International Plato Studies 28
Plato
Socrates
GEORGIA MOUROUTSOU
DIE METAPHER DER MISCHUNG IN DEN PLATONISCHEN DIALOGEN SOPHISTES UND PHILEBOS
ACADEMIA
Georgia Mouroutsou Die Metapher der Mischung in den platonischen Dialogen Sophistes und Philebos
International Plato Studies Published under the auspices of the International Plato Society Series Editors: Michael Erler (Würzburg), Franco Ferrari (Salerno), Louis-André Dorion (Montréal), Marcelo Boeri (Santiago de Chile), Leslie Brown (Oxford)
Volume 28
DIE METAPHER DER MISCHUNG IN DEN PLATONISCHEN DIALOGEN SOPHISTES UND PHILEBOS GEORGIA MOUROUTSOU
Academia Verlag
Sankt Augustin
Illustration on the cover by courtesy of the Bodleian Library, Oxford, MS. Ashmole 304, fol. 31 v.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN: 978-3-89665-523-3
1. Auflage 2010 © Academia Verlag Bahnstraße 7, D-53757 Sankt Augustin Internet: www.academia-verlag.de E-Mail:
[email protected] Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung – auch von Teilen des Werkes – auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vortrags, der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Übersetzung und der literarischen und anderweitigen Bearbeitung.
Ἡρακλῆς und Καλλιόπη Μουρούτσου, meinen Eltern, gewidmet
Danksagung Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im September 2006 an der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen eingereicht habe. Meinen ersten Dank möchte ich den beiden Betreuern meiner Doktorarbeit ausdrücken. Professor Dr. Thomas Alexander Szlezák hat sowohl durch seine Veranstaltungen als auch durch unsere Gespräche den Horizont meines Verständnisses des platonischen Philosophierens bedeutend erweitert und die von mir formulierte Problematik im Klima der Freiheit, Freimütigkeit und wohlwollenden Kritik vorangetrieben. Mein Dank gilt ebenfalls Professor Dr. Anton Friedrich Koch, der die Betreuung der Arbeit als zweiter Gutachter übernommen hat. Von seinen ertragreichen Seminaren, seiner konstruktiven Kritik und dem fruchtbaren Gespräch in seinem Oberseminar und danach hat die Entfaltung meiner Fragestellung viel profitiert. Mein Dank gilt darüber hinaus Herrn Professor Dr. Günter Figal (Universität Freiburg) für die Anregung und Motivation zu Beginn des damals noch nicht beschrittenen Weges, Herrn Professor Dr. Damir Barbarić (Universität Zagreb) für die gastfreundschaftliche Begleitung, die vieles angestoßen hat, sowie Herrn Dietmar Koch für das anhaltende Gespräch und die Möglichkeit der Teilnahme an seinem philosophischen Arbeitskreis. Für die Fernbetreuung geht mein herzlicher Dank an Herrn Professor Dr. Michael Dimitrakopoulos (Universität Athen). Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, dass meine Arbeit in die Reihe der Internationalen Platon-Gesellschaft aufgenommen wurde. Dafür möchte ich mich vor allem bei dem ehemaligen sowie dem jetzigen Präsidenten des Redaktionskomitees, Professor Dr. Mauro Tulli und Professor Dr. Michael Erler, sowie den neuen Mitgliedern (Prof. Dr. Marcelo Boeri, Frau Lesley Brown, Prof. Dr. Louis-André Dorion, Prof. Dr. Franco Ferrari), deren Bemerkungen über meine Arbeit sehr lehrreich gewesen sind, bedanken. Gewisse Teile des Sophistes-Kapitels, die während meines akademischen Aufenthaltes an der Cambridge Faculty of Classics (Fritz-Thyssen Postdoc Stipendium, 2008-2010) ausgearbeitet wurden, sind durch die fruchtbaren Gespräche mit Frau Lesley Brown in Oxford zustande gekommen, die mich äußerst herausgefordert und geprägt haben. Für ihre großzügige dreieinhalbjährige finanzielle Unterstützung danke ich der griechischen „Stiftung Staatlicher Stipendien“ („I.K.Y.“); für das anschließende zweijährige Stipendium der „Michelis Stiftung“ geht mein Dank an die Philosophische Fakultät der Universität Athen. Die Stiftung „Tryphon Asimakopoulos“ hat darüber hinaus meine Forschungen großzügig unterstützt. Für das Korrekturlesen der endgültigen Version bin ich Dr. Cathrin Nielsen dankbar. Für freundschaftliche Unterstützung sei besonders Georgiana Albu, Sibylle Castellucci und Jan Ebell herzlich gedankt. Das Buch ist meinen Eltern gewidmet. Γεωργία Μουρούτσου Cambridge, den 1. November 2009
Inhalt 1.
2.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung ............................... 1.1 Die Übertragung der methexis als Ausgangssituation .......................................... I. Sachfeld der Untersuchung ............................................................................. II. Die drei Ebenen von methexis in der platonischen Philosophie und der Ort der hier erforschten Mischung .................................................................. III. Blick in die Forschung im Hinblick auf die methexis .................................... IV. Metaxy („Zwischen“) als Ort der Mischung .................................................. 1.2 Allgemeine hermeneutische Voraussetzungen .................................................... I. Von einer Hermeneutik der Autonomie zu einer Hermeneutik der Verweisung ......................................................................................................... II. Der Charakter der platonischen Dialoge und das Platon-Bild: Der vermittelnde Platon ........................................................................................... III. Der esoterische Charakter der platonischen Philosophie und die Vorlesung „Über das Gute“ ....................................................................................... IV. Das Spiel, der Ernst und ihre Gegenstandsbereiche (das Minderwertigere und das Wertvollere) im Rahmen der Schriftkritik im Phaidros: Die zwei Aspekte des „Wertvollen“ ................................................................ V. Zur Vorgehensweise dieser Arbeit .................................................................. 1.3 Das Wesen einer platonischen Metapher: Die Mischung ..................................... I. Ausgangspunkt und Umweg: Von der aristotelischen Kritik zu der aristotelischen Theorie der Metapher .............................................................. II. Die lebendige Metapher der Mischung .......................................................... III. Die Rolle der Mischung als Metapher im platonischen Philosophieren .... IV. Zusammenführung der zwei Übertragungen ................................................ Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes ............................................................... 2.1 Der Rahmen des dialogischen Geschehens ........................................................... I. Die Suche nach dem Sophisten als Hintergrund für den Auftritt der platonischen Konzeption der Philosophie: Philosophieren als Wagnis ..... 1. Hermeneutischer Leitfaden ...................................................................... 2. Über κίνδυνος (Gefahr) im Sophistes ....................................................... 3. Auf den Spuren eines Vatermords. Die Bezähmung des Nichtseienden ........................................................................................................... II. Vorbemerkung: Der Sophistes als geeignetes Feld für die Frage nach der Mischung ...................................................................................................... 2.2 Die Einführung der „Mischung“ ins Gespräch und ihr Aufweis: Vom Sein qua Sein als dynamis zur dynamis des ideellen Seins als Mischung .................... I. Dynamis als Kriterium des Seins: Von einer allgemeinen Ontologie des Seienden qua Seienden zu einer speziellen Ontologie des ausgezeichneten Seienden ........................................................................................................ 1. Δύναμις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν – ausgehend vom Kontext der Verbesserung der Materialisten im Sophistes ................................. 2. Korollar: Der mathematische Begriff der δύναμις: δύναμις als Zeugungskraft und als erzeugtes Produkt ............................................. 3. Die Ideenfreunde als metaphysische Realisten ......................................
15 15 15 16 22 27 28 28 30 33
35 45 46 46 51 53 55 57 57 57 57 59 62 73 74
74 75 84 87
10
Inhalt 4.
Das vollkommen Seiende (τὸ παντελῶς ὄν): Von einer allgemeinen zu einer speziellen Ontologie und die Unterscheidung zwischen intensionaler und extensionaler Fragestellung ........................... 5. Abgrenzung von und Vermittlung zwischen anderen Interpretationen .............................................................................................................. 6. Die Idee als dynamis: Zusammenfassender Ausblick ........................... II. Einführung und ἀπόδειξις der Mischung ...................................................... III. Beispiele für die dialektische Kunst: γραμματική und μουσική ................ IV. Die Auszeichnung des desmos (Band) und die angedeuteten Grenzen der dihairesis ...................................................................................................... 1. Desmos ausgehend vom Sophistes .......................................................... 2. Die Dialektikpassage. Desmos und die Grenzen der dihairesis .......... 2.3 Mischung des Seienden mit dem Nichtseienden und Kulmination des Dialogs: Unhintergehbare Mischung des Seienden mit dem Anderen ............. I. Methodische Vorüberlegungen ....................................................................... II. Differenzierung möglicher Arten von Vorrang: thematischmethodologische, geschichtliche, erkenntnistheoretische, ontologische .... III. Die Natur der Mischung der größten Gattungen .......................................... 1. Die Gemeinschaft der größten Gattungen: Burnet-Text, Übersetzung und Kommentar ............................................................................... a. Agenda: Objekt, Ziel und Beschränkung der Untersuchung. Die Bezeichnung und die Auswahl der μέγιστα γένη ................. b. Erster Argumentationsgang (255a4-e7): Die Unterscheidung der fünf größten Gattungen voneinander. Endergebnis: Die Idee des Anderen ist (ein Seiendes) ................................................. i. Nicht-Identität von der Idee der Bewegung und des Stillstand einerseits und des Anderen und des Selben andererseits ................................................................................................ ii. Nicht-Identität der Idee des Seienden und des Selben ........... iii. Nicht-Identität der Idee des Seienden und des Anderen ....... iv. Michael Frede: Eine überoptimistische Entschlüsselung auf der Basis von zwei Prädikationweisen ............................... v. Ergebnis: Die Idee der Andersheit als eigenständige Idee neben den anderen vier Ideen. Endergebnis: Die Idee der Andersheit ist (ein Seiendes) ...................................................... c. Zweiter Argumentationsgang (255e8-257a12): Kombinatorik der fünf größten Gattungen untereinander am Beispiel der Idee der Bewegung. Endergebnis: Die Idee des Seienden ist nicht (Seiendes) ................................................................................... i. Die vier Quartetts ......................................................................... ii. Addendum: Nochmal zum Problem der Spätlerner nach seiner Lösung ................................................................................ iii. Der Höhepunkt. Erster Schritt: Die Idee der Bewegung als Seiendes und nicht-Seiendes (256c10ff.) .................................... iv. Zweiter Schritt: Generalisierung und Formalisierung ............ v. Die Idee des Seienden ist ein anderes (als alle anderen Ideen). Die Idee des Seienden ist nicht ...................................... d. Die Bedeutung von negativen Ausdrücken wie μὴ ὄν .................
93 95 99 100 108 109 109 112 119 119 120 123 124 124
128
129 132 133 138
141
142 142 148 150 151 153 154
11
Inhalt e.
3.
Die Teile der Andersheit als Seiendes. Jedes Nicht-Seiende ist (Seiendes) ............................................................................................ i. Die Natur der Idee des Anderen und ihre negativen Teile. Vom Bisherigen zur jetzigen Partie ........................................... ii. Der Vergleich mit der Wissenschaft .......................................... iii. 257e2-4 ........................................................................................... iv. Die Natur des Anderen ............................................................... v. 258a7-9 ........................................................................................... vi. 258a11-b3 ....................................................................................... vii. Das Problem der für den Begriff der Falschheit relevanten Andersheit ..................................................................................... f. Schlussfolgerungen auf dem verbotenen Weg des nichtSeienden .............................................................................................. 2. Ackrills zweite These: Die syntaktische Analyse der Teilhabe als asymmetrische Beziehung ........................................................................ 3. Die Unhintergehbarkeit der Mischung des Seienden mit dem Anderen ....................................................................................................... 4. Die Metapher der Mischung als Hinweis auf die Gefahr der Verwischung der Grenzen .............................................................................. 5. Korrolar: Bekräftigung der erprobten Option durch den Parmenides (142b5-144e7) ....................................................................................... 2.4 Ausblick: Monismus oder Dualismus der platonischen Prinzipienlehre? Der Aufstieg zum σύμφυτον: Einordnung des entsprechenden PlatonBildes in die Forschung ............................................................................................ Die „Mischung“ im Dialog Philebos ............................................................................... 3.1 Der Rahmen des dialogischen Geschehens ........................................................... I. Fragestellung und Verlauf des Dialogs: Die Begründung der Möglichkeit einer guten Lebensführung durch den Rückgriff auf die Prinzipienlehre (16c10) ................................................................................................ II. Hermeneutische Vorbemerkung zum Philebos: Form und Gesprächsführung ............................................................................................................... 1. Undurchsichtige Form ............................................................................... 2. Inhalt: der diktierende Sokrates und die ὁμολογία .............................. 3. Die enge Verbindung zwischen dem Philebos und der „Ungeschriebenen Lehre“ und die Frage nach dem Unverhüllten des Sokrates: Vielfalt der möglichen Motive für das Niederschreiben des Dialogs .................................................................................................. 3.2 Die dreiteilige Fragestellung (15b1-8) und das Zwischenspiel über den logos (15d1-16a3) ....................................................................................................... I. Die ersten zwei außer Acht zu lassenden Manifestationen des Problems des Einen und des Vielen ........................................................................ II. Das ernst zu nehmende Problem des Einen-Vielen und die Einführung der Monaden: Die erste methexis-Übertragung .............................................. III. 15b1-c3: Die ernst zu nehmende Fragestellung hinsichtlich der untersuchten Einheiten ............................................................................................... IV. Zwischenspiel: Der logos als Ansatzpunkt zur eristischen Aporie oder zur dialektischen Euporie .................................................................................
156 158 160 161 163 166 167 168 171 172 175 177 184
185 195 195
195 197 197 198
200 204 204 208 209 216
12
Inhalt 3.3 Die Dialektikpassage (16b4-17a5) als Andeutung der Antworten auf die dreiteilige Fragestellung von 15b1-8 und die Rolle der anschließenden Beispiele (17a6-18d2) ..................................................................................................... I. Der schönste Weg zur Lösung der dargelegten Problematik des „Einen und Vielen“: die Dialektikpassage 16b4-17a5 ................................................ 1. Übersetzung ................................................................................................ 2. Zielsetzung unserer interpretatorischen Annäherung .......................... 3. Die aufsteigende methexis (14c1-16c10) und der Gipfel der angezeigten Zurückführung: die pythagoreisch verkleidete Einführung der zwei platonischen Prinzipien: 16c10 ................................................. a. Τὰ ἀεὶ λεγόμενα εἶναι ...................................................................... b. Aufstieg zu den Prinzipien ............................................................... c. Pythagoreische Herkunft von πέρας- ἀπειρία .............................. 4. Die Andeutung der Lösungen der ersten und der dritten Frage von Phl. 15b ................................................................................................. II. Das beschriebene Verfahren überschreitet die Grenzen der Methode der dihairesis: von einer Ontologie der Unmittelbarkeit zu einer Methode der Vermittlung ...................................................................................... 1. Zwei konkurrierende Interpretationen und die hier vertretene These ............................................................................................................ 2. Das ἄπειρον in der Dialektikpassage (Phl. 16d5ff).: im Bereich der Sinnendinge oder der Ideen? .................................................................... 3. Die anschließenden Beispiele (17a6-18d8) als vorandeutende Vorbereitung auf das vierfache Gefüge (23c1-27c1), mit Hervorhebung des Beispiels von Theuth ........................................................................... a. Die Beispiele im Philebos 17a8-18d2: Zielsetzung und Auslegung ..................................................................................................... b. Theuth .................................................................................................. c. Die besondere Leistung des Beispiels der Musik ........................... 4. Die dihairesis als Teil der beschriebenen Methode und ihre neue Beleuchtung in einem weiter ausgreifenden Zusammenhang ............. III. Zusammenfassung der Ergebnisse in der Dialektikpassage ........................ 3.4 Von der vierfachen Einteilung alles Seienden zum vierfachen Gefüge (23c1-27c1): Das Zeugen des Schönen .................................................................... I. Methodische Vorbemerkungen und der Leitfaden unserer Interpretation ....................................................................................................................... II. ἀρχήν τιθέμενοι (23c1): Einführung in die vierfache Einteilung und ihr Gegenstand: πάντα τὰ ὄντα ἐν τῷ παντί ............................................... III. Die fünfte Gattung: Eine ernst zu nehmende Hypothese oder Parodie der dialektischen Forderung nach genauer Aufzählung? Die Mischung und die Gefahr ................................................................................................... IV. Analyse der vier Gattungen: Von der vierfachen Einteilung zum vierfachen Gefüge: Die Zeugung des Schönen ..................................................... 1. Die Mischung und deren „Elemente“ ..................................................... a. Das Unbegrenzte und die Grenze als δυνάμεις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν ........................................................................................... i. Die erste Gattung und die Spuren ihrer Vorgeschichte: das Unbegrenzte (ἄπειρον) als räumliche Unendlichkeit .............
222 222 222 224
224 225 233 234 238
240 240 243
247 247 240 250 256 259 260 260 266
270 273 273 273 273
Inhalt
4. 5.
ii. Die Zweiheit als Grundzug des platonischen Unbegrenzten und seine δύναμις: δύναμις τοῦ πάσχειν als quantitativ Unbestimmtes und Bestimmbares sowie δύναμις τοῦ ποιεῖν als Prinzip der Veränderung und Instabilität .............. iii. Die Schwierigkeit der Zusammenfassung des Unbegrenzten ................................................................................................... iv. Die Elemente der Mischung als Seinsmomente und reale Mächte ........................................................................................... v. Heranziehen von indirekter Überlieferung (TP 23A: Arist. Ph., Γ4, 202b34-203a16; TP 23B: Simplicius In Ph. Γ4, 202b36) und der letzte Schritt bei der Erfahrung der Unbestimmten Zweiheit ....................................................................... vi. Die zweite Gattung (die Grenze: πέρας) und ihre Zusammenführung ........................................................................... vii. Der sokratische Vorschlag und einige moderne Deutungen der fehlenden Zusammenführung ..................................... viii. Die Ideen im Hintergrund der Gattung der Grenze .............. b. Das Hervortreten des Charakters der Mischung als Zeugung: Werden zum Sein (γένεσις εἰς οὐσίαν) und gewordenes Sein (γεγενημένη οὐσία) .......................................................................... i. Die Manifestationen der Mischung: die schönen Erscheinungen ........................................................................................... ii. Die Zusammenführung der dritten Gattung: ........................... A. Die Mischung als „Werden zum Sein“: eine radikal neue Ontologie Platons? ....................................................... B. Die Mischung als „gewordenes Sein“: die Gefahr und die Rettung bei der Deutung des platonischen vierfachen Gefüges .......................................................................... 2. Die vierte Gattung der Ursache: das Zeugen eines kosmos ................... V. Die „Urzeugung“ oder warum die Athener von der Vorlesung „Über das Gute“ vertrieben wurden ........................................................................... VI. Zusammenfassung ............................................................................................. Epilog: Überblick und Ausblick ..................................................................................... Literaturverzeichnis .........................................................................................................
13
274 278 279
282 284 287 293
294 295 298 298
299 302 304 306 309 311
{Die Abkürzungen erfolgen in dieser Arbeit nach Liddell-Scott-Jones. Wenn nicht anders erwähnt, stammen die Übersetzungen von der Verfasserin}.
1. Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung 1.1 Die Übertragung der methexis als Ausgangssituation I.
Das Sachfeld der Untersuchung
Die ausgezeichnete Rolle der „Mischung“ in den späteren Dialogen Platons rechtfertigt es, dass sie zu einem Begriff von grundlegender Bedeutung in der platonischen Philosophie erklärt wird. Er taucht in ganz verschiedenen Gebieten der platonischen Seinsund Seelenlehre auf: Im Sophistes kulminiert die Darstellung des Gastes in der ideellen Mischung der größten Gattungen (251d5-260b2), auf die die zunächst als unmöglich erscheinende Verflechtung des Seienden mit dem Nichtseienden zurückgeführt wird. Im Philebos wird am Leitfaden der Fragestellung über das wünschenswerte menschliche Leben ein Exkurs über Dialektik den angemessenen Weg eröffnen, um die Möglichkeit der Verbindung von Vernunft und Lust aufgrund einer angedeuteten Prinzipienlehre zu fundieren. Die zwei zu Beginn des Dialogs als konträr betrachteten Kandidaten (Lust und Vernunft) werden zu koordinierten Komponenten eines gemischten guten Lebens. Im Timaios wird die Allseele 1 durch einen doppelten Mischungsakt vom Demiurg zustande gebracht, während die Welt durch das dynamische Mischungsverhältnis von νοῦς und ἀνάγκη (47d5-48a2) entsteht. Dadurch rechtfertigt sich die Untersuchung der „Mischung“. 2 In einem ersten Schritt werden wir die Mischung als Begriff betrachten, bevor wir uns auf ihr Wesen als Metapher besinnen können (in 1.3). Die Ausgangsfrage, die auf diese Weise im Rahmen der zwei Dialoge Sophistes und Philebos in der Forschung bislang nicht gestellt wurde und zum Leitfaden unserer Arbeit werden soll, lässt sich konkret folgendermaßen stellen: Warum ist der Begriff der Mischung ein besserer Kandidat als derjenige der Teilhabe auf der Ebene der ideellen Beziehungen (so unsere These), so dass --------------------------------------------
1 Platon spricht nie von der „Weltseele“, sondern von der Seele des Alls (τὴν τοῦ παντὸς ψυχὴ, Ti. 41d4f.), die einen Teil der „gesamten Seele“ (ψυχὴ πᾶσα, Phdr. 245c5, 246b6) ausmache. 2 Die Bedeutung und den polyvalenten Charakter der Mischung für die platonische Philosophie hat in Bezug auf die drei angesprochenen Dialoge Dimitrakopoulos in seiner Arbeit „Die Mischung und das Reine in der platonischen Dialektik“ hervorgehoben: siehe 1975, S. 19. Die Mischungsproblematik durchdringt nach der Überzeugung von Dimitrakopoulos, die auch wir teilen, „in einer besonders signifikanten Weise die platonische Philosophie bis auf ihre letzten und ungeschriebenen Konsequenzen hin“ (ebd., S. 179). Auch wenn er gegenüber den Forschungen der Tübinger Schule kritisch bleibt und „den Königsweg“ (ebd., S. 176) der Dialoge begeht, bezieht der griechische Forscher gewisse aristotelische und andere indirekte Quellen mit ein. Er vertritt einen paradoxen Charakter der Mischung des platonischen Seins, das zugleich entmischt bzw. dialektisch gereinigt ist: Nach seiner Auffassung bedeutet die Mischung „dialektische Bestimmung und Reinigung“ (s. ebd., Einleitung, II, S. 70 ff., und unten, § 2.3, III, wo die Darstellung auf das Gefüge der ideellen Mischung hinauslaufen wird, das auch die Trennung ihrer Elemente mit einschließt). Im Rahmen des außerordentlich weiten Umfangs ihrer Fragestellung hat diese Arbeit unsere Problematik, trotz der Hervorhebung anderer Fragepunkte, stark angeregt. Die Arbeit von Boussoulas „L’Être et la Composition des Mixtes dans le ‚Philèbe’ de Platon“ (1952), berührt den zu untersuchenden Bereich, aber wegen der häufigen Ungenauigkeiten innerhalb der Methode und Interpretation wurde an ihr zurecht Kritik geübt, z. B. von E. M. Manasse 1976, S. 565-573.
16
Kapitel 1
Platons Einführung der Mischung der Ideen miteinander im Rahmen des Dialogs Sophistes gerechtfertigt werden kann? Könnte sie vielleicht als eine wohlbegründete Verwandlungsform der Teilhabe in den ideellen Zusammenhängen betrachtet werden? 3 Der Dialog Timaios wird in diesem Rahmen in Klammern gesetzt, auch wenn der untersuchte Begriff der Mischung hier eine zentrale Rolle spielt. Aber so, wie unsere Frage gestellt wird, scheint es angemessener, die Mischung der Allseele in diesen ersten Ansatz nicht mit einzubeziehen, sondern zunächst klare Schlüsse innerhalb der Problematik von Sophistes und Philebos zu ziehen, deren Gültigkeit im Timaios in einer anschließenden Arbeit überprüft werden könnte. II. Die drei Ebenen von methexis in der platonischen Philosophie und der Ort der hier erforschten Mischung Um das untersuchte Gebiet präziser einzugrenzen und unsere Fragestellung zu verorten, ist es unerlässlich, einerseits die drei Arten von Teilhabe (μέθεξις) in der platonischen Philosophie überhaupt darzustellen, andererseits die Übertragung der Methexisproblematik als einen wesentlichen Topos der platonischen Philosophie zu beleuchten. Im Phaidon schlägt Sokrates, nachdem er die Idee als Ursache eingeführt hat, verschiedene Begriffe vor, die die Beziehung zwischen der Idee und dem sinnlichen Ding bezeichnen können, ohne eine Entscheidung ad loc darüber zu treffen, welcher der angemessenste wäre. Dieses Problem tritt in den Hintergrund der gegenwärtigen Darstellung, nämlich der gewissesten aber einfachen, nicht weiter begründeten und vielleicht einfältigen (εὐηθῶς, 100d4) Einführung der Idee als Ursache. Unter den empfohlenen Kandidaten treten die „Teilhabe“ (100c5), die „Anwesenheit“ (100d5), die „Gemeinschaft“ (100d6) und die „Teilnahme“ (102b1) hervor, ohne dass Sokrates an einer terminologischen Festlegung gelegen wäre. 4 Desto weniger geht er in diesem Rahmen des letzten Beweises für die Unsterblichkeit der Seele auf die Natur der angesprochenen Teilhabe ein. Der Gesprächsführer begnügt sich bei dieser Einführung mit Aussagen wie „Etwas ist schön, weil es am Schönen selbst teilhat“. Die Natur der Teilhabe wird nicht vertieft; Probleme in diesem Zusammenhang, wie die Weise des Gewinnens und der Verlust der Teilhabe an einer Idee, bleiben außer Acht. 5 Die innerideellen Beziehungen machen den Hintergrund der letzten Argumentation über die Unsterblichkeit der Seele aus, wenn beispielweise die Beziehung von Schnee und Kälte und die von der Zahl Drei und dem Ungeraden erwähnt werden. Auch wenn die innerideelle Gemeinschaft weder hier noch in der Politeia problematisiert wird, ist sie doch höchstwahrscheinlich vorausgesetzt. 6 -------------------------------------------3 Nicolai Hartmann betrachtet die Mischung aus πέρας und ἄπειρον im Philebos als eine „vertiefte Abwandlung der Μέθεξις“ (19652, S. 392). 4 Sokrates’ Unbestimmtheit in Bezug auf die Natur der angesprochenen Beziehung muss nicht als Zeichen dafür verstanden werden, dass „der Begriff der Μέθεξις zur Zeit des Phaidon noch was Schillerndes war“, wie Hoffmann vermerkt, 1961, S. 129. Im Timaios wird der Begriff der μίμησις für das Verhältnis zwischen Wahrnehmbarem und Ideellem in Anspruch genommen: 49a1, 50c4. 5 D. Frede 1999, S. 131-132. Eigentlich sollte die dargestellte Theorie der Idee als Ursache auch die Ursächlichkeit des Werdens und des Vergehens miteinbeziehen, auch wenn sie hier nicht thematisiert wird. Zu den Ausgangsfragen des forschenden Sokrates gehören auch die Fragen, „warum etwas wird und warum es vergeht“, neben derjenigen, „warum es ist“: Phd. 96a9f.: διὰ τί γίγνεται ἕκαστον καὶ διὰ τί ἀπόλλυται καὶ διὰ τί ἔστι. 6 R. 476a4-7: Καὶ περὶ τοῦ δικαίου καὶ ἀδίκου καὶ ἀγαθοῦ καὶ κακοῦ καὶ πάντων τῶν εἰδῶν πέρι ὁ αὐτὸς λόγος, αὐτὸ μὲν ἓν ἕκαστον εἶναι, τῇ δὲ τῶν πράξεων καὶ σωμάτων καὶ ἀλλήλων κοινωνίᾳ πανταχοῦ φανταζόμενα πολλὰ φαίνεσθαι ἕκαστον: „Und mit dem Gerechten und Ungerechten und Guten und Schlechten und allen anderen Begriffen eben so, dass jeder für sich eins ist; aber da jeder vermöge seiner Gemeinschaft mit den Handlungen und körperlichen Dingen und
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
17
Diese erste Ebene der Teilhabe des Wahrnehmbaren an der Idee wird im ersten Teil des Dialogs Parmenides als ein Problem thematisiert, das nicht als solches ad loc gelöst, sondern auf die ideelle Ebene, in der die Teilhabe sich unter den Ideen ereignet, übertragen wird, wie eine kurze Skizze des Vorgehens des Dialogs zum Vorschein bringen kann. Hier muss einiges – wenn auch in aller Kürze – über den Parmenides vorausgeschickt werden, da Argumente, die auf Abschnitten des zweiten Teils beruhen, vorgebracht und in unsere Kapitel über den Sophistes und den Philebos integriert werden. 7 Allerdings kann dann im Rahmen unserer Darlegung der grundsätzlichen μέθεξις-Übertragung aufgezeigt werden, dass die „Lösung“ der prinzipiellen Problematik nicht niedergeschrieben wird. Das philosophische Schreiben (das Philosophieren selbst) ist nämlich hier nicht so sehr als Setzen und Lösen von Problemen verstanden, sondern viel eher als Anregung für den mitdenkenden Leser, diese Lösungen selbst zu finden. Zum Dialog Parmenides also: Der zwar junge, aber philosophisch bereits vielversprechende Sokrates 8 wendet die Blickrichtung von den unproblematischen Fällen der Teilhabe des Wahrnehmbaren an den Ideen und vom Wahrnehmbaren überhaupt, das die zenonische Dialektik behandelt haben soll, um zu den innerideellen Beziehungen. 9 Nach der sokratischen Beobachtung schiene es monströs, einen Widerspruch im Bereich des Ideellen zuzulassen, wenn sich etwa die Idee der Ähnlichkeit in die Idee der Unähnlichkeit oder umgekehrt umwandeln würde. Sokrates scheint bei der Monstrosität der Sache stecken zu bleiben: Auch wenn er seine Bewunderung für denjenigen zum Ausdruck bringt, der die innerideelle Mischung und Trennung der Gattungen nachweisen wird, kommt es ihm nicht wahrscheinlich vor. 10 -------------------------------------------den übrigen Begriffen überall zum Vorschein kommt, auch jeder als vieles erscheint“ (G. M.). Im Anschluss an Adam (19632, Bd. I, zu der Stelle, und in Appendix VII, S. 673 ff.) ist nicht zu bestreiten, dass hier die innerideelle Gemeinschaft angedeutet wird, auch wenn sie unentfaltet bleibt. 7 Im Gegensatz dazu werden die Dialoge Sophistes und Philebos hier nur kurz erwähnt, da die anvisierte Übertragung der μέθεξις in den kommenden zwei Kapiteln verfolgt wird. 8 Zwei literarische Hinweise können wir als bemerkenswerte Andeutungen darauf betrachten, dass Platon die Philosophie so konzipiert, dass zu ihr die Entwicklung (wenn auch nicht unbedingt eine voller Brüche oder unüberbrückbarer Inkonsistenzen) wesentlich gehört. Zum ersten durch den jungen Sokrates, der noch nicht über eine ausgereifte Theorie verfügt: Genauso wie Sokrates nicht alle Probleme von Anfang an im Griff hatte, dürfte Platon eine Theorie im Rahmen fruchtbarer akademischer Debatten schrittweise entwickelt und entfaltet haben. Zum zweiten wagt der hier als Parmenides personifizierte platonische Dialektiker sogar, über die erreichten Grenzen seines Denkens (des historischen Parmenides also) hinauszugehen, denkt man die Wahl des historischen Parmenides als Führer des Dialogs zu Ende: Er ist nämlich über seine eigene Lehre hinausgewachsen, indem er zur platonischen „zweiten Schifffahrt“ (Ideenannahme) aufbricht und den Weg der Negation ernst nimmt. 9 Prm. 129d7-130a2: „Aber meine Bewunderung wäre, wie gesagt, noch viel größer, wenn uns jemand zeigen könnte, dass dieselbe Schwierigkeit auf mannigfache Weise auch mit den Begriffen selbst verknüpft ist und dass man also das, wie ihr es bei den sichtbaren Dingen nachgewiesen habt, auch bei denjenigen findet, die mit dem Denken erfasst werden.“ (Übers. Rufener) 10 Θαυμάσομαι: 129c1, ἄξιον θαυμάζειν: c2, ἀγαίμην θαυμαστῶς: e3. Man kann der Beobachtung von Figal zustimmen, dass Sokrates den „Verdacht“ teilt, „dass sich die Ideen nicht miteinander vermischen und trennen können“ (1993, S. 39, ähnliche Rede von „the case against these two great masters [den historischen Parmenides und Sokrates]“ bei Sayre 1983, S. 49). Das kann jedoch damit erklärt werden, dass Sokrates noch jung ist und über keine ausgereifte Theorie verfügt. Es muss daher kein entschiedener Ausschluss der platonischen Dialektik des Sophistes von den hier gemachten sokratischen Behauptungen vorliegen, wie Figal schließt. Das Programm einer Darstellung einerseits der Eigenständigkeit, andererseits der Mischung/ Kombinierbarkeit der größten Gattungen (an der der junge Sokrates noch zweifelt) wird vom eleatischen Gast im Sophistes durchgeführt. Nach dem wegen seines innovativen Charakters höchst interessanten Beitrag Figals unterscheidet sich die platonische Dialektik der innerideellen μέθεξις sowohl von Sokrates’ doppelter
18
Kapitel 1
Anschließend bietet Platon schon zu Beginn einen Vorausblick auf die langatmige Dialektik des zweiten Teils, der keinesfalls übersehen werden darf: Sein Wunsch besteht im Aufzeigen der in den Ideen selbst auf vielfache Weise verflochtenen Schwierigkeiten: τὴν αὐτὴν ταύτην ἀπορίαν ἐν αὐτοῖς τοῖς εἴδεσι παντοδαπῶς πλεκομένην, ὥσπερ ἐν τοῖς ὁρωμένοις διήλθετε, οὕτως καὶ ἐν τοῖς λογισμῷ λαμβανομένοις ἐπιδεῖξαι. 11 Genau diese Aufgabe übernimmt und erfüllt Parmenides im zweiten Teil. Wenn durch diesen Wunsch auf die Verschlungenheit des Ganges des zweiten Teils hingewiesen wird, dann wäre es unangebracht zu fragen, wie dieser die verwickelte Aporie des Sokrates löst. 12 Der rätselhafte zweite Teil ist vielmehr als eine Art Ausharren und Verweilen in der Aporie zu verstehen, indem diese bis zu ihren möglichen Grenzen getrieben wird, also ein διαπορῆσαι ist, 13 ohne dass eine bestimmte Lösung als Lösung vorgeschlagen wird. 14 -------------------------------------------Ontologie der zwei Welten als auch vom Monismus des Parmenides, des „Inaugurators der Ontologie“ (1993, S. 31). Auf diese Weise wird den beiden platonischen Gestalten eine Art Ontologie vorgeworfen, die die von ihr postulierten Entitäten als getrennt, an sich und für sich (χωρίς) denkt. Nach Figal versucht Parmenides im zweiten Teil des Dialogs gegen den Ideenpluralismus zu argumentieren, aber jedes Argument wandelt sich zu einem Argument gegen den Monismus (ebd., S. 44). Die Zielsetzung einer Abgrenzung gegen den Eleatismus ist keinesfalls ausgeschlossen, wobei im zweiten Teil mehr als eine bloße Überwindung des eleatischen Monismus in Form einer reductio ad absurdum zu finden ist, geschweige denn eine „Liquidierung“ des historischen Parmenides (Graeser 1999, S. 10): Die platonische Philosophie erbt das Gut des eleatischen Stammes (ἐλεατικὸν ἔθνος, Sph. 242d4). Die Überwindung, derer er sich ganz bewusst ist, rechtfertigt keine Rede von „liquidieren“, sondern höchstens von „Aufhebung“ im Sinne Hegels (negatio: Beseitigung, conservatio: Bewahrung, elevatio: Hinaufheben auf eine höhere Stufe). Unser Kapitel über den Sophistes wird Platon in der Tat als Ontologen aufzeigen, aber nicht im Sinne des von Figal kritisierten Begriffs der Ontologie. Am Rande kann vermerkt werden, dass die begriffliche Trennung (Hinsicht des αὐτὸ καθ’ αὑτό im Sophistes, oder πρὸς ἑαυτό im Parmenides) genauso unabdingbar für die platonische Dialektik erscheint wie die ideelle Mischung/ μέθεξις (Hinsicht des πρὸς ἄλλα). Dazu mehr in § 2.3, III. 11 Prm. 129e6-130a2 (Hervorhebung G. M.): „Aber meine Bewunderung wäre, wie gesagt, noch viel größer, wenn uns jemand zeigen könnte, dass dieselbe Schwierigkeit auch in den Ideen selbst verflochten ist und dass man also das, wie ihr es bei den sichtbaren Dingen nachgewiesen habt, auch bei denjenigen findet, die nur mit dem Denken erfasst werden.“ (Übers. Rufener, leicht modifiziert von G. M.) 12 Unter solchen Versuchen ist die anspruchsvolle Arbeit von Meinwald zu erwähnen: Die beiden im zweiten Teil als Weise der Prädikation verstandenen Hinsichten des πρὸς ἑαυτό und πρὸς ἄλλα („crucial innovation“, 1991, S. 4) sind in der Lage, die Probleme des ersten Teils zu lösen: das Problem des dritten Menschen, das Problem der Teilhabe an einem Teil der Idee oder an deren Ganzem und die größte Schwierigkeit einer völligen Trennung zwischen Ideen und wahrnehmbaren Dingen, die sich aus der „superexemplification view of forms“ (ebd., S. 154 und passim) ergeben: „Thus, as an anachronistic reader might put it, ‚Platonism’ [der mittleren Dialoge] makes the ridiculous mistake of thinking that properties do their job by having the very properties they are. The superexemplification theory of forms seems obviously to be a mistake.“ Meinwald schreibt hiermit nicht Platon zu, dass er die selbstprädikativen Sätze zu irgend einer Zeit so verstanden habe: „[…] the functional role of these entities was that of properties“ (ebd., S. 154, deswegen spricht sie von „Platonism“ und nicht von Platon). Durch die Differenzierung zwischen der Prädikation πρὸς ἑαυτό und πρὸς ἄλλα und deren Übung im zweiten Teil des Dialogs gewinnen wir das Verständnis der selbstprädikativen Sätze als wahre Prädikationen πρὸς ἑαυτό, während „the superexemplification view“ sie als wahre Prädikationen πρὸς ἄλλα missversteht. Auf ähnliche Weise kann man „Good-bye to the Third Man“ sagen, weil dieser Regress wiederum voraussetzt, dass die selbstprädikativen Sätzen wie „everyday true predications pros ta alla“ betrachtet werden 13 Nach Aristoteles kann nur das angemessene Durchgehen der Aporie zu ihrer Aufhebung (ebd.). führen: Metaph. B1 995a27-28. 14 Von einer Art Ausharren in der Aporie ist die Rede auch in dem durchdachten Beitrag von Volkmann-Schluck 1961/62: Die Idee wird – in Anknüpfung an die Analogie der Idee mit dem Licht des Tages – aus phänomenologischer Sicht als das „Wodurch des Erscheinens und der Sichtbarkeit“
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
19
Nachdem Parmenides gegen Sokrates starke Einwände auch gegen seine noch nicht hinreichend begründete Theorie erhebt, welche die erste Ebene der μέθεξις-Problematik betrifft (131aff.), weist er nachdrücklich darauf hin, dass er zunächst im Bezirk des ideellen Seins und der entsprechenden Beziehungen verweilen und die folgende mühsame Übung durchhalten muss, um das Problem der Teilhabe des Wahrnehmbaren an der Idee eventuell lösen zu können. 15 Demselben ontologisch aufsteigenden Lauf folgt man im Sophistes. 16 Nachdem man in scheinbar unaufhebbare Aporien bezüglich des Nichtseins und des Seins geraten ist, geht der Gast erneut von der Ebene der Prädikation aus (251a8ff.), um sich mit der Problematik der Mischung der größten Gattungen miteinander zu befassen und im Folgenden (259eff.) zur Prädikation als solcher zurückzukehren. Für diese innerideellen Beziehungen werden im Sophistes neben dem im Parmenides überwiegenden Begriff der Teilhabe eine Vielfalt von anderen Begriffen flexibel benutzt, wie diejenigen der (Ver)mischung, der Gemeinschaft und der Verflechtung. 17 Der ideelle Bereich erweist sich infolgedessen als der Ort der im Rahmen des Sophistes erforschten Mischung. -------------------------------------------betrachtet, deren Wesen nicht zu erblicken ist, wenn man das Ineinanderscheinen der Ideen selbst nicht erblickt (ebd., S. 42). Indem der Anschein nicht erst nachträglich zu den Ideen hinzutritt, sondern die Idee das aus sich selbst Scheinende ist (ebd., S. 44), kann Volkmann-Schluck zu folgender grundlegender Schlussbemerkung gelangen: „In Platos Dialog Parmenides ist das Ganze dessen gedacht, was die Philosophie überhaupt zu bedenken hat: Scheinen und Erscheinen, Wesen und Schein, Wahrheit und Ansicht, Göttliches und Menschliches, Philosophie und Sophistik – dieses alles aber ist in seiner ursprünglich untrennbaren Zusammengehörigkeit.“ (Ebd., S. 45) 15 Prm. 135d8-e5. Um genau sagen zu können, inwieweit die oben genannte Übertragung eine Lösung des ersten Problems bietet, muss der Gang jedes Dialogs in allen Einzelheiten nachvollzogen werden, in diesem Fall des ersten und zweiten Teils des Parmenides. Auf eine solche anspruchsvolle Zielsetzung muss diese Arbeit verzichten. 16 Diese Bewegung wird im zweiten Kapitel der Arbeit manifest (s. unten § 2.1). Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass in der Forschung allgemeine Übereinstimmung mit unseren Beobachtungen herrscht. De Rijk schlägt in seiner Sophistes-Interpretation anstelle von „two parallel areas, that of the transcendent Forms and that of the particulars“ (wie Blucks Auslegung 1975, S. 131 und passim) folgendes Bild vor: „Plato’s main interest concern the immanent status of ideas, their being present and operative in particular things“ (1986, S. 132). Nach seinem Dafürhalten handelt es sich bei den größten Gattungen um „the instantiations of these Forms“, die in dem sinnlichen Einzelnen aneinander teilhaben. Auf diese Weise, so de Rijk, versucht sich Platon vom Problem der Teilhabe zu befreien, indem er die parallelen Regionen von Ideen und einzelnen Dingen in den Hintergrund rückt und sich auf ihre „instantiations“ konzentriert (ebd., S. 138). Der niederländische Forscher verneint das Aufgeben des transzendenten Charakters der Ideen in der späteren platonischen Periode („exalted status“, übernommen von Guthrie 19783, V, S. 159, S. 183 ff.) und schildert die neue Konzeption der Teilhabe im Sophistes folgendermaßen: „Forms in their exalted status are just too eminent a cause for the existence of the world of Becoming. But their being shared in, i. e. their immanent status, makes them so to speak ‚operable’ and yet preserves their dignity as paradigmatic standards.“ (ebd., S. 184). Nach de Rijk soll es sich bei solchen Ausführungen um eine Verschiebung der Blickrichtung Platons und nicht um eine redundante Verdoppelung des Charakters der Ideen (immanente – transzendente Form) handeln. Auch wenn de Rijk die aristotelische Kritik fruchtbar in Anspruch nimmt, gerät er zu einem zu unbewegten Bild der transzendenten platonischen Ideen, die in ihrer Reinheit und Einfachheit zu fensterlosen Monaden werden und keinen prädikativen Charakter aufweisen. Obgleich er den chorismos zu beseitigen beansprucht, verursacht er eine noch tiefere Kluft zwischen den heiligen Ideen und den an ihnen partizipierenden Dingen. 17 Verknüpfen (προσάπτειν): 251d5f., 252a9, teilnehmen (μεταλαμβάνειν): 251d7, 256b6, 259b1, Gemeinschaft (ἐπι- προσκοινωνεῖν): 251d9, e8, 252a2, b9, d2, 253a8, 254b8, c1, c5, 256b2, 257a9, Teilhabe(n) (μετέχειν): 251e9, 255b3, d4, e5, 256a1,a7,b1,d9, 259a6,a7, (Ver)mischung (συμμίγνεσθαι, συγκεράννυσθαι): 252b6,e2, 253b9, 254c10, e4, 256b9, 259a4, zusammenstimmen (συμφωνεῖν): 253b11, Verflechtung (συμπλοκή): 259e6. Außerdem: durchgehen (διέρχεσθαι): 255e4,
20
Kapitel 1
Darüber hinaus wird derselbe Gang des platonischen Denkens im Dialog Philebos nachvollzogen. 18 Dort wird das Problem der Teilhabe des Wahrnehmbaren am Ideellen, das an den ersten zwei Beispielen von Protarchos und Sokrates veranschaulicht wird, zugunsten des Problems des Einen und Vielen im ideellen Bereich beiseitegelassen (14c7ff.). Aber mit dem erwähnten Problem des Einen-Vielen im Bereich des Intelligiblen verknüpft sich dann wieder die erste von uns erwähnte Art von Teilhabe, wie sie in der knappen Schilderung der Fragestellung von Sokrates zur Sprache kommt (15b4-8). Auf deren Basis entzündeten sich in der Forschung anhaltende Debatten. Diese Beziehung der zwei Arten der Teilhabe ist ein Indiz dafür, dass die erste Art von Teilhabe durch die zweite Übertragung gelöst wird, bevor dann aufs Neue zur ersten Teilhabe zurückgekehrt wird. Wegen der Häufigkeit, mit der in den späteren Dialogen von der ersten zur zweiten Ebene der Teilhabe übergegangen wird, kann man diese Übertragung für einen Topos der dialogischen Methodik Platons halten. Wie eine umsichtige Analyse des jeweiligen dialogischen Geschehens (Parmenides, Sophistes, Philebos) aufzeigen kann, verwandelt sich das Problem der Teilhabe des Wahrnehmbaren am Ideellen, das auf dieser Ebene nicht explizit gelöst wird, in ein anderes Problem, und zwar dasjenige der Teilhabe der Ideen aneinander, in deren Bezirk der Interpret die Lösung des anfänglichen Problems erwarten sollte. 19 Zuletzt tritt eine dritte Ebene der nicht weiter hintergehbaren Teilhabe hervor: Über sie ist gemäß der Schriftkritik außer durch Andeutungen in den Dialogen nichts zu erfahren. Die Bewegung der Übertragung kommt auf der Ebene der Ideen nicht zum Halt, 20 sondern es ergibt sich eine dritte Art von μέθεξις, diesmal der zwei platonischen Prinzipien aneinander (ἐπὶ τὰς ἀρχάς, EN 1095a32-b2): 21 Sie ist die letzte, nicht weiter zurückführbare begründende Teilhabe. Diese könnte als ἀνυπόθετος μέθεξις bezeichnet werden, wenn das Attribut, das in R. 510b7 der einen ἀρχή (Idee des Guten) beigelegt wird, innerhalb der jetzigen Problematik mit Vorsicht übernommen würde. Auf diese dritte Art von μέθεξις wird nach unserer Interpretation sowohl auf dem Boden der Beziehung des Seienden mit dem Anderen als größten Gattungen im Sophistes als auch und vor allem in der „Dialektikpassage“ im Philebos (16c5-17a5) hingewiesen. Dieser Beleg hat aber im -------------------------------------------259a6), verbinden (ἐπιγίγνεσθαι): 252d7. Die folgende Schlussfolgerung Rosens ist nicht notwendig: „The Stranger does not define this notion, and the multiplicity of verbs reflects its primitive status in his representation“ (1983, S. 244). 18 Der angesprochene „Aufstieg“ des Philebos wird im dritten Kapitel der Arbeit entfaltet. 19 Platon wurde von der Mathematik seiner Epoche angeregt. Die Methode der Verwandlung eines Problems, das als solches nicht gelöst werden kann, in ein anderes, dessen Lösung möglich ist, war eine in der klassischen Antike bekannte Methode der Mathematik. Nur als ein Beispiel sei die Verwandlung des „Delischen Problems“ (Verdoppelung eines gegebenen Würfels) in die Einschaltung zweier mittlerer Proportionalen zwischen zwei gegebenen Strecken erwähnt, die Hippokrates von Chios zu verdanken ist. Dazu Becker 1966, S. 15, 75. 20 Der aufgezeigte Aufstieg zur ursprünglichen Teilhabe der zwei platonischen Prinzipien aneinander gehört zu dem Weg der Reduktion auf die Prinzipien, den Platon in den Dialogen skizzenhaft darstellt (R. 511b). Durch die indirekte Überlieferung ist die dimensionale und kategoriale Reduktion als Inhalt der Vorlesung „Über das Gute“ belegt (s. Testim. Platon. 22B, 30, 32). Die Zurückführung der verschiedenen Ebenen der Teilhabe besteht in der Reduktion auf immer höherrangige ontologische Ebenen bis zu der unhintergehbaren Teilhabe der zwei platonischen Prinzipien. Dieser Weg wird vor allem in den von uns zu interpretierenden Passagen im Dialog Philebos angedeutet. 21 Nach der Formulierung der indirekten Überlieferung: des zweiten Prinzips der Unbestimmten Zweiheit am ersten Prinzip des Einen.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
21
Rahmen des geschriebenen Dialogs einen bloß andeutenden und auf keinen Fall expliziten Charakter. Die μέθεξις zwischen den Prinzipien wird in der indirekten Überlieferung nachgewiesen. Die prinzipielle „Teilhabe“ wird von Aristoteles in seiner Metaphysik (A6, 987b21) und von Alexander von Aphrodisias in seinem Kommentar zu dieser Stelle belegt. 22 Wenn gefragt wird, warum nicht die Bezeichnung „Mischung“ für die Beziehung zwischen den zwei platonischen Prinzipien des Einen und der Unbestimmten Zweiheit angewandt wird, gerät man in höchste Verlegenheit, will man das Fehlen auf eine Ursache zurückführen. Wir beschränken uns auf folgende Überlegungen: Wenn wir zur Ebene der Prinzipien aufgestiegen sind, kann weder die Rede von Mischung noch die von getrennten Elementen gerechtfertigt werden. Im Fall der größten Gattungen – auf der ideellen Ebene also – ist die Mischung in Anspruch genommen, insofern diese Gattungen unauflöslich miteinander verflochten sind, obschon sie im Rahmen der Dialektik auch getrennt werden können. 23 Die zwei platonischen Prinzipien sind ihrerseits nur durch höchste Anstrengung des Denkens und dadurch, dass die Grenzen des logos bis zum Äußersten getrieben werden, voneinander trennbar. Wird diese Trennung nachvollzogen, werden sie zum absoluten Nichts, zu dem das Denken und die Sprache selbst keinen Zugang haben können. 24 Die platonischen Prinzipien werden Elemente des Ganzen genannt, aber nicht, indem sie als voneinander getrennt vorhandene Gegenstände betrachtet werden. Hier scheint der rechte Ort für die kritische Frage zu sein, was denn die zwei Prinzipien zusammenbringt. 25 Die Antwort darauf lautet nach der von uns aufgestellten These, dass die Frage falsch gestellt ist: Die zwei Prinzipien werden nicht zusammengebracht, da sie nie voneinander getrennt sind; sie sind vielmehr innigst miteinander verbunden, ineinander verwachsen: σύμφυτον. 26 --------------------------------------------
22 Auch in Arist. Ph. Δ2, 209b14 (das zweite Prinzip als μεταληπτικόν), 210a1 (das zweite Prinzip als μεθεκτικόν). Es fällt auf, dass für diese ursprüngliche „unbedingte“ (ἀνυπόθετος) Bezüglichkeit der zwei Prinzipien der Begriff „μέθεξις“ benutzt wird, und nicht derjenige der „Mischung“ (dazu Gaiser 1968², Anm. zu TP 46A, S. 523 f.). Aufgrund der Belege in Metaph. M9, 1085b12 und N5, 1092a25 scheint es schwierig zu sein, der platonischen Philosophie eine Konzeption der „Mischung der zwei Prinzipien“ eindeutig zuzusprechen. Für die Lösung der Probleme auf der ersten Ebene der μέθεξις wurde die „Mischung“ zwischen Idee und Sinnlichem von Eudoxos als „Lösung“ eingeführt. Platon hat sich gegen diesen Vorschlag gewandt (Phl. 59c4), der außerdem von Aristoteles scharf kritisiert wurde: Alex. Aphr. in Metaph. 97. 27-98.24, Aristotelis Fragmenta Selecta, 1955¹, S. 128f. 23 Der folgenden Definition der sinnlichen, konkreten Mischung wird hiermit nicht widersprochen: „Mischung überhaupt ist derjenige Vorgang, in dem mehrere an sich getrennte Gegenstände zusammen- und untereinandergebracht werden, derart, dass sie eine als solche unterscheidbare neue Einheit bilden. Diese Einheit kann aber grundsätzlich wieder aufgelöst werden, so dass alle Komponenten in ihrer alten Beschaffenheit wieder heraustreten.“ Dieser definitorische Versuch, der allgemein gelten soll, stammt von Schwabe 1980, S. 22. 24 Vgl. etwa die erste Reihe des Parmenides. 25 Vgl. z. B. Arist. Metaph. Λ10 1075a28-32. Da die Gegensätze voneinander keine Einwirkung erfahren können, muss es ein Drittes geben; eben darin besteht die aristotelische Lösung. Dass bei dieser Problematisierung durch Aristoteles eine vergegenständlichende Tendenz am Werk ist, lässt sich keinesfalls bestreiten. Ebenfalls dazu vgl. Metaph. B4, 1000b12f. und Ph. H1, 252a20ff., wo Aristoteles gegen den empedokleischen Kraftdualismus einwendet, er bedürfe einer zusätzlichen Ursache, die die Liebe und den Streit „dosiere“. 26 Dazu unten, § 2.4 und § 3.3.I. Dass diese These für eine nicht zeitliche Interpretation des Timaios plädieren würde, springt ins Auge, mag jedoch dahingestellt bleiben. Die neuplatonische Rede von den Prinzipien „an sich und für sich“ ist aus den dargelegten Gründen eher zu vermeiden. Mehr unten, § 2.4.
22
Kapitel 1
Wir schicken unsere Rekonstruktion voraus, bevor wir einen Blick auf andere Vorschläge hinsichtlich der μέθεξις werfen können: Die Trennung mag das erste, aber nicht das letzte Wort Platons gewesen sein. Von einer Trennung zwischen Idee und Sinnlichem gelangen wir nach den zwei geschilderten Übertragungen der μέθεξις zur Unzertrennlichkeit der zwei trennbaren, aber voneinander nicht getrennten Prinzipien. Nachdem die ganze Bewegung der Übertragung bis zu den platonischen Prinzipien nachvollzogen worden ist, konzentrieren wir uns auf die erste Trennung, von der ausgegangen wurde, um die platonische Forderung zu erfüllen, noch einmal zum Ausgangspunkt zurückzukehren. 27 Auch wenn es über die Thematik der Arbeit hinauszugehen scheint, eine Lösung des Problems der μέθεξις vorzulegen, wird sich im dritten Kapitel über den Philebos unsere Lösung abzeichnen: Im vierfachen Gefüge von Grenze, Unbegrenztheit, Mischung und Ursache kommt eine Welt zum Vorschein, die Ideelles und Wahrnehmbares gleichermaßen in sich schließt. Nach dem Aufstieg zu den zwei platonischen Prinzipien, zu der dritten methexis also, kommt es zu einer Überwindung der am Anfang als tiefe Kluft erscheinenden Trennung zwischen dem Wahrnehmbaren und der Idee, an der es teilhat. Und so vollendet sich die Bewegung, die der Philosoph in ihrem Ganzen nachvollziehen – ein Schritt, den Aristoteles nicht mitgehen wollte. Das platonische Motiv „von hier dorthin“ (ἐνθένδε ἐκεῖσε, an zentralen Stellen wie in: Phd. 117c2, Tht. 176a8-b1, Phdr. 250e2, R. 529a2), das zum Grundzug des gesamten Platonismus wurde, vertieft sich: Der Dialektiker flieht vor dem Wahrnehmbaren, nicht, um es zu verlassen und im Jenseits seinen eigenen „Ort“ zu gründen; er gibt es eher auf, um es aufs Neue zu gewinnen und es verwandelt wiederzufinden. „Aufgabe“ heißt in diesem Rahmen zunächst Preisgabe und Loslassen, bevor man das Wahrnehmbare als Problem betrachtet und löst. 28 III. Blick in die Forschung im Hinblick auf die methexis 29 Nicolai Hartmann hat in seinem berühmten Buch „Platos Logik des Seins“ die ersten zwei Arten der Teilhabe betrachtet und als Lösung der „Methexisproblematik“ die „absteigende Teilhabe“ vorgeschlagen. Der marburger Neukantianer konzentriert sich auf die „eigentlich philosophische Seite“ Platons – d. h. die logisch-wissenschaftliche, die von den dichterischen, mythischen Zügen gereinigt ist –, indem er dem „unerschöpflich fruchtbare[n] Grundverhältnis von Sein und Nichtsein“ 30 nachgeht. 31 Er verfolgt den --------------------------------------------
27 Ob es Platon gelungen ist, das Problem der ersten Stufe der μέθεξις überhaupt zu lösen, ist höchst umstritten. Unserer Rekonstruktion zufolge plädieren wir eher für Findlays Behauptung als für die skeptische Stellungnahme Runcimans über das Thema. Der erste beobachtet Folgendes: „And, as in the Parmenides, the interrelations of eide are used to throw light on the obscurities of instantiation: it is wrong to seek to tear the eide from their involvements with the realm of flux as it is wrong to seek to tear them from one another.“ (Findlay 1974, S. 255). Der zweite dagegen weist mit allem Nachdruck die Enträtselung der Μέθεξις der ersten Ebene zurück (1962, S. 130): „But Plato appears never to have arrived at any satisfactory logical disentanglement of particulars and forms or to have worked out any coherent account of their relation.“ 28 Anregung dazu verdanke ich dem Vortrag von Dietmar Koch im Rahmen des Tübinger Studium Generale über Friedrich Wilhelm Josef Schelling (SS 2005): „’Wer es erhalten will, der wird es verlieren und wer es aufgibt, der wird es finden’. Zu einem Theorem Schellings mit Blick auf Meister Eckart und Platon“ (17.02.2005). 29 Die Bezeichnung des Forschungsberichtes als „Blick“ hat sowohl mit dem notwendig Fragmentarischen eines solchen Berichtes über Platon als auch mit dem Perspektivischen der Auswahl aufgrund unserer Fragestellung zu tun. 30 Hartmann 19652, S. 374. 31 Ebd., Vorwort, VI.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
23
Aufstieg Platons vom Einzelnen zur Idee als sein Prinzip, bevor er anschließend die umgekehrte Richtung nachvollzieht: „Denn wie das Dasein zum Problem werden musste, um zum Prinzip zu führen, so muss nun wiederum das Prinzip zum Problem werden, um zum Dasein zurückzuführen.“ 32 Die Mehrzahl der Vorschläge zur Bezeichnung der Beziehung zwischen dem Wahrnehmbaren und der Idee im Phaidon wird nach Hartmann dadurch erklärt, dass es dort nur auf das Prinzip – die Idee – ankomme. 33 In einer zweiten Phase wird das Prinzip auf das angewendet, was Nichtprinzip ist, nämlich das Korrelat der Idee, die als begründet gilt, insofern sie sich als an dem Daseinsbegriff wirksam erweist. 34 Die mehr und mehr spürbare Hinsteuerung auf das Problem der „Anwendung der Idee“ konstatiert Hartmann schon im Parmenides, bevor die μέθεξις-Problematik im Philebos endgültig gelöst wird. 35 Dabei spielt der vermittelnde Übergang (μεταξύ) die entscheidende Rolle für die erwünschte Kontinuität zwischen Wahrnehmbarem und Ideellem. Auf der Basis der Erforschung einiger Manifestationen des unerschöpflich vielseitigen Problems des Überganges in den Dialogen Lysis, Phaidon, Symposion und Parmenides wird aufgezeigt, wie seine Natur nach und nach in ihrer Positivität entfaltet wird. Die von Hartmann angebotene Lösung der absteigenden Teilhabe besteht darin, die Ideen selbst als lebendige und bewegliche darzustellen, die eine μέθεξις mit ihren Gegenbegriffen eingehen, um die μέθεξις der Dinge an ihnen zu ermöglichen. 36 Die im Parmenides vorausgesetzte und im Sophistes bewiesene Gemeinschaft der Grundbegriffe 37 setzt sich bei der Einteilung der weniger allgemeinen Ideen fort und führt tatsächlich abwärts ins Konkrete. 38 Trotz einer gewissen Einseitigkeit, zu der alle bedeutenden interpretatorischen Ansätze tendieren, gehört Stenzels Buch über platonische Dialektik zu den wichtigsten Beiträgen der Platonforschung überhaupt. Die zeitliche Distanz zu der Verfassungszeit der „Studien zur Entwicklung der Platonischen Dialektik von Sokrates zu Aristoteles, Arete und Dihairesis“ 39 erlaubt es uns, den enormen Einfluss zu bestätigen, den sie mit Recht auf die anschließende Platonauslegung ausgeübt haben: Die Bedeutung von Stenzels Arbeit besteht keinesfalls nur in ihrem vorbereitenden Charakter für die Tübinger Forschung, indem sie zwischen der Hermeneutik Schleiermachers und der sogenannten Tübinger Schule vermittelt, sondern auch und vor allem darin, dass sie ein unerschöpfliches Gespräch 40 innerhalb der Forschungslandschaft hervorruft, die diese in ausgezeichneter Weise geprägt hat. Stenzel behauptet, das vertrackte μέθεξις-Problem durch seine Erforschung der dihairesis gelöst zu haben, und aus diesem Grund ist sein beachtenswerter Versuch in unserem Rahmen zu erwähnen. Gegenüber der einseitig hineinprojizierten Hervorhebung der Subjektivität im Rahmen neukantianischer Platon-Deutung betont Stenzel das „fest in Platon eingewurzelte -------------------------------------------32
Ebd., S. 315. Ebd., S. 317. 34 Ebd., S. 325. Was würde uns die Ideenerkenntnis helfen, wenn nicht kraft ihrer die Dinge erkannt werden könnten? 35 Ebd., S. 370. 36 Ebd., S. 360. 37 Ebd., S. 364. Die Art des „Beweises“ im Sophistes wird weiter unten untersucht: § 2.2.II. 38 Ebd., S. 363. 39 Breslau 19171, Leipzig und Berlin 19312 (um drei Aufsätze erweiterte Auflage), Darmstadt 19613 (unveränderter Nachdruck der 2., erweiterten Auflage). Zu einer umfassenderen Darstellung und Kritik s. meine Rezension, Mouroutsou 2005. 40 „Das lebend sich entwickelt“, nach den von Stenzel zitierten Worten von Goethe über die geprägte Form, 19613, S. 1. 33
24
Kapitel 1
anschaulich-gegenständliche“ Denken, das an einem bestimmten Objektkreis orientiert ist und von den jeweiligen Objekten bestimmt wird. 41 Dieser Bezeichnung gemäß unterscheidet er zwischen zwei Perioden des platonischen Philosophierens, nämlich der früheren „arete-eidos-Lehre“ und der zweiten Dialektik, 42 die von der neu eingeführten Begriffseinteilung (dihairesis) bestimmt wird, da eine Verschiebung des Gegenstandsbereiches notwendigerweise eine Umformung der Methode mit sich bringt. 43 Während Platon in der ersten Phase sein Interesse auf ethisch-mathematische Gegenstände richtet, wird der Erkenntnisbereich nach der Politeia und bis zum Siebten Brief durch die Inanspruchnahme des Wahrnehmbaren, das jetzt gewürdigt wird, radikal erweitert. In Bezug auf den Ursprung der Ideenlehre meint er, „man könnte sie in einem griechischen Wort wie in einem Keime beschlossen haben: arete“ 44 , weil das Wesen jedes Dinges in seiner Tüchtigkeit (was arete angemessener als „Tugend“ übersetzt) besteht: Es ist, wozu es gut ist. Im Rahmen einer an Sokrates orientierten, ethisch geprägten Metaphysik wird anschließend die anschauende Objektivierung dieser arete zum Typus, zum eidos, gesteigert. Das höchste Ziel ist das Gute, auf das alle Arten von Tugend (Besonnenheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Frömmigkeit) hinauslaufen und auf dessen Erkenntnis in den „scheinbar aporetischen Dialogen“ verwiesen wird. 45 Während die Politeia die Kulmination des aufsteigenden Weges zum höchsten Allgemeinen bedeutet, soll der Phaidros nach Stenzels Auffassung die Einheit der Dialektik aufweisen, indem Altes im ersten Teil und Neues im zweiten Teil widerspruchsfrei vereint werden. 46 Hingegen wird in den späteren Dialogen der absteigende Weg der dihairesis begangen, die auf die Definition des untersten, unteilbaren, zu definierenden einzelnen eidos (des Angelfischers, des Sophisten, der webenden Kunst oder des Staatsmannes) zielt, und dank derer feinere Unterschiede und Ähnlichkeiten bei Begriffsuntersuchungen erkannt werden können. 47 Die außerordentlich elaborierte Untersuchung der dihairetischen Methode ist ein bedeutsames Erbe für die Platon-Interpretation. Die dihairesis soll als Schlüsselbegriff alle vier Probleme lösen, die in der Periode der arete-eidos-Lehre latent blieben: 1. Die absolute Existenz der Idee, die aufgrund religiöser Gesichtspunkte zustande kam, schwindet, wenn sie zum Begriff wird; 2. das Verhältnis von Einheit und Vielheit wird erst im Rahmen des dihairetischen Verfahrens explizit zum Problem gemacht; 3. die in der zweiten Phase der Dialektik neu entstandene Gefahr und zugleich eine mögliche Rettung bestehen in einer Verdoppelung der Welt, in der von Stenzel bezeichneten „wechselseitigen Angleichung, die das Allgemeine und das Einzelne notwendig erfahren mussten“; 48 4. das nicht mehr teilbare eidos (Phdr. 277b) wird von unserem logos begriffen, 49 während --------------------------------------------
41 Ebd., S. 17, 33, 35, 108, 114, 117, 122, 187. Die Kritik, dass nicht nur das Subjekt ohne Objekt, sondern auch umgekehrt das Objekt ohne Subjekt nicht zu denken sei, wäre nicht fehl am Platz. Trotz Stenzels Hervorhebung des Primats des Objekts in der Philosophie der Antike und seiner scharfen Kritik am Neukantianismus bleibt er notwendigerweise in seiner geschichtlichen Bedingtheit befangen. 42 Ebd., S. 25, 38 und passim. Die „Krisis der Ideenlehre“ (ebd., S. 20), die nach Stenzel im Parmenides zur Sprache kommt, führt zu ihrer „Wendung“ oder sogar „vollständigen Wandlung“ (ebd., S. 29). 43 Ebd., S. 35. 44 Ebd., S. 8. 45 Ebd., S. 17, 22. 46 Ebd., S. 105ff. 47 Ebd., S. 98. Belege dafür: Phdr. 262a, Phl. 12c-d, 13b. 48 Ebd., S. 55, außerdem S. 33, wo die „gegenseitige Angleichung“, die gleichzeitige Verdinglichung der Idee mit dem Begriffwerden des Einzelnen, als Bedrohung betrachtet wird. 49 Logos wird von Stenzel vor allem als Definition und nicht als Urteil verstanden: ebd., S. 87ff.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
25
die wahre Meinung (doxa) den unter den Begriff fallenden sinnlichen Gegenstand fasst. Der grundsätzliche chorismos (Trennung) zwischen der Welt des logos und des Werdens schwindet, wenn in der Ideenwelt nicht mehr absolute Einheit, in der Sinnenwelt Vielheit herrschen, sondern sich eine Parallele ergibt, wenn auch die Idee, geteilt, das Eine und das Viele in sich aufgenommen und in über- und untergeordneten Begriffen dargestellt hat: Eine Lösung, die nah an Hartmanns Vorschlag liegt. 50 Ernst Hoffmann hat den Bereich des μεταξύ emphatisch in den Vordergrund gerückt, sich damit ernsthaft befasst, und das „Ineins von Methexis und Metaxy“ 51 zu den Grundkoordinaten der echten platonischen Lehre erklärt. 52 Während ein „Problem“ auf einen bestimmten isolierbaren Bereich beschränkt bleibt, hat Hoffmann μεταξύ hingegen als ein die ganze platonische Philosophie durchdringendes „Motiv“ betont 53 und den folgenden Schluss gezogen: „Die Entwicklung des Μέθεξις-Begriffes ist Platons philosophische Entwicklung, in ihr beruht auch die Motivation seiner Lehre, sie ist ihr System bildender Faktor“ 54 : Von einem klaffenden chorismos zwischen Sein und Werden im Phaidon wird zur Aufstellung der verschiedenen mittleren und vermittelnden Bereiche in den späteren Dialogen übergegangen. Der der Erkenntnis zugängliche Gegenstand der Naturwissenschaft wird im Timaios feierlich anerkannt, in dem das Reich des Werdens zwischen Sein und Nichtsein geordnet wird, während er im Philebos durch die bestimmte Anzahl als „Werden zum Sein“ repräsentiert wird. Gemäß seiner neukantianischen Herkunft versteht Hoffmann die Ideenlehre als Theorie einer einzigen Uridee, der Idee der Wissenschaft, 55 und die Möglichkeit der Erkenntnis, die Ermöglichung der Wissenschaft bei Platon, steht im Zentrum seiner Fragestellung, nach der der Mensch als Philosoph, insofern er Erkenntnissubjekt ist, ein Mittleres zwischen den Welten ist. 56 Er erforscht infolgedessen die Systematik der Erkenntnisstufen im fünften und sechsten Buch der Politeia, da nach dem platonischen Motto die Erkenntnisart durch den Erkenntnisgegenstand bedingt ist. 57 Dabei tritt nicht in Vergessenheit, dass die Probleme des Seins und der vermittelnden Seele bei Platon ineinander verschlungen sind. 58 Hoffmann legt sein Augenmerk nicht auf die Übertragung der Ebenen der μέθεξις, sondern fokussiert auf die Vermittlung von Gegensätzen durch ein Drittes: In diesem Fall geht es nicht mehr um kontradiktorische Gegensätze, sondern um konträre. 59 Dem anvisierten Feld der μέθεξις hat Meinhardt seine Monographie gewidmet, mit der wir unsere Darstellung abschließen. 60 Darin unterscheidet er zwischen den zwei Arten von μέθεξις, des Einzeldinges an der Idee einerseits, der Ideen aneinander ande--------------------------------------------
50 Ebd., S. 104f. Zugegebenermaßen läuft die Arbeit Stenzels Gefahr, einer formalisierend einseitigen Betrachtung zu verfallen, weil die Andersartigkeit der Beziehungen der gleichursprünglichen größten Gattungen im Sophistes oder der Töne innerhalb des im Philebos eingeführten musikalischen Systems völlig außer Acht gelassen oder ausschließlich in dihairetische logische Verhältnisse hineingezwungen werden, indem die Begriffseinteilung als erschöpfender Inhalt der späteren Dialektik betrachtet wird. 51 Hoffmann 1961, S. 45. 52 Hoffmann 1964, S. 46. 53 Ebd., S. 29. 54 Ebd., S. 51. 55 Ebd., S. 50. 56 Hoffmann 1961, S. 129, 1964, S. 36, 47, und passim. 57 Hoffmann 1964, S. 43. 58 Zum Beispiel Hoffmann 1961, S. 45. 59 Vgl. Hoffmann 1964, S. 62-69. Die Annahme „Sein ist Sein und schließt jedes Anderssein und Nichtsein aus“ (1961, S. 46) repräsentiert die Reste einer parmenideischen Logik. 60 Meinhardt 1968.
26
Kapitel 1
rerseits. Der Untertitel seiner Arbeit (Ein Beitrag zum Verständnis platonischen Prinzipiendenkens unter besonderer Berücksichtigung des Sophistes) lässt sich nicht im Sinne eines Anschlusses an die Forschung über die platonische esoterische Philosophie verstehen, da Meinhardt die μέθεξις der zwei platonischen Prinzipien explizit außerhalb des Spektrums seiner Untersuchung lässt. 61 Er muss vielmehr gemäß seiner Fragestellung nach der Begründung, der Konstitution der jeweiligen konkreten, „fertigen“ Idee, 62 einschließlich der höchsten Gattungen, beurteilt werden. Der Interpret wählt die μέθεξις unter einer Vielfalt anderer Ausdrücke aus, da sie fast ohne Bildgehalt die anderen bildhaften Wendungen überragt. Im Fall der Konstitution der Idee ist nach Meinhardt die Teilhabe an anderen Ideen mitkonstitutiv für ihr Wesen, genauso wie ihre eigenständige Natur (φύσις), die die Idee aus sich selbst heraus begründet und zu der die Teilhabe als ein zweiter Grund hinzukommt. 63 Im Bereich der Ideen ist die Rede von transzendentaler oder von partikulärer μέθεξις: Im ersten Fall haben alle Ideen an den größten Ideen des Seins, des Anderen, des Einen teil, die auf diese Weise einen höchsten Grad an konstituierender Kraft besitzen, im zweiten Fall geht es um die Teilhabe einer konkreten Idee an einer bestimmten Zahl von Ideen um ihrer Begrenzung willen. Die Teilhabe des Einzelnen unterscheidet sich nach Meinhardt darin, dass sie schlechthin konstitutiv für sein Wesen ist 64 und nicht nur mitkonstitutiv wie im Fall der ideellen Teilhabe. Erst im Timaios tritt ein zweiter Grund der Konstitution des Einzelnen zutage, die chora. 65 Meinhardt gelingen einzelne sehr tief gehende Beobachtungen auf der Basis einer feinen und genauen – vor allem – sprachlichen Untersuchung des ausgewählten Bezirks, die partiell in Anspruch genommen werden, wenn er auf den Sophistes fokussiert. 66 Er stellt Ähnlichkeiten der Grundstruktur der zwei Ebenen von μέθεξις fest, da sich das Verhältnis der vollkommenen Idee gegenüber dem immer zurückbleibenden Einzelding im Bereich der Ideen fortsetzt: Die partizipierte Idee ist vollkommener als die an ihr partizipierende. 67 Ohne dass der Interpret die Bewegung von der ersten Ebene der μέθεξις zur zweiten problematisiert, sind einige seiner Ansätze weiterzudenken: Die Idee und das Einzelding müssen, geht man von der Darstellung des engen und intensiven metechein-Verhältnisses im Sophistes und Parmenides aus, als viel enger beieinander betrachtet werden. 68 Es erübrigt sich zu sagen, dass hiermit die lange Liste der Sekundärliteratur über die thematisierten Probleme nicht erschöpft worden ist. Vor allem ist ältere gute Forschung in Anspruch genommen worden. Neuere Forschung wird in den Kapiteln über den Sophistes und den Philebos herangezogen. -------------------------------------------61
Meinhardt 1968, S. 12. Die „fertige“ Idee bedeutet die konstituierte: ebd., S. 76, 79. 63 Beide machen das γένος aus (ebd., S. 59). Die behauptete starke Trennung zwischen Φύσις und Teilhabe bei der Idee scheint willkürlich zu sein, besonders wenn die Gattung des Anderen im Sophistes betrachtet wird, dass nämlich seine Natur (φύσις) genau in der Teilhabe (πρὸς ἄλλα) besteht. 64 Wohlgemerkt, die Teilhabe an der Idee und nicht die Idee selbst wird nach Meinhardt zum Prinzip des Einzelnen: ebd., S. 23. Unangebracht erscheint seine Bezeichnung der Teilhabe als des wirklichen und letzten Grundes der Einzeldinge, wobei nicht die Teilhabe der zwei platonischen Prinzipien gemeint ist (ebd., S. 18). 65 Ebd., S. 60. Der Timaios gehört nicht zur Hauptthematik seiner Studie: ebd., S. 89-94. 66 Mittelpunkt seiner Studie ist der Grundriss der Dialektik im Sph. 253d d1-e2. S. unten, § 2.2.IV.2. 67 Meinhardt 1968, S. 76. 68 Hoffmann 1961, S. 63. 62
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
27
IV. Metaxy („Zwischen“) als Ort der Mischung Nach Hoffmann ist der „Metaxygedanke“ für „das Gefüge des Platonischen Denkens fundamental; mythopoietisch drückt er sich aus in den mannigfachen Verwendungen des Bildes von der ‚Mischung’ aus Verschiedenem“. 69 Trotz der Tiefsinnigkeit seiner Forschung hat Hoffmann jedoch sowohl eine ausführlichere, subtilere Differenzierung des Begriffs Μεταξύ versäumt (i) als auch durch seine Identifizierung der methexis mit der Mischung gewisse Verwirrungen hervorgerufen (ii). Wir nehmen diese zwei Punkte zum Anlass, um unsere Erklärungen und Lösungen vorzubereiten. Zum ersten Punkt (i): Platon verwendet das μεταξύ in mindestens zwei verschiedenen Bedeutungen: So hat das als μεταξύ Bezeichnete manchmal an beiden der jeweiligen Gegensätze teil, manchmal an keinem. 70 Der Begriff der Mitte, des Zwischen, ist im Gegensatz zu Hoffmanns Darstellung umfänglicher als der der Mischung: Die grundlegende Struktur des „Sowohl-als-auch“ wie auch die des „Weder-noch“ lassen sich im vermittelnden Bereich des „Zwischen“ verorten. Die Mischung fällt unter den ersten Fall von Μεταξύ. Um Klarheit zu schaffen, werden wir das Gesagte anhand einiger Beispiele exemplifizieren, bevor dann die anvisierten Arten der Mischung in den folgenden Kapiteln behandelt werden. Als ausgezeichnetes Beispiel eines Weder-noch-metaxy kann der Fall des „Plötzlichen“ im zweiten Teil des Parmenides angeführt werden: Die merkwürdige, nicht leicht einzuordnende Natur des Umschlages lässt sich nicht mit einem der jeweiligen Gegensätze identifizieren, weder mit Bewegung noch mit Ruhe, weder mit Ähnlichkeit noch mit Unähnlichkeit, weder mit dem Entstehen noch mit dem Vergehen. 71 Der Eros im Symposion, der ein bedeutendes μεταξύ darstellt, stammt von Poros und Penia ab und ist insofern an beiden teilhabend: Er ist von der Seite seiner Mutter obdachlos und arm, bekommt jedoch nach dem Vorbild seines Vaters das, wonach er Jagd macht, zu fassen. Zugleich wird in Sokrates’ Bericht von der Rede Diotimas behauptet, der Eros sei weder sterblich noch unsterblich, weder weise noch unwissend (Smp. 203c-d). Darüber hinaus hat der Bereich der Meinung über die vielen sinnlichen Gegenstände bei der sokratischen Darstellung in der Politeia, der zwischen Sein und Nichtsein einerseits und Wissen und Unwissen andererseits vermittelt, an beidem teil, sowohl am Sein als auch am Nichtsein (R. 478e1f.). Der vermittelnden Mischung als μεταξύ liegt stets die Struktur des „Sowohl-als-auch“ zugrunde. Damit gelangen wir zu dem zweiten Punkt, der bei Hoffmann zu korrigieren ist (ii). Da nicht jede Art von methexis als Mischung charakterisiert wird, gilt es gegen eine unreflektierte Identifizierung der zwei Begriffe achtsam zu sein. Die Mischung wird für die Gemeinschaft der größten Gattungen sowie die Verbindung von Grenze und Unbegrenztheit reserviert. Obgleich die Ideen des Seienden und des Anderen sich als gleichrangig und gleichursprünglich erweisen werden, geht es im Fall der Grenze und der Unbegrenztheit im Philebos nicht um zwei ontologisch gleichursprüngliche Elemente. Die Gleichursprünglichkeit der Elemente zeigt sich deswegen nicht als gemeinsamer Nenner der zwei Konzepte der Mischung. -------------------------------------------69
Hoffmann 1961, S. 5. Was von Allen scharfsinnig erfasst wurde, 1991, S. 49, mit Anm. 81. 71 Prm. 155e-157b. In Grg. 467e-468b wird bei einem Versuch, das Gute als Ziel der vermittelnden Handlungen zu verstehen, als zwischen (Μεταξύ) dem Guten und dem Schlechten alles verstanden, was an sich weder gut noch schlecht ist, wie das Gehen, das Fahren, Steine, Holz und anderes. Dabei verharrt Sokrates nicht auf dem „Weder-noch“: Manchmal hat dieses metaxy am Guten Anteil, manchmal am Schlechten, manchmal an keinem von beidem (467e7f.). 70
28
Kapitel 1
Wie lassen sich jedoch dann die zwei Konzeptionen im Sophistes und Philebos zusammendenken und in einer einheitlichen Arbeit zusammenbringen? Wie machen sie sich füreinander relevant? Die Mischung der Grenze und der Unbegrenztheit im Philebos lässt sich als Mischung zwischen Gegensätzen und daher als metaxy verstehen. Wie steht es aber mit der Gemeinschaft der größten Gattungen? Die Ideen des Seienden und des Anderen bilden ohnehin keinen Gegensatz. In der folgenden Ausführung zum Sophistes wird sich aus zwei Gründen die Metapher der Mischung als gelungener denn als diejenige der methexis erweisen, was uns die die Möglichkeit einer Verbindung der zwei Konzeptionen der Mischung offenbaren wird: Nach unserer Deutung wird nämlich die „Mischung“ erstens darauf hinweisen, dass die Grenzen zwischen der Idee des Seienden und der des Anderen fast verwischen, was in Bezug auf die methexis nicht der Fall ist. Zweitens wird dadurch auf eine ursprünglichere Mischung verwiesen, die im Text nicht vorkommt. Die Weise des Ausdifferenzierens des ideellen Seins kann und darf man weder im Text finden noch in ihn hineinlesen, obgleich es an interessanten Versuchen der Verbindung der Idee der Andersheit mit der intelligiblen Materie nicht gefehlt hat (wie etwa dem von Edward N. Lee). Die Idee kommt aus der Vereinigung der zwei gegensätzlichen platonischen Prinzipien zustande, die die ursprünglichere Mischung ausmacht. Zusammenfassend kann man die Mischung des Philebos nicht als solche für das Verständnis der Mischung im Sophistes heranziehen. Man kann und sollte mithilfe der weiteren Rekonstruktion der dialektischen Bewegung (Übertragung der Arten von methexis), die ich oben skizziert habe, die zwei verschiedenen Mischungen präzise situieren und die Bereitschaft zeigen, sie als auf die indirekte Überlieferung hinweisend zu verstehen. Bevor wir die Natur der Mischung als Metapher betrachten, ergibt sich die Notwendigkeit, die hermeneutischen Voraussetzungen unserer Arbeit über Platon von Grund aus zu exponieren. *** Dass die Thematik der Mischung „ein unerschöpftes Problem“ 72 darstellt, das keinesfalls zur Gänze in einer Arbeit behandelt werden kann, zielt nicht nur auf den Gemeinplatz der Begrenztheit wissenschaftlichen Arbeitens. Der Natur der Mischung kommt, ebenso wie jeder anderen Manifestation des „Zwischen“, das „Unerschöpfliche“ nicht akzidentell zu. Auf dem Boden des μεταξύ entzöge sich ebenfalls etwas von dem zwischen den Göttern und den Menschen vermittelnden Wesen des Philosophen, auch nachdem wir ihn und seine Aufgaben klar bestimmt hätten – was im Dialog Philosophos geschehen sollte, der aber ausgespart geblieben ist. 1.2 Allgemeine hermeneutische Voraussetzungen I.
Von einer Hermeneutik der Autonomie zu einer Hermeneutik der Verweisung
Die Besinnung auf den Zusammenhang zwischen Form und Inhalt einer Philosophie steht notwendig am Anfang einer jeden Bemühung um ihr Verständnis. In jeder philosophischen Arbeit muss zunächst Klarheit bezüglich der hermeneutischen Vorraussetzungen geschaffen werden, die ihr zugrunde liegen. Um die besondere hermeneutische Situation der platonischen Texte zu skizzieren, die den Interpreten mit Grund vor große Schwierigkeiten stellt, muss zunächst einiges ins Bild kommen. Widmen wir uns also der literarischen Form der platonischen Texte, die sich unzertrennlich vom Inhalt der platonischen Philosophie zeigt, wie der einflussreiche Philosoph und Platon-Forscher des -------------------------------------------72
Die Ausdrucksweise stammt von Dimitrakopoulos 1975, S. 175.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
29
19. Jahrhunderts Friedrich Schleiermacher treffend beobachtet hat. Danach ordnet sich jede Passage in konkrete literarische Zusammenhänge ein, die die Perspektive und die Weite des diskutierten Themas mitbestimmen, und darf deshalb nicht aus diesen Koordinaten herausgelöst werden. 73 Philosophische Probleme werden in unterschiedlichen Graden der Deutlichkeit und Vollkommenheit im Rahmen der konkreten Fragestellung des jeweiligen Dialogs behandelt, ohne dass die Diskussion der jeweiligen Problematik an einer bestimmten Stelle erschöpft wird. Vom Platon-Forscher wird infolgedessen einerseits verlangt, dass er die relevanten Bezugnahmen des jeweils untersuchten Themas zueinander in Verbindung setzt; zum Beispiel, wenn es um Fragen geht wie die nach dem Wesen der Seele, ihrer Unsterblichkeit, dem Wesen der Idee oder dem Wesen der im Rahmen dieser Arbeit erforschten Mischung. Dann gilt es, die Stücke eines Puzzles zusammenzusetzen, um das facettenreiche Bild rekonstruieren zu können. Andererseits darf er dabei die organische Einheit des jeweiligen Dialoges nicht zerlegen. Auch wenn der Forscher einen Abschnitt isoliert, um ihn zusammen mit anderen zu betrachten und so ein vollkommeneres Bild der erforschten Problematik herzustellen, darf er den literarischen Hintergrund des konkreten dialogischen Zusammenhangs nicht außer Acht lassen: Weder also sollten Ähnlichkeiten zu Identitäten noch Unterschiede zu Divergenzen werden. Dem entsprechend muss der Interpret die in den Dialogen begegnenden Einzelaussagen als Stationen einer Bewegung des Gesprächs und des Gedankens betrachten, die als Ganze nachzuvollziehen ist. Freilich ist die von Schleiermacher begründete platonische Hermeneutik inzwischen mehrfach und zurecht kritisiert worden. Zunächst ist seit Langem die von ihm aufgestellte Entwicklungsthese korrigiert, dass der Phaidros der erste Dialog, die Politeia der allerletzte sowie die Kulmination des platonischen Werkes seien. Zum Zweiten wurde seine Prämisse der inhaltlichen Autonomie jedes Dialogs revidiert, 74 obschon Schleiermachers Hervorhebung der Einheit von Form und Inhalt als sein ertragreiches Erbe und als reizvolle, nach wie vor zu erfüllende Aufgabe zu betrachten ist. Das platonische Gespräch selbst weist trotz seiner literarischen Autonomie über sich hinaus, nämlich auf ein Ganzes, über das es nicht verfügt, und das der mündlichen Lehre Platons vorbehalten war. Eben wegen des methodischen Vorrangs der Dialoge musste der sich häufig manifestierende platonische Hang ausgewertet werden, an Schlüsselpunkten der Dialoge über das dialogische Geschehen hinaus – auf seine mündliche akademische Lehrtätigkeit – zu verweisen. 75 Platon hielt trotz seiner reichen schriftstellerischen Aktivität seine Lehrtätigkeit für viel wertvoller. Seine Schriften werden damit keineswegs degradiert; vielmehr kann erst auf diese Weise das „Spiel“ der Dialoge ernst genommen werden – d. h. unter Berücksichtigung seiner Regeln und Selbstbegrenzung.
--------------------------------------------
73 „[…] wenn irgendwo, so ist in ihr [sc. in der platonischer Philosophie] Form und Inhalt unzertrennlich und jeder Saz nur an seinem Orte und in den Verbindungen und Begränzungen, wie ihn Platon aufgestellt hat, recht zu verstehen.“ (1855³, S. 14) 74 Sowohl sein literarischer Positivismus – die Behauptung, die Dialoge seien hermeneutisch autark und erwiesen sich als die einzige Quelle der platonischen Philosophie (1855³, S. 5, 10 seiner Einleitung) – als auch sein Versuch, die Nachteile der Schrift im Fall des platonischen Dialogs aufzuheben, sind mit Recht einer starken Kritik unterzogen worden: vgl. Krämer 1990, 1, S. 29-74, auch in: 2004, S. 101, und Th. A. Szlezák 1985, S. 341-375 sowie 1997, 1. 75 Die Struktur und die Bedeutung der so genannten „Aussparungsstellen“ hat Th. A. Szlezák erforscht: vgl. u. a. 1993, S. 85-105. „Die Dialoge selbst zwingen uns, die indirekte Überlieferung ernst zu nehmen.“ (Th. A. Szlezák 1985, S. 330)
30
Kapitel 1
II. Der Charakter der platonischen Dialoge und das Platon-Bild: Der vermittelnde Platon Was die Zielsetzung des polyvalenten platonischen Dialogs anbelangt, wird ihm vor dem Hintergrund der platonischen Akademie ein protreptischer, hypomnematischer, didaktischer –oder besser gesagt propädeutischer 76 –, epideiktischer und apologetischer 77 Charakter zugesprochen. Die eigenartige Gattung des platonischen Dialogs verknüpft sich mit den vorherigen Gattungen der sophistischen und dichterischen Rede, deren Funktionen aufgenommen und zugleich überwunden werden. 78 Platon erstrebt in den Dialogen keine systematische Darstellung seiner Philosophie, wie er es täte, wenn er die Form des philosophischen tractatus als Gestalt für seine Werke gewählt hätte. 79 Und so gelangen wir zu der höchst umstrittenen Frage nach dem systematischen oder a-systematischen Charakter der platonischen Philosophie, die seit dem Tod des Philosophen zu einem Kampfplatz unendlicher Dispute in der Platon-Interpretation geworden ist. Das Gespräch mit Platon, das jede Platon-Arbeit zu verwirklichen beansprucht, setzt das Gespräch mit den interpretatorischen Paradigmen notwendig voraus. 80 Platons Phi--------------------------------------------
76 Also ein anleitender Charakter; denn die erzieherische Beziehung zwischen dem Schüler und dem Lehrer kann durch die Lektüre der Dialoge nicht ersetzt werden. 77 Vor allem wird der apologetische Charakter im Siebten Brief offensichtlich, in dem Platon auch in dessen Rahmen – wenn wir von R. 495cff., 536c1-5 absehen – die Philosophie vor unberechtigten Vorwürfen zu bewahren versucht: Der Ruf der Akademie stand nach dem erfolgreichen Attentat auf Dion auf dem Spiel, da einer der Attentäter, Kallippos, zu den Mitgliedern der platonischen Akademie zählte. 78 Gaiser 1959 unterzieht den protreptischen und parainetischen Charakter der platonischen Dialoge einer eingehenden Untersuchung. 79 Dazu Jaeger 1912, S. 140: „Die Dialoge dürfen nicht mit dem Maßstab des ionischen Logos der Naturphilosophen gemessen werden und umgekehrt. Platon will der διάδοχος der großen attischen Kunst sein, in ihm sind der ideale Tragiker und Komiker des Symposion zu einer höheren Einheit aufgehoben […]. Merkwürdig ist es, wie sich neben dieser Kunstübung in einer unerhörten, neuen Prosa die alte Weise in den stillen Mauern der Philosophieschule erhalten hat. Dort ist der Wohnsitz der eigentlichen Philosophie, wie sie der Phaidros Platons begeistert verkündigt. Nie hat sie sich der Dialogform bedient, um ihre Wissenschaft zu lehren und zu verbreiten.“ 80 Im Anschluss an die Theorie Kuhns über die Struktur der naturwissenschaftlichen Revolutionen stellt Reale die geschichtlichen Paradigmen vom Paradigma der Alten Akademie, über das neuplatonische Paradigma und dasjenige, das vor allem von Schleiermacher im 19. Jahrhundert begründet wurde, bis zu demjenigen der Tübinger Schule dar. Nach Kuhn entwickelt sich die Wissenschaft nicht in systematischen Zuwachsprozessen und organischen Anhäufungen, sondern entlang verschiedener Entwicklungslinien, die in den wirkliche wissenschaftliche Revolutionen konstituierenden Angelpunkten zentriert sein sollen. Danach läuft der wissenschaftliche Fortschritt nicht in Zuwachsprozessen, sondern in revolutionären Prozessen ab (s. Reale 1994, Platon, S. 30). Durch Revolutionen wechseln die Paradigmen, d. h. „die anerkannten wissenschaftlichen Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme liefern“ (so Kuhn 1997, S. 10), die regulierenden „Fixpunkte“ der Wissenschaften in einem bestimmten Zeitpunkt, „[…] etwas Grundlegendes, das nicht völlig auf logisch letzte Bestandteile reduzierbar ist [, …]“ (ebd., S. 26). Ein herrschendes Paradigma gelangt danach in eine „Anomalie“, wenn Probleme auftauchen, die es nicht mehr zu lösen imstande ist; lässt sich keine angemessene Neustrukturierung des Paradigmas selbst mehr herstellen, kommt es fortschreitend zu Paradigmenwechseln. Diese führen aber zu keinen festgelegten und vorherbestimmten Ergebnissen (Reale 1994, S. 45-46, Kuhn 1997, S. 171185). Nach Kuhn ist es – anders als bei Reale – möglich, dass zwei Paradigmen friedlich koexistieren (1997, S. 11). Reale zieht den Schluss, dass das neue Paradigma der Tübinger Schule „die besten und die allgemein erfolgversprechendsten Perspektiven für die neue Platonforschung bietet“ (1994, S. 48). Sie sei aber kein völlig „neues Paradigma“. Hier kann an die ähnliche systematische Orientierung Tennemanns und Tiedemanns sowie die Reaktion Hegels in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Bd. 19, S. 21) erinnert werden: „Das [sc. die Unterscheidung zwischen exoterischer und esoterischer platonischer Philosophie seitens Tennemanns] sieht aus, als sei der Philosoph im Besitz seiner Gedanken wie der äußerlichen Dinge. Die Gedanken sind aber ganz
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
31
losophie hat gewiss bezüglich zahlreicher Themen zu kontroversen Stellungnahmen geführt. Bei genauem Hinsehen lässt sich zeigen, dass die platonischen Texte selbst einer Aufhebung der vermeintlich unüberwindlichen Polaritäten der Interpretationen Vorschub leisten. Daher wird Platon zum Vermittler zwischen den entgegengesetzten Deutungen seines Philosophierens. Das betrifft Themen wie die Konfrontation zwischen den holistischen Ansprüchen der Dialektik zum einen und der Betonung des „Unterwegsseins“ oder des suchenden Charakters der Dialektik zum anderen. 81 Die Problematik des systematischen oder a-systematischen und sich entwickelnden Platon bildet eine ebenso strittige Polarität. Von Platon werden – auch was diesen Gegensatz betrifft – eine Konjunktion (sowohl-als-auch-Relationen) statt einer Disjunktion gefordert. Die Dialoge zusammen mit der indirekten Überlieferung errichten das platonische System (σύστημα), wobei der geschichtlich belastete Begriff soweit wie möglich von seinen modernen Überformungen zu befreien ist. 82 Zugleich sollte man keine Evolutionstheorie des platonischen Denkens ausschließen. In den Dialogen lässt sich zugegebenermaßen der unmittelbare Niederschlag der Denkbewegung Platons nicht fassen. Um aber der höchst komplexen hermeneutischen Situation gemäß argumentieren zu können, muss hinzugefügt werden, dass keine hinreichenden Argumente auf der Basis der Dialoge zu rekonstruieren sind, die eine Entwicklung des platonischen Denkens ausschlössen. 83
-------------------------------------------etwas anderes. Die philosophische Idee besitzt umgekehrt den Menschen. Wenn Philosophen sich über philosophische Gegenstände explizieren, so müssen sie sich nach ihren Ideen richten; sie können sie nicht in der Tasche behalten.“ 81 In den platonischen Texten koexistieren beide Momente: Gemäß Smp. 203e ist stets ein neuer Anfang nötig, was die Erreichbarkeit des Zieles nicht ausschließt. An zahlreichen Stellen wird die Metapher des Weges und der Wanderung (ὁδός, πορεία) angewendet: Phl. 16b5, R. 532b4, Smp. 202dff. Die Rede vom erreichbaren Ende der Reise und von den erfüllbaren holistischen Ansprüchen der Dialektik ist ebenso des Öfteren belegt: R. 532b4 (τέλος τῆς πορείας), 535a1, Smp. 210e4, Prm. 136c2, 136e1-3, (τῆς διὰ πάντων διεξόδου τε καὶ πλάνης), Phd. 107b9 (οὐδὲν ζητήσετε περαιτέρω), VII. Ep. 344b2 (τὸ ψεῦδος ἅμα καὶ τὸ ἀληθὲς τῆς ὅλης οὐσίας). 82 Das „System“ ist als ein aus Teilen bestehendes Ganzes („Zusammen-stellung“, s. LiddellScott) am Modell der Musik zu exemplifizieren (Phl. 17d): Jeder Ton ist nur vor dem Hintergrund dieses Ganzen zu verstehen und an sich nicht isolierbar. In das σύστημα des platonischen Philosophierens werden sowohl die Ideentheorie als auch die sich daran anschließende Prinzipienlehre mit eingeschlossen. Es handelt sich um kein erstarrtes, sondern um ein dynamisches System, dem jede Art von Dogmatismus fremd war, und das sich durch Offenheit für Kritik im Rahmen der Akademie auszeichnete (s. Findlay 1974, xi, Baltes 1996, S. 95f.; das von Cherniss 1945 entworfene Bild einer totalen Kommunikationslosigkeit in der Akademie ist ein Zerrbild). Das Ende der Wanderung und die Aufhebung der Aporie wurden nicht als ein Sich-Ausruhen auf den Lorbeeren erfahren. Vom „hypothetischen Charakter“ einer Deduktion des Ganzen der Wirklichkeit spricht Gaiser 19682, S. 198201. Treffend Krämer (19894, S. 177f., in Reale, Platon, 1994, S. 128): „Der Geltungsanspruch von Platons systematisch operierender Philosophie muss differenziert gesehen werden. Der dogmatische Anspruch auf Endgültigkeit und Nichtrevidierbarkeit war damit schwerlich verbunden. Dies lässt sich aus dem dynamischen Begriff von Philo-sophie (signifikant) ebenso erschließen wie aus den in der Akademie offenbar tolerierten Divergenzen der Schüler von Platon und voneinander; vielmehr hielt sich der Entwurf elastisch und flexibel und stand Erweiterungen im ganzen und im einzelnen grundsätzlich offen. Insofern kann man von einem tentativen und im einzelnen auch programmatisch gebliebenen Ansatz sprechen, von einem offenen System – doch gewiss nicht von einem Antisystem zusammenhangloser Theoriefragmente. Vielmehr ist mit der Tendenz zur Totalisierung und zu einem kohärenten und konsistenten Gesamtentwurf sicher zu rechnen.“ (Hervorhebung Krämer). Zum Systembegriff bei Platon s. auch Oehler 1965. 83 Darin, dass „Prinzipien nicht vom Himmel fallen, sondern in mühevoller Denkarbeit ausgearbeitet werden“, ist D. Frede zuzustimmen (in ihrem Appendix „Peras, Apeiron und der ‚esoterische Platon’“, in: 1997, S. 416).
32
Kapitel 1
Der Eindruck, dass entweder auf das Auftauchen der „reinen Historizität“ des platonischen Denkens oder aber auf die totale und objektive Rekonstruktion von Platons ursprünglichem Denken gezielt wird, soll hier zerstreut werden. 84 Eine solche Zielsetzung würde ähnliche Illusionen hervorbringen wie diejenige des naiven „historischen Bewusstseins“, das sich von dem „geschichtlichen“ klar differenziert. Trotz der erhobenen Ansprüche des historischen Bewusstseins auf objektive und vorurteilslose Betrachtung der Tradition, kann es seine geschichtliche Begrenzung und Bedingtheit nicht aufheben. 85 Einen ebenso problematischen und unfruchtbaren Diskurs mit der Tradition verursacht die Projektion von Tendenzen der geschichtlichen Gegenwart auf das platonische Philosophieren, wenn Aspekte der platonischen Anschauung nach den philosophischen Forderungen und Ansprüchen der jeweiligen Epoche verstellt werden. Es handelt sich hier um die Gefahr einer „Reduplikation und Selbsttautologisierung der Moderne“ 86 . Im Hintergrund dieser Arbeit lässt sich eher ein Platon-Bild ausmachen. Auf einer ersten Ebene wird damit daran erinnert, dass sich das Porträt des Philosophen und der entsprechenden Philosophie ausschließlich auf der Grundlage der geschriebenen Rede – unabhängig davon, ob es sich um direkte oder indirekte Überlieferung handelt, – zeigt, die in der Schriftkritik als Abbild der mündlichen Rede bezeichnet wird (Phdr. 276a). Ein Abbild ist nicht bei sich selbst, sondern ist im Verweis: Es lässt etwas anderes sichtbar werden. „Eben deshalb aber, weil es dergestalt ein anderes erscheinen lässt, als was es selbst ist, muss es selber etwas sein, das von dem, was es erscheinen lässt, unterschieden ist. Ein Bild ist ein Bild von etwas nur dadurch, dass es das Etwas nicht ist, das es abbildet, sondern für sich etwas ist. Ein Bild ist aber andererseits nur ein Bild, wenn es dies, was es für sich ist, nicht sichtbar hervorkehrt, sondern ganz nur das andere erscheinen lässt.“ 87 Das Bild bleibt nach der platonischen Auffassung gegenüber dem Abgebildeten ontologisch zurück. Darüber hinaus ist seine bestehende Ähnlichkeit mit dem Abzubildenden von der subjektiven Perspektive und Bedingtheit des Abbildenden abhängig. Die Möglichkeit einer Wiedergabe der wahren Symmetrie des Abgebildeten wird hiermit keinesfalls ausgeschlossen (Sph. 235e-236a). Auf einer zweiten Ebene verweist das jeweilige Platon-Bild auf die unerschöpfliche Dynamik von Platons Denkbewegung, die es unvermeidlich zum Halten bringt, indem jedes Mal andere Koordinaten und Aspekte seiner Philosophie hervorgehoben werden. 88 Eine vollkommene und genaue Rekonstruktion eines Platon-Mosaiks 89 aus dem geschriebenen Werk Platons erscheint nicht nur schwierig, sondern aus mehreren Gründen unmöglich. Zunächst ist einem allgemeineren hermeneutischen Prinzip zu folgen, wie Heidegger in den Vorbemerkungen zu seiner Interpretation des Sophistes zutreffend bemerkt: „Es liegt in diesem Anspruch, die Texte selbst sprechen zu lassen, die Verpflich--------------------------------------------
84 Dieser Versuch bleibt in einem „unmittelbaren und naiven Wortverständnis“ befangen (Derbolav 1965, S. 162). 85 Dazu: H.-G. Gadamer 19906, S. 352-368, „Der Begriff der Erfahrung und das Wesen der hermeneutischen Erfahrung“. 86 Krämer 1988, S. 617. Das ist auch nach Gadamer kein echtes Gespräch mit der Tradition. 87 So lässt sich die „dialektische Struktur des Bildes“ nach Gadamer darstellen, 1985, GW Bd. 6, S. 256. 88 Das Erwähnte ist bei jeder Rede vom Bild Platons vorausgesetzt: S. z. B. Gaisers Bezeichnung seiner Sammlung von zehn Beiträgen zum Platonverständnis als „Das Platonbild“ (1969) oder Th. A. Szlezáks Untersuchung des Bildes des Dialektikers (2004). 89 Die Metapher des Mosaiks wird in Anspruch genommen, damit der Charakter des Fragmentarischen im Rahmen der platonischen Dialoge unterstrichen wird, in dessen Aufhebung die Aufgabe des Interpreten besteht.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
33
tung, im Verständnis der sachlichen Problematik grundsätzlich weiter zu sein als das, was Gegenstand der Interpretation ist.“ 90 III. Der esoterische Charakter der platonischen Philosophie und die Vorlesung „Über das Gute“ Die Schwierigkeit der Platon-Interpretation besteht nicht nur in dem allgemeinen hermeneutischen Prinzip, dem die Interpretation aller philosophischen Texte untersteht und das somit auch den eigentümlichen Charakter des platonischen Dialogs ausmacht, sondern wird durch die Weigerung Platons vergrößert, „etwas von den höchsten und ersten Dingen“ seiner Philosophie „in Dissonanz und Unziemlichkeit hinauszuwerfen“ 91 . Der esoterische Charakter der platonischen Philosophie stützt sich dabei keineswegs ausschließlich auf den philosophischen Exkurs des Siebten Briefes. Gegen eine solche Begründung ließen sich möglicherweise noch immer Einsprüche wegen seiner angezweifelten Echtheit vorbringen. 92 Nach den anregenden Debatten in der Forschung und aufschlussreichen Erklärungen liegt jedoch die Vermutung nicht mehr nahe, dass das Platonbild durch eine unerwünschte „Geheimlehre“ belastet sei. 93 --------------------------------------------
90 Heidegger 1992, GA 19, S. 228 (Hervorhebung Heidegger). Heidegger versucht in diesem Zusammenhang aufzuzeigen, worin das oft angesprochene Motiv, „die Texte selbst sprechen zu lassen“ besteht. Anschließend präzisiert er das „Weitersein“: „Denn dieses Weitersein kann für uns nicht heißen: soweit ich die Lage beurteilen kann, kann nicht heißen: überlegen sein gegenüber griechischer wissenschaftlicher Philosophie, sondern kann nur heißen: verstanden haben, dass wir uns in das Dienstverhältnis gegenüber diesen Forschungen zu begeben haben, um an ihrer Leitung überhaupt erst den Versuch zu machen, die immanenten Tendenzen herauszuhören, sie in ursprünglicher Durcharbeitung zu ergreifen und festzuhalten und so den Boden fester zu legen, auf dem sich die Diskussion der Sachen abzuwickeln hat.“ (Hervorhebung Heidegger). In seinem Versuch, das Ungesagte im Wesen der Sage zu beheimaten und nicht nur als den Rest hinter dem Gesagten zu missverstehen, bezieht sich der späte Heidegger auf die platonische Schriftkritik im Phaidros: „… [Platon], der dichtende Meister des denkenden Wortes, spricht hier zwar nur von der Schrift, deutet aber zugleich an, was ihn auf seinem ganzen Denkweg immer wieder neu überfiel, dass nämlich das im Denken Gedachte sich nicht aussagen lässt. Doch wäre es übereilt, zu folgern, also sei das Gedachte unsagbar. Vielmehr wusste Platon dies, dass die Aufgabe des Denkens sei, durch ein Sagen das Ungesagte dem Denken nahe zu bringen und zwar als die zu denkende Sache. So ist denn auch in dem von ihm Geschriebenen nie unmittelbar zu lesen, was Platon dachte, wenngleich es geschriebene Gespräche sind, die wir nur selten in die reine Bewegung eines gesammelten Denkens befreien können, weil wir zu gierig und irrig nach einer Lehre suchen.“ (GA 79, S. 132f.). 91 VII. Ep. 344d4-5: τι τῶν περὶ φύσεως ἄκρων καὶ πρώτων, 344d8-9: εἰς ἀναρμοστίαν καὶ ἀπρέπειαν ἐκβάλλειν. Es handelt sich dabei um die schimpfliche Tat Dionysios II., einen Teil der höchsten und ehrwürdigsten Gegenstände der platonischen Philosophie veröffentlicht zu haben. 92 Auf das Stimmengewirr der Echtheitsdiskussion wird hier nicht eingegangen. Erinnert sei nur daran, dass Echtheit grundsätzlich nicht bewiesen werden kann; das kann nur bei der Unechtheit der Fall sein. Was den Siebten Brief anbelangt, ist das Einzige, was geleistet werden kann, dass die vorgebrachten Argumente für die Unechtheit (z. B. Müller 1949) zurückgewiesen werden (den Letzteren hat Patzer 1954 widerlegt). Zum Siebten Brief vgl. Th. A. Szlezák 1985, S. 386-405. Angemessen D. Frede 1997, S. 33f.: „Über die Echtheit des 7. Briefes besteht zwar noch immer keine Übereinstimmung. Da der Autor jedoch ungewöhnlich detaillierte Kenntnisse über die Verwicklungen in Sizilien an den Tag legt, muss er wenigstens aus Platons engerem Umkreis stammen, falls dieser den Brief nicht selbst geschrieben hat […]. Daher stellt der 7. Brief in unserer Frage in jedem Fall ein ernst zu nehmendes Zeugnis dar.“ 93 Die Verwechslung von Esoterik und Geheimhaltung gehört zu den verbreitetsten Missverständnissen und Abneigungen gegen die Tübinger Schule. Die Situation kam daher zustande, dass der Begriff „Geheimhaltung“ in der bahnbrechenden Dissertation Krämers 1959 verwendet, jedoch in seinen späteren Veröffentlichungen zurückgenommen wurde. Zur Aufklärung Th. A. Szlezák (1985, S. 400-405, 1993, S. 152-155): Geheimhaltung und Esoterik werden als zwei Formen der restriktiven Wissensvermittelung charakterisiert, die aber klar voneinander unterschieden sind. Die erste Einstellung, die bei der Konstitution der pythagoreischen Gemeinschaften grundlegend war, ist
34
Kapitel 1
Die höherrangigen (τιμιώτερα, Phdr. 278d8) und die wichtigsten Teile der platonischen Lehre (VII. Ep. 344c6: σπουδαιότατα) sind in den überlieferten Dialogen von der schriftlichen Vermittlung ausgeschlossen. Sie werden zum Gegenstand der innerakademischen lehrenden und forschenden Tätigkeit des Philosophen, die er für viel wichtiger als seine – dessen ungeachtet reiche – schriftstellerische Aktivität hielt. 94 Seine mündliche Lehre beinhaltete die Vorlesung (ἀκρόασις) oder eine Reihe von Vorlesungen und Gesprächen (λόγοι, συνουσίαι) über das Gute. Wie es zu dieser oder diesen Vorlesungen „Über das Gute“ kam, ist nicht genau wiederzugeben. Gaisers Annahme, dass Vorwürfe gegen eine antidemokratische Haltung Platons ihn dazu geführt haben, über sein Höchstes in der Öffentlichkeit zu sprechen – gegen seine eigene Schriftkritik, oder vielleicht um sie zu bestätigen –, ist plausibel. 95 Der Inhalt dieser Lehrtätigkeit wird durch doxographische Berichte von Aristoteles, Alexander von Aphrodisias und anderen aristotelischen Kommentatoren tradiert, die sich auf die nicht erhaltene aristotelische Nachschrift über jene platonische Vorlesung beziehen. Hierher gehören sowohl die so genannten aristotelischen „Dihairesen“ als auch Verweise auf Hermodoros durch Simplikios und schließlich geht es um Ausführungen von Theophrast, Aristoxenos und Sextus Empiricus. 96 Dadurch werden die tradierten Texte in den breiteren Raum der mündlichen platonischen Lehre eingeordnet, deren Inhalt sie aber keinesfalls erschöpfen. Die beiden Zweige der Tradition – die direkte und die indirekte – schließen sich nicht aus, sondern klären sich gegenseitig auf, und auf diese Weise tragen sie zur Darstellung eines vollkommeneren Bildes von Platon bei. Es werden nicht zwei parallele und miteinander nicht verknüpfte platonische Philosophien unterschieden, da die mündliche keiner „besonderen oder geheimen Lehre“ entspricht, deren Gegenstand ein anderer wäre als derjenige der platonischen Dialoge. 97 Sondern im Rahmen der indirekten Überlieferung wird der Weg der -------------------------------------------machtbezogen. Das geheime Wissen führt zur Bewahrung der privilegierenden Macht, während seine Profanierung den Ausschluss des Abtrünnigen hervorruft. Im Gegensatz dazu ist die Ehrfurcht im Fall der platonischen Esoterik (VII. Ep. 344d7: ἐσέβετο) sachbezogen. Das höchste Wissen, das anders als bei der Geheimhaltung als Selbstzweck und nicht als Mittel zum Zweck betrachtet wird, soll erst nach langer Vorbereitung offenbart werden. Zugleich muss die Aufnahmefähigkeit jeder einzelnen geeigneten Seele (προσήκουσα ψυχή) berücksichtigt werden, insofern ihr nicht vorzeitig die Prinzipienlehre mitgeteilt werden darf (ἀπρόρρητον, Lg. 968e4). 94 In Phdr. 277e5-278b4 wird das zweifelsohne belegt: Die Reden der Lehrtätigkeit und diejenigen, die um des Lernens willen ausgesprochen werden, beinhalten das Deutliche, das Vollkommene und das, worum es am würdigsten ist, sich zu bemühen. Die Paradoxie zwischen der großen schriftlichen Produktion Platons und seinen ernsten Vorbehalten gegen die Schriftlichkeit lässt sich aufheben, wenn die Schriftkritik im Phaidros aufmerksam gelesen wird: Nicht eine große Produktion von Schriften wird der Kritik unterzogen, sondern eine unangemessene Weise des Schreibens. Vgl. Robin 1964, S. 54-59, der die grundlegenden Bezugnahmen hinsichtlich dieser scheinbaren Paradoxie gesammelt hat. 95
Gaiser 1980. Der Ausdruck „die so bezeichnete(n) ungeschriebene(n) Lehre/ Lehrmeinungen“ stammt aus der aristotelischen Physik (209b11-16), wo der Stagirit vermerkt, dass die Darlegung des zweiten Prinzips anders als die Darstellung der chora im Timaios zu finden sei. 97 Zu einem Missverständnis von zwei Philosophien Platons hat die Kritik von Vlastos geführt, der die Argumentation Krämers 1959 ad absurdum zu führen versuchte, indem er ihm die Unterscheidung von zwei Gegenstandsbereichen der schriftlichen und mündlichen Tätigkeit Platons unterstellte (Rezension von Krämers Dissertation 1963, S. 652-655). Eine bestimmte Ausdrucksweise, wie die Rede von „Sonderlehre“, von „inhaltlicher Trennung zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit“ oder von Platons „gespaltener Produktion“ (S. 200, 204 von Krämers Beitrag, 1964), kann zweifellos zu Missverständnissen führen. Krämer selber aber brandmarkt die systematische Isolation der als inkompatibel und inkommensurabel gehaltenen direkten und indirekten Überlieferung – wie es bei Kullmann 1991 der Fall ist – in seinem späteren Artikel 1990, 2, S. 106. Mit Vorsicht drücken 96
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
35
von Platon geforderten Begründung des Ganzen bis zum Ende (zum σύμφυτον der zwei Prinzipien) und von dort bis zum Wahrnehmbaren beschritten. 98 Obschon die Integration der Dialoge in ein umfassenderes Ganzes ein mühsames Geschäft ist, darf es nicht zu einem hermeneutischen Selbstbetrug kommen, der durch zwei Tendenzen nahegelegt wird: entweder weil wir durch Verschweigen des notwendigen Bezugs auf Aristoteles den Anfang des Timaios 99 zusammen mit der angedeuteten dimensionalen Reduktion 100 zusammendenken und die chora auslegen und weiterdenken, oder weil Platon schon alles (was Aristoteles berichtet, also wieder davon ausgehend: petitio principii) niedergeschrieben haben soll. 101 Vor allem der Philebos zeigt sich als der Ort, an dem der Platon-Exeget seine Kunst erproben muss, die Ungeschriebene Lehre mit dem tradierten Text zusammenzudenken, da eine enge Verbindung des untersuchten Dialogs zu der Ungeschriebenen Lehre bereits in der Antike gesehen wurde. 102 IV. Das Spiel, der Ernst und ihre Gegenstandsbereiche (das Minderwertigere und das Wertvollere) im Rahmen der Schriftkritik im Phaidros: Die zwei Aspekte des „Wertvollen“ Lg. 803c2-8: Φημὶ χρῆναι τὸ μὲν σπουδαῖον σπουδάζειν, τὸ δὲ μὴ σπουδαῖον μή, φύσει δὲ εἶναι θεὸν μὲν πάσης μακαρίου σπουδῆς ἄξιον, ἄνθρωπον δέ, ὅπερ εἴπομεν ἔμπροσθεν, θεοῦ τι παίγνιον εἶναι μεμηχανημένον, καὶ ὄντως τοῦτο αὐτοῦ τὸ βέλτιστον γεγονέναι. Τούτῳ δὴ δεῖν τῷ τρόπῳ συνεπόμενον καὶ
-------------------------------------------sich Gaiser 1968, S. 588 und Th. A. Szlezák 1985, S. 8ff., 19, 28, 48 aus. Der Letztere hebt das περὶ τοῦ αὐτοῦ πράγματος (Phdr. 234e3-4) hervor: Es komme beim Übergang vom schriftlichen zum mündlichen platonischen Philosophieren zu keiner Änderung der Gegenstandsbereiche. Der jeweilige in den Dialogen erforschte Gegenstand werde durch die Zurückführung auf die platonische Prinzipienlehre begründet. 98 Interpretatorische Divergenzen bezüglich der Quellen der indirekten Zeugnisse erschweren die Arbeit des Interpreten; es wäre aber ein methodischer Fehler, von der partiellen Unzulässigkeit eines Zeugnisses auf seine totale Unglaubwürdigkeit zu schließen, wie Cherniss es tut. 99 Ti. 17a1: Εἷς, δύο, τρεῖς: ὁ δὲ τέταρτος […]. Gemeint ist die Verbindung mit der Dimensionenfolge von den Idealzahlen über die Linie und die Fläche zum Körper: Ein Schwerpunkt der Erzählung Timaios’ besteht im dritten Übergang: von der Fläche (also von atomaren Dreiecken) zum lebendigen Körper der Welt. 100 Ti. 53c-d. 101 Kenneth Sayre versucht (besonders seit 1983) auf diese Weise das Unmögliche, nämlich zwischen Cherniss (z. B. 1962) und der Tübinger Schule zu vermitteln; er schickt sich an, deren gemeinsam vertretene Ansicht, die so genannte Ungeschriebene Lehre könne nicht in Platons Schriften gefunden werden, aus den Angeln zu heben. „It is incumbent upon us to attempt to make sense of the reputed content of the lecture on the Good, and of the puzzlement it caused its audience, without falling back upon some notion of ‚esoteric teachings’“ (1983, S. 81: Der Einfluss von Cherniss ist offenkundig). Der Dialog Parmenides signalisiert nach Sayre den Bruch zwischen einer früheren (als frühere Schrift gilt der Timaios!) und einer späteren Phase des platonischen Denkens, das dort auf das Problem der gänzlichen Trennung der Idee von dem Wahrnehmbaren stößt und es durchdenkt. In Sayres Deutung wird die platonische Schriftkritik völlig übersehen. Solche ungerechtfertigten Verfahrensweisen wurden schon von Jaeger 1912 kritisiert: „Wir vergessen mit Unrecht, dass es doch stets bloßer Notbehelf bleibt, wenn wir aus Mangel an andern Quellen etwa über Platons Ideen- oder Zahlenlehre aus seinen Dialogen Auskunft schöpfen. Aristoteles zitiert für des Meisters pädagogische oder sozialpolitische Gedanken stets die Politeia und die Nomoi, aber es ist ihm nie eingefallen (Einzelheiten ausgenommen), für ihre Ideenlehre oder ihre Begründung sich auf Politeia VI oder auf das Symposion zu berufen.“ (ebd., S. 140) 102 Mehr dazu in § 3.1.
36
Kapitel 1 παίζοντα ὅτι καλλίστας παιδιὰς πάντ’ ἄνδρα καὶ γυναῖκα οὕτω διαβιῶναι, τοὐναντίον ἢ νῦν διανοηθέντας. 103 Phdr. 276e1-4: Παγκάλην λέγεις παρὰ φαύλην παιδιάν, ὦ Σώκρατες, τοῦ ἐν λόγοις δυναμένου παίζειν, δικαιοσύνης τε καὶ ἄλλων ὧν λέγεις πέρι μυθολογοῦντα. 104 VI. Ep. 323d2: […] καὶ τῇ τῆς σπουδῆς ἀδελφῇ παιδιᾷ.105
Zunächst wenden wir uns dem Schlussteil des Dialogs Phaidros zu, um auf seiner Grundlage den Begriff der platonischen „Esoterik“ zu erläutern. Wir konzentrieren uns hier auf die Passage 274b-278c, die als „Schriftkritik“ berühmt wurde, 106 und auf gewisse, für unsere Zielsetzung relevante Aspekte, ohne den facettenreichen Text Punkt für Punkt zu interpretieren. Zu unserem Leitfaden wird der Gegensatz zwischen der spielerischen und der ernsthaften Tätigkeit des Philosophen und deren jeweiligen Gegenständen (φαῦλον- τιμιώτερον). Zunächst soll auf die eigenartige Natur des „Spiels“ im Rahmen des Phaidros reflektiert werden. Im Anschluss wird auf die Zweideutigkeit des Begriffs „wertvoll“/ „der Anstrengung würdig“ (τίμιον, ἄξιον σπουδῆς) eingegangen. Der Begriff hat im gleichen platonischen Kontext zwei Signifikate, die nicht auseinandergehalten werden. Um den Sinn des Ganzen zu rekonstruieren und mögliche Missverständnisse auszuräumen, muss der Interpret die fehlende systematische Reflexion nachholen. 107 --------------------------------------------
103 „Ich wollte nur sagen, man müsse ein ernstes Bemühen nur ernsten Dingen zuwenden, nicht aber solchen, die es nicht sind, nach der Natur der Dinge aber sei demgemäß Gott allein aller ernsten und beseligenden Beschäftigungen wert, und der Mensch dagegen, wie wir schon einmal bemerkt haben, sei nur ein kunstreiches Spielwerk welches Gott sich gebildet, ja in Wahrheit bestehe eben hierin sein Vorzug. Dieser Eigenschaft gemäß sollte also jeder Mensch, so Mann wie Weib, sein ganzes Leben zu einer ununterbrochenen Kette der schönsten Spiele machen, und so innerhalb desselben ganz anderen Grundsätzen folgen als es jetzt geschieht.“ (Übers. Susemihl) 104 „Ein gar herrliches, o Sokrates, nennst du neben den geringeren Spielen: das Spiel dessen, der von der Gerechtigkeit, und was du sonst erwähntest, dichtend mit Reden zu spielen weiß.“ (Übers. Schleiermacher) 105 „[…] und dem mit ernstem Studium zugleich verschwisterten Spiele des Geistes“ (Übers. Wiegand). Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Derrida 1972, S. 180. 106 Es sei sowohl auf die Interpretationen verwiesen: Th. A. Szlezák 1985, S. 7-48, ferner 1996, als auch auf die entsprechenden Kommentare: Hackforth 1952, Robin (notice) 1985, de Vries 1968, Rowe 1986, Heitsch 1993. Bei der Fragestellung der Kritik an der Schriftlichkeit sollte auf keinen Fall die Kritik an der Mündlichkeit unter den Tisch fallen, wie D. Frede mit Recht moniert 1997, 2, S. 35. Die Kritik wird als Kritik am λόγος überhaupt – also an seiner schriftlichen und mündlichen Gestalt – im Rahmen des philosophischen Exkurses des Siebten Briefes radikalisiert. D. Frede (ebd., S. 47f.) macht auf die Schwierigkeit sogar der mündlichen Vermittlung der höchsten Prinzipien aufmerksam, die uns auch in Plt. 285e4-286b2 begegnet: Für die höchsten und wertvollsten Dinge stehen keine sinnlich wahrnehmbaren Abbilder zur Verfügung. Man darf trotzdem nicht übersehen, dass deren einzig mögliche Vermittlung (also durch λόγος) als deutlich (286a6, σαφῶς) bezeichnet wird: Die Mitteilung ist also mündlich – und auch schriftlich, wenn auch nicht in voller Deutlichkeit – realisierbar. Außerdem überzeugt Fredes Versuch nicht ganz, einen „esoterischen“ Platon dadurch zu widerlegen, dass die Aussparung von bestimmten Inhalten in den Dialogen durch die unterschiedliche seelische Veranlagung des jeweiligen Gesprächpartners gedeutet wird (ebd., S. 37): Das mag eine wichtige Rolle spielen, reicht aber als Erklärung nicht aus. 107 Die Tatsache, dass verschiedene Bedeutungen nicht systematisch voneinander abgegrenzt werden, wird hier als Schwierigkeit für die Interpretation und nicht als Schwäche der platonischen Kunst betrachtet. Derrida 1972 expliziert am Beispiel des „φάρμακον“, wie die platonische Einheit dieses Signifikanten, der die Spannung zwischen entgegengesetzten Signifikaten in sich birgt (einerseits „remède“, andererseits „nuisible“), durch eine „gewaltsame“ Übersetzung verloren geht. Diese
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
37
Der Phaidros hat bei den Platon-Forschern stets große Aufmerksamkeit und Zuneigung hervorgerufen. Hinsichtlich des Gelingens oder Verfehlens seiner Komposition ist viel argumentiert worden. 108 Schon zu Beginn des Dialogs ist eine Auseinandersetzung zwischen der schriftlichen und der mündlichen Rede implizit im Spiel, 109 die sich aber erst am Ende des Gesprächs zwischen Sokrates und dem jungen Literaten Phaidros zu einer Schriftkritik kristallisiert. Im zweiten Teil des Dialogs wird nach den Grundbedingungen sowohl des Redens als auch des Schreibens gefragt. 110 Aufgrund der zwei paradigmatischen sokratischen Reden 111 werden die Grundlagen des Redens und in einem weiter ausgreifenden Horizont auch das Denken schlechthin miteinbezogen. 112 Erstrebt wird die Darlegung einer Kunst (τέχνη) für alles, was gesagt wird, 113 sowie deren Bedingungen aufgezeigt: Zum Ersten muss das wahre Wissen des jeweilig thematisierten Seienden erfasst werden; zum Zweiten sollte der wahre Rhetor die Methode der Zusammenführung und Einteilung beherrschen, und zum Dritten das Wesen der Seele gründlich untersucht haben. Gewisse Aspekte der platonischen Dialektik – und nicht alle – werden in diesem Rahmen skizziert: Sie überbietet die gewöhnliche Rhetorik und tritt als deren einzig wahre Form hervor. Nach der hinreichenden Behandlung der Kriterien hinsichtlich der Kunstmäßigkeit und der Kunstlosigkeit der Reden 114 wird die Frage nach der Ziemlichkeit und Unziemlichkeit des Schreibens gestellt. Die nur scheinbar neue Fragestellung lässt sich in den Zusammenhang der vorherigen Darstellung der wahren Redekunst einbetten, weil zu -------------------------------------------Zweideutigkeit lässt sich keinesfalls – zumindest nicht in Derridas Interpretation – als Schwäche charakterisieren. 108 „L’un des problèmes majeurs que (le Phèdre) soulève est précisément celui de son unité.“ (Brisson 1989, S. 13) Die Befürworter der Einheitlichkeit des Dialogs führen sie auf verschiedene Faktoren zurück. Derrida 1972, S. 74ff. kritisiert die oft vertretene Ansicht eines schlechten Aufbaus des Phaidros. Er findet gute Gründe, um die These zu widerlegen, dass die Schriftkritik am Ende des Dialogs ein bloßer Anhang sei. Er hält φάρμακον für ein Band, durch das der Anfang und das Ende der dialogischen Handlung verbunden werden (Phdr. 230d-e, Derrida, ebd., S. 75-84). Th. A. Szlezáks vereinheitlichende Deutung weist eine agonal orientierte Ausrichtung im ganzen Dialog auf: Dessen Thema sei die Aufstellung von Kriterien für die Überlegenheit von Reden bzw. einer Rede, was den zwei Teilen Einheit verleihe. Das Überbieten eines λόγος durch einen besseren, also inhaltlich reicheren, ermögliche nur die skizzierte – wenn auch nicht ausgeführte – ideale Rhetorik (1985, S. 40). „Philosophischer Eros und philosophische Rhetorik sind eins in der Gestalt des mündlich philosophierenden Dialektikers.“ (Ebd., S. 30) Einen Überblick über die Kritik an der literarischen Komposition des Dialogs in der Antike: (u. a. bei Dionysios von Halikarnassos) bietet Robin 1985, S. LXI. 109 Die Rede des Lysias wird aus einem Buch vorgelesen; Sokrates stellt ihr zwei improvisierte Reden gegenüber. Auf diese Weise geraten zwei Arten der Tradition in Auseinandersetzung: die schriftliche und die mündliche. Im zweiten Teil des Dialogs (257b7ff.) wird die Frage nach schönem und nicht schönem Schreiben (in 258d7-11) gestellt. Sodann werden die Bedingungen des guten Schreibens und Redens überhaupt thematisiert, bevor schließlich ab 274b6 die Differenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in den Vordergrund rückt. 110 258d4-5, 259e1-2. An der Stelle 258d7-11 lassen sich unter die Schriften nicht nur die Produkte der Rhetorik oder Politik einordnen, sondern alles, was geschrieben worden ist oder in der Zukunft geschrieben wird, in Versen oder nicht; die philosophische Gattung (auch der Dialog) wird infolgedessen mit einbezogen. 111 Mit den Dualen (265e3, 262d1) sind die zwei sokratischen Reden gemeint. 112 Der Geltungsbereich der λόγοι wird schrittweise erweitert bis zur Stelle 266b3-5. Die richtigen Zusammenführungen und Einteilungen zu treffen, sei Bedingung der Möglichkeit des Redens und des Denkens überhaupt: ἵνα οἷός τε ὦ λέγειν τε καὶ φρονεῖν. Vgl. Th. A. Szlezák 1985, S. 36ff. und 1996. 113 Phdr. 261e1-3: περὶ πάντα τὰ λεγόμενα μία τις τέχνη. 114 274b3-4.
38
Kapitel 1
jener Untersuchung auch die Reflexion auf das Vermögen der Rede (λόγος) gehört, d. h. sowohl der mündlichen als auch der schriftlichen Rede. 115 Im Anschluss an die mythische Erzählung von Theuths Entdeckung der Schrift 116 begründet Sokrates das Urteil des Königs Thamous über die Minderwertigkeit der geschriebenen Rede. Der Dialektiker 117 wird gemäß dem viel kommentierten Gleichnis wie der vernünftige Landmann handeln müssen, der einerseits einen Teil seiner Samen in „Adonisgärtchen“ um des Spiels und des Festes willen auswirft, andererseits das, womit es ihm Ernst ist, 118 durch seine Landbaukunst sät, nachdem er den geeigneten Boden ausgewählt hat. Dem entsprechend wird der Philosoph um des Spieles willen Schriften über die Gerechtigkeit, das Schöne, das Gute und andere Themen hinterlassen, 119 während er seinen Ernst dem mündlichen dialektischen Umgang mit den jeweiligen geeigneten Seelen widmen wird. 120 Anhand des Gleichnisses über den vernünftigen Bauern lässt sich nur schwer eine Tätigkeit der Vermischung von Spiel und Ernst herauslesen. 121 Der Ernst des Landmanns scheint ausschließlich der Kultivierung des geeigneten Bodens gewidmet zu sein, während das Spiel eindeutig dem festlichen Adonisgarten zugehört. Einigung kann in Bezug darauf erzielt werden, dass die Bereiche des Spielerischen und des Ernsthaften in dieser Passage klar getrennt werden. 122 Sollte demgemäß die literarische Produktion von Platon zu einem Spiel reduziert und folglich das ganze Corpus deklassiert werden? 123 -------------------------------------------115
Th. A. Szlezák 1985, S. 32. 274c5-275b2. 117 276e5-6, 278d4-6. 118 Heitsch 1993, S. 199f. und Anm. 441, beachtet nicht ἐφ’ οἷς ἐσπούδακεν (278d1), wenn er behauptet: „Der Bauer verwendet nicht hier und da zwei verschiedene Qualitätssorten, sondern er verwendet dieselbe Sorte in verschiedener Erwartung.“ Dadurch glaubt Heitsch, eine esoterische Interpretation widerlegt zu haben, nach der die wichtigsten Themen dem ernsthaften, mündlichen Unterricht in der Akademie vorbehalten sind, während die weniger wichtigen zum Gegenstand einer spielerischen Behandlung innerhalb der Dialoge werden. Eine qualitative Unterscheidung kommt trotz des Versuchs des Interpreten im Text zum Ausdruck, wenn vom Saatgut die Rede ist, das der Landbauer pflegt, und dessen Früchte er haben möchte (276b2-3 ὧν σπερμάτων κήδοιτο καὶ ἔγκαρπα βούλοιτο γενέσθαι) und vom Samen, mit dem es ihm ernst ist. 119 276c3, 276e2-3. 120 276e4-277a4. Im Hinblick auf περὶ αὐτά (276e5) muss zur Vermeidung von Missverständnissen einiges erläutert werden. Mit diesem Ausdruck tritt klar zutage, dass es bei den mündlichen Gesprächen um dieselben Gegenstände geht wie in den Dialogen, also um die Gerechtigkeit, das Schöne und das Gute. Daraus darf man aber nicht die falsche Schlussfolgerung ziehen, dass der Dialektiker dieselben „Samen“ – dieselben Inhalte – mündlich „sät“ wie schriftlich, um die Inhaltsfülle der τιμιώτερα zu streichen. Der Dialektiker offenbart nach Platons Ansicht inhaltlich Wertvolleres im Gespräch, während er innerhalb des gleichen Gegenstandsbereiches bleibt. Er begründet nämlich tiefergehend das zu Untersuchende, indem er den Weg zu den ersten Prinzipien zur richtigen Zeit der Unterweisung beschreitet. Nicht aber ergeben sich daraus zwei Philosophien mit zwei verschiedenen Gegenstandsbereichen: vgl. die Debatte von Vlastos und Th. A. Szlezák, oben, Anm. 101. 121 Dass Platon sich der Effektivität der von ihm verwendeten Bilder und Gleichnisse vollkommen bewusst ist, tritt in Lg. 898b2-4 zutage, wenn sich der Athener auf das zur Bezeichnung der Bewegung der Vernunft verwendete Bild des Kreises bezieht: […] οὐκ ἄν ποτε φανεῖμεν φαῦλοι δημιουργοὶ λόγῳ καλῶν εἰκόνων. „[…] so brauchen wir nicht zu fürchten, dass wir in der Kunst der Vergleiche als ungeschickte Arbeiter erscheinen möchten.“ (Übers. Susemihl) 122 So Th. A. Szlezák 1985, S. 14: „Das Gleichnis kennt keine Tätigkeit, die zugleich Spiel und Ernst wäre, so wenig es ein Pflanzen gibt, das zugleich im Adonisgärtchen und auf dem Feld vor sich geht. Spiel und Ernst, ‚mythologisierendes’ Schreiben und dialektisches Gespräch sind klar geschieden. So gerne wir auch um der platonischen Dialoge willen Spiel und Ernst ineinander verwoben sehen würden – das Gleichnis tut uns nicht den Gefallen, diese Vorstellung zu bestätigen. Offenbar meint Platon mit diesen Begriffen etwas anderes als wir meinen, wenn wir manche von 116
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
39
Verweilen wir ein wenig bei dem Begriff des platonischen Spiels, dessen Sinn nicht durch ein Verständnis des Gegensatzes παιδιά-σπουδή als konträr mit einer „Spielerei“ oder mit einem „bloßen Spiel“ verwechselt werden darf. Dem „Spiel“ (παιδιά) soll nachgegangen werden, damit einsichtig wird, dass dessen innige Verwobenheit mit dem Ernst in seinem eigenen Wesen verwurzelt ist. Diesen Interpretationsweg hat Hermann Gundert eingeschlagen. 124 Einer ausgefeilten Kritik unterzieht er die diesbezügliche These Eugen Finks, dass der Grundzug der platonischen Dichterkritik in der Verzauberung bestehe, die dem Spiel den letzten Rest von magischer Symbolkraft raube; Platon degradiert – nach Fink – das Spiel zum bloßen Abbild des Ernsthaften. 125 Gundert erforscht seinerseits die tieferen Gründe der platonischen Auseinandersetzung mit der Dichtung. Er führt die ambivalente platonische Einstellung gegenüber der Dichtung auf die fundamentale Aufspaltung im Wesen der Kunst zurück, nämlich ihre zwiespältige Stellung zwischen dem Spiel und dem Ernst. 126 Die platonische Kritik der Dichtung werde durch das Wesen der Sophistik bestimmt. Εntweder wird die dichterische Kunst als sophistisch geprägt verurteilt oder gegen die Sophistik als noch von ihr unberührt, aber zum Missbrauch neigend ausgespielt. 127 Gundert unterzieht das „Spiel“ einer sorgfältigen Untersuchung 128 und unterstreicht die Verbindung der παιδιά zum Göttlichen beim späten Platon. Er lässt auf diese Weise die subtile platonische Vermischung des Spiels mit dem Ernst hervortreten, 129 zunächst im zweiten und dritten Buch der Politeia und anschließend in den Nomoi, indem die παιδεία dort in der παιδιά begründet wird. 130 Auf ein so umfangreiches Unternehmen – also eine Untersuchung des platonischen Begriffs „Spiel“– wird hier nicht gezielt; es wird lediglich im Rahmen der Schriftkritik im Phaidros versucht, den Begriff in seiner Dynamik hervortreten zu lassen. Sokrates skizziert in großen Zügen sowohl die ernsthafte mündliche als auch die spielerische schriftstellerische Tätigkeit des Dialektikers, 131 nachdem er die Schwäche der Schrift darin -------------------------------------------seinen Dialogen als ernst und spielerisch zugleich bezeichnen.“ Ebd., S. 363, wo der Versuch erwähnt und kritisiert wird, durch Hinweise auf anderweitig bezeugtes „ernsthaftes Spiel“ die Alternative „Spiel-Ernst“ im Phaidros zu überwinden. 123 Nach der Stellungnahme von Vegetti 1988, S. 387: „[…] on ne peut réduire à un jeu la production littéraire de Platon sans declasser le corpus entier.“ 124 In seinem Aufsatz: Zum Spiel bei Platon, 1965. 125 Eugen Fink, Spiel als Weltsymbol, 1960, dessen zweites Kapitel der Platondeutung gewidmet ist: „Die Spieldeutung der Metaphysik“, ebd., S. 66-124. Der Phänomenologe zielt auf die Befreiung von dem Banne der platonischen Kunstdeutung als mimesis: „Im Banne der platonischen Deutung sind wir zunächst alle gefangen, solange wir Spiel als abkünftigen Schein, als Spiegelung, und Spiegelung als Abbildung urbildlicher Dinge in nachbildlichen Schemen vermeinen.“ (1960, S. 77) 126 Gundert 1965, S. 195. 127 Ebd., S. 198. 128 Ebd., S. 191ff. 129 Ebd., S. 191, 211. 130 Gunderts letzte Bemerkungen zum Wesen des platonischen Dialogs (ebd., S. 219-221) sind zu kritisieren: Es gehört nicht zu der von Platon bezeichneten „Schwäche“ der λόγοι, dass der λόγος sich überhaupt nicht fixieren lässt, wie Gundert missinterpretiert. Der λόγος ist in der Lage, das Wichtigste auszudrücken, obgleich nicht im Voraus versichert werden kann, dass der Gesprächspartner dadurch überzeugt wird; wenn auch der λόγος, sogar der λόγος οὐσίας, stets eine Aberration von der „noetischen“ Einheit des ideellen Seins bildet (Ausdruck von Oehler 19852, S. 80-82, Anm. 1). Die Möglichkeit der sprachlichen Fixierung einer Lehre muss getrennt von ihrer sicheren Vermittlung gedacht werden. Gadamer 1964 hat die Nicht-Erzwingbarkeit der Einsicht im Rahmen seiner Auslegung des philosophischen Exkurses des Siebten Briefes freigelegt. Diese kritischen Vorbehalte verringern jedoch nicht die Bedeutung von Gunderts Beitrag zum platonischen Spiel. 131 276c3-277a4.
40
Kapitel 1
verortet hat: Erstens fehle es ihr an Eindeutigkeit und Beständigkeit; 132 zweitens sei sie weder in der Lage, „der Rede zu Hilfe zu kommen“ 133 noch die Wahrheit hinreichend zu unterrichten. 134 Es fällt auf, dass der Schrift an dieser Stelle nicht die Fähigkeit abgesprochen wird, das Wahre zu enthalten oder hinreichend zur Sprache zu bringen (z. B. λέξαι), sondern lediglich das Vermögen, das Wahre hinreichend zu lehren (διδάξαι). Die Hauptthese der Schriftkritik im Phaidros besteht nicht darin, dass die wahre platonische Lehre sich nicht aufschreiben lässt – vgl. den philosophischen Exkurs des Siebten Briefes, in dem berichtet wird, dass etwas vom Wichtigsten der platonischen Lehre von Dionysios II. in der Tat aufgeschrieben worden ist (344d), wobei nicht alles gesagt oder geschrieben werden kann –, sondern dass die schriftliche Rede die Unterweisung keinesfalls ersetzen kann, auch wenn die wirkliche Erziehung der Seele (ψυχαγωγία) durch die Form des Dialogs in der Schrift einigermaßen abgebildet wird. Statt anderer minderwertiger Arten von Spiel (φαύλην παιδιάν, 276e1) wählt der Dialektiker dasjenige des Schreibens aus, das ihm Erinnerungshilfe in seinem vergesslichen Alter bieten kann, weil er – als Wissender – in die Lage kommt, sich daran zu erinnern, worauf seine Schriften hinweisen. 135 Es reicht nicht aus, dass ein Leser bloß „geeig--------------------------------------------
132 Die Schrift kann weder Deutlichkeit noch Gewissheit vermitteln: 275c6, 277d8. Die zwei Begriffe haben mit der Rezeption des Geschriebenen in der Seele des jeweiligen Adressaten zu tun: richtig Heitsch 1993, S. 192, Anm. 424, S. 193. Das Argument betrifft folglich jede Art von Schrift, auch diejenige, die nicht von der Esoterik bestimmt wird. Der Schriftsteller kann keine Eindeutigkeit in den Empfänger „hineinzwingen“, unabhängig davon, ob er die Ganzheit seiner Lehre zum schriftlichen Ausdruck bringt oder nicht. Wer die Schriftkritik nicht unbedingt von inhaltlichen Bezügen befreien will (wie Heitsch) muss berücksichtigen, dass das βέβαιον den Erkenntnisgegenständen selbst zugesprochen wird, wenn auch eine Bezugnahme auf die Vermittlung der angesprochenen Gegenstände immer präsent ist: Je näher das Erkenntnisobjekt den ersten Prinzipien ist, desto sicherer und deutlicher ist es. Vgl: R. 511e, Phl. 59b4-c5. 133 Th. A. Szlezák hat den für das platonische schriftliche und mündliche Philosophieren wesentlichen Begriff τῷ λόγῳ βοηθεῖν ausgearbeitet, der zum Leitmotiv seiner Interpretation wird (vgl. 1978, 1979, 1985). Ders. 1992, S. 99: „Der Begriff τῷ λόγῳ βοηθεῖν bezeichnet das Strukturprinzip des platonischen Dialogs, das in der gezielten Höherverlagerung des Begründungsniveaus in Richtung auf eine Letztbegründung aus der arche besteht.“ Es geht nämlich um die Verstärkung der Argumentation über ein bestimmtes Feld durch die Zurückführung auf Prinzipielleres, dem Prinzip Näherliegendes; der Horizont wird dadurch erweitert, ohne dass die Untersuchung zu einem anderen Gegenstandsbereich gelangt; ein charakteristisches Beispiel lässt sich im Phaidon ausfindig machen: Die Unsterblichkeit der Seele wird durch eine Behandlung der Ursache des Entstehens und Vergehens (99dff.) und die Einführung der Ideenhypothese grundlegender als bei den ersten Unsterblichkeitsbeweisen begründet (ebd., S. 97). 134 276c7-9. 135 275c8-d2: […] εἶναι λόγους γεγραμμένους τοῦ τὸν εἰδότα [nicht τὸν προσήκοντα, G. M.] ὑπομνῆσαι περὶ ὧν ἂν ᾖ τὰ γεγραμμένα: „[…] geschriebene Reden wären noch sonst etwas als nur demjenigen zur Erinnerung, der schon weiß, worüber sie geschrieben sind.“ (Übers. Schleiermacher) Anders Heitsch 1993, S. 190, Anm. 421, der auf seiner These beharrt: „Natürlich kann auch ein schriftlicher Text an den richtigen Empfänger kommen“ (1989, S. 279, erste Hervorhebung Heitsch, zweite G. M.). Eine solche hypomnematische Funktion der Schrift wäre sinnlos, wenn alle Samen, d. h. die inhaltliche Ganzheit der platonischen Lehre, schriftlich ausgebracht worden wären; die Schrift hätte so alles umfasst. Die Struktur der hypomnesis, nach der nämlich auf etwas nicht Präsentes hingewiesen wird, zeigt schon mit Klarheit, dass nicht alles in der Schrift offenbart wird. Nicht aber kann hiermit entschieden werden, ob das Nichtgeschriebene sich in einer transzendierenden, in keiner Weise aussagbaren Schau erschöpft oder eine inhaltliche Zurückhaltung im Spiel ist. Derrida hebt die zugrunde liegende dialektische Beziehung zwischen Präsenz und Absenz bei der ἀνάμνησις und der ὑπόμνησις hervor und unterstreicht die Bedeutung des Zeichens in beiden Fällen, so dass das Abwesende durch Verweisung in die Anwesenheit gerufen werden kann (1972, S. 124ff.). Die Voraussetzung des Wissens wird oft heruntergespielt (Aichele 2000, S. 59) oder durch die angemessene Veranlagung der Seele ersetzt. Die Unterscheidung zwischen geeigneten und ungeeigneten
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
41
net“ ist, wie so oft in der Forschung zwischen geeigneten und ungeeigneten Lesern unterschieden wird, um die platonischen Schriften nachzuvollziehen. Er muss εἰδώς – nicht schlicht προσήκων – sein, d. h. schon wissend. 136 Auch nicht der leiseste Wink wird von Platon gegeben, dass die geeignete Veranlagung des Lesers zur Entzifferung seiner niedergeschriebenen Lehre hinreiche. Die Reaktion des jungen Gesprächspartners findet die unmittelbare Zustimmung von Sokrates: Es handelt sich um ein sehr schönes Spiel (παγκάλην παιδιάν) gegenüber dem geringerwertigen (φαύλην), auch wenn es hinter der schöneren ernsthaften (καλλίων σπουδή) dialektischen (mündlichen) Tätigkeit zurückbleibt. Dass Platon hier keinesfalls die Absicht hat, das schriftliche Spiel gänzlich herabzusetzen, kann man schon dem Anfang der Schriftkritik entnehmen. Die einleitende Frage, die vor der mythischen Erzählung von der Entdeckung der Schrift durch Theuth gestellt wird und in deren Horizont die anschließende Schriftkritik integriert wird, lässt sich so formulieren: Wie kann jemand durch die Rede gottgefällig sein? 137 Das Schreiben gehört nicht zu den notwendigen Vorraussetzungen der philosophischen Natur. Sokrates ist das Beispiel eines Philosophen, der nichts schriftlich hinterlassen und das Philosophieren als Lebensführung exemplifiziert hat. 138 Wenn aber der Philosoph schreibt, muss sein Schreiben gottgefällig sein, 139 was eine Entwertung des Spiels zur bloßen Spielerei nicht erlauben würde. Das gottgefällige Spiel muss ernst genommen werden. Auf diese mittelbare Weise tritt die Vermischung des Spiels mit dem Ernst offensichtlich hervor. 140 Die -------------------------------------------Adressaten hat schon Schleiermacher eingeführt, woraus für die zukünftigen Generationen der Platon-Interpretation ein Kompass geworden ist: „Und so wäre dies die einzige Bedeutung, in welcher man hier von einem esoterischen und exoterischen reden könnte, so nämlich, dass dieses nur eine Beschaffenheit des Lesers anzeigte, je nachdem er sich zu einem wahren Hörer des Inneren erhebt oder nicht.“: 1969, Einleitung, S. 16f. Zur Kritik der vorgeschlagenen inneren Art von Esoterik vgl. Th. A. Szlezák 1985, S. 368ff. 136 Vgl. auch 275e1-2 und 278a1. In 276d4 ist die Rede von allen, die derselben Spur folgen: παντὶ τῷ ταὐτὸν ἴχνος μετιόντι. Wovon oder von wem stammt diese dialektische Spur, die den Weg zur Wahrheit weist (Derrida 1972, S. 179)? In Erinnerung gerufen seien zwei frühere Momente: Der Liebhaber spürt sich selbst in der zweiten Rede von Sokrates nach (ἰχνεύοντες, 252e7) und nachdem er die Natur seines Gottes aufgefunden hat, kann er sich ihm angleichen, soweit es dem Menschen möglich ist. Sokrates verfolgt die Dialektiker, die Kenner der richtigen Einteilungen und Zusammenführungen, auf Schritt und Tritt (μετ’ ἴχνιον, 266b7, mit Adaption des homerischen Verses μετ’ ἴχνια βαῖνε θεοῖο, Odyssee 2, 406; 3, 30; 5, 193; 7, 38). Vor allem wird an der Stelle 276d4 auf die Spur eines Gottes verwiesen, nämlich von Zeus als Gott des Philosophierens (so richtig Aichele 2000, S. 59), dem der Dialektiker zu folgen hat. Dass die Dialektik als eine Gabe der Götter zu verstehen ist, kommt mit Klarheit in der Dialektikpassage des Philebos (16c5-17a5) zur Sprache. Die Göttlichkeit und Gottgefälligkeit des Philosophen tritt überall im Corpus Platonicum zutage: z. B: Ti. 47a7-b2, 56d6-7, Sph. 216b8-c4, R. 500c9-d1. 137 274b9-10, schon an der früheren Stelle 273e5-274a2. Dazu Th. A. Szlezák 1993, S. 58. 138 276d2: ὅταν δὲ γράφῃ. Auch der Philosoph, der nichts geschrieben hat, wird mit einbezogen. 139 Erinnert sei an den Fall von Στησίχορος und die sokratische Furcht, von den Göttern bestraft zu werden, wenn er die Παλινωδία des Eros nicht unternähme. 140 Aichele schließt sich dem Aufsatz von Gundert an, um sich für die Mischung von Spiel und Ernst bei Platon einzusetzen. Er widmet einen Teil seiner Dissertation (2000, S. 37-75) dem platonischen Begriff des Spiels im Rahmen des Dialogs Phaidros. Von Belang ist sein Versuch, eine radikale Herabwürdigung des Spiels als un- oder widervernünftig abzuweisen (ebd., S. 39-40). Er wirft Th. A. Szlezák vor, dieser mache in seiner Deutung des Gleichnisses des vernünftigen Bauern den in Getreide bestehenden Ertrag auf unangebrachte Weise zum tertium comparationis zwischen der ertragbringend ernsthaften und der ertraglos spielerischen Tätigkeit (ebd., S. 40). Er selbst jedoch kann das Spiel des Adonisgartens nur im Zusammenhang mit dem Ertrag des ernsthaften Tuns rechtfertigen: Einerseits wird dadurch das Saatgut in Bezug auf seine Vitalität kontrolliert, andererseits wird dem
42
Kapitel 1
schriftstellerische Tätigkeit ist nicht an sich als ein minderwertiges Spiel schlechthin zu unterschätzen. 141 Dennoch sagt Sokrates im letzten Teil der Schriftkritik, 142 dass der Schriftsteller, der des Namens „Philosoph“ würdig sein möchte, in der Lage sein muss, seine Schriften als von geringerem Rang (im Vergleich mit der mündlichen Hilfe) als φαῦλα darzustellen, 143 was in der Forschung große Verwirrung und anhaltende Debatten hervorgerufen hat. Es handelt sich hier indessen nicht um eine gänzliche Herabwürdigung der Produkte des schriftlichen Spiels. Die Bedeutung von φαῦλα ist in diesem Fall gegen den ersten Anschein relativ, und die schriftstellerische Tätigkeit erweist sich als gegenüber dem mündlichen dialektischen Gespräch vergleichsweise gering. 144 Den -------------------------------------------Brauch eine kultische Funktion im Rahmen der Adonisverehrung zugesprochen (ebd., S. 40, mit Verweis auf Baudy, S. 9, 45ff.). Auf diese Weise gelingt es ihm zu erhellen, dass die Beziehung zwischen Spiel und Ernst keine vollständige Disjunktion bildet. Aichele verbindet das Wesen des Philosophierens nach Platon, nämlich die „Fortzeugung der dialektischen Denkbewegung in geeigneten Seelen“ (ebd., S. 65), mit demjenigen des Wagnisses: Weder seien die Ergebnisse der dialektischen Erziehung im Voraus zu nennen, noch könne die wahre Einsicht erzwungen werden – wie sich im enttäuschenden Fall von Dionysios II. bestätigen lässt (ebd., S. 43). Aichele folgt zweifellos der Hauptströmung der Auslegung der Schriftkritik im Phaidros, wenn er sich vornimmt, „das sokratische Verdikt gegen das Schreiben zu durchbrechen“ (ebd., S. 57). Zu diesem Zweck grenzt er das Spiel des bloßen Dichters von demjenigen des dichtenden Philosophen ab. Die Schrift sei ein Abbild, das sich nur graduell vom Abbild der mündlichen Rede unterscheide (ebd., S. 66). Dem Philosophen sei im Gegensatz zum Dichter bewusst, dass die wahre Einsicht nicht propositional zu fassen sei und das abzubildende Wissen sich nicht aussagen lasse (ebd., S. 54). Der philosophische Schriftsteller durchschaue also das Wesen des Spiels (ebd., S. 54f.). Der Einfluss von Wielands Buch „Platon und die Formen des Wissens“ ist bei der Deutung Aicheles augenfällig, der die gleichen hermeneutischen Vorraussetzungen mit ihm teilt (Aichele 2000, S. 47, 51 und passim). Gemäß dieser interpretatorischen Richtung spricht Aichele von Gegenständen der Philosophie, die „sich einer finalen Feststellung und begrifflicher Inbesitznahme entziehen“ (2000, S. 65). Es gebe weder eine platonische „Lehre“ im üblichen Sinn (diese Frage stellt er schon auf S. 37, während die nach einer mündlichen Lehre ohne Weiteres beiseite gestellt wird) noch höhere Gegenstände (τιμιώτερα), die inhaltlich zu füllen sind. Das Wissen, das als notwendige Vorraussetzung der Erinnerung eingeführt wird (τόν εἰδότα, 275d1, εἰδότων, 278a1), wird von Aichele ebenfalls heruntergespielt: „Die durch Hypomnemata zumindest mögliche Erinnerung an bereits Gewusstes ist also nicht im strengen Sinne von einer im akademischen Rahmen mitgeteilten Lehre abhängig“ (2000, S. 59, in Übereinstimmung mit de Vries 1969, S. 255). Die geeignete Disponiertheit der Seele allein sei hinreichend, um die Statik des geschriebenen Textes aufzubrechen (Aichele 2000, S. 66, im Anschluss an die Deutung von Heitsch). Der hyperbolische Charakter des Schönen wird betont, wodurch auf das Wahre verwiesen wird (ebd., S. 67-69); die Funktion der Verweisung auf das Wahre werde vom schönen Spiel übernommen: Der schön geschriebene Text weise von-sich-aus über-sich-hinaus, nämlich auf den Realkontext und die Randbedingungen eines dialogischen Gesprächs sowie auf das nicht Aussagbare schlechthin als das nicht besitzbare Geschehen der Wahrheit. Seiner hermeneutischen Linie zufolge verschweigt Aichele die Aussparungsstellen der Dialoge, wodurch er deren über sich hinausweisenden Charakter hätte unterstützen können. So wäre er zu der Annahme gelangt, dass bestimmte, aussagbare Gegenstände aus den Dialogen herausgehalten und einer mündlichen Unterweisung vorbehalten sind, was er prinzipiell und nicht argumentativ bestreitet. 141 Erinnert sei an die Stelle 257c2ff. Der Vorwurf des jungen Phaidros gegen Lysias, nur weil er schreibe, wird von Sokrates korrigiert. Nicht das Schreiben überhaupt, sondern das schlechte Schreiben wird der Kritik unterzogen: 258c7-d5. 142 Im ersten Teil der Schriftkritik (274b6-277a5) werden die Schwächen der Schrift unterstrichen. Im zweiten Teil (277a6-278b6) wird zusammengefasst, worin das Kunstgemäße und das nicht Kunstgemäße einerseits, das Schöne und das Schimpfliche der Reden andererseits bestehen. Im letzten Abschnitt (278b7-279b3) wird allen Schriftstellern die auffordernde Botschaft übergeben, wie sie sich des Namens φιλόσοφος als würdig erweisen können. 143 278c6-7. 144 Der Sinn von φαῦλα in 278c7 ist relativ zu verstehen, obschon nicht der Komparativ verwendet wird. Kühn setzt hingegen die absolute Bedeutung voraus (1998, S. 26, 27, was er hier und dort modifiziert: S. 28, 36). Um eine solche Interpretation auch hier zurückzuweisen, kann eine
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
43
Namen des Philosophen verdient nach Sokrates derjenige unter den Rhetoren, Dichtern und Gesetzgebern, der zunächst das wahre Wissen über das behandelte Thema besitzt. Im Falle einer widerlegenden Prüfung muss er imstande sein, seinem Geschriebenen zu Hilfe zu kommen, um es als etwas Niedrigeres als seine mündlich ausgedrückte Argumentation auszuweisen, indem er Wertvolleres (τιμιώτερα, 278d8) anzubieten hat. 145 Auf zweifache Weise ist in der Forschung der Versuch unternommen worden, die inhaltliche Konnotation von τιμιώτερα und seinen Hinweis auf inhaltlich wertvollere Sachbestände zu widerlegen. Auf der einen Seite hat Gregory Vlastos den Terminus ausschließlich mit der Überlegenheit des διαλέγεσθαι verbunden. Sokrates moniert zwar an der unmittelbar vorangegangenen Stelle die methodische Überlegenheit des unterweisenden Dialogs, 146 aber in diesem Aspekt lässt sich die Analyse der Schriftkritik nicht erschöpfen. Behauptet wird zunächst, dass keine Rede, die großer Anstrengung würdig wäre, niedergeschrieben oder ausgesprochen worden ist. Dem ἄξιον σπουδῆς (277e7-8, 278a5) 147 kann in diesem Fall keine Bezugnahme auf den Inhalt des Geschriebenen beigemessen werden. Als Gegenstand des philosophischen Ernstes (σπουδή) wird hier das lebendige Gespräch um der Unterweisung willen charakterisiert. In diesem Rahmen handelt es sich um eine schlechthin formale Unterlegenheit der Schrift, unabhängig von dem Inhalt der Mitteilung. Wäre ἄξιον σπουδῆς schon an dieser Stelle inhaltlich zu verstehen, müsste der Schluss gezogen werden, dass alle Philosophierenden, die vor Platon ihre Lehre schriftlich weitergegeben haben, an seinem Begriff des Esoterismus teilnahmen, indem sie ihr Wertvollstes nicht der Schrift anvertrauen. Diese Annahme ist offensichtlich fehl am Platz. Durch τιμιώτερα wird anschließend die inhaltliche Überlegenheit der mündlichen Unterweisung zugeschrieben, die die Behauptung einer esoterischen Lehre Platons berechtigt. Die Interpretation von Vlastos, der diese zweite Bezugnahme übersieht, stößt auf ein unüberwindliches Hindernis: Der Plural τιμιώτερα kann sich nicht auf die Überlegenheit der dialektischen mündlichen Tätigkeit (also Singular) beziehen. 148 -------------------------------------------Parallele herangezogen werden. Die Reflexion auf die Schwäche des λόγος überhaupt (also schriftlicher und mündlicher) führt im Siebten Brief (im philosophischen Exkurs) nicht zu seiner unbeschränkten Herabwürdigung – zu einer μισο-λογία–, sondern zu einem bewussteren Umgang mit dem Vermögen des λόγος innerhalb der Dialektik. Dasselbe Wort φαῦλον (diesmal als Adverb) kommt vor, um die Natur des Nennwortes, des λόγος, des Abbildes und der Vernunft – also der vier Mittel der Erkenntnis und deren Vermittlung – darzustellen (343d8-e1): ἡ τῶν τεττάρων φύσις ἑκάστου, πεφυκυῖα φαύλως. Man darf aber dem λόγος deswegen die vermittelnde Funktion zwischen dem Wahrnehmbaren und der Schau keineswegs absprechen. Im Fall einer absoluten Deutung von φαύλως läuft man Gefahr, zu einer unplatonischen μισο-λογία zu gelangen, wie es in der Darstellung von Ferber geschieht (1991, S. 45ff. besonders S. 52f.) Ferber baut nämlich durch die strikte Unterscheidung zwischen den wandelbaren Erkenntnismitteln und der unwandelbaren Idee eine „Zwei-Welten-Ontologie“ auf. Sein mangelhaftes Schema wird aber von der – von Ferber versäumten – besonderen vermittelnden Funktion (μεταξύ) des λόγος gesprengt. Dazu unten, § 3.2, IV. 145 278b8-e2: im Rahmen der Botschaft an die Vertreter der drei Literaturgattungen (Redenschreiber, Dichter, Verfasser von Gesetzestexten). 146 277e5-278a5. 147 „Der Anstrengung würdig“ (Übersetzung von Schleiermacher). In dem behandelten Fall ist dieser Ausdruck demjenigen vom σπουδαῖον gemäß (LSL: of things: worth serious attention, weighty). Die Anwendung auf die Stelle im Phaidros beweist, dass ἄξιον σπουδῆς bei Platon nicht immer auf den Inhalt bezogen verstanden werden darf. Im Rahmen des philosophischen Exkurses des Siebten Briefes beziehen sich σπουδαιότατα (344c4) auf das inhaltlich Wertvollste, das zwar niedergeschrieben werden kann, aber nicht werden darf. 148 Vlastos 1963, S. 654. An eine wertvollere Tätigkeit („a more valuable activity“) zu denken, wäre stichhaltig, wenn Platon den Singular τιμιώτερόν τι an der diskutierten Stelle angewendet hätte. Zu Vlastos Deutung vgl. Th. A. Szlezák 1978, S. 21-24, 1985, S. 18f. Τιμιώτερα ἔχειν bedeutet
44
Kapitel 1
Auf der anderen Seite versucht Kühn neuerdings im Anschluss an Heitsch, den Inhalt des gedeuteten Abschnittes von einer Verbindung zu der platonischen Definition des Philosophen fernzuhalten. 149 Diese Argumentation erweist sich aber ebenfalls nicht als hieb- und stichfest: Die Botschaft (278b7ff.) mag sich an Redenschreiber, Dichter und Verfasser von Gesetzestexten richten, also nicht an den Philosophen. Dennoch werden notwendige Merkmale des platonischen Philosophen in diesem Rahmen abgegrenzt, und zwar sein Umgang mit der Schrift. 150 Das Spielerische der Schrift, auf das Sokrates nach seiner Schilderung mit Nachdruck hinweist, 151 lässt sich als einer der vielfältigen Aspekte des „Spiels“ im Hintergrund des platonischen Philosophierens betrachten. Eine Untersuchung über das Wesen des platonischen Spiels oder des „Spiels“ der „mimetischen“ und propädeutischen Dialoge könnte nach dem ersten Beitrag von Hermann Gundert zum Thema einer Monographie werden. Es war in diesem Rahmen hinreichend aufzuweisen, dass im Hintergrund der Schriftkritik kein dem Ernst konträrer Begriff des schriftlichen Spiels vorkommt. Dadurch, dass die Gesetze der platonischen „spielerisch“ schriftstellerischen Tätigkeit erkannt werden, vermeidet man die abwegige Schlussfolgerung, dass die Ergebnisse der oft gewundenen Argumentation der Dialoge als bloßes Spiel abzuqualifizieren seien. 152 Der Platon-------------------------------------------nicht die Fähigkeit des Dialektikers, durch irgendeine bessere Argumentation mögliche Einwände zu widerlegen, sondern „eine gegebene Darlegung so zu begründen, dass das Festbinden durch Gründe sich einen ‚Anknüpfungs’-Punkt wählt, der in der Reihe der Hypotheseis ‚höher’ liegt.“ (Th. A. Szlezák 1992, S. 100) 149 Kühn 1998, S. 24ff. Vgl. dazu Th. A. Szlezák 1999. 150 Die erwähnten Schriftsteller, an die appelliert wird, werden des Namens „Philosoph“ nur würdig, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Das Wesen des Philosophen wird auch durch seine Beziehung zu seinen Schriften bestimmt. Ein Schriftsteller, der alles – sogar seine wertvollsten Dinge – der Schrift anvertraut, darf nach dem hier auftauchenden esoterischen Begriff der platonischen Philosophie nicht als Philosoph betrachtet werden. Vgl. Th. A. Szlezák 1999, S. 266. 151 Phdr. 278b7: Ουκοῦν ἤδη πεπαίσθω μετρίως ἡμῖν τὰ περὶ λόγων. Hier kommt einerseits die sokratische Ironie vor, wenn Sokrates oder der jeweilige Gesprächsführer sich selbst verkleinern und Themen von zentraler Bedeutung herabsetzen: vgl. darüber hinaus R. 536c1-5, Phl. 30e6-7 (nach dem gewichtigen kosmologischen Exkurs), Plt. 268d-e (die Einführung des Mythos wird als mit Scherz eingemischt bezeichnet). Andererseits wird auf diese Weise nach der Darlegung des Gegensatzes „Spiel-Ernst“ mit Nachdruck unterstrichen, dass der Schrift kein größerer Ernst zugeschrieben werden sollte als ihr nach dem Urteil Platons zukommt. Zugleich wird aber darauf hingewiesen, dass es sich, wenn von „Spiel“ die Rede ist, keinesfalls um eine „Spielerei“ handelt, zumindest nicht in den o. g. Fällen. 152 Narcy versucht, die Schrift vor einer erbarmungslosen Kritik zu retten (eine fast irrationale Furcht, die immer wieder von Nicht-Tübinger-Forschern geschürt wird) und Platon selbst gegen den ungerechtfertigten Vorwurf zu verteidigen, dass er die Schrift unbeschränkt verurteile. Im Rahmen seines Versuchs beleuchtet er eine interessante Parallele zwischen der Rede von Sokrates einerseits und der Schrift andererseits. Sokrates sagt immer das Gleiche (Grg. 490e9-a1: Ὡς ἀεὶ ταὐτὰ λέγεις, ὦ Σώκρατες. Οὐ μόνον γε, ὦ Καλλίκλεις, ἀλλὰ καὶ περὶ τῶν αὐτῶν) und auch die Schrift besagt nur ein und dasselbe (Phdr. 275d9): ἕν τι σημαίνει μόνον ταὐτόν ἀεί. Narcy 1992, Anm. 13, S. 81: „ce n’ est donc pas seulement Socrate, mais la philosophie elle-même qui, comme les discours écrits, dit toujours la même chose.“ Auch wenn die wahre Philosophie nur mündlich wäre, würde sie wie der geschriebene Text Gefahr laufen, sich selbst nicht helfen zu können: Grg. 486b6-7. Daraus entwickelt Narcy eine unangemessene „identische Schwäche“ (une faiblesse identique, 1992, S. 82), wobei er die βοήθεια-Situationen des Sokrates und der Schrift nicht weiter analysiert und den Satz ἕν τι σημαίνει μόνον ταὐτόν ἀεί (Phdr. 275d9) überinterpretiert, um ihm durch die erwähnte Parallele einen positiven Sinn zu verleihen. Der Satz meint jedoch nicht, dass die Schrift immer dasselbe bedeute, also eindeutig für alle Adressaten sei, sondern dass sie dem fragenden Leser immer wieder das gleiche Zeichen gebe, nichts anderes als die gleichen unbeweglichen geschriebenen Buchstaben. Narcys interpretatorische Versuche münden in der These, dass der positive gemeinsame Punkt der „neuen Rhetorik“ des Sokrates und der platonischen Schrift darin bestehe, dass beide die Tyrannei
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
45
Interpret sollte die Grenzen des Ernstes und des Spiels berücksichtigen, auf die in den schriftlich abgebildeten Gesprächen aufmerksam gemacht wird. 153 Daher ist es bei der Einleitung einer Platon-Arbeit von entscheidender Bedeutung, von der Schriftkritik auszugehen. V. Zur Vorgehensweise dieser Arbeit In der vorliegenden Arbeit sind Passagen der Dialoge Sophistes und Philebos zu interpretieren, um das Wesen der „Mischung“ offenzulegen. Zur Vorgehensweise der Arbeit lässt sich Folgendes zusammenfassen: Zur Verwirklichung des gesetzten Zieles werden Berichte der Ungeschriebenen Lehre herangezogen. Vom esoterischen Charakter der platonischen Lehre ausgehend darf man die indirekten Berichte nicht übersehen. Deren Inhalt sollte aber auch nicht in die Dialoge hineingelesen werden. Die indirekte Überlieferung wird demnach nicht als Prokrustesbett verstanden, sondern als das Skelett eines Organismus, dessen Lebendigkeit den Dialogen abzuringen ist. Auch wenn die indirekten Berichte nicht in den Vordergrund gerückt werden, weil der hier zu erforschende Begriff der „Mischung“ in ihnen nicht vorkommt, 154 lädt uns der Begriff der „Mischung“ ein, über den Rahmen der geschriebenen Dialoge hinauszugehen und um des Dialogs willen die indirekte Überlieferung heranzuziehen. In einem ersten Schritt unserer Arbeit werden wir die Konzeption der Mischung zunächst im Sophistes beleuchten, wo wir schrittweise nachvollziehen werden, warum die Metapher der Mischung in Bezug auf die Verbindung der Idee des Seienden mit der des Anderen gelungener ist als diejenige der methexis. Im dritten Kapitel über den Philebos werden wir dann die dialogische Bewegung bis zum vierfachen Gefüge des Ganzen untersuchen. Unser Ziel besteht darin, die verschiedenen Momente der Mischung in der hier angebotenen Rekonstruktion der dialektischen Bewegung zu situieren. Erst im Anschluss daran können die aufgezeigten Aspekte zusammengeführt werden, so dass die Gefahr einer unerwünschten Vermischung oder einer übereilten Identifizierung zweier verschiedener Konzeptionen vermieden wird. Weil sich die Trennung und die Verbindung als zwei unauflöslich miteinander verbundene Aspekte der platonischen Dialektik erweisen, erhebt die in der vorliegenden Arbeit verfolgte Methode den Anspruch, als dialektisch im platonischen Sinne bezeichnet werden zu dürfen. -------------------------------------------des kairos abgeschüttelt hätten. Sokrates wiederhole das Gleiche ungeachtet des äußeren Rahmens, während sich auch die platonische Schrift an den Adressaten unabhängig vom kairos wende. Der Philosoph gebe nach Platon durch die Schrift „la connaissance de la nature du tout“ wieder (so Narcy 1992, S. 92). Der Interpret will den Esoterismus nicht nur dem platonischen Sokrates (mit dem Beleg in Ap. 33a: Er hat niemanden gehindert, ihn zu hören; der Mangel an Vorsichtsmaßnahmen hat zu seiner Verurteilung geführt), sondern auch Platon selbst absprechen. Seine Deutung des Gleichnisses des Landmannes ist verkehrt, weil er behauptet, es werde darauf gezielt, nicht nur zwischen Rede und Schrift, sondern auch zwischen zwei verschiedenen Arten von Schrift zu unterscheiden, einer „écriture dissimulée“ und einer „écriture sincère“. Narcy ist nicht imstande, die Einführung des Begriffs „jeu sérieux“ aufzuklären und bleibt so hinter den erweckten Erwartungen zurück. 153 Was im Rahmen der Dialoge abgebildet wird, ist nichts anderes als das dialektische Verfahren. Die überlieferten Dialoge werden deswegen jedoch nicht zu „dialektischen Schriften“, wie Kühn 1998 meint. Dazu die Kritik Th. A. Szlezáks, 1999, S. 262f. 154 Vgl. dazu die Bemerkungen Gaisers zum TP 46A (Aristot. GC II 3, 330b 7-21). Die „Mischung“ trete in den Berichten weniger stark hervor als die „Wertstruktur“ mit dem Guten als Mittlerem.
46
Kapitel 1
1.3 Das Wesen einer platonischen Metapher: Die Mischung Arist. Metaph. A9, 991a20-22: τὸ δὲ λέγειν παραδείγματα αὐτὰ εἶναι καὶ μετέχειν αὐτῶν τἆλλα κενολογεῖν ἐστι καὶ μεταφορὰς λέγειν ποιητικάς. 155 Arist. Po. 1459a 4-8: ἔστιν δὲ μέγα μὲν τὸ ἑκάστῳ τῶν εἰρημένων πρεπόντως χρῆσθαι, καὶ διπλοῖς ὀνόμασι καὶ γλώτταις, πολὺ δὲ μέγιστον τὸ μεταφορικὸν εἶναι. Μόνον γὰρ τοῦτο οὔτε παρ’ ἄλλου ἔστι λαβεῖν εὐφυΐας τε σημεῖον ἐστι: τὸ γὰρ εὖ μεταφέρειν τὸ ὅμοιον θεωρεῖν ἐστιν. 156 „Die Vorstellung von ‚übertragen’ und von der Metapher beruht auf der Unterscheidung, wenn nicht gar Trennung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen als zweier für sich bestehender Bereiche. Die Aufstellung dieser Scheidung des Sinnlichen und Nichtsinnlichen, des Physischen und des Nichtphysischen ist ein Grundzug dessen, was Metaphysik heißt und das abendländische Denken maßgebend bestimmt. Mit der Einsicht, dass die genannte Unterscheidung unzureichend bleibt, verliert die Metaphysik den Rang der maßgebenden Denkweise. Mit der Einsicht in das Beschränkte der Metaphysik wird auch die maßgebende Vorstellung von der ‚Metapher’ hinfällig. […] Das Metaphorische gibt es nur innerhalb der Metaphysik.“ Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, S. 88f. I.
Ausgangspunkt und Umweg: Von der aristotelischen Kritik zu der aristotelischen Theorie der Metapher
Was sich bei unserer ersten Annäherung an die Mischung nicht gemeldet hat (in §1.1), lässt sich im Folgenden thematisieren: ihre Natur als Metapher. Nachdem die Übertragung als ein wesentliches Merkmal der platonischen methexis-Lehre aufgewiesen wurde, wird jetzt eine andersartige Übertragung, nämlich die Bewegung der Metapher, ins Zentrum gerückt, mit dem Ziel, zu erwägen, ob die beiden Bewegungen zusammenzudenken sind. 157 Es könnte der Verdacht erweckt worden sein, die Arbeit wolle mit einer bloßen Metapher umgehen. Die allererste Analyse des Metaphorischen durch Aristoteles verortet nämlich die Behandlung der Metapher einerseits in seiner Schrift über die Rhetorik, andererseits in der Untersuchung über die Dichtung. Wie sich dagegen bis jetzt manifestiert hat, taucht die Mischung bei Platon in bedeutenden philosophischen Zusammenhängen auf. Daher stellt sich die wesentliche methodologische Frage: Wie sollten wir mit der anvisierten Mischung als Metapher umgehen? Nachdem die Grundlinien einer allgemeinen Hermeneutik der Platon-Interpretation nachgezeichnet sind (in §1.2), sind wir jetzt mit der speziellen Methodologie unserer Thematik konfrontiert. -------------------------------------------155 „Zu sagen, dass sie Vorbilder (Urbilder) sind und dass die anderen Dinge an ihnen teilhaben, heißt leer daherreden und dichterische Metaphern verwenden.“ (Übers. Th. A. Szlezák) 156 „Die angemessene Anwendung von jeder erwähnten Schmuckform ist nichts Geringes, sowohl der zusammengesetzten Nomina als auch der fremdartigen, aber am allergrößten ist die Fähigkeit Metaphern zu bilden. Nur dies lässt sich nicht von einem anderen lernen und ist ein Kennzeichen der natürlichen Begabung; das Bilden von guten Metaphern heißt Betrachten von Ähnlichkeiten.“ (Übers. G. M.) 157 Μεταφορά bezeichnet nach Aristoteles interessanterweise sowohl die Bewegung der Übertragung (schon bei ihrer Definition, s. unten, auch in Po. 1459a8) als auch das übertragene Nomen selbst (Po. 1458a33 und passim.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
47
Platon entwickelt seinerseits keine Theorie der Metapher, 158 und daher suchen wir bei Aristoteles Zuflucht, um der Natur der Mischung als Metapher nachzugehen. Dieser wirft Platon vor, dass die methexis und ähnliche platonische Redeweisen nicht nur dichterische Metaphern, sondern auch nichtssagend sind. Das drückt Aristoteles bei seiner Problematisierung der platonischen Ideen- und Prinzipientheorie aus (oben angegeben), was er im vorletzten Buch der Metaphysik (M5, 1079b24-26) buchstäblich wiederholt, wo er den Ideen die Erklärungskraft für die Veränderung in der Sinnenwelt abspricht. Bemerkenswert ist, dass Aristoteles sich auf die Beziehung zwischen der Idee und dem Wahrnehmbaren beschränkt, nachdem er die „Mischung“ der Idee mit dem Sinnlichen als misslungenen Vorschlag des Eudoxos erwähnt hat. Statt die ganze in §1.1 geschilderte Übertragung der methexis zu verfolgen, macht er auf ihrer ersten Ebene Halt. Aristoteles’ enge Kritik lässt sich verstehen, wenn seine mangelnde Bereitschaft berücksichtigt wird, die innerideellen Beziehungen überhaupt zu akzeptieren. Da aber die Teilhabe und die Mischung auch bei Platon für den ideellen Bereich verwendet werden, richtet sich die anvisierte aristotelische Kritik auch auf die innerideelle methexis/ Mischung. Dass diese Bezeichnungen Metaphern sind, sieht Aristoteles ein, was uns dazu veranlasst, die Mischung als Metapher zu betrachten. 159 Im Kontext der aristotelischen Polemik lässt sich eine solche Charakterisierung als Vorwurf verstehen, da nämlich Platon zu Unrecht Philosophie und Dichtung vermischt haben soll. Im ersten Teil des Vorwurfs verbirgt sich keine generelle Metaphernkritik. Die Fähigkeit, Metaphern zu bilden, gehört zu den wichtigsten, nicht einmal durch Übung zu erwerbenden Grundzügen des Dichters, wie sich in der Poetik herausstellt (an der oben zitierten Stelle). Aristoteles legt weiter sein Augenmerk auf die gemeinsame Basis sowohl der Metaphernbildung als auch der philosophischen Betrachtung: die Erkenntnis von Ähnlichkeiten bei weit auseinanderlie--------------------------------------------
158 Μεταφέρειν kommt dreimal im Corpus Platonicum vor: Zweimal wird (im Timaios) die Ortsbewegung bezeichnet: In 58b8 handelt es sich um die Bewegungen der vier Elemente zu den ihnen zukommenden Orten, in 73e4 um die Konstruktion der Knochen von den Handwerkern des Alls. In Criti. 113a bedeutet μεταφέρειν τὰ ὀνόματα Nomina einer Sprache in eine andere übersetzen. Stattdessen ist häufig die Rede vom Bild (εἰκών), das nicht nur unterschiedslos Metapher oder Vergleich bedeuten, sondern darüber hinaus auf ein komplexeres, verdichtetes, bildhaftes Geschehen verweisen kann, wie im Falle des Höhlengleichnisses (R. 531b4, 538c5). Wir haben uns entschieden, der Mischung als Metapher und nicht als Bild nachzugehen, um das Verhältnis von Vorbild-Abbild und die entsprechende ontologische Abhängigkeit in unserem Versuch zu umgehen, μετα-φέρειν als Bewegung (eines Bildes) zu betrachten, die mit der Übertragung der methexis zusammenzudenken ist. Es verfehlte die Sache, die Mischung von Wein und Wasser als Vorbild der innerideellen Mischung zu betrachten, aber auch umgekehrt. 159 Ein weiteres Argument dafür, dass die Mischung (der größten Gattungen und der zwischen Grenze und Unbegrenztheit) als Metapher bezeichnet werden muss, kann der aristotelischen Erforschung der Mischung selbst entnommen werden ein. Aristoteles ordnet nämlich die Mischung ausschließlich in den Bereich der wahrnehmbaren Substanz ein. Ohne dass wir die aristotelische Konzeption der Mischung in den Mittelpunkt rücken wollen, können wir am Rande unterstreichen, dass der Stagirit die Behandlung der μεῖξις in die naturwissenschaftlichen Schriften Περὶ Γενέσεως καὶ Φθορᾶς und Περὶ Αἰσθήσεως καὶ Αἰσθητῶν integriert. Gemischt werden die wahrnehmbaren Entgegensetzungen (jedes Mal als Tuendes und Leidendes) derselben Gattung (also beim Sichtbaren: das Weiße und das Schwarze, beim Hörbaren: das Hοhe und das Tiefe, beim Tastbaren: das Warme und das Kalte, das Feuchte und das Trockene): GC 323a22 ff., Sens. 439a6 ff. (3. Kap.). Die gemischten Dinge sind vor der Mischung getrennt, da Substanzen (327b27-28: φαίνεται δὲ τὰ μιγνύμενα πρότερόν τε ἐκ κεχωρισμένων [μιχθέντων] συνιόντα), und nach der Mischung trennbar. Ihre Kraft (δύναμις) geht in der neuen Einheit der Mischung nicht zugrunde, sondern wird trotz der Veränderung bewahrt; nicht actualiter, da es in diesem Fall um ein zusammengesetztes Aggregat ginge und nicht um eine Mischung: GC 327b10 ff. Es sei davor gewarnt, die Trennung der Komponenten vor ihrem Gemischtwerden zum Leitfaden für unser Verständnis der hier untersuchten platonischen Mischung zu nehmen.
