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Die � Mitternachtskutsche �
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G.F. Barner �
Die � Mitternachtskutsche �
Vielleicht ist es der naßkalte Regen, der Wilbur Sanders in die Ecke des Saloons treibt. Vielleicht aber ist es auch nur Sanders Versuch, eine Zigarre anzuzünden. Er bleibt in der windgeschützten Ecke stehen, hört Gelächter aus dem Hurdy-Gurdy-Saloon, der größten Tanzhalle von Virginia City, und beißt das Ende der Zigarre ab. In dem Augenblick, als der Regen prasselnd das Vorbaudach trifft, hört Sanders Schritte. Seine Hand, die schon nach dem Streichholzkasten gegriffen hat, bleibt in der Tasche. Es ist nicht ungefährlich um diese Zeit in Virginia City. Sanders läßt die Schachtel los, greift nach dem Derringer, den er ständig in der Tasche trägt, und wartet. Er preßt sich noch weiter in die Ecke, hört die Männer kommen und dann unter dem Dach stehenbleiben. »Warte«, sagte der eine heiser und so nasal, als hätte er mit einer Erkältung zu tun. »Dieses Sauwetter. Laß uns den Schauer erst abwarten.« Sie sind keine drei Schritte von ihm entfernt und nur durch die Ecke getrennt. Wilbur Sanders rührt sich nicht vom Fleck, denn die Stimme des einen Mannes kommt ihm bekannt vor. Während er noch darüber nachdenkt, woher er die Stimme kennt, sagt der andere Mann leise: »Und bei dem Wetter schicken sie Nick los, die Narren.« »Ja«, erwidert der mit der nasalen Stimme, und etwas wie ein Lachen klingt in seinen Worten mit. »Der arme Nick, was? Sie werden ihn bestimmt suchen.« Nick, denkt Sanders. Wen meinen sie, welchen Nick? Wer hat ihn losgeschickt?
»Er hat zwei Maultiere«, sagt da der andere. »Nur zwei, aber…« »… Geld«, fährt der mit der nasalen Stimme fort. »Vielleicht denken sie wirklich, daß er bei dem Wetter nicht zu sehen sein wird. Komm, der Regen läßt nach, laufen wir.« Sie springen beide gleichzeitig vom Gehsteig herunter und laufen auf die andere Seite. Zwar blickt Sanders hinterher, aber er kann sie nicht erkennen. Nur die Stimme des einen Mannes bleibt ihm in Erinnerung, eine Stimme, die er schon einmal gehört hat. Nick, denkt Sanders. Zwei Maultiere und Nick, welcher Nick? Dieser Nick hat Geld bei sich und zwei Maultiere. Dann müßte er sie von Peabody geholt haben. Kaum jemand hat gleich zwei dieser bockigen, wenn auch ausdauernden Tiere. Sanders steckt sich eine Zigarre an, dann nähert er sich den erleuchteten Fenstern des »Hurdy-Gurdy«. Dieser Saloon ist ohne jeden Zweifel das meist besuchte Etablissement in der Stadt. Im »Hurdy-Gurdy« sind etwa drei Dutzend Hurdy-Gurdies. Wer keine Ahnung davon hat, was Hurdy-Gurdies sind, der wird wahrscheinlich auf eine Speise kommen, würde man ihn nach der Bedeutung des Wortes fragen. Jedoch haben die Hurdy-Gurdies so wenig mit einer Speise zu tun wie eine Kuh mit dem Eierlegen. Die Hurdy-Gurdies sind aufgeputzte und gepuderte Girls, die für ein Billet, für das ein Digger einen Dollar bezahlen muß, jedem zum Tanzen zur Verfügung stehen. Trotz des Regens stehen mehr als dreißig Maultiere und Pferde vor den Haltebalken des überfüllten Lokals. Einige Karren und Wagen vervollständigen das Bild noch. Über die Tür hinweg blickt mehr als ein halbes Dutzend Männer, denen wahrscheinlich kein Diggerglück gelacht hat, denn sie scheinen ab-
gebrannt zu sein. Im »Hurdy-Gurdy« kostet die Flasche Champagner 12 Dollar in Goldstaub, Nuggets oder Goldstücken. Der Drink in einem kleinen Schnapsglas kostet zwischen 25 und 50 Cents. Die Leute hier draußen haben ihr Geld wahrscheinlich bei den Mädchen gelassen oder es bereits vertrunken. Wilbur Sanders ist etwa sieben Yards von der Tür entfernt, als es im »Hurdy-Gurdy« e;ne kurze, geräuschvolle Auseinandersetzung gibt. Unwillkürlich ducken sich die sechs oder sieben Männer am Eingang. Einer sagt schrill: »Er hat 'nen Revolver, der Halunke!« Wilbur Sanders furcht die Brauen und bleibt stehen. Sanders, der mit den Leuten der Fisk Company von Minnesota nach Bannack gekommen war, um dann sein Unternehmen nach Virginia City zu verlegen, kann sich immer noch nicht an die Ausdrucksweise der Miner und Digger, der Bergläufer und des Gesindels gewöhnen. Selbst die beiden Richter und die zwei Ärzte aus Bannack und Virginia City fluchen in einer Art, daß Sanders manchmal die Haare zu Berge stehen. Der erste Mann, der rückwärts gehend herauskommt, ist John Carr, ein bulliger, ungewöhnlich kräftiger Mann, dem im vorigen Jahr in Bannack die Zehen beider Füße erfroren sind und der seitdem nicht mehr als Digger arbeiten kann. Seit dieser Zeit versieht Carr den Rauswerferdienst im »HurdyGurdy«. An Carrs dicken Armen, deren Hemdsärmel hochgekrempelt sind, hängt Jim Gates. Während der schwere Carr Gates an den Handgelenken gepackt hat, tragen die beiden anderen Rauswerfer des Saloons Gates an den Beinen. Gates brüllt wie ein Stier, flucht gräßlich und wird dann hin und her geschaukelt. Carr sagt heiser »Da gehst du hin du stinkender Klippfisch.«
Gates landet in einer Schlammlache und bleibt einen Augenblick darin liegen. Sanders blickt auf den Eingang des »Hurdy-Gurdy« und in das Gesicht von Mandy Arnes, die dort mit großen, verstörten Augen steht und auf Carr und Gates blickt. »O nein«, sagt Mandy Ames und schlägt die Hände vor das Gesicht. Dann sagt Carr brummend: »Dieser Kerl wird noch mal jemanden mit seinem Derringer töten. Nur nicht mich. Ich nehme ihn vorher auseinander.« In diesem Moment erkennt er Mandy Ames in der Tür, zuckt leicht zusammen, blickt sie dann aber mit der Sturheit eines Mannes an, der für jede seiner Taten eine Rechtfertigung hat. »Carr«, sagt Mandy zitternd. »Was immer…« »Sei still«, erwidert Carr grollend. »Wende dich an den Boß, wenn du etwas willst. Dieser Bursche wird noch mal deinetwegen jemanden erschießen. Dann heirate ihn doch, wenn er dich nimmt, was?« Wilbur Sanders beobachtet die Szene, ohne sich zu rühren. Er kann hinter Mandy Anita erkennen und weiß, daß es keine weitere Diskussion zwischen Carr und Mandy mehr geben wird. Anita, die im »Hurdy-Gurdy« alle Mädel beaufsichtigt, legt Mandy die Hand auf die Schulter und sagt ganz ruhig: »Komm, der Tanz geht weiter. Ich habe dir gesagt, daß Gates kein Mann für dich ist. Sei eine Närrin, wenn du es willst, aber halte deinen Kontrakt ein.« Wie jedes der Girls hat auch Mandy einen Kontrakt unterzeichnet, aus dem sie sich zwar loskaufen kann, was aber die wenigsten Mädels tun. Mandy zuckt leicht zusammen. Sie will anscheinend noch etwas sagen, preßt aber dann die Lippen fest zusammen und
dreht sich um. Kaum ist sie fort, als Miller, der andere Rauswerfer, sich an Carr wendet und leise sagt: »Carr, das hätte sie nicht sehen dürfen. Jetzt wirst du gar keine Chance mehr bei ihr haben.« »Dann ist es auch gleich«, erwidert Carr bitter. »Sie ist zu schade für diesen Windhund, der sie nur ausnutzt und ihr das Geld abnimmt. Wenn sie nicht begreifen kann, wo ihre wirklichen Freunde sind, dann ist es nicht zu ändern. Muß sie eben sehen, wie sie fertig wird.« So ist das also, denkt Wilbur Sanders und beobachtet Carr, der mit einem düsteren Gesicht in den Saloon zurückgeht, der mag Mandy. Sanders sieht sich um, als er die Schritte hört und Bissell mit Bill Caldwell auftaucht. »Hallo, Colonel«, sagt Bisseil mit dem Tonfall eines Mannes, der genau weiß, daß diese Sache Wilbur Sanders' Mißfallen erregt haben muß. »Endlich jemand, der Gates eins auf seine schmutzigen Finger gegeben hat, wie? Geschieht dem Kerl recht. Wir sollten ihn aus der Stadt verbannen.« »Aus dem Fairwether Distrikt«, erwidert Caldwell grimmig. »Man müßte sich mit Doc Steele einigen. Leute wie Gates sollte man davonjagen. Ich möchte nicht wissen, was dieser Gates alles auf dem Gewissen hat.« Bisseil, der Richter, blickt auf Gates, der sich jetzt mühsam bewegt. »Dem werde ich etwas sagen«, brummt Bissell grimmig. »Ich werde ihm sagen, daß er sich verdrücken soll, der Kerl. Colonel, er ist ein Betrüger und Dieb.« »Mag sein«, erwidert Wilbur Sanders ruhig. »Solange man keine Beweise gegen ihn hat…« »Du bist immer noch zu sehr bei der Armee, Colonel«, ant-
wortet Bissell. »Ich weiß, daß er ein Lump ist, also brauche ich keine Beweise. Warte, er will hoch, da muß ich mich beeilen, damit ich…« Er geht hastig los und bleibt vor Gates stehen. Scharf sagt er. »Gates, du hast also schon wieder Streit angefangen, wie? Mann, ich warne dich nur noch einmal. Suchst du wieder Streit, dann werden wir dich aus der Stadt jagen, verstanden? Du kleiner, schmutziger Dieb, bringst du jemanden um, dann hängen wir dich auf, verstanden?« »Ja, Richter, ich – ich…« »Du schmutziger Dieb«, wiederholt Bissell hart. »Du brauchst gar nicht zu stottern. Paß nur auf, daß du eines Tages nicht einmal mehr stottern kannst. Ein Strick schneidet jedem die Luft ab.« Er dreht sich um und kehrt zu Caldwell und Sanders zurück, um brummig zu sagen: »Wenn du nichts vorhast, Colonel, vielleicht könnten wir dann einen Drink bei Morier nehmen. Clark und Beidler sind sicher auch da.« »Na gut«, sagt Sanders träge. »Ich wollte ohnehin Clark besuchen.« »Geschäfte?« fragt Bissell im Gehen, während er sich dem etwas ungleichmäßigen Schritt von Sanders anpaßt. »Er denkt daran, sein Geld besser anzulegen.« Sanders humpelt immer noch etwas, obwohl seine Verwundung längst geheilt ist. Jedoch hat ihn seine Verletzung gezwungen, den Armeedienst im zweiten Kriegsjahr aufzugeben und sich wieder seinem zivilen Beruf zuzuwenden. Er ist einer der jüngsten, aber ohne Zweifel geschicktesten und ehrlichsten Anwälte, die diese Gegend jemals gesehen hat. Sie erreichen Moriers Saloon einige Minuten später und se-
hen ihn in einer Ecke des Raumes etwas abseits mit drei Männern an einem Tisch sitzen. John Xavier Beidler, ein untersetzter, breitschultriger Mann mit einem starken Bart, blickt zum Richter und dann zu Sanders. »Sieh an, Wilbur«, sagt Beidler, in dessen Augen ständig ein Feuer zu brennen scheint, lebhaft. »Hallo, Richter, setzt euch, wir haben uns bei diesem Wetter einen Grog bestellt. Was trinkst du,Wilbur?« Es ist seltsam, man kann sich keinen größeren Gegensatz als den zwischen Beidler und Wilbur Fitzgerald Sanders vorstellen. Sanders sieht nicht nur gut aus, er ist auch sehr groß und wirkt ruhig, während Beidler klein ist und sich sehr lebendig gibt. Wilbur Sanders zieht etwas die Schultern hoch. Dieser Abend ist so kalt, daß ihn schon die ganze Zeit leicht fröstelt. »Dasselbe, John«, erwidert er träge und benutzt nicht jenen Namen, den alle Welt für Beidler hat: X. Jeder hier sagt mir, wenn er von Beidler spricht: Gehen wir zu X. Sanders setzt sich, seine scharfen Augen forschen einen Moment in Clarks Gesicht. Ob sein Mann nicht gekommen ist, denkt Sanders ungeduldig. Er hat es versprochen, aber nicht jeder Mann ist bereit, für nichts seinen Kopf zu riskieren. Bissell setzt sich seufzend und berichtet gleich von Gates, den er als abgefeimten Schurken und Dieb bezeichnet, für den ein Strick noch zu schade sei. »Ich möchte wetten«, wirft Beidler ein, »er steckt mit den Road Agenten zusammen, aber beweisen kann ich es nicht.« »Nun ja«, sagt Caldwell leise, »hast du denn schon mit Morton gesprochen?« »Noch nicht, aber ich bin dreimal an seiner Hütte gewesen«,
erwidert Beidler. »Morton ist nicht dort. Wenn er Angst hat, dann wird er sich gar nicht mehr hier blicken lassen. Sie könnten ihn umbringen.« »Bist du sicher, daß er es weiß?« fragt Sanders ruhig. »Ich gebe nicht viel auf Gerüchte, John. Ein Mann schwatzt viel, wenn er getrunken hat.« »Kennst du Morton persönlich?« »Nur flüchtig, John«, antwortet Wilbur Sanders. »Das dachte ich mir schon«, gibt Beidler leise zurück. »Richter, vielleicht sagst du unserem Attorney, was du von Les Morton weißt.« Bissell sieht sich erst um, ehe er sich vorbeugt und eindringlich zu Sanders sagt: »Morton ist kein Schwätzer. Wenn er sagt, daß er zwei der drei Männer erkannt haben will, die die Kutsche überfallen haben, dann ist es auch so. Wilbur, selbst wenn er getrunken hat, ist er immer noch klar genug bei Verstand, um die Wahrheit zu reden.« »Nun ja, wenn ihr meint?« Sanders lehnt sich leicht zurück, wechselt einen Blick mit Clark und bemerkt dessen leichtes Lidzucken. Es ist ein Zeichen für Sanders, daß Clark irgendeine Nachricht für ihn hat, die wichtig ist. Während die anderen sich leise über Morton unterhalten und von dem Überfall – dem dritten in zwei Wochen – auf die Bannack-Kutsche sprechen, nickt Clark einmal, als wenn er zu Bisseils Worten Zustimmung äußern will. In Wirklichkeit gilt dieses Nicken aber einer ganz anderen Sache. Der Mann, denkt Sanders erleichtert, er ist da. Ich möchte nur wissen, wer so wahnsinnig ist viel zu riskieren, wenn er kaum etwas dafür zu erwarten hat. Nun ja, einige Belohnungen, aber die schönste Belohnung ersetzt ihm nicht sein Leben.
»Du willst Morton suchen?« fragt Caldwell unterdrückt. »X, was machst du, wenn er verschwunden ist?« »Ich halte ihn für zu geizig und zu klug, um seine Sachen einfach im Stich zu lassen«, erwidert Beidler flüsternd. »Ich glaube eher, daß er sich irgendwo versteckt hat, um einige Tage verstreichen zu lassen. Ihm muß nach dem Erwachen aus seinem Rausch klargeworden sein, daß er geredet hat. Und nun hat er Angst.« »Ja«, sagt Bissell düster. »Wir haben Unterlagen über sieben Männer, die etwas wußten und seitdem spurlos verschwunden sind. Die Straßenbanditen haben sie mit Sicherheit umgebracht, aber es gibt keine Beweise, Leute.« »Eines Tages werden wir sie bekommen«, knurrt Beidler erregt. »Dann suchen wir uns eine Jury, fangen die Kerle ein und hängen sie nacheinander auf.« »Es wird schwer sein, sie zu erwischen«, brummt Sanders. »John, erinnerst du dich noch an Decour? Ein Landsmann von dir, Morier.« »Ja, ich weiß«, antwortet Morier traurig. »Zufällig auch noch aus demselben Department wie ich. Wilbur hat recht, X, es wird schwer sein. Schließlich wußte Decour eine ganze Menge über sie. Ich werde nie vergessen, wie sie ihn zugerichtet hatten.« »Hört auf«, sagt Clark spröde. »Ich will noch etwas essen.« »Ich sage ja schon nichts mehr«, erwidert Morier bitter. »So ist das Leben, mal bist du oben, dann wieder unten. Ach, Clark, da fällt mir ein, du hättest mir eine Kleinigkeit aus Bannack mitbringen lassen sollen. Es hätte Nick sicher nichts ausgemacht.« Wilbur Sanders, wie immer beherrscht, hebt langsam den Kopf und blickt zu Morier, um dann auf Clark zu sehen. »Nick ist schon gestern los«, antwortet Clark ruhig. »Er hat
Maultiere für uns gekauft und wird morgen wieder hier sein.« Wilbur Sanders sieht ihn kurz an und fragt dann beiläufig: »Maultiere, William?« »Zwei«, sagt er dann. »Ich dachte mir, daß wir keinen besseren Mann finden konnten, um sie zu holen. Burtchey, mein Partner, hat zwar einige Bedenken, aber bis jetzt ist Nick immer noch zuverlässig wie eine Uhr gewesen.« »Also, einen besseren Mann findet ihr bestimmt nicht«, mischt sich Beidler ein. »Ich kenne ihn seit Colorado vom Washington Gulch her. Tbalt ist jung, aber eine ehrliche Haut.« »Ach, der junge Nicholas Tbalt?« fragt Sanders erstaunt. »Der ist es? Ich dachte, weil ihr ihn Nick nanntet, es gibt eine ganze Menge Nick's hier, wie? Mir ist eine seltsame Sache passiert, John, die auch dich angeht, William.« »Auch mich?« fragt Clark erstaunt. »Was ist los, Wilbur? Hat etwa jemand unseren Lebensmitteltransport überfallen?« »Das nicht. Ich wollte mir, ehe ich zu dir kam, eine Zigarre anstecken. Es war ein so scharfer Wind, daß ich in die Nische neben dem ›Hurdy-Gurdy‹ trat. Und da kamen zwei Männer. Sie blieben keine drei Schritte von mir stehen. Und dann unterhielten sie sich über Nick und seine Maultiere.« »Was?« fragt William Clark bestürzt. »Wilbur, hast du dich auch nicht verhört? Außer uns, meinem Partner und mir, dürfte kein Mensch etwas von Nicks Auftrag wissen. Wer waren die beiden Männer?« »Ich habe sie nicht erkannt«, erwidert Wilbur. »Alles, was ich noch hörte, war, daß sie sagten, Nick hätte zwei Maultiere, aber auch Geld. Sie meinten, ihr würdet denken, er sei bei diesem Wetter nicht zu sehen.« »Alle Teufel«, sagt Clark verstört. »Wilbur, Nick hat eine anständige Geldsumme mitbekommen. Sollte ihm jemand auflauern?«
»Wenn du sie reden gehört hättest«, antwortet Wilbur, »dann würdest du dasselbe denken wie ich, William. Es hörte sich tatsächlich so an, als wenn sie von einem Überfall gesprochen hätten, ehe sie wegen des Regenschauers stehenbleiben mußten. Wohin ist Nick?« »Zu Dempseys Ranch, Wilbur«, antwortet Clark beklommen. »Mein Gott, Beidler, was sagst du dazu?« »Nichts«, erwidert Beidler ruhig. »William, es ist noch nicht an der Zeit, sich Sorgen zu machen. Ich muß morgen nach Bannack und etwas weiter hinaus, also werde ich mal bei Dempsey vorbeireiten und nachsehen. Zufrieden?« »Dann nimm eine Kleinigkeit für mich mit«, gibt Clark zurück. »Ich wollte ohnehin gleich gehen, John, willst du mitkommen? Dann gebe ich dir das Päckchen. Übrigens, Wilbur, für dich sind die neuen Stiefel angekommen.« . »Ach, dann gehe ich auch mit und hole sie mir gleich«, erwidert Wilbur Sanders ruhig, der niemals Stiefel bestellt hat. »Wollen wir gehen, John?« »Sicher«, sagt Beidler trocken und steht auf. »Morier, was bekommst du?« »Habe heute genug verdient, ihr macht mich nicht arm, geht nur«, sagt Morier lächelnd. »Einen Gruß an deine Frau, William.« »Danke.« Clark erhebt sich, auch Beidler und Sanders stehen auf. Nach kurzer Verabschiedung treten sie auf den Gehsteig hinaus und gehen wie selbstverständlich so, daß Sanders in ihrer Mitte ist. »Wilbur«, sagt Clark, »John weiß es schon, unser Mann ist in weniger als zwei Stunden hier. Ich dachte, du müßtest es wissen.« »Und der Richter, warum habt ihr ihm nichts gesagt?« »Er ist Richter und soll keine Stellung beziehen, jedenfalls
nicht öffentlich«, erwidert Beidler. »Außerdem hat der Saloon viel zu viele Ohren, mein Freund. Es bleibt unter uns, du hast es einmal selbst gesagt, Wilbur, na?« »Ja«, sagt Wilbur Sanders leise. »Das habe ich. Je weniger Leute ein Geheimnis wissen, um so besser für alle. John, kennst du den Mann?« »Flüchtig«, antwortet Beidler mit einem kurzen Lächeln. »Du bist doch nicht neugierig, Freund Wilbur?« »Manchmal bin ich es«, sagt Wilbur Sanders. »Vor allen Dingen dann, wenn ich weiß, daß nur ein absoluter Narr so verrückt sein kann, diese Arbeit zu tun. John, ich würde mich nicht an diese Sache trauen.« Einen Augenblick verzieht Beidler das Gesicht, um dann zu sagen: »Ich auch nicht. Also, gehen wir zu dir hinein, William.« Clark öffnet vor ihnen die Seitentür zum Zaun, hinter dem die Wagen der Transportlinie stehen, für die auch eine ganze Anzahl Kutschen unterwegs sind, und sieht sich im Hof um. Alles dort ist ruhig. Lediglich im Schuppen der Station drüben, in dem ein halbes Dutzend Betten für die Fahrer stehen, brennt noch Licht. »O'Neill«, sagt Clark düster. »Er wird wieder nicht schlafen können. Einen halben Zoll höher, und die Kugel würde ihn glatt durchbohrt haben. Ich werde nachher noch nach ihm sehen, er hat niemanden auf der Welt.« »Er hat Mut«, murmelt Beidler. »Wer sonst würde seinen Revolver im Stiefelschaft versteckt gehalten haben, um im richtigen Augenblick zu ziehen und zu schießen? Diese Iren.« »Ja«, sagt Sanders mit einem knappen Lächeln. »Manchmal kann man stolz sein, daß man ein Ire ist, wie?« Sie gehen ins Haus und gleich in den Büroraum, den sich Clark hier eingerichtet hat, obwohl er die meiste Zeit in Ban-
nack oder Summit ist. Männer, die sich zum Ziel gesetzt haben, das Gesindel in der Minengegend Montanas mit Stumpf und Stiel auszurotten, sitzen überall im Land und unterrichten sich sofort gegenseitig, wenn irgendwo ein Überfall geschieht, bei dem etwas geraubt wird, das vielleicht in einer anderen Minenstadt auftauchen könnte, um verkauft zu werden. Clark, Sanders und Beidler sind die führenden Köpfe der Rechtspartei in diesem Land. Clark zieht die schweren Vorhänge an seinem Fenster zu, ehe er das Licht anzündet und sich in seinen Stuhl hinter dem Tisch fallen läßt. »Setzt euch doch«, sagt er heiser. »Euer Stehen nimmt mir sonst die Ruhe. Unser Mann will in etwa zwei Stunden hier sein, Wilbur, ich erhielt die Nachricht mit der Abendkutsche. Genau Mitternacht wird er kommen, es ist dann ruhiger in der Stadt. Wir müssen uns etwas ausdenken, um ihn an den Platz zu bringen, an dem wir ihn haben möchten. Wen soll er überfallen?« »Was?« fragt Beidler nervös und steht quicklebendig wieder auf, kaum daß er sich gesetzt hat. »William, das mache ich auf keinen Fall mit. Stell dir vor, sie erwischen ihn später, und keiner von uns ist da? Dann hängen sie ihn vielleicht ohne viel Federlesens und lassen ihm nicht mal die Chance zu reden. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen. Er kann doch gesucht werden.« »Willst du vielleicht einen Steckbrief selber drucken?« erkundigt sich Wilbur Sanders. »John, ich bin nicht sicher, ob er, wenn er gesucht wird, auch bei unseren Straßenbanditen aufgenommen wird, ist dir das klar?« »Das Ding muß eben so abgefaßt sein, daß man ihn aufnehmen wird«, erwidert Beidler heftig. »Wilbur, wozu bist du Rechtsgelehrter, wenn du dir nichts einfallen lassen kannst,
he?« »Können, das kann ich schon«, sagt Wilbur trocken, »aber ich habe dieselben Ideen wie William, John. Es gibt keinen besseren Grund als einen Überfall, wenn man sich verstecken muß.« Beidler, ein Mann, der sich nicht vor dem Teufel fürchtet, wiegt bedenklich den Kopf und sagt dann: »Ich käme mir wie ein Mann vor, der einen anderen in eine Falle laufen läßt, ohne ihn zu warnen, Wilbur. Er muß eine Chance haben, wenigstens eine, auch wenn sie noch so klein ist.« »Er weiß schließlich«, murmelt Clark, »welches Risiko er einzugehen bereit ist, John. Meinst du nicht, daß er sich das oft genug überlegt haben dürfte?« »Natürlich, aber schließlich kennen wir ihn nicht. Ich sage nur, daß ich niemanden kaltblütig in sein Verderben schicken werde, ich bekomme das nicht fertig. Wer ist der Bursche überhaupt, woher kommt er, was ist er gewesen?« »Er ist ein Mann«, erwidert Clark, mit einem leichten Lächeln, »der genau weiß, was er zu tun hat. Ich denke, er kennt seine Chance ganz genau. Was ich nicht weiß, ist, ob er nicht selber einen Plan hat.« »Das würde die Dinge erleichtern«, brummt Beidler, erleichtert aufatmend. »Und woher kommt er?« »Aus Denver, Jonn.« »Mann, warum schweigst du dich über ihn aus?« fragt Beidler verärgert. »Ist er ein halber Bandit? Oder was hast du sonst für Gründe, uns seinen Namen vorzuenthalten?« »Einen Grund habe ich«, erwidert Clark ruhig. »Und er ist so gut, daß ihr ihn akzeptieren werdet, sobald der Mann vor euch steht. Die zwei Stunden werdet ihr sicher noch warten können, meine ich. John, wolltest du nicht Morton besuchen?« »Das wollte ich, aber der Kerl ist noch nicht da.«
»Und wenn er doch zu Hause ist?« »Ach, ich bin es leid, alle zwei Stunden nachzusehen, ob er da ist«, sagt Beidler mürrisch. »Der Kerl steckt irgendwo und wartet ab, bis sich alles beruhigt hat. Es wird keinen Sinn haben, daß ich hingehe, es ist bestimmt wieder vergebens.« »Er wohnt hinten am Hügel, wie?« erkundigt sich Sanders. »John, wenn es dir nichts ausmacht, dann komme ich mit. Man erwartet mich nicht vor Mitternacht zu Hause. Ich habe den halben Tag am Schreibtisch gesessen, etwas Bewegung kann meinem Bein nicht schaden.« »Wir finden ihn doch nicht«, entgegnet Beidler. »Wilbur, du solltest dein Bein schonen, statt zu laufen.« »Ich will nicht mein ganzes Leben lang humpeln. Also, laß uns gehen, wir sind gegen Mitternacht wieder hier, William. Wenn du dir in der Zwischenzeit etwas für unseren Mann einfallen lassen kannst, dann tue es. Ich werde auch darüber nachdenken. Kommst du, John?« »Ja«, sagt Beidler und greift nach seinem Gürtel, in dem der Revolver steckt. »Es wird nicht viel Zweck haben, aber wenn ich ihn finde, dann wird er mir einige Dinge erzählen müssen.« »Wie ich ihn kenne«, erwidert Clark leise und dreht die Lampe kleiner, »redet der nicht, wenn er nicht will, John.« »Er wird reden, verlaß dich darauf«, brummt Beidler. Er steht an der Tür und sieht Clark düster an. »Ich bekomme jeden zum Reden, auch Morton. Solange er reden kann, wird er mir antworten müssen« »Solange er reden kann«, murmelt Clark. »Und wenn er nun nicht mehr…« Beidler sieht ihn groß an und schluckt einmal. »Male nicht den Teufel an die Wand«, sagt er dann erschrocken. »Der Bursche hat sich irgendwo versteckt, ich weiß es.«
»Hoffentlich«, erwidert Clark unruhig. »Immerhin würde es für sein Verschwinden noch eine andere Erklärung geben, wie?« Er sieht ihn an, Beidler senkt den Blick und macht die Tür heftig auf. Erst in dieser Sekunde denkt Beidler daran, daß Morton vielleicht gar nicht in einem Versteck hocken, sondern irgendwo draußen liegen könnte. Was ist, wenn Morton tot ist? * Die Schritte kommen, Stiefel platschen im Wasser, jemand geht auf das Haus zu, in dem Mary Baines wohnt und in dem ein Mann sitzt und den Kopf hebt. Der Mann starrt auf das Fenster, seine Hand kriecht über den Tisch und berührt den Revolver. Dann erst streckt er die andere Hand aus und dreht die Lampe mit einem Ruck ganz tief herunter, so daß der Docht kaum noch aus der Messingführung herausragt. Es ist nun fast dunkel im Zimmer. Und die Schritte nähern sich. Lester Morton sitzt ganz still und angespannt auf dem Stuhl vor dem Tisch, auf dem eine Flasche mit zwei Gläsern steht. Sein Revolver wackelt leicht, als er auf das Fenster zielt, das mit einer Decke verhängt ist. Die Schritte kommen, und Morton hat Angst. Er hat seit vier Tagen eine würgende Angst, die ihn manchmal, wenn er kaum eingeschlafen ist, wieder hochfahren läßt. Jedesmal, wenn er dann aufwacht und schweißbedeckt im Bett liegt, denkt er an Decour, an dessen Anblick, als sie ihn gefunden hatten.
