Gruselspannung pur!
Die neue Rasse
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Die Schwelle zu einem neuen Zeitalter, i...
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Gruselspannung pur!
Die neue Rasse
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Die Schwelle zu einem neuen Zeitalter, in ein zukunftsorientiertes Leben. Die Wissenschaft arbeitet verbissen an Dingen und Erkenntnissen, die uns den Alltag erleichtern sollen. In Technik und Medizin werden neue Maßstäbe gesetzt. Heilungsmethoden und Verfahren sind möglich, die in der Vergangenheit als Ketzerei und Schwarze Kunst bezeichnet worden wären. Sosehr wir auch danach streben, mit guten Vorsätzen den Weg in das nächste Jahrtausend zu ebnen, können wir doch eines nicht verhindern: Das Böse, das seit Jahrmillionen ein Teil allen Lebens ist, wird uns begleiten. Und es wird immer Männer und Frauen geben, die bereit sind, ihm dabei zu helfen. Dies mußte auch ich erkennen, als ich auf Mephistos neuestes Projekt stieß. Und auf einen Gegner, der mir alles abverlangte… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! 2
»Büschen spät für 'ne Radtour, wat, min Deern?« Der alte Bauer Jakob Reimers hatte eine Hand tief in der Tasche seiner verwaschenen Cordhose vergraben. Mit der anderen rückte er eine kurze Stummelpfeife zwischen seinen Zähnen zurecht. »Nee, Herr Reimers. Ich bleib nicht lange. Will nur noch mal über die Heide fahren, das schöne Wetter ausnutzen.« »Recht so, min Deern, aber paß auf dich auf.« Die junge Frau bremste das klapprige Damenrad ab und wandte sich im Sattel um. Das lange, braune Haar, das sie im Nacken zusammengebunden hatte, schwang zur Seite. »Keine Sorge. Ich fall schon nicht vom Rad!« Jakob nahm die Pfeife aus dem Mund. »Das hab ich nich gemeint, Deern.« Seine Hand beschrieb einen Halbkreis. »Es ist Mai, da schlagen die Bäume aus!« Claudia Jensen lachte hell. »Wird schon nicht so doll werden.« Sie schwang ihre Faust. »Ich hab früher schon Jungs verprügelt in meiner Klasse.« Der Bauer kicherte, schob die blaue Schildmütze in den Nacken und winkte Claudia nach, als sie durch das Hoftor sauste und den Feldweg am Waldrand entlangradelte. »Nich übel«, nuschelte er. »Dreißig Jahre jünger sollte man sein! Hättest mich damals sehen sollen, min Deern. Da stand ich noch im Saft!« »Jakob! Wirst du wohl endlich Hannes im Stall zur Hand gehen?« gellte die Stimme der Bäuerin über den Hof. Wilma Reimers war einige Jahre jünger als ihr Mann und wog gut und gerne zweihundertfünfzig Pfund. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und stemmte die Fäuste in die Hüften. Ihr ausladender Busen wogte wie ein Schlachtschiff in starker Dünung. »Schon auf dem Weg, Wilmalein!« flötete Jakob. Gern half er seinem Sohn, der den Hof führte. »Und laß das Fräulein Jensen in Ruh, du alter Lustgreis!« brüllte die Küchenmatrone. »Die Leute im Dorf zerreißen sich schon das Maul über dich!« »Das macht der Frühling!« rief der Bauer und hüpfte wie ein junges Pferd. »Der bringt uns Hengste auf Trab!« Wilma schwang eine riesige Schöpfkelle. »Paß auf, daß ich dich nicht auf Trab bringe, du alter - Esel!« Kichernd trollte sich Jakob in den Stall. Er hatte Wilma mal wieder auf die Palme gebracht. 3
Inzwischen hatte Claudia Jensen den Wald hinter sich gelassen. Vor ihr breitete sich ein herrliches Fleckchen Natur aus. Die Heide. Ein großes Naturschutzgebiet voll bezaubernder Schönheit. Weite, mit Heidekraut bestandene Ebenen grenzten an ausgedehnte Wald- und Sumpfgebiete. Ein wahres Naturparadies. Und wenn sich über den Wipfeln der Pappeln die ersten dunklen Gewitterwolken zusammenballten, wurde ein Teil jener wilden Romantik lebendig, die der Heidedichter Hermann Löns in seinen Büchern beschrieben hatte. Claudia liebte die Heide. Diese weite Landschaft vermittelte ihr ein Gefühl von ungebändigter Freiheit, erzeugte mitunter aber auch Gänsehaut und unterschwellige Angst. Vor allem bei Unwetter. Dann konnte man hinter jedem Busch und jedem Baum eine unheimliche Gestalt vermuten, die auf ein unschuldiges Opfer lauerte. Bei diesen Gedanken legte die junge Frau noch einen Zahn zu. Claudia war Anfang Zwanzig und sehr sportlich. Kräftig und ausdauernd trat sie in die Pedale. Dem warmen Frühlingswetter entsprechend war sie leicht bekleidet. Unter dem hellvioletten, bauchfreien Top ließ sie frei schwingen. Bei dem Anblick lief einem schon das Wasser im Munde zusammen. Die Radlerin drehte ihr Gesicht in den Wind. Kein Wunder, wenn den alten Jakob Reimers bei ihrem Anblick das Heidekraut stach. Claudias Augen hatten die hellgrünen Pupillen einer Katze. Schön war sie, attraktiv und faszinierend. Vor etwas mehr als einer Woche hatte sich Claudia auf dem Reimers-Hof einquartiert und schon einen Großteil der Heidelandschaft durchstreift. Heute wollte sie die Umgebung des Heidegrabes erkunden. Zwischen hohen Büschen und Pappeln entdeckte sie nach ein paar Kilometern eine Holzbank. Claudia bremste, stieg ab und zückte ihr Handy, kaum daß sie saß. »Ich bin jetzt etwa sechs Kilometer südwestlich vom Hof«, sagte sie ohne Begrüßung und klappte einen Faltplan auf, der zahlreiche Markierungen und Vermerke aufwies. »Planquadrat C6.« »Irgendwas Auffälliges?« fragte eine Männerstimme. »Nichts. Ich fahre weiter bis zum Moor. Melde mich noch mal von Charlie acht, dann kehre ich um.« 4
Ihr Gesprächsteilnehmer unterbrach die Verbindung ohne Bestätigung. Claudia verstaute Mobiltelefon und Karte, nahm einen Schluck Tee aus der mitgebrachten Feldflasche und radelte weiter. Knapp vierzig Minuten später hatte sich die Gegend verändert. Der Baumbestand war zurückgegangen. Nur noch vereinzelt stieß Claudia auf Heidschnucken. Hohe Büsche und einige Felsbrocken säumten den Weg und ragten wie Mahnmale aus der Heide. Weit vorn, hinter einer breiten Linie dichten Buschwerks, befand sich das Moor. Nach einer weiteren Viertelstunde stieg Claudia ab und lehnte das Fahrrad an einen verwitterten Felsen, der an einer Weggabelung stand und wie ein Grabstein wirkte. Und genau das war er auch. Die Leute aus der Umgebung nannten diese Stelle das Heidegrab. Hin und wieder brachte ein Spaziergänger Blumen mit und legte sie am Fuß des Felsens nieder. Der Legende nach war im Dreißigjährigen Krieg ein Schwedenoffizier an dieser Stelle über eine junge Magd hergefallen. In ihrer Not war das Mädchen ins Moor geflüchtet, dicht gefolgt von dem Angreifer. Offenbar hatte sie ihn in den todbringenden Sumpf gelockt und war dabei selbst ertrunken, denn von beiden hatte man seither nichts mehr gesehen oder gehört. Claudia zückte ihr Handy, um den verabredeten Lagebericht zu geben, kam jedoch nicht mehr dazu. Denn im selben Augenblick legte sich eine harte, mit aalglatter Haut bedeckte Hand von hinten um ihren Hals. Ein erstickter Schrei löste sich aus Claudias Kehle. Das Handy wurde ihr aus der Hand geschlagen, prallte gegen den Grabstein und zerschellte. Harte Finger wühlten sich in ihr Haar und zerrten ihren Kopf nach hinten. Über sich sah sie eine starre, maskenhafte Fratze. Eiskalt lief es ihr über den Rücken. Die Hand an ihrer Kehle lockerte den Griff. Doch Claudia schrie nicht. *
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Die junge Frau stellte sich sehr rasch auf die neue Situation ein. Der unheimliche Angreifer schien ihr aufgelauert zu haben. Aber weshalb? Claudia erschlaffte im Griff des Unheimlichen. Hart wurde das Mädchen über einen Felsbrocken gezerrt. Und diesen Umstand nutzte sie aus. Mit einem Bein stützte sie sich auf dem Felsen ab, spannte schlagartig sämtliche Muskeln an und riß den rechten Fuß hoch. Die Gummispitze des Joggingschuhs traf mit voller Wucht das wächserne Gesicht des Unheimlichen. Mit einem unwilligen Knurren riß er den Kopf zurück. Claudia bewies, daß sie sich ihrer Haut zu wehren verstand. Sie packte beide Handgelenke des Gegners, schraubte ihren Körper herum und schwang sich in die Luft. Behende und biegsam wie eine Artistin schoben sich ihre Beine nach hinten. Die Füße legten sich um den Hals des Unheimlichen, verschränkten sich zu einer Klammer. Claudia hatte Schmerzen, doch sie biß die Zähne zusammen. Legte ihre ganze Kraft in ihre Bewegungen und schleuderte mit einer schier übermenschlichen Anstrengung den Gegner über sich hinweg. Die Finger lösten sich aus ihrem Haar. Keuchend blieb Claudia hinter dem Felsen im Gras liegen. Tief saugte sie die Frühlingsluft in ihre Lungen. Sie stützte sich auf die Ellbogen und kam hoch. Vorsichtig beugte sie sich über den Gegner, der mit verrenkten Gliedern über dem Felsbrocken lag. Er rührte sich nicht. Der Brustkorb hob sich unendlich langsam, fast widerwillig. Es schien, als brauchte der Mann überhaupt nicht zu atmen. »Damit hättest du wohl nicht gerechnet, Freundchen«, murmelte Claudia und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Wir sollten uns mal unterhalten.« Sie beugte sich über den Ohnmächtigen, musterte das wachsbleiche Gesicht, dessen Anblick ihr kurz zuvor Angst bereitet hatte. Die Haut glänzte und war offenbar porenlos. Die Augen waren geschlossen, schienen in der kompakten Fläche des Gesichts zu versinken. Die Nase war nicht mehr als eine leichte Ausbuchtung mit zwei winzigen Löchern. Der Mund war ein
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lippenloser Strich, der sich ebenfalls fugenlos in die Gesamtheit dieser Maske einfügte. Doch Claudia wußte, daß es einen Mund gab. Die zwei Reihen metallisch glänzender, spitzer Zähne, die an ein Haifischgebiß erinnerten, hatte sie bei dem Angriff des Mannes gesehen. Claudia stieß den Fremden mit den Fingerknöcheln an. Er regte sich nicht. Die junge Frau zog die Augenbrauen zusammen. »Harmlose Radfahrerinnen erschrecken, aber selbst nichts einstecken können, das haben wir gerne. Los, Alter. Bin mächtig neugierig, was du mir erzählen wirst.« Sie boxte ihm in die Seite, um ihn zu wecken. Weit gefehlt. »Ja, Himmeldonnerwetter noch mal!« entfuhr es Claudia. »Willst du hier einen auf Toter Mann machen? Nicht mit mir, Alter!« Sie setzte zu einem weiteren Weckversuch an. Genau in diesem Augenblick kam Bewegung in den Körper! Augen und Mund öffneten sich gleichzeitig. Kalte, leblose Pupillen starrten Claudia an, und die Strahlen der Frühlingssonne brachen sich auf den glänzenden Reißzähnen. »Scheiße!« rief Claudia aus und fuhr erschrocken zurück. Die Arme des Unheimlichen sausten in die Höhe. Die glatten Finger bekamen Claudias Schultern zu fassen und ließen nicht mehr los. Bevor sie reagieren konnte, fühlte sie sich nach vorn gerissen. Sie stemmte sich am Körper des Unheimlichen ab und verwandelte den Sturz in eine Rolle. Aber diesmal war der Gegner schneller. Wie der Blitz stand er auf den Beinen und stampfte auf Claudia zu. Sie kam hoch und trat sofort zu, entlockte dem Gegner aber nicht mal ein Grunzen. Seine Klauenhände packten das Fußgelenk und drehten es lässig herum. Claudia kam auf dem Rücken zu liegen und trat mit dem anderen Fuß nach dem Gegner. »Laß mich los, du Plastikgorilla! Nimm deine Finger von mir! Hast du nicht verstanden, Gummikopf?« Er zeigte sich gänzlich unbeeindruckt, zerrte Claudia hinter den Grabstein, zog sie zu sich heran und warf sie mit dem Rücken gegen den Felsen. Pfeifend entwich die Luft aus ihren Lungen. »Was ist denn mit dir los, Alter?« Und während sie das sagte, trat sie dem Kerl 7
zwischen die Beine. Ein Tritt, der den stärksten Mann umhaut. Normalerweise jedenfalls. Doch hier zeigte er nicht die geringste Wirkung! Statt dessen schüttelte der Unheimliche den Kopf, schritt ungelenk zu Claudias altem Drahtesel, faßte ihn am Lenker und am Gepäckträger und knickte ihn ohne sichtliche Anstrengung in der Mitte. »Du könntest glatt als Schrottpresse arbeiten, Alter!« giftete Claudia. Der Unheimliche war mit wenigen Schritten bei ihr und gab ihr keine Möglichkeit zur Flucht. So linkisch er sich auch bewegte, so schnell war er. Claudia wand sich in seinem Griff, zeterte und trommelte auf ihn ein, doch es nützte ihr nichts. Schließlich warf der Gegner sie auf den Rücken, packte sie an den Fußgelenken und zerrte sie durch das Heidegras davon. Ihr wurde schwindlig. Immer wieder schlug ihr Hinterkopf hart auf den Boden… Irgendwann fiel ihr auf, daß drüben beim Moor tatsächlich ein Unwetter aufzog. Wind kam auf und kühlte ihr erhitztes, schweißüberströmtes Gesicht. Mensch, ich werde von einem Monster entführt, und dazu gehören ja wohl auf jeden Fall Sturm und Donner! Es wurde dunkel. Erste Regentropfen fielen. Große, dicke Tropfen. In Sekundenschnelle war Claudia bis auf die Haut durchnäßt. Der Unheimliche schien den Regen gar nicht zu spüren. Das Wasser perlte an ihm ab wie an gewachstem Autolack. Immer tiefer stapfte der Unheimliche mit seiner zappelnden Last in die Heide. Mit Schrecken erblickte Claudia drei, vier weitere Gestalten, die eine Art Spalier bildeten. Wenige Meter vor dem Pappelhain, hinter dem sich das Moor ausdehnte, hatten sie ihr Ziel erreicht! Die Erde tat sich vor ihnen auf. Ohne anzuhalten, tauchte der Unheimliche im Erdinnern unter und zerrte Claudia hinter sich her. Seine Kameraden folgten ihm. Dann schloß sich über ihnen eine Art Deckel und tauchte die Umgebung in absolute Finsternis. Der Boden war sandig, wurde glatt und ging in eine Linoleumfläche über. Claudias Hände erzeugten ein Quietschen auf dem gebohnerten Boden. 8
Kaltes, ultraviolettes Licht flammte an den Wänden des Ganges auf. Nach wenigen Hundert Metern und einigen Kurven war der Stollen zu Ende. Sie erreichten einen großen gefliesten Raum. Claudia erkannte ein facettenartiges, aus mehreren grellen Hallogenlampen gebildetes Operationslicht, das kalte Helligkeit verbreitete. Zahlreiche Operationstische, Geräte, Instrumententische und Maschinen füllten den Raum aus. Die Mitte des Operationssaales war leer. Bis auf den kleinen, gedrungen wirkenden Mann, der sich eben hellgrüne Latexhandschuhe überstreifte. Er hatte breite Schultern. Für seine kleine Statur von knapp Einssechzig wirkte er erstaunlich kompakt. Er trug einen weißen Kittel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Von seinem Gesicht war nicht viel zu erkennen, denn er trug eine grüne Gesichtsmaske. Auch die Haare waren durch die grüne Kopfbedeckung eines Chirurgen verdeckt. Nur die dunklen, eiskalten Augen, die Claudia über dem Rand der Gesichtsmaske entgegenstarrten, ließen keinen Zweifel über ihr bevorstehendes Schicksal in ihr aufkommen. Sie hatte keine Gnade zu erwarten. »Willkommen, Gnädigste!« Die Stimme war gedämpft, aber trotzdem deutlich zu vernehmen. »Hat man Ihnen nicht gesagt, daß es für junge, hübsche Frauen gefährlich ist, allein durch die Heide zu radeln?« »Spar dir das Gesülze, Alter! Was soll dieser Zirkus?« »Kompliment, meine Liebe. Sie scheinen recht abgebrüht zu sein. Ob Sie aber immer noch so frech sind, wenn Sie auf dem Operationstisch liegen.« Der Chirurg hob spielerisch ein funkelndes Skalpell. »Ich darf mich vorstellen. Mein Name ist Theodor Landwehr. Professor Landwehr, falls Ihnen das etwas sagt. Sie sprechen mit einem der bedeutendsten Forscher unserer Tage. Meine Forschungsergebnisse werden bald in aller Munde sein. Ich werde zu den Größen und Mächtigsten dieser Welt gehören!« Ein fanatisches Glitzern stand in Landwehrs Augen, als er zur Decke starrte. »Möglich, der größte Spinner sind Sie jetzt schon.« »Aaaahhh!« Landwehrs Wutschrei hallte ohrenbetäubend durch den Raum. »Bereitet alles vor! Diese Frau wird mein Glanzstück werden! Sie ist jung und stark! Es wird mir ein Vergnügen sein,
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sie umzuformen. Beeilt euch! Wir wollen den Meister nicht enttäuschen!« Claudia wehrte sich verzweifelt, kam jedoch gegen die Kraft der unheimlichen Geschöpfe, die aus verschiedenen Nebenräumen traten, nicht an. Sie konnte nackte, schrecklich mißgestaltete Frauen erkennen. Männer mit mehreren Gliedmaßen. Eine Frau erinnerte an die indische Göttin Kali. Die Hände an ihren sechs Armen krallten sich in Claudias Kleidung fest. Das Top zerriß. Halbnackt gelang es Claudia noch einmal, sich aus den Klauen der grauenhaften Geschöpfe zu befreien, doch sie stolperte und prallte gegen einen Instrumententisch. »Packt sie! Sie darf nicht entkommen! Wir müssen die Stunde nutzen!« Claudia riß ein Skalpell hoch und schlitzte einem Angreifer den Leib auf. Kein Blut strömte aus der Wunde, sondern eine helle, gallertartige Masse. »Hat euch der Irre ausgestopft, oder was?« zischte Claudia und hieb mit zwei Operationsmessern durch die Luft. Mit Tritten verschaffte sie sich Freiraum, wirbelte herum, rollte über den Boden und verschwand in einem Seitenraum. Sie drückte auf einen Knopf an einer Konsole neben der Tür. Mit leisem Rauschen schloß sich der Durchgang. Aufatmend lehnte sie sich gegen die Tür. Da jagte mit einem dumpfen Knall eine scharfe Messerklinge nur wenige Zentimeter neben Claudias Kopf durch die Türfüllung! Die junge Frau schrie gellend und wich zurück. Lange würde die Tür dem Ansturm der Monster nicht standhalten. Sie schaute sich um, außer einem Stuhl und einem Regal mit Plastik- und Glasflaschen war der Raum leer. Es gab nichts, das sie als Waffe hätte benutzen können. »Astaroth, der du alle Geheimnisse des Schreckens kennst, gib uns Kraft! Erfülle meine Geschöpfe mit deiner Macht. Behemot, Meister allen Unheils, steh deinen Dienern bei! Und Mephisto, Fürst aller irdischen Dämonen, schenke uns deine Gnade!« vernahm Claudia die Bitten des Professors. »Der Scheißkerl meint es tatsächlich ernst!« hauchte sie. »Wird Zeit, daß ihm mal jemand das Maul stopft!« Die Beschwörungen zeigten Wirkung. Sturmgebraus und ohrenbetäubendes Heulen erfüllten die Luft. Die Tür wölbte sich nach innen und brach. Claudia rollte über den Boden, brachte die 10
hereinstürmenden Kreaturen ins Stolpern, rutschte zwischen ihren Beinen hindurch, stieß den Professor zur Seite und jagte auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Operationssaal. Schwer atmend hetzte sie durch dunkle Gänge. Die Gummisohlen ihrer Schuhe quietschten auf dem Linoleumboden. Sie stieß die Türen auf beiden Seiten der Korridore auf, bis sie auf eine Art Büro stieß. Und hier fand sie, was sie suchte. Ein Telefon! Sie fragte sich nicht, wieso es hier unten, in einer hermetisch von der Außenwelt abgeschotteten Schreckenskammer, Telefonanschluß gab. Pfeilschnell stürzte sie zum Schreibtisch, riß den Hörer hoch und tippte mit fliegenden Fingern eine Nummer. Klingelton. Keine Antwort. »Nimm ab, Bernd! Verdammte Scheiße, geh endlich ran!« Claudia wurde nervös. Wütend knallte sie den Hörer auf die Gabel, riß ihn wieder ans Ohr und wählte den Anschluß eines Mobiltelefons. »Komm schon, geh ran!« Es dauerte unendlich lange, bis abgehoben wurde. Es war die Männerstimme, mit der Claudia zuvor über Handy gesprochen hatte. »Sie haben mich! Ich stecke in der Klemme! Hol mich hier raus, aber schnell, sonst kannst du mich stückchenweise…« Sie hörte das Geräusch in ihrem Rücken, wirbelte herum und sah die gewaltige Pranke, die auf ihr Gesicht zuschoß. Claudia konnte nichts mehr sagen. Nicht mehr schreien. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Eine Hand nahm ihr den Hörer ab und zerbröselte ihn unter einem unmenschlichen Druck. Die andere Hand verschloß ihr Nase und Mund. Bevor Claudia in den bodenlosen Schacht der Ohnmacht stürzte, bekam sie mit, wie mehrere Geschöpfe des irren Professors in den Raum drängten, wie Hände ihr die Kleidung vom Leib zerrten, wie kühle Luft über ihre nackte Haut strich. Dann spürte sie nichts mehr. *
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Ein Zimmer. Rustikal eingerichtet, mit Bauernschrank, breitem Federbett, Nachttisch, Kommode mit Telefon, Tisch, zwei Stühlen. Vor dem Bett ein bunter Läufer. Teppich und Bettvorleger zugleich. Auf dem Bett ein Sammelsurium von Gegenständen. Ein Kruzifix. Ein Rosenkranz aus schwarzen, glänzenden Perlen. Eine Bibel im Taschenformat. Ein langer Dolch mit reich verziertem Griff in einer ebenfalls verzierten Metallscheide. Ein Handy und zwei Pistolen. Automatikwaffen der Marke Beretta. Mit 15-Schuß-Magazinen. Chromblitzende Läufe, Perlmutt-Kruzifixe in den Griffschalen. Darüber die Worte Im Namen des Herrn. Am Fenster ein Mann. Hochgewachsen. Muskulös. Durchtrainiert. Ganz in Schwarz gekleidet. Schweigend die ruhige Straße beobachtend. Stille. Nur das leise Ticken des Reiseweckers ist zu hören. Langsam wendet sich der Mann um, schaut auf die Armbanduhr, dann auf das Handy und das Telefon. Telefon und Handy geben keinen Ton von sich. Er macht sich Sorgen. Sucht Trost in einem Gebet. Und findet ihn nicht… Bei seinen Franziskanerbrüdern ist er als Pater Bernd bekannt. Er ist achtunddreißig, hat dichtes, schwarzes, an den Schläfen leicht ergrautes Haar. Ein gebräuntes Gesicht mit Adlernase, volle Lippen, dichte Augenbrauen und dunkle Augen. Augen, die unendliche Güte ausstrahlen können, aber auch Härte. Bernd Jensen ist Mönch, aber er trägt keine Kutte, denn er hat eine Aufgabe zu erfüllen, bei der ihn die Ordenskluft nur behindert. Pater Jensen ist ein Auserwählter. Vor vielen Jahren, als er in einem Schweizer Franziskanerkloster weilte, hatte sein Kampf gegen die Mächte der Hölle begonnen. Was er bis dahin niemals für möglich gehalten und insgeheim immer angezweifelt hatte, war Realität geworden. Mephisto, der Megadämon und nach dem Höllenkaiser oberste Höllenfürst, war ihm begegnet. Nicht in der Gestalt eines gehörnten, bocksfüßigen Teufels, sondern als monströs verunstalteter Ordensbruder. Damals hatte Mephisto
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seine Dämonen um sich geschart, um den Abt des Bergklosters und seine engsten Vertrauten zu liquidieren. Es war ihm nicht gelungen. Mephisto hatte nicht mit dem Mut und der Entschlossenheit des Paters gerechnet. In jener Nacht entbrannte hinter den alten Klostermauern eine grausame Schlacht, in deren Verlauf Pater Bernd seine Bestimmung erfuhr. Die alten Schriften hatten von ihm berichtet. Schwerverletzt klärte ihn der Abt auf, daß Bernd auserkoren war, gegen das Böse auf Erden anzutreten. Das war 1980 gewesen, zu der Zeit, als in der thüringischen Stadt Weimar ein etwa zehnjähriger Junge aufgegriffen wurde. Sein einziger Besitz war ein Siegelring mit den eingravierten Buchstaben M und N, nach denen er von seinen Adoptiveltern die Vornamen Markus Nikolaus erhielt. Seit jener Zeit hatte Bernd Jensen schon mehrmals gegen die Kräfte der Hölle antreten müssen. Seine »Aufträge« erhielt er meist auf ungewöhnliche Weise. Diesmal war es während eines Gottesdienstes passiert. Der Pfarrer hatte eine lateinische Textpassage vorgelesen, die nur Bernd verständlich gewesen war und ihn auf die Spur eines Teufelsdieners in der Lüneburger Heide gebracht hatte. Bernd schickte einen flehenden Blick zur Zimmerdecke. Tief in seinem Innern spürte er, daß seiner Schwester Claudia etwas zugestoßen war. Nun ruf doch endlich an, verflixt! bat er in Gedanken. Gib mir die Gewißheit, daß alles in Ordnung ist! Der Pater wurde enttäuscht. Bernd faßte einen Entschluß. Er würde in die Heide fahren. Diese Warterei und die Ungewißheit brachten sein Nervenkostüm arg durcheinander. Hastig streifte er die Kette mit dem hölzernen Kruzifix über den Kopf, steckte Rosenkranz, Bibel und Handy ein und brachte den Dolch an seinem Gürtel an. Die Pistolen schob er in die Achselhalfter. Nach einem letzten Blick auf das stille Zimmer eilte er aus der kleinen Pension. Seinen Wagen hatte er in der Nähe geparkt. Bernd stieg ein, startete und raste los. Beim Heidegrab! fuhr es ihm durch den Kopf. So schwer kann das ja nicht zu finden sein!
