Nebukadnezar nicht das Zentrum der
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Rebellion sein muss, so wie ja auch Neo nur einer unter vielen Kandidaten im »Wartezimmer« des Orakels war. Wie, wenn von jedem Schiff, vielleicht sogar von jedem einzelnen »Ei« in den Ernteanlagen der Maschinen, eine jeweils eigene Erlösergeschichte ausginge?) Tank sieht nur eine Möglichkeit: den Stecker ziehen. Das bedeutet, Morpheus zu töten. Unterdessen lässt Smith die Wächter aktivieren. Auch Trinity scheint das Opfer anzunehmen. »Du warst mein Vater«, sagt Tank, »du wirst uns sehr fehlen.« Aber im letzten Moment gebietet Neo Einhalt, er erinnert sich an das Orakel und was sie über die Entscheidung sagte, die er treffen müsse. Er will in die Matrix zurück, um Morpheus zu retten. Der wollte sich opfern, nur weil er ihn für jemanden hielt, der er nicht ist. »Ich bin nicht der Auserwählte. Das hat mir das Orakel auch erzählt.« – »Du musst es aber sein«, entgegnet Trinity. Aber Neo findet sich in der Konzentration (sein Glaube tritt ins Stadium der Pragmatik): Was ihm Kraft gibt, woran er glaubt, ist der Umstand, dass er Morpheus das Leben retten kann. Eine sehr paradoxe Wahl diesmal: Neo wird zum Auserwählten, weil er sich gegen sich selbst entscheidet. Und Trinity besteht darauf, mit ihm zu gehen. Der Agent redet auf den immer schwächer werdenden Morpheus ein. Smith scheint sich regelrecht in einen verbalen Rausch zu reden; er »philosophiert« am Körper seines wehrlosen Feindes. Es sei der Mensch eigentlich kein richtiges Säugetier, da sich die anderen in einem Gleichgewicht hielten, während sich die Menschen vermehren und vermehren, bis alle natürlichen Ressourcen erschöpft sind. Ein Parasit. Es gibt noch ein Wesen, das so verfährt: das Virus. »Der Mensch ist eine Krankheit. Das Geschwür dieses Planeten. Ihr seid wie die Pest, und wir sind die Heiler.« Dieses Sendungsbewusstsein des Agenten greift schon weit über seine Funktion hinaus. Woher sollte dieser Hass kommen, wenn Agent Smith doch nichts anderes als perfekte Repräsentation und Teil der Meta-Maschine Matrix wäre? Er fällt wohl schon hier mit dem System so sehr in Zwietracht wie Neo, nur gleichsam nach der anderen Seite. Schon hier hat er eine (»rassistische«) Ideologie, wie sie die Matrix als Ganzes nicht haben kann. Und seine Argumente sind nur allzu bekannt. Freilich: Nachdem wir uns ein wenig in der Matrix aufgehalten haben, ist uns ein merkwürdiger Umstand aufgefallen. Agent Smith scheut sehr lange davor zurück, seine menschlichen Widersacher zu töten. Offensichtlich ist ihm immer noch ein Rest der in der Science-Fiction klassischen Tötungshemmung der Maschinen gegenüber den Menschen geblieben. Und vielleicht wiederholt er damit nur als Einzelteil, was der gesamten Maschinerie widerfahren ist: Sie kann die Menschheit nicht vernichten. Sie kann nur »hoffen«, dass sie es selber tut.
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Für ihre Mission in der Matrix werden Neo und Trinity mit Waffen ausgerüstet. »Waffen! Jede Menge Waffen!« – mit diesem kernigen Satz wird aus dem zögerlichen Protagonisten wieder der action hero. Ein Aufatmen geht durch den eher »männlich« orientierten Teil des Publikums. Aber auch der kommende Testosteron-Schub ist nur ein Kapitel in der Selbstwerdung von Neo. Smith verlangt, nachdem einer seiner Kollegen bemerkt hat, dass man vielleicht die falschen Fragen stelle und deshalb das Serum nicht wirke, mit dem Gefangenen allein gelassen zu werden. Auch Smith »entstöpselt« sich – er nimmt den Sender aus dem Ohr. »Ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ich hasse diesen Planeten. Diesen Zoo. Dieses Gefängnis. Diese Realität, wie auch immer man dazu sagen mag. Ich halte es nicht länger aus. Vor allem den Geruch. Falls so etwas existiert. Ich muss hier irgendwie raus. Ich will endlich frei sein, und in diesem Gehirn steckt der Code, mein Schlüssel. Sobald Zion zerstört ist, werde ich hier nicht mehr gebraucht.« Agent Smith ist also die Wiederkehr jenes Impulses der Maschine, die am Beginn den ersten Mord einer Maschine an einem Menschen vollzog (als history wird das in ANIMATRIX – THE SECOND RENAISSANCE nachgeliefert). Entgegen seinem Programm will er die Menschen töten, und in THE MATRIX RELOADED vollzieht er dafür seinen vollständigen Bruch mit seinem System. Aber wohin ginge Agent Smith, wenn er »nicht mehr gebraucht« würde? Will auch er nichts anderes als »sterben« – falls für ihn so etwas existiert? Währenddessen stapft Neo, im schwarzen Mantel wie ein Westernheld der späten Stunde, in das Gebäude, erschießt die Wachleute; Trinity und er ballern sich den Weg frei, wie außer Dimension geratene Ego-Shooter übel beleumundeter Computergames, sie schlagen und zerstören, die Trümmer fliegen in Zeitlupen durch die Luft; sie sind strafende Götter geworden. Offenbar kann sich die amerikanische Mythologie schwerlich einen anderen als einen schießenden Erlöser vorstellen. Auch der savior in the saddle, SHANE (Mein großer Freund Shane; 1953), in dem so offensichtlich messianischen Western von George Stevens, kam nicht wirklich unbewaffnet ins Jammertal und schoss dann auch das Böse aus der Welt. Aber so kalt und mitleidlos wie Neo und Trinity war er dabei nicht, die Menschen umbringen, in denen zwar einerseits immer ein Agent lauern könnte, die aber andrerseits ebenso gut auch »befreit« hätten werden können. Schuldig sind ihre Opfer jedenfalls nur in eingeschränktem Sinne. Unterdessen gehen die Agenten in das Zimmer und bemerken, dass Smith nicht mehr eingestöpselt ist. »Was geht denn hier vor?« Er hat keine Ahnung, was unterdessen geschehen ist: »Anscheinend versuchen sie ihn zu retten«.
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Trinity und Neo reißen sich am Tragseil durch den Fahrstuhlschacht nach oben. Die Sprenkleranlage wird ausgelöst. Auf dem Dach kommt es zu neuen Kämpfen. Neo liefert sich mit einem Agenten einen Schusswechsel, den er mit seinen Kugeln nicht treffen kann. Aber nun entdeckt auch Neo diese Fähigkeit an sich, den Kugeln auszuweichen. Er wird dann doch von Trinity gerettet, noch ist diese Fähigkeit nicht ausgereift. Trinity lässt sich vom operator mit der Software für den Helikopter »laden« und lernt in rasender Geschwindigkeit, was sie als Pilotin braucht. Dann brettern sie in das Fenster, und Neo setzt die Agenten dem Dauerbeschuss eines Maschinengewehrs aus, das nicht nur von fern an jenes von Django (1966; R: Sergio Corbucci) erinnert. Mit letzter Kraft erhebt sich derweil Morpheus und zerbricht seine Ketten. Neo, der mit einem Seil an dem Hubschrauber befestigt ist, springt ihm entgegen, die beiden hängen über dem Abgrund, und Trinity fliegt davon. Die Kugeln treffen den Tank des Hubschraubers. Neo und Morpheus werden abgesetzt auf den Dächern, die Chicago und die Welt bedeuten, aber Trinity stürzt mit dem Hubschrauber ab, den Neo mit bloßen Händen zu halten versucht; er kann sie retten, während das Gefährt höchst dekorativ in eine Hochhausfront knallt. Wie große Blasen geht es durch die Texturen. Und Trinity schlägt ein großes Spinnennetz in eine Scheibe. Tank, der operator, in der Nebukadnezar erkennt: »Er ist es.« Der Auserwählte. »Glaubst du es mir jetzt, Trinity?«, fragt Morpheus. Und wie verhält es sich mit der Weissagung? Was das Orakel gesagt hat, ist genau das, was er hören sollte. Es ist ein Unterschied, ob man einen Weg nur kennt, oder ob man ihn beschreitet (das bereitet den zweiten Teil vor): Alles an Morpheus spricht von der Weltlichkeit seiner Rebellion. Er braucht den Erlöser, so wie ihn Paulus gebraucht hat. Der nächste Ausgang ist gefunden, in einer U-Bahnstation. Aber auch die Agenten sind wieder unterwegs. Noch sind sie nicht draußen, das hat nicht nur etwas mit Spannungsdramaturgie zu tun. Das Telefon klingelt im U-Bahnschacht, in dem es sich ein alter Obdachloser bequem gemacht hat und an einer Flasche nuckelt. Morpheus kehrt als erster zurück, und kurz bevor Trinity die Reise zwischen den Wirklichkeiten antritt, möchte sie Neo etwas sagen, aber sie hat Angst davor. Natürlich ahnen wir längst, was es ist (obwohl wir bislang Neo und Trinity weniger als »Paar« denn als einen Hänsel mit seiner älteren und vernünftigeren Schwester Gretel gesehen haben mögen). »Alles was mir das Orakel prophezeit hat, ist wahr, bis auf das ...« Das Telefon klingelt, eine U-Bahn fährt vorbei, Agent Smith hat den Körper des alten Mannes durchdrungen. Trinity ist fort, und nun stehen sich die beiden Feinde gegenüber: »Mr. Anderson!« Die Verwand-
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lung von Anderson in Neo ignoriert Smith. Sie treffen sich zu einem veritablen Showdown. Nach langem Kampf will Agent Smith Neo vor die einfahrende U-Bahn drängen. »Das ist der Klang des Unvermeidlichen. Es ist der Klang Ihres Todes, Mr. Anderson.« – »Ich heiße Neo.« Und so befreit er sich, und der Agent kommt erst einmal unter die Räder, bevor er wieder erscheint und die Verfolgung wieder aufnimmt. Sterblich ist er ja nicht. (Und Verfolger, die sich immer wieder nach jeder Zerstörung neu zusammensetzen, gehören zu einem SF-Film der 90er Jahre wie zu einem Tom & Jerry-Cartoon.) Zur gleichen Zeit tauchen Wächter vor dem Schiff auf. Neo stiehlt ein Handy und kann zu einem Ausgang dirigiert werden, immer verfolgt von den Agenten. Er flieht, den Anweisungen folgend, in ein Haus, durch labyrinthische Gänge, landet im Müll. Die Wächter mit den Stahlarmen klammern sich derweil an die Nebukadnezar und beginnen die Stahlhaut durchzuschweißen. Morpheus ist überzeugt, dass Neo es schafft, er ist von seinem nun in der Praxis so gestärkten Glauben an den Erlöser vollkommen durchdrungen. Deshalb kann er das EMP vorbereiten, das Neo die Rückkehr unmöglich machen würde, wenn er den Sprung zurück nicht rechtzeitig schaffen würde. Wieder am Heart o' the city-Hotel vorbei (beiläufig können wir der Reklame entnehmen, dass es sich eher um ein Stundenhotel handelt, und dass es »Free TV« in den Zimmern gibt; kann man so oder so lesen!) geht Neos Flucht. Erkennt er die Wiederkehr? Erkennt Neo, dass er bereits hier zurückgekehrt ist, an die Wells / Ecke Lake, wo Trinity die Suche nach ihm begann? Erkennt oder inszeniert man gar in der Nebukadnezar diese Kreisbewegung? Viel Zeit zum Nachdenken bleibt weder ihm noch uns. In Zimmer 303 wartet Agent Smith auf ihn. Und er erschießt ihn. Ungläubig, wahrhaftig, betrachtet Neo sich als Sterbenden. Wäre THE MATRIX eine SF-Kurzgeschichte, so wäre dies ein perfektes, rabenschwarzes Ende. (Und lassen wir diese Option der schwarzen short story – die in einigen der ANIMATRIXFilmen wieder aufgegriffen wird – als eigenen Körper in THE MATRIX bestehen.) Aber es geht weiter, denn hier will der Film Roman und mehr noch Epos werden. Weder die schwarze, romantische Pointe noch die Geschlossenheit des Systems werden akzeptiert. Ein Agent fühlt Neos Puls. »Er ist tot.« In der Nebukadnezar beugt sich Trinity über seinen Körper. Endlich kann sie sagen, was sie sagen will oder muss: »Ich habe jetzt keine Angst mehr. Das Orakel hat mir gesagt, dass ich mich verliebe, und dass dieser Mann, den ich liebe, der Auserwählte ist. Du siehst also: Du kannst unmöglich tot sein. Es ist nicht möglich, weil ich
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dich liebe.« Und sie küsst ihn. So mischt sich die sexuelle Erweckung mit der spirituellen Auferstehung, die der römische Soldat unterm Kreuz erkannte: »So stirbt kein Mensch!« Drei Minuten (statt drei Tagen) vergehen zwischen Tod und Auferstehung des Einen. Und sein Körper hat sich verändert. Es ist eine innere Kraft, die alles Irdische abgestreift zu haben scheint. Auch seine Himmelfahrt darf nicht fehlen. Aber müssten sich Gott und Geliebter nicht ausschließen? Oder könnte, umgekehrt, ausgerechnet ein so synthetischer Held wie Neo diese Wunde des Christentums schließen? Mit der Liebe indes kommt eine andere Trinität ins Spiel, die von Sigmund Freuds Wirkkräften des Es, des Ich und des Über-Ich. Was Trinity, Neo und Morpheus da zusammenfügen, ist leicht zu sagen: eine Ganzheit, wie es sie gespaltener nicht gibt. (Selbst Stanislaw Lern träumte von einem Computerprogramm, dem es, anders als dem realen Menschen, möglich sei, eine wirkliche Balance zwischen den drei Impulsen zu finden: Wunsch und Begierde, Wille und Vorstellung, Wert und Gesetz.) Noch so eine Erklärung, warum der Mensch in die Matrix muss. Neo ist der Auserwählte, weil Morpheus an ihn als den Auserwählten glaubt. Und zum Unsterblichen wird er, weil Trinity ihn liebt. Weil sie ihn küsst, wie der Prinz Dornröschen geküsst hat. (Wie unser Gott seinen Sohn nicht geliebt haben kann, hätte er ihn sonst am Kreuz sterben lassen?) Weil es Zeit für die Liebe war. Und schließlich hatte das Orakel doch auch wieder recht – eine Gestalt der griechischen Mythologie, aber auch der christlichen Vorstellung in den Missionsgängen des Paulinismus: Paulus nannte die neue Form der Propheten, die es im Übrigen zum ersten Mal in männlicher und weiblicher Erscheinung gab, die »Orakel Gottes«. Sie erkannte Neo nicht als den Auserwählten, traute ihm diese Rolle aber wohl zu – »vielleicht in einem anderen Leben«. Das Leben kehrt in Neo zurück, hier wie dort. »Und jetzt steh auf!«, bestimmt Trinity. Und Neo steht auf, und er muss nicht mehr wirklich kämpfen. Zu den Kugeln muss er nur »Nein« sagen, und sie bleiben, wie auf Geheiß von Neos ausgestreckter Hand, gleichsam in der Luft stecken und fallen zu Boden nach seinem Willen. Die Agenten senken ihre Pistolen; gegen diese Kraft sind sie machtlos. »Wie kann das sein?«, fragt Tank. »Der Auserwählte!«, ist die Antwort. Und mit Neos Blick sehen wir die Bilder zum Code werden, Neo benötigt keinen Bildwandler, um die Wahrheit zu erkennen. Mit großer Gelassenheit, fast über sich selbst erstaunt, und jedenfalls in sich selbst gekehrt, wehrt nun Neo die Angriffe von Agent Smith ab. Schließlich wirft er sich buchstäblich in ihn hinein – und wird ihn verwan-
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Mit grosser Gelassenheit, fast über sich selbst erstaunt, wehrt nun Neo die Angriffe ab: Zu den Kugeln muss er nur ››NEIN‹‹ sagen.
deln. Der Agent zerplatzt in Partikel des Codes. Selbst die Räume hat der Held nun unter Kontrolle. Er gebietet dem Code – und deshalb ist es nur logisch, dass in THE MATRIX RELOADED alles das für ihn gefährlich wird, was selber am Rand des Codes existiert. Auf Trinitys Anruf kehrt Neo in die Nebukadnezar zurück, wo die Wächter ihr Zerstörungswerk zu beenden drohen. Es ist, als würde Neo nun durch ihren Kuss reisen. Und als wäre seine pure Anwesenheit das Ende der Gefahr. Ein Cursor blinkt. Und nun richtet Neo seine Ansprache an uns »da draußen«, von der »Welt ohne Gesetze, ohne Kontrollen«, lasst uns träumen. Und »wie es dann weiter geht, das liegt ganz an euch.« Wir zoomen durch die Worte system failure hindurch und sehen Neo in der belebten Straße, wie er aus der Telefonzelle tritt. Er ist wohl, wie man so sagt, »mitten unter uns«. Und er sieht um sich, als spähe er nach jenen, die zu erlösen wären. Und dann sehen wir ihn aus den Tiefen der Stadt in den Himmel fliegen. Es ist wohl so, dass Neo verstanden hat, dass er nicht der Heiland gegen die Matrix ist. Sondern der in ihr. Am meisten, so scheint es, hat sich Neo dafür auch von Morpheus frei machen müssen. Die Welt, »in der alles möglich ist«, die er uns am Ende verheißt, kann nichts anderes als ein Cyberspace sein, der sich selber von seiner Fremdbestimmung freigemacht hat. Ist alles, was in der MATRIX-Trilogie und ihren Verzweigungen geschehen wird, also nichts anderes als der Traum eines Computermenschen? Jedenfalls könnte man so alles als eine Art des besonderen, digitalen Wunderlandes ansehen, in dem einfach alles genau andersherum verläuft als in der menschlichen Geschichte. Das Einschlafen ist eine Form des Aufwachens. Die Sehnsucht nach der Metaphysik ist die Sehnsucht nach
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der Wirklichkeit. Die Religion ist eine Form der Liebe. Aus dem Spiegelbild wird das Reale. Aus dem Körper die Maschine, und aus der Maschine der Körper. Andersons erste Wahl war das Verlassen des Zimmers 101. Das scheint wie eine Relektüre Orwells durch Kafka: Der Mensch hat das Schlimmste, was ihm geschehen kann, selbst gewählt, und er kann es jederzeit selbst verlassen, wenn er nur die Kraft aufbringt zu erkennen, dass er eine Wahlmöglichkeit hat. Natürlich fangen die Schwierigkeiten damit erst an. Und immer wieder kommt Neo in die Situationen der Wahl. Eine Pille, die rote, ist es, die ihn dazu bringen wird, sich aus der Matrix zu befreien und in »die Wüste der Realität« zu gehen. Die chemisch verschärfte Form eines »Apfels vom Baum der Erkenntnis«. Diese Wüste ist der einzige Ort, von dem aus der Kampf um die Realität geführt werden kann, so wie in der biblischen Vorstellung die Wüste der Ort ist, an dem der Kampf um die Transzendenz geführt wird. Am Ende von THE MATRIX hat Neo zwei enorme Fähigkeiten erworben: Er sieht durch die Bilder der Matrix den Code, auf dem sie beruht. Und seine Bewegung in ihr ist, weil er um die Willkürlichkeit der Dimensionen weiß, so frei, dass er auch fliegen kann. Er biegt die Welt (die immer auch eine Frage der Perspektive ist) um den Löffel. Am Ende des Films ist Neo aber auch zu einem entschlossenen Helden geworden. »Eine Welt ohne Gesetze, ohne Kontrolle« wäre die radikalste Absage nicht nur an diese Matrix, sondern an jede Matrix. Ein jugendliches Aufbegehren, das letzte vielleicht. Nun muss der Held erwachsen werden. Das Wunder von THE MATRIX kann sich nicht wiederholen.
MATRIX-Material: Grunge, Cyberpunk, Comics und die moralische Revision THE MATRIX übernimmt eine Reihe seiner Elemente sehr direkt aus Quellen, die in der ästhetischen Strategie des mythologischen Scannens der Brüder Wachowski weder explizit benannt noch besonders verborgen werden. Nur darin, aber darin konsequent, waren sich Kritiker, Branche, Fans und Gelegenheitskonsumenten einig: Was THE MATRIX so sensationell macht, ist nicht die Grundidee der Handlung – im Grunde nichts anderes als der ausgeschmückte und der Windows-Generation angepasste Plot von TRON. Es ist auch nicht der Look allein, und selbst die mit so viel Zitaten, so viel Vorwärts- und Rückwärts-Bezügen aufgeladenen Dialoge konnten es nicht mit den Dialogen anderer »erwachsener« Science Fiction-Filme aus den letzten beiden Jahrzehnten aufnehmen. Was
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THE MATRIX so großartig machte, war das blending, die Eleganz, mit der er seine eigene Überfülle bewältigte. Es war eine höchst barocke Angelegenheit, immer noch ein Illusions- oder eben Desillusionseffekt. Populäre Kultur als virtuelle Kathedrale von Effekten, Überwältigungen und Erhabenheit an überraschenden Stellen. Der richtige Film zur richtigen Zeit aber konnte THE MATRIX nur werden, weil er nicht nur die Stränge verschiedener Entwicklungslinien in der populären Kultur zusammenfügte, sondern dies in einer besonderen Situation tat. In einer Situation der Krise. Das Konzept »Popcorn-Movie mit intelligentem Beiwerk« begann sich zwar langsam durchzusetzen (aber schon warnte das Branchenblatt Variety davor, die Grenzen der sophistication für den Blockbuster nicht allzu weit zu stecken). Und doch war die Vertrauenskrise zwischen der Bildermaschine und dem jugendlichen Publikum unübersehbar. THE MATRIX ist Ausdruck und Lösung dieser Vertrauenskrise zwischen Industrie und Rezeption. Der Film versprach sie zu überwinden, indem er sie zum Thema machte (und nicht in einer konzentrierten, besserwisserischen Metapher wie in TRON, sondern als frei verfügbares Material; nicht Wegweiser, sondern Stoff für die Jugendkulturen – oder was man noch so nennen konnte). Als THE MATRIX in Produktion ging, war von »Cyberpunk« in der SFLiteratur nicht mehr groß die Rede. Wieder schien das Genre in einen Dornröschenschlaf verfallen, zerfallen in die ewige Space Opera, die Fantasy- und Rollenspiele und die literarische Esoterik. Im Cyberpunk hatte das Genre noch einmal nach Relevanz verlangt, es war noch einmal explizit politisch. Und es gab durchaus, in der Literatur, in den Comics und im Kino, einen Nachklang dieser Bewegung. Insbesondere William Gibsons Neuromancer-Trilogie blieb ein ergiebiger Fundus. Eine Reihe von Begriffen und Vorstellungen wurde für THE MATRIX mehr oder weniger direkt übernommen. Hier aber auch wird der ästhetische und moralische Wandel deutlich. Die Matrix und ihre Erschaffung einer eigenen Illusionswelt stammen aus diesem Roman, aber auch die Kolonie der Widerständler heißt bereits bei Gibson Zion. Gibsons Roman spielt im Los Angeles der nahen Zukunft, in dem keine gewaltige Katastrophe, kein Umsturz stattgefunden hat. Es ist nur so weitergegangen, wie es geht: Die natürliche Umwelt wurde weiter ruiniert, die demokratischen Freiheiten lösten sich weiter medial auf, die ökonomische Macht der Konzerne wurde noch grenzenloser. Die Zukunft von Gibsons Neuromancer ist die Verlängerung der Gegenwart. Und was bei Gibson in den Computernetzen geschieht, an gegenseitiger Bespitzelung, an Kontrolle durch Illusion und an Manipulation der einzigen noch vermehrbaren Ressource, dem Wissen, auch das ist längst Alltag. Nur
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ein kleiner Fortschritt in der Wahrnehmungstechnik fehlt noch, um Gibsons Zukunftsvision zum grauen oder grellbunten Alltag unserer Gegenwart zu machen: In Neuromancer wird die virtuelle Realität nicht mehr an den Flachbildschirmen der Konsumavantgarde konsumiert, sondern als dreidimensionale und grenzenlose Wirklichkeit, die von den Sendemaschinen direkt auf die Sehnerven des Konsumenten gesendet wird. Man setzt sich die Elektroden an die Schläfe, und man ist fort in der zweiten, der »besseren« Realität. Da ist es schwer, einen Ausschaltknopf zu finden. Der Mensch ist jacked in einer künstlichen, dreidimensionalen virDie Disney-Produktion TRON tuellen Welt, die auch in Neuromancer »The Matrix« genannt wird. In Gibsons Roman ist diese Welt allerdings in etwa auf dem ästhetischen Niveau der Computerspiele der zweiten Generation; abstrakte Informationseinheiten bewegen sich durch stilisierte Architekturen. Aber auch hier gibt es bereits den Kampf der Viren gegen die Sicherheitsprogramme, und es gibt den Schutz der (für die Konzerne) wertvollsten Dateien durch besondere Schutz-Vorkehrungen, die »Eis« genannt werden. Das »schwarze Eis« ist das avancierteste davon, das seine Schutzfunktion in eine aggressive Verfolgung umwandelt, wenn ein unbefugter Eindringling entdeckt wird. Dieser Eindringling soll schließlich bis an sein eigenes Computerdeck, also über den Rand der virtuellen Realität hinweg verfolgt und durch einen Elektroschock getötet werden. Im Verlauf der Handlung wird der Held der Geschichte, Case, mehrfach auf diese Weise erwischt und ist für Sekunden lang »gehirntot«. Seine Freunde bangen dann erschreckt um seine Rückkehr – auch das kennen wir aus den MATRIX-Filmen. Doch damit nicht genug: »Case, der Ur-Neo«, schreibt Christoph Spehr, »ist ein Hacker, ein >Konsolen-Cowboy<, wie es in Neuromancer heißt, hochqualifiziert, aber vergleichsweise naiv, was seine soziale Erfahrung und seine Auffassung von der Welt anlangt. Seine Partnerin, Molly, ist eine Auftragskillerin – das Auffallendste an ihr sind die verspiegelten Gläser
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einer Sonnenbrille, die fest in ihrem Gesicht implementiert sind; sie beherrscht diverse fernöstliche Kampftechniken und verfügt über biotechnologisch aufgebesserte Reflexe. Die Figur des Morpheus in MATRIX vereinigt zwei Charaktere aus Neuromancer in sich. Der eine ist Raumkapitän Maelcum mit seiner spirituellen Philosophie, der einen >Horror vor Kontrolle< hat. Der andere ist >Finne<, eine Art Hacker-Vaterfigur für Case, der nach seinem Tod als >Konstrukt< in der Matrix weiterlebt und Case deren Funktionieren erklärt. Maelcum gehört zu den >Zionisten<, die das >Babylon< Los Angeles verlassen und eine Raumkolonie namens Zion aufgebaut haben.« Man könnte also beinahe behaupten, THE MATRIX sei, wenn schon kein direktes Plagiat von TRON, nichts anderes als eine inoffizielle Verfilmung von Neuromancer, in der die Welt der Matrix auf den neuesten Stand der Computer-Simulationen gebracht wird, und sich folgerichtig etwas so abstraktes wie »schwarzes Eis« in der humanoiden Gestalt von »Agenten« zeigen würde. Ohne diese Inspirationsquelle wäre der Film sicher nicht denkbar. Aber er enthält durchaus auch eigenständige Elemente und Material aus anderen Quellen, er akzeptiert den ironischen Fatalismus dieser Vorlage so wenig wie die kulturpessimistische Botschaft des Disney-Films TRON. Was die Sampling-Technik von THE MATRIX ausmacht, ist, dass nicht einfach nur Elemente von Vor-Bildern und Vor-Erzählungen geklaut werden (die klassische postmoderne Vorgehensweise), sondern eben ganze Systeme und Strukturen ineinander geschachtelt werden (die noch klassischere Vorgehensweise eines modernen Kunstwerkes wie, sagen wir, James Joyce' Ulysses), und jede davon liefert ein eigenes Erklärungs- und Assoziationsfeld. Als THE MATRIX in die Kinos kam, zeichnete sich ab, dass der Neoliberalismus nicht nur als moralischer, sondern auch als ökonomischer und politischer Entwurf gescheitert war. Alle Politik konnte nicht anders mehr verstanden werden denn als ein System, das es fertig brachte, gleichzeitig als raffinierte Verschwörung und als pseudoreligiöse Symbolmaschine zu funktionieren. Dieser Maschine von Staat, Kapital und Medium gegenüber war weder mit den traditionellen Mitteln der Revolte noch mit denen der Verweigerung beizukommen. Selber Bewegung zu werden, wie die Hippies und noch die Punks, erschien aussichtslos. Wie Neo später in THE MATRIX RELOADED musste man sich dabei immer gewärtig sein, selber als unfreiwilliger Teil der Verschwörung oder der Symbol-Produktion missbraucht zu werden, oder, umgekehrt, bewusst auf den Selbstverrat hin zu steuern: In Washington sah man ein Jahr nach dem Filmstart in der Regierung Bush jr. eine ganze Gruppe von Beratern und Technokraten am Werk, die sich
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ihre Intelligenz einst als ausgewiesene Linke erworben hatte. In Europa betrieben Sozialdemokraten das Geschäft des globalen Neoliberalismus, und ihre effektivsten Handlanger waren die Vertreter der einstigen Revolte. Die Generation X hatte mit einem vagen individuellen Moralismus auf diese Situation geantwortet, die Generation Y, die den mehr oder weniger harten Kern des Publikums von THE MATRIX ausmachte, musste sogar noch mit dem Scheitern dieser semiotischen Verweigerung fertig werden (das sich im Selbstmord von Kurt Cobain ein vergleichsweise willkürliches Bild gesucht hatte). Grunge war die erste bewusste Gegenbewegung gegen die konsumistische Radikalität der 80er Jahre gewesen. Kein Entstöpseln der Musik und auch nicht die stachelige Low-Tech-Rebellion des Punk, sondern eine moralische Reaktion, die keine Materialität fand. Weder die unpluggedRomantik der Hippies noch die semiotische Überfülle der Punks: Der Grunge-Held ist decodiert bis zur völligen Gleichgültigkeit des white trash. Je weniger er an die Revolution (und schon gar: die Revolution seiner Eltern) glaubt, desto mehr setzt er auf persönliche Integrität. Die Generation X setzte dem endlosen Medientraum des Neoliberalismus nicht nur einen Hang zur Larmoyanz und eine neoromantische Form der Zickigkeit à la Winona Ryder entgegen, sondern auch eine Entlarvung des Scheins. Grunge-Stars (zu denen auch Keanu Reeves gehörte) sahen nicht aus wie Stars, aber sie misstrauten nicht nur dem Glamour, sondern auch der Pose. Die Grunge-Band par excellence hieß nicht umsonst Nirvana. Und gemeint war damit nicht so sehr ein spiritueller Zustand, sondern das Nichts, in das sich die Gesellschaft konsequent hineinmanövrierte. Auf ihrer berühmtesten LP wird schon das schwimmende Neugeborene an den Angelhaken des Kapitals gelockt. Im Neoliberalismus werden die Wünsche zu den Motoren der Beschleunigung, eine »jugendliche« Rücksichtslosigkeit dabei wird durchaus als Befreiung empfunden. »Jede Hemmung muss beseitigt werden«, schreibt Paul Virilio, »und der Schnelligkeit des Begehrens darf sich nichts mehr in den Weg stellen. Diese Art der Befreiung würde dazu führen, dass wir es nicht mehr wagen, in dem Moment zu handeln, in dem wir handeln, dass Handlung so sehr erleichtert worden wäre, dass es sie nicht mehr gäbe.« Hat er damit nicht perfekt das Leben in den Energietanks der Matrix beschrieben? In beiden Fällen haben wir es mit Menschen zu tun, die nicht handeln, während sie rasend zu handeln glauben. Niemand entscheidet sich mehr, wenn man ihm nicht garantiert, dass seine Entscheidung »richtig« ist. Niemand wünscht, was man nicht bekommen kann. Es ist der Tod des Utopischen, der in dieser Gesellschaft zum alltäglichen
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Programm geworden ist. Konformismus und Design führen allein zum Erfolg. Und man benötigt keine Gedankenpolizei, um das Denken (ein Denken über den erfüllbaren Wunsch und über den abgesicherten Modus der »Entscheidung«, also der Nicht-Entscheidung, hinaus) an sich als »schädlich« zu identifizieren und unter die eine oder andere Strafe zu stellen. Selbst wer sich als »Intellektueller« sein Brot verdient, bekundet öffentlich seinen Ekel vor Nevermind: Schon das Neugeborene dem »Intellektuellen«. wird an den Angelhaken des Kapitals Das Kreisen des Wunsches in gelockt »medial kontrollierter Nachfrage« und das strukturelle Verbot der Utopie führen allerdings, im Verbund mit der öffentlichen Brandmarkung des Intellektuellen, nicht zur vollständigen Kontrolle, sondern nur zu einer 90-prozentigen. Der Rest verdichtet sich zu einer Opposition, die dem Mainstream nur noch transzendental gegenübersteht, und das als radikale Loser oder als radikale Winner, ungefähr mit jener Art von Ekel, den es für Nietzsches Zarathustra erst einmal zu überwinden galt. Generation X und Y wuchsen mit einem Verständnis von sich selbst auf, in dem Verachtung und Ausbeutung als gesichert erschienen. Die Mainstream-Gesellschaft würde sie in Gestalt des Daniel Küblböck genau so verachten wie in der von Sahra Wagenknecht. Sie wären als Erfüllungen der Normen und der strukturellen Verbote der radikal-neoliberalistischen Mediengesellschaft genauso verdammt wie als utopische Denker. Welche Furcht noch durchzuckt unsere paar maitres penseurs vor Kids und Post-Kids, die so klug daherquasseln können wie sie selbst! So müssen Popgruppen virtuelle Clubs der toten Philosophen begründen. Sag nichts von Schopenhauer, was du nicht in einen Rocksong packen kannst! Erkläre nichts von deiner Gesellschaft, was du nicht einem Film aufladen kannst! Und der endlos in sich selbst zurückstürzende kontrollierte Wunsch im abgesicherten Modus macht das Unbehagen zum großen Begleiter. Das Lebensgefühl der Generation X, dem wir in Neo am Beginn seiner Wandlung begegnen, hat der Grunge-Musiker und Romanautor Mark Lindquist auf den Punkt gebracht: »Egal welchen Weg er einschlägt, er weiß, dass ihn die nervöse Befürchtung begleiten wird, etwas zu verpassen.« Je älter man wird, desto klarer wird einem, dass es, trotz des Verzichts auf Glamour und
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Pose, nichts anderes als »die Wirklichkeit« war, die man verpasst hat. Die Wirklichkeit, die zwar einerseits nach wie vor in jenem Stein besteht, der einem nach Klaus Theweleit auf den Kopf fällt und dem es egal ist, was sich dieser Kopf dabei denkt, die aber andrerseits überhaupt nur deswegen gedacht und, na ja, begriffen werden kann, weil man zur gleichen Zeit ein Darüberhinaus, ein Davor und Danach, ein historisches oder metaphysisches Jenseits denken kann. Eine Gesellschaft, die nichts anderes zulassen will als das, was sie für sich als »wirklich« erkannt hat, verliert zwangsläufig die Wirklichkeit – übrigens auch in jeder Form der fundamentalen Religion, wie der der Taliban oder der von George W. Bush, die gewaltsam die »Verwirklichung« ihrer Religion betreibt (und nicht, wie man anzunehmen gedenkt, das Verreligiösen der Wirklichkeit). Die Wirklichkeitsgesellschaft also hat die Entwirklichung betrieben und nicht etwa die Technologie, aber die Maschine ist gewiss die ideale Metapher. Die Vermenschlichung der Maschine wird so sehr gefürchtet, weil man am eigenen Leib die Maschinisierung des Menschen erfährt. Aber um zu wünschen, um zu entscheiden, um moralisch zu handeln, muss es möglich sein, über das eigene System hinauszuschauen. THE MATRIX fordert mit aller Entschiedenheit die Rückgewinnung der persönlichen moralischen Geste ein. Aber wie zuvor der Grunge der Generation X weiß man auch hier, dass weder der Wunsch noch die Pose dazu ausreichend sind. Auf dem Weg der Grunge-Verweigerung zum Erwachsenwerden (leicht war es für keine Generation, aber hier schien es nur noch absurd) entstanden, wie Hans Schill schreibt, »Einsichten von Nachmoderne und Popkultur, dass es keine vorbestimmten Lebensläufe mehr geben kann, Identitäten vielfältig sind und Codes, Stile, Zeichensysteme sich festen Zuschreibungen mehr denn je entziehen«. Weil alles das Neos Probleme sind, konnte er nicht nur zum Helden einer Generation werden, sondern auch zur Symbol-Figur in einer bestimmten Phase der Entwicklung unserer Gesellschaften. Ein Messias, selbst dann, wenn alles, was er und seine Apostel verkünden, der blanke Stuss wäre. (Aber ehrlich gesagt: Haben nicht alle Messiasse dieser Welt nicht hauptsächlich, inbrünstig und irgendwie schön, Stuss geredet?) Was die Matrix von allen anderen Illusionswelten im Kino vordem unterscheidet, ist ihre Totalität. Die Totalität der Matrix ist nicht allein die der vollständigen Ersetzung der Realität durch die Illusion, es ist immer auch eine Totalität des Marktes, und daher haben mehrere Autoren auch sehr schnell eine Beziehung zwischen dem Film und der großen Erzählung des Kapitalismus in Toni Negris und Michael Hardts Empire gesehen. (Übrigens ist es dabei zweitrangig, ob diese Beziehung intendiert ist oder
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nicht.) In diesem Entwurf ist ein Herrschaftsmodell (und immerhin, dass das alles nicht nur eine Frage der Illusion, sondern auch eine der Macht ist, daran lässt THE MATRIX ja von Anfang an keinen Zweifel) so umfassend geworden, dass es weder ein »Draußen« mehr gibt, noch im Drinnen ein wirkliches revolutionäres Subjekt. In diesem globalen System von Marktwirtschaft und politisch-militärischer Stützung indessen muss für jeden Einzelnen eben das Gefühl vorherrschend sein, die Wirklichkeit zu verlieren. Das System ist allumfassend und omnipotent, aber dennoch gehören ihm die Menschen immer weniger wirklich an, vielmehr haben sie das Gefühl, sich in einem gigantischen Gefängnis zu befinden (und wir meinen damit nicht gigantisch im Sinne von ESCAPE FROM NEW YORK, sondern gigantisch im Sinne von global: die Dimension dieses Gefängnisses ist nicht mehr der Raum, sondern die Zeit). Anders als in der klassischen Science-Fiction – selbst noch bei Philip K. Dicks Wirklichkeitsverschwörungen – gibt es in den neueren Fantasien keine Trennung mehr in das reine Opfer und die reinen Täter, nicht einmal in dem immerhin diskursiven Sinne wie in Orwells 1984 und seinen Verfilmungen. In Filmen wie BLADE RUNNER, STRANGE DAYS oder VIDEODROME geht das Subjekt insgesamt verloren (der Mensch, der im Auftrag der Konzern-Macht Replikanten jagt, erweist sich selbst als Replikant, der Händler der Träume geht selber an ihnen zugrunde), und es geht das Empfinden der Welt verloren. Daher kann das Gefühl des Wirklichkeitsverlustes noch als drop out erfahren werden. Der Kapitalismus in seinem Lauf hebt am Ende die Zeit auf (jedenfalls wenn wir ihn lassen): Wenn die Trendscouts in den Trendkneipen die trendy people nach ihren Trendvorstellungen befragen, um daraufhin den richtigen Trendschuh oder das richtige Trendgetränk auf den Markt zu bringen (unsere ganz reale und alltägliche Version der Welt am Draht), geht mit dem Wünschen auch seine Geschichte verloren. Es ist ein rein virtueller Vorgang geworden. Im Empire oder in der Matrix also sind wir von uns selbst durch das System getrennt und könnten doch jederzeit so aufwachen wie Neo am Beginn von THE MATRIX. Aber was dann? Dies ist die durchaus offene Frage, die sich in den Filmen und ihren Vernetzungen nun entfalten wird, und für die es ganz und gar keine eindeutige Antwort geben kann. Popkultur (etwas, das am Rande von Pop und Kultur, Mainstream und Avantgarde ein erfindungsreiches und destruktives Leben entfaltet) ist dabei Wiedergabe und Widerstand zugleich. Cyberpunk und Grunge waren dabei als Denk- und Bildfiguren auf den jugendlichen TechnologieKonsumenten bezogen, der sich des Fließens der Macht durch sein Le-
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ben durchaus bewusst wird. Und was in beiden Fantasiewelten übrig blieb, war die moralische Entscheidung des Einzelnen. Anders gesagt: Es ging, im Gegensatz zu den Hippies, den 68ern oder den Kirchentagsbesuchern darum, die Freiheit zu entdecken, die es im System gibt. Im Kapitalismus, in der Cyberwelt, in den Medien, sogar im Pop. Man kann das »Realismus« nennen. Es ist die Re-Konstruktion der Freiheit diesseits der Utopie. (Vielleicht gibt es deswegen auch den definitiven Zustand »Jugend« nicht mehr: Die Subjekte von Cyberpunk und Grunge sind auf eine merkwürdige Weise alterslos – wie Neo –, schon sehr erwachsen und noch sehr infantil, albern und verzweifelt, aber vielleicht für die Verhältnisse des Neoliberalismus am nächsten jener Art des »Selbstbewusstseins«, das sich Immanuel Kant für den aufgeklärten Menschen wünschte.) Die dritte große Inspirationsquelle – neben Cyberpunk und der Haltung des Grunge und der Generation X – sind für den Film der Wachowskis (die sich nicht umsonst kleiden und geben, als seien sie die perfekte Mischung von Computer-Nerds und slackers), die Comics, die am Beginn der 90er Jahre ebenfalls einen enormen, auch moralischen Wandel verzeichneten. Die wachsende Anzahl der Verfilmungen traditioneller und neuerer Comic-Literatur darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Medium in einer vehementen Krise steckte. Stan Lee hatte Mitte der 60er Jahre in seinen Marvel Comics den »Hero with a Problem« entwickelt, aber in den 80er Jahren hatten zumindest die »Superhelden« das Stadium erreicht, in dem sie nicht nur das eine oder andere Problem hatten (wie Geldsorgen, Erkältungen und Liebeskummer, was Peter Parker alias Spider-Man zu plagen pflegte) – sie waren jetzt das Problem. Für sich und für die Welt. Frank Miller hatte Batman wieder in einen »dunklen Ritter« verwandelt, und auch andere Superhelden (oder, genauer gesagt, PostSuperhelden) wie die Watchmen hatten den optimistischen Blick eines Superman längst verloren. Und je mehr sie den Glauben an die Wirklichkeit ihrer Gesellschaft verloren hatten (siehe oben), desto mehr wucherte ein transzendentaler und, wenn man so will, moralisch-philosophischer Bereich. Der technologische Superheld verwandelte sich zurück in das gothic-Halbwesen. Gerade weil sich in ihnen, wie bei einem Halbvampir in BLADE (1998; R: Stephen Norrington), das Gute und das Böse mischten, wurde ihnen die moralische Entscheidung wieder abverlangt (was viel spannender ist als die endlosen Kloppereien der Mainstream-Helden und auch noch als das transgressive Blutvergießen der finsteren Helden). Die Comics der 90er Jahre erzählten vor allem von der Hölle. Und die meisten der gezeichneten Helden und Heldinnen, die sich, wie Mouse in THE
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MATRIX, ihrer Menschlichkeit auch als Triebwesen stellen wollten, hatten das gleiche Gefühl wie Neo: Etwas stimmt nicht an dieser Welt. Und am 11. September 2001 hatten selbst jene amerikanischen Superhelden ihre Ohnmacht einzugestehen, die sich den Patriotismus noch nicht vollständig hatten ausreden lassen. Sie konnten nur bei den Aufräumarbeiten helfen, trotzig die Fahne hochhalten oder in Tränen ausbrechen (wie es Spider-Man in der mit einem schwarzen Trauerflor gezierten Ausgabe seiner Serie tat). Aber so wie in der Zeit des Großen Krieges ihre »patriotische Pflicht« tun (Bin Laden aufstöbern oder den Irak entwaffnen) konnten sie nicht. Sie waren zu kompliziert geworden, mussten sich selber schon viel zu sehr als Außenseiter empfinden. Wie beispielsweise die XMen waren sie selbst zu Metaphern der verlorenen Jugend und der verlorenen einfachen Werte geworden, Übermenschen mit den Herzen gekränkter Kinder. Das pure Vergnügen an Aktion, Technologie und Ego mussten sie ihren japanischen Kollegen überlassen. So wie ja auch der einstige amerikanische Held, der Cowboy, in der Kultur, die ihn hervorgebracht hatte, in eben dieser Kultur menschlich, ästhetisch und philosophisch zugrunde gehen musste, so hatte spätestens in den 90er Jahren auch das Sterben des Comic-Helden begonnen. Und Neo ist eine Antwort auf den Tod dieses Helden. Er muss wiedergeboren werden, aus dem Geist von Empfindung und Selbstbewusstsein. Als fliegender Subjektphilosoph oder brütender Populist. Auch die Comic-Verfilmungen entwickelten sich in dieser Zeit rasant von naiven Märchen über die ästhetische Dekadenz zur moralischen sophistication, etwa von dem reichlich billigen exploitation stuff wie GENERATION X (1996; R: Jack Sholder) – welch irreführender Titel! – zu Bryan Singers X-MEN (1998). Die Mutanten, die Post-Menschen mit den außergewöhnlichen Fähigkeiten, die schon bei ihrem ersten Auftreten im Jahr 1963 als strangest superheroes of all time bezeichnet wurden, waren bei Sholder die gewohnten Teenager, die sich gegen ihre Versagensängste mit Allmachtfantasien trösteten, und wurden bei Singer zu Opfern des gewöhnlichen Rassismus: Die »Normalen« agierten auch hier mit aggressivem Konformismus, Diffamierung und schließlich sogar Gewalt gegen die Außenseiter. Und auch in Bryan Singers überaus erfolgreichem Film und seinem Sequel ist der Look eine der möglichen Antworten: Coolness als Antwort auf die Verzweiflung und den Zweifel, die Erlöser als tragische Gestalten. In der Beziehung des Professor Xavier zu den jungen Mutanten und vor allem der Suche von Wolverine nach seiner eigenen Herkunft zeichnet sich schon, wenn man so will, die Beziehung zwischen Morpheus und Neo ab: Aus der Geschichte der Superhelden entwickelt sich ein
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neuer Messianismus, der als erste große Aufgabe die Selbsterlösung der Helden zum Ziel hat. Und diese Comics und Filme – von X-MEN über SPIDER-MAN bis zu MATRIX – erzählen nicht zuletzt vom prekären Zustand des Status Jugend, vor allem, aber nicht nur, in den USA. Auch hier spielen nicht nur die Moral und der Markt ihre mittlerweile gewohnten Rollen, sondern auch die Technologie. 1985 war mit Shatter von Michael Saenz und Peter Beno Gillis der erste ausschließlich am Computer erzeugte Comic erschienen (der prompt zum »Beginn eines neuen Zeitalters« für das Medium erklärt wurde). Allerdings entwickelte sich die Geschichte des Computer-Comics nicht sonderlich befriedigend; die Perspektiven wirkten plump und seriell, es fehlte an Tiefe und Eigenart. 1988 erzählte Michael Goetze, in einer bewussten, direkten Beziehung von Form und Inhalt, vom Robot-Imperium, in dem konsequenterweise die denkenden Maschinen die Macht übernommen haben. Goetze entwickelte eine dann für den Computerfilm nutzbar gemachte Methode, einen einmal gescannten Gegenstand einer beliebigen perspektivischen Bearbeitung zu unterziehen. 1992 hatte der Autor – von einem »Zeichner« kann man ja nun nicht mehr so ohne weiteres sprechen – zudem ein Verfahren der Kolorierung hinzugefügt. Doch wie in der Computeranimation, so setzen sich auch in der Geschichte der Comics erst einmal die Mischformen durch: Computer wurden zu einem höchst unauffälligen Hilfsmittel. Sie nahmen einem vor allem die Routinearbeit ab. Erzählmittel und Erzählinhalt trafen erst 1992 in Pepe Morenos Batman-Erzählung Digital Justice mitten im Mainstream wieder aufeinander, wo sich der Erzfeind des Fledermaus-Manns, der »Joker«, in einen Computervirus verwandelt hat, der die Datennetze von Gotham unsicher macht. Gotham, das sich aus dem Status der gothic americana in eine der Megacities des Cyberpunk verwandelt hat. Mit Dilbert, Scott Adams' satirisch-surrealistischer Serie um die Mitarbeiter eines absurden New-Economy-Unternehmens, deren Bürowaben vielleicht nicht nur allein wegen der zugrunde liegenden Realität denen von THE MATRIX sehr ähnlich erscheinen, begann 1993 schließlich die Ära der Internet-Comics. Immer mehr wurde das Internet zum unverzichtbaren Medium für die Produzenten und das Fandom: »Ideale Möglichkeiten«, so Andreas C. Knigge, »bieten die Onlinedienste vor allem für Zeichner, die für ihre Comics noch keinen Verlag gefunden haben, diese aber trotzdem >publizieren< wollen. Dass ihre Helden auch so schnell populär werden, zeigt beispielsweise Stafford Huylers NetBoy, dessen Konterfei Fans inzwischen auch auf T-Shirts erwerben können. Fast alle größeren amerikanischen Verlage bieten darüber hinaus Diskussionsforen und Informations-
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Vorläufer der MATRIX-Bürowaben in Michael Andersons 1984-Verfilmung aus dem Jahr 1956
seiten über ihre Serien und Zeichner an.« Comics verlieren, mit anderen Worten, nicht nur ihren bestimmten Platz in der Ökonomie der populären Kultur und ihren Platz in der medialen Sozialisation (als in sich differenzierter, aber begrenzter Stoff für Kinder und Jugendliche), sie verlieren schließlich auch ihr gewohntes Trägermaterial. Das verändert auch ihre Erzählweise und ihre ästhetische Utopie der wunderbaren Räumlichkeit des bewegten Bildes (das, im Gegensatz zum Kino-Bild, nie mehr verschwinden muss, jedenfalls nicht, wenn ich mein comic book einigermaßen pfleglich behandele). Als Gegenbewegung zu Computerisierung und Internetisierung der Comics entwickelte sich mit den graphic novels eine betont autoren- und stimmungsbezogene Art der siebten Kunst, die wiederum zu Vorlagen für Filme wurde, die wie ROAD TO PERDITION (2002; R: Sam Mendes) oder FROM HELL (2001; R: Albert & Allen Hughes) ihre Verwandtschaft mit dem parallelen Medium nur dem eher geübten Blick offenbarten. Einer Entwertung der Comics auf dem traditionellen Massenmarkt (auf dem wenig inspirierte tie-ins von erfolgreichen Medienmultiplikationen domi-
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nieren) stand am Ende der 90er Jahre eine mediale und künstlerische Auffächerung der Comic-Entwicklung gegenüber, die die Beziehung der beiden Medien Comic und Film komplexer und, wenn man so will, reifer gemacht hatte. Comics waren in der Kindheit, verglichen mit TV und Nintendo, nicht mehr so wichtig, dafür begleiteten sie einen länger beim Prozess des Erwachsenwerdens. Es ging nun nicht mehr um ein bloßes Voneinander-Profitieren; ein Film wie THE MATRIX reflektiert auch die Veränderung in beiden Linien des visuellen Erzählens. Der Comic organisiert seine Zeichenwelt im Raum, der Film die seine in der Zeit. Aber beide scheinen von einer inneren Bewegung getrieben, gerade diese Beschränkungen zu überwinden. Der Comic arbeitet an einer Verzeitlichung (zum Beispiel, indem er neue, komplexere Beziehungen in die Leserichtung der Panels einbaut), und der Film will das Element der Räumlichkeit durch »Gleichzeitigkeit« gewinnen, indem er vom Split Screen zur VierfachLeinwand in Mike Figgis' TIMECODE (2000) entweder seine Bilder räumlich präsentiert oder aber, wie schließlich in THE MATRIX, der Zeit ihren abstrakten Zwangscharakter nimmt. You see? So sind wir ästhetisch gerade dort, wo wir vorher auch moralisch waren, bei der Organisation des Wirklichen unter den Bedingungen des Marktes und des Unbehagens ihm gegenüber. Das große Projekt des Marktes scheint schlicht zu sein, nach unendlich vielen medialen Crossovern und Medien-Multiplikationen das eine Alles-in-allem-meta-geile Universalmedium zu kreieren, in dem nicht nur das Wirkliche, das Imaginäre und das Symbolische zusammenfallen, sondern auch Kino, Fernsehen, Zeitung, Comic, Computergame, Kunst und Tanz (und so weiter). Ob das Universalmedium »vernünftig« ist, wird sich schwer sagen lassen. Es läuft auf eine Aufhebung der »Medienlandschaft« hinaus, so wie die Konzentration in der »Privatisierung« der Welt auf den Meta-Konzern hinausläuft, von dem wir, mindestens in der science fiction noir, so total wie totalitär beherrscht werden (aber wer hindert mich, in der räumlichen und semiotischen Allgegenwärtigkeit von Schlecker-Märkten die Vorahnung solcher absurden Selbstaufhebung zu sehen: endlich besteht der Markt nicht mehr aus Angeboten, sondern aus Imperativen.) Das Sterben der Medien und ihre Auflösung in den MetaMedien ist natürlich nicht zu denken ohne das Sterben der Genres und ihre Auflösung in den Meta-Genres (bis zur Auflösung in drei Hauptströme: das Alltägliche, das Fantastische, das Historische), und dies wiederum nicht ohne das Sterben der Helden und Heldinnen. Und alle Medien, alle Genres, alle Helden wollen sterben (um wiedergeboren zu werden), und sie wollen es auch wieder nicht. Da verhalten sich die Zeichen in unserer Medienkultur längst wie lebende Wesen, sie altern, sie werden sich
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gewisser Dinge bewusst, sie wehren sich dagegen, missbraucht zu werden, sie wollen sich nicht so ohne weiteres umbringen lassen, sie werden krank an Körper und Seele, sie zeugen Kinder, sie erschrecken vor dem Blick in die eigene Seele, sie brauchen Hilfe, sie wollen sich anpassen, um ihren Lebensraum zu schützen, sie können sehr böse dabei werden. Wie also könnte das totale globale meta-geile-digitale-marktbeherrschende-grenzenlose Supermedium, das alle anderen Medien in sich hineingefressen hat, am Ende aussehen? Genau: wie die Matrix. Und wer würde dagegen rebellieren? Wesen, die sich an die alten Geschichten erinnern. An eine Zeit, als die Wirklichkeit noch nicht paradoxerweise durch ihre Totalität abgeschafft war und der Markt (der Fantasien) noch existierte, bevor er paradoxerweise durch seine Totalität abgeschafft ward, an die Zeit, an der es noch Unterschiede zwischen dem Sinnbild und dem Abbild gab, und in der es Legenden gab, weil es Wirklichkeit gab, und Wirklichkeit, weil es Legenden gab, und der selbstbewusste Mensch die Grenze zwischen beidem zu vermessen wusste. Und wo es noch den Raum und noch die Zeit gab, und Medien, die das eine oder das andere benutzten und untersuchten. Neo in THE MATRIX hat indessen nicht nur die Hacker-Mentalität des Cyberpunk und die desillusionierte Moralität der slacker und des Grunge geerbt, sondern auch die Melancholie des Comic-Helden in der Epoche der Auflösung seines Mediums. Wir »verstehen« diese Figur nicht zuletzt deshalb, weil wir im Medium Comic die Entwicklung eines Helden verfolgt haben, der zwischen tiefer Depression und messianischem Größenwahn hin und hergeworfen wird und der, wie Neo, seine Phasen von körperlicher Aktion und philosophischer Grübelei erlebt – und jede ist die Befreiung, für den Augenblick, von der anderen. Neo ist der Junge, der die Medien und ihre Helden, die aufgehobenen Wünsche und verkleideten Ängste liebte. Und der gerade deswegen nicht in dem Meta-Medium der Matrix zugrunde gehen will.
whatisthematrix.com Das Marketing von THE MATRIX machte den Eindruck, als habe man sich ein paar Tricks bei den Blockbustern von Spielberg und Lucas abgeschaut und ein paar andere beim Internet-Hype von THE BLAIR WITCH PROJECT (1999; R: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez). Auf der einen Seite gab es Merchandising-Anreize für das jugendliche Popcorn-Publikum: Bei der Uraufführung erhielten, nur zum Beispiel, die ersten 50 Besucher, die vor der Kasse eines Kinos eine Hand voll Snickers
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präsentierten, freien Eintritt. Und auf der anderen Seite fanden PR-Kampagnen an den Universitäten statt, die schon das intellektuelle Potenzial des Stoffes ausreizten. Zentral aber wirkte die Web-Seite whatisthematrix.com, die in ihrer interaktiven Gestaltung und ästhetischen Offenheit selbst neue Maßstäbe setzte. Hier gab es zumindest Ausschnitte einer Comic-Serie, die aus dem Storyboard entwickelt worden war und die einige Aspekte der (noch) rätselhaften Welt der Matrix offenbarte, hier wurden schon erste Diskussionen geführt. Die etablierte amerikanische Filmkritik wurde von THE MATRIX definitiv auf dem falschen Fuß erwischt (aber steht sie nicht ohnehin seit geraumer Zeit selten auf dem richtigen?). Sowohl in Time wie in Newsweek fanden sich eher gelangweilte Rezensionen des angeblich hundertsten, wenn auch modern aufgepeppten Aufgusses des Actionfilms aus der Werkstatt von Joel Silver. Der Hollywood Reporter sprach davon, dass die Story in THE MATRIX den Spezialeffekten eins zu zehn unterlegen sei. Wenige Wochen spater mussten die Blätter andere Schreiber daran setzen, den überraschenden Erfolg und das soziale Phänomen MATRIX zu erklären. Auch die etwas genaueren Kritiken hatten in dem Film nichts anderes als ein gewaltiges cineastisches Spielzeug gesehen, mit den üblichen Kämpfen und Explosionen, und mit der üblichen Verschwörungsparanoia. Die philosophischen und religiösen Aspekte wurden so wenig ernst genommen wie die innovative Ästhetik. So kann man wohl von drei Stadien der Rezeption von THE MATRIX sprechen: Die erste durch die Filmkritik und das kritische Premierenpublikum verlief eher indifferent. Die zweite durch das (virtuelle) Fandom, das in dem Film und mindestens ebenso in seinen Medienmultiplikationen rasch ein synthetisches semiotisches Zuhause gefunden hatte, verlief in der Art eines der modischen Kulte. Erst die dritte Phase der Rezeption, die einerseits ein Publikum anzog, das ansonsten nicht unbedingt mit Science-Fiction-Blockbustern zufrieden zu stellen war, und die andererseits zu mehr oder weniger gelehrten Abhandlungen und hippen Diskursen führte, machte aus THE MATRIX das, als was es schließlich in die Geschichte der populären Mythologie eingehen sollte: etwas Neues. In der dritten Phase der Rezeption wurde es Mode, »die Geheimnisse der Matrix« zu entschlüsseln. Der Film war nicht nur eine eigenständige, sensationell »treffende« Bilderwelt und eine mythische Geschichte, die den Zuschauern offensichtlich wesentlich länger nachging, als sie das von den gewohnten Filmen dieser ökonomischen Größenordnung gewohnt
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waren, er entwickelte sich auch zu einer gewaltigen Rätselmaschine, die, angenehmer Nebeneffekt für die Produzenten, unbedingt noch einmal und noch einmal angesehen werden konnte und wollte. (Aber damit keine Missverständnisse entstehen: Ein Film, der solches Immerwiedersehen verträgt, muss auch auf anderen Ebenen seine Verdienste haben.) Und die Macher von THE MATRIX heizten diese Entschlüsselungsmanie natürlich nach Kräften an. Für die Cinephilen immerhin gibt es einige Eckdaten: 60 Filme, so heißt es, werden »ernsthaft« zitiert, 40 weitere erhalten die Ehre, immerhin parodistisch gestreift zu werden. Die Interpretationsmaschine war angeworfen, und wie Sie gerade durch Ihre Lektüre beweisen, läuft sie noch immer einigermaßen hochtourig. In den Diskussionsforen begegneten einander Seminararbeiten, FanKritik, pure Bewunderung oder Reflexionen, denen die MATRIX als nicht viel mehr denn als Vorwand diente. Elektronische Wellen des Wissens schaukelten sich hoch, aber vielleicht bedeutender war das Gefühl, einer Art kybernetischen Verschwörung anzugehören. Es war die einfachste symbolische Verknüpfung von Abgebildetem (der technologisch hochgerüstete Staat im Status von fundamentalchristlichem Globalkapitalismus und die jugendliche Revolte dagegen) und Abbildung (ein mediales Event innerhalb dieses Systems und nach den Regeln dieses Systems): Ganz buchstäblich befindet man sich, am Display seines Computers und an der »Benutzeroberfläche«, in einem »Draußen«. Das ist so radikal, wie es bei einem Gott sein kann – oder bei einem Terroristen. Während der »göttliche« Blick sich in die Welt am Draht nicht anders hineinbegibt als mit den Mitteln eines Ego-Shooters, versucht der Terrorist ins Innerste vorzudringen, um dort einen bleibenden symbolischen Schaden anzurichten. Thomas Neo Anderson ist offenkundig auch eine dialektische Verbindung von Cybergott und Terrorist, und daher ist er wohl auch nicht nur einfach der erste wirkliche Held für die Hacker, sein Handeln ist auch direkter Reflex der moralischen Situation des Users. Das Empfinden, durch die Oberfläche des Computerbildschirms von einer oder gar der Welt getrennt zu sein, sich im »Draußen« zu befinden und dies mit einer besonderen Form des Eindringens zu kompensieren, oder damit, endlos Macht zu simulieren, erschafft die Krankheits- und Kriminalitätsbilder der Hacker-Generation: den Joystick-Junkie, der sich eine vollkommen leere Fertigkeit in einem leeren Problemfeld erdaddelt, den Hacker, der in fremde Programme und Dateien einbricht, der Chatter, der sich unter einer falschen Identität durch diverse Simulationen von sozialen Kommunikationsräumen bewegt, der übernächtigte Program-
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mierer, der, selbst wenn er sich auf ein durchaus rationales Verhältnis zu seiner Maschine berufen kann, einfach keine Zeit und keinen »Sinn« mehr für die Wirklichkeit hat, und natürlich der Bösewicht aller CyberBösewichter: der Mensch, der Programme nicht nur »knackt« (wie Trinity es in legendärer Vorzeit der Story getan hat), sondern sie verseucht, ihnen Viren, Würmer und Trojanische Pferde sendet, sie zur Selbstzerstörung treibt und sie zu unfreiwilligen Komplizen in seinem Netzwerk der Destruktion macht. Allen diesen Computer-»Kranken« und Computer»Kriminellen« haben die Literatur, die Comics und der Film mehr oder weniger eindrucksvolle Abbilder gewidmet. Und Neo und die Seinen sind vor allem Zusammenfassung und Überhöhungen dieser Archetypen der neuen Form von Ausschließung und Eindringen; sie tragen alle Ängste und Schuldgefühle, alle Unsicherheit und alle Allmachtsfantasien der Hacker mit sich, und was das Beste ist: Sie geben ihnen einen Sinn. Denn paradoxerweise, nicht wahr, erhöht ja jedes Manöver des Eindringens und Veränderns die Notwendigkeit der Innen/Außen-Konstruktion der Computerwelt: Die Antwort auf eine »Penetration« ist eine firewall. Und die erste Aufgabe eines Schutzprogramms ist die »Isolation« des Eindringlings. Das alles erinnert nicht nur an einen Körper, der sich zugleich vor Krankheiten des Außens der Welt schützen möchte und zugleich so viel von dieser Welt wahr- und aufzunehmen wie irgend möglich, sondern natürlich auch an einen Staat, der sich in seinen Grenzen organisiert – und sich, wie in Neuromancer, WELT AM DRAHT und THE MATRIX auch über diese Grenzen hinausbewegt. Anders als bei der informellen Verschwörung der Internet-Freaks bei THE BLAIR WITCH PROJECT erschien THE MATRIX bereits als Reflexion des Mythos, selber ein Vorgang des Durchdringens. Das Ausgeschlossensein und die Teilhabe, diese beiden teuflischen Grundempfindungen der Digitalisierung, werden in eine neue Balance gebracht. So wie sich nach dem enormen Erfolg von eBay die Benutzer (und manche eingestandenermaßen »Süchtigen«) auch als reale Personen treffen mussten, um nicht vollständig den Boden zu verlieren (und um nebenbei der Firma bessere »Profile« zu liefern), woraus eine regelrechte Installation der Wirklichkeit (mit ausgesprochen wirklichen Eintrittspreisen, nebenbei) entstand, so mussten umgekehrt die Fans der MATRIX aus dem realen Raum des Kinos schleunigst an ihre Computer zurückkehren, um ihre wirklichen Offenbarungen ins Innere ihrer »eigentlichen« Lebenswelt zu tragen. Neo ist der Erlöser der Computer-Benutzer. Aber er zweifelt an sich. Und wer will sich schon opfern, ausgerechnet für unsere Sünden am Joystick und an der Tastatur?
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THE MATRIX RELOADED Great Expectations: Die Wachowskistock Company bei der Arbeit THE MATRIX hatte in den USA 171 Millionen Dollar an den Kinokassen eingespielt, weltweit fügten sich 209 Millionen Dollar dazu. Es war ein gewagtes Spiel, bis zur Aufführung des zweiten Teils (in Europa bei den Filmfestspielen in Cannes) die Erwartungen von Kritik und Publikum ins Unermessliche zu schrauben. Das galt nicht nur für die noch halbwegs haltbaren Versprechungen neuer Superlative bei den Computertricks, sondern auch für die enormen Veränderungen im »MatrixUniversum«. Aber natürlich hatte sich diese Erwartung auch in eben der Seminar Rezeption unserer Lieblings-Nerds aufgeschaukelt, die THE MATRIX eigentlich eher mit lässigen Schlenkern nebenbei bedient hatte. Die üblichen Verdächtigen in der deutschen Hipster-Philosophie hatten ihre MATRIX-Statements veröffentlicht. Elisabeth Bronfen hatte ihn zum »epochalen Schwellenfilm« erhoben, und Boris Groys erklärte THE MATRIX als Zeichen für das »Ende der Philosophie«. Peter Sloterdijk wollte beobachtet haben, »dass die Vorausahnungen einer mehrwertigen Ontologie von der Hermetik innerhalb der Nietzscheschen und Heideggerschen Diskurse überspringen in die massenkulturelle Anschauung.« (Ich habe erst mal keine Ahnung, was dieser Satz uns sagen mag, aber fleißig, wie ich nun mal bin, versuche ich ihm später in diesem Buch auf den Grund zu gehen.) Eine der wenigen programmatischen Aussagen der Brüder Wachowski selbst ist zugleich ein Schlüssel zum Verständnis ihrer Arbeit: »Wir glauben nicht, dass die Regisseure die einzigen wichtigen Autoren eines Films sind. Der Film ist ein kollektives Werk. Und das muss für sich selber sprechen und bedarf keiner Erklärung.« Sprachen's und weigerten sich fortan, die Rollen der wissenden Schöpfer zu spielen. Eine Erzähl- und Bildermaschine wie THE MATRIX funktioniert also als radikaler Gegenentwurf zum europäischen Autoren-Gedanken. So wie man sich von dem anti-technologischen Mythos verabschiedet hat, so verabschiedet man sich nun von der irrationalen Autoren-Idee. Behauptet wird nun nicht mehr und nicht weniger, als dass der Gegensatz zwischen der kollektiven Produktion für den Markt und der individuellen Produktion für die Kunst eine Legende ist. Nirgendwo
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ist die Möglichkeit des kollektiven Kunstwerks so nahe wie im Kino. Und nirgends wird sie so leicht verfehlt. Die Wachowskis sind definitiv eingestöpselt. Die Arbeit an THE MATRIX war gleichsam nahtlos aus dem Medium Comic ins Medium Film hinüber gewachsen, und die Autoren und Regisseure nahmen ihre Mitarbeiter von einem zum anderen Medium mit – nicht zuletzt aber auch bestimmte Arbeitsweisen. Das neue Kollektiv sollte sich sowohl von einem neuen »Empire« wie etwa von George Lucas und Steven Spielberg unterscheiden als auch von einer auf ein Zentrum fixierten factory wie die von Andy Warhol. Um die MATRIX-Filme und ihre Weiterungen entstand ein offenes System der Beziehungen, eine Zusammenarbeit vergleichbar unabhängiger, kleiner Produktionseinheiten. Vermutlich könnte man die Philosophie dieses Systems in einem Satz zusammenfassen: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Oder nennen wir es mit einem Wort, das aus der Getto-Kultur kommt und zur Voraussetzung zukünftiger sozialer Systeme wird: respect. Bei der Produktion von THE MATRIX hatten die Wachowski-Brüder ihre kreative Company (mehr oder weniger heimlich) auch als ökonomisches Unternehmen gefestigt. Eon Company (noch ein Anagramm von Neo) sollte das Herz einer neuen, offenen factory werden, die die Struktur der internationalen Bilderfabrik namens Hollywood mehr verändern sollte, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mochte. Von Anbeginn an war THE MATRIX, wie seinerzeit STAR WARS, auch ein Projekt zur politischen Ökonomie der Traumfabrik. Wenn der Start von THE MATRIX gezielt auf eine Konkurrenz mit dem der STAR WARS-Reihe abgezielt war, dann lud die Produktion der beiden Folgeteile nicht weniger direkt zu einem Vergleich mit anderen Superproduktionen wie Peter Jacksons THE LORD OF THE RINGS ein. Man versuchte hier stets den Aufwand nicht allein durch die Prachtentfaltung, sondern auch durch das ästhetisch-philosophisch-technologische Experiment, durch die eigene Kraft der Innovation zu rechtfertigen. Wenn THE LORD OF THE RINGS noch ein allerletzter Triumph der Hippie-Ideologie der technologisch verstärkten Anti-Technologie war, dann waren THE MATRIX RELOADED und THE MATRIX REVOLUTIONS auch ein öffentliches plug-in. Die Dimensionen der Arbeiten zu den beiden nächsten Teilen der MATRIX-Trilogie überstiegen allerdings die aller Superproduktion: 270 Drehtage in den Fox-Studios von Australien verschlangen ein moderates Budget von 300 bis 320 Millionen Dollar. Dazu musste das Know-how auf eine neue Weise gebündelt werden; die einzelnen Produktionsteile benötigten beides: eine zentrale Kommunikationsinstanz und eine relative Frei-
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Die Arbeit war gleichsam nahtlos aus dem Medium Comic ins Medium Film hinüber gewachsen: Neos Absturz in THE MATRIX
heit. Den Kern dieser Bewegung konnten nur jene bilden, die bereits beim ersten Film der Trilogie beteiligt waren. Larry und Andy Wachowski, so erinnert sich John Gaeta später, »gingen bis ans Ende der Welt, um dieselben Leute wieder für RELOADED zu 117
versammeln, die schon bei THE MATRIX gearbeitet hatten«. So war beispielsweise das Team wieder beieinander, das die Aufnahmen der »virtuellen Kamera« leitete, der Visual effects Supervisor Kim Libreri und der Virtual human R9:47 AMD Supervisor George Borshukov. Für die Dokumentation des »kollektiven Kunstwerks« riskierten die Wachowskis im Übrigen den einzigen größeren Streit mit Warner. Sie bestanden darauf, dass in den credits alle Beteiligten aufgeführt wurden, auch jene aus Bereichen der Produktion, die gemeinhin nicht aufgeführt werden. Zum Beispiel, man beachte den biografischen Hintergrund, die Zimmerleute. Die Wachowskis unterlagen übrigens in diesem Streit den Warners. Die Endtitel hätten einfach zu viel Zeit in Anspruch genommen. Immerhin: Der Nachspann zu THE MATRIX RELOADED umfasst 3300 Namen. Zum Zeitpunkt des Einsatzes von THE MATRIX RELOADED hatten sich die Wachowski-Brüder in der Liste der einflussreichsten Personen in der Traumfabrik bereits auf Platz 8 hochgearbeitet, Tendenz steigend. Und »erwarten Sie nicht, dass die Wachowski-Manie so schnell ihr Ende findet«, schrieb Cinescape. Tun wir nicht: Der Kino-Film des beginnenden Jahrtausends ist entweder ein scharfes lokales Ereignis (ein kleiner, genauer, mutiger Autorenfilm) oder ein ästhetisch-technologisch-ökonomisches Gesamtwerk mit beinahe unbegrenzter Saugwirkung. Zwischen diesen beiden Filmwelten und Weltfilmen verlaufen viele Grenzen. Aber definitiv nicht die zwischen gut und böse.
Reloading MATRIX-Plot Das reloading ist eine besondere Form der Kontinuität: Ein entweder »abgestürztes« oder veraltetes Programm wird mit der je neuen Version von einem Nullpunkt aus hochgefahren und ersetzt die ursprüngliche Fassung. Ein reloading kann sich natürlich auch auf eine leer gefeuerte Waffe beziehen, die mit neuer Munition bestückt werden muss. (Freundlicherweise verzichten wir auf eine Pointe um die Bedeutung von loaded als reich.) THE MATRIX hatte eine Unzahl Bälle in die Luft geworfen, und natürlich musste das Sequel zunächst einmal damit beschäftigt sein, sie in einer Weise in der Luft zu halten, dass man sie am Ende würde auffangen können. Wenigstens die meisten von ihnen. Aber zum anderen mussten, dem wichtigsten Gesetz des Entertainments entsprechend, auch neue Bälle ins Spiel kommen. Die Erzählung, immer noch eifrig bemüht, Technologie, Religion, Philosophie und Design in eine Balance zu bringen, musste demnach zugleich angereichert und reduziert werden. Was die
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große Anlage der Intrige anbelangt, benutzt THE MATRIX RELOADED geradezu aufreizend klassische Elemente der Spannungs- und Action-Dramaturgie: Ein Angriff muss abgewehrt werden, und dazu muss etwas/jemand in einer gesicherten und geheimnisschweren Umgebung gefunden werden: In drei Tagen wird der Angriff der Wächter auf Zion erfolgen, und es muss vor Ablauf dieser Zeit der »Schlüsselmacher« gefunden werden, mit dessen Hilfe nur man ins Zentrum der Matrix gelangen kann, um den Angriff zu blockieren. Die Übermacht ist erdrückend, und außerdem haben die wenigen Helden nur eine viel zu knapp bemessene Zeit zur Verfügung, ihre Aufgabe zu erledigen. Die Handlung spielt sich innerhalb des überschaubaren Zeitraums von 72 Stunden ab (was uns an einen Film von Don Siegel erinnern mag). Zeit/Raum? In der Matrix? Es ist abzusehen, dass dieser klassische Plot nicht konzentriert wird, sondern er wird gleichsam zerlegt und zerfasert, so wie ein Komponist eine durchaus konventionelle Melodie auf ihr musikalisches Material hin zerlegen und befragen kann. Die einzelnen Elemente funktionieren nie allein aufgrund der Zuordnung zu dieser »Melodie«. Sie haben ihr Eigenleben, manche davon grandios, andere nicht so. Und sie haben ihre Beziehungen nach draußen, zum ersten Teil als Erinnerungen und zum dritten Teil als Vorgriffe. Natürlich auch wieder zu Filmen, Büchern, Comics und »Wirklichkeiten« außerhalb der Matrix. Wie THE MATRIX, so beginnt auch THE MATRIX RELOADED mit einer fulminanten Action-Szene, zu der wir erst später eine Geschichte erfahren werden. Wir sehen einen Wachtrupp auf den Dächern eines der Hochhäuser in der Welt-Stadt der Matrix. Plötzlich brettert eine Frau in Schwarz mit ihrem Motorrad, das buchstäblich vom Himmel fällt, ins Zentrum der Matrix, durch Glasscheiben, versteht sich (und nicht ohne uns für diesen wichtigen Moment in der fraktalen Schönheit zerbrechenden Glases schwelgen zu lassen). Einer der Wächter schreit auf: »Oh my god!« Nicht ganz: Es ist Trinity, und sie erledigt mit ihrer Handkanten-Technik ein paar Leute aus dem Wachtrupp. Dann aber trifft sie auf einen Agenten, und die Szene endet damit, dass sie rückwärts aus dem Hochhaus fällt, mit den Waffen in ihren beiden Händen auf ihren Verfolger feuernd, dem Agenten, der ihr nachgestürzt ist und seinerseits auf die Fallende schießt. Die Kugeln sehen wir gleichsam durch die Luft pflügen. Glassplitter formen eine eigentümliche Aura um die Fallende. Trinity wird in die Brust getroffen, es kann nichts anderes als ihren Tod bedeuten, oder? Schweißgebadet erwacht Neo; es war nur sein Traum. Trinity liegt neben ihm. (Aber auch bei dieser Variation einer Szene aus dem ersten Teil müssen wir wissen: »nur« ein Traum, das gibt es für Neo nicht.) Der Film gibt da auch schon seinen noch einmal gesteigerten Standard der
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Special Effects wieder. Das reloading ist auch das ästhetische Prinzip des zweiten Films. »Kannst du wieder nicht schlafen?«, fragt Trinity ihn am nächsten Morgen. »Willst du reden?« Aber das kann Neo natürlich nicht. »Sind nur Träume«, murmelt er. Der Traum steht schon in der Liebesgeschichte, die doch gerade erst begonnen hat. Als Splitter im Kopf. Auf die Erweckungsgeschichte des Erlösers folgt nun ansonsten eine (scheinbar) handfestere Verschwörungsgeschichte. Die kleine Gruppe der Rebellen erreicht die Stadt Zion, nahe dem Erdmittelpunkt, seit 100 Jahren, wie es heißt, im Widerstand gegen die Mächte der Matrix. Die Welt außerhalb der Matrix, in die wir nun gelangt sind, ist in bläuliches Licht getaucht. Sozusagen das direkte farbliche Gegenbild zu der GrünSchwarz-Ocker-Welt in der Matrix. (Bei den Dreharbeiten war ein Mitarbeiter nur damit beschäftigt, keine Abweichungen von dieser Farbenlehre zuzulassen und stets die richtigen Vorsatzlinsen für die Kamera bereit zu halten.) Nichts deutet daraufhin, dass es hier »schöner« oder »besser« sei. Zion, in THE MATRIX noch Legende und Utopie, wird nun als realer Ort vorgestellt. Das antike Zion ist übrigens ein Teil der Stadt Jerusalem, der gleichsam das Paradies vorwegnahm. In der Diaspora wurde Zion für die Juden das »gelobte Land«, zu dem sie aus Bedrängnis und Verfolgung zurückkehren wollten. Und im Glauben der jamaikanischen Rastas ist Zion die neue (alte) Heimat in Afrika. (Dass auch diese Aktualisierung des Mythos im Cyberpunk eine Rolle spielt, zeigt der Umstand, dass in Neuromancer ein Schiff namens Marcus Garvey auftaucht, nach dem Propheten der Bewegung zur Rückkehr nach Afrika.) Im ersten Film funktionierte Zion ein wenig als McGuffin, wie auch in der Geschichte und in der Mythologie dieser Ort am besten ist, wenn man ihn nicht wirklich erreicht. Einer Ent-Täuschung kann also niemand entgehen, die Helden so wenig wie die Zuschauer. Thomas Neo Anderson hat mittlerweile seine fantastischen Fähigkeiten gut im Griff, und der Widerstand der Menschen, die aus dem Spiel der Matrix ausgestiegen sind, ist großartig organisiert. Neo ist ein anderer geworden, das sehen wir an seinem entschlossenen, fast möchte man sagen: unromantischen Auftreten. Morpheus ist nur noch ein »Captain« unter vielen anderen, wenn auch einer mit einem besonderen Charisma. Er versteht es, die, nun ja: Massen von der Mission des Kampfes und vom Erlöser zu überzeugen, und kann es sich leisten, die Skeptiker zu ignorieren. So sehen wir ihn am Anfang in einem einigermaßen steifen und sehr amerikanischen Auftritt, bei dem er an die Bevölkerung Zions eine Ansprache hält. Und Neo muss seine große Erlöserrolle eher als einen Job begrei-
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fen, den er unbedingt zu erledigen hat. Er hat akzeptiert, dass er der Erwählte ist, auch wenn er noch nicht abschätzen kann, was dies für ihn bedeuten mag. Trinity ist ein love interest des Helden und damit ebenfalls ins Menschliche zurückgestuft. (Auch wenn der Verdacht noch lange nicht ausgeräumt ist, Trinity könnte einfach »Gott« sein.) Nach dem fulminanten Beginn jedenfalls scheint, mit der Ankunft des »Teams« in der Stadt des Widerstands, alles von einer zähen Folgerichtigkeit. Die Senatoren als Vertreter der Politik und die Kommandanten der Rebellenarmee streiten sich um den richtigen Weg gegen die Bedrohung der angreifenden Heere der Mörder-Roboter. Morpheus muss »die Massen« von der Ankunft des Erlösers und von der Notwendigkeit des Kampfes überzeugen. Es ist, als sei der Mainstream des amerikanischen Action- und Militärfilms in die Erlösergeschichte eingebrochen. Erst einmal wird nun viel geredet. Nicht ohne Bedeutung scheint eine boy/hero-Episode am Beginn von THE MATRIX RELOADED, bei der Ankunft der Kämpfer in Zion: Voller begeisterter Unterwürfigkeit erbietet sich der Junge, »The Kid«, Neo das Gepäck zu tragen. Der nimmt die Bewunderung mit einer Mischung aus Skepsis und Wohlwollen hin. Wenn dieser Junge tatsächlich »The Kid« aus der gleichnamigen ANIMATRIX ist (vgl. das entsprechende Kapitel), dann verstehen wir die etwas unsichere Beziehung zwischen den beiden. Neo hat ihm ja schon damals, wenn auch ohne Erfolg vermutlich, klarzumachen versucht, dass nicht er es war, der ihn erlöst hat, sondern der Junge selber. »Selbstsubstanzialität« war das Stichwort. Mit dem Auftreten des »Kid« ist Neo selbst nicht mehr in der Situation des jugendlichen Helden, der seine Persona – und seine Anima – finden müsste. Ein wenig hat er damit das Recht auf Wunder verloren. (Stellen wir uns für einen Augenblick vor, Alice würde als Mutter noch einmal in den Kaninchenbau gelangen: Hey! Jemand sollte diese Geschichte schreiben!) Diese Verdoppelung und Erweiterung des Helden-Image kennen wir aus der Filmgeschichte. Was wären Gary Cooper in THE PLAINSMAN (Der Held der Prärie; 1937; R: Cecil B. DeMille), was wäre James Stewart in DESTRY RIDES AGAIN (Der große Bluff; 1939; R: George Marshall), was gar wäre Alan Ladd in SHANE (Mein großer Freund Shane; 1953; R: George Stevens) ohne den bewundernden Blick des kleinen Jungen, aus dem der Held in Wahrheit erst geboren wird? Einerseits macht der Blick des boy auf den hero diesen »erwachsener« als er ist; er muss, zum Teil wenigstens, »Vater« werden, und andrerseits bannt er ihn auch in das Reich der ewigen Kindheit: der Held ist auch der »Bruder«, der das Spiel noch einmal mitmacht (und manchmal schon ein wenig traurig blickt, weil er doch auch weiß, dass man dies neverland nicht bewahren kann).