48
Kapitel 1
genden Dingen. Trotz der anerkannten Überschneidung zwischen Metapher und Philosophie muss die philosophische Wissenschaft nach Aristoteles von Metaphern gereinigt werden, da deren Präsenz Unklarheit bei definitorischen Versuchen mit sich bringt. 160 Der metaphernbildende Philosoph sollte imstande sein, die Unklarheit und Mehrdeutigkeit aufzuheben, indem er die Metaphern einlöst, und so seine deutlichen Bestimmungen in den philosophischen Diskurs des λόγον διδόναι einbringt. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage stellen, ob die Metapher der Mischung der geschriebenen Lehre ihre Einlösung in der Ungeschriebenen Lehre findet. Im Fall der Idee des Guten in der Politeia wird die Angabe des Wahren selbst (αὐτὸ τὸ ἀληθές, R. 533a3) als möglich betrachtet – wenn auch in diesem Rahmen verweigert. Nach der Ungeschriebenen Lehre entspricht die Idee des Guten dem Einen selbst, auch wenn Sokrates im Rahmen des Dialogs nur Bilder in Anspruch nimmt (εἰκόνα: R. 533a3). Die Tatsache des Fehlens der Mischung zur Bezeichnung des Verhältnisses der zwei platonischen Prinzipien in der Ungeschriebenen Lehre wird aber anders erklärt: Nicht damit die bloß metaphorische Sprache, sondern damit das handwerkliche Modell der Mischung vermieden wird, nach dem immer ein Drittes die zwei Elemente zusammenbringen muss, wird in diesem Fall nicht von Mischung gesprochen. 161 Genauso wie sich das philosophische Potenzial der Gleichnisreihe in der Politeia nicht verflüchtigt, nachdem das Wesen der Idee des Guten mit dem Einen identifiziert worden ist, bliebe die Mischung philosophisch im höchsten Maße sacherschließend, auch wenn eine Einlösung der Metapher in nicht metaphorischer Rede möglich wäre. 162 Bei der Metapher und anderer platonischer bild-------------------------------------------160
Top. VI 2, 139b34-36, APo. II 13, 97b37-39. Zur Diskussion s. Rapp 2002, Zweiter Halbband,
S. 927ff. 161
S. unten, § 2.4. Im Fall der Mischung der größten Gattungen hieße eine solche Entschlüsselung – Aristoteles gemäß – gegenseitiges Prädizieren. Da aber Platon als erster die Ideen eingeführt hat, musste er Bezeichnungen für ideelle Beziehungen aus anderen Bereichen herauslösen, also in jedem Fall metaphorisch sprechen. Die Mischung der Grenze mit der Unbegrenztheit träte nach der Gegenstimme als Verkleidung des ungeschriebenen Konzepts Platons „Bestimmen des Unbestimmten“ (so Jens Halfwassen in einer schriftlichen Mitteilung) hervor: Die Lösung wäre nur für die Eingeweihten der Akademie reserviert. Diese Bezeichnung macht die Metapher der Mischung trotzdem nicht überflüssig. Hans Blumenberg hat mit Nachdruck darauf bestanden, dass die „absoluten Metaphern“ unhintergehbare Grundbestände der philosophischen Sprache sind, Übertragungen, die sich nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen (1960, S. 9). Blumenberg geht von folgendem Gedankenexperiment aus: Die Philosophie sei vollendet, gemäß dem ersten Prinzip von Descartes’ „Discours de la Méthode“: Ultimative Klarheit und Bestimmtheit seien erreicht worden und alle übertragenen Weisen werden als vorläufig und logisch überholbar betrachtet (ebd., S. 7). Gegen ein solches Verständnis aller Metaphern als „Restbestände auf dem Weg vom Mythos zu Logos“ (ebd., S. 8) entwirft er seine Hypothese der absoluten, nicht zu eliminierenden Metaphern, an der die cartesische Teleologie der Logisierung zerbrechen soll. Blumenberg bietet anhand seiner „Paradigmen zu einer Metaphorologie“ keine Methode für den Umgang mit Metaphern an, sondern die Einschränkung der Funktion einer Metaphorologie: Sie kann keine Antworten auf unbeantwortbare Fragen geben, sondern metaphysischer Metaphorik nachgehen und sie in ihrer geschichtlichen Konstellation entfalten. Der Metaphorologe nähert sich dem „Untergrund von Antrieben“ an, „die sich an Bildern formieren“ (ebd., S. 119). Die „absolute Metapher“ hat einen pragmatischen Sinn, d. h. sie indiziert eine Haltung, ein Verhalten, einen Daseinsstil; und in diesem Sinn bleibt sie irreduzibel (ebd., S. 20, 135f.). Durch scharfsinnige Erforschung verschiedener Metaphernzentren in ihrer geschichtlichen Bedingtheit – verschiedener Typologien von Metapherngeschichten – kann Blumenberg die Auseinandersetzungen zwischen Weltgebilden innerhalb der Philosophie und der Wissenschaft erschließen: Er verfolgt die Darstellung der Wahrheit als Erwerb und als Geschenk von der Antike bis zur Moderne, die Geozentrik und Heliozentrik von der pythagoreischen, aristotelischen, stoischen Weltanschauung bis zu Kopernikus, Kepler und Newton. Als Ergebnis dieser Forschung zeigt sich die Funktion 162
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
49
hafter Rede manifestiert sich die Unzertrennlichkeit von Form und Inhalt, so dass es nicht angemessen ist, die Metapher von ihrer Form „entkleiden“ zu wollen, um zum „nackten“ Inhalt zu gelangen. 163 Die Arbeit zielt weder auf die Ausarbeitung einer Metapherntheorie – bei Platon oder allgemein – noch stellt sie einen Beitrag zur Untersuchung der Begriffsbildung dar. 164 Die Rehabilitation der Metapher bei Platon wird anhand unserer Analyse einer konkreten -------------------------------------------der „absoluten Metaphern“: Sie springen in die begreifend-begrifflich nicht erfüllbare Lücke und Leerstelle ein, um auf ihre Art auszusagen, woran das Wort zerbricht. Ein unübertroffenes Beispiel dafür ist der Versuch vonseiten Plotins, die himmlische Kreisbewegung aus der Nachahmung der reinen Vernunft durch die Weltseele herzuleiten. Die Seele kann den Geist nicht anders nachahmen als dadurch, dass sie sich um ihn herum bewegt. Die Metaphorik des Kreises ist zugleich Metapher für das Nachgebildete und für dessen Unerreichbarkeit dessen: Enn. II 2, 2, 12-15: Εἰ δὴ ψυχῆς ἐστι, περιθέουσα τὸν θεὸν ἀμφαγαπάζεται καὶ περὶ αὐτὸν ὡς οἷόν τε αὐτὴ ἔχει: ἐξήρτηται γὰρ αὐτοῦ πάντα. Ἐπεὶ οὖν οὐκ ἔστι πρὸς αὐτόν, περὶ αὐτόν. „Wenn es nur die Mitte der Seele ist, dann umläuft die Seele den Gott und umfasst ihn mit Liebe und ist um ihn soweit es ihr möglich; denn von ihm ist alles abhängig. Sie ist also, da sie nicht zu ihm kommen kann, um ihn.“ (Übers. Harder) Die Metapher erscheint Blumenberg metaphysisch hypostasiert: Auf die sich entziehende Transzendenz kann nur durch Metaphern hingewiesen werden, die Metaphern der Unerfüllbarkeit bleiben müssen: Die Natur der Seele kann – bei Plotin – in der Sprache ihres Wesens den Geist weder erfassen noch „wiedergeben“ (ebd., S. 130f.). Solche Beobachtungen stimmen mit Heideggers Einordnung des Metaphorischen in die Metaphysik überein. Ohne die Tragweite eines solchen Werkes gänzlich zur Geltung bringen zu können, schließen wir mit einem relevanten und warnenden Zitat Blumenbergs: „Die Metapher der ‚nackten Wahrheit’ gehört zum Selbstbewusstsein der aufklärerischen Vernunft und ihrem Herrschaftsanspruch.“ (Ebd., S. 54). – Die hier untersuchte Mischung betrachten wir nicht als „absolute Metapher“, aber bestehen darauf, dass sie nicht redundant ist. 163 Das betrifft alle bildhaft, metaphorisch oder mythisch dargelegten Inhalte, die sich nicht bloß als Schmuck erweisen. Damit wird nicht der mögliche Verweis auf Sachverhalte im Fall einer Metapher bestritten (wie Wieland für die platonische Metaphorik argumentiert, 1982, S. 64 und passim), sondern die Tatsache unterstrichen, dass das Bildhafte trotz der möglicherweise geleisteten Entschlüsselung der Ungeschriebenen Lehre nicht zur Redundanz gelangt. Gegen die Konzeption der Metapher als eines Ausdrucks, der eine besondere Bedeutung verbirgt („a hidden message“) – der sich dann „entschlüsseln“ ließe – wendet sich mit Nachdruck Donald Davidson, dessen These lautet: „Seeing is not seeing that. Metaphor makes us see one thing as another by making some literal statement that inspires or prompts the insight. Since in most cases what the metaphor prompts or inspires is not entirely, or even at all, recognition of some truth or fact, the attempt to give literal expression to the content of the metaphor is simply misguided.“ (1981, S. 218). Die Metapher wird daher als unerschöpflich „pregnant“ verstanden, weil „what we are caused to notice is not propositional in character“ (ebd.: Es geht um ein „seeing as“ und nicht um ein „seeing that“). 164 Wir haben vor, das Sacherschließende der platonischen Metapher der Mischung hervorzuheben; daher teilen wir die skeptische Intention Nietzsches nicht ganz, dass die Metapher das Wesen des bezeichneten Dinges nicht aufschließen kann. In seiner frühen Schrift „Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“ schickt sich der Philosoph an, den menschlichen Trieb nach Verallgemeinerung auf ein Vergessen zurückzuführen: Man versuche aufgrund ursprünglicher, individueller und unübersetzbarer „Anschauungsmetaphern“ oder „plötzlicher Eindrücke“ durch eine Kette von Übertragungen/ Metaphern (vom Nervenreiz zum Bild bis zum starren Begriff) das abstrahierte „Columbarium der Begriffe, der Begräbnisstätte der Anschauung“ (KSA 1, S. 886) aufzubauen, wobei das Einzelne, was bei Nietzsche das Wirkliche ausmacht, übersehen, und Ungleiches (z. B. die vielen Blätter) gleichgesetzt wird (mit dem Begriff „Blatt“): Eine Manifestation der unhintergehbaren assimilierenden Kraft des Lebens. Um vor dem „Erbarmungslosen, dem Gierigen, dem Unersättlichen, dem Mörderischen“ (KSA 1, S. 877) zu fliehen, begeht der schöpferische Mensch den Weg der Kunst oder der Wissenschaft. Platon würde darin übereinstimmen, dass der Trieb zur Metapherbildung ein Fundamentaltrieb des Menschen ist (KSA 1, S. 887), besonders wenn er über das Höchste sprechen und das den λόγος überschreitende Reich der zwei Prinzipien und deren Verhältnis thematisieren möchte. Platon würde sich aber gegen die in dieser Schrift ausgedrückte Skepsis Nietzsches wenden, dass das Wesen der Dinge nicht erschlossen werden kann und die Wahrheit eine Illusion, da eine verblasste, abgenutzte Metapher ist.
50
Kapitel 1
Metapher erstmalig versucht, obschon der Athener Philosoph keine Metapherntheorie begründet. Seine häufige Inanspruchnahme von Analogien, dichterischen Bildern, Gleichnissen und Metaphern berechtigt uns trotz des Mangels einer entsprechenden Theorie zu einer solchen Problematisierung. Aristoteles geht aber so weit, dass er im zweiten Teil seines Vorwurfs den sacherschließenden Charakter der Metaphern der Teilhabe (und der Mischung) schlechthin bestreitet: Dabei soll Platon nicht bloß ein Dichter, sondern sogar ein schlechter Dichter gewesen sein. Das Gegenteil aufzuzeigen, lässt sich als zweites Ziel der ganzen Arbeit betrachten. Was unser erstes Vorhaben angeht, müssen wir einiges entfalten, bevor wir uns der Auslegung von Sophistes und Philebos widmen können. Auch wenn nach Aristoteles die Metapher in der Rhetorik und der dichterischen Kunst verschiedene Funktionen übernimmt, indem sie im ersten Fall – der Tragödie – die κάθαρσις, im zweiten Fall der prosaischen Rede die Überzeugung bezweckt, lässt sie sich in beiden Fällen folgendermaßen definieren: „Metapher ist die Übertragung eines fremden Nomens, entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von der Art auf die Art oder gemäß der Analogie“. 165 Die Metapher ist eine Art Nennwort, das seinerseits wesentlicher Teil des sprachlichen Ausdrucks (λέξις) ist, neben dem Buchstaben, der Silbe, der Konjunktion, dem Artikel, dem Verb, dem Kasus und dem Satz. Die zusammengesetzte, bezeichnende Stimme (φωνή), die keine Zeit angibt (die Definition des Nomens gemäß Poet. 1457a12-14), kann unter anderem κύριον oder μεταφορά sein. Bei der Anwendung üblicher, von allen Sprechern der Gemeinschaft autorisierter Nomina (κύρια) erlangt der Stil Deutlichkeit und Eindeutigkeit. Dagegen befremdet die Metapher dadurch, dass ein Wort aus einem gewissen Zusammenhang herausgelöst und zum Bezeichnen eines anderen in Anspruch genommen wird (ἀλλότριον), aber sie sollte nicht ohnec Weiteres als uneigentliche Bedeutung verstanden werden. 166 Aristoteles nennt vier Arten der Metapher: Man könnte entweder die Gattung „Ruhen“ auf seine Art „Vor-Anker-Liegen“ übertragen und sagen: „Das Schiff ruht“, oder die Art „Tausend“ auf seine Gattung „Vielheit“ übertragen: „Odysseus hat tausend gute Taten vollbracht“. Darüber hinaus kann eine Art (z. B. das „Schöpfen“) auf eine andere (z. B. das „Schneiden“) oder umgekehrt übertragen werden, die beide unter die gleiche Gattung fallen (des „Wegnehmens“), was am Beispiel des folgenden Empedokles-Verses veranschaulicht wird: „Von fünf Brunnen schneidend (d. h. schöpfend) in unverwüstlichem Erze“. 167 Für die wichtigste Art der Metapher hält Aristoteles diejenige --------------------------------------------
165 Po. 1457b6-9: μεταφορὰ δέ ἐστιν ὀνόματος ἀλλοτρίου ἐπιφορὰ ἢ ἀπὸ τοῦ γένους ἐπὶ τὸ εἶδος ἢ ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ τὸ γένος ἢ ἀπὸ τοῦ εἴδους ἐπὶ εἶδος ἢ κατὰ τὸ ἀνάλογον. 166 Wie die spätere Tradition die übliche und herrschende als die eigentliche Bedeutung verstanden hat, während die metaphorische zur uneigentlichen wurde (s. den am Anfang herangezogenen Text von Heidegger). Οἰκεῖον kennzeichnet die eigentümliche Bedeutung, die dem Bezeichneten verwandt ist. Dazu Rh. 1404b31-35, 1412a11-14, Po.1457b32 und sowohl die angebrachte Betonung vonseiten Ricœurs (1975, S. 369) als auch die Beobachtung von Rapp, dass die Metapher der üblichen Bedeutung und nicht der eigentümlichen entgegengesetzt ist: Aufgrund der konventionalistischen semantischen Theorie Aristoteles’ sollte die eigentümliche mit der in der sprachlichen Gemeinschaft herrschenden Bedeutung verknüpft werden, und in dieser Weise gerät man nicht zu einem Verständnis der Metapher als uneigentliche Bedeutung: 2002, II. Halbband, S. 837f. Ricœur versteht ἀλλότριον dreifach: Zunächst geht es um eine Abweichung von der gewöhnlichen Anwendung, darüber hinaus wird die positive Idee einer Anleihe von einem semantischen ursprünglichen Ort hervorgekehrt, und zum Schluss tritt die bedeutende Funktion des Ersatzes zutage: Die metaphorische Bezeichnung ersetzt ein geläufiges Nomen und ist strictu sensu nichts anderes als Schmuck: 1975, S. 26-30. 167 DK 31B, 143, Übers. Diels.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
51
der Analogie. Die Analogie besteht in der Gleichheit zweier Verhältnisse, und daher kann die zweite auf die vierte Bezeichnung übertragen werden: Dem Verhältnis zwischen dem Becher und Dionysos entspricht das des Schildes und des Gottes Ares, weswegen man den Schild als den Becher von Ares und den Becher als den Schild von Dionysos bezeichnen kann. 168 II. Die lebendige Metapher der Mischung Überlegen wir nach dem notwendigen Umweg über die aristotelische Theorie, wie die Mischung als konkrete Metapher zu verstehen ist. Trotz des Mangels an Reflexion über die Bezeichnung μεῖξις als Metapher (die Mischung – μεῖξις – wird weder als εἰκών noch als μεταφορά eingeführt) verrät ihre Bildhaftigkeit den metaphorischen Charakter: Platon wendet die buchstäbliche Bezeichnung an, einerseits um das erotische Zusammenkommen zu bezeichnen: R. 458d3, d9, 571c9-571d1, Lg. 773d4, 836c3, 839a5, 930d3. 169 Andererseits wird die Mischung von Wein und Wasser μεῖξις oder (σύν)-κρασις genannt: Lg. 721a4, 773d1, Phl. 60b11, c2, c8. Diese machen die zwei üblichen Domänen des vorphilosophischen Ursprunges der Mischung als Metapher aus. 170 Im ersten Fall kennzeichnet μεῖξις das dynamische Sich-Vermischen der Leiber als Akt und Prozess. Während im zweiten Fall der Prozess des Mischens und das Gemisch selbst im Sinne des Produkts als μεῖξις bezeichnet werden, wird das sich ergebende Kind bei der Mischung der Geschlechter nicht „Gemischtes“ genannt, sondern das Gemisch besteht im Mischungsakt als solchem. 171 Da Platon als erster die Mischung zur Bezeichnung der ideellen Beziehungen angewendet, ja da er sie als erster eingeführt hat, ist es eher sinnvoll zu behaupten, dass es -------------------------------------------168 In allen Fällen ereignet sich die Metapher innerhalb eines Spiels schon geordneter Verhältnisse: „subordination, coordination, proportionalité ou égalité des rapports. Le deuxième fait est que la métaphore consiste dans une violation de cet ordre et de ce jeu: donner au genre le nom de l’espèce, au quatrième terme du rapport proportionnel le nom du second, et réciproquement, c’est à la fois reconnaître et transgresser la structure logique du langage“: Ricœur 1975, S. 31. 169 Die Domäne der Liebesvereinigung taucht schon bei Homer als μείγνυσθαι ἐν φιλότητι auf. Auch wenn die Mischung andere Arten menschlichen Kontakts bezeichnen mag (wie gastfreundschaftlicher oder feindlicher Verkehr) häufen sich die Beispiele des Liebesverkehrs: Vgl.: Ilias, 2. 232, 3. 445, 5. 190, 6. 161, 6. 165, 24. 131, Odyssee, 5. 126, 15. 420, 22, 445. Auch bei Hesiod, Th. 920, 927, 970. Die erotische Nuance herrscht bei den orphischen Schriften und begegnet bei Parmenides im Fragment B12: Die alles lenkende Göttin führt zu der schrecklichen Mischung durch die Verbindung des Weiblichen mit dem Männlichen. Die Mischung zwischen den entgegengesetzten Kräften kann bei Parmenides nur diskreditiert werden als unerlaubte Vermischung der zwei Wege des Seins und Nichtseins vonseiten der „zweiköpfigen“ Menschen. 170 Kύριον im Sinne des Geläufigen und nicht des Eigentlichen als zur bezeichneten Sache exklusiv Zugehörigen, wie oben skizziert. Ob die Bezeichnung des Liebesakts als Mischung als eine abgenutzte Metapher gelten muss, ist für unseren Gedankengang nicht von Belang, der die Begriffsbildung als solche nicht thematisiert. Es reicht aufzuzeigen, dass die Bezeichnung der anvisierten Mischung eine Metapher ist, da die üblichen Bedeutungen auf einen fremden Bereich übertragen werden. 171 Wilhelm Schwabe 1980 ist den ursprünglichen Sachfeldern der Mischung nachgegangen: Das Hauptgewicht wird auf die Untersuchung des Begriffs „Element“ gelegt, weil „der Begriff von Elementen sachlich grundlegender als der Mischungsbegriff“ ist (ebd., S. 4). An seine Ergebnisse werden wir uns anschließen, um die fruchtbare philosophische Übertragung (μεταφέρειν) in der platonischen Philosophie zu entfalten. Schwabes Untersuchung der Mischung weist die Vieldeutigkeit des Wortes „μεῖξις“ nach (ebd., S. 20) und lässt sich in den Rahmen der tieferen Forschung der Elementenmetaphysik integrieren, die sich von der aristotelischen Momentenanalyse (die Seinsprinzipien – Form und Stoff – werden anders als Bestandteile verstanden) unterscheidet. Die platonische Philosophie gehört zum Übergang von der Elementen- zur Momentenanalyse (ebd., S. 12).
52
Kapitel 1
sich dabei noch nicht um eine ausgelöschte, tote Metapher handelt, die „abgenutzt und sinnlich kraftlos“ geworden ist, „eine Münze, die ihr Bild verloren hat und nun als Metall in Betracht kommt“ 172 . Die Metapher der Mischung beansprucht keine notwendige und umso weniger eine ausschließliche Berechtigung, da sie neben anderen Metaphern hervortritt: Anwesenheit, Gemeinschaft, Teilhabe. Auf diese Weise manifestiert sich verstärkt ihr noch nicht Hart- oder Starr-Geworden-Sein, ihr Lebendigsein. Im Fall einer Abnützung wäre man vielmehr berechtigt, von dem Verlöschen der sinnlichen Nachklänge auszugehen. 173 Die Metapher der Mischung erwirbt ihre philosophische Bedeutung nicht durch Ausschluss der Bildlichkeit, die noch mitgetragen wird, indem das ideelle Verhältnis anhand einer Vielfalt von Bildern veranschaulicht wird. Während im Sophistes der Hintergrund der Mischung von Wein und Wasser stärker hervortritt, so dass auf die Verflüssigung der Grenzen bei den μέγιστα γένη verwiesen werden kann, gewinnt der erotische Ursprung im Rahmen des Philebos die Oberhand. 174 Dort wird weiter bestätigt, dass sich die Mischung nicht zwischen an sich getrennten, nachträglich zusammengebrachten Gegenständen vollzieht. Im Rahmen dieses späteren platonischen Dialogs wird die dritte Gattung der Mischung innerhalb des vierfachen Gefüges zum Ort der Erscheinung verschiedener Aspekte von Belang: Die Mischung drückt sowohl den Prozess als auch das hergestellte Produkt aus. 175 Sie ist Mischung von entgegengesetzten Elementen, 176 was auch die Gefahr in sich birgt, dass die richtige Mischung aufgelöst wird: So ist die Mischung des guten Lebens nicht vorgegeben, son-------------------------------------------172
S. 881.
Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, in: KSA Bd. 1,
173 Die Metapher hat nach der Schilderung Hegels zunächst eine uneigentliche Bedeutung, bevor die metaphorische zur eigentlichen, rein begrifflichen übergeht: „Bei toten Sprachen fällt dies schwer [sc. die Unterscheidung zwischen wirklichen und herabgesunkenen Metaphern], da die bloße Etymologie hier die letzte Entscheidung nicht geben kann, insofern es nicht auf den ersten Ursprung und die sprachliche Fortbildung überhaupt, sondern vornehmlich darauf ankommt, ob ein Wort, das ganz malerisch schildernd und veranschaulichend aussieht, diese seine sinnliche Bedeutung und die Erinnerung an dieselbe beim Gebrauch für Geistiges nicht im Leben der Sprache selbst bereits verloren, und zur geistigen Bedeutung aufgehoben hatte.“ (Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, § 3a) Es sei hier betont, dass wir nicht nach Kriterien der lebendigen Metapher überhaupt suchen, sondern uns darauf beschränken, das „Lebendige“ der Metapher der Mischung bei Platon aufzuzeigen. 174 Im Rahmen des Sophistes zeigt sich die Verbindung mit der Mischung von Wein und Wasser auf dem Grund unserer Deutung der Verhältnisse der größten Gattungen. Im Philebos begegnet uns die Übertragung und philosophische Auswertung eines weiteren semantischen Umfeldes: Nicht nur die Bezeichnung „Mischung“ wird übertragen, sondern auch Verwandtes (wie „Zeugen“ und „Geburt“), wodurch die erotische Akzentuierung hervorgehoben wird. Dass nicht vereinzelte Nomina, sondern ganze semantische Zusammenhänge mitübertragen werden, sei, so die Kritik an der aristotelischen Metaphertheorie seitens Ricœurs, selbstverständlich. 175 Was bei Schwabe anhand der Untersuchung des Wortes μεῖξις zur Sprache kam, dass sie sowohl das Mischen als auch das Gemischte heißt (1980, S. 20), muss im Philebos als γένεσις εἰς οὐσίαν und γεγενημένη οὐσία philosophisch ausgewertet werden. 176 Die Mischung entsteht aus entgegengesetzten Komponenten, die in Ausgleich gebracht worden sind, sowohl im Fall der konkreten Mischung (s. Lg. 773d) als auch im Fall der geschlechtlichen Verbindung. Dass die „Mischung“ bei Platon immer am Problem der Verbindung der Gegensätze hängt, erweist die Heranziehung der relevanten Passagen: die Gegensätzlichkeit der Vernunft und der Lust und des πέρας und ἄπειρον im Philebos, die Gegensätzlichkeit des Bereichs des teilbaren Körperlichen und des unteilbaren Ideellen bei der Konstitution der Allseele und die Gegensätzlichkeit des νοῦς und der ἀνάγκη bei der Weltentstehung im Timaios, die Gegensätzlichkeit des Seienden und des Nicht-Seienden am Anfang des Sophistes, die aber bei der Behandlung der fünf größten Gattungen beiseite gelassen wird: Das Seiende und das Andere erweisen sich nicht als konträr.
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
53
dern aufgegeben und fragil. Was den Rang der Elemente angeht, wird sich im Fall der ausgewählten μέγιστα γένη der demokratische Charakter der Mischung zeigen, 177 da es sich um deren gleichrangige/ gleichursprüngliche „Elemente“ handelt; im Philebos gewinnt dem entgegen πέρας den ontologischen Rang über ἀπειρία. Im Rahmen dieser Arbeit gilt es zu zeigen, warum die Metapher der Mischung eine gelungenere Metapher als diejenige der Teilhabe für das Bezeichnen der innerideellen Beziehungen ist. Die Antwort lässt sich folgendermaßen antizipieren: Die vorphilosophische konkrete Mischung bindet den Prozess des Mischens und das Produkt des Gemischten zusammen. 178 Die philosophische Übertragung im Bereich des Intelligiblen ermöglicht danach das Zur-Sprache-Kommen des werdenden Charakters der ideellen Beziehungen, was im Falle der Teilhabe („μέθεξις“) nicht so deutlich offenbar wird. Außerdem verweist ihre biologische Herkunft sowohl auf den werdenden Charakter 179 der Ideenwelt als auch auf das „Gewordensein“ des ideellen Seins. Die Anwendung der Mischung auf der Ebene der Ideen deutet auf das ideelle Sein nicht als erstes unbedingtes Prinzip hin, sondern als ontologische Geburt, ontologisches Produkt in einer Reihe von „überzeitlichen geneseis“. So gelangt Platon vom sinnlichen Inhalt nicht zu einem von Sinnlichkeit abstrahierten Begriff, sondern zu einer das Sinnliche tragenden Metapher. Das Sichtbare und das Unsichtbare werden nicht als zwei voneinander strikt getrennte Bereiche betrachtet, sondern das Sinnliche schwingt bei der ideellen Mischung mit. III. Die Rolle der Mischung als Metapher im platonischen Philosophieren Schließen wir unseren Abschnitt mit einer Reihe von Überlegungen bezüglich der Funktion und der Rolle der Metapher innerhalb des platonischen Philosophierens, immer von der konkreten Metapher der Mischung ausgehend. Die Darlegung heißt Anregungen aus Aristoteles’ Analyse willkommen, die aber in den platonischen Kontext integriert und – wenn angebracht – modifiziert werden. Die Sprachfigur der Metapher kann zum Ersten eine zentrale Stelle innerhalb der geschriebenen Philosophie Platons erringen. Die polyvalenten platonischen Dialoge manifestieren sich unter anderem als dramatische Werke und machen die Kulmination einer philosophischen Rhetorik als protreptische Schriften aus. Die besondere Gattung des platonischen Dialogs wird infolgedessen zu dem Ort, an dem die Metapher am besten gedeihen kann. Der angemessene Stil ergibt sich – je nach Desiderat der jeweiligen Dialogpartie – als eine besondere Mitte zwischen dem Banalen und dem Erhabenen. Dem Letzteren dient unter anderem die Metapher, die sich über das Gebräuchliche hinwegsetzt und deswegen befremdlich wirkt. 180 Der veranschaulichende Charakter der Metapher (der Mischung) dient zum Zweiten den didaktischen Zielen der Dialektik. 181 Das μεταφέρειν geschieht anhand von Bildern, --------------------------------------------
177 Bei der κρᾶσις-Konzeption innerhalb der hippokratischen Schriften spielt die ἰσονομία τῶν δυνάμεων eine bedeutende Rolle. Es geht um Kräfte, die gleich stark herrschen müssen, damit der Körper gesund ist, und die Glieder der Gegensatzpaare (wie die Wärme-Kälte, TrockenheitFeuchtigkeit bei Alkmaion) sind beide real und positiv. Vgl. Schwabe 1980, S. 26-31. 178 Im Deutschen bezeichnet das Suffix -ung primär einen Prozess, sekundär auch das Ergebnis. 179 In dem ursprünglichen Erfahrungsbereich, wo die „Mischung“ der geschlechtlichen Verbindung (μείγνυσθαι) entsprach, überwog das Geschehen des Liebesaktes, während auf das gezeugte Kind als Produkt dieser Mischung nur ferner verwiesen wurde, s. Schwabe 1980, S. 34-35. 180 Arist. Rh. ΙΙΙ 2, Po. XXII 1-2. 181 Das aristotelische ποιεῖν τὸ πρᾶγμα πρὸ ὀμμάτων („Vor-Augen-Führen“, wobei nicht alle Metaphern als vor-Augen-führend betrachtet werden) nimmt die aristotelische Kategorie der ἐνέργεια in Anspruch. Gelungenere Metaphern sollen diejenigen sein, die lebendige Tatkraft oder
54
Kapitel 1
mit denen wir in unserem Alltag vertraut sind. Die Kontinuität zwischen vorphilosophischen Zusammenhängen und der Philosophie meldet sich auf diese Weise. Die Rolle des Bildes bleibt unter dieser Perspektive propädeutisch: Es bereitet den Weg zur Dialektik vor. Wir betrachten es noch nicht in seinem philosophischen Wesen. Das Bild wird zugleich aus seinem gewöhnlichen Zusammenhang herausgelöst und in einen neuen eingebettet, was dem Zuhörer oder Leser zunächst rätselhaft erscheint. 182 Dem zunächst irritierten, mitdenkenden Leser wird aufgegeben, die Ähnlichkeiten zu erforschen, die den Autor zu dieser lebendigen Metapher veranlasst haben. Dass die Irritation des Empfängers ein erstes methodisches Ziel seitens des platonischen Dialektikers ist, der ihn bewusst in die Aporie versetzen will, lernen wir vor allem – aber nicht ausschließlich – in den früheren Dialogen kennen. Trotz allem sollte der Eindruck vermieden werden, dass es sich bei dem Erstaunen aufgrund einer unerwarteten Metapher um die tiefste innere Aporie handelt, oder dass Platon das Philosophieren lediglich als ein Enträtseln aufgegebener Rätsel versteht. 183 Während nach Aristoteles ein Zeichen einer gelungenen Metapher im Rahmen der Rhetorik und Poetik das schnelle, angenehme Lernen ist, geht es im Fall der methexis und der Mischung als Metapher nicht um ein Rätsel, das entziffert werden muss, sondern um einen wesentlichen Kern der platonischen Lehre, dem sich der Mitphilosophierende nur innerhalb der langwierigen dialektischen Erziehung annähern kann. Anhand einer Metapher kann zum Dritten die Schwäche der tradierten Sprache überwunden werden, wenn kein geläufiges Nennwort zur Bezeichnung einer Sache vorliegt. Dass der Dialektiker kühn mit der überlieferten Sprache umgeht, wird häufig in den platonischen Texten manifest. Er wird herausgefordert, die der Sprache innewohnende Schwäche zu überwinden, indem er wagt, sogar neue Bezeichnungen einzuführen, auch wenn er bei seiner sacherschließenden Forschung relativ großzügig mit Wörtern und Ausdrücken verfährt und zu fast keinen terminologischen Fixierungen gelangt. 184 Als Viertes kann noch einmal der bereits geschilderte philosophische Umgang mit einem Bild innerhalb der Dialektik erwähnt werden – was bei der Deutung der anschließenden Kapitel zu entfalten ist –, der zu dessen Transformation führt: Vom sinnlichen wird es zum philosophischen Bild, wobei sich die Philosophie und die Dichtung bei dieser Umwandlung in ihrer allernächsten Nähe und Zusammengehörigkeit erweisen. IV. Zusammenführung der zwei Übertragungen Das meta-pherein erweist sich unserer bisherigen Darlegung zufolge als ein zutiefst im platonischen Denken verankertes Merkmal. Zwei verschiedenartige Übertragungen überkreuzen sich auf dem Boden unserer Thematik: Einerseits die Übertragung von Wahr-------------------------------------------Tätigkeit zur Sprache bringen: „in der vollen Blüte seiner Jahre stehend“ (in Rh. ΙΙΙ 11), „so dass Griechenland aufschreit“ (Rh. ΙΙΙ 10). Dazu Rapp 2002, II. Halbband, S. 905ff. 182 Aristoteles spricht von der Metapher als αἴνιγμα und den Rätsel aufgebenden Metaphern als gelungen in: Rh. 1405a37-1405b6, auch Po. 1458a24-32, wobei die übermäßige Anwendung oder das Zusammenbringen von überhaupt nicht verwandten Sachen kritisiert wird. 183 Damit wäre zugegebenermaßen auch Aristoteles einverstanden. 184 Als charakteristische Belege: Chrm. 163d3-6, Men. 87b8f., Theät. 177e1f., 184c1-3, 199a4f., Sph. 267d4-e2, Polit. 261e5-7, Lg. 864a8f. Aristoteles besteht gleichermaßen darauf, dass sogar neue Wörter in bestimmten Fällen einzuführen sind: ἐνίοτε δὲ καὶ ὀνοματοποιεῖν ἴσως ἀναγκαῖον (Kateg. 7a5-6, auch: 7b12, EN, 1108a18, Top. 104b36, 157a29). Die Benennung von zuvor Namenlosem leisten gewisse metaphorische Akte: Arist. Rh., III 2, 1405a36ff., Po. 21, 1457b25-30, was eine Theorie der ausschließlichen Substitution einschränkt (dass die Metaphern schon bestehende literale Bedeutungen ersetzen).
Die Übertragung der methexis und die Metapher der Mischung
55
nehmbarem bis zu dem jenseitigen Bereich der zwei platonischen Prinzipien, indem die Übertragung der methexis nachvollzogen wurde. Andererseits kommt jetzt die Übertragung einer geläufigen Bedeutung zu einer metaphorischen zur Sprache. Die zu Beginn des Abschnitts herangezogene heideggersche Bemerkung, dass sich die Meta-physik als Ort des vom Sinnlich-Uneigentlichen auf das Übersinnlich-Eigentliche übertragenen Metaphorischen zeigt, bestätigt sich. Allerdings sind hier zwei Einschränkungen zu machen: Zum einen spricht Heidegger in diesem Rahmen von der „maßgebenden Vorstellung von der ‚Metapher’“ 185 , die der so verstandenen Metaphysik entspricht. Das „er-hörende und er-blickende Denken“ ist im Rahmen der durch eine starke Trennung zwischen dem Sinnlichen und Nichtsinnlichen gekennzeichneten Meta-physik „nur als Übertragung gemeint, nämlich als Übertragung des vermeintlich Sinnlichen auf das Nichtsinnliche“ 186 . Daher trifft der Verdacht des deutschen Philosophen das metaphysische Verständnis der Metapher und nicht das Wesen der Metapher selbst. 187 Zum anderen muss hinzugefügt werden, dass es sich bei der von uns verfolgten Übertragung nicht um die Übertragung des Wahrnehmbaren auf das Geistige, sondern um die Übertragung eines Verhältnisses handelt: Von dem Verhältnis zwischen dem Wahrnehmbaren und der Idee wird zu den Ideen untereinander übergegangen, bevor es in dem Verhältnis der zwei platonischen Prinzipien endet. Und was die Übertragung der Mischung als Metapher angeht, ist noch in den Einzelausführungen und -deutungen aufzuzeigen – was hier bereits antizipiert worden ist –, dass das Sinnliche in der ideellen Mischung mitschwingt, was das Verständnis des Sinnlichen und Übersinnlichen als zweier Bereiche, die als für sich bestehend und getrennt gehalten werden, widerlegt.
-------------------------------------------185
Heidegger 2006, S. 89. Ebd., S. 88. 187 Anton Fr. Koch spricht im Anschluss an Heidegger von „Remetaphorisierung“ (VL SS 2001, § 14). Die Rede vom Bauen, vom Wohnen, von Stadt und Urwald zur Bezeichnung logischontologischer Zusammenhänge (in diesem Kontext des logischen Raums und des Nichts) ist remetaphorisiert in dem Sinne, dass eher rückübertragen wird: Es handelt sich um das Wiederaufleben ontologisch aufgeladener Begriffe, die jedoch wie schwache Metaphern auftreten, da ihre Stärke inzwischen in Vergessenheit geraten ist: Diese wird mithilfe der Phänomenologie zur Sprache gebracht. 186
56
Kapitel 1
2. Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes 2.1 Der Rahmen des dialogischen Geschehens I.
Die Suche nach dem Sophisten als Hintergrund für den Auftritt der platonischen Konzeption der Philosophie: Philosophieren als Wagnis
1.
Hermeneutischer Leitfaden 1.
2.
3.
4.
5.
6.
Sph. 237a3-4: Τετόλμηκεν ὁ λόγος οὗτος ὑποθέσθαι τὸ μὴ ὂν εἶναι: ψεῦδος γὰρ οὐκ ἂν ἄλλως ἐγίγνετο ὄν. Diese Rede hat gewagt, vorauszusetzen, dass das Nichtseiende ist; denn sonst gäbe es auf keinen Fall Falsches. Sph. 240c1-3: Κινδυνεύει τοιαύτην τινὰ πεπλέχθαι συμπλοκὴν τὸ μὴ ὂν τῷ ὄντι, καὶ μάλα ἄτοπον. Ich fürchte, das Nichtseiende ist da mit dem Seienden zu einem solchen Knoten verflochten, dass es ganz sonderbar ist. 1 Sph. 242a1-3: Διὰ ταῦτα μέντοι τολμητέον ἐπιτίθεσθαι τῷ πατρικῷ λόγῳ νῦν, ἢ τὸ παράπαν ἐατέον, εἰ τοῦτό τις εἴργει δρᾶν ὄκνος. Darum müssen wir nun wagen, den väterlichen Satz anzugreifen; oder wir müssen die Sache ganz und gar lassen, wenn irgendein Zögern uns hindert, das zu tun. Sph. 242b6-8: Φέρε δή, τίνα ἀρχήν τις ἂν ἄρξαιτο παρακινδυνευτικοῦ λόγου; δοκῶ μὲν γὰρ τήνδ’, ὦ παῖ, τὴν ὁδὸν ἀναγκαιοτάτην ἡμῖν εἶναι τρέπεσθαι. Wohlan, womit soll man nun diese gewagte Rede beginnen? Ich denke denn, Kind, wir müssen unbedingt den Weg einschlagen. Sph. 258b9f.: … καὶ δεῖ θαρροῦντα ἤδη λέγειν ὅτι τό μὴ ὄν βεβαίως ἐστὶ τὴν αὐτοῦ φύσιν ἔχον... …und man muss schon wagen zu sagen, dass das Nicht-Seiende gewiss seine eigene Natur hat… Sph. 258d7-e3: τὴν γὰρ θατέρου φύσιν ἀποδείξαντες οὖσάν τε καὶ κατακεκερματισμένην ἐπὶ πάντα τὰ ὄντα πρὸς ἄλληλα, τὸ πρὸς τὸ ὂν ἕκαστον μόριον αὐτῆς ἀντιτιθέμενον ἐτολμήσαμεν εἰπεῖν ὡς αὐτὸ τοῦτό ἐστιν ὄντως τὸ μὴ ὄν. Denn nachdem wir die Natur des Anderen als seiend und auf alles Seiende in Bezug aufeinander verteilt bewiesen, wagten wir zu sagen, dass eben dieses das wirklich Nicht-Seiende ist: jeder Teil von ihr [i. e. der Natur des Anderen], der dem Seienden entgegensetzt ist.
Was den hermeneutischen Rahmen des Dialogs angeht, verfährt der platonische Dialektiker „wagend“ (τόλμη), was impliziert, dass er auf eine Gefahr (κίνδυνος) antwortet.
--------------------------------------------
1 Nicht übertrieben ist hier die Betonung der Gefahr und der entsprechenden Furcht – auch wenn sie im alltäglichen Gebrauch von κινδυνεύει überhört wird –, da der Gast aus Elea die eventuelle Verletzung des väterlichen Verbots als bevorstehende Gefahr wahrnimmt und entsprechend schildert.
58
Kapitel 2
Dieses Moment ist in der platonischen Forschung bisher wenig beachtet worden. 2 Die folgenden Beobachtungen treten mit der Auffassung in Übereinstimmung, dass der Gast nicht als Vertreter einer bloß „formalen Begriffsforschung“ 3 gegenüber dem in diesem Rahmen schweigenden Sokrates dargestellt wird, sondern es sowohl im Fall des Sokrates als auch im Fall des Gastes um das Porträtieren echter platonischer Dialektiker geht; dabei darf das einzigartige, höchst faszinierende Phänomen des historischen Sokrates keineswegs gering geschätzt werden. Nach einer aufmerksamen Lektüre bestätigen sich die souveräne Führung des Gesprächs vonseiten des Gastes sowie seine Fähigkeit zu lehren – also zwei wichtige Aspekte der platonischen Dialektik. 4 Da dem Gast uns bekannte sokratische Züge zugewiesen werden, zu denen auch die Hervorhebung der Gefahr im Rahmen eines dialektischen Lebens gehört, treten zugleich seine echt platonischen Züge zum Vorschein. 5 Erst auf dieser erworbenen Basis sind wir dazu berechtigt, die entsprechenden Partien aus dem als positiv charakterisierten Teil des Dialogs als platonisches Gut bei unserem interpretatorischen Ansatz heranzuziehen, ohne in die Übertreibung zu verfallen, dass sich dort der „einsame Gipfel des platonischen Philosophierens“ finde. 6 --------------------------------------------
2 Hier wird der ausgewählte Leitfaden insofern verfolgt, als die hermeneutischen Voraussetzungen des untersuchten Dialoges beleuchtet werden. Die Schilderung der Wichtigkeit dieses Moments für die platonische Konzeption der Philosophie überhaupt würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Aichele hat die Bedeutung des Wagnisses für das platonische Philosophieren im Rahmen der Schriftkritik im Phaidros angesprochen, ohne dem eröffneten Bereich eine ausführliche Untersuchung zu widmen. Das Riskante der philosophischen Tätigkeit verortet er zum Ersten in der latenten Möglichkeit der Selbsttäuschung des Philosophen über seine eigenen Wissensmöglichkeiten, wenn die Distanz zwischen Göttern und Menschen verwischt wird (Aichele 2000, S. 71). Zum zweiten kann der Philosoph nach Aichele zu einem Sophisten degenerieren, wenn er um des Angesprochenen und dessen Überzeugung und nicht um der gesuchten Wahrheit willen ins Gespräch eintritt; überdies wächst die Gefahr in der Möglichkeit der Fehleinschätzung der seelischen Verfassung des jeweiligen Gesprächspartners (ebd., S. 72f.). 3 Friedländer 1975, S. 237. 4 Dazu s. Th. A. Szlezák 1997, S. 5, vor allem S. 88-90 und S. 93-100. 5 Die entscheidende Rolle der Gefahr und des entsprechenden Wagnisses bringt schon Sokrates im Phaidon überaus prägnant zur Sprache, wobei das hier angesprochene Risiko sich – anders als im Sophistes – mit der Entscheidung für die Art der Lebensführung verknüpft. Einerseits muss man der Gefahr entgehen, die Seele zu vernachlässigen (107c). Nach der mythischen Erzählung über das Schicksal der Seele nach dem Tode behauptet der kurz vor seinem eigenen Tod stehende Sokrates andererseits, es lohne sich das Risiko der Meinung, dass es sich auf die dargelegte Weise hinsichtlich der Seelen und ihrer Orte verhält: καλὸς γὰρ ὁ κίνδυνος (114d6). Was den Beweisstatus der Argumente bezüglich der Unsterblichkeit der Seele betrifft, unterstreicht Sokrates durch diese letzte Bemerkung, dass rationale Beweisführungen nicht hinreichen, um die Angst vor dem Tod zu überwinden. Man muss den Schritt wagen, eine vernünftige Lebensführung auszuwählen, auch wenn nicht im Voraus garantiert werden kann, dass das dichterisch entworfene eschatologische Bild zutrifft. D. Frede spricht in diesem Rahmen zu Recht von „einer grundsätzlichen Gefährdung des Menschen“ (1999, S. 165). Beim eschatologischen Mythos der Politeia wird die mit der Wahl der Lebensführung verbundene Gefahr angesprochen, nicht das beste Leben aus allen möglichen Lebensführungen auszuwählen, da man das gute Leben vom schlechten nicht unterscheiden kann (618b-c). Die Gefahr des Absturzes der einzelnen Seelen und des Misslingens, wenn die „Wiese der Wahrheit“ (Phdr. 248b5-c2) erreicht wird, wird im mythologischen Zusammenhang des Phaidros deutlich skizziert (246aff.), in dem die Seele – die göttliche wie die menschliche – mit einem Gespann verglichen wird. 6 Die Warnung stammt von Friedländer (1975, S. 250), der sich an alle Interpreten richtet, die seit Hegel die Passage der Gemeinschaft der höchsten Gattungen für die Kulmination der platonischen Philosophie halten. Fiedländer bietet, zusammen mit Rosen (1983, vor allem S. 10, 23), eine erwähnenswerte Alternative zu der hier vertretenen These an: Beide Interpreten gehen von einer grundlegenden Unterscheidung des Gastes von Sokrates aus. Der erste behauptet, dass ausschließ-
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
59
Der Gast aus Elea wird – trotz seiner Einführung als Philosoph – nicht sofort als philosophische Autorität akzeptiert, sondern zu einer Darstellung aufgefordert, die der Prüfung und eventuellen Kritik bedarf. Er tritt anonym hervor, 7 und von Beginn des Dialogs an wird seine Natur und die Gattung, zu der er gehört, zum Problem gemacht: Ist er ein Gott oder ein Philosoph? Wer und von welcher Natur ist er? Im Sophistes – wie in jedem platonischen Dialog – kommen vielfältige Aspekte des platonischen Bildes des Philosophen zur Sprache, auch wenn die Umgrenzung der philosophischen Natur einem anderen, nicht geschriebenen Dialog vorenthalten bleibt, der die Kulmination der Trilogie Sophistes – Politikos – Philosophos ausgemacht hätte. 8 Für den philosophischen Umgang mit der Tradition erweist sich die wagende Haltung des Philosophen als unerlässlich, wie insbesondere der Kritik an der parmenideischen Lehre entnommen werden kann. Da das Wagnis aber als die Antwort auf eine drohende Gefahr verständlich ist, sollten wir zunächst von der textlichen Basis des Sophistes her aufweisen, mit welchen Arten von Gefahr der platonische Philosoph konfrontiert wird und welcher Bedrohung das Geschäft der Philosophie ausgesetzt ist. 2.
Über κίνδυνος (Gefahr) im Sophistes
Die Hervorhebung der ethischen und existenziellen Aspekte, welche die ganze ontologische Forschung des Sophistes durchdringen, zählt zu P. Friedländers bedeutungsvollem Beitrag. 9 So verweist das Höhlengleichnis (R. 517a) auf die Gefahr des Philosophen zu sterben, die am Fall des Sokrates am deutlichsten veranschaulicht wird. Der in die Höhle herabgestiegene Philosoph kann das Gelächter der Unwissenden oder im Extremfall seine eigene Verurteilung hervorrufen. Unsere Annäherungsweise rückt dagegen die vonseiten des Gastes aus Elea dargestellte – oder eher angedeutete – Beziehung zwischen -------------------------------------------lich Sokrates die philosophische Natur par excellence nach der platonischen Konzeption verkörpert (1975, S. 226), die über die „formale Begriffsforschung“ des Eleaten hinausgeht: „Man stirbt nicht für Dihairesis“ (ebd., S. 237). Rosen führt eine Unterscheidung zwischen dem sokratischen Umgang und der Methode des Eleaten ein, um die These zu verfechten, dass sich die platonische Philosophie gemäß dieser Differenzierung vollzieht. Ihm zufolge bringt der Gast aus Elea als prüfender Philosoph die philosophische Option der politischen Anklagen gegen den verurteilten Sokrates zum Ausdruck: Dem älteren Philosophen werde auf diese subtile Weise vorgeworfen, er übe die sophistische Kunst aus, ohne über eine positive Lehre zu verfügen, die der Eleat im Gegensatz zu ihm besitze. Im gastfreundschaftlichen Klima der Einleitung findet freilich eine Feindseligkeit der Intentionen des Eleaten gegen Sokrates keine Stütze, noch kann eine Verteidigung Sokrates’ gegenüber dem Gast erkannt werden (also sowohl gegen Rosens Behauptung, 1983, S. 64, wie auch gegen ähnliche Darlegungen einer Feindlichkeit zwischen dem Gast und Sokrates, wie bei Gonzalez 2000). 7 Vgl. Phdr. 275c1-2: σοὶ δ’ ἴσως διαφέρει τίς ὁ λέγων καὶ ποδαπός. „Dir aber macht es vielleicht einen Unterschied, wer der Redende ist und woher er kommt.“ Sokrates wirft dem jungen Phaidros vor, dass er mehr Wert auf die Herkunft der Rede über die Minderwertigkeit der Schrift gegenüber der Mündlichkeit lege als auf die Prüfung, inwiefern die sokratische Rede wahr sei. Zugegebenermaßen tritt in diesem Zusammenhang im Sophistes ein Unterschied auf: Die Herkunft des Gastes aus Elea ist (geografisch und philosophisch) eindeutig; er ist also nicht völlig anonym. 8 Zu einer kurzen Schilderung der möglichen Antworten auf die Frage, warum Platon den genannten Dialog nicht geschrieben hat, Mouroutsou 2004, S. 248ff. (engl.), 2004, 172ff. (gr.) mit dortigem Verweis auf weiterführende Literatur. Dass Platon bewusst auf das Verfassen des Philosophos verzichtet, ist in der Einleitung des Politikos klar. Sokrates verschiebt sein Gespräch mit dem jungen Sokrates auf „ein andermal“ (258a5f.). An keiner Stelle im platonischen Corpus wird, wenn εἰς αὖθις angewendet ist, das aufgeschobene Thema wieder aufgenommen (vgl. charakteristische Stellen wie Euph. 15e3, Euth. 257a4, Crat. 440e3, Prt. 357b6, Phl. 33b11-c1, Plt. 263b1, Tim. 50c6). Diese Verallgemeinerung verdanke ich Nicholas Denyer. 9 Friedländer 1975, S. 257.
60
Kapitel 2
dem Wagnis und dem hier dargestellten philosophischen Unternehmen in den Vordergrund. Wenn man auf die Frage eingeht, wie die Gefahr in den anvisierten Dialog eintritt, stößt man zunächst auf eine der wenigen Aussagen Sokrates’ im einleitenden Teil des Sophistes: τοῦτο μέντοι κινδυνεύει τὸ γένος οὐ πολύ τι ῥᾷον ὡς ἔπος εἰπεῖν εἶναι διακρίνειν ἢ τὸ τοῦ θεοῦ. 10 Auch wenn κίνδυνος bei diesem umgangssprachlichen Ausdruck (κινδυνεύει) nicht mehr mitschwingt, sollten wir die grundlegende Gefahr hervorheben, die sich auf die Erfahrung der konkreten Bestimmung des Philosophen bezieht. Sokrates betont die Schwierigkeit der Bestimmung der Gattung des Philosophen wie des Gottes, was die Unterscheidung und Aussonderung von allen anderen Gattungen und notwendigerweise auch untereinander mit einschließt. Es handelt sich dabei um eine prekäre Verbindung, die von einer gleichzeitigen Differenz zwischen dem Gott und dem Philosophen ausgeht, die das ganze Corpus Platonicum prägt. Der platonische Philosoph wird des Öfteren als göttlich charakterisiert, 11 wobei die Grenzen zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen durch keine Überheblichkeit verwischt werden dürfen. Dass die hier bezeichnete Gefahr mit der trennenden Grenze zu tun hat, lässt sich auch später bestätigen, wenn der Gast seine Furcht darüber zum Ausdruck bringt, dass er bei dem sechsten Unterfangen, den Sophisten zu fassen, zu der sokratischen Elenktik gelangt ist (231b5-8). Denn Ähnlichkeiten lassen einen am ehesten ausgleiten und in den Irrtum verfallen, 12 was auch im Phaidros konstatiert wird, weil die Täuschung durch den allmählichen Übergang von unmerklichen Ähnlichkeiten zustande kommt; dagegen wird vom echten Rhetor und Dialektiker verlangt, dass er um die Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten des Seienden mit akribischer Genauigkeit weiß. 13 Wegen des Auftauchens der edlen Sophistik (nämlich der sokratischen Elenktik) bei der kämpferischen Begegnung der Dialektik mit der Sophistik kommt es zu der auch im Sophistes in den Vordergrund gerückten Gefahr. Es ist die Tatsache in Betracht zu ziehen, dass Philosophie und Dialektik – nach Platon, anders als bei seinem Schüler Aristoteles, inhaltlich zusammenfallende Begriffe – einander im Rahmen der Dialoge der Sophistik gegenübergestellt werden. Die sophistische Kunst wird als immerwährende Gefahr für die philosophische Erziehung verstanden, indem sie über die Grenzen des geschichtlich bedingten Phänomens der Sophistik hinausgeht und auf die innere Schwäche des logos zurückgeführt wird. 14 -------------------------------------------10 216c2-4: „Ich fürchte nur, diese Gattung sei sozusagen nicht viel leichter zu erkennen als die der Götter.“ (Übers. Rufener) Διακρίνειν bedeutet „unterscheiden, trennen, in Elemente auflösen“ (Sph. 226b6, 227a1, 253e1); häufig taucht es gleichzeitig mit seinem Gegensatz συγκρίνειν (= vermischen) auf, vgl. Phd. 71b, Prm. 157a. Es geht bei dieser Bemerkung von Sokrates um die Kennzeichnung des Philosophen in seiner Abgrenzung von seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen, wie derjenigen des Staatsmannes, des Sophisten, des Verrückten (dazu vgl. Phdr. 249d2), um alles nicht zu ihm Gehörige auszusondern. Anschließend wird von διορίζεσθαι Gebrauch gemacht (217b3), was den Prozess des Begrenzens (ὅρος: Grenze, auch natürliche Grenze, wie ein Fluss, der zwei Länder trennt, z. B. der Nil, nach Herodot, 2, 16; s. auch ὅρον ὁρίζειν, Sph. 247e, Grg. 470b) der drei gesuchten Gattungen noch deutlicher unterstreicht. Guthrie (19783, IV, S. 428, Anm. 1) vermerkt mit Recht, dass „marking out by boundaries“ gegen „defining“ vorzuziehen ist; zustimmend de Rijk 1986, S. 127, Anm. 3. 11 Die Angleichung an Gott vonseiten des Philosophen wird häufig als reale Möglichkeit skizziert: R. 611e, Tht. 176b, Lg. 716c-d, 818b-c. 12 Sph. 231a-b. 13 Phdr. 262aff. 14 Zur Verfallstendenz unseres λόγος vgl. die entsprechenden Passagen: vor allem VII. Ep. (philosophischer Exkurs, 342aff.), außerdem Phl. 15c-d: dazu unten, § 3.2, IV. Auch Aristoteles misst der Sophistik einen überzeitlichen Charakter bei, wenn er den Unterschied zwischen ihr und der Philo-
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
61
Hinsichtlich des umfangreichen Problems der Beziehung zwischen Dialektik und Sophistik sei hier nur kurz erwähnt, dass der erste Eindruck wegen der häufig skizzierten Auseinandersetzung zwischen Dialektik und Sophistik irreführen kann. Daraus darf nämlich nicht der Schluss gezogen werden, dass die Dialektik ihre eigene Identität ausschließlich auf der Basis ihrer Abgrenzung von der Sophistik gewinnt. In diesem Fall ginge es um eine konträre Entgegensetzung und die Dialektik könnte ihr Wesen nur in Beziehung zu demjenigen der Sophistik bestimmen, 15 was sich als unbegründet erweist, weil die Dialektik über ihren eigenen Gegenstandsbereich verfügt, der nicht in Relation zu demjenigen der Sophistik bestimmt wird. 16 Dagegen befindet sich die Sophistik in einer Beziehung der Abhängigkeit von der Dialektik – so wie die στέρησις (Privation) von ihrem entsprechenden εἶδος – und nicht umgekehrt. 17 Die sophistische Kunst erfüllt nicht die Bedingungen, um durch Reflexion ihr eigenes Wesen stichhaltig definieren zu können, wie der Verlauf des Dialogs Sophistes aufzeigt. Während darauf gezielt wird, den Sophisten in seinem Wesen zu bestimmen, wird das Gespräch durch die Führung des Eleaten so gelenkt, dass zuvor kurz und sehr dunkel geschildert wird, worin das Wesen und die Aufgabe des Dialektikers besteht (253c6-e6). Den ersten Eindruck eines zufälligen und unerwarteten Auftauchens des Philosophen 18 korrigiert eine aufmerksamere Betrachtung der Architektur und der Argumentationshandlung des Dialogverlaufs. Nach -------------------------------------------sophie in der Wahl der Lebensform verortet: ἡ σοφιστικὴ καὶ ἡ διαλεκτικὴ τῇ φιλοσοφίᾳ, ἀλλὰ διαφέρει τῆς μὲν τῷ τρόπῳ τῆς δυνάμεως, τῆς δὲ τοῦ βίου τῇ προαιρέσει, Metaph. Γ2, 1004b23-25. Den immerwährenden Konflikt zwischen Sophistik und Dialektik, der immer neue Gestalten annimmt, thematisiert Guthrie (19712, S. 3-13); s. auch Gadamer 1964, in GW, Bd. 6, S. 90-115. 15 Sokrates setzt sich mit bestimmten Vertretern der Sophistik und Antilogik in den Dialogen Euthydemos, Protagoras und Gorgias auseinander. Nach den Passagen, die zur dialektischen Kunst etwas beitragen, begegnet uns immer die Darlegung ihrer Verfallsform, der Sophistik. Auf diese Weise wird zugleich die Dialektik gegenüber der Sophistik abgegrenzt. Einige diesbezügliche Stellen: R. 454aff., 484aff., 537e-539d, Phl. 15a1-17a3. 16 Die Dialektik bestimmt ihr Wesen immer aufgrund der inneren Schwäche der Rede (VII. Ep. 343a1: τὸ τῶν λόγων ἀσθενές), so dass sie über ihre eigenen Grenzen reflektiert. Von derselben Schwäche geht auch die Sophistik aus, um ihrerseits jedoch die Rede zu missbrauchen. Indem die Dialektik nach den Grenzen des Vermögens unserer Erkenntnis und Rede forscht, setzt sie zugleich und indirekterweise auch ihre Grenzen gegenüber der Sophistik; die Bewahrung dieser Grenzen lässt sich als eine schwierige Aufgabe charakterisieren, denn wegen der irreführenden äußeren Ähnlichkeiten zwischen Sophistik und Dialektik besteht die größte Gefahr auszugleiten: ὀλισθηρότατον γένος (Sph. 231a8). 17 Zur Präzisierung bedarf es einiger erklärender Bemerkungen: Der Gast aus Elea verortet den Philosophen, indem er metaphorisch spricht, in der Helligkeit des Seienden, während der Sophist seinen Ort in der Dunkelheit des Nichtseienden findet (254a4-b1). Nur die frühere Bestimmung des Einheitlichen und des Geordneten (in diesem Fall des Philosophen) kann für die ergiebige Untersuchung des Vielfältigen und Negativen (im Fall des Sophisten) bürgen. Der Letztere erscheint als Verfallsform des Philosophen. Unter diesem Gesichtspunkt taucht eine Analogie der Beziehung zwischen dem Philosophen und dem Sophisten einerseits und der Gattung und der von ihr abhängigen στέρησις (Privation) andererseits auf. Anders argumentiert allerdings unter anderen Heidegger (1924/25, GA Bd. 19, S. 193), nach dem Platon mit der Frage nach dem Sinn der sophistischen Existenz indirekt und nicht ausdrücklich die des Philosophen mitbeantwortet. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt neuerdings Notomi 1999, S. 21ff. Die Frage nach der Art der Beziehung zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden als Andersheit als zwei der „größten Gattungen“ lässt sich durch die Bestimmung der Beziehung zwischen dem Sophisten und dem Philosophen nicht definitiv beantworten. Die Gleichursprünglichkeit der größten Gattungen wird in § 2.3 aufgezeigt. 18 253c7-9: ἢ πρὸς Διὸς ἐλάθομεν εἰς τὴν τῶν ἐλευθέρων ἐμπεσόντες ἐπιστήμην, καὶ κινδυνεύομεν ζητοῦντες τὸν σοφιστὴν πρότερον ἀνηυρηκέναι τὸν φιλόσοφον; „Oder sind wir, beim Zeus, unversehens auf das Wissen der freien Menschen gestoßen und laufen wir nicht Gefahr, zuerst den Philosophen gefunden zu haben, indem wir nach dem Sophisten suchen?“
62
Kapitel 2
den sechs ersten dihairetischen Versuchen entzieht sich die Gattung der Sophistik noch immer. In einem neuen Anlauf tritt die Notwendigkeit einer Untersuchung der außergewöhnlichen Verflechtung des Seienden mit dem Nichtseienden zutage. 19 Nach der kritischen Prüfung der vergangenen und der zeitgenössischen Ontologien 20 wird die Aporie bezüglich des Seienden und des Nichtseienden dadurch aufgehoben, dass fünf ausgewählte „größte Gattungen“ eingeführt werden, deren dialektische Beziehungen dargelegt werden. 21 Der Analyse der Prädikationsaussage 22 folgt die Rückkehr zum siebten dihairetischen Schema und abschließend die sich ergebende letzte Definition der Sophistik. Derjenige, der imstande ist, das vielgestaltige Wesen des Sophisten 23 zu bestimmen, ist der dialektische Philosoph und auf diese Weise erwirbt der scheinbar zufällige Exkurs seinen notwendigen Charakter. 3.
Auf den Spuren eines „Vatermords“. Die Bezähmung des Nichtseienden Plt. 284b7-9: [...] καθάπερ ἐν τῷ σοφιστῇ προσηναγκάσαμεν εἶναι τὸ μὴ ὄν, ἐπειδὴ κατὰ τοῦτο διέφυγεν ἡμᾶς ὁ λόγος […]. […] wie wir es im Sophistes durchgesetzt haben, dass das Nichtseiende ist, weil so allein unsere Untersuchung einen Ausweg finden konnte […]. 24
Nach der aus dem Politikos herangezogenen Stelle zwingen die SophistesGesprächspartner um der konkreten dramatischen Situation willen das Nicht-Seiende dazu, zu sein. Wie wir im Politikos die Existenz der Staatsmänner voraussetzen und um ihretwillen und um ihre Natur zu erklären die Unterscheidung zwischen zwei Messkünsten benötigen, so gehen wir im Sophistes von der Existenz der Sophisten aus. Zur Erklärung ihrer Natur ist es notwendig, dass wir das Nicht-Seiende zwingen, zu sein. Um die Natur des Sophisten zu fassen, kann der Dialektiker die Auseinandersetzung mit der parmenideischen Ontologie nicht länger umgehen (Sph. 237a3-b3). Von der Sophistik gelangen wir auf unvermeidliche Weise zur Philosophie und von der sophistischen Ausbeutung des Parmenides zu einer genuinen platonischen Auseinandersetzung mit der parmenideischen Ontologie. Die Gemeinschaft der höchsten Gattungen wird beanspruchen, eine Antwort sowohl auf Parmenides als auch auf die ihn in Anspruch nehmenden Sophisten und Eristiker verschiedenen Ursprungs zu geben. Die Frage, ob und wie die Gemeinschaft der größten Gattungen die ganze Vielfalt der Probleme löst, ist in der Forschung sehr umstritten. 25 Der Gast verbindet die Gefahr und das Wagende seiner Argumentation mit dem Vorwurf eines metaphorischen Vatermordes an seinem eigenen verehrten Lehrer Parmenides. Daher dürfen wir schon zu Beginn feststellen, dass Parmenides durchgehend der Hauptgesprächspartner des platonischen Gastes bleibt. 26 -------------------------------------------19
240c2-3. Bis 251a3. 21 Sph. 254d4-259e7. 22 Sph. 260a1-264b8. 20
23
Sph. 223c1-2, 226a6-7, 234b3-4. Nur ad loc wird ein anderer Dialog im Rahmen eines platonischen Gesprächs zitiert. 25 Vgl. Brown 2008, 1, S. 440ff. 26 In gewisser Abweichung von Palmer, obgleich er die Hermeneutik der Beziehung zwischen Platon und Parmenides auf ertragreiche Weise problematisiert hat. Palmer grenzt seine Hermeneutik von einer historischen Untersuchung ab, die zunächst die parmenideische Philosophie an sich untersucht, um dann ihren Einfluss auf die platonische Philosophie zu erforschen (daher als „essentialist fallacy“ gekennzeichnet, 1999, S. 9). Anstatt sich diesem in sich gewinnbringenden Unternehmen zu stellen, beleuchtet Palmer die platonische Rezeption, wie der Titel seines Buches preisgibt, und 24
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
63
Dabei sollten wir präzisieren, in welchem Sinn die Rede von einem „Vatermord“ seitens des platonischen Gastes aus Elea gerechtfertigt und in welchem Sinn sie unangebracht ist. Die Frage darf nicht so verstanden werden, als ob wir uns für Platons Verrat oder für seine Treue zu entscheiden hätten. 27 Wobei ein „Vatermord“ an der parmenideischen Lehre zunächst fehl am Platz zu sein scheint; weil das Nichtsein an sich vom Gast aus Elea als unaussprechbar charakterisiert und in der Folge beiseite gelassen wird, besteht der platonische Verstoß hauptsächlich darin, das (ideelle) Sein als Mischung von Sein und Nichtsein zu konzipieren und auf diese Weise die Mischung selbst zu rehabilitieren. 28 Die Prüfung der parmenideischen Ontologie wird durch die Diskussion über die Natur des Bildes initiiert, auf die der Gast nach sechs misslungenen Versuchen, dem Sophisten beizukommen, das Gespräch lenkt. In seinem siebten Versuch muss er sich entscheiden, in welche Kunst die Sophistik einzuordnen ist: diejenige der Ebenbildnerei (εἰκαστική) oder der Trugbildnerei (φανταστική). Beide Arten fallen unter die bildmachende Kunst (εἰδωλοποιητική, 236c6f.). 29 Das Erscheinen, das nicht ist, sowie das Äußern von falschen Aussagen werden als problematisch charakterisiert (236e1-237a1): Denn das Erscheinen selbst und das Scheinen, ohne zu sein, und das einiges Aussagen, das aber nicht wahr ist, sind seit je voll mit Aporien gewesen und so ist es auch jetzt. -------------------------------------------beansprucht, die Begegnung zwischen Parmenides und Platon als „Interaktion an sich“ darzustellen (ebd., S. 17, Anm. 1) und nicht als passive Aufnahme einer an sich betrachteten Philosophie des historischen Parmenides durch Platon. Palmer betont mit Recht die Erscheinung des Philosophen als Sophisten, mag er Parmenides, Platon oder der Gast aus Elea sein, was der Einleitung des Sophistes entspricht. Sein Beitrag besteht darin, den Sophistes als einen Dialog aufzuzeigen, in dem sich Platon von allen sophistischen Aneignungen des Parmenides distanziert (ebd., S. 87). Ungebührlicherweise spielt Palmer die Differenz zwischen der platonischen Selbst-Darstellung und der platonischen Emanzipation gegen Parmenides herunter (wie er selber zugesteht, ebd., S. 91). Platon setze sich im Sophistes gegen die sophistischen Entstellungen des Parmenides (ebd., S. 119) und nicht unmittelbar gegen Parmenides ein, obwohl die Interpreten oft ohne Weiteres für einen Vatermord plädierten. Trotz Platons Tendenz, sich im Anschluss an die Tradition darzustellen, darf man seine sachbezogene philosophische Auseinandersetzung mit Parmenides keinesfalls auf seine Widerlegung des sophistischen Parmenideismus und auf eine historische Korrektur der sophistischen Erscheinungen der Parmenideischen Unterströmung reduzieren. Um den Mängeln einer ausschließlich historischen Betrachtung zu entgehen, wie Palmer es beansprucht, muss man auch der Diskontinuität die ihr gebührende Ehre erweisen und Platons eigene Antwort auf die parmenideische Ontologie ausloten. 27 Pace Palmers Charakterisierung einer platonischen Emanzipation als Verrat an Parmenides, 1999, S. 145f. 28 Wir dürfen deswegen nicht zu der übereilten These gelangen, dass die Darlegung im Sophistes die Darstellung in Politeia V, 476eff. widerlege, bevor wir den unterschiedlichen Kontext berücksichtigt haben: richtig Szaif 2006, S. 450f., Anm. 145. Dort ist die Reinheit für das gänzliche Seiende (das ideelle Sein) reserviert, und die Mischung des Seins mit dem Nicht-Sein wird dem Wahrnehmbaren beigemessen. Der argumentative Kontext ist dennoch unterschiedlich: Dort ist nämlich die Eindeutigkeit und Stabilität des Objektes das Kriterium der Dreiteilung in reines Sein, Gegenstand der Meinung und Nicht-Sein. Es ist jedenfalls eine wichtige, wenn auch die Reinheit der Idee nicht widerlegende Entfaltung, dass im Sophistes auch die Idee als nichtseiend angesprochen wird. Dass die ideelle Mischung die Reinheit und Unvermischtheit der Idee als Wissensobjekt nicht bedroht, entnehmen wir dem Philebos 59c3f. 29 Die einzuteilende Gattung ist die nachahmende Kunst oder die ebenbildende Kunst, die erst in 235b8f. auftaucht. Hier werden sie als koextensiv dargestellt, wie sich schon 235b8-c6 entnehmen sowie durch 236b1f. und 236c6f. bestätigen lässt. Erst am Ende wird klar, dass die ganze Diskussion die „Nachahmung“ als das Hervorbringen von Bildern voraussetzte (265b1). Dennoch wird die ebenbildende Kunst von der Nachahmung in der letzten Dihairese unterschieden. Dort fällt die Nachahmung unter die ebenbildende Kunst als deren Spezies (268c8-d4). Platon nimmt eine engere Form von „Nachahmung“ in Anspruch, die durch körperliche Bewegung oder mit Hilfe der Stimme stattfindet.
64
Kapitel 2
Denn es ist durchaus schwierig, Theaitetos, nachdem man gesagt hat, wie Falsches Sagen und Meinen wirklich sein müssen, sich nicht in Widersprüchen zu verwickeln, alsbald man dies nur geäußert hat. Die Größe des Parmenides zeigt sich in 237a8f.: Er sagt: Denn du darfst es nicht zwingen zu sein, wobei es nicht ist; sondern halte den Gedanken von diesem Weg des Suchens fern. Darauf folgt der aporetische Teil über das Nicht-Sein, bevor der Gast das tradierte Konzept des Seins im ebenso aporetischen Teil über das Sein problematisiert, um von einem neuen Ansatz ausgehend zur positiven Darlegung überzugehen (251a5ff.). Was die Struktur der anschließenden Partie über das Nicht-Sein betrifft, können wir die zwei Aporien über das durchaus Nicht-Seiende (237b7-239c8) als den ersten Teil und die zwei folgenden Einwände über die Verknüpfung von Sein und Nicht-Sein (239c9-240c6 und 240c7-241b3) als den zweiten Teil der elenktischen Argumentation über das μὴ ὄν charakterisieren. Die oben zitierte Aussage, die der Gast auf den Prüfstein bringt (ὁ λόγος αύτός, 237b2), betrifft die Exklusion von Sein und Nicht-Sein im parmenideischen Befehl. Ab 237b7 bis 239c8 wird eine Orthologie über das (durchaus) Nicht-Seiende (ὀρθολογία περὶ τὸ μὴ ὄν, 239b4; vgl. 238c5) ad absurdum geführt. Im ersten Schritt (237b7-e7) teilt der Gast einige Reflexionen über die Bedingungen des Sagens mit, um das durchaus NichtSeiende von der Sagbarkeit auszuschließen. Das Nicht-Seiende kann an sich und entblößt von allem Seienden nicht ausgesagt werden, weil jedes Sagen die Bestimmtheit und Einheit des jeweiligen Objektes voraussetzt. Derjenige, der nicht etwas (Bestimmtes) sagt, sagt nichts und folglich sagt nicht. 30 Theaitetos meint, dass dies schon das Ende der Aporie einleite, wobei der Gast unterstreicht, dass die größte Aporie noch aussteht. Von 238a1 bis 238c11 wird nicht nur das Aussagen des durchaus Nicht-Seienden, sondern auch dessen Nennen und Ansprechen als unmöglich charakterisiert: Da wir dem durchaus Nicht-Seienden keine Anzahl als bestimmtes Seiendes beimessen können, können wir es überhaupt nicht aussprechen, weil wir es dann als Eines oder Vieles betrachten würden. Jeder Bestimmtheit beraubt lässt es sich weder äußern noch gar denken, 31 sondern ist undenkbar, unsagbar sowie unaussprechbar und unerklärlich (238c8-11). Die Selbstwidersprüche, in die sich derjenige verwickelt, der das durchaus NichtSeiende anzusprechen versucht, werden anschließend eigens thematisiert und machen die zweite Aporie aus (238d1-239c8). Bis 238c11 sind wir außerstande gewesen, das durchaus Nicht-Seiende zu sein zu zwingen. Unser Unternehmen, es zum sagbaren Objekt zu machen, scheitert und auf diese Weise misslingt der Versuch, die parmenideische Aussage zu widerlegen. In der zweiten Aporie 32 zwingt uns das durchaus Nicht-Seiende zu Selbstwidersprüchen, wenn wir uns wider den parmenideischen Befehl auf den Weg des durchaus Nicht-Seienden einlassen, um es zu prüfen (238d4-7). Der Gast reflektiert über den schon unternommenen elenktischen Versuch und fügt kein selbstständiges neues Argument hinzu: 33 Obwohl das Nicht-Seiende an sich einer jeder Bestimmung -------------------------------------------30
237e1-6. Διάνοια (238b7) wird schon als innerer Dialog der Seele mit sich selbst verstanden: 238c8-10. Vgl. Sph. 263e3-5 und Tht. 189e6ff. 32 Theaitetos mag von Aporie gesprochen haben. Wegen seiner höchsten Verwirrung in diesem Teil gründe ich die Aufzählung der zwei Aporien im ersten Teil der Partie über das Nicht-Seiende ausschließlich auf die Rede des Gastes. Er charakterisiert die Aporie in 238a1-c11 als den Anfang aller anderen Aporien, weil sich dabei sogar das Nennen des durchaus Nicht-Seienden als unmöglich erweist. Daher wird das Aussagen darüber ausgeschlossen. 33 Das macht er klar in 238d4: οὐκ ἐννοεῖς αὐτοῖς τοῖς λεχθεῖσιν… 31
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
65
beraubt sein sollte, setzen wir seine Einheit und Bestimmtheit voraus, wenn wir es nennen. Die Elenktiker scheitern bei ihrer Prüfung (239b1-5). Soviel offenbart der erste Teil der Partie über das Nicht-Sein. Der erste Teil (237b7-239c8) unterscheidet sich von den zwei folgenden Argumenten. Das wird durch die Änderung der Dramatik ab 239c9 signalisiert, weil erst dann der Sophist die Szene betritt und aktiv das Fragen übernimmt. Erst bei diesen zwei letzten Schritten tritt der Sophist auf, um den Versuch, ihn der Gattung der Ebenbildnerei oder der Trugbildnerei unterzuordnen, zum Scheitern zu bringen. Die kurze Problematisierung der Natur des Bildes (239c12-240c6) sowie der falschen Aussage (240c7-241b3) verstärkt die Aporie noch und schiebt das Fassen des Sophisten auf. Die Einmischung des Sophisten kann den Eindruck erwecken, dass es ab 239c9 um eher eristische und deswegen weniger gewichtige Argumente als bis 239c8 geht. Dennoch spricht auch der Gast von Aporien und nicht nur von Einwänden. 34 Erst auf der Basis der Aporien über das Nicht-Seiende an sich ist der Sophist bereit, seine Zuflucht durchzusetzen. Dazu nimmt er die ersten zwei Aporien über die Orthologie des völlig Nicht-Seienden in Anspruch. Weil die Referenz auf das durchaus NichtSeiende unmöglich ist, ist nach dem Sophisten auch die Falschheit unmöglich. Der Sophist will also durchsetzen, dass er stets Wahres sagt, weil Falschheit unmöglich ist: Sagt man etwas, muss es wahr sein. Der sophistischen Version gemäß ist die Referenz nicht nur die hinreichende, sondern auch die notwendige Voraussetzung der wahren Aussage. In dieser Annahme besteht sein erster Fehler. Die Referenz ist ein notwendiges Element der Aussage, wie der Gast nach der Gemeinschaft der größten Gattungen aufzeigen wird; dennoch lässt sich das Aussagen nicht auf das Nennen reduzieren. Die Voraussetzungen des Nennens und Sagens werden auseinanderzuhalten sein. Der zweite Irrtum des Sophisten besteht darin, dass er die Referenz selbst missversteht. Obwohl er darin übereinstimmen würde, dass das Nicht-Seiende an sich nicht sagbar ist, weil es aller Bestimmtheit des Objektes beraubt ist, muss er in seiner eristischen Praxis das Konzept des Objektes negieren. Da Objektivität und Fallibilität gemeinsam stehen und fallen, streicht der Sophist beide durch. Er behauptet, dass es nur den Gegensatz des Sagens und des Nicht-Sagens und nicht denjenigen der wahren und der falschen Aussage gibt. Was er aussagt, so meint der Sophist, muss immer wahr sein. Die Referenz auf etwas soll die Wahrheit der Aussage über etwas garantieren: Entweder der Sophist sagt etwas und trifft es oder er sagt nichts. Das Letztere identifiziert der Sophist nicht mit Falschheit, sondern mit einem Nicht-Haben; er scheint die falsche Aussage als ein Nicht-Berühren oder Nicht-Sehen misszuverstehen. Wenn wir ihn theoretisch verbessern, scheint er das Objekt der Referenz wie einen vorpropositionalen Ursachverhalt zu behandeln, den man entweder sieht oder nicht fasst. In solchen Fällen ist die Falschheit irrelevant. 35 Um die sophistische Gefahr umwillen unserer propositionalen Praxis zu beseitigen, hat Platon nicht weniger als die Objektivität unserer Rede zu begründen. Unsere Aussagen beziehen sich auf einen Teil der Realität, den sie auf entsprechende oder nicht ent--------------------------------------------
34 Im ersten Teil in 237e7, 238a2, d1; im zweiten Teil in 241b6. Obgleich die Rede von Einwänden ist (ἀντιλήψεις, 241b5), halte ich diese Bezeichnung nicht für die ausschlaggebende, anders als Szaif 1996, S. 411, Anm. 91, der die Verbindung zur eristischen Kunst betont. Jedenfalls beobachten wir durch die dramatische Änderung, wie der Sophist tatsächlich den historischen Parmenides ausnutzt. 35 Vgl. Arist. Metaph. IX 10, 1051b17ff. Meine Darlegung geht von Owens letzten Bemerkungen aus, 1971, S. 264f. Wenn ich hier von Ursachverhalten spreche, setzte ich nicht voraus, dass der Sophist solche theoretischen Ansprüche erhebt.
66
Kapitel 2
sprechende Weise nachahmen. Der Gast spricht schon in 234c6 von Abbildern, und zwar diskursiven Abbildern. Er beschreibt die sophistische Kunst nach dem Paradigma der Malerei (233d3f.). Der Maler ahmt alles Seiende nach und täuscht durch Gleichnamiges die Unerfahrenen (233b5ff.). Die Sophistik ist jedoch eine argumentative Kunst (234c2f.) und fertigt Abbilder im Diskurs an. Es ist von Bedeutung, dass erst in diesem Kontext der Begriff der Wahrheit auftritt, wenn nämlich entschieden werden muss, ob der Sophist über die Wahrheit verfügt oder eher etwas als Wahres erscheinen lässt. 36 Hätte Platon die Sache so ohne Weiteres stehen gelassen, wäre der Schluss gerechtfertigt, dass er sich hier auf den täuschenden Charakter der sophistischen, abbildenden Reden und daher auf den hauptsächlich täuschenden Charakter des Bildes bezieht. Später wird aber zwischen zwei Arten der abbildenden oder nachahmenden Kunst unterschieden: Die ebenbildende Kunst gibt die wahre Symmetrie wieder, wobei die Künstler, die das Wahre nicht berücksichtigen, ihre Trugbilder nach den nur scheinbaren Symmetrien vollbringen (235e-236a). Anschließend bringt der Gast noch einmal die Probleme der falschen Aussage und des Bildes zusammen: Wenn man den parmenideischen Satz nicht prüft, wird man nicht imstande sein, von falschen Aussagen oder Meinungen, von Abbildern, Bildern, Nachahmungen oder Trugbildern selbst oder von den entsprechenden Künsten zu sprechen, ohne in Selbstwidersprüche zu geraten (241e1-5). Das Bild und die falsche Rede werden nicht nur in dem aporetischen Teil miteinander in Verbindung gesetzt. Nach der Abhandlung über die größten Gattungen und die Erklärung der falschen Aussage stellt der Gast diese Verbindung erneut her: Verneint man unsere Fallibilität, hebt man auch Bilder, Abbilder und Trugbilder auf einmal auf (264c10-d1, sowie 266d8-e1). Zweierlei ist beachtenswert: Einerseits sollte der Abbildcharakter der Rede problematisiert werden. Andererseits ist, wenn man die letzte Äußerung berücksichtigt, nicht nur von Abbildern in der Aussage die Rede, sondern auch von realen Bildern, deren Existenz mit bedroht ist, wenn man die parmenideische Exklusion von Sein und NichtSein nicht revidiert. Es ist für beide Punkte von Relevanz, dass der Sophist in der ersten Partie des zweiten Teils des Argumentes über das Nicht-Seiende (239c9-240c6) grundsätzliche Probleme mit dem Konzept des Bildes hat. Der als Bildmacher oder Nachahmer verstandene Sophist wird nach der Natur des Bildes fragen (239c9-d4). Theaitetos, der an die auf dem Wasser und im Spiegel reflektierten Bilder denkt und sie anfängt aufzuzählen, wird korrigiert. Der Sophist interessiert sich für die logischen Bilder, die Abbilder der Realität in Sätzen; Theaitetos hat nicht in seiner Erinnerung bewahrt, dass die hier relevanten Abbilder die ausgesagten Abbilder sind (234c6, εἴδωλα λεγόμενα). An wahrnehmbaren Bildern scheint der Sophist kein Interesse zu haben, desto weniger an einer platonischen Metaphysik des Bildes wie die Platoniker der Spätantike. Er verschließt vielmehr seine Augen, tut so, als ob er nichts von Bildern weiß und fragt nach der Definition des Bildes (239e3-240a2). Dies mag ein philosophischer Schritt sein; der Sophist kann als Philosoph erscheinen, indem er genuin philosophische Schritte vollzieht, was aber ihn noch nicht zum Philosophen macht. 37 --------------------------------------------
36 Wenn man von 228c10-d2 absieht, wo die Seele als auf die Wahrheit gerichtet vorkommt. Nach der Einführung der Nachahmung (233d3ff.) kommt die Wahrheit öfter vor: so schon Sph. 233c11 (also kurz davor), 234c6, 235a2. 37 Vgl. den sokratischen Anspruch auf Definition einer Gattung anstelle der Aufzählung verschiedener Arten, die darunter fallen (Men., 72a6ff., Th. 146d3ff.). Ich ergreife hier die Gelegenheit, den ausgezeichneten Schluss von M. Frede 1996, 2, S. 151 zu zitieren: „We will be inclined not to overlook this if we believe that philosophy is not just a matter of being able to spot flaws in argu-
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
67
Uns interessiert hier, dass die Frage nach dem Wesen des Bildes im Allgemeinen gestellt wird, was sowohl reale Bilder als auch diskursive Bilder einschließen soll. Das Abbild ist das „dem Wahren angeglichene andere solche“ (240a8). So wie der Sophist als Philosoph erscheinen kann, kommt einem der Philosoph aus Elea in dieser dramatischen Situation sophistisch vor, insofern er Begriffe wie Andersheit und Kontrarität noch nicht voneinander unterscheidet. Diesem zugegebenermaßen verdrängten Argument liegt ein unangemessenes Identifizieren der Negation mit der Kontrarität zugrunde, das im positiven Teil des Dialoges korrigiert wird. Der Gast verleitet Theaitetos dazu, in seiner Definition des Abbildes von der Andersheit zur Kontrarität zu übergehen (240b5), die der Gast dann als Negation ausdrückt (240b7f.). Das darf nicht zu Missverständnissen führen. Der Eleat ist und bleibt der Philosoph, der sich entscheidet; die richtige Zeit zur Explikation und Unterscheidung dieser Begriffe ist noch nicht gekommen. Dürfen wir all dem entnehmen, dass Platon hier auf den Abbildcharakter des Urteils hinweist? 38 Es ist einerseits wahr, dass der Gast diese Eigenschaft der Rede nirgends thematisiert, auch später nicht. Dennoch treffen wir Richtiges, wenn wir die Betonung der Distanz von der Wahrheit (234c4-5), das Entsprechen der wahren Symmetrien (235e6f.) sowie das Ähnlichmachen des Abbildes mit dem Wahren in Theaitetos’ Definition des Abbildes ausloten. Was hier vorausgesetzt wird, ist der realistische Aspekt der Wahrheit. 39 Um diesen Aspekt mit einem aristotelischen Beispiel zu verdeutlichen: Nicht deshalb, weil wir auf eine bestimmte Weise – die man dann die wahre Weise nennen könnte – meinen, du seiest weiß, bist du weiß, sondern umgekehrt: weil du weiß bist, sagen wir, wenn wir dies sagen, die Wahrheit. 40 Unsere Wahrheitsansprüche sind wahr, weil sie einem Teil der Realität entsprechen. Im Rahmen seines so anklingenden realistischen Verständnisses der Wahrheit kommt es so vor, als ob Platon eine Wahrheitstheorie der Übereinstimmung impliziere. Was den oben als zweiten erwähnten Punkt einer Metaphysik des Bildes betrifft, begnügen wir uns mit kurzen Bemerkungen. Die Aufhebung unserer Fallibilität hebt die Bilder auf (264c10-d1 sowie 266d8-e1, wie oben gesagt). Es ist klar, dass diese Aussage nicht nur die logischen Abbilder betrifft. Der Gast eröffnet einen Weg für eine Metaphysik des Bildes, die die späteren Platoniker entschieden verfolgt haben. Die Entfernung vom Wahren bezieht sich auf die verschiedenen Grade von Sein und dementsprechend Wahrheit. Diese Grundlage hat Sokrates bereits am Ende des sechsten Buches der Politeia festgelegt (511d6-e4). 41 -------------------------------------------ments or occassionaly to produce flawless arguments concerning a philosophical question.“ Auch hier wird dieser tiefsinnige Schluss bestätigt. 38 Die Frage beantwortet positiv M. Frede 1996, 1, S. 185. Anders McDowell 1982 und Szaif 1996, S. 404. 39 Zu der Unterscheidung dreier Momente des Begriffs „Wahrheit“ (dem realistischen, dem pragmatischen und dem phänomenalen) s. A. Koch 2008, Der metaphysische Realismus und seine skeptizistische Seite. 40 Metaph. IX 10, 1051b6-9. 41 Nur wenn man die ganze Bild-Metaphysik Platons aus den Angeln hebt, kann man Königshausens Kritik an der Bildmetaphorik folgen. Danach sei diese für unseren Begriff des Denkens, des Erkennens und der Irrtumsmöglichkeit unzureichend, weil nach seinem Dafürhalten im logos Originale hervorgebracht werden und keine Abbilder. „Die Sophisten produzieren etwas, das kein Vorbild hat, – Irrtum, Schein“ (1992, S. 367). Trotzdem ist die Kunst, unter die die Sophistik fällt, die abbildererzeugende Kunst; daher spielt das Abbilden in der Sprache in der platonischen Darstellung eine gewichtige Rolle, auch wenn es nicht ausgelotet wird. Nach Königshausen „erfährt sich der Mensch im logos als Schöpfer von Originalen, als Demiurg“ (ebd., S. 367). Bei dieser Interpretation schließt sich Königshausen der Deutung des Neuplatonismus (Proklos und Iamblich) an, dergemäß das
68
Kapitel 2
*** Nach der Partie über das Nicht-Sein bittet der Gast aus Elea den Theaitetos darum, ihn nicht für jemanden zu halten, der eine Art Vatermord verübe (Sph. 241d3). 42 Wir hatten gesagt, dass Platon sich mit Parmenides auseinandersetzen muss, um sowohl die Falschheit unserer Reden zu begründen als auch auf eine Metaphysik des Bildes hinzuweisen. Der Eleat muss mit der mächtigen parmenideischen Rede beginnen. Zu unserer Verteidigung werden wir den Satz des Vaters Parmenides prüfen und das Nicht-Seiende zwingen müssen, dass es in einer Hinsicht ist, und das Seiende wiederum, dass es irgendwie nicht ist (241d5-7). 43 Im weiteren Verlauf verdrängt Platon tatsächlich das gänzlich Nicht-Seiende, das im ersten Teil der Partie über das Nicht-Sein problematisiert wurde. Dafür hat er uns schon vorbereitet, indem er in der aporetischen Partie keine Verbindung zwischen dem gänzlich Nichtseienden und dem Nicht-Seienden im Falle des Bildes und der falschen Rede hergestellt hat. Nicht das gänzlich Nicht-Seiende, sondern ein Nicht-Seiendes, das irgendwie ist, wird im Weiteren thematisiert, um damit die Möglichkeit von Bildern und falschen Aussagen zu begründen. Das gänzlich Nicht-Seiende wird beiseite gelassen, was auch zur Sprache kommt, wenn der Gast in seinen zusammenfassenden Bemerkungen zugibt, dass das Nicht-Sein als dem Sein konträr und das parmenideische Ausschlussverhältnis zwischen Sein und Nicht-Sein in der jetzigen Darlegung beiseite gelassen worden ist: 44 Lass niemand uns sagen, dass wir das Nicht-Sein als dem Sein konträr ankündigen und wagen zu sagen, dass es sei. Denn wir nehmen seit langer Zeit von der Frage über ein ihm (dem Seienden) Konträres Abschied, ob es ist oder nicht, mit Definition oder völlig unaussagbar. 45 Die Rolle der philosophischen Prüfung als Elenktik tauchte zum ersten Mal in der edlen Sophistik als der herrlichsten und vortrefflichsten aller Reinigungen auf. 46 Es gehört
-------------------------------------------Thema des Sophistes der „sublunare Demiurg“ sei. Die Inanspruchnahme eines Demiurgen schließt das Produzieren von Bildern, die Urbilder haben, jedoch nicht aus, im Gegenteil. 42 241d3: Μή με οἷον πατραλοίαν ὑπολάβῃς γίγνεσθαί τινα. 43 Τὸν τοῦ πατρὸς Παρμενίδου λόγον ἀναγκαῖον ἡμῖν ἀμυνομένοις ἔσται βασανίζειν, καὶ βιάζεσθαι τό τε μὴ ὂν ὡς ἔστι κατά τι καὶ τὸ ὂν αὖ πάλιν ὡς οὐκ ἔστι πῃ. 44 Sph. 258e6-259a1: Μὴ τοίνυν ἡμᾶς εἴπῃ τις ὃτι τοὐναντίον τοῦ ὄντος τὸ μὴ ὄν ἀποφαινόμενοι τολμῶμεν λέγειν ὡς ἔστιν. ἡμεῖς γὰρ περὶ μὲν ἐναντίου τινὸς αὐτῷ χαίρειν πάλαι λέγομεν, εἴτ’ ἔστιν εἴτε μή, λόγον ἔχον ἢ καὶ παντάπασιν ἄλογον. 45 Platon sagt nicht, wir nehmen Abschied von dem gänzlich Nicht-Seienden, sondern von den behandelten Fragen, die uns in Widersprüche verstrickt haben. Indem wir sie beiseite lassen, verschieben wir auch die Untersuchung des genauen Bezugs zwischen dem gänzlichen Nicht-Sein und der Idee der Andersheit. Platon konzentriert sich auf die Idee der Andersheit, um die Objektivität unseres Diskurses gegenüber dem Parmenides und dem Sophisten zu rehabilitieren. Ich stimme Szaifs Charakterisierung des gänzlichen Nicht-Seins als von hypothetischem Charakter zu (1996, S. 446ff.), da es die Gegenständlichkeit überhaupt annihiliert. Dennoch weiche ich von seinem damit verbundenen Schluss ab, dass Platon es als ein falsches oder zu verwerfendes Konzept von NichtSein betrachte. Wir verdrängen es, weil es uns zum Widerspruch zwingt. 46 Sph. 236d6-8.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
69
zur Agenda des Dialoges, die philosophische Tradition in Bezug auf das Nicht-Sein und das Sein zu prüfen, bevor die positive Lösung der Gemeinschaft der größten Gattungen exponiert wird. Der Dialektiker sollte dabei imstande sein zu wagen, über das Tradierte hinauszugehen. 47 Vergegenwärtigen wir uns in diesem Zusammenhang, dass Sokrates im Timaios den Dichtern gerade nicht vorwirft, sie seien ontologisch von der ideellen Realität weit entfernt. Was seine Kritik viel eher trifft, ist die Tatsache, dass sie oft außerstande sind, etwas nachzuahmen, das über ihren Bildungskreis hinausreicht. 48 Eine kritische Betrachtung der vererbten Erziehung wird auch im Sophistes konkret gefordert, indem die im Rahmen des Theaitetos noch verschobene Auseinandersetzung mit dem furchterregenden Parmenides nun ausgeführt wird. Das Nichtseiende an sich (τὸ μὴ ὂν αὐτὸ καθ’ αὑτό) wird geprüft, was zur Verstrickung in unaufhebbare Widersprüche zwingt. Die Hoffnung, es unmittelbar zu erfassen, erweist sich als trügerisch. 49 Gegenüber der immensen Gewalt des Nichtseienden an sich wird indessen vonseiten des Gastes eine Gegengewalt ausgeübt, so dass am Ende das Nichtseiende bezähmt und gezwungen wird, irgendwie doch zu sein. Im Bereich des ideellen Seins nämlich erlangt das Nichtsein, das außerhalb des Ideellen verbannt ist, seine Widerspiegelung – eine Art von Derivat – in der Idee der Andersheit. Das Nichtseiende an sich entzieht sich jeder Möglichkeit der Bestimmung, sogar der sprachlichen Bezeichnung, während sich die Natur der Idee der Andersheit – wenn auch mit Schwierigkeit – als bestimmbar erweist. 50 Deren Ursprung macht die sich absolut entziehende Natur des Nichtseienden an sich aus. Einerseits unternimmt Platon im Sophistes, das Nichtseiende schlechthin „ein für allemal aus dem Horizont des Denkens durch die höchste geistige Anstrengung zu entfernen“, 51 andererseits meldet sich dessen Natur auf dem Grund der sich einer Bestimmung entziehenden – wenn auch nicht unbestimmbaren – physis des Anderen zurück. Um gegen Platon nicht den Vorwurf des Vatermordes als des schlimmsten aller Delikte vorzubringen, 52 müssen wir uns auf die Implikationen eines „Vatermordes“ besinnen. Ein metaphorischer Vatermord ist auf ein Verbot und dessen Übertretung angewiesen. Die vom „Vater“ gesetzte Grenze wird übertreten. Eine solche Tat kann Schuldge--------------------------------------------
47 Das Transzendieren ergibt sich als ein wichtiger Punkt, nicht nur für die Komposition der Dialoge, sondern auch für die Dialektik selbst als Wissenschaft und ihre Beziehung zur Tradition. Was das erste anbelangt, hat Th. A. Szlezák 1985 aufgezeigt, wie sich in der Struktur des βοηθεῖν τῶ λόγῳ das Hinausgehen über die gehaltene Rede manifestiert. Im Sophistes erweist sich nach unserer Interpretation das Transzendieren auch im Fall der Auseinandersetzung mit der (parmenideischen) Tradition als grundlegend. 48 […] τὸ δ’ ἐκτὸς τῆς τροφῆς ἑκάστοις γιγνόμενον χαλεπὸν μὲν ἔργοις, ἔτι δὲ χαλεπώτερον λόγοις εὖ μιμεῖσθαι. (Ti. 19d7-e2): „was dagegen außerhalb der Erziehung eines jeden liegt, das ist für ihn schwierig, in Taten, und noch schwieriger in Worten gut nachzuahmen.“ (Übers. Rufener) 49 Sph. 238d4-7, 238d6, 239b2f. 50 Sph. 257d4, 258a7f., 11, b9f.: τὸ μὴ ὂν βεβαίως ἐστὶ τὴν αὐτοῦ φύσιν ἔχον. Wie oben gesagt, stellt Platon keinen expliziten Bezug zwischen dem gänzlichen Nicht-Sein und der Idee der Andersheit her. 51 Barbarić 1999, S. 81. 52 Im Phd. 113e6ff. wird das furchtbare Schicksal der Seelen solcher Verbrecher nach ihrem Tod beschrieben. Vor einem voreiligen Missverstehen des angesprochenen Vatermordes warnt entsprechend Thanassas 1997, S. 268: „Platons Verhältnis zu Parmenides kann in etliche Perspektiven eingerückt und verstanden werden. Zum Missverstehen dieses Verhältnisses jedoch verleitet nichts mehr als die übliche Darstellung der Philosophiegeschichten: Platon habe im Gegenzug und in ausdrücklicher Konfrontation mit Parmenides das Nichts rehabilitiert, unter seine megista gene aufgenommen, und somit den berühmten ‚Vatermord’ begangen.“ Wir erwidern, Platon rehabilitiere nicht das Nichts, sondern die Mischung.
70
Kapitel 2
fühle erwecken: In unserem philosophischen Kontext mag dies eine explizit durchlittene Furcht vonseiten des Gastes sein, die dieser Tat der Emanzipation möglicherweise umso mehr einen solchen schuldhaften Charakter beimisst, als der Gast einen „Vatermord“ leugnet. All dies zugestanden darf der Versuch des Eleaten jedoch weder für eine gewalttätige Bluttat noch für eine kopernikanische Wende innerhalb der Geschichte des Denkens gehalten werden. 53 Die Darlegung des platonischen Gastes führt zu einer Modifikation des Sinns des Seins überhaupt und in dieser Hinsicht kann die Rede vom „Vatermord“ gerechtfertigt sein: Die von Parmenides charakterisierte „abscheuliche Mischung“ (Fr. 12, Vers 4: στυγεροῖο τόκου καὶ μίξιος), die das Exklusionsverhältnis zwischen Sein und Nicht-Sein widerlegt, wird rehabilitiert, indem das (ideelle) Sein selbst als Mischung der größten Gattungen exponiert wird, deren Natur in §2.3 noch dargelegt werden wird. Nach Parmenides’ Lehrgedicht ergeben sich zwei „Wege der Forschung“: 1. (τὸ ὂν) ἐστι, 2. (τὸ ὂν) οὐκ ἐστι. 54 Von dem zweiten unauffindbaren Weg kommt uns keine Kunde, da das Nichtseiende unerkennbar, unvollziehbar und unsagbar ist. 55 In der Forschung wird zurecht moniert, dass die Kennzeichnung des Nichtseienden an sich als ein „undenkbares, unaussprechbares, unsagbares“ (Sph. 238c) 56 in Einklang mit dem zweiten Weg der Untersuchung steht, vor dem Parmenides in seinem Lehrgedicht warnt. 57 Der einzige begehbare und wahre Weg ist gemäß der Offenbarung der parmenideischen Göttin der erste. Der Irrtum der „zweiköpfigen Sterblichen“ besteht darin, dass sie die Disjunktion der zwei ersten Wege nicht als Disjunktion verstehen und eine Vereinbarkeit der sich ausschließenden Wege für möglich halten: τὸ ὂν καὶ ἐστι κοὐκ ἐστι. Es kann in Zweifel gezogen werden, ob Platon den historischen Parmenides angemessen widergibt oder auf eine bemerkenswerte Weise falsch vernimmt – was den par--------------------------------------------
53 Hier wird Wert auf die platonische Darstellung der Beziehung zu Parmenides gelegt, während eine grundlegendere Untersuchung dieser Beziehung zwischen Platon und Parmenides auch das parmenideische Lehrgedicht selbst in Betracht ziehen müsste. 54 S. Reinhardt 19854, S. 36. 55 Fr. 2. 56 Dem Nichtseienden an sich werden diejenigen Prädikate beigemessen, die dem Einen der ersten Hypothese des Dialogs Parmenides beigemessen werden: ἄφθογγον, ἄρρητον, jenseits unserer Denk- und Sprechmöglichkeit: Prm. 142a. 57 Dazu O’Brien 1995, besonders S. 11-18, 84ff. und passim. Er unterscheidet zwischen zwei Blickwinkeln, unter denen die Frage nach dem Vatermord an Parmenides betrachtet und beantwortet werden kann. Platon verlässt nicht schlechthin die ganze parmenideische Konzeption. Einerseits kann man von Übereinstimmung sprechen, insofern das Nichtseiende, das dem Seienden konträr wäre, verurteilt wird („condamnation du non-être qui serait comme le contraire de l’être“, ebd., S. 29). Andererseits geht Platon über Parmenides hinaus, indem er dem Nicht-Seienden doch Sein verleiht (also gegen Fr. 7). Die zwei kontradiktorischen Antworten drücken nach O’Brien die Problematik des Historikers der Philosophie aus: Es geht um einen Vergleich von zwei an sich „en effet strictement incomparables“ Systemen des Denkens, weil sie sich auf verschiedene Voraussetzungen stützen. Es sollte nicht überraschen, wenn Platon Parmenides anerkennt und zugleich missbilligt. Platon muss sich nach dem französischen Interpreten der angesprochenen Ambiguität bewusst gewesen sein (ebd., S. 30). Trotz der sehr subtilen und treffenden Beobachtungen vonseiten O’Briens muss man – was die Verurteilung des Nichtseienden betrifft – präziser vermerken, dass die Untersuchung über die Realität eines Nichtseienden, das sich dem Seienden entgegensetzte, explizit außer Betracht bleibt: 258e6-7. Im Rahmen des Sophistes geht es nicht um die Erforschung einer möglichen absoluten Entgegensetzung (ἐναντίωσις) zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden. Dennoch aber bedeutet dies keinesfalls eine „condamnation“ des Nichtseienden an sich: Das Nichtseiende an sich entspräche wahrscheinlich dem zweiten platonischen Prinzip, aber gemäß der platonischen Schriftkritik, die auch der Gast aus Elea – wie alle platonischen literarischen Gestalten – respektiert, wird eine solche Darlegung aus dem geschriebenen Dialog ausgeschieden.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
71
menideischen Wortlaut betrifft –, wenn er sein Lehrgedicht wie folgt zitiert, Sph. 237a8-9: Οὐ γὰρ μή ποτε τοῦτο δαμῇ, φησίν, εἶναι μὴ ἐόντα. ἀλλὰ σὺ τῆσδ’ ἀφ’ ὁδοῦ διζήμενος εἶργε νόημα. So auch in 258d2-3: Οὐ γὰρ μή ποτε τοῦτο δαμῇ, εἶναι μὴ ἐόντα, ἀλλὰ σὺ τῆσδ’ ἀφ’ ὁδοῦ διζήσιος εἶργε νόημα. 58 Platon hätte sich verhört, wenn er das τοῦτ’ οὐδαμῇ des tradierten Gedichts durch τοῦτο δαμῇ ersetzt hätte. Auf diese Weise wäre noch einmal in der Geschichte des Denkens belegt worden, wie „gewalttätig“ sogar ein schlichter Interpretationsakt sein kann: 59 Während sich der Gast dagegen wehrte, einen Vatermord an Parmenides verübt zu haben, 60 projizierte Platon seinen eigenen Interpretationsansatz in das bloß wiedergegebene Wort hinein. Auf diesen Akt der Bezähmung des Nichtseienden muss jedenfalls gebührend Wert gelegt werden, da darin der Zweck Platons besteht. Vom Zwang gegenüber dem Nichtseienden, dass es sei, und dem Seienden, dass es nicht sei, spricht wiederum der Gast im Anschluss an die Auslegung der parmenideischen Lehre (βιάζεσθαι, 241d6). 61 Sicher lässt sich der Behauptung des Gastes entnehmen, 62 dass er den vom historischen Parmenides verbotenen Weg des Nichtseienden tatsächlich beschreitet, wenn er der Verflechtung des Seienden mit dem Nichtseienden nachgeht und die Natur des Anderen darlegt, damit der vielköpfige Sophist in seiner trugbildnerischen Tätigkeit durch eine gelungene Definition eingefangen werden kann. 63 Der Weg des Nichtseins wird begangen. Das gänzliche Nicht-Sein wird irgendwie bezähmt, indem aufgezeigt wird, dass die Negation nicht nur als Ausschlussverhältnis, sondern als Andersheit zu verstehen ist. Weder das ideelle Ganze noch unsere Aussagen darüber werden vom Widerspruch bedroht. Man muss dennoch umsichtig mit der Rede von einer „Überwindung“ der parmenideischen Lehre umgehen. Es sei daher an die Beobachtung Gadamers erinnert, dass „alle Überwindung auf das bezogen ist, von dem abhängig ist, was sie überwindet“ 64 . In die--------------------------------------------
58 „Denn dazu werden sich Dinge gewiss niemals zwingen lassen: zu sein, wenn sie nicht sind“ (Anfang vom Fr. 7, Übers. Hölscher, Hervorhebung G. M.). Der Vers ist nicht eindeutig zu rekonstruieren; zumindest gibt es auch die Version der Codices B T, nach denen τοῦτ’ οὐδαμῇ (es keinesfalls) statt τοῦτο δαμῇ vorkommt. Wenn auch philosophisch ein Sich-Verhören vonseiten Platons am fruchtbarsten wäre (im parmenideischen Vers wäre die Rede von τοῦτ’ οὐδαμῇ gewesen und trotzdem berichtet Platon von τοῦτο δαμῇ), erlaubt die Metrik des daktylischen Hexameters den Wortlaut τοῦτ’ οὐδαμῇ nicht. S. dazu die Ausgaben von Ruggiu und Cerri (1999, S. 215, mit der Hinzufügung, dass δάμνυμι in dieser Bedeutung ein hapax legomenon sei). Die Frage, ob die zwei Verse des Fr. B7 sich auf den zweiten parmenideischen Weg oder die irrigen Meinungen der Doppelköpfigen im parmenideischen Gedicht beziehen (Reinhardt 19854, S. 45f., Fränkel 19622, Anm. S. 404, beziehen überzeugend die zwei ersten Verse auf den zweiten, nicht begehbaren Weg des Nichtseienden; anders: Hölscher 1969, S. 88f., O’Brien 1995, S. 8-9), zeigt sich nicht von entscheidendem Belang für die platonische Transformation: Unabhängig von der Auslegung des parmenideischen Lehrgedichts stammt die Notwendigkeit nach Platon aus dem Sein selbst, das sich als Verflechtung des Seins und des Nichtseins manifestiert. Die Ausdifferenzierung des Seins – die unsere Analyse schrittweise entfalten wird – lässt sich nicht auf die Irrwege der Sterblichen zurückführen. 59 Aristoteles übernimmt den von Platon wiedergegebenen Wortlaut: Metaph. N2, 1089a4. 60 Sph. 241d3. 61 Die Gewalt gegen das Nichtseiende spielt eine unerlässliche Rolle auch bei der Konstitution der Allseele in Timaios’ mythischer Erzählung: Das Andere muss gezwungen werden, um in das Gemischte neben dem Seienden und dem Selbigen eintreten zu können. 62 Dies entspricht nach unserer bisherigen Darstellung der platonischen Auffassung. 63 Sph. 258c9-10: Πλεῖον ἢ ‘κεῖνος ἀπεῖπε σκοπεῖν, ἡμεῖς εἰς τὸ πρόσθεν ἔτι ζητήσαντες ἀπεδείξαμεν αὐτῷ. „Über das hinaus, was er zu forschen verboten hat, sind wir in unserer Untersuchung weiter gegangen und haben ihm gegenüber unsere Feststellung gemacht.“ (Übers. Rufener) 64 „Zur Vorgeschichte der Metaphysik“, zunächst in: Anteile. Martin Heidegger zum 60. Geburtstag, hier aus den GW zitiert: Bd. 6, S. 22.
72
Kapitel 2
sem Zusammenhang entwickelt Gadamer gewisse Stränge der unerschöpflichen, da „anfänglichen“ Wirkungsgeschichte des archaischen parmenideischen Denkens (im Sinne des Anfänglichen und nicht des noch nicht bis zu Ende Gedachten), vor allem in der Fortentwicklung Platons und Aristoteles’. Da diese Aussage sich in Gadamers Darstellung der Überwindung des eleatischen Seinsgedankens vonseiten der platonischen Dialektik einfügt, ist sie für uns hier in mehrfacher Hinsicht überaus relevant: In aller Ausführlichkeit zu zitieren ist hier die Fortsetzung, die Gadamers Erörterung als unübertroffen tief und sacherschließend erweist und die auf die Problematik der Überwindung am Beispiel unserer Thematik, der Mischung, fokussiert: Die platonische Dialektik ist abhängig von dem eleatischen Seinsgedanken, den sie auflöst. Das wird an nichts deutlicher als an dem umfassenden Gebrauch, den Plato von dem Begriff der Mischung macht, weit über den Bereich hinaus, in dem im strengen Sinne von Mischung ursprünglich für sich seiender Bestandteile die Rede sein kann. Plato redet nicht nur von der Mischung des Schönen und Hässlichen, der Mischung des Seins und des Nichtseins, des Selbigen und des Verschiedenen – Mischung heißt sogar (in der Lehre von den vier Gattungen im „Philebos“) das Verhältnis von Bestimmendem und Unbestimmtem. Selbst das Wesen der Bestimmung und der Messung werden also von dem eleatischen Hintergrund aus verstanden. In Wahrheit ist der Gedanke der Mischung nur eine der zahlreichen Formen, in denen Plato das wahre Verhältnis der Ideen beschreibt, wie Verflechtung, Vergesellschaftung, Verwandtschaft, Teilhabe usw. Sie alle haben den gemeinsamen Wesenszug, das Fürsichsein des in der Beziehung stehenden vorauszusetzen. Das aber heißt, von dem eleatischen Begriff des Seins ausgehen und die Beziehung der Ideen aufeinander als Dialektik erfahren. 65 Dem Athener Philosophen war die Wichtigkeit seiner Beiträge zu der Geschichte des Denkens bewusst, auch wenn er nicht wie sein Schüler Aristoteles die Geschichte seiner philosophischen Vorgänger teleologisch auf seine Einsichten zulaufen und in sie einmünden ließ. Vor diesem Hintergrund kommt eine Bezeichnung wie „Vatermord“ nicht von ungefähr zur Sprache. Platons Beziehung zu der Tradition war nicht durch Bescheidenheit charakterisiert. Er hält seine positive Antwort auf die Frage nach dem Sein und dem Nichtsein der Ausweglosigkeit der geprüften tradierten Lehren souverän entgegen. Unter der Perspektive der so verstandenen Emanzipation Platons können wir auch die auffällige Dramaturgie verstehen, dass Platon die Kritik an Parmenides in den Mund seines eigenen Schülers legt. Der Gast gehört selbst der eleatischen Sippe 66 an und dennoch geht er über die parmenideische Lehre (also seine eigene) in der dargestellten Art hinaus. Durch diese subtile Darstellungsart wird auf die Notwendigkeit des Über-sichhinaus-Schaffens und der geistigen Selbstüberwindung hingewiesen. 67 Nicht nur die -------------------------------------------65
Gadamer, GW Bd. 6, S. 22. Sph. 242d4f. 67 Auf diese Weise findet Blucks Aporie bezüglich der Auswahl eines Eleaten als dramatis persona einen Ausweg (1975, S. 31). Von Selbstüberwindung des Gastes spricht auch Friedländer 1975, S. 252. Eine solche These braucht sich nicht unbedingt dadurch zu verifizieren, dass sich Platon bei der Behandlung der Ideenfreunde auf eine frühere Entwicklungsstufe seiner eigenen Lehre bezieht, die er nun – in der jetzigen Entwicklungsphase – überwunden hat. Die hier angesprochene Art der Selbstüberwindung kann am besten am Fall der literarischen Gestalt des Parmenides im gleichnamigen Dialog aufgezeigt werden. Dort wäre eigentlich nicht die Rede vom „Vatermord“, sondern die vom philosophischen „Selbstmord“ richtig am Platz, da der Gesprächsführer selbst der Vater ist. 66
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
73
anderen werden in ihrer Argumentation von dem platonischen Dialektiker verbessert, 68 sondern er selbst verbessert seine eigene Theorie in ständiger Auseinandersetzung mit der Tradition – wobei die Grenzen zwischen Assimilation, Kritik und Überwindung nicht immer klar zu ziehen sind. Und wenn es um Platon selbst geht, hat er seine Theorie im ununterbrochenen Dialog mit kritischen Stimmen der platonischen Akademie elaboriert, der sowohl zur Präzisierung als auch zur Verbesserung und weiteren Entwicklung verschiedener Aspekte der Theorie führte. Die platonische Philosophie nimmt die Tradition freundlich in sich auf und hebt sie zugleich auf. 69 II. Vorbemerkung: Der Sophistes als geeignetes Feld für die Frage nach der Mischung Indem ich die zu interpretierenden Aussagen des Gastes als platonisches Gut aufgezeigt habe, ist der Weg zur Auslegung der Partien des so charakterisierten konstruktiven Teils des Sophistes vorbereitet. Bis jetzt habe ich die Auseinandersetzung mit Parmenides als den gemeinsamen Nenner des Ganzen betrachtet und den realistischen Aspekt der Wahrheit als platonische Grundvoraussetzung dargelegt. Beide Thesen werden weiter aufgenommen. Bei der Behandlung der Mischung muss ich den als positiv charakterisierten Teil des Dialogs interpretieren. Ab 251a5ff. wird eine Mehrzahl von verwandten Begriffen (wie Gemeinschaft, Teilhabe, Anwesenheit, Zusammenklang) verwendet. Die Natur der erforschten Mischung der größten Gattungen wird indessen vor der Analyse des Philebos zum Vorschein kommen können. Es ließe sich der Vorwurf äußern, dass bei der Analyse des Sophistes zu Unrecht auf die Mischung fokussiert werde, da dort hauptsächlich die methexis angewendet und die Mischung und deren Analyse dem Philebos vorbehalten sei. Man könnte also kritisieren, dass es sich hier um eine petitio principii meinerseits handle. Die Arbeit thematisiere die Mischung im Sophistes, nicht weil sie von der Sache her fundamental sei, sondern weil die Arbeit die Mischung zum Thema habe. Diese Kritik entkräfte ich folgendermaßen: Eben durch die Mischung weist Platon darauf hin, was der Gemeinschaft der größten Gattungen droht, nämlich die Verwischung der Grenzen des Seienden und des Anderen. Auch wenn er andere Metaphern in Anspruch nimmt, wird sich die der symmetrischen Mischung als die für diesen philosophischen Kontext mehr offenbarende erweisen. Der Hinweis auf die Gefahr der Verwischung der Grenzen wird von Platons Bereitschaft begleitet, die Grenzen bei den größten Gattungen nicht verwischen zu lassen. Er mag den Weg zu Plotin vorbereiten, aber er schlägt ihn nicht ein. Bei unserer Analyse des Sophistes gerät nicht in Vergessenheit, dass es im Fall der Mischung der größten Gattungen und der Mischung im Philebos um zwei Konzepte der Mischung geht, die mit verschiedenen Momenten auf der ganzheitlichen Bewegung des Dialektikers zu verbinden sind. Die Ausführung über den Sophistes wird in der Ebenbürtigkeit des Seienden und des Anderen im Rahmen der ideellen Mischung kulminieren. Zunächst werde ich mich zu einer grundlegenden Unterscheidung bekennen, die schon im aporetischen Teil zu ziehen ist, wenn der Gast die Theorien über das Sein unter die Lupe nimmt. Es handelt sich um das Auseinanderhalten von allgemeiner Ontologie des Seienden qua Seienden als dynamis --------------------------------------------
68 Sph. 247c3f.: Σαφῶς γὰρ ἡμῖν, ὦ Θεαίτητε, βελτίους γεγόνασιν ἇνδρες. Es geht nämlich um den Versuch, die „Materialisten“ zu einer verbesserten Version ihrer Theorie über das Sein zu führen. 69 „Aufhebung“ ist dreifach (im Sinne Hegels) zu verstehen: negatio: Beseitigung, conservatio: Bewahrung, elevatio: Hinaufheben auf eine höhere Stufe.
74
Kapitel 2
einerseits und der speziellen Ontologie des ausgezeichneten ideellen Seienden andererseits. Diese Klärung und Unterscheidung der zwei Fragestellungen wird nicht weniger als die Entschärfung einer starken Disjunktion bewirken, die die Platon-Interpretation der Passage über die „Gigantomachia“ bestimmt und auf spezifische Weise beschränkt. 70 Erst im Anschluss daran werde ich auf den positiven Teil eingehen können. 2.2 Die Einführung der „Mischung“ ins Gespräch und ihr Aufweis: Vom Sein qua Sein als dynamis zur dynamis des ideellen Seins als Mischung I.
Dynamis als Kriterium des Seins: Von einer allgemeinen Ontologie des Seienden qua Seienden zu einer speziellen Ontologie des ausgezeichneten Seienden
In diesem ersten Unterteil besteht mein Ziel darin, die Charakterisierung des Seienden als dynamis (δύναμις, Kraft, Vermögen) als platonisch aufzuzeigen. Dazu werde ich vom Sophistes ausgehend andere Dialoge zusammen mit vor allem älterer, aber guter und deswegen erwähnenswerter Literatur mit einbeziehen (I.1). Dabei werde ich noch einen weiteren Schritt vollziehen und behaupten, dass Platon durch dynamis die Frage nach dem Seienden qua Seinden beantwortet und den Horizont einer allgemeinen Ontologie entwirft. Nach einem Korollar über den mathematischen Begriff der dynamis (I.2) werde ich die Ideenfreunde als metaphysische Realisten darstellen (I.3) und zu der Stelle über das vollkommen Seiende gelangen (I.4). Die Abgrenzung von anderen Deutungen und der Bezug auf den neuesten Stand der relevanten Debatten wird vor allem in I.5 erfolgen, auch wenn ich einzelne Punkte der Forschung schon vorher erwähnen werde. Abschließend werde ich einiges über die Idee als dynamis zusammenfassen (I.6). Auf diese Weise wird der oft zu Unrecht bezweifelte positive Charakter der Gigantomachie über das Seiende rehabilitiert. 71 Darüber hinaus wird ihr Übergangscharakter zum Vorschein kommen, der von höchster philosophischer Relevanz ist. Es laufen hier nämlich zwei Stränge ineinander, die, hält man sie nicht auseinander, höchste Verwirrung und einseitige Parteilichkeit in der Forschung hervorrufen, wie die neueste Diskussion beweist: Wir erfahren in dieser Partie des Dialogs den Übergang von der Frage nach der allgemeinen Ontologie zu der Frage nach der speziellen Ontologie eines ausgezeichneten Seienden, nämlich des ideellen, das Platon auch im Sophistes nicht aufgehört hat, als göttlich zu bezeichnen (254b1). Gleichzeitig erschwert sich die Lage dadurch, dass noch zwei weitere ins Spiel kommende Fragestellungen zu unterscheiden sind, nämlich die intensionale und die extensionale. Platon wird sich in unserer Darlegung als Vorreiter der aristotelischen Metaphysik und des Problems der Einheit der allgemeinen Ontologie des Seinden qua Seienden und der speziellen Ontologie oder Theologie erweisen, die nach der göttlichen Substanz fragt. Mit diesem Schluss haben wir es zum einen geschafft, Platon von dem Vorwurf einer Verschwemmung der Perspektiven in der untersuchten Partie zu retten. Es ist das Positivste, was wir dem Text entnehmen können, indem wir aufzeigen,
--------------------------------------------
70 Ich beziehe mich auf die häufigen Disjunktionen, die in der Platon-Exegese seit der Antike vertreten werden: vgl. oben § 1.2, II. 71 Vgl. z. B. Malcolm 1983, der im Anschluss an ältere Forschung (wie von Diès 19632) folgert: „[…] any ontological principles to be discovered in Sophist 246a-249d are only apparently doctrinal.“ (ebd., S. 127). Dabei will er die Frage nach einer Revision der platonischen Ontologie negativ beantworten.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
75
wie der platonische Ansatz den aristotelischen Weg vorbereitet. 72 Zum zweiten ebnen wir dabei weder die Unterschiede der verschiedenen Ansätze noch die unterschiedlichen Antworten ein. 1.
Δύναμις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν vom Kontext der Verbesserung der Materialisten im Sophistes ausgehend
Auf die merkwürdige Verflechtung des Seienden mit dem Nichtseienden sind die Gesprächspartner schon bei der Behandlung der Natur des Bildes gestoßen, 73 und seitdem tauchen die Begriffe der Verknüpfung, Gemeinschaft oder Anwesenheit ständig auf. Dies gilt sowohl für die Verknüpfung des Nichtseienden mit dem Seienden (241b1-3) als auch für die Anwesenheit oder Abwesenheit der Gerechtigkeit in der Seele (247a). Darüber hinaus ist das Konzept der Gemeinschaft im Gespräch mit den Ideenfreunden ausschlaggebendes Thema, 74 bevor das Ganze auf der Basis der Übereinstimmung ins Erkenntnistheoretische einmündet (ab 248c11ff.). Der Begriff dynamis wird theoretisch in Betracht gezogen, 75 wenn der Gast sich anschickt, die Materialisten zu überzeugen, ihren schroffen Materialismus zu überwinden. Das geschieht im Kontext der so charakterisierten „Riesenschlacht über das Sein“ (246a4f.). Der Eleat zielt auf die Vermittlung zwischen zwei konkurrierenden Positionen, derjenigen der Materialisten und der so genannten Ideenfreunde, was stark an die vermittelnde Rolle des Sokrates zwischen den Vertretern der heraklitischen und parmenideischen Lehre im Theaitetos erinnert. Der das dortige Gespräch führende platonische Dialektiker, nämlich Sokrates, vermerkt, dass die Gesprächspartner gleichsam zwischen die beiden Parteien „hineingeraten“ seien. 76 Bei dieser Vermittlung setzt man sich der großen Gefahr aus, sich lächerlich zu machen, wenn sich nämlich beide Respekt verdienenden Parteien bei der Probe als nicht angemessen sprechend erweisen. 77 Auf ähnliche Weise übernimmt der Gast im Sophistes eine vermittelnde Rolle zwischen den Materialisten und den Ideenfreunden: ἐν μέσῳ δὲ περὶ ταῦτα ἄπλετος μάχη τις (242c6f.), 78 wobei die Gefahr hier über die sokratische Ironie hinausreicht: Die Mitforschenden gehen das Risiko ein, in der unaufhebbaren Aporie hinsichtlich des Seienden und des Nichtseienden stecken zu bleiben. Der angesprochene Vergleich der Vermittlung unterstützt aufs Neue die in dieser Arbeit vertretene These, dass der Gast mit sokratischen Zügen porträtiert wird – oder angemessener gesagt: Die zwei dargestellten Charaktere, der Gast nicht weniger als Sokrates, verfügen über gemeinsame platonische Züge. Eine philosophische --------------------------------------------
72 Zum Problem der aristotelischen Metaphysik als einheitlicher Wissenschaft, die allgemeine und spezielle Ontologie umfassen soll, s. M. Fredes auf paradigmatische Weise knappe und klare Darstellung (1987). 73 Sph. 240c1f. 74 Sph. 248bff. 75 Nach dem platonischen Hang, Begriffe lange vor ihrer Thematisierung unauffällig einzuführen, tritt schon seit den anfänglichen dihairetischen Versuchen die δύναμις hervor, ohne dass darauf aufmerksam gemacht wird: 219a6, 219b4-9, wo das „Passive“ (ποιεῖσθαι) und das „Aktive“ (ποιεῖν, 219b4) als die zwiefache δύναμις der herstellenden Kunst zusammengefasst werden (227b7). 76 Tht. 180e6: ἀμφοτέρων εἰς τὸ μέσον πεπτωκότες. 77 Tht. 181b4f.: ὅρα οὖν, ὧ Θεόδωρε, εἰ λυσιτελεῖ εἰς τοσοῦτον προϊέναι κίνδυνον. 78 Platon untergräbt von der Mitte aus beide Seiten (die der Somatisten und die der Ideenfreunde). Zugleich vereinigt er sie von der Mitte her. Zur Funktion der Mitte als Hauptsitz und Kampfplatz, wo sich die zu vermittelnde Synthese ereignet, vgl. die Gedanken über die geografisch prävalierte Mitte von Athen in der damaligen griechischen Ökumene: zwischen sowohl Norden (Thraken) und Süden (Phönikern und Ägypten: R. 435ef., Lg. 747c) als auch Westen (Süditalien) und Osten (Kleinasien: Rahmenerzählung des Parmenides).
76
Kapitel 2
Ursituation kommt hier unabhängig von den konkreten geschichtlichen Anlässen und Koordinaten zur Sprache, nämlich Zwietracht zwischen zwei scheinbar nicht zu vereinbarenden Thesen. Die dritte, vermittelnde Lösung soll kein mittelmäßiger Kompromiss sein; es kommt vielmehr darauf an, beide Momente, die sich in jeder der beiden Theorien versteifen und verabsolutieren ließen, in einer spannungsvollen, aber haltbaren Theorie zur Geltung zu bringen, die ein starres Entweder-Oder beseitigt. 79 Um zu unserer Situation zurückzukehren, muss man vorsichtig genug sein, um die zwei einander entgegengesetzten Positionen nicht als symmetrisch zu betrachten. Die Materialisten behaupten, dass es nur das Körperliche gibt, das sie mit dem Sein identifizieren. Sie sind Monisten, wobei die Ideenfreunde das Intelligible als die wahrhafte Seinsweise betrachten mögen, 80 dennoch das Körperliche nicht auf Intelligibles reduzieren. Ihr Anfangspunkt ist ein Dualismus, welcher Art auch immer. Platon entwirft einen Typus, der eine Priorität des Körpers vertritt, ja noch mehr: eine Derivation des Seelischen und Intelligiblen aus dem Körperlichen impliziert. Letztendlich plädiert er für einen materialistischen Reduktionismus der Form „alles ist Körper“ 81 . Statt ausschließlich das Körperhafte als Sein anzuerkennen, sollten sie das Immaterielle, wenn es auch irgendetwas Immaterielles gibt, neben dem Materiellen als seiend einräumen. Dabei sollten sie ihren reduktionistischen Materialismus aufgeben. Ich behaupte also: was nur immer über eine Kraft verfügt, sei es, auf irgendetwas anderes eine Wirkung auszuüben, sei es, um selbst etwas an sich zu erleben, mag das auch das allermindeste von dem Geringsten sein und wenn auch nur ein einziges Mal – das alles ist wirklich; ich stelle nämlich als Merkmal zur Bestimmung des Seienden auf, dass es nichts anderes ist als eine Kraft. 82 Die Vermittlung zwischen den zwei Positionen wird auf der Basis eines Terminus gesucht und erreicht, der das Sein sowohl des Körperlichen als auch des Unkörperlichen ausdrücke (247d2-4). Nach dieser Auffassung des Seins als Kraft gehört zum Sein das Körperliche. Zugleich, und darin besteht das Manöver des Gastes, wird der Weg dafür --------------------------------------------
79 Ähnliche Situationen in der Geschichte der Philosophie sind die Debatten zwischen kognitiven und realistischen Wahrheitstheorien oder zwischen den Flüchtigkeitstheoretikern und Personalitätstheoretikern im Rahmen der Theorie der Subjektivität (A. Koch, Tübinger Vortrag 2002, Anm. 8). 80 246b8: τὴν ἀληθινὴν οὐσίαν. Diese Charakterisierung beweist zweifelsohne die Priorität der intelligiblen Substanz gegenüber der sensiblen. Später im Text wird der Bereich des Dialektikers als göttlich ausgezeichnet (254b1). Deswegen stimme ich eher M. Frede 1996, 1 als Brown 1998, S. 204, Anm. 47, zu, was den priviligierten Typus von Seiendem angeht. Mit Brown stimme ich darin überein, dass das Ganze der Riesenschlacht auf eine „all-inclusive ontology“ hinausläuft (1998, S. 205): Wenn man die extensionale Fragestellung berücksichtigt, nämlich „Was gibt es für Seiendes?“, beinhaltet das Sein sowohl das Intelligible als auch das Sensible. Dabei bleibt das Intelligible das primäre und ausgezeichnete Seiende. 81 Vgl. die Diskussion über die Priorität der Seele gegenüber dem Körper im zehnten Buch der Gesetze. Dort vertritt der Typus der Materialisten explizit einen Reduktionismus: Lg. 891c1-4. In dem ersten Beweis über die Existenz Gottes wird auf den Leib-Seele-Dualismus fokussiert. Im Sophistes handelt es sich bei der anfänglichen Distinktion um den wahrnehmbaren Körper und die unkörperliche, intelligible Idee. Die Seele bereitet dann Probleme sowohl für die Materialisten als auch für die Ideenfreunde. Die Materialisten im Sophistes lassen sich überzeugen, ohne großen Widerstand zu leisten: Sie hätten immer noch behaupten können, dass die Seele aus dem Körperlichen entsteht, obwohl sie unsichtbar ist (Sph. 247b-c). 82 Sph. 247d8- 247e4: Λέγω δὴ τὸ καὶ ὁποιανοῦν [τινα] κεκτημένον δύναμιν εἴτ’ εἰς τὸ ποιεῖν ἕτερον ὁτιοῦν πεφυκὸς εἴτ’ εἰς τὸ παθεῖν καὶ σμικρότατον ὑπὸ τοῦ φαυλοτάτου, κἂν εἰ μόνον εἰς ἅπαξ, πᾶν τοῦτο ὄντως εἶναι. Τίθεμαι γὰρ ὅρον [ὁρίζειν] τὰ ὄντα ὡς ἔστιν οὐκ ἄλλο τι πλὴν δύναμις.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
77
vorbereitet, dass die Seele und die Idee durch diese Bestimmung der Kraft als Seiendes willkommen geheißen werden: Der Begriff dynamis eignet sich für die erstrebte Verbesserung der Position eines reduktionistischen Materialismus, weil er eben ursprünglich nicht ausschließlich die körperliche Stärke bezeichnet und von Haus aus keineswegs mit der Vorstellung einer bestimmten – sei es nun körperlichen oder seelischen und intelligiblen – „Kraft“ verbunden ist. 83 Vielmehr ist dynamis im genauesten Sinne das gewissermaßen abstrakte Vermögen zu etwas. Der Bereich, in dem die jeweilige Kraft zur Anwendung kommt, wird die Kraft jeweils als körperlich oder aber seelisch bestimmen. Man kann infolgedessen ihre Instanzen nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. 84 Die Frage, die wir hier durch dynamis (247d8-e4) beantworten, ist die Frage nach dem eigentlichen Sein von beidem Seienden, dem körperlichen sowie dem intelligiblen (ὄντως εἶναι 247e3). Wegen der vorangegangenen Passage 247d2-4 dürfen wir nicht auf dem Weg der Idee als dem eigentlichen Seienden (ὄντως ὄν) in die Irre gehen. 85 Die Ontologie, die der Gast hier entwirft, ist eine allgemeine, indem er nach dem Seienden qua Seiendem fragt. Die intensionale Antwort, die er gibt, ist die dynamis des Tuns oder Leidens. Es geht dabei um eine allumfassende Ontologie, die alle Bereiche des Seins in sich einschließt. Und erst jetzt können wir zu der extensionalen Perspektive übergehen und fragen: Was gibt es für Seiendes? Die Realität umfasst sowohl Körperliches als auch Intelligibles, die die Bestimmung der dynamis des Tuns oder Leidens erfüllen sollten, wenn unsere Auffassung von dynamis als dem Sinn des Seienden qua Seienden stimmt. Nicht von einer Definition (λόγος) des Seins ist die Rede, sondern von einem hinreichenden Merkmal oder „Grenzstein“: ὅρος (247e3f, 248c4f.). 86 Der Gast mag die Bestimmung des Seienden als Kraft des Tuns oder des Erleidens als eventuell provisorisch darstellen. 87 Er vermittelt den Eindruck, die Funktion dieser Bestimmung auf den Rahmen der Überführung der Materialisten zu beschränken (247d8248a2). Zugegebenermaßen kann die Frage nach dem Sein nicht durch dynamis als endgültig und ohne Weiteres beantwortet gelten, weil wir uns im aporetischen Teil befinden und das Problem auch später für noch ungelöst gehalten wird (250e-251a). Im weiteren Gespräch, nach dem Bericht von der Riesenschlacht über das Sein, wird die Darstellung
--------------------------------------------
83 Die temporale Bestimmung in 247e2 darf keine Bedenken in Bezug auf den Bereich der Anwendung der dynamis erzeugen. Es ist kein Beleg dafür, dass dynamis sich nur auf Wahrnehmbares beschränken lässt, sondern dafür, dass der Gast hier seine Rede an die Materialisten addressiert und dementsprechend formuliert. 84 Nach Plamböck 1964, S. 63f. 85
In 248a11 ist es aber anders. Dort bezieht sich ὄντως οὐσία auf die ausgezeichnete Substanz, die Idee. 86 Dabei befinde ich mich in Übereinstimmung mit Cornford 1960, S. 238, Anm. 3 und Brown 1998, S. 186, 192f., und in Abweichung von Owen 1971, S. 229f., Anm. 14. Platon unternimmt es nicht, weder hier noch in der Passage über die größten Gattungen, das Sein zu definieren. Hätte er es definieren wollen, hätte Aristoteles die Gelegenheit nicht verpasst, ihn zu kritisieren, wenn er darlegt, dass Sein keine Gattung ist (Metaph. III, 998b22ff.). Die dreifache Unterscheidung von M. Frede (1996, 1, S. 190f.) lässt sich tatsächlich zum ersten Mal in der Geschichte des Denkens aufweisen, wenngleich Platon sie nicht explizit vornimmt: Im Falle des Seienden als δύναμις handelt es sich zum einen um den Versuch, ein Kriterium des Seienden wiederzugeben. Wie wir noch sehen werden, ist δύναμις zum anderen eine Antwort sowohl auf die Frage nach dem wirklich oder eigentlich Seienden als auch auf diejenige nach dem Seienden als Seienden. Dass die zwei letzten Stränge des Öfteren zusammenlaufen, erschwert die Interpretation, rechtfertigt jedoch keineswegs die oft auf unreflektierte Weise vertretene Disjunktion. 87 Sph. 247a7-248a2.
78
Kapitel 2
von dynamis weder expliziert noch ausgefeilt. 88 Trotz des ersten Anscheins der NichtThematisierung schleicht sich der Begriff unmerklich in die anschließende Problematik der Ideengemeinschaft ein, wenn gefragt wird, ob die Seiendheit, die Bewegung, die Ruhe und anderes über keine Kraft zum Miteinandersein verfügen 89 oder ob das Gegenteil der Fall ist. 90 Gesucht wird dann eine Wissenschaft, die die sich miteinander verbindenden Elemente ihres Bereichs erforscht und die dynamis ihrer Mischung auf ihre Ursachen zurückführt. 91 Dem Begriff muss die entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden, da er den Boden der Mischung der Gemeinschaft der größten Gattungen so bereitet, dass man berechtigt wäre, von einer organischen Entfaltung der Gemeinschaft der größten Gattungen aus dynamis zu sprechen. Diese organische Entfaltung wird voll zum Erscheinen kommen, wenn wir den Übergang von der allgemeinen zur speziellen Ontologie ausbuchstabiert haben. Die hier vertretene Auffassung, nach der die so eingeführte dynamis die megista-geneLehre vorbereitet, setzt zum einen die Akzentuierung anders als Diès in seiner auf--------------------------------------------
88 Zur näheren Erläuterung des Begriffs δύναμις (von seiner Einführung zur Verbesserung der Materialisten bis zu seiner Inanspruchnahme im Gespräch mit den Ideenfreunden) s. die Arbeit von Pester 1971, der gegen eine Verklausulierung des Begriffs in den betrachteten Passagen argumentiert. Deswegen bleibt seine Arbeit verdienstvoll, auch wenn sein vielversprechendes Denkexperiment nicht unbedingt als gelungen angesehen werden kann: Genauer sein Versuch, durch die Behandlung eines Problems in einer platonischen Schrift – die immanente Behandlung der Bewegung der Idee im Sophistes – die These von einer vermeintlich umfassenden „geschlossenen Konzeption“ der platonischen Philosophie aus den Angeln zu heben (1971, XIV der Einleitung). Zunächst und vor allem scheitert dies, weil die Tübinger Schule (auf die er hiermit anspielt) nicht mit einer nicht weiter verfeinerten oder hinterfragten „geschlossenen Konzeption“ verbunden werden darf: dazu oben § 1.2, II, Anm. 86. Die innige Verbindung des platonischen Philosophierens mit der Aporie sollte zum zweiten nicht als ein „Immer-Unterwegs-Bleiben“ verstanden werden, wie Pester festlegt: „Platon selbst hatte eine eindeutige Antwort nicht vorliegen“ (ebd., S. 175, in Bezug auf die – nach Pesters Aufzählung – drei Seinsweisen (οὐσίαι): stillstehende Ideen, bewegte Ideen – oder νοήματα – und Wahrnehmbares, und die damit zusammenhängenden Probleme). Wenn die Grenzen der Mitteilung im geschriebenen Text erfahren werden, wie es übrigens nicht ausschließlich innerhalb der Tübinger Schule geschieht, führt das nicht unbedingt zur Verabsolutierung eines bestimmten Stranges, wie Pester meint. Nachdem das Fragwürdige seines hermeneutischen Ansatzes in den Hintergrund gerückt worden ist, kann man als wichtiges Verdienst seiner Arbeit anerkennen, dass er die δύναμιςBestimmung überaus ernst nimmt (ebd., S. 6ff., 162-170). „Ein X hat Sein“ bedeutet nach Pester „Ein X hat δύναμις zur Bewegung“, wobei diese Bewegung nur auf das Erkennen und Erkanntwerden, also auf Erkenntnis zu beziehen ist (ebd., S. 168), wie sich im Dialogabschnitt mit den Ideenfreunden zeigt: 248d-e. Das Sein wird als von der Möglichkeit seiner Erkenntnis abhängig bezeichnet (Pester 1971, S. 167ff.), und so „erfährt die ontologische Dynamistheorie ihre einzige Bestimmung in der gnoseologischen Kinesis“ (ebd., S. 168): Das Sein ist von der δύναμις abhängig, etwas zu erkennen oder erkannt zu werden. Dabei vermischt Pester ein aristotelisch geprägtes Verständnis von δύναμις als Möglichkeit (in diesem Fall der Erkenntnis) gegenüber der tatsächlichen Erkenntnis (ἐνεργείᾳ), wobei das Verständnis der δύναμις als bloße Möglichkeit das platonische Verständnis der δύναμις (unter anderem auch als Mächtigkeit) keinesfalls ausschöpft. Um Pesters Schluss, dass „die δύναμις ihren Sinn und ihre Erfüllung ausschließlich im Erkenntnistheoretischen: in der Erkenntniskinesis erfährt“ (ebd., S. 174, Hervorhebung: G. M.) zu modifizieren, darf man nicht nur im Rahmen der die δύναμις einführenden Passage im Sophistes bleiben, sondern muss sowohl die δύναμις der Gemeinschaft der größten Gattungen ins Spektrum bringen (die Verschiebung der Gemeinschaft zwischen Erkenntnissubjekt und Erkenntnisobjekt im Gespräch mit den Ideenfreunden in diejenige zwischen den größten Gattungen untereinander bleibt in der Arbeit von Pester nicht unerwähnt: ebd., S. 173f.), als auch die δύναμις der Elemente der Mischung im Philebos thematisieren. Zu Letzteren s. unten, § 3.4. 89 Sph. 251e8: μηδενὶ μηδὲν μηδεμίαν δύναμιν ἔχειν κοινωνίας εἰς μηδέν. 90 Sph. 251d8f.: ὡς δυνατὰ ἐπικοινωνεῖν ἀλλήλοις. S. auch: 252d2f: δύναμιν ἐπικοινωνίας. 91 Sph. 253a8: ὁποῖα ὁποίοις δυνατὰ κοινωνεῖν. 253c2: ὥστε συμμείγνυσθαι δυνατὰ εἶναι.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
79
schlussreichen und noch immer einflussreichen Arbeit über den Sophistes. 92 Wegen der o. g. klaren textlichen Indizien können wir ihm in seiner herunterspielenden Tendenz nicht zustimmen, dass die „définition de l’être“ als dynamis später im Dialog verlassen werde. 93 Zunächst muss man dagegen einwenden, dass der Gast nur von einem Kriterium des Seins spricht, wie wir schon betont haben. Was Diès zu seiner These veranlasst, wird nachvollziehbar, wenn sie in den weiteren Horizont seiner Arbeit integriert wird. Seine allgemeine Zielsetzung kommt in den folgenden abschließenden Sätzen seines Beitrags zur Sprache: „Le Sophiste ne combat pas la théorie classique des Idées, le Sophiste ne transforme pas la théorie classique des Idées; le Sophiste ne combat pas, ne transforme pas Platon.“ 94 Vor diesem Hintergrund wird das Argument für die Bewegung der Idee im Gespräch mit den Ideenfreunden als ad hominem verstanden, das παντελῶς ὄν (248e7249a1) als „monde sensible“ gedeutet, die „puissance, mouvement, conscience“ als nicht buchstäblich zu nehmende Metaphern für die gegenseitigen logischen und ontologischen ideellen Beziehungen. 95 „La hétérogénité de l’être“ wird – neben der Darstellung der „nature positive du non-être“ 96 – als Hauptlehre des Sophistes betrachtet: Vorübergehend und unangemessen ist die anvisierte Definition, da sich das Seiende nach Platon als höchste Gattung nicht definieren lässt. Das Sein zeigt sich als auf einen anderen einzigen Begriff nicht reduzierbar, wie die Kritik an monistischen Ansätzen offenbart. Ein Versuch, das Sein anhand zweier Begriffe zu definieren, würde die Sache nach Betrachtung der Ausweglosigkeit der dualistischen Vorschläge genauso verfehlen. Gemäß der geübten Kritik erweist es sich daher nach Diès als verfehlt, das Sein entweder durch dynamis oder durch ihre zwei Aspekte des Tuns und des Leidens zu bestimmen. 97 Unser Verständnis von dynamis distanziert sich zum anderen noch entschiedener von der Auffassung, dass die dynamis-Bestimmung dieser Passage unplatonisch sei, wie es Otto Apelt gegen eine extrem dynamische Auffassung der Ideen 98 am prägnantesten vertreten hat. 99 Genauso wie die Reden des Phaidros oder des Pausanias im Symposion --------------------------------------------
92 Diès 19322. Gegen die Bestimmung von Sein als dynamis sperrt sich Diès (genauso wie die Ideenfreunde!). 93 Ebd., S. 31: „La définition par la δύναμις est laissée de côté.“ Ebd., S. 118, 128 und passim: „Mais ce définition même est donnée comme provisoire, puis délassé.“ (Hervorhebung G. M.) 94 Ebd., S. 133: Wir sind völlig einverstanden, keinen radikalen Bruch zwischen der mittleren und der späteren Periode Platons setzen zu dürfen. 95 Ebd., Introduction V-VI, S. 118f. 96 Ebd., S. 127. 97
Sph. 243d-244b. Diès 19322, S. 31-35. Übereinstimmend mit Diès Souilhé 1909, S. 155; schon Natorp 19943, S. 289, argumentiert zurecht gegen eine „Definition des Seins“ an der diskutierten Stelle, so auch Cornford 1960, S. 238f. 98 Wie bei Gomperz 19123, S. 455 (die Ideen als „seelische und bewusste Urprinzipien“) oder schon bei Zeller (der von den Ideen als Kräften, „lebendigen und vernünftigen Wesen“ spricht, 20067, S. 696f.). An diese Deutung schließt sich die neukantianische Deutung Natorps an, nach dem die Idee nicht als dinghaft (nach der verhängnisvollen, vergegenständlichenden Missinterpretation Aristoteles’), sondern als „aktiv, dynamisch, funktional“ (19943, S. 472), als „verständigend, nicht selbst verstehbar, schauend, gestaltend“ und als Gesetz betrachtet wird. „Als schöpferische Kraft ist sie [die Idee] unendlich viel mehr als was sie schafft. Lebendiger als alles Geschaffene, das selber nur lebt, sofern es weiter sich selbst wieder schafft, aus der gleichen Kraft, durch die es selbst geschaffen wurde.“ (Ebd., S. 493) Ähnliche Annahmen von „Ideen als irgendwelchen Geistern, die herumschweben und noch dazu schöpferische Kräfte sind“ kritisiert Heidegger 1924/25 im Zusammenhang des παντελῶς ὄν (Sph. 248e7-249a1): GA Bd. 19, S. 482. Ähnlich gegen hegelianisierende Deutungen: Bröcker 19853, S. 459. 99 Das Platonische dieses Ansatzes will Apelt gänzlich verweigern, 19752, S. 71-77. Der Interpret weist mit Recht die Auffassung der Ideen als lebendige Kräfte wegen der eingeführten Bestimmung
80
Kapitel 2
nicht für unplatonisch gehalten werden dürfen – wenn sie auch der Tiefe der folgenden Kulmination in der Rede von Diotima fern bleiben, die alles Vorangegangene mit einbezieht, aufhebt und vollendet, – sollte auch das Platonische der hier angesprochenen Bestimmung nicht geleugnet werden. 100 Besonders gilt dies, wenn der Begriff weiter im Dialog – wenn auch unreflektiert – eine Rolle spielt und die Konstellation des passiven und aktiven Vermögens den anderen Dialogen nicht fremd bleibt, wie im Folgenden aufzuzeigen ist. Diès bemerkt daher zu Recht (obgleich er die Tragfähigkeit der dynamis Bestimmung nicht annimmt): „Quel que soit l’usage qu’en aient pu faire d’autres philosophes, la définition de l’ Être par la pouvoir de pâtir ou d’ agir est donc bien platonicienne; formulée comme méthode dans le Phèdre, avant d’être formulée comme définition dans le Sophiste, elle est implicitement contenue dans la terminologie des autres dialogues. Que Platon l’ait inventée ou plutôt adoptée, il ne pouvait trouver de difficultés à la faire sienne.“ 101 Souilhé hat in seiner gründlichen Monographie die Fülle des platonischen Begriffs dynamis entfaltet. Er hat dabei ersichtlich gemacht, wie der eigene Reichtum des Begriffes bei Homer sowie der früheren Medizin der hippokratischen Schriften 102 und der Sophistik erworben wurde, bevor dynamis auf eine philosophische Ebene übergegangen ist, deren Bedeutung von Kraft, Macht bis zu Vermögen und Möglichkeit variiert hat. 103 -------------------------------------------des Seienden als δύναμις (ebd., S. 69) ab und verneint eine so genannte „Wende“ in der späteren platonischen Lehre (ebd., S. 78), obwohl die entwicklungsgeschichtliche Deutung des platonischen Werkes in seinem Beitrag erkennbar ist (ebd., S. 94ff.); vor diesem Hintergrund ist er zu der Auffassung gelangt, dass die Konzeption des Seins als δύναμις „nur die Bedeutung eines dialektischen Kunstgriffes hat“, um „zwei Größen, die auf den ersten Blick keine Vergleichung zulassen, in ein Verhältnis zueinander zu bringen“ (ebd., S. 72, gemeint sind das Körperliche und das Ideelle). Die angesprochene Definition bleibt nach Apelts Dafürhalten materialistisch bedingt. Demnach gelänge es selbst bei der angebotenen Verbesserung dem Gast nicht, die Materialisten über sich selbst hinauszuzwingen, weil das Ideelle nicht voll und ganz unter den Gesetzen des ποιεῖν und πάσχειν steht: Apelt versteht das Widerfahren der Idee nur als „Schatten des eigentlichen πάσχειν“ (ebd., S. 73), als bloß auf den erkenntnistheoretischen Bereich beschränkt. 100 Brown behandelt in dem schon erwähnten Beitrag den Begriff dynamis mit der entsprechenden Aufmerksamkeit im Rahmen der „Riesenschlacht“ und unterstreicht, wie bedeutend seine Einführung ist für die Abgrenzung dessen, was überhaupt ist. Davon ausgehend, dass spätere Dialoge wie der Sophistes das Interesse an der Philosophie der Sprache hervorheben, warnt die Interpretin mit Recht vor ausschließlich „formal approaches“ der dynamis (wie Moravcsiks 1962 und Owens 1966, Deutungen charakterisiert werden können) und zieht eine „substantive interpretation“ (sie spricht von „meaty reading“, 1998, S. 191) vor. Brown widerlegt Owens und Moravsciks Versuche, wegen der dynamis-Einführung die Ideen in den späteren Dialogen als veränderlich zu denken. Browns allgemeine subtile Lektüre und wohl reflektierte Platon-Hermeneutik (ihre Hervorhebung sowohl von Platons Forderung einer argumentativen Rekonstruktion vonseiten des Lesers als auch seiner eigenen Selbstkritik, ebd., S. 204, und ihr Verzicht auf eine Kritik an Platons Ambiguitäten) sowie ihre folgende abschließende Beobachtung sind ohne die kleinsten Bedenken willkommen zu heißen: „Plato relies, in the Gigantomachia at least, on traditional metaphysical arguments, and on good old dialectic, albeit in a new, or newish, guise.“ (Ebd., S. 206). Dennoch kann ich ihre Lösung, was die Idee als Kraft des Tuns angeht, nicht ohne Weiteres für die Ganzheit des Sophistes annehmen. Die Idee als wirkende, jedoch nicht leidende dynamis wäre vielleicht „the most promising“ (ebd., S. 203), wenn der Sophistes in 249c endete. Zugegebenermaßen wird im Rahmen der Gigantomachia, auf die Brown fokussiert (s. ebd., S. 205, Anm. 50), der Begriff der Idee als dynamis nicht entfaltet. Dort geschieht der Übergang von einer allgemeinen Ontologie des Seienden qua Seienden zu einer speziellen Ontologie des ausgezeichneten ideellen Seins. Brown merkt richtig an, dass die Ergebnisse der „Riesenschlacht“ nicht aufgegeben werden, wenn die Diskussion weiter fortschreitet (ebd., S. 205, Anm. 50). 101 Diès 19322, S. 29. 102 Von einem hippokratischen Ursprung von δύναμις wird im Phdr. 270c-d ausgegangen. 103 Souilhé 1919, 1, S. 1-70.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
81
Souilhé hält überdies die platonische dynamis für die Präambel des Beitrags von Aristoteles, der nach seinem Dafürhalten die „experimentelle“ platonische Konzeption entfaltet und zur Präzision und Vollendung gebracht hat. 104 Das Untrennbare der φύσις und δύναμις zeigt sich schon vor Platon in den hippokratischen Schriften: „Grâce à la dynamis, la physis mystérieuse [es geht in diesem Fall um die körperliche Natur], se faît connaître par son action.“ 105 Diese Affinität der stets miteinander auftretenden zwei Begriffe 106 darf nicht zu ihrer Identifizierung verleiten, wovor die oft getrennt gestellten Fragen des Seins und seiner dynamis in den Dialogen warnen. 107 Die sich bei Platon herauskristallisierende philosophische Bedeutung von dynamis besteht nach dem Ausdruck Souilhés in „la propriété ou la qualité révélatrice de l’être“ 108 ; dynamis zeigt sich daher als Prinzip sowohl der spezifizierenden Unterscheidung und Bestimmung des Seienden als auch der Seinserkenntnis. Dank ihrer offenbart und manifestiert sich das verborgene Wesen des Seienden: „le phénomène (phainesthai) exprimant le noumène: c’est la dynamis.“ 109 Gemäß der platonischen Lehre der Namensgebung kann – immer noch nach Souilhé – der Name die zweite Vermittlung (nach derjenigen der dynamis) leisten, so dass dem jeweiligen Sein zur Sprache verholfen wird und seine dynamis zum Ausdruck kommt. 110 Außer im Sophistes treten die zwei unzertrennlichen Aspekte des Vermögens (nämlich des Tuns und des Leidens) auch im Phaidros und im Theaitetos auf, was die These Apelts, dass die Bestimmung des Seienden als dynamis als „ein erfundenes dialektisches Kunstmittel zu vorübergehenden Diensten von Platon“ nur an der Stelle im Sophistes angewendet werde, 111 aus den Angeln hebt. Im Dialog über den Eros soll nach Sokrates’ Forderung (Phdr. 270d) die Untersuchung einer φύσις (in diesem Fall der Seele) die Frage nach ihrer Vielgestaltigkeit oder Einfachheit beantworten. Das einfache, nicht weiter zu zergliedernde Wesen kann nur dann erkannt werden, wenn es in Kausalzusammenhänge eingebettet wird, d. h. seine Wirkung auf anderes oder das Erleiden von anderem zum Vorschein kommen: ἔπειτα δέ, ἂν μὲν ἁπλοῦν ᾖ, σκοπεῖν τὴν δύναμιν αὐτοῦ, τίνα πρὸς τί πέφυκεν εἰς τὸ δρᾶν ἔχον ἢ τίνα εἰς τὸ παθεῖν ὑπὸ τοῦ, ἐὰν δὲ πλείω εἴδη ἔχῃ, ταῦτα ἀριθμησάμενον, ὅπερ ἐφ’ ἑνός, τοῦτ’ ἰδεῖν ἐφ’ ἑκάστου, τῷ τί ποεῖν αὐτὸ πέφυκεν ἢ τῷ τὶ παθεῖν ὑπὸ τοῦ;
--------------------------------------------
104 S. seine Einleitung und ebd., S. 168: Aristoteles hat die „théorie embryonaire des facultés“ weiter vertieft. Auch ebd., S. 190 und passim. 105 Ebd., 1, S. 56. 106 Man könnte von τῷ ἀκολουθεῖν ἀλλήλοις (Aristot. Metaph.Γ2, 1003b23f.) sprechen: Dort geht es um das Seiende und das Eine, das Prinzip und die Ursache. 107 R. 358b4f.: τί τ’ ἔστιν ἑκάτερον καὶ τίνα ἔχει δύναμιν αὐτὸ καθ’ αὑτὸ ἐνὸν ἐν τῇ ψυχῇ (in Bezug auf Gerechtigkeit), Phdr. 237c8-d1: οἷον τ’ ἔστι καὶ ἣν ἔχει δύναμιν (in Bezug auf Eros), Phl. 31a1f.: οὗ μὲν γένους ἐστὶ καὶ τίνα ποτὲ δύναμιν κέκτηται (in Bezug auf νοῦς). 108 Souilhé 1919, 1, S. 149. 109 Souilhé 1919, 1, S. 188. Souilhé gelangt zu einer Art Dualismus zwischen der verborgenen, sich der unmittelbaren Erkenntnis entziehenden inneren Natur und ihren äußerlichen Manifestationen, S. 157f., 187f. (physis als „une réalité incommunicable, inconnaissable directement“) und passim. 110 Souilhé 1919, 1, S. 161ff. Die Korrespondenz zwischen dem Namen und der δύναμις des bezeichneten Seienden wird nicht nur von Kratylos’ Lehre gestützt (z. B. 393d-e, 404e, 405a, e, 406a, 417b), sondern auch in Lysis 192b, Lg. 960d bezeugt. 111 Apelt 19752, S. 74.
82
Kapitel 2
An dieser Stelle sollte man sich kein Paar von Seienden vorstellen, die gegeneinander zugleich wirkend und widerfahrend sind (wenn auch in verschiedener Hinsicht), noch ein aktives und gleichzeitig passives Seiendes in Bezug auf anderes, sondern ein Seiendes, das auf ein Seiendes wirkt oder von einem anderen etwas erleidet. Der im Phaidros verwendete Ausdruck ist dem Sophistes 247d8-e4 sehr ähnlich: Es geht in beiden Fällen um die Kraft des Tuns oder des Leidens. Im Sophistes verfügt das Seiende im Allgemeinen entweder über aktive oder passive Kraft. 112 Im Theaitetos wird die Kraft, die gleichzeitig passiv und aktiv (in Bezug auf anderes) ist, erwogen. Theaitetos’ erster Vorschlag der αἴσθησις als ἐπιστήμη muss die sokratische Prüfung überstehen. Sowohl die relativistische Epistemologie des Protagoras als auch eine herakliteische All-Bewegungs-Ontologie bilden den Hintergrund einer Identifikation von Wahrnehmung und Wissen. Die dynamis des Angehens und des Angegangenwerdens kommt im Rahmen der Beschreibung der Wahrnehmungstheorie der Herakliteer zur Sprache. 113 Verfeinerter als die widerstandsfähigen und hartnäckigen Leugner des Unsichtbaren (ἀντίτυποι, Tht. 156a1) treten diejenigen hervor, die als Prinzip des Ganzen die Bewegung setzen, deren zwei Arten die dynamis des Tuns und des Leidens ausmachen (156a3-7). Das Leiden des Sinnesorgans durch das jeweilige wahrnehmbare Objekt produziert Wahrnehmung und wahrgenommene Qualität. Das Leiden des Organs und das Wirken des wahrnehmbaren Objekts werden als langsame Bewegungen konzipiert. Aufgrund der Begegnung und des Zusammenreibens dieser zwei Arten von Bewegung werden das wahrnehmende Organ und die wahrgenommene Qualität als schnelle Bewegungen geboren, die im Hintergrund einer bis zu Ende gedachten dynamischen Gleichursprünglichkeit als zusammengewachsen bezeichnet werden (σύμφυτον, 156d5). Der anfängliche Eindruck, dass Passivität und Aktivität festgelegt oder fest verteilt sind, wird in 156e7-157a7 korrigiert: 114 Etwas ist aktiv immer in Bezug auf etwas Passives oder passiv immer in Bezug auf etwas Aktives. Darüber hinaus zeigt sich, „was mit dem einen zusammentreffend ein Wirkendes wird, wenn es auf ein anders fällt, als ein Leidendes“ (157a6f.). Daher heißt es nicht, dass das Sinnesorgan einmal auf das wahrnehmbare Objekt wirke (vgl. spätere Formulierungen wie 159d2-5 oder 182a3-8). Für den gegenwärtigen Zweck reicht es hin, das Konzept von aufeinander bezogenen aktiven und passiven Kräften zu belegen, die nicht ausschließlich passiv oder aktiv sind, sondern beides, wenn auch in Bezug auf Verschiedenes. Die dargelegte Wahrnehmungstheorie der Herakliteer mündet darin ein, dass nichts an sich und für sich ist, sondern alles in Bezug auf einander wird. 115 Das unaufhörliche Gebären wird zum herrschenden Motiv dieser Theorie, 116 das sich ausschließlich in seinem Vollzug erschöpft und nicht auf die Bewahrung einer identischen, immer gleich bleibenden Gattung zielt, sondern pausenlos Neues hervorbringt. Die von Diotima beschriebene List der vielen Sterblichen, Kinder zur Welt bringen, um an der Unsterblich--------------------------------------------
112 Es reicht hin, dass es die aktive oder passive Kraft hat. Brown widerlegt zurecht die aristotelische Kritik in Top. 146a21 an Platons Definition der dynamis (1998, S. 190, Anm. 10). An beiden Stellen des Phaidros und des Sophistes wird die aktive Kraft entweder als δύναμις τοῦ ποιεῖν oder δύναμις τοῦ δρᾶν genannt (vgl. Sph. 248c5). 113 Tht. 155d-157d und 181b8-184b3 (noch radikalere Theorie und Sokrates’ Widerlegung). 114 Nach McDowell 1973, S. 140f. 115 Tht. 156e-157a. 116 Die metaphorische Redeweise der erotischen Begegnung und des dadurch hervorgerufenen Zeugens und Gebärens häuft sich: ὁμιλεῖν (156a7, 157a2), συγγεννᾶσθαι (156e4), τίκτειν (156e2), συμμείγνυσθαι (159a13).
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
83
keit irgendwie Anteil zu haben, 117 ist hier daher nicht im Spiel. Solche Theorien von unterschiedlicher Herkunft werden nicht wegen der ihnen zugrunde liegenden Wahrnehmungsanalyse, 118 sondern wegen der gänzlichen Aufhebung von allem Sein und der folgenden Absurditäten scharf kritisiert und als nichtsagend diskreditiert. 119 Nach der in Anspruch genommenen Gelegenheit, andere platonische Dialoge als den Sophistes heranzuziehen, kehren wir zu Souilhés Untersuchung zurück, der eine Kontinuität zwischen Platon und Aristoteles konstatiert: Aristoteles habe den philosophischen Sinn des Terminus fixiert, dessen Keim einem schon in der platonischen Philosophie begegnet, und als besonderen Ertrag das Begriffspaar „δύναμις-ἐνέργεια“ herbeigeführt, das sich auch in der Tradition als maßgeblich durchgesetzt habe. 120 Im Rahmen seiner Zielsetzung wurde das Augenmerk Souilhés nicht auf die Differenzierung der platonischen von der aristotelischen Konzeption gelenkt: Nach dem Stagiriten hat der Stoff das Vermögen, Wirkung zu erfahren und dadurch bestimmt zu werden. Der aristotelischen Materie ist die „Sehnsucht“ nach Gestalt (μορφή) eingeboren, d. h. sie ist von vornherein „teleologisch“ ausgerichtet. 121 Während das zweite platonische Prinzip über eine aktiv vervielfachende Potenz verfügt, ist die aristotelische Materie eher aufnahmebereit und ihrer Natur nach auf Verwirklichung angewiesen: Bei Aristoteles ist also der Unterschied von Aktivität und Passivität eindeutiger als bei Platon auf den Gegensatz von Form und Stoff verteilt. 122 Der französische Interpret warnt vor einer Überbewertung der Verbindung zwischen Idee und dynamis, da sie nicht häufig bei Platon vorkomme. 123 Auf der Basis der Auslegung von dynamis kann er mit Recht keine „doctrine énergétique de l’être absolu“ vertreten, wie am Ende seiner sorgfältigen Monographie unterstrichen wird: „Les Idées, comme les choses, pour devenir objet de connaissance, doivent posséder certaines déterminations (leur dynameis), qui rélèvent, au moins par quelques côtés, leur nature intime et cachée, -------------------------------------------117
Smp. 208b. Dazu aufschlussreich Barbarić 2007. Das hat schon Jackson demonstriert, 1885, S. 244-256. Im Anschluss daran spricht Cornford von einer platonischen „extremely daring theory“ (1960, S. 49). Auf die viel debattierte Frage, inwiefern die herakliteische Wahrnehmungstheorie platonisches Gut ist (vgl. Ti. 45b-46c, 67c-68d), werde ich hier nicht eingehen. 119 Die gleichzeitige Wirksamkeit und Empfänglichkeit einer δύναμις ist wichtig für die hier vertretene Konzeption der zwei platonischen Prinzipien als δυνάμεις: dazu § 2.4. Es ist von Belang, dass solche aufeinander bezogenen Paare in den Dialogen vorkommen; so schon in der herangezogenen Passage im Theaitetos. Die größten Gattungen des Seienden und des Anderen sind noch als ontologisch gleichursprüngliche Kräfte aufzuweisen. 120 Die positive Bedeutung von δύναμις als Macht und Mächtigkeit manifestiert sich im philosophischen Lexikon des Aristoteles; darin wird unter anderem eine Art Vorrang der Macht nach unterschieden: Metaph. Δ12, 1018b22. 121 Vor allem in Ph. A9. 122 Gaiser 19682 spricht von „ontologischer Nivellierung des für Platon bestehenden Gegensatzes“ (zwischen Form und Stoff), S. 315 mit Anm. 290. 123 Prm. 134d: Um die Konzeption von Sokrates zur reductio ad absurdum zu führen, problematisiert Parmenides, wem gegenüber die Ideen ihre δύναμις haben (in Bezug auf einander oder auf das Sinnliche). So auch in Prm. 150c-d: Bei der vorletzten Argumentation der zweiten Reihe im zweiten Teil des Dialogs zeigt sich das Eine in Bezug auf das Andere sowohl ungleich mit sich selbst und dem Anderen als auch gleich mit sich selbst und dem Anderen: An der zitierten Stelle handelt es sich um die zwei Ideen (εἴδη) der Größe und der Kleinheit, die ihre δύναμις des Überragens und des Überragtwerdens ausschließlich in Bezug aufeinander manifestieren und nicht in Bezug auf das Eine. In Ti. 28a tritt als Objekt der Verarbeitung vonseiten des Demiurgs die Gestalt – ἰδέα – und die δύναμις des Vorbildes hervor. Als Letztes können die Stellen in Sph. 252e, 254c herangezogen werden, an denen die δύναμις der Gemeinschaft der Ideen angesprochen wird (darauf ist noch einzugehen). Die Bedeutsamkeit der Belege erlaubt uns nicht, uns der Auffassung Souilhés anzuschließen. 118
84
Kapitel 2
mais on n’en peut conclure que ces déterminations soient douées d’énergies ou de vertus spéciales, à la façon des vivants: du moins les textes n’ autorisent pas sembable interprétation.“ 124 Auf diese Weise wird die Frage nach dem Verständnis der Idee als „cause efficiente et non plus seulement cause formelle“ vorsichtshalber unentschieden gelassen. 125 Um nicht einer falschen Interpretation zu erliegen, bringt Souilhé den erforschten Begriff der dynamis im ideellen Bereich nicht zur vollen Geltung; am Schluss seiner Studie situiert er ihn hauptsächlich im Bereich des Wahrnehmbaren und spricht ihm eine Funktion innerhalb der platonischen Dialektik ab. 126 In der kommenden Abteilung wenden wir uns hingegen einer Erforschung der dynamis-Natur des Ideellen zu. Vorerst aber lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf den von Souilhé nicht behandelten mathematischen Begriff der dynamis. 2.
Korollar: Der mathematische Begriff der δύναμις: δύναμις als Zeugungskraft und als erzeugtes Produkt
Dass dynamis das Wesen bewahrt und manifestiert, kann dem Bisherigen entnommen werden. Dass dynamis überdies zu einer Veränderung und sogar Zeugung einer neuen Natur veranlasst, 127 wird anhand der mathematischen Bedeutung im Folgenden ersichtlich. Setzen wir am besten bei der Einführung durch den jungen Theaitetos im gleichnamigen Dialog an. 128 Durch den Hinweis auf sein mathematisches Beispiel beleuchtet der -------------------------------------------124
Souilhé 1919, 1, S. 190. Im Hintergrund mag die aristotelische Polemik anklingen: εἰ ἄρα τινὲς εἰσὶ φύσεις τοιαῦται ἢ οὐσίαι οἵας λέγουσιν οἱ ἐν τοῖς λόγοις τὰς ἰδέας, πολὺ μᾶλλον ἐπιστῆμον ἄν τι εἴη ἢ αὐτὸ ἐπιστήμη καὶ κινούμενον ἢ κίνησις. ταῦτα γὰρ ἐνέργειαι μᾶλλον, ἐκεῖναι δὲ δυνάμεις τούτων. (Metaph. IX8, 1050b34-1051a2): „Wenn es nun gewisse Wesenheiten oder Substanzen von der Art gibt, wie die in bloßen Begriffen philosophierenden Denker (d. h. die Dialektiker) es von den Ideen behaupten, so würde es etwas geben, was in weit höherem Maße wissend wäre als die Wissenschaftselbst und weit mehr bewegt als die Bewegung-selbst; diese Dinge (d. h. Wissenschaft und Bewegung) wären nämlich in höherem Maß Wirklichkeiten, jene aber (d. h. die Ideen von Wissenschaft und Bewegung) die Vermögen dazu.“ (Übers. Th. A. Szlezák). Im herangezogenen aristotelischen Text werden in der Tat die Ideen als δυνάμεις charakterisiert. Die Bezeichnung hat dennoch nicht den Charakter des Berichts von Platons Lehre, sondern wird in eine starke Polemik gegen die platonische Konzeption der Idee integriert. Vonseiten des Stagiriten wird prinzipiell bestritten, dass die Idee Bewegungsgrund sein kann (Metaph. A9: 991a8-11, M5, 1079b12ff.). Platon soll nach ihm nur zwei Arten von Ursachen in Anspruch genommen haben, die formale und die materielle: Metaph. A6, 988a8-17). Die platonische Idee wird zur „bloßen Möglichkeit“ (dies ist die Bedeutung von δύναμις in diesem Kontext, und keinesfalls „Mächtigkeit“) gegenüber den einzelnen Substanzen, die im Gegensatz zu ihr als Verwirklichung auftreten. Diese Kritik auf Platon selbst zu projizieren, würde dem Hervortreten der causa efficiens in den Dialogen nicht gerecht. Entschiedener als Souilhé argumentiert Gaiser für die Idee als „wirkende Ursache“: „Platon bezeichnet als δύναμις besonders die Kraft gestaltend zu wirken, also das produktive Vermögen der Seinsursache (Idee).“ (19682, S. 430, Anm. 290) 126 Souilhé 1919, 1, S. 190. 127 Zum ersten Mal ist er als mathematischer Begriff bei Platon belegt in R. 587d, Tht. 147c-148d, Plt. 266a-b und Ti. 54b5, auch wenn er von dem Peripatetiker Eudemos schon dem Hippokrates von Chios zugeschrieben wurde. Nach Aristoteles, Metaph. Δ12, 1019b33f. handelt es sich um eine Metapher: κατὰ μεταφορὰν δὲ ἡ ἐν γεωμετρίᾳ λέγεται δύναμις. Aristoteles meint damit die Übertragung der δύναμις von dem Bereich der physischen und seelischen Seienden, wo sie als Prinzip der Bewegung und der Veränderung gilt, auf den mathematischen Bereich des unbewegten Abstrahierten (in der Geometrie); anders als Platon betrachtet der Stagirite das Mathematische nicht als reales, substanzielles Seiendes. Deswegen auch die Rede von bloßer Homonymie: Metaph. Θ1, 1046a6-9. 128 Die anhaltenden Debatten zwischen Philologen, Philosophen und Mathematikern bestätigen, dass der Gebrauch des mathematischen Terminus in den einschlägigen Texten nicht einheitlich zu verstehen ist. Was die mathematische Stelle im Theaitetos angeht, fasst die Abhandlung von Bur125
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
85
Mathematiker und vielversprechende Philosoph Theaitetos das Wesen der philosophischen Zusammenführung (συναγωγή) in seiner allerersten philosophischen Stunde mit Sokrates. Das Wesen des jeweilig Erforschten – wie hier des Wissens – kann sich nicht durch bloße Aufzählung seiner unendlichen einzelnen Manifestationen herausstellen. Das botanisierende Nebeneinanderstellen von Wissensarten wie der Geometrie, der Schuhmacherkunst und anderer Künste (146c-d) vermag nicht sein Wassein zu erschließen. Um die von Theodoros untersuchten einzelnen δυνάμεις zusammenzufassen, 129 teilt Theaitetos die Zahlen in zwei Arten ein: 130 Die viereckigen oder gleichseitigen sind diejenigen, die als das Produkt gleicher Faktoren entstehen können (τὸν μὲν δυνάμενον ἴσον ἰσάκις γίγνεσθαι τῷ τετραγώνῳ, 147e5f.), während die länglichen Zahlen nicht dazu imstande sind (ἀδύνατος ἴσος ἰσάκις γενέσθαι, 148a1), sondern von einer größeren und einer kleineren Seite in der Fläche eingefasst werden. Von den Strecken (γραμμαί) werden diejenigen „Länge“ (μῆκος) genannt, die in der Fläche ein Viereck von gleichseitiger Zahl bilden, während δυνάμεις die nicht der Länge nach kommensurablen Linien sind. 131 Sie werden erst durch die Flächen, die sie imstande sind zu erzeugen, kommensurabel: ὡς μήκει μὲν οὐ συμμέτρους ἐκείναις, τοῖς δ’ ἐπιπέδοις ἃ δύνανται (148b1-2). Wir könnten die δυνάμεις durch die irrationalen Zahlen √3, √5, √17 darstellen, wobei nicht in Vergessenheit geraten darf, dass sie in der damaligen Mathematik nicht zum Zahlbegriff gehörten. Die Unterscheidung von Strecken, die der Länge (und der dynamis) nach, und denjenigen, die nur der dynamis nach kommensurabel sind (bei Euklid rational: ῥηταί und irrational: ἄλογοι entsprechend bezeichnet: Elementa X, Def. 3), ermöglicht eine Erweiterung des Bereichs des Kommensurablen. Das auffällige Oszillieren der dynamis in der anvisierten Textpartie zwischen „Quadrat“ (in 147d3) und „Quadratseite“ (in 148a6), – was keinen „intolerable shift of the meaning“ 132 ausmachen muss – ist von Belang. Platon mag freilich nicht verpflichtet gewesen sein, den Terminus in einer Epoche festzulegen, in der er noch nicht seine endgültige Form hatte. Sogar dort, wo eine exakte Festlegung zu erwarten wäre – nämlich in den Euklidischen Elementen – taucht einerseits δύνασθαι mit der technischen Bedeutung von -------------------------------------------nyeat alle bisherigen gewichtigen Beiträge zusammen – in seinem gelungenen Versuch, den Skeptizismus von Szabó (s. unten, Anm. 137) gegen die Leistung der Mathematiker Theodoros und Theaitetos aufzuheben. 129 Bei seinem Auftreten bedeutet dieser Terminus „Quadrat“: Es geht nicht um die Strecken, die drei Fuß und fünf Fuß lang sind – die wären kommensurabel –, sondern um die aus ihnen gebildeten Quadrate, deren Fläche entsprechend drei oder fünf Quadratfuß beträgt. 130 Wegen der brillanten und von Sokrates gepriesenen Erklärung der philosophischen Zusammenführung durch Theaitetos sollte das folgende Urteil von van der Waerden in Zweifel gezogen werden: „Platon gibt im Dialog auch ein Beispiel einer mathematischen Untersuchung des jungen Theaitetos. Das Beispiel ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen: Es sollte als Einleitung zu einer philosophischen Diskussion dienen, passt aber nicht recht dazu“ (1956, S. 272). 131 Das heißt, es gibt kein gemeinsames Maß: nicht untereinander (zwischen √3 und √27 ist √3 das gemeinsame Maß), sondern zwischen ihnen und den „Längen“. 132 Nach Burnyeat 1978, S. 497. Bei der Behandlung des Problems der Terminologie an der Theaitetos-Stelle (S. 495-502) folgert er: „Whether incommensurability is taken as a property that certain squares have in respect of their sides or as a property of the sides themselves is just a matter of which way one chooses to express the same facts“ (ebd., S. 502). Im Anschluss eher an Bärthlein teilen wir Burnyeats herunterspielende Auffassung („[s]uch linguistic variation is of little account“, ebd., S. 502) nicht. Auch wenn es nicht um eine Veränderung des mathematischen Objektes innerhalb einiger Zeilen geht und entscheidend doch ist, dass der eine Begriff δύναμις in 148b1 eingeführt wird, ist der Unterschied der Nuance bemerkenswert und erklärungsbedürftig, wenn wir Platon hier keine nachlässige Schreibweise vorwerfen wollen.
86
Kapitel 2
„im Quadrat gleich sein“ im zehnten Buch über die irrationalen kontinuierlichen Größen auf, während es in den früheren Büchern durch den Begriff „Quadrat“ (τετράγωνον) ersetzt wird. 133 Andererseits konstatiert Bärthlein bei genauerem Hinsehen, dass auch im zehnten Buch τετράγωνον für Quadrat und δυνάμεναι εὐθεῖαι für die bildenden Seiten (also gemäß der aktiven Bedeutung) stehen. 134 Das philosophisch Bedeutsame im Fall der mathematischen dynamis, das bei anderen Erklärungsversuchen unproblematisiert bleibt, drückt Karl Bärthlein folgendermaßen als frag-würdig aus: „Zunächst lässt sich vereinfachend sagen: ‚δύνασθαι’ meint (in der damaligen Mathematik) jenes ‚Vermögen’, das eine Zahl oder Strecke dazu ‚befähigt’, mit sich selbst multipliziert zu werden, oder: ihr Quadrat zu erzeugen (z. B. δύο δύναται τέτταρα). […] Welche Bedeutung hat nun der Terminus ‚δύναμις’?“ 135 Bärthlein besinnt sich hiermit auf das Schwanken zwischen der aktiven (im Sinne von erzeugendem Vermögen) und passiven Bedeutung (im Sinne von erzeugtem Produkt, Quadrat). Nachdem er das in den meisten Interpretationen nicht weiter hinterfragte Verständnis der dynamis als „Quadrat“ konstatiert hatte, 136 konnte er den Mangel an Problematisierung dadurch begründen, dass sich bei den spätantiken Mathematikern der passive Aspekt des Begriffs gegenüber der früheren aktivischen Akzentuierung durchgesetzt habe, ein Hang, der seinen höchsten und klarsten Ausdruck bei Diophantos finde. 137 -------------------------------------------133 Von Heath wird die exzeptionelle Anwendung von δύνασθαι im Buch X als eine Anerkennung des Beitrags des Mathematikers Theaitetos auf die Theorie des Irrationalen verstanden: 1949, S. 208. 134 In Def. 4: Bärthlein 1965, S. 46, Anm. 26. 135 Bärthlein 1965, S. 43. 136 Wie z. B. bei Heath 1949, S. 207f. Szabó bestreitet überhaupt die Übersetzung von δύναμις durch „Quadratseite“, auch im Fall der zweiten Theaitetos-Stelle: 1963, S. 233ff. 137 Bärthlein 1965, S. 43f. Diophantos (Arithmetica, in: Opera Omnia, 4. 14-15: καλεῖται οὐν ὃ μὲν τετράγωνος δύναμις. Ähnlich auch bei van der Waerden 1956, S. 234, Burnyeat 1978, S. 498. Für eine Zwischenstation dieses Übergangs von der aktiven zur passiven Deutung hält Bärthlein den Dativ δυνάμει, der „dem Vermögen ein Quadrat zu bilden nach“ bedeuten kann und von Euklid im Rahmen des zehnten Buches seiner Elemente aktivisch gemeint war (Bärthlein 1965, S. 44). Der mathematischen δύναμις widmet Szabó in seiner stark philologisch geprägten Studie über die Anfänge der griechischen Mathematik (1969; schon vorher in seinem Aufsatz über δύναμις, 1963) besondere Aufmerksamkeit. Anhand der Stelle im Theaitetos werden die nach ihm missverstandenen Lehnübersetzungen des griechischen Begriffes (als „Potenz“, „Quadratwurzel“ oder „Seitenzahl“) korrigiert: Δύναμις bedeute ursprünglich nach seiner Ansicht das „Quadrat“, ausschließlich die „zweite Potenz“ gemäß der Algebraisierung der modernen Mathematik (am deutlichsten in R. 587d9 von τρίτην αὔξην – der dritten Potenz – unterschieden). Den Ursprung der in der Geometrie angewandten Metapher verortet Szabó in der Finanzsprache der damaligen Zeit (δύνασθαι als „betragen, gelten, wert sein“ verstanden), die zur speziellen Bedeutung von „im Quadrat gleichwertig sein“ führte (1963, S. 239ff.). Nach der Aufzählung von entsprechenden Belegstellen (Xenoph. Anab. I, 5, 6, Demosth. Or. 34, 23, 7 u. Anm.) schließt der Philologe die Zurückführung des Begriffs auf das „Erzeugende“ recht willkürlich aus: Das Verstehen der δύναμις als „erzeugender Kraft“ vonseiten prominenter Mathematiker, wie van der Waerdens (1956, S. 233f., 258) und in späteren philosophischen Arbeiten wie der Gaisers (19682, S. 430f., Anm. 290) und Bärthleins (1965) wird als „phantasievolle Erklärung“ charakterisiert, als ob das Wort im Griechischen des 5./4. Jhs. v. Chr. keine solche Bedeutung gehabt hätte (s. jedoch R. 509b9: auch die Kraft der Idee des Guten wird als zeugend verstanden, vgl. R. 517c3). Nach Szabó soll erst im Lateinischen potentia als Gegenteil von impotentia zu finden sein (1963, S. 237, 1969, S. 19f., Anm. 11). Man kann trotzdem das Aktive der δύναμις zweifach erweisen: Wenn man zum Ersten auf die berühmte Gleichnisreihe der Politeia aufmerksam wird, in der dem Guten zweifelsohne Zeugungskraft beigemessen wird (506e3, 508b13, 517c3), kann man die Verbindung zwischen δύναμις (509b9) und Zeugungskraft mühelos herstellen; noch augenscheinlicher tritt das Hervorbringende der δύναμις bei ihrem aktiven Aspekt (ποιεῖν) hervor (auf ihn muss sich aber Szabó interessanterweise doch beziehen, wenn er an der zweiten Theaitetos-Stelle von „den Strecken, die beim Quadrieren solche Quadrate hervorbringen,
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
87
Durch die mathematische dynamis wird die Fähigkeit bezeichnet, von der Linie in die Fläche als nächste Dimension überzugehen. In diesem Sinn „kann“ eine Linie von der Größe 2 eine Fläche von der Größe 4 hervorbringen. Nach der Wissenschaftslehre und dem Bildungsprogramm von Philippos von Opus besteht das Interesse der Geometrie darin, dass die von Natur aus unähnlichen Zahlen durch den Bezug auf den Bereich der Flächen ähnlich gemacht werden, um kein echt platonisches, aber wohl akademisches Gut zum Abschluss der Behandlung der mathematischen dynamis heranzuziehen. Derjenige, der imstande ist, das göttliche – nicht menschliche – Wunder nachzuvollziehen (990d5f.: τῷ δυναμένῳ συννοεῖν, wodurch spielerisch auf die mathematische dynamis hingewiesen wird), kann das tiefere Wesen der Geometrie erfassen und wird so nicht von dem ihr beigemessenen lächerlichen Namen verleitet werden. 138 Der bisherigen Darlegung zufolge drückt die mathematische dynamis den Drang aus, sich über sich hinaus zu entfalten. Mit dem zeugenden Charakter der dynamis muss die platonische Lehre der innigen Verbindung von φύσις und dynamis weder verloren gehen noch auf unangemessene Weise als Überschreitung der φύσις von ihrer über sich hinausgehenden dynamis her gesprengt werden. 139 Sogar im Fall der Angleichung des Menschen an Gott, bei der man berechtigt wäre, von einer Überwindung unserer Natur zu sprechen, geht es bei genauerem Hinsehen nicht um ein Zurücklassen der menschlichen Natur durch die transzendierende dynamis, sondern um die volle Entfaltung des wahren Wesens des Menschen. 3.
Die Ideenfreunde als metaphysische Realisten
Wir konzentrieren uns jetzt auf den Übergang von der Überführung der Materialisten zu der Auseinandersetzung mit den so genannten Ideenfreunden. Dabei werden wir auf die neueste Debatte über das „vollkommen Seiende“ in 248e7-a1 eingehen. Das Ziel besteht dabei darin, durch die Unterscheidung zwischen der extensionalen und der intensionalen Fragestellung sowohl im Falle einer allumfassenden Ontologie als auch im Fall des ausgezeichneten ideellen Bereichs weitere Klarheit in den Rahmen der gegenwärtigen Debatten zu bringen. Durch die Unterscheidung zwischen allgemeiner Ontologie, die Brown 1998 in ihrer Interpretation hervorhebt, und spezieller Ontologie eines ausgezeichneten, ideellen Seienden, die Gerson 2006 und Politis 2006 auf einseitige Weise betonen, werde ich die Disjunktion des Forschungsgesprächs in eine Konjunktion umformen.