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Der Pater beschloß, am Reimers-Hof anzusetzen. Bis dorthin waren es knappe siebzig Kilometer. Die konnte er in einer Dreiviertelstunde schaffen. Er hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als sich sein Handy meldete. Und dann hörte er Claudias abgehackte Stimme… »Ich hol dich da raus, Kleines!« rief er. »Halt nur noch ein wenig durch. Ich bin gleich bei dir!« Die Hühner gackerten aufgeschreckt und verloren beim Davonflattern einige Federn, als Bernd auf den Reimers-Hof raste. »Nich so eilig, Jungchen!« nuschelte der alte Jakob. »Wenn meine Wilma mitkriegt, daß du die Hühner ärgerst, kommen sämtliche Gewitterstürme der letzten zwanzig Jahre über dich!« »Wie komme ich zum Heidegrab?« rief Bernd knapp. Ein verschmitztes Lächeln spielte um die Mundwinkel des alten Bauern, als er seine Stummelpfeife zwischen den Lippen hervorzog und auf den Lancia deutete. »Na, mit dein Flitzer da, Jungchen. Zum Laufen ist es ein büschen zu weit und schon zu spät. Außerdem ist ein Gewitter im Anmarsch.« »Welche Richtung muß ich nehmen, Opa?« »Opa?« Jakob war nicht begeistert. »Jungchen, wenn du wüßtest, was noch alles in diesen ollen Knochen steckt, würdest du nich so 'n häßliches Wort zu mir sagen!« Schließlich erklärte er ihm doch den Weg zum Heidegrab. »Suchst du vielleicht die lütte Claudia Jensen?« fragte er. »Keine schlechte Partie, das Mädel. Müßtest ihr eigentlich begegnen. Hat mein' alten Drahtesel mit. Fahr nich so schnell, sonst kommt die Lütte noch unter die Räder von dein' Rennwagen.« Bernd dankte, grüßte und fuhr los. Einzelne Tropfen prasselten bereits auf seine Windschutzscheibe und das Wagendach. Bald wurde die Sicht miserabel, und sintflutartiger Regen ergoß sich über das Land. Der Pater hatte die Scheinwerfer eingeschaltet. Die Scheibenwischer konnten die Wassermassen kaum bewältigen. Bernd klebte fast mit dem Gesicht an der Scheibe. Zwischen den Regenschnüren schälte sich der unförmige Stein heraus, der das legendäre Grab in der Heide zierte. Von Claudia war keine Spur zu entdecken. Bernd stoppte, sprang aus dem Wagen und untersuchte das Grab, Augenblicke später hatte er das zertrümmerte Handy, Claudias Rucksack und das verbogene Fahrrad entdeckt. 14
Die Schleifspur, in deren Rillen sich das Regenwasser sammelte, war ebenfalls nicht zu übersehen. Und wenn man der Schleifspur folgte, gelangte man ins Moor. Bernd knirschte mit den Zähnen, klemmte sich hinter das Steuer und fuhr auf den Pappelwald zu. Ein schmaler Weg führte zwischen den Bäumen hindurch und am Rand des Moors entlang. Vorsichtig steuerte Bernd den Wagen durch tiefe Pfützen und Schlammlöcher. Wenn er jetzt in dem Naturschutzgebiet steckenblieb, war alles verloren. Obendrein würde er noch Ärger mit den Behörden kriegen. Das Vorwärtskommen wurde immer schwieriger. Dann sah Bernd das Licht und fuhr darauf zu. Die letzten Meter mußte er zu Fuß zurücklegen. Mühsam kämpfte er sich durch den tiefen Boden. Bernd kannte die Legende vom Heidegrab und dachte daran, daß hier irgendwo die unglückliche Magd und ihr schwedischer Bedränger eine ewige Ruhestätte gefunden hatten. Und vielleicht auch Claudia. Der Pater schob sich durch dichtes Gestrüpp, sprang über einen Wassergraben und rutschte aus. Doch er hatte noch einmal Glück. Zitternd und keuchend setzte er auf dem schmalen Weg einen Schritt vor den anderen, um nicht im Moor zu landen. Und dann sah er das Bauernhaus, auf einer Insel im Moor. Es war ein kleines Anwesen, nicht mit dem großen Reimers-Hof vergleichbar. Bernd tastete nach einer Pistole und huschte über die weite Rasenfläche. Lehnte sich an einen Baumstamm. Nur noch wenige Schritte bis zum Haus. Ein Gefühl sagte ihm, daß er seine Schwester hier finden würde. In diesem Augenblick packte ihn von hinten jemand aus der Regenwand und drückte ihm die Kehle zu… * Claudia Jensen hatte jegliche Hoffnung verloren. Sie befand sich wieder im Operationssaal. Das schmerzte in ihren Augen.
OP-Licht
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Die mißgestalteten Kreaturen hatten sich zurückgezogen. Nur zwei hünenhafte, nackte Männer mit wächsernen Gesichtern waren geblieben, um Landwehr zur Hand zu gehen. Claudia war auf dem OP-Tisch festgeschnallt worden. Man hatte eine Kanüle an ihrem linken Handrücken angebracht. Claudia hing am Tropf. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Claudia jede Bewegung des maskierten Professors, der an einem Instrumententisch hantierte. »Damit kommen Sie nicht durch«, sagte sie leise. »Ich bin nicht allein. Andere wissen von Ihren Machenschaften und werden mich suchen.« »Sollen sie, doch sie werden nichts finden.« Claudia zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen und stemmte sich erneut gegen die Fesseln. Schweiß perlte auf ihrer Stirn und strömte über ihren Körper, obwohl es in dem Saal kalt war. »Sparen Sie sich Ihre Kräfte, meine Liebe.« Landwehrs Stimme hatte etwas Hypnotisches. »Ergeben Sie sich in Ihr Schicksal. Bald ist es sowieso vorbei.« Während Landwehr auf sein verängstigtes Opfer einredete, peitschte draußen ein Schuß. Ein Monstrum mit Rüssel und Zyklopenauge wich wankend zurück und fuchtelte mit den mächtigen Armen. Die dicken Finger berührten die Stirn an der Stelle, wo die Silberkugel aus Pater Bernds Waffe das Auge zerstört hatte. Schwefelhaltiger Rauch quoll aus der Wunde. Das Brüllen des Monsters verstummte. Stocksteif stand der Schreckliche vor dem Pater, brach dann in die Knie und fiel vorn über. Bernd untersuchte das grauenhafte Geschöpf nicht näher. Der Schwefeldampf war für ihn Beweis genug, daß er es zwar mit dem bedauernswerten Opfer eines kranken Gehirns, aber auch mit einer von dämonischen Kräften beseelten Kreatur zu tun gehabt hatte. Sie würde zerfallen, falls nicht, konnte er sie immer noch ins Moor werfen. Der Pater hetzte zur Eingangstür des Bauernhauses. Rüttelte am Türgriff. Abgeschlossen. Ein schwaches, schlurfendes Geräusch ließ ihn herumfahren. Im blassen Schein einer Lampe, die über der Tür angebracht war, wirkten sie wie Zombies aus einem Gruselfilm. Lumpen 16
bedeckten nur notdürftig ihre Blößen. Stumm und ungelenk wankten sie von zwei Seiten auf Bernd zu. Die Gesichter der Kreaturen waren an Scheußlichkeit kaum zu überbieten. Fordernd streckten sie ihre Arme aus, wie Schlafwandler. Ihre kräftigen Finger würden ihm jede Chance zur Gegenwehr nehmen. Bernd bedauerte, daß er nicht früher von Professor Landwehrs grausamen Machenschaften erfahren hatte. All diese bedauernswerten Geschöpfe waren einmal unschuldige Menschen gewesen. Bernd duckte sich unter den Armen der Kreaturen hinweg, trat gegen Kniescheiben, säbelte Beine weg und brachte die Monstren zu Fall. Er rollte sich ab, konnte jedoch nicht verhindern, daß sich starke Finger in seiner Kleidung festkrallten. Bernd blieb keine Wahl. Er mußte schießen. Die Kraft der geweihten Silberkugeln ließ die Gestalten zusammensacken. »Offenbar hat der Professor geschlampt, Leute. Na ja, keiner ist vollkommen!« Bernd befreite sich aus dem Klammergriff einer »Frau« mit drei Brüsten und vier Armen, drehte sich weg, schoß sie nieder und sprang gegen das nächstbeste Fensterkreuz. Zwischen Scherben und Holzsplittern landete er auf dem Boden, rollte sich ab und betrat gleich darauf einen dunklen Korridor. Auch hier warteten weitere Schreckensgestalten, des Professors auf ihn. Bernd stieß einige Monstren zur Seite und jagte fluchend den Korridor entlang. Ein gellender Schrei hallte durch das Bauernhaus. Bernd kannte die Stimme. Sie gehörte Claudia! Bernd suchte einen Zugang zum Keller, denn der Schrei war von unten gekommen. Der Pater stieß jede Tür auf, an der er vorbeikam. Doch nirgends fand er eine Kellertreppe. Dann muß es von außen einen Zugang geben, überlegte er. In diesem Augenblick wurde er gepackt und gegen die Wand geworfen. Bernd schüttelte benommen den Kopf und sah sich einem hünenhaften Kerl mit wächsernen Gesichtszügen gegenüber. Der knurrte ihn an und zeigte dabei seine metallenen Reißzähne.
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»Dein Doktor hat wirklich an allem gespart, mein Junge. Goldkronen hätten besser zu dir gepaßt.« Mit diesen Worten trat der Pater zu. Ein Fehler, wie er sofort feststellte. Denn erstens bissen sich die Reißzähne im Stiefelabsatz fest. Und zweitens legten sich die Hände des Wächsernen wie Schraubstöcke um Bernds Bein. Nur unter Aufbietung aller Kräfte kam er frei. Der Pater richtete den Blick zur Decke. »Das mit dem Fluch von vorhin tut mir leid. Ist mir so rausgerutscht.« Der Wächserne zog Bernd gegen seine Brust und unterbrach somit sein Zwiegespräch mit dem himmlischen Auftraggeber. Gleichzeitig erklang von unten ein weiterer gequälter Schrei. Bernd nahm alle Kraft zusammen und rammte den Wächsernen gegen die Wand. Ein Knirschen und Splittern ertönte, als die Mauer nachgab. Die Kämpfer verloren das Gleichgewicht und stürzten eine steinerne Wendeltreppe hinunter. Der Pater spürte jeden Knochen im Leib, als er sich aufraffte und seine Pistolen aufnahm, die ihm entfallen war. Hinter ihm kam der Wächserne auf die Beine. Bernd fuhr herum und feuerte aus beiden Waffen zugleich. Der peitschende Klang der beiden Schüsse zerrte an den Trommelfellen. Die Silberkugeln trieben den Riesen gegen die Wand. Bernd war erstaunt, als eine wachsartige Flüssigkeit aus den Wunden rann. Ohne sich weiter aufzuhalten, rannte der Pater durch den Kellergang, wobei ihm auch hier die Schreckenskreaturen des Professors begegneten, und gelangte zum Operationssaal. Am Eingang des Saals unterbrach er seinen Lauf. Er sah seine nackte Schwester, die zitternd auf einem Operationstisch lag. Auf ihrer Haut hatte Professor Landwehr mit einem roten Stift verschiedene Markierungen angebracht, nach denen er die Operationsschnitte führen wollte. Eben beugte sich Landwehr mit einer Spritze über die Wehrlose. »Du wirst nicht viel spüren«, murmelte er. Bernd drückte ab. Er mußte es einfach tun. Die Kugel fetzte in Landwehrs rechte Hand und ließ die Spritze zersplittern. Mit einem jaulenden Schmerzensschrei wich der Professor zurück und hielt sich die blutende Hand. »Genug geschnippelt, Professor!« sagte Bernd kühl. »Hiermit entziehe ich Ihnen Ihre Approbation.«
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»Das können Sie nicht tun!« stammelte Landwehr. »Das dürfen Sie nicht! Sehen Sie denn nicht, daß ich kurz vor meinem Ziel stehe? Ich werde dieses junge Geschöpf in einen Übermenschen verwandeln! Wenn Sie mich jetzt aufhalten, war die Arbeit vieler Jahre vergebens!« In seinem Wahn verstand Theodor Landwehr nicht, daß er verloren hatte. Bernd trat an den OP-Tisch, um Claudias Fesseln zu lösen. »Sie sind eine Bestie, Professor. Sie haben Kreaturen geschaffen, wie sie nur der Phantasie eines kranken Gehirns entspringen können. Ich werde nicht zulassen, daß Sie Ihr teuflisches Handwerk weitertreiben. Sie werden den Rest Ihres Lebens in der Klapsmühle verbringen. Und nicht mal die Hölle kann Ihnen beistehen.« Landwehr riß die Maske vom Gesicht. Eine haßverzerrte, abgrundtief häßliche Fratze starrte Bernd und Claudia entgegen. »Sie irren! Mephisto gab mir die Macht! Und er wird mir weiterhin beistehen! Wer sind Sie, der Sie sich anmaßen, die Pläne der Hölle zu stören?« »Pater Bernd Jensen.« Landwehr konnte mit dem Namen offenbar nichts anfangen, doch das fanatische Glitzern kehrte in seine Augen zurück. »Ein Pfaffe will mich aufhalten? Ich dachte, Sie seien von der Polizei! Wenn das so ist…« Er riß beide Arme hoch. »Ergreift den Pfaffen! Mächte der Finsternis, steht mir bei! Dann werde ich euch diesen Kirchenmann als Opfer bringen! Astaroth, Behemot! Mephisto! Schenkt mir Eure Gunst!« Von draußen schoben sich die mißratenen Experimente des irren Professors in den Raum. Bernd zerrte Claudia vom Tisch und feuerte auf die Kreaturen. Die Beschwörungen des teuflischen Arztes gingen im Krachen der Schüsse unter. Doch sie hatten gewirkt. Wie zuvor wurde der Raum von einem eigenartigen Brausen erfüllt. Eine furchtbare Macht zerrte an Bernds Kleidern und seinem Haar. Er hörte Claudia schreien und schaute nach hinten. Sah, wie der Professor von einer unnatürlichen, blauen Aura umgeben war. Er hielt Claudia umklammert und hatte seine Arme um ihre Brust gelegt. Er hatte sich auch die Chirurgenkappe vom Kopf gerissen. Seine Haare standen wirr vom Kopf. 19
Bernd jagte den heranstolpernden Monstren einige Kugeln entgegen und warf sich dann auf den Professor. Ein wildes Gerangel entstand. Tische und Geräte wurden umgeworfen. Bernd hieb auf den Professor ein, entlockte ihm jedoch nur irres Gelächter. Er hätte schießen können, aber Landwehr war ein Mensch, und solange die Chance bestand, ihn lebend den Behörden zu übergeben, wollte Bernd diese Chance nutzen. Die Keilerei zog sich quer durch den Raum. Funken sprühten, wenn elektronische Geräte zu Boden stürzten und Stromkabel abgerissen wurden. Einige der nachfolgenden Kreaturen kamen mit den Kabeln in Berührung und verschmorten. Schließlich griffen die beiden wächsernen Hünen, die sich bei Bernds Ankunft zurückgehalten hatten, in den Kampf ein. Sie verschafften Landwehr die Chance, sich mit Claudia in einen Nebenraum zurückzuziehen. Eine Seite des Raums wurde von einer Computerwand eingenommen. An einer anderen Wand bemerkte Claudia eine gewaltige, gekachelte Wanne, die mit einer klaren, geruchlosen Flüssigkeit gefüllt war. Dorthin schleppte Professor Landwehr die junge Frau. »Du gehst jetzt baden, mein Kind!« zischte er und lachte irr. »Danach wirst du eine andere sein. Ich wollte dich erst durch eine Operation vorbereiten, aber nun wirst du in deiner menschlichen Form das Endstadium erreichen!« Claudia setzte sich mit aller Kraft zur Wehr, keuchte, biß, kratzte und wurde doch unaufhaltsam auf die Wanne zugeschoben. Bernd wollte die beiden Wachsfiguren mit Silberkugeln erledigen, doch sie umklammerten seine Handgelenke, drehten sie zur Seite. Einer der Hünen entwand ihm die Pistole und warf sie in den Nebenraum, in dem Claudia um ihr Leben kämpfte. Die Pistole schlitterte über den Kachelboden. Bernd faßte sich rasch, riß daß Kruzifix vom Hals und grinste den Hünen an. Als das Wachsgesicht seine Reißzähne entblößte, rammte Bernd das geweihte Kreuz tief in seinen Rachen und stieß auch noch mit dem Dolch zu. Dann eilte Bernd in den Nebenraum. Keine Sekunde zu früh. Claudia würde jeden Augenblick in die Flüssigkeit eintauchen. Bernd blieb keine Wahl. Claudia oder Theodor Landwehr. 20
Der Pater drückte ab, doch was Magazin war leer. Und die zweite Waffe lag vor der Computerwand! Bernd blieb nur ein Mittel. Der Dolch! Die Klinge fuhr Landwehr in die Schulter. Der Professor heulte auf, umklammerte seinen Arm und wich zurück. Bernd konnte Claudia fassen, ehe sie das Übergewicht bekam, und zerrte sie von der Wanne weg. »Du denkst, du hast in mir einen Teufel in Menschengestalt vor dir!« krächzte Landwehr. »Aber es gibt noch jemanden, der viel schlimmer ist! Niemand kann ihn aufhalten, denn er verfügt über Mephistos Macht.« Bernds Augen verengten sich. »Den Namen!« forderte er grimmig. Landwehr lachte grell. »Niemals! Du kommst ihm nicht in die Quere. Du wirst ihn niemals finden!« Landwehr wirbelte herum, rannte zur Computerwand und sah die Pistole. Bückte sich danach. Bernd zog die Bibel aus der Tasche und warf zielsicher. Das Buch traf den Professor an der Schläfe. Bernd rannte nach vorn, nahm die Pistole hoch. Und Landwehr stürzte sich auf ihn. »Du - fährst - mit mir - zur Hölle, Pfaffe! Als Geschenk - für - Mephisto!« Im Verlauf des Zweikampfes lösten sich mehrere Schüsse und trafen die Bildschirme. Funken sprühten. Es knisterte und roch verbrannt. Landwehr gelang es, Bernd mit einem gewaltigen Fausthieb quer durch den Raum taumeln zu lassen. Hastig wandte er sich der Wand zu und tippte auf einer Tastatur. Ein Bildschirm flackerte. Ein Gesicht zeichnete sich darauf ab. Ein häßliches Gesicht. Schmal, vorgeschobenes Kinn, Ziegenbärtchen, Hakennase, eingefallene Augen und eine Nickelbrille. Die Lippen waren zu einem hämischen Grinsen verzogen. »Meister!« brüllte Landwehr. »Nimm mich und mein Geschenk dankbar an!« Landwehr tippte eine bestimmte Buchstabenund Zahlensequenz ein. Bernd sprang vor und warf sich nach vorn, um das Schlimmste zu verhindern. Es war zu spät. 21
Er sah, wie sich das Gesicht auf dem Bildschirm veränderte, und erkannte die dreieckige, gehörnte Fratze des Höllenfürsten, dann explodierte ein Teil der Wand in einer Funkenkaskade. Mit einem Ruck riß Bernd seinen Dolch aus der Schulter des Professors, stieß den Mann von der Wand weg und packte Claudia. »Raus hier, bevor uns der ganze Laden um die Ohren fliegt!« Im Laufen sah Bernd, wie Landwehr gegen die Wanne prallte und in die Flüssigkeit platschte. Sofort kam der Wissenschaftler wieder hoch. Sein markerschütterndes Geschrei war kaum zu ertragen, als sich die ätzende Flüssigkeit in seine Haut fraß. Die Schreckenskreaturen im OP-Saal wurden von Bernds Rückkehr überrumpelt. Der Pater hieb mit dem Dolch auf sie ein und jagte die restlichen Kugeln aus der Pistole. Mit Riesensätzen jagten Bernd und Claudia den Korridor entlang, aber nicht in die Richtung, aus der Bernd gekommen war, sondern entgegengesetzt. »Dort gibt es einen unterirdischen Gang!« erklärte Claudia gehetzt. »Er führt zum Heidegrab!« Hinter ihnen ließ eine gewaltige Detonation den Boden und die Wände erzittern. Eine Feuerwand raste aus der Tür des Operationssaales. Brennende Schreckensgestalten taumelten durch den Gang. Und zwischen ihnen sah Bernd den Professor, der gänzlich von Flammen umhüllt war und die Arme erhoben hatte. Er schrie etwas Unverständliches. Sein Gesicht war eine undefinierbare Masse verätzten Fleisches. Bernd hatte den Eindruck, als würde er ein letztes Mal die Hölle beschwören, dann brach Landwehr zusammen, und Claudia zog ihren Bruder um eine Ecke. Zwei weitere Detonationen erschütterten den Gang. Gesteinsbrocken und Erde prasselten von der Decke. Die Wände brachen zusammen. Der Stollen stürzte ein und verfehlte die Flüchtenden nur knapp. Der Weg führte über loses Geröll und Erdreich nach oben. Doch der Ausgang war durch eine Eisenplatte versperrt. »Sie hat sich automatisch geöffnet«, erklärte Claudia. »Die Steuerzentrale ist zerstört. Es muß noch einen anderen Weg geben.« Bernd ließ ein Feuerzeug aufflammen und entdeckte einen rostigen Eisenring, der halb von lockerer Erde bedeckt war. Er zerrte daran. Knirschend schob sich die Platte auf zwei Schienen zur Seite. 22
Kühle Nachtluft drang zu Bernd und Claudia herunter. Strömender Regen peitschte ihnen entgegen. Und doch gab es im Augenblick kein schöneres Gefühl, als wieder frei zu sein. * Ich lag am Ufer des Baggersees, genoß die Ruhe, die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne und vor allem den Anblick der hübschen Mädchen. So war das Leben lebenswert. An sich hatte ich vorgehabt, mich mit einer Idee zu einer Reportage in der Redaktion der Weimarer Rundschau blicken zu lassen, aber angesichts des herrlichen Frühlingswetters war es bei meinen guten Vorsätzen geblieben. Mein schlechtes Gewissen regte sich, wenn ich an meine Freundin Tessa dachte, die sich bei diesem Wetter in ihre Motorradkluft zwängen und mit diversen bösen Buben herumschlagen würde. Aber sie war selbst schuld. Warum mußte sie auch ausgerechnet als Fahnderin bei der Weimarer Kripo arbeiten? Als freier Reporter und freischaffender Dämonenjäger war ich nicht an feste Arbeitszeiten gebunden. Trotzdem, die letzten Wochen waren ziemlich aufregend gewesen. Vor meinen Auseinandersetzungen mit dem Golem (MH 49) hatte ich mit ansehen müssen, wie Susanne Langenbach, die Frau meines Freundes Pit, im fränkischen Schweinfurt von einer Eisernen Jungfrau geköpft worden war (MH 48). Davor hatte es mich in das Feldlager des Hunnenkönigs Attila und dort in das Bett seiner besten Kriegerin verschlagen (MH 47). Ich hatte mir meine Bestimmung als Dämonenjäger nicht ausgesucht. Seit mir Mephisto während der Schreckenstage von Weimar begegnet war, hatte sich mein Leben völlig verändert. Damals hatte ich erfahren, daß ich als Träger des Rings auserwählt war, dem Bösen entgegenzutreten. Ein exotisches Parfüm riß mich aus meinen Gedanken. Neben mir raschelte es. Ich öffnete die Augen. Ich hätte es nicht tun sollen! Sie hatte eine Wolldecke neben mir ausgebreitet, warf bewundernde Blicke über meinen Körper und ließ sie knapp
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unterhalb meines Bauchnabels verweilen. Ihre schmalen Hände nestelten an den Knöpfen eines dunkelblauen Baumwollkleides. Leute, was ich dann zu sehen bekam, ließ mich jeden Gedanken an den Nibelungenschatz vergessen! Unter dem Kleid trug sie nur den Hauch des Duftwässerchens, der meine Sinne umnebelte. Ihr blondes Haar rahmte das runde Gesicht ein und fiel in langen Strähnen auf ihren Rücken. Die strahlend blauen Augen und die fein geschwungenen Lippen ließen die Blondine wie einen Engel erscheinen. Meine Blicke wanderten über ihr Kinn und den zarten Hals tiefer. Ich vergaß zu atmen! Sie schien meine Blicke nicht bemerkt zu haben, aber in mir arbeitete es. Hastig schloß ich die Augen und versuchte an etwas anderes zu denken, um mich nicht abkühlenderweise in die kalten Fluten des Sees stürzen zu müssen. »Sie haben doch nichts dagegen, daß ich mich neben Sie lege?« Selten hatte ich eine sinnlichere Stimme vernommen. Ich preßte die Lippen zusammen. Ich brauch einen Retter in der Not! dachte ich flehentlich. Sonst kriege ich entweder einen Herzstillstand vom Luftanhalten, oder ich muß mit Unterkühlung aus dem See gefischt werden. »Sie können ruhig einen Blick riskieren«, flötete sie. »Ich beiße nicht.« »Mmmmhmmm!« brachte ich mühsam zwischen den zusammengepreßten Lippen heraus. »Ich heiße Jana. Und Sie?« »Mmahügg!« »Komischer Name für einen so gut gebauten Mann.« »Mmmmühüh…!« Ein verzweifelter Hilferuf, den sie nicht verstand. Wenn sie doch endlich die Klappe halten würde! Sie kramte in ihrer Tasche herum. »Sie könnten etwas Sonnenmilch vertragen. Hier zum Beispiel«, hörte ich sie sagen und krümmte mich im nächsten Augenblick zusammen, als ihre flache Hand auf meinen Bauch klatschte. Mit meiner Beherrschung war es vorbei, als sie mich einrieb. »Hören Sie auf. Bitte!« zischte ich heiser. »Sie können ja reden!« freute sie sich. »Also, noch mal von vorn. Ich bin Jana.« »Ma-Ma-Mark.« 24
»Nett, Sie kennenzulernen.« Ihre Hand machte weiter, und mein Blutdruck kletterte in den roten Bereich. »Tun Sie mir einen Gefallen?« flehte ich leise. Sie schüttelte den Kopf, daß die Brüste wippten. »Jetzt bin ich an der Reihe, mein Lieber. Also, komm hoch und tu deine Pflicht!« Ich schluckte, obwohl ich mich wie ein Verdurstender in der Sahara fühlte. Sie reichte mir die Sonnenmilch und setzte sich im Schneidersitz vor mich hin, mit dem Rücken zu mir. »Mach schon. Oder willst du, daß ich einen Sonnenbrand kriege?« Was blieb mir anderes übrig, Freunde? Ich tat, was von mir verlangt wurde. Sie legte den Kopf zurück, stützte die Hände auf ihre Schenkel und atmete tief ein. Wohlig stöhnte sie, als meine Finger über ihre Schultern und den Rücken glitten. »Ja, so liebe ich es.« Ich hatte ihre Hüften erreicht und wollte meine Finger wieder nach oben gleiten lassen, als sie zupackte und meine Hände direkt auf ihren Busen legte! »Gefällt dir das?« fragte sie leise. Ich verlor beinahe den Verstand. Bei meinem »Glück« läufst du heute bestimmt noch Tessa über den Weg. Und dann gnade mir Gott! ging es mir durch den Kopf. Die Eifersuchtsanfälle meiner Freundin waren berüchtigt. Außerdem hatte ich Tessa versprochen, treu zu sein, und meist klappte es ja auch. Es kostete mich jedes Quentchen Kraft, um den Blick von dem blonden Wesen zu lösen. Ich schaute fast hilflos über den See, dessen Wasser im Sonnenlicht blaugrün glitzerte. Und dann bemerkte ich die Fremde. Sie saß am linken Seeufer und stierte mich unverwandt an. Zunächst maß ich ihren Blicken keinerlei Bedeutung bei, doch wie unter Zwang mußte ich sie wieder anschauen. Sie war jung, höchstens zwanzig. Wie fast alle Badegäste auf dieser Seite des Sees war sie nackt. Aber etwas störte mich an ihr. Die junge Frau war leichenblaß, wirkte müde und ungepflegt. Mir schien, als wollte sie mich mit ihren Blicken durchbohren, mir ihre Gedanken ins Hirn brennen. Trotz der Wärme und der erregenden Streicheleinheiten meiner blonden Heimsuchung
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liefen mir eiskalte Schauer über den Rücken. Hastig löste ich mich aus Janas Griff und wälzte mich auf den Bauch. »Was hast du denn?« fragte sie besorgt und beugte sich über mich. »Ist dir nicht gut?« Diese Frau war ein Teufel in Engelsgestalt. »Bitte, leg dich auf deine Decke, sonst kriegen wir beide ein Problem«, sagte ich. Dabei schaute ich über die Schulter zu dem blassen Mädchen, dessen Blick mir durch und durch gegangen war. Sie war plötzlich verschwunden! Eine Sinnestäuschung? Schon hatte ich befürchtet, einen meiner Träume gehabt zu haben, die mich von Zeit zu Zeit überfielen und dann häufig bevorstehende Aktionen der Hölle ankündigten. »Ich glaube, der einzige, der Probleme hat, bist du. Aber so schlimm kann mein Anblick doch nicht sein, oder?« riß mich Jana in die Wirklichkeit zurück. Sie legte sich so hin, daß ich ihre gesamte Frontansicht im Blickfeld hatte. »Einen tollen Ring hast du da«, schnitt sie dann ein anderes Thema an. »Darf ich mir den mal ansehen?« Ich streckte ihr die rechte Hand hin. Der Siegelring mit dem stilisierten Drachen und den Initialen M und N schien sie zu faszinieren. Nach diesem Kleinod hatte ich meine Vornamen erhalten, doch inzwischen wußte ich, daß der Ring vom großen Seher des Mittelalters, Nostradamus, persönlich geschmiedet worden war. Es waren auch seine Initialen, die auf der Siegelfläche des Rings zu erkennen waren. Michel de Notre Dame. Jana war begeistert. »Wo kriegt man so was zu kaufen? Ist ja geiler als jedes Piercing!« erklärte sie. Ich lächelte säuerlich. »Ein Familienerbstück. Unverkäuflich.« Sie schaute auf meine linke Brust und entdeckte das siebenzackige Mal von der Größe eines Fünf mar kstücks. Für mich war es ein Hexenmal, seine Herkunft und seine Funktion unklar. »Uii, was 'n das?« entfuhr es Jana. Sie piekte mich mit ihrem Zeigefinger. Der spitze Nagel bohrte sich in meine Haut, aber ich spürte nichts. Das Hexenmal war schmerzunempfindlich. »Ein geiles Tattoo, echt!« »Was machst du denn so? Abends, meine ich?« Die Kleine ging ganz schön ran. »Schlafen, wie jeder anständige Mann.« »Allein?« 26