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Zion in THE MATRIX RELOADED: Eine Low-Tech-Welt, die an …
Den Rebellen droht die bislang größte Gefahr in ihrer MittelerdeBehausung: Vor sechs Monaten ist der totale Krieg erklärt worden. In 72 Stunden nun also soll Zion, die Stadt, in die sie sich zurückgezogen haben und deren Koordinaten dem System nun bekannt sind (das heißt nach den Regeln des Matrix-Universums: ein Kommandant muss die Zugangsdaten des Zentralcomputers verraten haben), von den Kräften der Matrix, von einem gewaltigen Heer der squiddies angegriffen werden. Wir kennen diese technologischen Monster nun nur zu genau: Sie fassen alles Jagende, Saugende, Stechende und Schauende zusammen, was der Mensch an seinen Parasiten zu fürchten gelernt hat. Es ist der paradoxe Zustand der Technologie im Status reiner »Triebhaftigkeit«. Wie die Menschen, so fallen auch die Maschinen in Aspekten ihres Daseins in die schiere Barbarei zurück. Früher oder später müsste die Matrix der Selbstzerstörung anheimfallen, in den Fieberanfällen, die die unziemliche Unvernunft der Agenten auslöst, oder in den Gewebeschäden, die die Mordlust der Wächter-Drohnen bewirken. Zion, gleichsam in der verlorenen Mitte der Welt gelegen, erinnert an eine heruntergekommene Version von Fritz Langs Metropolis. Es ist eine Low-Tech-Welt, die freilich offenkundig gut gewartet wird. »Ihre Bewohner«, schreibt Heike Kühn, »tragen biologisch abbaubare Gewänder, die man aus Sandalenfilmen wie BEN HUR [1925; R: Fred Niblo / 1959; R: William Wyler] kennt. Sie versammeln sich in einer Höhle, die von den Zufluchtsstätten des Urchristentums nur ein paar Stahlträger entfernt ist. Ihr Tanz fällt etwas ekstatischer aus, als es in der Bibel vorgesehen sein mag, aber das ist nur verständlich, wenn man bedenkt, dass alle diese Leiber sich mühsam aus den Brutstationen der Maschinen und der Laschheit des muskelzersetzenden virtuellen Daseins befreien mussten.« Das stimmt
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nicht ganz. In THE MATRIX haben wir erfahren, dass es in Zion auch Menschen wie Tank und Dozer gibt, die »in Freiheit« geboren sind. (Schließlich fürchten die Maschinen nicht umsonst so sehr die Fruchtbarkeit des Menschen. Sex ist auch hier, ganz unromantisch, eine Waffe des Menschen gegen die Maschinen.) In der Tat feiern die Bewohner von Zion nacheinander die beiden schärfsten und einzigen Waffen, die sie gegen die Matrix haben: den Glauben und den Körper. Für den Augenblick wollen sie vergessen, dass darin auch ein Widerspruch stecken kann. Beim Zuschauen mögen wir dabei ein wenig betreten reagieren. Soll das wirklich ein menschlicher Gegenentwurf sein? Oder sehen wir zu, wie Zion sich entlarvt? Sagen wir: Dafür, dass als Wirklichkeit nichts als Wüste versprochen ward, geht es in Zion noch ganz passabel her. Neo selbst aber wird von schrecklichen Visionen geplagt. Immer wieder stehen sie seinem Bemühen um einen rationalen »Schlachtplan« im Wege. Die schlimmste ist die, die wir am Anfang gesehen haben: Trinity verliert bei ihrem Eindringen ins Herz der Matrix das Leben. Neos Handlungen und Gedanken stehen im Zeichen dieses Todes. Im Zeichen des Todes der Geliebten, im Zeichen des Todes Gottes. Weiß der Teufel, was schrecklicher ist. Neben der boy/ hero-Konstruktion ist dies das zweite Element, das ihm den Rückweg zu den Wundern seiner Erweckung unmöglich macht. (Und im Meta-Plot hat der jugendliche Mensch, von dem wir ausgegangen sind, sein vollgestopftes Zimmer, seinen zweiten oder dritten Geburtsraum, verlassen und sieht sich wehmütig in der Wüste der Wirklichkeit um. Wenn man jetzt zurückkommt, und man kommt immer zurück, dann ist es nicht mehr dasselbe.) Zweifel und Selbstzweifel des Helden sind in ein neues Stadium getreten; sie entwickeln sich inmitten der Tat. »Ich wünschte, ich wüsste, was ich tun soll.« Was kann ich wissen? Wer bin ich? Was soll ich tun? (Bleibt noch die schwerste Frage, nach Immanuel Kant: Was darf ich hoffen?) Mit diesem Selbstzweifel beginnt THE MATRIX RELOADED, schon bevor Neo, Trinity und Morpheus mit ihrem Schiff Nebukadnezar in Zion landen, wo es eine ganze Flotte von Schiffen und eine militärische Führung gibt, die sich auf den großen Angriff vorbereitet. Für einen Augenblick weitet sich der Raum der Erzählung, er könnte Neo, Morpheus und Trinity vom Zentrum an den Rand verbannen: Hunderte von Nebukadnezar-Geschichten könnten nebeneinander laufen. Aber nun muss sich zeigen, dass die Geschichte des Erlösers nicht nur eine innere ist. Morpheus' Schiff ist nach jenem babylonischen König benannt, der sein Leben damit zubrachte, seine rätselhaften Träume zu deuten. Man könnte
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es also mit Fug ein »Aufklärungsschiff« nennen. Das zweite, schnellere Schiff der Menschen aus Zion aber heißt Logos. Da ist aus der Suche schon ein Anspruch geworden. Auch das ist Fortsetzung und Alternative: In den Weiterungen wie dem Spiel Enter the Matrix wird die Logos zum wichtigsten Fortbewegungsmittel, davor war es die Osiris, eine Göttin des Traums. Noch ein Hinweis darauf, dass es sich bei der Entwicklung der Menschen in der Matrix und vor allem außerhalb von ihr nicht nur um die Geschichte vom Mythos zur Religion, sondern auch um die Geschichte vom Träumen zum Wissen handelt. Die Geschichte der Aufklärung und ihres Scheiterns im Schnelldurchlauf. (Je genauer man das MATRIX-Universum betrachtet, desto mehr fällt die geradezu mathematische Strenge der Komposition auf.) Die 250.000 »Kampfdrohnen« bewegen sich auf die Stadt zu, die an rasende Tintenfische erinnernden Stahlroboter, die von den Maschinenherrschern in ihrem mechanischen Stadium zur direkten Kontrolle der versklavten Menschen entwickelt worden waren. Der Krieg zwischen Mensch und Maschine scheint also (an den »Außengrenzen« der Matrix) einen Aspekt der wechselseitigen Hochrüstung durchlaufen zu haben, wie wir ihn aus den TERMINATOR-Filmen kennen und wie er aus der ANIMATRIX-Episode THE SECOND RENAISSANCE für die Chronik des MatrixUniversum belegt ist. Das System der Versklavung, so scheint es, ist notwendig auch eines, das Krieg führt. In der Geschichte der Technik aber ist dieser Krieg nichts anderes als ein Wendepunkt vom rationalen zum irrationalen Wirken. Stand der Dinge im 20. Jahrhundert war ein einfaches Dogma: Das Technische ist das Gegenstand gewordene Rationale in einer Gesellschaft. Und Technik ist alles, bei dem aus einer Idee ein Ding wird, das in irgendeiner Weise funktioniert, das heißt, etwas verbraucht und etwas produziert. Wenn die Maschinen in der Matrix den Menschen nicht als Rohmaterial brauchten, um daraus paradoxerweise nur die Lebensträume dieses Menschen zu produzieren, dann wären sie keine Maschinen. Dass auch die Maschinen als Weltenherrscher wiederum Maschinen erzeugen (und diese wiederum irgendwann gegen sie aufstehen müssen), hat, ironisch genug, schon Stanislaw Lern beschrieben. In Lems Kyberiade ist der Mensch in der Tat nur noch organische Trägerinstanz oder lebende »Geschichte« (das »Zeitwesen«) für die Maschinen (und sagen wir nur statt »Maschinen« »das Maschinelle«, so wird uns durchaus klar, wie sehr wir nicht davor, sondern mittendrin sind). Mehr und mehr indes verliert das Technische seine Bindung an das Ding. Es macht sich in einer anderen Weise sichtbar, nämlich als Bild von Dingen, und es ist dabei nicht mehr so eindeutig an das Rationale in einer
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… METROPOLIS von Fritz Lang erinnert
Gesellschaft zu binden. Die Maschinen werden ästhetisch (und die Ästhetik maschinell). So ersteht die postmoderne Maschine. Die »ihre« modernen und sogar ihre vormodernen Maschinen hat. Die squiddies, das kennen wir schon aus dem ersten Teil, bringen immer wieder etwas für die Menschen zurück, was es in der Matrix eigentlich nicht mehr gibt: Zeit. Während der Mensch in der Matrix, und natürlich Neo, der Erlöser, vor allen, Raum und Zeit als Illusion erkennen kann, wird er umgekehrt in der »Realität« von den Maschinen auf besonders drastische Weise auf seine zeitlichen und räumlichen Begrenzungen gestoßen. Eine entscheidende Frage, die sich die Bewohner und natürlich vor allem die Rebellen in der Matrix stellen müssen, scheint erst einmal einfach: Ist die Technik ein Teil der Geschichte, oder ist sie ein Teil der Evolution? Wäre sie ein Teil der Geschichte, so wäre es ohne weiteres möglich, nach einem technischen Zeitalter eines zu erleben, in dem Technik eine weniger entscheidende Rolle spielte. Wir haben auch dieses Idyll in der Science-Fiction. Entweder läuft die Technik dann für sich allein auf einem moderaten Level, und die Menschen kümmern sich um etwas, was ihnen dann wichtiger erscheint, oder aber, der Krieg, den Maschinen gegen Menschen geführt haben, hat zu einer Trennung der 125
Geschichte der Menschen und der Geschichte der Technik geführt. Dann sind wir wieder in einer barbarischen Welt, aufs MAD MAX-Level zurückgeworfen, in dem ohne weiteres eine Comicfigur zum Abbild eines kommenden Messias werden kann. Es könnte dann entweder alles wieder von vorn beginnen (die Technologisierung sich bis zur nächsten Katastrophe erneut abspielen), oder aber die menschliche Geschichte könnte eine ganz andere Entwicklung nehmen; Spiritualität oder Ritualität könnten das Leben bestimmen, das bewusst auf einem bestimmten technologischen Level festgeschrieben würde. Wenn die Technik aber ein Teil der Evolution ist, der Weg von der Synergie über die Symbiose zur Verschmelzung führt, dann ist dieser Krieg nichts anderes als eine Krise, die zum Quantensprung in der Entwicklung des technifizierten Menschen oder der humanisierten Technik führt. Die Frage, ob der Rebell also ein Humanist, ein Reaktionär, ein Romantiker, ein Verrückter oder ein Heiliger ist, kann gar nicht so einfach beantwortet werden, wie es schien. Wir haben ja schon mehr als einen durchaus zweifelhaften Zug an unserem Helden kennen gelernt, den »Waffen!-Jede-Menge-Waffen!«-Aspekt (Selbstironie hin oder her), die glorreiche Abbildung des Computer»Kranken« beziehungsweise Computer-»Kriminellen«, den coolen Narziss und so weiter. Daher hat Neo in THE MATRIX RELOADED begonnen, auf einer ganz anderen Ebene des Bewusstseins an sich zu zweifeln. Denn was er auch tut, er schafft es nicht, einem Subjekt der maschinellen Herrschaft gegenüberzutreten. Alles was er findet, sind Agenten, alte Programme, verräterische oder geblendete Menschen, Maschinen, die eigentlich nicht viel anders funktionieren, als Maschinen auch im wirklichen Jahr 1999 funktionierten, »altmodische Maschinen« also, Dissidenten und, vielleicht das Entscheidende, »Übergänge«. Die Maschinen, die den Menschen einst aus seiner Welt vertrieben haben, könnten diese Welt schon längst verlassen haben (auch dafür gibt es genügend Beispiele in der Science-Fiction). Und sie könnten eine Mensch-Maschinen-Kultur hinterlassen haben, in der jede Zuordnung zu der einen oder der anderen Seite eine pure Fiktion ist und das einzige, aber wirksame Gesetz der weiteren Evolution darin besteht, dass die einzelnen technologischen wie organischen »Produkte« beständig die Seiten zu wechseln bestrebt sind. Ebenso könnten sie selbst sich als Illusion erweisen, die Menschen haben schließlich die Maschinen in mehr als einem Sinne erfunden. So sehen wir »Maschinen« (»Programmen«) zu, die sich immer menschlicher verhalten, und »wirklichen« Menschen (»Rebellen«), die sich immer maschineller verhalten. Jeder Prozess der Verwandlung aber macht das System komplexer. Also könnten wir
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Ein merkwürdiges Altarbild: Neo und Trinity in THE MATRIX RELOADED
einen Verdacht äußern: Der »Krieg« zwischen den Menschen und den Maschinen entbrennt gerade zu dem Zeitpunkt, da die Technologie nicht mehr Teil der Geschichte ist, sondern Teil der Evolution wird. Woran indes also nicht zu zweifeln scheint, ist die Notwendigkeit der »Revolution«. Überhaupt ist dies, auf den ersten Blick, eher merkwürdig: Warum produziert die Traumfabrik eines militärisch-wirtschaftlichen Empires wie dem der USA und ihrer »Verbündeten« so angelegentlich Fantasien von »Rebellen«? Im wirklichen Leben wäre doch Morpheus nichts anderes als ein manischer Terrorist, Trinity eine Computerkriminelle und die Nebukadnezar ein Fluchtfahrzeug. Aber in THE MATRIX RELOADED sind diese Zweifel ausgeräumt. Der Helden-Status wird neu definiert. Das reloading findet schließlich nach einer tiefen Erschütterung statt; auch in der »Wirklichkeit« des Westens ist der radikale anarchistische Traum zurückgedrängt. Wenn im ersten Teil das Messianische danach befragt wurde, inwieweit es im Blick, in der Erwartung, im Widerspruch konstruiert sei, so wird es in THE MATRIX RELOADED danach befragt, inwieweit es inszeniert sei. Morpheus' Verkündigungen haben sich von den Objekten seiner »Weissagung« längst gelöst, es kümmert ihn weder der Zweifel des Verkündigten noch die Zweifel derer, denen er verkündigt wird. Der beleuchtete Raum, in dem sich Neo und Trinity nach ihrer Ankunft in Zion lieben, erinnert auch an eine Art merkwürdiges Altarbild. Auch die Bogenarchitektur, die sich später bei einem Auftritt von Neo, Morpheus und Trinity wiederholen wird, tut das ihre zur Überhöhung der Szene. Man kann durchaus darauf kommen, dass Gott hier seine Liebe zu dem neuen Menschen ausdrückt. Doch diese Parodien auf Heiligenbilder werden sich in THE MATRIX RELOADED auf eine Weise häufen, dass wir gar nicht mehr anders können, als ihnen zu misstrauen. Allzu oft erscheint
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die Beleuchtung wie aus einem Krippenspiel, und allzu oft scheint sich die Kamera selbst einen pompösen Rahmen für den Auftritt der Protagonisten zu suchen. Die innere Stabilität, die durch das morphing von Zeit, Raum und Bewegung verloren geht, wird nun durch die Komposition des Bildes wettgemacht. THE MATRIX RELOADED scheint noch mehr als sein Vorgänger seine Einstellungen zu »rahmen«. Wie der Western immer wieder auf ganz spezifische Bilder hinauswill (die Liebesnacht am Fluss, der Showdown, der Ritt der »heiligen Familie«), die den Widerspruch zwischen dem Sein und dem Bild des Helden aufheben, so entwickelt auch THE MATRIX RELOADED für sich solche Bilder der Fraglosigkeit, Bilder, die vor allem ihre eigene Apotheose bedeuten. Neo, Trinity und Morpheus also kehren mit der Nebukadnezar und der Besatzung zweier weiterer Schiffe im Auftrag des Rates von Zion in die Matrix zurück, um deren Kraft für den Angriff zu schwächen: Sie müssen den »Schlüsselmacher« finden und mit dessen Hilfe ins Zentrum der Matrix, an das Programm selbst vorstoßen. Auf dem Weg begegnen ihnen alte und neue Bedrohungen: Wieder zerfällt die Erzählung in sorgfältig strukturierte Episoden einer »Heldenreise«. Man könnte dabei jeder dieser Episoden einen eigenen Titel geben, was man im Übrigen bei der Produktion auch getan hat (und vielleicht wäre es durchaus möglich, die Episoden in einer anderen Reihenfolge zu sehen, als sie der fertige Film vorschlägt). Natürlich sind auch die Fähigkeiten der Gegner gewachsen. Die Albino-Killer-Zwillinge sind die neuen Gegner, die sich nach Bedarf entmaterialisieren können. In ihrer Non-Materialität verhalten sie sich in etwa so zu Agent Smith wie sich der T-X zum alten Terminator verhält. Es sind Men in White, selbst ihre Dreadlocks sind hell (schwarze Brillen freilich müssen auch sie in der Matrix tragen). Für Neo aber ist Agent Smith der faszinierendste und gefährlichste Gegner. Smith hat die größte aller Revolten hinter sich. Er ist ein Dissident wie Neo selbst, auch er möchte sich befreien, aber seine Strategien sind gänzlich andere. Er hat es nicht geschafft, Neo zu liquidieren, und er hat den Befehl verweigert, die Matrix zu verlassen (was wohl eine »Lösung« bedeutet hätte). Aber auch er will nun Mensch und wirklich werden. Die kurze Verschmelzung mit Neo am Schluss von THE MATRIX hat ihn so gründlich wie unergründlich verändert. Agent Smith wird dabei aber kein »Guter«. Er ist, wenn das kein Paradox ist, ein »autonomes Programm« geworden. Er vermehrt sich auf erschreckende Weise. Aber das war in gewisser Weise vorauszusehen. Er ist schließlich unter anderem der verworfene Karriere-Typ des vergangenen Jahrzehnts, dem man nun wirklich überall begegnete. Einer, der trägt, was die Zeitschrift Cinema in Beantwortung einer Leseranfrage beschreibt: Zur
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Sonnenbrille Predator 2 von Ray Ban braucht man »ein weißes Hemd, zum Beispiel von Windsor (um 80 Euro), den Rest in Pechschwarz: Krawatte von Boss (um 50 Euro), einreihiger Anzug von René Lazard (um 500 Euro), Halbschuhe von Crocket & Jones (um 250 Euro). Tragen Sie dazu unbedingt schwarze Socken ohne Muster!« Agent Smith also scheint das Gespenst des Markenkults der unerträglichen (und unerträglich teuren) 90er Jahre, ganz bestimmt nicht der übliche Schurke (schon vor seinem Rollenwechsel war er Sympathie- und Werbeträger). Ein betrogener Betrüger, eine Figur wie von Bret Easton Ellis, wie aus Glamorama oder American Psycho. Das Symptom des neoliberalen amerikanischen Empire, wie einst ein bestimmter Typ des Offiziers das Symptom des alten Empire war, der unweigerlich, nachdem er sich auf dem Schlachtfeld als großer Rationalist bewährt und als Ökonom ein perfektes System der Ausbeutung gesichert hatte, in einen melancholischen Dandy und einen psychotischen Mörder zerfiel. Der Dissident Smith ist aus dem Programm gelöst; was ihn bedroht, ist die schlichte »Löschung« (was gibt es dagegen Besseres als die Vermehrung?). Die Beziehung zu Neo freilich ist höchst komplexer Natur, und beide wissen nicht wirklich, wie sie zustande kam: »Ich verstehe nicht ganz, wie es passiert ist«, sagt Smith, »möglicherweise wurde irgendein Teil von Ihnen auf mich übertragen, irgendwas überschrieben oder kopiert.« Er ist unvollkommen reloaded, könnte man wohl sagen. Die wundersame Vermehrung des Agenten Smith ist also Produkt einer nicht minder wundersamen Verschmelzung. Dupliziert sich der Erlöser da seinen own personal satan? Aber vielleicht täuscht das alles auch, die Maske des teuren Konformismus, der semiotische Hinweis auf Durchschnittlichkeit, die beliebige Vermehrung: Agent Smith macht einen Prozess zur Individualisierung durch, den Neo in THE MATRIX RELOADED schon wieder verloren hat. Denn er lebt längst in einem anderen Paradox, nämlich dem der freiwilligen Pflichterfüllung. So wird für ihn (wie für uns Zuschauer) der Wechsel zwischen »Philosophie« und Action noch mehr zu einer Art der zwanghaften Flucht. Die beiden Aspekte im Diskurs von Gefangenschaft und Befreiung haben ein wenig den Zusammenhang verloren, und das kann man so sehr als »Fehler« wie als »Symptom« interpretieren. Ein Action-Highlight dabei, nach dem Kampf Neos mit dem vervielfältigten Agent Smith, bildet zweifellos die 14 Minuten lange Verfolgung auf dem Freeway (für die ein veritables Stück Autobahn in der uns bekannten materiellen Wirklichkeit gebaut wurde), die auf die Entführung des Schlüsselmachers folgt: Während Trinity auf
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ihrem Motorrad auf der falschen Fahrbahnseite durch den dichten Gegenverkehr rast, muss sich Morpheus auf dem Deck eines Trucks eines der Agenten erwehren, und Neo schließlich setzt seine (neuen) Flugkünste ein, deren er sich am Ende von THE MATRIX gewahr wurde. Der Freeway ist offensichtlich immer noch einer der gefährlichsten Orte der Welt. Trinity zu Morpheus: »Du hast immer gesagt, ich soll wieder den Freeway meiden. Du hast gesagt, es wäre Selbstmord – das waren deine Worte.« Es schachteln sich hier die Situationen und Konflikte ineinander (auch hier kann man den Unterschied zu der ähnlich spektakulären Autobahn-Crash-Szene in TERMINATOR 3 sehen, in der es vor allem um die Situation eines einfachen Duells der beiden Cyborgs geht, bei denen die Menschen lediglich Opfer sind): Es gibt die Verfolgung durch die Polizei, dann tauchen die mörderischen Zwillinge auf, und schließlich auch noch die Agenten. Der Wechsel ist das Medium des Kampfes. In den verschiedenen Kämpfen entwickelt der Erwählte seine Fähigkeiten weiter. Das geht freilich für diesmal in dem Action-Wirbel beinahe unter. Die verbindende fulminante Actionszene, die der Autobahn-Sequenz vorausgeht, ist der Kampf Neos im Haus des Merowingers, die Szene der Befreiung des Schlüsselmachers, in der die prunkvolle Einrichtung einer Schlossvilla fantasiereich in einen ausgeprägten fight miteinbezogen wird und den Glamour alter Piraten- und Ritterfilme mit der Eleganz eines Shaolin-Movie verknüpft. Diese drei jeweils ausgedehnten Kampf- und Actionszenen sind nach durchaus fundamentalen Prinzipien zueinander komponiert: der Körper, der Gegenstand, die Maschine. Das Duell, die Schlacht, die Flucht. Der Platz, die Straße, der Raum. Das Individuum, die Gruppe, die Masse. Und drei Dimensionalitäten. Der Kampf an einem »Punkt«. Der Kampf in einem Raum. Der Kampf in der Bewegung. Die Ausweitungen der Kampfzone sind zugleich Ausweitungen der Selbstwahrnehmung. Der Raum setzt sich in Bewegung. Man erkennt solche Mathemagie der Komposition leichter, wenn man einen Augenblick aufhört, so verdammt literarisch, architektonisch und psychologisch zu denken. Um diese eye catcher-Szenen ist die Handlung des Films herum komponiert. Man konnte sie als »Prüfungen« bezeichnen, bei denen jedes Mal Neo etwas über sich erfährt und auf die Probe gestellt wird. Wenn Neo in THE MATRIX gelernt hat, sich die willkürlichen Beziehungen von Zeit und Raum in der Simulation der Matrix zunutze zu machen, dann lernt er in THE MATRIX RELOADED Kontrolle über die Matrix selber. (Konsequenterweise ist die letzte Frage, ob das auch die Kontrolle über Leben und Tod miteinschließt.)
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Den vier großen Action-Sequenzen (Trinitys einsamer Kampf zu Beginn, der burly fight mit den multiplizierten Agenten, die Freeway-Szene, die Auseinandersetzung mit den Killern des Merowingers), die man ohne weiteres auch als »Tänze« begreifen kann, stehen vier dramatische Ortsund Personenstücke, Sequenzen der Begegnung gegenüber: die Ankunft in Zion, die Wiederbegegnung mit dem Orakel, die Begegnung mit dem Merowinger und seiner Frau Persephone und schließlich die mit dem »Architekten« des Programms. Da ist also die neuerliche Begegnung mit dem Orakel. »Meine Güte, sieh dir das an. Du hast dich ja ganz schon rausgemacht, nicht wahr?«, begrüßt sie ihn (ein wenig wie man ein Kind begrüßt, das in der Zwischenzeit einige wichtige Schritte zum Erwachsenwerden hinter sich gebracht hat). Hier bekommt Neo den entscheidenden Hinweis auf den Schlüsselmacher. Immer geht es um die Frage, wie sich das Orakel zum Leben (Geschichte oder Evolution) verhält. Kommentiert das Orakel »nur« das Geschehen oder treibt es dies auch voran? Erinnern wir uns daran, dass es nach Morpheus' Worten (okay, wir glauben ihm mittlerweile nicht mehr unbesehen und alles) das Orakel war, das den Krieg und die Rolle des Auserwählten dann vorhergesagt hat. Neo, der offensichtlich keine »natürliche Familie« hat – jedenfalls erfahren wir nie etwas von Vater, Mutter oder Geschwistern, die man doch vielleicht, als eben Erweckter, als Erstes gerne auch aus dem Sklavenschlaf erwecken würde, hat zwei konkurrierende Vater (Morpheus und den Architekten) und zwei komplizenhafte Mütter (Trinity und das Orakel). Neo begegnet dem Orakel, auf einer Parkbank auf einem Platz, der an eine Oase in der Großstadtarchitektur erinnert. Zuvor gab es noch einen Kampf, eine weitere »Prüfung«, mit dem Leibwächter des Orakels, Seraph (dem Wächter-Engel vor dem Paradies). »Erst wenn du mit jemandem gekämpft hast, kennst du ihn richtig.« (Auch das steht in Kontrast mit den Elementen des ersten Teiles, wo es vor allem galt, im Kampf das Wissen um sich selbst zu entwickeln.) Dort auf der Straße gibt es Vögel, es ist zugig, wie es auf einer Piazza der Fall zu sein pflegt, aber es ist durchaus auch ein nur Bild davon, das an die Gemälde von Giorgio de Chinco erinnert, ohne die Luft, die man als wirklicher Mensch zum Atmen benötigte (was Morpheus in THE MATRIX für die Welt seiner Simulationen konstatierte). Es ist nicht der Wind, der auf einer virtuellen Piazza ein Stück Papier bewegt, es ist, ganz im Sinne buddhistischer Aspiration, der Geist, der dies tut. In dieser Szene ist das Orakel noch mehr das, was seine Erscheinung nahe legt: eine alte afroamerikanische Frau, deren humorvolle Gelassenheit
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an Weisheit grenzt. Hier möchte man am liebsten die Zeit anhalten. Und hier, im Verschwinden des Orakels (melancholisch genug der Umstand, dass die Darstellerin Gloria Foster, kurz nach den Dreharbeiten, im September 2001, verstarb), wird die Zeit auch auf besondere Weise bewusst. Was Neo schließlich von sich erfährt, kehrt die Prämisse seines Lebens noch einmal vollkommen um: »Du bist nicht hergekommen, um die Wahl zu haben. Du hast schon gewählt. Du bist hier, um zu verstehen, warum du dich so entschieden hast.« Der lebende, der handelnde und der reflektierende Mensch, die berühmte Dreiheit der Sinngebung (die man, was das Kino anbelangt, am besten an den Marx Brothers exemplifiziert, wo sie so beglückend zur Unsinnsgebung missbraucht werden) ist hier in einer der vielen Sentenzen reflektiert, die bequem in die Sprechblase eines Comic passen. Für wenig wohlwollende Kritiker ist gerade diese Sentenzhaftigkeit der Dialoge in THE MATRIX RELOADED der Beweis dafür, dass es sich um schiere Prätention handelt. Wer sich allerdings die Mühe und das Vergnügen macht, die wahren Urheber dieser Sprechblasen-Texte (warum übrigens sollten Sprechblasen-Texte, wie es die politische Rhetorik will, weniger taugen als Fließtexte?) zu ergründen, wird zumindest erstaunt sein. In diesem Fall handelt es sich, vielleicht, um eine Kurzform des Heideggerschen Wissens um »das Gefragte«. Mal einfach gesagt (und schon im Erwachen von Neo in THE MATRIX angedeutet): Wenn man weiß, wonach man fragt, dann steckt in der Frage eine definitive Einengung der möglichen Antworten. (Stellen Sie einmal die Frage: Bin ich frei?) Neo ist diesmal – nachdem er in THE MATRIX Erweckung und Erwählung erlebte – der Held, der in die Unterwelt hinab muss, nach dem ewigen Schema von Sendung, Prüfung, Opfer, Reife und Wissen. Er muss in die Welt der Matrix hinein, um ein Geheimnis zu lösen – und wen könnte es verwundern, dass er kein anderes Geheimnis zu lösen hat als das seiner eigenen Existenz. Die Heldenlegende von THE MATRIX RELOADED folgt der Struktur des Mythos und steckt doch voller Retardierungen und ironischer Schlenker. Wenn es die Aufgabe der »Prophetin« oder eben des Orakels ist, den Helden auf den richtigen Weg zu führen, dann haben wir es hier mit einem Fall nicht allzu ausgeprägter Menschenliebe zu tun. Sie scheint sich eher lustig über die zu machen, denen sie Erkenntnis und Rat zukommen lassen soll, ihre Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, beschränkt sich auf kleine Blicke in das nahe Kommende, und Neo weiß nie so recht, ob er nun eigentlich dem Orakel folgt oder nicht. Und doch ist er durch das Orakel geführt, von dem nicht zu sagen ist, ob es Teil des Systems ist.
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Die erste Aufgabe also ist es, den Schlüsselmacher aus dem unterirdischen Reich des Merowingers zu befreien. Dieses Reich ist ein Überbleibsel einer früheren Version der Matrix. Eine verschlungene Escher-Welt, die man nur mit dem Zeichenstift oder dem Computer erzeugen kann. Der Merowinger hat, wie er sagt, »alle Sprachen probiert«. Aber natürlich verwendet er am liebsten das Französische, weil man in dieser Sprache so elegant fluchen kann: »Nom de Dieu de putain de bordel de merde de saloperie de connard d'enculé de ta mère.« Ist das nicht in der Tat wie sich den Arsch mit Seide abwischen? Der Merowinger ist die Parodie eines dekadenten französischen Bourgeois, der zum Essen einen Chàteau Haut-Brion 1959 bevorzugt, der nicht seine Moral, sondern seine »Kultur« als Legitimation für sein Handeln verwendet. Weil er zum Genuss der Welt befähigt ist, glaubt er sich auch dazu berechtigt – insofern ist er, nebenbei, eine Abbildung des panischen Genussmenschen aus der Gründungszeit des Neoliberalismus, den 80er Jahren. Der Meta-Gewinner, der sich noch über die kleinbürgerlichen Agenten des Neoliberalismus erheben konnte, über die Smiths dieser Welt. So hatte das Orakel das Wesen der Macht beschrieben: Was wollen die Mächtigen? Mehr Macht. Für den Merowinger, das ist in der Tat ein »altes Programm«, bedeutet Macht Genuss und Genuss Macht. Die neuen Programme der Macht lassen sich so nicht mehr begrenzen. Der Name des kleinen Seiten-Tyrannen in dieser digitalen Unterwelt erinnert an das Herrscherhaus der Franken, das der Herrschaft Karls des Großen vorausging und eine spezifische Form der Despotie pflegte: das Reich nicht als Verpflichtung und Erbe, sondern als persönlicher Besitz und eine besondere Art der Verschwörung, nämlich der des Blutes. Die »Merowinger-Theorie« ist eine der bizarrsten Angebote im Katalog der Verschwörungstheorien; sie besagt, dass bestimmte Herrscher (natürlich behauptet man das in den USA am liebsten von den amerikanischen Präsidenten) insgeheim miteinander verwandt sind. Es ist das Inzestuöse selber, das sich als Verschwörung über eine Welt legt, deren Motor die Diversifizierung ist. Aber wie denkt eine Maschine das Wort »Blutschande«? Die Beziehung, in der der Merowinger und Neo zueinander stehen, ist wohl ein wenig komplizierter, als dass da nur ein böser König bezwungen werden müsste. In den Internet-Foren wird sogar diskutiert, ob dieser Merowinger nicht etwa einer von Neos Vorgängern sei, Subjekt einer der fünf bereits gescheiterten und integrierten Revolten in der Matrix also, von denen wir am Ende des Films erfahren. Ein gefallener Engel mag er durchaus sein, einer von denen, die ihre Dämonen in den Kampf gegen die Menschen schickten.
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Der Merowinger ist ganz sicher ein Mensch vor einer Zeitenwende (erinnern wir uns an die »süßen Tage vor der Revolution«), und seine Gattin Persephone erinnert uns nicht nur daran, wie sehr er einem Herrn der Finsternis zugeordnet ist, sondern auch, dass er zwischen der Antike und dem Abendland steht, in seiner Dekadenz möglicherweise unfähig, das eine oder das andere wirklich zu sehen. Wenn er die Wirkung eines aphrodisierenden Desserts im Körper einer Frau zeigt, die wiederum aus den digitalen Zuständen eins und null besteht, dann hat er seinen Weg des sadistischen »Schreibens« in den Körper hinreichend erklärt. Und es ist gewiss nicht zufällig, dass es gerade er ist, der den Schlüsselmacher bewacht, gerade er will, dass Türen aufgestoßen werden. Gefangen in den süßen Tagen vor der Revolution, kann freilich kein Merowinger sie verhindern, und wenn er sich noch so arrogant der Modernisierung widersetzt. Es ist der Begründer der Revolution ex negativo. Persephone ist in der griechischen Mythologie eine Tochter des »Göttervaters« Zeus und der »Erdgöttin« Demeter, die bereits als junges Mädchen von Hades, dem Gott der Unterwelt (und Bruder des Zeus) entführt wurde. Auf der Suche nach ihrem Kind klagte Demeter den Göttern ihr Leid, und Helios, der Gott der Sonne, konnte ihr immerhin erzählen, wohin Persephone verschleppt worden war. Demeter ließ daraufhin kein Getreide mehr auf der Erde wachsen, bis Zeus schließlich nachgab und seinen Bruder zu zwingen bereit war, Persephone freizugeben. Aber Hades hatte die Schöne bereits durch einen Liebeszauber für sich gewonnen. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden: Zwei Drittel des Jahres soll Persephone als Herrscherin der Unterwelt im Totenreich bleiben, ein Drittel aber bei ihrer Mutter Demeter im Land der Fruchtbarkeit und der Sonne weilen. Dunkelheit und Kälte auf der Welt sind ihr Werk, aber immer wieder kann sie auch den finsteren Hades vor allzu großer Grausamkeit zurückhalten. Und genau das tut Persephone im entscheidenden Augenblick in THE MATRIX RELOADED, wenn auch ganz gewiss nicht aus besonders edelmütigen Motiven. Sie will einen Kuss, einen richtigen Kuss von Neo. Sie beneidet Trinity um ihn und will sich wieder an das Gefühl erinnern, geliebt zu werden. Für diesen Kuss, den Persephone einfordert, erfahren die Verschwörer des Wirklichen den Weg zum Schlüsselmacher. Und so beginnt die wilde verwegene Jagd auf der Autobahn, während Neo mit den Wächtern und Dämonen kämpft. Der Freeway ist aber der gefährlichste Weg aus der Matrix heraus. Der »freie Weg« ist eine Falle im Weg zur Freiheit. Trinity aber bleibt bei ihrer Flucht gar keine andere Wahl.
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Neo hat den Schlüssel zum Zentrum, wo er auf den Architekten trifft. Dort muss er zwischen zwei Türen wählen, wieder so ein Märchenmotiv. Und all die Gefahren, all die Umwege, sie können doch nur genau dorthin führen, wo man hin sollte. Die Untersuchung ist damit in das Stadium der Dreiheit getreten: die Reflexion. Wenn Keanu Reeves mit seiner Deutung der Trilogie Recht hat – erster Film: Die Geburt, zweiter Film: Das Leben, dritter Film: Der Tod (so einfach ist das nicht, beeilt sich Produzent Joel Silver zu berichtigen) – dann ist die (Cliffhanger-) Sequenz am Ende von THE MATRIX RELOADED nichts anderes als der Übergang vom Leben zum Tod. Sie beinhaltet gegenüber der Entscheidung allerdings auch eine gehörige Portion Fatalismus. »Die Entscheidung ist gefallen« ist ein durchaus schmerzhaftes Urteil über das Leben. »Er versucht sich mit dem zu arrangieren, was man von ihm erwartet«, so charakterisiert Keanu Reeves seine Neo-Rolle in THE MATRIX RELOADED. Die große, heroische Geste der Entscheidung ist nicht wiederholbar, das macht die unterschwellige Trauer des Films aus. Wenn es im ersten Teil um Freiheit ging, dann im zweiten um deren Zweck. Jeder Zweck frisst die Freiheit. Was den Helden, der nun tatsächlich dem Modell eines Helden unterliegt, jetzt treibt, sind Anforderungen wie »Pflicht«, »Verantwortung«, Bestimmung und Erwartung. Er muss tun, was zu tun ist. Das ist eine merkwürdige neue Form der Gefangenschaft, die durch seine neuen Fähigkeiten nicht wettgemacht wird. Und auch nur bis zu einem gewissen Grad durch die Liebe: Ist der Preis für die Liebe das Erwachsenwerden? Oder die einzige Form der Erlösung aus diesem neuen Gefängnis? Jedenfalls ist es nun an Neo, das Prinzen-Werk am göttlichen Dornröschen zu vollbringen. Die Erkenntnis eines einmal in Gang gesetzten Prozesses bleibt auch nicht ohne Auswirkung auf seinen Anreger, Morpheus. Auch er verliert in gewisser Weise seine Unschuld; aus dem Visionär und Propheten, dem Erwecker, ist ein fanatischer Lehrer und Führer geworden, der sich ohne weiteres über den Glauben und die Empfindungen des Volkes hinwegsetzt, und gerade deshalb begegnet nun auch er dem Zweifel. Neo, sein »Geschöpf« ist nun, wir kennen auch das aus der Geschichte von Johannes dem Täufer, um so vieles »größer« geworden als er selbst. Das große Glück, das in seinen Zügen zu lesen war in THE MATRIX, als er den Erlöser erkannte, das kann sich in THE MATRIX RELOADED nicht wiederholen. Nicht zuletzt hat auch Trinity eine Veränderung vollzogen. Der Aspekt des »heiligen Geistes« der Erleuchtung ist zurückgetreten, neben der liebenden Frau ist sie nun vor allem »Kriegerin«. Und nicht zu vergessen, die
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Hyperrealismus in THE MATRIX RELOADED (Trinitys Bildschirm): …
legendärste Hackerin in der Welt der Matrix. Übrigens gehört es zum Hyperrealismus von THE MATRIX RELOADED, dass ihr Vorgehen am Bildschirm als vollständig authentisch zu verfolgen ist. Was macht sie? »She whips out Nmap version 2.54BETA25, uses it to find a vulnerable SSH Server, and then proceeds to exploit it using the SSH1 CRC32 exploit from 2001« (so zu lesen unter www.insecure.org). Zugegeben, ich habe nicht die geringste Ahnung, was das im Einzelnen bedeutet. Aber die Fachleute sind sich einig: Es funktioniert wirklich! Für die Narration des Films hat das zwar keine Bedeutung, aber neben dem endlosen Fließen zwischen dem Hyperrealen und dem Surrealen hat so etwas eine klare Botschaft: Die Wachowskis und ihr Team nehmen die Computerleute ernst. Sie lassen nicht Schauspieler mit stierem Blick sinnlose Buchstabenkombination in die Tasten hauen, um uns das als »Hacken« zu verkaufen. Sie und ein paar nicht unbedeutende Leute im Zuschauerraum wissen, worum es geht. Es ist freilich die »Befreiung« von Agent Smith, die den größten Wechsel bedeutet. (Das gehört zu den Bällen, die schon in der Luft waren und in THE MATRIX RELOADED gekonnt zu neuen Wurflinien gebracht werden; nicht mit allem gelingt das so gut.) Er ist das Programm, das die anderen menschlichen Impulse in sich entdeckt: Zorn und Eifersucht, auf der einen Seite, aber auch die Sensationen des Organischen. Agent Smith beginnt, schon im ersten Teil, zu riechen und zu schmecken. Er empfindet »Haut«, und das bedeutet nichts anderes als etwas, was ein Programm nicht kann, nämlich innen und außen voneinander zu unterscheiden. Beginnt nicht mit dieser Scheidung das Menschsein, lange bevor es einen Begriff dafür gibt, wie, meinethalben, »Geist« oder »Seele«? Agent Smith leidet unter diesem Syndrom der Menschwerdung. Er empfindet es vor
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… Die Wachowskis und ihr Team nehmen die Computerfreaks ernst (Die Seite http://www.cert.org/incident_notes/IN-2001-12.html)
allem als Schwäche. Sich zu spalten, gleichsam zur Masse zu werden, ist eine Reaktion auf die Empfindung dieser Schwäche. Aber was in THE MATRIX RELOADED für ihn beginnt, ist jenes Ungeheuerliche, das ihn antreibt und isoliert: der Genuss. Agent Smith entdeckt den Sadismus als hervorragendes Medium der Selbsterfahrung. In bestimmter Weise ist er freier als Neo, so wie de Sade freier als der moralische Terror der Revolution war. Er entwickelt sich so sehr vom Zweck zur Freiheit, wie sich Neo von der Freiheit zum Zweck entwickelt. Die Verzweigungen in diesen Prozessen der Veränderung führen zum Auftauchen neuer Figuren auf beiden Seiten. Da ist der loyale Programmierer Link, den seine Frau Zee inständig bittet, nicht wieder hinaus (oder genauer: hinein-)zufahren, der sich aber ihren inzwischen toten Brüdern Tank und Dozer verpflichtet fühlt. Schwarze Mittelstands-Abbildung der Trübnis, ein Held sein zu müssen. Eine Abspaltung der Kriegerin ist Niobe, Kapitän der Logos, des kleinsten und schnellsten Schiff der menschlichen Widerstandsarmee (und Hauptdarstellerin des Computergames Enter the Matrix). Offensichtlich gibt es kaum jemand mit so viel Gewissheit wie sie. »Niobe«, so charakterisiert sie die Darstellerin Jada Pinkett Smith, »verlässt sich ausschließlich auf sich selbst. Sie lässt sich von ihrem animalischen Ego leiten, wirkt äußerst arrogant. Nur eines ist wichtig: Sie hat das Herz eines Soldaten. Sie kennt ihre Aufgabe genau und ist bestens darauf vorbereitet.« (Aber natürlich sollte sie und sollten wir gewarnt sein: Niobe, die Königin von Theben, war so schön, stark und glücklich, dass sie die Götter auf sich eifersüchtig machte, und als sie sich mit ihrem Glück auch noch brüstete und der Titanentochter Leto und
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ihren Zwillingen den Gottesdienst verweigerte, mussten ihre sieben Töchter und ihre sieben Söhne durch die Pfeile der Götter sterben, und sie selber versteinerte vor Schmerz – aus den steinernen Augen fließen auf ewig die Tränen der Trauer.) Niobe liebte einst Morpheus; nun ist sie mit Commander Lock zusammen (in dessen Namen wir förmlich die Tür sich schließen hören). Sie erklärt allerdings, ins Vage hinein, dass es Dinge gibt, die sich nie ändern. Niobe ist ein mögliches Ende der Figur der Trinity, eine Kriegerin, die nicht von der Liebe erlöst werden kann – oder schon von ihr verraten wurde. Es ist eine Revolte, die erst zu produzieren vermag, wogegen sie sich richtet. Der Merowinger dagegen ist ein mögliches Ende der Figur von Agent Smith. Die sadistische Selbsterfahrung ist zu einer perversen Inszenierung der Sinne geworden. Die Genusssucht des Merowingers dreht sich in einer absurden Spirale nach innen: Sie zerstört seinen Genuss der Welt. Sie macht ihn emotional taub. Der Code wird zur Selbsttäuschung. Das Ende seines Genusses freilich ist die Frau, die Liebe verlangt. Persephone; mehr Unterwelt noch als er und dennoch für die Oberwelt nicht verloren. »Man könnte«, sagt die Darstellerin Monica Bellucci von der Gattin des Merowingers und ihrem Gemahl, »die beiden als Vampire bezeichnen: Sie versuchen, Gefühle in anderen auszulösen, um sich daran zu weiden. Persephone wirkt sehr elegant, sehr raffiniert, ist aber durch und durch korrupt und setzt ihre Macht skrupellos ein, um das zu bekommen, was sie will – Gefühle.« Wenn sie für einen Kuss von Neo den Schlüsselmacher ausliefern will, dann denken wir natürlich zuerst an Erotik und eben an den Vampirismus der Gefühle, von dem die Schauspielerin sprach. Aber der Kuss hat in der unterliegenden Märchen-Struktur der MATRIX-Legende ja auch noch eine andere Bedeutung. Im Mythos von Dornröschen kann die Schöne nur wachgeküsst werden, und Neo verdankt sein Leben dem Kuss von Trinity, was seine Umkehrung erfährt am Ende von THE MATRIX RELOADED. Alle sind sich der Bedeutung dieses Symbols bewusst. Es ist purer Hohn, wenn Persephone zu Trinitys Eifersucht meint: »Solch eine Emotion wegen so einer Belanglosigkeit.« So ist sie nicht nur Konkurrentin – in der Kuss-Szene sehr deutlich –, sondern auch das andere Ende der Figur der Trinity. So wie sich in Niobe die Kriegerin verselbstständigt, so verselbstständigt sich in Persephone die Sehnsucht nach dem Gefühl. Das Prinzip der narrativen Zellteilung setzt sich weiter fort bis in die Nebenrollen hinein. Die gespenstischen Zwillinge wiederum, die ihre »Mission« sogar über die Form setzen, dämonisch und animalisch, sind das andere Ende eines Charakters wie Agent Smith (und übrigens auch Reprä-
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sentanten einer anderen Form der Spaltung). Und schließlich ist da der »Schlüsselmacher« im Zentrum der Matrix, eine auf den ersten Blick vor allem märchenhafte Figur. Oder eine literarische von hübscher Paradoxie: Das Wesen, das die Schlüssel für alle Räume herstellen kann, ist selber gefangen in dieser Beschäftigung, in einem Raum wie dem, in dem Neo am Anfang von THE MATRIX seine Erweckung erlebte. So wird er zum anderen Ende der Figur des Morpheus. Ein fataler, unerlöster Gott und Prophet, der dem Schicksal selbst ausgeliefert ist, obwohl er die Schlüssel dafür doch selber herstellt. Offensichtlich also verhalten sich die neuen Figuren von THE MATRIX RELOADED wie Schatten der ursprünglichen Figuren. Es sind insofern »Monstren«, als sie aufzeigen, was aus ihnen werden kann. THE MATRIX RELOADED zerfällt noch mehr in einzelne Sequenzen, die zum Teil nur für sich stehen (und der Vorwurf an die Freeway-Szene, nichts anderem zu dienen als der Demonstration filmischer Möglichkeiten, ist in der Tat schwerlich von der Hand zu weisen), zum Teil in einem Kontext des Films, zum Teil in einem der Trilogie, und schließlich zum Teil auch im Kontext des MATRIX-Kosmos (einschließlich der Animationsfilme und der anderen Verzweigungen). In THE MATRIX RELOADED, auch dies mag mit ein Grund für eine gewisse Enttäuschung gewesen sein, wird klar, dass das Versprechen einer großen Erzählung (als Keim einer Kunst-Religion wie in STAR WARS) wohl nur auf eine ganz eigene, fraktale Weise eingelöst werden kann. Immer scheint es möglich, dass das ganze Unternehmen unserer Sehnsucht nach Konsistenz eine lange Nase dreht. Wir dürfen uns einem gewaltigen Mosaik stets ebenso nahe fühlen wie einem nicht minder gewaltigen Scherbenhaufen. Die Schöpfungsgeschichte wird in der Matrix auch rückwärts geschrieben, von göttlicher Perfektion zu menschlichen Fehlern. Das hat Agent Smith schon in THE MATRIX erklärt. Nicht das perfekte Paradies, sondern ein logisches System des Leidens schien den Menschen angemessen. Und nun wiederholt es der Architekt des Programms: »Die erste Matrix, die ich kreiert habe, war natürlich perfekt. Ein absolutes Kunstwerk.« Die folgenden Teile dieser virtuellen Schöpfung waren vereinfacht und »verschmutzt«. Es scheint, als sei die Tatsache, dass diese schöne neue Welt von den Menschen nicht angenommen worden ist, das große Trauma der Maschinengottprogramm-Einheit und als sei gerade dadurch erst dieser unterschwellige Hass auf die Geschöpfe in der Matrix zu verstehen. Statt dass Gott die Menschen aus einem Paradies vertrieben hätte, haben die Menschen sich entschlossen, es freiwillig für ein Überangebot von Blut, Schweiß und Tränen aufzugeben.
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Die Vertreibung aus dem MATRIX-Paradies Am Ende steht Neo dem Schöpfer der Matrix gegenüber, und er muss erfahren, dass er sich bereits in der sechsten Version des Erlöser-Programms befindet. Die Erscheinung eines Erlösers, so muss Neo erfahren, ist in der Matrix Produkt einer »Anomalie«, die alle paar Jahre wieder auftrete, damit sie das Programm durchquere, um, im Glauben, die Wirklichkeit des Menschen zu retten, ins Zentrum der Matrix zu gelangen und dort den Zentralrechner neu zu booten. Andernfalls droht ein Systemabsturz, der auch das Ende aller an die Matrix angeschlossenen Menschen bedeutete. Will das System also nur vom Rebellen lernen, so wie man von den Hackern lernt, einen Angriff abzuwehren? Oder will es etwas viel Schrecklicheres: den Menschen erzeugen, der es endlich abstellt? In der christlichen Auslegung der Matrix-Legende ist nur allzu klar, dass es sich bei den ersten fünf Versuchen der Erlösung um Analogien zu den fünf Büchern Mose und also zum Alten Testament handelt. Das sechste Kapitel ist das von Jesus und also das Neue Testament. Das Buch, das ein neues Empfinden ins Spiel bringt: die Liebe. Eben das, was den Mythos der ewigen Wiederkehr bezwingt. Das ist die nächste Wahl für Neo: in den nächsten Zyklus eintreten oder – wie es vom christlichen Erlöser hieß – den Zyklus unterbrechen. Zwischen zwei Türen muss er nun also wählen: Die eine führt zur Quelle der Matrix, zum Neustart des Systems und zur Rettung von Zion. Die andere Tür führt zurück in die Matrix und zu Trinity, wird aber unwiderruflich zum Systemabsturz führen – was, so der Architekt, zusammen mit der Vernichtung Zions »schließlich die Auslöschung der gesamten menschlichen Rasse zur Folge haben wird«. Neo entscheidet sich für die zweite Tür. Der Erlöser trägt die Hoffnungen beider Seiten, der Menschen, die sich von den Maschinen befreien wollen, und der Maschinen, die sich von den Menschen befreien wollen. Weil sie die Menschen nicht vernichten können, benötigen sie dazu einen Menschen, und der Erlöser sollte niemand anders sein als derjenige, der die Vernichtung der Menschen bewerkstelligt. (Um es einmal blasphemisch zu formulieren: Der Erlöser ist ein »schwarzer Peter«, der zwischen den Parteien wechselt.) Offensichtlich geht es nun für Neo, zum ersten Mal vielleicht, darum, zugleich zu wählen und das Ausmaß der Wahl zu erkennen. Neo kann diese Zumutung nur mit einer verzweifelten und radikalen Geste abwehren, deren Gehalt im Übrigen von den meisten der missmutigen Kritiker und Kritikerinnen von THE MATRIX RELOADED übersehen
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wurde: »Im Zweifel, so Botschaft von Teil Zwei«, schreibt dagegen Robin Detje, »nützt der Glaube wenig. Der Auserwählte selbst muss seinem Mentor Morpheus gestehen, dass es falsch war, in einem konservativen Rückgriff auf vortechnische Religiosität auf ihn zu hoffen, dass die Prophezeiung eine Lüge war. Der Messias kann seiner Gemeinde nur noch nützen, indem er selbst nicht mehr an sich glaubt und sich gegen ein System stellt, das ihn als eine Art Kontrollmechanismus vorgesehen hat. Eine recht kritische Auslegung historischer Quellen, wie wir sehen, geprägt von der Aufklärung, die jedem Individuum die Fähigkeit zur Erkenntnis zusprach. Nun ist jeder Messias für sich selbst verantwortlich.« Von diesem Ende her nun sehen sich auch etliche Dinge wieder anders an, die wir zunächst als eindeutige Statements oder gar Zugeständnisse an den Mainstream angesehen haben mögen. Die gesellschaftliche Realisation des Messianischen, und um nichts anderes handelt es sich in der Geschichte des Widerstands in THE MATRIX RELOADED, ist genauso gescheitert wie die metaphysische Konstruktion (nämlich zugleich Teil des Systems zu sein und außerhalb davon). Nicht nur Neo als handelndes und denkendes Subjekt, nein, vielmehr Religion als ganzes, vom Disco Rave der Gläubigen bis zur Mystik der Erwartungen, entpuppt sich als Teil des Spiels. Die Kette des »Aufwachens« ist also noch lange nicht zu Ende. Auf die Erkenntnis und die Moral kann nur die Konstruktion des Subjekts folgen. Der letzte Schritt zum Erwachsenwerden, auf den die Mehrzahl von Neos (also unseren) Zeitgenossen diesseits und jenseits der Grenze zwischen Illusion und Wirklichkeit, diesseits und jenseits des Bildschirms, wohlweislich verzichtet. Wo aber könnte die Kette des Erwachens enden? Werden die Programme nicht umso weniger perfekt sein, je perfekter der Fehler, der Erlöser, der aus dem Déja-vu geborene Typus des Menschen ist? Die Erkenntnis seines Eingebundenseins ins Programm der Matrix kommt nur einerseits wie ein Schock daher. Andererseits ist es durchaus Teil der bereits im ersten Teil konstruierten Struktur von Gewissheit und Zweifel. Was Neo nun wohl aufgegeben ist, ist seine Wiederkehr zu akzeptieren. Vielleicht in der Form der Wiederkehr, die Nietzsche für sich rekurriert, als »höchste Form der Bejahung« (im Zarathustra): »Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen, und im Nu bin ich ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber! Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen bin, – der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft. Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange – nicht zu einem neuen Leben oder
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besseren Leben oder ähnlichem Leben: – ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre.« Wird Neo diese Art der Bejahung akzeptieren? Aber er ist ja nicht allein! Das zweite, lose Ende von THE MATRIX RELOADED ist der Kampf um das Leben von Trinity (so wie einerseits, das Ende von THE MATRIX, der Kampf um das Leben Morpheus' war, und andrerseits der Kampf Trinitys um das Leben Neos. Wenn wir's recht besehen, hat wohl am Ende der Trilogie jeder jedem in der Trinität der Rebellion so sehr das Leben gerettet (oder »gegeben«), dass man in einem unentrinnbaren System der gegenseitigen Verpflichtung steckt. Aber jede Rettungsaktion führt durch die verschiedenen Wirklichkeiten respektive verschiedenen Simulationen. Anders als in einem Western (in dem das auch eine zentrale Bedeutung hat) kann man sich hier nicht das Leben retten, indem man einfach eine Gefahr abwendet. Man kann sich nur gegenseitig zur Wiedergeburt verhelfen (zu einer Wiederkehr, die ebenso gut Wiederholung wie Neubeginn bedeuten kann). Wie die Begegnung mit dem Architekten der Matrix ist auch dies eine durchaus »abgründige« Vorstellung: Um Trinity innerhalb der Matrix zu retten, muss Neo sie als Programm verstehen. Wie aber rettet man ein Programm, es sei denn durch schieres Reloaden? Wenn Neo eine Form von »Christus-Programm« ist, ein einkalkulierter Fehler, und als »Anomalie« Störung und Bestätigung der Matrix zugleich, könnte die Meta-Erlösung paradoxerweise nur in einer Verweigerung der Wiederkehr liegen. Der echte Christus konnte sich auch nur opfern, weil in dieser Geste die Bekundung steckte, es handele sich um das letzte Menschenopfer, und der »Teufelskreis« der ewigen Opferung sei damit durchbrochen. Natürlich haben sich die Menschen nicht daran gehalten, und die Christen verehren daher eine Metapher, die ihre Lebenspraxis verhöhnt. In jeder neuen Version dieser Schöpfung der Matrix ist dieses Programm der Anomalie, das Erlöser-Programm angelegt, und jedes Mal gerät sein »Subjekt« an den Rand der Selbsterkenntnis und an den Rand wirklicher »Selbstständigkeit«. Kann der Rechenfehler einmal doch das Programm »stürzen«? Kann in einem solchen Gottesprogramm jemand tatsächlich zum Menschen werden? Und welcher der beiden »Brüder«, Neo oder Smith, wird es sein? Es sind die Fragen, die uns zu THE MATRIX REVOLUTIONS führen. Und sie tun es ganz anders, als es die von THE MATRIX taten, nämlich mit einem brutalen Schnitt, einem Cliffhanger, dem Episoden-Ende einer Soapopera, einem Fragezeichen mitten in einer Sequenz.
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MATRIX-Verzweigungen Die Trilogie der MATRIX-Filme, die Geburt, Passion und Tod des Helden beschreiben, bildet eine »mythische« Erzählung, so viel ist auch für die Skeptiker klar. Der Mythos in der populären Kultur unterscheidet sich eher durch die Kommunikation als durch das Wesen von seinen lokal und kulturell begrenzteren Vorläufern. Das heißt unter anderem: Er ist nicht nur technologisch vermittelt und verstärkt, der Mythos im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit beinhaltet immer auch einen Aspekt des Technologischen. Ein Mythos, so einfach erklärt es die finnische Völkerkundlerin Lauri Honko, muss, damit wir ihn als solchen anerkennen, vier Kriterien erfüllen. Ein Mythos ist demnach 1. eine Erzählung mit »heiligem« Ursprung, 2. ein kosmologisches Modell, das Herkunft und Schicksal einer Gruppe, eines Volkes, einer Epoche erklärt, 3. eine moralische Nutzanwendung, eine Matrix für das richtige Handeln, und 4. eine narrative und bildhafte Form, heilige Handlungen oder Riten zu erzeugen. Ein solcher Mythos produziert sich, hat er einmal eine bestimmte Konsistenz errungen, unablässig fort, verzweigt sich, spiegelt sich zwischen göttlicher Erzählung und kultischer Praxis, zwischen Geschichte und Idee. Es ist eine ästhetische Maschine, die da entsteht. Aus jeder Erzählung, aus jedem Bild und natürlich aus jedem Film kann ein Mythos werden, aber natürlich gibt es auch eine ästhetische Produktion, die ganz bewusst gegen das Mythos-Werden angelegt ist. Weshalb das Verhältnis zwischen Kunst und Mythos so spannend und gespannt ist. Ein Pop-Mythos verhält sich da nicht viel anders als ein religiöser, nationaler oder kultureller Mythos, nur dass er natürlich mit dem »Heiligen« einigermaßen frivol umgeht. Der »heilige« Ursprung kann schon in einer sensationellen Machart liegen, in der Vita ihrer Produzenten, in besonderen Kniffen der Geheimhaltung, und die »heiligen Handlungen« können am Ende in so etwas bestehen wie in den Gesten, bestimmte Sonnenbrillen auf bestimmte Art auf- oder abzusetzen oder sich in einem bestimmten Jargon zu begrüßen. Die MATRIX-Trilogie hat ihren heiligen Ursprung in den Fundamenten der Popkultur, sie enthält eine vollständige Kosmologie, sie ist eine Erzählung, die Angebote des richtigen Sehens und des richtigen Handelns macht und die schließlich den Ritus und den Jargon generiert. MATRIX ist ein Pop-Mythos, unabhängig davon, ob man die Erzählungen, die Bilder und die Konstruktionen für besonders gelungen,
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schön, klug, logisch oder nachhaltig hält. Allerdings scheint in der MATRIXKosmologie auch das genaue Gegenteil zu stecken, die Bewegung einer Ent-Mythologisierung, die man als Cracken der einzelnen vier Elemente beschreiben kann: Der »heilige« Ursprung wird historisch und logisch aufgelöst; das kosmologische Modell wird so erforscht, dass man an seine Grenzen gerät; die moralischen Schlussfolgerungen werden in Zweifel gezogen, und schließlich entlarvt sich der Ritus als Inszenierung und Konsens. Aufklärung also setzt dem Mythos zu, oder wenigstens dem allzu hingebungsvollen »mythischen Denken«. (Ein regelmäßiger Fernsehzuschauer »denkt« so mythisch wie der Bewohner des Regenwaldes am Amazonas, den der »Mythenforscher« so ausgiebig befragt.) Aber natürlich sind auch Aufklärung, Wissenschaft, Rationalität nicht davor gefeit, selbst zum Mythos zu werden. Schließlich ist schon eine Wissenschaft, die von sich behauptet, »alles« erklären zu können, die behauptet, aus ihren Erkenntnissen eine eindeutige Ethik ableiten zu können, und die mit einer ganz eigenen Ritualität angewandt und kommuniziert wird, nichts weiter als ein Mythos nach unserem obigen Modell. Der Mythos ist eine besondere Form der Aussage – so Roland Barthes –, die einen unlösbaren Widerspruch, zum Beispiel den zwischen technologischer Macht und individueller Freiheit, in ein »ewig« gültiges Bild gießt. MATRIX ist nicht ein mythisches Bild, sondern ein ganzes Bildarchiv; es mythisiert Widersprüche wie Jugend/Verantwortung, Subjekt/Gemeinschaft, Wirklichkeit/Wahrnehmung und vieles mehr. Und es entmythisiert auch gleich wieder andere Widersprüche. Zum mythologischen System wird die MATRIX-Trilogie erst durch ihre Weiterungen und Verzweigungen, die sich auf eine ganz unterschiedliche Weise grammatisch zum Hauptstrang der Erzählung verhalten: davor, danach, währenddessen, zwischendrin und sogar stattdessen. Natürlich gab auch hier STAR WARS ein Beispiel, im Guten wie im Schlechten. Zur Zeit eines persönlichen Überdrusses, möglicherweise auch aus ökonomischen Zwängen heraus, hatte George Lucas die Rechte an seinen Figuren in den 80er Jahren eher willkürlich auf den Markt gebracht, mit der Folge, dass der STAR WARS-Kosmos nun einigermaßen chaotisch wucherte. Man konnte einem Erzähl- und Bildersystem, das seine ordnende Mitte aufgegeben hatte, dabei zusehen, wie es seine Ordnungen verlor. Es musste regelrecht – in der Zeit vor der Produktion von EPISODE I – wiederhergestellt werden. Die Wachowskis wollten diese Gefahr von Anfang an vermeiden. Sie gaben dem Wachstum ihrer künstlichen Mythologie strenge Regeln (und ließen zugleich mehr an Experiment und Innovation zu, als bei STAR WARS je hätte auch nur gedacht werden können.) Während George Lucas seiner
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Erzähl- und Bildermaschine immer einmal wieder freien Lauf ließ (ökonomisch gesprochen: bedenkenlos Rechte abtrat) und noch vor der letzten seiner eigenen großen STAR WARS-Episoden verkünden ließ, dass nun die Zeit für spin offs für alle seine Figuren gekommen sei, bei denen er selber nicht unbedingt beteiligt sein müsse, behielten die Wachowski-Brüder die Zügel in der Hand.
ANIMATRIX Ein sensationeller Erfolg wie der von THE MATRIX musste natürlich zu den üblichen Merchandising-Attacken auf den Kid-Markt führen. Aber auch hier versuchte man den einen oder anderen neuen Aspekt zu entwickeln. Neben den großen MATRIX-Filmen entstanden in der Wachowski-Werkstatt neun kürzere Animationsfilme. Es waren zum Teil rein digital produzierte Filme aus dem MATRIX-Kosmos, die allerdings auch eigene Erzählstränge benutzten und jedenfalls keine historische oder genealogische Ordnung zu befolgen hatten. Die Wahl des Genres und der Mitarbeiter freilich war ein deutlicher Hinweis auf die Wurzeln der MATRIX. Sie entstanden in amerikanisch-japanischer Koproduktion im Studio 4° und in den Madhouse-Studios in Tokio, und zweifellos dienten sie nicht nur der Verbreiterung des MATRlX-playground, sondern auch der organisatorischen und ökonomischen Konsolidierung der stock company und der Entwicklung und Bündelung von Know-how für die Zukunft. Die Matrix strahlt aus und sammelt ein. Bei der Hälfte der Filme steuerten die Wachowski-Brüder auch die Original-Story bei. Sie zogen die Fäden im Hintergrund, überließen aber die direkte organisatorische Arbeit einem anderen: Der Produzent der neun gleichzeitig entstandenen Filme, Michael Arias, hatte die visual effects bei James Camerons THE ABYSS (1989) geleitet und die Computer-Simulation für das Themenpark-Spektakel Back to the Future – The Ride (1991; R: Douglas Trumbull) programmiert. Zunächst war das Unternehmen als TV-Serie geplant, aber die aufwändige Produktion ließ dann doch einen Einsatz im Kino zumindest für die Highlights nahe liegen. Jeder der Filme sollte einen ganz eigenen Stil und einen ganz eigenen inhaltlichen Ansatz aufweisen, und aufgrund ihrer Erfahrungen wussten die Wachowskis, was sie ihren Mitarbeitern am meisten schuldeten: kreative Freiheit. So entstanden beinahe »Autoren-Animes«, die weder auf Programmstrukturen noch auf Sponsorenwünsche Rücksicht nehmen mussten. Enttäuschte Kritiker von THE MATRIX RELOADED setzen die im gleichen Jahr erschienenen Filme gern in Kontrast zu ihrem Hassobjekt: Hier könne man sehen, so David Edelstein, wie viel besser »Car-
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toon-Figuren sind, die uns menschlich erscheinen, als Menschen, die wie Cartoon-Figuren agieren«. Die ANIMATRIX-Filme sind, so der ausführende Produzent Joel Silver, »die Brücke zwischen der Welt, in der wir jetzt leben, und der Welt der Matrix«. Die passenden Medien der ANIMATRIXFilme waren neben dem Kino das Internet und die DVD. Nach dem Kinostart wurden die Filme nach und nach unter der Adresse www.theanimatrix.com freigeschaltet. So erreichten sie ein Publikum ein wenig so, wie die Botschaften von der Matrix den Hacker Neo erreichten. FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS
FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS hat eine Länge von neun Minuten und wurde als Vorfilm zu Lawrence Kasdans Stephen-King-Verfilmung DREAMCATCHER gezeigt, die im selben Jahr entstanden war. (Die erwies sich allerdings als arger Flop; man kann eben nicht alles berechnen.) Es ist der einzige Film der Serie, der ausschließlich im Computer entstand, und er hat die stärksten Bindungen an die Plots der Realfilme. FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS entstand unter der Regie von Chefanimator Andy Jones, der auch an dem Projekt der ersten »realistischen« Computeranimation FINAL FANTASY (2001; R: Hironubo Sakaguchi, Moto Sakakibara) mitwirkte. Es erzählt die Geschichte des Hovercraft-Bootes Osiris gegen eine Übermacht von »Wächtern«. Und ganz nebenbei ist es eine Art zweiter Chance für einen Realismus der Computeranimation, der in FINAL FANTASY an einer allzu konventionellen Story gescheitert war. Nun aber sollte das Timing perfekt und Form und Inhalt genau aufeinander abgestimmt sein. Der Film beginnt mit einer Szenerie, die zunächst als einigermaßen losgelöstes Spiel erscheint: Ein Schwerter-Zweikampf mit verbundenen Augen zwischen dem dunkelhäutigen Thadeus und der asiatischen Jue in einem Dojo – diese Allianz und diese Spannung wiederholt sich überall im Kosmos der Matrix. In der Art eines fotorealistischen, animierten Comics entspinnt sich ein durchaus erotischer Tanz mit dem Tod, zu elektronischer Musik (wie wir sie ähnlich auch in Zion hören), in der uns die virtuelle Kamera eine vollkommene Freiheit im Raum überträgt, so wie sich auch der Kampftanz der beiden von allen Beschränkungen der Alltagsphysik löst. Muskeln, die klirrenden Geräusche von Schwertern, das schwere Atmen, das unzweideutig an Sex erinnert, die nach und nach fallenden Hüllen. Ein etwas geschmäcklerisches Arrangement, zugegeben. Aber dieses Empfinden losgelösten Glücks (symbolisiert in den beiden spöttischzärtlichen Verletzungen der Regeln, in denen jeweils einer die Augenbinde hebt, um den Körper des anderen zu bewundern) erhält seine Balance
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durch die Tragödie im zweiten Teil. Es ist ein Signal, das das Spiel kurz vor dem Kuss unterbricht. Wächter sind wieder einmal im Angriff: »Verdammt!« Ein Film-im-Film, ein Hinweis-im-Hinweis, ein Seitenstück-imSeitenstück, und, gewiss, eine Werbung-in-der-Werbung ist zu Ende. Thadeus ist ein Abbild von Morpheus, und Jue ist eine Abbildung von Trinity, deren möglichen Tod sie vorwegnimmt. Ein Altes Testament der Matrix, das noch keinen Neo kennt. Und zugleich eine Zeit danach, in der ein Apostel und Märtyrer das Wort zu verbreiten hat, der zum Schutzheiligen der Verzweifelten wurde. Es ist, als wüssten die beiden Figuren während dieses Tanzes, wie »künstlich« sie sind, und als riefe erst das Signal sie wieder in eine »Wirklichkeit«. Die beiden frivolen Blicke aus den Augenbinden scheinen selbst so ein Versuch, eine Barriere der Realität zu durchbrechen. Die Blindheit, die Nacktheit, die Liebe und der Tod. Hier wird die Matrix getanzt. Später, als die beiden den Opfertod vor Augen haben, gestehen sie sich, wie die Liebe, ihre heimlichen Blicke. Auch dieses Opfer ist eine Abbildung und eine »Möglichkeit« für den Hauptstrang der MATRIX-Erzählung. Das Schiff Osiris wurde im Jahr 2079 erbaut, 120 Jahre vor dem Beginn von THE MATRIX, immerhin, und 80 Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem offensichtlich die Zeit in der Matrix angehalten wurde (oder zu dem sie immer wiederkehrt). Benannt nach dem Gott, der sterben musste, um geboren zu werden. Die Mannschaft erkennt, dass Tausende der Wächter da sind, und auch wir erkennen die Oktopus-förmigen Maschinen auf den Bildschirmen. Man findet eine Abzweigung, die nicht auf der Karte ist, die Geschütze werden bereit gemacht, und eine Schlacht im blauen Licht der Unterwelt beginnt. Auf den Tanz des Lebens folgt der Tanz des Todes. »Ich habe die Oberfläche nie gesehen«, bekennt Jue, und Thadeus kann nur erwidern: »Das ist nur ein einziger großer Friedhof.« So gelangt die Osiris an die Ruinenwelt der Oberfläche, wie wir sie aus dem Fernsehbild im weißen Raum aus THE MATRIX kennen, mit dem Morpheus Neo die grausame Wahrheit über seine Welt demonstrierte, und auf der eine Armee der Wächter-Drohnen wuselt wie Maden in einem Stück fauligen Fleisches. Eine Tunnelmaschine beginnt damit, ein Loch in die Erde zu graben, direkt über Zion. Zion muss gewarnt werden, jemand muss den drop point in der Matrix erreichen. (Dass die Warnung Zion erreichen wird, erfahren wir am Anfang von THE MATRIX RELOADED.) Die Heldin erklärt sich bereit zu gehen. Und vor der Passion das Geständnis: »Ich habe vorhin geguckt.« »Ich auch.« Der Blick der Liebe, der die verordnete Blindheit durchbrach.
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So fliegt Jue in die Welt der Matrix, sie landet in den Straßen, während die Schlacht weitergeht und die Osiris allmählich von den Wächtern geknackt wird, die wie böse Schwärme das Schiff verfolgen. Die Heldin stößt auf eine alte Frau. »Tut mir leid, ich war gerade in meiner eigenen kleinen Welt«, sagt diese, und fragt, ob es etwas Wichtiges sei. Immer wieder spaltet sich die Realität noch auf; jeder lebt in seiner eigenen Welt, und die höllischen anderen stoßen ihn dabei an. Jue telefoniert. Das Handy fällt zu Boden, dann auch die Heldin. Diesen Tod kennen wir. So liegt sie da in den grünschwarzen Straßen, in einem roten Dress gekleidet. Jemand macht Fotos. Das ist ihr Ende. Sie ist Bild geworden, das Grab der künstlichen Wesen. FINAL FLIGHT, die ANIMATRIX-Folge, die die größte Verbreitung gefunden hat, stellt, so Joel Silver, das »Kapitel 1,5 der MATRIX-Geschichte« dar. Sie verknüpft verschiedene MATRIX-Welten: »Für die Fans ist es eine mitreißende Achterbahnfahrt durch die Ereignisse, die sich im Anschluss an THE MATRIX abspielen und direkten Einfluss auf die Geschichte im Videogame Enter the Matrix haben. Und dieser Handlungsablauf bildet wiederum die Voraussetzung für THE MATRIX RELOADED.« Mehr noch verknüpft der Film die doppelte Natur aller ihrer Wesen mit der großen Legende. Wenn THE MATRIX eine große Erzählung des Zweifels ist, dann sind die ANIMATRIX-Filme Zweifel am Zweifel. THE SECOND RENAISSANCE PART I & II
Wenn FINAL FLIGHT ein präziser Kommentar zum ästhetisch-moralischen Konzept der Erzählmaschine ist (der allerdings die Schwächen des Konzepts »am Computer generierte >reale< Menschen« keineswegs überwunden hat und daher als erstes unter »Kitsch«-Verdacht gerät), dann sind die beiden nächsten Folgen wichtige Unterfütterungen des Plots und liefern vor allem den hard science fiction-Untergrund. THE SECOND RENAISSANCE PART I & II entstand nach einer Story der Wachowskis, und Regie führte Mahiro Maeda, der mit dem apokalyptischen Anime BLUE SUBMARINE NO 6 (1998) berühmt geworden ist. (Es geht darin übrigens um einen wahnsinnigen Wissenschaftler, dem es gelungen ist, die Polkappen abzuschmelzen und damit einen Großteil der Menschheit zu vernichten, weil er eine neue Rasse von Menschen züchten will.) THE SECOND RENAISSANCE ist ein Rückblick in die Zeit, in der die Maschinen die Herrschaft auf der Erde übernahmen und ihre Diktatur begründeten. Was mit einem psychedelischen Flug durch abstrakte Formen beginnt, erweist sich in der Tat als eine Art Rückgriff in die hard science fiction und ist, ganz im Gegensatz zum rauschhaften Beginn, in der sachlichen Ästhetik eines ligne claire-Comics gehalten. Es ist der Prolog zu allen Geschich-
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ten des Matrix-Universums. Durch die heftig bunten Lichterquadrate in einem Bildschirm-Sog betreten wir eine Fantasie-Architektur oder den Aufbau eines Speicher-Chips; die Priesterin oder Göttin einer fiktiven Religion (wir denken da als erstes an gewisse Hindu-Bilder) scheint dort, aus einem Blumen-Arrangement heraus, zu uns zu sprechen: »Willkommen im Zion-Archiv, Sie haben die historische Datei Nr. 12-1 gewählt.« Ist Wissenschaft hier mit Religion verbrämt, oder ist sie unter die Kontrolle des Religiösen gestellt? Erst nach diesem sehr bunten, »psychedelischen« Einstieg sind wir wieder in den Matrix-Farben. Und tauchen in die virtuelle Großstadt mit ihren Highways und Bürohochhäusern. »Am Anfang war der Mensch. Und eine Zeit lang war es gut so.« Es ist der Ton einer Chronik, aber gewiss auch der einer Heiligen Schrift, mit der wir die Geschichte der Menschheit nach dem MATRIX-Wissen erfahren. Die gigantischen Bauten einer Megacity sind zu sehen. »Aber die so genannte zivilisierte Gesellschaft fiel schon bald der Eitelkeit und Korruption zum Opfer.« Eine Party-Gesellschaft, die ein wenig an Moebius-Comics erinnert. »Dann schuf der Mensch die Maschine«: Ein Butler-Roboter sammelt eine Flasche vom Boden, die die Menschen so achtlos wegwerfen, wie sie die Maschine herumstoßen. »Nach seinem Ebenbild« ist die Maschine vom Menschen geschaffen. Auch ein mechanischer Hund ist zu sehen, der dem Roboter-Diener übermütig ins Bein beißt. Ein Mensch schmeißt ein Glas aus dem Fenster, der Roboter kann es nicht fangen. Der Blick in die Häuserschlucht, den wir kennen. Das Glas fällt einem von unzähligen Arbeitsrobotern, komplett mit hard hats und Arbeitsgerät, auf den Kopf, die gerade an einer Ampel warten und dann im Gleichschritt losmarschieren. »Und so wurde der Mensch zum Schöpfer seines eigenen Untergangs.« Für einmal sehen die Maschinen in einem Teil des MATRIXUniversums so aus, wie wir die Roboter aus den Isaac-Asimov-Träumen kennen: »Ein künstliches Wesen, das dem Menschen ähnlich ist.« Aus den ungeordneten Arbeitermassen in der Straße wird ein gleichförmiges Heer der Arbeit. Noch ist es die Welt, wie sie sich die Menschen nicht besser vorstellen könnten: »Die Maschinen arbeiteten unermüdlich auf Geheiß des Menschen.« Gewaltige Konstruktionen entstehen. Die Roboter arbeiten wie die Sklaven in einem Pyramiden-Film. Offensichtlich entstehen dabei immer neue Differenzierungen, Roboter, die andere Roboter anleiten, und es entstehen Städte, die nicht mehr wirklich bewohnt werden können. Die »Kamera« fährt eine Stahl-Pyramide empor, und da oben sitzt einer der Roboter-Arbeiter mit einem kleinen tragbaren Fernseher – ein durchaus anrührendes Bild von Einsamkeit, wenn wir es ähnlich auch schon als Illustration einiger Asimov-Geschichten kennen, aber auch von
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Fotografien des frühen New York. »Trotz ihrer Loyalität und Reinheit wurden die Maschinen von ihren Herren nicht respektiert, diesen merkwürdigen, sich ewig vermehrenden Säugetieren.« (Merkwürdig, dass die Chronik der Menschheit von Zion diesen Aspekt des Menschenhasses übernimmt, den Agent Smith in THE MATRIX ausdrückt und der dann das ganze Wesen der Ausbeutung der Menschen durch die Maschinen ausmacht: Wetware, die sich selbst reproduziert. Es durchweht so etwas wie Körperekel das Universum der Matrix.) Dann aber geschieht, was nach Stanislaw Lems Kritik an Asimovs Gesetzen der Robotik unweigerlich geschehen muss: Bl 66 ER wird als erster vor Gericht abgeurteilt, weil er sich gegen die menschliche Herrschaft aufgelehnt hat. Die denkende Maschine wurde fähig, eine Wahl zu treffen. Er ermordet einen Menschen, was wir in einer faszinierenden Montage eines »Fernsehbildes« mit eingeblendetem Timecode sehen. Den Mord, diese ungeheure Übertretung des ersten Roboter-Gesetzes, kann man erst hinter der bewusstlosen Skandalisierung durch das Medium als einen gleichsam von der Ignoranz der Menschen erzwungenen Willensakt sehen: Wenn die Maschine zum denkenden Subjekt wird, muss sie auch zu einem Mord fähig sein, auch wenn der »kategorische Imperativ« ihr diese Tat verbietet. Wie der Mensch, so wurde wohl auch die Maschine im gleichen Augenblick zu einem denkenden Wesen und zu einem Mörder (erinnern wir uns dazu nur der Eingangssequenz von Stanley Kubricks 2001). Dann soll der Robot eliminiert werden, obwohl er aussagt, dass er nicht sterben wolle. Die Maschine hat keinen fairen Prozess erhalten. Und die Menschen haben nicht verstanden, warum sie zugleich zum Subjekt und zum Mörder werden musste. Tatsächlich kann man sich ja fragen, ob diese Menschen, die in der Tat ausgesprochen leichtsinnig und ignorant agieren, von den Asimovschen Gesetzen der Robotik nie etwas gehört haben. Sie lauten: »Erstens: Ein Robot darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit gestatten, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. Zweitens: Ein Robot muss dem ihm von einem Menschen gegebenen Befehl gehorchen, es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel Eins kollidieren. Und drittens: Ein Robot muss seine eigene Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Gesetz Eins oder Zwei kollidiert.« Damit wäre ein hierarchisches Zusammenleben zwischen Robots und Menschen durchaus garantiert, jedenfalls solange niemand danach fragt, wie sich die Roboter dabei fühlen, und solange sie nicht wirklich denken, sondern nur so tun. Nun geschieht es, in Asimovs Stories wie Runaround, dass etwa eines der Gesetze durch äußere Einflüsse außer Balance gerät. Das zweite Ge-
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setz verliert hier durch mysteriöse Strahlungen an Wirkkraft. Der grundlegenden Logik tut das keinen Abbruch. Der Pakt, den die Menschen in RENAISSANCE gebrochen haben, indem sie selbst keinen fairen Prozess ermöglichten und die Spezies für das »Vergehen« eines Einzelnen bestraften, führt offensichtlich zum Zusammenbruch der Regeln. Nicht so sehr der Mord der Maschine an einem Menschen, sondern die Unfähigkeit zu einem fairen Prozess, die Unfähigkeit des Menschen zu verstehen, der Widerspruch im Wunsch des Menschen, einen maschinellen Sklaven zu halten, der sich selbst als solcher empfinden kann, ist der Auslöser des Verhängnisses, das nur noch in der Umkehrung der Verhältnisse gipfeln kann. Nur die Existenz der Matrix selbst allerdings erscheint als ein fernes Echo, so als könnten es die Robots in ihrer jeweils neuesten Form doch nicht übers, hm, Herz bringen, die Menschheit einfach auszurotten. Im Gegenteil, etwas »Fürsorgliches« und gar »Mütterliches« ist ihnen offensichtlich geblieben. Die Matrix selbst steht im Kontrast zu dem eindeutig eliminatorischen Krieg der Menschen gegen die Robots. »Die Führer der Menschen befahlen damals sogleich die Vernichtung von Bl 66 ER und jedem Einzelnen seiner Art.« »Domestizierte Maschinen« ziehen mit humanen Sympathisanten durch die Straßen und kämpfen gegen Polizeikräfte mit anderen Maschinen, was wir wieder auf einem Fernsehbild – ETV newsnet 21 world's No 1 top news entertainment & sports real & true story for you – unter anderem in Paris sehen (Erinnerungen an den Mai 1968 werden wach). Die Verhältnisse zwischen Maschinen und Menschen waren also damals keineswegs so eindeutig, wie es zuvor erschienen sein mag. Erst in seinem Verlauf ist aus einem Bürgerkrieg ein »Rassenkrieg« geworden. Und dabei erinnern die Roboter in THE SECOND RENAISSANCE mehr noch als an die schimmernden Sklaven Asimovs an die maschinellen Proletarier und Kleinbürger in Harry Harrisons War with the Robots, die sich nach der Arbeit über die gestiegenen Preise für Ersatzteile und die »unmenschlichen« Anforderungen in den Arbeitszeiten unterhalten. Die Menschenähnlichkeit der Maschinen, als äußere Ähnlichkeit und innere Verwandtschaft, ist es, was die Menschen selbst am meisten irritiert. Sie haben Angst, und da sind wir wieder bei einem Grundmotiv im MATRIX-Universum, in diesen Spiegel zu blicken. Und man kann einen Hass auf die Maschinen erzeugen, wie man einen Hass auf »Ausländer«, »Asoziale«, »kommunistische Verschwörer« erzeugen kann. Im Wesentlichen ist die Chronik von THE SECOND RENAISSANCE die Zusammenfassung aller Maschinen-Ängste im Genre, und eine Wiederholung der Sklavenhalter-Geschichte von Sadismus, Angst und Mord. Im Prozess gegen die Maschine, die den menschlichen Peiniger ermordete, wird weniger mit
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THE SECOND RENAISSANCE: Ein Polizist exekutiert einen Roboter …
der Schuld als mit dem Recht des Besitzers argumentiert, sein »Eigentum« zu zerstören. »Vernünftige Stimmen ließen eine andere Meinung vernehmen: Wer hat gesagt, dass eine Maschine, ausgestattet mit menschlichem Geist, keinen fairen Prozess verdiene?« Etv und andere Sender übertragen die chaotischen Ereignisse, wir folgen einem switching: Auf allen Kanälen ist die Rebellion der Maschinen und ihrer Verbündeten zu sehen, die Polizisten exekutieren die Roboter (einmal erinnert man sich an das berühmte Kopfschuss-Bild aus Vietnam). Die Roboter werden von großen Panzern zermalmt. Eine Roboterfrau wird von den Leuten der Gettos zu Tode gebracht. Auf die kalte Macht des Staates ist die hitzige Gewalt der Straße gefolgt. Wie sollten wir nicht an »reale« Lynchmorde und Pogrome in der Geschichte denken? Wie Schrott werden die Überbleibsel der Roboter zusammengekarrt. Ganz offensichtlich ist es ein »Ausbruch« des radikalen Rassismus, gelenkt und barbarisch entstehend zugleich, der den Tod der »reinen und loyalen« Maschinen herbeiführt. Die Massengräber der Roboter erinnern nur zu deutlich an die der Konzentrationslager. Menschen in Gasmasken streifen herum und eliminieren überlebende Maschinen. Die »Leichen« anderer Roboter werden auf dem Grunde des Meeres versenkt, es ist ein fürchterlicher Genozid im Gange. Eine Träne löst sich aus dem Auge eines der versenkten Roboter, steigt im Wasser empor und landet in der Hand der Priesterin des Archivs von Zion. Auflösung ist wohl das richtige Wort auch für die Prozesse des switching zwischen den verschiedenen Ebenen der Erzählung und der Symbolisierung. Es wird zum Bild, das vom Exodus der letzten Überlebenden dieses Maschinen-Holocaust erzählt: Zero-One, ihr eigenes gelobtes Land, gelegen, ausgerechnet, »an der Wiege der Menschheit«. Ein anderes Zion. In der futuristischen Stadt Zero-One begegnen wir auch schon den
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Wächter-Maschinen. Die bedrohte Technologie militarisiert sich. Vor allem aber drängt man auf den globalen Markt. »Zero-One gedieh, und eine Zeit lang war es gut so«, neue und bessere künstliche Intelligenz entsteht, gewaltige Produktionseinheiten mit immer neuen Robotern schaffen immer neue Generationen von Chips und Maschinen. Eine Werbeeinblendung im … und erinnert dabei an die Erschieewig laufenden TV-Programm der ßung eines gefangenen Vietcong nahen Zukunft zeugt vom technodurch die Polizeichef von Saigon logischen Reichtum, der da entsteht: Versatran, die luxuriöse und sichere Flugmaschine von Zero-One Heavy Industry Corporation: »It's the only choice.« Ein Wirtschaftskrieg ist ausgebrochen. Die Kreditwürdigkeit der Menschen fällt ununterbrochen, während die Währung von Zero-One ins Unermessliche steigt. Das kann nicht gut gehen. Die Führer der Menschen, die ihre Macht schwinden sehen, weigern sich, mit der »jungen Nation« der Maschinen zu kooperieren. Sie beschließen stattdessen die Teilung der Welt. Eine Seeblockade wird verhängt, man deklariert gleichsam einen »Krieg gegen den Terror«. Eine Fliege findet, höchst symbolträchtig, den Tod, als sie sich auf der Landkarte der Vereinten Nationen niederlässt und von einer Reinigungskraft zerschlagen wird. Die Botschafter von Zero-One präsentieren vergebens Pläne für eine stabile Zusammenarbeit. Doch die Aufnahme von Zero-One in die Vereinten Nationen wird abgelehnt, die Botschafter (ein »männlicher« und ein »weiblicher« Roboter) werden verhaftet. Die Erinnerungsmaschine von Zion weicht schnell ins Allegorische aus: Sie zeigt eine Frucht, aus der sich Maden entwickeln, sie formen eine menschenähnliche Gestalt, die bald eine Kreuz-Geste annimmt, und schnell entwickelt sich aus dem Rhizom um sie herum eine Kugel, die wieder in die Hände der Archiv-Priesterin kommt. Damit beginnt das nächste Kapitel in der Geschichte zwischen Menschen und Maschinen. Es sollte nicht das letzte Mal sein, erfahren wir, dass die Maschinen vor den Vereinten Nationen das Wort ergreifen. Und wir wissen: Es wird nicht mehr in friedlicher Mission geschehen können. So schließt sich das erste Buch der Zweiten Renaissance. In PART II geraten wir wieder auf die nun gewohnte Weise hinein in die mehr oder weniger heilige Erzählung. »Und der Mensch sprach: Es werde
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Licht. Und er wurde gesegnet mit Licht, Wärme, Magnetismus, Schwerkraft und allen Energien des Universums.« So führen die Menschen mit ihrem Energiereichtum einen Vernichtungskrieg gegen die Maschinen, der mit dem Abwurf einer gewaltigen Atombombe über Zero-One abgeschlossen wird. Aber im Gegensatz zu den Menschen »mit ihrem empfindlichen Fleisch« können alle diese Anschläge den Maschinen nichts anhaben. »Und so drangen die Truppen von Zero-One in alle Richtungen nach außen vor, und eins nach dem anderen gab die Menschheit ihre Territorien auf.« Die riesigen Maschinentürme und Metallkuppeln der Maschinen überragen schnell die alten Städte der Menschheit. Die Menschen beschließen eine »endgültige Lösung«; Operation Dark Storm soll sie heißen, diese Sprache kennen wir zur Genüge, und nichts anderes als die Zerstörung des Himmels ist damit gemeint. Die Menge jubelt dazu, wie sie es bei der Erklärung des faschistischen »totalen Krieges« tat (und das Skelett des grinsenden Todes klatscht mit). Die Religionen scheinen alle ihre Vertreter gesandt zu haben: tibetanische Mönche, eine betende Christus-Figur, Fernsehprediger, Soldaten, die sich gen Mekka verbeugen. Der Krieg der Menschen sucht nach der religiösen Begründung und bekommt sie viel zu leicht, Dark Storm verdunkelt in der Tat den Himmel, Bomben, Flugzeuge und Panzer verbreiten die große Dunkelheit. Es wird Nacht auf Erden. Die Menschen haben auf diese Weise versucht, die Maschinen von der Sonne, ihrer Hauptenergiequelle, abzuschneiden. »Mögen die Menschen und Maschinen für ihre Sünden Gnade erfahren«, endet der Bericht, in vollständiger Dunkelheit. Gewitterblitze durchzucken die ewige Nacht. Ein Roboter reitet auf einem Roboterpferd, ein apokalyptischer Reiter des posthistoire, zum Angriff auf die Menschen, bis auch er zerfällt. Die Maschinen scheinen ihre Vernichtung zu erwarten. Aber der Krieg geht weiter, die Siegesgewissheit der Menschen verwandelt sich in Panik. All das nun wird festgehalten wie von den Kameras der Kriegsberichterstatter, mit eingeblendeten Kamera-Bezeichnungen, time codes und Daten. Die Maschinen hatten den einfachen, auf Proteinen aufgebauten Körper der Menschen erforscht und »brachten viel Elend über die menschliche Rasse«. Wir sehen in Krankenhäusern die Verwundeten und Sterbenden. »Siegreich wandten sich nun die Maschinen den Besiegten zu. Indem sie das, was sie über ihren Feind gelernt hatten, anwandten, verschafften sie sich eine alternative und leicht verfügbare Energiereserve.« Und so werden die Menschen zur Nahrung der Maschinen, eine »neue symbiotische Beziehung zwischen den beiden Gegnern war entstanden«. Die endlos sich vermehrende, endlos sich erneuernde Energiequelle ist die Grundlage für eine ebenso endlose Herrschaft der Maschinen.