Und dieser Gedanke macht es, daß ihm regelmäßig übel wird. Er muß an Decour denken und an das, was Decour gewußt hat. Es ist dasselbe, was auch Morton nun weiß. Die Schritte draußen halten an. Mortons Mund ist ganz trocken. Er schluckt verzweifelt, er würgt, starrt auf das Fenster und wartet. Warum bleibt der Mann stehen, warum geht er nicht weiter, warum nicht? Sind sie schon so nahe, wissen sie es etwa? Nein, niemand wird etwas wissen, keiner weiß etwas von ihm und der Witwe von Baines, niemand. Warum geht der Kerl draußen nicht weiter? Auf einmal flackert etwas, es ist ein Streichholz. Der Mann, der draußen stehengeblieben ist, raucht sich eine Pfeife oder eine Zigarre an und setzt gemächlich seinen Weg fort. Als die Schritte verklungen sind, und Morton auf seine Handfläche starrt, aus der er den Revolver auf den Tisch zurückgelegt hat, ist die Hand mit kleinen Schweißtropfen bedeckt. »Oh, verdammt«, sagt Morton keuchend und fährt sich mit der Zunge über den trockenen Gaumen. »Der Raum hier, diese Enge. Und immer warten, ob nicht doch einer etwas weiß, ja, ob nicht doch einer kommt. Das Alleinsein, das verdammte Alleinsein, es macht mich noch krank. Mary hat zu tun, Mary sitzt bei irgendeiner Frau und näht ein Kleid für sie. Nun ja, sie kann ja nicht einfach bei mir bleiben und ihren Beruf aufgeben, das würde erst recht auffallen. Es ist schon schlimm genug, daß sie einkaufen muß, mehr als jemals vorher. Ich muß auch etwas essen, ich sitze hier und warte, ich rasiere mich jeden Tag, ich liege viel, weil ich nichts zu tun habe und nicht hinausgehen kann. Nur, wenn es dunkel ist, dann wage ich mich nach draußen, dann erst.«
Er starrt auf die Flasche, den einzigen Tröster in seinem Alleinsein, und streckt die Hand aus. Die Flasche klirrt leise, als der Hals an das Glas stößt und der Brandy hineingluckert. Trinken, denkt Morton, ja, wieder trinken, genau wie vor fünf Tagen, wie? Was mußte ich Narr auch reden. Hätte ich doch nur meinen Mund gehalten. Wie haben sie doch gesagt, als ich es geäußert hatte: Wenn du wirklich jemand erkannt hast, Lester, dann ist dein Leben keinen Cent mehr wert, weißt du das? Keinen Cent mehr wert, denkt Morton tonlos und setzt das Glas ab. Keinen verdammten Cent. Und dann trinkt er. Vor zwei Stunden ist er aus dem Schlaf aufgeschreckt. Diesmal hat er Decour vor sich gesehen im Traum. Draußen trommelt der Regen auf ein Stück Blech. Der Wind klappert mit einem losen Brett am Giebel. Morton erinnert sich, durch das Klappern in der ersten Nacht in diesem Haus fast verrückt geworden zu sein. Er hat sich tatsächlich eingebildet, daß sie schon im Haus sein könnten. »Widerliches Brett«, sagt Morton zwischen den Zähnen und gießt den Rest aus dem Glas förmlich herunter. »Ich halte es nicht mehr aus, ich ersticke hier drin.« Er erträgt das Stillsitzen nicht mehr und steht hastig auf. Seine unruhige Wanderung durch das Zimmer beginnt wieder. Der Raum ist nur klein. Klein ist auch Baines Haus, das er baute, als er noch Hoffnung hatte, mit einem Fleischhandel genug Geld zu verdienen. Er verdiente auch ganz gut, dann aber fand man ihn eines Tages neben seinem toten Pferd und ohne die Rinder, die er hier verkaufen wollte. Er konnte keinem mehr sagen, wer ihm die Rinder und sein Leben genommen hatte. Road Agenten, denkt Morton. Dieses Gesindel, nun ja, Gesin-
del, aber diese Sorte ist schrecklicher als unsereins. Ich habe nur manchmal mit einem gestohlenen Pferd, Maulesel oder auch mit Rindern gehandelt, aber die Burschen, sie fallen über die Leute her. Und wer nicht gleich seine Hände hochnimmt, den erschießen sie mit einer Schrotflinte. Er denkt, während er am Tisch stehenbleibt und sich das Glas wiederum füllt, an die Waffen, die jeder Straßenbandit bei sich führt: Eine doppelläufige, zumeist abgesägte Schrotflinte, zwei Revolver, ein Messer und zur Reserve noch ein Gewehr. Als Morton die drei Männer verschwinden sah, nachdem die Kutsche angehalten worden war, entledigten sich zwei ihrer Vermummung. Er erkannte sie und rührte sich nicht. Hätte er sich gerührt… Ich würde nicht mehr leben, denkt er keuchend und setzt das Glas an die Lippen. Ich wäre tot. Er schließt die Augen. Er hat noch den Geschmack des Whiskys im Mund und beißt sich heftig auf die Lippen. Das Hemd am Hals scheint immer enger und enger zu werden, er bekommt fast keine Luft mehr. Keuchend, sich mühsam am Tisch entlangtastend, sinkt er auf den Stuhl und bedeckt sein Gesicht dann mit den Händen. Der Whisky wirft ihn beinahe um. Es ist zuviel auf einmal und für einen Magen, in dem fast nichts ist, denn er kann kaum etwas essen. Schon vier Tage lang würgt er an jedem Bissen, er bekommt nicht genug in den Magen. Ist es die Luft, denkt er. Die Luft ist so schlecht, so schwer, so drückend. Ich brauche frische Luft. Er faßt sich an den Hemdkragen, öffnet den Knopf und lehnt sich mit geschlossenen Augen im Stuhl zurück. Doch, ihm wird nicht besser.
Es hat keinen Sinn, denkt er, sie warten bestimmt nicht mehr. Sie werden sich sagen, daß ich kopflos davongerannt bin, daß ich mein Pferd genommen habe und weggeritten bin, weit weg. Wozu noch hier sitzen, wozu ersticken in diesem Loch? Ich hole mein Geld, ich nehme mein Pferd und reite davon. Plötzlich fühlt er sich besser. Ihm kann ja nicht viel passieren, wenn er nur vorsichtig ist. Zu Fuß gehen, nicht reiten, sich an seine Hütte schleichen und das Geld holen. Das Geld muß er haben, er muß es holen. Werden sie noch immer warten? Darüber hat er schon seit dem gestrigen Abend nachgegrübelt, unablässig den ganzen Tag daran gedacht. Sie werden sich sagen, daß er kein Narr ist, der sich verkriecht, wenn man ihn doch finden kann. Von seinem versteckten Geld wissen sie nichts. Auch nichts davon, daß er es nicht mehr holen konnte, nachdem er erst geredet hatte. Das Geld ist in der Hütte, nur darum ist Morton noch hier. Sonst würde er tatsächlich längst über alle Berge geritten sein, um dieses Land zu verlassen. Das Geld ist es, das Morton an diese Stadt bindet, an die Hütte und an diesen Raum hier, in dem es schwül ist, in dem man kaum Luft bekommt. Mary, denkt Morton, sie weiß nichts. Ich habe ihr nichts erzählt. Ich habe nur gesagt, daß ich einige Tage bleiben müßte. Und da hat sie mich gefragt, ob ich etwa jemanden umgebracht hätte. Er schüttelt den Kopf, gießt sich dann den Rest Whisky ein und erinnert sich an die zweite Nacht hier, an Marys Nachhausekommen und ihre Frage in der Dunkelheit: »Ich weiß jetzt, warum du bei mir bist, Lester. Du hast einige der Road Agenten erkannt.« »Ja.«
»Ich werde nicht reden, Lester, aber ich will auch nicht wissen, wen du erkannt hast.« »Es ist auch besser so, Mary. Wenn ich gehen soll, dann mußt du es nur sagen.« »Ich schicke dich nie weg.« Ja, denkt Morton, sie ist in Ordnung, sie würde die richtige Frau für mich sein, ich kenne keine bessere hier. Und sie mag mich auch. Ich werde weggehen und ihr dann schreiben, wenn ich etwas gefunden habe. Geld genug habe ich gespart. Ich bin nicht so ein Narr gewesen wie die anderen und habe in den Tanzhallen für das Lächeln eines dieser gepuderten Girls mein Geld weggeworfen. Nein, ich habe schön gespart und genug beisammen. Warum habe ich Narr denn nur geredet? Die Luft hier drin ist so schwer, daß er aufsteht und den Rest aus dem Glas trinkt, um dann die Lampe erneut ganz klein zu stellen. Gleich darauf ist er an der Küchentür, zieht sie auf und bückt sich. Unter der Bank, hinter einem Vorhang, stehen seine Stiefel. In dem Augenblick, als er sie in die Hand nimmt und sich auf die Bank setzt, um sie anzuziehen, kommt das Gefühl. Es ist ein seltsames Gefühl, aber es sagt ihm eindeutig, daß er die Stiefel nicht anziehen soll. »Ach, zum Teufel«, sagt er leise und heiser. »Ich habe lange genug gewartet. Sie passen nicht mehr auf, die sagen sich bestimmt, daß ich längst weg bin. So närrisch sind sie nicht, daß sie sich wegen eines Mannes so viel Mühe machen. Oder sind sie es doch?« Da sitzt er und zaudert, die Stiefel in der Hand. Schließlich zieht er sie an, geht leise von der Küche in das Schlafzimmer hinüber und nimmt seine dicke Armeejacke, deren Kragen aus einem dicken Biberfell besteht.
Auf die Jacke ist er immer besonders stolz gewesen. Es ist eine Offiziersjacke. Und die Leute haben ihn oft als Captain angeredet, wenn er irgendwo aufgetaucht ist, um Geschäfte zu machen. Er hat sich das gefallen lassen und hinterher gelächelt. Morton zieht die Jacke über, wickelt sich dann seinen Schal um den Hals und geht wieder in das Wohnzimmer zurück, um sich den Revolver zu nehmen und den Gurt umzuschnallen, der über der Eckbanklehne hängt. Einen Moment überlegt er, ob er den Revolver in das Halfter stecken soll, doch dann schiebt er ihn in die Außenseite seiner Jacke. Ich werde mit den Händen in den Jackentaschen gehen und den Revolver fest in der Hand halten, denkt Morton. Und wenn mir dann einer begegnet, dann wird er schießen, das weiß er. Morton hat zwar noch niemals auf einen Menschen geschossen. Wenn sie mich umbringen wollen, dann werde ich mich wehren. Ob ich einen Zettel hier lasse, auf dem ich die Namen der beiden Kerle aufschreibe, die ich erkannt habe? Besser nicht, es könnte sein, daß Mary dann in Schwierigkeiten kommt. Morton löscht das Licht, geht dann zur Hintertür und bleibt an dem schmalen Fenster neben der Tür stehen. Fast zehn Minuten wartet er in der Dunkelheit, bis sich seine Augen völlig an die Nachtschwärze draußen gewöhnt haben. Es ist kalt und regnerisch. Wenn es so bleibt, denkt er, wird es noch frieren. Dann reiten? Ach was, es wird schon nicht frieren. Ich kenne schließlich die Gegend hier. Ich gehe weiter nach Osten, vielleicht nach Wyoming und Laramy. Da bin ich schon mal vor drei Jahren gewesen, gute Gegend für ein Geschäft. Er blickt auf den Stall, in dem sein Pferd ist. Es wird schnell gehen, er braucht keine Viertelstunde, um zu seiner Hütte zu
kommen, wenn er sich ihr mit aller Vorsicht nähert. Die Hütte steht günstig drüben am Hügel und nahe am Bachlauf. Er wird schon unentdeckt herankommen können. Langsam macht Morton die Tür auf, lauscht in den fauchenden Wind hinein, der feinen. Nieselregen mitbringt und über ihm zerstäuben läßt. Der Wind ist kalt, und Morton drückt seinen runden Hut fester auf den Kopf. Hinter ihm klappt die Tür zu, er steht an der Wand des Hauses, geht dann los, hat die rechte Hand in der Rocktasche und den Revolver umklammert. Morton eilt über den Hof und bleibt einen Moment im Windschutz des Stalles stehen. Von hier aus blickt er sich um, dann senkt er leicht den Kopf und tritt aus dem Schutz der Stallwand in den Regen hinaus. Der Regen kommt von links und trifft ihn mit heftiger Gewalt. Die richtige Nacht, denkt Morton zufrieden. Bei diesem Wetter jagt man keinen Hund hinaus, wenn es nicht nötig ist. Ich wette meinen Hut, daß sie bei diesem Sturm alles andere tun, als nach mir zu suchen oder meine Hütte zu beobachten. Sicher sitzen sie irgendwo in einem warmen Raum und trinken Whisky oder Grog. Es ist der Whisky in ihm, der ihn sorgloser macht. Die Luft, so kalt sie auch ist, tut ihm gut. Er schwankt leicht, als er in die Gasse kommt und hastig, den Hut tief in die Stirn gezogen, nach Süden geht. Hier steigt das Gelände an. Und erst jenseits des Baches liegt die Hütte, in der sein Geld ist. Der Sturm macht Morton nichts aus, die Kälte auch nicht. Das Wetter dürfte für seine Pläne noch schlimmer sein. Nicht die Hand vor Augen müßte man sehen und vor Kälte nicht die Zähne zusammenpressen können. Gerade richtig für Morton, der in einer Regenlache ausrutscht und hart an die Wand eines Schuppens fällt.
Auf den dumpfen Hall an der Schuppenwand hin beginnt ein Hund zu bellen. Morton flucht. Er macht, daß er weiterkommt. Hinter ihm bleibt die dunkle Gasse zurück, die Querstraße zur Wallace Street kommt, die er überqueren muß. Er zaudert, als er nach links und rechts blickt, den Bau der Bäckerei erkennt, in dem noch Licht brennt, aber auch den »Hurdy-Gurdy« sehen kann, vor dem ein gutes Dutzend Männer stehen. Dort ist Lärm, jemand scheint auf der Straße zu hüpfen, aber Morton erkennt von seinem Platz aus, daß der Mann nicht hüpft, sondern auf die Straße geworfen wird. Jemand kommt drüben entlang. Es sind zwei Männer, die aus dem Schatten des einen Hauseinganges treten und auf den »Hurdy-Gurdy« zuhasten. Morton erkennt Richter Bissell und zuckt zurück. Wenn Bissell ihn sieht, dann wird Beidler sicher bald kommen. Nur jetzt nicht über die Straße gehen. Sicher weiß Beidler bereits alles über Mortons Worte und Andeutungen. Und niemand hier ist mehr daran interessiert, alles über die Straßenbanditen zu erfahren, als gerade Beidler. »Das fehlte noch, daß sie ihn hinter mir herschicken«, murmelt Morton und hört den Richter gleich darauf laut schimpfen, sieht jemanden aufstehen und über die Straße davonwanken. Morton wartet einige Minuten. Als der nächste Regenschauer kommt, sieht er drei Leute, die aus dem Saloon rechter Hand kommen, in wilden Sätzen über die Straße rennen. Es ist unmöglich für Morton, einen dieser Männer zu erkennen. Morton sagt sich, daß man auch ihn nicht erkennen wird, wenn er schnell über die Straße rennt, und läuft auch schon los.
Gleich darauf ist er drüben, kommt zum Sägeplatz für das Bauholz des neuen Viehschuppens und drückt sich an den Stapeln entlang. In der Nähe hört er irgendwo zwei Männer reden. Er schlägt einen kleinen Bogen und patscht im Regen durch eine breite Lache. Vor ihm liegt nur noch der Bach. Über den Bach, in dem man nach Gold gesucht hat, führen einige Bretterstege ohne Geländer. Morton ist klug genug, seine Hütte nicht über den nächsten Steg erreichen zu wollen. Er weicht weit nach links aus und kommt an jene Stelle, an der man mit Wasserschläuchen die Ufer des Baches ausgespült hat. Geröll liegt hier herum, dazwischen ist der schmale Brettersteig. An Mortons Kleidung zerrt der Wind. Der Regen kommt unangenehm kalt und sprüht ihn naß. Die Hand in der Tasche am Revolver, so geht Morton vorsichtig über den Steg. Vor ihm ist nun ein baufälliger Schuppen, Bretter liegen herum. Der Wind fängt sich am herabhängenden Dach und läßt einige der Dachbretter zusammenschlagen. Morton bleibt stehen und duckt sich. Er blickt auf den Schuppen, auf das nächste Haus, in dem kein Licht brennt, und wartet. Ringsum ist alles ruhig. Nur der Regen fällt und läßt die Schuppenwand glänzen. Auf einem umgekehrt am Boden liegenden, verrosteten Eimer trommeln die Regentropfen einen stetigen Takt. Er hört niemanden und sieht auch niemanden. Hinter einigen Büschen Schutz suchend, geht er geduckt und sehr langsam weiter. Keine 60 Yards bis zur Hütte, in der sein Geld liegt. Ohne das Geld kann ich nicht weggehen, ich muß es haben, um etwas beginnen zu können. In Laramy, vielleicht auch in Cheyenne, mal sehen, es ist weit bis dahin. Erst muß ich mal das Geld holen, denkt Morton.
Ein paar Felsen vor ihm sind naß und glänzend, auf die er sich stützt und wieder nach vorn starrt. Die Sicht beträgt kaum 20 Yards. Rechts liegen zwei Häuser am anderen Ufer des Baches. Morton ist nahe am Bach, hört ihn glucksen. Viel Wasser ist durch den Regen im Bach, sehr viel Wasser. Im Haus drüben geistert ein Lichtschein hinter den Fenstern und erlischt wieder. Wenn sie doch warten, denkt Morton und schluckt schwer. Was ist, wenn sie nun doch hier sind? Bei dem Wetter? Er blickt sich um. Nein, denkt er, bei dem Wetter steht niemand draußen, bei dem Wetter ist keiner so närrisch, sich hinzustellen und aufzupassen. Das richtige Wetter, dunkel, stürmisch, Regen dazu, deine Nacht, Morton, deine Zeit. Seine Nacht und seine Zeit. Er kriecht hinter den Felsblöcken über die Aufschüttung eines Grabens, in dem mal jemand nach Gold gesucht hat. Das Gold ist es, das die Leute verrückt gemacht hat. Räuber, Diebe, Totschläger, Messerstecher und gemeine Mörder hausen überall in diesem Land. Kein Weg ist sicher, keine Straße, wenn man weiß, daß jemand Geld bei sich hat oder Gold. Spitzel überall, Spitzel, die den Straßenräubern alles zutrauen. Der hat einen Fund gemacht und will nach Salt Lake reiten, um sein Geld wegzubringen. Paßt auf. Sie passen auf. Ein Mann reitet los und kommt niemals in Salt Lake an. Das ist die Wahrheit, denkt Morton, die Wahrheit, die ich kenne, aber mich erwischen sie nicht. Ich reite nach Osten, ich werde verschwinden. Um die Felsen ist er, kauert schon hinter einem Busch und hat das Haus vor sich, in dem Walt Heald wohnt. Ein Wagen steht im Hof, Regen auf der Plane, der abrinnt und unter dem Wagen eine große Lache gebildet hat. Kein Licht im Haus, im
Stall alles ruhig. Hinter dem Stall schleicht Morton vorbei und lauscht an den Brettern. Ein Pferd bewegt sich im Stall und prustet einmal. Er muß an sein Pferd denken, als er am Graben ist und den Stall hinter sich hat. Sein Pferd ist gut genug für 60 Meilen an einem Tag. Es wird ihn wegbringen, weit weg. Nur noch ein Schuppen vor ihm, er kann das flache Dach seiner Hütte sehen und geht in die Knie. Regen fällt in seinen Nacken, Wind zerrt an seinen Rockschößen. Er kauert still und abwartend am Boden, er sieht nach vorn, schleicht dann an den Schuppen und preßt sein Ohr an die Bretterwand. Er hört nichts. Er schöpft Mut und nähert sich dann schleichend der Tür, die nicht verschlossen ist. Mit einem Ruck macht er die Tür auf und tritt in den Schuppen. Der Revolver liegt in seiner Hand. Er steht still, sucht mit der Linken nach einem Streichholz und reißt es an. Leer, niemand im Schuppen. Aber dort, neben den Brettern, was liegt dort? Ein Sack, Stiefelspuren im aufgeweichten Boden. Unter dem Schuppenrand läuft das Wasser vom Hang herab über den Boden. Eine alte Kiste, auf ihr ein Sack, neben ihr die Reste von einigen Zigarren. Morton steht steif da, das Streichholz verbrennt fast seine Finger. Er schleudert es heftig weg, es, zischt im Wasser, die Dunkelheit ist wieder da. Zigarrenreste, denkt Morton. Sie sind hier gewesen, also doch. Sie haben auf mich gewartet, aber ich bin nicht gekommen. Gestern hat es angefangen zu regnen. Gestern nacht sind sie noch hier gewesen und haben gelauert, daß ich kam. Die Spuren sind einen Tag alt, also doch. Jetzt sind sie nicht mehr da, er weiß es. Das Wetter, das lange
Warten, sie haben es aufgegeben. Er lächelt, er friert nicht mehr. Er möchte lachen, dreht sich dann um, tritt in die Tür und bückt hinaus. Schwarz in schwarz ist die Nacht vor der Hütte. Jemand geht vom Schuppen los, nur ein dunkler Schatten im tiefen Schwarz der Nacht: Lester Morton. Seine Stiefel patschen durch Pfützen, halten an der Hütte an und hinterlassen Eindrücke neben der Tür. Morton ist kein Narr, der durch die Tür in seine Hütte geht. Man kann auch durch ein Fenster einsteigen, er weiß es und schleicht zu den beiden Fenstern. Sie sind fest zu, keine eingedrückte Scheibe, auch keine Spuren. Den Schlüssel aus der Tasche und wieder zur Tür. Dort hält er an, zieht den Revolver, steckt den Schlüssel ins Schloß und schluckt einmal, zweimal. Nun hat er doch wieder etwas Angst vor den Männern, die auf ihn warten könnten. Vielleicht sind sie in der Hütte? Haben ein Loch gegraben, sind wie Maulwürfe in die Hütte gekrochen, haben ihn längst gesehen und warten hinter der Tür? Der Gedanke läßt ihn schwitzen und frieren zugleich. Es kostet Überwindung, den Schlüssel umzudrehen, aber er macht es endlich und stößt die Tür auf. Er ratscht ein Streichholz an, wirft es in die Hütte und erleuchtet sie einen Augenblick. Mortons Kopf ruckt herum, kommt um die Ecke. Der Mann blickt in seine Hütte. Sie ist leer. Kein Mensch ist da. Sie haben es aufgegeben. Lester Morton atmet aus, die Anspannung löst sich. Er steht da und ist versucht zu lachen, gellend und laut zu lachen. Sie
haben sich um einen Tag vertan, nur noch einen Tag hätten sie zu warten brauchen, wie? Etwas wie Schadenfreude ist in ihm, Schadenfreude, reine Freude. Er sieht sich um, geht in seine Hütte und schließt die Tür. Niemand da, keiner wartet mehr. Morton setzt sich auf sein einfaches Lager und stützt den Kopf in die Hände. Sie werden lange warten können, sehr lange, bis sie ihn entdecken oder wiedersehen. Dann bückt er sich, sinkt auf die Knie und braucht kein Licht, um das zu finden, was er haben will. Er hat das Bett mit zwei Bolzen an die Wand geschraubt. Ach, denkt er, wenn die Narren das wüßten, was? Die Muttern kann er mit den Fingern nicht lösen, aber hinten in der Ecke bei dem Gerümpel liegt ein Schlüssel. Er findet ihn in der Dunkelheit und setzt ihn an. Das Metall klingt etwas, als er einmal abrutscht. Dann greift der Schlüssel. Morton löst die Schrauben und rückt das Bettgestell, das zu Boden poltert, als die Bolzen es nicht mehr halten, von der Wand ab. Auf die Idee würde niemand kommen, keiner, das weiß er. Er nimmt sein Messer und löst das eine Brett. Hier ist die Wand der Hütte doppelt, das Brett fällt zu Boden, Morton streckt die Hand aus und langt tief hinein in die Höhlung, bis er auf den Lederbeutel stößt. Der Beutel ist schwer. Morton keucht, als er ihn hinauszerrt und kniend über ihm kauert. Dann macht er den Beutel auf, in dem noch eine ganze Anzahl kleinerer Beutel sind. Hartgeld und Goldstaub, nur wenige Scheine. Die Scheine stopft er in die Innentasche seiner Offiziersjacke, die Beutel verschwinden einer nach dem anderen in den Taschen. Es ist schwer, das Gewicht, es sind über 11 000 Dollar. Verdient mit Pferden, Maultieren, mit Werkzeugen, Laternen und anderen Dingen, die zumeist einmal einen anderen
Vorbesitzer hatten, ehe sie von Morton gefunden wurden. Er lächelt, als er aufsteht, das Bett zurück an die Wand schiebt, und an das Fenster tritt. Regen trommelt an die Scheibe, draußen ist niemand zu sehen. Und in den Taschen wiegt das Gold und Geld schwer. Der harte Wind rüttelt an der Tür. Morton öffnet sie, eine Hand in der Tasche. Ein Blick nach rechts und links, er sieht sich um, und keiner da! Und nun das Pferd holen. Noch einen Umweg machen, wieder weit hinten über den Bach setzen? Ach, was, schnell das Pferd holen, keinen Umweg, wozu denn? Sie haben nicht lange genug warten können. Ausdauer muß man haben, Ausdauer, wie? Die Brücke kommt, der schwankende Steg. Der Wind heult in den Zweigen eines Busches. Der Brettersteg wippt, als Morton darüber hastet. Da vorn die beiden Häuser, dort beginnt die schmale Gasse. Hinein, Morton, schnell zu deinem Pferd, satteln und davon in Nacht und Regen. Keine fünf Schritte vor dem Haus bleibt er stehen und sieht sich noch einmal nach dem Bau um, in dem er ein halbes Jahr gehaust hat. Er wird ihm keine Träne nachweinen, nicht eine. Nur an Mary wird er denken. Lester Morton wendet den Kopf nach vorn und sieht die Männer. Da sind sie! Er hat die beiden Schatten vor sich. Einer rechts und einer links, an jedem Haus einer. Sie haben sicher in der Dunkelheit gestanden, um zu warten, bis er zwischen den Häusern war. Erst dann haben sie ihn anspringen wollen. Durch sein Umblicken aber sind sie aus der Deckung getreten. Morton sieht sie kaum, als er sich auch schon dreht und dann springt.