-------------------------------------------deren Flächen den sogenannten ungleichseitigen Zahlen entsprechen“ spricht; Hervorhebung G. M.). Zum Zweiten kann der Erzeugungscharakter der mathematischen δύναμις – mithilfe der Ausführungen Bärthleins – konstatiert werden, wenn wir uns auf ihren Inhalt im mathematischen Feld besinnen: Es geht um nichts anderes als darum, dass eine Größe bei der Multiplikation mit sich selbst imstande ist, die entsprechende Größe in der nächsten Dimension zu erzeugen. 138 Epin. 990d1-6: ταῦτα δὲ μαθόντι τούτοις ἐφεξῆς ἐστιν ὃ καλοῦσι μὲν σφόδρα γελοῖον ὄνομα γεωμετρίαν, τῶν οὐκ ὄντων δὲ ὁμοίων ἀλλήλοις φύσει ἀριθμῶν ὁμοίωσις πρὸς τὴν τῶν ἐπιπέδων μοῖραν γεγονυῖά ἐστιν διαφανῆς. ὃ δὴ θαῦμα οὐκ ἀνθρώπινον ἀλλὰ γεγονὸς θεῖον φανερὸν ἂν γίγνοιτο τῷ δυναμένῳ συννοεῖν. Hier wird das Kommensurabelwerden der Diagonalen als allgemeines Wunder betrachtet. Philippos von Opus betont die Lächerlichkeit der Bezeichnung „Geometrie“, während Szabó hingegen das Feldmessen seiner praktischen Orientierung gemäß als älteste und ursprünglichste Form der Flächenberechnung hochschätzt (1963, S. 246, 255f., diese Zurückführung ist in Metaph. A2 belegt). 139 In der Arbeit von Mannsperger über physis bei Platon kommt ihr doppelter Charakter zum Ausdruck: Einerseits der statische Aspekt, andererseits der dynamische. Sowohl im mathematischen Begriff von δύναμις als auch in demjenigen der Mischung (wie im dritten Kapitel im Rahmen des Philebos aufzuzeigen sein wird) werden beide Aspekte – sowohl das werdende Prozessuale als auch das Produkt als statisches Moment – in einem spannungsvollen Gleichgewicht gehalten.
88
Kapitel 2
Welchen Typus konstruiert Platon, wenn er die Ideenfreunde auf die Bühne des Gespräches bringt? 140 Zunächst muss man einräumen, dass sie im Gegensatz zu den Materialisten keine Reduktionisten sind, weil sie keine monistische „All-These“ vertreten. Nicht alles ist nach ihrer Auffassung auf das Intelligible zurückzuführen; das wahrnehmbare Werden wird vom intelligiblen Sein strikt geschieden: die Konstellation einer ZweiWelten- Theorie. Der Gast unterstreicht schon zu Beginn seiner Darstellung der Ideenfreunde die von ihnen vertretene Trennung zwischen Sein und Werden (248a7, χωρίς). 141 Sie können daher keine Idealisten sein, die auch das Werden als intelligibel darstellen und zu einem Monismus gelangen würden. 142 Was die am häufigsten diskutierte Frage angeht, ob Platon durch diese Darstellung seine eigene Ideen-Theorie der mittleren Dialoge unter die Lupe nimmt und sogar modifiziert, begnüge ich mich hier mit der Wiederholung, dass Platon stets bereit war, seine eigene Theorie zu verbessern und irreführende Tendenzen zu korrigieren. 143 Dabei gehe ich nicht so weit, dem Schluss zuzustimmen, dass die Ideen im Sophistes veränderlich sind, wie die Forschung von Moravcsik und Owen aus dieser Passage gefolgert hat, 144 sondern schlage eine Alternative vor, die ich von der theoretischen Perspektive her viel interessanter finde. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich etwas Beachtenswertes auf der dramatischen Ebene hervorheben, nämlich dass Theaitetos im ersten Plural auf die Fragen des Gastes antwortet (248a7-b1; vgl. den Wechsel in 248b9), wobei der Eleat später sagt, dass er anders als Theaitetos an solche Meinungen wie die der Ideenfreunde gewöhnt ist (258b68). Brown versteht diese Aussage als einen Beleg dafür, dass der Eleat – wie auch wir – die platonischen Dialoge kennt und weiss, worauf Platon dadurch hinweist. 145 Um diese Aussage sowie den von dem jungen Mathematiker angewendeten Plural auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, möchte ich es für möglich halten, dass Platon dadurch auf bestimmte Tendenzen in den mathematisierenden Kreisen der Akademie hinweist. Bis jetzt haben wir es unterlassen, auf positive Weise zu formulieren, welchen theoretischen Typus die Ideenfreunde vertreten. Sie gehen davon aus, dass das (eigentliche) Reale (248a11) wesentlich intelligibel und epistemologisch zugänglich ist, was sie nicht zu Idealisten macht, weil doch ein Transzendieren geschehen muss, damit man durch seine Vernunft das Reale epistemisch erreicht. Der Idealist ist nicht auf ein solches Überschreiten angewiesen. Welcher Typus lässt sich als der metaphysische Realist darstellen? In 2.1,I.3 haben wir den realistischen Aspekt der Wahrheit als grundlegende Annahme der untersuchten Passagen angesprochen. Ich glaube, Platon möchte jetzt auf die Gefahr aufmerksam machen, in die der Theoretiker gerät, wenn er nicht nur von einer solchen --------------------------------------------
140 In der folgenden Darstellung verdanke ich viel Anton Kochs theoretischer Begründung der ersten Philosophie als Reflexion über das Faktum und den Begriff der Wahrheit: „Der metaphysische Realismus und seine skeptizistische Rückseite“ (Heidelberger Vortrag). Zugleich stimme ich Brown zu: „It is a category of thinker, or better, a category of thought Plato is describing.“ (1998, S. 188) Dabei finde ich es erstaunenswert, dass Platon imstande ist, die theoretische Entstehung der Skepsis im Groben darzustellen, bevor diese historische Entwicklung tatsächlich stattfand. 141 Das Wort χωρίς, das durch die aristotelische Kritik berüchtigt wurde, kommt in den platonischen Schriften nur sehr selten vor. Es ist bemerkenswert, dass es sowohl hier als auch im ersten Teil des Parmenides nur im Rahmen der Kritik an falschen Auffassungen auftaucht. 142 Deswegen ist der häufig angewendete Terminus „Idealisten“ eher irreführend als hilfreich (so z. B. Cornford 1960, S. 239ff.). 143 S. oben, 2.1, I.3. 144 Zum Vergleich dieser Ideen-Theorie mit derjenigen der mittleren Dialoge s. Brown 1998, S. 194f., die auf angemessene Weise sowohl die Selbstkritik als auch die Kritik an Missverständnissen berücksichtigt. 145 Brown 1998, S. 203f.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
89
starken Zweiteilung zwischen dem zu erkennenden Objekt, das zum Sein gehört, und dem erkennenden Subjekt, das zum Werden gehört, ausgeht, sondern dabei verweilt und sich darauf versteift. Man kann von einem realistischen Standpunkt aus sehr leicht zu einem metaphysischen Realismus gelangen und dabei der Skepsis Tür und Tor öffnen. Es bleibt aber im Fall der Ideenfreunde nicht dabei. Sie vertreten nicht nur eine Unabhängigkeit des Realen vom erkennenden Intellekt, sondern seine Gleichgültigkeit gegenüber unserem Intellekt, da sie jeden Bezug und jede Relation zwischen beiden negieren. Obwohl sie zu Beginn von der Gemeinschaft des Intellekts mit der zu erkennenden Sache sowie der Wahrnehmung mit dem Werden sprechen (κοινωνεῖν, 248a10f.), weisen sie die erste Relation zurück, um auf den Begriff der dynamis im Fall der Idee zu verzichten. Indem sie die Idee derart entschieden von unserem erkennenden Intellekt trennen, dass sie jeden Bezug verneinen, werden sie zu metaphysischen Realisten. Aufgrunddessen werden sie mit dem Problem konfrontiert, wie wir imstande sind, uns dem Realen anzunähern und wahre Sätze darüber zu formulieren. Das Reale als Intelligibles wurde zu Beginn als das Objekt des Erkennenden verstanden. Jetzt aber besteht die Gefahr, dass das Reale unerkennbar wird. So würden nicht die falschen Sätze zum Problem gemacht, sondern die wahren Aussagen. Was kann garantieren, dass wir das Wahre treffen und nicht eher das Falsche? 146 Der Gast tut nichts anderes, als den metaphysischen Realismus der Ideenfreunde zu diagnostizieren und einen Weg zur Verbesserung zu eröffnen. Das Reale ist das Intelligible und kann erkannt werden. Aber um seinetwillen dürfte das Reale nicht vom Intellekt weggerückt werden. Es bleibt offen, ob die Ideenfreunde zu Idealisten werden oder den gesunden erkenntnistheoretischen Realismus rehabilitieren müssen; als unumstritten kann gelten, dass sie über ihren metaphysischen Realismus hinauswachsen müssen. Das Reale und Wahre ist unabhängig von unseren Sätzen, was die Bivalenz und Objektivität unserer Urteilspraxis fundiert. Unsere Sätze können Wahres treffen, wenn sie dem Wahren entsprechen, wobei das Reale wahr ist, nicht weil wir es in unseren Sätzen abbilden, sondern weil es unabhängig von unserer Urteilpraxis als Teil der Realität besteht. Dennoch darf es nicht völlig getrennt und in keiner Relation zu unserem Geist stehen. Wenden wir uns dem textlichen Argument in 248d4-e4, kurz bevor das Gespräch in der Frage nach dem „vollendeten Sein“ kulminiert, zu. Der Gast stellt den Ideenfreunden die Frage nach der Natur des Erkennens der Seele. Er zwingt sie mehr oder weniger, den Begriff der dynamis mit einzubeziehen: Obwohl sie zu Beginn strikt dagegen waren, müssen sie auf das Erkennen der Seele reflektieren, weil sie von der Intelligibilität des Realen ausgehen. Der Gast bietet drei mögliche Antworten; ich beginne mit der dritten, die Theaitetos bejaht: Weder die erkennende Seele noch das erkannte Objekt verfügen über aktive oder passive Kraft. Sonst würden sich die Ideenfreunde widersprechen. Theaitetos hat richtig verstanden, dass die Ideenfreunde keinen Bezug zwischen dem Intelligiblen und dem erkennenden Subjekt erlauben. 147 -------------------------------------------146 Um die Gefahr des Relativismus und der Sophistik zu beseitigen, beabsichtigt Platon, den falschen Satz in seiner Möglichkeit zu begründen. Bei Aristoteles finden wir keine Begründung des falschen Satzes, weil dies bereits Platon gelungen ist (vgl. zur ursprünglichen Unverborgenheit der Realität in der Antike und die Umkehrung des Vorurteils in der Moderne: Denyer 19942, Einleitung). 147 Ich finde daher seine Aussage nicht komisch, wie Brown es tut, 1998, S. 196. Der Widerspruch, an den Theaitetos denkt, ist nicht die Veränderlichkeit der Idee, die der Gast erst dann als indirekten Beweis entfalten wird. Theaitetos mag ein charismatischer Gesprächspartner sein; dennoch hätte er vorhersagende Kräfte gebraucht, um die Option ins Auge zu fassen, die der Gast dann tatsächlich wählt. Es ist weniger erstaunlich, wenn wir Theaitetos’ Aussage als einen Beleg verstehen, dass er dem Gast in 248c1f. und 248c7-9 gefolgt ist. Der junge Mathematiker scheint hier nachvollzogen zu haben, dass der Gast den Typus der metaphysischen Realisten darstellt, gemäß dem es
90
Kapitel 2
Der Gast schlägt noch zwei weitere Optionen vor: Zum einen (I.) könnte beides, Erkennen und Erkanntwerden, entweder i. Kraft des Tuns oder ii. Kraft des Leidens oder iii. sowohl Kraft des Tuns als auch Kraft des Leidens sein. Zum anderen (II.) könnte i. das Erkennen Kraft des Tuns und das Erkanntwerden Kraft des Leidens oder ii. das Erkennen Kraft des Leidens und das Erkanntwerden Kraft des Tuns sein. Der Gast erklärt nicht, warum er die Option II.ii für die Ideenfreunde nicht durchbuchstabieren will, gemäß der das Reale als Objekt des Intellekts die Kraft des Tuns besäße, die der Intellekt erlitte. 148 Wahrscheinlich führt die Option, die der Gast exponiert, die Ideenfreunden zu noch unangenehmeren Konsequenzen als die Option (II.i) es tun würde. Sollten sie Bewegung bei der Idee zugeben, wären sie eher bereit, dem Intelligiblen eine aktive Kraft beizumessen (gemäß II.i) als eine passive Kraft (II.ii). All das bleibt jedoch ungesagt. Der Gast sagt, er verstehe (248d10), um seine Linie weiter durchzusetzen, ohne seine Wahl der Option II. i zu erklären: Μανθάνω· τό δε γε, ὡς τὸ γιγνώσκειν εἴπερ ἔσται ποεῖν τι, τὸ γιγνωσκόμενον ἀναγκαῖον αὖ συμβαίνει πάσχειν. τὴν οὐσίαν δὴ κατὰ τὸν λόγον τοῦτον γιγνωσκομένην ὑπὸ τῆς γνώσεως, καθ’ ὅσον γιγνώσκεται, κατὰ τοσοῦτον κινεῖσθαι διὰ τὸ πάσχειν, ὃ δή φαμεν οὐκ ἂν γενέσθαι περὶ τὸ ἠρεμοῦν. Ich verstehe; und dieses [ist] [offenbar], 149 dass notwendigerweise wiederum dem, was erkannt wird, das Leiden zukomme, wenn das Erkennen irgendein Tun sein wird. Nach diesem Argument wird die Substanz, die durch Erkenntnis erkannt wird, inwiefern erkannt, sofern auch bewegt aufgrund des Leidens, welches, wie wir sagen, dem Bereich des Ruhenden nicht zukommen kann. 150 Wenn Erkennen ein Tun ist, dann ist Erkanntwerden ein Leiden. Das Seiende, das erkannt wird, wird bewegt, insofern es leidet, weil es erkannt wird: κατὰ τοσοῦτον κινεῖσθαι διὰ τὸ πάσχειν. Lesley Brown bietet eine übersichtliche dreifache Einteilung der möglichen Reaktionen auf das herangezogene textliche Argument an: Es gibt Interpreten, die von einer radikalen Modifikation der platonischen Lehre der mittleren Periode ausgehen: Die Ideen seien jetzt veränderlich (Owen, Moravcsik). Dann lassen sich die „konservativen“ Interpreten in zwei Parteien unterscheiden: in diejenigen, nach denen die Idee über passive Kraft verfügt, dennoch dabei unveränderlich bleibt (Vlastos 19812) und diejenigen, die meinen, dass die Idee lediglich über aktive Kraft verfügt (Cornford, Ostenfeld). Der Auffassung der Idee als Kraft des Tuns schließt sich Lesley Brown ihrerseits an. Dieser Beschreibung und Kategorisierung unterliegt folgende Disjunktion: entweder muss man τὸ πάσχειν als „to have as a predicate“ verstehen und eine formale -------------------------------------------keinen Bezug zwischen Realität und erkennendem Intellekt gibt. Dem Gast zu folgen, ist eine nicht zu unterschätzende Leistung, in der Theaitetos nicht selten zurückbleibt, wie der Verlauf des Dialogs zeigt. 148 Dieser Fall würde keiner Art von „grammatical yardstick“ unterliegen (der Ausdruck stammt aus Browns Vorwurf gegen Vlastos [in 1998, S. 200]), weil γιγνώσκειν die passive Kraft und γιγνώσκεσθαι die aktive Kraft bedeuten würde. Die Erwähnung der Option (II.ii) als möglich beweist, dass das Argument nicht in der grammatischen Struktur befangen bleibt (insofern richtig Brown in ihrer Kritik an Vlastos). 149 Ich übernehme δῆλον von 248d8, um den elliptischen Satz vollständig zu machen. Der neue OCT fügt λέγουσιν oder λέγοιεν ἄν hinzu. 150 Hier kommt zum ersten Mal der konträre Gegensatz zwischen Ruhe und Bewegung zur Sprache. Der Ausdruck „περί τι + γίγνεσθαι/εἶναι“ wird weiterhin angewendet und bedeutet Prädikation. Wir sollten hier bemerken, wer den konträren Gegensatz einführt: nicht Platon, sondern die noch nicht überführten Ideenfreunde.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
91
Deutung verfolgen wie Owen und Moravcsik, oder aber man muss τὸ πάσχειν im Rahmen des ideellen Intelligiblen ausschließen. Brown räumt dennoch zuletzt ein: Of course, it might still be the case that Plato’s favoured escape from the impasse is to reject premiss (4) and allow that Forms are affected, while denying that they are changed. But in the absence of any hint of this in the text, we should need independent motivation for it. 151 Meine These verfolgt genau den Weg, den Lesley Brown hier nur am Rande erwähnt, jedoch nicht einschlagen möchte, und lautet: Wenn auch das Leiden des erkannten Objekts keine platonische Auffassung bedeutet, ist doch die Relation zwischen κινεῖσθαι und πάσχειν als platonisches Gut anzuerkennen. Dagegen lässt sich nicht widerlegen, dass hier die Ideenfreunde zur Sprache kommen und nicht Platon. Platon lässt seine eigenen Ansichten einfließen, auch wenn die Gesprächsführer nicht in direkter Rede sprechen. Das hat bereits unsere Problematisierung einer allgemeinen Ontologie der dynamis bei der Überführung der Materialisten erwiesen. Das πάσχειν muss uns meiner These nach nicht zu einer radikalen Änderung der Ideenlehre verpflichten (wie bei Owen und Moravcsik). Die Idee mag Widerfahrnisse erleiden, ohne jedoch veränderlich zu sein. Wenn wir bereit sind, der Idee eine Art Erleiden beizumessen, sind wir zugleich verpflichtet, eine Art Bewegung einzuräumen, wenn es stimmt, dass es Platons These ist, die lautet: Leiden bedeute Bewegtwerden (248e3f.). In dieser Richtung muss sich die Frage nach der Bewegung im Intelligiblen orientieren. Die Anerkennung des Ausdrucks κατὰ τοσοῦτον κινεῖσθαι διὰ τὸ πάσχειν als platonisches Gut ist noch weit davon entfernt, die Art des Bewegtwerdens und Leidens im intelligiblen Bereich zu präzisieren. Jedenfalls wird dabei ein Ausweg vorgeschlagen, der von Belang für die ganze Deutung des Sophistes ist. Der folgende Schluss wäre meines Erachtens soweit gesichert: Wenn eine Art von Erleiden im Rahmen der Gemeinschaft der größten Gattungen aufgespürt wird, dann sind wir berechtigt, auch von einer Art Bewegung zu sprechen. Das Problem besteht darin, wie wir sowohl die Bewegung als auch das Erleiden verstehen sollen, wenn wir auf das Intelligible fokussieren. Dieses Problem kann hier weder gelöst, noch darf dessen Lösung hier hineingelesen werden. Browns Versuch, die Idee als dynamis des Tuns zu verstehen, so dass sie das Kriterium des Seienden erfüllt, ist nicht nur legitim, sondern sogar nötig. Dennoch sind wir außerstande, eine Entscheidung hinsichtlich der Idee qua dynamis schon an diesem Punkt des Dialogs zu treffen und dabei die oben von Brown erwähnte und widerlegte Option auszuschließen. Dazu müssen wir den weiteren Verlauf mit einbeziehen; nur er kann die nötige Motivation für das Erleiden des ideellen Seins anbieten. Es stimmt schon, dass die Idee als aktive Kraft das Kriterium des Seienden qua Seiendem erfüllen würde. Das wäre hinreichend gewesen. Wenn wir auf die Gemeinschaft der größten Gattungen des Seienden und des Anderen fokussieren, werden wir feststellen, dass sie über eine gleichzeitige Kraft des Tuns und des Leidens verfügen. Die Kraft wird in diesem Zusammenhang nicht bloß als formal, sondern als konstitutiv verstanden werden müssen. Die Fragerichtung verschiebt sich unmittelbar nach unserer Passage, was uns große Schwierigkeiten bereitet: Es geht nicht mehr um die Darstellung der Relation zwischen unserem Intellekt und der Idee, sondern die innerideellen Beziehungen untereinander rücken ins Zentrum. In der Gemeinschaft der größten Gattungen vollzieht Platon, wie ich -------------------------------------------151
Brown 1998, S. 198f.
92
Kapitel 2
es sehe, nicht den idealistisch geprägten Schritt, die Idee nicht nur als Objekt, sondern auch als Subjekt des Denkens explizit darzustellen. Platons ständiger Gesprächspartner bleibt Parmenides, nicht die metaphysischen Realisten. Unser Ziel in §2.3 wird darin bestehen, die spezielle Ontologie des ideellen Seins auszuführen, indem wir die von Brown als „substantive“ charakterisierte Deutung der dynamis im Rahmen der Gemeinschaft der größten Gattungen wiederfinden. Dabei werden wir Ackrills Deutung der methexis als Prädikation nicht verneinen, sondern die Untersuchung auf einen anderen Punkt fokussieren. Zwei mögliche Einwände, die man bereits vor der Präzisierung des ideellen Erleidens machen könnte, lauten: 152 In Smp. 211b4f. sollte die Idee nach der platonischen Diotima nichts erleiden. Meine Antwort gleicht Vlastos’ Widerlegung von Keyts kritischem Punkt: Diotima spricht die Relation zwischen der Idee und dem Wahrnehmbaren an und nicht den Bezug des erkennenden Intellekts zur Idee. Aristoteles spricht von denjenigen, die die Ideen eingeführt haben; sie meinen, die Ideen seien ἀπαθεῖς καὶ ἀκίνητοι (Top. 148a2-21). Was diesen Einwand von Keyt betrifft, weiche ich von Vlastos’ Antwort ab. Vlastos meint, Aristoteles berichte auf unvorsichtige Weise, weil er sich auf die angesprochene Stelle im Symposion beziehe. Ich jedoch diskreditiere nicht Aristoteles’ Bezug auf das Symposion als schlechten Bericht, sondern unterstreiche das zweite Adjektiv, mit dem Vlastos keine Probleme verbindet. In den Haupttexten des platonischen Corpus, wo zwischen der Idee und dem Wahrnehmbaren unterschieden wird, kommen weder das Adjektiv χωριστόν noch ἀκίνητον vor. 153 Wenn Aristoteles von Platon berichtet, offenbart er dabei zugleich die Kriterien seines eigenen Verständnisses von Substanz, was nie außer Betracht gelangen darf. Vlastos bietet die wichtige Stelle im Euthphr. 11a-b, gemäß der φιλεῖσθαι der Frömmigkeit von den Göttern ein πάθος sein soll. Obwohl die Frömmigkeit πάσχει/πέπονθε, gibt es keinen einzigen Hinweis, so richtig Vlastos, dass sie sich dabei ändern würde. Ein weiterer, noch gewichtigerer Beleg, den Vlastos nicht in Betracht zieht, kommt im Dialog Parmenides vor, wo der Gesprächsführer zweimal von πάθος und πάσχειν der Idee spricht (Prm. 129c3, 136b8). Die Ideen, die hier von den entgegengesetzten Attributen angegangen werden, sind Eines und Vieles, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, Bewegung und Stillstand, Werden und Vergehen, Sein und Nicht-Sein und alle Ideen, die man auswählen kann, und die in der Übung des zweiten Teils tatsächlich ausgewählt werden. Dieses Angehen und Angegangenwerden unter den Ideen darf nicht mit einer Veränderung der Idee identifiziert werden. --------------------------------------------
152 Es geht um die Einwände, die Keyt in schriftlicher Korrespondenz an Vlastos gerichtet hat. Was Keyts Interpretation angeht, bin ich trotz der Eleganz der Argumentation in zwei Punkten nicht einverstanden. Es ist zweifelsohne hilfreich, die aristotelische Topik 137b3-13 heranzuziehen, um Aspekte zu unterscheiden, gemäß denen die Ideen als veränderlich und unveränderlich bezeichnet werden könnten. Dennoch ist die Distinktion zwischen akzidentellen Merkmalen einerseits und wesentlichen andererseits bei den Ideen, und zwar speziell im Sophistes bei den größten Gattungen, erklärungsbedürftig: Auf dieselbe Schwierigkeit stoße ich bei der Deutung M. Fredes (s. unten § 2.3, III, 1). Zum Zweiten halte ich die Geschichte des Erkanntwerdens einer Idee, die Keyt von Owen übernimmt und weiterentwickelt, eher für einen späteren, nicht platonischen Gedanken. In diesem Punkt bin ich mit Vlastos einer Meinung: „Of his [Plato’s] insistence on the absolute immutability of Form we have ample records. Of his supposed concession that knowledge of Form entails change in the known Form, no less than in the knower, we have no record at all.“ (19812, 2, Appendix I, S. 315, Anm. 11). 153 Außer der Timaios-Stelle, in der ἀκίνητον πειθοῖ vorkommt (51e4), was etwas anderes ist.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
93
Hinsichtlich der Bewegung und deren Verschiebung im Rahmen der Gemeinschaft der größten Gattungen, müssen wir mehr Arbeit im Sophistes selber leisten. Einiges wird an Klarheit gewinnen, nachdem wir die Stelle über das „vollkommen Seiende“ interpretiert haben. 4.
Das vollkommen Seiende (τὸ παντελῶς ὄν): Von einer allgemeinen zu einer speziellen Ontologie und die Unterscheidung zwischen intensionaler und extensionaler Fragestellung Τί δὲ πρὸς Διός; ὡς ἀληθῶς κίνησιν καὶ ζωὴν καὶ ψυχὴν καὶ φρόνησιν ἦ ῥᾳδίως πεισθησόμεθα τῷ παντελῶς ὄντι μὴ παρεῖναι, μηδὲ ζῆν αὐτὸ μηδὲ φρονεῖν, ἀλλὰ σεμνόν καὶ ἅγιον, νοῦν οὐκ ἔχον, ἀκίνητον ἑστὸς εἶναι; Aber beim Zeus! Sollten wir in der Tat auf leichte Weise überzeugt werden, dass es wahrhaftig sei, Bewegung und Leben und Seele und Einsicht kommen dem vollkommen Seienden nicht zu, und es weder lebt noch denkt, sondern ernst und heilig, ohne Geist, unbewegt stehe? 154
Diese Frage drückt die platonische Reaktion auf die Auffassung des Intelligiblen als eines gänzlich Unbewegten vonseiten der Ideenfreunde aus und hat zurecht große Aufmerksamkeit erregt. Man könnte sagen, die gewichtige Frage ist viel öfter zitiert als verstanden worden. Folgen wir dem weiteren Lauf des Gesprächs bis 249d5, um sie zu interpretieren. Der Gast fährt nach der Anrufung des Gottes fort: 155 Das vollkommen Seiende muss Leben haben, wenn es Vernunft hat (249a4f.). Es wird nicht gefragt, ob Vernunft und Leben als Seiendes anerkannt werden sollten, sondern ob das vollkommen Seiende vernünftig und lebendig ist. Und wenn es sich so verhält, so der Gast weiter, sollte das vollkommen Seiende Vernunft und Leben in der Seele haben, weil es keine andere Option geben würde, was die Zustimmung des Theaitetos findet. Das vollkommen Seiende muss daher beseelt sein. Nicht gestellt wird hier die Frage, ob die Seele Seiendes neben dem Wahrnehmbaren und der Idee ist. Weil von der Existenz der Seele beide Parteien ausgehen, die der Materialisten (246e9-247a1) und der Ideenfreunde, kann die hier gestellte Frage nach der Seele nicht extensional gerichtet sein: Es wird nicht danach gefragt, ob es die Seele als Entität neben dem Werden und dem Sein gibt, wenn man die vertikale Perspektive einer Hierarchie des Seienden in Betracht zieht. Etwas auszuschließen bedeutet schon, einen wichtigen Schritt beim Verständnis einer schwierigen Stelle zu vollziehen. Obgleich ich schon dieses Argument als ausschlaggebend betrachte, kann die Relevanz der oben erwähnten extensionalen Deutung auf der Basis des „vollkommen Seienden“ mithilfe anderer Argumente bestritten werden. Die Deutung, dass das παντελῶς ὄν sich auf den ausgezeichneten ideellen Bereich und nicht auf das Ganze der Realität bezieht, kann zwiefach verstärkt werden: zum einen im Sophistes selbst und zum anderen außerhalb dieses Dialoges. Der Gast muss sich auf den intelligiblen Bereich beziehen, weil die Ideenfreunde gerade in diesem Bereich keine Bewegung situieren können. Die Auszeichnung des ideellen Bereichs drückt der platonische Gast im weiteren Verlauf des Gesprächs aus, wenn er den Gegenstandsbereich des Philosophen als göttlich bezeich-
-------------------------------------------154
Sph. 248e6-249a2. Nur einmal noch im Sophistes wird Zeus angesprochen, in 253c7, wieder an einer Stelle von großer Bedeutung: Dort „stolpern“ wir auf den Philosophen, obgleich wir auf der Suche nach dem Sophisten sind. Ich kann daher beim Ansprechen von Zeus keinen ironischen Unterton hören. 155
94
Kapitel 2
net. 156 Zweimal kommt das „vollkommen Seiende“ im Corpus vor und zweimal bezieht es sich auf den intelligiblen Bereich der platonischen Ideen, sei es unter extensionaler Perspektive (Ti. 31b1, 39e1) oder in intensionaler Hinsicht (R. 447a3-4). 157 Das alles kann man nicht um einer „all-inclusive ontology“ willen entkräften, die die (extensionale) Frage nach den verschiedenen Arten des Seienden stellt. Wenn es so ist, kann man dann mit Gewissheit folgern, dass die Frage nach der Seele an unserer Stelle die Beziehung zwischen der Seele und dem ideellen Bereich betrifft: Ist das vollkommen Seiende beseelt? Noch nicht ist dabei entschieden worden, ob man die extensionale oder die intensionale Frage für die Seele in Bezug auf den ideellen Bereich stellen sollte. Wie die Frage vom Gast gestellt wird, ist beides möglich: Entweder soll man fragen, ob die Seele eine Idee unter anderen Ideen ist (extensionale Fragestellung), oder ob die Idee qua Idee beseelt ist (intensionale Fragestellung). Die extensionale Fragestellung auf der vertikalen Ebene – wie oben genannt „Was gibt es für Seiendes?“ – verschwindet nicht aus dem Horizont. Aber die gleichzeitige Präsenz der extensionalen und der intensionalen Fragestellung erschwert die Forschung. In 249b9f. fragt der Gast, ob das auf diese Weise wie auch immer vernünftige und lebendige und beseelte vollkommen Seiende unbewegt sein sollte. Dem Theaitetos kommt diese Vorstellung absurd vor. Ab 249b2ff. beginnt Platon jedoch, uns als Leser durch seine Ambiguitäten zu verwirren. Bis jetzt konnten wir schließen, die Fragestellung des Gastes sei intensional ausgerichtet: Was ist das vollkommen Seiende qua Seiendes? Die Idee muss qua Idee sowohl bewegt und stillstehend sein, was ein echtes Paradoxon ausmacht. Wenn wir die Frage als Frage nach der Idee der Bewegung und der Ruhe verstehen würden, würden wir das Paradoxon trivialisieren. In unserer Passage bemerke ich eine Wende von der allgemeinen Ontologie zu einer spezifischen Ontologie des ausgezeichneten Seienden (der Idee). Diese Wende lässt sich folgendermaßen darstellen: Von der Frage „Was gibt es für Seiendes?“ gehen wir zu derjenigen über, die auf einen speziellen Bereich der Realität fokussiert, nämlich den ideellen (die Gemeinschaft der größten Gattungen). Dem Gast nach müssen wir darin übereinstimmen, dass sowohl das Bewegte als auch die Bewegung Seiendes sind (249b2f.). Und der Gast kommt zurück zu seiner extensionalen Fragestellung, indem er anschließend bemerkt, dass Vernehmen nicht möglich wäre, wenn das Seiende, und er meint damit die Gesamtheit des Seienden, unbewegt wäre. Dass er jetzt die Gesamtheit des Seienden berücksichtigt, lässt sich in 2498-10 klar machen: Wäre die Gesamtheit des Seienden wiederum bewegt, würden wir auch die Vernunft als Seiendes eliminieren. Seinen platonischen Wunsch drückt der Gast in einem abschließenden Satz aus (249b10d4), der, was unsere Frage nach Extension oder Intension betrifft, mehrere Verstehensweisen erlaubt: Wie es scheint, müssen unbedingt der Philosoph und derjenige, der diese Dinge am meisten ehrt, auf diesem Grund nicht denjenigen zustimmen, die eine oder viele Entitäten annehmen, dass das Ganze still steht. Noch dürfen sie diejenigen überhaupt hören, die wiederum das Ganze auf alle Weisen bewegen, sondern [sie müssen] gemäß --------------------------------------------
156 Sph. 254b1. Daher finde ich es erstaunlich, wie Crombie, unter anderen, diese Stelle übersehen und behaupten kann, dass Platon im Exkurs über den Philosophen die Ideen nicht in ihrem „exalted status“ betrachtet (1963, S. 241f). Diese Bezeichnung halte ich für einen unstrittigen Hinweis auf die Priviligierung des ideellen Bereichs. 157 In Übereinstimmung mit Politis’ Ausführung in Bezug auf das vollkommen Seiende, 2006, S. 161ff.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
95
dem Wunsch der Kinder 158 beides zusammen, alles was unbewegt und alles was bewegt ist, als das Seiende und das Ganze nennen. 159 Als verwirrend darf dabei gelten, dass der Gast die zwei Perspektiven und unterschiedlichen Fragen nicht auseinanderhält. Er oszilliert nämlich zwischen dem vollkommen Seienden und dem Ganzen der Realität, zu dem das vollkommene Sein gehört. Sowohl bewegte als auch unbewegte Entitäten machen die Ganzheit des Realen aus. Der Ideenfreund ist auf zwei Ebenen kritisiert worden. Einerseits muss er das Intelligible auf irgendeine Weise als bewegt betrachten, damit er nicht zu dessen Unerkennbarkeit gelangt (248e6-249b1). Andererseits sollte er das bewegte, wahrnehmbare Werden als Seiendes anerkennen (249b2-d5). Vollziehen wir noch einen letzten Schritt: Wir gehen zum ausgezeichneten ideellen Sein über, nachdem als Kriterium des Seienden die dynamis des Tuns oder des Leidens genannt worden ist. Auch in diesem Teil der Realität gelten beide: die extensionale und intensionale Frage. Was die erste angeht, fragen wir: Was gibt es für Ideen? Was die zweite betrifft, fragen wir mit Platon, was die Idee qua Idee ist, in ihrer Intension. Leider hat Platon diese zwei Fragen nicht explizit gestellt und noch weniger auseinandergehalten. Dennoch müssen wir als Leser und Interpreten dies tun. 5.
Abgrenzung von und Vermittlung zwischen anderen Interpretationen „Mais y-a-t-il déjà une ontologie chez Platon, en premier lieu dans le Sophiste, et surtout une ontologie?“ 160
Wir haben schon länger den erst von Wolff geprägten Begriff der Ontologie auf die platonische Philosophie angewendet. A. Auf einer ersten Ebene werde ich von einigen Interpretationen kritisch Abstand nehmen, nämlich von derjenigen Figals, nach dem von Ontologie bei Platon nicht gesprochen werden darf, sowie von derjenigen Rosens und Simons. Die Letzteren sprechen von zwei Ontologien im Sophistes, meinen damit jedoch nicht die Unterscheidung zwischen allgemeiner und spezieller Ontologie, die ich oben gezogen habe. B. Auf einer zweiten Ebene werde ich auf der Basis meiner bisherigen Lektüre und Deutung zwischen Brown auf der einen Seite und Politis und Gerson auf der anderen vermitteln. Um die Debatte mithilfe meiner Terminologie zu formulieren (wobei mir bewusst ist, dass ich schon dadurch die Thesen in eine Richtung führe, die nicht als solche von den Vertretern ausgesprochen worden ist): Moravcsik (1962) und Owen (1986) folgend, hat Brown die allgemeine Ontologie des Seienden qua Seienden stark gemacht und die spezielle Ontologie vernachlässigt oder besser gesagt verneint. Politis und Gerson haben ausschließlich die spezielle Ontologie des ausgezeichneten Seienden in der Passage über das vollkommen Seiende hervorgehoben. Die Letzteren schließen sich Ross (1951), Cherniss (1965) und Frede (1996) an. A. Da Platon die ontologische Frage in dem oben erörterten Sinne stellt, kann der Anspruch einer Ontologie in seinem Denken nicht völlig geleugnet werden. 161 Unsere Ent-------------------------------------------158
Zur Erläuterung s. Cornford 1960, S. 242, Anm. 1. Τῷ δὴ φιλοσόφῳ καὶ ταῦτα μάλιστα τιμῶντι πᾶσα, ὡς ἔοικεν, ἀνάγκη διὰ ταῦτα μήτε τῶν ἓν ἢ καὶ τὰ πολλὰ εἴδη λεγόντων τὸ πᾶν ἑστηκὸς ἀποδέχεσθαι, τῶν τε αὖ πανταχῇ τὸ ὂν κινούντων μηδὲ τὸ παράπαν ἀκούειν, ἀλλὰ κατὰ τὴν τῶν παίδων εὐχήν, ὅσα ἀκίνητα καὶ κεκινημένα, τὸ ὄν τε καὶ τὸ πᾶν συναμφότερα λέγειν. 160 Mattéi 1989, S. 28f. 161 Figal hält die Ontologie für das Philosophieren im Spielraum der Ideen für unangemessen (in seinem Beitrag über den Parmenides, 1993). Seine Auffassung kann im Licht seiner dort nicht explizierten Zielsetzung verstanden werden: Durch die Destruktion einer Ontologie bei Platon (als 159
96
Kapitel 2
scheidung, die Lehre von den größten Gattungen als eine Antwort auf die Frage nach dem vollkommen Seienden zu betrachten, weicht von einer von Rosen vorgeschlagenen Unterscheidung zweier eingeführter Ontologien ab. 162 Ihm zufolge ist ein Übergang von einer theologischen Ousiologie, die ihren Gipfel bei dem „völlig Seienden“ (παντελῶς ὄν) erreiche, zu einer Ontologie der „atomic, monoeidetic elements“ der größten Gattungen zu konstatieren. Die οὐσία bei der „Riesenschlacht“ werde mit einem allgemeineren Konzept als demjenigen von ὄν verbunden und beziehe sich auf die bewegte und lebendige, göttliche Totalität. Dabei bleibe die entsprechende Untersuchung ungenau, insofern sie nicht mehr nach der Anzahl des Seienden frage – wie die kritisierten Monisten und Dualisten – und in eine Aporie gerate. Das von Rosen vorgebrachte sprachliche Argument, dass sich die Bezeichnung οὐσία in den Passagen der Gigantomachie häufe, während die Diskussion über die μέγιστα γένη das ὄν in Anspruch nehme, kann bei genauerer Beobachtung als mangelhaft charakterisiert werden. Sowohl taucht ὄν in der Partie der Gigantomachie auf, 163 als auch manifestiert οὐσία ihre Präsenz in der Lehre der größten Gattungen. 164 Auf der Grundlage der Argumentation Rosens lässt sich die etablierte Meinung nicht widerlegen, dass die zwei Begriffe ὄν und οὐσία von Platon abwechselnd verwendet werden. 165 Außer der Tatsache, dass diese Deutung die Flexibilität der platonischen Sprache nicht berücksichtigt, kann sie die Kontinuität und organische Entfaltung des Gesprächs nicht zur vollen Geltung bringen. Statt einer solchen Verdoppelung der Ontologien, 166 die nach Rosen auf einer Integration der vielfältigen Dimensionen des dramatischen Textes beruhen soll, aber sich eigentlich auf ein diskontinuierliches Verständnis des Textes und einer unangebrachten Trennung von zusammengehörigen platonischen Elemen-
-------------------------------------------der Fragestellung nach dem Sein des Seienden als Seienden) schickt er sich an, Platon von dem heideggerschen Vorwurf der Seinsvergessenheit zu bewahren. Figal stimmt auch Mojsisch 1999 zu, nach dem bei dem späten Platon von „Ontologie“ keine Rede sein kann. Statt einer Prävalenz des Seienden an sich und für sich gegenüber dem Nicht-Seienden rückt der Begriff des Dialogs des sich unterredenden Denkens ins Zentrum (Mojsisch 1999, S. 41f.): s. unsere Überlegungen unten, § 2.3, III, 1 b, iii. 162 Rosen 1983, Plato’s Sophist, S. 212ff. (Scene twelve-fifteen). „There are two distinct ontologies at work in the Sophist. The Stranger not only does nothing to reconcile these two ontologies; he never refers to the fact that he has introduced two conceptions of being“, (ebd., S. 223). Im Anschluss an Rosen empfiehlt neuerdings Simon ein ähnliches „critical reading“ (1995/96, S. 161), das zwei Ontologien entdeckt („irreducible to each other and independently probative ontologies“, S. 177). Deswegen werden beide Beiträge einheitlich betrachtet. Auch bei Mattéi 1989, S. 28ff. ist der Einfluss von Rosens Arbeit deutlich zu spüren. 163 Sph. 247d und 249d5. 164 Sph. 251d5, e9, 252a2, 258b2, b9, 260d3. Dies wurde als der Hauptmangel von Simon zugegeben,1995/96, S. 179. Rosen unterstreicht, dass die Darstellung des Gastes nicht unstrittig gedeutet werden kann, 1983, S. 243: „Nevertheless, it must be noted, that the use of ousia here [im Kontext der Gemeinschaft der größten Gattungen] tends to weaken the distinction between the references to ‚the whole’ and to the formal element. It cannot erase that distinction, but it is a sign of how Plato’s fluctuating terminology makes it next to impossible to arrive at noncontroversial accounts of the stages in the Stranger’s presentation.“ (Hervorhebung von G. M.: Jedes μέγιστον γένος wird sich als in der Tat vollkommen zeigen.) 165 Cornford 1960, S. 216, Anm. 1, und S. 246. Als Beleg einer durchgängigen Vertauschbarkeit der zwei Bezeichnungen ὄν und οὐσία bei Platon s. Halfwassen 1997, S. 46, Anm. 16. Rosen und Simon (1995/96, S. 163f.) sind sich dieser Schwäche bewusst. 166 „Evident dualism operative in the ontologies“ und entsprechend „disparate discourses“: Simon 1995/96, S. 175f.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
97
ten 167 stützt, bevorzugen wir eine Lektüre, die die innere textliche Dynamik betont. Auch wenn Übergänge und transzendierende Überleitungen ein Hauptmerkmal der Dialoge ausmachen, ergibt sich jedes Moment als ebenso platonisch wie notwendig für die organisch zu entfaltende Bewegung des platonischen Gesprächs. Dagegen ist in meiner Darstellung die Spannung zwischen einer allgemeinen und einer speziellen Ontologie hervorgehoben worden, was zu keiner inadäquaten Teilung des Textes führt, sondern als Vorbereitung der Problematik der aristotelischen Metaphysik auszudeuten ist. B. Was die neuere Diskussion über den Sophistes betrifft, hat Brown (1998) in der Passage der Riesenschlacht eine „all-inclusive ontology“ exponiert, die nicht andeutungsweise die Priviligierung einer Ebene – sei es die intelligible oder die wahrnehmbare – erkennen ließ. Politis hat dagegen eingewendet, dass nur die Materialisten eine „all-inclusive“ oder „tier-less ontology“ vertreten. Auf diese Weise hat er Browns Interpretation als materialistisch geprägt verstehen müssen und so gelangen wir zu der Gigantomachie innerhalb der platonischen Forschung. Dagegen setzen sich die Ideenfreunde für eine „tiered ontology“ ein, die einen spezifischen Bereich der Realität, nämlich den intelligiblen, auszeichnet. Nach Politis sollten wir herausfinden, für welche Linie sich der Gast am Ende (249c10-d5) entscheidet. Der Interpret meint, dass unsere Entscheidung für eine allgemeine oder eine Schichten-Ontologie von der Interpretation des vollkommen Seienden abhängt. Unsere bisherige Deutung hat jedoch aufgezeigt, dass dies so nicht der Fall ist. Der Gast drückt seine Intention klar aus: Er zielt nicht darauf, parteisch zu werden, indem er sich den Materialisten oder den Ideenfreunden anschließt, wie Politis meint, sondern er will den Sinn des Seins so formulieren, dass sowohl die Materialisten als auch die Ideenfreunde zu einer Übereinstimmung kommen (247d1-4). Aus dieser Vermittlung entsteht die Fragestellung einer allgemeinen Ontologie des Seienden qua Seiendem, die Politis vernachlässigt. Er beschränkt sich eher auf die Widerlegung einer Ontologie ohne Schichten, die aber nicht das ganze philosophische Potenzial unseres Zusammenhanges zu erschöpfen vermag. Als mögliche Motivationen einer Ontologie ohne Schichten erwähnt Politis zwei Optionen: Entweder könnte man denken, dass die Frage „Was gibt es?“ voraussetzt, es gebe keine Schichten der Realität. Oder man kann behaupten, dass die Einteilung in zwei Bereiche oder Schichten für die Frage „Was gibt es?“ nicht relevant ist. 168 Scheuen wir uns nicht vor einer Wiederholung, weil sich die Unterscheidung einer allgemeinen und einer speziellen Ontologie als sehr wichtig für das Verständnis des Textes sowie für die Vermittlung zwischen den entgegengesetzten Interpretationslinien in der Platon-Forschung erweist. Die Frage „Was gibt es?“ fragt nach der Extension. Man muss aufzählen, was für Arten von Seiendem das Reale ausmachen, das Schichten vor--------------------------------------------
167 Gemeint sei in diesem Fall die Trennung von platonischer Ideenlehre, zu der die μέγιστα γένη gehören, und dem Göttlichen, das nach diesen Interpreten nur bei der οὐσία zu finden sei. Die platonischen Ideen werden als göttlich verstanden (vgl. Phdr. 249c), was die zwei Ontologien zu einer zusammenführt. Den μέγιστα γένη darf der „theological overtone“ nicht abgesprochen werden (wie Simon das Auftauchen der οὐσία in Sph. 258b kommentiert, 1995/96, S. 173). 168 Politis 2006, S. 173, Anm. 11 macht eine schwerwiegende Bemerkung, die uns hilft, seine Hermeneutik zu verstehen. Er meint, dass die Fragen „Was gibt es?“, „Was ist Seiendes?“ und „Was hat eine Substanz?“ bei Platon nicht zu trennen sind. Ich stimme in Bezug auf diesen Punkt eher M. Frede (1996, 1) zu: Die Stränge mögen zusammenlaufen, aber fallen nicht immer zusammen. Meine Intention lag gerade in dem sinnvollen Auseinanderhalten der zwei Fragen „Was ist das Seiende qua Seiendes?“ und „Was gibt es für Seiendes?“.
98
Kapitel 2
aussetzen mag oder nicht. Im Falle Platons sowie Aristoteles’ gibt es eine Hierarchie des Seienden. Diese (extensionale) Frage ist eine andere als die folgende, die nach der Intension fragt: Was ist das Seiende qua Seiendes? Die Antwort muss hier alle angegebenen Arten oder Schichten der Realität betreffen: im Fall Platons nicht nur das Materielle, sondern auch das Intelligible. Vollziehen wir den oben aufgezeigten Übergang im Text und konzentrieren wir uns auf den ideellen und ausgezeichneten Bereich. Hier lassen sich die zwei Fragen nach der Extension und Intension erneut stellen: Extensionale Ebene: Was gibt es (für Ideen)? Intensionale Ebene: Was ist die Idee qua Idee? Gerson hat seinerseits die Auseinandersetzung über das vollkommen Seiende als einen Passus bezeichnet, für dessen Interpretation sich die Platon-Forschung durch die berühmte Distinktion einteilen lässt: Es gibt diejenigen Forscher, die die antike PlatonTradition ernst nehmen und diejenigen, die sie vernachlässigen. 169 Gerson erhebt viel höhere Ansprüche, die über die Interpretation der Sophistes-Stelle hinausgehen. Ich lasse hier die wichtige Frage beiseite, ob man Platon und Aristoteles als in exakter Übereinstimmung deuten sollte, was den intelligiblen Bereich angeht, 170 also ob Plotin die Sophistes-Stelle über das vollkommen Seiende und die aristotelische Theologie auf angemessene Weise zusammengebracht hat (Enn. iii 9.9, v 3.5, vi 7.13). In diesem Rahmen begnüge ich mich mit dem Folgenden: Ich kann nicht damit übereinstimmen, dass die Ideenfreunde imstande sind, einen ausgewachsenen Platonismus zu akzeptieren, 171 weil ich Platon für noch keinen Platonisten halte. Für meine viel bescheidenere Deutung der Stelle ist etwas anderes von Belang. Gerson spricht von drei Interpretationen, um die zweite, die er dem tradierten Platonismus beimisst, als die einzige richtige Deutung zu nennen. Meiner bisherigen Interpretation gemäß entscheidet sich der platonische Gast an der Stelle nicht gegen eine der von Gerson aufgelisteten drei Deutungen. Deswegen kann ich, anders als Gerson, die von ihm als erste und dritte charakterisierten Deutungen nicht als falsch oder irrelevant negieren. Nach der ersten Deutung (i.) wird an der Stelle über das vollkommen Seiende gefragt, was es auf einer vertikalen Hierarchie gibt: In diesem Sinne ist alles Bewegte nicht weniger real als alles Unbewegte. Nach Gersons favorisierter zweiter Deutung sind das Denken und das Sein unzertrennlich, was der Platonismus vollständig entwickelt hat (ii.). Gersons zweite Option lässt sich mit der oben als intensional verstandenen Fragestellung im Bereich des Intelligiblen decken: Was ist die Idee qua Idee? Was Gerson als dritte Option charakterisiert, ist die extensionale Frage im Bereich des Intelligiblen: Was gibt es für Ideen? Nicht nur die Idee der Ruhe, sondern auch diejenige der Bewegung gehören zum intelligiblen Sein (iii.). (i.) Zu der ersten Deutung: Platon setzt sich gegen All-Thesen ein: Nicht alles kann unbewegt sein; noch kann alles bewegt sein. Die Materialisten sollten ihren Reduktionismus aufgeben, und die Ideenfreunde klar machen, dass sie zwei Arten von Seiendem annehmen. Obwohl es schon zu Beginn klar ist, dass sie im Gegensatz zu den Materialisten keine Monisten sind, ist es von Belang, dass ich diesen Punkt noch einmal unterstreiche. (ii.) Zu der von Gerson als zweiten bezeichneten Deutung: Dem Gast scheint es mir hinreichend zu sein, die Ideenfreunde mit der Paradoxie der epistemologischen Unzugänglichkeit des Realen zu konfrontieren, um sie zur Modifizierung ihrer anfänglichen -------------------------------------------169
Gerson 2006, S. 291. Ebd., S. 293: Der Bezug von Denken und Sein soll nach Gerson zwischen Platon und Aristoteles „exactly the same“ sein. 171 Ebd., S. 302. 170
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
99
Prämisse zu zwingen. Die Zugänglichkeit des Realen müssen sie erklären; das Objekt des Denkens darf nicht völlig getrennt vom Subjekt des Denkens sein. Was insbesondere die Integration der Seele in den intelligiblen Bereich anbelangt, sehe ich zwei Möglichkeiten: Entweder die Seele ist dadurch im Intelligiblen präsent, dass man die Idee als denkend fasst und den Weg Plotins einschlägt, oder dadurch, dass man nach der Seele qua Seele sucht, i. e. als Selbst-Bewegung. Dann sollte man das Ideelle, und zwar die ideelle Mischung der größten Gattungen, als selbst-konstitutiv erfassen. Die zwei Möglichkeiten schließen einander nicht aus. Jedenfalls trifft Platon seine Entscheidung nicht auf explizite Weise. (iii.) Gersons dritte Deutung stellt die extensionale Frage im Bereich des Intelligiblen. Obgleich man in unserem Passus den Terminus Idee nicht findet, wie Gerson richtig anmerkt, 172 ist es in 248a4 klar, dass die Ideenfreunde Pluralisten sind. Und zugegebenermaßen bereitet es denjenigen, die das Intelligible als völlig unbewegt charakterisieren, schon erhebliche Schwierigkeiten, eine Idee der Bewegung anzunehmen. Deswegen bleibt auch diese Deutung für unseren Passus von Relevanz und ist nicht auszuschließen. 6.
Die Idee als dynamis: Zusammenfassender Ausblick
Schon bevor wir auf den Passus der Gemeinschaft der größten Gattungen eingehen, können wir einiges über die Bedeutung des dynamischen Begriffs des Seins vorbringen: So liegt ihm als erstes eine unhintergehbare Zweiheit zugrunde. Es wird von einem Seienden ausgegangen, das wirkt, und einem, das erleidet, und auf diese Weise muss in dynamis selbst und in dem durch sie bestimmten Seienden die Gemeinschaft (κοινωνία) als Bedingung zugrunde liegen, auch wenn das noch nicht explizit entfaltet wird. Gewiss kann der Einwand erhoben werden, dass diese Konzeption durch das äußerliche Postulat der Vielheit der Ideen noch vergegenständlichend vorgehe, 173 da es sich um zwei voneinander getrennte und distinkte Seiende handele. Auch kann die innere Ausdifferenzierung des Seienden noch nicht als erwiesen gelten; dennoch ist hiermit schon angedeutet, dass das Seiende über sich hinausweist. Als zweites wird aufgrund der Bestimmung der dynamis das Augenmerk auf die Beziehung zwischen Seienden gelenkt, auf die unhintergehbare Relation, die einander bestimmende und konstituierende, gleichursprüngliche Seiende dann bezeichnen kann, wenn jedes von ihnen sowohl wirkt als auch erfährt. Das wird der Fall bei den größten Gattungen des Seienden und des Anderen sein. Die Konzeption der Idee als fensterloser Monade – ohne Beziehung zu den anderen – wird daher durch die Einführung der dynamis als Kriterium des Seins, also vor der Diskussion der drei Möglichkeiten über die Mischung, bereits ausgeschlossen. Als drittes wird durch das Verständnis der Idee als dynamis, die eher als aktive Mächtigkeit denn einen Seinsmangel implizierende passive, unverwirklichte Möglichkeit zu verstehen ist, das wesentliche Moment ihrer Unverfügbarkeit hervorgekehrt. Der Philosoph betet entsprechend oft in den Dialogen und appelliert allen Ernstes an die Götter, die Idee möge sich zeigen. Es liegt nicht ausschließlich in seiner Macht, dass sich die Idee
-------------------------------------------172
Gerson 2006, S. 294f. So mit Recht Kolb 1997, S. 109, der dann bei der δύναμις eine verkleidete urteilstheoretische Einsicht zu entdecken meint (S. 113): die innere Differenzierung des Seienden, seine Zwiespältigkeit in sich, nämlich in die prädikativen Funktionen des Zu-bestimmenden und des Bestimmenden. 173
100
Kapitel 2
nach der mühsamen diskursiven Übung zeigt; daher wird das Moment des Plötzlichen (ἐξαίφνης) mit ihrer unvorhersehbaren Offenbarung der Schau verbunden. 174 Auf der Basis dieser drei Punkte lässt sich in der Tat gegenüber Diès’ Auffassung zeigen, wie der Begriff der dynamis auf die Fortsetzung der Problematik der größten Gattungen wirkt. Noch ist auszuführen, wie die spezielle Ontologie des ausgezeichneten Seienden aussieht. Durch die eine Ontologie der vielfachen Vermittlung der μέγιστα γένη wird inhaltlich der Sinn des παντελῶς ὄν erfüllt und so wird ein weiterer Schritt bei der Verinnerlichung gemacht: Was in einem ersten Schritt als das Andere dem Seienden äußerlich entgegengesetzt (im Fall der dynamis von zwei distinkten Seienden) erscheinen wird, wird sich im Seienden selbst manifestieren. Die letzten Reste einer möglichen Vergegenständlichung werden endgültig aufgehoben, wenn die Grenzen zwischen den größten Gattungen fast verschwinden. II. Einführung und ἀπόδειξις der Mischung Nach der Zusammenfassung über die Ausweglosigkeit bezüglich des Seins und des Nichtseins 175 wird aufs Neue in die Problematik eingestiegen. Auch wenn nicht von einem neuen Anfang die Rede ist (251a5f.), handelt es sich um einen Wendepunkt des Dialogs, der den positiven Teil eröffnet. Jetzt wird von der unendlichen Möglichkeit der Prädikation ausgegangen, der Verbindung von dem einem, z. B. dem Menschen, mit vielen Prädikaten, z. B. der Farbe, der Gestalt, der Tugend oder Schlechtigkeit und anderem. 176 Die Aussage bietet sich als der natürliche Boden an, auf dem die Fragestellung nach dem Einen und dem Vielen entfaltet wird, wie sich erneut im Philebos zeigt. 177 Der platonische Gast polemisiert affektgeladen gegen die antisthenische Auffassung des Urteils, nach der nur tautologische Sätze möglich sind: „Der Mensch (ist) Mensch“, „das Gute (ist) gut“, 178 bevor er zur Hauptfragestellung gelangt: Eine Setzung ist erforderlich (τιθῶμεν). Man muss sich für eine der drei angebotenen Annahmen hinsichtlich der Möglichkeit der Mischung überhaupt entscheiden. Wie in jedem hypothetischen Verfahren sollten die Folgerungen jeder Hypothese geprüft werden: -------------------------------------------174 Am charakteristischsten dazu s. Smp. 210c, VII. Ep. 341c. Allgemeiner zum Plötzlichen als dem wunderbaren Wesen jeder Verwandlung der Gegensätze ineinander: Prm. 156d-157a. Dabei sei an keine Mystik gedacht. Die Schau taucht zugleich mit der Eingestaltigkeit der Idee auf (Phaidon, Symposion), wobei beide im Philebos sowie Sophistes nicht vorkommen. Wenn die Schau eine bloße Metapher wäre, würde man so etwas nicht beobachten können. Die Frage, warum die Schau in den zwei späteren Dialogen nicht vorkommt, lässt sich nicht dadurch beantworten, dass Platon aufhört, sie als bloße Metapher anzuwenden. Die Frage nach der Begründung von Platons philosophischer Entscheidung sei hier nur gestellt. 175 Ab 249d9 bis 250d4 gerät der Versuch, die Natur des Seienden auszudrücken, in eine Sackgasse, so wie die Dualisten in die Ausweglosigkeit geführt worden sind (243d6-244b5). In 250e5251a4 fasst der Gast die gesamte durchgangene Aporie zusammen. 176 Sph. 251a-b. Die verschiedenen Ebenen sollten nicht vermischt werden. Der Ansatzpunkt ist die Prädikation von einem einzelnen Wahrnehmbaren, seine Teilhabe also an der Idee. Dieses Problem wird auf die innerideelle Ebene übertragen, und speziell im Sophistes auf die Ebene der Verhältnisse der größten Gattungen untereinander. 177 Dazu unten, § 3.1. Im Philebos werden die von Protarchos angesprochenen Probleme von Sokrates als längst erledigt charakterisiert; im Unterschied dazu bieten hier die Probleme, die mit der Prädikation verbunden sind, einen ernst zu nehmenden Einstiegspunkt. 178 Zur antisthenischen Logik als polemisches Stimulans für die Entwicklung der platonischen Dialektik: Oehler 19852, S. 31ff. Mit der angesprochenen Stelle im Sophistes ist diejenige im Theaitetos zu verbinden: 201d8-208b10. Als Spätlerner kommen Euthydemos und Dionysodoros vor (Euth. 272b). Zurück zum Problem der Spätlerner kommen wir, nachdem die Lösung gegeben worden ist (§ 2.3, III 1c i.).
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
101
Ob wir weder das Sein mit Bewegung und Ruhe verknüpfen dürfen, noch sonst irgend etwas mit etwas anderem, sondern ob wir in unserem Sprechen alles als unvermischbar setzen sollen, das unmöglich an anderem teilhaben kann. Oder ob wir alles in eines zusammenbringen wollen, da es miteinander Gemeinschaft haben kann. Oder ob das nur bei einem so ist, nicht aber beim anderen. Welcher von diesen Möglichkeiten, Theaitetos, werden sie nach unserer Meinung den Vorzug geben? 179 Was folgt, hat nicht den Status eines direkten Beweises. Nach 256c1-2 wird das vorangegangene elenktische Verfahren als ἀπόδειξις bezeichnet. Wie sollten wir in diesem Rahmen die Rede von ἀπόδειξις verstehen? 180 Wie eine nähere Betrachtung des Arguments zeigt, geht es formal um die Durchführung eines indirekten Beweisverfahrens: 181 Die Hypothesen, deren Konsequenzen zu untersuchen sind, sind hauptsächlich zwei: „Es gibt Mischung“ (A) und den dazu kontradiktorischen Satz: „Es gibt keine Mischung“ (~A). Der ersten Hypothese lassen sich zwei Möglichkeiten unterordnen: „Es gibt eine uneingeschränkte Mischung“ (A1) und „Es gibt eine bedingte Mischung“ (A2). Statt aufzuzeigen, warum die Folgerungen von A2 untereinander übereinstimmen, werden zunächst die Konsequenzen einer totalen Aufhebung der Mischung (~A) und anschließend diejenigen einer uneingeschränkten Mischung (A1) als widersprüchlich aufgewiesen und widerlegt. In der platonischen Dialektik lassen sich noch keine festgelegten Regeln außer dem negativen Kriterium der unerlässlichen Widerspruchsfreiheit dafür angeben, welche Arten von Behauptungen sich miteinander verbinden lassen. Anstelle des Verfolgens irgendwelcher syllogistischer Regeln werden diejenigen Behauptungen verworfen, die zu einem Widerspruch führen, und ihre Gegenteile als wahr angesehen. 182 Die angesprochenen drei Wege müssen notwendigerweise alle Möglichkeiten erschöpfen: Entweder muss von dem völligen Ausschluss der Mischung der Seienden untereinander oder von einer uneingeschränkten Mischung oder von einer bedingten --------------------------------------------
179 Πότερον μήτε τὴν οὐσίαν κινήσει καὶ στάσει προσάπτωμεν μήτε ἄλλο ἀλλῳ μηδὲν μηδενί, ἀλλ’ ὡσ ἄμεικτα ὄντα καὶ ἀδύνατον μεταλαμβάνειν ἀλλήλων οὕτως αὐτὰ ἐν τοῖς παρ’ ἡμῖν λόγοις τιθῶμεν; ἢ πάντα εἰς ταὐτὸν συναγάγωμεν ὡς δυνατὰ ἐπικοινωνεῖν ἀλλήλοις; ἢ τὰ μέν, τὰ δὲ μή; τούτων, ὦ Θεαίτητε, τί ποτ’ ἂν αὐτοὺς προαιρεῖσθαι φήσομεν; Sph. 251d5-e1 (Übers. Rufener) Bemerkenswert ist, dass die Negation der Mischung (ἄμεικτα) vor dem Begriff der Mischung im Dialog auftaucht. 180 Die Rede von ἀπόδειξις im Sophistes (242b4, 256c1, 258d7, 261a1, 2, b2) und Politikos (269c2, 273e5, 277a2, b6) ist nicht mit dem strengen deduktiven aristotelischen Verfahren zu identifizieren. Häufig lässt sich ἀπόδειξις mit der elenktischen Prüfung verknüpfen (Sph. 242b4), und wenn sie mit der dihairesis in Beziehung tritt (wie in Plt. 269c2, 273e5, 277a2), dann handelt es sich eher um eine sprachliche Darstellung und sachliche Erschließung des Gesuchten (im Politikos des Staatmannes) in seinen innerideellen Beziehungen im logos. Unter diesem Gesichtspunkt versteht sich die Einschätzung der dihairesis als schwacher Syllogismus vonseiten Aristoteles’ (APr. A31, APo. B5) nicht als bloße Kritik an den platonischen Ansprüchen der dihairesis, sondern als Verortung des dihairetischen Verfahrens in seinem eigenen Denksystem, vor dem Hintergrund seiner polemischen Auffassung, dass die Dialektik nur versucht, aber die Erkenntnis nicht erreicht: Metaph. Γ2, 1004b25f. Aristoteles ist nicht bereit, die innerideellen Beziehungen zu akzeptieren. Nach ihm sind nur die untersten Arten, nicht aber deren Gattungen reell. Gegen die Kritik Aristoteles’ (als Platon nicht treffend) unter anderen: Minardi 1983, am bekanntesten Cherniss, der darauf hinaus will, Aristoteles als unzuverlässigen Berichterstatter der platonischen Philosophie zu erweisen: 1946, S. 1-82. 181 Es geht um das so bezeichnete eleatische Argument: Die Bezeichnung geht auf Parmenides und seine Inanspruchnahme von drei Optionen zurück, von denen nur eine den wahren Weg ausmacht. Vgl. die ähnliche Struktur des Arguments von Philolaos DK B2, § 3.3, Anm. 214. 182 Im Anschluss an Szabó 1969, S. 326f. (zur Verbindung des indirekten Beweisverfahrens und der mathematischen Grundlagen ebd., S. 326ff.). Seine o. g. Schlüsse werden durch die von ihm nicht herangezogene Stelle des Sophistes bestätigt. Den Verweis verdanke ich Sebastian Ochoa.
102
Kapitel 2
Verbindbarkeit ausgegangen werden; damit sind alle Arten der Bezüglichkeit der Seienden untereinander ausgeschöpft: Wenn zwei Optionen ausgeschlossen werden, muss die dritte als die einzige haltbare anerkannt werden. Mithilfe des skizzierten negativen Ausschlussverfahrens wird in der Tat die dritte Möglichkeit der bedingten Mischung indirekt bewiesen. Die Mitte zwischen den zwei Extremen der absoluten Verneinung der Verknüpfung und der uneingeschränkten Teilhabe wird als die einzige mögliche Annahme akzeptiert und anschließend am Beispiel der größten Gattungen expliziert. Als Ort der Dialektik erweist sich daher nach der Forderung des Gastes wiederum die Vermittlung zwischen den Gegensätzen, wie bis jetzt mehrmals zur Sprache kam. Die erste Annahme lässt sich wegen ihrer ersten Folgerung aufheben, dass jede vergangene und zukünftige mögliche Ontologie absurd wäre, deren Vertreter die Verknüpfung des Seins mit der Bewegung oder der Ruhe voraussetzen. Κατὰ πάντα ταῦτα λέγοιεν ἂν οὐδέν, εἴπερ μηδεμία ἔστι σύμμειξις: „Sie würden in Bezug auf all dies nichts sagen, wenn es keine Vermischung gibt.“ Was hier als Nichtssagendes charakterisiert wird, bedeutet nicht Falsches, sondern Sinnloses. Schon hier wird die Abhängigkeit unseres logos von der Mischung (der Ideen) ausgedrückt, die der Gast nach der exemplarischen Darstellung der Beziehungen einiger der höchsten Gattungen mit Entschiedenheit betont (259e4-6). In diesem Fall wird also die onto-logische Mischung, die Verbindung und Trennung der Begriffe im logos, in Anspruch genommen. Dieselbe Sinnlosigkeit würde denjenigen widerfahren, die das Ganze in Elemente aufteilen, seien diese der Zahl nach endlich oder unendlich. In diesem zweiten Fall handelt es sich um die onto-logische Mischung von Realelementen als synthetische Methode des Aufbaus der Realität (252b1: τοτὲ μὲν συντιθέασι τὰ πάντα) – komplementär zur analytischen Einteilung (252b2: τοτὲ δὲ διαιροῦσιν). 183 Nicht nur unser logos, sondern die Realität selbst wäre jedes Sinnes beraubt, wenn man die Möglichkeit der Mischung verneinte. In aller Kürze wird anschließend ein „elenktischer Beweis“ skizziert (252b8-c9), in dem die Widersprüchlichkeit der Position nachgewiesen wird, die die Möglichkeit der Mischung leugnet. Platon spielt wieder auf die Antistheniker als paradigmatische Vertreter der absoluten Beziehungslosigkeit an. Solche „ungebildeten“ 184 Denker werden ihren Selbstwiderspruch einräumen müssen. Die innere Inkonsistenz ihrer Theorie wird durchsichtig, ohne dass sie von anderen widerlegt werden müssen (252c5-6), sobald sie zu Wort kommen und irgendeinen Satz formulieren: ἐν τοῖς λόγοις οὐκ ἄλλων δέονται τῶν ἐξελεγξόντων, ἀλλὰ τὸ λεγόμενον οἴκοθεν τὸν πολέμιον καὶ ἐναντιωσόμενον ἔχοντες (252c5-7). 185 Dieses indirekt beweisende Verfahren ähnelt demjenigen, das Aristoteles im vierten Buch seiner Metaphysik durchführt, weil kein direkter Beweis für das höchste, sicherste, bekannteste und unbedingte (ἀνυπόθετον) 186 Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs erbracht werden kann. 187 Die jeweiligen höchsten Prinzipien einer Wissenschaft -------------------------------------------183
Zu den zwei komplementären Methoden s. unten § 3.3, II.2. Die Bezeichnung geht auf Aristoteles zurück, der die Leugner des Satzes vom Widerspruch auf diese Weise karikiert: Metaph. Γ3, 1005b3f. Die Charakterisierung „Spätlerner“ (Sph. 252b6) ist nicht weniger herabwürdigend. 185 Für das Gleichnis mit dem Bauchredner Eurykles, der seinen Widerpart in sich hat, vgl. Aristophanes V. 1019-1023. 186 Hapax legomenon im Corpus Aristotelicum, Metaph. Γ3, 1005b14. 187 Arist. Metaph., Γ3, 1005b35ff. Den in der Forschung noch nicht hinreichend aufgedeckten Zusammenhang zwischen dem Sophistes und den Ausführungen in Metaphysik Γ hatte schon Ackrill (1955) gesehen, bevor Königshausen die Parallelen systematischer erforschte (1989, 1992). Ackrill 184
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
103
könnten nicht hergeleitet werden, sonst würde man mit dem Problem eines infiniten Regresses konfrontiert. 188 Das oberste Axiom aller apodeiktischen Wissenschaft, 189 nämlich dass es unmöglich ist, dass dasselbe demselben in derselben Hinsicht zugleich zukommt und nicht zukommt (Metaph. Γ3, 1005b19f.), welches aller Ontologie des Seienden als Seienden und aller Apophantik des „Etwas-als-etwas-Setzens“ zugrunde liegt, kann nur durch Widerlegung (also ad hominem) bewiesen oder, treffender gesagt, gerechtfertigt werden: Der Leugner des Satzes des auszuschließenden Widerspruchs macht den Anfang, da er eine Begründung seiner Widerlegung des Satzes schuldig ist. Er braucht die Rede nicht einzulösen und einen Satz aufzubauen, denn in diesem Fall müsste er eine petitio principii begehen. Sobald der Leugner etwas bezeichnet, bringt er zutage, dass auch er – wenn auch unausgesprochen – den widerlegten Satz voraussetzt. Was die aristotelischen Voraussetzungen des Bezeichnens (σημαίνειν) als ein Begrenzen betrifft, worin nach der These von Rapp der eigene Beweisgrund liegt, begnügen wir uns hier mit der Bemerkung, dass jeder bezeichnende Ausdruck eine Festlegung mit sich bringt. Der kontradiktorische Fall wird strikt dadurch ausgeschlossen, dass die Bezeichnung eindeutig ist, und d. h. andere Möglichkeiten aus dem Weg räumt. 190 Vergegenwärtigen wir uns nach dem kurzen Aristoteles-Exkurs Folgendes: Es geht im Rahmen unserer Auslegung der anvisierten Beweisführung nicht darum, einen Mangel der Beweiskraft festzustellen (aufgrund der Behauptung einer Argumentation ad hominem), sondern darum, mithilfe der Parallele zur Metaphysikstelle die Frage aufzuwerfen, ob die eingeführte Mischung auch direkt oder ausschließlich indirekt – also elenktisch – -------------------------------------------versucht, die rätselhafte Aussage in Sph. 259e4-6 über die Beziehung zwischen der Verflechtung der Ideen und unserem logos durch die Auslegung der von uns jetzt untersuchten Partie, nämlich der Einführung der Notwendigkeit der Mischung überhaupt, zu beleuchten (1955, S. 32ff.). Im Rahmen seines Begriffs der platonischen Dialektik, nach dem „the dialectician makes explicit the rules in accordance with which we already talk“ (ebd., S. 34), vermerkt Ackrill, „that some statements are self-contradictory was taken as a proof that some pairs of forms are irreconcilable; the fact that a certain statement is meaningful is taken to prove that some forms do combine with others. Some sentences are meaningful and some are not: that’s why there are connections between forms“ (ebd., S. 33). Angemessen wäre, umgekehrt zu behaupten, dass eben aufgrund der innerideellen Beziehungen einige Sätze sinnvoll und wahr sind, andere jedoch nicht. Königshausen deckt die gemeinsamen Stränge und die parallelen Begründungsfunktionen der gemeinsamen Problemtopoi in beiden Texten (Sophistes und Metaphysik Γ) auf, ohne die verschiedenen Ponderationen von Platon und Aristoteles zusammenfallen zu lassen. „Wir haben es mit einem Prinzipiengeflecht zu tun, das die Bestimmungsmöglichkeit des on darlegt und zugleich damit die Lehre von der Ermöglichung des logos ist“ (1992, S. 360). In dem ersten Text werden die Ideen in ihrer Bestimmtheit als Ideen ebenso ermöglicht, wie im zweiten Text die aristotelischen Typen von Substanz ermöglicht werden. (Ebd.) 188 Die Gefahr eines solchen Regresses wird in seiner zweiten Analytik dargelegt und durch das Postulat einer an-apodeiktischen Wissenschaft vermieden: APo. Α3, 72b18-25. 189 Ein Axiom wird von Aristoteles als unmittelbares Schlussprinzip definiert, ohne das man nichts wissen kann: APo. A2, 72a14-17. Es geht um die τὰ ἐν τοῖς μαθήμασι καλούμενα ἀξιώματα (Metaph. Γ3, 1005a20), κοιναὶ δόξαι (Metaph. B2, 996b28), τὰ κοινά (APo. A10, 76a38, A11, 77a27, 30) oder κοιναὶ ἀρχαί (ebd., A32, 88b28). 190 Wir dürfen vom Opponenten des Satzes vom Widerspruch nicht verlangen, dass er sagt, etwas sei der Fall oder nicht, weil er damit schon eine petitio principii begehen würde. Deswegen muss er auf der Basis der Elemente der Aussage widerlegt werden. Zur Hervorhebung der Eindeutigkeit des Bezeichnens als Beweisgrund in Metaph. Γ4 s. den erhellenden Beitrag von Rapp 1993. An der herangezogenen Stelle im Sophistes wird der Selbstwiderspruch der Gegner der Konzeption der Mischung nicht durch das bloß nennende Bezeichnen, sondern erst durch die geäußerte Aussage möglich (λόγος als artikulierte Verknüpfung von ὄνομα und ῥῆμα – nach Sph. 262d4 – und nicht innerer Dialog der Seele mit sich selbst: Der Opponent setzt übrigens auch die Verflechtung von Nomen und Verb sowie die ideelle Mischung voraus).
104
Kapitel 2
bewiesen werden kann. 191 In unserem Kontext wird die Mischung trotz des ersten Anscheins als begründend und nicht als begründet dargestellt – auch wenn sie nicht als ἀρχή charakterisiert wird –, da sie die Wissenschaft der Dialektik fundiert und unsere Rede schlechthin ermöglicht. Die Möglichkeit der Gemeinschaft erweist sich daher als der tragende Boden, der sich nicht beweisen lässt, indem die Mischung auf etwas Anderes, noch Ursprünglicheres zurückgeführt wird. Unsere These lautet dementsprechend: Die Mischung lässt sich in der Tat im Rahmen des untersuchten Dialoges als nicht weiter herleitbarer Ursprung verstehen. Man könnte als erstes einwenden, dass die Mischung doch auf noch Ursprünglicheres, also Höheres, und zwar ihre Elemente, zurückzuführen ist (nämlich das Seiende, das Andere, die Bewegung, die Ruhe und das Selbe), was prima facie plausibel zu sein scheint. Sollte man vielleicht nicht unter diesen ausgewählten größten Gattungen nach der Ursache der Mischung suchen? Dieses Bedenken wird im Folgenden dadurch entkräftet, dass sich die Mischung der größten Gattungen als unhintergehbar zeigt. Es steht in dieser Studie noch aus zu zeigen (in §2.3), wie alle fünf (vor allem wird auf das Seiende und das Andere fokussiert) unzertrennlich miteinander verbunden sind. Ein zweiter möglicher Einwand kommt zur Sprache: Verbirgt sich in dieser Darstellung nicht eine Verabsolutierung der Mischung gegenüber der Trennung (die beiden mitkonstitutiven Momente der Dialektik)? Dieser Einspruch kann gleichfalls zerstreut werden. Unsere Betrachtung der Mischung (der größten Gattungen) als die höchste im Dialog dargestellte αἰτία und im Dialog nicht weiter begründete, sondern begründende ἀρχή entkommt dieser Gefahr dadurch, dass die Mischung der größten Gattungen Mischung von trennbaren Elementen ist, d. h. diese ideelle Mischung schließt das Trennen – oder besser gesagt die Trennbarkeit der allgemeinsten Ideen – mit ein. Auch wenn sie trennbar sind – da die Trennung und die Mischung die zwei korrelativen Momente der Dialektik ausmachen – zeigt sich die Mischung in ihrem Fall ursprünglicher als ihre trennbaren Elemente. In dem bezeichneten Sinn erweist sie sich im untersuchten Dialog als ἀνυπόθετος ἀρχή. 192 --------------------------------------------
191 Obgleich Königshausen die Bedeutung des platonischen ἔλεγχος als Verbindungspunkt zwischen den zwei Haupttexten hervorhebt (1992, S. 364f.), legt er in seiner Interpretation – von der aristotelischen Problematik her – sein Augenmerk nicht auf die Frage, ob die Mischung im Sophistes als unhintergehbares Prinzip eingeführt wird. Desto weniger tun dies die Interpreten, die die einschlägige Parallele nicht konstatieren. 192 Auf interessante Weise kommt Baltzly zu einem ähnlichen Ergebnis, auch wenn die Zielsetzung des Autors viel umfassender ist und seine Schlüsse von uns nicht gänzlich geteilt werden: Nach seiner Beobachtung wird einerseits – darin trifft er unsere Zustimmung – die in R. 510b4-511e5 und 533c7-8 dargelegte dialektische Methode in den späteren Dialogen vorausgesetzt und weiter ausgeführt: Aufgrund der Genese der Zahlen im zweiten Teil des Parmenides (143a4-144e7) und der Einführung der Mischung in der hier anvisierten Passage im Sophistes behauptet er, dass es keinesfalls abwegig sei, von „unhypothetical principles“ und nicht von ausschließlich einem unbedingten Prinzip als der Idee des Guten zu sprechen: 1996, S. 157. „Unhypothetical principle“ bestimmt er wir folgt: „Such a starting point is reached by examining the exhaustive set of alternatives to a principle and showing through argument how they are self-refuting or, at least, involve some kind of contradiction or untenable conclusion.“ (Ebd, S. 156) In der Passage im Sophistes haben wir bereits demonstriert, dass die Darstellung von Baltzly zutrifft. Im Parmenides handle es sich um den Anfangspunkt „das Eine hat am Sein teil“, der sich nach Baltzly unbedingt aufzeigen lässt, nachdem sich das dazu Kontradiktorische („das Eine hat nicht am Sein teil“) als unannehmbar erwiesen hat (da das Eine in diesem Fall unnennbar wäre, wie in der ersten Deduktion des zweiten Teils aufgezeigt wurde). Hier kommt die freilich starke Behauptung von Baltzly zum Vorschein, dass Platon darin mit Ramsey übereinstimme: „not only can what cannot be said not be whistled either, you shouldn’t regard it as true“ (ebd., S. 158). Auf diese Weise löst er sich nicht nur von neuplatonischen Deutungen ab, gegen die er sich explizit wendet, sondern er verlässt auch den durchaus platonischen Boden der
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
105
Die zweite Annahme eines unbedingten anaxagoreischen Gemisches von „allem mit allem“ –was eine gänzliche Undifferenziertheit und deswegen Aufhebung der Gemeinschaft mit sich brächte – 193 wird von dem jungen Theaitetos als reductio entkräftet: ΞΕ. Τί δ’, ἂν πάντα ἀλλήλοις ἐῶμεν δύναμιν ἔχειν ἐπικοινωνίας; ΘΕΑΙ. Τοῦτο μὲν οἷός τε κἀγὼ διαλύειν. ΞΕ. Πῶς; ΘΕΑΙ. Ὅτι κίνησίς τε αὐτὴ παντάπασιν ἵσταιτ’ ἂν καὶ στάσις αὖ πάλιν αὐτὴ κινοῖτο, εἴπερ ἐπ’ ἀλλήλοιν. ΞΕ. Ἀλλὰ μὴν τοῦτό γέ που ταῖς μέγισταις ἀνάγκαις ἀδύνατον, κίνησίν τε ἵστασθαι καὶ στάσιν κινεῖσθαι; ΘΕΑΙ. Πῶς γὰρ οὔ; Theaitetos’ Formulierung in 252d6-8 mag uns in die Irre führen und alles kommt darauf an, wie wir παντάπασιν verstehen. Es sind nämlich zwei Übersetzungen und Verständnisse möglich: A. Die Bewegung selbst würde auf alle Weise stillstehen und der Stillstand selbst würde sich bewegen, wenn sie einander zukommen würden. Würde Platon dadurch die Option erwägen, dass die Bewegung doch auf irgendeine Weise stillstehen und der Stillstand sich auf eine Weise doch bewegen könnte? Aber der weitere Verlauf beweist, dass das nicht der Fall sein kann. Die Bewegung und der Stillstand schließen einander völlig aus (254d7f., 256b6f.). Deswegen dürfen wir die folgende zweite Übersetzung vorschlagen: B. Die Bewegung selbst würde zweifellos stillstehen und der Stillstand selbst würde sich bewegen, wenn sie einander zukommen würden. 194
-------------------------------------------Kompatibilität der Philosophie mit den Momenten der unaussprechbaren Schau. Wenn der Interpret zur Politeia zurückkehrt, stößt er auf unüberwindliche Schwierigkeiten, da dort die Idee des Guten nicht mithilfe eines „self-refutation argument“ anderer Annahmen zur ἀνυπόθετος ἀρχή wird (ebd., S. 158). Obschon dieser Versuch beachtlich ist, erweist es sich als abwegig, die Bezeichnung vom Text (hier der Politeia) abzulösen und sie mit anderen in Verbindung zu bringen, um zu einer Darstellung zu gelangen, die dem Anfangstext widerspricht. Und während das alles passiert, wird die nächstliegende Verbindung der Idee des Guten mit der ἀνυπόθετος ἀρχή im Kontext der Politeia selbst in Zweifel gezogen: „The reasons for identifying the unhypothetical first principle with the Good Itself are not entirely decisive.“ (Ebd., S. 157). Noch kritischere Einwände gegen Baltzlys Ansatz drückt Bailey in seiner Abhandlung über das platonische und aristotelische Unhypothetische aus. Baileys Kritik an dem eliminierenden Charakter, den Baltzly der platonischen Dialektik aufgrund seines Missverständnisses von „τὰς ὑποθέσεις ἀναιροῦσα“ (R. 533c8) zuschreibt, kann ich nachvollziehen: „According to Baltzly, dialectic ‘destroys hypotheses’ by operating on contradictory hypotheses, one of which is self-refuting, the other of which is unhypothetical. Dialectic destroys the former by exposing its self refuting natures, and destroys the latter by eradicating its hypothetical character.“ (Bailey 2006, S. 120, in Bezug auf Baltzly, 1996 und 1999). Dennoch bestehe ich auf dem „Unhypothetischen“ der Mischung im Rahmen des Sophistes, weil ich den Satz, den Bailey als „generalising explanation“ versteht, nämlich dass die Wahrheit der Prädikationen durch eine Art Mischung ermöglicht wird (Bailey 2006, S. 115), nicht als Prämisse im Rahmen eines „Posterior Analytics-style proof“ interpretiere, sondern als derivativ gegenüber der ideellen Mischung. Zur Ähnlichkeit der Struktur des elenktischen Beweises bei der Prüfung der Mischung und desjenigen im vierten Kapitel des vierten Buches in der aristotelischen Metaphysik s. Ackrill 1955. 193 Alles würde in Eins zusammenfallen: So ist vielleicht εἰς ταὐτόν (251d8) zu verstehen, was wiederum die Möglichkeit der Mischung untergraben würde. Wie würden sich dann die Ideen voneinander unterscheiden?
106
Kapitel 2
Ich plädiere für die zweite Übersetzung. Wählte man die erste Übersetzung aus, könnte man folgern, dass sich die Bewegung und der Stillstand auf eine Weise doch voneinander aussagen lassen. Dagegen spricht aber, dass der Gast παντάπασιν in seiner Antwort weglässt: Es sei in allen Fällen unmöglich, dass die Bewegung (überhaupt) stillstehe und der Stillstand sich (überhaupt) bewege. Theaitetos ist in diesem Moment noch nicht in die dialektischen Beziehungen der größten Gattungen eingeweiht worden, um bewusst und richtig von Hinsichten sprechen zu können. Deswegen dürfen wir seinen hiesigen Satz nicht als Platons Aussage verstehen. Später wird der Gast aussagen, dass die Bewegung gänzlich verschieden vom Stillstand ist (255e11). Auch wenn wir all das übersehen und immer noch die so übersetzte Aussage von Theaitetos als platonische Aussage verstehen wollen (vgl. 256d11), werden wir feststellen, dass es nicht geht. Wie sich im folgenden Passus zeigen wird, dürfen wir im Fall von methexis von A an B schließen, A ist B in einer Hinsicht. Zugleich wird sich ergeben: A ist nicht B in einer anderen Hinsicht. Nirgends im späteren Verlauf des Gesprächs wird der Schluss gezogen, A ist in allen Hinsichten B, wenn A an B teilhat. Aus all diesen Gründen ist die zweite Übersetzung vorzuziehen. Das war der einfache Teil unserer Aufgabe. Jetzt müssen wir auf etwas Schwierigeres eingehen, nämlich auf die Frage, was für einen Gegensatz die Bewegung und der Stillstand bilden und warum sie so auftreten. Die Bewegung und der Stillstand bilden einen konträren Gegensatz, wo sie zum ersten Mal im Gespräch mit den Ideenfreunden auftauchen. Die Ideenfreunde formulieren diese Annahme nicht eigens, sondern gehen von ihr aus (248e3-5). Noch mehr als das: Bei Bewegung und Stillstand geht es dort um einen kontradiktorischen Gegensatz. Sie sind nicht nur sich gegenseitig ausschließende, sondern auch sich gegenseitig erschöpfende Begriffe. Alles, was es gibt, ist entweder bewegt oder stillstehend (250c12-d3). Bewegt ist nach den Ideenfreunden das Werden. Davon abgetrennt und völlig stillstehend ist das Sein. Wenn der Gast die Aporie über das gesuchte Seiende nochmal betont, charakterisiert er die Bewegung und den Stillstand als ἐναντιώτατα, ohne Weiteres zu erklären (250a7f.). Wie wir oben dargestellt haben, müssen die Ideenfreunde trotz alles Widerwillens dem vollkommenen Sein eine Art Bewegung zusprechen, so dass es intelligibel sein kann. In dem positiven Teil des Dialoges treten die Ideen der Bewegung und des Stillstandes als ἐναντία auf. Dort handelt es sich nicht um einen kontradiktorischen Gegensatz, weil der Bereich der Ideen dadurch nicht in bewegte und stillstehende Ideen eingeteilt wird, 195 sondern um einen regionalen Gegensatz. Es ist nicht so, dass jede Idee entweder bewegt oder aber stillstehend ist. Es ist von Bedeutung zu beobachten, dass Platon in der Gemeinschaft der größten Gattungen nicht auf die Idee qua Idee fokussiert, die sowohl Stillstehendes als auch Bewegtes sei. 196 Er interessiert sich nicht für die Bewegung und den Stillstand als Momente --------------------------------------------
194 Παντάπασιν bedeutet nach LJS neben „all in all“ and „absolutely“ auch „by all means, undoubtedly“. Vgl. Phdr. 278b, Sph. 227a. 195 Es scheint mir, Cornford verfehlt daher die Sache, wenn er das Ganze der Ideen in zwei Teile einteilt. Sein Bild (1960, S. 278) basiert darauf. Er macht sein Missverständnis explizit, wenn er schreibt: „If ‚realness’ has any definition, neither Motion nor Rest nor any subordinate Form can appear in its definition, any more than ‚biped’ can appear in the definition of ‚animality’“ (S. 272f.). Auf diese Weise kann Cornford seine eigenen aristotelischen Annahmen nicht überwinden, auch wenn er sich so entschieden dagegen einsetzt. 196 Szaif ist bereit, die jetzige Auffassung mit dem späten Platon verträglich zu machen, dass „in einem qualifizierten Sinne tatsächlich sowohl Bewegung als auch Stillstand auf alles Seiende überhaupt zu beziehen sind.“ (1996, S. 423, Anm. 101). Der Beobachtung über die spätere Tendenz
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
107
der Idee qua Idee, sondern für eine Beziehung zwischen sich ausschließenden Klassen. Was wir im letzten Abschnitt als intensionale Fragestellung im Bereich des Intelligiblen charakterisierten, scheint im Fall der Bewegung und des Stillstandes nicht relevant zu sein. Es ist außerdem wichtig, dass die Ideen der Bewegung und des Stillstandes nicht bloß numerisch voneinander verschieden sind. Ihre Nichtprädizierbarkeit bedeutet nicht nur die Verneinung ihrer Identität aufgrund eines anderen intensionalen Gehaltes, sondern Inkompatibilität. Die Inkompatibilität betrifft nicht nur die Ideen der Bewegung und des Stillstands, sondern auch, was darunter fällt; es gilt nicht nur, dass die Idee der Bewegung nicht stillsteht und sich die Idee des Stillstandes nicht bewegt, sondern auch: Bewegtes steht nicht still und Stillstehendes bewegt sich nicht. Was unter die Klasse des Bewegten fällt, kann nicht stillstehend sein. Platons Gast bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Ideen und nicht auf Wahrnehmbares. Was das Wahrnehmbare betrifft, könnte man mithilfe der Politeia und des Kratylos sowie des Theaitetos von einem Gegenstand sowohl Bewegung als auch Stillstand prädizieren, insofern man unterschiedliche Hinsichten annimmt. Und so gehe ich zu den Gründen dafür über, dass der Gast im positiven Teil einen konträren Gegensatz auswählt; diese Gründe sollten anlässlich des eintretenden Gegensatzes zwischen Bewegung und Stillstand schon vor der Analyse der Gemeinschaft der größten Gattungen vorausgeschickt werden. Zum Ersten erhebt der Gast bei seiner Analyse der Gemeinschaft der größten Gattungen den Anspruch, eine paradigmatische Skizze von allen möglichen dialektischen Beziehungen zu entwerfen, auch wenn er nur fünf Ideen auswählt. Nicht alle Ideen lassen sich miteinander kombinieren oder von allen prädizieren. Der Gast muss auch die Beziehung zwischen der schaffenden Kunst und der erwerbenden Kunst miteinbeziehen, die in den Einteilungsschemata eher als einander ausschließende Klassen (ebenbürtige Gattungen) auftauchen mögen. Auch die Beziehung zwischen Artbegriffen wie Mensch und Pferd darf in einer Ausführung, die den Anspruch einer Gesamtdarstellung erhebt, nicht fehlen. Zum Zweiten wird der Gast den Unterschied zwischen Andersheit und Kontrarität als eine Art von Andersheit aufzeigen müssen. Er braucht dafür einen konträren Gegensatz. Die Begriffe der Andersheit und der Kontrarität bleiben bis zur Erklärung der falschen Aussage bedeutend. Aber warum sollte Platon die Bewegung und den Stillstand und nicht zwei andere Ideen für den konträren Gegensatz auswählen? Ich weiche von Cornfords folgender Auffassung ab: […] the only fact about Motion and Rest that is relevant is that they are contrary and incompatible. (1960, S. 278, Hervorhebung G. M.). Ich bin nicht der Meinung Cornfords, dass die Ideen Bewegung und Stillstand von einem anderen konträren Gegensatz oder sogar von A und non-A in formaler Sprache ersetzt hätten werden können, um die Beziehungen zwischen Sein, Identität und Andersheit sowie die Weisen des Seins und des Nicht-Seins zu erleuchten. Dagegen wende ich ein, dass es kein Zufall ist, dass der Gegensatz zwischen Bewegung und Ruhe aufgenommen wird, der zunächst bei den Ideenfreunden eine wesentliche Rolle gespielt hat. Platon zeigt auf diese Weise, dass die Analyse der größten Gattungen als eine Antwort auf die Frage nach dem vollkommenen Sein, nämlich dem ideellen Bereich, verstanden -------------------------------------------Platons stimme ich zu; genau deswegen ist die Entschiedenheit Platons besonders erstaunlich, hier Bewegung und Stillstand als völlig inkompatibel zu charakterisieren.
108
Kapitel 2
werden sollte. Die Ideenfreunde werden korrigiert, dass Bewegung schon dadurch in den ideellen Bereich eingetreten ist, dass der Gast sie als Idee anerkennt. In diesem ideellen Bereich ist das Ausschlussverhältnis ein anderes als dasjenige zwischen Seiendem und Nicht-Seiendem an sich. Es geht um den Ausschluss zwischen zwei spezifischen Ideen, die am Sein teilnehmen. *** Nach der Widerlegung der zwei anderen Optionen bleibt die dritte Möglichkeit der „bedingten Mischung“ übrig, die auf indirekte Weise als die einzige gültige bewiesen worden ist: Die Aufgabe der dialektischen Wissenschaft besteht dementsprechend darin, die Kombinationsmöglichkeiten von verschiedenen Ideen zu untersuchen und die Frage nach der Ursache ihrer Mischung und Trennung zu beantworten. Zu dieser Aufgabe gehört unter anderem der dialektische Umgang mit den größten Gattungen, auf die wir uns nun konzentrieren werden. III. Beispiele 197 für die dialektische Kunst: γραμματική und μουσική Gegen eine Deutung des „Beiherspielenden“ 198 der herangezogenen Musik- und Sprachlehre spricht die Beobachtung, dass die komplementären Bereiche der Grammatik und der Musik häufig der Beleuchtung und der Verdeutlichung jeweils verschiedener Aspekte der Dialektik dienen. In der Partie des Politikos 277d1-279a5 veranschaulicht der Gast die Entstehung des Beispiels am Sprachunterricht, 199 um zu unterstreichen, dass die größeren, wichtigeren Dinge (in der dortigen Untersuchung das Wesen der Staatskunst) nur anhand eines Beispiels in leichteren Zusammenhängen (hier das Auffinden des Wesens der Webkunst durch die dihairetische Methode) hinreichend aufgezeigt werden können. Dadurch, dass der Lehrer die bekannten sprachlichen Elemente in einfacheren Silben neben schwierigeren Silben, die dasselbe Element enthalten, aufzeigt, gelingt dem Schüler schrittweise der Erwerb des Wissens größerer Zusammenhänge, in diesem Fall der Buchstaben. Die Analogie zwischen den sprachlichen Elementen (stoicheia) und den Elementen von allem ist hier von Bedeutung. 200 Deren Untersuchung war das Ziel des platonischen Philosophierens, wenn wir nicht nur der in den Dialogen beschriebenen Suche nach den στοιχεῖα, sondern auch Aristoteles ein gewisses Vertrauen schenken dürfen. 201 --------------------------------------------
197 Ich ziehe die Bezeichnung „Beispiel“ derjenigen des „Modells“ vor. Gill hat neuerdings in ihrem Aufsatz „Models in Plato’s Sophist and Statesman“ umgekehrt argumentiert. Sie setzt sich gegen „Beispiel“ („example“) ein, weil es oft unter einen allgemeineren Begriff fällt, während das Modell eine gewisse Struktur demonstriert, die auf eine noch komplexere zu übertragen ist (gemeint ist im Sophistes die Definition des Angelfischers, die für die Definition des Sophisten in Anspruch genommen wird, und im Politikos die der Webkunst, die zur Definition des Staatmannes beiträgt). Weil aber das Modell als Herstellungsmodell verstanden wird, beharre ich auf „Beispiel“, indem ich präzisiere, dass es hier (im Fall der Musik und der Grammatik) nicht um spezielle Fälle geht, die sich der allgemeineren Dialektik unterordnen. „Beispiel“ ist sehr nah an παράδειξις (es sei an die etymologische Herkunft erinnert: bi-spel [althochdeutsch] als eine neben der Lehre, zu deren Veranschaulichung gegebene Erzählung). Auch die Bezeichnungen „Gleichnis“ oder „Analogie“ sind willkommen zu heißen. 198 Nach der Prägung von Ziermann (2004, S. 75), der ebenfalls für eine wesentliche Verbindung der Sprach- und Musiklehre mit der Dialektik plädiert. 199 277d9: Παραδείγματος, ὦ μακάριε, αὖ μοι καὶ τὸ παράδειγμα αὐτὸ δεδέηκεν, 278b4-5: παραδείγματα οὕτω γιγνόμενα, 278c3-4: παραδείγματος […] γένεσις. 200 278d1: περὶ τὰ τῶν πάντων στοιχεῖα. 201 Dazu als Bericht und gleichzeitige Kritik an der Fragestellung nach den Elementen von allem: Metaph. A9, 992b 18- 993a 10.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
109
Sokrates wirft im Theaitetos 201d8ff. die Frage auf, ob die ersten Elemente undefinierbar und unerkennbar sind, während die aus ihnen entstandenen Silben sich erkennen lassen; nachdem die Beziehung zwischen jenem Ganzen und seinen Teilen zum Problem gemacht worden ist, wird der Sprachunterricht als Beispiel eingeführt. 202 Ausgehend von der Erfahrung von Buchstaben und zusammengesetzten Silben, kann man sich anderem, das eine Ähnlichkeit in sich birgt, zuwenden: 203 Das Erkennen der Ur-Bestandteile an sich und für sich 204 ist viel deutlicher und grundlegender für die vollkommene Beherrschung jenes Erkenntnisbereichs. In demselben Kontext tritt die Wissenschaft der Musik auf, damit auch dort hervorgehoben wird, wie grundsätzlich die Erkenntnis jedes einzelnen Tons als eines Elementes dieses Bereichs ist. Der allgemeine Geltungsanspruch solcher Bemerkungen schließt auch das μάθημα der Dialektik mit ein, auch wenn hier die dialektische Kunst nicht explizit in Anspruch genommen wird. Die Verbindung zur Dialektik wird im Sophistes ausdrücklich hergestellt, wenn die beiden Beispiele der Musik und der Sprachlehre wiederum nebeneinander herangezogen werden. Im Anschluss an die Einführung der Notwendigkeit der „bedingten Mischung“ wird die Parallele mit den Buchstaben gezogen (γράμματα, 253a1): Manches unter ihnen verbindet sich, manches jedoch nicht. Die Aufgabe der Grammatik besteht darin, die angemessenen Verbindungen zwischen den Buchstaben zu untersuchen, indem sie bestimmte Elemente auszeichnet, die die Verbindung überhaupt ermöglichen. Auf analoge Weise untersucht auch die Dialektik die Verbindungsmöglichkeiten der Ideen und gewisse ausgezeichnete Ideen, die durch alle durchgehend ihr Verbinden und Trennen erst ermöglichen. Im Bereich der Buchstaben werden die Vokale zum Band (δεσμός, 253a5) des Ganzen erhoben, im Fall der Ideen übernehmen die „größten Gattungen“ (μέγιστα γένη) diese hervorragende Rolle. Was bei der Grammatik aufgezeigt wird, gilt auch innerhalb des Bereichs der Musik, weil der Musikwissenschaftler die Verbindbarkeit der Töne (φθόγγος, 253b1) untereinander erforscht (253b1-3). Wie die Philosophie von dem gefangenen Sokrates kurz vor seinem Tod als die „vortrefflichste Musik“ charakterisiert wird, 205 erweist sich das Musikalische nicht als ein äußerliches Merkmal, sondern als der grundlegende Charakter der Ideenwelt: Deswegen wird die Abtrennung aller Elemente von allen anderen als unmusikalisch und unphilosophisch zugleich verachtet, wie der Gast nach der Darstellung der komplexen Beziehungen der ausgewählten größten Gattungen bemerkt. 206
-------------------------------------------202
206a-b. 206b6: εἰ δεῖ ἀπὸ τούτων τεκμαίρεσθαι καὶ εἰς τὰ ἄλλα, vgl. 204a1-3: Ἐχέτω δὴ ὡς νῦν φαμεν, μία ἰδέα ἐξ ἑκάστων τῶν συναρμοττόντων στοιχείων γιγνομένη συλλαβή, ὁμοίως ἔν τε γράμμασι καὶ ἐν τοῖς ἄλλοις ἅπασι. 204 206a6-7: αὐτὸ καθ’ αὑτὸ ἕκαστον. 205 Phd. 61a. Dass Philosophie die vortrefflichste Musik ist, heißt nicht, dass auch das Umgekehrte gilt, der Musiker also ein echter Philosoph sei. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die praktische Ausübung der Musik in den platonischen Dialogen stark abgewertet wird: neben R. 530d2-531c4 wird auch in Phl. 56a3-7 die Musik als weder deutlich noch gewiss abgewertet. Einen akkuraten Überblick der erwähnten Spannung bei Platon (einerseits Abwertung vor allem der praktischen Seite der Musik, andererseits Auszeichnung der Rolle des Musikalischen innerhalb der Dialektik) bietet neuerdings Christoph Ziermann (2004) an. Die anspruchsvolle Monografie von Richter (1961) bietet eine eingehende Untersuchung des Status der Wissenschaft der Musik bei Platon und Aristoteles. 206 259d9-e2: Καὶ γάρ, ὠγαθέ, τό γε πᾶν ἀπὸ παντὸς ἐπιχειρεῖν ἀποχωρίζειν ἄλλως τε οὐκ ἐμμελὲς καὶ δὴ καὶ παντάπασιν ἀμούσου τινὸς καὶ ἀφιλοσόφου. 203
110
Kapitel 2
IV. Die Auszeichnung des desmos und die angedeuteten Grenzen der dihairesis 1.
Desmos ausgehend vom Sophistes
Damit ein mannigfaltiger Bereich, wie derjenige des Alphabets oder der Ideen, nicht zu einem bloßen Aggregat von Elementen verkommt, sondern seine Vereinheitlichung gewährleistet bleibt, müssen einige ausgezeichnete Elemente (διαφερόντως, 253a4) eine zusammenhaltende Rolle (συνέχειν) übernehmen: Τὰ δέ γε φωνήεντα διαφερόντως τῶν ἄλλων οἷον δεσμὸς διὰ πάντων κεχώρηκεν, ὥστε ἄνευ τινὸς αὐτῶν ἀδύνατον ἁρμόττειν καὶ τῶν ἄλλων ἕτερον ἑτέρῳ. Nun unterscheiden sich doch aber die Vokale von den anderen Lauten, indem sie wie ein Band durch alle hindurchgehen, so dass es gar nicht möglich ist, ohne einen von diesen [Vokalen] einen Laut mit einem anderen zusammenzufügen. Da der Begriff desmos (δεσμός, Band) in allen grundlegenden Passagen auftaucht, in denen die Mischung thematisiert wird, und weil er bis dato im Rahmen keiner Monografie oder sonst eines diesbezüglichen Forschungsbeitrags berücksichtigt worden ist, sollten wir ihm hier die angemessene Aufmerksamkeit schenken. Der in verschiedenen Bereichen der platonischen Philosophie – wie Ontologie, Erkenntnistheorie, politische Theorie und Kosmologie – eine zentrale Rolle spielende Begriff begegnet uns sowohl im Sophistes (253a4) als auch im Philebos (18c8). Im Timaios, in dem mythisch von der Entstehung des Weltalls aus der Mischung der Vernunft mit der Notwendigkeit der Materie erzählt wird, kommt desmos in mehreren Zusammenhängen vor, nicht nur bei der Konstitution/ Mischung der Allseele (36a7), sondern auch an anderen Stellen (31c1, 38e5, 41b5, 43a2, 73b3, 73d6, 77e3, 81d6, 84a3). Von diesen ist die Passage über die geometrische Analogie zwischen den vier Elementen hervorzuheben (31cff.), in der nicht die einzelnen Elemente als Band charakterisiert werden, wie im Sophistes, sondern das angesprochene mathematische Verhältnis, das die vier Elemente zu der am meisten erwünschten Einheitlichkeit führt. In dem ebenfalls späten Dialog Politikos, in dem die Kunst des Staatsmannes als eine Art des Zusammenwebens und Mischens (309b2) entgegengesetzter menschlicher Temperamente – Tapferkeit und Besonnenheit – verstanden wird, muss der König zwei Arten von Band in Anspruch nehmen, ein göttliches mittels der Erziehung des vernünftigen Teils (309c-d) und ein menschliches durch die entsprechenden Eheschließungen. Im Parmenides kommt desmos einmal in der ersten negativen Reihe des zweiten Teils vor: „Wenn das Eine nicht ist“, lautet hier die Hypothese, deren Folgerungen für das Eine in Bezug auf das Andere untersucht werden. Nachdem sowohl die Ähnlichkeit und die Gleichheit als auch die Unähnlichkeit und die Ungleichheit dem nicht seienden Einen zugesprochen worden sind, wird gefragt, ob es am Sein teilhat (161e3ff.). Insofern das Nichtseiende wahr ist, muss es auch am Sein teilhaben, da „das Wahres Sagen“ dem „Seiendes Sagen“ entspricht. Das nichtseiende Eine (τὸ μὴ ὂν ἕν) muss mit dem Nichtsein verbunden werden, um nicht zu sein, genauso wie das Seiende mit dem Nichtsein des Nichtseins durch ein Band verknüpft sein muss: Es muss also als Band seines Nichtseins das Sein des Nichtseins haben, wenn es wirklich nicht sein soll, geradeso wie das Seiende zum Band seines Seins das Nichtsein des Nichtseienden haben muss, um ein vollkommenes Sein zu haben. Denn eine stärkere Bürgschaft für das Sein des Seienden und für das Nichtsein des Nichtseienden kann es nicht geben als die, dass einerseits das Seiende teilhat an dem Sein des Wirklichseins und an dem Nichtsein des Nichtwirklichseins, wenn es im vollen Maße
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
111
sein soll, andererseits das Nichtseiende an dem Nichtsein des Nichtwirklichseins des Nichtseienden und an dem Sein des Wirklichnichtseins, wenn auch das Nichtseiende in vollem Maße nicht sein soll. (162a4-b3) 207 Statt übereilt von „hypertrophen Pseudoentitäten“ zu sprechen, wobei der Vorwurf eines Formalismus der Negationen ziemlich nahe liegt, 208 könnten wir als erstes die deutliche Entsprechung zu der Verwendung des desmos im parmenideischen Lehrgedicht feststellen: Dort (VS 28B8, 26) wird durch desmos die Abgeschlossenheit und Vollendung des Seienden markiert und durch Zwang errungen: αὐτὰρ ἀκίνητον μεγάλων ἐν πείρασι δεσμῶν. An der anvisierten Stelle im Parmenides wird dem nichtseienden Einen sein vollendetes Nichtsein (162b3) dadurch verbürgt, dass dem Nichtsein notwendigerweise ein Sein zukommt. 209 Als zweites halten wir das Konzept des Bandes zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden in Erinnerung, da es sich bei unserer SophistesInterpretation als von Belang erweisen wird. 210 Gemäß dem Überblick über die Belege erweist sich der anvisierte Begriff innerhalb der platonischen Dialektik als von grundlegender Bedeutung. Etymologisch stammt das Wort aus dem Verb δεῖν, d. h. binden, was die Bewegung des Zu-Bindenden auf eine gewisse Weise zum Halten bringt und befestigt, 211 wie im Kratylos (418e7-8: κώλυμα φορᾶς) expliziert wird. Das Wort δέον soll nach der herakliteischen Weltanschauung die ursprünglichere Bezeichnung διϊόν verdeckt haben. Vor dem Hintergrund der Postulierung eines solchen nie zum Stand kommenden Seins kann δεσμός nur negativ beurteilt werden. Bei verschiedenen Arten der Herstellungskunst bezeichnet δεσμός den Riemen, der verschiedene Teile zusammenhält. 212 Durch Übertragung kann er für die Verknüpfung zwischen Menschen in Anspruch genommen werden 213 sowie als verbindendes und vereinheitlichendes Element oder Prinzip. 214 Der an einem Unterschied zwischen Meinung und Wissen keinesfalls zweifelnde Sokrates vergleicht im Menon die wahre Meinung mit den Bildwerken des Daidalos. 215 Sie flieht und ist dazu in der Lage, weil sie nicht durch die Zurückführung auf eine Ursache „festgebunden“ wird. Das Gebundensein gewährt Festigkeit und Dauerhaftigkeit, und je beständiger (μονιμότερος) das Band ist, desto höher wird es geschätzt. 216 Das -------------------------------------------207
Übers. Apelt. So Hägler 1983, S. 204ff., s. auch Zekl 1971, S. 154-161. Zur Entzifferung der verzwickten Stelle ist Apelts Bemerkung hilfreich, 1919, S. 159, Anm. 117. 209 Anschließend ist auf eine eindeutigere Weise die Rede von der Teilhabe des Seins am Nichtsein und des Nichtseins am Sein in Prm. 162b3-5. 210 Erwähnenswert ist der Versuch vonseiten des Neuplatonikers Damaskios, die entsprechende Hypostase dieser Reihe als das Bild (Verflechtung von Sein und Nichtsein, Sph. 240c1f.) zu verstehen. Wir möchten dennoch die deutlichen Anweisungen des Parmenides im ersten Teil, im Ideenbereich zu verweilen (135e1-4), ernst und eher buchstäblich nehmen. Daher verbinden wir die Stelle im Parmenides eher mit der Lehre der μέγιστα γένη des Sophistes. 211 Wenn wir Cra. 417e2 ernst nehmen: τὸ δὲ ἅπτειν καὶ δεῖν ταὐτόν ἐστι. 212 Plt. 288e3. Vgl. Odys. 13, 100. 213 Prt. 322c3. 214 Wobei dann oft das Wort σύνδεσμος vorkommt: Plt. 300a4, R. 520a4, 616c2, Lg. 621c4, Epin. 984c2. 215 Men. 97d6ff. 216 Nicht nur im Menon (98a6) wird das Fest- und Dauerhaftmachende als Grundzug des δεσμός angesehen. Plt. 309e12 unterscheidet zwischen Banden, die dauerhafter und solchen, die nicht beständig sind. Im Ti. 41b5 ist die Rede vom Willen des Demiurgen als „dem stärkeren und mächtigeren Band“ (μείζονος ἔτι δεσμοῦ καὶ κυριωτέρου), aufgrund dessen die entstandenen Götter nie aufgelöst werden. Im Rahmen der Onomatopoetik des Kratylos wird die Begierde – und 208
112
Kapitel 2
Aufhalten der Bewegung drückt deutlich der Vergleich mit der A-porie, der Ausweglosigkeit, die das Weitergehen des Erkennenden hindert, mit einem δεσμός bei Aristoteles aus. 217 Δεσμά bedeuten bei Platon sehr häufig die Fesseln und metaphorisch die Gefängnisstrafe. 218 Es bezeichnet auch den Körper als Fessel oder Gefängnis der Seele im Phaidon. 219 In der Politeia begegnet uns das berühmte Bild der gefesselten Gefangenen in der Höhle. 220 Gegenüber der negativen Nuance der Fesselung lässt sich eine positive Bedeutung des δεσμός erkennen, wie es schon im Fall des Wissens im Vergleich zur Meinung klar wurde. Sokrates ist nach seiner fiktiven Autobiografie im Phaidon enttäuscht, weil seine Vorgänger, die auf der Suche der Ursachen des Werdens, des Vergehens und des Seins waren, den Charakter des δεσμός bei dem Guten als Ursache verkannten. Dies gilt sogar für den ansonsten vielversprechenden Anaxagoras, der nicht zwischen der wahren Ursache und den notwendigen materiellen Bedingungen unterschied. Wenn die vorangegangenen Forscher eingesehen hätten, dass die Rolle des Guten genau im Verbinden und Zusammenhalten besteht (99c5-6, auch wenn das Wort δεσμός fehlt, ist die Rede von συνδεῖν und συνέχειν), hätten sie nicht übersehen, dass der Rang des Guten als Band höher ist als das Zu-Bindende. Δεσμός gehört infolgedessen zu denjenigen Begriffen, die zwischen negativer (Fesseln) und positiver Konnotation (Verbindlichkeit und Vereinheitlichung der Elemente innerhalb eines Bereichs) oszillieren, und die Platon häufig zu zentralen Begriffen seiner Philosophie macht. 221 Dennoch ist δεσμός in ontologischen Zusammenhängen wohl positiv konnotiert. 2.
Die Dialektikpassage: Desmos und die Grenzen der dihairesis
Zurück zu unserem Kontext des Sophistes: Die übereilte Identifizierung der dihairetischen Methode mit der gesamten Dialektik aufgrund der Stelle 253b8-c3 sollten wir korrigieren. Der Dialektiker hat die ontologische Karte der Gattungen und der jeweiligen Ideenzusammenhänge zu entdecken. 222 Zu seinen Aufgaben gehört außerdem die Zurückführung der Mischung und der Einteilung der jeweiligen Ideen auf ausgezeichnete Gattungen, die die Rolle des Bandes übernehmen. Es handelt sich um die so genannten „höchsten Gattungen“. Wenn wir uns einig geworden sind, dass sich auch die Begriffe in bezug auf ihre Verbindung entsprechend verhalten – muss da einer notwendig ein Wissen haben, -------------------------------------------zwar die Begierde, aufgrund der Begegnung mit jemandem besser zu werden – als ein stärkeres Band zu einem gewissen Ort empfunden als irgendeine Art von Gewalt: 403cff. 217 Metaph. B1, 995a30. 218 Euthphr. 4d4, 9a5, Apolog. 32c3, 37b8, Cri. 46c5, Phd. 60c6, Kratyl. 402e3, 403c2, c6, c9, 403d2, 404a6, Smp. 195c6, Grg. 480d1, Lg. 764b5, 847a8, 855b7, c3, 857b3, 864e7-9, 890c4, 908e3, 909a6, 920a2, 932b7, 949c7, Epin. 357a1. 219 Phd. 67d1, vgl. Phdr. 250c6. 220 R. 514b ff. 221 Vgl. den Fall der μίμησις, s. unten § 3.3, II.4. 222 Ross (1952, S. 116) spricht von einer „map – a rather abstract map, it must be admitted – of the world of forms“ (ähnlich Cornford bei der Schilderung der analytischen Aufgabe der Philosophie, 1960, S. 183: „the mapping out of the realm of Forms in all its articulations by Division“). Das Ziel des Dialektikers bestehe in der Untersuchung der Organisation des ideellen Systems (Ross 1952, S. 112f.). „253e1-2 does not point to the construction of a hierarchy of the Ideas ranging from a summum genus down to the infimae species, but rather a study of the relations of consistency, inconsistency, and implication that exist between forms.“ (Ebd., S. 117)
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
113
um durch seine Rede durchzukommen, wenn er richtig zeigen will, welche Begriffe mit welchen zusammenstimmen und welche einander ausschließen? Und vor allem: ob es auch solche gibt, die durch alles hindurch ein Band bilden, so dass es möglich ist, sie miteinander zu verknüpfen, und wie es wiederum mit den Trennungen steht, ob da andere Begriffe bei allem an der Trennung schuld sind. 223 Was das viel diskutierte Thema der Beziehung zwischen Dialektik und dihairesis anbelangt, wird oft im Zusammenhang mit dem Sophistes die so genannte „Definition der Dialektik“ 224 (253d1-e2) übermäßig kommentiert. Dort kommt die dialektische Fähigkeit in vier Gliedern zur Sprache, ohne dass dabei Anspruch auf Vollständigkeit der Darstellung erhoben wird: 225 Der Dialektiker muss dessen gewahr werden, dass erstens eine nach allen Seiten hin ausgedehnte Idee durch viele durchgeht (die unter sie fallen), wobei jedes Einzelne abgesondert ist; 226 dass zweitens viele andere Ideen von außen her von --------------------------------------------
223 Ἐπειδὴ καὶ τὰ γένη πρὸς ἄλληλα κατὰ ταὐτὰ μείξεως ἔχειν ὡμολογήκαμεν, ἆρ’ οὐ μετ’ ἐπιστήμης τινὸς ἀναγκαῖον διὰ τῶν λόγων πορεύεσθαι τὸν ὀρθῶς μέλλοντα δείξειν ποῖα ποίοις συμφωνεῖ τῶν γενῶν καὶ ποῖα ἄλληλα οὐ δέχεται; Καὶ δὴ διὰ πάντων εἰ συνέχοντ’ ἄττ’ αὔτ’ ἐστιν, ὥστε συμμείγνυσθαι δυνατὰ εἶναι, καὶ πάλιν ἐν ταῖς διαιρέσεσιν, εἰ δι’ ὅλων ἕτερα τῆς διαιρέσεως αἴτια; (Sph. 253b8-c3, Übers. Rufener, bei dem mit Recht – δεσμός – wegen der zusammenhaltenden Funktion – συνέχειν – die Rede von „Band“ ist). 224 Von Stenzel so bezeichnet, 19613, S. 62, obwohl der Gast den Philosophen nicht für gefunden und bestimmt hält: 253e8-9, 254b3-4; wenn Stenzels Charakterisierung zuträfe, wäre das Niederschreiben des Philosophos obsolet und nicht ausgespart worden. 225 Das kann das Verständnis des Genitivs τῆς διαλεκτικῆς ἐπιστήμης (253d2-3) als possessiv verdeutlichen: Es gehört zu der dialektischen Wissenschaft und nicht zu der Musik oder Grammatik. Τὸ κατὰ γένη διαιρεῖσθαι καὶ μήτε ταὐτὸν εἶδος εἶδος ἕτερον ἡγήσασθαι μήτε ἕτερον ὂν ταὐτόν […] (253d1-2); dass man nach Gattungen trennt und nicht einen und denselben Begriff für einen anderen (unangemessene Differenzierungen) oder den, der ein anderer ist, für denselben (übereilte Identifizierungen) hält: Diese Aufgaben erschöpfen keinesfalls die Zielsetzung der dialektischen Wissenschaft, um Cornfords Übersetzung zu präzisieren („is the business of the science of Dialectic“, 1960, S. 262). Dies spricht also gegen Moravcsiks Annahme von „complete description“ (1962, S. 52); angemessener de Rijk 1986, S. 134f., Bluck 1975, S. 125 – obschon ich mich nicht Blucks Meinung anschließe: „the study of communion is practised for the sake of Division, rather than vice-versa“, ebd., S. 126 –, Gómez-Lobo 1977, S. 41. Κατ’ εἴδη διαιρεῖν wird ausschließlich mit subsumptionsdihairetischen Schemata in Verbindung gebracht, außer bei Kolb, der 253d1-3 für beide Formen von Wissenschaft offen hält: die inhaltlich-dialektische der dihairesis und die formal-dialektische der μέγιστα γένη (1997, S. 139, Anm. 17), und bei Gómez-Lobo. Weder die Mischung der größten Gattungen im Sophistes noch das vierfache Gefüge im Philebos ist mit Hilfe von dihairesis zu verstehen, auch wenn die Rede von κατ’ εἴδη-κατὰ γένη διαιρεῖν ist (Sph. 253d1, Phl. 23e3: διελόμενοι). Wir sollten uns nicht nur von der Sicht Stenzels befreien, dass Platon „auch bei den schwierigen Fällen der κοινωνία der größten Gattungen an die bei der Dihairesis gefundenen logischen Beziehungen denkt“ (19613, S. 94), sondern auch diejenige modifizieren, dass διαιρεῖν immer und ausschließlich mit einer Logik der Gattung und Art zu verbinden sei. 226 Trotz lebhafter Debatten bleibt umstritten, ob es im ersten Glied um die Zusammenfassung des wahrnehmbaren Einzelnen geht (Natorp 19943, S. 297, Runciman 1962, S. 62, Bluck 1975, S. 126f., Kranz 1986, S. 61f. u. a.) oder der einzelnen gesonderten Ideen in eine umfassendere (Cornford 1960, S. 267, Stenzel 19613, S. 65, De Rijk 1986, S. 135, wobei es bei ihm um „instantiations in particulars“ geht, Gómez-Lobo 1977, S. 42f. u. a.). De Rijk (1986, S. 134-138) gelangt mit seiner Lösung der „instantiations“ (s. oben, § 1.1, Anm. 16) zu einer willkürlichen Lektüre z. B. von 253e1, obwohl er rechtmäßig unterstreicht: „253d9-e2 is most vital to the understanding of the entire section“ (ebd., S. 137). Ἑνὸς ἑκάστου darf nach ihm nicht eine Idee bezeichnen, und auf diese Weise kommt er zu seinem erwünschten Schluss: „It should be noticed, that it is rather the instantiations that are primarily considered here rather than the particulars, but on no account the Forms in their transcedent status.“ (Ebd., S. 137) Ἕκαστον bezieht sich dennoch jedenfalls auf Ideen, was sich mit der platonischen Ausdrucksweise auch in anderen Texten gut reimt. Die Trennung (χωρίς, 253d6) kann zwischen Wahrnehmbarem und Idee oder zwischen bestimmten, voneinander abgegrenzten Ideen
114
Kapitel 2
einer umfasst werden (jetzt wird die Perspektive gewechselt: es wird von den umfassten Ideen her ausgegangen; dass drittens eine wiederum durch viele ganzheitliche [eide] in eine Einheit zusammengefasst bleibt 227 und dass viertens viele ganz und gar getrennt und abgegrenzt sind, z. B. die ideellen Einheiten „Dreieck“ und „Mensch“, die unter keine gemeinsame Gattung fallen. Wir begnügen uns mit der Behauptung, dass hier eher Gattung-Art-Beziehungen angesprochen werden. Die Rede von πολλά und nicht πάντα (im ersten und dritten Glied) hat zu unüberwindbaren Hindernissen bei Versuchen geführt, die durch alles hindurchgehenden größten Gattungen des Seienden, Anderen, Selbigen in diese Glieder einzuordnen. 228 Nachdem Übereinstimmung darin bestand, dass es in diesen wenigen Zeilen nicht um das Ganze der dialektischen Wissenschaft geht, haben wir uns davon befreit, schon hier die μέγιστα γένη hineinzwingen zu müssen. Eine sich steigernde Gradualität der ideellen Teilhabe wird mit Klarheit in 254b7-c1 dargestellt. „Nachdem wir nun also darüber einig geworden sind, dass die einen Gattungen miteinander Gemeinschaft haben wollen, die anderen aber nicht, und zwar die einen mit wenigen, die anderen mit vielen, während wieder andere von gar nichts gehindert werden, mit allem Gemeinschaft zu haben […].“ 229 Nach der berüchtigten Partie 253d5-9 nimmt der anschließende Satz die dialektische Aufgabe des Einteilens in Gattungen wieder auf (d1-3), wobei hier von διακρίνειν κατὰ γένος (e1-2) die Rede ist, was alle Weisen von Gemeinschaft oder Ausschluss von Gemeinschaft umfasst. Davon ausgehend, dass alle vorherigen Glieder ausschließlich mit der Begriffseinteilung zu tun hatten, erweitert sich jetzt die Aufgabe des Dialektikers. 230 Διακρίνειν ruft die getroffene Unterscheidung des Gastes zwischen zwei Arten von Aussonderungskunst in Erinnerung, nämlich eine, die zwischen Ähnlichem, und eine, die -------------------------------------------gedacht werden. So auch Trevaskis (1967, S. 122, Anm. 8), mit dessen sonstigen Beobachtungen ich nicht einverstanden bin: Er wendet sich gegen die Auffassung der dihairesis als Widerspiegelung der innerideellen Beziehungen, indem er die Meinung von Cherniss radikalisiert: „The schemata of diairesis for Plato do not portray the relational arrangements of the world of ideas but rather are instruments of analysis.“ (Cherniss 1946, S. 46). Trevaskis löst die im Sophistes und Politikos durchgeführte Methode nicht nur von den Ideen ab (da die in Arten zu teilende Seele im Phaidros 269cff. keine Idee sei und Trevaskis es schwer findet zu glauben, dass Platon eine Idee der Kunst der Sophistik im Sophistes annahm: Trevaskis 1967, S. 124f.), sondern anschließend auch von der platonischen Ontologie überhaupt. Er behauptet, auf diese Weise die dihairesis as „a practice routine in philosophy“ (ebd., S. 129) bewiesen zu haben. Platon übersieht die Grenzen der Methode nicht, aber betrachtet sie trotzdem viel ernster als „only half-serious“ (ebd., S. 128). Trevaskis’ anfängliche Feststellung, dass dihairesis nur ein Teil der Dialektik ist, bleibt unanfechtbar (ebd., S. 119), wobei man – methodologisch gesehen – die Stelle 253d1-e2 nicht von dihairesis befreien muss, um dies zu beweisen. Es reicht hin aufzuzeigen, dass von dieser Stelle nicht das Hervortreten der Dialektik in ihrer Vollständigkeit zu erwarten ist. 227 Der Text ist äußerst schwierig: Es kann sein, wie Stenzel u. a. meint, dass es um die infima species geht, deren Definition das Ziel der dihairesis ist. Nichts hindert daran, dass es sich um die oberste, umfassende Gattung handelt, deren Einheit in diesem Fall nachdrücklich (im ersten Glied war dies noch nicht explizit) zusammengeknüpft werden muss. 228 Gómez-Lobo schlägt vor: „The Dialectician in his exercises does not scrutinize all Forms but, understandably enough, examines only some of them, contrasting them with the Being and NonBeing“ (1977, S. 39, auch 42; dagegen sprechen die häufigen Stellen bei Platon, die holistische Ansprüche in Bezug auf den Dialektiker erheben, z. B. Prm. 136e1-2), um dann hinsichtlich 259a5 behaupten zu müssen: „At the end of the discussion however the universalization which is of course philosophically very important, is once more put forward“ (ebd., S. 39); Kolb 1997, S. 138f. 229 Übers. Rufener. Hervorhebung G. M. 230 Hier mit eindeutigerer Klarheit als in 253d1-3 (Kolb 1997, S. 139, Anm. 17). Zu Recht Kranz 1986, S. 61.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
115
zwischen Besserem und Schlechterem unterscheidet. 231 Die axiologische Unterscheidung in wertvollere und weniger wertvolle Gattungen bereitet an dieser vielkommentierten Stelle den dialektischen Umgang mit den größten Gattungen vor, die über dihairesis hinausgeht. Wenn auch die höchsten Gattungen in 253d5-c1 mitgedacht werden können, werden die Aufgaben der Dialektik dennoch durch das Miteinbeziehen der größten Gattungen nicht erschöpft. Die Begrenzung der konkreten Zielsetzung der jetzigen Untersuchung wird zur Zerstreuung falscher Annahmen – sowohl hier als auch noch einmal bei der Einführung der Untersuchung der größten Gattungen – klar betont. 232 Trotz des Bisherigen hat es nicht an Interpreten gefehlt, die den jetzigen Passus und sogar die anschließende Passage der größten Gattungen nur im Rahmen der dihairesis aufgefasst haben. Stenzels willkürliche Tendenz, die von ihm erforschte Begriffsspaltung überall hineinzuprojizieren, 233 zählt zu den Schwächen seiner überaus einflussreichen Lektüre: 234 „Platon hat sich die Sache so vorgestellt, dass er von dem Quell seiner logischen Erkenntnisse, der diairesis, her diese klassifizierende Methode für die Grundform der Gemeinschaft hält und sie auch an logische Sachverhalte heranbringt, wo nach heutigen Begriffen andere logische Relationen anzunehmen sind.“ 235 Noch radikaler ausgedrückt: „Das diairetische Schema stellt für Platon sämtliche Möglichkeiten der koinonia dar, das stand in der folgenden Zusammenfassung: τοῦτο δ’ ἔστιν, ᾗ τε κοινωνεῖν ἕκαστα δύναται καὶ ὅπῃ μή, διακρίνειν κατὰ γένος ἐπίστασθαι. Denn in einer Pyramide über- und untergeordneter Begriffe haben die 254B geschilderten Arten der Gemeinschaft: Ὅτ’ οὖν δὴ τὰ μὲν ἡμῖν τῶν γενῶν ὡμολόγηται κοινωνεῖν ἐθέλειν ἀλλήλοις, τὰ δὲ μή, καὶ τὰ μὲν ἐπ’ ὀλίγον, τὰ δ’ ἐπὶ πολλά, τὰ δὲ καὶ διὰ πάντων οὐδὲν κωλύειν τοῖς πᾶσι κεκοινωνηκέναι einen klaren Sinn; je höher der Begriff ist, desto größer die Anzahl der ihm untergeordneten.“ 236 Die Stärke von Stenzels Auslegung besteht in seinem Versuch, in dem viergliedrigen Schema auch die megista gene mit einschließen zu wollen – zumindest das Nichtseiende/ Andere in den zwei ersten Gliedern –, 237 was fruchtbare Auseinandersetzungen in der Forschung ausgelöst hat. 238 --------------------------------------------
231 Sph. 226c5-d3. Die Aussonderungskunst, die Ähnliches von Ähnlichem trennt, wird nicht weiter berücksichtigt, da es in diesem Kontext um die Einordnung der elenktischen Reinigung von schlechteren Meinungen geht, die sich als axiologische Aussonderung verstehen lässt. 232 254c5-d2. 233 Stenzel verabsolutiert die dihairesis. Das andere Extrem der völligen Abwertung der Begriffseinteilung vertritt Ryle, der die bloß vorbereitende dihairesis aus der Aufgabe der Philosophie – gemäß der platonischen Konzeption – verbannt (1966, S. 139, 141, vgl. die gerechtfertigte Kritik vonseiten Ackrills 1970: „Dialectic is or at least essentially involves division“, S. 379). Platon steht bei so beschaffenen Konflikten (wie dem von Stenzel-Ryle) eher in der Mitte zwischen beiden Extremen. 234 Die nichts auslassende Kritik Gómez-Lobos an Stenzel ist gerechtfertigt: Gómez-Lobo, S. 3036. 235 Stenzel 19613, S. 68. 236 Ebd., S. 69 (Hervorhebung G. M.). 237 Ebd., S. 62-71. 238 Meinhardt ist Stenzel in seiner Hauptlinie gefolgt und hat zugleich seine These auf angebrachte Weise modifiziert: Nach seiner Grundthese der Einheit von Ontologie und Logik bei Platon und der vorausgesetzten Ideenverflechtung bei dem dihairetischen Verfahren (1968, S. 79) behauptet Meinhardt, dass in der fokussierten Passage kein Schema der Dihairese, sondern die Grundstruktur des Teilhabe-Geflechts der Ideen zu entdecken sei (ebd., S. 69). Der Interpret misst dem ersten und dem dritten Glied eine begründende Funktion bei. Als deren Folge werden dann das zweite und das vierte Glied entsprechend charakterisiert. Zur weiterführenden Literatur über 253d5-e1 und ihre Diskussion: vor allem Meinhardt 1968 S. 37-87, Kranz 1986, S. 60-63 mit Anmerkungen, Peter Kolb 1997. S. 136-9.
116
Kapitel 2
Gómez-Lobo hat versucht, den starken Einfluss, den Stenzels Deutung auf die Forschung ausgeübt hat, zu vermindern, 239 indem er die von Stenzels Deutung beeinflusste Bedeutung von κατὰ γένη διαιρεῖν hinterfragte. 240 Dadurch geriet er in das andere Extrem, indem er in 253d5-e2 – in Antizipation der noch zu entwickelnden Lehre und der entsprechenden Ergebnisse von 258d5-259b6 – ausschließlich die μέγιστα γένη beheimatet, und – genauso dogmatisch wie Stenzel – die entgegengesetzte Behauptung vertritt: „The lines E2-3 [die von Teilhabe im Allgemeinen sprechen, also auch dihairetische Schemata umfassen können, G. M.] include no reference whatsoever to the Method of Division.“ 241 Seine Lektüre tut aber nichts anderes, als dem Wortlaut höchst fragwürdige Spekulationen abzuringen. Der Dialektiker soll nach ihm als erstes die eine Idee des ersten Gliedes als die höchste Gattung des Seienden, die durch ihre Ausbreitung alle anderen Gattungen verbindet (also die gesuchte Ursache der Mischung: 253c1-2) im Gegensatz zu den vielen anderen des zweiten Gliedes klar unterscheiden. 242 Als zweites muss er die Idee des dritten Gliedes, d. h. diejenige des Nichtseienden (im Text ist sie noch nicht mit der Idee des Anderen identifiziert) als Ursache der Trennung anerkennen (253c2-3), so dass die vielen anderen „non-pervasive Forms“ abgesondert und abgegrenzt werden. Diese nicht-durchgehenden Ideen werden nach dieser Deutung am Beispiel der Bewegung und Ruhe im zweiten und vierten Glied exemplifiziert. Bei unserer Darstellung (in §2.3) wird sich eine solche klare und saubere Absonderung des Seienden – als Ursache der Mischung – vom Nichtseienden (Anderen) – als Ursache der Trennung – als unmöglich und derart überinterpretierende Versuche wie der Gómez-Lobos’ als unpassend erweisen. Kranz bietet die optimale Lösung für die anvisierte Stelle an, d. h. in diesem Zusammenhang diejenige, der am wenigsten vorgeworfen werden kann: Sie spricht von einer Darstellung der dihairesis, aber „nicht in ihrem procedere, sondern in ihrem Ziel: das Einteilen und das Zusammenfassen hat immer mit dem Verhältnis von Einheit und Vielheit in strukturell verschiedenen Aspekten zu tun.“ 243 Ihrer Deutung zufolge werden verschiedene Weisen des Einsseins (des Begriffs – im ersten Glied –, der Klasse – im zweiten Glied –, der Gattung – im dritten Glied) durchaus schon bei Platon – also vor ihrer systematischen Sammlung in der aristotelischen Metaphysik Δ6 – angelegt gefunden. Unsere Entscheidung, im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher oder in allen sprachlichen Einzelheiten auf diese Passage einzugehen, wurde nicht nur deswegen getroffen, weil diese wenigen Zeilen fast bis zum Überdruss herangezogen, gedeutet und -------------------------------------------239
Gómez-Lobo 1977, S. 29: „to challenge the generally accepted view“. Negative Aussagen wie z. B. „Bewegung ist nicht Ruhe“ seien nichts anderes als „divisions“: Mit Hinweis auf Aristoteles’ Gebrauch von dihairesis: Metaph. Δ4, 1027b20-24, Z10, b1-5: S. 38, Anm. 28. Größeren Spielraum auch für andere Weisen der Gemeinschaft als die dihairetischen Verbindungen eröffnet wie oben gezeigt der Ausdruck διακρίνειν κατὰ γένος (253e2). 241 Gómez-Lobo 1977, S. 47. 242 Hier liegt ein Verständnis von Sein als „the capacity of receiving positive predicates“ und nicht als existenziell (gegen Cornford, Ackrill) zugrunde: Gómez-Lobo 1977, S. 39f. 243 Kranz 1986, S. 63. Trotz des gezollten Lobes finde ich die äußerst polemische Haltung gegen Stenzel weder seiner Forschung gegenüber gerecht noch sonst fruchtbar (Kranz, S. 132f., 141), da es abwegig ist, bedeutsame Leistungen nur an Ergebnissen der Tübinger Schule zu messen, die dann als „Prokrustesbett“ funktionierte. Auf eine ausschließlich feindselige Weise kann man der besonderen hermeneutischen Stellung Stenzels in der Forschung nicht gerecht werden, nämlich seiner Vermittlung zwischen dem Paradigma Schleiermachers und dem der Tübinger Schule. Kranz entgeht, dass die Einteilung zwischen Tübinger Schule und Nicht-Tübinger-Schule keine platonisch angebrachte Einteilung ist: Sie ist also genauso zu verwerfen, wie diejenige des menschlichen Geschlechts in Griechen und Nicht-Griechen (Plt. 262c10ff.). 240
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
117
kommentiert worden sind, sondern auch und vor allem, weil hier keine endgültigen Ergebnisse für die Frage erzielt werden können, in welchen Hinsichten die Dialektik über dihairesis hinausgeht. Um die Frage zu beantworten, heben wir eine bislang übersehene Verbindung der dihairetischen Methode mit der Problematik des desmos hervor. 244 Im Anschluss daran (in §2.3) wird das Netz der größten Gattungen als horizontal und nicht vertikal/ dihairetisch rekonstruiert. Weitere Argumente gegen eine voreilige Identifizierung von Dialektik und dihairesis werden bei der Besprechung der entsprechenden Passagen im Philebos eingebracht. 245 Während die axiologische Unterscheidung zwischen wertvolleren und weniger wertvollen Elementen sich als von konstitutiver Bedeutung für die Einheitlichkeit des Systems des Alphabets oder der Ideen erweist, 246 kann sie von der dihairetischen Methode allein nicht geleistet werden. Das gepriesene Vermögen der Begriffseinteilungen wird keinesfalls verabsolutiert. Die Methode der eingeführten und durchgeführten dihairesis ist nicht imstande, zu Unterscheidungen dem Wert nach zu gelangen, also zur Diskriminierung zwischen wertvolleren und weniger wertvollen Ideen. Mit einer charakteristischen Klarheit wird im Sophistes vom Gast hervorgekehrt, dass die skizzierte Methode allen Arten von Kunst gleiche Ehre beimisst bei dem Versuch, das Verwandte und das nicht Verwandte zu fassen: Indes interessiert sich unser argumentatives Verfahren weder mehr noch weniger für die Reinigung durch den Schwamm oder durch einen Arzneitrank, mag die eine uns von großem Nutzen und die andere von kleinem Nutzen sein. Denn wenn ein Verfahren Einsicht gewinnen möchte und wenn es deshalb zu erkennen versucht, was bei allen Künsten verwandt und was nicht verwandt ist, so nimmt es zu diesem Zweck alle gleich wichtig und findet unter dem Gesichtspunkt ihrer Ähnlichkeit die einen nicht lächerlicher als die anderen. Es hält denjenigen, der die Kunst der Jagd als Feldherrenkunst betreibt, nicht für ehrwürdiger als den, der sie zur Vernichtung der Läuse ausübt, sondern meistens nur für wichtigtuerischer. 247 --------------------------------------------
244 Kranz situiert den Mangel der Dihairetik darin, dass sie außerstande sei, ihre eigenen Voraussetzungen zu begründen. Wer nach Darstellung der Kriterien für die Richtigkeit der Dihairesenleitern sucht (z. B. was die sechs Definitionen der Sophistik angeht, wenn die kathartische Reinigung für falsch gehalten wird), wird durch die Einmündung in die Exkurse der μέγιστα γένη und des Mythos im Politikos darauf verwiesen, dass dihairesis eine Stufe der Dialektik ist, deren höchstes Ziel in der Erkenntnis der Prinzipien kulminiert (1986, S. 64-70). Moravcsik rückt die Begrenztheit der dihairesis nicht in den Vordergrund seiner Analyse der Methode (1973, worin er sein Erklärungsmodell „mereology of intentions“ aufstellt, gegenüber demjenigen von Cornford und dem so genannten „clean model“); es ist ihm auf jeden Fall klar, dass sie als Methode gegenüber der Argumentation über die μέγιστα γένη zurückbleibt (ebd., S. 346). Platon ist nach ihm mit Recht daran interessiert, die Sophistik oder Angelfischerei zu bestimmen, aber nicht, die wesentlichen Züge von allen Sophisten oder allen Angelfischern zu finden. Ohne uns die Kriterien der richtigen Einteilungen mitzuteilen (die Frage nach der richtigen Einteilung wird im Politikos gestellt), führe der Gast die Methode souverän durch und bietet „more or less revealing characterisations“ der sophistischen Kunst (ebd., S. 345). 245 S. unten, § 3.3, II. 246 Das auf den Bereich der Musik verweisende σύστημα sollte hier buchstäblich als Zusammen-setzung verstanden werden. 247 Sph. 227a7- b6: ἀλλὰ γὰρ τῇ τῶν λόγων μεθόδῳ σπογγιστικῆς ἢ φαρμακοποσίας οὐδὲν ἧττον οὐδέ τι μᾶλλον τυγχάνει μέλον εἰ τὸ μὲν σμικρά, τὸ δὲ μεγάλα ἡμᾶς ὠφελεῖ καθαῖρον. τοῦ κτήσασθαι γὰρ ἕνεκα νοῦν πασῶν τεχνῶν τὸ συγγενὲς καὶ τὸ μὴ συγγενὲς κατανοεῖν πειρωμένη τιμᾷ πρὸς τοῦτο ἐξ ἴσου πάσας, καὶ θάτερα τῶν ἑτέρων κατὰ τὴν ὁμοιότητα οὐδὲν ἡγεῖται γελοιότερα, σεμνότερον δέ τι τὸν διὰ στρατηγικῆς ἢ φθειριστικῆς δηλοῦντα θηρευτικὴν οὐδὲν νενόμικεν, ἀλλ’ ὡς τὸ πολὺ χαυνότερον.
118
Kapitel 2
Im Politikos wird vom Eleaten an die gerade erwähnte Aussage über dihairesis angeknüpft: „Dass nämlich bei dieser Untersuchung am Wertvolleren nicht mehr als an dem nicht Wertvollen gelegen ist noch sie das Kleinere geringer als das Größere schätzt, sondern ganz für sich das Wahrhaftigste vollbringt.“ 248 Hier wird erneut bekräftigt, dass der angesprochenen Methode am Vortrefflicheren nicht mehr liegt als am weniger Vortrefflichen, da sie das Kleinere nicht vor dem Größeren entehrt. Neben ihrer keinesfalls zu unterschätzenden Leistung, verschiedene ideelle Zusammenhänge zum Vorschein zu bringen, wird zugleich die Unfähigkeit der dihairesis expliziert, mit Axiologie den Anfang zu machen. Platon war sich daher der Grenzen der dihairetischen Methode bewusst, wie sich in den Dialogen Politikos und Sophistes aufzeigen lässt. Er wirkt zugegebenermaßen enthusiastisch in Bezug auf ihr Vermögen als Methode. 249 Im Sophistes lobt der Gast die Methode über alle Maßen, weil sie alle Gattungen einzufangen imstande sei (235c4-6). 250 Im Politikos wird als erstes die Methode geehrt und als zweites die schnelle Auffindung des jeweiligen Erforschten. Man darf nicht außer Acht lassen, dass es hier nicht um den Primat einer bloß formalen Methode geht, auch wenn die Stelle isoliert wird, sondern dass dihairesis um der Bezeichnung der Ideen willen durchgeführt wird (285d5-6). Die ontologische Struktur des ideellen Kosmos kommt aufgrund der Einteilung zur Sprache. Das Worum-willen der methodischen Übung besteht in dem Dialektischer- und Erfinderischerwerden der Philosophierenden in Bezug auf die sacherschließende Offenbarung des Seienden. 251 Vergegenwärtigen wir uns vor diesem Hintergrund, dass der Stammbaum der Webkunst nicht nur einer formalen Vorbereitung für die Auffindung der politischen Kunst dient; durch ihn kommt nicht eine äußerliche Analogie, sondern der innerste Kern des Wesens des Staatsmannes und seine wichtige Aufgabe zur Sprache, nämlich die unterschiedlichen menschlichen Temperamente zu verweben (309aff.) Diese Darstellung der Dialektik will keinesfalls formale Tendenzen der platonischen Dialektik ausschließen, die Gegensätze unabhängig vom untersuchten Gegenstand erforsche. 252 Die mit der dihairesis verbundenen Schwierigkeiten bestehen nicht ausschließlich in einer angemessenen Anwendung der Methode, sondern auch in der Setzung der Grenzen der Methode selbst. Um die Ursachen der Verbindung und Trennung der Ideen über-
--------------------------------------------
248 Plt. 266d7-9: Ὅτι τῇ τοιᾷδε μεθόδῳ τῶν λόγων οὔτε σεμνοτέρου μᾶλλον ἐμέλησεν ἢ μή, τόν τε σμικρότερον οὐδὲν ἠτίμακε πρὸ τοῦ μείζονος, ἀεὶ δὲ καθ’ αὑτὴν περαίνει τἀληθέστατον. 249 Mit Recht Ackrill 1970, S. 382. 250 πάντως οὔτε οὗτος οὔτε ἄλλο γένος οὐδὲν μή ποτε ἐκφυγὸν ἐπεύξηται τὴν τῶν οὕτω δυναμένων μετιέναι καθ’ ἕκαστά τε καὶ ἐπὶ πάντα μέθοδον. 251 Plt. 287a2-4: τοὺς συνόντας ἀπηργάζετο διαλεκτικωτέρους καὶ τῆς τῶν ὄντων λόγῳ δηλώσεως εὑρετικωτέρους. 252 Metaph. M4, 1078b 25-27: διαλεκτικὴ γὰρ ἰσχὺς οὔπω τότ’ ἦν ὥστε δύνασθαι καὶ χωρὶς τοῦ τί ἐστι τἀναντία έπισκοπεῖν, καὶ τῶν ἐναντίων εἰ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη. „Denn die Dialektik war damals noch nicht so weit erstarkt, dass man abgesehen vom Was die Gegensätze hätte untersuchen können und die Frage, ob ein und dieselbe Wissenschaft die Gegensätze behandelt.“ (Übers. Th. A. Szlezák). Hier bezieht sich Aristoteles auf die Entwicklung der Dialektik – die auch den platonischen Beitrag umfasst – nach ihrer Einführung von Zenon. Formale Elemente sind bei den dialektischen Übungen der platonischen Dialoge sicherlich mit eingeschlossen: Als ein charakteristisches Beispiel lässt sich die Genese der Zahlen aus drei Elementen am Anfang der zweiten Reihe des zweiten Teils des Parmenides anführen (Sein, Einheit, Andersheit; drei beliebige Elemente könnten ausgewählt werden, 143a4-144e6). Und überhaupt das hypothetische Verfahren des zweiten Teils des Parmenides, in dem die Konsequenzen von entgegengesetzten Hypothesen untersucht werden („Wenn das Eine ist“, „Wenn das Eine nicht ist“), ohne dass das „Eine“ definiert worden ist.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
119
haupt zu entdecken und der Theorie des δεσμός nachzugehen, müssen wir über dihairesis hinausgehen – und auf diese Weise gelangen wir zu unserem nächsten Abschnitt. 253 2.3. Mischung des Seienden mit dem Nichtseienden und Kulmination des Dialogs: Unhintergehbare Mischung des Seienden mit dem Anderen I.
Methodische Vorüberlegungen
In diesem Teil der Arbeit ziele ich darauf, die Mischung des Seienden mit dem Anderen als unhintergehbar zu erweisen. Die hier anvisierte Mischung des Seienden mit dem Anderen kann erst als ‚demokratisch’ oder symmetrisch charakterisiert werden, wenn ihre „Elemente“ klar als ebenbürtig auftreten. Bevor wir zu dem entscheidenden Punkt im argumentativen Gang gelangen – dem Geflecht der größten Gattungen –, werde ich verschiedene Ebenen in Betracht ziehen müssen, um die Mischung des Seienden mit dem Anderen (als größten Gattungen) in einen weiteren Zusammenhang zu integrieren. Eine Vielfalt unterschiedlicher Arten von Priorität des Seienden gegenüber dem Nichtseienden oder umgekehrt: des Nichtseienden gegenüber dem Seienden wird dadurch zur Erscheinung kommen. Den Dialog Sophistes verstehe ich als eine Untersuchung über das Seiende und das Nichtseiende. Dessen tradierten Titel „περὶ τοῦ ὄντος“ 254 erlaube ich mir folgenderma--------------------------------------------
253 Wenn unsere Argumentation zutrifft, verfügte Platon jedenfalls über die prinzipielle Unterscheidung zwischen dihairesis und der Lehre der größten Gattungen. Daher ist der Vorwurf Kolbs gegen Platons Verwirrung fehl am Platz. Kolb beansprucht in seiner Arbeit über den Sophistes nichts weniger, als „den gegebenen Wortlaut zu seiner Vernunft zu bringen“ und „Platons Problematik in ihrem systematischen Reichtum und in ihrer historischen Bedingtheit zu erfassen“ (1997, S. 145, 131, Anm.), indem er sich aus guten Gründen gegen die illusionsverhaftete Ideologie eines Textpositivismus wehrt, der das, was „im Text steht“, bloß wiedergibt und voraussetzungslos verstehen will. Kolb beabsichtigt, die folgenden Behauptungen zu vermeiden: Weder wird dem platonischen Versuch von ihm ein experimentierender, „unterwegs bleibender“ Charakter beigemessen, noch folge Platon „spontanen Intuitionen, hinter denen er als Theoretiker, der über seine Theorie räsoniert, zurückbleibt.“ (Ebd., S. 127) Trotz seiner berechtigten programmatischen Bemerkungen untergräbt Kolb seine eigene Zielsetzung, wenn er – und nicht Platon – zwischen dem Folgenden unentschieden schwankt: Einerseits unterläuft Platon eine unscharfe und unbestimmte Dialektikkonzeption, da der athenische Philosoph dem Dialektiker eine doppelte Aufgabenstellung zuweist (ebd., S. 133f. und passim), und weil die einzelwissenschaftliche Forschung und ihre reflexive Grundlegung relativ ungeschieden durchlaufen (ebd., S. 135). Andererseits neige Platon trotzdem dazu, Grenzen zwischen der einzelwissenschaftlichen Forschung und der Reflexion darüber zu ziehen (ebd., S. 139). Von einem systematischen Standpunkt her ist der Interpret dazu völlig berechtigt, Platon zu kritisieren, dass er gewisse Grenzen nicht einbezieht, „wie es die philosophische Sache eigentlich erfordert.“ (Ebd., S. 134) Dabei muss er aber die Tatsache berücksichtigen, dass im platonischen Text nie die Rede von zwei Wissenschaften ist – nach Kolbs verfehlter Formulierung: „beide Wissenschaften“ (ebd., S. 126) –, derjenigen der Konstitution der jeweiligen konkreten Ideen und derjenigen der Ebene der Prinzipien (so nach Kolb die μέγιστα γένη). Es geht in beiden Fällen um die eine dialektische Wissenschaft. Man kann die platonische Konzeption der Kritik unterziehen, da Platon unter einen Namen zwei Begriffe fallen lässt, deren Beziehung noch herzustellen ist: „Aus den megista gene lässt sich keinesfalls die inhaltliche Einzelbestimmtheit der eide ‚ableiten’“ (Königshausen 1992, S. 351). Die Wichtigkeit dieser Problematik, die Platon keinesfalls innerhalb dieses Dialogs nicht anspricht und die er noch weniger erschöpfen wollte, ist für die Geschichte der Philosophie von konstitutiver Bedeutung: S. das Problem im Rahmen der Ausdifferenzierung der zweiten Hypostase Plotins und beim Übergang der absoluten Idee der Logik Hegels zu den gewöhnlichen Ideen seiner Realphilosophie. 254 Nach Diogenes Laertios, Vitae Philosophorum, III, 58, 7. Zum Überblick über die Suche nach dem Zweck des Dialogs bei den Kommentatoren in der Antike mit entsprechender Kritik, s. Notomi 1999, S. 10-19.
120
Kapitel 2
ßen zu modifizieren: „περὶ τῆς κράσεως τοῦ μὴ ὄντος τῷ ὄντι“, in Übereinstimmung mit der von Ammonios tradierten Rede von „vielen und wunderbaren Argumenten über das mit dem Seienden gemischte Nichtseiende“. 255 Dabei bleibt immer im Blick, dass die so verstandene Thematik des Dialogs die platonische Antwort auf die Frage nach dem Sein ausmacht. Das Sein lässt sich nach Platon als Mischung verstehen. Nachdem ein erster Anhalt in der späteren Tradition gefunden worden ist, muss im Folgenden anhand des Textes selbst argumentiert werden, damit die Kulmination des Dialogs zur vollen Geltung kommen kann. II. Differenzierung möglicher Arten von Vorrang: thematisch-methodologische, geschichtliche, erkenntnistheoretische, ontologische Zugegebenermaßen sollten wir die spätere aristotelische Unterscheidung nicht auf unreflektierte Weise auf platonisches Gut zurückprojizieren. Hier weise ich auf Aristoteles selber hin, weil er sich bei seiner Darlegung der Mehrfachbedeutung von Priorität explizit auf Platon bezieht (Metaph. Δ11, 1019a4), der über die Unterscheidung von Früherem und Späterem verfügt hat. Höhere Seinsmächtigkeit beweist sich in einseitiger Seinsunabhängigkeit, im absoluten Ansichsein: „Was ohne das andere sein kann, ohne welches aber dieses andere nicht“ (Metaph. Δ11, 1019a1ff.), oder nach der Formel von Alexander von Aphrodisias „das Mitaufhebende aber nicht Mitaufgehobene“ (zu Arist. Metaph. 387, 6). In Smp. 211b3-5 lässt das Werden und Vergehen der vielen einzelnen schönen Dinge das Schöne an sich unbetroffen und unvergänglich. Um das Wesentliche der entsprechenden Stellen in der Metaphysik und der Kategorienschrift (14a26ff.) zusammenzufassen, treten zwei weitere Arten von Priorität neben diesem fundamentalen Prioritätsverhältnis dem Wesen oder der Natur nach hervor: Der Zeit nach und der Erkenntnis nach – worunter auch diejenige nach dem logos fällt. Für die hier in Anspruch genommene Unterscheidung ist es von Belang, außerdem zu erwähnen, dass die erkenntnistheoretische Priorität von dem Stagiriten als methodisches Prinzip angewendet wird: Um der Belehrung willen muss der Lehrer zunächst mit dem für uns Erkennbaren anfangen, um zu dem an sich Erkennbaren, Einfacheren und Prinzipielleren zu gelangen. 256 Erlauben wir uns, Aristoteles für eine zweite Bemerkung über den hier thematisierten Vorrang heranzuziehen, bevor wir uns dem Sophistes widmen. Seine Bemerkung, dass die anderen Philosophierenden – darunter auch Platon – den Vorrang der οὐσία nicht kennen (Metaph. Γ2, 1004b9f.), ist zweideutig: Einerseits und vor allem bezieht sich Aristoteles auf den Primat der einzelnen, in seiner Kategorienschrift als erste genannten, Substanz, den er bei Platon vermisst. Andererseits dürfen wir den von Aristoteles vermissten Primat der Substanz durchaus in dem Bereich der innerideellen Beziehungen situieren. Aristoteles führt im vierten Buch der Metaphysik (§1-2) und in Anlehnung an akademisches Gut die allgemeine Ontologie des Seienden qua Seienden ein. Dort stellt er seine Version der allgemeinsten Gattungen ohne die Stütze der platonischen Dialektik als Allwissenschaft dar. Deswegen dürfen wir dem Zusammenhang entnehmen, dass der aristotelische Vorwurf, dass die anderen Philosphierenden nichts vom Primat der Substanz kannten, für eine Gleichursprünglichkeit der größten Gattungen plädiert, oder, um präziser zu sein, für eine Gleichursprünglichkeit des Seienden und des Anderen. -------------------------------------------255 In seiner Interpretation von Aristoteles’ De Interpretatione, ad 17a26ff., Commentaria in Aristotelem Graeca IV 5, S. 83, 13: μετὰ τοὺς πολλοὺς καὶ θαυμαστοὺς λόγους τοὺς περὶ τοῦ συγκεκραμένου τῷ ὄντι μὴ ὄντος. 256 Vgl. Ph. A1, 184a16ff., Metaph. Δ1, 1013a2, Ζ4, 1029b3ff.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
121
Im Sophistes schicken sich die Gesprächspartner an, das Wesen des Sophisten ausfindig zu machen. Der Dialog wird durch die Verwechselbarkeit von Philosophie und Sophistik beziehungsreich eröffnet. Das Wesen des Philosophen wird auf einen Dialog verschoben, der ungeschrieben blieb. Aus dem Vorrang der thematischen Klärung der sophistischen Kunst ergibt sich die entsprechende methodische Vorrangigkeit des Nichtseienden, mit dem der Sophist unmittelbar verbunden ist. Es handelt sich um die Möglichkeit des Irrtums und des falschen Satzes, die der Sophist von Grund aus verneint. Die Konfrontation mit der hartnäckigen, (für uns) erkennbaren sophistischen Praxis zwingt uns zu der Untersuchung des prinzipiellen – obschon sich zunächst und zumeist verstellenden – Nichtseienden, das der Sophist verkörpert. 257 Der methodischen Einteilung der Politeia zufolge 258 wird das Vermögen der Philosophie dem Seienden zugeordnet, während die Sophistik in Beziehung zum Nichtseienden gesetzt wird. 259 Der Ort des Philosophen stellt sich dementsprechend als „hellster“ dar, im Gegensatz zu dem „dunklen“ Aufenthalt des Sophisten. Man darf aber dieses Bild nicht überstrapazieren. Nach vorsichtiger Betrachtung ergibt sich trotz des ersten, durch Sph. 253e4-254b5 erweckten Eindrucks, dass die Helligkeit des Ortes des Philosophen nicht völlig unvermischt mit Dunkelheit ist: Die Philosophie wird eher in der Vermittlung der Gegensätze verortet, nachdem das (ideelle) Sein als unhintergehbare Mischung des Seienden mit dem Nichtseienden verstanden wird. Es geht nicht um einen polaren unvermittelten Gegensatz zwischen der leuchtendsten Helle und einer unzugänglichen Dunkelheit im Sinne von zwei unüberbrückbaren Welten, die sich ausschließen. Genau denselben ersten Eindruck eines polaren Gegensatzes von reinster Helle und unvermischter Dunkelheit korrigiert im übrigen auch eine achtsamere Beobachtung des Höhlengleichnisses in der Politeia: Nicht die völlige Helle herrscht in dem überirdischen Aufenthaltsort des Philosophen, sondern ein zyklisches Geschehen von Tag und Nacht, eine Mischung von Licht und Dunkelheit. Die Sonne (Idee des Guten) zeigt sich und entzieht sich aufs Neue. Eine zweite Art von Vorrang kann in der vom Gast erzählten geschichtlichen Überlieferung gesucht werden. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Tradition gewinnt das Seiende (τὸ ὄν) einen offensichtlichen Primat: Nach der auswegslosen Forschung nach dem gänzlich Nichtseienden werden die Vertreter der tradierten Lehren danach gefragt, was das als Seiende Bezeichnete bedeutet: περὶ δὲ τοῦ μεγίστου τε καὶ ἀρχηγοῦ πρώτου νῦν σκεπτέον (243d1f.). Das Sein wird als das Größte und Erste im Sinne des Wichtigsten und Grundlegendsten auch gegenüber dem Nichtseienden charakterisiert. Das Sein bleibt trotz seiner Selbstverständlichkeit bei all seiner Inanspruchnahme unbekannt, da ungefragt und unbedacht. Der erste, der in der Philosophiegeschichte explizit die Frage nach dem Sein stellt, ist Platon. Unsere nächste Station findet sich am Ende der aporetischen Untersuchung über das Nichtseiende und das Seiende. Zusammenfassend stellt der Gast fest (250e6-251a3):
--------------------------------------------
257 Heidegger vermerkt auf seine Weise: „Der Sophist ist die Faktizität des μὴ ὄν selbst“, GA 19, S. 574. 258 R. 476cff.: Die drei Erkenntnisweisen (Wissen, Meinung, Unkenntnis) werden dort den entsprechenden Objektklassen (gänzlich Seiendes, viele wahrnehmbare Dinge, Nichtseiendes) zugeordnet. 259 Dieser platonischen Zuordnung des Nichtseienden zum Sophisten zollt Aristoteles in gewisser Hinsicht Lob, Metaph. E2, 1026b14f., indem er das Nichtseiende in diesem Fall als das Akzidentelle versteht.
122
Kapitel 2 ἐπειδὴ δὲ ἐξ ἴσου τὸ τε ὄν καὶ τὸ μὴ ὄν ἀπορίας μετειλήφατον, νῦν ἐλπίς ἤδη καθάπερ ἄν αὐτῶν θάτερον εἴτε ἀμυδρότερον εἴτε σαφέστερον ἀναφαίνηται, καὶ θἀτερον οὔτως ἀναφαίνεσθαι: καὶ ἐὰν αὖ μηδέτερον ἰδεῖν δυνώμεθα, τὸν γοῦν λόγον ὅπηπερ ἂν οἷοι τε ὦμεν εὐπρεπέστατα διωσόμεθα οὕτως ἀμφοῖν ἅμα.
Dieser oft übersehenen Stelle muss nachgegangen werden, weil sie den Übergang zu dem so genannten positiven Teil des Dialogs ausmacht. Nachdem aber nun das Seiende und das Nichtseiende gleichermaßen an Ausweglosigkeit teilgenommen haben, lässt sich jetzt doch hoffen, dass sich, so wie sich uns das eine von ihnen bald dunkler, bald wieder heller zeigt, auch das andere ebenso darstellt. Wenn wir wiederum keines von beiden sehen können, so wollen wir wenigstens unsere Erklärung von beiden zugleich – soweit wir dazu imstande sind – auf diese anständigste Weise bis zum Äußersten treiben. Heidegger gehört zu den wenigen, die der angesprochenen Stelle die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt haben. Durch den hypothetischen Satz „wenn wir wiederum keines von beiden in den Blick bekommen können“ unterstreicht er den Mangel an Endgültigkeit der platonischen Untersuchung bislang, wobei ihm die Erklärung des logos (251a2) nach der Verneinung des Zugangs zu dem Seiendem und dem Nichtseienden Hindernisse bereitet. Als Notbehelf schlägt er vor, λόγος hier als das Sprechen über beides – das Seiende und das Nichtseiende – zu verstehen, wobei er zugesteht, dass es ihm sonst unmöglich ist, dieser Stelle einen positiven Sinn von besonderer Tragweite abzugewinnen. 260 Zur Aufhebung der Schwierigkeit schlage ich Folgendes vor: Dem hypothetischen Satz liegt die platonische These zugrunde, dass das Nichtseiende und das Seiende an sich und für sich – also getrennt voneinander und unvermittelt – überhaupt nicht in den Blick gebracht werden können, da sie von Natur aus miteinander verschlungen sind. 261 Wegen -------------------------------------------260
Heidegger, GA 19, S. 498f. Für den letzten bedeutenden Satz gibt es mehrere Deutungsvorschläge: Das Verb διωσόμεθα (251a2) ist gut überliefert (Bodleianus, Venetus, Vindobonensis); Versuche, es zu ersetzen, sind daher nicht gerechtfertigt, wie etwa durch διασωσόμεθα (Stallbaum), das sich immerhin noch besser als διακριβωσόμεθα (Robinson) erweist. Was strittig dabei bleibt, ist das Verständnis des Wortes ἀμφοῖν. Gegenüber Schleiermacher verstehen es Diès und Rufener als Genitiv wegen des δι-ωσόμεθα und machen infolgedessen Gebrauch von dem Bild eines Schiffes, das zwischen den beiden Klippen hindurchlanciert: „Que si l’un comme l’autre se dérobe à nos regards, nous fraierons au moins à l’argument le passage le plus convenable entre ces deux écueils.“ (Diès); „Wenn wir aber keines von beiden sehen können, so wollen wir wenigstens unsere Erklärung, soweit wir dazu imstande sind, auf möglichst anständige Weise zwischen den beiden Klippen hindurchbringen“ (also weiter übernommen von Rufener). Cornford sieht die Schwäche solcher Vorschläge ein, empfiehlt jedoch etwas noch Schwächeres, indem er ἀμφοῖν χερσίν ergänzt, und „force a passage through the argument with both elbows at once“ übersetzt (mit unangebrachtem Verweis auf Sph. 226a7: Dort wird nämlich der umgangsprachliche Ausdruck erwähnt: τὸ λεγόμενον οὐ τῇ ἑτέρᾳ ληπτόν: „etwas mit links machen“, was aber keine Parallele zu unserer Stelle ausmacht). Darüber hinaus wertet Cornford die anvisierte Stelle nicht philosophisch aus. Deswegen finde ich den Bezug des Duals ἀμφοῖν auf die zwei angesprochenen erforschten Entitäten des Seienden und des Nichtseienden plausibler, auch weil der Dual kurz vorher in Hinsicht auf beides in Anspruch genommen wurde: μετειλήφατον, 250e6-7. Owen unterstreicht die Bedeutung von ἅμα und spricht von „Parity Assumption“ („the one cannot be illuminated without the other“), 1971, S. 230, Anm. 16. Er wendet sich hauptsächlich gegen die einflussreiche Behauptung von Ackrill (1971) ein, dass Platon auch die Bedeutung der Existenz des Verbes ἔστι unterscheidet. Obgleich ich der Kritik von Owen zustimme, tut er der Stelle Gewalt an, wenn er behauptet, dass ausschließlich die prädikative Anwendung von ἔστιν weiter im Spiel sein wird, weil der Gast hier nur die Negation der prädikativen Anwendung meine und weiter nur sie behandle. Die Bedeutung der Existenz kann deswegen nicht aus dem 261
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
123
der hier angedeuteten erkenntnistheoretischen Gleichrangigkeit des Seienden und des Nichtseienden, die ich auf eine entsprechende ontologische Ebenbürtigkeit zurückzuführe, hat die bisherige Untersuchung nach dem Nichtseienden und dem Seienden keine Früchte getragen. So wie es unumstritten ist, dass die platonische Philosophie eine Philosophie der Ideen war – ob sie von Anfang an eine Philosophie der Prinzipien gewesen ist, ist nicht einwandfrei zu beweisen –, ebenso unbestreitbar zeigt sich, dass die Dialektik über die Natur, das Vermögen und die Grenzen des λόγος reflektiert. 262 Unser sprachliches Vermögen wird sogar an seine äußerste Grenze getrieben, um die schwierige dunkle Thematik sowie unwegsame ontologische Regionen ertasten zu können. Was die ontologische Priorität betrifft, haben wir schon in § 2.2 aufgezeigt, wie Platon das ideelle Sein als ausgezeichnet gegenüber dem Wahrnehmbaren betrachtet. Um die Teilhabe des Sinnlichen an der Idee zu erklären, gelangt der Philosoph zu der Gemeinschaft der größten Gattungen, nachdem er den Horizont einer allgemeinen Ontologie des Seienden qua Seienden eröffnet und durch dynamis beantwortet. Platon wird auf dem Boden der ideellen Gemeinschaft zu einer Verwischung der Grenzen zwischen dem Sein und dem Seienden gelangen, die höchst problematisch ist. III. Die Natur der Mischung der größten Gattungen Nicht nur die Deutung, sondern bereits der Aufbau des Textes von 254b7- 259b6 werden noch immer heftig diskutiert. Ich halte es daher für wesentlich, die ganze Partie zunächst einzuteilen und zu übersetzen, um anschließend imstande zu sein, die Argumente in den übersetzten Passagen zu rekonstruieren. So wird es mir eher gelingen, den Gang des Argumentes zu rekonstruieren und gewisse moderne Diskussionen heranzuziehen, ohne die Illusion zu nähren, sie zu erschöpfen, und ohne die zwei Ebenen der Deutung des Textes und der Diskussion in der Forschung auf unübersichtliche Weise zu vermischen. Es ist unvermeidlich, dass Probleme, die für den Dialog von größter Bedeutung sind, in einer Arbeit, die sich auf die Ontologie fokussiert, ausbleiben. Zu diesen gehört das Problem der Falschheit und die noch immer viel diskutierte Relevanz der Idee der Andersheit für die falsche Aussage. Sowohl die Einteilung des ganzen Textes in sechs Teile (A) bis (F) sowie die Titel der gegliederten Abschnitte machen einiges von meiner Deutungsabsicht offenbar. In (B) findet sich der erste Argumentationsgang, in dem die Eigenständigkeit der fünf größten Gattungen aufgewiesen wird. In (C) haben wir das Quartett der Kombinatorik der Idee der Bewegung mit den anderen vier Ideen. In Abweichung vom ersten Glied des parmenideischen Verdikts beweist der Gast: „Das Seiende ist (irgendwie) Nicht-Seiendes.“ (D) und (E) widerlegen das zweite Glied des parmenideischen Verdikts und beweisen: „Das Nicht-Seiende ist (irgendwie) Seiendes.“ Am Ende bietet der Eleat eine Rekapitulation an (F), bevor er zur Problematik des Satzes und des falschen Satzes übergeht. Ich betrachte diese Passage als eine gelungene philosophische Passage. Es gilt dabei präzise zu unterscheiden, was Platon in jedem einzelnen Schritt beansprucht und was -------------------------------------------Horizont verschwinden. Dahingestellt mag dabei bleiben, ob die Bedeutung von Existenz als absolut (Kahn 1981) oder nicht absolut (Brown, 1986 und 1994) verstanden werden sollte. 262 Im Rahmen des Sophistes wird die Theorie über die größten Gattungen von einer Lehre über den λόγος nicht getrennt. Auch wenn wir um unserer Thematik willen einen metaphysischen oder begriffskonstitutiven Faden verfolgen und dabei die Frage nach der Aussage und der Möglichkeit der falschen Aussage vernachlässigen, wird bei einer solchen Entscheidung die notwendige Verbindung der zwei Ebenen keinesfalls übersehen.
124
Kapitel 2
außer dem Rahmen der Diskussion bleibt. Im Anschluss an die Ergebnisse des Beitrags von van Eck, werde ich in den Partien (D) und (E) keine Problematisierung der negativen Prädikation finden. Platon will die Andersheit in ihrer ganzen Weite untersuchen, worunter nicht nur die bloße numerische Nicht-Identität fällt, sondern auch der konträre Gegensatz, dessen Glieder als „völlig andere“ vorkommen (255e11f.). Bei dem Versuch, die Einheit des Passus aufzuzeigen, wird Hermodoros’ Wiedergabe der platonischen kategorialen Einteilung von Belang und Hilfe sein. 1.
Die Gemeinschaft der größten Gattungen: Burnet-Text, Übersetzung und Kommentar
a.
Agenda: Objekt, Ziel und Beschränkung der Untersuchung. Die Bezeichnung und die Auswahl der μέγιστα γένη ΞΕ. Ὅτ’οὖν δὴ τὰ μὲν ἡμῖν τῶν γενῶν ὡμολόγηται κοινωνεῖν ἐθέλειν ἀλλήλοις, τὰ δὲ μή, καὶ τὰ μὲν ἐπ’ ὀλίγον, τὰ δ’ ἐπὶ πολλά, τὰ δὲ καὶ διὰ πάντων οὐδὲν κωλύειν τοῖς 254c πᾶσι κεκοινωνηκέναι, τὸ δὴ μετὰ τοῦτο συνεσπώμεθα τῷ λόγῳ τῇδε σκοποῦντες, μὴ περὶ πάντων τῶν εἰδῶν, ἵνα μὴ ταραττώμεθα ἐν πολλοῖς, ἀλλὰ προελόμενοι τῶν μεγίστων λεγομένων ἄττα, πρῶτον μὲν ποῖα ἕκαστα ἐστιν, ἔπειτα κοινωνίας ἀλλήλων πῶς ἔχει δυνάμεως, ἵνα τὸ τε ὄν καὶ μὴ ὂν εἰ μὴ πάσῃ σαφηνείᾳ δυνάμεθα λαβεῖν, ἀλλ’ οὖν λόγου γε ἐνδεεῖς μηδὲν γιγνώμεθα περὶ αὐτῶν, καθ’ ὅσον ὁ τρόπος ἐνδέχεται τῆς νῦν σκέψεως, ἐὰν ἄρα ἡμῖν πῃ 254d παρεικάθῃ τὸ μὴ ὂν λέγουσιν ὡς ἔστιν ὄντως μὴ ὂν ἀθῳοις ἀπαλλάττειν. ΘΕΑΙ. Οὐκοῦν χρή. ΞΕ. Μέγιστα μὴν τῶν γενῶν ἃ νυνδὴ διῇμεν τό τε ὂν αὐτὸ καὶ στάσις καὶ κίνησις. ΘΕΑΙ. Πολύ γε. ΞΕ. Καὶ μὴν τώ γε δύο φανὲν αὐτοῖν ἀμείκτω πρὸς ἀλλήλω. ΘΕΑΙ. Σφόδρα γε. ΞΕ. Τὸ δέ γε ὂν μεικτὸν ἀμφοῖν· ἐστὸν γὰρ ἄμφω που. ΘΕΑΙ. Πῶς δ’ οὔ; ΞΕ. Τρία δὴ γίγνεται ταῦτα. ΘΕΑΙ. Τί μήν; ΞΕ. Οὐκοῦν αὐτῶν ἕκαστον τοῖν μὲν δυοῖν ἕτερον ἐστιν, αὐτὸ δ’ ἑαυτῷ ταὐτόν. 254e ΘΕΑΙ. Οὕτως. ΞΕ. Τί ποτ’ αὖ νῦν οὕτως εἰρήκαμεν τό τε ταὐτὸν καὶ θάτερον; πότερα δύο γένη τινὲ αὐτώ, τῶν μὲν τριῶν ἄλλω, συμμειγνυμένω μὴν ἐκείνοις ἐξ ἀνάγκης ἀεί, καὶ περὶ πέντε ἀλλ’ οὐ περὶ τριῶν ὡς ὄντων αὐτῶν σκεπτέον, ἢ τό τε ταὐτὸν 255a τοῦτο καὶ θάτερον ὡς ἐκείνων τι προσαγορεύοντες λανθάνομεν ἡμᾶς αὐτούς; ΘΕΑΙ. Ἴσως. GAST: Nachdem wir nun darin übereingestimmt haben, dass einige Gattungen Gemeinschaft miteinander haben wollen, andere aber nicht, und einige wenig, andere
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
125
aber mit vielen Gattungen, wobei andere nichts hindert, durch alles Gemeinschaft mit allen zu haben, so lasst uns das Folgende in der Argumentation nachholen, dass wir nicht auf den Bereich aller Gattungen unsere Untersuchung richten, um nicht unter vielen (Gattungen) in Verwirrung zu geraten. Sondern nachdem wir einige welche von den so charakterisierten größten ausgewählt haben, [sollten wir untersuchen] als erstes wie beschaffen sie sind, danach wie es sich in Bezug auf ihre Kraft zur Gemeinschaft miteinander verhält, so dass wir das Seiende und das Nicht-Seiende wenn nicht mit aller Klarheit auffassen können, dennoch uns an einer Erklärung darüber nicht fehlt, insofern es die Weise der jetzigen Untersuchung zulässt, wenn uns irgendwie vielleicht erlaubt wird, unbeschädigt davonzukommen, wenn wir sagen, dass das Nicht-Seiende wirklich Nicht-Seiendes sei. THE: Freilich müssen wir. GAST: Die wichtigsten der Gattungen, die wir jetzt durchgingen, sind doch das Seiende selbst und die Bewegung und der Stillstand. THE: Mit Abstand. GAST: Und wir sagten, dass zwei von ihnen unvermischbar miteinander sind. THE: Ganz und gar. GAST: Das Seiende ist doch mischbar mit beiden; denn beides ist irgendwie. THE: Wie nicht? GAST: Diese werden wohl drei. THE: Wie nicht? GAST: Nun, jedes von ihnen ist ein anderes von den zwei anderen und dasselbe mit sich selbst. THE: So ist es. GAST: Was haben wir jetzt wieder gesagt als das Selbe und das Andere? Sind diese zwei irgendwelche Gattungen, andere als die drei anderen, die sich mit jenen notwendigerweise vermischen lassen, und müssen wir fünf und nicht drei erforschen, oder bezeichnen wir unbewusst dieses Selbe und das Andere als etwas von jenen? THE: Vielleicht. Da sogar das Evidenteste in Zweifel gezogen worden ist, unterstreiche ich, dass es sich im Fall der μέγιστα γένη um γένη/εἴδη 263 oder platonische Ideen handelt. 264 Die --------------------------------------------
263 Übereinstimmung herrscht in der Forschung (z. B. Diès 1909, S. 9f., Cornford 1960, S. 276, Bluck 1975, S. 133, Ackrill 1970, S. 389) bis auf de Rijk (1986, S. 134), dass γένος und εἶδος bei Platon gleichbedeutend sind. Am Rande sei bemerkt, dass, während εἶδος „Aussicht, Gestalt“ bedeutet und den Vorrang des Erblickens unterstreicht, im γένος (= Stamm) das Werdende und Gebärende mitschwingt: mehr dazu im Etymologischen Lexikon von Chantraine. Nach Heidegger drückt γένος „ein Seiendes in seinem Sein aus, das also, was ein Seiendes als dieses jeweils schon ist“, während εἶδος die Präsenz/ Anwesenheit für ein schlichtes Hinsehen hervorkehrt, bei dem ein Seiendes erfasst werden soll (GA 19, S. 524, 573f.). 264 Pecks Versuch, das Ganze in sophistische Verwirrung zu führen, hat eher wegen seiner Provokation als wegen seiner Trefflichkeit übermäßig Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Schon zu Beginn seines Aufsatzes offenbart Peck seine Intention, den Sophistes von seiner notwendigen Verbindung zu der Metaphysik zu lösen (1952, S. 32, auch 39 mit Anm.). Seine Argumentationslinie lässt sich dabei folgendermaßen wiedergeben: Der platonische Gast argumentiert bloß ad sophistas (ebd., S. 33, Anm. 1). Abgesehen davon, dass Pecks Behauptung der bloßen Verurteilung des historischen Parmenides (ebd., S. 35ff.) durch Platon zu kurz greift (s. oben § 2.1, I.3), verfehlt er die platonische Schreib- und Denkweise, wenn er die merkwürdige These aufstellt, dass Platon nicht philosophische, sondern sophistische Argumente vorbringen muss, um den Sophisten zu widerlegen (ebd., S. 37). Durch seine flache Auslegung bestätigt Peck auf die eklatanteste Weise – ohne sich jedoch dessen bewusst zu sein – die Behauptung Sokrates’ zu Anfang des Dialogs, dass die Philosophen denjenigen auch als Sophisten erscheinen, die ihr Wesen nicht kennen. Vor der Gefahr seines Erscheinens als
126
Kapitel 2
Unterscheidung zwischen wertvolleren und weniger wertvollen Ideen ist schon in der Politeia ausgesprochen worden. In 485b6 wird nämlich der ideelle Bereich in Höheres und weniger Wertvolles dem Rang nach differenziert. 265 Der Verbund der größten Gattungen übernimmt im Sophistes die Rolle des ausgezeichneten Bandes innerhalb des ideellen Bereichs und funktioniert somit analog zu den Vokalen innerhalb des Alphabets. 266 Die superlativische Wendung (μέγιστα) könnte uns dazu verleiten, es gehe um „die höchsten platonischen Prinzipien“, 267 was durch zwei Beobachtungen bekräftigt zu werden scheint. Zum einen werden die μέγιστα γένη nicht auf noch Höheres zurückgeführt. 268 Zum anderen wird in ihrem Fall keine τί-ἐστιν-Frage gestellt, die anhand einer Unterordnung unter noch höhere Gattungen beantwortet würde, sondern der Gast fragt nach ihrer Wie-Beschaffenheit: ποῖα ἕκαστά ἐστιν (254c4). All das kann uns in die Irre führen, wenn wir Folgendes nicht berücksichtigen: Der Gast erhebt keine Ansprüche auf eine vollkommene Darstellung der platonischen Dialektik. Und was die Definition angeht, sollten wir keine Definitionen erwarten, weil keine möglich sind. Die Idee des Seienden und des Anderen sowie der anderen größten Gattungen sind keine definierbaren Ideen: Sie werden weder auf andere, noch höhere Ideen zurückgeführt, noch sind sie voneinander ableitbar. Dass die wichtigsten Gattungen trotz ihrer Bezeichnung derivativ und deswegen nicht allererste Prinzipien sind, wird aufgrund einiger Indizien im Text angedeutet. Die Ausführung über die Gemeinschaft der größten Gattungen lehrt unter anderem, dass das Sein sich nicht wie eine Gattung ausdifferenzieren lässt, in welchem Punkt Aristoteles Platon ein treuer Schüler geblieben ist. Platon stellt die Ausdifferenzierung des ideellen Seins schriftlich nicht dar, er setzt eine Vielheit der Ideen eher voraus und deutet diese vorausgesetzte Ausdifferenzierung an. Die eigene Macht der sich entfaltenden Mischung meldet sich bei der Gemeinschaft der obersten Gattungen durch das häufig angewendete Perfekt: 269 Das Band ist immer schon durch alles hindurchgegangen, die Ideen sind je schon ausgebreitet und zusammengefasst worden. Die Idee des Anderen ist je schon durch alles hindurchgegangen, immer schon zerstückelt. Die Idee des Seienden und des -------------------------------------------Verrückter warnt der Gast wieder in 242a10-13. Dass es so aussehen könnte, als argumentiere der Philosoph eristisch, hieße immer noch nicht, dass er es tatsächlich tut. Nachdem Pecks gründliches Missverständnis zum Vorschein gekommen ist, brauche ich keine weiteren Argumente gegen seine These vorzubringen, dass die fünf größten Gattungen keine echten platonischen Ideen, sondern φαντάσματα seien (ebd., S. 47 u. öfters). 265 Wie Th. A. Szlezák hervorgehoben hat: 1993, S. 73, 1996, S. 434f. 266 Moravcsik (1962, S. 49, 55) unterstreicht „the different type“ (Hervorhebung G. M.) von den Ideen Seiendes, Anderes, Selbes und ihre Priorität im Sophistes (ebd., S. 56), die sogar mit ihrem Getrenntsein verbunden ist, aber er stellt dadurch keine Verbindung zum δεσμός her. 267 Königshausen 1992, S. 365. Von einer wechselseitigen Bedingung der μέγιστα γένη ausgehend, worin ausschließlich ihre Bestimmtheit besteht, hat Königshausen sie als transzendental bezeichnet, da sie „für sich, außerhalb ihrer Ermöglichungsfunktion nicht sind; von ihrer wie immer gearteten Existenz zu sprechen macht keinen Sinn“ (ebd.), was klar über die platonische Problematik hinausgeht. Über ihren reflexiven Sinn (mittels deren Explizierbarkeit) vgl. P. Kolb 1997, S. 136, der sie als „echte Prinzipien“ charakterisiert (ebd., S. 148). 268 Angebracht dazu Cornford 1960, S. 273f. Krämer bezeichnet die größten Gattungen als Meta-Ideen, 1990, S. 108-112. 269 252a10 (τὰ ὄντα … ἑστηκότ’), 253a5 (δεσμός … κεχώρηκεν), 253d6 (μίαν ἰδέαν … διατεταμένην), d9 (πολλάς … διωρισμένας), 255e4 (τὴν θατέρου φύσιν... διεληλυθυῖαν), 257c7 (ἡ θατέρου φύσις ... φαίνεται κατακεκερματίσθαι), 258e1 (τὴν θατέρου φύσιν ... κατακεκερματισμένην), 259a6 (τό τε ὄν καὶ θάτερον... διεληλυθότε), b1 (τὸ ὄν... μετειληφός). Nach dem Ausdruck Plotins für die zweite Hypostase: πλῆθος ἀδιάκριτον καὶ αὖ διακεκριμένον (Enn. 6, 9, 5, 16).