»Manchmal.« Sie konnte ihre Hand einfach nicht zurückhalten. »Wenn du wieder mal allein in deinem Bett liegst, hättest du dann was dagegen, wenn ich dich besuche?« hauchte sie. »Ich - puh - das ist so, ich weiß nicht, denn…« Ich fragte mich, ob ich in ihrer Nähe jemals einen vernünftigen Satz herausbekommen würde. Ich hörte die Rufmelodie meines Handys und meldete mich. Es war Max Unruh, der mich aus den Händen der blonden Fee befreit hatte. Nie hatte ich seine Reibeisenstimme lieber gehört. »Bist du gerade beschäftigt?« fragte er. »Nee, eigentlich nicht.« Dafür war sie es. Ich spürte ihre Brüste an meinem Rücken und ihre zarten Finger an meinem Kinn. »Ich hab da was für dich. Was ganz Besonderes. Es ist nicht nur eine Story und ein sattes Honorar für dich drin, sondern vielleicht sogar was von deinem übersinnlichen Humbug. Also, schieb die Kleine runter von dir und Abmarsch.« »Allzeit bereit, Chef. Bin schon unterwegs!« rief ich und stand auf. »Oooch!« machte Jana enttäuscht. »Wo es gerade erst losgeht.« Ich schaute an mir hinunter. Tja, Freunde, recht hatte sie, aber das Leben ist hart. So rasch es halt in meinem »Zustand« ging, fuhr ich in meine Jeans, streifte das T-Shirt über und schlüpfte in die Schuhe. »Was ist nun? Darf ich mal kommen?« Ich zwinkerte ihr zu. »Du kannst kommen, wann und wo du willst, mein Engel.« »Wie meinst du denn das?« Ich küßte sie zum Abschied auf die Nasenspitze. Ohne Unruhs Anruf hätte ich mich sicherlich nicht mehr aus den Krallen dieser Schönheit befreien können. Und wie ich mich kenne, hätte ich es wohl auch nicht allzu ernsthaft versucht. »Und wo wohnst du?« rief sie mir nach. Ich drehte mich um, sah sie in ihrer ganzen Schönheit auf ihrer Decke stehen und winkte ihr stumm zu. Mit raschen Schritten ging ich an den nackten Sonnenanbetern vorbei und gelangte dorthin, wo das bleiche Mädchen lag. »Kann ich irgendwas für Sie tun?« fragte ich. 27
Sie drehte sich um und musterte mich über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg. »Ein strammer Bursche wie du immer«, antwortete sie. »Leg dich schon zu mir. Dann sehen wir weiter.« »Äh, vielleicht ein andermal. Viel Spaß noch!« »Wenn du schwul bist, wieso baggerst du dann Frauen an?« fauchte sie. »Geh mir aus der Sonne!« Aus den Redaktionsräumen der Rundschau schlug mir wohltemperierte Luft entgegen und ließ mich die Frühlingshitze vergessen. Max Unruhs Sekretärin war heute besonders vorteilhaft gekleidet. Ich nickte anerkennend. »Da sind Sie ja endlich!« begrüßte mich die honigblonde Grazie. »Der Chef schmilzt schon dahin wie ein Zitroneneis in der Sonne. Und er ist auch genauso sauer.« »Wäre ich auch, wenn ich den ganzen Tag einen derartig grandiosen Anblick ertragen müßte und mir jeder Zugriff verwehrt wäre«, meinte ich grinsend. Das Honigtöpfchen beugte sich weit über den Schreibtisch und gewährte mir tiefe Einblicke. Irgendwie ist hier 'ne Massenhysterie ausgebrochen. Jede Frau, der ich über den Weg laufe, will mich verführen. »Nicht wegen mir, Sie Schlimmer! Wegen Ihnen ist der Chef so aufgebracht, Mark! Sie haben sich aber auch jede Menge Zeit gelassen.« »Das sollten Sie auch tun, meine Schöne«, meinte ich, warf einen letzten Bück auf ihr Dekollete und trollte mich in das Allerheiligste. »Da bist du ja endlich! Hast dich wohl von dem Anblick da draußen nicht losreißen können, was?« brummte Unruh zur Begrüßung. Wie gewohnt, saß er hinter seinem mit Schriftstücken überladenen Schreibtisch. »Und ich dachte, Sie hätten kein Auge für so was, Chef.« Er blinzelte mich an. »Bin ich blind? Diese verdammte Hitze bringt die Weiber auf die verrücktesten Ideen.« »Und uns Männer auf dumme Gedanken«, ergänzte ich. »Dazu brauchst du keine sommerlichen Temperaturen. Daß Tessa dich erträgt, begreife ich sowieso nicht.« »Wenn ich was über mein Liebesleben schreiben soll, lege ich mich lieber wieder an den Baggersee.«
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»So siehst du aus!« deklamierte Unruh. »Wir schuften, daß uns die Soße in die Augen tropft, und Herr Hellmann turtelt mit den Badenixen.« »Die Hölle hat wohl ein Einsehen mit mir, sie gönnt mir Urlaub.« »Vielleicht ist es auch nur die Ruhe vor dem Sturm. Schmeiß das Zeug da vom Stuhl und setz dich!« Er deutete auf einen Besuchersessel, der mit Zeitungen, Illustrierten und Computerausdrucken beladen war. Ich tat, wie mir geheißen und harrte der Dinge, die mich erwarteten. »Schon mal was von einem Professor Herbert Liebeneiner gehört?« fragte der Chefredakteur. Ich schüttelte stumm den Kopf. »Sollte ich den Typ kennen?« »Hat in letzter Zeit öfter von sich reden gemacht. Ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Genforschung.« »Sie meinen, ihm haben wir das Gen-Futter zu 'verdanken'?« »Ihm nicht. Er bringt die neuesten Erkenntnisse nur in für uns verständlicher Sprache an die Öffentlichkeit. Das Vermurksen der Lebensmittel überläßt er seinen Kollegen.« »Und was geht mich dieser DNA-Fritze an?« »Liebeneiner scheint Hinweise dafür zu besitzen, daß einer seiner Kollegen mit menschlicher DNA experimentiert.« »Hat er schon die Polizei eingeschaltet?« »Nein.« »Soll ich den beiden auf den Zahn fühlen?« »Es geht darum, daß in den vergangenen Monaten verschiedentlich Menschen an der Ostsee verschwunden sind. Liebeneiner meint, daß es sich dabei nicht um Zufälle oder Unglücksfälle handelt, sondern daß man die Vermißten für wissenschaftliche Experimente mißbraucht hat.« Unruhs Worte riefen unschöne Erinnerungen in mir wach. Im vergangenen Herbst hatte ich es mit dem verrückten Wissenschaftler Aron Zacharias zu tun bekommen, der mich zusammen mit anderen Leidensgenossen auf Zentimetergröße geschrumpft hatte (Siehe MH 29!). Trotzdem meldete ich Zweifel an. »Ich bitte Sie, Chef, der Zusammenhang scheint arg konstruiert. Vielleicht sind die 'Verschwundenen' nur in Urlaub oder ausgewandert.« Es dauerte lange, bis Max antwortete. »Anfangs habe ich auch so gedacht, Mark. Seit gestern abend aber nicht mehr. Da ist nämlich Liebeneiners Nichte verschwunden.« 29
Ich schluckte. Plötzlich war der Fall interessant geworden. Es war verständlich, daß sich der Prof. Sorgen machte. Und nachdem er einen gewissen Verdacht hegte, mußte er nun ganz besonders besorgt sein. »Rede mit Liebeneiner, Mark. Er wird dir alles ausführlich erzählen.« »Sie sagten am Telefon, daß eventuell der Teufel seine Finger im Spiel haben könnte«, erinnerte ich ihn. Unruh nickte. »Das klingt zwar mindestens genauso unwahrscheinlich wie die Geschichte mit den Menschenversuchen, aber Liebeneiner will in Erfahrung gebracht haben, daß einer seiner Kollegen bei seinen Experimenten auf die Hilfe der Hölle baut.« Ich erhob mich. »Na, dann nehme ich den Onkel Doktor mal unter die Lupe. Das gibt 'ne Bombenstory, hoffentlich auch ein Bombenhonorar!« »Wir reden drüber.« Ich verabschiedete mich, strich der Honigblonden mit dem Zeigefinger über die Wange und hauchte ihr einen Kuß neben die tiefrot geschminkten Lippen. »Der mag sie. Und so, wie Sie heute aussehen, kriegen Sie eine Gehaltserhöhung locker durch.« Sie riß die Augen auf. »Meinen Sie?« Ich nickte beim Hinausgehen. * Professor Liebeneiner lebte eigentlich in Berlin, wo er auch seine Forschungen betrieb, aber er kam, so oft es seine Zeit erlaubte, nach Weimar, um die Familie seines Bruders Walter zu besuchen und auszuspannen. Die Liebeneiners wohnten in einer Villa im Stadtteil Legefeld, in einer ruhigen Gegend in der Nähe der Parkallee. Man hatte den Eindruck, einen Park zu durchqueren, wenn man sich von der Einfahrt her dem dreistöckigen Haus näherte. Ich lenkte meinen stahlblauen Alt-BMW über die holprige Zufahrt und ein kiesbestreutes Rondell, in dessen Mitte sich ein gewaltiges Rhododendrongebüsch befand, direkt vor dem wuchtigen Portal. Die drei breiten Stufen vor dem säulenbegrenzten Eingang nahm ich mit einem Sprung und 30
suchte dann vergeblich nach einer Klingel, aber es gab nur einen schmiedeeisernen Klopfer. Ein streng dreinblickendes Hausmädchen öffnete und führte mich zu einem gemütlichen Lesezimmer im ersten Stock, wo mich der Professor, ein stämmiger Mittfünfziger, empfing. Ein kantiger Schädel ruhte auf breiten Schultern. Die Schädeldecke war kahl. Ein schlohweißer Haarkranz zog sich dicht über den Ohren um den Kopf. Professor Herbert Liebeneiner hatte klare, grüne Augen, einen gewaltigen Zinken im Gesicht und schmale Lippen, die sich zu einem freundlichen Lächeln verzogen. »Sie kommen von der Zeitung?« fragte er mit sonorer Stimme und streckte mir die Hand entgegen. »Ist Herr Unruh also doch von meiner Geschichte überzeugt?« »Sägen wir so, es besteht die Möglichkeit, daß sich eine interessante Story ergeben könnte.« Er bot mir Platz und einen Cognac an, den ich gerne akzeptierte. Liebeneiner setzte sich in einen wuchtigen Ohrensessel. Er legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander, formte eine Pyramide und betrachtete sie eingehend. So, als könne er darin die Lösung seines Problems entdecken. Seine Lippen spitzten sich. »Normalerweise hätte mein Bruder Walter mit Ihnen sprechen müssen, aber er ist der Situation nicht gewachsen. Es geht nämlich um seine Tochter Stefanie. Walter widmet sich ganz der Philosophie. Er kann einfach nicht begreifen, daß das Böse im Menschen auch über seine geliebte Tochter gekommen ist.« »Das - Böse?« hakte ich vorsichtig nach. Liebeneiner nickte. »Ich fürchte, daß Stefanie das Opfer eines Verbrechens wurde.« »Max Unruh erzählte mir, daß Sie sich noch nicht an die Polizei gewandt haben.« »Das ist richtig. Ich habe nur Vermutungen und kann sie nicht beweisen. Sie kennen die Behörden, Herr Hellmann. Man würde mich vermutlich als Spinner hinstellen, der mit seinen Spinnereien hart arbeitenden Beamten die Zeit stiehlt.« »Möglich.« Ich stellte den Cognacschwenker ab. »Es gibt auch fähige Beamten…« Ich dachte dabei an meinen Freund und Kampfgefährten Pit Langenbach, der als Hauptkommissar bei der Weimarer Kripo tätig war. Tessa war ihm direkt unterstellt. 31
»Ohne jeden Zweifel. Aber bevor ich die Behörden einschalte, wäre es mir lieber, wenn Sie zunächst auf eigene Faust recherchieren würden.« »Wie Sie wünschen. Dann lassen Sie mal Ihre Geschichte hören.« Liebeneiner zog ein Foto aus der Brieftasche und reichte es mir. Es zeigte das Gesicht einer lächelnden jungen Frau. Sie hatte das brünette Haar in der Mitte gescheitelt. Sommersprossen sprenkelten die Haut um die kleine Nase. »Das ist meine Nichte Stefanie«, erklärte der Professor. »Vor sechs Wochen feierten wir ihren achtzehnten Geburtstag. Mein Geschenk war eine Reise an die Ostsee. Das heißt, sie wollte in Begleitung einer Freundin mit dem Rad an der Ostsee entlangfahren. Reisespesen und Übernachtungskosten wollte ich übernehmen.« »Was bringt Sie auf den Gedanken, daß Ihrer Nichte etwas zugestoßen sein könnte?« »Wir hatten vereinbart, daß sich Stefanie jeden abend telefonisch meldet. Seit zwei Tagen haben wir nichts mehr von ihr gehört, aber das ist nicht der Hauptgrund für meine Sorge. Ich bin mir darüber im klaren, daß Stefanie ganz einfach vergessen haben kann, anzurufen, aber da gibt es einen Umstand, der mir Anlaß zur Sorge bereitet.« Ich wartete gespannt. »Vor einigen Tagen ereignete sich in der Lüneburger Heide ein Unglücksfall. Ein Bauernhof im Moor wurde durch ein Großfeuer völlig zerstört. Das Seltsame daran ist, daß sich das Unglück während eines heftigen Gewittersturms ereignete. Als die Feuerwehr eintraf, fand man nur noch verkohlte Überreste von, sagen wir, menschlichen Wesen.« »Und was hat das mit Stefanies Verschwinden zu tun?« »Ich hätte den Vorfall nicht erwähnt, wenn ich nicht erfahren hätte, daß der Bauernhof von einem meiner Kollegen bewohnt wurde. Professor Theodor Landwehr. Er kam bei dem Feuer vermutlich um.« Der Genspezialist legte eine Kunstpause ein. »Landwehr war kein angesehenes Mitglied unserer Zunft. Er experimentierte mit Menschen. Ein moderner Frankenstein, wenn Sie so wollen. Natürlich fehlten die Beweise, aber es war ein offenes Geheimnis. Mir war klar, daß Landwehr eines Tages durch seine Besessenheit, eine Art Übermenschen zu schaffen, den 32
Verstand verlieren würde. Als er dann auch noch zum Teufelsdiener wurde und die Gunst der Hölle für seine Forschungen beschwor, ging man offen gegen ihn vor. Landwehr tauchte von einem Tag zum andern unter. Erst als ich nach dem Brand erfuhr, daß er den Bauernhof gekauft hatte, wurde mir einiges klar. Er nutzte den abgeschiedenen Ort, um seine Experimente durchzuführen. Und jetzt wundert es mich auch nicht, daß sich gerade dort in den vergangenen Monaten die Vermißtenfälle häuften.« »Glauben Sie, daß Ihre Nichte ein Opfer des irren Professors wurde?« Liebeneiner schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich befürchte, daß sie einem Kollegen von Landwehr begegnet sein könnte. Er operiert irgendwo an der Ostsee.« »Noch ein irrer Wissenschaftler?« »Ein Mann, der sein Leben ganz und gar in den Dienst seiner Forschungen gestellt hat. Sein Name ist Diethard Westphal. Vor Jahren arbeiteten wir in einer Abteilung zusammen an diversen Regierungsprojekten. Seine Ansichten über die Möglichkeiten der Genforschung und vor allem der Genmanipulation wichen sehr von meinen ab. Westphal stand bald allein mit seinen Behauptungen und zog es vor, aus den Projekten auszusteigen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.« »Was bringt Sie zu der Annahme, daß Westphal für Stefanies Verschwinden verantwortlich sein könnte?« »Westphal und Landwehr waren befreundet. Als sich Westphal aus der Forschung zurückzog, brach für Theo Landwehr eine Welt zusammen. Für ihn war Westphal ein Idol, ein Vorbild, dem er nacheiferte. Und doch hatte Theo nicht das Zeug, Westphals Genialität zu erreichen. Ich sehe einen gewissen Zusammenhang zwischen den Vermißtenfällen in der Heide und Stefanies Verschwinden an der Ostsee. Westphal stammte aus der Flensburger Gegend. Es ist doch denkbar, daß auch er - ebenso wie Landwehr - seine Versuche im Geheimen fortsetzte.« »Nun, ich weiß, daß es einige schwarze Schafe unter Ihren Kollegen gibt, die liebend gerne mit menschlichen Versuchsobjekten arbeiten würden und dies auch tun, Professor. Aber soweit mir bekannt ist, wurden Menschen noch nie für Genmanipulationen mißbraucht. Das klingt wie aus einem SFRoman.« Ich nahm einen kräftigen Schluck. 33
»Wir leben an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, junger Mann!« erwiderte Liebeneiner ernst. »Alles ist denkbar. Der Wissenschaft eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. Westphal war von seinen Ideen überzeugt und besessen genug, sie zu verwirklichen.« Ich erhob mich und trat ans Fenster. Unter mir erblickte ich die weite Fläche eines englischen Rasens, vereinzelte Bäume, Rosensträucher, Blumenbeete und einen Springbrunnen. Ich dachte über Liebeneiners Vermutung nach. Eigentlich fiel die Möglichkeit, daß Stefanie für Genversuche benutzt wurde, nicht in mein Ressort als Dämonenjäger. Wenn sich aber Theo Landwehr Mephistos Gunst versichert hatte, warum nicht auch Professor Westphal? Während ich überlegte, ob an der Geschichte was dran sein konnte, fiel mir eine Bewegung im Garten auf. Hinten, bei den Bäumen. Ich suchte die Baumreihe mit den Augen ab, glaubte schon, mich getäuscht zu haben. Da war es wieder! Eine schmächtige Gestalt in hellen, einfachen Kleidern. Ich schaute genauer hin und erkannte einen Jungen von vielleicht zwölf Jahren. Er war unnatürlich bleich. Sein Gesicht war verschmutzt. Das blonde Haar hing wirr vom Kopf. Er trug ein Hemd aus grobem Sackleinen und eine schmutzige Leinenhose. Die zerrissenen Hosenbeine reichten gerade bis über die Knie. Der Junge war barfuß. Er hüpfte zwischen den Bäumen hervor, warf einen aus Lederflicken zusammengenähten, unförmigen Ball vor sich her. Mal kickte er das Lederei, mal warf er es hoch, um es im Sprung wieder aufzufangen. »Kennen Sie den Jungen dort draußen, Professor?« fragte ich. »Wie? Welchen Jungen?« Liebeneiner kam an meine Seite. »Ich sehe keinen Jungen, Herr Hellmann. Tut mir leid.« »Dort unten, beim Brunnen. Er spielt Ball!« beharrte ich. Liebeneiner warf mir einen seltsamen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Ich bedaure«, sagte er leise. »Dort ist niemand!« Das Mädchen vom See! Schlagartig erinnerte ich mich an die bleiche Schöne, die mich angestarrt hatte. Ich beobachtete den Jungen, wie er ausholte und den Ball in die Richtung meines Fensters warf, als wolle er die Scheibe treffen.
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Ich stürmte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und riß die Terrassentür auf. Und stand dem bleichen Jungen gegenüber. Wehmut lag in seinen dunklen Augen. Er sagte nichts, sondern hob den Ball und warf ihn nach mir. Ich duckte mich instinktiv. Der Ball krachte gegen die Scheibe im linken Flügel der Terrassentür. Ich erwartete, von Glasscherben überschüttet zu werden, doch das Klirren blieb aus. Der Ball hatte die Scheibe durchdrungen und war verschwunden! Der Junge hob abwehrend die Arme vor das Gesicht. Er schrie, doch nichts war zu hören. »He! Ich muß mit dir reden!« rief ich und näherte mich dem Jungen. Faßte ihn an der Schulter. Und griff durch ihn hindurch! Ich hatte eine Waschechte Geistererscheinung vor mir, und doch hatte sich mein Ring nicht erwärmt oder zu strahlen begonnen. Wieso zeigte er die Gegenwart dieses Geisterkindes nicht an? Bevor ich mir weiter Gedanken darüber machen konnte, löste sich der Junge auf. Dafür flimmerte beim Springbrunnen die Luft und verdichtete sich zu einer Gestalt. Es war das Mädchen vom Baggersee! Splitternackt und zitternd stand sie neben dem Becken, schöpfte Wasser und ließ es über ihr Gesicht strömen. Ich erkannte Spuren von Lehm und Erde auf ihrem Körper. »Wer bist du?« fragte ich leise und ging zu ihr. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich Trauer. »Du mußt das Böse aufhalten, Träger des Rings. Dir kann es gelingen.« Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Wovon sprichst du? Ist es Mephisto oder ein anderer Dämon?« »Das Böse ist stark. Übermächtig. Aber du stehst nicht allein, Mark Hellmann!« »Wie und wo schlägt das Böse zu?« hakte ich nach. »Du mußt deutlicher werden.« Der Anflug eines bedauernden Lächelns huschte über ihr Gesicht. »Du bist der Träger des Rings. Dir kann es gelingen. Das Leid, das mich und den Jungen traf, ist nichts im Vergleich zu dem, was deinen Brüdern und Schwestern droht!« Sie hob die Hand zum Gruß. Ihre Gestalt wurde durchscheinend. »Die Zeit drängt, Mark! Spute dich, ehe das Böse siegt!« 35
»Warte! Ich weiß noch nicht genug!« rief ich und sprang vor, um sie aufzuhalten. Obwohl mir bewußt war, daß ich sie nicht packen konnte. »Sei auf der Hut, Mark Hellmann! Hüte dich - vor - Peter Pommering…!« Weg war sie. Geknickt kehrte ich in die Villa zurück. Der Professor schaute mich erwartungsvoll an, doch ich schwieg. Statt dessen ging ich zum Telefon und wählte die Nummer meiner Eltern. Wenn mir jetzt jemand weiterhelfen konnte, dann mein Vater. Er gehörte zu einer weltweiten Vereinigung von Parapsychologen und Okkultisten, die sich Liga nannte und sich dem Kampf gegen das Böse verschworen hatte. Inzwischen gehörte auch ich als Träger des Rings diesem Bund an. »Na, Mark, wo drückt diesmal der Schuh? Zum Spaß wirst du mich ja wohl nicht angerufen haben.« »Ich habe nicht viel. Nur einen Namen. Peter Pommering, wenn ich ihn recht verstanden habe. Es muß etwas über ihn rauszufinden sein; ich hatte gerade eine Begegnung mit zwei Geistern. Einer davon hat mich vor diesem Pommering gewarnt. Und Geister lügen nicht. - In meinen Akten steht nichts über ihn.« »Woher willst du wissen, daß die nicht lügen? Mefir lügt doch auch. Wie kann ich dich erreichen?« »Über Handy. Wenn du anrufst, bin ich wahrscheinlich irgendwo zwischen hier und Flensburg.« Ich fuhr in meine Wohnung im Weimarer Westen, packte Ersatzkleidung zusammen, steckte die SIG Sauer und genügend Munition ein und beschloß, noch rasch bei Tessa vorbeizufahren. Vielleicht hatte sie frei und wollte mitfahren. Auf den Einsatzkoffer verzichtete ich diesmal. Einen verrückten Professor konnte ich nicht mit Weihwasser bekämpfen. Sie hatte frei und wollte mit… * Das Labor war nicht beleuchtet. Die Maschinen, Computer und Labortische mit Reagenzgläsern und Glaskolben zeichneten sich 36
schwach in der Dunkelheit ab. Hin und wieder tauchte ein Blitz, der über der sturmgepeitschten See aufzuckte, das Labor in bläuliches Licht. Die einsame Gestalt stand am Fenster des gewaltigen Kuppelbaus und starrte in die Nacht hinaus. Der Sturm, der sich draußen über dem Meer austobte, schien den Mann zu faszinieren. Im Dunkeln hinter der Gestalt flimmerte die Luft. Die Umrisse einer zweiten Person wurden sichtbar. Eines Mannes, der in altertümliche, grüne Jägertracht gekleidet war. Das Licht eines Blitzes erhellte für Sekundenbruchteile das schmale Gesicht mit dem Spitzbärtchen und den grünen Hut mit der Fasanenfeder. »Deine Zeit wird kommen«, hauchte der hagere Jäger. »Dann wirst du die Kraft des Meeres und des Sturmes spüren, wirst frei sein. Für immer frei!« Er trat vor. »Aber du wirst auch über diese Kraft gebieten. Deine Macht wird ohne Grenzen sein!« Der Einsame am Fenster drehte sich halb um. Im zuckenden Blitzlicht konnte man die leuchtend roten Haare des Mannes erkennen, die straff nach hinten verliefen. Er war noch nicht alt - vielleicht Ende Dreißig. Ein mit blauem Samt ausgekleidetes Gewand verhüllte den schlanken Körper. Der braune Stoff war mit unzähligen kabbalistischen Ornamenten bestickt. Der Jäger trat noch einen Schritt vor und bemerkte jetzt erst das Kabel, das hinter dem rechten Ohr des Fensterguckers begann und über den mit verschiedenartigen Schriftstücken bedeckten Boden zu einer eigentümlichen Apparatur verlief, die in eine Art gelb-weiße Aura gehüllt und deshalb nur schwer zu erkennen war. Der Mann am Fenster blieb stumm und starrte zu einer zweiten Kuppel, die sich nicht weit entfernt aus dem Meer erhob. »Du könntest mich wenigstens begrüßen, wie es deinem Meister gebührt«, beschwerte sich der Jäger. »Schließlich wärst du nichts ohne mich.« »Was ich bezweifle«, entgegnete eine heisere Fistelstimme. Der Jäger stutzte. Ein wütender Ausdruck glitt über sein Gesicht. Mephisto, um keinen anderen handelte es sich bei dem Jägersmann, haßte Überraschungen. Um so mehr, wenn sie von einem elenden Menschenwesen kamen. Das erinnerte ihn dann
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immer an seinen Todfeind Mark Hellmann, der sich anmaßte, ihm, dem mächtigsten aller Dämonen, zu trotzen. Der Höllenfürst wirbelte herum. In der Bewegung wandelte sich sein Aussehen. Die grüne Jägertracht war wie weggeblasen und wurde durch einen dunkelblauen, mit goldenen Ornamenten bestickten Samtmantel ersetzt. Mephistos Gesicht war breiter geworden. Seine Nasenflügel bebten vor Zorn. Ein dichter Vollbart zierte sein Kinn. Der Spitzhut eines Magiers saß auf seinem Kopf. »Du wagst es, meine Macht in Frage zu stellen, Wurm?« donnerte er. Gelbe Blitze schossen aus seinen Schlitzaugen. »Das habe ich nicht gesagt«, entgegnete der Mann mit der Fistelstimme. Er saß hinter einem gewaltigen Schreibtisch im dunkelsten Winkel des Raums. Der Tisch war mit Dokumenten überhäuft. Auch auf dem Boden davor waren Schriftstücke verstreut worden. »Ich warne dich, Wurm. Hüte deine Zunge! Du weißt, daß du nur durch meine Gunst deine Forschungen betreiben kannst. Ich habe einen Teil meiner unendlichen Macht auf dich übertragen, Mensch, damit du eines Tages die ganze Welt beherrschen kannst! Aber wenn du weiter solche großen Töne spuckst, kann ich dir die Macht auch gleich wieder entziehen!« »Gemach, alter Freund, gemach! Wir sind so weit gekommen, da wollen wir doch jetzt keine Fehler machen, oder?« »Nenne mich nicht alter Freund! Meine Freunde suche ich mir selbst aus, und du gehörst bestimmt nicht dazu!« »Da wirst du aber lange suchen müssen. Wer, außer mir, will schon gern den Teufel zum Freund haben?« Die Fistelstimme festigte sich. Es war, als würde jemand anders zu Mephisto sprechen. Mephisto rieb sich seine haarigen Klauen. »O, es gibt mehr von deiner Sorte, als du glaubst. Aber lassen wir das Geplänkel. Was hast du erreicht?« Der Mann trat hinter dem Schreibtisch hervor. Er war groß, extrem hager. Wirr standen ihm die weißen Haare vom Kopf. Das Gesicht erinnerte in seiner spitz zulaufenden Form und mit dem Ziegenbärtchen entfernt an Mephistos Teufelsfratze. Tiefe Furchen durchzogen die Gesichtshaut. Auf einer langen Nase schaukelte eine Brille mit dicken, runden Gläsern, hinter denen die stechenden Augen vergrößert wirkten. Die schmalen Lippen teilten sich zu einem breiten Grinsen. 38
»Schau ihn dir an, Mephisto!« sagte Professor Diethard Westphal und deutete zu der stummen Gestalt am Fenster. »Das ist mein Prototyp.« Mephisto hob eine buschige Augenbraue. »Komisch. Wie soll er eigenständig leben, wenn er an dieses - Ding angeschlossen ist?« Westphal nickte zuversichtlich. »Er wird leben. Verlaß dich drauf. Er ist erst der Anfang. Bald werden Dutzende wie er auf die Menschheit losgelassen! Und sie werden unsere Machtstellung fundamentieren!« »Du meinst natürlich meine Macht, Menschlein!« zischelte Mephisto. Eine gespaltene Zunge sauste aus seinem Mund und leckte über die Lippen, um sogleich wieder zu verschwinden. »Meinetwegen. Wichtig ist, daß dieser Mensch die Intelligenz und die Kraft besitzt, alle seine vorgegebenen Ziele zu erreichen! Und das Wichtigste dabei ist: Er hat keinerlei Gefühl. Schmerz, Enttäuschung, Freude, Liebe, Trauer und Haß sind ihm vollkommen fremd!« »Das ist schlecht«, murmelte Mephisto. »Ganz schlecht! Er sollte zumindest hassen können.« »Äh - gut. Daran muß ich eben noch feilen«, sagte Westphal. Er war enttäuscht, daß er nicht das geringste Lob vom Herrn der Hölle zu hören bekam. »Nicht nötig. Ich nehme dir die Arbeit ab, Professor.« Mephisto kicherte hämisch, als er zu dem Rothaarigen am Fenster trat und ihm ins Gesicht schaute. Überrascht hob sich wieder eine Augenbraue im Teufelsgesicht. »Eingebildet bist du wohl überhaupt nicht, was?« »Nenne es künstlerische Freiheit, Mephisto.« Westphal weigerte sich vehement, den Höllenfürsten mit Meister anzureden. Mephisto zuckte die Schultern, packte unvermittelt zu und zog den Kopf des Rothaarigen zu sich herunter. Seine Pranke preßte die Wangen des Stummen zusammen, bis sich der Mund öffnete. Mephisto beugte sich vor und verabreichte dem künstlichen Menschen seinen teuflischen Atem. Die Maschine, an der Westphal seinen Prototyp angeschlossen hatte, spuckte plötzlich und schlug Blitze und Funken. Rauch stieg auf. Der Teufelsatem schien dem Apparat nicht besonders zu bekommen.