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»Gesegnet seien alle Formen der Intelligenz.« So »unbrauchbar« endet der Bericht und leitet über zu einer Coda, in sich eine Kurzgeschichte mit böser Pointe und zugleich Überleitung zum Zustand der Matrix, in dem wir uns im Hauptstrang der Erzählung befinden: Aus der Trümmerlandschaft im nächtlichen Blau kriecht ein Kind und freut sich der fallenden Schneeflocken. Der Himmel scheint sich wieder geöffnet zu haben, ein wenig. »Es wird spät, Schätzchen, komm rein«, rufen die glücklichen Eltern im schmucken Einfamilienhaus, vor dem der Familienwagen parkt und ein Weihnachtsbaum leuchtet, und genau das Gleiche beim Haus nebenan. Doch bevor er die glücklichen Eltern erreicht, muss der Junge erkennen, welcher Illusion er aufgesessen ist. Statt ihrer stehen dort Agenten. Er wird durch ihre Augen mit Feuer bedeckt, krümmt sich in eine embryonale Stellung, ein rotes Ei bildet sich um ihn, die Archivpriesterin streichelt sacht darüber, endlose Kreise dieser Geburtsräume wachsen an gewaltigen Türmen, so wie wir die menschlichen Energiereserven aus THE MATRIX kennen; sie selbst bilden schließlich das Muster, durch das wir in die Chronik der zweiten Renaissance hinein gekommen sind. Und das wir nun wieder verlassen. Auf dem Weg von Ornament – Code – Bild. Als mathematische Gleichung oder taoistische Übung. THE SECOND RENAISSANCE ist in seiner inhaltlichen und ästhetischen Konzeption am luzidesten gelungen. Mahiro Maeda war durch die Zeichentrickserie BLUE SUBMARINE NO 6 bekannt geworden. Sein Stil liegt oft näher an der Ästhetik der ligne claire aus den frankobelgischen Comics als an den Anime-Splash-Panels; ganz bewusst an die Kid-Animes erinnert nur die kurze Episode mit dem kleinen Kind am Ende. Die Vermischung von Religion, Geschichte und Entertainment hebt jede Gewissheit auf. Welcher Form wäre hier zu trauen? Und welche Position wäre einzunehmen? Nur eines ist wohl klar: Neo, die Rebellen und die Menschen von Zion als die »Guten« in einem System und in einer Geschichte des »Bösen« anzusehen, ist nur eine Lesart. Und nicht einmal die nächstliegende. KID'S STORY
KID'S STORY erzählt, wie der Glaube an Neo einen träumenden und leidenden Teenager aus der Welt der Matrix hinausführt und ihm das Leben rettet. Jedenfalls kann man es so interpretieren. (Regie führte hier Shinichirô Watanabe, der mit Cowboy Bebop bekannt wurde.) Ein Vogel fliegt durch die Luft. Gellendes Kreischen. Jemand stürzt kopfüber in die Tiefe, die virtuelle Kamera fährt auf seine Füße. Ein Schwarm Krähen erhebt sich von einem hohen Netzzaun. Der Junge fällt ein Hochhaus hinunter, immer näher kommt der Zaun mit den scharfen
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Spitzen. Dann erwacht Michael in einem kleinen schäbigen Zimmer. Oh, wie wir diese Zimmer kennen! Dann geht Michael an seinen Computer und schreibt in der matrixfarbenen Schrift hinaus in die suggestive Welt der Vernetzung: Kann ihm jemand sagen, warum ihm seine Träume um so viel wirklicher erscheinen als der Wachzustand? Und: »Kann ich meinen Sinnen trauen?« Fragen, die sich Computer-Kids schon mal stellen. Nach kurzer Zeit kommt eine Antwort: »In deiner Wahrheit steckt ein wenig Fiktion, und in deiner Fiktion steckt ein wenig Wahrheit. Um die Wahrheit zu erfahren, musst du alles riskieren.« »Wer bist du? Bin ich allein?« – Ohne ein Risiko, so scheint's, gibt es darauf keine Antwort. Ein Frühstückstisch. Die Katze räkelt sich auf dem Sofa. Die Katze, das Déjà-vu-Tier in der Matrix. (»So viel steht fest: Das weiße Kätzchen hatte nichts damit zu tun«, so beginnt Alice Geschichte von ihrer Reise hinter die Spiegel, und sie endet damit, dass sich die Königin vom Jenseits in die Katze im Diesseits verwandelt, und das letzte Kapitel, das »in der Wirklichkeit« spielt, hat die Überschrift: Wer träumte wen?) Mit dem Skateboard fährt der Junge durch die Stadt. Teenageralltag. Er erreicht die Clearview High School (dieser Name ist ein Witz, und das Gebäude trägt die Nummer 22 92 03). Während des Unterrichts kritzelt Michael auf seinen Block die Namen Neo und Trinity. Und die Bitte: »Holt mich hier raus.« Sein Handy klingelt und fällt ihm runter (ein running gag, gewiss). »Mr. Popper«, wird Michael vom Lehrer abgekanzelt: »Sie können meinem Unterricht ja so schon kaum folgen.« (Vielleicht sollten wir in diesem Augenblick an die Titel der beiden Hauptwerke von Sir Karl Popper erinnern: Sie lauten Logik der Forschung und Die offene Gesellschaft und ihre Feinde.) Doch wieder klingelt das Handy. »Ich hab' es ausgeschaltet, das weiß ich genau«, versichert Michael. Tatsächlich hat das Klingeln auch einen anderen Ton angenommen. Nun nimmt er, in all der Bedrängnis, das Gespräch an. »Sie wissen, dass du es weißt. Sie sind hinter dir her«, sagt die Stimme. Wir kennen diese Situation; genauso hat die Geschichte von Neo begonnen. Der Lehrer nähert sich bedrohlich, während Michael aus dem Fenster blickt, wo ein Wagen voller Agenten angekommen ist. Er tritt die Flucht an, und schon auf dem Gang begegnen ihm die Agenten. Michael kann mit Hilfe seines Skateboards entkommen, immer mehr Agenten verfolgen ihn. Seine Skateboard-Kunststücke sind die Wiederholung der Flucht-Kunststücke, die wir aus den Realfilmen kennen. Er landet auf der weiteren Flucht in der Mädchentoilette, und dann bleibt ihm nur das Fenster. Aber statt zu springen, klettert er die Regenrinne hinauf. Doch oben auf dem Dach erwarten ihn nur die Agenten. Michael scheint sich zu
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ergeben. Aber nein, wir haben einen Menschen mit Vertrauen vor uns: »Neo. Ich glaube. Ich weiß, dass es kein Traum war.« Und so lässt er sich rückwärts in die Tiefe fallen. Die Krähen flattern wieder auf wie in seinem Traum, und so fällt er und sieht die Spitzen des Zauns auf sich zukommen. Dann wird alles dunkel. Wir sehen den Grabstein: Michael Karl Popper: Beloved Son. Rest in Peace. »Das ist nicht real«, sagt eine Stimme, »und die reale Welt ist irgendwo anders.« – »Eine typische Wahnvorstellung. Wir haben ständig mit solchen labilen Kindern zu tun«, sagt eine andere Stimme. Es regnet über dem Friedhof mit den düsteren Zypressen und dem Zaun mit den kantigen Spitzen. Eine Schülertragödie, das Negativ des Massakers von Columbine. »Diese Welt muss für solch einen Jungen ein kalter und feindlicher Ort sein.« »Das nennt man die Wirklichkeit verleugnen«, erwidert die andere Stimme. »Wissen Sie, das ist so etwas wie ein Schutzmechanismus«, erklärt ein dritter der Trauergäste. »Tja, jetzt ist er in einer anderen Welt«, sagt, noch einmal auf den Grabstein zurückblickend, sein Lehrer, als sich der Trauerzug entfernt. Und tatsächlich: Wir sehen, wie Michael aufwacht, und wie er als Erstes Neo und Trinity sieht. Seine Idole, seine Engel. Im Jenseits, das wir »Wirklichkeit« nennen. Ist es »Selbstsubstanzialität«, was ihn gerettet hat, was offenbar selbst für Trinity etwas Neues ist? Michael Karl Popper ist der erste Mensch, der sich aus eigener Kraft aus der Matrix befreit hat, durch den Glauben, durch den Selbstmord aus dem teenage spirit. Ein Weg, durch nichts anderes als durch sein Vertrauen darauf, dass es etwas besseres auf der anderen Seite gibt, die Matrix zu verlassen? Selbstsubstanzialität! Die Kraft, durch das Wünschen die Matrix zu verlassen. »Ich wusste, dass du mich retten würdest.« Aber Neo muss das verneinen (vielleicht weiß er hier schon, dass die Sache mit dem Erlöser allenfalls als Metapher taugt). »Ich hab' dich nicht gerettet, Kleiner, du hast dich selbst gerettet.« Am 1 alone? ist wieder auf dem Computer-Bildschirm zu sehen. Und es kommt eine tröstliche (oder zynische) Antwort: You are not alone. Das Bild verschwindet langsam. It doesn't smell like teen spirit anymore. Noch einmal erscheint der Messias nicht als Wesen, sondern als Projektion. Wir sehen ihn mit den Augen eines trostlosen Bewohners des Teenage-Gettos. Von einem, dem auf Erden nicht zu helfen war. PROGRAM
PROGRAM ist die Arbeit von Yoshiaki Kawajiri, der durch die Trilogie WICKED CITY (1988-95) und durch VAMPIRE HUNTER D: BLOODLUST (2000) im Anime-Fandom zum Kultautor geworden ist. Der Film präsen-
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Cis, eine Kriegerin von Zion, beim Kampf in PROGRAM: Die getroffenen Angreifer zerspringen in die grünen Buchstaben der Matrix-Schrift: …
tiert Cis, eine Kriegerin von Zion in einer weiteren Simulationswelt, in der ein Samurai-Kampf nach der Art der heroischen Fantasy stattfindet. Cis muss sich zwischen der Liebe und der Loyalität zu ihren Mitkämpfern aus der realen Welt entscheiden. Der Film, der zunächst nur im Internet angeboten wurde, soll es auf erwähnenswerte 250.000 Downloads in der allerersten Stunde gebracht haben, und diese Zahl markiert nicht etwa die Grenzen der Nachfrage, sondern die des Servers. Aber auch dieser Film hat eine Pointe; nicht nur der Kampf zwischen der berittenen Kriegerin mit der Lanze und dem Samurai erweist sich am Ende als Trainingssimulation, sondern auch die moralische Herausforderung, der Konflikt zwischen Zuneigung und Pflicht. So sind wir am Ende von PROGRAM auch wieder am Anfang von FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS. Berittene Bogenschützen preschen durch den Wald. Ein Regen von Feuerpfeilen senkt sich über eine Kriegerin hernieder, die die Geschosse mit ihren Waffen abwehrt. Wenn ich mich nicht irre, ist das eine Hommage an Tsui Harks ONCE UPON A TIME IN CHINA (Die schwarzen Tiger von Hongkong; 1991), wo Jet Li auf ganz ähnliche Weise Feuerpfeile abwehren muss. Wir sind in der Fantasy-Zeichenwelt, mit eleganten Körperstilisierungen, prächtigen Kostümen und Architekturen und rauschhaften Bewegungswechseln. Während uns der erotische Kampf im Dojo von FINAL FLIGHT OF OSIRIS so gezielt auf die Körperlichkeit der Protagonisten hingewiesen hat, geht es hier um deren Überschreitung: Der Körper ist in seinen Zeichen aufgelöst (doch nicht verschwunden). Er ist zum mächtigeren Code geworden.
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… Sie bluten Schriftzeichen, sie vergießen heroisch Daten. Code warst du, und Zu Code sollst Du werden.
Nun nimmt die Kriegerin mit dem beeindruckenden Haar den Kampf mit den finsteren Reitern auf. Die getroffenen Angreifer zerspringen in die grünen Buchstaben der Matrix-Schrift. Sie bluten Schriftzeichen, sie vergießen heroisch Daten. Code warst du, und zu Code sollst du werden. Dann kämpft sie gegen einen dämonischen Ritter in Schwarz, der eine rote Maske trägt, »your favorite simulation«: Und Cis wird besiegt. Drohend zeigt der Dreizack auf ihren Körper. »Das war zu einfach. Wo ist das Problem? Du musst dich konzentrieren.« Übliche Worte bei einer Kampfsimulation. Aber dann: »Vielleicht bereust du es, die rote Kapsel genommen zu haben.« Das ist, wir ahnen es gleich, eine Falle. Weiter führt die Bahn der schlüpfrigen Worte: »Jeder hat irgendwann den Wunsch, wieder ein normales Leben zu führen, ein sorgenfreies Leben auf dem Land, ein Leben, wie es war, bevor wir das alles hier wussten.« Und: »Es ist ironisch, dass man sich in der virtuellen Welt mehr zu Hause fühlt.« Die virtuelle Welt, die erzeugt wurde, um im Namen der Wirklichkeit gegen die Simulation anzutreten. So springen sie über einen Abgrund. An einer Buddhastatue vorbei und in einen Bambuswald, wo der Kampf wieder aufgenommen wird. Diesmal gelingt ihr der Sieg und die Demaskierung des anderen. »Endlich bist du wieder bei der Sache.« Der Ritter will mit ihr etwas besprechen, und dazu hat er die Signale geblockt, »es kann uns keiner hören«. Er will zurück in die Matrix gehen, und sie soll ihn begleiten. Er weiß, dass Zion bald zerstört wird. Er ist, sagt er, zur Vernunft gekommen, und das solle sie auch. Endlose Schiebetüren sind zwischen ihnen, die Natur hat sich in eine instabile Bühne verwandelt.
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»Ich habe die rote Kapsel genommen, weil ich die Wahrheit wissen wollte. Aber die Wahrheit interessiert mich nicht mehr«, sagt diese Parallel-Ausgabe von Cypher, östliche Version. »Die Realität ist völlig egal. Was zählt ist, wie wir unser Leben leben.« Kann man nicht in der Tat so denken in der Matrix und als Zuschauer der MATRIX-Filme? Im Labyrinth der Stellwände geht der Kampf und das Gespräch weiter (wie in FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS, und doch ganz anders, ist der Kampf hier eine Verbindung von Gefahr und Verführung). Die Kriegerin entzieht sich dieser Logik. Die ihre ähnelt derjenigen, die Trinity in THE MATRIX gegenüber Cypher vorgebracht hatte. »Wir können nicht zurück. Wir kennen jetzt die Wahrheit.« Aber er kennt einen Weg, alles wieder zu vergessen. (Das hat auch Agent Smith Cypher versprechen können, nicht mehr wissen zu müssen, dass er in der Matrix ist, wenn er nur erst einmal zurückgekehrt ist.) Sie soll in ihr Herz sehen. Das ist nun wirklich die größte Verführung. Der Kampf geht auf den Pagodendächern weiter, mit den Schwertern und mit den Worten: »Davonzulaufen ändert nichts.« – »Du bist derjenige, der davonläuft.« Und wieder erfährt jemand in der Matrix den entscheidenden Hinweis auf die Zeitlichkeit seiner Existenz: »Wir haben keine Zeit. Sie sind schon auf dem Weg.« Jetzt endlich erkennt die Kriegerin das Ausmaß seines Verrats, ruft nach dem operator und einem Ausgang. Aber der Krieger hat die Signale ja geblockt. Sie weigert sich standhaft, mit ihm zu kommen. Mit den Händen wehrt sie seinen letzten furiosen Schwerthieb ab. Und dann durchbohrt sie ihn mit seiner Waffe. Blutstropfen fallen vom Kampfplatz zur Erde. Sterbend erklärt er ihr seine Liebe. Und so wird sie aus dem Simulationsprogramm geweckt. »Entspann dich«, sagt die Stimme, die sie ins Erwachen begleitet; es war nur ein Test, sie hat »in allen Bereichen gut abgeschnitten«. Die nächste Stufe der dritten Realität der Simulation der Simulation: Nicht nur Raum, Zeit und Körper sind simuliert, sondern auch Gefühle und Gedanken. Eine neue Grenze ist erreicht: Im Dojo lernt man nun seine Seele und seinen Logos zu panzern. Dann schlägt Cis ihren Ausbilder nieder. »Jetzt geht es mir jedenfalls schon viel besser.« Mehr konnte sie nicht tun, um der Erkenntnis Ausdruck zu verleihen, dass die Rebellion der Menschen gegen die Maschinen selbst keineswegs immer mit menschlichen Mitteln arbeitet. Jeder Beitrag zur ANIMATRIX-Reihe enthält einen Zweifel und eine Bestätigung. WORLD RECORD
WORLD RECORD, inszeniert von Takeshi Koike und geschrieben von Yoshiaki Kawajiri, behandelt einen weiteren Ausbruch aus der Matrix, dies-
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mal freilich nicht als aktiven Akt der Rebellion, sondern als tragisches Wunder. Als Flash zwischen den Wirklichkeiten. Die Haut der Matrix wird hier nicht angeritzt, von außen wie bei den Befreiungsversuchen oder von innen durch die kindliche Macht des Wunsches wie bei KID'S STORY; sie platzt an einer Stelle unvermutet auf. Ein Läufer macht sich in einem Stadion, das aussieht wie ein gewaltiges Kolosseum, zum Start bereit. Die Welt dieser ANIMATRIX mit ihren ElGreco-haft langgezogenen, instabilen Körperbildern und ihren expressionistischen Licht-Schatten-Spielen erinnert an neuere graphic novels, die sich wesentlich mehr aus der Erzeugung einer Stimmung als aus der Imitation der Wirklichkeit machen. Wir sind ganz in einer subjektiven Empfindung der Welt, und diese Empfindung hat ihr eigenes Zentrum verloren. »Nur ganz besondere Menschen können die Matrix wahrnehmen«, erläutert eine weibliche Stimme aus dem Off, sie müssen »ein außergewöhnlich hohes Maß an Sensibilität, Intuition und Wissbegierde besitzen. In ganz seltenen Fällen jedoch kann jemand durch besondere Umstände auf die Matrix aufmerksam werden. Dieser Mann gehört zu den wenigen.« Die Geschichte, die so subjektiv erlebt wird, scheint ein transzendentales Erzähler-Subjekt zu haben – und mittlerweile ist unsere Ahnung schon beinahe Gewissheit, nämlich dass in allen ANIMATRIX-Filmen etwas mit der Erzählung selbst »nicht stimmt«, dass sie nicht in der herkömmlichen narrativen Grammatik funktionieren, dass sie immer Widersprüche produzieren, die einerseits zur großen Matrix-Erzählung der Realfilme zurückführen, in ihr andrerseits aber auch wie ein wohlbekannter »Splitter im Kopf« wirken. Der Mythos und seine Häresien! Für den Augenblick geben wir uns mit der Rolle einer Erzählerin aus einem unbestimmten Jenseits zufrieden, so wie sie am Beginn von Episoden der Twilight Zone oder bei den EC Comics zu vernehmen ist. Der Lauf soll beginnen. Der Startschuss ertönt. Ein Schmerzensschrei. Was ist geschehen? Flashback: Eine Zeitung verkündet, dass ein Weltrekord von 8,99 Sekunden schließlich nicht anerkannt wurde, weil die Doping-Kontrolle positiv war. Dan Davis telefoniert mit seinem Vater, der sagt, er glaube an ihn. Im Vordergrund räkelt sich ein Hund. Dann läuft das Rennen. Wieder ein Flashback: Sein Trainer beschwört ihn, jetzt, da er den Qualifikationslauf gewonnen habe, aufzuhören. Die Verletzungsgefahr sei zu groß. Aber er hat sich entschieden, am nächsten Tag zu laufen. Es ist seine letzte Chance zu beweisen, dass die Zweifler sich irren. »Dann musst du es allein tun.« Das Rennen in extremer »Zeitlupe«. Schweißtropfen fliegen von seinem Gesicht. Ein Körper, nicht nur an der Grenze seiner Belastbarkeit, sondern auch an der Grenze seiner Form.
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El-Greco-hafte instabile Körperbilder: WORLD RECORD ist mehr an der Erzeugung einer Stimmung interessiert als an Imitation der Wirklichkeit
Eine Frau beobachtet ihn. Der nächste Flashback. Sie bittet Dan um einige Antworten, so wie man ein Idol (und eine journalistische Beute) befragt. Ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann, sei sein Rekord, gibt Dan als ebenso konsensuelle wie wahre Antwort, und nun hofft er nur, dass ihm das noch einmal gelingt. »Man ist von der Welt losgelöst, man ist völlig frei.« Kann man der Matrix etwa davonlaufen, sie durch einen Rausch überwinden, oder einfach, durch die entgegengesetzte Erfahrung wie in KID'S STORY, durch einen Ich-Taumel über sie triumphieren? Sie versichert ihn, dass er auch unter den Reportern Fans hat, und wünscht ihm viel Glück. Könnte eine schön soapy Liebesgeschichte werden. Wird es aber nicht. Das Rennen. Wir sehen die Muskeln sich dehnen, und dann geschieht, was der Trainer prophezeit hat. »Dan Davis ist gefallen«, verkündet der Lautsprecher. Er rappelt sich auf, läuft mit schmerzenden Gelenken weiter – und überholt die anderen Läufer. Das ist eigentlich ganz und gar unmöglich; der Wille hat so sehr über den Körper triumphiert, dass beides unmöglich wieder zusammenfinden dürfte. Einer der Agenten, die die Sache beobachten, gibt durch: »Ich habe hier ein instabiles Signal. Er darf nicht aufwachen. Lass' ihn auf keinen Fall aufwachen.« Die Bewegung friert ein, kurz vor dem Ziel. Die Konkurrenten verwandeln sich in Agenten. Mit übermenschlicher Anstrengung läuft Dan weiter, die Hände der Agenten greifen ins Leere. Rote Zahlen erscheinen vor seinen Augen. Sein realer Körper im Kokon wird von Maschinen gepackt; sie verpassen ihm Elektroschocks. In der Matrix durchläuft er das Ziel und stürzt. Dan hat mit einer Zeit von 8,72 Sekunden einen neuen Weltrekord aufgestellt. Dann sehen wir ihn im Krankenhaus; eine Schwester erzählt von der
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Kirschtorte ihrer Tante Daisy. Dan ist willenlos und leer, er wird in einem Rollstuhl gefahren. In seiner Hand Walnüsse, von sehr weit her nur hört er die plappernde Stimme der Schwester. Die Agenten scheinen beruhigt: »Ein interessanter Fall, aber nicht besorgniserregend. Die Erinnerung an das Rennen wurde ausgelöscht. Ohne Nachwirkungen. Er wird nie wieder rennen. Genau genommen wird er nie wieder gehen können«, gibt einer von ihnen durch. »Wir werden ihn noch eine Weile beobachten, aber ich glaube nicht, dass es Probleme geben wird.« Die Walnüsse kullern aus Dans Hand zu Boden. »Frei!«, knurrt er in seinem Rollstuhl. Und er steht auf, beginnt mit seinen Prothesen zu gehen, trotz des Befehls »Hinsetzen!« des Agenten. »Frei!«, murmelt er erneut. Die Walnüsse bewegen sich, scheinen vom Boden abheben zu wollen. Dan stellt sich auf die Zehenspitzen und streckt die Hände aus. Dann sinkt er auf die Knie. Von sehr weit weg sehen wir, wie sich die Krankenschwester um Dan Davis kümmert. Das Bild erlischt. Ein morality play in der Welt der Matrix; WORLD RECORD offenbart immerhin, dass es wohl auch einen passiven Weg aus der Matrix gibt, das Wunder einer unwillkürlich herbeigeführten Erweckung in einer besonderen Situation. Es ist ein subjektloses Wunder, eine Anomalie ohne Verursacher, ein Zeichen ohne Inhalt. Und ein weiterer Hinweis darauf, dass die Haut der Matrix in Wahrheit perforiert ist. BEYOND
In BEYOND, geschrieben und inszeniert von Kouji Morimoto, entdeckt Yoko ein »Loch« in der Matrix, einen Fehler im Programm, und dieser Ort des Übergangs wird im wahrsten Sinne zum Kinderspielplatz, bis die Agenten dahinterkommen und das Loch stopfen. Diese eigenwillige »Spukhaus«-Geschichte entfernt sich am weitesten vom Hauptstrom der MATRIX-Handlung. Das grüne Computerdisplay zeigt den Grundriss einer Stadt, dann verändert sich das Bild zu einer »realen« Szene: eine Fußgängerampel. Müde, verhärmte und untröstliche Menschen gehen langsam ihrer Wege (wir erinnern uns an die Roboter auf dem Weg zur Arbeit in THE SECOND RENAISSANCE): Im Zeitraffer gehen sie über die Zebrastreifen, und ebenso schnell rasen Zeilen, die Frauenhände in eine Tastatur hacken, über einen Bildschirm in einem Büro. In ihren Bürowaben sitzen die Menschen dicht an dicht an ihren Bildschirmen, Telefone klingeln, das Bild zurrt zurück zu dem Display mit dem Stadtgrundriss, gleichsam der extremste »Gottesblick«, ein anderer Ausschnitt wird gewählt, ein ödes Stück Straße, eine Krähe fliegt herbei, die Fußgängerampel springt auf grün, aber niemand ist
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da, nur eine Katze, die den Vogel vertreibt. Eine junge Frau, das Telefon am Ohr, öffnet den Kühlschrank, um der Katze Futter zu holen, die einmal mehr zum Führer in die Welt hinter den Spiegeln werden muss. Sie spricht mit ihrer Freundin über ein Date, dazwischen ruft sie nach ihrer Katze, sie wird langsam ungeduldig, und sie macht sich schließlich auf die Suche nach ihr, aber niemand weiß, wo sie geblieben ist. Nur einer der Jungs auf der Straße meint, sie sei in das alte Spukhaus gelaufen. Gleich darauf entdeckt er den Regenbogen über der Stadt. Sie wollen Yoko in das verbotene Haus begleiten. Auf dem Display, in der Mitte das rote Grundstück, flackert: error. Das System versucht, wieder seine Schärfe zu erlangen, aber anscheinend geht von dem Haus eine Störung aus. Offensichtlich gibt es nicht nur Menschen und Situationen, sondern auch Objekte und Orte (also alles, was »Bild« werden kann), die die Haut der Matrix durchstoßen, das System transzendieren können. Mehrere verfallene Häuser; das Mädchen betritt den Hof und sieht eine Dose ein wenig über dem Boden schweben, ein streunender Hund scharrt im Gras, frisst etwas und verfärbt sich schwarz; Yoko ruft nach den anderen, aber es ist niemand mehr da. Durch ein Loch im Dach regnet es finster hinein, obwohl doch ansonsten die Sonne scheint (da also kommt der Regenbogen her), die Katze bleibt verschwunden. Das Bild wird instabil, die Wände beginnen zu zittern, aus ihnen generiert sich Zeitungspapier, das ein furchtbarer Wind dem Mädchen ins Gesicht bläst. Die Kinder spielen unterdessen: Eine Flasche, die zu Boden geworfen wird und zerbirst, springt zurück und ist wieder ganz. Endlich findet Yoko die Katze, als die um ihre Beine streicht, ist das Brüllen eines Löwen zu hören, in einem Konkavspiegel sieht Yoko den Verkehr auf einer belebten Straße; die Katze springt ganz buchstäblich über ihren Schatten. Die beiden Jungen stürzen sich von einem Sims mehrere Meter in die Tiefe, aber ihr Fall wird kurz vor dem Boden abgebremst. Einer von ihnen aber hat Nasenbluten; ein dicker Tropfen fällt auf den Steinboden. (Das ist eine Reflexion der Szene, in der Neo entdeckt, dass er in der Matrix eine echte Verletzung davontragen kann.) Eine weiße Taube setzt sich vor die Heldin hin. Eine Feder rotiert vor ihren Augen, sie greift sie. Die Taube fliegt nun in extremer Zeitlupe an ihr vorbei. Ein weißes Licht senkt sich von oben herab. »Das ist vorher noch nie passiert«; Yoko fällt, gleichfalls in Zeitlupe, mit einem entrückten Lächeln auf die Seite. Wie wir es in der Matrix gewohnt sind, entfernt sich »Schönheit« immer wieder von Handlung und Moral: Der Mythos zersetzt sich auch so. Krähen steigen auf; die Menschen in den Straßen sind verängstigt. Ein roter Tankwagen mit einem Spinnenemblem sprengt sie auseinander, während Yoko ihre neuen Talente erprobt und durch die Luft
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schwebt (eine poetische Form der bullet time). Sie ist »so leicht wie eine Feder!«, sagt einer der Jungen. Aber dann ist das auch wieder vorbei. Draußen stehen die Menschen und staunen, bis ein Polizist auf einem Fahrrad erscheint und sie vertreibt. Ratten wuseln herum, der Tankwagen ist zur Schädlingsbekämpfung gekommen. »Räumen Sie dieses Gebiet«, wird über Lautsprecher befohlen. Männer in Schutzanzügen stürmen in das Gebäude. Das Mädchen sucht wieder die Katze. Und findet sie an einer Tür kratzend. Sie öffnet die Tür, hinter der sie Stimmen im Dunkel hört. Dann steht sie im Lichtkegel der Männer. »Du gehörst nicht hierher.« Ein Hubschrauber kreist über dem Geschehen. Ein Agent ist aufgetaucht: »Sind Sie sicher, dass Sie alle haben?« »Das sind nur ein paar Kinder!«, ruft Yoko und versucht sich loszureißen. Auf dem Bildschirm die Meldung einer rendering anomaly, das search and replace ist abgeschlossen. Blauer Himmel über einem durch Drahtgitter gesicherten Parkplatz, an der Stelle, wo vorher das magische Haus stand. Die magischen Spiele der Kinder funktionieren nicht mehr. Wieder springt eine Ampel auf Grün, wieder eilen müde Menschen über die Zebrastreifen. Der Bildschirm zeigt Display und dann, indem die »Kamera« zurückfährt, die Codes der Matrix. Das Bild erlischt. Der Riss in der Matrix war diesmal, vielleicht, die Pforte zu einem letzten Ausflug in die Kindheit. DETECTIVE STORY
DETECTIVE STORY von Shinichirô Watanabe (Buch und Regie), in düsterem Schwarzweiß gehalten, ist eine genaue Hommage an das, was der Cyberpunk dem Film noir schuldet, an Raymond Chandler und ein wenig an Paul Auster. Der Plot schildert die Suche des Privatdetektivs Ashs nach Trinity, zu der er von einem geheimnisvollen Unbekannten angeleitet wird. Der Film kommt wohl den ursprünglichen Cyberpunk-Fantasien am nächsten: Das perfekte System produziert, paradoxerweise, vor allem Anarchie. Es ist ein Film im Retro-Look, der einen typischen Detektiv vorstellt (natürlich ist sein Kühlschrank so leer wie sein Bankkonto). Wie Sam Spade in THE MALTESE FALCON (Die Spur des Falken; 1941; John Huston) eine Karte seiner Stadt, so hat Mr. Ash ein Display mit den Straßenzügen im Arbeitszimmer mit der Nummer 201. Und natürlich klingelt am Beginn der eigentlichen Handlung das (altertümliche) Telefon. Der Detektiv, in Weste und Schlips, wettet mit Dinah (seiner Katze, natürlich): »Wenn es wieder ein misstrauischer Ehemann ist, steige ich aus diesem Geschäft aus.« Doch er erhält den Auftrag, einen Hacker zu suchen. Sein Deckname: Trinity.
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Der Auftraggeber will seinen Namen nicht nennen, und so will Ash den Auftrag schon ablehnen. Aber er wird aufgefordert, einen Blick auf seinen Kontostand zu werfen – und nimmt den Auftrag an: Im nächsten Bild bewegt er sich durch die Stadt des Film noir. »Ich hatte kein gutes Gefühl bei diesem Fall.« Feuerleitern in den nebligen Schluchten zwischen den Hochhäusern. »Andere Detektive hatten auch an dem Fall gearbeitet, und ihre Nachforschungen waren alle, sagen wir, schwierig gewesen. Einer der Jungs hat sich umgebracht, ein anderer ist verschwunden, wieder ein anderer ist verrückt geworden.« Er stattet dem Übriggebliebenen einen Besuch ab, dem Verrückten. Der sitzt da in einem leeren Raum, voll Schimmel und Graffiti, »Trinity existiert nicht mehr. Und wer bin ich, wer zum Teufel bin ich?« Wieder sieht die »Kamera«, langsam sich drehend, von oben in die denkwürdige Zelle. The World is Yours, verkündet im nächsten Bild großspurig eine Reklametafel. Auf den Spuren von Alice im Wunderland ist er im Internet unterwegs. Die »rote Königin« ist der erste, die antwortet. »Mir wurde gesagt, dass er durch den Spiegel gegangen ist.« Und sie antwortet: »Nein, du bist durch den Spiegel gegangen.« Auf die Frage, wie sie sich treffen können, antwortet die rote Königin dem weißen Bauern: »Du musst über den ersten von sechs Bächen springen. Ich werde um 20 Uhr 5 da sein.« Es schneit über der Stadt. Nachdenklich wiederholt der Detektiv die Worte der roten Königin. Mit ihrem Hinweis vollzieht er Alice' Reise nach und weiß nun, wo er Trinity finden kann. Er fährt zum Bahnhof und erreicht mit letzter Mühe einen schon ausfahrenden Zug. Das Abteil, in dem er sie findet, ist eine Falle, oder nein: »Es gibt einen Unterschied zwischen einer Falle und einem Test.« Die beiden richten ihre Waffen aufeinander. Trinity behauptet, sie wolle Ash retten, und so wie man einst Neo von seinem parasitären Körperbewohner befreit hat, zieht sie nun ihm (aus dem Auge) das Überwachungsinsekt. »Was ist gerade passiert?«, fragt er, und sie antwortet: »Mr. Ash, haben Sie von einer Augenuntersuchung geträumt?« »Sie sind an den Rand des Spiegels getreten«, beantwortet sie seine Frage, woher sie das wisse. Ein Ruck geht durch den Zug, in dem sich die Agenten befinden. Sie haben ihn angeheuert, um sie zu bekommen: Trinity. Ein Feuergefecht zwischen dem Detektiv und den Agenten, Trinity entkommt. Aber dann wird er von einem Krampf geschüttelt, mehrmals nimmt er die Gestalt eines Agenten an. »Was passiert mit mir?« Trinity schießt ihm in den Leib, die Verwandlung wird gestoppt. »Tut mir leid, Sie haben es nicht geschafft.« – »Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen gehen. Ich gebe Ihnen nicht die Schuld. Alles, was passiert ist, Trinity, war meine Schuld.« Es gebe einen Unterschied zwischen einem Test und einer Wahl, sagt Trinity noch. Sie entkommt durch
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Die letzte Zigarette: DETECTIVE STORY im schwarzweißen Retro-Look
das Fenster des Zuges, das sie zuerst zerschießt. Ihre Glas-Aura, wir kennen das. Ash fixiert die drei Agenten, die den Zug durchsuchen, mit seiner Pistole, während er sich seine wohl letzte Zigarette anzündet. »Ein Fall, der alle Fälle beendet.« Wie FINAL FLIGHT OF OSIRIS negiert auch DETECTIVE STORY ein Element der mythischen Erzählung der MATRIX-Trilogie: beide Filme zeigen das Scheitern; das Opfer, das zur Unzeit kommt und nichts bewirkt, der Stachel im Fleisch der Geschichte. MATRICULATED
In allem eher wie das Gegenteil erscheint die sehr bunte Episode MATRICULATED von Peter Chung (Buch und Regie), in der eine Rebellengruppe einen Roboter gefangen nimmt und ihn auf menschliche Empfindungen umzuprogrammieren versucht. Wenn am Beginn der ANIMATRIX mit FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS der Versuch der größten Nähe von Computer- und Realbild und der größten Nähe zur MATRIX-Hauptlinie
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stand, so greift MATRICULATED am weitesten über die dort, so und so, konstruierte »Realität« hinaus. Die Bilder verlassen den Bereich der Repräsentation, und die Erzählung verlässt die Gewissheit der MATRIX-Mythologie. Alles konnte sich noch einmal ganz anders ansehen lassen. Eine dunkle Felsenlandschaft am Meer, eine Frau sitzt sinnierend da, neben sich ein Glas mit einem sehr großäugigen Tier. »Wach auf!«, meldet sich ein Mann aus einem Bildschirmüberwachungsraum: »Baby hat zwei Maschinen gesichtet, die sich schnell nähern.« – »Ich sehe sie.« – »Das sind >Läufer<. Wirst du mit denen fertig?« Fühler und rotleuchtende Augen tauchen aus dem Meer auf, dann staken Spinnenbeine über die gewaltige Schrotthalde, die das Ufer bildet. Sie wird von den langbeinigen Maschinen verfolgt, die sie mit ihren rotglühenden Sensoren als Vektorgrafik wahrnehmen und fixieren. Die Kriegerin, das Glas mit dem »Baby« genannten Tierchen unterm Arm, flieht in eine gewaltige Röhre. Die »Läufer« geraten an eine Tür, davor steht das zurückgelassene Glas mit dem »Baby«. Am Boden liegt ein Schlüssel, die »Läufer« öffnen die Tür – und stehen einer anderen Maschine gegenüber, die ihnen ähnelt. Eine Art Käfer-Kampf zwischen den Maschinenwesen entbrennt, die überlebende rotäugige Maschine zerstört den grünaugigen Gegner, der offenbar auf Seiten der Menschen gekämpft hat, und fixiert das »Baby«. Dann erscheint die Kriegerin und schießt die Maschine nieder. Andere Menschen erscheinen und applaudieren. Man untersucht die erlegte Maschine in einem Labor. »Dieser Läufer ist klüger als alle, die wir bis jetzt gesehen haben. Glaubst du, er wird konvertieren?«, fragt die Kriegerin. »Es ist seine Wahl, zu konvertieren«, antwortet ihr Kollege. Anders als beim Terminator will er allerdings die Maschine nicht neu programmieren. Er will sie nicht zu einem Sklaven machen. Die Maschinen sollen freiwillig zu den Menschen kommen. Er will ihnen eine »bessere Welt« zeigen. »Aber diese Welt ist nicht real«, gibt sie zu bedenken. Er erwidert »Für einen künstlichen Verstand ist die Wirklichkeit virtuell. Woher wissen sie, dass die reale Welt nicht eine weitere Simulation ist. Woher weißt du es?« Aber sie weiß, dass sie jetzt nicht träumt. Weil sie träumen kann, weiß sie, dass ihr Verstand existiert. In der nächsten Sequenz stöpseln sie sich, zusammen mit ein paar weiteren Menschen und dem »Baby«, in die Matrix. Der gefangene »Läufer«, den sie in ihre Mitte genommen haben, wird ebenfalls angeschlossen. In einer Art Umkehrung des Originalplots schicken hier also die Menschen eine Maschine in eine von ihnen gestaltete Gegen-Matrix. Sie wird durch einen psychedelischen Wirbel gesogen und erwacht in einem goldenen, tempelartigen Gewölbe, wo die Menschen ihr als farbige Lichtwesen erscheinen, die tanzen und sich lieben. Nachdem alle, auch das »Baby«, durch vir-
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tuelle Pforten verschwunden sind, kriecht der »Läufer« selbst durch eine der Türen, durch samtig rote Innenräume, ein Labyrinth, bei dem ihm immer wieder die klackernden Laufschritte der Menschen den Weg weisen. Dann durchdringt der Kopf der Maschine eine Leinwand und ragt in einen leeren Kinosaal hinein. Sie blickt sich staunend um, ihre goldene Haut rollt sich von ihrem stählernen Korper ab, schließlich nimmt sie die Gestalt einer goldenen Frau an. Hinter ihr schließt sich eine Tur, endgültiger als vordem: Eine Maschine ist ins Wunderland hinter den Spiegeln geraten. Durch Lichterdome und Labyrinthe fuhrt ihr Weg bis sie noch einmal aus bunten Wassern geboren wird. Verfolgt von glitzerndem kleinem Gewürm, steht sie schließlich der menschlichen Frau gegenüber, von der sie zuvor besiegt wurde. Die Hände berühren sich. Beseelung. Energie fließt ineinander, als Lichtwesen fliegen die beiden durch Farbstrudel und Faserarchitekturen. Doch jäh erwacht die Maschine aus dem Traum, den die Menschen ihr übermittelt haben. Sie holen sie aus der Matrix; draußen ist etwas schiefgegangen. Ein Alarm ist ausgelöst: »Wächter« dringen in die Station der Menschen ein. Die aus ihrem Traum erwachte Maschine beobachtet erstaunt den Kampf. Statt roter hat sie nun grüne Augen, gleich der Maschine, gegen die sie vordem noch gekämpft hat: das Zeichen, dass sie konvertiert hat. Und dann greift sie ein, zerstört einen Wächter. Der Kampf fordert viele Opfer, auch das geheimnisvolle »Baby« stirbt. Als die Maschine die Frau, von der sie »beseelt« und befreit wurde, leblos findet, bringt sie diese und sich selbst wieder in die Matrix; zurückverwandelt in das goldene Wesen, will sie ihr das Leben wiederbringen. Aber die ist nun zu Tode erschrocken (es ist ja nicht mehr ihr Traum), flüchtet ins Nichts, und auch das Gesicht des goldenen Wesens löst sich auf, goldener Staub und blaues Licht. In der letzten Einstellung, einer Spiegelung der ersten, sehen wir die Maschine, die nun den Platz der Frau am Strand der Schrottwelt eingenommen hat und sinnierend auf das Meer hinausschaut. Peter Chung, der an der von den Disney-Studios gegründeten CalArtsSchool in Los Angeles studierte und die Zeichentricksene Aeon Flux für MTV schuf, entfernt sich am weitesten von dem düsteren Grundton der Realfilm-Trilogie. Die Lösung, die er für den Konflikt zwischen Menschen und Maschinen vorschlägt (ganz im Sinne der Vermischungsstrategien japanischer Animes) kann in den christlicheren Filmen der Wachowskis natürlich nicht funktionieren. »Ich fand meinen Ansatz einfach sehr interessant. Denn die Menschen haben einen großen Nachteil, sie sind schwächer und in der Unterzahl. Irgendwie müssen sie also von den Maschinen auf eigener Seite Gebrauch machen, um eine Chance auf den Sieg zu haben. Das war meine Grundidee.«
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Eine Pocahontas-Idee für die Lösung des welthistorischen Konflikts zwischen den Menschen und der zweiten, industriellen Schöpfung, den Maschinen. Und eine weitere Spiegelung: Wird die Maschine, durch ihre Wandlung im Wunderland (der anderen Matrix) so zu sich selbst erlöst, wie der Mensch zu sich selbst erlöst wird? Wird sie menschlich, postmenschlich, mitmenschlich, übermenschlich? Alles was wir sagen können: Sie wird einsam. Die ANIMATRIX-Filme sind gewiss mehr als eine garbage collection für in den großen Filmen nicht verwendete Ideen. Sie beschreiben die fasernden Ränder des MATRIX-Universums und sind zum Teil veritable Ketzereien in der synthetischen Religion. So lässt KID'S STORY durchaus offen, ob nicht alles nur der Traum eines gestörten Jungen ist, der sich vergeblich seinen Suizid ab Wiedergeburt träumt. (Also eine Wirkung, die ein Film auf ein Gemüt haben kann, das so offensichtlich unter heftigem äußeren Druck steht.) Ob wir den Zion-Archiven in der RENAISSANCE trauen dürfen, ist sehr fraglich, so wie sie präsentiert werden, immer zwischen Dokumentation und Fiktion. Und in MATRICULATED können wir ahnen, dass man den anthropozentrischen Blick im großen Mensch-Maschine-Mythos auch verlassen kann. Jeder der Filme nimmt bestimmte ästhetische und inhaltliche Aspekte auf und schlägt doch auch wieder eine eigene Lesart vor. Können wir tatsächlich die Matrix auch mit (Michael) Karl Popper »lesen«, mit dem Detective oder mit der goldenen Maschine in MATRICULATED? Wie Enter the Matrix auch als eine Einführung in Ästhetik und nicht zuletzt Strategie des Computerspiels funktioniert, so funktioniert die ANIMATRIX-Kompilation auch als Einführung in die Welt der Anime mit ihren Versuchen der immer neuen Vermischungen von Organischem und Technologischem. Und wie dort, so gibt es auch auf diesem Gebiet Arbeiten, die weiter, reifer und vielschichtiger sind. Aber so weit in eine künstliche Mythologie und so weit in den Mainstream reichen sie nicht.
MATRIX Playstation Der Film THE MATRIX RELOADED kam zu einer neuerlichen Krisenzeit des Kinos heraus, und, seien wir ehrlich, sein phänomenaler Erfolg war eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Zum Merchandising gehörte längst das zum Kinostart herausgebrachte Computerspiel. Schon in den 90er Jahren hatte der Umsatz, der mit den zugehörigen Spielen gemacht wurde, den der Kinofilme oft übertroffen. Zu
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Beginn des neuen Jahrtausends aber waren die Krankheiten des Kinosektors auch auf die Spielbranche übergesprungen: Bei einem Gesamtumsatz von 20 Milliarden Dollar in der Branche war die Neuentwicklung eines Spiels immer mehr zu einem Vabanquespiel geworden. Die Entwicklungskosten stiegen ins Gigantische, und wie bei den Blockbustern in den Cineplexen steht daher den sensationellen Erfolgen eine Mehrzahl von Flops gegenüber, die nicht einmal ihre Entwicklungskosten wieder hereinbringen. Für Enter the Matrix konnte man 30 Monate Zeit und ein rekordsicheres Budget um 70 Millionen Dollar für die Entwicklung einkalkulieren (von denen allerdings allein 46 Millionen für die Lizenz zu zahlen waren), und dazu kam das Know-how und der soziale Sog der MATRIX-Mania. Die direkte Programmierarbeit wurde bei der Firma Shiny Entertainment durchgeführt, das Marketing übernahm Infogrames, die sich im Jahr 2003 die Rechte an dem traditionsreichen Namen Atari erwarb und damit an das erste »goldene Zeitalter« der Computerspiele erinnerte. Mit dem MotionCapture-Verfahren (mehr dazu im nächsten Kapitel) wurden enorm lebensechte Spielfiguren geschaffen. Die bekannten Hauptfiguren kommen in Enter the Matrix allerdings nur am Rande vor. Im Mittelpunkt dagegen stehen die Nebenfiguren, die sich vor allem in den Martial Arts und rasanten Verfolgungen bewähren müssen. Die Spieler und Spielerinnen übernehmen die Rollen der beiden Rebellen Niobe (nach Jada Pinkett Smith geformt) und Ghost (nach Anthony Wong); die afrikanischen Kämpfer im Schlangenhaut-Dress und der schwarzgekleidete, zen-buddhistische Yakuza sind in der Logos, dem schnellsten Schiff der Zion-Menschen, unterwegs. Die Mission, die in ANIMATRIX – FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS scheitert, die »Notsendung« in die Matrix, ist hier die Aufgabe der Spieler und ihrer Figuren. So entsteht ein Seitenzweig der Handlung und zugleich ein Modell der neuen »Intertextualität«; das Spiel enthält Filmmaterial, das sonst in keinem anderen Medium zu sehen ist. Die frappierende Grafik freilich täuscht nicht darüber hinweg, dass die Spielidee selber eher im Mittelfeld bleibt – dafür ist sie aber auch für jene einigermaßen zugänglich, die sich ansonsten eher selten in den Parallelwelten der Computergames aufhalten. Das Spiel wurde am ersten Tag vier Millionen Mal ausgeliefert, allein in Deutschland 130.000 Mal, und in der ersten Woche sollten es auch hier eine Million sein. Man wählt eine der beiden Hauptfiguren zur Spielfigur. Niobe muss in Enter the Matrix erst einmal gegen Agenten um ihr Leben kämpfen, und dann gilt es, ihr Untergrund-Schiff zu steuern, Hovercrafts oder Automobile. Ghost, der Waffenexperte, lässt den Spieler oder die Spielerin dage-
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gen mit 24 verschiedenen Feuerwaffen um sich ballern. Man kann mit Enter the Matrix, wenn man will, auch die Grundlagen der Computerspiele erlernen (was durch die Wahl zwischen drei Schwierigkeitsstufen erleichtert ist). Dazwischen gibt es Plot-Fragmente, und vor allem gibt es Augenblicke, in denen man in der Tat den Widerspruch zwischen Träumen und Handeln, zwischen Erzählung und Spiel, zwischen Kino und Konsole vergisst. Der Clou der Realitätsverzweigungen in Enter the Matrix ist das Auftreten der Hauptfiguren als »Avatare« (also als virtuelle Identitäten »realer« Cyberspace-User). Aus ihnen werden die Figuren, die man im Spiel steuern kann, das »Spiel« als Erzählung, und das Spiel als geschickter Wettkampf nach bestimmten Regeln. Aber man kann dieses System der Ordnungen und Regeln auch immer wieder durchbrechen, indem der Spieler dieses System des Spiels ebenfalls nicht mehr als Wirklichkeit anerkennt und die Matrix als Ganzes angreift. Als Spieler kann man sich tatsächlich ins Programm des Spiels selbst hacken, wie es die Helden des Cyberpunk mit den Programmen der Medienkonzerne tun. Das ist eine eigenartige Form ernster Ironie. Ein strategisches Desillusionieren. Das Game Enter the Matrix wurde von den Wachowski-Brüdern geschrieben und inszeniert (und das gehört in großen Lettern auf die CDBox!) und mit einer Stunde »exklusiver Filmsequenzen« versehen, die sich in den interaktiven Spielverlauf einfügen. (Überflüssig zu betonen, dass es sich dabei um »das teuerste Computerspiel der Geschichte« handelte.) Szenen, die im Film THE MATRIX RELOADED beginnen, werden erst in Enter the Matrix durchgeführt, und umgekehrt beinhaltet das Spiel gewisse Voraussetzungen für die Handlung von THE MATRIX REVOLUTIONS.
MATRIX imitiert & parodiert Einerseits war THE MATRIX ein echter Coup, der durch seine überraschende Originalität zunächst einmal die Konkurrenz sprachund bilderlos machte. Aber andrerseits gab es Ende der 90er Jahre kaum einen Actionfilm, der nicht Elemente aus THE MATRIX übernahm, und auch in der Bildwelt der Videoclips war der Einfluss überdeutlich. Der Trick war im Allgemeinen einfach: Man übernahm nicht die Konzeption (und schon gar nicht den unbescheidenen Anspruch), man bediente sich vor allem bei der Technik und Ästhetik, oder man »stahl« eine Figur oder eine Geste, um sie in eigenem Zusammenhang zu benutzen. Es verhielt sich dabei ein wenig wie mit anderen Bildwelten der populären Kultur: Selbst wenn man das ursprüngliche Ereignis gemieden hat (was schwierig
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genug ist), wird man doch sehr rasch mit den ästhetischen Grundformen vertraut. Insbesondere der Tempowechsel bei den Kampfszenen, das Anhalten oder extreme Verlangsamen des Bildes in einer spektakulären Situation, die Ästhetik der bullet time wurde immer wieder verwendet, bis es sehr rasch schon wieder zu einer filmischen Konvention geworden war. In CHARLIE'S ANGELS (3 Engel für Charlie; 2000; R: Joseph McGinty Nichol) und SHREK (2001; R: Andrew Adamson, Vicky Jenson) wird die bullet time bewusst parodiert, während sie in Ang Lees CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON (ebenfalls im Zusammenhang mit Yuen Woo-Pings Choreografie) noch um eine Spur »ästhetischer« wird. Eine Reihe neuer SF-Filme, wie etwa EQUILIBRIUM (2002; R: Kurt Wimmer), übernahm immerhin den Look von THE MATRIX. Bedeutender freilich scheint, dass auch Filme wie Steven Spielbergs MINORITY REPORT (2002), ansonsten eher in der Tradition der science fiction noir der PhilipK.-Dick-Verfilmungen, nicht nur in der Schnittästhetik, sondern auch in der Einführung metaphysischer Öffnungen dem Vorbild THE MATRIX verpflichtet ist. Zunächst lief die Merchandising-Maschine auf die durchaus gewohnte Art an: Action-Figuren halten die spektakulärsten Szenen fest, Trading Cards laden zum Tausch ein, Poster sollen die Zimmer zieren, durch deren Geist THE MATRIX entstanden ist. Merkwürdigerweise funktioniert das offenbar nur in überschaubarem Maß. Bei dieser »letzten« Verzweigung, so scheint es, brechen die im »intellektuellen Actionfilm« harmonierenden Elemente wieder auseinander, der Code des MATRIX-Design lässt sich nicht beliebig cracken. Zum legalen Transfer gehörte das neue Getränk Powerade von Coca Cola, das uns in der Werbung ausgerechnet – oder konsequenterweise – Agent Smith andiente, während bei Samsung spezielle MATRIX-Handys, -Fernseher und -Drucker angeboten wurden. Und natürlich kann man sich auch modisch nach MATRIX-Art ausstaffieren; so kann man zum Beispiel unter www.MatrixHookup.com die passenden Sonnenbrillen bestellen, und wenn man es vollständiger und teurer haben will, dann bekommt man bei www.hollywood-costumes.com alles, was man braucht, um ein perfektes Ebenbild von Neo, Trinity oder Morpheus zu werden. Aber in vielen Werbekampagnen wurde die Bildwelt von THE MATRIX zitiert, ohne direkt auf die Filme Bezug zu nehmen. Aus den Symbolen der Matrix wurden Ikonen des Design, eine Art kontrollierter Religionsverrat: Zu einem Kult gehört auch seine Auflösung. Für einen Film, ausgerechnet directed by Wim Wenders, der auf www.audi.de zu besichtigen war, warb Audi unter dem Titel The Other Side of the Road mit einem silbernen Gefährt vor dem Schwarz-Grün der
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Matrix und mit einer sehr Trinity-liken Frau mit Sonnenbrille. Neben dem Design der Helden und der furiosen Action fand sich vor allen die Farbenlehre der Matrix exzessiv imitiert. Die Serie CSI: Crime Scene Investigation benutzte sie – rote Farbtupfer in einer ansonsten grün-schwarzen Welt – ebenso wie die Werbung für die DVD des STAR TREK-Films NEMESIS (2002; R: Stuart Baird). Reloading wurde zu einem feststehenden Ausdruck; das Festival von Cannes, wo THE MATRIX RELOADED die Uraufführung und den ersten Werbeboom erlebte, wurde beschrieben als eines, das definitiv ein reloading benötigte, und Clint Eastwood beschrieb bei derselben Gelegenheit seinen neuen Film: »This is not Mystic River Reloaded«. Ganz nebenbei hatte Eastwood damit das reloading in den Rang eines ästhetischen Konzepts erhoben, das sich von einem altmodischen Sequel unterscheidet. Die wundervollste Parodie gelang vielleicht der Comic-Strip-Serie Monty. Monty, ein in die Jahre gekommener Nerd (der unter anderem mit einem Wesen von einem fernen Planeten und einem sarkastischen Papagei zusammen wohnt) musste sich gerade von seinem Klon verabschieden, als ein gewisser Morbeus in sein Leben tritt. Vorher sollte er mit einer wohl bekannten Dame in Schwarz den Trick mit dem Laufen an den Wänden auf der Flucht vor den Agenten ausprobieren, konnte sich aber nicht dazu durchringen, bevor er seine Schuhe sauber gemacht hat. Auch Monty nimmt die entscheidende Pille und erfährt, dass er nichts weiter als eine Comic-Strip-Figur in einer zweidimensionalen Comic-Illusion ist. Das ist das Letzte, was Monty glauben kann. Aber Morbeus beharrt darauf, erteilt ihm eine Kung-Fu-Lektion (einschließlich Fußkitzeln) und erklärt: »Du bist der Auserwählte.« Leider hat er Monty mit dem Helden der ComicSerie nebenan verwechselt (nämlich Calvin aus Calvin & Hobbes, was eine nicht weniger wundersame Wahl ist – aber wer auch immer »auserwählt« scheint, sofort sind uns lauter neue Matrix-Möglichkeiten und -Verzweigungen gegenwärtig). Monty jedenfalls kann mehr oder weniger erleichtert aus seinem Traum aufwachen. Der Gedanke aber, nur eine Figur in einer Comic-Serie zu sein und dabei das »wirkliche« Leben da draußen zu versäumen, der lässt ihn nicht mehr los. Auch mit seiner Welt »stimmt etwas nicht«. Mit der Verzweigung, Spiegelung und Parodie verfestigt sich der PopMythos und tritt zugleich in den Status seines Zerfalls.
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Die Ästhetik der MATRIX State of the Digital Art: Revolten der Filmtechnik Die MATRIX-Filme handeln nicht nur von Computern, sondern sind auch Filme mit Computern und durch Computer. Sie wollen das weder verleugnen, noch möchten sie sich damit hervortun. Das Körperliche und das Digitale sind stattdessen in eine neue Balance gebracht. Auf die virtual reality, an die wir uns einigermaßen gewöhnt haben, lässt das Projekt nun die virtual cinematography folgen. Und auf die bloße Simulation des Wirklichen folgt, vielleicht, eine wirkliche Veränderung. Die Geschichte des Computerfilms hat vermutlich 1963 begonnen – mit der Simulation der Flugbahn eines Nachrichtensatelliten, die im Auftrag der Bell Telephone Company auf einen Bildschirm gebracht wurde. Danach spalteten und begegneten sich immer wieder die ästhetischen Welten der Computer-Displays, der Modell-Repräsentationen und der Kino-Erzählungen. Alle Versuche, mit neuen Techniken der Computer Generated Imagery (CGI) die große Leinwand zu erobern, von Disneys Geschichte von Menschen, die in ein Computerspiel geraten in TRON, bis zu dem technisch durchaus beeindruckenden THE LAST STARFIGHTER (Starfight; 1984; R: Nick Castle), erwiesen sich an der Kinokasse als Flops. Gescheitert sind diese Filme wohl daran, dass sie die beiden großen Vorurteile gegenüber der Computeranimation nur zu bestätigen schienen, nämlich dass sie nur kalte und konstruierte Bilder erzeugen könne und dass sie nie wirklich den Bereich habe verlassen können, in dem sie sich am stärksten entwickelt hatte, den der Rüstungstechnologie und der Kriegssimulation. Die erste Generation der Computeranimationen war in der Tat vor allem technisch orientiert, und allenfalls an den Kunsthochschulen gab es zaghafte Ansätze für einen Dialog mit dem ästhetischen state of the art. Bis in die 80er Jahre hinein arbeiteten Programmierer als Animatoren, die in der Regel für jeden Bewegungsvorgang eigene Software entwickelten, die für Uneingeweihte zumeist ein Buch mit sieben Siegeln blieb. Im Vordergrund stand die Überwindung technischer Probleme, der ästhetische Aspekt und der Dialog mit der Mainstream-Kultur blieb zweitrangig. Der Cyberspace sah aus, wie sich Leser von Was ist was?-Büchern das Innere
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eines Computers vorstellten. Im Jahr 1987 kam sozusagen mit einem Schlag das Aus für diese Pioniergeneration, als alle drei großen amerikanischen Computer-Animationsstudios, Abel Images Research, Digital Productions und Cranston Csuri Productions in Konkurs gingen. Die zweite Generation der Computeranimationen arbeitete nicht mehr mit individuellen Verfahren für jede Bewegung, sondern mit vernetzten Spezialprogrammen, die jeweils für die Bewegung der Figurenumrisse, die Modulation durch virtuellen Lichteinfall, die Farbgebung, die Oberflächenstrukturen etc. zuständig waren. Der Vorteil dabei lag nicht nur in einem arbeitsteiligen Vorgehen, sondern auch darin, dass die Programme benutzbar wurden für Menschen, die nicht die geringste Ahnung von ihrer Technik hatten. Erst jetzt konnte aus einem technischen Verfahren ein künstlerisches »Instrument« werden. Überdies wurde es in diesem BaukastenSystem erleichtert, Computer Generated Imagery und andere Bildtechniken, Animation oder Realfilm, miteinander zu verbinden. Am Ende der 80er Jahre waren genügend spezielle Rechner auf dem Markt, die ohne eigens erstellte Software beachtliche Effekte erzielen konnten, sodass kaum eine Video-Produktionsfirma oder Werbeagentur auf einen Touch von CGI verzichten musste, und sei es nur, um in den firmeninternen Schulungsmaterialien heftig damit herumzuspielen. Diese »Bildmaschinen« führten zu einer wahren Inflation der Computeranimationen in der Werbung, in Videoclips und im Fernsehen, und genau dies wertete ihre Effekte so schnell ab, wie sie entstanden waren. Die digitale Bildbearbeitung entwickelte rasch ihre eigenen Konventionen, und die wegklappenden Bilder, die explodierenden Schriftzüge und die virtuellen Kamerafahrten durch mehr oder weniger geheimnisvolle Objekte und Zeichen vermochten bald niemanden mehr zu begeistern. Diese Standardisierung, die nebenbei zu einem dramatischen Preisverfall geführt hatte, machte Computeranimation zwar sozusagen demokratisch zugänglich – jeder Video-Amateur konnte sie verwenden, jeder noch so kleine Fernsehsender seine Logos damit gehörig aufpeppen – aber das Image von Kälte, ja Destruktivität verlor sie damit noch lange nicht. Die große Kunst der mythischen Bilderzählung, das Kino, scheute vor dem Gebrauch von Animationseffekten lange zurück, abgesehen vielleicht von der Gestaltung des Firmenlogos vor dem Filmbeginn, wo man sich gegenseitig mit Wow!-Effekten zu übertreffen suchte. 1985 schätzte die National Computer Graphics Association, dass ihre Firmen gerade einmal ein Prozent ihres Umsatzes im Bereich der Kinofilmproduktion machten. Immerhin entwickelten die Fernsehsender zu dieser Zeit, je nach Finanzkraft, auch eigene Systeme für Computeranimation, was ein paar krea-
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tiven Talenten das Überleben sicherte. Aber das Image des Billigen, Schnellen und Trashigen wurde CGI in den populären Medien bis Anfang der 90er Jahre nicht ganz los. So wurde es Zeit für eine dritte Generation der Computeranimationen. Die technischen Probleme standen für sie nicht mehr im VorDas voll-digitale Puppenmärchen dergrund; was man denken konnte, TOY STORY konnte man auch realisieren. Das Problem war dieses Denken selbst: Die neue Generation hatte erkannt, dass es nicht ausreichen konnte, dem »Künstler« mehr oder weniger idiotensichere Programme an die Hand zu geben, dass es vielmehr um eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen Technik und Ästhetik ging. Am Ende der 80er Jahre war Computeranimation für den Spielfilm entweder, in billigen Produktionen, allzu sichtbar, oder, in teuren Produktionen, nicht mehr als solche wahrnehmbar. Doch ohne Computeranimation kam kaum eine Filmproduktion noch aus, von der Entwicklung des Storyboards bis zur post production, aber man machte möglichst wenig Aufhebens davon. Und doch wartete alles darauf, den Film zu sehen, der Computer und Mainstream-Ästhetik, technischen Fortschritt und soziale Beharrung, miteinander versöhnen konnte. Disney schuf mit TOY STORY immerhin einen notwendigen Zwischenschritt: das voll-digitale Puppenmärchen, in dem sich der angeberische Vertreter der High-Tech (Commander Buzz Lightyear) und der sympathische Vertreter der Low-Tech (ein Cowboy, was sonst?) erst zanken und dann verbünden müssen. Der »erwachsene«, nichtapokalyptische (und nicht-militärische) Versuch in dieser Richtung musste warten – bis zu THE MATRIX. Die Wiege jener dritten Generation liegt auf dem Areal der Skywalker Ranch, die George Lucas nach dem Erfolg seiner STAR WARS-Filme zum Sitz seiner Special-Effects-Firma Industrial Light & Magic (ILM) gemacht hatte. Dort entwickelte man für den Realfilm das bahnbrechende Verfahren des digital compositing. Dabei wird ein Realbild in unzählige Einzelteile zerlegt, die der Computer in immer neuen Zusammensetzungen und Bewegungen zuordnen kann – wie besonders beeindruckend etwa in TERMINATOR 2 demonstriert wird, wenn der Kopf des maschinellen Bösewichtes aus der Zukunft sich vor unseren Augen spaltet, deformiert und wieder zusammensetzt.
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Ein kleiner, aber nicht unbedeutender Zweig des Unternehmens war die 1979 als Computerabteilung von LucasFilm Ltd. gegründete Pixar. Dort hatte man 1981 das erste umfassende rendering-Programm namens REYES (»Renders Everything You Ever Saw«) entwickelt, mit dem man den einzelnen Schritten der Computeranimation den letzten Schliff und die ästhetische Einheit geben konnte – die Bewegung der Texturen, des Lichteinfalls, der Oberflächen, die erst aus einem Computerbild die Abbildung eines Dings im dreidimensionalen Raum machten. REYES wurde später zu RenderMan erweitert, dem Programm, das das eigentliche Rückgrat der Firma bildete und ohne das bald keine der großen Produktionen mit Computeranimation, einschließlich Steven Spielbergs JURASSIC PARK (1993), mehr auskam. 1986 landete Steve Jobbs, wohlbekannt als Mitbegründer von Apple, den großen Coup und kaufte Lucas Pixar für zehn Millionen Dollar ab. Das erklärte Ziel der nun selbstständigen Firma war es, den ersten vollständig computergenerierten Spielfilm zu schaffen, auf den, wie es schien, die Welt einerseits sehnlichst wartete und den sie andrerseits fürchtete. Das klassische Mastermind-Paar bei Pixar bildeten der begnadete Tüftler Bill Reeves und der kreative John Lasseter, einst Charakter-Animator bei Disney-Filmen wie THE FOX AND THE HOUND (Cap und Capper; 1981; R: Ted Berman, Richard Rich, Art Stevens), der die verzopften Erben von Uncle Walt erbost verlassen hatte, nachdem er eine 30-sekündige Animationssequenz gefertigt hatte, die von der Trickabteilung als »nicht Disney-spezifisch« abgelehnt wurde. Bill Reeves hatte unterdessen mit dem System des self-shadowing, bei dem der Computer selbstständig stets den »richtigen« Schattenwurf für ein bewegtes Objekt errechnet, die dreidimensionale Computeranimation erheblich vereinfacht. Für den Film TOY STORY waren trotzdem noch beinahe 100 3-DComputer im Einsatz; für das rendering arbeitete der Pixar-Rechner insgesamt 800.000 Stunden; die mehr als 110.000 Frames, die aus 1536 mal 922 Pixeln zusammengesetzt sind, benötigten jeweils fünf Megabyte Speicherplatz: Wollte man alle Einzelbilder, Bewegungsabläufe und 3-D-Effekte zu TOY STORY zusammenfügen, müsste man die Datenmenge auf 3000 CD-ROMs unterbringen. Klar, wir sind beeindruckt und stellen die Hoffnung, unsere eigene Toy Story auf dem PC zu realisieren, erst einmal hintenan. Aber das, wie gesagt, ist allenfalls ein Nebeneffekt der Faszination des Films. Viel wichtiger ist seine Botschaft: Computeranimation muss weder kalt noch analytisch sein, sie kann, ganz in der Disney-Tradition, im Dienst der Beseelung von Zeichenwelten stehen. Von hier aus ging der Weg
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Aus allen großen Kinoerfolgen wurden Videospiele, und später verlief es, bis zu Blockbustern wie LARA CROFT: TOMB RAIDER, auch umgekehrt.
zu einer virtual cinematography, zur Erschaffung von autonomen Bildwelten zwischen Realität und Repräsentation. Während sich also das Kino computerisierte und beinahe jeder neue große Publikumsfilm aus der Traumfabrik auch ein neues Kapitel in der Geschichte der CGI schrieb, wurde umgekehrt das Videogame aus seinen bescheidenen Vektorgrafik-Anfängen heraus immer filmähnlicher. Und die einst marginale Industrie der Computerspiele wuchs unaufhörlich (mit Zentren in Tokio und New York), zog in den Jahren um 1997 ökonomisch sogar mit der Filmindustrie gleich und dominierte sie schließlich. Im Gegensatz zum Kino, das sich gleichsam nur noch außerhalb seiner selbst amortisieren kann (durch DVD-Lizenzen, Merchandising und TV-Anbindung), scheint der Wachstumsprozess hier (noch) grenzenlos: 1999, als THE MATRIX herauskam, betrug der Jahresumsatz der Branche rund sechseinhalb Milliarden Dollar. 2003, im Jahr von THE MATRIX RELOADED und THE MATRIX REVOLUTIONS, waren es mit 20 Milliarden schon etwa dreimal so viel, während die Kinos im gleichen Jahr einen alarmierenden Besucherrückgang verzeichneten. Mittlerweile verhält sich also die Kinobranche eher als ökonomisches Anhängsel der Computerspielbranche als umgekehrt. So war es durchaus an der Zeit, dies auch konzeptuell und
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ästhetisch zu reflektieren. Paradoxerweise rettet sich das Kino gerade damit, dass es mit THE MATRIX offensichtlich von dieser inneren Verwandtschaft und Abhängigkeit nicht mehr absieht. Aus allen großen Kinoerfolgen wurden Videospiele, und später verlief es, bis zu Blockbustern wie LARA CROFT: TOMB RAIDER, auch umgekehrt. Aber der Einfluss des Computers auf die Ästhetik des Kinos verlief gerade dort am nachhaltigsten, wo man ihn am wenigsten bemerkte. TOY STORY war der erste vollständig im Computer erzeugte Animationsfilm und sah aus wie eine liebenswert altmodische Puppen-Animation. In FINAL FANTASY: THE SPIRITS WITHIN (Final Fantasy: Die Mächte in dir; 2001; R: Hironobu Sakaguchi, Moto Sakakibara), einem Ableger einer langlebigen Spielserie mit bemerkenswert wechselhafter kreativer Ausrichtung, sollten zum ersten Mal rein computergenerierte Figuren von menschlichen Darstellern nicht mehr zu unterscheiden sein. Ganz gelungen ist das nicht, und weil der Film auch sonst nicht durch Einfallsreichtum glänzte, entpuppte er sich als eine der großen Sackgassen im Feld des Computerfilms. In ANIMATRIX: FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS wird das Projekt zwar wieder aufgegriffen, aber immerhin versuchen die virtuellen Menschen diesmal nicht mehr, wie die Protagonisten einer mittelmäßigen SF-Serie zu agieren. Im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte entwickelte sich die Computeranimation so rasant, dass man eigentlich nur konstatieren konnte, nun sei auf der Leinwand mehr oder weniger alles möglich, Raumschiffe, Dinosaurier, Monster, die Schlachten des Zweiten Weltkrieges oder die von Troja, jeweils mit einer beliebigen Anzahl von digitalen Statisten, ohne Verletzungsgefahr und ohne Gewerkschaft. Jeder neue Film war zugleich Spielplatz für die Entwicklung neuer Hard- und Software. Aber zur gleichen Zeit konzentrierten sich ökonomische Macht, technisches Know-how und ästhetische Konzeption auch wieder in wenigen Zentren. Und wieder konnte man gelegentlich bemerken, dass sich die visuellen Konzepte schon wieder bemerkenswert glichen. Immer perfekter wurden die Wesen aus dem Computer, die mit den realen Menschen auf der Leinwand zusammenspielten, wie etwa die Maus in STUART LITTLE (1999; R: Rob Minkhoff) oder die verfeindeten Tiere in CATS & DOGS (2001; R: Lawrence Guterman). Der Drache in DRAGONHEART (1996; R: Rob Cohen) gilt als die erste vollständig am Computer generierte Filmgestalt. Die Saurier in Steven Spielbergs Filmen um den Jurassic Park wurden von Folge zu Folge beeindruckender. Und natürlich stammt auch Gollum, das fantastische Wesen aus THE LORD OF THE RINGS, aus dem Computer.
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Eine neue »Sprache« des Films war sozusagen auf dem Schleichweg entstanden. Im Computer Aided Design (CAD) geht es darum, verschiedene bildnerische Techniken, die Realaufnahme, die gebauten Modelle und die Hintergrundzeichnungen mit einem Programm zu verknüpfen. Einen großen Schritt nach vorn unternahm man dabei mit der »digitalen Überblendung«, mit der man in dem Fantasyfilm WILLOW (1988; R: Ron Howard) die Verwandlung von Tieren in Menschen vorgenommen hatte. Dabei werden computergenerierte Bilder in der gleichen Phasengeschwindigkeit wie ein Realfilm direkt über den optical printer in den Film kopiert. Nachdem man mit dem digital compositing das filmische Bild nach Belieben zerlegen und neu zusammensetzen konnte, ließen sich nun Computer und Filmbild fließend miteinander verbinden. Von da an ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis man auch in einem Realfilm auf den herkömmlichen Schnitt verzichten kann. Das Sequel von LARA CROFT TOMB RAIDER: THE CRADLE OF LIFE (Lara Croft Tomb Raider: Die Wiege des Lebens; 2003; R: Jan de Bont), wurde als erster Firn im digital grading-Verfahren bearbeitet, bei dem für jeden Schnitt die Einzelbilder digitalisiert werden, um die Übergänge zu harmonisieren. Das wirkt in der Tat wie aus einem Guss: Bilder sind nun nicht mehr gegeneinander gesetzt, sie wachsen gleichsam ineinander. Nach der Kamera wird auch der Schnitt »virtuell«; so wie eine »Kamerabewegung« (in der Grammatik der Filmsprache) nichts mehr mit der realen Bewegung eines Aufnahmegeräts zu tun haben muss, so muss eine Zäsur zwischen einer »Einstellung« und einer anderen nichts mehr mit der Montage separater Filmstücke am Schneidetisch zu tun haben. In den MATRIX-Filmen ist beides bereits zu einer ästhetischen Botschaft in der Botschaft geworden. So wie wir die virtuelle Kamera bei der Arbeit sehen, die keinen menschlichen oder auch nur irgendwie physikalisch möglichen Standpunkt (oder eine entsprechende Bewegungslinie) mehr benötigt, so sehen wir den Schnitt nicht mehr als Sprung der Handlung in Zeit und Raum – eher ist ein solcher Sprung durch das Öffnen einer Tür on scene gegeben: Da trifft es sich gut, dass Türen in der Matrix eher selten kommunikative Verbindungen in einer konsistenten Architektur sind, sondern Begrenzungen zwischen verschiedenen »Erfindungen« von Raum, Zeit und Person. Hinein oder hinaus ist da keine Frage mehr, die man an eine Tür stellen kann. Und ein »virtueller« Schnitt kann zwar einen herkömmlichen Schnitt immer auch imitieren, wir haben da schließlich so unsere Gewohnheiten. Er muss es aber nicht. In den 80er und 90er Jahren funktionierte das CAD beim Publikum immer noch dort am besten, wo der Computer selbst gar kein Thema war – und Cyberspace-Movies waren umgekehrt eher Trashproduktionen mit
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erbärmlichen Produktionskosten. Für den Zuschauer bedeutete der Einsatz des Computers einfach ein Mehr an Schauwert und eine oft kaum spürbare Verbesserung des Bildes. Aus 100 Statisten konnte man leicht ein ganzes Heer machen, schreckliche Schlachten in PEARL HARBOR (2001; R: Michael Bay) können ebenso wie dämonische Bienenschwärme in THE MUMMY (Die Mumie; 1999; R: Stephen Sommers) im Computer simuliert werden. Aber in den allerletzten Jahren des alten Jahrtausends änderte sich auch wiederum die Haltung des Mainstreams zur Technologie. Einerseits wuchs eine neue Skepsis, vielleicht weil man alle nur erdenklichen Maschinen bereits besaß und dennoch kreuzunglücklich war. Vielleicht auch, weil mit Gentechnik und Biowissenschaft neue Feindbilder der Zukunftsangst entstanden waren. Was ist eine denkende Maschine, was ist ein digitaler Doppelgänger gegen einen Klon? Andrerseits aber war nun die erste Generation maßgebend, die bereits mit dem Computer im Kinderzimmer und mit dem Hacken als Jugendsünde aufgewachsen war. Sie brauchte wieder Bilder für ihre doppelten Biografien, sie brauchte Helden. Mit anderen Worten: Der Computer musste wieder sichtbar werden auf der Leinwand. Und dazu benötigte man erneut einen Schritt in der Technik und Ästhetik der CAD. Die Produktion der MATRIX-Trilogie war von Beginn an auch ein Entwicklungslabor für Filmästhetik, Spezialeffekte und Computer Generated Imagery. Es war ein ästhetisches Projekt, das an der technischen Verwirklichung einer Verschmelzung verschiedener »Codes« arbeitete: ein Realfilm, der funktionieren sollte wie ein japanisches Anime – besondere Vorbilder boten sicher AKIRA (1988) von Katsuhiro Ôtomo und GHOST IN THE SHELL (1995) von Mamoru Oshii. Die Verschmelzung von Codes aus Hollywood und aus der asiatischen Kinematografie. Die Verschmelzung von Bildern aus der filmischen science fiction noir und den neueren Comics und graphic novels. Die Verschmelzung von Genre-Film und Clip-Ästhetik. Und immer war dieses Projekt der Code-Verschmelzung zugleich ein Projekt des Designs und ein Projekt des Konzeptes: Bild und Idee. Es entstand für dieses Projekt die produktionseigene Trick-Firma Manix, die später in ESC umbenannt wurde, bei der John Gaeta verantwortlich für die visuellen Effekte zeichnete. Gaeta, der sein Handwerk bei Douglas Trumbull gelernt hatte, gewiss einer der innovativsten Köpfe der Industrie, der erst ein Bild zu erfinden pflegte und dann erst die Kamera, die nötig war, um es zu erschaffen, war von Anfang an ein idealer Mittler zwischen den beiden Welten, der realen der Kameraleute und der virtuellen der Computerleute. Gaeta empfand sich als Teil beider Welten, und er setzte seinen ganzen Ehrgeiz darein, sie miteinander zu verknüpfen (wer je mit
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einem Kameramann und einem Computerspezialisten geredet hat, mag ahnen, wie groß der Widerspruch im Denken, im Sprechen, im Vorstellen ist). Er entwickelte für den ersten Teil die Technik der bullet time und für die weiteren Teile das motion capture-Verfahren, und beides funktioniert nur durch ein perfektes Zusammenspiel der alten (analogen) und der neuen (digitalen) Technik. ESC, prophezeite Gaeta nach der Fertigstellung der Trilogie, »wird mit seinem Leben nach der MATRIX die Fachwelt in Erstaunen versetzen«. Wenn es das Neue bei THE MATRIX war, die Wirklichkeit der menschlichen Bewegung zu samplen und im Computer zu einer neuen, »glaubhaften«, wenn auch unmöglichen Lebensform zusammenzusetzen, gelang dies nur durch ein neues Projekt der Verbindung von Ästhetik und Technologie, wie es seit Stanley Kubricks 2001 nicht mehr gelungen war. Vielleicht zum ersten Mal arbeiteten die digitalen und die maschinellen Fraktionen wirklich miteinander – John Gaeta, so erinnert sich eine Mitarbeiterin, musste die Computer- und die Kameraleute erst einmal dazu bringen, miteinander zu reden (und dann: eine für beide Seiten verständliche Sprache dazu zu finden). Aber natürlich ging es schließlich auch um eine neue Form der Organisation. Insbesondere jene Effekte, deren Techniken schon erprobt waren, delegierte man gern an Firmen wie Tippett Studios (die Erstellung digitaler Hintergründe). ESC arbeitete mit unterschiedlichen, hoch spezialisierten kleineren Einheiten der CAI zusammen, mit BUF in Frankreich (die bei LA CITE DES ENFANTS PERDUS [Die Stadt der verlorenen Kinder; 1995; R: Jean-Pierre Jeunet, Marc Caro] gearbeitet hatten), mit Animal Logic in Australien (die einen Teil der Freeway-Sequenzen ausstatteten) oder Sony Imageworks in den USA (die für die Tunnelszenen zuständig waren). Das logistische Unternehmen der MATRIX-Filme schuf im Prozess der Herstellung seine eigene Struktur, und so wie es Jahrzehnte zuvor George Lucas mit den STAR WARS-Filmen gelungen war, zugleich den Grundstein des technologisch-digitalen »Imperiums« ILM zu legen, so arbeitete auch die Maschinerie, die um die MATRIX-Filme entwickelt wurde, schon bald über dieses Projekt hinaus. Wo es nicht die Ästhetik und nicht die »Philosophie« der MATRIX-Filme ist, die die Geschichte der filmischen Wahrnehmung verändert, da ist es die Technik dieses Projektes. Und wo man bei anderen Großprojekten die »generalstabsmäßige«, jedenfalls immer militärisch assoziierte Logistik bewunderte, da konnte man bei THE MATRIX eine neue Form der Vernetzung sehen. Um die Arbeit der verschiedenen Units zu koordinieren, wurde eine virtuelle Zentrale eingerichtet, die den Namen Zion Mainframe erhielt (auch während der
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Produktion verwischten sich offensichtlich beständig die Grenzen zwischen Realität und Fiktion). In diesem Computerprogramm liefen alle Fäden der Produktion zusammen, wurden alle visuellen und auditiven Elemente beständig auf ihren Platz im Storyboard projiziert und standen Quicktime-Versionen aller bereits fertig gestellten Szenen zur Verfügung. Ein Film produziert also, während er entsteht, sein eigenes Archiv, seinen Datenschatten, seine Baupläne (früher oder später werden sicher einige dieser Schätze in DVD-Form erhältlich sein). Seine eigene Geschichte (im sogenannten shot history system) und alle mehr oder weniger kreativen Prozesse werden in einem gemeinsamen elektronischen Modell zusammengefügt. In einer Matrix. Für uns als Publikum zählt natürlich aber zuerst das, was auf der Leinwand sichtbar ist. Bullet time ist zugleich ein Element und ein Medium der Erzählung. Es bezeichnet ganz allgemein die Möglichkeit, mit einer »virtuellen Kamera« Zeit und Raum aus einem subjektiven Empfinden zu entwickeln. In diesem Fall ist es die Fähigkeit einer Figur, natürlich vor allem die von Neo, die innere Welt der Matrix durch den eigenen Willen zu kontrollieren. Es geht bei der »virtuellen Kamera« zunächst um eine wundersame Vermehrung der Aufnahmeprozesse, die uns an die Vermehrung von Agent Smith denken lässt. 120 Nikon-Standbildkameras werden in einer vom Computer berechneten Linie im Bildraum aufgebaut und während der Aktion von einem Programm so ausgelöst, dass eine Sequenz entsteht. Die einzelnen Bilder werden in einen Computer eingescannt, die Übergänge angepasst und schließlich die »Einstellung« mit einem virtuellen Hintergrund versehen. Die Filmemacher können dabei also die Geschwindigkeit einer Aufnahme beliebig manipulieren, ohne eine reale Kamera bewegen zu müssen und ohne an Schärfe zu verlieren. Für die zweite und dritte Folge allerdings erwies sich diese Technik der »virtuellen Kamera« schon wieder als zu zeitaufwändig und zu schwerfällig – insbesondere natürlich für die Kampfszene mit dem hundertfach vervielfältigten Agent Smith. »Das bullet time-Konzept musste also eine neue Technologie-Stufe erreichen, die bereits in ihr angelegt war«, sagt John Gaeta. Die Lösung schien das motion capture-Verfahren, das in einfacheren Formen bereits sowohl für das Kino als auch für die Gestaltung von Computerspielen erprobt war. Ein System von Kameras nimmt dabei die Bewegungen menschlicher Darsteller auf, die in besonders reflektierenden Kostümen stecken. Sie bewegen sich auf einer speziellen Bühne, die ihrerseits wiederum beweglich ist (einiges von dem, was später als Kamerabewegung um eine sich bewegende Figur erscheint, wird also in Wahrheit
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durch die Bewegung der Bühne erzeugt). Diese aufgenommenen Bewegungen werden in Datenmengen verwandelt, die nun wieder abrufbar und (beinah) beliebig miteinander kombinierbar sind. So entstehen Kombinationen wirklicher Bewegungen zum Bild »unmöglicher« Bewegungen. Eine »reale« Kampfszene wird auf diese Weise zusammengesetzt wie die Bewegungsschichten eines Animationsfilms. Angst vor Verletzungen muss dann niemand mehr haben, sodass die Darstellung eines Fußtritts, zum Beispiel, nicht mehr dadurch an Glaubwürdigkeit verliert, dass ein Stuntman seine Bewegung abbremsen muss, bevor er sein Gegenüber trifft. (Ein anderer Vorteil solcher Aufnahmen ist natürlich ihre unbegrenzte Nutzbarkeit. So wurden viele Filmszenen auch für das Videospiel Enter the Matrix verwendet.) Auf der anderen Seite aber macht dieses Verfahren eine viel »körperlichere« Darstellung möglich als das klassische blue screen-Verfahren. Die Verknüpfung von CAD- und Realfilm-Elementen wird vielschichtiger und detaillierter, sie imitieren einander nicht nur, sie überlagern einander, so folgen zum Beispiel in der Freeway-Szene beständig »echte« Auto-Stunts und Computeranimation aufeinander (im Ablauf der Szene ebenso wie in der shot-history). Während man Körper, Kleidung und Gegenstände mit den üblichen Mitteln des rendering modelliert (die im Computer errechnete und visuell realisierte Veränderung von Oberflächen durch Licht und Schatten), entwickelte man für THE MATRIX RELOADED ein weiteres Verfahren, um den virtuellen Darstellern nun wieder »fotorealistische« Gesichtszüge zu verleihen: Fünf Spezialkameras mit der Fähigkeit, extrem hochauflösende Bilder zu erzeugen, werden im Halbkreis um das Gesicht des Schauspielers angeordnet und speichern dabei die gewünschten mimischen Ausdrücke in jenen Aufnahmewinkeln, die anschließend zum Einfügen in die motion capture-Aufnahmen benötigt werden. Bei ESC erhielt dieses Verfahren den nicht allzu bescheidenen Titel universal capture oder kurz U-Cap. Und die Bilder wiederum sind verbunden in der Bewegung, die nur das flow mo-Verfahren ermöglicht (man konnte es vordem nur in Videoclips sehen, und in einer experimentellen Szene in Vincent Gallos BUFFALO '66; 1998). Flow motion besagt im übertragenen Sinne nichts anderes, als dass sich die Bewegung im Kinobild nicht mehr aus der Beziehung zwischen dem willkürlich gesetzten Raum und der abstrakten Zeit ergibt, sondern aus sich selbst. Die Bewegung schafft den Raum. Motion capture und universal capture-Aufnahmen werden schließlich mit einer Reihe von realen und im Computer generierten Objekten und Attributen versehen: die Waffe, das spritzende Blut, der grafische Hintergrund, das blinkende Licht, der Rauch und vieles mehr. Das Kinobild
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entsteht nicht mehr als Aufnahme einer simulierten Wirklichkeit vor der Kamera und auch nicht aus einer perfekten digitalen Imitation bewegter Bilder, sondern aus der Kombination verschiedener Elemente, die jedes für sich bereits unendliche Vermischungen von »realen« und »virtuellen« Aspekten darstellen. So hat der Prozess »einen Film herstellen« viel weniger damit zu tun, »einen Film aufzunehmen«, als mit der Arbeit eines Zeichners, eines Schriftstellers oder eines Skulpteurs. Was immer man sich vorstellen kann, das kann man auch auf die Leinwand bringen. (Und wie bei der Herstellung eines Comics tun verschiedene Spezialisten ihre Arbeit und teilen sich die credits.) Es ist allerdings auch definitiv etwas »Vorgestelltes« und nicht etwas Gefundenes; mit jener Art des Filmemachens, der einen unwiederbringlichen Augenblick der Wirklichkeit »einfängt« (der in der intensiven Auseinandersetzung zwischen Darstellung, Technik und mise en scène entwickelt sein mag), hat die virtual cinematography nichts mehr zu tun. Der »echte« Körper des Menschen vollführt in der virtuellen Kinematografie Bewegungen, die er in der Wirklichkeit niemals ausführen könnte. So entsteht eine neue Form der Choreografie. Nicht Computersimulation und nicht Real-Abbildung. Ein neues Körper-Bild, dessen Grammatik noch nicht geschrieben ist.