Er sagt nichts, er handelt, er hat immer schon schnell und ohne eine Schrecksekunde reagieren können. Vor ihm ist ein Busch, dann ein Hügel, ein Erdhaufen, an dem Morton mit einem Satz vorbeifliegt. Der Boden ist glitschig, der Mann rutscht aus und schlägt der Länge nach hin, um sich wieder aufzurappeln und mit wilden Sprüngen, die Angst im Nacken, auf den Bach zuzurennen. »Links!« hört er den einen Mann scharf sagen. »Paß auf, lauf schnell!« Sie sind doch da, denkt Morton entsetzt, sie haben gewartet. Laufen, schnell weglaufen, über die Brücke. Daß er so schnell sein kann, das haben sie sicher nicht erwartet. Er hat trotz seines Sturzes einen Vorsprung und rennt los wie ein gehetzter Hase. Vor ihm sind zwei, drei Erdhaufen, er rennt zwischen ihnen durch und sieht sich um. Da kommen sie. Sie laufen beide, einer links, der andere rechts, aber beide wollen wie er auf die Brücke zu. Er sieht nur undeutlich ihre Schatten heranhuschen und hastet weiter. Vor ihm ist die Brücke, der wippende, schwankende Steg. Und an seinen Füßen der klebrige, feuchte Lehm. Zwei Schritte, zwei wilde Sätze auf den Steg, der schwankt, er wippt und dann geschieht es. Mortons lehmige Stiefel rutschen ab. Er schreit einmal und gleitet aus. Dann fällt er auch schon und sieht nur noch das Wasser des Baches. Bis an die Hüften steht er, nachdem er einmal eingetaucht und klatschnaß ist, im Wasser. Hinaus, denkt Morton, schnell hinaus, drüben an das Ufer. Aber das Wasser läßt ihn nicht so schnell vorankommen, der Bach führt sehr viel Wasser, das wild dahinschießt. Er watet, er hastet, aber er kommt nicht schnell genug voran. Am Ufer sind Büsche und Wurzeln. Er sieht sich um und reißt dann auch schon seine Rechte hoch.
Das Ufer ist dunkel. Er steht im Wasser bis an die Hüften, hat den Revolver in der Hand und weicht zurück an das Ufer. Links kommt der eine hoch, taucht über dem Ufer auf, sieht ihn nicht und nicht den Revolver. »Da hast du es«, sagt Morton und drückt ab. Es klickt einmal, kein Schuß fällt. Der Revolver ist naß, das Zündhütchen ebenfalls, Pulver ist feucht, der Revolver versagt. Auf einmal ist die Angst so groß, daß Morton den Kopf verliert und sich umdreht, einen Satz macht, nach den Zweigen eines Busches greift und verzweifelt mit den Beinen strampelt, um hochzukommen. Er schafft es auch, er zieht sich ans Ufer, dreht sich um und sieht den Mann auf der Brücke, den erhobenen Arm des Mannes und die blitzschnelle Bewegung des Armes, der nach unten saust. »Hilfe -Hil…« Der Regen klatscht am nächsten Haus an die Scheiben. Eine Frau hebt den Kopf und rüttelt ihren Mann. »Walt, Walt, hat da nicht jemand geschrien?« »Was, wer schreit?« »Walt, da hat jemand um Hilfe geschrien!« »Frau, du hast geträumt«, sagt Walt Heald gähnend. »Ich höre nichts, nur der Regen trommelt an die Scheiben.« Er ärgert sich, er kann schlecht wieder einschlafen, wenn er erst einmal aus dem Schlaf gerissen worden ist. Seine Frau ist so schreckhaft, sie hat einen zu leichten Schlaf und wacht dreimal in der Nacht auf. Muß sie ihn denn schon wieder stören? Er dreht sich auf die andere Seite und zieht sich die Decke über den Kopf. »Es hat doch jemand um Hilfe geschrien, Walt!« Er erwidert nichts, er liegt still. Der Regen trommelt an die Fensterscheiben.
Auf einmal sagt seine Frau: »Walt, da geht jemand, Walt, hör doch.« Walt richtet sich auf und lauscht. Er hört es, in der Gasse drüben platscht es. Jemand geht dort. »Na und?« fragt er murrend. »Wer weiß, wer da geht? Kümmere dich nicht darum, Frau, ich will jetzt schlafen.« »Ja, Walt.« Er liegt auf dem Rücken und starrt auf das Fenster, als sie schon längst wieder schläft. Der Regen rinnt über die Scheiben. Ich möchte jetzt nicht draußen sein, denkt Walt Heald und gähnt, der Regen durchnäßt einen völlig. Noch einer liegt auf dem Rücken. Der Biberpelzkragen ist schmutzig, seine Jacke ist offen. Und er blickt auf den Himmel, der wie ein schwarzes, riesiges Tuch ist. Der Himmel weint. Er sieht nichts von der Schwärze. Und er spürt nicht den Regen. Seine Taschen sind leer. Und der Regen fällt. Der Bach rauscht. * Sanders und Beidler nähern sich der Hütte. Einen Augenblick darauf sagt Beidler erstaunt und betroffen: »Die Tür ist nicht verschlossen. Sie war verschlossen, sooft ich auch hier gewesen bin, Colonel!« Wilbur Sanders blickt auf die Tür, die Beidler mit einem Ruck öffnet. Mit der rechten Hand zieht er einen Colt-Revolver. Er trägt in jeder Rocktasche einen.
»Vorsicht, John.« »Ja«, sagt John und steht an der Wand, den Revolver in der Faust. »Lester Morton, bist du da drin?« Der Regen trommelt auf das Dach der Hütte. In der Hütte bleibt alles still. Beidler greift in die Tasche, zieht ein Streichholz und entzündet es, um in die Hütte zu leuchten. »Wilbur, er muß gerade erst hier drin gewesen sein, er oder andere. Warte, paß auf, ob sich etwas rührt.« Beidler ist mit drei, vier Schritten in der Hütte, reißt das nächste Streichholz an, findet eine Laterne und macht Licht. Er blickt auf den primitiven Brettertisch und starrt auf das Loch in der Wand und den Lederbeutel, der am Boden liegt. »Wilbur«, sagt er, und seine Stimme klingt sehr heiser. »Ein Mann nur. Er ist in die Hütte gekommen, sieh her, was er geholt hat.« Sanders tritt in die Hütte, stellt sich an die Wand und furcht die Brauen. Deutlich sichtbar sind die Spuren eines Mannes, dessen Stiefel feuchten Lehm mit hereingebracht haben. »Gold?« fragt er, als Beidler den Beutel umwendet und mit dem Fingernagel in der Naht kratzt. »Ja, etwas ist in der Naht geblieben, Goldstaub«, erwidert Beidler knapp. »Ein Mann nur, Morton?« »Oder man hat ihn erwischt, und er hat das Versteck seines Goldes verraten müssen«, antwortet Wilbur düster. »Jedenfalls ist er weg, John. Er wird uns nicht mehr sagen, wen er bei dem Überfall gesehen hat.« John Beidler dreht sich um, hält die Lampe hoch und hastet aus der Tür. Der Lichtschein der Lampe fällt auf die Spuren, und Beidler sagt heiser: »Er hat kein Pferd bei sich gehabt, also wird es irgendwo in
der Stadt gestanden haben. Laß mich den Spuren nachgehen, dann finden wir vielleicht zu seinem Pferd.« »Mit dem wird er längst davon sein. Er wäre ein Narr, länger zu bleiben.« Wilbur Sanders läßt die Tür offen, hat ein unbehagliches Gefühl und sieht Beidler vor sich mit der Laterne auf die Stegbrücke zugehen. John Beidler hat die Brücke fast erreicht, er sieht nach den Spuren, als die Laterne schwankt und das Licht nach links und rechts auf das Bachufer fällt. In diesem Augenblick bleibt Sanders stehen, stößt einen heiseren Ton aus und sagt dann gepreßt: »Links, John, leuchte.« Beidler sieht ihn nun auch. Der Mann liegt auf dem Rücken, neben ihm ein Revolver. Er ist halb in den feuchten Grund getreten worden. »Morton«, sagt Beidler, indem er den Mann am Boden berührt. Er hebt ihn an, läßt ihn dann nach einem Blick auf seinen Rücken los und beißt sich auf die Lippen. Er sagt bitten »Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, ich sagte es doch zu Clark, wie? Morton verrät uns nie mehr etwas. Und sein Gold…« Er durchsucht seine Taschen und richtet sich dann auf. »Dachtest du«, antwortet Wilbur, »daß er es noch besitzen würde, John? Wurde er denn mit einem Messer getötet?« »Ja«, gibt Beidler grimmig zurück und leuchtet das Ufer ab. »Sieh her, er muß durch den Bach gekommen sein, vielleicht ist er von der Brücke gesprungen und hier herausgeklettert. Er hat seinen Hut verloren. Wahrscheinlich liegt er weiter abwärts im Bach, wir können nachsehen, wenn du meinst.« »Ich weiß nicht«, murmelt Wilbur und tritt nahe an das Ufer,
an dem er die Spuren sehen kann, die Morton beim Herausklettern hinterlassen hat. »Er liegt hier oben, da ist eine Schleifspur. Der Mann muß auf der Brücke gestanden haben.« »Ja«, brummt Beidler und geht zum Steg, um kurz nachzusehen. »Er muß sehr kräftig sein und sein Messer sehr genau werfen können. Ein Messerwerfer, Wilbur, einer, der mit einem Messer so gut wie mit einem Revolver umgehen kann. Ich kenne jemand.« »Du meinst Joe Pizanthia?« »Genau den«, erwidert Beidler grimmig. »Und ich will wetten, daß er es gewesen ist!« »Er wohnt nicht weit von hier in einer Hütte am Hügel, John.« »Da wohnt er, aber ich möchte wetten, daß er nicht zu finden sein wird. Er wird ein halbes Dutzend Zeugen für diese Zeit haben. Wilbur, nur Pizanthia kann mit einem Messer so gut umgehen.« Wilbur nickt. Auch er weiß nur zu gut, daß man Pizanthia nichts beweisen kann. »Also gut«, sagt er danach müde. »John, gehen wir und sagen wir den Leuten Bescheid, damit man ihn holt. Ich habe bald genug. Mit dem ordentlichen Gesetz kommst du hier nicht weiter. Im Beaverhead County drüben ist Henry Plummer von Banditen, Totschlägern, Spielern und Mördern zum Sheriff gemacht worden, er ist selbst ein Bandit.« »Meinst du, das weiß ich nicht?« fragt Beidler zornig. »Wilbur, am Pikes Peak und in Kalifornien gründete man einfach Vigilantenorganisationen. Frage William Clark, er wird es dir bestätigen. Wenn wir so nicht weiter kommen, dann müssen wir ein Vigilanten-Komitee bilden, wir, verstehst du?« Sanders sieht ihn an und nickt bitter. »Ja«, sagt er. »Hier wird erst Ruhe sein, wenn wir selbst das
Gesetz in die Hand nehmen. John, laß uns gehen, wir sagen Bescheid und werden dann zu Clark gehen. Vielleicht sollten wir mit ihm über deine Idee sprechen.« »Es ist nicht meine«, antwortet Beidler düster. »Es ist Clarks Idee. Du weißt sehr gut, daß seine Wagen gestohlen worden sind, Vorräte sind verschwunden, Pferde, Maultiere. Er hat in Kalifornien schon einmal ein Vigilanten-Komitee gegründet.« »Dann wird es nicht schwer sein, es hier auch zu tun«, antwortet Wilbur Sanders fest. »Also, laß uns gehen.« Beidler geht mit der Lampe zur Hütte, schließt dort die Tür, ehe er zurückkommt und leise sagt: »Ich möchte wissen, wer der Mann ist, den Clark uns beschaffen will. Vielleicht sollten wir ihn gleich auf Pizanthia loslassen? Er kann sich umhören und den Kerl vielleicht überführen.« Wilbur Sanders räuspert sich, ehe er antwortet. »Ich denke«, sagt er dann etwas kratzend, »dieser Mann wird sich erst unsere Meinung anhören müssen. Und wenn er danach noch immer für uns arbeiten will, dann…« Er macht eine Pause, während ihn John Xavier Beidler abwartend anblickt. »Dann wird er sein eigenes Todesurteil nicht unterschreiben wollen.« »Ja«, sagt Beidler mutlos. »Er kann dabei nur sterben.« Und er ist überzeugt, daß es so kommen wird. Der Mann, der versuchen soll, sich in die Bande einzuschleichen, er wird kaum eine Chance haben, lebend davonzukommen, wenn man weiß, wer er ist. Der Mann kann nur sterben. *
Die Nacht ist klar und kalt, der Regen, der noch am Morgen gefallen ist, hat bereits am Vormittag aufgehört. Leichter Frost zieht eine dünne Eisschicht über alle Pfützen und läßt die Buschzweige glänzen. Der Mond, der in diesem Augenblick hinter den Wölken heraustritt, bescheint einen Reiter. Es ist keine Stunde mehr bis Mitternacht, als der Mann die Felsen und den Alder Creek vor sich auftauchen sieht. Hinter den Felsen geht kaum Wind. Über den Nüstern des Pferdes stehen kleine Dampfwolken, und auch der Atem des Mannes verwandelt sich in deutlich sichtbaren Hauch. Mit wenigen Bewegungen entrollt der Mann zwei zugeschnittene und zusammengenähte Decken, die er über das Pferd zieht. Von diesem Augenblick an sieht das Pferd aus wie ein Ungeheuer oder eins jener gepanzerten Ritterpferde aus dem Mittelalter. Vielleicht ist es dem Mann zu kalt, denn auch er hängt sich nun eine Decke um, die nur vorn offen ist, und hebt den Hut an. Die Kapuze, die er sich über den Kopf zieht, ist aus einer Schürze zusammengenäht worden. Dann zieht er aus den beiden Schlaufen an seinem Sattel die abgesägte Schrotflinte, sieht sie nach und nickt zufrieden. Die Schrotflinte ist mit Nägelstücken und gehacktem Blei geladen. Danach scheint der Mann ganz zufrieden zu sein, denn er setzt sich bequem im Sattel zurecht, steckt sich eine Pfeife an und blickt ab und zu auf den Weg, der direkt auf die Felsen zuläuft und von ihm aus in einer halben Minute erreicht werden kann. Die Zeit verrinnt, der Mann steigt zweimal ab, bewegt sich, um sich warm zu halten, und steckt sich noch eine Pfeife an.. Erst in dem Augenblick, als er das Rollen von Rädern hört, klopft er die Pfeife langsam aus, zertritt den glühenden Tabak
und steckt dann die Pfeife ein. Dort hinten kommt das, worauf der Mann seit mehr als einer Stunde wartet. Da hinten kommt die Kutsche, die nach Virginia City unterwegs ist. Es ist die Mitternachtskutsche. Der Mann zieht sich auf sein Pferd, nimmt die Zügel in die eine und die Schrotflinte mit den abgesägten Läufen und der fürchterlichen Ladung in die rechte Hand. Dann reitet er vorwärts, bis er jenen hohen, aber langbuckligen Felsen erreicht, hinter dem er wieder anhält. * Auf dem Bock der Kutsche sitzt Bill Rumsey, der wie immer friert und diesmal wenigstens einen Begleiter neben sich hat, der die Peitsche schwingt. »Die Hölle«, sagt Rumsey und kratzt sich, die Hand aus dem Handschuh ziehend, am Bart, der durch den Hauch zu einem grauen Eisgestrüpp geworden ist. »Bob, eine Stunde, dann sind wir endlich in einem warmen Bett.« »Jöh«, sagt Wilkinson breit und läßt die Peitsche knallen. »Warmes Bett, ist dir denn kalt, Bruder?« »Ka – kalt?« stottert Rumsey und starrt Bob Wilkinson groß an. »Mensch, Hundekälte ist das heute. Ich hab's doch schon heute früh gesagt, als der Regen nachließ und die Wolken verschwanden. Saukälte gibt es. Habe ich recht behalten?« »Ich friere nicht«, erwidert Wilkinson grinsend. »Ich bin verdammt der beste Kutschenpferdetreiber zwischen Bannack und Virginia City, wetten? Mir ist warm.« »Dann kannst du ja auch allein auf dem Bock sitzen«, brummt Rumsey und schielt Wilkinson von der Seite an. »Im
Kasten ist es wärmer, meine ich. Dir macht das bißchen Kälte ja nichts aus, was?« Wilkinson erinnert sich nur an den Oktober und den prächtigen Überfall auf die Kutsche, bei dem Rumsey auch gerade, weil ihn so jämmerlich fror, in die Kutsche gestiegen war. »Steig du in den Kasten, dann gibt es einen Überfall«, sagt Wilkinson brummig. »Bleib lieber oben, Bill.« »Aber hier gibt es doch keinen Überfall mehr«, erwidert Rumsey und hält beide Hände an die kalten Ohren. »Halte schon an, ich steige um, hier passiert nichts, wir sind zu nahe an der Stadt.« Wilkinson zaudert, doch dann hält er an. »Na, los, steig um, meinst du, ich will ewig halten?« Bill Rumsey macht, daß er vom Bock kommt. »Fahr nur schön schnell, dann bist du eher im warmen Bett.« Er verschwindet im Innern der Kutsche, bringt eine Wolke Kälte mit hinein und sieht Mark Duffy in der Ecke die Decke fester um sich schlagen. »Ist das kalt, oh, diese verdammte Kälte«, sagt Rumsey und zwängt sich auf den Hintersitz neben Hesekiel Crowell, der wieder einmal in Geschäften unterwegs ist und zwei Koffer voll Hosenträger, Bauchriemen und Hemden oben auf dem Dach der Kutsche liegen hat. »Bißchen rücken, Mr. Crowell.« »Mensch«, brummt Duffy aus der Ecke, »du bringst noch alles durcheinander. Nur ruhig, Miss Clark, es ist nur Rumsey.« Das blonde, schlanke Mädel in der Ecke, das die Hände in einem Muff und eine Decke um die Beine hat, ist aus dem Schlaf gefahren und blickt Rumsey an, den sie nur undeutlich sieht. »Sind wir bald in der Stadt, Mr. Rumsey?« »Aber ja«, versichert Rumsey eilig. »Miss Clark, in einer Stunde, denke ich, werden Sie bei Ihrem Onkel sein, der Sie dann noch nach Summit fahren wird. Haben wir ein Glück,
daß es nicht schneit. Dieser Dezember ist mild, es war im Oktober schon Schnee, da hatten wir den Überfall – na ja.« »Ach, du warst dabei, Rumsey?« fragt Crowell nervös. »Durchsuchen sie auch den Kasten?« »Fast immer«, gibt Rumsey zurück, der den etwas ängstlichen Blick von Harriet Clark sieht. »Aber nun, es geschieht selten, daß sie eine Lady berauben.« Einen Augenblick sehen sie alle auf Clarks Nichte, dann aber sagt Duffy neugierig: »Sag mal, Rumsey, habt ihr denn wirklich keinen der Straßenbanditen erkannt?« Rumsey blickt an ihm vorbei und schluckt. »Nein«, sagt er dann und lügt, als er das erste Wort ausspricht. »Es war dunkel, und sie waren vermummt. Wir konnten keinen erkennen.« In diesem Moment denkt er an Frank Parrish und George Ives. Diese beiden Männer hat er erkannt. Aber Rumsey würde sich eher die Zunge herausreißen lassen, als ihre Namen zu nennen. Die nächste Fahrt, das weiß er, würde er nicht mehr überleben, sie würden ihn vom Bock schießen, und das von hinten. Er steckt die Hände in die Taschen seiner schweren Jacke und friert bei dem Gedanken an Morton. Es ist nicht nur Morton, der etwas über die Straßenbanditen gewußt hat, vor ihm war es Decour. Und davor Charley Forbes, der selber ein Bandit war, verwundet liegenblieb und von den anderen erschossen wurde, damit er nichts mehr verraten konnte. Morton, denkt Rumsey beklommen, ich will nicht so ein Narr wie Morton sein. Jemand wirft ein Messer, nein, ich nicht. Sie müssen gleich an den Felsen sein, an denen der Weg einen Knick macht und direkt am Bach entlangläuft. Rechter Hand ist der Bach und links die Felsen. Keine Stunde mehr bis
Virginia City. Keine Stunde mehr, denkt Wilkinson, der beste Kutschenpferdetreiber, dann sind wir zu Hause. Ich werde mir in Peadys Expreß Station noch einen Kaffee kochen und dann schlafen. In diesem Augenblick ist die Kutsche an dem einen langbuckligen Felsen. Wilkinson sieht nicht viel von dem Felsen, denn der Mond ist gerade hinter einer kleinen Wolke verschwunden. Die Kutsche ist noch nicht ganz an ihm vorbei, als das Mondlicht auch schon wiederkommt. Dies ist der Moment, in dem Wilkinson, der wegen der scharfen Wegbiegung und des Gerölls langsamer fährt, urplötzlich die Bewegung genau vor sich sieht. Wilkinson zuckt heftig zusammen. Er denkt nicht mehr an ein warmes Bett, an heißen Kaffee und tiefen Schlaf. Er ist auch nicht mehr der verdammt beste Pferdeantreiber. In dieser Sekunde ist Wilkinson nichts als ein Mann, der sich schlagartig an Männer erinnert, die nicht gehalten haben, wenn ihnen etwas in den Weg gekommen ist. Einige dieser Männer sind dabei umgekommen. »Halt!« Nicht der Mann sagt es, sondern Wilkinson ruft es und reißt jäh die Zügel an, denn der Mann ist keine 20 Yards vor ihm und kommt auf die Kutsche zu. Der Mann hat die schwere Schrotflinte hochgerissen und sieht ihn durch die Kapuze mit den Augenlöchern an. Deutlich im Mondlicht ist sein Daumen zu erkennen, der die beiden Hähne spannt. Ja, Wilkinson glaubt, obwohl die Kutsche über das Geröll schliddert, sogar das Knacken der Hähne zu hören. Und darum reißt er wie wild an den Zügeln. Rumsey fliegt
auf Duffys Bauch und danach zwischen die Sitzbänke. Crowell prallt halb auf Rumsey und stößt einen Schrei aus. Er setzt sich wieder hin, greift in die Tasche, in der sein Geld steckt und zieht es heraus. Genau vor ihm steht die Tasche der Lady mit dem Bügelverschluß. Crowell handelt in dem Moment, in dem er die Stimme des Mannes draußen hört. Es ist eine harte, tiefe Stimme, die dumpf und verstellt klingt. »Halt! Hoch die Hände, du Sohn einer…« »Allmächtiger«, hört Crowell, selber von Furcht und Schreck geplagt, Duffy sagen. »Die Road Agenten. Mein Geld.« Crowell öffnet die Tasche der Lady und legt das Geld hinein. Rumsey, am Boden liegend, bewegt die Lippen, bekommt aber keinen Ton heraus. Harriet Clark jedoch wird schneeweiß und krampft die Hände im Muff zusammen. Auf dem Bock, etwas nach links gerutscht, obwohl das nicht seine Absicht gewesen ist, hängt Wilkinson und starrt auf den Mann. Wilkinson hat neben sich fast genau dieselbe Schrotflinte, die der Mann auf ihn richtet, aber er wagt nicht einmal mit der Hand zu zucken, er hält nur die Pferde zurück und die Zügel eisern fest. »Rumsey, du erbärmlicher Wicht, komm heraus, sonst blase ich die Kutsche in Stücke!« ruft der Mann mit der Schrotflinte auch schon und hebt die Doppelläufe so an, daß Wilkinson meint, mitten in die Löcher zu sehen. »Rumsey, wenn du nicht gleich herauskommst und deine Waffen vorher wegwirfst, schieße ich Wilkinson vom Bock!« »O mein Gott«, hört Wilkinson sich selber sagen und klappert, weil ihn plötzlich doch friert, heftig mit den Zähnen. Rumsey öffnet den Schlag langsam. Er hat einen Revolver, aber ehe er sich selber zeigt, wirft er
erst den Revolver hinaus. »Komm, wird es bald!« Er steigt aus und blickt auf den Mann, der auf dem vermummten Pferd sitzt, selber auch noch vermummt und vollkommen unkenntlich ist. Die Mündungen seines Schrotgewehres zeigen nach oben. »Gut«, sagt der Mann mit einer tiefen, knarrenden Stimme hart. »Rumsey, kennst du mich?« »Nein«, sagt Rumsey. »Ich kenne dich nicht.« »Dann ist es gut. He, Wilkinson, du Schurke, wirf deine Schrotflinte herunter und komm selber herab, aber binde die Zügel fest. Hast du einen Revolver?« »Nein«, versichert Wilkinson schluckend. »Nur die Flinte, auf Ehre, ich schwöre, bringt mich nicht um.« Er denkt nichts anderes, als daß hinter der Kutsche noch einer sein muß, wenn nicht an der Seite sogar der dritte Mann, und wirft die Schrotflinte herab, um dann die Zügel festzubinden. Danach steigt er selber herunter und streckt die Hände hoch über den Kopf. Beim Gehen der wenigen Schritte auf Rumsey zu, zittern ihm heftig die Knie. »Bleibst du wohl stehen, du Halunke«, faucht ihn der Mann mit der Schrotflinte da auch schon an. »Los, dreh die Taschen um und bewege dich dann nicht mehr!« »Ich habe keinen Revolver, keine weitere Waffe«, ächzt Wilkinson und ist kreidebleich geworden. »Die anderen werfen ihe Schießeisen nach draußen«, bestimmt der Mann grimmig, der sein Pferd kurz antreibt und plötzlich vor Wilkinson hält, der die Hände jäh wieder nach oben nimmt und direkt in die beiden Mündungen der Schrotflinte sieht. »Los, ihr Kerle, werdet ihr wohl alle Schießeisen hinauswerfen wollen? Ich drücke sonst ab, dann könnt ihr Wilkinsons…«
Die Drohung wirkt. Crowell, der wieselflink sein Geld in vorläufige Sicherheit gebracht hat, wirft einen Derringer hinaus und Duffy einen Coltrevolver. »Ist das alles, ihr Strolche?« fragt der Bandit scharf. »Wenn wir bei einem eine Waffe finden, dann stirbt er auf der Stelle! Los, los, die Tür weit auf und herauskommen!« Seine Stimme klingt rauh und unangenehm. Rumsey, der zu seinem Revolver schielt, rechnet sich schon wieder eine Chance aus, aber da kommt Crowell aus der Kutsche, hat die Hände erhoben und muß sich auf den Befehl des Banditen hin bücken. Crowell wirft die vor dem Wagen liegenden Waffen zwischen den Rädern durch auf die andere Seite, aber er sieht dabei, daß außer diesem einen Mann niemand vorhanden zu sein scheint. »Herkommen«, sagt der Mann finster und richtet seine Schrotflinte auf Crowell, der zu ihm hochstarrt und sich fragt, ob er wacht oder träumt, denn nur ein Mann, das gibt es nicht. »Wird es bald, Crowell?« Der kennt mich, denkt Crowell erstaunt und versucht, als er neben Rumsey steht, ein Grinsen. Wer ist es? Red Yager oder Brown? Die machen sich einen Spaß mit mir, was? »Dir wird das Grinsen noch vergehen«, sagt der Mann da zu Crowells Überraschung grimmig. »Los, der nächste herauskommen, aber schnell. Wird es bald?« Mark Duffy klettert aus der Kutsche, hat die Arme erhoben und tritt nach wenigen Schritten neben Rumsey, als der Mann auf dem Pferd auch schon fragt: »Da ist noch jemand drin, Duffy? Kommt der bald oder soll ich erst schießen?« Er streckt die Hände mit der Flinte vor, so daß sie Wilkinson berührt. Wilkinson verdreht die Augen vor Furcht. Rumsey, der bis
jetzt mit dem Gedanken gespielt hat, daß er noch eine Chance haben könnte,, wird blaß und gibt den Gedanken ganz auf. Der Bursche ist der Teufel selber. »Die Lady«, sagt Rumsey schrill, der Wilkinson in höchster Gefahr sehen muß. »In der Kutsche ist eine Lady.« »Ein Frauenzimmer?« fragt der Bandit kalt. »Kommen Sie heraus, kommen Sie, Ihnen wird nichts geschehen, wenn die Männer vernünftig sind.« Harriet Clark, die starr in der Ecke sitzt, verkrampft ihre Hände. Sie rührt sich im ersten Augenblick nicht, aber da sagt Wilkinson draußen zitternd: »Miss Clark, kommen Sie heraus, sie bringen mich sonst um, sie töten mich.« Harriet Clark steht mit zitternden Knien auf, nimmt ihre Tasche und nähert sich der Tür. Vor ihren entsetzten Augen steht Wilkinson mit hocherhobenen Armen und zitternden Händen vor einem Pferd, dessen Reiter ihm die Schrotflinte auf die Brust gesetzt hat. »Mister«, sagt sie erregt, als sie ausgestiegen ist, »Sie werden diesen Mann doch nicht…« »Nur ruhig, mischen Sie sich nicht ein, gehen Sie nach links an das Ende der Kutsche und bleiben Sie dort stehen. Gehen Sie schon.« Sie gehorcht, aber sie fragt sich, als sie seine nun ruhiger und fester klingende Stimme hört, was ihr an dieser Stimme bekannt erscheint. »Rumsey, durchsuche Duffys Taschen und lege alles Geld, was du findest, in deinen Hut, verstanden?« »Ja«, erwidert Rumsey gepreßt. Er hat den Schachzug des Banditen erkannt und weiß, daß ihnen keine Chance mehr bleibt. »Ich tue es.« »Ordentlich, du Sohn, sonst bezahlt Wilkinson es mit seinem