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
127
Anderen haben einander je schon durchdrungen und haben immer schon aneinander teilgenommen. Die Ideen sind immer schon gemischt und entmischt. Diese Art von nicht in der Zeit geschehendem ontologischem „Akt“, den sich der Dialektiker zeitlich nachzuahmen und nachzuvollziehen anschickt, widerspricht der Ewigkeit des ideellen Kosmos nicht, sondern bringt seine ontologische Bedingtheit zur Sprache: Einerseits verfügt das ideelle Sein über seine eigene Macht, sich zu entfalten und zu artikulieren, andererseits weist Platon zugleich auf etwas Früheres hin, das ihn „zustande gebracht hat“. Die sich selbst konstituierende Mischung zeigt sich nicht als das Allererste oder Allerletzte der platonischen Ontologie überhaupt, sondern als Produkt von noch Ursprünglicherem, was im Dialog nicht thematisiert wird. Die Ideen des Seienden und des Anderen, auf die das Ganze hier hinausläuft, sind unauflöslich miteinander verbunden, wie es in der Passage der Zusammenfassung der Ergebnisse (258e6-259b6) durch die geäußerte „Verflüssigung“ ihrer Grenzen prägnant zur Sprache kommt: δι’ ἀλλήλων διεληλυθότε (Sph. 259a6). Die Metapher der Mischung wird ausschließlich für die ideellen Beziehungen der größten Gattungen reserviert, während methexis ein viel weiteres Feld von Beziehungen bezeichnet. 270 Anhand dieses Bildes wird die bei der „Teilhabe“ noch angedeutete Distanz zwischen dem untergeordneten Teilhabenden und dem, an dem teilgenommen wird, fast aufgehoben. Mit der unhintergehbaren Mischung des gleichrangigen Seienden und Anderen erfährt zumindest in der geschriebenen platonischen Philosophie des Sophistes die in dieser Arbeit verfolgte Übertragung der methexis ihr Ende. Nachdem ich die Deutung widerlegt habe, dass die μέγιστα γένη allerhöchste Prinzipien seien, gehe ich auf ihre Bezeichnung auf positivere Weise ein. Als Οbjekte der wichtigsten Wissenschaft der Dialektik (Πῶς γὰρ οὐκ ἐπιστήμης δεῖ, καὶ σχεδόν γε ἴσως τῆς μεγίστης; 253c4f.) werden das Seiende, die Bewegung und der Stillstand als wichtigste Gattungen bezeichnet (μέγιστα γένη); sie haben sich im bisherigen Gespräch als grundlegend manifestiert (254d4). Durch eine anschließende sprachliche Reflexion kommen noch die Idee des Selben und diejenige des Anderen hinzu (254d14-255a2). Später werden die fünf Gattungen nicht wieder als wichtigste genannt. Aber da sie alle fünf mitgezählt werden, wird vorausgesetzt, dass sie alle fünf wichtigste Gattungen sind. Dass alle fünf als wichtigste Gattungen – wenn auch nicht die einzigen wichtigsten Gattungen – bezeichnet werden, bedeutet nicht, dass sie gleichrangig sind. Dafür hätten sie alle „breiteste“ Gattungen sein müssen. Wir sehen, dass die Frage nach dem Rang nicht nur im ideellen Bereich als Ganzem legitimiert ist, sondern auch unter den wichtigsten Gattungen selbst. Wie ich oben dargelegt habe, stehen die Ideen der Bewegung und des Stillstands eher für einander ausschließende Ideenbeziehungen und nehmen deswegen nicht aneinander teil. Dennoch ist nirgends im Text die Wichtigkeit der Ideen der Bewegung und des Stillstands, die im Gespräch mit den Ideenfreunden eingeführt werden, 271 gegenüber den Ideen des Seienden, des Selben und des Anderen verringert. Ich stimme daher Peter Kolb nicht zu, dass die Bewegung und der Stillstand in die Gemeinschaft der größten Gattungen „bloß zu illustrativen Zwecken“ aufgenommen werden, um die konstitutive Funktion des Seienden, Selben und Anderen an ihnen paradigmatisch aufweisen zu können. 272 -------------------------------------------270 Insofern die Idee sich nicht mit ihren einzelnen Instanzen vermischen lässt, bleibt sie am unvermischtesten: Phl. 59c4. Zu der von Platon und Aristoteles kritisierten Lösung Eudoxos’ s. oben: § 1.1, II, Anm. 23. 271 Vgl. oben § 2.2, II für die Verbindung der Partie über die Ideenfreunde mit der Ausführung über die Gemeinschaft der größten Gattungen. 272 Nach P. Kolb 1997, S. 149.
128
Kapitel 2
Auch wenn man von der großen Wichtigkeit der Einführung der Bewegung und des Stillstands in den konkreten Zusammenhang der Ausführungen im Sophistes absieht, darf man nicht bezweifeln, dass für Platon die Auseinandersetzung mit Theorien der AllBewegung und All-Ruhe höchst bedeutsam war und dass er die Theorien von Heraklit und Parmenides konstruktiv zusammendenken wollte. Und so verlieren alle Versuche ihren Boden, die zwei Ideen der Bewegung und des Stillstands als arbiträr und weniger wichtig oder entbehrlicher als das Seiende, das Selbe und das Andere aufzuzeigen. Um unsere Folgerungen zusammenzufassen: Die fünf ausgewählten Gattungen werden μέγιστα γένη genannt, weil sie alle wichtigste Gattungen sind. Dem widerspricht nicht, dass nicht alle fünf durch alle Gattungen durchgehen, sondern nur die drei Ideen des Seienden, des Selben und des Anderen als breiteste charakterisiert werden dürfen. Sie sind auf verschiedene Weise wichtigste Gattungen. 273 Die Auswahl der wichtigsten Gattungen habe ich als kontextbezogen gedeutet. Im Sophistes ist der holistische Anspruch für die Dialektik nicht auf so starke Weise betont, wie es im Parmenides, Politikos und noch prägnanter im Philebos geschieht. Hier unterstreicht der Gast die Auswahl der größten Gattungen, ohne den notwendigen Durchgang durch alle Ideen hervorzuheben (dazu Prm. 136b-c, Plt. 285d, Phl. 18c-d). Der platonische Gast will die Verwirrung vermeiden, die entstehen würde, wenn er eine größere Anzahl von Ideen auswählen würde. Verwirrung entsteht jedoch, weil Platon nur durch diese fünf Gattungen alle möglichen ideellen Beziehungen ausdrücken will, also wieder vor dem Hintergrund des ganzen ideellen Zusammenhangs spricht. Dabei darf der Gast das Ziel der jetzigen Untersuchung (254c8), den Satz „Das Nicht-Seiende ist wirklich NichtSeiendes“ im ideellen Ganzen zu erweisen (254c8-d2), nicht aus den Augen verlieren. Die Möglichkeit unseres logos würde eliminiert, gäbe es die Verflechtung der Ideen nicht (259e1-6), was die Voraussetzung sowohl der Ausführung über die Gemeinschaft der wichtigsten Gattungen als auch der anschließenden Analyse unserer Sätze ausmacht.
--------------------------------------------
273 Bärthlein rekonstruiert die „platonische Vorgeschichte der alten Transzendentalphilosophie“. Er behauptet, dass Platon versucht, bei den μέγιστα γένη zwischen zwei Gruppen zu unterscheiden: Einerseits machen das Seiende, das Andere und das Selbe Vorläufer der Transzendentalien aus, wobei das fundamentale disjunktive Gegensatzpaar der Bewegung und der Ruhe (des Prozesses und des Prozesslosen) eher auf der Ebene der Kategorien einzuordnen sei (1966, S. 83-89; in: 1990, S. 22, ist die Rede von „Reflexionskategorien“ und entsprechend „Gegenstandskategorien“). Bärthleins Unternehmen findet aber keinen klaren Hinweis im Text. Er zieht daher folgenden Schluss: „Platon ist der Unterscheidung von Transzendentalien und Kategorien auf der Spur. Freilich tut er selbst viel, um diesen Unterschied wieder zu verwischen.“ (1966, S. 88f.) Bärthlein führt die „Nivellierung der so unterschiedlichen, [so von ihm postulierten] gar nicht gleichrangigen ‚obersten Gattungen’“ auf das unzureichende, irreführende Teilhabeverhältnis zurück. Auf ähnliche Weise spricht Derbolav 1965, S. 184df. vom Charakter der μέγιστα γένη, der nach der eigentlichen Intention Platons auf die späteren Transzendentalien vorausweist, obgleich die μέγιστα γένη schon in der mittleren Akademie (Albinus) mit den aristotelischen Kategorien zusammengedacht wurden. Übereinstimmend in einem Auseinanderhalten von Bewegung und Stillstand als Kategorien einerseits und den drei übrigen μέγιστα γένη als überkategorial andererseits: Meinhardt 1968, S. 33, 50, P. Kolb 1997, S. 149. Bedenken gegen die Bezeichnung „Kategorien“ äußert zurecht Cornford (1960, S. 277f.), da Aristoteles dem Seienden eine andersartige Allgemeinheit beimisst, während er die Bewegung und den Stillstand nie als Kategorien gedacht hat. Weil sich das Selbe und das Andere von allem prädizieren lässt, wären sie nach Aristoteles keine Kategorien.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes b.
129
Erster Argumentationsgang (255a4-e7): Die Unterscheidung der fünf größten Gattungen voneinander. Endergebnis: Die Idee des Anderen ist (Seiendes)
Was in dem ersten Argumentationsgang unter Beweis steht, ist die Anzahl der größten Gattungen. Sind sie insgesamt fünf der Zahl nach oder fällt vielleicht eine von beiden (die Idee des Selben und des Anderen) oder fallen beide mit einer anderen oder mit anderen der drei ersten zusammen? Dass die drei Ideen der Bewegung, des Stillstands und des Seienden distinkt voneinander sind, ist bereits klar (254d12). Es gilt die folgenden negativen Sätze als wahr zu beweisen: 1a. Das Selbe ist nicht die Bewegung. 1b. Das Selbe ist nicht der Stillstand. 1c. Das Selbe ist nicht das Seiende. 2a. Das Andere ist nicht die Bewegung. 2b. Das Andere ist nicht der Stillstand. 2c. Das Andere ist nicht das Seiende. Alle diese Sätze drücken die Negation der Identität der größten Gattungen aus. Im Fall einer Negation der Prädikation hätten die Prädikate als Adjektiv ausgedrückt werden können. In den oben formulierten Sätzen ist aber das Prädikat immer als Substantiv zu denken. Sowohl Subjekt als auch Prädikat sind die genannten Ideen selbst und nicht ihre Ideata, also nicht Ideen, die darunter fallen. Wie führt der Gast seine Agenda durch? i.
Nicht-Identität von der Idee der Bewegung und des Stillstands einerseits und des Anderen und des Selben andererseits ΞΕ. Ἀλλ’ οὔ τι μὴν κίνησίς γε καὶ στάσις οὔθ’ ἕτερον οὔτε ταὐτόν ἐστι. ΘΕΑΙ. Πώς; ΞΕ. Ὅτιπερ ἂν κοινῇ προσείπωμεν κίνησιν καὶ στάσιν, τοῦτο οὐδέτερον αὐτοῖν οἷόν τε εἶναι. ΘΕΑΙ. Τί δή; ΞΕ. Κίνησίς τε στήσεται καὶ στάσις αὖ κινηθήσεται· περὶ γὰρ ἀμφότερα θάτερον ὁποτεροῦν γιγνόμενον αὐτοῖν ἀναγκάσει μεταβάλλειν αὖ θάτερον ἐπὶ τοὐναντίον τῆς αὑτοῦ 255b φύσεως, ἅτε μετασχὸν τοῦ έναντίου. ΘΕΑΙ. Κομιδῇ γε. ΞΕ. Μετέχετον μὴν ἄμφω ταὐτοῦ καὶ θατέρου. ΘΕΑΙ. Ναί. ΞΕ. Μὴ τοίνυν λέγωμεν κίνησίν γ’ εἶναι ταὐτὸν ἢ θάτερον, μηδ’ αὖ στάσιν. ΘΕΑΙ. Μὴ γάρ. GAST: Aber die Bewegung und der Stillstand sind keinesfalls das Andere noch das Selbe. THE: Wie so? GAST: Dieses kann keines von beiden sein, was wir gemeinsam der Bewegung und dem Stillstand zusprechen. THE: Warum denn?
130
Kapitel 2 GAST: Die Bewegung wird stillstehen und der Stillstand wird sich wiederum bewegen; denn, wenn irgendeines von beiden beiden zukommt, wird es wiederum das Andere zwingen, sich in den Gegensatz seiner Natur zu verwandeln, weil es am Gegenteil teilgenommenen hätte. THE: Offenbar. GAST: Aber sie haben beide am Selben und Anderen teil. THE: Ja. GAST: Lasst uns nun weder sagen, die Bewegung sei das Selbe oder das Andere, noch wiederum der Stillstand [sei das Selbe oder das Andere]. THE: Freilich nicht.
In diesem Teil will der Gast die Wahrheit der Aussagen (1a), (1b), (2a) und (2b) aufzeigen. Wir haben vier Elemente: A steht für die Bewegung. B steht für den Stillstand. C und D stehen für das Selbe und das Andere. Welche sind die Prämissen des Gastes? (1) A und B machen einen konträren Gegensatz aus. (2) A und B haben sowohl an C als auch an D teil (255b3). Wenn beide (1) und (2) wahr sind, sollten wir die Identitäts-Sätze ‚A ist C’, ‚A ist D’, ‚B ist C’ und ‚B ist D’ als falsch beweisen. Würde der Gast die Bedeutung des Verbes ἔστι problematisieren, wäre das „ἐστι“ und „εἶναι“ (in 255a5 und 255b5) als „ist identisch mit“ zu verstehen. Der Gast problematisiert aber nicht die Bedeutung des Verbes ἔστι, 274 sondern will beweisen, dass die Ideen(gehalte) nicht zusammenfallen (vgl. ἕν τι, 255b8 und äἓν εἶναι, 255c3). Die zu Anfang formulierten Aussagen (1a), (1b), (2a) und (2b) müssen als wahr bewiesen werden. Erinnern wir uns daran, dass die größte Gefahr für die Pluralisten nicht die Entartung ihres Dualismus in Trialismus und noch weitere Arten des Pluralismus war, sondern das Zusammenfallen der angenommenen Elemente der Realität in einen Monismus (243d6-b4). Diese Gefahr des Rückfalls in den parmenideischen Monismus wird hier durch die Annahme des konträren Gegensatzes zwischen A und B vermieden. Man könnte wegen der ersten zwei Argumente (bis 255c7) veranlasst werden zu denken, dieser Gegensatz sei als konträr eingeführt worden, damit die ideelle Vielheit nicht vom eleatischen Monismus bedroht wird. Auf diese Weise hätten wir einen weiteren Grund für einen konträren Gegensatz hinzugefügt, jetzt unabhängig davon, dass es um den Gegensatz zwischen der Bewegung und dem Stillstand geht. Wenn wir aber die Partie 255a4-255e7 betrachten, wird klar, dass man die Vielheit des ideellen Bereichs nicht ausschließlich aufgrund des konträren Gegensatzes zwischen der Bewegung und dem Stillstand rettet oder, besser gesagt, voraussetzt. Im letzten Argument über die NichtIdentität zwischen dem Seienden und dem Anderen (255b8-e7) werden wir den konträren Gegensatz zwischen der Bewegung und dem Stillstand nicht brauchen. Das Seiende und das Andere erweisen sich als zwei verschiedene Ideen. --------------------------------------------
274 Wenn der Gast auf das Verb ἔστι hätte fokussieren wollen, hätte er auch die Sätze in 255a10 mithilfe des ἔστι formuliert. Hätte er das gewollt, hätte er sagen können: Die Bewegung wird stillstehend sein und der Stillstand wird bewegt sein (vgl. später 256b5f). In 255a10 drückt der Gast keine Identität, sondern Prädikation oder methexis der konträren Gegensätze aneinander aus. Er hätte das Selbe aussagen können, wenn auch nicht eindeutig: „Die Bewegung wird der Stillstand sein“ und „Der Stillstand wird die Bewegung sein“. Die letzteren Sätze können sowohl Identität als auch Prädikation äußern, wobei sich die Identität in 255a10 leicht ausschließen lässt: Von der NichtIdentität zwischen Bewegung und Stillstand wird ausgegangen, die zusammen mit dem Seienden drei Gattungen ausmachen. Wie unten aufgezeigt wird, scheint Platon die Sätze „Die Bewegung ist der Stillstand“ und „Die Bewegung ist stillstehend“ auf konsistente Weise zu benutzen.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
131
Kehren wir nach dieser Überlegung zu unserem Beweis zurück. Wenn wir den einander konträr entgegengesetzten Ideen etwas Gemeinsames prädizieren, kann dieses nicht mit einer von beiden identisch sein (255a7f.: wieder ist εἶναι als „identisch sein mit“ zu verstehen). Die Frage, warum zu einer Prädikation der Bewegung vom Stillstand oder umgekehrt kommt (255a10), was unsere erste Prämisse (1) widerlegt, beantwortet der
Gast in den obskuren Zeilen 255a11-b1. Es wird sich zeigen, so meine These, dass Platon an dieser Stelle die Selbst-Prädikation voraussetzt. 275 Es gelten die zwei Prämissen: (1) A und B sind konträr. (2) A und B haben sowohl an C als auch an D teil. Wenn man den Satz hinzufügt: (3) A = C so erhält man, so der Gast, einen Widerspruch zu (1). Und da (1) und (2) unaufgebbar sind, muss (3) als falsch aufgegeben werden. Wenn wir die Bewegung mit dem Selben gleichsetzen, dann wird die Bewegung als das Selbe (3) von beiden, Bewegung und Stillstand, prädiziert (weil A und B an C teilhaben). Es ergibt sich dann: (4´) Die Bewegung hat an der Bewegung teil. Oder: (4) Die Bewegung ist bewegt. (5) Der Stillstand hat an der Bewegung teil. Oder: Der Stillstand ist bewegt. Nach 255a11 ergeben sich (4) and (5). (4´) kann nur falsch sein, weil eine Voraussetzung für die Teilhabe die Andersheit ist. Eine Idee ist im Sophistes nicht anders als sie selbst, um an sich selbst teilzunehmen, sondern bleibt mit sich selbst identisch. (4) wird überhaupt nicht als problematisch charakterisiert, woraus ich schließe, dass die Selbstprädikation hier und im Sophistes überhaupt vorausgesetzt wird (vgl. auch 258b10c3). Was einen Widerspruch zu (1) hervorruft, ist (5). Die Bewegung, die mit dem Selben identifiziert wird, verwandelt ihren Gegensatz, d. h. den Stillstand, in seinen Gegensatz, d. h. Bewegung, was aber im Sophistes unmöglich ist. 276 Indem der Stillstand an seinem Gegenteil teilnimmt (5), verwandelt er sich in sein Gegenteil. Ich betrachte als problematisch in diesem Argument nichts anderes als die verwirrende Formulierung, die verschiedene Ausdrücke für die Prädikation einführt, nämlich in 255a10, a11 und b1. Wir haben den Satz ‚A ist C’ als falsch bewiesen. Auf ähnliche Weise kann man zeigen, dass auch die Aussagen ‚A ist D’, ‚B ist C’ und ‚B ist D’ falsch sind. Ich stimme mit Heinaman (1981) überein, dass Platon im Sophistes die Selbstprädikation voraussetzt, ebenso mit seiner Kritik an Vlastos und M. Frede. Allerdings weiche ich von seiner These ab, dass die Nicht-Prädizierbarkeit der Bewegung und des Stillstands voneinander aufgrund der geltenden Selbstprädikation zustande kommt. Die Aussage „Die Bewegung ist nicht stillstehend“ ist nicht wegen der Selbstprädikation falsch, sondern Prädikation und Verbindung überhaupt werden damit verneint. Wenn wir die Verneinung der Prädizierbarkeit der Bewegung und des Stillstands so erklären, müssen wir auch zu der Nicht-Prädizierbarkeit des Selben und des Anderen verpflichtet sein. Das --------------------------------------------
275 Im Anschluss an Bluck 1957, S. 186, Anm. 17, G. Striker 1970, S. 37, Guthrie 19783, V, S. 43, Anm. 1, Runciman 1962, S. 80, 95, 102, Heinaman 1981, finde ich die Selbst-Prädikation im Sophistes. 276 Anders als van Eck 2000, S. 65f. empfinde ich diesen Teil des Arguments nicht als „a marginal slip“. Platon ist durchaus bereit, eine Kontrarität zwischen der Bewegung und dem Stillstand zu wahren, was nicht der Fall ist, wenn man das Verhältnis zwischen dem Selben und dem Anderen berücksichtigt.
132
Kapitel 2
stimmt aber nicht, was Heinaman zugesteht. 277 Die letzteren Ideen haben dennoch aneinander teil (256a7f.), obgleich die Selbstprädikation auch für sie gelten muss. 259d2-7 bietet meines Erachtens keinen Beleg für eine Kontrarität des Selben und des Anderen, wie Heinaman es sieht. 278 Wir sollten in diesem Satz, der sich auf das eristische Gerede bezieht, keine Anwendung der wissenschaftlichen Terminologie erwarten oder erzwingen. „Ἐναντία“ mag bedeuten, was die Vielen als „Gegensätze“ um ihrer sophistischen Argumente willen ansprechen, ohne genaue Hinsichten zu unterscheiden. Dass das Selbe sich in gewisser Hinsicht vom Anderen prädizieren lässt sowie umgekehrt, ist schon im vorherigen Satz klar gemacht worden (Sph. 259b7-d2). ii.
Nicht-Identität der Idee des Seienden und des Selben ΞΕ. Ἀλλ’ ἆρα τὸ ὂν καὶ τὸ ταὐτὸν ὡς ἕν τι διανοητέον ἡμῖν; ΘΕΑΙ. Ἴσως. ΞΕ. Ἀλλ’ εἰ τὸ ὂν καὶ τὸ ταὐτὸν μηδὲν διάφορον σημαίνετον, κίνησιν αὖ πάλιν καὶ στάσιν ἀμφότερα εἶναι λέγοντες 255c ἀμφότερα οὕτως αὐτὰ ταυτὸν ὡς ὄντα προσεροῦμεν. ΘΕΑΙ. Ἀλλὰ μὴν τοῦτό γε ἀδύνατον. ΞΕ. Ἀδύνατον ἄρα ταὐτὸν καὶ τὸ ὂν ἓν εἶναι. ΘΕΑΙ. Σχεδόν. ΞΕ. Τέταρτον δὴ πρὸς τοῖς τρισὶν εἴδεσιν τὸ ταὐτὸν τιθῶμεν; ΘΕΑΙ. Πάνυ μὲν οὖν. GAST: Aber vielleicht müssen wir das Seiende und das Selbe als etwas Eines erfassen? THE: Vielleicht. GAST: Aber wenn das Seiende und das Selbe nichts Verschiedenes bezeichnen würden, und wenn wir wiederum sagen, dass beides die Bewegung und der Stillstand sind, dann werden wir diese beiden [Gattungen] als das Selbe ansprechen, weil sie Seindes sind. THE: Aber dies ist wohl unmöglich. GAST: Daher ist es unmöglich, dass das Selbe und das Seiende eines sind. THE: Beinahe. GAST: Lasst uns denn das Selbe zu den drei Gattungen annehmen? THE: Allerdings.
Hier möchte der Gast beweisen, dass die Aussage (1c) wahr ist: Das Selbe ist nicht das Seiende. (1) Die Bewegung ist (254d10; 255b12). (2) Der Stillstand ist (254d10; 255b12). Die zwei Aussagen lassen sich so formulieren: (1´) Die Bewegung ist Seiendes. (2´) Der Stillstand ist Seiendes. Dass diese Umformulierung stimmt, entnehmen wir dem Folgenden (255c1): Wenn wir den Satz (3) hinzufügen würden: (3) Das Seiende ist das Selbe, -------------------------------------------277 278
Heinaman 1981, S. 63f., Anm. 2. Ebd.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
133
dann würden wir beide, Bewegung und Stillstand, ansprechen als ob sie das Selbe wären. Das heißt, wir wären imstande, das Seiende in (1´) und (2´) durch das Selbe zu ersetzen: (4) Die Bewegung ist das Selbe. (5) Der Stillstand ist das Selbe. Das ist aber unmöglich, weil die Bewegung und der Stillstand das Selbe wären, d. h. ihre Ideengehalte zusammenfallen würden. Wir müssen bei der Formulierung von (4) und (5) aufpassen. Es geht um Identitätssätze und nicht um Prädikation oder Teilhabe. Hier spielt es keine Rolle, dass das Prädikat „das Selbe“ ein relativer Begriff ist. Der Beweis würde auch dann gelten, wenn das Selbe kein relativer Begriff wäre. 279 iii. Nicht-Identität der Idee des Seienden und des Anderen ΞΕ. Τί δέ; τὸ θάτερον ἆρα ἡμῖν λεκτέον πέμπτον; ἢ τοῦτο καὶ τὸ ὂν ὡς δύ’ ἄττα ὀνόματα ἐφ’ ἑνὶ γένει διανοεῖσθαι δεῖ; ΘΕΑΙ. Ταχ’ ἄν. ΞΕ. Ἁλλ’ οἶμαί σε συγχωρεῖν τῶν ὄντων τὰ μὲν αὐτὰ καθ’ αὑτά, τὰ δὲ πρὸς ἄλλα ἀεὶ λέγεσθαι. ΘΕΑΙ. Τί δ’ οὔ; 255d ΞΕ. Τὸ δέ γ’ ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον· ἦ γάρ; ΘΕΑΙ. Οὕτως. ΞΕ. Οὐκ ἄν, εἴ γε τὸ ὂν καὶ τὸ θάτερον μὴ πάμπολυ διεφερέτην· ἀλλ’ εἴπερ θάτερον ἀμφοῖν μετεῖχε τοῖν εἰδοῖν ὥσπερ τὸ ὄν, ἦν ἄν ποτέ τι καὶ τῶν ἑτέρων ἕτερον οὐ πρὸς ἕτερον· νῦν δὲ ἀτεχνῶς ἡμῖν ὅτιπερ ἂν ἕτερον ᾖ, συμβέβηκεν ἐξ ἀνάγκης ἑτέρου τοῦτο ὅπερ ἐστὶν εἶναι. ΘΕΑΙ. Λέγεις καθάπερ ἔχει. GAST: Wie denn? Müssen wir vielleicht sagen, dass das Andere das Fünfte sei? Oder müssen wir dieses und das Seiende als irgend zwei Namen für eine Gattung durchdenken? THE: Vielleicht. GAST: Aber ich glaube, du stimmst darin überein, dass sich einiges vom Seienden an sich, anderes in Bezug auf anderes immer aussagen lässt. THE: Wie denn nicht? GAST: Das Andere wohl immer in Bezug auf anderes; nicht wahr? THE: So ist es. THE: Nicht [i. e. Es wäre nicht der Fall], wenn sich das Seiende und das Andere nicht sehr viel voneinander unterscheiden ließen. Aber wenn das Andere an beiden Gestalten/ Typen teilhätte wie das Seiende, dann gäbe es mal auch etwas anderes als die anderen (Dinge), aber nicht in Bezug auf anderes; es hat sich nun auf einfache Weise ergeben, dass, was anderes ist, notwendigerweise das ist, was es ist. THE: Du sprichst so, wie es sich verhält. Zur vollkommenen Durchführung der Beweise brauchen wir noch den Beweis für die Aussage (3c): Das Andere ist nicht das Seiende. -------------------------------------------279
loc.
In Übereinstimmung mit Cornford 1960, S. 281 und gegen die zu starke Kritik Campbells ad
134
Kapitel 2
Es ist immer wieder bemerkenswert, auf welch unauffällige Weise Termini von grundlegender Bedeutung in einen platonischen Dialog eintreten. Hier geht es um die Unterscheidung zwischen αὐτὰ καθ’ αὑτά und τὰ πρὸς ἄλλα, die schon zu Beginn des Dialogs vorkommt, wenn auch dort nicht terminologisch geprägt, wenn Sokrates dem Gast zwei gleichberechtigte Darstellungsweisen vorschlägt: Entweder sollte er eine längere Rede über das ausgewählte Thema halten oder einen Dialog führen: τὸ πρὸς ἄλλον bezeichnet die dialogische Wendung an den anderen, τὸ καθ’ ἑαυτόν bedeutet das monologische Reden (217d1f.). Nach der Darstellung der Natur der Aussage wird die Übereinstimmung erreicht, dass sogar dem schweigsamen Denken als Monolog ein Dialog der Seele mit sich selbst zugrunde liegt. Der Monolog, der im Inneren geschieht oder sich veräußerlicht, ist letztendlich auf einen Dialog zurückzuführen (διάνοια als ὁ ἐντὸς τῆς ψυχῆς πρὸς αὑτὴν διάλογος ἄνευ φωνῆς γιγνόμενος, 263e3-5). 280 So ist auf die Verbindung zwischen monologischer und dialogischer Darstellungsweise einerseits und der späteren terminologischen Unterscheidung zwischen καθ’ αὐτά und πρὸς ἄλλα λέγεσθαι in 255d12f. andererseits aufmerksam gemacht geworden. 281 Die gemeinsame Basis für diese Verbindung ist der logos. Platon bringt die logos-Struktur zur Sprache, die die ideelle Gemeinschaft prägt, noch bevor der Dialektiker seine Aussagen über die ideelle Gemeinschaft der größten Gattungen artikuliert. Eindeutige Hinweise dafür bieten die relevanten Ausdrücke über ideelle Beziehungen: περί/κατά + Akkusativ oder ἐπί+Genitiv + εἶναι/γίγνεσθαι sowie das Schwanken zwischen λέγεσθαι und εἶναι, das in 255c12-d7 geschieht, sind bemerkenswert. Seinsweise der Ideen und Aussagen über sie sind in diesem Abschnitt innig verbunden, was besonders denjenigen Interpreten Schwierigkeiten bereitet, die die semantische und die ontologische Ebene (λέγειν und εἶναι) um jeden Preis auseinanderhalten möchten. 282 Platon möchte damit implizieren, dass unsere Diskursivität dem ideellen Sein nicht bloß nachträglich oder äußerlich hinzukommt. Der Dialektiker bringt eher die innere vermittelte Artikulation der größten Gattungen zur Sprache und veräußerlicht ihren inneren Dialog. Diesen ewigen Dialog der größten Gattungen entfaltet der Dialektiker in seiner jeweiligen Untersuchung. 283 --------------------------------------------
280 Trotz des Primats des dialogischen Moments sind monologische sowie dialogische Passagen im Corpus gleichberechtigt. Durch die gezogene Verbindung will ich nicht die weitere Folgerung ziehen, dass καθ’ ἑαυτόν dem πρὸς ἑαυτόν entspräche. Man muss die zwei Ebenen der Darstellungsweise einerseits und der späteren ontologischen Unterscheidung andererseits auseinanderhalten. Die λόγος-Struktur bleibt der gemeinsame Nenner. 281 Obwohl Platon den gleichen Ausdruck sowohl in 217d1f. als auch in 255c12f. anwendet, bin ich in keinem Kommentar auf diese Verbindung gestoßen. Bevor wir andere platonische Dialoge oder darüber hinaus Aristoteles in Betracht ziehen, sollten wir die Ganzheit des untersuchten Dialoges berücksichtigen. 282 Lange bevor die modernen Interpreten die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen „prädiziert werden“ und „sein“ in 255c12-d7 problematisiert haben (z. B. de Rijk 1986, S. 151, Anm. 9), haben die antiken Kommentatoren der aristotelischen Kategorienlehre darüber debattiert. Simplikios (in Arist. Categ. 159.12-22) erwähnt Boethos als einen Kommentator der aristotelischen Kategorien, der auch Sph. 255d6f. um der zweiten Definition des Relativen willen (Cat. 8a31f.) herangezogen hat. Dennoch wurde im Allgemeinen die erste aristotelische Definition (6a36f.) vorgezogen, weil sie die Prädikation des Relativen und nicht sein Sein anspricht. Richtig über die Untrennbarkeit der Ontologie von der Semantik bei der aristotelischen Problematik des Relativen Sedley 2002. 283 Die Tatsache der Anerkennung des Primats des Dialoges zwingt uns nicht zu seiner Hypostasierung als sechster Gattung. Mojsisch versucht seinerseits den Dialog in das Geflecht der größten Gattungen einzubinden; er zeichnet den Dialog als die sechste größte Gattung aus und expliziert seine Verbindung mit den anderen wichtigsten Gattungen. Auch wenn der Interpret keine bloße schematische Ergänzung der platonischen Theorie der Gemeinschaft bezweckt (1999, S. 42), kann deren inhaltlich tieferes Verständnis nicht auf der Basis einer ontischen Hypostasierung des Dialogs
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
135
Der Gast teilt das Seiende in Seiendes, das sich als „an sich und für sich“ aussagen lässt und Seiendes, das sich immer als „in Bezug auf anderes“ aussagen lässt. Die kategoriale Einteilung zwischen Relativem und Nicht-Relativem, die in 255c12f. vorkommt, fällt aus heiterem Himmel. Was können wir damit anfangen? Wir behandeln in diesem Teil des Dialogs innerideelle Beziehungen. Daher sollten sich in diesem Kontext diese zwei Weisen des Aussagens, die εἴδη genannt werden (255d4) und die wir als Gestalten/Typen übersetzt haben, auf Ideen beziehen. Dass auch von Teilhabe an diesen εἴδη die Rede ist, sollte uns nicht in die Irre führen. Es geht nicht um platonische Ideen, weil weder εἶδος noch μετέχειν immer terminologisch angewendet werden. 284 Dennoch betrifft diese Unterscheidung die Gesamtheit der Gegenstände überhaupt und nicht nur die Ideen. Es geht um eine kategoriale Distinktion. Zwei Fragen sind hier von Relevanz: Zunächst, ob die zwei Kategorien das Ganze des Seienden erschöpfen. Außerdem sollten wir die Frage beantworten, ob die Aussageweisen des „an sich“ und des „in Bezug auf anderes“ einander ausschließen. Beides, was „an sich“ und „in Bezug auf anderes“ ist, ist Seiendes, aber damit ist noch nicht geklärt, ob die zwei Kategorien eine konträre Entgegensetzung wie diejenige zwischen der Bewegung und dem Stillstand ausmachen. Wenn es so ist, darf kein Seiendes „an sich“ zugleich als Seiendes „in Bezug auf anderes“ ausgesagt werden und umgekehrt. Den Zeilen 255c12f. können wir schon entnehmen, dass es eher um eine vollständige Disjunktion „entweder-oder“ (μέν-δέ) geht, auch wenn die Möglichkeit einer weiteren Ausdifferenzierung innerhalb des „in Bezug auf anderes“ nicht ausgeschlossen werden darf, die im Text nicht vollzogen wird. Das Andere ist immer anderes als etwas anderes (255c12f.). Um welches Andere geht es hier? Dass Platon es nicht eindeutig macht heißt, dass die Aussage sich auf alles, was anderes ist, bezieht, sei es die Idee des Anderen oder was an der Idee des Anderen teilhat. Das zweite darf nicht wahrnehmbares Einzelnes sein. Wie oben gesagt, geht es in der Gemeinschaft der größten Gattungen um Ideen. Das Seiende unterscheidet sich vom Anderen, weil es an den beiden Weisen des Seins und des Aussagens teilhat (255d3-5). Es gibt nämlich Seiendes, das sich „an sich“ aussagen lässt sowie Seiendes, das sich „in Bezug auf anderes“ aussagen lässt. Der Gast spricht in 255d5 und d7 vom Sein des Anderen, wobei er kurz davor das Aussagen des Seienden angesprochen hatte (λέγεσθαι, 255c13). Gehen wir auf die Bedeutung der gezogenen Unterscheidung zwischen Seiendem „an sich“ und Seiendem „in Bezug auf anderes“ ein: Die Ideen, die sich als Seiendes „an sich“ aussagen lassen, sind gleichzeitig qua Seiendes andere als die anderen Ideen, weil die Idee des Anderen durch alle Ideen hindurchgeht. In dieser Hinsicht sind auch diese Ideen anderes „in Bezug auf anderes“. Ein absoluter Begriff ist gleichzeitig qua Idee ein anderes. Dennoch sind Ideen wie Mensch, Pferd oder Wissenschaft in ihrer eigenen Na-------------------------------------------als sechster größten Gattung erworben werden, sondern nur durch das Aufzeigen des Unhintergehbaren des Dialogischen im Fall der Gemeinschaft der größten Gattungen und ihrer notwendigen wechselseitigen Aufeinanderbezogenheit. Bei dem Unternehmen von Mojsisch – fürchte ich – bleibt der Dialog selber unterbelichtet, auch wenn seine Darstellung der Gemeinschaft der größten Gattungen trotzdem aufschlussreich ist. Sein Schluss, dass Platon die Begründung der Möglichkeit der Gemeinschaft in seiner Philosophie nicht thematisiert hat, kann durch einen Übergang auf die Ebene der platonischen Prinzipien modifiziert werden: In seiner schriftlichen Philosophie blieb sie unthematisiert. In § 2.2, II wurde demonstriert, wie die Mischung als Prinzip ins Gespräch eingeführt wird, während sie sich jetzt als sich selbst in Bewegung setzend, aber nicht als Allerletztes gezeigt hat. 284 Deswegen hat Cornford nicht Recht, wenn er meint, μετέχειν sei hier als eine symmetrische Relation zu rekonstruieren, 1960, S. 281, Anm. 2.
136
Kapitel 2
tur entweder an sich oder in Bezug auf anderes, also relativ. Wie später noch zu zeigen ist, ist nicht nur jedes Seiende ein anderes, 285 sondern auch jedes andere ein Seiendes. 286 Das könnte Probleme für das jetzige Argument bereiten, wenn das Seiende gleichzeitig und in derselben Hinsicht „an sich“ und „in Bezug auf anderes“ sein und ausgesagt werden müsste. Dann würde es nämlich anderes geben, das „an sich“ wäre, und dies ist unmöglich (nach 255d1 und 255d5f.). Wir wären daher berechtigt, den Schluss zu ziehen, dass das Seiende beides („an sich“ und „in Bezug auf anderes“) sein kann, aber nicht beides zugleich oder in derselben Hinsicht. So ist z. B. die Idee des Menschen kein relativer Begriff. Wenn man sie jedoch in ihrer Andersheit zu anderen Ideen untersucht, ist sie eine andere als die anderen Ideen, also doch in Bezug auf anderes. Sie ist – unter anderem – nicht-Seiendes, indem sie ein anderes als die Idee des Seienden ist. Im Gegensatz dazu ist der relative Begriff der Wissenschaft nicht „an sich“, sondern immer in Bezug auf sein jeweiliges Objekt. Der Begriff der Wissenschaft ist Seiendes, wie jede Idee. In diesem Fall geht es aber um ein Seiendes, das nur „in Bezug auf anderes“ sein Sein hat. Was im letzten Abschnitt durch Argumente aufgezeigt wurde, ist wahr; dennoch darf man bei dem jetzigen Beweis nicht Späteres bereits voraussetzen, um das Argument zu verstehen. Hier beweist der Gast die numerische Verschiedenheit der Idee des Seienden und der Idee des Anderen aufgrund der Verschiedenheit dessen, was an der Idee des Seienden und dessen, was an der Idee des Anderen teilhat. Was von großem Belang ist, lässt sich auch unmittelbar bestätigen: In 255e3-6 begründet der Gast das Hindurchgehen der Idee des Anderen durch alle Ideen dadurch, dass jedes ein anderes ist, weil es an der Idee des Anderen teilhat (γάρ, 255e4). Wir werden noch öfter von dem, was an der Idee teilnimmt, zu der Natur der Idee gelangen; so auch in 256e5-257a6: Da jedes Seiende auf unzählige Weise anderes ist, ist auch die Idee des Seienden anderes. Darüber hinaus wird nicht bewiesen, dass die Teile der Idee des Anderen seiend sind, weil die Idee des Anderen seiend ist, wie schon in 255d9-e1 vorliegt. Der Gast wird um des Beweises willen auf die Natur der Teile, die an der Idee des Anderen teilnehmen, eingehen. Das Andere fällt nicht mit dem Seienden zusammen, sondern ist, um es auf extensionale Weise auszudrücken, eine Klasse des Seienden, und zwar eine Unterklasse des Seienden in Bezug auf anderes. Was anderes ist, ist Seiendes, nämlich Seiendes in Bezug auf anderes. Aber nicht alles Seiende ist diesem Argument gemäß anderes, nach dem das Seiende einen weiteren Umfang als das Andere hat. Das jeweilige andere ist nicht Seiendes „an sich“, weil es in diesem Fall nicht in Bezug auf anderes wäre. Das bestätigt, was wir am Anfang bemerkt haben, dass „an sich“ und „in Bezug auf anderes“ einander ausschließen. Anders als sich im Folgenden im Fall der Ideen des Seienden und des Anderen zeigen wird, nämlich dass sie die gleiche Extension besitzen, sind das Seiende und das Andere hier nicht koextensive Begriffe. Dieses Seiende und dieses Andere gehen nicht durcheinander hindurch, was am Besten beweist, dass das hier angesprochene Andere nicht die bloße Relationalität der Ideen bedeutet. Πρὸς ἄλλα bedeutet nicht die bloße Relationalität der Ideen untereinander, sondern die Relativität gewisser Begriffe. 287 Sol-------------------------------------------285
Dies ist noch in 256e-257a zu demonstrieren. Das wird noch in 257c5-258c5 bewiesen. 287 Man darf die Unterscheidung αὐτὰ καθ’ ἑαυτά und πρὸς ἄλλα im Sophistes und die zwischen πρὸς αὑτά und πρὸς ἄλληλα im Parmenides nicht ohne Weiteres identifizieren. Dabei teile ich die Bedenken von Brown (2008, 2, S. 4). Die Forschung hat die Ergebnisse von M. Fredes Arbeit im Sophistes auf fruchtbare Weise auf den Parmenides angewendet. Dennoch muss man im Blick haben, dass es bei der Unterscheidung des Parmenides darum geht, dass der Dialektiker die Konsequenzen seiner Hypothesen untersucht: in Bezug auf den Begriff in der Hypothese und in Bezug auf die anderen in sich selbst und in Bezug aufeinander. Hier geht es nicht um die kategoriale Unterschei286
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
137
che tauchen in der Politeia und im Parmenides sowie im Philebos auf; 288 darunter fallen der Begriff des Herrschers und des Sklaven, der Begriff des Größeren gegenüber dem Kleineren sowie des Schnelleren gegenüber dem Langsameren, das Doppelte gegenüber der Hälfte sowie der Begriff der Wissenschaft. 289 Im Sophistes lässt sich die Idee der Andersheit und alles, was an ihr teilhat, hinzufügen. 290 Die Zweiteilung in absolute und relative Begriffe ist platonisches Gut, das Xenokrates übernommen hat und alle hellenistischen Schulen zusammen mit der aristotelischen Kategorienlehre weiter entwickelt und umgebildet haben. 291 Der Platonist Eudoros und der Peripatetiker Andronikos arbeiteten noch sowohl mit der platonischen Zweiteilung als auch mit der aristotelischen Kategorienlehre und favorisierten keineswegs die Letztere vor der Ersteren, 292 was erst bei den späteren Kommentatoren der aristotelischen Kategorienlehre der Fall ist. Für die jetzige Untersuchung ist von Interesse, dass in der indirekten Überlieferung über den platonischen akademischen Unterricht diese zwiefache kategoriale Unterscheidung in systematischerem Licht dargestellt wird. Das geschieht in den Berichten des Simplikios (In Aristot. Phys., I9, 192a3). Simplikios teilt auf indirekte Weise (durch Porphyrios und Derkyllides) mit, dass Hermodoros in anderen Worten über Platon berichtet, dass er das Seiende einerseits „an sich“ (καθ’ αὑτά) aussagt, wie den Menschen und das Pferd, und andererseits „in Bezug auf anderes“ (πρὸς ἕτερα). Das Relative werde mit Hilfe der weiteren dihairesis in Entgegengesetztes (πρὸς ἐναντία) und Korrelatives (πρὸς τι) eingeteilt. Das Letzte werde wiederum in Bestimmtes (ὡρισμένα) und Unbestimmtes (ἀόριστα) eingeteilt. 293 Inwiefern ist dieser Bericht relevant für unseren Text? Platon spricht hier von den Begriffen καθ’ αὐτά und πρὸς ἄλλα. Das Argument für die Nicht-Identität zwischen der Idee des Seienden und der Idee des Anderen kommt nur mithilfe des engeren Konzepts der relativen Begriffe (πρὸς τι) zustande, und nicht wegen eines weiteren Verständnisses der ideellen Relationalität, wie ich argumentierte. Was gewinnt Platon dennoch durch die Wahl des Ausdrucks πρὸς ἄλλα? Wenn ich Recht habe, nicht weniger als eine erschöpfende Einteilung des Seienden. Ohne den Einbezug von konträren Begriffen wäre die Einteilung des Seienden nicht erschöpfend. Wenn Platon das Seiende in καθ’ αὐτόν und πρὸς τι eingeteilt hätte, ginge es nicht um eine erschöpfende Einteilung des Seienden, besser gesagt nicht um eine präzise Einteilung des „in Bezug auf anderes“, das keinesfalls mit dem Anderen zusammenfallen kann. Die zwei vieldiskutierten Zeilen im Sophistes zeigen sich auf diese Weise mit der erschöpfenden Einteilung kompatibel, die wir durch Hermodoros’ Bericht erfahren: πρὸς ἄλλα lässt sich hier als identisch mit πρὸς ἕτερα verstehen, was sowohl πρὸς ἐναντία als auch πρὸς τι umfasst.
-------------------------------------------dung zwischen absoluten und relativen Begriffen im Sophistes, sondern um Relationalität überhaupt, um den Bezug zu sich selbst sowie den Bezug zu anderen Ideen. 288 Die Kategorie des Relativen kommt in Th. 160b vor. 289 R. 438a7-e8, Prm. 133c8-134a2, Phl. 24a-25a. 290 Diese Relativa tauchen als Beispiele in der aristotelischen Kategorie des Relativen auf. 291 Dazu Krämer 1971, S. 75-107. Xenokrates’ kategoriale Zweiteilung und sein Umfassen der aristotelischen neun Kategorien als „πρὸς τι“ kommen in Simpikios, In Arist. Categ. 63. 21-6, vor. 292 Zu Andronikus und Eudorus s. Simplikius, In Arist. Categ. 63. 22-24 und 174. 14-16. 293 TP 31 (Gaiser). Dazu Wilpert 1949, S. 192ff. und Krämer 1959, S. 283ff., 440ff. Diese Zweiteilung wird im Bericht des Sextus Empiricus in eine Dreiteilung dadurch verwandelt, dass er den oberen Begriff des πρὸς ἕτερα nicht heranzieht. In Adv. Mathem. X 263-267 treffen wir die dreifache Einteilung in Seiendes „κατὰ διαφοράν“ oder „καθ’ ἑαυτά“, „κατ’ ἐναντίωσιν“ und „πρὸς τι“ an. (TP 31)
138
Kapitel 2
Wir stoßen jedoch nun auf folgendes Problem: Lässt sich nach Platon die Kontrarität als Andersheit fassen, wie der Bericht von Hermodoros suggeriert? Die Bewegung hat ihr Sein nicht in Bezug auf den Stillstand. Das Sein der konträren Begriffe lässt sich nicht in ihrem Bezug aufeinander aussagen; wir sprechen den Stillstand nicht als „Stillstand der Bewegung“ an. 294 Dennoch ist die Bewegung ein gänzlich anderes als der Stillstand (255e11f.). Als sein Anderes ist sie in Bezug auf den Stillstand und lässt sich in Bezug auf den Stillstand aussagen. Hermodoros’ Einteilung lässt sich mit der umfassenderen Analyse des Sophistes kompatibel machen: Wie Hermodoros τὰ πρὸς ἕτερα als einen sehr weiten Begriff fasst, der sowohl Entgegengesetztes als auch Relatives umfasst, wird der Gast in unserer Passage die Andersheit als umfassend verstehen: In jedem Fall geht es um numerische Verschiedenheit. Mal kann sie sich als konträre Entgegensetzung, mal als Relativität zeigen. Ein Beispiel für den ersten Fall ist: Die Bewegung ist anderes als das Selbe. Für den zweiten Fall wird im Quartett der größten Gattungen die Relation zwischen der Bewegung und dem Stillstand angegeben. Später kommt der Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit vor (258a4f.). Zum dritten Fall gehört nichts in diesem Kontext. Mit Hilfe des Komparativen könnten wir als einen Fall des πρὸς τι die Relation zwischen Größerem und Kleinerem (25b3f.) anführen. 295 Zusammenfassend: Was die Breite des Konzepts πρὸς ἕτερα und πρὸς ἄλλα angeht, gilt es aufzupassen. Weder sollten wir πρὸς ἄλλα als πρὸς ἄλληλα uminterpretieren, was den Begriff nur auf Fälle des Relativen beschränken würde. 296 Noch dürfen wir Platon so missverstehen, als würde er 255c12f. meinen, wie Xenokrates es deutet, der seinerseits versucht, in der zweiten Kategorie des πρὸς τι alle neun aristotelischen Kategorien gegenüber der Kategorie der Substanz unterzubringen. Noch sollten wir πρὸς ἄλλα in dem Sinne missverstehen, dass es alle möglichen ideellen Beziehungen mitumfasst, also bloße numerische Andersheit bedeutet. iv. Michael Frede: Eine überoptimistische Entschlüsselung aller Probleme auf der Basis von zwei Prädikationsweisen Ich habe mich der traditionellen Deutung der bedeutenden Stelle angeschlossen, nach der es um die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Begriffen geht. An dieser Stelle muss ich eine sehr einflussreiche, wenn auch inzwischen in gewissen Punkten kritisierte Deutung berücksichtigen. 297 Bereits durch seine Dissertation hat Michael Frede die Lage der Forschung über den Sophistes und – wie es sich später gezeigt hat – der Platon-Forschung überhaupt geprägt. In diesem Abschnitt werde ich von seiner Arbeit eher berichten als sie der Kritik unterziehen. Vor allem werde ich mich auf die Zeilen 255c12ff. beschränken, auf die ich hier fokussiere, jedoch auch den weiteren Rahmen des -------------------------------------------294
Vgl. Arist. Categ. 11b33-37. Deswegen stimme ich zu, dass man πρὸς ἄλλα nicht mit dem πρός τι identifizieren darf. In diesem Punkt bin ich mit M. Frede einer Meinung, jedoch aus anderen Gründen. Meine Interpretation lässt sich in den Rahmen der traditionellen Unterscheidung integrieren, und nicht in den der von Owen und M. Frede bevorzugten Distinktion der Bedeutungen des Verbes ἔστι. Owen unterscheidet ad loc zwischen ἔστι der Identität und ἔστι der Prädikation (in beiden Fällen geht es um vollständige Verwendung), Frede zwischen wesentlichen und akzidentellen Prädikationen. 296 Prm. 133c8. 297 Dazu z. B. Bostocks Artikel und vor allem die Ansätze von Lesley Brown und Jan Szaif. Frede hat auf der Unterscheidung zwischen wesentlicher und nicht wesentlicher Prädikation als Deutung der Stelle 255c12f. insistiert, wie sein späterer Beitrag (1992) zeigt. 295
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
139
Beitrags von Frede berücksichtigen. Einzelne kritische Punkte werden während der Interpretation des Textes folgen. Fredes Arbeit gehört zu den optimistischen Ansätzen in Bezug auf die platonischen Lösungen der im Sophistes behandelten Probleme. Ackrill hat behauptet, dass Platon im Sophistes nichts weniger als ein Vorreiter Freges ist, weil er zwischen der Bedeutung der Existenz, der Prädikation und der Identität des Verbes ἔστι unterscheidet. 298 Frede widerlegt gerade diese These, dass Platon die Bedeutung der Existenz des Verbes ἔστι unterschieden habe. Zu der gleichen Zeit hat Owen (1971) gegen die Bedeutung des Verbes ἔστι als Existenz im Sophistes argumentiert. Außerdem rückt Frede das Problem der Selbstprädikation in den Vordergrund, das zu dieser Zeit und insbesondere im angelsächsischen Raum viel diskutiert wurde. Zum Gegenstand von Fredes Arbeit gehören die Teile der positiven Partie 251a-255e über das Seiende sowie der Abschnitt 255e-259b über das Nicht-Seiende. Der Interpret hat 255c12f. als eine fundamentale Aussage hervorgehoben und dabei eine Unterscheidung zwischen zwei Weisen der Prädikation eingeführt, die durch die unvollständige Anwendung des Verbes ἔστι ausgedrückt werden: … ist … Das Sein darf nach Frede nur eine Bedeutung haben, sonst würde es mehr als eine Idee des Seienden geben. Dennoch gebe es zwei verschiedene Verwendungen des prädikativen Seins, die hier auftauchen sollen, nämlich die wesentliche und die unwesentliche. Die Prädikation „an sich“ soll nach Frede für die erste stehen, die Prädikation „in Bezug auf anderes“ für die zweite: 1. Ein Satz der Form „x ist y“ lässt die erste Verwendung von „… ist …“ erkennen („… ist1 …), wenn das Subjekt x von dem, was von x ausgesagt wird, nicht verschieden ist (Frede 1967, S. 29f.). Solche Sätze betreffen Ideen und vor allem ihre Definitionen. Ein Extremfall solcher Sätze ist die Selbstprädikation, wie in 258c1-3: „Das Große ist groß.“ „Das Schöne ist schön.“ „Das Nichtseiende ist nicht seiend.“ M. Frede offenbart seine konkrete Zielsetzung am deutlichsten, wenn er schreibt: Der Verdacht, dass es sich bei den angeführten Sätzen in 258c1-3 um die Art von Selbstprädikation handelt, die im Parmenides zu den Aporien des ersten Teils führt, beruht eben darauf, dass man nicht sieht, dass im Sophistes zwei Verwendungsweisen von „…ist x“ unterschieden werden, je nachdem ob „… ist x“ von der Form x oder einem einzelnen X ausgesagt wird, und dass diese Unterscheidung verwendet werden kann, um zwar die alten Formen wie „ὁσιότης ist ὅσιον“ beizubehalten, den Regress aber zu vermeiden. 299 Frede setzt voraus, dass Platon die paradigmatische Funktion der Ideen nach dem Parmenides und der Parmenides-Kritik nicht mehr annimmt. Daher darf man nach Frede die im Sophistes vorkommenden Selbstprädikationen nicht mithilfe der paradigmatischen Funktion der Idee verstehen. Das Vermeiden des unendlichen Regresses erreicht Platon, so Frede, durch die Unterscheidung zwischen der Prädikation „an sich“ und „in Bezug --------------------------------------------
298 Das ist die eine Linie seines einflussreichen Artikels, die vor allem bei den Späteren (Owen, M. Frede u. a.) verfochten worden ist. Die zweite These seines Aufsatzes, dass die methexis asymmetrische ideelle Beziehungen ausdrückt, wird separat behandelt, nachdem wir die ganze Passage bis 259b6 gedeutet haben (§ 2.3. III.2). 299 M. Frede 1967, S. 31.
140
Kapitel 2
auf anderes“, indem er die erste Verwendung „… ist1 …“ ausschließlich für die Idee als mögliches Subjekt reserviert. Vom einzelnen X wird erst mithilfe der zweiten Verwendung prädiziert. So hört man auf, die Idee X als ein Standard-X unter anderen X zu betrachten. In beiden Sätzen „Die Idee X ist1 x“ und „Das einzelne X ist2 x“ wird das Prädikat „x“ der gleichen Idee zugeordnet. Es geht um denselben Gegenstand, der ausgesagt wird, im ersten Fall von sich selbst, im zweiten Fall vom Einzelnen. Wir brauchen daher keinen dritten Menschen anzunehmen, der neben der Idee des Menschen und des einzelnen Menschen stehen sollte. 2. „In allen Fällen [von „a ist b“, G. M.], wo ‚b’ nicht das zum Ausdruck bringt, was notwendig zu a dazugehört, wird ‚… ist …’ in seiner zweiten Verwendung gebraucht.“ 300 Frede hebt in seiner Analyse die platonische Unterscheidung zwischen der Idee und dem, was an der Idee teilnimmt, hervor. Nicht aber auf diese Weise, dass er Sätze über die Idee nur der ersten Verwendung der Prädikation zuordnet. Das Prädikat in „… ist2 …“ wird immer einer Idee zugeordnet; das Subjekt dieser Sätze jedoch mag entweder Einzelnes oder eine Idee sein. Wenn es eine Idee ist, muss es um notwendige Prädikationen der Idee qua Idee gehen: Die Andersheit sowie die Identität, aber auch der Stillstand kommen einer Idee qua Idee von etwas zu. 301 Bei der zweiten Verwendung des Satzes „… ist x“ (… ist2 …) also dürfen laut Frede sowohl Ideen als auch Einzelnes zum Subjekt werden. Sätze über Einzeldinge umfassen wesentliche oder nicht wesentliche Prädikationen. Der Interpret hat seine überoptimistische Interpretation auf der Basis dieser Unterscheidung entfaltet, die wie ein Schlüssel für alle Probleme des Sophistes funktionieren soll. Mit einem Schlag ist er imstande, das Problem der Spätlerner und den Beweis über die Nicht-Identität des Seienden und des Anderen in unserem Passus zu deuten sowie das kommende Quartett (ab 255e8) zu interpretieren und die negativen Aussagen in verschiedene Arten einzuteilen. Dabei dürfen wir die Frage stellen, ob es dem platonischen Sinn gemäß gewesen sein mag, solche eleganten – weil kurzen und direkten – Lösungen zu geben, die auf uns als Forscher eine große Attraktivität ausüben. Der Dialog Sophistes bietet keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Einerseits versammelt Platon alle bisherigen Ontologen, Sophisten und Eristiker, auf deren Paradoxien und ernst zu nehmende Aporien die Gemeinschaft der größten Gattungen die Antwort geben soll – und meines Erachtens auch gibt. Andererseits gibt es im Dialog sehr viele Umwege, die es oft schwierig machen, ihm eine Einheit zu verleihen oder seinen (einzigen) Zweck zu erkennen. Wir mögen darin übereinstimmen, dass nach Platon Kürze und Länge immer nach dem richtigen und angemessenen Maß zu beurteilen sind, wie die Unterscheidung der zwei Messkünste im Politikos aufzeigt und wie es die dialektische Praxis in den Dialogen beweist. Das muss auch als Kriterium für die Platon-Interpretationen gelten. Was von Platon her für die Kürze einer Lösung wie Fredes spricht, sind die späteren, mathematisierenden Tendenzen Platons, der seine Über-Wissenschaft der Dialektik konstruiert und eine Theorie der Prinzipien errichtet, die alle Bereiche der Realität bestimmen. 302 -------------------------------------------300
M. Frede 1967, S. 33. Ebd., S. 33ff. 302 Wie anders kann man unter anderem Aristoteles’ Vermittlung verstehen, der im zwölften Buch seiner Metaphysik zwischen Platons Theorie und derjenigen des Speusipp zu vermitteln sucht? Der erste bietet eine – nach Aristoteles – zu knappe Theorie an, weil er dieselben Prinzipien für alle Bereiche der Realität annimmt. Sein Neffe komponiert eine schlechte Tragödie der Realität, weil er verschiedene Prinzipien für ihre jeweilige Bereiche ansetzt. 301
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
141
Es ist daher nicht ausschließlich unser – wie auch immer geprägter – Anspruch, nach kurzen und bündigen Lösungen zu suchen, sondern eher ein platonisches Desiderat. Methodologisch wäre es ausgezeichnet, wenn eine solche Interpretation dem Text treu wäre. Aber genau darin hat Frede zurecht Kritik erfahren. Von dem, was ich dargelegt habe, ist deutlich geworden, dass der Interpret das Problem der Selbstprädikation bei Platon auf eine elegante und einflussreiche Weise löst. Das Problem, auf das er fokussiert, und sein hermeneutischer Horizont setzen zur gleichen Zeit die Beschränkung seiner Interpretation. Platon zielt gemäß der Agenda seines Gastes (254b7-d2) nicht darauf, das Problem der Selbstprädikation zu lösen, was der Interpretation Fredes an sich noch kein Problem bereitet. Wir werden im Laufe des Textes aber feststellen, dass das Verstehen der „an sich“ Prädikation der größten Ideen oder ihrer Natur 303 nicht nur in selbstprädikativen Sätzen besteht. Zumindest wird ein solcher Anspruch, der sich als so wichtig für Fredes Klassifikation von verschiedenen Sätzen unter die zwei Prädikationsweisen erweist, nie im Text ausgesprochen oder belegt. Der Vorwurf, den Michael Frede gegenüber den Spätlernern erhebt, lässt sich, wie wir später sehen werden, gegenüber Michael Frede selber erheben. Er konzipiert nämlich den Inhalt der Prädikation „an sich“ sehr eng, ohne textliche Belege dafür nachweisen zu können. Im Gegenteil plädiert der Text sogar mehrmals dagegen. v.
Ergebnis: Die Idee der Andersheit als eigenständige Idee neben den anderen vier Ideen. Endergebnis: Die Idee des Anderen ist (ein Seiendes) ΞΕ. Πέμπτον δὴ τὴν θατέρου φύσιν λεκτέον ἐν τοῖς 255e εἴδεσιν οὖσαν, ἐν οἷς προαιρούμεθα. ΘΕΑΙ. Ναί. ΞΕ. Καὶ διὰ πάντων γε αὐτὴν αὐτῶν φήσομεν εἶναι διεληλυθυῖαν· ἓν ἕκαστον γὰρ ἕτερον εἶναι τῶν ἄλλων οὐ διὰ τὴν αὑτοῦ φύσιν, ἀλλὰ διὰ τὸ μετέχειν τῆς ἰδέας τῆς θατέρου. ΘΕΑΙ. Κομιδῇ μὲν οὖν. GAST: Wir müssen doch sagen, dass die Natur des Anderen unter den Gattungen ist, die wir auswählen. 304 THE: Ja. GAST: Und wir werden sagen, dass diese [Natur] durch alle diese [Gattungen] durchgegangen ist; weil jedes einzelne nicht wegen seiner Natur anderes als die anderen ist, sondern weil es an der Idee des Anderen teilhat. THE: Freilich wohl.
In allen bisherigen Argumenten hat der Gast Sätze mit Hilfe der Negation formuliert, um die Nicht-Identität der fünf Gattungen auszudrücken: A ist nicht B. In 255e4-6 sagt er zum ersten Mal aus, dass jede Idee ein anderes ist, weil sie an der Natur des Anderen teilhat. Das wird ausgesagt, gilt aber noch nicht als aufgewiesen. Vor einigen Zeilen sollte das Seiende nicht mit dem Anderen identifiziert werden. Und jetzt ist jede Idee eine andere als die anderen. Die Andersheit lässt sich hier als die numerische Verschiedenheit verstehen, die wir für die fünf wichtigsten Ideen aufgewiesen haben. Zum einen hat nach der jetzt übersetzten Partie jede Idee ihre eigene Natur, zum anderen hat sie an der Idee des Anderen teil, was sie zu einer anderen als die anderen Ideen -------------------------------------------303 304
Nach Frede sind κατὰ φύσιν und καθ’ ἑαυτόν äquivalent. Zu ἐν οἷς προαιρούμεθα s. Campbell ad loc.
142
Kapitel 2
macht. An keiner Stelle in der kommentierten sowie der noch zu kommentierenden Passage wird ausdrücklich gemacht, worin die Natur der anderen größten Gattungen besteht. Ist z. B. die Idee des Selben in ihrer Natur seiend oder sollten wir nur Selbstprädikationen erlauben, um die Natur der größten Gattungen auszudrücken? Dazu ist der Text leider sparsam, wenn nicht gänzlich schweigsam. Was der Gast hier feststellt ist, dass die Andersheit nicht zu der eigenen Natur der jeweiligen größten Gattung und der Ideen überhaupt gehört. Im nächsten Schritt wird er die vor dem Verb stehende Negation vor das Prädikat ziehen, was wir dann folgendermaßen formulieren werden: A ist anderes als B = A ist nicht-B. Anders als Nehamas kann ich in 255e3f. nicht den Schluss ziehen, dass Selbstprädikation als Selbst-Teilhabe impliziert wird. 305 Denn die Idee des Anderen geht durch alle Ideen hindurch, außer durch sich selbst, was Platon nicht hervorzuheben braucht, da es im unmittelbaren Anschluss klar wird: Jede Idee ist ein anderes, weil sie an der Idee des Anderen teilhat. Wenn wir an die Idee des Anderen denken wollen, ist sie selbst anderes aufgrund ihrer eigenen Natur und nicht, weil sie an ihrer eigenen Natur teilhat, was mit sich bringen würde, dass sie anders als ihre eigene Natur ist, um an ihr teilzuhaben: Dieser Gedanke geht über Platon hinaus. c.
Zweiter Argumentationsgang (255e8-257a12). Kombinatorik der fünf größten Gattungen untereinander am Beispiel der Idee der Bewegung. Endergebnis: Die Idee des Seienden ist nicht (Seiendes)
i.
Die vier Quartette 306 ΞΕ. Ὧδε δὴ λέγωμεν ἐπὶ τῶν πέντε καθ’ ἓν ἀναλαμβάνοντες. ΘΕΑΙ. Πῶς; ΞΕ. Πρῶτον μὲν κίνησιν, ὡς ἔστι παντάπασιν ἕτερον στάσεως. ἢ πῶς λέγομεν; ΘΕΑΙ. Οὕτως. ΞΕ. Οὐ στάσις ἄρ’ ἐστίν. ΘΕΑΙ. Οὐδαμῶς. 256a ΞΕ. Ἔστι δέ γε διὰ τὸ μετέχειν τοῦ ὄντος. ΘΕΑΙ. Ἕστιν. ΞΕ. Αὖθις δὴ πάλιν ἡ κίνησις ἕτερον ταὐτοῦ ἐστιν. ΘΕΑΙ. Σχεδόν. ΞΕ. Οὐ ταὐτὸν ἄρα ἐστίν. ΘΕΑΙ. Οὐ γὰρ οὖν. ΞΕ. Ἀλλὰ μὴν αὕτη γ’ ἦν ταὐτὸν διὰ τὸ μετέχειν αὖ πάντ’ αὐτοῦ. ΘΕΑΙ. Καὶ μάλα. ΞΕ. Τὴν κίνησιν δὴ ταὐτόν τ’ εἶναι καὶ μὴ ταὐτὸν ὁμολογητέον καὶ οὐ δυσχεραντέον. οὐ γὰρ ὅταν εἴπωμεν αὐτὴν ταὐτὸν καὶ μὴ ταὐτόν, ὁμοίως εἰρήκαμεν, ἀλλ’ ὁπόταν μὲν
-------------------------------------------305
Pace Nehamas 1982 und in Übereinstimmung mit Vlastos über die Selbst-Teilhabe. Diesen Ausdruck habe ich von Brown 2008 übernommen. Von ihrer Darstellung der Aussagen weiche ich ab, was das erste Quartett betrifft. Ich halte es für hilfreich, die Sache noch einmal auf detaillierte Weise zu präsentieren. Obwohl in der Forschung ein gewisser Fortschritt vollzogen worden ist, bleibt noch immer vieles umstritten. 306
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
143
256b ταὐτόν, διὰ τὴν μέθεξιν ταὐτοῦ πρὸς ἑαυτὴν οὕτω λέγομεν, ὅταν δὲ μὴ ταὐτόν, διὰ τὴν κοινωνίαν αὖ θατέρου, δι’ ἣν ἀποχωριζομένη ταὐτοῦ γέγονεν οὐκ ἐκεῖνο ἀλλ’ ἕτερον, ὥστε ὀρθῶς αὖ λέγεται πάλιν οὐ ταὐτόν. ΘΕΑΙ. Πάνυ μὲν οὖν. ΞΕ. Οὐκοῦν κἂν πῃ μετελάμβανεν αυτὴ κίνησις στάσεως, ουδὲν ἂν ἄτοπον ἦν στάσιμον αὐτὴν προσαγορεύειν; ΘΕΑΙ. Ὀρθότατά γε, εἴπερ τῶν γενῶν συγχωρησόμεθα τὰ μὲν ἀλλήλοις ἐθέλειν μείγνυσθαι, τὰ δὲ μή. 256c ΞΕ. Καὶ μὴν ἒπί γε τὴν τούτου πρότερον ἀπόδειξιν ἢ τῶν νῦν ἀφικόμεθα, ἐλέγχοντες ὡς ἔστι κατὰ φύσιν ταύτῃ. ΘΕΑΙ. Πῶς γὰρ οὔ; ΞΕ. Λέγωμεν δὴ πάλιν· ἡ κίνησίς ἐστιν ἕτερον τοῦ ἑτέρου, καθάπερ ταὐτοῦ τε ἦν ἄλλο καὶ τῆς στάσεως; ΘΕΑΙ. Ἀναγκαίον. ΞΕ. Οὐχ ἕτερον ἄρ’ ἐστί πῃ καὶ ἕτερον κατὰ τὸν νυνδὴ λόγον. ΘΕΑΙ. Ἀληθῆ. ΞΕ. Τί οὖν δὴ τὸ μετὰ τοῦτο; ἆρ’ αὖ τῶν μὲν τριῶν ἕτερον αὐτὴν φήσομεν εἶναι, τοῦ δὲ τετάρτου μὴ φῶμεν, 256d ὁμολογήσαντες αὐτὰ εἶναι πέντε, περὶ ὧν καὶ ἐν οἷς προυθέμεθα σκοπεῖν; ΘΕΑΙ. Καὶ πῶς; ἀδύνατον γὰρ συγχωρεῖν ἐλάττω τὸν ἀριθμὸν τοῦ νυνδὴ φανέντος. ΞΕ. Ἀδεῶς ἄρα τὴν κίνησιν ἕτερον εἶναι τοῦ ὄντος διαμαχόμενοι λέγωμεν; ΘΕΑΙ. Ἀδεέστατα μὲν οὖν. ΞΕ. Οὐκοῦν δὴ σαφῶς ἡ κίνησις ὄντως οὐκ ὄν ἐστι καὶ ὄν, ἐπείπερ τοῦ ὄντος μετέχει; ΘΕΑΙ. Σαφέστατά γε. GAST: So sagen wir denn, indem wir das Einzelne von den fünf wieder aufnehmen. THE: Wie? GAST: Zuerst [sagen wir], dass die Bewegung gänzlich verschieden von dem Stillstand ist. Oder wie sagen wir? THE: So. GAST: Nicht-Stillstand ist sie also. THE: Keinesfalls. GAST: Sie ist aber doch, indem sie am Seienden teilhat. THE: Sie ist. GAST: Wiederum aber ist die Bewegung verschieden vom Selben. THE: Beinahe. GAST: Nicht-das Selbe ist sie also. THE: Freilich nicht. GAST: Aber diese war doch das Selbe, weil alles an diesem teilhat. THE: Bestimmt. GAST: Dass also die Bewegung das Selbe ist und nicht-das Selbe, muss man gestehen und darüber darf man nicht schwierig sein. Denn wir sprechen nicht auf ähnliche Weise, wenn wir sie als „das Selbe“ und als „nicht das Selbe“ ansprechen, sondern
144
Kapitel 2 wenn als „das Selbe“, sprechen wir so wegen der Teilhabe des Selben in Bezug auf sie selbst, wenn aber als „nicht das Selbe“, [sprechen wir so] wegen der Gemeinschaft wiederum des Anderen, aufgrund derer sie [i. e. die Bewegung] nicht jenes, sondern anderes geworden ist, indem sie vom Selben abgesondert wird, so dass sie auch wiederum richtig „nicht das Selbe“ genannt wird. THE: Allerdings. GAST: Nun, wenn die Bewegung selbst auf irgendeine Weise am Stillstand teilnehmen würde, wäre es nicht absurd, sie als Stillstehendes zu nennen? 307 THE: Ganz richtig, wenn wir zugeben, dass sich einige von den Gattungen miteinander vermischen wollen, andere aber nicht. GAST: Und wir sind zu dem Aufweis davon früher als jetzt angekommen, als wir prüften, dass es sich gemäß der Natur auf diese Weise verhält. THE: Wieso nicht? GAST: Wiederum sagen wir: Ist die Bewegung anderes als das Andere, wie sie anderes als das Selbe sowie als der Stillstand war? THE: Notwendig. GAST: Nicht-Anderes ist sie also auf eine Weise und anderes nach dem jetzigen Argument. THE: Wahrhaftig. GAST: Was folgt danach? Werden wir also wiederum sagen, dass diese [die Bewegung] anderes als die drei ist, aber sollen wir nicht sagen, dass sie anderes als das Vierte ist, nachdem wir in Übereinstimmung kamen, dass diese fünf sind, im Bereich von denen wir zu untersuchen vorhatten? THE: Und wie sollen wir? Es ist denn unmöglich zuzugeben, dass die Anzahl, die sich jetzt gezeigt hat, geringer ist. GAST: Ohne Furcht sollen wir daher sprechen und behaupten, dass die Bewegung anderes als das Seiende ist? THE: Ohne die geringste Furcht. GAST: Es ist nun denn deutlich, die Bewegung ist wirklich Nicht-Seiendes und Seiendes, weil sie am Seienden teilhat. THE: Ganz deutlich.
Wir gelangen nun zu dem Teil, in dem die zweite Frage der platonischen Agenda behandelt wird: Wie verhält sich die dynamis der Gemeinschaft bei den größten Gattungen? Das Verhältnis zwischen Sein und Nicht-Sein erregt das größte Interesse (254c5-d2). Wir können um der Klarheit willen die wahren Aussagen über die Idee der Bewegung auf systematischere Weise in vier Quartetten darstellen. Die Bezeichnung „Quartett“ sollte nicht missverstanden werden; die Erwartung einer Symmetrie wird bald korrigiert werden: Erstes Quartett: Die Idee der Bewegung und des Stillstands 1a Die Bewegung ist (völlig) anderes als der Stillstand (255e10) Daher: 1b Die Bewegung ist nicht-Stillstand (255e14)
--------------------------------------------
307 Heidegger (GA 19, S. 551f.), Natorp (19943, S. 301), M. Frede (1968, S. 34; nach Brown 2008, 2, S. 8, hat Frede seine Meinung später korrigiert) und Halfwassen (1999, S. 362, Anm. 100) – unter anderen – beachten das Irreale des hypothetischen Satzes in 256b6-7 nicht und halten so eine Möglichkeit der Verbindung zwischen Ruhe und Bewegung offen. Richtig dagegen Vlastos 19812, S. 286.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes 1c
145
Die Bewegung ist nicht stillstehend (wegen des modus irrealis des Konditionalen in 256b6f.)
Denn: 1d Die Bewegung hat nicht am Stillstand teil (256b6f.) Zweites Quartett: Die Idee der Bewegung und des Selben 2a Die Bewegung ist anderes als das Selbe (256a3) Daher: 2b Die Bewegung ist nicht-das Selbe (256a5) Dennoch: 2c Die Bewegung ist das Selbe (256a7; trotz der Zweideutigkeit ist das Prädikat adjektivisch zu verstehen: Die Bewegung ist selbig) Denn: 2d Die Bewegung hat am Selben teil (256a7; 256b1) Drittes Quartett: Die Idee der Bewegung und des Anderen Die Bewegung ist anderes als das Andere (256c5) 3a Daher: 3b Die Bewegung ist nicht-Anderes (256c8) 308 Dennoch: 3c Die Bewegung ist anderes (256c8; das Prädikat ist adjektivisch zu verstehen) Denn: 3d Die Bewegung hat am Anderen teil (der Satz wird nicht in der jetzigen Passage formuliert) Das vierte Quartett als Höhepunkt: Die Idee der Bewegung und des Seienden 4 Die Bewegung ist anderes als das Seiende (256d5) Daher: 4b Die Bewegung ist nicht-Seiendes (256d8) Dennoch: 4c Die Bewegung ist (Seiendes) [256d8f.; vgl. 256a1: Die spätere Stelle beweist, dass es nicht um eine unvollständige Anwendung des Verbes geht. Wieder ist das Prädikat adjektivisch zu verstehen, wie bei allen (c)] Denn: 4d Die Bewegung hat am Seienden teil (256d9; vgl. 256a1) Alle Aussagen der vier Quartette sind wahr. Zum einen macht der Gast durch seine Formulierungen deutlich, dass er nicht auf die Bedeutungen des Verbes ἔστι fokussiert, weil er die Negationen noch nicht mit dem Verb, sondern mit den Prädikaten verbindet. Deswegen habe ich die Sätze so formuliert, dass ich einen Strich zwischen der Negation und dem negierten Prädikat hinzugefügt habe. Der Gast steuert darauf zu, die Negation als Andersheit zu deuten, was explizit in 257b1-c4 geschieht. Zum anderen ist auffällig, dass es sich nicht um vier symmetrische Quartette handelt, da das erste Quartett sich in (c) und (d) von den folgenden drei stark unterscheidet. In den letzten drei kommt es nämlich zu einem scheinbaren Widerspruch zwischen (2b) und (2c), (3b) und (3c) sowie (4b) und (4c): --------------------------------------------
308 Anders als M. Frede (1968, S. 56f.) sehe ich keine Parallele zwischen (1a) und (1b) einerseits und (3a) und (3b) andererseits. Die Andersheit der Bewegung vom Stillstand ist nicht nur die numerische Verschiedenheit, sondern ein Fall des konträren Gegensatzes.
146
Kapitel 2 In den Fällen von (2b), (3b) und (4b): A ist nicht-B In den Fällen von (2c), (3c) und (4c): A ist B Im Gegensatz dazu machen (1b) und (1c) keinen scheinbaren Widerspruch aus.
Warum habe ich mich entschieden, (1c) und (1d) des ersten Quartetts trotz der Sequenz im Text, der Lesley Brown in ihrer Darstellung treu geblieben ist (2008, 1), mithilfe des Späteren (256b6f.) zu formulieren? Zum einen aus systematischen Gründen: Es geht im ersten Quartett um die Beziehung zwischen der Bewegung und dem Stillstand. Das Verhältnis zwischen der Bewegung und dem Seienden thematisiert das vierte Quartett. Durch meine Darstellung vermeide ich eine bloße Wiederholung von (1c) und (1d) in den Sätzen (4c) und (4d). Zum anderen hebe ich dadurch hervor, dass wir sehr vorsichtig sein sollten, nicht für alle vier Sätze (1b), (2b), (3b) und (4b), die Negation ausdrücken, zu verallgemeinern, dass es um Negation von Identität geht. 309 Im ersten Quartett geht es im dritten Satz (1c) eben nicht um die Negation der Identität: Die Prädikation überhaupt wird hier negiert. Man könnte meiner Darstellung vorwerfen, Platon selber biete diese Verdoppelung an, die ich versucht habe zu vermeiden: in 256a1 und 256d8f. Um die Frage zu beantworten, warum der Satz von 256b6f. nicht unmittelbar nach 255e15 – gemäß meinem ersten Quartett – vorkommt, muss ich zunächst sicherstellen, warum der Satz in 256b6f. richtig am Platz ist, obgleich er als unerwartet vorkommt. Der Gast formuliert den konditionalen Satz im modus irrealis: Hätte die Bewegung am Stillstand teil, wäre es nicht abwegig, sie als stillstehend anzusprechen und den Satz zu formulieren: Die Bewegung ist stillstehend. Das ist aber nicht der Fall. Nach dem zweiten Quartett über das Verhältnis zwischen <der Bewegung und dem Selben kehrt der Gast zum ersten Quartett zurück, um meines Erachtens darüber zu reflektieren, warum er den Satz (1c) nicht formuliert hatte wie folgt: „Die Bewegung ist stillstehend.“ 310 Hätte der Gast die zwei Negationen (1c) und (1d) direkt nach 255e15 ausgedrückt, wäre Theaitetos, der die Argumentation nur mit Schwierigkeiten nachvollziehen kann, wahrhaftig verblüfft. Er wäre nämlich mit zwei verschiedenen Arten der Negation konfrontiert. Stattdessen entscheidet sich der Gast an dieser Stelle, Theaitetos über das Sein der Bewegung zu beruhigen. Soviel zu meiner kleinen Abweichung von Browns Darstellung des ersten Quartetts. Der Gast verliert nicht aus den Augen, was er aufzeigen muss, nämlich dass die Aufnahme der Negation in den ideellen Bereich uns nicht in Widersprüche verwickelt, wie Parmenides gefürchtet hat, der die Realität um jeden Preis von der Negation freihalten wollte. Der Gast bringt verschiedene Aussagen über die ausgewählten wichtigsten Ideen zum Ausdruck, die scheinbare Widersprüche enthalten. Er ist aber imstande die Widersprüche zu beseitigen, indem er zwischen verschiedenen Hinsichten unterscheidet -------------------------------------------309
So z. B. tut es McDowell 1982. Auf diese Weise erweist sich der von Cornford addierte Text nach 256b7 als redundant (1960, S. 286f.). Diese Stelle widerlegt Vlastos’ Vorwurf (zurecht Brown 2008, 1, S. 448f.). Vlastos (19812, S. 291, Anm. 46) und anschließend Bostock (1984, S. 97) kritisieren Platons Ambiguität der Termini ταὐτόν, ἕτερον, ὄν: Sie können als Substantive die Ideen und als Adjektive das, was darunter fällt, bedeuten. Platon unterscheide demgemäß nicht zwei verschiedene Arten der Prädikation. In 256b6f. identifiziert dennoch der Gast „teilhaben an + Substantiv“ und „ist + Adjektiv“ im Unterschied von „ist + Substantiv“ (dessen Negation in 1b, 2b, 3b und 4b vorkommt) und deutet darauf hin, dass das Prädikat in (2c), (3c) und (4c) als Adjektiv gedacht werden muss. Keinesfalls impliziere ich dabei, dass Platon Vlastos’ Unterscheidung zwischen „Pauline“ und „Ordinary Predication“ als Problem fasst. Ich halte dennoch die Stelle für einen Beleg dafür, dass Platon die Ambiguität, die Vlastos in der oben erwähnten Terminologie hervorgehoben hat, bewusst war. 310
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
147
(25aa11f, 256c8). Der ideelle Bereich wird nicht vom Widerspruch bedroht, obgleich die Negation eingelassen worden ist. Sehen wir uns das näher an: Außer dem Paar (1b) und (1c) scheinen alle drei folgenden Paare widersprüchlich zu sein, (2b) und (2c), (3b) und (3c) und (4b) und (4c). Der Widerspruch lässt sich vermeiden, weil man feststellt, dass die zweite Aussage des zweiten, dritten und vierten Quartetts die Identität zwischen Subjekt und Prädikat verneint und nicht die Prädikation. In der dritten Aussage des zweiten, dritten und vierten Quartetts haben wir hingegen Prädikation. Das wäre hinreichend, um den Widerspruch zu beseitigen, aber Platon beschränkt sich bei dem Vergleich nicht auf die holistische Ebene der Aussagen. Das lässt sich mit Deutlichkeit der ausführlichen Erklärung des Gastes über das zweite Quartett entnehmen. Er fokussiert nämlich nicht auf die Bedeutung der Aussagen in ihrer Ganzheit; auch nicht auf das Verb ἔστι, sondern auf das Prädikat „das Selbe“, das sowohl in (2b) als auch in (2c) vorkommt, jedoch Verschiedenes bedeutet. Auf die Grammatik weist er anschließend hin (256b6f.), wenn er meint, die Bewegung wäre stillstehend, wenn sie am Stillstand teilnehmen würde. In (2b) geht es bei ταὐτόν um die Idee des Selben selbst (Substantiv), wobei es in (2c) um das Ideat geht: Es geht um die Ideen, die unter die Idee des Selben fallen, i. e. alles, was in diesem Sinne selbes ist (jetzt adjektivisch zu verstehen). Diese Ambiguität disambiguiert der Gast selber in 256a10-b4, und zwar nicht auf grammatischer, sondern auf ontologische Ebene. Der Grund dafür, dass wir die Bewegung „selbes“ und zugleich „nicht-das Selbe“ nennen ist methexis. Methexis erklärt sowohl eine Prädikation als auch eine negierte Identität. Im ersten Fall nennen wir die Bewegung „selbes“, weil sie an der Idee des Selben teilhat. Im zweiten Fall nennen wir die Bewegung „nicht-das Selbe“, weil sie am Anderen teilhat, d. h. ein anderes ist. Methexis kommt in beiden Fällen als Subsumption vor. Im ersten Fall fällt die Bewegung unter die Idee des Selben und im zweiten unter die Idee des Anderen. Darüber hinaus ist der Ausdruck πρὸς ἑαυτήν in 256b1 zu verstehen. Will Platon hier darauf aufmerksam machen, dass nicht nur die Andersheit, sondern auch die Selbigkeit relativ ausgesagt werden? 311 Hätte er den Dativ verwendet, wäre dies auf eine viel eindeutigere Weise gelungen, wie in 254d15 und überall im platonischen Corpus, wo er dieses Verhältnis ausdrückt. Deswegen kommt es mir natürlicher vor, dass ich den Ausdruck πρὸς ἑαυτήν eher mit dem Verb λέγομεν als mit ταυτοῦ verbinde. Wenn das stimmt, ist die Prädikation „an sich“, die nach Michael Frede der Prädikation „in Bezug auf sich selbst“ entspricht, nicht so eng zu verstehen wie der Interpret meinte: dass sie nämlich im Rahmen der größten Gattungen ausschließlich als Selbstprädikation vorkomme. Die Sache ist auf textlicher Basis allerdings schwer zu entscheiden. Fredes enges Verständnis der Prädikation „an sich“ scheint mir erklärungsbedürftig zu sein, gerade wenn man auf diese Textstelle stößt. Frede versteht seine Unterscheidung zwischen der Prädikation „an sich“ und der Prädikation „in Bezug auf anderes“ als eine Distinktion zwischen wesentlicher und nicht wesentlicher Prädikation, auch wenn er Platon unterstellt, er habe die Prädikation des Einzelnen noch nicht in wesentliche und akzidentelle Prädikation eingeteilt (1967, S. 34f.). Warum aber sollte der Satz „Das Selbe ist Seiendes.“ nicht als Prädikation „an sich“ verstanden werden? Wie lassen sich dem Text selber Kriterien der notwendigen und nicht notwendigen Prädikation unter den größten Gattungen entnehmen? Im Kontext des Sophistes spielt die Unterscheidung zwischen wesentlicher und akzidenteller Prädikation keine entscheidende Rolle, sogar auf der Ebene des Einzelnen, wie man im Phaidon im Gegensatz zu dem späteren Dialog rekonstruieren mag. Wenn man nach der Darstellung der Verhältnisse unter den größten Gattungen zurück -------------------------------------------311
Cornford 1960, S. 285.
148
Kapitel 2
zu der Prädikation des wahrnehmbaren Einzelnen kommt, fehlt eine Unterscheidung zwischen wesentlicher und akzidenteller Prädikation, als ob Platon hier an die Prädikation überhaupt und unabhängig von der Unterscheidung zwischen wesentlicher und nicht wesentlicher Prädikation denke. 312 Das alles plädiert meines Erachtens gegen eine Unterscheidung zwischen wesentlicher und akzidenteller Prädikation unter den größten Gattungen. Noch ein wichtigerer – da eindeutiger – Beleg als 256b1 lässt sich gegen Fredes Verständnis von Prädikation „an sich“ und „in Bezug auf anderes“ dem oben übersetzten Text entnehmen, nämlich der Satz in 256d8. „Wirklich nicht seiend“ kann gemäß Fredes These nur das Nicht-Seiende sein. Hier aber wird die Bewegung als wirklich nicht seiend ausgesagt. 313 Zur Bekräftigung kommt die Stelle bei der Zusammenfassung der Ergebnisse: Als das wirklich Nicht-Seiende wird nicht das Nicht-Seiende simpliciter anerkannt, sondern jeder Teil der Idee des Anderen, der sich dem Seienden entgegensetzt (258d7-e3). Fredes Unterscheidung gerät damit in erhebliche Schwierigkeiten, weil Platon auf klare Weise unterstreicht, dass die Natur jeder größten Idee eine breitere Auswahl von wahren Aussagen erlaubt als Frede angenommen hat. ii.
Addendum: Nochmal zum Problem der Spätlerner nach seiner Lösung
Nachdem Platon die Lösung zum Problem der Spätlerner dargelegt hat, kehren wir auf eine systematischere Weise noch einmal zu ihrem Problem zurück. Von verschiedenen Ansätzen ausgehend gelangt der platonische Gast zur Gemeinschaft der größten Gattungen. Durch die Diskussion vermehren sich die Adressaten der positiven platonischen Lösung in Bezug auf die Gemeinschaft der Gattungen (251c8-d3). Dabei bleibt nach meinem Verständnis die Auseinandersetzung mit Parmenides das einheitliche Band der Untersuchung. Wie wir oben gesehen haben (§ 2.2 II), führt der Gast in 251a5ff. die so genannten Spätlerner ein. Sie erlauben keine Mischung der Begriffe untereinander und konstruieren dementsprechend eher tautologische als prädikative Sätze. Nicht nur die Lösung, schon die Natur des Problems ist in der Forschung sehr umstritten. Es herrscht nämlich keine Übereinstimmung darüber, worin ihre These besteht. Weil ich es für den konkreten Zusammenhang sowie für die breitere hermeneutische Perspektive für wichtig halte, komme ich zu diesem Problem erneut zurück. Es ist unter anderem sehr lehrreich zu erfahren, wie ernst die Spätlerner genommen wurden und mit welchen Theorien sie verbunden worden sind. Wahr ist, dass ihre Auffassung auf eine solche Weise dargelegt wird, dass sie mehrere Deutungen erlaubt: Εὐθὺς γὰρ ἀντιλαβέσθαι παντὶ πρόχειρον ὡς ἀδύνατον τά τε πολλὰ ἓν καὶ τὸ ἓν πολλὰ εἶναι, καὶ δήπου χαίρουσιν οὐκ ἐῶντες ἀγαθὸν λέγειν ἄνθρωπον, ἀλλὰ τὸ μὲν ἀγαθόν ἀγαθόν, τὸν δὲ ἄνθρωπον ἄνθρωπον. Denn das hat leicht jeder bei der Hand, aufzugreifen, dass es unmöglich ist, dass das Viele eines ist und das Eine Vieles, und sie freuen sich darüber, nicht zu erlauben, --------------------------------------------
312 Es ist sehr auffällig, dass sogar der Terminus methexis absent ist, wenn wir zu der Erklärung der Natur der Aussage übergehen. 313 Ich verdanke Lesley Brown die Aufmerksamkeit auf die Stelle (2008, 2, S. 8). Diese Stelle wird auch von Lee nicht in Betracht gezogen, wahrscheinlich weil sie gegen seine Behauptung plädiert, dass das genuin und wirklich Nicht-Seiende erst in der Partie über die Teile des NichtSeienden untersucht wird. Solche Indizien sprechen meines Erachtens für eine Kontinuität des Textes, die gegen allzu strenge Einteilungen Widerstand leistet.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
149
den Menschen gut zu nennen/ sagen, sondern das Gute gut und den Menschen Mensch [zu nennen/ sagen]. 314 Es trifft zu, dass Platon sich über diese Leute mokiert. Jedenfalls ist Platon imstande, Gegner zu verbessern und ihnen sogar zu ontologischen Thesen zu verhelfen, wie die Auseinandersetzung mit den Materialisten am besten exemplifiziert hat. Er will sich durch eine überoptimistische Haltung sowohl mit der parmenideischen Ontologie auseinandersetzen als auch sophistische und eristische Paradoxe aus dem Weg räumen, deren Kern er ernst nimmt. Nicht alle Interpreten behaupten, dass es Platon gelingt, unter anderem die Probleme der Spätlerner zu lösen. Diejenigen, die von seinem Scheitern berichten, führen es unter anderem darauf zurück, dass Platon nicht zwischen verschiedenen Bedeutungen des Verbes ἔστι unterscheidet. Wie ich bereits hervorgehoben habe, sollten gewisse Lösungen nicht dort gesucht werden, wo Platons Gast sie nicht selber sucht. Er fokussiert nämlich nicht auf das Verb ἔστιν. Vier bedeutende Thesen über die Spätlerner lassen sich aufzählen: 1. Nach der ersten Auffassung formulieren die so genannten Spätlerner keine Sätze, sondern benennen bloß. Moravcsik (1962) und Gosling (1973, S. 219f.) vertreten diese Option. Es wird jedoch die Möglichkeit von Aussagen (λέγειν, 251b8) erwähnt. 2. Nach der zweiten Auffassung, die Lesley Brown im Anschluss an Owen vertritt und der ich mich meinerseits anschließe, erlauben die Spätlerner Identitätssätze, aber keine Prädikationen. Platon unterscheidet zwischen Identitätssätzen und Prädikationen in 255e8-256d10: Wir können daher zum einen den Schluss ziehen, dass dieses Verständnis der Spätlerner das richtige ist und zum anderen, dass Platon das Problem löst. Gemäß dieser Deutung problematisieren die Spätlerner die Bedeutung von ἔστιν nicht. Wenn Platon hätte darauf aufmerksam machen wollen, hätte er das ἔστιν in dem jetzigen Passus nicht vermieden. Eine spätere Referenz in Plutarchs Adversus Colotem von dem ähnlichen Fall des Megarians Stilpon bestätigt darüber hinaus diese Differenzierung gegen Ackrills und Vlastos’ Auffassungen. 315 Er hat nicht nur Sätze wie „Der Mensch ist gut“ als unmöglich verneint sondern auch solche wie „Das Pferd rennt“. 316 3. Meine Aufzählung schreitet nach theoretisch anspruchsvolleren Projektionen auf die Spätlerner fort. 317 Die dritte These hat Michael Frede formuliert, der den Spätlernern die anspruchsvollste Theorie beimisst (1968, S. 61-7). 318 Die Sätze der Spätlerner sehen äußerlich wie „… ist1 …“ aus, also nicht weniger als platonische Selbstprädikationen. Natürlich ist Frede imstande, den wesentlichen Unterschied hervorzuheben, nämlich dass das Subjekt in den Sätzen der Spätlerner das Einzelne und nicht die Idee ist und dass sie nicht über die Unterscheidung zwischen Ding und Eigenschaft verfügen. Sätze wie „Die Kälte ist kalt“ werden so wie „Das ist ein Mensch“ behandelt. Aus Furcht, dass sie aus einem Ding zwei machen, sagen sie, so Frede, dass ein x nur das ist, was es qua x ist. Frede misst den Spätlernern eine anspruchsvolle Theo-------------------------------------------314
Sph. 251b7-c2. Ackrill 1965, Vlastos 19812, S. 2. 316 Denyer 19942, S. 34f. 317 Ich spreche bewusst von Projektionen und Deutungen in Bezug auf das Gut des historischen Antisthenes. Für die aristotelische Version vgl. Metaph. V, 29, 1024b26-34. Nach Aristoteles führt die antisthenische These des einen, einzigen oikeios logos zur Verneinung des Satzes des zu vermeidenden Widerspruchs und der falschen Aussage. 318 Vgl. Mann 2000, S. 172-180, im Anschluss an M. Frede. 315
150
4.
Kapitel 2 rie bei. Sie sind imstande, das Wesen der Dinge oder Eigenschaften auszusagen, indem sie die erste Verwendung der Prädikation in Anspruch nehmen. Sie unterscheiden sich von Platon, weil sie das Sein des Angesprochenen in einem engeren Sinne verstehen: Sie verfügen nur über Prädikationen an sich, nicht aber über Prädikationen in Bezug auf anderes. Dennoch lese ich den Text im Sophistes so, dass Platon, obgleich er das Problem der Spätlerner ernst nimmt, sie nicht zu Theoretikern macht, wie Frede es tut, der Platons Fähigkeit, die anderen zu verbessern, tatsächlich überbietet. Die Unfähigkeit der Spätlerner, zwischen Ding und Eigenschaft zu unterscheiden, erlaubt es ihnen nicht, Prädikationen zu äußern. Man könnte noch die These von Gerold Prauss als vierte aufzählen. Von einer übertriebenen Darstellung der Spätlerner als platonisch ausgerüsteter Theoretiker vonseiten Fredes würde man bei Prauss zu einer überaus scharfen Kritik an dem platonischen Ansatz gelangen: Nach Prauss (1966, 1968) hat Platon keine Unterscheidung zwischen den Dingen und ihren Eigenschaften gezogen und deswegen die Prädikation nicht begründen können. Das Wahrnehmbare habe er als Aggregat von verschiedenen dynameis konzipiert. Die Erkenntnis der Dinge als Prädikation setze die Substanz-Attribut-Auffassung der Dinge sowie die Unterscheidung zwischen Eigenschaft und materiellem Teil des Dinges voraus, die erst bei Aristoteles vollzogen werden. Weil die Letztere bei Platon fehle, wird die Prädikation durch eine Art Identifikation einzelner Sachhaltigkeiten verstanden. Durch Sätze wie „Die Schönheit ist schön“, „Die Röte ist rot“ oder „Die Kälte ist kalt“ sei Platon eher den Vorsokratikern nah als Aristoteles. Dass Platon eine andere Konzeption des wahrnehmbaren Einzelnen hat, wie sich durch eine Untersuchung des Timaios zeigen ließe, ist kein Hindernis für eine Theorie der Prädikation. Eine Auseinandersetzung mit einem solchen kritischen Ansatz benötigt viel mehr Platz als hier zur Verfügung steht.
Für unseren Zweck ist es hinreichend, das Bisherige zusammenzufassen, nämlich dass Platon das Problem der Spätlerner ernst nimmt und als solches lösen kann. iii. Der Höhepunkt. Erster Schritt: Die Idee der Bewegung als Seiendes und nicht-Seiendes (256c10ff.) Durch die und aufgrund der Teilhabe an der Idee des Seienden ist jede Idee ein Seiendes und durch die und aufgrund der Teilhabe an der Idee des Anderen ist sie wiederum anderes. Es ist dabei wichtig zu bemerken, dass jede Idee ein anderes und nicht ein einziges anderes ist. Die Idee der Bewegung ist ein Seiendes, weil sie an der Idee des Seienden teilhat. Sie ist nicht-Seiendes, indem sie ein anderes als die Idee des Seienden ist. Erinnern wir uns, dass in dem oben genannten Quartett die folgenden wahren Aussagen formuliert wurden: 4c. Die Bewegung ist Seiendes. 2c. Die Bewegung ist Selbes. 3c. Die Bewegung ist Anderes.
4b. Die Bewegung ist nicht-Seiendes. 2b. Die Bewegung ist nicht-Selbes. 3b. Die Bewegung ist nicht-Anderes. 1b. Die Bewegung ist nicht-Stillstand. 1c. Die Bewegung ist nicht stillstehend.
Im ganzen Passus ab 255e8 zielt der Gast darauf, die Negation, die in Ausdrücken wie „nicht-Seiendes“, „nicht-Selbes“, „nicht-Anderes“ und „nicht-Stillstand/stehendes“ vorkommt, als Andersheit zu deuten. Das Argument findet seinen Höhepunkt, wenn es
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
151
zum Sein und Nicht-Sein kommt, weil das Ganze auf die Erleuchtung ihrer Verflechtung zuläuft. Einen Schritt in diese Richtung vollziehen wir, wenn wir die Verflechtung der Idee der Bewegung sowohl mit dem Seiendem als auch mit dem nicht-Seienden verstehen, bevor wir dann zur Verflechtung des Seienden mit dem nicht-Seienden gelangen. Die Idee der Bewegung ist nicht-Seiendes. Der Gast versteht „nicht-Seiendes“ nicht als allgemeinen Terminus, worunter auch das nicht-Selbe, das nicht-Andere oder der nicht-Stillstand/ das nicht-Stillstehende fallen würden [in den Sätzen (1b), (1c), (2b), (3b), (4b)]. All das fällt nämlich unter die Idee des Anderen. Die Idee der Bewegung ist nicht nur ein einziges anderes, i. e. ein anderes als die Idee des Seienden, sondern ein (anderes) anderes als die Idee des Selben, ein (drittes) anderes als die Idee des Anderen und ein (viertes) anderes als die Idee des Stillstands. Das hat sich bis jetzt schon ergeben. Dennoch will der Gast noch nicht auf das Problem der verschiedenen Teile der Andersheit eingehen und als konkrete Fälle des nicht-Seienden nicht nur die Negation der Idee des Seienden, sondern auch die Negation der Idee des Selben und die Negation der Idee der Andersheit sowie die Negation der Idee des Stillstandes mit einbeziehen. In 256d8f. reicht es hin, die Bewegung als nicht-Seiendes zu nennen, weil sie ein anderes als die Idee des Seienden ist. Was den Gast interessiert, ist einerseits die Bedeutung der Negation; dabei hat er wichtige Schritte vollzogen, auch bevor er sie in 257b1-c4 voll zur Sprache bringt. Andererseits will er in dem ganzen Passus ab 255e8 aufzeigen, dass die Paare der Sätze (2b) und (2c), (3b) und (3c) sowie (4b) und (4c) nicht widersprüchlich sind, was ihm durch die Unterscheidung der verschiedenen Hinsichten gelungen ist. iv. Zweiter Schritt: Generalisierung und Formalisierung 256d11 ΞΕ. Ἔστιν ἄρα ἐξ ἀνάγκης τὸ μὴ ὂν ἐπί τε κινήσεως εἶναι καὶ κατὰ πάντα τὰ γένη· κατὰ πάντα γὰρ ἡ θατέρου 256e φύσις ἕτερον ἀπεργαζομένη τοῦ ὄντος ἕκαστον οὐκ ὂν ποιεῖ, καὶ σῦμπαντα δὴ κατὰ ταὐτὰ οὕτως οὐκ ὄντα ὀρθῶς ἐροῦμεν, καὶ πάλιν, ὅτι μετέχει τοῦ ὄντος, εἶναί τε καὶ ὄντα. ΘΕΑΙ. Κινδυνεύει. ΞΕ. Περὶ ἕκαστον ἄρα τῶν εἰδῶν πολὺ μέν ἐστι τὸ ὄν, ἄπειρον δὲ πλήθει τὸ μὴ ὄν. ΘΕΑΙ. Ἔοικεν. GAST: Daher ist es nötig, dass das nicht-Seiende im Bereich der Bewegung ist sowie in Bezug auf alle Gattungen; denn die Natur des Anderen macht jedes ein nichtSeiendes im Bereich von allem, indem sie es als anderes als das Seiende vollendet, und wir alle diese [Gattungen] richtig gleichermaßen auf diese Weise als nichtSeiendes ansprechen, und wieder [sagen werden], dass sie Seiendes sind, weil sie am Seienden teilhaben. THE: Vielleicht. GAST: Im Bereich jeder einzelnen Idee ist also das Seiende viel, das nicht-Seiende aber unbegrenzt viel. THE: So sieht es aus. In 256d11f. geht es um eine Folgerung aus dem oben dargelegten Argument (ἄρα). Daher sollten wir noch nicht mit einem völlig neuen Ansatzpunkt rechnen. Zunächst wiederholt er, dass die Bewegung nicht-Seiendes ist. Durch das nicht-Seiende (τὸ μὴ ὄν) in 256d11 meint der Gast das Andere als die Idee des Seienden und nicht als ihre Ideata. Denn in diesem Satz zieht er den Schluss direkt aus 256d8f. (ἄρα). Dort war die Idee der
152
Kapitel 2
Bewegung ein nicht-Seiendes, weil sie ein anderes als die Idee des Seienden war. Mit καὶ κατὰ πάντα τὰ γένη (256d12) kommt er zu einer Generalisierung: Nicht nur die Idee der Bewegung, sondern jede Idee ist nicht-Seiendes. 319 Die Formulierung καὶ κατὰ πάντα τὰ γένη macht eine Generalisierung zu der einzigen möglichen Interpretation. Deswegen kann ich Crivellis Vorschlag im Anschluss an van Eck gegen die so charakterisierte traditionelle Deutung (von Campbell, Vlastos, O’Brien und McDowell) nicht folgen. Crivelli rechtfertigt den Satz in 25611f. wie folgt: „Change is not all other kinds, so that not-being with respect to all other kinds holds of change, i.e. not being with respect to all other kinds is about change.“ 320 Platon hätte es jedoch explizit gemacht, wenn es um alle anderen Gattungen außer der Bewegung oder der jeweiligen Idee ginge. Er hätte einfach geschrieben: κατὰ πάντα τἄλλα. Daher schließe ich mich der traditionellen Deutung an. Der anschließende Satz begründet den vorherigen (γὰρ, 256d12). Die Natur des Anderen geht durch alle Gattungen hindurch. Nicht nur die Idee der Bewegung nimmt an ihr teil, sondern alle Ideen. Auch in 256e1 verstehe ich das Seiende (in ἕτερον τοῦ ὄντος) als die Idee des Seienden und nicht als die bestimmte jeweilige Idee, die unter die Idee des Seienden fällt. Es geht nur um eine Begründung, die keinen neuen Punkt ausdrücken darf. Jede Idee ist nicht-Seiendes durch Teilhabe an der Idee des Anderen, die jede Idee zu einem anderen als der Idee des Seienden macht. Weil aber jede Idee zugleich an der Idee des Seienden teilhat, ist sie ein Seiendes. Es geht in beiden Fällen um Subsumption der jeweiligen Idee. Im Fall der Teilhabe an der Idee des Seienden geht es um ein Seiendes, das unter die Idee des Seienden fällt. Im Fall der Teilhabe an der Idee des Anderen geht es um ein anderes, das unter die Idee des Anderen fällt. Hier fokussiert der Gast auf ein anderes, nämlich das nicht-Seiende, wobei es nicht das einzige andere der jeweiligen Idee ist, wie unmittelbar nachher klar wird. Platon zielt darauf, die Negation als Andersheit zu interpretieren. Andersheit ist ein weit gefasster Begriff. Wie wir gesehen haben, fallen auch konträre Gegensätze darunter (255e11, παντάπασιν ἕτερον). Die Formulierung in 256e5f. ist erklärungsbedürftig. Wegen ἄρα (256e5) sollten wir wieder keinen neuen Ansatz erwarten. Dort kann dennoch das Seiende (τὸ ὄν, 256e5) nicht auf die Idee des Seienden beschränkt sein, auch wenn es sie miteinbezieht. Noch kann das nicht-Seiende mit dem anderen als der Idee des Seienden identifiziert werden. Sonst wäre nicht die Rede von „viel“ des Seienden im Gegensatz zu „unbegrenzt viel“ des nicht-Seienden. Um diesen Satz in 256e5f. verständlich zu machen, schlage ich vor, die Quartette noch einmal zu veranschaulichen: Die wahren Sätze, die der Bewegung ein Seiendes zusprechen, waren drei, wobei die wahren Aussagen, nach denen ein anderes der Bewegung zugesprochen worden ist, vier waren: Die Bewegung war nicht-Stillstand, nicht-Selbes, nicht-Anderes, nicht-Seiendes. Auf analoge Weise können wir den verallgemeinernden Satz des Gastes in 256e5f. erklären. Immer gibt es mehr wahre Aussagen, in welchen einer Idee nicht-Seiendes zugesprochen wird, als wahre Aussagen, bei welchen einer Idee Seiendes zukommt. Das gilt jedenfalls für den Bereich der ausschließenden Klassen, die die Bewegung und der Stillstand hier repräsentieren: Ihr Gegenteil kommt ihnen nämlich nicht zu und deswegen gibt es mehrere wahre Aussagen über ein nicht-Seiendes als über ein Seiendes, das ihnen zugesprochen wird. Es wird als problematisch empfunden, dass der Begriff des „nicht-Seienden“ nicht das Selbe wie in 256d8, 11 und e2 bedeutet. Dort hat er die Bedeutung des anderen als die --------------------------------------------
319 Der Satz „x ist in Bezug auf y“ entspricht dem folgenden: „y ist x“. Wir haben solche Formulierungen mit εἶναι oder γίγνεσθαι und den Präpositionen περί+ Akkus. oder ἐπί+ Genit. in 248e4 und 255a11 getroffen. Vgl. auch 256e5f. 320 Crivelli 2009, S. 7. Meine Hervorhebung.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
153
Idee des Seienden gehabt: Es geht um einen konkreten Fall des Anderen, i. e. um einen konkreten Teil der Natur des Anderen, wie noch aufzuzeigen ist. In 256e5f. handelt es sich aber um alle Ideen, die sich unter die Idee des Seienden subsumieren lassen sowie alle Ideen, die unter die Idee des Anderen fallen. Die Aussage wird so ausgesprochen, dass „nicht-Seiendes“ für jede Negation einer Idee steht. Das doppelte ἄρα (256d11 und 256e5) ist sicher problematisch. Obwohl es um Folgerungen gehen sollte, müssen wir entweder im ersten Fall, wie es van Eck und Crivelli tun, oder nach der traditionellen Deutung im zweiten Fall einen neuen Ansatz zum Ausdruck bringen. Nach meiner Lektüre gehen wir zunächst von der Idee der Bewegung als nichtSeiendem, i. e. anderes als die Idee des Seienden (256d8f.) zu jeder Idee als nichtSeiendem, i. e. anderes als die Idee des Seiendem (256d11-e3) über. Erst dann wird der Schritt vollzogen, dass im Fall jeder Idee das nicht-Seiende nicht nur das andere als die Idee des Seienden bedeutet, sondern für die Negation jeder Idee (Andersheit von jeder Idee) steht. So ergibt sich meines Erachtens eine natürliche Steigerung der Verallgemeinerung und Formalisierung, damit der Gast die Verwirrung vermeidet, 321 die er verursachen würde, wenn er sofort die Verbindung zu jeder Idee herstellen würde. Das Seiende, das der Negation im Ausdruck „nicht-Seiendes“ folgte, war zu Beginn die Idee des Seienden. Erst in 256e6 wird „Seiendes“ zum universalen Quantifikator, i. e. es bedeutet die Idee, die jeweils negiert wird. 322 Der Bereich des universalen Quantifikators ist ausschließlich der Bereich der Ideen. Was die Andersheit im „nicht-Seienden“ betrifft, kann ich kein Problem ad loc nennen, da ich keine Veränderung diagnostiziere. Die negierten Ideen, die vorkommen, bedeuten entweder Nicht-Identität oder den konträren Gegensatz (vgl. 255e11f.). Jedenfalls beschränken sie sich nicht auf Nicht-Identität. Auch wenn die Bedeutung der Bezeichnung „nicht-x“ erst nachher expliziert wird, wird „nicht-x“ von Anfang an als „anderes als x“ übersetzt. Da ich das „nicht-Seiende“ in dieser Partie nicht ausschließlich als nicht-Identität verstehe, wie Crivelli oder McDowell, brauche ich keine Bedeutung in 256e5f. zu importieren als die der völligen (παντάπασιν ἕτερον) oder bloßen Andersheit (ἕτερον μόνον, 257b4; 258b2f.). v.
Die Idee des Seienden ist anderes (als alle anderen Ideen). Die Idee des Seienden ist nicht 257a ΞΕ. Οὐκοῦν καὶ τὸ ὂν αὐτὸ τῶν ἄλλων ἕτερον εἶναι λεκτέον. ΘΕΑΙ. Ἀνάγκη. ΞΕ. Καὶ τὸ ὂν ἄρ’ ἡμῖν, ὅσαπερ ἐστι τὰ ἄλλα, κατὰ τοσαῦτα οὐκ ἔστιν· ἐκεῖνα γὰρ οὐκ ὂν ἓν μὲν αὐτό ἐστιν, ἀπέραντα δὲ τὸν ἀριθμὸν τἆλλα οὐκ ἔστιν αὖ. ΘΕΑΙ. Σχεδὸν οὕτως. ΞΕ. Ουκοῦν δὴ καὶ ταῦτα οὐ δυσχεραντέον, ἐπείπερ ἔχει κοινωνίαν ἀλλήλοις ἡ τῶν γενῶν φύσις. εἰ δὲ τις ταῦτα μὴ συγχωρεῖ, πείσας ἡμῶν τοὺς ἔμπροσθεν λόγους οὕτω πειθέτω τὰ μετὰ ταῦτα. ΘΕΑΙ. Δικαιότατα εἴρηκας.
-------------------------------------------321
Erinnern wir uns an 254c2f. Schon das Seiende in 256e1 als „universal quantifier“ zu verstehen (Crivellis Vorschlag), finde ich verfrüht. Der Gast fokussiert auf das Verhältnis zwischen Sein und Nicht-Sein. Vgl. Owen 1971, S. 233, Anm. 20. 322
154
Kapitel 2 GAST: Man muss nun sagen, dass auch das Seiende selbst anderes als die anderen [Gattungen] ist. THE: Notwendig. GAST: Nach uns ist also das Seiende in so vielen Hinsichten nicht, wie viele die anderen [Gattungen] sind; denn es ist selbst eines, 323 indem es jene nicht ist, und wiederum nicht ist die anderen unzähligen [Gattungen]. THE: Beinahe verhält es sich so. GAST: Man darf nun auch darüber keine Schwierigkeiten machen, wenn doch die Natur der Gattungen Gemeinschaft miteinander hat. Wenn jemand aber diesem [jetzigen Argument] nicht zustimmt, muss er zunächst die vorherigen Argumente überzeugen und dann das Weitere. THE: Du hast zu strengstem Recht gesprochen.
Interessanterweise führt der Gast das Quartett nur für die Idee der Bewegung und nicht für die anderen vier Gattungen aus. Er kommt zu den Aussagen „Das Seiende ist“ und „Das Seiende ist nicht“, nicht weil er auf die Idee des Seienden fokussiert, wie auf die Idee der Bewegung. Erst nach der Generalisierung, die in 256d11-e3 geschieht, kommt er zur Idee des Seienden (257a1f.), für die der allgemeine Schluss gelten muss. Ich werde nicht aufhören zu betonen, worauf wir nun zum zweiten Mal in unserer längeren Partie stoßen: Wir gelangen von einer Aussage über jedes Seiende als Partizipierendes zu der Natur der Idee des Seienden selbst, wobei das Umgekehrte erwartet wäre, weil die Idee des Seienden die Natur dessen begründet, was an ihr teilhat, nämlich alles Seienden als ihrer Ideata. Zum ersten Mal sind wir auf Ähnliches im Beweis über die Nicht-Identität zwischen der Idee des Seienden und des Anderen gestoßen. Noch in der Argumentation über die Teile der Andersheit werden wir unsere Aufmerksamkeit auf Ähnliches richten. d.
Die Bedeutung von negativen Ausdrücken wie „μὴ ὄν“, „μὴ στάσις“, „μὴ ταὐτόν“ und „μὴ μέγα“ 257b ΞΕ. Ἴδωμεν δὴ καὶ τόδε. ΘΕΑΙ. Τὸ ποῖον; ΞΕ. Ὁπόταν τὸ μὴ ὂν λέγωμεν, ὡς ἔοικεν, οὐκ ἐναντίον τι λέγομεν τοῦ ὄντος ἀλλ’ ἕτερον μόνον. ΘΕΑΙ. Πῶς; ΞΕ. Οἷον ὅταν εἴπωμέν τι μὴ μέγα, τότε μᾶλλόν τί σοι φαινόμεθα τὸ σμικρὸν ἢ τὸ ἴσον δηλοῦν τῷ ῥήματι; ΘΕΑΙ. Καὶ πῶς; ΞΕ. Οὐκ ἄρ’, ἐναντίον ὅταν ἀπόφασις λέγηται σημαίνειν, συγχωρησόμεθα, τοσοῦτον δὲ μόνον, ὅτι τῶν ἄλλων τὶ μηνύει 257c τὸ μὴ καὶ τὸ οὒ προτιθέμενα τῶν ἐπιόντων ὀνομάτων, μᾶλλον δὲ τῶν πραγμάτων περὶ ἅττ’ ἂν κέηται τὰ ἐπιφθεγγόμενα ὕστερον τῆς ἀποφάσεως ὀνόματα. ΘΕΑΙ. Παντάπασι μὲν οὖν.
GAST: Lasst uns nun auch dieses schauen. --------------------------------------------
323 Bei der Deutung des Satzes merkt man, wie Frede versucht, den Text in die Richtung seiner Interpretation zu zwingen: „Wenn also 257a5 gesagt wird, dass das seiende für sich, d. h. aufgrund seiner selbst, nur eines, nämlich seiend, sei, dann handelt es sich offentsichtlich wieder um die erste Verwendung von ‚… ist …’ […]“ (1968, S. 68, Hervorhebung G. M.). Frede zeigt dabei kein Interesse, den Satz „Das Seiende ist Eines“ als erste Verwendung von „… ist …“ zu interpretieren oder wenigstens zu problematisieren.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
155
THE: Welches?
GAST: Immer wenn wir „nicht-Seiendes“ sagen, bezeichnen wir, wie es scheint, nicht etwas, das dem Seienden konträr ist, sondern nur anderes. THE: Wie? GAST: Wie zum Beispiel,324 wenn wir etwas nicht groß nennen, dann was scheinen wir dir durch den Ausdruck zu bezeichnen: eher das Kleine oder das Gleiche? THE: Keinesfalls. GAST: Wir werden also nicht zugeben, wenn gesagt wird, dass die Verneinung das Konträre bezeichne, sondern nur soviel [zugeben], dass das vorgesetzte „nicht“ etwas anderes 325 als die darauffolgenden Wörter andeutet oder vielmehr als die Dinge, im Bereich derer die Namen gesetzt werden, die nach der Verneinung ausgesprochen werden. THE: Zweifellos nun. Man muss den Passus mit Vorsicht integrieren und deuten. Wir sollten nämlich nicht aus dem Auge verlieren, dass jetzt der zweite Teil des zweiten Ganges beginnt. Ab 255e8 und bis jetzt ging es um das erste Glied des parmenideischen Verdikts „Das Seiende ist (irgendwie) nicht“, was bewiesen worden ist. Jetzt steht das zweite Glied unter Beweis: „Das nicht-Seiende ist (irgendwie)“. Im Text baut sich eine kontinuierliche Widerlegung des parmenideischen Ausschlusses des Nicht-Seins vom Sein auf, die jedoch zwei Phasen hat. Die Kontinuität lässt sich am besten so formulieren, dass der Gast jetzt eine semantische Reflexion über den bisherigen Gang des Argumentes zum Ausdruck bringt. Ich verstehe äὡς ἔοικεν, 257b3, als auf den bisherigen Gang bezogen. 326 Bis jetzt hat sich nämlich gezeigt, dass jede Negation von x (i. e. nicht-Stillstand, nicht-Selbes, nichtAnderes und nicht-Seiendes) „anderes“ bedeutet (257b3f.). Die Bedeutung des anderen ist sehr umfassend: Obgleich es numerische Verschiedenheit bedeutet hat, könnte es im Fall des inkompatiblen Paares Bewegung und Stillstand „gänzlich anderes“ bedeuten (255e14). Den Satz „Nicht-Stillstand ist die Bewegung“ haben wir als Negation der Prädikation überhaupt und nicht nur als Negation der numerischen Identität verstanden. Wie es aber auch in diesem Passus aussieht, interessiert sich der platonische Gast für die negativen Prädikate. Worauf bis jetzt und auch hier fokussiert wird, sind die Prädikate, die als negative Ausdrücke vorkommen, und nicht die negative Prädikation als solche. In diesen Zeilen geht es um Bezeichnung und nie um Aussagen. 327 Das Beispiel, das der Gast in 257b6 vorbringt, ist das „nicht-Große“. Ein nicht-x bedeutet etwas von den anderen Dingen anderes. Leider verzichtet der Gast dabei auf eine Präzisierung; er sagt nicht, um welchen Bereich es sich bei diesen τῶν ἄλλων (257c10) handelt. Muss der Bereich ausschließlich derjenige von unverträglichen Eigenschaften -------------------------------------------324 Anders als Owen 1971, S. 232 übersetze ich οἷον nicht „auf ähnliche Weise“, sondern „wie zum Beispiel“. In Übereinstimmung mit M. Frede (1992, S. 407) und Brown (2008, 2, S. 9), van Eck 1995, S. 25. Dass es so richtig ist, kann man den Antworten des Theaitetos entnehmen sowie den fünf übrigen Stellen im Corpus, an denen das οἷον ὅταν auftaucht: Phd. 70e6, Crat. 394d6, 424e2, R. 462c10, Tim. 43e4. 325 Wäre ich dem Wortlaut des Textes „etwas von den anderen“ treu geblieben, wäre der Satz auf Deutsch missverständlich gewesen. 326 Richtig zum Aufbau s. McDowell 1982, S. 118; zur gerechtfertigten Kritik an Lees starker Trennung des jetzigen Passus vom kommenden s. Szaif 1996, S. 434, Anm. 124. 327 Gegen die herrschende, aber nicht reflektierte Meinung in der Forschung s. van Eck 1995.
156
Kapitel 2
wie am vorgeführten Beispiel sein? Oder sollten wir den Raum für die schon untersuchte numerische Verschiedenheit offen lassen? Trotz des hiesigen Beispiels „nicht-groß“ plädiere ich eher für die zweite Option. Ich finde weder einen eindeutigen Hinweis noch eine Andeutung im Text, dass eine Art von Andersheit ausgeschlossen werden sollte, entweder die numerische Verschiedenheit oder die Kontrarität und Inkompatibilität. Leider fehlt eine explizite Aussage, dass sie mit umfasst werden, und noch mehr eine Zurückführung der einen auf andere Arten. Die Natur der Andersheit bleibt eine (257d4f.), sowohl wenn wir ihre Teile betrachten (extensionale Betrachtung) als auch wenn wir ihre Arten berücksichtigen (intensionale Betrachtung). Obwohl Platon nicht darauf zielt, eine systematische Darstellung der Andersheit anzubieten, sollten die Passagen des Dialogs vor einem solchen Hintergrund betrachtet werden. Dass es an einem solchen Hintergrund nicht gefehlt hat, beweist der Bericht von Hermodoros, der bereits oben herangezogen wurde. e.
Die Teile der Andersheit als Seiendes. Jedes nicht-Seiende ist (Seiendes) ΞΕ. Τόδε δὲ διανοηθώμεν, εἰ καὶ σοὶ συνδοκεῖ. ΘΕΑΙ. Τὸ ποῖον; ΞΕ. Ἡ θατέρου μοι φύσις φαίνεται κατακεκερματίσθαι καθάπερ ἐπιστήμη. ΘΕΑΙ. Πῶς; ΞΕ. Μία μέν ἐστί που καὶ ἐκείνη, τὸ δ’ ἐπί τῳ γιγνόμενον μέρος αὐτῆς ἕκαστον ἀφορισθὲν ἐπωνυμίαν ἴσχει τινὰ 257d ἑαυτῆς ἰδίαν· διὸ πολλαὶ τέχναι τ’ εἰσὶ λεγόμεναι καὶ ἐπιστήμαι. ΘΕΑΙ. Πάνυ μὲν οὖν. ΞΕ. Οὐκοῦν καὶ τὰ τῆς θατέρου φύσεως μόρια μιᾶς οὔσης ταὐτὸν πέπονθε τοῦτο. ΘΕΑΙ. Ταχ’ ἄν· ἀλλ’ ὅπῃ δὴ λέγωμεν; ΞΕ. Ἔστι τῷ καλῷ τι θατέρου μόριον ἀντιτιθέμενον; ΘΕΑΙ. Ἔστιν. ΞΕ. Τοῦτ’ οὖν ἀνώνυμον ἐροῦμεν ἤ τιν’ ἔχον ἐπωνυμίαν; ΘΕΑΙ. Ἔχον· ὃ γὰρ μὴ καλὸν ἑκάστοτε φθεγγόμεθα, τοῦτο οὐκ ἄλλου τινὸς ἕτερόν ἐστιν ἢ τῆς τοῦ καλοῦ φύσεως. ΞΕ. Ἴθι νυν τόδε μοι λέγε. 257e ΘΕΑΙ. Τὸ ποῖον; ΞΕ. Ἄλλο τι τῶν ὄντων τινὸς ἑνὸς γένους ἀφορισθὲν καὶ πρὸς τι τῶν ὄντων αὖ πάλιν ἀντιτεθὲν οὕτω συμβέβηκεν εἶναι τὸ μὴ καλόν; ΘΕΑΙ. Οὕτως. ΞΕ. Ὄντος δὴ πρὸς ὂν ἀντίθεσις, ὡς ἔοικ’, εἶναί τις συμβαίνει τὸ μὴ καλόν. ΘΕΑΙ. Ὀρθότατα. ΞΕ. Τί οὖν; Κατὰ τοῦτον τὸν λόγον ἆρα μᾶλλον μὲν τὸ καλὸν ἡμῖν ἐστι τῶν ὄντων, ἧττον δὲ τὸ μὴ καλόν; ΘΕΑΙ. Οὐδέν. 258a ΞΕ. Ὁμοίως ἄρα τὸ μὴ μέγα καὶ τὸ μέγα αὐτο εἶναι λεκτέον; ΘΕΑΙ. Ὁμοίως. ΞΕ. Οὐκοῦν καὶ τὸ μὴ δίκαιον τῷ δικαίῳ κατὰ ταὐτὰ θετέον πρὸς τὸ μηδέν τι μᾶλλον εἶναι θάτερον θατέρου;
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
157
ΘΕΑΙ. Τί μήν;
ΞΕ. Καὶ τἆλλα δὴ ταύτῃ λέξομεν, ἐπείπερ ἡ θατέρου φύσις ἐφάνη τῶν ὄντων οὖσα, ἐκείνης δὲ οὔσης ἀνάγκη δὴ καὶ τὰ μόρια αυτῆς μηδενὸς ἧττον ὄντα τιθέναι. ΘΕΑΙ. Πῶς γὰρ οὔ; ΞΕ. Οὐκοῦν, ὡς ἔοικεν, ἡ τῆς θατέρου μορίου φύσεως 258b καὶ τῆς τοῦ ὄντος πρὸς ἄλληλα ἀντικειμένων ἀντίθεσις οὐδὲν ἧττον, εἰ θέμις εἰπεῖν, αὐτοῦ τοῦ ὄντος οὐσία ἐστίν, οὐκ ἐναντίον ἐκείνῳ σημαίνουσα ἀλλὰ τοσοῦτον μόνον, ἕτερον ἐκείνου. ΘΕΑΙ. Σαφέστατά γε. ΞΕ. Τίν’ οὖν αὐτὴν προσείπωμεν; ΘΕΑΙ. Δῆλον ὅτι τὸ μὴ ὄν, ὃ διὰ τὸν σοφιστὴν ἐζητοῦμεν, αὐτό ἐστι τοῦτο. ΞΕ. Πότερον οὖν, ὥσπερ εἶπες, ἔστιν οὐδενὸς τῶν ἄλλων οὐσίας ἐλλειπόμενον, καὶ δεῖ θαρροῦντα ἤδη λέγειν ὅτι τὸ μὴ ὂν βεβαίως ἐστὶ τὴν αὑτοῦ φύσιν ἔχον, ὥσπερ τὸ μέγα 258c ἦν μέγα καὶ τὸ καλὸν ἦν καλὸν καὶ τὸ μὴ μέγα <μὴ μέγα> καὶ τὸ μὴ καλὸν <μὴ καλὸν>, οὕτω δὲ καὶ τὸ μὴ ὂν κατὰ ταὐτὸν ἦν τε καὶ ἔστι μὴ ὄν, ἐνάριθμον τῶν πολλῶν ὄντων εἶδος ἕν; ἤ τινα ἔτι πρὸς αὐτό, ὦ Θεαίτητε, ἀπιστίαν ἔχομεν; ΘΕΑΙ. Οὐδεμίαν. GAST: Lasst uns aber dieses bedenken, wenn du auch so meinst. THE: Welches? GAST: Die Natur des Anderen scheint mir zerteilt zu sein, wie die Wissenschaft. GAST: Wie? GAST: Auch jene ist zwar irgendwie eine, aber jeder Teil von ihr, der sich auf etwas bezieht, wird abgesondert und hat seine eigene Benennung; deswegen werden so viele Künste und Wissenschaften benannt. THE: Ganz richtig. GAST: Geschieht dieses nicht nun auch bei den Teilen der Natur des Anderen, obwohl sie eine ist? THE: Beinahe. Aber wie sagen wir doch? GAST: Gibt es einen Teil des Anderen, der sich dem Schönen entgegensetzt? THE: Es gibt. GAST: Werden wir sagen, dass dieser namenlos ist oder dass er einen Namen hat? THE: Er hat [einen Namen]; denn dieses, was wir jedesmal als „nicht schön“ aussprechen, ist anderes als die Natur des Schönen und als kein anderes. GAST: Nun sage mir dieses. THE: Welches? GAST: Ergibt sich nun nicht, dass das nicht-Schöne auf diese Weise ist, indem es nämlich von einer bestimmten Gattung des Seienden abgesondert und wiederum in Bezug auf etwas von dem Seienden entgegengesetzt worden ist? (Version A) Alternative (und hier vorgezogene) Übersetzung: Ergibt sich nun nicht, dass das nicht-Schöne etwas anderes unter dem Seienden auf diese Weise ist, indem es näm-
158
Kapitel 2 lich von einer bestimmten Gattung abgesondert und wiederum in Bezug auf etwas von dem Seienden entgegengesetzt worden ist? (Version B) 328 THE: Auf diese Weise. GAST: Das nicht-Schöne ist, wie es scheint, irgendeine Entgegensetzung eines Seienden gegen ein Seiendes. THE: Ganz richtig. GAST: Was nun? Gehört also nach dieser Erklärung das Schöne mehr zu dem Seienden, weniger aber das nicht-Schöne? THE: Keinesfalls. GAST: Muss man also sagen, dass das nicht-Große und das Große selbst auf ähnliche Weise sind? THE: Auf ähnliche Weise. GAST: Nun muss man auch das nicht-Gerechte auf gleiche Weise wie das Gerechte setzen, dass das eine in keiner Hinsicht mehr als das andere ist? THE: Ganz deutlich. GAST: Und in Bezug auf das andere werden wir auf diese Weise sprechen: Wenn sich gezeigt hat, dass die Natur des Anderen zum Seienden gehört, ist es nötig, auch ihre Teile keinesfalls als weniger Seiendes zu setzen, weil sie [i. e. die Natur des Anderen] ist. THE: Wie denn nicht? GAST: Nun, wie es scheint, ist die Gegenüberstellung von der Natur des Teils des Anderen und [der Natur] des [Teils des] Seienden, die einander entgegengesetzt sind, nicht minder, wenn man es sagen darf, als die Substanz des Seienden selbst (oder: dieses Seienden), indem es nicht Konträres zu diesem, sondern nur soviel bezeichnet, nämlich anderes als jenes. 329 THE: Ganz deutlich. GAST: Wie sollen wir sie nun nennen? THE: Es ist offenbar, dass genau dieses das „nicht-Seiende“ ist, das wir wegen des Sophisten suchten. GAST: Nun steht es, wie du sagtest, keinem anderen in Bezug auf das Sein nach, und muss man schon wagen zu sagen, dass das nicht-Seiende gewiss seine eigene Natur hat, wie das Große groß und das Schöne schön war und das nicht-Große nicht groß und das nicht-Schöne nicht schön war, so auch das nicht-Seiende auf gleiche Weise seiend war und ist? Und ist es mitzuzählen als eine Idee unter dem vielen Seienden? Oder werden wir irgendeinen Zweifel in Bezug darauf haben, Theaitetos? THE: Keinen.
i.
Die Natur der Idee des Anderen und ihre negativen Teile. Vom Bisherigen zur jetzigen Partie
Bei dem Beweisgang über die numerische Verschiedenheit der größten Gattungen voneinander hat der Gast konstatiert, dass die Trennung der Ideen voneinander aufgrund der Teilhabe am Anderen geschieht: Die Idee des Anderen geht durch alle Ideen hindurch: --------------------------------------------
328 In Übereinstimmung mit Cornfords Bemerkung über τινὸς ἑνὸς γένους im Vergleich zum ἑνὸς τινὸς γένους (von irgendeiner Gattung) 1960, S. 291, Anm. 1. Dennoch missversteht Cornford diese Gattung als die Idee des Schönen, obgleich es um die Gattung des Anderen geht, was aus dem Vergleich mit der Idee der Wissenschaft zweifelsohne folgt (257c10f.). Für die zwei Versionen der Übersetzung s. die folgende Kommentierung. 329 Die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten hat Lee zusammengestellt, 1972, S. 282f. Vgl. unten im Kommentar.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
159
ἓν ἕκαστον γὰρ ἕτερον εἶναι τῶν ἄλλων οὐ διὰ τὴν αὐτοῦ φύσιν, ἀλλὰ διὰ τὸ μετέχειν τῆς ἰδέας τῆς θατέρου (255e3-6). Die Bewegung ist aufgrund ihrer Teilhabe am Anderen nicht das Seiende; letztlich ist sie aufgrund der Teilhabe am Anderen nicht das Andere. Die Idee des Anderen zeichnet sich infolgedessen als Ursache der Scheidung der Ideen aus. Sie wird aber nicht nur für das Absondern und Trennen der Ideen voneinander, sondern auch für das Identischsein und den Gewinn der Einheit der jeweiligen Idee verantwortlich gemacht. Das Seiende (sowohl die höchste Gattung als auch jede spezifische Idee qua Seiendes) wird durch die Teilhabe am Anderen anders als die anderen Ideen, sowohl jede einzelne als auch alle zusammen, außer es selbst. Durch die Andersheit von allen anderen Ideen gewinnt jede Idee ihre Eigenständigkeit, wie sich noch in der Rekapitulation zeigen wird: τὸ δὲ ὂν αὖ θατέρου μετειληφὸς ἕτερον τῶν ἄλλων ἂν εἴη γενῶν, ἕτερον δ’ ἐκείνων ἁπάντων ὂν οὐκ ἔστιν ἕκαστον αὐτῶν οὐδὲ σύμπαντα τὰ ἄλλα πλὴν αὐτό […]. 330 Wir erinnern uns daran, wie das am Beispiel der Idee des Seienden konkrete Anwendung gefunden hat: Καὶ τὸ ὂν ἄρ’ ἡμῖν, ὅσαπέρ ἐστι τὰ ἄλλα, κατὰ τοσαῦτα οὐκ ἔστιν. ἐκεῖνα γὰρ οὐκ ὂν ἓν μὲν αὐτό ἐστιν, ἀπέραντα δὲ τὸν ἀριθμὸν τἆλλα οὐκ ἔστιν αὖ. 331 Auf diese Weise zeigt sich die Idee des Anderen als eine notwendige Bedingung der ideellen Verbindbarkeit und Mischung: Damit eine Idee an einer anderen teilhat, muss sie verschieden von den anderen sein. Durch ihre Eigenständigkeit und Trennbarkeit wird ihr Zusammenfall mit den anderen vermieden und ihre Teilhabe an den anderen ermöglicht. 332 Die Andersheit ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die ideelle Teilhabe, wie der Fall von Bewegung und Stillstand manifest macht: Auch wenn sie (numerisch) verschieden voneinander sind, haben sie nicht aneinander teil. Diese zwiefache Rolle der Idee des Anderen scheint die These einer Gleichursprünglichkeit zwischen der Idee des Seienden und des Anderen zu modifizieren und einen vermeintlichen Primat des Seienden gegenüber dem Anderen unter den größten Gattungen in sein Gegenteil umzukehren: in den Primat des Anderen, der eben beides verbürgt: sowohl das Verschieden-sein-von als auch das Bezogen-sein-auf. 333 -------------------------------------------330
Sph. 259b1-4. Sph. 257a4-a6. 332 Um die ontologischen Beziehungen auf die Ebene der Prädikation zu übertragen: In jedem prädikativen εἶναι wird ein οὐκ εἶναι/ἕτερον εἶναι vorausgesetzt: vgl. P. Kolb 1997, S. 161. Die Kopula erweist sich als das Prinzip der Verbindung und der Trennung vom Subjekt und Prädikat auf der Prädikationsebene. Wie oben aufgezeigt, interessiert sich Platon nicht für die verschiedenen Bedeutungen des Verbs ἔστιν. 333 Hiermit sind beispielsweise Modelle wie die Stenzels und Michael Fredes gemeint. In dem ersten wird das „Seiende“ zur obersten, alle anderen Gattungen zusammenhaltenden Idee, während die dihairesis den lückenlosen Zusammenhang vom allgemeinsten Sein bis zum ἄτομον εἶδος herstellen soll (19312, S. 95, zur Kritik an Stenzels Entwurf, s. oben § 1.1, III). Frede versteht die Hinsichtenunterscheidung von 255c12f. als Auseinanderhalten von zwei Arten der Teilhabe am Seienden: entweder dadurch, dass etwas an einer bestimmten Form teilhat, oder dadurch, dass es eine bestimmte Form ist (1996, 1, S. 197, schon so seit seiner Interpretation von 1967). Es handelt sich nach dem Platon-Interpreten daher um ein über die Idee vermitteltes Sein der Einzeldinge, während die Idee an sich und nicht vermittelt sei. Aufgrund dieser Deutung entwickelt Frede eine dreistufige „hierarchisierte Ontologie, an deren Spitze die Form des Seienden an sich oder des Seins selbst steht“ (ebd., S. 197): Sein – platonische Ideen – Einzeldinge. Um der Frage einen Sinn abzugewinnen, wa331
160
Kapitel 2
Es soll nicht nur aufgezeigt werden, dass die Idee des Anderen ein Seiendes ist. Das steht seit dem ersten Argumenationsgang (255d9-e1) fest. In der Partie nach 257c5ff. muss der Gast aufweisen, dass alle Teile der Idee des Anderen (Seiendes) sind. Es ist beachtenswert, dass der Gast es nicht für nötig hielt, so lange bei dem Aufweis zu verweilen, dass jedes Seiende, also alles, was unter die Idee des Seienden fällt, anderes – als die anderen Ideen – ist. Es reichte ihm, von der generalisierenden These, dass es über jedes Seiende unzählig viel Nicht-Seiendes gibt (256e5f.), die Schlussfolgerung zu ziehen, dass auch die Idee des Seienden anderes als die anderen ist (257a1-6). Dabei hat er zunächst nur von der Bewegung und dann von der Gesamtheit des Seienden gesprochen, ohne auf anderes einzelnes, spezifisches Seiendes einzugehen, das an der Idee des Seienden teilhat. Diese spezifischen Ideen hätte der Gast Teile der Idee des Seienden nennen können. Das aber hat er nicht getan. In der oben übersetzten Partie behandelt der Eleat auf eingehendere Weise die Teile der Natur oder Idee des Anderen, um aufzuzeigen, dass sie seiend sind. Genügt es nicht, daraus, dass die Idee des Anderen seiend ist, zu folgern, dass auch jedes andere als unter diese Idee fallend seiend ist? Wieso kam denn der Gast nicht sofort zu 258a7ff., um den Interpreten den wegen der Partie 257c5ff.-258a6 verursachten Kopfschmerz zu ersparen? Es bleibt uns nichts übrig als zu folgern, dass es nicht dem platonischen Ziel dienen würde, ohne den vorherigen argumentativen Gang unmittelbar zu 258a7ff. überzugehen. Der Umfang des Versuchs kann erstens dadurch gerechtfertigt werden, dass der Gast hier die Natur der Andersheit und nicht die Natur des Seienden thematisiert. Zweitens droht die Idee der Andersheit zerteilt zu werden. Um der Untersuchung der Natur der Andersheit willen muss der Dialektiker die Einheit ihrer Natur vom Zerfall retten. 334 Dass die jetzige Passage die Natur der Idee des Anderen darstellt, sagt der Gast anschließend aus: ἀλλὰ καὶ τὸ εἶδος ὃ τυγχάνει ὃν τοῦ μὴ ὄντος ἀπεφηνάμεθα (258d6f.). Weil ihre Natur als zerstückelt erscheint, reicht es nicht ohne Weiteres hin, aus der seienden Idee des Anderen zu folgern, die konkreten einzelnen Teile des Anderen seien auch, wenn die eine seiende Natur des Anderen bedroht werde. Der Analogieschluss, bei dem die erläuterte Einsicht über die Beziehung zwischen dem nicht-Schönen zum Schönen, des nichtGerechten zum Gerechten und des nicht-Großen zum Großen auf den als analog betrachteten Fall der Relation des nicht-Seienden zum Seienden übertragen wird, 335 ist von Bedeutung. Es ist wieder bemerkenswert, dass wir zur Natur des Anderen gelangen, wenn wir mit dem Gast etwas über das erfahren, was an ihr teilhat und nicht umgekehrt. 336
-------------------------------------------rum es überhaupt irgendetwas und nicht vielmehr nichts gibt, muss man nach Frede ein Erstes postulieren, durch die Beziehung zu dem sich das Sein von allem erklären lässt (worin eigentlich die aristotelische Antwort besteht). Nach Platon sei dieses Erste im Sophistes das Seiende an sich (ebd., S. 198). In der Darstellung Fredes wird aber die Option nicht erwogen, dass die anvisierte Stelle im Sophistes fundamentale Hinsichten des ideellen Seins selbst betrifft: In diesem Fall ist das Seiende an sich genauso konstitutiv wie das Seiende in Bezug auf anderes. 334 Die Frage nach der Zusammenführung der Idee des Anderen wird nicht ausdrücklich gestellt, wie Sokrates es im Philebos für die Natur des Unbegrenzten tut. Die Einheit der Natur des Anderen wird vorausgesetzt: Sph. 257d4f. Am Ende kommt man dazu, die Natur der Idee des Anderen als „Entgegensetzung von Seiendem gegenüber Seiendem“ und erst dann diese Natur als Einheit unter anderen Ideen anzuerkennen: 258c3. 335 So Owen 1971, S. 239. 336 Bis jetzt war der Gast in 255d1-e6 und 256e5-257a6 von dem, was an der Idee teilhat, zu der Idee, an der teilgenommen wird, gelangt.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes ii.
161
Der Vergleich mit der Wissenschaft
Wir werden den Argumentationsgang durchgehen, indem wir auf die einzelnen konkreten Probleme Schritt für Schritt eingehen. Zum ersten Problem der jetzigen Partie macht der Gast den Vergleich der Idee des Anderen mit der Wissenschaft, die sich in spezifische Arten einteilen lässt: Taucht sie um der Veranschaulichung willen auf, wie
Cornford meint, oder sollten wir eher die Teile der Andersheit als Spezies der Gattung der Andersheit charakterisieren und daher eine Subordinationsbeziehung voraussetzen? Der Text zwingt uns nicht, eine Subordinationsbeziehung für die Idee des Anderen und deren Teile anzunehmen. Die Idee der Wissenschaft wird vielmehr als relativer Begriff herangezogen: Das ist der Vergleichspunkt zwischen Wissenschaft und Andersheit. 337 Die Wissenschaft ist in Bezug auf anderes und wird in Bezug auf anderes ausgesagt (πρὸς τι). 338 Das Andere ist immer ein anderes als ein anderes (x) und wird dementsprechend genannt, nämlich als nicht-x. So wie die Kunst und Wissenschaft vieles ist, das sich auf einen konkreten Kunstbereich oder auf ein Wissensobjekt richten und so seinen eigenen Namen erwerben kann, so gibt es viele Teile der Idee des Anderen, wie das nichtSchöne, das nicht-Große und das nicht-Gerechte. Bei dem Vergleich mit der Idee der Wissenschaft ist die Weise der Absonderung des Einzelnen und der entsprechenden Vervielfachung der Gattung Wissenschaft sowie die Benennung ihrer einzelnen Bereiche von Bedeutung. Die Frage nach der Definition des einzelnen Teils wird nicht gestellt: 339 ἀφορισθέν (257c11) bedeutet das Absondern und entsprechende Bestimmen innerhalb der Gattung der Wissenschaft. In Abweichung von Lees Ausführung (1972, S. 273) folgere ich nicht aus dem Vergleich zwischen der Wissenschaft und der Andersheit, dass die Andersheit Kontrarität ausschließt. Weil Platon den Satz in 255e11f. nie zurückweist noch korrigiert, halte ich die Kontrarität für einen extremen Fall von Andersheit. 340 Sowohl bei παντάπασιν ἕτερον im Fall des Konträren (255e11) als auch bei μόνον ἕτερον in anderen Fällen, die nicht Kontrarität bedeuten, geht es um ἕτερον, i. e. „in Bezug auf anderes“. Das gilt auch für die Bewegung als Konträres, die ausdrücklich als völlig anderes als der Stillstand charakterisiert wird. iii. 257e2-4 Eine zweite Stelle wird in unserem Passus als höchst problematisch hervorgehoben, nämlich 257e2-4, für die ich zwei Übersetzungen angeboten habe. Ich ziehe die zweite Übersetzung vor und denke, dass die kritischen Punkte, die Lee als Vertreter der ersten Option zur Sprache bringt, behandelt werden können. 341 Keinesfalls kann ich die erste --------------------------------------------
337 Campbell liegt daneben, wenn er den Vergleich so versteht, dass es so viele Teile der Andersheit gibt wie Wissenschaften (1867, Einleitung lxxx und S. 159). 338 Mit Recht Owen 1971, dass sowohl die Wissenschaft als auch das Andere „constitutionally incomplete concepts“ sind. Den Vorwurf von Lee an Owen kann ich nicht teilen (Lee 1972, S. 269, Anm. 5). Zum Vergleich zwischen Wissenschaft und Andersheit vgl. Moravcsik 1962, S. 70f., Lee 1972, S. 267ff. 339 Anders Szaif 1998, S. 438f. 340 Daher pace Lee (was ich hervorgehoben habe): „He never claims to have reduced contrariety to Otherness, nor even to have eliminated entirely any trace of a role for contrariety in the account of negation: only to have shown that negation does not specifically introduce the contrary of the term negated (whether that term be verb or predicate).“ (1972, S. 298). 341 Lee 1972, S. 278, Anm. 15 für die Kritik an Owen 1971, S. 239, Anm. 32.
162
Kapitel 2
Alternative ausschließen (s. den übersetzten Text, Version A), auch wenn ich diese Konstruktion des Textes für weniger überzeugungskräftig halte. Wenn ἄλλο τι Fragen einleitet, wie es die erste Option will, wird es häufig von ἢ begleitet, was hier fehlt (sehr selten ohne: vgl. Cra. 401b1). Verstehen wir hier ἄλλο τι so, dann ist der Genitiv τῶν ὄντων in 257e2 von γένους abhängig. Sonst funktioniert τι syntaktisch als Prädikat zu τὸ μὴ καλόν. Die Sache unterstützt meines Erachtens die zweite Version (als B angegeben). Lees Vorwurf, dass Owen οὕτω (257e3) falsch übersetzt, 342 ist treffend. Ich hoffe aber, eine präzisere Übersetzung (B) angeboten zu haben. Lees erste zwei Punkte sind gewichtiger, lassen sich jedoch auch widerlegen. Zum ersten Einwand: Dass der Gast hier beweisen will, dass das jeweilige andere ein Seiendes ist, bedroht nicht die zweite Version der Übersetzung, die vom anderen als Seiendem spricht. Der Gast hat bereits dem nicht-Schönen Sein verliehen (257d7), obgleich das Sein der Teile der Andersheit noch nicht bewiesen worden war. Es bedeutet daher keine petitio principii, wenn er in 257e2 vom Seienden spricht. Der erste Einwand von Lee sollte daher zurückgenommen werden. Zum zweiten Einwand: Die Bedenken von Lee, dass ἄλλο τι „much too indefinite a reference here“ ist, sind nicht gerechtfertigt. Welches Seiende das nicht-Schöne ist und welche Beziehung dementsprechend zwischen dem Schönen und dem nicht-Schönen besteht, wird hier nicht von ungefähr unentschieden gelassen. „ἄλλο τι τῶν ὄντων“ (in 257e2) kann sowohl etwas bloß numerisch Verschiedenes als auch etwas Konträres sein (vgl. den Ausdruck τῶν ἄλλων τι in 257b10). Meines Erachtens besteht genau darin die platonische Intention: den Begriff der Andersheit in seiner ganzen Weite aufzufassen. Zu den aufgezählten Bedeutungen des „nicht-Schönen“ kommt eine letzte hinzu, wenn nämlich das nicht-x (wobei x für eine Idee steht) die Gesamtheit aller Ideen außer x umfasst, der das nicht-x gegenübersteht. Eben weil Platon diese Erklärung des nichtSchönen mitumfassen wollte, spricht der Gast von „Teilen“ der Natur des Anderen und nicht von „Ideen“ oder „Gattungen“. Das nicht-Schöne als ein Teil der Idee des Anderen ist, wenn man die Nicht-Identität auf kollektiver Ebene berücksichtigt: alles andere im ideellen Bereich außer der Idee des Schönen. 343 Wenn es um den ganzen ideellen Bereich außer dem Schönen selbst geht, dann ist dieser Teil des Anderen keine platonische Idee. Gemäß dem Politikos (262c10 ff.) garantiert die Hervorhebung einer Gattung x gegenüber dem übriggebliebenen Teil und die Entgegensetzung dieses Teils gegen diese Gattung (als nicht-x) nicht die Gattungseinheit dieses Teils. Im Fall der Negationen wie des nichtSchönen und des nicht-Gerechten mag es um spezifische Ideen gehen: z. B. sind die Idee des Kleinen und des Gleichen Kandidaten für das nicht-Große. Diese Ideen dürfen für Teile des Anderen gehalten werden. Im Fall der nicht-Identität auf kollektiver Ebene handelt es sich keinesfalls um eine Idee: Das nicht-Schöne als Teil des Anderen ist in diesem Fall alle anderen Ideen als die Idee des Schönen. Hier ist der Teil des Anderen keine Idee. Bei einer einer Idee voranstehenden Negation kann es sich um platonische Ideen im strengen Sinne handeln, muss aber nicht. Die Negation einer Idee ist keine hinreichende Bedingung für gattungsmäßige ideelle Einheit. Es ist kein Zufall, dass Platon das Wort „selbst“ (αὐτό) für τὸ μὴ μέγα nicht anwendet, wobei er keine Scheu hat, von τὸ μέγα αὐτό zu sprechen (258a1). Auf der Basis dieser Erwägungen gewinnen wir zweierlei: --------------------------------------------
342 Owens Übersetzung: „One of the things that are, marked off from a given class (the different) and moreover contrasted with one of the things that are (the beautiful)–is this what the beautiful turns out to be?“ (1971, S. 239, Anm. 32). 343 Diese Bedeutung des Anderen kommt für den Fall der Idee des Seienden erst in der Rekapitulation mit Klarheit vor: 259b1-4.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
163
Zunächst zeigen wir auf, dass die zwei Dialoge nicht im Widerspruch zueinander stehen. Außerdem charakterisieren wir Platons Entscheidung, von „Teilen“ und nicht von „Ideen“ oder „Gattungen“ zu sprechen, als wohl begründet. Nicht immer steht ein nicht-x für eine platonische Idee und folglich sollte die Redeweise von „negativen Ideen oder Eide“ im Fall von „nicht-Schönem“, „nicht-Großem“ und „nicht-Gerechtem“ eher vermieden werden. 344 Darüber hinaus unterstreicht die Beziehung zwischen Teil und Ganzem die Tatsache, dass die Teile der Natur des Anderen vor dem Hintergrund des Ganzen betrachtet werden sollten. Wie eine große Münze wird die Natur des Anderen in kleine Münzen umgetauscht (κατακερματίζειν: s. 257c7, 258e1, s. LJS: „change into smaller coin“), ohne ihre Einheit aufzugeben. Auch anhand des verwendeten Bildes kann betont werden, dass der Teil (als kleine Münze) Teil des Ganzen (der großen Münze) ist, also vom Charakter des Ganzen geprägt wird und nur vor dem Hintergrund dieses Ganzen (Teil) sein kann. 345 iv. Die Natur des Anderen Konzentrieren wir uns auf einen einzelnen Teil des Anderen, um jetzt die Frage zu beantworten, worin die Natur der Idee des Anderen besteht. Die Natur oder Idee des Anderen wird als eine δύναμις τοῦ ποιεῖν angesprochen, auch wenn der Gast diesen Ausdruck nicht verwendet. Sie vollendet jedes Andere als x und macht es zu einem nichtx. Wenn es um das Andere als das Seiende geht, bekommen wir das nicht-Seiende als Teil der Natur des Anderen: ἡ θατέρου φύσις ἕτερον ἀπεργαζομένη τοῦ ὄντος ἕκαστον οὐκ ὂν ποιεῖ (256d12-e1). In unserer jetzigen Partie wird die absondernde Tätigkeit der Idee des Anderen dargestellt. Mit Hilfe der ersten Stelle können wir den hier angewendeten Passiv (ἀφορισθέν, 257e2) verstehen: Es ist die Idee des Anderen, die ihre Teile (von sich selbst) absondert. Mehr erfahren wir leider nicht in Bezug darauf, wie diese Spezifizierung geschieht. Das nicht-Schöne als ein spezifisches Andere ist das Andere als die Natur des Schönen (257c10f.). Die zweite konstitutive Tätigkeit der Idee des Anderen ist die Gegenüberstellung (ἀντίθεσις). Nachdem oder während sie einen Teil von der Natur des Anderen, also von sich selbst, abgrenzt (ἀφορίζειν: s. 257e2, ἀποχωρίζεσθαι: s. 256b3), setzt sie zwei Seiende einander entgegen. Bei näherer Betrachtung sollten wir diese zwei Tätigkeiten nicht als nacheinander geschehend verstehen. Die Idee des Anderen sondert eher ihre Teile ab, indem sie sie einander entgegensetzt. Die Gegenüberstellung von Seiendem gegen Seiendes wird als die Natur des nicht-Schönen bezeichnet (ὄντος δὴ πρὸς ὃν ἀντίθεσις, 257e6f.), was sich auch in 258a11-b3 wiederholen lässt: πρὸς ἄλληλα ἀντικειμένων ἀντίθεσις. Die Gegenüberstellung des Teils des Anderen und des jeweiligen Seienden ist nicht weniger seiend und bedeutet nicht einen konträren Gegensatz zum Seienden, sondern nur Andersheit. Unter die Andersheit fällt Unterschiedliches, wie wir uns im ganzen Passus vergegenwärtigen: Sie kann bloße numerische Verschiedenheit bedeuten oder sogar einen konträren Gegensatz, wenn z. B. der Teil des Anderen „nicht-Stillstand“ dem --------------------------------------------
344 Platon mag das „Nicht-Seiende“ in 258c3 als eine mitzuzählende Idee ansprechen; wir sollten uns jedoch nicht beeilen, dies als einen Beleg für eine negative Idee zu nehmen, weil es um keine sechste Gattung geht, die noch hinzuzufügen wäre, sondern um einen Synonym für die Idee des Anderen. 345 Dürfte das κατακερματίζειν („zerstückeln“) in seiner Bedeutung des „Umtauschens“ so hervorgekehrt werden, dass vom „Umtauschen“ zwischen Teil und Ganzem gesprochen werden kann? Nein. Man darf das Bild keinesfalls überstrapazieren. Zur Beziehung Teil-Ganzes s. noch letzte Bemerkungen in § 2.3 III.4.
164
Kapitel 2
Stillstand entgegengesetzt ist und als Bewegung präzisiert wird, die völlig anderes als der Stillstand ist (255e11-14). Ich finde es deswegen sinnvoll, dass Platon hier den Terminus Gegenüberstellung einführt, weil er ihn von dem Begriff der Andersheit differenzieren möchte: Die Andersheit umfasst sowohl bloße Andersheit (auf jeden Fall von zwei Ideen) als auch (manchmal) Kontrarität. Durch diese zwei Weisen des Wirkens der Idee des Anderen sagt der Gast einiges mehr in Bezug darauf aus, was er „Teilhaben an der Idee des Anderen“ genannt hatte (255e5f.). Dabei muss ein bedeutender Unterschied der zwei Stellen berücksichtigt werden. In 255e4-6 unterscheidet der Gast zwischen der eigenen Natur jeder Idee und ihrer Teilhabe an der Idee des Anderen, was sie zum anderen macht. Wie es hier aussieht, gehört das Anderssein der jeweiligen Idee nicht zu ihrer eigenen Natur. Die Teilhabe an der Idee des Anderen kommt zu ihrer Natur hinzu und das Anderssein der Idee ist daher etwas ihrer Natur Äußerliches. Die Situation ändert sich in der hier behandelten Passage. 346 Wir untersuchen die Natur des jeweiligen Anderen. Es hat seine eigene Natur: Das Anderssein kommt nicht zu der eigenen Natur des jeweiligen anderen hinzu, sondern ist seine eigene Natur. Wir brauchen nicht eine Verwandlung oder unbegründete Verschiebung beim Verständnis der Andersheit zu unterstellen, um diese Änderung zu erklären. Was zunächst als widersprüchlich erscheinen mag, liegt an dem Wechsel der Perspektive bei der dialektischen Betrachtung. In dem ersten Beweisgang reichte es hin, die fünf Ideen voneinander zu trennen und als numerisch verschieden aufzuweisen. Es blieb aber nicht dabei. Wir haben im zweiten Gang (ab 255e8) die innerideellen Beziehungen der Bewegung mit den anderen vier größten Gattungen hergestellt. So meldete sich bereits die Verbindung der Negation und der Andersheit. Wir konnten am Ende dieser Partie (257a12) aussagen: „Das Sein ist nicht“, was aber nicht hinreichend war, weil wir noch den Beweis für das zweite Glied des parmenideischen Verdikts benötigten: „Das Nicht-Sein ist“. Dazu gilt es aufzuzeigen, warum die Teile der Idee des Anderen seiend sind. Was wir hier untersuchen, ist das Anderssein des jeweiligen Anderen. Wir betrachten das jeweilige nicht-Seiende, also das andere, qua anderes, in seinem Anderssein. Die Veränderung der Perspektive des Dialektikers betrifft aber die Sache selbst und ist der Sache nicht äußerlich: Die Idee des Seienden ist in ihrer Natur anderes und die Idee des Anderen ist in ihrer Natur seiend. Was zunächst als anderes „draußen“ und getrennt zu sein schien, wird jetzt verinnerlicht. In diesem Zusammenhang ist der Aufsatz von Edward Lee erwähnenswert, obgleich es nicht möglich ist, alle seine Beiträge hier einzuschätzen. Lee hat die hier als (D) und (E) bezeichneten Passagen in ihrer doppelten Funktion ausgearbeitet. Er hat darin sowohl den Schlüssel zur semantischen Analysis der negativen Ausdrücke gefunden als auch versucht, die ontologische Tiefe der Ausführung auszuloten, sowie die Erklärung der negativen Prädikation in (E) gedeutet. Dabei macht Lee sehr wichtige Beobachtungen, obgleich ich nicht mit allen seinen Folgerungen übereinstimme. Vor allem hat er diejenige Veränderung betrachtet, dass zunächst die Andersheit als zur Natur der jeweiligen Gattung hinzukommend dargelegt wird, wobei dann auf ihre eigene Natur fokussiert wird.
--------------------------------------------
346 Die Änderung, von der ich hier spreche, bedroht meines Erachtens nicht die Einheit der ganzen Partie. Trotz der hier vertretenen Verschiebungen im Verlauf des Gesprächs, die nicht explizit im Text gemacht werden, bleibe ich in Übereinstimmung mit dem allgemeinen hermeneutischen Ansatz von van Eck: „This view opens the possibility of a coherent interpretation, that is, which does not burden the text with logical inadequacies, or confusions, or shifts in meaning or use of the central notions involved.“ (1995, S. 21)
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
165
Lee drückt seine Interpretation folgendermaßen aus, um von den so genannten extensionalen Interpretationen abzuweichen, die nach ihm keine entsprechende Basis im Text finden:
On my reading, a „Part of Otherness“ is an intentional determination of Otherness: it is a specification of the determinable notion (nature) of mere otherness as the more determinate notion, otherness-than-some-specific-x. 347 Dennoch hat Lee selber keinen textlichen Beleg, was die von ihm charakterisierte „mere otherness“ angeht, die er als „unfocused, undirected, non-determined“ bezeichnet. 348 Leider bietet der Passus des Sophistes nicht den Beleg für eine solche Andersheit und ihre entsprechende Betrachtung vonseiten des Dialektikers. Wie ich oben gezeigt habe, ist die Idee der Andersheit eher bestimmend. Daher finde ich es erläuterungsbedürftig, sie mit dem Konzept der (intelligiblen) passiven Materie in Verbindung zu bringen. 349 Ich widerlege Lees Theorie, nicht weil es nicht zur Theorie Platons passt, eine intelligible Materie anzunehmen, sondern weil ich sie im geschriebenen Wort nicht wiederfinden kann. Wir erfahren viel weniger über die „constitutive acts“ 350 als erwünscht. Im zweiten Teil des Parmenides könnte Lee mehrere Anlässe dafür finden, wobei die Schwierigkeiten dort von anderer Art sind (s. unten, Korollar). Darüber hinaus finde ich die Trennung zwischen der „supervenient“ und der „constitutive“ Rolle der Andersheit, die Lee sehr konsequent zu ziehen versucht, zu stark und ohne die Zurückführung auf zwei verschiedenen Ideen nicht verständlich. In Lees Darlegung geht die Unterscheidung zwischen der Idee und dem, was an der Idee teilhat, verloren. Das merkt man schon bei seiner einleitenden Frage: Die Unterscheidung zwischen der Andersheit in sich und den Teilen der Andersheit wird mit Recht gezogen. Was den ersten Fall, i. e. „Otherness by itself“, angeht, bezieht sich Lee auf die Idee der Andersheit in 255e, dem kommenden Quartett sowie 257b1-c4. Die Teile der Andersheit kommen dann in der Diskussion in 257c5ff. vor. Wenn Lee von zwei Typen der Andersheit spricht, unterstellt er Platon dabei implizit, dass er der einen Idee der Andersheit zwei Bedeutungen beimisst: Wäre das der Fall, würde der Gast nicht von der Einheit der Idee der Andersheit sprechen (267d4f.), sondern zwei Ideen der Andersheit annehmen. Das tut er aber nicht. Sollte Lees Annahme richtig sein, würde man auf den Satz „Die Bewegung ist wirklich nicht-Seiendes“ (256d8) nicht schon im Quartett stoßen, das nach Lee nur die erste „additive“ Rolle der Andersheit erforschen sollte. Aufgrund dieses textlichen Belegs lässt sich Lees Schluss entkräften: Thus for Plotinus, just as for Plato, the „Part of Otherness“ is understood to be „what really is not-Being“ (Sophist 258e2-3; cf. Enn. II.5.5, 24 and III.6.7, 11-13); and the meaning of the doctrine is expressed in terms of a „constitutive“ otherness. 351 Die Idee der Andersheit ist als Idee bestimmt. Sie ist bestimmt „geworden“, wie alle Ideen. Die Geschichte dieser Bestimmung, die eine Art intelligibler Materie mitumfassen -------------------------------------------347
Lee 1972, S. 290. Ebd., S. 280. 349 S. den Appendix in Lees Beitrag, ebd., S. 303f. 350 Ebd., S. 278. 351 Lee 1972, S. 304. 348
166
Kapitel 2
sollte, erfahren wir im Sophistes leider nicht. Die Exegese, die Plotin anbietet, wenn er von dem „Teil der Andersheit“ spricht (Enn. II.4.16 ad init.), lässt sich nicht ausschließlich auf die Teile der Andersheit im Sophistes beschränken.
v.
258a7-9
Ich verstehe die Referenz in 258a7f. „ὡς … ἐφάνη“ als auf 255d9-e1 verweisend. Weil sich die Idee der Andersheit als eine Idee unter den anderen vier ausgewählten gezeigt hat, sind ihre Teile, nämlich ihre Ideata, auch Seiendes. Von der Idee ausgehend folgern wir etwas über das, was an ihr teilhat. Die Stelle lässt sich nach meiner Lektüre nicht als Parallele zu 256e5f. verstehen. Lee geht in 258b2 und 257a1 von der angemessenen Verbindung zwischen dem Seienden selbst aus, um eine genaue Parallele in der Argumentation über die Teile der Andersheit und derjenigen im Passus (C) herzustellen: Indeed, the pattern of the argument is the same in both passages: (i) the Stranger first deals with straightforward, non-inflammatory cases (256c1-e3/257e9-258a5), then (ii) provides a generalization of his point (256e5-6/258a7-9), and then (iii), arguing by simple specification, concludes that that point must apply to the instance of Being Itself (257a1-6/258a10-b3). At any rate, that is how his argument appears. But even if the specific Form „Being Itself“ is meant in (iii), that of course proves nothing about what it means to mean that Form. It could be argued that, although the move from (ii) to (iii) is, so to speak, rhetorically the „mere“ instantiation of a general principle (applying it to that particular Form), the philosophical force of the move is rather that (iii) is another way of stating that same general principle: the principle is first established (ii) for any values of X in „a is not-X“, and then is restated (iii) in terms of „a not-is (sc., not-is X, for that same range of values of X).“ (Cf. Owen’s case for the argument by „analogy“ […]) These two ways of taking (iii) - and with it the move from (ii) to (iii) - seem even to show up in the dialogue: at 258b6-7, Theaetetus seems to take it in the first, restricted sense-i.e., to feel that what they have been seeking is an antithesis specifically to Being Itself (as if that were some single item on a par with others). And the Stranger’s rhetoric, at least, has certainly encouraged that impression (cf. his summarizing „build-up“ from non-inflammatory cases to not-Beingomitting step [ii] entirely-in 258b8-c3). Yet, as we shall see, the Stranger’s own final summary (at 258d5-e3) is fully general in scope, taking (iii) in the second, fully general sense. And the latter is surely Plato’s intention: Theaetetus’ treating Being Itself as a specific item among others perhaps goes along with his „still being at a distance from realities“ (234e). It involves the same sort of ontological error we referred to in n. 14 above. 352 Um mit Lees letzter Folgerung zu beginnen, scheint es mir weit hergeholt, dem Theaitetos einen solchen ontologischen Fehler zu unterstellen, den Lee mit Recht den Platon-Interpreten vorwirft, die „primacy of thinghood“ statt „determinacy of nature“ dem Sein beimessen. 353 Viel wird dabei in die Zeilen hineingelesen. Wie Lee selber zugibt, beinhaltet die Zusammenfassung des Gastes in 258b8-c3 den Schritt (ii), i. e. 258a7-9, nicht, was gegen eine eindeutige Ausarbeitung des Argumentes ab 257e9 bis 258b3 spricht. In 258a7-9 wiederholt der Gast die Behauptung von 255e3-6. Inzwischen hat man -------------------------------------------352 353
Lee 1972, S. 282, Anm. 21. Ebd., S. 276f., Anm. 14.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
167
spezifische Fälle von nicht-x, also Partizipierende an der Idee des Anderen, berücksichtigt. Die Teile der Idee des Anderen sind seiend, weil nach 255d9-e1 die Idee des Anderen seiend ist. Was in 258a7-9 betont wird, ist nicht die Generalisierung wie in 256e5f. Vor allem handelt es sich in 258a7-9 um die Begründung des Seins der Teile der Idee des Anderen. In 256e5f. gab es keine äquivalente Begründung; sie würde lauten: Weil die Idee des Seienden ein anderes ist, ist es nötig, dass jedes Seiende ein anderes ist. Zu der Natur der Idee des Anderen gelangen wir, indem wir einzelne Fälle von ihren Ideata her betrachten. Im folgenden Abschnitt wird sich heraustellen, dass ich zusammen mit Theaitetos das „nicht-Seiende“ als die Negation der Idee des Seienden verstehe, ohne einen ontologischen Fehler zu begehen; die Thematik fokussiert vielmehr auf das Sein, das keinen konträren Gegensatz zum Nichtsein bildet. vi. 258a11-b3 Eine für unsere Problematik wichtige Stelle, die sprachlich ambig ist und deswegen in der Forschung zur Debatte steht, ist 258a11-b3. Ich habe bereits eine Übersetzung angegeben, nämlich die folgende: Nun, wie es scheint, ist die Gegenüberstellung von der Natur des Teils des Anderen (i.) und [der Natur] des Seienden (ii.), die einander entgegengesetzt sind, nicht minder, wenn man es sagen darf, als die Substanz des Seienden selbst, indem es nicht Konträres zu diesem, sondern nur soviel bezeichnet, nämlich anderes als jenes. Hier macht Platon nicht klar, um welchen Teil des Anderen (i.) es geht, dem das Seiende (ii.) gegenübersteht. Auch bleibt unklar, ob es sich beim Seienden (ii.) um die Idee des Seienden (ii.a) oder eine andere Idee, die unter die Idee des Seienden fällt (ii.b), handelt. Im ersten Fall (ii.a) gebe ich αὐτοῦ τοῦ ὄντος (258b2) als „des Seienden selbst“ wieder, im zweiten Fall (ii.b) bietet sich die Übersetzung „dieses Seienden“ an. Beides ist sprachlich möglich. Was sich als unmöglich ausschließt, ist die Identifizierung des „Teils der Natur des Anderen“ (i.) mit der Idee des Anderen. Man kann die Idee des Anderen in ihrer Andersheit betrachten, aber sie als Teil ihrer selbst zu nennen wäre meines Erachtens absurd. 354 Die hier herrschende sprachliche Vagheit behindert unser Verständnis der Sache nicht: Die Natur des Anderen ist die Gegenüberstellung von zwei Seienden gegeneinander. Um zu beantworten, welche Arten von Andersheit diese Gegenüberstellung umfasst, sollten wir die Relata dieser Beziehung präzisieren. Zunächst kann es um bloße Nicht-Identität (numerische Verschiedenheit) gehen, wenn es um Prädikate wie die Idee des Schönen und des Sitzens geht (I). Dann kann „Gegenüberstellung“ (II) die NichtIdentität auf der kollektiven Ebene bedeuten, wie es in der folgenden Rekapitulation im Fall des Seienden geschieht (258b1-6). Außerdem und zuletzt sollte man nicht ausschließen, dass es sich um einen konträren Gegensatz handeln kann, wenn das Häßliche für das nicht-Schöne oder die Bewegung für den nicht-Stillstand stehen (III). Weil das Ganze darauf hinausläuft, den parmenideischen Ausschluss von Sein und Nicht-Sein zu widerlegen, ist es am wahrscheinlichsten, dass die Gegenüberstellung in diesem Satz die Idee des Seienden als ein Glied hat (also die o. g. Version ii.b). Das lässt sich auch durch den Ausdruck αὐτοῦ τοῦ ὄντος (258b2) bekräftigen (vgl. 257a1). Wenn es sich so verhält, ist die Beziehung zwischen Seiendem und nicht-Seiendem keinesfalls eine --------------------------------------------
354 Das wäre nur dann möglich, wenn es um die Idee des Anderen als Teil des Anderen ginge, wobei das Andere nicht der Idee des Anderen, sondern dem ideellen Ganzen in seiner Ganzheit entspräche. Dazu s. 2.3, III.4.
168
Kapitel 2
Entgegensetzung. Deswegen wird der Fall der Entgegensetzung ausgeschlossen (258b2f.) und nicht, weil die Andersheit nie den Fall des konträren Gegensatzes bedeuten könnte. Das „Nicht-Sein“ als Teil des Anderen, der der Idee des Seienden gegenübersteht, bildet keinen konträren Gegensatz – mit oder ohne Mittleres – zu der Idee des Seienden. Pace Parmenides gibt es keinen konträren Gegensatz zum Sein. Daher ist (III) keine angemessene Option für unsere Zeilen. Beide übrigbleibenden Möglichkeiten sind, was die Bedeutung der Gegenüberstellung angeht, möglich: Entweder (I): Gegenüberstellung bedeutet hier die nicht-Identität der Idee des Seienden mit anderen, spezifischen Ideen, seien sie die Idee des Selben, der Bewegung oder des Schönen. In diesem Fall bedeutet das „nicht-Seiende“ nur anderes als die Idee des Seienden. Gemäß unseren Überlegungen ist ausgeschlossen, dass die Idee des Anderen als Teil des Anderen vorkommt. Oder (II): Außerdem kann die Gegenüberstellung in diesem Fall die nicht-Identität auf kollektiver Ebene bedeuten: alles andere als die Idee des Seienden. Auch dann bedeutet das kollektive „nicht-Seiende“ nur das andere als die Idee des Seienden und kein Konträres. Man könnte auch die folgende Übersetzung erwägen, bei der das noch Hinzugefügte hervorgehoben wird: Nun, wie es scheint, ist die Gegenüberstellung von der Natur des Teils des Anderen und [der Natur] des Teils des Seienden, die einander entgegengesetzt sind, nicht minder, wenn man es sagen darf, als die Substanz dieses Seienden indem es nicht Konträres zu diesem, sondern nur soviel bezeichnet, nämlich anderes als jenes. Der Text lässt zu, dass man μορίου nach: καὶ τῆς τοῦ ὄντος [φύσεως] (258b2) versteht. Die Tatsache, dass im Gang des Gesprächs keine „Teile“ des Seienden erwähnt worden sind, stellt meines Erachtens kein entscheidendes Argument gegen diese Version dar. Die Gesamtheit der Ideen kann man als das Seiende ansprechen und jede Idee als seinen Teil. Dass Platon nicht zu einer Aufgliederung von Teilen des Seienden im Rahmen der hiesigen Darlegung gelangt, lässt sich leicht erklären: Hier fokussiert er auf die Natur der Idee des Anderen. Im Politikos (262c-e) handelt es sich andererseits um Teile des seienden ideellen Kosmos, also Teile des Seienden. Kurzum ist nach diesem Argument die Aufgliederung des Seienden in seinen Teilen nicht unplatonisch, sondern ad loc nicht von Relevanz. Wenn es aber stimmt, dass es in 258b2 um die Idee des Seienden geht, dann sollten wir auf die Hinzufügung des „Teils“ verzichten. 355 vii. Das Problem der für den Begriff der Falschheit relevanten Andersheit Auf die immer noch stark diskutierten und bedeutenden Fragen, die sich auf das Problem der Aussage und besonders der falschen Aussage beziehen, gehe ich in dieser Arbeit nicht ein. Diese Probleme umfassen die Herausstellung des Bezugs zwischen dem nicht-Seienden in 258b6 und der in 263b7-d4 thematisierten Erklärung der falschen Aussage sowie die Erklärung des Rückbezugs in 263b11f. auf 256e5f. und eben nicht auf 258b6. Die Behandlung dieser Probleme liegt außer dem Rahmen dieser Arbeit und ist einer eigenen Untersuchung oder mehrerer zukünftiger Ansätze würdig. Darin müsste man prüfen, inwiefern meine vereinheitlichende Lektüre und Deutung der Gemeinschaft --------------------------------------------
355 Gegen die „Teile des Seienden“ auch Owen 1971, S. 239, Anm. 33; Lee (1972, S. 284, Anm. 24) korrigiert M. Frede mit Recht, der sich in 1968, S. 91f. auf 258e2 bezieht, um die Rede von „Teilen des Seienden“ in 258b1 zu unterstützen.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
169
der größten Gattungen etwas zu der Diskussion beitragen könnte, welche Art der Andersheit für die zwei Formeln der Falschheit relevant ist. Ich streife einiges: Wir haben oben betont, dass das μὴ ὄν in 255e8-256e6 nicht nur Nicht-Identität bedeutet. Auch die Prädikation wird negiert 356 im Fall von Sätzen wie: „Die Bewegung ist nicht-Stillstand“. Wenn es sich so verhält, sollten die Thesen von M. Frede und McDowell in Bezug auf diese Partie modifiziert werden. Während M. Frede behauptet, alle Negationen in 255e8-257a11 seien negative Prädikationen „an sich“, identifiziert McDowell die Andersheit in dieser Partie mit Nicht-Identität. 357 Der erste erkennt „ist nicht“ in dieser Partie, weil er auf das Verb ἔστι und dessen Negationen fokussiert, obgleich Platon das „nicht“ eher mit dem Prädikat in Verbindung setzt, wie wir oben argumentierten. Wie bereits in der Forschung gezeigt worden ist und wir es weiter bestätigt haben, will Michael Frede den Satz „Die Bewegung ist nicht-Selbes“ nicht als Negation der Identität verstehen, sondern als Negation der Prädikation „an sich“. Wie bei der Deutung der vier Quartette aufgewiesen wurde, muss Frede hier die Struktur von zwei unterschiedlichen Sätzen gleichsetzen, weil der Satz „Die Bewegung ist nicht-Selbes“ nicht nur die Prädikation „an sich“, sondern Prädikation überhaupt negiert. McDowell stellt seinerseits fest, dass es in 255e8-256e6 eher um die Negation der Prädikate geht, 358 gesteht dennoch nicht zu, dass „Die Bewegung ist nicht-Stillstand“ eine Negation der Prädikation bedeutet. Kurzum, es geht nicht bei allen formulierten Aussagen der vier Quartette um Negation der Prädikation. Noch geht es in allen Fällen um Negation der Identität. Zur Deutung der Falschheit in den zwei Definitionen in 263b7 und 263d1-4 werden zwei Hauptlinien vertreten: 359 (I) Die Andersheit in der Falschheit-Formel baut auf der Art der Andersheit von allem, was etwas ist, auf. Demgemäß ist der Satz „Theaitetos fliegt“ falsch, weil er etwas von Theaitetos aussagt, das von allem verschieden ist, was über ihn (der Fall) ist (von Keyt 1973 als „Oxford-Deutung“ charakterisiert). (II) Der falsche Satz „Theaitetos fliegt“ ist falsch, weil er etwas über Theaitetos aussagt, das damit inkompatibel ist, was in Bezug auf ihn der Fall ist (InkompatibilitätsDeutung). Im Rahmen dieser Deutung hat neuerdings Brown ihre Interpretation „the incompatibility range interpretation“ genannt. Brown hat sich dem Verständnis des Prädikats „nicht-Groß“ als „nur anderes als groß“, nämlich „gleich“ (257b-c) angeschlossen. Diese Interpretation war in der angelsächsischen Welt wegen einer starken Abneigung gegen Hegel und hegelsche Interpretationen zu Beginn des letzten Jahrhunderts nicht beliebt. Die von Ryle und Mabbott vertretene Art der Negation hat im Rahmen des Symposiums der Aristotelischen Gesellschaft 1929 heftige Kritik hervorgerufen, die auch gegen Platon gerichtet werden kann. Sie nennt nämlich nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung der Falschheit. Die Falschheit von --------------------------------------------
356 Ich habe mehrmals von Negation der Prädikation mit Bezug auf den Satz „Die Bewegung ist nicht Stillstand“ gesprochen. Dieser Satz ist nicht nur Negation der Identität sondern auch der Prädikation überhaupt (nicht nur der Prädikation „an sich“). Was dabei ausgedrückt wird, ist die Negation der Teilhabe und nicht die Teilhabe an einem negativen Prädikat. Mit diesem Satz habe ich mich im Rahmen der „Quartette“ begnügt. Ich bin nicht auf die spätere Problematik der „negativen Prädikation“ eingegangen, die van Eck zurecht als Korollar des falschen Satzes charakterisiert (1995, S. 43f.). 357 McDowell 1982, 116f. 358 Ebd., S. 117. 359 Meine Beschreibung stützt sich auf Browns Darstellung in 2008 (1), S. 451ff.
170
Kapitel 2
Sätzen wie „Die Tugend ist ein Viereck“ kann nicht aufgrund der Inkompatibilität begründet werden, als ob die Tugend eine andere Gestalt als eine viereckige hätte. Wenn man für eine der zwei Interpretationen plädiert hat, hat man versucht, die andere Deutung der Falschheit zu widerlegen. Was könnte meine Deutung der Passage über die Gemeinschaft der größten Gattungen zur Debatte über die Falschheit beitragen? Es gilt, die zwei Interpretationslinien nicht zu einer starken Disjunktion zu verhärten. Die textliche Grundlage erhebt jedenfalls für beide Interpretationen Probleme, die ich hier nicht exponieren werde. 360 Ich begnüge mich eher damit zu skizzieren, in welche Richtung sich ein neuer, separater Ansatz über das Problem der Falschheit im Sophistes bewegen würde, unter der Berücksichtigung meiner Lektüre der Partie 254a-259b. Wenn meine bisherige Deutung stimmt, dann lässt sich Folgendes sagen: Erstens: Nichts von der Sache her spricht dafür, dass eine der vertretenen Arten der Andersheit – (I) und (II) – was ihre Relevanz für die Falschheitsformeln betrifft ausgeschlossen werden muss. Die Negation „nicht-x“ und der Begriff der Andersheit haben sich durch den ganzen Passus hindurch aufgezeigt als: (a). bloße numerische NichtIdentität mit der Idee x, (b). Nicht-Identität mit der Gesamtheit der Ideen außer der Idee x und (c). im extremen Fall von (völliger) Andersheit: Kontrarität. Dabei gab es Beispiele von Konträrem ohne Mittleres (wie die Bewegung und der Stillstand) und mit mittleren Begriffen, wie im Fall des Großen und Kleinen. Es wäre die Aufgabe aufzuzeigen, dass für den Begriff der Falschheit nur (b) und (c) treffend sind: sowohl (b) als auch (c). Dass (a) von den Kandidaten für die Formel der Falschheit ausscheidet, können wir uns leicht vergegenwärtigen, weil es uns misslingt, den falschen Satz „Theaitetos fliegt“ mithilfe der numerischen Nicht-Identität zu begründen. Die numerische Identität der Begriffe bietet nämlich keine Erklärung für die Falschheit. Nach 263b7 sagt der falsche Satz andere Dinge als die Dinge, die sind. „Fliegen“ und „Lachen“ und „Sitzen“ sind numerisch verschiedene Begriffe. Der Theaitetos mag lachen und sitzen, was heißt, dass die bloße numerische Nicht-Identität nicht hinreicht, um die Falschheit (hier des Satzes „Theaitetos lacht“) zu begründen. Was die zwei letzten Arten der Andersheit betrifft, kann man keine von ihnen von der Falschheits-Formel ausschließen. 361 Zweitens: Wegen des Rückbezugs in 263b11f. auf 256e5f. sollten wir Platon keine Nachlässigkeit oder Vergesslichkeit unterstellen. Und das, weil bereits die erste Stelle die Negation der Prädikation mit umfasste, wenn auch noch nicht explizierte. Eine einheitlichere Lektüre hilft, im Text keine abrupte oder nicht begründete Umwandlung von einer Art Andersheit in eine andere zu finden, sondern den Versuch Platons zu erkennen, die Andersheit in ihrem ganzen Umfang begrifflich zu erfassen. Die wichtige Frage, warum der Gast sich nicht auf 258b6f. bezieht, sondern sich entscheidet, auf 256e5f. hinzuweisen, wenn es um die falsche Rede geht (263b11f.), lässt sich meines Erachtens nur so verstehen, dass die Passage ab 255e8-258c8 in ihrer Einheit zu verstehen ist, auch wenn der erste Teil bis 257a12 das erste Glied des parmenideischen Verdikts „Das Seiende ist nicht“ --------------------------------------------
360 Leider sehr treffend bemerkt McDowell: „Incompatibility figures in accounts of the Sophist only because its proponents cannot see how Plato can achieve his purpose without it; and I think the same goes for the universal quantifier imported by those who rightly jib at an unannounced shift in the sense of ‚other than’, but take the same view of the purpose.“ (1982, S. 120) 361 Es ist leider so, dass sich die Interpretation von Texten oft auf Abneigungen aufbaut, die nicht relevant für das Verständnis des Textes sind. Die Verbindung einer bei den Angelsachsen verbreiteten Abneigung gegen Hegel mit der hier vorkommenden „Inkompatibilität“ kann keine argumentative Kraft verleihen, sondern nur unsere Beschränktheit als Interpreten zur Sprache bringen. Es ist auf seltene Weise ehrlich, solche Hintergründe zu offenbaren (Brown 2008, 1 und 2).