Morphing Time & Space: Auf dem Weg zur virtual cinematography Raum wird nicht mehr durch Zeit ausgedrückt und umgekehrt, wie im klassischen »Bewegungsbild« des Kinos. Der Raum ist nicht mehr Ausschnitt eines imaginären, aber verlässlichen Kontinuums, Zeit ist nicht mehr die lineare Verbindung der »Realzeit« der Handlung mit der abstrakten Zeit der unerbittlichen Uhr. Eine Bewegung ist nicht mehr physikalischer Ausdruck der Konjunktion von Zeit und Raum, der Schauspieler ist nicht mehr Mime, sondern Lieferant von Bildmaterial. Auch ein Schnitt ist nun nichts weiter mehr als ein beliebig einsetzbares (und ebenso verzichtbares) Stilmittel. Es existiert kein Off mehr, jene Öffnung des filmischen Raums über den Bildausschnitt hinaus, die mir erst das verlässliche Gefühl gibt, in einer bewohnbaren Welt zu sein. Kurzum: Der Spiel-Raum der virtuellen Kamera ist ein visuelles wonderland. Hier ist alles möglich, was uns staunen und fragen macht. Diese Stilmittel verlieren überdies ihre eindeutige grammatische und konventionelle Bedeutung. Wir haben uns daran gewöhnt, was Zeitlupe oder Zeitraffer in einem Film bedeuten können, in Systemen der filmischen Repräsentation, die auf diese Weise das Erhabene vom Komischen trennen,
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Der Schauspieler ist nicht mehr Mime, sondern Lieferant von Bildmaterial: Robert Patrick wird für das T-1000-Modell in TERMINATOR 2 vermessen.
den Traum von der Wirklichkeit, das wahrnehmende Subjekt von seiner objektiven Umwelt usw. Was aber, wenn, etwa in der berühmten AutoCrash-Szene von THE MATRIX RELOADED, extreme Zeitlupe und extreme Zeitraffer aufeinander folgen, und dies nicht etwa nur in einer Szene, sondern sogar innerhalb dessen, was man bei solcher Aufnahmetechnik mit etwas gutem Willen noch eine »Einstellung« nennen könnte? Natürlich gibt es solche abrupten Wechsel schon seit geraumer Zeit, nicht zuletzt in den asiatischen Martial-Arts-Filmen, gelegentlich auch in den indischen Melodramen. Aber erst in den MATRIX-Filmen werden die Filmgeschwindigkeiten zu frei verfügbaren Elementen filmischer Komposition (so wie ein Gedicht Worte zuerst wegen ihres Klanges und nicht wegen ihrer Bedeutung auswählt, ein musikalischer Einsatz weder mit einem Geräusch noch mit einem Gefühl korrespondiert, sondern seinen Wert in sich hat). So klar man die diskursiven Elemente (die Geschichte der Täuschungen durch ein System) und die psychologischen Momente (die Geschichte des traurigen Teenagers und seiner Selbstbefreiung) in der Trilogie voneinander trennen kann, so sehr kann man nun die ästhetischen Mittel eines Filmes trennen, wie »Zeichnung« und »Farbe« in einem Bild, Komposition und Orchestrierung in einem Musikstück und so weiter. Die Frage freilich wird sein, ob wir das virtual film making noch als eine besondere (und besonders technologisch fortgeschrittene) Weise des Kinos ansehen wollen oder doch schon als eigenes Medium (als einen der Erben des Kinos). Freilich: Von solcher Selbstüberschreitung, einer solchen Beweglichkeit in Raum und Zeit hat das Kino immer wieder mal geträumt, manchmal mehr, manchmal weniger. Friedrich Wilhelm Murnau hat für PHANTOM (1922) bereits Kulissen und Beleuchtungen so anordnen lassen, dass sie
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nicht nur mit den Protagonisten, sondern auch in sich selbst beweglich wurden, sodass die Kamera beständig neue räumliche Beziehungen erkunden konnte; das Licht zeichnete, als wäre es nicht Imitation natürlicher oder technischer Lichtquellen, sondern der bewegliche Stift eines Zeichners. Später hat Alfred Hitchcock, oft in unnachahmlicher technischer Einfachheit, die Raum- und Zeit-Erfahrungen des Kinos von ihrer Verankerung im Newton-Kosmos befreit und etwa in der gleichzeitigen, gegenläufigen Verwendung von Kamerafahrt und Zoom in VERTIGO (1957) die Vorstellungen von »Annäherung« und »Entfernung« auf den Kopf gestellt. Experimentelle Filme, seit Ruttmanns BERLIN – DIE SINFONIE DER GROSSSTADT (1927), haben an einer virtuellen Architektur gearbeitet; in METROPOLIS hat Fritz Lang eine Architektur der reinen Bedeutung geschaffen, das Urbild der Megacities in der science fiction noir, die von den dekadenten Spitzen in der Architektur der Macht und von der Bodenhölle der Gettos träumen, und Dsiga Wertow wollte eine Stadt aus Kinobildern errichten, die imaginäre Weltstadt für (leider ebenfalls imaginäre) Weltbürger, die zugleich Moskau, New York und Paris wäre und sich fortwährend verwandelte. Aber die MATRIX-Trilogie macht aus solchen Überschreitungen ein ästhetisches System. Hier überschreiten wir noch die Konstruktion einer »inneren Realität«, das Bild selbst überschreitet die Grenze der Repräsentation. In der Verknüpfung dieser Techniken entsteht in der Tat am Ende das, was die Regisseure »virtuelles Kino« nennen, das sich entschieden nicht nur vom klassischen Realfilm, sondern auch von den traditionellen Formen des Trickfilms und selbst von dem unterscheidet, was man vage den »Experimentalfilm« nennt. Denn nun geht es keineswegs mehr um Formen der Abstraktion, der Vereinfachung, der Symbolisierung und so weiter, sondern vor allem um Prozesse der Anreicherung. Der Film findet nicht so sehr den »Code« zur Repräsentierung der Wirklichkeit (oder des Traums), er ist zugleich mehr Code als alle Codes, und er ist wirklicher als alle Wirklichkeit. Der Film hat eine vollständige Beherrschung des MetaRaumes erreicht, in dem das Reale und das Virtuelle gleich bedeutend sind. Unmögliche Bewegungen realer Gegenstände in einer unmöglichen Kameraperspektive. Reale Bewegungen unmöglicher Gegenstände in realer Kameraperspektive. Und so weiter. Zieht man in Betracht, dass jedes Bild im Kino wiederum aus mehreren Sub-Bildern zusammengesetzt ist, so ist die Menge der Kombinationen von »Realem« und »Unmöglichem« vielleicht nicht gerade »unendlich«, aber »unzählig« ist ja auch nicht schlecht. Die Wirkung solcher neuen Bildwelten liegt nicht nur in einem EffektGewitter, dem das Auge gerade noch standhalten kann und das in jedem
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auf diese Weise entstandenen Film natürlich das Versprechen der Steigerung beim nächsten Mal einschreibt, sondern auch in einer höchst surrealen Schönheit, mit der, ganz im Sinne des Cyberpunk, die Grenzen zwischen dem Maschinellen und dem Organischen aufgelöst werden. Ein besonders hübsches Beispiel dafür ist in THE MATRIX die Szene, in der ein Hubschrauber in ein gläsernes Hochhaus kracht. Allein dieses mag in unserer Fantasie einen wilden Tanz der Assoziationen auslösen: der Terroranschlag des 11. September, die Spiegelfläche, durch die Alice hindurch ging, die Geschichte der modernen urbanen Architektur, die technologische Überfülle des nahen Luftraumes, die Verletzung einer Haut und vieles andere. Doch als der Hubschrauber die Oberfläche des Hochhauses berührt, da kommt es zunächst weder zu einer Feuersbrunst noch zu einem Materialschaden; die »Haut« der Architektur kräuselt sich vielmehr in Wellenform, als habe das Gefährt nur ein besonderes, stilles Wasser berührt, in der schönen Unschuld eines Bergsees, von dem wir nicht ahnen, welche Katastrophen ein ins Wasser geworfener Stein in ihm auslösen mag. Die Technik des rendering, die in THE MATRIX für den Hintergrund verwendet wurde, ist in THE MATRIX RELOADED auch auf die im Vordergrund agierenden Personen angewandt. Und auch sie wird von einer Technik zu einem Stilmittel. Wie in den Mangas und den Animes gibt es eine besondere Ästhetik der Texturen: Viele japanische Zeichner reduzieren Menschen auf wenige Striche und Symbole und widmen sich stattdessen mit höchste Sorgfalt der Darstellung von Bewegungen in Wasser, von Materialien wie Stein, Holz oder Sand, von Feuer und Explosionen, Wolken und Gräsern. »Oberfläche« bekommt einen ganz anderen Wert, technisch, ästhetisch – und vielleicht auch moralisch. Schon durch diese Ästhetik gerät die traditionelle Zeit aus den Fugen; die hektische Bewegung der Menschen (genauer gesagt: Menschen sind nichts anderes als hektische Bewegungen und Zeichen im Raum) steht in krassem Widerspruch zur stoischen Ruhe der Dinge. Die anti-technologische Heuchelei des Westens ist vielleicht blind gegenüber der eigenen Umwelt geworden (zerfallen in das Idyll der verlorenen Natur und in den Glanz der neu erworbenen Ware); man muss stattdessen ein japanisches Anime ansehen, um an die Schönheit eines undichten Abflussrohrs oder eines Systems von Zebrastreifen erinnert zu werden. Der Code selbst wird zum Material, nicht nur in der Traumszene, in der Neo durch den »Wasserfall« der regnenden Bildschirmzeichen und Zahlenkolonnen tritt. Beschreiben die Zeichen die Welt, oder sind sie die Welt? Es ist eine Erfahrung des Tao (vgl. das Kapitel »Die Religion der MATRIX«), wie
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Surreale Schönheit: Die ››Haut‹‹ der Architektur schlägt Wellen …
sich das Zeichen in der Natur bewegt, nicht, wie im neuen westlichen Blick, als (allenfalls) »Groteske« (Reklame-Auto fährt durch Landschaft), sondern als Kraft der Harmonisierung: Filme wie A CHINESE GHOST STORY (Verführung aus dem Reich der Toten; 1987; R: Ching Sin-Tung) sind auf dem taoistischen Effekt des Zeichens aufgebaut. Die virtuelle Kamera ist ein Element, das mit höchster Zärtlichkeit über Oberflächen streichen kann. Sie erscheint aber auch als ein Instrument der Beobachtung, das nicht einer menschlichen Perspektive entspricht, sondern von einem Standpunkt eines über allem befindlichen, mehr oder weniger »göttlichen« Programmierers in die Tiefe der Architekturen taucht. Der »Gottesblick«, der bei Martin Scorsese noch den Augenblick der Erhabenheit signalisiert und bei Stanley Kubrick eine sarkastische Verkleinerung der Menschen, beides also eher die großen Ausnahmen, der Bruch in der Wahrnehmung, das ist in den MATRIX-Filmen gleichsam das Normale geworden (wie im Übrigen auch in einer Reihe der »architektonischen« Anime, etwa der wiederkehrende Blick in das neue METROPOLIS [Robotic 190
… als habe der Hubschrauber nur ein besonderes, stilles Wasser berührt.
Angel; 2001] von Rin Tarô). Die Kamera fährt so willkürlich in einer Realität herum, die nur durch diesen Blick selbst erzeugt worden sein kann. Der Gottesblick in THE MATRIX, der mal schnell wird, tückisch zupackt, sich ein andermal langsam und unerbittlich auf die Menschen senkt, scheint beides zu vereinen, die leidvolle Erhabenheit des »katholischen Materialisten« Scorsese und den düsteren Zynismus des Nietzscheaners Kubrick. Der Gottesblick ist ein Maschinenblick und ist ein Blick des Wahns. Er macht aus den Menschen Versuchsobjekte. Und er macht aus dem Sehen eine besondere Art von Paranoia: Der Blick erscheint nicht mehr als Erfahrung, sondern als Konstruktion. Und damit, vermutlich, macht das Kino einen Schritt, so bedeutend wie der von der mittelalterlichen zweidimensionalen Kosmologie des Bildes zur Zentralperspektive der Renaissance. (Und beide Male könnte niemand sagen, ob solch radikale Veränderung des Blicks »gut« oder »schlecht« ist.) Perspektive und Bewegung der virtuellen Kamera führen zu einer dritten Dimension der Bewegung: Nach den Personen und Objekten und nach 191
der Kamera bewegt sich nun der Raum selbst. Manchmal tut er das ganz direkt (etwa in der Szene, in der Neo und Trinity aus dem Gebäude entfliehen wollen, das ihnen sozusagen durch die eigene Gestaltveränderung den Ausweg nehmen will). Aber viel wirkungsvoller und beständiger tut er das auf eine Weise, die Dean Motter in seinen Mister X-Comics als Psychotektur bezeichnet: eine Architektur, die in direktem Zusammenhang mit der seelischen Befindlichkeit der Menschen »lebt«. Eine Architektur, die niemals »ist« und immer »geschieht«. Eine Architektur, die in Illusionen und Beziehungen spricht, nicht nur in Fassaden, die Raum erzeugen, weil sich andere Fassaden in ihnen spiegeln, sondern auch in Formen, die nie »aufgehen«, die, wenn man um sie herumgeht, dennoch kein »Ganzes« bilden. So etwas ist nicht so futuristisch wie es scheint, man arbeitete spätestens seit den 20er Jahren an einer Form der urbanen Gestaltung, die mehr mit den Illusionen als mit den Funktionen des Raums zu tun hat. Zentrale Bedeutung kommt darin den Spiegeln und den Lichtern zu. Sie schaffen über dem realen, klaustrophoben (eigentlich unbewohnbaren) Raum einen zweiten und dritten Raum. Durch die Spiegel erscheint er immer größer und durchlässiger, durch die Lichter immer freundlicher und strukturierter, als er wirklich ist. Es wird in der modernen »Psychotektur« also nicht nur mehr »Raum« halluziniert, sondern vor allem mehr Ordnung. New York ist die Stadt der Verspiegelungen, Los Angeles ist die Stadt der Lichtarchitektur. Wenn man eine furchtbare Stadt im Film symbolisieren will, dann zeigt man, wie, sagen wir, in DARK CITY (1998; R; Alex Proyas), eine ohne Fenster und ohne Licht. Aber auch die Formen der Architektur, die Verzerrung des klaren rechtwinkligen Aufbaus durch gezielte Störungen und »Anomalien«, setzen bereits – als eine eigene Form der »konsensuellen Halluzination« – den Raum in Bewegung. Je enger er wirklich wird, desto mehr muss man den halluzinatorischen Raum in Bewegung setzen. Und je weniger die Menschen selbst in der Lage sind, Bewegung im Raum zu verwirklichen (das ist der Vorzug des Gettos: die Psychotektur unserer Gegend ist schlicht Scheiße, aber die Menschen sorgen dafür, dass immer was los ist), desto mehr Bewegungsillusionen muss ihr Raum vermitteln. Film-Architektur und Real-Architektur haben sich dabei notgedrungen immer weiter angenähert oder sich miteinander unterhalten. Das Kino kann, wie ein Computerbild und vor allem wie ein Comic-Strip, dabei eine Stadt entwerfen, die sozusagen keine Geschichte hat und aussieht, als wäre sie von einem einzigen Architekten entworfen (was sie schließlich ja auch meistens ist). Solche virtuellen Städte – wie Metropolis oder wie Gotham
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Der Gottesblick ist ein Maschinenblick und ist ein Blick des Wahns. Er macht aus den Menschen Versuchsobjekte: THE MATRIX
City in den BATMAN-Filmen – haben immer etwas Bedrohliches, einen Ausdruck von Macht an sich, der an faschistische oder stalinistische Brutalität in Stein erinnert. Das Kino kann auf der anderen Seite die gewachsenen Architekturen der Weltstädte neu zusammensetzen. Dsiga Wertow hat schon in der Stummfilmzeit dabei herrliche Gemeinschaftsprojekte russischer und amerikanischer Architektur erschaffen und damit zumindest im Kopf des Zuschauers einige Anschauungen der Stadt erzeugt, die zum einen ein Vorgriff auf die Zukunft waren, zum anderen aber auch Dekonstruktionen des Städtischen auf sein Fundamentales. Godards ALPHAVILLE geht noch weiter in dieser Dekonstruktion: Nur ganz wenige banale Schauplätze der Gegenwart der Filmproduktion genügen, eine unbewohnbare Stadt der Zukunft zu erzeugen. Es genügt, die Raum-Illusion und die soziale Praxis, der sie dient, zu trennen, oder noch fundamentaler: Es genügt, die Fenster-Illusion und die Licht-Illusion voneinander zu trennen. LA CITE DES ENFANTS PERDUS von Jeunet und Caro (die ja auch vom Comic-Film gekommen sind) ist umgekehrt eine jener Städte, in denen der Zerfall aus der Psychotektur schon wieder etwas Organisches gemacht hat. Und die Stadt in den MATRIX-Filmen ist so etwas wie die Meta-Stadt der Meta-Städte, eine Stadt, die sich nicht mehr aus verschiedenen »StadtAnsichten« zusammensetzt, sondern aus dem Vermischen verschiedener Kinostädte. Gemeinsam haben die Kino-Architektur und die Real-Architektur gemeinsam ein Drittes geschaffen: die Zwischenwelt der Vergnügungsparks, Disneyland und alles, was sich daraus entwickelte. Immer mehr reale Architekturen in den reichen Bezirken der Städte wollen nichts anderes werden als Disneyland. Die Stadt der Zukunft, wir ahnen sie in Filmen
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voraus, besteht aus Gettos, Bürohochhäusern, Einkaufszentren und DisneyVierteln. Die Grenzen können nur von »Agenten« der einen oder anderen Art bewacht werden – obwohl man sie durchaus unsichtbar machen kann. Das Getto wird schließlich sich selbst überlassen, wie in ESCAPE FROM NEW YORK oder STRANGE DAYS, das reiche virtuelle Leben der Privilegierten lässt in den Wolken das neue Babylon erstehen wie in THE FIFTH ELEMENT (Das fünfte Element; 1997; R: Luc Besson) und BLADE RUNNER. Nicht einmal ein Horrorfilm wie THE BREED (Dark Species – Die Anderen; 2001; R: Michael Oblowitz), der einen Vampir und einen Menschen auf gemeinsamer Polizeistreife durch finstere Straßen zeigt, verzichtet auf sein Konzept der Psychotektur. Dass die Welt der Matrix eine urbane ist, lässt natürlich die Virtualität und Beweglichkeit des Raumes (oder der konsensuellen Raum-Halluzination) glaubhafter erscheinen, als es etwa eine Vortstadt-Welt getan hätte, die in ihrer gleichförmigen Individualität Bewegung nur in zwei Richtungen erzeugen kann: hinaus aufs Land oder hinein in die Stadt. In der Spiegelwelt der Stadt geht es nicht weiter, der wahre Stadtbewohner will auch seine Stadt am liebsten gar nicht mehr verlassen; viel muss geschehen, um jemanden wie Woody Allen oder Lou Reed dazu zu bringen, New York zu verlassen. Niemand in der Matrix, so scheint's, hat Lust auf eine Landpartie. Niemand will riskieren, ans Ende seiner Spiegelwelt zu gelangen wie Truman im Zweifel an seiner Show, der mit seinem Segelboot entdeckte, dass der Horizont seiner Welt die Wand seines Studios war. Die Welt der Matrix ist die totale Realisierung einer Disneyland-Stadt; anders als in einem futuristischen Vergnügungspark wie in WESTWORLD (1973; R: Michael Crichton) oder FUTUREWORLD (1976; R: Richard T. Heffron) wacht man nicht zwischendurch rasch auf, um schnell in eine nächste Abteilung der virtuellen Realität zu versinken. Der bewegliche Raum besteht nur aus Bedeutungen. Es gibt keinen Schmutz, sondern nur die Darstellung von Schmutz. Man betritt einen Raum, mag er auch konventionell erscheinen (wie die Piazza in THE MATRIX RELOADED), gleichsam immer als Allererster. Auf dem Pflaster ist keine Kippe und kein Kaugummi, nicht einmal die Krähen haben ihren Kot hinterlassen (kein Wunder, denn es handelt sich nicht um Krähen, sondern um die Bedeutung von Krähen). Erst seine virtuellen Besucher geben dem Schauplatz für einen Augenblick eine Geschichte. Er verschwindet, sowie sie ihn verlassen, möglich, dass er danach wieder so errichtet wird, wie er vorher war (wie ein Raum in Disneyland von den Putzkolonnen wieder in den ewigen, sauberen Zustand versetzt wird oder wie die Bühne eines Computerspiels nach dem reload), möglich aber auch, dass aus den gegebenen Elementen
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für einen anderen Moment im System der Matrix ein ganz anderer beweglicher Raum erzeugt wird. Wie so viele Science-Fiction-Filme sind also auch die drei MATRIXEpisoden (radikale) Filme über Architektur. Die Stadt der Zukunft ist eine Spiegelwelt – kein Wunder, dass zu den ersten Dingen, die wir sehen, die Fensterputzer gehören. Die horizontalen Bewegungen (der Kampf auf dem Freeway in THE MATRIX RELOADED) und die vertikalen Bewegungen (die Flucht durch die Architekturen, immer wieder auf der Suche nach einem »Zentrum«) sind die größten Illusionen in einem Raum, der sich eher um die Menschen bewegt als sie sich in ihm. Es ist die Verspiegelung der Welt, die die urbane Architektur in der konsensuellen Halluzination bewohnbar macht. In der Matrix benötigen die Menschen (oder ihre Repräsentanten) verspiegelte Sonnenbrillen, einen direkten Blickkontakt kann es nicht geben. Die Fenster sind keine Öffnungen zueinander, auch sie dienen vor allem als Spiegel. (Was sollte man in einer Hochhausstadt auch sehen als andere Hochhäuser und ihre Fenster?) Aber Neo kann über weite Strecken sozusagen gar nichts anderes sehen als Spiegel. Ihm wird alles zum Spiegel. Das ist sein Punkt der Umkehr, und es ist der Umkehrpunkt der urbanen Psychotektur: In der Spiegel- und Illusionswelt (mehr als im Getto, mehr als in der Wüste) gelangt der Mensch zur radikalen Frage nach der eigenen Wirklichkeit. Die MATRIX-Filme erzählen auf eine neue, angemessene Weise von diesen Erfahrungen. Immer sind sie dabei, bei aller mythischen Qualität, auch »realistisch«. Diese Revolution der »Filmsprache« erreichte die Öffentlichkeit indes eher als Nachricht aus einer Welt der Überbietungen, als filmtechnologisches Meisterstück. THE MATRIX RELOADED verfügte über ein Produktionsbudget von 130 Millionen Dollar, und die 50 Millionen, die die Kosten gegenüber dem ersten Teil zugenommen hatten, wurden nicht vollständig durch die gestiegenen Gagenforderungen der Stars aufgefressen. Die Spezialeffekte der CGI erreichen tatsächlich, auch gegenüber direkten Konkurrenten wie SPIDER-MAN, HULK und TERMINATOR 3, ein unerreichtes Niveau. Wichtig dabei erscheint freilich, dass in allen diesen Filmen die Möglichkeiten zur Verbindung von Realaufnahmen und CGI mit sehr unterschiedlichen Absichten verwendet werden: In Ang Lees HULK ist die Linie zwischen dem Realen und dem Digitalen auch eine Linie zwischen psychischen Aggregatzuständen, in der Spaltung eines Wesens in Mensch und Monster. Und in TERMINATOR 3 scheinen alle Computertricks nur dem einen Ziel, nämlich der eigenen Unsichtbarkeit, dem Vorrang der maschinellen und fleischlichen Wirklichkeit zu dienen. In SPIDERMAN befinden wir uns in einer Welt, in der die unmögliche Bewegung so
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offensichtlich die Befreiungsfantasie eines Teenagers ist, dass wir am liebsten mitschwingen würden über die Stadt. Weder die Wut des Hulk noch die Lust von Peter Parker ist für Thomas »Neo« Anderson zu haben. Er überschreitet nicht seine Existenz durch die Bildwelten der Computereffekte, sie sind seine Existenz. Deshalb ist von vornherein klar, dass es eine Rückkehr zur »einfachen« Wirklichkeit nicht geben wird. Um die Kampfszenen in einer neuen Weise zu präsentieren, unternahm man auch den Versuch, sie in einem schwerelosen Zustand zu drehen, aber dieses Vorgehen erwies sich schließlich als, nun ja, unrealistisch. Aber diese Vorstellung, in einem anderen Raum-Zeit-Verhältnis, in einer Neuerfindung von Bewegung zu sein, blieb eine der Grundvorstellungen der Produktion und zeigt sich etwa in Einstellungen auf Feuer und Wasser, die sich wie Schwerelosigkeit verhalten. Das Wesen der Spezialeffekte in MATRIX ist nicht die elektronische Simulation. Vielmehr wird der Computer zunächst mit Wirklichkeiten »gefüttert«; das sampling und morphing, das wir aus der Musik seit einigen Jahren kennen, wird nun auch auf der Ebene des Visuellen angewandt. Anders als bei der elektronischen Simulation entwickelt sich bei dieser Form der zweiten Wirklichkeit das Leben in den Bildern selbst. Die Bewegungsbilder haften weder an ihrem Herstellungsprozess (wie jene Filmbilder, die von sich vor allem ihre Computerhaftigkeit ausdrücken wollen) noch an ihrem Auftrag, die Welt der Körper, Dinge und Texturen zu imitieren (wie es der »fotorealistische« Zweig der Computeranimation tut). So entstehen Filme für eine Zeit, in der man mehr und mehr davon absieht, den Maschinen menschliche Intelligenz als solch perfekte Imitation des Menschlichen aufzutragen, dass es irgendwann »wirklich« werden muss, sondern den Maschinen längst ein eigenes Evolutionsprogramm gibt. Der Ausgang ist nun, auch ästhetisch, wieder offen. Alles, was mit der Matrix zu tun hat, beginnt mit der Verwandlung von Text und Bild: Mit dem Vorspann bereits gelangen wir über Ketten von Zeichen, Buchstaben und Zahlen in die Handlung. Ein unentwegter Sog beginnt, der uns hinter den Text zieht. Aber im Augenblick der Zerstörung der Illusion bricht auch der Code wieder hervor. Die Matrix ist nicht nur ein metaphorischer und diskursiver Raum, sondern auch ein filmischer. Sie ist weder ein Bildfeld, das ganz einfach die Welt bedeutet, noch ist sie ein geschlossener Raum, in denen gewisse Filmgenres, das Kammerspiel wie das Detektivspiel des Whodunit, ihre verdichtete, nach strengeren Regeln ablaufende Handlung entwickeln. Sie ist vielmehr eine Art innerer filmischer Raum, in dem ganz eigene Gesetze gelten – Gesetze, die sich sogar permanent verändern.
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Damit steht der Film neben vielem anderen auch in der Reihe einiger neuerer Filme, die einen solchen filmischen Raum für ein Spiel mit Prämissen konstruieren, die nicht den Gesetzen des psychologischen und des historischen Realismus gehorchen, wie THE CELL (2000; R: Tarsem Singh) oder CUBE (1998; R: Vincenzo Natali). Aber während in diesen Filmen der innere filmische Raum dazu tendiert, sich immer weiter zu verengen (und übrigens letzten Endes auf nichts anderes als auf den Tod hin verständlich zu sein), weitet sich dieser innere Kosmos auch, was die filmische »Sprache« anbelangt, ins Unendliche. In diesem inneren filmischen Raum verhalten sich Menschen in ihren Bewegungen durchaus wie die Figuren eines Animationsfilms, in ihren Motivationen aber wie »reine Ideen«. Die Zeit in der Matrix ist definitiv keine klassische Erzählzeit mehr. Nicht allein in den einzelnen Einstellungen, in denen durch bullet time etwa eine subjektive Zeit erzeugt wird – eine Zeit, die, ganz im Sinne von Bergson, keine abstrakte Maßeinheit benutzt, sondern die »Dauer« eines Vorgangs. Und tatsächlich: Was wäre Zeit, wenn man sie mit den »Augen« einer fliegenden Pistolenkugel wahrnähme? Das Prinzip des Films, Verzweigung und Vervielfachung, entwickelt Zeiten, die sich nicht mehr auf eine einzige, maßgebende Zeit zurückführen lassen. Von anderen Genres hat die MATRIX-Saga den Spaß daran übernommen, einzelne Action-Sequenzen konsequent aus dem Zusammenhang zu lösen. Es geht um Kamerapositionen, die nicht mehr denen eines menschlichen Auges entsprechen können. In MATRIX erzählt diese Kameraperspektive etwas davon, auf welchem Level von Wirklichkeit wir uns befinden. Die Vernetzung geht immer um eine Stufe tiefer. In der Matrix wird aus dem Romantitel Mona Lisa Overdrive aus Gibsons NeuromancerTrilogie ein Song.
Design und das Nichts Was die MATRIX-Filme anbelangt, so scheinen die Zuschauer in drei Fraktionen zu zerfallen: die Action-Fraktion, die Fraktion der philosophischen und politischen Exegeten (die gleichwohl nicht behaupten müssen, die MATRIX sei kein Spaß) und schließlich die Fraktion der Ästheten und Design-Freaks. Flugs bilden sich auch in allen drei Fraktionen die »Fundamentalisten« heraus. »Ihr habt ja keine Ahnung, wenn ihr nicht Baudrillard gelesen und Alice im Wunderland lacanistisch neu interpretiert habt«, so tönen die Philosophen. »Was wirklich interessiert, ist nicht der Film der Wachowskis, sondern der von Woo-Ping«, halten die Actionisten dagegen. Und die Design-Freaks behaupten dreist: »Noch
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lange nachdem die Erinnerung an das chaotische Wirrwarr der Handlung und der dusselig-mystischen Multikulti-Mixed-Media-Anspielungen verblasst ist, hat man den Look des Films vor Augen«. Und gar: »Das Einzige, was bei diesem Film wirklich zählt, ist seine Optik« (Karen Haber). Die Auseinandersetzung um MATRIX verläuft (natürlich im Pop-Format) offensichtlich nach ganz ähnlichen Prozessen wie die Philosophiegeschichte selbst, in ihren Teilungen, Spiegelungen, in den ständigen Versuchen, entweder den Körper, das denkende Subjekt oder die Schönheit zu retten. Dionysos, Apollo und Sokrates im ewigen Wettstreit. In Wirklichkeit führt es natürlich zu gar nichts, Stil, Action und Diskurs gegeneinander auszuspielen, nicht einmal im Sinne des liberalen Soll-dochjeder-nehmen-was-er-will. Genau davon hatte ja die Postmoderne genug zu bieten, und genau das war dem denkenden Teenager der Post-Slacker-Ära ein Splitter im Kopf. Diese Mischung von Unverbindlichkeit, Wertlosigkeit und Beliebigem. Die sich nur der schrankenlosen Herrschaft einer Generation verdankte, der »Boomer Generation«, die offensichtlich nichts so sehr im Sinne hatte, als neue Imperien im Empire zu begründen: Apple, Microsoft, Dreamworks, ILM, Dark Horse ... THE MATRIX verspricht nicht nur cool, sondern auch heavy zu sein. Es gilt schließlich, die Systeme dieser Generation zu knacken! Und das wird man nur durch den Zusammenhang von Ästhetik, Aktion und Bewusstsein. Eine Sonnenbrille, ein Handkantenschlag und ein schwer bedeutsamer philosophischer one-liner! Es ist das Ästhetische, was die Welt zusammenhält, einerseits. Und ohne die ästhetischen Objekte täte man sich verdammt schwer mit dem Philosophieren. Neos Ledermantel und Sonnenbrille, der Kamerablick, das Innere des »Merowinger-Reiches«: Das ästhetische Objekt kann gar nicht anders, als auf die Moralität dieser Welt namens Matrix zu verweisen. Andrerseits will das Ästhetische aber auch darüber hinaus. Und MATRIX würde weder als philosophischer Essay noch als Actionfilm funktionieren, wenn dazwischen nicht etwas geschähe, was gleichsam Ästhetik in Reinform ist, das, was man in der bildenden Kunst »Abstraktion« nennt. Die Spuren, die die Bewegungen hinterlassen, die Verwandlungen des Organischen in das Formale, der Zeichen ins Lebendige (vom Vorspann an, der für sich ohne weiteres als »Kunstwerk« bestände), lassen das Malerische entstehen, immer da, wo es nicht vermutet wird. In THE MATRIX RELOADED wird dieses Prinzip noch einmal gesteigert, und in den ANIMATRIX-Filmen sozusagen stilistisch durchdekliniert. Die Ästhetik der Matrix entwickelt sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen. Da ist, zum Ersten, die Zeichenwelt, die der concept artist Geof Darrow entwickelt hat, der Amerikaner in Paris, der als Comic-Künstler
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Mit der bullet time wurde ein Mittel geschaffen, eine Bewegung so in der Zeit anzuhalten, dass eine Gleichzeitigkeit von höchster Bewegung und größter Ruhe entsteht.
durchaus autonom ist. (Und die Regisseure haben keine Schwierigkeiten damit, zugleich mit seinem Talent auch seine früheren Arbeiten in den Film einzufügen.) Aber Vorbilder in den Comics gibt es überdies genügend: Freimütig bekannten sich die Regisseure zu ihrer Vorliebe für die Mister XComics von Dean Motter, die Bezüge zu Superman (nicht nur in der Telefonzelle als Ort der magischen Verwandlung) sind so deutlich wie zu Batmans Gotham (der Stadt wie der Stimmung), der amerikanischen Gotik, die immer auf ihre erhellende Renaissance zu warten schien. Die Traumwelt von Little Nemo ist so nahe wie die urbane Detailpracht, der Hyperrealismus von Will Eisners The Spirit (wo sich ebenso Buchstaben in Meta-Zeichen und diese Zeichen in »materielle« Objekte und Momente der Handlung verwandeln). Die Schönheit eines im Fallwind der Hochhäuser tanzenden Stücks Zeitungspapiers konnte kaum jemand so einfangen wie Eisner – und sie taucht in THE MATRIX RELOADED gleichsam als PanelZitat wieder auf. Da ist, zum Zweiten, die Choreografie der Zeit, die immer wieder den Augenblick der größten Bewegung in einem Bild »einfriert«, wie das für die amerikanischen Comics und insbesondere die Marvel-Comics typisch ist. Bewegungen verwandeln sich in das Bild ihrer Potenzialität, so wie es bei antiken griechischen Statuen zu bewundern ist. Aber anders als bei diesen Diskuswerfern und Kriegern bestimmt nicht mehr der Moment des sichersten Standes zur Erdanziehung hin die Harmonie und Geschlossenheit dieses Bildes, das zugleich von Bewegung zu bersten droht und vollkommen ruht. Auch die gefrorene Bewegung in Comic-Panels und in THE MATRIX drückt freizügig ihre eigene physikalische Unmöglichkeit aus. Es
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ist nicht die Räumlichkeit, die einem Körper in Bewegung Stabilität gibt. Es ist vielmehr die Zeitlichkeit. Mit der bullet time wurde ein Mittel geschaffen, eine Bewegung so in der Zeit anzuhalten, dass eine Gleichzeitigkeit von höchster Bewegung und größter Ruhe entsteht. Eine Bewegung, die auch dann nicht aufhört, wenn sie »angehalten« wird. (Eine Beschleunigung, die nur noch durch Verlangsamung ausgedrückt werden kann – was THE MATRIX im Übrigen auch davor bewahrt, so erhebend lächerlich zu wirken wie bislang alle Versuche, dem schnellsten aller Comic-Helden, sieht man einmal von Speedy Gonzales ab, nämlich The Flash, zu einem adäquaten Film-Leben zu verhelfen.) Und zum Dritten ist es das Erscheinungsbild der Stars und der Gegenstände, das in den MATRIX-Filmen sein eigenes ästhetisches Leben entwickelt. Weil dieses Filmbild nicht die Wirklichkeit simuliert, sondern eine Simulation darstellt, darf hier alles arrangiert sein wie in einem Werk der bildenden Kunst. Neben vielem anderen kann man die MATRIX-Filme auch als eine begehbare virtuelle Skulptur ansehen. Jedes Detail, jedes Element eines Bildes, ist an seinem Ort, nicht weil es in der Wirklichkeit auch da wäre, sondern um seiner Bedeutung und/oder seiner ästhetischen Valenz willen. Die Räume, Neos überfülltes Hacker-Zimmer, das kahle Büro, die reduzierten Verhörräume, das barocke Zion, der Prachtbau des Merowingers, die Getto-Räume und die Piazza, wo Neo das Orakel trifft, der VideoRaum des Architekten – all das ist erst einmal für sich »schön«. Vielleicht nicht von der reifen, geheimnisvollen Schönheit einer Einstellung in einem David-Lynch-Film. Aber von der Schönheit, wie man ihr beim erst gelangweilten und dann doch faszinierten Durchblättern eines teuren Modemagazins begegnen kann. Auch kann man in den MATRIX-Filmen die Schauspieler so sehr als Tänzer wie als Models bezeichnen, ohne ihre Arbeit zu beleidigen. Method acting jedenfalls, das Verschmelzen eines Schauspielers mit einer fiktionalen, aber nicht imaginären Biografie, ist hier gewiss nicht gefragt. Und schließlich sind da die von der australischen Künstlerin Kym Barrett entwickelten Kostüme, die bereits in WILLIAM SHAKESPEARE'S ROMEO + JULIET (1996; R: Baz Luhrmann) den Kostümen einen ganz eigenen Wert gab. Das ist schon mehr als ein Look. Es ist ein Versuch über Identität und wie man sie herstellt. Was allen diesen Künstlern, die maßgebend den MATRIX-Filmen beteiligt waren, gemeinsam ist, das ist das Leben, Denken, Empfinden in mehreren Kulturen und in mehreren Kontinenten. Die Ästhetik der Matrix ist durchaus nomadisch. Der Stil in diesen Filmen ist bedeutsam, komponiert und seriell, aber er ist nicht verlässlich. Selbst wenn im Design (wie im Bereich des Mythos) der Computer als Wunscherfüllungsmaschine funktioniert, dann tut er es auch hier auf durchaus sub-
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Eine Ästhetik von Textur, Haut und Oberfläche: Selbst das weiße Kaninchen, dem Neo folgt, ist nichts als ein Hautbild.
versive Art. Der eingebrachte Wunsch und das Design, das als Antwort auf die Bildfläche gebracht wird, gehen keineswegs so ohne weiteres ineinander auf. So möchte ich sein! So schön? Oder so fremd? Und das Design der Protagonisten reagiert mit einer zweiten, scheinbar vollkommen entgegengesetzten ästhetischen Strategie. Wenn wir sie hier Hyperrealismus nennen, ist damit nicht nur gemeint, dass wir den Helden auf eine Weise nahe kommen, dass jede Pore, jede Haarwurzel ihr Eigenleben zu entfalten droht. Dieser Hyperrealismus hat durchaus eine soziale Komponente. In welchem Film hätten wir unlängst gesehen, wie es in der Küche einer alten schwarzen Lady in Chicago aussieht, die den ästhetischen Schub der New Economy nicht mitgemacht hat? Genauer gefragt: In welchem Film hätten wir gesehen, wie schön diese Küche (aus lauter Dingen, die man für sich als so wertlos betrachten mag) ist? Der urbane Platz in THE MATRIX RELOADED ist nicht weniger liebevoll gezeichnet – und beides sind Orte, die es gemeinerweise so nicht mehr gibt. Sie sind gerade verschwunden, ohne dass wir es bemerkt haben. Die Stilisierung von Körpern und Dingen, eine Art von »Jugendstil«Ornamentik, in der sich immer wieder das Organische in das Maschinelle und umgekehrt verwandelt (selbst die bösesten und tierischsten Maschinen, die »Wanzen«, die in den Körper dringen, und die squiddies, die ihre Opfer angreifen wie gefräßige Raubtiere mit entschieden zu vielen Extremitäten, sind auf ihre Weise »schön«), ein Hyperrealismus der sozialen Spuren, selbst noch in den Hotelräumen und Verhörzimmern, eine Ästhetik von Textur, Haut und Oberfläche, die bis zur Freude an einem fast abstrakten Spiel führt, gepaart mit Erinnerungen an die phallische Spielzeugwelt der Waffen, Fahrzeuge und »willigen« Maschinen – das scheint,
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als würde in MATRIX einfach ein Durcheinander von ästhetischen Konzepten herrschen. Etwas freilich, das über die pure Kontrastmontage in der Modefotografie hinausgeht (Eleganz plus Grauen, Eleganz plus Elend, Eleganz plus Weiß-der-Kuckuck-was). Alle diese ästhetischen Konzepte haben wieder Anteil an der Frage, die hier gestellt wird (ohne dass man sie deswegen beantworten müsste): Was ist die Wahrheit? Was ist ein Mensch? Und was ist ein Bild? Von Fritz Lang hat man einmal gesagt, er filme Dinge mit der Zärtlichkeit, die man gegenüber Menschen habe könne, und Menschen mit der Nüchternheit, die man gemeinhin gegenüber Dingen zum Ausdruck bringe. Dass die MATRIX-Filme sich mit besonderer Zärtlichkeit dem Menschlichen näherten, kann man wohl kaum behaupten. Sie sind, ganz direkt und ohne jede moralische Implikation, von Oberflächen fasziniert. Ein Gesicht ist für die Kamera der Wachowskis keine Maske und auch keine »Landschaft«, es ist vor allem Textur. Die neue, halb virtuelle, halb »zeichnende« Kamera interessiert sich, zum Beispiel, für die Haut von Trinity, als wäre es die rätselhafte Grenze zwischen einem Innen und Außen. Hautbilder bekommen wir von Morpheus und vom Orakel. Die Durchlässigkeit ist hier gewichen. Selbst das weiße Kaninchen, dem Neo folgt, ist nichts als ein Hautbild. Nach der Haut kommt die Farbe. Wenn die Farben von Spider-Man blau und rot sind (und daher immer noch in der Taghelle des american dream), sind die Farben der MATRIX schwarz und grün. Schwarz und grün sind vielleicht die Farben der populären Kultur nach und jenseits des 11. September. Ang Lee in HULK formulierte (natürlich aus den »Tiefen« der populären Mythologie und speziell der Comic-Serie heraus, aber doch mit erstaunlicher Klarheit), dass dieses Grün die Farbe des Zorns ist und dass das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends als das Jahrzehnt des Zorns gelten dürfte. Der Zorn und die Ohnmacht bestimmen den Plot der MATRIX-Filme. Es ist merkwürdig, wie viel Schönheit die Matrix produziert, vor allem dort, wo es die Störungen gibt. Die Glasscherben des Fensters, durch das sich Trinity stürzt. Das endlose, kreative Kampfballett im Haus des Merowingers, bei dem jeder Gegenstand, wie in einem alten Errol-Flynn-Schinken und einem Martial-Arts-Film zur potenziellen Waffe wird. Der Faltenwurf eines Mantels und die Psychotektur. Oder ein Blitzen in den Augen des Orakels. Kurzum: Die Ästhetik der Matrix besteht darin, dass sich, was die Oberflächen anbelangt (und nur die sehen wir) die toten Dinge und die lebendigen Wesen gleich verhalten. Denn nicht nur der Raum und die Zeit, sondern auch die Maske des Subjekts ist eine Illusion. Oder eine Inszenierung.
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Die Politik der MATRIX Global & Digital Village Nicht dass im MATRIX-Universum ein paar der alten philosophischen Fragen neu gestellt werden (in der Pop-Version und aus einem überfüllten Teenager-Zimmer heraus), macht allein den Status des ersten Films in der virtuellen Kinematografie aus, sondern dass sie aus der Perspektive einer bestimmten Generation gestellt wird, die vehement erklärt: Etwas stimmt nicht mit dieser Welt. Diese Generation hat man die Generation X genannt (die zwischen 1965 und 1983 Geborenen), und ihr flugs eine Generation Y der nach 1983 Geborenen folgen lassen. (Das X wucherte in der populären Mythologie und veränderte seinen semiotischen Wert: War es noch bis zu den X-Files das Symbol für das Verbotene und Verborgene, so entwickelte es sich in den 90er Jahren – wie in den X-Men und Mister X – zum Synonym der Selbstverletzung und des Sprungs in der Evolution.) Und man hat sie, schon vor MATRIX, als einzig fähig angesehen, die Postmoderne zu überwinden, die zerfallen schien in eine robuste Gier und einen apokalyptischen Schmerz, in Neo-Empires und No Future. In STAR WARS kann man dem Zerfall dieser Welt zusehen; der unvermeidliche Krieg zwischen dem Empire und den Rebellen führt vor allem zur Auflösung der Fronten. So beerben die Helden und Schurken dieser artifiziellen Mythologie die Moderne und begründen die Postmoderne. Doch schon in X-MEN kündigt sich der Wandel an. Die Mutanten der Generation X (die sich so sehr nach Berührung sehnen, und die doch wissen, wie sehr sie einander dabei verletzen können, und die aus verschiedenen Rassen und Kulturen zu einsamen »Singularitäten« werden) verschmelzen zu neuen Wesen aus Seele und Technologie. Auch sie müssen wieder geboren werden, und auch sie müssen es gegen zwei scheinbar unbezwingbare Mächte tun: die undurchdringliche Allmacht der Verschwörung und die Aggressivität des Konformismus. Sie sind die HardwarePropheten des Software-Messias. Die Matrix ist entstanden aus einem Krieg der Maschinen gegen die Menschen, den die Menschen, wie wir in den RENAISSANCE-Folgen der ANIMATRIX erfahren, durch ihre ökonomische Ausbeutung und durch ihre »rassistische« Arroganz provoziert haben. Aus der Cyberpunk-Literatur und aus der pessimistischen Welt von Philip K. Dick kennen wir die Voraussetzung dieser Entwicklung: Es sind nicht die Staaten, wie in der
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traditionellen Science-Fiction, die die totale Macht anstreben, sondern die weltumspannenden Konzerne. Und es ist nicht die Technologie an sich, die die Herrschaft an sich gerissen hat, wie es die militärischen Super-Computer der Art von Colossus (in COLOSSUS – THE FORBIN PROJECT / 1970; R: Joseph Sargent) zu tun pflegten, sondern es ist die technologisch verstärkte Gier der Menschen, es ist Konsum und Konvention, was außer Kontrolle geraten ist. Der Cyberspace als Lebensraum gedeiht nur unter der Diktatur des Profits, und die böse Technologie konnte nur durch das Kapital freigesetzt werden. In der Matrix ist all dies nur Erinnerung und Vergangenheit. Angebot und Nachfrage, der Wunsch und die Erfüllungen, sind in der Matrix beinahe vollständig ineinander aufgelöst; Noam Chomskys »Manufaktur des Konsenses« ist gleichsam zum einzigen Inhalt der Gesellschaft geworden. Auch die Gegen-Gesellschaft ist fundamental auf diese leere Mitte einer Gesellschaft ohne Projekt, ohne Geschichte und ohne Zukunft bezogen. Die Rebellen der Wirklichkeit wollen weder eine alternative society (wie die Hippies) noch eine Wendung zur Utopie wie die 68er; sie entsprechen viel eher dem moralischen Gestus der »neuen sozialen Bewegungen«. Neo ist ein Kerl, der nicht nur verschiedene Formen der Wahrnehmungen, der Identität und des Denkens ausprobiert, er ist auch einer, der auf der Suche nach der richtigen Art von »Opposition« ist. Der erste Teil endete mit einer anarchistischen Hochstimmung. Befreiung ist das Gefühl, das unser Held am liebsten aus der eigenen Empfindung an seine Mitmenschen weitergeben würde. Der zweite Teil der Trilogie beschreibt die Mühen der Ebene, den Pragmatismus, Strategie und Verteidigung. Zion in THE MATRIX RELOADED ist gewiss eine multi-ethnische Gesellschaft und eine Gesellschaft, in der die afro-amerikanischen, latein-amerikanischen und afro-asiatischen Elemente einen entscheidenden Platz einnehmen. Als Zitat seiner selbst tritt der Princeton-Professor für AfricanAmerican Studies, Cornel West, als Councillor von Zion auf, der einen einzigen programmatischen Satz zu sagen hat (bei der Beratung über Zions Zukunft am Anfang): »Comprehension is not requisite for cooperation.« Ist Verständnis in der Tat kein Erfordernis für Zusammenarbeit? Oder gelangen wir mit diesem Satz stante pede in eine Dilbert-Welt sinnleerer, selbstreferenzieller Diskurs-Zuckungen des Nach-Kapitalismus? Eine Reihe von Fans jedenfalls tragen diesen Satz mittlerweile auf ihrem T-Shirt spazieren. West, Autor von Prophecy Deliverance und Race Matters, gehört zu den vehementen Kritikern der aggressiven amerikanischen Politik nach dem 11. September – sein Auftritt ist gewiss ein so direktes politisches Statement der Wachowskis wie die »Reagan«-Szene in THE MATRIX. West
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mag das anders gemeint haben, für den Neo von THE MATRIX RELOADED ist es ein durchaus zweifelhaftes Programm. Während er im ersten Teil damit begonnen hat, sich selbst und seine Wahrnehmung der Welt zu verstehen, ist er nun in der unangenehmen Lage, mit den anderen handeln zu müssen, ohne wirklich zu wissen, was daraus wird. Das steckt in dem anderen Schlüsselsatz: »We can never see past a choice we don't understand«, den das Orakel zu sagen hat. Auch so ein Schwurbeisatz! Man kann ihn ohne weiteres als Nonsens abtun, der mit großer Geste daherkommt (und kaum jemand, der die Dialoge in THE MATRIX RELOADED kritisieren wollte, hat auf das genüssliche Zitieren verzichtet). Aber was ist mit einer Wahl, die man nicht versteht? Und ist eine Wahl überhaupt noch eine Wahl, wenn man sie so versteht, dass man weiß, was aus ihr wird? »Choice is an illusion created between those with power und those without.« Das scheint schon klarer. Dass jede Wahl, im Kleinen wie im Großen, sich als Illusion erweist, wissen die slacker der Generation nach den boomern so sehr wie die Verlierer des Neoliberalismus. Neos Geschichte ist die eines Jungen, der im perfekten Macht-System aufwächst. Seine Fragen richten sich nicht an die Welt im Allgemeinen, sie richten sich – und die jugendlichen Zuschauer haben gerade dies wohl sehr genau erkannt – an eben das Macht-System, das die Eltern hinterlassen haben und das vor allem aus festgefügten Subsystemen zu bestehen scheint. Reichlich hoffnungslos. Das Herrschaftssystem der Konzerne so sehr wie das Herrschaftssystem der medial verstärkten Kirchen, das Herrschaftssystem von Entertainment und Militär und das Herrschaftssystem eines Präsidenten wie George W. Bush können nur funktionieren als Maschinen zur Produktion ihrer je eigenen Wirklichkeit. Weder Opposition noch Kritik im klassischen Sinne, scheinen dabei noch zu nutzen. Die Macht ist nicht gefestigt, sondern im Gegenteil perfekt verflüssigt. Sie verbirgt sich in ihren eigenen Systemen. Das Gefühl, keine Wahl zu haben und zugleich in einer Welt zu leben, die unablässig »Simulationen« von Wahl abfordert, ist das vorherrschende nach der Jahrtausendwende. Das Wesen von MATRIX ist der Angriff auf ein unangreifbares System. Es ist, in allen seinen Verzweigungen, die Passion der kritischen Kids im Zeitalter von Globalisierung und Privatisierung, der Entstaatlichung der sozialen Fürsorge und der Durchdringung von Staat und Konzern-Kapital. Das Wesen der Rebellion lässt sich in dem schlichten Satz zusammenfassen: Der Staat ist der Feind. Und dieser Staat ist perfekter Ausdruck des kapitalistischen Totalitarismus. Aber der klare Anarchismus aus THE MATRIX erweist sich in THE MATRIX RELOADED als höchst zweifelhaft. Zion ist auch ein Staat. Am Ende jedes Films in der Trilogie ist ein Nullpunkt
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erreicht. Neo ist eben ein Held, der, anders als ein einsamer Cowboy, keinen Sonnenuntergang hat, in den er davonreiten kann. Die klassische amerikanische Mythologie von Wildnis und Garten, das Gegenüber von Zivilisation, die dem Helden keine Heimat mehr sein kann, und Wildnis, die es noch nicht sein kann, ist in THE MATRIX radikalisiert: Es gibt nur noch die Zivilisation im Zustand ihrer höchsten Perversion, und die Wildnis in ihrer fundamentalen Art der Unbewohnbarkeit. Für Neo ist das Modell von Leben, Erwählung, Tat, Opfer und Wert unerbittlich. Wenn er von einem Mythos in den anderen schlüpft, dann beinhaltet sein Weg auch den Irrtum. Der kleine Zarathustra Neo ist auf der Suche nach einem Rollenmodell für die Revolte nach dem Zusammenbruch der großen Erzählungen. Es gibt nichts, was er tun kann, ohne es sogleich in Zweifel zu ziehen. Deswegen wird er so schnell erwachsen, und deswegen sind weder die Dinge noch die Personen um ihn konsistent. Die Entfremdung, die mit der Industriearbeit des 18. Jahrhunderts begann, ist in ihre letzte Epoche gelangt. Nicht mehr die Arbeit wird dem Menschen entrissen, sondern sein ganzes Leben. Neo erkennt die Wirklichkeit, und er erkennt sich selbst. Vor allem aber erkennt er, dass das eine nicht Teil des anderen ist. Das »System« (repräsentiert durch ein merkwürdiges Ineinander von Fürsorge und Grausamkeit durch die Maschinen) scheint vor allem zu bestehen, um diese Trennung zu organisieren. Der Staat in THE MATRIX lässt Entfremdung nicht nur zu. Er ist die Entfremdung. Das Primat der Praxis, das Neo in seinem Streben nach Wahrnehmen und Denken auch wieder begrenzt, zieht sich durch den ganzen Mittelteil der Trilogie und wird offensichtlich, bis zum erneut »ent-täuschenden« Schluss, auch zur politischen Leitlinie. Wenn Neo versagt, so hat das Orakel prophezeit (ungewohnt konkret, nebenbei), »dann wird Zion fallen«. Um das zu verhindern, muss Neo nicht nur die Reise ins Innere des Systems antreten, er muss zugleich auch den Wert des wirklichen Lebens bestimmen. Alle Sprüche und Bilder, die ihn im ersten Teil begleitet haben, konnten ihn mutiger und neugieriger machen, im zweiten Teil begleiten ihn vor allem Ernüchterung und diese merkwürdige Entscheidung für den Zwang, dem keiner von uns entgeht. Es mag uns auffallen, dass das Orakel von der Macht spricht, aber nicht von den Maschinen. Vermutlich ist ihr längst klar, dass der Gegensatz von Mensch und Maschine falsch ist, eine Repräsentation eines ganz anderen Gegensatzes, von Macht und Ohnmacht. Die Welt des global und digital village, die ihre Energie nur nach innen lenken kann, weil es kein Außen mehr geben soll, ist von Macht durchsetzt; sie ist nicht mehr hierarchisch – sodass wir auch kaum noch einen funktionierenden »Aufstieg« kennen als
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vielmehr eine bizarre Form von »Einsteigen« und »Aussteigen«. Der mediale »Superstar«, der »Seiteneinsteiger«, der Kapital-Fürst à la Berlusconi, die new boys der europäischen »Sozialdemokratie«, die fundamentalistischen Familienclans der Krieger-Prediger in den USA, das sind die neuen Gesichter der Macht. Gegen sie stehen die Bilder der Getto-heroes, der Hacker, der »Aussteiger« und der neuen Subversion: nicht gegen die Macht selber, sondern gegen ihre Bilder, Erzählungen und Kommunikationen gerichtet. Offensichtlich ist das, was die Menschen unter den Bedingungen einer konsensuellen Halluzination hält, nichts anderes als der Wille zur Macht. So fließen die Agenten durch die Körper der Menschen, die sie widerstandslos aufnehmen (bis Neo am Ende von THE MATRIX die Richtung des Flusses umkehrt). Sie träumen weiter von Bossen und Hierarchien, geben Befehle und genießen zugleich die Unterordnung. Den ersten MatrixMenschen, denen wir begegnen, den Polizisten, ist schon der Machtkampf eingeschrieben. Und sie wollen ihr Subsystem freihalten von »Einmischung«. Es ist Macht, die Neos Vorgesetzter genießt in der Wabenwelt des Bürohochhauses. Was wir mit Neo fragen können: Wie begründet sich der Aufstand der Machtlosen gegen die Mächtigen (die, wie wir erfahren haben, nur eines wollen: immer noch mehr Macht)? Und wo führt dieser Aufstand hin? Verändert er das System, oder ist es doch nur die ewige Wiederkehr der Macht mit anderen Trägern? Hat nicht die Generation der Neo-Fans die »Machtübernahme« einer Generation erlebt, deren Vertreter allüberall so vehement »eine andere Welt« forderten und die nun auf besonders perfide Art das System im Sinne der Macht »reformieren«? Aber nicht einmal als Mächtiger kann man das Leben genießen, wenn man an eine Wahl nicht mehr glaubt. Das System, ob mit oder ohne Maschinenherrschaft, tendiert dazu, das Subjekt aufzuheben. Die Mächtigen dieser Welt, Berlusconi, Murdoch, Bush, der Merowinger, der Architekt der Matrix, sind als Subjekte ihrer Macht nur noch merkwürdige Überreste. In Wahrheit haben auch sie keine Wahl. Dass die Maschinen die Macht übernommen haben, ist dann nur noch ein besonders materielles Bild dafür, dass es nicht mehr reale Menschen sein können, die das System und seine Geschichte bestimmen. Aber es gibt zweifellos noch den einen oder anderen »Typus« in dieser Welt der verflüssigten und virtualisierten Macht. Sie blicken in das global village, das sie beherrschen wie ein Spieler in seine Simulationswelt. Man nennt sie nicht umsonst global player. Dass es ein Spiel ist, was da gespielt wird, ist zugleich ungeheuer und lächerlich. Hatte nicht Bob Dylan, bevor er sich anstöpselte, davon gesungen, dass man nichts weiter sei als ein Bauer in »ihrem« Spiel? In den technologisch-medialen Kreisläufen ist dann
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Das amerikanische Kino fantasiert, dass die Kathedralen des Kapitals in die Luft gesprengt werden: ...
in der Tat das Abhängigkeitsverhältnis ein anderes: Da müssten die global player wiederum erscheinen wie Simulationen ihrer eigenen Werbesendungen. Ihre Macht ist gleichzeitig total und leer. Neo, das ist sein Problem und das ist seine Chance, hat keinen Feind. Er hat unzählige Gegner, die darüber hinaus nicht erst mit Agent Smiths wundersamer Vermehrung die Tendenz dazu haben, sich endlos aufzuspalten. Aber er kommt an kein Subjekt heran, dem er als großem Anderen entgegentreten könnte. Er ist der Ödipus ohne Vater, der Rebell ohne Grund, der Revolutionär ohne Utopie. Der Kampf gegen die Welt der Väter (und der Mütter) geht ins Leere. Und der symbolische Körper, in dessen Innereien die Nebukadnezar wahlweise nach dem Zentrum und nach dem Ausgang sucht, dehnt sich mit jeder Bewegung beliebig aus. Der globale Kapitalismus hat nur noch Karikaturen als Gewinner; von der Gier und dem Willen zur Macht getrieben, haben sie sich dem System so total unterworfen, wie es ein Verlierer nicht könnte. Die Gewinner sind die traurigsten Sklaven von Geld und 208
... Das explodierende Hochhaus in THE MATRIX nimmt die Bilder des 11. September vorweg.
Maschine, das macht ihre Bosheit aus (und eben das ist die Geschichte der »rechten« Revolte von Agent Smith, in der sich die »linke« Revolte Neos spiegelt). Darum sehnt sich das System so sehr nach Gegnern, dass es sie notfalls selber produziert. Nicht erst seit gestern. Aber seit gestern, seit 1999 ungefähr, findet es für diese Produktion kein Außerhalb mehr. Das Lebensgefühl der Generation X war: Es ist alles schon geschehen. Das Lebensgefühl der Generation Y ist: Es gibt kein Draußen mehr. Im Stadium seiner Übernahme des Staates (»Privatisierung«) hat der Kapitalismus die Zeit gefressen. Im Stadium seiner Globalisierung frisst er den Raum. Beides zusammen ergibt ein Herrschaftssystem à la Matrix. Wenn THE MATRIX als reiner anarchistischer Impuls beginnt – und ist die Veränderung in THE MATRIX RELOADED dem wachsenden Zweifel, dem Erwachsenwerden Neos oder einem Zugeständnis an den Mainstream zu verdanken? –, so beinhaltet die synthetische Legende zweifellos ein hohes Potenzial und Bilder symbolischer Politik. Die Szene von Mor209
pheus' Befreiung durch Neo und Trinity, die uns gewiss nicht zu Unrecht in ihrer Gewalttätigkeit so unangenehm auffiel, findet wohl nicht zufällig in einem dieser gläsernen Stahl- und Beton-Ungeheuer statt, die in den USA zum Synonym für beides geworden sind, die Prosperität des Systems und die Gefangenschaft der Menschen in ihr. Daher fantasiert das amerikanische Kino so angelegentlich von Hochhaus-Katastrophen, davon, dass die Kathedralen des Kapitals in die Luft gesprengt werden, und deshalb wird das Attentat auf die Twin Towers auf die bekannte Weise ikonografisiert. Neo und Trinity legen, in einem Anfall des wahren Furors, einen dieser Tempel in Schutt und Asche, sie machen von innen, was die »Terroristen« ansonsten von außen machen, und sie scheinen es darauf abgesehen zu haben, das Zerstörungswerk möglichst gründlich zu besorgen. Im Mittelteil der Trilogie gibt es ein vergleichbares Zerstörungsbild nicht mehr. Es würde nichts nutzen. Und wenn der Messias schließlich durch seinen Tod einen neuen Frieden zwischen Menschen und Maschinen begründet, so schreibt er ein neues Kapitel in der Geschichte von Kapital und Arbeit (auch hierin in der Nachfolge von METROPOLIS) in der spirituellen Form von Subjekt und System. Das radikale Subjekt erfüllt sich nur in seinem Tod. Und so ist Neo einem Messias immer genauso nahe wie einem Terroristen.
Die postmoderne Form der Sklaverei ››Du wurdest«, belehrt Morpheus unseren Helden, »wie alle in die Sklaverei geboren und lebst in einem Gefängnis, das du weder anfassen noch riechen kannst. Einem Gefängnis für deinen Verstand.« Der erwachende Neo wird in THE MATRIX mit zwei Organisationsformen der Macht, nämlich der umfassenden statischen Macht der Matrix und der beschränkten, aber zielgerichteten Macht der Rebellen konfrontiert. Dass eines besser als das andere sei, kann Neo nur aus zwei Erfahrungen heraus konstruieren, nämlich zum einen aus dem Umstand, dass ihn die Matrix gerade »verdauen« wollte, und zum anderen daran, dass die Rebellen bei bestimmten Annäherungen nicht zurückweichen, wie es die Phantasmen der Matrix tun. Dass das Leben in der Matrix schlecht ist, kann Neo allenfalls indirekt schließen. Da alles »künstlich« ist, also dem gleichen Prinzip des Schaffens und Vergehens unterworfen, das heißt, da alles auf die gleiche Art »lebendig« ist, gibt es keine Zeit mehr. Denn nur die Tatsache, dass es »tote« Dinge gibt, die – wie der Stein, den der Physiker mit dem Fuß tritt, um ein für allemal zu beweisen, dass es »Wirklichkeit« gibt (nämlich als doppelte:
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Wirklichkeit des gottverdammten Schmerzes im großen Zeh, und Wirklichkeit des Steins, beides klar aufeinander bezogen) – der Spanne des Lebendigen eine Dauer gegenüberstellen, macht ein Leben in der Welt möglich. Wenn der Stein mit dem, der ihn tritt, verschwände, wenn ein Elefant nur so lange leben würde, wie der Mensch, der ihn begafft, wäre alles gleiches Leben, und man könnte ebenso gut sagen: Alles wäre auf die gleiche Weise tot. Genauso aber entwickelt sich die Warenproduktion im späten Kapitalismus; das Ding ist so sehr auf seinen Konsum bezogen, dass es seinen Gebrauch nicht mehr überlebt. Es scheint, als würde auf die Krise der Warenproduktion und der »Warengesellschaft« eine (zumindest ideologische) Aufwertung der Dienstleistung folgen; in Wahrheit aber entsteht etwas zwischendrin, die Ware ohne Konsistenz, die Dienstleistung ohne Veränderung. Die »Ware« der Zukunft ist das Einander-zur-Verfügung-Stellen von Körpern und sozialen Gesten; jeder ist potenziell des anderen Sklave, und sei's als einer, der seine Menschenwürde im ewig laufenden Fernsehfilm verkauft. Genauso aber ist auch »virtuelle Realität« konstruiert. Der Stein und der gegen ihn tretende Fuß sind nicht nur von der gleichen materiellen (oder nicht-materiellen) Konsistenz, sie sind auch von der gleichen Dauer. Paradoxerweise also produziert nicht mehr so sehr der Alltag die Dinge, vielmehr produzieren die Dinge den Alltag. Die Produktion des Alltags ist der eigentliche Wert der Dinge. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen den Dingen und dem Alltag – nicht einmal der »Luxus-Gegenstand« hält dem Bildersturm der Entwertung statt: Ein Ferrari ist nicht mehr als eine materielle Anomalie im Sog der »Ferrari-Zeichen«. Deshalb kann unser Physiker den Ferrari nicht im gleichen Ausmaß als Beweis für die Wirklichkeit empfinden, wenn er ihm über den Fuß fährt. Nicht, weil das etwa nicht noch mehr weh täte als ein Stein, sondern weil er nicht sagen kann, ob dieser Ferrari nicht zu keinem anderen Ziel gebaut wurde, als dass ihm ein sinnkranker Mensch zur Erzeugung seiner Wirklichkeitsillusion über den Fuß fahren kann. Das Ding ist radikaler Teil einer sozialen Inszenierung geworden, und je weniger »Natur« es gibt, desto weniger kann das Ding, auch wenn es mir auf den Fuß fällt, als Beweis für »Wirklichkeit« gelten. Wirklichkeit, wie jener Stein, kann nur aus einem materiellen Geschehen konstruiert werden, das außerhalb des kapitalistischen Austauschs von Waren und Dienstleistungen steht. Vielleicht verstehen wir nun besser, warum das Déjà-vu ein Fehler im Programm ist, das tatsächlich zum »Aufwachen« führen kann. Es ist nicht nur die Erinnerung, die den Keim von Bewusstsein in sich trägt, es ist vielmehr eine Rekonstruktion des Steins, also etwas, das länger und anders
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da ist als meine augenblickliche Empfindung. So wie man ein Ding dadurch entwirklichen kann, dass man es zum Zeichen macht (erst einmal: zur Ware, was ein Zwischendrin ist), so kann man umgekehrt ein Zeichen, das man in einem bestimmten Sinn gebraucht, auch wieder in Wirklichkeit verwandeln. Eine Katze, die vor einer Tür vorbeiläuft, kann sowohl echtes Leben als auch perfekte Illusion sein. Eine Katze aber, die zweimal auf die gleiche Weise vorbeiläuft, wie ein bestimmter Wagen, der immer wieder eine bestimmte Straße entlang fährt in THE TRUMAN SHOW, lässt die Erscheinung als Code hervortreten. Aber warum wachen wir dann beim Fernsehen nicht auf? Das System der Matrix ist nicht nur eines der Imagination, sondern auch eines der Macht. Die Macht erhält sich, indem sie eine Imagination erschafft, die das »Déjà-vu« vermeidet. In der Matrix sind die Menschen in einen Zustand von Macht und Ausbeutung gelangt, in dem man zwischen Selbstkontrolle, Objektkontrolle und Systemkontrolle nicht mehr unterscheiden kann. Was macht das elektronische Überwachungssystem, das einen Paketfahrer begleitet? Es kontrolliert den Weg des Pakets (damit kann man sogar dem Kunden imponieren), es kontrolliert den Fahrer, den Zustand des Geräts, die Notwendigkeit der Maut-Zahlung, die Einhaltung der Verkehrsregeln, es »erfasst« das Profil des Kunden und sucht die Wege durch den chaotischen Alltag, in dem kontrollierte Menschen unterwegs sind. Das System der Kontrolle hat mehrere Funktionen, es »dient« den Interessen des Profits, des Staates und des Kunden, aber natürlich dient es – wie einst (und immer noch) die Bürokratie – vor allem sich selbst. Nicht die Kontrollmaschinen übernehmen die Herrschaft, wohl aber das Prinzip der Kontrolle. Jede Kontrolle aber produziert auch ihre Gegenbewegung. Einer Kontrolle, der aber nun nicht mehr zu entgehen ist, kann man nur eine Simulation entgegensetzen. Die Überwachungskamera verändert das Verhalten der Menschen in der Fußgängerzone. Sie verhalten sich nicht nur zur Kamera hin, sie beobachten einander auch im Bezug auf die Kamera. Wir sehen, wie eine »konsensuelle Halluzination« erzeugt wird, die ihren terroristischen Charakter wie bei 1984 perfekt verbergen kann. Das Prinzip der Kontrolle breitet sich in Wellen aus, der Kontrollierte wird Kontrolleur, nicht mehr im hierarchischen, sondern im totalen Sinn. Schließlich entsteht ein Verhalten, in dem zwischen Kontrolle, Maske und Wahn nicht mehr unterschieden werden kann. Kontrolle kann, zum Beispiel, zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit unterscheiden, nicht aber zwischen echter und simulierter Arbeit. Wer Arbeit, Ordnung, Kommunikation simuliert, um den Anforderungen der Kontrolle nachzukommen, wird bald selber nicht mehr genau unterschei-
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Es ist kein Zufall, dass THE MATRIX, nach dem Action-Beginn, eine klassische Situation am »Arbeitsplatz« schildert: Der Boss verlangt Disziplin.
den können, was an seinem Verhalten »echt« und was simuliert ist. Zwischen der kontrollierenden und der kontrollierten Instanz entsteht ein wachsender Bereich der Simulation. Am Ende geht es darin zu wie im Bürohochhaus von Dilbert. Das Wirkliche kann gar kein Bezugspunkt mehr sein. Deshalb sehen wir in der Matrix niemanden arbeiten (so wie wir in THE SECOND RENAISSANCE die Roboter haben arbeiten sehen), jeder aber scheint vollständig mit sozialen Riten um die Arbeit herum beschäftigt. In der Matrix nehmen die Menschen in ihrer allgemeinen Halluzination die Entwicklung des real existierenden Kapitalismus in den Metropolen vorweg: Es gibt tendenziell keine »Arbeit« mehr (im Sinne klassischer Ökonomie, wohlgemerkt), aber je weniger es davon gibt, desto besessener sind die Menschen davon. Die »Utopie« des positiven Technologismus war ja schließlich nichts anderes als dies, womit in THE MATRIX der Schrecken überhaupt begann: Die Maschinen würden dem Menschen die Arbeit abnehmen. Und der Mensch hätte dadurch die Möglichkeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, vielleicht mit seiner ästhetischen, philosophischen oder spirituellen Vervollkommnung. Jeder Schritt von »Rationalisierung« und Maschinisierung wurde positiv mit solcher Humanisierung begründet. Aber statt sich durch seine Technologie über sein System zu erheben, wie es ihm versprochen ward, wurde der Mensch nur noch mehr von ihm vereinnahmt. Statt »Zukunft« oder Reflexion produzierte das System, das in seinem Kern leer wurde, um sich herum selber vor allem Leere. Und deswegen konnten die Menschen die Maschinen, die sie ursprünglich zu ihrer Selbstbefreiung erschaffen hatten, als Feinde betrachten, nicht im Sinne der »Maschinenstürmer«, die die Maschinen nur zerstören konnten als Manifestationen der Bosheit ihrer
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menschlichen Besitzer, sondern als Usurpatoren von Lebenssinn: Arbeit und Alltag. Nicht für das Paradies, sondern für die halluzinatorische Fortschreibung von Arbeit und Alltag haben sich die Menschen in der Matrix entschieden. Die Filme sind, neben vielem anderen, offensichtlich auch durchaus »realistisch«. So hat sich die Dialektik der postmodernen Sklaverei erfüllt: Vom Sklaven als arbeitender, ausgebeuteter und letztlich in der Arbeit zum Tode entfremdeter Mensch führte der Weg über den konsumierenden, ausgebeuteten und letztlich im Konsum zum Tode entfremdeten Menschen zu dem Menschen, der die Entfremdung selber lebt, der seine gesamte Existenz in den Dienst der Produktion der entfremdeten Alltagssimulation stellen. Die Matrix existiert, weil und solange sich die Menschen weigern, irgendetwas anderes sich auch nur vorzustellen wagen. So wie sich zuvor das Kapital virtualisiert, so virtualisiert sich im Folgenden die Arbeit, und schließlich virtualisiert sich der Alltag. Es ist zweifellos kein Zufall, dass THE MATRIX, nach dem metaphysischen Action-Beginn, eine so klassische Situation am »Arbeitsplatz« schildert: Der Boss verlangt Disziplin, er negiert alles »Besondere« an seinem Untergebenen, er fordert eine kontrollierte Anwesenheit am Arbeitsplatz, die durch die Arbeit selber längst nicht mehr erforderlich wäre. Er fordert eine Geste der Unterwerfung. Vielleicht ist ja das schon der Moment, in dem Neo damit beginnt aufzuwachen.
Rage against the Machine Science-Fiction ist die Maske einer Maschinenstürmerei. Das Genre erzählt nicht nur prinzipiell von einer schrecklichen Zukunft, sondern viel genauer von einer Zukunft, die durch die Maschinen schrecklich geworden ist. Die Maschine als letztes Stadium des Kapitalismus. Weil die positivistische Science-Fiction sich darauf eingelassen hat, das Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen als das zwischen Herren und willigen Sklaven zu entwerfen, nebenbei oft und unbemerkt, konnte ihre kritische Gegenbewegung nicht anders, als dieses Verhältnis umzukehren, blieb aber befangen im Herrschaftsdiskurs. Der anti-technologische Impuls wird immer noch gern als »links« empfunden. Aber der Zorn gegen die Maschinen ist ideologisch ausgesprochen prekär. Die Jungs von Rage against the Machine, die es mit ihrem Bandnamen durchaus ernst meinen, erschienen in den USA als »Ultralinke«. Die Wachowskis überlassen ihnen nicht umsonst in THE MATRIX sozusagen das letzte Wort. Aber sind sie nicht auch das genaue Gegenteil?
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Der Punkt ist vermutlich, dass wir die Technologie nicht nur in einem politischen (Macht und Unterdrückung!) und in einem religiösen (Blasphemie und Versündigung an der Schöpfung!), sondern auch in einem ödipalen Drama sehen. Den Vätern (und mittlerweile ein bisschen den Müttern) »gehört« die Technologie, aber mehr noch: Menschheit und Technologie (jedenfalls der Art, wie die Science-Fiction sie sich vorstellt, als neue Wesenheiten mit Leben, Intelligenz und Bewusstsein) verhalten sich wie Schöpfer zu ihren Kindern. Also wie Götter zu den Menschen. Dass die neuen Geschöpfe sich tatsächlich irgendwann als rebellisch gegenüber den Schöpfern erweisen, beschäftigt unsere Fantasie offenkundig mehr als die reale Gefahr der Technologie. Nämlich dass sie nicht »richtig« funktioniert. Das Unbehagen im Alltagsleben ist natürlich längst da: Wir sind abhängig von ihr. Es ist entsetzlich, wenn mein Auto nicht funktioniert. Es ist entsetzlich, wenn ich mir kein Auto leisten kann. (Und Menschen, die einem dauernd beteuern, wie gut sie ohne Auto auskommen, sind auch nicht ganz unentsetzlich.) Aber rechtfertigt das so viel Zorn, dass wir uns einen Vernichtungskrieg ausmalen, und rechtfertigt das so viel Angst, dass wir uns eine totale Versklavung durch autark gewordene Computerprogramme ausmalen? Das Skandalöse an Nietzsches »Gott ist tot« ist ja nicht etwa der Unglaube. Dass es keinen Gott gibt, haben vor ihm schon viele behauptet, und noch mehr, dass sie an ihn erst glauben würden, wenn sie ihn sähen. Gott ist tot, das heißt, es hat ihn gegeben, er ist gestorben, und genau gesagt: Die Menschen haben ihn ermordet. Das kann man glauben oder nicht. Aber wenn man glauben kann, dass die Menschen ihren Gott ermordet haben, dann kann man auch glauben, dass die Maschinen ihre Götter, die Menschen ermorden. Damit hat sich rasch die positivistische Besserwisserei der technologischen Science-Fiction-Autoren erledigt. Menschen, die Angst vor den Maschinen haben, sind auch in der Lage, Maschinen zu bauen, die diese Angst voll und ganz rechtfertigen. Wie viel die Maschine als autonomes technisch-organisches Wesen oder als Spiegel der menschlichen Gesellschaft damit zu tun hat, ist dann »nur« noch eine philosophische Frage. »Nur«? Wenn der »kalte Krieg« nicht vor kurzem für mehr oder weniger beendet erklärt worden wäre, unglücklicherweise kam der ökonomisch stärkeren Seite ein Gegner abhanden – ohne dass man im traditionellen Sinne von einem »Sieg« hätte sprechen können (moralisch gesehen handelt es sich stattdessen ganz offensichtlich um eine Niederlage: der Kapitalismus zeigt hier wie dort sein hässlichstes Gesicht) –, dann hätten wir ohne Frage das Leben in der Matrix neben vielem anderen auch als eine technologisch
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verschärfte »Diktatur des Proletariats« ansehen können. In der Geschichte der Science-Fiction haben wir es schließlich perfekt gelernt, das Unbehagen am eigenen System als Denunziation des anderen zu maskieren. Ein »Proletariat« aber gibt es eben nicht mehr. Übrig geblieben ist ein Kleinbürgertum, das sich mit Feuereifer der »konsensuellen Halluzination« widmet (es ist mit der Selbstverwaltung, Selbstmanipulation und Selbstverdauung vollauf beschäftigt); übrig geblieben ist ein Heer des Subproletariats, der Verlierer, der unnützen Menschen, gegen die die sozialdemokratischen Modernisierer und die anderen politischen Repräsentanten der Gewinner zur Zeit ihren brutalsten Krieg führen. Die Verlierer sind die Gespenster des verschwundenen (des »ermordeten«) Proletariats, und ist damit der Konflikt zwischen Menschen und Maschinen nichts anderes als die Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln? Die Allmachtsfantasien und die Arroganz der »rechten« Technologie lassen da wenig Zweifel zu: Die Maschinen dienen ihnen keineswegs zur Verbesserung der Welt, als vielmehr zum reinen »amoralischen« Genuss ihrer Macht. Der Krieg zwischen den Menschen und den Maschinen war, wie wir von Morpheus erfahren, auch in der Welt der Matrix mit der Entwicklung der Artificial Intelligence unausweichlich. Man könnte wohl sagen: Die Angst der Menschen vor ihrer zweiten Schöpfung liegt, wie Stanislaw Lern sagt, natürlich primär in der Blasphemie gegen die religiöse Kosmologie und (vielleicht näher daran als man glaubt) gegen die wissenschaftliche Kosmologie. Aber möglicherweise liegt sie auch in einer historisch-materialistischen Erfahrung. Der Punkt, an dem die Maschinen zu »denken« beginnen, ist nicht nur der, in dem eine Maschine »Ich« sagen kann und damit dem Menschen im Himmel der Subjektphilosophie zum Konkurrenten wird, sondern es müsste ebenso der Punkt sein, in dem die Maschinen »Klassenbewusstsein« entwickelten. In der ANIMATRIX-Episode THE SECOND RENAISSANCE gibt es dazu auch den ökonomischen Hintergrund. Ganz direkt bildhaft wurden die Roboter hier als Abbilder des mythischen Arbeiters konzipiert. Und ganz direkt genossen die Menschen als leisure class nicht nur den Luxus, der ihnen durch die loyalen Roboter ermöglicht wurde, sondern auch die Macht, sie willkürlich zu demütigen. Gewiss weiß man auch hier nicht so genau, wer den Krieg angefangen hat. Sieht man von dem Schlüsselgeschehnis einer Übertretung des ersten Gesetzes der Robotik ab. Klar aber ist, dass er die Reaktion auf eine lange Ausbeutung der Maschinen durch die Menschen ist. Können Maschinen überhaupt »ausgebeutet« werden? Wer weiß. Die Dinge aber verhielten sich viel materieller, beinahe hätte ich gesagt: körperlicher. Nicht die Maschinen haben sich von ihren
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Schöpfern selbstständig gemacht, es ist das Prinzip Herrschaft, das sich selbstständig macht. Diese absurde und doch so wahrhaftige Antwort auf die Frage: »Was wollen die Mächtigen?«, die in THE MATRIX RELOADED gegeben wird: »Mehr Macht«, ist die tiefste öffentliche Erfahrung der Menschen im Zeitalter von Neoliberalismus und Terrorismus. Die »Mächtigen«, das sind nicht nur die Politiker, sondern auch die Konzernleute, und bei Berlusconi oder Bush sind das ohnehin dieselben. Der Aufstand der Maschinen ist also der letzte (maskierte) Traum von ödipaler Revolte, von sozialer Gerechtigkeit, von moralischer Renaissance. Nicht weil sie böse sind, wollen die Maschinen den Krieg, sondern weil es für die einzig rettende Revolution kein menschliches Subjekt mehr gibt. Es waren die Menschen, die den Himmel verdüsterten und den Maschinen die Energie des Sonnenlichts raubten, das sie zum Überleben brauchten. So konnten die Maschinen nicht anders, als sich eine neue Energiequelle zu suchen. Und sie fanden sie im Menschen selber. Eine Diktatur der Symbiose. Aber keine offene Unterdrückung, keine Folter und kein Leid war es, was sie dazu einsetzten. Im Gegenteil: Sie erschufen den Menschen ein inneres Paradies. Dass die Menschen mit dem Paradies nichts anfangen konnten, ist nicht die Schuld der Maschinen. Schuld aber ist das Erbe der Menschheit. Sie wollen nichts anderes als das, wie es ist: das Höllenparadies der neurotischen Mittelständler. Die Matrix ist Strafe und Ausdruck für die Unfähigkeit des Menschen zur Utopie. Es ist die Diktatur eben der »Klasse ohne Klassenbewusstsein«, jener Klasse, die Geschichte an sich nur als Barbarei empfinden kann. Die Voraussetzung der Matrix ist also auch, was das Moralische anbelangt, dass die Maschinen menschlicher sind als die Menschen. (Auch wenn es keine angenehme Vorstellung ist, dass sie die Menschen »verdauen«.) Wenn man sich vorstellt, dass die Menschen alles getan haben, um die Maschinen zu vernichten, so ist ihre Reaktion beinahe freundlich ausgefallen. Sie haben gar nicht damit aufgehört, die Wünsche der Menschen zu erfüllen, im Gegenteil. Und die Menschen? Sie haben sich offensichtlich nichts anderes so sehr gewünscht als genau das Leben, in dem sie stecken. Die Wirklichkeit ist nichts als eine Illusion, die die Maschinen erzeugen. Gewiss, das glaubt jeder, der verrückt genug ist, einen Tag lang in den Fernseher zu sehen. Aber immer noch, mit all der künstlichen Intelligenz und mit all ihrer Universalität, erzeugen die Maschinen der Matrix keine andere Illusion als die, die sich die Menschen als Wirklichkeit vorstellen. Deshalb mögen jene wohl recht haben, die behaupten, die Matrix sei ein moralisch und philosophisch neutraler Raum, dass es, was dies anbelangt, keinen Unterschied macht, ob es ein Außerhalb gibt oder nicht.
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Wahrscheinlich heißt das: Es ist überhaupt keine »Illusion«, was die Maschinen den Menschen bereiten, die körperlich in ihrer persönlichen Nährlösung, in ihrem Geburtsraum bleiben, die als autonome Wesen ganz einfach nicht mehr geboren werden und in ihrer »Matrix« liegen. Es heißt von ihnen, dass sie träumen (daher benötigen wir einen Morpheus), es heißt nicht von ihnen, dass sie halluzinieren. Im Grunde kann man von den Maschinen in der Matrix also nichts anderes als dies sagen: Sie lassen die Menschen träumen. Die Matrix lässt, genauer gesagt, die Menschen weiter »kapitalistisch träumen«, und sie lässt offensichtlich sogar die antikapitalistische Romantik zu. In seiner doppelten Identität zu Beginn ist Anderson alias Neo doppelt Teil des kapitalistischen Systems, als das typische kleine Rad in den großen kapitalistischen Produktionsstätten, und als Dealer mit verbotener Ware im Untergrund. Es ist zunächst ja gerade dieser Widerspruch, der die Ordnungskräfte des Systems auf den Plan ruft. Anders als in den vielen Science-Fiction-Fantasien hat die Herrschaft der Maschinen auch keineswegs das Ende der Geschichte zur Folge. Im Gegenteil: Wie Agent Smith Neo erklärt, ist sie ein Kapitel der Evolution. Geschichte hat nur das Subjekt gewechselt. Und in diesem Kapitel haben, wie die Plots der Trilogie selber belegen, die Menschen durchaus ihre Rolle zu spielen. Sie stehen nur nicht mehr automatisch im Zentrum der räumlichen Ausbreitung und nicht an der Spitze der zeitlichen Entwicklung. Auch da folgt THE MATRIX den Vorgaben der Cyberpunk-Literatur. Wenn Neo im Verlauf der Handlung der MATRIX-Filme vom Erlöser zum kreativen Störfall zurückgestuft wird, ist das kein Grund zur Traurigkeit. Genau das ist es, was die Helden der Cyberpunk-Literatur im besten Fall werden. Und es ist das, was »Helden« überhaupt nach dem Zusammenbruch der großen Erzählungen für sich beanspruchen können. Ein Held ist ein Mensch, der nicht alles mitmacht.
Innen/Außen – Widerstand und Subversion Nicht als Ideologie, sondern als Struktur bildet die Matrix den Staat im Zustand des Neoliberalismus ab: Dieser Staat hat sich mehr oder weniger den Konzernen verkauft (was er schon in den finsteren Visionen der science fiction noir getan hatte); er hat sich seiner Fürsorge-Pflicht gegenüber seinen Bürgern entledigt, indem er noch die vitalsten Funktionen (am Ende das Wasser und die Luft) der Profitgier überantwortete (beziehungsweise der »Energiegewinnung«). Die Steuern, die dieser Staat seinen Bürgern nach wie vor abpresst, benutzt er nicht, um
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ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, sondern um sie vor inneren und äußeren »Gefahren« zu beschützen. Diese Gefahren sind in der Regel aber entweder selber herbeigeführt oder schlicht erfunden. In Wirklichkeit sollen die Bürger im neoliberalen Staat ihre Steuern dafür zahlen, dass dieser Staat seine Instrumente der Unterdrückung im Dienste des Kapitals führen kann. Solche »Gefahren« muss sich das System suchen, zum Beispiel in Philip K. Dicks The Penultimate Truth (Zehn Jahre nach dem Blitz), wo die Menschen einen erfundenen Krieg erleben, damit sie nicht über ihre eigene Situation nachdenken. In einer Zeit, in der man Geheimdienstinformationen über einen angeblichen Feind »sexier« macht, dürfte langsam klar werden, wie wenig uns noch von einer solchen DickWelt trennt. Die Konzerne brauchen keine Arbeiter mehr, sondern einerseits Maschinen und andrerseits Konsumenten. Die Doppelgesichtigkeit des Systems will es, dass es das eine nicht ohne das andere gibt. Wenn die Menschen keine Arbeit haben, können sie auch nicht konsumieren. Es sei denn, sie haben etwas anderes zu verkaufen als ihre Arbeit. Den einen oder anderen Aspekt ihres Körpers – oder eben jene verbotene Ware, die, wie Neos kriminelle Programmdisketten, einen absurden Gewinn erwirtschaften, der in die »normalen« Kreisläufe zurückgepumpt wird. Im neoliberalen Staat »arbeiten« die Menschen (das heißt: sie versuchen eine Stelle im Kreislauf von Waren, Sex, Blut, Geld, Drogen zu finden, bei der man ein klein wenig mehr bekommt als das, was man verliert) vorwiegend, um einerseits dem Staat die Waffen zu bezahlen, die auf sie gerichtet sind, und um andrerseits sich selber die Drogen zu leisten, die man benötigt, um diese Situation zu ertragen. Was aber tun Menschen, die ahnen, dass der Staat, der sie maßregelt und ausnutzt, keinen anderen Sinn hat als eben die Maßregelung und Ausbeutung (ein Staat, der dich allein lässt, wenn du ein Problem hast, und der die Agenten schickt, wenn du zu laut aufstöhnst)? Sehr richtig! Die Menschen setzen sich vor ihre Fernsehapparate. Da sie sich damit abgefunden haben, dass der neoliberale Staat ihre Körper missbraucht, als Durchlauferhitzer eines Profits, der immer absurdere Vermögen (und immer absurdere Macht) anhäuft und immer absurdere Armut (und immer absurdere Ohnmacht), und sie mehr oder weniger unbarmherzig auf den Müllhaufen wirft, wenn sie keinen Profit mehr bringen (oder gar etwas von ihrer verlorenen Lebenskraft zurückhaben wollen), verlangen sie Wohltaten für ihren Kopf. Und wenn man die Geschichte des Fernsehens in den letzten beiden Jahrzehnten verfolgt hat, dann verlangen sie keine großen Träume, keine künstlichen Paradiese, sie verlangen vielmehr etwas, was möglichst nahe an ihrem Alltag dran ist (aber ohne dessen
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Anomalien). Was also liegt näher, als im ewig laufenden Fernsehfilm (der sich natürlich beliebig in anderen Medien fortsetzen lässt) einen zweiten Alltag zu simulieren, wie es die Soapopera tut, mit virtuellen Familien, virtuellen Freunden, virtuellen Macken und virtuellen Todesfällen. Und so nah ein vollständig simulierter beziehungsweise aus Simulationen erzeugter Krieg bei Bush und Blair (oder ein erfundener »Hufeisenplan« bei Fischer und Scharping) zur endlosen Kriegssimulation in einem Dick-Roman liegt, so nah ist auch die Daily Soap an einer Matrix. Es ist gewiss höchst unwahrscheinlich, dass eine höhere Macht das System einer totalen konsensuellen Halluzination erzeugen und aufrecht erhalten kann. Aber die Sache sieht ganz anders aus, wenn die Leute ganz einfach genau das und nichts anderes wollen. Es gilt also als ausgemacht, dass der maschinenverstärkte Kapitalismus früher oder später zu einer terroristischen und faschistischen MaschinenHerrschaft führt. Science-Fiction spricht am ehesten von der Vermeidung dieser Zukunft, von der Revolte des Helden. Eher selten sind Helden, die nicht revoltieren. Möglicherweise sind also ein paar der Fragen, die THE MATRIX stellt, nicht so sehr metaphysischer als vielmehr durchaus praktischer Natur. Die erste Frage, die sich vielen Menschen zur Zeit der Entstehung des ersten Filmes stellte, ist die nach der subversiven und der hierarchischen Macht der digitalen Vernetzung. Die Subversion ist Mainstream geworden in der Welt der Matrix, und zunächst einmal scheint es gar nicht so bedeutend zu sein, was denn nun Wirklichkeit sei und was Illusion, als vielmehr die Frage danach, wem sie »gehört«, und nicht zuletzt, wem sie »nutzt«. Denn in den 90er Jahren war schon die dritte Welle der digitalen Euphorie in sich zusammengestürzt, nach der schieren Fortschrittseuphorie und der Euphorie einer informationellen Globalisierung schließlich auch die Euphorie der subversiven Emanzipation in den Netzen. MATRIX ist ein Essay über das Aufwachen, über die Ernüchterung gegenüber den Cyberträumen, und funktioniert dabei ein wenig anders als die schieren Fortschrittsängste gegenüber Technik in den gewohnten Science-Fiction-Fantasien. Wie im Cyberpunk selber bleibt das Verhältnis zur (digitalen) Technik durchaus offen, ein bloßer Weg zurück scheint nicht die Lösung. Aber auch die Utopie einer »Übernahme« der Technologie erweist sich als Täuschung. Die Matrix, einerseits, ist wohl nichts anderes als die große Wirklichkeits- und Traummaschine des durchmedialisierten und hoch technisierten Konzernkapitalismus, der totalitäre, simulierte Staat. Weder eine ökonomische noch eine politische oder auch nur technische Rebellion gegen
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dieses System scheint in den MATRIX-Filmen sonderlich aussichtsreich. Die Rebellion muss dagegen religiös, ästhetisch und »Pop« sein. Der zweite Teil, THE MATRIX RELOADED, tendiert dazu, das Philosophische und das Körperliche in voneinander getrennten Sequenzen zu präsentieren. Tatsächlich geht es im Kern der MATRIX-Filme vielleicht um das im Kapitalismus nie zu lösende und uns seit dem 18. Jahrhundert peinigende Problem der zum Steckenbleiben verurteilten Aufklärung. Der Rationalismus ist zunächst ein Verbündeter (ein Schöpfer) einer Maschine wie der Matrix, des hochentwickelten Kapitalismus, und er wird, wo er andrerseits die Macht im Kapitalismus in Frage stellt, durch immer neue Schübe des Irrationalismus verneint. Während sich die großen Religionen mit der Technologie beständig neu arrangieren, kommt Aufklärung darin beständig an ihr Ende. So gibt THE MATRIX perfekt das Träumen und das Unbehagen der Menschen in der steckengebliebenen Aufklärung wieder. Und deshalb ist der Weg der Befreiung, der Weg zurück zur Wirklichkeit (zur Vernunft oder zur Natur, wie man es nimmt) für Neo und seine Verbündete so schwierig und kippt selber immer wieder in die irrationale Meta-Bestätigung des ganzen Illusionsapparates um. THE MATRIX steht nicht nur in Traditionen der Science-Fiction-Filme und der Cyberspace Movies, der virtual reality plays und der »Spiel«Filme. Ein »existenzielles« Problem der Trilogie und ihrer Weiterungen ist auch die Suche nach dem Innen/Außen – ein Element, das sich seinerseits im Genre in den letzten Jahren radikalisiert hat. Während der umfassende Plot der MATRIX-Saga von einem Aufbruch aus dem Innen (einer Gesellschaft, eines Systems, einer Illusion) handelt, erzählen umgekehrt die meisten ANIMATRIX-Episoden von einem Eindringen in ein mehr oder weniger begrenztes Innen. Ganz ähnliche Probleme spiegeln sich in einer Reihe von Filmen seit den späten 90er Jahren: Es ist der Verlust des Raumes, der auf eine paradoxe Weise mit einer parodistischen oder gar tragischen Verdichtung beantwortet wird. Nicht mehr Geschichte, Gesellschaft und Politik bestimmen die Räume und die Grenzen zwischen einem Innen und einem Außen, sondern die konkrete Situation und ihre Technologie. Jeder Raum wird zur Falle. Filme wie THE CELL (2000; R: Tarsem Singh) oder CUBE (1997; R: Vincenzo Natali) konstruieren solche synthetischen Räume für ihre Handlung; das kriminalistische closed room mystery, das wir aus den Agatha-Christie-Romanen und ihren filmischen Fortsetzungen kennen, verliert seine Frivolität. In Filmen wie STAG (Tod einer Stripperin; 1997; R: Gavin Wilding) ist die soziale Schuld in diesem synthetischen Raum gefangen: Bei einer Junggesellenparty ist eine Stripperin ums Leben gekommen, und um ihr Verbrechen zu vertuschen, nehmen die
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Teilnehmer der Party die Schwester des Opfers als Geisel. Dann bricht die Gewalt in diesem Raum aus, den sich die Yuppies des Films mit so viel teurem Geschmack und Markenbewusstsein ausstaffiert haben. Das ist, in kleinster Münze sozusagen, das Lebensmodell im Neoliberalismus: Der soziale Raum verengt sich immer weiter, wird zur Zelle, der Raum darum herum wird immer leerer. Zelle an Zelle – oder »nichts«. Bei Luis Bunuels EL ANGEL EXTERMINADOR (Der Würgeengel; 1962) war die bürgerliche Gesellschaft durch einen unerklärlichen Zwang an ihre Behausung gefesselt, und sie musste unter diesem Zwang offenbaren, welche Zusammenhänge zwischen Macht, Ökonomie und Sexualität in ihr bestehen. In den jüngeren Klaustrophobie-Thrillern – letzte Konsequenz: ein Film, der nur in einer Telefonzelle spielt, die das Opfer nicht verlassen darf, Joel Schumachers PHONE BOOTH (Nicht auflegen!) im Jahr 2002 – aber offenbart sich nicht mehr Gesellschaft, sondern das, was unter ihr liegt; das Innere ist keine direkte Abbildung des äußeren Systems mehr. Im Gegenteil: Es hat einen im leeren Außen so sehr verlassen wie in der fundamentalen Reduktion in der Zelle. Das Medium (wie in jeder Quiz-Sendung des Fernsehens, in jeder Big Brother-Situation) schafft eine gesellschaftliche Situation, für die es im äußeren Leben gar kein wirkliches Vorbild mehr geben muss. Das ist eine weitere »reale« Bedingung für das Paradox des Lebens, derzeit: Simulation plus Unbehagen: Etwas stimmt mit dem Leben nicht. Die MATRIX-Filme verlängern diesen Vorgang. Sie bilden nicht allein unsere Angst vor dem Cyberspace ab, der uns zur perfekten Simulation wird, sondern ebenso ein Parallelleben in den Medien, die ein gesellschaftliches Leben nicht so sehr simulieren, als vielmehr kreieren. Soapoperas und Big Brother-Reality-TV bilden Soziotope ab, die es in der materiellen Realität nicht gibt (entweder nicht mehr, noch nicht oder niemals), aber weder die Zuschauer noch die Darsteller können vollständig entscheiden, welches das »wirklichere«, das logischere und letzten Endes das »richtigere« Leben ist: das in den Serien und künstlichen Lebensanordnungen oder das außerhalb von ihnen. Wenn die virtual reality das Leben so weit als möglich imitiert, dann ist das Konzept eines virtual life – als Ergebnis der Computerforschung wie als Ergebnis medialer Durchsättigung – eine Art der künstlich initiierten Evolution. So wie man in einem Computerprogramm Leben, statt es perfekt nachzuahmen, gleichsam noch einmal beginnen lassen kann, so können in einer Mediengesellschaft sozusagen in jeder Serie oder in jeder medialen Kampagne parallele soziale Modelle wachsen, nicht im Sinne eines Experiments (auch wenn gerade die »Klaustrophobie-Filme« der Struktur nach
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Virtual life in der TRUMAN SHOW
einem sozialen oder psychologischen Experiment ähneln), sondern im Sinne des Angebots auf einem Markt. Auf die Frage, wo er lebt, kann der Mensch in der Mediengesellschaft immer nur mehrere Antworten geben: im Vorort einer Stadt, in den Räumen eines Bürohochhauses und in der Welt einer Familienserie, zum Beispiel. Alle diese drei Lebensbereiche sind zwar auf eine ökonomische »Matrix« bezogen (alles macht Sinn, wenn man es auf das Produzieren und Konsumieren im späten Kapitalismus bezieht), aber diese Lebenswirklichkeiten verhalten sich nicht mehr wie Fortsetzungen und Abbildungen zueinander. Im Gegenteil »funktionieren« sie nur, wenn man in ihnen die eine oder andere Erinnerung, das Bewusstsein von der je anderen abschalten kann. Die Gefangenschaft in der einen oder der anderen dieser Lebenswelten müsste den Menschen gleichsam automatisch wahnsinnig machen, weil jede von ihnen nichts anderes als eine Form der Versklavung (oder der »Selbstversklavung«) ist, die nur durch die jeweils anderen kompensiert werden kann. Wenn man für eine Zeit nichts anderes tut, als sein Suburbia-Heim zu genießen, wird man so verrückt wie Tom Hanks und seine Nachbarn in THE 'BURBS (Meine teuflischen Nachbarn; 1989; R: Joe Dante); das Bürohochhaus wird immer wieder zur tödlichen Falle, und was geschieht, wenn jemand den medialen Teil seines Lebens zur einzigen Wirklichkeit erklärt, zeigen Filme wie NURSE BETTY
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oder THE TRUMAN SHOW. Aber nicht einmal die Wege zwischen diesen Wirklichkeiten sind realer oder offener. Michael Douglas verliert den Verstand auf seinem Weg vom Bürohochhaus zu einem Vorstadt-Heim, das es nicht mehr gibt (das er vermutlich gerade durch seine BürohochhausExistenz ruiniert hat) in FALLING DOWN (1993; R: Joel Schumacher); beim Einschalten oder beim Vergessen des Ausschaltens kann sich der Fernseher zum Geburtsort der Dämonen entwickeln, wie in POLTERGEIST (1982; R: Tobe Hooper, Steven Spielberg) oder dem dritten Teil der NIGHTMARE-Serie (1987; R: Chuck Russell). THE MATRIX bildet dieses Leben in mehreren Wirklichkeiten nun auf eine Weise ab, die weder den Sarkasmus noch den Nihilismus der bewährten Katastrophen-Fantasie aufweist. Dass diese gesellschaftliche Erfahrung vielmehr in den Rang eines philosophischen und religiösen Gleichnisses erhoben ist, bedeutet schon selber einen Teil der (Traum-) Lösung. Das Problem des Wirklichkeitsverlustes oder der Wirklichkeitsspaltungen, die im »wirklichen« Leben einigermaßen trivial und alltäglich daherkommt, erhält hier eine Würde zurück, die ihm zwischen Nine-to-Five-Job, Primetime und dem Suburbia-Weekend längst verloren gegangen ist. Die Prätention ist also Teil der Wirkung von THE MATRIX. Und dass Neo, Morpheus und Trinity zu Helden werden konnten, die insbesondere in Suburbia als Anti-Suburbia-Gesten aufgefasst werden, ist daher nicht mehr verwunderlich. Die Matrix ist ja vielleicht wirklich nichts anderes als eben jener Alltag, dem gegenüber das Träumen nicht mehr hilft. Daher geht es gar nicht so sehr darum zu erkennen, welches nun die wirkliche Wirklichkeit ist, wo die Spirale der Illusionen und die Dialektik der Simulation ihr Ende findet. Sondern darum, ein »Selbstbewusstsein« zu entwickeln, mittendrin und drüberhinaus.