Leben.« Rumsey gehorcht, tritt zuerst hinter Mark Duffy, in dessen Tasche ein Geldbeutel mit etwa 100 Dollar ist und wirft den Beutel in seinen Hut. »Ist das etwa alles?« fragt der Bandit mißtrauisch. »Mehr nicht, Duffy?« »Du hast Pech, Mann«, erwidert Duffy kühl, der nicht so leicht einzuschüchtern ist. »Ich habe nicht mehr bei mir.« »Hast du gelogen, dann bezahlst du es.« Rumsey tritt nun hinter Crowell, der den Kopf gesenkt hält. »Der Kerl ist allein«, zischt Duffy, dem etwas an der ganzen Geschichte nicht ganz geheuer vorkommt. »Bill, er hat niemanden, wir könnten…« »Crowell, was hast du zu reden?« Großer Geist, denkt Crowell, der hat Ohren wie ein Luchs, es ist doch nicht möglich, daß er es gehört hat? »Rumsey, ich zähle bis drei, wenn du dann nicht sagst, was er dir zugeflüstert hat, dann schieße ich!« »Er sagte, ich sollte den Geldbeutel in seiner Tasche lassen.« »Ah«, der Bandit flucht grimmig. »Crowell, daran denkst du noch. Raus mit dem Beutel, Rumsey.« Rumsey holt den Beutel heraus, wirft ihn in seinen Hut und spürt die Kälte doppelt an seinen Ohren. Dann durchsucht er Crowell weiter und fragt sich, weshalb ein Mann wie Crowell, der keinen guten Ruf hat, aber um so verrufenere Geschäfte machen soll, nur so wenig Geld bei sich hat. Rumsey zieht schließlich die Hand leer zurück und blickt zu dem Banditen hin. »Ist das etwa alles?« fragt da der Bandit auch schon voller Mißtrauen. »Rumsey, hast du etwas übersehen, dann holt dich der Teufel. Zur Hölle mit dir, Crowell, du mußt mehr Geld bei dir haben.«
»Ich habe keins«, erwidert Crowell frech. »Du kannst mich ja selber durchsuchen, ich habe keins. Was soll das, was zielst du mit der Flinte auf mich? Das kannst du mit mir nicht machen, ich warne dich, Mann, ich…« »Noch ein Wort, dann schieße ich. Komm her, Mensch, dir werde ich zeigen, mich betrügen zu wollen. Komm her, sage ich, kommst du?« Er geht los. Er hat auf einmal weiche Knie und denkt an seine krummen Geschäfte mit Pferden, Maultieren und gestohlenen Waren, die ihm einige Leute aus dieser Gegend liefern. Wer ist dieser Bursche, der sich allein an eine solche Sache wagt? Er zaudert, als er sich dem Mann nähert, der mit der rechten Hand seine Schrotflinte auf ihn gerichtet hält und mit der linken unter die Vermummung greift. »Komm weiter, sonst drücke ich ab, Crowell, du Schuft.« Crowell, die Hände erhoben, starrt auf den prächtigen Revolver, den der Bursche besitzt und nimmt sich vor, dieses Schießeisen niemals zu vergessen. Es ist ein vernickelter Revolver mit weißen Griffschalen, eine teure Waffe, die sogar ziseliert ist, auch das kann Crowell erkennen. An der Waffe kenne ich dich wieder, denkt Crowell voller Haß. Dann sollst du mir bezahlen, das sage ich dir. »Wo hast du dein Geld, Crowell? Rede, sonst breche ich dir deine…« »Ich habe keins, außer – aah!« Er hat mit dem Revolver gerechnet, aber nicht mit dem Schrotgewehr. Crowell knickt ein, hält die Hände abwehrend hoch und sieht die Mündungen der Schrotflinte direkt vor sich. »Nein«, sagt er zitternd und voller Furcht auf die Mündung sehend. »Nein, nicht schießen, ich sage alles!«
»Schnell, du Halunke«, sagt der Bandit zischend und packt ihn am Kragen. »Wo ist das Geld?« Seine Augen sehen Crowell durch die Schlitze der Maske drohend an. Crowell keucht, windet sich wie ein Aal und sagt dann schrill: »In der Tasche.« Er hat die Mündung des Gewehres an seiner Seite und sieht zufällig in die vor Furcht blassen Gesichter der anderen Männer. »In der Tasche der Lady«, wiederholt er ächzend und bekommt einen Stoß, der ihn auf den Boden befördert. »In meiner Tasche?« Harriet Clark sieht bestürzt und ungläubig auf den Mann und dann auf Crowell. Sie begreift es nicht und hebt mit einer verständnislosen Bewegung ihre Tasche hoch. »Machen Sie die Tasche auf«, sagt der Mann knapp und kühl. »Nun los, worauf warten Sie, Miss? Sehen Sie schon nach!« Harriet Clark öffnet die Tasche, wirft einen Blick hinein und sieht auf das Geld, daß Crowell ihr zugesteckt hat, ohne daß sie es bemerkte. Ihre zitternden Finger berühren die Scheine. Crowell, der am Boden liegt, schielt ängstlich zu dem Banditen hoch und fährt zusammen, als der grimmig sagt: »Geh sie holen, du Strolch. Wenn du noch mal versuchst, mich zu betrügen, dann brauchst du keine Medizin mehr in deinem Leben, nur noch einen Leichenbestatter. Los, hole sie!« »Ja«, sagt Crowell matt und knirscht mit den Zähnen, als er aufsteht und losgeht. »Ich hole sie, aber…« Das andere verschluckt er, er verschluckt es, weil er sich damit selber verraten würde. Ein Außenseiter, denkt Crowell grimmig, ein Kerl, der noch härter und mutiger als die ande-
ren ist. Er wird es bezahlen, er wird jeden Cent bezahlen, den er mir wegnimmt. Das soll er mir büßen. Er hat über 1100 Dollar in Scheinen bei sich und zittert vor Wut, als er sie hochreicht. Der Bandit blickt ihn scharf an, schwenkt dann das Gewehr etwas und sagt eiskalt: »Wenn du denkst, daß du dich rächen kannst, Crowell, dann hast du dich geirrt.« Crowell wird kreidebleich und schluckt. Der Bursche ist ihm unheimlich und kann wohl Gedanken lesen. »Leg dich hin, mit dem Gesicht zum Boden und die Hände ausstrecken«, sagt der Bandit kalt. »Rumsey, wo ist das Geld, das ihr zu befördern habt?« Rumsey preßt die Lippen zusammen und wirft Wilkinson einen Blick zu. Wilkinson hat die Tasche, in der das Geld ist, an einem Lederriemen unter seiner Jacke auf den Rücken geschnallt. »Das Geld«, sagt der Bandit noch einmal mit wilder Drohung und hebt jäh die Flinte an, die nun wieder auf Wilkinson zeigt. »Wo ist das Geld?« »Ich habe es«, antwortet Wilkinson ächzend und starrt auf die todbringenden Läufe der Schrotflinte. »Mister, ich habe es.« »Dann her damit, aber schnell!« Es dauert keine halbe Minute, dann hat er Wilkinson die Tasche mit über 1000 Dollar in Gold und Münzen abgenommen und blickt auf Harriet Clark, die immer noch am Wagen steht. »Frauen werden nicht gebeten, einem armen Mann ein Geschenk zu überreichen«, sagt der Bandit, der genau zu wissen scheint, was Wilkinson denkt. »Wilkinson, zu den anderen. Du auch, Crowell. Wenn ich dein Mäusegesicht noch einmal so verschlagen zu mir hochblicken sehe, dann hast du kein Ge-
sicht mehr.« Er reitet hinter ihnen her, hält sein Gewehr in der Hand und sagt, als sie alle zusammenstehen: »Jetzt nehmt eure Beine in die Hand und rennt da drüben an den Bach. Wenn ihr nicht gleich dort seid, dann…« Die Flinte ruckt hoch, Rumsey dreht sich um und sagt heiser zwischen den Zähnen: »Kommt, laufen wir.« Er läuft los, Wilkinson neben sich. Hinter ihm Duffy und Crowell. Sie blicken sich um, als sie am Bachufer stehen und es bis zur Kutsche gute sechzig Schritt sind. »Mein Geld«, sagt der kleine, magere Crowell schrill vor Wut und ballt die Hände zu Fäusten. »Wenn ich den treffe, ich lasse ihn».« Rumséy, der den Banditen an der Kutsche erkennen kann, wendet sich ihm zu und meint mit leichtem Hohn: »Ob dir deine Freunde den Gefallen tun, Crowell?« »Was, zum Teufel«, erwidert Crowel giftig, »weißt du blöder Kutschentreiber denn schon von meinen Freunden? Der Kerl raubte mich aus, das soll er büßen!« Er sieht, daß der Bandit aufsteigt, sich vorbeugt und den Hut kurz vor Harriet Clark lüftet, die immer noch am Ende der Kutsche steht. Im nächsten Augenblick reitet der Bandit auch schon an. Er hat etwa 2500 Dollar erbeutet und verschwindet hinter den Felsen. Crowell aber, der nun beharrlich schweigt, denkt dafür: Der Revolver verrät ihn. *
Es ist hell in der Hütte. Die Laterne brennt. Der alte Hiram Williams liegt betrunken auf dem Bett und brummt wie ein Bär, als ihm Ray Morgan, der ihn nach Hause gebracht hat, die Stiefel auszieht. »Nur ruhig, Hiram«, sagt Morgan besänftigend, als er die Stiefel endlich von den Füßen hat und ihn zudeckt. »Ich hoffe, daß du morgen früh deinen Kopf noch tragen kannst. Es könnte sein, daß du dann das Gefühl hast, drei Köpfe zu haben, Alter.« Er grinst etwas, deckt ihn zu und sieht sich kurz in der Hütte um. Es ist eine jener kleinen und windschiefen Hütten, durch die die Kälte hereinkommt. Die Bretter sind dünn, das Dach ist mit Erde bedeckt, und der Ofen besteht aus einem alten Eisenfaß. Morgan dreht die Flamme klein, wendet sich dann um und geht hinaus. Er schwitzt leicht. Der alte Hiram ist doch ein schwererer Mann, als man vielleicht glauben könnte. Die Tür geht zu. Morgan läßt seinen Rock offen und fährt sich mit zwei Fingern zwischen Hals und Hemdkragen. Er blickt sich noch einmal um, als er nahe am Schuppen der Fleischhandlung ist. Unwillkürlich denkt er an Rinder, an Fleisch, für das hier in den Goldgräberlagern Unsummen gezahlt werden. Was an Wild in der Gegend gewesen ist, das ist ausgerottet worden. Manchmal jagt ein Mann hier eine ganze Woche, ehe er ein Stück Wild schießen kann. Rinder müßte man herbringen, 2000 Stück, denkt Morgan. Es würde das größte Geschäft sein, das man jemals mit Rindern gemacht hat. Der Gedanke, der ihn schon einige Zeit beschäftigt, macht ihn noch wärmer. Er geht um die Ecke der Fleischhandlung, kommt am Schuppen vorbei und ist keine vier Schritte mehr
von dem kleinen Zwischenraum vom Schuppen zum Haus entfernt, als er irgendwo in der Stadt einen Schuß, Schreie und danach jemanden reiten hört. Einen Augenblick bleibt Morgan stehen, hebt den Kopf und blickt auf den hellen Himmel über der Main Street. Dann ist es wieder ruhig. Wahrscheinlich hat einer der wilden Burschen im Reiten auf ein Fenster geschossen. Im nächsten Moment erreicht Morgan die Schuppenecke und macht keine zwei Schritte, als hinter ihm etwas knackt. Morgan hört ein Klicken und bleibt ruckartig stehen. »Nicht rühren!« sagt der Mann hinter ihm knapp und schnappend. »Eine Bewegung, und ich drücke ab!« Ray Morgan hebt die Hände halb hoch und rührt sich nicht. Der Mann hinter ihm bewegt sich, er macht einen Schritt. Der harte Boden knirscht, und das Knarren von Stiefelleder ist zu hören. »Nun?« fragt Morgan ganz ruhig und anscheinend gar nicht überrascht. »Und jetzt, mein Freund?« Morgan blickt nach vorn. Dort ist die Gasse hell. Es gehen zwei Leute vorbei, aber sie sehen ihn nicht. Hier hinten ist die Dunkelheit einfach zu groß. »Nicht bewegen, Mann!« sagt der Bursche hinter ihm mit kalter, ausdrucksloser Stimme und rammt ihm im nächsten Moment den Revolver in den Rücken. »Und versuche keinen Trick!« »Sicher«, antwortet Morgan träge. »Sonst willst du nichts?« Er hat die Arme hoch und hält den Kopf etwas gesenkt. Wenn er jedoch hofft, der Mann würde einen Fehler machen und sich ihm zu sehr nähern, dann irrt er sich. Der Mann hält Abstand. Gleich darauf stößt eine Hand Morgans Rockschoß nach oben.
Sie erreicht seinen Revolver. Ein Ruck, die Waffe rutscht aus dem Halfter und ist fort. Der Mann aber, dessen Stiefel nun wieder knarren, zieht sich zurück und sagt höhnisch: »Das ist vernünftig, Freundchen. Und jetzt machen wir einen Spaziergang.« »Wohin?« erkundigt sich Morgan gelassen. »Ist es weit?« »Du wirst es sehen, Mister.« »Was willst du, habe ich dir etwas getan?« »Keine Fragen, geh schon, Mann.« Der Revolver ist in seinem Rücken, der Mann hinter ihm und stößt ihn an. Morgan schweigt, dann geht er los, hat aber noch nicht das Haus hinter sich, als er linker Hand einen breiten Gang sieht, hinter dem ein Haus steht. Eine Laterne brennt dort. »Geh nach links durch den Gang.« »Ist das kein Irrtum?« fragt Morgan knapp. »Du gehst, das ist alles!« Er biegt ein, kommt in den Gang und hat immer noch den Revolver im Rücken. Was immer dieser Bursche von ihm will, Morgan kann nur raten, ist aber auf jede Sache eingestellt. Vor ihm wird es hell. Er erreicht gleich die Laterne. In diesem Augenblick sieht Morgan etwas rechts an der Rückfront des einen Stalles. Er hört Pferde prusten, als er hinter dem Stall ist. Der dicke, etwa vier Yards lange Balken – das sieht er im Näherkommen – lehnt direkt neben der Hintertür des Stalles. Es ist ein vierkantiger Balken, der bis zum Stalldach reicht. Ray Morgan blickt nach oben, um zu sehen, ob der Balken vielleicht als Stütze für das Dach dient, aber das scheint nicht der Fall zu sein. »Hör mal, Freundchen«, sagt er unterdrückt. »Ich kenne dich nicht, was willst du? Wenn du Geld haben willst, dann sage es,
ich könnte mit dir vielleicht ein Geschäft machen, bei dem du mehr verdienst, als du denkst.« »Halt den Mund und geh weiter, Mann! Du wirst schon sehen, was mit dir wird.« »Tausend Dollar«, sagt Morgan und ist in diesem Moment genau neben dem Balken. »Tausend, wenn du…« Und mehr sagt er nicht. Es geschieht genau das, was er erwartet hat. Als Morgan die Summe nennt, zuckt der Mann leicht zusammen und zieht den Revolver etwas zurück. Er ist überrascht, und genau das ist es, was Morgan erwartet hat. Eine Sekunde lang hat Morgan das beklemmende Gefühl, einen Fehler zu machen, aber er kann nun nicht mehr zurück. Geht der Revolver los, den der Mann in der Hand hält, dann ist es aus mit ihm. Morgan stößt sich ab, wirft sich nach hinten, dreht sich dabei und schlägt seinen linken Ellbogen mit aller Macht herum. Seine rechte Hand packt schon im Herumwirbeln den langen Balken. Der gibt nach. Es poltert, als er sich neigt und dann in die Gasse fällt. Es ist keine Sekunde zu früh. Morgan duckt sich blitzschnell. Der Balken schießt herab und trifft den Arm des Mannes. Der Revolverarm wird nach unten gedrückt, der Revolver zeigt auf die Gasse. Nun ist Ray weit genug herum. Er springt hoch, streckt beide Hände aus und schlägt mit der rechten Hand scharf zu. Er trifft den Unterarm des Mannes. Der keucht, verliert den Revolver und stößt in einer Abwehrbewegung die Linke hoch. Dieser Stoß hat so wenig Kraft, daß Morgan ihn abfängt und im Anprall den Mann zurückdrücken kann. »Jetzt bist du dran«, sagt Morgan zischend, dreht sich leicht und feuert dann die Linke heraus. Der Hieb trifft den Mann
seitlich am Kopf. Der Bursche schwankt, kracht gegen den Stall, versucht den Revolver Morgans, den er im Gurt stecken hat, noch zu ziehen, bekommt ihn aber nicht mehr heraus. Ray Morgan ist vor ihm, setzt einmal die Rechte und dann die Linke ein und hat dann den Burschen an die Wand genagelt. An der Stallwand schabt es. Der Mann geht auf die Knie und fällt nach vorn auf Morgan. Ray stößt ihn mit der linken Hand fort, packt mit der rechten Hand seinen Revolver und zieht ihn dem Mann aus dem Gürtel. »So schlau bist du nun auch wieder nicht, du Halunke«, sagt Ray zwischen den Zähnen, zieht den Mann hoch und lehnt ihn an die Stallwand. »Mal sehen, was du alles zu erzählen hast, Freundchen.« Der Mann schnauft, versucht einen Halt zu finden und rudert mit den Armen. Seine rechte Hand kommt an Morgans Arm, mit dem Morgan ihn hält. Er zuckt zusammen, wird steif und steht jäh, wenn auch scharf atmend, an der Wand still. »Na, Freundchen?« fragt Morgan kühl. »Du kannst versuchen, dich zu wehren. Stell dich nicht müder an, als du bist, du trickst mich nicht. Also, wohin hast du mit mir gewollt?« Es ist für Morgan offensichtlich, daß der Bursche nach Worten sucht und Zeit gewinnen will, denn er schüttelt mehrmals den Kopf und spielt den halb Besinnungslosen. »Komm schon, mach dein Maul auf«, sagt Morgan grob. »Wenn du Schuft nicht gleich redest, dann wirst du mich erst richtig kennenlernen. Also, was willst du von mir?« »Jenkins, ich… Ich weiß nicht…« »Jenkins?« fragt Morgan halb erstaunt. »Ich heiße nicht Jenkins, Freundchen. Du willst doch wohl nicht sagen, daß du mich mit jemandem verwechselt hast, was? Die Geschichte
nimmt dir nicht mal ein Narr ab. Also, was hast du gewollt?« »Es ist wahr«, erwidert der Mann keuchend. »Du wirst mir natürlich nicht glauben, es war so dunkel.« Er starrt Morgan groß an und zuckt förmlich zusammen. »Na, bin ich doch nicht dein Jenkins?« fragt Morgan grimmig. »Was hast du von Jenkins gewollt, he? Los, raus damit, was ist es?« Der Bursche schüttelt erneut den Kopf. »Mann, du bist ja gar nicht Jenkins.« »Du merkst aber auch alles«, gibt Ray zurück. »Also, was ist mit Jenkins?« »Er hat genau die gleiche Jacke wie du«, sagt der Mann verstört und starrt Morgan groß an. »Jenkins hat einen Freund von mir im Spiel betrogen. Ich sollte dich – eh, Jenkins meine ich, zu ihm bringen. Ich habe Jenkins nur einmal gesehen. Ich sage die Wahrheit, es tut mir leid, Mann, ich habe dich mit Jenkins verwechselt.« »Sieh mal einer an, warum hast du mich dann nicht gleich angeredet, mit Jenkins angeredet, he?« »Mein Freund hat gesagt, ich soll nicht mit dir reden. Ich weiß auch nicht, habe ich dich nicht mit Jenkins angeredet?« »Das hast du nicht«, sagt Ray eisig. »Und die ganze Zeit hast du nichts weiter getan, du Schurke, als mir einen Haufen Lügen zu erzählen. Nun mal vorwärts, wir beide machen jetzt auch einen Spaziergang. Wir werden zu deinem angeblichen Freund gehen.« Der Mann schielt ihn von unten an und zuckt die Achseln. »Well«, sagt er dann mürrisch. »Wenn du mir nicht glauben willst, dann gehen wir. Du wirst schon sehen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Es ist nicht weit.« »In Ordnung, Freundchen, dann vorwärts mit dir. Wir wollen mal sehen, welche Geschichte mir dein Freund zu erzählen
hat.« Der Mann zuckt die Achseln, er ist überraschend freundlich und geht sogar an seinem Revolver vorbei, um erst stehenzubleiben, als Morgan knapp sagt: »Warte, ich habe einen anderen Vorschlag.« Ray bückt sich blitzschnell, hebt den Revolver auf und wiegt die Waffe in der Hand. Der Bursche sieht ihn an und steht still. »Ich wollte bei Goodrich ein Spiel machen«, sagt Morgan trocken. »Vielleicht stimmt deine Geschichte doch? Du könntest deinem Freund sagen, daß er zu Goodrich kommen soll, wenn er mich sprechen will. Wenn deine Geschichte stimmt, dann wird er sicher wenig Lust haben, noch zu erscheinen, denke ich. Was hältst du davon, Freundchen?« »Es ist mir gleich, meine Geschichte ist wahr«, antwortet der hartgesichtige Bursche knapp. »Ich habe dich verwechselt.« »Nun gut«, brummt Morgan. »Sieh zu, daß du mich nie wieder verwechselst, ich könnte gleich schießen.« Er klappt den Revolver auf, stößt die Zündhütchen aus und wirft dem Burschen dann den Revolver zu. Der Mann starrt ihn schweigend an, steckt dann den Revolver ein und dreht sich wortlos um. Er verschwindet nach links, während Morgan zur anderen Seite geht, aus der Gasse hastet und die Straße eilig überquert. Morgan tritt sofort in den tiefen Schatten zwischen zwei Häusern. Er blickt auf die andere Straßenseite, sieht den Mann herauskommen und sich umblicken. Anscheinend erwartet der Bursche, daß auch Morgan auftaucht. Er sucht mit seinen Blicken die Straße ab, kann Morgan jedoch nicht erkennen und geht endlich weiter. Dicht vor Morgan kommt eine ganze Gruppe Miner an. Ray wartet, bis sie vorbeigegangen sind, um dann hinter ihnen her-
zugehen und seinen Mann zu beobachten. Der geht jedoch nur eine Querstraße weiter, dann biegt er um die Ecke und ist fort. Als er in den Saloon kommt und sich mit dem Rücken zur Wand hinter einen der Tische stellt, an denen gepokert wird, beobachtet er die Leute. Aber kaum jemand sieht zu ihm hin oder beachtet ihn. Es dauert nicht lange, dann wird einer der Plätze am Spieltisch frei. Morgan setzt sich, steigt in das Spiel ein und mischt drei Runden nur mit, ehe er die Gewohnheiten der Spieler kennt. Der eine Berufsspieler am Tisch, der die Karten verteilt, hebt beim vierten Durchgang kurz die Augenbrauen. Dann bleibt sein Gesicht unbewegt. Er erhöht, als die beiden anderen Mitspieler aussteigen. Und dann blickt er Morgan an und fragt knapp: »Hältst du, Mister?« »Zehn mehr«, gibt Morgan trocken zurück. »Ich erhöhe.« Er weiß ganz genau, daß der Spieler niemals ein so gutes Blatt wie er haben kann und gewinnt, als der Mann nach zwei weiteren Runden die Karten hinlegt. Auch das nächste Spiel gewinnt Morgan, den der Berufsspieler mehrmals kurz ansieht. Das folgende Spiel läuft für Morgan nur bis zur zweiten Runde, dann steigt er aus und legt seine Karten hin. Der Spieler gewinnt diesmal, verteilt dann erneut die Karten. Morgan gewinnt einige Spiele. Dann macht er Schluß. »Das war es, Gentlemen«, sagt Morgan. »Man soll nie zu lange an einem Tisch sitzen.« Er steckt das gewonnene Geld in die Rocktasche, nickt den Männern zu und geht zum Tresen. Nun beobachten ihn mindestens ein halbes Dutzend Männer, auch jene beiden, die ihm
entgegensehen und ihm am Tresen Platz machen. Der Spieler aber sitzt am Tisch, steckt die Karten ein und sagt dann lässig: »Fünf Minuten, Gentlemen, dann geht es weiter.« Er steht auf, schiebt den Stuhl zurück und verschwindet dann durch die Hintertür. Morgan, der in der Zwischenzeit einen Kornschnaps bestellt hat, hebt gerade sein Glas, als einer der beiden Männer neben ihm leise sagt: »Ich würde an deiner Stelle nicht mehr mit ihm und keinem anderen hier spielen, Mister. Du hast Glen Stafford gut geblufft. Auch wenn er nur der kleine Bruder von Ron Stafford ist, er spielt fast genauso gut wie er. Das ist nur ein Rat.« »Nimmst du einen Drink, mein Freund?« fragt Morgan genauso leise. »Ich bin fremd hier, wer ist Stafford?« »Stafford kontrolliert alle Spieler hier«, erwidert der Mann kurz. »Er ist der König aller Spieler in der Stadt und beteiligt jeden Saloonbesitzer, in dem einer seiner Spieler sich hinsetzt, mit zwanzig Prozent am Gewinn. Du hättest genausogut deine Karten zeigen können.« »Ja, sicher«, murmelt Morgan, der genau weiß, daß Stafford jetzt jede Karte nachsehen wird, um eine gezinkte zu finden. »Manchmal ist man unklug. Wie sieht es mit einem Drink aus?« »Danke«, sagt der Mann knapp. »Ich möchte keine Schwierigkeiten, Fremder.« Er blickt zur anderen Seite. Dann furcht er die Brauen, denn ein mittelgroßer, dicklicher Mann mit tiefen Falten auf der Stirn und dicken Tränensäcken unter den Augen kommt auf den Tresen zu und bleibt dicht hinter Morgan stehen. »Hallo, Palmer«, sagt der Dicke mit einem kurzen Nicken zu dem Mann, der kein Glas mit Morgan trinken wollte. »Was
machst du denn hier? Hast du deinen Saloon geschlossen?« »Nein«, erwidert Palmer kurz. »Ich will einen Jagdausflug machen, Skinner.« »Viel Glück«, erwidert Skinner träge und wendet sich dann Morgan zu. »Hallo, mein Freund, einen Augenblick.« Morgan dreht sich, das Glas in der Hand, langsam um und blickt auf den mittelgroßen Mann, der ihn mustert und dann die Hand ausstreckt. »Skinner«, sagt der Mann mit den schweren Tränensäcken etwas rauhhalsig. »Cyrrus Skinner, ich habe einen Saloon. Kann ich mit dir reden?« »Natürlich«, erwidert Ray Morgan verwundert. »Was ist, Mr. Skinner?« Skinner zieht ihn am Arm etwas abseits und blickt ihn dann betrübt an. Seine tiefliegenden Augen tränen etwas. »Du hast vorhin Ärger gehabt«, sagt er leise. »Vergiß es. Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen. Mein Mann hat nicht wissen können, daß du nicht Jenkins bist. Jenkins hat öfter bei mir gesessen und gespielt, bis er mich vor einiger Zeit betrog. Vor einer Woche ist er zuletzt gesehen worden. Mein Mann dachte, daß du es wärst. Es tut mir leid.« »Ich verstehe«, antwortet Ray nickend. »Ich wollte die Geschichte erst nicht glauben. Ich habe schon eine Menge besserer gehört.« Skinner starrt auf die Jacke und wendet sich dann an Palmer. »Palmer«, sagt er hastig. »Moment mal.« »Ja«, erwidert Palmer mürrisch und kommt zu ihnen. »Was ist, Skinner?« »Du kennst doch Jenkins, den Betrüger. Hat er nicht auch eine Jacke wie dieser Mann hier?« »Ich glaube schon«, erwidert Palmer. »Aber was soll die Frage?«
»Nichts weiter«, murmelt Skinner. »Stell dir vor, es wäre dunkel, würdest du diesen Mister hier von hinten für Jenkins halten können?« »Das kann schon sein«, sagt Palmer achselzuckend. »Ich denke aber nicht, daß er eine Ähnlichkeit mit diesem verdammten Betrüger Jenkins besitzt, wenn man ihn bei Licht betrachtet. Sonst noch etwas, Skinner?« »Schon gut«, gibt der Salooner kurz zurück. Palmer, der augenscheinlich nicht gern mit Skinner redet, dreht sich um und geht zum Tresen zurück. Skinner aber blickt Morgan fest an und sagt heiser: »Wir können hier hundert Leute fragen, mein Freund. Diesen Jenkins kann man mit dir verwechseln, das ist wahr. Nimmst du einen Drink mit mir?« »Sicher, warum nicht.« Sie gehen beide zum Ende des Tresens, Goodrich blickt kurz zu Skinner und langt dann unter den Tresen, um dort auf einem Brett zwei Gläser aus einer Flasche zu füllen, die er auf Skinner zusegeln läßt. »Das ist ordentlicher und einwandfreier Whisky«, sagt Skinner grinsend. »Untereinander sind wir ehrlich, verstehst du, mein Freund? Na, dann!« Er hebt sein Glas, trinkt und sagt dann schnaufend: »Du bist ganz schön hart, wie? Wenn du keine Arbeit hast, sieh mal bei mir vorbei, es könnte sich lohnen.« »Ich werde darüber nachdenken«, murmelt Morgan. »Danke für den Drink, Skinner.« »Ach, schon gut. Wie heißt du?« »Ray Morgan, Skinner.« »Also gut, Ray, denke darüber nach, ich habe immer für jeden guten Mann die beste Arbeit.« »In Ordnung.«
Skinner nickt ihm zu und verschwindet dann wieder. Er will gerade aus der Tür, als Glen Stafford wieder hereinkommt und kurz zu Morgan blickt. Staffords Gesicht ist glatt. Und nichts in seinen Augen verrät, daß er ganz umsonst nach Zinken auf den Karten gesucht hat. Er geht durch den Saloon, nimmt erneut am Tisch Platz und blickt doch noch einmal zum Tresen. Langsam schlendert Morgan los, bis er neben Palmer steht, und läßt sich noch einen Whisky geben. Während er trinkt, spürt er Palmers Unruhe und hat, obwohl sich Palmer mit seinem Nebenmann unterhält, das Gefühl, als wenn Palmer ihm etwas sagen möchte. Draußen kommt gerade die Postkutsche vorbei, sie hält zwei Häuser weiter. Jemand, der an der Tür steht und hinausblickt, sagt so laut, daß man es am Tresen hören kann: »Leute, zwei neue Girls.« Vom Tresen aus rennen ein Dutzend Männer mit den Gläsern in den Händen zur Tür. Palmer sagt kurz: »Morgan, ich würde nicht für Skinner arbeiten.« »Das ist der zweite Rat, den du mir gibst, wie?« fragt Morgan, sich umwendend. »Palmer, ich denke, du hast auch einen Saloon?« »Ich bin ehrlich«, murmelt Palmer leise und wirft das Geld für seine Drinks auf den Tresen. »Vielleicht kannst du damit etwas anfangen.« Er geht los und läßt den erstaunten Morgan am Tresen stehen. Seltsam, denkt Morgan, ich habe nun die zweite Warnung erhalten, aber es sieht aus, als wenn dieser Palmer schon zuviel geredet hat. Nicht für Skinner arbeiten? Nun, ich denke auch nicht, daß ich es nötig habe.