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»Was machst du denn, zum Donnerwetter?« ereiferte sich Westphal. »Wenn die Maschine den Geist aufgibt, kann ich von vorn anfangen, verdammt!« »Flüche aus deinem Mund klingen irgendwie komisch, Menschlein«, meinte Mephisto und kicherte. »Das Fluchen solltest du deinem zweiten Ich überlassen. Der hat es schon zu Lebzeiten eifrig geübt.« »Laß mich bloß damit in Ruhe!« wehrte der Professor ab und streckte dem Teufel beide Hände entgegen. »Der Kerl funkt mir ohnehin ständig dazwischen. Er ist nur darauf aus, meine Versuchspersonen zu quälen.« Westphal schien einen Tritt in seinem Innern erhalten zu haben, krümmte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und keuchte. Tränen traten in seine Augen. »Du solltest dich lieber darum kümmern, daß jetzt nichts mehr schiefgeht!« Mephisto blitzte den Wissenschaftler wütend an. »Ich habe bisher dafür gesorgt, daß du ungestört werkeln konntest. Also werde ich es auch weiterhin tun. Erinnere mich nicht an meine Pflichten, du Kröte!« Mephisto betrachtete seine Fingernägel. »Außerdem, wer sollte dir schon dazwischenfunken?« Allmählich zweifelte Westphal an Mephistos Versprechen, ihm unbegrenzte Macht zu verleihen. Der Megadämon behandelte ihn wie ein Stück Abfall, wie ein widerliches Ungeziefer. »Du hältst doch dein Versprechen, nicht wahr?« fragte er leise. Mephisto streckte eine Klaue aus und strich sanft über die zerfurchte Wange des Professors. »Angst, Menschlein? Sei unbesorgt, was Mephisto versprochen hat, wird er halten. So war es schon immer. Und so wird es bleiben. Solange man meine Güte nicht mißbraucht, wie dein Vorgänger, dieser Faustus. Ich mußte ihm leider den Hals umdrehen, dieser durchtriebenen Ratte.« Der Teufel hob den Kopf. »Aber du vergißt, daß wir einen Vertrag geschlossen haben. Wenn du ihn nicht brichst, werde ich es auch nicht tun.« Westphal atmete auf. Flugs kramte Mephisto in seinem Mantel herum, wirbelte um die eigene Achse und stand in der Uniform eines Kellners des Hotel Ritz vor dem Professor. Nach der Mode der Zwanziger Jahre war das pechschwarze Haar kurzgeschnitten, in der Mitte gescheitelt und pomadiert. Die Fliege und der schwarze Anzug saßen korrekt. Mephisto hielt ein silbernes
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Tablett in der Hand. Darauf standen ein Sektkühler, aus dem eine Flasche ragte, und zwei Kristallkelche. »Volla!« Der teuflische Ober verbeugte sich. »Dom Perignon, Jahrgang 1921. Ein vorzüglicher Jahrgang, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Monsieur! Stoßen wir an auf ein gutes Gelingen Ihrer Arbeit. Mit besten Empfehlungen des Hauses.« Der Sektkorken knallte. Mephisto schnippte mit den Fingern. Die säuselnde Musik einer Tanzkapelle erfüllte den Raum. Eine unsichtbare Sängerin trug mit rauchiger Stimme ein Chanson vor. Westphal hob den Sektkelch, betrachtete die prickelnde, goldgelbe Flüssigkeit. Mephisto hob ebenfalls sein Glas, stieß mit dem Professor an und kippte das Nobelwässerchen .mit einem langen Schluck hinter die Binde. Westphal war etwas vorsichtiger. Der Dom Perignon schmeckte hervorragend und wollte genossen werden. »Und nun, werter Professor, wollen wir doch mal sehen, wie meine Behandlung bei Ihrem Prototyp anschlägt«, schlug Mephisto vor. »Sie haben doch ein geeignetes Studienobjekt, nehme ich an?« Westphal nickte, drückte den Knopf einer Sprechanlage und gab Anweisungen. Minuten später öffnete sich eine Lifttür, und zwei hochgewachsene Muskelmänner zerrten eine junge Frau in den Raum. Ohne große Umstände ließen sie ihr Opfer fallen, machten kehrt und stapften wie ferngelenkte Roboter zurück in den Lift. Die blonde Frau hob langsam den Kopf, schaute sich um, und konnte doch außer den verstreuten Papieren auf den ersten Blick nichts erkennen. Sie blinzelte. Eine Träne löste sich von ihren Wimpern und rollte über die Wange. Die Frau stand auf. Dies war der Moment, als sich der rothaarige Kunstmensch am Fenster umdrehte. Er stierte mit ausdruckslosem Gesicht zu der Frau herüber. Westphal fühlte, wie die Anspannung in ihm stieg. Hier entwickelte sich ein grausiges Schauspiel, das er in anderer Form bereits als Kind zu sehen bekommen hatte. Das war im Berliner Zoo gewesen, und damals waren die Hauptakteure eine Schlange und eine Maus gewesen. Die Hände des Rothaarigen hoben sich wie in Zeitlupe. Klamme Finger lösten das Kabel vom Hinterkopf. Ließen es achtlos zu Boden fallen. 41
Die Frau fuhr bei dem Geräusch herum. Ängstlich schaute sie zum Fenster. »Wer sind Sie?« fragte sie mit zitternder Stimme. »Hält man Sie auch gefangen? Wir sollten uns zusammentun. Vielleicht können wir fliehen.« Sie machte einen zaghaften Schritt auf den Rothaarigen zu. Der Kunstmensch stierte ihr verständnislos entgegen. »Wieso sagen Sie nichts?« fragte sie stockend. »Weil er noch nicht sprechen kann, du dummes Ding!« entfuhr es dem Professor. Mephisto rollte mit den Augen und hieb sich die geballte Rechte in die linke Handfläche, daß es klatschte. Die Frau wirbelte herum. »Ist da noch jemand? Hallo? Wo sind Sie? Zeigen Sie sich! Können Sie mir helfen?« Mephisto beschrieb vor sich einen Halbkreis. Gedämpftes Licht beleuchtete die beiden Zuschauer. »O ja, Menschenfrau, und ob wir dir helfen können«, wisperte er und lachte meckernd. Die Frau wankte zum Schreibtisch. Auch sie hörte jetzt die Tanzmusik, das Chanson und sah den Kellner. Erhob sein Glas und prostete ihr zu. Hinter ihr erklangen leise Schritte. Die Frau beachtete sie zunächst nicht, wurde dann aber doch aufmerksam und fuhr herum. Aber da war es bereits zu spät. Sie schaute in das ausdruckslose Gesicht des Rothaarigen, der unvermittelt hinter ihr aufgetaucht war. Seine Augen schienen durch sie hindurchzublicken. »Was wollen Sie? Wieso sehen Sie mich so an?« fragte sie leise. »Ist Ihnen nicht gut?« Die Veränderung kam urplötzlich. Abgrundtiefer Haß loderte in den dunklen Augen des Kunstmenschen. Die Lippen zogen sich zurück. Der Kunstmensch fletschte die Zähne und knurrte. Kleine Geiferblasen platzten auf seinen Lippen. Der Speichel tröpfelte über sein Kinn. Angst packte die Frau. Sie wirbelte herum, streckte Mephisto und Westphal hilfesuchend einen Arm entgegen und stürzte auf sie zu. »Helfen sie mir! Bitte!« flehte sie. Westphal sah die Frau plötzlich mit anderen Augen. Ihm wurde heiß. Er war sonderbar erregt. Er ergötzte sich an den Qualen und der Angst der Frau. Eine selten gekannte Wonne durchdrang ihn. Das Leid dieser Frau erfüllte ihn mit Genugtuung. Westphal leckte sich über die spröden Lippen und stierte die Frau gnadenlos an. 42
Sie erkannte, daß der Professor keinen Finger rühren würde, um ihr zu helfen. Jede Hoffnung wich aus ihrem Blick. Dann fühlte sie die kalte Hand des Rothaarigen in ihrem Rücken. Er packte sie im Genick, rutschte jedoch ab. Die Finger verhakten sich im Kragen ihres T-Shirts und rissen es entzwei. Die Frau schrie, tauchte zur Seite weg, aber sie hatte das Spiel bereits verloren, ehe es richtig begonnen hatte. Der Rothaarige stieß ein ärgerliches Fauchen aus, warf sich blitzschnell nach vorn, riß die Frau herum und stieß sie nach hinten. Sie schrie gellend, als seine Fingernägel dicke, schmerzhafte Striemen über ihren Körper zogen. Sie strampelte mit den Füßen, wehrte sich verzweifelt. Warf sich herum, krallte sich am Schreibtisch fest, starrte Westphal flehend an. Mephisto ging aus dem Weg und nippte an seinem Glas. Ihm bereitete das Schauspiel sichtlich Vergnügen. »Bitte!« kam es ein letztes Mal über ihre Lippen. Dann schlossen sich die Finger des Rothaarigen wie Stahlklammern um ihren Hals. Die Frau röchelte. Sie wurde herumgezogen, starrte nun mit vorquellenden Augen den Kunstmenschen an. Bemerkte seinen unnachgiebigen Blick. Und wußte, daß sie sterben mußte. Ungerührt beobachtete Mephisto, wie das Gesicht der Frau blau anlief. Wie sie röchelte. Wie sie sich ein letztes Mal aufbäumte, einen Arm hochreckte und mit gespreizten Fingern nach einem Halt suchte, der nicht vorhanden war. »Wunderbar!« meinte der Megadämon und prostete Westphal zu. »Und ich meine damit nicht nur dieses ausgezeichnete Tröpfchen, mein Lieber!« Der Rothaarige kehrte zum Fenster zurück, brachte die Steckverbindung an seinem Hinterkopf an und starrte unvermindert über das sturmgepeitschte Meer. Mephisto stellte sein Glas ab, füllte Westphals Kelch auf und trat über die leblose Frau hinweg. »Trinken Sie auf mein Wohl, Professor. Und auf Ihren Erfolg. Wir sehen uns bald wieder. Lassen Sie es sich schmecken!« wünschte der Höllenfürst, verneigte sich tief, stand einen Augenblick lang in seiner bocksbeinigen, pelzbedeckten Gestalt da und verpuffte dann in einer stinkenden Schwefelwolke.
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Westphal zitterte noch von den Nachwirkungen des grauenhaften Schauspiels, das er eben verfolgt hatte. Geistesabwesend hob er das Glas an die Lippen und schleuderte es im nächsten Augenblick mit einem Schrei von sich. Der Kelch zerschellte. Die braune Flüssigkeit spritzte über den Boden. Westphal würgte, weil sein Mageninhalt nach oben drängte. Das, was er hatte trinken wollen und was sich noch in der halbvollen Flasche befand, war stinkende Jauche! Ein teuflischer Scherz und ein dem Teufel angemessenes Abschiedsgeschenk! Mephistos meckerndes Gelächter erfüllte den Raum, während sich Westphal unter schmerzhaften Krämpfen erbrach. * Ich hatte gewaltig Gas gegeben. Ziemlich geschafft quartierten wir uns im Ramada Hotel, dem nobelsten Schuppen am Ort, ein. Das Hotel war in den Norderhovenden, an der Förde, gelegen und bot viel Komfort. Da die Spesen zu Lasten von Professor Liebeneiner gingen, wollte ich zumindest bei der Unterkunft nicht knauserig sein. Wir genehmigten uns eine erquickende Dusche. Die warmen Wasserstrahlen belebten unsere müden Glieder, und nachdem ich mich von Tessa hatte einseifen lassen, massierte ich ihre weiche Haut. Für mehr Zärtlichkeiten hatten wir keine Zeit. Irgendwo hier in der Gegend war vermutlich ein junges Mädchen in Lebensgefahr. Hastig drehte ich das kalte Wasser an. Tessa stieß einen spitzen Schrei aus, als die eiskalten Strahlen auf ihren Rücken klatschten. Ich schubste sie direkt unter den Wasserstrahl, bevor ich eilig das Weite suchte. Ich war schon halb angezogen, als Tessa bibbernd aus dem Bad kam und sich die Haare frottierte. »Nimm's mir nicht übel, aber irgendwie mußte ich dich abkühlen, Tess«, entschuldigte ich mich halbherzig. Sie ignorierte mich, streifte Jeans und T-Shirt über und ging zur Tür.
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Draußen begrüßte uns strahlender Sonnenschein, aber von der Förde wehte eine steife Brise herüber. Hier oben war von den frühsommerlichen Temperaturen noch nicht allzu viel zu spüren. Wir trennten uns. Ich wollte mich zunächst in der Landeszentralbibliothek nach der Geschichte Flensburgs umschauen und versuchen, etwas über diesen seltsamen Peter Pommering herauszufinden. Der Name klang nordisch, vielleicht wurde ich ja fündig. Tessa sollte sich in Rathaus und Landratsamt nach Diethard Westphal erkundigen. Möglicherweise hatte er hier in der Gegend ein Labor gemietet. Gleichzeitig würde sie Erkundigungen nach Stefanie Liebeneiner einziehen. Nachforschen, ob sich das Mädchen in einem der Hotels angemeldet hatte… In der Bibliothek stieß ich tatsächlich auf den Namen Pommering, aber ich fand lediglich einen Hinweis darauf, daß er »gar garstig und ein abgrundtief böser Mensch gewest«, wie es in den alten Chroniken hieß. Offenbar mußte er derart übel gehaust haben, daß man ihn kurzerhand aus der Stadtgeschichte verbannt hatte. Warum sollte man die Touristen auch mit der Nase auf ein derart dunkles Kapitel aus Flensburgs Vergangenheit stoßen? Ich erfuhr jedenfalls, daß die Stadt im zwölften Jahrhundert von Ritter Fleno gegründet wurde, um die Kauffahrer kräftig abzuzocken, und 1284 Stadtrecht erhielt. Auch war einiges über die alte Stadtmauer aus dem vierzehnten Jahrhundert und die Zeit unter dänischer Herrschaft verzeichnet. Sogar vom Dreißigjährigen Krieg war Flensburg nicht verschont geblieben. Und damit hatte es sich in groben Zügen. Fehlanzeige in Richtung Peter Pommering. Am Rathaus traf ich mit Tessa zusammen. Sie hatte einige Namen von Leuten zusammengetragen, die sich in den letzten Monaten für wissenschaftliche Studienzwecke an der Ostsee niedergelassen hatten. Ein Diethard Westphal war nicht darunter. Aber die Polizei ließen wir die Eintragungen in den Hotels überprüfen. Und erzielten den ersten Treffer. Stefanie Liebeneiner befand sich noch in der Stadt! Sie war in der Jugendherberge in der Fichtestraße abgestiegen. »Darauf hätten wir auch selbst kommen können, Frau Kommissarin«, rügte ich. »Wo bleibt dein kriminalistischer Spürsinn?« 45
»Mußt du gerade sagen!« gab Tessa zurück. »Wenn du den ganzen Morgen nicht mit Geschichtsstudien vertrödelt hättest, könnten wir Stefanie schon lange gefunden haben. Ab die Post!« Wir gönnten uns gegrillten Fisch und Kartoffelsalat im Flensburger Zentrum und machten uns dann auf den Weg. »Ja, die junge Frau war hier. Mit einer Freundin. Katja Ehlers. Aber die beiden Deerns sind schon wieder weg«, erklärte uns der Herbergsvater. »Seit wann?« wollte ich wissen. »Tscha, Sie ham se gerade verpaßt, min Jung. Sind gleich nach dem Mittagessen abgehauen. Wollten an der Förde lang.« Ich verfluchte unser Pech. Jetzt konnten wir nur noch in diese Richtung fahren und hoffen, daß wir die Mädels einholten. Wir ließen uns den wahrscheinlichsten Weg beschreiben, den Stefanie und ihre Freundin genommen haben konnten, und legten los. So verbrachten wir den Großteil des Nachmittags, ohne eine Spur der beiden Mädchen zu finden. Mochte der und jener wissen, wo sie abgeblieben waren. Es war zum Mäusemelken! Es wurde langsam duster, und Wind frischte auf, als wir über das Strandbad Solitüde zum Twedter Holz, einem ausgedehnten Waldgebiet im Nordosten Flensburgs, fuhren. Wir wollten noch den Rand des Waldes absuchen und von dort über die Ortschaft Engelsby in die Stadt zurückkehren. Wir fuhren eben an der Uferstraße entlang, als sich Tessa mit einem Mal aufrichtete. »Siehst du das da vorn?« fragte sie. Ich nickte nur. Das Fahrrad lag einsam und verlassen im Gras am Straßenrand. Auf dem Gepäckträger waren zwei Packtaschen und ein zusammengerollter Nato-Schlafsack festgeschnallt. Rasch durchsuchte ich die Taschen. Schließlich brachte ich ein kleines Schminkset zum Vorschein. Der einzige Hinweis darauf, daß der Drahtesel einer Frau gehörte. »Stefanie war mit ihrer Freundin unterwegs«, meinte ich. »Wo ist das zweite Fahrrad abgeblieben?« Tessa schaute zum Wald hinüber. »Dann blas mal Halali, großer Jäger. Wir werden einen Waldspaziergang unternehmen müssen.« »Vonwegen. Ich latsch mir nicht die Hacken in wildfremden Forsten wund. Wir fahren. Du bist Polizistin, also wird mein Wagen ab sofort zum Einsatzfahrzeug erklärt.« 46
Langsam lenkte ich den BMW in den Wald. Wir erreichten einen Waldparkplatz, ignorierten ihn und rollten im Schrittempo zwischen Bäumen und Sträuchern dahin. Die Scheiben hatten wir heruntergekurbelt. Ich bemerkte den Schatten und reagierte entsprechend. Sofort riß ich das Steuer nach rechts und trat gleichzeitig auf die Bremse. Trotzdem prallte das Mädchen gegen den linken Kotflügel, rollte halb über die Motorhaube und fiel zu Boden. Wie der Blitz waren Tessa und ich aus dem Wagen. Ich kniete neben dem Mädchen nieder. Ihr. Gesicht war verschmutzt. Tränen und Schweiß hatten Schlieren durch den Schmutz gezogen. Sie hatte langes, schwarzes Haar. Trug T-Shirt, eine Strickjacke und eine dünne Jeans. Hemd und Hose waren an mehreren Stellen zerrissen. »Steffi«, hauchte sie. Ihr Atem ging rasend schnell. »Sie haben Steffi!« Ich schaute in die Richtung, aus der das Mädchen gekommen war. Meine SIG Sauer hatte ich schußbereit. Sie war vorsorglich mit geweihter Silbermunition geladen. »Bleib du bei ihr«, wies ich Tessa an. »Ich schau mich mal um.« Die Fahnderin nickte, zog ebenfalls ihre Dienstwaffe und verfrachtete das Mädchen in den Wagen. Ich schlug mich in die Büsche. Schwach war die Spur des Mädchens im niedergetrampelten Gras und an abgebrochenen Zweigen zu erkennen. Ich war noch nicht weit in den Wald eingedrungen, als ich den erstickten Schrei vernahm. Sofort beschleunigte ich meine Schritte, holte alles aus mir heraus. Und lief direkt in die Falle! Der Schlag kam von rechts. Der Schläger lauerte hinter dem Stamm einer mächtigen Eiche. Als ehemaliger Zehnkämpfer verfüge ich über ausgezeichnete Reflexe, aber ich trainiere sie auch regelmäßig zusammen mit Pit Langenbach in der Weimarer Polizeisporthalle. Deshalb wirbelte ich um die eigene Achse, als ich den gestreckte Arm heranzucken sah. Die Faust rasierte an meinem Ohr entlang und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich taumelte.
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Bevor ich die Pistole heben konnte, war der Angreifer heran. Ein Fußtritt traf meinen Unterarm und prellte mir die Waffe aus der Hand. Ich stöhnte. Der Tritt mußte einen Nerv getroffen haben, denn mein Arm und die Hand wurden nach einem anfänglichen Schmerz taub. Kraftlos ließ ich den Arm sinken. Ein Knurren ließ mich aufblicken. Vor mir stand breitbeinig ein wahrer Riese! Nun bin ich nicht gerade ein Zwerg, aber der Kamerad überragte mich um mehr als eine Haupteslänge. Er knurrte wieder, bückte sich, packte mich an den Jackenaufschlägen, und gleich darauf segelte ich durch die Luft. Hart prallte ich gegen einen Baumstamm und rutschte daran entlang. Der Siegelring an meinem Finger begann zu vibrieren. Das Silber erwärmte sich und begann zu glimmen. Das Muskelpaket stand also unter dämonischem Einfluß oder stammte direkt aus der Hölle! Aber darüber konnte ich mir jetzt wenig Gedanken machen, denn der abgebrochene Riese stapfte heran. Wie ein Bodybuilder ließ er seine Muskeln spielen. Er grunzte und knurrte und versprühte jede Menge Speichel. »Kannst du auch verständlich reden, Mann?« keifte ich. »Dein Gegrunze geht mir auf den Zeiger!« Wie King Kong trommelte er sich auf die breite Brust und brüllte. Ich sprang hoch und traf den Muskelheini mit beiden Füßen vor der Brust. Ich hätte mir die Anstrengung sparen können. Der Kerl packte mich über den Knöcheln, hielt mich ohne sichtliche Anstrengung hoch und ließ mich zappeln. Da hing ich nun wie ein frisch geschlachtetes Hähnchen, das man ausbluten läßt. »Scheiße, Mann, laß mich runter! Hörst du nicht! Ich will ins Erdgeschoß!« Grunzend schüttelte er mich. Von fern erklang ein gellender Schrei. Ich hatte die Faxen dicke. Das Blut stieg mir in den Kopf, und ich fühlte mich ausgesprochen mies. Ich ergriff die Hosenbeine des Riesen, zog mich an ihn heran, holte Schwung und stieß mich 48
kräftig ab. Als ich wieder auf ihn zuschwang, hatte ich beide Hände verschränkt und rammte sie ihm dorthin, wo es bei einem Mann am meisten schmerzt. Der Muskelmann gab einen undefinierbaren Laut von sich, legte den Kopf schief und beugte sich reflexartig vor, obwohl er bestimmt keinen Schmerz verspürte. Ich fühlte, wie die Kraft in meinen rechten Arm zurückkehrte. Er war noch etwas pelzig, aber es mußte gehen. Ich stemmte mich mit beiden Armen auf dem Waldboden ab und hieb dem Schreihals die Absätze unter das Kinn. Der Kopf knallte gegen einen Baumstamm. Das Holz ächzte, aber der Kerl blieb auf den Beinen. Wenn das so weiterging, würde ich eher die Bäume zu Zahnstochern verarbeiten, als diesen Riesen flachlegen. Er schüttelte den Kopf, langte nach unten und packte mich am Hals. Mit nur einem Arm hielt er mich hoch, stapfte mit mir durch den Wald und blieb auf einer kleinen Lichtung stehen. Suchend blickte er sich um. Und entdeckte endlich den geeigneten Ort, an dem er mich abmurksen konnte. Mit Schrecken erkannte ich, was es war. Eine Astgabel! Wenn er mich dort hineinklemmte, war es aus mit Mark Hellmann! Er brummte wie ein Grizzly, fuhr sich mit dem linken Zeigefinger in unmißverständlicher Geste über die Kehle und stampfte auf die Astgabel zu. Ich wehrte mich verbissen, aber genausogut hätte ich gegen eine Granitmauer treten können. Vor der Gabel blieb mein Häscher stehen, grinste und holte weit aus. Ich verdrehte die Augen, streckte die Zunge heraus und wurde schlaff. Der Hieb und der furchtbare Schmerz kamen nicht. Dafür stieß mein Peiniger ein gurgelndes Geräusch aus und schüttelte mich. Er wollte mich partout bei vollem Bewußtsein abservieren. Ich tat ihm den Gefallen erst, als er sich anschickte, mich auf den Boden zu legen. Kaum hatten meine Füße Bodenkontakt, spannte ich alle Muskeln an, begann auf der Stelle zu laufen und mein gesamtes Körpergewicht gegen den Riesen zu stemmen.
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Er stand vornübergebeugt, und als ich ihm meinen Kopf zwischen die Rippen rammte, wurde er völlig überrumpelt. Er taumelte zurück, wurde mit der ganzen Kraft meines Körper nach hinten gedrückt und landete dort, wo er mich gerne haben wollte. Mit einem lauten Knirschen verkeilte sich sein Stiernacken in der Astgabel. Der Kerl umklammerte beide Äste, zerrte daran, konnte sie jedoch nicht zerbrechen. »Häng hier nicht so rum, Alter! Du erschreckst ja die Rehe!« rief ich und sah zu, daß ich meine Pistole wiederfand. Gleich darauf jagte ich tiefer in den Wald hinein. Ich kam an eine Böschung und sah auf einem Waldweg unter mir zwei weitere Muskelpakete, die ein zappelndes Mädchen mit sich zerrten. Für mich gab es kein Halten mehr. Ich hetzte zwischen den Bäumen entlang und warf mich in hohem Bogen von der Böschung. Mit ausgebreiteten Armen traf ich die beiden Kerle im Nacken und stieß sie von den Beinen. Das Mädchen taumelte vorwärts und strauchelte. Fassungslos beobachtete sie, wie ich nach einer Rolle vorwärts auf die Beine kam und einem ihrer Entführer meinen Stiefelabsatz mitten ins Gesicht pflanzte. »Sind Sie Stefanie Liebeneiner?« fragte ich keuchend. Sie nickte stumm. »Kommen Sie. Wir sollten hier verschwinden!« Dagegen hatten die beiden Muskelpakete etwas einzuwenden. Sie griffen mich von zwei Seiten an. Dachte ich jedenfalls. Aber während mich einer der beiden ablenkte, krallte sich der andere das Mädchen! Ich überlegte, ob ich schießen sollte. Doch vielleicht waren es ja nur Anabolikaschlucker, die sich unter dem Einfluß einer dämonischen Macht befanden. Ich hob die Pistole und zog meinem Gegner den Lauf quer über die Stirn. Damit hielt ich ihn nicht auf. Seine Finger krümmten sich, seine Hände näherten sich bedrohlich meinem Hals. Ich zielte. Der Schuß peitschte durch den Wald. Aber nicht ich hatte geschossen!