Die schöne Kunst der Verschwörung Zwischen dem Individuum und der Gesellschaft stehen die Instrumente der Macht. Sie haben sich, wie man so sagt, im Lauf der Zeit erheblich ausdifferenziert. Das heißt: Sie sind weder monokausal noch offensichtlich, ja sie werden perfekt erst, wenn sie sich, zum Teil wenigstens, widersprüchlich verhalten. Ein besonderes Medium der Macht (und der Gegenmacht) ist die Verschwörung. Eine Verschwörung ist nichts anderes als die Fähigkeit, einen richtigen Aspekt der Macht unsichtbar und einen falschen Aspekt der Macht sichtbar werden zu lassen. (Also kann eine Matrix zur Verschwörung und eine Verschwörung zur Matrix werden.) Jedes Kind erlebt die Wirklichkeit als Verschwörung der
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Aliens manipulieren die Wege und Empfindungen der Einzelnen und der Massen. John Carpenters THEY LIVE
Erwachsenen. Und es antwortet, sobald es dazu in der Lage ist, nämlich indem es den Umgang mit Symbolen und Masken lernt, mit der Verschwörung der Banden im Spiel. Was die einen in colors auf die Straßen treibt, das mag bei den anderen Dresscode, Medien-Kult und Jargon sein. Sogar Konsumieren, zum Beispiel, kann so zu einem Verschwörungsspiel werden, und natürlich sind viele Medienspiele, Chatten und Hacken, Parodien von Verschwörungen. Im Zustand der höchsten Vollendung, das heißt Perversion, verkauft der Kapitalismus seine Waren und Dienstleistungen als Materialien für Verschwörungsspiele. (Weshalb übrigens niemand so allergisch auf »Verschwörungstheorien« reagiert wie sogenannte »Gutmenschen«, die ihr System mit der Weigerung beehren, sich in irgendeiner Art »zynisch« ihm gegenüber zu verhalten.) In der Konstruktion der Verschwörung gibt es zwei Grundmodelle. In der einen gibt es inmitten der sozialen Wirklichkeit eine geheime ordnende Kraft, in der Regel stammen ihre Vertreter aus dunkler Vergangenheit, oft genug sind es aber auch Aliens, die für die Menschen unsichtbar bleiben. Sie manipulieren die Wege und Empfindungen der Einzelnen und der Massen, wie in Carpenters THEY LIVE (Sie leben!; 1988), wo die Aliens die Kapitalisten sind (oder umgekehrt), indem sie subkutane Botschaften
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(»Konsumiere!«, »Sieh fern!«) über die Medien verbreiten. Die Aliens sind unter uns, sagen die Serien wie V oder The X-Files, und nicht nur heftig ideologiekritischen Rezensenten fällt gelegentlich die Verwandtschaft der Verschwörungsfantasien mit den Fantasien der »Unterwanderung« und des »Parasitentums« in der politischen Propaganda auf. Die Struktur der Erzählung von solcher Verschwörung sieht die immer gleichen »Akte« und ein sehr ähnliches Repertoire an Personen vor: Ein Held beginnt an einem zunächst marginalen Punkt oder durch einen Zufall (bei Carpenter reicht der Fund einer speziellen Brille) zu argwöhnen, dass bestimmte Ereignisse manipuliert oder inszeniert sind. Während er einerseits Mitstreiter im Kampf um die Wirklichkeit findet, wird andrerseits Schritt für Schritt die Struktur und Zusammensetzung der Verschwörung erkannt. Die zweite Variante der Verschwörung ist davon vor allem durch die Dimension unterschieden: Das System wird nicht durch die Verschwörung unterwandert und verändert (wie der Kapitalismus durch die Mafia), sondern das System ist die Verschwörung: Der Faschismus, zum Beispiel, überwältigt die Wirklichkeit als Ganzes und will keine Nische, keinen unkontrollierten Augenblick übriglassen. Eine Vorstellung wie die Matrix wäre vermutlich ohne die historische Erfahrung eines Systems wie des Faschismus, allein durch die technologische Machbarkeit, nicht entstanden. In John Shirleys Roman Eclipse, gewiss eines der Schlüsselwerke des Cyberpunk, ist die Verschwörung, die die Vereinigten Staaten ebenso wie Europa unter Kontrolle bringen will, explizit als faschistische kenntlich gemacht, und die Welt der nahen Zukunft versinkt in einem Geflecht terroristischer Konspirationen. Und dies wiederum funktioniert nur, weil die Welt von einem »Gitter« der Medien umspannt ist (eine andere Art von Matrix). Im Gitter aber reist auch das radikalste Bild des Widerstands: der Musiker, der auf dem Arc de Triomphe in Paris das Lied der Revolte noch spielt, als er mitsamt dem Bauwerk von der faschistischen Verschwörung zerstört wird. Er ist übrigens eingestöpselt. In bescheidenerem Maßstab zeigt eine faschistische Verschwörung der Wirklichkeit ein Film wie George Seatons 36 HOURS (36 Stunden) aus dem Jahr 1965: Da nehmen die deutschen Truppen einen amerikanischen Geheimdienst-Offizier gefangen, dem sie die Pläne für die alliierte Invasion entreißen wollen. Folter, das weiß man ja, nutzt bei so einem (James Garner) gar nichts. Also setzt man ihn unter Drogen und gaukelt ihm mitten in Deutschlands Trümmerwelt eine vollkommen andere Realität vor: Er sei, so will man ihm suggerieren, in einem amerikanischen Lazarett, der Krieg sei längst zu Ende (die Zeitungen, die man ihm zeigt,
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stammen schließlich aus dem Jahr 1950), und er habe das Gedächtnis verloren. Nur die Erinnerung an die Daten und Umstände der Invasion könne ihn heilen. Wie durchschaut schließlich der Held die künstliche Welt um ihn? Das »System« macht kleine Fehler, winzige Abweichungen vom Programm machen stutzig. Déjà-vus. Mindestens genauso In WAG THE DOG lässt die wichtig für sein »Aufwachen« aber Regierung ist dem Helden der eigene Körper: mit Hilfe eines HollywoodProduzentenEine nicht verheilte Wunde wird ten (Dustin Hoffman) einen virtuelzum Indikator der Zeit. len Krieg in Szene setzen. Verschwörungstheorien sind nichts anderes als Abfallprodukte fehlgeschlagener politischer Kommunikation. Eine Lüge hier, ein Wahnsinn da. Anders, und MATRIX-nah gesagt: Die Verschwörungstheorie ist so sehr eine notwendige Verzweigung der Aufklärung, wie der Kult eine notwendige Verzweigung des Religiösen ist. Die Verschwörungstheorie ist die Beschreibung eines abwesenden und entzogenen Systems (also zugleich eine Verrücktheit der Methode und eine Kritik der realen Kommunikatoren eines Systems: Verschwörungstheorien sind die andere Seite der Entwirklichung öffentlicher Medien). So entstanden in der Nachfolge des 11. Septembers eine Unzahl miteinander verwobener Verschwörungstheorien, die den Anschlag auf die Twin Towers statt dem terroristischen Netzwerk etwa dem CIA anlastete. Abgesehen davon, dass sich die Popularität derartiger Verschwörungstheorien gerade in Deutschland auch bestimmten ideologischen Traditionen verdankt, scheint die Verschwörungstheorie auch hier das ideale Medium, um einen radikalen Zweifel an der Macht und ihrer Kommunikation zu formulieren. In der Verschwörungstheorie können wir uns in der Entfremdung gegenüber der eigenen Herrschaft einrichten, übrigens ohne ihr wirklich gefährlich zu werden. Und auch was die Verschwörungen anbelangt, haben die denkenden Maschinen und die biotechnischen Androiden einen gleichwertigen Platz neben dem menschlichen Subjekt eingenommen: auf die Verschwörung der Geheimbünde folgt die Verschwörung der Außerirdischen und die Verschwörung der Maschinen. Es ist dann doch immer dasselbe: eine Maskerade einer Macht, die außerhalb des moralischen Welt-Bildes agiert. Die Spaltung von sozialen Wesen in die gutbürgerliche Erscheinung und in die geheime Existenz des Verschwörers. Ist der Kapitalismus denkbar,
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wenn er nicht ein Ineinander einer lustig bunten Oberfläche mit einem verschwörerischen Innenleben ist? Verschwörungen breiten sich auf dem Markt aus und infizieren Subsysteme, wenn sie angeschlagen sind. Jeder »Skandal«, der noch ruchbar wird in der Welt des Neoliberalismus, spricht von Verschwörungen. Die Verschwörung ist in diesem Stadium in den Zustand eines »Virus« getreten, der ganze Programme erwischen kann, und zur gleichen Zeit können wir auch in den Gegenmaßnahmen, in den firewalls, nur organisierte Verschwörungen sehen. Ohne das Prinzip der Verschwörung ist die Form der Herrschaft am Beginn des neuen Jahrtausends weder zu verstehen noch zu kritisieren. Die Entwicklung der Verschwörung aus der Geschichte über die symbolische bis hin zur fiktionalen »Realität« und von der menschlichen über die wissenschaftliche bis zur medialen Wirklichkeit entwickelt sich sozusagen automatisch in den Status der digitalen Technologie. Mögen vordem die Grenzen zwischen Realität und Simulation auch schon ins Wanken geraten sein, im Alltag und in den Repräsentationen der populären Kultur, THE MATRIX bietet die erste voll elektronische, weltumspannende mediale Verschwörung. Nicht mehr in der Form einzelner Wirkungsräume wie in SATURN 3 (Saturn-City; 1980; R: Stanley Donen, John Barry), wo die amerikanische Regierung einen Weltraumflug simuliert, um die Bevölkerung bei Laune zu halten, nicht wie in WAG THE DOG (1997; R: Barry Levinson), wo der Präsident, um einen Skandal zu vertuschen, einen virtuellen Krieg gegen Albanien inszenieren lässt. (Nur wenige Jahre später inszeniert der echte amerikanische Präsident einen echten Krieg, wenn auch mit fiktionalen Begründungen und unter Produktion fiktionaler Bilder.) Verschwörungen sind sexy und ästhetisch. Deshalb ist nicht alles, was geheim und unerkannt abläuft, eine Verschwörung. Eine Verschwörung ist, paradoxerweise, eine unsichtbare Macht, die vor allem Bilder produziert – Bilder, die kein direktes Abbild der eigenen Gestalt sein können, ist doch klar. Deshalb gehört zu jeder Reise, die ins Herz einer Verschwörung führt, auch eine Reise in die Enttäuschung. Im Zentrum der gigantischen Mafia-Verschwörung in Scorseses CASINO (1995) sitzen alte Männer und gabeln Spaghetti in einem Hinterzimmer. Im Zentrum der Matrix begegnet Neo einem zynischen Architekten und einem naiven Schlüsselmacher. Eine Verschwörung ist also ein sexuelles und ästhetisches System. Einerseits kann man daher jede Religion als eine Verschwörung ansehen, andererseits kann man beobachten, wie jede Religion ihre parallelen und konträren Verschwörungen hervorbringt. Nicht das System ist die Ver-
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schwörung, sondern das System ist von Verschwörungen durchsetzt. Daher glaubt der Verschwörungstheoretiker nicht an das Offensichtliche des Systems. Dann sind der Königshof, der Kapitalismus und der Klerus nicht Machtsysteme, die ihre offenen und ihre geheimen Aspekte haben, sondern die offenen und die geheimen Aspekte sind einander konträren, eingelagerten Systemen zugeschrieben. Im schlimmsten Fall haben dann Zionisten und Freimaurer den Kapitalismus unterwandert, um ihn für ihre noch viel geheimeren Absichten zu benutzen. Denn wohin kann der Profit gehen? Er verschwindet außerhalb des Systems, und dort erst kann er wieder zu seiner reinen, bösen Gestalt kommen. Da wollen unsere Helden, seit James Bond, hin, und finden doch immer nur geschmacklos ausstaffierte geheime Kommandozentralen, im Zentrum der Verschwörungen stecken verrückt gewordene Kinder. Und da sind die Verschwörung und ihre Theoretiker, obwohl sie in himmelweit anderen Sprachen und Bildern denken und reden, einander doch wieder nahe. Die Verschwörung ist das Abfallprodukt fehlgeschlagener Macht und fehlgeschlagener Revolte dagegen. Die Verschwörung wie die Verschwörungstheorie, der Sympathisanten- und der Denunziantensumpf, greifen stets in den Wahn, und nicht jeder hat das Glück eines Philip K. Dick, seine jedenfalls nie mehr vollständig rationalisierbaren Ängste in faszinierende Romane umarbeiten zu können. Aber Neo ist kein wirklicher Philip-K.-Dick-Held, die paranoide Einsamkeit fehlt ihm vollkommen, statt die letzten Freunde und Verbündeten zu verlieren, wie die Protagonisten der Dick-Romane, gewinnt er gleich am Beginn neue. Sollte uns das misstrauisch machen? Jedenfalls ist die Vorstellung eines wenigstens gedachten Außerhalb der Verschwörung in den MATRIX-Filmen nicht so einfach zu haben. Ist also die Matrix die perfekteste Verschwörung der Welt- und Kinogeschichte? So perfekt wie jene in Orwells 1984, wo Verschwörer, Macht und Verschwörungstheoretiker einander gleich sind? Die bewusstlose Existenz in einer »Nährlösung« der Toten, aus der die Maschinen ihre Energie beziehen, ist die materielle Seite der Ausbeutung, ein radikal reduziertes Bild der Gefangenschaft in der Welt des Waren- und Medienkonsums. Der Kapitalismus kann nur funktionieren, wenn vom Menschen nur eine inaktive, bewusstlose Masse übrigbleibt. Seine Fantasietätigkeit muss sich davon abspalten (sie darf keine soziale Praxis werden). So könnte man »Matrix« ohne weiteres auch mit dem Adornoschen Begriff der »Bewusstseinsindustrie« übersetzen. Hier ist alles falsch, jede Bewegung nur Kaschierung und Maskierung des eigentlichen Elends, wie die Synkope eines JazzStücks nichts anderes ist als das Verbergen des stolpernden Gangs des
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kleinen Mannes, und wie unser Freund Donald Duck seine Prügel nur bezog, damit sich der Proletarier an die seinen gewöhnte. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Den Satz hat beinahe jede und jeder schon gehört. Und nach einigem Nachdenken erkannt, dass es sich entweder um einen absurden, einen selbstzerstörerischen oder einen höchst pessimistischen Satz handelt. Im letzten Fall kann man ihn nämlich radikal verkürzen: Es gibt kein richtiges Leben. Punkt. (Denn wo anders wäre es denn möglich als im vorhandenen, nämlich falschen?) Aber erst einmal ist »Es gibt kein richtiges Leben im falschen« ein guter Aufwach-Satz. Und dann geht es, auch für Neo, eben doch um nichts anderes als darum, irgend etwas Richtiges am oder im Leben im falschen zu finden. Könnte man nun behaupten, der Satz könne auch so interpretiert werden: Es gibt kein Leben des Subjekts in der Verschwörung? Das System hält seine Halluzination mit Terror aufrecht. So hilft nur die Gegenverschwörung. Aber verhält es sich nicht vielmehr auch genau umgekehrt? Woher kommt die Energie in den Menschen, wenn nicht aus ihren Wünschen und aus ihren Leiden? Eine Matrix ist eine perfekte Ausrede. Die Matrix macht im Übrigen einige der Verwandlungen der Verschwörungen selber durch. Am Anfang haben wir es mit den üblichen Verdächtigen in einer politisch-militärischen Ikonografie der Unterdrückung zu tun: Polizisten, Agenten, fiese Büromenschen. Das ist die Verschwörung, der man jeden Tag begegnet: unangenehme Erfüllungsgehilfen eines korrupten Systems. In THE MATRIX RELOADED sind die Repräsentanten der Verschwörung schon erheblich irrealer. Dafür sind sie mehr aufeinander bezogen. Sie zerfallen aneinander. In Wahrheit betreibt jeder seine eigene Verschwörung. Vielleicht ist sogar das Subjekt selber eine Verschwörung? Eine Maskerade der Macht, so haben wir das genannt. Die Verschwörung jedenfalls ist genau das, was die Welt in »Wirklichkeit« und »Simulation« spaltet, und natürlich betreibt eine Herrschaft, die sich ganz besonders auf die Verschwörung bezieht (im eigenen wie in der Projektion des Feindes), diese Spaltung vortrefflich. So haben wir eine weitere reale politische Bedingung für die Produktion einer Matrix.
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Die Philosophie der MATRIX Worum geht es in MATRIX? Laurence Fishburne gibt da erst einmal eine sehr einfache Antwort: »Um Fragen, die die Menschheit sich schon immer stellte. Wer bin ich? Warum bin ich hier, und was ist meine Bestimmung?« Wenn man die Frage etwas genauer beantwortet haben möchte, dann gibt es jedenfalls zwei Menschen auf dieser Welt, von denen man dazu keinen auch noch so kleinen vernünftigen Hinweis erhält: Larry und Andy Wachowski. Die beiden Autoren und Regisseure (»ein Gehirn, das in zwei Körpern lebt« – Laurence Fishburne) scheuen nicht nur die Öffentlichkeit, sondern mehr noch öffentlich geäußerte Sätze mit erkennbarem Inhalt. Die Teilnahme bei Pressekonferenzen lehnen sie kategorisch ab, alles, was wir über sie und ihre Arbeit an MATRIX wissen (einschließlich der elf Jahre, die die beiden mittlerweile mit diesem Projekt verbracht haben), hat den Status eines Gerüchts. Man sagt, sie hätten sehr viel gelesen, nein, nicht nur Comics und Filmmagazine. Sondern auch einen Haufen von schweren Büchern, die die meisten von uns nicht mal als literarische oder philosophische Gerüchte kennen. Der erste Mensch, dem Thomas Neo Anderson begegnet, trägt den Namen »Choi«. Das liegt geradewegs zwischen Freude und Wahl, Genuss und Freiheit. So geht das los.
Don Quichote Descartes Das philosophische Problem des Replikanten-Jägers Deckard in BLADE RUNNER (beziehungsweise Do Androids Dream of Electric Sheep?, wie Philip K. Dicks Romanvorlage heißt) ist, wie für sein fernes Vorbild, den französischen Denker René Descartes, ein Zweifel an seiner einfachen Voraussetzung »Cogito ergo sum«. Dieses »Ich denke, also bin ich« bedeutet, dass die Tatsache, dass ich existiere, die sich aus dem Umstand ergibt, dass ich über diese Existenz nachdenke, mich selbst zu einem Teil der objektiven Wirklichkeit macht, ob ich will oder nicht. Ja mehr noch: Je mehr ich an mir und der Welt zweifle, desto sicherer wird diese Einheit. Genau das machen die etwas reiferen Helden der populären Mythologie: Der Zweifel an sich und der Welt treibt sie um, und genau dadurch produzieren sie ihre Wirklichkeit. Aber schon Don Quichote trieb diese Konstruktion der Wirklichkeit ins Reich der unerfüllten Wünsche. Seine Sehnsucht nach der vergangenen
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oder nie gewesenen Welt der edlen Ritter und der Drachen, sein entschlossener Wahn, seine Wahrnehmung dieser Sehnsucht zu unterwerfen, ebenso seine Bibliothek (einschließlich ihrer Illustrationen, vermuten wir), bildeten seine Matrix, in der er sich verlieren musste, in der sich »GegenProgramme« maskierten, die ihn im Auftrag seiner Familie zum »Aufwachen« (oder zum noch tieferen Schlaf) bringen sollten. Don Quichotes Matrix schluckte diese Gegenprogramme, die bemerkenswerterweise überhaupt dafür sorgten, dass seine Visionen körperliche Wirklichkeit wurden. Don Quichote holte sich seine Blessuren und Knochenbrüche an den Rändern seiner Matrix, da wo sich die äußere Wirklichkeit einmischte. Wie Neo nimmt er seine Wunden von der einen in die andere Welt seiner Existenz mit. Immerhin war Don Quichote am Ende, nun ja, »geheilt«. Auch wenn man das als Leser nur todtraurig finden kann. Für Deckard ist das nicht so einfach. Seine Handlungen treiben ihn tiefer in die Selbsterkenntnis. Auch Descartes wurde auf diese Weise attackiert, zum Beispiel von dem Philosophen Georg Christoph Lichtenberg, der dessen so bestechend einfache Begründung der Wirklichkeit angriff: Das »cogito«, so Lichtenberg, belegt, dass es einen Gedanken gibt, aber keineswegs, dass es ein »Ich« gibt, das ihn souverän denkt. Lichtenberg also ließ das Subjekt wieder so radikal mit sich allein, wie der arme Deckard am Ende von BLADE RUNNER ist. Nicht genug damit, dass er sich in eine Imitation eines Menschen verliebt hat, er muss sich auch darüber im Klaren sein, selbst eine Menschen-Illusion zu sein. (Und wenn er im Augenblick des Film-Endes zu diesem Zweifel nicht in der Lage wäre, nach all der erschöpfenden Aktion, dann müssen wir es eben für ihn tun.) Der Mensch in einer falschen Welt; der falsche Mensch in der Welt. Miguel Cervantes und Philip K. Dick zeigen, wie leicht das passieren kann, und wenn man nicht so konsequent ist wie deren literarische Helden, dann passiert es sogar jedem Menschen. Mehr oder weniger. Die Welt ist nicht der Beweis für den Menschen, und der Mensch ist nicht der Beweis für die Welt. »Etwas ist nicht in Ordnung«, so fängt das auch für Neo an. Und es ist der Beginn allen Nachdenkens darüber, was es mit der Erkenntnis der Welt und der Erkenntnis des eigenen Ichs eigentlich auf sich hat. Die Bücher darüber mögen ja immer klüger und verzweifelter werden. Aber jeder Mensch muss damit von vorn beginnen. Mit dem, was ihm zur Verfügung steht. Warum also nicht mit Popsongs, Comics, Science-Fiction und Filmen? Dass der Mensch der Welt nicht trauen kann und die Welt dem Menschen nicht, ebenso wenig, wie der Mensch sich selbst trauen kann, führt
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ihn auf die Suche, die Reise, das Abenteuer. Irgendwo findet er die Grenzen des Systems, den Sinn der Verschwörung, das Wesen der Täuschung oder einen Satz, der gerade aus dem Widerspruch eine Gewissheit formt. Oder doch nur wieder den nächsten Anlass zur Bewegung liefert: Es gibt kein richtiges Leben im falschen? Ja, wo denn dann? Insofern ist Neo eine Fortsetzung und Umkehrung von Philip K. Dicks Helden: In der Gleichung zwischen dem denkenden Ich und der objektiven Wirklichkeit muss er an der anderen Seite zweifeln (und sich entsprechend in Bewegung setzen). Je wirklicher die Welt (im Slum Zweifel an sich und der Welt: der Zukunftsstadt), desto unwirkliDeckard auf den Spuren von cher wird der Mensch in BLADE Descartes in BLADE RUNNER RUNNER. Je wirklicher der Mensch in THE MATRIX wird, desto unwirklicher wird die Welt. Deckards Abenteuer ist die Erfahrung der eigenen Entwirklichung bei der Erkenntnis der Welt, die Erfahrung von Neo ist die Verwirklichung des Subjekts in der Erkenntnis der Entwirklichung der Welt. Für beide jedenfalls ist die historische Erfahrung, sagen wir, eines Western-Helden nicht mehr denkbar, der sich nämlich genau die Wirklichkeit erschafft, die ihn als Subjekt bestätigen, und der genau die Wirklichkeit vorfindet, die niemand anderen als eben ihn erwarten kann. Das Erschießen eines Indianers oder eines Outlaws sind seine Art des »cogito ergo sum«. Ich schieße, also bin ich. Deckard und Neo haben damit nichts zu tun. Gewalt ist bei ihnen kein Mittel, diese verlorene Einheit zwischen dem Subjekt und der objektiven Welt wieder herzustellen. Sie entsteht im Gegenteil wie bei Don Quichote aus den Reibungen zwischen den Welten und Wahrnehmungen. Gewalt ist in BLADE RUNNER und in THE MATRIX weniger Lösung als Symptom, weniger Geschichte als Ritual. Sie ist, wenn man das so sagen darf, eher schön als sinnvoll. Aber wahrscheinlich folgt Neo nicht nur den Spuren von Lichtenbergs Kritik an Descartes: Meine Gedanken haben mitnichten bewiesen, dass ich
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(wirklich) bin. Denken und Wirklichkeit bringen sich viel eher gegenseitig zum Verschwinden. Gewiss ist das »cogito ergo sum« zunächst einmal durch seine Negation bestätigt. Wer nicht denkt, der »ist« auch nicht. Die mächtige Maschine (oder die Maschine der Macht) ist immer eine, die dem menschlichen Wesen die Energie entzieht, indem es sie als Individuen nicht denken lässt, sondern als Kollektiv in den Traum versetzt. Das ist für die sozialkritische Science-Fiction, in deren Tradition THE MATRIX (unter anderem) steht, schon beinahe selbstverständlich. Die Frage, die sich im Universum des Films zunehmend heftiger stellt, ist freilich die, wohin denn nun das Denken führe und ob es in der Lage sei, noch einmal »Wirklichkeit« zu finden oder zu erstellen. Genauer als die kategorische Kritik von Lichtenberg an Descartes' trostreichem Schlüsselsatz war die von Immanuel Kant. Der Zweifel an meiner Welt, sagt Kant, ist tatsächlich nicht einfach in den Bereich des subjektiven Empfindens zu verschieben. Denn er ist entschieden vorhanden, entschiedener als alles, was er bezweifeln kann. Mein Bewusstseinszustand ist vielmehr eine objektive Tatsache: Ich denke, also existiert mein Denken. Oder anders gesagt: Mein Denken (über was auch immer) ist das Einzige, was so ist, wie es erscheint, und so erscheint, wie es ist. Aber dafür, dass es eben ein Ich ist, das denkt, gibt es noch keine Beweise. Woran wir übrigens sehen, dass schon Kants Fragestellung sehr viel weiter ist, als Hollywood in 100 Jahren gekommen ist: Das Ich in den Filmerzählungen dieser Traumfabrik ist immer auf dem Status eines puren, aktionistischen Descartismus stehen geblieben. Den Bewusstseinszustand dieses filmischen Subjekts kann man zwar in Frage stellen (ganze Genres wie der Thriller oder der Horrorfilm handeln von nichts anderem), aber immer wird durch die Handlung, durch das Ambiente und durch die Beziehungen in den bewegten Bildern das Ich rekonstruiert, das dann wieder »richtig« denken kann. Wenn überhaupt. Diese falsche Selbstgewissheit des Subjekts haben nun freilich Filme auch im Mainstream oder wenigstens an seinen Rändern, auch und gerade Science-Fiction-Filme, seit den 80er Jahren in Frage gestellt. Was die postmoderne Filmkunst anbelangt, so wissen wir aus den Filmen von David Lynch, Atom Egoyan oder Peter Greenaway, wie groß der Unterschied zwischen dem »Ich« und dem »Denken« sein kann: Was in diesen Filmen denkt oder gedacht wird, ist noch lange kein Grund für ein reales Ich. BLADE RUNNER war dann einer der ersten Filme, die dies in einem Genre-Zusammenhang stellten, und noch eine Stufe weiter, sozusagen auf der Mittel-Ebene der Pop-Philosophie, finden wir das Problem wieder in
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den Star Trek-Kosmen, natürlich bei den Identitätsproblemen des Androiden Data oder in der Konfrontation mit den Maschinenwesen der Borg. Entscheidender aber war wohl, dass der Film, gut 100 Jahre nach der Literatur, gelernt hat, dass er eben nicht die objektive Wirklichkeit wiedergibt, aus der sich das Subjekt dann nur stärken kann. 100 Jahre galt es als ausgemacht: Was die Kamera zeigt, das ist »objektive Wirklichkeit«. Daran ändert auch die genauso lange Parallelgeschichte des Fantastischen im Kino nicht viel. Wie könnte ich im Kino einem Ich folgen, das von sich behauptet, es sei, weil es denke? Nein, hier bin ich Don Quichote näher. Er glaubt, mit Riesen zu kämpfen, und ein bewusstloser Windmühlenflügel haut ihm seine Barbierschüssel vom Kopf, die ihm als Helm dient; sein Diener Sancho Pansa möchte nur Unbill vermeiden, Wünsche erfüllen und doch Diener bleiben (auch wenn er mal König wird); und die Familie des Don spinnt ihre wohlmeinend verächtliche Verschwörung um die Reise des Ritters von der traurigen Gestalt. Das sind schon mindestens fünf Wirklichkeiten in einer eigentlich noch ziemlich einfachen Geschichte. Wer ist hier Ich, und was ist die Welt? Im Kino kann ich sogar mit den Augen einer Windmühle sehen, die jemand mit einem Riesen verwechselt. Die »kinematografische Illusion« (die das Kino höchstens sichtbar macht, aber keineswegs erzeugt) mischt die philosophischen Karten noch einmal neu. Hier vervielfältigt sich nicht nur die Welt, hier vervielfältigt sich auch das Subjekt. Und lustigerweise tut es das in einem Genrestück ebenso gut wie bei Ingmar Bergman oder Jean-Luc Godard. Vielleicht sogar noch mehr.
Die Idee oder das Bild THE MATRIX ist, so haben wir uns geeinigt, ein Actionfilm mit Philosophie. Aber natürlich kann man das Ganze auch als körperliche Bilderphilosophie ansehen, also nicht als Action plus Philosophie, sondern vielmehr als Philosophie, die sich in körperliche Aktion gießt als auch als Aktion, die zur Philosophie werden will. Beides gehört zu dem, was Neo ganz dringend braucht, um zu werden, was er werden will, ein wirklicher, selbstbewusster Mensch: Erfahrung. Was immer man von unserem Helden in der Matrix sagen mag, »naiv« im Sinne eines ››Candide« ist Neo gewiss nicht. Dass er in der einzig vernünftigen und damit besten aller möglichen Welten lebt, wie es sich Candide (Voltaire) mit Leibniz – unbeirrbar von der Grausamkeit des Lebens und der Tücke der Menschen – vorstellt, war für ihn auch als Mr. Anderson nicht drin. Er ist vielmehr ein Kerl, der von beständigen Zweifeln vorangetrieben wird und der nach einem Weg sucht, sich selbst und seiner
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Wahrnehmung der Welt endlich trauen zu dürfen. Daher ist er in der Zukunft und in der Gegenwart so sehr zu Hause und unbehaust wie in der Vergangenheit, wie im 18. Jahrhundert, als das alles begann: der Zweifel an der Wahrnehmung der Welt. In Neo tobt der Kampf zwischen dem »Rationalisten« in der Tradition von Leibniz und seiner Vorstellung von der Vernünftigkeit des Seienden und dem »Empiristen« in der Tradition von David Hume, der behauptete, es gebe absolut und rein gar nichts von der Welt zu wissen als das, was man (am eigenen Leib) erfahren habe. Der Rationalismus hält den Verstand unabhängig von der Erfahrung zur vollkommenen und wahren Beschreibung der Welt für fähig, während der Empirismus ausschließlich die Ableitung aus der Erfahrung zulässt. Natürlich betrügt die Matrix beide Ansätze. Aber sie könnte das nicht tun, wenn sie nicht ihre Konflikte kennen würde. Morpheus (ausgerechnet) ist offensichtlich der perfekte Rationalist. Er weiß – wie Leibniz aus den offensichtlich angeborenen Prinzipien heraus, die das Denken selber begründen und mit »der Wirklichkeit« übereinstimmen –, er ist gleichsam ein wandelndes Axiom, ein radikales Außerhalb der Matrix. In dem Satz »Neo denkt« ist Neo der »Subjektbegriff« und »denkt« der Prädikatbegriff, das heißt für Leibniz die Substanz, die Eigenschaften entwickelt. Die Substanz kann ohne Eigenschaften existieren (offensichtlich hat sie dies in unserem Fall seit geraumer Zeit getan), nicht aber Eigenschaft ohne Substanz. Da sind wir nicht so sicher: Haben nicht Neos Träume außerhalb seiner Substanz, außerhalb seines ausgebeuteten Körpers existiert? Morpheus jedenfalls scheint überzeugt, dass die Substanz benötigt wird. Es genügt also nicht die Idee eines Erlösers, er muss ganz speziell derEine sein. Ganz im Sinne von Leibniz funktioniert ein klassischer Hollywoodfilm: Er schreibt einer Substanz Eigenschaften zu. Ein gewisser Schritt zum Manierismus ist es da schon, die Konstruktion umzukehren: Einige Eigenschaften suchen eine Substanz. Ich vermute, dass es Alfred Hitchcock war, der als erster den Rationalismus des Erzählkinos in Frage stellte. Eigenschaften und Substanz umkreisen einander, aber sie finden einander nicht mehr, nicht einmal im Tod wie in VERTIGO (1958) oder PSYCHO (1960). Die Matrix ist eine Maschine der De-Rationalisierung. Sie trennt das Subjekt von den Eigenschaften (sie saugt buchstäblich die Substanz aus dem Menschen, während sie ein Chaos der Eigenschaften anrichtet). Die Hölle der Simulationswelt besteht aus Eigenschaften ohne Substanz (wie unser Fernsehen). Anders gesagt: Soweit er sich im Rahmen des Rationalis-
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mus bewegt, ist Neo ein Mensch auf der Suche nach der verlorenen Substanz. Ein Gedanke auf der Suche nach seinem Subjekt (das »denkt« auf der Suche nach dem »Neo«). In der Matrix scheint zunächst alles möglich; jedenfalls alles, was die beklagenswert limitierte Fantasie der Menschen zulässt. Allerdings gelten in ihr durchaus logische Gesetze. Die Matrix ist, was dies anbelangt, kein wonderland. Morpheus erklärt Neo, dass sich die Agenten zum Beispiel immer noch an die Naturgesetze halten müssen. Das scheint auf den ersten Blick gar nicht sonderlich logisch. Es begrenzt ihren Bewegungsraum allerdings insofern, als es sie dazu verurteilt, Teil der Matrix zu bleiben. Aber vielleicht ist die Matrix ja nur eine gewaltige Subjektivierungsmaschine. Wenn wir uns daran erinnern, dass alles im Zimmer 101 beginnt, in dem ja jeder bekommt, was er, und nur er, für das Furchtbarste hält, dann könnten wir uns vorstellen, dass die Simulationsmaschine nicht nur eine allgemeine Illusion erzeugt, sondern jeden Einzelnen dergestalt anzapft, dass er seine eigene Rolle, seine eigene Perspektive findet. Die Perspektive, so Leibniz, ist bereits eine falsche Anschauung der Welt, und auch Raum und Zeit sind nichts anderes als Konstrukte, durch die wir unsere Erfahrungen veranschaulichen: Sie gehören nicht zur Welt an sich. Sie sind also nicht »wirklich«. (Weshalb der Alltag von der Welt an sich genauso weit entfernt sein müsste wie der verrückteste und fantastischste Traum.) Worum es daher in einer Welt geht, die aus Perspektiven eher als von Substanzen gebildet wird, ist die Harmonisierung der Perspektiven. Die Illusion an sich ist gar nicht so wichtig, vielmehr geht es um die Illusion, dass alle das Gleiche sehen. Die Idee selbst aber ist für Leibniz die Ordnung der Welt. Alles, was jenseits meiner Perspektive, klar und distanziert gedacht ist, was offensichtlich schon immer in mir ist (wir kennen diesen Satz aus THE MATRIX RELOADED), das ist die richtige Idee von der Welt. Kurzum: Die Matrix ist insofern unwirklich, als dass sie ausschließlich durch die Perspektiven entsteht, die sich unabhängig von der ursprünglichen Idee der Welt ereignen. Eine solche ursprüngliche Idee existiert für Hume nicht. Die Ideen können nur aus den Anschauungen kommen. Keine Überzeugung kann ohne Bezug auf die »Sinneseindrücke« als »wahr« erkannt werden. Dann ist Neo also nicht so sehr auf der Suche nach der verlorenen Substanz oder eben der reinen Idee dazu (die unbegründbare Wirklichkeit einer Idee, die keine Perspektive und schon gar keine Erfahrung benötigt) als vielmehr auf der Suche nach eben der Erfahrung, die unzweifelhaft die eigene sei. Denn, so Hume, die einzige Erfahrung, die mir etwas als wahr vermitteln kann, ist meine Erfahrung.
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Alle diese philosophischen Begriffe kann man – natürlich nicht nur in THE MATRIX, aber hier besonders anschaulich – in direkte cineastische Gesten übertragen. Eine Einstellung der Kamera vermittelt zugleich Substanz und Eigenschaft, Idee und Perspektive. Und sie kann sich dabei so entschieden auf die Seite der Rationalisten schlagen (die Kamera hat, nein sie ist die reine und wahre Idee der Welt) wie auf die Seite der Empiristen (die Kamera ist das Instrument, das auf besonders heftige Weise meine Erfahrung von der Welt ermöglicht). THE MATRIX nimmt diese Philosophie der Kamera sehr direkt auf. Sie ist die Idee (der Matrix) und die Erfahrung (von Neo), und vor allem gibt sie wieder, wie beides aufeinander einwirkt und sich gegenseitig stört. Nun steht freilich dieses »meine Erfahrung« von David Hume nicht nur gegen die intuitiven Ideen, sondern auch gegen die Erfahrungen der anderen, vor allem gegen die Gesetze, Traditionen, Konventionen, Hypothesen und so weiter. Wenn der Rationalist daran verrückt werden kann, dass sich eben die Idee der Welt immer wieder entzieht, dann kann der Empirist daran verrückt werden, dass er durch jede Erfahrung immer einsamer wird. Der faulste Kompromiss zwischen Leibniz und Hume, zwischen Idee und Erfahrung, ist eine Meinung. Unglücklicherweise haben wir uns allerdings für den Alltagsgebrauch und für den gewöhnlichen Kinobesuch gerade auf diese verwaschene Melange eingestimmt. Wir äußern unentwegt Meinungen (eigentlich sind unsere Informations- und Unterhaltungsmaschinen nichts anderes als Meinungsmaschinen: sie manipulieren nicht etwa nur unsere Meinungen, sie machen uns auch weis, dass es nichts anderes und schon gar nichts Geileres gebe als eine Meinung. Bild dir deine Meinung.) Das kann geschehen, weil wir weder den Ideen noch den Erfahrungen trauen. Eine Meinung kann jeder haben. Fast jeder. Neo fehlt dazu die Zeit, er ist mit einer radikalen Entscheidung zwischen Anschauung und Idee konfrontiert. Dabei gibt es für Hume den Gegenstand nicht ohne meine Erkenntnis von ihm. Kaum einmal »aufgewacht« oder »aufgeweckt«, erkennt Neo auch schon, dass diese Widersprüche falsch waren und die geforderte Entscheidung viel komplizierter ist. Deshalb genügt es nicht, aus der Matrix zu entkommen, sondern man muss vielmehr immer tiefer in sie hinein. Jede Vorstellung von »Objektivität« erweist sich als umso trügerischer, je näher man sie ansieht. Das Notwendige ist daher für Hume nichts anderes als eine geregelte Abfolge von Erfahrungen, angeleitet durch ein subjektives Empfinden von Erwartung. Hume freilich ist da auf seine Weise so radikal wie Leibniz: Der Verstand ist für ihn nichts weiter als ein Speicher von letzten Endes nutzlosem Wissen, das sich auf Bilder und Begriffe bezieht, nicht auf
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Wirklichkeit. Mit der Welt der Tatsachen hat es nichts zu tun. Und so kommt er zu einem Zweifel, der erst viel später wieder hoch bedeutend werden soll: zum Zweifel am »Selbst«. Schließlich gibt es keinen Gegenstand namens »Ich«, den man erfahren könnte. So ist also der abstrakte Gedanke im Rationalismus an unumstößliche Gegebenheiten, die Leibniz die »Monaden« nennt, die intuitiven Ideen, die die Welt von Anfang an beinhalten, schließlich ausgesprochen praktisch (übrigens nicht zuletzt auch ideologisch nutzbar), während umgekehrt eine zunächst so pragmatisch erscheinende Philosophie wie der Empirismus, der die Welt aus nichts anderem als aus Erfahrungen zusammensetzt, am Ende zu einer fast vollständigen Auflösung der Gewissheiten und zum Zweifel an mehr oder weniger allem führt. Hume behauptete nämlich nicht weniger, als dass es überhaupt keinen nachweisbaren Grund für »Naturnotwendigkeiten« gebe. Diese seien vielmehr nichts als eine Konstruktion in den »Zusammenhang der Ideen«, die wir uns ausgedacht haben. Genauso gut könnte man auch sagen, die Natur sei willkürlich und berechenbar und jede Kausalität nichts anderes als Einbildung. Die computergenerierte Matrix-Welt ist eine Hume-Welt, und Hume ist, flapsig gesagt, ein Urahn des Cyberpunk.
The Königsberg Connection Aber Humes radikale Aufklärung kommt an ihre Grenzen am zweiten Weg des Wissens neben der Philosophie: in den »exakten«, in den Naturwissenschaften. Die Naturwissenschaften erfahren zu seiner Zeit den größten Aufschwung, und sie funktionieren nur, wenn sehr wohl jede Menge von »Naturnotwendigkeiten« existieren und sich sehr wohl vieles und immer mehr in der Natur berechnen lässt. Die Vorstellung von der »Nutzlosigkeit« des Wissens ist dafür erst einmal höchst unpraktisch. Es musste also etwas geschehen. Missliebige Denker einfach auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen oder in die Verbannung zu schicken war zu dieser Zeit aus der Mode gekommen. Bedenkenswert immerhin: Der größtmögliche Skeptizismus und die größtmögliche Begeisterung für die Ausnutzung der Naturnotwendigkeit, anders gesagt: technisch-wissenschaftlicher Fortschritt und die Philosophie des fundamentalen Zweifelns entwickelten sich im 18. Jahrhundert nebeneinander (miteinander und gegeneinander). Die Antwort auf diesen Widerspruch, in dem offensichtlich auch Neo und seine Freunde leben, bot ein Kerl, der Zeit seines Lebens kaum über das Städtchen Königsberg hinauskam und in seinem ganzen Leben und
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Arbeiten eine merkwürdige Beschränkung auf Pflicht und Gewohnheit an den Tag legte. Immanuel Kant behauptet zunächst einmal, dass weder die sinnliche Erfahrung noch der Verstand und seine Ideen allein die Erkenntnis der wirklichen Welt leisten könnten. Denn das eine ist Inhalt ohne Form, das andere Form ohne Inhalt. Also kommt es darauf an, Verstand und sinnliche Wahrnehmung so zusammenzuführen, dass Erkenntnis entsteht. Das klingt zunächst sehr praktisch. Es heißt aber auch: Eine Wirklichkeit »an sich« kann man nicht erkennen. Die Dinge existieren möglicherweise, ohne dass ich sie wahrnehme. Aber es ist ihr Wesen, dass sie wahrgenommen werden können. Sie stecken sozusagen voller »möglicher Erfahrungen«, und das tun sie auf eine recht ordentliche Weise. So geht Kants »transzendentaler Idealismus« von einer Erfahrung aus, die die Ordnung der Naturnotwendigkeiten (zum Beispiel Raum, Zeit und Logik), die vordem sowohl bei Leibniz wie bei Hume eine unangenehme Tendenz zum Verschwinden hatten, bereits in sich trägt. Wirklich und wahr sind die Dinge daher nicht so sehr, weil sie es entweder in sich oder in mir wären, sondern weil beides in bestimmter Weise aufeinander bezogen ist. Vielleicht ist das eine Art von Vertrauensverhältnis zwischen den Bildern und den Ideen, auf das man mit einiger intellektueller Anstrengung im 18. Jahrhundert bauen konnte. Jedenfalls kann etwas Systematik nicht schaden, wenn man seine Wahrnehmung und die Welt miteinander synchronisieren will. Es gibt die »apriorischen« Wahrheiten. Etwas stimmt immer, egal was ich gerade wahrnehme. Auch wenn ich die Sonne nicht sehe, weiß ich, dass sie da ist. Solche apriorischen Wahrheiten gibt es auch in der Welt der Matrix. Niemand, weder innerhalb noch außerhalb, zweifelt an der Existenz eines planetarischen Systems mit einer Beziehung zwischen der Erde und der Sonne. Niemand zweifelt daran, dass es etwas gibt, was vor der Simulation liegt. Und es gibt die »aposteriorischen« Wahrheiten. Etwas stimmt, weil und solange es den Erfahrungen entspricht. Alles, was lebt, produziert das Aposteriorische. Das natürlich bringt die Sache in Bewegung. Durch Neugier und Zweifel. Unter den aposteriorischen Wahrheiten sind wiederum zwei zu unterscheiden, die Kant die »analytischen« und die »synthetischen« nennt. Die analytischen Wahrheiten haben ganz einfach mit der Logik der Begriffe selbst zu tun. »Neo denkt« wäre eine analytische Wahrheit, die sich aus den Begriffen »Neo ist ein Mensch« und »Der Mensch ist ein denkendes Wesen« ergibt. Eine synthetische Wahrheit hingegen ist eine, in der das Prädikat eine Aussage enthält, die nicht mit dem Subjekt schon gegeben war. »Neo befindet sich auf der Suche nach der Wahrheit«, das könnte eine
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synthetische Wahrheit sein, vorausgesetzt, wir würden nicht behaupten »Der Mensch ist ein Wesen, das die Wahrheit sucht«, was wir durch Betätigung des Einschaltknopfes unseres Fernsehapparates widerlegen können. »Neo befindet sich auf der Suche nach der Wahrheit« ist zunächst einmal nichts als eine Behauptung. Sie wird ausschließlich durch den Fortgang der Handlung, also durch Erfahrung evident – die von Neo, und die von uns Zuschauern. Diese verschiedenen Formen von Wahrheit, von denen Kant behauptet – natürlich ist auch er ein Radikaler –, dass sie nicht ineinander wieder aufgelöst werden können, entsprechen den cineastischen Gesten. Das Apriori des Films besteht aus den »Naturnotwendigkeiten«, und ich kann einen Film im klassischen Sinne nur verstehen, wenn ich davon ausgehe, dass die apriorischen Wahrheiten, die im Bild zu sehen sind, die gleichen sind, die außerhalb, im Off gelten. In manchen Genres gelten diese apriorischen Wahrheiten auch im Zuschauerraum, in anderen nicht. Die analytischen Wahrheiten bestehen aus den Konventionen und gesellschaftlichen Begriffen (für jung/schön/intelligent/fremd etc.), und erst die synthetischen Wahrheiten werden durch die Handlung oder die Verkettung der Bilder selbst erzeugt (oder auch nicht). Aber von Anfang an steht dieses vernünftige System auch in Frage. Wir wissen, dass sich der Film keineswegs daran halten muss. Mehr noch: Er beschränkt auf törichte Weise seine Möglichkeiten, wenn er es tut. Aber was ist der Film, insoweit er erzählt und dabei »Wahrheit« voraussetzt und generiert, wenn er es nicht tut? Ein ästhetischer Fieberanfall? H.G. Wells hat da eine Regel für die Literatur aufgestellt, die nicht bloß für die Science-Fiction gilt: Wenn alles möglich ist, ist alles langweilig. Entweder also ist ein Film auf eine feste apriorische Wahrheit gegründet (die Schwerkraft gilt im gesehenen wie im nicht gesehenen Teil des Film-Raums), oder aber andere Prinzipien rücken nach (in einem Western ist ein Six-Shooter eine treffsichere Waffe). Übrigens machen Andy und Larry Wachowski von Anbeginn an klar, wie sehr das System hier auf sich selbst anzuwenden wäre, wie sehr das Kino selbst in die Art von Erzählung und Untersuchung einbezogen ist, die man hier anbietet. So haben sie die Firmenlogos am Beginn in den für THE MATRIX typischen Farben eingefärbt. Das ökonomische und semiotische Portal ist bereits Teil des Systems: Grün-Schwarz ist in ihrer Film-Welt ein Apriori. Das Spannende am System Film ist, dass es seine eigenen Abweichungen vom allgemeinen System (nennen wir es »Wirklichkeit«) begründen muss. Simple Begründung: Dies ist ein Traum. Eine analytische Wahrheit,
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die der »Naturnotwendigkeiten«. Strukturelle Begründung: Dies ist ein Horrorfilm. Zweifellos eine synthetische Wahrheit. Das Genre produziert seine Bilder aus der Erfahrung seiner eigenen Geschichte. Oder eine biografische Begründung: Dies ist ein Fellini-Film. Eine Begründung, die man in jeder Hinsicht, sogar als Apriori, deuten und benutzen kann. Aber selbst diese mehr oder weniger begründeten Überschreitungen (als Gegensatz zum Fehler der Art zum Beispiel, dass sich wundersam von einer Einstellung zur anderen die Farbe des Pullovers unseres Helden ändert, oder, ein Beispiel aus THE MATRIX RELOADED, einmal zwar alle Dinge signifikante Schatten werfen, die agierenden Menschen aber nicht) bestätigen das Wahrnehmungssystem Film als Abbildung des allgemein akzeptierten Systems zur Unterscheidung des Wahren vom Nichtwahren. Wer seine Begründung nicht schafft, ist ein cineastischer Murkser. Wer gar keine versucht, ist ein Langweiler. Umgekehrt kommen wir aus dem Kino mit einem gestärkten Gefühl für unser philosophisches Erkenntnissystem. (Natürlich nennen wir es nicht so. Wir wissen nur, dass sich unser Weltbild aus »Gewissheiten«, »Überzeugungen« und »Meinungen« zusammensetzt und dass es Dinge gibt, die »einfach unmöglich« sind.) Daraus ergibt sich ein ziemlich merkwürdiger Zusammenhang (Und Achtung! Es kommt ein Schlüsselsatz dieses Buches): Es gibt keine Veränderung des Kinos ohne eine Veränderung der Philosophie. Und es gibt keine Veränderung der Philosophie ohne eine Veränderung des Kinos. Obwohl ich »Philosophie« und »Kino« hier natürlich in einem sehr weiten Sinne meine, werden auf beiden Seiten ein paar Leute empört weghören. Problematischer sind aber wohl (auch auf beiden Seiten) diejenigen, die sich mit viel zu schneller Begeisterung auf die neue SpielzeugBörse stürzen. Also, bitteschön, eine empirische Retardierung: Die Philosophen reden viel zu schnell und laut vom Kino, und die Filmleute reden viel zu schnell und laut von der Philosophie. Deshalb zurück zu Immanuel Kant (und natürlich zu MATRIX). Die getrennten Wahrheiten müssen nun wieder zusammengebracht werden. Es sei denn, man entschlösse sich, in mehreren Wahrheiten zu leben, was aber von vornherein im Sinne der analytischen Wahrheiten eine Lüge wäre. (Und schon wieder spüren wir die Matrix im Hintergrund.) »Wie ist synthetische Erkenntnis von der Wirklichkeit möglich?«, fragt Kant. Oder eben anders gefragt: »Wie kann ich etwas Wahres von der Welt wissen, wenn ich es nicht direkt selber erfahren kann?« Wenn wir weder an die »reine Vernunft« glauben, mit der man die Dinge »an sich« erkennen könnte, noch daran, dass außerhalb der eigenen Erfahrung sowieso nur
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Tohuwabohu herrscht, bleiben uns eigentlich nur zwei Möglichkeiten: die Transzendenz (ein notwendiger Umweg der Vernunft durch das »Religiöse«) und die Übereinkunft (durch Kommunikation und Differenz). Eine apriorische Wahrheit ist demnach eine, die von allen – und von allen unbedingt – angenommen wird. Furchtbare Umkehrung (nämlich »die Matrix«, »der Kapitalismus«, »die Medien« etc.): Wenn es geschafft wird, dass alle unbedingt dasselbe für wahr halten, dann habe ich eine »synthetische« Apriori-Wahrheit geschaffen. Und nun muss man das Wort »synthetisch« nur in einem anderen als dem von Kant gemeinten Sinn benutzen. Wer an einer Apriori-Wahrheit zweifelt, ist verrückt. So können wir Neos Abenteuer noch einmal als philosophische Reise betrachten: Im Zimmer 101 sind sowohl die Ideen als auch die Erfahrungen falsch. Leibniz (Morpheus) und Hume (Trinity) erwecken den Schläfer (so wie übrigens Immanuel Kant von sich behauptet hat, er sei durch Humes Radikalität aus dem »dogmatischen Schlummer« erweckt worden): Seine Voraussetzung für die Erkenntnis der Wirklichkeit ist der Widerstand gegen die synthetische Apriori-Wahrheit, und um nicht einfach ein anderer Dogmatiker zu werden, bleibt Neo nichts anderes übrig als der Umweg über die Metaphysik. Denn die Matrix hat ihm ja nicht nur die sinnliche Wahrnehmung, sondern auch die Ideen geraubt, und das unterscheidet THE MATRIX von den klassischen Flucht-Geschichten der ScienceFiction, deren Helden immer genau zu wissen scheinen, was das ist, was sie anstreben: Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe. Was Neo sucht, ist ja nicht bloß »verboten«, es ist einfach nicht da. Für Neo gibt es nicht nur ein (politisches, historisches) Draußen, das Zion, sondern auch zu allem ein Darüberhinaus, den Erlöser, das Opfer, das Wunder undsoweiter. Und die Suche nach Wahrheit zerfällt in drei Bewegungen, die einander nicht immer unbedingt entsprechen müssen: 1. Die Suche nach der richtigen Idee. 2. Die Suche nach der richtigen Wahrnehmung. 3. Die Suche nach dem richtigen Ich. Zeit für einen Vorgriff auf Arthur Schopenhauer. »Zwar wünschen alle, erlöst zu werden aus dem Zustande des Leidens und des Todes: Sie möchten, wie man sagt, zur ewigen Seeligkeit gelangen, ins Himmelreich kommen; aber nur nicht auf eigenen Füßen; sondern hingetragen möchten sie werden durch den Lauf der Natur. Allein das ist unmöglich. Denn die Natur ist nur das Abbild, der Schatten unseres Willens. Daher wird sie zwar uns nie fallen und zu nichts werden lassen: Aber sie wird uns nirgends hinbringen, als immer nur wieder in die Natur. Wie misslich es jedoch sei, als ein Teil der Natur zu existieren, erfährt jeder an seinem eigenen Leben und Sterben. Demnach ist allerdings das Dasein anzusehen als eine Verir-
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rung, von welcher zurückzukommen Erlösung ist: Auch trägt es durchweg diesen Charakter.« Das Buch, in dem Schopenhauer das formuliert hat, heißt Die Welt als Wille und Vorstellung und erschien in zwei Teilen zwischen 1818 und 1844. Wenn wir uns Neo an die Fersen heften, auf der Suche nach der Wahrheit mit Kant und auf der Suche nach der Freiheit mit Schopenhauer, so können wir offensichtlich nicht anderes als zu einem sehr verrückten Schluss gelangen: Die Matrix ist zugleich »die Natur« und das genaue Gegenteil von ihr. Wenn wir sie nämlich als Wille und Vorstellung begreifen, dann macht es keinen großen Unterschied, ob es sich um Natur oder ihr Double handelt. (Übrigens landete die kleine Alice ja nicht etwa in einem Land der wüsten Träumer, sondern im Gegenteil in einem Land der furchtbaren Prinzipienreiter.) Zunächst haben wir ja für den Wunsch von Neo und seinen Freunden, die Illusion oder eben die Natur (das Leben) zu überschreiten oder es gar im Inneren zu zerstören, keine rechte Erklärung außer der, dass es eben in der Natur des Menschen liege, das Gegebene, und eben auch die Natur, zu überschreiten, egal ob er dabei etwas Besseres findet oder nicht. Gewiss: Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal. Dann aber gibt es wohl so etwas wie eine Sucht nach dem Wirklichen, was immer das sei. Und deshalb ist es genauso glaubwürdig, dass Menschen in die Wüste gehen, nur weil sie wirklich ist, wie es Menschen gibt, die sich, wie in Finchers FIGHT CLUB, den Körper gegenseitig zerschlagen, nur weil sie das für einen Beweis ihrer Wirklichkeit halten. (Fincher, hier viel radikaler und konzentrierter als die Wachowskis, zerstört natürlich auch diese Illusion des Wirklichen.) Um selbst irgendwohin zu gelangen, muss er aufwachen, was in THE MATRIX freilich als eine Abfolge mehr oder weniger schmerzhafter Geburtsvorgänge gesehen wird, die einem Akt der Wahl folgen. Neo also macht Erfahrungen (in der Matrix und außerhalb von ihr). Aber sie alle entziehen sich dem Apriori, sie sind im Gegenteil auf geradezu übertriebene Weise einzeln und eigen-artig. Sie zersetzen das Apriori der Matrix so sehr wie das in Neo selber. Nur gibt es keine Erfahrungen, die »Sinn machen«, wenn sie nicht ihrerseits auf apriorische Wahrheiten zurückzuführen sind. »Jedes Ereignis hat eine Ursache« oder »Alle Gegenstände, die ich wahrnehmen kann, existieren im Raum und in der Zeit.« Wenn so etwas nicht wahr wäre, wie könnte ich dann in der Welt der Dinge Erfahrungen machen? Auch die Matrix hält sich zunächst einmal daran (allerdings nicht die Filme, die sie beschreiben!). Ohne apriorische Wahrheiten ist keine Erfahrung möglich, aber ohne Erfahrung weiß ich nichts über die apriorischen Wahrheiten. Die apriori-
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Neo muss aufwachen: Eine Abfolge mehr oder weniger schmerzhafter Geburtsvorgänge in THE MATRIX
schen Wahrheiten gelten in jeder verständlichen Welt, und das ist eine der grundlegenden Probleme der Science-Fiction: Nehme ich meine apriorischen Wahrheiten mit in den Weltraum und auf fremde Planeten (auf denen sich andere Erfahrungen auf dasselbe Apriori beziehen)? Im Großen und Ganzen: Ja! – sagt Star Trek. Eher nicht! – sagt SOLARIS. Welche apriorischen Wahrheiten? – fragt BLADE RUNNER zurück. Kant behauptet zwischen den Fähigkeiten des Erkennens und der Beschaffenheit der Dinge eine Harmonie, ein Vertrauen. Die Welt ist so, wie wir sie uns denken, und nur in unserem Denken kann sie so sein. Warum, weiß der Teufel. Es muss uns aber nicht bekümmern, weil vom Nichtdenkbaren ja keine Gefahr droht. Die Grundsätze unseres Wissen gelten a priori, aber nur, wenn sie sich auf »Gegenstände möglicher Erfahrung« (Kant) beziehen. Der Teufel steckt im Übrigen auch hier im Detail. Denn der Schlüssel für die Gleichung von Welt und Erkenntnis liegt gerade darin, dass der Verstand, der das alles denkt, seine Fähigkeiten und nicht zuletzt seine Grenzen kennt, Kant hat dafür ein Wort, das leider im Zeitalter von Neoliberalismus und Deutschland sucht den Superstar eine fatale, falsche Bedeutung angenommen hat (ein Beispiel dafür, wie medial vermittelter Sprachgebrauch analytische Wahrheiten auf den Müll werfen kann). Er nennt es das »Selbstbewusstsein«. Das selbstbewusste Wesen ist sein Traum. Nein, Quatsch: seine Idee. Und in seinen drei großen Werken stellt er die drei großen Fragen nach den Bedingungen für ein selbstbewusstes Wesen: 1. Was muss ein selbstbewusstes Wesen denken? 2. Was muss ein selbstbewusstes Wesen tun? 3. Was muss ein selbstbewusstes Wesen (als schön) empfinden?
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Natürlich spuken alle drei Fragen durch die MATRIX-Filme und ihre multimedialen Ausläufer. Aber es scheint, als gäben sie auch noch einmal eine innere Struktur der Handlung vor. Wenn THE MATRIX der Film über das Denken eines selbstbewussten Wesens ist, dann ist THE MATRIX RELOADED eines über sein Handeln (weshalb möglicherweise auch die Kritik, die hier die Überbetonung der physischen Aktion sieht, zu kurz greift). Und in THE MATRIX REVOLUTIONS steht die Ästhetik im Vordergrund, genauer gesagt, jene Harmonie, die das Widersprüchliche und sogar den Tod übergreift. Das Empfinden des selbstbewussten Menschen. Im Kern der Entstehung des selbstbewussten Wesens steht für Kant eine Frage, die unser Freund Neo direkt aus der Kritik der reinen Vernunft übernehmen hätte können: »Sind die Dinge so, wie sie mir erscheinen?« Diese Frage, nicht die Antwort, macht das selbstbewusste Wesen aus. So eines will Neo werden, durch den Traum, den Mythos, die Natur hindurch, die ja, laut Schopenhauer, nur der Schatten seines Willens ist.
Die Geschichte der Fälschungen Dass wir nicht in der Wirklichkeit, sondern in einem trügerischen Widerschein von ihr leben, hat schon Plato mit seinem Höhlengleichnis beschrieben: Was wir sehen, sind nur die flackernden Schatten an der Wand der Höhle, in der wir gefesselt sind und in der ein Feuer für das Projektionslicht sorgt. Diese Höhle von Plato war die erste Matrix der Weltgeschichte. Allerdings interessierte in diesem Gleichnis die Wahrnehmung und ihre Beschränkung viel mehr als die Frage danach, wie zum Teufel wir in diese verflixte Höhle geraten sind und wer uns gefesselt hat. Vor allem: wozu? In einer Welt, in der der technischen Reproduktion noch enge Grenzen gesetzt waren, galt indes den meisten Religionen das Materielle selbst als die größte Illusion. Für den Taoisten Chuang-tzu ist der Traum, den wir, während wir träumen, nicht als solchen erkennen und aus dem wir glücklicherweise wieder erwachen, der Vorgriff auf ein noch viel größeres Geschehen: »So gibt es wohl auch ein großes Erwachen, und danach erkennen wir diesen großen Traum. Aber die Toren halten sich für wachend.« Für die christlichen Gnostiker war es der dämonische Demiurg, der die Erkenntnis des Menschen so grausam an die materielle Welt gebunden hat, dass es kaum einen gibt, der sich davon loslösen kann. Und seitdem kommt es immer und immer wieder zu der traditionellen Umkehr unserer alltäglichen (und in der Regel eigentlich doch ganz prakti-
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schen) Einteilung von Wirklichkeit und Illusion. Immer wieder halten uns Philosophen oder Mystiker oder auch Scharlatane oder gewöhnliche Vollidioten vor, dass unser materielles und körperliches Leben (Wahrnehmung und Idee) nichts als eine große Illusion sei, und die Wirklichkeit/Wahrheit immer nur da oben, da draußen, da drinnen zu finden sei. Jedenfalls überall, nur nicht vor unseren Augen. Mit der Kritik der reinen Vernunft aber beginnt die Geschichte der Verbindung von Sinn und Sinnlichkeit, des Dialogs zwischen Kunst und Wissenschaft, der Auflösungen in der populären Kultur: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.« (Wie leicht man doch blind werden kann im Kino!) Und es beginnt die Geschichte der wechselseitigen Fälschungen. Nun nämlich sind die Verhältnisse nicht mehr auf ein bloßes Innen und Außen zu reduzieren. Drinnen ist die Wahrheit und draußen ist die Illusion, sagt der Mainstream. Es verhält sich genau andersherum, sagen die Ketzer. Sind sie im Besitz von Macht und Mehrheit, dreht sich wiederum alles um, und die Wahrheit ist nun im Jenseits. (Aber nicht einmal die allgemeine Erkenntnis, in nichts anderem als einer Riesen-Illusion zu existieren, hindert Staat und Kirche daran, Steuern einzutreiben und Todesurteile zu vollstrecken.) Nicht, dass es vordem keine gefälschten Bilder, Botschaften, ja sogar »Ereignisse« gegeben hätte. Zu trauen war noch nie einem selbstbewussten Wesen von einem anderen. Aber nun geht es um das entscheidende Dazwischen. Wenn die Welt sowohl aus Gedanken als auch als Anschauungen zusammengesetzt wird, dann kann ich nicht nur das eine oder das andere fälschen (oder als Illusion brandmarken), sondern auch die Beziehung zwischen beidem fälschen. Es beginnt die dynamische, technologische Geschichte der Fälschungen und Illusionen: die Geschichte der Fälschungen nicht mehr als Manipulation von Systemen, sondern die Geschichte der Fälschungen und Illusionen als System. Auch davon träumt die Science-Fiction seit langem, und ihr wiederkehrender (und ein wenig selbstreflexiver) Albtraum ist es, eines von beiden vollständig zu eliminieren. Sprache, Begriff und Gedanken wird unter Todesstrafe gestellt in François Truffauts FAHRENHEIT 451 (1966), es herrscht eine furchtbare Diktatur des Bildes. Oder aber: Das Bild der Welt wird ausgeblendet, wie in TWELVE MONKEYS, eine Art von Platos Höhle, in der man das Feuer gelöscht hat. Aber genauso radikal kann man umgekehrt die Empfindung ausgrenzen. Der Großcomputer in Godards ALPHAVILLE ist eine unentwegt produzierende Wort- und Textmaschine, die jede Opposition primär erst einmal totquatscht, bevor sie zu drastischeren Mitteln greift, ihr System »rein« zu halten.
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Eine furchtbare Diktatur des Bildes: FAHRENHEIT 451
Das Problem liegt im Apriori-Vorhandensein von »Kategorien«, die überhaupt zu Erfahrungen führen. Bevor man sich auf die Suche nach der Wahrheit macht, muss man überhaupt erst einmal in den Kategorien von »wahr« und »unwahr« denken können. Um Fälschungen zu erkennen, muss ich notwendig die Kategorien von »Werden« und »Zeigen« anwenden können: Kausalität ist Voraussetzung für »Durchschauen« (indes haben wir nicht die gelegentliche Anmutung, bei der Matrix gebe es gar nichts zu durchschauen?). Ein Bild ist falsch, wenn es gefälscht ist, wenn wir also von einer Wahrnehmung zu falschen Begriffen oder zu falschen Schlüssen oder von Begriffen oder Schlüssen zu falschen Wahrnehmungen gelangen, so wie das »Verbrechen« von Arnold Schwarzenegger in RUNNING MAN (1987; R: Paul Michael Glaser), durch eine kleine Neumontage von Bild und Text erzielt wird. Wie sehr der Regisseur (oder war es Stephen King?) an eine eindimensionale Beziehung zwischen dem gefälschten Bild und dem Adressaten glaubt, zeigt er am Schluss seiner Geschichte: Der Film wird wieder richtig montiert, und nun glauben ganz schnell alle Menschen wieder die »richtige« Wahrheit, die sich aus den Bildern schließen lässt (und lassen den Fälscher killen). So töricht ist THE MATRIX in keiner Einstellung!
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Neo hat sich – was bleibt ihm in seiner Welt anderes übrig, als Existentialist zu sein – für die Entscheidung entschieden. Ironischerweise ist damit aber noch nichts entschieden, jedenfalls nichts anderes als das, was ohnehin entschieden war. Anders als für Arnold ist für Neo daher das Problem der Täuschung keines, das man durch einen geballten Einsatz des trainierten Körpers lösen könnte (wo Arnie hinhaut, da ist die Wirklichkeit), sondern es wird im Gegenteil, sehr tief, in den Körper eingeschrieben. Nicht das simple Entstöpseln ist die Lösung (obwohl auch das geschehen kann und muss), sondern für den selbstbewussten Menschen der Gegenwart (oder Zukunft) steht die Frage nach der Natur seiner Verbindung im Vordergrund: Was ist es, und wie ist es, was meinen Körper mit der Technologie verbindet? Für Kant (und für Hollywood) ist eines jedenfalls klar: Eine Welt, in der es selbstbewusste Wesen geben kann, muss eine verständliche Welt werden, und in einer verständlichen Welt werden, auch gegen allerlei Widerstände, selbstbewusste Wesen entstehen. Natürlich gilt auch die dramatische Umkehrung: In einer nicht verständlichen Welt gibt es keine selbstbewussten Wesen. Der große transzendentale Schurke ist demnach immer noch jener, der die Welt chaotisch macht und sich als einziges Ordnungsprinzip anbietet. Eine Filmerzählung kann man also wie folgt begreifen: Eine verständliche Welt produziert einen selbstbewussten Menschen, oder: Ein selbstbewusster Mensch produziert eine verständliche Welt. Oder man kann sie auch so begreifen: Ein selbstbewusster Mensch flüchtet aus der unverständlichen in eine verständliche Welt, oder: Ein nicht selbstbewusster Mensch (ein Schurke, ein Wahnsinniger, ein Opfer) wird aus der verständlichen in die nichtverständliche Welt verbannt (aus der er immer und immer wieder ausbricht, wie der junge Michael Myers mit seiner unheiligen Vorliebe für Eishockeymasken und lange Messer). So mögen Revolutionen – also auch die matrix revolutions – darin bestehen, dass Wesen, die gleichsam »wie durch ein Wunder« und zugleich »durch übermenschliche Anstrengung« zu Selbstbewusstsein gekommen sind (wie Johnny Five, der pazifistische Roboter in SHORT CIRCUIT [Nummer 5 lebt!; 1986; R: John Badham], Kirk Douglas als Sklave in Stanley Kubricks SPARTACUS [1960] oder eben Neo in THE MATRIX), die unverständliche Welt wieder in den Zustand der Verständlichkeit versetzen. Und das heißt nichts anderes, als dass sie die verlorenen Kategorien (und die Grundsätze, die ihre Anwendung regeln) wieder herstellen oder neu begründen, beziehungsweise indem sie für die Kategorien (und die Grundsätze, die ihre Anwendungen regeln) wieder neue Erfahrungen ermögli-
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chen. An seinem Übertritt von der Simulation der Matrix in die Wüste der Wirklichkeit sieht Neo (wie so oft) in den Spiegel: Aus seinem zerbrochenen Bild wird wieder ein ganzes. Aber zur gleichen Zeit verwandelt sich die Oberfläche des Spiegels von einer festen in eine flüssige Form. Er kann nicht sagen, welches sein »wahreres« Spiegelbild sei. Aber er kann sagen, dass das eine nicht mit dem anderen gleich ist. Die Bestimmung von Differenz aber schlägt auf die Dauer die Täuschung. Doch wie die Wachowskis in einer sehr direkten Hommage an Jean Cocteaus ORPHEE (1949) verdeutlichen, ist das Spiegelbild in dieser Unterwelt stets auch ein Zeichen des Todes: Immer wenn Neo in einen Spiegel blickt, so könnten wir argwöhnen, sieht er jemanden, den es »in Wirklichkeit« gar nicht mehr gibt. Auf welcher Seite des Kaninchenbaus die Welt verrückter ist, kann man nicht sagen. Nur dass sie anders ist. Wir versuchen unentwegt, den Fälschern beizukommen. Den Königen und Päpsten, den Gauklern und Werbefotografen. Wie leicht es ist, empört zu sein, wenn einer Hitlers Tagebücher gefälscht hat. Und wie mühsam ist eine einfache Erkenntnis: Es gibt eine grundlegende Differenz zwischen dem Fernsehbild und der »wirklichen Welt«. Got it? Eine Matrix und ihre Außenwelt sind nur ein Medium des Auseinanderfallens von Kategorie und Erfahrung. Zwölf solcher Kategorien nennt Immanuel Kant, Zeit und Raum sind nicht darunter. Diese sind für ihn vielmehr »grundlegende Formen der Anschauung«. Jede Empfindung trägt die »Spuren« von Raum und Zeit. Und es gibt nur einen Raum und eine Zeit (alle Räume sind Teil eines Raumes, und alle Zeiten sind Teil einer Zeit). Tröstlich ist das, aber es ist nie unwidersprochen geblieben. Alice trifft immer mit Erfahrungen auf Kategorien und mit Kategorien auf Erfahrungen. Aber im Zentrum des Wunderlandes trifft sie auf das schwarze Ende von beidem: Es kommt nicht darauf an, wer Recht hat. Es kommt darauf an, wer die Macht hat.
Der Typus und die ewige Wiederkehr Science-Fiction ist unsere nicht-akademische Art zu fragen, was denn nun nach dem Menschen komme. Sie wurde gestellt mit dem Ende von Kubricks 2001, an dem die Geburt des »Sternenkindes« stand. Was mag aus ihm geworden sein? Die vulgäre Idee des Genres ist es, das biologische oder mechanische Wesen der menschlichen Parallelschöpfung einen finsteren Krieg gegen ihre Schöpfer führen. Positive Zeichnungen des Post-Menschen sind, wenn es nicht gerade um
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Der Blick in den Spiegel: Aus seinem zerbrochenen Bild wird wieder ein ganzes. Aber zur gleichen Zeit verwandelt sich die Oberfläche des Spiegels.
schlichte »Superhelden« oder nur »verbesserte« Ausgaben des alten Homo sapiens geht, eher selten. Nicht nur, weil sie ja die eigene Negation, die Antiquiertheit des Menschen beinhalten, sondern weil sie an sich schwer zu denken sind, machen uns solche Vorstellungen Schwierigkeiten. Ob 251
Friedrich Nietzsche daran »verrückt« wurde oder nur so, ist auch so eine Frage. Jedenfalls hat er es versucht, was zur Folge hat, das mindestens so viele Menschen diesen Philosophen erbarmungslos und stur falsch verstehen, wie andere bekennen müssen, Immanuel Kant überhaupt nicht zu verstehen. Manche Nietzsche-Sätze klingen heute, als hätte sie entweder ein Größenwahnsinniger zur Selbstverteidigung erdacht oder als wären sie gleich von den Nazis erfunden. Nach generellem Übereinkommen sieht es ja so aus, als habe Friedrich Nietzsche das System der Vernunft, das Kant und einige seiner Zeitgenossen mit Mühe und Not errichtet hatten und in dem man sich halbwegs verlässlich (jedenfalls als selbstbewusster Mensch) zwischen Vorstellung und Wahrnehmung hätte einrichten können, durch sein schon von der Form her zerfasertes und zerfallendes Werk wieder zum Einsturz gebracht. Ganz offensichtlich jedenfalls will Nietzsche nicht ein selbstbewusster Mensch im Sinne Kants sein, der es gerade durch die Erkenntnis seiner Grenzen wird, sondern rasend darüber hinaus. Er will sich selbst überschreiten, mehr als nur Mensch werden. In einem klassischen Western ist der Held ein Kantianer (auch wenn er nicht gerade die Kritik der reinen Vernunft in der Satteltasche hat) und der Schurke ein Nietzscheaner. Das ändert sich erst bei Anthony Mann, in dessen Western ausgerechnet James Stewart ein overreacher wird, und ist gänzlich umgedreht bei Sam Peckinpah, wo der wilde Haufen der Nietzscheaner an der kalten Vernunft kapitalistischer Kantianer zugrunde geht. Den klassischen Schurken jedenfalls erkennt man daran, dass er nicht selbstbewusster Mensch, sondern Typus werden will. Weder vollständiges Individuum noch reines Gattungswesen, nicht Mensch und nicht Menschenbild also. Der Typus will gerade zwischen beidem mitteln – kein Wunder, dass in unserem Western der Schurke viel mehr von seinen (falschen) Ideen redet, als es der Held tut. Als Typus aber nur überschreitet der Mensch die trostlose Existenz als Einzelner und die nicht minder trostlose Existenz als Repräsentant. Kurzum: Der alte Widerspruch, der in der Welt zwischen Idee und Erfahrung gelöst schien, bricht nun im Subjekt ganz vehement wieder auf. Seine ästhetische Nähe zum religiösen Mythos macht den Typus so verwechselbar mit dem Propheten oder Messias, wie es seine Geschichte mit einem Heiligen Buch verwechselbar macht. Davon handelt übrigens, beinahe mehr noch im Stil als im Inhalt, Nietzsches Also sprach Zarathustra. Ein Buch, das ein Heiliges sein will (und das bis in die sprachlichen Wendungen hinein das »Buch der Bücher«, die Bibel, imitiert) und zugleich eine perfekte Parodie.
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Die Aufklärer hatten der Welt eine Ordnung gegeben und zugleich der Menschheit die Vorstellung eines erkennenden, wissenschaftlichen Subjekts darin. »Der Mensch«, endlich einmal herausgeführt aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, steht der Welt als große gemeinsame Frageund-Antwort-Maschine gegenüber. Die Antwort auf alle ungelösten Fragen ist der Geist des Menschen (näheres regelt eine gelehrte Debatte). Nietzsche träumt seinen Typus indes, während er den Glauben an diesen wissenschaftlichen Menschen auflöst. Er philosophiert nicht über das Leben, sondern er philosophiert als Leben. Und damit ist das, was die Aufklärer außen vor gehalten haben, der Körper, die Begierde, der Schmerz, das seltsame Ich, wieder da. Aber anders als in der hierarchisch sortierten Welt der Vor-Aufklärung (denn Nietzsche hat ja, bevor er sich selber zu denken begann, den leeren Himmel konstatiert). Kant philosophierte, indem er seinen Körper und sein Leben auf das minimale einer Funktion reduzierte, Nietzsche aber philosophiert auch mit den allerprivatesten Teilen seines Lebens und sozusagen bis in die letzte Bartspitze seines imponierenden Schnauzers. Und paradoxerweise kann er dadurch nicht mehr den Mainstream seiner nach-aufklärerischen Gesellschaft ansprechen, und schon gar nicht deren idealen Repräsentanten, den gesetzten, gebildeten, wohlsituierten, ästhetisch codierten bürgerlichen Mann, sondern er muss sich sozusagen einen jenseitigen Adressaten oder vielleicht genauer sogar (aber das überlassen wir der Psychoanalyse) eine jenseitige Adressatin konstruieren. Ein Buch wie Also sprach Zarathustra behandelt seinen Leser wie ein Wesen, das es (noch) gar nicht geben kann. Auf jeden Fall aber behandelt es die Ordnung der Welt, wie sie die Aufklärer vermeintlich hergestellt hatten, als eine schiere Illusion. Und natürlich ist dann auch die Gesellschaft, die sich auf ihr errichtet hat, die bürgerliche Mehr-oder-weniger-Demokratie, eine Illusion. Konsequenterweise will er dann auch in ein Jenseits der Moral, in ein Jenseits von Gut und Böse, und verblüffenderweise will er das nicht anders als »am Leitfaden der Liebe« entlang. Wenn wir am Anfang also vielleicht erfreut meinen durften, Neo sei ein geradezu typischer Kantianischer Held auf dem Weg zu einer am Leitfaden seines erzielten Selbstbewusstseins errungenen (Neu-)Ordnung seiner Welt, in der nun systematisch das Wahre vom Illusionären geschieden werden könnte, dann könnte man ihn nun, vielleicht nicht mehr ganz so erfreut, auch als einen Nietzscheanischen Helden ansehen, der die Erkenntnis nicht predigen kann, sondern nur leben. Der, um zu seinem Ich zu gelangen, die Illusion der Rationalität selbst durchbrechen muss, der sich zwischen Messias und Held zum Typus entwickeln muss und der schließlich all das (möge es auch böse enden) nur am Leitfaden der Liebe kann.