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
171
und der zweite Teil das zweite Glied „Das nicht-Seiende ist“ beweisen. Trotz aller Einheit sollte man dabei vor Augen behalten, dass sich der Bereich des universalen Quantifikators an der zweiten Stelle ausgedehnt hat: Es geht jetzt nicht ausschließlich um Ideen, sondern um alles, d. h. auch Wahrnehmbares: Denn wir sagten, dass vieles Seiende in Bezug auf jedes irgendwie ist und vieles nicht ist (263b11f.). Theaitetos hat Recht, das nicht-Seiende zu erkennen, das die zwei Gesprächspartner bei der Suche nach dem Sophisten brauchen (258b6f.), weil nur im zweiten Teil das „nicht-Seiende“ zum Subjekt wurde und nicht, weil das im ersten Teil vorkommende nicht-Seiende in keinem Fall relevant war. 362 Theaitetos wird ad loc vom Gast nicht unterstützt, aber auch nicht widerlegt. Das jetzt gefundene „nicht-Seiende“ bezieht sich weder ausschließlich auf die Idee des Anderen noch ausschließlich auf deren Ideata/ partizipierende Teile. Gehen wir nun zu der Übersetzung der Rekapitulation und zu den Punkten (2-5) über, die relevant für unsere Arbeitsthematik sind. Weil schon einiges herangezogen worden ist und noch einiges in den folgenden Punkten zu exponieren ist, werde ich auf eine Kommentierung von 258c6-259b7 verzichten. f.
Schlussfolgerungen auf dem verbotenen Weg des nicht-Seienden ΞΕ. Οἶσθ’ οὖν ὅτι Παρμενίδῃ μακροτέρως τῆς ἀπορρήσεως ἠπιστήκαμεν; ΘΕΑΙ. Τί δή; ΞΕ. Πλεῖον ἢ ‘κεῖνος ἀπεῖπε σκοπεῖν, ἡμεῖς εἰς τὸ πρόσθεν ἔτι ζητήσαντες ἀπεδείξαμεν αὐτῷ. ΘΕΑΙ. Πῶς; 258d ΞΕ. Ὅτι ὁ μέν πού φησιν — Οὐ γὰρ μή ποτε τοῦτο δαμῇ, εἶναι μὴ ἐόντα, ἀλλὰ σὺ τῆσδ’ ἀφ’ ὁδοῦ διζήσιος εἶργε νόημα. ΘΕΑΙ. Λέγει γὰρ οὖν οὕτως. ΞΕ. Ἡμεῖς δέ γε οὐ μόνον τὰ μὴ ὄντα ὡς ἔστιν ἀπεδείξαμεν, ἀλλὰ καὶ τὸ εἶδος ὅ τυγχάνει ὂν τοῦ μὴ ὄντος ἀπεφηνάμεθα· τὴν γὰρ θατέρου φύσιν ἀποδείξαντες οὖσαν 258e τε καὶ κατακεκερματισμένην ἐπὶ πάντα τὰ ὄντα πρὸς ἄλληλα, τὸ πρὸς τὸ ὂν ἕκαστον μόριον αὐτῆς ἀντιτιθέμενον ἐτολμήσαμεν εἰπεῖν ὡς αὐτὸ τοῦτό ἐστιν ὄντως τὸ μὴ ὄν. ΘΕΑΙ. Καὶ παντάπασί γε, ὦ ξένε, ἀληθέστατά μοι, δοκοῦμεν εἰρηκέναι. ΞΕ. Μὴ τοίνυν ἡμᾶς εἴπῃ τις ὅτι τοὐναντίον τοῦ ὄντος τὸ μὴ ὂν ἀποφαινόμενοι τολμῶμεν λέγειν ὡς ἔστιν. ἡμεῖς γὰρ περὶ μὲν ἐναντίου τινὸς αὐτῷ χαίρειν πάλαι λέγομεν, 259a εἴτ’ ἔστιν εἴτε μή, λόγον ἔχον ἢ καὶ παντάπασιν ἄλογον· ὃ δὲ νῦν εἰρήκαμεν εἶναι τὸ μὴ ὄν, ἢ πεισάτω τις ὡς οὐ καλῶς λέγομεν ἐλέγξας, ἢ μέχριπερ ἂν ἀδυνατῇ, λεκτέον
--------------------------------------------
362 Das Nicht-seiende mag in 256e5-257a6 relevant gewesen sein. Dennoch kann ich van Eck (1995, S. 35) nicht zustimmen, dass der Beweis, dass „das nicht-Seiende irgendwie ist und das Seiende wiederum auf eine Weise nicht ist“ (241d6f.) schon in 256e5-257a6 vollzogen worden ist. Nur „dass das Seiende nicht ist“ ist in diesem Teil aufgewiesen worden.
172
Kapitel 2 καὶ ἐκείνῳ καθάπερ ἡμεῖς λέγομεν, ὅτι συμμείγνυταί τε ἀλλήλοις τὰ γένη καὶ τό τε ὂν καὶ θάτερον διὰ πάντων καὶ δι’ ἀλλήλων διεληλυθότε τὸ μὲν ἕτερον μετασχόν τοῦ ὄντος ἔστι μὲν διὰ ταύτην τὴν μέθεξιν, οὐ μὴν ἐκεῖνό γε οὗ μετέσχεν ἀλλ’ ἕτερον, ἕτερον δὲ τοῦ ὄντος ὂν ἔστι σαφέστατα 259b ἐξ ἀνάγκης εἶναι μὴ ὄν· τὸ δὲ ὂν αὖ θατέρου μετειληφὸς ἕτερον τῶν ἄλλων ἂν εἴη γενῶν, ἕτερον δ’ ἐκείνων ἁπάντων ὂν οὐκ ἔστιν ἕκαστον αὐτῶν ουδὲ σύμπαντα τὰ ἄλλα πλὴν αὐτό, ὥστε τὸ ὂν ἀναμφισβητήτως αὖ μυρία ἐπὶ μυρίοις οὐκ ἔστι, καὶ τἆλλα δὴ καθ’ ἕκαστον οὕτω καὶ σύμπαντα πολλαχῇ μὲν ἔστι, πολλαχῇ δ’ οὐκ ἔστιν. ΘΕΑΙ. Ἀληθῆ. GAST: Weisst du wohl, dass wir dem Parmenides nicht gefolgt sind, indem wir über das Verbot hinausgegangen sind? THE: Wieso? GAST: Nachdem wir vorher mehr untersuchten als was jener verbot zu erforschen, bewiesen wir ihm es. THE: Wie? GAST: Weil er sagt irgendwo: Denn du darfst es nicht zwingen zu sein, wobei es nicht ist; sondern halte den Gedanken von diesem Weg des Suchens fern. THE: Er sagt denn so. GAST: Wir haben aber nicht nur bewiesen, dass das nicht-Seiende ist, sondern auch die wirkliche Gattung des nicht-Seienden aufgewiesen; denn nachdem wir die Natur des Anderen als seiend und auf alles Seiende in Bezug aufeinander verteilt bewiesen, wagten wir zu sagen, dass eben dieses das wirklich nicht-Seiende ist: jeder Teil von ihr [i. e. der Natur des Anderen], der dem Seienden entgegengesetzt ist. THE: Wie ich glaube, haben wir in jedem Fall vollkommen richtig gesprochen. GAST: Lass nun niemanden uns sagen, dass wir wagen zu sagen, indem wir das nicht-Seiende aussagen, dass es das Konträre zum Seienden sei. Denn wir haben ja lange Abschied genommen von der Untersuchung über irgendein Konträres zu diesem [i. e. zum Seienden], ob es sei oder nicht, ob es eine Erklärung hat oder gänzlich unerklärlich ist. Was wir aber jetzt sagten, dass das nicht-Seiende ist, sollte jemand entweder überzeugen, dass wir nicht richtig sprechen, nachdem er es geprüft hat, oder bis er nicht imstande ist, muss auch jener sagen, wie wir sagen, dass sich die Gattungen miteinander vermischen und das Seiende und das Andere durch alle [Gattungen] sowie durcheinander hindurchgegangen sind: Nachdem das Andere am Seienden teilgenommen hat, ist es wegen dieser Teilhabe nicht jenes, an dem es teilgenommen hat, sondern anderes. Und weil es anderes als das Seiende ist, besteht ganz deutlich die Notwendigkeit, dass es nicht-seiend ist. Nachdem das Seiende wiederum am Anderen teilgenommen hat, ist es anderes als die anderen Gattungen, und indem es anderes als alle jene [Gattungen] ist, ist es [i. e. das Seiende] nicht jede von diesen [Gattungen] noch alle anderen in ihrer Gesamtheit, sondern nur es selbst. So dass das Seiende wiederum zweifelsohne tausend und zehntausend Mal nicht ist und so die anderen [Gattungen] als einzelne sowie in ihrer Gesamtheit auf vielerlei Weise sind, aber auf vielerlei Weise nicht sind. THE: Das ist wahr.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes 2.
173
Ackrills zweite These: Die syntaktische Analyse der Teilhabe als asymmetrische Beziehung
Der Schwerpunkt unserer Analyse liegt eher im ideentheoretischen Aspekt – was die Frage nach dem Sein der Idee als Idee angeht – als im urteils-formallogischen, auch wenn sich die zwei Ebenen des Öfteren überschneiden und auch wenn der ontologische Streit in der entsprechenden semantischen Terminologie enden oder in diese übersetzt werden kann, wie Quine feststellt (19612, S. 16). Dass es um die Idee qua Idee unter anderem geht, lässt sich klar machen, wenn man die Aussage berücksichtigt, dass drei der größten Gattungen durch alle Ideen hindurchgehen, d. h. sie als formale Eigenschaften aller Ideen anerkannt werden. Ackrills bahnbrechender und einflussreicher Beitrag über „Plato and the Copula“ hat große Diskussionen über seine erste These hervorgerufen, dass Platon zwischen drei verschiedenen Bedeutungen des Verbes ἔστι unterscheide. Bis jetzt hat sich bei unserer Lektüre gezeigt, dass Platon keineswegs speziell auf das Verb ἔστι fokussiert, wie inzwischen auch in zahlreichen unterschiedlichen kritischen Ansätzen gezeigt worden ist. 363 Nach der zweiten These von Ackrill, die im Vergleich zu seiner ersten These ohne weitere Problematisierung in der Forschung akzeptiert worden ist, zeigt der Gebrauch von metechein keine symmetrische Relation auf. Es bedeute ausschließlich „falling under a concept“. Gemäß Ackrills Analyse von Sph. 251-259 ist „A μετέχει B“ dem Satz „A ist B“ äquivalent und nie dem Satz „B ist A“. Genau darin besteht seine von uns charakterisierte zweite Hauptthese, durch die er Cornfords Ansatz der symmetrischen ideellen Beziehungen widerlegt. Bevor auf die Natur der ontologischen Mischung der größten Gattungen näher eingegangen wird, ist es von großem Belang, die syntaktische These von Ackrill zu prüfen. Ackrill diagnostiziert Cornfords Fehler wie folgt: „The trouble lies in Cornford’s insistence on the blending metaphor, which suggests a symmetrical relation, to the exclusion of others which do not.“ 364 Zweifellos hat Ackrill Recht, insofern Cornford das Symmetrische von allen Ideen behauptet: „Also, as we have seen, in speaking of Forms ‚participation’ is synonymous with ‚blending’ or ‚combination’ and is a symmetrical relation, whereas the participation of things in Forms traverses the boundary between Forms and is not a symmetrical relation.“ 365 Die Bezeichnung der „Mischung“ wird am Beispiel der größten Gattungen in Anspruch genommen, was das Thematisieren in unserer Arbeit rechtfertigt – wenn auch noch nicht begründet (dazu unten, 2.3, III, 3-5) –, und fehlt, wenn es um Gattung-Art-Beziehungen geht: Da wird eher μετέχειν angewendet (Plt. 260a1f.). Daher kann Cornfords verallgemeinernde These nicht wahr sein, dass sich die Mischung als symmetrische Beziehung zwischen den Relata in den ganzen ideellen Bereich verbreitet. Ich kann Ackrill dennoch nicht zustimmen, wenn er behauptet: „The discovery of other interrelationships, and the study of the relational concepts themselves, may easily be seen as natural extensions to the tasks of division.“ (Hervorhebung G. M.). Ackrills petitio principii, am Beispiel der Beziehung zwischen der Tugend und ihren Teilen wie Frömmigkeit und Gerechtigkeit, die darunter fallen, die Beziehungen zwischen den größten Gattungen zu analysieren, lässt sich vor diesem Hintergrund seiner Überbewertung --------------------------------------------
363 Wie oben gesagt sind M. Fredes und Owens Arbeiten Antworten auf diese These von Ackrill. Lesley Brown hat sich in die syntaktische Problematik eingemischt (1986). Zur Kritik an Ackrills These s. zusätzlich Runciman 1962, S. 83ff. Vlastos 19812, S. 288-290, Anm. 44, P. Kolb 1997, S. 164. 364 Ackrill 1965, S. 218. 365 Cornford 1960, S. 297.
174
Kapitel 2
der dihairetischen Methode erklären. Dass die Gerechtigkeit an der Tugend teilhat, bedeutet nicht, dass die Tugend an der Gerechtigkeit teilhat. 366 Das ist der Fall. Auch wenn Ackrill mit Recht moniert, dass der Dialektiker „must try to get a clearer view of the whole range of concepts and of how they are interconnected, whether in genus-species pyramids or in other ways“ 367 , interessiert er sich nicht für die Sätze über gleichursprüngliche größte Gattungen wie das Seiende und das Andere. In diesem Fall nämlich gelten beide Sätze als richtig: „Das Seinde ist anderes“ und „Das Andere ist Seiendes“, weil die methexis eine gegenseitige ist. Bei den Beispielen jedoch, die Ackrill auswählt, ist die Bewegung das Subjekt, was die Widerlegung von Cornfords These der Symmetrie der ideellen Beziehungen leichter macht, weil die Bewegung und der Stillstand als einander ausschließende Klassen funktionieren: For if „Motion blends with Existence“ means „Motion exists“, then „Existence blends with Motion“ must mean „Existence moves“. Plato obviously did not intend this. Oder auf ähnliche Weise im zweiten Satz, den er auswählt: „Motion is different from Rest“ can be analysed in: „Motion communicates with Difference from Rest“ which would be equivalent, if Cornford is right, to: „Difference from Rest communicates with Motion“. 368 Trotz aller erwähnten Einschränkungen ist die syntaktische These, die Ackrill aufstellt, in jedem Fall und als These über die syntaktische Analyse von methexis richtig. Nach der Übersetzung und Kommentierung des Textes über die Gemeinschaft der größten Gattungen sind wir imstande, Ackrills zweite Hauptthese zu bestätigen. In allen zwölf vorkommenden Fällen von μετέχειν heißt methexis von A an B: A ist B und nicht B ist A. Hier geht es um eine These über die syntaktische Analyse des Satzes „A hat an B teil“. Dass in einigen Fällen beides gilt, „A hat an B teil“ und „B hat an A teil“, was in den nächsten Abschnitten problematisiert wird, bleibt davon unberührt und außerhalb von Ackrills Interesse. Einige der nicht auf ein subsumptionslogisches Modell zugeschnittenen Beziehungen der μέγιστα γένη werden notwendigerweise in Prädikationssätze „hineingepresst“, die aber nicht auf einen Primat des jeweiligen Subjekts als der Substanz verweisen. 369 -------------------------------------------366
Ackrill 1997, S. 86f. Über die Grenzen der dihairesis s. oben 2.2, IV.2. Ackrill 1996, S. 80, Hervorhebung G. M. 368 Ebd., S. 87. 369 Die semantischen Belege scheinen nicht eindeutig zu sein, wenn man die ontologischen Beziehungen der größten Gattungen untereinander untersuchen will und nicht nur die syntaktische Analyse von methexis. Die Versuche scheitern nämlich, wenn man auf dem Grund der Anwendung von μεταλαμβάνειν mit Genitiv oder Dativ entsprechende Schlüsse über das Symmetrische oder das Asymmetrische der größten Gattungen zu ziehen versucht, weil Platon keine terminologische oder sachliche Unterscheidung systematisch etabliert. Die kritischen Bedenken vonseiten Kutscheras werden hier geteilt: 2002, S. 23, Anm. 2. Ross (19532, S. 111f., Anm. 6) als erster, Ackrill (1965) und neuerdings Simon (1995/96) möchten dennoch einen systematischen Unterschied feststellen: Wenn κοινωνεῖν mit Genitiv auftaucht (250b9, 252a2, b9, 254c5, 256b2, 260e2), bezeichne es nach Ross eine asymmetrische Beziehung („Teilhabe“), wenn mit Dativ (251d9, e8, 252d3, 253a8, 254b8, c1, 257a9, 260e5) eine symmetrische („combine with“, „communicate with“). Ross bemerkt anschließend zurecht: „Though Plato uses the two different constructions, he does not seem to attach any importance to the difference between them.“ (Ebd.). Dennoch ist Ackrills These als eine syntaktische Analyse zu bestätigen. 367
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
175
Nach Ackrills syntaktischer These über die methexis bedeutet „A hat an B teil“ nicht, dass „B ist A“. Die zwölf relevanten Fälle in der Passage über die Gemeinschaft der größten Gattungen sind die folgenden: Die ersten zwei Fälle kommen im ersten Argument über die Nicht-Identität von Bewegung und Stillstand sowie dem Selben und dem Anderen vor, 255a10-b3. Der dritte Fall in 255d4 plädiert gegen Cornfords Deutung, weil es bei den Kategorien von „an sich“ und „in Bezug auf anderes“ nicht um platonische Ideen geht. Außerdem spricht der vierte Fall in 255e4 auf klare Weise für Ackrills These: Weil jedes an der Idee des Anderen teilhat, ist es anderes. Der fünfte Fall in 256a1 steht, zusammen mit 256d8-e3, auch auf der Seite Ackrills, was seine syntaktische Analyse von methexis betrifft: Die Bewegung ist (Seiendes), weil sie an dem Seienden teilhat. 256b1 plädiert außerdem für Ackrills syntaktische Analyse: Weil die Bewegung an dem Selben teilhat, ist sie selbes. Obgleich der Konditional in 256b6f. im modus irrealis steht, kann man Ackrills These noch einmal bestätigen: Wenn die Bewegung am Stillstand teilnehmen würde, würde die Bewegung stillstehend sein. Es wird nicht gesagt, dass dann der Stillstand bewegt wäre, was Ackrills These aus den Angeln heben würde. Und so kommen wir zu den letzten Fällen, die den deutlichsten Beweis für die syntaktische These Ackrills anbieten, nämlich in der Rekapitulation von 259a2-b6: Das Andere (‚A’) ist Seiendes (‚S’) durch seine Teilhabe am Seienden (259a6f.). Dann wird das Entscheidende gesagt: Wenn es gelten würde, dass die methexis von ‚A’ an ‚S’ nicht nur „A ist S“ sondern auch „S is A“ bedeutet, dann wäre es redundant gewesen, die methexis von ‚S’ an ‚A’ zu erwähnen, um den Satz „S ist A“ zu erklären (259b1f.: τὸ δὲ ὂν αὖ θατέρου μετειληφὸς ἕτερον τῶν ἄλλων ἂν εἴη γενῶν). Die methexis von ‚A’ an ‚S’, nämlich vom Anderen am Seienden (257a7), wäre hinreichend gewesen. Wenn das alles stimmt, ist Ackrills syntaktische These über die methexis im Rahmen der Gemeinschaft über die größten Gattungen in allen Fällen bestätigt worden. 3.
Die Unhintergehbarkeit der Mischung des Seienden mit dem Anderen
Wir kehren zurück zu unserem Interesse, das sich der These Ackrills nicht entgegensetzt, jedoch einen anderen, ontologischen, Schwerpunkt hat. Wir haben die Rolle der Idee des Anderen im Kommentar zur Partie (E) dargelegt. Nach der Fragestellung von Sph. 253c1-3 ist die dialektische Untersuchung eine Erforschung der Ursachen. Die Fragen waren, welche Ideen imstande sind, die Mischung und welche imstande sind, die Trennung zu bewirken. In 253c2 charakterisierte der Gast einige der Gattungen als δυνατὰ συμμείγνυσθαι εἶναι, was nicht einfach bedeutet, dass „sie sich mischen können“, sondern dass sie das Mischen bewirken. Ginge es um die erste Bedeutung, würde ein Dativ oder ein von einem Akkusativ begleitetes πρός dem Infinitiv folgen, wie es der Fall bei μείγνυσθαι oder συμμείγνυσθαι ist (vgl. 252e1f.). Der Gast fragt hier, was die Ursache der Mischung ist. Δυνατόν bedeutet daher „mächtig“ sein zu mischen, „imstande“ sein, die Mischung „zu bewirken“, 370 was vom Folgenden bestätigt werden kann: καὶ πάλιν … ἕτερα τῆς διαιρέσεως αἴτια. Dynamis bewahrt noch die starke kausale Bedeutung, die der Gast in seinem Versuch, die Materialisten zu verbessern, einführte (vgl. 251d9; e8; 252d2; 253a8; e1; 254c5). Und auch wenn ποιεῖν und πάσχειν nicht in der Passage über die Gemeinschaft der größten Gattungen auftauchen, außer in 252b9 und 256e1, bedeutet dynamis in kausalen Zusammenhängen immer Kraft des Tuns und des Leidens. Daher wird hinreichend klar, dass durch das in der Gemeinschaft der größten Gattungen vorkommende „διὰ τὸ μετέχειν“ oder „διά τήν μέθεξιν“ die Ursache gegeben -------------------------------------------370
Vgl. LJS, vierte angegebene Bedeutung.
176
Kapitel 2
wird. Auffällig ist bei den erklärenden Aussagen, dass nicht die Idee des Anderen als Ursache der Mischung und Trennung der Ideen bezeichnet wird, 371 also nicht ein „Element“ der Mischung, sondern die Verbindung selbst, die Teilhabe am Anderen, die Gemeinschaft mit der Idee des Anderen: Nicht διὰ τὸ θάτερον, sondern διὰ τὸ μετέχειν τῆς ἰδέας τῆς θατέρου (Sph. 255e5-6) ist jede einzelne Idee verschieden von den anderen Ideen. Nicht διὰ τὸ θάτερον schlechthin, sondern διὰ τὴν κοινωνίαν θατέρου (Sph. 256b2) ist die Bewegung nicht das Selbe. 372 Dass sich die Idee des Anderen als Ursache sowohl der Trennung als auch der Mischung gezeigt hat, darf nicht auf übertriebene Weise hervorgehoben, sondern muss in den bestimmten Kontext integriert werden. In der Tat lässt Platon überhaupt keinen Primat eines μέγιστον γένος als Element zu. Wem der Primat zurecht zukommt, ist einzig die Gemeinschaft oder Mischung der größten Gattungen: Diese hat den Vorrang gegenüber der Trennung, sofern die erste begriffliche Trennung schon die Mischung und Vereinigung der Ideen voraussetzt. Auch die Trennung der Ideen wird als eine Art Verknüpfung herausgestellt, nämlich eine Teilhabe an der Idee des Anderen. 373 Auf diese Weise wird meine positive Antwort auf die Frage, ob die Mischung im Dialog als unhintergehbares Prinzip betrachtet wird (oben in §2.2), aufs Neue bekräftigt: Platon stellt die Frage nach der Ursache der Mischung und der Trennung der Ideen. Die Mischung der wichtigsten Ideen des Seienden und des Anderen erweist sich in diesem Dialog als unhintergehbar. Der Gast erfüllt seine Aufgabe, nämlich das hoti der Mischung der Idee des Seienden und des Anderen als Kulmination des Dialogs und nicht das dioti anzugeben. Wir konstatieren und vertiefen: Auf die Frage nach der Ursache der Trennung und der Mischung der größten Gattungen wird als Antwort eine Art von methexis – mit anderem Namen eine ideelle Mischung – angegeben und nicht eine oder mehrere der oft in der Forschung als Elemente bezeichneten größten Gattungen; also das Seiende oder das Andere als Element. 374 Viel eher gilt es, in der aufgetauchten Schwierigkeit auszuharren: -------------------------------------------371
372
Das wäre der Fall gewesen, wenn wir διὰ τὴν ἰδέαν τοῦ θατέρου hätten.
Außer der Analyse durch διὰ τὸ μετέχειν oder διὰ τὴν κοινωνίαν (so Ackrill 1997, S. 81f. und Ketchum 1978, S. 56) nehme ich eine kausale Bedeutung an, weil der Gast die Frage nach der Ursache in 253c1-3 unterstreicht. Das bedeutet keinesfalls, dass man die temporale Kausalität untersucht, wie es die Furcht von Ackrill gewesen ist, obgleich temporale Partizipien angewendet werden: 259a6, μετασχὸν τοῦ ὄντος; 259b1f.: μετειληφὸς ἑτέρου τῶν ἄλλων. 373 Natorp 19943, S. 298. 374 Daher zeigt sich die Schwäche derjenigen Deutungen, nach denen das Seiende als Ursache der Mischung und das Andere als Ursache der Trennung charakterisiert werden: Gómez-Lobo 1977, Bluck 1975, S. 121. Auf diese Weise versuchen die Interpreten oft, der Rede von verschiedenen Gattungen als Ursachen der Mischung und der Trennung (253c1-3, s. oben § 2.2,IV) gerecht zu werden. Das Unternehmen, zwischen „vowel“ und „disjunctive forms“ (Bluck 1975, S. 117) „sauber“ zu unterscheiden, stößt auf Widerstand im Text, wie der Fall des Anderen gezeigt hat. Gerechtfertigt bleibt Blucks Kritik an Moravcsiks Darstellung vom Seienden als „somehow sandwiched between two forms that combine, as a vowel is sandwiched between two consonants“ (ebd., S. 121), der das Bild „of mortar connecting bricks“ anwendet (Moravcsik 1962, S. 49). Ross bemerkt der Sache gemäß, dass die verbindenden Ideen das Seiende, die Selbigkeit und die Andersheit – von allen prädizierbar – seien, während die absondernde Idee die Andersheit aufgrund ihrer besonderen Natur sei (19532, S. 113). Gegen Ross’ metaphysische Deutung wendet sich Trevaskis, der „verbal rather than metaphysical bonds and separators“ hervorhebt: „The being (in its non-existential use) is a uniting term, and ‚not’ (in its sense of ‚other than’) a separating term“: 1966, S. 114f. Trevaskis geht davon aus (anlässlich der unbeantworteten Frage in 253c3): „Plato clearly indicates that the separating terms are different from the uniting terms.“ (1966, S. 110, Hervorhebung G. M.). Trevaskis’ Behauptung „Plato is in any case not talking metaphysics when he introduces his vowel analogy“ (ebd., S. 114) offenbart seine eigene Abneigung.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
177
Wir bewegen uns nicht in bloßen Kreisen, wenn wir annehmen – weil es sich im Text zeigt –, dass die Mischung die Ursache der Mischung ist. Nachdem wir oben aufzeigten, was Platon beansprucht und was nicht, können wir die Thesen widerlegen, dass hier eine petitio principii ins Spiel kommt (pace Robinson) oder dass es sich um eine nichtssagende Behauptung handelt. Allerdings gilt es an dieser Stelle zu fragen, was diese zirkuläre Behauptung, die sich durch sich selbst begründet, bedeutet: Die Mischung ist die Ursache der Mischung. Wir sind nun nämlich im Bereich der größten Gattungen, in dem eine Denkweise von Begründung und Begründetem, Ursache und Verursachtem an ihre Grenzen stößt, weil zumindest die drei ausgezeichneten Gattungen füreinander konstitutiv sind. Die Mischung der höchsten Gattungen ereignet sich nicht auf der Basis von vorhandenen Elementen (dem Seienden, dem Anderen und dem Selben), die nachträglich gemischt werden. Erst in der Dynamik des Vollzugs der Mischung kommen ihre Momente als eigenständige Elemente zur Erscheinung, und so wird überhaupt erst das Gefüge der Mischung selbst verantwortlich für die Entmischung (Trennung oder – wie es sich jetzt besser zeigt – Trennbarkeit) seiner Elemente. 375 Auf diese Weise kann das Fehlen einer Zurückführung der Mischung auf eines ihrer Momente eine sinnvolle Erklärung finden. Das Zurückführen ist in diesem Bereich schlichtweg fehl am Platz. Auf dem Grund einer so verstandenen ideellen Mischung werden einerseits das bewegte und das statische Moment in ihrer spannungsvollen Harmonie 376 und sowohl die irreduzible Relationalität der höchsten Gattungen als auch ihre eigene Natur bewahrt. Platon spricht seinen kindlichen Wunsch durch den eleatischen Gast im Sophistes aus, das Sein sowohl bewegt als auch stillstehend zu denken: Die so sich ereignende und sich selbst artikulierende Mischung 377 der obersten Gattungen wird zum Vehikel der Erfüllung seines Wunsches. Andererseits drückt die „bedingte“ ideelle Mischung die Einheit des sich selbst ausdifferenzierenden Seins aus: Indem sie die entgegengesetzten Momente der Verbindung und der Trennung übergreift und vereinigende und scheidende Tendenzen des ideellen Bereichs spannungsvoll verbindet, verrät sie ihren Charakter einer Einheit von Einheit und Vielheit. --------------------------------------------
375 Weder das aristotelische Konzept des Aggregats (σύνθεσις) noch der Mischung (μίξις) halte ich daher für geeignet, die Verhältnisse zwischen den größten Gattungen auszudrücken. Im Fall der größten Gattungen geht es nicht um getrennte Elemente, die anschließend zusammengebracht werden, auch wenn es so scheint, weil der Dialektiker sie voneinander unterscheiden muss. Das Seiende, das Andere, die Bewegung, die Ruhe und das Selbe erwerben ihre δύναμις erst im Geflecht und verlieren ihre Kraft und ihr Sein, wenn sie von dieser Gemeinschaft abgetrennt werden. Bei einer hier leider nur angedeuteten Ausdifferenzierung des ideellen Seins geht es nicht zunächst um Getrenntes und dann um seine Mischung (als Summe der Teile). Diese Problematisierung kam anlässlich des aristotelisch angehauchten Vorschlags von Stephan Herzberg zustande, das Geflecht der größten Gattungen als aristotelisches „Aggregat“ zu fassen. 376 Im Hintergrund bleiben die Ergebnisse der Arbeit von Schwabe bezüglich der Mischung als Prozess und Produkt: s. oben, § 1.1, I und III. Am Rande sei erwähnt, dass unsere auf die „Mischung“ gelegte Akzentuierung von Fattals Überlegungen abweicht, der in seiner philologischen Untersuchung das λέγειν auf seinen etymologischen homerischen Stamm zurückverfolgt: einerseits „auflesen” andererseits „aufzählen, auserwählen“. Während Fattal das Versammelnde mit dem herakliteischen logos in Verbindung setzt, führt er die trennende/ scheidende Funktion des logos auf Parmenides zurück (1991, S. 159ff.). Platon vererbt das Zweifache des λέγειν, aber nach der Meinung des französischen Interpreten hebt er im Anschluss an Parmenides die scheidende Bedeutung innerhalb seiner Dialektik hervor. Bei unserer Darstellung wird der Mischung die überwiegende Rolle beigemessen. 377 Man könnte wagen, folgendermaßen zu formulieren: Die sich selbst in Bewegung setzende Mischung kann nicht anders als der Ausdruck der Seele des Ideellen sein (Sph. 248e7), da die Seele bei Platon als der sich selbst bewegende Ursprung bestimmt wird.
178 4.
Kapitel 2 Die Metapher der Mischung als Hinweis auf die Gefahr der Verwischung der Grenzen
Man sollte mit den herrschenden und wichtigsten endoxa in der Forschung beginnen. Die Vorwürfe der Forscher sind gerechtfertigt, weil man in der Gemeinschaft der größten Gattungen mit mehreren Problemen und Ambiguitäten konfrontiert wird. Gerade weil es um einen Text geht, der der analytisch geprägten Philosophie viel Hoffnung ließ, in Platon einen Vorreiter in Bezug auf moderne Sprachphilosophie gefunden zu haben, ist es immer wieder zu Enttäuschungen gekommen, weil Platon – unter anderen – die folgende Ambiguität nicht eliminieren konnte: Es herrscht bis auf eine einzige Ausnahme die Meinung, dass die Bezeichnungen ὄν, θάτερον, ταὐτόν, στάσις, κίνησις ambig sind und ihre Bedeutung zwischen jeder obersten Idee einerseits und ihrer Ideate oder Momente andererseits oszilliert. Nach der Erwähnung einiger prominenter Stellungnahmen ganz unterschiedlich bedingter Forschung wollen wir den letzten Schritt unserer Argumentation gehen: Platon ist sich dieser Ambiguität bewusst und kann mit ihr aufgrund der innigen Zusammengehörigkeit von Sein (Idee des Seienden) und Seiendem (an der Idee des Seienden teilhabend) sowie der von Andersheit und anderem operieren. Wir fokussieren auf diese zwei wichtigsten Gattungen. Heidegger bemerkt, nachdem er die drei verschiedenen Bedeutungen des ἕτερον konstatiert hat (erstens ein anderes, zweitens das Anders-sein-als und drittens Andersheit): Weil es sich hier aber für Platon um ein γένος handelt, das gleichsam ganz leer ist, ein Oberstes, das jedem möglichen Etwas, wie nachher deutlich wird, zukommt, verschwimmt für ihn von vorneherein der Unterschied, bzw. er kommt noch gar nicht zu einem Unterschied von ἕτερον als ‚ein Anderes’ und ‚Anders-sein’ bzw. ‚Andersheit’. Es ist das spezifisch Platonische der ontologischen Betrachtung, dass diese drei Bedeutungen durcheinanderlaufen. 378 Und anschließend: Das ist die merkwürdige Unklarheit, die hier noch bei Platon besteht: dass er zwar mit diesem Unterschied arbeitet, ihn aber doch nicht eigentlich als solchen herausstellt. Hier, wo wir stehen [sc. 255c12-d8], spricht Plato von einer Nichtdeckung des kategorialen Gehaltes von ὄν und ἕτερον, später aber sucht er gerade zu zeigen, dass jedes ὄν ἕτερον ist. Die Nichtdeckung des kategorialen Gehaltes widerstreitet nicht der Deckung des Bereiches der kategorialen Anwesenheit, dessen, was durch diese Kategorien bestimmt ist. Es besteht also ein Unterschied zwischen der Nichtdeckung des kategorialen Gehaltes und der Deckung des Bereiches der Anwesenheit der Kategorien, von denen hier die Rede ist und die als solche διὰ πάντων, durch alle hindurch da sind. Bei jedem ὄν ist also auch ein ἕτερον. 379 Runciman beobachtet im selben textlichen Zusammenhang: „Plato seems to be in some sort of muddle between what is different and the Form of Difference (which is of course itself different).“ 380 Peter Kolb betont immer wieder und im selben Ton den Mangel an Differenzierung zwischen Idee und Ideat“ neben anderen vorhandenen Mehrdeutigkeiten. Vlastos baut auf der Unterscheidung Crombies 381 zwischen „pure property“ und „class inclusion“ im Fall der methexis einer Idee an einer Idee auf, und stellt – im An-------------------------------------------378
Heidegger, GA 19, S. 543. Ebd., S. 546. 380 Runciman 1962, S. 91. 381 Crombie 1963, S. 402ff. 379
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
179
schluss an Crombie – fest, dass Platon zwischen „Ordinary“ und „Pauline Predications“ nicht unterscheide: Im Fall des „OR“-Satzes (Ontologically Revealing Sentence) „Die Bewegung hat an dem Stillstand teil“ 382 kann die Bewegung entweder die Idee im Gegensatz zu ihren Instanzen (Ordinary Predication, OP) oder ihre Instanzen im Gegensatz zu der Idee (Pauline Predication, PP) bezeichnen. Im ersten Fall, so Vlastos, sei der Satz wahr, da zum Wesen der Idee immer das Moment des Stillstands gehört. Im zweiten Fall aber soll der Satz falsch sein, da Bewegung und Stillstand gegensätzlich seien, d. h. ihre einzelnen Instanzen sich gegenseitig ausschließende Klassen ausmachten. Vlastos zieht die Folgerung: The principal finding of this investigation has been that while Plato uses „B is A“ as an ambiguous sentence-form, taking advantage of its ambiguity to assert it now in the one, now in the other, of its alternative uses, he does so without awareness of the ambiguity. 383 Nur auf einige kritische Randbemerkungen werde ich mich hier beschränken, weil die nähere Bewertung des Beitrags von Vlastos, unter anderem was die Verbindung von PP und dihairesis angeht, über den Rahmen dieser Arbeit hinausgeht. Vlastos ist, wie ich meine mit Recht, von Brown kritisiert worden, was seine Kritik an Platon angeht, dass der Philosoph nicht zwischen den Sätzen „Die Bewegung ist Stillstand“ und „Die Bewegung ist stillstehend“ unterschieden habe. Die Analyse des Textes 255e8ff. hat es bewiesen. Hinzu kommen die folgenden Punkte: 1. In unserer Passage im Sophistes sind „the participants in space and time“ eher aus dem Spiel und als Instanzen gelten die Ideen: Die Bewegung ist eine Instanz des Seienden, des Anderen, des Stillstands, des Selben. Im Fall des Satzes also „Die Bewegung istPP stillstehend“ muss es sich nicht um bewegte zeitliche Dinge handeln, sondern eher um die Idee der Bewegung als Instanz des Stillstands. 2. Vlastos findet es schwer, den Satz „Der Stillstand istOP bewegt“ als wahr anzuerkennen, 384 wobei er keine Probleme mit dem Satz „Die Bewegung istOP stillstehend“ hat, weil alle Ideen qua Ideen stillstehend sind. Dennoch will Platon dieser Prädikation keine Gültigkeit beimessen, sondern die Bewegung und den Stillstand als zwei einander ausschließende Klassen behandeln. Beide Sätze in 252d werden daher als falsch genannt (also sowohl „Die Bewegung hat am Stillstand teil“ als auch „Der Stillstand hat an der Bewegung teil“), nicht insofern sie PP sind, 385 sondern insofern sie für sich gegenseitig ausschließende ebenbürtige Gattungen/ Arten stehen: Dann sind sie falsch sowohl als PP als auch als OP (z. B. die Ideen der schaffenden und der erwerbenden Kunst im ersten dihairetischen Schema des Sophistes: Sowohl diese Ideen als Ideen als auch ihre jeweiligen Instanzen lassen sich voneinander nicht prädizieren). 3. Vlastos zieht das Symmetrische der Beziehungen der drei μέγιστα γένη des Seienden, Anderen und Selben nicht in Betracht. Nach der Heranziehung von zuverlässigen und sehr unterschiedlich bedingten übereinstimmenden Meinungen kann ich zu meiner Darlegung zurückkehren und meine Bemerkungen dazu formulieren. Platons Gebrauch der methexis weist vor allem auf asymmetrische Beziehungen hin. Jedenfalls ist es so, wenn es um die Teilhabe des ontologisch abhängigen Wahrnehmbaren an der Idee geht. Auch im Rahmen des ideellen Bereichs bedeutet die Teilhabe eine asymmetrische Relation, wenn es um Beziehungen -------------------------------------------382
Die in der „NL“ (Natural Language) mit dem Satz korreliert: „Die Bewegung ist Stillstand“. Vlastos 19812, S. 307. 384 Vlastos 19812, 2, S. 283, Anm. 39. 385 Ebd. 383
180
Kapitel 2
zwischen Gattung und Spezies geht. Die Debatte zwischen Cornford und Ackrill über das syntaktische Ausbuchstabieren der methexis im ideellen Bereich im Rahmen der Gemeinschaft der größten Gattungen ist entschieden worden: Ackrill hat Recht, dass methexis auch in der Gemeinschaft der größten Gattungen auf der syntaktischen Ebene eine asymmetrische Beziehung ausdrückt. Platon entscheidet sich dennoch, die Metapher der Mischung im Bereich der größten Gattungen – ausschließlich im Bereich der größten Gattungen – anzuwenden. Ich werde zugleich seine bewusste Entscheidung sowie meine eigene Entscheidung erklären, die Metapher der Mischung gegenüber anderen Bezeichnungen für die Beziehungen der größten Gattungen hervorzuheben, obwohl in diesem Kontext häufiger die Rede von Teilhabe ist. Zu sagen, dass ich mich mit der Metapher der Mischung in dieser Arbeit befasse und deswegen diese Metapher ausgewählt habe, wäre eine petitio principii. Wie lässt sich meine Entscheidung, die Mischung der größten Gattungen im Sophistes zu thematisieren, begründen? Die Metapher der Mischung weist auf etwas Bedeutendes hin, auf das die methexis nicht imstande ist hinzuweisen. Das vorphilosophische Feld der Metapher der Mischung von Wein und Wasser macht nämlich auf die Gefahr aufmerksam, dass die Grenzen der wichtigsten Ideen des Seienden und des Anderen, auf die wir uns hier konzentrieren, verwischen. Diese Gefahr lässt sich unabhängig davon aufweisen, ob Platon den Terminus methexis oder den der Mischung anwendet. Ich habe auf einiges in diesem Zusammenhang bei unserer Lektüre des Textes aufmerksam gemacht; dennoch sollten wir uns diesen noch einmal vergegenwärtigen und die Ergebnisse sammeln. Platon zeigt zunächst auf, dass man der Idee des Seienden oder des Anderen keine ontologische Priorität beimessen sollte. Dies allein könnte jedoch noch nicht zu einer Verwischung der Grenzen der zwei größten Ideen führen. Die Darstellung wird noch bedrohlicher. Nichts weniger als die Eigenheit der Natur der Ideen des Seienden und des Anderen wird dadurch bedroht, dass die Teilhabe der Idee des Seienden an der Idee des Anderen ihr nicht äußerlich ist, sondern den noematischen Inhalt dieser Idee trifft. Das Gleiche ist der Fall auch für die Idee des Anderen. Nicht nur sind die größten Gattungen des Seienden und des Anderen gleichurprünglich, sondern ihre Identität läuft Gefahr zu verschwimmen. Das ist die größte Gefahr, die mithilfe der Metapher der Mischung viel deutlicher zur Sprache kommt. Eine Unterscheidung zwischen zwei Arten des μετέχειν, die in unserem Passus vorkommen, ist hilfreich: Man kann von „vertikaler methexis“ sprechen: Es geht dabei um Subsumption wie im Fall der Bewegung, die an den Ideen des Seienden, des Anderen und des Selben teilhat und entsprechend zu einem Seienden, einem Anderen und einem Selben gemacht wird. Diese Beziehung zwischen der Idee der Bewegung und den anderen erwähnten wichtigsten Ideen ist nicht nur syntaktisch, sondern auch ontologisch asymmetrisch. Sie lässt sich nicht umkehren. Das betrifft alle möglichen Subsumptionsfälle: Jede Idee fällt qua Idee unter die Ideen des Seienden, Anderen und Selben. Wenn es um die Idee der Bewegung geht, handelt es sich um asymmetrische Beziehungen: Den ontologischen Primat besitzt die Idee, an der teilgenommen wird und nicht diejenige, die teilhat, was uns nicht wundert. Bei der Idee des Seienden und des Anderen verkompliziert sich die Situation. Die Art der „vertikalen methexis“ verwandelt sich in eine zweite Art der Teilhabe, die ich „horizontale methexis“ nenne, was man durch „gegenseitige Bestimmung“ ersetzen kann. Die Idee des Seienden ist ein anderes, weil sie unter die Idee des Anderen fällt. Die Idee des Seienden ist in ihrer Natur qua Idee ein anderes, weil sie identisch mit sich selbst und anderes als die anderen sein kann, nur insofern sie an der Idee des Anderen teilhat. Das
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
181
ist nicht alles. Die Idee des Anderen ist ihrerseits in ihrer Natur qua Idee ein Seiendes. Die Idee des Anderen kann nicht sein, ohne an der Idee des Seienden teilzunehmen. Es geht in beiden Fällen um wesentliche Prädikationen. Die Idee des Seienden hat die Natur des Anderen verinnerlicht und umgekehrt. Platon will nicht den hohen Preis des Verlustes der eigenen Natur der Idee des anderen Seienden und der Idee des seienden Anderen bezahlen, die den gleichen Umfang haben, weil alles im ideellen Bereich darunterfällt. Er vollzieht den Schritt zu der Plotinischen Darstellung des ideellen Kosmos nicht, aber er bereitet den Weg auf ausgezeichnete Weise vor. Platons Ziel besteht darin, die parmenideische Ontologie zu modifizieren, um die Vielheit der Phänomene zu retten. Das gelingt ihm durch die Behauptung, dass das Sein sich prädizieren lässt, um überhaupt zu sein. Um das ontologisch auszudrücken, ist die Idee des Seienden nicht nur diejenige, an der die Idee des Anderen teilhat, sondern diejenige, die selbst an der Idee des Anderen teilnehmen muss, um überhaupt zu sein. Das Sein bezahlt den Preis des Leidens, um zu sein. Von Haus aus ist es ausdifferenziert. Es wird zum prädikativen Sein, zum x-Sein. Wenn man Aristoteles ins Spiel bringen will, sollte man meines Erachtens weniger annehmen, dass Platon mit der Unterscheidung zwischen wesentlichem und akzidentellem prädikativem Sein in der Gemeinschaft der größten Gattungen operiert. Wenn man von der Gattung des Seienden sagt, es sei selbes oder anderes, handelt es sich eher um ein ursprüngliches, wesentliches κατηγορεῖσθαι, das Aristoteles im siebten Kapitel des fünften Buches seiner Metaphysik anspricht. 386 Dieses Leiden, auf das ich mich hier beziehe, ist nichts weniger als das πάσχειν der ideellen dynamis. Die Idee des Seienden und des Anderen sind dynamis sowohl des ποιεῖν als auch des πάσχειν. Insofern kann man, um auf 248d10-e4 zurückzukommen, von einer Bewegung im ideellen Sein sprechen: κατὰ τοσοῦτον κινεῖσθαι διὰ τὸ πάσχειν (248e3f.). Es geht um eine ontologische, konstitutive Kraft des ideellen Seins. Die Ideen des Seienden und des Anderen konstitutieren einander. Verweilen wir kurz auf der Ebene der oben genannten „vertikalen methexis“, was die Idee des Seienden und das darunter fallende jeweilige Seiende sowie die Idee des Anderen und das darunter fallende jeweilige andere angeht. Während der Kommentierung haben wir festgestellt, dass keine ontologische Priorität herausgelesen werden darf: nicht diejenige, die wir in der aristotelischen Metaphysik und im Kommentar von Alexander getroffen haben, gemäß der die Aufhebung des Früheren auch das Spätere mit aufheben würde. Es ist nicht so, dass Platon ein Denkexperiment der Aufhebung durchführt, um eine ontologische Priorität der Idee, an der teilgenommen wird, zu beweisen. Wir haben mehrmals die Gelegenheit gehabt, zu erfahren, wie er vom Seienden als Instanz zur Idee des Seienden oder von dem Anderen als Instanz der Idee des Anderen zur Natur der Idee des Anderen kommt. 387 Da es mehrmals geschieht, fühle ich mich berechtigt, den Schluss zu ziehen, dass Platon dabei sehr bewusst die ontologische Priorität der Idee gegenüber dem Wahrnehmbaren, das an ihr teilnimmt, auf der Ebene der größten Gattungen – sagen wir auf präzisere Weise der Idee des Seienden, des Selben und des Anderen – entkräften möchte. Wenn die hier vorgeschlagene Deutung zutrifft, dann darf die in der Forschung aufgestellte These der Verwirrung Platons in Bezug auf die Unterscheidung zwischen der Idee des Seienden und der Instanz des Seienden in Zweifel gezogen werden. Platon übersieht diese grundlegende Unterscheidung keineswegs, sondern möchte durch die An-------------------------------------------386 387
1017a22f. Sph. 255c12-e5; 256e5-257a6; und 257c5ff.
182
Kapitel 2
wendung der Metapher der Mischung auf die bestehende Gefahr der Verwischung der Grenzen zwischen Prinzip und Prinzipiat, dem Teilhabenden und dem, an dem teilgenommen wird, Idee und Ideat hinweisen, wenn es um die Ideen des Seienden und des Anderen geht. Wenn man die Sache so versteht, distanziert man sich von einer Charakterisierung der am Anfang angesprochenen Ambiguität als „infection“. 388 Noch stimme ich der entgegengesetzten Meinung von Cornford zu, der die Sache nicht nur für unproblematisch, sondern im Gegenteil für gänzlich klar hält: Τὸ ὄν means sometimes „Existence itself“, sometimes „the existent“ or „that which is so-and-so“; ταὐτόν sometimes „Sameness“, sometimes „that which is the same“; θάτερον sometimes „Difference“, sometimes „that which is different“. But it is clear that Plato was not blind to these ambiguities. He has indicated the two senses of τὸ ὄν quite clearly in the passage at 249dff. where the Stranger passed from the discussion of the Real (that which is real) as containing both things that move and things that are at rest to Realness or Existence as a Form of which everything that is real partakes. Further, no writer who was unaware of the ambiguities could have constructed an argument which is perfectly lucid when the various meanings are kept distinct. 389 Meine Deutung stimmt eher der Interpretation von Meinhardt zu, der von einem Grenzfall des platonischen methexis-Denkens im Falle der Ideen Andersheit, Sein und Eines spricht: Der Grad von Konstitutivität ist so hoch, dass die Distanz zwischen participans und participatum fast aufgehoben wird: Ihre Konstitutivität für alle Seienden geht auf Kosten ihrer Eigenständigkeit, ihres An-sich-Seins. Sie verausgaben sich sozusagen in ihrer transzendentalen Konstitutivität. Die Teilhaberelation ist in einem so hohen Grade wesenskonstitutiv, dass sie selbst fast gar nicht mehr sind. 390 Vollziehen wir in den Überlegungen zur Idee des Anderen noch einen letzten Schritt. Wiederum werden wir dabei feststellen, dass Platon noch nicht den Weg Plotins beschreiten will, jedoch bereits Ansätze in diese Richtung anbietet. Weil der Gast das jeweilige konkrete andere als einen Teil der Idee des Anderen charakterisiert, wird die Idee des Anderen als ein Ganzes betrachtet. Da sie aus Teilen besteht – μέρη, μόρια – ist sie ein ὅλον, obgleich das Letzte nicht im Text belegt ist. Worin besteht das Ganze der Idee des Anderen? Zweierlei ist klar: Zunächst sollten wir die Frage extensional verstehen. Es kann nicht um den begrifflichen Inhalt der Idee des Anderen gehen, weil als ihre Teile das nicht-Schöne, das nicht-Große, das nicht-Gleiche und das nicht-Gerechte vorkommen. Die Idee des Anderen beinhaltet als Ganzes alle einzelnen spezifischen Ideen als ihre Teile oder Ideata bei ihrer Gegenüberstellung zueinander, d. h. den ganzen ideellen Bereich. Jeder Teil der Idee des Anderen, wenn es um alles andere als eine andere Idee geht (die Andersheit als Nicht-Identität auf kollektiver Ebene, wie wir es oben nannten), ist Teil des ganzen ideellen Seienden. Infolgedessen kann die Idee des Anderen als Ganzes nichts anderes als den ganzen ideellen Bereich bedeuten. Zweitens stimme ich mit Cornford nicht überein, dass das so charakterisierte nicht-Schöne nicht Teil der Idee des Anderen ist, weil die φύσις des Anderen nur die oberste Gattung des Anderen qua Idee bezeichnen --------------------------------------------
388 Vlastos spricht von Sätzen „infected by the same ambiguity“, 19812, S. 287. Gemeint ist die Unterscheidung zwischen OP und PP, die Platon unterlaufen haben soll. 389 Cornford 1960, S. 292f. Cornford leitet auf diese Weise seine Deutung der Passage von 257c258c. 390 Meinhardt 1968, S. 62.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
183
sollte (ἡ θατέρου μοι φύσις: 257c7, τῆς θατέρου φύσεως: 257d4). Dennoch ist immer wieder bei Platon zu bemerken, dass er sowohl die Intension als auch die Extension der Idee berücksichtigt. Jeder Teil der Idee der Andersheit grenzt sich gegenüber allen anderen Ideen ab, die auf diese Weise zu seinem anderen werden: Wie sich das Schöne dem nicht-Schönen als seinem anderen entgegensetzt, ist das andere des nicht-Schönen nichts anderes als das Schöne. Die in der Natur der Andersheit zugrunde liegende Gegenseitigkeit kommt im Altgriechischen nachdrücklich zum Vorschein: „das andere – das andere“, statt „das Eine – das andere“. 391 Nach diesen Erwägungen können wir unsere Zustimmung zu Cornford äußern: „It (thateron) is a part of the whole field of Forms which make up the Real.“ Aber da sein Einwand gegen ein Verständnis der Natur des Anderen als der Idee des Anderen (also als größter Gattung) nicht geteilt werden kann, ziehen wir unsere Folgerung: Die Idee des Anderen wird zum Ganzen des ideellen Kosmos, was Cornford wegen seiner anfänglichen Annahme nicht bereit ist, als Konsequenz seiner Argumentation anzuerkennen, 392 obgleich er ihr dennoch sehr nah kommt: Since every part of the field of Forms is different from every other part, the whole field can be called „the Different“; it will bear the collective name „that which is not“, just as well as the name „that which is“. 393 Wenn man Platons Hinweisen nachgeht, kann man folgern, dass die Idee des Anderen zu dem ideellen Ganzen wird, dessen Teile ihre Momente sind. Die Problematisierung, ob wir den im Text angebotenen Strang bis zu seinem möglichen Äußersten verfolgen und jede Idee als Idee (auch des Menschen oder der sophistischen Kunst) und Teil des ideellen Kosmos auch das Ganze widerspiegelnd denken sollten, ist im Text nicht belegt. Was die obersten fünf Gattungen anbetrifft, können wir dem Bisherigen entnehmen, dass sie sich dadurch als keine bloßen Abstraktionen erweisen. Als allgemeinste Gattungen zeigen sie sich einerseits einfach (im ersten argumentativen Gang schienen sie leer zu sein), andererseits und zugleich am inhaltreichsten und umfassendsten in sich selbst. 394 Indem und nur insofern sie als Ganzes (und nicht als Elemente) sich zeigen, können sie sich als selbstständig erweisen und dem vollkommen Seienden entsprechen (παντελῶς ὄν). Jede größte Gattung hat in sich aufgenommen, was es im ideellen Bereich gibt. So verlassen wir Platon. Plotin hat diese Art Verhältnis zwischen den Momenten der von ihm als zweite gesetzten Hypostase mit deren Ganzem nicht wie Platon nur angedeutet, sondern expliziert: „Dort [im νοῦς als dem seienden Einen] ist das Einzelne ewig aus dem Ganzen, es ist Einzelnes und Ganzes in eins.“ 395 Platon hat sich an die bedingte -------------------------------------------391
Zum Beispiel in Bezug auf das Gerechte und das Ungerechte: 258a5. „Thus ‚the not-Beautiful’ is ‚a part of the Different’ though not of difference itself“: Cornford 1960, S. 294. 393 Ebd., S. 294f. 394 Nach dem Ausdruck Cornfords: „full-blooded realities“, im Gegensatz zu „abstractions“, 1960, S. 268. 395 Enn.V 8, 4, 22-24, auch I 8, 2, 17-19, V 9, 8, 2-4, V 8, 4, 6-8. Hiermit wird unsere Deutung nicht durch Rückprojektion verstärkt, sondern festgestellt, dass Plotin einen im platonischen Text angebotenen Strang konsequent verfolgt hat. Platon war ein solches Ineinanderfallen von Teil und Ganzem keinesfalls fremd. Halfwassen hat die Verbindung zwischen der plotinischen in sich bewegten Einheit der Ideen in der zweiten Hypostase und der hegelschen konkreten Allgemeinheit des spekulativen Denkens als Totalität herausgearbeitet, indem er sich am Rande – Plotin folgend – auch auf den Parmenides und den Sophistes gestützt hat, ohne den herangezogenen Passagen jedoch ein Zusammenfallen des Teilhabenden und des Teilgenommenen zu entnehmen: 1999, S. 357-365. Es geht um 392
184
Kapitel 2
Mischung gehalten, weil sonst die Unterscheidbarkeit der Ideen verloren gehen würde. Das auf entscheidende Weise Platonische ist, dass die größten Gattungen nicht nur auf dem Boden der bedingten Mischung miteinander, sondern vor dem Hintergrund des ideellen Ganzen zu verstehen sind. 5.
Korrolar: Bekräftigung der erprobten Option durch den Parmenides (142b5-144e7)
Der Anfang des zweiten Durchgangs des Parmenides wird zusätzlich herangezogen, wo es noch einmal zu einer Art Verwischung der Grenzen zwischen dem Teilhabenden und dem, an dem teilgenommen wird, in der höchsten Schicht des ideellen Bereiches kommt. Die zweite Reihe des zweiten Teils, in der positiv gefolgert wird, 396 ergibt sich auf der Basis der Untersuchung des Einen in der Hinsicht des Fremdbezugs (πρὸς ἄλληλα, 136b4). 397 Die Perspektive der Fragestellung lässt sich so formulieren: „Wenn das Eine ist“, welche Folgerungen gibt es für das Eine in Bezug auf das andere? Wie die dritte, die fünfte und die siebte Reihe des zweiten Teils setzt auch die zweite die ideelle Teilhabe voraus. Sie wird im zweiten Teil von Parmenides nicht begründet, sondern kulminiert in der methexis des Einen und des Anderen (des Vielen). Durch zwei Argumentationen wird nach der Reflexion auf die Voraussetzungen des jetzigen Ganges (142b5-c8) aufgezeigt, dass das seiende Eine unbegrenzt der Zahl nach wird, bevor ihm anschließend die entgegengesetzte Eigenschaft der Grenze beigemessen wird: Zum ersten geschieht dies durch die unendliche Teilung, zum zweiten durch die Genese der Zahlenreihe (also diskreter Einheiten), deren Unendlichkeit dann auf das seiende Eine projiziert wird. Die Einheit (oder zumindest die Einfachheit der Einheit) von allem, dem Sein verliehen wird, einschließlich der einheitlichen parmenideischen Seinskugel, wird gesprengt, insofern das seiende Eine sich als unendlich teilbar zeigt. Rollen wir in unserem Zusammenhang das erste Argument der Teilung ins Unendliche auf (142c8-143a2): Das seiende Eine manifestiert sich als ein Ganzes, dessen „Elemente“ das Sein einerseits, das Eine andererseits sind. Eines und Sein sind unterschieden, da sonst die Teilhabe des Einen am Sein nicht möglich wäre: Beides würde zusammenfallen. Jeder der zwei Teile lässt sich entzweien, da Sein und Eins unzertrennlich sind, 398 und κατὰ τὸν αὐτὸν λόγον lässt sich in infinitum fortschreiten (Prm. 142e7-143a1): ὥστε ἀνάγκη δύ’ ἀεὶ γιγνόμενον μηδέποτε ἓν εἶναι. So wird bei diesem sich unendlich vollziehenden Prozess eine entzweiende Wirkung manifest, ohne dass diese in diesem Kontext auf die unbestimmte Zweiheit als ihre Ursache zurückgeführt wird. 399 Da die hier angesprochene Teilung in infinitum fortschreitet und deswegen den kleinsten unteilbaren Bestandteil (ἐλάχιστον: 142e4) sprengt, ist unsere Rede von Ele-------------------------------------------die zugrunde liegende Struktur einer Einheit, in der jedes der Momente das Ganze ist, das es ist, und als ungetrennte Einheit mit ihm gesetzt ist. 396 Das Eine ist sowohl das eine Prädikat als auch sein gegensätzliches Prädikat. 397 Die entgegengesetzten Eigenschaften, die vom Einen prädiziert werden, sind: Unbegrenztheit – Grenze, In-sich-selbt-Sein – In-einem-anderen-Sein, Bewegung – Ruhe, Einerlei-mit-sich-selbst – Verschieden-von-sich-selbst, Verschieden-von-anderem – Einerlei-mit-dem-anderen, Ähnlichkeit – Unähnlichkeit, Berührung – Nicht-Berührung, Gleichheit – Ungleichheit, Älter-als-es selbst/ anderes – Jünger-als-es-selbst/ anderes. 398 142e1-3. Jedes Sein ist eins und umgekehrt. 399 In der Passage manifestiert sich die vervielfachende (zweimachende) Kraft der Unbestimmten Zweiheit. In der indirekten Überlieferung kommt sie als „entzweiend“ und „gebärend“ vor: δυοποιός, διχοποιός, γεννητική: Alex. Aphr. zu Metaph. A6, p. 574, 8, 584, 6, 8, 11f., 14, Hayduck, auch in Arist. Metaph. M7, 1082a13-15, und Metaph. M8, 1083b35-36. Im seienden Einen zeigt sich die Unbestimmte Zweiheit; trotzdem fallen das seiende Eine und die unbestimmte Zweiheit als zweites platonisches Prinzip nicht zusammen.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
185
ment (als nicht weiter teilbarem Bestandteil) zu modifizieren. Zugegebenermaßen wird auch der Begriff des Ganzen als Summe seiner Elemente wegen einer so sich ergebenden Unbegrenztheit nicht nur gefährdet, sondern aufgehoben. In diesem Kontext lässt sich zeigen, dass die entstehende höchst bewegte (als sich bewegende) Ganzheit nicht durch die nachträgliche Addition ihrer Teile zusammengefasst wird, wie es im zweiten Argument über die Unbegrenztheit des seienden Einen geschieht (Prm. 143a4-144e7), sondern sich ihre Glieder aus ihr erst herausgliedern. Das Sein und das Eine sind seiende Einheiten, so dass jeder Teil des seienden Einen wieder ein Ganzes aus Sein und Einem bildet, woraus zu folgern ist: Das Ganze als ἓν ὄν scheint in diesem Fall aus jeder Teilung hervorzugehen, als Ganzes wird es in jedem seiner Teile sein. Indem wir noch einen Schritt weitergehen, ergibt sich nicht nur, dass ἓν ὄν als Ganzes in jedem seiner eigenen Teile ist, was auf die Problematik der methexis des ersten Teils des Dialogs hinweist, sondern auch, dass der Teil und das Ganze eins werden. Wenn aber jeder Teil mit jedem anderen und auch mit dem umfassenden Ganzen identisch wäre, 400 würde das In-Gang-Setzen der allerersten Teilung merkwürdig, wenn nicht gar unmöglich gemacht und sowohl die methexis (oder Mischung) als auch die Trennung der Ideen aufgehoben. Was sich dabei herausstellt, stimmt mit unserer bisherigen Deutung des Sophistes überein: Es handelt sich um keine Identität oder ein schieres Zusammenfallen zwischen dem Teilhabenden und dem, woran es teilnimmt, sondern um eine mitkonstitutive Wirksamkeit, die die Trennung in höchstem Maße erschwert. In der Passage im Parmenides geht es nicht um irgendwelche gewöhnlichen Ideen, sondern um μέγιστα γένη, die durch alles hindurchgehen, auch durch einander: δύο ὄντε ἀεὶ παρὰ πάντα (vgl. Prm. 144e2-3 und Sph. 259a: διὰ πάντων καὶ δι’ ἀλλήλων διεληλυθότε). Die Idee der Einheit (τὸ ἒν ὄν) gerät nicht außer sich dadurch, dass sie als Ganzes mit ihren Teilen (ὄντα ἕν) in eins gesetzt wird. Auf dieser Ebene und auf diese Weise gelangt das platonische Denken an die Grenze der Aufhebung der Beziehung zwischen Teilhabenden und dem, woran es teilhat. 2.4 Ausblick: Monismus oder Dualismus der platonischen Prinzipienlehre? Der Aufstieg zum σύμφυτον: Einordnung des entsprechenden Platon-Bildes in die Forschung Κα<ὶ μάλα> δὲ ὁ Ἀριστοτέλης τὸ ἦθ<ος μέτριος> γέγονεν, εἰ ἐν μὲν ταῖς Κατηγορίαις φησὶ μὴ δεῖν προχείρως ἀποφαίνεσθαι ἀλλὰ πολλάκις ἐπεσκεμμένον, καὶ μὴ<ν οὐδὲ διαπορ>εῖν μόνον ἄχρηστον εἶναι. 401 καὶ ἐν τοῖς Περὶ τοῦ ἀγαθοῦ: δε<ῖ μεμν>ῆσθαι ἄνθρωπον ὄντα οὐ μόνον τὸν εὐ<τυχοῦντα ἀλλ>ὰ καὶ τὸν ἀποδεικνύντα. 402 Vita Arist. Marciana p. 433. 10-15 (De Bono fr.1 Ross, TP 11)
--------------------------------------------
400 Schudoma 2001, S. 50, Speiser 19592, S. 31: „Das seiende Eins ist nicht mehr einfach, sondern ein Ganzes mit zwei Teilen, eine Menge mit zwei Elementen. Aber die beiden Teile sind ununterscheidbar; denn das Eins ist dasjenige unserer Position und nicht etwa das absolute Eins, es ist das seiende Eins, ferner ist das Sein seiner Natur nach nicht separierbar, sondern es ist Sein eines Eins, es ist also ein Ein-Seiendes. Das seiende Eins und das Ein-Seiende sind aber gleich. So ist das Auftreten der Trennung, ihre oberste Kraft, ein Wesen, das zwei völlig ununterscheidbare Seiten hat.“ 401 Es handelt sich dabei um einen Bezug auf Aristoteles’ Kategorien 8b21-24. 402 Der aus „Über das Gute“ zitierte Satz: „Man muss die menschliche Unsicherheit bedenken, nicht nur bei besonderem Glück, sondern auch bei der wissenschaftlichen Beweisführung.“ (Übertragung von Gaiser 19682, S. 455, Anm. 11)
186
Kapitel 2
Anhand des vorangestellten aristotelischen Berichtes von der Vorlesung „Über das Gute“ können gewisse fortvererbte Vorurteile in Zweifel gezogen werden, nach denen man nach der Ungeschriebenen Lehre ein starres System oder einen leeren und dogmatischen Formalismus zu rekonstruieren hat. Dort wird nämlich an die Grenzen des Menschen erinnert, nicht nur in Bezug auf besonderes ihm zugefallenes Glück, sondern auch hinsichtlich seiner beweisenden wissenschaftlichen Tätigkeit. Wenn Gaisers Vermutung zutrifft, dass es sich nicht um die aristotelische Kritik an dem überzogenen Beweischarakter der Vorlesung, sondern eher um einen eigenen platonischen Vorbehalt handelt, 403 weist der Bericht auf die von Platon angenommene Begrenzung unserer beweisenden Denktätigkeit über die zwei Prinzipien hin: Ihre Erfassung durch den logos bleibt „notwendigerweise hypothetisch-provisorisch“, 404 was man nicht als ihre letztendliche Unerkennbarkeit missverstehen darf. 405 Unsere Denkkapazität muss ins Äußerste getrieben werden, und der Philosoph muss es wagen, „Modelle“ zu entdecken und entfalten, die die höchst schwierige Frage beantworteten, „wie sich die beiden gegensätzlichen Prinzipien nach der Auffassung Platons letzten Endes zueinander verhalten.“ 406 Obgleich nicht die platonische Prinzipienlehre, sondern die ideelle Mischung im Sophistes thematisiert wurde, haben wir bereits den Weg eingeschlagen, der notwendigerweise von der Mischung des gleichursprünglichen Seienden und Anderen im Sophistes zu den Prinzipien führt, weil sie etwas von ihrem Verhältnis entbirgt. Daher sollte das Angebahnte hier konstatiert werden, indem wir unser Augenmerk auf das Bild der platonischen Prinzipienlehre lenken, das im Hintergrund dieser Arbeit steht. Zum Ersten würde der Anspruch, dass eine bestimmte Antwort auf die sich aufdrängende Frage der Beziehung zwischen den zwei Prinzipien aufgrund der Dialoge als notwendig akzeptiert werden muss, eklatant gegen die Schriftkritik verstoßen. Auf einer noch tiefer gehenden Ebene würde eine solche Behauptung der Tendenz Platons widersprechen, Fragen aufzuwerfen und Aporien zu skizzieren und durchzugehen (διαπορεῖν), aber keine schriftliche Antwort anzubieten, was prinzipielle Themen wie die methexis betrifft; nicht weil er über sie nicht verfügte, sondern weil er keine fertigen Lösungen niederschreiben wollte, so dass sich die mit-denkenden Leser bemühen und wagen, ihren eigenen, selbstständigen Weg einzuschlagen. 407 Infolgedessen lässt sich an die von Gaiser unterstrichene Offenheit der Frage nach dem Verhältnis der Prinzipien anknüpfen, indem weder dem
--------------------------------------------
403 Gaiser 19682, S. 455, Anm. zum TP 11. Außer Gaiser betont auch Gigon den provisorischen Charakter des menschlichen Wissens anhand dieses Fragments (1962, S. 70), während Düring die Stelle ganz anders versteht, 1957, S. 103f., 113: Mit Verweis auf EN 1178b7-32 betont er den protreptischen Charakter des Satzes: Philosophische θεωρία vervollkommnet das Leben, für dessen Vollendung äußerliches Glück nicht hinreicht. 404 Gaisers Ausdrucksweise, 19682, S. 455. 405 Ferber 1991 schickt sich neuerdings an, die Unwissenheit des Philosophen – sogar oder besonders in Hinsicht auf die höchsten Prinzipien – aufzuzeigen. Er versucht die präliminarische Frage zu beantworten, warum Platon die „Ungeschriebene Lehre“ nicht geschrieben hat: Nachdem er die Optionen einer Geheimlehre und eines „dürren Schematismus“ mit Recht abgewiesen hat, gerät er zu einem Bild des Wissens der „ungeschriebenen Lehre“ als Projektion und unerreichtes Postulat (ebd., S. 12 ff.). Zur angemessenen Widerlegung s. die Rezension von Th. A. Szlezák 1997, 2. 406 Gaiser 19682, S. 13, 1988, S. 88. Die platonische Konzeption des Philosophierens als vielfältiges Wagnis wurde schon in § 2.1, I.1. im Rahmen des anvisierten Dialogs Sophistes dargelegt. 407 Was der Tatsache nicht widerspricht, dass Platon seine wertvollsten Prinzipien nicht niederschreiben wollte.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
187
hypothetischen Entwurf Gaisers ein zwingender Charakter beigemessen wird noch endgültige Antworten beansprucht werden. 408 In dieser Arbeit ist mit dem frühen Entwurf des tübinger Interpreten übereinzustimmen: Die Prinzipien lassen sich als „zwei“ ebenso ursprüngliche wie starke, wirkende und zugleich widerfahrende Kräfte (δυνάμεις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ πάσχειν) oder Mächtigkeiten beschreiben. 409 Dieses Verhältnis vermag die von uns vorgeschlagene Bezeichnung des Verwachsenseins (σύμφυτον) treffend zum Ausdruck zu bringen, die im Rahmen der Auslegung des Philebos (anlässlich 16c10) noch in den Vordergrund zu rücken ist. Nicht nur hat das Prinzip der Unbestimmten Zweiheit eine Begrenzung durch das Prinzip des Einen zu erfahren, sondern auch das erste Prinzip wird durch die entzweiende Mächtigkeit des zweiten getroffen. In seinem späteren Beitrag modifiziert Gaiser die früher postulierte Offenheit und konstatiert eine dialektische Lösung des Prinzipienproblems, indem er die folgende Antwort auf die Frage nach dem Grund des Zusammenbestehens und Zusammenwirkens der zwei platonischen Prinzipien vorschlägt: Das Einheitsprinzip (die Idee des Guten) soll von Platon als „Einheit von Einheit und Vielheit“ verstanden worden sein. 410 Die Einheit als Grund von Ordnung übergreift also gewissermaßen den Gegensatz von Einheit und Vielheit, während ein polarer Prinzipiengegensatz von Einheit und NichtEinheit scheinbar unvermittelt bliebe. 411 Die Richtung eines dialektischen Monismus, die den Einfluss Hegels offenbart, 412 hatte inzwischen Hösle in seiner Arbeit über Platon bis zum Äußersten verfolgt. Danach --------------------------------------------
408 Auch de Vogel unterstreicht die Ungewissheit der Frage „Was Plato a dualist?“, auch wenn sie sich für eine monistische Lösung entscheidet: „Whether or not he taught explicitly that this second principle as such is not of the same level as the First but somehow secondary to it, we cannot tell [Hervorhebung G. M.]; but we can understand that his whole way of thinking tends in this direction. Therefore, when later generations explained his doctrine of the ultimate principles in a monist sense [TP 32, G. M.], we can only say that they worked out what was at least implied in it“. „The One and the indefinite Dyad are found to be actually the ultimate principles of all things, an explanation which, however, does not necessarily end in dualism but rather shows a tendency towards monism.“ (1986, S. 201.) 409 Auf dem Weg, den Gaiser eingeschlagen hat, weiterdenkend: 1961, S. 41, Anm. 44, 19682, S. 12f., 27, 193, 198ff. und passim. 410 Gaiser 1986, S. 114f. Bei seinem Versuch, den Weg von der Synopsis der mathematischen Wissenschaften zur Erkenntnis des Guten nachzuzeichnen, nimmt Gaiser den von Philippos von Opús verwendeten Begriff des Bandes in Anspruch (δεσμός, Epinomis 991e5): Die innere Übereinstimmung aller mathematischen Bereiche tritt als einheitliches, einigendes Band hervor: „Von ‚einem Band’ kann gesprochen werden, weil das Moment der Einheit gegenüber dem der Vielheit dominiert, von ‚einem Band’, weil das Spannungsverhältnis von Einheit und Vielheit [gemeint sind die Gleichmäßigkeit und Ungleichmäßigkeit, die Bestimmtheit und die Unbestimmtheit; G. M.] darin enthalten ist“, um anschließend die Folgerung zu ziehen: „In diesem ‚einen Band’ ist, formelhaft gesagt, der Gegensatz von Einheit und Vielheit einheitlich aufgehoben“ (ebd., S. 112). Vgl. oben § 2.3, III, 3 (Gefüge der Mischung als Einheit von Einheit und Vielheit) sowie das vierfache Gefüge im Philebos, unten, § 3.4. 411 Was Halfwassen als einen „unmittelbaren, gleichsam manichäischen Dualismus“ bezeichnet: 2001, S. 68. Aristotelisch geprägt zeigt sich dagegen das Bedenken Halfwassens, das zweite Prinzip als gleichursprünglich mit dem ersten zu betrachten: Gleichursprünglich und „unabhängiges Gegenüberstehen“ fielen nach Halfwassen selbstverständlich in eins zusammen (ebd., S. 78). 412 Auch Findlay gehört zu den profilierten Vertretern der hegelianisierenden Deutung einer Reduktion des Dualismus auf einen letzten Monismus: 1974, S. 324f: „One of the archai is really no arche at all, but a mere shadow of the other.“ „The negative or empty Principle which in the eidetic sphere specifies, in the instantial sphere instantiates, is merely the extrinsic side of absolute Unity, a side necessary to it, as what it is kath’ heauto or in and for itself. It is much one with absolute Unity as the diminishing shadow is one with the spreading light, or as the concavity of a curve is one with its
188
Kapitel 2
leistet Platons Prinzipienlehre eine logische und geschichtliche Synthese zwischen dem historischen Parmenides (dem positiven Pol, aus dem das erste platonische Prinzip entnommen wurde) und Anaxagoras (dem negativen Pol). Statt einer Deutung, die eine Irreduzibilität der zwei platonischen Prinzipien hervorkehrt, präferiert Hösle eine Lösung, die eine wechselseitige Verwiesenheit der Prinzipien aufeinander (dualistische Prägung) mit dem Konzept des zweiten Prinzips als Mangel des Ersten (also monistische Deutung) zusammenzudenken versucht. Einerseits manifestiert sich die gegenseitige Angewiesenheit der Prinzipien, da das Eine auf die unbestimmte Zweiheit verweist und die unbestimmte Zweiheit nicht ohne das Eine denkbar ist. Andererseits wird als Formel für die platonische Philosophie „die Einheit der Einheit und Vielheit“ bezeichnet, die eine Zusammenfassung einer positiven und einer negativen Kategorie in der positiven ausdrückt. 413 Diese postulierte ursprüngliche Einheit der entgegengesetzten Prinzipien hält Hösle für notwendig, weil ein sinnvolles Entgegensetzen eine Hinsicht impliziert, und sie erklärt den Vorrang des positiven Prinzips: „Die sich manifestierenden Prinzipien stellen im Grunde das Auseinandergetretensein einer höchsten Einheit dar, deren Restauration Welt ist.“ 414 Der eindeutige Vorrang des ersten, höchsten positiven Prinzips lässt sich nach Hösle so ausdrücken, dass seine Aufhebung die Mitaufhebung des ihm untergeordneten positiven und negativen bedeuten würde. 415 Hösle unterzieht Gaisers Entwurf einer ausdrücklichen Kritik. Zum Ersten, was die Offenheit in Bezug auf das Prinzipien-Verhältnis betrifft; zum Zweiten wendet er sich auch gegen den gedanklichen Inhalt der Ausführung Gaisers, indem er sich für ein „denkendes Begreifen“ der zwei Prinzipien und für eine Dialektik ihrer Verhältnisse einsetzt, wenngleich er die Bedenken Gaisers gegen bloße formallogische Mittel im Fall der Prinzipien teilt. 416 Nach seinem Dafürhalten kann außerdem die Gewissheit, mit der die Prinzipienlehre Platons als systematischer Ansatz verbunden ist, nicht durch ein Modell gewährleistet werden, nach dem „systematisch zu einer einzigen, alles einbeziehenden Paradoxie hingeführt wird“. 417 Obgleich Platon in den Dialogen solche Arten von Zusammenspiel zwischen Einheit und Vielheit zur Sprache bringt (Einheit von Einheit und Vielheit), 418 ist die Übertragung einer solchen Konstellation in den Bereich der Prinzipien nicht zwingend. Hösles Frage, warum die zwei Prinzipien überhaupt zueinander in Beziehung treten, von der er eine Implikation einer ursprünglichen Einheit der beiden abhängig -------------------------------------------convexity, an infinitely illuminating analogy from Aristotle, which may very well have a Platonic origin.“ 413 Hösle 1984, S. 481. 414 Ebd., S. 486. 415 Ebd., S. 485, Anm. 417. 416 Ebd., S. 460f. Das eine Prinzip setzt das andere voraus, ist ohne es nicht denkbar und insofern nicht einmal es selbst. 417 Gaiser 19682, S. 201. Gaiser spricht einerseits von einem logisch nicht weiter reduzierbaren oder überbrückbaren „Widerspruch“, und lässt offen, ob der Widerspruch durch eine Prinzipienschau transzendiert werden könnte: 19682, S. 506. Andererseits betont er die Notwendigkeit der Komplementarität der Prinzipien, die in ihrem Zusammenwirken Welt konstituieren: S. 200f. und passim. 418 Erinnern wir uns an die die Einheit und die Vielheit (Grenze und Unbegrenztheit) vereinigende Funktion der Vernunft im Philebos (vierte Gattung des vierfachen Gefüges). Ein ausgezeichnetes Beispiel bietet der δεσμός an der Stelle der Epinomis des Philippos dar: s. oben Anm. 410. Hösles spezielle hegelsche Deutung des Parmenides (1984, S. 476ff.), nach der die dritte Argumentationsreihe (157b6-159b1) als Synthese (Einheit der Einheit und Vielheit) der ersten (das Eine) und der zweiten Reihe (die unbestimmte Zweiheit) verstanden wird, kann hier nur am Rande erwähnt werden.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
189
macht, 419 kann sich als Frage als von Grund aus unangebracht erweisen, wenn man von einer andersartigen Konzeption (des σύμφυτον der zwei Prinzipien) ausgeht: Die platonischen Prinzipien brauchen nicht in Beziehung gesetzt oder „gemischt“ zu werden, da sie ineinander verwachsen sind. Die Mischung wird meistens als Mischung von selbstständigen, voneinander getrennten Elementen gedacht, während das Bild des σύμφυτον eine treffendere Schilderung des Verhältnisses der zwei innigst verbundenen, gleichursprünglichen platonischen Prinzipien anbieten kann. Dieses Bild korrigiert die entsprechende Kritik des Stagiriten, der nach dem Dritten fragt, das die zwei platonischen Prinzipien zusammenführte. 420 Gaiser hat sich auf das anregende Gespräch eingelassen, indem er die Verwendung der Formel „Einheit der Einheit und Vielheit“ willkommen heißt, um dann noch nachdrücklicher hinzuzufügen, dass „auch diese Formulierung natürlich nur ein unzulänglicher Ausdruck für jene sprachlich und logisch nicht mehr adäquat fassbare, den Fähigsten nach langer dialektischer Bemühung unmittelbar einleuchtende, evident werdende Wahrheit ist.“ 421 Das von Gaiser entworfene Modell – sowohl in seiner früheren als auch in seiner späteren Gestalt – distanziert sich deutlich von derjenigen Auffassung Halfwassens, nach der „die unbestimmte Zweiheit als bloße Seinslatenz an sich nichtig und unwirksam ist (Test. Plat. 31)“ und „erst die Übermacht des Einen sie ins Sein erhebt und sie zu ihrer entzweienden, das Sein artikulierend aufschließenden und entfaltenden Wirksamkeit ermächtigt“ 422 . Nicht ein absolutes transzendentes zweites Prinzip lässt sich neben dem absolu-
-------------------------------------------419
Hösle 1984, S. 461. Bemerkenswert ist, dass die Bezeichnung „Mischung“ in der indirekten Überlieferung nie für das Verhältnis der zwei platonischen Prinzipien verwendet wird, was unsere These bestätigt. 421 Gaiser 1988, S. 88. 422 Es handelt sich um seine prominente Stellungnahme, 2004, S. 217. Schon in: 1992, S. 283, 285, 290, 296, 297, mit Anm. 93 und passim zur Auffassung der Unbestimmten Zweiheit als bloßer Privation oder als sekundärem Hilfsprinzip, auch wenn zuvor ihre „Wirksamkeit“ zur Sprache kam (1992, S. 284, anhand der nicht zu übersehenden Berichte von Aristoteles – Metaph. M7, 1082a13-15: TP 60 – , Alexander, In Metaph. 57, 4 Hayduck, und Sextus Empiricus, M., X 276-277 – TP32 –). Halfwassen drückt sein Interesse für die Dialektik (1992, S. 265) oder Metaphysik (angemessener ausgedrückt in: 2004) des Einen bei Platon aus, und hält die Frage nach dem Einen und nicht diejenige nach dem Sein für die Grundfrage der Philosophiegeschichte. Es ist nicht angebracht, sich im Kontext dieser Arbeit mit Halfwassens Argumentation und dem zweiten Teil des Parmenides auseinanderzusetzen; trotzdem sollte man zumindest zwei methodologische Bemerkungen machen: Um solch eine starke These wie die Halfwassens in Bezug auf die zwei Prinzipien zu vertreten (absolute Transzendenz des ersten Prinzips, Nichtigkeit des zweiten: „Das Eine wird nur im Zusammenwirken mit dem Prinzip der Vielheit erkennbar, an sich selbst ist es aber unerkennbar, und weiter, die unbegrenzte Vielheit wird nur durch das Eine zu Seiendheit erhoben, während sie als solche nicht bloß unerkennbar ist, sondern nichtig“, 1992, S. 297, Anm. 93), muss man entweder den zweiten Teil des Parmenides neu schreiben, so dass die Hypothese „Wenn Vieles ist“ als Anfangshypothese statt „Wenn Eines ist“ auftritt. Auf diese Weise könnte man in der Tat beobachten, ob die Ergebnisse symmetrisch mit denjenigen des überlieferten zweiten Teils wären oder nicht, besonders was den ersten, von Halfwassen systematisch ausgelegten Durchgang betrifft. Man würde dann sehen, ob das Viele an sich unerkennbar und in der Art „transzendent“ wäre wie das Eine der ersten Deduktion. Verzichtet man auf dieses mühevolle Geschäft, muss man aufweisen, dass die Auswahl im zweiten Teil des Parmenides notwendig ist und das Formale der Dialektik gänzlich ausgeschlossen wird. Das aber widerspräche sowohl dem Charakter der Übung als auch den Anweisungen des Parmenides selbst vor der Ausführung der Deduktionen (132b2-5). Deswegen kann die notwendige Geltung solcher Schlüsse in Zweifel gezogen werden. 420
190
Kapitel 2
ten Einen nachzeichnen, 423 sondern ein das Sein und Denken transzendierender Reichtum der zusammengewachsenen Prinzipien – des Einen und der Unbestimmten Zweiheit. Würde unser Anspruch auf einen Dualismus der platonischen Prinzipienlehre nicht der Bezeichnung der Idee des Guten als absolutes, unhintergehbares Prinzip des Ganzen widersprechen, die sich nach der sokratischen Aussage dem Wert und der Mächtigkeit nach jenseits des Seins befindet (R. 509b9f: ἔτι ἐπέκεινα τῆς οὐσίας πρεσβείᾳ καὶ δυνάμει ὑπερέχοντος)? Würde unsere Bereitschaft, den Satz des Philebos zu verallgemeinern, nicht aufgrund dessen außer Kraft gesetzt? Dürfen wir andererseits nicht die Frage stellen, ob die Politeia ohne Weiteres für einen Monismus plädiert? Muss unbedingt eine Transzendenz der Idee des Guten (des Einen) vertreten und konsequenterweise die Diskrepanz zwischen einem Monismus der Politeia und dem in der Ungeschriebenen Lehre begegnenden Dualismus problematisiert werden? Auf diese Weise befinden wir uns bei der unabdingbaren Reflexion in Bezug auf die Anzahl der platonischen Prinzipien. 424 Statt eine unüberbrückbare Unstimmigkeit zu vertreten, kann angemessener gefolgert werden, dass die Intention der Hauptfigur der Politeia nicht darin besteht, die platonischen Prinzipien vollständig darzulegen, sondern ein Gespräch über den besten Staat zum Gelingen zu bringen. 425 Von dieser zufriedenstellenden Lösung ausgehend können wir bei der Beziehung der zwei Prinzipien verbleiben, bevor wir uns im nächsten Kapitel der Analyse des Philebos zuwenden. Der anspruchsvolle Beitrag von Halfwassen wird trotz gewisser Kritikpunkte unseren Gedankengang leiten, da in dessen Rahmen die entsprechenden Lösungen hinsichtlich des Monismus oder Dualismus der platonischen Prinzipienlehre systematisch zusammengefasst werden und ein interessantes Zusammenspiel von reduktivem Mo--------------------------------------------
423 Die Option eines solchen „radikalen Dualismus“ weist Halfwassen mit Recht aus: 2001, S. 71, 2004, S. 217, um dann aber zu folgern, dass die Unbestimmte Zweiheit vielmehr erst das Zweite nach dem Ersten ist. Die Deutung des Fragments Speusipps (TP 50) hat eine zentrale Funktion für Halfwassens ganze Interpretation (s. vor allem 1992, S. 282ff.). Wenn auch zugestimmt werden kann, dass es da um eine speusippische Deutung des Parmenides geht, und in diesem Dialog eine Gleichursprünglichkeit der zwei Prinzipien ausgeschlossen wird (vgl. dennoch z. B. die dualistische Lektüre des Fragments vonseiten Happs 1971, S. 142f., darüber hinaus die Kritik von Th. A. Szlezák 1997, 3, S. 590f.), bleibt es immer noch kein gerechtfertigter Sprung, das Berichtete auf Platon zu projizieren, wie Halfwassen es öfter und ohne Weiteres tut, indem er die unmittelbare Verbindung zwischen Platon und Speusippos eher behauptet als herstellt, z. B. 2004, S. 214ff. 424 Sph. 242c5-6: πᾶς ὅστις πώποτε ἐπὶ κρίσιν ὥρμησε τοῦ τὰ ὄντα διορίσασθαι πόσα τε καὶ ποῖά ἐστιν. Hier wird die Frage nach den Prinzipien gestellt, zunächst wie viele es sind, dann wie beschaffen. 425 Die – von Kullmann am prägnantesten vertretene – völlige Diskrepanz zwischen geschriebener und ungeschriebener Lehre (1990, S. 334: „Es steht also bei Platon ein abgewandelter parmenideischer Monismus gegen einen ‚pythagoreischen’ Dualismus. Der Ausgleich ist ihm nicht gelungen“), hat Th. A. Szlezák wegen der nicht ausführlichen Darstellung der Prinzipien in der Politeia zurecht aufgehoben: „Die Idee des Guten als arche in Platons Politeia“, in: 2003, 1, S. 109-131. Beachtenswert ist, dass im Rahmen der berühmten bildhaften Schilderung der Idee des Guten in den mittleren Büchern der Politeia das Gute als Vater und die Sonne als gezeugtes Kind bezeichnet werden; die Frage nach einer Notwendigkeit der Existenz der Mutter wäre keinesfalls fehl am Platz, auch wenn sie bei der angesprochenen Darstellung absent ist. Dem Argument von Halfwassen (2001, S. 70f.), dass die Ausdrucksweise ἡ τοῦ παντὸς ἀρχή (s. R. 511b7) einen irreduziblen Dualismus ausschlösse – da anhand dessen die Idee des Guten auch die Unbestimmte Zweiheit hervorbringen sollte, ähnlich auch bei der Deutung von Phl. 30d10f., Halfwassen, 2001, S. 75 – mangelt es an Überzeugungskraft: Das in den platonischen Texten jeweilig vorkommende πᾶν bedeutet nicht alles simpliciter (vom Einzelnen bis zu den platonischen Prinzipien). Verallgemeinerungen sind eher zu vermeiden oder jedenfalls mit Vorbehalt zu behandeln, etwa wenn die Seele unter Vernachlässigung der textlichen Beschränkung als absoluter Ursprung aller Arten von Bewegung überhaupt verstanden wird (anhand von Phaidros und Nomoi). Vgl. Szlezák 2005.
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
191
nismus und deduktivem Dualismus angeregt wird. 426 Der Philosoph unterscheidet zwischen (i) einem prononcierten Monismus neuplatonischer Platon-Deutung, nach der das Vielheitsprinzip auf das Ur-Prinzip des allbegründenden Einen zurückgeführt wird, (ii) einer von Cusanus oder Hegel geprägten Auffassung der Einheit der Gegensätze, und (iii) einem konsequenten Dualismus. 427 In unserer synoptischen Schilderung lassen sich Auffassungen eines deutlichen Vorrangs des ersten Prinzips gegenüber dem zweiten zusammenführen. Ungeachtet dessen, ob sie einer henologischen neuplatonischen oder einer hegelianisierenden Deutung entstammen, 428 entspringen beide Konzeptionen einem Rückgriff hinter den Gegensatz der zwei Prinzipien, ohne ihn durch einen strikten Monismus aufheben zu wollen: Für Platon gebe es einen umfassenden Grund, in dem das Zusammenwirken der gegensätzlichen Prinzipien auf eine logisch nicht ohne Weiteres feststellbare Weise seine Ursache findet. 429 Gegenüber dem eindeutigen Vorrang des ersten Prinzips plädiert eine Minderheit der modernen Interpreten für eine folgerichtigere dualistische Auffassung. 430 Mit der angebrachten Vorsicht sollten wir uns davor hüten, den von Merlan aufgezeigten zunehmenden Monismus in der Geschichte des Platonismus auf Platon zurückzuprojizieren. 431 Jedenfalls kann das Durchdenken der inhärenten Möglichkeiten der platonischen (akademischen) Prinzipienlehre auf dem Hintergrund der „späteren“ Lösungen bedeutsame Erträge abwerfen, wobei historisch spätere Entwicklungen keine hinreichenden Argumente für die platonischen Lösungen selbst anbieten können. --------------------------------------------
426 Halfwassen 2001. Der Interpret untersucht die Hinweise der Dialoge, bevor er zu der indirekten Überlieferung übergeht. Was den ersten Schritt des Wiederfindens eines „die Bipolarität nicht eliminierenden sondern nur hintergreifenden letzten Monismus Platons“ (2001, S. 74) angeht, ist in Bezug auf Parmenides und Politeia schon einiges geäußert worden: s. oben, Anm. 422, 423, 425. Weitere Bedenken kommen im Kapitel über den Philebos zur Sprache (Die Einheit hat eine überwiegende Rolle im vierfachen Gefüge, aber es geht im Fall des Unbegrenzten und der Grenze um Prinzipiate und nicht um Prinzipien: dazu unten § 3.4). Halfwassen nimmt auf eine fruchtbare Weise die indirekten Zeugnisse in Anspruch, die von der Reduktion auf die Prinzipien und die Deduktion von ihnen berichten, um zu seinem plotinisch geprägten Vorschlag zu gelangen: Monismus in der aufsteigenden Reduktion zum Absoluten, Dualismus in der absteigenden Deduktion des Seienden (2001, S. 79). 427 Halfwassen 2001, S. 67f. S. 364 (Hervorhebung G. M.). Zu der letzten Option gehört das Unternehmen Schellings, den eine unzertrennliche Einheit der zwei Prinzipien zulassenden, echten Dualismus so zu konzipieren, dass das böse Prinzip (der Grund Gottes) dem guten (der Existenz Gottes) bei- und nicht untergeordnet ist wie im Fall eines modifizierten Dualismus („Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände“). Dieser Dualismus weicht von den starren dualistischen Tendenzen im Platonismus der Antike ab. Zu einer Skizze der monistischen und dualistischen Tendenzen des Platonismus vor Plotin vgl. Dillon 2009. 428 Bei Halfwassen werden sie trotz ihrer Ähnlichkeit nicht zusammengebracht, da ihre unterschiedliche Herkunft das Zusammenfassen nicht erlauben soll: 2001, S. 67f., 2004, S. 217f. Unsere Zusammenführung bestätigt aber die explizite Übereinstimmung Hösles mit de Vogel (als Vertreterin der neuplatonischen Deutung): 1986, S. 459, Anm. 387. 429 So formuliert die Frage Gaiser 19682, S. 27. 430 Wilpert 1949, S. 173ff., Happ 1971, S. 141ff., Reale 19854, Platon, S. 207. 431 Merlan 1965 demonstriert mit bewundernswerter Klarheit, wie die späteren monistischen Lösungen ihre Basis schon in der aristotelischen Darstellung der pythagoreischen Lehre (Metaph. A5) finden. Numenios’ Polemik gegen die monistische, neupythagoreisch-neuplatonische Verfälschung der Alten Akademie unterbricht die monistische „Kontinuität“, die bis zur Zeit des Skeptikers Arkesilaos entschieden zum Durchbruch gekommen ist. Er hat die Rolle der Unbestimmten Zweiheit in besonderer Weise ernst genommen, sie im kosmologischen Rahmen mit der schlechten Weltseele identifiziert und eine Gleichursprünglichkeit der zwei Prinzipien vertreten: dazu Krämer 1964, S. 77f. mit Anm. 198.
192
Kapitel 2
Für die platonische Prinzipienlehre ist eine kombinierende Lösung eines Monismus und Dualismus in verschiedenen Hinsichten vorteilhaft. Unsere anfängliche Beobachtung lässt sich bekräftigen, nämlich dass Platon starre „entweder-oder“-Disjunktionen dadurch überwindet, dass er sie in Konjunktionen umwandelt. 432 Platon konnte sowohl „dualistisch“ von einem Gegensatz zweier Prinzipien (Eins und Unbestimmte Zweiheit) sprechen als auch den Vorrang des Prinzips der Einheit „monistisch“ betonen. Dies ist keine Widersprüchlichkeit, die zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Berichte Anlass geben könnte, sondern der notwendige Ausdruck dafür, dass der Satz des Widerspruchs (oder des ausgeschlossenen Dritten) hier letzten Endes nicht mehr gelten kann, weil dieser Satz selbst durch die Prinzipienerkenntnis begründet wird (und nicht umgekehrt). 433 Anlässlich der platonischen Kritik am Monismus und Dualismus vonseiten des Gastes im Sophistes kann andererseits der Monismus oder Dualismus in der platonischen Prinzipienlehre in der Richtung des „Weder-noch“ problematisiert werden. 434 Das Dilemma „Monismus oder Dualismus“ greift zu kurz, und sogar eine Lösung von „sowohlals-auch“ erweist sich als unzureichend. Streng genommen handelt es sich hier weder um einen Monismus noch um einen Dualismus, auch wenn man die Prinzipien und ihre Beziehung notwendigerweise vergegenständlichend thematisieren muss. Zusammenfassend ziehen wir das angemessene Wort von Giovanni Reale heran: Die Einheit hätte ohne die Zweiheit nicht die Wirkkraft, etwas hervorzubringen, auch wenn sie der Zweiheit hierarchisch überlegen bleibt. Um genau zu sein, müssen wir jedoch sagen, dass man eigentlich nicht von zwei Prinzipien sprechen kann, wenn man zwei im arithmetischen Sinne versteht. Denn da die Zahlen aus den Prinzipien abgeleitet werden und ihnen somit nachgeordnet sind, können sie ihnen nur in einem metaphorischen Sinne zugeschrieben werden. Wenn man daher von zwei Prinzipien spricht, ist „zwei“ im prototypischen Sinn zu verstehen. Es wäre vielleicht genauer, in diesem Fall nicht von Dualismus, sondern von „Bipolarismus“ zu sprechen, insofern das eine Prinzip das andere strukturell voraussetzt. 435 Trotz aller Bedenken in Bezug auf die Frage eines Monismus oder Dualismus bei Platon bleibt die von Hösle so bezeichnete „Dialektik der Prinzipien“ eine echte platonische Forderung und Herausforderung und ein sehr anspruchvolles Geschäft, 436 das die „Dor--------------------------------------------
432 S. oben § 1.2, II und vgl. den „kindlichen“ Wunsch des Gastes im Sophistes: 249c10-d4. Merlan 1965 spricht vom „Widerspruch“ (S. 152), weil er als ein solcher in den Debatten der Wirkungsgeschichte betrachtet worden ist. 433 Gaiser 2004, S. 297 (ursprünglich in 1980, S. 47), Krämer verwandelt das Dilemma „Monismus oder Dualismus“ in die Frage „Monismus mit folgendem Dualismus oder ursprünglicher Dualismus“: 1964, S. 333. 434 Sph. 243d3-244b5: Kritik am Dualismus (die aber an der Annahme der Vielheit von Prinzipien geübt werden kann), 244b6-245d11: Kritik am Monismus (wobei der parmenideische schlichte Monismus des einen ewigen Seienden kritisiert wird). Dass Platons eigene Lehre von der Kritik an den hier geprüften Positionen nicht betroffen ist, steht außer Zweifel. Ausgehend von einer solchen Kritik kann dennoch bei der jetzigen Argumentation hervorgehoben werden, dass man bei der Prinzipienlehre auch den Fall von „weder Monismus noch Dualismus“ erwägen sollte. 435 Reale 19854, Platon, S. 207. 436 Auch wenn die Bezeichnung διαλεκτική weder in den Dialogen noch bei der indirekten Überlieferung für die Prinzipienlehre angewendet wird. Dennoch kann nur die Dialektik bis zur arche aufsteigen (R. 533/5). Das Anspruchsvolle der Forderung einer „Prinzipiendialektik“ kann der Aufbau des Programms der Erziehung des Philosophen im Entwurf der Politeia bestätigen, bei dem der
Die ideelle „Mischung“ im Dialog Sophistes
193
nen und Disteln der Dialektik“ der Ideen 437 deswegen deutlich übersteigt, weil man dort gezwungen wird, von der Sache her spekulativ zu sein: Man muss die Gedanken (Prinzipien) zusammenbringen, die sich – als miteinander verwachsen – nur mit höchster Anstrengung (jedenfalls mit einer höheren als der bei den größten Gattungen erforderten) trennen lassen. 438 Auch im Bereich der Prinzipien betont der Dialektiker einmal die Unversöhnlichkeit der Widersprüche und versucht sie auszuhalten; ein anderes Mal erzielt er die erwünschte Synthese, Vermittlung und Aufhebung, indem er ihre mögliche Komplementarität oder wechselseitige Implikation entfaltet. 439 Das Trennen und das Verbinden, die sich als die zwei dialektischen Aufgaben in den Dialogen auszeichnen, machen auch hier das dialektische Geschäft aus. Der platonische Dialektiker erreicht bei seiner elementarisierenden Analyse des Ganzen die zwei Prinzipien oder Elemente, wobei ihm zugleich bewusst ist, dass ihre Vergegenständlichung, wenn sie an sich und für sich gedacht werden (also in ihrer Trennbarkeit) und sobald sie in den Diskurs eintreten, unvermeidlich ist. Dennoch wagt er, das menschliche Denkvermögen bis an seine äußersten Grenzen zu treiben.
-------------------------------------------Umgang mit den Prinzipien von Ideendialektik zeitlich klar getrennt ist: Zehn Jahren mathematischer Erziehung folgen fünf Jahre Ideendialektik, und nach fünfzehn Jahren politischer Tätigkeit und Erfahrung „in der Höhle“ kommt die fünfjährige Krönung der Prinzipienlehre (erst im Alter von fünfzig bis fünfundfünfzig). 437 Der Ausdruck stammt aus Hegels Vorlesungen (Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte), Bd. 8, Hamburg 1996, S. 25. 438 Gemäß der Bestimmung des spekulativen Denkens vonseiten Hegels, ebd., S. 30. Wobei hier nicht von der platonischen Prinzipienlehre die Rede ist, sondern zwischen dem „gewöhnlichen Bewusstsein“ und dem „spekulativen Denken“ unterschieden wird: Das erste geht bloß von einem Gedanken zu seinem Entgegengesetzten über, während das zweite sie zusammenbringt, was nach Hegel die Bezeichnung des Esoterischen im Sinne des Verborgenen verdient: ebd., S. 30f. (im Fall der „Identität der Gegensätze“ bei seiner Sophistes-Lektüre geht Hegel zweifelsohne über eine PlatonDeutung hinaus). 439 Gaiser 1980, S. 78.
194
Kapitel 2
3. Die „Mischung“ im Dialog Philebos 3.1 Der Rahmen des dialogischen Geschehens I.
Fragestellung und Verlauf des Dialogs: Die Begründung der Möglichkeit einer guten Lebensführung durch den Rückgriff auf die Prinzipienlehre (16c10)
Im Eröffnungsgespräch des Philebos tritt folgendes Dilemma bezüglich der Lust und der Vernunft auf: 1 Entweder soll das menschliche Gute in der Lust oder aber in der Vernunft bestehen (11d4-6); entweder die Vertreter der Lust oder diejenigen der vernünftigen Lebensführung können den Wettkampf um das glückliche Leben gewinnen. Den Gegensatz zwischen den beiden Kandidaten halten die Vertreter der Lust für disjunktiv, während die Vernunftvertreter offen für eine Konjunktion sind, wie die Formulierung der These von Sokrates zeigt: Das menschliche Gute lässt sich nämlich nicht schlechthin mit der Einsicht und den ihr verwandten Gattungen identifizieren, sondern die von ihm vorgezogenen Kandidaten erweisen sich als besser als die Lust. Im Sinnhorizont der Fragestellung in 11b4-c3 wird bereits die Möglichkeit eines tertium quid neben Lust und Einsicht vorgezeichnet, sollte das Gute nicht mit der Einsicht zusammenfallen. 2 Wenn sich eine bestimmte Art von Lust als gut aufzeigen lässt, sollte sowohl die Lust als auch die Einsicht diejenige Verfassung der Seele konstituieren, die ein glückliches Leben garantiert (11d4-6). Da sich die Arten der Lust und der Wissenschaft als vielfältig erweisen 3 – und sogar im Extremfall als Gegensätze innerhalb derselben Gattung auftreten –, 4 sind voreilige --------------------------------------------
1 Der Philebos setzt nach dem Scheitern des Gesprächs zwischen Sokrates und Philebos ein; jetzt wird der Wettkampf zwischen Sokrates und Protarchos stattfinden. Der Dialog enthält somit nur die Mitte der ganzen Gesprächssituation; sowohl der Anfang als auch ein Ende fehlen: Am Schluss des Dialogs zeigt sich Protarchos nicht bereit, Sokrates loszulassen, und auf diese Weise weist er auf die Möglichkeit einer Fortführung des Gesprächs hin (67b11-13). 2 Nach Friedländer wird der Sieg einer dritten These schon zu Anfang in Aussicht gestellt, 1975, S. 285. Eine mögliche dritte Lösung wird dann in 11d11ff. und 14b4 explizit gemacht. Vgl. Gadamer GW, Bd. 5, S. 76f. D. Frede findet im Sokrates des Philebos versöhnliche Züge: „Socrates can modify his own position to quite some extent in collaboration with Protarchus“ (1996, S. 220f., und A. 11, S. 247, A. 42: „the combative Socrates is left behind“, „Socrates’ conciliatory tone“, auch aufgrund seiner Bereitschaft, mit Gorgias’ Disziplin etwas anzufangen, Phl. 58a-d), indem sie die gemeinsame Suche nach der Wahrheit stark macht. Frede setzt bei ihrer Deutung voraus, dass Sokrates im Philebos nicht gerade als meisterhafter Dialektiker porträtiert wird (ebd., S. 233) und seine Verantwortung und Autorität beschränkt sind (ebd., S. 245). Darin sind wir allerdings mit der Interpretin nicht einig: Die sich am Ende des Philebos ergebende Lösung ist keinesfalls eine „compromise solution“, weil sie schon in der Ausgangsthese von Sokrates angelegt ist. Daher geht es im Dialog eher um die Entfaltung dieser anfänglichen These als um ihre Modifizierung. 3 12c4: τὴν δὲ ἡδονὴν οἶδα ὡς ἔστι ποικίλον; 12c7: ἕν τι, μορφὰς δὲ δήπου παντοίας εἴληφε; vgl. 13e9-14a5 für die Wissenschaft. 4 12d8, e6, 13a1, a4. So erscheinen die Lust an Besonnenheit und die an Ausschweifung als einander entgegengesetzt. Die Unähnlichkeit innerhalb einer generischen Einheit wird von Sokrates am Beispiel der Gattung der Farbe und der Gestalt exemplifiziert. Mit Recht betont Moravcsik 1979, S. 83-87, dass „the ‚one over many’ configuration presented here, is not the contrast between one Form and many particulars that partake of it“ (ebd., S. 83). Es geht hier (12c1ff.) nicht um die wahrnehmbaren Instanzen der Lust, sondern um „universals“, Arten von Lust, die unter die Gattung „Lust“ fallen. Μέρος (12e7) erinnert uns an die im Sophistes und Politikos verwendete Terminologie:
196
Kapitel 3
Aussagen, wie z. B. „Die Lust ist im Ganzen gut“ oder „Alle Wissenschaften sind gut“, nicht ohne Weiteres erlaubt; es gilt zunächst, die vielfältigen Gestalten von Lust und Vernunft zu untersuchen und durch möglichst subtile Unterscheidungen die Natur der erforschten Gattungen zu erfassen. 5 Im Rahmen dieser Problematik werden folgende allgemeine Fragen gestellt: Wie ist die Einheit des genos mit der Vielheit seiner sogar in manchen Fällen entgegengesetzten Arten verträglich zu machen? 6 Und, um die Fragestellung in die speziellere Thematik des Dialogs zu integrieren und den wesentlichen Schwerpunkt der Axiologie nicht unter den Tisch fallen zu lassen: 7 Wie könnte das im Mittelpunkt stehende genos der Lust trotz der Vielfalt seiner Arten das Gutsein für alle von ihnen beanspruchen? Gibt es nicht eher bessere und eher schlechtere Arten von Lust? Was könnte sowohl den guten als auch den schlechten Arten der Lust zugrunde liegen, was das Gutsein aller Arten von ihnen ermöglichte? 8 Der im Philebos begangene Weg zur Beantwortung der ethischen Ausgangsfrage soll hier in dem Umfang nachvollzogen werden, in dem er sich als relevant für unsere Erforschung der Mischung erweist. Der platonische Sokrates beantwortet die Frage, indem er auf einen weiter gefassten Rahmen rekurriert: auf die so genannte Dialektikpassage, die in einer angedeuteten Prinzipienlehre kulminiert, und auf das anschließende vierfache Gefüge, das in einen kosmologischen Exkurs einmündet. Die ethische Frage lässt sich nach Platon also nur mit Hilfe der Problematik der Ideen und Prinzipien beantworten, was Aristoteles heftig angegriffen hat. 9 Das vierfache Gefüge wird der Beantwortung der Frage dienen, welche Gattung den zweiten Preis verdient, die Lust oder die Einsicht. Der erste Preis wird der Gattung des gemischten Lebens verliehen, nachdem das Gedankenexperiment misslingt, ein Leben ausschließlich aus reiner Lust oder aus reiner Einsicht als -------------------------------------------„In these dialogues μέρος refers not to collections of particulars, but to abstract units that are parts of more generic universals“ (Moravcsik 1979, S. 84). 5 12c6: [τὴν ἡδονήν]… σκοπεῖν ἥντινα φύσιν ἔχει. 6 Die Glaubwürdigkeit der Rede, nach der das, was einander am stärksten entgegengesetzt ist, zu Einem wird, stellt Sokrates in Frage: 13a3-4. Genau der gleiche Gedanke bereitet dem platonischen Sokrates hingegen kein Problem im Rahmen des Dialogs Menon: 74d4-e2. Die einander entgegengesetzten Arten bedrohen dort die generische Einheit, unter die sie fallen, nicht. Am Beispiel der Farbe und der Gestalt wird die Problematik der Tugend auch im Menon weitergebracht (74b4). Zur Fragestellung im Philebos im Gegensatz zum Menon 73e-74c: Stenzel 19613, S. 97-98, Moravcsik 1979, S. 83f. Nach Stenzel betont Platon in seiner früheren Schriftperiode trotz aller Unterschiede die Einheit. In diesem Entwicklungsstadium wird nicht problematisiert, wie durch das eidos des Frommen die vielen einzelnen Dingen fromm werden, und die erste Phase der platonischen Dialektik besteht vor allem in der Zusammenfassung (συνορᾶν). Die dihairesis ist nach Stenzel die Methode, die zum Erkennen von feineren Unterschieden und Gleichheiten (ὁμοιότης-ἀνομοιότης) führt. Mit ihrer Hilfe wird eine Gattung wie die Lust nicht völlig verworfen. 7 S. unten § 3.3, II, wo die Natur der im Rahmen der 16bff. skizzierten dialektischen Methode vor dem Hintergrund der Frage erforscht wird, ob und inwieweit sie über die in anderen Dialogen ein- und durchgeführte dihairesis hinausgeht. 8 13b3-5. 9 Außer der berühmten, in der Nikomachischen Ethik geübten Kritik an der platonischen Idee des Guten als dem für den ethischen Bereich relevanten Prinzip, kommt in Magna Moralia eine entsprechende Passage vor, in der der Umgang mit der Tugend in der Vorlesung „Über das Gute“ abgetan wird: Da habe Platon die Frage nach dem Seienden und der Wahrheit mit derjenigen nach der Tugend unangebracht verbunden und vermischt: TP 9, ad loc. vgl. Dirlmeier 1966, S. 166, 6/7 und 8. Was den Philebos konkret betrifft, haben nach dem Dafürhalten Friedländers „weite dialektische und ontologische Teile nichts oder nur sehr indirekt mit Lust oder Ethik zu tun“ (1975, S. 285), um nur eine prominente Stellungnahme heranzuziehen, die das Problematische der Verbindung zwischen der ethischen Fragestellung und bedeutsamen ontologischen Passagen des Philebos unterstreicht.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
197
möglich zu fassen (in 20e-22a) 10 . Nachdem die Erörterung in der Dialektikpassage und im vierfachen Gefüge zu der höheren Ebene ontologischer Problematik aufgestiegen ist, 11 wird die Lust in Arten eingeteilt und ihre Verbindung zur Wahrheit und Falschheit ans Licht gebracht. Nach einer ebenfalls nicht in aller Ausführlichkeit durchgeführten Analyse der Erkenntnisarten wird zum Schluss das gute Leben aus der Mischung der reinen Lust und aller Arten der Erkenntnis entstehen. Was als das am Ende Übriggebliebene (67b12-13: τὰ λειπόμενα) nicht weiter verfolgt wird – merkwürdigerweise hat der Philebos keinen erwartungsgemäßen Schluss, sondern endet abrupt –, lässt sich so verstehen: Platon könnte damit, außer auf die faktische Nicht-Abschließbarkeit jedes Gesprächs, auf Wesentliches hinweisen wollen, das aber im Dialog selbst nicht mitgeteilt wurde. 12 Das letzte Wort des Dialogs verweist daher auf seinen, was den Inhalt der Mitteilung betrifft, nicht vollendeten Charakter, obschon Sokrates kurz vorher zu glauben scheint, dass das jetzige Argument über die Mischung des Lebens, das einer unkörperlichen Ordnung gleicht und auf schöne Weise den beseelten Körper beherrschen wird, abgerundet worden sei. 13 Abschließend ist bemerkenswert, dass im Rahmen des Philebos der sokratische Dialog und die angedeutete höchste dialektische Wissenschaft auf der Basis der unzertrennlichen Einheit von Form und Inhalt in eine Verbindung zueinander gebracht werden. Das Wort κρίσις versammelt die zwei Bedeutungen in sich, auf deren Grund sich die oft angefochtene Einheit im Philebos wiederherstellen lässt. Der agonale Charakter kommt von Anfang an zur Sprache: Wie vor Gericht (κρίσις) muss ein Urteil gefällt werden, das entscheidet, ob das Gute in der Lust oder in der Einsicht besteht. Dieses Urteil kann nur aufgrund einer Unterscheidung (in der zweiten Bedeutung von κρίσις) zwischen besseren und schlechteren Formen von Lust und Wissenschaft zustande kommen – also durch eine Aussonderung. Erst dann wird am Ende das beste, wünschenswerteste Leben (also aus den besten Arten seiner Bestandteile) gemischt. 14 II. Hermeneutische Vorbemerkung zum Philebos: Form und Gesprächsführung 1.
Undurchsichtige Form
Schon in der Antike wurde der undurchsichtige Aufbau des Philebos zum Problem gemacht. Galen, der zweitbekannteste Arzt der Antike nach Hippokrates, erwähnt eine von ihm verfasste, uns nicht überlieferte Schrift mit dem Titel „Über die Digressionen im --------------------------------------------
10 Während des Gesprächs erweist sich die Lebensweise, die frei von Lust und Unlust ist, als göttlich: 32e-33c. 11 Nach Friedländers Formulierung, 1975, S. 301. 12 So Migliori 1993, S. 325, nach dem der Schluss des Philebos das Wesentliche ausspart, weil die Idee des Guten nicht in ihrem Inhalt geschildert wird, auch wenn sich die Gesprächspartner dem menschlichen Guten nähern. Aufmerksamkeit sollte auf die Forderung des Sokrates gelegt werden, das Gute in seiner Deutlichkeit (σαφῶς) oder im Umriss (τύπος) zu fassen, wobei nicht explizit gemacht wird, ob die anschließende Schilderung das Gute nur umreißt oder es an sich und in aller Deutlichkeit darstellt (61a4-6). Klar ist jedoch schon am Anfang, dass im Philebos das menschliche Gute gesucht wird: 11d. Anders die Darlegung Gadamers: z. B. 1985, GA, Bd. 6, S. 244, neuerdings Barbarić (2005, 1). Was noch zu dem Übriggebliebenen der Agenda gehören könnte (67b13), ist die Behandlung einer fünften Gattung, die die Mischung auflösen könnte und das vierfache Gefüge erweiterte: s. unten § 3.4, IV. 13 Phl. 64b6- b8: ἐμοὶ μὲν γὰρ καθαπερεὶ κόσμος τις ἀσώματος ἄρξων καλῶς ἐμψύχου σώματος ὁ νῦν λόγος ἀπειργάσθαι φαίνεται. 14 Κρίσις als Urteil/ Entscheidung kommt in Phl. 20e1 (κρίνομεν) 27c9, 50e2, 55c8, 59d7, 64d1, 66c10 vor. Die zweite Bedeutung (κρίσις als Unterscheidung) taucht in 33a4, 41b2, 41e2 auf.
198
Kapitel 3
Philebos“ 15 . Auch in der neueren Zeit hat es an Kritik nicht gefehlt: „Die äußere Behandlung aber kann man wohl mit Recht etwas vernachlässigt nennen, und es wird wohl ein allgemeines Urteil sein, dass er von dieser Seite keinen so reinen Genuß gewährt als die meisten der bisherigen Platonischen Werke“ vermerkt Schleiermacher, 16 während Shorey von „poverty of the dramatic setting, ponderousness of the jests, and curious elaboration of phrasing and logical framework“ spricht. 17 Hackforth hebt darüber hinaus das Unzusammenhängende des Philebos hervor, der durch „exaggerated formlessness“ gekennzeichnet ist, im Vergleich zu der „architectonical mastery of Phaedo and the Republic“. 18 Gosling charakterisiert seinerseits „the clair voyance and not the philosophical occurance“ als notwendige Bedingung, um Textpartien wie 15b interpretieren zu können. 19 Aufgrund der Undurchsichtigkeit einheitlicher Leitfäden sind die Interpreten zu einer immensen Vielfalt von Deutungen gelangt, um die erwünschte Verbindung bestimmter Passagen herzustellen, wie der vieldiskutierten in 15b, der Dialektikpassage und des vierfachen Gefüges, die in der vorliegenden Arbeit diskutiert werden. 20 2.
Inhalt: der diktierende Sokrates und die ὁμολογία
Was den Inhalt der Mitteilungen des Gesprächsführers anbelangt, sind wir ferner mit einer rätselhaften, jedenfalls erklärungsbedürftigen Situation konfrontiert. Die von Protarchos eingebrachte „Gleichheit der Reden“ 21 hat Sokrates dazu geführt, auch für die Einsicht eine Differenzierung dem Wert nach einzugestehen, damit das Gespräch mit Protarchos nicht scheitert und seine Kooperation gewährleistet ist. Sokrates rückt bei seiner Antwort die Verschiedenheit beider Thesen in den Vordergrund, die nicht übersehen werden darf, um die naive Vorstellung Protarchos’ von einer Gleichheit dem Wert nach zu korrigieren. 22 Die Gleichheit der Reden kann daher nur scheinbar sein. 23 --------------------------------------------
15 Περὶ τῶν ἐν Φιλήβῳ μεταβάσεων, in: Trendelenburg, De Platonis Philebi consilio, 1837, S. 5. Dionysios von Halikarnassos hat seinerseits den Stil des sokratischen Dialogs Philebos besonders gelobt: Dem. 23, 19 ff. 16 Schleiermacher 1970ff., IV, S. 176. 17 Shorey 1933, S. 316. 18 Hackforth 19582, S. 10. 19 Gosling 1975, S. 146. 20 In der Forschung hat es an Versuchen nicht gefehlt, das Einheitliche der Komposition des Dialogs hervorzuheben: Davidson 1949, MacClintock („architectural mastery of the Philebus“, 1961, S. 46). 21 14a7: τό γε μήν μοι ἴσον τοῦ σοῦ τε καὶ ἐμοῦ λόγου ἀρέσκει. „Das Gleiche deiner und meiner Rede gefällt mir.“ 22 Phl. 14b1 ff.: Τὴν τοίνυν διαφορότητα, ὦ Πρώταρχε, [τοῦ ἀγαθοῦ] τοῦ τ’ ἐμοῦ καὶ τοῦ σοῦ μὴ ἀποκρυπτόμενοι… 23 Gadamer betont gewissermaßen mit Recht den Unterschied zu anderen vorangegangenen Dialogen wie dem Gorgias, weil hier „die Eignung des Partners zu sachlicher Auseinandersetzung ausdrücklich gesichert wird“ (1985, GW, Bd. 5, S. 76). Seine Auffassung der platonischen Dialektik („[…] [Sie] lebt aus der Kraft der dialogischen Verständigung, aus dem verstehenden Mitgehen des anderen und ist in jedem Schritt ihres Ganges getragen von der Vergewisserung über die Zustimmung des Partners“, ebd., S. 15) führt zu der entsprechenden Hervorhebung der erstrebten homologia in den platonischen Dialogen (ebd., S. 79ff. und passim). Die Tatsache der geforderten sacherschließenden Kooperation anstelle der personbezogenen Konfrontation (so auch D. Frede 1997, 1, S. 96f. gegen den didaktischeren Platon des Philebos, den Diès vertritt, Philèbe, 1959, XVI) widerspricht dem offensichtlichen Vorsprung des Wissens von Sokrates nicht, der die Diskussion dementsprechend souverän führt (dazu Th. A. Szlezáks Darlegung, 2004, S. 193ff.). Löhr charakterisiert mit Recht die Verständigung über die Fortsetzung des Gesprächs in 14a-b als eine Verständigung zu den Bedingungen des Sokrates (1990, S. 21).
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
199
Die überlegene Haltung des Sokrates hat schon Schleiermacher eingesehen, obschon er daraus den falschen Schluss zog, dass der dialogische Charakter des Philebos uneigentlich sei: „Ebenso sind die Übergänge weder durch die Zufälligkeiten des Gesprächs noch durch die Meinungen und Einwürfe des Mitredenden und seine besondere Natur herbeigeführt, sondern das Ganze liegt fertig im Haupt des Sokrates und tritt mit der ganzen Persönlichkeit und Willkür einer zusammenhängenden Rede heraus.“ 24 Statt das hier von Platon so geschilderte Sokratische als uneigentlich gegenüber dem so genannten eigentlichen Sokrates anderer Dialoge zu bezeichnen, sollten zunächst die Schilderungen des sokratischen Bildes in allen platonischen Gesprächen unvoreingenommen zusammengestellt werden, um die Vielfalt des daraus entstehenden literarischen Sokrates darzulegen. 25 Ausgehend von einem Sokrates, der über einen wesentlichen Wissensvorsprung gegenüber Protarchos verfügt, 26 stellen wir die Frage, wie die massiv offenbarende Haltung von Sokrates im Kontext des Philebos gerechtfertigt werden kann. Hinsichtlich seines Wissensabstandes müssen zwei Bemerkungen vorausgeschickt werden, um die falschen Schlüsse zu vermeiden, dass der von Platon dargestellte Philosoph ein eitler Besserwisser sei und als der das Wissen Besitzende pausenlos in Euporie verweile und immer Recht habe und haben wolle. Ein solches Porträt verdient eher Philebos, nicht der platonische Philosoph. Dass Sokrates auch im Rahmen des Dialogs Philebos als ein alles bereits im Voraus Wissender skizziert wird, widerspricht dem nicht, dass Platon das Philosophieren innigst mit der Aporie verbunden sieht: Der dialektische Weg, dessen Liebhaber Sokrates sich nennt, ist ihm oft abhanden gekommen und hat ihn in Aporie versetzt. 27 Im Fall dieser Ausweglosigkeit haben wir es nicht mit der methodischen, didaktischen Art von Aporie zu tun, die im Rahmen des Dialogs übrigens öfter zum Vorschein kommt: Die Anwesenden werden von Sokrates in Aporie gestürzt, und damit zeigt sich ein von ihm geleitetes Durchdiskutieren der entsprechenden Fragen (διαπορῆσαι) als unerlässlich. 28 Die Darlegung der tieferen, philosophischen Aporie, die den Dialektiker als herrschende Stimmung stets begleitet, fehlt aber im Dialog, 29 wenn auch auf deren Wichtigkeit an Stellen wie Phl. 16b verwiesen wird. Noch kommt sie bei der Thematisierung der unabdingbaren Aporie im einleitenden Teil des ersten Kapitels im Aporienbuch der aristotelischen Metaphysik vor, wo die ἀπορία als bloß methodisches Prinzip und Mittel zum Zweck ihrer Aufhebung eingeführt wird. 30 -------------------------------------------24
Gadamer 1985, GA Bd. 4, S. 176. Ich nehme Bezug auf die Diskussion, die auf Wilamowitz zurückzuführen ist: Auf seine Meinung, dass Sokrates seiner eigentlichen Züge beraubt sei, weil er im Philebos eine These tatsächlich vertrete, hat Friedländer geantwortet, dass sein „Sokratisches“ darin bestehe, dass er seine These der Prüfung unterstelle (Wilamowitz 19595, S. 497, Friedländer 1975, S. 287). Hackforth hebt einiges hervor, was die Ähnlichkeit zwischen dem Sokrates des Philebos und dem bisher geschilderten Sokrates zu unterstreichen vermag, und behauptet, dass der jetzige Sokrates nicht weniger ein Lehrer ex cathedra sei als in der Politeia: 19582, S. 7f. 26 Dieses Programm hat schon Th. A. Szlezák durchgeführt: 1985 und 2004, besonders S. 210217. 27 Phl. 16b. 28 Phl. 19e4-20a4, 32d7f., 34d5-7 (wo vom „Verlust“ der – methodischen – Aporie die Rede ist). 29 Mit einer Ausnahme: Die Aporie des Sokrates in Hinsicht auf die Teilhabe wird im ersten Teil des Parmenides geschildert, wobei dort Parmenides das Gespräch führt und den Philosophen und dialektischen Lehrer personifiziert. 30 Met. B, 994 a25-995 b4. Zu der nicht nur sprachlichen Parallele: Th. A. Szlezák 2004, S. 201f. Die Aporie wird hier als Vorstufe der Euporie geschildert. Die immer wiederkehrende Aporie des platonischen Dialektikers findet in der Aufzählung des Aristoteles keinen Platz. Nachdem die Un25
200
Kapitel 3
Das Scheinbare einer gemeinsamen Untersuchung sollte nicht zu dem Schluss verleiten, dass sich der Philosoph gemäß dem platonischen Bild auf keinen Dialog einlassen möchte – nur wenn er gezwungen wird –, da er bereits alles Wissen besitzt. Um ähnliche Missverständnisse zu vermeiden, sei in Erinnerung gerufen, dass die heftigen und fruchtbaren Debatten im Klima des freien und wohlwollenden Dialogs in der Akademie den Hintergrund auch für diesen Dialog bilden. Platons Bereitschaft, neue Ansätze im Bereich aller Wissenschaften seiner Epoche in Anspruch zu nehmen und auf die an seiner Ideenlehre geübte Kritik einzugehen, zeigen eher, dass er kein Lehrer ex cathedra war, und dass er höchst begabte Personen wie Eudoxos und Aristoteles für gleichberechtigte Gesprächspartner hielt. Mithilfe der zwei vorangegangenen Bemerkungen kann man sich davor bewahren, die oben genannten Züge von Sokrates mit denjenigen von Philebos zusammenfallen zu lassen. Die Ähnlichkeit mag äußerlicher Natur sein: Philebos wird von sturer und kompromissloser Rechthaberei beschrieben und weigert sich, in den Dialog einzutreten. Der platonische Philosoph hingegen erwirbt ein Wissen, das er verfeinert, ausfeilt und denjenigen schenkt, die der Mitteilung gewachsen sind. Dem so ausgemalten Bild des Sokrates könnte man entgegenstellen, dass Sokrates auch in diesem Dialog die Rolle der immer wieder zu erreichenden Verständigung (ὁμολογία) mit Nachdruck hervorhebt. 31 Durch eine aufmerksamere Betrachtung kann die Unverträglichkeit der betonten Homologie mit dem sokratischen Vorsprung aufgehoben werden. Die erforderte Verständigung muss ernst genommen werden, sie enthält keine Spur von Ironie. Das Nachvollziehen des jeweiligen Partners muss Schritt für Schritt sichergestellt werden und der Dialektiker sollte daher jeweils untersuchen, worin die Grenzen des Vermögens des Hörers liegen, ihm zu folgen. Aufgrund dessen kann der Gesprächsführer bei seiner belehrenden Mitteilung und Einweihung des Gesprächspartners in die kleineren oder größeren Mysterien entsprechend fortfahren. 32 Die jeweilige geeignete Seele (προσήκουσα ψυχή, Phaidr. 248b7, 276e6) muss daher individuell behandelt werden. Auf der Basis der ὁμολογία wird ferner die Zweiheit hervorgehoben: Nicht nur zwischen den Gesprächspartnern muss in jedem Schritt Verständigung erreicht werden, sondern auch in der Seele des Einzelnen muss Verständigung mit sich selbst und Widerspruchslosigkeit herrschen, wie im Streitgespräch zwischen Kallikles und Sokrates im Gorgias dem Vertreter der zügellosen Macht entgegengehalten wird. 33 3.
Die enge Verbindung zwischen dem Philebos und der „Ungeschriebenen Lehre“ und die Frage nach dem Unverhüllten des Sokrates: Vielfalt der möglichen Motive für das Niederschreiben des Dialogs
Eine enge Verbindung des Dialogs zu der Ungeschriebenen Lehre ist schon in der Antike aufgestellt worden; nachdem Simplicius von dem Phileboskommentar des Porphyrios in Bezug auf die rätselhafte Vorlesung Περὶ τἀγαθοῦ berichtet hat (TP 23B), vermerkt er, dass der Inhalt der Vorlesung dem im Philebos Geschriebenen entspreche. 34 -------------------------------------------wissenheit durch das Wissen ersetzt wird, wird auch die anfängliche Aporie und das damit verknüpfte Erstaunen aufgehoben: Met. A 982 b17-22. 31 Phl. 11d2, 12a4, 10, 13b2, 14c1, e2, 15c2, 20c8, 28e7, 37c6, e2, 49e6, 50b5, 60b8. 32 Grg. 497c3f. 33 Grg. 482b-c. 34 Simpl. In Arist. Phys. 454, 17-19, Diels: Tαῦτα ὁ Πορφύριος εἶπεν αὐτῇ σχεδὸν τῇ λέξει, διαρθροῦν ἐπαγγειλάμενος τὰ ἐν τῇ Περὶ τἀγαθοῦ συνουσία αἰνιγματωδῶς ῥηθέντα, καὶ ἴσως ὅτι σύμφωνα ἐκεῖνα ἦν τοῖς ἐν Φιλήβῳ γεγραμμένοις. „Dies sagt Porphyrios beinahe wörtlich so,
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
201
Die Rede vom Zusammenklang (συμφωνία) kann keine schlichte Identität zwischen der angesprochenen Vorlesung und dem Philebos bedeuten; hier wird daher Übereinstimmung und kein Zusammenfallen postuliert. Der Zusammenhang mit der indirekten Überlieferung wird demgemäß im Rahmen dieser Arbeit weiter vor Augen bleiben, wobei die tradierten Berichte nicht die Rolle eines Prokrustesbettes übernehmen sollen, in das der Dialog mit Gewalt hineingezwängt wird. Auf diese Weise würden wir seinem künstlerischen Charakter nicht gerecht und nähmen die Schriftkritik Platons nicht ernst. Auf gravierende Schwierigkeiten stoßen wir jedenfalls, wenn wir die Bereitschaft des hier eintretenden Sokrates, etwas mehr hinsichtlich bestimmter Themen zu offenbaren, aufgrund der faktischen dialogischen Bedingungen rechtfertigen wollen. Als Beispiele für die offensichtliche Leitung des sich selbst verkleinernden Sokrates können seine Einführung der drei Charakteristika des Guten (20c-d) und ferner die Darlegung der Natur des Unbestimmten (23bff.) vorgebracht werden. 35 Protarchos wird als Gesprächspartner aufgeschlossener als Philebos porträtiert. Das geschieht bereits, insofern er überhaupt ins Gespräch eintritt, während sein die unbegrenzte Lustsüchtigkeit personifizierender Freund keine Rechenschaft geben kann oder sogar will, sondern sich der Auseinandersetzung mit dem logos von Anfang an entzieht, 36 um von ihm nicht besiegt zu werden. 37 Der erste Eindruck, dass Protarchos ein bloßer Stellvertreter des Philebos sei, 38 lässt sich bei der Fortsetzung der Diskussion korrigieren: Zwar zeigt er gegenüber Sokrates zu Beginn keine Bereitschaft, den Vorrang der Lust zu verneinen, 39 aber er stimmt mit ihm in einer sacherschließenden, nicht streitsüchtigen, sondern gemeinsamen Suche nach dem Wahren überein. 40 Trotz seines Wohlwollens ist Protarchos nicht immer imstande, der sokra-------------------------------------------indem er das in der Vorlesung über das Gute rätselhaft Gesagte zu entwickeln angibt, und vielleicht weil jenes zusammenstimmte mit dem im Philebos Geschriebenen“ (Übers. Stenzel 19332, S. 69). 35 24a6-7, d8-9. 36 Dies gilt, wenn man den Rahmen des überlieferten Dialogs betrachtet, und nicht unter Berücksichtigung des (möglichen) Vorangegangenen. 37 Im Fall der heftigen Auseinandersetzung mit Kallikles hat sich gezeigt, dass er die Bedingungen für die Teilnahme an einem Dialog nicht erfüllt. Friedländer bringt die wesentlichen Züge des Philebos auf den Punkt und versteht seine schweigende Anwesenheit als das Da-sein des starren Widerstands der reinen Hedonik, 1975, S. 288f. 38 Ihm wird ein logos, die These des aufgebenden Philebos, übergeben: 11c5f., 12a9-11. In 19a6f. nennt er sich διάδοχος (Nachfolger des Philebos). 39 Vgl. beispielsweise 12d7ff., wo er sich nicht anschließen will, eine Differenzierung zwischen besseren und schlechteren Lüsten zu akzeptieren, oder 58a7ff., wo Gorgias’ Auszeichnung der Rhetorik eingeführt wird. 40 14b8. Das Personenbezogene muss beiseite gelassen werden (59b), vgl. Phd. 91c, außerdem Sph. 247c3f. Der aufschlussreiche Beitrag von D. Frede zum Philebos (1996) verdient besondere Aufmerksamkeit, auch wenn mit ihr nicht in allen Punkten übereinzustimmen ist (s. oben, Anm. 2). Ihr Ziel besteht darin, Sokrates’ Wiederauftritt nicht nur aus äußerlichen Gründen zu erklären, nämlich damit, dass das behandelte Thema des Guten im menschlichen Leben ein ursprünglich sokratisches Thema ist, sondern auch das tiefere Sokratische aufzuzeigen: wie Sokrates die geeignete Seele des Protarchos umwandeln will, was schrittweise auf der Basis des elenchos erreicht wird. Frede zieht die sechste Definition im Dialog Sophistes fruchtbar heran, um die Rolle des Sokrates im Philebos zu erhellen. Dabei wird ἔλεγχος nicht nur negativ als Widerlegung des Partners, sondern auch als Prüfung verstanden (1996, S. 225), bei der das Aussortieren (διακρίνειν) der besseren Elemente aus den schlechteren zur παιδεία hinführt. Vom Sophistes ausgehend wird anschließend der Verlauf des Lehrgesprächs im Philebos nachvollzogen und als ἐλεγκτικός in den zwei erwähnten Bedeutungen dargelegt (ebd., S. 226ff.), auch wenn das Wort nicht oft vorkommt (14e, 15a, 41b, 52d, während βασανίζειν in 19d, 21a, 31b, βάσανος in 23a auftauchen). Durch den Leitfaden des ἔλεγχος kann nach D. Frede trotz der einzelnen Kompositionsprobleme und Diskrepanzen die Einheit des Dialogs restauriert werden (ebd., S. 228). Fredes Schluss, dass Sokrates’ „Ersatzlösung“ (nämlich die nicht gänzliche Anwendung der vorher eingeführten Dialektik ab 31aff.) darauf hinweist, dass er weder
202
Kapitel 3
tischen Rede mühelos zu folgen, was in 54b kulminiert, wenn Sokrates nach dem Appell von Protarchos, allein die Antwort auf die dort gestellte Frage zu geben, seinen Gesprächspartner auffordert, endlich an der Diskussion teilzunehmen. Zugegebenerweise hängt dessen Mangel an Bereitschaft, dem Gesprächsverlauf durchgehend zu folgen, stark von der Schwierigkeit der eingeführten Themen ab, deren Behandlung auch ein intelligenter Leser nicht immer nachvollziehen kann. 41 Es lässt sich also die folgende Frage stellen: Wie kann Platon in einem Dialog zwischen Sokrates und einem gut veranlagten Partner 42 – obschon er keinesfalls die Fähigkeit eines Theätet besitzt – den Dialektiker so enthüllend, fast diktierend, schildern? So auch Th. A. Szlezák am Ende seines Beitrages über den Philebos: „Und ist es wirklich ein Zufall, dass gerade Platons letzter ‚Sokrates’ unverhüllt ausspricht, dass er das tut, was seine Namensvettern in früheren Dialogen unter ironischer Verhüllung taten?“ 43 Diese Frage oder vielmehr – da es sich um eine rhetorische Frage handelt – die Frage nach den Ursachen des unverhüllt sprechenden sokratischen Auftritts werde ich abschließend versuchen zu beantworten. Die notwendigen Bedingungen für ein dialektisches Gespräch, wie sie sich immer wieder in den platonischen Dialogen manifestieren, sind einerseits das Vermögen des Partners, andererseits die Bereitwilligkeit des Gesprächsführers: σύ τε προθυμοῦ τοῦτο καὶ ἡμεῖς συνακολουθήσομεν εἰς δύναμιν (Phil. 16b1f., vgl. auch 20b2: τὸ γὰρ εἰ βούλει ῥηθὲν λύει πάντα φόβον ἑκάστων πέρι). 44 Wenn nach diesen zwei Bedingungen Form und Inhalt der Mitteilung bestimmt werden, und wir davon ausgehen, dass Protarchos von den Ansprüchen des Sokrates häufig überfordert ist, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als daraus auf die größere Bereitschaft Sokrates’ – die letztendlich auf Platon zurückzuführen ist – zu schließen, Teile seiner Lehre mitzuteilen. Auf diese Weise gelangt unsere Darlegung zu der Frage nach den Ursachen für die Niederschrift des Philebos. Ohne auf eine Wiedergabe sämtlicher Gründe zu zielen, kann eine entsprechende Diskussion in der Akademie und die eventuelle Kritik an Platons Verbindung der Ethik mit der Ontologie ein sehr wichtiger Anstoß dafür gewesen sein. Die einschlägigen akademischen Debatten zwischen hedonistischen und anti-hedonistischen Thesen bildeten den Hintergrund der Problematik. 45 In denselben Zusammenhang gehört die konkrete Auseinandersetzung mit Eudoxos, sowohl hinsichtlich seiner metaphysischen Annahme einer Mischung der jeweiligen Idee mit dem Wahrnehmbaren (als verfehlte Interpretation -------------------------------------------die Dialektik noch Fachkenntnisse (ebd., S. 243) beherrscht, kann abgewiesen werden, wenn der unmissverständliche Offenbarungscharakter der sokratischen Mitteilungen berücksichtigt wird, was die Interpretin außer Acht lässt. Ihre Verbindung mit der Stelle im Sophistes bleibt dennoch bemerkenswert, weil dadurch die Rolle des ἔλεγχος als sokratische, kathartische, erzieherische „Umwandlung der Seele“ auch in der späteren platonischen Dialektik hervorgehoben wird und mithin interessante Überlegungen bezüglich der Begriffseinteilung und der über sie hinausgehenden Auswahl der richtigen Bestandteile des guten Lebens angestellt werden (ebd., S. 233f.). 41 Schleiermacher meint dagegen, der aufmerksame Leser sei in der Lage, auch hier im Philebos zu folgen: 1970ff., IV, S. 171f. Die hermeneutische Naivität Schleiermachers’ gegenüber einer gelungenen „esoterischen Lektüre“ sollte mit Vorbehalt betrachtet werden. 42 Hackforth 19582 S. 7: „ordinary listener“, „the average educated listener“, „intelligent anticipation of Socrates’ points“. 43 Ebd., S. 217. 44 Die zwei wesentlichen Bedingungen entgehen nicht der scharfen Beobachtung Th. A. Szlezáks: 2004, S. 207. 45 Taylor 19722, S. 25. Die antihedonistische Auffassung hat vor allem Speusippos in der alten Akademie vertreten: Phl. 44bff. weist auf eine solche Richtung hin, ohne bestimmte Vertreter zu nennen (s. EN 1153b4-8).
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
203
der platonischen methexis des Wahrnehmbaren an der Idee) als auch seiner ethischen Auffassung, nach der das Gute mit der Lust gleichzusetzen sei. 46 Ferner hat die Untersuchung der Natur der Lust Platon zum Schreiben des Philebos geführt: Wenn der Philosoph sie auch aus anderen Anlässen thematisierte (in den Dialogen Protagoras, Politeia, Gorgias), so hat er sie doch bis dahin in keinem Dialog so ausführlich behandelt. Ohne dass eine Identifikation mit der Ungeschriebenen Lehre impliziert werden darf, könnte der offenbarendere Charakter des Philebos in den weiteren Rahmen der letzten Periode Platons integriert werden. Die größere Bereitschaft Platons, etwas mehr von seiner Ungeschriebenen Lehre zu offenbaren, kulminiert in der berühmten/ berüchtigten Vorlesung „Über das Gute“, die vor dem athenischen Publikum gehalten wurde. Nach Gaisers plausibler Erklärung 47 wurde Platon einerseits durch mehrere inkompetente Kolportagen seiner Lehre (wie durch die Dionysios des II.) provoziert, seine Lehre selbst öffentlich darzustellen. Andererseits wurde seine esoterische Haltung oft als Geheimhaltung missverstanden 48 und zusammen mit seiner anti-demokratischen Auffassung als Gefahr für die Demokratie Athens empfunden, 49 was ihn zu einer Vorlesung vor den Athenern gezwungen haben könnte. Im Rahmen der Öffentlichkeit konnte er die aufgrund des esoterischen Charakters seiner Lehre hervorgerufene Abneigung mildern. Durch die Darstellung seiner höchsten Lehre hat er beim Publikum größte Verwirrung und Verachtung hervorgerufen, was seine Vorbehalte bezüglich der schriftlichen und mündlichen Mitteilung gegenüber Nicht-Eingeweihten noch bekräftigte, wie Gaiser angemessen bemerkt. 50 Nach allgemeiner Übereinstimmung gehört der Philebos zu der letzten Periode der schriftlichen Tätigkeit Platons und könnte daher vor dem hier skizzierten Hintergrund der größeren Mitteilungsbereitschaft betrachtet werden. Bei der Aufzählung darf Platons Lust am Schreiben nicht unterschätzt werden, die ihn zur Produktion von zahlreichen Texten geführt hat. Sie werden ihrerseits wie ein Adonisgärtchen zu einem feierlichen Ort für sein keinesfalls geringzuschätzendes künstlerisches Spiel. 51 Derjenige, der sich für die jeweilige Entfaltung der Zusammenhänge des platonischen Gesprächs entscheidet, ist der Schriftsteller Platon. Seine jeweilige Entscheidung, weniger oder mehr von seinen wertvollen Gegenständen ans Licht zu bringen, kann nicht eindeutig auf den einen oder den anderen Grund zurückgeführt werden. Es liegt in seiner Freiheit dasjenige, was er in einem Dialog offen oder unzureichend entwickelt hat – oder sogar den Inhalt einer Aussparungsstelle 52 –, in einem anderen Dialog darzustellen, und wenn nicht gänzlich zu explizieren, so doch eine tiefer gehende Begründung zu liefern. -------------------------------------------46
hen.
47
Als Beleg für die erwähnte These von Eudoxos ist EN 1101 b27f., 1172 b9-18 ff. heranzuzie-
Vgl. seinen gewichtigen Beitrag „Prinzipientheorie bei Platon“, 1980. Zur Esoterik vs. Geheimhaltung, s. oben, § 1.2, III, mit Anm. 97. 49 Zu den Belegen, die Gaiser erwähnt, gehören der apologetische Charakter des Siebten Briefes, der Spott in der attischen Komödie und die Ablehnung der elitären Atmosphäre in der Akademie, die in der Antidosis-Rede des Isokrates zur Sprache kommt. Plato musste sich wegen der Fälle anderer Philosophen Sorgen gemacht haben, die verurteilt und verfolgt wurden, und deswegen einen öffentlichen Vortrag angeboten haben. Auf diese Weise konnte er seine Schule vor weiteren Vorwürfen und zugleich seine Lehre gegenüber dem Zugriff Ungeeigneter schützen: Gaiser 1980, S. 22ff. 50 Ebd., S. 26f. 51 Zur Beziehung zwischen Spiel und Ernst, s. oben § 1.2, IV. 52 So wird zum Beispiel das, was im zehnten Buch der Politeia offen bleibt, nämlich ob der vernünftige Teil der Seele eingestaltig oder vielgestaltig sei, von Timaios beantwortet, nach dessen Lehre das Wesen der Weltseele zusammengesetzt ist. 48
204
Kapitel 3
3.2 Die dreiteilige Fragestellung (15b1-8) und das Zwischenspiel über den logos (15d116a3) I.
Die ersten zwei außer Acht zu lassenden Manifestationen des Problems des Einen und des Vielen
Nachdem das Einverständnis des Protarchos über die Differenzierung der Gattungen der Lust – und der Vernunft – gewonnen wurde (14a-b), führt Sokrates die erstaunliche Aussage ein: „Das Viele ist eins und das Eine ist Vieles“ (14c7-10). 53 Protarchos kann darunter den Fall der unendlichen Möglichkeit des Prädizierens bei einem wahrnehmbaren Gegenstand verstehen: Ἆρ’ οὖν λέγεις ὅταν τις ἐμὲ φῇ Πρώταρχον ἕνα γεγονότα φύσει πολλοὺς εἶναι πάλιν τοὺς ἐμὲ καὶ ἐναντίους ἀλλήλοις, μέγαν καὶ σμικρὸν τιθέμενος καὶ βαρὺν καὶ κοῦφον τὸν αὐτὸν καὶ ἄλλα μυρία (14c11-d4). Meinst du also, wenn jemand setzt, dass ich – auch wenn von Natur einer – viele wäre und einander entgegengesetzt, insofern groß und klein, und schwer und leicht und tausenderlei dergleichen noch? Die Interpretation der Stelle hängt von dem Verständnis des καί (14d1) ab: 54 Falls es explikativ (= „und nämlich“) verstanden wird, handelt es sich ausschließlich um die Prädikation entgegengesetzter Eigenschaften, wie die Beispiele von der Größe und Kleinheit, der Schwere und Leichtigkeit deutlich machen. Im Fall einer hervorhebenden Deutung (= „und sogar“) wird der Wert auf die Vielheit der prädizierten Eigenschaften gelegt, einschließlich der entgegengesetzten Prädikate. Diese zweite Alternative sollte bevorzugt werden, damit das Problem der Gegensätze als Verschärfung der Spannung zwischen der Einheit eines Gegenstandes und der Vielheit seiner Prädikate mit eingeschlossen wird. 55 Sokrates verfolgt das von Protarchos erwähnte Problem nicht, weil es viel diskutiert und breitgetreten (τὰ δεδημευμένα, 14d4) ist und darüber bereits Übereinstimmung herrscht (συγκεχωρημένα, 14d5). 56 Nicht nur diesen Fall des „Einen und Vielen“ miss--------------------------------------------
53 Eine aufmerksame Lektüre korrigiert den Eindruck, die Gesprächspartner seien auf diese Aussage erst jetzt gestoßen (14c7): Die generische Einheit und die Vielheit der Arten der Lust stehen schon seit 12c im Vordergrund der Diskussion. 54 Richtig Striker 1970, S. 12, Anm. 2. 55 So mit Recht D. Frede 1997, 1, S. 114-118. Man kann die Option der Prädikation von konträren Eigenschaften als eine Verschärfung des Problems der unendlichen (καὶ ἄλλα μυρία, 14d3) Möglichkeit des Prädizierens fassen. Durch entgegengesetzte Prädikate springt nämlich ein (wenn auch scheinbarer) Widerspruch ins Auge. Ein Mensch kann keinesfalls zugleich und in derselben Hinsicht groß und klein sein, während die Tatsache, dass er groß und dick ist, als unproblematisch erscheint. Von einer auf den ersten Blick einfachen Struktur des ersten Problems des Einen und des Vielen – (1): „x is φ1, x is φ2,…, x is φn,…“ – geht Cresswell aus, der dann die zwei o. g. Fälle (explikatives und hervorhebendes „und“) darunter bringt. Das zweite Problem des Einen und des Vielen lässt sich nach Cresswell folgendermaßen formulieren. (2): „x1 is φ, x2 is φ,…, xn is φ,…“: „how can many things have the same characteristic“ (1972, S. 150). Schon beim ersten Problem kann das x nach dem Interpreten sowohl ein Einzelding als auch eine Idee sein. Aufgrund dessen schließt er auf unangebrachte Weise: „What he [Plato] does not seem to have been clear about is that the difference between (1) and (2) is not that (2) is (1) with the things in question being Forms“ (S. 150). Platon verwischt die zwei Ebenen der methexis nicht, sondern überträgt den ersten Fall auf die zweite, ideelle Ebene, um nach einer Lösung zu suchen, wie in § 1.1 argumentiert wurde. 56 Τὰ δεδημευμένα kann eine Anspielung auf die Dialoge sein, in denen man bereits mit der geschilderten Problematik konfrontiert wurde. Es mag außerdem mit großer Wahrscheinlichkeit auf
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
205
achtet Sokrates hier, sondern auch denjenigen, den er seinerseits einführt, nämlich die Problematik des Teils und des Ganzen, um sich anschließend über beide Probleme, die das Wahrnehmbare betreffen, hinwegzusetzen. Die Einteilung eines Wahrnehmbaren in Teile oder Glieder – im Fall des Menschen – gefährdet nämlich seine Einheit. Zur Erläuterung der beiden hier am kürzesten dargestellten Arten des Problems des Einen und Vielen werden in der Forschung mehrere Stellen innerhalb des Corpus Platonicum herangezogen: 57 vor allem Phd. 102b-103a, Prm. 128e5-130a2, Sph. 251a8-c6. 58 Hieraus dürfen wir nicht den Schluss ziehen, dass Protarchos über die Lösung der erwähnten Paradoxa verfügte, die durch den platonisch-sokratischen Rückgriff auf die Ideenlehre ausgeräumt werden können, noch dass er sich der zugrunde liegenden Prämissen seines Beispiels bewusst war. Zwar zeigt sich im Dialog seine hohe Vertrautheit mit der damaligen sophistischen Praxis, 59 doch bleibt Protarchos als Gesprächspartner offensichtlich unter dem Niveau des jungen Sokrates im Parmenides, des alten Sokrates im Phaidon oder des Theaitetos im Sophistes. 60 Bei der ersten Manifestation des Problems des Einen und des Vielen begeben wir uns auf das Feld der Prädikation: Es können Paradoxa entstehen, die zum Ersten auf der Basis zweier Arten von Prädikation beruhen, nämlich der wesentlichen und der akzidentellen. Das von Protarchos angedeutete Paradoxon erinnert an das Problem, das im Phaidon behandelt und im Rahmen der dort dargelegten Theorie gelöst wird. 61 Nach der Einführung der Idee als Ursache demonstriert Sokrates die Unvereinbarkeit der gegensätzlichen Eigenschaften an folgendem Beispiel: Simmias ist größer als Sokrates, wird aber dann -------------------------------------------die lebhaften Diskussionen in der Akademie verweisen, in denen solche Paradoxa als erledigt hätten betrachtet werden sollen. 57 Unter anderen bei Striker 1970, S. 11ff., Löhr 1990, S. 22ff., Gosling 1975, S. 139ff., Hackforth 19582, S. 17f., Benitez 1989, S. 12ff., D. Frede 1997, 1, S. 114ff. 58 Man kann aus propädeutischen Gründen von der Stelle in R. 523a-525a ausgehen, aber sollte sich die Unterschiede der dortigen Problematik vor Augen halten. Dazu gründlich Löhr 1990, S. 2932. Es wird dort die Arithmetik skizzenhaft dargelegt, die zur Königin der Wissenschaften – zur Dialektik – hinleitet. Das gleichzeitige Auftreten von entgegengesetzten Wahrnehmungen eines Gegenstandes, der sowohl hart als auch weich oder leicht und zugleich schwer erscheint – 524a – kann im Rahmen der dialektischen Erziehung das Denken auffordern (παρακλητικὰ τῆς διανοίας, 524d3, ἐγερτικὰ τῆς νοήσεως, 524d5) und auf die Betrachtung des dem Werden entzogenen Seienden hinlenken (καὶ οὕτω τῶν ἀγωγῶν ἂν εἴη καὶ μεταστρεπτικῶν ἐπὶ τὴν τοῦ ὄντος θέαν, 524e6525a1.). Erst dann wird die Frage möglich, was die Härte, die Weichheit, das Leichte und das Schwere als denkbare Eigenschaften gegenüber den wahrnehmbaren sind. Den scheinbaren Widerspruch, der im Bereich der Wahrnehmung auftritt, kann die Seele ohne den Appell an das Denken nicht lösen. Mit dessen Hilfe folgt die begriffliche Unterscheidung des vorher zusammentretenden verschwommenen Wahrgenommenen von Größe und Kleinheit, Dicke und Dünne, Härte und Weichheit sowie Einem und Unendlichem (κεχωρισμένον, 524c4, διωρισμένα, 524c7). Im Gegensatz zu diesem Fall wird das von Protarchos eingeführte Problem deutlicher auf die Ebene der Prädikation gestellt, obwohl auch der Stelle in der Politeia eine Urteilsproblematik, wenn nicht eine Urteilstheorie zugrundeliegt: 524a6-10. Zu dem vagen Begriff von Wahrnehmung in der Politeia vgl. die Anmerkungen von Adam 19632 zu 523c13. 59 Vor allem, wenn er sich durch die sokratische Beschreibung der eristischen Taktik (15d816a3) angesprochen fühlt. Später kommt zum Ausdruck, dass er Schüler des Gorgias gewesen ist: 58a7ff. 60 Löhr betrachtet Protarchos anders, nämlich als einen Vertreter der populären Version einer logisch-philosophischen Schulposition. Dann aber bedient sich der Interpret der entsprechenden Stelle im Sophistes, um Protarchos’ Beispiel sachgemäß rekonstruieren zu können. 61 Phd. 102bff. Das würde keinesfalls die angegebene Stelle im Phaidon zur Parallelstelle machen, um eine Furcht wie die Löhrs (1990, S. 36) zu zerstreuen. Verschiedene Stellen des Corpus Platonicum können „zusammengerieben werden“, um von einer Metapher des Siebten Briefes (344b2) und der Politeia (435a1) Gebrauch zu machen, ohne die Koordinaten jeder Stelle gleichzusetzen.
206
Kapitel 3
kleiner als Phaidon. Er erklärt diese scheinbare Veränderung des Simmias, 62 ohne direkten Bezug auf die Idee der Größe oder der Kleinheit zu nehmen (Phd. 102b-d). Die Antwort besteht nicht in Simmias’ unmittelbarer Teilhabe sowohl an der Idee der Größe als auch an der Idee der Kleinheit, 63 wie es bei der Einführung der Ideenlehre naheläge. Die als einfältig bezeichnete Ursächlichkeit der Idee (100c4-6: εἴ τί ἐστιν ἄλλο καλὸν πλὴν αὐτὸ τὸ καλόν, οὐδὲ δι’ ἓν ἄλλο καλὸν εἶναι ἢ διότι μετέχει ἐκείνου τοῦ καλοῦ) wird in der Fortsetzung durch die Inanspruchnahme der „immanenten Ideen“ verfeinert: Etwas ist – akzidentell – schön, nicht weil es selbst direkt an der Idee der Schönheit teilhat, sondern durch indirekte Teilhabe, vermittels des immanenten Schönen, das seinerseits direkt und wesentlich an der Idee des Schönen teilhat. Durch die „immanenten Ideen“ hat der wahrnehmbare Gegenstand an mehreren transzendenten Ideen Anteil, nach denen er entsprechend benannt wird. Die Größe in uns (102d7: τὸ ἐν ἡμῖν μέγεθος) wird von der Idee der Größe, der Größe an sich (Phd. 102d6: αὐτὸ τὸ μέγεθος, oder später – 103b5 – τὸ ἐν τῇ φύσει) unterschieden. Das Gemeinsame der transzendenten und immanenten Ideen – deswegen werden beide von Platon als εἴδη bezeichnet – besteht darin, dass sie als intelligible Ursachverhalte in logischen Beziehungen der Verträglichkeit oder der Unverträglichkeit zueinander stehen. Hier wird ausschließlich auf die Beziehung der Unverträglichkeit fokussiert, weil es um Gegensätze geht, immanente ἐναντία (das Große und das Kleine im Simmias oder die Kälte im Schnee gegenüber der Wärme oder das Geradesein in der Zahl Vier gegenüber dem Ungeradesein). Die im Träger sich befindende Eigenschaft hat aber nicht den unveränderlichen Status der transzendenten Idee; sie ist anders als diese dem Werden unterworfen: Sie kann ausweichen oder zerstört werden, wenn ihr Gegensatz auftritt. Dagegen ist die hier verwendete Kriegsmetaphorik im Reich der Ideen ungeeignet, weil die Ideen weder weichen noch zugrunde gehen oder einander aus dem logischen Raum vertreiben. Mögliche Paradoxa (groß-klein für den Fall des Simmias) lassen sich im Phaidon dadurch aufheben, dass es einerseits um akzidentelle Prädikation geht 64 und andererseits verschiedene Hinsichten im Spiel sind. 65 Die Widersprüchlichkeit wäre nicht mehr aufzuheben, wenn zwei entge--------------------------------------------
62 Die Veränderung, die aufgrund unserer äußeren Reflexion – in der Terminologie Hegels – zustande kommt, ist scheinbar (also Simmias „wird“ weder groß noch klein). Dass hier weder die Veränderung noch der Wechsel (102d5-103a2) zum Thema werden, sieht Löhr 1990, S. 35 nicht ein. 63 Eine andere Erklärung bietet der junge Sokrates im Parmenides: Dort nimmt er keine „immanenten Ideen“ an, um einen wahrnehmbaren Gegenstand als ähnlich und unähnlich zu bezeichnen: 128e6-129b1. Die unterschiedliche Annäherung sollte nicht als divergent verstanden werden. Im Parmenides wird das Problem von dem noch nicht in seiner Ideenlehre bewanderten jungen Sokrates ohne große Überlegung gelöst, bevor er sich aufgrund der parmenideischen Kritik in Aporien verstrickt. Im Phaidon ist die Lösung des angesprochenen Paradoxons in den speziellen Rahmen der Beweisführung der Unsterblichkeit der Seele integriert, deren Natur zwitterhaft ist – sowohl immanente Idee als auch Substanz. Vgl. D. Frede 1999, S. 136. Die Einführung der immanenten Ideen kann außerdem mittels allgemeinerer theoretischer Ansätze erklärt werden: Durch direkte Teilhabe eines Wahrnehmbaren an der Idee seines Wesens und eine mittelbare, akzidentelle Teilhabe wird auf eine Trivialisierung des Essenzialismus verzichtet, zu der wir gelangten, wenn das Wahrnehmbare ein unendlich vielfaches Wesen wäre: dazu Anton Fr. Koch, VL 2002, § 41. 64 Im Fall einer wesentlichen Prädikation – wenn nämlich die Größe oder die Kleinheit das Wesen von Simmias bestimmten – müsste der Träger Simmias entweder untergehen oder entrinnen, wenn er an der seinem Wesen entgegengesetzten Eigenschaft teilnähme; genauso wie im Fall des Schnees, wenn er die Wärme annimmt, oder der Zahl Fünf, wenn sich das Geradesein durchsetzt. 65 Der Phaidon bereitet den Weg der aristotelischen Kategorienlehre vor (Unterscheidung zwischen Prädikation an sich und zufälliger Prädikation): durch Sätze wie „Simmias ist klein“ (zufällige Aussage), „Simmias ist Mensch“ (Wesensprädikation), „Der Schnee ist kalt“ (notwendige Aussage). Vgl. dazu die aufschlussreiche Analyse von A. Koch, VL 2002, § 44: Weisen der Prädikation, S. 57-64.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
207
gengesetzte Eigenschaften von einem Gegenstand zugleich und in derselben Hinsicht prädiziert würden. 66 Sowohl das konkrete diskutierte Problem des Simmias als auch die sich daran anschließende Problematik der Veränderung des Wahrnehmbaren wird bis zum Ende des Phaidon im Rahmen der so genannten immanenten Ideen gelöst, ohne dass die innerideelle Teilhabe thematisiert wird, wenn sie auch mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt ist. Das Problem des Einen und Vielen meldet sich bei der Einführung der unendlichen Prädikationsmöglichkeit des Wahrnehmbaren im Sophistes (251a-c): Wie ist etwas, das als eines gesetzt wird (251b2f.: ἓν ἕκαστον ὑποθέμενοι) wiederum vieles, und wie kann es mit einer unendlichen Vielheit von Prädikaten verbunden werden? Im Rahmen dieser Passage wird die angesprochene Problematik nicht ohne Weiteres als kindisch abgetan; sie leitet vielmehr die ernste Diskussion der drei Hypothesen über die Mischung oder Beziehungslosigkeit des Seienden ein, wie sie bereits im zweiten Kapitel nachvollzogen wurde. Durch die Darlegung der Mischung der größten Gattungen wird aufgezeigt, dass die Verflechtung der Ideen die Verbindungsmöglichkeit in unserer Rede garantiert (259e4-6). Um zu der diskutierten Stelle im Philebos zurückzukehren: Sokrates lässt – wie oben gezeigt – sowohl das von Protarchos bezeichnete Problem des Einen und Vielen außer Acht als auch dasjenige der Beziehung von einem Ganzen zu seinen vielen oder unendlich vielen Teilen, 67 das Sokrates selbst hinzufügt. Einige Interpreten haben aufgrund der Steigerung des Textes (ἐπεὶ μηδὲ τὰ τοιάδε: ja auch das nicht einmal) vorgeschlagen, dass das sokratische Beispiel dem echten Problem des Einen und des Vielen näherkommt als das von Protarchos. Im ersten Fall komme nämlich die Vielheit durch Teilhabe an verschiedenen Ideen zustande, also auf der Basis der Beziehung zum Anderen, während die Vielheit im zweiten Fall in dem wahrnehmbaren Gegenstand selbst situiert zu sein scheint, was die Spannung zwischen dem Einen und dem Vielen verstärke und die Gefahr eines Widerspruchs bedrohlicher mache. 68 Wie die Darstellung der Problematik im Phaidon aufgezeigt hat, kann es zum einen schon im ersten Fall um die Ebene der immanenten Ideen im Wahrnehmbaren gehen. Zum anderen wird das Paradoxon des Ganzen und seiner Teile – im Parmenides – durch die Teilhabe an den entsprechenden Ideen der Einheit und Vielheit gelöst, also auch durch Bezug zum Anderen. Über die Lösung verfügt der junge Sokrates selbst (129b4-d2). Er nennt sich „einer“ und „viele“, da er vielgliedrig ist, und vermeidet die Entstehung eines Widerspruchs dadurch, dass er zugleich --------------------------------------------
66 Bereits in der Politeia kommt, im Rahmen der Unterscheidung der drei Seelenteile (436e8437a2), eine Formulierung des Satzes vom auszuschließenden Widerspruch vor, bevor Aristoteles ihn in Metaph. Γ3, 1005b19-20 als oberstes Beweisprinzip einführt. 67 Es ist höchst wahrscheinlich, dass durch ἄπειρα (14e4) auf die Möglichkeit der unendlichen Teilbarkeit angespielt wird, die zu lebhaften Diskussionen im Rahmen der damaligen Wissenschaft und Philosophie geführt hat. Vgl. Migliori 2001, S. 113, Anm. 27. 68 So argumentiert Gadamer 1985, GW, Bd. 5, S. 84f. Meinwald 1996 hat Kritik an der allgemeinen Tendenz in der Forschung geübt (z. B. bei D. Frede 1997, 1, S. 116f.) und größere Aufmerksamkeit auf das Beispiel von Protarchos als auf das von Sokrates gelenkt, da die Interpretin ἐπεὶ μηδὲ τὰ τοιάδε, 14d8 als Steigerung („not even“) versteht. Nach Fredes Ermessen gilt: „Socrates’ case is closer to the serious because it models the structure of the case he is ultimately interested in“ (D. Frede 1997, S. 99). Ihre Argumente beruhen auf der sprachlichen Ebene: S. 100: μέρη διελὼν τῷ λόγῳ (Phl. 14e1), was mit üblichen Ausdrucksweisen der dihairetischen Methode verglichen wird; Meinwald erinnert an die Metapher der Einteilung der Glieder eines Tieres, die als Bild zum Exemplifizieren der dihairetischen Methode vorkommt (vgl. Phdr. 265b2, e1-2, Plt. 259d9, 287c3). Zur Vorwegnahme des ernst zu nehmenden Problems – durch die Anwendung von ἄπειρα (14e4) im Beispiel von Sokrates – vgl. Löhr 1990, S. 39.
208
Kapitel 3
an der Idee der Vielheit und der Idee des Einen teilhabe. Trotz der beachtenswerten Versuche müssen wir unterstreichen, dass der Wortlaut selbst eine Steigerung durch das Beispiel des Sokrates nicht notwendig macht: Im Gegenteil, μή - μηδέ (14d6-8) ist neutral und nicht steigernd. Man kann daher den Schluss ziehen, dass die ersten zwei analysierten Beispiele im Philebos ein einheitliches Problem bilden, das eine gemeinsame Lösung verlangt; die scheinbaren Widersprüche (τέρας, Prm. 129b2, τέρατα, Phl. 14e3), die sich im Gebiet des dem Werden und Vergehen unterworfenen Einen als Ganzem von Teilen oder Substrat seiner ihm zukommenden Bestimmungen stellen, können durch die Teilhabe an verschiedenen – sogar entgegengesetzten – Ideen aufgehoben werden, was die aufgetretenen Paradoxien löst. II. Das ernst zu nehmende Problem des Einen-Vielen und die Einführung der Monaden: Die erste methexis-Übertragung So führt Sokrates das Gespräch zum echten Problem der Einheit und Vielheit innerhalb des ideellen Bereichs: Was in diesem Rahmen als ernstes Problem des Einen und Vielen betrachtet wird, ist nicht bei den werdenden und vergehenden Dingen, sondern bei den unveränderlichen Einheiten situiert. Phl. 15a1-7: Ὁπόταν, ὦ παῖ, τὸ ἓν μὴ τῶν γιγνομένων τε καὶ ἀπολλυμένων τις τιθῆται, καθάπερ ἀρτίως ἡμεῖς εἴπομεν. ἐνταυθοῖ μὲν γὰρ καὶ τὸ τοιοῦτον ἕν, ὅπερ εἴπομεν νυνδή, συγκεχώρηται τὸ μὴ δεῖν ἐλέγχειν. ὅταν δέ τις ἕνα ἄνθρωπον ἐπιχειρῇ τίθεσθαι καὶ βοῦν ἕνα καὶ τὸ καλὸν ἓν καὶ τὸ ἀγαθὸν ἕν, περὶ τούτων τῶν ἑνάδων καὶ τῶν τοιούτων ἡ πολλὴ σπουδὴ μετὰ διαιρέσεως ἀμφισβήτησις γίγνεται. Wenn jemand, mein Junge, als Eines nicht etwas von dem Werdenden und Vergehenden setzt, wie wir gerade sagten. Denn Übereinstimmung ist erreicht worden, wie wir jetzt erwähnten, dass man hier und das so beschaffene Eine nicht zu prüfen braucht. Wenn aber jemand versucht, den Menschen als einen zu setzen und den Ochsen als einen und das Schöne als eins und das Gute als eins, entsteht große Streitigkeit in Verbindung zu der Einteilung dieser Einheiten und des so Beschaffenen. 69 Es liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei den angesprochenen Entitäten, die nicht dem Werden und Vergehen unterworfen sind, um die Ideen handelt, obschon hier weder der terminus technicus ἰδέα noch sein häufiges Attribut (αὐτὸ καθ’ αὑτό) auftauchen. Stattdessen ist die Rede von ἑνάδες (15a6) und μονάδες (15b1). 70 Platon führt die erste Übertragung ein, um das einheitliche Sein dieser Entitäten (Mensch, Rind, das Gute, das Schöne) hervorzuheben, das trotz der Vielheit der sie umfassenden Ideen – wie im Fall des Menschen und des Rindes – oder der sie umfassenden Ideen – wie im Fall des Guten und Schönen exemplifiziert wird – nicht preisgegeben wird. Platon prägt ein solches Wort unmittelbar im Zusammenhang und verliert die Problematik nicht aus den Augen: Wie kann eine Einheit, die eingeteilt wird, doch noch Einheit bleiben? Auf diese Weise bleibt die Aufmerksamkeit darüber hinaus nicht ausschließlich an die Ideen gebunden, vielmehr sind auch die platonischen Prinzipien schon --------------------------------------------
69 Das tradierte σπουδή (15a7) ist syntaktisch kaum zu halten. Der Vorschlag von Bury oder Apelt (που δή, που ἤδη) zielt auf einen natürlicheren sprachlichen Ausdruck und ist vorzuziehen. 70 Das Wort ἑνάς ist nur an dieser Stelle bei Platon zu finden; es taucht später bei Damasc. Pr. 40, 99 wieder auf: οἱ νόες πλείους τῶν θείων ἑνάδες. Vgl. auch Procl. Inst. 62 cf.6.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
209
mit im Spiel, die als Einheiten in unserem logos erfasst werden können, auch wenn sie in Bezug aufeinander und nicht an sich gedacht werden. Sowohl im Phaidon 71 als auch an einer späteren Stelle im Philebos (56d-e) bedeutet μονάς die mathematische Einheit als Maß der Zahl. Wenn es im Philebos auch um Ideen geht, welchen Schluss kann man dann aus der Übertragung dieses Terminus von dem mathematischen auf den ideellen Bereich ziehen? Es ist wohl so, dass dadurch schon die Mathematisierung der späteren platonischen Ideenlehre hervortritt. 72 Damit der pythagoreische Einfluss der späteren Mathematisierung der platonischen Lehre deutlich wird, sei an die Behauptung des Neuplatonikers Iamblichos erinnert: Nach Philolaos sei die μονάς der Ursprung und Ausgangspunkt von allem. 73 Das ideelle Sein sollte deswegen allerdings nicht als einfach betrachtet werden, weil die μονάς als die nicht weiter teilbare Maßeinheit gilt. Die einigende Einheit der Monade widerspricht nicht ihrer inneren Vielfalt. 74 Die bisherige Partie des Dialogs gewinnt ihre Einheit: Die Lust und die Einsicht als generische Einheiten, die viele Unterarten umfassen, wurden von Anfang an problematisiert. Protarchos lenkt die Aufmerksamkeit auf die Ebene des Wahrnehmbaren, bevor der Gesprächsführer Sokrates die Diskussion wieder auf die rechte Bahn bringt, indem er die Fragestellung auf die Einheit und Vielheit innerhalb des Intelligiblen fokussiert. III. 15b1-c3: Die ernst zu nehmende Fragestellung hinsichtlich der untersuchten Einheiten Wir zielen im Folgenden darauf, den vermittelnden Charakter der so genannten Dialektikpassage zwischen der Fragestellung von 15b und dem vierfachen Gefüge (23c127c1) aufzuzeigen. Dazu wird die dreigliedrige Fragestellung zur Sprache kommen, so dass die Verbindung mit dem anschließenden Text durchsichtig gemacht wird. Sokrates versucht kurz und bündig die Fragen zu formulieren, die das echte Problem des Einen und Vielen betreffen, nämlich im Bezirk der Henaden-Monaden (15b1-15c3).
-------------------------------------------71
101c, 105c. Die Monadologie der inoperablen Ideenzahlen kann anhand der Darstellung und gleichzeitigen Kritik vonseiten Aristoteles’ in Metaph. M und N rekonstruiert werden; dazu Th. A. Szlezák 1987. Die Diskussion über das Wesen der Ideenzahlen unter Julius Stenzel (Ideenzahlen als „Ordnungsprinzipien, die dialektisch ihre Einheiten nach ihrem Stellenwert im System unterscheiden“, also die Vorstellung der Ideen in dihairetischen Schemata als Ideenzahlen, 19332, S. 117) und Oskar Becker (Ideenzahlen als „dihairetische Geflechte, deren Knoten die ‚Monaden’ sind“, 1931, S. 469, „einheitliche Gesamtgestalt[e]“, S. 492: Jede Idee in einem dihairetischen Schema entspreche der Monade in der Ideenzahl und nicht der Ideenzahl selbst) sei hier dahingestellt. Ross (19972, I, lxix) bemerkt: „Now in the Philebus Plato has got so far as to say that limit must be numerical, and that it is this that qualifies it to be a formal principle. From this it is no great step to saying that the ideas are numbers. He already in the Philebus calls them henads and monads.“ Sowohl Ross (ebd.: „the dawning of a tendency that ultimately led Plato to identify the Ideas with the number“) als auch im Anschluss an ihn Hackforth (19582, S. 40f.) setzen eine Entwicklungsthese voraus, nach der Platon beim Verfassen des Philebos noch nicht über die Ideenzahlen-Theorie verfügte. 73 In Nic., 77, 9-11 (entspricht Philolaos, DK Fr. 8) ἡ μὲν μονὰς ὡς ἂν ἀρχὴ οὖσα πάντων κατὰ τὸν Φιλόλαον. Was die etymologische Zurückführung angeht, lässt sich die Bedeutung des Einzigen/ Alleinigen (μόνος) und des Sich-Isolierens und Bei-sich-Seins in der μονάς finden. 74 D. Frede vermerkt: „Die strikte ‚Einförmigkeit’ der Ideen (μονοειδές) dürfte eine Vorstellung sein, die Platon lang vor dem Philebos aufgegeben hat, wenn er sie je hatte.“ (1997, 1, S. 210). Man braucht aber in der Tat keine Entwicklungsthesen zu mobilisieren, wenn man einsieht: Mονοειδές bedeutet nicht das Nicht-Einfache schlechthin, sondern lässt sich mit einer Art Zusammensetzung verträglich machen: R. 610a, Phd. 80b2, 83e2, Ti. 59b. 72
210
Kapitel 3 Πρῶτον μὲν εἴ τινας δεῖ τοιαύτας εἶναι μονάδας 15b ὑπολαμβάνειν ἀληθῶς οὔσας: εἶτα πῶς αὖ ταύτας, μίαν ἑκάστην οὖσαν ἀεὶ τὴν αὐτὴν καὶ μήτε γένεσιν μήτε ὄλεθρον προσδεχομένην, ὅμως εἶναι βεβαιότατα μίαν ταύτην; μετὰ δὲ τοῦτ’ἐν τοῖς γιγνομένοις αὖ καὶ ἀπείροις εἴτε διεσπα5 σμένην καὶ πολλὰ γεγονυῖαν θετέον, εἶθ’ ὅλην αὐτὴν αὑτῆς χωρίς, ὂ δὴ πάντων ἀδυνατώτατον φαίνοιτ’ ἄν, ταὐτὸν καὶ ἒν ἅμα ἐν ἑνί τε καὶ πολλοῖς γίγνεσθαι. Ταῦτ’ ἔστι τὰ περὶ τὰ τοιαῦτα ἒν καὶ πολλὰ, ἀλλ’ οὐκ ἐκεῖνα, ὦ Πρώταρχε, c ἁπάσης ἀπορίας αἴτια μὴ καλῶς ὁμολογηθέντα καὶ εὐπορίας [ἄν] αὖ καλῶς. Zuerst (muss untersucht werden), ob man annehmen muss, dass gewisse so beschaffene Monaden wahrhaft existieren; dann, wie diese wiederum, obwohl jede einzelne immer dieselbe ist, und weder Werden noch Vergehen zulässt, dennoch am sichersten eine ist. Im Anschluss daran muss angenommen werden, dass Dasselbe und Eine zugleich im Einen und im Vielen wird, sie (sc. diese Monade/ Idee) im Werdenden und Unbegrenzten zerstreut und vieles geworden, oder als Ganze von sich selbst getrennt, was doch wohl schlechthin unmöglich erschiene. Dieses „Eines und Vieles“ hinsichtlich des so Beschaffenen und nicht jenes ist nämlich, Protarchos, die Ursache aller Aporie, wenn man nicht richtig darin übereinstimmt, aber auch wiederum der Lösung (der Schwierigkeiten), wenn richtig.