Er grinst leicht, als er an seine Hüften faßt und den breiten, dicken Gurt fühlt. Mit seinen Ersparnissen kommt er sicher bei einem bescheidenen Leben und einigen guten Spielen glatt über die Runden. Die Männer kommen lärmend zurück und belagern wieder den Tresen. Morgan trinkt noch ein Glas, dann hat er genug. Er nickt Goodrich zu und geht dann hinaus. Ray Morgan verschwindet durch die Nebentür. Er kommt in einen Gang, muß dann die Treppe hoch zu seinem Zimmer und fühlt nach seinem Schlüssel. Der Preis für dieses einfache Zimmer, dessen Wände so dünn sind, daß sie die Geräusche der Straße durchlassen, beträgt sieben Dollar die Nacht, ohne Essen. Es ist ein Preis, der gefordert und einfach gezahlt wird. Das Zimmer liegt am Ende des Ganges, der hier nicht mehr von der trübe blakenden Laterne an der Treppe erhellt wird. Morgen, denkt Ray, werde ich mir etwas suchen, was billiger ist. Vielleicht könnte ich zu Williams in die Hütte ziehen, was? Er schließt auf, tritt in den Raum und greift in die Tasche, um sich ein Streichholz zu nehmen. Jemand wirft sich mit der Schulter gegen die Tür, die auf Morgans linke Seite prallt und seinen Ellbogen prellt. Im nächsten Augenblick taumelt Morgan zur Seite. Und während er verzweifelt versucht, seinen Revolver zu erreichen, sagt aus der Dunkelheit in das harte Zufallen der Tür hinein jemand scharf: »Macht schnell!« Ray Morgan verdammt seine Sorglosigkeit, wie ein Narr in das Zimmer zu spazieren. Er will noch weg, aber sie müssen schon länger hier stehen und haben sich sicher an die Dunkelheit gewöhnt. Jemand springt ihn von hinten an.
Dann prallt er auf einen anderen Mann, der heiser stöhnt und ihn nach unten drückt. Plötzlich jedoch gibt der Mann ihn frei. Er ist fort, als Morgan mit beiden Fäusten ausholt. Statt dessen kracht etwas auf Morgans Kopf. Ray sieht nichts als einen großen Feuerbogen, der jäh in Stücke platzt. Dann fällt er, doch er kommt nicht bis auf den Boden. Der Mann hinter ihm fängt ihn auf. Und während Morgans Feuerbogenstücke zu kleinen Punkten werden, die die Schwärze der Dunkelheit verschluckt, sagt eine ihm bekannte Stimme schrill und haßvoll: »Gebt es ihm ordentlich!« Die Stimme wird so leise, wie die Feuerbogenstücke kleiner geworden sind. Dann ist die Stimme fort. Und nur die Dunkelheit ist da. Ray Morgan ist in die Falle gelaufen. * Dies ist weder das Zimmer über Goodrichs Saloon, noch ist es die Lampe, die rußend und mit wenig Petroleum im Glasballon auf dem Tisch bei Goodrich gestanden hat. Morgan sieht eine helle, große Lampe mit einem Messingballon, der sogar blank geputzt ist. Irgendwer redet, schweigt dann aber, als jemand direkt neben Morgan sagt: »Er ist wach, der Narr.« Morgan spürt Kälte. Er versucht jemanden zu erkennen, sieht auch einen Schatten, als er den Kopf wendet, und dann ein Gesicht.
Es ist ein schmales, hageres und spitzes Gesicht, das Morgan an einen Fuchs erinnert. Er bewegt seine Hände. Zu seinem Erstaunen sind sie nicht gebunden. Er greift nach seiner Hüfte und spürt den schweren Gurt nicht mehr. Im nächsten Moment lacht der kleine, fuchsgesichtige Mann über ihm. Das Lachen ist es, das Morgan hochblicken läßt. Er hat Morgans breiten, schweren Ledergurt, der eine Menge enthalten hat, an der Lasche gepackt. Mit einem Ausdruck im Gesicht, als ob er nichts auf der Welt lieber macht, reißt der kleine Bursche den Gurt mit der schweren Schnalle hoch und will zuschlagen. »Laß das, du Narr!« Morgan wendet ruckhaft den Kopf, sieht einen großen dunkelbärtigen Mann in der Tür. »Wenn du kleine, schmutzige Ratte noch einmal Dinge machst, die ich nicht will, kannst du auch einen Unfall haben, verstanden?« Crowell stiert den großen Mann furchtsam, mit plötzlich aufkommender Angst an und sagt greinend: »Er hat mein Geld gestohlen, Henry, er hat es…« »Bist du still? Bill, paß auf, daß er ungefragt nicht mehr sein Maul aufmacht.« Ein Mann, der mit dem Revolver in der Hand an der Tür steht, geht los und tritt neben Crowell. »Du hast es gehört, du Narr«, sagt er heiser. »Sei still, sonst bekommst du was, daß du drei Wochen keinen Hut aufsetzen kannst.« Der dunkelhaarige Mann dreht sich langsam Morgan zu und sagt kalt: »Du heißt Morgan?«
»So heiße ich«, antwortet Morgan und setzt sich hin. »Und wer bist du?« »Du kennst mich nicht?Was du nicht sagst, du kennst mich wirklich nicht?« »Henry, nun gut, bist du vielleicht Plummer?« fragt Morgan lauernd. »Well, du müßtest Plummer sein, aber was hast du mit diesem winselnden, feigen Burschen da zu tun?« »Nichts oder nur wenig«, erwidert Plummer. »Du hast die Kutsche überfallen?« Morgan runzelt die Stirn und versucht ein Grinsen. »Welche Kutsche?« fragt er dann mürrisch. »Ich weiß von keiner Kutsche. Hör mal, ich habe keine Ahnung, was das alles bedeuten soll.« Plummer zischt scharf. »Lügen haben keinen Sinn bei uns. Je eher du das verstehst, desto besser ist es für dich. Du sagst jetzt die Wahrheit, sonst holen wir sie aus dir heraus. Also, du hast die Kutsche angehalten?« »Na und, wenn es so ist?« fragt Morgan achselzuckend. »Was schreit denn der da von Geld? Kann er nicht besser auf sein Geld achten?« Plummers Augen zucken einmal. Warum, das kann Morgan nur raten. »Für einen Mann allein hast du eine ganze Menge Mut«, sagt er dann nachdenklich. »Du hast also allein die Kutsche angehalten?« »Nichts leichter als das«, antwortet Ray Morgan kurz. »Und was habt ihr damit zu tun?« »Du hast zufällig einen unserer Freunde dabei erwischt«, gibt Plummer kalt zurück. »Wir helfen unseren Freunden immer. Woher bist du gekommen, Morgan? Wo hast du dich aufgehalten, ehe du hier die Kutsche überfallen hast? Antworte! Du kannst natürlich den Mund halten, aber wir bekommen es
doch aus dir heraus. Wo warst du vorher?« »In Denver«, erwidert Morgan. »Ich bin schon drei Tage hier. Zuerst habe ich mich umgesehen. Ich bin bei den Stationen gewesen und nur so geritten, um mich umzusehen. Ich war bei Bakers Station und auch bei Dempseys.« Plummer wirft einen Blick zur Wand, und der Mann dort sagt: »Ja, ich habe ihn gesehen. Er saß nur herum, der Bursche, der ver…« Plummer blickt danach Morgan an und hat die Stirn leicht gerunzelt. »Also gut, du hast dich umgehört und bist dann gleich auf die Kutsche los?« »Es war keine große Arbeit«, sagt Morgan achselzuckend. »Ich hatte nicht mehr viel Geld und mußte etwas anfangen, um Abhilfe zu schaffen. In Denver traf ich einige Leute, die aus dieser Gegend kamen, weil sie den Winter hier nicht verbringen wollten. Sie erzählten mir über die Dinge hier eine ganze Menge. Darum ritt ich her. Nun ja, das ist im Grunde meine Geschichte.« »Nicht ganz«, sagt da jemand von der Tür her, kommt herein und lehnt sich an die Wand. Der Mann hat eine Ähnlichkeit mit Glen Stafford, dem Spieler, und sieht auch genau wie ein Spieler aus. »Du kannst noch mehr als nur Postkutschen ausrauben, wie? Wo hast du so spielen gelernt? Du hast nicht die Finger eines Spielers, aber du kannst bluffen wie ein Kartenhai.« »Sieh mal an«, murmelt Morgan gleichmütig. »Ich würde, wenn ich spielen müßte, sicher darauf achten, daß ich nicht als Spieler zu erkennen wäre. Das ist auch ein Trick.« Der Spieler, der an seiner Uhrkette nestelt, an der ein Würfel baumelt, sieht ihn starr an.
»Henry, er ist zu schlau«, sagt er dann zischend. »Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll.« Plummer sagt nichts, er starrt Morgan nur seltsam an und dreht sich dann um. Gleich darauf setzt er sich rittlings auf einen Stuhl, behält seinen Revolver in der Hand und sagt dann: »Vielleicht würde es mir, wenn ich ein Spieler wäre, auch nicht gefallen, daß jemand besser tricksen kann. Morgan, wo hast du das gelernt?« »Mein Vater war ein Kartenhai«, erklärt Morgan so ruhig, als würde er von einem Fremden reden. »Ich bin am Oberlauf des Missouri aufgewachsen und später in den Süden gegangen nach, nach Kansas. Vielleicht konnte ich eine Menge von meinem Vater lernen, kann sein. Ich bilde mir ein, jeden Trick zu kennen und fast jeden Spieler auch bluffen zu können. Einige Zeit war ich bei der Armee, dann wollten sie uns gegen die Indianer im Dakota Territory einsetzen. Jemand spielte zu dieser Zeit mit mir, er verlor und hatte die Karten gezinkt. Er verlor nicht nur sein Spiel.« Er ist ganz ruhig und blickt Plummer kühl an. »Und?« fragt Plummer schnaufend. »Was dann, Morgan?« »Ich dachte, es sei besser, keine Untersuchung abzuwarten. Ich hatte schon einmal jemanden beim Spiel verwunden müssen. Wenn Narren nicht spielen können, dann sollen sie es besser gar nicht erst versuchen.« »Dann bist du also desertiert?« fragt Plummer lauernd. »Jetzt hast du eine Kutsche überfallen und ausgeraubt. Weißt du, was du dafür bekommst?« Seine Stimme klingt kalt und entschlossen, seine Hand spielt mit dem Hammer seines Revolvers. Er blickt Morgan finster an und wartet. »Nun gut, ihr habt mich erwischt«, sagt Morgan ruhig. »Die-
ser kleine Bursche da hat es geschafft/Ich möchte nur wissen, woran er mich erkannt hat.« »An deinem Revolver«, erwidert Crowell giftig. »Niemand hier hat so ein Schießeisen. Henry, warum redest du so lange mit ihm? Mach ein Ende, er hat es verdient.« »Gib mir keine Ratschläge«, antwortet Plummer bissig. »Du verdammter Narr, ich weiß schon, was ich tue.« »Du bist selber ein Narr«, keucht der kleine Crowell schrill. »Woher hat er die Fahrer und mich gekannt? Er wußte meinen Namen und die der anderen.« Plummer kommt jäh hoch, wirbelt herum und packt den zurückweichenden und sich an die Wand pressenden Crowell am Kragen. Mit einem Ruck zieht er ihn hoch, drückt ihm den Revolver in den Leib und sagt schneidend: »Was bin ich, Bürschchen?« »Ni – nichts«, japst Crowell zitternd und stiert auf den Revolver. »Henry, laß mich los. Ich will mein Geld haben, dann gehe ich.« Henry Plummer starrt ihn durchdringend und wütend an und schleudert ihn mit einem Ruck bis an den Tisch. Crowell prallt gegen die Platte, klammert sich fest und stiert auf das Geld. »In Ordnung«, sagt Plummer eisig. »Nimm dein Geld, aber laß Nats Anteil hier. Und dann verschwinde!« »Ich bin euer Freund, ich…« »Zweihundert Dollar«, antwortet Plummer scharf. »Bill, nimm das Geld und gib ihm das andere, damit er hier verschwinden kann. Der Bursche redet zuviel.« Crowell lamentiert, als er 200 Dollar von seinem Geld verschwinden sieht, blickt mit einem Ausdruck des Hasses auf Plummer und steckt sein Geld mit gierigen Blicken ein.
»Nimm die Maultiere mit«, sagt Plummer knapp, als sich Crowell aus der Tür drücken will. »Bill, bring ihn hinaus!« Crowell kneift die dünnen Lippen zusammen, er geht hinaus. Bill folgt ihm und schließt hinter ihm die Tür. »Henry«, meldet sich nun der Mann aus der Ecke heiser. »Soll ich…« »Nein«, brummt Plummer nach einem Augenblick nachdenklich. »Jetzt nicht. Laß ihn erst die Maultiere wegschaffen.« Danach wendet er sich wieder Morgan zu, mustert ihn finster und sagt dann leise und drohend: »Morgan, wenn es nach Crowell gegangen wäre, dann hättest du nicht nur dein Geld verloren.« »Man kann nur einmal sterben«, erwidert Morgan achselzuckend, während er auf der Pritsche sitzt. »Plummer, versuch nicht, mich zu bluffen, das schaffst du nicht. Ihr werdet mir mein Geld abnehmen, alles, was ich habe, mein Pferd verkaufen und mich anschließend umbringen. Es ist sicher Narrheit zu glauben, daß ihr mich hier dulden würdet. Ich bin immer allein gewesen. Das ändert einige Dinge. Also los, macht es kurz!« »Er ist kaltblütig, ich wußte es«, meldet sich Ron Stafford, der König aller Spieler aus Bannack, kühl, »Henry, du solltest dir die Sache überlegen.« Plummer, den Revolver herumwirbelnd, grinst breit und lehnt sich an die Wand. »Nun gut, Morgan, du kannst den Rest des Geldes behalten, wenn du versprichst, mir ein wenig zu helfen. Ich könnte einen Mann wie dich gebrauchen. Was ist, hast du Lust, mit mir zu arbeiten?« Stafford hebt heftig die Hand, Plummer wirft ihm einen Seitenblick zu und zieht die Augenbrauen hoch. »Was willst du, Ron?«
»Henry«, sagt Stafford mit dem ständigen Mißtrauen eines Spielers, »ich würde es nicht tun. Das soll kein Vorschlag sein, sondern ein Rat. Irgend etwas an Morgan warnt mich. Ich weiß nicht was, aber…« »Er hat deinen Bruder geblufft und spielt für dich zu gut, was?« fragt Plummer mit gefurchter Stirn und seltsam glitzernden Augen. »Ron, mein Freund, ich weiß schon, was du gegen ihn hast. Laß es nur meine Sorge sein, ich kann auf ihn achten. Hast du sonst noch was zu raten?« »Nichts«, erwidert Stafford, über dessen blasses Gesicht eine kurze Röte huscht. »Du mußt wissen, was für dich gut ist. Tu, was du nicht lassen kannst, ich habe dich gewarnt.« Er setzt seinen steifen Hut auf, dreht sich um und geht schweigend aus der Tür. Plummer lauscht, starrt auf die Tür und wendet sich dann um. »Sam«, sagt er zwischen den Zähnen und blickt zu dem Mann in der Ecke, der nach Schnaps riecht. »Was denkst du über Ron?« »Ich weiß nicht, vielleicht ist er wirklich vorsichtig, aber es kann auch etwas anderes sein, wie?« »Genau das denke ich auch«, brummt Plummer. »Dieser Mann will nicht, daß man seinen Spielern zu sehr auf die Finger sieht, und ich zuviel weiß. Das ist es, ich sage es dir, Mann. He, Morgan, hast du dir die Sache überlegt?« Morgan zuckt mit den Achseln und sagt dann: »Plummer, machen wir ein Geschäft: Du bekommst die Hälfte meines Geldes und läßt mich gehen. Ich bin zu sehr ein Einzelgänger, als daß ich mich in einer größeren Gruppe wohl fühlen könnte. Was denkst du darüber?« »Du könntest es immerhin versuchen und bleiben«, antwortet Plummer unwirsch. »Wenn ich ein Geschäft machen wollte,
dann würde ich dein Geld behalten und du bliebest verschwunden. Morgan, ich brauche einen Mann, der gut genug mit den Karten ist, um den Staffords und ihren Leuten etwas auf die Finger zu sehen. Du könntest selber spielen, vielleicht auch mit Ron Stafford, wie? Ich möchte wissen, wie gut die Burschen sind und wieviel von ihrem Gewinn sie abliefern können.« »Und wenn ich Streit mit Staffords Leuten bekomme?« fragt Morgan vorsichtig. »Plummer, wer sagt mir, daß ich dann nicht allein sein werde? Warum willst du Stafford auf die Finger sehen, spielst du selber?« »Spielen?« Plummer lacht verächtlich, setzt sich hin und schnippt mit den Fingern. »Wir garantieren Staffords Leuten unsere Unterstützung«, erwidert er dann grinsend. »Dafür liefert Stafford uns einen Teil seiner Gewinne ab, verstehst du? Meine Freunde sorgen in den Spielhallen der Stadt für Ruhe, damit Stafford die Miner ausnehmen kann. Er bezahlt nicht genug an uns. Ich möchte herausfinden, was er zahlen kann und wieviel er selber verdient. Ich bin ein guter Spieler, aber ich kenne längst nicht alle Tricks. Für diese Sache brauche ich jemanden, auf den ich mich verlassen kann, verstehst du? Vielleicht bist du der Mann? Du kannst es dir überlegen, aber sofort. Solltest du einen Trick versuchen oder mit Stafford gegen mich arbeiten wollen, dann würdest du nicht mehr lange genug leben, um etwas davon zu haben.« »So ist das also«, erwidert Morgan gepreßt. »Und du meinst, daß Stafford nichts von deiner Absicht merkt? Wenn er mißtrauisch wird, dann schießt vielleicht jemand…« »Das wird er nicht wagen«, unterbricht ihn Plummer grimmig. »Ich würde ihn und seine Leute dann aus dem Land ja-
gen. Sieh dich in den Saloons um und halte die Augen offen. Nun, willst du?« »Und was verdiene ich dabei?« erkundigt sich Morgan trocken. »Immer die Hälfte von dem, was du uns verschaffst«, sagt Plummer knapp. »Nur mache nie den Fehler, falsch zu spielen, dann hätte Stafford einen Grund, auf dich loszugehen, verstanden?« »Ich habe es nicht nötig, falsch zu spielen«, entgegnet Morgan fest. »Plummer, warum willst du mich haben? Du kennst mich nicht genug, ich könnte ein Betrüger sein.« Plummer wechselt einen Blick mit Sam und grinst dann. »Du siehst nicht nach einem Spieler aus«, erwidert er trocken. »Du wirkst zu ehrlich. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich es mit dir versuche.« Er schweigt einen Augenblick und kneift die Lider zusammen, um Morgan stechend scharf anzusehen. »Eins merke dir«, sagt er dann zischend. »Du kannst einen Haufen Geld verdienen, wenn du deine Arbeit ordentlich machst. Eines Tages werde ich hier US-Marshal sein. Du weißt vielleicht, daß eine Anzahl Unterschriften genügt, um vom Gouverneur die Bestallung als Marshal zu bekommen. Die Unterschriften habe ich zusammen. Eines Tages werde ich hier Marshal sein, ich, Henry Plummer. Weißt du, was das heißt? Du weißt es nicht, keiner weiß es, keiner kennt meine Pläne, aber man wird sie kennenlernen. Paß gut auf, Morgan: so schnell mit dem Schießeisen wie ich bist du niemals. Mach deine Arbeit gut, dann wirst du eines Tages in diesem Land alle Spieler kontrollieren können und zwar für mich. Machst du einen Fehler oder arbeitest du gegen mich, dann wirst du ein toter Mann sein. Ich denke, du hast genug von mir gehört, um es zu begreifen. Ich dulde keinen Verrat und keine Männer bei
mir, die mich betrügen. Solltest du es versuchen, wirst du steif und kalt sein, ehe dein Betrug sich ausgezahlt hat. Haben wir uns verstanden?« Er ist eiskalt, ein Mann, der über Leichen geht, denkt Ray Morgan bestürzt und fühlt zum erstenmal seit seiner Begegnung mit Plummer so etwas wie dumpfe Furcht. Dieser Mann ist wie der Teufel selber. Und der weiß seine Opfer mit dämonischem Instinkt zu finden. »Ja«, sagt Ray gepreßt und sieht Plummer voll an. »Wann soll ich anfangen und wie soll ich es tun?« »Nur gut aufpassen«, erwidert Plummer mit einem kurzen, scharfen Nicken seines Kopfes. »In Ordnung, du bekommst jede Hilfe. Einige meiner Leute werden immer in deiner Nähe sein, auch der Mann, den du in der Gasse niedergeschlagen hast. Morgan, du gehst in die Spielhallen. Es kann sein, daß Stafford seine Spieler nicht mehr so hoch spielen läßt, aber das wirst du sicher gleich merken, wie?« »Das will ich hoffen«, antwortet Ray kurz. »Und sonst?« »Spiel selber und finde heraus, wer von seinen Leuten falsch spielt.« »Soll ich dann…« »Nichts tun, nicht schießen und keinen Krach anfangen«, sagt Plummer mit einem bösen Glitzern der Augen. »Du spielst mein Spiel und fragst immer erst, ehe du etwas unternimmst Entweder kommst du zu mir und gibst einen Bericht oder ich schicke jemanden zu dir. Der Mann, der zu uns gehört, wird dich aufsuchen und dir das Kennwort sagen. Es heißt Innocent – unschuldig, ist das klar?« »Hm, ich verstehe schon. Und wozu das alles?« Plummer starrt vor sich hin. Es kommt Morgan vor, als wäre Henry Plummer mit seinen Gedanken weit fort und als hätte er ihn längst vergessen.