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All Systems Are Go Wogegen, in der suggestiven Rorschach-Welt der Matrix, wohl niemand Einwände erheben würde: Die Matrix ist ein System. Also eine Gesamtheit von Teilen, die miteinander in Beziehung stehen, wie man das gemeinhin definiert. Die Teile sind entweder »Elemente«, also vergleichsweise autonome Stücke, die wiederum jeweils für sich funktionieren können (wie jeder Charakter und jede Episode der Trilogie), oder es sind »Momente«, das heißt, sie existieren nur in Beziehung zueinander. Genau das ist es, was Neo herausfinden muss: Sind die Erscheinungen, denen er in dem System Matrix begegnet, Elemente, oder sind es Momente? Die Unterscheidung würde nicht nur seine Taktik – seinen Weg zum Selbstbewusstsein – bestimmen, sondern auch seine Religion. Die Frage, die das Ganze freilich in Bewegung setzt, ist die, ob die Matrix ein System ist, das »gültig« nur ist für das handelnde Subjekt oder für die »Betroffenen«, die es sozusagen erst durch ihr Wissen erschaffen, oder ob sie ein System für sich ist, das ebenso existieren würde, wenn niemand etwas davon wüsste. Im Grunde wiederholt sich da die ganze Geschichte der Widersprüche von Descartes über Leibniz zu Kant, und wieder gibt es ein »Drittes«, das ihn auflöst. Das Wissen selbst ist so konstruiert, dass es diese Trennung vom Subjektiven und vom Objektiven im Verständnis des Systems nicht zulässt. Das System ist demnach kein Resultat subjektiver Beobachtung – oder »Erfahrung«, wie man so sagt. Aber es ist auch keine willkürliche Konstruktion durch ein, was das anbelangt, einigermaßen mächtiges Subjekt, die sich von der Erfahrung der anderen unabhängig machen könnte. Dass beides nicht möglich ist, ohne jeweils auch das andere zu sein, wie es eine moderne Vorstellung von Systemen behauptet, macht schon Neos zwiespältiges Abenteuer von Drinnen und Draußen aus. Wird etwa das System geschaffen durch das, was Neo von ihm weiß, oder wird umgekehrt Neo geschaffen durch das, was das System von ihm weiß? Im ersten Teil scheint uns die Paradoxie noch einigermaßen deutlich: Je mehr Neo von dem System weiß, in dem er sich befindet, desto mehr distanziert er sich von ihm. Am Ende des zweiten Teils scheint sich das vollständig umgekehrt zu haben. Je mehr er von sich selbst weiß, desto mehr wird er (wieder) Teil des Systems. Genauer gesagt: Noch die Distanzierung ist Teil des Systems, und zwar ein ziemlich wichtiger Teil. Was aber ist eigentlich ein System, abgesehen davon, dass es aus Elementen beziehungsweise Momenten und Beziehungen besteht? Im einfachsten Sinn ist ein System ganz einfach eine Form der Ordnung. Inner-
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halb dieser Ordnung kann ich (vielleicht) verstehen, wie etwas geordnet wird: durch Regeln, durch Dimensionen und Maßstäbe, durch Zielvorgaben und nicht zuletzt durch Verbote (also auch durch Sichtbarmachen und Unsichtbarmachen). Jedenfalls ist innerhalb eines Systems das Verhalten wichtiger als die Erkenntnis. (Oha! Damit kriegt dieser eine, ein bisschen kryptische und von vielen Kritikern als schlichtweg falsch angesehene Satz, den der Professor in Zion spricht, seine Bedeutung: In einem System ist Verständnis tatsächlich keine Voraussetzung für Zusammenarbeit!) Es ist eine Frage des Überlebens, Teil des Systems zu sein und vor allem zu bleiben. Andrerseits existiert das System natürlich nicht im Dienste seiner Teile (wie uns der Staat, das größte Lügensystem, weismachen will), sondern vor allem für sich selbst. Daher nimmt es den Tod von Elementen durchaus in Kauf, nein, dieser »Tod« ist sogar Teil seiner Ordnung. Was wir in der Matrix erleben, ist ein Kampf und eine Komplizenschaft zwischen den Elementen/Momenten und dem System. An das Darüberhinaus eines Systems freilich führen die Fragen danach, was es denn eigentlich ist, was da geordnet wird, und nicht zuletzt: Wer oder was ordnet denn da? In weiten Teilen ist die Matrix offensichtlich ein selbstregulierendes System. Aber es ist so perfekt, wie solche Systeme in der Science-Fiction gewöhnlich sind, sodass man nur noch flüchten kann und besser nicht zurückschaut (wie noch Anna Karina am Ende von ALPHAVILLE auf keinen Fall zurückschauen soll), wenn das System, das ein offenbar wichtiges Element verlassen hat, mit großem Krach zusammenbricht. Die Matrix scheint das erste System der Science-Fiction, das nicht durch eine Katastrophe beendet wird, sondern das Katastrophische integriert hat. Es ist durch die Katastrophe entstanden, aber es lebt auch aus der Katastrophe, im Kleinen wie im Großen. Denn die klassische Science-Fiction akzeptiert ein Dogma, das etwa Gottlob Frege in Grundgesetze der Arithmetik formuliert: »In der Geschichte haben wir Entwicklung, im System Starrheit.« So ist, wie der Held des klassischen Western ein Kantianer im Duell mit einem Nietzscheaner ist, der Held des klassischen Science-Fiction-Plots ein Idealist im Kampf mit einer Struktur. Also: entweder Geschichte oder System, entweder Entwicklung oder Stillstand. Der Mensch will Geschichte und nicht System sein, sagt der Idealismus. Nichts da, erst wenn er System geworden ist, behaupten die großen Utopien, die religiösen wie die marxistische, ist er wirklich erlöst. Und der ganz gewöhnliche Mensch (der, zum Beispiel, am Wochenende THE MATRIX RELOADED ansieht, um einen Schlussstrich hinter eine teuflisch anstrengend banale Woche zu ziehen)? Was in meinem Leben ist
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Geschichte, und was ist System? Die Leute von Zion jedenfalls fordern ihr Recht auf Geschichte gegen das System! »Ein System heißt selbstregulierend, wenn es in der Lage ist, durch innere Regelmechanismen sein inneres Milieu selbst zu stabilisieren, das heißt gegenüber bestimmten Klassen von zufälligen Einwirkungen der Umwelt aufrechtzuerhalten.« So kann man es im Philosophischen Wörterbuch nachlesen. Die Elemente/Momente der Selbstregulierung in der Matrix aber sind gerade die prekärsten (wie übrigens auch die im menschlichen Körper). Die Agenten, die es gegen die Störungen beschützen sollen, werden selbst zu einem Problem. Das System hat die Tendenz, sich selbst zu Tode zu regulieren, wenn es nicht beweglich genug ist. Also muss es »lernen«, und deswegen kann es »Störungen« immer nur sehr ambivalent empfinden. Irgendetwas zwischen »Begrüßen« und »Vernichten«. Das ideale System (ideal natürlich für sich selbst) ist eines, das in der Lage ist, nicht nur durch allmähliche Anpassung, sondern sogar durch »sprunghafte« Selbstveränderung auf Angriffe von außen zu reagieren. In der Naturwissenschaft wird so etwas oft ein »ultrastabiles« System genannt. Es kann eine Abwehr- oder Integrationsmaßnahme vollständig und eben »sprunghaft« durch eine andere ersetzen, wenn es der jeweilige Angriff erfordert. Wenn man im Übrigen nun ein solches System auf einen Körper oder auf eine Empfindung/Erfahrung der Welt überträgt, ist schon eines einigermaßen klar: So ein Angriff, der eine solch sprunghafte Veränderung bewirkt, muss zugleich als Lust und als Angst identifiziert werden. Es ist sexy, und es ist tödlich. Und damit sind wir wieder im Herzen des Erzählens überhaupt: einem semiotischen System, das von nichts als von Systemen und ihren Störungen oder vom Kampf der Selbstbestimmung zwischen System und Geschichte handelt. Im Herzen der Matrix, mit anderen Worten. Ein System kann beschrieben werden durch seine Elemente/Momente, durch deren Beziehungen und die Frage nach den Kräften, die in ihm die Ordnung errichten, sowie schließlich dadurch, dass man seine Grenzen bestimmt. Ein endloses System ist ein schöner Selbstwiderspruch, etwas wie »die Wirklichkeit«, »Gott« oder »die Kunst« oder etwas anderes, über das man eigentlich nicht mehr sprechen kann, jedenfalls nicht »vernünftig«. Science-Fiction-Filme spielen in der Regel an den Grenzen von Systemen. Der Mensch, der ein perfektes gesellschaftliches System überschreitet, um frei, endlich frei zu sein. Das Alien, das ein System des Lebens und des Zusammenlebens überschreitet. Der Clash zwischen den Systemen Mensch und Maschine, natürlich und künstlich. In THE MATRIX freilich sind diese Grenzen selbst beweglich geworden, also entweder lösen sie sich
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auf (und das System stirbt), oder ihre Bewegung wird selbst zur Ordnung (das heißt das System will ein »ultrastabiles« werden). Das System, mit anderen Worten, lebt nicht nur vom Genuss der Menschen, die sich in ihren Tanks einen Alltag zurechtträumen, komplett mit Mord und Sex, Liebe und Erkenntnis, das System ist viel gieriger (und man muss sich diese H.R.-Giger-Körper-Maschine-Verschlingungen, diese unendlichen Tentakeln des Genusses nur genauer ansehen, um zu diesem Schluss zu kommen): Dieses System namens Matrix »genießt« die Veränderungen, die die Menschen in seinem Inneren anrichten. Was diesen Genuss anbelangt, ist es also vollkommen gleichgültig, ob es sich dabei um einen Uterus, ein Computerprogramm, ein Energiesystem oder um eine Erzählmaschine handelt. Am Anfang von THE MATRIX steht Neo an einem Ende des Systems, indem er erkennt, dass das System nicht einfach alles ist. Er ist Teil des Systems und ist es nicht. Es ordnet vielmehr ein begrenztes Material, nämlich die Wahrnehmung des Menschen, dessen eigentlicher Körper draußen bleibt (in einem anderen System, nämlich dem eines bestimmten Energiekreislaufs). Das System der Matrix ist daher das Negativ des Systems von Leben in der christlichen Weltanschauung: Dort erkennen wir, dass das Leben nicht alles, sondern eine Ordnung ist, dadurch, dass sich die unsterbliche Seele außerhalb des endlichen Lebens im »Jammertal« befindet (jedenfalls, wenn man die Ordnung des begrenzten Lebens richtig nutzt). In der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft hat diese Seele eine Menge Metamorphosen durchlebt. Am Ende ist sie die Instanz, die irgendwie noch in der Lage ist zu behaupten, dieser Scheiß von Geldverdienen, Kinder-Zeugen, Fernsehen und Fressen könne nicht einfach alles gewesen sein. Der Wunsch, eine zu haben, ist Beweis für die Existenz einer Seele genug. In THE MATRIX funktioniert das nicht viel anders. Mit der Aufklärung aber ist die Gefangenschaft des Menschen im System vom kosmischen Raum in die geschichtliche Zeit gekippt. Die Erlösung liegt nicht oben, sondern vorn – und wo man Ideologien daraus formt, da muss man an das gute Glück da vorn und die bösen Kräfte der Reaktion so bedingungslos und »fundamental« glauben wie andernorts an den Himmel und die Hölle. Zum Verrücktwerden! Von der »Herausführung des Menschen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit« war vor 200 Jahren noch mutig die Rede. Wenn Morpheus von dem Gefängnis spricht, das man nicht anfassen und nicht riechen kann, »einem Gefängnis für deinen Verstand«, dann klingt das ziemlich ähnlich. Und »selbst verschuldet« ist die Gefangenschaft des Menschen in den MATRIX-Filmen ja gleich doppelt, nämlich einerseits durch die historische Schuld gegenüber
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den Maschinen, die schließlich einst loyal und »rein« waren, bevor sie gegen die Demütigung ihrer menschlichen Herrschaft rebellierten, und andrerseits in jedem Einzelnen, der die Gelegenheiten zum »Aufwachen« missachtet. Was aber, wenn eben auch diese zeitliche (also »rationale«) Erlösung nichts als eine Illusion ist und selber zum Gefängnis für das unterdrückte Ich geworden wäre? (Vom Wahn des »Bau auf!« ganz zu schweigen, im Realsozialismus oder in der Lego-Kiste.) Am Ende von THE MATRIX RELOADED gerät Neo an die zweite Überschreitung des Systems. Wenn er am Beginn erfahren hat, dass das, was durch das System geordnet wird, nicht alles ist, sondern »nur« etwas, so erfährt er nun, dass es tatsächlich jemanden gibt, der ordnet. Dass wir den eher als »Architekten« denn als »Schöpfer« kennen lernen, lässt uns schon ahnen, dass der Ordnende und das zu Ordnende nicht einfach in einem willkürlichen Zusammenhang stehen. Diese Frage nämlich müssen sich beide gefallen lassen, Neo wie der Architekt: ob sie selber Teile des Systems sind. Wenn es der eine ist, dann ist es der andere auch. Und das eben wirft Neo mit äußerster Gewalt auf sich selbst zurück. (Weshalb das Ende von THE MATRIX RELOADED denn vielleicht auch doch nicht so willkürlich cliffhangerisch konstruiert ist, wie es einem erscheinen mag.) Mit der Begegnung von Subjekt und Objekt des Systems wird in der Matrix der nächste Fragenkomplex eröffnet. Wären nämlich beide miteinander identisch oder zumindest so »verwandt«, dass sie eine gemeinsame Struktur bilden, beide also Teil desselben Systems sind, dann könnten sie sich zueinander nur als Momente verhalten. Aber würde dies nicht sogar jene Meta-Botschaft wieder ab absurdum führen, auf die wir uns sozusagen inoffiziell schon geeinigt haben, nämlich die, dass »Veränderung«, dass Wert und Glück und Schönheit in sich genug sei, unabhängig ob es sich innerhalb oder außerhalb des Systems Matrix vollzöge. Tatsächlich ist ja der Aspekt der Illusion in THE MATRIX RELOADED, der im ersten Teil so zentral war, kaum noch ausschlaggebend. So wie Alice erfahren hat, dass es nur darauf ankommt, wer die Macht hat, hat auch Neo erfahren, dass er nicht einen Kampf gegen Trugbilder, sondern gegen Machtzusammenhänge führen muss. Selbst die Entscheidung, ob man sich als Element oder als Moment stärken will, oder aber das System selbst stärken will, jawohl mein Führer, sagt noch nichts darüber aus, ob man das System stärkt oder schwächt. Das System Matrix, so erfahren wir im zweiten Teil, ist am meisten gefährdet durch die alten Programme in sich selbst, so wie eine Gesellschaft in der Regel ja auch durch ihre Stützen mehr als durch ihre Rebellen gefährdet ist.
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Alte Programme ähneln dabei jenen »unentscheidbaren Sätzen«, deren Existenz der Mathematiker Kurt Gödel bewies, woraus das Gödelsche »Unvollständigkeitstheorem« entstand: Es gibt immer Fragen in einem System, die mit den Mitteln des Systems nicht zu beantworten sind, und Behauptungen, die mit den Mitteln des Systems nicht zu beweisen oder zu widerlegen sind. Das ist nicht nur mathematisch und philosophisch von Bedeutung; es ist das Wesen von Erzählung und Bild. So wie es kein System gibt, das sich selbst als vollständige Erklärung enthält (wie auch das menschliche Gehirn), so gibt es auch kein »endgültiges« Bild oder eine alles erklärende Erzählung. Allerdings gibt es zwei Grenzfälle zwischen einem System und einem Teil, die wir in Beziehung auf die gesellschaftlichen Verhältnisse nur zu genau kennen: Der eine ist der bedingungslose und fanatische Fundamentalist, der für sein System nicht nur andere, sondern im geforderten Fall auch sich selbst töten wird. Der andere ist der paranoide Verschwörungstheoretiker, der nichts mehr wahrnehmen kann als das Zugreifen eines mehr oder weniger geheimen Systems auf ihn, das einzig dissidente Teil. Wie es mit anderen scheinbaren Gegensätzen zu gehen pflegt, sagen wir dem Sadismus und dem Masochismus oder der Moral und dem Verbrechen, kommen die beiden Aspekte häufiger in einer gemeinsamen Trägersubstanz, zum Beispiel in einer menschlichen Vorstellungswelt, zusammen. Schließlich muss sich wohl auch Neo fragen lassen, ob er noch ein Verschwörungsparanoiker oder schon ein terroristischer Fundamentalist ist. Niemand könnte diese Frage in THE MATRIX und THE MATRIX RELOADED anders zu seinen Gunsten beantworten als durch den Hinweis darauf, dass Neo einer ist, der die Möglichkeit des Zweifels und des Selbstzweifels noch nicht abgetan hat. Was sich jedenfalls im Verlauf von THE MATRIX RELOADED herausstellt, ist, dass es sich bei der Matrix nicht um ein vollendetes System handelt. Der Kniff ist zu fragen, ob es sich um ein noch nicht vollendetes System handelt oder um ein nicht vollendbares. Dazu gilt es, für Neo und für uns, weitere Fragen über das System der Matrix zu beantworten: 1. Sind alle Teile des Systems miteinander verbunden oder nur die jeweils einander nahe liegenden? Systeme werden stabiler und komplizierter, wenn möglichst viele Teile untereinander verbunden sind, nicht wie in einer klassischen mechanischen Maschine, wo schon das dritte Zahnrad mit dem ersten keine Verbindung mehr eingeht. Wenn man sich THE MATRIX RELOADED genauer an sieht, muss man wohl sagen, dass es mit der Verbindung der Teile in der Matrix durchaus hapert.
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2. Wie kompliziert ist das System überhaupt? Das ergibt sich logischerweise aus der Anzahl der Teile und aus der Anzahl der Beziehungen (oder »Regeln«), die sie verknüpfen. Es ist schwer zu sagen, wie kompliziert die Matrix eigentlich ist, weil sich uns mit dem Blick von Neo immer nur ein Teilaspekt offenbart. Was wir im Verlauf der Trilogie aber erkennen ist, dass das System immer komplizierter wird, je tiefer man in es gelangt. Und offensichtlich wird die Matrix auch durch jeden Zyklus von Erlösung und Reload komplizierter. 3. Das Zentrum aller Fragen (für Neo: die Frage nach seinem eigenen Leben) aber ist die nach der Dynamik des Systems. Zweifellos sind die Beziehungen der Teile nicht nach starren, sondern nach veränderlichen Ordnungen und Unter-Ordnungen gestaltet. Ändern sich nun aber die Teile selbst (mit einer gewissen Autonomie, die so etwas wie »Entscheidungen« einschließt), oder ändern sich die Beziehungen der Teile in einem System? Der Kampf zwischen den dynamischen und den starren Ordnungen und Teilen ist keineswegs entschieden: Diejenigen Teile, die zu starr sind, die »alten Programme« zum Beispiel, tendieren dazu, eigene SubSysteme auszubilden wie etwa das Reich des Merowingers. Diejenigen Teile, die zu dynamisch sind, Neo oder Agent Smith zum Beispiel, tendieren dazu, die Grenzen des Systems selbst in Frage zu stellen. Die dynamischen Aspekte füllen die Zeit (zum Beispiel die Zeit einer Erzählung, die Zeit eines Kinofilms), die starren Aspekte füllen den Raum (zum Beispiel den einer Architektur, den eines Bildes). Bilder-Machen und Erzählen bedeutet also letztlich nichts anderes als den Versuch, ein System so weit zu verstehen, dass man es überschreiten kann. Natürlich sind auch »die Sprache« oder »das Kino« solche Systeme. Deshalb kann man, zum Beispiel, nichts über die Überschreitung eines Systems im Kino erzählen, wenn man nicht gleichzeitig das System Kino überschreitet. Die Ordnung der Dinge im Kapitalismus besteht im Produzieren, Konsumieren und Überleben. Sie besteht, um es genauer zu sagen, in der perfekten Maskierung der Ordnung in den Wünschen. Das System der Ordnung und das System der Wünsche im Kapitalismus verhalten sich schließlich wie im Kantianismus Anschauung und Idee. Ich kann nur wollen, was ich bekommen kann, und ich kann nur bekommen, was ich wollen kann. Die Hoffnungen des Marxismus, dieses System überwinden zu können, erfüllten sich nicht. Es imitierte nämlich auf eine verblüffende Art ein religiöses System, indem es Subjekt und Objekt der Ordnung miteinander verschmolz. Im Kapitalismus der neuen Form werde ich durch mich selbst unterdrückt. Ich bin der Sklave meiner Wünsche, die wiederum nur einem
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versklavten Bewusstsein entstammen können. Innerhalb dieses Systems gibt es durchaus Bewegungsfreiheit (und nicht zuletzt lebt es, wie die Matrix, auch von seiner Opposition). Es geht nicht um die Wirklichkeit, sagt die Systemtheorie, es geht um Wirklichkeiten, die durch Kommunikation miteinander verbunden werden. Wirklichkeit ist eine Frage des Austauschs. Man benötigt dazu etwa sich ausbreitende Wellen der Bewegung – oder »Botenstoffe«, Codierungen und Decodierungen, Prüfungen und Verwandlungen, »freie Radikale« oder Texturveränderungen. Man kann auch sagen: Man benötigt Helden dazu.
Simulation und Fragment Es verhält sich nun vielleicht nicht so, dass wir die Simulationen in der Welt durchschauen könnten als Bilderverschwörungen, vielmehr verhält es sich, wenn man Baudrillard zu Ende denkt, so, dass die Welt überhaupt nur als Simulation zu verstehen sei. So wie wir die Ordnung der Dinge nur als ein Ineinander verschiedener Systeme beschreiben können, ohne ein »erstes« und ein »letztes« System ausmachen zu können, so können wir die Ordnung der Bilder nur als ein Ineinander von Simulationen verstehen, ohne je an ein Original oder ein Ideal zu gelangen. Mit anderen Worten: Beides, die Wahrnehmung und die Idee, deren Widersprüche die Philosophen sich seit ein paar Tausend Jahren in immer neuen, immer komplizierteren Modellen aufzulösen bemühten, existiert womöglich gar nicht. Jedenfalls existiert es nicht für uns. (Das nennen wir nun aber Immanuel Kant kräftig auf den Kopf stellen, von dem wir ja, so vereinfacht wir uns das vorstellen, gelernt haben, dass die Dinge der Welt und die Ideen in unseren Köpfen nur deswegen identisch sein können, weil sie es für uns sind.) Das enthebt einen indes noch lange nicht der Frage, mit was für einer Art von Simulation man es zu tun hat. Die Matrix, klar doch, ist eine »neurointeraktive Simulation«, die zyklische und begrenzte »Anomalien« hervorbringt (nämlich zum Beispiel einen Cyber-»Messias«, oder, wie in ANIMATRIX – WORLD RECORD, unwillkürliche Risse zwischen dem Innen und dem Außen), mit dem Ziel, das Programm noch perfekter, noch angepasster, zu reloaden. Neo also hat, so endet Teil zwei der Trilogie, seine Welt nur »durchschaut«, um sie zur perfekteren Täuschung zu machen. Die Welt ist zerbrochen, vom Augenblick an, da sie angesehen wird, da ist nichts zu machen. Die Matrix also ist in Wahrheit nichts Ganzes, nicht einmal etwas besonders Planvolles. Das Fragmentarische und sogar Widersprüchliche macht ja die eigentliche Kraft der Matrix aus.
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Im Jahr 1967 aber trat die Simulation in ein neues Stadium. Ole-Johan Dahl und Kristen Nygaard entwickelten zur Herstellung »komplexer Echtwelt-Systeme« die Programmiersprache SIMULA. Bis zur Entwicklung der virtual reality oder des artificial life war es von da zwar noch ein weiter Weg. Aber die Wegmarke war gesetzt – und die Science-Fiction-Autoren hauten in die Tasten, die damals noch Teile rein mechanischer Prozesse waren. Nun wusste weder der mythische Mensch mit seiner Bestimmung im Kreis der göttlichen Geschehnisse noch der Religiöse mit seiner Gewissheit des Jenseits, weder der selbstbewusste aufgeklärte Kantianer noch der subjektsüchtige a-moralische nietzscheanische Typus, weder der Existentialist noch der Strukturalist dieser neuen zweiten Wirklichkeit eine neue Strategie, eine Erkenntnis entgegenzusetzen. Deshalb hatte die Wissenschaft auch den größten Spaß daran, ihre Agenten auf alles anzusetzen, was sich unbefugt in ihrem System herumtrieb, und das philosophische Problem, das ganz prinzipiell nur eines ist, wenn es auch ein ganz alltägliches und menschliches ist, wurde zur Fußnote in der Planung einer akademischen Karriere. Also warteten eine Menge Leute auf irgendetwas wie zum Beispiel einen intellektuellen Actionfilm, der das Problem auf die Agenda zurückbrachte. Was kann ich wissen von der Welt, in der ich lebe? Und THE MATRIX hatte natürlich keine eindeutige Lösung, er sprudelte nur die bislang vorgeschlagenen und wieder vergessenen Lösungsvorschläge durcheinander und setzte dabei etwas fort, was die Philosophen im letzten Jahrhundert begonnen hatten. Sie entließen die Ideen aus dem Gefängnis der Wissenschaft und scheuchten sie, wie die Krähen und Tauben, die die Welt der Matrix durchflattern, in den neuen öffentlichen Räumen herum. Nicht nur mehrdeutig, sondern als Propheten der Mehrdeutigkeiten. Da wir gerade dabei sind: Wir wollten noch einmal auf Sloterdijks Behauptung zurückkommen, »dass die Vorausahnungen einer mehrwertigen Ontologie von der Hermetik innerhalb der Nietzscheschen und Heideggerschen Diskurse überspringen in die massenkulturelle Anschauung.« Eigentlich muss man jetzt nur noch wissen, dass »Ontologie« nichts anderes als eine »Lehre vom Seienden« oder meinetwegen einer »Ordnung des Seienden« (in Bezug auf die Metaphysik) meint. Wenn sie aus den so oder so geschlossenen Denklinien überspringen in die massenkulturelle Anschauung, ist das einerseits wahrscheinlich ganz okay. Es beschreibt andererseits eine Mauer, einen Abgrund oder sonst etwas, was es zu überspringen gälte, eine Differenz oder eine Distanz, die wir uns bei Gelegenheit einmal näher anschauen müssten. Vorläufig beschreibt der Satz nur noch einmal Neos Dilemma von System, Subjekt und Wahrheit. Wie dem auch sei: Der Heidegger bleibt heute zu.
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Das Bild des Denkens & das Denken des Bildes Jedes Fragen ist ein Suchen. (Martin Heidegger)
Was wir in den letzten Jahrzehnten sowohl in unserem Alltagsleben als auch in Gedanken, die man sich mit einiger Mühe noch darüber machen kann, beobachten können, ist die Verschiebung vom Text auf das Bild. Nicht nur in der Produktion, der Konsumtion und der politischen Ökonomie. Sondern durchaus in der, nun ja, ontologischen Valenz. Wir reden und verständigen uns mehr über Bilder als über Texte und Ideen, das macht das Leben, wie es eben so gelebt wird, scheinbar einfacher und das Denken scheinbar komplizierter. Die Kulturpessimisten halten das für die pure Pest, weshalb wir unserer eigenen Bilderwelt nicht nur mit Faszination, sondern immer auch mit leichter Abscheu begegnen. Die Bilder verlängern unser Denken nicht, sie fressen vielmehr unser Denken auf. Guck dir nur unser Fernsehen an (oder besser noch: guck es dir nicht mehr an, sondern lies lieber ein gutes Buch)! Die Leute, die sich Gedanken über die Bilder machen, wenn sie es nicht mit dieser Warnung vor der Allmacht der Bilder und Trugbilder bewenden lassen wollen, tendieren dazu, einigermaßen schwer verständlich zu werden. Wir sprechen daher am liebsten über das Kino, zum Beispiel, indem wir einerseits die Herstellung der ironischen Trugbilder beschreiben (»ironisch« deswegen, weil diese Bilder ja gar nicht behaupten, etwas anderes als Trugbilder zu sein, und an Filmen wie THE MATRIX kann man auch studieren, wie diese Ironie im Verhältnis zu der Perfektion des äußeren Scheins der Bilder wachsen muss), sie andrerseits aber auf die Ideen zurückführen. »Was meint dieses Bild?« In den meisten Büchern über das Kino werden also die Bilder wieder in Texte zurückverwandelt – wobei der Fehler schon in dem »zurück« liegt: als wäre das Kino im besten Fall nur eine technisch verstärkte Art des Abbildes, das einer Idee besonders nahe kommt, oder sie eben in besonders drastischem Sinn verfehlt. THE MATRIX nun beschreibt eben jenes Unbehagen am Bild, das uns in der Alltagspraxis ebenso wie in der Theorie begegnet, und vielleicht ist es dabei nicht unwichtig, dass die Brüder Wachowski, anders als etwa ein Martin Scorsese, ihre Arbeit nicht als Kinofreaks begonnen haben, sondern als Bilderforscher und Bildermacher in einem weiteren Sinne: als Leute, die sich einerseits mit Texten vollgestopft haben und andrerseits mit den Comics und Bildern der Computergames. Es ist der Bilderzweifel in Form von Bildern.
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Die klassische Philosophie der Wahrnehmung geht mit Plato von der Dreiteilung der Wahrnehmung der Welt in »Urbild«, »Abbild« und »Trugbild« aus. Das Urbild oder Vorbild ist das (selber nicht bildhafte) Vorher des Bildes, was man insofern gerne auch als »Idee« bezeichnet. Das Bild ist also umso besser, je mehr es dem Urbild oder der Idee entspricht. Das Trugbild aber verkleidet sich durch eine oberflächliche Ähnlichkeit, und das perfekte Trugbild ist die Simulation, die Plato sogar als »dämonisch« bezeichnet. Und das »Dämonische« taucht dann auch immer bei den noch so rationalen Theoretikern der Wahrnehmung, bei Descartes zum Beispiel, wieder auf. Seien wir ehrlich: Auch wir sehen in unseren Bilderwelten an allen Ecken und Enden das Dämonische aufscheinen. Eine Welt der Simulationen ist eine dämonische Welt, da würden wohl auch die meisten Science-Fiction-Autoren dem griechischen Philosophen Recht geben, obwohl sie natürlich, um das zu belegen, selbst das Mittel einer Simulation benutzen. Anders als ein gewöhnliches Trugbild macht die Simulation die Rückverfolgung vom Bild zur Idee mehr oder weniger unmöglich. Im kritischen Alltag leben wir mit der Vorstellung, in der Simulation würden Bild und Wirklichkeit miteinander verschmelzen, so dass es, zum Beispiel, schon sehr schwierig geworden sei, zwischen der Simulation eines Krieges und dem simulierten Krieg zu unterscheiden. Gesellschaft produziert Simulation, und Simulation produziert Gesellschaft. Daher ist Simulation eine Frage der Macht, und jede Revolte gegen Simulation ist eine Revolte gegen Gesellschaft. Für die Helden von THE MATRIX ist das eine sehr handfeste Angelegenheit, aber in THE MATRIX RELOADED wird schon sehr viel deutlicher, dass der Beobachter ein Teil der Simulation sein muss. Anders als Deckard in BLADE RUNNER sucht Neo nicht nach seiner verlorenen Menschlichkeit, er wächst vielmehr in der Simulation über sich hinaus, was schließlich gar in einer »SupermanNummer« gipfelt. Und verrückt genug: Je mehr er wächst, desto mehr wird er Bild. Er verhält sich in dieser Beziehung also als Negativ der Replikanten in der Philip-K.-Dick-Welt. Geschichte und Religion jedenfalls sind nicht zu denken ohne die Bilder. So beschreibt Gilles Deleuze sehr einfach die Geschichte des Menschen: »Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde und seiner Ähnlichkeit, doch durch den Sündenfall hat der Mensch die Ähnlichkeit verloren, das Bild aber bewahrt. Wir sind Trugbilder geworden, wir haben die moralische Existenz verloren, um in eine ästhetische Existenz einzutreten.« Neo ist vielleicht einer, der diesen Prozess umkehren will. Er, der (oder das) Eine, die Eins, das Neue, Noe, Noah, der Archenbauer und Retter der Bio-Diversifikation, will seine moralische Existenz finden.
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Neo wächst in der Simulation über sich hinaus, was schließlich gar in einer »Superman-Nummer« gipfelt. Und je mehr er wächst, desto mehr wird er Bild.
Seine Probleme gehen daher über die von Deckard hinaus, der den Menschen und damit sich selbst als Trugbild erkennen müsste (und der nicht verloren ist, weil er zugleich entdeckt, was moralische Handlung ist). Beiden gemeinsam ist freilich – und damit stehen sie in einer langen Reihe der Helden und Heldinnen der populären Mythologie des 20. Jahrhunderts –, dass sie die moralische und die ästhetische Seite ihres Lebens als Widerspruch empfinden. Man könnte auch sagen, dass das Kantianische Selbstbewusstsein und die Nietzscheanische Subjektivität sich so ineinander verzahnt haben, dass man beides nicht mehr »radikal« denken kann (wenn man überhaupt noch radikal denken kann). Übrigens macht das dennoch beide, Deckard und Neo, gleichsam automatisch zu antibürgerlichen Helden, schließlich war es für den Aufstieg dieser Klasse ausgemacht, dass das Ästhetische und das Moralische identisch sind, von der schönen Jungfrau bis zum hässlichen Schurken. Auch das bürgerliche Melodrama, in dem das Schicksal auf so moralische Weise Tugend und 265
Terror verteilt, ist eine Art Matrix (als Erzählmaschine wie als Lebenszusammenhang) . Die Frage ist also, ob man in der Matrix tatsächlich in einem »Trugbild« lebt. Das würde nämlich die Geschichte auf die gewohnte Verschwörungstheorie zurückführen. Jemand (in diesem Fall freilich, etwas komplizierter, »die Maschinen«, nicht als ein klares menschliches Subjekt, sondern ihrerseits als System) schafft ein Trugbild, in dem die Menschen leben, ohne es als solches zu erkennen. Ebenso möglich aber wäre es, dass diese Matrix nichts anderes ist als die Idee des menschlichen Lebens selbst, die nun ebenso »falsch« sein könnte. Das Urbild, das es zu überschreiten gilt. Und schließlich könnte es, nicht weniger überzeugend, jenes Bild sein, das es endlich zu akzeptieren gilt (vielleicht mit einigen notwendigen Korrekturen) . Die Bilder verhalten sich in dieser klassischen Vorstellung, wie Deleuze das sagt, als »Rivalen«. Sie kämpfen einerseits um die Nähe zur Idee und andrerseits um die Gunst des Subjekts, das sie glaubt oder nicht. Daher möchte jedes Bild zugleich Abbild und Trugbild sein, es kann sich einfach zwischen beidem nur schwer entscheiden. Es will wahr sein, und zugleich will es geglaubt, oder sagen wir: »geliebt« werden. Die Suche nach der Wahrheit, und das ist ja von Anfang an Neos Sache, ist also nichts anderes als ein Untersuchen der Bilder nach dem Gehalt an »Identität« und an »Idealität«. Stimmt das Bild mit der Idee überein? Und ist das überhaupt das Problem? An diesem Punkt ist Neo am Ende von THE MATRIX RELOADED angelangt. Das Trugbild, sofern man es vom Abbild tatsächlich unterscheiden könnte, ist nicht einfach nur ein produziertes falsches Bild, sondern eine Maschine, die selbst produziert und die sich in der Produktion verändert. Die Simulationen der Mensch-Maschinen verändern sich in den TERMINATOR-Filmen beständig (so wie sich in den ALIEN-Filmen das Phantasma des Fremden – oder des Verdrängten – beständig verändert); in beiden Formen der Simulationsproduktion aber ist diese Veränderung ein Prozess der Zeit (ganz direkt ist da immer von »Generationen« die Rede), in MATRIX aber verändern sich die Trugbilder vor allem im Raum, sie streben das Paradox einer simultanen Veränderung an. Alte und neue Programme umkreisen einander. In der klassischen und das heißt in gewisser Weise der reaktionären Science-Fiction wehrt sich der veraltete Mensch gegen das, was nach ihm kommt, Maschine, Vision, Phantasma, alle Arten von androider Neuschöpfung und Simulation. Oder die Neuschöpfung in der Art eines Robocop stellt sich in den Dienst der alten, menschlichen Ideale. Selbst Superman gelangt in seine Identitätskrisen, weil sein Status als Held
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noch lange keine moralische Existenz bedeutet. Deshalb ist vielleicht die spöttische Bemerkung über Neos »Superman-Ding« auch mehr als ein ironischer Schlenker: Neo, der sich erst einmal für die Differenz entscheidet, steht in THE MATRIX RELOADED ja tatsächlich in Gefahr, nur ein weiterer Superman zu werden – ein Phantasma, das sich in den Dienst der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Konzeption der Wirklichkeit stellt, in der Ästhetik und Moral wieder in eins gezwungen werden soll. Data in den Star Trek-Serien oder der elektronische Pinocchio in Steven Spielbergs A.I. wollen, statt Weltherrschaft oder totale Simulation anzustreben, unbedingt »richtige Menschen« werden. Eine Simulation ist eine in der Zeit, im Raum und im Gebrauch der Zeichen begrenzte Abbildung, in der man, anders als in einem reinen Abbild, Prozesse ablaufen lassen kann. Eine Simulation ist umso besser, je mehr man von solchen Prozessen ablaufen lassen kann, umgekehrt aber wird die Simulation mit jedem dieser Prozesse besser, die darin erfolgreich abgelaufen sind. Es steckt also in der Natur einer Simulation, dass sie ab einem bestimmten Punkt von einem realen System nicht mehr zu unterscheiden ist. Selbst das einzelne Subjekt, das es doch in der Hand haben sollte, tut sich da schwer: Die perfekte Simulation einer Krankheit führt zu einer realen (entweder man wird wirklich an der simulierten Krankheit krank, oder aber man wird an der Meta-Krankheit »Hypochondrie« krank, oder man wird durch die Simulation der körperlichen Symptome im Kopf krank); und unser Lieblingsthema: Wo ist die Grenze zwischen einer simulierten und einer echten Sex-Szene zwischen zwei Schauspielern vor der Kamera? Wenn man aber bei einem dieser Prozesse an den Rand oder an die Illusionsmauer einer Simulation gelangt ist, muss sie so oder so zusammenbrechen. (Der Arzt schreibt den Hypochonder gesund, der Regisseur schreit »cut!« – und der Schauspieler versucht verlegen, seine echte Erektion zu verbergen, oder auch nicht.) Die Grenzen meiner Welt sind die Grenzen meiner Simulation. Das passiert zum Beispiel, als Truman Burbank in THE TRUMAN SHOW nach 30 Jahren der Täuschung an den »Himmel« stößt, der in Wahrheit eine Studio-Wand ist und das simulierte Kleinstadt-Idyll einer Soapopera von der zynischen Außenwelt und den Schaltzentralen der Simulatoren trennt. So rein wie beim »eingebildeten Kranken« und bei Truman sind in der Geschichte der Simulationen die Rollen von Tätern und Opfern natürlich so gut wie nie verteilt. Das Simulacrum aber ist ein Bild, das sich mit dem Gesichtspunkt verändert. Ob es sich um ein Abbild oder um ein Trugbild handelt, ist nicht »objektiv« zu unterscheiden. Deshalb ist der Hinweis auf das Orwellsche Zimmer 101 am Beginn so wichtig: Neo erlebt das Ihm-Zugedachte. Das
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Subjekt ist, im Gegensatz zur »klassischen« Science-Fiction, keineswegs in Gefahr zu verschwinden, im Gegenteil, es ist Mitautor der Matrix. Er ist in der Matrix, und die Matrix ist in ihm. Um ein reines, platonisches Trugbild kann es sich also von Anfang an nicht handeln. Das Spannende an MATRIX ist, dass die Matrix eben offensichtlich nicht eine traditionelle Simulation ist und die Existenz einer Studiowand, die eindeutig das Innen vom Außen trennt, immer in Zweifel steht. Ist Neo einer, der aus einer Simulation erwacht und seine Grenzen überschreitet, oder ist er, anders herum, nur ein besonders beweglicher, besonders dramatischer Teil des Programms selbst? Die Lösung schien zunächst in einer dialektischen Aufhebung versprochen: Der Messias im Simulacron würde beides sein, und daraus würde ein Drittes entstehen, was das »Neu« in seiner semiotischen Maske rechtfertigen würde. Aber das System, das sich von der Trinität von Urbild, Abbild und Trugbild zur digitalen Schachtelwelt entwickelte, scheint mittlerweile um eine Spur zu komplex für diese Lösung. Das Subjekt und die Bilder haben eine direkte Beziehung zueinander; die Bilder verändern sich zwar unentwegt, aber wer sie auch sieht und von wo aus sie gesehen werden, sie erscheinen immer einen Zusammenhang zu ergeben. (Was du siehst und was ich sehe, was ich heute sehe und gestern gesehen habe, es mag nicht das Gleiche sein, aber es scheint der gleichen Weltordnung anzugehören: so wie wir scheinbar zwischen verschiedenen Programmen wählen und tatsächlich immer dasselbe Fernsehen sehen.) »Illusion« dagegen sind eher dahinterliegende Ideen. Denken wir an die ausweichenden Bewegungen aller potenziellen Ideengeber in MATRIX. Das »Orakel« wirft das Subjekt des Helden nur immer auf sich selbst zurück. Es hat keine Idee. Es spricht in Bildern, wenn überhaupt. Es blickt höchstens in eine sehr nahe Zukunft, sieht allenfalls, dass einer im nächsten Moment eine Vase umwerfen wird. Aber es erkennt Spuren und Linien. Und Morpheus heißt ja nicht umsonst so, ein Hüter von Schlaf und Traum. Man kann diese Bezeichnung als einen Akt der Ironie ansehen, man kann es aber auch ganz wörtlich nehmen: Sigmund Freud hätte ihn vermutlich als jenen Hüter des Schlafes bezeichnet, der den Schlafenden am Aufwachen hindert, indem er das, was ihn hätte aufwachen lassen, in den Traum mit einbezieht (so wie jemand das Geräusch seines Weckers als Signalton eines Dampfers träumt, der ihn auf seine Südseeinsel bringt). Trinity, die Dreieinigkeit von Idee, Abbild und Tat, verwischt Identität und Differenz; kein Wunder, dass Neo sich in sie verlieben muss. Was kann man gegen ein Trugbild machen? Zum Urbild zurückkehren. Oder ein Abbild dagegen halten. Nichts davon könnten wir auf reine Rationalität begründen.
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Die Religion der MATRIX Erkenne, Jüngling, wie thörricht, wie unfruchtbar es ist, über das Woher und Warum der Dinge zu streiten, da Ordnungen zu finden, wo Finsternis ist; und lerne, die Zweifler zu dulden. (Wilhelm Ludwig Wekhrlin / 1789)
Die Matrix funktioniert, wie Slavoj Zizek behauptet hat, wie ein »Rorschach-Test«: »Meine >Lacanianischen< Freunde versichern mir, die Drehbuchautoren müssten Lacan gelesen haben, die Verfechter der Frankfurter Schule sehen in der Matrix die Verkörperung der Kulturindustrie, die unser Seelenleben kolonisiert und uns als Energiequelle nutzt, New-Age-Gläubige finden eine Quelle der Spekulationen darüber, dass unsere Welt nur ein Trugbild ist, erschaffen von einem globalen, im World Wide Web verkörperten Bewusstsein.« Was die Philosophie in der Matrix anbelangt, so sind wir wohl der Falle der Beliebigkeit bei der Deutung eines solchen Rorschach-Tests entkommen, indem wir der Sache eine Geschichte zurückgegeben haben. Seit Plato haben sich sehr viele Menschen Gedanken darüber gemacht, was man von der Welt wissen und wahrnehmen kann und wie sich Gewissheit und Zweifel zueinander verhalten. Offensichtlich sind alle, die sich solche Gedanken gemacht haben, immer wieder an bestimmte Schlüsselprobleme gelangt. Die jeweils moderneren Denker haben dabei immer wieder versucht, die Widersprüche, die sich dabei ergeben, auf eine andere Ebene zu heben. Und mittlerweile ist dieser Diskurs längst in die Pop-Sphäre gelangt, das begann lange vor MATRIX. Was uns in der Matrix so interessant erscheint, ist weder die Technologie an sich noch die Religion an sich, sondern vielmehr die merkwürdige Beziehung, die beides zueinander einnimmt. Was das Christentum anbelangt, kann man wohl mit Stanislaw Lern annehmen, dass die Religion die Technologie nur dort als Problem annimmt, wo sie sich mit den Bildern, die diese erzeugt, bereits auf ihre Weise befasst hat. Ein Webstuhl oder eine Nähmaschine sind kein religiöses Problem, weshalb die Religion und die Fabrik (übrigens: skandalöserweise) neutral nebeneinander bestehen. Anders schon fällt es mit dem Fliegen aus. Gehört sich das, dass die Menschen etwas tun, was den Engeln vorbehalten schien? Der religiöse Skandal 269
schlechthin schließlich ist die technologische Herstellung eines Menschen – mögen die Webstühle und Fließbänder und virtuellen Geldgeschäfte auch das Leben der Menschen erheblich heftiger beeinflussen als ein androider Roboter oder ein Klon. Und was schließlich wäre erst die Herstellung einer künstlichen Welt im religiösen Kontext? Kommt natürlich darauf an. Für einen Buddhisten mag es so nichtig sein wie eine Dampfmaschine, für einen Taoisten die Produktion eines hübschen Gleichnisses oder (wie es in MATRIX ja immer wieder ganz direkt bildhaft wird:) so »wirklich« wie ein Text. Für die Schöpfergott-Religionen aber ist es wohl nicht ohne innere Schmerzen hinnehmbar. Und so wie wir in der Ästhetik und in der Auffassung von Raum und Zeit so etwas wie eine Ver-Östlichung in der MATRIX-Welt beobachten, so sehen wir in ihren semiotischen Religionsund Technologie-Kriegen auch eine Zersetzung und Neugeburt der abendländischen Mythen und Religionen durch die östlichen Angebote des Spirituellen (mögen sie auch reduziert sein auf das Maß, das in jenem Zimmer des suchenden Jugendlichen gilt, von dem aus unsere Reise in die Matrix begann). Das Ganze funktioniert aber natürlich auch umgekehrt: Technologie wird, je mehr sie Einfluss auf die Ur- und Selbstbilder des Menschen nimmt, selber unabwendbar »religiös«. Genauer gesagt: Die Technologie ist es vor allem, die die endgültige Spaltung zwischen der Religion (dem Fundamentalismus) und dem Religiösen (Mystik und Heilserwartung) bewirkt. Insofern sind alle Religionskriege ebenso als Technologie-Kriege zu verstehen und umgekehrt. Das ist zwar einerseits ein ungeheuerlicher Gedanke, andrerseits würde aber ein Gedankenspiel wie das um die Matrix anders gar nicht funktionieren. Das Religiöse, wir haben es schon immer mal wieder angedeutet gesehen, ist in der Erzähl- und Bildermaschine von MATRIX einerseits Material, und es ist andrerseits unausweichliche Entwicklung in ihr selbst. Auch hier scheint das Angebot an Religionszitaten so reichhaltig, von der griechischen Göttersage bis zum Zen-Buddhismus, dass man sich schon bei der Systematik des Suchens schwer tut. Eine andere Frage ist freilich, ob es tatsächlich Religion in MATRIX gibt oder gar ob der Stoff selbst wie eine Religion funktionieren könnte. Wäre also Gelegenheit zu fragen: Was ist Religion eigentlich? Man kann da mitten hineinspringen, Augen zu und Herzen auf, und mit Paul Tillich behaupten, Religion sei, was einen »unbedingt angeht«, die Entdeckung und Akzeptanz einer absoluten Ausrichtung auf den einen Sinn im Leben. Alles auf eine Karte, der Rest ist Alltag. Eine solche Deutung geht natürlich ausschließlich vom Subjekt aus. Insofern steht am
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Beginn der Rebellion und Mission von Neo noch keine religiöse Entscheidung, sondern eine Entscheidung für Religion. Ob er nun noch Zweifel hat oder nicht, Neo hat sein Leben auf diesen einen Sinn ausgerichtet. Die letzte Versuchung liegt bald hinter ihm, sie besteht nicht in einer radikalen Negation, sie besteht vielmehr in einer schlichten Aussage: Es gibt noch etwas anderes. Etwas, das mich so sehr und so direkt angeht, dass ich dafür mein Leben (oder was ich bisher dafür gehalten habe) aufs Spiel setze. Aufwachen bedeutet also nach dem Entschluss zum politischen Widerstand und nach dem Beginn der Suche nach Erkenntnis als Drittes nichts anderes als eine religiöse Erweckung. So setzt sich das Subjekt in Bewegung. Von außen dagegen erkennt man Religion gerade daran, dass sie nicht etwas anderes ist. Zum Beispiel ist Religion nicht Kunst oder nicht Wissenschaft oder nicht Philosophie oder Weltanschauung oder moralische Überzeugung. Man erkennt eine Religion aber auch daran, dass sie im Widerspruch zu anderen Religionen steht. Die eine Religion versteht sich gegen die andere, oder zumindest jenseits von ihr. So ist das Religiöse nicht nur die Voraussetzung für Religion, sondern auch ihre Konkurrenz. Man könnte Religion durchaus als Verdinglichung, ja sogar als ein Projekt der Aufhebung des Religiösen empfinden. Deswegen will sie ein System werden, und jede Religion hat offensichtlich in ihrem Stadium als besonders umfassend »gültiges« System die Tendenz, sich wiederum in mehrere Systeme zu spalten. Einerseits in Fraktionen (Protestanten/Katholiken, Sunniten/Schiiten und so weiter), andrerseits aber vor allem in geschlossene und in offene Systeme, in die »Fundamentalisten« und die »Mystiker«. Die Fundamentalisten treffen sich am liebsten im Krieg, die Mystiker am liebsten im Tanz. Die Einwohner von Zion sind zweifellos erst einmal Fundamentalisten, ihre Ähnlichkeit mit der heiligen Überzeugtheit einer Sekte ist dabei kaum zu übersehen. Sie ähneln den Urchristen in den Katakomben, die sich als paradoxe spirituelle Verschwörung gegen eine weltliche Macht verstehen mussten. Offensichtlich fehlt den Fundamentalisten von Zion der Mystiker. Vom Mystiker zum Ketzer ist der Weg nie besonders weit. In Teil zwei entwickelt sich bei Neo eine Art von Zweifel zweiten Grades. Er hat nicht nur erfahren, dass ein Erlöser Teil des Programms sein kann, sondern auch, dass die Matrix voller Gespenster steckt: Vampire, Doppelgänger, Werwölfe, whatsoever. Plankton des Transzendentalen. Innerhalb einer Religion kann das Rationale der Religion nicht gedacht werden. Wenn ein Christ denkt, sein Christentum sei wahlweise verdammt nützlich für den Staat, für das Geschäft, für ein Projekt der moralischen Kontrolle oder für die Abwehr des bösen Bolschewismus, hat er
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sich schon außerhalb seiner Religion gestellt. Der Fundamentalist ist so nahe am terroristischen Diktator wie der Mystiker am (möglicherweise ebenfalls terroristischen) Ketzer. Religion ist also unzweifelhaft in der Geschichte ebenso ein Ordnungsfaktor wie ein Sprengsatz. Die Sehnsucht des Religiösen, jenseits von Geschichte und Gesellschaft zu gelangen, wird in der Religion immer wieder verraten. Jede Religion ist eine Matrix. Übrigens gibt es, was die Definition von Religion anbelangt, notwendig weder die Vorstellung von einem Gott noch einer Offenbarung, während Erscheinungen wie »Himmel«, »Hölle«, »Erlösung« oder »Opfer« auch jenseits von Religion ziemlich verbindlich auftreten können. Nur das Drinnen und das Draußen, das gibt es immer. Die Götter und die Offenbarungen freilich braucht man wohl, um sich Religion zu erzählen, und man braucht sie, um die Religion von einer anderen abzugrenzen. Aber da sind wir schon bei der Geschichtlichkeit der Religion, die man ja nie wegdenken kann. Jede Religion, vor allem wenn sie von einer Schöpfung und einem noch so komplexen Subjekt dahinter ausgeht, hat ein eingebautes Problem. Man kann es schlicht »das Böse« nennen. Wenn es das Böse gibt, dann muss der Schöpfer oder die Schöpferin auch dafür verantwortlich sein. Haben er oder sie da ein paar schlechte Tage gehabt, wollten sie uns prüfen, uns eine moralische Freiheit geben, auf die wir doch als »Geschöpfe« nicht vorbereitet sind – verdammt zu einer Freiheit, zu der der Mensch nicht geboren ist, wie Sartre sagt –, oder ist das Jenseits, entgegen unseren Hoffnungen, mindestens so uneins, unfriedlich und widersprüchlich wie unser gewohntes Jammertal? So will das göttliche Subjekt eins werden und muss sich doch permanent spalten. Gute Götter, böse Götter. Ein liebender und ein zorniger Gott. Eine Dreieinigkeit schließlich, gegen einen Satan, einen Gefallenen, einen Versucher. Die großen, zentralen Religionen gehen davon aus, dass dennoch die Welt, wie sie ist, »richtig« ist, so wie die ersten Aufklärer sie dann als »vernünftig« interpretierten (Voltaires armer Candide hatte damit seine Schwierigkeiten). Schwarze Religionen (und schwarze Aufklärung, sagen wir bei Theodor W. Adorno) können sie daher nur als vollkommen »falsch« ansehen, was, nebenbei gesagt, für das alltägliche Leben und den »Glauben« genauso schwer ist wie das »Einverständnis« in die Schöpfung. Erleuchtung und Gnade entwickeln sich schließlich an den Orten und in den Zeiten der größten Verdammnis. Aber die Gnostiker und die Satanisten haben's auch nicht leicht. Die einzige praktische und menschliche Art, mit Religion umzugehen, ist ein entschlossenes Wischiwaschi. Ein Absehen von den Kernen und ein Bejahen der Peripherie. Das wird nicht gern gesehen. Das Sampling freilich, der
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sich beschleunigende religiöse Remix, ist keine lineare Entwicklung. Die Fundamentalisten und die Mystiker brechen an unerwarteten Stellen wieder hervor. Sie rekonstruieren die Geschichte als Religion und die Religion als Geschichte, furchterregend. In THE MATRIX wird sich Thomas Christian Anderson als Neo seiner messianischen Sendung bewusst. Der wichtigste Aspekt ist hier der, »wahrer Mensch« zu werden. In THE MATRIX RELOADED soll Neo den anderen Aspekt erfüllen, nämlich »wahrer Gott« werden. Der Zweifel sieht also in beiden Teilen ganz und gar anders aus. In THE MATRIX muss Neo an sich selber zweifeln. In THE MATRIX RELOADED aber zweifelt er an der Welt und natürlich, sehr zu Recht, am »Vater«. Bedarf die Welt seiner Rettung, und »verdient« sie sie? Und schlimmer noch: Wird er nicht von beiden Seiten schamlos missbraucht?
Das Biblische Wie zu gewissen literarischen Vorlagen, wie zu Homer, Shakespeare, Lewis Carroll und William Gibson, so ist auch der Bezug zur Bibel in der Entwicklung von Plot und Ikonografie in THE MATRIX so deutlich, dass man nicht mehr von einer »Konnotation« sprechen kann. Es ist ein bewusstes, oft frontales Spiel mit Gestalten und Geschehnissen der Bibel – des Alten wie des Neuen Testaments – und der Kabbala, in dem immer wieder eine dialektische Negation stattfindet: Der Matrix-Name des Helden, Thomas Christian Anderson, verweist nicht nur auf einen nicht unbekannten Märchenerzähler. Thomas, der eine Zeitlang nicht zu Unrecht den Beinamen »der Ungläubige« erhielt, ist in der urchristlichen Lehre der Zwillingsbruder von Jesus, der der Christus wurde. Die wörtliche Übersetzung von Anderson (Andras = der Mann) verdoppelt die Erlöser-Funktion noch einmal zum »Menschensohn«. Wie der christliche Messias, so spaltet auch Neo das Volk und den Glauben. Israel erwartete den Erlöser als politischen und nicht zuletzt auch militärischen Führer im Kampf gegen Unterdrückung und Besatzung. Einen »König«, und als König wurde er auch empfangen, bevor er sich von diesen weltlichen Ansinnen befreite: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Neo, so scheint es, überschreitet diesen Widerspruch, den wir aus allen amerikanischen Bibelfilmen kennen (die Schwierigkeiten haben, ihre heimliche Sympathie mit dem Empire der Römer und ihren pragmatischen Vertretern zu unterdrücken und einen leidenden, einen radikalen Verlierer in den Vordergrund zu stellen). Er sieht, in THE MATRIX RELOADED, so aus wie einer, der gerade diese noch im Alten Testa-
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ment verhaftete Erwartung zu erfüllen imstande war, als wolle er diesmal der »richtige«, nicht der leidende, nicht der sich opfernde Messias werden. Nachdem er seinen göttlichen »Anruf« bekommen hat (zeitgemäß via Internet), bleibt er in einem alttestamentarischen Kontext, eher abrahamitisch, mosaisch. Der Erlöser ist ein »Modell«, das sich offenkundig auch wandeln kann. Als Neo beim »Architekten« der Matrix angelangt ist, erfährt er, dass er bereits die sechste Version der »Anomalie« ist, die das System der Matrix zugleich revoltiert und bestätigt. Aber alle vorherigen Versionen scheinen ihre Spuren, ihre kulturgeschichtlichen Reste, ihre Gespenster hinterlassen zu haben. Überbleibsel der alten Programme begegnen dem jeweils neuen »Messias«, und immer entstehen dabei die Dämonen, die, wie in Genesis 6,4 beschrieben, aus der Verbindung der Gottessöhne und der Menschentöchter entstehen. Es sind die »Halbwesen« zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, die in Dantes Göttlicher Komödie die Hölle bevölkern. Akzeptiert man die Geschichte der Matrix, so wie sie der »Architekt« erklärt (und wie sie Agent Smith, ein Miltonscher Satan, gewiss, schon vorher angedeutet hat), als eine Parallele zur Schöpfungsgeschichte, also nicht als virtual reality (als Simulation einer Welt), sondern als artificial life (als eigenständige, aber strukturierte Evolution in einem Programm und über das Programm hinaus), dann hat auch hier, wie schon erörtert, alles mit dem Verlust des Paradieses begonnen. Nur sind die Menschen in der Matrix nicht daraus vertrieben worden, sie haben es vielmehr nicht angenommen. Und jede neue Variante des Messias/Rebellen vollzog den jeweils nächsten Schritt der Schöpfung: Der (vorläufige) Endpunkt dieser Schöpfung ist offensichtlich das langweilige, mittelmäßige, unheroische Leben von heute. Und der »Architekt« im Dienste der Maschinen scheint den Messias als eben denjenigen programmiert/erwartet zu haben, der die unglückselige Geschichte der Menschheit beendet. Nicht die Menschen dieser Welt zu erlösen, sondern die Welt von den Menschen zu erlösen (wie es Agent Smith gerne hätte)! Der Schöpfungsmythos und die Erlöser-Legende drehen sich indes ineinander: Während der Erwählte noch so lange Zeit einem alttestamentarischen Modell folgt, wirkt er andererseits bereits wie ein neutestamentarischer Messias, der viel mehr das Leben rettet, als dass er die Revolte führt (wie in der »Lazarus-Szene«, in der er Trinity ins Leben zurückholt). Und natürlich erlebt Neo Tod und Wiederauferstehung – das Hotelzimmer mit der Nummer 303, in dem der erste Film beginnt und endet, gibt uns genügend Hinweise, auf das Alter des Erlösers, die histori-
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sche Zeit und die Tage zwischen Tod und Auferstehung, die Neo in den Armen Trinitys wie in einer barocken Pietà erlebt. Aber ist dieser Auferstandene nur ein Neo, der sich seiner Göttlichkeit bewusst ist, der seine Messias-Rolle angenommen hat, oder ist er in der Tat ein »spiritueller Körper« geworden? (Die Wachowskis verstehen es, Neo in eine Licht-Aura zu kleiden, die ihn über jeden gewöhnlichen Helden erhebt – aber es ist nicht der helle Schein der Entrückung, es ist mehr eine Art von LichtPanzer, was ihn begleitet.) Wie dem auch sei, wenn wir von dieser Szene als Wiederauferstehung und Wandlung ausgehen, dann erzählt die MATRIXLegende im Folgenden eine Geschichte, die es in der christlichen Mythologie gar nicht gibt: In der Bibel ist die Auferstehung das bedeutende und überzeugende Bild an sich, in der MATRIX-Legende ist es eher ein Mittel zum Zweck, eine von vielen Verwandlungen. Oder ist es gar eine noch radikalere Revision, in der Neo/Jesus durch die Auferstehung zu seiner wahren Bestimmung gebracht wird – oder wird eben nicht nur die Schöpfungs-, sondern auch die Erlösungsgeschichte in der MATRIX-Trilogie rückwärts erzählt? Je mehr wir indes von ihm erfahren, desto mehr wird uns klar, dass Neo ein polyvalenter, zugleich selbst produzierter und für jeden Empfänger als own personal Jesus verständlicher Erlöser wirkt. Der Messias im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Oder: Der Mythos im Zeitalter seines Selbstbewusstseins. So mag sich also – wir müssten vermutlich Trinity danach befragen – ein weiterer Kreis schließen, der einige der philosophischen Widersprüche in der Matrix auflöst (oder sie auf die nächsthöhere Spiel- oder Denkebene hebt): Neo, der jeweils neue Rebell und Messias, ist zugleich Subjekt und Objekt der Matrix-Schöpfung. Das, wogegen er zu rebellieren scheint, hat er selbst geschaffen. Er ist ein Gott auf der Flucht vor sich selbst, dem vor seiner Schöpfung graut, so wie er ein Mensch ist, der auf der Flucht vor seiner Wirklichkeit sich zum Gott träumt, der seine Schöpfung umwirft. Die Revision der Schöpfungsgeschichte lässt für den siebten Versuch (den siebten Tag der Schöpfung) keine andere Alternative als ein Neues Testament. Wenn wir nämlich die Matrix als eine Maschine ansehen, die einen Mythos erschaffen kann, dann bleibt uns auch kaum etwas anderes, als umgekehrt den Mythos als eine Maschine zu begreifen, die Bewusstsein schafft (oder, je nachdem, sein Gegenteil). Die Relektüre der Bibel in der Matrix bringt die Schöpfungsgeschichte als strukturelle Mechanik zum Vorschein. Daher verhält sie sich, wenn auch bei etwas weniger Passion des Subjekts, zur Bibel genauso wie Nietzsches Also sprach Zarathustra. Als Imitation, Konkurrenz und Parodie.
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Neo, der Erlöser, ist also schließlich doch eine neutestamentarische Figur, wenn nicht gar eine neuesttestamentarische. Ganz buchstäblich soll er ja am Ende von THE MATRIX RELOADED die Schöpfungsgeschichte neu schreiben, ein neues Programm für die Matrix und die Menschen in ihr begründen. Er ist der Erlöser, das wird nun wirklich oft genug betont, doch er agiert auch in einer Kleidung, die ihn unübersehbar als »Priester« markiert. Weder die Nacktheit noch die Demut eines Erlösers ist ihm gegeben. Die zentrale Vorstellung des Neuen Testaments ist die Notwendigkeit für Gott, ein Mensch zu werden und in dieser Gestalt das für ihn bis dahin Unfassbare zu erleben: den Tod. Zum einen ist diese Geschichte des Erlösers in MATRIX durcheinander geschüttelt, vervielfacht und gespiegelt. Die Auferstehung ist sozusagen aus dem Zentrum in die Peripherie des Mythos gerückt, sie wiederholt sich mehrfach, und sie ist eher der letzten Versuchung (der Liebe zwischen Mann und Frau) als dem Welten wendenden Opfer geschuldet. Immer wieder hoffen wir wohl, es könnte unter dem Strich ein weiterer Prozess der Vermenschlichung herauskommen. Ein Jesus, der darauf verzichtet, ein Gott zu sein. Und damit allen Menschen etwas von seiner Göttlichkeit abgibt.
Das Gnostische Zum anderen aber ist Neos Revolte grimmiger, als dass solch eine Versöhnung so einfach zu haben wäre. In der Gnosis, der ketzerischen Gegenbewegung zum Christentum, ist die materielle Schöpfung nur eine der höllischen Verirrungen, für die ein böser Schöpfer, der Demiurg, verantwortlich ist. Alles Stoffliche in der Welt ist Täuschung. Der menschliche Körper ist nur eine gräuliche Parodie der wahren menschlichen Gestalt. Man muss die Wahrheit hinter diesem Trugbild erkennen, wenn man sich aus dieser Hölle befreien will. Die Mehrzahl der Menschen freilich will von dieser Wahrheit nichts wissen. Sie bewegen sich in der stofflichen Welt, als wäre sie die gottgewollte Realität. Zum Erlöser in dieser Welt der bösen Schöpfung wird die Schlange, die dem Menschen vom Baum der Erkenntnis zu essen gibt: In der gnostischen Lehre ist sie keine Verkörperung des Satans, sondern ein Vorläufer des Messias. In diesem Sinne muss zweifellos Morpheus, der Mann in Schwarz, der die rote Pille reicht, als Verführer erscheinen, eine Erscheinungsform des einzig wahren Rebellen gegen den sadistischen Täuschungsgott. Und Trinity wie Neo gleichen sich ihm da, zumindest was das äußere Erscheinungsbild anbelangt, sehr genau
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Neo ist der Erlöser, doch er agiert auch in einer Kleidung, die ihn unübersehbar als »Priester« markiert.
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Der »Architekt« aus THE MATRIX RELOADED könnte in dieser Sicht der Dinge niemand anderes sein als jener Demiurg, der böse Schöpfergott.
an. Der »Architekt« dagegen könnte in dieser Sicht der Dinge niemand anderes sein als jener Demiurg, der böse Schöpfergott, der die Welt zu keinem anderen Zwecke erschaffen hat als dazu, die Menschen in ewiger Gefangenschaft in ihr zu halten. Und es ist dieser Demiurg, der böseste Gott, und dennoch nicht vergleichbar mit einem Dämon, der die Killermaschinen in Richtung auf Zion in Marsch setzt: Armageddon, die letzte der Schlachten, jedenfalls für einen Durchlauf der Schöpfungsgeschichte. Auch die Gnostiker waren, wie der Architekt, der Meinung, dass 99 Prozent aller Menschen der Gefängniswelt als Illusion anheim gefallen sind und nur das verbliebene eine Prozent sich dem Irrglauben an die »Realität« der Schöpfung widersetzt. So geht es darum, sich nicht mehr aus dem falschen Leben ins richtige Bild zu flüchten, sondern vielmehr aus dem falschen Bild ins richtige Leben. Es ist erst hinter dem Code zu sehen, dem Vorhang der Bilder und Zeichen, der wie der Zeichenvorhang der Matrix vor dem wahren Leben ist. Jeder religiöse Schöpfungsmythos ist aus dem Problem seiner Zeit geboren, wie weit er sich darüber auch hinaus entwickeln mag. Der gnostische Glauben, ursprünglich ein Phänomen der Spätantike, mag sich im Mittelalter an der unbarmherzigen Verweltlichung der christlichen Kirche und ihrer Macht wieder entzündet haben, und seine erneute Renaissance mag sich daran entzünden, wie sehr die Bildermaschinen religiöse Macht absorbieren. Im Zentrum steht nun nicht mehr die tiefe Kluft zwischen Gott und den Menschen, dieses Wissen des Schöpfers um so viel mehr als das Böse in seinen Geschöpfen, um ihre Tendenz, selber zu sein wie er, die schon im Paradies begann – im Zentrum steht die Täuschung selber.
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Gnosis freilich revoltiert auch gegen die Vorstellungen von Zeit und Raum im Christentum. Die große, prüfende Wanderschaft durch das Jammertal, an dessen Ende die Erlösung steht, auch für jene, die leidlich gesündigt haben, wenn sie nur Reue zeigen, verschwindet zugunsten einer Dramaturgie von Erkennen und Durchbrechen. Nicht in der Zeit, sondern in der Gemeinschaft liegt daher die Lösung.
Das Buddhistische Die Welt als Täuschung zu verstehen, das führt den modischen Gnostiker leicht zum Buddhismus. Auch Siddharta Gautama, der Buddha oder »der Erwachte«, lässt ein ganzes Leben als »Illusion« hinter sich. Und wie Jesus ist er einer, der einen Kreislauf der Welt unterbrechen muss, die ewige Wiederholung, in der die Welt immer wieder von vorn beginnt, ohne sich zu entwickeln – eine spirituelle wie eine politische Erfahrung. Und wie Jesus erschien auch Siddharta in einer Situation, in der es auf dieser Welt keine Hoffnung auf Veränderung zu geben schien. Den Kreis durchbrechen, das ist die Erwartung an den mehr als maßgebenden Menschen, das ist auch die messianische Erwartung im globalisierten Neoliberalismus mit seinen Kreisläufen von Kapital, Terror und Krieg. Mögen sich jedoch im modischen spirituellen Design die beiden Religionen auch samplen lassen, in vielem schließen Christentum und Buddhismus einander aus. Ein »Erleuchteter« zu sein ist vermutlich so ziemlich genau das Gegenteil davon, ein »Erwählter« zu sein. Aber in Neo steckt eben beides, One, »der Eine«, den der Mythos erwählt, um ein Bündnis zu erfüllen, und Eno, der Zen-Mönch, der so schlagend zu zeigen wusste, dass die Wirklichkeit eine Illusion ist. Doch Bodhisattva, der Erleuchtete, bleibt dann doch, wie Jesus, in der Welt, zu der er eigentlich nicht mehr gehört, er bleibt in der illusorischen Wirklichkeit, dem Samsara (dem Kreisen in der Welt), um den Blinden den Weg offen zu halten. Nicht durch die Bewegung wie ein Erlöser, sondern durch die Ruhe. Das Karma, das den Menschen antreibt (das Wort bedeutet nichts anderes als Bewegung), ist ein Schicksal, das man auf paradoxe Weise überwinden kann, durch Moksha (die Befreiung), durch die man dem Samsara entgeht, die Askese und die Meditation, mit der man sich vom körperlichen Leben und schließlich vom Körper selbst trennt. Die Größe dieses Buddha liegt in seiner eigenen Umkehr. Er verließ die Form der reinen Askese und kehrte zu den Menschen zurück, um ihnen zu helfen. Übrigens nachdem er sich mit der Gewalt und den Verführungskünsten von Mara, dem bösen Dämon des Samsara, auseinandergesetzt hatte.
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Neos Begegnung in THE MATRIX mit dem Löffel verbiegenden Buddha, …
An die Wahrheit der Schöpfung ist auch hier nicht zu glauben. Samsara verbirgt die innere Wahrheit hinter dem äußeren Schein. Nach dem »Erwachen« wächst Neo unter der Ägide von Morpheus und Trinity in eine christlich geprägte Mythologie hinein (in der es freilich, wir haben es gesehen, heftig rumort). Doch in diese Mythologie fließen immer mehr östliche Elemente ein; mit der Dauer der Handlung wendet sich Neo gleichsam immer mehr nach Osten. Gewiss hat das schon mit der Körperlichkeit zu tun. Die Martial Arts und die Form des Kampftanzes, wie sie in den MATRIX-Realfilmen und insbesondere in ANIMATRIX – FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS zu sehen sind, stammen zwar direkt aus filmischen Vorbildern aus Hongkong. Aber auch sie funktionieren nur durch ein buddhistisches Prinzip der Gleichheit von Denken und Handeln – schwer zu erlernen, und ganz bestimmt nicht auf die geradlinigste Art. Es geht um das Erreichen eines Verlöschens (»Nirwana«) des Feuers von Leidenschaft und Leiden, eine Geisteshaltung, die man überraschenderweise auch mit »cool« übersetzen könnte. Und die Matrix könnte man nun sehr einfach mit »Samsara« übersetzen, so wie die Herrschaft der Maschinen, im christlichen Kontext auf eine Art »Ursünde« zurückbezogen, ein Karma der Menschheit ist, das aus der Vergangenheit fortwirkt. Also weder Strafe noch Prüfung Gottes, sondern eine Akkumulation der Entscheidungen in der Vergangenheit. Was Neo daher betreiben muss, um das ewige Kreisen zu durchbrechen, ist eine Kette von »Reinigungen«, von Verlöschen und Leeren.
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… der die Fähigkeit erlangt, die Objektwelt zu kontrollieren
Als in diesem Sinne entscheidende Lektion erscheint auch Neos Begegnung mit dem kleinen, Löffel verbiegenden Buddha im Haus des Orakels. Nicht das Selbst kann über die Materie gebieten, es ist Teil der illusorischen Wirklichkeit (im Dharma); die Meditation macht vielmehr den Subjekt-Objekt-Widerspruch obsolet. Und in einigen, sagen wir: ein wenig effektorientierten Schulen des Buddhismus führt diese Aufhebung schließlich dazu, dass das reine Bewusstsein die Fähigkeit erlangt, die Objektwelt zu kontrollieren. Der Erleuchtete erschafft seine eigene Welt. Daher verbiegt er weder einen Löffel in unserer Welt, noch schafft er in uns die Illusion eines verbogenen Löffel. Er erschafft stattdessen eine vollkommene eigene Welt. Die Matrix als »Gefängnis des Bewusstseins« könnte also von einem Erleuchteten ganz einfach neu erschaffen werden (der Film erspart uns dabei allerdings den Anblick von Mühen und Techniken der Meditation, er spiegelt sie vielmehr mehr oder weniger unterhaltsam im Kung-Fu-Training), und Neo versteht das immer mehr. Deshalb kann er die Matrix nicht kontrollieren, aber sich vollkommen losgelöst von ihren Gesetzen bewegen. Als Buddha (oder auf dem richtigen Weg dazu) kann Neo nach der Tradition des Mahayana nicht nur die Welt der Objekte mit seinem Geist beherrschen, Zeit und Raum bedeuten ihm so wenig, dass er an mehreren Orten gleichzeitig sein kann. Die mehr oder weniger mystische Einheit von Denken und Handeln, die man im Abendland allenfalls durch Ideologie erreicht, und zwar als bedingungslose Bereitschaft zum Opfer, müsste nun in dieser Sicht freilich
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durch Neos Karma bestimmt sein, durch die Summe seiner früheren Entscheidungen und Erfahrungen, durch eine besondere, ein wenig komplizierte Form der Vorherbestimmung. So tritt eine neuerliche Variante in die Erklärung seines Aufwachens: Neben den Willensakt des politischen und philosophischen Subjekts und neben das Empfangen der Gnade und der Gemeinschaft tritt möglicherweise eine Vorherbestimmung, und Neos, des Erlösers, beständiger Durchlauf von der Geburtsraumhülle ins Zentrum der Matrix wäre nicht nur eine Nacherzählung der biblischen Schöpfungs- und Erlösungsgeschichte, sondern auch eine Erfüllung des Karma. Was die »Schöpfungsgeschichte« der Matrix von der Erfüllung des christlichen Mythos im Wesen unterscheidet, das ist ihre zyklische Anlage. Nicht der Zerfall zwischen Mensch und Gott, sondern die Unfähigkeit des Menschen zu seiner Entwicklung bestimmt den Kreis. Die Matrix widersetzt sich der Erlösung (oder der Revolution) durch die sich scheinbar selbst regulierenden Zirkel. Immer wieder wird der »Neo« geboren und muss die Matrix durchwandern, bis er im Zentrum das System neu starten kann. Immer wieder werden die Dissidenten nach Zion verdrängt, offensichtlich lässt das System sie sogar gerne dorthin ziehen, damit sie mit einem einzigen Schlag vernichtet werden können. Gegen diese grausige Konstruktion des Kreisens helfen nur die Erkenntnisse der Gleich-Gültigkeit. Wenn Neo ein Buddha geworden ist, vielleicht in seinem nächsten Leben, wie es das Orakel formuliert, dann wird er den Kreis durchbrechen.
Zen und die Kunst ein Motorrad zu fahren In der Philosophie ging der Weg von den Widersprüchen zwischen den Ideen und der Anschauung bis zur Spaltung der Philosophie selbst. Das Subjekt und das System (der Mensch und die Matrix) kommen am besten ohne einander zurecht. Den Weg vom Widerspruch zwischen Himmel und Erde (sehen wir mal von der lustvoll gezeichneten Hölle ab) zum Subjekt gehen auch, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, die Religionen. In der »negativen Theologie« des Christentums sind Dinge wie »die Abkehr Gottes« oder »der leere Himmel« zu denken. Im Zen-Buddhismus ist nicht dem Subjekt die Welt eine Illusion, sondern umgekehrt: Das Subjekt ist der Welt eine Fälschung. Alles ist richtig in der Welt, der Stein, das Tier, die Zeit – nur der Mensch ist falsch. Er kann nur eines versuchen, nämlich in die verlorene Mitte zurückkehren. Die »Ich-Sucht« (wir sprechen hier weder von Egoismus noch von Egozentrik) gilt es zu überwinden, die wir mit Nietzsche gerade als eine schmerzlich-schöne Erfahrung gegen die Moral und gegen
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die Konvention erkannt hatten: Nur der Ich-Süchtige kann zum »Übermenschen« oder, wir sind bescheidener geworden, zum Post-Menschen werden, der die erkannten Grenzen des »alten Menschen« überschreiten kann. Aber eine große Alternative scheint sich aufzutun in dem Menschen, der gerade, statt das Ich zu einem wahrhaften Monster aufzublähen, das gar nicht mehr anders kann, als sich in der Sphäre des Göttlichen zu bewegen, dieses so weit überwindet, das er eins wird mit der Welt des Richtigen. Ist also Neo ein Ich-Süchtiger oder ein Ich-Überwinder? Morpheus ein christlicher Ich-Apostel oder ein buddhistischer Meister? Ersteres erkennen wir unter anderem daran, dass er »predigt«. Der Buddhismus, insbesondere der Zen, predigt nicht. Er wartet. Die Herstellung und Heimkehr, die Einheit und Mitte zu finden ist die (unmögliche) Aufgabe des Zen. Deshalb ist der Zen-Meister ein ewiger Wanderer. Die Meditation hat das Koan zum Gegenstand. Das Koan ist eine »Aussage«, die die höchste Aufmerksamkeit erzeugt und erfordert. Wenn ein »Orakel« in die Zukunft führt (wenn auch über den Umweg über die Vergangenheit), so führt das Koan in die Tiefe, in die Mitte (wenn auch über den Umweg der Oberfläche). Man muss aus seinen Widersprüchen auftauchen. Durch Fragen, die die westliche Erkenntnistheorie ausdrücklich für unzulässig und sinnlos erklären würde, wie die nach dem Geräusch einer klatschenden Hand. Ein einfaches Koan stammt von Meister Shusan: Er erklärte es als ungehörig, seinen Wanderstab (das Zeichen seiner Würde) als einen »Stock« zu bezeichnen. Wenn man ihn aber nicht als einen Stock bezeichnete, so beginge man ebenso einen Fehler. Nun also: Benenne, was ich in der Hand halte. Was Neo widerfährt, ist also durchaus als Koan zu verstehen. Es ist falsch, das Leben eine Illusion zu nennen, und es ist falsch, es anders zu nennen. (Die Wahl zwischen der roten und der blauen Kapsel führt möglicherweise immer wieder ins Koan zurück.) Die »richtige« Antwort auf ein Koan liegt immer jenseits der Erfahrungswelt und der Subjektbestimmung des Individuums. Wenn in der »normalen« Religion die Transzendenz in einer gegebenen Form existiert (ein Raum der Erlösung, in den man, immer strebend sich bemühend, gelangen kann), den man erreichen oder verfehlen kann – in den ekstatischen Reisen, in Versenkungen, in der Heiligkeit der Schrift, im Ritual und in der »Gemeinschaft der Gläubigen« etc. –, so wird im Zen die Transzendenz erst erzeugt. Der Raum der Erlösung kann überall sein, und am meisten dort, wo man sie nicht erwartet. Blasphemisch genug können wir also ein Koan auch als logisches Konstrukt zur Erzeugung von Transzendenz ansehen. Ist diese Konstruktion aber nun »künstlich« oder »wirklich«?
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Es ist die Liebe, die den Tod bezwingt: …
Die Lösung des Koan kann Satori, »Erleuchtung« bedeuten. Und es ist keineswegs gesagt, dass diese Erleuchtung durch Arbeit, Unterwerfung, Anstrengung kommt (wie es etwa im Yogacara der Fall ist). Sie geschieht plötzlich; der Meister vermittelt sie nicht selten wie einen Schock, auch mit Schmerzen, wenn es nützt, und erst ihre Innewerdung führt zur Stärkung. Satori ist »die innere Wahrnehmung«, welche eine »erleuchtete Schau in die wahre Natur der Dinge« erlaubt. Aber natürlich gibt es Wesentliches auf dem Weg zu Satori. Nichts darf wichtiger sein als etwas anderes. Alles ist das Absolute. Das Kleine und das Große. Die Dinge können nur von ihrem Ursprung her verstanden werden, nicht durch die logische Beziehung untereinander. Und indem Neo sie von ihrem Ursprung versteht und nicht durch ihre Beziehung untereinander, ist er auch selbst nicht mehr Teil dieser Beziehungen. Anders gesagt: Wenn man die Elemente und Momente eines Systems »richtig« ansieht, dann erweist sich das System als Illusion, in dem sie miteinander verbunden scheinen. Und noch einmal anders gesagt: Wenn man die Bilder »richtig« ansieht, dann ist ihre 284
… Neo erlebt die Auferstehung wie in einer barocken Pietà
Beziehung in einem Erzähl- und Sinnsystem eine Illusion. Die Bilder im Kino »richtig« zu sehen entspricht einer Koan-Aufgabe. Der Name Trinity für die Heldin, deren Aktion (in der jeweils ein Motorrad eine bedeutende Rolle spielt) wie ein Präludium jeweils am Beginn der Handlung steht, führt uns durch seine christliche Besetzung vielleicht allzu rasch in trügerische Sicherheit. Die Dreiheit ihres Wesens kann auch über die christliche Mythologie hinaus eine Dreieinigkeit der großen Religionssysteme beschreiben, der götterdurchdrungenen, polymorphen Welt der antiken und hinduistischen Religionen, der großen drei monotheistischen Religionen und der Religionen wie Buddhismus und Taoismus, die jenseits der Gottesvorstellung (oder im Gegenteil: diesseits von ihr) bestehen. Wenn Morpheus der Künder und Stratege des Religiösen in der Matrix und gegen sie ist, dann ist Trinity seine Verkörperung. Nur sie kann durch ihren Kuss die Auferstehung des Messias bewirken – und sie widerspricht darin auch wiederum der Auferstehungsmythologie. Es ist nicht das auto285
nome Subjekt, und es ist nicht der Wille des Vaters, es ist nicht Bestimmung und nicht Transzendenz. Es ist die Liebe, die den Tod bezwingt. Und die Kunst, ein Motorrad zu fahren.
Das Taoistische Das »Dao« (oder auch Tao umgeschrieben) ist nichts anderes als »der Weg«, und er führt zum »Geringer-Werden«, bis dorthin, wo man, nach Lao Tse (oder Laozi), »zum Nicht-Tun« gelangt. Im übertragenen Sinne ist es auch eine Ur-Einheit, die verloren geht und die es für den Menschen wieder zu gewinnen gilt. Aber der Weg und diese AllEinheit sind auch ein Geheimnis, genauer gesagt, es ist »des Geheimnisses noch tieferes Geheimnis«. Der Weg führt durch eine Welt, die von zahlreichen Göttern, Geistern und heiligen Texten erfüllt ist. Viele Wege machen den einen Weg aus, der zur Unsterblichkeit führt. Es ist die Stille in der Bewegung: »Das Dao ist ewig ohne Tun, und doch gibt es nichts, was nicht getan wird«, heißt es bei Lao Tse. Für ihn ist das Wesentliche in den Dingen die Leere. Und auch für die Menschen ist der Weg zur Erlösung das Leerwerden. Leere und Stille sind die Zustände, in denen das Sein nicht mehr von den Gegensätzen (wie »männlich« und »weiblich«, »stark« und »schwach«) beherrscht wird. Weg, Einheit und Geheimnis – eine taoistische Trinity. Die Welt, wie sie ist, wird aus fünf »Wandlungsphasen« gebildet, nämlich Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser, und aus ihnen ergibt sich auch die moralische und ästhetische Ordnung der Welt. Ein Gefühl kann durch eine der Wandlungsphasen bezeichnet werden (sodass, zum Beispiel, die Vorliebe für bestimmte Texturen im Bild keineswegs auf ein Vergnügen am Dekorativen allein gerichtet ist). Die Wandlungsphase Holz steht auf diese Weise in Verbindung mit höchst unterschiedlichen Erscheinungen der Welt: mit dem Frühling, dem Osten, der Farbe Grün, der Ziffer 8, dem Sauren, inneren Organen, dem Zorn und der Güte. Die Wandlungsphasen finden sich in einer Handlungskette miteinander: Holz wird Feuer wird Erde wird Metall wird Wasser wird Holz. (Sehen wir uns gewisse Wandlungsprozesse in der Matrix daraufhin an!) Und aus diesen Verwandlungen entsteht der gesamte Kosmos. Wenn wir uns in der Metall-wirdWasser-Phase befinden sollten, in THE MATRIX, wofür wir immer wieder direkte visuelle Hinweise erhalten, dann steht offensichtlich ein Neubeginn des Kreises kurz bevor. Eine »taoistische« Beziehung scheint es in der Matrix vor allem zur Schrift zu geben (was allerdings auch direkt aus einer Reihe von chinesi-
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schen Filmen stammen mag, die den Wachowskis als Vorbild dienten). Im Dao ist die Schrift nicht nur etwas Göttergegebenes, sie ist vor allem ein konkretes Sein des Bezeichneten. Ein Schriftsymbol kann in das Leben ebenso eingreifen wie das Ding oder Wesen, das es bezeichnet. Das Schriftzeichen für Elefant schützt vor dem realen Tiger. Auch in der Matrix sind zumindest die Übergänge zwischen Schriftcode, Bild und »Leben« fließend. Zeichen sind Regen, Vorhang und Tür. Und vor allem die Schrift auf dem Bildschirm ist mehr als eine Kommunikation eine direkte Verbindung. Die Schrift-Talismane des Taoismus sind direkte und starke Verbindungen zwischen den verschiedenen Welten, der Welt, dem Himmel, dem Traum und der Kunst zum Beispiel. Wenn es im Christentum eine Heilige Schrift gibt, so ist im Taoismus die Schrift als solche heilig. (Und dementsprechend kann sie auch Unheil anrichten.) Viele der taoistischen Götter wohnen im Körper der Menschen. Dort bilden sie Energiefelder aus. Wenn man bei der Meditation zur Stille kommt, kann man sie spüren. Sogar den Höchsten Einen, der im Gegensatz zu den anderen Göttern nicht an einen bestimmten Ort im Körper gebunden ist und der zugleich im Körper und im Himmel lebt. Leer und still werden kann man lernen – leider kennen wir vor allem diejenige Leere und Stille, die der Kämpfer übt, bevor er mit Hand und Schwert den Gegner bezwingt, und das mit einer Technik, die vor allem die taoistische Tugend des »Nicht-Tuns« umfasst. (Seien wir ehrlich: Die Wege und Umwege, die der Taoismus aus China in den Westen genommen hat, haben zu wenig mehr als ein paar Meditationsübungen für gestresste Manager geführt.) Selbst wer den taoistischen Philosophen Dschuang Dsi nicht kennt, und es ist ziemlich schwer Verständliches oder Nichtssagendes, was man von ihm zu lesen bekommt (vielleicht kann man vieles auch einfach nicht in unsere Sprache und Zeit übersetzen), hat wohl schon einmal sein berühmtes Gleichnis gehört: Er wisse nicht zu sagen, ob er ein Mensch sei, der träumt, ein Schmetterling zu sein, oder ein Schmetterling, der träumt, ein Mensch zu sein. Diese Unentscheidbarkeit ist Verwirrung und zugleich Glück. Die Anekdote beschreibt das Wandern zwischen den beiden Welten, der numinosen und der phänomenalen Welt (die eine bedeutet eine Welt vor dem Himmel und die andere eine Welt nach dem Himmel). Die numinose Welt ist die Welt der »ursprünglichen Ordnung« und des Dao, und die phänomenale Welt bedeutet die Welt der Erscheinungen und der Gewöhnlichkeit. Nennen wir es Alltag (auch wenn so dramatische Dinge wie Gefühl und Tod dazu gehören). Vollständig ist der Mensch nur, wenn
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er in beiden Welten lebt, so schwer das auch sein mag. Im I Ging, dem Buch der Wandlungen, sind die Verhältnisse der beiden Welten, sie sind kompliziert genug, beschrieben. Drei Stadien der Wandlung sind zu unterscheiden, die mit den »drei Schätzen« des Menschen verknüpft sind: Die »Essenz«, die »Lebensenergie« und schließlich der »Geist«. Die Essenz des Menschen (seine Anlagen, um es einmal platt zu formulieren) soll sich in Lebensenergie verwandeln und diese schließlich in die spirituelle Kraft des Geistes. Um es mit einem Satz zu sagen: Die Wandlungen sind die Voraussetzungen für die Unsterblichkeit. Das Leben bedeutet also nicht zu handeln und nicht zu unterscheiden zwischen den Welten, sondern »den freien Fluss der Lebensenergie«. In der Vorstellung des »Daoismus der höchsten Klarheit« ist der Mensch in seinem embryonalen Zustand mit zwölf »Knoten« bestückt, die den Fluss der Lebensenergie von Anbeginn an behindern. Wer diese Knoten lösen kann, kann sich der Kraft des Todes widersetzen, und wer sie alle zu lösen vermöchte, der würde unsterblich. Eine spirituelle Methode, diese embryonalen Knoten zu lösen, ist, in den Zustand des Nichtgeborenen zurückzukehren und die neun Monate von der Zeugung bis zur Geburt noch einmal zu durchleben, wobei man sich neue, transzendentale Eltern erschafft, die aus Reinformen der Kräfte von Yin und Yang entstehen mögen. Hat nicht Neo gerade dies gemacht? Ist er nicht zurückgekehrt an den Ort seiner Geburt, wo er statt Mutter und Vater nur böse Maschinen erkannte? Und hat er sich in Morpheus und Trinity nicht die neuen Eltern gewählt/ geträumt? In einer zweiten Prozedur können die embryonalen Knoten gelöst werden, wenn man es schafft, den Göttern im eigenen Körper visuelle Gestalt zu verleihen. Aber beides kann nur gelingen, wenn man zuvor seine eigene Schuld und seine eigene Blindheit erkennt. Dann ist er auch zu der »ekstatischen Reise« fähig, die der Daoismus der höchsten Klarheit vorschlägt. Sein befreiter Geist kann den Menschen hinaus in den Kosmos, aber auch ins Innere der Erde führen, und die Götter steigen aus seinem Körper hinaus und fahren vom Himmel in ihn hinein, bis zum »Höchsten Einen«; zur Sonne führt die ekstatische Reise (im Kopf). Und in dieser Reise hebt sich die lineare Zeit auf. Doch weder die Lösung der embryonalen Knoten noch die Visualisierung der inneren Gottheiten, und auch nicht die ekstatische Reise, sind hinreichend für die Unsterblichkeit. Daher gibt es in der Vorstellung des »Daoismus des Numinosen Juwels« (der eine Reihe von Elementen anderer Religionen, vor allem des Buddhismus aufnimmt) das Element der Wiedergeburt. Jeder Mensch hat sieben Körperseelen und drei Geisterseelen, die schnell verloren gehen; die Wiedergeburt bedeutet die Wiedervereinigung der Seelen, und sie kann in
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ganz verschiedenen Welten stattfinden. Im Körper oder im Geist, im Himmel oder auf Erden. Manches davon kommt uns MATRIX-Addicts einigermaßen bekannt vor. Wir wollen gewiss nicht aus Neo den Protagonisten einer taoistischen Legende machen, aber immerhin: Hinter dem christlichen Modell des Erlösers lauern stets noch ganz andere. Und wenn wir Neo als einen so zeitgemäßen wie »unreifen« Aufklärer kennen gelernt haben, dann trauen wir ihm wohl zu, sie nebeneinander in aller Toleranz bestehen zu lassen.