Einige Voraussetzungen, die der vorgeschlagenen Übersetzung der vieldiskutierten Passage zugrunde liegen, müssen im Folgenden expliziert und verteidigt werden. Das erste Problem, das sich durch eine unaufhörliche Diskussion in der Forschung auszeichnet, beginnt bereits bei der Interpunktion des Textes, genauer damit, ob hier zwei oder drei Fragen zu lesen und zu verstehen sind. Wie bei der angeführten Übersetzung klar ist, schließe ich mich den Interpreten an, die, Burnets Text folgend, 75 von einer dreiteiligen Fragestellung ausgehen. 76 In der Sekundärliteratur ist wiederum umstritten, worin die erste Frage besteht – von πρῶτον bis οὔσας. Handelt es sich hier um die Frage, ob es die Monaden überhaupt gibt, oder ob sie wahrhaft seiend sind? Der Gebrauch von ὑπολαμβάνειν misst dem Sinn hypothetischen Charakter bei (anstelle von ὑποτιθέναι). Auf diese Weise wird sowohl an --------------------------------------------
75 Burnet setzt an der Stelle 15b4 ein Fragezeichen nach ταύτην, Diès in seiner kritischen Ausgabe von 1941 stattdessen ein Komma. In diesem Fall ist keine der beiden Interpunktionen ausschließlich auf der textlichen Basis mit ausschlaggebenden Gründen vorzuziehen; im Philebos stößt der rein philologische Umgang zuweilen an seine Grenzen und erweist sich als auf eine philosophische Deutung angewiesen. Die von uns vorgeschlagene Interpretation ist von der allgemeineren Problematik der Teilhabe abhängig (§ 1.1). Zur philologischen Diskussion vgl. die Auswahl: Benitez 1989, S. 24-31, Striker 1970, S. 14. Zwei Fragen lesen in 15b unter anderen: Badham 18782, S. 10, Crombie 1963¹, S. 362, D. Frede 1997, 1, S. 120ff., Gadamer 1927, S. 94, Gosling 1975, S. 147, Hackforth 19582, S. 20, Anm.1, Jackson 1881, S. 262, M. Hoffmann 1996, S. 114ff., Natorp 19943, S. 316, Preiswerk 1939, S. 54, Ross 19532, S. 131, Shiner 1974, S. 38f., Striker 1970, S. 14. Von einer dreigliedrigen Fragestellung gehen neben anderen die folgenden Interpreten aus: Archer-Hind 1901, Benitez 1989, S. 24ff., Bury 1897¹, ad loc, Davidson 1949, S. 49ff., Friedländer 1975, S. 567, Anm. 2, Hahn 1978, Schneider 1884, S. 51f., Taylor 1972, S. 31f. 76 Burnet schließt sich seinerseits der langen Tradition an. Diese Lektüre der Stelle wurde schon von den Interpreten der Antike vorgezogen: Damascius: In Philebum 45, νβ΄: Ὅτι πολλῶν οὐσῶν ἀποριῶν περὶ τὰς ἰδέας τρεῖς προτίθεται νῦν ὁ Σωκράτης: εἰ εἰσίν, εἰ αἰώνιοί εἰσι καὶ ἐφ’ ἑαυτῶν, πάσης ἐξηρημέναι γενέσεως, καὶ τρίτον πῶς μετέχονται ὑπὸ τῶν τῇδε.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
211
die uns häufig im Corpus Platonicum begegnende Problematik der Ideenannahme erinnert, als auch zugleich an den geäußerten Mangel an Bereitschaft seitens der Vielen, den Ideen Realität zuzuweisen. 77 An der anvisierten Stelle kommt es darauf an, wie der Ausdruck ἀληθῶς οὔσας zu verstehen ist, nämlich als „wirklich existierend“ oder als „wahrhaft seiend“. 78 Meines Erachtens handelt es sich hier um die Realität der Monaden, denen ein höherer Grad von Sein zugesprochen wird. Ich würde aufgrund dessen die zwei Optionen nicht als disjunktiv verstehen, sondern als einander ergänzend: Es geht nämlich darum, ob es die wahrhaft seienden Monaden wirklich gibt. Die Realität der so beschaffenen ideellen Einheiten wird an der vorangegangenen Stelle nicht als selbstverständlich betrachtet, an der die Rede von deren Ansetzen ist (Ὁπόταν … τις τιθῆται – 15a1f. –, ὅταν … ἐπιχειρῇ τίθεσθαι – 15a4f.). Es ist daher nicht abwegig, in 15b1-2 zu fragen, ob es sie überhaupt gibt, und zwar nicht als bloß subjektiv bedingte Begriffe (νοήματα ἐν τῇ ψυχῇ, Prm. 132b3-5), sondern als wahrhaft seiend. 79 Ihr Sein ist dem Werdenden und Vergehenden (Phil. 15a1-2) entgegengesetzt, dem das inferiore Sein des (Ab)bildes zugesprochen wird. 80 Die Drei-Fragen-Interpretation wird durch die Satzform des Textes unterstützt: πρῶτον … εἴτα … μετὰ δὲ τοῦτο. Trotzdem haben einige Interpreten versucht, die durch den Satzbau gestützte Aufzählung zu widerlegen, indem sie die zweite Frage von εἴτα bis ταύτην als sinnlos charakterisierten. 81 Die Vertreter der dreifachen Fragestellung entkräften ihrerseits solche Bedenken dadurch, dass sie „the clumsy, but not impossible sentence“ 82 anhand von Parallelstellen auslegen. Man läuft auf diese Weise allerdings Gefahr, in den Text ganze Partien von anderen Dialogen hineinzulesen, um der zweiten Frage einen angemessenen Sinn zu verleihen. Ein Beispiel dafür stellt die Deutung von Schneider dar. Im Anschluss an die Tradition der Dreigliedrigkeit der Fragestellung versteht er so das zweite Glied – von εἴτα bis ταύτην –, als ginge es hier um die Möglichkeit unserer Erkenntnis der Ideen, die dadurch bedroht wird, dass wir uns innerhalb des Werdens und Vergehens befinden. 83 Schneider trägt die Problematisierung der Erkenntnis der Ideen aus dem Parmenides in die Stelle des Philebos herein, die aber auf diese Weise überinterpretiert wird. Taylor wiederum interpretiert die obskure zweite Frage als Nachklang der Problematik des seienden Einen der zweiten Reihe im zweiten Teil des Parmenides (142b-155e). 84 -------------------------------------------77
In Bezug auf diesen Mangel an Bereitschaft vgl. Prm. 134e9ff., R. 478e7-479a5, auch 480a1-4. Was die Syntax des Satzes betrifft, gehen wir von einer existenziellen Bedeutung von εἶναι (15b1) aus. Das Partizip οὔσας ist eher als adjektivisches Attribut zu μονάδας zu verstehen; so auch Benitez 1989, S. 25f. Goslings Behauptung, dass die Möglichkeit der Existenz dieser wahrhaften Monaden („genuine monads“) nicht gegenüber ihrer möglichen Nicht-Existenz verstanden werden darf, sondern gegenüber der Annahme von Pseudo-Monaden (1975, S. 145, mit Verweis auf Plt. 262) findet keinen Beweis im Text. 79 Wenn wir auch in den Dialogen nicht so viel darüber erfahren, waren doch die so genannten Ideenbeweise ein wichtiges Thema innerhalb der Akademie. Mehr als die Dialoge bietet Aristoteles: Metaph. A9 und Fragmente „Über die Ideen“. Dazu Robin 19682, S. 15-25. 80 Auf den Abbildcharakter unseres kosmos beruft sich der ganze Timaios. In der Rekapitulation wird dem Sinnlichen eine Art von οὐσία zugesprochen (52c4-5: οὐσίας ἁμωσγέπως ἀντεχομένην). 81 Ross 19532, S. 130-131, Striker 1970, S. 14, D. Frede 1997, 1, S. 119ff., Gadamer GW, Bd. 5, S. 85f. 82 Hackforth 19582, S. 20, Anm. 1. 83 Schneider 1884, S. 51f. 84 Taylor 1978, S. 411 deutet die zweite Frage wie folgt: „How are we going to reconcile their unity with their reality of being?“. Vgl. auch Taylor 1972, S. 31f.: „How, if each one of them is changelessly self-identical, it can be confidently asserted to be just this one unity which it is?“. 78
212
Kapitel 3
Im Vergleich zu den erwähnten Vorschlägen expliziert Friedländer die zweite Frage auf angemessene Weise, indem er sich Archer-Ηind anschließt. Er vertritt nämlich die These, dass der Gegensatz, der durch ὅμως (15b4) zum Ausdruck kommt, zwischen der Vielheit der Monaden einerseits und dem „Einssein“ der Monade andererseits zustande kommt. 85 Er formuliert die zweite Frage folgendermaßen: „Wie sind diese echten Einheiten unbeschadet des Immer-und-unverändert-Seins jeder einzelnen (Monade) von ihnen gleichwohl dieses Eine, nämlich Einheit? Anders gesprochen: Wie sind die gesonderten ‚Ideen’ (Monaden) doch zugleich ‚Idee’ (Monade)? Oder noch anders: Wie ist im Bereich des reinen Seins Einheit und Vielheit vereinbar?“ 86 In Anknüpfung an die Auslegung Friedländers – auf der Grundlage des Einen und Vielen innerhalb des Ideenbereichs also – muss konkreter zur Sprache gebracht werden, worin das Paradoxon in diesem Bereich liegt, damit der Gegensatz mit ὅμως zur Geltung kommt. Entsprechend stellt sich die Frage: Wie bildet die Ganzheit der vielen Ideen eine einheitliche Ganzheit? Um den Sinn der zweiten Frage zu restaurieren, hat Ernst Hoffman eine „lacuna“ nach προσδεχομένην (15b4) vorausgesetzt. Erst nach der Ergänzung des Textes kann überhaupt ein Gegensatz zum adversativen ὅμως entstehen. 87 Wie kann nämlich jede der so beschaffenen Einheiten, die immerwährend bleibt und weder Werden noch Vergehen zulässt, obwohl sie in Vieles eingeteilt wird (also die lacuna nach προσδεχομένην mit εἰς πολλὰς ἰδέας διαιρουμένην ausgefüllt 88 ), gleichwohl diese am sichersten eine sein? Im Hintergrund dieser Frage steht die dihairetische Methode. Man kann genauer sogar zweifach fragen: Zunächst und vor allem: Wie kann die Einheit der in mehrere Einheiten eingeteilten Monade gesichert werden? Und zum Zweiten: Was bedeutet es, eine Idee, hier die Monade, einzuteilen, wenn feststeht, dass diese Einheiten kein Werden – einschließlich eines dihairetischen – zulassen? Die erste Frage bezieht sich auf die Einheit und Vielheit der Idee qua Idee, und die zweite betrifft die dialektische Methode: Inwiefern ist diese Methode für den von unserem Werden und Vergehen abgehobenen ideellen Bereich geeignet? --------------------------------------------
85 Friedländer 1975, S. 486f., Anm. 28. Er wehrt sich gegen das Überhören des Sinnes der zweiten Frage im Phl. 15b. „Die Monaden sind trotz ihrer Individualisierung doch zugleich μονάς.“ 86 Ebd., S. 297. 87 Die Konjekturen von Badham (statt ὅμως: ὅλως; von Diès in seiner kritischen Ausgabe vorgezogen) und von Susemihl (an der Stelle von ὅμως setzt er ὄντως; adoptiert von Benitez 1989, S. 29) sind nicht besonders überzeugend, obschon sie von verschiedenen Interpreten übernommen werden, so dass die Schwierigkeit des adversativen ὅμως beseitigt werden kann. 88 Der Wortlaut der Ergänzung stammt von der Verfasserin. Meinwald 1996, S. 100, macht die zweite Frage dadurch verständlich, dass sie die lacuna des überlieferten Textes ergänzt und das Problem der dihairesis fruchtbar macht. Sie geht ebenfalls davon aus, dass das Problem des Einen und Vielen bei dem Intelligiblen zugespitzt wird, weil die eine Idee, als vom Werden und Vergehen abgehoben, nicht Vieles werden kann. Dadurch kann das größere Paradoxon im Rahmen des Ideenbereichs bestätigt werden; jede Idee ist zugleich eines und vieles, ohne dass sie eines oder vieles werden kann: zumindest – würde ich hinzufügen – nicht im Sinne des Werdens des Wahrnehmbaren. Allerdings bin ich mit dem weiteren hermeneutischen Rahmen der Interpretin nicht einig, nämlich dass in den platonischen Dialogen eine genaue, „saubere Arbeitsteilung“ zu finden sei: Danach habe Platon die Frage der Existenz der Ideen in den mittleren Dialogen und das Problem der Teilhabe des Wahrnehmbaren im Parmenides behandelt, während nur „[the problem of unity of each form despite its pluralisation by species] is setting the agenda for the Philebus“ (S. 102). Gegenüber einer solchen Konstellation lässt sich in den späteren Dialogen die platonische Tendenz beobachten, vom Problem der Teilhabe des Wahrnehmbaren zu demjenigen der ideellen Teilhabe überzugehen, wie in § 1.1 aufgezeigt worden ist. Demzufolge ist keine „saubere“ Agendadarstellung in jedem Dialog anzutreffen, sondern es besteht eine Verbindung der innigst verwandten Probleme auch dann, wenn jeweils eines im Vordergrund steht.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
213
Diese zweite Frage als abgesonderte Frage anzuerkennen, bevor man zur dritten Frage der Teilhabe des Wahrnehmbaren an den Ideen gelangt, halte ich im Zusammenhang des untersuchten Dialogs aus zwei Gründen für wichtig. Zunächst lässt sich auf der Grundlage der vorgeschlagenen Ergänzung die Fragestellung ins dialogische Geschehen des Philebos auf natürliche Weise einbetten, ohne andere Dialoge massiv in die Stelle hineinzuprojizieren. Einerseits wird dabei das Problem der dihairesis in Anspruch genommen, das sich als Angelpunkt des heftigen Streites (Phl. 15a6-7) erwiesen hat. Andererseits erscheint die Gattung-Art-Beziehung – also innerideelle Beziehungen – seit Beginn des Dialoges im Horizont der Problematik. 89 Um sie in Erinnerung zu rufen: Nach Sokrates könnten entgegengesetzte Arten die Einheit ihrer Gattung gefährden. Die Einheit und Vielheit innerhalb des Ideenbereichs ist der Ort, an dem dieses Problem zu situieren ist. Reduzierte man die zwei letzten Fragen in 15b auf eine einzige, so versäumte man die Einordnung der zu interpretierenden Stelle in das jetzige dialogische Geschehen, das sich auf diese Art als unzusammenhängend erwiese. 90 Ein solches Eingeständnis, ein also lediglich resultativer Vorwurf wäre indessen nur dann berechtigt, wenn alle Möglichkeiten einer einheitlichen Lektüre erschöpft worden wären. Unser Vorschlag aber zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Einen zweiten gewichtigen Grund, der darauf hinlenkt, die Stelle nicht als zweigliedrige Fragestellung zu verstehen, bietet der unmittelbare Rahmen der Problematik von 15b-c. Sokrates hat das Beispiel des Protarchos als trivial betrachtet und das Problem des Einen und Vielen ausschließlich auf die immerwährenden Einheiten angewendet. Wie könnte also das Problem des Einen und Vielen an der Stelle 15b2-8 alleinig die Teilhabe des Sinnlichen betreffen? Bei der Annahme von drei Fragen wird die letzte Frage nach der methexis des Wahrnehmbaren (in 15b) aus der Perspektive der Idee gestellt. Man hat den Bereich des Wahrnehmbaren verlassen, um zu ihm zurückzukehren. Wichtig ist dabei, dass in diesem Bereich keine hinreichende Lösung der methexis gegeben werden kann, wenn man nicht zu der ideellen und anschließend zur Prinzipien-Problematik der methexis aufsteigt. 91 Um dennoch zwei Fragen in 15b zu erkennen, bietet es sich lediglich an, auf Grundlage einer Entsprechung der Teilhabe der Ideen untereinander und der des Wahrnehmbaren an den Ideen zu argumentieren, was sogar in einem weiteren Schritt folgendermaßen zugespitzt werden kann: Platon habe nicht klar zwischen der Beziehung von Gattung und Art einerseits und der von species und unbegrenzt vielen Einzelfällen andererseits unterscheiden können. 92 Allerdings ist auch dieser Ausweg zur Rettung der zwei Fragen --------------------------------------------
89 Obwohl die Verwendung von ἕν und μορφάς (Phl. 12c6ff.) nicht deutlich zum Ausdruck bringt, ob es hier um Gestalten der Arten geht oder um Einzelphänomene der Lust, weist auf die erste Option mit Sicherheit die Stelle 12e7-13a1 hin, wo die Rede von γένος und μέρεσιν der Farbe ist. 90 Weil D. Frede in 15b eine zweigliedrige Fragestellung vertritt, muss sie ihrem Sokrates-Bild gemäß (s. oben § 3.1) feststellen, dass Sokrates nicht zu bemerken scheine, dass er vom Thema abgekommen sei (1997, 1, S. 124). 91 Auf die Veränderung der Perspektive der Teilhabe des Wahrnehmbaren an der Idee wird nämlich verwiesen: Im Fall der ersten zwei vorgebrachten Beispiele tritt das Wahrnehmbare (Protarchos, oder das Ganze) in den Vordergrund: Wie kann es Eines und Vieles sein? Um die sich dort ergebenden Paradoxien aufzulösen, sollte, wie oben gezeigt, die Teilhabe an der Idee in Anspruch genommen werden. Bei der Fragestellung von 15b wird hingegen nach einer Lösung derselben methexis gesucht, die die Einheit der Idee nicht aufhöbe. Es wird also jetzt von der Perspektive der Idee her gefragt. 92 Die Frage stellt auf diese Weise Striker in ihrer Dissertation: 1970, S. 14f., 35f. und öfter. Sie schlägt die folgende Lösung vor, um die Rückkehr von der Problematik der genera zu derjenigen der
214
Kapitel 3
ein Holzweg: Wie sich nämlich bei der Betrachtung des Aufbaus anderer platonischer Dialoge ergibt, kann man von einer Umwendung der Fragestellung von der ersten Art von methexis zu der innerideellen methexis sprechen und damit konstatieren, dass Platon die zwei Arten des Problems keineswegs identifiziert hat. Wie in dieser Arbeit aufgewiesen worden ist, hat Platon den ersten Schritt zur Lösung des ersten Problems – der Teilhabe des Sinnlichen an der Idee – in der Übertragung in die ideelle Problematik selbst gesehen. 93 Zusammenfassend erlaubt uns also weder der inhaltliche Rahmen des dialogischen Geschehens, noch die Darstellung einer ähnlichen platonischen Problematik in anderen dialogischen Zusammenhängen, die zweite und dritte Frage in eine zusammenfallen zu lassen. So bleibt noch, den Sinn der dritten Frage zu erfassen: Wie ereignet sich die Teilhabe, sodass die Einheit der Idee nicht preisgegeben wird? Es ist also zu klären, auf welche Art und Weise die Idee mit dem, was an ihr teilhat, verbunden ist. Zwei bestimmte Weisen werden nach dem vorliegenden Wortlaut von Sokrates als höchst unwahrscheinlich ausgeschlossen; sie erinnern mit größter Deutlichkeit an die Diskussion im ersten Teil des Parmenides, in dem der greise Eleat bestimmte Formen der Teilhabe des Wahrnehmbaren an der Idee zurückweist. 94 Es wird darin gefragt, wie und wodurch einer der vielen werdenden Gegenstände an der Idee teilhat. 95 Der erste Teil dieses Dialogs endet ohne eine Antwort auf diese Frage. Die in diesem Rahmen vorgeschlagenen, ad absurdum geführten Formen der Teilhabe sind: κατὰ ὅλα oder κατὰ μέρη (131a4-e7). Zunächst kann die Idee nicht als Ganzes im Wahrnehmbaren sein, weil sie dann nach der Schlussfolgerung des Parmenides von sich selbst getrennt wäre (131b1-2). Im Anschluss daran wird auch die zweite Option am Beispiel der räumlichen Verteilung des Segeltuches an den durch es bedeckten Menschen als ungereimt erwiesen, demgemäß das jeweilige Teilnehmende an einem Teil der Idee teilhaben soll (131b-c). Infolge der Teilbarkeit der Idee gerät aber deren Einheit in Gefahr (131c9-11) und Parmenides zieht hinsichtlich der an ihr teilnehmenden Dinge absurde Konsequenzen (131c12-e1). Bei der dritten Frage in der Passage im Philebos wird knapp, aber nachhaltig auf die im Parmenides beschriebenen Weisen der Teilhabe sowie ihre Unhaltbarkeit hingewiesen: 96 Verworfen wird damit, dass entweder die Idee in die vielen Einzeldinge aufgesplit-------------------------------------------Teilhabe des Wahrnehmbaren an der Idee zu erklären (da sie von der zweigliedrigen Fragestellung in 15b ausgeht): Sowohl die species als auch die unbegrenzten vielen Einzelfälle seien Teile der Idee, oder bei den Ideen ergebe sich die Beziehung von Einzeldingen von selbst (ebd., S. 15). Die Tatsache, dass Platon die Problematik von der einen Ebene auf die andere übergehen lässt, kann nicht den Schluss erzwingen, dass er zwischen den zwei verschiedenen Problemen nicht unterscheiden konnte, wie auch Löhr behauptet hat: Der Interpret meint darüber hinaus, dass die von Platon in 15b aufgeworfenen Fragen überhaupt nicht beantwortet werden können (1990, S. 92ff.). Wie sie in der Tat beantwortet werden – wenn auch nicht erschöpfend, sondern durchaus ungenügend – wird unten in § 3.3 zur Sprache kommen. 93 S. oben, § 1.1, II. 94 Gegen die Bedenken Strikers (1970, S. 13f.), die Parallele zum Parmenides anzuerkennen, weil es an der dort angewandten Terminologie (μετέχειν, αὐτὰ καθ’ ἑαυτά, μέθεξις usw.) fehlt, wendet sich mit Recht Benitez (1989, S. 29f.). 95 133a5-6: Οὐκ ἄρα ὁμοιότητι τἆλλα τῶν εἰδῶν μεταλαμβάνει, ἀλλά τι ἄλλο δεῖ ζητεῖν ᾧ μεταλαμβάνει. „So ist es also nicht die Ähnlichkeit, wodurch die anderen Dinge an den Begriffen teilnehmen, sondern wir müssen etwas anderes suchen, wodurch sie das tun.“ (Übers. Rufener) 96 Das hieße nicht, dass man gegen das respektable hermeneutische Prinzip verstieße, dass jeder Dialog aus seinen eigenen Voraussetzungen verständlich werden sollte. Keinesfalls wird hiermit behauptet, dass sich die Problematik des Parmenides als identisch mit der des Philebos erweist. Auf-
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
215
tert wird, wenn man davon ausgeht, dass das Einzelne an einem Teil der Idee teilhat (Phil. 15b5- 6: εἴτε διεσπασμένην καὶ πολλὰ γεγονυῖαν) oder dass die Idee außer sich gelangt – eine eigentümliche ekstasis der Idee –, wenn sich ihr Ganzes in den einzelnen getrennten Einzeldingen befindet (Prm. 131b1-2, als Nachklang dieser Problematik vgl. Phl. 15b6-7: εἴθ’ ὅλην αὐτὴν αὑτῆς χωρίς). In beiden Fällen wird die Einheit der Idee aufgehoben, weshalb die Vorschläge scheitern. Als eine Tatsache wird in Phl. 15b7 hingegen vorausgesetzt, dass sich dasselbe Eine (gemeint ist die Monade/ Idee) zugleich in Einem, also in sich, und in den vielen Dingen befindet. 97 Hier wird nicht bezweifelt, dass die Teilhabe des Wahrnehmbaren, Werdenden und Vergehenden an der Idee möglich ist (das μεθεκτόν der Idee 98 ). Es bleibt jedoch offen, wie diese behauptete Präsenz der Idee in den vielen Dingen so zu denken ist, dass sie ihr Einssein in dem Vielen bewahrt und wie ein Modell aussehen könnte, das die auffällige Paradoxie der Gleichzeitigkeit in sich selbst und in dem Wahrnehmbaren aufhebt. Die zweite Option der Ideen-Ekstasis erschiene ganz und gar unmöglich: ὃ δὴ πάντων ἀδυνατώτατον φαίνοιτ’ ἄν, was indessen nicht hieße, dass die Absurdität der Konsequenzen der beiden hier erwähnten Möglichkeiten nicht gleichberechtigt wäre. 99 Platon betrachtet die zwei mithilfe des ersten Teils des Parmenides rekonstruierten Vorschläge für die Lösung des Problems der Teilhabe als gleich misslungen. Um mehr Klarheit zu bekommen, muss man die vergegenständlichende Redeweise des alten Parmenides im gleichnamigen Dialog überwinden, damit angemessen über die Ideen und das Problem ihrer Teilhabe gesprochen werden kann. 100 Dennoch ist nicht alles Aporetik. Auf die Möglichkeit einer Auflösung jener Paradoxien, die mit der Teilhabe verbunden sind, deutet, trotz seines aporetischen Charakters, schon der erste Teil des Parmenides hin. Der junge Sokrates schlägt dem alten Philosophen nämlich eine Lösung vor, um ihm eine Möglichkeit der Teilhabe vieler Einzeldinge an der gleichen Idee als Ganzem entgegenzustellen, ohne dass das ideelle Sein von sich selbst getrennt wird. Zu diesem Zweck erwidert er, derselbe Tag manifestiere sich als Ganzes überall (πολλαχοῦ), verweile zugleich in sich, und zeige sich in allem, was an ihm teilhat, als derselbe eine Tag (131b). Es wird nicht weiter mit dieser Metapher von Sokrates operiert, weil Parmenides den Anlass von πολλαχοῦ ausnutzt, um die Richtung des Gesprächs gezielt auf die als räumlich verstandene Teilbarkeit der Idee zu lenken und die
-------------------------------------------grund der subtilen philosophischen Indizien Platons muss der Interpret dennoch gewisse Entsprechungen und Parallelen beleuchten. 97 Phl. 15b8: ἅμα ἐν ἑνί τε καὶ πολλοῖς. 98 Der Begriff begegnet uns nicht bei Platon, sondern bei Aristoteles, Metaph. A9, 990b28, Z15, 1040a27, M4, 1079a25. 99 In der Sekundärliteratur ist die syntaktische Rolle dieses Relativsatzes umstritten. Man bezieht ihn oft auf das vorangegangene εἴθ’ ὅλην αὐτὴν αὑτῆς χωρίς: z. B. Löhr (1990, S. 89). Meines Erachtens kann aber der Sinn nur dann angemessen rekonstruiert werden, wenn der Satz auf die zwei Möglichkeiten (εἴτε-εἴτε) bezogen wird: So W. H. Friedrich, an ihn anschließend dann Striker (1970, S. 14), D. Frede (1997, 1, S. 123). Die zwei Möglichkeiten der methexis des Sinnlichen (εἴτε-εἴτε) sind gleichberechtigt in ihrer Absurdität, und eine Hervorhebung der Ungereimtheit des zweiten Falles durch die Bezugnahme des Relativsatzes wäre nicht begründet. 100 Zur Vergegenständlichung der Idee als zugrunde liegende Annahme des platonischen Parmenides im gleichnamigen Dialog vgl. den Beitrag von Graeser 1996, besonders S. 152-155. Striker bringt die Sache auf den Punkt durch ihre Bemerkung, die Ideen seien nicht zu betrachten wie eine Torte, die auf eine Kaffeegesellschaft aufgeteilt werden könne, dann aber nicht mehr ganz und unverändert sei, und die natürlich auch nicht von jedem einzelnen ganz aufgegessen werden könne (1970, S. 15).
216
Kapitel 3
zweite, früher erwähnte Option der Teilhabe des Einzelnen an einem Teil der Idee als absurd aufzuzeigen. IV. Zwischenspiel: Der logos als Ansatzpunkt zur eristischen Aporie oder zur dialektischen Euporie Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, den logos als genuinen Ansatzpunkt für die Behandlung der echten Probleme in 15b aufzuzeigen. Allerdings wird Vorsicht empfohlen, da sich in dessen Natur zugleich eine „Verfallstendenz“ manifestiert: Einerseits kann der logos unsere Zugangsart zum Seienden garantieren, andererseits kann er die Sachen auch verdecken 101 und von den Sophisten missbraucht werden. Unsere Deutung grenzt sich dabei von denjenigen ab, denen zufolge schon seit 15d4 und sogar in 15d8 (ἀθάνατον καὶ ἀγήρων πάθος ἐν ἡμῖν) der logos ausschließlich negativ zu verstehen sei. 102 Wir werden die Entartung erst im Anschluss an die erwähnte Stelle finden, also erst dann, wenn die erbarmungslosen jungen Burschen und deren Umgang mit dem logos thematisiert werden (15d8-16a3). Das Zwitterhafte in der Natur der Rede – sowohl ihre Stärke als auch ihre Schwäche – lässt sich auf ihre vermittelnde, dämonische Natur zurückführen, die ihr innerhalb der platonischen Dialektik zugeschrieben wird. Diotima bringt Sokrates im Symposion bei, dass die Menschen nicht in unmittelbarem Verkehr mit den Göttern stehen, sondern nur durch die Vermittlung mehrerer dämonischer Instanzen in Kontakt zu ihnen kommen können. Zu den dämonischen Naturen, die das Ganze untereinander verbinden, gehört Eros, auf den die Aufmerksamkeit gelenkt wird, aber noch viele weitere Dämonen von vielerlei Art (Smp. 203a6-8). Überhaupt ereignet sich der ganze Umgang und das Gespräch (πᾶσά ἐστιν ἡ ὁμιλία καὶ ἡ διάλεκτος, 203a2f.) der Götter mit den Menschen durch das Dämonische. Der logos als Rede und Aussage wird infolgedessen innerhalb der Dialektik zum Vehikel, der zum göttlich Ideellen führen kann. 103 Der Dialektiker wird entsprechend im Philebos auch als προφήτης bezeichnet, weil er zwischen dem göttlich Ideellen und dem Gesprächspartner vermittelt. 104 Die Stärke unserer dialektischen Diskursivität besteht nach Platon zum einen darin, dass sie zur Spekulation – zum noetischen Erfassen der Idee: θέα – hinführt, die dann wieder zurück an unseren Diskurs gebunden wird (insofern ist logos göttlich, aber kein Gott, ideenartig, aber keine Idee). 105 Sie kann zum anderen das prädikative Moment der Idee ans Licht bringen, obgleich sie hinter der ideellen Schau zurückbleibt. Die „Flucht zu den λόγοι“ 106 rettet uns vor einer -------------------------------------------101 Zum Beispiel gibt es im Fall der Arithmetik nur einen Namen statt zwei: die Arithmetik der Vielen und diejenige der Philosophierenden: Diese Unterscheidung muss der Philosoph hervorheben, Phl. 56c10ff. 102 So etwa Gadamer (1950, GW, Bd. 6, S. 20), der von der „Dämonisierung der Rede“ im Fall dieses unsterblichen und alterslosen Zustands spricht, als Gegenbild einer echten, sacherschließenden Verständigung. Die von uns so bezeichnete „Dämonisierung“ der Rede hat mit ihrer dämonischen Natur zu tun und ist nicht negativ konnotiert, obwohl sie die negative Tendenz mit einschließt. 103 Bei seiner Aufzählung versäumt Hoffmann (1961) den logos als wesentliche Manifestation des „Zwischen“ (metaxy). 104 Phl. 28b8: Protarchos nennt Sokrates einen Wortführer/ Dolmetscher/ prophetes, weil er Hilfe braucht, um den νοῦς in eine der vier Gattungen (Grenze, Unbegrenztheit, Mischung, Ursache) einzuordnen. Dazu s. Szlezák 2004, S. 206, Anm. 29. 105 Der Schau folgt die Rechenschaftsgabe über das Wesen der geschauten Idee. In R. 534b3-6 erweist sich die Fähigkeit, die Definition des Seienden zu geben, als eine sine qua non-Bedingung des Dialektikers. 106 Phd. 99e6ff.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
217
schädlichen – wenn nicht unmöglichen – unmittelbaren Auslieferung an das Werden und Vergehen der Phänomene. 107 Aussagen werden formuliert, die die entsprechende Idee – im Phaidon – als Ursache der Phänomene nennen, oder – im Fall des Sophistes – eine Vielzahl von symmetrischen und asymmetrischen Beziehungen der komplexen ideellen Verflechtung ausdrücken. Die Zusammensetzung (von Nomen und Verb) ermöglicht als im Sophistes hervortretende Struktur der Prädikation die Zweiwertigkeit – wahre und falsche Sätze. 108 Die συμπλοκή (Verflechtung) oder σύνθεσις (Zusammensetzung) ist der Punkt, mit dem der logos steht und fällt. Einerseits wird dadurch ermöglicht, dass die Struktur des ideellen kosmos die Verflechtung der Gattungen widerspiegelt (durch einen Satz wie: „Die Ruhe bewegt sich“, oder „Die Bewegung ist anders als das Seiende“). Andererseits erweist sich der logos, wie jede zusammengesetzte Einheit, auf bestimmte Weise als ontologisch inferior. Es handelt sich dabei um eine eidetische Aberration, nach dem Ausdruck von Klaus Oehler, 109 da er außerstande ist, die Einheit der eingestaltigen Idee qua Idee wiederzugeben, wie es bei der einheitlichen Wesensschau der Fall ist. Das noetische Erfassen der Idee kann sich ereignen oder nicht, während eine Aussage wahr oder falsch sein muss. 110 Die unserem logos innewohnende Schwäche manifestiert sich außerdem darin, dass das philosophische Verstehen, die Argumentation (λόγοι) und die Einsicht widerlegbar sind und keinesfalls zu erzwingen, wie sich im Rahmen des Siebten Briefes zeigt. 111 Aufgrund dieser Überlegungen sollten wir uns davor hüten, der Rede gegenüber abgeneigt zu sein oder ihr gar feindlich gegenüberzustehen, weil wir heftig (σφόδρα), mit einer gewissen Naivität und ohne Kunst an unser logos-Vermögen glaubten, bevor wir uns Klarheit über dessen Grenzen verschafft hatten. 112 -------------------------------------------107 Gaiser (1988, S. 82f.) erkennt seinerseits die Idee des Guten hinter dem Bild der Sonnenfinsternis (Phd. 99d4) wieder, wenn er vermerkt: „Es sei nicht möglich, die Wahrheit und die Ursache aller Dinge unmittelbar zu erfassen.“ Man flieht dennoch nicht vor dem Rettenden, sondern eher vor dem Schädlichen und Gefährlichen. Wenn das hier vorgebrachte Bild der Eklipsis die Idee des Guten exemplifizieren würde, hätten wir außerdem einen Gegensatz zu den Stellen in der Politeia, an denen eine unmittelbare Erkenntnis der Idee des Guten (sogar das Verweilen bei ihr) als möglich dargestellt wird und die Augen beim Blicken in die Lichtquelle nicht gefährdet sind: vgl. Th. A. Szlezák 1997, 4, S. 208. Die Sonne kann auch im Phaidon die Idee des Guten veranschaulichen, wobei hier das Schwergewicht auf der Konstellation der Finsternis liegt. Es wird auf die Erkenntnis der Phänomene gezielt, also auf die Erkenntnis ihrer Ursache, und man muss „hinter“ ihnen suchen, um nicht in materialistischen Erklärungen befangen zu bleiben und die Ursache des Ganzen zu entdecken. Nach unserem Vorschlag veranschaulicht die Sonnenfinsternis das Werden und Vergehen der Phänomene, das nur durch Vermittlung zu betrachten und zu erkennen ist; durch einen anstrengenden längeren Weg, der in der Erkenntnis der Idee des Guten kulminiert. Auf diese Weise kann das Zusammenspiel der zwei Prinzipien (und nicht nur das erste Prinzip) bei einer derartigen Metapher in dem bestimmten Zusammenhang des Phaidon betont werden, auf deren Polarität unmittelbar zuvor angespielt worden ist (97c6ff., dazu Reale 19841, S. 135-151). Gegen eine solche „metaphysische“ Symbolbelastung der angesprochenen Metapher wendet sich Hackforth, jedoch nicht überzeugend, 1955, S. 136. 108 Sph. 261dff., vgl. auch VII. Ep., 342b6-7, 343b6. 109 Oehler 19852, S. 80-82. 110 Nach Aristoteles gibt es im Fall der unzusammengesetzten Substanzen nur Wahres; statt Falschheit herrscht Unkenntnis: Metaph. Θ10. 111 343c3, εὐέλεγκτον τό τε λεγόμενον καὶ δεικνύμενον. Dazu Gadamer 1964. Vor einer grundsätzlichen Abwertung der Sprache sei trotz der Schwäche der λόγοι zu warnen. 112 Sokrates bemerkt kurz vor seinem Tod (Phd. 89d-91c) eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Weise der Genese der μισολογία und der μισανθρωπία. Der blinde und unkritische Glaube an den Menschen und das Vermögen der Rede (89d5: ἐκ τοῦ σφόδρα τινὶ πιστεῦσαι ἄνευ τέχνης) kann dementsprechend Menschen- und Redefeindlichkeit hervorrufen, wenn man auf mehrere Fälle von schlechten Menschen oder schlechten Argumenten trifft. Die περὶ τοὺς λόγους τέχνη (90b7)
218
Kapitel 3
Kehren wir zu unserer Ausgangspassage im Philebos zurück, um zu sehen, wie sie sich in den weiteren Rahmen der expliziten Stärke und Schwäche des logos integriert: Nachdem Protarchos seine Bereitschaft ausgedrückt hatte, sich durch die gravierenden Schwierigkeiten durchzukämpfen, 113 setzte Sokrates den logos zum geeigneten Ansatzpunkt für die Problematik der Stelle 15b. 114 Aus welchem Grund taucht in diesem Rahmen der logos als angemessener und notwendiger Einstieg für die entworfene Problematik der vorangegangenen Stelle auf? Allerdings wird hiermit keine Lösung der aufgestellten Problematik versprochen. Lassen wir uns zur Illustration auf die folgende, in der Forschung unterschiedlich verstandene Rede des Sokrates ein: Φαμέν που ταὐτὸν ἓν καὶ πολλὰ ὑπὸ λόγων γιγνόμενα περιτρέχειν πάντῃ καθ’ ἕκαστον τῶν λεγομένων ἀεί, καὶ πάλαι καὶ νῦν. καὶ τοῦτο οὔτε μὴ παύσηταί ποτε οὔτε ἤρξατο νῦν, ἀλλ’ ἔστι τὸ τοιοῦτον, ὡς ἐμοὶ φαίνεται, τῶν λόγων αὐτῶν ἀθάνατόν τι καὶ ἀγήρων πάθος ἐν ἡμῖν.
15 d4 5
Wir sagen doch wohl, dasselbe „Eines-und-Vieles“, das aufgrund der Aussagen/ Argumentation zustande kommt, 115 läuft bei jedem einzelnen jeweiligen Ausgesagten allenthalben umher, 116 seit alters wie auch jetzt. 117 Und dies wird niemals aufhören, -------------------------------------------bezieht sich mehr auf gewisse Argumente (λόγοι, βέβαιον, 90c4) im Rahmen der Diskussion im Phaidon. Der durchgeführte Syllogismus bewahrt seine Geltung, auch wenn wir uns auf das Vermögen des logos schlechthin beziehen. 113 Phl. 15c4-8. 114 Phl. 15d1-3. 115 Der Plural γιγνόμενα statt γιγνόμενον (ταὐτόν) kann als eine attractio von πολλά verstanden werden. 116 Περιτρέχειν (umherlaufen, vgl. LSJ: „run about everywhere“, „to be in motion, circulate“, „be current, in vogue“) wird bei Platon häufig eine negative Konnotation beigemessen: z. B.: Tht. 200c3, 202a5, Smp. 173a1, Hp. Ma. 231c3, Lg. 720c2, wenn es auch nicht so pejorativ ist wie κυλινδεῖσθαι (umherschweifen), z. B: Phd. 82e4, Tht. 172c9, Phdr. 275e1, R. 388b6, 479d4. Nach unserem Verständnis des Satzes wird λόγος von den gleichen Problemen (15b) betroffen und „eingekreist“. 117 Umstritten ist das syntaktische Verständnis des Satzes. Er gehört zu denjenigen Sätzen des Philebos, für die eine syntaktische Deutung und entsprechende Übersetzung andere Vorschläge nicht auf der Basis hinreichender Argumentation ausschließen kann. Einen Überblick der angebotenen Übersetzungsvorschläge bietet Löhr 1990, S. 95-100. Unsere Interpretation – in Übereinstimmung mit Bury 1897¹, S. 15, Taylor 1972, S. 108f. – geht von einer engen Verbindung zwischen λόγος und der Problematik von 15b aus, und unterstreicht auf diese Weise die oft umstrittene Einheit des dialogischen Verlaufs. Löhr (1990, S. 96) und D. Frede (1997, 1, S. 18) schließen sich Badham (18782, S. 11) an und folgen dem zweiten Weg des Verständnisses des Satzes: „Wir sagen einfach, dass es die Aussagen sind, die jede Sache zu einem und vielem machen und immer in Bewegung halten, je nachdem, was man von ihr sagt, früher wie auch heute“ (so übersetzt D. Frede, 1997, 1, S. 18, mit ταὐτόν als Subjekt zu γιγνόμενα und περιτρέχειν). Der dritte interpretatorische Versuch eines „Identifizierens des Einen und Vielen“ (ταὐτόν als Prädikatpronomen zu ἓν καὶ πολλὰ ὑπὸ λόγων γιγνόμενα aufgefasst) scheint hier nicht gelungen zu sein. Dass jede Prädikation (καθ’ ἕκαστον τῶν λεγομένων ἀεί) eine Identitätsaussage sei, würde schon dieser Stelle die falsche Prädikationstheorie zugrunde legen, mit der die Sophistik operiert. Dennoch steht noch nicht der sophistische Missbrauch des Problems im Vordergrund, sondern der hervorstechende Grundzug unserer Rede, die Einheit und die Vielheit des jeweils Angesprochenen auszudrücken. Die Argumentation von Hackforth 19582, S. 22, Anm. 1, und Gosling, dass „the identification actually occurs“ – Gosling 1975, S. 146 –, kann deswegen nicht überzeugen. Subtiler argumentiert Migliori 2001, S. 111ff. – im Rahmen der dritten Deutung –, indem er die Identität der Gegensätze zum Leitmotiv des Dialogs macht. Diese lässt sich auf den nie zu löschenden Konflikt zwischen Grenze und Unbegrenztheit zurückführen (ebd., S. 118).
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
219
noch hat es jetzt angefangen, sondern ist die so beschaffene „unsterbliche und alterslose“ Widerfahrnis der Sprache, wie es mir scheint. Auf den „Klang voll hoher Bedeutsamkeit“ 118 der unsterblichen und nicht veraltenden Eigenheit der Aussagen und Argumentationen in uns 119 soll gebührende Aufmerksamkeit gelenkt werden. Sowohl die nicht ironisch gemeinte „Göttlichkeit“ des πάθος als auch die Verdeckungsmöglichkeit der Sprache, die dann ihrem eigenen Missbrauch Tür und Tor öffnet, 120 dürfen in diesem Zusammenhang nicht überhört werden. Um die Notwendigkeit des Ansatzes über den logos zu unterstreichen, kann man zum Ersten auf der Ebene der Bedingungen des platonischen Gesprächs vermerken, dass Sokrates hier an die Sprache anknüpft, um es Protarchos leichter zu machen, auf der Basis seiner sophistischen Erfahrung das schwer in den Griff zu bekommende Problem von 15b zu verfolgen. 121 Diese Erklärung lässt die Belehrung als wesentliches Merkmal des platonischen Bildes der Dialektik hervortreten. Der Dialektiker lässt sich – auch im Philebos – als ein Lehrer porträtieren, der das Gespräch stets den Fähigkeiten des jeweiligen Partners gemäß führt und ständig auf der Hut bleibt, ob der Gesprächspartner ihm folgen kann oder nicht. 122 Zum Zweiten ist beachtenswert, dass vor der Darlegung des dialektischen Weges der Euporie 123 sein sophistischer Verfall zum Vorschein kommt. 124 Das agonale Verhältnis zwischen Philosophie und Sophistik meldet sich im Philebos aufs Neue. 125 Die Sophistik wird als immerwährende Gefahr für die philosophische Erziehung verstanden, indem sie
-------------------------------------------118
So Friedländer 1975, S. 297. Platon misst dem πάθος für den λόγος zwei Attribute bei, mit denen Homer die Götter bezeichnet (Il. 2, 447; 8, 539; 12, 323; 17, 444; Od. 5, 136, 218; 7, 94, 257; 23, 336). Das πάθος für den λόγος kαnn unsterblich genannt werden, weil der Gegenstand, auf den es sich richtet, unsterblich ist. Λόγος ist zunächst imstande, die ewigen Ideen zu tragen. Dann können durch den λόγος Erkenntnis und wahrhafte Tugend in der Seele des Anderen entstehen, die den unsterblichen Samen beinhalten und sich in andere Seelen weiterpflanzen. Es geht in diesem Fall um das an der Unsterblichkeit teilnehmende „Zeugenkönnen“ in der Seele des Gesprächspartners. Dazu Smp. 206d-212a, Phdr. 276e4-277a4. 120 Phl. 15d9-16a3. 121 Diesen Aspekt hebt D. Frede (1997, 1, S. 127) mit Recht hervor. Protarchos fühlt sich sofort angesprochen von der sokratischen Beschreibung des misslungenen Umgangs mit dem Problem des Einen und Vielen, und bedroht ihn halb spielerisch (16a4-b3). Er kann Sokrates’ Gedankengang nachvollziehen, zumindest was den Missbrauch der Rede von der Seite der Antilogiker betrifft. 122 Der belehrende Charakter des Dialektikers lässt sich überall in den Dialogen bestätigen. Nur im Timaios gibt es keine Belehrung im strengen Sinne, insofern hier Monologe – und nicht Gespräche, im Einklang mit der platonischen Schriftkritik – unter gleichen Gesprächspartnern stattfinden. Der Eindruck, den die führende Figur des Dialogs dem Gesprächspartner häufig vermittelt, dass es nämlich um ein „gemeinsames Suchen“ geht, kann als ein pädagogisches Mittel verstanden werden, damit der Gesprächspartner motiviert wird; s. oben § 3.1. Das wesentliche Moment der διδασκαλία hinterlässt im aristotelischen Denken deutlich seine Spuren und taucht hier als Kriterium der Weisheit und des Wissens der ersten Ursachen auf: (Arist. Metaph. A2, 982a12-14) ἔτι τὸν ἀκριβέστερον καὶ τὸν διδασκαλικώτερον τῶν αἰτιῶν σοφώτερον εἶναι περὶ πᾶσαν ἐπιστήμην. „Ferner meinen wir, dass der Genauere und zum Lehren der Ursachen besser Befähigte in jeder Wissenschaft der Weisere ist.“ (Übers. Th. A. Szlezák) 123 16b4ff. 124 Als „Wege“ zur diskutierten Problematik (16b1: ἐπὶ τὸν λόγον) werden sowohl der sophistische Ansatz als auch das anschließend von Sokrates explizierte dialektische Vorgehen charakterisiert: 16a8-b1, 16b5. 125 Vgl. oben § 2.1, I.2 zu der ähnlichen Beobachtung über den Verlauf im Sophistes. 119
220
Kapitel 3
nun über die Grenzen des geschichtlich bedingten Phänomens der Sophistik hinaus- und auf die innere Schwäche der Sprache zurückgeführt wird. Damit die vorgeschlagene Deutung der Stelle zur vollen Geltung kommen kann, muss noch einiges in Bezug auf die Verknüpfung zwischen der Problematik von 15b und der vorangegangenen Passage hinzugefügt werden. Nur aufgrund der Demonstration des logos als des naturgemäßen Trägers der Problematik des „Einen-und-Vielen“ kann die Behauptung widerlegt werden, Sokrates gelange durch die Einführung des logos zu einer Abweichung oder sogar einem Abschied von den Problemen in 15b. 126 Was die erste Frage in 15b anbelangt, lässt sich der logos – die Natur der Aussage – nicht ohne Weiteres mit der Annahme der Monaden verbinden; zumindest bereitet die Tatsache, dass wir Aussagen über etwas Gutes oder Schönes formulieren, kein hinreichendes Argument für die Unterstützung einer Annahme der Existenz der Monaden/ Ideen. 127 In den platonischen Dialogen wird die Ideenannahme immer wieder als notwendige Bedingung für unseren logos dargestellt. Drei charakteristische Partien können unter anderen im Rahmen unserer Argumentation herangezogen werden, um diese platonische Verbindung klar zum Vorschein zu bringen. Im Phaidros führt Sokrates die Zusammenführung und die Einteilung als korrelative Momente der dialektischen Methode ein, um sie feierlich die Bedingung der Möglichkeit sowohl des Redens als auch des Denkens zu nennen. 128 Die Rede wird ihrer Bedeutsamkeit beraubt, und man bewegt sich eristisch in seiner Argumentation kreuz und quer, wenn man nicht auf dihairesis und synagoge rekurriert, und letztendlich – es lässt sich leicht entnehmen – wenn man keinen Bezug auf die Ideen nimmt, die zusammengeführt und eingeteilt werden müssen. Die innige Beziehung zwischen der Ideenannahme und dem logos tritt außerdem im Parmenides hervor, wenn der alte Meister aus Elea die Notwendigkeit der Ideenannahme betont: „Doch nehmen wir nun an, Sokrates, fuhr Parmenides fort, es wolle andererseits jemand nicht zulassen, dass es von den seienden Dingen Begriffe gibt, indem er seinen Blick auf all die eben erwähnten und auf noch weitere solche Schwierigkeiten richtet, und er wolle auch nicht für jedes einzelne einen bestimmten Begriff festsetzen: In diesem Fall wird er auch keinen Punkt haben, auf den er sein Denken (διάνοια) richten kann, da er ja nicht gelten lässt, dass es für jedes einzelne der seienden Dinge eine Idee gibt, die immer dieselbe bleibt, und so wird er auch jede Möglichkeit einer Diskussion ganz und gar zunichte machen.“ (135b5-c3). 129 Platon sanktioniert unsere diskursive Praxis aufgrund der Ideenannahme, wie durch solche Belege bestätigt wird. Mag uns die These extrem erscheinen, dass er eine dritte mögliche Lösung zwischen einem absoluten Relativismus und der Ideenlehre nicht erwägt, so lässt sich doch der Passage im Parmenides entnehmen: Entweder müssen wir von der Ideenexistenz --------------------------------------------
126 Die Verbindung zwischen der Problematik 15b und dem anschließenden Ansatz beim λόγος, stellt Gosling 1975, S. 152, treffend dar, obschon er von der verfehlten „Identifikation des Einen und des Vielen“ (15d4) ausgeht: „Reflection on facts about language and argument in Plato’s view brings to light certain presuppositions of these phenomena which led at one period, and perhaps all periods, of his life, to the postulation of what is usually called the Theory of Forms. The solution of problems that arise about the unity of Forms will be a part of the solution of problems that have their starting-point in how we speak.“ Die Sprache erweist sich als der Ort, die Mitte, darin die Einheit und Vielheit ausgetragen werden. 127 D. Frede 1997, 1, S. 126. 128 Phdr. 266b3-b5: Τούτων δὴ ἔγωγε αὐτός τε ἐραστής, ὦ Φαῖδρε, τῶν διαιρέσεων καὶ συναγωγῶν, ἵνα οἷός τε ὦ λέγειν τε καὶ φρονεῖν. „Hiervon also bin ich selbst ein großer Freund, Phaidros, von diesen Einteilungen und Zusammenfassungen, um doch auch reden und denken zu können.“ (Übers. Schleiermacher) 129 Übers. Rufener.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
221
ausgehen oder unser Diskurs wird in einen sophistischen Relativismus verfallen, was seine Vernichtung mit sich bringt. Optionen, die in der Geschichte der Philosophie zwischen den erwähnten zwei Extremen vermittelt haben, um unseren Diskurs zu retten, haben in dieser platonischen Disjunktion keinen Platz. 130 Die dritte zu unserem Zweck heranzuziehende Stelle stammt aus dem Sophistes. Das Denken selbst (διάνοια), der – nach der dortigen Bestimmung – nicht veräußerlichte Dialog in der Seele, 131 ist nach Platons Ansicht bedingt durch die Ideenhypothese. Der logos – die Problematik der Prädikation – wird vom Gesprächsführer als Ansatzpunkt für den Einstieg in die Schilderung der Mischung der fünf ausgewählten Ideen behandelt (251a4ff.). Der Gast aus Elea behauptet an einer gewichtigen Stelle: Jedes von allem zu trennen, bedeutet die völlige Vernichtung aller Reden: Denn aufgrund der Verflechtung der Gattungen miteinander entsteht uns die Rede. 132 Dann kehrt er zu der Erforschung der prädikativen Natur unserer Rede zurück. Ohne auf die gravierenden Schwierigkeiten der herangezogenen Stelle einzugehen, kann leicht die nachdrücklich gemachte Abhängigkeit unserer Aussagen und unseres Diskurses von der Ideenverflechtung auch in diesem Kontext beobachtet werden. Nach der lapidaren Darlegung der Gemeinschaft der fünf größten Gattungen (254b8-259e2), wendet sich der Gast durch diese Übergangsaussage der Bestimmung des logos zu, um die Möglichkeit der falschen Aussage zu demonstrieren und daran anschließend den Sophisten endlich definitorisch zu fassen. In diesem Kontext tauchen mehrere Bedeutungen von logos auf: Er tritt als Aussage, einschließlich der Definition als besonderem Fall von Aussage, und als Diskurs hervor. Überhaupt wird die Möglichkeit des Dialoges nach Platons Ansicht nicht nur gefährdet, sondern zerstört, wenn man nicht von der Ideenannahme – oder im Rahmen des Sophistes noch präziser: von der Ideenverflechtung – ausgeht. Wie aus den drei herangezogenen Stellen hervorgeht, muss unser logos notwendig mit der Ideenannahme verbunden werden. Unsere Diskursivität ist nur aufgrund der Ideen und der innerideellen Beziehungen möglich. Was die zwei letzten Probleme in 15b betrifft (die innerideelle Teilhabe und die des Wahrnehmbaren an der Idee), kann festgestellt werden, dass der logos, die Aussage, alle Arten von Teilhabe zur Sprache bringen kann: „Sokrates ist Mensch“ (direkte und wesentliche Teilhabe, wesentliche Prädikation); „Sokrates ist ein Lebewesen“ (indirekte und wesentliche Teilhabe, wesentliche Prädikation) sowie „Sokrates ist klein“ (indirekte und akzidentelle Teilhabe, akzidentelle Prädikation). Aber auch die ganz speziellen Teilhabebeziehungen unter den größten Gattungen: „Das Seiende ist bewegt“ oder „Die Bewegung ist seiend“. Die Fragen, die die Einheit und Vielheit der Idee betreffen, können auf der Grundlage unserer Problematisierung des logos im Rahmen der philosophischen Dialektik beantwortet werden. Die sophistische Praxis kann die Verbindung der Einheit und Vielheit im logos missbrauchen. Sokrates stellt anschließend ebenso plastisch wie ironisch die Paradoxien und Widersprüche dar, an der sich die Widerlegungskunst der jungen Burschen delektiert (15d9-16a3). Die Antilogiker können ihre Paradoxien beispielsweise von inadäquaten --------------------------------------------
130 Zum Beispiel ließe sich die Lösung von Aristoteles erwähnen, der sich nicht auf eine platonische Ideenannahme beruft. Oder man betrachtet verschiedene mittelalterliche nominalistische Vorschläge. 131 Sph. 263e3-5: πλὴν ὁ μὲν ἐντὸς τῆς ψυχῆς πρὸς αὐτὴν διάλογος ἄνευ φωνῆς γιγνόμενος τοῦτ’ αὐτὸ ἡμῖν ἐπωνομάσθη, διάνοια; „Nur ist das Gespräch im Inneren der Seele mit sich selbst, das sich ohne Stimme vollzieht, eben das, was wir als ‚Gedanke’ bezeichnet haben.“ (Übers. Rufener) 132 Sph. 259e4-6: Τελεωτάτη πάντων λόγων ἐστὶν ἀφάνισις τὸ διαλύειν ἕκαστον ἀπὸ πάντων. διὰ γὰρ τὴν τῶν ἀλλήλων τῶν εἰδῶν συμπλοκὴν ὁ λόγος γέγονεν ἡμῖν.
222
Kapitel 3
Identifikationen ableiten. Aufgrund der Aussagen „Sokrates ist ein Lebewesen“ und „Der Hund ist ein Lebewesen“ ziehen sie den Schluss „Sokrates ist ein Hund“. Die doppelte Bewegung der Vereinheitlichung und der Trennung – die sich in der Dialektik manifestiert – ist auch bei ihren Argumenten zu finden, aber sie führen eher zu ungeeigneten Vermischungen und unpassenden Zergliederungen. 133 Auf diese Weise wird im Philebos durch die Übergangspassage (das Zwischenspiel) über den logos der Fall einer unangemessenen Übereinstimmung hinsichtlich des Problems des Einen und des Vielen (15c2: ἁπάσης ἀπορίας αἴτια μὴ καλῶς ὁμολογηθέντα) am Beispiel der Eristik-Sophistik exemplifiziert. Zusammenfassend zeigt sich der logos als der Boden, auf dem die gelungenen Lösungen der Dialektik, die in der daran anschließenden Passage eingeführt werden, oder aber die misslungene sophistische Praxis, die hier angesprochen wird, 134 erwachsen können. Er manifestiert sich als der Kampfplatz, auf dem auf die entworfenen drei Fragen verschiedene Antworten gegeben werden. Er wird daher zu einem angemessenen Einstieg, von dem der Kampf um das Umstrittene seinen Ausgang nehmen kann. 135 3.3 Die Dialektikpassage (16b4-17a5) als Andeutung der Antworten auf die dreiteilige Fragestellung von 15b1-8 und die Rolle der anschließenden Beispiele (17a6-18d2) I.
Der schönste Weg zur Lösung der dargelegten Problematik des „Einen und Vielen“: die Dialektikpassage, 16b4-17a5
1.
Übersetzung
Nachdem Sokrates die verwickelte dreiteilige Fragestellung in diesem Bereich entworfen hat, in dem die Problematik des Einen und Vielen ernst zu nehmen ist (15b), und unseren logos als naturgemäße Basis und zugleich Tummelplatz dargestellt hat, auf dem das Problem des Einen und des Vielen auftaucht und sophistisch ausgenutzt wird, führt er „den schöneren Weg“ ein, der zur Lösung der geschilderten Aporien (von 15c1-2) führen soll; es handelt sich um ein leicht zu schilderndes Verfahren, dessen Anwendung sich jedoch als sehr schwierig erweist (16c1-2). Mittels dieses Weges ist nach Sokrates’ Überzeugung all das zum Vorschein gekommen, was im Bereich der Kunst entdeckt worden ist (16c2-3). Auf mythische Zusammenhänge wird rekurriert und auf eine Gabe der Götter, die „vermittels eines Prometheus unter die Menschen zugleich mit einem stark leuchtenden Feuer geworfen wurde. Die Alten, die besser als wir waren und näher bei den Göttern wohnten, haben diese Kunde tradiert, nämlich dass das jeweils als Seiende Bezeichnete einerseits aus Einem und Vielem ist, und dass es andererseits Grenze und Unbegrenztheit miteinander verwachsen in sich enthält“ (16c5-10): 136 -------------------------------------------133 Phl. 15e2f. Dinge, die nicht zusammengehören, werden in Eins „zusammengeballt“ und vermischt (pejorativ: συμφύρων). Was unzertrennlich ist, wird andererseits auf unangebrachte Weise zerteilt. 134 Vgl. auch die Parallelstelle in R. 539b über den Missbrauch der Rede sowie den ganzen Dialog Euthydemos, ein karikierendes Porträt der gewöhnlichen Praxis der Antilogik zur Zeit Platons. 135 Phl. 15d1f.: πόθεν οὖν τις ταύτης ἄρξηται πολλῆς οὔσης καὶ παντοίας περὶ τὰ ἀμφισβητούμενα μάχης; ἆρ’ ἐνθένδε; 136 So übersetzt auch Wilpert πέρας δὲ καὶ ἀπειρίαν ἐν αὑτοῖς σύμφυτον ἐχόντων, 1972, S. 325. Die Verflochtenheit von Grenze und Unbegrenztheit kommt in den Übersetzungen Apelts („und Grenze und Grenzenlosigkeit ineinander verwachsen in sich trage“) und Rufeners („und dass es, in sich vereinigt, Begrenzung sowohl als Unendlichkeit enthalte“) vor, während D. Frede durch ihren Vorschlag diesen wichtigen Punkt nicht hervortreten lässt („und das zu ihrer Natur Grenze
223
Die „Mischung“ im Dialog Philebos ΣΩ. Θεῶν μὲν εἰς ἀνθρώπους δόσις, ὥς γε καταφαίνεται ἐμοί, ποθὲν ἐκ θεῶν ἐρρίφη διά τινος Προμηθέως ἅμα φανοτάτῳ τινὶ πυρί· καὶ οἱ μὲν παλαιοί, κρείττονες ἡμῶν καὶ ἐγγυτέρω θεῶν οἰκοῦντες, ταῦτην φήμην παρέδοσαν ὡς ἐξ ἑνὸς μὲν καὶ πολλῶν ὄντων τῶν ἀεὶ λεγομένων εἶναι, πέρας δὲ καὶ ἀπειρίαν ἐν αὐτοὶς σῦμφυτον ἐχόντων.
16c5
10
Der tradierten Kunde von allgemeiner Gültigkeit folgt der Umriss des Verfahrens, das die jetzigen Forscher anwenden sollten, indem sie sich an die Lehre der Alten anschließen (16c10-e2): δεῖν οὖν ἡμᾶς τούτων οὕτω διακεκοσμημένων ἀεὶ μίαν ἰδέαν περὶ d παντὸς ἑκάστοτε θεμένους ζητεῖν — εὑρήσειν γὰρ ἐνοῦσαν — ἐὰν οὖν μεταλάβωμεν, μετὰ μίαν δύο, ἔι πως εἰσί, σκοπεῖν εἰ δὲ μή, τρεῖς ἤ τινα ἄλλον ἀριθμόν, καὶ τῶν ἓν ἐκείνων ἕκαστον πάλιν ὡσαύτως, μέχριπερ ἂν τὸ κατ’ ἀρχὰς ἓν μὴ 5 ὅτι ἓν καὶ πολλὰ καὶ ἄπειρά ἐστι μόνον ίδῃ τις, ἀλλὰ καὶ ὁπόσα· τὴν δὲ τοῦ ἀπείρου ἰδέαν πρὸς τὸ πλῆθος μὴ προσφέρειν πρὶν ἄν τις τὸν ἀριθμὸν αὐτοῦ πάντα κατίδῃ τὸν μεταξὺ τοῦ ἀπείρου τε καὶ τοῦ ἑνός, τότε δ’ ἤδη τὸ ἓν e ἕκαστον τῶν πάντων εἰς τὸ ἄπειρον μεθέντα χαίρειν ἐᾶν. Und [sc. sie haben uns tradiert] dass wir nun, weil dies [sc. das Seiende] so angeordnet sei, nachdem wir eine Idee von jedem (Seienden) jedes Mal angenommen hätten, immer nach ihr suchen müssten – wir fänden sie nämlich, weil sie darin enthalten sei –; hätten wir sie nun erfasst, müssten wir erforschen, ob diese eine irgendwie zwei sei, wenn nicht, drei oder eine andere Zahl, und wieder so bei jeder jener Einheiten, bis man nicht nur sehe, dass das anfängliche Eine eins und vieles und unendlich sei, sondern auch wieviel. Die Idee des Unbegrenzten aber dürfe man nicht an die Vielheit heranbringen, bevor man nicht deren ganze Zahl genau sehe, die zwischen dem Unendlichen und dem Einen liege, sondern erst dann dürfe man die jeweilige Einheit von allem ins Unbegrenzte entlassen und auf sich beruhen lassen. Der Auftrag der Alten findet seine Anwendung im Bereich der Forschung, der Lehre, und des Lernens (16e3-4): οἱ μὲν οὖν θεοί ὅπερ εἶπον, οὕτως ἡμῖν παρέδοσαν σκοπεῖν καὶ μανθάνειν καὶ διδάσκειν ἀλλήλους. Schließlich wird die dialektische Weise gegenüber der eristischen Praxis abgegrenzt: ein Topos in verschiedenen Passagen des Corpus Platonicum, in denen die Bestimmung gewisser Hinsichten der Dialektik im Mittelpunkt steht (16e4-17a5): 137 οἱ δὲ νῦν των ἀνθρώπων σοφοὶ ἓν μέν, ὅπως ἄν τύχωσι, καὶ πολλὰ θᾶττον
17a
-------------------------------------------und Unbegrenztheit gehören“). Nach Liddell-Scott ist σύμφυτον in Phl. 16c10 als „like by nature, cognate, kindred“ zu verstehen. Sayre (1983, Anm. 8, S. 292) übersetzt auf angemessene Weise „connaturally“. 137 Die Auseinandersetzung der Dialektik mit der Sophistik und die Notwendigkeit des Auftauchens der zweiten, wenn es um die Dialektik geht, wurde in § 2.1, I.2 und § 3.2, IV behandelt.
224
Kapitel 3 καὶ βραδύτερον ποιοῦσι τοῦ δέοντος, μετὰ δὲ τὸ ἓν ἄπειρα εὐθύς, τά δὲ μέσα αὐτοὺς έκφεύγει — οἷς διακεχώρισται τό τε διαλεκτικῶς πάλιν καὶ τὸ ἐριστικῶς ῃμᾶς ποιεῖσθαι πρὸς ἀλλήλους τοὺς λόγους.
5
Die Weisen aber unter den jetzigen Menschen setzen Eins, wie es sich gerade trifft, und Vieles rascher oder langsamer, als es angemessen ist, und gleich nach dem Einen das Unendliche, während die Mittelglieder ihnen entgehen; und wiederum darin unterscheidet sich, ob wir in unseren Gesprächen dialektisch oder eristisch sind. 2.
Zielsetzung unserer interpretatorischen Annäherung
Das Anliegen unserer Deutung ist ein dreifaches: Zum ersten soll gezeigt werden, wie in dieser Passage die von uns als „aufsteigend“ bezeichnete methexis ihren Gipfel findet, indem die nur im Rahmen der indirekten Überlieferung auftauchende methexis der zwei platonischen Prinzipien unter pythagoreischer Verkleidung zur Sprache kommt. Im Rahmen der Dialektikpassage werden die Lösungen der drei aufgeworfenen Fragen von 15b1-8 hier angedeutet, jedoch nicht hinreichend dargestellt, was auch die immense Zahl der verschiedensten Interpretationen in der Sekundärliteratur erklärt. Zum zweiten konzentriert sich die Untersuchung auf das beschriebene Verfahren. Auf die Frage nämlich, ob es sich hier um eine erweiterte neue Methode gegenüber der im Phaidros eingeführten und im Sophistes und Politikos durchgeführten dihairesis handelt, wird geantwortet, dass das im Rahmen der Dialektikpassage dargestellte Verfahren über die Grenzen der dihairesis hinausgeht, während zugleich die dihairetische Methode in ein neues Licht tritt. Dazu sollen nicht nur die Dialektikpassage untersucht, sondern auch die anschließenden Beispiele mit berücksichtigt werden. Drittens wird darauf gezielt, dass die vermittelnde Funktion der Dialektikpassage zwischen der dreifachen Fragestellung von 15b und dem anschließenden vierfachen Gefüge (23b-27c) zum Ausdruck kommt, damit anschließend die vierfache Einteilung des Seienden analysiert werden kann, die unserer Interpretation zufolge die Rückkehr zu der ersten Art der methexis des Wahrnehmbaren an der Idee darstellt, wie in §1.1 dargelegt worden ist. 3.
Die aufsteigende methexis (14c1-16c10) und der Gipfel der angezeigten Zurückführung: die pythagoreisch verkleidete Einführung der zwei platonischen Prinzipien: 16c10
Die „Gabe der Götter“ besteht in der allgemeinen Aussage, dass das jeweils als Seiendes Betrachtete aus Einheit und Vielheit ist und Grenze und Unbegrenztheit miteinander verwachsen in sich enthält. Unsere Auslegung gründet auf der Interpretation, nach der hier eine allgemeine Theorie über die Beschaffenheit der Welt aufgespürt wird. 138 Die lange Überlieferungskette zwischen den Göttern und den jetzigen Forschern, mit Prometheus und den älteren Forschern als Bindegliedern, unterstreicht die verlorene Götternähe der jetzigen Forscher und geschichtlichen Epoche. Das Geschenk der Künste zusammen mit dem Feuer wird in dem ebenso mythologischen Rahmen im Protagoras dem Prometheus zugeschrieben. 139 Im Mythos des Politikos, der – wenn auch auf eine unauflöslich
-------------------------------------------138
Dagegen Striker 1970, S. 22f., nach der die Passage sich in einer Aussage über die Ideen er-
schöpft. 139
Prt. 321c-e.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
225
spielerisch-ernsthafte Weise – 140 uns etwas über das platonische Konzept des Wesens der Geschichte und vom Zusammenspiel der zwei platonischen Prinzipien offenbart, 141 wird der Fortschritt sowohl der Künste als auch der Philosophie in dem Weltzeitalter verortet, in dem der Gott sich zurückgezogen und den Kosmos sich selbst überlassen hat. Gegenüber der vorangegangenen Weltperiode, in der der Gott unmittelbar über die Herrschaft der Welt verfügte, nimmt die Auflösung der Ordnung im zweiten Weltzeitalter schrittweise zu. 142 Sowohl der Anschluss als auch die Differenzierung zwischen den zwei getrennten Ebenen der Dialektikpassage (die Früheren einerseits: οἱ μὲν παλαιοί, Sokrates und die jetzigen Forscher andererseits: ἡμᾶς…) muss so beleuchtet werden, dass wir weder zu einer unangemessenen Einebnung der Unterschiede noch zu einer künstlichen Trennung des früheren und des jetzigen Stadiums gelangen. 143 a.
Τὰ ἀεὶ λεγόμενα εἶναι
Dem Ausdruck τῶν ἀεὶ λεγομένων εἶναι soll allgemeine Gültigkeit beigemessen werden: Es betrifft alles mögliche Seiende, das jeweils – in der Geschichte des Denkens – als seiend angesprochen wurde und werden wird. In der Sekundärliteratur sind die Meinungen gespalten, ob es sich hier um die „als ewig seiend bezeichneten Dinge“ oder um „das jeweils als seiend Bezeichnete“ handelt. 144 Ἀεί bezieht sich eher auf λεγομένων als auf εἶναι, wenn auch einige Interpreten um der Vermeidung eines Hiates willen (der im Fall des ἀεὶ εἶναι entstände) die zweite Option vertreten haben. 145 Platon will jedoch --------------------------------------------
140 Der Mythos wird vom Gast als ein Spiel eingeführt, s. Plt. 268d8: Σχεδὸν παιδιὰν ἐγκερασαμένους: „indem wir etwas Scherzhaftes hineinbringen“ (Übers. Rufener). Zur unauflöslichen Verbindung vom Spiel und Ernst s. oben: § 1.2, IV. 141 Im Rahmen der konkreten Untersuchung besteht das Ziel des Politikos-Mythos in der Zusammenführung der drei zerstreuten Quellen des Mythos und dem Nennen ihrer einen Ursache (Plt. 269c1), was wiederum aufgrund der mythischen Darstellung des Verhältnisses zwischen der göttlichen Ursache und der des Körperlichen (Plt. 270a3-4, 273b4) geschehen kann; die zweite wird als „angeborene Begierde“ (σύμφυτος ἐπιθυμία, Plt. 272e6) bezeichnet. 142 Dazu Gaiser 1961. Im Politikos wird offen gelassen, ob die Menschen der ersten Weltperiode sich mit der Befriedigung ihrer primären Begierden begnügt haben oder ob sie zum Philosophieren aufgestiegen sind: Plt. 272b-d. Gaiser bemerkt, dass die Kombination der Kulturentstehung (Plt. 272 c-d) und der leichten Ironie der Fragestellung in 272b-d eher dafür plädiere, dass die Philosophie sich in der zweiten Epoche ereignet. In der Dialektikpassage im Philebos zeigt sich eine erstaunliche Kontinuität: „In mythischer Verkleidung wird noch unterstrichen: die Leute der Vorzeit kannten die Dialektik, sie war die göttliche Gabe eines Prometheus“ (Migliori 2001, S. 117). Ob die jetzigen Philosophen in die gleiche Epoche wie οἱ παλαιοί einzuordnen sind, lässt sich nicht endgültig positiv beantworten. Die Nähe zu den Göttern kann am Anfang der gegenwärtigen, geschichtlichen Epoche – also des zweiten Weltzeitalters des Politikos-Mythos – situiert werden, bevor die Unordnung die Oberhand gewinnt. 143 Das Letztere macht Isnardi Parente, wenn sie von einem starken Gegensatz zwischen den früheren und den jetzigen Forschern spricht („contrasto“, 1994, S. 26f.); dadurch tut sie sowohl dem Text als auch dem platonischen geschichtlichen Bewusstsein Gewalt an, demgemäß Platon seine eigene philosophische Leistung kontinuierlich in die Geschichte des Denkens einbettet. (Bemerkenswert ist der Infinitiv δεῖν in 16c10, der von παρέδοσαν in c8 abhängt. Die Ideenlehre von 16d2 lässt sich also natürlicherweise in die Kunde der Tradition einbetten, gehört sogar zu ihr. Kontinuität, nicht Gegensatz herrscht beim Übergang von den Früheren zu den jetzigen Forschern). Anders Maurizio Migliori (2001, Anm. 12), nach dessen Darstellung der Beitrag von Platon als schon in die Tradition eingebettet dargestellt wird. 144 Für die erste Deutung treten unter anderen Demel 1929, S. 120, Striker 1970, S. 17 ein. Für die zweite plädieren die meisten Kommentatoren (traditionelle Deutung). 145 Eine solche Argumentation über die Vermeidung eines möglichen Hiates ist dennoch nicht zwingend. Darin kann ich Isnardi Parente beipflichten, wenn sie andere Fälle sogar im Philebos
226
Kapitel 3
eher alle möglichen sowohl schon vertretenen als auch in der Zukunft zu vertretenden Seinsaussagen und -auslegungen in den Ausdruck τὰ ἀεὶ λεγόμενα εἶναι miteinschließen: Alles als seiend Bezeichnete hat in sich Grenze und Unbegrenztheit. Alles was ist, besteht aus dem Einen und dem Vielen. Diese göttliche Offenbarung ist kein fertig Dastehendes, sondern ein Auftrag, der jeweils zu erfüllen ist. Trotz der in der Forschung bestehenden Tendenz, die Aufmerksamkeit schon an dieser Stelle hauptsächlich der Frage zu widmen, welche Klassen von Gegenständen hier unter dem Seienden zu verstehen seien (Ideen, Einzeldinge oder beides), 146 darf nicht außer Acht geraten, dass zum Seinsverständnis auch die parmenideischen oder späteren Konzeptionen des Seienden, nicht nur das von Platon Verstandene, gehören. Wenn dennoch anschließend auf das platonische Seinsverständnis fokussiert wird (wie der Eintritt der Ideenannahme bezeugt: μίαν ἰδέαν ἡμᾶς θεμένους, 16d1-2), geht es vor allem um die Idee, deren Sein vorausgesetzt ist, und dann um das ihr abgebildete wahrnehmbare Seiende. Folglich muss die universelle Aussage in 16c8-10 neben dem Wahrnehmbaren vor allem die Idee betreffen, wenn sie im Rahmen der platonischen Philosophie angewandt wird. Niemand von den Interpreten bezweifelt (mit Ausnahme von Rist 1964, S. 227, Gosling 1975, S. 173 und Isnardi Parente 1994, S. 24ff. 147 ), dass die Ideen zum Gegenstandsbereich der göttlichen Kunde gehören. Debattiert wird, ob ausschließlich die Ideen als angesprochener Gegenstandsbereich bezeichnet werden müssen, oder ob auch das Wahrnehmbare mitgemeint ist, 148 das dann über Grenze und Unbegrenztheit als seine immanenten Elemente verfügte. D. Frede 149 und Benitez 150 haben versucht neue Wege zu gehen, um die Schwierigkeiten der vorgeschlagenen Interpretationsmöglichkeiten zu vermeiden. Frede bezieht das „jeweils als seiend Bezeichnete“ auf den Gegenstandsbereich der jeweiligen τέχνη (16c2-3) und versteht dementsprechend die sokratische Bemerkung, dass die Idee darin zu finden sei (16d2: ἐνοῦσα): im Bereich jedweder Kunst. 151 Fredes geschickte Auslegung nimmt den sokratischen Satz in 16c2-3 in Anspruch, um dann aber auf inadäquate Weise die Breite des τῶν ἀεὶ λεγομένων εἶναι auf den Bereich der Kunst zu beschränken. Die Vervollständigung des Bereichs jedweder Kunst ist durch die hier angesprochene Gabe der Götter – nämlich der Dialektik – bedingt, was aber nicht bedeutet, dass der Entdecker der jeweiligen Kunst ein Dialektiker gewesen ist oder Dia-------------------------------------------heranzieht, an denen Platon kein Problem mit dem enstandenen Hiat hat, wie in Phl. 59a7 (1994, S. 27): τὰ ὄντα ἀεί. Die Philologin verbindet ἀεί mit λεγομένων, nicht um dem Ausdruck einen allgemeinen Charakter beizumessen, wie wir es tun, sondern um die Göttergabe von den Ideen (ἀεὶ ὄντα) abzulösen: Wenn die Rede über die Idee in diesem Passus fehle, fehle auch die Interpretation der Idee als μικτὸν εἶδος, d. h. deren Verständnis als von einem zusammengesetzten Charakter (ebd., S. 27). Auf diese Weise meint die Interpretin die Derivation der Idee aus den Prinzipien widerlegt zu haben. Nach dem antiken Kommentator Damaskios wird der untersuchte Ausdruck nicht als das immerwährende Seiende, sondern als das jeweils angesprochene Seiende ausgelegt, wie aus dessen Wiedergabe des Textes hervorgeht (In Philebum 62,11-13): ὁ Πλάτων οὕτω φησίν, ὡς ἐξ ἑνὸς μὲν καὶ πολλῶν ὄντων τῶν ἀεὶ λεγομένων, πέρας δὲ καὶ ἀπειρίαν ἐχόντων. 146 Dazu die übersichtliche Einordnung der bisherigen Interpretationen von Benitez 1989, S. 39ff. 147 Zu den letzten zwei Deutungen s. unten, Anm. 219. 148 Nachdem also der Ausdruck von allgemeiner Gültigkeit im Rahmen des platonischen Philosophierens konkretisiert worden ist. 149 Frede 1997, 1, S. 135. 150 Benitez 1989, S. 41f. 151 So kommt D. Frede auf bemerkenswerte Weise – in diesem Punkt – der Deutung des in ihrem Kommentar am stärksten kritisierten Interpreten, also Gosling, sehr nahe.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
227
lektik eine Art von Meta-Theorie über die Kunstarten darstellt. Die dialektische Kunst oder Wissenschaft hat ihren eigenen Gegenstandsbereich, nämlich die unveränderlichen, immer gleich bleibenden Ideen, 152 wenn sich auch der Dialektiker als der ideale Rhetor, Politiker und Sachkundige in verschiedenen Bereichen zugleich erweist. Die folgenden Fälle der Grammatik und der Musik (17a8-18d2) funktionieren als die Natur des dialektischen Verfahrens exemplifizierende Beispiele. 153 Daraus darf jedoch keine Identifikation des jeweils als seiend Bezeichneten mit dem Gegenstand der Einzelkünste – so D. Frede – folgen. Der Gegenstand jeder Kunst ist ein bestimmter, aus dem Seienden herausgeschnittener Teil, 154 während die platonische Dialektik, die in unserer Passage, wenn auch unterbelichtet, gestreift wird, 155 eine Allwissenschaft – allerdings nicht in Form einer Meta-Wissenschaft – zu sein beansprucht. 156 Benitez hat seinerseits vorgeschlagen, dass sich der Ausdruck τῶν ἀεὶ λεγομένων εἶναι auf Ideen und Wahrnehmbares gemeinsam bezieht: Es gehe um „general terms, which name both forms and their sensible instances, and so can be used collectively to refer to both.“ Unter Berücksichtigung von 15d bemerkt der Interpret: „[…] the one-many problem arises in connection with our use of general terms.“ 157 Der Ausdruck erschöpft sich aber nicht auf der Ebene der Semantik; man darf die Tatsache nicht außer Acht lassen, dass die Verflechtung des Einen und des Vielen im Seienden selbst stattfindet, bevor sich dieses ontologische Geschehen in der Sprache widerspiegeln lässt und erkenntnistheoretisch verfolgt werden kann. 158 Wenn man die ontologische Bedeutung der Aussage nicht herunterspielen will, handelt es sich bei dem gewichtigen Bericht eher um Folgendes: Die Ursachen des Seienden werden als dessen Elemente genannt; zugleich werden das schon zum Problem gemachte Paar „Eines und Vieles“ und der Gegensatz von „Grenze und Unbegrenztheit“ eingeführt. Die Grenze und die Unbegrenztheit zeigen sich in diesem Zusammenhang als dem Seienden immanent. Die Darstellung entspricht der aristotelischen Definition des Ele--------------------------------------------
152 Phl. 58a1-5. Zu der Abhängigkeit jeder Kunst von der Dialektik: Gaiser 1988, S. 97. Vgl. auch die Bedingtheit der Künste durch das Angemessene (μέτριον) in Plt. 284d2-8, das letzlich von der Idee des Guten als genauestem Maß abhängt: αὐτὸ τὸ ἀκριβές: 284d1-2. Es fehlte in der Akademie nicht an Optimismus hinsichtlich der Vervollständigung der Wissenschaften und Künste; man hoffte sogar auf einen baldigen Abschluss der Philosophie: Vgl. Arist. Protr. fr. 8a Ross: „[…] sed se videre, quod paucis annis magna accessio facta esset, brevi tempore philosophiam plane absolutam fore.“ (Hervorh. G. M.) 153 Unten, § 3.3, II.3. 154 Vgl. Arist. Metaph. Γ1, 1003a23-26: „Denn keine der anderen stellt die Untersuchung allgemein über das Seiende als Seiendes an, vielmehr schneiden sie einen Teil davon heraus und betrachten darüber die sich ergebenden Bestimmungen, wie es z. B. die mathematischen Wissenschaften machen.“ (Übers. Th. A. Szlezák) Außerdem E1, 1025b7-10: „Aber alle diese Wissenschaften umschreiben für sich ein bestimmtes Seiendes und eine bestimmte Gattung und handeln von dieser, nicht dagegen vom Seienden schlichtweg und insofern es Seiendes ist, und sie geben auch keinerlei Erörterung des Was-Seins.“ (Übers. Th. A. Szlezák) 155 Außer in Deutungen wie von Gosling oder Isnardi Parente, dazu unten: Anm. 219. 156 Vgl VII. Ep. 344b2: τὸ ψεῦδος ἅμα καὶ τὸ ἀληθὲς τῆς ὅλης οὐσίας. 157 Benitez 1989, S. 42. 158 Benitez versucht vor allem eine Lösung zu finden, um nicht zugestehen zu müssen, dass das Sein der Idee aus Grenze und Unbegrenztheit entsteht (übereinstimmend in diesem Punkt mit Isnardi Parente), eine Prämisse, die er ohne Weiteres für unlogisch befindet, wie auch andere Interpreten der gleichen Richtung.
228
Kapitel 3
ments: 159 Στοιχεῖον λέγεται ἐξ οὗ σύγκειται πρώτου ἐνυπάρχοντος ἀδιαιρέτου τῷ εἴδει εἰς ἕτερον εἶδος. Es handelt sich um die dem jeweils genannten Seienden immanenten Bestandteile (ἐν αὐτοῖς, 16c10), um seine nicht weiter zurückführbare Bausteine. Auch wenn bei unserer bisherigen Deutung von Ursachen und Elementen des Seins die Rede ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Erörterung die Ebene der zwei platonischen Prinzipien trifft. Gemäß der indirekten Überlieferung entsprechen die zwei Prinzipien – im platonischen philosophischen Entwurf – den letzten Bausteinen der Wirklichkeit, 160 was der kritischen Betrachtung von Aristoteles nicht entging, obschon dessen erste philosophische Entwürfe offensichtlich aus einem von Platon bestimmten Denkhorizont stammen. 161 Im Gegensatz zu seiner früheren Phase lässt Aristoteles im ersten Buch seiner Metaphysik das Element nicht mit dem allgemeineren und umfassenderen Begriff der Ursache zusammenfallen, sondern hält es nur für eine der vier Arten der Ursache. 162 Die Bestandteile, aus denen etwas zustande kommt, lassen sich nicht weiter mit dem Prinzip oder der Ursache gleichsetzen, wie es – anscheinend unter dem Einfluss seines Lehrers Platon – wohl noch der Fall im Protreptikos war. Wie kann nun die platonische Konzeption dem ontologisch gedeuteten Ausdruck (16c9) Rechnung tragen? Was wird von Sokrates und den jetzigen Forschern als Sein betrachtet? Im höchsten und eigentlichen Sinne (ὄντως ὄν) wird im Rahmen der platonischen Philosophie die Idee „als Seiendes bezeichnet“, und gemäß der vorangehenden Argumentation muss die Aussage über die Prinzipien des Seins in dem besprochenen Text vor allem das ideelle Sein betreffen. Nach Platon ist nur die Idee streng genommen seiend, während unsere werdende und vergehende phänomenale Welt 163 nur durch Teilhabe an ihr das „Sein“ des Abbildes zugeschrieben bekommt. 164 In der Politeia wird -------------------------------------------159 Metaph. Δ3, 1014a26-27: „Element wird genannt, woraus etwas zusammengesetzt ist als seinem ersten Bestandteil, der der Art nach nicht mehr zerlegbar ist in eine andere Art.“ (Übers. Th. A. Szlezák) 160 Dem Bericht von Aristoteles Met. N1, 1087b12-13 gemäß: ἀλλὰ μὴν καὶ τὰς ἀρχὰς ἃς στοιχεῖα καλοῦσιν οὐ καλῶς ἀποδιδόασιν. „Indes geben sie auch die Prinzipien, die sie Elemente nennen, nicht richtig an.“ (Übers. Th. A. Szlezák) Aristoteles bezieht sich darin auf Platon und seine Schüler, um im Anschluss daran die Konzeption des zweiten Prinzips – ausgehend von dessen Benennung – zu kritisieren. Platon muss in seiner Vorlesung „Über das Gute“ das Problem der Ursachen des Seienden angegangen sein, mit der Forderung nach analytischer Zergliederung des Wirklichen (in στοιχεῖα). Nach den überlieferten Berichten hat sich Platon, um die Ursachen des Ganzen zu thematisieren, am Beispiel der Sprachforschung orientiert, die er bis auf ihre letzten Elemente analysiert hat: Sextus Empiricus, Adv. math. X, 250 (TP ). 161 Im Protreptikos nämlich begegnet uns eine Entsprechung der Begriffe αἰτία, ἀρχή, στοιχεῖον. Zum Beispiel ist die folgende Stelle im Fragment 5b Ross (= W) heranzuziehen: Ὁμοίως δὲ καὶ τῶν περὶ φύσεως. Πολὺ γὰρ πρότερον ἀναγκαῖον τῶν αἰτίων καὶ τῶν στοιχείων εἶναι φρόνησιν ἢ τῶν ὑστέρων. 162 S. die Ausdifferenzierung von ἀρχή im aristotelischen philosophischen Lexikon: Metaph. Δ1. 163 Das heißt das, was in Phl. 15b5 als τὰ γιγνόμενα καὶ ἄπειρα oder 59a7-9 als τὰ γιγνόμενα καὶ γενησόμενα καὶ γεγονότα bezeichnet wird. 164 Zu den Graden von Realität bei Platon vgl. den Beitrag von Vlastos 19812, 1, worin er die These vertritt, dass Platon aufgrund seiner Erkenntnistheorie zu einer „degrees-of-reality theory“ gelangt sei: Indem er nur eine Art von Erkenntnis anerkennt, habe er nichts anderes als eine Art „full or complete“ Realität anzunehmen (ebd., S. 74). Nachdem Vlastos die erstrangige Wichtigkeit der platonischen Errungenschaft (nämlich die Unterscheidung zwischen Idee und Einzelding) für die westliche Philosophie unterstrichen hat, kritisiert er die skizzierte Theorie, die durch eine bessere „kinds-of-reality theory“ ersetzt werden kann, gemäß der beide Bereiche, sowohl der Bereich der Ideen als auch der ihrer Erscheinungen, gleich real sind, aber auf verschiedene Weise: Der erste, insofern als dessen Kriterium die logische Gewissheit, der zweite, insofern als dessen Kriterium die empirisch zu prüfende Erkenntnis gesetzt wird: „For then one will not be tempted to misconstrue
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
229
dem Gegenstandsbereich der Meinung (δόξα) eine Art von Zwischenstellung zwischen Sein und Nichtsein beigemessen, die als Teilhabe sowohl am Sein als auch am Nichtsein erklärt wird. 165 Dem darf noch keine positive Betrachtung der vielen werdenden Dinge entnommen werden, weil hier der mittlere Bereich der „vielen“ Instanzen der Ideen noch negativ, und zwar als oszillierend und zwischen dem reinen Sein und dem reinen Nichtsein umherschweifend, beurteilt wird. Worin der Unterschied dieser Betrachtung des Wahrnehmbaren und derjenigen im vierfachen Gefüge des Philebos besteht, soll unsere Deutung im letzten Teil (§3.4) hervorheben. 166 Das Problem des Wesens des (Ab)bildes als Ort der Verflechtung des Seienden mit dem Nichtseienden wird dann im Sophistes thematisiert, so dass der Sophist dort erfasst werden kann. 167 Bei Timaios’ anfänglicher zweifacher Einteilung in Sein und Werden, ist die Rede von einem Sein, das nie wird, und von einem Werden und Vergehen, das das Sein völlig ausschließt (γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον, ὄντως δὲ οὐδέποτε ὄν, 28a3-4), wobei der Eindruck einer nie zu überwindenden Kluft zwischen den beiden Bereichen vor dem so genannten zweiten Anfang (also vor 48eff.) gegeben wird. Nach einer späteren dreifachen Gliederung 168 muss das Wahrnehmbare in einem anderen entstehen, um irgendwie Sein erlangen zu können, weil es als ein Bild selbst nicht über das verfügt, worauf es sich richtet, sondern immer als Erscheinung eines anderen herumläuft. 169 Weil nach Platons Dafürhalten Sein von verschiedenem Grad und Rang anzunehmen ist, wie der kurze Durchgang durch die relevante Problematik in seinen Dialogen aufgezeigt hat, bereitet es uns kein Problem, dass auch das Wahrnehmbare zu τῶν ἀεὶ λεγομένων εἶναι gehört, wenn im Fall der platonischen Philosophie der Sinn der allgemeingültigen Aussage konkretisiert wird, unter der Bedingung, dass dem Wahrnehmbaren ein „Sein“ niedrigeren Ranges zugesprochen wird. 170 Trotzdem darf die Konstitution des Wahrnehmbaren in den jetzigen Text nicht als dessen Ziel hineingezwungen werden, weil es in diesem Rahmen nicht darum geht, sondern um die Behandlung der Problematik der Einheit und der Vielheit im ideellen Bereich, wie anschließend bei der Analyse des -------------------------------------------universals as a higher grade of particulars, or think of sensible particulars as inferior ‚imitations’ or ‚copies’ of Ideal Forms.“ (ebd., S. 75). 165 R. 477a6-8: εἰ δὲ δή τι οὕτως ἔχει ὡς εἶναί τε καὶ μὴ εἶναι, οὐ μεταξὺ ἂν κέοιτο τοῦ εἰλικρινώς ὄντος καὶ τοῦ αὖ μηδαμῇ ὄντος; „Wenn es sich aber so verhält, dass es ist und nicht ist, würde es dann nicht zwischen dem reinen Sein und dem ganz und gar nicht Seienden liegen?“ Daran anschließend 478e1-3: Ἐκεῖνο δὴ λείποιτ’ ἂν ἡμῖν εὑρεῖν, ὡς ἔοικε, τὸ ἀμφοτέρων μετέχον, τοῦ εἶναί τε καὶ μή εἶναι, καὶ οὐδέτερον εἰλικρινὲς ὀρθῶς ἂν προσαγορευόμενον […]; „Offenbar bliebe uns also noch das herauszufinden, was an beidem teilhat, am Sein und am Nichtsein, und das man richtig weder rein als das eine noch rein als das andere ansprechen kann […].“ (Übers. Rufener) Vgl. zu Graden der ἀλήθεια das Ende des sechsten Buches der Politeia: Dort wird eine Teilhabe an der Wahrheit allen Teilen der Linie (sowohl dem Wahrnehmbaren als auch dem Denkbaren) beigemessen. (511d6-e4) 166 S. unten, § 3.4, IV, 1b, ii. A. 167 Sph. 239d ff. 168 In Ti. 48e2-49a4 wird die Notwendigkeit der Einführung einer dritten Gattung (chora) hervorgehoben, in 51e6-52d1 werden die drei Gattungen (das immer Seiende, das Gewordene, die chora) zusammengefasst. 169 Ti. 52c2-5: […] ὡς εἰκόνι μέν, ἐπείπερ οὐδ’ αὐτὸ τοῦτο ἐφ’ ὧ γέγονεν ἑαυτῆς ἐστιν, ἑτέρου δέ τινος ἀεὶ φάντασμα, διὰ ταῦτα ἐν ἑτέρῳ προσήκει τινὶ γίγνεσθαι, οὐσίας ἁμωσγέπως ἀντεχομένην, ἢ μηδὲν τὸ παράπαν αὐτὴν εἶναι […]. 170 Ein deutlicher Nachklang der akademischen Unterscheidung von verschiedenen Seinsschichten findet sich in Arist. Metaph. Α1, 993b30f.: ὥσθ’ ἕκαστον ὡς ἔχει τοῦ εἶναι, οὕτω καὶ τῆς ἀληθείας.„Jedes Ding verhält sich wie hinsichtlich des Seins, so auch hinsichtlich der Wahrheit.“
230
Kapitel 3
von Sokrates eingeführten Verfahrens noch zu zeigen ist. 171 Auf die Problematik einer Konstitution des Ideellen und des Wahrnehmbaren deutet der artikulierte allgemeine Satz in 16b8-10 hin, der in Anlehnung an die aristotelischen Berichte weiter gedacht werden kann, wenn auf die Grenze und die Unbegrenztheit im Wahrnehmbaren fokussiert wird. 172 Was das eigentliche – nämlich ideelle – Sein betrifft, lässt sich als erstes die Präsenz des Einen und des Vielen in der Idee leichter klären als diejenige der Grenze und der Unbegrenztheit. Die Einheit der einen Idee gerät nämlich nicht in Widerspruch zu der Vielheit ihrer Arten, in die sie eingeteilt wird, und auf diese Weise manifestiert sich das Eine und das Viele im ideellen Sein. Wie verhält es sich aber mit dem zweiten Paar „Grenze- Unbegrenztheit“ im Fall des Ideellen? 173 Ein Konsens hinsichtlich der Bedeutung der „Grenze“ des ideellen Seins kann unter den Interpreten mit weniger Problemen als hinsichtlich der Unbegrenztheit im ideellen Sein erreicht werden. Schon im Phaidon wird die Idee als formale und finale Ursache des phänomenalen Werdens und Vergehens betrachtet, das nach ihr strebt. 174 Nur im Hinblick auf die Idee kann das Einzelne bestimmt und erkannt werden; nur durch seine Teilhabe an ihr wird es nennbar und erkennbar. Nur die Idee kann definiert werden, an der es teilhat. In unserem Zusammenhang im Philebos aber erscheint die Idee nicht als allerletzte Realität, als nicht zusammengesetzes, begrenzendes Prinzip, sondern als von Grenze und Unbegrenztheit zusammengesetzt. Die Idee selbst wird als bestimmt und begrenzt be--------------------------------------------
171 Nach dem aristotelischen Bericht von der platonischen Lehre sind die Prinzipien des ideellen Seins auch Prinzipien des Wahrnehmbaren; deswegen können sie als Ursache des Ganzen betrachtet werden, was der Schüler Platons kritisiert. Es gehört aber nicht zur angemessenen Methode, alle Berichte von Aristoteles nach der Taktik von Sayre 1982 in den platonischen Text projizieren zu wollen. Nach der Auslegung des Gelehrten werden nämlich in der Dialektikpassage sowohl die bekannte Methode der Einteilung und Zusammenführung als auch ein ontologisches Prinzip der Konstitution der Dinge behandelt (ebd., S. 132f.). 172 Dazu, wie das Wahrnehmbare aus Grenze und Unbegrenztheit zusammengesetzt sein kann, vgl. den von der indirekten Überlieferung unabhängigen Vorschlag Ackrills, den Striker erwähnt 1970, S. 21: Es sei eines, insofern es unter einen spezifischen Begriff per se falle, vieles, insofern es außerdem unter eine unbegrenzte Anzahl per accidens falle. 173 Μέν-δέ soll nicht als ein Kontrast zwischen den zwei Teilen der göttlichen Aussage (16c9f.) verstanden werden, wie Striker behauptet 1970, S. 18. Es geht eher um zwei gleichgewichtige Gegensatzpaare, die auf den Ur-gegensatz der zwei platonischen Prinzipien des Einen und der Unbestimmten Zweiheit zurückzuführen sind. Die Zurückführung aller Gegensätze vonseiten Aristoteles’ auf denjenigen des „Einen-Vielen“ (Metaph. Γ2, 1004b32-34) ist kein zwingendes Argument dafür, dass der oberste Gegensatz auch im besprochenen Textstück des Philebos derjenige des „EinenVielen“ gegenüber dem Paar „Grenze-Unbegrenztheit“ sein muss (also gegen die Behauptung von Sayre 1983, S. 129). 174 Obgleich Aristoteles keine finale Ursache bei der Doktrin Platons wiedererkennen kann (in Metaph. A6, 988a7ff.), wird der Idee an einigen Stellen der platonischen Dialoge doch eine solche Funktion zugeschrieben. Dieser Aspekt begegnet uns in der Argumentation von Sokrates im Phaidon über die Entsprechung von Lernen und Wiedererinnerung, dergemäß die vielen Gegenstände unserer Wahrnehmung – in diesem Fall die vielen gleichen Gegenstände – nach dem Gleichen an sich streben, aber hinter ihm zurückbleiben (Phd. 75a-b). Auch in Phl. 53cff. kennzeichnet diese Art von Ursache das Sein gegenüber dem nach ihm strebenden Werden: Zwischen Sein und Werden wird beim Versuch unterschieden, die Lust ontologisch einzuordnen. Hier wird dem Sinn und sogar dem Wortlaut des Dialogs Phaidon gefolgt, wenn die Rede von einer Klasse (μοῖρα, 54c11) von „an sich und für sich“ und einer anderen des immer nach der ersten Klasse Verlangenden und infolgedessen ontologisch Zurückbleibenden ist. Alexander von Aphrodisias berichtet, dass es an Erwähnung der zwei übrigen Arten von Ursache (also finalis und efficiens) bei Aristoteles fehlt, weil sie in der Vorlesung „Über das Gute“ keine grundsätzliche Rolle gespielt haben (TP 22B´). Er wirft Aristoteles vor, dass er die anderen Arten von Ursachen bei Platon vermisst habe (Gaiser 19682, S. 480f.).
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
231
trachtet, wenn auch ohne weitere Erklärung. Dass die Idee nicht das Letzte schlechthin ist, sondern als zugrunde liegender Einstieg (ὑπόθεσις) zu dem un-bedingten Anfang, nämlich zu der Idee des Guten dient, wird schon in der Politeia skizziert. Dort wird die Dialektik so dargestellt, dass sie mit Hypothesen beginnt, die sie auf angemessene Weise als Hypothesen betrachtet, nämlich als „Einschritte“ und Anläufe, von denen auszugehen ist, 175 damit das Prinzip erreicht werden kann. Die Hypothese, das Zugrundeliegende, kann nicht das letzte Ziel des dialektischen Verlaufs sein, noch kann sie als Prinzip im eigentlichen Sinne angesehen werden. Im selben Kontext steht die Rede von einem in zwei Richtungen gehenden Verlauf, einmal bis zum Prinzip hin und dann vom Prinzip zurück bis zu den Ideen. Die Hypothesen werden als Stufen benutzt, um das Prinzip zu erreichen und von da zu den Ideen zurückzugelangen. 176 Der scheinbare Monismus der Politeia 177 erweitert sich im Philebos in einen Dualismus der zwei Prinzipien – immer im Rahmen der platonischen Schriftkritik: es wird nicht explizit eine Prinzipienlehre eingeführt – und in der „Ungeschriebenen Lehre“. Der Letzteren gemäß kommen die Ideenzahlen durch eine besondere Art von ontologischer genesis aus dem Einen und der Unbestimmten Zweiheit zustande, gegen die sich Aristoteles in den letzten zwei Büchern der Metaphysik heftig zur Wehr setzt. Man darf jedoch diese Art von genesis nicht zeitlich verstehen, wie ihm sein Schüler vorwirft, sondern eher als eine Unterscheidung zwischen „früheren“ und „späteren“ ontologischen Ebenen. Noch größere Probleme bereitet uns der auf den ersten Blick mit dem Sein der Idee unvereinbare Aspekt der Unbegrenztheit. Diese wird in der Sekundärliteratur mit der unendlichen Anzahl der an einer Idee teilhabenden Einzeldinge verbunden. 178 Wegen der unendlich vielen Gegenstände, die an ihr teilhaben, kann die Idee nach dieser Interpretationsrichtung unbegrenzt sein. Diese Auffassung ist aber nicht auf der Basis des Textes gerechtfertigt, zunächst weil Sokrates von den vielen unendlichen Dingen Abschied genommen hat, um zur Ebene der Monaden aufzusteigen. 179 Doch auf welche Weise könnten die an der Idee teilhabenden der Zahl nach unendlichen Dinge ferner mit ihr verwachsen (σύμφυτον) sein? Die Auffassung erscheint als wenig plausibel und Platon gibt uns weder hier noch irgendwo sonst Anlass zu einer solchen ungereimten Behauptung. Nach unserer Auslegung steht ἀπειρία für das zweite Prinzip in der Konzeption Platons, nämlich die Unbestimmte Zweiheit. Zusammen mit dem ersten Prinzip, dem Einen, machen sie die zwei Elemente des ideellen Seins aus. Überall im Corpus Platonicum mani--------------------------------------------
175 511b5-6: τὰς ὑποθέσεις ποιούμενος οὐκ ἀρχὰς ἀλλὰ τῷ ὄντι ὑποθέσεις, οἷον ἐπιβάσεις καὶ ὁρμάς. 176 Hier wird wahrscheinlich die ganze ontologische Stufung angedeutet, welche die Prinzipien und die von ihr abhängigen (511b8: τῶν ἐκείνης ἐχομένων) Ideenzahlen und schließlich die Ideen umfasst. Der Dialektiker verweilt nach dieser Partie der Politeia ausschließlich bei den Ideen. 177 Krämer hat mit philologischer Genauigkeit nachgewiesen, dass diese Annahme unzutreffend ist. Dazu auch Th. A. Szlezák („Die Idee des Guten als arche in Platons Politeia“, in: 2003, 1, S. 109), der nachweist, dass die von Sokrates dargelegte Lehre in R. VI-VII nicht das letzte Wort der platonischen esoterischen Lehre sei, was trotzdem keinen Widerspruch zwischen den zwei Lehren (Politeia-Ungeschriebene Lehre) hervorrufe. 178 Striker erscheint es als selbstverständlich, dass die Idee dadurch unbegrenzt sein kann, dass sie eine unbegrenzte Zahl von einzelnen Dingen enthält: 1970, S. 19: berechtigte Kritik von Moravscik 1979, S. 89, auch von Löhr 1990, S. 118. Striker stützt sich auf von Grund aus falsche hermeneutische Voraussetzungen, indem nach ihrem Ermessen der Dialog autonom und ohne die Hilfe anderer Quellen gedeutet werden muss: 1970, S. 9f. und passim. Eine Verbindung der Unbegrenztheit der Idee zu dem zweiten Prinzip bleibt folglich in ihrer Betrachtung außer Frage. 179 S. die zwei von Protarchos eingeführten Beispiele: oben, § 3.2, I.
232
Kapitel 3
festiert sich aber das Ordnungsgemäße der Idee, das Immergleichbleibende und das Begrenzte ihres Wesens. 180 Wie könnte ein solches Bild mit dem hier aufgetauchten befremdlichen Aspekt der Unbegrenztheit verträglich sein? 181 Um darauf antworten zu können, muss zunächst klar gemacht werden, dass sich die „Präsenz“ des zweiten Prinzips im ideellen Sein anders manifestiert als bei den unendlich vielen sinnlichen Dingen; bei den Letzteren, soweit es um Kontinua geht, zeigt sich das Prinzip der Unbegrenztheit auf der Basis der unendlichen Teilbarkeit: Das körperlich-räumlich Ausgedehnte kann unendlich geteilt werden. 182 Ferner ist das Wahrnehmbare unendlich der Zahl nach und unterliegt der unendlichen Möglichkeit der Prädikation. Im Gegensatz dazu wird das geordnete ideelle Sein nicht von einer solchen Art Unbegrenztheit bedroht. Der untersuchte Text im Philebos hilft uns jedoch nicht weiter, die gesuchte Verbindung zwischen dem Dialog und der Ungeschriebenen Lehre herstellen zu können. Weil das ideelle Sein der indirekten Überlieferung gemäß ein Produkt der zwei platonischen Prinzipien ist, muss in der Idee auch deren „dunkle“ Herkunft (das zweite Prinzip also) zur Manifestation kommen, ohne dass die Ordnung und Bestimmtheit im Rahmen des Intelligiblen preisgegeben werden. Das ist denkbar, weil es sich nicht um die Unbegrenztheit schlechthin handelt. 183 Das zweite Prinzip kommt mittels der Idee des Anderen auf der ideellen Ebene zur Sprache: Dem Nichtsein wird so erlaubt, ins Sein einzutreten. Nur indem das Widerstrebende seiner Natur durch die Teilhabe am Seienden bezähmt wird und nur insofern abgewendet wird, dass es sich durch immerwährenden Entzug von sich selbst absetzt, so dass es doch eine eigene Natur erwirbt (255d9: τὴν θατέρου φύσιν), kann das Nichtseiende als das Andere ins ideelle Gefüge eingegliedert werden. Der Eintritt des Nichtseienden als des Anderen ins Sein setzt einen gewissen Gewaltakt gegenüber der These von Parmenides voraus: Das Nichtsein muss gezwungen werden zu sein. 184 In der Vielheit und Einteilbarkeit der Ideen manifestiert sich ferner das zweite Prinzip: Anstelle des parmenideischen Einen-Seienden ergibt sich das strukturierte Gefüge einer Vielheit von seienden Ideen. 185 Es ist bei unserer jetzigen Darstellung nicht von Belang zu untersuchen, ob es um eine bestimmte oder um eine unbestimmte Anzahl von Ideen geht, 186 es reicht hin, zu unterstreichen, dass das Eine des zweiten Prinzips bedarf, damit Struktur und Vielheit zustande kommen. Außerdem lässt sich das zweite Prinzip mit der Bewegung in Verbindung bringen, mit der die Idee verbunden ist, und die nicht der Bewegung des Wahrnehmbaren in Raum und Zeit entspricht. Bei der Fortsetzung seiner Kritik an der platonischen und akademischen Ideenzahlen-Lehre bezeugt Aristoteles in Metaph. M8, dass einige Bestimmungen den Prinzipien unmittelbar zugewiesen würden, andere aber den Zahlen; den Prinzipien werde die Ruhe und das Gute einerseits, die Bewegung und das Schlechte andererseits zugewiesen, während das Leere, die Analogie, das Ungerade und derartiges auf die Zehnheit der Zahlenreihe zurückgeführt werde. 187 , 188 In Erinnerung sei gerufen,
--------------------------------------------
180 R. 500c2-5 misst charakteristisch den Ideen Ordnung, das Immergleichwährende, Schönheit und Gerechtigkeit bei; daraus ergibt sich ein κόσμος κατὰ λόγον ἔχων, ein der Proportion nach geordnetes Ganzes. 181 Dass die zwei Elemente-Prinzipien des Ganzen auch in der Idee sind, lässt sich in verschiedenen Zusammenhängen ohne Zweifel herausstellen: z. B. in Met. A6, Phys. III4, 203a9-10 (TP 23A und Simplicius’ Kommentar, 23B). 182 Dazu vgl. das TP 23 B. S. unten, § 3.4, IV, 1a, v. 183 Die Unbegrenztheit an sich bliebe undenkbar, unsagbar, unbeschreiblich und unaussprechlich, ähnlich wie das Nicht-Seiende an sich in Sph. 238a-c. 184 S. oben, § 2.1, I.3. 185 Die entzweiende Wirkung des zweiten Prinzips lässt sich in Prm. 142e spürbar machen: Das seiende Eins zeigt sich dort unendlich der Zahl nach, weil es sich immer weiter entzweien lässt: δύ’ ἀεὶ γιγνόμενον (143a1). 186 Der wiederholt als realisierbar dargestellte Anspruch in mehreren Dialogen, die Ganzheit der Ideen mittels der Dialektik durchzugehen, weist darauf hin, dass die Ideen nicht unendlich der Zahl nach sind: Prm. 136d-e, Phl. 18c-d, VII. Ep. 344b. 187 M8, 1084a32-36: γεννῶσι γοῦν τὰ ἑπόμενα, οἷον τὸ κενόν, ἀναλογίαν, τὸ περιττόν, τὰ ἄλλα τὰ τοιαῦτα, ἐντὸς τῆς δεκάδος. τὰ μὲν γὰρ ταῖς ἀρχαῖς ἀποδιδόασιν, οἷον κίνησιν, στάσιν, ἀγαθὸν κακόν, τὰ δ’ ἄλλα τοῖς ἀριθμοῖς. „Sie erzeugen jedenfalls das Folgende – z. B. das Leere,
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
233
dass eine Art Bewegung und Denken, sogar Seele und Leben, schon im Sophistes dem vollkommenen – ideellen – Sein vonseiten des Gastes zugesprochen wird. 189
Was, um zum aristotelischen Bericht zurückzukehren, das Schlechte (κακόν) anbelangt, das mit Gewissheit auf das zweite Prinzip zurückzuführen ist, 190 ist es nach allen Belegen im Corpus Platonicum aus der Ideenwelt ausgeschlossen. Das zweite Prinzip „ist“ an sich – also in seinem eigenen Wesen – weder gut noch schlecht. Als das Sich-Entziehen schlechthin ist es vielmehr jenseits von Gut und Schlecht. 191 Wenn es sich selbst überlassen wäre, entzöge es sich in völliger Feindlichkeit jeder Gemeinschaft (als ἄμεικτον, δύσμεικτον: Ti. 35a8). Erst „nach“ der Überzeugung des Demiurgen, erst nach der methexis am ersten Prinzip schafft die zweite ἀρχή Raum zur Entstehung des kosmos: Als „überzeugt“ zeigt es sich gut; wenn es sich jedoch verselbstständigt, eröffnet das zweite platonische Prinzip – immer im Verhältnis zu dem Prinzip der Einheit – die Möglichkeit des Schlechten, welche aber wiederum den Reichtum der Ideen unbetroffen lässt, so dass wir unseren Kontext nicht verlassen. 192 b.
Aufstieg zu den Prinzipien
Als besonderes Kennzeichen der Morphologie der platonischen Dialoge und zugleich als hervorstechendes Merkmal der platonischen Denkweise ließ sich im ersten Kapitel unserer Arbeit der Aufstieg (ἀνάβασις) zu immer höheren ontologischen Ebenen rekonstruieren. Um uns im konkreten Zusammenhang des Philebos ins Bild zu setzen, geschieht hier die Bewegung der Übertragung des zu Beginn gestellten Problems – der ersten Art der Teilhabe – auf die zweite Art der innerideellen Teilhabe. Im Anschluss daran wird die von uns als dritte bezeichnete Teilhabe der Prinzipien aneinander angedeutet (16c10). 193 Um die Aussagen „Das Eine ist Vieles“ und „Das Viele ist Eines“ sinnvoll zu erfüllen, wurde bis zu diesem Punkt des Dialogs die in Erscheinung getretene Problematik der Teilhabe des Sinnlichen an der Idee als vieldiskutiert beiseite gelassen und das Problem des „Einen und des Vielen“ auf die Ebene der ideellen Einheiten übertragen. In der „Dialektikpassage“ des Philebos wird die Prinzipienlehre Platons auf eine Weise angekündigt, die die Bedingungen seiner Schriftkritik nicht verletzt. Bevor wir uns der pythagoreischen Verkleidung der hier eingeführten platonischen Prinzipien zuwenden, müssen wir noch kurz bei der Beziehung zwischen der Grenze und der Unbegrenztheit verweilen. Den möglichen Eindruck, dass das „Eine und Viele“ Be-------------------------------------------die Analogie, das Ungerade, die übrigen derartigen Begriffe – innerhalb der Zehnheit; einen Teil weisen sie nämlich den Prinzipien zu, z. B. Bewegung und Stillstand, Gut und Schlecht, das Übrige den Zahlen.“ (Übers. Th. A. Szlezák) 188 Dazu Ross 19972, II, S. 450f. Vgl. den Kommentar von Alexander von Aphrodisias und Syrianos an der Stelle; Auch Arist. Metaph. K9, 1066a11. Zu den Stellen, die die Bewegung als auf das zweite Prinzip zurückführbar betrachten, kommt auch Metaph. Γ2, 1004b27-1005a2 (TP 40A) hinzu, wo auf die nicht überlieferte aristotelische Schrift Divisiones (ΔΙΑΙΡΕΣΙΣ ΤΩΝ ΕΝΑΝΤΙΩΝ, Metaph. I3, 1054a30) hingewiesen wird. 189 S. oben, § 2.2, I. 4-5. 190 Neben der herangezogenen Stelle in Metaph. M8, vgl. auch A6, 988a14-17. 191 S. Barbarić 2000, S. 19f., der dort das Wesen der chora zu denken versucht. „In dem ihr [sc. der chora] immer von außen erzwungenen Verhältnis und Gemeinschaft manifestiert sie sich aber immer nur als ein mächtig-tätiges, dynamisches Sich-entziehen.“ (Ebd., S. 20). 192 Nach Platon wird das Schlechte aus dem göttlichen Ideenbereich verbannt, wie Tht. 176a belegt, wenn er es auch nicht mit der plotinischen Eindeutigkeit ausspricht: Καὶ μέχρι τούτων τὰ θεῖα (bis dahin reicht das Göttliche, Enn. 5. 1, 7, 48f.), also bis auf die drei ersten Hypostasen, die vom Schlechten unberührt bleiben. 193 S. oben § 1.1, II.
234
Kapitel 3
standteile des Seienden sind, die nichts miteinander zu tun haben, korrigiert die Einführung der „Grenze und Unbegrenztheit“, die als „miteinander verwachsen“ dargestellt werden. 194 Wenn unsere Auslegung zutrifft, dass uns an dieser Philebos-Stelle die zwei platonischen Prinzipien – wenn auch nicht explizit als Prinzipien – begegnen, 195 kommt zur Sprache, dass sie aufeinander bezogen sind und einander bedingen. Die Bedeutung von σύμφυτον als Verwachsensein der zwei Prinzipien erlaubt in diesem Kontext die Antizipation der in der folgenden Passage auftretenden Mischung, wobei σύμφυτον noch ursprünglicher als diese zu „denken“ ist. Nach unserer Deutung ist die Mischung eine Metapher unter anderen, um das Geschehen des σύμφυτον zur Sprache zu bringen. c.
Pythagoreische Herkunft von πέρας - ἀπειρία Diès konstatiert bezüglich der zwei hier von Platon angewendeten Begriffe: Ce qui importe, c’est la façon dont le Philèbe en use et cette façon est proprement, uniquement platonicienne. Il veut tout d’abord, en effet, justifier ontologiquement sa méthode de division par espèces. 196
Die unüberwindlichen Probleme, die mit der Bestimmung einerseits des pythagoreischen Guten und andererseits dessen platonischer Transformation verbunden sind, dürfen nicht zu einem Herunterspielen des offensichtlich pythagoreischen – und zwar philolaischen – Einflusses führen. 197 Zwei Faktoren verhindern das Ziehen einer klaren Trennungslinie zwischen dem pythagoreischen Erbe und dem platonischen Gedankengang: Zum einen der Mangel an einer einheitlichen pythagoreischen Lehre, zum zweiten die --------------------------------------------
194 Das Wort σύμφυτον taucht in unterschiedlichen Kontexten mit verschiedenen Bedeutungen auf. Es kann erstens „zusammen-gewachsen“ (grown together) bedeuten, wie in Phd. 81c6 und Plt. 258d9- e1: ἐν ταῖς πράξεσιν ἐνοῦσαν σύμφυτον τὴν ἐπιστήμην. Zweitens kann es „verwandt“ heißen, wie in Tht. 156d5: τὴν λευκότητά τε καὶ αἴσθησιν αὐτῇ σύμφυτον, Phl. 51d8, Criti. 116b4 und Def. 413c3. Drittens ist der Sinn „verwachsen, angeboren, eigen“ (born with one, congenital, innate) zu erwähnen, in R. 609a3-4: σύμφυτον ἑκάστῳ κακόν τε καὶ νόσημα, 609a9, in Plt.. 272e6, in Ti. 42a6, in Lg. 710a8, 771b7. Außerdem bedeutet σύμφυτος „verbunden“ (united) in Phdr. 246a6, auch „natürlich, naturgemäß“ (natural) in Ti. 71c7 und Lg. 844b1, 899d8. An unserer Philebos-Stelle reicht es nicht hin, σύμφυτον durch „von Natur dazugehörig“ ins Deutsche zu übertragen; damit die Beziehung zwischen Grenze und Unbegrenztheit auf angebrachtere Weise zur Sprache kommt, muss man „von Natur verwachsen“ übersetzen: s. oben, § 3.3, I, i, Anm. 136. 195 Nach unserem Dafürhalten geschieht dies das einzige Mal im Philebos überhaupt. Anders Sayre 1988, der sowohl im Paar πέρας- ἀπειρία (16c10) als auch im πέρας- ἄπειρον (Vierfaches Gefüge, 23cff.) die zwei platonischen Prinzipien erkennen will. Dazu ausführlicher unten § 3.4. 196 Diès 19322, S. XXIV seiner Philebos-Einleitung. Auf ähnliche Weise betont Demel 1929, S. 125, die Umgestaltung des pythagoreischen Gedankengutes. 197 In der Forschung wurde auch die These vertreten, dass diese Begrifflichkeit nicht unbedingt von Philolaos, dem Pythagoreer des fünften Jahrhunderts, stamme, sondern einen Dialog mit weiteren Kreisen der Vorsokratiker voraussetze. An Bedenken von Benitez hinsichtlich der philolaischen Abstammung der zwei Begriffe (1989, S. 51-56) schließt sich D. Frede an: „Die Begriffe von Unbegrenztheit und Grenze spielen freilich auch bei anderen Vorsokratikern eine wichtige Rolle“ (1997, 1, S. 131, 143f., Anm. 55, modifiziert später, S. 396ff.). Trotzdem war die Verbindung der Grenze mit dem Unbegrenzten ein pythagoreisches Paar von konstitutiver Bedeutung. Den Vergleich zwischen der Stelle im Philebos und philolaischer Terminologie zieht schon Damaskios, Pr. I 101, 3. Das im Philebos hervortretende Paar πέρας - ἄπειρον haben außerdem Syrian, in Metaph. 9, 37 ff., und Proklos, Ti. I 84,4; 176, 29; II 168,29; Theol. Plat. 1, 5; 3, 7, mit den Fragmenten von Philolaos in Verbindung gebracht. Und in der Neuzeit wird der Einfluss allgemein anerkannt: schon bei Zeller, Die Philosophie der Griechen I, 20067, S. 457, 1, 480, 1, Taylor 19722, S. 52ff., Hackforth 19582, S. 20f., bevor Burkert 1962 die einschlägige Quellenlage mit höchster philologischer Genauigkeit erforscht hat: S. 14ff., 203ff. Umstritten bleibt, wie groß der philosophische Einfluss des Philolaos – über die Terminologie hinaus – auf Platon gewesen sein kann.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
235
Unklarheit und Undeutlichkeit Platons, was seine Haltung gegenüber der pythagoreischen Konzeption betrifft. 198 Eine Verschmelzung von Doktrinen pythagoreischer Herkunft und akademischen Projektionen verwickelt den Interpreten in erhebliche Schwierigkeiten, die geschichtliche Wirklichkeit der einschlägigen Beziehung zwischen Platon und den Pythagoreern zu rekonstruieren. 199 Hier wird die Verwandtschaft zum pythagoreischen Gut des Philolaos, dem Pythagoreer des 5. Jahrhunderts, unterstrichen. Die Frage nach der Echtheit seiner überlieferten Fragmente haben anhaltende Debatten in der Forschung hervorgerufen. Schon die bestehenden Berichte von einem Plagiat des philolaischen Buches vonseiten Platons unterstreichen die Existenz jener Schrift; sonst hätte ein solcher Vorwurf nicht zustande kommen können. 200 Den ausschlaggebenden Beweis bot aber der 1893 publizierte Papyrus Anonymi Londinensis, der Exzerpte aus der medizingeschichtlichen Schrift des Aristoteles--------------------------------------------
198 Vgl. die ausführliche Monographie Huffmans 1993, S. 25: „Given the literary form of the Philebus, it is simply very hard to be sure to what extent Plato sees himself as simply explicating Pythagorean ideas as opposed to using them just as a starting point for his own original insights.“ Was den historischen Parmenides betrifft, ist die platonische Haltung einigermaßen deutlich, obschon es der Gast im Sophistes nicht wagt, von einem „Vatermord“ an seinem eleatischen Lehrer zu sprechen. Im Fall des Pythagoreischen – wenn wir eine einheitliche Lehre voraussetzen dürften – überwiegt die erwiesene Ehre vonseiten Platons; vgl. z. B. R. 530d: Charakterisierung der Musik und der Astronomie als „verschwisterte“ Wissenschaften und Untersuchung der zugrunde liegenden Zahlen der Intervalle von den Pythagoreern, R. 600a-b: berühmte pythagoreische Lebensführung, Phl. 17d, wo es um die von den Früheren (zweifelsohne von den Pythagoreern) tradierten Systeme der Musik geht. Deswegen ist im Fall der platonischen Konzeption des pythagoreischen Gedankengutes die von D. Frede angenommene Parallele zu dem „Vatermord“ an Parmenides nicht besonders gelungen: D. Frede vergleicht nämlich die Verbesserung der fremden pythagoreischen Lehre vonseiten Platons – indem er deren Unklarheit in Bezug auf die Problematik beseitigt habe, auf welche Weise πέρας und ἄπειρον zusammenwirken – mit der Revision des parmenideischen Satzes im Sophistes, also mit einem geistigen „Vatermord“ gegenüber den Pythagoreern: 1997, 1, S. 400f. 199 Was das Pythagoreische überhaupt anbelangt, sind die Fälschungen so überwältigend (s. Thesleff 1961, der 200 Seiten pseudopythagoreische Texte gesammelt hat), dass gegen die normalen Echtheitskriterien, nach denen die Unechtheit – und nicht die Echtheit – bewiesen werden muss, die Beweislast den Vertretern der Echtheit zufällt: Burkert 1962, S. 203. Als Zeichen von Fälschung gelten Einflüsse von späterer Terminologie und äußerliche sprachliche Indizien, obwohl „die Dialogfärbung im Einzelnen stets so unsicher überliefert ist, dass selbst aus offenkundig falschen Formen keine Schlüsse auf Unechtheit gezogen werden können.“ (Ebd., S. 208) Die immense Anzahl der pythagoreischen Plagiate kann zunächst die Tatsache erklären, dass die unmittelbaren Nachfolger Platons die spätere platonische Philosophie als pythagoreisch betrachtet haben und sich selbst als Nachfolger der pythagoreischen Tradition anzusehen pflegten, wie Speusippos: eine verlorene Schrift von ihm hieß „Über die pythagoreischen Zahlen“ (DK 44, A 13); auch Xenokrates soll eine pythagoreische Abhandlung (Πυθαγόρεια α΄) verfasst haben (Diogenes Laertios, 4, 13, 16). Die Linie der aristotelischen Deutung, nach der nicht nur die Ähnlichkeiten, sondern auch und besonders die Unterschiede zwischen Platon und den so genannten Pythagoreern hervorgehoben wurden (Metaph. A6), hat sich also nicht durchgesetzt. Darüber hinaus wird in der pythagorisierenden nachplatonischen Tradition der Ursprung der Philosophie aufs Engste mit Pythagoras verbunden, was ebenfalls eine Menge Plagiate und Verschmelzungen der pythagoreischen und platonischen Doktrinen veranlasst hat. Nach dieser Auffassung wurde die gesamte philosophische Entwicklung auf Pythagoras zurückgeführt und die Treue der verschiedenen Philosophen aufgezeigt: Dazu Huffman 1993, S. 1735. Die hier skizzierte häufige Tendenz bringt unter anderem der Bericht von Sextus Empiricus (Adv. mathem. X) zur Sprache, der genuin platonische Gedanken Pythagoreern (Πυθαγορικοί, 262, Πυθαγορικῶν παῖδες, 270), sogar dem Pythagoras selbst (261), zuschreibt. Die Trennung des Pythagoreischen vom Platonischen lässt sich in diesem Fall als Kennzeichen des Übergangs der platonischen Akademie zur Skepsis bezeichnen, die ohne Bezugnahme auf Platon – anders als in der „Mittleren Akademie“, die sich auf ihn berufen hat und das Metaphysische und Mathematische als pythagoreisch abgeschoben hat – auf Pythagoras zurückgriff: Burkert 1962, S. 83. 200 Diogenes 3. 9, 8. 85.
236
Kapitel 3
Schülers Menon enthielt. Im Bezug auf diese Quelle wurden alle Bedenken zerstreut und man stimmte darin überein, dass im vierten Jahrhundert vor Christus ein Buch von Philolaos vorlag, auf das Menon sich bezogen hat. 201 Platon kam in direkten oder indirekten Kontakt zu Philolaos, 202 als er auf Sizilien war. Auf dieser geschichtlichen Basis gewinnt ein möglicher Einfluss des Philolaos auf Platon die notwendige Plausibilität. Aufgrund dieses Buches von Philolaos, das im vierten Jahrhundert als erstes pythagoreisches Schriftwerk überhaupt zugänglich war, ist eine platonische Anlehnung an die beiden dort in Anspruch genommenen, miteinander verbundenen kosmologischen Kräfte der περαίνοντα und ἄπειρα einleuchtend. Besonders deshalb, da Platon in seiner späteren Phase mit dem Konzept der „Bestimmung des Unbestimmten“ gerungen hat. Zweifellos muss dieses Moment des philolaischen Denkens Platons Aufmerksamkeit erregt haben, vor allem die überlieferten Fragmente B1, 2 und 6, in denen die Weltordnung als eine Zusammenfügung (ἁρμόττειν) von grenzenbildenden und unbegrenzten Bestandteilen erfasst wird. 203 Es trifft zu, dass Philolaos noch nicht über die Unterscheidung zwischen analytischen Momenten des Denkens einerseits und realen Bestandteilen andererseits verfügte. Er hat so auf der einen Seite die Tendenz, sich auf eine abstraktere Weise als andere Vorsokratiker dem Ursprung des Ganzen anzunähern: Weder die Luft noch das Feuer oder das Wasser, sondern das Begrenzende und das Unbegrenzte werden als Ursprung der Welt verstanden. Auf der anderen Seite ist in den überlieferten Fragmenten nicht von der allgemeinen Natur des Begrenzenden oder des Begrenzten die Rede, sondern von den jeweiligen begrenzenden und unbegrenzten (Bestand)-Teilen. Nicht nur Philolaos erweist sich dadurch als ein Denker, der zwischen den vorsokratischen Denkmotiven und der platonischen-aristotelischen Denkweise vermittelt, 204 --------------------------------------------
201 DK 44, A 27. Raven akzeptiert dieses Fragment, obgleich er alle anderen verdächtigt, The Presocratic philosophers, in: Kirk/ Raven/ Schofield 1957, S. 312f. 202 Der Beleg von Diogenes, dass Platon Philolaos tatsächlich getroffen habe (DL 3 ,6= DK 44, A 5), lässt sich wegen des nicht glaubwürdigen Kontextes bestreiten, in dem außerdem erwähnt wird, dass Platon anschließend nach Ägypten gereist sei. 203 Als Anfang seines Buches Über die Natur ist bezeugt: ἁ φύσις δ’ ἐν τῷ κόσμῳ ἁρμόχθη ἐξ ἀπείρων τε καὶ περαινόντων, καὶ ὅλος <ὁ> κόσμος καὶ τὰ ἐν αὐτῷ πάντα. „Die Natur ward aber bei der Weltordnung aus unbegrenzten und grenzenbildenden Stücken zusammengefügt, sowohl die Weltordnung als Ganzes wie alle in ihr vorhandenen Dinge.“ (Übers. mithilfe von Apelt und Diels) Dem Fragment B2 gemäß wird aufgrund des so genannten eleatischen Arguments aufgezeigt, dass die Elementarkräfte (so versteht Huffman die ἐόντα) einerseits unbegrenzt, andererseits begrenzt sind: Nachdem alle drei Möglichkeiten aufgezählt worden sind (nämlich 1. dass sie nur begrenzt sind, 2. nur unbegrenzt, oder 3. sowohl begrenzt als auch unbegrenzt), gelangt man durch schrittweises Eliminieren zu der einzig richtigen Hypothese. Die Fortsetzung des Fragments bietet einen guten Anlass, die ungeraden Zahlen mit den begrenzten Dingen, die geraden mit den unbegrenzten Dingen in Verbindung zu bringen (DK 44, B 6), wobei es sich als schwierig erweist, auf der Basis der tradierten Fragmente die Rolle der Zahl in Philolaos’ Weltkonstitution zu erarbeiten. Jedenfalls ist die Zahl in denjenigen Fragmenten absent, in denen die Zusammenfügung des Ganzen thematisiert wird. Das Fragment DK B6 begründet die Notwendigkeit der Einführung der Harmonie als zusammenfügende Macht der begrenzenden und unbegrenzten Dinge dadurch, dass das Begrenzte und das Unbegrenzte weder verwandt noch gleich sind. Zur Harmonie in der Musik, im platonischen Kontext, vgl. unten Anm. 281. Der ständige Dialog des Philolaos mit anderen Vorsokratikern, der sich auch in diesen Fragmenten manifestiert, ist nichts anderes als ein wichtiges Indiz für die Echtheit dieser Fragmente. 204 So konstatiert Burkert 1962, S. 235f., der die Frage nach den ἀρχαί bei Philolaos philologisch behandelt, mit gewissem Recht „einen wesentlichen Unterschied zwischen ‚vorsokratischem’ und platonischem- aristotelischem Denken“ (ebd., S. 236). Von uns wird die Vermittlung vonseiten Platons zwischen vorsokratischem Denken und aristotelischem Philosophieren betont. Vgl. Huffman 1993, S. 37ff.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
237
sondern auch Platons Affinität zu Vorsokratischem kommt durch das herangezogene Paar „Grenze- Unbegrenztheit“ zur Sprache, weil bei ihm das ἄπειρον und das πέρας sowohl als analytische Momente als auch als eigenständige Elemente hervortreten. Bei der vierfachen Einteilung des Seienden wird deutlich, wie auch bei Platon die analytischen Momente mit den realen Elementen koexistieren können. Genauso wie bei Philolaos die unbegrenzten Dinge einerseits als analytisches Moment der Entstehung der Welt verstanden werden (DK 44 B 1), andererseits sich als eigenständige (in DK 44, B 2) unbegrenzte Dinge zeigen, die so in der entstandenen Welt erscheinen, 205 werden von Platon in der ersten Gattung der Unbegrenztheit sowohl das Unbegrenzte als Seinsmoment der guten Mischungen als auch konkrete Einzelgegenstände wie bestimmte Arten von Lust eingeordnet. 206 Dieses Schwanken erlaubt es uns, Platon als Vermittler zwischen den Vorsokratikern und Aristoteles zu betrachten und sein Denken nicht dem archaischen Denken des Philolaos entgegenzusetzen, sondern in einer bestimmten Hinsicht als diesem verwandt zu begreifen. Dass die Terminologie und Konzeption der Ordnung als Begrenzung des Unbegrenzten pythagoreischen Ursprungs ist, bedeutet nicht, dass Platon pythagoreisches Gedankengut übernommen hat, ohne es zu verarbeiten. Aristoteles berichtet von der Zusammenstellung (συστοιχία) von Grenze-Unbegrenztheit in seinem Kapitel über die so genannten Pythagoreer (Metaph. A5), wobei er die Leistung von Philolaos in diesem Zusammenhang paradoxerweise nicht belegt. 207 Im Fall der erzählten mythischen Gabe der Götter im Philebos entbehrt die Verbindung des Paares Grenze-Unbegrenztheit mit dem pythagoreischen Beitrag keineswegs einer historischen Basis. Das bedeutet wiederum nicht, dass Prometheus mit dem Pythagoras selbst zu identifizieren ist. Platon lehnt seine Prinzipienlehre an pythagoreisches Gedankengut an und schreibt sie auf diese Weise in verkleideter Form – daher im Einklang mit seiner exponierten Schriftkritik, weil er seine höchsten, ehrwürdigsten Gegenstände nicht explizit macht – nieder. Trotz der großen Schwierigkeiten einer solchen Fragestellung, also der Verbindung von Aspekten der platonischen Lehre mit pythagoreischem Gedankengut, 208 kann für die Dialektikpassage der Ansicht von Wilpert zugestimmt werden, dass der Kampf „mit eigenen platonischen Waffen“ noch auf der Grundlage des „erborgten Sieges“ geführt werde. Der Interpret unterstreicht mit Recht die pythagoreische Prägung aufgrund der entliehenen Terminologie von Grenze und Unbe--------------------------------------------
205 Δηλοῖ δὲ καὶ τὰ ἐν τοῖς ἔργοις. τὰ μὲν γὰρ αὐτῶν ἐκ περαινόντων περαίνοντι, τὰ δ’ ἐκ περαινόντων τε καὶ ἀπείρων περαίνοντί τε καὶ οὐ περαίνοντι, τὰ δ’ ἐξ ἀπείρων ἄπειρα φανέονται. „Das beweist auch die Beobachtung in der Wirklichkeit. Denn diejenigen von den wirklichen Dingen, welche aus grenzebildenden Stücken bestehen, sind auch grenzebildend, aber die aus grenzebildenden und grenzenlosen sind sowohl grenzebildend wie grenzenlos, dagegen die aus grenzenlosen werden auch grenzenlos erscheinen.“ (Übers. Diels) 206 Unten § 3.4, V, 1a, iv. Zu Philolaos vgl. Barnes 1979, S. 92ff., der Philolaos als den Entdecker der aristotelischen Form betrachtet, obschon seine Konzeption die physikalische mit der logischen Analyse vermischt. 207 Dieses unbegreifliche Schweigen (einmalige Erwähnung einer eher apophthegmatischen Aussage des Philolaos bei Aristoteles in EE, 1125a33) wurde mehrdeutig interpretiert: etwa als „an almost inconceivable state of affairs“ (Burnet 19484, S. 284, Anm. 2, so auch bei Kirk/ Raven/ Schofield 1957, S. 309f.) und als Indiz der Unechtheit der philolaischen Fragmente. Burkert akzeptiert es und behauptet sogar, Aristoteles berichte in Metaph. A5 hauptsächlich von der Philosophie des Philolaos. 208 Die Präzisierung der Terminologie in Platons Ideenzahlentheorie, in der er im Gegensatz zum Philebos nicht auf pythagoreische Begrifflichkeit rekurriert, kann nicht ausschließen, dass er seine Theorie als Fortführung des pythagoreischen Beitrags angesehen hat. Darauf weist jedenfalls die pythagoreische Verkleidung seiner Prinzipienlehre im Philebos hin.
238
Kapitel 3
grenztheit, die bis zum Ende des Dialoges präsent bleibt. Viel wichtiger noch als die terminologische Verwandtschaft tritt die Ähnlichkeit des philosophischen Konzepts der Ordnung als Bestimmung des Unbestimmten hervor. 4.
Die Andeutung der Lösungen der ersten und der dritten Frage von Phl. 15b
Um Optionen wie diejenigen zu vermeiden, dass die vorangegangene Fragestellung inzwischen in Vergessenheit geraten sei oder dass es dem Dialog an Einheit fehle, lässt sich die so genannte Dialektikpassage folgendermaßen mit der dreiteiligen Fragestellung von 15b verbinden: Was die erste Frage betrifft, ob die so beschaffenen Einheiten (henades/ monades) existieren, wird hier die Antwort der Ideenhypothese (θεμένους, 16d2) gegeben, ohne dass weitere Argumente vorgebracht werden, die die Ideenannahme unterstützen. 209 Was die Beziehung zwischen Einheit und Vielheit im ideellen Bereich nach der vorgeschlagenen Deutung der zweiten Frage 210 anbelangt, stellt Sokrates kurz und bündig und mit umstrittenen Erläuterungen 211 die Vorgehensweise dar, die die Beziehungen der Ideen untereinander zum Vorschein bringt und dadurch das untersuchte eidos nicht als ver-einzelt, sondern als in einen weiteren ideellen Zusammenhang eingebettet betrachtet. Die letzte Aporie wird nur innerhalb einer kurzen Phrase berührt, die aber bereits eine bestimmte Gedankenrichtung einschlägt: εὑρήσειν γὰρ ἐνοῦσαν (16d2). Bei der dritten Frage (15b4-8) ging es um die Form der Teilhabe der unendlich vielen werdenden Dinge an der Idee, so dass es nicht zu Ungereimtheiten für das einheitliche Sein der Idee kommt. Trotz der innerakademischen Kritik, die bei Aristoteles formuliert wird, dass die platonischen Ideen sich weder in diese Welt einmischen noch sie erklären können, 212 wobei der chorismos eine polemische Zuspitzung erfährt, ist Platon in den späteren Partien des Philebos nicht bereit, die Transzendenz der Idee aufzugeben. 213 Noch weniger stellt er ihr Vermögen infrage, das Werden und Vergehen zu erklären.
--------------------------------------------
209 Vgl. R. 596a, 507b, auch Phdr. 237d1, Ti. 51d-e. Zu den Ideenbeweisen in der Akademie im Rahmen der überlieferten Fragmente der aristotelischen Schrift „Über die Ideen“ und zu möglichen Parallelen zu den platonischen Dialogen s. Wilpert 1949, S. 27-52. 210 Die ausführlichere Auseinandersetzung mit der Behandlung der zweiten Frage folgt im nächsten Abschnitt § 3.3, II, in dem das geschilderte Verfahren im Mittelpunkt steht. 211 Das bestimmende Verfahren, das in der Dialektikpassage so lapidar und schematisch dargestellt wird, sollten die anschließenden Beispiele ans Licht bringen (17a8-b1 wird von Sokrates Deutlichkeit versprochen); es wird trotzdem oft behauptet, dass sie die Sache eher verdunkeln: z. B. von Hackforth 19582, S. 26: „Unfortunately his attempts to illustrate the method are more confusing than helpful.“ Dazu später mehr. 212 Vgl. dazu besonders: Metaph. A9, 991a9-12, Λ6, 1071 b 12 ff., M5, 1079b12-15. 213 Um die Transzendenz der Idee sinnvoll zu machen, sollte vor allem auf den Abschnitt Phl. 59a-d rekurriert werden, wo die häufig zur Bezeichnung der Idee verwendete Terminologie (ἀεὶ ὄντα, 59a7, ἀεὶ κατὰ τὰ αὐτά, 59c4, τὸ ὂν ὄντως, 59d4) dem ontologischen Bereich des Ideellen beigemessen wird, obgleich der Terminus Idee hier nicht vorkommt. Darüber hinaus wird dieser ontologische Bereich als „am meisten unvermischt“ bezeichnet, d. h. von dem Werden und Vergehen getrennt: Das ideelle Sein wird hier als unvermischt angesprochen, aber nicht in sich, sondern in Bezug auf das Werden und Vergehen der Phänomene (missverstanden von Isnardi Parente 1994, S. 26ff.). Im Gegensatz zur Konzeption von Eudoxos, der von einer „Mischung“ des Einzelnen mit der Idee ausging, werden die Ideen nach Platon als nicht in den jeweiligen Seienden immanent gedacht: dazu Metaph. A, 991a14-19. Zur Diskussion der bestimmten Stelle im Philebos vgl. Shiner (1974, 1979) und Fahrnkopf (1977). Weiteres bezüglich der so genannten „Zwei-Welten-Theorie“ in der Analyse des vierfachen Gefüges, unten § 3.4, 1b, ii A.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
239
Die Ideen sind trotz des Vorwurfs der Vielen, die bestreiten, dass es sie gebe, dennoch zu finden; 214 sie sind nämlich im Seienden, wie hinzugefügt werden kann: Ἐν τοῖς οὖσιν (ἐνοῦσαν, 16d2). Wie könnte man hier eine solche Immanenz der Idee in den wahrnehmbaren Dingen verstehen? Erweist sich eine solche nicht als unverträglich mit der angenommenen Transzendenz der Idee? Bevor darin die zeitgenössischen Forscher angesprochen werden (16c10ff: ἡμᾶς), erfahren wir, dass πέρας und ἀπειρία im Seienden sind (ἐν αὐτοῖς, 16c10); damit ist nach der hier vertretenen Auslegung alles Seiende betroffen, das jedes Mal als Seiendes benannt wird. Die zeitgenössischen Forscher – einschließlich Sokrates –, die das ideelle Sein voraussetzen, müssen nach einer Idee suchen, weil das Seiende so angeordnet ist – mit Grenze und Unbegrenztheit als dessen Elemente. Man kann bereits zwischen den Zeilen lesen, dass Sokrates von einer Beziehung des ideellen Seins zum Begriffspaar „Grenze und Unbegrenztheit“ ausgeht, weil die jetzigen Forscher die Idee als Seiendes im eigentlichen Sinne annehmen (τὸ λεγόμενον εἶναι ist im Rahmen der jetzigen Forschung – wie oben gezeigt – vor allem die Idee). Ἐνοῦσαν sollte man dann nicht als aristotelische Immanenz – also der Konzeption einer ideellen Transzendenz widersprechend – verstehen, weil die Idee in dem jeweiligen Seienden sei. Dennoch bezieht sich der Sinn auf die wahrnehmbaren Seienden: Die Idee befindet sich doch irgendwie in dem Wahrnehmbaren. 215 Eine mögliche Lösung des aporetischen Knotens ist durch die mittelbare – und nicht unmittelbare – Präsenz der Idee im Wahrnehmbaren zu erreichen. Wenn beide der zwei „Welten“ durch die erwähnte Trennungslinie (von Grenze und Unbegrenztheit) durchschnitten werden und die Dichotomie von πέρας und ἄπειρον zum durchgehenden Seinsgesetz wird (sowohl des Ideellen als auch des Wahrnehmbaren), dann kann die Idee vermittels πέρας und ἀπειρία in dem wahrnehmbaren Seienden präsent sein. 216 Durch eine solche Erklärung soll ihre Transzendenz nicht preisgegeben werden. Die Idee bleibt unvermischt (ἀμεικτότατα), rein (εἰλικρινής, καθαρός), ihrem Sein nach den unendlich vielen sinnlichen, an ihr teilhabenden Seienden gegenüber distinkt. Die oben gemachten Annahmen lassen sich durch die indirekte Überlieferung bestätigen, nämlich dass die zwei platonischen Prinzipien Ursachen des Ganzen sind: sowohl des Ideellen als auch des Wahrnehmbaren. Die Idee kann – platonisch betrachtet – nicht den sinnlichen Dingen immanent sein – das würde bereits die aristotelische Antwort der Immanenz des eidos voraussetzen, wofür aber wir über keine Belege bei Platon verfügen. Das ideelle Sein entsteht aus den zwei Prinzipien und hat dieselben Elemente wie das Sinnliche; vermittels πέρας und ἀπειρία – die hier angewandte Terminologie versteht sich als eine pythagoreische Verkleidung der zwei platonischen Prinzipien – kann die Idee in den wahrnehmbaren Seienden sein. Beim „darin“ von ἐνοῦσαν könnten die Suche und das Finden der Idee hinterfragt werden. Die komplexe Verflechtung der Ideen, in der sich die anfänglich angesetzte Entität entfaltet, zeigt sich nicht als eine bloße subjektive Konstruktion, sondern bringt das Seiende zur Sprache, wie es tatsächlich ist. Die anfängliche Idee wird erst und gerade dann „gefunden“ und entdeckt, wenn sie in der geordneten Struktur der entsprechenden --------------------------------------------
214 Das epexegetische γάρ (16d2) bezieht sich auf das vorangegangene ζητεῖν: …ἀεὶ μίαν ἰδέαν περὶ παντὸς ἑκάστοτε θεμένους ζητεῖν – εὑρήσειν γὰρ ἐνοῦσαν –. 215 Man nimmt eine Idee von jedem Seienden an (περὶ παντός) und findet sie darin. Dieses „darin“ kann nicht die Idee selbst sein, das wäre absurd, sondern das jeweilige Wahrnehmbare. 216 S. Wilpert 1972, S. 317, der die zwei nebeneinander stehenden Einteilungen des Seins beim späteren Platon hervorhebt, die die aristotelischen Unterscheidungen in seiner Kategorienlehre und Materie-Form-Lehre vorweggenommen haben, nämlich in Substanzen und relatives Sein einerseits, und in Grenze und Unbegrenztheit andererseits.
240
Kapitel 3
innerideellen Beziehungen untersucht und offenbart, und in das geordnete ideelle Ganze eingegliedert wird. 217 Daher sollte die Setzung (τιθέναι) nicht nach moderner subjektorientierter Auffassung verstanden werden; d. h. nicht als „Erfinden“, sondern als Entdeckung dessen, was schon da ist: also anders als Natorps Platon-Deutung, wonach „der Verstand im Gegenstand nur findet, was er selbst hineingelegt hat“. 218 II. Das beschriebene Verfahren überschreitet die Grenzen der Methode der dihairesis: Von einer Ontologie der Unmittelbarkeit zur Methode der Vermittlung 1.
Zwei konkurrierende Interpretationen und die hier vertretene These
Es ist hier von Belang zu bestätigen, dass die Ideen in der ganzen Dialektikpassage als Gegenstandsbereich präsent sind, 219 und zu zeigen, wie sich die Problematik auf der --------------------------------------------
217 Vgl. Preiswerk 1939, S. 55: „Diese Setzung wird sich bestätigen (εὑρήσειν γὰρ ἐνοῦσαν, d2), weil innerhalb des Kosmos jedes Einzelne eidos ist, sie ist aber zugleich Ausgangspunkt für eine weitere Untersuchung, da jedes einzelnes eidos als solches nicht ver-einzelt ist, sondern notwendig über sich hinausweist.“ Dazu auch Benitez 1989, S. 139, Anm. 13: „The point Socrates wants to make is not that there is a Form for everything, but that we seek realities which await discovery, not theoretical entities, which are invented.“ 218 Natorp 19943, S. 317. 219 Gosling 1996 und Isnardi Parente 1994 gelangen zu ähnlichen Schlüssen hinsichtlich der Präsenz der Ideen in der Dialektikpassage, obschon sie einen unterschiedlichen hermeneutischen Weg begehen. Um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die mit den Auslegungsoptionen verbunden sind, dass die göttliche Überlieferung entweder einen Fortschritt bei der Theorie der Formen oder Vorschriften der dihairetischen Methode exemplifiziert, und unter der richtigen Voraussetzung dass „das Hauptargument sich an Nicht-Dialektiker richtet und vermutlich verstehbar von NichtDialektikern ist“ (Gosling 1996, S. 228), behauptet Gosling, dass die Göttergabe in einer Methode bestehe, die einen Fortschritt im Bereich der τέχναι beschreibe (vgl. auch Gosling 1975, S. 154, 170: „advancing a techne is increasing the role of mathematics in it“) und weder mit der metaphysischen noch mit der methodologischen Entwicklung bei Platon in Verbindung zu bringen sei. Die besprochene Interpretation gelangt zu Ungereimtheiten wie der, dass Begriffe wie εἶδος und sogar διαλεκτικός nicht als Termini technici Platonici im Kontext von Phl. 16-18 (Gosling 1996, S. 226) zu verstehen seien! Im direkten Anschluss an die von Cherniss eingeschlagene Bahn (Cherniss 1967, S. 28, bei Isnardi Parente 1994, S. 28, Anm. 1) vertritt Isnardi Parente ihrerseits die herausfordernde These, dass die Dialektikpassage von den Ideen überhaupt abzulösen sei. Es gehe dort um die mathematische Ordnung der Zahlen und nicht um diejenige der Ideen: Die Idee reflektiere sich im kosmos und werde durch eine mathematische Struktur manifestiert; das Gute werde im Philebos, dem ein vor allem kosmologischer Charakter beizumessen sei, nicht als eine transzendente Einheit dargestellt, sondern als Maß und Ordnung im kosmischen Rahmen verwirklicht. Philebos und Timaios verweisen nach Isnardi Parente aufeinander: Die Idee werde in keinem der beiden Dialoge vergessen, weder der eine noch der andere beschäftige sich aber mit der Idee, sondern setzte sie einfach voraus (ebd., S. 48f.). Nach ihrem Ermessen entfernt sich Platon schrittweise von der Idee, um dann die große Einteilung der kosmologischen Realität mathematischer Ordnung, nämlich das vierfache Gefüge (Phl. 23bff.), einführen zu können (ebd., S. 33). Hätte Platon in der Dialektikpassage Bezug auf die Ideenlehre nehmen wollen, hätte er sie – immer nach Isnardi Parente – Sokrates und nicht den früheren Denkern zuschreiben sollen (ebd., S. 26). Dieses Argument kann aber nach Berücksichtigung der zahlreichen Belege in den Dialogen leicht aus den Angeln gehoben werden: Gewisse Aspekte der platonischen Theorie werden in der Tat unter anderen von dem alten Meister Parmenides und dem Gast aus Elea vertreten. Indem Isnardi Parente aus 16c8-10 die Ideen weginterpretiert zu haben meint, glaubt sie auch den aristotelischen Bericht widerlegt zu haben, dass die Idee aus den zwei platonischen Prinzipien deriviert ist (ebd., S. 27). Ein zusätzliches Argument von Isnardi Parente besteht in ihrer Weigerung, ein Element der Unbegrenztheit bei der Idee anzunehmen (ebd., S. 33f.), obwohl dies in der indirekten Überlieferung als unwiderrufliche Tatsache dargestellt wird; sofern man nicht der Interpretation von Cherniss folgen will, der Aristoteles eine Verfälschung zuschreibt. Die Reihe, die sich in der Dialektikpassage
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
241
zweiten Ebene der innerideellen Beziehungen (zweite Frage von 15b) bewegt: Einheit und Vielheit im ideellen Bereich. Die Diskussion, die in der Forschung ausgelöst worden ist und mit der wir hier unvermeidbar konfrontiert werden, lässt sich folgendermaßen präzisieren: Um welches Verfahren handelt es sich, das die jetzigen Denker gemäß der Göttergabe verfolgen sollten? Als Extremthesen werden vertreten, dass sich einerseits die dargelegte Methode überhaupt nicht mit der von anderen Dialogen bekannten dihairesis verbinden lässt, oder dass sich andererseits das dargestellte Verfahren in dem erschöpft, was im Phaidros eingeführt und im Sophistes und Politikos durchgeführt wird. Zunächst sei ein Überblick über die vertretenen Thesen erlaubt. Sowohl die Stellungnahmen von Trevaskis 1960 und Gosling 1975 220 als auch von Moravcsik 1973 gehören zu der ersten Interpretationslinie. Trevaskis erkennt in der Dialektikpassage eine „classification as a whole considered in its numerical aspect“ wieder, 221 ohne innerhalb seines Aufsatzes diese Klassifikation näher zu bestimmen. Dass die dihairesis sich in diesem Rahmen in ein breiteres und komplexeres, systemaufbauendes Verfahren einordnet, wird auch hier verteidigt, ohne dass weitere ähnliche Schlüsse wie bei Trevaskis über den Verlust ihrer Prominenz im Philebos gezogen werden. Gosling argumentiert seinerseits folgendermaßen: „The advancing of a techne is an advancing of mathematisation in it.“ 222 Unter der Perspektive einer stark mathematisierenden Betrachtung kann Gosling die Methode der dihairesis in genos und eidos bei den anschließenden Beispielen überhaupt nicht finden: 223 Es geht seines Erachtens nicht um die Einteilung einer Idee, sondern eher um „indeterminate ranges of phenomens, like phone, or pleasure“, die als Kontinua – auf der
-------------------------------------------bilde (μετὰ μίαν δύο […] τρεῖς […] 16d2ff.), kann darüber hinaus nach Isnardi Parente nur eine von Zahlen sein und nicht von denjenigen Einheiten, die nach dem Bericht des Aristoteles (Metaph. M6 1080a12ff.) inoperabel sind (die Ideenzahlen also). Man darf jedoch in diesem Rahmen nicht von einer arithmetischen Reihe ausgehen, wie Isnardi Parente es tut, weil es sich an der untersuchten Stelle nur um die Aufzählung der aneinander anschließenden Schritte des dialektischen Vorgehens handelt. Außerdem entbehrt eine Operabilität der hier aufgezählten Seienden jeder Basis im Text. Zum anderen darf hier keinesfalls auf inoperable Ideenzahlen rekurriert werden – was auch der platonischen Schriftkritik widerspräche; es geht eher um Ideen, die nach einer Ortsmetaphorik miteinander in einem vertikalen oder horizontalen Verhältnis stehen und einen geordneten kosmos aufbauen. Die Idee finde sich im Zentrum des ontologischen Horizonts und wird bei Platon nie als vermittelnd dargestellt, anders als im Fall der Weltseele im Timaios oder der mathematischen Gegenstände in der Politeia, denen eine vermittelnde Funktion zugesprochen wird. In der Dialektikpassage wird dem ideellen Sein an sich kein vermittelnder Charakter beigemessen, sondern die bestimmte Anzahl der Ideen vermittelt sich zwischen der zu untersuchenden ideellen Einheit und der unbegrenzten Vielheit der wahrnehmbaren Dinge. 220 Gosling 1975, S. 154-180. Der Behauptung, dass in der Dialektikpassage des Philebos nicht die Methode der dihairesis dargelegt wird, schließt sich Waterfield 1980 an, der den Unterschied zwischen den Einteilungen von Phaidros, Sophistes und Politikos einerseits und denen des Philebos andererseits betrachtet. Dazu ist die Terminologie von „determinable-determinate“ von Bedeutung: vgl. unten Anm. 248. 221 Trevaskis 1960, S. 42. 222 Gosling 1975, Anm. 225. 223 Ebd., S. 166: die Mathematik als „the bone structure of any techne“. Die Rolle der Mathematik hatte schon Bury in seinem Kommentar über den Philebos stark hervorgehoben: „The form and method of mathematics came to be regarded as the fundamental form and method of all correct thinking, the God geometrises, and the philosopher, with whatever particular branch of thought concerned, must likewise geometrise.“ (1897, S. 200, Appendix E, über die Messkunst)
242
Kapitel 3
Grundlage des pythagoreischen Beitrags im Bereich der Musik – innerhalb jedweder Kunst eingeteilt werden. 224 In seinem späteren Beitrag (1979) kann Moravcsik Parallelen zwischen der angewendeten Methode des Sophistes und des Philebos erkennen, obschon die Zielsetzung sich im zweiten Dialog differenziere. 225 Das hindert ihn nicht an der Inanspruchnahme der Redeweise von „nova scientia“, nach der der späte Platon sein Interesse nicht mehr auf die „apprehension of forms“, sondern auf die Formulierung von abstrakten Theorien fokussiere, die auf Systemen von abstrakten Elementen basierten. 226 In der zweiten Gruppe der Interpreten, die sich für eine Identifikation der beschriebenen Methode mit der dihairesis einsetzen, sind unter anderen Stenzel (19613), Ross (19532), Lloyd (1954), Koller (1960), Minardi (1983), Benitez (1989, S. 56-58), D. Frede (1997) und Meinwald (1998) zu erwähnen, unabhängig davon, ob sie eine völlige Identifikation der Dialektik und des dihairetischen Verfahrens vertreten oder nicht. So wie es unmöglich ist, einwandfrei zu beweisen, dass es hier keinesfalls um das dihairetische Verfahren geht, zeigt es sich auch als problematisch, aufzeigen zu wollen, dass es sich ausschließlich darum handelt; vor allem, wenn die folgenden Beispiele im Rahmen der Grammatik und der Musik in Anspruch genommen werden. Zugegebenermaßen wird in den späteren Dialogen des Öfteren der Eindruck erweckt, dass das dihairetische Verfahren die Breite und Weite der Dialektik erschöpft, was aber durch eine aufmerksamere Untersuchung widerlegt werden kann. Im Phaidros kann aufgezeigt werden, dass Sokrates trotz des ersten Eindrucks kein umfassendes Bild der Dialektik darstellen will, wenn er die entsprechenden Zusammenführungen und Einteilungen als zur Aufgabe des Dialektikers gehörig mitzählt. 227 Im Sophistes zeigen sich die Beziehungen zwischen den größten Gattungen nicht auf der Basis der Logik von Gattung und Art, auf der die dihairesis operiert, wie im zweiten Kapitel der Arbeit aufgezeigt worden ist. Bezüglich des Dilemmas zwischen einer neuen oder einer über die dihairesis hinausgehenden Methode soll im Folgenden die zweite Option befürwortet werden. Anschließend wollen wir die Frage stellen, wie die jetzige Einführung von πέρας und ἄπειρον zugleich ein neues Licht auf das uns bekannte Verfahren der Einteilung wirft. 228 Dies --------------------------------------------
224 Gerechtfertigte Kritik an Goslings zu starker Hervorhebung des Mathematischen übt Sayre aus, 1983, S. 144ff. Der weitere historische Hintergrund des Interpretationsansatzes von Gosling (der Dialog wird als eine Antwort auf Eudoxos’ Theorie betrachtet) wird von Löhr einer ausführlicheren Kritik unterzogen, besonders Löhr 1990, S. 134ff. Vgl. auch den Beitrag von Barker 1996. 225 Moravcsik hat seine frühere Behauptung revidiert, nämlich: „The procedures used there [sc. in the Philebus] are indeed very different from the divisions and were regarded by Plato as such.“; 1973, S. 178. Im Philebos (1979) betont der Interpret eher den Systemaufbau als die Beziehungen zwischen Teil und Ganzem; hier werde nicht ein Element ausgewählt, das sich dann in weitere ontologische Zusammenhänge integriere, sondern systematische Ganzheiten von Elementen würden erarbeitet, wie sich am Beispiel der Buchstaben (besonders 18b-d) verdeutlichen lasse. Die Differenzierungen werden nach Moravcsik durch mathematischere Mittel durchgeführt (1979, S. 101). 226 Moravcsik 1979, S. 93, 101. 227 Auch diejenigen, die in der Lage sind, die entsprechenden Zusammenführungen und Zergliederungen zu treffen, werden als Dialektiker charakterisiert: Daraus kann aber keinesfalls gefolgert werden, dass sich die Aufgabe des Dialektikers darin erschöpft. Ein einziges Mal wird im Corpus Platonicum vonseiten Glaukons die Bitte formuliert, dass ein Gesamtbild der Dialektik entworfen werde (R. 532d-e), die aber von Sokrates ausdrücklich nicht erfüllt wird (R. 533a): dazu Th. A. Szlezák 2004, S. 24ff. 228 Auch Meinwald stellt die Frage bezüglich des geschilderten Verfahrens auf diese Weise, 1998, S. 166. Der ersten von ihr gegebenen Antwort wird hier zugestimmt: Aus der Einführung von πέρας - ἄπειρον entfaltet sich nämlich ein komplexeres Bild der platonischen Idee: Sie entsteht aus der Interaktion von Grenze und Unbegrenztheit (S. 180, mit einer Bereitschaft, die Ungeschriebene
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
243
wird nicht nur anhand der schematischen formalen Vorzeichnung von 16d-17a, sondern auch auf der Basis der anschließenden Beispiele demonstriert werden müssen. Ad fontes also: Von der Ontologie einer unmittelbaren Verbindung der zwei Prinzipien (16c10) wird die Aufmerksamkeit jetzt auf die entsprechende dialektische Methode 229 gelenkt, nach der zwischen dem Einen und dem Unbegrenzten durch die bestimmte Anzahl von Ideen vermittelt wird. 230 Das anfängliche Eine 231 entspricht hier der jeweilig untersuchten Idee, die zu Beginn des Verfahrens und vor der weiteren Bestimmung in einer gewissen Vagheit gesetzt wird: Es kann die Idee des Eros sein, wie im Phaidros, 232 diejenige des ganzen Bereichs der Wissenschaft, wie es im Politikos der Fall ist, der Lust oder der Einsicht, wie es im Philebos geschieht. Nach der Setzung einer Idee muss man sie nach diesen allgemeinen Vorschriften weiter in zwei, drei oder mehrere Einheiten einteilen und die neu erworbenen Henaden immer weiter differenzieren, bis man eine genaue Zahl zwischen dem anfänglichen Einen und dem Unbegrenzten erreicht hat. 233 2.
Das ἀπειρον in der Dialektikpassage (Phl. 16d5ff.): im Bereich der Sinnendinge oder der Ideen?
In Βezug auf den in diesen Zusammenhängen verwendeten Begriff des Unbegrenzten herrscht keine Übereinstimmung in der Forschung: Im Anschluss an die Interpretation Stenzels 234 wird das ἄπειρον am häufigsten in Verbindung zu den Einzeldingen stehend verstanden, was durch die Verknüpfung mit 15b5 bekräftigt wird. 235 Die schon von Hackforth hervorgehobene Ambiguität zwischen der unendlichen Vielheit und der Unbestimmbarkeit der Einzeldinge (als „unendlich viel“ oder als „unbestimmt“/ „beraubt von Form oder Grenze“) kann im anvisierten Text vertreten werden. 236 -------------------------------------------Lehre Platons miteinzubeziehen: S. 173, Anm. 13). Ihre zweite Antwort (bezüglich der Mathematisierung der späteren platonischen Philosophie) ist einer eigenständigen Untersuchung bedürftig. 229 Dies geschieht, weil das Seiende so angeordnet ist: 16d1. 230 Auffällig ist die vielschichtige Vermittlung in unserem Text; zunächst ereignet sie sich auf vielfache Weise auf der Ebene des Überlieferungsweges: Es handelt sich um eine Überlieferungskette zwischen den Göttern und den jetzigen Forschern, mit Prometheus und den älteren Forschern als Bindegliedern, dann zeigt sich, was den Inhalt der Göttergabe betrifft, die vermittelnde Rolle der bestimmten Zahl zwischen dem Einen und dem Unbegrenzten, und dadurch wiederum die vermittelnde Rolle der Dialektik. 231 16d1: eine Idee, d5: das anfängliche Eine, e1: zwischen dem Unbegrenzten und dem Einen. 232 Phdr. 237d1, 265d3-7: Es liegt nahe, dass es in der Dialektikpassage zunächst um die Zusammenführung des Zerstreuten in eine Idee geht, bevor das Zusammengeführte eingeteilt wird, obschon hier die entsprechende Terminologie der synagoge und dihairesis fehlt. 233 Zugegebenermaßen fällt es in diesem Kontext schwer, eine Mitteilung Platons über die Idee als Zahl (Ideenzahl) hineinzulesen, wie es uns in den Berichten des Aristoteles begegnet. Hier handelt es sich um die Anzahl von Ideen. Richtig Cherniss (nur in Bezug auf diesen Punkt, 1966, S. 28): „[…] keine Gleichsetzung von Ideen und Zahlen ist in dieser Klassifikation enthalten“. Ebd.: „[…] aber auch hier ist das ‚Unbegrenzte’ nicht ein Prinzip der Ideen, sondern die Erscheinungsvielfalt, ‚das Eine’ aber irgendwie gegebene Idee und die erwähnte Zahl schließlich keine Idee, sondern nur die Anzahl der bestimmten Ideen, die es zwischen jeder allgemeinen Idee und der unbeschränkten Vielzahl der Einzeldinge geben mag, welche jeweils eine Idee in der wahrnehmbaren Welt widerspiegeln oder abbilden.“ Dennoch kann man dem Text entnehmen, dass die anfängliche eine Idee mit der Anzahl der in ihr eingeschlossenen oder ihr untergeordneten Ideen wesentlich verbunden ist, was die Mathematisierung der späteren platonischen Philosophie noch einmal unbestreitbar zur Sprache bringt. 234 Stenzel 19613, S. 99-105. Zu Stenzels Deutung s. oben, § 1.1, III. 235 ἐν τοῖς γιγνομένοις αὖ καὶ ἀπείροις. An dieser Stelle ist der Bezug auf die Einzeldinge unumstritten. 236 Hackforth 19582, S. 24, Anm. 1.
244
Kapitel 3
Strikers Bedenken gegen eine solche Zweideutigkeit des ἄπειρον innerhalb einiger Zeilen lässt sich beseitigen: In den platonischen Texten können die Begriffe oft verschiedene Akzentuierungen bekommen, ohne dass Platon mit aristotelischer Genauigkeit diese Mehrdeutigkeit im Sinne eines ποσαχῶς λέγεται thematisiert. Dieser Hang der platonischen Schreibweise darf nicht negativ – als Mangel an logischer Stringenz – beurteilt werden, sondern gilt als Zeichen der höchsten Lebendigkeit der Dialoge. Striker will die aristotelische Konzeption der Unbestimmbarkeit und Undefinierbarkeit des Einzelnen nicht in den Text hineinprojizieren, 237 weil nur die Bedeutung der Unendlichkeit hinsichtlich der Zahl in dem untersuchten Text prägnant sei. 238 Die zweite Bedeutung des ἄπειρον (Unbestimmtheit/ Unbestimmbarkeit) ist dennoch aus gutem Grund in 16e1 vertretbar: Der Dialektiker lässt jenes nicht weiter einteilbare Eine in den Bereich des Werdens und Vergehens los, das keine weitere Bestimmung erlaubt. Die schrittweise Bestimmung geschieht nach Striker nur im Rahmen der ideellen Ebene und dadurch wird jedes Erscheinende, das unter die infima species (ἄτομον εἶδος in aristotelischer Terminologie) fällt, doch in seinem Wesen erfasst. Die Behauptung Stenzels, dass der chorismos der „zwei Welten“ aufgrund der dihairesis schwinde, darf nicht sofort in Bausch und Bogen verworfen werden, 239 weil Stenzel bis zum Grund des Problems gelangt, wenn nach seinem Erachten dadurch nicht die absolute Einheit in der Ideenwelt einerseits, die absolute Vielheit in der Sinnenwelt andererseits herrsche, sondern eine Parallele zwischen beiden Bereichen enstehe. 240 Wenn es zutrifft, dass hier eine Bewegung von der einen Idee zu den unbestimmten/ der Zahl nach unendlichen Einzeldingen, aber auch eine Bewegung in umgekehrter Richtung dargelegt wird, 241 dann ist es erlaubt, von der Methode der Deduktion und der Reduktion zu sprechen, auf die sich Aristoteles im ersten Buch der Nikomachischen Ethik bezieht, wenn er sich in einer methodologischen Bemerkung Platon anschließt: Μὴ λανθανέτω ἡμᾶς ὅτι διαφέρουσιν οἱ ἀπὸ τῶν ἀρχῶν λόγοι καὶ οἱ ἐπὶ τὰς ἀρχάς. εὖ γὰρ καὶ ὁ Πλάτων ἠπόρει τοῦτο καὶ ἐζήτει, πότερον ἀπὸ τῶν ἀρχῶν ἢ ἐπὶ τὰς ἀρχάς ἐστιν ἡ ὁδός, ὥσπερ ἐν τῷ σταδίῳ ἀπὸ τῶν ἀθλοθετῶν ἐπὶ τὸ πέρας ἢ ἀνάπαλιν. 242 --------------------------------------------
237 Arist. Metaph. Z15, 1040a8-b4. Dass das Wahrnehmbare nur durch die Zurückführung auf sein Wesen bestimmt und erkannt werden kann (sodass sich streng genommen also nur sein Wesen bestimmen lässt, vgl. Stenzel 19613, S. 105) lässt sich aufgrund verschiedener Stellen in den Dialogen bestätigen (R. 477aff.), auch wenn tiefer gehend notwendig gefragt werden muss, ob Platon in seiner späteren Philosophie seinen Wissensbegriff erweitert hat. Diese Frage steht jedoch außerhalb der jetzigen Untersuchung. 238 Bei dem Ausdruck „das Heranbringen der ‚Gestalt’ der Unbegrenztheit an die Menge“ (16d7f.: τὴν δὲ τοῦ ἀπείρου ἰδέαν πρὸς τὸ πλῆθος μῆ προσφέρειν) versteht Striker ἄπειρον als dem ἄπειρον πλήθει entsprechend, also mit der Bedeutung „unbegrenzt zahlreich“, 1970, S. 20f, (gegen Hackforth 19582, S. 24, Anm. 1). Die Beschränkung auf diese Bedeutung lässt sich aber nicht als notwendig erweisen. 239 Wie bei Striker 1970, S. 24. 240 Stenzel 19613, S. 104f. Zur Parallelität zwischen den „zwei Welten“: oben, § 3.3, I, iv. 241 18a9: τὸ ἐναντίον. S. unten das Beispiel von Theuth, bei dem sich auch die entgegengesetzte Richtung (vom Unbegrenzten bis zum Einen) manifestiert. 242 1095a3-b1: „Wir dürfen also dabei nicht den Unterschied übersehen zwischen einer Darstellung, die von Grundgegebenheiten ausgeht und einer anderen, die an sie heranführt. So pflegte z. B. Platon sehr richtig die Frage zu stellen und zu forschen, ob der Weg von den Grundgegebenheiten her oder zu ihnen hin verlaufe – wie im Stadion von den Preisrichtern zur Wendemarke oder von dieser zurück.“ (Übers. Dirlmeier) Dirlmeier unterstreicht in seinem Kommentar die Unsicherheit, ob an der Stelle ein Dialog zitiert wird oder nicht (1956, S. 273, Anm. 8,3). Man kann trotzdem nicht
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
245
Gemäß der Schriftkritik darf keinesfalls der ganze Weg von den Prinzipien bis zum Einzelnen und umgekehrt zu den Prinzipien in der Schrift dargelegt werden. Im Rahmen der Dialektikpassage werden die zwei platonischen Prinzipien als Elemente eingeführt – wenn auch pythagoreisch verkleidet – und daran anschließend wird auf die Doppelrichtung des Weges aufmerksam gemacht. In der Dialektikpassage fokussiert Sokrates auf die ideelle Ebene, während das Wahrnehmbare außer Betracht bleibt. Auf der Basis dieser Beobachtungen kann auf „den Fluchtpunkt“ hingewiesen werden, „in dem die in den Dialogen angesponnenen Fäden zusammenlaufen“, nämlich auf die Vorlesung „Über das Gute“: 243 Auf die Aufeinanderfolge der analytischen und der synthetischen Richtung des Untersuchens, des Aufstiegs zu den Prinzipien hin und des Abstiegs von den Prinzipien, hat Platon seine Vorträge „Über das Gute“ nach der indirekten Überlieferung aufgebaut. 244 Unter Berücksichtigung dieser Verknüpfung wird von uns – im Unterschied zu anderen Interpretationen – hervorgehoben, dass die hier dargelegte Methode nicht ausschließlich die dihairetische-synagogische ist, sondern in einer viel umfassenderen Deduktion und Reduktion besteht. Als Art der Deduktion zeigt sich neben der „differenzierenden“ dihairesis auch die „konkretisierende“ Zusammensetzung (synthesis), die von den einfachen Prinzipien zu den komplexen Strukturen des Werdens und Vergehens des Wahrnehmbaren fortschreitet. Und was die Reduktion anbelangt, die sich vom unbegrenzten Wahrnehmbaren auf die ἀρχαί richtet, werden darunter nicht nur der „generalisierende“ Prozess der Zusammenschau und Zusammenführung verstanden, sondern auch die „elementarisierende“ Auflösung (analysis) in einfachste, nicht weiter teilbare Bestandteile. 245 Erwähnenswert – wenn auch nicht vertretbar – sind letzlich Interpretationsansätze, nach denen das ἄπειρον in der Dialektikpassage von dem Bereich des Werdens und Vergehens abzulösen ist. Darunter sollen eher die „unbegrenzten weiteren Differenzierungs-möglichkeiten“ 246 fallen. Die Hauptthese von Moravscik besteht darin, dass sich das ἄπειρον hier nicht auf „particulars“ beziehe, sondern auf „highly specific universals (like sounds, types of pleasure)“, auf „the indefinite range of determinates that fall under universals like sound and colour“. 247 Platons Konzeption von Musik und Sprache (φωνή) scheint nach Moravscik keinesfalls mit „sensible particulars“ zu tun zu haben. Stattdessen nimmt er die Terminologie von „determinables-determinates“ gegenüber derjenigen von -------------------------------------------ausschließen, dass Aristoteles auch die zwei entgegengesetzten Richtungen der beschriebenen Methode im Philebos vor Augen hat. 243 Nach Krämers schöner Formulierung, 1959, S. 249. 244 Dieselbe Struktur der Vorlesung kommt sowohl im Bericht von Alexander von Aphrodisias (TP 22B) als auch bei Sextus Empiricus (TP 32) vor: 1. Dimensionale Reduktion (Körper- FlächeLinie- Zahl) 2. Kategoriale Reduktion 3. Deduktion der Zahlen – bei Alexander –, der körperlichen Erscheinungen – bei Sextus Empiricus – aus den Prinzipien. Dazu Gaiser 19682, mit Anm. zu den TP 10, 22B, 30, 32. Auch in den Dialogen Platons lässt sich nach Gaiser diese doppelte Bewegung nachweisen: R. VI 511b, Phdr. 265d-e, VII Ep. 343e1. Nach unserer Interpretation kann auch die untersuchte Stelle des Philebos im Licht des doppelten Weges des Untersuchens (also ReduktionDeduktion) gelesen werden. 245 Nach der einleuchtenden Darstellung von Konrad Gaiser in seinem Beitrag „Platonische Dialektik – damals und heute“ (1988), S. 92, der auf der Forschung von Krämer (1966, besonders S. 51ff.) fußt, der die zwei Arten der Fragestellung der Akademiker anhand Aristoteles’ Bericht in Metaphysik M8 1084b18ff. erforscht hat, nämlich die Frage nach dem obersten Allgemeinen und diejenige nach den letzten Elementen (also was den Weg zu den Prinzipien anbelangt). 246 D. Frede 1997, 1, S. 143, wobei sie nicht auf Phl. 16d7-e2 eingeht. 247 Moravscik 1979, S. 82.
246
Kapitel 3
„genus-species“ in Anspruch. 248 Er macht anregende Bemerkungen im Anschluss an seine früheren Beiträge zum Sophistes und Politikos, nach denen das Feld des Unbegrenzten in den Beispielen der Dihairesen dort „the improper parts of techne“ bilde: „Only a few are proper or natural parts.“ 249 Der Interpret geht leider nicht auf die Stelle des „Loslassens“ des Einen ins Unbegrenzte ein, um seine These gerade hier auf die Probe zu stellen. Was bedeutet es denn, dass die letzten entdeckten Einheiten, nachdem schon die angebrachten Einteilungen gemacht worden sind, ins ἄπειρον losgelassen werden? 250 Meinwald (1998), die auch das ἄπειρον auf der Ebene der Ideen in diesem Kontext situiert, versucht ihrerseits, die Verbindung des hier vorkommenden ἄπειρον mit dem Ideellen zu verteidigen. Die Interpretin versteht das von Sokrates vorgebrachte zweite Beispiel der Einteilung einer Einheit in ihre Teile/ Glieder (14d-e) als eine Vorbereitung auf die später eintretende dihairesis auf der Ebene des echten Problems des Einen und des Vielen. 251 An der ersten Stelle gehe es um das Zergliedern eines Körpers in Teile, nämlich viele und unendlich viele der Zahl nach (oder nach einer zweiten Bedeutung des ἄ--------------------------------------------
248 Zu dem Unterschied zwischen „determinable-determinate“ und genus-species auf der Basis der platonischen dihairesis s. Benitez 1989, S. 49ff. Die vorgeführten Beispiele über die Musik und die Grammatik operierten eher mit der ersten Beziehung als mit der zweiten. Die species besteht aus deren genus und deren differentia, die logisch unabhängig von ihrer entsprechenden Gattung ist, während ein „determinate“ eine Präzisierung seines „determinable“ ist: Rot und der Laut „a“ schließen keinen Charakter ein, der logisch unabhängig von Farbe und Sprachlaut ist. Es ließe sich keine Eindeutigkeit den platonischen Einteilungen (in Phaidros, Sophistes, Politikos, Philebos) entnehmen, ob Platon seine Methode ausschließlich mit dem Schema des genus-species verbinde, wenn auch gefolgert werden könnte (so Benitez, ebd., S. 50), dass Platon imstande gewesen sei, die zwei verschiedenen Taxinomien von genus-species und „determinable-determinate“ zu unterscheiden. 249 Moravscik 1979, S. 90ff., beleuchtet die Analogie zwischen dem dihairetischen Prozess einerseits im Sophistes und Politikos und andererseits im Philebos, obschon Platon in den ersten zwei Dialogen nicht von der Unterscheidung zwischen πέρας und ἄπειρον ausgeht: Der einen gesuchten techne des Sophistes entsprechen die musikalische oder sprachliche Einheit, die Einsicht und die Lust im Philebos. Als „intermediates“ betrachtet Moravscik einerseits die verschiedenen Künste, wie die possessive oder die produktive Kunst (im Sophistes) und die hohen und tiefen Töne in der Musik und die Konsonanten und Vokale in der Grammatik (im Philebos). Als angemessene Elemente kämen die echten Künste (im Sophistes und im Politikos) und die entsprechenden Töne, Laute und Lüste für das gute Leben vor. Für den Bereich des Unbegrenzten sind dann „the improper parts of techne“ und sowohl diejenigen Laute, die außerhalb der Differenzierungen der musikalischen oder sprachlichen Systeme liegen („sounds not suitable for language or music“) als auch die für das gute Leben schädlichen Arten von Lust („pleasures not suitable for good life“): ebd., S. 91. 250 Das ἄπειρον taucht in dem Kontext des Politikos auf, in dem die Problematik der Unterscheidung des Teils vom genos gestreift – wenn auch nicht bis zum Ende dargestellt – wird: Τοιόνδε, οἷον εἴ τις τἀνθρώπινον ἐπιχειρήσας δίχα διελέσθαι γένος διαιροῖ καθάπερ οἱ πολλοὶ τῶν ἐνθάνδε διανέμουσι, τὸ μὲν Ἑλληνικὸν ὡς ἓν ἀπὸ πάντων ἀφαιροῦντες χωρίς, σύμπασι δὲ τοῖς ἄλλοις γένεσιν, ἀπείροις οὖσι καὶ ἀμείκτοις καὶ ἀσυμφώνοις πρὸς ἄλληλα, βάρβαρον μιᾷ κλήσει προσειπόντες αὐτὸ διὰ ταὺτην τὴν μίαν κλήσιν καὶ γένος ἓν αὐτὸ εἶναι προσδοκῶσιν (262c10-d6): „Denselben (sc. Fehler), den einer macht, der beim Versuch, das menschliche Geschlecht in zwei Gruppen zu teilen, so vorgeht, wie das die meisten Leute hier tun, indem sie auf der einen Seite den Stamm der Griechen als Einheit von allen anderen absondern und dann all die zahllosen anderen Stämme, die doch nichts miteinander zu tun haben und die sich gegenseitig nicht verstehen, mit einem Namen als ‚Barbaren’ bezeichnen und sich dabei einbilden, sie seien wegen dieser einheitlichen Bezeichnung auch ein einheitlicher Stamm.“ (Übers. Rufener) In diesem Zusammenhang handelt es sich um eine unangemessene Einteilung, die keine Ideen, sondern Teile trifft. Man sondert z. B. das Hellenische gegenüber allen anderen unbegrenzten und miteinander nicht vereinbaren Völkern ab. In Phl. 16d7ff. wird aber ins ἄπειρον übergegangen, nachdem man die angemessenen Teilungen bereits nachvollzogen hat, was zu erheblichen Schwierigkeiten für Stellungnahmen wie die Moravcsiks führt. 251 Phl. 5a6-7. Nach Meinwalds Dafürhalten beschreibt die Dialektikpassage „a Platonic tree structure“, 1998, S. 169.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
247
πειρον ohne Grenze gegen einander: „they run together“ 252 ). Die Bedeutung von ἄπειρα lasse sich in diesem Rahmen keinesfalls auf einzelne, sinnliche Dinge beziehen, sondern es handle sich eher um Einteilungen, die die natürlichen Schnitte des wahrnehmbaren Gegenstandes nicht träfen. 253 Meinwald bringt den Begriff ἄπειρα (in 14e4) zu ἄπειρον der Dialektikpassage in Verbindung: Man kann „types“ treffen, nachdem man alle species gefunden hat: „no longer demarkable by real differentiae“; „these types need not be sensible particulars or token of the types, they can still be types“ 254 : Nachdem wir die Katzen wissenschaftlich eingeteilt hätten, könnten wir sagen, es gebe natürlich unendlich viele Katzenohrtypen, Typen, die „neither sensible participants nor tokens of types divided initially“ ausmachten. Trotz der interessanten, von Meinwald herausgestellten Verbindungen beharren wir so lange auf der traditionellen Deutung des ἄπειρον in der Dialektikpassage, bis ihre Gegner Stellung zu Phl. 16e1-2 (bezüglich des Übergangs ins Unbegrenzte) genommen haben und die Rede von unendlichen „types“, also von Ideen, die der Zahl nach unendlich sind, hinreichend in den platonischen Texten belegt ist. 3.
Die anschließenden Beispiele (17a6-18d8) als vordeutende Vorbereitung auf das vierfache Gefüge (23c1-27c1), mit Hervorhebung des Beispiels von Theuth
a.
Die Beispiele in Philebos 17a8-18d2: Zielsetzung und Auslegung
Nachdem argumentiert wurde, warum die traditionelle These bezüglich des hier verwendeten ἄπειρον plausibler ist, sollen die Beispiele der Grammatik und der Musik herangezogen werden. So prüfen wir, inwiefern unsere Behauptung, dass die angesprochene Methode über die Grenzen der dihairesis hinausgeht, weitere Anhaltspunkte finden kann, was schon durch die Verbindung zu der die Grenzen der Einteilung und Zusammenführung überschreitenden Deduktion und Reduktion vorbereitet wurde. Hier sei an die schon dargelegte Rolle des Beispiels innerhalb der Dialektik erinnert. 255 Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, dürfen wir die Funktion des Beispiels als Beispiel nicht überstrapazieren, etwa indem wir die Analogien zwischen dem Beispiel und seinem Referenzbereich zu Identitätsbeziehungen machten. 256 Mit Vorsicht sind die Fragen zu behandeln, wie sich die Buchstaben oder die musikalischen Töne zu den ἀεὶ λεγόμενα εἶναι verhalten und ob sie den Status der platonischen Ideen haben; und wenn nicht, ob Platon seine transzendente Ideenlehre möglicherweise revidiert habe, indem er seine dialektische Methode aufgrund von Lauten und Tönen exemplifizierte. Man muss zunächst die Tatsache betonen, dass insgesamt drei Beispiele herangezogen werden, die das schematisch skizzierte Vorgehen verdeutlichen. Das Ziel dabei ist nicht, dass der Anwendungsbereich der Methode bestimmt wird. 257 Wie anders kann der Philosoph dem nur mit Mühe folgenden jungen Unterredner bei der Aufhebung seiner Ver-------------------------------------------252
Ebd., S. 170. Hier kann das Bild des schlechten Kochs aus dem Phaidros herangezogen werden: 265e1-3. 254 Meinwald 1998, S. 170f. 255 In § 2.2, III. 256 Zur Rolle der Beispiele der Musik und Grammatik für die dialektische Wissenschaft überhaupt s. oben, § 2.2, III. 257 Man sollte daher nicht aufgrund der Beispiele dafür argumentieren, dass es in der Dialektikpassage ausschließlich um den Bereich der Künste gehe, wie Gosling demonstrieren will. Noch darf man in den Fällen von Grammatik und Musik streng genommen von „dem Geschäft der Dialektik in einem bestimmten Gebiet“ sprechen (so D. Frede 1997, 1, S. 153f.). Vgl. oben, § 3.3, I, iii, A. 253
248
Kapitel 3
wirrung helfen, als durch Beispiele, die aus dem Bereich seiner elementaren allgemeinen Bildung stammen? Von der Vielfalt der erwägenswerten Aspekte, die durch die konkreten Beispiele der Grammatik und der Musik an den Tag treten, werden hier nur diejenigen diskutiert, die etwas zu unserer Problematik beitragen können. Zum einen soll die Frage nach der Natur des dargelegten Verfahrens beantwortet, zum anderen die Verbindung zwischen der Dialektikpassage und dem folgenden vierfachen Gefüge vorbereitend hergestellt werden. Beide Ziele sollen auf der Basis der Darstellung des dialektischen (einschließlich des dihairetischen) Verfahrens erreicht werden, das sich am Vorbild eines göttlichen konstituierend-ordnenden Urakts (im Fall Theuths) des „Bestimmens des Unbestimmten“ orientiert. Wir stellen das Beispiel des Auffindens des Systems der Laute/ Buchstaben durch Theuth dar, das nach unserer Interpretation zusammen mit dem Musikbeispiel den Bogen von der Dialektikpassage zu der vierfachen Einteilung schlägt. Aus dem gewählten Einstiegspunkt sollte nicht gefolgert werden, dass die im Fall der ersten zwei Beispiele unterstrichenen Aspekte des Lehrens und Erlernens (μανθάνειν καὶ διδάσκειν; 16e3f.) solch etablierter Systeme – der Grammatik und der Musik – einen weniger bedeutenden Platz im Rahmen der Dialektik verdienen als derjenige des in der mythischen Geschichte von Theuth hervorgekehrten Forschens (σκοπεῖν). Schließlich sollte man die Besonderheit des Beispiels der Musik betonen, bevor dann zusammengefasst und vertieft werden kann, in welchen Punkten die explizierte Methode über die dihairesis hinausgeht. Gleichzeitig soll sichtbar werden, wie dieselbe Methode der dihairesis auf der Grundlage der Einführung der Grenze und der Unbegrenztheit in diesem Rahmen beleuchtet wird, indem sie sich in einen weiteren Zusammenhang einordnet. b.
Theuth
Ein Gott oder ein göttlicher Mensch – in Ägypten wird er mit Theuth, dem ägyptischen Hermes, identifiziert – wurde mit dem Unbegrenzten des artikulierten Lautes (φωνή) konfrontiert, bevor er die Einteilung in eine bestimmte Zahl von Vokalen, Mittleren (oder Stimmlosen, aber Geräuschvollen) und Stimmlosen (und Geräuschlosen) einführte. 258 Hat Theuth die bereits vorhandenen individuierten Laute lediglich klassifiziert 259 oder wurde er dem noch unbestimmten Phänomen der Laute gegenübergestellt und hat daher wesentlich mehr als nur eine Klassifikation geleistet? Wenn auch weniger über den Prozess als über das entstandene Lautsystem in unserem Text mitgeteilt wird, entsteht der Eindruck, dass Theuth zu den individuierten Lauten erst ganz am Ende seines bestimmenden Verfahrens gelangt. Nach D. Kolbs ergiebiger Analyse soll das hier in Anspruch genommene Unbegrenzte in seinem Charakter bereits differenziert sein, welchem eine bestimmte Qualität zugrunde liegt (die φωνή im Unterschied zu der Farbe
--------------------------------------------
258 Trotz der Bedenken von D. Frede (1997, 1, S. 21f, Anm. 12, S. 154, Anm. 74) spricht die Stelle in Phl. 18b8-c6 bezüglich der Einteilung der Laute (Drei- oder Viereinteilung) eindeutig für die Dreiteilung. In 18c4 will Platon gar nicht zwischen geräuschlosen einerseits und stimmlosen Konsonanten andererseits unterscheiden; es geht eher darum, dass dieselbe Kategorie einmal als „stimmlos“ (18c3) und einmal als „stimmlos und geräuschlos“ (18c4) bezeichnet wird. Vgl. auch dieselbe Dreiteilung der Laute in Cra. 424c5-d4. Kutschera hält das Problem einer Drei- oder Vierteilung mit Recht für philosophisch irrelevant: 2002, Anm. 120, S. 96. 259 Diese Auffassung scheint Löhr (1990, S. 132) zu vertreten, wenn er von „Entdeckung bereits vorhandener Laute“ spricht.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
249
oder dem Geruch), obschon es selbst spezifisch noch unbestimmt bleibt. 260 Der Übergang vom Unbegrenzten zum Einen (18a9-b3) darf daher nicht die irreführende Auffassung hervorrufen, dass der entdeckende Forscher mit dem Unbegrenzten in seiner reinen Form konfrontiert wird. Weder das Unbegrenzte noch die Einheit können rein und als solche – also unabhängig voneinander – erfahren werden. 261 Die Rede von einem kreativen Akt vonseiten Theuths kann hier nicht uneingeschränkt übernommen werden. 262 Denn Theuth entdeckt eher die Beschaffenheit der Sprache als dass er sie ex nihilo schafft. Im Sinne einer modern verstandenen Kreativität würde man in dem untersuchten Fall mit einer Art Kontingenz rechnen: Es hätte sich, was die Einteilung der musikalischen Intervalle vonseiten der Pythagoreer sowie den Systemaufbau der Laute von Theuth betrifft, auch anders verhalten können. Dies jedoch entbehrt jeder Grundlage im Text, wenn auch zugegebenermaßen das dritte Beispiel – die Entdeckung von Theuth – die Entstehung der Lautlehre innerhalb bestimmter kultureller Zusammenhänge zu veranschaulichen scheint. 263 Das Unbegrenzte kann in diesem Rahmen entsprechend der traditionellen Auslegung des ἄπειρον in der Dialektikpassage verstanden werden, also als zum Bereich des Werdens und Vergehens (des Wahrnehmbaren) gehörig. Es handelt sich um die noch nicht bestimmten und noch nicht distinkten einzelnen Laute. Bei der ideellen Einheit des Lautes fehlt es zu Beginn des Erkenntnisprozesses noch an Bestimmung: Die zu Beginn gesetzte Einheit der untersuchten Idee wird erst ganz am Ende erworben. Genauso wie die anfängliche ideelle Einheit noch nicht bestimmt ist, können die noch unbegrenzten --------------------------------------------
260 „This is neither a blank continuum nor a crowd of individual sounds but an indeterminately multiple and various stretch of speech sound“ (Kolb 1983, S. 501). D. Kolbs Beitrag ist in vielerlei Hinsicht anregend. Sein Ziel besteht darin, die Existenz des Konzepts eines ontologischen Atomismus bei Platon zu verneinen, nach dem es nicht weiter zurückführbare Entitäten gäbe, die „merely (or brutely) given“ wären, seien sie nun Ideen oder wahrnehmbare Instanzen (ebd., S. 497f.; den physischen Atomismus kann der Interpret leidlich im Timaios wiederfinden, obschon dort die physischen „A-tome“ auf chora und mathematische Strukturen zurückgeführt werden). Die These Kolbs wird dadurch unterstützt, dass die Formen – nach den Berichten von Aristoteles – auf zwei Prinzipien zurückgeführt werden. Darüber hinaus gehe es bei der Einteilung der Arten von Lust und Unlust im Philebos nicht nur um eine Re-klassifikation der schon als solche gegebenen Individuen, sondern um deren neue Individuationen (ebd., S. 498). D. Kolb schließt sich ausdrücklich an Findlays Auffassung des nie realisierten späteren platonischen Programms der Deduktion des Ganzen aus den zwei Prinzipien an (ebd., S. 507). 261 D. Kolb 1983, S. 507. Er trifft das Richtige, wenn er – am Ende seines Aufsatzes – von einer Spannung im Philebos spricht, „between a unity which is never complete and a disunity which is never total“ (S. 511). Das Verwachsensein der zwei Prinzipien der Grenze und der Unbegrenztheit wurde schon in der vorangehenden Dialektikpassage hervorgehoben. Es ist unser analytisches Vermögen, das von einem Übergang von der Unbegrenztheit zu der Einheit ausgehen muss, als ob sie beide – Unbegrenztheit und Einheit – streng voneinander getrennt wären. Betrachtet man das Verhältnis jedoch aufmerksamer, kann man feststellen, dass immer von einem Einen und Vielen ausgegangen wird, das miteinander verflochten ist. So braucht man nicht zu der Kritik von Hackforth zu gelangen, dass Platons Versuch, die eingeführte Methode zu exemplifizieren mehr irreführend als hilfreich sei (19582, S. 26), weil er nicht mit der „conjoint apprehension of Genus and an indefinite Many“ beginne. 262 Sayre vertritt die These eines göttlichen kreativen Akts im dritten Beispiel. Die Gelegenheit, seine hermeneutischen Voraussetzungen zu widerlegen, wurde mehrmal ergriffen. Sayre unterscheidet den göttlichen vom dialektischen Akt: Der Dialektiker „does not create the lines of demarcation followed in his divisions, but rather seeks to discriminate limits imposed by an intelligence other than his own“ (1983, S. 132). Mit Recht spricht der Interpret von einer Art Antizipation der vierten Gattung des vierfachen Gefüges (αἰτία, νοῦς) im Fall von Theuth, der die göttliche Intelligenz repräsentiert (ebd.). 263 So auch Löhr 1990, S. 133, Anm. 38.