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* Tessa hatte Katja Ehlers einigermaßen beruhigen können und dabei erfahren, daß Katja und ihre Freundin Stefanie überfallen worden waren, als sie am Wald vorbeigeradelt waren. Tessa beobachtete aufmerksam den Forst, aber nichts rührte sich. Kein Vogel zwitscherte. Kein Rascheln im Unterholz war zu hören. Totenstille. Tessa beugte sich zum Beifahrersitz hinüber, um im Handschuhfach nach einer Packung Zigaretten zu suchen. Mark rauchte selbst nicht, aber er hatte immer ein Päckchen im Auto liegen, falls Tessa mal Lust auf einen Lungenzug verspürte. Die Fahnderin fand das Päckchen und wandte sich zu Katja, die auf dem Rücksitz kauerte. »Zigarette?« fragte Tessa. Katja starrte sie nur verständnislos an. Und schrie. »Sorry. Konnte ja nicht ahnen, daß du Nichtraucher bist, Schätzchen. Aber mußt du deswegen gleich losheulen wie eine Sirene.« murmelte Tessa. Im selben Augenblick stieß die Hand durch das offene Seitenfenster und packte Tessa im Nacken! Tessa stemmte sich gegen den Griff, drehte den Kopf und sah sich einer Kreatur gegenüber, wie sie schrecklicher nicht sein konnte. Unförmige Lumpen verhüllten die Gestalt. Das Gesicht war eine furchtbar entstellte Fratze, über und über mit violetten Pusteln bedeckt. Die Augen quollen aus den lidlosen Höhlen. Ein Augapfel hing halb auf der Wange und wackelte bei jeder Kopfbewegung. Die Nase fehlte. Zwei unförmige Löcher, aus denen der Schleim tropfte, befanden sich dicht über der Mundöffnung. Falls man sie als Mund bezeichnen konnte. Es war vielmehr ein Loch, in dem gelbe Wildschweinhauer kreuz und quer durcheinanderwuchsen. Die Kreatur stieß ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus. Sie hatte nur drei Finger an jeder Hand, aber die waren stark wie Stahlkammern. Und genauso unnachgiebig. Das Gebrüll des Monsters wurde beantwortet. Mit Schrecken bemerkte Tessa, wie weitere Ungetüme aus dem Wald kamen und sich mit ungelenken Schritten dem Wagen näherten. 51
»Nimm deine Pfoten weg, du Schleimer!« krächzte Tessa. »Und putz dir endlich die Nase!« Sie hatte die Handgelenke der Kreatur umklammert und zerrte erfolglos an ihnen. Der Würgegriff ließ nicht nach. Im Gegenteil. Die Kreatur fletschte die Hauer und wollte Tessa durch die Fensteröffnung zerren, um sie zu zerfleischen. Tessa sah nur noch eine Möglichkeit. Ihre Hand löste sich von dem Monster und fuchtelte suchend im Wagen herum. Endlich fühlte sie die Pistole. Sie rammte den Lauf der SIG Sauer zwischen die Hauer des Monstrums. »Guten Appetit!« keuchte sie und drückte ab. Drei Kugeln fetzten in den Schädel des Unholds. Die Schüsse dröhnten in den Ohren. Die Wucht der Geschosse trieb das Scheusal zurück. Es wischte wild mit den Armen durch die Luft. Aber es starb nicht! »Scheiße, verdammte Scheiße!« rief Tessa und verfluchte sich dafür, daß sie ihre Pistole nicht mit geweihter Silbermunition geladen hatte. Sie sprang aus dem Wagen und zerrte Katja mit sich. »Los, hauen wir ab! Die reißen uns sonst in Stücke.« Katja Ehlers drehte angesichts der Schreckenskreaturen völlig durch. Sie schlug nach Tessa, kreischte hysterisch und klammerte sich an den Wagen. »Ich bleibe hier! Ich verriegle die Türen! Die kriegen mich nicht! Wenn ich weggehe, packen sie mich! Laß mich los! Ich will nicht!« schrie sie. Tessa verdrehte die Augen. »O Mann, wieso passiert so was, immer nur mir?« stöhnte sie, schickte Katja mit einem wohlgezielten Hieb ins Reich der Träume und wollte sie vom Wagen wegziehen, aber dazu war nicht genug Zeit. Ein Blick über die Schulter ließ Tessa erstarren. Ein weiteres Monstrum war heran und streckte seine unförmigen Krallen nach ihr aus! Tessa wirbelte herum und riß die Pistole hoch. Es waren zu viele! Die Höllenkreaturen bildeten einen Halbkreis um sie und Katja. Einige schwangen abgebrochene Äste. Tessa schrie wild und feuerte, bis das Magazin leer war… * 52
Er trat zwischen den Bäumen hervor, hob eine chromblitzende Waffe und feuerte erneut. Beide Kugeln hatten den Hünen in den massigen Leib getroffen. Er ließ mich los, wandte sich um und brach in die Knie. Mein Retter war ganz in Schwarz gekleidet. Er mochte etwa zehn Jahre älter sein als ich, hatte dichtes, schwarzes Haar und eine durchtrainierte Statur. Er lächelte mich schwach an, drehte sich um und jagte dem zweiten Riesen kurzerhand drei Kugeln in den Leib. Stefanie brach weinend in die Knie. Der Riese taumelte quer über den Weg und prallte gegen einen Baum, wo er sich an der Rinde festklammerte. »Es hätte bestimmt auch einen anderen Weg gegeben«, murmelte ich. »Trotzdem danke.« Der Mann in Schwarz erwiderte nichts, sondern deutete mit dem Kopf zu dem Hünen, der auf die Knie gefallen war. Ich rieb mir den schmerzenden Hals und schluckte. Der Riese schmolz! Im wahrsten Sinn des Wortes lief der Kerl aus. Wie flüssiges Wachs rann seine Haut aus seiner Kleidung hervor. Er wurde immer kleiner, schrumpfte auf die Größe eines Liliputaners. Dann sank er hintenüber und fiel in sich zusammen, bis nur noch eine schleimige, leere Hülle übrig war. Dem zweiten Hünen erging es genauso. »Bernd!« hörte ich eine Frauenstimme. »Rasch! Vorn am Waldweg sind zwei Frauen in Gefahr!« Ich wirbelte herum, sah das hübsche Mädchen am Rand der Böschung und bemerkte im selben Augenblick die riesige Gestalt des Muskelpakets, das ich in der Astgabel abgehängt hatte. Ihn erkennen und die Waffe hochreißen war eins. Mehrere Silberkugeln hämmerten in den wuchtigen Leib und warfen ihn zurück, bevor er das Mädchen als Schild benutzen konnte. »Jetzt habe ich wohl zu danken!« meinte der Mann in Schwarz und schickte sich an, die Böschung zu erklimmen. »Warten Sie. Die Frauen beim Wagen sind meine Freundin Tessa und die Begleiterin dieser jungen Dame. Ich komme mit!« rief ich und war mit einem Satz neben dem Mann, der sich Bernd nannte. 53
»Komm mit ihr nach, Claudia«, befahl er der Frau, die uns gewarnt hatte, und jagte mit langen Sätzen vor mir her durch den Wald. Er achtete nicht auf Zweige, die sein Gesicht und die Hände peitschten oder an seiner Kleidung zerrten. Wir hörten die peitschenden Schüsse und Tessas wilden Schrei! Wie zwei Berserker brachen wir auf die Lichtung. Mein Ring strahlte hell. Ich sah die Schreckenskreaturen und handelte sofort. Mit einem gewaltigen Satz sprang ich dem Monstrum, das Tessa am nächsten war, in die Seite. Der Hieb, den das Scheusal mit einem dicken Ast hatte führen wollen, ging fehl. Dafür bekam mein BMW einen tiefen Kratzer ab. »Spinnst du?« brüllte ich. »Dafür geht mein nächstes Honorar drauf!« Das Scheusal zeigte sich völlig unbeeindruckt. Ich zog den Stecher der P 6 durch. Der Kopf des Monstrums flog zurück. Es gab ein schmatzendes Geräusch, dann baumelte der Schädel nur noch an ein paar Sehnen. Ich wandte mich hastig ab. Der Mann in Schwarz räumte ohne große Umstände mit der Schreckenshorde auf. Er hielt jetzt zwei Pistolen in den Händen und schoß nach beiden Seiten. Drehte sich dabei um und jagte die Kugeln in die monströsen Körper. Er leerte beide Magazine in die Schreckensgestalten. »Darf ich mal?« fragte ich und streckte die Hand aus. Er reichte mir eine Waffe. Eine gepflegte, chromblitzende Beretta. Ich betrachtete anerkennend die Griffschalen. »Im Namen des Herrn?« fragte ich und übersetzte damit den lateinischen Schriftzug. Er nickte und ließ die Waffe unter der Jacke verschwinden. »Ich bin Pater Bernd Jensen. Für die Franziskaner ein Bruder. Für meine Freunde einfach Bernd.« Nachdem wir uns bekanntgemacht hatten, musterte mich der Pater lange. Sein Blick fiel auf meinem Siegelring, dessen Glimmen eben erlosch. Er runzelte die Stirn. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, aber er sagte nichts. Stefanie und Bernds Schwester stießen zu uns. »Danke«, sagte Claudia und lächelte mich an. »Sie haben mir vorhin wohl das Leben gerettet.«
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»Das macht er immer so, wenn hübsche Mädchen in Not sind«, meinte Tessa spitz. Sie konnte es nun mal nicht ab, wenn eine andere Frau mich anlächelte. »Ohne Bernd wäre es mir auch an den Kragen gegangen«, erwiderte ich. »Schießen Sie auch mit Silberkugeln wie Bernd?« Ich nickte. Bevor ich antworten konnte, ergriff der Pater das Wort. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist er der Träger des Rings. Ein Grund mehr, warum ich froh bin, daß wir aufeinander getroffen sind.« »Was bedeutet das?« wollte Claudia wissen. »Er ist ein Auserwählter. Wie ich.« Wir quartierten die Geschwister und die beiden Freundinnen im Ramada-Hotel ein. Stefanie rief ihren Onkel an, bevor sich die beiden Mädchen auf ihr Zimmer zurückzogen, um sich von dem Schrecken zu erholen. In einer schummrigen Ecke der Hotelbar tauschten Bernd und ich unsere Erfahrungen im Kampf gegen die Dämonen aus. Dabei kamen wir auch auf den Grund unserer Anwesenheit in Flensburg zu sprechen. »Ich folge der Spur eines Wissenschaftlers, der sich mit dem Teufel verbündet hat«, erklärte Bernd. »Seit ich Professor Landwehrs Teufelsnest in der Lüneburger Heide ausgehoben habe, traue ich diesen besessenen Weißkitteln jede mögliche Schweinerei zu. Landwehr hatte sich zwar auch der Hölle verschworen, aber er war nur ein kleines Licht, verglichen mit Westphal.« »Du sprichst von Diethard Westphal, dem Gen-Spezialisten?« Ich war überrascht. »Hinter dem bin ich auch her.« »Dachte ich mir schon.« »Hast du Hinweise darauf, wo sich Westphal aufhält?« Bernd schüttelte den Kopf. »Nur, daß er irgendwo an der Ostsee untergekommen ist.« Er erzählte uns die Details über die Vernichtung von Landwehrs Labor. Dabei erwähnte er auch, daß Westphals Gesicht auf dem Monitor durch eine Teufelsfratze ersetzt worden war. »Es spricht also einiges dafür, daß sich Westphal direkt mit Mephisto verbündet hat«, meinte ich. »Ähnlich wie damals Dr. Faustus. Und dies wiederum würde bedeuten, daß Westphal ein ganz großes Ding plant. Ich kenne Freund Mefir inzwischen zur 55
Genüge. Wenn er seine Schwefeltatzen in der Sache hat, können wir uns auf einiges gefaßt machen. Es wird nicht leicht.« Insgeheim wünschte ich mir, daß meine Worte zu Mephisto in die tiefste Hölle vorgedrungen waren. Die Bezeichnung Mefir, die nichts anderes als »Lügner« bedeutet, trieb ihn zur Weißglut. »Bleibt nur noch zu überlegen, wie wir Westphal aufstöbern sollen. Der Kerl hat seine Spuren gut getarnt. Wenn wir Pech haben, kann er in aller Seelenruhe seine Experimente beenden, während wir wie blinde Füchse im Nebel herumtappen.« Ich griff nach meiner Cappucino-Tasse und schlürfte genüßlich das heiße Getränk. Dabei merkte ich, wie Tessa geistesabwesend zum Bartresen hinüberstarrte, wo ein blaubefrackter Keeper die Eiswürfel klappern ließ. »Tessa scheint der Angriff dieser vermummten Scheusale ganz schön in die Glieder gefahren zu sein«, sagte Bernd. »Sie ist noch ganz hin und weg.« »Mhm. Oder sie hat sich gerade in den Barkeeper verknallt«, setzte ich hinzu. Tessa mußte unser Geplänkel verstanden haben, aber sie zeigte nicht die geringste Reaktion. Ich beugte mich vor. »Erde ruft Kommissarin Hayden. Wenn du dich nicht bald von diesem mixenden Schönling losreißt, verführe ich Claudia und überlaß dich deinem Schicksal!« Claudia lachte hell. »Nicht so hastig, Mark. Dagegen hätte Bernd sicherlich was einzuwenden. Mein Bruderherz hütet mich wie einen kostbaren Schatz.« Sie klimperte mit den langen Wimpern. »Aber die Vorstellung, von dir verführt zu werden, hat was für sich, das gebe ich zu.« Mit einem Ruck kehrte Tessa in die Gegenwart zurück. Zorn blitzte in ihren rehbraunen Augen. Tessas Handbewegung stoppte mich, ehe ich etwas zu meiner Verteidigung sagen konnte. »Vergiß es!« fauchte sie mich an. »Und zwar ganz schnell!« Einen Moment lang herrschte eisiges Schweigen. Wenn Tessas Eifersucht erst mal geschürt war, kannte sie keine Grenzen mehr. Ich hoffte, daß jetzt nicht noch eine vollbusige Bedienung im Minizwirn aufkreuzte, sonst würde sich die Vulkanexplosion von Krakatoa in dieser Bar wiederholen. Nur viel, viel schlimmer. Claudia schaute betreten vor sich auf den Tisch. Ihr war die Situation sichtlich peinlich.
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Nur Pater Bernd schien von der Szene wenig berührt zu sein. Als Franziskanermönch waren ihm Beziehungskisten fremd. Der Glückliche! »Darf man erfahren, worauf sich deine Konzentration richtete?« fragte er ruhig. Tessa zog ihre Handtasche nach vorn, kramte darin herum und brachte einen gefalteten Bogen Papier zum Vorschein. »Ich kann mich auch irren, aber irgendwie hab ich ein komisches Gefühl. Heute morgen habe ich die Namen aller Akademiker und Studenten zusammengetragen, die sich in letzter Zeit für Studienzwecke hier angemeldet beziehungsweise Büros oder Laborräume gemietet haben. Diethard Westphal war nicht darunter. Aber ein anderer Name kam mir dabei seltsam vor.« Ich wurde hellhörig und beugte mich gespannt vor. Ein bestimmter Verdacht begann Gestalt anzunehmen. Es fehlte nur noch die Bestätigung. Meine Gedanken gingen dabei zu einem Fall zurück, der sich vor einigen Wochen in Berlin abgespielt hatte. Bernd nahm die Liste auf und begann, die Namen leise vorzulesen. »Das ist er!« unterbrach Tessa die Litanei. »Piet Ohms«, wiederholte Bernd den Namen. In Gedanken sah ich einen weiten Platz. Ein Holzgerüst. Zwei Frauen, die auf hölzerne Rahmen gebunden waren und dem Teufel als Geschenk dargeboten wurden. Vor ihnen die hochaufgerichtete Gestalt jenes Mannes, der mir bei dem Fall mehrfach begegnet war. Unter einem falschen Namen. Dieser Mann war der Leibhaftige höchstpersönlich gewesen! Ich schnickte mit den Fingern. »Tessa, du bist unschlagbar!« Ich zog das Blatt zu mir herüber, bat um einen Stift und begann, mit den Buchstaben zu spielen. Sekunden später lag die Lösung vor mir. Aus PIET OHMS wurde - MEPHISTO! Der Höllenfürst hatte wieder mal ein Anagramm seines Namens benutzt. Und damit einen gewaltigen Fehler begangen! »Eine vielversprechende Spur«, gab Bernd zu. »Das heißt also, morgen früh ist ein zweiter Besuch beim Rathaus angesagt.« »Genau. Und danach werden wir hoffentlich wissen, wo wir Professor Westphal zu suchen haben. Ich schlage vor, wir gehen schlafen und sammeln unsere Kräfte.« 57
»Hättest du es wirklich getan?« fragte Tessa aus dem Bad. Sie putzte sich die Zähne und nuschelte entsprechend. »Was meinst du?« »Hättest du Claudia verführt?« Ich grinste und schüttelte gespielt verunsichert den Kopf. Klatsch! bekam ich das nasse Badetuch ins Gesicht. »Ich!« rief Tessa und drehte mir ihr hübsches Hinterteil zu. »Und mach gefälligst das Licht aus!« Mark, du bist ein Esel! rügte ich mich. Wie ein begossener Pudel lag ich eine Weile in der Dunkelheit, ehe ich bemerkte, daß ich immer noch das Badetuch im Gesicht hatte. Zornig schleuderte ich es quer durch das Zimmer. Sollte einer die Weiber verstehen! * Professor Diethard Westphal schäumte vor Wut. »Sie haben es nicht geschafft! Sie haben kläglich versagt! Wie konnte . so etwas geschehen? Ich hatte sie extra für diese Aufgabe ausgewählt!« Seine Fistelstimme überschlug sich. Seine kleine Faust hämmerte auf den Schreibtisch. Schriftstücke und ein goldener Federhalter tanzten unter den Faustschlägen. Westphal saß in dem Kuppelraum, in dem er mit dem Höllenfürsten auf seinen Erfolg angestoßen hatte. Der Raum war dunkel. Durch die Glaswände war das eintönige Grau des Meeres zu sehen. Ein hämisches Lachen folgte den Worten des hageren Professors. »Du bist der Versager, Westphal! Wenn der Meister davon erfährt, kriegt er einen Tobsuchtsanfall! Und was er dann mit dir macht, kannst du dir ausmalen!« Westphal wollte sich umdrehen, erhielt aber einen derben Hieb in den Rücken, der ihn bäuchlings auf die Schreibtischplatte warf. »Hättest mich mit der Aufgabe betrauen sollen! Ich hätte dir die beiden Frauen gebracht und mich an ihrem Entsetzen und ihrem Leid ergötzt!« »Du verdammter Sadist! Ich benötige junge, starke Menschen, um meine Experimente erfolgreich abzuschließen. Nicht, um sie langsam zu Tode zu quälen!«
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Wieder das hämische Lachen. »Ist das nicht dasselbe, Professorchen?« Westphal richtete sich auf, sprang hinter seinem Schreibtisch hervor und hob beide Arme. »Ganz und gar nicht! Sieh dir an, was ich mit Mephistos Hilfe geschaffen habe! Diese beiden Kuppeln enthalten das aufwendigste, modernste Genlabor, das die Welt je gesehen hat! In diesen Hallen werde ich eine neue Menschenrasse schaffen, die das Zeug hat, die Welt zu beherrschen! Mephisto wird stolz auf mich sein!« Es schien, als führe der Professor ein Zwiegespräch mit sich selbst, aber dem war nicht so. Ein Zittern ging durch den hageren Körper des Gelehrten. Er krümmte sich zusammen, um im nächsten Augenblick heftig zurückgeworfen zu werden. Ein Schemen löste sich aus der hageren Gestalt, flirrte durch die Luft und verdichtete sich wenige Schritte von Westphal entfernt zu einer menschlichen Gestalt. Der Mann, der Westphal nun Gesellschaft leistete, war in einen eleganten, roten Samtfrack, eine dazu passende Weste und schwarze Samthosen gekleidet. Die Hosenbeine steckten in kniehohen, polierten Schaftstiefeln aus feinstem Leder. Der Frack wurde um die füllige Leibesmitte herum mit einer goldenen Kordel zusammengehalten. Das feiste, bleiche Gesicht des Mannes hob sich deutlich in der Dunkelheit ab. Glänzende Augen, in denen Unbarmherzigkeit und Mordlust funkelten, stierten zu dem Professor herüber. Eine leicht gebogene, spitz zulaufende Nase stach zwischen den Pausbacken hervor. Die schmalen Lippen über dem wabbeligen Doppelkinn liefen ebenfalls spitz zu. Das graue Haar hatte der Mann straff nach hinten gebürstet und zu einem Zopf gebunden. »Ich frage mich, wie Mephisto reagieren würde, wenn er erfährt, wie weit deine Experimente wirklich gediehen sind«, sülzte der Dicke. »Du hältst gefälligst dein Maul, Pommering! Du bist so ziemlich das verkommenste Subjekt, das mir jemals untergekommen ist! Was habe ich nur verbrochen, daß Mephisto mich mit deiner Gegenwart straft?« Der dicke Pommering rieb sich lächelnd die Hände, an deren Wurstfingern Smaragdringe blitzten. »Oh, das war ganz allein meine Idee. Siehst du, Professorchen, in der Hölle ist es wie auf Erden. Man muß es nur geschickt genug anstellen, dann klettert 59
man aus dem Bottich mit siedendem Öl, entgeht dem Höllenfeuer und schaut von den oberen Leitersprossen zu, wie andere die Qualen verspüren, die man selbst bisher erlitt. Es hat lange gedauert, Mephistos Gunst zu gewinnen, aber nun bin ich hier und werde meine Stadt zurückbekommen!« »Du rechnest dir wohl große Macht aus, Pommering, aber daraus wird nichts. Ich werde dieses Land beherrschen. Und du wirst dich mir fügen müssen.« »Abwarten, Doktorchen. Noch hat Mephisto keine Ahnung, was du wirklich vorhast, aber ein Wort von mir genügt, und…« Pommering führte die Handkante über seinen dicken Hals und lachte kreischend. »Ich laß dich von meinen Geschöpfen in Stücke reißen und an die Fische verfüttern, du fette Qualle!« brüllte Westphal und stürzte sich auf den Dicken. Der stemmte die Hände in die Hüften und erwartete den Professor lachend. Kurz bevor Westphal ihn erreichte, holte er tief Luft, drehte sich um die eigene Achse und blieb breitbeinig stehen. Westphal konnte nicht mehr bremsen und rannte voll gegen den Dicken. Und mitten durch ihn hindurch. Pommering lachte, drehte sich um und versetzte dem Professor einen Tritt in den Hintern. »Du vergißt, daß ich aus der Hölle komme, Westphal. Dort lernt man so manches Zauberkunststück!« Westphal hielt sich keuchend am Schreibtisch fest. Er wollte seine Wut an seinem zweiten Ich auslassen, aber er sah ein, daß er gegen den dicken Günstling der Hölle nicht ankam. »Das war wohl nichts, Professor. Wie ich schon sagte, du bist ein Versager. Du hast vielleicht ein bißchen mehr im Köpfchen als andere, aber du schaffst es nicht, zwei wehrlose Mädchen in die Gewalt zu bekommen, und mich schaffst du schon zweimal nicht!« »Die beiden hatten Helfer!« verteidigte sich Westphal. Er überlegte. »Es könnte dieser Pater gewesen sein, der schon seit ein paar Tagen in Flensburg rumschnüffelt. Wenn ich es mir recht überlege, hat er möglicherweise auch Theos Labor zerstört…« Nachdenklich wandte er sich ab und verließ den Raum. Während er durch dunkle Gänge eilte, wieselte Pommering hinter ihm her. 60
Sein Weg wand sich durch die Kuppel und einen schlauchartigen Verbindungsgang. Glaswände wirkten wie Prismen und vergrößerten die Fische, die den Professor spitzmäulig anglotzten. Er beschleunigte seine Schritte. Mit wehenden Mantelschößen erreichte er die zweite Kuppel, die einige hundert Meter weit entfernt aus dem Meer ragte. Und einen gigantischen Maschinenraum, in dem seine Kreationen entstanden waren. Mißgestaltete Wesen schleppten sich herbei. Sie ähnelten den Scheusalen, die Theo Landwehr gezüchtet hatte, aber ihre Verunstaltung überstieg jegliche Vorstellungskraft bei weitem. Dies waren die bedauernswerten Ergebnisse mißlungener Experimente. Meist junge Menschen, die Westphal seinen Genmanipulationen ausgesetzt hatte. Kreaturen, die nur durch die Macht der Schwarzen Magie am Leben erhalten wurden. Ihre inneren Organe waren so angeschwollen oder zerfressen, daß sie ohne das Einwirken der höllischen Kräfte nicht lebensfähig gewesen wären. Aber Mephisto liebte diese Scheusale wie seine eigenen Kinder und erfreute sich immer wieder an ihrem Anblick. Ehemals schöne, wohlgeformte Frauen, die ihre Brüste nun auf dem Boden mit sich schleiften und ständig darüber stolperten, reizten den Gehörnten zu unbändigem Gelächter. Einst schmächtige Männer, die sich nun wie verquollene Muskelberge durch die Gegend rollten, mit Stummelarmen- und Beinen wedelten und wie Ratten fiepten oder ehemals starke, kraftstrotzende Burschen, die nun zu spindeldürren Windeiern geworden waren, die man nach Belieben umpusten konnte, reizten Mephisto zum Spielen. Und die schönsten Gesichter, die zu den widerwärtigsten Fratzen geworden waren, empfand er als Augenweide. Westphal verabscheute diese Geschöpfe. Sie waren seinen frühen Experimenten entsprungen, als er noch am Anfang seiner Forschungen stand. Nun aber war es ihm gelungen, den Grundstein für eine neue Art Mensch zu legen. Für den Menschen schlechthin! Der Professor strebte zur gegenüberliegenden Seite des Raums. Pommering machte sich einen Spaß daraus, einige Schreckensgestalten zu Boden zu stoßen. Und hier, in aufrechten Glaskammern von über zwei Metern Höhe, standen sie. 61
Nackt. Muskulös. Schön, Vollkommen! Sieben Männer. Drei Frauen. Westphal konnte sich an ihrem Anblick nicht sattsehen. Sie hatten eine bleiche Haut mit einem leicht grünlichen Schimmer. Und alle hatten flammend rotes Haar mit weißen Strähnen. Von ihren Hinterköpfen verliefen Schläuche zu verschiedenen Apparaturen. Die zehn Kunstmenschen starrten über Westphal hinweg, ohne wirklich etwas zu sehen. Ihre Pupillen wären strahlend hell, mit einem winzigen schwarzen Punkt in der Mitte. Leuchteten wie kleine Edelsteine. Aber alle zehn hatten ein weiteres, wesentliches Merkmal gemeinsam. Sie trugen die Gesichtszüge eines zwanzigjährigen Diethard Westphal! Sie waren seine Kinder. Besaßen seine überragende Intelligenz, gepaart mit der unbändigen Kraft der Schwarzen Magie. Und der Skrupellosigkeit und Härte, die ihnen Mephisto eingegeben hatte. Diethard Westphal hatte sich selbst geklont, seine Gene und Chromosomen in diesen zehn Männern und Frauen reproduziert. Das rote Haar und die Augen waren nur ein unwichtiger Nebeneffekt, der kaum ins Gewicht fiel. Der Wissenschaftler war stolz auf seine Geschöpfe. Er würde ihnen die Fähigkeiten verleihen, die wichtigsten Ämter auf dieser Welt zu übernehmen. Durch seine Kinder würde er nicht nur dieses Land, sondern die ganze Welt beherrschen. Es war nur schade, daß er die beiden Mädchen nicht bekommen hatte. Sie hätten das Dutzend vervollständigt. Seine edlen Geschöpfe wären bereit gewesen, sich zu reproduzieren. »Schön sind sie, Professorchen. Schade, daß der Meister sie noch nicht gesehen hat«, meinte Pommering, der mit verschränkten Armen vor den drei künstlichen Frauen stehengeblieben war und die nackten Körper mit sichtlichem Wohlbehagen betrachtete. »Er hat den Prototyp kennengelernt. Das genügt vorerst. Noch ist die Zeit nicht reif«, erwiderte Westphal. Mit etwas Glück würde er seine Macht festigen, bevor ihn Mephisto daran hindern 62
konnte. Seine »Kinder« würden ihn sogar vor dem Höllenfürsten schützen. Vor einer gewaltigen Computerwand blieb er stehen. Hier arbeiteten Kunstmenschen, die wie Roboter wirkten und sich auch so steif bewegten. Sie führten jeden seiner Gedankenbefehle sofort aus. In der Mitte des langen Arbeitstisches aber erhob sich ein Apparat von der Größe eines. Tischkopierers. Zahlreiche Knöpfe blinkten auf seiner Vorderseite. Der Apparat sandte ein helles Licht ab, das seine Farbe in einem breiten Spektrum ständig wechselte. Sanft strich Westphal über das Gerät. Dies war sie. Die Vernichtungsmaschine. Mephistos Geschenk für das Millennium! Wenn man eine bestimmte Ziffernfolge eintippte, würde man große Teile der Menschheit ausrotten können. Millionen und Abermillionen armer Seelen würden die Hölle bevölkern, und Westphals Klone würden die Herren der neuen Zeit werden! Ein gigantischer Plan. Wenn er vor dieser Maschine stand, überkam Westphal ein nie gekannter Machtrausch. Bald war es soweit. Und niemand würde ihn aufhalten können. * Mephisto hatte für Westphal ein Stadthaus im Ortsteil Jürgensby angemietet. »Ich werde das Haus mal inspizieren. Könnte mir denken, daß wir dort einen Hinweis auf Westphals Aufenthaltsort finden«, erklärte Bernd. »Und ich werde dich begleiten«, sagte Tessa hastig. Sie musterte mich kalt. »Du kannst dir inzwischen mit Claudia die Zeit vertreiben. Das wolltest du ja gestern schon. Grund zur Eifersucht hast du übrigens nicht. Bei einem Pater kann mir nichts passieren!« Mit diesen Worten rauschte sie von dannen. Bernd Jensen hob ergeben die Schultern und folgte ihr. Ich zog eine Grimasse und verwandelte sie hastig in ein breites Lächeln, als sich Tessa unvermittelt umdrehte. 63