»Hör zu«, sagt Plummer auf einmal mit unheimlicher Ruhe und Festigkeit, die Morgan erkennen läßt, daß dieser Mann in einer Art Wahnsinn ein bestimmtes Ziel verfolgt. »Eines Tages wird Henry Plummer der Mann sein, dem dieses ganze Land gehört. Ich werde hier regieren. Und wer sich gegen mich stellt, der wird wie eine Laus zertreten werden. Ich mag keine Spieler, wenn es sie auch immer geben wird. Aber wenn es sie gibt, dann sollen sie nur für mich arbeiten. Und du wirst mir dabei helfen, Morgan. Du erinnerst mich an einen Mann, den ich einmal kannte. Ihm konnte ich vertrauen. Und dir werde ich es auch. Aber enttäusche mich nicht, sonst wird es ganz bitter für dich.« Das also ist es, denkt Ray Morgan, ob ich ihn an Jack erinnere? Wenn Plummer getrunken hat, dann ist er nicht mehr zurechnungsfähig und bringt jeden um, der ihn ärgert. Was wird er erst tun, wenn ihn jemand… »Du wirst weiter bei Goodrich wohnen«, hört er Plummer sagen. »Mach dir um die Kosten keine Gedanken, das ist schon erledigt. Du kannst jetzt gehen, Morgan. Ich erwarte, daß du mir jede Kleinigkeit meldest. Stafford ist ein Betrüger. Eines Tages werde ich ihn genau wie…« Er bricht mitten im Satz ab, greift in seine Tasche und zieht eine Zigarre heraus. Sam beeilt sich, ihm Feuer zu geben. Plummer raucht und starrt vor sich hin. »Plummer?« fragt Morgan heiser. »Dieser Crowell, wird er nicht reden?« »Reden, der?« sagt Plummer verächtlich. »Der weiß zu genau, daß er danach nie mehr reden würde, die kleine Kröte. Mach dir um den keine Gedanken, auch seine Zeit wird noch kommen. Du kannst gehen, wenn du willst, da hegen deine Sachen.«
Er deutet auf den Tisch, auf dem Morgans Geld neben dem Waffengurt liegt und beobachtet Morgan aus fast geschlossenen Lidern. Ray Morgan legt den Gurt um, dann steckt er sein Geld ohne es zu zählen ein und hört Plummer fragen: »Warum zählst du nicht nach, he?« Morgan sieht Plummer seltsam an, ehe er antwortet. Dann aber sagt er träge: »Ich denke, ich soll für dich arbeiten, wie? Du wirst klug genug sein, mich nicht wegen einiger Dollar zu betrügen. Das traue ich dir nicht zu, Plummer. Auf Betrug kann man keine Partnerschaft aufbauen.« Plummer schweigt. Er hockt groß und starr auf dem Stuhl und blickt auf die Tür, die hinter Morgan zufällt. Er erinnert mich an Jack, denkt Plummer, Jack konnte ich vertrauen. Und ihm werde ich eines Tages die Aufsicht über alle Spieler geben. Eines Tages wird Stafford nicht mehr da sein. Ein Unfall, er wird mit dem falschen Mann spielen. Dann arbeiten sie alle für mich. Ich habe mir den richtigen Mann ausgesucht. Den richtigen Mann an den richtigen Platz, denkt Plummer. Seltsam, er hat mir gleich gefallen. Er ist hart, kalt und mutig. Ich brauche einen Mann wie ihn, auf den ich mich verlassen kann. Henry Plummer ist kein großer Spieler. Darum braucht er einen Mann, auf den er sich verlassen kann. * Es ist Tom Palmer, als wollte an diesem Tag die Sonne durch den bezogenen Himmel scheinen. Die Kälte ist nicht sehr groß,
es liegt kaum Schnee und die beiden Rehe, die Palmer gestern geschossen hat, liegen steifgefroren hinten auf dem Wagen. Auf dem Bock des Wagens sitzt der sechzehnjährige Pete Mograves – ein Junge, den Palmer für diesen Jagdausflug mitgenommen hat – und hält die Leinen, während Palmer etwa 40 Yards vor dem Wagen reitet. Palmer hat das Gewehr quer über den Knien, aber nicht etwa, weil er einen Überfall befürchtet. Vor drei Tagen sind einige Moorhühner am Stinkingwater Creek genau vor ihm aufgeflogen. Da er zu spät zu seiner Schrotflinte gegriffen hatte, ärgert er sich jetzt noch, wenn er daran denkt, daß er sie hätte schießen können. Darum – und weil das Dickicht neben dem Bach ein guter Unterschlupf für Hasen und Moorhühner ist – hat Palmer nun seine Flinte über den Knien. Palmer blickt sich nach hinten um, sieht zu Pete Mograves, der zusammengekauert auf dem Bock sitzt und sagt heftig: »Junge, nimm dich zusammen, schlaf nicht ein! Wir werden nur noch zwei Tage jagen, dann fahren wir nach Hause. Du darfst nicht so stillsitzen, sonst frierst du ja immer mehr.« »Ja, Mr. Palmer«, erwidert Pete und richtet sich auf. »Ich bin nur etwas müde.« Er steht auf, schlägt die Arme um die Seiten und stampft etwas mit den Stiefeln. Palmer sieht eine Bewegung im Gestrüpp rechter Hand und in der nächsten Sekunde ein Moorhuhn auftauchen. »Donner«, sagt Palmer heftig und reißt mit einem Ruck seine Flinte hoch. »Ein Moorhuhn! Diesmal wird es klappen.« Der Doppellauf seiner Schrotflinte schwenkt mit. Er hält vor, zieht die Bahn des Moorhuhnes mit und drückt jäh ab. Der donnernde Krach der Flinte rollt über das Busch-Gelände. »Getroffen, Mr. Palmer!« schreit Pete Mograves hell vom
Bock und zerrt an den Leinen. »Dort hinten ist es heruntergekommen. Ich habe es genau gesehen.« Palmer, der nur einige Federn fliegen sieht, aber die Absturzstelle des Moorhuhnes nicht genau ausgemacht hat, nickt zufrieden, klappt den Lauf herunter und wirft die abgefeuerte Patrone aus. »Dann spring vom Wagen«, sagt ererfreut, »und hole das Huhn her. Wir werden eine gute Mahlzeit haben, Junge.« Pete, wie immer hilfsbereit und willig, bindet die Leinen am Bock fest und springt dann über das Rad auf den harten Boden. Er läuft zwischen die Büsche, hat sich die Richtung genau gemerkt und denkt schon an den Topf, in dem sie das Huhn kochen werden. Er stürmt an einem Busch vorbei, dessen Zweige mit glitzerndem Rauhreif bedeckt sind und weiß, daß er jeden Moment das Huhn sehen muß. Im nächsten Augenblick bleibt Pete Mograves jedoch stocksteif, als wäre er vor eine Wand gelaufen, stehen und reißt den Mund zu einem entsetzlichen Schrei auf. Pete Mograves sieht zwar das Moorhuhn, aber es liegt nicht am Boden. Das Moorhuhn ist herabgestürzt, sein Blut hat sich über den Rauhreif, der weiß auf der Jacke glitzert, ergossen und läßt den Mann, der am Boden liegt, wie einen in diesem Moment Erschossenen aussehen. Das Moorhuhn ist auf den am Boden liegenden Mann gefallen. Der Mann ist von der Kälte steif. Mit seiner ausgestreckten Hand aber scheint er Pete winken zu wollen. Mograves stößt einen zweiten Schrei aus, dreht sich dann in völligem Entsetzen um und rennt, was er nur rennen kann,
schreiend und gestikulierend aus dem Buschgelände auf den Weg zu. Dort hat Palmer sein Pferd herumgerissen, sieht Pete mit vor Furcht verzerrtem Gesicht angelaufen kommen und glaubt im ersten Moment, daß Pete von einem wilden Tier verfolgt wird. Mit einem – Schwung reißt Palmer darum seine neu geladene Flinte herum, blickt auf die Büsche hinter dem herausstürzenden Pete und sieht ihn in voller Panik auf sich zugerannt kommen. Pete schreit und klammert sich, vor Furcht und Entsetzen grau geworden, an Palmers linkem Bein fest. »Was ist los, Pete?« fragt Palmer scharf und faßt ihn hart an der Schulter. »Junge, was ist mit dir, was ist dort in den Büschen? Rede, was ist dort?« Pete lehnt sich, immer noch Palmers Bein umklammernd, an das Pferd und sagt schrill vor Furcht: »Ein Mann – ein Mann liegt – ein Mann. Das Moorhuhn ist auf seine Brust gefallen. Oh, mein Gott, Mr. Palmer, ein toter Mann liegt dort.« Er wankt auf den keine drei Schritt entfernten Wagen zu und hält sich am Rad fest, während sein Körper von einem Krampf geschüttelt wird. »Was sagst du da?« fragt Palmer verstört. »Ein Mann? Komm mit, wo liegt er?« »Nein, nein, ich kann nicht, ich gehe nicht wieder hin, Mr. Palmer«, sagt der Junge mit allen Anzeichen des Entsetzens. »Nun ja, dann bleibe am Wagen«, erwidert Palmer gepreßt und reitet in die Büsche hinein. Er kann am Boden die Fußspuren Petes im Rauhreif erkennen und erreicht nach wenigen Augenblicken die Stelle, an der der Körper steifgefroren zwischen den Büschen liegt. Einige Zweige hier sind geknickt, das bemerkt der als Jäger in diesen Dingen erfahrene Palmer so-
fort. Auch glaubt Palmer, Hufspuren eines Pferdes zu sehen, ehe er noch absteigt. »Großer Gott«, flüstert er und erbleicht. »Das muß Nick Tbalt sein.« Er steigt ab, kniet neben dem Körper nieder und schleudert mit einer heftigen Bewegung das Huhn in die Büsche. Mit seinem dicken Handschuh versucht Palmer den Reif etwas wegzuwischen. Dann sieht er, daß er sich nicht geirrt hat. Man hat Tbalt ein Lasso umgelegt und ihn zwischen die Büsche geschleift. Palmer, der kalkweiß und mit fest zusammengebissenen Zähnen den Spuren nachgeht, findet heraus, daß Maulesel- und Pferdespuren bis auf den Weg laufen. Hier beginnt auch jene Spur der abgebrochenen Zweige. Der Körper muß also vom Weg aus bis in das Buschgelände geschleift worden sein, in dem er verborgen zehn Tage gelegen hat. Tom Palmer stopft sich mit zitternden Händen eine Pfeife, dann geht er auf den Wagen zu, sieht den Jungen an, der grau im Gesicht, auf den Bock gestiegen ist und vor sich hin starrt. »Du bleibst jetzt hier, Pete. Und wenn jemand kommt, dann läßt du ihn nicht dort hinein, verstanden? Am Hang oben sind einige Fellzelte, ich werde hinreiten und Hilfe holen. Du kannst wohl nicht anfassen und den Mann auf den Wagen tragen helfen?« »Nein, nein«, sagt Mograves, entsetzt die Hände ausstreckend. »Mr. Palmer, das kann ich nicht. Ich will gern alles tun, aber das kann ich nicht.« »Nun gut, dann bring ich jemanden von oben mit. Warte hier, Pete.« Pete sieht furchtsam auf die Büsche, zwischen die Palmer geht, sein Pferd holt und aufsitzt. Es kommt Palmer vor, als stünde dort oben jemand bei den Zelten und blicke in das Tal herab, aber als er zwischen den
Bäumen in der Senke ist, sieht er keinen Menschen mehr. Nach kaum sieben Minuten ist Palmer oben, reitet mit der Flinte in der Hand auf die Zelte zu und sieht den Eingang des einen Zeltes offenstehen. Der Mann, der aus dem Zelt tritt, ist groß und hager, blickt Palmer kurz an und stützt sich auf sein Gewehr. »Hallo, Long John«, sagt Palmer, der den großen, hageren Mann kennt. »Bist du es gewesen, der gerade in das Tal gesehen hat?« »Ich hörte einen Schuß«, erwidert Long John mürrisch. »Ist etwas passiert?« »Ich denke«, antwortet Palmer, den das mürrische Benehmen Long Johns stutzig macht. »John, wie lange wohnt ihr schon hier in dem Zelt?« »Nicht lange«, gibt Long John brummig zurück. »Weshalb fragst du?« »Nun«, sagt Palmer grimmig, »wenn du diesen Schuß gehört hast, dann müßtest du den anderen auch gehört haben, der vor zehn Tagen unten im Tal abgefeuert worden ist und jemanden von hinten getroffen hat.« »Was für ein Schuß? Ich habe nichts gehört. Wer ist…?« »Komm mit herunter und sieh es dir an«, sagt Palmer bitter. »Vielleicht bist du vor zehn Tagen nicht hier gewesen, aber dort unten in den Büschen liegt ein Mann, der ziemlich übel zugerichtet ist. Ich kann ihn nicht allein auf den Wagen schaffen. Hilf mir, John.« Er blickt zur Seite, sieht den zweiten Mann nun aus dem Zelt kommen und erkennt George Hilderman, der neugierig fragt: »Wer ist es denn, he?« »Ich tippe auf Tbalt«, antwortet Palmer düster. »Genau kann ich es nicht sagen, aber ich werde ihn nach Nevada City bringen. Dort identifiziert man ihn ganz sicher. Kommt mit, Leute,
helft mir, ihn auf den Wagen zu legen.« Long John macht eine verlegene Bewegung, zuckt die Achseln und blickt zu Hilderman, einem älteren, ungepflegten Mann, dessen Gesicht von tiefen Falten durchzogen wird. »Tut mir leid«, sagt Long John dann mürrisch. »Sie bringen jeden Tag in dieser Gegend Leute um. Und niemand sagt etwas dazu. Palmer, mit dieser Sache wollen wir nichts zu tun haben.« »Wie bitte?« fragt Palmer scharf. »John, da liegt ein Mann. Er ist tot. Es gehört sich doch wohl, daß er ein christliches Begräbnis erhält. Nun, was ist, wollt ihr nicht einmal dieser Menschenpflicht nachkommen? He, Hilderman, was sagst du?« »Nichts«, erwidert Hilderman murrend. »Ich weiß nichts von der Geschichte und will mit ihr nichts zu tun haben. Ich bin nur zufällig hier. Du weißt, daß ich sonst auf Dempseys Ranch bin. Was willst du also? Ich habe damit nichts zu tun.« »Komm«, sagt Long John heiser zu Hilderman. »Ich sage doch, laß uns in Ruhe damit, Palmer, wir wollen nichts damit zu tun haben.« Er zieht Hilderman am Arm mit und verschwindet vor Palmers Augen im Zelt, dessen Eingangstür er zufallen läßt. Die Pest, ist so etwas möglich? fragt sich Palmers grimmig und ist nahe daran, seine Schrotflinte zu nehmen und sie mitten auf das Zelt abzufeuern. Sie helfen nicht einmal, diese Burschen. Sie wollen damit nichts zu tun haben, aber ich bin verflixt sicher, daß sie es längst gewußt oder zumindest eine Ahnung gehabt haben, daß dort unten jemand liegt. Diese Schurken, sollte man es für möglich halten, daß man so viel Herzlosigkeit aufbringt, jemanden neun oder zehn Tage lang dort unten einfach liegenzulassen? Tom Palmer zieht sein Pferd herum, reitet scharf an und kommt bald darauf wieder zum Wagen. Als er zurückblickt
und die Zelte vor Augen hat, rührt sich oben nichts. Er ballt wütend die Fäuste, bindet wortlos sein Pferd neben dem Wagen an und nimmt eine seiner Decken. »Zieh die beiden Rehe nach vorn, Junge«, sagt er schärfer, als er will. »Beeile dich schon, etwas wirst du ja wohl noch tun können, wie?« Pete nickt mit starrem Gesicht und sieht Palmer mit dem Seil und der Decke auf dem Pferd zwischen die Büsche reiten. Nach etwa einer Viertelstunde kommt Palmer zurück und führt das Pferd hinter den Wagen. Er hält an, knurrt grimmig, als er Pete die Zügel gibt und sagt heftig: »Sieh nicht hin, wenn du es nicht kannst. Mir braucht niemand zu helfen. In diesem Land ist man nicht einmal mit den Toten barmherzig. Da, nimm den Gaul und reite voraus, ich komme mit dem Wagen schon nach.« »Ja, Mr. Palmer«, stammelt Pete und spürt einen Kloß im Hals. »Ich möchte ja gern helfen, aber…« »Ist schon gut«, murmelt Palmer, halb besänftigt und auf sich selber zornig, weil er an dem Jungen seinen Unmut ausläßt. »Reite nur ein Stück, Junge, ich komme dann schon nach.« Pete steigt, ohne sich umzublicken, auf das Pferd und reitet hastig an, während Palmer die umwickelte Decke nimmt und noch einmal bitter zu dem Hügel hochsieht. Bald darauf sitzt Palmer auf dem Wagen und fährt auf Nevada City zu. Der Junge hält am Weg und wartet schweigend, bis Palmer auf seiner Höhe ist. »Du kannst vorausreiten, Junge«, sagt Palmer scharf. »Reite zu Tom Baume oder Elk Morse, die kennst du beide, und sage ihnen Bescheid, daß ich wahrscheinlich Tbalt gefunden habe. Kann sein, daß William Clark auch in Nevada City ist, dann gehe zuerst zu ihm.« »Ja, Mr. Palmer«, erwidert Pete schluckend, »aber Sie sind
dann ganz allein unterwegs.« »Ich werde sechs bis sieben Stunden zur Stadt brauchen. Keine Angst, mir geschieht nichts, Pete.« Der Junge nickt, aber Palmer sieht ihm die Unruhe doch an. Palmer blickt ihm nach und wendet dann den Kopf zurück. Er hat die Plane des Wagens hinten offen gelassen. Brummend nimmt er seine Schrotflinte und sein Henry-Gewehr nach vorn. Es könnte sein, denkt Palmer, daß die beiden Burschen da oben im Zelt doch mehr wissen, als sie zugeben wollen. Vielleicht folgt mir bald jemand, wie? Nun, wer immer kommt, ich werde ihn schon sehen. * Im Bart von William Clark hat sein Atem kleine Eistropfen entstehen lassen, die knisternd zerbrechen, als Clark sich mit dem Handschuh über den Mund fährt. Einen Augenblick starrt Clark auf das Tal, das düster in der nächtlichen Einsamkeit vor ihm liegt, dann wendet er den Kopf und blickt John Beidler an. »William«, sagt Beidler heiser. »Du hast graue Haare und bist fast zwanzig Jahre älter als ich. Wie hältst du das durch?« »Ich will sie haben«, erwidert William Clark zwischen den Zähnen und zieht einmal scharf die kalte Luft ein. »Ich will sie haben, hörst du? Es ist so kalt, daß sie nicht damit rechnen werden, Besuch zu bekommen. Sollen sie auch nicht, John, ich will, daß sie überrascht sind. Das sollen sie mir bezahlen!« »Und ob sie das sollen«, erwidert Beidler, dessen Pferd neben Clark den langen Hang heruntertrottet. »Trotzdem. Du bist ein alter Mann, aber du hängst wie ein junger Bursche im Sattel, obwohl du noch keinen Schlaf bekommen hast. Erst den
Jungen begraben und dann gleich aufbrechen – seit zehn Uhr gestern abend sitzt du im Sattel. Es ist gleich drei Uhr früh.« »Und wenn ich zehn Stunden im Sattel zubringen müßte«, antwortet Clark so finster, daß selbst den harten Beidler friert. »Ich will die gottlosen Halunken haben, ich will, verstehst du das? John, du weißt nicht, was mir der Junge bedeutet hat. Als er zu mir kam, war er fünfzehn Jahre alt. Ich konnte ihm anvertrauen, was immer ich wollte. Ich habe keine Kinder, du weißt es. Ich habe gedacht…« Das hat er schon drei-, viermal zu Beidler gesagt. Armer William, denkt Beidler mitleidig, da hast du dir nun Hoffnungen gemacht. Du hast wirklich vorgehabt, den Jungen eines Tages zu deinem Erben zu machen. Nun ja, ein Waisenjunge, aber ein anständiger, grundehrlicher Bursche. Ich kann verstehen, daß du außer dir bist. Hoffentlich kommt Pierce gut nach Bannack, damit Sanders Nachricht erhält und hier erscheint. Wir werden eine Jury bilden. Er wirft Clark einen Seitenblick zu, den Clark nicht bemerkt. Der schon ergraute Clark ist unheimlich zäh und hat sich in sein Vorhaben verbissen, die Zelte zu erreichen, ehe der Morgen graut. Sie erreichen nach einer Stunde das Tal. Bis zu den Zelten ist es noch eine Meile, als Clark den Arm hebt und scharf sagt: »Ruhig jetzt, wir bleiben hier in der Mulde. Haltet die Tiere an den Zügeln und macht keine Geräusche bis zum Tagesanbruch, Leute.« Männer steigen ab, Sättel janken leise. Irgend jemand flüstert und sagt etwas zu Baume, der mit Clark und Elk Morse den Sarg für den jungen Tbalt gemacht hat. Sie sind alle dabei, fast fünfundzwanzig Männer, die unter der Führung von Clark und Beidler aufgebrochen sind. Nelson Story, der mit Fleisch handelt, ist auch dabei. Mit ihm viele andere Bürger.
Sie halten die Pferde und reden leise miteinander. Die Zeit verrinnt träge für die Männer, die Nacht ist kalt, der Morgen nicht mehr weit. Die meisten blicken zu Clark, dessen Gang von einem Ende der Mulde zum anderen führt. »William«, sagt John Beidler, als Clark wieder einmal an ihm vorbeigeht. »Du solltest dich ausruhen, anstatt herumzugehen. Ich kann ja verstehen, daß du unruhig bist, aber wenn sie da sind, dann werden sie uns nicht mehr entwischen.« »Sie müssen dort sein«, sagt Clark zwischen den Zähnen. »Ich bedaure nur, daß wir keinen Mondschein, sondern eine Wolkendecke haben. Sonst würde ich sie schon jetzt besuchen, mit der Schrotflinte in der Hand. Und ich sage dir, derjenige, der zu flüchten versuchen würde, er käme nicht weiter als drei Schritte.« »Ja«, murmelt Beidler einsilbig. »Jetzt ist genug geraubt, gemordet und geplündert worden.« Es vergeht eine Stunde, als der Himmel im Osten sich langsam zu färben beginnt. Clark zieht sich auf sein Pferd. »Steigt auf«, sagt Clark unterdrückt. »Wir reiten leise und werden uns teilen, wenn wir nahe genug sind, um sie einzuschließen. Bildet einen Ring um das Zelt und paßt auf, daß keiner entwischt. Vorwärts, Leute!« Er sitzt vorgebeugt im Sattel, sein Pferd geht an. Vor ihm liegen die Büsche. Er hält kurz, teilt die Männer in zwei Gruppen ein und ist dann kaum 100 Yards weiter, als ein Hund anschlägt. Das heisere, tiefe Bellen des Hundes kommt von den Zelten her und läßt alle Männer zusammenzucken. »Vorwärts«, sagt Clark scharf und gibt seinem Pferd die Sporen. »Sie werden aufwachen, der verdammte Hund jagt sie alle hoch.« Im nächsten Augenblick poltern die Hufe auf dem hartgefro-
renen Boden los. Pferde brechen durch die Büsche. Hier und da ertönt ein kurzes Schnauben oder Wiehern, dann tauchen vor Clark auch schon die Zelte auf. Er zügelt sein Pferd, steigt mit der Schrotflinte ab und sieht die Reiter nun auch drüben auftauchen. In diesem Moment ist der Platz umstellt. Vor einem Zelt sieht Clark im düsteren Zwielicht eine Gruppe von acht oder zehn Männern unter Decken und Fellen liegen. Die Männer bewegen sich, wollen hoch, aber da kommen bereits die ersten von Clarks Leuten mit den Schrotflinten herangelaufen und Clark sagt grimmig: »Der erste Mann, der sich bewegt, bekommt eine Ladung aus der Schrotflinte. Ruhig am Boden bleiben, sonst schießen wir.« Zwei, drei der eingemummten, mit Fellen und Decken versehenen Leute vor dem einen Zelt sinken wieder zurück und rühren sich nicht mehr. Von allen Seiten kommen die Männer Clarks mit den Schrotflinten heran. »In Ordnung«, sagt Clark finster und sieht auf den Zelteingang. »Long John, steckst du im Zelt?« Einen Moment ist es still, aber dann sagt Long John aus dem Inneren des Zeltes heiser: »Ja, ich bin hier.« »Dann komm heraus, ehe wir auf das Zelt schießen«, gibt Clark schneidend zurück. »Ich will dich sehen!« »Ist gut«, ruft Long John. »Ich denke, daß ich weiß, was ihr von mir wollt. Könnt ihr warten, bis ich meine Mokassins angezogen habe?« »Beeile dich damit, Freundchen«, sagt von der anderen Seite einer der Männer von Clark. »Beeilung, wir haben nicht viel Zeit!« Gleich darauf kommt Long John blaß, aber ziemlich furchtlos
herausgekrochen und richtet sich auf. Er blickt sich um, erkennt überall die Männer und beißt sich auf die Lippen. »Weißt du, warum wir hier sind?« fragt Beidler ihn. »Rede schon. Warum hast du Palmer nicht helfen wollen?« »Es geht mich nichts an«, antwortet Long John mürrisch und blickt von einem der Männer zum anderen. »Ich weiß nichts über die Sache.« »Du weißt nichts? Nun, wir werden sehen«, knirscht Clark, sich mühsam angesichts Long Johns kalter Ruhe beherrschend. »John, bleibe du mit den anderen hier und lasse keinen fort, wir haben einen weiten Weg zu machen.« Der Himmel wird heller, als sie Long John mit vier Mann in die Mitte nehmen. John wird unruhig, aber er beißt sich auf die Lippen und schweigt beharrlich, obwohl er bald darauf merkt, daß sie ihn ins Tal und in das Buschgelände führen. Als sie am Platz sind, an dem Palmer, der mitgekommen ist, den Toten entdeckte, packt Clark John Frank, wie Long John eigentlich heißt, am Kragen und gibt ihm einen Stoß, der ihn zu Boden befördert. »Nein«, sagt Frank schrill, als er dort liegt, wo auch der Junge gelegen hat. »Nein, ich war es nicht. Ich schwöre, ich war es nicht, Leute.« In diesem Moment nimmt Baume seinen Revolver und zielt auf Frank, der einen heiseren Schrei ausstößt und die Hände in die Höhe streckt. »Nicht schießen, nicht schießen!« »Wenn du nicht gleich sagst, wer es gewesen ist«, fährt ihn Baume fauchend an, »dann drück ich ab. Also, wer ist es gewesen, Mann?« Es wird hell, so daß sie die Furcht in John Franks Augen nur zu deuthch erkennen können.
»Also – wer?« fragt Clark drohend. »Nun, du wirst…« In diesem Moment blickt Clark hoch und sieht keine Viertelmeile entfernt ein Maultier stehen. Es ist nun hell genug. Clark braucht nur einen Blick, um das Maultier zu erkennen. Als Clark vorspringt und John Frank auf die Beine reißt, stößt der einen Entsetzensschrei aus und denkt, daß er sterben soll. Dann jedoch dreht ihn Clark herum und sagt wild: »John, wessen Maultier ist das dort hinten?« »Das – das ist«, stammelt John Frank in Todesfurcht, »das ist Nicks Maultier, Black Bess. Auf dem ist er hier herabgeritten.« Dann zuckt er zusammen, denn er merkt, wenn auch zu spät, daß er sich damit selber verraten hat. »Also, du weißt, daß es Nicks Maultier ist«, keucht Clark wild. »Jetzt heraus damit, Frank, oder wir hängen dich auf! Du kennst das Maultier, du weißt alles über den Mord, aber du willst nicht reden, was? Vielleicht redest du, wenn du einen Strick um den Hals hast.« John Frank schlottert an allen Gliedern. Er blickt zu Boden, hat jede Spur Farbe aus dem Gesicht verloren und sagt stöhnend: »Oh, ich habe Angst.« »Wovor hast du Angst, he?« »Vor den Männern hier in der Nähe.« »Du hast also Angst, sie könnten dich umbringen, wenn du redest, wie? Wie Morton, na?« »Ja«, stammelt Frank heiser. »Aber hier ist nur einer, der mich…« »Wer?« fragt Clark blitzschnell und schüttelt ihn hart. »Wer ist hier?« »Ives«, sagt John Frank schrill. »Es ist George Ives.« Und dann bemerkt er den starren Ausdruck von Clarks Augen.