250
Kapitel 3
Einzelerscheinungen, von denen in diesem Beispiel ausgegangen wird, weder fixiert noch vorgegeben sein, bevor man zu dem einen zusammengefügten Lautsystem gelangt ist. Die Bestimmung beider „Pole“ – also der Idee einerseits und der Einzeldinge andererseits – ereignet sich simultan am Ende des durchgeführten Prozesses: Zum einem wird die eine Idee (hier am Beispiel der φωνή) in ihrer Struktur entfaltet, zum anderen werden die einzelnen, nicht weiter teilbaren Elemente in ihrer Beziehung zueinander bestimmt und dadurch voneinander abgegrenzt. Sie bilden die letzten grundlegenden Einheiten (die einzelnen Laute oder Töne), bevor man ins Unendliche der Erscheinungen übergeht. Das Ziel des ganzen Verfahrens besteht nicht darin, das Unbegrenzte der Erscheinungen durch Quantifizierung völlig zu bezwingen, sondern es in seiner Struktur und Genese zu erfassen. Nachdem man das System von bestimmten Elementen aufgefasst hat, wird jeder nicht mehr einteilbare Laut seinen weiteren möglichen Aktualisierungen überlassen. Das bedeutet, es gehört nicht zur Absicht der jeweiligen Kunst oder Wissenschaft (auch der Dialektik), diese Potenzialität, die den unendlichen Erscheinungsformen zugrunde liegt, zu erschöpfen, 264 sondern sie in ihrem Wesen zu verstehen und zu bewahren, was noch deutlicher in der vierfachen Einteilung darzulegen ist. Die erkenntnistheoretische Notwendigkeit, das Ganze der Laute in den Griff zu bekommen, um jeden einzelnen zu erkennen, kann die Einheit des entstandenen Lautsystems und der entsprechenden Kunst (hier der Grammatik) sicherstellen, was eine holistische Wissenskonzeption enthüllt. Ἕν lässt sich fünffach im Rahmen des dritten Beispiels aussagen: zunächst als noch nicht strukturierte Einheit der einschlägigen Idee (hier φωνή), dann als Einheit der Elemente (hier der Einzelbuchstaben und ihrer entsprechenden Laute), die aufgrund des erwähnten einen Bandes zum einen wohlgefügten Ganzen werden. Schließlich manifestiert sich das ἕν als Einheit der daraus entstandenen Kunst (der Grammatik). c.
Die besondere Leistung des Beispiels der Musik 265
Bevor wir uns den Besonderheiten zuwenden, die das Beispiel über die Musik enthält, können wir zwei Bemerkungen in Anbetracht der Einteilung der phone vorausschicken. Das erweist sich als von Belang für das Verständnis der damaligen Grammatik und Musik, damit erste Eindrücke, die die einschlägigen Künste aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang herauslösen, korrigiert werden. Als erstes fällt auf, dass die Bezeichnung φωνή sowohl den artikulierten Sprachlaut als auch den musikalischen Laut bezeichnet. Anders als im Zusammenhang des Sophistes 266 wird im Philebos dadurch die ursprüngliche Einheit von musikalischer Harmonie und artikulierter Sprache angedeutet. 267 Die --------------------------------------------
264 Vgl. Phl. 50b1-4 neben 16e1f., wo die unzähligen Fälle der gemischten Lust und Unlust in der Tragödie und Komödie der Bühne sowie des Lebens nicht erschöpft werden – ihre erschöpfende Klassifizierung wird einer anderen Gelegenheit vorbehalten –, sondern sie auf sich beruhen dürfen. Es reicht hin, den allgemeinen Typus durch Kennzeichnung bestimmter Fälle erkennbar zu machen. 265 Auf die Beiträge von West (1992) und Lohmann (1970) über die Musik der Antike und von Richter (1961) spezieller über Platon und Aristoteles wird verwiesen; außerdem auf den bedeutsamen Beitrag von Thrasyboulos Georgiades, Nennen und Erklingen (1988). In der vorliegenden Arbeit stütze ich mich auf bestimmte Forschungsergebnisse, ohne auf eine umfassende Darstellung der Musik in der Antike zu zielen. 266 253b1-3. Dort wird für den musikalischen Laut, den Klang, das Nomen φθόγγος reserviert. 267 Dazu sind die Beiträge von Koller (1955, 1960, 1963) erhellend. Der Altphilologe versucht das ursprüngliche Feld der verschiedenen Bedeutungen von στοιχεῖον (1955) in die Musik einzubetten. (Dagegen Burkert, 1959, der seinerseits die mathematischen Konnotationen als ursprünglicher hervorhebt; in Anlehnung an ihn: Schwabe 1980, S. 57ff.). In seiner späteren Arbeit (1960) fährt Koller in derselben Richtung fort, indem er die Dihairesen der Harmoniker als Vorbild und Ursprung der
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
251
Musikalität der altgriechischen Sprache zeigt sich in der einheitlichen Grundlage des Wortes, der Harmonie und des Rhythmus. Nicht, indem das Wort einen bestimmten Takt nachträglich begleitet, wie in der modernen Musik; vielmehr bestimmt das Wort selbst die rhythmische Gliederung durch das Aufeinanderfolgen kurzer und langer Silben. 268 Als zweites hat der verwirrende Mangel an fester Terminologie sogar zu einer Vertauschung des schriftlichen Buchstabens und des mündlichen Lautes im Fall der Beispiele über die Sprache geführt und große Aufmerksamkeit erregt. Sokrates fängt mit γράμμα an, dann wird die φωνή (= sprachlicher Laut) von Theuth in στοιχεῖα eingeteilt. Zum einen sollte dabei nicht übersehen werden, dass Platon oft mit dem Beispiel der Buchstaben operiert, um auf die nicht weiter reduzierbaren Elemente der Realität hinzuweisen, 269 obschon das Schriftliche im Phaidros grundsätzlich und aus mehreren Gründen abgewertet wird. 270 Zum anderen gibt es zu dieser Zeit keine festgelegten Bedeutungen von γράμμα und στοιχεῖον: Nicht nur kann γράμμα „Laut“ bedeuten, στοιχεῖον kann auch den „Buchstaben“ bezeichnen. 271 Im Fall des letzten Beispiels (Theuth) kann der Ausgangspunkt des artikulierten Lautes (φωνή) die Tatsache unterstreichen, dass hier die Einteilung und Klassifizierung der mündlichen Phoneme in den Vordergrund gerückt wird, obgleich die Entdeckung des Alphabets (also die schriftlichen Bezeichnungen) unvermeidlich mit ins Spiel kommt. Das eingeteilte στοιχεῖον kann also sehr gut zwischen der Bedeutung von artikuliertem mündlichen Laut und dem abgezeichneten Buchstaben 272 schwanken. Von Belang zeigt sich ferner in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass das Alphabet in der damaligen Zeit sowohl die Sprachlaute als auch die Zahlen und die Töne bezeichnete, so dass sich die innere Verbindung von Sprache, -------------------------------------------Dihairesen des Systems der ersten fassbaren Grammatik betrachtet (ebd., S. 15f. und passim: in Übereinstimmung mit Kucharski 1959, S. 168), wobei die Dihairese der Sprache in ihre Elemente/ Laute nur annähernd eine wirkliche Aufteilung ausmache (z. B. was die Zahlbestimmtheit der Buchstaben betrifft, Koller 1960, S. 19f.). Koller kann zugestimmt werden, was die besondere Rolle der Zahl in der Musik betrifft. 268 R. 398d8-9: Καὶ μὴν τήν γε ἁρμονίαν καὶ ῥυθμὸν ἀκολουθεῖν δεῖ τῷ λόγῳ, anders als in der modernen, vom Wort gelösten, taktbestimmten Musik. Dazu Koller 1963, S. 11ff. 269 S. oben, 2.2, III. 270 Diese Tatsache konnte Derrida nicht entgehen, der sie gemäß seinen eigenen philosophischen Ansätzen gedeutet hat: Nach ihm (1972, § 9, S. 180ff.) kommt die Grammatik bei Platon ins Spiel, wo es um das Gesetz des Unterschiedes, die Nicht-Zurückführbarkeit der Struktur und der Relation und die Analogie geht, wenn auch so etwas nicht thematisiert wird und sich Platon als logozentrisch behauptet und infolgedessen die Schrift exkommuniziert. In Phl. 17aff. sollte das erste Beispiel über die Buchstaben Deutlichkeit mit sich bringen, im Gegensatz zum Phaidros, in dem das Schriftliche als undeutlich und ungewiss charakterisiert wird: 275c5ff. Es geht trotz der Scharfsinnigkeit der Beobachtung Derridas nicht um einen unaufhebbaren Gegensatz, weil aus der Inanspruchnahme der Buchstaben um der Verdeutlichung willen im Philebos nicht folgt, dass das Schriftliche an sich deutlich ist. 271 Dazu Burkert 1959, S. 171f. Mit Recht hebt Koller 1955 die wesentliche und geläufigere Signifikanz von „artikuliertem Laut“ im Fall des στοιχεῖον hervor (S. 163 und passim), gegenüber dem Versuch Diels 1899, die Verbindung von Buchstabe und στοιχεῖον in den Vordergrund zu rücken. Vgl. Aristot. Po. 1456b2ff., darin das στοιχεῖον als nicht mehr teilbarer Laut (φωνὴ ἀδιαίρετος) definiert wird und dessen ausführliche Behandlung auf die Untersuchung der Metrik verschoben wird: ἐν τοῖς μετρικοῖς. In PA wird γράμμα mit der eindeutigen Bedeutung von Laut verwendet 660a2-5: Ὁ μὲν γὰρ λόγος ὁ διὰ τῆς φωνῆς ἐκ τῶν γραμμάτων σύγκειται, τῆς δὲ γλώττης μὴ τοιαύτης οὔσης μηδὲ τῶν χειλῶν ὑγρῶν οὐκ ἂν φθέγγεσθαι τὰ πλεῖστα τῶν γραμμάτων. Die eigentliche Bedeutung des Lautes gegenüber derjenigen des Buchstabes bei στοιχεῖον betont sogar der späte Beleg bei Sextus Empiricus, Μ. I 9, 9. 272 Phl. 17b3: ἐν τοῖς γράμμασι.
252
Kapitel 3
Musik und Mathematik in der antiken griechischen Konzeption auch auf der Ebene der äußerlichen Symbolik (γράμματα) manifestierte. 273 Das der Musik entsprechende Unbegrenzte ist dasjenige des Tiefen und Hohen: βαρὺ καὶ ὀξύ. 274 Gemäß einer späteren Bemerkung des Sokrates ergibt sich durch die Einführung der Grenze der Bereich der musischen Kunst in der dritten Gattung der Mischung. 275 An unserer Stelle taucht neben dem Tiefen und Hohen als dem zugrunde liegenden Gegensatz desjenigen Unbegrenzten, auf dem die Harmonie beruht, auch die Bestimmung des Gleichgespannten (ὁμότονον, von τείνειν) auf, 276 das sich als die als Norm gesetzte Mitte zwischen den gegensätzlich aufeinander bezogenen Tiefen und Höhen verorten lässt: Wenn ein Ton dieselbe Spannung hat wie ein anderer, dann sind sie gleichtönig. 277 Die für die Musik erwähnte grundlegende Dreiteilung der Tonregionen 278 geht auf die drei Saiten der ursprünglichen Lyra zurück: die Hypate, die Mese und die Nete. 279 Schon durch das Beispiel der Musik treten Aspekte ins Gespräch des Philebos ein, die, auch wenn sie jetzt nur angedeutet werden, anschließend zur Entfaltung kommen. Es geht nämlich um den Aspekt der Mischung als Bestimmung des Unbestimmten, welches sich, gemäß seiner späteren Einführung und Thematisierung durch Sokrates, als Gegensatz zeigt. 280 Ferner kann man schon hier die Struktur der Mischung antizipieren, wenn man vom Konzept des Unbegrenzten (das Hohe und Tiefe oder das Schnelle und Langsame) ausgehend andere platonische Textstellen heranzieht, die die Entstehung der Frequenzverhältnisse (λόγοι) in der Musik erhellen. 281 -------------------------------------------273
Lohmann 1970, S. 109f. Phl. 17c4. 275 Phl. 26a2-4. Hier wird zusätzlich das Kontinuum des Schnellen und Langsamen als dem Unbegrenzten (der ersten Gattung des vierfachen Gefüges) zugehörig erwähnt: Dadurch ergibt sich der Rythmus, dazu auch Smp. 187b6-c1. 276 Phl. 17c4. 277 Lohmann 1970, S. 20f. 278 Gesammelte Belege bei Marquard, Aristoxenos, 1863, S. 139-141. 279 R. 443d6f. Dort wird das Beispiel von den Saiten vorgebracht, um eine Analogie zu den drei Kräften der Seele aufzuzeigen: Wie aus Vielem Eines gemacht wird – d. h. aus drei Saiten wird eine Harmonie (= Oktave) hergestellt –, so muss der gerechte Mensch alle Seelenteile (hypate: logistikon, mese: thymoeides, nete: epithymetikon) in Einheit zusammenbinden; zu dieser Stelle Adam (19632). 280 In 20bff. wird durch göttliche Hilfe an die Mischung als ein Drittes, das verschieden von der Lust und der Vernunft und zugleich besser als beides ist, erinnert. In der Passage des vierfachen Gefüges tritt das Unbegrenzte klar als das Kleine und Große, das Mehr und Weniger hervor, was noch aufzuzeigen ist, § 3.4, V, 1a, ii und iii. 281 Sph. 253b1-3. Der Rede von Eryximachos im Symposion, besonders 187a1ff., liegt dieselbe Konzeption der Musik zugrunde, wenn auch hier die „Mischung“ nicht direkt für den Fall der Musik in Anspruch genommen wird (sondern nur anschließend im Fall der Jahreszeiten und der Gesundheit, 188a4: κράσιν), indem die Harmonie und der Rythmus aus der Übereinstimmung und Symphonie zwischen den entsprechenden Gegensätzen des Hohen und Tiefen, Schnellen und Langsamen entsteht. Ferner ensteht die Musik aus der Mischung von hohen und tiefen Tönen auch nach der Passage im peripatetischen (pseudo-aristotelischen) De Mundo, 396b7-19, das einen Teil des Heraklitfragments B10 ausmacht, nach der alle Künste, die Natur nachahmend, aus der Mischung der Gegensätze zustande kommen. Ἴσως δὲ τῶν ἐναντίων ἡ φύσις γλίχεται καὶ ἐκ τοῦτων ἀποτελεῖ τὸ σύμφωνον, οὐκ ἐκ τῶν ὁμοίων, ὥσπερ ἀμέλει τὸ ἄρρεν συνήγαγε πρὸς τὸ θῆλυ καὶ οὐχ ἑκάτερον πρὸς τὸ ὁμόφυλον, καὶ τὴν πρώτην ὁμόνοιαν διὰ τῶν ἐναντίων συνῆψεν, οὐ διὰ τῶν ὁμοίων. Ἔοικε δὲ καὶ ἡ τέχνη τὴν φύσιν μιμουμένη τοῦτο ποιεῖν. Ζωγραφία μὲν γὰρ λευκῶν τε καὶ μελάνων, ὠχρῶν τε καὶ ἐρυθρῶν, χρωμάτων ἐγκερασαμένη φύσεις τὰς εἰκόνας τοῖς προηγουμένοις ἀπετέλεσε συμφώνους, μουσικὴ δὲ ὀξεῖς ἅμα καὶ βαρεῖς, μακρούς τε καὶ βραχεῖς, φθόγγους μίξασα ἐν διαφόροις φωναῖς μίαν ἀπετέλεσεν ἁρμονίαν, γραμματικὴ δὲ ἐκ φωνηέντων καὶ ἀφώνων γραμμάτων κρᾶσιν ποιησαμένη τὴν ὅλην τέχνην ἀπ’ αὐτῶν 274
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
253
Die wichtige Beobachtung hinsichtlich der Morphologie der platonischen Dialoge und des pädagogischen Charakters der dialektischen Kunst kann auch an unserem Text der vorgebrachten Beispiele Bestätigung finden. 282 Demgemäß werden gewisse Begriffe geschickt vonseiten des Gesprächsführers in die Diskussion eingeführt, noch bevor sie explizit thematisiert werden, wobei an der späteren Stelle von einem ganz neuen Anfang ausgegangen werden soll. Zugegebenermaßen wird kein gänzlich neuer Anfang in Phl. 23b6-9 gemacht, wenn Sokrates sagt, er wende andere Mittel an, vielleicht aber auch einige von denselben. Außer der angesprochenen vorbereitenden Funktion, die das Musikbeispiel, neben demjenigen von der Entdeckung Theuths erfüllt, sollen einige Punkte auf der Basis des Musikbeispiels hervorgekehrt werden, die von philosophischer Bedeutung für die platonische Dialektik sind. Am Beispiel der Musik kommt auf eine noch prägnantere Weise als im Beispiel von Theuth zur Sprache, dass die Erkenntnis des Elements von seinem Bezug zu den anderen Elementen abhängt, weil das „An-sich-und-für-sich“ in diesem Bereich in der Tat schwindet. Jeder Buchstabe kann unabhängig von seiner jeweiligen Stellung (θέσις) in der Schrift oder Rede an sich und für sich erkannt werden, 283 während der Ton nicht „an sich und für sich“, sondern nur als ἐμμελής erkennbar ist: als Systemton, der dort einen bestimmten Topos einnimmt, 284 während er in anderen Zusammenhängen anders bestimmbar ist. 285 Hackforths Bedenken, dass das Musikbeispiel das dihairetische Verfahren nicht exemplifizieren könne, 286 sind durchaus gerechtfertigt. So wird unsere These weiter gestützt, dass der Inhalt der göttlichen Methode sich nicht im dihairetischen Verfahren erschöpft. Im Beispiel der musischen Kunst geht man von einer Art Konti-------------------------------------------συνεστήσατο. „Die Gegensätze sind es doch wohl, wonach die Natur strebt, aus ihnen schafft sie den Einklang, nicht aus dem Gleichartigem, wie sie ja fraglos das Männliche zum Weiblichen geführt hat und nicht jedes Geschlecht zu seinesgleichen, und also die ursprüngliche Einung durch Gegensätzliches zusammengeknüpft hat, nicht durch Gleichartiges. So scheint es auch die Kunst zu machen, die ja die Natur nachahmt. Indem nämlich die Malerei die Eigenschaften der schwarzen und weißen, gelben und roten Farbe ineinandermengt, erreicht sie die Übereinstimmung mit der Vorlage. Die Musik mischt hohe und tiefe, lange und kurze Töne innerhalb verschiedener Stimmen und bewirkt so eine einzige Harmonie, und die Schreibkunst stellt ihren ganzen Aufbau zusammen, indem sie eine Mischung von Vokalen und Konsonanten herbeiführt.“ (Übers. Strohm) Zur Harmonie als ein „in wechselseitiger Spannung in sich ausgewogenes Gefüge“, das sich aufgrund der Fügung der „zusammenklingenden“ Klänge (σύμφωνοι) mit den „auseinanderklingenden“ (διάφωνοι) ereignet: Lohmann 1970, S. 103f., unter Bezugnahme auf das Heraklit-Fragment B 51. 282 Auf die wichtige Betrachtung von Th. A. Szlezák 1997, 1 beziehe ich mich, was die Selbstkorrektur der platonischen Dialoge anbelangt, von der Selbstkorrektur des Timaios ausgehend, der in 48eff. einen „neuen“ Anfang macht, indem er jetzt eine Dreiteilung anstelle der anfänglichen Zweiteilung im Seienden und Werden (27dff.) vorschlägt: Die chora wurde bis dahin nicht thematisiert; ihre Inanspruchnahme in Ti. 30a2-6 ist dennoch bei aufmerksamer Lektüre klar genug. 283 Laut Tht. 206a. 284 Koller 1960, S. 20. Ich kann keinen Beleg bei Platon finden; jedenfalls wird nie ein Erkennen des einzelnen Tones „an sich“ behauptet. 285 Dazu Barbarić 1999, dessen Ausführung den Arbeiten von Georgiades viel verdankt, S. 26ff. Georgiades 1985, S. 52-116: Ton. 286 Hackforth 19582, S. 24f. Dessen Skepsis teilt auch Striker 1970, S. 26, um anschließend doch zu behaupten, dass „die Einteilung der Töne in der Musik an dieser Stelle als Beispielsfall für die Einteilung eines genus in seine species angeführt wird“. Ihr Heranziehen der Stelle im Theaitetos (206a-b) um der Argumentation willen ist hermeneutisch unangebracht, weil jedes Mal verschiedene Aspekte anlässlich der Beispiele der Musik und der Grammatik betont werden; s. oben, § 2.2, III. Hackforths Verwirrung ist grundsätzlich, weil er als den einzigen Inhalt der Dialektikpassage das einteilende Verfahren anerkennen will. Da bleibt ihm nichts übrig, als seine eigene Verwirrung auf Platon zu projizieren.
254
Kapitel 3
nuum aus. Und in diesem Rahmen kann die Rede von Arten des Klanges, die sich dann in Unterarten einteilen lassen, nicht bestätigt werden. 287 Ferner handelt es sich im Fall der Musik um das quantitative und qualitative Erlernen (πόσα, ὁποῖα: wieviele und wie beschaffen) der schon etablierten komplexen Systeme der Musik. 288 Von der Zahl und Beschaffenheit der hohen und tiefen Klänge als Elemente der Kunst muss man herkommen, 289 um daran anschließend zu den Intervallen überzugehen (διαστήματα), den Grenzpunkten der Intervalle (17d1, τοὺς ὅρους τῶν διαστημάτων) 290 und zu den darauf aufgebauten verschiedenen Tonsystemen, die „Harmonien“ genannt werden. Der hohen Komplexität, die im Fall der Musik im Vergleich zu den Sprachlauten auftritt, und der entsprechend erhöhten Leistung, die vom Rezipienten verlangt wird, 291 kann man entnehmen, dass hier viel mehr als nur die Darstellung der umgekehrten Richtung als im Fall des ersten Beispiels der Sprachlaute angeboten wird. Anhand eines Schemas, das auf der Schilderung der Parallelität zwischen sprachlicher und musikalischer Gliederung durch den Peripatetiker Adrastos beruht, können wir uns ein Bild machen: 292 Ἐγγράμματος φωνή (artikulierter Laut, Sprachlaut)
Ἐμμελής καὶ ἡρμοσμένη φωνή (musikalischer Laut, Ton)
3. Ῥήματα-ὀνόματα (Verben- Nomina)
3. Συστήματα (τετράχορδα, πεντάχορδα, ὀκτάχορδα)
2. Συλλαβαί (Silben)
2. Διαστήματα (Intervalle)
1. Γράμματα = φωναὶ πρῶται , στοιχειώδεις, ἀδιαίρετοι- ἐλάχιστοι
1. Φθόγγοι = φωναὶ πρῶται, ἀδιαίρετοι, στοιχειώδεις
Im Beispiel der Grammatik hält sich Theuth nur auf der letzten elementaren Ebene auf. Die aus den Grundelementen entstehenden Silben und die aus ihnen zustande kommenden komplexeren Einheiten der Verben und Substantive bleiben außerhalb des --------------------------------------------
287 D. Frede 1997, 1, S. 159ff., besonders S. 162: „Dass ein Ton gleicher Frequenz in verschiedenen Systemen vorkommt und verschieden bestimmt wird, bedeutet jedoch nicht, dass das Musikbeispiel prinzipiell ungeeignet zur Erklärung der dialektischen Methode ist, sondern lediglich, dass man – anders als in unserem Notationssystem – einen einzelnen Ton für sich genommen gar nicht definieren kann.“ Frede identifiziert die göttliche Methode mit derjenigen der dihairesis, sieht aber – und darin stimmen wir mit der Interpretin überein – in einer „mögliche[n] Verwirrung“ Platons keine Lösung. 288 Ob Platon die Leistung seines Zeitgenossen Archytas, die Proportionen für alle Töne der Tonleiter zu berechnen, hier miteinbeziehen will, sei dahingestellt: D. Frede 1997, 1, S. 164. 289 Die φωνή ist hier, 17c12, mit dem Klang, Ton äquivalent: φθόγγος, τόνος. 290 Für eine derartige Analyse sei auf Richter verwiesen: 1961, S. 90ff., West 1992, S. 218ff. Das Intervall wird nach dem Peripatetiker Aristoxenos als der von zwei nicht auf der gleichen Tonstufe stehenden Klängen begrenzte Raum definiert: 15 M. 20, 25-27. 291 D. Frede (1997, 1, S. 165) macht zurecht den Punkt der anspruchsvollen und mühsamen Tätigkeit stark, die mit der Musik verbunden ist, und unterstreicht die Ähnlichkeit zur Schwierigkeit der Anwendung der Methode, nach der Aussage des Sokrates (16b). Das Langwierige und Mühselige der Dialektik wird häufig bei Platon hervorgehoben. 292 Adrastos von Aphrodisias hat in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts gelebt. Entnommen wird das Schema Kollers Analyse, 1955, S. 162, auch 1960, S. 17.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
255
Spektrums seiner Analyse. Im Musikbeispiel wird im Gegensatz dazu ganz lapidar die Richtung von den Elementen (der Töne) über die zusammengesetzten Intervalle bis zu den komplexen musikalischen Systemen aufgezeigt. Es handelt sich hier um den synthetischen Weg des Erkennens, im Rahmen der einen etablierten Kunst, innerhalb derer man von der elementaren Einheit bis zum Aufbau der Systeme (Tetrachord bis zum teleion systema) gelangt. Im ersten Fall (beim dritten Beispiel) lässt sich das ganze Verfahren auf der ersten Ebene der Laute erschöpfen, während im Fall der Musik die erworbene Einheit der ersten Ebene (der Töne) nur ein Teil ist, das sich in das weiter ausholende Ganze der drei Ebenen (also Töne, Intervalle, Systeme) integriert. Selbstverständlich ergeben sich daraus viel komplexere Beziehungen, weil sich die Teile und dementsprechend auch die gegenseitigen Beziehungen zwischen ihnen vermehren. Aus dieser Beschreibung kann der Schluss gezogen werden, dass die dihairesis, wie sie uns vor allem vom Sophistes und Politikos her vertraut ist, sich nicht als hinreichend für die Bewegung auf allen diesen Ebenen der Musik erweist. Auf jeden Fall sollten wir uns vergegenwärtigen, dass die dihairesis nicht durchgehend von elementaren Einheiten zu komplexeren durchgeführt wird. Sonst würde man zu nicht gleichartigen Gattungen übergehen (μετάβασις εἰς ἄλλο γένος), was zu vermeiden ist. Es könnte auf eine ähnliche Weise unangemessen behauptet werden, dass man von den obersten Gattungen (μέγιστα γένη) bis zum untersuchten genos des Sophisten, oder noch unangemessener, dass man von den zwei platonischen Prinzipien über die Ideenzahlen und die Ideen zu dem Wahrnehmbaren durch dihairesis gelangt. 293 Während die Beschreibung der Musik über das dihairetische Verfahren hinausgeht, ist die Einteilung der Ideen ihrerseits musikalisch zu fassen: 294 Man muss bei der dihairesis, die mit einer Einteilung in Glieder verglichen wird (Plt. 287c3: κατὰ μέλη), auch κατὰ μέλος verfahren: ἐμμελῶς ἂν φαῖμεν διῃρῆσθαι (Plt. 260b5). 295 Bei der Zerlegung des Ganzen in Teile oder Arten wird nicht nur auf die Zahl der Glieder Wert gelegt. Vielmehr muss auch deren Wesensbeschaffenheit untersucht werden, die dann im Verhältnis der Glieder zueinander und zum Ganzen ausgedrückt wird. 296
--------------------------------------------
293 Vgl. oben, § 3.3, II, ii, die Unterscheidung von synthesis und dihairesis als Arten des deduktiven Verfahrens. Dihairetisch kann man in unserem jetzigen Kontext nur innerhalb desselben Bereichs fortfahren, z. B. kann man nicht dihairetisch von Systemen zu Tönen oder von Silben zu Buchstaben gelangen. 294 Der geschichtliche Aspekt der Fragestellung, also ob die Methode der dihairesis sich an der Harmonik entwickelt hat (so Koller 1960, S. 15, 18 und passim, Kucharski 1959, S. 168), sei hier nur dahinstellend erwähnt. 295 Die anfängliche (bei Homer zutreffende) Bedeutung von μέλος als körperliches Glied lässt sich in die spätere Bedeutung (μέλος als Gegenbegriff des ἔπος) miteinschließen: Jede musikalische Form entspricht nach der griechischen Auffassung einer Gestimmtheit des Körpers (schon bei Damon zu finden): Lohmann 1970, S. 20. In der späteren Bedeutung, die das Wort ἐμμελής bekam, nämlich der ‚Angemessenheit’ (dazu LJS: suitable, fit, proper) klingt immer noch die musikalische Nuance nach: was Glied eines μέλος ist, was nicht aus dem μέλος herausfällt (Gegensatz: πλημμελής). 296 Gaiser 1989, S. 98, mit Anm. 30. Vgl. auch ders. 19682, S. 129ff., die Interpretation von Plt. 266a: Schnittverhältnis bei der dihairesis aufgrund der verschiedenen mathematischen Mitten. Auf der Basis einer derartigen Interpretation lässt sich zeigen, wie das Wort ἐμμελῶς seine anfängliche musikalische Bedeutung bewahrt, wenn uns auch oft Belege bei Platon begegnen, bei denen diese ursprüngliche Bedeutung nicht mehr zu spüren ist, z. B: Phdr. 278d5, Prt. 321c4, R. 569c6, 581b3, Lg. 713a7.
256 4.
Kapitel 3 Die dihairesis als Teil der beschriebenen Methode und ihre neue Beleuchtung in einem weiter ausgreifenden Zusammenhang
Die Grenzen der dihairesis, die allein nicht imstande ist, ein System aufzubauen, können von einem weiteren Gesichtspunkt aus erwiesen werden, indem ein gewichtiger Aspekt bei der Entdeckung der Laute durch Theuth beleuchtet wird. Der trotz seiner Wichtigkeit vernachlässigte Aspekt soll mithilfe des Sophistes erhellt werden. Es handelt sich nämlich um die dort hervorgehobene Rangunterscheidung zwischen den Vokalen und den Konsonanten, indem die Ersteren als herausragend charakterisiert werden. Sie leisten den sehr wichtigen Beitrag, dass sie durch alles hindurchgehend die Verbindung der Konsonanten untereinander ermöglichen. Während im Sophistes einzelne Elemente als Band (δεσμός) des Ganzen charakterisiert werden, 297 ohne dass dort Wert auf ihre bestimmte Zahl gelegt wird, ergeben sich als δεσμός im Kontext des Philebos nicht die Elemente selbst, sondern die erkenntnistheoretische Notwendigkeit, nach der jedes Element immer in seiner Beziehung zu den anderen erfasst werden kann. 298 In beiden Dialogen wird die zusammenhaltende, vereinheitlichende Funktion des Bandes unterstrichen. Im Fall der größten Gattungen im Sophistes wird die Notwendigkeit ihrer Gemeinschaft als (onto-)logisch dargelegt. 299 Das Band erweist sich als wertvoller als andere Elemente im Kontext des Sophistes oder weist im Philebos auf die ontologische Priorität des durch es selbst vereinigten Ganzen gegenüber seinen einzelnen Teilen/ Elementen hin. Das Ganze lässt sich nicht mit der bloßen Summe seiner Teile gleichsetzen, worauf sowohl weitere Stellen bei Platon 300 als auch der oft nachweisbare Hang verweisen können, die jeweils erforschte Problematik in einen immer weiteren Zusammenhang einzuordnen. Im Philebos soll dies noch im vierfachen Gefüge alles Seienden aufgezeigt werden. 301 Schon hervorgehobene Punkte zusammenfassend, können wir mit der Behandlung der übrig gebliebenen Frage abschließen, die häufig in der Forschung aufgeworfen wird: Was trägt unser Text zur Beleuchtung der dihairetischen Methode bei, das in den Dialogen Phaidros, Sophistes und Politikos möglicherweise nicht explizit ans Licht kommt? Dabei beharren wir auf unserer Folgerung, dass sich im Rahmen der Dialektikpassage im Philebos der beschriebene Weg nicht in der dihairesis erschöpft. Oft bemerken die Forscher, die die Dialektikpassage als eine Darstellung ausschließlich der dihairetischen Methode auslegen, dass hier die Rolle der genauen Zahl als Neuerung hervortritt. 302 Indessen darf nicht übersehen werden, dass schon in der Darstellung --------------------------------------------
297 Zu δεσμός ausgehend vom Sophistes und in Verbindung zu den Grenzen der dihairesis s. oben, § 2.2, IV. 298 18c7-d2 καθορῶν δὲ ὡς οὐδεὶς ἡμῶν οὐδ’ ἄν ἓν αὐτὸ καθ’ αὐτὸ ἄνευ πάντων αὐτῶν μάθοι, τοῦτον τὸν δεσμὸν αὖ λογισάμενος ὡς ὄντα ἕνα καὶ πάντα ταῦτα ἕν πως ποιοῦντα μίαν ἐπ’ αὐτοῖς ὡς οὖσαν γραμματικὴν τέχνην ἐπεφθέγξατο προσειπών. „Und weil er einsah, dass niemand von uns eins (sc. ein Element der Sprache) an sich und für sich ohne alle anderen lernen würde, und da er wiederum dieses Band für eins gehalten hat, das alles dies irgendwie vereinheitlicht, nannte er diese Kunst Schreibkunst, nachdem er sie als eine angesprochen hat.“ 299 So tritt die Notwendigkeit (ἀνάγκη) des Öfteren im Sophistes hervor: z. B. 256d11, 259b1, 264b2. 300 Wie in Phdr. 270b-c, Lg. 903b. 301 Besonders ab Phl. 29bff., wo die Beziehung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos in den Vordergrund gerückt wird. 302 D. Frede 1997, 1, S. 133f., mit unerschütterlicher Gewissheit, dass dieses Element der „numerisch korrekten Buchführung“ im Phaidros absent ist. Dabei zieht die Interpretin nicht die falsche Schlussfolgerung, dass Platon die Vollständigkeit zur Zeit des Phaidros in seine Konzeption der dihairesis nicht miteinbezogen habe. Auch bei Kutschera 2002, S. 93-97, tritt als Neues hier die Voll-
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
257
im Phaidros der Aspekt der Aufzählung zur Sprache kommt, auch wenn er dort nicht so stark in den Vordergrund gerückt wird. Bei der Untersuchung des Wesens der Seele und der Rede nämlich muss der echte Rhetor (also der platonischen Konzeption nach, wie sie im Phaidros entfaltet wird, der Dialektiker) sowohl die genaue Zahl ihrer Arten als auch ihre Beschaffenheit erforschen. 303 Außerdem stößt man im Politikos auf die Betonung einer erschöpfenden, vollständigen dihairesis, wenn der Gast den Feinköpfigen (κομψοί, Plt. 285a1) vorwirft, dass sie so unterschiedliche Gattungen als ähnlich betrachtet hätten (gemeint sind die zwei zuvor erläuterten Gattungen der Messkunst), obschon ihr allgemeiner Beitrag zur Messkunst anerkannt wird: Man muss die Idee in ihre Arten einteilen, bis alle Unterschiede und Ähnlichkeiten durchschaut werden, um das Wesen einer Gattung zu umfassen. 304 In Bezug auf die gesuchten neuen Beiträge unseres Textes zum Wesen der dihairesis kann man noch zutreffender formulieren, dass hier das Ganze nicht auf die Definition einer gesuchten Art hinausläuft. Die durchgeführten Dihairesen im Sophistes und Politikos zielen hingegen auf den logos, der aufgrund der Verflechtung der umfassenderen Unterarten und der entsprechenden Gattung ausgedrückt wird. 305 Nicht die Stellung eines Elements in einem ideellen Zusammenhang wird im Philebos zum Hauptzweck, sondern die viel anspruchsvollere Zielsetzung, dass die begrenzte Anzahl aller Elemente erfasst wird, in allen ihren gegenseitigen Beziehungen. Auf diese Weise gerät die Definition nicht aus dem Blick: Die Gesamtheit der Einheiten und nicht eine vereinzelte Gattung muss bestimmt werden. Die dihairetischen Durchführungen des Sophistes und des Politikos ergeben sich auch aufgrund dieser Beobachtung eher als Teil der viel umfassenderen Methode, die im Philebos knapp dargestellt wird. Die ganze verlangte Arbeit enthält nicht nur die Einteilung und deren komplementäre Zusammenführung, sondern mühsame Kombinatorik der Elemente, was im Beispiel der Musik zur Sprache kommt. Um die Thematik des Dialogs vor Augen zu behalten, wird das erforschte menschliche Gute hier nicht als eine infima species eines dihairetischen Baums definiert. Sondern bestimmte Arten der Lust werden mit bestimmten Arten des Wissens (eigentlich allen) „gemischt“, damit das Gesuchte bestimmt werden kann. Der Sachkundige einer Kunst muss nicht nur über die Methode der dihairesis, sondern auch über eine höchst komplexe Kombinatorik verfügen, damit er dessen gewahr wird, welches Element mit welchem verbunden werden kann und welches nicht. 306 In der Dialektikpassage wird Folgendes ganz besonders hervorgehoben: Das ideelle Sein wird in der jetzigen sokratischen Skizze nicht als die letzte, irreduzible Einheit der platonischen Philosophie betrachtet, sondern auf Grenze und Unbegrenztheit zurückgeführt.
-------------------------------------------ständigkeit des jeweils vorgestellten Klassifikationssystems durch die Betonung der genauen Zahl hervor. 303 Phdr. 271c10-d5: Ἐπειδὴ λόγου δύναμις τυγχάνει ψυχαγωγία οὖσα, τὸν μέλλοντα ῥητορικὸν ἔσεσθαι ἀνάγκη εἰδέναι ψυχὴ ὅσα εἴδη ἔχει. ἔστιν οὗν τόσα καὶ τόσα, καὶ τοῖα καὶ τοῖα [...] τούτων δὲ δὴ οὕτω διῃρημένων, λόγων αὖ τόσα καὶ τόσα ἔστιν εἴδη, τοιόνδε ἕκαστον. Auch bei der Rekapitulation: 273d2-274a5: (273d8-e1: ἐὰν μή τις τῶν τε ἀκουσομένων τὰς φύσεις διαριθμήσηται (also durchzählt). 304 Plt. 285b11-c2: Wenn man so viel Wert auf πάσας (285b2) und σύμπαντα (285b5) legt, unterstreicht man zugleich die genaue Zahl, trotz ihres scheinbaren Fehlens. 305 Dass das Formulieren einer Definition in der Passage des Philebos zurücktritt, hat als erster Stenzel hervorgehoben: 19613, S. 99f. 306 Sph. 253b11-c1: ποῖα ποίοις συμφωνεῖ τῶν γενῶν καὶ ποῖα ἄλληλα οὐ δέχεται;
258
Kapitel 3
Wie oben gezeigt wurde, 307 ist die zu Anfang gesetzte Idee nicht als solche gegeben. Erst beim Abschluss des beschriebenen Prozesses kann ihre Einheit als wohlstruktuierte Einheit verstanden werden. Das im Phaidros eingeführte Bild des Koches offenbart schon eine sehr wichtige Analogie zwischen der einzuteilenden Idee und dem zu zerschneidenden Tier, nämlich dass die ideelle Einheit einem Organismus ähnlich ist, der dann vom Dialektiker in seine natürlichen Gelenke eingeteilt werden muss. Aus diesem Bild darf aber nicht gefolgert werden, dass der Dialektiker die zu teilende Idee als eine schon gegebene, bestimmte, vergegenständlichte Entität vor sich hätte. Die Abgrenzung ihrer Glieder verfolgt er, um die angemessene dihairesis nachzuvollziehen. Im Kontext des Philebos wird im korrigierenden Vergleich dazu unterstrichen, dass sich die Bestimmung erst am Ende des dialektischen Prozesses ergibt. Der Dialektiker geht von einer vagen Idee aus, die er Schritt für Schritt eingrenzt und somit am Schluss deren Bestimmung erreicht. Die anhand des dihairetischen Schemas zur Sprache gekommene ideelle Verflechtung spiegelt ihre reale Struktur wider. Ihre von unserem Geist unabhängige Realität wird entdeckt, weil sie sich nicht auf einen subjektiven Gedanken reduzieren lässt. 308 Durch die Einführung der Grenze und der Unbegrenztheit wird darauf hingewiesen, dass der Dialektiker in seinem bestimmenden Verfahren die Generation der Ideen aus Grenze und Unbegrenztheit zu imitieren versucht. 309 Er ahmt den göttlichen, nichtzeitlichen Urakt der Begrenzung des Unbegrenzten in seinem unvermeidlich zeitlichen Prozess der Erkenntnis nach. 310 Nach häufigen Belegen in den platonischen Texten gleicht sich der Dialektiker nach seinem Vermögen Gott an, 311 indem er den geordneten und wohlproportionierten Ideenbereich nachahmt. 312 Die Angleichung ereignet sich einerseits in den plötzlichen Momenten der geistigen Schau, die in der Diskussion im Philebos bemerkenswerterweise völlig zurücktritt; andererseits, indem der Dialektiker durch die graduelle Bestimmung der zunächst unbestimmten Einheit den dynamischen Aspekt der Genese des sich ordnenden ideellen Zusammenhangs nachvollzieht. Was den Begriff der Nachahmung (μίμησις) betrifft, muss er von dem verhängnisvollen Gewicht entlastet werden, das er im Rahmen des zehnten Buches der Politeia bekommen hat. 313 In jenem Zusammenhang wird μίμησις unumstritten negativ konnotiert, -------------------------------------------307
Oben, § 3.3, II.3b. Nach Prm. 132b3-d1. 309 Auf die indirekte Überlieferung muss hingewiesen werden, vor allem auf die scharfe aristotelische Kritik in den letzten zwei Büchern der Metaphysik, in denen das Konzept der Genese des Intelligiblen im Mittelpunkt der Kritik an der Akademie steht. D. Kolb schlägt den denkwürdigen Vergleich vor, dass der Prozess der simultanen Bestimmung des entsprechenden genos und seiner Erscheinungen die Genese der Ideen selbst widerspiegelt (1983, S. 507). 310 Vgl. MacClintock 1961, S. 50: „the order of knowing recapitulates the order of being; the activity of discovery by the thinker repeats the act of creation by the Cause.“ 311 Tht. 176b2. Das Göttliche des Dialektikers taucht an mehreren Stellen auf, ohne dass Widersprüche zu den klaren Grenzen zwischen dem Gott und dem Philosophen entstehen: s. die Einleitungsszene des Sph. 216bff., Phdr. 266b. 312 Dazu die einschlägige Stelle in R. 500b8-c7. Die Identifizierung des ideellen Bereichs und des Göttlichen kann oft festgestellt werden: z. B. Phdr. 249c5f., Smp. 211e3. Im mythologischen Rahmen des Timaios wird der Demiurg von den Ideen unterschieden; am plausibelsten ist die Auslegung Gaisers, der ihn als den dynamischen Aspekt des ideellen Bereichs verstanden hat, 19682, S. 201 und passim (den Doppelaspekt der Idee betonend, einerseits als in sich ruhende Form, andererseits als wirkende Kraft). 313 Die Arbeit, den Begriff der mimesis genetisch und systematisch darzustellen, hat Koller in seiner Dissertation (1952) auf gründliche Weise geleistet. Wir berufen uns hier auf die entsprechenden Kapitel. 308
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
259
in einem Versuch, die Künstler als dreimal von der Wahrheit entfernt aus dem idealen Staat zu verbannen. An erster Stelle befindet sich der Gott als derjenige, der dem Objekt sein Wesen verleiht, dann kommt der Handwerker und erst an dritter Stelle folgt der durch den größten ontologischen Verlust gezeichnete Künstler. 314 Trotz dieser Stelle und der ähnlichen Abwertung der μίμησις in Sophistes 265aff. – weil dort die φανταστική τέχνη unter die mimetische Kunst fällt – dürfen jedoch andere Partien nicht heruntergespielt werden, die dem Begriff der μίμησις eine positive Bedeutung beimessen. Nicht nur dort wird mimesis in Anspruch genommen, wo die Kunst als Nachahmung der vorliegenden, wahrnehmbaren Wirklichkeit abgewertet wird, sondern auch in Passagen, in denen vom Nachahmen des unsichtbaren Intelligiblen die Rede ist. In der Politeia selbst – an der oben herangezogenen Stelle – 315 wird die Nachahmung des ideellen Bereichs als Ziel und Aufgabe bezeichnet. Nach Timaios’ Darstellung der Konstitution der Welt ahmt darüber hinaus die entstandene Zeit die Ewigkeit nach. 316 In dieser zweiten positiven Bedeutung wurde daher die μίμησις in unserem Zusammenhang in Anspruch genommen. Der Dialektiker erweist sich als göttlich. Nicht nur, indem er – soweit dies dem Menschen möglich ist – das ewige Sein der Idee im Moment der Schau erreicht, sondern auch, indem er die genetische Entstehung der ideellen Ordnung in seinem zeitlichen, dialektischen Verfahren nachvollzieht. III. Zusammenfassung der Ergebnisse in der Dialektikpassage Fassen wir zusammen, was sich in unserer Analyse der Dialektikpassage gezeigt hat: Nach dem blitzhaften Eintritt der zwei im Seienden zusammengewachsenen, pythagoreisch verkleideten Prinzipien wird die vom Dialektiker nachzuvollziehende Begrenzung eines ganzen ideellen Zusammenhangs thematisiert. Am Anfang des dialektischen Prozesses erscheint die zu untersuchende gesetzte Idee als eine (z. B. die Wissenschaft, die Lust oder Eros), aber diese anfängliche Einheit muss weiter differenziert werden, bis die genaue Anzahl der Ideen erreicht wird, die zwischen der ersten, noch nicht begrenzten – und deswegen für den Dialektiker noch unklaren und diffusen – ideellen Einheit und der Unbegrenztheit des Wahrnehmbaren vermittelt. Die Unbegrenztheit des Letzteren betrifft sowohl die unbegrenzte Zahl der einzelnen wahrnehmbaren Dinge als auch seine Unbestimmbarkeit als Fehlen seiner Begrenzung. In der Dialektikpassage wird Wert auf einen systematischen Aufbau des ideellen Ganzen gelegt; es taucht ein sehr anspruchsvolles holistisches Wissenskonzept darin auf: Nicht auf eine Idee und deren Bestimmung wird hier gezielt, sondern auf den ganzen ideellen Zusammenhang (Phl. 18c7-8). Jedes Element wird nur dann erkannt, wenn dessen Stellung innerhalb des ganzen Gefüges entdeckt wird – d. h. dessen Bezüglichkeit zu allen anderen Elementen des Systems – und das je schon entfaltete Ideelle 317 im dialektischen Erkennen aufs Neue entfaltet wird. Der Dialektiker ahmt den göttlichen Urakt des Bestimmens des Unbestimmten nach, der zur διακόσμησις (Phl. 16d1) führte (das Zeitliche ist hier nur um der Belehrung willen zu verstehen: διδασκαλίας χάριν). Wie werden nun aber Einheit und Unbegrenztheit erfahren – anders als stets aufeinander verwiesen und niemals für sich? Die Einheit der Idee/ Monade ist keine Einfachheit, sondern strukturierte Einheit, deren innere Fülle im dialektischen Erkenntnisakt zu entfalten ist. Die Unbegrenztheit der wahrnehmbaren -------------------------------------------314
R. 595a ff. R. 500b8-c7. 316 Ti. 38a7. 317 Erinnert sei an unsere Ausführungen im zweiten Kapitel, § 2.3, III, 1a. 315
260
Kapitel 3
Phänomene ist dementsprechend nicht als völlig unbegrenzt zu verstehen. Die Begrenzung der einen anfänglichen Idee und des unbegrenzten Wahrnehmbaren geschieht zugleich: Wenn wir den ideellen kosmos in seiner Struktur zur Sprache gebracht haben – nachdem wir vom Wahrnehmbaren ausgegangen sind –, haben wir auch das Wahrnehmbare bestimmt, sofern es bestimmbar ist. 3.4 Von der vierfachen Einteilung alles Seienden zum vierfachen Gefüge (23c1-27c1): Das Zeugen des Schönen „Nach der ewigen Tat der Selbstoffenbarung ist nämlich in der Welt, wie wir sie jetzt erblicken, alles Regel, Ordnung und Form; aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden. Dies ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt.“ F. W. J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände 318 I.
Methodische Vorbemerkungen und der Leitfaden unserer Interpretation
In der vierfachen Einteilung alles Seienden werden wir die Frage stellen: Wie erscheinen die Erscheinungen, nachdem der Dialektiker den ganzen Weg bis zum σύμφυτον der Prinzipien gegangen ist? Wie verwandeln sich die Erscheinungen, wenn er zu ihnen zurückkehrt, nachdem er sie zunächst „aufgegeben“ hatte? 319 Es war nämlich bis jetzt im Verlauf des Gesprächs so, dass das einzelne Wahrnehmbare beiseite gelassen wurde, damit sich der Blick des Forschenden auf die Monade konzentrieren konnte. Das Unbegrenzte des Wahrnehmbaren geriet als Werden und Vergehen (τὸ ἓν μὴ τῶν γιγνομένων τε καὶ ἀπολλυμένων, 15a1-2) außer Betracht. Als Einstiegspunkt des dialektischen Prozesses schien das Wahrnehmbare (jedes, wovon es eine Idee gibt: μίαν ἰδέαν περὶ παντός, Phl. 16d1-2) in den Hintergrund gerückt, da der Dialektiker sich dem Aufbau des ideellen Systems zugewendet hat. Wenn auch gewisse Diskussionspunkte der Forschung im Folgenden aufgegriffen werden sollen, wird unsere Leitfrage lauten: Was geschieht bei der vierfachen Einteilung von allem Seienden, sodass deren Charakterisierung als vierfaches Ge-füge gerechtfertigt wird? Was fügt sich darin? Welches Band (δεσμός) bindet diese Vier-heit zu einer Einheit zusammen? Zu welchem Ganzen sind wir jetzt gelangt, nachdem wir in der Dialektikpassage das Ganze der Ideenwelt vor Augen hatten? Der Abschnitt, vor dem wir stehen, macht den zweiten bedeutungsvollen Exkurs des Philebos aus. Die Rede vom Exkurs darf dabei nicht so verstanden werden, dass die Passage redundant sei. 320 Auch dieser Exkurs zielt – wie häufig im platonischen Kontext – darauf, den Gesprächspartner dialektischer und erfinderischer in Bezug auf alles Seiende -------------------------------------------318
Schelling 1994, S. 359f. Hervorhebungen G. M. „Aufgabe“ ist einerseits im Sinne des Loslassens und der Preisgabe, andererseits des zu lösenden Problems zu verstehen. S. oben § 1.1, II. 320 Vgl. Gosling 1975, S. 205f. 319
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
261
zu machen, gemäß der Definition der Dialektik im Exkurs des Politikos über die angemessene Länge der Reden (283bff.). 321 Die organische Integration der Passage in den ganzen Dialog lässt sich dadurch bestätigen, dass erst am Beispiel der vierfachen Einteilung die untersuchte Problematik der Lust und der Einsicht als zu beurteilender Komponente des guten Lebens entschieden und vertieft wird. 322 Nachdem der erste Preis dem gemischten Leben selbst verliehen worden ist (Phl. 20b6ff.), muss geprüft werden, welche von beiden, die Lust oder die Vernunft, den zweiten Preis erwerben kann. Das entscheidet sich, wenn man herausfindet, welche die Ursache des guten gemischten Lebens ist: die Lust oder die Vernunft (22d-e). Sokrates bemerkt, dass das jetzt zu behandelnde Problem einer langwierigen Argumentation (συχνοῦ μὲν λόγου τοῦ λοιποῦ, 23b5-6) und anderer Mittel als der bisher gebrauchten (ἄλλης μηχανῆς, 23b7) bedürftig sei. Er gibt aber zugleich zu, dass manche von den schon vorgebrachten Argumenten vielleicht auch weiter in Anspruch genommen werden können. Das Ganze wird in vier Gattungen eingeteilt: Unbegrenztheit, Grenze, Mischung und Ursache. Die Passage der Einteilung des Ganzen hat immense Aufmerksamkeit verdient, nicht nur innerhalb der platonischen Forschung, sondern in der Philosophie überhaupt. 323 Die „Mischung“ tritt hier in ihren allgemeinen Bedingungen hervor, bevor anschließend auf die besondere Weise des menschlichen Lebens eingegangen werden kann, dessen zu „mischende“ Konstituenten die Lust und die Vernunft sind. Die hier anvisierte Mischung beheimatet nach unserer Deutung die Zeugung des Schönen, und zwar der schönen Erscheinungen, worauf noch ausführlicher einzugehen ist. Obgleich häufig vertreten wird, dass das Wahrnehmbare überhaupt (also nicht nur die schöne Erscheinung) als Mischung zu verstehen sei, stimmt es nicht. Das Zeugnis von Aristoteles wird dadurch verifiziert, dass die Prinzipien Elemente sowohl des Wahrnehmbaren als auch des Ideellen seien. Der zweite Exkurs mündet in einen kleineren kosmologischen Exkurs (ab 27c bis 30c). Die menschliche Vernunft sollte nach Vermögen die göttliche kosmos-stiftende Vernunft imitieren, um ein schönes Leben zu führen. Gewisse Verbindungen lassen sich herstellen zwischen der Gattung des Unbegrenzten und der chora, der Grenze einerseits -------------------------------------------321
Plt. 287a3-4: ἀπηργάζετο εὑρετικωτέρους τῆς τῶν ὄντων δηλώσεως. Die Ansicht Strikers, dass Platon „wenig Gebrauch von der vierfachen Einteilung macht“ (1970, S. 9), weil der Dialog sonst schon in 31 zu einem Ende hätte kommen sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Nachdem die Bedingung der Möglichkeit jeder Mischung eingeführt worden ist, sind die Mittel und die axiologischen Kriterien zur Untersuchung der phänomenologischen Mischung des Lebens erworben worden, was wiederum nicht heißt, dass der Dialog jetzt zum Ende kommen sollte: Noch nicht ist nämlich aufgezeigt, wie man das gute Leben (als konkreten Fall der dritten Gattung der Mischung) mischen sollte. 323 Der junge Schelling, der sich für die Konstruktion des Begriffs der Materie und der Denkbarkeit des „Werdens zum Sein“ interessierte, hat die vierfache Einteilung des Philebos in seinem Kommentar über den Timaios (1794) herangezogen: 1994, S. 59-70. Die vier Gattungen der Einteilung würden nicht nur als Formen unseres Verstandes, sondern als allgemeine „Weltbegriffe“ interpretiert, aus denen sich das Dasein der ganzen Welt erklären lassen müsste („Timaeus“, ebd., S. 63, 68f.). Sie seien nicht metaphysische Entitäten, sondern transzendentale Prinzipien der Existenz einer sichtbaren Welt, ohne welche die in Raum und Zeit existierenden Dinge nicht als möglich gedacht werden könnten. Πέρας und ἄπειρον existieren nach dem Tübinger Philosophen nur im Vorstellungsvermögen (ebd., S. 68), sind also bloß formale Weltbegriffe (ebd., S. 69); ihre Verbindung im κοινόν werde in Platons Philosophie objektiv gedacht. Nicht nur nähert sich Schelling der platonischen Problematik mit transzendentalphilosophischem Rüstzeug an; zugleich beantwortet er gewisse kantische Fragen, wie diejenige nach Herkunft und Grund der reinen Begriffe, umgekehrt mit der Hilfe von Platons Philosophie (Schellingiana IV, darin Krings, ebd., S. 123). 322
262
Kapitel 3
und den Ideen und Zahlen andererseits, die der Demiurg (als Ursache) in Anspruch nimmt, um im Timaios die regulären Körper zu konstruieren. 324 Man darf trotz allem einen gewichtigen Unterschied nicht übersehen: Der Kontext im Philebos lässt sich anders als im Timaios nicht in einen mythologischen Hintergrund integrieren, was die Schwierigkeit der Auslegung im Philebos keinesfalls verringert: Untrügliche Zeichen dafür sind wohl die dauerhaften Debatten in der Forschung. Auf der Grundlage des Mythos können keine Wahrheitsansprüche erhoben werden, sondern Wahrscheinlichkeiten (εἰκὼς λόγος wird von Timaios erstrebt und beansprucht). Dabei treten die chora, die Ideen und deren Abbild als vor-kosmisch – also vorzeitlich und vorweltlich – hervor. Im Philebos hingegen geht es um die Einteilung des Ganzen überhaupt, also auch um diejenige in der Zeit und nicht nur um diejenige vor der Entstehung des Weltalls. 325 Was können wir diesem Vergleich entnehmen? Wir ziehen im Rahmen unserer methodologischen Bemerkungen zwei Schlüsse: 326 Zum einen tritt der entsprechende Wahrheitscharakter bei der vierfachen Einteilung auf, weil darin auf „mythische Rede“ 327 verzichtet wird. Nicht nur dem göttlichen Werkmeister oder Demiurgen wird die Aufgabe – im mythischen Rahmen des Timaios – überlassen, im dunklen Nichts eine Spur des Seins und eine abgeleitete logische Struktur zu erzeugen. Platon geht in der Tat – im nicht mythischen Rahmen des Philebos – so weit, uns Sterblichen diese Aufgabe zuzumuten, sofern wir bei dieser Tätigkeit die kosmos-stiftende Vernunft nachahmen. 328 Zum anderen plädiert dieses Zusammendenken der zwei verschiedenen Zusammenhänge für eine nicht zeitliche Auslegung der Entstehung des Weltalls im Timaios. Nicht ein einziges Mal hat der Demiurg das Weltganze geschaffen; stattdessen werden – wenn wir die entgegengesetzte Option des διδασκαλίας χάριν vertiefend weiterdenken möchten – in jedem Augenblick, in dem Schönheit und Ordnung (also kosmos) sich zeigen, sowohl die chora als auch die Ideen und der Demiurg notwendigerweise da sein. Verwiesen sei auf das Moment des Kairotischen im vierfachen Gefüge, auf das im Rahmen dieser Arbeit nicht tiefer eingegangen werden kann. Unsere These lässt sich folgendermaßen formulieren: Platon bringt durch verschiedene komplexe „Anschauungsmetaphereinheiten“ 329 stets dasselbe zur Sprache, indem er --------------------------------------------
324 Vgl. Th. A. Szlezák 1997, 1, S. 202: „Der Überblick über die vier gene im Philebos redet nicht mehr von der chora, die als Zugrundeliegendes nur für das physikalische Werden gelten kann, sondern allgemeiner vom apeiron, das sich als Prinzip eines nur metaphorisch so zu nennenden ‚Werdens’ –d. h. der Konstruktion – der Intelligibilia eignet, ebenso wie sein Gegenprinzip, das peras.“ Der Platon-Interpret unterscheidet mehrere, einander sukzessiv „korrigierende“ Stufen der Darstellung der Prinzipien des Werdens im Corpus Platonicum und integriert auch das vierfache Gefüge des Philebos in dieser Liste der „platonischen Selbst-Korrekturen“, die zunehmend den Blick auf die ontologischen Zusammenhänge ausweiten. In dieser Liste kommt das vierfache Gefüge des Philebos direkt vor der Ungeschriebenen Lehre: mehr offenbarend als 1. der Unsterblichkeitsbeweis im Phdr., 2. das Aufzeigen der Seele als Ursache jeder Bewegung in Lg. (10. Buch) und 3. die mythische Erzählung des Ti. (ebd., S. 201f.). 325 Wie Hackforth treffend beobachtet: „Whether we accept (with the most scholars, ancient and modern) the view that the cosmogony of the Timaeus is merely a device of exposition, or follow Aristotle and Plutarch in taking it literally, in either case the Philebus is different, and non-mythical.“ (19582, S. 37) 326 Das „Methodologische“ sollte nicht als bloß formal verstanden werden. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass die Methode mit dem untersuchten Gegenstand engstens verknüpft ist, wie sich bei unserer Beobachtung über die Methode der dihairesis, § 2.2, IV.2 gezeigt hat. 327 Wie die „mythische Rede“ verstanden werden sollte, darf hier als verwickeltes Thema dahingestellt bleiben. Dazu Hirsch 1971. 328 Vgl. Anton Fr. Koch, VL SS 2001, § 43. 329 Die Rede von „Anschauungsmetaphern“ ist Nietzsches Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ entliehen, KSA Bd. 1, S. 882. Zum Rahmen dieser frühen Abhandlung
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
263
sich dem Geschehen des σύμφυτον anzunähern versucht. Einmal nimmt er die Metapher des Mischens und Zeugens in Anspruch (im Philebos und Timaios), ein andermal die Metapher des Überzeugens der ἀνάγκη durch den νοῦς im Timaios. Was ist dieses Selbe, auf das diese reiche Metaphern bildende Tätigkeit Platons hinweist? Schönheit und Ordnung entstehen durch eine Bezähmung und Bändigung des nie völlig Bezähmbaren, dem sie agonal abgerungen werden: Es geht um die Prägung des Seins auf das von sich aus widerstrebende Werden. 330 Platon zielt in der Einteilung nicht ausschließlich auf die Quantifizierung des Wahrnehmbaren, wenn auch solche Tendenzen beim späten Platon und im Philebos präsent sind. Es geht eher darum, dass jedes wahrnehmbare Schöne als konkrete Mischung (mag es innerhalb einer herstellenden Kunst oder innerhalb der Theorie oder Praxis des gemischten guten Lebens oder im Rahmen des kosmischen Schaffens sein) das platonische vierfache Gefüge versammelt. Es handelt sich um vier Gattungen, die sich einander auf eine solche Weise fügen, dass man von „Gefüge“ sprechen darf. Die Bezeichnung „fügen“ versammelt alle folgenden Bedeutungen: 1. passend verbinden, 2. fest aufeinander- oder anpassen, 3. passend gestalten, 4. ordnend gestalten, 5. ins Werk setzen, zuwege bringen, schaffen. 331 Das „Gefüge“ lässt sich folglich als Verbindung verstehen, als Zusammensetzung. 332 Das Geschehen des Zeugens der Schönheit bindet die vier Gattungen und macht sie zum Ge-füge. So entsteht die Welt nach Platon: nicht als Ganzes des Anwesenden, sondern als agonales Bezähmen des nie völlig Bezähmbaren. Der ethische Charakter der hier diskutierten Fragestellung darf weder bestritten noch aus den Augen verloren werden. Gleichzeitig lassen sich Stellungnahmen wie die Shiners modifizieren, der von einer ausschließlich „meta-ethical“ Ebene des Exkurses ausgeht und demgemäß den metaphysischen Charakter überhaupt verneint. 333 Die Mischung hat sich bei unserer bisherigen Analyse im Sophistes als das Gefüge der sich mischenden und trennenden größten Gattungen manifestiert. Im Philebos macht sie den Seinscharakter der vielen schönen Erscheinungen aus: eine bestimmte Art von wahrnehmbarem Werden wird als Mischung dargestellt, während auf die Mischung als Seinscharakter des ideellen Seins durch nichts mehr als durch gewisse Indizien verwiesen wird: In der vierfachen Einteilung stehen die Ideen nach unserem Dafürhalten hinter der Gattung des πέρας, -------------------------------------------Nietzsches s. oben, § 1.3, Anm. 164. Zu einer anderen Untersuchung gehörte die These, dass der Träger dieser Metaphern nicht die Fantasie, sondern die Vernunft ist, die nicht ein Einzelnes, sondern komplexe, ganzheitliche Situationen aufnimmt. Kostbare weiterzudenkende Anregungen habe ich hier dem von Damir Barbarić angebotenen Seminar („Vom Denken. Systematisch-geschichtliche Erörterung“, Humboldt Universität zu Berlin, 26.-30. September 2005) zu verdanken. 330 Hier sei nur am Rande bemerkt, dass auch der späte Nietzsche zu ähnlichen Gedankengängen gelangt ist, um sich dem Wesen der Schönheit anzunähern: diese nämlich als Bändigung der Gegensätze verstanden, worin sich das höchste Zeichen von Macht (der über Entgegengesetztes) zeige (KSA, Bd. 12, S. 258: hier in Bezug auf die künstlerische Schönheit). Sein Interesse an γένεσις εἰς οὐσίαν drückt er folgendermaßen aus: „Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen – das ist der höchste Wille zur Macht.“ (KSA Bd. 12, S. 312) 331 Laut Grimms Deutschem Wörterbuch, Leipzig 1854ff., S. 384-388. 332 Erinnert sei an das musikalische System (σύστημα) als Zusammenstellung, s. oben, § 1.2, Anm. 82. 333 In seiner Monografie (1974) und dem anschließenden Aufsatz (1979) greift Shiner „the revisionism/ antirevisionism dispute“ auf, um die These zu vertreten, dass der Philebos mit einer Revision der transzendenten Ideenlehre verträglich ist, obschon diese nicht bewiesen werden kann. Die Passage Phl. 23-31 dient nach Shiner dem ethischen Zweck des Dialogs (1974, S. 48). Noch radikaler unterstreicht Davis das Ethische des Arguments der vierfachen Einteilung: „The argument is, I believe, an ad hoc one. It was not intended to provide the basis of an alternative metaphysic.“ (1979, S. 133) Die platonische Ethik ist trotz aller solchen Versuche nicht akzidentell, sondern notwendigerweise ontologisch.
264
Kapitel 3
was am richtigen Ort aufzuzeigen ist. Im vierfachen Gefüge kommen die Grundcharakteristika der Metapher der Mischung in ihren vorphilosophischen Zusammenhängen vor, die Platon für seine Ontologie fruchtbar gemacht hat (Mischung als Prozess und Produkt: als Werden zum Sein [γένεσις εἰς οὐσίαν] und als gewordenes Sein [γεγενημένη οὐσία]). Aus unserer Betrachtungsweise darf nicht die falsche Erwartung erwachsen, es handle sich bei der untersuchten Einteilung um die fundamentale Ontologie Platons. 334 Noch die, dass es um die Offenbarung der esoterischen Prinzipienlehre überhaupt gehe, was ohnehin die Schriftkritik verletzen würde. 335 Die Tatsache, dass es offen bleibt, ob eine fünfte Gattung eingeführt werden sollte oder nicht (23d9-e1), weist bereits darauf hin, 336 dass diese Einteilung nicht die letztgültige ist. 337 Kutschera folgert in seiner Auslegung des vierfachen Gefüges auf angemessene Weise: „Platon eröffnet uns also auch in diesem Dialog keine größeren metaphysischen Perspektiven, als er sie gerade benötigt.“ 338 Was das Heranziehen der indirekten Überlieferung und die Schwierigkeit ihres Zusammendenkens mit dem Philebos-Gefüge angeht, treffen nüchterne Stimmen wie die David Kolbs das Richtige: „We should conclude that the unwritten doctrines are not expressed directly in the fourfold classification, though the doctrines are not excluded either.“ 339 Um dennoch einen positiveren Schritt zu wagen: Im σύμφυτον (in Phl. 16c10) erklingt das ursprüngliche, prinzipielle Verhältnis, während die Mischung des vierfachen Gefüges nicht mit diesem Urverhältnis gleichzusetzen ist. Die zwei ersten Gattungen von πέρας und ἄπειρον sind im Gegensatz zu der vorangegangenen Stelle von 16c10 (πέραςἀπειρία) nicht als die zwei platonischen Prinzipien, sondern als deren Derivate zu betrachten. Wenn diese Verschiebung übersehen wird, kann es nur zu Missverständnissen kommen, wie sich auch faktisch in der Forschung bestätigt. Ansprüche auf terminologische Stringenz werden auch in diesem platonischen Kontext nicht erfüllt. 340 Wie der --------------------------------------------
334 Ob es sich überhaupt um eine neue Ontologie Platons handelt, ist darüber hinaus eine wesentliche Frage, der wir uns bei der Behandlung der Gattung der Mischung widmen werden, s. unten, § 3.4, IV 1b, ii, A. 335 Schneider (1884, S. 2, und passim) spricht von drei Prinzipien im Philebos (also dem Unbegrenzten, der Grenze und der Ursache; nach seiner Meinung kann das Gemischte als Produkt nicht zu den Prinzipien gehören). Der Interpret behandelt das vierfache Gefüge, als ob darin die Ontologie Platons par excellence zu finden wäre. 336 Es geht um einen ersten, äußerlichen Hinweis: Wie wir noch sehen werden, erweist sich das Vierfache der Einteilung als notwendig gegenüber der möglichen Einführung einer fünften Gattung. 337 Vgl. die Situation bei der Erzählung des Timaios, der seine anfängliche Zweiteilung in Sein und Werden durch das Hinzufügen einer dritten Gattung, der chora, erweitert. Er erklärt selbst, dass es zu Beginn als hinreichend erschien, von zwei Gattungen auszugehen: Ti. 48e2-49a4. Dazu die angebrachte hermeneutische Auswertung Th. A. Szlezáks, 1997, 1. Außerdem die zutreffende Beobachtung von Moravscik 1979, S. 94: „Plato never gives an exhaustive classification of the items of his ontology.“ 338 Kutschera 2002, S. 99, in Anbetracht der Frage, ob hier das Unbegrenzte in einem weiteren Sinn verstanden werden sollte, so dass in der Mischung auch abstrakte Strecken, Flächen und Körper entstehen könnten. Nach dem Interpreten betrifft die Mischung mit Recht nur Empirisches. 339 D. Kolb 1983, S. 508. 340 Anders bei Gosling, der davon ausgeht, dass πέρας und ἄπειρον in der Dialektikpassage und im vierfachen Gefüge genau gleichbedeutend seien: 1975, S. 186, 196ff., 1996, S. 225, da in beiden Passagen die gleiche Auffassung von τέχνη entfaltet werde. Nach dem Interpreten wird im vierfachen Gefüge Aufmerksamkeit auf das Produkt und den Urheber der jeweiligen Kunst gelegt (1975, S. 197). Goslings Auslegung ist einseitig, da er alles vom Spektrum der τέχνη aus betrachtet: Es mag hier auch um herstellende Kunst gehen, an deren Modell die Ursache als bewerkstelligender Demiurg vorzukommen scheint. Das Modell ist allerdings das σύμφυτον (das Ursprüngliche) und nicht die τέχνη (das Derivat). Es ist keineswegs angemessen zu folgern, dass es sowohl in der Dialektikpassa-
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
265
Dialektiker nicht in der irreführenden Gleichnamigkeit bestimmter Begriffe stecken bleiben darf, so auch der Interpret des platonischen Philosophierens. 341 Der von gewissen Interpreten erhobene Anspruch auf Bewahrung der terminologischen Konsistenz erweist sich also auch für den Fall von πέρας und ἀπειρία (zwischen 16c10 und 23ff.) der Art des platonischen Schreibens und Philosophierens als nicht gemäß. 342 Mithilfe der bisherigen Beobachtungen lässt sich das Rätsel der aristotelischen Darstellung in der Metaphysik auflösen. In Metaph. A6, 988a9-17 berichtet der Stagirit, dass Platon nur zwei der aristotelischen Ursachen entdeckt habe: die formale und die materielle. Daher wundert sich Ross: Aristotle ignores various suggestions of an efficient cause in Plato – the self-moving soul of Phaedrus 245C, D, Laws 891-899, the demiurge of Soph. 265B-D and of Tim. 28C ff., the aitia tes mixeos of Phil. 23D, 26E-27B, and various suggestions of a final cause – the ultimate good or hou charin of Phil. 20D, 53E, the object of the creator’s purpose in Tim. 29D ff., and in the Laws 903C. He doubtless thinks Plato’s treatment of these causes inadequate, but that does not justify him in speaking as if Plato had ignored them entirely. 343 Gaiser versteht Aristoteles’ Vermissen des Wirkungs- und des telos-Aspekts als ein Indiz dafür, dass Platon in seiner Vorlesung auf die Berücksichtigung der bewegenden und wirkenden Ursache verzichtet habe. 344 Das vierfache Gefüge lässt sich als Derivat des σύμφυτον (der platonischen Vorlesung) betrachten. Folglich kann Halfwassens Auslegung des vierfachen Gefüges in Zweifel gezogen werden. Dessen Schluss, dass „auch der Philebos für einen die Bipolarität nicht eliminierenden, sondern nur hintergreifenden letzten Monismus Platons spricht“, 345 lässt sich modifizieren, wenn beachtet wird, dass πέρας und ἄπειρον im vierfachen Gefüge Derivate der Prinzipien (also schon gemischt) und nicht die Prinzipien an sich sind. 346 Der „Ort“ der Mischung des vierfachen Gefüges ist infolgedessen nicht die ideelle Welt (auch wenn durch die Mischung der größten Gattungen darauf verwiesen wird, dass die Idee -------------------------------------------ge als auch hier nicht um die platonische Dialektik gehe: zu Gosling s. auch oben, unter anderem Anm. 219. Auch Sayre versteht das Paar der Begriffe in den zwei Passagen als einander gleich, weil es in beiden Fällen um die zwei platonischen Prinzipien gehe. 341 Vgl. den Fall der Arithmetik und der anderen Wissenschaften in Phl. 57d: Die Schwächen der tradierten Sprache müssen innerhalb der dialektischen Untersuchung soweit wie möglich aufgehoben werden. 342 So z. B. M. Hoffmann 1996, S. 123. 343 Ross 19972, I, S. 176f., folgt Alexander von Aphrodisias bei seiner Kritik am aristotelischen Bericht: TP 22B´. 344 In den Berichten herrscht eine logisch-mathematische Betrachtungsweise vor, während der νοῦς dort als wirkende Ursache fehlt: Gaiser 19682, Anm. zu TP 22B´, S. 480f. Hinzu kommt die aristotelische Kritik an Klarheit in der Bestimmung der bewegenden und wirkenden Ursache überhaupt: Metaph. A9, 991a21-b8, Λ6, 1071b14ff., Λ9, 1075b11ff., GC II9, 335b7ff. Es mag nur am Rande erwähnt werden, dass die aristotelische Rede von Materie und Form im Fall des σύμφυτον uneigentlich ist, da sie ihm das Konzept der Herstellung zugrunde legt. 345 Halfwassen 2001, S. 74. 346 Dass in diesem Fall mehr als die Widerlegung einer These im Spiel ist, wurde bereits oben (§ 2.4 – in den entsprechenden Anmerkungen –) deutlich. Es geht darum, dass die Notwendigkeit des von Halfwassen vorgeschlagenen Bildes des Aufstiegs in Frage gestellt und ein anderes Bild, nämlich das Bild des Aufstiegs zum σύμφυτον, als gleichberechtigt und nach unserem Ermessen der Sache näher hervorgehoben wird. Halfwassen schließt sich seinerseits der Zielsetzung der Forschung Krämers an, „die reine Historizität Platons“ zu entdecken. Deswegen kann vom Bild bei ihm nicht die Rede sein: zur Problematisierung des Platon-bildes s. oben, § 1.2, II.
266
Kapitel 3
ein Gemischtes ist), sondern die (schöne) Erscheinung. Nach unserer Reflexion bereitet die Beobachtung, dass das Moment der Vielheit nicht die gleichrangige Rolle im vierfachen Gefüge hat wie das der Einheit, kein Argument für das Wesen des Verhältnisses zwischen den zwei platonischen Prinzipien selbst. Dem νοῦς wird die Funktion der Vereinheitlichung beigemessen, nämlich die Einheit von Einheit (Grenze) und Vielheit (Unbegrenztem) herbeizuführen, was aber das Prinzipien-Verhältnis nicht widerspiegelt. 347 Trotz aller Schwierigkeiten, das vierfache Gefüge und die indirekte Überlieferung zusammenzudenken, stimmen wir folgender Behauptung von Benitez und anderen, die sich implizit oder explizit als Anti-Tübinger definieren, nicht zu: „The classification can be understood without appealing to Plato’s ‚unwritten’ doctrines.“ 348 Eher ist der Tiefsinn Gaisers im Rahmen aller ethischen Gebundenheit der vierfachen Einteilung zu unterstützen, dass nämlich darin „in allgemeiner Form die Grundzüge der platonischen Ontologie“ 349 hervorträten: eine genetische Ontologie des Schönen, wie schon vorausgeschickt wurde und was unsere Analyse noch aufweisen soll. II. ἀρχήν τιθέμενοι (23c1): Einführung in die vierfache Einteilung und ihr Gegenstand: πάντα τὰ νῦν ὄντα ἐν τῷ παντί Sokrates lenkt Protarchos’ Aufmerksamkeit darauf, dass man sehr vorsichtig den Anfang setzen müsse: ἀρχὴν διευλαβεῖσθαι πειρώμεθα τιθέμενοι (23c1). 350 Die platonische Auffassung von einem geordneten All (als κόσμος, Schmuck, verstanden) unterliegt der hier eingeführten Einteilung, lange bevor Sokrates die Frage nach dem Geordneten oder dem Ungeordneten des Weltalls stellt (Phl. 28dff.). Wenn das Ganze (τὸ πᾶν) ohne Prinzip (ἄναρχον) konzipiert würde, dann wäre dessen Zergliederung in eine bestimmte Zahl von Gattungen und deren Zusammenbinden in ein logisches und artikulierbares System – also eine Archo-logie – unmöglich. Es geht darum, dass hier alles Seiende eingeteilt wird: πάντα τὰ ὄντα. Es handelt sich um vier Gattungen (εἴδη oder γένη) 351 als Teile des Ganzen (23c4: ἐν τῷ παντί). Bevor wir den umstrittenen Inhalt des Gegenstandsbereichs der vierfachen Einteilung problematisieren, lenken wir unser Augenmerk auf das Primat des „Ganzen“ gegenüber dessen Teilen, das Platon von den früheren bis zu den spätesten Dialogen immer wieder hervorhebt. Im Charmides kommt das Ganze als das Ziel vor, das der Arzt im Blick haben muss, um den körperlichen Teil, dann den ganzen Körper und die Seele heilen zu können (156ae). Im Phaidros wird vor ähnlichem hippokratischem Hintergrund die Kenntnis der Natur -------------------------------------------347 Erinnert sei an das Hervortreten der Mischung der größten Gattungen als „Einheit der Einheit und Vielheit“ im Kapitel über den Sophistes (§ 2.3, III, 3) und an die entsprechende hegelianisierende Formel Hösles (§ 2.4). 348 Benitez 1989, S. 59. 349 Gaiser 19682, S. 194. 350 Zweifelsohne geht es hier um den Beginn der anschließenden langwierigen Argumentation. Zugleich wird aber auf die andere Bedeutung von ἀρχή als immerwährendem Anfang und in diesem Sinn als Macht und Prinzip angespielt. Es handelt sich um eine zergliedernde Analyse von allem, die sich nur vor dem Hintergrund einer Zurückführung auf Prinzipien ergeben kann. Der Name Πρώταρχος selbst – um einen literarischen Hinweis des platonischen Dialogs zu betonen – bedeutet die Priorität der Prinzipien. Wenn Platon auch größeren Wert auf seine mündliche Lehre als auf seine schriftliche gelegt hat, ist doch nicht zu übersehen, wie meisterhaft er seine Schriften verfasste und alle Einzelheiten berücksichtigte. 351 Γένη und εἶδη bezeichnen beide ohne Unterschied die vier Gattungen, wie sich in 23d2 und d5 belegen lässt. Dazu oben, § 2.3, III 1a. Mannsperger stellt fest (1969, S. 186ff.), dass γένος in der genetischen Erörterung des Philebos bevorzugt wird, in der dialektischen Abhandlung im Sophistes dagegen εἶδος.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
267
des Ganzen verlangt, um die Seele zu begreifen (270c), während im Gorgias die Gemeinschaft zwischen Erde und Himmel, Menschen und Göttern als geordnetes Ganzes beschrieben wird, in das Individuum und Staat sich integrieren. Die Sorge um das Ganze – und d. h. um alle seine Teile – unterstreicht der Athener in den Nomoi, um die Furcht zu mildern, dass die Götter das Kleine vernachlässigen (903b). Das Ganze kommt darüber hinaus an verschiedenen Stellen des Corpus Platonicum als das letztendlich erreichbare Ziel des dialektischen Erkenntnisweges vor. 352 Stellen wir jetzt die Frage, worauf sich der hier angewandte Begriff des Ganzen bezieht. Bevor wir unsere Aufmerksamkeit auf die vier Gattungen lenken – was die endgültige Antwort zum Vorschein bringen wird –, begnügen wir uns damit, dass dieses Ganze weiter hinausreicht als das in der Dialektikpassage vorkommende ideelle Ganze; deswegen müssen die hier erhobenen holistischen Ansprüche anders als die dortigen verstanden werden. Wir unterstreichen, dass es bis zu dem kleineren kosmologischen Exkurs nicht um das Weltall (29b10) geht. 353 Die in der Forschung vorgeschlagenen Deutungen lassen sich, setzt man als Kriterium das Verständnis der Mischung an und sieht von sonstigen Interpretationsunterschieden ab, hauptsächlich in drei Gruppen gliedern. Erstens interpretieren unter anderen Bröcker (19853, S. 489), Hackforth (19582, S. 37ff.), Kutschera (2002, S. 99), Ross (19532, S. 136ff.), Taylor (19722, S. 37ff.), de Vogel (1959) πέρας und ἄπειρον als Vorläufer der aristotelischen Form und Materie und verstehen als Mischung die wahrnehmbaren, konkreten Dinge. Gegen diese Interpretation lässt sich einwenden, dass die Mischung nicht alles Wahrnehmbare beinhaltet, sondern nur die schönen Erscheinungen. Platon rettet in seiner Spätphilosophie die Phänomene, indem er die schönen Phänomene rettet. Zweitens beinhalten ἄπειρον, πέρας und μεῖξις besonders nach Crombie (1963, S. 438), Striker (1970, S. 41ff.) und Letwin (1981, S. 188ff.) vor allem Ideen/ Formen. Bereits Crombie betont, dass „general terms/ universals“ in ihrem materiellen und formalen Element analysiert werden: „[…] the Philebus reflects Plato’s interest in disentangling a formal and a material element within universals.“ 354 Der Interpret stellt eine Änderung bezüglich der Emphase der Ideenlehre im Philebos fest, nicht „a wholesale change of doctrine“. 355 Obschon die alte Unterscheidung in die „Welt der Ideen“ und „die Welt des Wahrnehmbaren“ von Platon noch weiter vertreten werde (Phl. 59), sei sie nicht so scharf wie in Platons früherer Phase. Darin ist mit dem Platon-Interpreten übereinzustimmen. Bedenken sind trotzdem zu äußern in Bezug auf seine Problematisierung der Natur der Idee: „The question is whether the form of P is that which the Craftsman looks in creating P things, or merely the formal element in that.“ 356 Im ersten Fall wäre nach Crombie die Idee als „purely formal nature“ (also πέρας) zu verstehen, während die Ideen im zweiten Fall „archetypes of meikta“ entsprächen. 357 Trotz seines in den komplexen späten platonischen Kontext eindringenden Blickes schafft es Crombie nicht, sich von einer aristotelischen Betrachtungsweise zu befreien. Der Demiurg erblickt nicht die Idee der Gesundheit, um die Gesundheit für uns zu schaffen, sondern der Gegenstand seiner Schau – -------------------------------------------352
Zum Beispiel in Prm. 136e1f., VII. Ep. 344b2. „Im Ganzen“ bedeutet bei Platon nicht immer „im Universum“. Von dieser nicht in allen Zusammenhängen geltenden Gleichsetzung geht Striker aus, um die Ideen vom vierfachen Gefüge auszuschließen, weil sie im Timaios nicht „in der Welt“ seien, 1970, S. 77. 354 Crombie 1963, S. 439. 355 Ebd., S. 438. 356 Ebd., S. 439. 357 Ebd., S. 440. 353
268
Kapitel 3
wenn dies auch sehr problematisch sein mag – ist der ganze ideelle Gefüge als paradeigma und nicht eine einzelne Idee als komplexe Einheit. Nach Striker wird in der Dialektikpassage beschrieben, was ein genos ist. Der zweite Exkurs über die vierfache Einteilung behandle die Frage, welche gene es gibt. 358 Die Interpretin möchte aus guten Gründen die Gattung des ἄπειρον und der aristotelischen ὕλη nicht gleichsetzen. 359 Nach ihrem Dafürhalten ist unter „mischen“ hier nichts anderes als „definieren“ zu verstehen. 360 Da eine Herstellung von Begriffen ausgeschlossen sein soll (weil nur die Herstellung von Einzeldingen möglich sei), löst sie das Problem des Miteinbezogenseins von Begriffen und Einzelfällen innerhalb der Mischung dadurch, dass die „gemischte und gewordene Substanz“ in diesem Fall das genus-Prädikat sei, das von den species ebenso ausgesagt werden könne wie von den Einzeldingen. 361 „Die Begriffe ‚Gesundheit’ und ‚Schönheit’ können mit Hilfe von peras und apeiron-Begriffen definiert werden.“ 362 Demgemäß wird die Gesundheit (als ein Beispiel der Mischung) als Konzept betrachtet, das sich begrifflich in eine formale und eine materielle Komponente einteilen lässt. Die zweite Interpretationsrichtung ist insofern zu entkräften, als im Corpus Platonicum nie eine göttliche Kraft dargestellt wird, die die Ideen schafft: 363 Der Demiurg des Timaios erzeugt das ideelle paradeigma nicht, das Gegenstand seiner Schau ist. Außerdem entstehen die Ideenzahlen aus den zwei Prinzipien, ohne Einmischen einer Vernunft, wie wir oben problematisiert haben. Die Konzeption eines Demiurgen „creating concrete universals out of ratios and predicate-pairs of abstract-universals“ 364 kommt einem daher eher fremd vor. 365 Drittens ließe sich Jacksons Ansatz erwähnen, der aufgrund einer Unterscheidung zwischen ποσόν und μέτριον (als Momenten des πέρας, 24b7) in die Gattung der Mischung sowohl Wahrnehmbares als auch Ideelles einschließt. 366 Die Verbindung von --------------------------------------------
358 Striker 1970, S. 81. Trotz des unseren Erachtens verfehlten interpretatorischen Rahmens von Striker, die „Autonomie“ des Dialoges hervorzuheben, und trotz der verschiedenen Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen den zwei Exkursen werden ihre Ansätze weiterhin diskutiert. Zur eingehenden Kritik s. Gosling 1975, S. 191ff. 359 Striker 1970, S. 64, 76 und passim. 360 Ebd., S. 63. Erinnert sei an die neukantianisch geprägte Deutung Natorps, der die dritte Gattung der Mischung nicht als Ort der Definition versteht, sondern des Urteilsschlusses „x ist A“, in dessen Verknüpfung die Bestimmung des Gegenstandes x der Erfahrung zum A der Erkenntnis wird. Die Bestimmung des Unbestimmten wird aus dem „Urgesetz des Logischen in uns“ hergeleitet (Natorp 19943, S. 310). Der Philebos werfe die Frage nach der logischen Grundlegung zur Physik auf und bilde in dieser Weise den natürlichen Übergang zum Timaios. Wenn Natorp auch den Versuch unternimmt, die fünf größten Gattungen des Sophistes mit den vier Gattungen des Philebos zusammenzudenken, sieht er doch ein, dass nicht das x der Erkenntnis überhaupt im Sophistes thematisiert wird, sondern die einzelnen Buchstaben des Seins und deren mögliche Beziehungen (also A, B, C, usw.). 361 Striker 1970, S. 64. 362 Ebd. 363 Mit der Ausnahme von R. 597d5, an der der Gott vorkommt als φυτουργός der Idee des Bettes. 364 Striker 1970, S. 201. 365 Ross 19532, S. 134: „[…] to speak of reason as the artificer of the Ideas would be a way of speaking to which there is no parallel in Plato except the casual, and probably not seriously meant, allusion in the Republic to God as the maker of the Idea of bed.“ (Hervorhebung Ross) 366 Am Rande sei angemerkt, dass sich Goslings Deutung (1975, S. 186-196) nicht in unsere Dreiteilung einordnen lässt. Nach ihm ist das Gemischte als eine von der mathematisierten jeweiligen Kunst (τέχνη) hergestellte Kombination zu verstehen. Durch die Hervorhebung des platonischen Verständnisses der Kunst vermag er die Dialektikpassage mit der vierfachen Einteilung zu vereinbaren. Sayre wendet sich gegen den Versuch Goslings, alle Gattungen auf der Basis der Ma-
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
269
Angemessenem (μέτριον) und dem jeweiligen Unbegrenzten ergebe „fixed types“, während sich aus dem Zusammenkommen von irgendeiner Quantität (ποσόν) und dem Unbegrenzten das Wahrnehmbare ergäbe, das sich „the fixed type“ (so versteht Jackson die Idee in dieser späten Phase Platons) annähere. Die seinem damals bahnbrechenden Beitrag zugrunde liegenden hermeneutischen Voraussetzungen Jacksons lassen sich wie folgt zusammenfassen: Als Erstes geht er von einer Entwicklung in der platonischen Philosophie aus: Die Politeia sei mit dem Philebos nicht zu vereinbaren; die Theorie der Ideen sei nach der Politeia modifiziert worden; der Philebos entspräche – „precisely/ exactly“ – Aristoteles’ Bericht in Metaph. A6. 367 Als Zweites setzt Jackson eine Art „esoterischer Lektüre“ wie Schleiermacher voraus, wenn er behauptet, dass die Antworten auf die Fragen in 15b im anschließenden Text verborgen seien: „For when Plato is obscure, he is so, I am convinced, intensionally, his aim being to compel the reader to think for himself.“ 368 So lautet seine Hauptthese: „The relations to the particular have undergone a complete transformation. Whereas in the republic and the Phaedo a particular is what it is by reason of the presence of the idea, so that the idea is its cause, in the Philebus both the idea and the particular come into being through the conjunction of the two elements, an indefinite matter and a limitant quality.“ 369 Jackson wird durch solche Gedankenfolgen weder den platonischen Dialogen noch den aristotelischen Berichten gerecht. 370 In dieser Hinsicht zeigt er sich als Vorläufer von Sayre, der die ähnliche These vertritt, dass alle aristotelischen Berichte der platonischen Lehre im Philebos zu finden seien. 371 Die Frage, ob es in der vierfachen Einteilung um überzeitliches oder zeitliches Seiendes gehe, um Ideelles oder Wahrnehmbares, kann auf der Grundlage der Problematisierung des νῦν (in Phl. 23c4) folgendermaßen behandelt werden: Es mag auf den ersten Blick als gerechtfertigt erscheinen, die betreffenden Objekte auf die wahrnehmbaren beschränken zu wollen, wenn die Mischung als Ort des Wahrnehmbaren ausgelegt und die anschließende kosmologische Einmündung im Licht des Timaios berücksichtigt wird. Ross hat die These vertreten: „It is the present contents alone, not the eternal contents of the universe that Plato is to analyse into the unlimited and the limited“ 372 und damit die angemessene Reaktion Strikers hervorgerufen, „dass das, was ewig ist, a fortiori auch gegenwärtig sein muss.“ 373 „Alles, was es im Ganzen jetzt gibt“ muss im Gegensatz zu einer Beschreibung des vorkosmischen Zustands des Timaios verstanden werden, wie oben bereits argumentiert wurde. In der Dialektikpassage war nur von Grenze und Unbegrenztheit die Rede, während jetzt – also adversativ verstanden – die Gattungen der Mischung und der Ursache addiert werden. Der Sinn des νῦν sollte nicht als Einschränkung gegenüber der Dialektikpassage erfasst werden, sondern als Erweiterung: Es han-------------------------------------------thematik zu interpretieren. Unter ἄπειρον seien nicht nur „ranges of phenomena that can be represented by a mathematically continuous line as such, like musical tones“ einzuordnen, sondern auch „phenomena that exhibit indefinite divisibility in other forms as well“ (Sayre 1983, S. 149). „An example would be vocal sound itself which, although a prime illustration of the Unlimited in Philebus, can scarcely be conceived as a linear continuum“ (ebd.). 367 Jackson 1881, S. 258 und passim. 368 Ebd., S. 267. Vgl. außerdem: „Experience seems to shew that with Plato a gap in an exposition does not necessarily mean a lacuna in the system. The gap may have been intentionally left to be filled up by the student.“ (Ebd., S. 277) 369
Ebd., S. 283. Kritik an Jacksons Ansatz hat Ross geübt (19972, I, Einleitung, xlviii-li). 371 S. auch oben, § 1.2, IV, Anm. 101 und unten, Anm. 505. 372 Ross 19532, S. 134. Vgl. Hackforth 19582, S. 39, und Benitez 1989, S. 67f. 373 Striker 1970, S. 77. 370
270
Kapitel 3
delt sich nicht nur um das Wahrnehmbare, sondern sowohl um das Wahrnehmbare als auch um das Ideelle. 374 In dem hier fokussierten Ganzen wird das Ideelle neben den Erscheinungen (den schönen Erscheinungen der dritten Gattung) aufgezählt. In der Einheit dieser einen Welt, die sowohl die Idee als auch deren Erscheinung mit einbezieht, erscheint das Schöne als Zuflucht des Guten: „Nun hat die Macht des Guten bei der Natur des Schönen Zuflucht gefunden.“ (Phl. 64e5f.) III. Die fünfte Gattung: Eine ernst zu nehmende Hypothese oder Parodie der dialektischen Forderung nach genauer Aufzählung? Die Mischung und die Gefahr Nachdem Sokrates die Gattungen des Unbegrenzten, der Grenze, der entstandenen Mischung und der Ursache der Mischung aufgezählt hat, fragt Protarchos, ob noch eine zusätzliche Gattung angenommen werden sollte, die für die Trennung des Unbegrenzten von der Grenze zuständig wäre. 375 Das sei bei der jetzigen Untersuchung nicht nötig, behauptet Sokrates; wenn sich das Aufgeschobene später als notwendig erweise, werde darauf einzugehen sein (23d11-e1), was im Dialog allerdings nicht passiert. Bevor wir bei jeder der vier Einheiten der anvisierten Einteilung verweilen, die sich in ein Gefüge fügen, sollten wir uns darauf besinnen, ob eine solche fünfte Gattung als Ursache der Auflösung der guten Mischungen angenommen werden sollte und überhaupt angenommen werden kann. Man kann zurecht behaupten, Platon gebe in seinen Schriften nie eine erschöpfende Einteilung seiner Ontologie. Die Gattungen „vermehren sich“, sobald es sich im Rahmen der jeweiligen Untersuchung als notwendig zeigt. 376 Genau deshalb wollen wir die Annahme der Einführung einer fünften Gattung ernst nehmen. Der Vorschlag, dass Platon nicht als Dogmatiker erscheinen möchte und die Sache deswegen offen lässt, trägt nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung der Problematik bei. 377 Noch weniger ist annehmbar, dass es sich um eine Parodie der dialektischen Forderung nach genauer Aufzählung handelt, wie Benitez behauptet. 378 Eine Parodie der Methode der dihairesis setzt voraus, dass es in der vierfachen Einteilung um dihairesis geht. Wenn dies auch sprachliche Indizien nahelegen (wie διελόμενοι in 23e3), 379 handelt es sich dabei nicht um eine dihairesis von Ideen in ihre Arten, 380 umso weniger um die Einteilung des Seins, als wäre es eine Gattung. Infolgedessen stimmen wir der Auffassung Benitez’ nicht zu, aufgrund des scheinbaren „Oszillierens“ zwischen vier und fünf Gat--------------------------------------------
374 So richtig D. Frede 1997, 1, S. 185f. Anders als bei ihr wird hier als Gegenstandsbereich der Dialektikpassage nicht der Bereich jedweder Kunst betrachtet, sondern das ideelle Ganze, s. oben § 3.3, I. In Übereinstimmung mit Schelling: „[E]in solcher Schluss von empirischen Gegenständen auf reine von der Erfahrung unabhängige Begriffe kann bei Plato desto weniger befremden, je häufiger er sich solche auch sonst erlaubt u[nd] nach seiner Philosophie, die die sinnliche u[nd] übersinnliche Welt Einer Form der vollendetsten Einheit unterwirft, mit Recht erlauben kann.“ („Timaeus“, 1994, S. 63, Hervorhebung G. M.). 375 23d9-10: Μῶν οὖν σοι καὶ πέμπτου προσδεήσει διάκρισίν τινος δυναμένου; 376 S. die Einführung der chora als dritter Gattung neben den zwei zu Beginn gesetzten, in Ti. 48e-49a. 377 Friedländer 1975, S. 301. 378 So Benitez 1989, S. 63. 379 Ebd., S. 65. 380 Mit Recht Crombie: „It is all done very informally [die Unterscheidung zwischen ‚class property of apeiron’ und ‚its instances, apeira’, G. M.], with no clear distinction between instances and defining characters.“ (1963, S. 427)
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
271
tungen von Parodie zu sprechen. Die übliche sokratische Weise der Selbstverkleinerung darf indessen nicht verkannt werden, 381 obschon die bedeutsame Funktion der Zahl nicht Gegenstand der sokratischen Ironie ist. Die Ironie sollte zutiefst empfunden werden: nicht nur als Selbstverkleinerung eines schon Wissenden, sondern auch als bewusste Verkleinerung gegenüber der Schwierigkeit der behandelten Thematik. Dabei ist die Tatsache zu beachten, dass Sokrates bei der Rekapitulation vor dem anschließenden kosmologischen Exkurs die Wichtigkeit der Aufzählung in einem ganz nüchternen Sinn unterstreicht. 382 Man sollte zugegebenermaßen nicht den Anspruch einer akribischen Aufzählung im Sinne der Dialektikpassage erwarten. Worin besteht die hier vertretene Notwendigkeit der Vierheit? Das wird sich erweisen, indem die fünfte – trennende – Gattung zunächst einmal ernst genommen wird, da sich im zweiten Kapitel die Momente der Mischung und der Trennung – mindestens der Trennbarkeit – als korrelative Aspekte der Dialektik gezeigt haben. Es verhält sich also anders als bei Gadamer, von dessen These im Hinblick auf unsere Problematik hier abzuweichen ist. Der Philosoph trifft nämlich in diesem Punkt nicht das Richtige, wenn er meint, dass beide Funktionen – die mischende und die auflösende – der Vernunft als Ursache beizumessen seien. 383 Dieser Vorschlag – ebenso wie das Unternehmen, auch schlechte Mischungen in die Gattung der Mischung mit einzubeziehen, um alles Wahrnehmbare als Mischung zu betrachten – erweist sich als höchst problematisch. Es wäre ein Frevel, Platon die Meinung zu unterstellen, dass der νοῦς als Ursache das Schlechte (die schlechte Mischung) hervorbringe. Für das Schlechte wird in der Politeia eine andere Ursache als der Gott angenommen; 384 der Demiurg führt im Timaios nur Schönes herbei, 385 und erst nachdem sich der die Welt lenkende Gott des Politikos-Mythos zurückgezogen hat, bricht die Unordnung allmählich aus. Was bedeutete in der Tat eine fünfte Gattung, wenn sie nicht für die „plaisanterie voulue, un mot de scène, un de ces artifices par lesquels Platon s’ingénie à ventiler et alléger une discussion ardue“ 386 gehalten werden soll? Auf welchen Weg würden wir --------------------------------------------
381 23d1-3. Sokrates fürchtet, dass er sich lächerlich mache, weil er zu den drei Gattungen noch eine vierte hinzufügen möchte, als ob er die bestimmte Zahl der einzuführenden Gattungen nicht durchdacht hätte und alles einfach nach Bedarf aus dem Ärmel schüttle. Zum Abstand des Sokrates zu Protarchos vgl. Th. A. Szlezák 2004, S. 210ff. 382 27b4f.: Ὀρθῶς μήν ἔχει...ἐφεξῆς αὐτὰ καταριθμήσασθαι. 383 Gadamer, GW, Bd. 5, S. 94: „Ursache der Vermischung ist ja Nous, der ebenso scheidet wie vereinigt.“ Richtig dagegen D. Frede 1997, 1, S. 186, Anm. 127. Robin (19682, S. 116-124, besonders 122f.) denkt zunächst an eine logische Trennbarkeit der Elemente der Mischung, die genauso wie die Funktion der Mischung (Verbindung) dem νοῦς beizumessen sei: die Aufzählung der Elemente der Mischung, wodurch die Verbindung zur Methode der dihairesis deutlich werde. Die zweite Funktion der fünften Gattung bestehe im Messen des Wertes der Elemente, in der axiologischen Trennung. Also: „En résumé, nous saisissons là sous son double aspect la fonction de relation, se définissant d’une part comme le dénombrement des composants d’un mélange, d’autre part comme une mesure comparative de leur valeur.“ (Hervorhebung Robin) 384 Im Rahmen einer Kritik an der tradierten Dichtung wird in der Politeia das Schlechte mit Entschiedenheit auf eine andere Ursache zurückgeführt und nicht auf den Gott, der nur das Gute verursacht. Leider wird dort die Problematik nicht so weit verfolgt, um eine definitive Antwort darauf geben zu können, welche die Ursache des Schlechten sei: 379a- 380c. 385 Ti. 41a7- b2: Jemand wird sich als schlecht erweisen, wenn er das gut Zusammengefügte auflösen will. Ti. 32c2-4: Derjenige, der etwas zusammenbindet, ist auch der einzige, der es auflösen kann: Das bedeutet keinesfalls, dass der Demiurg dies tatsächlich tut, weil er in diesem Fall schlecht wäre. 386 Nach Diès, Philèbe, 1959, XXVI.
272
Kapitel 3
geführt, dächten wir die fünfte Gattung ernsthaft weiter? 387 Keineswegs sollte man vermuten, dass Protarchos, dem das vierfache Gefüge zurecht Schwierigkeiten bereitet, all dies im Kopf hat, wenn er die Frage nach der fünften Gattung stellt. Er schlägt die fünfte Gattung ohne tiefere Überlegung vor. Was könnte aber dafür zuständig sein, dass die guten Mischungen aufgelöst werden? Weil das vierfache Gefüge aufgrund der Problematik der vierten Gattung des nous in die Weltseele einmündet, kann die oben gestellte Frage dementsprechend so formuliert werden: Gibt es eine schlechte (Welt-)Seele gegenüber der guten Weltseele, die der Demiurg im Timaios konstruiert, die als Ursache des Schlechten im kosmos verstanden werden kann oder sogar werden muss? 388 Und sollten wir die Entstehung des Weltalls als Ergebnis eines manichäischen Kampfes zwischen den beiden verstehen? Die Diskussion dieser wesentlichen Problematik verlangt es, andere platonische Textstellen heranzuziehen, die in der Forschung noch immer heftig diskutiert werden. Hier begnügen wir uns damit zu sagen, dass Platon eine definitiv negative Antwort auf die Möglichkeit einer schlechten Weltseele gibt. Dennoch stellt er in verschiedenen Zusammenhängen die Frage nach ihr, was zurecht weder in der Antike noch in der modernen Exegese übersehen worden ist. 389 In diesem Kontext ist hinreichend zu konstatieren, dass sich die Frage von Protarchos – nimmt man sie ernst – negativ beantworten lässt. 390 Man braucht in der Tat keine fünfte Gattung einzuführen: Das zweite, durch das erste nie völlig bezähmte Prinzip 391 ist Ursache des Schlechten. Aufgrund dessen besteht die Gefahr des Abgleitens von der harmonischen Mischung. Daher ist im Unbegrenzten nach der Ursache des Schlechten zu suchen. Folglich wird die immer präsente Möglichkeit des Misslingens und nicht die Notwendigkeit einer fünften Gattung durch die Fragestellung danach indirekt angedeutet.
--------------------------------------------
387 Letwins Deutung gehört eher nicht dazu. Er behauptet: „The relation between this creative universal thought [sc. die vierte Gattung, der nous] and human analytical thought is that human thought is the sole member of the fifth class mentioned. Being in some sense the same kind of thing as the creative force of the universe, it is capable of analysing what that force has synthesized.“ (1981, S. 188). Letwins Unternehmen, die fünfte Gattung als menschliche, analytische Vernunft gegenüber der göttlichen, mischenden Vernunft zu unterscheiden, findet keinen Halt innerhalb der platonischen Dialektik, welche beide Momente verbindet, sowohl das Trennende als auch das Mischende. Die menschliche Vernunft wird trotz Letwins Gewissheit eindeutig als Moment der vierten Gattung bezeichnet (Phl. 30d10-e3). 388 Plt. 273b7- c1. 389 Heinze verbindet die fünfte Gattung des Philebos mit der schlechten Seele der Nomoi: 19652, S. 25-29. In Bezug auf das angesprochene Problem, ob Platon eine schlechte Weltseele wirklich angenommen habe oder nicht, behauptet er: „Ich glaube danach, dass Platon sich damit begnügte, die notwendige Consequenz seiner Lehre zu ziehen, dass auch das Schlechte in der Welt von einer Seele herrühre, dass er aber den Versuch, diesen Satz auszudenken und auszugestalten aufgab oder gar nicht unternahm, wohl wissend, dass er auf Schwierigkeiten stoßen musste, die von seinem Standpunkte aus unüberwindlich waren.“ (Ebd., S. 28). Hackforth (19582, S. 44, Anm. 1), der auch die Frage nach der fünften Gattung ernst nimmt, bemerkt, dass kein übelwollender nous der vierten Gattung entgegengesetzt werden sollte; das Problem der Auflösung der guten Mischung könnte von einem Stillstand oder Rückzug des guten nous her gelöst werden: Plt. 270a, 272e. So brauchen wir nicht zu einer Vergegenständlichung einer schlechten Weltseele zu gelangen, um das Schlechte in der Welt zu erklären. Zum Problem der schlechten Weltseele im zehnten Buch der Nomoi, s. Mouroutsou 2010. 390 Das Verfolgen der Problematik der fünften Gattung gehörte jedenfalls zu dem Übriggebliebenen, an das Protarchos am Ende des Dialogs erinnert: 67b11-13. 391 Das ist in der ersten Gattung zu suchen. Um zu erinnern: Die erste Gattung ist nicht mit dem zweiten Prinzip Platons gleichzusetzen; es handelt sich eher um dessen Derivat.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
273
IV. Analyse der vier Gattungen: Von der vierfachen Einteilung zum vierfachen Gefüge: Die Zeugung des Schönen 1.
Die Mischung und deren „Elemente“
a.
Das Unbegrenzte und die Grenze als δυνάμεις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν
i.
Die erste Gattung und die Spuren ihrer Vorgeschichte: das Unbegrenzte (ἄπειρον) als räumliche Unendlichkeit
Verweilen wir zunächst bei der ersten Gattung des Unbegrenzten. Wie zeigt sich das Unbegrenzte? Es zeigt sich als vielfach und vielgestaltig: 392 1. τὸ πλέον καὶ τὸ ἔλαττον, das Mehr und das Weniger, 24c5 πλέον καὶ ἔλαττον, mehr und weniger, 25c9 2. θερμότερον καὶ ψυχρότερον, Wärmeres und Kälteres, 24a7-8, 25c5 τὸ θερμότερον καὶ ψυχρότερον, das Wärmere und Kältere, 24b4 τὸ θερμότερον καὶ τὸ ψυχρότερον, das Wärmere und das Kältere, 24d4-5, 24d6-7 3. τὸ σφόδρα καὶ τὸ ἠρέμα, „stark“ und „schwach“, 24c1-2 τὸ σφόδρα καὶ ἠρέμα, „stark und schwach“, 24e8 σφοδρότερον ἡσυχαιτέρου, Stärkeres im Vergleich zu Schwächerem, 24c4 4. ξηρότερον καὶ ὑγρότερον, Trockeneres und Feuchteres, 25c8 5. θᾶττον καὶ βραδύτερον, Schnelleres und Langsameres, 25c9 ταχὺ καὶ βραδύ, Schnelles und Langsames, 26a2 6. μεῖζον καὶ σμικρότερον, Größeres und Kleineres, 25c9-10 7. ὀξὺ καὶ βαρύ, Hohes und Tiefes, 26a2 8. τὸ λίαν, allzusehr, 24e8, 26a7 9. χειμῶνες καὶ πνίγη, Frost und Hitze, 26a6 10. λύπη καὶ ἡδονή, Unlust und Lust, 27e5, 41d9, 393 ἡδονή, 27e8, 31a9-10 --------------------------------------------
392 Es sei an den aristotelischen Bericht von den verschiedenen Arten des zweiten Prinzips erinnert (Groß-Klein, Viel-Wenig, Lang-Kurz, Breit-Schmal, Tief-Flach, Metaph. Μ9, 1085a9-12), was mit der untersuchten Vielheit des Unbegrenzten im Philebos übereinstimmt, wobei es im Letzteren nicht um die Erzeugung der Dimensionenfolge geht (Zahl- Linie- Fläche- Körper). Aristoteles unterzieht die akademische Lehre auch in diesem Punkt einer Kritik: Nach der Ursache mehrerer Relativa wird von Platon nicht gefragt – nach Aristoteles zu Unrecht: Metaph. N2, 1089b8-15. Dazu Th. A. Szlezák 1987, der zum Kern der aristotelischen Kritik vordringt, wenn er dem Stagiriten gegenüber kritisch bemerkt: „Das heißt, die εἴδη, die Aristoteles als
(1089b9) jeweils getrennt konstruiert sehen möchte, sind gar nicht neue Arten oder Formen des Groß-Kleinen, sondern jeweils das am Prinzip der Unbestimmtheit, was im Erzeugungsprozess noch nicht bestimmt und begrenzt wurde. Dass das Prinzip der Vielheit sich vielfältig zeigt, ist nicht Zeichen einer unerlaubten Vervielfältigung der Prinzipien, sondern ist mit den Begriffen, die die akademischen Prinzipienentwürfe bestimmen, und mit dem von ihnen versuchten Modell der <Erzeugung> unvermeidbar vorgegeben.“ (Ebd., S. 49, Hervorhebung G. M.) 393 D. Frede (1997, 1, S. 189, Anm. 133) bestreitet mit Recht die Annahme, dass es im Fall von Lust und Unlust um ein Kontinuum gehe. Die Darstellungsweise der gemischten Lust und Unlust setzt indessen voraus, dass sie voneinander interdependent und miteinander vermischt sind so, dass die eine nur in Bezug auf die andere wahrnehmbar und erfassbar ist (πρὸς ἄλληλας, nicht αὐτὸ καθ’ αὐτό wie die reine Lust, Phl. 51a-52d, die ohne Beimischung von Schmerz erfahren wird). Diese gegenseitige Abhängigkeit erklärt den Dual in Phl. 27e5 (Ἡδονή καὶ λύπη πέρας ἔχετον) und in 41d8f. (Ὡς τὸ μᾶλλον καὶ ἧττον ἄμφω τούτω δέχεσθον, λύπη τε καὶ ἡδονή, καὶ ὅτι τῶν ἀπείρων εἴτην) und nicht das Verstehen von Lust und Unlust als Extreme eines Kontinuums. Interpreten, die nicht bereit sind, die Zweiheit als Grundzug der ersten Gattung einzusehen, gelangen zu Missverständnissen wie Striker: „Genau diesen Punkt scheint Platon übersehen zu haben, wenn er von der Reinheit der Freuden auf ihre quantitative Bestimmtheit schließt“ (1970, S. 55). Die Interpretin über-
274
Kapitel 3 <τὰς> [ἡδονὰς, G. M.] τὸ μέγα καὶ τὸ σφοδρὸν αὖ <δεχομένας>, die Arten von Lust, die das Große und Heftige annehmen, 52c4-5. 394
Bei dem hier dargelegten platonischen ἄπειρον kann sein vorheriges Verständnis zurückverfolgt werden: Das Unbegrenzte hat in sich weder einen Anfang noch eine Mitte, noch ein Ende (τέλος, in 24b8), wie es später von der unreinen Lust konstatiert wird (Phl. 31a9-10). Hier kommt eine Reminiszenz des ursprünglichen, begrifflichen Kerns aller späteren Bedeutungen des Unbegrenzten zum Vorschein, nämlich der räumlichen Unendlichkeit (als unendlicher Ausdehnung). Sie war schon in der epischen Dichtung von Bedeutung, wo das ἄπειρον als Attribut der Erde oder des Meeres verwendet wurde. 395 In Phl. 24a-b wird das Wärmere und Kältere als unendlich und ununterbrochen Fortlaufendes versinnbildlicht. Die metaphorische Anwendung des Räumlichen im Fall der unreinen Lust als Moment des Unbegrenzten dient der Hervorhebung der unendlichen Steigerungsmöglichkeit. 396 Das ἄπειρον findet kein Ende und wird daher nie vollendet – entweder weil es das Ziel nicht erreicht oder weil es jenseits irgendeiner Teleologie ist (τέλος als Zweck) –, noch wird es vollkommen (immer von der Perspektive der Bestimmung her betrachtet). Das End-lose ist in diesem Sinn ohne Grenze, also un-begrenzt, ἄπειρον . 397 Wie können wir eine Erfahrung von ἄπειρον und seiner Natur erwerben, damit wir uns dessen nicht ἄπειροι erweisen? 398 Epistemologisch erhebt Platon auf den „Bereich“ des ἄπειρον nicht den Anspruch des Wissens. 399 Wie kann man dennoch darin ἔμπειρος werden? Wie kann man sich seinem Wesen annähern? Dies sind die Fragen, denen wir uns im Folgenden widmen. ii.
Die Zweiheit als Grundzug des platonischen Unbegrenzten und seine δύναμις 400 :δύναμις τοῦ πάσχειν als quantitativ Unbestimmtes und Bestimmbares sowie δύναμις τοῦ ποιεῖν als Prinzip der Veränderung und Instabilität
Bei der höchst schwierigen Annäherung an das platonische ἄπειρον sollten wir zunächst einiges ausschließen, um den Weg für unsere Betrachtung des platonischen ἄπειρον im vierfachen Gefüge vorzubereiten: Es geht nämlich weder um Quantität 401 -------------------------------------------sieht, dass die reinen Lüste das Mehr und Weniger nicht zulassen, nicht weil sie quantitativ bestimmt sind, sondern weil sie von einer Verstrickung mit Unlust befreit sind. 394 Übers. G. M. 395 Homer, A 350 (ὁρόων ἐπ’ ἀπείρονα πόντον), H 446 (ἐπ’ ἀπείρονα γαῖαν), α 98 (ἐπ’ ἀπείρονα γαῖαν), δ 510 (κατὰ πόντον ἀπείρονα κυμαίνοντα) und passim. In C 200 werden πείρατα (γαίης) als örtliche Grenzen verstanden. Vgl. auch Hesiod, Th. 187, 678, Op. 160, 487. Zur Skizze der Landschaft im vorsokratischen Denken, s. Bury, Appendix C, 1897, S. 178-189. 396 Gegen diese Ansicht polemisiert Striker 1970, S. 57f. Die Möglichkeit einer unendlichen Steigerung korrigiert Taylor: „The question is of course one of conceivability, not of physical realization.“ (1972, S. 38) 397 Phl. 24b6-8. Zu ἀτελής als unvollkommen, unvollendet, vgl. z. B: Phdr. 248b4, 269d6, Prt. 314c5, Grg. 505d6, Ti. 41b8, 44c3, Lg. 960c1, R. 495c1, d7, 504c2, 530e5. 398 Hiermit wird Bezug auf 17e1-5 und das Wortspiel mit ἄπειρον (sowohl unbegrenzt als auch unerfahren) genommen. 399 Vgl. das völlig Undenkbare des Nicht-Seienden an sich im Sophistes und den Anspruch eines λογισμὸς νόθος für den Fall der chora, Ti. 52b2. 400 Phl. 24c2: καὶ τό γε ἠρέμα τὴν αὐτὴν δύναμιν ἔχετον τῷ μᾶλλόν τε καὶ ἧττον. 401 Natorp betrachtet das ἄπειρον als „veränderliche Größe – Quantität also“ (19943, S. 323). Der Neukantianer verbindet anschließend die Gattungen des Unbegrenzten und der Grenze mit den Begriffen des Raumes und der Zeit: das Fließende der Zeit und des Raumes mit der ersten Gattung, die zeitliche und räumliche Bestimmtheit mit der Grenze: ebd., S. 325.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
275
noch um Qualität 402 oder das Relative, 403 obwohl einige Indizien darauf verweisen mögen. Der erste Eindruck, dass es um wahrnehmbare Gegenstände geht (also Objekte des Tastsinnes, der Sicht, des Geschmacksinnes oder des Gehörs) kann dadurch korrigiert werden, dass das Unbegrenzte ein Faktor der gemischten Gegenstände ist: ἐν τοῖς οὖσι (Phl. 26c6). Häufig haben Interpreten die erste Gattung als Kontinuum konzipiert, als eine kontinuierliche Skala, die sich in zwei entgegengesetzten Richtungen unendlich erstreckt. Die Kennzeichnung des hier dargelegten Konzepts des Unbegrenzten als Kontinuum soll dennoch als verfehlt modifiziert werden. 404 Das führt uns nicht zur Ablehnung der Zweiheit als Grundzug der ersten Gattung: vielmehr werden auf diese Weise die Zweiheit und die Vorstellung des Unbegrenzten als Kontinuum, die in der Forschung eng verknüpft werden, auseinandergehalten. Einerseits kommt es vor, dass es sich dabei um ein Spektrum von bestimmter zugrundeliegender Qualität handelt. Dies ist noch nicht quantitativ bestimmt, was zeigt, dass sich das ἄπειρον im Rahmen der Darlegung im Philebos als Derivat der Unbestimmten Zweiheit erweist, da es nicht völlig un-bestimmt ist. Andererseits behandeln wir die Zurückführung des Unbegrenzten auf das „Mehr und Weniger“, also doch, könnte man übereilt folgern, auf Quantitatives. 405 Bei der Vorstellung eines Feldes kontinuierlicher Größen wird das Unbegrenzte jedoch stärker gebändigt und bestimmt als es in diesem Philebos-Passus der Fall ist. Der Kontinuumsbegriff widerspricht dem unbestimmt Dynamischen der Gegensätze und Spannungen sowie dem immerwährenden Fluktuieren von divergierenden Tendenzen und Kräften, mit dem das Unbegrenzte des Philebos verbunden ist. Das Kontinuum tritt hingegen nie in Gegensatz zu sich selbst, wie es dem Unbegrenzten im Philebos passiert: πρὸς ἄλληλα τἀναντία διαφόρως ἔχοντα (Phl. 25d11-e1); noch befindet sich das Kontinuum im herakliteischen Fluss: προχωρεῖ γὰρ καὶ οὐ μένει τὸ τε θερμότερον ἀεὶ καὶ τὸ ψυχρότερον ὡσαύτως. „Denn das Wärmere ebenso wie das Kältere ist immer im Fluss und bleibt nicht stehen.“ (Phl. 24d4-5) 406 Das Unbegrenzte zeigt sich auf diese Weise als veränderlich und Veränderung bewirkend, als Prinzip der Veränderung. Die ununterbrochene Bewegung und der Flüssig--------------------------------------------
402 Schelling versteht das Unbegrenzte als Qualität, die Grenze als Quantität: „Timaeus“, 1994, S. 62f. Bury 1897, Appendix D, S. 192, versteht es als Verbindung des qualitativen und quantitativen Aspekts. 403 Gegen die aristotelische Tendenz, das zweite platonische Prinzip unter die Kategorie der Relation zu subsumieren, s. anschließend. Mit aristotelischer Terminologie entspräche das Relative sowohl einem Teil des Unbegrenzten (das Große-das Kleine) als auch einem Teil der Grenze (das Doppelte-die Hälfte), wobei unterstrichen werden muss, dass es im Fall des platonischen Unbegrenzten nicht um Gegenstandsbestimmtheit geht. 404 Mit Recht moniert dies D. Frede 1997, 1, S. 189; außerdem plädiert Schmidt-Wiborg gegen ein Verständnis des Unbegrenzten als Kontinuum, 2005, S. 256f. 405 Hackforth 19582, S. 42, geht vom Unbegrenzten als einem Kontinuum aus, dessen Punkte die Teile der Quantität ausmachen. Von „a single scale“ spricht Ross 1953, S. 136. Dem Paar „SchnellLangsam“ unterliegt „the generic nature of velocity“, dem von „Warm-Kalt“ die Temperatur, dem des „Hohen-Tiefen“ „the pitch“. Mathematisch ausgedrückt: Taylor 19722, S. 38, der das Unbegrenzte als „capable of varying continuously through all real values from 0 to ∞“ versteht. Benitez stellt außerdem jedes Paar des Unbegrenzten als Kontinuum dar: „In that case (that each pair of opposites describes a single apeiron) apeira may be described on a continuum, where each opposite in a given pair refers to a direction on a continuum.“ (1989, S. 72, Hervorhebung G. M.). Hampton gehört zu der langen Liste der Interpreten, die das Unbegrenzte als Kontinuum oder kontinuierliche Skala verstehen (1990, S. 42f.). 406 Die Rede ist daher von einer Art Bewegung – nicht in einer bestimmten Richtung –, wenn auch Krämer das Wort κίνησις in diesem Zusammenhang vermisst, 1963, S. 326. Vgl. Cra. 402a8-10.
276
Kapitel 3
keitszustand gehören zu seiner Natur. Sie bleibt nicht stehen, im Gegensatz zu der Beständigkeit und dem Abschluss des unbegrenzten Fortschreitens, welche die Grenze mit sich bringt: ἔστη καὶ προιὸν ἐπαύσατο (Phl. 24d5). Um zusammenzufassen: Die Kraft des Unbegrenzten manifestiert sich zweifach: sowohl als passive Kraft des Empfangens von Zahl und Maß als auch als aktive, wirkende Kraft der Veränderung. Es griffe daher zu kurz, wenn das platonische ἄπειρον erfasst würde als der passiven aristotelischen Materie entsprechend. 407 , 408 Im Anschluss an die vorangegangenen Überlegungen soll das ἄπειρον positiv als Zweiheit aufgezeigt werden, bevor auf dieser Basis beim Erfahren seiner Natur noch ein weiterer, letzter Schritt unternommen wird (in 1a.v). In Anbetracht der zwei konkurrierenden Möglichkeiten hinsichtlich der Natur des Unbegrenzten (Zweiheit oder nicht?) werden die Grenzen des tradierten Textes beleuchtet. An die „Unvoreingenommenheit des Lesers“ 409 ist auch in diesem Fall zu appellieren, dass er nämlich zunächst den Text „aus sich selbst“ zu verstehen versucht. Danach wird auch seine Bereitschaft verlangt, die Notwendigkeit zuzugestehen, die Ungeschriebene Lehre in Anspruch zu nehmen; nicht um Platon in ein „System“ hineinzuzwingen, sondern um den ambigen platonischen Text mit dem Konzept der indirekten Überlieferung zusammenzudenken. Dieses Zusammendenken wird in der Tat den Weg vorbereiten, das ἄπειρον in seinem Wesen zu erschließen. Konkreter: Macht jedes Unbegrenzte der anvisierten Partie ein Paar aus, so dass man zu dem Schluss kommen kann, dass die Zweiheit nach der Darlegung im Philebos zu der Natur des Unbegrenzten gehört? Oder geht es jedes Mal um einzelne Prädikate, die keine Verbindung zueinander haben müssen? Während Benitez sich einer langen Tradition gemäß für die erste Option eingesetzt hat, 410 bevorzugen Striker und ihr folgend D. Frede die zweite Option. 411 Der Text mag einige Anhaltspunkte auch für die zweite Deutung bieten, wobei ein Argument unsere These für die Zweiheit als Grundzug des ἄπειρον stark favorisiert: Das jeweilige Unbegrenzte manifestiert sich durch häufige Anwendung des Duals als Paar
-------------------------------------------407
S. die Folgerungen am Ende unseres Abschnitts über δύναμις, in § 2.2, I.1. Am Rande lassen sich einige Bemerkungen über den Vergleich zur chora des Timaios machen: Keinesfalls personifiziert die chora das Nichtseiende oder das zweite Prinzip an sich, sondern ihr wird ein Streben nach Ordnung zugesprochen, sofern sich darin die so genannten elementaren Spuren (Ti. 53b2) bereits finden. Zugleich widerstrebt sie durch ihre ungeordnete Bewegung – die im Ti. viel prägnanter zur Sprache kommt als im Phl. – der Tätigkeit des ordnenden Demiurgen. Deswegen muss dieser die widerstrebende Natur, die zwischen „Raum“ und „Stoff“ oszilliert (Happ 1971, S. 98ff., besonders S. 101, Anm. 101), immer aufs Neue „überzeugen“. Gegenüber der irreführenden Tendenz Gadamers, die chora als „schon Vorgeordnetes“ zu verstehen (1985, GW, Bd. 6, S. 257, dann aber erübrigt sich die Metapher des Überzeugens: wie kann man den schon Überzeugten überzeugen?), oder Derridas Identifizieren der chora mit dem Nichtseienden an sich (1990, wie kann aber jemand überredet werden, dem es am λόγος völlig mangelt?), interpretiert auf angemessene Weise Schölles die Metapher des „Überzeugens“ (S. 10f.). Die chora des Timaios scheint um ein Grad näher am zweiten Prinzip zu sein als das Unbegrenzte im Philebos, weil sie explizit von allen möglichen Qualitätsbestimmungen befreit ist (ἄμορφος, Ti. 50d8, 51a8): Was in ihr als warm oder kalt erscheint, liegt nicht an ihrem eigenen Wesen, sondern an den in ihr auftretenden Spuren, die sich in ihren verschiedenen Regionen sammeln. Was für die Sache entscheidend ist, ist andererseits, dass das Unbegrenzte des Phl. näher an der Ungeschriebenen Lehre ist: in der Hinsicht, dass es als Faktor eines nicht nur wahrnehmbaren Werdens verstanden werden kann. 409 Nach Strikers Ausdruck, 1970, S. 46, wobei die Interpretin ihre eigene Voreingenommenheit gegen die Ungeschriebene Lehre nicht hinterfragt. 410 Benitez 1989, S. 69-76. 411 Striker 1970, S. 41ff. D. Frede 1997, 1, S. 187ff. 408
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
277
von Gegensätzen. 412 So kehrt schon von Humbolt bezüglich der grundlegenden Funktion des Duals hervor: „Die Sprache hat die Dualform geschaffen, nicht etwa, um den Begriff der Zahl zwei, sondern um den Begriff der Zweiheit, der paarweisen Zusammengehörigkeit auszudrücken.“ 413 Erst später, als das Sprachgefühl für die eigentliche Bedeutung der Sprachformen weniger lebhaft zu werden pflegte, sehen wir den Dual nicht selten als Ausdruck des bloßen Begriffes „zwei“ angewendet; während die wahre und ursprüngliche Natur des Duals sich darin zeigt, dass er entweder auf paarweise, in der Natur verbundene Gegenstände angewendet wird oder auf solche, welche in einer engen und gegenseitigen Beziehung gedacht werden. 414 Begeben wir uns zu den indirekten Berichten über das zweite Prinzip Platons, um möglicherweise zurückgebliebene Zweifel zu zerstreuen, falls die Argumente hinsichtlich der Zweiheit dies noch nicht erreicht haben. Als zweites Prinzip der platonischen Philosophie wird die „Unbestimmte Zweiheit“ bezeichnet. Damit nicht der falsche Eindruck entsteht, wir verwendeten die indirekte Überlieferung als Prokrustesbett, ergreifen wir nochmals die Gelegenheit aufzuzeigen, wie mühsam es bei dem notwendigen Unternehmen ist, in gewissen TP den Bericht über die platonische Lehre von deren Kritik abzutrennen. Es gehört zu den üblichen Tendenzen Aristoteles’, seinen akademischen Gegnern zu unterstellen, dass sie bloß nach logischen Untersuchungen strebten, und sie dafür zu rügen. 415 Sein Vorwurf kann dabei bemerkenwertersweise gegen ihn selbst erhoben werden. Aristoteles versteht das ἄπειρον als (der Zahl nach) zwei getrennte, unbegrenzte Dinge und wirft Platon vor, dass er über die Unterscheidung seines apeiron-Begriffs in zwei ἄπειρα nicht verfügte, während er selbst beide platonische Prinzipien (also das Eine und die Unbestimmte Zweiheit) als drei „aufzählt“. 416 Die aristotelische Verzerrung bringt bereits die Anwendung zweier Artikel zur Sprache: Er nennt das platonische Unbegrenzte in den einschlägigen Passagen „das Große und das Kleine“ 417 und in diesem Sinne wird er zum Vorläufer der schon angesprochenen modernen Auslegungen. Auf diese Weise aber wird das Wesen des in Frage gestellten Prinzips verfälscht, indem Aristoteles auf der Basis von dessen bloßer Bezeichnung Argumente gegen die Theorie seines Lehrers zu sammeln versucht. Dabei wird übersehen, dass die Zweiheit des platonischen Unbegrenzten innigst aufeinander bezogen ist; man übersieht den Dual, den Aristoteles selbst übrigens nicht mehr verwendet. Nachdem der Stagirit die Natur des platonischen Unbegrenzten als zwei getrennte ἄπειρα (miss)verstanden hat, steht ihm nichts mehr im Wege, es unter seine Kategorie des Relativen zu subsumieren. 418 --------------------------------------------
412 Phl. 24a9: οἰκοῦν<τε>. Die Ausgabe BT hat stattdessen an der Stelle den Singular οἰκοῦν, was die Einheit des Paares hervorhebt. S. auch Phl. 24b1: ἐνοικῆτον, ἐπιτρεψαίτην, 24b2: αὐτώ, 24b8: ὄντε, ἀπείρω, 24c2: ἐχέτον, c3: ἐνῆτον, ἐᾶτον, c5: ἐμποιοῦντε, ἀπεργάζεσθον, c7: ἐάσαντε, d3: εἴτην ἂν λαβόντε. Gegenüber dieser Häufung kommt viel seltener der Plural vor (wie in 26a2). 413 Von Humbolt 1828, S. 18. 414 Kühner 19663, Grammatik, II (Satzlehre), Erster Teil, S. 69, der sich dort vor allem auf Homer bezieht. 415 Im Rahmen seiner Polemik kann er λογικῶς ζητεῖν pejorativ verwenden, z. B. Metaph. Λ1, 1069a28. 416 Mit Bezug auf Metaph. N1, 1087bff. Vgl. oben, Anm. 392, über die treffende Kritik Th. A. Szlezáks an Aristoteles. S. außerdem oben, § 2.4 hinsichtlich des problematischen Versuchs, die Prinzipien aufzuzählen. Im σύμφυτον ist noch nicht die mathematische Zahl präsent. 417 Zum Beispiel in Ph. Α9, 192a7, Γ4, 203a15f.: τὸ μέγα καὶ τὸ μικρόν; Ph. Γ6, 207a29f., Δ2, 209b35-210a1. 418 Zur Einordnung sowohl des Groß-Kleinen als auch des Größer-Kleineren in die Kategorie des Relativen vgl. die aristotelische Kategorienschrift 5b11ff. Bei den relativen Begriffen, die immer
278
Kapitel 3
iii. Die Schwierigkeit der Zusammenfassung des Unbegrenzten Die Tatsache soll unterstrichen werden, dass auch in unserer Passage die dialektische Methode nicht erschöpfend dargestellt wird. Das Moment der Zusammenführung der dialektischen Tätigkeit tritt hier stark hervor (συναγωγή). Das Gegensatzpaar τὸ μᾶλλον τὲ καὶ ἧττον (das Mehr und Weniger, 24a9, b5, c2, d1, 25c11, 41d8) oder μᾶλλον τὲ καὶ ἧττον (mehr und weniger, 24e7, 52c7) wird als das Merkmal der ersten Gattung betrachtet. Die bestimmte Zahl ist in dieser Partie eher mit dem Vierfachen der Einteilung zu vereinbaren, wie oben gezeigt wurde, als mit der erschöpfenden Aufzählung der Teile (μέρη, 27d9) jeder der vier Gattungen. Die anvisierten zwei Einheiten der Unbegrenztheit und der Grenze sind ausgezeichneter Natur und keine gewöhnlichen Ideen, sondern Derivate der Prinzipien. Sie sind notwendigerweise ideenhaft (als Monaden oder Henaden), wenn sie im Denken erfasst werden. Das Unbegrenzte des Philebos ähnelt der „schwierigen und dunklen“ chora, 419 indem es sich als schwierig und strittig zeigt: χαλεπὸν μὲν γὰρ καὶ ἀμφισβητήσιμον. 420 Sokrates bemerkt, dass die in viele (πολλά, 23e8) Manifestationen aufgespaltene (ἐσχισμένον) und zerstreute (διεσπασμένον, 23e5-6) Gattung des ἄπειρον zusammengeführt werden muss zu einer Einheit (ἕν, 23e8). Die Zusammenführung besteht eher in der Nennung des kennzeichnenden Merkmals der untersuchten Natur als in der Aufzählung ihrer Instanzen. 421 Die Schwierigkeit kommt bei dieser dialektischen Tätigkeit zur Sprache, wenn das Unbegrenzte κατὰ δύναμιν (Phl. 25a3), also dem Vermögen nach, als eine Natur gekennzeichnet wird. Diese Schwierigkeit entsteht, weil das Unbegrenzte in sich zerstreuend – da entzweiend – ist. Die erfolgreiche Zusammenführung des Unbegrenzten wird unabhängig vom Vermögen des Dialektikers von der Sache selbst erschwert, nämlich von der widerstrebenden Kraft des Unbegrenzten. Auf einen analogen Widerstand stößt der Dialektiker, wenn er die Natur der Idee des Anderen zu bestimmen versucht. 422 Dasselbe erfährt der Demiurg im Timaios in seinem Umgang mit der Macht der Notwendigkeit: Soweit es möglich ist, wendet er die Mitursachen als Faktoren an, die dazu beitragen, das Beste herauszuarbeiten. 423 Der Dialektiker soll dementsprechend – da er das Göttliche nachahmt – nicht die völlige Beherrschung des Unbegrenzten erzielen, sondern seine Natur bewahren und retten, -------------------------------------------in Bezug aufeinander ausgesagt werden, verursacht die Aufhebung des einen die Mitaufhebung des anderen. 419 Ti. 49a3f.: χαλεπὸν καὶ ἀμυδρὸν εἶδος. 420
In Phl. 24a6. Später gesteht Protarchos: οὐ ῥ‡δια ταῦτα συνέπεσθαι (24d9). Phl. 24e5, 25a1-4. Crombie ist hingegen der Ansicht: „Τhe notion of collection must refer to the giving of instances designed to illustrate the range of a general term“ (1963, S. 427). Dagegen lässt sich einwenden, dass das kennzeichnende Merkmal der Gattung bei einer Zusammenführung verlangt wird, was die Beschreibung der Einzelfälle voraussetzt, die aber nicht hinreichend ist. Anschließend wird bei πέρας klar: Einige seiner Instanzen werden gegeben und trotzdem wird diese Gattung nicht zusammengeführt. Crombie muss wegen seiner Deutung zwischen „zusammenführen“ („illustration of a range over which the kind extends“, ebd., S. 368) und „stempeln“ (26d1, „discernment of the common feature“, ebd., S. 370) unterscheiden, was aber der Text nicht unterstützt (ἐπισημαίνεσθαι, 25a4, und ἐπισφραγίζεσθαι, 26d1, entsprechen dem Sinn des συνάγειν). Darüber hinaus scheint Crombie den gleichen Fehler wie der junge Theaitetos zu machen, der verschiedene Instanzen der Wissenschaft aufgezählt hat, aber hinter einer Zusammenfassung zurückbleibt: Tht. 147e. 422 S. oben, § 2.1, I.3. 423 Ti. 46c7-d1 (κατὰ τὸ δυνατόν), auch 53b5 (ᾗ δυνατόν, bei der Konstruktion der Elementarkörper). 421
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
279
also freilegen, 424 was sich im weiteren Text manifestiert: Die der Zahl nach unendlichen Arten der gemischten Lust und Unlust kann man auf sich beruhen lassen, nachdem man die wichtigsten Arten und Typen ausdifferenziert hat. In Phl. 50b wird zugegeben, dass sich die Lust mit der Unlust in der ganzen Tragödie und Komödie des Lebens auf unendlich verschiedene Weise vermischt. Der Dialektiker zielt nicht auf das Quantifizieren der unendlichen Einzelfälle von Lust und Unlust, sondern auf deren Einteilung in drei Gruppen, nämlich in gemischte Lust und Unlust im Körper allein, in der Seele allein und in beiden (Phl. 50d4-5). Gegenüber diesen Arten von unreiner Lust wird die reine, wahre Lust als Manifestation der guten Mischung ausgezeichnet. Die Zusammenführung kann jeweils verschiedene Gegenstandsbereiche betreffen: entweder Einzeldinge, Ideen oder Prinzipiate, wie im hier untersuchten Fall, während ihr Ziel immer darin besteht, das in Vielheit Zerstreute in Einheit zu versammeln. Im Phaidros führt Sokrates die συναγωγή als die zur dihairesis komplementäre Methode ein. 425 In unserer Passage im Philebos wird weder versucht, die Manifestationen des Unbegrenzten – oder der Grenze – in Arten und Unterarten einzuordnen, noch wird solch eine Tätigkeit explizit verschoben, so dass dadurch deren Notwendigkeit unterstrichen würde. Die bezeichnete Beziehung zwischen dem Unbegrenzten und seinen Instanzen spiegelt nicht diejenige von Gattung und Art wider. Sonst wäre eine genaue Aufzählung der untergeordneten Arten nach der Anweisung der Dialektikpassage zu erwarten, und man müsste Platon eine eklatante Inkonsistenz unterstellen, da er keine Anwendung der beschriebenen Methode mache. iv. Die Elemente der Mischung als Seinsmomente und reale Mächte Wir kommen langsam zum Knotenpunkt der platonischen Problematik. Da das Problem sich schon im Fall des Unbegrenzten meldet, wenden wir uns diesem zu, bevor wir uns anschicken, die Gattung der Grenze zu verstehen. Wir sollten zunächst bei der philosophischen Exegese von Hans-Georg Gadamer verweilen, um unsere Auslegung der Mischung auch im Gespräch mit ihm zu bewähren. Der Philosoph hat die Unterscheidung von ontischen Elementen und ontologischen Strukturmomenten der Mischung beigetragen, die als eine wesentliche Voraussetzung für das rechte Verständnis der Konstellation im Philebos gilt. 426 Er versteht die Elemente der hier anvisierten Mischung als Seinsmomente und nicht als eigenständig existierendes Seiendes. 427 Alle Interpreten, die eine Auslegung des Philebos erstrebt haben, kämpften mit dieser Schwierigkeit. 428 -------------------------------------------424
Das kommt später noch klarer zur Sprache, in § 3.4, IV 1a, iv und vii. Das Missverständnis, dass die Zusammenführung immer vor der Einteilung durchgeführt werden muss, hat Hackforth aufgezeigt: 19582, S. 142f. 426 Gadamer 1986, GW, Bd. 5, S. 106. 427 Gadamers Interpretation (1985, GW, Bd. 5, S. 99) stößt auf den Widerstand der Schmerzen und Freuden, die Mitglieder der ersten Gattung sind, obwohl sie in diesem Fall bestimmte Individua und keine Seinsmomente darstellen, wie Striker einwendet (1970, S. 76). Die Interpretin spricht von einer Doppelrolle der ersten zwei Gattungen: sowohl Elemente, in die das Gemischte zerlegt werden kann, als auch selbstständige Gegenstände, wie im Fall der einzelnen in der Wirklichkeit auftretenden Freuden (27e) und im Fall von Frost und Hitze (26a). Aber das übersieht Gadamer nicht. D. Frede schließt sich der von Striker an Gadamers These geübten Kritik an, wobei sie aber in ihrer Kritik schwankt: s. ihre Anm. 128, 162 und 171 (1997, 1). Einerseits lobt sie Gadamers Unterscheidung zwischen „ontischer Elementenmischung und ontologischer Struktur der rechten Mischung“ (Anm. 162), andererseits kritisiert sie dessen Betrachtung des πέρας und ἄπειρον als Strukturelemente von Mischungen, die keine eigenständige Existenz haben (Anm. 128). Auf jeden Fall aber ist die Korrektur der Interpretin angemessen, nämlich dass es in Phl. 16c9 nicht um Mischung überhaupt gehe, wie Gadamer meint (1985, GW, Bd. 5, S. 104). Eine fruchtbare Auseinandersetzung mit Gadamer hat Preiswerk vorgelegt. Er bemerkt: „Gadamer geht von einem einheitlichen Begriff des 425
280
Kapitel 3
Versuchen wir, uns mit der Hilfe Gadamers dem platonischen Schwanken zwischen ontologischer und ontischer Mischung anzunähern – das er selbst sehr gut herausgearbeitet hat –, um es zum Vorschein zu bringen und zu vertiefen. Wir nehmen von einem methodologischen Punkt den Ausgang, um dann zu der Sache, die innig mit der Methode verflochten ist, zu gelangen. Von Gadamers Umgang mit dem Bild der Mischung ist in dieser Arbeit Abstand zu nehmen. Gadamer misst das Angemessene und Unangemessene dieses Bildes auf folgende Weise: Dieses Bild treffe zu, sofern es das Für-sich-Sein der Elemente ausdrücke, die in die Mischung eintreten, in der sie modifiziert werden. Dabei geht Gadamer von der sinnlichen Mischung aus, die Aristoteles in De generatione et corruptione behandelt hat. Sobald aber dieses Für-sich-sein nicht zu konstatieren sei, habe das Bild der „Mischung“ keine veranschaulichende Eignung mehr: Das betreffe den Fall des πέρας, das keine selbstständige Existenz außerhalb des Zusammentretens mit dem jeweiligen Unbegrenzten haben könne. 429 Die „Mischung“ des Philebos verbindet Gadamer zunächst mit dem Für-sich-Sein ihrer Elemente, um anschließend ihre Unzulänglichkeit zu vertreten, weil es hier eher um Momente gehe. Statt das Treffende und das Unzutreffende des Bildes der Mischung festzustellen, betrachten wir bei der Anwendung des Bildes der Mischung die Transformation eines sinnlichen Bildes in ein philosophisches. Sonst wäre der Einwand gegen Platon berechtigt, dass er im Zusammenhang einer solchen philosophischen Tiefe wie der Mathematiker nach der Politeia mit dem Sinnlichen – also auf unangebrachte Weise – umgehe. 430 Gadamer ist zuzustimmen, dass im Schema der Mischung ein allgemeiner Seinscharakter ergriffen wird. 431 Im Anschluss daran stellen wir weiter die Frage, wie die Rede von „Momenten“ der hier anvisierten Mischung zu verstehen ist, um dem platonischen „Schwanken“ selbst näher zu kommen. Dass an dem Wesen der Elemente der Mischung als Seinsmomente nicht gezweifelt werden darf, belegt die Textstelle: τὸν θεὸν ἐλέγομέν που τὸ μὲν ἄπειρον δεῖξαι τῶν ὄντων, τὸ δὲ πέρας; (23c9-10). Und noch deutlicher: ἓν μὲν γάρ μοι δοκεῖς τὸ ἄπειρον λέγειν, ἓν δὲ καὶ δεύτερον τὸ πέρας ἐν τοῖς οὖσι (26c56). Was aber problematisiert werden muss, ist die Natur dieser Seinsmomente. Handelt es sich um eine nachträgliche begriffliche Analyse des Gemischten in seinen Komponenten (eine Art Abstraktion), die eigentlich keine Bestandteile sind, welche uns im Modus der Vorfindlichkeit begegnen? Sind diese so aufeinander bezogen, dass sich dann das Bild der Mischung als inadäquat erweist? Sollten wir aus diesem Grund zwischen ontologischer Mischung (die nach Gadamer mit dem σύμφυτον in Phl. 16c10 zusammenfällt) und ontischer Mischung von vorhandenen Bestandteilen unterscheiden, wie Gadamer es tut? In 16c10 tritt nach unserer Interpretation nicht die Mischung hervor, sondern es handelt sich eher um eine pythagoreische Verkleidung des Verwachsenseins der zwei platonischen Prinzipien. Bei der vierfachen Einteilung haben wir diese ursprüngliche Ebene -------------------------------------------Seienden aus, der mit der von Aristoteles vorausgesetzten Gegebenheit zusammenzufallen scheint.“ (1939, S. 60). Es geht allerdings nach dem neukantianisch geprägten Interpreten nicht um eine Interpretation der gegebenen Ordnung, sondern um deren Herausstellen (ebd., S. 61f.). Schmidt-Wiborg verfehlt in ihrem Urteil die Tiefe von Preiswerks Darstellung (2005, S. 254, Anm. 3). 428 Ritter unterstreicht das mal Abstrakte, mal Konkrete der Unbegrenztheit (1931, S. 171) und folgert eine „undurchsichtige Verworrenheit“ im vierfachen Gefüge (ebd., S. 156). Hackforth spricht von „twofold application of mixture“ (19582, S. 52, Anm. 1); vgl. D. Frede 1997, 1, S. 198f. 429 Gadamer bemerkt: „Hier [was das Unbegrenzte als Element der Mischung angeht] also trifft das Bild der Mischung zu.“ (1985, GW, Bd. 5, S. 97) und zieht den Schluss: „Das Bild der Mischung besitzt also keine veranschaulichende Eignung“, was die zweite Gattung des Begrenzten als Element der Mischung anbetrifft, ebd., S. 99. 430 Zu unserem Umgang mit der Metapher der Mischung s. oben § 1.3, II und III. 431 Gadamer 1985, GW, Bd. 5, S. 94.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
281
verlassen, was bei einer Philebos-Interpretation nie außer Betracht geraten darf. Nicht die Mischung, sondern das Verwachsensein ist das Ursprüngliche. Den zwei in der Forschung oft vorgebrachten Argumenten gegen das Verständnis des Unbegrenzten als Seinsmoment der Mischung ist einiges zu erwidern. Was das Fürsich-Sein von Frost und Hitze betrifft, die als Manifestationen des Unbegrenzten vorkommen (26a6), kann folgendermaßen argumentiert werden: Es geht innerhalb des vierfachen Gefüges um das Entstehen der guten Mischungen. Aber die Gefahr des Misslingens ist aufgrund des nie völlig bezähmbaren Unbegrenzten immer präsent. Die hier als unbegrenzt dargestellten Paare neigen zum Exzess: Wenn sie sich selbst überlassen werden, entsteht daraus Unordnung, aus der schlechte und unerwünschte Produkte werden können (welche keine Mischungen sind, sondern ein unverbundenes Durcheinander: ἄκρατος συμπεφορημένη […] συμφορά, Phl. 64e1). 432 Man darf den Kontext nicht so verstehen, dass die Krankheit der Gesundheit, der Misston der Musik und das Unwetter dem harmonischen Klima als eigenständig existierende Elemente der guten Mischung zeitlich vorausgehen und deren Voraussetzung ausmachen. Erst im Rahmen der seienden Ordnung wird die schlechte Mischung möglich, wenn πέρας oder – in der mythischen Sprache – der Demiurg sich zurückziehen. 433 Auf diese Weise wird die Bedrohung des Auseinandertretens der zwei Elemente und das Misslingen der Mischung betont und nicht das Vorfindliche des jeweiligen Unbegrenzten. Das zweite Argument kann ebenso widerlegt werden. In Phl. 30c4 heißt es: Viel Unbegrenztes gibt es im All, die Grenze ist aber auch hinreichend: ἀπείρου τε ἐν τῷ παντὶ πολύ, καὶ πέρας ἱκανόν. Die Stelle sollte uns nicht zu derartigen Missverständnissen führen, dass die erste und zweite Gattungen selbstständig existieren. Es geht nämlich dabei nicht um „bloße Seinsmomente“, 434 sondern um reale Mächte, um die positiven und realen Prinzipien der ganzen Wirklichkeit. 435 Da sie als δυνάμεις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν auftreten, ist die Natur ihrer δύναμις als Mächtigkeit und Macht zu verstehen 436 und nicht als Strukturelement, das man durch Abstraktion erreichen kann. Die augenfällige und philosophisch auszulegende Tatsache, dass es bei dieser Erörterung nicht um vorkosmische Zustände im mythischen Zusammenhang geht, wie im Timaios, kann uns zu der folgenden Überlegung führen: Es gab die chora, die Ideenwelt und den Demiurgen, der durch Nachahmen das Abbild des Vorbildes herausgearbeitet hat, nicht einmal, sondern es gibt sie immerwährend. In jedem Augenblick, in dem der kosmos in irgendeinem Bereich der Praxis, Theorie oder Kunst entsteht, sind das Unbegrenzte, die Grenze
--------------------------------------------
432 Crombie 1963, S. 435: „There is, if you like, a presupposition according to which ‚that which take more or less’ is always liable to become too or not enough.“ 433 Das Sichzurückziehen des Demiurgen kommt sowohl im Timaios als auch im Mythos des Politikos zur Sprache (Tim. 42e, Plt. 272e). 434 Bis dahin richtig D. Frede 1997, 1, S. 207, die aber dann den Schluss zieht – von dem wir hier abweichen –, dass es um „Gegenstände eigenes Rechtes“ geht. 435 Schelling wendet sich gegen zeitgenössische Tendenzen (wie Plessings), die zwei ersten Gattungen als eigenständig, vorhanden und vergegenständlicht zu denken; der Philosoph deutet sie als bloß formale Begriffe im Vorstellungsvermögen: „Offenbar sind doch die beiden Formen des πέρας u. des ἄπειρον nur im VorstellungsVermögen von einander getrennt, denn außer dem VorstellungsVermögen existieren beide nur in Verbindung mit einander.“ (1994, S. 68) 436 Den Charakter der sich durchsetzenden Macht und Mächtigkeit der zwei ersten Gattungen unterstützt die polemische Metaphorik in 24c-d. Der Auftritt der Grenze zerstört nämlich das μᾶλλον καὶ ἧττον des Unbegrenzten, das entweder die Grenze zum Verschwinden zwingt oder selbst von ihr vertrieben wird.
282
Kapitel 3
und der νοῦς präsent: 437 Das widerstrebende, nie völlig bezähmbare Unbegrenzte wird „gezwungen“, von seinem absoluten Sich-Entziehen weg und hin zum Sich-Zeigen zu kommen, und wird dadurch begrenzt. So entsteht nach Platon die Schönheit. v.
Heranziehen von indirekter Überlieferung (Testimonium Platonicum 23A: Arist. Ph., Γ4, 202b34-203a16; 23B: Simplicius In Ph. Γ4, 202b36) und der letzte Schritt bei der Erfahrung der Unbestimmten Zweiheit
Auf der Basis der entsprechenden Berichte der indirekten Überlieferung kann eine enge Verwandtschaft mit dem im Philebos dargestellten Unbegrenzten festgestellt werden; mit der schon erwähnten Beschränkung, dass es im Fall des Unbegrenzten im Philebos (und der Grenze, wie noch zu zeigen ist) um Derivate der Prinzipien, also um Prinzipiate geht. 438 Der erste irreführende Eindruck, dass die Bestandteile der untersuchten Mischung die allerhöchsten, nicht weiter zurückzuführenden Ursachen (αἰτίαι als ἀρχαί) sind, kann durch die Einführung der vierten Gattung (Ursache) korrigiert werden. Aristoteles berichtet in seiner Physikvorlesung, dass das Unbegrenzte nach Platon sowohl in den Ideen als auch im Wahrnehmbaren sei (TP 23A). 439 Simplikios seinerseits nähert sich dem zweiten Prinzip Platons in seinem Kommentar der aristotelischen Physik an, indem er sich auf Porphyrios und Alexander bezieht. Nach dem Ersten ist die Unbestimmte Zweiheit sowohl in den zusammenhängenden Körpern als auch in den Zahlen zu finden; der Zweite spricht von der Unbestimmten Zweiheit als Element der Zahlen, die nach Platon mit den Ideen identifiziert werden. In der unendlichen Teilbarkeit eines ausgedehnten Kontinuums (τὸ δὲ συνεχὲς διαιρεῖται εἰς ἀεὶ διαιρετά, TP 23B) lässt sich die Unbegrenzte Zweiheit manifestieren, was nach Porphyrios am Beispiel der Elleneinteilung in der Vorlesung „Über das Gute“ veranschaulicht wurde. Nachdem die Elle halbiert worden ist und die Halbierungen auf eine Seite hin nur weiterverfolgt werden, wird das vor der nächsten Einteilung stehende Stück pausenlos kleiner, während das Übriggebliebene in infinitum größer wird. 440 Sowohl bei Porphyrios als auch bei Alexander von Aphrodisias wird dargelegt, dass das zweite Prinzip Platons – also in seinem aktiven Aspekt – in beiden entgegengesetzten Richtungen, d. h. im Übertreffen und Zurückbleiben (im Anspannen und Nachlassen), unendlich fortschreitet. 441 Dies stimmt in der Tat mit der Darstellung des Unbegrenzten im Philebos überein (24d4f.). Es lässt sich darüber hinaus als Instabilitätsfaktor erkennen: ἄστατον. Die quantitative Unbestimmtheit und Bestimmbarkeit tritt andererseits als passive Kraft des Unbegrenzten hervor: Εs ist „ohne Gestalt“ und „nicht bestimmungsfä--------------------------------------------
437 Richtig argumentiert Barbarić 2005, 1, S. 36, ohne dort die Verbindung zur nicht zeitlichen Auslegung des Timaios zu knüpfen. 438 Anders als Benitez, der konstatiert: „None of the four classes is a unit that contains peras and apeiron […]“ (1989, S. 65). 439 Ph., Γ4, 202b34-203a16. 440 Die unendliche Teilbarkeit der Linie tritt nur beim ersten Hinsehen in Gegensatz zu den „Atom-Linien“ Platons, während beim näheren Zusehen klar wird, dass sie sich gegenseitig ergänzen: Dazu Gaiser 19682, S. 349, Anm. 45, Stenzel 19332, S. 64f. 441 Aus TP 23B: κατὰ γὰρ ἐπίτασιν καὶ ἄνεσιν προϊόντα ταῦτα οὐχ ἵσταται, ἀλλ’ ἐπὶ τὸ τῆς ἀπειρίας ἀόριστον προχωρεῖ. „Denn, indem diese beiden (das Große und Kleine) im Anspannen und Nachlassen vorschreiten, bleiben sie nicht stehen, sondern schreiten sie fort zum Unbegrenzten der Unendlichkeit“ (Übers. Stenzel 19332, S. 67). Bei Porphyrios ist von zwei Naturen des ἄπειρον die Rede, die in der Elle eingeschlossen sind (ebenfalls aus TP 23B): τὴν μὲν ἐπὶ τὸ μέγα προϊοῦσαν τὴν δὲ ἐπὶ τὸ μικρόν. Das in unendliche Bewegung Setzende wird an mehreren Stellen berücksichtigt (ebenfalls TP 23B): ὁπου γὰρ ἂν ταῦτα ἐνῇ κατὰ τὴν ἐπίτασιν καὶ ἄνεσιν προϊόντα, οὐχ ἵσταται οὐδὲ περαίνει τὸ μετέχον αὐτῶν, ἀλλὰ πρόεισιν εἰς τὸ τῆς ἀπειρίας ἀόριστον.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
283
hig“ (ἄμορφον, οὐδὲ περαίνει), sondern lässt sich vom ersten Prinzip bestimmen. Im Bereich der Zahlen wird die Unbestimmte Zweiheit zur bestimmten Zweiheit: πρῶτος δὲ ἄρτιος ἐν ἀριθμοῖς ἡ δυὰς, ἀλλὰ καθ’ αὐτὴν μὲν ἀόριστος, ὡρίσθη δὲ τῇ τοῦ ἑνὸς μετοχῇ. ὥρισται γὰρ ἡ δυὰς καθ’ ὅσον ἕν τι εἶδός ἐστι. 442 Wie wagen wir unseren letzten Schritt? Worin besteht die δύναμις des platonischen Unbegrenzten? Wenn es weder um wahrnehmbare Gegenstände noch um deren Eigenschaften geht, worin besteht dann das Wesen des Unbegrenzten? Unsere Darstellung mündet in eine längere Passage von Volkmann-Schluck ein, die den schwer zu begehenden Weg am besten weiter beschreitet und daher unsere Behandlung des ἄπειρον abschließen soll. Der Interpret bezieht sich im Rahmen seiner Plotin-Interpretation von Enn. VI 6, 3 auf das Unbegrenzte des Philebos und die dritte Gattung des Timaios. Plotin wird hier herangezogen, der die aristotelische Hermeneutik von „ἀμφοῖν γὰρ ὄντοιν φίλοιν, ὅσιον προτιμᾶν τὴν ἀλήθειαν“ (NE 1096a16f.) durch eine Einstellung ersetzt hat, die die augustinische Hermeneutik von „non intratur in veritatem nisi per caritatem“ (Contra Faustum, 41, 32, 18) antizipiert. In diesem Rahmen hat er zur Neuschöpfung und Umgestaltung des bisherigen Denkens beitragen können, indem er Platon gefolgt ist und zugleich Platons Verschiedenheit verstehen konnte. Obwohl Plotin so wesentlich platonisches Gut umformt, wie die Unbestimmte Zweiheit als noch nicht bestimmte Subjekt-Objekt Dualität, 443 lassen wir uns auf seine Passage ein (Enn. VI6, 3), in der die Begegnung (προσελθών ἐγγύς, Z. 33) mit der Unbegrenztheit (ἄπειρον) erzielt und eine Art „negative Theologie“ für sie entworfen wird. In dieser Arbeit sind wir nicht bereit gewesen, die Identifizierung des plotinischen Monismus mit der platonischen Prinzipientheorie zu vertreten. Dennoch werden wir den Anlass aufgreifen, Plotins Annäherung an das Unbegrenzte zu verfolgen, weil wir dabei Wesentliches in Bezug auf das platonische Unbegrenzte erfahren können. Das in diesem Rahmen der plotinischen Zahlenabhandlung nicht in intelligibles und diesseitiges unterschiedene Unbegrenzte kann „gedacht“ werden, indem sich das Denken – ohne den Bezug auf die Ideen: χωρίσας τὸ εἶδος τῇ διανοίᾳ (Enn. VI, 6, 3, 27) – aufhebt. Wir ziehen eine längere Passage aus der Analyse Volkmann-Schlucks heran: Wie aber soll man sich dieses Unbleiben denken? Weder als ein Schweben an derselben Stelle noch als ein Hierhin-und-dorthin-Getragenwerden; denn beides kann nur in Bezug auf einen identischen Ort bestimmt und unterschieden werden. Wie also soll man das Unbleibende denken? Denken ist immer ein Denken in Ideen. Wir denken etwas als dieses oder jenes, als so oder anders. Das Denken des Unbegrenzten muss daher denkend die Idee von sich absondern, sie gleichsam an einen anderen Ort stellen und dort stehen lassen, wenn das Unbegrenzte zur Begegnung kommen soll. Das Denken muss sich gleichsam gegen sich selbst quer stellen, sich selbst entgegen handeln und doch ein Denken bleiben. Was denkt ein solches Denken? Gegensätzliches und Nichtgegensätzliches, beides in Eins und zumal, also etwas Großes und Kleines, jedoch nicht das eine im Gegensatz zum anderen; denn dann würde das Denken ja wieder auf Ideen hinblicken. Etwas ist zuerst klein und dann groß. Oder etwas erscheint als groß im Hinblick auf etwas, das kleiner ist. Zugleich erscheint es als klein im Hinblick auf etwas anderes, das größer ist. Aber dasjenige, was da sowohl als das eine wie auch als das andere erscheinen kann, das ist beides in der Wei--------------------------------------------
442 Aus TP 23B: Die erste gerade Zahl ist die Zweiheit, an sich unbestimmt, die aber durch die Teilhabe an dem Einen bestimmt wurde. Die Zweiheit ist nämlich bestimmt, sofern sie eine Gattung ist. 443 Dazu Szlezák 1979, S. 64f. mit Anm. 211.
284
Kapitel 3 se des Nichtgegensatzes. Und so verhält sich das Unbegrenzte zu allen Gegensätzen, indem es als das Eine sowohl wie auch als das gegenteilige Andere erscheint. Es selbst, unangesehen dessen, als was es erscheint, ist keines von beiden in der Weise der Bestimmtheit und Gegensätzlichkeit. Soll es überhaupt dem Denken zugänglich werden, dann wird man es als jeden der beiden Gegensätze vorstellen müssen, als groß ebensowie als klein, als bewegt ebensowie als stillstehend.[ 444 ] […] In der Tat kann das Unbegrenzte nur dadurch gedacht werden, dass man es sich vorstellt, und zwar auf die folgende Weise: Es wird gedacht als etwas, das klein und groß, bewegt und ruhend ist usf. Nun schließen aber entgegengesetzte Vorstellungen einander aus. Sollen sie gleichwohl im Gedanken des Unbegrenzten zusammengebracht werden, so kann das nur dadurch geschehen, dass die Vorstellungen so in Bewegung gehalten werden, dass sie unaufhörlich ineinander verschwinden. Was dann vorgestellt und gesehen wird, ist das Verschwinden entgegengesetzter Anblicke ineinander, an welchem das Übergängige an ihm selbst erscheint […]. Weil das Unbegrenzte nicht durch sich selbst erfasst werden kann, ist seine Erfassung ein Produkt der Einbildungskraft. Aber dass es nicht durch sich selbst erblickt werden kann, rührt daher, dass es sich vom Nous, der Präsenz dessen, was etwas ist, wegbewegt, und so aus der Anwesenheit entgleitet. Zugleich wird es immer wieder in Maß und Grenze aufgefangen, gleichsam von außen umschlossen, da es in sich selbst unbegrenzt bleibt. Der sinnliche Kosmos entsteht dadurch, dass das dem Nous entgleitende Unbegrenzte zugleich aufgefangen wird […]. 445
Von dieser Grenzerfahrung des Denkens begeben wir uns zur Erfahrung der Grenze, die die zweite Gattung des vierfachen Gefüges ausmacht. vi. Die zweite Gattung (die Grenze: πέρας) und ihre Zusammenführung In Anbetracht der zweiten Gattung ist hier zu vertreten, dass es sich dabei um ein Derivat des ersten Prinzips handelt und dass, anders als im Fall des Unbegrenzten, die Zusammenführung der Grenze fehlt. Es geht um eine „Aussparungsstelle“. Die Kriterien dafür, dass es im Fall der fehlenden Zusammenführung der Gattung der Grenze um eine „Aussparungsstelle“ geht, 446 sind erfüllt: Es handelt sich um das explizite Fehlen einer Mitteilung, die einen wichtigen Teil der Ungeschriebenen Lehre offenbaren würde. Die Wichtigkeit der Zusammenführung wird hervorgehoben wie zugleich ihr Fehlen (25d6f.). Das geschieht nicht an einer so gewichtigen Stelle wie in R. 509c, was allerdings die Philebos-Stelle nicht ihres Aussparungscharakters beraubt. Was das Fehlen von speziellen --------------------------------------------
444 Dies kommt in unserer Passage im Philebos am deutlichsten zur Sprache, wenn es auch in der Forschung übersehen wird: […] ἄπειρον γίγνοιτ’ ἂν τὸ θερμότερον καὶ τοὐναντίον ἅμα (24d67). Das wichtige ἅμα verpassen sowohl D. Frede als auch Rufener in ihren Übersetzungen (bei beiden ἅμα als „ebenso“). Apelt übersetzt auf angebrachte Weise, ohne die entsprechende philosophische Problematisierung auf der Basis seiner Übersetzung zu entfalten: „[…] wäre denn das Wärmere und zugleich sein Gegenteil ein Unbegrenztes.“ (Hervorhebung G. M.) Daher erweisen sich letztendlich Annäherungen wie die folgende von D. Frede 1997, 1, S. 189 als verfehlt: „Die nächstliegende Erklärung für die paarweise Aufzählung ist, dass bei den Mitgliedern dieser Gattung in der Regel beide Gegensätze unbegrenzt sind.“ Es geht weder um einzelne Dinge noch um Eigenschaften. Daher bin ich nicht der Meinung, dass eine Untersuchung der hier auftretenden Gegensatzpaare in Hinsicht auf deren adverbiale und adjektivische Natur bedeutsame Früchte trüge (wie D. Frede meint, 1997, 1, S. 189, Anm. 132), da das Wesentliche bei einer solchen Betrachtung des Unbegrenzten verloren geht. 445 Volkmann-Schluck 1966, S. 154ff. 446 Gemäß Th. A. Szlezáks Bestimmung des terminus technicus (1993, S. 85ff.).
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
285
Verhältnissen in der Gattung der Grenze angeht, lautet die hier vertretene These: Im vierfachen Gefüge wird die Bedingung der Möglichkeit der Mischung überhaupt aufgezeigt und deswegen kümmert sich Platon nicht darum, spezielle unterschiedliche Verhältnisse anzugeben, die für das Gelingen der jeweiligen guten Mischungen verantwortlich sind. Die Gattung der Grenze wird folgendermaßen eingeführt: Οὐκοῦν τὰ μὴ δεχόμενα ταῦτα, τούτων δὲ τὰ ἐναντία πάντα δεχόμενα, πρῶτον μὲν τὸ ἴσον καὶ ἰσότητα, μετὰ δὲ τὸ ἴσον τὸ διπλάσιον καὶ πᾶν ὅτιπερ ἂν πρὸς ἀριθμὸν ἀριθμὸς ἢ μέτρον πρὸς μέτρον, ταῦτα σύμπαντα εἰς τὸ πέρας ἀπολογιζόμενοι καλῶς ἂν δοκοῖμεν δρᾶν τοῦτο. (25a6-b2): Was aber nicht dieses [also das Mehr und Weniger u. a., G. M.], sondern alles, was sich diesem entgegensetzt, zulässt, nämlich zunächst das Gleiche und die Gleichheit, dann nach dem Gleichen das Doppelte und alles, was sich wie eine Zahl zu einer Zahl verhält oder wie ein Maß zu einem Maß: Bezögen wir all das insgesamt auf die Gattung der Grenze, schienen wir das Richtige zu tun. 447 Es handelt sich also um Zahlenverhältnisse und nicht um einzelne Zahlen, was sich auch im Folgenden bestätigen wird, wenn die Grenze zwei entgegengesetzte Kräfte des jeweiligen Unbegrenzten in harmonische Beziehung zueinander setzt: 448 Später ist nämlich die Rede von der Grenze als etwas, „was immer sonst noch dem Widerstreit der Gegensätze ein Ende bereitet und sie stattdessen mit Hilfe einer Zahl miteinander kommensurabel macht“. 449 Gemäß dieser äußerst knappen Mitteilung werden als Manifestationen der Grenze gewisse zahlenmäßige Verhältnisse bezeichnet, 450 die imstande sind, gute Mischungen hervorzurufen. Neben der Gleichheit 451 und dem Doppelten werden --------------------------------------------
447 Das philologische Problem besteht darin, wie „das Gleiche…“ zu verstehen ist: auf δεχόμενα (Benitez 1989, S. 78f.) oder τὰ ἐναντία (zunächst von Vahlen vertreten, 1879, S. 204, anschließend Striker 1970, S. 58ff., Gosling 1975, S. 92) bezogen. Hier ist die erste Auffassung vorzuziehen: Das Gleiche, Doppelte und die anderen Verhältnisse – als Apposition zu δεχόμενα – sind eher die Mitglieder der zweiten Gattung als Eigenschaften von deren Instanzen. Die Gegensätze des Unbegrenzten (τὰ ἐναντία) sind kurz zuvor erwähnt worden: τὸ ποσόν, τὸ μέτριον (24c-d). Dies zerstreut die Furcht von Striker, dass das „Gegenteil“ unerklärt bliebe, wenn man unsere Deutung vorzöge (1970, S. 59). In der Tat kommt es philosophisch nicht sehr darauf an, für welche Alternative man sich entscheidet. Das Wesentliche in beiden Fällen – wenn auch in der Forschung nicht unumstritten – ist das Fehlen einer Zusammenführung der Grenze bei ihrer Einführung. 448
Richtig D. Frede 1997, 1, S. 191. In Erinnerung sei die Wichtigkeit gerufen, die dem Verhältnismäßigen beim Aufbau eines Systems (drittes Beispiel, Theuth, 18b-d) beigemessen wurde; demgemäß können die Elemente nicht als an sich isoliert erkannt werden, sondern erst in ihren komplexen Beziehungen zueinander. 449 25d11-e2, Übers. D. Frede. 450 Phl. 25a7 setzt unzweideutig nach Toeplitz die Proportionslehre inmitten des πέρας (1931, S. 15). Diese Klasse ist nach seinem Ermessen eine allgemein erkenntnistheoretische, keine spezifisch mathematische Angelegenheit (ebd., S. 16). 451 Wilpert (1972, S. 327f.) hinterfragt die Differenzierung zwischen dem Gleichen (τὸ ἴσον) und der Gleichheit (ἰσότητα) und versteht das erste als den gleichen Gegenstand und das zweite als das formale Element. Dabei übernimmt er Stenzels Folgerung, dass die formale und die gegenständliche Betrachtung bei Platon vereinigt werden: „Übrigens ist dies Denkschema echt platonisch, und es verdiente einmal genauer untersucht zu werden, wie oft Platon etwa die formalen Züge des hen schlechthin am hen als Gegenstand, des tauton am tauton, des heteron am heteron selbst expliziert.“ (Stenzel, RE, Speusippos, col. 1647). Trotz der scharfen Beobachtung Wilperts muss zugebilligt werden, dass sich ein Ausdruck wie αὐτὸ τὸ ἴσον (Phd. 74a10) eindeutig auf die Idee des Gleichen und nicht den gleichen Gegenstand bezieht.
286
Kapitel 3
nicht nur andere Verhältnisse von Zahlen, sondern auch von Maßen in πέρας eingeordnet: Auf diese Weise werden von der Gattung der Grenze auch die irrationalen Zahlen umfasst. 452 Durch das Miteinbeziehen von Ordnung (τάξις) und Gesetz (νόμος) in der zweiten Gattung wird der Blick auf eine umgreifendere Struktur und Proportionalität gelenkt, wobei in der Forschung viel diskutiert wird, ob sie überhaupt zu der Gattung der Grenze gehören oder nicht. 453 Der aus dem militärischen Bereich stammenden τάξις wird ein besonderer Platz in der Philosophie Platons 454 gewidmet; dieser Begriff drückt eine Teleologie aus und verweist auf eine tätige Natur oder Vernunft, die das Ganze in diese Ordnung führt und sinnvoll steuert. Der Gegensatz von τάξις herrscht vor (ἀταξία als Aufhebung aller Teleologie und Herrschaft des Zufalls), wenn der Gott absent ist oder „bevor“ er innerhalb des mythischen Rahmens eingreift, also vor-weltlich/ zeitlich. Die Ordnung und das Gesetz sind die Grundzüge des Weltalls, das als Vorbild für das Individuum und den Zustand seiner Seele fungieren soll. Eine berühmte einschlägige Stelle findet sich in Grg. 503dff., wo die Tugend der Seele am Modell der Kunst (τέχνη) exemplifiziert wird. Bei jeder Kunst werden unähnliche materielle Teile von dem Bewerkstelligenden (δημιουργός) „bezwungen“, der das Ganze anordnet. Der νόμος 455 zeigt sich anschließend als die seelische Ordnung (504d1-3), die sich auf die Kardinaltugenden zurückführen lässt. Als Grundlage der kosmischen Zusammenfügung wird die geometrische Gleichheit 456 als Gegenpol des Übermaßes (πλεονεξία) bezeichnet – leider dort ohne weitere Erläuterung. Was im Fall der eingeführten Gattung fehlt, obschon sich ihre quantitative Bestimmtheit zeigt, ist ihre Zusammenführung, also die Erwähnung ihres einheitlichen Merkmals, wie im Fall der ersten Gattung das „Mehr und Weniger“ als ein solches bezeichnet wurde. Das übereilte Einverständnis von Protarchos (25b4, Κάλλιστα, ὦ Σώκρατες) bezüglich der zweiten Gattung entspricht keinem tiefen Verstehen, was seine Verblüffung bei der nächsten Erwähnung der Gattung der Grenze bestätigt: Ποίαν; (25d4). Demnach gibt --------------------------------------------
452 Die Entdeckung des Irrationalen hat eine Krise schon bei den Pythagoreern hervorgerufen. Dadurch brach auch die Hoffnung zusammen, dass die Welt durch den Aufbau auf der reinen Zahl erkannt werden konnte. Toeplitz (1931, S. 13) fragt auf angemessene Weise rhetorisch: „Wenn schon die Verhältnisse (λόγοι) der Geometer dieser primitiven Arithmetisierung, diesem Aufbau aus dem ἕν und den aus ihn abgeleiteten ganzen Zahlen trotzten, wie sollte dann die gesamte Denkwelt aus ihnen aufgebaut werden?“ Platon konnte nicht unberührt von einer solchen Entwicklung seiner Epoche bleiben. Es ist nicht von ungefähr, dass er sein System nicht auf das Prinzip des ἕν schlechthin aufbaute, sondern einen nicht reduzierbaren Dualismus der Einheit und der Unbestimmten Zweiheit entwickelte. 453 Wie sind Ordnung und Gesetz als πέρας ἔχοντα (26b10) zu verstehen? Wir haben kein Problem darin gesehen, sie als Mitglieder der zweiten Gattung zu betrachten. Wie wir auch im Folgenden beobachten werden, geht es im vierfachen Gefüge nicht nur um die Herrschaft der Zahl und der Zahlenverhältnisse. Anders Striker 1970, S. 60f., die die Lesart der Handschrift B in 26b10 vorzieht (πέρας ἐχόντων), weil sie die Grenze als von exklusiv mathematischer Natur versteht. 454 Zur Berücksichtigung der entstandenen Forschungsliteratur über τάξις vgl. M. Hoffmann 1996, S. 15ff. 455 Der νόμος verbirgt eine Verbindung zur Musik, die der Dialektik zugrunde liegt, wie o. g.: § 2.2, III, § 3.3, II.3. Im Bereich der Musik verweist der νόμος (zunächst eine bestimmte von Terpander eingeführte Melodie, dann alle Arten von Weisen) auf den Rhythmus und die Regelmäßigkeit der Harmonielehre. 456 Im Gorgias ist die Rede von einer geometrischen und nicht einer arithmetischen Gleichheit. Wie Gosling passend bemerkt: „Arithmetical quality has nothing to do with what is appropriate; in the technai one is concerned with the best arrangement, in these areas it is geometrical quality that is important.“ (1975, S. 189)
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
287
Sokrates zu, dass die συναγωγή im Falle der Grenze noch fehle (οὐ συνηγάγομεν, 25d7). Daher kann die Option ausgeschlossen werden, dass die zuvor erwähnte quantitative Bestimmung und das Angemessene (τὸ ποσόν, τὸ μέτριον, 24c7) das einheitsstiftende Kriterium der untersuchten Natur wiedergeben. 457 vii. Der sokratische Vorschlag und einige moderne Deutungen der fehlenden Zusammenführung Prüfen wir zunächst, inwiefern die sokratische Bemerkung, dass sich die Zusammenführung der zweiten Gattung vielleicht ergeben wird, wenn die zwei ersten Gattungen zusammengebracht werden, 458 eine mögliche Lösung zur jetzigen Problematik geben kann. Die Zusammenführung der Gattung der Grenze soll demgemäß beim Mischen und innerhalb der Gattung der Mischung zum Vorschein kommen. In der Bewegung sollen die Funktion und die Wirkung des an sich als unbewegt betrachteten, formalen Elements am prägnantesten betrachtet werden können. 459 Wie kann man behaupten, dass es durch die Beschreibung der Genese der Musik, der Gesundheit und der Jahreszeiten unter anderem (25d-26b) zu der generischen Einheit der Gattung der Grenze gekommen ist? Nach der Berücksichtigung der anschließenden sokratischen Bemerkung, dass die Grenze weder viele Manifestationen besitze noch es uns Schwierigkeiten bereite, sie als Einheit zu erfassen, 460 bleibt die nicht explizite Zusammenführung noch immer unbegründet. Halfwassen schließt sich Stallbaum 461 an, um die Erklärung vorzuschlagen, dass Sokrates keine synagoge der zweiten Gattung einführe, weil das πέρας von vornherein als Einheit konzipiert sei. Hingegen seien die Erscheinungsformen des ἄπειρον so vielfältig, dass es einer synagoge bedürfe, um es zu vereinheitlichen. 462 Trotzdem werden beide Zusammenführungen für notwendig gehalten, jedoch nur das Unbegrenzte wird zusammengeführt. 463 Die Schwierigkeit der Zusammenführung der zweiten Gattung verursacht nach Crombie deren Auslassung. Der Interpret hat „the deliberate failure to collect peras“ folgendermaßen erklärt: „It is because peras is this sort of a concept that Plato (like ourselves) is unable to be very precise about it and leaves us to catch an intuitive understanding of it from reflection on members of the third class of mixtures or stable conditions“. 464 --------------------------------------------
457 Auch weil eine nicht zu überbrückende Kluft zwischen irgendeiner quantitativen Bestimmtheit (τὸ ποσόν) und derjenigen des Angemessenen (τὸ μέτριον) liegt. 458 Die Konjektur Jacksons (Ersatz in 25d8 von συναγομένων durch συμμισγομένων, 1881, S. 269f., Anm. 1) finde ich nicht nötig. Sofern συνάγειν als „zusammenbringen“, „verbinden“ verstanden wird (wie in: Sph. 230b6, 251d8, Plt. 308c6, 311a1, c1), läuft man keine Gefahr, einem Missverständnis zu erliegen. Wenn συνάγειν hingegen als terminus technicus erfasst wird, dann erweist es sich als bedeutungslos: Die Zusammenführung der Grenze wird gesucht, deswegen ist es abwegig zu sagen: Nachdem die Grenze und das Unbegrenzte zusammengeführt worden sind, wird auch die Grenze deutlich. 459 Vergegenwärtigen wir uns die Anforderung des Sokrates, dass die sich im Ruhestand befindenden Tiere in Bewegung betrachtet werden sollen. Im Timaios wird der Prozess der Entstehung der Welt nachvollzogen, damit man ihre Elemente und ihre Natur so verstehen kann, wie sie sind. Vgl. die Diskussion bei Hahn über die Zusammenführung der Grenze, 1979. 460 26d4f. 461 Stallbaum 1820, S. 70. 462 Der hier berichtete Vorschlag wurde mir von Jens Halfwassen schriftlich mitgeteilt. 463 25d5f: καθάπερ…οὕτω. 464 Crombie 1963, S. 431. Benitez lehnt sich hinsichtlich der Schwierigkeit der collectio des πέρας an Crombies Deutung an. Als nicht hinreichend sollte aber seine Erklärung betrachtet werden, dass das Kennzeichen der zweiten Gattung in ihrer Funktion als „logical cause“ zu verstehen sei (1989, S. 79f.).