Wenig später kam Claudia an unseren Tisch. »Habt ihr schon alle gefrühstückt?« fragte sie, als sie die Überreste unserer Morgenmahlzeit bemerkte. »Sicher, aber greif nur zu. Ich muß noch telefonieren.« »Wo sind die anderen?« »In Westphals Stadthaus. Wir zwei Hübschen haben den Morgen für uns.« Der Gedanke schien ihr zu gefallen. Sie strahlte mich an. Ich klingelte meinen Vater in Weimar an. »Morgenstund' bringt Ulrichs Kund'!« dichtete ich ziemlich schräg. Vater hustete. »Mach das nie mehr, Junge!« zeterte er. »Ich hab mich am Kaffee verschluckt. Solche Reime ziehen einem ja die Schnürsenkel auf!« »Johann Wolfgang und der olle Frieder hatten auch ihre schlechten Tage«, verteidigte ich mich. »Wäre an einem Morgen wie diesem der Erlkönig geschrieben worden, wäre bestimmt das Pferd auch noch gestorben und nicht nur das Kind, und die Glocke wäre zwanzig Verse früher gegossen worden!« »Mann, du bist aber in Fahrt! So kenne ich dich gar nicht, Junge«, staunte mein Vater. »Hauptsache, dir geht's gut«, erwiderte ich bissig. »Wenn du was über diesen Pommes-Peter rausgefunden hast, kannst du mich ein klein wenig aufheitern.« Vater schlürfte Kaffee. Mutters Frischgebrühter schmeckte immer am besten. »Augenblick, muß erst die Notizen sortieren.« Gleich darauf war er wieder am Rohr. »Der Bursche heißt Peter Pommering und hat mit Kartoffelstäbchen absolut nichts am Hut«, ermahnte er mich. Bei historischen Fakten verstand Ulrich keinen Spaß. »Denke ich mir. Der Erdapfel wurde ja auch erst viel später von Sir Francis Drake entdeckt.« »Und selbst da kam noch keiner auf die schwachsinnige Idee, die Knolle in heißem Fett zu sieden«, brummte mein Vater, »und damit die Luft zu verpesten.« »Freiheit für Goethe! Weg mit den Pommes!« witzelte ich. »Hast wohl Scherzkekse gefrühstückt! Können wir jetzt endlich zur Sache kommen?« »Du hast doch mit den Kartoffeln angefangen!« »Mark!!« »Schieß los!« 64
»Peter Pommering war ein Fiesling durch und durch. Er war Bürgermeister der Stadt Flensburg und verstand es, sich bei den Dänen einzuschmeicheln. Kurz, nachdem Flensburg unter dänischer Krone eine blühende Handelsstadt geworden war, kam er an die Macht.« »Und trieb es ziemlich bunt. Hier in den Stadtchroniken wird er kaum erwähnt. Wahrscheinlich hat er sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.« »Kann man wohl sagen. Er hat gehaust wie der Elefant im Porzellanladen. Jeder, der ihn auch nur schief anschaute, mußte befürchten, einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Er ließ einen Folterturm errichten und die Leute schon wegen geringster Vergehen quälen. Der Kerl war ein Sadist!« »Irgendwas von einem Mädchen und einem etwa zwölfjährigen Jungen?« fragte ich. »Auf die Schnelle konnten wir nur etwas über den Jungen erfahren. Er hat beim Ballspielen eine Fensterscheibe zertrümmert. Pommering ließ ihn köpfen. Das war an Weihnachten 1595.« »Das ist nicht viel. Noch sehe ich keinen Zusammenhang zwischen Westphal und dem Bürgermeister, aber ich komm schon noch dahinter. Vielen Dank erst mal.« »Wenn ich noch was für dich tun kann, laß es mich wissen. Und sei vorsichtig. Pommering hatte es faustdick hinter den Ohren. Wenn er mit deinem Professor unter einer Decke steckt, ist mit beiden nicht gut Kirschen essen.« »Ich hör rechtzeitig auf, bevor ich mir den Magen verderbe. Versprochen«, meinte ich und beendete das Gespräch. »Und jetzt?« fragte Claudia mit unschuldigem Augenaufschlag. »Verfolgen wir die Spuren eines uralten Bürgermeisters. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht etwas mehr herausfinden würden!« Wir verließen das Hotel und begaben uns zum Rathaus, wo wir den Stadtarchivar interviewten. Er konnte uns tatsächlich noch einige Greuelgeschichten über den ehemaligen Bürgermeister erzählen. »Der Turm stand in der Nähe des Thingplatzes, dort, wo heute das Theater ist. Seine Opfer ließ Pommering meist im Graben verscharren. Das wäre der heutige Norder- und Südergraben. Damals hat man dort Küchenabfälle, Fäkalien und die Leichen von Hingerichteten verscharrt.«
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Wir bedankten uns und beschlossen, dieser unseligen Stätte einen Besuch abzustatten. Vom Schandturm war nichts mehr zu sehen, und der Graben war zu einer belebten Straße geworden, die von einem Friedhof, dem ausgedehnten Christiansenpark und dem Museumsberg begrenzt wurde. Ich verließ die Straße und schlenderte durch den Park. »Wir wissen natürlich nicht, wie breit der Graben damals war. Aber im allgemeinen muß er schon recht tief gewesen sein, um als zentrale Entsorgungsstelle zu dienen«, sagte ich. »Toll, wie du dich in der Vergangenheit auskennst«, staunte Claudia. Ich erzählte daraufhin ein wenig von meinem Studium und meinen Zeitreisen, die ich als Dämonenjäger schon unternommen hatte. »Es muß wunderbar sein, in andere Epochen reisen zu können«, schwärmte Claudia. »Am eigenen Leibe zu erleben, wie unsere Vorfahren damals gelebt haben.« »Meistens ist es verdammt gefährlich«, dämpfte ich ihre Begeisterung. Wir hatten eine Stelle erreicht, die genau zwischen dem Theater und dem Städtischen Museum lag. Ich bog einige tiefhängende Zweige zur Seite, um Claudia passieren zu lassen, als ich stutzte. Jemand beobachtete uns! Ich drehte mich um, doch hinter uns war niemand. Dann wanderte mein Blick über die Rasenfläche, in die Nähe des Museums. Und ich sah ihn! Groß, dick, mittelalterlich gekleidet. Mit stechenden Augen und grimmigem Gesichtsausdruck! Gleichzeitig erwärmte sich mein Ring! »Vorsicht, Claudia, wir kriegen Ärger!« brachte ich eben noch heraus, als es in einem Gebüsch raschelte und eine halbverweste, in zerfetzte Lumpen gekleidete Gestalt die Knochenhände nach uns ausstreckte! * Westphals Stadthaus war ein von einem Wildgarten und zahlreichen Laubbäumen umgebener Bungalow. Der Eingang war
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von der Straße kaum einzusehen, da die durcheinanderwuchernden Sträucher die Sicht nahmen. Der Pater drückte gegen das Gartentor. Quietschend öffnete es sich. Ungehindert gelangten Bernd und Tessa zum Eingang. Die Tür war verschlossen. »Checken wir die Terrasse«, schlug Bernd vor. »Wenn's dort auch nicht klappt, müssen wir eben klettern.« Sie hatten Glück. Bernd hatte seine eigene Methode, eine Terrassentür zu öffnen. Ein wenig Kraftaufwand, ein kurzer, heftiger Ruck, und die Tür schwang auf. »Brichst du öfter in fremde Wohnungen ein?« fragte Tessa verblüfft. »Nur in Begleitung von charmanten Polizistinnen«, meinte Bernd. »Den Trick mußt du mir aber bei Gelegenheit beibringen.« Im Erdgeschoß war nichts Auffälliges zu entdecken. Das Wohnzimmer war geschmackvoll eingerichtet und hatte sogar einen offenen Kamin, der allerdings seit längerer Zeit nicht benutzt worden war. »Der Kühlschrank ist fast leer. Butter, etwas Käse, Essiggurken, eine halbe Flasche Wein und eine Flasche Selters«, verkündete Tessa. »Sieht nicht so aus, als ob sich Westphal hier oft aufhält.« »Laß uns oben nachsehen. Vielleicht führt er ein geheimes Tagebuch.« »Aus dem Teenageralter ist er schon lange raus«, meldete Tessa Zweifel an. Trotzdem würden sie die oberen Räume inspizieren. Über eine Wendeltreppe gelangten sie in einen Korridor, von dem mehrere Türen abgingen. »Ich fange hinten an«, erklärte Tessa. Ihre Schritte wurden von dem dicken Veloursteppich gedämpft. Pater Bernd stieß die erste Tür auf der rechten Seite auf und ging in die Hocke. Der Raum war leer. Bernd hielt ihn für ein kleines Schlafzimmer, womöglich ein Gästezimmer. Ein einzelnes Bett mit Messinggestell, ein Tisch, zwei Stühle, ein zweitüriger Schrank bildeten das Mobiliar. Das Bett war nicht benutzt. Bernd entdeckte eine Verbindungstür zum nächsten Zimmer. Sie war abgeschlossen.
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Unterdessen kramte Tessa in einer Kommode herum. Sie hatte das Hauptschlafzimmer gefunden und sich sofort an die Durchsuchung gemacht. Die dritte Kommodenlade klemmte. Tessa packte die Messinggriffe und zog kräftig. Das Holz knirschte, gab aber keinen Millimeter nach. »Blödes Ding!« zischte Tessa, versetzte der Schublade einen Tritt, holte tief Luft und strengte sich an. Daß hinter ihr eine Tür des breiten Kleiderschrankes nur angelehnt war, bemerkte sie nicht. Und als sich die schwere, kalte Hand auf ihre Schulter legte, war es bereits zu spät! Bernd hörte Tessas Schrei und das laute Poltern und wirbelte herum. Seine Hand fuhr zur Pistole. Er kam nicht mehr dazu, die Waffe zu ziehen. Er sah die Faust auf sich zurasen. Sah den nackten Mann mit der blaßgrün schimmernden Haut. Wollte zur Seite wegtauchen. Und erwischte den Schlag voll an der Stirn. Das letzte, was der Pater vernahm, war Tessas gellender Schrei. Dann wurde es Nacht. Tessa und Bernd erwachten fast gleichzeitig aus ihrer Ohnmacht. Sie lagen in einem dunklen, fensterlosen Raum. Man hatte ihnen Handtasche, Jacken und Waffen abgenommen. »Bist du okay?« fragte Tessa leise, als sie Bernd stöhnen hörte. »Mein Schädel dröhnt. Muß wohl eine ziemliche Beule auf der Stirn haben. Der Kerl hatte einen Schlag wie eine Dampframme.« »Mir haben sie die Luft abgedreht. Ich könnte was zu trinken vertragen.« »Das sollen Sie auch bekommen, meine Liebe!« antwortete eine Fistelstimme. Woher sie kam, war nicht festzustellen. Schlurfende Schritte ertönten. Mit leisem Rauschen öffnete sich eine Hydrauliktür. »Mensch, ich komm mir vor wie auf dem Raumschiff Enterprise. Jeden Moment kommt Mr. Spock und serviert mir einen galaktischen Drink!« raunte Tessa. Sie irrte sich. Die Gestalt, die im Türrechteck auftauchte, hatte mit dem spitzohrigen Vulkanier nichts gemein. »Scheiße, das ist ja wieder so ein Monstrum wie gestern im Wald!« rief Tessa und wich erschrocken zurück. Abwehrend hob sie einen Arm vor das Gesicht. 68
Bernd reagierte anders. Er sprang hoch und versetzte der Schreckenskreatur einen Karatetritt vor die Brust. Aber - da war kein Brustkorb! Sein Fuß versank bis zum Knöchel in einer schwammigen Masse. Schmatzend blieb er im Leib des Monstrums stecken. In der Fratze des Unholds öffnete sich ein faustgroßer Schlund und ließ mahlende Reißzähne sehen. Bernd versuchte, seinen Fuß zu befreien, aber er steckte hoffnungslos fest. Eine Klaue schob sich vor, packte den Pater am Haar und zerrte seinen Kopf auf das schreckliche Maul zu. Stinkenden Geifer rann über das schwabbelige Kinn der Kreatur und troff in langen Fäden zu Boden. Tessa schrie und warf sich nach vorn. Wollte auf das Monster einschlagen. »Zurück, Tessa!« Bernds Stimme war eine Mischung aus Stöhnen und Keuchen. »Nicht - berühren! Es - saugt dich - fest!« Sein Hals war nur noch eine Handbreit von dem tödlichen Gebiß entfernt, als ein hünenhafter Kerl hinter dem Monstrum auftauchte. Er faßte mit beiden Armen zu, schien sich nicht daran zu stören, daß seine Hände tief in dem Schwabbelleib verschwanden. Ohne große Anstrengung fetzte er das Monstrum auseinander. Zerpflückte das schreiende Ding in unzählige Einzelteile, die sich auf dem Boden in schlammige Flüssigkeit verwandelten. Nur der Kopf blieb erhalten und lag inmitten der Schlammpfützen. »Bitte haben Sie die Freundlichkeit, meinem Assistenten zu folgen«, hörten Tessa und Bernd die Fistelstimme. Ohne auf sie zu warten, machte der grünliche Riese kehrt und tappte vor ihnen her. Der Pater und die Fahnderin zögerten nicht. Alles war besser, als noch mal mit diesen Schreckensgestalten zu tun zu bekommen. Der Muskelprotz führte sie durch unzählige, verwinkelte Gänge. Fasziniert sahen sie die Fische, die sich im Wasser außerhalb der Glaswände tummelten und sie neugierig bestaunten. Endlich gelangten sie in einen gewaltigen, kuppelartigen Raum. »Willkommen in meinem Refugium!« Erstaunt blickten sich Bernd und Tessa um. Die Fahnderin stieß ihren Begleiter an und deutete auf die hohen Glaskästen, in 69
denen sich die großen Gestalten von zwei Männern und zwei Frauen befanden. Der Sprecher war nirgends zu entdecken. »Keine Angst, ich bin bei Ihnen. Ich kann jede Ihrer Bewegungen über Monitor verfolgen. Leider ist es mir im Augenblick nicht möglich, Sie persönlich zu begrüßen. Aber in Bälde werden wir uns näher kennenlernen, da bin ich sicher, Frau - äh - Hayden und Herr Pater Jensen! Inzwischen fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause. Soweit Ihnen dies im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten gelingt.« Tessa tippte sich stumm an die Stirn. Der Kerl hat nicht alle Fäden in der Jacke! wollte sie damit sagen. Bernd wandte sich um und strebte dem Ausgang zu. Er kam nicht weit. Aus dem Schatten zwischen den Maschinen lösten sich wankende Höllengestalten und versperrten ihm knurrend den Weg. Zudem baute sich ein grünhäutiger, rothaariger Hüne mit verschränkten Armen vor der Tür auf. Die Situation war ausweglos. Tessa und Bernd mußten einsehen, daß sie Professor Diethard Westphal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren! * Ich verpaßte dem Knochengestell einen Tritt. Die untote Kreatur machte einen Salto rückwärts und verschwand im Gebüsch. Hinter mir hörte ich Claudia schreien. Und dann spürte ich das Vibrieren unter meinen Füßen. Der Boden wölbte sich. Grassoden wurden mit ungeheurer Kraft nach oben gedrückt. Der kiesbestreute Parkweg wurde aufgewühlt. Unter den Bäumen und Büschen wurde Erdreich aufgeworfen. Dann stieß die erste Hand durch die Bodendecke ins Freie! Sie war fast gänzlich skelettiert. Erd- und Lehmklumpen klebten an den wenigen Hautfetzen, die sich um die Knochenfinger spannten. Ich hörte ein hämisches Lachen. Mein Kopf ruckte herum. Der rotgekleidete Fettwanst hüpfte von einem Bein auf das andere und vollführte mit den Armen wilde, rudernde Bewegungen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Hammerschlag! 70
Der Kerl beschwor die bedauernswerten Opfer, die vor Hunderten von Jahren im Graben verscharrt worden waren, zu untotem Leben! Rund um Claudias Beine brach die Erde auf. Knochenhände krallten sich um ihre Knöchel. Sie versuchte, die Skelettfinger zu zertreten, aber die Untoten ließen in ihren Bemühungen nicht nach. Ich sprang vor und kickte gegen zwei skelettierte Arme. Klappernd flogen die Knochen durch die Luft. Ich bekam Claudia um die Hüften zu fassen, zerrte sie mit gewaltigem Kraftaufwand aus den Klauen der Untoten und setzte sie ein paar Meter weiter auf der Rasenfläche ab. Hinter mir richtete sich der erste Zombie aus dem Massengrab auf und streckte mir die Arme entgegen. Sein grinsender Knochenschädel stierte mich aus leeren Augenhöhlen an. Würmer und Ungeziefer wuselten über die Totenfratze. Ich zog die Pistole und feuerte auf die Skelette, die uns am nächsten waren. Unter der Einwirkung der Silberkugeln zerfielen sie fast augenblicklich zu Staub. »Sie kreisen uns ein!« rief Claudia. »Wir müssen abhauen!« »Damit uns die Skelette durch die ganze Stadt verfolgen? Die sind auf uns angesetzt und bringen jeden um, der sich ihnen in den Weg stellt!« erklärte ich. »Wir können sie nicht alle vernichten, Mark! Es sind zu viele!« Verzweiflung schwang in Claudias Stimme mit. Das Mädchen hatte zwar ihren Bruder in seinem Kampf gegen die Hölle tatkräftig unterstützt, aber mit lebenden Toten hatte sie es wohl bisher noch nie zu tun gehabt. Ich wandte mich dem feisten Rotrock zu, der immer noch herumhüpfte. Rasch sandte ich eine Kugel zu ihm hinüber, verfehlte ihn aber. Er lachte kreischend, klatschte in die Hände und rannte davon. Claudia hatte recht. Die Untoten waren in der Überzahl. Ich mußte mir was einfallen lassen, und zwar rasch, sonst waren nicht nur wir verloren, sondern zumindest alle Leute, die sich im Park aufhielten. Mein Blick fiel auf den Museumsberg, der sich inmitten der Anlage erhob. »Los, dort rauf!« rief ich, ergriff Claudias Hand und hetzte los.
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Wir kamen nicht weit. Eine Klauenhand erwischte mich am Knöchel und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich ließ Claudia los und legte eine Bauchlandung hin. »Lauf weiter!« rief ich. Ich drehte mich auf den Rücken. Das Skelett konzentrierte sich darauf, meine beiden Beine zu packen und mich zu seiner Grube zu ziehen. Den Kräften des Knöchernen hatte ich nichts entgegenzusetzen. Ich rutschte über das Gras. Die Knochenfinger krallten sich in meiner Jeans fest und zerrten mich rasend schnell auf das Skelett zu. Der Knochenschädel kam genau zwischen meinen Beinen zu liegen und riß das grinsende Maul weit auf. Die Lage wurde langsam brenzlig. Der Knochenmann war drauf und dran, meine Familienplanung für alle Zeiten im Keim zu ersticken! Meine Gedanken galten Tessa, die ich irgendwann mal zur Mutter meiner Kinder machen wollte. Ich stieß die Pistole nach vorn, rammte den Lauf zwischen die schiefen Zähne des Zombies und jagte die letzten beiden Kugeln aus dem Lauf. Die Wucht der Geschosse riß den Schädel vom Knochenhals und ließ ihn wie einen Ball durch die Luft hüpfen. Hastig kam ich auf die Beine. Immer mehr Skelettzombies wankten auf mich zu. Sie hatten auch Claudias Verfolgung aufgenommen und würden sie bald erreichen. Denk nach, Mark! Verflucht, du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen! Hätte ich doch bloß meinen Einsatzkoffer mitgenommen. Das Weihwasser, das ich in mehrere Glasflakons abgefüllt hatte, hätte ich jetzt gut gebrauchen können. Mein Siegelring strahlte gleißend hell. Die dämonische Ausstrahlung des Fettwansts und seiner Skelettbrut ließ das magische Schmuckstück vibrieren und schier unerträglich heiß werden. Der Ring! Schon oft hatte er mir aus bedrohlichen Situationen herausgeholfen. Ich konnte ihn zwar nicht als Waffe gegen die Zombies einsetzen, aber als Hilfsmittel! Wie ein Quarterback beim American Football stürmte ich gegen die Skelettjünger an und rammte sie mit Schulterstößen, Fausthieben und Fußtritten aus dem Weg.
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Ich hatte eine freie Stelle neben dem Parkweg entdeckt. Genau dort wollte ich den Versuch wagen. Mit einem gewaltigen Satz erreichte ich die Stelle. Ich richtete den Lichtstrahl meines Rings auf den Boden und malte weißmagische Gegenbeschwörungen in den Staub. Hell leuchteten die Schriftzeichen auf. »Nein! Das darf er nicht!« hörte ich den Dicken brüllen. »Haltet ihn auf! Er darf nicht weitermachen!« Ich ließ mich durch seine Worte nicht stören, sondern malte weitere Bannsprüche kreisförmig auf den Weg. Lautes Jammern und Wehklagen kam von den Skeletten. Ich blickte auf. Sie wanden und krümmten sich wie unter unerträglichen Schmerzen. Rangen flehend die Knochenhände. Einige Untote brachen in die Knie, krochen über das Gras und sanken immer wieder zusammen. Ich hatte den Doppelkreis aus weißmagischen Zeichen beendet, malte ein Pentagramm in die Mitte und ließ schließlich die Runen des altgermanischen Futhark-Alphabets für die keltischen Worte Heimkehr und Ewige Ruhe quer über das Hexagramm laufen. Was dann geschah, erlebte ich wie in einem Zeitraffer. Die Ereignisse spulten sich rückwärts ab. Eben hatten die Zombies ihre gierigen Krallen nach Claudia und mir ausgestreckt, als die Runen sich förmlich in das Pentagramm einbrannten. Beißender Rauch stieg auf. Die Skelette erstarrten, schrien gellend auf und zogen sich dann blitzschnell von uns zurück. Sie sprangen, krochen und kullerten auf ihre aufgewühlten Massengräber zu, verschwanden im Erdreich, zogen Grassoden über sich. Der Dicke im roten Frack brüllte wütend. Schüttelte drohend seine Faust und machte auf dem Absatz kehrt. Weit voraus sah ich eine mir bekannte Gestalt. Sie steckte halb in der Erde. Ihr nackter, bleicher Oberkörper war von einem abgebrochenen, dicken Holzpflock durchbohrt. Mit einer Hand hielt sie das Holz umklammert, mit der anderen winkte sie mir. Mit wenigen Sätzen war ich bei ihr. »Peter Pommering!« hauchte sie und deutete auf den Dicken, der wieselflink Fersengeld gab. »Folgt ihm - zum Meer! Eure Freunde…«
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Dann tat sich hinter ihr der Boden auf und verschluckte sie regelrecht. Bevor sich das Erdreich über ihr schloß, traf mich ihr flehender Blick. Mir wurde heiß und kalt. Das Geistermädchen hatte Tessa und Bernd erwähnt. Für mich war klar, daß ihnen etwas zugestoßen war. Und die Lösung konnte nur auf See zu finden sein. Ich rief Claudia zu mir und jagte los. Der Dicke sollte mir nicht entwischen. Als ich mich eben fragte, warum er sich nicht auflöste, sondern zu Fuß die Flucht antrat, tat er genau das, was ich erwartet hatte. Er wirbelte herum, drehte mir eine Nase, wurde zum sausenden Kreisel und war von einem Augenblick zum nächsten spurlos verschwunden. »Und was jetzt?« fragte Claudia und blieb keuchend neben mir stehen. Ohne ihr zu antworten, strebte ich dem Ausgang des Parks zu. Wenig später saßen wir in meinem Wagen und fuhren zum Gästehafen im Zentrum der Stadt. Hier lagen Yachten und Segelboote aus allen Teilen Europas vertäut. Ohne lange zu zögern, lief ich am Bootssteg entlang, bis ich einen kleinen Kabinenkreuzer entdeckte, der unter britischer Flagge lief und gerade festgemacht hatte. Der Besitzer, ein drahtiger Mittvierziger mit Käpt'n-Iglu-Bart, in rot-weißgestreiftem Sweatshirt und weißen Shorts, polierte die Messingzierleisten an der Reling. Ich löste die Leinen, nickte Claudia zu und sprang mit ihr an Bord. »Pardon, Sir, but this boat is private property!« machte uns der Brite aufmerksam und wedelte mit seinem Poliertuch. »Dies sein eine private Besitz. Gehen Sie, please!« Meine Englischkenntnisse waren okay. »Wir legen ab, Käpt'n!« erklärte ich, schlug dem Freizeitseemann auf die schmächtigen Schultern und schob ihn zum Ruder. »Aber - hören Sie mal, Mister! Ich bin gerade erst angekommen!« wehrte der Mann aus Merry Old England ab. »Tja, und nun fahren Sie eben noch mal hinaus.« Der Brite blinzelte mich an. »Henry, what's the matter?« rief eine besorgte Frauenstimme aus der Kajüte. »Sie sind so was wie eine Pirat, yes?« fragte Henry. Ich nickte und schob demonstrativ ein neues Magazin in den Griff meiner 74
SIG Sauer. Henry begriff und startete die Maschine. Seine Frau fragte erneut, was eigentlich los war. »Sagen Sie ihr, Sie tun einem Freund einen Gefallen«, wies ich Henry an. Was ein Fehler war. Denn Marjorie Soames, wie die voluminöse Seemannsbraut hieß, wollte nun unbedingt die Freunde ihres Mannes kennenlernen und hievte ihre Pfunde an Deck. Marjorie hatte Claudia und mich sofort ins Herz geschlossen und versorgte uns mit frisch gebrühtem Tee. Als sie erfuhr, daß uns Henry für Piraten hielt, klatschte sie in die Hände. »Ich liebe Piraten!« rief sie. »Das ist ja so aufregend. Soll ich eine Totenkopfflagge nähen?« »Nein, Marje, das wird nicht nötig sein«, wehrte Henry ab und rollte mit den Augen. »Und wohin entführt ihr uns?« »Das ist noch nicht ganz klar. Erst mal raus auf die Ostsee. Wir bleiben in Küstennähe.« »Seid ihr beiden auf der Flucht vor der Polizei, oder wollt ihr auf Schatzsuche gehen?« Marjories Wißbegier war unersättlich. »Nun, es handelt sich sozusagen um einen Polizeieinsatz«, erklärte ich vage. »Ich bin Mitarbeiter der Weimarer Kripo.« Was nicht ganz gelogen war. »Wie aufregend!« wiederholte Marjorie begeistert. »Dann wird es richtig gefährlich, ja?« »Unter Umständen schon. Wir suchen zwei Freunde, die vermutlich auf das Meer verschleppt wurden.« Henry Soames schluckte und verkrümelte sich ans Ruder. »Dieses Boot ist neu. Ich habe lange dafür gespart. Es ist meine einzige Leidenschaft, wenn Sie verstehen, was ich meine«, erklärte er mit einem Kopfnicken zu seinem Wonneweita hin. »Ich möchte es nicht verlieren«, fügte er leise hinzu. »Keine Sorge, Henry. Sie sollen uns nur fahren. Das Kämpfen besorgen wir selbst.« Henry holte alles aus seinem Boot heraus. Ich stand am Bug und suchte das Meer mit Hilfe eines Feldstechers ab. Claudia leistete der Engländerin Gesellschaft. Am späten Nachmittag rief mich Henry zu sich. »Sollen wir auch bei Nacht weitersuchen?« fragte er. »Wenn wir es vor der
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Dunkelheit noch zurück schaffen wollen, müssen wir jetzt umkehren!« »Eine halbe Stunde noch, Henry. Dann brechen wir ab.« Nach zwanzig Minuten zog Henry eine weite Schleife nach links, um den Rückweg anzutreten. Kurz darauf entdeckte ich die Nebelbank. »Stop, Henry!« rief ich. Claudia stürzte zu mir. »Hast du was entdeckt?« Ich deutete nach vorn und reichte ihr das Fernglas. »Nebel. Na und?« »Fällt dir nichts auf? Strahlender Sonnenschein, ruhige See. Und urplötzlich am Horizont eine Nebelbank. Das ist doch mehr als seltsam.« »Wenn du meinst. Ich kenne mich mit so was nicht aus.« Ich nahm den Feldstecher zurück und beobachtete den Nebel weiter. Er zog sich wie ein Silberstreif am Horizont entlang, etwas eine knappe Seemeile breit. »Henry, nimm Kurs auf den Nebel!« befahl ich. Der Engländer murmelte etwas Unverständliches und änderte den Kurs. Je mehr wir uns dem Silberstreif näherten, desto unruhiger wurde die See. Der Kreuzer pflügte durch die Wellen, kämpfte gegen den stärker werdenden Wind an. Henry nahm seine Kapitänsmütze ab, um zu verhindern, daß sie ihm vom Kopf geweht wurde. Und dann lag sie vor uns. Eine dichte, undurchdringliche Wolkenmasse. »Soll ich weiterfahren?« brüllte Henry, um sich über den Wind bemerkbar zu machen. Ich nickte und deutete auf die Wand. »Aber langsam.« »Aye, Sir! Und sehr vorsichtig!« Es war, als drang das Boot in einen riesigen Watteberg ein. Kaum hatten wir die Nebelwand durchbrochen, wurde jedes Geräusch verschluckt. Totenstille umgab uns. Wassertröpfchen sammelten sich auf den Aufbauten und auf unserer Haut. Es war kalt. Und völlig windstill. Unendlich langsam bewegte sich das Boot vorwärts. Henry steuerte auf mein Zeichen einen Zickzackkurs, ein engmaschiges Netz vom linken Rand der Nebelwand bis zur rechten Kante.