»Ives«, sagt Clark. »George Ives, dieser Kerl, der mir sagte, daß Nick sich aus dem Staub gemacht haben muß. Rede, Mensch, hat Ives Nick umgebracht, hat er das getan?« »Ich weiß es nicht genau«, sagt Frank zitternd, als die Männer ihn packen und wild anstarren. »Ich habe nur den Schuß gehört und bin erst nach einer Weile nachsehen gegangen. Da ritt Ives mit zwei Maultieren davon. Aber Hilderman weiß mehr. Er sagt, Ives wäre Nick gefolgt, als der schon die Maultiere hatte. Nach einer Weile ist Ives dann zurückgekommen und hat gesagt, Nick würde nie mehr im Leben ein Maultier brauchen.« »Also Ives«, erwidert Clark mit bleichem Gesicht. »Und dieser Kerl wagt mir noch zu sagen, daß sich Nick aus dem Staub gemacht haben könnte. Nun, warte, Bursche, du sollst dafür bezahlen.« Er läßt die anderen mit John Frank zurück und hastet zu den Zelten. »Ives«, sagt er dort, mit der Schrotflinte vor die am Boden liegenden und eingemummten Männer tretend. »George Ives, steh' auf, Mann!« Ives, der unter einem Fell und zwei Decken gelegen und nicht einmal die Nasenspitze herausgestreckt hat, steht langsam auf und sieht ihn kalt an. »Was willst du von mir?« fragt der Bandit, der gehofft hat, unter der Vermummung unentdeckt zu bleiben. »Du kommst mit nach Virginia City«, gibt Clark eisig zurück. »Und ich denke, daß du weißt, warum.« »Vielleicht«, erwidert George Ives ohne jede Regung und läßt sich entwaffnen, »weiß ich es.« Sie binden ihm die Hände vorn zusammen, zwingen dann die anderen Männer, die am Zelt liegen, die Waffen abzulegen und haben sieben Revolver, neun Schrotfhnten und dreizehn
Gewehre beisammen, als sie die Waffen zählen. Es ist Elk Morse, der plötzlich unter den Revolvern einen heraussucht, ihn hochhält und auf das ausgebrochene Stück an der Laufmündung blickt. »Wessen Revolver ist das?« fragt Morse grimmig, indem er die Männer der Reihe nach anblickt. »Nun, wessen Revolver, von wem stammt er, he?« Beidler wirft nur einen Blick auf die Waffe, um dann knapp zu sagen: »Ich habe sie Ives abgenommen, Elk. Was ist mit ihr?« »Das«, sagt Morse wütend und springt auf Ives zu, der ihm mit eiskalter Ruhe entgegensieht, »ist Leroy Southmaydes Revolver, den man ihm bei dem Überfall auf die Kutsche vor einiger Zeit abgenommen hat. Ives, du bist das also gewesen.« »Ich habe sie gefunden«, sagt Ives mit steinernem Gesicht und sieht an ihm vorbei. »Das ist alles, was ich zu sagen habe, Mann.« »Du wirst noch viel mehr sagen, du wirst noch heulen und zähneklappern, wenn du unter dem Galgen stehst«, erwidert Morse grimmig. »Und ich hoffe, das ist bald.« Es dauert nicht lange, dann sitzt Ives auf einem Pferd, und die Männer reiten an. Die Waffen der anderen Männer bleiben entladen zurück, aber niemand der am Zelt zurückbleibenden Männer versucht etwas. Mit Ives reiten Clark und Beidler den Hang herunter. Ives, der unten Long John Frank starr anblickt, spuckt einmal aus, das ist alles, was er für Frank noch übrig hat. »Er wird mich umbringen, wenn ihr uns zusammen einsperrt«, sagt John Frank ängstlich zu Clark, als der neben ihm herreitet. »Du mußt mir helfen.« »Das werde ich«, verspricht ihm Clark ohne jedes Mitleid und sieht ihn hart an. »Dir und deinem Freund Hilderman,
den wir uns jetzt holen. Und am Ende helfen wir auch noch Ives. Ihr werdet alle drei…« »Ich habe keinen umgebracht«, sagt Long John Frank entsetzt und verzieht das Gesicht, als wolle er vor Angst losbrüllen. »Clark, ich habe niemanden ermordet, ich habe damit nichts zu tun.« »Du hast Nick neun Tage lang keine Meile von deinem Zelt entfernt liegengelassen«, gibt Clark eisig zurück. »Ich denke, das reicht für eine Jury aus, du Halunke. Paß auf, daß er nicht zu flüchten versucht, Morse, er soll noch seinen Freund Hilderman sehen.« Der einzige, der starr und kalt auf seinem Pferd sitzt, als ginge ihn das alles nichts an, ist George Ives. Der blickt niemanden an und hält oft die Augen geschlossen. Sie werden mich nicht hängen, denkt Ives höhnisch, sie werden gar nichts, denn ich komme frei, das weiß ich. Wenn jemand soviel weiß wie ich, dann holen ihn die anderen heraus. Mich hängen sie nicht, aber Hilderman und diesen verräterischen Schurken Long John, die werden sterben. Ich bringe sie um, alle beide. Und er weiß nicht, daß er niemanden mehr umbringen wird. Er stirbt, nachdem er Colonel Wilbur F. Sanders gebeten hat, die Hinrichtung auf Tagesanbruch zu verschieben, und einer der umstehenden Männer daraufhin ruft: Frage ihn, Sanders, wie lange er dem armen Nick Zeit gegeben hat? George Ives stirbt am einundzwanzigsten Dezember. Seine Hoffnung, daß man ihn befreien könnte, hat sich nicht erfüllt. Der Mann, der ihm helfen könnte, hat selber Angst. Er läßt Ives im Stich, weil er selber ein Bandit ist, der seine eigene Haut am meisten liebt.
* Es sind zwei Männer, die am Eingang des Stores stehen und sofort zur Seite treten, als sie Ray Morgan kommen sehen. »Hallo, Morgan«, sagt der eine heiser und mit einem Tonfall, der deutlich seine Furcht vor Morgan verrät. »Ein prächtiger Abend, wie?« Auch der andere grüßt, blickt aber an Morgan vorbei und kneift die Lippen zusammen. »Hallo, Ward«, murmelt Morgan und bleibt stehen. »Ja, klarer Himmel, wir werden keinen Schnee bekommen, denke ich.« »Vielleicht nicht«, erwidert Ward ruhig. »Genug gespielt, Morgan?« »Nur vielleicht, man weiß nie, wann ein Spiel zu Ende ist«, murmelt Morgan freundlich, um dann weiterzugehen und zu wissen, daß sie sich nun ansehen werden. Er geht in den Store, in dem drei Miner und zwei der Mädchen aus der einen Tanzhalle stehen. In der Ecke hinten steht Mrs. Hau, eine Frau, die viel Besuch bekommt und nie in Geldverlegenheiten ist. »Hallo, Morgan«, sagt sie und sieht Morgan mit einem ihrer schrägen Blicke an. »Allein, Morgan? Nun, die Nächte sind lang.« »Und die Tage kurz«, erwidert Morgan, während er sich an den Tresen lehnt und John Clark, dem Bruder von William Henry Clark aus Summit, kurz zunickt. »Ich denke, ich werde nachher zu Ned kommen, Madam.« »Hoffentlich ist er da«, antwortet sie und wirft ihm den nächsten Blick zu. »Wenn nicht, können Sie ja auf ihn warten, Morgan.«
»Gewiß«, sagt Morgan, aber keinem entgeht die Gleichgültigkeit in seiner Stimme, auch Madam Hall nicht. »Das könnte ich tun. John, hast du einige Hemden?« »Du trägst immer nur dunkle, dort hinten liegt der Stapel, Morgan«, gibt John Clark zurück. »Such dir aus, was du haben willst.« Madam Hall blickt Morgan nach und seufzt dann tief. Sie ist mit Ned Ray befreundet. Er ist nicht wie Morgan. Ned ist unruhig, besonders in den letzten vierzehn Tagen. Morgan aber, so scheint es, macht keine Nachricht etwas aus. Noch jemand blickt Morgan mit gerunzelter Stirn nach und vergißt darüber die Zahlen zusammenzuziehen, die auf einem Blatt Papier stehen. Harriet Clark hält den Bleistift in der Hand, blickt Morgan nach und ärgert sich im nächsten Augenblick darüber, daß sie über Morgan, diesem Spieler, den sie in einem noch viel schlimmeren Verdacht haben, ihre Rechnung für Madam Hall vergessen hat. Mit einem unwilligen Ruck wirft sie den Kopf zurück, beugt sich dann über das Blatt und zieht die Summen zusammen. »Siebzehn Dollar, Madam«, sagt sie dann gleichbleibend freundlich, obwohl sie Madam Hall nicht ausstehen kann. Mrs. Hall bezahlt, packt ein, nickt dann Harnet Clark und John Clark zu und geht zu Morgan, der ein Hemd gegen das Licht hält. »Wiedersehen, Morgan, ich hoffe, Sie kommen nachher vorbei.« »Ich werde sehen«, murmelt Morgan. »Gute Nacht, Madam.« Er betrachtet sein Hemd und dreht sich um. Harriet kommt zu Morgan und fragt kühl: »Mr. Morgan, welches Hemd soll es sein?« »Ich bin nicht sicher«, erwidert Morgan seufzend. »Sehen Sie,
Miss Hariet, ich bin dunkelhaarig, nicht wahr? Aber ich trage nun mal gern dunkle Hemden, obwohl ich helle besser tragen könnte. Was würden Sie sagen, welche Sorte soll ich bevorzugen?« Sie denkt einen Moment nach, dann sagt sie mit leicht zitternder Stimme: »Sie könnten sich auch eine Decke überhängen, ich glaube, man würde Sie immer noch erkennen, Mr. Morgan.« Ray Morgan hebt leicht die linke Augenbraue, blickt sie sehr erstaunt und verwundert an und sagt dann kopfschüttelnd: »Weshalb sollte ich das tun, Miss Harriet? Es soll ziemlich warm unter einer Decke sein, hat man mir gesagt. Nein, ich denke, ich trage doch lieber ein dunkles Hemd, wie?« Dieser kühle, glatte Bursche, denkt Harriet Clark bitter. Er weiß ganz genau, was ich damit meine. Natürlich weiß er es. Ich bin ganz sicher, daß er kurz vor dem Überfall hier im Store gewesen ist, keinen halben Tag, ehe ich losgefahren bin. Er hat Patronen für eine Schrotflinte gekauft, der Bursche. Und mit denen hat er auf Rumsey, Wilkinson und die anderen schießen wollen, der listige, kaltherzige Mensch. Er ist es gewesen, der die Kutsche angehalten hat, ich täusche mich nicht. »Denken Sie nach?« fragt Morgan da auch schon und zwinkert ein wenig mit den Lidern. »Ich möchte wetten, daß ich weiß, worüber Sie nachdenken.« »Ach, ich glaube nicht, daß Sie das wissen, oder doch, es könnte sein, natürlich, Sie könnten es wissen.« »Ja«, sagt Morgan und seufzt einmal. »Ich weiß es, Miss Harriet. Sie denken an – eh, an das Hemd, das mich am besten kleiden könnte, wie?« »Oh«, antwortet sie und erstarrt in Kühle und Ablehnung »Daran habe ich nicht gedacht, Mister. Welches Hemd soll es also sein?«
»Es ist doch schwer«, murmelt Ray leichthin. »Da bilde ich mir die ganze Zeit ein…« Die Miner haben bezahlt und gehen hinaus. Ray Morgan schweigt, wartet, bis ihre Schritte verklungen sind, und sagt dann etwas lauter: »Ich bilde mir ein, daß Sie sich über mich Gedanken machen, Miss Harriet. Und da tun Sie es nicht. John, deine Tochter macht sich nichts aus mir, fürchte ich. Dabei komme ich jeden Tag herein, um Zigarren zu kaufen. Was ist denn? Sie sieht mich an, als wolle sie mich fressen, John. Dabei läßt sie sich von irgendeinem Miner sagen, daß sie das schönste Girl auf der Welt sei. Und mich funkelt sie wütend an, obwohl ich nur denke, daß sie das schönste Girl…« »Sie«, erwidert Harriet Clark fauchend. »Sie sind der unverschämteste Mann in dieser Stadt, Sie Spieler, Sie werden eines Tages noch…« Und dann dreht sie sich um und läuft nach hinten. Ray Morgan sieht ihr mit gefurchten Brauen nach, hüstelt dann und wendet sich an den alten Clark. »Morgan«, sagt Clark brummig. »Ich will nichts gegen dich sagen, aber laß das Mädchen in Ruhe. Du bist – nun, du weißt es.« »Ja«, sagt Morgan düster. »Ich bin ein Spieler, wie? Und kein anständiger Mensch wird es dulden, daß ein Spieler seiner Tochter einige freundliche Worte sagt, geschweige, daß er noch an etwas mehr denkt. Schon gut, Clark, es war nur ein Spaß.« »Manchmal mag ich solche Späße gar nicht«, antwortet Clark nicht ohne Schärfe. »Also, welches Hemd soll es sein, Morgan?« »Das dunkle diesmal nicht, ich will ein helles haben«, brummt Ray unwirsch. »Und dann gib mir ein paar Zigarren, Mann. Etwas freundlicher könntest du sein. Tue ich dir etwas,
wenn ich mal einen Spaß mit deiner Tochter mache?« »Ich will das nicht, verstehen wir uns?« gibt Clark finster zurück. »Mein Mädel ist mir für einen Spaß zu schade. Also das helle Hemd, na gut. Und Zigarren?« Er dreht sich um, sucht im Regal, nimmt eine der Kisten heraus und steckt einige Zigarren in eine Tüte. »Laß sie offen oder gib eine her«, sagt Morgan. »Ich habe seit einer Stunde nicht mehr geraucht. Nun ja, man kann auch vom Rauch anderer in einer Spielhalle genug Tabakdunst einatmen.« Er bekommt die Tüte, zieht eine der Zigarren heraus, beißt sie an und spuckt – wie es üblich ist – das abgebissene Stück auf die Tür zu. »Kann ich morgen bezahlen, Clark?« fragt er dann. »Ich muß morgen doch etwas mehr einkaufen. Nun, schon gut, hier hast du Geld, reicht es?« »Ja, du hast noch vier Dollar gut. Vier Dollar und dreißig Cents. Warte, ich gebe sie dir heraus.« »Behalte es«, sagt Morgan, irgendwie beleidigt, denn Clark hat ihn angesehen, als wenn seinen Worten nicht zu trauen sei. »Du bist mir für vier Dollar und dreißig Cent noch gut genug, obwohl ich nicht mal mit deiner Tochter einen Spaß machen darf. Gute Nacht, Mann.« »Gute Nacht«, sagt Clark mürrisch, sieht ihm nach und rümpft dann die Nase. Er dreht sich um, als er seine Tochter kommen hört. »Weiße Hemden stehen ihm doch besser«, sagt sie zu Clarks größtem Erstaunen nachdenklich. »Daddy, warum bist du so grob zu ihm gewesen?« Clark starrt sie groß an, dann umwölkt sich seine Stirn, und er sagt: »Weil er ein Kartenhai ist, ein ganz übler Kartenhai, über den
fast jeder Mann in dieser Gegend Bescheid weiß. Man sagt, daß er einige Freunde haben soll. So ein Mann ist nichts für dich. Ich verbiete dir, darüber nachzudenken, ob ihm ein weißes Hemd besser steht, verstanden? Ein für allemal, dieser Kerl kommt nur deinetwegen, das macht dich Frauenzimmer natürlich eingebildet, ich kenne euch doch. Schlag dir den Burschen aus dem Kopf, er taugt nichts.« »Woher willst du das wissen, Vater?« »Ich weiß es, Spieler taugen alle nichts, und damit für heute abend genug. Geh nach oben und lege dich zu Bett.« »Aber er wird doch nie zudringlich, Vater.« »Was, zum Teufel?« keucht der alte Clark wütend. »Bin ich noch Herr in meinem Haus oder nicht? Marsch, ins Bett mit dir, es wird Zeit. Und kein Wort mehr von diesem windigen Spieler.« Der windige Spieler geht zu dieser Zeit über die Straße, hat sein Hemd zusammengerollt unter dem linken Arm und die Tüte mit den Zigarren in der Hemdtasche unter der dicken Jacke. Ray Morgan stößt zwei Rauchwolken aus, ehe er am Eingang von Goodrichs Saloon ist, in dem er immer noch wohnt. Leise pfeifend geht er die Treppe nach oben, kommt in den Gang und bleibt jäh stehen, als es hinter ihm klickt. Zugleich bewegt sich eine Tür linker Hand. Hinter ihm aus der dunklen Gangecke tauchen zwei weitere Männer aus und halten Derringer in den Händen. Sie sind nahe genug, um mit diesen mörderischen Pistolen selbst einen Knopf auf seiner Jacke treffen zu können. »Geh weiter«, sagt Glen Stafford sehr freundlich. »Immer geh, Freundchen. Und versuche hier keinen Trick, die kennen wir alle, du Pokergesicht.« Ray Morgan steht immer noch still, dann aber ist einer der
drei Männer hinter ihm und hält ihm seinen Derringer in den Rücken. »Also los«, sagt er schnappend. »Wir wollen uns ein wenig unterhalten, Freundchen. Fang nur nichts an, damit aus der Unterhaltung keine Schlägerei oder Schießerei wird.« Er schiebt Morgan vor sich her auf dessen Zimmertür zu, die wie von allein aufgeht. Im gleichen Moment, in dem Morgan in den Raum kommt, wird die Lampe höher gedreht. Licht scheint Morgan grell ins Gesicht. Er wendet blinzelnd den Kopf und erkennt, daß man den Vorhang vor dem Fenster zugezogen hat. Jenseits des Tisches steht Ron Stafford an der Wand. Vor dem Tisch ist der Stuhl, den man weit in den Raum gestellt hat. Ein Mann tritt nun hinter der Tür heraus und hält wie die anderen einen Derringer in der Hand. »Hallo, Freund Ray«, sagt Stafford träge und sieht Morgan ausdruckslos an. »Du hast doch nichts dagegen, wenn wir uns ein wenig unterhalten?« »Sicher nicht«, murmelt Morgan mit jener kalten, stoischen Ruhe, die Stafford schon einmal gewarnt hat. »Kann ich mein Hemd auf das Bett werfen?« »Ja. Und dann setzt du dich auf den Stuhl.« Morgan wirft sein Hemd auf das Bett, setzt sich und blickt sie der Reihe nach an. Ein Mann ist draußen geblieben. Er wird sicher vor der Tür stehen und aufpassen. »Es sind noch vier in der Gegend und achten darauf, daß wir nicht gestört werden«, sagt Stafford, der Morgans Blick zur Tür bemerkt. »Morgan, ich habe es mir ziemlich lange angesehen, ohne etwas dagegen zu tun. Ich möchte keine Schießerei, damit wir uns verstehen.« Er spricht weder so brutal, noch so gemein und zynisch wie Plummer und dessen Leute. Er redet leise, eindringlich und
mit einer Kälte, die nicht weniger tödlich wirkt als die Art von Plummer. »Schön von dir, Stafford«, sagt Morgan träge. »Also keine Schießerei. Und was willst du sonst?« »Mit dir ein Geschäft abschließen«, erwidert Stafford ruhig. »Wir beide machen ein Geschäft, das vielleicht für dich eine Menge Vorteile bringt, Morgan. Du hast uns beobachtet, du hast unsere Methoden studiert und kennst nun all unsere Tricks. Und du bist dafür bezahlt worden, stimmt das?« »Ich weiß nicht«, antwortet Morgan, obwohl er sehr genau weiß, wie gefährlich die Situation für ihn ist, »was du damit sagen willst. Ich habe gespielt, ist etwas dabei?« »Du arbeitest für meinen Freund Henry«, sagt Stafford, ohne die Stimme zu heben oder ärgerlich zu werden. »Ich bin nicht sicher, was du eigentlich bezweckst, denn du hättest es nicht nötig, für Plummer zu arbeiten, du könntest auch so genug Geld mit den Karten verdienen. Was reizt dich an der Geschichte, daß du auf mehr Geld verzichtest?« »Tue ich das wirklich?« fragt Morgan bedächtig. »Ron, ich bin immer mit dem zufrieden, was ich habe, darin unterscheiden wir uns alle. Weder du bist mit dem zufrieden, was du hast, noch ist es Henry Plummer. Ich bin nicht habgierig.« »Kein Mann ist der Narr, der viel liegen läßt, wenn er es nur aufzuheben braucht. Also, du hast uns einigen Schaden zugefügt, das weißt du. Plummer hat mehr Geld verlangt und es erhalten, weil ich meine Leute nicht zwingen kann, auf ihre Gewinne zu verzichten. Kein Spieler wird nur bis zum halben Limit spielen. Wahrscheinlich hast du bemerkt, daß wir in den ersten Tagen das Spiel gebremst haben.« »Ja«, sagt Morgan lächelnd. »Ihr habt es nicht sehr hoch treiben lassen, nirgendwo, in keinem Saloon. Unter deinen Spielern sind eine Reihe Männer, die nur falschspielen können, das
weißt du, denke ich. Aber sonst, einige Spieler sind in Ordnung. Du hast recht, niemand kann einen Spieler dazu bringen, auf seinen größten Gewinn zu verzichten. Es würde dann niemals Spieler gegeben haben oder noch geben. So, hat Plummer mehr Geld verlangt?« »Du hast die Hälfte kassiert, ich weiß es.« »Aha«, sagt Morgan, wenngleich er bestürzt ist, daß Stafford es weiß, »Das ist eine Neuigkeit. Und weiter?« »Du reitest den falschen Sattel«, murmelt Stafford düster, und nun schwingt etwas wie Warnung in seiner Stimme mit. »Du kannst unmöglich der Narr sein, der die Zeichen nicht sieht. Gegen Mörder geht die Menge schließlich vor, gegen Spieler wird sie kaum jemals etwas tun, weil die Leute Zerstreuung haben müssen. Keine Minenstadt kann ohne Spieler leben, aber jede ohne Mörder. Kannst du dir das anders ausrechnen?« »Nein«, gibt Morgan kühl zurück. »Ich kann das nicht. Für mich ist Plummer eine Macht, gegen die ihr nichts tun könnt. Gewiß, ihr seid schnell mit euren Derringern, aber die Dinger taugen nichts. Nach acht, neun Schritten, da ist es schon vorbei mit der Treffsicherheit. Ihr seid Plummer und seinen Leuten unterlegen, wenn es zum Kampf kommt. Und das weißt du.« »Es wird kaum einen Kampf geben, den wir führen müssen, außer einem eigenen, ehrlich zu spielen«, antwortet Stafford trocken. »Ives wurde gehängt, Long John haben sie aus dem Land gejagt, Hilderman gleichfalls, obwohl sie beide hätten hängen können. Dafür haben sie Red Yager und Brown im Stinkwatertal an einen Baum gehängt. Und sie werden damit fortfahren. Seltsame Sache, wie, Morgan? Sie scheinen jeden wichtigen Mann aus der Road-Agenten-Bande zu kennen. Seltsam, was? Hast du darüber schon mal nachgedacht?« »Ich denke darüber nicht nach, denn ich bringe niemanden
um«, erwidert Ray Morgan kurz und scharf. »Warum betonst du so sehr, daß es seltsam ist, wenn sie Leute aus der Bande kennen? Was habe ich mit dieser Bande zu tun?« Stafford lächelt zum erstenmal, aber so dünn, daß es wie gefroren wirkt. »Jemand hat einmal eine Kutsche angehalten«, sagt er dann knapp. »Und es soll Leute geben, die bereit sein werden, das zu beschwören. Vielleicht hängt man ihn dann im Eifer des Hängens gleich zu den anderen, wie? Morgan, du kannst dich ruhig verstellen, du weißt nur zu gut, daß die Tage von Plummer gezählt sind. Ich mache dir einen Vorschlag, über den du Plummer unterrichten kannst, wenn du ein Narr sein willst.« Er lächelt wieder, spielt mit seinem Uhrkettenanhänger, dem Würfel aus Gold, und sagt dann knapp: »Du bekommst fünfzehntausend Dollar in Gold, wenn du weggehst und alles vergißt, was du in den Spielhallen und Saloons gesehen hast. Das ist das erste und letzte Angebot. Wir würden morgen um diese Zeit einige gute Pferde bereithalten, Verpflegung und alles, was du sonst noch brauchst, um aus den Bergen zu kommen. Es wird gefährlich sein, um diese Jahreszeit allein zu reiten, aber ich bilde mir ein, daß du es schaffst.« »Ich könnte es schaffen, sicher«, murmelt Ray nachdenklich. »Fünfzehntausend Dollar, eine schöne Summe: für zwei Wochen Arbeit, meinst du nicht auch? Stell dir nur vor, daß ich ein mißtrauischer Mensch bin, Stafford: Ich traue mir und sonst keinem. Nimm einmal an, daß einige meiner jetzigen Freunde von diesem Goldsegen erfahren könnten. Bist du nicht auch sicher, daß ich niemals lebendig aus den Bergen kommen würde?« »Sie werden es nicht erfahren. Du reitest in der Nacht, du hast Vorsprung genug. Erst am Morgen werden sie merken,
daß du davon bist.« »Ja, das klingt sehr ordentlich«, sagt Morgan lächelnd. »Nur vergißt du, daß eine Kugel glatt fünfzehntausend Dollar aufwiegen dürfte. Wer zahlt fünfzehntausend, wenn er nur eine Kugel zu nehmen braucht? Stafford, seit wann hältst du mich für einen Narren?« Stafford nickt. Er schweigt einen Augenblick, dann aber sagt er dunkel: »Es könnte sein, daß man mich eines Tages wegen dieser einen Kugel aufhängt, wie? Das, Freund Morgan, ist es, was ich nicht genau weiß. Aber du weißt es. Und darum sind fünfzehntausend Dollar für dich ein Haufen Geld. Du bist der Mann, der aus den Bergen reiten kann, ohne daß ihn jemand trifft. Das ist alles, was ich dir sagen wollte. Du kannst es Henry überbringen, aber ich würde es nicht tun. Henry ist ein sehr mißtrauischer Mensch. Und sage ich ihm, was ich einige Zeit schon denke, dann wirst du nicht mehr lange leben. Ich hatte das zuerst vor, nur, es ist mir um meinen Hals zu schade. Morgen um diese Zeit erwarte ich deine Antwort. Haben wir uns verstanden?« »Wie Brüder«, sagt Morgan und bleibt sitzen, als Stafford mit den anderen zur Tür geht. »Ich verspreche dir, Stafford, morgen hast du meine Antwort. Ich hoffe, sie wird dir gefallen.« Er sitzt still, die Tür klappt, er hört sie weggehen und vernimmt Stimmengemurmel. »Ron«, sagt Glen Stafford auf der Treppe zu seinem Bruder. »Der verdammte Kerl ist zu schlau, man kann ihn einfach nicht bluffen. Bist du sicher, daß du keinen Fehler gemacht hast?« »Ich denke nicht«, antwortet Ron Stafford nachdenklich. »Wenn jemand einen Fehler gemacht hat, dann ist es Plummer. Und ich fürchte, er wird eines Tages für diesen Fehler bezah-
len müssen. Vielleicht mehr, als er sich träumen läßt.« Er verläßt den Saloon aus der Hintertür und atmet die kalte, klare Luft ein. Oben aber sitzt Ray Morgan, hat den Kopf in die Hände gestützt und geht dann zu seinem Packen. Morgan öffnet ihn, steckt einen zweiten Revolver, den er nachsieht und lädt, hinten in seinen Gurt, so daß die Waffe praktisch über dem Gesäß sitzt, greift dann nochmals in den Packen und hält einen Derringer in der Hand. Die geladene und feuerbereite Waffe steckt er in den linken Stiefelschaft. Danach betrachtet er sich in dem Stück Spiegel, das an der Wand mit drei krummen Nägeln befestigt ist und pfeift vor sich hin. Es dämmert schon, als Ray Morgan auf die Straße tritt und langsam den Gehsteig entlangschlendert. Er betrachtet die Leute, die Wagen und Pferde, eine Mauleselkarawane, die von Süden her die Straße hochkommt und schlendert anscheinend ziellos weiter. Danach geht Ray Morgan in einen Saloon, macht drei Spiele und blickt auf seine Uhr. Er hat ein gutes Gefühl für die Zeit. Fast pünktlich um sieben Uhr steht Ray Morgan auf der Straße, blickt zum Gambling-House hinüber und geht dann los. Er erreicht nach wenigen Minuten den Spielsaloon, sieht Ned Ray an einem der Tische sitzen und nimmt an einem anderen Platz. Ned sieht kurz zu ihm hin, grinst und spielt dann weiter. Er ist ein schlechter Spieler, der zudem nicht gut verlieren kann. Dazu trinkt er auch noch in Mengen und wirft nach einiger Zeit fluchend die Karten hin, um leicht schwankend zu Morgan an den Tisch zu kommen.