288
Kapitel 3
Natürlich bleibt es rätselhaft – wenn unsere bisherige Überlegung zutrifft –, warum in einem Dialog, in dem so viel Wert auf das richtige Maß gelegt wird, sowohl die Zusammenführung der zweiten Gattung als auch die bestimmten Proportionen und Verhältnisse, die die guten Mischungen verursachen, außer Betracht bleiben. Was kann die Ursache dieser wichtigen und von Platon selbst betonten Auslassung sein? Dorothea Frede versteht dieses Versäumnis Platons als „die wichtigste Auslassung des Dialogs“ 465 . Die Forscherin hat erkannt, dass die explizite Zusammenführung des πέρας fehlt. Die einzige Anweisung überhaupt werde implizit geboten und bestehe in einer impliziten Zusammenführung: 466 Wenn man etwas mehr über die Grenze erfahren möchte, müsste man betrachten, wie die Grenze in der Mischung – beim Prozess des Mischens – sich zeige, da die Zusammenführung der Grenze ausgespart werde. Eine erwähnenswerte mathematische Auslegung der Natur der Grenze und des vierfachen Gefüges überhaupt hat Bärthlein in seine Arbeit über den Analogiebegriff integriert. 467 Dieser widmen wir uns im Folgenden, da sie uns bei der Problematisierung der fehlenden Zusammenführung der zweiten Gattung ein Stück weiterführen kann. Der Interpret hat sich in seiner, erst nach seinem Tod veröffentlichten, Dissertation vorgenommen, dem Analogiebegriff die gebührende Aufmerksamkeit zu erweisen: durch Untersuchung der mathematischen Quellen (Euklid, und spätere wie Nikomachos, Iamblich, Theon und Pappos) und durch die anschließende Erforschung der Übertragung in den philosophischen Bereich, insbesondere bei Platon. Zum Verfassen dieser Arbeit hat Bärthlein die nicht auf das Ursprüngliche des Begriffs zurückgeführte Anwendung der Analogie in der Philosophie der Schulmetaphysik und innerhalb der katholischen Theologie veranlasst. Er stellt darin die Frage, wie die Entstehung des Begriffes der Analogie von Euklid aus zurückzuverfolgen sei. Nach der Darstellung der zwei Arten von Beziehung (λόγος: arithmetische Beziehung – die in der Addition oder Subtraktion einer bestimmten Zahl besteht – und geometrische Beziehung, die in der Multiplikation mit einer bestimmten Zahl oder in der Division durch eine solche besteht 468 ), thematisiert er die
-------------------------------------------465
D. Frede 1997, 1, S. 192. Ebd., S. 192f. 467 Bärthlein hat, was γένεσις εἰς οὐσίαν betrifft, die mathematische Untersuchung geleistet, die Ernst Hoffmann vermisst: „Hier liegt ein sachlicher Zusammenhang mit der Mathematik vor, der, soviel ich weiß, bisher übersehen worden ist. Die klassische Mathematik der Griechen war eine Mathematik des Seins, wie die klassische Philosophie eine Philosophie des Seins war. Aber wie Platon durch das γίγνεσθαι εἰς οὐσίαν das Werden als Hilfsbegriff in die Philosophie einführte, so führte Eudoxos durch die Exhaustionsmethode das Werden in die Geometrie ein: Der Inhalt des Kreises, solange er Kreis ist, erscheint als unberechenbar; schreibt man aber dem Kreis ein n-Eck ein, verbindet man dessen Ecken mit dem Mittelpunkt und lässt man dann n unendlich groß, die entstandenen Dreiecke unendlich klein werden, so wird der Inhalt des Kreises der Berechnung zugänglich. In dieser Methode dominiert zwar noch nicht, wie in der späteren Differentialrechnung, der Begriff des Werdens, aber die Bewegung ins Unendliche ist als Mittel erkannt und verwendet, um die Starrheit des unberechenbaren Seins zu überwinden. Ja, es ist möglich, dass dieser Zusammenhang nicht nur sachlich, sondern auch historisch war, denn Eudoxos gehörte zu den nächsten Schülern und Freunden Platons.“ (E. Hoffmann, Der historische Ursprung des Satzes vom Widerspruch, 1964, S. 76, Anm. 32, Hervorhebung E. Hoffmann). Demel hat schon vor Bärthlein „die Innigkeit der methodischen Eingliederung des Problems der Mathematik in das platonische Philosophieren“ vertreten (1929, S. 126) und die Rolle der Mathematik als „Bürge der γένεσις εἰς οὐσίαν“ betrachtet (ebd., S. 124, 126), wenn auch nicht weiter vertieft. Das hat die Arbeit Bärthleins geleistet. 468 Bärthlein 1957, S. 61-68. 466
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
289
mathematische Analogie, nämlich die arithmetische, geometrische und harmonische Verhältnisgleichheit. 469 Die Übertragung auf den Gegenstandsbereich der Philosophie führt Bärthlein folgendermaßen ein: Die mathematische Analogie ist nicht die Beziehung einer Vielheit auf eine gleichbleibende Einheit, sei es eine Zahl oder eine Gestalt oder ein Verhältnis, die die Vielheit als gleichsam schon vorhandene in einem abstrakten Allgemeinbegriff zusammenfasst, sondern die durch die Setzung einer bestimmten Regel und eines bestimmten Ausgangspunktes die Vielheit erzeugt. 470 Der Philosoph versteht im Rahmen der platonischen Philosophie die Perspektive auf die gleichbleibende Idee im Bereich der Künste, der Ethik und der Politik als Hinblick auf ein gleichbleibendes Verhältnis 471 – als die Hinordnung auf die Idee als bedingende, eigentliche Analogie. Eine „bedingte Analogie“ ist die, deren Prinzip ein bestimmtes Verhältnis ist, während als „bedingende Analogie“ diejenige zu verstehen ist, die nichts darüber sagt, welcher besondere logos bei der Bearbeitung eines Gegebenen zugrunde gelegt werden soll, welche besondere Aufgabe das Gegebene also ist. 472 Für seine Thesen findet Bärthlein Unterstützung im Philebos und Politikos, die uns eine Erweiterung des Analogiebegriffs durch das Miteinbeziehen der bedingenden Analogie lehrten. Platon problematisiere das Abwägen von Lust und Unlust seit dem Protagoras: Die Forderung nach einer Messkunst werde in dessen Rahmen erhoben (Prt. 355c357b), damit der trügerische Schein eines ausschließlichen Vergleichs der Lust mit der Unlust unwirksam gemacht, 473 die Seele in Ruhe gebracht und auf diese Weise das Leben gerettet werde. Die im Protagoras nicht ausdifferenzierte Messkunst wird im Politikos in zwei Arten eingeteilt: In einem Exkurs über die angemessene Länge der Reden führt der Gast die Unterscheidung zwischen einer Messkunst ein, die das Große ausschließlich in Bezug auf das Kleine und derjenigen, die beides gemäß der Entstehung des Angemessenen misst: eine Messkunst der relativen Größen und eine normative Messkunst also. Die zwischen den jeweiligen Extremen vermittelnde zweite Messkunst 474 ist die Bedingung der Mög-
--------------------------------------------
469 Ebd., S. 68-77. Die Analogie kann eine diskrete sein, die zwei gleiche Verhältnisse durch einen gemeinsamen Term verbindet (a:b = c:d), oder eine kontinuierliche (a:b = b:c). 470 Bärthlein 1957, S. 79. 471 Dabei ist der neukantianische Nachklang der Betrachtung der Idee als Gesetz des Gegebenen x der Erfahrung nicht zu überhören (s. Natorp 19943, Vorwort, X). Durch das Verständnis der Analogie als Hinordnung auf ein gleichbleibendes Gesetz (Bärthlein 1957, S. 70), kann Bärthlein dann leicht den Bogen von der Idee zur Analogie schlagen. 472 „In ihr [der bedingenden Analogie] ist der Logos gesetzt und nur gesetzt, nämlich als Verhältnis zweier Zahlen, nicht zugleich auch gegeben.“ (Bärthlein 1957, S. 106). Für den unendlichen Prozess der Annäherung des Mittelgliedes x – mag er rational oder irrational sein – in der Analogie a:x = x:b verfügte schon die Antike über ein Approximationsverfahren: Euklid, Theon von Smyrna, Iamblich und Proklos, was schon bei Platon angedeutet wurde (in R. 546a). Dazu Bärthlein, ebd., S. 107ff. 473 Die Hinsicht (κατά τι, Prt. 355d7) von Übermaß und Mangel (ὑπερβολή, ἔλλειψις, Prt. 356a) bietet kein verlässliches axiologisches Kriterium zur wahrhaften Schätzung der Lust und Unlust. Vgl. Phl. 41c-42c zur Entstehung der Falschheit bei Lust und Unlust. 474 Plt. 284e6-8.
290
Kapitel 3
lichkeit aller Künste, der die aristotelische Mesotes-Lehre viel zu verdanken hat. 475 Im Bereich der Ethik und Praxis ist das, was größer oder geringer als das Angemessene ist, nicht als Nichtseiendes zu betrachten, sondern als Widerstand Leistendes zu bewachen (Plt. 284a8-b1). Die Übersetzung von Schleiermacher und Rufener von παραφυλάττουσι (Plt. 284b1) als „vermeiden“ oder von Apelt als „aus dem Wege gehen“ kann in die Irre führen, wenn ihr entnommen wird, dass es um ein „Beiseitelassen“ geht. 476 Eine Kunst kann ohne den Bereich des „Mehr und Weniger“ nicht existieren. Sie muss immer und aufs Neue das jeweilige Angemessene erzeugen, indem sie es dem jeweiligen Unbegrenzten abringt. Das Unbegrenzte muss bewacht werden, damit eine erwünschte Stabilität erreicht wird. Zugleich muss das „Mehr und Weniger“ als sine qua non der Künste bewahrt werden. Man versucht, dem Unbegrenzten – und gegen dessen Widerstand – Maßbestimmung und Schönheit abzuringen. Erneut wird die Rolle des „Zwingens“ in den Vordergrund der anvisierten Passage im Politikos gerückt: Das „Mehr und Weniger“ muss gezwungen werden, auch durch das entstehende Maß messbar zu werden: τὸ πλέον αὖ καὶ ἔλαττον μετρητὰ προσαναγκαστέον γίγνεσθαι μὴ πρὸς ἄλληλα μόνον, ἀλλὰ καὶ πρὸς τὴν τοῦ μετρίου γένεσιν (Plt. 284b9-c1). 477 Einerseits wird hiermit der hartnäckige Widerstand vonseiten des „Mehr und Weniger“ gegen die Verbindung mit dem Maß unterstrichen, andererseits die innere Notwendigkeit, eine Korrelation der zwei Arten von Messkunst zu entwickeln: Es ist also nicht unser willkürliches Zwingen, sondern eine Entsprechung der (onto)logischen Notwendigkeit. Es manifestiert sich in diesem Kontext eine „Gegenseitigkeit beider [Arten von Messkunst, G. M.], die Koexistenz beider in Einem, ihre Korrelation“, wie Hartmann treffend beobachtet hat. 478 „Auch in dem, was der Maßbestimmung teilhaftig wird, ist es [sc. das der Maßbestimmung vorausgehende Verhältnis des ‚Größeren und Kleineren’] nicht verloren, nicht vernichtet. Wohl aber ist es ein ὂν χαλεπόν, gleichsam ein Irrationales.“ 479 Nach diesem wichtigen Umweg knüpfen wir die Verbindung zum Philebos: Die wesentliche Unterscheidung zwischen zwei Arten von Messkunst im Politikos macht den Hintergrund der untersuchten Passage im Philebos aus, auch wenn kein expliziter Verweis darauf genommen wird. 480 Nach Bärthlein werden die Verhältnisse (λόγοι) in der --------------------------------------------
475 Hans Joachim Krämer hat in seiner bahnbrechenden Dissertation die innige Verflechtung von Ethik und Ontologie bei Platon herausgearbeitet; speziell den Protagoras im Licht des Politikos gedeutet. 476 Als gelungener erscheint daher die Übersetzung Bernadetes: „keep a close watch on the more and less of the mean“, 1984, III.35. Vgl. Liddell-Scott zu den Bedeutungen von παραφυλάττειν: guard closely, watch, observe narrowly, watch so as to secure, (Hervorhebung G. M.) in Plt. 284b1 – mit περί τι –: to be guarded, be careful. 477 Vgl. die „Bezähmung des Nichtseienden“ im Sophistes, oben, in § 2.1, I.3. 478 Hartmann 19652, S. 406, Hervorhebung Hartmann. 479 Ebd., S. 405. 480 Striker (1970, S. 27) bleibt unentschieden in Bezug darauf, ob Platon über die einschlägige Unterscheidung des Politikos schon verfügte, weil ποσόν und μέτριον in 24c undifferenziert nebeneinander hervorträten. Da Platon die Problematik der richtigen Messkunst seit der Epoche des Protagoras beschäftigt hat und im vierfachen Gefüge von einem durch die Einführung des Maßes „gewordenen Sein“ sowie „Werden zum Sein“ die Rede ist (Phl. 26d8-9: γένεσιν εἰς οὐσίαν ἐκ τῶν μετὰ τοῦ πέρατος ἀπειργασμένων μέτρων, 27b8-9: μεικτὴν καὶ γεγενημένην οὐσίαν ~ Plt. 283d8-9: κατὰ τὴν τῆς γενέσεως ἀναγκαίαν οὐσίαν, 284c1, d6: πρὸς τὴν τοῦ μετρίου γένεσιν, τὸ καίριον, Phl. 66a7 ~ τὸν καιρόν, Plt. 284e6), setzt nach unserem Ermessen die Passage des Philebos die Unterscheidung der zwei Arten von Messkunst mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit voraus. So auch D. Frede 1997, 1, S. 197f., 323f., 326f.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
291
zweiten Gattung des vierfachen Gefüges (also nicht Zahlen oder Maße, sondern πρὸς ἀριθμόν ἀριθμὸς, Phl. 25a8, μέτρον πρὸς μέτρον, 25b1) nicht genannt, weil sie in der Tat von der Sache her nie fixiert oder bloß gegeben sind. Das Angemessene und das Maß sind nach Bärthlein in jedem Bereich der Kunst und Praxis kein „Fertiges in der Hand“ 481 , sondern die „unerreichbare, immer Aufgabe bleibende Mitte“, derer man sich in der „ständige[n], jedes Mal anders aussehende[n] Überwindung des Gegebenen in Richtung auf das Seinsollende“ 482 asymptotisch annähern könne. Für seine These spricht die entsprechende Passage der Unterscheidung von zwei Arten der Messkunst im Politikos (γένεσις τοῦ μετρίου, 284c1, 284d6). Außerdem kommt der Beleg hinzu, dass der Staatsmann kein starres Gesetz anwendet (Plt. 294b-c, 299e), sondern die Kraft der Kunst höher schätzt als die der Gesetze (Plt. 297a). Die Mitte bestimme sich erst in der gerichteten und geregelten Bewegung auf den Gegenstand hin, die nach Bärthlein der späteren Form der bedingenden Analogie entspricht. Diese setze die Erweiterung des Verhältnisbegriffes voraus, die sich innerhalb der Gattung der Grenze im Philebos melde: Hier seien sowohl das Rationale als auch das Irrationale mit eingeschlossen. Nicht nur die Zahl in Bezug auf eine andere Zahl sondern auch das Maß in Bezug auf ein anderes Maß gehören zu der zweiten Gattung, 483 damit auch Verhältnisse wie √2: 1 mit eingereiht werden können. Die Zahl wurde zu dieser Zeit als Vielheit von Einheiten (πλῆθος μονάδων) definiert; 484 irrationale Zahlen waren in dieser Entwicklungsphase der mathematischen Wissenschaft noch nicht von ihr umfasst. 485 Bärthlein interpretiert die zwei Elemente der „als Ableitung und Hinaufbeziehung zugleich“ zu verstehenden Mischung 486 als die Elemente einer kontinuierlichen geometrischen Analogie: a:x = x:b. Die Gegensatzpaare des jeweiligen Unbegrenzten machten ihre Außenglieder aus, während die Grenze ihr Mittelglied sein müsse. 487 In der Gattung der Mischung entsteht die Mitte, indem auf die zwei der damaligen Mathematik bekannten Methoden der Genesis des Mittelgliedes als Annäherung an einen Grenzwert von beiden Seiten hingewiesen wird. 488 Die Annäherung ist im Fall dieser Prozesse unabschließbar, und deswegen bleibt der Grenzwert, der an sich bestimmt ist, aber zugleich von uns stets neu bestimmt werden muss, eine unabschließbare Aufgabe: etwas Gesetztes also, aber nichts Gegebenes. Schließen wir Bärthleins Darstellung mit dessen philosophisch gewichtiger Folgerung ab: „In beiden Fällen ist die Analogie ein Zwischen. Sie ist -------------------------------------------481
Bärthlein 1957, S. 112. Ebd., S. 114. 483 Der Fehler von Stenzel (1956, S. 188-219), der das Irrationale in die Gattung des Unbegrenzten eingeordnet hat, wurde von Taylor (19722, S. 38) und Bärthlein (1957, S. 106, mit Anm. 1) korrigiert. 484 Euklid, Elementa 7, HOR. 2. 1: Ἀριθμὸς δὲ τὸ ἐκ μονάδων συγκείμενον πλῆθος. Vgl. auch schon Aristot. Metaph. I1, 1053a 30. 485 An Taylors gewagter These, dass Platon den Begriff der Zahl durch die Umfassung des Irrationalen revolutionär erweitert habe, hat Toeplitz gerechtfertigte Kritik geübt: 1931, S. 5. 486 Bärthlein 1957, S. 105. 487 Ebd., S. 107. 488 Ebd., S. 107-110. Bärthlein findet schon bei Platon ein Indiz für das Approximationsverfahren, das auf Euklid, Theon von Smyrna, Iamblich und Proklos zurückgeführt wird. In R. 546a wird nämlich auf die Bildung von Seiten- und Diagonalzahlen hingewiesen, wenn die Zahl „7 als rationale Diagonale der 5“ genannt wird. Es handle sich um Arten der Exhaustionsmethode, nach der versucht werde, sich einem (entweder rationalen oder irrationalen) Grenzwert durch zwei unendliche Zahlfolgen anzunähern. 482
292
Kapitel 3
eine geordnete Bewegung, ein Übergang von einem Pol (ἀρχή, ἄπειρον, πάθος) zu einem anderen (τέλος, πέρας, λόγος, φρόνησις). Die beiden Pole sind ihre Prinzipien, die in Korrelation stehen, wobei jedoch schon eine Prävalenz des Peras (und d. h. auch der Phronesis) an der Gerichtetheit der Bewegung zum Ausdruck kommt. Die beiden Prinzipien sind für uns nur in ihrer wechselseitigen Beziehung, in dieser Bewegung der Analogie, greifbar. Keines lässt sich ohne das andere denken.“ 489 Nach der Auseinandersetzung mit verschiedenen Thesen spitzen wir die zu Anfang von (vi.) gemachte Erklärung zu, dass es sich hier um die Bedingung der Möglichkeit der Mischung überhaupt handelt und Sokrates aus diesem Grund die zweite Gattung nicht zusammenführt. Friedländer hat Recht, wenn er sagt: Wollte man das Wesen der Grenze darstellen, stünde man vor der Aufgabe, „so etwas wie ein System der Ideen aufzubauen“. 490 Der Platon-Antisystematiker par excellence versteht diese Aufgabe folglich als unerfüllt, vielleicht sogar als unerfüllbar. Von der Nicht-Erfüllbarkeit dieser Aufgabe weichen wir hier ab. Sokrates erbringt die Zusammenführung der zweiten Gattung nicht, obwohl er die Bedeutung der Kennzeichnung der generischen Einheit und zugleich ihr Ausbleiben hervorgehoben hat. Um diese Zusammenführung vorzulegen, müsste Platon einen großen Teil seiner Prinzipien-Lehre mitteilen, die er allerdings dem mündlichen Vortrag vorbehalten wollte. Die Zusammenführung der zweiten Gattung besteht nämlich in der Angabe der Zahl-Struktur des Ideellen. Gewiss lässt sich die Identifikation des ersten platonischen Prinzips mit der Gattung der hier eingeführten Grenze ohne Weiteres korrigieren; es handelt sich eher um dessen Derivat, wie durch den weiteren Text zweifach bestärkt wird. Zum einen ist die Rede von γέννα der Grenze. 491 Dabei lässt sich die Grenze als Geburt und Produkt eines angedeuteten, ontologisch früheren Zusammentretens verstehen und nicht als Element oder Prinzip, das nicht weiter zurückgeführt werden kann. 492 Zum anderen weist die Rede von πέρας ἔχοντα und περατοειδές darauf hin, dass die Grenze selbst bereits begrenzt ist, bevor sie ihre begrenzende Funktion ausüben kann. 493 Weniger sicher sind irgendwelche Spekulationen in Bezug auf die Anzahl der Mitglieder der zweiten Gattung und eine eventuelle Verbindung zu den platonischen Ideen-Zahlen. Der sokratischen Aussage: Καὶ μὴν τό γε πέρας οὔτε πολλὰ εἶχεν (26d4), entnimmt man, dass es nicht um viele Mitglieder geht, aber nicht mehr als das. -------------------------------------------489
Bärthlein 1957, S. 110 (Hervorhebung G. M.). Friedländer 1975, S. 303. 491 Phl. 25d3. Vgl. dazu Bury 1897, S. 42: „Γέννα, ‚race’, ‚family’, ‚offspring’ is to be carefully distinguished from γένος. Stallbaum confuses them in his rendering ‚finiti genus’. The notion of sexual union which γέννα implies is involved also in σύμμιγνυ.“ 492 Weil hier auf eine ontologisch „frühere“ Begrenzung verwiesen wird, kann die einschlägige Aporie nachvollzogen werden: Wie ist das „Begrenztsein“ des πέρας von demjenigen der dritten Gattung zu unterscheiden? Die Zahl erwirbt ihre bestimmende Funktion, indem sie selbst quantitativ bestimmt, also πέρας ἔχον ist. Mit Hilfe der Ungeschriebenen Lehre werden Erklärungen wie die von Gadamer vermieden, der das Bestimmtsein der Zahl durch ihre Einordnung in eine Reihe zu erklären versucht hat (vgl. 1985, GW, Bd. 5, S. 99, zutreffende Kritik von D. Frede 1997, 1, S. 190, Anm. 134). 493 Die Behauptung Hackforths (19582, S. 43), dass πέρας als der Name der Klasse vorkomme, während πέρας ἔχον mit den einzelnen species dieser Gattung zu verbinden sei, hat Bedenken hervorgerufen (auf Striker 1970, S. 62f. und Benitez 1989, S. 77 sei hiermit verwiesen), weil diese Annahme nicht in allen Fällen gestützt werden kann. Πέρας tritt im behandelten Text der vier Gattungen in 23c10, 25b2, 26c10, d5, d10, 27b8, d9 hervor, während πέρας ἔχον in 24a2, a4, 26b2, b10 vorkommt. In den ersten zwei Fällen wird πέρας ἔχον als Bezeichnung der Gattung (24a2, a4) verwendet. Dies hebt die Hypothese Hackforths ohne Weiteres auf. Neben diesen Begriffen kommen auch folgende Ausdrücke zur Sprache: τὴν τοῦ πέρατος γέννα (25d2-3), τὸ περατοειδές (25d6). 490
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
293
Die Lösung des Problems der Zusammenführung ist in der Natur der hier hervortretenden Zahl versteckt. Fragen wie die, welche die Grenze (πέρας) schlechthin wäre und wie die Zahl zustande komme (γένεσις der Zahlen), werden nicht beantwortet: Der Text „schweigt in aller Majestät“ 494 hinsichtlich solcher Fragen. Die indirekte Überlieferung bietet einige Antworten darauf, indem die Genesis der Zahlen in den aristotelischen Berichten durch die zwei platonischen Prinzipien des Einen und der Unbestimmten Zweiheit erklärt wird, und zwar durch das Einbringen des ἕν auf ἀόριστος δυάς, die als ἐκμαγεῖον fungiert. 495 viii. Die Ideen im Hintergrund der Gattung der Grenze Die Frage, in welcher der vier Gattungen die Ideen zu verorten seien, hat in der Forschung zu langwierigen Debatten geführt. Neben der Auffassung, dass sich die Ideen als irrelevant für die jetzige Problematik zeigten, 496 ist jede der vier Gattungen, außer der Gattung des Unbegrenzten, als Kandidatin für die Einordnung der Ideen vorgeschlagen worden. 497 -------------------------------------------494
σιγᾷ.
Um die Schriftkritik in Erinnerung zu rufen: Phdr. 275d6: ἐὰν δ’ ἀνέρῃ τι, σεμνῶς πάνυ
495 M. Hoffmann vertritt ebenfalls die These, dass die Zurückführung der zweiten Gattung auf „die mathematische Deduktion aus den zwei ‚Prinzipien’ zurückgehalten“ werde (1996, S. 202). Der Interpret zieht die entsprechende Passage der Epinomis über die konstitutive Rolle der Zahlen für die Wirklichkeit im Ganzen (πᾶσα ἡ φύσις, Ep. 991a1) heran, in der die Zahlen aus Einheit (die Eins) und Operationen der „Verzweifachung“ oder Mittelwertbildung generiert werden. „Von Prinzipien ist dabei insofern zu sprechen, als kein weiterer Legitimationsgrund vor diesen benötigt wird.“ (Ebd., S. 185) M. Hoffmann schwankt zwischen einer ernsten Inanspruchnahme der indirekten Überlieferung – indem er die für das platonische Philosophieren entscheidende „Bestimmung des Unbestimmten“ als ontologischen Ordnungsakt (weniger metaphorisch als das „Werden zum Sein“) herausarbeitet – und einer höchst kritischen Haltung sowohl ihr als auch ihren Vertretern gegenüber: „Die in späteren Zeugnissen betonte Prinzipientheorie kann jedoch – und dies stellt eine entscheidende Einschränkung ihrer Relevanz für ein Verständnis der platonischen Philosophie dar – die Ontologie Platons keineswegs vollständig beschreiben.“ (Ebd., S. 27) Der Nachteil der indirekten Zeugnisse besteht nach Hoffmann darin, dass sie Antworten und Lehrmeinungen formulierten, aber nichts von den Fragen und Problemen berichteten, die zu diesen Antworten und Behauptungen geführt hätten (ebd., S. 29). Die Epinomis steht nach Hoffmanns Überzeugung Platon näher als die Ungeschriebene Lehre, wenn auch Philippos von Opus deren Verfasser ist. Der unterschiedliche Blickwinkel der platonischen Lehre darf dennoch nicht heruntergespielt werden, da in dem angesprochenen Werk anstelle der Dialektik die Astronomie als Königin der Wissenschaften bezeichnet wird. Jedenfalls stimmen wir – wie oben gesagt – Hoffmann zu, dass „die vorgenommene Identifizierung der im Philebos verwendeten Begriffe πέρας und ἄπειρον mit dem ‚Prinzipien-Dualismus’ von Einheit und Unbestimmter Zweiheit fragwürdig“ ist. (Ebd., S. 195) 496 Nach Davidson (1949, S. 294-326) spielen die Ideen in der philosophischen Entwicklung Platons eine zunehmend weniger bedeutende Rolle. In seiner späteren Philosophie habe er eingesehen, dass die Ideentheorie keine subjektiven moralischen Wahrheiten begründen könne: „In the later dialogues he found more and more reasons to be dissatisfied with his earlier doctrines about the forms, and no aspect of this dissatisfaction is more evident than the abandonment of any close connection between the forms and value.“ (ebd., S. 13). Gosling (1975, S. 203) und Shiner (1974, S. 48 und passim) sind auf der Grundlage ihrer verschiedenen interpretatorischen Annäherungen damit einverstanden, dass die Ideen hier irrelevant seien. Taylor behandelt die Sache sinnvoll, wenn er bemerkt, dass Platon nie eine „Darstellung [s]eines Systems der Philosophie“ niedergeschrieben habe (19722, S. 45). Aus der Tatsache, dass die Ideen, von denen im Phaidon die Rede ist, sich im Philebos in drei verschiedene Gattungen einordnen lassen, folgert er eine entsprechende Entwicklung: „The question into which of our four ‚classes’ or ‚categories’ they ought to be put has no real meaning, and ought not to be asked.“ (Ebd., S. 50) 497 Zum Überblick vgl. Davis 1979, S. 129ff. Die These, dass die Ideen in die Gattung der Mischung einzuordnen seien, ist oben bei der Darstellung der These von Jackson hinreichend widerlegt
294
Kapitel 3
Unsere Interpretationslinie schließt sich der Einordnung der Ideen in die zweiten Gattung an, oder angemessener ausgedrückt: in deren Hintergrund. Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, muss unterstrichen werden, dass hier nicht darauf gezielt wird, alle Ideen in die zweite Gattung einzuschließen. Man muss den Blick vielmehr darauf wenden, dass die Idee dort qua Idee zu situieren ist. Es wäre nämlich abwegig, die Ideen mit der Grenze zu identifizieren, weil die Grenze jeweils in den gemischten Produkten zu finden ist. Wie Timaios uns jedoch beibringt, geht das Ideelle nirgends hinein (οὔτε αὐτὸ εἰς ἄλλο ποι ἰόν, Ti. 52a3). Die Ideen bleiben verborgen, nicht weil Platon sie für seine Ethik für irrelevant hielt, sondern weil es hier um die Möglichkeit der Mischung überhaupt geht, was das ideelle Sein mit einschließt, wenn auch dieser Leitfaden nicht weiter im Text verfolgt wird. Die Ideen sind ihrerseits begrenzt: als Produkte einer ursprünglicheren Mischung, die die Manifestationen der zweiten Gattung zutage treten lässt. Die zweifache δύναμις der Gattung der Grenze kommt zum Vorschein: Die Grenze besitzt einerseits die Kraft zur Begrenzung des jeweiligen Unbegrenzten, was als δύναμις τοῦ ποιεῖν charakterisiert werden könnte. Andererseits ist sie schon in sich begrenzt und bestimmt, was auf δύναμις τοῦ παθεῖν hinweist. Dass die Idee qua Idee nicht in die Gattung der Mischung einzuordnen ist, wie Jackson vorgeschlagen hat, lässt sich nicht deswegen aufheben, weil die Ideen am unvermischtesten seien (ἀμεικτότατα ἔχοντα, Phl. 59c4). 498 Das Unvermischte betrifft eher die Beziehung der Idee zum Wahrnehmbaren und widerspricht nicht ihrem eigenen Sein als einem gemischten. Das Ziel des vierfachen Gefüges besteht nicht in der Einreihung des ideellen Seins als solchen. Die Gattung der Mischung, der wir uns im Folgenden zuwenden, ist der „Ort“ des Wahrnehmbaren und des Phänomenalen. b.
Das Hervortreten des Charakters der Mischung als Zeugung: Werden zum Sein (γένεσις εἰς οὐσίαν) und gewordenes Sein (γεγενημένη οὐσία)
Obwohl wir bis jetzt die ersten zwei Gattungen untersucht haben, haben wir bereits explizit Bezug auf die dritte genommen. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass jede der vier eingeführten Gattungen mit den anderen drei notwendigerweise zusammenzudenken ist. Man kann nicht eines ohne die anderen drei Gattungen erkennen. Damit bekräftigt sich die Kontinuität zwischen der Dialektikpassage und der vierfachen Einteilung: οὐδ’ ἂν ἓν αὐτὸ καθ’ αὐτὸ ἄνευ πάντων αὐτῶν μάθοι, τοῦτον τὸν δεσμόν […]. 499 Die Gattungen dieser Vierheit sind nicht äußerlich in Beziehung zueinander zu setzen, sondern jede trägt dieses Verhältnis zu den anderen drei in sich; so wie der Ton eine innere Spannung besitzt (τόνος aus τείνειν), „bevor“ er ins Verhältnis zu einem anderen Ton gesetzt wird. 500 Diese Art innigster Relationalität haben wir bereits im Rahmen der Mischung der größten Gattungen entfaltet. Deren Gemeinschaft entsteht nicht aus der nachträglichen Beziehung zwischen schon bestehenden „Elementen“. Die größten Gattungen des Seienden und des Anderen sind in sich auf die andere notwendigerweise bezogen. Auf ähnli-------------------------------------------worden, § 3.4, III. Die Identifizierung der Ideen mit der Ursache bei Zeller entspricht seiner Tendenz, die Ideen in der späten platonischen Philosophie als „erzeugende platonische Kräfte“ zu betrachten (Zeller 20067, Bd. 2, 1. S. 688). 498 Häufig wird dieses Argument vorgebracht, um die Einordnung der Ideen in die dritte Gattung auszuschließen: Benitez 1989, S. 89, Isnardi Parente 1994. 499 Phl. 18c7-8. 500 Barbarić 1999, S. 31: „τόνος als ‚Spannung’ soll vielmehr so gedacht werden, dass eigentlich aus ihm die bestehenden Pole bzw. die sogenannten Träger der Relation als immer nachträgliche entlassen werden.“
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
295
che Weise musikalisch muss auch das vierfache Gefüge verstanden werden. Sagen wir „Unbegrenztes“, denken wir schon die anderen drei mit, was auch für jede andere gilt und die Einheit des Gefüges der vier Gattungen manifestiert. Als das Band (δεσμός), welches die vierfache Einteilung zu einem vierfachen Gefüge macht, wird im Folgenden das Zeugen des Schönen gedeutet. Phl. 25b8-9: ΣΩ. Εἶεν: τὸ δὲ τρίτον τὸ μεικτὸν ἐκ τούτοιν ἀμφοῖν τίνα ἰδέαν φήσομεν ἔχειν; ΠΡΩ. Σὺ καὶ ἐμοὶ φράσεις, ὡς οἶμαι. ΣΩ. Θεὸς μὲν οὖν, ἄνπερ γε ἐμαῖς εὐχαῖς ἐπήκοος γίγνηταί τις θεῶν. Mit diesem Appell an die Götter geht Sokrates zur Behandlung der Mischung über. Ebenso wie dem häufigen Gebet in den platonischen philosophischen Dialogen die entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, sollte auch die Verbindung der Mischung zu dem Göttlichen weder übersehen noch heruntergespielt werden. Betrachten wir aufmerksam die Einführung der Mischung in den Dialog, noch bevor auf diese im Text explizit Bezug genommen wird: Zunächst schickt ein Gott dem Gesprächsführer die Erinnerung an die Möglichkeit eines Dritten zwischen der Lust und der Vernunft (20b3-4: πρὸς δὲ αὖ τοῖς μνήμην τινα δοκεῖ τίς μοι δεδωκέναι θεῶν ἡμῖν.). Jetzt ist Sokrates, wiederum an einer entscheidenden Stelle, 501 auf göttliche Hilfe angewiesen. Schließlich werden am Ende, wenn das gute Leben „gemischt“ wird, erneut die über das Mischen waltenden Götter – Dionysos, Hephaistos und andere – gerufen. Sokrates deklariert dabei, dass er stets auf das Göttliche angewiesen sei; die Behandlung des besonders schwierigen Wesens der Mischung verlangt nämlich göttliche Hilfe. Zugleich sollten wir uns daran erinnern, dass uns das Gelingen der Mischung nicht völlig verfügbar ist. Dies legt nahe, Sokrates’ Anrufung der Götter als einen Wink darauf zu verstehen, dass es im vierfachen Gefüge nicht nur um die Herrschaft der Herstellbarkeit, der durch Zahlen erreichten Mathematisierung und gänzlichen Quantifizierung des Wahrnehmbaren geht. Das Moment des καιρός, das sich als von Bedeutung für die spätere platonische situative Ethik des Politikos und des Philebos erweist, hängt nicht von uns ab. i.
Die Manifestationen der Mischung: die schönen Erscheinungen Was fällt unter die dritte Gattung der Mischung? ὑγιεία, die Gesundheit (25e8, 26b6, 31c11), μουσική, die Musik (26a4), ὧραι, die Jahreszeiten (26b1), ὅσα καλὰ πάντα ἡμῖν γέγονεν, alles Schöne, das uns entsteht (26b1-2), κάλλος, Schönheit (26b6), ἰσχύς, Stärke (26b6), ἐν ψυχαῖς αὖ πάμπολλα ἕτερα καὶ πάγκαλα, in der Seele vielerlei Anderes und Herrliches (26b6), 8. καὶ μέρος γ’ αὐτὸν φήσομεν εἶναι τοῦ τρίτου οἶμαι γένους: οὐ γὰρ [ὁ] δυοῖν τινοῖν ἐστι [μικτὸς έκεῖνος] ἀλλὰ συμπάντων τῶν ἀπείρων ὑπὸ τοῦ πέρατος δεδεμένων, ὥστε ὀρθῶς ὁ νικηφόρος οὗτος βίος μέρος έκείνου γίγνοιτ’ ἄν.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
--------------------------------------------
501 Das gesteht auch die Interpretin D. Frede zu (1997, 1, S. 30, Anm. 31: „an den wichtigsten Stellen“), um dann den Appell an die Götter (in Phl. 23c9) folgendermaßen herunterzuspielen: „Eher ist an eine halb scherzhafte Berufung auf die göttliche Offenbarung zu denken, deren Deutung bei den Partnern selbst liegt.“ (Ebd., S. 203, Hervorhebung G. M.)
296
Kapitel 3 Und ich meine, dass dieses [sc. das gemischte Leben] Teil der dritten Gattung ist. Denn es ist nicht aus irgendwelchen zweien gemischt, sondern aus der Gesamtheit des Unbegrenzten, das durch die Grenze gebunden ist, so dass dieses siegreiche Leben mit Recht zu einem Teil jener (Gattung) würde (27d7-10). 9. τὸ ἐκ τῆς ἀπείρου καὶ πέρατος κατὰ φύσιν ἔμψυχον γεγονὸς εἶδος, die aus dem Unbegrenzten und der Grenze naturgemäß in der Seele entstandene Art (32b1), [also die harmonische Verfassung der Seele, deren Zerstörung (παρὰ φύσιν, 32a2) Unlust und deren Wiederherstellung (εἰς τὴν αὐτῶν οὐσίαν Lust erzeugen kann], 10. ἁρμονία, Harmonie (31c11), 11. τὰς ἡδονὰς τῶν ἐμμέτρων, die maßvollen Arten von Lust (52d1). 502
Als Sokrates die Funktion der Grenze skizziert (25d11- e2), versteht Protarchos, dass es sich in der dritten Gattung um gewisse Entstehungen (τινὰς γενέσεις) handelt. Die Zustimmung von Sokrates bestärkt, dass nicht alle γενέσεις in die Mischung einzuordnen sind. Dadurch wird zum einen schon jetzt die Interpretation ausgeschlossen, nach der Platon im Rahmen der vierfachen Einteilung auf die Konstitution des Einzelgegenstandes ziele. 503 Es geht sicherlich nicht um die Konstitution der Einzelgegenstände. Die aristotelischen Substanzen sind daher keine Mitbürger der hier entstehenden einen Welt. 504 Zum anderen findet sich im untersuchten Text trotz des Versuchs von Sayre kein Beleg dafür – außer dem in der Gattung der Grenze oben angedeuteten Verweis –, dass hier auf die Kennzeichnung des ideellen Seins als eines gemischten gezielt wird. 505 Die Ideen fallen nicht unter die γιγνόμενα (27a11-12). Das ideelle Sein schließt nach der anfänglichen Partie des Philebos das Werden und Vergehen aus: Da ist die Rede von Monaden und Henaden (15a-b) gegenüber dem Werdenden und Vergehenden (γιγνόμενά τε καὶ ἀπολλύμενα). 506 -------------------------------------------502
Übers. G. M. Diese Lösung haben – unter anderen – Tübinger Forscher favorisiert, die darin einen Verweis auf den aristotelischen Bericht fanden, dass Platon sowohl das ideelle als auch das wahrnehmbare Sein aus den zwei platonischen Prinzipien entstehen lässt (Miglori 1993). Ferner spricht de Vogel 1959, S. 22, von „les choses concretes“. Die Interpretin versucht aufzuzeigen, dass die Unterscheidung in zwei Arten von Materie (nämlich intelligible und wahrnehmbare) keine neupythagoreische Erfindung war: „Elle est un problème nécessaire de l’exégèse de Platon.“ (Ebd., S. 39) 504 Dass Platon die Deduktion von den Prinzipien zum Wahrnehmbaren nicht bis zum Ende geführt habe, kritisiert Theophrast (TP 30). Das lässt sich schon im Timaios belegen: Ross 19532, S. 125, Barbarić 2000, S. 2. 505 Sayre bezieht sich unter anderem auf den Bericht von Aristoteles in dessen Physikvorlesung, dass das Unbegrenzte sowohl im Sinnlichen als auch in den Ideen zu finden sei (Ph. Γ4, 203a9-10: τὸ μέντοι ἄπειρον καὶ ἐν τοῖς αἰσθητοῖς καὶ ἐν ἐκείναις [ταῖς ἰδέαις] εἶναι). Zu Phl. 27a11 bemerkt der Interpret, dass es dort zweifelsohne um das Sinnliche gehe (1983, S. 156f.), um hinzuzufügen: „whatever else we are to make of it“. Genau darin liegt das Problem, was nämlich Sayre daraus macht. Die Hilfsprämissen (auxiliary premisses), die ihn zur Identifizierung aller fünf Thesen von Aristoteles’ Metaphysik mit der Philebos-Lehre führen [also: 1. Zahlen (Maße, aber auch arithmetische Zahlen) stammen aus dem Unbegrenzten durch dessen Teilhaben an der Grenze, 2. die dritte Klasse der Mischung (einschließlich der wahrnehmbaren Dinge) ist Ergebnis der Verbindung der Unbegrenztheit mit der Grenze. 3. Konstruktion der Ideen aus den zwei Prinzipien, 4. Ideen = Zahlen, 5. das Gute = das Eine, ebd., S. 115-7] sind nicht tadellos: eine offensichtliche petitio principii, wenn er z. B. auf Aristoteles zurückgreift, um die Identifikation der Grenze und der Einheit im Philebos zu belegen (ebd., S. 165f.). 506 Vgl. Phl. 58a2-3: τὸ ὂν καὶ τὸ κατὰ ταὐτὸν ἀεὶ πεφυκός, „das wahrhaft Seiende und immer auf gleiche Weise Geartete“ war und bleibt nach Platon der Gegenstand der Dialektik. 503
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
297
Wir nähern uns dadurch schrittweise zunächst dem Umfang und dann dem ontologischen Status des Gegenstandsbereichs der Mischung, nachdem bereits zwei Deutungen ausgeschlossen wurden. Nicht alle Entstehungen werden als Momente der dritten Gattung charakterisiert, sondern die schönen Erscheinungen. Es geht um Erscheinungen, weswegen einem die dritte Gattung allzu umfangreich vorkommt: Καὶ ἄλλα γε δὴ μυρία δὲ ἐπιλείπω (Phl. 26b5). τὸ πλῆθός σε […] ἐξέπληξε τῆς τοῦ τρίτου γενέσεως (26c89). 507 Das heißt wiederum nicht, dass es ausschließlich um sichtbare Erscheinungen geht, wie an folgenden Beispielen deutlich wird. Die Jahreszeiten setzen als Manifestation der dritten Gattung die ganze kosmische Ordnung der unsichtbaren Allseele und der Planeten als Werkzeuge der Zeit voraus: 508 die himmlische lautlose Musik (ἄνευ φθόγγου καὶ ἠχῆς, Ti. 37b5-6). Die Zeit lässt sich nach dem Timaios als das sich regelmäßig bewegende, abzählbare Abbild der in dem Einen bleibenden Ewigkeit verstehen, das auf der menschlichen Fähigkeit der Unterscheidung von Tag und Nacht beruht. Diese ist wiederum dem Gesichtssinn zu verdanken (Ti. 47a-c). Beispiele aus dem Bereich verschiedener Künste (Musik und Heilkunst) und der menschlichen Praxis (des Lebens als eines aus Lust und Vernunft gemischten) tragen außerdem zur inhaltlichen Breite der dritten Gattung bei. Die Musik entsteht, wenn das Grenzenlose des Hohen und Tiefen be-grenzt wird: Auf diese Weise kommt es zu den festen Intervallen der Oktave, der Quint, Quart usw. Außerdem erscheint die Harmonie im mythologischen Rahmen wie ein Sprössling aus der erotischen Mischung von Ares und Aphrodite; in der Musik drückt sie das in wechselseitiger Spannung, aber in sich ausgewogene Gefüge der Oktave aus. 509 Die Gesundheit entsteht im Körper, wenn dessen entgegengesetzte Kräfte (das Kalte und das Warme, das Bittere und das Süße, das Trockene und das Feuchte) unter Bezugnahme der jeweiligen Situation in das richtige Verhältnis und in Eintracht gebracht werden, wie der Arzt Eryximachos im Symposion zum Lob des Eros beiträgt. Den Einfluss der Eintracht, das Walten des mäßigenden Eros und das heilende Entfernen des frevelhaften und „hybriden“ Eros muss jede Kunst hervorrufen und beaufsichtigen: sowohl die Musik als auch die Heilkunst, die Wahrsagekunst, die Astronomie, der Ackerbau und die Gymnastik (Smp. 186b-188e). Ungeachtet dessen, ob in der Rede von Eryximachos das Seiende nur als Gegenstand einer Wissenschaft und praktischer Beeinflussung erscheint und ob die souveräne menschliche Herrschaft über die Dinge im Bereich der τέχνη darin am prägnantesten vorkommt, 510 liegt das Gemeinsame der Konzeption im Symposion und im Philebos darin, dass die Kunst das jeweilige Unbegrenzte nicht beseitigt, sondern dessen Gegensätzlichkeit zu einer spannungsvollen Harmonie führen muss. --------------------------------------------
507 Auf diese Weise lassen sich die ersten Bedenken D. Fredes entkräften, nach denen Platon in den harmonischen Mischungen vielmehr etwas Seltenes hätte sehen sollen. Nur die schönen Erscheinungen und nicht „alle Dinge […], die eine quantitativ bestimmte, stabile Natur haben“ (D. Frede 1997, 1, S. 194), sind Momente der Mischung: πολλὰ τὰ καλά (anders ausgedrückt) sind als Erscheinungen der Zahl nach unendlich viele. Dies enträtselt bereits das von Frede als Rätsel bezeichnete Problem. 508 Ti. 36d-39e. Nicht von ungefähr kommt im kleineren kosmologischen Exkurs die Allseele als Zeus’ königliche Seele zur Sprache, Phl. 30c9-d4; ihre Existenz wird im platonischen vierfachen Gefüge vorausgesetzt. 509 Dazu Lohmann 1970, S. 103f. 510 So Krüger 19734, S. 117: „Die Betonung der Unabhängigkeit und Macht des Menschen bringt es mit sich, dass man im menschlichen, ordnenden Verhalten die Quelle der faktisch vorfindlichen Ordnung in der Welt sucht und man dementsprechend die Dinge außerhalb der Sphäre der ‚Kultur’ als chaotisch voraussetzt.“
298
Kapitel 3
Darüber hinaus werden die verschiedenen Manifestationen der seelischen Tugend zum Mitglied der dritten Gattung, da die Tugend als Gesundheit, Schönheit und Wohlbefinden der Seele aufgefasst wird (R. 444d14-e2). Die Gerechtigkeit manifestiert sich als musikalischer Zusammenklang und Verbindung der drei Seelenteile in eine wohlgestimmte Einheit (R. 443d-e); die wahre Tugend wird erst erzeugt, wenn man den ganzen Aufstieg bis zur Schau der Idee des Schönen verfolgt hat (Smp. 212a). ii.
Die Zusammenführung der dritten Gattung:
A. Die Mischung als „Werden zum Sein“: eine radikal neue Ontologie Platons? Das einheitsstiftende Kriterium der dritten Gattung wird folgendermaßen von Sokrates wiedergegeben: ἀλλὰ τρίτον φάθι μὲν λέγειν, ἓν τοῦτο τιθέντα τὸ τούτων ἔκγονον ἅπαν, γένεσιν εἰς οὐσίαν ἐκ τῶν μετὰ τοῦ πέρατος ἀπειργασμένων μέτρων. (26d7-9) Sag nun aber, dass ich ein Drittes sage, nachdem ich all dies als Eines gesetzt habe, was aus diesen [sc. den ersten zwei Gattungen] herstammt, eine Entstehung zum Sein aus den mit der Grenze hergestellten Maßen. Während hier der Prozesscharakter der dritten Gattung deutlich als Entstehen/Werden zum Vorschein kommt, wird die Mischung außerdem als „entstandene Seiendheit“, also als Produkt bezeichnet (27b8-9). Wenden wir uns der philosophischen Tragweite dieser Übertragung der Mischung als Prozess und als Produkt zu, genauer der Problematik, ob Platon in diesem Rahmen durch das Überbrücken der unüberwindlichen Kluft zwischen Sein und Werden die von ihm früher vertretene „Zwei-Welten-Theorie“ radikal modifiziert. Die hier anvisierte Entstehung zum Sein wird oft mit einer neuen Epoche in der platonischen Philosophie verbunden. 511 Γένεσις εἰς οὐσίαν bedeutet den Prozess, der auf die Seiendheit hin ausgerichtet ist. Das teleologische Streben des Wahrnehmbaren nach der Idee ist gemäß der Lehre aus dem Phaidon bekannt. Danach ist das „Gleiche an sich“ von den vielen gleichen Dingen getrennt (παρὰ ταῦτα πάντα, Phd. 74a9-10); die sinnlichen Dinge manifestieren deren Mangel (πολὺ ἐνδεῖ, Phd. 74d8, ένδεεστέρως δὲ ἔχειν, Phd. 74e3-4, auch 75a2) und Minderwertigkeit (φαυλότερον, 74e2) im Vergleich zu den Ideen. Vor diesem Hintergrund wird das erotische Streben des mangelhaften Einzelnen nach der jeweiligen Idee als dessen teleologisches Prinzip betont (ὀρέγεται, Phd. 75a2). Wo sich also der chorismos zwischen Erfahrung und Idee als tiefster Riss manifestiert, tritt zugleich der Eros als verbindende Kraft entsprechend stark hervor. 512 Die frühere platonische ontologische Gegenüberstellung von Werden und Sein wird dennoch im Philebos nicht preisgegeben. Γένεσις und οὐσία gehören zu klar distinkten ontologischen Seinsgebieten (Phl. 54a5-6), also zu verschiedenen Klassen (μοῖρα, Phl. 54d2). Die οὐσία wird als das erzweckte An-sich-und-für-sich verstanden (αὑτὸ καθ’ αὑτό, Phl. 53d3-4, οὗ ἕνεκα, 54aff.), während das Werden als danach strebend (ἐφιέμενον, Phl. 53d4) und folglich als dem Sein ontologisch unterlegen dargestellt wird. --------------------------------------------
511 Schon nach H. Hoffmann signalisiert der Philebos eine gänzlich neue Gestaltung der Ideenlehre, in der Platon seinem idealistischen Standpunkt untreu werde und sich einer realistischen Weltanschauung zuwende (1891, S. 241). Sayre spricht von zwei Perioden in Platons Denken und behauptet, dass „these Forms (Limit and Unlimited) do not exist separately from sensible things.“ (1982, S. 155) 512 Vgl. Stenzel 19613, S. 16, 21f.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
299
Damit es nicht übereilt zu der Behauptung einer kopernikanischen Wende kommt, ist diese Parallele zu der mittleren Periode Platons zu beleuchten, nachdem unsere Besprechung der Beispiele der dritten Gattung (oben, i.) bereits die Kontinuität der platonischen Problematik aufgezeigt haben. Was wird hier trotz des Fehlens einer fundamentalen Revision und trotz der weiter geltenden platonischen Annahme der ideellen Transzendenz 513 in neues Licht gebracht? Das Schöne als die schöne Erscheinung wird nicht durch die Idee des Schönen verursacht, wie im Phaidon. Das Schöne ist hier nicht ein Einzelnes im Sinne des Einfachen. Deswegen entfaltet sich dessen Erklärung anders als bei der Einführung der Ideentheorie im Phaidon, die nach der dortigen Behauptung von Sokrates als einfältig erscheint: Das Schöne ist schön durch dessen Teilhabe am „Schönen an sich“, also an der Idee des Schönen. Was verwandelt sich im vierfachen Gefüge tatsächlich? Worin besteht der hier vertretene Perspektivenwechsel im platonischen vierfachen Gefüge des Philebos? Zum einen wird in der Einheit der dritten Gattung am wahrnehmbaren Schönen das Werden mit dem Sein zusammengedacht, was wiederum nicht bedeutet, dass Platon eine Mischung der Idee mit dem Wahrnehmbaren zum Vorschlag bringt. Anders als bei Eudoxos bleiben die Ideen nach Platons Ermessen ἀμεικτότατα mit dem Wahrnehmbaren (59c4). Zum anderen wird im fokussierten Ganzen und im Hintergrund der zweiten Gattung das Ideelle neben den Erscheinungen (den schönen Erscheinungen in der dritten Gattung) aufgezählt. In der Einheit dieser einen Ganzheit, die sowohl die Idee als auch die Erscheinung mit einbezieht, erscheint das Schöne. Auf diese Weise kommt die in dieser Arbeit rekonstruierte ganze Bewegung der Übertragung der methexis zu ihrem Ende: Durch die Rückkehr des Dialektikers zum wahrnehmbaren Schönen. Das Wahrnehmbare wurde im ersten Schritt des Aufstiegs zur Idee nicht verabschiedet, sondern vorübergehend aufgegeben. Wie werden die vielen schönen Erscheinungen dagegen im fünften Buch der Politeia betrachtet, damit wir unsere Rede von der „Verwandlung“ der Betrachtung des Wahrnehmbaren rechtfertigen können? Was ontologisch zwischen dem Sein (παντελῶς ὄν) und dem Nichtsein (παντελῶς μὴ ὄν) liegt, ist Gegenstand der Meinung. Nicht der Philosoph, der sich ausschließlich mit dem reinen Sein befasst, sondern der Meinungsliebende (φιλόδοξος) richtet seine Aufmerksamkeit auf die vielen schönen Dinge, die zwischen reinem Sein und reinem Nichtsein umherschweifen (κυλινδεῖται, 479d4), wie die vielen gerechten Dinge und die vielen frommen Dinge. Der späte Platon wurde nicht dadurch, dass er ein Interesse für das wahrnehmbare Schöne hatte, zum φιλόδοξος. Platon rettet als Philosoph die Phänomene im vierfachen Gefüge des Philebos, indem er die schönen Phänomene rettet. Sie werden nicht mehr als „herumschweifend“ herabgewürdigt, sondern als aus den zwei ersten Gattungen zustandegebracht aufgewertet. B.
Die Mischung als „gewordenes Sein“: die Gefahr und die Rettung bei der Deutung des platonischen vierfachen Gefüges
Unternehmen wir noch einen letzten Schritt bei unserer Frage nach der Art der oben erwähnten „Rettung“ der schönen Phänomene, der schönen Erscheinungen in der platonischen vierfachen Einteilung des Philebos. Sie werden vor Herabwürdigung gerettet, indem zugleich das Unbegrenzte in ihnen gerettet, i. e. bewahrt wird. Sokrates mag beim Abschluss der Ausführungen zur dritten Gattung von der Rettung (ἀποσῶσαι) der Lust --------------------------------------------
513 Anders behauptet Schmidt-Wiborg im Anschluss an Figal, die Ideen seien nicht voreilig mit der substanzialistischen Assoziation von transzendenten Wesenseinheiten oder einem isolierten Kosmos von Ideen-Dingen zu verbinden (2005, S. 5, 263 und passim).
300
Kapitel 3
durch die Grenze sprechen, die Gesetz und Ordnung mit sich bringt (Phl. 26b10-c1). Verlieren wir aber unsere bisherigen Ausführungen nicht aus den Augen: Sokrates zielt auf das Aufbewahren und Retten des Unbegrenzten (wie jeder der vier Gattungen) im platonischen Gefüge des Philebos, nicht auf sein „Beiseitelassen“, noch weniger auf sein „Zerstören“ (ἀποκναῖσαι, Phl. 26b10). 514 Wie zeigt sich die im Philebos anvisierte Mischung? In der Forschung ist mehrmals mit Tiefsinn beobachtet worden, dass das Werden hier zum ersten Mal einen unbeschränkt positiven Sinn erlangt und dass in der dritten Gattung das Reich des Werdens nicht nur bejaht, sondern auch feierlich konstituiert wird. 515 Das Werden wird hier zur Schöpfung und zur Geburt. Die schöne Erscheinung wird gezeugt: Sie wird als Kind (ἔκγονον, Phl. 26d8) bezeichnet, das aus der Vereinigung des jeweiligen Unbestimmten und der Grenze stammt. Die konkrete Mischung der Gesundheit wird als Geburt bezeichnet (ἡ τούτων ὀρθὴ κοινωνία τὴν ὑγιείας φύσιν ἐγέννησε, Phl. 25e7-8). Dies sind Indizien dafür, dass Platon hier die Vorstellung einer geschlechtlichen Zeugung wachrufen wollte. 516 Das erotische Moment der Metapher der Mischung prägt unseren untersuchten Zusammenhang im Philebos. Es handelt sich hier um die Zeugung des Schönen als Bezähmung und Bändigung des jeweiligen Unbestimmten: um die Aufprägung des Seins auf das von sich aus widerstrebende Werden. Das Unbegrenzte wird bestimmt und dadurch gewinnt es Anteil am Sein. Aus den zwei ersten Gattungen entsteht eine neue, selbstständige Einheit. Um ihrer Zeugung willen geben sowohl das Unbegrenzte als auch die Grenze etwas von ihrer Natur preis. 517 Das Ziel der hier anvisierten platonischen Einteilung wird in der Forschung – und nicht nur in neukantianischen Deutungen – häufig in der durch Maß und Zahl ermöglichten Herstellbarkeit des Wahrnehmbaren situiert. So kann das Werden bestimmt und --------------------------------------------
514 S. oben, § 3.4, IV, 1a, vii. Ob diese Rettung als „Selbsterhaltung“ zu verstehen ist, wie Natorp vorschlägt (19943, S. 326) – und im Anschluss daran Gadamer (1985, GW, Bd. 5, S. 100) – sei dahingestellt; es erweist sich jedoch als des weiteren Nachfragens würdig. 515 So etwa bei Natorp 19943, S. 325, Ernst Hoffmann 1961, S. 48. 516 Die Zeugung als grundlegende Denkform der platonischen geschriebenen und ungeschriebenen Philosophie hebt Philipp 1980 in seiner Arbeit hervor. Γεννᾶν wird als der ontologisch bedeutsame Schaffensprozess anerkannt, in dem ein mathematisches Ordnungsprinzip aus dem Bereich des Seienden in die Werdewelt hinübergetragen wird (ebd., S. 56). So wirke die göttliche Ordnung im Bereich des chaotischen Fluktuierens (ebd., S. 64). Wir stimmen hier mit Philipp darin überein, dass durch die angesprochene Denkform ein Fingerzeig auf die Ungeschriebene Lehre gegeben werde (VII). Es gehe um eine substanzielle Prägung des platonischen Denkens und nicht nur um Metaphern, „die dem Dialog als Kunstwerk Farbe verleihen sollen“ (ebd., S. 53). Dagegen wird von Phillips (und nicht Platons) Herabwürdigung des Weiblichen (und aller Manifestationen des zweiten Prinzips) als „nicht mehr als ein Gefäß“ (ebd., S. 49 und öfter) Abstand genommen: Der Interpret erkennt nämlich dem Unbegrenzten keine positive Kraft zu (ebd., S. 47) und billigt der chora keine Aktivität bei der Zeugungsleistung zu: Sie stelle höchstens den Raum zur Verfügung (ebd., S. 48, Philipp übersieht, dass das zweite Prinzip den Raum schafft, nicht nur stellt). Wir haben oben aufgezeigt, wie der Grenze und dem Unbegrenzten sowohl Aktivität als auch Passivität zugesprochen werden sollten. Immerhin beleuchtet Philipp besonders deutlich die Parallelität zwischen den Zeugungszusammenhängen des Philebos und des Timaios: Im zweiten Dialog ist der Demiurg der Vater, die chora lässt sich als Mutter und Amme verstehen (Ti. 51a4-5), während das aus der Vereinigung entstehende Abbild als Kind bezeichnet wird (Ti. 50d3-4). 517 Nach dem Schluss des durchdachten Beitrags von Barbarić über den Philebos, in dem sich der Interpret der angemessenen Haltung zum Guten anzunähern anschickt: „Erst wenn auf die Begierde nach dem Fassen, Ergreifen und Begreifen, nach dem Aneignen und Im-Besitz-haben Verzicht geleistet wird, und wenn sich diese Begierde in sich langsam wandelt zu einer gelassenen Bereitschaft, zeugend von sich selbst weg- und ins andere überzugehen, erst dann blitzt plötzlich das im Schönen sich verbergende Gute auf.“ (2005,1, S. 43)
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
301
wissenschaftlich erfassbar gemacht werden. „Jetzt ist das Werden wissenschaftlich verwendbar geworden“, wie Ernst Hoffmann konstatiert. 518 „So allein konnte das Werden zu seinem Begriff und zur Wissenschaft kommen“, wie Hartmann übereinstimmt. 519 Nach Bury zielt der Philebos darauf, eine mathematisch-wissenschaftliche Methode zu etablieren, die sich auf alle Wissensbereiche anwenden lässt: „[…] ethics and aesthetics among others. Qua sciences their objects must be mathematically determinable.“ 520 Gadamer betont mit besonderem Nachdruck den Charakter der Herstellbarkeit in seiner Auslegung: Das Werden höre nicht auf, reine unbestimmbare Veränderlichkeit zu sein. Es lasse sich aber doch im Hinblick auf das wahre Sein von Maß und Zahl „verstehen“ – und das heißt nach dem Philosophen: feststellen, bestimmbar und verfügbar machen. Nur was dem bestimmenden Maß gemäß ist (ἔμμετρον καὶ σύμμετρον), ist, sofern es als Maßbestimmtes in seinem Sein entdeckt, für das Herstellen verfügbar ist. Wäre es nicht Bestimmtes, dann könnte es nicht eigentlich sein, d. h. es wäre nicht feststellbar und als Einheit herstellbar. 521 Das wahrnehmbare Schöne als gewordenes Sein zu bezeichnen (γεγενημένην οὐσίαν, Phl. 27b8-9) bedeutet keine metaphysische Revolution in Platons Philosophie. Wir sind oben davon ausgegangen, dass Platon verschiedene Grade von Sein angenommen und auch dem Wahrnehmbaren eine Art Sein zugesprochen hat. 522 Das hier eingeführte „gewordene Sein“ verweist auf die durch die Zahl erworbene Stabilität und den bestimmten Charakter. Eine Herrschaft der Mathematisierung sollte dennoch in der Deutung vermieden werden, denn Platon beabsichtigt keine völlige Quantifizierung des gemischten Lebens im Philebos. Die Mischung der guten Lebensführung lässt sich nicht mit mathematischer Exaktheit wiedergeben, sondern muss in jedem situativen Zusammenhang neu bestimmt werden. Wir dürfen nicht übersehen, dass bei der Schlussbewertung am Ende des Gesprächs das καίριον neben μέτριον als erster Preisträger erscheint (Phl. 66a7). Die Rechtzeitigkeit, neben dem Angemessenen, Gebührenden und Schicklichen taucht außerdem an der gewichtigen Stelle des Politikos über die zwei Arten von Messkunst auf. Es geht in diesem Fall nicht um eine Messkunst, die sich der bloßen Zahlverhältnisse und deren Anwendung bedient, sondern um die subtilere Messkunst, die sich an einer situativ bedingten, nie im Voraus zu bestimmenden Einschätzung der richtigen Mitte zwischen dem jeweiligen Überschuss und Mangel orientiert. Zur unseren Verwahrung gegen die ausschließliche Herrschaft des Quantitativen, Messbaren und Zählbaren im platonischen vierfachen Gefüge 523 – die das darin ebenfalls beheimatete Moment der Unermesslichkeit und Unvorhersehbarkeit übersieht –, soll eine konkrete Mischung zusätzlich zu Hilfe kommen, die bei der Besprechung der Beispiele nicht berücksichtigt worden ist, nämlich die reine oder maßvolle Lust. Vor dem Hintergrund des vierfachen Gefüges wird die Lust anschließend eingeordnet und differenziert. Die reine Lust gehört zur dritten, gemeinsamen Gattung (κοινόν, Phl. 30a10, 31c2), während alle anderen, unreinen Arten von Lust der Gattung des Unbegrenzten angehören, 524 -------------------------------------------518
E. Hoffmann 1964, S. 46. Hartmann 19652, S. 412. 520 Bury 1897, Appendix E: Ἡ Μετρητική. 521 Gadamer 1985, GA, Bd. 5, S. 100; Hervorhebung von Gadamer. 522 § 3.3, I.3a. 523 Erinnert sei an die Beobachtung des Mathematikers Toeplitz, dass die Grenze nicht ausschließlich mathematisch zu verstehen sei, s. oben, Anm. 452, 453. 524 Die Lust als Prozess der Wiederherstellung des natürlichen Zustandes muss indessen vor dem Hintergrund der Gattung der Mischung (γένεσις εἰς οὐσίαν) betrachtet werden, bevor die Lust 519
302
Kapitel 3
obgleich sie wegen ihrer Zusammengehörigkeit mit der Unlust „gemischt“ genannt werden. Die reine Lust, der sich Sokrates später im Dialog annähert, ist in der Hinsicht ungemischt, dass sie nicht von Gefühlen der Unlust bedingt ist. Zugleich wird sie als maßvolle Lust (ἔμμετρος) zum Mitglied der Gattung der Mischung. Die reine Lust stellt sich spontan und augenblicklich ein und ihre Reinheit hängt von der Qualität des Objektes und nicht von dessen Quantität ab. 525 Die Vertiefung der Einordnung des kairos neben der dank der Gestirnbahnen geordneten, regelmäßigen Zeit in der platonischen vierfachen Einteilung verlangt einen anderen argumentativen Anlauf. Es erscheint uns in diesem Rahmen als hinreichend, den Weg darauf vorzubereiten, insofern wir auf die Rettung vor einer ausschließlichen Herrschaft der Quantifizierung bei der Deutung des vierfachen Gefüges hingewiesen haben. 526 2.
Die vierte Gattung der Ursache: das Zeugen eines kosmos Ti. 27c3-5: τὸν μὲν ποιητὴν καὶ πατέρα τοῦδε τοῦ παντὸς εὑρεῖν τε ἔργον καὶ εὑρόντα εἰς πάντας ἀδύνατον λέγειν.
Das Denken der Gattung der Mischung – wie das Denken jeder ihrer konkreten Manifestationen: der Gesundheit, der Jahreszeiten, der himmlischen und menschlichen Musik – bezieht sich notwendigerweise auf die anderen drei: Grenze und Unbegrenztes in ihrer wechselseitigen Nachbarschaft, die beide zu den der Ursache dienenden Faktoren werden (δουλεῦον εἰς γένεσιν, 27a8-9); die Mischung verweist als Produkt (γεγενημένη οὐσία) auf ihre bewirkende Kraft: τὸ ποιοῦν, die mit der Ursache zusammenfällt (Phl. 26e7-8). Das Dienende folgt der Ursache, fügt sich ihr. Ποίησις sollte nicht eng als „Herstellung“ verstanden werden, sondern in ihrer umfassenden Bedeutung, die im Symposion (205b-c) und Sophistes (219b, 265b-e) thematisiert wird: als Hervor-bringen vom Nichtseienden ins Seiende (ἄγειν τὸ μὴ ὂν εἰς οὐσίαν). In unserem Kontext ausgedrückt: dem dunklen Unbegrenzten durch die Grenze zum Erscheinen verhelfen (γένεσις εἰς οὐσίαν), dessen Hinaufführen über das πέρας zur „Erzeugung des Seins“, „diese stetige, unausgesetzte Durchdringung des Nichtseins zum Sein“ 527 . Die Frage nach der αἰτία wurde auch im Rahmen der Gemeinschaft der größten Gattungen gestellt und behandelt. Wie wir im zweiten Kapitel aufgezeigt haben, geht es in -------------------------------------------dann in unreine Arten von Lust (mit Unlust vermischte Lust im Körper, in der Seele und in beiden) und reiner Lust eingeteilt wird. 525 D. Frede geht in ihrer Interpretation mit Einsicht den Spuren der platonischen „Entwicklung von einer rein quantitativen zu einer qualitativen Beurteilung der Lust“ nach (1997, 1, S. 106). Sie bemerkt im Rahmen der kritischen Beurteilung der Erkenntnisarten (Phl. 55c-59d): „Ein deutlicher Hinweis, dass die Wahrheit der Wissenschaften nicht bloß auf der schlichten Anwendung der Maße und Berechnungen beruht, sondern dass es dabei auf das richtige Maß ankommt, würde einerseits das logische Zwischenglied zwischen der ‚vierfachen Einteilung’ und der kritischen Beurteilung der Wissenschaften bilden, andererseits aber auch den Bogen zu der abschließenden Preisverleihung spannen, die dem richtigen Maß den ersten Preis zuerkennt.“ (S. 326). Gegen das bloß quantitativ Messbare der Betrachtung – im Anschluss an D. Frede – auch Barbarić 2005, 1, S. 37f., SchmidtWiborg 2005, S. 262f. 526 Über die „Zeit“ des Zeugens Barbarić 1999, S. 85: „Das Zeugen ereignet sich im Augenblick, in jenem wunderbaren, ortlosen und unfassbaren Umschlag eines Gegensatzes in einen anderen, im Augenblick, der gar keine Weile dauert, und von dem nie zu sagen ist, dass er sich ‚gerade jetzt’ ereignet. Der Augenblick des Zeugens ist in der Tat keine Zeit, ‚in welcher’ etwas geschieht. Der Augenblick ist die Zeit als dieses Geschehen selbst, und zwar das Geschehen des Ans-LichtAuftauchens, vielmehr der Geburt des Lichtes selbst aus dem Dunkel, des Tages aus der Nacht.“ 527 Nach dem Ausdruck Hartmanns 19652, S. 423.
303
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
der dortigen Konstellation um eine sich selbst mischende und trennende Mischung des ideellen Seins. Keine von der an der Mischung beteiligten Elemente getrennte Instanz wird im Text als Ursache der Mischung anerkannt. 528 Im Kontext des Philebos verhält es sich anders. Sokrates legt Wert darauf, die vierte Gattung als selbstständig und von den anderen (auch der dritten Gattung der Mischung) getrennt einzuführen (Phl. 27b2). Wozu brauchen wir eine vierte Gattung? Erschöpft sich nicht das Prinzip des rechten Zusammentretens der Grenze und der Unbegrenztheit in der dritten Gattung der Mischung? 529 Das Problem des Fehlens einer causa efficiens in der Vorlesung „Über das Gute“ wurde oben schon angesprochen. 530 Gehen wir daran, uns die Sache noch einmal zu veranschaulichen, um die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den zwei Dialogen Philebos und Timaios und der Ungeschriebenen Lehre hervorzuheben: Ungeschriebene Lehre (Entstehen der Ideenzahlen)
Philebos (Entstehen der schönen Erscheinungen)
1. ἓν 1. πέρας 2. ἀόριστος δυάς 2. ἄπειρον 3. ἀριθμός ἰδεῶν 3. μεῖξις 4. αἰτία - νοῦς, τὸ δημιουργοῦν
Timaios (Entstehen des Kosmos) 1. ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν (28a2)- εἴδεσί τε καὶ ἀριθμοῖς (53b5) 2. χώρα (52a8)- ἀνάγκη (48a1) 3. κόσμος (29a2), εἰκών (52c2) 4. δημιουργός (28a6) - νοῦς (48a1)
Im platonischen vierfachen Gefüge wird die Einführung der Ursache als vierter Gattung dadurch als nötig erklärt, dass es um das Herbeiführen oder Bewahren der guten Mischung geht. Wie auch oben aufgezeigt worden ist, wäre es möglich, in der Gattung des Unbegrenzten nach der Ursache des Schlechten zu suchen, ohne zu einer selbstständigen fünften Gattung zu gelangen. Wenn es um die (gute oder schlechte) Mischung --------------------------------------------
528 S. oben, § 2.3, III. Wir haben dort ausführlich gezeigt, dass kein getrenntes „Element“ der Mischung der größten Gattungen die Rolle der Ursache übernehmen darf, was für den hier gemachten Vergleich nicht von Relevanz ist. 529 Natorp gerät in Bezug auf die vierte Gattung in Verlegenheit, da er die dritte als den ontologischen Sinn des Gesetzes betrachtet hat: „Die ganze Schwierigkeit liegt hier darin: im Zusammentritt des Unbestimmten und der Bestimmung scheint der logische Grund des Seins schon aufgezeigt; und nun wird noch ein besonderes Prinzip des Grundes aufgestellt.“ (19943, S. 327) Und seine Lösung bestand darin, in der vierten Gattung die Idee der Idee oder das Gesetz der Gesetzlichkeit zu suchen, „sofern diesem überhaupt eine eigne, von den drei anderen klar unterschiedene Bedeutung zukommen soll.“ (Ebd., S. 331) Die dritte Gattung beheimate die besonderen Gesetze, während die vierte Gattung das Gesetz überhaupt ausdrücke. Zu einer ähnlichen Problematisierung hinsichtlich der Notwendigkeit der Einführung der vierten Gattung kommt außerdem Hartmann: „Es ist nicht ganz leicht, Klarheit darüber zu gewinnen, was mit der ‚Ursache’ gemeint sein soll. Denn die ersten Prinzipien sind schon so umfassend gedacht, dass sie bereits das ganze Gebiet des Logischen umspannen. Es bleibt gewissermaßen kein Raum für eine vierte gleich fundamentale Bestimmung. Gleichwohl steht sie da, und zwar wird sie unmittelbar auf die γένεσις εἰς οὐσίαν folgend eingeführt, ohne irgendeine nähere Erklärung der Motive, aus denen sie nötig wird. Es erweckt also den Eindruck, als ob sie für Platon mit der οὐσία naturgemäß aufs engste zusammenhänge, so dass er von der einen gar nicht sprechen kann, ohne auf die andere zu kommen.“ (19652, S. 415) 530 S. oben, § 3.4, II.
304
Kapitel 3
überhaupt gegangen wäre, wäre die Frage nach dem Schlechten nötig gewesen. 531 Die Präsenz der Ursache im vierfachen Gefüge unterstreicht, dass sich die zwei ersten Gattungen nicht von selbst in die Einheit der dritten Gattung zusammenfügen. Das Unbegrenzte, wie uns oben klar wurde, leistet besonderen Widerstand dagegen. Die Identifizierung der Ursache mit τὸ δημιουργοῦν (Phl. 27b1) bringt die Konstellation sehr nah an den Timaios heran. Die Hinwendung zur „Handgreiflichkeit“ betont aufs Neue den von uns hier verfolgten Leitfaden: Der Demiurg führt das ἐξ ὧν γίγνεται zu einer guten Mischung. Dass das Unbegrenzte um der Zusammenfügung der zwei ersten Gattungen willen durch Gewalt gezwungen werden muss, ist in der Arbeit mehrfach zur Sprache gekommen. Rücken wir den Zweck des Ganzen ins Blickfeld, um zusammenzufassen: Es läuft darauf hinaus, dass die Vernunft den zweiten Preis der guten Lebensführung bekommt. Die göttliche und die menschliche Vernunft kommen nach dem kleinen kosmologischen Exkurs 532 als der vierten Gattung „stammverwandt“ (Phl. 31a8) zur Sprache. Die Ursache zeigt sich im kosmologischen Exkurs als die kosmos-stiftende Ursache. Die Vernunft erschafft eine einzelne Gestalt nie, indem sie auf ein einfaches Einzelnes hinblickt, sondern erzeugt einen ganzen Zusammenhang von Gestalten. Die Gattung der Grenze ist nicht etwas Einfaches, sondern die zahlenmäßige Struktur des Ideellen. In der dritten Gattung der Mischung handelt es sich wiederum nicht um etwas Einfaches, sondern um komplexe Zusammenstellungen (συ-στήματα). 533 V. Die „Urzeugung“ oder warum die Athener von der Vorlesung „Über das Gute“ vertrieben wurden Wie die jeweilige Wissenschaft in Wissenschaft der Vielen und Wissenschaft der Philosophierenden eingeteilt wird (Phl. 56cff.), so lässt sich die Erotik der Philosophierenden von derjenigen der Vielen differenzieren. Nicht nur als Liebe zur Wahrheit (ἐρᾶν τοῦ ἀληθοῦς, Phl. 58d5) manifestiert sich die philosophische Dialektik im Philebos; in ihr tritt ferner auch bei der hier verwendeten Metapher der Mischung deren erotische Akzentuierung hervor, wie schon aufgezeigt wurde. Und das geschieht in einem Dialog, der mit -------------------------------------------531 S. oben, § 3.4, IV. Was die Selbstständigkeit der vierten Gattung angeht, können wir Gaiser zustimmen, dass die Gattung der Grenze und der Ursache Aspekte des Gleichen sind: Die Grenze drücke die ideelle maßgebende Norm aus, während die Ursache die wirkende Kraft des Ideellen sei: Gaiser 19682, S. 193f. Die nicht überzeugende Kritik von Seiten M. Hoffmanns an Gaiser gehört in den Rahmen seiner schwankenden Haltung gegenüber der Ungeschriebene Lehre und deren Vertreter. 532 Schmidt-Wiborg verortet das Ziel der platonischen Dialektik in der einheitlichen Bestimmung des Seienden als solchen und im Ganzen; das Problem des Philebos bestehe darin: Wie kann Seiendes einheitlich bestimmt werden? Das lasse sich folgenderweise konkretisieren: Wie sind Sein und Werden eines Seienden in und durch sich selbst einheitlich bestimmt und wie können sie in dieser einheitlichen Bestimmung ausgewiesen werden? (2005, S. 5). Die Interpretin weicht von Figals These gegen eine Ontologie bei Platon ab. Die Mischung des vierfachen Gefüges versteht sie als den Wechsel in der Bestimmung des Seienden, mittelbar durch eine Ursache. Der methodologische Status des Exkurses bestehe darin, die Einheit von Werden und Sein im Gemischten zu benennen und nicht sie auszuweisen (ebd., S. 300). Die Lösung des von Schmidt-Wiborg betrachteten echten Problems kann dem kleinen Exkurs über die Vernunft als Ursache entnommen werden: Da kann sie die Indizien für die Zusammengehörigkeit und Vereinigung einer ursächlichen und einer wissentlichen teleologischen Bestimmung finden. Vernunftbestimmung gewährleistet das Sein der Welt alles werdenden Seienden (ebd., S. 300). 533 Kurt von Fritz hat in seiner Untersuchung über den νοῦς das Situative stark hervorgehoben, was der hier vertretenen Auffassung zu Hilfe kommt. Der Gegenstand des νοεῖν sei eine ganzheitliche Situation.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
305
„Philebos“ betitelt wird, der ja die höchste Gefahr der hedonistischen Ausschweifung personifiziert. Diese sorgfältige Unterscheidung zwischen einer krankhaften und einer gesunden Erotik zieht sich durch das ganze platonische Werk hindurch. Pausanias’ Trennung in eine himmlische und eine sterbliche Aphrodite wird von Diotima zwar aufgehoben, bekommt aber in der Besinnung Plotins auf den Eros wieder eine führende Rolle zugesprochen. 534 Im Phaidros zeigt sich die Differenzierung zwischen dem schlechten und dem guten Eros in einer zentralen Rolle (Phdr. 253cff.); so erklären sich die sokratischen Bedenken zu Beginn des Philebos: sie gehen gegen die Inanspruchnahme der Göttin Aphrodite durch Philebos. 535 Bei der Manifestation der philosophischen Erotik im Philebos handelt es sich nicht um die von den Vielen so verstandene Zeugung als überindividuelles Fortleben. Es geht nicht um die Bewahrung der Einheit der Gattung durch das Hervorbringen von Kindern. Darauf zielen die meisten Menschen, wie in der Rede von Diotima im Symposion dargestellt wird. 536 Der Philosoph erreicht die Unsterblichkeit anders als durch diese „List“ (ταύτῃ τῇ μηχανῇ […] θνητὸν ἀθανασίας μετέχει, Smp. 208b2-3). Sein Ziel ist die Zeugung in der Schönheit (τόκος ἐν τῷ καλῷ). Schließen wir unsere Behandlung mit einem letzten Bezug auf die berühmt-berüchtigte Vorlesung „Über das Gute“ ab, in der eben diese Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Erotik aufs Neue durchsichtig wird. Was erwarteten die Athener in dieser Vorlesung zu hören? Wie uns Aristoxenos überliefert, haben sie mit einer Behandlung menschlicher Güter, wie der Gesundheit, des Nachruhmes, der Macht und des Reichtums gerechnet. 537 Was hat Platon in dieser Vorlesung stattdessen behandelt? Er hat die Athener vom Wahrnehmbaren bis zum σύμφυτον geführt, um den Weg wieder zurückzuverfolgen. 538 Im σύμφυτον der zwei platonischen Prinzipien ereignet sich die Urzeugung, bei der das Unbegrenzte (mithilfe von aristotelischen Berichten und dem Timaios) begrenzt und kosmos (Ordnung, Schönheit) gestiftet wird. Um es kurz zu fassen: Durch die graduelle Bezähmung des nicht völlig Bezähmbaren kommen Ordnung und Schönheit zustande. Als erstes Produkt der Begrenzung der Unbestimmten Zweiheit (Viel-und-Wenig) durch das Eine ergeben sich die Idealzahlen, die dann auf die nächste Manifestation des zweiten -------------------------------------------534 535
3.
Enn. 3.5. Überzeugend D. Frede 1997, 1, S. 199 mit Anm. 158, dazu auch Hackforth 1958, S. 48, Anm.
536 Zu der grundlegenden Unterscheidung zwischen der von den Vielen als Fortbestehen verstandenen Unsterblichkeit und der vom Guten begleiteten Unsterblichkeit s. Sier 1997, S. 109. Dazu auch Barbarić 2007, S. 6ff., der die Problematisierung weiter vertieft, indem er die Art von Zeitlichkeit erforscht, die mit beiden Formen der Unsterblichkeit verbunden ist. Deren erste Art und die entsprechende im Bereich des nur im Leibhaftigen situierte Zeugung sei mit der unmittelbaren Gegenwart sklavisch verbunden (ebd., S. 8). Die Stufe der Zeitlichkeit, die der seelischen Zeugung angehöre, befreie sich hingegen von der absoluten Herrschaft der Gegenwart: „Die entfernteste Zukunft schließt sich hier mit der weitesten Vergangenheit zu einem alles umfassenden Kreis zusammen, worin die Gegenwart – nach einer berühmten nachplatonischen Formel – als der Mittelpunkt des unendlichen Kreises überall und nirgendwo ist.“ (ebd., S. 9) Der vom Selbsthaften befreite Philosoph werde von der Wahrheitsliebe und nicht mehr von der Selbstliebe, Selbsterhaltung, Selbsterweiterung und Selbststeigerung „gestimmt“ (dagegen pflegt Gerhardt 1997, S. 236, die von Diotima vertretene philosophische Liebe misszuverstehen; treffende Kritik von Barbarić 2007, Anm. 30). Er sehe das Schöne nicht mehr als seinen festen und sicheren Besitz an. In dieser Weise bereite er sich auf die Kulmination des erotischen Aufstiegs vor; er öffne sich für die Ankunft des Augenblickes (ebd., S. 9f.). 537 TP 7. 538 Anders gesagt geht es sowohl um die dimensionale Reduktion und Deduktion als auch um die Reduktion der kategorial verschiedenen Seinsarten auf die Prinzipien. Dazu TP 22-32.
306
Kapitel 3
Prinzips (das expandierende und kontrahierende Lange-und-Kurze) begrenzend wirken: Daraus ergibt sich die Atom-Linie; sie begrenzt ihrerseits das Breite-und-Schmale, woraus die Fläche (die Elementardreiecke des Timaios) entsteht. Durch die letzte Begrenzung des Tiefen-und-Flachen werden die Elementarkörper des Timaios erzeugt. 539 Das Unbegrenzte wird nie völlig bezähmt, sondern es bleibt immer ein Rest davon, der die gute Mischung umzukippen droht. 540 Die Zuhörer der Vorlesung sind entweder enttäuscht oder abgeschreckt worden. Wie hätten sie anders reagieren können, nachdem ihre Vorstellungen von Macht (δύναμις) und Zeugung (γεννᾶν) und vor allem ihr Begriff von ἀγαθόν durch den Philosophen völlig auf den Kopf gestellt wurden? Um dieses Ereignis des σύμφυτον zu denken und zur Sprache zu bringen, ist man notwendig auf Metaphern angewiesen. Das zweite Prinzip (als Macht des Tuns und des Leidens verstanden) wird bestimmt. Aber auch das erste Prinzip des Einen oder die jeweilige begrenzende atomare Einheit erfährt die Wirkung der jeweiligen Manifestation des zweiten, entzweienden Prinzips. Aus diesem gegenseitigen πάθος (darin besteht das Wesen des σύμφυτον) wird bei jedem der drei Übergänge (μεταβάσεις) etwas Neues erzeugt. 541 Beim Nachvollziehen dieser unsichtbaren Entstehung kann es nicht nur den Nicht-eingeweihten, sondern auch den Philosophierenden schwindlig werden. 542 VI. Zusammenfassung Fassen wir die Vorteile der hier vorgeschlagenen Philebos-Interpretation zusammen: Die einheitliche Bewegung des Gesprächs in den untersuchten Partien wurde rekonstruiert. „Unerklärliche Diskrepanzen“ oder Zusammenhangslosigkeit wurden vermieden, ohne einen hermeneutischen Selbstbetrug im Sinne Kenneth Sayres zu begehen. Wegen der Kritik an Sayre gerieten wir nicht in eine minimalistische Deutung wie Gosling, 543 wenn auch seine Kritik an einem übermäßigen Hineininterpretieren gerechtfertigt ist. Da hier Protarchos der Gesprächspartner ist, kann es, so Gosling, in den Passagen von 16-18 und 23-29 weder um die Darlegung einer Metaphysik noch einer Methodologie Platons gehen, sondern um die „Befreiung von den Bedrängnissen der Anfänger“ 544 : In der ersten Passage würden das Lernen und Einführen einer techne, in der zweiten das Anwenden der technai behandelt. Dann muss Gosling die Begriffe idea/ eidos und sogar „Dialektik“ (διαλεκτικῶς, 17a4) als „keine termini technici Platonici“ 545 verstehen, was absurd ist. Halfwassens Auslegung des vierfachen Gefüges zeigt sich darüber hinaus nicht als nötig. Sein Schluss, dass „auch der Philebos für einen die Bipolarität nicht eliminierenden, --------------------------------------------
539 Die platonische Auffassung kombiniert pythagoreisches Gut (die Entstehung des Ganzen aus dem fließenden Punkt) und die Annahme von atomaren Einheiten als Produkten bei diesem „episodenhaften“ Entstehen: zur Kombination des einfachen Wachstumsprozesses und des Vorgehens der Formierung s. Gaiser 19682, S. 355f., Anm. 65: „[…] so könnte Platon gelehrt haben, dass das zweite Prinzip an sich jeweils eine fließende Ausdehnung der nächsten Dimension bewirkt, das erste Prinzip dabei aber jeweils Begrenzung und Gestaltung verursacht.“ (Gaisers Schluss, S. 355, Hervorhebung von Gaiser). 540 Barbarić 2000, S. 17: „Die völlig unbestimmte Urbewegung wird immer mehr beruhigt, domestiziert und in Dienst genommen, ‚zum Besseren überredet’.“ 541 Vgl. Lg. 894a. 542 Vgl. das Bild in Lg. 892d-893a. 543 Gosling 1996. 544 Ebd., S. 227 545 Ebd., S. 226.
Die „Mischung“ im Dialog Philebos
307
sondern nur hintergreifenden letzten Monismus Platons spricht“, 546 lässt sich modifizieren, wenn man beachtet, dass πέρας und ἄπειρον im vierfachen Gefüge Derivate der Prinzipien (also schon „gemischt“) und nicht die Prinzipien an sich sind. Der „Ort“ der Mischung ist daher nicht die ideelle Welt, auch wenn darauf verwiesen werden kann, dass die Idee ein Gemischtes ist, sondern die (schöne) Erscheinung. Mit unserer Rekonstruktion wird nicht behauptet, dass Aristoteles alles völlig missverstanden und den „Mythos“ der Zwei-Welten-Lehre-Ontologie konstruiert habe; dazu gibt Platon selbst Anstoß. Dem Stagiriten wird konkret vorgeworfen, dass er eine ganze Bewegung, die mit der Übertragung der methexis verbunden ist, bereits auf ihrer ersten Stufe (methexis des Wahrnehmbaren an der Idee) zum Halten gebracht und seine Polemik auf sie beschränkt hat. 547 Aristoteles können wir nicht außer Betracht lassen: Der Bezug auf ihn hat sich für eine Platon-Interpretation noch einmal als nötig erwiesen. Wir können jedoch das Gespräch, das er auf seine Weise manchmal blockiert, seinetwegen nur mühevoll rekonstruieren. Was die Mischung als Metapher im Philebos betrifft, haben wir sie eher mit dem vorphilosophischen Feld der geschlechtlichen Mischung verbunden, im Vergleich zu der Inanspruchnahme der Mischung von Wasser und Wein im Sophistes. Die Elemente der Mischung im Philebos sind nicht ontologisch gleichursprünglich, wie unsere Ausführung im Sophistes für den Fall der größten Ideen des Seienden und des Anderen aufgezeigt hat. Darüber hinaus kommt im Rahmen der Ontologie und der Ethik des Philebos durch die Mischung eine andere Art Gefahr ins Spiel und zur Sprache. Im Sophistes war es die Gefahr der Verwischung der Grenzen zwischen der Idee des Seienden und des Anderen. Im Philebos wird auf die Gefahr hingewiesen, dass die gute Mischung misslingt. Die gute Mischung ist im menschlichen Leben und in einer in der platonischen späteren Periode gewürdigten situativen Ethik nicht vorgegeben, sondern aufgegeben. Die Momente der Mischung des Sophistes und des Philebos sind verschieden und jeweils anders bedingt. Daher haben wir nicht versucht, das eine Konzept durch das andere zu erklären oder das Eine mit dem Anderen zu identifizieren. Stattdessen haben wir beide Momente in eine weiter umfassende dialektische Bewegung integriert.
-------------------------------------------546
Halfwassen 2001, S. 74. Eine eingehendere Untersuchung sollte das chorismos-Problem als einen aristotelischen Einwand verstehen, der von der aristotelischen Problematik der Wirklichkeit der einzelnen Substanzen aus erhoben wurde; bei einem solchen Unternehmen, das Gespräch zwischen den beiden Philosophen zu rekonstruieren, ohne sich in eine Polemik gegen die aristotelische Polemik zu verwickeln, sollte die aristotelische Konzeption der Substanz als χωριστόν in den Vordergrund gerückt werden, um Aristoteles’ Blickwinkel verstehen zu können. Hier ziehen wir Schlüsse von Platons Philosophie her, die auf die o. g. Weise noch zu vertiefen sind. Einen kritischen Blick auf die aristotelische Kritik am platonischen chorismos mit einer begleitenden scharfsinnigen Untersuchung des platonischen und aristotelischen Verständnisses von Substanz bietet Gail Fine (1983, 1984) an. 547
308
Kapitel 3
4. Epilog: Überblick und Ausblick Ξυνὸν δέ μοί ἐστιν, ὁππόθεν ἄρξωμαι. τόθι γὰρ πάλιν ἵξομαι αὖθις. 1 Parmenides B5 Ξυνὸν γὰρ ἀρχὴ καὶ πέρας ἐπὶ κύκλου περιφερείας. 2 Heraklit B103 Sammeln wir die wichtigsten Ergebnisse und führen wir die Stränge der zwei Manifestationen der Mischung (im Sophistes und Philebos) zusammen: jetzt ohne die Befürchtung, dass wir durch eine übereilte Identifizierung den Anspruch des Dialektischen verfehlten, dessen zwei unauflöslich miteinander verbundene Momente die Trennung und die Verbindung sind. Das Eigentümliche der jeweiligen Mischung ist im Kapitel über den Sophistes und den Philebos hervorgehoben worden. Wir haben den dialektischen Aufstieg vom Wahrnehmbaren bis zum σύμφυτον der Prinzipien sowie den Rückstieg zum Wahrnehmbaren rekonstruiert, welches der Dialektiker zuletzt als verwandelt betrachtet. Platon lädt uns ein, die ganze Bewegung nachzuvollziehen, was Aristoteles nicht tut. Die Mischung sowohl des Sophistes als auch des Philebos ist eine Station auf diesem einen Weg, der den einheitlichen Hintergrund bereitet. Mit Heraklit: ὁδὸς ἄνω κάτω μία καὶ ὡυτή. Bei unserer ersten Station ging es um die miteinander unauflöslich vereinigten größten Gattungen und insbesondere die Gattungen des Seienden und des Anderen. Im Fall der zwei platonischen Prinzipien – auf die im Philebos angespielt wird – erweist sich die Trennung als noch schwieriger, ja fast unmöglich: Sie sind miteinander verwachsen: σύμφυτον. Daher wird für diesen Bereich der Prinzipien die Bezeichnung „Mischung“ in der indirekten Überlieferung nicht verwendet. Je höher wir auf diesem einen Weg aufsteigen, desto schwieriger wird die Möglichkeit der Trennung und desto mehr steigern sich die Gleichursprünglichkeit und Gegenseitigkeit der Wirkung unter dem Gleichursprünglichen. Den zweiten vereinheitlichenden Grund der zwei untersuchten Mischungen bietet deren Wesen als Metapher. Wir haben nachvollzogen, wie ein sinnliches Bild zu einem philosophischen Bild wird. Wir haben das Sich-Durchkreuzen von zwei Bewegungen betrachtet: Die eine betraf das Übertragen des Verhältnisses zwischen dem Wahrnehmbaren und der Idee bis zum prinzipiellen Verhältnis zwischen dem Einen und der Unbestimmten Zweiheit; zweite lag im Wesen der Metapher selbst und zwar von einem sinnlichen Bereich zu einem nicht-sinnlichen. Dabei zeigte sich allerdings, dass die zwei Bereiche nicht für sich, also getrennt voneinander bei Platon vorkommen, sondern miteinander verwoben sind. Dieses Zusammenklingen des Sinnlichen und Nichtsinnlichen trat sowohl im Sophistes als auch im Philebos zutage. Lässt man alle Unterschiede der jeweiligen Konzeption im Sophistes und Philebos beiseite, kann man dem Weg der Untersuchung gemäß in Folgendem übereinstimmen: Das Sein wird nach Platon sowohl in Bezug auf das ideelle als auch das wahrnehmbare Sein --------------------------------------------
1 „Ein Gemeinsam-Zusammenhängendes aber ist es mir, von wo ich auch den Anfang nehme; denn dorthin werde ich wieder zurückkommen.“ (Übers. Diels) 2 „(Denn) gemeinsam ist Anfang und Ende beim Kreisumfang.“ (Übers. Diels)
310
Epilog: Überblick und Ausblick
als Mischung verstanden. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, haben wir die indirekte Überlieferung nicht als Prokrustesbett betrachtet, in das die anvisierten Dialoge gewaltsam hineingezwungen wurden; wir haben sie vielmehr als das Knochengerüst eines Organismus – nämlich der erstrebten Deutung Platons – genommen, dessen Lebendigkeit den Dialogen abgerungen worden ist. Unsere Arbeit hat den Begriff der δύναμις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν beleuchtet und in den Vordergrund gestellt – wenn auch nicht im Titel. Einerseits haben wir die Mischung der größten Gattungen in diesem Licht nachvollzogen. Dabei haben wir die Akzentuierung der δύναμις, die Lesley Brown im Rahmen der Riesenschlacht über das Sein gelingt, auch in der Passage über die gegenseitig aufeinander wirkenden größten Gattungen des Seins und des Anderen aufgewiesen (Sph. 255-259). Durch unsere Deutung konnte manches zu dem immer wieder debattierten Verhältnis zwischen Platon und Aristoteles beigetragen werden. Die problematische Beziehung zwischen spezieller und allgemeiner Ontologie der aristotelischen Metaphysik lässt sich schon im Sophistes aufweisen. Dabei ist das speziell Platonische nicht vernachlässigt worden. Was die historische Lokalisierung Platons betrifft, ist es uns außerdem und gerade aufgrund der untersuchten Metapher der Mischung möglich gewesen, die platonische Beschreibung des ideellen Ganzen von der plotinischen zu differenzieren. Im Philebos haben wir die Elemente der Mischung als Seinsmomente und Mächte ausgelegt. Während wir den von Gaiser eingeschlagenen Weg verfolgten, bestand unser Vorschlag darin, die zwei platonischen Prinzipien vor diesem Hintergrund (also als δυνάμεις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν) weiterzudenken. Δύναμις bedeutet dabei nicht nur die sich durchsetzende Macht, sondern auch die um der Zeugung des Neuen willen von sich selbst absehende Macht. Wir sind zuletzt zu der Zeugung der schönen Erscheinungen im Philebos gelangt; im platonischen vierfachen Gefüge bot sich nämlich eine genetische Ontologie des Schönen. Die vierfache Einteilung des Philebos mündet in den Timaios, dessen Untersuchung zu Beginn der Arbeit notwendigerweise ausgeschlossen werden musste, damit zunächst einige Ergebnisse in den zwei anvisierten Dialogen konstatiert werden konnten. Wir sind außerdem zu dem einer Einzeluntersuchung würdigen Thema eines Gesprächs mit Friedrich Nietzsche gelangt, bei dem sich Ontologie und Ästhetik als unauflöslich miteinander verbunden zeigen. Zu diesem Gespräch gelangten wir nicht nur, weil wir von Nietzsche die Rede von den „Anschauungsmetaphern“ entliehen, um die verschiedenen komplexen Bildeinheiten zu bezeichnen, die bei Platon stets auf dasselbe weisen: die Bezähmung des nie völlig Bezähmbaren (σύμφυτον). Sondern auch, weil der (laut Heidegger) „zügelloseste Platoniker“ in seiner späten Phase die Schönheit als Bändigung der Gegensätze zu verstehen sucht. Die Ergebnisse zu δύναμις τοῦ ποιεῖν καὶ τοῦ παθεῖν sollten sich darüber hinaus bei dem Versuch als nützlich erweisen, sich dem oft missverstandenen nietzscheanischen „Willen zur Macht“ anzunähern. Die Untersuchung der besonderen Art des Platonismus von Nietzsche verdient es, nach der nötigen Analyse der Genese des historischen Platonismus, zum Thema einer separaten Arbeit zu werden.
5. Literaturverzeichnis I.
Lexika, Hilfsmittel
Astius, Fridericus, Lexicon Platonicum sive Vocum platonicarum index, Nachdr. zu 1835-1838, Darmstadt 1956. Betz, Hans Dieter (Hrsg.), Religion in Geschichte und Gegenwart, Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, vierte, völlig neu bearbeitete Auflage, Bd. 5, Tübingen 2002. Brandwood, Leonard, A word Index to Plato, Leeds 1976. Chantraine, Pierre, Dictionnaire Étymologique de la langue Grecque, Histoire des Mots, Paris 1970. Grimm, Jacob und Wilhelm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854ff. Höffe, Otfried (Hrsg.), Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005. Liddell, H. G., and Scott, R., A Greek-English Lexicon, A new edition by H. S. Jones, Oxford 19409, with a revised supplement (1996). Mugler, Charles, Dictionnaire historique de la terminologie géometrique des Grecs, Paris 1959. Pauly-Wissowa-Kroll, Real-Encyklopädie der klassischen Altertumswissenschaften, Neue Bearb., Stuttgart 1894ff. (Zitiert als RE).
II. Primäre und sekundäre Literatur Ackrill, J. L., „Συμπλοκὴ εἰδῶν“, in: Bulletin of the Institute of Classical Studies of the University of London, No. 2, London 1955, S. 31-35, nachgedruckt in: Essays on Plato and Aristotle, J. L. Ackrill (Hrsg.), Oxford 1997, S. 72-79. Ders., Plato and the Copula: Sophist 251-259, in: Journal of Hellenic Studies 77 (Part I), London 1957, S. 1-6, nachgedruckt in: Studies in Plato’s Metaphysics, R. E. Allen (Hrsg.), London 1965, S. 207-218, nachgedruckt in: Essays on Plato and Aristotle, J. L. Ackrill (Hrsg.), Oxford 1997, S. 80-92. Ders., In Defense of Platonic Division, in: Modern Studies in Philosophy, Gilbert Ryle, Oscar P. Wood u. George Pitcher (Hrsgg.), New York 1970, London 1971, S. 373-392, nachgedruckt in: Essays on Plato and Aristotle, J. L. Ackrill (Hrsg.), Oxford 1997, S. 93-109. Adam, James, The Republic of Plato, Vol. I, II, Cambridge 19021, 19632. Aichele, Alexander, Philosophie als Spiel: Platon-Kant-Nietzsche (Diss.), Berlin 2000. Allen, Reginald, E., The Dialogues of Plato, Volume II, The Symposium, New York 1991. Apelt, Otto, Die Ideenlehre in Platos Sophistes, in: Beiträge zur Geschichte der griechischen Philosophie, Leipzig 1891, S. 67-99. Ders., Platons Dialog Philebos, Leipzig 1912. Ders., Platons Dialog Politikos, Leipzig 1914. Ders., Platons Dialog Parmenides, Leipzig 1919. Archer-Hind, R. D., Note on the Plato’s Philebus 15A, B, in: Journal of Philology 27, London 1901, S. 229- 231. Aristote, De la génération et la corruption, Texte établi et trad. par Charles Mugler, Paris 1966. Aristoteles, On sophistical refutations. On coming-to-be and passing away, transl. by Edward S. Forster, On the cosmos, transl. by David J. Furley, Harvard 2000. Aristoteles’ Physik, Vorlesung über die Natur, übers. mit Einl. und Anm. H. G. Zekl (Hrsg.), gr. Text nach W. D. Ross, Oxford 1982, Hamburg 1987. Aristotelis Analytica Priora et Posteriora, W. D. Ross (Hrsg.), Oxford 1964. Aristotelis Ethika Nikomachea, I. Bywater (Hrsg.), Oxford 1970. Aristotelis Fragmenta Selecta, recognovit brevique adnotatione instruxit W. D. Ross, Oxford 19551, 19704. Aristotelis Metaphysica, recognovit brevique adnotatione critica instruxit Werner Jaeger, Oxford 1957. Badham, C., The Philebus of Plato, London/ Edinburgh 18782.
312
Literaturverzeichnis
Bärthlein, Karl, Der Analogiebegriff bei den griechischen Mathematikern und bei Platon (Diss. 1957), Würzburg 1996. Ders., Über das Verhältnis des Aristoteles zur Dynamislehre der griechischen Mathematiker, in: Rheinisches Museum für Philologie 108, Frankfurt am Main 1965, S. 35-61. Ders., Zur Kategorienlehre in der Antike, in: Kategorie und Kategorialität, Festschrift für Klaus Hartmann zum 65. Geburtstag, Dietmar Koch u. Klaus Bort (Hrsgg.), Würzburg 1990, S. 13-48. Bailey, D. T. J., Plato and Aristotle on the Unhypothetical, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 2006, S. 101-126. Baltes, Matthias, γέγονεν. (Platon, Tim. 28 B 7). Ist die Welt real entstanden oder nicht?, in: Polyhistor. Studies in the History and Historiography of Ancient Philosophy, Presented to Jaap Mansfeld on his Sixtieth Birthday, Keimpe A. Algra, Pieter W. van der Horst u. David T. Runia (Hrsgg.), Leiden/ New York/ Köln 1996, S. 76-96. Baltzly, Dirk, C., „To an unhypothetical first principle“ in Plato’s Republic, in: History of Philosophy Quarterly, Bd. 13, Ohio 1996, S. 149-165. Ders., Aristotle and Platonic Dialectic in Metaphysics Gamma 4, in: Apeiron 32, Edmonton 1999, S. 171-202. Barbarić, Damir, Anblick, Augenblick, Blitz, Ein philosophischer Entwurf zum Seinsursprung, Tübingen 1999 (Phainomena, Bd. 7). Ders., CHORA, Über das zweite Prinzip Platons, 2000 (Manuskript). Ders., (2005, 1) Warum entflieht das Gute ins Schöne?, in: Platon über das Gute und die Gerechtigkeit, Damir Barbarić (Hrsg.), Würzburg 2005, S. 31-43. Ders., (2005, 2) Das produktive Nichts. Zur Platondeutung Heideggers, in: Heidegger und die Antike, Österreicherische Gesellschaft für Phänomenologie Bd. 12, Günther Pöltner u. Matthias Flatscher (Hrsgg.), Frankfurt 2005, S. 86-96. Ders., Die Stufen der Zeitlichkeit. Zu Diotimas Rede in Platons Symposion, in: Plato’s Symposium. Proceedings of the Fifth Symposium Platonicum Pragense, Prague 2007, S. 210-229. Barker, A., Plato’s Philebus: The Numbering of a Unity, in: Dialogues with Plato (Apeiron, suppl. 29/4), E. Benitez (Hrsg.), Edmonton 1996, S. 143-164. Barnes, Jonathan, The Presocratic Philosophers, Vol. II, London/ Henley/ Boston 1979. Baudy, G. J., Adonisgarten. Studien zu Samensymbolik, Frankfurt am Main 1986. Becker, Oskar, Die diairetische Erzeugung der platonischen Idealzahlen, in: Quellen und Studien der Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik, O. Neugebauer, J. Stenzel u. O. Toeplitz (Hrsgg.), Abteilung B, Bd. 1, Berlin 1931, S. 464-501. Ders., Das Mathematische in der Antike, Göttingen 1966. Benitez, E. E., Forms in Plato’s PHILEBUS, Assen 1989. Bernadete, Seth, The Being of the Beautiful. Plato’s Theaetetus, Sophist, and Statesman, Chicago/ London 1984. Bluck, R. S., False Statement in the Sophist, in: Journal of Hellenic Studies 77, 1957, S. 181-186. Ders., Plato’s Sophist, A Commentary, Manchester 1975. Blumenberg, Hans, Paradigmen zu einer Metaphorologie, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 6, Bonn 1960, S. 7-142. Bostock, David, Plato on ‚Is Not’, in: Oxford Studies of Ancient Philosophy 2, Oxford 1984, S. 89-119. Boussoulas, Isidore, L’Être et la Composition des Mixtes dans le „Philèbe“ de Platon, Paris 1952. Brisson, Luc, Derrida, Jacques, Platon Phèdre, Trad. inédite, introd. et notes par Luc Brisson. Suivi de La pharmacie de Platon de Jacques Derrida, Paris 1989. Bröcker, Walter, Platos Gespräche, Frankfurt am Main 1964¹, 19853. Brown, Lesley, Being in the Sophist: A syntactical Enquiry, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy Bd. 4, 1986, S. 49-70. Dies., The Verb to BE in Greek Philosophy: Some Remarks, in: Stephen Everson (Hrsg.), Companions to Ancient Thought 3. Language, Cambridge 1994, S. 212-236. Dies., Innovation and Continuity. The Battle of Gods and Giants, in: Methods in Ancient Philosophy, Jyl Gentzler (Hrsg.), Oxford 1998, S. 181-208. Dies., (2008, 1), The Sophist on Statements, Predication, and Falsehood, in: Oxford Handbook of Plato, Gail Fine (Hrsg.), Oxford 2008, S. 437-462. Dies., (2008, 2), Reflections on Frede’s Sophist, Southern Association for Ancient Philosophy, Cambridge September 2008 (Manuskript).
Literaturverzeichnis
313
Burkert, Walter, ΣΤΟΙΧΕΙΟΝ Eine semasiologische Studie, Philologus 103, Berlin 1959, S. 167-197. Ders., Weisheit und Wissenschaft, Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon, Nürnberg 1962. Burnet, John, Early Greek Philosophy, London 18921, 19484. Burnyeat, M. F., The Philosophical Sense of Theaetetus’ Mathematics, in: Isis 69, Chicago 1978, S. 489-513. Bury, R. G., The Philebus of Plato, edited with Introduction, Notes and Appendices, London 1897¹. Busse, Adolf (Hrsg.), Commentaria in Aristotelem Graeca, IV 5, Ammonius In Aristotelis De interpretatione commentarius, Berlin 1897. Campbell, Lewis, The Sophistes and the Politicus of Plato, Oxford 1867. Cerri, Giovanni, Poema sulla natura. Parmenide di Elea, Milano 1999. Cherniss, Harold F., Aristotle’s Criticism of Plato and the Academy, Baltimore 1946. Ders., The Relation of the Timaeus to Plato’s Later Dialogues, in: Studies in Plato’s Metaphysics, London 1965, S. 339-378. Ders., The Riddle of the early Academy, Berkeley 19451, New York 19622, hier die deutsche Übersetzung (von Josef Derbolav) zitiert: Die Ältere Akademie. Ein historisches Rätsel und seine Lösung, Heidelberg 1966. Cooper, Neil, Pleasure and Goodness in Plato’s Philebus, in: The Philosophical Quarterly, Vol. 18, New York 1968, S. 12-15. Cornford, Francis M., Plato’s Theory of Knowledge, The Theaetetus and the Sophist of Plato, London 19351, 1960 (Nachdruck). Cresswell, M. J., Is there One or are there Many One and Many Problems in Plato?, in: The Philosophical Quarterly 22, New York 1972, S. 149-154. Crivelli, Paolo, Not-Being and Difference at Sophist 256D11-256E8, Vortrag in Club B, Cambridge 27.10 2008 (Manuskript). Crombie, I. M., An Examination of Plato’s Doctrines, II. Plato on Knowledge and Reality, London 1963¹. Dancy, R. M., The One, the Many and the Forms: Philebus 15b1-8, in: Ancient Philosophy 4, Pittsburgh 1984, S. 160-193. Davidson, Donald (1949), Plato’s Philebus, Harvard Dissertations in Philosophy (1949), New York 1990. Ders., What Metaphors mean, in: Philosophical Perspectives on Metaphor, M. Johnson, (Hrsg.), Minnesota 1981, S. 200-220. Davis, P. J., The fourfold Classification in Plato’s Philebus, in: Apeiron 13, Edmonton 1979, S. 124-134. Delcomminette, Sylvain, Le Philèbe de Platon. Introduction à l’Agathologie Platonicienne, Leiden/ Boston 2006. Demel, Seth, Platons Verhältnis zur Mathematik, Leipzig 1929, in: Forschungen zur Geschichte der Philosophie und der Pädagogik, A. Schneider u. W. Kahl (Hrsgg.), Bd. 4. Denyer, Nicholas, Language, Thought and Falsehood in Ancient Greek Philosophy, Cambridge 19911, 19942. Derbolav, Josef, Was Plato „sagte“ und was er „gemeint hat“, in: Beispiele, Festschrift für Eugen Fink zum 60. Geburtstag, Ludwig Landgrebe (Hrsg.), Den Haag 1965, S. 161-187. Derrida, Jacques, La pharmacie de Platon, in: Jacques Derrida, La dissémination, Le Seuil 1972. Ders., Chora (aus dem Französischen: Hans-Dieter Gondek), Wien 1990. Diels, Hermann, Elementum, Leipzig 1899. Diels, Hermann, Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch und Deutsch, Walther Kranz (Hrsg.), 1. Bd. Nachdruck der 6. Aufl. (1951), Zürich/ Hildesheim 198918; 2. Bd. Nachdruck der verbesserten 6. Aufl. (1952), Zürich/ Hildesheim 198511 (19031): zitiert als DK. Diès, August, La Definition de l’Être et la nature des Idées dans le Sophiste de Platon, Paris 19322. Dimitrakopoulos, Michael, Die Mischung und das Reine in der platonischen Dialektik (Diss.), Freiburg 1975. Diogenes, Laertius, De clarorum philosophorum vitis, dogmatibus et apophthegmatibus, Carel Gabriel Cobet (Hrsg.), Paris 1862. Diophantos, Arithmetica, in: Opera Omnia, hrsg. von Tanery, Bd. 1, Leipzig 1893. Dirlmeier, Franz, Aristoteles Nikomachische Ethik, Darmstadt 1956.
314
Literaturverzeichnis
Ders., Magna Moralia, Berlin 19662. Düring, Ingemar, Aristotle in the ancient biographical tradition, Göteborg 1957. Düsing, Klaus, Ontologie und Dialektik bei Plato und Hegel, in: Hegel-Studien Bd. 15, Bonn 1980, S. 95-150. Ders., Hegel und die Geschichte der Philosophie, Darmstadt 1983. Fahrnkopf, Robert, Forms in the Philebus, in: Journal of Philosophy, Bd. 17, Baltimore 1977, S. 202-207. Fattal, Michel, Le Sophiste: logos de la synthèse ou logos de la division?, in: Elenchos 22, Études sur le Sophiste de Platon, Pierre Aubenque (Hrsg.), Napoli 1991, S. 145-163. Ferber, Rafael, Die Unwissenheit des Philosophen oder warum hat Plato die „ungeschriebene Lehre“ nicht geschrieben?, Zürich 1991. Figal, Günter, Platons Destruktion der Ontologie, zum Sinn des Parmenides, in: Antike und Abendland Bd. 39, Berlin/ New York 1993, S. 29-47. Findlay, J. N., Plato, The Written and Unwritten Doctrines, London 1974. Fine, Gail, Plato and Aristotle on Form and Substance, ursprünglich in: Proceedings of the Cambridge Philological Society, 209, 1983, S. 23-47, erneut in: Gail Fine, Plato on Knowledge and Forms, Oxford 2003, S. 397-425. Ders., Separation, ursprünglich in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 2, 1984, S. 31-87, erneut in: Gail Fine, Plato on Knowledge and Forms, Oxford 2003, S. 252-300. Fink, Eugen, Spiel als Weltsymbol, Stuttgart 1960. Fränkel, Hermann, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, München 19622. Frede, Dorothea, The Hedonist’s Conversion: The Role of Socrates in the Philebus, in: Form and Argument in Late Plato, Christopher Gill u. Mary Margaret McCabe (Hrsgg.), Oxford 1996, S. 213-248. Dies., (1997, 1), Platon Philebos, Übersetzung und Kommentar, Göttingen 1997. Dies., (1997, 2), Mündlichkeit und Schriftlichkeit: von Platon zu Plotin, in: Logos und Buchstabe, Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike, Gerhard Sellin (Hrsg.), Tübingen 1997, S. 33-54. Dies., Platons Phaidon, Darmstadt 1999. Frede, Michael, Prädikation und Existenzaussage, Göttingen 1967. Ders., The Unity of General and Special Metaphysics: Aristotle’s Conception of Metaphysics, in: Essays in Ancient Philosophy, Minneapolis 1987, S. 81-95. Ders., Plato’s Sophist on False Statements, in: Cambridge Companion to Plato, Richard Kraut (Hrsg.), Cambridge 1992, S. 397-424. Ders., (1996, 1), Die Frage nach dem Seienden: Sophistes, in: Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuer Forschungen, Theo Kobusch u. Burkhard Mojsisch, (Hrsgg.), Darmstadt 1996, S. 181-199. Ders., (1996, 2), The Literary Form of the Sophist, in: Form and Argument in Late Plato, Christopher Gill und Mary Margaret McCabe (Hrsgg.), Oxford 1996, S. 135-151. Friedländer, Paul, Platon, Bd. III, Die Platonischen Schriften – zweite und dritte Periode, Berlin 1975. Fritz, Kurt von, Die Rolle des ΝΟΥΣ. ΝΟΥΣ und ΝΟΕΙΝ in den Homerischen Gedichten, in: Um die Begriffswelt der Vorsokratiker, Hans-Georg Gadamer (Hrsg.), Darmstadt 1968, S. 246-276. Fronterotta, Francesco, Μέθεξις. La teoria Platonica delle Idee e la partecipacione delle cose empiriche dai dialoghi giovanili al Parmenide, Pisa 2001. Gadamer, Hans-Georg (Zitiert wird – wenn nicht anders erwähnt – aus: Hans-Georg Gadamer, Gesammelte Werke, Tübingen 1985: GW). Platos Dialektische Ethik und andere Studien zur platonischen Philosophie, Hamburg 1968 (zuerst erschienen als: Platos dialektische Ethik. Phänomenologische Studien zum Philebos, 1931, in GW Bd. 5 S. 3-163). Ders., Zur Vorgeschichte der Metaphysik, zunächst in: Anteile. Martin Heidegger zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1950, S. 51-79; in GW, Bd. 6, S. 9-29. Ders., Wahrheit und Methode, Tübingen 1960¹, 19906. Ders., Idee und Wirklichkeit in Platos Timaios, zuerst erschienen in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 2. Abh., Heidelberg 1974, in GW, Bd. 6, S. 242271. Ders., Dialektik und Sophistik im siebenten platonischen Brief, zuerst in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Heidelberg 1964, dann in: GW, Bd. 6, S. 90115.
Literaturverzeichnis
315
Gaiser, Konrad, Protreptik und Paränese bei Platon (Diss.), Stuttgart 1959. Ders., Platon und die Geschichte (Tübinger Antrittsvorlesung), Stuttgart 1961. Ders., Platons Ungeschriebene Lehre, Stuttgart 1963, zweite mit einem Nachwort versehene Auflage 19682. Ders., (Hrsg.) Das Platonbild, Zehn Beiträge zum Platonverständnis, Hildesheim 1969. Ders., Prinzipientheorie bei Platon, in: Konrad Gaiser. Gesammelte Schriften, Th. A. Szlezák (Hrsg.), Sankt Augustin 2004, S. 295-315, ursprünglich als „La teoria dei principî in Platone“, in: Elenchos 1, Napoli 1980, S. 45-75. Ders., Plato’s enigmatic lecture „On the Good“, in: Phronesis 25, Leiden 1980, S. 5-36. Ders., Platon als philosophischer Schriftsteller, in: Konrad Gaiser. Gesammelte Schriften, Th. A. Szlezák (Hrsg.), Sankt Augustin 2004, S. 3-72; zuerst erschienen als: Platone come scrittore filosofico, Napoli 1984. Ders., Platons Zusammenschau der mathematischen Wissenschaften, in: Antike und Abendland, Bd. 32, Berlin/ New York 1986, S. 89-126. Ders., Platonische Dialektik – damals und heute, in: Gymnasium, Heft 9, Antikes Denken – Moderne Schule, H. W. Schmidt u. P. Wülfing (Hrsgg.), Heidelberg 1988, S. 77-107, erneut in: Konrad Gaiser. Gesammelte Schriften, Th. A. Szlezák (Hrsg.), Sankt Augustin 2004, S. 177-203. Gardeya, Peter, Platons Philebos, Würzburg 1993. Georgiades, Thrasyboulos, Nennen und Erklingen. Die Zeit als Logos. Aus dem Nachlass hrsg. von I. Bergen, Göttingen 1988. Gerhardt, Volker, Wer liebt wen in Platons Symposion? Individualität in der Antike, in: Philosophische Jahrbuch 104, Freiburg/ München 1997, S. 225-240. Gerson, Lloyd, A distinction in Plato’s Sophist, in: The modern Schoolman 63, Saint Louis University 1985, S. 251-266. Ders., The ‚Holy Solemnity’ of Forms and the Platonic Interpretation of Sophist, in: Ancient Philosophy 26, 2006, S. 291-304. Gigon, Olof, Vita Aristotelis Marciana, Berlin 1962. Gill, Christopher und McCabe Mary Margaret (Hrsgg.), Form and Argument in Late Plato, Oxford 2004. Gill, Mary Louise, Models in Plato’s Sophist and Statesman, in: Journal of the International Plato Society 6, 2006 (nur im Internet vorhanden). Gómez-Lobo, Alfonso, Plato’s Description of Dialektik in Plato’s Sophistes 253d1-e2, in: Phronesis Bd. 22, Assen 1977, S. 29-47. Gomperz, Theodor, Griechische Denker. Eine Geschichte der Antiken Philosophie, Bd. 2, Leipzig 19021,2, 19123. Gonzalez, Francisco José, The Eleatic Stranger: His Master’s Voice?, in: Who speaks for Plato? Studies in Platonic Anonymity, New York/ Oxford 2000, S. 161-182. Ders., Confronting Heidegger on Logos and Being in Plato’s Sophist, in: Platon und Aristoteles – sub ratione veritatis. Festschrift für Wolfgang Wieland zum 70. Geburtstag. Gregor Damschen, Rainer Enskat und Alejandro G. Vigo (Hrsgg.), Göttingen 2003, S. 102-133. Gosling, J. C. B., Plato, London 1973. Ders., Plato, Philebus, Translated with Notes and Commentary, Oxford 1975. Ders., Metaphysik oder Methodologie? Philebos, in: Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuer Forschungen, Theo Kobusch u. Burkhard Mojsisch (Hrsgg.), Darmstadt 1996, S. 213-228. Graeser, Andreas, Wie über Ideen sprechen?: Parmenides, in: Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuer Forschungen, Theo Kobusch u. Burkhard Mojsisch (Hrsgg.), Darmstadt 1996, S. 146166. Ders., Prolegomena zu einer Interpretation des zweiten Teils des Platonischen Parmenides, Bern/ Stuttgart/ Wien 1999. Gundert, Hermann, Zum Spiel bei Platon, in: Beispiele. Festschrift für Eugen Fink zum 60. Geburtstag, Ludwig Landgrebe (Hrsg.), Den Haag 1965, S. 188-221. Guthrie, W. K. C., The Sophists, Cambridge 19691, 19712. Ders., A History of Greek Philosophy, Cambridge 19691, 19752, 19783. Bd. IV: Plato. The man and His Dialogues, Earlier Period. Bd. V: The Later Plato and the Academy. Hackforth, R., Plato’s Examination of Pleasure, Cambridge 19451, 19582. Ders., Plato’s Phaedrus, Translated with Introduction and Commentary, Cambridge 1952. Ders., Plato’s Phaedo, Cambridge 1955.
316
Literaturverzeichnis
Hägler, Rudolf-Peter, Platons Parmenides. Probleme der Interpretation (Diss.), Berlin/ New York 1983. Hahn, R., Synagoge and the problems of to peras in Philebus 25c8-e5, in: Philosophy Research Archives 5, Ohio 1979, S. 625-646. Ders., On Plato’s Philebus 15b1-8, in: Phronesis 23, Assen 1978, S. 158-172. Halfwassen, Jens, Der Aufstieg zum Einen, Stuttgart 1992. Ders., Der Demiurg: Seine Stellung in der Philosophie Platons und seine Deutung im antiken Platonismus, in: Le Timée de Platon. Contributions à l’histoire de sa réception, Ada Neschke-Hentschke (Hrsg.), Louvain/ Paris 2000, S. 39-62. Ders., Hegel und der spätantike Platonismus, Hegel-Studien, Beiheft 40, Friedhelm Nicolin u. Otto Pöggeler (Hrsgg.), Bonn 1999. Ders., Monismus und Dualismus in Platons Prinzipienlehre, in: Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 2, 1997, S. 1-21, nachgedruckt in: Spudasmata Bd. 82, Platonisches Philosophieren, Th. A. Szlezák (Hrsg.), Zürich/ New York 2001, S. 67-85. Ders., Platons Metaphysik des Einen, in: Philotheos Bd. 4, Beograd/ Nikšić/ Trebinje 2004, S. 207-221. Hampton, Cynthia, Pleasure, Knowledge and Being, An Analysis of Plato’s Philebus, Albany 1990. Happ, Heinz, Hyle. Studien zum aristotelischen Materiebegriff, Berlin 1971. Harder, Richard, Plotins Schriften, Übersetzung, Band I-V, Leipzig 1930-1937. Hartmann, Nicolai, Platos Logik des Seins, Berlin 1909¹, 1965². Heath, Thomas, Mathematics in Aristotle, Oxford 1949. Hegel, Georg, Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 21, in: Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt am Main 1971. Ders., Vorlesungen, Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 8, Vorlesungen über Griechische Philosophie, Teil 3, Griechische Philosophie, II. Platon bis Proklos, Pierre Garniron u. Walter Jaeschke (Hrsgg.), Hamburg 1996. Ders., Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 13-15, in: Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt am Main 1970. Heidegger, Martin, Platon: Sophistes (Vorlesung WS 1924/25), GA Bd. 19, Frankfurt am Main 1992. Ders., Platos Lehre von der Wahrheit (Vorlesung WS 1931/32), GA Bd. 34, Frankfurt am Main 1988. Ders., Der Satz vom Grund (Vorlesung WS 1955/56), Stuttgart 2006. Ders., Bremer und Freiburger Vorträge (1949 und 1957 entsprechend), GA Bd. 79, Frankfurt am Main 19941, 20052. Heinamann, Robert, Self-Predication in the Sophist, in: Phronesis 26, Assen 1981, S. 55-66. Ders., Being in the Sophist, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 65, 1983, S. 1-17. Ders., Once More: Being in the Sophist, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 68, 1986, S. 121-125. Heinze, Richard, Xenokrates, Leipzig 18921, Hildesheim 19652. Heitsch, Ernst, Platon über die rechte Art zu reden und zu schreiben, Mainz/ Stuttgart 1987. Ders., „τιμιώτερα“, in: Hermes 117, Stuttgart 1989, S. 278-287. Ders., Platon, Werke III, 4, Phaidros, Übersetzung und Kommentar, Göttingen 1993. Hirsch, Walter, Platons Weg zum Mythos, Köln 1971. Hölscher, Uvo, Parmenides. Vom Wesen des Seienden, Frankfurt am Main 1969. Hösle, Vittorio, Wahrheit und Geschichte, Studien zur Struktur der Philosophiegeschichte unter paradigmatischer Analyse der Entwicklung von Parmenides bis Platon (Diss.), Stuttgart 1984. Hoffmann, Ernst, Platon, Eine Einführung in sein Philosophieren, Zürich 1961. Ders., Methexis und Metaxy bei Platon, zuerst erschienen in: Sokrates. Zeitschrift für das Gymnasialwesen: Jahresberichte des Philologischen Vereins zu Berlin. Bd. 45, 1919, S. 4870. Erweitert in: Drei Schriften zur griechischen Philosophie, Heidelberg 1964, S. 33-51. Ders. Der historische Ursprung des Satzes vom Widerspruch, zuerst erschienen in: Sokrates. Zeitschrift für das Gymnasialwesen. Abteilung: Jahresberichte des Philologischen Vereins zu Berlin. 49, 1923, S. 1-13. Mit Zusätzen erschienen in: Drei Schriften zur griechischen Philosophie, Heidelberg 1964, S. 53-64. Hoffmann, H., Der Platonische Philebus und die Ideenlehre, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 4, Berlin 1891, S. 239-242.
Literaturverzeichnis
317
Hoffmann, Michael, Die Entstehung von Ordnung. Zur Bestimmung von Sein, Erkennen und Handeln in der späteren Philosophie Platons (Diss.), Stuttgart und Leipzig 1996. Huffman, Carl A., Philolaus of Croton. Pythagorean and Presocratic, Cambridge 1993. Humboldt, W. von, Über den Dualis, Berlin 1828. Isnardi Parente, Margherita, Idee o Numeri: Note al Filebo di Platone in: Rivista di Filologia e di Istruzione Classica, Torino 1994, S. 24-49. Jackson, Henry, Plato’s later Theory of Ideas, in: The Journal of Philology 10, Cambridge 1881, S. 253-298. Ders., Plato’s Later Theory of Ideas. IV: The Theaetetus, in: The Journal of Philology 13, Cambridge 1885, S. 242-272. Jäger, Gerhard, „Nus“ in Platons Dialogen (Diss.), Göttingen 1967. Jaeger, Werner, Studien zur Entstehungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles, Berlin 1912. Ders., Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 19231, 19552. Kahn, Charles, Some Philosophical Uses of „to be“ in Plato, in: Phronesis 26, Assen 1981, S. 105134. Ketchum, Richard, Participation and Predication in the Sophist 251-260, in: Phronesis 23, Assen 1978, S. 42-62. Keyt, David, Plato’s Paradox that the Immutable is Unknowable, in: The Philosophical Quarterly 74, 1969, S. 1-14. Ders., Plato on Falsity, in: Exegesis and Argument, E. Lee, A. Mourelatos und R. Rorty (Hrsg.), S. 285-305. Kirk, G., Raven, J., Schofield, M., The Presocratic philosophers: a critical history with a selection of texts, Cambridge 1957. (Ins Deutsche übersetzt:) Die Vorsokratischen Philosophen, Stuttgart/ Weimar 1994. Koch, Anton Friedrich, (VL SS 2001), Tübinger Vorlesung im Sommersemester 2001, Teil I. Wahrheit, Schein und Antinomie. Ders., (VL SS 2002), Tübinger Vorlesung im Sommersemester 2002, Teil III. Die klassische Metaphysik der Griechen. Ders., Tübinger Vortrag im Rahmen des Tübinger Studium Generale über Platon (SS 2002): „Was meint ihr eigentlich, wenn ihr ‚seiend’ sagt?“ Überlegungen zu Platons Sophistes, (4.7 2002, Manuskript). Ders., Der metaphysische Realismus und seine skeptizistische Seite, Vortrag in Heidelberg 2008 (Manuskript). Koch, Dietmar, „Wer es erhalten will, der wird es verlieren und wer es aufgibt, der wird es finden“. Zu einem Theorem Schellings mit Blick auf Meister Eckart und Platon, in: „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“. Schellings Philosophie in in der Sicht der neueren Forschung, Tübingen 2008 (im Druck). Königshausen, Johann-Heinrich, Ursprung und Thema der Ersten Wissenschaft. Die aristotelische Entwicklung des Problems, Amsterdam 1989. Ders., Parallelen zwischen Platons Sophistes und Aristoteles’ Metaphysik?, in: Perspektiven der Philosophie, Bd. 18, Amsterdam/ Atlanta 1992, S. 347-368. Kolb, David A., Pythagoras Bound: Limit and Unlimited in Plato’s Philebus, Journal of the History of Philosophy 21, Baltimore 1983, S. 497-511. Kolb, Peter, Platons Sophistes, Theorie des Logos und Dialektik (Diss.), Würzburg 1997. Koller, Hermann, Stoicheion, in: Glotta 34, Göttingen 1955, S. 161-174. Ders., Die dihäretische Methode, in: Glotta 39, Göttingen 1960, S. 6-24. Ders., Musik und Dichtung im alten Griechenland, Bern/ München 1963. Krämer, Hans-Joachim, Arete bei Platon und Aristoteles (Diss.), Heidelberg 1959. Ders., Der Ursprung der Geistmetaphysik, Amsterdam 1964. Ders., (1969), Die platonische Akademie und das Problem einer systematischen Interpretation der Philosophie Platons, in: Kantstudien 55, Berlin 1964, nachgedruckt in: Das Platonbild. Zehn Beiträge zum Platonsverständnis, Konrad Gaiser (Hrsg.), Hildesheim 1969, S. 198230. Ders., Platonismus und Hellenistische Philosophie, Berlin/ New York 1971. Ders., Fichte, Schlegel und der Infinitismus in der Platodeutung. Sonderdruck aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62, Stuttgart 1988, S. 583-621.
318
Literaturverzeichnis
Ders., (1990, 1), Platone e i fondamenti della metafisica, Milano 19821, 19894. Übersetzt: Plato and the foundations of Metaphysics, New York 1990. Ders., (1990, 2), Zur aktuellen Diskussion um den Philosophiebegriff Platons, in: Perspektiven der Philosophie, Amsterdam/ Atlanta 1990, S. 85-107. Ders., Zwischenbilanz der Tübinger Platon-Forschung, in: Denkwege 3, Dietmar Koch u. Damir Barbarić (Hrsgg.), Tübingen 2004, S. 100-118. Kranz, Margarita, Das Wissen des Philosophen. Theaitetos, Sophistes, Politikos (Diss.), Tübingen 1986. Krüger, Gerhard, Einsicht und Leidenschaft. Das Wesen des platonischen Denkens, Frankfurt am Main 19391, 19734. Kucharski, P., Le Philèbe et les ‚Èlements Harmoniques’ d’Aristoxène, in: Revue Philosophique de la France et de l’Étranger 149, Paris 1959, S. 41-72. Kühn, W., Welche Kritik an wessen Schriften? In: Zeitschrift für philosophische Forschung 52, Frankfurt am Main 1998, S. 23-39. Kühner, Raphael, Blass, Friedrich, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache, Erster Teil: Elementar- und Formlehre (I), Zweiter Teil: Satzlehre (II). I, 1er Teil: Hannover/ Leipzig 18901, Darmstadt 19663, I, 2er Teil: Hannover/ Leipzig 18921, Darmstadt 19663, II, 1er Teil: Hannover/ Leipzig 18981, Darmstadt 19663, II, 2er Teil: Hannover/ Leipzig 19041, Darmstadt 19663. Kuhn, Thomas, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, aus dem Amerikanischen von Kurt Simon übersetzt, Frankfurt am Main 1997. Kullmann, W., Hintergründe und Motive der platonischen Schriftkritik, in: Der Übergang von der Mündlichkeit zur Literatur bei den Griechen, M. Reichel u. W. Kullmann (Hrsgg.), Tübingen 1990, S. 317-334. Kutschera, Franz von, Platons Philosophie III. Die späten Dialoge, Paderborn 2002. Lasserre, Francois (Hrsg.), Die Fragmente des Eudoxos von Knidos, Berlin 1966. Lee, Edward, Plato on Negation and Not-Being in the Sophist, in: The Philosophical Review, 81, 1972, S. 267-304. Letwin, Oliver, Interpreting the Philebus, in: Phronesis 26, Leiden 1981, S. 187-206. Lloyd, A. C., Plato’s Description of Division, in: Classical Quarterly, New Series 2, Oxford 1954, S. 219-230. Löhr, Gebhard, Das Problem des Einen und Vielen in Platons Philebos (Diss.), Göttingen 1990. Lohmann, Johannes, Musiké und Logos, Anastasios Jannaras (Hrsg.), Stuttgart 1970. MacClintock, Stuart, More on the Structure of the Philebus, in: Phronesis 6, Leiden 1961, S. 4652. Malcolm, John, Plato’s Analysis of ὄν and μὴ ὄν in the Sophist, in: Phronesis 1967, S. 130-146. Ders., Does Plato revise his Ontology in Sophist 246c-249d?, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 1983, S. 115-127. Manasse, E. M., Rezension von Boussoulas’ Diss. (1952), in: Philosophische Rundschau, Beiheft 7, Tübingen 1976, S. 565-573. Mann, Wolfgang-Rainer, Plato in Tübingen, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy XXXI 2006, S. 349-400. Mannsperger, Dietrich, Physis bei Platon (Diss.), Berlin 1969. Marquard, Paulus, De Aristoxeni Tarentini Elementis Harmonicis (Diss.), Bonn 1863. Mattéi, Jean-François, L’Ordre du monde. Platon Nietzsche Heidegger, Paris 1989. McDowell, John, Falsehood and not-being in Plato’s Sophist, in: Language and Logos. Studies in ancient Greek philosophy presented to Owen, Malcolm Schofield, Martha Nussbaum (Hrsgg.), Cambridge 1982, S. 115-134. Meinhardt, Helmut, Teilhabe bei Platon, Freiburg/ München 1968. Meinwald, Constance C., Plato’s Parmenides, Oxford 1991. Dies., One/Many Problems: Philebus 14c1-15c3, in: Phronesis 41, Leiden 1996, S. 95-103. Dies., Prometheus’s Bounds. Peras und Apeiron in Plato’s Philebus, in: Method in Ancient Philosophy, Jyl Gentzler (Hrsg.), Oxford 1998, S. 165-180. Merlan, Philip, Monismus und Dualismus bei einigen Platonikern, in: Parusia. Studien zur Philosophie Platons und zur Problemgeschichte des Platonismus. Festgabe für J. Hirschberger, K. Flasch (Hrsg.), Frankfurt am Main 1965, S. 143-154. Migliori, Maurizio, L’uomo fra piacere, intelligenza e Bene. Commentario storico-filosofico al Filebo di Platone, Milano 1993.
Literaturverzeichnis
319
Ders., Dialektik und Prinzipientheorie in Platons Parmenides und Philebos, in: Spudasmata, Bd. 82, Platonisches Philosophieren, Th. A. Szlezák (Hrsg.), Zürich/ New York 2001, S. 109-137. Miller, Mitchell: The God-Given Way, in J. J. Cleary u. D. C. Shartin (Hrsgg.), Proceedings of the Boston Area Colloquium in Ancient Philosophy 12, 1992, S. 323-359. Minardi, Stefano, On Some Aspects of Platonic Division, in: Mind, Vol. XCII No 365, New York 1983, S. 415-423. Mojsisch, B., Der Dialog als sechste wichtigste Gattung in Platons Sophistes, in: Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter Bd. 4, Amsterdam 1999, S. 41-48. Moravcsik, J. M., Being and Meaning in the Sophist, in: Acta Philosophica fennica XIV, 1962, S. 23-78. Ders., The Anatomy of Plato’s Divisions, in: Phronesis, Assen 1973, Supplementary Volume I, S. 324-347. Ders., Forms, Nature and the Good in the Philebus, in: Phronesis 24, Leiden 1979, S. 81-104. Mouroutsou, Georgia, The concept of Philosophy in Plato. Beginning with the Dialogue Sophist: διχῶς οὐ ῥητόν of the philosophical nature, in: Conceptions of Philosophy: Ancient and Modern, K. Boudouris (Hrsg.), Athens 2004, S. 246-256. Der erweiterte griechische Text in: Αντιλήψεις για τη Φιλοσοφία: Από τους Προσωκρατικούς μέχρι σήμερα, K. Boudouris (Hrsg.), Athen 2004, S. 169-191. Dies., Rezension von: Julius Stenzel, Studien zur Entwicklung der Platonischen Dialektik von Sokrates zu Aristoteles, Arete und Dihairesis, in: Studia Universitatis Babeş-Bolyai Philosophia 50, 2, 2005, S. 202-206. Dies., Die Frage nach der ‚schlechten Seele’ in Nomoi X: Versuch einer Entzauberung, in: Platon und das Göttliche, D. Koch, I. Männlein-Robert, N. Weidtmann (Hrgg.), Tübingen 2010 (im Druck). Müller, Gerhard, Die Philosophie im pseudoplatonischen 7. Brief, in: Archiv für Philosophie, Bd. 3, Stuttgart 1949, S. 251-276. Narcy, Michel, La leçon d’écriture de Socrate dans le Phèdre de Platon, in: ΣΟΦΙΗΣ ΜΑΙΗΤΟΡΕΣ, „Chercheurs de sagesse“, Hommage à Jean Pépin, Marie-Odile GouletCazé (Hrsg.), Paris 1992, S. 77-92. Natorp, Paul, Platons Ideenlehre: Eine Einführung in den Idealismus. Leipzig 19031, 19212 (erweiterte Auflage), Hamburg 19943. Nehamas, Alexander, Participation and Predication in Plato’s Later Thought, in: Review of Metaphysics 36, 1982, S. 343-374. Nietzsche, Friedrich, (KSA), Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Giorgio Colli u. Mazzino Montinari (Hrsgg.), Berlin/ New York 1967-771, 19882, 19993. Norden, Eduard, Die antike Kunstprosa vom VI. Jahrhundert vor Christus bis in die Zeit der Renaissance, Berlin 1898. Notomi, Noburu, The Unity of Plato’s Sophist: Between the Sophist and the Philosopher, Cambridge 1999. O’Brien, Denis J., Le Non-Être, Deux Études sur le Sophiste de Platon, Sankt Augustin 1995. Ders., The last argument of Plato’s Phaedo, in: Classical Quarterly, Cambridge 1967, S. 198-231. Oehler, Klaus, Die Lehre vom noetischen und dianoetischen Denken bei Platon und Aristoteles, Hamburg 19621, 19852. Ders., (1965) Der entmythologisierte Platon, zuerst erschienen in: Zeitschrift für philosophische Forschung 19, 1965, S. 393-420, nachgedruckt in: Das Problem der ungeschriebenen Lehre Platons, Jürgen Wippern (Hrsg.), Darmstadt 1972, S. 95-129. Ostenfeld, Erik, Forms, Matter and Mind, Hague 1982. Owen, G. E. L., Plato and Parmenides on the Timeless Present, in: Monist 50, 1966, S. 317-340. Ders., Plato on Not-Being, in: Plato: A Collection of Critical Essays, Gregory Vlastos (Hrsg.), New York 1971, S. 223-267. Palmer, John, A., Plato’s Reception of Parmenides, Oxford 1999. Patzer, Harald, Mitteilbarkeit der Erkenntnis und Philosophenregiment im 7. Platobrief, in: Archiv für Philosophie 5, Stuttgart 1954, S. 19-36. Peck, A. L., Plato and the μέγιστα γένη of the Sophist: A reinterpretation, in: The Classical Quarterly, Oxford 1952, S. 32-56. Pester, Hans-Eberhard, Platons bewegte Usia, Wiesbaden 1971. Klassisch-Philologische Studien, Hans Herter u. Wolfgang Schmid (Hrsgg.), Heft 38. Philipp, Karl, Zeugung als Denkform in Platons geschriebener Lehre, Zürich 1980.
320
Literaturverzeichnis
Plamböck, Gert, Dynamis im Corpus Hippocraticum, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 1964, S. 60-110. Platon, Opera, Tomus I-V, recognovit brevique adnotationes critica instruxit Johannes Burnet, Oxford 1899ff. Platon, Œuvres Complètes, (Collection des Universités de France publiée sous le patronage de l’Association Guillaume Budé) Tome VIII/3, Le Sophiste, Paris 1925. Platon. Œuvres Complètes (Collection des Universités de France publiée sous le patronage de l’Association Guillaume Budé) Tome IX/2 : Philèbe. Texte établi et traduit par A. Diès, Paris 1959. Platon. Œuvres Complètes (Collection des Universités de France publiée sous le patronage de l’Association Guillaume Budé) Tome IV/3: Phèdre. Notice de Léon Robin. Texte établi par Claudio Moreschini et traduit par Paul Vicaire, Paris 1985. Plotini Opera, I-III, ediderunt Paul Henry et Hans-Rudolf Schwyzer, Oxford 1977-1982. Politis, Vassilios, The Argument for the Reality of Change and Changelessness in Plato’s Sophist (248e7-249d5), in: New Essays on Plato. Language and Thought in Fourth Century Greek Philosophy, Fritz-Gregor Hermann (Hrsg.), Wales 2006, S. 149- 175. Prauss, Gerold, Platon und der logische Eleatismus, Berlin 1966. Ders., Ding und Eigenschaft bei Platon und Aristoteles, in: Kant-Studien 59, 1968, S. 98-117. Preiswerk, Andreas, Das Einzelne bei Platon und Aristoteles, in: Philologus Supplementband 32, Berlin 1939, S. 1-196. Quine, W. V. O., On What There Is, in: Review of Metaphysics 2, 1948/1949, S. 21-38. Rapp Christof, Aristoteles über die Rechfertigung des Satzes vom Widerspruch, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 47, Frankfurt am Main 1993, S. 521-541. Ders., Aristoteles Rhetorik, übersetzt und erläutert, Erster und Zweiter Halbband, Berlin 2002. Reale, Giovanni, Per una nuova interpretazione di Platone: rilettura della metafisica dei grandi dialoghi alla luce delle „Dottrine non scritte“, Milano 199720. Von v. L. Hölscher übersetzt: Zu einer neuen Interpretation Platons. Eine Auslegung der Metaphysik der großen Dialoge im Licht der „ungeschriebenen Lehren“, Paderborn usw. 19841. Reinhardt, Karl, Parmenides, Frankfurt am Main 19591, 19854. Richter, Lukas, Zur Wissenschaftslehre von der Musik bei Platon und Aristoteles, Berlin 1961. Ricœur, Paul, La métaphore vive, Paris 1975. Rijk, I. M. de, Platos Sophistes, a philosophical Commentary, Amsterdam/ Oxford/ New York 1986. Rist, J. M., The Immanence and Trancedence of the Platonic Form, in: Philologus 108, Berlin 1964, S. 217-232. Ritter, Constantin, Die Kerngedanken der platonischen Philosophie, München 1931. Robin, Léon, Platon, Paris 19351, 19682. Ders., La Théorie platonicienne de l’amour, Paris 1964. Rosen, Stanley, Plato’s Sophist, The Drama of the Original and Image, New Haven/ London 1983. Ross, David, Aristotle’s Metaphysics, Vol. I, II, Oxford 19241, 19972. Ders., Plato’s Theory of Ideas, Oxford 19511, 19532. Rowe, C. J., Plato. Phaedrus, Ed. with translation and commentary by C. J. Rowe, Wilts 1986. Ders., Plato. Statesman, Wiltshire 1995. Ders. (Hrsg.), Reading the Statesman, Proceedings of the III. Symposium Platonicum, Sankt Augustin 1995. Rufener, Rudolf, Platon, Dialoge, 8 Bde., eingeleitet von Olof Gigon, übertragen von Rudolf Rufener, Zürich 1974. Ruggiu, Luigi, Parmenide, Poema sulla natura: i frammenti e le testimonianze indirette/ presentazione, trad. con testo greco dei frammenti del poema a fronte e note di Giovanni Reale, Milano 1991. Runciman, W. G., Plato’s later Epistemology, Cambridge 1962. Ryle, Gilbert, Plato’s Progress, Cambridge 1966. Sayre, Kenneth, Plato’s Late Ontology, A Riddle Risolved, Princeton 1983. Ders., The Philebus and the Good: The Unity of the Dialogue in which the Good is Unity, in: Proceedings of the Boston Area Kolloquium in Ancient Philosophy, Volume II, John, J. Cleary (Hrsg.), Lanham 1987, S. 45-71.
Literaturverzeichnis
321
Schelling, F. W. J., Timaeus (1794), Hartmut Buchner (Hrsg.), mit einem Beitrag von Hermann Krings: Genesis und Materie – Zur Bedeutung der Timaeus-Handschrift für Schellings Naturphilosophie, Schellingiana Bd. 4, Stuttgart 1994. Ders., Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, Bd. 7, in: Sämtliche Werke, K. F. A. Schelling (Hrsg.), Stuttgart/ Augsburg 1856-1861. Schleiermacher, Friedrich, Einleitung, Platons Werke, Bd. I des ersten Teils, Berlin 1804¹, 1855³ (verbesserte Auflage), nachgedruckt in: Das Platonbild, Konrad Gaiser (Hrsg.), Hildesheim 1969, S. 1-32. Ders., Platon. Werke Bd. I-VII, G. Eigler (Hrsg.), Darmstadt 1970ff. Schmidt-Wiborg, Petra, Dialektik in Platons Philebos (Diss.), Tübingen 2005. Schneider, Gustav, Die platonische Metaphysik auf Grund der im Philebus gegebenen Prinzipien in ihren wesentlichen Zügen dargestellt, Leipzig 1884. Schölles, Manuel, Die Mischung der Allseele und die Bewegung der χώρα in Platons Timaios, erscheint in: Denkwege 4. Philosophische Aufsätze, Dietmar Koch u. Damir Barbarić (Hrsgg.), Tübingen (Manuskript). Schudoma, Ingeborg, Platons Parmenides, Kommentar und Deutung, Würzburg 2001. Schwabe, Wilhelm, „Mischung“ und „Element“ im Griechischen bis Platon. Wort- und begriffsgeschichtliche Untersuchungen, insbesondere zur Bedeutungsentwicklung von Στοιχεῖον (Diss.), in: Archiv für Begriffsgeschichte; Supplementheft 3, Bonn 1980. Sedley, David, Aristotelian Relativities, in: Le Style de la Pensée. Recueil de textes en hommage à Jacques Brunschwig, Monique Canto-Sperber und Pierre Pellegrin (Hrsgg.), Paris 2002, S. 324-352. Shiner, Roger A., Knowledge and Reality in Plato’s PHILEBUS, Assen 1974. Ders., Must Philebus 59 A-C refer to transcendent Forms?, in: Journal of the History of Philosophy, Bd. 17, Baltimore 1979, S. 71-77. Shorey, Paul, What Plato said, Chicago/ London 1933. Sier, Kurt, Die Rede der Diotima. Untersuchungen zum platonischen Symposion, Stuttgart/ Leipzig 1997. Simon, Derek, The Soph. 246a-259e. Ousia and to On in Plato’s Ontologies, in: De Philosophia, Bd. 12, Ottawa, Canada 1995/96, S. 155-177. Souilhé, J., Étude sur le terme δύναμις dans les dialogues de Platon, Paris 1909. Speiser, Andreas, Ein Parmenideskommentar, Stuttgart 19371, 19592. Stallbaum, Godofredus, Platonis Philebus, Lipsiae 1820. Stenzel, Julius, Studien zur Entwicklung der Platonischen Dialektik von Sokrates zu Aristoteles, Arete und Dihairesis, Breslau 19171, Leipzig-Berlin 19312 (erweiterte Auflage), Darmstadt 19613 (unveränderter Nachdruck der 2. erweiterten Auflage). Ders., Zahl und Gestalt, Leipzig und Berlin 19332. Ders., Kleine Schriften zur griechischen Philosophie, Bertha Stenzel (Hrsg.), Darmstadt 1956. Striker, Gisela, Peras und Apeiron, Das Problem der Formen in Platons Philebos, Göttingen 1970. Strohm, Hans, Aristoteles Werke. Meteorologie. Über die Welt, Darmstadt 1970. Szabó, Árpád, Der mathematische Begriff dynamis und das sog. „Geometrische Mittel“, in: Maia 15, Firenze 1963, S. 219-256. Ders., Anfänge der Griechischen Mathematik, München/ Wien 1969. Szaif, Jan, Platons Begriff der Wahrheit, Freiburg 1996, 19982. Ders., Plato’s definition of propositional falsehood. How does it build upon the analysis of Not-being in Sophist 254-259? Vortrag in 14th Arizona Colloquium in Ancient Philosophy, Febr. 2009 (Manuskript). Szlezák, Thomas Alexander, Dialogform und Esoterik, Museum Helveticum 35, 1978, S. 18-32. Ders., The Acquiring of Philosophical Knowledge According to 7. Letter, in: Arktouros, Hellenic Studies presented to B. M. W. Knox, Berlin 1979, S. 354-363. Ders., Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie, Berlin/ New York 1985. Ders., Die Lückenhaftigkeit der akademischen Prinzipientheorie nach Aristoteles’ Darstellung in Metaphysik M und N, in: Mathematics and Metaphysics in Aristotle: Mathematik und Metaphysik bei Aristoteles, Graeser, Andreas (Hrsg.), Stuttgart 1987, S. 45-67. Ders., Rezension von Graeser (1989), in: Gnomon, Bd. 63, München 1991, S. 267-268.
322
Literaturverzeichnis
Ders., Was heißt „dem Logos zu Hilfe kommen“? Zur Struktur und Zielsetzung der platonischen Dialoge, in: Understanding the Phaedrus, Proceedings of the II. Symposium Platonicum, Rossetti, Livio (Hrsg.), Sankt Augustin 1992, S. 93-107. Ders., Platon lesen, Stuttgart/ Bad Cannstatt 1993. Ders., Mündliche Dialektik und schriftliches „Spiel“: Phaidros, in: Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuerer Forschungen, Th. Kobusch u. B. Mojsisch (Hrsgg.), Darmstadt 1996, S. 115130. Ders. (1997, 1), Über die Art und Weise der Erörterung der Prinzipien im Timaios, in: Interpreting the Timaios-Critias, Proceedings of the IV. Symposium Platonicum, Calvo-Brisson (Hrsg.), Sankt Augustin 1997, S. 195-203, nachgedruckt in: Th. A. Szlezák, Das Bild des Dialektikers in Platons späten Dialogen, Berlin/ New York 2004, S. 218-228. Ders. (1997, 2), Rezension von Ferber (1991), in: Gnomon 69, München 1997, S. 404-411. Ders. (1997, 3), Rezension von Halfwassen (1992), in: Gnomon 69, München 1997, S. 583-591. Ders., (1997, 4), Das Höhlengleichnis, in: Platon. Politeia, Otfried Höffe, (Hrsg.), Berlin 1997, S. 205-228. Ders., (1997, 5), Theaitetos und der Gast aus Elea. Zur philosophischen Kommunikation in Platons Sophistes, in: Beiträge zur antiken Philosophie, Hans-Christian Günther u. Antonios Rengakos (Hrsgg.), Stuttgart 1997, S. 81-101, nachgedruckt in: Das Bild des Dialektikers in Platons späten Dialogen, Berlin/ New York 2004, S. 128-155. Ders., Gilt Platons Schriftkritik auch für die eigenen Dialoge? Zu einer neuen Deutung von Phaidros 278b8-e4, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 53, Frankfurt am Main 1999, S. 259-267. Ders. (Hrsg.), Platonisches Philosophieren, Spudasmata Bd. 82, Zürich/ New York 2001. Ders. (2003, 1), Die Idee des Guten in Platons Politeia. Beobachtungen zu den mittleren Büchern, Sankt Augustin 2003. Ders. (2003, 2), Aristoteles Metaphysik, Berlin 2003. Ders., Das Bild des Dialektikers in Platons späten Dialogen, Berlin/ New York 2004. Ders., Seele bei Platon, in: Österreich und die Banater Schwaben. An der Schwelle zum hundertjährigen Jubiläum des Verbandes der Banater Schwaben Österreichs (1907-2007); Festschrift für Franz Klein zum 85. Geburtstag, Hans Dama (Hrsg.), S. 65-86. Taylor, A. E., Plato: Philebus and Epinomis, London 19561, 19722. Thanassas, Panagiotis, Die erste „zweite Fahrt“. Sein des Seienden und Erscheinen der Welt bei Parmenides, München 1997. Tiedemann, Dieterich, Geist der spekulativen Philosophie, Bd. II, Marburg 1791. Tennemann, W. G., System der platonischen Philosophie, Bd. I, Leipzig 1792, Bd. II, Leipzig 1794. Thesleff, Holger, An Introduction to the Pythagorean Writings of the Hellenistic Period, Acta Academiae Aboensis XXIV, 3, Abo 1961. Toeplitz, Otto, Das Verhältnis von Mathematik und Ideenlehre bei Platon, in: Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik, O. Neugebauer, J. Stenzel u. O. Toeplitz (Hrsgg.), Ableitung B, Studien Bd. 1, S. 3-33. Trendelenburg, Friedrich Adolf, De Platonis Philebi consilio, Berlin 1837. Trevaskis, J. V., Classification in the PHILEBUS, in: Phronesis 5, Leiden 1960, S. 39-44. Ders., The μέγιστα γένη and the vowel analogy by Plato: Soph. 253, in: Phronesis 11, Leiden 1966, S. 99-116. Ders., Division and its Relation to Dialectic and Ontology in Plato, in: Phronesis 12, Leiden 1967, S. 118-129. Vahlen, J., Über eine Stelle in Platons Philebos, in: Hermes 14, Stuttgart 1879, S. 202-211. Van Eck, Job, Falsity without Negative Predication: On Sophistes 255e-263d, in: Phronesis 1995, S. 20-47. Ders., Plato’s Logical Insights. Sophist 254d-257a, in: Ancient Philosophy 20/1, 2000, S. 53-79. Vegetti, M., Dans l’ombre de Thoth. Dynamiques de l’écriture chez Platon, in: Les savoirs de l’écriture. En Grèce ancienne, M. Detienne (Hrsg.), Cahiers de Philologie 14, Lille 1988, S. 387-419. Vlastos, Gregory, Rezension von Krämers Dissertation (Arete bei Platon und Aristoteles, Heidelberg 1959) in: Gnomon 35, München 1963, S. 641-655. Ders., (19812, 1) Degrees of Reality in Plato, zuerst erchienen in: New Essays on Plato and Aristotle, Renford Bambrough (Hrsg.), London 1965, S. 1-19, nachgedruckt in: Platonic Studies, Princeton 19731, 19812, S. 58-75.
Literaturverzeichnis
323
Ders., (19812, 2) An ambiguity in the Sophist, in: Platonic Studies, Princeton 19731, 19812, S. 270322. Vogel, C. J. de, La théorie de l’ἄπειρον chez Platon et dans la tradition platonicienne, in: Revue Philosophique 84, Paris 1959, S. 21-39. Dies., Rethinking Plato and Platonism, Leiden 1986. Volkmann-Schluck, Karl-Heinz, Das Wesen der Idee in Platos Parmenides, in: Philosophisches Jahrbuch 69, Freiburg/ München 1961/62, S. 34-45. Ders., Plotin als der Interpret der Ontologie Platons, Frankfurt am Main 1966. Vries, G. J. de, A Commentary on the Phaedrus of Plato, Amsterdam 1969. Waerden, B. L. van der, Erwachende Wissenschaft: Ägyptische, babylonische und griechische Mathematik, Basel 1956. Waterfield, R. A. H., The Place of the Philebus in Plato’s Dialogues, in: Phronesis 25, Leiden 1980, S. 270-305. West, M. L., Ancient Greek Music, Oxford 1992. Westerink, L. G., Damascius. Lectures on the Philebus, Amsterdam 1959. Wieland, Wolfgang, Platon und die Formen des Wissens, Goettingen 1982. Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von, Platon. Sein Leben und seine Werke, Berlin 19595. Wilpert, Paul, Zwei aristotelische Frühschriften über die Ideenlehre, Regensburg 1949. Ders., Eine Elementarlehre im platonischen Philebos: Studies presented to D. M. Robinson II, George Mylonas u. Doris Raymond (Hrsgg.), Saint Louis 1953, S. 573-582, nachgedruckt in: Das Problem der ungeschriebenen Lehre Platons, Jürgen Wippern (Hrsg.), Darmstadt 1972, S. 316-328. Zekl, Hans Günter, Der Parmenides, Untersuchungen über innere Einheit, Zielsetzung und begriffliches Verfahren eines platonischen Dialogs (Diss.), Marburg 1971. Zeller, Eduard, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Zweiter Teil, Erste Abhandlung, Leipzig 18881, Darmstadt 20067. Ziermann, Christoph, Musik und Metaphysik in der griechischen Antike, in: Musikästhetik, Helge de la Motte-Haber (Hrsg.), Laaber 2004, S. 61-91.
International Plato Studies Published under the auspices of the International Plato Society. Series Editors: Michael Erler (Würzburg), Franco Ferrari (Salerno), Louis-André Dorion (Montréal), Marcelo Boeri (Santiago de Chile), Lesley Brown (Oxford). International Plato Studies 28
Plato
Socrates
GEORGIA MOUROUTSOU
DIE METAPHER DER MISCHUNG IN DEN PLATONISCHEN DIALOGEN SOPHISTES UND PHILEBOS
ACADEMIA
28 · Mouroutsou, Georgia. Die Metapher der Mischung in den platonischen Dialogen Sophistes und Philebos. Fourthcoming. Ca. 340 S. Ca. 59,00 €. 978-3-89665-505-9.
26 · Plato‘s Philebus. Selected Papers from the Eighth Symposium Platonicum. Edited by John Dillon and Luc Brisson. 440 S. 58,00 €. 978-3-89665-479-3. The articles collected in this volume are a selection of the papers delivered at the Eighth Symposium Platonicum of the International Plato Society held at Dublin. Contributed by 51 scholars cover a wide range of topics on the dialogue under discussion, the Philebus.
25 · Gorgias – Menon. Selected Papers from the Seventh Symposium Platonicum. Edited by Michael Erler and Luc Brisson. 401 S. 58,00 €. 978-3-89665-357-4. The articles collected in this volume are a selection of the papers delivered at the Seventh Symposium Platonicum of the International Plato Society held at Würzburg. Contributed by 48 scholars they cover a wide range of topics on the dialogues under discussion (Gorgias and Menon).
24 · Macé, Arnaud. Platon, philosophie de l‘agir et du pâtir. 240 S. 59,00 €. 3-89665400-4. This book puts forth Plato‘s philosophy of action and passion, exposing their limits and moving on to a general theory of the interaction of bodies, of souls and of cities – all things in motion that exist for Plato within the universe. A philosophy of the becoming of all things is at work in Plato‘s dialogues, and it manifests the natural unity of all forms of movement, whether cosmic, animal, human or social.
23 · Jouët-Pastré, Emanuelle. Le jeu et le sérieux dans les Lois de Platon. 216 S. 54,00 €. 3-89665-376-8.
Georgia Mouroutsou situates the central Platonic concept of mixture within the context of participation (methexis) as a whole: the participation of the sensible things in the forms, the participation of the forms as well as the participation of the two Platonic principles. The author rehabilitates the essence of the Platonic mixture as metaphor, namely as the transformation of a sensible image (sexual intercourse and mixing wine and water) into a philosophical one: “Mixture” designates the relation between the greatest kinds in the Sophist as well as the one between the limit and the unlimited in the Philebus. Mouroutsou proves the mixture of the equioriginal “greatest kinds” to be a well-founded transformation of the participation in the Sophist. In the Philebus, Plato “saves” the good phenomena: In the fourfold division, the good and beautiful appearances fall under the mixture between limit and unlimited. It is to them the philosopher returns after his ascent to the forms and the two Platonic principles. The Sensible is no longer degraded as “rolling about in the midregion between being and not-being” (R. 479d), but is rather reevaluated as “procreation”.
By means of the plurality of its figures, the notion of play is present in all the texts of Plato dealing with the art of law. Thinking of play in the Laws, is thinking about the very construction of the city. It is also and above all understanding what legislating means in this text.
27 · Kim, Alan. Plato in Germany. Kant – Natorp – Heidegger. 312 S. 59,00 €. 978-389665-479-3.
The theory of ideas has represented an important object of analysis for many generations of scholars, from a philosophical, historical, philological and scientific point of view. But a simple reading of the platonic bibliography of the last fifty years shows how the interest for this fundamental theoretical question in Plato‘s thought was mainly addressed to some particular points of his writings, sometimes not considering the conceptual and philosophical background in which we need to understand his doctrine. That‘s why this book examines the notions of eidos and idea in Plato‘s philosophy and in the long debate his doctrines
This study explores Plato in the work of Kant, Natorp, and Heidegger. The author aims sympathetically to present their important Plato-interpretations, and to grasp how these are related to their philosophical projects. He argues that Natorp’s interpretation of the Platonic forms as laws and not “things” grows out of the Marburg School’s struggle against psychologism: his reading is thus not simply foisted upon the text, but reveals an important dimension of Plato’s thought.
22 · Giuliano, Fabio Massimo. Platone e la poesia. Teoria della composizione e prassi della ricezione. 427 S. 58,00 €. 3-89665-294-X. In the Republic Plato seems to exclude poetry from the city he has founded. However, in the philosophical discussion of his Socrates, he does not forget poetry. The book of Fabio Massimo Giuliano begins from this point: he examines, in the dialogues of Plato, the fruition of poetry and the investigation into the nature of poetry. We obtain a general picture of the relationship with poetry based on a network of quotations offered by Plato also in order to characterize the single personages.
21 · Eidos-Idea. Platone, Aristotele e la tradizione platonica. Edited by Francesco Fronterotta and Walter Leszl. 308 S. 48,50 €. 389665-330-X.
have raised, from the Ancient Academy and Aristotle to the later Middle- and Neo-platonists.
20 · Chappell, Timothy. Reading Plato‘s Theaetetus. Translation and commentary. 246 S. 48,50 €. 3-89665-315-6. Timothy Chappell‘s Reading Plato‘s Theaetetus offers a complete new translation of Plato‘s most famous dialogue on knowledge, together with an extended philosophical commentary. Timothy Chappell defends an original form of the Unitarian reading of the dialogue, arguing that Plato‘s aim in this enigmatic work is to show how little we can do towards defining or understanding knowledge, if we try to do it on an empiricist or naturalist basis. The book also contains a wealth of argument on subsidiary topics–the language of the dialogue, its date and place in Plato‘s development, and its relation to earlier and later Greek thought in general.
19 · Gaiser, Konrad. Gesammelte Schriften. Hrsg. von Thomas A. Szlezák. 920 S. 68,00 €. 3-89665-188-9. Konrad Gaiser (1929-1988) is one of the most perceptive classical scholars of the second half of the twentieth century. In his Platonic studies, Gaiser shows, often in surprising and illuminating ways, the importance of mathematics and of Plato‘s oral theory of principles for our understanding of the dialogues. An astonishing variety of hermeneutical, philological and philosophical problems is being dealt with in clear argumentation and in a most readable style. From Gaiser‘s interpretations emerges an impressive and coherent picture of Plato as a poet and as an undogmatic metaphysical thinker.
18 · Natorp, Paul. Plato‘s Theory of Ideas. An Introduction to Idealism. Edited with an introduction by Vasilis Politis. First English Translation by Vasilis Politis and John Connolly. Postscript by André Laks. 484 S. 68,50 €. 3-89665-250-8. Paul Natorp‘s monumental work, Plato‘s Theory of Ideas. An Introduction to Idealism (1903, 2nd ed. 1921), is a fascinating and highly original work which merits renewed study not only as a significant document of German Neokantianism, but as an important contribution to our understanding of Plato. This volume contains a complete translation of Plato‘s Theory of Ideas; an introduction which summarizes Natorp‘s interpretation of Plato, its relation to Aristotle and Kant, and its continued importance; along with a postscript which positions Natorp within German, and in particular Marburg, Neokantianism.
17 · Bravo, Francisco. Las ambigüedades del placer. Ensayo sobre el placer en la Filosofía de Platón. 260 S. 44,50 €. 3-89665-272-9. In this magisterial and elegant study, Bravo interprets and defends Plato‘s layered definition of pleasure and Plato‘s apparently conflicted view of hedonism. The content of the book makes definitive contributions to the study of Plato, the nature of pleasure, and hedonism. The subject and method of the book make it an excellent introduction to Plato‘s ethics and metaphysics for advanced students in any discipline ... Part 3 is the most careful comprehensive, and convincing development of the hedonist reading available ... Bravo makes a convincing case that it is the best interpretation we can give to these later dialogues. With hedonism, therefore, as with false
Academia Verlag Internet: http://www.academia-verlag.de · E-Mail and Orders: [email protected] Bahnstr. 7 · 53757 Sankt Augustin · Tel. +49 22 41 34 52 1-0 · Fax +49 22 41 34 52 12
International Plato Studies pleasure. Bravo‘s work must be the starting point for future discussion of Plato. (Ancient Philosophy 26, 2006)
16 · Merker, Anne. La Vision chez Platon et Aristote. 276 S. 44,50 €. 3-89665-273-7. Neither Aristotle nor Plato content themselves with answering the question: How do we see?. In their examination of this scientific issue, they go further, and answer the more fundamental question: What is seeing? The first question pertains to scientific enquiry, which seeks to explain a phenomenon by describing its mechanism. Both Aristotle and Plato give an accurate account of the causes that produce visual sensation. Their accounts differ, but are quite similar with regard to their scientific relevance; they have quite the same capacities and the same failures in their explanation of vision, achieved by equally economical means. The other question – What is seeing? – transcends the mere intention of giving an account of a mechanism, and considers vision from the viewpoint of problems concerning the being of the seer, of what is seen, and of the world in which this process takes place; and it touches upon issues concerning ontology as well as ethics, epistemology and aesthetics, and even theology.
15 · Plato‘s Laws: From Theory into Practice. Proceedings of the 6th Symposium Platonicum. Edited by Samuel Scolnicov und Luc Brisson. 380 S. 57,50 €. 3-89665-261-3. The articles in this volume reflect the breadth of topics and the range of problems present in Plato‘s Laws: Problems of editing and literary form, rhetoric and style, Homeric quotations; the Socratic influence; soul and motion; pleasure, virtue and happiness, ethics and education, gender; public offices, economics, and philosophy of history; political philosophy and religion. Addressed are also the historical and literary contexts of the Laws, and its later repercussions. The volume includes a unified Bibliography, an Index locorum and a Subject Index.
14 · Balansard, Anne. Techne dans les Dialogues de Platon. 412 pp. 59,00 €. 3-89665154-4. Critics have shown an interest in the subject of techné in the Platonic dialogues, treating it on the one hand as a concept for the history of techniques, and, on the other, as a concept within Plato‘s philosophy, mainly with regard to Socratic method and moral theory (the craft analogy). Yet both groups of critics confuse the concept of techné with the modern concept of „craft“ (or technique), that is, a rational and explicable process resulting in a separate object. This misconception justifies a new analysis of the vocabulary of techné in Plato‘s dialogues.
13 · On Plato: Euthydemus, Lysis, Charmides. Selected Papers from the 5th Symposium Platonicum. Edited by T.M.Robinson and Luc Brisson. 412 S. 56,50 €. 3-89665-143-9. This volume contains a selection of papers read at the Fifth Symposium Platonicum, Toronto. It contains an Index Locorum, a Subject Index and a consolidated Bibliography. The three dialogues discussed at the Symposium drew papers from scholars all over the world, including some who have produced editions and translations of one or other of them in recent years.
12 · Saunders, Trevor; Brisson, Luc. Bibliography on Plato‘s Laws. 114 S. 25,00 €. 389665-172-2.
Before Trevor J. Saunders‘s death he had conceived the project of publishing a third edition of his bibliography on the Laws (first edition 1976; second edition 1979). At his death, he left behind him a considerable amount of material for this new edition.
that mention Apollo either directly or indirectly. This analysis leads to the preliminary conclusion that Plato interpreted Apollo as ‚mask of the Form of the Good‘. Closer examination discloses that the form of the Good is ‚Apollo‘s mask‘, and not vice versa.
11 · Pender, Elizabeth E. Images of Persons Unseen. Plato‘s Metaphors for the Gods and the Soul. 300 S. 45,00 €. 3-89665-006-8.
6 · O‘Brien, Denis. Le Non-Etre. Deux Études sur le Sophiste de Platon. 182 S. 32,50 €. 388345-639-X.
This book presents the first comprehensive study of Platonic imagery written in the light of modern approaches to metaphor. Through close analysis of Platonic texts the author seeks both to advance interpretation of the dialogues and to promote understanding of the cognitive functions of metaphor and imagery – aspects of language long dismissed as merely ornamental.
In the first of the two studies, the author presents a new interpretation of how Parmenides, Plato and Plotinus were led to form increasingly complex conceptions of `what is not‘. The second study provides a detailed analysis of passages from Plato‘s Sophist, where a Stranger from Elea attempts to refute the cosmic monism which had been thought to follow from Parmenides‘ outright denial of non-being.
10 · Renaud, Francois. Die Resokratisierung Platons. Die platonische Hermeneutik HansGeorg Gadamers. 204 S. 45,00 €. 3-89665088-2. The interest of the Gadamerian reading is at least threefold: it forms a key element in the current reception of Platonism and the ongoing debate in philosophy, as well as significant contribution to Platonic scholarship. This work systematically exposes the principal theses of Gadamer‘s nondualist, dialogical reading (such as those concerning the dramatic form, the ‚theory of ideas‘, the ‚unwritten doctrines‘ and the relationship between Plato and Aristotle), and probes some of the exegetical and theoretical difficulties of such reading.
9 · Interpreting the „Timaeus – Critias“ . Proceedings of the Fourth Symposium Platonicum, Granada. Selected Papers. Edited by Tomás Calvo and Luc Brisson. 320 S. 49,00 €. 3-89665-004-1. The papers published here deal both with more traditional problems of interpretation - whether or not the universe had a beginning in time, the status of the demiurge, the relation between the Timaeus and the Critias – and with a range of questions less frequently discussed, i.e. the treatment in the Timaeus of mathematics, of cosmic providence, sense-perception, medicine, the relation between soul and body, the literary genre of the Critias, the political project of the two dialogues.
8 · Pradeau, Jean-Francois. Le Monde de la Politique. La philosophie politique du récit atlante de Platon, Timée (17-27) et Critias. 368 S. 49,00 €. 3-89665-048-3. Le Monde de la Politique is a commentary of Plato‘s atlantis story (Timaeus, 17-27 and Critias). Its aim is to show the importance of this story in Plato‘s political thought. Pradeau‘s study insists on three aspects of Critias story: its ambigious status of a fiction which says something true about the Socrates‘s city (conceived in the Republic), its relation to the historical writings (Pradeau shows that the material of archaic Athens and Atlantis descriptions is almost entirely borrowed from Herodotus,II) and its belonging to a periphuseos research.
7 · Schefer, Christina. Platon und Apollon. Vom Logos zurück zum Mythos. 350 S. 49,00 €. 3-88345-638-1. The Significance of the Greek god Apollo in Platonic philosophy has hitherto gone largely unnoticed. The core of this book is made up of a careful analysis of all the passages in Plato‘s work
5 · Pritchard, Paul. Plato‘s Philosophy of Mathematics. 200 S. 32,50 €. 3-88345-637-3. This work is as much a wide-ranging study in the history of mathematics as it is a study of a central but notoriously obscure aspect of Plato‘s thought. By clarifying the differences between ancient Greek and modern mathematics, and particularly the different notions of number involved, Pritchard shows that our difficulty derives not so much from Plato‘s philosophy as from the fact that his is a philosophy of a mathematics which is essentially different from our own, both in its aims and in its objects.
4 · Reading the ‚Statesman‘. Proceedings of the Third Symposium Platonicum, Bristol. Edited by Christopher J. Rowe. 421 S. 49,00 €. 3-88345-634-9. The Statesman or Politicus is relatively neglected in the modern literature and has usually been valued more for some of its parts then as a whole. The thirty or so papers in this volume (some with short responding comments) cover all its main aspects and, together with the substantial introduction by the editor, constitute a kind of composite commentary on the dialogue.
3 · Platón: Los Diálogos Tardíos. Actas del [First] Symposium Platonicum, Mexico. Edited by Conrado Eggers Lan. 176 S. 32,50 €. 3-88345-631-4. The main purpose of the organisers of the Mexican Symposium was to encourage Latin-American scholars to discuss Platonic philosophy at an advanced level, since Plato is the Greek philosopher who has attracted most scholarly endeavours in that part of the world. This conference led directly to a second symposium at Perugia, and to the founding of an International Plato Society. This volume documents the birth of what is clearly destined to be a permanent and important contribution to the study of ancient philosophy.
2 · Brisson, Luc. Le Même et l‘Autre dans la Structure Ontologique du „Timée“ de Platon. Troisième Edition révisée . Un commentaire systématique du Timée de Platon. 620 S. 64,00 €. 3-89665-053-X. 1 · Understanding the ‚Phaedrus‘. Proceedings of the Second Symposium Platonicum, Perugia. Edited by Livio Rossetti. 328 S. 49,00 €. 3-88345-630-6. Index. Supplement. Compiled by Gerardo Ramírez Vidal. 24 pp. 4,80 EUR. 3-88345632-2.
Academia Verlag Internet: http://www.academia-verlag.de · E-Mail and Orders: [email protected] Bahnstr. 7 · 53757 Sankt Augustin · Tel. +49 22 41 34 52 1-0 · Fax +49 22 41 34 52 12
ACADEMIA ANCIENT PHILOSOPHY International Aristotle Studies 5 Alessandro d’Afrodisia
Il Destino
Giuseppe Mazzar a ∙ Valerio Napoli (eds.)
Platone La teoria del sogno nelTeeteto
Thomas M. Robinson
Logos and Cosmos
Atti del Convegno Internazionale Palermo 2008
Studies in Greek Philosophy
Seconda edizione riveduta
A cura di Carlo Natali Academia
Academia
Studies in ancient Philosophy 9
Trattato sul destino e su ciò che dipende da noi. Dedicato agli imperatori
ACADEMIA
International Aristotle Studies
Studies in Ancient Philosophy
Academia Philosophical Studies
Natali, Carlo (ed.). Alessandro d’Afrodisia: Il Destino. Second edition. 2009. 272 pp. 48,50 EUR. Hc. 978-3-89665490-8.
Platone. La teoria del sogno nel Teeteto. Atti del Convegno Internazionale Palermo 2008. Edited by Giuseppe Mazzara and Valerio Napoli. 336 pp. 34,80 EUR. Hc. 978-3-89665-498-4.
Robinson, Thomas M. Logos and Cosmos. Stud. in Greek Philosophy. 336 pp. 29,80 EUR. Hc. 978-3-89665-456-4.
69498um.indd 1
16.07.2009 10:39:09
Alexander‘s work is one of the main sources for the ancient debate on determinism; it can be of interest not only for the scholar interested in ancient philosophy, but also for the reader interested in contemporary philosophical debate about liberty and determinism. The reason is exactly the connection that Alexander established between freedom and our conception of causality.
Centrone, Bruno (ed.). Il libro Iota della Metafisica di Aristotele. 264 pp. 48,50 EUR. Hc. 3-89665-356-3. Botter, Barbara. Dio e Divino in Aristotele. 308 pp. 48,50 EUR. Hc. 389665-337-7. Collegium Politicum · Contributions to Classical Political Thought Zuolo, Federico. Platone e l‘efficacia. Realizzabilità della teoria normativa. 2009. 165 pp. 19,50 EUR. 978-3-89665465-6. Le philosphe, le roi, le tyran. Études sur les figures royale et tyrannique dans la pensée politique grecque et sa postérité. Edited by Silvia Gastaldi and Jean-François Pradeau. 2009. 231 pp. 26,00 EUR. 978-3-89665-467-0. The Ascent to the Good. Edited by Franciso L. Lisi. 272 pp. 39,50 EUR. Hc. 978-3-89665-426-7.
10.03.2010 16:29:48
69456um.indd 1
The terminal part of Theaetetus perhaps constitutes its most enigmatic aspect, because we are not told who Plato is conversing with and why, regarding the “theory of the dream” expressed as follows: “science is a true opinion accompanied by logos” (201c9-d1).
Vegetti, Mario. Dialoghi con gli antichi. A cura di S. Gastaldi, F. Calabi, S. Campese, F. Ferrari. 348 pp. 46,00 EUR. Hc. 978-3-89665-394-9. The essays show Vegetti‘s research work in different fields of History of Ancient Thought such as: Ethics, Politics, Anthropology, History of Medicine and Science, and Philosophical Historiography.
Masi, Francesca. Epicuro e la filosofia della mente. Il xxv libro dell‘opera Sulla Natura. 284 pp. 48,50 EUR. Hc. 978-3-89665-407-6. Lecturae Platonis Migliori, Maurizio. Plato‘s Sophist. Value and Limitation on Ontology. 207 pp. 38,00 EUR. Hc. 978-3-89665195-2. In the Sophist we find many Platonic suggestions, above all: the defining framework of reality. That is established not by ontology but by a theoretical move revolving around the concepts of whole and part, and around the connection-distinction between one, whole and all, before coming to a head in the „doing-suffering“ pair.
06.06.2008 10:42:07
This book consists of a number of articles on topics in classical Greek philosophy. Among the topics discussed are the question of methodology in the reading of Heraclitus; an account of the myth of Plato’s Statesman in terms of its contribution to cosmological speculation; an outline of the defining features of mind-body dualism in the writings of Plato; and a revaluation of Platonic and Aristotelian functionalism in light of recent biological theory.
Pasquale, Gianluigi. The History of Salvation. For a Word of Salvation in History. 2009. 159 pp. 27,50 EUR. Hc. 978-3-89665-454-0. Reale, Giovanni. Raphael: the School of Athens. Edited by Martin Cajthaml and Jakub Jinek. 152 S. 29,50 EUR. Hc. 978-3-89665-377-2. Bechtle, Gerald. Iamblichus. Aspekte seiner Philosophie und Wissenschaftskonzeption. Studien zum späteren Platonismus. 182 S. 24,50 EUR. 3-89665-390-3. Iamblichus‘ Bedeutung spiegelt sich in seiner doktrinalen Innovationsfreudigkeit und der spürbaren Tiefe seines Denkens. Kombiniert mit seiner festen Verankerung in der spätplatonischen schulphilosophischen Tradition trägt dies dazu bei, dass sein Verständnis wichtiger Fragen (Prädikation der Kategorien, freier Wille, mathesis universalis) über Jahrhunderte hinweg Generationen seiner Nachfolger bis in die Neuzeit beeinflusste.
Academia Verlag Internet: http://www.academia-verlag.de · E-Mail and Orders: [email protected] Bahnstr. 7 · 53757 Sankt Augustin · Tel. +49 22 41 34 52 1-0 · Fax +49 22 41 34 52 12
ACADEMIA ANCIENT PHILOSOPHY SERGE MOURAVIEV
HERACLITEA
International Pre-Platonic Studies 6
MÉTHEXIS RIVISTA INTERNAZIONALE DI FILOSOFIA ANTICA INTERNATIONAL JOURNAL FOR ANCIENT PHILOSOPHY
III.2
XXII · 2009
André Laks
Diogène d’Apollonie
RECENSIO :
Edition, traduction et commentaire des fragments et témoignages Deuxième édition revue et augmentée
PLACITA
Doctrinae et Positiones Heraclito ab Antiquis adscriptae
EMMANUELLE JOUËT-PASTRÉ, L’enjeu discursif de l’affirmation socratique de la multiplicité du plaisir du Philèbe 12C-14B CAROLINA DELGADO, ‘Tipo’ e ‘Ideal’ en la poetología platónica de Leyes ALESSANDRA FUSSI, La critica di Williams alla Repubblica di Platone CLAUDIA CARBONELL, El cuerpo en la definición de psyche en De Anima II,1 STEFANO MASO, “Dignitatem tueri” in Cicerone: dalla dimensione civile all’istanza filosofica DIEGO E. MACHUCA, Argumentative persuasiveness in ancient Phyrrhonism AGLAE PIZZONE, jEx ejpiboulh`~ fantavzesqai. Dal divino inganno di Timeo alla fantasia plotiniana LUIS XAVIER LÓPEZ-FARJEAT, El Liber de Pomo (Kitāb al-Tuffāḥa) en la tradición árabe islámica Recensioni.
Academia
ACADEMIA
ACADEMIA ISSN 0327-0289
69513um_cmyk.indd 1
69440um.indd 1
Heraclitea
09.03.2010 15:16:57
13.03.2008 10:16:54
05.02.2008 16:59:22
III.2 – Recensio: Placita. Doctrinae et Positiones Heraclito ab Antiquis adscriptae. Edited by Serge Mouraviev. 2008. 254 S. 44,00 EUR. 978-3-89665439-7. Ten volumes of the edition have been published now. When completed this will be the first full chronological and systematic critical edition, with translation and commentary, of the extant courses on Heraclitus. For more details see www. academia-verlag/heraclitea
International Pre-Platonic Studies Robbiano, Chiara. Becoming Being. On Parmenides‘ Transformative Philosophy. 240 S. 54,00 EUR. Hc. 3-89665-383-0. This study offers a new interpretation of the poem of the founder of Western philosophy: Parmenides. His words ask his audience to question their habits, to modify their goals, to engage in new enterprises and to look with a critical eye at their previous attempts to get knowledge, which can also be described as the encouragement to become Being.
Laks, André. Diogène d‘Apollonie. Edition, traduction et commentaire des fragments et témoignages. Deuxième édition revue et augmentée. 2008. 295 S. 44,50 EUR. Hc. 9783-89665-440-3. Cette seconde édition d‘un ouvrage qui reste à ce jour le seul commentaire exhaustif des fragments et des témoignages de Diogène, a été revue et
corrigée et prend aussi en compte les travaux parus au cours des vint-cinq années écoulées. Le livre retrace l‘histoire de la transmission des fragments de Diogène, analyse les positions de la critique moderne depuis l‘article séminal de F. Schleiermacher (1811), et offre, pour chacun des douze fragments et des quelques trente-six témoignages, dont un nouveau classement est proposé, une analyse visant à reconstruire la logique de l‘original perdu.
Sider, David. The Fragments of Anaxagoras. Second revised edition. 212 S. 34,50 EUR. Hc. 3-89665-293-1. As before, the main purpose of this work has been to present an improved text and critical apparatus for the direct quotations attributed to Anaxagoras. The bibliography has been extensively updated, there are three additional sections in the Introduction: Diagrams, Style, and Allegory. ... This second edition, no doubt, will serve for many years to come as a crucial research tool for scholars interested in Anaxagoras. The reader will profit greatly from consideration of Sider‘s erudite insights on a host of philological issues. (John E. Sisko, Bryn Mawr Classical Review)
Eleatica Cordero, Nestor-Luis et al. Parmenide scienziato? A cura die Livio Rossetti e Flavia Marcacci. 2008. 167 pp. 29,00 EUR. 978-3-89665-464-9. Papers from the First Eleatica Symposium. The lecture from N.-L. Cordero is followed by a discussion with contributions from G. Cerri, F. Gambetti, A. Herrmann, F. Marcacci, M. Pulpito, Ch. Robbiano, L. Rossetti and A. Wacziarg.
Méthexis. Rivista Internazionale di Filosofia Antica. Direttore/Editor: Franco Trabattoni. ISSN 0327-0289. Publicated once a year. ca. 160 pp. Subscription: 35,00 EUR plus shipping costs. For more details see www. academia-verlag/methexis
UNIVERSITÀ DEGLI STUDI DI MILANO FACOLTÀ DI GIURISPRUDENZA
DIKE Rivista di storia del diritto greco ed ellenistico 11 2008
ACADEMIA
Dike. Rivista di storia del diritto greco ed ellenistico. Direzione: Eva Cantarella / Alberto Maffi. ISSN 1128-8221. Published once a year. ca. 180 pp. Subscription: 32,00 EUR plus shipping costs. For more details see www. academia-verlag/dike
Skepsis. A Journal for Philosophy and Interdisciplinary Research. Editor: Charlampos Magoulas. ISSN 11051582. Publicated once a year. ca. 300 pp. Subscription: 38,50 EUR plus shipping costs. For more details see www. academia-verlag/skepsis
Academia Verlag Internet: http://www.academia-verlag.de · E-Mail and Orders: [email protected] Bahnstr. 7 · 53757 Sankt Augustin · Tel. +49 22 41 34 52 1-0 · Fax +49 22 41 34 52 12