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Ich hatte den Feldstecher beiseite gelegt. Hier nützte er mir herzlich wenig. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Mein Ring leuchtete schwach und zeigte an, daß dieser Nebel alles andere als natürlich war. Wir hatten jegliches Zeitgefühl verloren. Claudia stand neben mir und umklammerte meinen linken Arm, auch sie war gespannt wie ein Regenschirm. Henry hatte das Boot eben wieder nach Backbord gesteuert, als der Siegelring gleißend hell strahlte. »Langsam, Henry! So langsam, daß ich daneben herschwimmen könnte!« rief ich. Obwohl ich meine Stimme erhoben hatte, klang sie fast wie ein Flüstern. Soames drosselte die Geschwindigkeit. Und doch hätte er sein geliebtes Boot beinahe verloren! Die Situation erinnerte mich an mein Abenteuer auf der Titanic, als der verhängnisvolle Eisberg plötzlich vor dem Ozeanriesen aufgetaucht war und Hunderten ahnungsloser Menschen den Tod gebracht hatte. Ich hatte damals allerdings andere Sorgen gehabt, denn der ägyptische Krokodilsdämon Seth-Suchos hatte es sich in den Kopf gesetzt, mir den Garaus zu machen. (Siehe MH 14!) Doch in diesem Augenblick war es kein Eisberg, der Henrys Boot gefährdete, sondern ein riesiges, kuppelähnliches Gebilde aus Glas und Stahl, das unvermittelt vor uns aufragte. Das Gebilde erschien riesig, wie ein Hochhaus. Henry stieß einen gellenden Schrei aus und wich zurück. Ich handelte instinktiv. Mit zwei Sätzen war ich beim Ruder und riß es herum. Gleichzeitig drückte ich die beiden Gashebel nach vorn, ließ die Maschine mit voller Kraft laufen. »What are you doing?« brüllte Henry und versuchte, mich vom Steuer wegzureißen. »Du machst my boat kaputt!« Der Kabinenkreuzer neigte sich bedrohlich nach Backbord. Henry verlor das Gleichgewicht und mußte sich an der Reling festhalten, um nicht baden zu gehen. Marjorie schrie spitz. Zwischen dem Boot und der Kuppelwand hätte keine Hand mehr Platz gehabt, aber wir schafften es. Der Kreuzer bekam keinen Kratzer ab. Ich stoppte die Maschine und lehnte mich aufatmend über das Ruder. »Wo, zum Teufel, kommt dieses - Ding her?« fragte Henry. 77
»Du hast dir bereits die Antwort gegeben«, murmelte ich. »Vom Teufel höchstpersönlich.« »Du machst - wie sagt man - einen Spaß?« vermutete Henry unsicher. »Ich wollte, ich könnte darüber lachen, Käpt'n.« Ich hatte bei unserer Abreise aus Flensburg das Rettungsboot, ein kleines Zwei-Mann-Dinghi, am Heck bereitgelegt. Jetzt zog ich die Leine der Aufblasautomatik. Mit einem Whuussch!! wurde das zusammengelegte Gummiboot seetüchtig gemacht. »Wir rudern hinüber, Käpt'n. Sobald wir außer Sichtweite sind, fährst du dein Boot aus der Nebelwand heraus. Du kannst nach Flensburg zurückkehren oder auf uns warten. Das überlasse ich dir.« »Aber - das ist viel zu gefährlich«, wandte der Englishman ein. »Du solltest die Coast Guard rufen.« »Das dauert mir zu lange. Die Zeit drängt.« Ich winkte Claudia. Gemeinsam ließen wir das Schlauchboot über Bord gleiten. Mit dem Plastikpaddel stieß ich mich von der Wand des Kabinenkreuzers ab und ruderte auf die Kuppel zu. »Das ist ja sooo aufregend, mein Lieber!« hörte ich Marjorie Soames Stimme, dann tauchten wir im Nebel unter. * Nur das leise Plätschern der Wellen war zu hören. Das Dinghi schaukelte und streifte an den Stahlverstrebungen und den Glaswänden der Kuppel entlang. Als wir sie zur Hälfte umrundet hatten, ohne einen Zugang zu entdecken, geriet das Dinghi in eine Art Strudel, drehte sich, und ich erkannte schwach die Umrisse einer zweiten Halbkugel, die sich nur kurz abzeichneten, als sich der Nebel etwas lichtete. »Es sind zwei Kuppeln«, flüsterte ich. »Und dazwischen muß es eine Verbindung geben. Laß uns mal rüberpaddeln.« Ich schob das Schlauchboot mit einem kräftigen Ruderschlag vorwärts. Claudia folgte meinem Beispiel. Als ich das Paddel erneut ins Wasser tauchte, stieß ich auf Widerstand. Das Paddel ließ sich nicht mehr bewegen. Hing unverrückbar fest! 78
Ich zerrte an dem Aluminiumholm, wollte das Ruderblatt freibekommen. Und schaffte es nicht. Statt dessen wurde das Paddel in die Tiefe gezogen. Ich glitt auf die Knie, hielt eisern fest. Ein Ruck! Ich fiel auf den Rücken und richtete mich ächzend auf. In der Hand hielt ich den Aluholm, an dem das Plastikblatt fehlte! »Unsere Paddelei scheint jemandem überhaupt nicht zu gefallen«, meinte ich. »Hör auf, Claudia. Sonst legt er sich auch noch mit dir an.« Hastig zog sie das Paddel aus dem Wasser. Ich bemerkte die große Hand mit der grünlich schimmernden Haut, die dem Alupaddel folgte. Bevor ich Claudia jedoch warnen konnte, hatten sich die Finger um ihren Arm gelegt und zogen sie mit Brachialgewalt über Bord! Ihr Schreckensschrei ging in einem Gurgeln unter, als sie in den Fluten versank. Ich hielt den Aluschaft meines Paddels immer noch fest und zögerte keinen Moment. Hechtete ins Wasser und schoß unter dem Dinghi in die Tiefe. Weit unter mir konnte ich die Umrisse eines hünenhaften, nackten Kerls erkennen, der die zappelnde Claudia umschlungen hielt. Ihre ließen nach. Bald hing sie leblos in den Armen ihres Entführers. Mir wurde die Luft knapp. Das Lungenvolumen meines Gegners mußte beträchtlich größer sein als meines. Rotschwarze Schleier waberten vor meinen Augen. Die Lungen brannten. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Aber aufgeben kam nicht in Frage! Urplötzlich waren Claudia und der grüne Riese verschwunden! Ich holte alles aus meinem Körper, sank tiefer und erreichte eine gläserne Röhre, die von der ersten Kuppel ausging und vermutlich zur zweiten führte. Das also war der Verbindungsgang! Verzweifelt tastete ich mich an der Glaswand entlang. Doch nirgendwo war ein Einstieg zu erkennen. Das Ding war luftdicht versiegelt! Mit einem dumpfen Geräusch tauchte das grinsende Gesicht des Entführers vor mir auf. Der Kerl bleckte seine Beißer. In der Mitte
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seiner hellen Pupillen saß ein stecknadelgroßer, schwarzer Punkt. Das leuchtend rote Haar wirkte wie die Flamme einer Fackel. Der Scherzbold winkte mir zu, warf sich Claudias reglose Gestalt über die breite Schulter und stapfte von dannen. Ich hämmerte mit beiden Fäusten und dem Alustiel gegen die Scheibe, erreichte jedoch nicht die Bohne. Das hier war extrem starkes Panzerglas, das auch einer orkanartig aufgewühlten See widerstand. Ich zog mich an dem Glasschlauch weiter zur vorderen Kuppel. Meine Überlegung war, daß der Einstieg irgendwo bei der Verbindung zwischen Röhre und Kuppelbau liegen mußte. Meine schmerzenden Lungen machten sich wieder bemerkbar. Ich war der Ohnmacht nahe. Wenn nicht in den nächsten Sekunden ein Wunder geschah, würde ich auftauchen müssen. Ob ich dann noch mal die Kraft für einen Tauchgang hatte, war fraglich. Meine Finger erfühlten eine quadratische Stahlplatte, etwa zwei Meter unterhalb der Röhre. Sie war durch einen versenkbaren Drehverschluß gesichert. Ich zerrte das Verschlußrad aus der Vertiefung und stemmte mich mit aller Kraft dagegen. Fast zu spät bemerkte ich, daß es sich nicht, wie angenommen, nach links, sondern im Uhrzeigersinn bewegen ließ. Verzweifelt klammerte ich mich an dem kleinen Stahlrad fest, zerrte daran, spannte sämtliche Muskeln an. Es bewegte sich! Mit einem Ruck löste sich die Stahlplatte von der Kuppelwand und gab eine Öffnung frei, die ungefähr so breit war wie die Ventilationsschächte in modernen Wolkenkratzern. Für meine muskulöse Gestalt würde es eng werden, aber wenn der grüne Riese es geschafft hatte, durfte ich auch nicht kneifen. Mit den Füßen voran glitt ich in die überflutete Öffnung, zog die Stahlplatte hinter mir zu und verriegelte sie. Ich schob mich mit den Händen am glatten Metallboden weiter, bis meine Beine plötzlich an den Seiten keinen Widerstand mehr spürten. Mit letztem Schwung rutschte ich aus dem Schacht, klatschte in ein breites Becken, sauste hoch und durchbrach mit dem Kopf die Wasseroberfläche. Tief pumpte ich die klare Luft in meine gequälten Lungen. Es war die reinste Wohltat. 80
Die Schleier vor meinen Augen rissen auf. Mein Blick wurde klar. Ich befand mich in einer großen Druckkammer. Rings um das Becken verlief ein schmaler Gang, von dem mehrere Türen abzweigten. Ich schwamm auf eine eiserne Leiter am Beckenrand zu. Kaum hatte ich meine Hand auf die unterste Sprosse gelegt, als ich auf das nächste Hindernis stieß. Ein Hindernis in Form einer nackten Frau! Sie mußte sich lautlos über den Rundgang bewegt haben, anders konnte ich es mir nicht erklären, daß sie so unerwartet vor mir stand und sich zu mir herunterbeugte. Ihre Haut schimmerte grünlich, ihr Haar war flammend rot. Und sie hatte die Muskelkraft des Hünen, der Claudia entführt hatte. Ihre Hand schoß vor, packte mich am Schopf und drückte mich unter Wasser! Ich schlug um mich und hätte beinahe den Alustab verloren. Doch die Hand der grünen Amazone ließ nicht locker. Nun würde ich doch noch elend ersaufen. In meiner Verzweiflung rammte ich den Aluholm mit aller Kraft nach oben. Ich mußte mitten ins Zentrum getroffen haben, denn die Finger der Frau lösten sich von meinem Kopf. Wie eine Boje sauste ich aus dem Wasser, klammerte mich an der Stahlleiter fest und zog mich hoch. Die Grünhäutige kauerte an der Wand und fauchte mich an. Über ihrer Nase und auf der Stirn zeichnete sich der kreisrunde Umriß der Holmspitze ab, mit der ich sie getroffen hatte. Geduckt kam die Amazone auf mich zu und streckte mir die Hände entgegen. »Noch mal geh ich nicht baden, Schätzchen. Zieh die Tatzen ein, sonst gibt's was drauf!« Sie gehorchte natürlich nicht. Ich hieb ihr auf die Linke. Keine Reaktion. Ein wuchtiger Schlag auf die Rechte führte dazu, daß sie mit einem höhnischen Grinsen meinen Alustab packte und das obere Ende abknickte, als sei es ein Strohhalm. Fassungslos betrachtete ich die Stange, die nun wie ein großer Bumerang wirkte. 81
Die Nackte warf sich mir entgegen, und ich hämmerte ihr das gebogene Ende der Stange entgegen. Ihre Zähne bissen sich am Aluminium fest. Wie ein Haifisch schüttelte sie sich, um mir die Stange zu entwinden. Ich zog sie an mich heran, ließ mich fallen und hebelte sie über mich hinweg. Platschend landete sie in dem Becken. Ich hielt mich nicht länger mit Spielereien auf. Mit diesem Sturz war die Amazone nicht aufzuhalten. Mein Ring strahlte nach wie vor. Zitternd kniete ich am Beckenrand, richtete den Lichtstrahl auf das Wasser und schrieb die Rune für geweihtes Wasser auf die Wasseroberfläche. Ich raffte mich auf und stieß die nächstbeste Tür mit der Schulter auf. Hinter mir brodelte das Wasser. Ich hörte einen markerschütternden Schrei. Ein rascher Blick über die Schulter ließ mich das Ende der Amazone miterleben. Das Wasser wirkte nun wie eine Kombination aus Schwefel- und Salzsäure. Freunde, es war kein schöner Anblick. Ich stieß die Tür hinter mir zu, um die Schreie der Dämonenfrau nicht mehr hören zu müssen, und jagte den schmalen Gang entlang. Wie ich den Zugang zur Verbindungsröhre fand, weiß ich heute nicht mehr. Vielleicht war es Glück. Vielleicht auch nur bloßer Zufall. Jedenfalls war ich mit Zuversicht erfüllt, und meine Kräfte kehrten zurück. Mit Riesensätzen jagte ich durch den Korridor. In der zweiten Kuppel war es dunkel. Bewegungssensoren bewirkten, daß sich Hydrauliktüren vor mir öffneten. Insgeheim bewunderte ich dieses Meisterwerk der Technik. Nur ein Genie wie Diethard Westphal konnte einen derart gigantischen und mit allen Raffinessen ausgestatteten Laboratoriumskomplex errichtet haben. Für mich stand ohne jeden Zweifel fest, daß ich im Begriff war, in Westphals Allerheiligstes vorzudringen. Ein weiterer, stockdunkler Korridor. Eine weitere Hydrauliktür. Ein riesiger Raum mit unzähligen Maschinen, Apparaturen und Druckkammern, in denen Gestalten standen, die der Amazone aufs Haar glichen.
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In der Mitte des Raums aber standen zwei Operationstische, auf denen ich die reglosen Körper von Tessa Hayden und Bernd Jensen erkannte. Davor kauerte Claudia Jensen auf dem Boden. »Das ist er!« hörte ich eine sonore Stimme, die vor Haß sprühte. »Er hätte mich beinahe erwischt. Dieser Mann hat die lebenden Toten besiegt!« »Willkommen in meinem kleinen Reich«, begrüßte mich gleich darauf eine hohe Fistelstimme, die unzweifelhaft von dem hageren Mann im weißen Kittel stammte, der neben Tessa stand und eine Spritze in der Hand hielt. Endlich hatte ich Professor Diethard Westphal gefunden! Ich trat einen Schritt vor, und meine Freude über den Erfolg verpuffte mit einem wuchtigen Hieb, der mich quer durch den Raum schleuderte! * Der Schlag hatte mich zwischen Halsansatz und linker Schulter getroffen. Es schmerzte höllisch, aber ich bin hart im Nehmen. Noch während ich durch die Luft flog, zog ich die SIG Sauer, drehte mich und feuerte drei Schüsse auf die Schreckensgestalt ab, die mir neben der Tür aufgelauert hatte. Hart prallte ich gegen eine Schaltkonsole. Lampen blitzen, Funken stoben. Ein Monitor erlosch. Ich sank zu Boden, richtete die Pistole auf Westphal. »Sie haben Mut, junger Mann! Darf ich erfahren, mit wem ich die Ehre habe?« »Ich bin Mark Hellmann.« »Ah, der Träger des Rings!« Westphal nickte. »Ich habe schon von Ihnen gehört, junger Mann. Mein Mentor hält allerdings keine großen Stücke auf Sie. Er würde es vielmehr schätzen, wenn ich ihm Ihren Kopf auf einem Silbertablett präsentieren würde.« »Dazu werden Sie keine Gelegenheit haben, Westphal! Ihr teuflisches Spiel ist aus. Ich weiß zwar nicht, worum es hier genau geht; aber Mephisto steht hinter Ihnen, und das genügt. Claudia, bist du in Ordnung?« Sie nickte. »Such dir ein Skalpell oder eine Schere und befreie Tessa und Bernd. Mit dem Professor werde ich mich befassen.« 83
»Sehr löblich, junger Mann, aber wie Sie richtig bemerkten, haben Sie keine Ahnung, in welche Richtung meine Forschungen führen. Sie begehen einen großen Fehler, junger Mann, wenn Sie mich aufhalten.« »Klären Sie mich auf, Professor!« Westphal hob beide Arme. Er hielt immer noch die Spritze fest, in der eine grasgrüne Flüssigkeit schimmerte. »Ich bin dabei, einen ewigen Menschheitstraum zu verwirklichen, Hellmann! Den Traum der absoluten, unbegrenzten Macht! Ich habe den Übermenschen kreiert.« Er deutete auf die Druckkammern. »Sie wurden nach meinem Ebenbild geschaffen. Sie besitzen meine Intelligenz, überragende Körperkraft. Ich wollte sie zu gefühllosen Wesen machen, aber Mephisto gab ihnen ein einziges Gefühl den Haß. Ich werde ihnen die Skrupellosigkeit dazuschenken. Sie werden die neue Menschenrasse begründen. Sie gehorchen meinem Befehl und werden in allen Teilen der Welt regieren. Und ich werde der Herr der Welt sein, Hellmann!« Ein fanatisches Leuchten trat in seine Augen. »Sie, Hellmann, haben die einmalige Chance, an meiner Seite diese Macht auszukosten! Wenn Sie mich weitermachen lassen! Ich stehe kurz vor dem Ziel!« »Das klingt alles sehr einleuchtend, Westphal. Aber wie wollen Sie Ihre Klone in die diversen Machtzentren bringen?« Westphal begab sich ins hintere Ende des Raums und blieb vor einer gewaltigen Computerwand stehen. Er deutete auf eine von buntem Licht umstrahlte Apparatur. »Dieses Gerät wird es mir ermöglichen. Es ist Mephistos Geschenk an die Menschheit. Rechtzeitig zum neuen Jahrtausend wird diese Maschine mit einem Schlag einen Großteil der Weltbevölkerung vernichten! Diejenigen, die das Glück haben zu überleben, werden von meinen Geschöpfen regiert. Eine völlig neue Menschenrasse wird entstehen. Und die Welt wird mir gehören!« »Sie irren sich, Professor. Sie wird Mephisto gehören. Er wird die Erde in ewige Dunkelheit stürzen. Die Welt wird nicht mehr so weiterbestehen, wie wir sie jetzt kennen. Und Sie, Westphal, werden nicht Herr dieser Welt, sondern Herr über Chaos und Verderben sein!« »Was wissen Sie schon, Hellmann? Nicht mal Mephisto kennt meine genauen Absichten!«
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»Sie wollen den Teufel hintergehen? Erinnern Sie sich an Dr. Faustus. Er hat es versucht und ist kläglich gescheitert. Der Teufel hat Ihnen seine Macht geschenkt, aber Mephisto gibt nichts ohne Gegenleistung. Sie sind längst zu seinem Werkzeug geworden, ohne es zu ahnen!« Ich hob die Pistole und ging auf ihn zu. »Und jetzt, Professor, werden Sie sich von diesem Spielplatz hier verabschieden. Sie werden einsehen, daß ich nicht zusehen kann, wie Sie Millionen Menschen in den Tod schicken.« »Sie Narr! Sie wissen nicht, was Sie anrichten!« brüllte Westphal. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Tessa und Bernd sich aufrichteten. Sie trugen nur noch Unterwäsche. Bernd rieb sich den Nacken und schüttelte den Kopf. »Du hast dir aber Zeit gelassen«, maulte Tessa. »Ich dachte schon, wir würden auch Grünspan ansetzen und rote Haare kriegen.« »Ich bin ja da«, meinte ich. »Zieh dir was an, wir gehen gleich baden.« »Das glaube ich kaum«, meckerte Westphal. Er wirbelte herum und warf die Spritze nach mir. Ich duckte mich zur Seite. Die Nadel sauste an mir vorbei und traf eine mißgestaltete Kreatur in den Hals. Ich feuerte. Natürlich wollte ich Westphal nicht töten. Meine Kugel streifte ihn am Arm und fuhr in die Schaltkonsole. Die Computer spielten verrückt. Westphal warf sich auf die Vernichtungsmaschine und machte sich am Tastenfeld an der Vorderseite zu schaffen. »Gehen Sie dort weg, Professor!« brüllte ich und stürzte nach vorn. Im selben Augenblick löste sich eine bekannte, rotgekleidete, beleibte Gestalt aus dem Körper des Wissenschaftlers. »Er hält sich vielleicht für den Herrn der Welt, Hellmann, aber ich bin der Herr von Flensburg!« Bevor ich ihn aufhalten konnte, warf sich Peter Pommering auf Tessa, umklammerte sie und wirbelte mit ihr herum wie ein Kreisel. »Wenn dir was an deinem Schätzchen liegt, Hellmann, hol sie dir zurück, andernfalls wird sie im Graben ihre letzte Ruhestätte finden!« Sein Lachen hallte mir in den Ohren nach, dann waren Pommering und Tessa verschwunden. 85
Ich war ratlos. Ich mußte Westphal und seinen alles vernichtenden Irrsinn stoppen, aber ich wollte auch Tessa vor einem schrecklichen Schicksal bewahren. »Ich halte hier die Stellung!« rief Bernd. »Bring Tessa zurück!« Ich konnte nicht antworten, denn Westphals irres Gelächter ging im Platzen der Druckkammern unter. Das Glas zersplitterte. Die Nährflüssigkeit ergoß sich wie ein Strom in den Laborraum. Die Klone stiegen aus ihren Behältern und kamen drohend auf uns zu. Aber damit nicht genug. Westphal öffnete sämtliche Seitentüren des Labors und befreite die höllischen Mißgeburten, die er kreiert hatte… * Ich warf Bernd meine Pistole zu und verkroch mich mit Claudia hinter einigen Apparaten. »Du wolltest doch wissen, wie unsere Vorfahren gelebt haben«, raunte ich. »Gleich wirst du es erfahren.« Mit dem Lichtstrahl des Siegelrings malte ich die Runen des Futhark-Alphabets für das keltische Wort Reise auf den Boden. Fest hielt ich Claudias Hand umklammert. Ich hatte beschlossen, sie lieber auf die Zeitreise mitzunehmen als sie in dieser Hölle zurückzulassen. Hell leuchteten die Schriftzeichen auf dem Boden. In wenigen Augenblicken würden sie verblassen. Ich konzentrierte mich auf Peter Pommering und den tiefen Graben, der sich quer durch den Flensburger Christiansenpark zog. Melodien, wie sie kein irdischer Musiker seinem Instrument entlocken konnte, erfüllten die Luft. Farbkaskaden explodierten vor unseren Augen. Der stilisierte Drache löste sich aus der Siegelfläche des Rings und wuchs zu gigantischer Größe an, schien uns verschlingen zu wollen. Ein unergründlicher, heller Schacht tat sich vor uns auf, und was ich dann vernahm, waren wohl Bernd Jensens Schüsse und Claudias gellender Schrei. Wir prallten auf sandigen Boden. Ich hatte Claudia losgelassen. Benommen richtete ich mich auf und schaute mich um. Wir lagen an einer Böschung des Grabens. Unsere Körper hatten sich tief in den Sand gewühlt. Wenige Schritte von mir
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entfernt kauerte Claudia auf dem Boden und wischte sich den Sand aus dem Gesicht. Ich krabbelte zu ihr hinüber, preßte mich dabei so flach wie möglich gegen den Boden. Ich legte keinen gesteigerten Wert darauf, von Flensburger Bürgern entdeckt zu werden. »Wo - sind wir?« stammelte Claudia. »Im mittelalterlichen Flensburg. Wir müssen uns schleunigst Kleidung besorgen.« Claudia bibberte. Es war schneidend kalt. »Eine gute Idee.« Vorsichtig kletterte ich nach oben und lugte über den Rand des Grabens. Wir befanden uns am Ende eines weiten, freien Platzes. Ich kramte in meinem Gedächtnis. Das mußte der sogenannte Thingplatz sein, auf dem die Bürger früher ihre Versammlungen abgehalten hatten und der nun als Marktplatz und für Festlichkeiten genutzt wurde. Denn inzwischen hatte man ein Rathaus, in dem ein gewisser Peter Pommering seine Schreckensherrschaft führte. Auf der anderen Seite des Platzes sah ich eine Vielzahl kleiner Fachwerkhäuser, verwinkelte Gäßchen, und rechter Hand erhob sich der Schandturm. Ich hörte ein Rattern und schleifende Geräusche. Sofort ließ ich mich zurückgleiten. Dicht vor mir schoben zwei Burschen einen zweirädrigen, mit schweren Baumstücken beladenen Karren dahin. Sie fluchten leise und mühten sich im Schweiße ihres Angesichts ab, den Karren vom Grabenrand wegzubringen. Die Gelegenheit war günstig. Wie ein Hüne wuchs ich hinter den beiden in die Höhe, packte sie am Genick und schlug mit einer blitzschnellen Bewegung ihre Köpfe zusammen. Die Burschen erschlafften in meinem Griff. Obwohl mich die Zeitreise geschlaucht hatte, stellten die beiden keine besondere Belastung für mich dar. Ihre ausgemergelten Körper konnte ich mit einer Hand wegziehen. Ich winkte Claudia. Rasch zogen wir den Burschen die grobe Leinenkleidung aus und schlüpften selbst hinein. Claudia paßten die Klamotten wie angegossen, aber ich hatte so meine Schwierigkeiten. Das Hemd spannte sich über meinen Muskeln und drohte, an den Nähten aufzuplatzen, und die Hosen endeten dicht unter dem Knie.