»Dieser alte Kartenhai«, sagt Ned mit einem heiseren und wütenden Unterton. »Ich will verdammt sein, wenn er mich nicht betrogen hat. Hast du schon wieder gewonnen, Morgan?« »Ich denke so«, antwortet Morgan freundlich. »Wenn du ein Spiel mitmachen willst, dann setz dich hin. Dieser freundliche Mister da wollte ohnehin aufhören, du kannst dann seinen Platz einnehmen.« »Na ja, spiele ich mal mit dir, was?« brummt Ned Ray halb besänftigt. Er bestellt sich noch eine Flasche Brandy und hat sie gerade bekommen als die Runde vorbei ist und der eine Mitspieler aussteigt. Nun bekomm Ned die Karten. Er gewinnt das erste Spiel und sagt maulend: »Ist ja nicht viel, was? Soll mich der Teufel holen, wenn ich heute nich schon eine Menge verloren habe. Wills du auch 'nen Schluck, Morgan?« Morgan, der auf die Wanduhr neben dem Tresen blickt, schüttelt den Kopf und sagt dann wie erschrocken: »Ned, würdest du für mich halten? Ich lasse mein Geld liegen und gehe mal kurz weg. Spiele aber nicht zu hoch und steige aus, wenn es dir zu un sicher wird. Na, willst du?« Ned Ray stiert auf den Haufen Geld nickt heftig und setzt sich auf Morgans Platz, als der aufsteht. »Von mir aus«, sagt er, nun absolu munter, »kannst du dir Zeit lassen.« Er nimmt einen kräftigen Schluck aus der Flasche, sieht Morgan auf die Tür zugehen und teilt die Karten aus. Draußen geht Morgan sofort nach links. Er biegt dann ab, kommt die Straße herauf und tritt dann auf eine Haustür zu, an die er klopft. »Ja«, sagt nach einem Augenblick Henry Plummer innen.
»Wer ist da?« »Nur ich, Henry«, erwidert Morgan ruhig. »Hast du einen Moment Zeit?« Plummer schiebt wortlos den Riegel zurück und läßt ihn ein. Seine Hände sind voll Ölspuren, er blickt Ray kurz an und fragt dann: »Was ist, Ray? Der verdammte Revolver ist entzwei.« »Dein Selbstspanner?« fragt Ray erstaunt. »Bist du darum so voller Öl? Vielleicht kann ich helfen?« »Komm mit und sieh es dir an, die Feder ist zersprungen, er spannt nicht mehr. Ist was los, Ray?« »Nichts weiter, als daß unser Freund Ned wieder einmal fast all sein Geld verspielt hat und säuft«, erwidert Morgan träge. »Ich habe ihn mit meinem gewonnenen Geld sitzen lassen, ich hoffe, er verliert es nicht.« »Was macht der Narr?« fragt Plummer wütend und fährt herum. »Du hast ihn doch erst vor drei Tagen betrunken wie zehn Mann nach Hause schleifen müssen. Na ja, die Sache nut Yager und Brown hat ihn verrückt gemacht. Morgan, geh hin und hole den Kerl aus dem Saloon. Bring ihn nach Hause und mach ihn mit Gewalt munter, wenn es sein muß. Ich brauche ihn heute noch.« »Habt ihr noch was vor?« »Nichts weiter, aber ich muß mit ihm und Buck Stinson noch etwas bereden. Sieh dir das an, da liegt er zerbrochen.« Der Revolver Plummers, aus dem er innerhalb von drei Sekunden alle Patronen abfeuern und mit jeder Kugel treffen kann, liegt auf einem Tuch auf dem Tisch. Die Griffschalen sind abmontiert. Der Trantor-Revolver Plummers ist völlig auseinandergenommen worden. Das Tuch, auf dem die Waffe liegt, ist voller Ölflecken, die Feder legt zerbrochen daneben. »Man müßte die Feder nachmachen«, sagt Morgan, die Feder
in die Hand nehmend. »Warum versuchst du es nicht in der Schmiede?« »Jetzt noch? Es hat keinen Sinn«, sagt Plummer und hat eine andere Feder hochgenommen. »Die hier ist von einem alten Adams, den ich noch habe. Wenn ich sie ein wenig zufeile und biege, dann bekomme ich sie schon selber hin. So ein Pech, ich brauche meinen Revolver. Ohne ihn bin ich nackt. Ich habe ihn nur gründlich überholen wollen. Die Feder hakte, ich biege und da bricht sie entzwei.« »Nichts mit Gewalt versuchen«, erwidert Morgan ruhig. »Also gut, ich werde Ned nach Hause schaffen. Sonst noch etwas, Henry?« »Nichts«, sagt Henry Plummer zerstreut und hat schon wieder die zerbrochene Feder in der Hand. »Sieh zu, daß du Ned in Ordnung bekommst. Wenn du Stinson siehst, er wird wahrscheinlich bei Toland sein, dann sage ihm, daß ich ihn gegen neun Uhr sprechen will.« »In Ordnung, Henry.« Morgan geht hinaus, und vor dem Store von Kupfer bleibt er stehen, sieht nach seiner Uhr, die zwanzig Minuten vor acht zeigt und hört dann den Mann kommen. Der geht hinter ihm vorbei, sieht ihn die Uhr einstecken und fragt kurz: »Wie spät haben wir es, Morgan?« »Spät«, sagt Morgan leise. »Ich müßte zu Toland gehen, Stinson soll sich dort aufhalten, aber ich denke, ich hole erst Ned aus dem Saloon, wie?« Einige Leute gehen drüben entlang, weiter hinten steht eine Gruppe von sechs oder sieben Männern zusammen und unterhält sich. Ein Wagen fährt vorbei, und Morgan dreht sich langsam um, als der Mann düster sagt: »Dann hole Ned, aber warte drei Minuten.«
»Ja«, erwidert Morgan kurz, nähert sich langsam dem Saloon und sieht die Gruppe Männer drüben losgehen. Sie kommen schweigend über die Straße, scheinen ihm den Weg abschneiden zu wollen und lassen ihn dann doch vorbeigehen. Als Morgan in den Saloon kommt, genügt ein Blick, um festzustellen, daß Ned beinahe das Geld verspielt hat und nahe daran ist, wieder einmal betrunken zu sein. Er tritt auf Ned zu, der gerade die Karten austeilt, und legt ihm die hnke Hand auf die Schulter. »Ach, du?« fragt Ned mürrisch und senkt den Blick gleich wieder. »Ich habe Pech heute, verdammtes Pech, was? Diese Runde noch, dann kannst du weitermachen, Morgan. Weiß auch nicht, heute ist sicher kein Glückstag für mich.« »Genau das«, erwidert Morgan ruhig und hat plötzlich seinen Revolver in der Hand, den er Ned in den Rücken drückt. »Denke ich auch, mein Freund. Sitz still und halte die Hände auf dem Tisch.« »Was soll das?« fragt Ned verstört und blickt aus weit aufgerissenen Augen auf die Männer, die schweigend an seinen Tisch treten und seine Hände packen, um genauso wortlos einen Strick um seine Handgelenke zu binden. »Morgan, was zum Teufel…« »Du bist festgenommen«, sagt Morgan eiskalt und steckt seinen Revolver ein. »Das andere wirst du sehen, Ned.« Er steckt danach den Rest seines Geldes ein und geht mit langen, hastigen Schritten aus dem Saloon. Hinter ihm bleibt alles still. Er geht schnell, erreicht nach kaum drei Minuten das Haus von Plummer und klopft erneut. »Ja, bist du das, Morgan?« fragt Plummer hinter der Tür, die er doch wieder mit dem Riegel gesichert hat. »Moment.« Er zieht die Tür auf, tritt zur Seite und geht dann hinter Morgan her.
»Ned will nicht kommen«, sagt Morgan finster und blickt auf Plummers Hände, die wütend die eine Feder in die Ecke befördern. »Er sagt, ich solle mich zum Teufel scheren. Henry muß ich ihn wirklich mit Gewalt nach Hause schaffen?« »Natürlich. Und bestell ihm einen Gruß von mir.« »In Ordnung, Henry«, erwidert Morgan. »Nun, dann werde ich es versuchen.« Er geht zurück, schließt die Zimmertür hinter sich und sieht die Männer links und rechts neben der Tür, die lautlos in das Haus gekommen sind, an. Dann geht er hinaus, schlägt den Weg zu jenem Platz ein, an dem Plummer vor wenigen Monaten Horan an einem von Plummer selbst errichteten Galgen aufhängte. In der Hütte, die nahe an dem Galgen liegt, findet Morgan einige Männer, die ihn schweigend ansehen und ihm Platz machen. »Nun?« fragt John Clark gepreßt, während die anderen Morgan nur stumm anblicken. »Seine Freunde…« »Sie wissen nicht einmal, was geschieht«, unterbricht ihn Morgan ruhig und fest. »John, keine Sorge, man wird sie gleich bringen. Ist alles vorbereitet?« »Ja«, antwortet Clark unruhig. »Wenn es nur gut ausgeht. Seine Freunde…« »Sie werden zu spät kommen«, gibt Morgan beruhigend zurück. »Was ist mit euch los? Ihr habt es gewollt, jetzt ist es soweit. Laßt ihn doch laufen, vielleicht bringt er einen nach dem anderen von euch um, wie?« Der Mann, der an der Tür steht, lauscht, dreht sich dann um und bläst die Lampe in der Hütte aus. Sie hören alle die Schritte und das laute und heisere Reden von Plummer. Die Schritte nähern sich, in der Hütte ist es totenstill, bis einer der Männer heiser sagt:
»Wo ist das Seil?« »Du mußt es doch wissen«, sagt Clark keuchend. »Ich habe es dir gegeben, wo hast du es?« »Ich weiß nicht, ich finde es nicht, John.« »Dan, zum Henker«, sagt Clark heiser und macht das hintere Fenster auf, um seinem Negerboy zu winken, der zwischen den Büschen hinter der Hütte steht, »lauf und hole ein neues Seil, lauf schnell«, ruft er ihm zu. »Es soll nicht sein«, hört Clark in seine Worte hinein jemand in der Hütte murmeln. »Es soil nicht sein, das Seil ist fort, hört ihr? Wir können…« »Du hast ja Angst vor deinem eigenen Mut, du Schwächling«, erwidert Clark keuchend und sagt laut: »Vorwärts, Leute! Marsch!« Auf der Straße hört Plummer die Stimmen. Er ist kreidebleich und sieht den Galgen vor sich aufragen. Japsend sagt er: »Clark, das bist du doch? Clark, hör zu, das könnt ihr nicht machen. Ich verlange eine Verhandlung, ich verspreche euch, ich verlasse das Land. Ich komme nie wieder, Clark.« »Zu spät und unnötig, daß du jetzt zu lamentieren beginnst«, sagt Clark fest. »Diese Sache ist beschlossen und wird nicht aufgeschoben oder geändert. Ich kann nichts mehr für dich tun, selbst wenn ich das wollte.« In diesem Augenblick macht Ned einen wilden Satz, rennt einen der Männer um, rammt einen anderen und stößt eine Reihe lästerlicher Flüche aus, als sich die anderen auf ihn stürzen und festhalten. Stinson aber, der wenige Monate vorher Old Snag, einen friedlichen, alten Häuptling der Bannack-Indianer, bei dessen Besuch in Bannack erschossen hatte, belegt die Männer des Vigilanten-Komitees mit den gemeinsten Ausdrücken, die er finden kann.
Plummer aber, der plötzlich unter den Männern Morgan sieht, wird kreidebleich und beginnt in schrillen Tönen zu jammern. »Laßt mich doch gehen«; sagt er und rauft sich die Haare. »Gebt mir doch wenigstens Zeit, mich vorzubereiten.« Er, der kaltblütig und kaltherzig einen Mann ermorden konnte, stiert auf das Seil, das man um den Galgen wirft und festbindet. »Bringt Ned her«, sagt einer der Männer heiser und man packt Ned, der sich nur widerwärtig vorwärtsschieben läßt und dann unter dem Galgen steht. Danach bringen sie Stinson heran, der nichts mehr sagt und den Kopf gesenkt hält. Morgan aber lehnt an der Hütte, hält die Augen geschlossen und preßt die Lippen aufeinander. Er hört Plummer schreien und erinnert sich an Plummers Worte, daß er eines Tages dieses Land beherrschen würde. Ein Meer von Blut und Tränen, denkt Morgan bitter. Er hört nichts mehr von Plummer, es ist still über dem Hang geworden. »Gehen wir«, sagt jemand neben ihm. Es ist Richter George Copley, der das Gesetz hier vertreten hat. »Morgan, woran denkst du?« »Daran«, sagt Ray Morgan düster, »Richter, daß er sich mit Hilfe seiner verflixten Banditen selber zum Richter, zum Marshal und vielleicht noch zum Gouverneur des Territoriums hätte machen können. Ich bin sicher, er hat das im Kopf gehabt. Einmal sagte er, er müßte Präsident werden, Präsident Henry Plummer. Und er fragte mich, wie sich das anhöre. Ich glaube, jeder Mörder dieser Sorte ist wahnsinnig. Gehen wir, ich denke, daß wir nicht viel Schlaf bekommen werden. Wir reiten in der Frühe zu Joe Pizanthia hinaus.«
»Ja«, antwortet Richter George Copley bitter. »Wir werden noch viele hundert Meilen reiten müssen, ehe wir mit den Gesetzlosen aufgeräumt haben. Jedoch, Morgan, deine Idee ist richtig gewesen. Zertritt erst den Kopf einer Schlange, ehe du auf ihren Leib einschlägst Der Kopf fehlt jetzt, wir werden es leichter haben.« * Joe Pizanthia bewegt sich im Schlaf und wacht auf, als die Decke herabgerutscht ist und ihm kalt wird. Er verträgt nicht viel Kälte, er ist Sonne gewöhnt. Er träumt manchmal von Fahnen, von Kakteen, die so hoch wie ein Haus werden. Und immer wieder von der Sonne, von heißem Sand, auf den man nicht mit bloßen Füßen treten kann. Die Sonne, denkt Pizanthia, als er blinzelt und den Vorhang beiseite schiebt, den er um sein Bett gezogen hat. Der Vorhang reicht bis zur Decke, er hält die Kälte ab, wenn in dem einfachen Blechkanisterofen die Glut zu Asche geworden ist und die Kälte durch die Hütte kriecht: »Früh noch«, sagt Pizanthia mürrisch, um sich auf die andere Seite zu drehen und sich die Decke hinter dem Rücken festzustopfen. Er friert und zieht sich die Decke über die Ohren. Dann versucht er wieder einzuschlafen, aber es will ihm nicht gelingen. Zu arbeiten braucht er nicht. Manana, denkt Pizanthia und gähnt einmal, morgen, vielleicht? Brauche nicht zu arbeiten, habe Geld genug, kann Schnaps kaufen, viel Schnaps, kann Holz kaufen, kann Feuer machen, immer warmes Feuer, hab' Geld genug. Dann dreht er sich auf den Rücken und hält die Augen geschlossen.
Er lauscht plötzlich. Er hört den Hufschlag und liegt auf einmal ganz still. Langsam verschwindet sein Grinsen. Pferde kommen, er hört sie. Sie kommen nicht nur die Talseite des Hügels herauf, sie nähern sich von allen Seiten. Hier oben liegt Schnee, eine weiße Decke, ein Laken, gegen das sich die Hütte Pizanthias dunkel abhebt. Joe lauscht noch immer, hört nun Schritte. Sie halten an, und der Mann sagt draußen scharf und laut: »Greaser-Joe, komm heraus, wir wollen dich sehen! He, Pizanthia, hörst du? Komm heraus, wir wollen dich sehen!« Er liegt ganz still, aber plötzlich bekommt er Angst und fährt mit den Beinen aus dem Bett, steht in Socken auf dem gestampften Lehmboden und streckt den Kopf wie ein Raubtier vor. Ganz langsam schleicht er zum Fenster und zuckt zurück. Er sieht sie draußen. Es sind nicht zehn, es sind auch nicht fünfzehn. Es sind mehr, allein an dieser Seite. Und sie haben Gewehre, Schrotflinten und fast alle zwei Revolver. Ives, denkt Pizanthia auf einmal und spürt, wie seine Lippen zittern. Erst Ives, dann Red Yager und Brown. Und nun bin ich an der Reihe. Sie wollen ihn holen, sie wollen ihn hängen. Da dreht er sich um und schleicht auf die Bank zu, nimmt seinen Revolvergurt mit den beiden Revolvern hoch und sieht sich ängstlich um. Das Bett, denkt Pizanthia, unter das Bett. Sie wollen mich holen, sie wollen mich umbringen, aufhängen wollen sie mich, wie die anderen. Er kriecht, zieht den Vorhang ganz zu und rutscht ganz unter die Pritsche. Seine Füße stoßen gegen eine Kiste, die unter dem Bett steht, gegen zwei Dosen, gegen leere Flaschen. Er hört die Stimme wieder:
»Pizanthia, komm heraus, sonst werden wir dich holen!« Holen, denkt er und liegt ganz still, in jeder Hand einen geladenen Revolver. Sie wollen mich holen. Kommt nur, ich werde mich verteidigen. Die Schritte nähern sich, er hört Männer reden und dann den Tritt gegen die Tür. Der Riegel, denkt er, der immer gehalten hat, er wird eine Weile halten. Es kracht, als wenn sich jemand gegen die Tür der Hütte wirft. Dann kommt der kalte Luftstrom und etwas mehr Helligkeit herein. Vor dem Luftstrom oder den Stiefeln, die Pizanthia unter dem Deckenvorhang näherkommen sehen kann, kriecht er in seiner Angst zurück, tiefer unter das Bett. Aber weiter geht es nicht, die Wand ist da, an der Wand ist es zu Ende. »He, wo steckt der Kerl?« fragt jemand, dessen Stimme er erkennt. »Pizanthia, wo bist du?« Der Richter, George Copley, denkt Pizanthia, der Richter will mich haben, weil ich Morton mit dem Messer getötet habe. »Sieh doch mal hinter dem Vorhang nach, George.« Der Schmied, denkt Pizanthia, das ist der Schmied Smith Ball. Oh, der hat grobe Fäuste, der wird mich schleppen und mich wegtragen unter den Galgen. Der Vorhang bewegt sich, Copleys Gesicht taucht auf. »Im Bett ist er nicht«, sagt Copley, dessen Augen sich nur schwer von dem hellen Licht draußen auf die düstere Hütte umstellen können. »Das Bett ist leer.« Dabei bückt er sich. Der will mich holen, denkt der Greaser und drückt ab, als der Mann sich neigt und seine Brust auftaucht. Er will mich holen, aber ich gehe nicht, ich gehe nicht.
Es kracht schrecklich laut, der Revolver geht los. »Oh«, sagt Richter George Copley und wälzt sich zur Seite, fällt zu Boden. »Oh, ich bin getroffen. Ich bin getroffen!« Schmied Ball bückt sich, will ihm helfen. Und er hat so große Hände, daß Joe Pizanthia sie schon spürt. So große, derbe Fäuste. Der Revolver geht noch einmal los, und Ball taumelt, knickt ein, als wenn sein Bein nicht mehr gehorchen will. Der Schmerz steckt in Balls Hüfte. Ball stößt einen Schrei aus, taumelt gegen die Wand, sieht den Richter hochkommen und sagt nun selber, aus der offenen Tür torkelnd: »Oh, mein Gott, ich bin getroffen.« In der Hütte kracht es nicht mehr, nur der Richter kommt langsam an die Schwelle. Er ist ganz weiß im Gesicht, ein alter Mann in diesem Augenblick, der seine Pflicht etwas zu genau genommen hat und es zu spät erkennt. Zwei, drei seiner Freunde laufen, die schweren Schrotflinten in der Hand, heran. Er rutscht über die Schwelle, fällt auf die Seite und bleibt liegen. »Mein Gott, George«, sagt sein Freund Smith, der ihn wegzieht und mit dem Stiefel gegen die Tür tritt, daß sie nur einen Spalt offenbleibt. »George, ich helfe dir, warte, ich helfe.« »Helfen«, sagt Richter Copley und denkt selbst jetzt noch an die Sicherheit der anderen. »Er erschießt euch, weg von der Tür, weg. Das ist ein Teufel. Oh, Gott, er hat mich getroffen.« Sie tragen ihn fort, während der bärenstarke Schmied Ball seine Hand auf die Hüfte preßt, und weghumpeln kann, ohne daß ihn jemand stützen muß. Es geht zu Ende mit Copley, denkt Ball entsetzt. Großer Gott, dieser teuflische Mexikaner hat den Richter tödlich getroffen. Das ist Pizanthias Ende. Er hört das wilde Brüllen der Leute, setzt sich auf einen be-
schneiten Baumstumpf und reißt sich sein Hemd in Fetzen. Leute, die herbeigerannt sind, brechen in wildes, wütendes Geschrei aus, als sie den Richter totenbleich am Boden auf zwei Mänteln und einigen Decken liegen sehen. Man versucht, ihn zu verbinden, man schafft es auch, aber er liegt da, und jeder weiß, daß ihm niemand mehr helfen kann. Vielleicht ist er zu beliebt, der Richter George Copley, vielleicht hätte der Mexikaner noch eine Chance, wenn es sich um irgendeinen Mann handeln würde, aber jeder der Leute hier kennt Richter Copley als einen geraden, ehrlichen Mann. »Sprengpatronen!« brüllt einer heiser. »Holt Pulver, holt ein Faß Pulver, wir sprengen den Schurken in die Luft.« »Feuer, macht ein Feuer, räuchert den Mann aus!« brüllt ein anderer. »Petroleum her!« Es sind schon sechzig, siebzig Männer. Und jede Minute werden es mehr, die auf den Hügel zurennen. Und dann hört Morgan, der neben dem Richter kniet, jemanden schreien: »Der Transport für die Armee! Bringt die Haubitze her! He, Leute, da ist doch die Haubitze von der Armee. Setzt sie zusammen. Wer kann es, wer kann mit einer Kanone umgehen? Wer baut die Haubitze zusammen?« Plötzlich rennen ein halbes Dutzend Leute los. Es sind zum Teil Männer, die noch vor einem halben Jahr im Bürgerkrieg gestanden haben, die sich mit Kanonen auskennen. »Großer Gott«, sagt Wilbur Sanders, der hastig auf Morgan zukommt. »Ray, der Bursche wird jeden erschießen, der sich an oder in die Hütte traut. Die Kanone, vielleicht ist die Haubitze ein Mittel, um ihn herauszuholen.« Er läuft zu den anderen und sieht zu, wie geschickte ehemalige Soldaten die Kanone zusammensetzen, sie dann mit Gebrüll den Hügel hochschieben und sich unter dem Kommando
eines bärtigen Miners so postieren, daß die Kanone auf der fensterlosen Seite der Hütte steht. Schon stopft man die Haubitze, lädt sie mit Kartätschen und richtet sie ein. »Schießt ihn in die Hölle!« brüllt irgend jemand heiser. »Feuer!« Die Haubitze brüllt los, doch die Kartätschenladung reißt nur ein Loch in die Wand. »Neu laden!« schreit der bärtige ehemalige Artillerie-Sergeant grimmig. »Stopft sie, stopft ihr was ins Maul, damit sie auch gut brüllen kann. Fertig, macht schnell, Leute, macht schnell. Einrichten und los.« Sie feuern die zweite Ladung ab, aber um ein Haar hätte man die Leute, die weiter hinten von der anderen Seite den Hügel heraufrennen, getroffen. Die Entfernung ist für die Kartätschenladung zu kurz. Erneut durchschlägt die Ladung die Hütte und explodiert erst weit hinter ihr. »Er hat sich bestimmt im Schornstein verkrochen!« brüllt einer, und zehn, fünfzehn Hände fassen an, um die Haubitze herumzuziehen, sie erneut einzurichten und dann den dritten Schuß auf den angemauerten Kamin abzufeuern. Der Kamin fliegt in Stücke, Staub wirbelt auf. Irgend jemand beginnt aus seinem Gewehr auf die Hütte zu schießen, deren Tür bei der Schießerei, an der sich bald über hundert Mann beteiligen, aus den Angeln fällt. »Freiwillige, wer kommt mit? Wir holen den Greaser heraus, Leute!« Sie holen ihn, denkt Morgan und sieht zu, wie ein Dutzend Männer auf das Haus zurennt, in dem alles still ist. Männer stürmen durch die offene Tür hinein, brüllen plötzlich los und tragen den Mexikaner Joe Pizanthia zwischen sich aus den Trümmern.
Humpelnd, den Revolver in der Hand, kommt Smith Ball auf die Männer und Pizanthia zu. »Ball«, sagt irgend jemand heiser, als Ball jäh den Arm hebt und schießt. »Ball…« Sein Ruf geht im Brüllen des Revolvers und in den Schreien der Menge unter. Ein Mann kommt mit einer Wäscheleine angerannt, ein anderer klettert auf einen Pfahl. Wilbur Sanders und Morgan, die neben dem sterbenden Richter knien, sehen sich an und hören das Geschrei der Menge. Das Gebrüll wird immer lauter, dann knattern Schüsse, und das gellende Geschrei rast auf die Hütte zu, die in wenigen Augenblicken an allen vier Enden angezündet ist und brennt. Wilbur Sanders und Ray Morgan stehen auf. Dort ist die Hütte, um die mehr als 300 Leute brüllend und fluchend rennen. Die Hütte brennt. Und was von ihr übrigbleibt, das wird Asche sein. Asche, die der Wind verweht, Asche, die irgendwo heruntersinkt und sich vielleicht auch auf das Grab legt, in dem Lester Morton seine letzte Ruhe gefunden hat. Der Boden wird schwarz sein, schwarz wie die Rauchwolke, die in einen grauen, verhangenen Himmel schwebt und wie ein drohender Finger sich hochreckt. Eines Tages, denkt Ray Morgan und blickt über die Rauchsäule, den schmutzig werdenden Schnee und die Hügel hinweg, eines Tages wird die Sonne scheinen, die Hügel werden grün sein, auch die Bäume. Und der Himmel wird scheinen, als wenn niemals Unrecht und nackte Gewalt in diesem Land gewesen wären. Ich möchte es noch erleben.
Und sicher auch Wilbur Sanders. Bestimmt auch John Xavier Beidler. Die Clarks, die Familie von Richter Copley, sie alle werden es erleben wollen. Daß es keine Straßenbanditen mehr gibt. Keine unsicheren Wege durch die Berge. Keine Mörder wie Plummer und seine Bande. Und auch keinen Joe Pizanthia mehr. Nichts von dem, denkt Ray Morgan, nichts, was noch an ein Buschgelände, einen armen Waisenjungen und drei Maultiere erinnert. Einige Tage bleiben, in einer friedlichen Stadt, in der es auch keine Falschspieler mehr geben wird. Das ist es, was ich dir sagen werde, Stafford, wenn ich zurückkomme und dich sehe. Und dann, ja, dann muß ich noch zu einem Store gehen und einen kleinen Spaß machen. Ich werde sagen, ich brauche einen Stoff, aus dem ich eine gute Kapuze mit Augenschlitzen machen kann. Und wenn sie fragt, wofür ich die Kapuze brauche, nun, was werde ich dann sagen? Für eine Kutsche brauche ich sie, werde ich sagen. Für die… Mitternachtskutsche! ENDE