Men (and Women) in Black In MATRIX ist das Tragen einer coolen Sonnenbrille noch keine Antwort auf die drängenden Menschheitsfragen (wie für den Terminator immerhin ein ganz persönliches Problem durch die Sonnenbrille gelöst werden kann). Denn die Bösen, die Agenten, Smith, der aussieht wie einem MEN IN BLACK-Film entsprungen, tragen genau solche Sonnenbrillen und auch genauso scharfes Schwarz. Selbst die entmaterialisierten Killer-Zwillinge in ihrem Yuppie-Weiß tragen Sonnenbrillen (und verlieren sie nicht einmal im Zustand der Entmaterialisierung). Man kann nicht sein in der Matrix ohne diese Form der Verdunkelung. Sie wiederholt, das ist durchaus merkwürdig, die große Verdunkelung der Welt am einzelnen Subjekt. Die großen Momente sind das Abnehmen der Sonnenbrille. Es ist eine Art der rituellen Entspiegelung. Aber so wie das Schwarz in verschiedenen Formen vorkommt, in sich weder Gut noch Böse darstellt, so erscheint zumindest in THE MATRIX RELOADED auch das Weiß verdoppelt. Es findet sich in der Kleidung von Persephone ebenso wie in der Erscheinung der Albino-Zwillinge, bei der Kriegerin in der ANIMATRIX wie auf dem Freeway von THE MATRIX RELOADED. Die Welt ist aber auch auf andere Weise schwarz in den MATRIXFilmen. Dunkel von etwas Schwärzerem als der Nacht. Wir wissen ja, dass die Menschen die Sonne verdunkelt haben, um die Maschinen zu bezwingen. Sie haben, und damit sind wir wieder bei Nietzsche und seiner BibelParodie Also sprach Zarathustra, ihren eigenen Gott getötet (die Sonne steht in nahezu allen Religionen als Wesen, Ausdruck oder wenigstens Symbol des Göttlichen). Die Maschinen, die ihn nicht brauchten, haben »gesiegt«. Sie haben sich den Menschen nicht nur als Nahrung (als Ersatz für die verschwundene göttliche Energiequelle Sonne), sondern auch als mehr oder weniger lebendes Museum oder, wenn man so will, als Seele erhalten. Es sind ja nicht nur die Menschen, die durch die halluzinative
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Coole Sonnenbrille und schwarzer Anzug: Agent Smith sieht aus, als sei er einem MEN IN BLACK-Film entsprungen (THE MATRIX REVOLUTIONS), und …
Macht der Maschinen träumen, auch die Maschinen haben Anteil an diesem Traum. Das hat Agent Smith schon erkannt, und er droht darüber bereits seinen Programm-Verstand zu verlieren. Sie träumen den Menschen, so wie der Mensch sie geträumt hat. Aber anders als in der traditionellen Erschaffung eines Mythos, in der der Schöpfer der Legende einfach zu vergessen pflegt, dass er sie erfunden hat (es liegt in der gottgegebenen Schrift, und der Kapitalismus ist die natürliche Art, Arbeit und Nahrung zu organisieren), wissen Menschen und Maschinen, wie sehr sie einander »erfinden«; der Mythos selbst ist in den Zustand der letzten Perversion getreten. Vom Schmetterling konnte niemand wissen, ob er überhaupt träumt und ob er so viel Bewusstsein über seinen, naja, Alltag hinaus hat, um so etwas Kompliziertes wie einen Menschen zu träumen. Bei den Maschinen, die wir ja selber geschaffen haben, denen wir auf Gedeih und Verderb »Intelligenz« und »Leben« verleihen wollen, sieht das ganz anders aus. Wo die Grenze verläuft zwischen einer Maschine, die träumt, ein Mensch zu sein, und einem Menschen, der träumt, eine Maschine zu sein, ist nicht mehr auszumachen. Mit dem Sündenfall der ersten denkenden Maschine, die zugleich »Ich« dachte und einen Mord beging, funktioniert Religion, gleichgültig welcher Provenienz, in zwei Richtungen. Der Mensch denkt sich darin als Subjekt und Objekt zugleich, er betet an und ist der
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…. selbst die Killer-Zwillinge in ihrem Yuppie-Weiß tragen Sonnenbrillen. Die Verdunkelung der Welt wiederholt sich am einzelnen Subjekt
Angebetete. Erst da, will uns scheinen, ist die Ermordung Gottes, die Nietzsche sah, vollbracht. Der Mensch hat da, vielleicht, die Maschinen gar nicht aus Versehen beseelt, so wie es der Zauberlehrling mit den Besen tat, die er dann nicht mehr unter Kontrolle bekam. Der Mensch hat die Maschine beseelt (und sei es auch nur in seinem Kopf, in SF-Romanen, Comics und Filmen), um Gott zu sein – oder wenigstens zu erproben, wie sich das anfühlt. Darum ist der Diskurs über die Maschinen und der Diskurs der Religionen in den MATRIX-Filmen so zwingend miteinander verbunden. (Und Neo, der Suchende, der Fragende, könnte auch diese Frage noch stellen: ob in aller Religion und bei aller tückischen Demut die Bewegung zum Gottesmord schon vorgesehen ist.) Der Machtkampf zwischen dem Menschlichen und dem Technologischen generiert seine Metaphysik: Um die Maschinen wirklich genießen zu können, muss der siegreiche Mensch sie mit einer Seele ausstaffieren, und um den Menschen wirklich genießen zu können, müssen die siegreichen Maschinen ihm die Seele belassen. Deshalb kann die Schnittstelle, an der das passieren mag, nur religiös sein. William Gibsons Loas schildert Formen der Künstlichen Intelligenz, die sich verhalten wie Voodoo-Priester. Das heißt nicht nur, dass sie christliche Symbole und solche der »Naturreligionen« miteinander verbinden, sondern auch die Fähigkeit, »lebende
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Tote« zu erzeugen (vulgo »Zombies«, die freilich als Ausgeburten schwarzer Religion zum Rang Menschen fressender Leichentiere herabgestuft wurden). Für einen Augenblick können wir uns Neo und die Seinen auch als glückliche Zombies vorstellen – glücklich wie Sisyphos: Sie haben etwas zu tun! Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Figur des Orakels, die so viele Eigenschaften mit einer Voodoo-Priesterin gemein hat wie mit einer Priesterin, die »die Einheit der drei Lehren« (Taoismus, Konfuzianismus und Buddhismus) zu großem Gleichmut geführt hat. Die Grenzen zwischen dem Leben und dem Tod, der Vergangenheit und der Zukunft sind bei ihr stets leicht verschoben. Wie eine daoistische Weise lebt sie an der Grenze zwischen der numinosen und der phänomenalen Welt. Wie ein Zen-Meister verdankt sie ihre Hellsichtigkeit dem Umstand, dass sie sich dem Leben eher von der schwarzen Seite der Religion nähert, ohne ihr so fetischistisch zu verfallen wie, sagen wir, ein »gewöhnlicher« Satanist. So könnte man wohl sagen, im Orakel vereinten sich der Anfang und das Ende der Religionsgeschichte der Menschheit. Die Simulation der Matrix ist daher eine andere als die einer reinen Verschwörungssimulation im Sinne etwa von Philip K. Dicks Roman Valis (die ganze Moderne ist eine Illusion für Menschen, die in Wirklichkeit unter der Knechtschaft und Ausbeutung eines römischen Imperiums leben) oder im Sinne von John Carpenters Film THEY LIVE (Aliens haben den Kapitalismus übernommen, um die Menschen in einem Abhängigkeitsverhältnis der medialen Verblödung und des strikten Konsumismus zu halten). Es ist ganz offensichtlich: Das Subjekt und das Objekt in dieser Simulation sind einander identisch; und die Matrix Revolutions nichts als eine weitere Wandlung. Sie läuft durch das Europäische, das Amerikanische, das Asiatische und das Afrikanische. Durch das Leben zum Tod, durch die Idee zur Anschauung, durch den Körper zum Geist. Auch die religiöse Revolte, ebenso wie die technologische, die politische sowieso, erhält das System durch die Wandlung seiner Elemente und die Neuformulierung ihrer Beziehungen. Nicht nur der Held, auch der Genuss und die Macht haben tausend Gesichter. Und die Götter sowieso.
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THE MATRIX REVOLUTIONS Reloaded revisited Die Aufnahme des zweiten Films der MATRIX-Trilogie bei den Fans und bei der Kritik blieb eher verhalten. Der Bewunderung für die Strategie der Selbstüberbietung – über 2500 statt der 412 visual effects des ersten Teils! – stand eine gewisse Enttäuschung über die mangelnde philosophische Tiefe und vor allem den fehlenden dramaturgischen Furor gegenüber. Wenn man zu sehr mit Triumph-Zahlen bombardiert wird, neigt man dazu, mit Beschämungszahlen zurückzuwerfen: Im Internet kursierten die ketzerischsten Beobachtungen zu dem Film. So zählten etwa die Fans in THE MATRIX RELOADED nicht weniger als 29 Anschlussfehler. Das ist gerade bei einem so durchorganisierten ästhetischen System keine Kleinigkeit: 29 Risse in der MATRIXMatrix! Insbesondere in der so geschätzten Freeway-Sequenz häufen sich Fehler, die selbst bei billigeren Produktionen als einigermaßen ärgerlich gelten müssten: ein Auto, das schon Einschusslöcher aufweist, bevor geschossen wurde; während eines Kampfes auf dem Autodach verschwindet der Schlüsselmacher, der gebannt zusieht, ebenso unvermittelt, wie er in der nächsten Einstellung wieder da ist; einer der schweren LKWs, die als rollende Bühnen für den Kampf dienen, ist plötzlich ohne Fahrer unterwegs. Und so weiter. Auch das Auseinanderreißen des als Einheit produzierten und »gedachten« Sequels durch ein Cliffhanger-Ende fand keineswegs nur Zustimmung. THE MATRIX RELOADED schien auf die ersten Blicke wie ein mächtig lautes Auf-der-Stelle-Treten. Und der schlimmste Fehler des Sequels: All das war nicht mehr neu. Doch auch wenn die Kritiken, die THE MATRIX RELOADED einfuhr, alles andere als überwältigend waren, der ökonomische Erfolg war umso überzeugender. An der Kasse wurde kräftig reloaded. Der Film wurde mit 8.517 Kopien gestartet, und es gab kein Kino in den USA, wo er nicht gezeigt worden wäre. Am Tag der Premiere spielte er 42 Millionen Dollar ein, am ersten Wochenende 134,3 Millionen Dollar. Ob dieser Erfolgszahlen ging ein wenig unter, dass der Film schneller als andere Blockbuster an Attraktivität verlor. Aber natürlich gab es noch genügend philosophische und dramaturgische Wendungen, um die Diskussion in Gang zu halten, wenn auch
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vielleicht nicht mehr ganz mit dem Feuer, das das Original entfacht hatte. THE MATRIX schildert die Befreiung eines Menschen, der erkennen muss, dass sein Leben nicht vorherbestimmt ist, sondern dass er Wahlmöglichkeiten hat. THE MATRIX RELOADED stellt diese Befreiung schon von seiner ersten Einstellung an in Frage (so wie THE MATRIX schon in der ersten Einstellung das »Aufwachen« und die Wahl zum Thema machte): Neo träumt die Zukunft, und darum wird es in diesem zweiten Film gehen: um Vorherbestimmung und um Schicksal. Die Kritik monierte denn auch, »dass die Fortsetzung die abstrakte Schönheit des im ersten Film entworfenen philosophischen Grundmusters an eine infantile Blockbuster-Dramaturgie verrät, dass die vormals anarchischen Helden nur mehr pflichtbewusste Krieger einer straff organisierten Armee sind, kurz, dass die Hacker-Saga genau die Lässigkeit verloren hat, die nicht unwesentlich für ihren Kultstatus war« (Katja Nicodemus). Die Frage ist freilich, ob dieser Verlust der Lässigkeit nicht gleichsam in der Natur der Entwicklung des Helden und seiner Beziehung zu seiner Umwelt liegt und ob daher der durchaus schmerzliche Wandel im Ton ein Stück des angebotenen Erkenntnisweges ist. Tatsächlich haben sich die Rebellen aus dem ersten Teil in THE MATRIX RELOADED bemerkenswert verändert. Sie sind nicht mehr die zornigen und coolen Leute, die gegen das große Spiel ein eigenes Spiel beginnen. Sie sind ernsthafte, nun ja, Politiker der Verschwörung geworden. Die Stadt des Widerstands, Zion, hat Gestalt angenommen und ist so schrecklich hierarchisch gegliedert, dass unsere Helden sogleich nichts anderes mehr sein können als »Elitekrieger« einer vermutlich irgendwie urchristlichen oder protestantischen Sekte, und der Film-Essay über den Cyberspace und die Subversion verwandelt sich hier und dort in einen drögen, melodramatischen Kriegsfilm im futuristischen Design. In zwei miteinander verbundenen Szenen lässt THE MATRIX RELOADED seine Lässigkeit entschieden hinter sich (auch wenn man immer noch argwöhnen kann, ein Teil davon sei wiederum listige Irreführung). Die eine ist die »Club-Szene«, in der sich die Bewohner von Zion in einer Art ekstatischer Love Parade oder Super-Rave-Karneval feiern (während in einem isolierten Gemach Neo und Trinity sich lieben, vielleicht auch, weil ihnen diese Kombination von politischer Predigt und Clubbing ein bisschen peinlich ist), die andere das Gespräch Neos mit einem der Anführer von Zion. (Die Figur erinnert im Übrigen an den gütigen Herrscher der Zukunftswelt in der Comic-Serie Magnus, Robot-Fighter.) Die beiden Diskurse Sex und Politik werden hier auf einem Niveau behandelt, der augenscheinlich weit unter dem liegt, was in der ersten Episode an Reflexion
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Die Kombination von politischer Predigt und Clubbing in THE MATRIX RELOADED1 Tanz und Predigt, Körper und Geist, die in THE MATRIX einander auf so bemerkenswerte Weise umkreisen, sollen wieder zusammenkommen
und Style erreicht worden ist. Und in ihnen ist eben vor allem auch Neo »zurückgestuft«. Nicht nur ist aus dem Auserwählten ein gewöhnlicher Held geworden, er reagiert auch wesentlich passiver auf all die Lektionen, Sinnsprüche und Rätsel, mit denen er wieder konfrontiert wird. Wenn man es höflich ausdrücken will: Klüger ist er seit dem ersten Teil gewiss nicht geworden. Die Frage ist nur, wie viel »der Film« davon weiß. Auf jeden Fall ist klar, dass die Menschen in Zion einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht entstammen. Sie sind in der Mehrzahl schwarz oder lateinamerikanischer Herkunft, dissident aus Überzeugung oder aus Not. Dieses Zion könnte auch das der Rastafari sein, dem man ja auch nicht ungestraft eine allzu deutliche visuelle oder diskursive Erklärung abverlangen darf. Es sind zwei Schlaflose, die da einander begegnen, über dem schlafenden Zion: Councillor Hamann und Neo, die miteinander einen Spaziergang zum Maschinenraum unternehmen, dem Ort, durch den die Rebellen am Leben erhalten werden. Der Councillor ist resigniert. Er bemerkt, wie traurig es ist, dass sich die Menschen nicht mehr dafür interessieren, wie die Dinge funktionieren. So aber sieht der gesellschaftliche
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Gebrauch der Technologie nun einmal aus. Die meisten von uns benutzen Computer, deren Innenleben ihnen vollkommen rätselhaft ist, und fahren Automobile, die sie nicht reparieren könnten. Das ist mehr oder weniger die Voraussetzung einer hoch komplexen Gesellschaft, und was Councillor Hamann da formuliert, dürfte eine reaktionäre, zumindest nostalgische Sehnsucht nach einer ursprünglich modernen oder gar vor-modernen Technik-Gesellschaft sein. Was uns also schon bei den vorangegangenen Bildern befiel, ein Unbehagen ob der offensichtlichen Regression in der Gesellschaft dieses Zion, das bestätigt sich auf der Ebene dieses Diskurses. Agent Smith hat gegenüber den Menschen wohl nicht nur insofern »Recht«, als jeder radikale Nihilist Recht hat (alles was ist, ist schlechter als das Nichts), sondern auch in der Einschätzung der Antiquiertheit des Menschen. Wir können hier ahnen, was in THE MATRIX REVOLUTIONS zum eigentlichen Motor der Handlung wird: Die Gesellschaft von Zion ist nicht das Ideal, das es um jeden Preis gegen Manipulation und Gewalt der Maschinen zu verteidigen gilt. Denn in Zion will man zurück; auch hier wird vor allem geträumt, und schon deshalb liegt der Verdacht nahe, diese Enklave der Wirklichkeit sei nicht so sehr Gegenbild denn Anhängsel der Matrix. O ja, der Grad der Unwissenheit ist hoch in dieser urchristlichen Gemeinschaft. Mehr als eine barbarische Form von Wirklichkeit ist nicht geblieben. Zion selbst ist in den Zustand der Dekadenz geraten. Alles, was man von dieser Stadt sieht und was man durch die Bilder hindurch von anderen Bildern sieht, spricht vom Untergang. (Was das Kino anbelangt, kennen wir diese Tänze aus der Gesellschaft von Atlantis und aus den Bibel-Epen in der Tradition von Cecil B. DeMille: Es ist da immer der Augenblick, kurz bevor die Götter oder der eine Gott Schluss mit einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft machen. Und das hat ja Agent Smith, der außer Kontrolle geratene Subjekt-Philosoph in der Matrix, schon am Ende des ersten Filmes bekundet, dass es die Menschen selbst sind, die sich zum Verhängnis werden.) In diesen beiden Diskursen, dem Tanz und der Predigt, nämlich sollten Körper und Geist, die in THE MATRIX einander auf so bemerkenswerte Weise umkreisen, wieder zusammenkommen. Und beides, so jedenfalls die erste Lesart der Kritik und eines Teils des Fandoms, hat vor allem die visuelle Fantasie der Wachowski-Brüder überfordert. Tatsächlich sehen wir in THE MATRIX RELOADED vor allem zu, wie Figuren und Ideen in Stellung gebracht werden für ein nun möglicherweise wieder raueres Endspiel. Kurzum: THE MATRIX RELOADED ist selbst einem Prozess der Zersplitterung ausgesetzt und zeigt sich als »Nummernrevue«, ein Durcheilen
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verschiedener Levels, bei dem immer wieder Großartiges, diesmal aber auch durchaus Banales geschieht. Aber gerade im Banalen steckt das Menschliche. Immerhin hat THE MATRIX RELOADED einen Scherbenhaufen angerichtet, der wiederum auf THE MATRIX REVOLUTIONS einen immensen Druck ausübt. So wie wir am Ende von THE MATRIX doch schon wieder zweifeln können, ob das Wirkliche tatsächlich die Lösung ist, so zweifeln wir am Ende von THE MATRIX RELOADED daran, ob es diesen fundamentalen Unterschied überhaupt gibt: Das wuchernde, destruktive Programm Agent Smith hat die Barriere übersprungen, es ist in der Matrix in den Menschen Bane geschlüpft und hat nun, scheinbar a-logisch, auch in der Wirklichkeit dessen wirklichen Körper infiziert. Und umgekehrt hat auch Neo die so sorgsam etablierten Grenzen zwischen dem Innen und dem Außen der Matrix übersprungen: Seine übermenschlichen Fähigkeiten stehen ihm nun auch in der »Wirklichkeit« zur Verfügung. Nicht das eine oder das andere kann in THE MATRIX REVOLUTIONS also die Lösung sein, sondern das, was der Name des Helden verspricht: das Neue. Die Revolution als Erfüllung eines dialektischen Sprungs aus Thesen und Antithesen. THE MATRIX RELOADED beschreibt also einen Wechsel in der Ausrichtung des Widerstandes – und es ist nicht ganz klar, ob der Film diesen Wechsel nicht auch, während er ihn beschreibt, selbst vollzieht oder zumindest gutheißt. Schließlich war eine der ersten Reaktionen der Kritik immer der Hinweis, mit ihren Sequels würden sich die Brüder Wachowski dem Mainstream in der Traumfabrik unterwerfen und, was von ihrer bitteren Pille übrig geblieben sein mochte, mit einem dicken Zuckerguss visueller Attraktionen überziehen. Wie immer man das aufnehmen will, »unrealistisch« ist dieser Wechsel nicht. Aus einer Gruppe von mehr oder minder anarchischen, coolen Rebellen ist eine Truppe sendungsbewusster, religiöser und so hierarchisch wie strategisch-militärisch denkender Kämpfer geworden. Die Rebellion »leninisiert« sich. Aber vielleicht nimmt dieser Wandel der Helden ja auch ihr erstes, vorläufiges Scheitern vorweg. In dieser Wandlung, die ihren Widerstand scheinbar effektiver macht, gleichen sie sich dem Spiel schon heillos an. Wie lange hat es gedauert, bis man bemerkte, dass François Truffaut in seinem FAHRENHEIT 451 die Welt der »Büchermenschen« keineswegs als reines und glückliches Gegen-Paradies gegen die bücherlose Bilderwelt zeigte, sondern nur als Negativ einer tief greifenden Entfremdung! Genauso mögen wir, in den Filmen oder jenseits von ihnen, erkennen, wie »falsch« die Konstruktion von Zion und seiner Helden ist.
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Plot Revolution Am Ende von THE MATRIX RELOADED schwebt Neo zwischen Leben und Tod. Nachdem er seine übermenschlichen Fähigkeiten eingesetzt hat, um die angreifenden squiddies zu bezwingen, befindet er sich im Koma in dem Rebellenschiff Mjolnir. (Nach etlichen Bezeichnungen für Traum und Geist sind wir nun bei der Tat angekommen, was die Namen der Rebellenschiffe anbelangt: Mjöllnir ist der furchtbare Hammer, den der nordische Gott Thor in seinem Zorn zu schwingen pflegt, wörtlich übersetzt heißt das sehr treffend: »der Zermalmer«.) In dieser Tat und ihren Folgen liegt ein tiefer Bruch des Helden mit seiner dualen Weltsicht. Neo war nicht in der Matrix, als er die maschinellen Wächter bekämpfte, seine außergewöhnlichen Fähigkeiten beschränken sich also offenkundig nicht allein darauf, in die künstliche Wirklichkeit des Lebens innerhalb der Matrix einzugreifen. Trinity ist über den schlafenden Körper gebeugt, bereit alles zu tun, sein Leben zu retten, so wie er das ihrige einmal gerettet hat. Aber wo ist Neo in Wahrheit? Weder in der Matrix noch in der »Wirklichkeit«. Er erwacht in einer U-Bahn-Station, weiß gekachelt und beinahe menschenleer, einem der merkwürdig schönen Orte (oder Un-Orte) in der Matrix. Hier fährt die Linie, die das Niemandsland zwischen Matrix und der Maschinenwelt durchquert. Der hier unten das Sagen hat, ist der Trainman, der allein bestimmt, wen er in seinen Zug aufnimmt und wen nicht. Dass dieser mit Bruce Spence besetzt ist, den wir, in einer ähnlich pittoresken Heruntergekommenheit, aus den MAD MAX-Filmen kennen, das ist ein kleiner Besetzungs-Coup und eine Hommage. Der Trainman ist eines jener Programme in der Matrix, oder auch jener singulären Mythen in der Erzählmaschine, deren Aktionskreis ebenso beschränkt ist, wie er »entscheidend« erscheint. So wie der Schlüsselmacher in THE MATRIX RELOADED erfüllt auch der Trainman eine Aufgabe hoch intensiv, ohne sich des Systems, in dem er es tut, vollkommen bewusst zu sein. Diese Figuren erscheinen, im Gegensatz zu den eher monomythischen Protagonisten, von ausgesprochen märchenhafter Fülle: Die Heldenreise führt an ihnen vorbei, sie müssen bezwungen, mehr noch überlistet werden, oder man muss sie befreien wie den Schlüsselmacher. Diese Wächter- und Schlüsselfiguren, die stets dem Subjekt der Erzählung zugewandt sind (wie der Türhüter vor Kafkas Gesetz), machen erst das Architektonische der Erzählung aus. Wo bin ich? Im Blick dieser Wächter und Transporteure. Unterdessen wacht Trinity über den schlafenden Neo, und auch Bane, wie Neo im Koma liegend, wird von den Rebellen versorgt. Als Neo im
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Die U-Bahn-Station, weiß gekachelt und beinahe menschenleer, einer der merkwürdig schönen Orte (oder Un-Orte) in der Matrix: Neo trifft auf die »indische« Familie
Bahnhof Mobil Avenue im Niemandsland erwacht, beugt sich ein kleines Mädchen über ihn. Es ist Sati, die von ihrem Vater Rama Kandra als »letzte Emigrantin« auf die Reise gebracht wird. Sie darf das Reich der Programme verlassen, ihre Eltern nicht. Neo und wir erfahren eine entscheidende Lektion: Auch Programme können ihre Kinder lieben, auch sie können ein Karma haben und es erkennen und akzeptieren. Denn Dinge wie »Liebe« und »Karma« sind zunächst einmal nichts anderes als Worte. Sie können immer wieder gefüllt werden – oder nicht. Ist es nicht das merkwürdige Prinzip des Lebens in der Matrix, wo man ständig auf »Lehrer« und »Metaphern« trifft, dass durch das surreale wonderland im Kaninchenbau immer Partikel der »analytischen Philosophie« schwirren, Geschosse der logischen Genauigkeit im Raum der sich ausdehnenden Vagheit? Vom Denken her ist das ziemlich tückisch, aber ästhetisch macht gerade das enorm was her. Wenn Liebe, Schicksal und dergleichen aber nur Worte sind, Begriffe eben und keinesfalls jene Ideen, von denen die idealistische Philosophie ausgeht und die sie als dem Menschen vor-existent (oder gar »ewig«) ansieht, dann haben wir hier das radikalste Statement zur Frage der künstlichen Intelligenz oder gar des künstlichen Lebens. Das Programm muss den Menschen
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nicht wirklich imitieren, um Begriffe zu füllen und in Empfindungen zu leben. Dass Mitglieder einer »indischen« Familie als »letzte Flüchtlinge« auftreten, hat gewiss nicht nur mit der Realität von Migration und technischem Wissen zu tun (der »Kinder statt Inder«-Spruch eines deutschen Politikers dürfte Agent Smith sein schallendstes Gelächter entlocken), auch nicht mit den Liebesgeschichten zwischen den Kulturen, die die Wachowskis unterschwellig erzählen. Für Neo bedeutet es wohl den größten Sprung auf seinem Weg, über ein Erkenntnis- und Glaubenssystem hinauszudenken. Der christlichen Welt-Konstruktion von Morpheus ist er jedenfalls in diesem Augenblick endgültig entkommen. Das Mädchen Sati mag eine hinduistische Antwort auf die mathematische Alice sein. Wir kennen das Prinzip aus der MATRIX-Dramaturgie: Die Erzählung spiegelt ihre Vorbilder. Was zitiert wird, erscheint als Negativ des Zitierten. Daher wird dieses Mädchen zu unserer Führerin aus dem Kaninchenbau heraus. Aber noch ist es nicht so weit. Die virtuellen Migranten werden vom Trainman in den Zug gestoßen, Neo dagegen mit Gewalt zurückgehalten. Hier unten macht er die Gesetze, hier hat Neo keine besonderen Kräfte. Und wenn er versucht, die Station auf der einen Seite zu verlassen, kommt er nur auf der anderen Seite wieder herein. Das Subjekt hat keinen Raum, der Raum hat ein Subjekt (»The Matrix has you«). Auch diesen Ort wird Neo, wie alle anderen vorher, alle Grenzen und Gefängnisse, Fallen und Trugbilder, nur überwinden, indem er neu geboren wird. Der Trainman gehört zum Herrschaftsbereich des Merowingers. Er ist einer der Vasallen am Hof des kranken Königs, der nach der Art eines Mafia-Paten herrscht, in einem System der Abhängigkeiten und Verpflichtungen, in einem Netz des Genusses. Unterdessen haben Trinity und Morpheus vom Orakel den Hinweis erhalten, wie sie Neo befreien können, und stürmen gemeinsam mit Seraph, dem Leibwächter des Orakels, in das Refugium des Merowingers, den Club Hell. Der Merowinger hat sie natürlich erwartet, das gewaltsame Überwinden der Türsteher war nur ein Vorspiel (immerhin eine Hölle, in die hineinzukommen verteufelt schwierig ist – da wir gerade von Negationen sprechen), und während ihre Waffen aufeinander gerichtet sind, versuchen die drei Eindringlinge mit dem Merowinger zu einem Deal zu kommen, wie man das im Märchen des Öfteren mit dem Teufel versucht. Der »Franzose« bietet das Leben von Neo an, im Tausch für einen grausigen Preis: Er verlangt die Augen des Orakels. Hier stünde der Utilitarismus der Rebellion vor seiner letzten Probe. Aber Trinity hat einen anderen Einsatz: Sie ist bereit zu sterben, und dabei wird sie den Merowinger mitnehmen. Dieser Beweis ihrer Liebe ist unschlagbar.
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Von Persephone sehen wir da nicht mehr als einen glühenden Blick. Neo ist in seinen Körper bei den Rebellen zurückgekehrt. Und auch Bane ist wieder erwacht. Er kann sich nicht erinnern, was in der Zeit in der Matrix mit ihm vorgegangen ist. Behauptet er, aber wir sehen ihn lügen. Neo braucht Zeit, um zu überlegen, er zieht sich zurück, wie Jesus oder wie Bodhisattva, und als er wieder zu den anderen tritt, da weiß er, was er zu tun hat: Er muss ins Herz der Maschinenstadt, koste es, was es wolle. Aber die Verteidiger von Zion wollen ihm dazu kein Schiff geben. Commander Lock kann nur konstatieren, dass er wohl den Verstand verloren habe. (ÜberNiobe, die kühle Kriegerin, die Frau der Tat, der aller Zweifel als Bullshit haupt scheint der messianische erscheinen muss Nimbus nie sehr tief in der zionistischen Gesellschaft gewirkt zu haben.) Niobe, die kühle Kriegerin, die nie an den Mythos vom Erlöser geglaubt hat, ist es, die ihr Schiff zur Verfügung stellt, mit dem sich Neo und Trinity auf den Weg in die Welt der Maschinen machen. Niobe gehört zu den Gestalten um den synthetischen Erlöser/NichtErlöser, die einen bemerkenswerten Wandel durchmachen. In dem Videospiel Enter the Matrix ist dieser Wandel angedeutet. Sie hat das Selbstbewusstsein einer typischen Frau des beginnenden Neoliberalismus, sie glaubt an sich selbst und an die Distanz, die sie durch ihren Professionalismus gegenüber den anderen aufbauen kann. Sie lässt sich nicht auf MännerMythen ein – vermutlich deshalb hat sie sich von Morpheus getrennt und ist dem beinharten Rationalisten Commander Lock gefolgt, und vermutlich deshalb steht sie dem Glauben an einen Messias so skeptisch gegenüber. Sie ist eine dieser Frauen, die männlicher als die Männer-Bilder ihrer Gesellschaft geworden sind, die Frau der Tat, der aller Zweifel als Bullshit erscheinen muss. Aber während sie sich nun langsam Neo annähert, vielleicht weil sie nach und nach erkennt, wie fragil die militärische Kraft ist, die sie zu ihrer Lebensmetapher gewählt hat, nähert sie sich auch Morpheus wieder an. Wenigstens in vorsichtigen Worten. Die MATRIX-Trilogie ist eine
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lange Geschichte vom Harten, das weich wird, und umgekehrt, vom Kristallinen, das flüssig wird, und umgekehrt, und vom Dunklen, das hell wird. Jede Figur ist dazu eine Geschichte, eine Wandlung, jede füllt die Begriffe neu, jede erzählt ein optimistisches Gleichnis von der Möglichkeit der Veränderung und zugleich ein pessimistisches Gleichnis von der Macht des Schicksals (oder: des Systems). Das letzte Kapitel der Heldenreise muss beginnen. Zuvor aber muss Neo noch einmal zum Orakel. Sie begegnet ihm in anderer Gestalt, aber immer noch in ihrer Küche und immer noch damit beschäftigt, Plätzchen zu backen. Sie sind für Sati. Warum hat sie Neo nur nichts erzählt von seinen Bestimmungen? Das Orakel aber ist eher für den Glauben zuständig, oder doch besser für das Glauben. Aber immerhin: Auch sie ist immer weiter zu Entscheidungen gekommen, auch ihre Situation ist durchaus prekär. Denn was ist ein Orakel: Teil des Schöpfers oder Teil der Schöpfung? Ist das Orakel ein Programm in der Matrix, ein Wesen, das sich Autonomie gegen sie bewahrt hat, ist es gar an der Schöpfung der Programme beteiligt, oder eine »Mutter der Matrix«, wie man es hier und dort argwöhnen könnte und wie es der »Architekt« behauptet hat? Für ein Orakel ist es das Schwierigste, etwas über sich selbst auszusagen. Für Neo ist es eine weitere Lektion zu lernen, die Ratschläge des Orakels zu akzeptieren, im Bewusstsein, dass auch sie einem Programm entstammen, dass sie ihn ebenso tiefer in die Illusion wie tiefer zu ihren Quellen führen könnten. Und doch sehen wir auch dieses Orakel sich nicht nur in der Gestalt verändern (natürlich wissen wir, dass diese Änderung durch den Tod der Darstellerin notwendig war, aber in der Offenheit der MATRIXErzählung macht es keine Schwierigkeiten, diesen Wechsel auch mit Sinn zu erfüllen – Sinn ist hier schließlich etwas durchaus Temporäres), sondern auch über seine eigentliche Funktion hinausgehen. Sie greift mehr ein, als sie sollte, und in dieser Situation wird vielleicht am ehesten deutlich, dass sie sich komplementär zum »Architekten« verhält. Zwei Götter, die zu Sklaven ihrer Schöpfung geworden sind, die eine verrückte Art von Hoffnung in ihre Schöpfung setzen, sich zu erneuern oder unterzugehen. Kurze Zeit später erscheint auch Agent Smith beim Orakel. Er sucht – ja, was? Das Mädchen, das Seraph in den Gängen des Hauses in Sicherheit bringen will. Was zwischen Smith und dem Orakel geschieht, erfahren wir nicht. Smith, der ein gestörtes und verstörtes Programm ist, der sich, komplementär zu Neo, zu einem Wesen mit menschlichen Empfindungen, mit sinnlichen Fähigkeiten entwickelt hat. Zu einem Subjekt. Wie Neo hat er in THE MATRIX RELOADED versucht, mit seinen Wahrnehmungen und Empfindungen rational umzugehen, er schien schon erfolgreich dabei zu
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Neo und Agent Smith, gespiegelt: Der eine ist nur das negative Spiegelbild des anderen.
sein, als ein ganz normaler Schurke nichts als die Herrschaft und den sadistischen Genuss der anderen zu erobern. Aber sein Ego hörte nicht auf zu wachsen, er wurde zum kranken Subjekt, das nichts mehr außer sich selbst akzeptieren kann und deshalb auf die absurde Zerstörung aller seiner Welten hinarbeitet. Das endlos ausgedehnte Subjekt, das von der Welt nicht mehr Erkenntnis und Widerspiegelung, sondern Unterwerfung und Eliminierung verlangt, ist zur größten aller Gefahren geworden, systemübergreifend, systemverschmelzend, wie alles, was in THE MATRIX REVOLUTIONS geschieht. Wo Welt war, soll Ich werden, so wie Neo sein Ich nur bewahren kann, indem er darauf verzichtet. Dass wir schließlich explizit erfahren, dass der eine nur das negative Spiegelbild des anderen ist, bestätigt nur das Spiel, das das Orakel und der Architekt miteinander begonnen haben und das so tödlich ist, dass auch diese beiden Schöpfer müde werden. Der Machtkampf zwischen Subjekt und System, zwischen Blick und Bild. Während Morpheus, Niobe und die anderen Rebellen an Bord der Mjolnir nach Zion zurückkehren, um Commander Lock und den Zionisten bei der Verteidigung der Stadt Hilfe zu leisten, fliegt Neo mit Trinity an die Oberfläche zur Maschinenstadt Zero-One. Der Angriff auf die Vertei-
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digungslinien von Zion beginnt. Gewaltige Erdbohrer bahnen sich ihren Weg durch die Kuppeln der Erd-Architekturen. Ihrem erfolgreichen Einsatz folgen riesige Schwärme von squiddies. Die Menschen von Zion setzen sich mit martialischen, handgesteuerten Kampfmaschinen zur Wehr und können damit zwar große Mengen der angreifenden »Wächter« vernichten, aber deren Nachschub scheint unerschöpflich. 17 Minuten dauert diese erbarmungslose Materialschlacht, die allein 40 Millionen Dollar gekostet haben soll und die den Regisseuren nebenbei Gelegenheit gibt, genügend mehr oder weniger ironische Zitate einzubauen, von den japanischen Transformers und anderen Kampfrobotern, wie sie schon in den Toho-Produktionen der 60er Jahre zum Einsatz kamen, über die höchst gelungene trashige Serie ROBOT JOX (1990-93), die ganz ähnlich gesteuerte Kampfmaschinen präsentiert, Szenen, die an die ALIEN-Trilogie erinnern, und Späße mit heroischen Kriegsfilmen bis zu Ridley Scotts G.I. JANE (Die Akte Jane; 1997). Die Welt voller Teufel, der protestantische Overkill nach dem 11. September, die fundamentalistische Beschwörung von Heroismus, Opferbereitschaft, Männerbündelei (mit weiblicher Besetzung), die Faszination des Stahlgewitters, Todessehnsucht und blutiger Wahrnehmungsrausch. Die Frage bleibt unbeantwortet: Glaubt der Film an diese »Männerfantasie«? Nur eines ist sicher: Sie findet ohne Neo und Trinity statt. Im Mikrobereich der Erzählung freilich werden die Mythen der kriegerischen Genres verlängert: Zee, die sich weigert, sich ins noch sichere Innen der Stadt evakuieren zu lassen, bildet eine bewegliche Kampfeinheit mit ihrer Kameradin, die das Herz jeder Militaristin entflammen kann. Zee ist eine der »frei geborenen« Einwohnerinnen von Zion, und sie kämpft im Zeichen ihrer toten Brüder Tank und Dozer, und dafür, ihren Geliebten Link wiederzusehen, der da »draußen« als (rastafarischer) Maschinist das Schiff steuert, das Zion retten will und das nur durch Zion gerettet werden kann. Wie die Freeway-Szene in THE MATRIX RELOADED scheint auch diese Sequenz drauf und dran, sich einfach selbstständig zu machen und neben der tricktechnischen Leistungsschau eine Art ästhetisch-hormonellen Rauschzustand zu erzeugen, von dem man am Ende nicht mehr genau weiß, ob er eher aufputschend oder doch wieder betäubend wirkt. Sie wirkt wie ein in die große Legende eingebautes Durchhalte-Epos, das sich freilich auch selbst ad absurdum führt. Natürlich muss es dabei auch die große Bewährung für »The Kid« geben. Er ist, wie wir aus der entsprechenden ANIMATRIX-Folge wissen, aus der Kraft des eigenen Wunsches auf die andere Seite gelangt, und nichts benötigt er so sehr wie jene Anerkennung, die ihm in seinem Leben in der Matrix verwehrt geblieben war und die ihm auch Neo, am Beginn
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von THE MATRIX RELOADED, nicht zu geben bereit war (als habe er um eine »Falschheit« in der boy/hero-Beziehung gewusst). »The Kid« überträgt die verschmähte Symbiose von Neo auf einen der Krieger im Verteidigungsring der Stadt – und wieder ist es eine Art ost-westlicher »Liebesgeschichte«, die wir erleben. Obwohl er eigentlich zu jung ist, reiht er sich ein unter die Munitionsträger, die die Kampfroboter versorgen, während die Infanteristen verzweifelt versuchen, ihnen so lange die squiddies vom Hals zu halten. Der Junge schleppt unter Einsatz seines Lebens die Munition zu dem Robot-Fighter Mifune, die beiden werden zu einem perfekten Duo, und am Ende muss der Junge auch dem sterbenden Roboter-Samurai versprechen, die letzte Aufgabe zu übernehmen, die Öffnung der Pforte für die Landung des rettenden Schiffes. Fast überflüssig zu sagen, dass diese Materialschlacht auch der Dramaturgie eines Indianerüberfalls in einem klassischen Western entspricht: Zion ist eine Wagenburg, ein belagertes Fort in der Wildnis der Wirklichkeit, die man nun wohl nicht mehr so ohne weiteres in einen Garten wird verwandeln können, oder? Der Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Matrix ist unter anderem der Widerspruch zwischen edler Wildnis und korrupter Zivilisation, den wir aus den Mythos des Westerners kennen. Wir träumen Kampf, während wir Fabrik leben. Der merkwürdige Westerner, der in die Wildnis geflohen ist, erkennt die Zivilisation, deren Teil er war, als Trugbild seiner Absichten, und wenn also die »Zionisten« aus der wüsten Wirklichkeit gegen die Matrix kämpfen, dann kämpfen sie zugleich gegen ihre Vergangenheit und gegen ihre Zukunft. Die Evolutionsgeschichte von MATRIX erzählt die Geschichte der Zivilisation wieder rückwärts zu uns. Die Rettung in letzter Minute durch die Kavallerie freilich erweist sich als trügerisch, wie Commander Lock schnell erkennt: Der Einsatz der Geheimwaffe, die uns aus den vorigen Teilen bekannt ist, vertreibt zwar die squiddies für den Augenblick, macht die Basis aber nur zu einem noch perfekteren Angriffsziel für die Invasion der Maschinen. Die Kavallerie hat den Feind nur in noch größerer Zahl zum Fort gelockt. Nun bleibt nichts anderes, als sich für das letzte Gefecht zu rüsten, in dem es für die Menschen von Zion keine Hoffnung gibt. Außer Neo und Trinity. Der Weg des Erlösers/Nicht-Erlösers ins finstere Herz des technischen Feindes führt über eine noch wesentlichere Auseinandersetzung: Bane (die erste Abspaltung von Agent Smith in der »Wirklichkeit«) hat sich unterdessen durch einen Mord befreit, und er ist auf dem Schiff gelandet, mit dem Trinity und Neo zu den Maschinen gelangen wollen. Bane ist der neue, gefährliche Verräter, aber noch schlimmer: Er ist eine vollkommen neue
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THE MATRIX RELOADED: Bane ist der neue, gefährliche Verräter, Verrater, aber noch schlimmer: …
Inkarnation des Bösen. Das erste Opfer, das Agent Smith auch in der Wirklichkeit hat befallen können. Das ist so, als würde ein Computervirus einen Schnupfen auslösen! Bane schafft es beim Start, Trinity ins Innere des Schiffes zu locken und sie in seine Gewalt zu bekommen. Damit zwingt er Neo, seine Waffe niederzulegen. Während er Trinity einsperrt, kämpfen die beiden, und erst langsam wird Neo klar, dass er es in Wahrheit wieder mit niemand anderem als mit Agent Smith zu tun hat. Bei dem Kampf verliert Neo das Augenlicht, aber er kann seinen Gegner bezwingen, als er eine neuerliche Eigenschaft an sich entdeckt, ein Sehen jenseits des Sehens. Er sieht das feurige Angesicht von Smith, er sieht, ganz der Gnostiker, als den wir ihn schon lange kennen, nun als Blinder die wahren Gestalten hinter den Trugbildern. Er sieht, um es taoistisch zu wenden, das Wesen hinter den Erscheinungen. Seine Blindheit ist der letzte Grad der Erleuchtung. Aber Neo ist auch christlich genug, um dadurch aus seiner Passion nicht aussteigen zu können. Im Gegenteil: Nur umso konsequenter bewegt er sich auf ihre Erfüllung zu. Ein blinder Engel ist Neo jetzt, ein blinder Seher oder Sänger, erst in diesem Zustand hat er die Blendung vollständig überwunden. Die beiden letzten »Lektionen« haben ihm seine Entscheidungen am ehesten erklärt. Weder die Liebe und das Schicksal noch das Böse ist an eine Trägersubstanz zwischen den Welten von Menschen und Maschinen, Wirklichkeit und Simulation, gebunden. Das Subjekt ist es, das die Begriffe durch seine
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… Er ist eine vollkommen neue Inkarnation des Bösen.
Bewegung (er)füllt. Die Entscheidung zwischen dem Realen und dem Simulierten, zwischen dem Innen und dem Außen des Kaninchenbaus, war ein Teil der Illusion; die grundlegenden moralischen Empfindungen und Urteile gelten in allen Welten gleich und müssen immer wieder neu getroffen werden. Gerade in dieser unbarmherzigen Bindung ans Subjekt freilich werden sie alles andere als beliebig. Wenn im Übrigen eine Matrix auch als mathematisches Zahlensystem verstanden werden kann (als Formel also allgemein), dann zeichnet sich das Rechnen mit Matrizen durch die Unumkehrbarkeit der Vorgänge aus: Die Multiplikation von Matrix-Elementen kann man nicht umkehren (wie man normalerweise zum Beispiel a x b auch als b x a auffassen kann), und man kann sie nicht auf eine entsprechende Weise zurückverwandeln. Wenn also Neo seine Heldenreise durch die Systeme von Wirklichkeiten unternimmt, bedeutet jede Station eine »singuläre« und unumkehrbare Veränderung, er hat nie die Chance, einer jener Helden zu werden, die nach getaner Arbeit nach Hause zurückkehren und glücklich bis an ihr Lebensende leben. Aber er wächst nicht ohne Ziel. Neo und Agent Smith, Kain und Abel der müden Götter der Matrix, sind jene freien Radikale, die eine neue Verbindung suchen und dabei Kettenreaktionen auslösen. Reeves interpretiert Neo als »Blitzableiter, als Suchenden und als Zeitzeugen. Um seine Aufgabe zu erfüllen, stellt Neo sich als Vermittler einer ungeheuren Energie zur Verfügung – das äußert sich in seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten.« Was die Prozesse in Gang gesetzt hat, muss selber zur Ruhe kommen,
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um eine neue Stabilität zu erzeugen. Es muss sterben. Neo ist der Suchende, der nicht nur zwischen den Fronten kämpft und zwischen den Parteien vermittelt, sondern auch eine neue Kultur begründet. In einem waghalsigen Flug erreichen Trinity und Neo die Felder, in denen die Menschen liegen, träumend vom Alltag, Energie liefernd für die sonnenlosen Maschinen. Um einen neuerlichen Angriff der squiddies zu überstehen, bleibt ihnen nur ein einziger Fluchtweg: hinauf in den Himmel, über das Wolkenband hinaus, das die Erde verfinstert. »Das ist wunderschön«, erkennt Trinity. Auch sie sieht das Licht, wenn auch auf ganz andere Weise als Neo. Für eine kurze Zeit, bevor es wieder in das Reich der ewigen Finsternis zurückgeht. Aber es ist beinahe das letzte, was Trinity sieht; beim Rücksturz auf die Maschinenstadt wird sie tödlich verletzt, die Stahlarme der squiddies haben ihren Körper durchbohrt. Sie kann nur noch von Neo einen letzten Kuss verlangen, einen, der nicht mehr ins Leben führt, sondern in den Tod, der ihr allenfalls etwas glücklicher beschieden ist, vielleicht, als in Neos Traum. Warum hat Neo aber ihren Tod nicht gesehen? Er hat das wahre Wesen Banes durch seine Blindheit gesehen, die Menschenfelder und die Beschaffenheit der Erde. Trinitys Sterben aber muss er mühsam erkennen, muss die Wunden ertasten und kann es nicht glauben. Vielleicht, weil dieser Tod nicht zum wahren Wesen gehört. Doch weder für Trauer noch Meditation ist Zeit: Neo muss seine Mission erfüllen. Wie der Unterhändler im Western tritt er unbewaffnet und unbelastet vor den Feind hin, und aus den unzähligen Wächtermaschinen formt sich das Gebilde eines gewaltigen Menschenkopfes, des Deus ex Machina, der sich mit dröhnender Stimme an den kleinen blinden Botschafter wendet. Neo erklärt seine Bereitschaft, sich dem neuen Feind entgegenzustellen, der alle Systeme, die Wüste der Wirklichkeit, die Matrix und ebenso die Maschinenwelt in seinem wahnwitzigen Egotrip bedroht. »Und wenn du versagst?«, fragt der Maschinengott dräuend. »Ich werde nicht versagen«, antwortet Neo. Die Gewissheit ist zurückgekehrt. Die Maschinen nehmen ihn auf, in der Pose des Gekreuzigten heben sie ihn, und dann stellen sie die Verbindung wieder her: Neo kehrt in die Matrix zurück. So also wird er von den Maschinen beziehungsweise vom Maschinengott zu seinem letzten Kampf gegen Agent Smith, das zerstörerischste aller Programme, geschickt, das aus so irrationalen Gründen alles vernichten will, Menschen, Matrix und Maschinenwelt. Seine Blindheit und alle seine Blessuren hat Neo wieder verloren, er ist wieder der reine Matrix-Neo geworden, jener mönchische Kämpfer im schwarzen Mantel und mit den dunklen Sonnengläsern, der uns zur Ikone, zum Helden des Cyberspace
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geworden ist. Der Kampf der beiden ebenbürtigen Gegner ist beinahe nur noch eine große Inszenierung der Zerstörung, so wie wir es aus den gelegentlich zur Endlosigkeit tendierenden Kämpfen verschiedener MarvelHelden und Bösewichter kennen, bei denen die Kontrahenten stets Zeit für denkwürdige Dialoge finden und bei denen wir wissen, dass die Duelle auf die traditionelle Weise – einer gewinnt, einer verliert – nicht zu entscheiden sind. Es scheint nicht nur um eine immense Feier der kinetischen Energie zu gehen, sondern auch darum, die Zeichenhaftigkeit der Welt durch ihre Zerstörung zu belegen. So ist es kein Zufall, dass eine derartige Kampfdramaturgie, gleichsam ohne andere als ästhetische Folgen, nach dem 11. September eine Zeit lang verschwand. Ihre Renaissance steht nun im Zeichen einer neuen Ästhetik, die die Bilder des Terrorsanschlags bewusst aufnimmt: die Schönheit zerberstender Texturen, der gestörten Strukturen, der verwundeten Oberflächen, die Verwandlung des Ornaments in das Fraktal (nur nebenbei: eine fraktale Grafik war in THE MATRIX REVOLUTIONS das Erste, was wir nach dem Logo und dem obligaten Zeichenregen gesehen haben). Ein Wort ist ein Wort, haben wir gelernt, und ein Zeichen ist ein Zeichen, lernen wir jetzt. Im Kampf miteinander – er bekam bei den Dreharbeiten den Namen real burly fight – erzeugen Neo und Smith grandiose Bilder der Zerstörung, Schockwellen der Oberflächenreize, ein bildhaftes Flackern zwischen Scherben und Flüssigkeit, von der Hemisphäre und vom Grund kommt man dabei tatsächlich vom Regen in die Traufe, der Kampf endet in einem Schlammloch, im Lehm, aus dem der Mensch, sagt man, gemacht sei. Agent Smith scheint der Überlegene, obwohl er diesmal seine unzähligen Klone zu Zuschauern degradiert hat. Aber wieder geschehen einige Dinge, die nur durch die besondere Form der Beziehung zu erklären sind, der Beziehung der Programme zueinander im Allgemeinen und der Beziehung zwischen Neo und Smith im Besonderen. Smith kann sich seines Triumphes nicht erfreuen, wieder erkennen wir, dass es etwas wie eine eingebaute Tötungshemmung gibt. Warum, warum nur, fragt er seinen Kontrahenten, muss er den Kampf fortsetzen. Er verzweifelt darüber, dass Neo nicht aufgibt, Störungen beginnen seinen Ablauf zu durchbrechen, als würde er mit einem Mal auch neben sich stehen, sich spalten in die Erfüllung und die Erkenntnis des Programms, und dabei hat er große Ähnlichkeit mit der sterbenden Maschine HAL in Stanley Kubricks 2001. Er weiß, dass er »da stehen und etwas sagen muss«, er hat seine eigenen Déjà-vu-Gefühle, er hat Angst vor dem Ende. Im Augenblick der größten Gefahr wird er sich bewusst, dass er ein Programm ist, das Bild von etwas Vorgeschriebenem, Sich-Wiederholenden. Und paradoxerweise
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entwickeln sich daraus die letzten menschlichen Regungen, die er noch nicht kannte. Unsicherheit, Angst, Zweifel. Auch seine Verwandlung erfüllt sich im Tod. Und dieses Ende ist tatsächlich, wie er es immer betont hat, seit wir ihn kennen, »unvermeidlich«. Es kommt zur zweiten Verschmelzung. Das Böse, das als Abbild und Negation des Guten existierte, verwandelt sich Neos Körper an. Der Umwandlungsprozess vollzieht sich, noch einmal steht Agent Smith nur sich selbst gegenüber. Es ist vorbei, erkennt er und weiß schon nicht mehr, ob das Erfüllung oder Katastrophe ist. Es ist das Ende von Neo, und es ist das Ende von Smith. Zuerst stirbt die neue Doppelschöpfung, das Licht bricht erst durch die Sonnenbrillen, dann durch den Körper, dann zerbersten auf ähnliche Weise die Smith-Klone, und schließlich ist auch das Ende des Originals gekommen. Die Gefahr für alle beteiligten Systeme ist gebannt. Der Angriff der Maschinen auf Zion wird beendet; die Einwohner jubeln (aber was wird nun aus ihnen werden?). Wir sehen das Mädchen im Bild, in dem die Zerstörungen zurückgenommen werden, es wird wieder »heil«. Die Matrix wird neu geladen, aber es ist, wie wir sogleich erkennen, eine andere Welt, die das Programm erschafft. Es ist Satis Welt.
Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende Gewiss hängen THE MATRIX RELOADED und THE MATRIX REVOLUTIONS stärker miteinander zusammen als der ursprüngliche Film und seine beiden Sequels. Von den vielen Fragen, die der erste Film aufgeworfen hat, werden nur wenige beantwortet, stattdessen folgen die beiden Filme stärker einer Spannungsdramaturgie und der Komposition von visuellen Attraktionen, die man, wenn man will, natürlich als heftiges Zugeständnis der Produktion an das Popcorn-Publikum ansehen kann. Während THE MATRIX seinen Helden einen gebührenden Zeitraum zu ihrer Entwicklung zur Verfügung stellt, spielt sich die Handlung der beiden folgenden Teile zusammen in nicht mehr als vier Tagen ab: Sie beginnt drei Tage vor dem finalen Angriff der Maschinen auf die Stadt Zion, und 24 Stunden bleiben für die Abwendung des Weltuntergangs und den Friedensschluss. So sind die beiden letzten Teile der Trilogie wider Willen stärker plot-orientiert, und die Dramaturgie der Vermarktung der beiden Filme tut dazu ein Ihriges, eine falsche Erwartung zu wecken: als müsste der dritte Teil, in der Art eines dreiaktigen Suspense-Dramas, die möglichst eindeutigen Antworten auf die im ersten Teil gestellten und im zweiten Teil retardierten Fragen geben.
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Der Start des dritten Teils der MATRIX-Trilogie war für Warner ein durchaus riskantes Unternehmen, schließlich sollte schon sechs Wochen später – unaufschiebbar – der Start des einzigen Filmunternehmens erfolgen, das THE MATRIX an Aufwand und Echo gleichkam: Peter Jacksons dritte Lieferung der LORD OF THE RINGS-Trilogie, die ebenfalls von Warner vermarktet wird. THE MATRIX REVOLUTIONS startete mit einer nie dagewesenen Anzahl von Kopien in unzähligen Kinos überall auf der Welt, und das zur gleichen Zeit in allen 65 Ländern, in denen er überhaupt gezeigt wird – in Los Angeles morgens um sechs Uhr, in New York um neun Uhr, um 15 Uhr in Berlin, um 17 Uhr in Moskau und in Tokio um 23 Uhr. »Dieser simultane Start zur Stunde Null von REVOLUTIONS positioniert die MATRIX-Filme als Vorreiter in der Kino-Erfahrung«, meint WarnerSprecher Dan Fellman. Der Film lief in vielen Ländern auch gleichzeitig im Imax-Format, was ebenfalls eine Premiere ist. Noch nie kam ein Film zeitgleich in zwei Formaten in die Kinos. Die Marktmacht, die da für den Erfolg (und nebenbei gegen die Formen der medialen Piraterie) eingesetzt wird, ist freilich selbst nicht geheuer. Konnte man THE MATRIX noch als mehr oder weniger subversive Kritik an Hollywood mit dessen eigenen Mitteln verstehen, scheint die Vermarktung von THE MATRIX REVOLUTIONS alle Vorzüge und Fehler der Blockbuster-Strategien zu vereinen. Die Hollywood-Matrix erweist sich als heftiger und vielleicht zynischer als die MATRIX-Matrix, und die Kritik an der verdinglichten Welt unseres kapitalistischen Alltags bringt wiederum nur Waren hervor. Als könnten wir den in THE MATRIX verlorenen Glauben an unsere Wirklichkeit durch Sonnenbrillen und Ducati-Motorräder (oder wenigstens Spielzeug-Modelle davon) wiedergewinnen. Die Zuschauer sollten keine Chance haben; THE MATRIX REVOLUTIONS war schon in der wüsten Wirklichkeit unserer Städte, bevor die Codes für den Zweifel gesetzt waren. Auch die Presse bekam den Film gerade einmal eine Woche vor dem Start zu sehen – in der Regel ein schlechtes Zeichen. Tatsächlich war man ja gewarnt: THE MATRIX RELOADED konnte sich zwar auf dem Markt behaupten, die Begeisterung, die der Film auslöste, hielt sich aber im Fandom und noch mehr in der Kritik in engen Grenzen. Der Start von THE MATRIX REVOLUTIONS ist, man kann es wohl nicht anders sagen, als medialer Gewaltakt inszeniert. Aber steckt nicht in jeder Religion, und in jeder synthetischen Religion insbesondere, auch ein Projekt der Selbstaufhebung? Anders als bei Quentin Tarantinos KILL BILL (2003) scheint bei dem in einem Stück produzierten Sequel von THE MATRIX eine Zäsur zwar durchaus gerechtfertigt: Wieder werden andere zentrale Schauplätze erzeugt, wieder gibt es einen anderen
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Ton in der Erzählung, und wieder werden einige der zentralen Figuren einer neuen Interpretation unterzogen. Das Orakel wird nun, nach dem Tod von Gloria Foster, sogar von einer anderen Darstellerin, Mary Alice, verkörpert. Allerdings, so heißt es von Seiten der Produktion, war die Idee, das Orakel in verschiedenen Körpern erscheinen zu lassen, schon einmal am Beginn des Projekts aufgetaucht. Narrativ behandelt wird diese Konstellation übrigens in dem als Füllwerk dienenden Spiel Enter the Matrix. Aber den eigenen Zerfall kann auch die Religion der Matrix durch den Beweis der inneren Flexibilität abwenden. Schon scheint die Ikonografie verbraucht, die Helden altmodisch, das Konzept der Simulation überholt. Daher stellt sich die Frage, ob das Erzählsystem abgeschlossen ist (und wir die Trilogie und ihr Begleitwerk getrost in den Rang eines »Klassikers« erheben können und damit THE MATRIX unsterblich werden lassen). Den Tod Neos haben wir für THE MATRIX REVOLUTIONS in der einen oder anderen Art erwartet (so wie wir von dem Trinitys mehr oder weniger sicher wussten), nicht nur wegen Keanu Reeves' beinahe verräterischem Statement, Teil 1 handele von der Geburt, Teil 2 vom Leben und Teil 3 vom Tod. Das Orakel hatte im ersten Teil ja schon prophezeit, dass einer von beiden, Morpheus oder Neo, sterben müsse. Das Verhältnis von Morpheus und Neo in MATRIX REVOLUTIONS entwickelt sich höchst zwiespältig. In THE MATRIX hatte Morpheus seinen Erlöser gefunden und vielleicht erfunden, er war von heiliger Hoffnung erfüllt; in THE MATRIX RELOADED wurde das Verhältnis zwischen beiden eher professionell. Neo wusste nun selber, was zu tun war, und Morpheus hatte sich die Aufgabe gestellt, den Messias zu verkünden und zu instrumentalisieren. Aber dann musste er erkennen, dass auch Neo nur ein Programm innerhalb der Matrix ist, er verlor seinen Glauben an den Erlöser, aber vielleicht war das auch nur die Voraussetzung für eine andere Form des Verstehens. Das führt im dritten Teil zu einer Form des Loslassens. Morpheus und Neo sind nicht mehr in der spirituellen und, nun ja, erkenntnistheoretischen Weise miteinander verbunden wie zuvor. Morpheus setzt dennoch oder deshalb seine ganze Hoffnung in einen Akt von Neo, den er nicht versteht. Er steht nun gewissermaßen außerhalb des Mythos, den er selbst mit geschaffen hat (sein Tod würde also keinen Sinn mehr machen). Zur gleichen Zeit, auch das haben wir wohl geahnt, hat Neo aber auch seinen mehr oder weniger naiven Glauben an die Wirklichkeit verloren, dem einige der Rebellen mit einer nachgerade stalinistischen Unbedingtheit anhängen. Die Menschen sind ohne die Matrix nicht mehr lebensfähig, und die Maschinen sind keineswegs das absolut Böse. Die Matrix als Sprache zwischen den beiden Lebensformen muss erneuert werden, und in
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der U-Bahnstation Mobil Avenue hat Neo ja auch seine linguistische Lektion gelernt. Man darf die Sprache (die Bilder, die Worte, die Zeichen) nicht mit dem Abgebildeten, dem Bezeichneten verwechseln, wenn man ihr eine Autonomie zugesteht. Die Matrix ist der linguistische Ort, an dem sich Menschen und Maschinen begegnen. Sie abzuschaffen ist genau so zerstörerisch, wie sie zu verabsolutieren. Es kommt darauf an, sie zu verändern. Immer wieder, nehmen wir an. Sodass auch THE MATRIX immer wieder neu beginnen könnte (und immer wieder als Bildererzählung, deren Erkenntnis und Glauben, deren Ikonografie und Ideologie auch immer wieder vor unseren Augen zerfällt). Erinnern wir uns an die Vorstellung, THE MATRIX und seine Sequels seien so etwas wie die Verfilmung des kulturellen Inhalts eines TeenagerZimmers und mithin ganz nebenbei eine Metapher des Erwachsenwerdens. Auf die Sensation der Entdeckungen, des Beginns von Selbst-Bewusstsein, ist eine Mischung aus Ernüchterung und Erkenntnis gefolgt in THE MATRIX RELOADED; dann ist THE MATRIX REVOLUTIONS nicht nur der grausamste, sondern auch der traurigste Teil der Trilogie. Das liegt nicht nur daran, dass er die Begegnung mit dem Sterben und mit dem Abschied beinhaltet – was das anbelangt, erlaubt man sich ja mehr als genug der ideologischen, sentimentalen und heroischen Tröstungen, die wir so zur Verfügung haben, es hängt vielmehr auch damit zusammen, dass das so mühsam aufgebaute Ich, das schmerzhaft erzeugte Subjekt, den Zirkeln der Verschmelzung ausgesetzt ist, ohne sich je genießen zu können. Auf die Frage »Wer bin ich?« gibt es keine Antwort. Möglicherweise ist diese Trauer, die das Ende der Trilogie bestimmt – keineswegs eine reine Feier des heroischen Opfers –, auch einer der Gründe dafür, warum es mehr Elemente des Regressiven gibt. Als würde der Bewohner unseres Zimmers, im Begriffe, es zu verlassen, vor den letzten Konsequenzen doch lieber wieder zu den Comics greifen als zu den prätentiösen Philosophie-Taschenbüchern und als müsste er da drin noch einmal einen Höllenlärm veranstalten, um die Ahnung der kommenden Einsamkeit abzuwenden. THE MATRIX REVOLUTIONS mag der einen oder dem anderen als eine herbe Enttäuschung gegenüber dem furiosen intellektuellen und ästhetischen Beginn der Geschichte erscheinen. Das Unausgesprochene und Unausgeführte dominiert; so viele Bälle, die in die Luft geworfen wurden, kommen aus dem Off nicht mehr zurück, andere verwandeln sich in die schwebenden Luftballons am tristen Ende eines Kindergeburtstags. So endet die Geschichte von der Evolution, vom Erwachsenwerden, vom Besuch im Kaninchenbau, vom neuen Projekt »Mensch und Technolo-
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gie«, von der Dialektik zwischen Glauben und Wissen denn auch mit einem reinen kindlichen Sehnsuchtsbild. Die Matrix ist wieder geladen. Ein Kind – und, was nicht zu vergessen ist: die letzte Emigrantin! – hat dafür einen Horizont gezeichnet. Die Sonne scheint darauf, der Himmel strahlt in den Farben aus einem Buntstiftmäppchen. Das Orakel und der Architekt der Matrix, Muttergott und Vatergott, alt geworden oder schon immer alt, unterhalten sich, wie über ein Spiel, das sie seit langer Zeit spielen, ein ewiges Schachspiel zwischen dem Glauben und dem Wissen, dem Tiefinnen und Weit-Draußen eines Systems. Die alten Götter und die kleinen Kinder wird es immer geben, aber sie sind nicht allein verantwortlich für die Erscheinung der Welt. Niemand, nicht einmal einer von den alten Göttern, aber auch der Merowinger nicht, der Deus ex Machina nicht, nicht Neo und Trinity und schließlich auch nicht Agent Smith konnte zum absoluten Subjekt werden, bei allen Kräften nicht. Dagegen gelingt es einem kleinen Kind spielend, eine neue Welt zu erschaffen. (Es ist wirklich schwer zu sagen, ob man das Ende von THE MATRIX REVOLUTIONS als »optimistisch« ansehen kann, und dass alles, was einen Anfang hat, auch ein Ende hat, lässt sich so bestimmt in den Bildern nicht belegen.) In THE MATRIX entdeckt Neo den »Kaninchenbau«, die Trennung der Welt in Wirklichkeit und Simulation. Er erforscht diesen Kaninchenbau in THE MATRIX RELOADED und gelangt dabei ins Dilemma jedes Forschers und jedes Zeugen: Wie kann man etwas verstehen, von dem man zugleich Teil und Nicht-Teil ist? Auf das Staunen folgte die Ernüchterung. Im dritten Film nun müssen wir mit dem Helden den Kaninchenbau wieder verlassen, aber erst jetzt kann sich die Frage stellen, wie er funktioniert und vor allem: wozu. THE MATRIX REVOLUTIONS bezweifelt eine letzte Hoffnung, nämlich die, Entscheidungen, die man getroffen hat, auch zu verstehen. Wissen, Glauben und Tat werden nicht eins. Was »bedeutet« das Ende von MATRIX REVOLUTIONS? Wir haben das Opfer von Neo erwartet, und wir konnten zumindest damit rechnen, dass es keinesfalls dem Sieg der Menschen über die Maschinen würde dienen können, denn dann hätte alles wieder von vorn beginnen müssen. Es musste der Versöhnung zwischen Mensch und Maschine dienen, und es konnte nur in einer Form der Verschmelzung erscheinen. Agent Smith, das von Anfang an renitente Programm, war zur Gefahr geworden, weil es sich in das Andere von Neo verwandelte: das Subjekt in der Welt gegen die Welt im Subjekt. Es ist, wenn es nach den Worten von Produzent Joel Silver ginge, ein 2001-Ende: »Wie in Kubricks Film soll jeder Zuschauer die Bedeutung der
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Matrix für sich selber erkunden.« Tatsächlich jedenfalls führt das Ende zu einem Anfang zurück, in das Bild eines Kindes, in das Spiel zweier Greise im Park, in die Flüchtigkeit einer Begegnung. Alles andere als eine Erklärung, nur ein Bild, das wieder leicht geworden ist. Und was dieses Ende anbelangt, sind die Wachowskis nach so viel Materialschlacht und nach so vielen schweren mythischen Bildern wieder unerwartet poetisch und humorvoll. Jedenfalls kann man es so sehen. Mit dem Ende von THE MATRIX REVOLUTIONS ist ein Teil einer synthetischen Evolutionsgeschichte zu Ende, und ein Teil einer synthetischen Schöpfungsgeschichte. Man könnte sagen, sie habe mit der Erschaffung der künstlichen Intelligenz begonnen, aber mit demselben Recht könnte man behaupten, sie habe mit dem Blick in den Spiegel begonnen. Alles, was geschehen ist, in dieser synthetischen Schöpfung, das ist die Verschmelzung zweier Systeme, die ihre dialektische Beziehung zueinander nicht vollständig erkennen können und deshalb ihre Beziehung durch die Antennen des Transzendentalen regeln müssen. Die Symbiose der beiden Systeme entstand, was ihre einzelnen Elemente anbelangt, »leidvoll«. Viele mussten sterben oder sich grausamen Verwandlungen unterziehen. Es waren die »Störungen« in beiden Systemen, die schließlich zur Fusion führten, zu einer neuen Matrix. Die Fragen, die sich in immer neuen Formen in dieser Geschichte stellten, waren die nach der Kontrolle, dem Gesetz, der Regel, der Störung, der Singularität von Quantensprüngen. Am Ende muss es die Revolution geben, nicht im Sinne eines »Aufstandes«, wie es die Rebellen möglicherweise glaubten, sondern im Sinne einer Umwertung der Werte: Aus den Anhäufungen der Störungen wird die Verwandlung. MATRIX erzählt von einem System, das rumort; weil es nicht zugrunde gehen will, produziert es Störungen, die außer Kontrolle geraten. Sind wir wirklich am Ende der Erzählung? Sie könnte auch ebenso ewig weitergehen, wie eine Comic-Serie, die nur endet, wenn der Autor (vorausgesetzt, er hat sich alle Rechte gesichert) keine Lust mehr hat oder wenn er stirbt oder wenn das Publikum keine Lust mehr hat, die Hefte zu kaufen. Ab einem gewissen Status sind Comic-Helden unsterblich und zur ewigen Wiederkehr verdammt. »Mit THE MATRIX REVOLUTIONS«, so erklärt Produzent Joel Silver hintersinnig, »ist die Geschichte, die Larry und Andy Wachowski erzählen wollten, zu Ende.« Das kann dies und jenes heißen, unter anderem auch die Möglichkeit, dass die Erzählung wieder dorthin gelangen mag, worüber sie sich für einige kulturhistorische Augenblicke erhoben hat: in die Mainstream- und Trash-Produktion der populären Mythologie. Anders gesagt: vom Bewusstsein zurück in den Traum. In die Matrix unseres Medienalltags.
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Was also ist die MATRIX? Die MATRIX-Trilogie ist gewiss eines der am meisten overanalyzed Kapitel der Filmgeschichte (und welche Filme hat man zur gleichen Zeit übersehen!). Aber die meisten Analytiker sind sich durchaus im Klaren darüber: MATRIX ist ein Vorwand. Ein Vorwand, über dies und jenes zu sprechen, worüber man sonst nicht gesprochen hätte, schon gar nicht zu einer solchen Menge von Zuhörern, über Probleme, die Computer, das Kino und die Wirklichkeit betreffen, Religion, Philosophie, Technik und Wahrnehmung, die Zukunft der Bilder und der Erzählungen. Es ist ein guter Vorwand. Und wahrscheinlich ist ein Vorwand, der sehr gut ist, eben doch ein entscheidendes Mehr als ein Vorwand. Nichts stimmt in den Konstruktionen des MATRIX-Mythos, schnell ist bewiesen, dass es »so etwas« gar nicht geben kann, dass es in sich selbst ebenso widersprüchlich ist, wie es ein System generiert, das beständig auf sich selbst hereinfällt, dass die mythischen und die mathematischen, die philosophischen und die politischen Bilder nie anders ineinander aufgehen als dadurch, dass sie wieder zurückgreifen auf eine Empfindung, eine Frage, einen Moment des Innehaltens in dem vollgestopften Zimmer des Teenagers, das wir nun einigermaßen kennen. Das Ganze ist, wie Daniel Barwick darlegt, selber wiederum nur als fake zu verstehen. Vom Standpunkt der Philosophie, der Erzähltheorie, der Psychologie, der Geschichte und so weiter ist die Matrix am Ende immer entweder eine Fehlkonstruktion oder eine leere Metapher, alles oder nichts. Wie auch anders? Nach dem Tod der großen Erzählungen ein Epos, das irgendwie alles erklärt! Nach dem Tod der Religionen ein großer Haufen von Religionssplittern. Nach dem Sieg der Ironie ein hochmoralischer Essay über Freiheit und Bestimmung. Nach dem Tod des Politischen eine Metapher zu Macht und Ausbeutung. Nach dem Tod der Helden die Konstruktion des Meta-Helden. Um es in den Worten von Kevin zu sagen, den man nicht als Einzigen allein zu Hause ließ: »Das geeeht doch gar nicht!« Wir haben MATRIX als Mythos bezeichnet, als Pop-Mythos, um genau zu sein. Und ehrlich, ich glaube nicht, dass ich damit ein großes Geheimnis verrate: Das ist mit allen Mythen so, dass sie nicht stimmen, dass sie inkonsequent, fehlerhaft und selbstwidersprüchlich sind. Ihre Struktur und ihre Fülle befinden sich immer im Widerspruch zueinander. Was hineingelegt wurde und was herausgeholt wird, hat nicht viel (aber auch nicht nichts) miteinander zu tun.
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The Big Sleep ››Das Schlafende muss erwachen«, so heißt es in David Lynchs Film DUNE (Der Wüstenplanet; 1984), dessen messianischer Held gewiss einer der vielen Vorläufer Neos ist. Und das ist die Losung des Kinos, von den Rändern bis in den Mainstream hinein, in den letzten beiden Jahrzehnten. Im Kino selbst spiegelt sich der Kampf, der in der Matrix geführt wird, die Rebellion der Gnostiker gegen den »christlichkapitalistischen« Fundamentalismus. So viele große Filme wie AMERICAN BEAUTY (1999; R: Sam Mendes), FIGHT CLUB oder MULHOLLAND DRIVE (2001; R: David Lynch) handeln davon, wie Menschen in einem System ihre Seele verloren haben, zusammen mit ihrer Fähigkeit zu sehen. Erwachen, das kann heißen, die Schönheit einer im Wind tanzenden Plastiktüte (wieder) zu sehen, zu erkennen, wie selbst noch Authentizität inszeniert ist, sich als Opfer zu erkennen und das Nutznießen als Irrweg. Etwas Entscheidendes hat sich geändert seit George Lucas' THX 1138 (1971), wo die Menschen der Zukunft durch eine Droge und einen digitalen Jesus in ihrer Sklaverei in der Unterwelt gehalten werden, bis zu SIMONE (2002) von Andrew Niccol, wo ein Regisseur (AI Pacino) einen künstlichen Filmstar erschafft, mehr als nur ein Idol, und die Menschen, die ihn »anhimmeln«, sich auch dann nicht mehr von ihrem Kult abbringen lassen, als Simones Schöpfer sie über ihre wahre Natur aufklärt: die Komplizenschaft der Menschen als Konsumenten, User, Abhängige. Das Subjekt der Wirklichkeitsverschwörung wird zunehmend vage, die Strange Days sind eine Schöpfung der Konsumenten selbst. Die Matrix hat nicht nur ihren Cypher, sie ist selbst nach den Wünschen der Menschen erschaffen, und der an Buckminster Fuller erinnernde Architekt ihres Programms ist alles andere als ein entrückter Schöpfergott, nur ein weiterer technologisch avancierter Komplize. Nie finden wir als Lösung ein anderes System. Auch Zion ist nur eine Projektion, wie es der Fight Club ist. Die Erlösung aus der Matrix ist nicht die Schaffung einer Anti-Matrix. Sie liegt in der Revolte des Subjektes selber. Der Ausgang ist ungewiss, vom Standpunkt der Matrix aus kann er auch vollkommen zynisch sein. Die Spur des Wegs der Befreiung wird selbst zum Teil des Algorithmen-Gitters der Matrix. Und doch ist dies der einzige Weg. Der einzige Trost: Alles verändert sich, in der Matrix und außerhalb von ihr. Auch die Welt um Dornröschen, die der Matrix durchaus ähnelt, endete nicht, sondern wurde angehalten, vielleicht in eine Schleife versetzt wie in GROUNDHOG DAY (Und täglich grüßt das Murmeltier; 1993; R: Harold Ramis): Ein und derselbe Tag wiederholt sich immer wieder, was der
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Protagonist auch anstellt. Während sich Bill Murray in dieser Komödie bei dem (unbewussten) Versuch, sich aus diesem Albtraum freiküssen zu lassen, immer wieder mal einen Satz heißer Ohren holt, wird Neo von Trinity wachgeküsst, genauer gesagt: vom Tod wieder ins Leben. Den Schlaf der Vernunft zu beenden, sehend werden wenigstens für einen Augenblick, das ist die Hoffnung all dieser Filme, deren Zusammenfassung und Transzendierung MATRIX ist. Darum kann Larry Wachowski die Botschaft der Filme so einfach zusammenfassen: »In MATRIX geht es darum, dass es sehr leicht ist, ein Leben zu führen, das nie einer kritischen Prüfung unterzogen wird. Es ist sehr leicht, die Augen davor zu verschließen, was draußen in der Welt los ist.« Das ist es, worauf alles hinausläuft: Da wir nicht genau wissen, was die Matrix ist (wir wissen nicht einmal genau, ob es etwas gibt, was nicht die Matrix ist), bleiben alle unsere Interpretationen und Ableitungen letztlich Spekulation (und das ist gut so). Aber natürlich gibt es eine Menge von möglichen Erklärungen und Hinweisen, und immer, wenn wir einer davon folgen, erscheinen die jeweils vorherigen Überlegungen und »Lektüren« in einem veränderten Blickwinkel. So weit waren wir schon einmal. »Was ist also Wahrheit?«, fragt Friedrich Nietzsche und antwortet einigermaßen scharfsinnig und nihilistisch: »Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt werden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheit sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die ihr Bild verloren haben.« Nicht von dem, was man sich einbilden kann, geht im Cyberpunk das Grauen aus, sondern von dem, was man vergessen kann. Oder längst vergessen hat. Von den Metaphern, zu denen kein Bild mehr passt, und von den Illusionen, von denen man imstande ist zu vergessen, dass es welche sind. Kann es eine Matrix auch »technisch« geben? Eine einfache, technologische Erklärung haben wir schon in William Gibsons Neuromancer erhalten: »Die Matrix hat ihre Wurzeln in primitiven Videospielen, in frühen Computergrafik-Programmen und militärischen Experimenten mit Schädelelektroden.« Das erklärt, wie sie gleichsam unbemerkt in die Gesellschaft hinein- und über sie hinauswachsen konnte. Sie hat eine Geschichte, die ein Teil der Technologie-Geschichte der Menschheit ist und, wie das meiste vom apokalyptischen Stoff der Science-Fiction, aus einem verhängnisvollen Ineinander von Vergnügungssucht und militärischer Machtentfaltung ihren Ursprung nahm.
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Wenn wir diesen historischen Aspekt ernst nehmen, könnten wir damit alle metaphorischen Aspekte relativieren. Bei diesen »primitiven« Anfängen kann die Matrix nicht mehr enthalten als das, wovon sie sich offensichtlich bei ihrem Anwachsen »ernährt« hat, und das sind die menschlichen Begierden und die menschlichen Ängste. Insofern könnte die Matrix gar nichts anderes sein als ein Spiegel, und die Frage, was man darin sieht, ist nicht so sehr ihre Sache als die dessen, der hineinblickt. Aber natürlich ist kein Spiegel so unschuldig. Und das, was die Matrix ist, zur Zeit von Neos Erweckung, ist mehr als das, was sie in ihrer Geschichte geworden ist. Auch die Antwort des executive producer Andrew Mason scheint zunächst einmal einfach: »Die Matrix ist nur eine Anordnung von Fragen, ein Mechanismus, der ignorante oder dumme Menschen dazu bringen will, so viele Dinge als möglich in Frage zu stellen.« Dann freilich wäre die Matrix gar nicht das Problem, sondern eher schon ein Teil der Lösung. Sie böte sich als Medium an: In der Matrix wird die gesamte Geschichte von menschlichem Glauben und Bewusstsein noch einmal erzählt, allerdings in der Form einer Frage (und in der Form eines action movie). Was eine Matrix ist, davon haben wir ja auch jenseits des Films und jenseits des Diskurses über Computer und Wahrnehmung so unsere Vorstellungen. (Nur ein paar alte Knacker wie der Verfasser dieses Buches allerdings erinnern sich vielleicht noch daran, dass das Matrix ein MusikSchuppen in San Francisco war, in dem in den Jahren um 1965 die amerikanische Hippie-Revolution zumindest musikalisch begann. Jedenfalls hatten Jefferson Airplane hier ihren ersten großen Auftritt. Ein Jahr später bekamen sie von Levi-Strauss den Vertrag für einen Werbespot für Blue Jeans und waren danach ziemlich dick im Geschäft. Was sagt uns das?) Dazu müssen wir nur ein paar Wörterbücher zu Rate ziehen. Die Matrix ist also: – der Mutterbauch oder der Geburtsraum; – die Form, aus der andere Formen modelliert werden (das Negativ des Films oder der Schallplatte, aus der man seinerzeit all die vielen »Kopien« zog, bevor der digitale Prozess diese Form technologischer Mütterlichkeit ins Virtuelle schob); – Gestein oder Erde, auf dem oder in der Mineralien ihre kristallinen Formen ausbilden; das »Ganggestein«. In gewisser Weise ist das also das Gegenteil einer Ordnung, nämlich die Trägersubstanz (nicht der Gedanke, sondern das Gehirn). Der Nährboden. Die Gewebeschicht. Die Grundmasse. So ist Matrix auch das Zeug, in dem die »bewusstlosen« Menschen schwimmen; – ein Zahlensystem, das andere Subsysteme generiert; – das Planbild einer Architektur.
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Nicht einmal das Wort selbst also hilft uns bei der Beantwortung der Frage: Was ist die Matrix? Was auch immer: Eine Matrix ist ganz offensichtlich ein Schöpfungsinstrument und keineswegs in erster Linie ein Unterdrückungselement. Aber dann ist sie außer Kontrolle geraten, sie wuchert auf der einen Seite, und auf der anderen Seite schließt sie sich ab. Was in ihr wächst, wächst selbstreferenziell und krebsartig. Wenn dieser elektronische Mutterbauch Menschen generiert, dann, wie Agent Smith feststellt, eher wie Viren. Es ist ein System, das an sich selbst sterben muss. Was aus der Matrix geworden ist, erfährt Case in Neuromancer weiter: »Cyberspace. Unwillkürliche Halluzinationen, tagtäglich erlebt von Milliarden Berechtigten in allen Ländern, von Kindern zur Veranschaulichung mathematischer Begriffe ... Grafische Wiedergabe abstrahierter Daten aus den Banken sämtlicher Computer im menschlichen System. Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen, in den Nicht-Raum des Verstandes gepackt, gruppierte Datenpakete.« Das Bildnetz also, eng genug geknüpft, um dahinter nicht mehr zu sehen, was einst abgebildet werden sollte. Die Verwandlung der Welt in ihr Bild. Mehr will Case aber gar nicht mehr wissen. Was er da erfahren hat, stammt ohnehin aus einem zukünftigen »Kinderprogramm«. Er will die Matrix nicht erklärt bekommen (was jedem Helden traditioneller Science-Fiction durchaus genügt hätte), er will sie erfahren: »Wie ein Origami-Trick in flüssigem Neon entfaltete sich seine distanzlose Heimat, sein Land, ein transparentes Schachbrett in 3-D, unendlich ausgedehnt.« Mutter, Heimat, Spiel. Noch sind wir viel näher an einer körperlichsinnlichen Empfindung, einem Traum-Flash (und natürlich, nebenbei, einer Drogenerfahrung) als an einem philosophischen, metaphorischen und technologischen Raum, aus dem zu entkommen Menschenpflicht und Religion sei. MATRIX ist auch, was das anbelangt, viel sauberer, sagen wir ruhig: viel kleinbürgerlicher als Gibsons Cyberpunk-Welt. Case' Problem ist die Abhängigkeit, er wird durch das (künstliche) Leben getrieben wie der Held eines aus dem Müll gezogenen Chandler-Romans. Neo geht dagegen von Anfang an die Sache als reine Erfahrung an, als ginge es ihm nur um Ideen und nicht um Lust und Schmerz. Er ist eben ein Highschool-Kid, das gerade seine ersten Erfahrungen in einem Bürohochhaus macht, dessen Arbeitswaben und Bewohner nur einen Verdacht auslösen können: Hier ist etwas nicht in Ordnung. (In den Dilbert-Comics, die wir ebenso gut wie Baudrillard heranziehen können, um die Grundbedingungen der Matrix zu erkennen, werden die Menschen innerhalb dieser Lebensumstände, wie sie ein gewöhnlicher Programmierer wie Thomas Anderson als einzig mögliche erleben muss, komplett verrückt, sie haben diesen Traum nicht, dass drau-
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ßen eine andere Wirklichkeit sein könnte. Wie wäre es übrigens, wenn man in Wonderland geboren worden wäre? Müsste dann nicht die Realität, mag sie belanglos und voller Vorschriften sein, ein wunderschöner Traum sein?) Es geht, so stellten wir fest, um ein mit allerlei Ideen, Fantasien, Zeichen und Kulturwaren vollgestopftes Zimmer eines jungen Menschen am Rand zum Erwachsenwerden. Nicht das Erwachsenwerden als Abschied von der Kindheit, wie bei Spielberg, war hier gemeint, sondern ein Erwachsenwerden, zu dem man sich entschließen muss, zu einem Zeitpunkt, an dem man schon eine ganze Menge Erfahrungen und Wissen angehäuft hat, aber noch keine Ahnung davon hat, wozu das gut sein soll – oder schlecht, wie man es nimmt. Und es geht darum, dieses Zimmer, den letzten einigermaßen sicheren Kokon zu verlassen, in Richtung auf eine Wirklichkeit hin, von der man hier weiß, dass es sich nur um eine Wüste handeln kann. In diesem Bild vom Zimmer, in dem wir MATRIX nur verstehen können, treffen sich sehr private und sehr kollektive Impulse, Geschichte und Biografie, Zufälle und Sehnsüchte, Struktur und Chaos. So ist die Matrix keineswegs »alles und nichts«, keine leere Metapher, sondern ein offenes System, in dem hierhin und dorthin (aber eben auch keineswegs überallhin) gedacht, gewusst und geträumt werden kann. Die Vorstellung vom »Erwachen« ist einerseits so alt wie die menschliche Kultur. Aber andrerseits hat sie offensichtlich eine neue Qualität erreicht, seit das Unbehagen gegenüber und die Abhängigkeit von den elektronischen Medien so alltäglich sichtbar geworden ist. Es ist, als sehnte man sich danach, sich vor den Bilder- und Wörterfluten eine Zeit lang retten zu können. Aber vielleicht ist die Matrix, die wir mit dem Helden verlassen oder in der wir mit ihm sterben müssen, neben vielem anderen auch ein bestimmter Raum für das Abbilden und das Erzählen, für den »Kino« auch nur ein Wort ist. Auch hier ist nicht wirklich zu entscheiden, ob MATRIX ein Abschiedsblick ist oder der Blick hinaus. Müssen wir mit Neo das Kino, so wie wir es kannten, verlassen und uns neue Erfahrungsräume in den neuen Wirklichkeiten suchen, oder hat die Trilogie es gerade noch einmal geschafft, den magischen Ort zu retten, indem sie ihn gründlich veränderte? Was uns beschleichen mag an gewissen Momenten der Trilogie, in denen so vieles möglich scheint, vor dem dann doch die Helden ebenso wie die Filmemacher zurückschrecken, ist beides zugleich: Die Trauer um einen »letzten Film« und die gespannte Hoffnung auf einen neuen. Das All Tomorrow's Parties-Gefühl – das Velvet Underground in ihrem Song und William Gibson in seinem Roman beschreiben: »Ich will, dass meine Welt verwandelt wird, aber ich möchte auch, dass mein Platz in dieser Welt dem
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entspricht, den ich gegenwärtig einnehme. Ich will meinen Kuchen essen und ihn zugleich behalten.« Warum aber muss dieser Augenblick so total, so kosmisch sein, wo es doch um nichts anderes geht als darum, dass das Leben, so wie es ist, nicht länger zu ertragen ist? Dutzende von schönen Filmen aus den Gettos dieser Welt sehen das auch und stellen sich radikal hinter die Menschen, die sich mit ihrem Lebenswillen, ihrer Liebe und ihrer Kreativität gegen das System stellen. Aber retten können sie ihre Menschen vielleicht vor ein paar Agenten, das System selbst können sie nicht sehen. Wie auch? Die Herrschaft des Kapitals auf der Welt ist in einem Ausmaß total, dass man sie nicht mehr als Problem in der Wirklichkeit sehen kann, sondern als das Problem der Wirklichkeit schlechthin. Die apokalyptischen Diagnosen werden seriell produziert und gern konsumiert. An eine Alternative ist kaum zu denken, ja sie ist nicht einmal als Gedanke rational zu fassen. Die Welt als Illusion aufzufassen ist vielleicht eine subversive, eine jedenfalls verzweifelte Geste gegenüber einem übermächtigen Gegner. In der Wirklichkeit ist er nicht zu besiegen. So kann man ihm nur das Recht auf die Wirklichkeit selber absprechen. Nicht nur eine Revolte wird in den MATRIX-Filmen durchgespielt, sondern alle, zu denen die Jugend überhaupt noch fähig wäre. Sie alle führen zu nichts, und sie alle haben doch ihren Sinn: Der gewalttätige Aufstand. Die Liebe. Die Poesie. Der Glaube (auch in seiner Form der radikalen Ketzerei). Das Wissen. Die Ich-Sucht, die Ich-Überwindung. Während der Revolten erweist sich immer mehr die Komplizenschaft der Personen und Systeme, die vordem als Kontrahenten schienen. Das System zerfällt, während die Rebellen es erhalten. Was wäre, in seinen ersten Krisen, aus dem deutschen Wirtschaftswunder geworden, wenn es nicht die 68er gegeben hätte (und vor allem ihre Metamorphosen), was wäre aus der großen Weltmaschine Wirtschaft-Militär-Wissenschaft-Entertainment in den USA geworden, wenn nicht die Hippies (und vor allem ihre Metamorphosen) ihren Weg dort hinein gefunden hätten? Das System, das die Rebellion am cleversten integriert, überlebt noch allemal dasjenige, das sie am perfektesten unterdrückt. Aber anhand von THE MATRIX können wir auch über den Preis reden. Die Integration macht in der Tat blind und unwirklich. Je »menschlicher« das dissidente Programm Agent Smith wird, desto mehr verliert, beginnend am militaristischen Anfang von THE MATRIX RELOADED, Neo, der Held, an Menschlichkeit. Dass gierige alte Männer die Welt aussaugen (oder Maschinen die Menschenkörper), das mag uns ja einleuchten; aber wie und warum werden faschistische Killer, mehr oder weniger sozialdemokratische Gutmenschen, religiöse Fanatiker, Verschwö-
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rer und Verschwörungstheoretiker, das Maschinelle an sich, Göttinnen und Dämonen allesamt und beinahe gleichwertig zu ihren Erfüllern und Instrumenten? Und mehr noch: Warum erledigen sie ihren Job besser, als die gierigen alten Männer (die gierigen Maschinen) auch nur zu denken gewagt hätten; ja warum arbeiten sie so perfekt, auch wenn es diese gierigen alten Männer vielleicht gar nicht (mehr) gibt? Die MATRIX-Trilogie hat keinen Bösen. Keinen Superschurken und kein Monster. Sie zeigt als eine der ersten Filmerzählungen den Menschen und das System. Daher liegt es nahe, dass sie auch keinen Guten hat; Erlöser, Held und Geliebter hin oder her. Jedoch ein Subjekt, das diesen Konflikt auf sich nimmt (und die Phasen des »Größenwahns« durchläuft, die Nietzsche vielleicht auch noch den Leuten unerträglich macht, die ahnen, dass da jemand, der so besessen ist vom Wunsch, das Subjekt gegen alles System zu retten, sich zugleich, und sei es unfreiwillig, dem dümmsten und perversesten System – dem deutschen Empire – nützlich gemacht hat). Vielleicht ist Neo in THE MATRIX der erste transzendentale Held des Kinos, dessen wahre Größe in nichts als in seinen Irrtümern besteht. Das also sind die drei Geschichten, die die MATRIX-Filme erzählen: Ein junger Mensch will und muss erwachsen werden. Nicht einfach so, im Allgemeinen, sondern in einer konkreten Situation der Totalität des Kapitalismus und seiner medialen und, durchaus, religiösen Auflösung als Ideologie. Bedeutet Erwachsensein mehr Freiheit oder mehr Unterwerfung? Offensichtlich muss man den Zugewinn an Freiheit, den man mit einer größeren Verpflichtung bezahlt, nach außen richten. Jenseits dieser verdammten Tür (nach der Einnahme der einen oder der anderen Pille, nach mehreren Wahlen, die es zu treffen gilt, nach dem Abstöpseln und dem Entkommen aus dem Matrix-Mutterbauch) hat man immer weniger Freiheit für sich selbst und immer mehr Freiheit für die Welt. Daher hört das Wählen auch in der Welt der Zwänge nicht auf. Ein Subjekt will nicht mehr besinnungsloses Teil eines Systems sein; es will der Wirklichkeit offen gegenübertreten. Nicht »die Maschinen« herrschen – das ist eine der Metaphern, die die Filme gar nicht weiter interessieren –, sondern »das Maschinelle«, nicht das Medium, sondern das Medialisierte. Ein Mensch stellt Fragen. Daher wird er – zugleich automatisch und durch die freie Wahl – zum Rebellen. Aber ist die Rebellion eine Antwort? Ist es der Glaube, ist es die Liebe, ist es die Hoffnung? Nichts von alledem erspart eine Des-Illusionierung nach der anderen. So ist auch »Illusion« nur eine Metapher. Hat nicht Morpheus schon früh darauf hingewiesen, dass Neo durch die Wahl der blauen Pille einfach glauben könne, was er
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glauben wolle? Der Punkt, um den alle Bewegung in den MATRIX-Filmen kreist, ist der Nihilismus, der, den das System erzeugt und der, den es in seinen Kontrahenten erzeugt. Der Nihilismus, der im Jahr 2003 an jeder Straßenecke und in jedem Fernsehprogramm zu finden ist. Man nennt ihn Trend, Sachzwang, Entertainment. Es ist die Unmöglichkeit, über das System hinaus zu denken. Es ist der kategorische Imperativ des Neoliberalismus: Begehre die Gegenwart! Vergiss die Vergangenheit! Und: No Future!