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Aber wir wollten ja nicht den ersten Preis bei einer Modenschau gewinnen, sondern Tessa befreien. Zusammen mit Claudia schob ich den Holzkarren zum Schandturm. Zwei Landsknechte standen vor dem Eingang des Turms Wache. Sie hatten ihre Hellebarden gekreuzt und trugen Schwerter und Dolche im Gürtel. »Wohin des Wegs?« rief einer der Wächter und musterte uns mißtrauisch. »Wir bringen Holz«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Das sehe ich, Bursche. Ich bin ja nicht blöd. Was wollt ihr hier?« Ich reizte hoch. »Wir kommen im Auftrag des Kerkermeisters. Herr Pommering will eine Gefangene dem Verhör unterziehen, und im Verlies lodern die Feuer noch nicht hell genug. Deshalb das Holz. Laßt uns ein, Gevatter, wir sind ohnehin schon spät genug dran. Wenn wir Herrn Pommerings Zorn erwecken, läßt er den Ochsenziemer auf unseren Rücken tanzen!« Die Landsknechte schauten sich ratlos an. Der zweite Wachtposten näherte sich Claudia. »Hast ein gar nettes Gesichtchen für ein Bürschlein«, murmelte er und streckte seine behandschuhte Rechte aus. »Wenn ich's nicht besser wüßte, würde ich dich glatt für eine Magd halten.« »Ihr habt ein scharfes Auge, Herr. Sie ist meine Schwester. Ich habe sie in Burschenkleider gesteckt, weil sich doch gar so viel Gesindel auf den Gassen herumtreibt. Mein Bruder, der mir helfen sollte, ist erkrankt.« Der Posten streichelte Claudias Gesicht, ihren schlanken Hals und umfaßte schließlich eine feste Brust. »Wir lassen euch passieren, wenn ihr uns versprecht, nachher ein Krüglein Wein mit uns zu teilen. Wir haben lange auf die Gesellschaft einer lieblichen Magd verzichten müssen. Es soll auch euer Schaden nicht sein.« »Wir versprechen es, Herr, aber es kann ein Weilchen dauern.« Der Wachtposten grunzte und nickte seinem Kameraden zu. Die beiden waren so erpicht darauf, sich mit Claudia zu vergnügen, daß sie uns sogar behilflich waren, den Karren in den Innenhof des Turms zu rollen. Es gab mehrere Zugänge zum Turm, aber rechts von uns befand sich ein gewaltiges, eisernes Tor, und dahinter führten 88
Steinstufen in die Tiefe. Das mußte der Eingang zum Folterkeller sein. Ich packte Claudia einen dünnen Holzstamm auf die Schulter, nahm mir ein meiner Größe angemessenes dickes Stück und betrat den Turm. Eine Wendeltreppe führte nach unten. Es war kalt und dunkel. Hin und wieder erhellten Fackeln in eisernen Wandhaltern die roh gehauenen Wände und Stufen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis wir einen schmalen Gang erreichten und ihm folgten. Zellentüren waren in den Wänden angebracht. Hände streckten sich uns durch die Türgitter entgegen. Jammern und Flehen erklang. Weit vor uns stand eine dicke Eichentür offen. In der halbrunden Öffnung zuckte Feuerschein. »Es sieht ganz danach aus, als käme dein Freund Hellmann nicht, mein Täubchen«, hörte ich Peter Pommerings Stimme. »Nun, wir werden dir noch eine Gnadenfrist gewähren. Bevor du an der Reihe bist, werden wir das Urteil über diese junge Magd sprechen.« Ich schob Claudia in eine dunkle Nische im Schatten der Eichentür und huschte zum Eingang der Folterkammer. Was ich sah, ließ mir die Haare zu Berge stehen. Sie hatten Tessa an die Wand gekettet. Die Arme waren nach oben gestreckt. Die Zehenspitzen berührten kaum den Boden. Der einst weiße Slip war verschmutzt und zerrissen. Wesentlich schlimmer erging es aber den beiden anderen Delinquenten. Ein halbwüchsiger Knabe kauerte auf Knien in einem mit Stahldornen versehenen eisernen Käfig. Der Junge war gezwungen, weit vorgebeugt in seinem furchtbaren Gefängnis zu verharren. Jede noch so kleine Bewegung mußte ihm höllische Schmerzen bereiten. Ein kaum zwanzigjähriges Mädchen, bekleidet mit einem zerfetzten und blutigen Büßergewand, war auf ein anderes Folterinstrument gespannt worden. Ihr Körper war zum Brechen durchgebogen. Sie konnte nur sehr flach atmen. Arm- und Fußgelenke waren von den rauhen Hanfstricken aufgescheuert worden. »Christine Witte, du wirst beschuldigt, dem Kaufmann Jakobsen ein Leinenhemd und drei Äpfel gestohlen zu haben. Im Verhör hast du deine Schuld zugegeben.« Pommering grinste die Magd 89
an. »Wir können es nicht dulden, daß Gesindel wie du das Ansehen Flensburgs in Verruf bringt. Du wirst im Graben verscharrt und mit dem Pfahle zum Tode geführt!« Trotz der ungeheuren Schmerzen holte das Mädchen tief Luft und schrie gellend. »Das Urteil wird sofort vollstreckt! Kerkermeister, schickt euren Gesellen hinaus, um die Bürgerversammlung zu benachrichtigen. Alle sollen sehen, wie Peter Pommering mit diesem Gesindel verfährt!« »Was ist mit dem Knaben?« fragte der muskulöse Folterknecht. Pommering bedachte den Burschen mit einem verächtlichen Blick. »Ich bin es leid, mich mit Kinkerlitzchen abzugeben. Hans Ziegenhirt, du hast beim Ballspiel ein Fenster des Rathauses zertrümmert. Dies wird deinesgleichen lehren, fürderhin mit Bedacht zu handeln. Man schlage dir den Kopf ab! Danach haben wir dann viel Zeit, uns mit diesem süßen Täubchen zu befassen«, meinte er und nickte zu Tessa hinüber. Ich huschte zu Claudia in die Nische, als der Folterknecht seinen Gesellen nach oben schickte. Noch war ich zu geschwächt, um allein gegen Pommering und seinen Kerkermeister bestehen zu können. In Minutenschnelle herrschte im Innenhof des Schandturms helle Aufregung. Bürger hatten sich versammelt, um den Hinrichtungen beizuwohnen. Ich vernahm laute Stimmen. Wenig später wurde Christine Witte aus dem Verlies geführt. Auch im unteren Teil des Turms wimmelte es inzwischen von Menschen. Claudia und mir fiel es nicht schwer, uns unter die Zuschauer zu mischen. Der Menschenstrom riß uns mit. Es bestand keine Gelegenheit, Tessa aus dem Verlies zu befreien. Wir mußten abwarten. Menschen schrien durcheinander. Da waren aufgebrachte Stimmen, die das Urteil als gerecht empfanden. Eine Vielzahl von Bürgern stellte jedoch das unmenschliche Vorgehen des Bürgermeisters in Frage. Stolz schritt Pommering neben der Delinquentin her. Quer über den Thingplatz schleiften sie das Mädchen. Hände rissen an ihrem Büßergewand, kratzten über ihre Haut. Bald hing sie fast völlig entblößt im Griff ihrer Peiniger.
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Zwei Männer schaufelten auf dem Boden des Grabens eine Grube. Christine Witte brach weinend in die Knie, flehte um Gnade. Es war umsonst. Als man sie über die Böschung nach unten ziehen wollte, wehrte sie sich mit dem Mut der Verzweiflung. Doch auch das half ihr nichts. Sie rutschte durch den Sand nach unten und kam in der Grube zu liegen. Bevor sie sich aufrappeln konnte, wurden die ersten Schaufeln voll Sand auf sie geworfen. Christine Witte wurde lebendig begraben! Aber damit noch nicht genug. Kaum hatte sich die Grube mit Sand gefüllt, brachte man einen armdicken, angespitzten Holzpfahl herbei und trieb ihn mit wuchtigen Hammerschlägen durch den Sand in den Leib des Armen Mädchens. Atemlose Stille herrschte. Dann verkündete Peter Pommering die bevorstehende Hinrichtung des Jungen. Hatte man das Urteil gegen die Magd noch hinnehmen können, so hatte der Junge in den Augen der Bürgerschaft kein Verbrechen begangen. Daß er für ein Mißgeschick mit dem Tode bestraft werden sollte, war den Bürgern doch zuviel. Protestrufe wurden laut. Die Bürger weigerten sich, das Urteil anzuerkennen. Doch der Bürgermeister zeigte sich unbeeindruckt. Er stolzierte wieder zum Schandturm zurück. Die Bürger drängten nach. Und hier, im Hof des Turms, wurden wir Zeuge, wie der Scharfrichter den jungen Hans Ziegenhirt seiner Strafe zuführte. Claudia wandte sich mit Grausen ab und vergrub ihr tränenüberströmtes Gesicht an meiner Brust. Pommering rieb sich die Hände, ließ die aufgebrachte Menge mit dem enthaupteten Jungen allein und verschwand im Verlies. Mit Claudia im Schlepptau, folgte ich dem teuflischen Bürgermeister. Wir fanden ihn allein im Verlies. Er hatte eine glühende Eisenzange aus dem Kohlenbecken geholt und näherte sich Tessa. »Mein Täubchen, Hellmann hat dich vergessen. Vielleicht lebt er schon gar nicht mehr. Du wirst jedenfalls tausend Qualen erleiden, bevor auch du im Graben verscharrt wirst!« »Das glaube ich weniger, Pommering. Deine Schreckensherrschaft ist zu Ende!« rief ich und sprang vor. »Mark!« Tessas Stimme war schwach. »O mein Gott, Mark!«
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»Es ist gleich vorbei, mein Schatz!« versuchte ich sie zu beruhigen. Pommering stellte sich zum Kampf. Mit der Zange hieb er auf mich ein. Während ich mich mit einigen Sprüngen aus der Gefahrenzone brachte und nach einer Waffe suchte, machte sich Claudia mit einem Stemmeisen an Tessas Handfesseln zu schaffen. Der Folterknecht tauchte im Eingang des Verlieses auf und griff in den Kampf ein. Ich hatte ein riesiges Messer und ein Beil entdeckt und beides an mich genommen. Der Kerkermeister wälzte seinen muskelbepackten Körper auf mich zu, während sich Pommering im Hintergrund hielt und Claudia an ihrem Vorhaben hindern wollte. Doch die junge Frau bewies, daß auch sie kämpfen konnte. Mit Tritten hielt sie sich den Bürgermeister vom Leib. Ihre Wut über die beiden Hinrichtungen war grenzenlos, und das bekam Pommering nun zu spüren. Der Folterknecht zeigte nicht die geringste Angst. Mit glühenden Eisenstangen hieb er auf mich ein. Ich konnte die Schläge nur mit Mühe abwehren und geriet immer mehr in die Defensive. Mein Gegner trieb mich auf ein mit Stahldornen besetztes Eisengitter zu. Bald würde er mich soweit zurückgedrängt haben, daß ich von den Dornen durchbohrt wurde. Vor der Tür entstand Tumult. Bürger wollten herein. Sie schwangen Dreschflegel, Holzknüttel und allerlei Handwerkszeug, das als Waffe benutzt werden konnte. »Bürgermeister, du bist abgesetzt, bis der Schiedsspruch des Statthalters von Schleswig gehört wird«, riefen einige Männer. Ich fühlte die Eisendornen in meinem Rücken und sah gleichzeitig, wie sich Pommering mit Hilfe einiger Landsknechte einen Weg durch die Menge bahnte. Im selben Moment sausten die Eisenstangen auf mich nieder. Ich ließ mich zur Seite fallen, rollte herum und rammte dem Muskelprotz beide Beine ins Kreuz. Er gab einen gellenden Schrei von sich, als ihn die Wucht meines Stoßes nach vorn und gegen die Stahldornen trieb. Augenblicke später stand ich neben Tessa, schwang die Axt und zertrümmerte die Handfesseln. Die Stahlmanschetten schlossen sich zwar immer noch um ihre Handgelenke, aber zumindest war sie nicht mehr an die Wand gekettet. 92
Mit den beiden Frauen drängte ich mich durch die Menge verblüffter Bürger, die ihre Wut nun an den Folterinstrumenten ausließen und das Verlies verwüsteten. Ich hetzte die Stufen hoch, durchquerte den Innenhof und schnappte mir einen Bedienten. »Wo sind Peter Pommerings Gemächer?« zischte ich und schüttelte den Armen Kerl, der gar nicht wußte, wie ihm geschah. Zähneklappernd verwies er mich in eines der oberen Stockwerke. Als wir in den Turm eindringen wollten, wurde Claudia von den beiden Landsknechten aufgehalten, die am Tor Wache gestanden hatten. »Da ist ja das Täubchen, das uns Gesellschaft leisten wollte. Und du hast auch gleich noch eine zweite Schönheit mitgebracht!« Die lüsternen Blicke der Landsknechte glitten über Tessas Brüste. Ich hielt mich nicht allzu lange mit den beiden Lustmolchen auf, sondern donnerte ihnen das flache Axtblatt auf die Helme und schickte sie schlafen. Ich fand Pommering in einem riesigen Saal, dessen Mitte von einer reich gedeckten Eichentafel eingenommen wurde. Der Bürgermeister stand am Fenster, schaute über seine Stadt und kaute an einer Gänsekeule. Ein reich verzierter Becher mit Wein stand vor ihm auf dem Fenstersims. »Genieße deine Henkersmahlzeit, Pommering!« rief ich. Er schaute mich verächtlich an. »Mit einem Beil und einem Messer gegen einen Unbewaffneten? Ich dachte, du wärst ein edler Held, Hellmann!« Ich warf die Waffen zwischen die Speisen auf dem Tisch. »Ich brauche kein Beil, um dich zu erledigen, Fettwanst. Das übernehmen die Bürger für mich. Du wirst deinen Opfern im Graben Gesellschaft leisten.« Ich näherte mich dem Bürgermeister. Er drehte sich zu mir um und schüttete mir den Wein ins Gesicht. Er war schnell, trotz seiner Leibesfülle. Wie ein Wiesel warf er sich auf die Tafel, griff nach meinen Waffen. Ich packte ihn, riß ihn zurück. Wir rangen. Der Kerl hatte eine Wahnsinnskraft. Der Kampf wurde im gesamten Raum geführt. Die Tafel ging unter unserem Körpergewicht zu Bruch. Wir wälzten uns inmitten der erlesensten Speisen und Getränke.
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Pommering war mir überlegen. Seine dicken Finger krallten sich um meine Kehle. Er versetzte mir schwere Hiebe. Als ich mich zusammenkrümmte, erwischte mich sein Knie unter dem Kinn. Ich sah Sterne. Er zerrte mich zum Fenster. Ich bekam ihn zu packen. Wir glitten an der Fensterbank entlang. Ich warf mich gegen Pommering. Scheiben zersplitterten. Keuchend blieb ich stehen, als Pommering eine Scherbe aus seiner blutenden Wange zog. Er lächelte mich siegessicher an. »Du bist mir nicht gewachsen, Hellmann. Du bist mein Weihnachtsgeschenk für Mephisto, und danach werde ich nicht nur dein Schätzchen, sondern auch noch ihre Freundin bekommen!« Langsam zog er die goldene Kordel, die sich um seinen Leib schlang, vom Körper und wickelte sie um beide Hände. Blitzschnell schossen seine Arme vor. Der Kerl wollte mich strangulieren! In der Polizeisportschule hatte ich mit Pit eine Menge Abwehrtechniken trainiert, und das kam mir nun zugute. Ich unterlief Pommering, blockte die Würgeschnur ab, drehte mich zwischen seinen Armen, und es gelang mir tatsächlich, ihm die Schnur zu entwinden und sie ihm über den Kopf zu streifen. Pommering wehrte sich mit aller Kraft, wollte seinen Hals aus der Schlinge ziehen. Und es wäre ihm auch gelungen, wenn ich nicht die beiden Enden der Kordel mehrmals um das Fensterkreuz geschlungen hätte. Unter Pommerings Schlägen brach ich in die Knie. Pommering schob seinen fetten Hintern auf die Fensterbank und hob beide Beine, um mir seine Stiefel ins Gesicht zu donnern. »Grüß mir Mephisto, Fettsack!« flüsterte ich, wehrte seine Füße ab und drückte sie zurück. Im Bruchteil einer Sekunde, bevor er das Übergewicht bekam, erkannte Pommering seinen Fehler. Weit riß er die Augen auf, aber es war zu spät. Sein Schrei brach schlagartig ab, als Pommering rücklings aus dem Fenster stürzte und sich die Kordel um seinen Hals zusammenzog. Ich zog mich mit Tessa und Claudia in einen Winkel des Saals zurück. Mit dem Lichtstrahl des Siegelrings leitete ich die 94
Rückreise ein. Als die ersten Bürger in den Saal drängten, konnte ich sie nur als undeutliche Schemen erkennen. Dann wirbelten wir durch die Zeiten. * In Professor Westphals Labor herrschte ein wildes Getümmel, als wir zurückkehrten. Bernd kämpfte wie ein Berserker gegen die Klone und die mißratenen Schreckensgestalten. Tessa zerrte Claudia mit sich und verschwand im Korridor. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie sich Westphal an der Vernichtungsmaschine zu schaffen machte. Ich bahnte mir einen Weg zu ihm. »Aufhören, Professor. Peter Pommering ist nicht mehr. Und Sie werden für immer hinter Schloß und Riegel landen!« Der schmächtige Wissenschaftler tippte weiter auf dem Ziffernfeld der Maschine herum. »Irrtum, Hellmann. Mephisto wird nicht bis zur Jahrtausendwende warten müssen. Ich werde ihm Millionen Seelen für die Hölle schenken!« Westphal gab die letzte Ziffer der Zahlenkombination ein. Mephistos Vernichtungsmaschinerie war in Gang gesetzt. Und ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich sie stoppen sollte! Ich riß den Professor herum, aber er entzog sich meinem Griff. In seinem schmächtigen Körper schlummerten Bärenkräfte, die nun zur Entfaltung kamen. »Tötet sie!« brüllte er. »Macht sie fertig! Sie sind eure Feinde!« Er stieß mich beiseite und jagte durch den Raum. Ein Klon hatte Bernd bei der Gurgel. Ein weiterer Hüne und eine Amazone tappten auf mich zu. Sie würden mich wie ein Zündholz in der Mitte auseinanderbrechen. Doch dann mischten sich zwei weitere Amazonen in den Kampf ein. Tessa und Claudia. Sie hatten Bernds Berettas und die Ersatzmunition aus der Kammer geholt, in der man Tessa und den Pater gefangengehalten hatte. Die Schüsse peitschten laut durch das Labor und waren wohlgezielt. 95
Die Klone verdauten die Silberkugeln zwar, waren aber geschwächt. Die schrecklichen Mißgeburten vergingen unter der reinigenden Kraft des Silbers. »Die Schalttafel!« brüllte ich. »Schieß auf die Computer!« Tessa jagte die fünfzehn Kugeln eines Magazins in die Konsole und die Vernichtungsapparatur. Ich jagte Westphal hinterher. Hinter mir knisterte und zischte es. Monitore implodierten. Funken stoben. Kabel schmorten. Rauch stieg auf. Ein Teil der Schaltkonsole explodierte. Flammen schlugen aus der Computerwand. Westphal lachte teuflisch, als ich ihm durch die dunklen Korridore folgte. »Bleiben Sie stehen, Professor! Mephisto kann Ihnen nicht mehr helfen! Sie haben verloren!« Ich holte ihn in der vorderen Kuppel ein. Hier schienen sich auch Westphals Privaträume zu befinden, denn ich bemerkte eine Anzahl moderner Designermöbel. Westphal holte eine Flasche Champagner aus einem Kühlschrank, ließ den Korken knallen, füllte einen Kelch und prostete mir zu. »Auf Ihre Höllenfahrt, Hellmann!« Langsam trat ich näher. Unvermittelt hieb Westphal mit der Champagnerflasche nach mir. Nur knapp entging ich dem Schlag. Die Flasche zersplitterte an einer Tischkante. »Schade um den edlen Tropfen«, meinte der Wissenschaftler bedauernd und warf sich auf mich. Der gezackte Flaschenhals zuckte auf mich zu. Der Zweikampf verlangte mir einiges ab. Nur mit Mühe konnte ich verhindern, daß mich Westphal mit dem Flaschenhals zerfleischte. »Sie hätten eine große Zukunft an meiner Seite gehabt, Hellmann!« stieß er hervor. »Sie hätten ungeahnte Macht bekommen!« »Der Preis war mir zu hoch, Professor!« gab ich zurück und hieb auf sein Gesicht ein, bevor ich ihm am Hals packte. Wir rollten durch den Raum. Möbelstücke gingen zu Bruch. Westphal gelang es, sich von mir zu lösen. Er jagte durch den Raum, erreichte ein kleineres Labor, hechtete über einen Schreibtisch und richtete sich freudestrahlend auf. »Ihre Vernichtungsmaschine wird nicht funktionieren, Westphal«, startete ich einen letzten Versuch, ihn zum Aufgeben 96
zu bewegen. »Meine Freunde haben die Schaltzentrale zerstört. Sie werden Ihr Ziel niemals erreichen, Professor.« Er hielt etwas hoch, das der Fernbedienung meiner Stereoanlage ähnelte. »Mag sein, mein Freund, daß Sie das Schlimmste verhindert haben. Aber Sie werden Ihren Sieg nicht sehr lange genießen können, Hellmann. Ich werde meinen Willen bekommen. Denn Sie, mein junger Freund, werden mich begleiten!« Er richtete die Fernbedienung auf mich. Und mir dämmerte plötzlich, was er vorhatte! »Neeeiiinnn!!« brüllte ich und stürzte nach vorn. Und wußte doch, daß ich ihn nicht aufhalten konnte. Er drückte einen roten Knopf. »Bitte evakuieren Sie die Anlage. Der Countdown läuft. In drei Minuten wird sich diese Anlage selbst zerstören. Bitte evakuieren Sie die Anlage! Countdown minus eins - acht - null! Bitte evakuieren Sie…!« Die Stimme drang aus verborgenen Lautsprechern. Ich starrte den Professor ungläubig an. In drei Minuten würden wir es unmöglich schaffen können, den Komplex zu verlassen und den Wissenschaftler mitzunehmen. »Ihr erbärmliches Leben und das Ihrer Freunde währt noch knapp zweieinhalb Minuten, Hellmann. Sie sollten Ihre Freundin noch mal in die Arme nehmen, bevor es knallt!« »Stoppen Sie den Countdown, Professor. Halten Sie den Vorgang auf, verdammt!« »Das ist mir leider nicht möglich, junger Freund. Noch zwei Minuten!« Ich brüllte meine Wut hinaus, jagte zur Tür und hetzte durch die Korridore. Nie war ich die hundert Meter schneller gelaufen. Bernd und die beiden Frauen kamen mir auf halbem Weg entgegen. »Countdown minus acht - acht!« »Der Professor?« rief Bernd. Ich schüttelte den Kopf. »Vergiß ihn. Unsere eigene Haut ist wichtiger!« »Wir können unmöglich durch eines der Fenster verschwinden!« brüllte der Pater. »Kugelsicheres Panzerglas!« Ich winkte stumm und rannte vor ihnen her. Es gab nur einen Ausweg. 97
Die Zeit würde verdammt knapp werden. »Countdown minus sechs - drei! Bitte evakuieren Sie sofort…!« Hinter uns hörte ich trampelnde Schritte. Ich achtete nicht darauf. Mit pfeifenden Lungen hetzte ich in einen Seitengang und erreichte die Stahltür, die zum Tauchbecken in der Druckkammer führte. »Was sollen wir hier?« fragte Tessa und schaute auf das grünlich schimmernde Wasser. »Durchtauchen. Dort unten gibt es eine Luke, die ins Freie führt.« »Scheiße!« »Countdown minus vier - sieben!« Ich stieß Tessa ins Wasser. Claudia folgte sofort mit einem eleganten Kopfsprung. »Halte deine Berettas fest, Pater«, riet ich und gab ihm ein Zeichen. Das war der Moment, in dem drei Klone auf den Rundgang stürzten. Zwei Männer und eine Frau. Sie bleckten die Zähne und waren zu allem entschlossen. »Countdown minus drei - zwei!« »Sorry, aber wir haben keine Zeit für euch, Freunde!« erklärte ich und trat einem Kunstmenschen in den Bauch. Er wich keinen Millimeter zurück, sondern knurrte nur und ballte die Fäuste. Bernd zog die Pistolen hoch und feuerte seine letzten drei Kugeln ab. Die künstliche Frau taumelte, als zwei Geschosse in ihre Brust drangen. Ein Hüne bekam eine Kugel in die Stirn und brach in die Knie, um sich jedoch gleich wieder schwerfällig zu erheben. »Countdown minus zwei - null!« »Eins - neun! Eins - acht! Eins - sieben…!« Mein grünhäutiger Gegner ließ die Fingerknöchel knacken, quittierte meinen Fausthieb mit einem Zähnefletschen und warf mich in hohem Bogen ins Wasser. »Einen größeren Gefallen hättest du mir nicht tun können!« Ich winkte ihm dankbar. Bernd tauchte neben mir in die Fluten. »Hier drin sind wir ihnen hilflos ausgeliefert!« schrie Tessa.
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Ich schüttelte den Kopf. »Luftholen, mein Schatz, und mir nach!« rief ich, pumpte meine Lungen voll und tauchte. »Eins - null! Null - neun!« hörte ich dann noch die metallische Stimme. Tessa hatte recht, im Wasser hatten wir nicht die geringste Chance gegen sie. Aber sie besiegelten ihr Schicksal, denn ich hatte bei meiner Ankunft das Wasser gesegnet. Uns konnte die geweihte Flüssigkeit nichts anhaben, aber auf die Klone wirkte es vernichtend. Brüllend peitschten sie das Wasser. Ich führte meine Freunde in den Schacht. Mit hektischen Schwimmbewegungen trieben wir unsere Körper nach vorn. Meine Hände bekamen das Stahlrad an der Verschlußklappe zu fassen. Mittlerweile durfte der Countdown bei Null angekommen sein. Ich erwartete, von einer gewaltigen Druckwelle zerquetscht zu werden. Als der Ruck durch die Kuppel ging und die Schachtwände erzittern ließ, stieß ich die Stahlklappe auf. Wie Torpedos wurden wir durch die Öffnung katapultiert. Ich packte Tessa an der Hand und schwamm unter Wasser, so weit ich konnte. Erst, als meine Lungen dem Zerreißen nahe waren, drängte ich der Oberfläche entgegen. »Bernd!« rief ich, als unsere Köpfe die Wasseroberfläche durchbrachen und wir keuchend nach Atem rangen. Dann hörten wir die Detonationen. Wir schwammen hastig von der Kuppel weg, um dem Sog zu entgehen, wenn sie versank. Ein gewaltiges Flammenmeer zuckte durch den Nebel. Zuerst erwischte es die Kuppel mit dem Hauptlabor. Damit war wohl auch Mephistos Vernichtungsmaschine in sämtliche Bestandteile zerlegt worden. Die Detonationen setzten sich über den Verbindungsschlauch zur vorderen Kuppel fort. Glas und Stahl flog in die Luft und prasselte ins Meer. Wir schwammen immer schneller, um außer Reichweite der Trümmer zu gelangen. »Ich bin der Herr der Welt!« Entfernt glaubte ich, durch das Krachen der Explosionen und das Prasseln der Flammen Diethard Westphals Fistelstimme zu hören. Aber ich konnte mich natürlich auch täuschen.
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Der schwarzmagische Tarnnebel verzog sich. Rauchwolken stiegen auf. Die größte Rauchfahne nahm die Umrisse von Westphals spitzem Gesicht an, verwandelte sich in Mephistos furchterregende Fratze und zerfaserte schließlich im Wind. »Ahoi!« rief jemand. »Mark, old boy! Bist du okay?« Henry Soames hatte die Stellung gehalten. Als wir bibbernd an Bord des Kabinenkreuzers krochen, hielt Marjorie Soames bereits ihren geliebten Tee für uns bereit. »Das ist alles sooo aufregend!« erklärte sie, und ich konnte ihr nur zustimmen. Aufregung hatten wir in den letzten Stunden wirklich genug gehabt. Für Bernd war es wohl das letzte Abenteuer gewesen. Wir suchten noch eine Weile die Gegend nach ihm ab, doch in der aufkommenden Dunkelheit war auch mit den Scheinwerfern nicht viel zu entdecken. Bernd war und blieb verschollen… * »Und du hattest wirklich nichts mit Claudia, als du sie in die Vergangenheit mitgenommen hast?« wollte Tessa wissen. Wir saßen in der Hotelsauna. »Ich schwöre. Ich kann mich unerwünschten Zudringlichkeiten ganz gut erwehren«, versicherte ich. »Pah! Angeber!« Dann riß mir Tessa das Handtuch weg, aber nicht, weil sie es mir wieder ins Gesicht schlagen wollte. Sie staunte, tat zumindest so, denn sie sah ja nichts Unbekanntes. »Ähem, den Angeber nehme ich zurück…«
ENDE Vergangenheit In Ulrich Hellmanns Innerem herrschte wilde Aufruhr, während er seinen Wartburg in die nächtliche Einsamkeit des Galgenberges lenkte. Schon seit längerer Zeit hatte er geahnt, daß diese Stunde kommen würde. Und es wurde noch schlimmer als die wildesten Alpträume seines Sohnes… Ewigkeiten später erfährt Ulrich aus Mephistos Mund: »Du hast gerade deinen eigenen Urahnen umgebracht, deshalb gehörst du jetzt mir. Ein Mörder seines
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eigenen Vorfahren landet ganz unten in meinem Reich. Sein neues Zuhause ist
Der siebte Kreis der Hölle Holt Euch diesen 51. Hellmann-Roman und laßt Euch für ein paar Stunden von C.W. Bach gruselig-spannend unterhalten!
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