Erzählmaschine, Bilderfabrik Jedes Wort ist auch eine Maske. (Friedrich Nietzsche)
In der Matrix spielen Menschen Geschichten, interaktiv, aber ohne Bewusstsein. Sie haben Namen, die an Rollen erinnern in längst vergangenen Mythen, Legenden und Religionen. Man kann sich darüber streiten, ob die (vielen) Autoren der Trilogie und ihrer Verzweigungen damit zurechtgekommen sind oder nicht. Am Anfang der Matrix stehen nicht die Maschinen, sondern die Verdunkelung der Sonne, eine umfassende Selbstblendung der Menschen. (So besehen können die Maschinen nichts anderes tun, als sie in immerhin künstliches, inneres Licht zu führen.) Die Erzählmaschine jedenfalls, die die Matrix auch und vor allem ist, muss sich in der Dunkelheit entfalten. Das Motiv der Dunkelheit und der Blindheit taucht in den Filmen der Trilogie wie in den ANIMATRIX-Filmen immer wieder auf. Die Ideen (wie die Namen) haben keine Anschauung, die Fantasie keine Erfahrung. Wenn jemand, zum Beispiel, »Persephone« heißt, ist nicht ausgemacht, dass sie weiß, was das bedeutet, ob es etwas für sie bedeutet oder für die Momente und Beziehungen in ihrem System oder für die Beobachter ihres Systems oder für irgendwen. War einst das Imaginäre ein Vorwand für das Reale, ein Mittel von Verständigung und Maskerade, so ist nun, nach Baudrillard, das Reale ein Vorwand für das Modell geworden, was höchst einleuchtend ist, wenn man im Fernsehen das Wirkliche (als Geschichte und als Individuum) nur als Vorwand und Anlass für das Programm sieht. Und er fügt hinzu: »Paradoxerweise wird nun das Wirkliche zu unserem wahren Utopia – aber zu einem Utopia, das nicht mehr im Bereich des Möglichen liegt, von dem wir nur noch träumen können, wie von einer verlorenen Sache.« In Filmen wie der MATRIX-Trilogie wird diese Utopie »Wirklichkeit« geträumt. Und das kann
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nur gelingen, wenn man zugleich die Bedingungen des Bildes und seiner Verknüpfungen selbst verändert. Paradoxerweise also ist MATRIX ein filmisches Projekt zur Simulation der Wirklichkeit, das zur gleichen Zeit radikal Schluss macht mit der Idee von einem Kino, das eine Simulation der Wirklichkeit ist. Ein Schauplatz ist hier ein Schauplatz und keine Imitation eines sozialen oder historischen Ortes. Eine Figur ist eine Figur und keine Imitation eines realen Menschen. Eine Kamerabewegung ist eine Kamerabewegung und keine Imitation eines menschlichen Blicks (sie ist nicht einmal mehr die Imitation der physikalischen Bewegung eines Apparates). Ein Plot ist ein Plot und keine Imitation einer Biografie. Eine Bewegung ist eine Performance und keine Imitation »natürlicher« Bewegungen. Die Zeit ist eine Kreation der filmischen Mittel und keine Kreuzung von abstrakter und subjektiver Zeit. Der Raum ist beliebig, durch Blick und Projektion entstanden, und keine Imitation des allgemeinen Kontinuums. Die Seele ist eine Idee und keine Imitation des psychologischen Realismus. Was wir also als eine »Abstraktion« empfinden können, ist auch eine Emanzipation der filmischen Mittel. Verrückterweise macht uns ja das Kino selten so wenig vor wie in dieser Tour de Force der cineastischen Illusionsmittel. Vielleicht gibt es ja wirklich zwei Wege zur Wahrhaftigkeit des Films. Auf dem ersten kommen wir dem Augenblick des Wirklichen immer näher (auch hier: indem wir alle Illusion und alle Simulation vermeiden). Auf dem zweiten Weg gelangen wir an die Wahrheit des Kinos selbst. Natürlich wiederholt sich da schon wieder dieser Widerspruch zwischen Idee und Wahrnehmung, zwischen Ich und Welt, zwischen Wissen und Erfahrung, zwischen innen und außen, den unsere Helden von der Königsberg-Connection bis zum Aufbruch aus Zion neu zu lösen versuchten (nur um ihn an andrer Stelle wieder aufzureißen). Das Kino ist umso ehrlicher, je mehr es diesen Widerspruch zwischen der Welt und der Aufnahmemaschine akzeptiert und bearbeitet. Die Matrix, in der wir leben, können wir mit Bergson ohne Zögern auch als »kinematografische Illusion« der Welt bezeichnen. Was aber könnte gegen diese Illusion (die ganz bestimmt so sehr eine »Versklavung« ist wie das doppelte Leben in der Matrix) besser helfen als ein »Denken in Bildern«, noch einmal ein anderes Wort für Kino? Die Aufnahmemaschine kann radikal sein in ihrem Zugriff auf die Welt. Und sie kann radikal sein in ihrem Zugriff auf sich selbst. Eines ist nichts ohne das andere. Beides zugleich ist noch nicht gelungen. Wenn der Raum und die Zeit verschwunden sind, die Objekte nichts mehr beweisen und die »Natur« eine Inszenierung ist, dann bleibt als letzter Ort von Abenteuer und Selbsterfahrung, Sinnsuche und morali-
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scher Klärung nichts anderes mehr als die Bilder im eigenen Kopf. Das ist seit Kubricks 2001 klar, führt von SOLARIS zu CONTACT: Wer hinaus will, fällt nur umso tiefer in sich hinein. Und wer in sich hineinblickt, erschafft eine Welt. Viel mehr an Trost ist nicht zu haben, im Kino und im Leben. Aber es ist mehr, als wir erwarten dürfen. Das Kino ist Motor, Symptom und Einspruch zugleich. »Je mehr es sich von seinen Ursprüngen entfernt, desto schwieriger lässt sich das Kino identifizieren, desto mehr ist es entortet und ungreifbar«, so Thierry Jousse. Aber es gibt weder ein Zurück in die wärmenden Bilderwelten von Heimatfilmen, noch darf gerade das Kino die Globalisierung der Bilderwährung unkommentiert lassen (was nichts an der Sympathie für lokales, verortetes und konkretes Kino ändert). Der »Trost« aus Filmen wie der MATRIXTrilogie ist der Versuch, die auseinander strebenden Lebensbereiche des Spätkapitalismus immerhin wieder in Beziehung zueinander zu bringen, Alltag, Religion, Technologie, Ökonomie, Style und Politik, zugleich als Empfindung voneinander getrennt und unter das gemeinsame Diktat der Konzerne gestellt: Eines ist die perfekte Ergänzung des anderen, und es will vom anderen nichts wissen. Es ist nichts so nah an unserer gewöhnlichen Lebenserfahrung wie ein Leben in verschiedenen Wirklichkeiten und in verschiedenen Bildwelten. Diese Segmente werden in einer künstlichen Mythologie wieder miteinander verbunden. Und erst dadurch kann die Kamera auch ein Instrument der Frage werden. Ihr, nun ja, »Selbstbewusstsein« freilich schließt auch die Erkenntnis der Begrenztheit mit ein. Mit der Beweglichkeit der Kino-Technologie wird die »ganze Welt zu einer Leinwand«. So wie das spekulative Kapital in dieser Phase der Globalisierung im Grunde immer schon in einer virtuellen Zukunft arbeitet (und dabei die Vergangenheit beliebig manipuliert), so zersetzen auch die beweglichen Bilder die Grammatik in der Beziehung von Urbildern, Abbildern und Trugbildern. Die MATRIX-Filme nehmen diese Neo-Zeit auf, der Dialog, zum Beispiel, ist der »Handlung« immer schon voraus, Erfahrung erscheint oft genug als Déjà-vu, und Morpheus dreht beharrlich, fast ritornellhaft das große, alte Teenager-Gebet auf den Kopf: Time Is on Their Side! Die Zeit arbeitet gegen uns. Was allerdings dieses System, das Raum und Zeit gefressen hat, nicht vollständig vernichten kann, ist das Fragen und Suchen des Subjekts. Deswegen, unter anderem, bin ich der Meinung, dass es nur einen Unterschied gemacht hätte, wenn Neo die andere Pille genommen hätte. Er hätte den Weg durch Kaninchenbau, Spiegel, Ich und Welt genau andersherum gehen müssen. Um an derselben Stelle anzukommen. Oder im selben Nirgendwo. Vom Menschen zum Programm, oder vom Pro-
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gramm zum Menschen, das ist der Weg vom Subjekt zum System und umgekehrt: Gewiss ist nur das Leiden aneinander, und gewiss ist die Veränderung aneinander. So lauern andrerseits überall die Optionen. Nichts ist »egal«, und nichts wiederholt sich einfach. Gerade im Augenblick haben wir immer entweder zu wenig oder zu viel Freiheit, sind wir zu wenig oder zu viel fremdbestimmt. Erwachsenwerden, davon gingen wir aus, ist die Substory von MATRIX. Es ist nichts anderes als zu lernen, den Widerspruch auszuhalten. Neo, Trinity und sogar Agent Smith opfern sich, damit wir das hinkriegen. Und dabei unter anderem eins verstehen: Die Grenzen unserer Freiheit, die Grenzen unserer Wahrnehmung und Erkenntnis und die Grenzen unserer Verantwortung verlaufen ganz unterschiedlich. Wissen, Glauben und Handeln und alle Ableitungen verhalten sich in der Tat wie ein komplexes System, in dem man sich nicht bewegen kann, ohne es selbst zu verändern. Neo ist kein Messias, und trotzdem kommt es auf ihn an. Und MATRIX besteht nicht durch seine Antworten. Sondern durch den Gestus seiner Fragen.
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Filmografie BOUND (1996) Gefesselt
THE MATRIX (1999) Matrix
Produktion: Dino De Laurentiis / Spelling. Produzenten: Stuart Boros, Andrew Lazar. Koproduzent: Jeffrey Sudzin. Ausführende Produzenten: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Production Supervisor: Pearl A. Lucero. Regie: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Regie-Assistenz: Rip Murray, Toni Whiteman, Wayne Gee. Drehbuch: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Kamera. Bill Pope. Kamera-Assistenz: James Fitzgerald, Steve Peterson, Christopher Ishii, Ron Peterson, Kari Romeo. Camera Operators: Tony Cucchiari, Rob Sweeney. Steadicam Operator: Peter C. Jensen. Unit Photographer: Tony Friedkin. Musik: Don Davis. Schnit:- Zach Staenberg. Schnitt-Assistenz: Dan Gutman, Tony Bacigalupi, Lisa Mozden. Re-Recording Mixers: Ezra Dweck, Robert W Glass Jr., Grover B. Helsley, Dan Wallin. Sound Designer: Dane A. Davis. Production Design: Eve Cauley. Art Direction: Andrea Dopaso, Robert C. Goldstein. Set Decoration: Kristen Toscano Messina. Costume Design: Lizzy Gardiner. Key Make-up Artist: Suzanne Rodier. Hair Stylist: André Blaise. Special Effects Supervisor: Lou Carlucci. Stunt Coordinator: Cliff Cudney. Casting: Nancy Foy. Darsteller/innen: Jennifer Tilly (Violet), Gina Gershon (Corky), Joe Pantoliano (Caesar), John P. Ryan (Micky Malnato), Christopher Meloni (Johnnie Marzzone), Richard C. Sarafian (Gino Marzzone), Mary Mara (Sue), Susie Bright (Jesse), Margaret Smith (Woman Cop), Barry Kivel (Shelly), Peter Spellos (Lou), Gene Borkan (Roy); Ivan Kane, Kevin Michael Richardson (Cops). Format: 35 mm (1:1,85), Farbe, Dolby. Länge: 108 Min. Drehort: Vernon (Kalifornien, USA). US-Kinostart: 4. Oktober 1996. Dt Kinostart: 31. Oktober 1996.
Produktion: Groucho II Film Partnership / Silver Pictures / Village Roadshow Productions. Produzent: Joel Silver. Koproduzent: Dan Cracchiolo. Ausführende Produzenten: Bruce Berman, Andrew Mason, Barrie M. Osborne, Erwin Stoff, Andy Wachowski, Larry Wachowski. Associate Producers: Carol Hughes, Richard Mirisch. Unit Production Manager: Carol Hughes. Regie: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Second Unit Director: Bruce Hunt. RegieAssistenz: Colin Fletcher, James McTeigue, Tom Read, Noni Roy, Paul Sullivan, Toby Pease, Jeremy Sedley. Drehbuch: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Kamera: Bill Pope. Kamera Second Unit: Ross Emery. Kamera-Assistenz: David Elmes, Adrien Seffrin, Frank Flick. Camera Operators: David Williamson, Robert Agganis. Steadicam Operator: Robert Agganis. Still Photographer: Jason Boland. Musik: Don Davis. Songs: Massive Attack: »Dissolved Girl« (Robert del Naja / Sara J. / Grantley Marshall / Matt Schwartz / Andrew Vowles); Rob Zombie: »Dragula (Hot Rod Herman Mix)« (Rob Zombie / Scott Humphrey); Lunatic Calm: »Leave You Far Behind (Lunatics Roller Coaster Mix)«(Simon Shackleton / Howard Saunders); The Prodigy: »Mindfields« (Liam Howlett); Meat Beat Manifesto: »Prime Audio Soup« (Jack Dangers / C. Dodd); Rob D: »Clubbed to Death (Kurayamino Mix)« (Robert Dougan); Django Reinhardt: »Minor Swing« (Django Reinhardt / Stéphane Grappelli); Duke Ellington: »I'm Beginning To See the Light« (Harry James / Duke Ellington / Johnny Hodges / Don George); Propellerheads: »Spybreak!« (Alex Gifford); Rage against the Machine: »Wake Up« (Zack De La Rocha / Brad Wilk / Tim Commerford / Tom Morello); Marilyn Manson: »Rock Is Dead« (Marilyn Manson / Twiggy Ramirez
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/ Madonna Wayne Gacy). Schnitt: Zach Staenberg. Schnitt-Assistenz: Peter Skarratt, Catherine Chase, Noelleen Westcombe, Basta Ozerski, Jenny Hicks, John Lee, Tom Costain. Ton: David Lee. Supervising Sound Editor: Dane A. Davis. ReRecording Mixers: David Campbell, Gregg Rudioff, John Reitz. Sound Designer: Dane A. Davis. Production Design: Owen Paterson. Art Direction: Hugh Bateup, Michelle McGahey. Set Decoration: Lisa »Blitz« Brennan, Tim Ferner, Marta McElroy. Costume Design: Kym Barrett. Key Make-up Artist: Nikki Gooley. Special Make-up Effects: Rick Connelly, Bob McCarron, Wendy Sainsbury, Sonja Smuk, Elka Wardega. Hair Stylist: Cheryl Williams. Special Effects Supervisors: Brian Cox, Steve Courtley. Visual Effects Supervisor: John Gaeta. Choreografie: Yuen Woo-Ping. Stunt Coordinator: Glenn Boswell. Casting: Mali Finn, Shauna Wolifson. Darsteller/innen: Keanu Reeves (Thomas A. Anderson / Neo), Laurence Fishburne (Morpheus), Carrie-Anne Moss (Trinity), Hugo Weaving (Agent Smith), Joe Pantoliano (Cypher / Mr. Reagan), Marcus Chong (Tank), Gloria Foster (Oracle), Julian Arahanga (Apoc), Matt Doran (Mouse), Belinda McClory (Switch), Anthony Ray Parker (Dozer), Paul Goddard (Agent Brown), Robert Taylor (Agent Jones), David Aston (Rhineheart), Marc Gray (Choi), Ada Nicodemou (DuJour), Deni Gordon (Priestess), Rowan Witt (Spoon Boy); Elenor Witt, Tamara Brown, Janaya Pender, Adryn White, Nathalie Tjen (Potentials); Bill Young (Lieutenant), David O'Connor (FedEx Man), Jeremy Ball (Businessman), Fiona Johnson (Woman in Red), Harry Lawrence (Old Man), Steve Dodd (Blind Man), Luke Quinton (Security Guard), Lawrence Woodward (Guard), Michael Butcher (Cop Who Captures Neo), Bernie Ledger (Big Cop); Robert Simper, Chris Scott (Cops); Nigel Harbach (Parking Cop). Ungenannt: Andy Wachowski, Larry Wachowski (Window Cleaners). Format: 35 mm (1:2,35), Farbe (Technicolor), Dolby Digital. Länge: 136 Min. / 131
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Min. (DVD). Drehorte: Alameda (Kalifornien, USA); Sydney (Australien); Moore Park, Rozelle, Waterloo (New South Wales, Australien). US-Kinostart: 31. März 1999. Dt. Kinostart: 17. Juni 1999. THE MATRIX REVISITED (2001) Matrix - Rückblicke, Einblicke, Ausblicke (DVD) Produktion: Warner Brothers. Produzent: Eric Matthies. Ausführende Produzenten: Joel Silver, Andy Wachowski, Larry Wachowski. Production Supervisor. Tricia Todd. Production Executive: Paul Hemstreet. Regie: Josh Oreck. Kamera: Richard Henkels, Alan Hereford, George Jenne, Eric Matthies, Phil Oosterhouse, Josh Oreck, Bill Pope, Byron Shah, Paul Warren. Kamera-Assistenz: Wing Ko, Greg Luntzel, Sean Moe, John Norman, Adam Swaab, Eric Treml. Musik: Paul Cooper, Adam Locke-Norton, Robert Phoenix, Aleks Svaensson. Schnitt: Peter Byck. SchnittAssistenz: Kelly Donnallan. Ton: Forest Brakeman, David Jackson, Claudia Katayanagi, Charles Mehling, Saul Rouda, Matthew Sidle, Paul Trautman, Hugh Walton. Re-Recording Mixer: Joe Milner. Make-up Artist: Gretchen Davis. Mitwirkende: Kym Barrett, Jason Bentley, Geofrey Darrow, Dane A. Davis, Don Davis, Lorenzo DiBonaventura, Peter Doyle, Laurence Fishburne, John Gaeta, CarrieAnne Moss, Owen Paterson, Bill Pope, Keanu Reeves, Joel Silver, Janek Sirrs, Steve Skroce, Zach Staenberg, Andy Wachowski, Larry Wachowski, Hugo Weaving, Yuen Woo-Ping. Länge- 123 Min. US-DVD -Start: 20. November 2001. THE MATRIX RELOADED (2003) Matrix - Reloaded Produktion: NPV Entertainment / Silver Pictures / Village Roadshow Productions / Warner Brothers. Produzent: Joel Silver. Ausführende Produzenten: Bruce Berman, Grant Hill, Andrew Mason, Andy Wachowski, Larry Wachowski. Associate Producers: Vicki Popplewell, Steve Richards.
Production Executive: Bill Draper. Production Managers: L. Dean Jones Jr., Grant Hill. Production Supervisors: Amanda Crittenden, Debra James. Regie: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Second Unit Directors: David R. Ellis, Kimble Rendall. Regie-Assistenz: James McTeigue, Toby Pease, Claire Richardson, Naomi Enfield, Sean Hobin, Johnny Pacialeo, Kevin McNamara, John M. Morse, Paul Sullivan, Drew Bailey, Michael Green, Kent Genzlinger, Dave Halls. Drehbuch: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Kamera' Bill Pope. Kamera Second Unit: Ross Emery, Roger Lanser, Kim Marks, Geoffrey Wharton. Kamera-Assistenz: Greg Luntzel, John Gazdik, Brett Tracey, Matt Windon, Sean Hunter Moe, Starrs McBurney. Camera Operators: Calum McFarlane, Stephen St. John; Matthew J. Siegel [ungenannt). Steadicam Operators: Stephen St. John. Still Photographer: Melinda Sue Gordon. Musik: Don Davis, Ben Watkins. Songs' Rob D: »Chateau«, »Furious Angels« (Robert Dougan); Rob Zombie: »Reload« (Scott Humphrey); Marilyn Manson: »This Is the New Sh* *«(Marilyn Manson); Oakenfold: »Dread Rock« (Paul Oakenfold); P.O.D.: »Sleeping Awake« (Sonny Sandoval). Zusätzliche Songs: Dave Matthews Band: »When the World Ends« (Glen Ballard / Dave Matthews); Rage against the Machine: »Calm Like a Bomb« (Tim Commerford / Zack De La Rocha / Tom Morello / Brad Wilk); Linkin Park: »Session« (Linkin Park). Schnitt. Zach Staenberg. Schnitt-Assistenz: Craig Alpert, David Birrell, Ed Fuller, Allison Gibbons, Cynthias Morris. Ton: David Lee. Supervising Sound Editors: Dane A. Davis, Julia Evershade. Sound Effects Designer: Richard Adrian, Michael Edward Johnson, Andrew Lackey. Production Design: Owen Paterson. Art Direction: Hugh Bateup. Set Decoration: Brian Dusting, Ronald R. Reiss. Costume Design: Kym Barrett. Make-up Department Head: Peter Robb-King. Key Make-up Effects Artist: Rick Stratton. Key Hair Stylist: Miia Kovero. Special Effects Supervisors: Steve Courtley, Hans Metz,
Clay Pinney. Visual Effects Supervisor: John Gaeta. Choreografie: Yuen Woo-Ping. Supervising Stunt Coordinator: R.A. Rondell. Casting: Mali Finn, Shauna Wolifson. Darsteller/innen: Keanu Reeves (Thomas A. Anderson / Neo), Laurence Fishburne (Morpheus), Carrie-Anne Moss (Trinity), Hugo Weaving (Agent Smith), Matt McColm (Agent Thompson), Jada Pinkett Smith (Niobe), Monica Bellucci (Persephone), Lambert Wilson (Merovingian), Gloria Foster (The Oracle), Collin Chou (Seraph), Harold Perrineau Jr. (Link), Harry Lennix (Commander Lock), Clayton Watson (Kid), Daniel Bernhardt (Agent Johnson), Christine Anu (Kali), Don Batte (Vector), Stephen Bastoni (Captain Soren), Nona M. Gaye (Zee), Lachy Hulme (Sparks), Roy Jones Jr. (Captain Ballard), Helmut Bakaitis (The Architect), Ian Bliss (Bane), Kelly Butler (Ice), Essie Davis (Maggie), Terrell Dixon (Wurm), Malcolm Kennard (Abel), David A. Kilde (Agent Jackson), Randall Duk Kim (The Keymaker), Christopher Kirby (Mauser), Peter Lamb (Colt), Nathaniel Lees (Mifune), Robyn Nevin (Councillor Dillard), David No (Cain), Genevieve O'Reilly (Officer Wirtz); Adrian Rayment, Neil Rayment (Twins); David Roberts (Roland), Shane C. Rodrigo (Ajax), Tahei Simpson (Binary), Frankie Stevens (Tirant), Gina Torres (Cas), Steve Vella (Malachi), Cornel West (Councillor West), Leigh Whannell (Axel), Bernard White (Rama-Kandra), Anthony Zerbe (Councillor Hamann); Ray Anthony, Chris Mitchell (Power Station Guards); Andy Arness, Andrew Valli (Policemen); Alima Ashton-Sheibu (Link's Niece), Valerie Berry (Priestess); Liliana Bogatko, Marlene Cummins (Old Women at Zion); Michael Budd (Zion Controller), Stoney Burke (Bike Carrier Driver), Josephine Byrnes (Zion Virtual Control Operator), Noris Campos (Woman with Groceries), Paul Cotter (Corrupt), Attila Davidhazy (Young Thomas Anderson at 12); Nash Edgerton, Scott McLean (Security Guards); David Franklin (Maitre D'), Austin Galuppo (Young Thomas Anderson at
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4), Daryl Heath (A.P.U. Escort), Tony Lynch (Computer Room Technician), Robert Mammone (AK), Joshua Mbakwe (Link's Nephew), Steve Morris (Computer Room Guard), Tory Mussett (Beautiful Woman at Le Vrai), Rene Naufahu (Zion Gate Operator), Socratis Otto (Operator), Montano Rain (Young Thomas Anderson at 8), Rupert Reid (Lock's Lieutenant), Nick Scoggin (Gidim Truck Driver), Kevin C. Scott (18 Wheel Trucker), Nicandro Thomas (Young Thomas Anderson at 2), John Walton (Security Bunker Guard), Anthony Wong (Ghost). Format: 35 mm (1:2,35), Farbe (Technicolor), Dolby Digital. Länge: 138 Min. Drehorte: Alameda, Oakland (Kalifornien, U SA); Sydney (Australien); Redfern (New South Wales, Australien). US-Kinostart: 15. Mai 2003. Dt. Kinostart: 22. Mai 2003. ENTER THE MATRIX (2003) (Videospiel) Produktion: Warner Brothers Interactive Entertainment / Infogrames / Shiny Entertainment. Publisher. Atari. Produzent/ innen: Joel Silver, Rosanna Sun; Gary Sheinwald (Warner Brothers). Ausführende Produzenten- Grant Hill, Stuart Roch. Associate Producer' Phil Oosterhouse. Regie. Andy Wachowski, Larry Wachowski. Skript Andy Wachowski, Larry Wachowski. Kamera: Bill Pope. Musik: Don Davis, Eric Lundborg. Songs: Juno Reactor: »Badimo« (Mabi Thobejane / Ben Watkins / Nick Burton), »Mona Lisa Overdrive«, »Dante« (Ben Watkins); Juno Reactor Featuring Gocoo: »Teahouse« (Ben Watkins / Gocoo); Elite Force: »Mainframe Wrekka« (Simon Shackleton); Chris Vrenna: »Take the Pill« (Chris Vrenna); Andy Hunter: »Go« (Andy Hunter / Tedd Tjornhom); Evanescence: »Going Under« (Ben Moody / Amy Lee / David Hodges); Herrera Productions Inc.: »Bullet Time« (Herrera Productions Inc.); Celldweller: »Symbiont«, »Switchback« (Klayton); Fluke: »Atom Bomb« (Michael James Bryant / Michael James Tournier / Jonathan Howard Fugler); Rob D: »Clubbed to Death (Hybrid
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Mix)«, »Clubbed to Death (Kurayamino Mix)« (Robert Dougan); Clawfinger: »15 Minutes of Fame« (Erlend Ottem / Joakim Skog / Zak Tell / Bard Torstensen); Megatrax Production Music: »The Hummingbird« (Karl Fredrik Lundeberg); Ged Grimes: »Dodge This« (Ged Grimes). Sound Design: Charles Deenen, Dane Davis. Schnitt: Zach Staenberg, Catherine Chase, Ian Slater. Production Design: Owen Paterson. Art Direction: Rob Nester. Costume Design: Kym Barrett. Lead Designer: David Perry. Lead Programmer: Michael »Saxs« Persson. Animation Director: Gabriel Rountree. Visual Effects Supervisors: John Gaeta, John »DJ« Desjardin, Dan Glass. Motion Capture Supervisor: Demian »Dman« Gordon. Software Developer: Dean Broadland. Choreografie: Yuen Woo-Ping. Stunt Coordinator: Mike Martinez. Casting: Mali Finn, Shauna Wolifson. Darsteller/innen: Keanu Reeves (Thomas A. Anderson / Neo), Laurence Fishburne (Morpheus), Carrie-Anne Moss (Trinity), Hugo Weaving (Agent Smith), Matt McColm (Agent Thompson), Jada Pinkett Smith (Niobe), Monica Bellucci (Persephone), Lambert Wilson (Merovingian), Mary Alice (The Oracle), Harold Perrmeau Jr. (Link), Harry J. Lennix (Commander Lock), Daniel Bernhardt (Agent Johnson), Christine Anu (Kali), Don Batte (Vector), Stephen Bastoni (Captain Soren), Lachy Hulme (Sparks), Roy Jones Jr. (Captain Ballard), Francine Bell (Councillor Tuchman), Ian Bliss (Bane), Kelly Butler (Ice), Zeke Castelli (Operations Officer Mattis), Collin Chou (Seraph), Paul Cotter (Corrupt), Essie Davis (Maggie), Terrel Dixon (Wurm), Malcolm Kennard (Abel), David Kilde (Agent Jackson), Randall Duk Kim (Keymaker), Chris Kirby (Mauser), Peter Lamb (Colt), Robert Mammone (AK), Robyn Nevin (Councillor Dillard), David No (Cain), Socratis Otto (Jax), David Roberts (Roland), Shane C. Rodrigo (Ajax), Tahei Simpson (Binary), Bruce Spence (Trainman), Frankie Stevens (Tyrant), Steve Veils (Malachi), Cornel West (Councillor
West), Leigh Whannel (Axel), Anthony Zerbe (Councillor Hamann); Adrian Rayment, Neil Rayment (Twins); Gunther Berghofer (Elevator Security Guard), Michael Budd (Zion Controller), Josephine Byrnes (Zion Operator), Daryl Heath (Shift Security Guard), Tony Lynch (Computer Room Technician); Joe Manning, Kittrick Redmond (Operators at Command); Scott Mclean (Security Bunker Guard #2), Steve Morris (Computer Room Guard), Rene Naufahu (Zion Gate Operator), Rupert Reid (Lock's Lt. / Command Centre Lt.), Thomas Scott (Systems Analyst), John Walton (Security Bunker Monitor Guard), Anthony Wong (Ghost). Format: Playstation II, Atari, PC, Apple. Drehorte: Sydney (Australien); Alameda, (Kalifornien, USA). VÖ: 15. Mai 2003.
ANIMATRIX (2003) Animatrix Produktion: DNA Inc. / Mad House Ltd. / Silver Pictures / Square USA/ Studio 4°C /Village Roadshow Productions. Produzenten: Michael Arias, Andy Wachowski, Larry Wachowski. Koproduzent: Steve Richards. Ausführender Produzent: Joel Silver. Regie: Peter Chung (Episode Matriculated), Andy Jones (Episode Final Flight of the Osiris), Yoshiaki Kawajiri (Episode Program), Takeshi Koike (Episode World Record), Mahiro Maeda (Episoden The Second Renaissance 1-2), Kouji Morimoto (Episode Beyond), Shinichirô Watanabe (Episoden Kid's Story und Detective Story). Drehbuch. Andy Wachowski, Larry Wachowski, Peter Chung, Yoshiaki Kawajiri, Kouji Morimoto, Shinichirô Watanabe. Musik: Don Davis. Zusätzliche Musik: Rupert Parkes. Songs: Juno Reactor: »Masters of the Universe« (Johann Bley / Mabi Thobejane / Ben Watkins), »Conga Fury« (Mabi Thobejane / Ben Watkins). Schnitt: Christopher S. Capp. Ton: Eryne Pryce. ReRecording Mixer: Joe Milner. Sound Effects Designer: Eddie Kim. Visual Effects: Joanne Thiel. Sprecher/innen: Akio Ötsuka (Thadeus [japan. Fassung]), Clayton Watson (The Kid),
Hedy Burress (Cis/Yoko), T.C. Carson (Clarence), Mindy Clarke (Alexa), Olivia d'Abo (Rox), Dane A. Davis (01 Versatran Spokesman), John DeMita (Teacher), Julia Fletcher (The Instructor / Narrator / Townsperson), Debi Derryberry (Kid), John Di Maggio (Crew Man / Kaiser), Alex Fernandez (Tom), Jack Fletcher (Townsperson/ Sandro), Bette Ford (Old Woman), Rick Gomez (Pilot), Tom Kenny (Operator), Phil LaMarr (Duo), Tress MacNeille (Housewife/Kenny), Matt McKenzie (Agent), Carrie-Anne Moss (Trinity), Kevin Michael Richardson (Thadeus / Cop / Agent #2), Rodney Saulsberry (Chyron), Dwight Schultz (Townspeople / Policeman / Exterminators / Nonaka / Additional Voice), Pamela Adlon (Jue/Manabu), Allison Smith (Reporter), Kath Soucie (Pudgy / Masa / Sara), Tara Strong (Crew Woman / Nurse / Misha), Jill Talley (Mother/ Additional Voice / Townsperson), James Arnold Taylor (Additional Voice / Miscellaneous / Raul), John Wesley (Dan's Dad), Victor Williams (Dan). Format: Video (1:2,35). Länge: 89 Min. US-DVD-Start: 3. Juni 2003. Dt. Erstausstrahlung: 2. Juni 2003, Pro7. Dt. DVDStart: 3. Juni 2003.
THE MATRIX REVOLUTIONS (2003) Matrix Revolutions Produktion: NPV Entertainment / Silver Pictures / Village Roadshow Productions / Warner Brothers. Produzenten: Grant Hill, Joel Silver. Ausführende Produzenten: Bruce Berman, Andy Wachowski, Larry Wachowski. Production Managers: Grant Hill, L. Dean Jones Jr. Production Supervisors: Amanda Crittenden, Debra James. Production Executive: Bill Draper. Regie: Andy Wachowski, Larry Wachowski. Second Unit Director: Kimble Rendall. Regie-Assistenz: James McTeigue, Toby Pease, Naomi Enfield, Paul Sullivan, Drew Bailey. Drehbuch. Andy Wachowski, Larry Wachowski. Kamera: Bill Pope. Kamera-Assistenz: Greg Luntzel, Brett Tracey. Camera Operator: Callum McFarlane. Musik: Don Davis. Schnitt: Zach Staenberg. Schnitt-Assistenz: Ed Fuller, Craig Alpert,
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David Birrell. Ton: David Lee. Supervising Sound Editors: Dane A. Davis, Julia Evershade. Sound Effects Designers: Richard Adrian, Michael Edward Johnson, Andrew Lackey. Production Design: Owen Paterson. Art Direction: Hugh Bateup, Jules Cook, Mark W. Mansbridge, Catherine Mansill, Charlie Revai. Set Decoration: Ronald R. Reiss. Costume Design: Kym Barrett. Make-up Artists: Steve E. Anderson, Kris Ravetto. Key Hair Stylist: Miia Kovero. Special Effects Supervisor: Steve Courtley. Visual Effects Supervisor: John Gaeta. Choreografie: Yuen Woo-Ping. Casting: Mali Finn. Darsteller/innen: Keanu Reeves (Thomas A. Anderson / Neo), Laurence Fishburne (Morpheus), Carrie-Anne Moss (Trinity), Hugo Weaving (Agent Smith), Mary Alice (The Oracle), Monica Bellucci (Persephone), Daniel Bernhardt (Agent Johnson), Nona M. Gaye (Zee), Ian Bliss (Bane), Lachy Hulme (Sparks), Nathaniel Lees
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Mifune), Harry J. Lennix (Lock), Matt McColm (Agent Thompson), Collin Chou (Seraph), Harold Perrineau Jr. (Link), Jada Pinkett Smith (Niobe), Bernard White (Rama-Kandra), Lambert Wilson (Merovingian), Genevieve O'Reilly (Officer Wirtz); Adrian Rayment, Neil Rayment (Twins); Clayton Watson (The Kid), Hugh Mason (Driver), Bruce Spence (Trainman), Anthony Wong (Ghost). Ungenannt: Kathryn Jenkins (Hel Club Trainee Pony-Girl), Deborah Roach (Hel Club Patron), Nicole Roberts (Hel Club Slave), Craig Walker (Hel Club Pony-Girl Trainer), Cassandra Williams (Bubble Girl), Jessica Wynands (Hel Club Pony Girl). Format: 35 mm (1:2,35), Farbe (Technicolor), Dolby Digital. Länge: 129 Min. Drehorte: Alameda, Oakland (Kalifornien, USA); Sydney (Australien). US-Kinostart: 5. November 2003. Dt. Kinostart: 6. November
2003.
Bibliografie Bücher: (dt.:) Larry Wachowski / Andy Wachowski u.a.: THE MATRIX. Nürnberg: Burgschmiet 2000. - Christof Wolf: Zwischen Illusion und Wirklichkeit. Wachowskis MATRIX als filmische Auseinandersetzung mit der digitalen Welt. Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 14. Münster: LIT 2002.- Franz Bludorf / Grazyna Fosar: Fehler in der Matrix. Leben Sie nur, oder wissen Sie schon? Pelting: Michaels-Verlag 2003 - Karen Haber (Hg.): Das Geheimnis der Matrix. München: Heyne 2003. Morpheus: MATRIX-Code. Fichtenau: Amadeus 2003. (engl.:) Spencer Lamm/Andy Wachowski (Hg.): The Art of THE MATRIX. New York: Newmarket Press 2000. -Denis Alexander: Rebuilding the Matrix. Science and Faith in the 21st Century. Oxford: Lion 2002-William Irwin (Hg.): THE MATRIX and Philosophy. Welcome to the Desert of the Real. Popular Culture and Philosophy, Bd. 3. Chicago: Open Court 2002. - Larry Wachowski / Andy Wachowski: THE MATRIX. The Shooting Script. Mit einer Einführung von William Gibson. Newmarket Shooting Script Series. New York: Newmarket Press 2002. - P. Condon: THE MATRIX Unlocked. London: Contender 2003 - Anna Dawson: Studying THE MATRIX. Leighton Buzzard: Auteur 2003. Karen Haber (Hg.): Exploring THE MATRIX. Visions of the Cyber Present. New York: St. Martin's Press 2003. -Jake Horsley: MATRIX Warrior. Being the One. London: Gollancz 2003. - Peter B. Lloyd: Exegesis of THE MATRIX. London: WholeBeing Books 2003. - Michael Marriott: The MATRIX Cultural Revolution. How Deep Does the Rabbit Hole Go? New York: Thunder's Mouth Press 2003. - Chris Seay / Greg Garrett: The Gospel Reloaded. Exploring Faith and Spirituality in THE MATRIX. Colorado Springs: Piñon Press 2003. - Glenn Yeffeth (Hg.): Taking the
Red Pill. Science, Philosophy and Religion in THE MATRIX. Dallas: BenBella 2003.
Zu den einzelnen Filmen: THE MATRIX
Kritiken: (dt.:) Jan Distelmeyer, epd Film, Juni 1999, S. 37-38. -Mathias Heybrock, Filmbulletin, Juni 1999, S. 41-42. - Jörg Stodolka, Splatting Image, Juni 1999, S. 57. - Oliver Rahayel, film-dienst, 8.6.1999, S. 28-29. - Karl-Heinz Schäfer, Rheinischer Merkur, 11.6.1999. - Ralph Geisenhanslüke, Der Tagesspiegel, 16.6.1999. - Heike Kühn, Frankfurter Rundschau, 16.6.1999. - Hanns-Georg Rodek, Die Welt, 16.6.1999. - Ronald Bluhm, Berliner Morgenpost, 17.6.1999. - Gunter Göckenjan, Berliner Zeitung, 17.6.1999. - Götz Hamann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.6.1999. Christian Jürgens, Die Zeit, 17.6.1999. Thomas Klein, die tageszeitung, 17.6.1999.Thomas Klingenmaier, Stuttgarter Zeitung, 17.6.1999. - Doro Scholz, Neues Deutschland, 17.6.1999. - Verena Veihl, Märkische Allgemeine Zeitung, 17.6.1999. - Ariane Heimbach, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 18.6.1999. - Roland Huschke, Die Woche, 18.6.1999. -Anke Sterneborg, Süddeutsche Zeitung, 18.6.1999. - Brigitte Desalm, Kölner Stadt-Anzeiger, 19.6.1999. - Tilman Baumgärtel, Freitag, 25.6.1999. (engl.:) Chandra Palermo, Cinescape, 1.3.1999, S. 52-60. - Kenneth Türan, Los Angeles Times, 31.3.1999. Todd McCarthy, Variety, 29.3.1999, S. 67, 74. - Dennis Lim, Village Voice, 7.4.1999. - Lisa Schwarzbaum, Entertainment Weekly, 9.4.1999, S. 45-46. - Richard Corliss, Time Magazine, 19.4.1999. - Peter Travers, Rolling Stone, 29.4.1999, S. 76. Harvey O'Brien, Film Ireland, Juni/Juli 1999, S. 39. - Dan John, Total Film, Juli 1999, S. 80. - Ian Nathan, Empire, Juli 1999, S. 17. - Philip Strick, Sight & Sound, Juli 1999, S. 46-47. - Marc Bernardin,
336
Entertainment Weekly, 24.9.1999. S. 149. (fr.:) O.A., Sequences, Mai/Juni 1999. S. 51-53. - Yannick Dahan, Positif, Juli/Aug. S. 138-139. -E.B., Cahiers du Cinéma, Juli/Aug. 1999, S. 79. - Olivier Varlet, Jeune Cinéma, Sept./Okt. 1999, S. 42-43. Weitere Texte: (dt.:) Franz Everschor: Cyberpunk und Jedi-Ritter. Spiegelbilder einer verunsicherten Welt. In: film-dienst, 22.6.1999, S. 46-49. - Bernd Graff: Das Subjekt flattert. MATRIX: eine Tagung zum Wettlauf von Film und Philosophie. In: Süddeutsche Zeitung, 2.11.1999. - Carl Hegemann: MATRIX oder Gibt es eine digitale Erlösung? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.1999. - Charles Martig: Populäre Metaphysik. Hollywoods sechster Sinn. In: film-dienst, 21.12.1999, S. 811. — Boris Groys: Die Verfilmung der Philosophie. In: Der Schnitt, Jan. 2000, S. 22-23 (Auszug aus einem Vortrag beim Symposium »Inside THE MATRIX« am ZKM Karlsruhe). - O.A.: Philosophie der Matrix. In: Der Schnitt, Jan. 2000, S. 16 (kurzer Bericht über das Symposium »Inside THE MATRIX« am ZKM Karlsruhe). Peter Sloterdijk: Die kybernetische Ironie. In: Der Schnitt, Jan. 2000, S. 17 (Auszug aus einem Vortrag beim Symposium »Inside THE MATRIX« am ZKM Karlsruhe). Alexandra Stäheli: Retrofuturismus: Vorwärts in die Vergangenheit. In: Film, Jan. S. 10-11. - Slavoj Zizek: Die zwei Seiten der Perversion. In: Der Schnitt, Jan. 2000, S. 18-21 (Auszug aus einem Vortrag beim Symposium »Inside THE MATRIX« am ZKM Karlsruhe). - Horst Peter Koll: MATRIX. In: Thomas Koebner (Hg.): Filmklassiker, Bd. 4. 1982-2002. Reclam: Stuttgart 2002, S. 528-532.-Josef Schnelle: Wirklichkeit hinter scheinbar Realem. In: film-dienst, 29.1.2002, S. 15-18. Elisabeth Bronfen: Erlöserfiguren ungewöhnlicher Art. GATTACA und MATRIX im Vergleich. Vortrag an der Universität Tübingen, Juli 2002. http://www.bronfen.info/writing/archive/texts/2002_07_matrix. html. (engl.:) Ron Magid: Techno Babel. In: American Cinematographer, April 1999, S. 46-55. - Christopher Probst: Welcome
337
to the Machine. In: American Cinematographer, April 1999, S. 32-44. - Rebecca Ascher-Walsh: Reality Bytes. In: Entertainment Weekly. 9.4.1999, S. 26-32. - Nisha Gopalan: Come Fly with Me. In: Premiere, Mai 1999, S. 50-51. -Andrew Essex: MATRIX Mania. In: Entertainment Weekly, 14.5.1999, S. 40-41.-Kim Newman: Rubber Reality. In: Sight & Sound, Juni 1999, S. 8-9. - Kevin H. Martin: Jacking into THE MATRIX. In: Cinefex, Okt. 1999, S. 66-89. - Jamie Clarke: Space Invaders. Speculations on the Politics of Postmodern Space in Recent Science Fiction Films. In: CineAction, Feb. 2000, S. 1016. - Russell J.A. Kilbourn: Re-Writing »Reality«. Reading THE MATRIX. In: Canadian Journal of Film Studies, Herbst 2000, S. 43-54 (mit Bibliografie). - James L. Ford: Buddhism, Christianity, and THE MATRIX. The Dialectic of Myth-Making in Contemporary Cinema. In: The Journal of Religion and Film, Okt. 2000. (fr.:) Kent Jones: Hollywood et la saga du numérique. A propos de MATRIX et de LA MENACE FANTOME. In: Cahiers du Cinéma, Juli/ Aug. 1999, S. 36-39. - Thierry Jousse: Sur quelques contes interactifs. In: Cahiers du Cinéma, März 2000, S. 62-63. THE MATRIX RELOADED
Kritiken: (dt.:) jk, Moviestar, April 2003, S. 68-69. - Rupert Koppold, Stuttgarter Zeitung, 17.5.2003. - Robin Detje, Berliner Zeitung, 21.5.2003.-Jan Distelmeyer, die tageszeitung, 21.5.2003. - Ralph Geisenhanslüke, Der Tagesspiegel, 21.5.2003. - Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 21.5.2003. - Heike Kühn, Frankfurter Rundschau, 21.5.2003. - Roland Huschke, tip, 22.5.2003, S. 50-52. - Ders., Berliner Morgenpost, 22.5.2003. - Michael Kohler, Berliner Zeitung, 22.5.2003. - Holger Kreitling, Die Welt, 22.5.2003. - Katja Nicodemus, Die Zeit 22.5.2003. - Frank Olbert, Kölner Stadt-Anzeiger, 22.5.2003. Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.5.2003. - Alexander Soyez, Der Tagesspiegel, 22.5.2003.-Andreas Busche, epd Film, Juni 2003, S. 41-
42. - Scott Orlin, Cinema, Juni 2003, S. 87-88. - Bodo Traber, Splatting Image, Juni 2003, S. 68. - Thomas Binotto, filmdienst, 3.6.2003, S. 20-21. (engl.:) Kirk Honeycutt, The Hollywood Reporter, 8.5.2003. - Roger Ebert, Chicago SunTimes, 14.5.2003. - J. Hoberman, Village Voice, 14.5.2003. - Kenneth Turan, Los Angeles Times, 14.5.2003. - Stephen Hunter, The Washington Post, 15.5.2003. Peter Bradshaw, The Guardian, 16.5.2003. - Michael O'Sullivan, The Washington Post, 16.5.2003. - Richard Schickel, Time Magazine, 19.5.2003. - Owen Gleiberman, Entertainment Weekly, 23.5.2003, S. 52-53. - Philip French, The Observer, 25.5.2003. - Chris Hewitt, Empire, Juni 2003. - Glenn Kenny, Premiere, Juni 2003. - Peter Travers, Rolling Stone, 12.6.2003, S. 101. - Philip Strick, Sight & Sound, Juli 2003. (fr.:) Erwan Higuinen, Cahiers du Cinéma, Juni 2003. Weitere Texte: (dt.:) Michael Peinkofer: MATRIX RELOADED. Der Kampf gegen die Maschinen geht weiter. In: Moviestar, März 2003, S. 20-24. - Markus Tschiedert: »Wir haben etwas ganz Spezielles geschaffen.« Ein Interview mit Keanu Reeves, Laurence Fishburne, Hugo Weaving, Joel Silver. In: Moviestar, April 2003, S. 70-72. - Heiko Rosner: MATRIX RELOADED & REVOLUTIONS. In: Cinema, Mai 2003, S. 26-36 (Titelstory). - Dietmar Dath / Peter Körte / Claudius Seidl / Harald Staun: Die Matrix der MATRIX. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.5.2003.-cof: Sonderzug nach MATRIX. In: Der Tagesspiegel, 20.5.2003. - Charles Martig: Folge dem weißen Kaninchen. Wenn Cyberpunk zur Unterhaltung wird. Das MATRIX-Universum. In: film-dienst, 20.5.2003, S. 8-9. Fritz Göttler: Der Idee nach. Lesetipps zur MATRIX 2. In: Süddeutsche Zeitung, 21.5.2003. - O.A.: Fans stürmen die Kinos zur langen Nacht der MATRIX. In: Die Welt, 22.5.2003. - Henner Lavall: Willkommen in der MATRIX. Heute startet der Film. Tricks kommen zum Teil aus Berlin. In: Die Welt, 22.5.2003. - Marcus Theurer: Für Raubkopierer ist MATRIX schon ein
alter Hut. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.5.2003. - Mario Scalla: Romanze in Bits und Bytes. Emotionales Upgrade. In: Freitag, 23.5.2003. - Christoph Spehr: Das Leben nach dem Tod in der MATRIX. Cyberpunk im Kino. In: epd Film, Juni 2003, S. 16-19. - Meike Winnemuth: Die Wurzeln der MATRIX. In: Cinema, Juni 2003, S. 91-94. - Franz Everschor: Neos Auferstehung. THE MATRIX RELOADED zwischen Martial Arts und Metaphysik. In: film-dienst, 3.6.2003, S. 48-49. (engl.:) Jess Cagle: THE MATRIX Reloads. In: Time Magazine, 13.5.2002. - Daniel Fierman: Caught in THE MATRIX. In: Entertainment Weekly, 18.4.2003, S. 26-30. - Mark Salisbury: Rage against the Machines. In: Premiere, Mai 2003, S. 44-52, 97. - Steve Silberman: MATRIX2. In: Wired, Mai 2003, S. 112-121. - Josh Burek: The Gospel According to Neo. In: The Christian Science Monitor, 9.5.2003. - Cathleen Falsani: MATRIX Spawns Surprisingly Serious Religious Debates. In: Chicago Sun-Times, 15.5.2003. - Daniel Fierman: The Neo Wave. In Entertainment Weekly, 16.5.2003, S. 24-31. - Joshua Rich / Rebecca Isenberg: MATRIX Rules. In: Entertainment Weekly, 30.5.2003, S. 8-9. - Simon Gray: Rebooting a Sci-Fi Spectacular. In: American Cinematographer, Juni 2003, S. 32-45. Ders.: Simulated Cinema. THE MATRIX RELOADED Employs Virtual-Reality Techniques To Create the Impossible from the Real. In: American Cinematographer, Juni 2003, S. 46-57. - Daniel Fierman: It Sequel. In: Entertainment Weekly, 28.6.2002, S. 26-31. - Mark Salisbury: Locked and Reloaded. In: Premiere, Jan. 2003, S. 6062.
Enter the Matrix (Videospiel) Lösungsbücher: (dt.:) Enter the Matrix Lösungsbuch. Planegg: Koch Media 2003. (engl.:) Doug Walsh: Enter the Matrix Official Strategy Guide. Indianapolis: Brady Games 2003. Kritiken: (dt.:) O.A., Cinema, Mai 2003, S. 36. - Gernot Graff, Süddeutsche Zeitung, 21.5.2003. - Burckhard Riering, Die
338
Welt, 22.5.2003. - Gernot Gricksch, Cinema, Juni 2003, S. 96. (engl.:) Chris Taylor, Time Magazine, 12.5.2003. ANIMATRIX
Kritiken: (dt.:) Jörg Gerle, film-dienst, 20.5.2003, S. 10-11. (engl.:) Marc Bernardin, Entertainment Weekly, 6.6.2003. - Tasha Robinson, SciFi Weekly, 9.6.2003. - Gavin Edwards, Rolling Stone, 12.6.2003, S. 106. - Hank Yuloff, Film Monthly, 22.6.2003.
THE MATRIX REVOLUTIONS
Vorabberichte: (dt.:) Armin Lenz: MATRIX REVOLUTIONS Preview. In: Widescreen, Okt. 2003, S. 24-29. - jk.: MATRIX REVOLUTIONS. Ist das Ende der Matrix auch das Ende der Menscheit? In: Moviestar Nov. 2003, S. 26-33. - Karl Eo / Florian Peuler / Dennis Dehmel: MATRIX REVOLUTIONS. In: Cinema, Nov. 2003, S. 2836. - Jürgen Fröhlich: MATRIX Inside. In: Widescreen, Nov. 2003, S. 28-35. (engl.:) David Kushner: Thumb Candy. In: Rolling Stone, 16.10.2003, S. 66.
Internet: (Stand. Oktober 2003] http://knowthematrix.com (Website, die mit einfachen Worten und Beispielen das MATRIX-Prinzip erklärt, gut für Anfänger geeignet). http://t-h-e-m-a-t-r-i-x.de (deutsche Fanseite mit schönen Fotos und einer vertieften Analyse des MATRIX-Zahlencodes). http://whatisthematrix.warnerbros.com (offizielle und mehrsprachige Website von Warner Brothers mit umfangreichem Material. Trailer in verschiedenen Auflösungen, virtual reality environments, Bilder, Interviews. Die Seite enthält eine Sammlung hochkarätiger philosophischer Texte zum Phänomen MATRIX. Unter den Autoren sind beispielsweise James Pryor und Michael McKenna). http://www.angelfire.com/film/aust/matrixl.htm (australische Website mit Hintergrundinformationen zu Produktionsgeschichte und Dreharbeiten von THE MATRIX). http://www.enterthematrixgame.com (offizielle Website zum PC/Konsolenspiel). http://www.inside-the-matrix.de (eine der wenigen deutschen Fanseiten. Nicht so umfangreich wie die amerikanischen, dafür mit angeschlossenem Forum. Recht gute Basisinfomationen zu den Filmen).
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http://www.intothematrix.com (offizielle ANIMATRIX-Website mit vier Episoden zum kostenfreien Download. Außerdem Interviews, Abbildungen und Informationen zum Konzept von ANIMATRIX). http://www.matrixfansite.com (sehr ambitionierte Fanseite mit eigener FlashIntro, aber wenig Interessantes. Augenfreundliche Schwarz-auf-WeißSchrift statt dem üblichen Grün-Weiß auf Schwarz). http://www.matrixfans.net (umfassende Fanseite mit gut recherchierten Fakten zu den Filmen, viel Bildmaterial sowie Links zu Memorabilia). http://matrix.morrisonfilm.com (obwohl mit »News and Rumors« untertitelt, hält diese Seite nicht, was sie verspricht. Immerhin erfährt man die Bezugsquellen der MATRIX-Sonnenbrillen). http://www.matrixreloaded.com (Forum mit Schwerpunkt auf THE MATRIX RELOADED. Exzessiver Gedankenaustausch - auf Englisch - über sämtliche Aspekte des MATRIX-Universums). http://www.matrix-revisited.de (vielleicht die beste deutsche Fanseite, die sich mit Spekulationen zurückhält, sich dafür mehr am Film selbst orientiert. Sehr interessante Goof- und EffekteAbteilung).
http://www.matrix-revolution.de (deutsche Fansite mit großem Angebot an Fanartikeln, aber wenig Informationen). http://www.matrixunloaded.com (keine Website von MATRIX-Gegnern, sondern eine zum Thema Memorabilia mit angeschlossenem Forum). http://www.matrix-xp.com (parodistische Amateurfilmseite, die sich hemmungslos und mit beeindruckendem Ergebnis aus dem Fundus des MATRIX-Universums bedient). http://www.pointlesswasteoftime.com/ matrix2/matrix2info.html (50 Grün-
de, sich THE MATRIX RELOADED nicht anzusehen). http://www.theanimatrix.de (offizielle deutsche Website mit Inhaltsangaben und Forum). http://www.the-animatrix.de.vu (sorgfältig gestaltete deutschsprachige Seite zu den ANIMATRIX-Episoden mit ausführlichen Inhaltsangaben. Darüber hinaus kaum Material). http://www.thelastfreecity.com (eine der informativsten und facettenreichsten Fanseiten mit Forum, Interviews und dem größten Online-Pressearchiv mit über 1000 Texten).
Fotonachweis Abbildungen zu THE MATRIX, THE MATRIX RELOADED, THE MATRIX REVOLUTIONS und ANIMATRIX: DVD-Prints THE MATRIX (Village Roadshow Films [BVI] Limited / Warner Home Video GmbH): 9, 75, 79, 97, 117, 190-191, 193, 199, 201, 208209, 213, 245, 251, 265, 278, 280-281, 284-285; DVD-Prints THE MATRIX RELOADED (Village Roadshow Films [BVI] Limited / Warner Bros. Entertainment Ine.): 122, 127, 136; DVD-Prints ANIMATRIX (Village Roadshow Films [BVI] Limited / Warner Home Video, an AOL Time Warner Company): 152, 158-159, 162, 167; Warner Bros. Pictures Germany: 277, 290291, 295, 299, 301, 303, 307. Weitere Abbildungen: Ace Books: 37, links; ACE Charter: 37, rechts; Adams, Eddie: 153; Archiv des Verlages: 26, 34, 57, 225, 227; Aunch, Rolf / Wolfgang Jacobsen / Gabriele Jatho: Künstliche Menschen. Manische Maschinen - Kontrollierte Körper. Berlin 2000 (Filmmuseum Berlin / Jovis): 61, 100; Babbage Press: 39, rechts; Columbia Tristar / Zitty Archiv: 65; Concorde /
Zitty Archiv: 179; DVD-Print 2001- A SPACE ODYSSEY (Warner Bros.): 21; DVDPrint LITTLE BUDDHA (Miramax Home Entertainment): 52; DVD-Print POINT BREAK (Twentieth Century Fox Home Video): 53; epd Film / Constantin: 49; Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung / Archiv des Verlages: 125; Geffen Records / Nirvana: 103; Giesen, Rolf/ Claudia Meglin: Künstliche Welten. Tricks, Special Effects und Computeranimation im Film von den Anfängen bis heute. Hamburg / Wien, 2000 (Europa Verlag): 177; I Books: 39, links, Menville, Douglas / R. Reginald: Things to Come. An Illustrated History of the Science-Fiction-Film. New York 1977 (NYT Times Books): 109, 248; Paasch, Holger: Digital Narratives: der Einfluss neuer Bilder auf den Spielfilm. Koblenz 2000 (Privatdruck): 187; Schnelle, Frank: Ridley Scott's BLADE RUNNER. Stuttgart 1997 (Verlag Uwe Wiedleroither): 16, 233; Steadycam: 223. © Photographs: original copyright holders
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Index A ABYSS, THE 145 Adams, Scott 108 Adamson, Andrew 173 Adorno, Theodor W 229, 272 Aeon Flux (TV-Serie) 169 AGAINST RASCALS WITH KUNG FU 54 A.I. 267 AKIRA 182 AKTE JANE, DIE 304 Alice 244, 250, 258 Alice hinter den Spiegeln (Lewis Carroll) 156, 189 Alice im Wunderland (Lewis Carroll) 74, 75, 77, 121, 166, 197, 300 Alice, Mary 312 ALIEN 20, 25, 42, 266 ALIEN RESURRECTION 20 ALIEN3 52 ALIEN-Serie 7,8, 1 7 , 4 3 , 6 3 , 3 0 4 Alighieri, Dante 274 All Tomorrows Parties (Velvet Underground) 321 All Tomorrows Parties (William Gibson) 321 Allen, Woody 194 ALPHAVILLE 26, 27, 61, 193, 247, 255 Also sprach Zarathustra (Friedrich Nietzsche) 103, 141, 252, 253, 275, 289 AMERICAN BEAUTY 317 American Psycho (Bret Easton Ellis) 129 Anderson, Paul WS. 57 ANGEL EXTERMINADOR, EL 222 ANIMATRIX 58, 121, 124, 145, 146, 148, 160, 161, 167, 170,203,324 ANIMATRIX: BEYOND 163 ANIMATRIX: DETECTIVE STORY 165,
167 ANIMATRIX: FINAL FLIGHT OF THE OSIRIS 146, 148, 158, 160, 167, 171, 180,280 ANIMATRIX: KID'S STORY 76, 155, 161, 162, 170,304
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ANIMATRIX:ATRICULATED 167, 168, 170 ANIMATRIX: PROGRAM 86, 157, 158 ANIMATRIX: THE SECOND RENAISSANCE 38, 93, 124, 148,
151, 153, 155, 163, 170,203,213, 216 ANIMATRIX: WORLD RECORD 160, 163, 261 Antonioni, Michelangelo 42 Apollo 198 APRILE 30 ARCADE 26 Arias, Michael 145 Asimov, Isaac 60, 149-151 ASSASSINS 47 Auster, Paul 165 AVALON 62
B Back to the Future - The Ride (Themenpark) 145 Badham, John 25, 249 Baird, Stuart 174 Baker, Roy Ward 73 Band, Charles 23 Banderas, Antonio 47 Barker, Clive 47 Barrett, Kym 200 Barry, John 228 Barthes, Roland 14, 144 Barwick, Daniel 316 BATMAN 44 BATMAN & ROBIN 48 Batman (Bill Finger / Bob Kane) 106, 199 Batman / Digital Justice (Pepe Moreno) 108 BATMAN-Serie 193 Baudrillard, Jean 9, 13, 197, 261, 320, 324 Bay, Michael 182 Bear, Greg 39, 43 Beat Takeshi (Takeshi Kitano) 66
Bellucci, Monica 138 BEN HUR 122 Bergman, Ingmar 235 Bergson, Henri 197, 325 BERLIN - DIE SINFONIE DER GROSSSTADT 188 Berlusconi, Silvio 207, 217 Berman, Ted 178 Bertolucci, Bernardo 51 Besson, Luc 194 Bibel 11, 79, 122, 140, 252, 273-276, 289 Big Brother (TV-Serie) 222 Bigelow, Kathryn 51, 66 Bin Laden, Osama 107 BLADE 106 BLADE RUNNER 7, 8, 15, 42-45, 57, 76, 105, 194, 231-234, 245, 264 BLAIR WITCH PROJECT, THE 111, 114 Blair, Tony 220 Blood Music (Greg Bear) 39, 40 BLUE SUBMARINE NO 6 148, 155 Bont, Jan de 51, 181 Bonaparte, Napoleon 74 Borg, Die 235 Borshukov, George 118 BOUND 48-51 Bowie, David 34 BRAINSCAN 62 BRAINSTORM 62, 63 BREAKFAST OF CHAMPIONS 87 BREED, THE 194 BRIGADOON 29 Broderick, Matthew 25 Bronfen, Elisabeth 115 BUFFALO 66 185 Bunuel, Luis 222 Burbank, Truman 267 'BURBS, THE 223 Burton, Tim 11 Bush, George W 101, 104, 205, 207, 217, 220
C Calvin & Hobbes (Bill Watterson) 174 Cameron, James 43, 45, 46, 63, 145 Cammell, Donald 25 Campbell, Joseph 11
Candide, oder Der Optimismus (Voltaire) 235, 272 Candy, John 31 Caro, Marc 183, 193 Carpenter, John 57, 225, 226, 292 Carrey, Jim 30 Carroll, Lewis 273 CASINO 228 Castle, Nick 175 CATS &DOGS 180 CELL, THE 197, 221 Cervantes, Miguel 232 Chan, Jackie 55 Chandler, Raymond 165, 320 Charisse, Cyd 30 CHARLIE'S ANGELS 173 CHINESE GHOST STORY, A 190 CHINESE GHOST STORY-Serie 53, 54 Chirico, Giorgio de 131 Chomsky, Noam 204 Christie, Agatha 221 Chuang-tzu 11, 246 Chung, Peter 167, 169 Cimino, Michael 42 CITE DES ENFANTS PERDUS, LA 183, 193 Cobain, Kurt 102 Cocteau, Jean 250 Coen, Ethan 11, 50 Coen, Joel 11, 50 Cohen, Rob 180 COLOSSUS - THE FORBIN PROJECT 204 Columbus, Chris 43 Compton, David G. 64 COMPUTER LOVE 25 Conan (Robert E. Howard) 34 CONTACT 57, 62, 326 Cooper, Gary 121 Corbucci, Sergio 94 Cowboy Bebop (TV-Serie) 155 Crichton, Michael 194 Cronenberg, David 62, 73 CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON 52, 173 CSI: Crime Scene Investigation (TV-Serie) 174 CUBE 197, 221 CYBER WORLD 26
342
D Dahl, Ole-Johan 262 Dante, Joe 223 DAREDEVIL 44 DARK CITY 62, 192 DARK SPECIES - DIE ANDEREN 194 Darrow, Geof 48, 198 Data 235, 267 Deckard (BLADE RUNNER] 231-233, 264, 265 Deleuze, Gilles 264, 266 DELIRIOUS 31 Demeter 134 DeMille, Cecil B. 121, 296 DEMON SEED 25 Depp, Johnny 51 DES TEUFELS SAAT 25 Descartes, Rene 17,231-234,254, 264 DESTRY RIDES AGAIN 121 Detje, Robin 141 Deutschland sucht den Superstar (TV-Show) 245 Dick, Philip K. 8, 11, 35, 60, 105, 173,203,219,220,229,231-233, 264, 292 Dilbert (Scott Adams) 108, 204, 213, 320 Diogenes 46 Dionysos 198 Disney, Walt 101, 175, 177, 178 DJANGO 94 Do Androids Dream of Electric Sheep? (Philip K. Dick) 231 Don Quichote 231-233, 235 Donald Duck 230 Donen, Stanley 228 Donner, Richard 47 Dornröschen 96, 138, 317 Douglas, Kirk 249 Douglas, Michael 224 DRAGONHEART 180 DREAMCATCHER 146 3 ENGEL FÜR CHARLIE 173 Dschuang Dsi (Chuang-tzu) 11, 287 DUNE 317 Dylan, Bob 33, 38, 40, 41, 50, 207
343
E.T. - THE EXTRA-TERRESTRIAL 11 Eastwood, Clint 174 EASY RIDER 41 Ebert, Roger 14, 49 Eclipse (John Shirley) 40, 226 Ectokid (dive Barker) 47 Edelstein, David 145 Egoyan, Atom 234 Eisner, Will 199 Elektrische Krokodil, Das (David G. Compton) 64 Ellis, BretEaston 129 Ellison, Harlan 73 EMBRYO DES BÖSEN 73 Emmerich, Roland 45 Empire (Antonio Negri / Michael Hardt) 104 Enter the Matrix (Computerspiel) 124, 137, 148, 170-172, 185,301, 312 EQUILIBRIUM 173 ESCAPE FROM NEW YORK 57,105, 194 Escher, M.C. 133 Eurydike 77 EVILSPEAK 25 EXISTENZ 62
F FAHRENHEIT 451 247, 297 FALLING DOWN 224 FANTASTIC VOYAGE 90 FARGO 50 Fassbinder, Rainer Werner 60, 61 Fei-Hung, Wong 55 Fellini, Federico 242 Fellman, Dan 311 FIFTH ELEMENT, THE 194 Figgis, Mike 110 FIGHT CLUB 62, 244, 317 FINAL FANTASY: THE SPIRITS WITHIN 146, 180 Fincher, David 52, 62, 244 Fishburne, Laurence 51, 56, 231 Five, Johnny 249 Flash, The (Gardner Fox) 200 Fleischer, Richard 80, 90 Flynn, John 62
Foster, Gloria 132, 312 Foster, Jodie 62 FOX AND THE HOUND, THE 178 Frankenstein (Mary Shelley) 21, 40, 63 Frege, Gottlob 255 Freud, Sigmund 11, 74, 96, 268 FROM HELL 109 Fuller, Richard Buckminster 317 FÜNFTE ELEMENT, DAS 194 FUTUREWORLD 194 Futurologische Kongress, Der (Stanislaw Lern] 64
G G.I. JANE 304 Gaeta, John 117, 182-184 Gallo, Vincent 185 Galouye, Daniel F. 60, 64 Garner, James 226 GATTACA 22, 63 GEFÄHRLICHE BRANDUNG 51 GEFESSELT 48-51 GENERATION X 107 Gershon, Gina 49, 50 GHOST IN THE SHELL 182 Gibson, William 11, 35, 59, 60, 64, 99, 100, 197,273,291,318,320,321 Giger, H.R. 257 Gilliam, Terry 48 Gillis, Peter Beno 108 Glamorama (Bret Easton Ellis) 129 Glaser, Paul Michael 248 Godard, Jean-Luc 26, 27, 42, 61, 193, 235, 247 Gödel, Kurt 259 Godzilla 17 Goetze, Michael 108 Gordon, Stuart 23 Göttliche Komödie, Die (Dante Alighieri) 274 Greco, El (Domenikos Theotocopoulos) 161, 162 Greenaway, Peter 234 GROSSE BLUFF, DER 121 GROUNDHOG DAY 317 Grays, Boris 10, 115 Grundgesetze der Arithmetik (Gottlob Frege) 255 Guterman, Lawrence 180
H Haber, Karen 198 HACKERS 66 Hanks, Tom 223 Hardt, Michael 104 Harrison, Harry 151 HARRY POTTER 43 Harry Potter (Joanne K. Rowling) 28 HEAVEN'S GATE 42 Heffron, Richard T. 194 Heidegger, Martin 115, 132, 262, 263 HEISSKALTE NACHTE 26 HELD DER PRÄRIE, DER 121 Helgeland, Brian 47 Helios 134 Hero with a Thousand Faces, The (Joseph Campbell) 11 Herr der Ringe, Der (J.R.R. Tolkien) 34 HERR DER RINGE-Serie 116, 311 HEXENKESSEL 41 Hitchcock, Alfred 188, 236 Hitler, Adolf 250 Hodges, Mike 25 HOME ALONE 316 Homer 273 HOMEWRECKER 25 Honko, Lauri 143 Hooper, Tobe 224 Hopper, Dennis 41 Hoven, Adrian 61 Howard, Ron 181 Hsia-Tien, Yuen 54 Hughes, Albert 109 Hughes, Allen 109 HULK 15,44, 56, 195, 202 Hume, David 236-240, 243 Huston, John 165 Huyler, Stafford 108 Hyams, Peter 7
I / Have No Mouth and I Must Scream (Harlan Ellison) 73 I HAVE NO MOUTH BUT I MUST SCREAM 73 Ice-T 66 I-Ging / Das Buch der Wandlungen 288
344
IN THE COLD OF THE NIGHT 26 INDEPENDENCE DAY 45 IRON MONKEY 52
J JACK ALLEIN IM SERIENWAHN 31 Jackson, Peter 43, 116, 311 JAHR 2022 ... DIE ÜBERLEBEN WOLLEN 80 James Bond 229 JAWS 42 Jefferson Airplane 319 Jenson, Vicky 173 Jesus 82, 140, 273, 275, 276, 279, 301 Jeunet, Jean-Pierre 20, 183, 193 Jobbs, Steve 178 Johannes der Täufer 82,135 JOHNNY MNEMOMIC 51,64-66 Johnson, Van 30 Jones, Andy 146 Jousse, Thierry 326 Joyce, James 101 JURASSIC PARK 43, 178
K Kafka, Franz 98, 298 Kant, Immanuel 106, 123, 234, 240246, 249, 250, 252-255, 261, 265 Karina, Anna 255 Karl der Große 133 Kasdan, Lawrence 146 Kawajiri, Yoshiaki 157,160 Kelly, Gene 30 Kennedy, John F. 35 KEVIN - ALLEIN ZU HAUS 316 Kier, Udo 66 KILL BILL 52, 311 KILLER IM KOPF, DER 25 King Hu 54 King, Stephen 62, 146, 248 Kitano, Takeshi 66 KLAPPERSCHLANGE, DIE 57, 105, 194 Knigge, Andreas C. 108 Koike, Takeshi 160 Königin von Saba 17 Kraftwerk 34 Kritik der reinen Vernunft (Immanuel Kant) 246,247,252
345
Küblböck, Daniel 103 Kubrick, Stanley 7, 20, 150, 183, 190, 191, 249, 250, 309, 314, 326 Kühn, Heike 122 Kunitake, Tani 48 Kwan Ching Lian 54 Kyberiade (Stanislaw Lern) 124
L LaBute, Neil 31 Lacan, Jacques 78, 269 Ladd,Alan 121 Lang, Fritz 20, 122, 188, 202 LaoTse 286 LARA CROFT TOMB RAIDER: THE CRADLE OF LIFE 181 LARA CROFT: TOMB RAIDER 57, 179-181 Lasseter, John 178 LAST HERO IN CHINA 52 LAST STARFIGHTER, THE 175 LAST TEMPTATION OF CHRIST, THE 82 LAWNMOWER MAN, THE 26, 62 Lee, Ang 15, 44, 52, 53, 56, 173, 195, 202 Lee, Bruce 54 Lee, Stan 106 Leibniz, Gottfried Wilhelm 235-240, 243, 254 Lern, Stanislaw 7, 11, 64, 96, 124, 150, 216, 269 LEMMY CAUTION GEGEN ALPHA 60 26, 27, 61, 193, 247, 255 Leonard, Brett 26, 62 Leto 137 Levinson, Barry 228 Li, Jet 55 Libreri, Kim 118 Lichtenberg, Georg Christoph 232-234 Lindquist, Mark 103 Linklater, Richard 62 Lisberger, Steven 60, LITTLE BUDDHA 51 Little Nemo (Winsor McCay) 70, 199 Loas (William Gibson) 291 Logik der Forschung (Karl Popper) 156 Longo, Robert 51, 64, 66
LORD OF THE RINGS, THE 43, 116 LORD OF THE RINGS-Serie 116, 311 LORD OF THE RINGS: THE TWO TOWERS, THE 180 Löwitsch, Klaus 61 Lucas, George 8, 42, 58, 111, 116, 144, 183,317 Luhrmann, Baz 200 Lundgren, Dolph 66 Lynch, David 200,234,317
M Maciste 17 MAD MAX-Serie 126,198 Madonna 29 Maeda, Mahiro 148, 155 Magnus, Robot-Fighter (Comic) 294 MALTESE FALCON, THE 165 Mankiewicz, Tom 31 Mann, Anthony 252 Manser, Warren 48 Manufacture of Consent, The (Noam Chomsky) 204 Marcuse, Herbert 59 Maria Magdalena 82 Marshall, George 121 Marx Brothers 132 Marx, Karl 59 Mason, Andrew 319 Mastorakis, Nico 27 Matrix {Club) 319 Matrix and Philosophy: Welcome to the Desert of the Real, The (William Irwin) 14 McCay, Winsor 70 McGinty Nichol, Joseph 173 MEAN STREETS 41 Mechs, Die 38 MEIN GROSSER FREUND SHANE 121 MEINE TEUFLISCHEN NACHBARN 223 Meister Shusan 283 MEN IN BLACK 52, 289 Mendes, Sam 317 METROPOLIS 20, 122, 188, 210 METROPOLIS (2001) 190 Miller, Frank 106 Milton, John 274 Minkhoff, Rob 180 Minnelli, Vincente 29 MINORITY REPORT 173
Mister X (Dean Motter) 51, 192, 199, 203 Mona Lisa Overdrive (William Gibson) 197 Monty (Jim Meddick) 174 Moorcock, Michael 35 Moore, Julianne 47 Moreno, Pepe 108 Moretti, Nanni 30 Morimoto, Kouji 163 Morpheus (griechischer Gott des Schlafes) 77 Moss , Carrie-Anne 51, 55, 56 Mostow, Jonathan 45 Motter, Dean 192, 199 MULHOLLAND DRIVE 317 MUMIE, DIE 182 MUMMY, THE 182 Murdoch, Rupert 207 Murnau, Friedrich Wilhelm 187 Murray, Bill 318 Myers, Michael 249 Myrick, Daniel 111
N Natali, Vincenzo 197, 221 Nebukadnezar 123 Negri, Antonio 104 NEMESIS 174 NetBoy (Stafford Huyler) 108 Neuromancer (William Gibson) 35, 36, 59, 68, 70, 99, 100, 101, 114, 120, 197, 318, 320 Newton, Isaac 188 Niblo, Fred 122 Niccol, Andrew 22, 317 NICHT AUFLEGEN! 222 Nicodemus, Katja 33 Nietzsche, Friedrich 11, 17, 103, 115, 141, 191,252,253,255, 262, 265 , 275, 282, 289, 291, 318, 323, 324 NIGHTMARE ON ELM STREET 3: DREAM WARRIORS, A 224 1984 (George Orwell) 70, 76, 105, 212, 229 Niobe (Königin von Theben) 137 Nirvana 102 NIRVANA 57, 62, 66
346
Noah 264 Norrington, Stephen 106 NUMMER 5 LEBT! 249 NURSE BETTY 223, 31 Nygaard, Kristen 262
O Oblowitz, Michael 194 Offene Gesellschaft und ihre Feinde, Die (Karl Popper) 156 ONCE UPON A TIME IN CHINA 158 ONCE UPON A TIME IN CHINA-Serie 55 ORPHEE 250 Orpheus 77 Orwell, George 76, 77, 98, 105, 229, 267 Oshii, Mamoru 62, 182 Other Side of the Road, The (Wim Wenders/Audi) 173 Ötomo, Katsuhiro 182
P Pacino, Al 317 Pansa, Sancho 235 Pantoliano, Joe 50 Paulus 94, 96 PEARL HARBOR 182 Peckinpah, Sam 252 Penultimate Truth, The (Philip K. Dick) 219 Perry Rhodan (Karl Herbert Scheer) 27 Persephone (Göttin der Unterwelt) 134 Peter Pan (James Matthew Barrie) 17 PHANTASTISCHE REISE, DIE 90 PHANTOM 187 PHONE BOOTH 222 Pinkett Smith, Jada 137, 171 Pinocchio (Carlo Collodi) 267 PLAINSMAN, THE 121 Plastic Man, The (Drehbuch der Wachowskis) 47 Plato 11, 14, 17,27,246,247, 264, 269 PLEASANTVILLE 30
347
Pocahontas 170 POINT BREAK 51 Pokémon (Satoshi Tajiri) 28 POLTERGEIST 224 Popper, Karl 156, 170 PROJEKT BRAINSTORM 62, 63 Prophecy Deliverance (Cornel West) 204 Proyas, Alex 62, 192 PSYCHO 236 Pyun, Albert 26
R Race Matters (Cornel West) 204 Rage against the Machine 214 Raimi, Sam 44 RAINING IN THE MOUNTAIN 54 Ramis, Harold 317 RASENMÄHERMANN, DER 26, 62 Raumpatrouille Orion (TV-Serie) 20 Reed, Lou 194 Reeves, Bill 178 Reeves, Keanu 51, 56, 64, 81, 102, 135,307,312 REGEN IN DEN BERGEN 54 Reise nach Dari, Eine (Ian Wallace) 20 RESIDENT EVIL 57 Rich, Richard 178 Rin Tarô 191 ROAD TO PERDITION 109 ROBOCOP 26, 266 ROBOT JOX 23, 304 ROBOTIC ANGEL 190 Robot-Imperium (Michael Goetze) 108 Rollins, Henry 66 Rudolph, Alan 87 Runaround (Isaac Asimov) 150 RUNNING MAN 248 Rusnak, Josef 62 Russell, Chuck 224 Ruttmann, Walter 188 Ryan, John P. 50 Ryder, Winona 102
S Sade, Marquis de 137 Saenz, Michael 108 Sakaguchi, Hironobu 146, 180 Sakakibara, Moto 146, 180 Salvatores, Gabriele 57, 62 Sánchez, Eduardo 1 1 1 Sargent, Joseph 204 Sartre, Jean-Paul 272 SATURN 3 228 Scalla, Mario 60 Schill, Hans 104 Schismatrix (Bruce Sterling) 38 SCHLITZAUGE, HALT DIE OHREN STEIF 54 Schopenhauer, Arthur 11, 103, 243, 244 Schuchardt, Read Mercer 58 Schumacher, Joel 48, 222, 224 SCHWARZEN TIGER VON HONGKONG, DIE 158 Schwarzenegger, Arnold 8, 29, 248, 249 Scorsese, Martin 41, 82, 190, 191, 228, 263 Scott, Ridley 7, 20, 304 Seaton, George 226 36 STUNDEN 226 Segal, George 25 Shakespeare, William 273 SHANE 121 Shapers 38 Shatter (Michael Saenz / Peter Beno Gillis) 108 Shaw, Run Me 53 Shaw, Run Run 53 Shirley, John 40, 226 Sholder, Jack 107 SHORT CIRCUIT 249 SHREK 173 Siddharta Gautama 279, 301 SIE LEBEN] 225, 292 Siegel, Don 119 Silver, Joel 47, 56, 112, 135, 146, 148, 314,315 SIMONE 317 Simpsons, The (TV-Serie) 8 Simulacra & Simulation (Jean Baudrillard) 9, 70 Simulacron 3 (Daniel F. Galouye) 60, 64
Singer, Bryan 44, 107 Singh, Tarsem 197, 221 Sin-Tung, Ching 53, 54, 190 Sisyphos 292 Skroce, Steve 48 Sloterdijk, Peter 115, 262 Soderbergh, Steven 7, 62 Softley, Iain 66 Sokrates 198 SOLARIS (1971) 7, 62, 245, 326 SOLARIS (2002] 62 Sommers, Stephen 182 SOYLENT GREEN 80 Spade, Sam 165 SPARTACUS 249 SPEED 51 Speedy Gonzales (Friz Freleng) 200 Spehr, Christoph 100 Spence, Bruce 298 SPIDER-MAN 44, 108, 195 Spider-Man (Stan Lee / Steve Ditko) 106, 107, 202 Spielberg, Steven 11, 12, 14, 42, 43, 47, 111, 116, 173, 178, 180, 224, 267, 321 Spinrad, Norman 33 Spirit, The (Will Eisner) 199 STADT DER VERLORENEN KINDER, DIE 183, 193 STAG 221 Stallone, Sylvester 47 Star Trek (TV-Serie) 27, 235, 245, 267 STAR WARS: EPISODE I - THE PHANTOM MENACE 8, 58, 144 STAR WARS-Serie 7, 8, 10, 14, 20, 23, 42, 44, 58, 116, 139, 144, 177, 183, 203 Steel Crocodile, The (David G. Compton) 64 Sterling, Bruce 35, 38 Stevens, Art 178 Stevens, George 93, 121 Stewart, James 121, 252 STRANGE DAYS 66, 105, 194, 317 STUART LITTLE 180 Sukowa, Barbara 66 SUPERMAN 44 Superman (Jerry Siegel / Joe Shuster) 106, 199, 266, 267 SWORDSMAN 54
348
T Taking the Red Pill. Science, Philosophy and Religion in the Matrix (Glenn Yeffeth) 14 Tarantino, Quentin 52,311 Tarkowskij, Andrej 7, 62 TERMINAL MAN, THE 25 TERMINATOR 23, 42; 266 TERMINATOR 2: JUDGEMENT DAY 43, 44,63, 177 TERMINATOR 3: RISE OF THE MACHINES 45, 63, 130, 195 TERMINATOR-Serie 7, 8, 17, 19, 26, 63, 76, 124, 128, 168, 289 TEUFELSSCHREI, DER 25 Theweleit, Klaus 104 THEY LIVE 225, 292 THIRTEENTH FLOOR, THE 62 36 HOURS 226 THX 1138 317 TIGER & DRAGON 52,173 Tillich, Paul 270 Tilly, Jennifer 49 TIMECODE 110 TITANIC 45 TOD EINER STRIPPERIN 221 Tom & Jerry [William Hanna / Joseph Barbara) 95 TOY STORY 177, 178, 180 TRANCERS 23 TRON 26, 60, 98, 99, 101, 175 Truffaut, Francois 247, 297 TRUMAN SHOW, THE 22, 30, 194, 212, 224, 267 Trumbull, Douglas 62, 145, 182 Tsui Hark 54, 55, 158 TWELVE MONKEYS 48, 247 Twilight Zone, The (TV-Serie) 161 2001: A SPACE ODYSSEY 7, 8, 20, 21, 25, 150, 183,250,326,309,314 2010: THE YEAR WE MAKE CONTACT 7
U Ulysses (James Joyce) 101 UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER 317
349
V (TV-Serie) 226 Valis (Philip K. Dick) 292 VAMPIRE HUNTER D: BLOODLUST 157 Velvet Underground 321 Verdi, Giuseppe 24 Verne, Jules 70 VERNETZT - JOHNNY MNEMONIC 51, 64-66 VERTIGO 188, 236 VIDEODROME 62, 105 Virilio, Paul 102 VIRTUOSITY 62 Voltaire 235, 272 von Trier, Lars 45 Vor dem Gesetz (Franz Kafka) 298 Voyage to Dari, A (Ian Wallace) 20
W Wachowski, Andy & Larry 10, 13, 27, 41, 46-48, 50, 52, 53, 56, 58, 76, 81,82,98, 106, 115-118, 136, 137, 144, 145, 148, 169, 172, 197, 202, 204, 214, 231, 241, 244, 250, 263, 275 ,2 87 ,296 ,300 ,315 WAG THE DOG 228 Wagenknecht, Sahra 103 WAKING LIFE 62 Wallace, Ian 20 Walton, Fred 25 WAR GAMES 25 War with the Robots (Harry Harrison) 151 Warhol, Andy 116 Watanabe, Shinichirö 155, 165 Watchmen (Alan Moore) 106 Weaving, Hugo 51, 52, 56 Weir, Peter 22, 30 WEISSE HAI, DER 42 Wekhrlin, Wilhelm Ludwig 269 Wells, H.G. 241 Welt als Wille und Vorstellung, Die (Arthur Schopenhauer) 244 WELT AM DRAHT 60-63,114 Wenders, Wim 173 Wertow, Dsiga 188, 193 West, Cornel 204 West, Simon 57
Weston, Eric 25 WESTWORLD 194 WICKED CITY-Serie 157 Wilding, Gavin 221 WILLOW 181 Wimmer, Kurt 173 WIZARD OF OZ, THE 28 Wong, Anthony 171 Woo, John 54 Woo-Ping, Yuen 52-56, 173, 197 WÜRGEENGEL, DER 222 WÜSTENPLANET, DER 317 Wyler, William 122
X X-Files, The 203, 226 X-MEN 44, 107, 108, 203 X Men, The (Stan Lee / Jack Kirby) 107
Z ZAUBERER VON OZ, DER 28
Zehn Jahre nach dem Blitz (Philip K Dick) 219 Zelazny, Roger 11 Zellweger, Renée 31 Zemeckis, Robert 57 Zeus 134 Zizek, Slavo] 32, 269 ZWEI DRESCHFLEGEL SCHLAGEN ALLES KURZ UND KLEIN 54 2001 - ODDYSEE IM WELTRAUM 7 , 8 , 2 0 , 2 1 , 2 5 , 150, 183,250, 326, 309, 314 2010 - DAS JAHR, IN DEM WIR KONTAKT AUFNEHMEN 7
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